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Nach dem Orient.
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Reiseskizzen
V011
Wilhelm Wiener.
FWien 1870.
Wallishauſſer'ſche Buchhandlung (Joſef Klemm).
Druck von Alex. Emrich.
120479 B
Die Reiſe des Kaiſers von Oeſterreich nach dem
Oriente und die Eröffnung des Suezkanales bildeten in
den letzten Wochen Ereigniſſe, mit denen ſich die ge-
ſammte Tagesliteratur beſchäftigte. Ich, der ich dieſe
Reiſe mitmachte, habe die Eindrücke derſelben im
„Neuen Fremdenblatte“ in einer Reihe von Briefen
niedergelegt, die bei ihrem Erſcheinen vielfach freund-
liche Aufnahme fanden. Von meiner Reiſe zurückge-
kehrt, wurde ich wiederholt aufgefordert, dieſe Briefe
in einer eigenen Sammlung zu veröffentlichen. Wenn
ich dieſer Aufforderung nachkomme, ſo geſchieht dies ge-
wiß nicht, um die umfangreiche und erſchöpfende Literatur
orientaliſcher Reiſebilder unnöthig zu vermehren, ſondern
einzig und allein, um den zahlreichen Europäern, nament-
lich aber den Oeſterreichern, die Zeugen der Orient-
reiſe unſeres Kaiſers und der aus Anlaß der Kanal-
eröffnung ſtattgefundenen Feſte waren, eine Erinnerung
an jene Tage zu bieten.
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In meinen Briefen habe ich mir ſtets jene Ob-
jectivität zu wahren gewußt, welche für jeden Erzähler
eine unbedingte Nothwendigkeit iſt und nur das mitge-
theilt, was ich ſelbſt geſehen oder was mir vollkommen
verläßliche Augenzeugen mittheilten. Wahrhaftigkeit der
Erzählung, Unparteilichkeit der Schilderung – das
ſind vielleicht die einzigen Vorzüge, die man dieſen Brie-
fen zuerkennen wird, und mit dieſer Anerkennung wird
ſich der Verfaſſer begnügen.
Wien, Mitte Jänner 1870.
ÜWilhelm FÜNiener.
Nach dem Orient.
Turn-Severin, am Bord des „Radetzky“,
24. Oktober. -
Mit des Geſchickes düſteren Mächten, mit den
Dampfſchiffen der Donau und walachiſchen Poſtpferden,
iſt kein ewiger Bund zu flechten, nicht einmal ein
kontraktliches Verhältniß auf wenige Stunden einzugehen.
In dieſem Augenblicke ſollten wir nach dem Wortlaut
aller offiziellen Fahrordnungen ſchon auf dem ſchwarzen
Meere ſchwimmen und die Thürme von Stambul in
Sicht bekommen, und ſtatt deſſen ſitzen wir noch immer
ruhig an den troſtloſen Ufern der Donau, in Turn-
Severin, und ſuchen mit den Archäologen, die unſer
Schiff unſicher machen, die Trümmer der Brücke, die einſt
Trajan für den Uebergang römiſcher Legionen erbaute.
– Unſer Schickſal liegt in Allah's Händen und in jenen
der kaiſerlich- öſterreichiſchen Hausoffiziere und Inten-
danten, die mit den Gepäckſtücken, welche zur Kaiſer-
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reiſe nach Varna zu expediren haben, unſer um neun-
zehn Stunden verſpätetes Eintreffen verſchulden. Man
kann darum den Herren nicht grollen, denn ſie über-
bieten ſich an Liebeswürdigkeit gegen die Paſſagiere,
um den faſt unerträglich gewordenen Aufenthalt, den
die fortwährende Umladung des kaiſerlichen Gepäckes
verurſacht, vergeſſen zu machen. In nicht weniger als
361 Kiſten, Koffern und Fäſſern ſchwimmen mit uns
alle die Dinge die Donau hinab, welcher der Kaiſer Franz
Joſef und ſeine Begleitung während des fünfwöchentlichen
Aufenthaltes im Orient bedürfen, und nichts, was in
Küche, Keller und Haushaltung irgendwie nützlich oder
nothwendig erſcheint, iſt vergeſſen. Köche, Zuckerbäcker,
Kellermeiſter, die nöthigen Gehilfen, Jungen und Diener
begleiten die Rieſenladung, ſie werden vorläufig in Varna
ihr Hauptquartier aufſchlagen und dann während der
Meerfahrt des Kaiſers das Menu der Hoftafel be-
ſorgen. Da die Kriegsſchiffe, welche Se. Majeſtät und
deſſen Gefolge aufnehmen werden, nicht für Paſſagiere
eingerichtet ſind, ſo mußte natürlich Alles, ſelbſt die
geringſte Kleinigkeit von Wien aus beſorgt werden, um
die Schiffe gehörig zu fourniren. In Varna erwarten
Se. Majeſtät die Schiffe: „Helgoland“, „Kaiſerin
Eliſabeth“, „Fiume“ und „Gargnano“. Der Kaiſer
ſchifft ſich auf dem ihm vom Sultan zur Verfügung
geſtellten Prachtdampfer „Sultanieh“ ein, da die für
ihn beſtimmte Dampf-A)acht „Greif“, welche die Königin
von Neapel nach Civitavecchia führte, erſt in Kon-
ſtantinopel zum Geſchwader ſtoßen kann und dort Se.
Majeſtät aufnehmen wird.
Unſere Reiſegeſellſchaft iſt eine ſehr amuſante und
gewählte, die heitere Stimmung, die an Bord herrſcht,
macht uns manches Ungemach vergeſſen, die der niedere
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Waſſerſtand uns bereitete. Haidar Effendi, der liebens-
würdige türkiſche Botſchafter, der in Begleitung des
türkiſchen Konſuls in Wien nach Ruſtſchuk fährt, um
dort den Kaiſer zu empfangen und ihn bis nach Kon-
ſtantinopel zu begleiten, iſt ein äußerſt angenehmer Ge-
ſellſchafter, der bei der großen Ueberfüllung des Schiffes
lieber auf ſeinen Sitz in der Kajüte oder auf dem
Verdecke verzichtet, ehe er eine Dame ſtehen läßt und
zugleich den Herren ein äußerſt freundlicher und zu-
vorkommender Cicerone für türkiſche Verhältniſſe iſt.
– Da iſt ferner am Bord Herr Cohen, der Präſident
der Alliance israelite in Paris, der kürzlich in Wien
Vorträge hielt und jetzt nach Bukareſt, Jeruſalem und
Alexandrien geht, um in dieſen Städten die von ihm
begründeten Schulen zu inſpiziren, – ein lebendiges
Lexikon an encyklopädiſchem Wiſſen, ein Nachſchlagebuch
für alle erdenklichen Perſonalien der civiliſirten Welt,
die Seele der Unterhaltung für einen großen Theil
unſerer Schiffgeſellſchaft. Cohen iſt ein geborener Preß-
burger, ſeit 30 Jahren in Paris naturaliſirt, uner-
müdlich im Wirken für ſein Volk – er war bekanntlich
die Hand Rothſchild's, mit welcher der verſtorbene Chef
des Pariſer Hauſes ſeine zahlloſen Wohlthaten ausſtreute.
Außerdem haben wir auf dem Schiffe die konven-
tionelle Anzahl Engländer, die ihre ſprichwörtliche Ex-
kluſivität auf dem kleinen Raume, über den die Paſſa-
giere des „Radetzky“ gebieten, ſo ziemlich aufgegeben
haben, zwei höhere öſterreichiſche Hofbeamte, Hofſekretär
Rauch und Hofkontrolor Zehkorn, den Hofmarſchall des
Fürſten Karl von Rumänien, den Direttore dell'
Osservatore Triestino Profeſſor Coglievina, einen
Vertreter der franzöſiſchen Preſſe, den Präſidenten
des Hamburger Handelsgerichts Dr. =nº, ein Paar
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reizende Griechinnen und eine etwas gewagt luſtige Fran-
zöſin, Fräulein Sarah Blum, eine in Konſtantinopel enga-
girte Schauſpielerin, die auf dem Halsband ihres Neu-
fundländers ihre vollſtändige Adreſſe offenbar nur zu dem
Zwecke eingravirt hat, damit – die Verluſtträgerin leicht
zu finden iſt. Unſere gegenſeitigen Bekanntſchaften fingen
erſt heute an, geſtern und vorgeſtern waren wir theils
in den ungemüthlichen Coupés der Eiſenbahn verpackt,
theils auf anderen Schiffen ſo eingepfercht und ſo
wenig vor Aus- und Einſchiffen ſicher, daß wir fort-
während mehr unſer Gepäck, als unſere Mitreiſenden
in Acht nehmen mußten. In Bazias begann die Tortur,
ein ganzer Wall von Koffern, Kiſten, Küchenbatterien,
Rum- und Weinfäſſern, die alle die achtunggebietende
Aufſchrift „Hofgepäck“ führten, ſperrte jede Kommuni-
kation, und daß ich überhaupt das Schiff – es war
der prächtige „Franz Joſeph“, das ſchönſte Schiff der
Dampfſchifffahrtgeſellſchaft – erreichte, habe ich einzig
und allein den ausgezeichneten Turnkünſten eines Freundes
zu verdanken, der mich aus purer Gefälligkeit nicht
unter ſeine Fittige, aber im buchſtäblichen Sinne
des Wortes auf ſeine Schultern nahm. Kaum embarkirt,
machte ich die reizende Entdeckung, daß mein Koffer
mit dem übrigen Gepäcke in 48 Stunden nachkommen
werde und daß ich bis dahin auf jeden Wechſel eines
Kleidungsſtückes verzichten müſſe. Ich würde dieſen Uebel-
ſtand vielleicht verſchmerzt haben, hätten wir den wahr-
haft lukulliſchen Aufenthalt auf dem „Franz Joſeph“ nicht
binnen wenigen Stunden ſchon aufgeben müſſen, da das
Schiff nach Bazias zurückkehren mußte, um den Kaiſer
zu erwarten. Wir wurden auf dem „Boreas“ eingeſchifft,
einem Miniaturdampfer, auf dem wir förmlich einge-
pökelt waren. Ich theilte mit Sr. Exzellenz Haidar
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Effendi die Ecke einer Theerdecke, auf der wir es uns
ſo bequem als nur immer möglich machten. Eine ſibi-
riſche Kälte und eintretender Platzregen machten den
Aufenthalt auf dem Verdecke geradezu unerträglich und
doch herrſchte hier noch eine paradieſiſche Luft gegen die in-
fernaliſche Atmoſphäre der Kajüte, in die ſich die Damen
geflüchtet hatten. So fuhren wir von Moldava über
Trenkova, Futs, Orſova bis Vancorova. Ueberall ſahen
wir bereits große Vorbereitungen zum Empfang Sr.
Majeſtät. Von allen Seiten ſchleppten walachiſche
Bauern Ladungen voll grüner Reiſer und Guirlanden
herbei, Fahnen wurden aufgehißt, Flaggenſtöcke ein-
gerammt und Triumphbogen errichtet. Wir ſelbſt hatten
in irgend einer Station das Vergnügen, unſer Gepäck
mit zwei koloſſalen Triumphpforten in ihren primitiv-
ſten Anfängen vermehrt zu ſehen, die beſtimmt waren,
den Landungsplatz von Guravei zu ſchmücken. – In
einer der kleinen Stationen, in der wir einige Zeit
verweilen mußten, verſetzte man uns ein Diner, das mir
24 Stunden meines Lebens verbitterte. Ach, hätte ich
nur die Rathſchläge des vortrefflichen Dr. Löbl befolgt,
der mich vor meiner Abreiſe im Wiener Carl-Theater wäh-
rend der Vorſtellung des „Salon Pitzelberger“, beſchwor,
vor walachiſchen Köchen auf der Hut zu ſein. Du lieber
Gott, ich hatte alle ärztlichen Rathſchläge im Salon
Pitzelberger vergeſſen, und mußte im Salon unſeres
Dampfers hart genug dafür büßen – ich werde wohl
die Folgen jenes Diners erſt jenſeits des Balkans oder
gar in den Fluthen des ſchwarzen Meeres los werden
können! Selbſt die kaiſerlichen Köche, die mit uns an
der Schiffstafel ſpeisten, konnten trotz ihrer langjährigen
und großen Erfahrungen uns weder über das Herkom-
men, noch die Entſtehungsgeſchichte einzelner Speiſen
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genügende Auskunft geben, und als ſie vollends von
irgend einem Geflügel verſicherten, es habe einen un-
zweifelhaften Krähengeſchmack, da ſank mit der Gabel
auch unſer letzter Muth. Hätte nicht einer der chefs
de la cuisine imperiale uns raſch einen prächtigen
Salat improviſirt, wir wären hungerig zu Bette
gegangen. Die kaiſerlichen Köche ſind, wie man uns
erzählte und wie wir dies auch im Geſpräche bemerkten,
durchwegs intelligente Leute und iſt die Wahl für dieſe
Reiſe mit großer Sorgfalt geſchehen. Mr. Stefanie
z. B. hat als Zuaven-Unteroffizier im Krimkriege
wacker mitgekämpft, und an derſelben Stelle, wo er in
Varna demnächſt das hors d'oeuvre für den kaiſerlichen
Tiſch zurechtmachen wird, fanden Tauſende ſeiner ehe-
maligen Kameraden den Tod. – Eine der ergötzlichſten
Perſönlichkeiten des Schiffes iſt ein gleichfalls in der
kaiſerlichen Küche Bedienſteter, Herr P., ein Original-
Wiener vom reinſten Typus, der durch ſeine im präch-
tigſten Thury-Deutſch vorgebrachten Phraſen und durch
ſeinen kauſtiſchen Witz uns manche halbe Stunde ange-
nehm vertreibt. – Gibt es z. B. etwas Köſtlicheres,
als daß, während wir Alle die Stromſchnellen am
eiſernen Thore in Augenſchein nahmen, der Mann ruhig
über unſer Staunen lächelte und gleichgiltig ausrief:
„Da ſeh i gar nix, in Laxenburg der Waſſerfall iſt
tauſend Mal ſchöner!“ Dieſes gemüthliche Urwienerthum
verleugnet ſich doch nirgends! – – Bei ſtockfinſterer Nacht -
langten wir in Vancorova an, verließen das Schiff und
wateten durch klaftertiefen Koth den bereitſtehenden
Wagen zu, da wir die Strecke nach Guravei des nie-
deren Waſſerſtandes wegen nicht zu Schiff paſſiren
konnten. Es gehört einiger Muth dazu, ſich den vier-
räderigen Karren anzuvertrauen, auf welchen die Rei-
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ſenden expedirt werden, und weder Kutſcher noch die
unanſehnlichen walachiſchen Pferde ſind geeignet, unſer
Vertrauen zu erhöhen. Um ſo überraſchter waren wir,
als wir nach wenigen Minuten mit der Schnelligkeit
eines Wiener Grabenfiakers dahinflogen. Anfangs ging's
zwar herzlich ſchlecht, wir blieben jeden Augenblick ſtehen,
das Geſpann trabte wiederholt in höchſt verdächtiger
Weiſe dem Waſſer zu und der Kutſcher erzählte jammernd,
ſeine Pferde hätten den Weg heute ſchon zwei Mal
machen müſſen. Aber ein Mitreiſender, ein walachiſcher
Zollbeamter, warf dem Kutſcher einige Flüche an den
Kopf und wies einfach auf ſeine Reitpeitſche und fort
ging's im Flug. „Das habe ich in Rußland gelernt“,
verſicherte uns der Beamte treuherzig, „der Reiſende
haut den Kutſcher, der Kutſcher die Pferde, und dann
geht's, anders nicht.“ Das Mittel mag probat ſein,
aber für uns Wiener hatte es wenig Reiz zur Nach-
ahmung.
In einer Stunde hatten wir den „Radetzky“ er-
reicht, ein Schiff erſter Klaſſe, und fünf Minuten nach
Ankunft an Bord hatte ich mich auf die erſtbeſte Ma-
tratze hingeworfen und ſchlief wie ein junger Gott bis
zum frühen Morgen. – Da unſer Gepäck erſt gegen
Mittag erwartet wurde, machten wir – ungefähr zehn
Perſonen – nach dem Dejeuner einen Ausflug nach dem
eiſernen Thor, um die Felſenriffe, die dort die Schiff-
fahrt unſicher machen – ein eigentliches Thor gibt es
bekanntlich nicht – zu beſichtigen. Wir kehrten bald
um, – waren aber noch ein halbes Stündchen vom
Schiffe entfernt, als drei gellende Pfiffe uns belehr-
ten, daß der Dampfer zur Abfahrt bereit ſei. Zwi-
ſchen dem „Radetzky“ und einem mehrtägigen, un-
freiwilligen Aufenthalte in Guravei gab es wohl keine
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Wahl; wir ſetzten unſere Beine in eine Bewegung, die
Racepferden erſten Ranges alle Ehre gemacht hätte –
und flogen durch Dick und Dünn über die Haide. Zum
Glück hatte der Kapitän einem Bauernwagen den Be-
fehl ertheilt, uns entgegen zu fahren, wir nahmen knie-
end, hockend, liegend in demſelben Platz und erreichten
unter dem Hohngelächter, theils auch unter dem Murren
der übrigen Geſellſchaft den Landungsplatz. – Gegen
8 Uhr langten wir in Turn-Severin an, wo alle Hände,
wie auf dem ganzen Wege, vollauf mit Reinhaltung und
Ebnen der Wege und Dekorirung der Straßen beſchäf-
tigt waren. Am Landungsplatze warteten bereits zwei der
ſchönſten Schiffe der Dampfſchifffahrtgeſellſchaft, „Sophie“
und „Friedrich“, im Feſtſchmucke; der Damenſalon der
„Sophie“ war mit vollendetem Geſchmack in eine Kabine
für Se. Majeſtät umgeſtaltet. Die Reiſe des Kaiſers
wird einem Triumphzuge gleichen, und was wir jetzt
beim Beginne unſerer Reiſe ſchon ſehen und hören, gibt
die Gewißheit, daß der Orient all ſeine Pracht und
zauberhafte Herrlichkeit enthüllen wird, um den erſten
chriſtlichen Souverän, der ſeinen Boden betritt, würdig
zu begrüßen.
Uon Turn-Severin bis Barna.
Varna, 25. Oktober, Nachts.
Heute Mittags endlich verließen wir nach fünfzig-
ſtündiger Fahrt die Donau und faßten wieder feſten Fuß
am Lande. In dem Salon des „Radetzky“, der den
Paſſagieren die größten Annehmlichkeiten bietet, die der
verwöhnteſte Reiſende nur immer verlangen kann, ver-
lebten wir geſtern noch einen glücklichen Abend. Der
Salon eines Dampfſchiffes, in dem eine aus allen Län-
dern zuſammengewürfelte Geſellſchaft mehrere Tage lang
vereint leben muß, geſtaltet ſich bald zu einem traulichen
chez soi – der enge Kreis, in den man gebannt iſt,
läßt Abſonderung oder Fremdthuerei nicht aufkommen,
man findet ſich raſch in kleinen Gruppen zuſammen,
Nordamerikaner und Engländer, Preußen und Oeſter-
reicher, Franzoſen und Italiener, die ſich auf dem großen
Weltſchiff fremd und oft feindlich gegenüberſtehen, bilden
auf dem kleinen Dampfer ſchnell eine Familie, und wenn
vollends des Abends auf den Tiſchen der erſten Kajüte
die Lampen brennen und der Theekeſſel brodelt, dann
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löst ſich das Eis auch von der ſtarrſten Zunge – man
erzählt von der Heimat, zeigt ſich wechſelſeitig die Photo-
graphien der zurückgelaſſenen Lieben, lacht über die
älteſten Anekdoten, ſchwärmt ein wenig mit den Damen,
die den eilenden Wolken Grüße mitgeben in die Ferne
– kurz, man ſchafft ſich raſch ein heimliches Zuhauſe.
Mit geſpannter Aufmerkſamkeit lauſchten wir ſtunden-
lang dem unerſchöpflichen Erzähler Dr. Cohen, der uns
ſeine Abenteuer in Algier und der Wüſte zum Beſten
gab, und von Canrobert, Changarnier, Bugeaud und dem
Prinzen von Aumale Hunderte von Schnurren zu er-
zählen wußte, als hätte er Zeit ſeines Lebens bei den
Zuaven gedient, während er doch in Wirklichkeit das
edelſte und friedlichſte Handwerk treibt, das der Menſch
kennt – für den Unterricht zu ſorgen in allen Landen,
wo das auserwählte Volk ſeine Zelte aufgeſchlagen.
Dr. Cohen, den, wie ich ſchon erwähnte, ſeine Miſſion
nach Bukareſt und ſpäter nach Jeruſalem führt, fand
viele Glaubensgenoſſen an Bord, die ihm von ihren
Leiden und Qualen in Rumänien erzählten und ſeine
Hilfe erbaten. Er gab den Meiſten tröſtende Worte,
ließ es aber auch an ernſten Ermahnungen nicht fehlen.
Fürſt Karol, mit dem der Präſident der iſraelitiſchen
Alliance kürzlich eine längere Unterredung hatte, erklärte,
er wolle gerne die ſofortige Gleichſtellung der Juden in
der Walachei durchführen, in der Moldau dagegen ſei
dies nicht möglich. Das mag eigenthümlich klingen, aber
es hat ſeine Begründung, wie verſtändige Iſraeliten
ſelbſt zugeſtehen. Die Juden in der Moldau hängen
mit zäher Verbiſſenheit an alten Formen und noch älte-
rem Schmutz, ſie thun nichts für die Erziehung der
Jugend, die ſie zum Wucher und zur Uebervortheilung
Anderer förmlich heranbilden – das gibt den reform-
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feindlichen Bojaren mehr als hinlängliche Veranlaſſung,
jeden Verſuch, die Lage der Juden zu verbeſſern, zu
hintertreiben. Vielleicht gelingt es dem unermüdlichen
Cohen, auch in dieſer Richtung einen Weg zum Beſſern
anzubahnen. – – –
Raſch fuhren wir den mächtigen Strom hinab, der
von Widdin an immer weiter in's Land ſich breitet,
in zahlloſe Arme ſich theilt, große Inſeln umkreist und
erſt hier den Reiſenden die immenſe Bedeutung dieſes
Stromes als wichtigſte Handelsſtraße klar macht. Die
öden, menſchen- und häuſerleeren Ufer, die unabſehbaren
Steppen, die ſich zu beiden Seiten der Donau weit in's
Land ziehen, deren Einſamkeit nur zeitweilig von den
armſeligen, ruinenartigen Baraken der Grenzwache und
den Heerden weidender Büffel unterbrochen wird, bieten
ein wahres Jammerbild – welche Schätze ruhen da
noch unaufgebrochen in der Mutter Erde, welche rieſige
Produktion könnte ſich hier entfalten – für die zehn-
fache Bevölkerung wäre hier noch Platz, – die unver-
ſtändige Verwaltung und das verwahrloste, wild auf-
wachſende Volk aber haßt den Koloniſten und würde ihn
aus dem Lande verjagen, weil es die Herrſchaft des ge-
bildeten Einwanderers über die Eingebornen fürchtet.
Die wenigen Stationen, die man paſſirt, ſind durch die
Anſiedlungen der Dampfſchifffahrtgeſellſchaft zu bedeu-
tenden Städten geworden, der Werth von Grund und
Boden hat ſich verdreißigfacht und doch legt man überall
der Geſellſchaft Hemmniſſe in den Weg, will neue Ab-
gaben und Steuern erzwingen und verleidet jedem Un-
ternehmer den Ausbau ſeiner Pläne. – –
Widdin, Kalafat, Siſtow, die hiſtoriſchen Schlacht-
felder der Orientfrage, flogen an uns vorüber, überall
kamen die Paſcha's an Bord, um den ottomaniſchen
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Botſchafter Haidar Effendi zu begrüßen und Meldungen
über die Vorbereitungen zum Empfang des Kaiſers zu
erſtatten, endlich erſchien auch das erſehnte Ruſtſchuk,
das Endziel unſerer Donaufahrt vor unſeren Blicken.
Am Ufer gab es feierlichen Empfang, denn Haidar
Effendi verließ hier mit uns das Schiff. Ein türkiſches
Regiment Berſaglieri mit Fahnen und Muſik war am
Ufer aufgeſtellt, Kawaſſen hielten rings das Volk in
reſpektvoller Entfernung, ein Trupp Reiter umgab die
bereitſtehenden Karoſſen und von den Feſtungswällen
donnerten die Grüße der Kanonen. Wir hatten übri-
gens mehr Augen, und zwar mit Operngläſern und
Fernröhren bewaffnete, für die türkiſchen Frauen, die
dicht verſchleiert auf einem kleinen Hügel kauerten, als
für die Feierlichkeiten am Ufer. Leider war keiner
unſerer Operngucker ſo ſcharf, um uns entdecken zu
laſſen, ob die züchtigen Töchter Mohameds unſere liebe-
vollen Grüpe erwiederten oder nicht. Wir ſtiegen an's
Land und hofften raſch weiterzukommen, aber wie unſere
Hoffnungen während dieſer Reiſe ſchon ſo oft getäuſcht
wurden, geſchah es auch hier. Fünf wohlgezählte Stun-
den dauerte das Auspacken des Hofgepäcks, und ſtatt
um halb 1 Uhr konnte der Train erſt nach 5 Uhr ab-
gehen. Hier konnte man gemächlich die Umſicht beur-
theilen, mit der man für die Reiſe des Kaiſers vorge-
ſorgt. Rieſige Eiskäſten, koloſſale Kollis mit Silber-
geſchirr vollgepackt, Kiſten voll Theebäckerei, hinreichend,
eine kleine Armee zu verproviantiren, Flaſchenkeller mit
Moet, ein Paar Dutzend Fäſſer mit Ungarwein, darun-
ter eines mit echtem Tokayer, ein förmliches Lager für
die Zuckerbäckerei, Tiſch- und Bettzeug, alle nur erdenk-
lichen Details für Entrées und Deſſerts und endlich
eine Anzahl geheimnißvoll verpackter Kiſtchen, über deren
A
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Inhalt wir erſt nach wiederholten Nachforſchungen Auf-
ſchluß erhielten. Die Kiſtchen bergen Flaſchen, gefüllt
mit Schönbrunner Waſſer, das, in Eis gekühlt, auf
alle kaiſerlichen Tafeln kömmt. Von Trieſt aus gehen
Ladungen dieſes köſtlichen Trunkes auch nach Alexan-
drien, und ſo wird der Kaiſer im Marmorameer,
wie im mittelländiſchen Ozean, in Jaffa, wie in Jeru-
ſalem nur Waſſer von Schönbrunn trinken. –
Ueber welche Arbeitskraft das bulgariſche Volk
verfügt, konnten wir in Ruſtſchuk an einzelnen im übri-
gen Europa wohl für unmöglich gehaltenen Leiſtungen
erkennen. Die bulgariſchen Laſtträger hoben ſechs Zent-
ner ſchwere Eiskaſten, zu deren Transportirung man
in Wien vier handfeſte Männer benöthigt, ſpielend in
die Luft, luden ſie einem einzigen Genoſſen auf den
Rücken und dieſer trug die Laſt ohne Mühe über die
ſteil anſteigende Brücke zum Bahnhof. Mit Eimerfäſſern
bepackt tanzten die Kerle förmlich, und eine zwei Klafter
breite Kiſte balancirten ſie auf dem Rücken, als gelte
es einen Haſelſtock im Gleichgewicht zu halten. Und
doch ſcheuen dieſelben Leute die Feldarbeit, wie über-
haupt jede auf regelmäßigen Taglohn berechnete an-
dauernde Anſtrengung! – -
In Ruſtſchuk ſahen wir mehrere höhere türkiſche
Generale am Bahnhof – Abdul Kerim Paſcha, den
Armeekommandanten, dann den Gouverneur von Ruſt-
ſchuk :c. Abdul Kerin empfing eben ein Paket Zeitun-
gen. Man kann ſich die Neugierde vorſtellen, mit der
wir ausſpähten, um zu erſehen, welche Zeitungen der
Armeekommandant von Bulgarien liest – unſere Augen
hafteten unverwandt auf der Schleife – endlich wird
dieſelbe gelöst – – Abdul Kerim iſt Abonnent der
„Independance“, der „Allgemeinen“ und des Wiener
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„Kikeriki“. Wenn der Verfaſſer der „Pfarrerköchin“
nach Ruſtſchuk kömmt, kann er gewiß bei Abdul Kerim
auf einen guten Empfang rechnen, wenn er nicht vorher
für etwelche derbe türkiſche Witze die Baſtonade er-
hält. – – –
Kurz nach fünf Uhr wurden wir endlich in die
Waggons eingepackt. Man nehme das Wort buchſtäb-
lich – eine ſchmachvollere Art, Reiſende zu behandeln,
gibt es wohl in der ganzen Welt nicht mehr, und daß
die Türkei dieſe unverſchämten Engländer, welche die
Eiſenbahn von Ruſtſchuk nach Varna ihr Eigenthum
nennen, noch nicht mit Peitſchenhieben zum Lande hin-
ausgejagt hat, iſt nur tief zu beklagen. Wir hatten
zwölf Stunden früher unſere Ankunft telegraphiſch an-
gezeigt, die Depeſche beſagte ausdrücklich: „74 Paſſa-
giere erſter Klaſſe kommen an“ – wir lösten unſere
Karten erſter Klaſſe, die Beamten nahmen das Geld
und erklärten hinterdrein, es ſeien nur zwei Waggons
erſter Klaſſe vorräthig, die von Damen okkupirt wurden.
Die anderen Waggons ſeien in Varna, oder würden
für die Kaiſerreiſe aufgefriſcht u. ſ. w., u. ſ. w. Wir
mußten uns mit Waggons zweiter Klaſſe begnügen,
wahre Marterkaſten, gegen die unſere Laſtwaggons ele-
gante Fahrgelegenheiten ſind. Sitze, ſo ſchmal, daß ſie
kaum hinreichen, einem mageren Truthahn als Ruhe-
punkt zu dienen, kein Haken, kein Korb im Waggon,
um auch nur eine Stecknadel unterzubringen, kleine
Scheiben, Lampen, die, kaum angezündet, wieder erlöſchen,
der Fußboden ſchmutzig, und in dieſen Verſchlag, in dem
ſechs Perſonen ehrlich Platz haben, zehn Menſchen ein-
pferchen – das nennt Goddam zweite Klaſſe und läßt
ſich erſte Klaſſe dafür zahlen. Dergleichen Unverſchämt-
heiten ſind in der That nur Söhne Albions fähig. Die
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Eiſenbahnverwaltung lebt ſowohl mit den türkiſchen
Behörden wie mit dem Lloyd, der in Varna die Reiſen-
den erwartet, auf dem ſchlechteſten Fuße – kürzlich
hat ſie gedroht, den Kaiſer von Oeſterreich nicht zu be-
fördern, wenn man ihr nicht ſofort die Subvention
auszahle, und dem Lloyd ſpielt ſie jeden Augenblick den
Schabernak, den Train abfahren zu laſſen, wenn der
Dampfer von Konſtantinopel ſchon in Sicht iſt. Die
armen Reiſenden müſſen natürlich dann in Varna eine
troſtloſe Nacht zubringen. – Man fährt übrigens ziem-
lich raſch von Ruſtſchuk nach Varna, die Stationen
ſind in dem unwirthlichen Lande äußerſt ſpärlich, die
Wächterhäuschen aus Sparſamkeitsrückſichten abgeſchafft,
und ſo jagt der Train dahin – ob er hin und wieder
einen Büffel überfährt – was liegt daran, ſonſt ſtört
ohnedies Niemand die Einſamkeit des Schienenweges.
In Saitanſchik (Trou du Diable), der fünften Station
nach Ruſtſchuk, machten wir kurzen Halt, Haidar Effendi
ſchlug hier ſein Nachtquartier auf, um den Großvezier
Aali Paſcha zu empfangen und mit ihm am nächſten
Tage dem Kaiſer bis Ruſtſchuk entgegenzufahren. Wir
hatten vorſichtig uns auf telegraphiſchem Wege ein
Souper beſtellt und ſtürzten nun heißhungrig nach der
Reſtauration. Welch ein Anblick! – „Da iſt ja unſer
Gänſerndorf das reine Café riche gegen dieſes Hunde-
loch“, rief der urgemüthliche Koch, deſſen Einfälle uns
während dieſer Reiſe - ſchon ſo oft amüſirt. Und der
Mann übertrieb nicht. In einer finſteren Spelunke hockte,
wie eine von Macbeth's Hexen, ein rußiges altes Weib
am Herde und rührte einen Brei, in den ſie Jedem,
der einen Löffelvoll in ſeinen Teller goß, ein Stück
zähes Fleiſch mit ſolcher Gewalt warf, daß uns die
Brühe in die Augen ſpritzte. Dazu erhielten wir als
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zweiten Gang fetttriefendes Sauerkraut und ein Brod,
das ein Mittelding zwiſchen Lebkuchen und „Schuſter-
labl“ war. Dafür zahlten wir per Perſon 15 Piaſter
und das nennt man im Teufelsloch ein telegraphiſch
beſtelltes Souper! – – In finſterer Nacht brachte
uns der Zug nach Varna – die kaiſerliche Dienerſchaft
ſtieg hier aus, uns ſchleppte die Lokomotive noch
tauſend Schritte weiter an den Strand des Meeres –
hoch ging die Brandung und ſchäumende Wellen warf
die See an die Ufer. – Aus weiter Ferne leuchteten
die Laternen des Dampfſchiffes, das ſeit 36 Stunden
auf uns wartete, durch die Nacht – wir hörten den
Pfiff der Maſchine, der gellend das Toſen der See
übertönte, am Ufer ſchwankten die Boote auf und nieder
– in wenigen Minuten ſchiffen wir uns ein und über-
geben unſeren müden, wankenden Leib dem trügeriſchen
Gotte des Pontus Euxinus: Allah ſei uns gnädig!
Eine Nacht im Bosporus.
Am Bord des „Neptun“, 27. Oktober, Früh.
Wohl wünſcht' ich Vieles mir; doch wär' ich ein Matroſe,
Dann wünſcht' ich einen Sturm und eine Waſſerhoſe
Im fernſten Südmeer mir; dann wünſcht ich, daß mein Schiff
Der zürnenden Gewalt des Trombengeiſt's verfiele,
Daß maſt- und ſegellos es ſäße mit dem Kiele
Geſpießt auf ein blutroth, thurmhoch Korallenriff.
Wir hatten geſtern Nachts während der Fahrt nach
Varna tolles Zeug im Waggon getrieben, der Ham-
burger Präſident, der Trieſter Profeſſor, der Wiener
Feuilletoniſt und ein luſtiger Arzt aus Pera, der ſich
zu uns geſellte, gaben Geſchichten aus dem Studenten-
leben zum Beſten, wir ſangen alle Burſchenlieder vom
„Gaudeamus“ bis zum „Ich bin der Fürſt von Thoren“
durch, und lachten nicht wenig, wenn auf den Stationen
die Türken verwundert über ſolch ſpukhaftes Treiben
die Köpfe ſchüttelten und mit den langen Nägeln die
Silberfäden ihrer Bärte glätteten. In ſolch toller
Laune hatte ich auch die obigen Verſe Freiligrath's zitirt,
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uneingedenk des alten Spruches vom Teufel, den man
nicht an die Wand malen ſoll. Neptun, der Tückiſche,
hatte offenbar die freche Herausforderung gehört und
ſchwur uns Rache. –
Die Einſchiffung ging in Varna nach gewöhnlichem
Ceremoniel vor ſich, nur daß die pechſchwarze Nacht die
Szenerie etwas unheimlicher machte. Man warf uns
ziemlich unſanft in ein Boot, und ehe wir uns noch in
dem engen Raume, in dem wir eingepfercht zwiſchen
Koffern und Reiſetaſchen lagen, zurechtfanden, tanzten
wir bereits auf hoher See. Welch ein Cancan! Auf
und nieder ſchaukelte das Boot, bald auf der Spitze
einer ihren Geifer entladenden Zornwelle tanzend, bald
hinab in die Tiefe, wie in ein gähnendes Grab ver-
ſinkend. Die Sterne tanzten, die Ufer tanzten, die
fernen Berge machten den Reigen mit, die ganze Waſſer-
maſſe wiegte ſich in dem hölliſchen Kehraus – ich hatte
eine Vorahnung von dem, was man Seekrankheit zu
nennen pflegt. Nach einer Viertelſtunde waren wir an
Bord, d. h. man trug mich die Schiffstreppe hinauf,
denn ich hatte total meinen Schwerpunkt verloren und
büßte jeden Verſuch, ihn wiederzufinden, mit einem
ſchmerzlichen Anprall an irgend ein Tau oder eine
Wand. Nach und nach fand ich einigermaßen Ruhe;
aber das Eſſen, das der für das leibliche Behagen ſeiner
Paſſagiere ſo aufmerkſame und unermüdliche Lloyd auf-
tragen ließ, widerte mich an und ich kroch raſch in
meine Kabine, die ich erſt nach 24 Stunden wieder ver-
ließ. Glücklicher Weiſe hatte ich das ganze ſchwarze
Meer und einen artigen Sturm verſchlafen und fühlte
mich, als ich erwachte, ziemlich behaglich. Der Ruf:
Bosporus! hatte mich erweckt und ich eilte auf's Verdeck.
Unvergeßlicher Anblick! Die Sonne war dem Untergang
19
nahe und beleuchtete uit ihren letzten Strahlen die
Berge der Ufer Aſiens und Europa's. Die verdammten
Seelen des Bosporus, die nie ruhenden Seemöven, um-
flatterten in zahlloſen Schaaren unſer Schiff, in alle
Farben des Regenbogens war das Meer gebadet, – in
weiter Ferne verſchwammen die blauen Contouren des
Gebirges, vom Lande herüber grüßten die grünen Cy-
preſſen, die ſtrebenden Pinien, tauſend Sonnen, blaue,
gelbe, grüne Reife und Strahlen wiegten ſich tanzend
auf der See – der Sturm hatte aufgehört, die Waſſer
grollten nicht mehr und ſanft ſchaukelte das Schiff auf
der Fluth. Die Leuchtthürme von Rumuli und Anatolu
tauchten auf, ein Fort nach dem anderen ward ſichtbar,
immer näher rückten die Berge und wie eine rieſige
Schlange zog ſich die Fluth in unaufhörlichen Windun-
gen weiter. Um mich herum war das Bild ein troſt-
loſes. Der bramarbaſirende Franzoſe, der alle Meere
der Welt bereits befahren, kauerte leichenblaß in einem
Lehnſtuhl und verſuchte fortwährend die Sohlen ſeiner
Füße feſt in den Boden einzuſetzen, ein Manöver, das
aber momentan über ſeine Kräfte zu gehen ſchien –
der türkiſche Doktor hielt die kalte Cigarre zwiſchen den
Fingern und verſuchte zu lächeln, aber der kalte Schweiß,
der auf ſeiner Stirn perlte, ſtrafte ſeine Heiterkeit Lügen,
und Miß Sarah Blum, die in der letzten Nacht auf
der Donau die Naſenſpitze ihres Begleiters mit ihrem
Fuß berührt hatte, lag wie ein Häuflein Unglück im
Winkel, als käme ſie eben aus einer Orgie in Mabille
und hätte ſeit acht Tagen kein Auge geſchloſſen. –
Doch was kümmerte mich all' das Elend, mein Auge
ſchweifte trunken zwiſchen zwei Welttheilen, mir war's,
als könnte ich die Sterne vom Himmel greifen und
müßte mit ihnen hinabſpringen in die sº und mich
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geſund baden in den Wellen, die unſer Schiff um-
rauſchten. Noch eine halbe Stunde und wir hielten
im Meere kurze Raſt; ein Boot wurde ausgeſetzt, um
von der nahen Landſpitze die Pratika, die Erlaubniß zur
Einfahrt, zu erlangen. Wir konnten den Augenblick der
Rückkehr des Bootes nicht erwarten, wir ſahen Stambul,
die geheimnißvolle, ſo oft in Lied und Märchen vorgezau-
berte Reſidenz des Orients, vor uns, und wollten noch
vor Einbruch der Nacht im Hafen ſein. Da endlich
legt das Boot an, die Miene des zweiten Kapitäns
weisſagt nichts Gutes – in der That, der türkiſche
Beamte hat die Erlaubniß zur Einfahrt verſagt, da die
Sonne bereits untergegangen. Selbſtverſtändlich all-
gemeines Murren der Paſſagiere, – aber da hilft kein
Widerſtreben, man muß gute Miene zum böſen Spiel
machen – das Schiff legt ſich vor Anker und wir ſind
verurtheilt, eine Nacht im Bosporus zuzubringen. Frei-
lich ſegneten wir am frühen Morgen den Einfall des
türkiſchen Beamten, hatte er uns doch das herrlichſte
Schauſpiel verſchafft, das man auf dieſem Erdenrund
erleben kann, – einen Sonnenaufgang vor Stambul. Wir
konnten dem Beamten um ſo weniger grollen, als er
zwei Stunden nach verweigerter Erlaubniß perſönlich
an Bord kam und die Meldung brachte, ſein Chef habe
eigens nach Konſtantinopel telegraphirt, um ſich für
uns eine beſondere Erlaubniß zur Einfahrt zu erbitten,
und ſoeben ſei die Einwilligung der maßgebenden Be-
hörde im telegraphiſchen Wege eingelaufen. Der Türke
war in ſeinem Recht und hatte ſich überdies, wie das
neueſtens überall Sitte der türkiſchen Beamten in ihrem
Benehmen gegen Fremde iſt, äußerſt zuvorkommend ge-
zeigt – wir aber blieben vor Anker und brachten die
Nacht im Bosporus zu. – – –
21
Kein Schlaf kam in unſere Augen, behaglich dehnten
wir uns auf raſch herbeigeholten Plaids und Teppichen
aus und blickten in die ſternbeſäete klare Nacht. Kein
Laut ſtörte die heimliche Stille, nur zuweilen tönte der
Klagegeſang der Mekkapilger, die in einem abgeſonder-
ten Verſchlage um einige Piaſter die Fahrt mitmachten
und jede vierte Stunde zum Gebet ſich erhoben, die
Bruſt ſich zerſchlugen, rechts und links die böſen Geiſter
verſcheuchten und niederſinkend die Erde küßten, zu uns
herüber. – Uns zur Seite und hinter uns hatten ſich
wie ſchweigende Wächter des Meeres ſpäter eingetroffene
Segler vor Anker gelegt, weit vor uns erblickten wir
die Spitzen des Maſtenwaldes, der die Bucht von Terapia
bedeckt, links ſtieg aus den olympiſchen Hügeln die ſil-
berne Mondesſichel empor und vermehrte mit ihrem
leichenfahlen Scheine den wunderſamen Effekt dieſer
Märchennacht. Die Luft war mild wie die eines Juni-
abends in unſerer Heimat, und ohne Furcht vor böſen
Folgen konnte man ſich dem ganzen Zauber des geiſter-
haften, wunderherrlichen Zwielichts, das uns umhüllte,
hingeben. Ohne daß wir es merkten, flogen die Stun-
den dahin, wir ſcherzten nicht mehr, wir ſangen nicht
– wir träumten und blickten den Wölkchen nach, die
aus unſeren Cigarretten ſich emporkräuſelten. Nach und
nach graute der Morgen und während wir weiter fuhren,
erneute ſich das Zauberbild des Orients jeden Augenblick
in wechſelnden Umriſſen und friſchen Lichtern. Welch
ein Panorama zu beiden Seiten, man hat nicht Augen
genug, zu ſehen; rechts, links fliegt der Kopf, man ſtarrt
und ſtaunt, und ehe ſich der Blick noch geſättigt, ja ehe
das Bild unſere Sehorgane noch geſtreift, taucht Land-
ſchaft um Landſchaft auf, jede in neuer, farbenprächtiger
Beleuchtung. Da beginnt Bujukdere, das Hietzing der
22
Orientalen, die Sommerfriſche von Konſtantinopel, mit
ſeinen zahlloſen Villen, Paläſten und terraſſenförmig auf-
ſteigenden Gärten, da iſt der prächtige Palaſt der Sul-
tanin Valide – dort iſt Bebek, mit Fazyl Paſcha's
Sommerſitz, den im Hintergrund im lauſchigen Walde
ein reizendes Schweizerhäuschen abſchließt, – rechts er-
blicken wir die einförmigen Grabſteine eines türkiſchen
Friedhofes, hoch oben auf der äußerſten Spitze zieht ſich
ein Cypreſſenwäldchen hin, in dem ſich – zwei einzelne
Steine bezeugen dies – ein Pärchen abſeits von der
Menge ein beſonderes Grab gebettet, als ob der Tod,
der unerbittliche Gleichmacher, einen Unterſchied ließe
zwiſchen Arm und Reich, weit unten baut ſich Pera auf
bis an die äußerſte Spitze des Berges, während im
nebelhaften Hintergrunde Stambul auftaucht mit der
altehrwürdigen Sofia. Aber noch haftet unſer Blick an
den in nächſter Nähe vorüberhuſchenden Gebilden – da iſt
der neue, noch unausgebaute Sultanspalaſt von Tſchiragan
mit rieſigen Glashäuſern, gleich darauf ein noch neueres,
erſt im Bau begriffenes Palais, ein marmorenes Zeug-
niß orientaliſcher Pracht, links in Aſien Skutari mit
ſeinen abenteuerlichen Häuſern in byzantiniſchen Formen,
mitten im Meere der Leanderthurm, dann Galata und
endlich Stambul, das goldene Horn mit ſeinen tauſend
und tauſend Maſten, die wie ein ſtarrender Wald den
Eingang in das Heiligthum des Orients wehren. Be-
täubt und doch entzückt, berauſcht, ſeligtrunken blicken
wir um uns, wo ſollen wir anfangen zu ſehen, wo
aufhören, – welchen Eindruck feſthalten, welchen ver-
flüchtigen laſſen – umſonſt, in dieſem Labyrinthe
orientaliſcher Farbenfülle ſuchen wir vergeblich nach einem
Leitfaden, mit Hilfe deſſen wir uns ſammeln könnten
– chaotiſch verwirrt ſich Alles in ein rieſiges, blenden-
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des Farbenmeer. Da, jetzt taucht der Sonnenball glü-
hend hinter den Hügeln Scutari's empor – jenſeits
im ſchwarzen Meere iſt die Nacht kaum gewichen und
bleigrau, aſchfarbig fließt Himmel und Waſſer in eine
Maſſe zuſammen, zu unſeren Füßen hat das Meer
bereits jenes tiefgeſättigte Grün, für das unſere Maler
keine Farbe haben, während drüben in Bujukdere die
Kryſtallſcheiben in den Paläſten im Brillantfeuer glühen
und uns zur Rechten der Thurm von Galata wie mit
einer leuchtenden Kugel gekrönt erſcheint – über die
Berge von Scutari aber ſendet das aufgehende Geſtirn
blitzende Strahlen, die mit goldener Gluth die Fluthen
überſchütten. – Draußen im Marmorameere iſt der
Tag ſchon angebrochen, ſilberhell erſcheint die Fluth, wie
ein Königsgewand mit glitzernden Demanten beſäet –
tief unten aber ſchließt der blaue Olymp die Landſchaft
ab. – Noch ehe wir aber den Blick gewendet, iſt die
Sonne auch über Stambul aufgegangen und raſch wechſelt
das Farbenſpiel. Der blaue Olymp iſt roſenfarbig
überzogen; das weiße Waſſer färbt ſich blau und auch
im ſchwarzen Meere bricht der Tag herein und verjagt
die letzten fahlen Schatten der Nacht. – So wechſelt
ſtündlich dieſes unbeſchreiblich ſchöne Bild zwiſchen zwei
Welttheilen und drei Meeren, ewig, ewig den Beſchauer
durch neue Reize und Farbenwechſel berauſchend. –
Unſer Schiff hat ſich indeſſen dem Hafen genähert,
links und rechts, vor und hinter uns pfeifen die Keſſel
und fliegen die Dampfer vorüber, das Meer iſt bedeckt
mit Fiſcherbooten und Kaiks in allen Formen, Panzer-
fregatten und Kauffahrer, Kriegsdampfer und Segel-
ſchiffe fahren aus und ein – von allen Seiten ſchwär-
men die Boote um uns herum – ein Ruck und wir
liegen vor Anker. Wir ſind im Stambul.
–-SZ->–
Die Rnkunft des Kaiſers.
Konſtantinopel, 28. Oktober.
Seit geſtern herrſcht in Pera große Bewegung.
Man arbeitet mit Rieſenkräften, um die neue Straße,
die zum öſterreichiſchen Geſandtſchaftshotel führt und
die der Kaiſer von Oeſterreich nächſten Sonntag zum
erſten Male befahren wird, herzuſtellen. Eine ganze
Häuſerreihe wurde demolirt, um die Straße zu erwei-
tern, und jetzt iſt man mit Planiren, Anſchütten und
Pflaſtern – ſelbſtverſtändlich was man in Stambul
pflaſtern nennt – vollauf beſchäftigt. Auch ſonſt hört
man von vielen Vorbereitungen zum feſtlichen Empfange
des Kaiſers. Die Munizipalität von Pera läßt einen
Triumphbogen herſtellen und längs der Straße Flaggen-
ſtöcke aufſtellen, die mit Wappenſchildern, die Initialen
des Kaiſers enthaltend, geſchmückt ſind – die öſterrei-
chiſche Kolonie hat ihrerſeits eine bedeutende Summe
aufgebracht, ſie erbaut in der Nähe des Botſchafter-
hotels einen geſchmackvollen Bogen, läßt die Straße
25
dekoriren, und wird dem Kaiſer nebſt einer Adreſſe ein
großes Album, die photographiſchen Anſichten Konſtan-
tinopels enthaltend, überreichen. Der Sprecher der
Deputation iſt ein Wiener, Herr Frank, dr vor 18
Jahren aus Wien hieher überſiedelte und nun Chef eines
der erſten Bankhäuſer in Galata (Frank und Adler) iſt.
Noch geſtern Abends ließ die Botſchaft die Depe-
ſchen über die Ankunft des Kaiſers in der Kolonie
cirkuliren, und der Lloyd, deſſen Verwaltungsräthe Prä-
ſident Baron Elio Morpurgo und Dr. Hagenauer und
deſſen Direktor Hr. Bordini, hier anweſend ſind, ſtellte dem
Publikum ſechs ſeiner ſchönſten Schiffe, auf denen über
dreitauſend Menſchen Platz haben, gratis zur Verfügung.
Auf dem „Pluto“, der ſich an die Spitze der Lloyd-
Escadre ſtellte, ging die Direktion ſelbſt an Bord in
Geſellſchaft eines auserleſenen Publikums. Der Lloyd
entfaltete bei dieſem Feſte großen Pomp und lieferte
ein glänzendes Schauſpiel, das ſeine maritime Bedeu-
tung in das hellſte Licht ſtellte. Sechs Dampfſchiffe erſten
Ranges nehmen an dem Triumphzuge des Kaiſers Theil,
und doch ward nirgends eine Linie, eine Fahrt auch nur
momentan unterbrochen. Ganz Konſtantinopel rühmt
heute die Liberalität des Lloyd und auch die kleine
Geſellſchaft, die ſich während der Fahrt ins ſchwarze
Meer die Zeit mit einem ſplendiden Dejeuner vertrieb,
profitirte von der Liebenswürdigkeit des Lloyd-Präſiden-
ten, der die Honneurs auf dem „Neptun“ machte.
Schon um 5 Uhr Morgens war Pera auf den Beinen,
in hellen Haufen ſtrömte man dem Meere zu. Boot
auf Boot ſtieß vom Ufer ab und fuhr den bereitſtehen-
den Dampfern zu, die bald die Menge der Paſſagiere
nicht faſſen konnten. Auf dem „Vulkan“, der neben dem
„Pluto“ ſteht, ſchifft ſich die öſterreichiſche Kolonie mit
26
einer Muſikkapelle ein, die fortwährend heitere Weiſen
ſpielt – alle Nationen und Geſellſchaften haben ihre
Dampfer aufgeſtellt, alle füllen ſich raſch, auch die
Lokalboote werden genommen und um 7 Uhr iſt längs
des ganzen Ufers faſt kein Kaik aufzutreiben. Die
Schiffe im Hafen prangen im Feſtſchmucke, ſelbſt die
unheimlichen Panzerfregatten haben heute ein freund-
licheres Ausſehen, – blank geputzt und reich bewim-
pelt ſtehen die Stationsſchiffe der Geſandtſchaften vor
Anker – vor Dolma-Bagdſche, der Reſidenz des Sul-
tans, die bald die Reſidenz unſeres Kaiſers werden ſoll,
ſtehen in gebührender Entfernung vier türkiſche Fre-
gatten, weiter draußen halten Panzerſchiffe und Kriegs-
dampfer. Vom Palaſt des Sultans bis nach Bujukdere
ſind längs des Ufers Truppen mit Spiel und Fahnen
in voller Parade aufgeſtellt und auch am aſiatiſchen
Ufer wimmelt es von Truppen. – Schlag halb 8 Uhr er-
tönt das Signal vom „Pluto“, das ganze Lloydgeſchwa-
der ſetzt ſich in Bewegung und hinter ihm drein und
neben ihm dampfen die franzöſiſchen, türkiſchen, eng-
liſchen, italieniſchen Boote, eine Dampferflotte, die den
Bosporus mit Rauch erfüllt, ſo daß momentan der
Ausblick auf die Ufer geſtört iſt. Kurz vor der Ab-
fahrt trifft auch der „Greif“ aus dem mittelländiſchen
Meere ein und legt ſich vor Anker. -
Um halb 10 Uhr macht man im ſchwarzen
Meere Halt – eine Viertelſtunde ſpäter ertönt der
Ruf des Kapitäns: Imperatore, und Alles drängt ſich
auf dem Verdeck zuſammen. Aber noch iſt für ein ſee-
männiſch nicht geübtes Auge nichts zu ſehen – erſt nach
guten zwanzig Minuten entdeckt man einen ſchwarzen
Punkt am Horizonte; die „Sultanieh“, die ſchönſte und
ſchnellſte A)acht des Sultans, iſt in Sicht. Sie iſt der
27
übrigen Flotte weit voraus geeilt, auf ihrem Maſte
weht die ſchwarzgelbe Fahne mit dem kaiſerlichen Adler,
am Hintertheil flattert die türkiſche Flagge. Jetzt naht
der Dampfer, die Lloydſchiffe umgeben ihn, die Matro-
ſen klettern auf die Raaen, der erſte Kapitän ſchwenkt
den Hut: Hurrah, ruft er und die Matroſen rufen ihm
nach, und von allen Schiffen tönt tauſendſtimmig der
Ruf wieder. Sechs Mal erneuert ſich der Ruf ſtürmiſch
und freudig, die Muſik ſtimmt die Volkshymne an und
bei den wohlbekannten Klängen bricht erneuerter Jubel
aus. Der Kaiſer, in großer Marſchallsuniform, die der
graue Militärmantel nur theilweiſe bedeckt, das Band
des Medjidie um den Leib geſchlungen, die Mütze auf
dem Kopfe, tritt auf die Treppe des Radkaſtens, ihm
zur Seite ſteht rechts Graf Beuſt in glänzender, gleich-
falls theilweiſe vom grauen Mantel bedeckter Uniform,
links Baron Prokeſch in der Uniform eines Feldzeug-
meiſters, weiter rechts Miniſter Plener, Graf Andraſſy
im Magnatenkoſtume, den Kalpak mit weißem Federbuſch
und Demantagraffe auf dem Kopfe, hinter dem Kaiſer
Fürſt Hohenlohe, Graf Bellegarde und die Adjutanten.
Der Kaiſer hat den Lloyd und die öſterreichiſche Kolonie
erkannt, er ſalutirt wiederholt, grüßt, winkt – endlich
gibt er einem Adjutanten einen Befehl und raſch wird
die kaiſerliche Flagge dreimal zum Salut des Lloyd
geſenkt. Es iſt dies eine Auszeichnung, auf die der
Lloyd ſtolz ſein kann, denn in der Regel grüßt man mit
dem nationalen Banner, da aber der Kaiſer über die
auf ſeinem Schiffe aufgehißte türkiſche Flagge nicht
verfügen konnte, ſo hatte jeder Salut zu unterbleiben.
Daß der Kaiſer mit ſeiner eigenen Flagge ſalutiren
ließ, iſt eine ganz beſondere Ehrenbezeigung für den
Lloyd. – Die Jubelrufe dauern indeſſen fort, der Kaiſer
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muſtert die Geſellſchaft auf dem „Pluto“ mit dem
Fernglas, ſelbſtverſtändlich ſind alle Gläſer an Bord
der Lloydſchiffe nach dem kaiſerlichen Schiffe gerichtet,
die Damen wehen mit ihren Taſchentüchern, die Herren
ſchwingen die Hüte, der Kaiſer dankt fortwährend nach
allen Seiten. Das Lloydgeſchwader hat raſch gewendet
und begleitet das kaiſerliche Schiff – die übrigen
Dampfer kommen jetzt auch herbei; ein kecker Englän-
der legt ſich hart an die kaiſerliche A)acht und verläßt
ſie bis zum Palaſte nicht mehr – von allen Schiffen,
auch von den türkiſchen, auf denen auch tiefverſchleierte
Frauen Platz genommen, ertönen begeiſterte Zurufe –
jetzt iſt die Flotte in Sicht des erſten Forts – ein
Blitz, eine Rauchwolke und von allen Bergen wider-
hallt der Schuß – bald löſen ſich die ehernen Zungen,
von Fort zu Fortpflanzt ſich das Krachen fort, die
Kanonade erſchüttert die Lüfte, man hört ſein eigenes
Wort nicht mehr. In zwanzig Minuten iſt der Kaiſer
an der Stelle, wo die Pratika eingeholt wird, das Schiff
hält, denn auch der Kaiſer muß ſich dem Geſetze fügen
– der Kaiſer befiehlt, länger zu halten, um das tür-
kiſche Geſchwader, das ihn in Varna erwartete, und die
öſterreichiſchen Kriegsſchiffe nachkommen zu laſſen. Dieſen
Moment benützen die Lloyddampfer, um neuerdings an
das kaiſerliche Schiff heranzukommen und wiederum
ſchallen tauſendſtimmige begeiſterte Hurrahs durch die
Luft. Nach einer Raſt von zwanzig Minuten – die
fehlenden Schiffe ſind noch nicht ſichtbar – ſetzt ſich
das Geſchwader in Bewegung. Von rechts und links
ſalutiren die Forts, die Kanonen krachen, die am Ufer
aufgeſtellten Truppen rufen Hurrah und präſentiren das
Gewehr, die Muſikbanden rühren das Spiel und die
Menge wird nicht müde, ihre Rufe zu erneuern. Die
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Balkone und Fenſter, die Straßen und Brücken ſind
beſäet mit Menſchen, auf den Abhängen haben ſich
Gruppen geſammelt – überall ſtrömt das Volk herbei,
um das ſeltene Schauſpiel des Einzugs des erſten chriſt-
lichen Kaiſers in die Stadt der Moslemen anzuſtaunen.
Punkt zwölf Uhr lenken die Schiffe um die letzte Spitze
– Stambul iſt in Sicht – jetzt fallen in den Chor
der Forts auch die Panzerfregatten mit markerſchüttern-
dem Brummbaß ein und ein Krachen beginnt, das auch
ſtärker beſaitete Nerven in einige Aufregung verſetzen
müßte. Von allen Raaen rufen die türkiſchen Matro-
ſen ihr „tauſend Jahre ſoll er leben“, alle Schiffe
ſalutiren, lauter und immer lauter dringt der Klang
der Volkshymne von den ferner ſtehenden Schiffen her-
über – es iſt halb 1 Uhr, der Kaiſer iſt vor Dolma-
Bagdſche angelangt. Langſam wendet das Schiff und
gefolgt von den Dampfern und zahlloſen Booten, die
trotz des Befehls der Marinepolizei nicht von Ort und
Stelle zu bringen ſind, nähert ſich das Schiff dem
Palaſte. Fünf Minuten verſtreichen, da beginnt der
Donner der Kanonen, zehnfach verſtärkt, von Neuem,
alle Fregatten, alle Panzerſchiffe, alle Forts feuern
gleichzeitig – der Sultan hat den Palaſt verlaſſen und
ſeine A)acht beſtiegen. Vierundzwanzig rothgekleidete
Ruderer bringen das reichvergoldete Schiff vorwärts,
an deſſen Ende ſich ein prachtvoller, von vier goldenen
Säulen getragener Kiosk befindet. Der Kiosk iſt von
goldener Kuppel bedeckt, auf deren Spitze ein maſſiver Halb-
mond von Gold erglänzt, und mit rothen und grünen
Seidendraperien geſchmückt, koſtbare Teppiche bedecken
den Boden, auf dem rothſammtene Divans ſtehen. Der
Sultan hat auf einem der Divans Platz genommen,
ſeiner A)acht folgen zahlreiche andere Langboote, von
30
reichgekleideten Schiffern gelenkt, die für das Gefolge des
Kaiſers beſtimmt ſind. Zehn Minuten ungefähr dauert
die Fahrt des Sultans – die Kanonen hören inzwiſchen
nicht auf, ihre Salutſchüſſe abzufeuern, endlich hat das
Boot das kaiſerliche Schiff erreicht, der Kaiſer eilt bis
zur Treppe, der Sultan ſteigt langſam hinauf und auf
der letzten Stufe begrüßen ſich beiden Monarchen in
herzlichſter Weiſe. In dieſem Augenblick wird auf der
„Sultanieh“ neben der Flagge des Kaiſers die große
Flagge des Sultans aufgezogen und vereint flattern
beide Fahnen vom höchſten Maſte. Die beiden Monar-
chen eilen die Treppe hinab, nehmen im Kiosk Platz,
die Begleitung nimmt von den anderen Booten Beſitz,
in wenigen Augenblicken haben die Ruderer die Strecke
zum Palaſte zurückgelegt und Schlag 1 Uhr tritt der
Kaiſer durch das linke goldene Thor von Dolma-Bagdſche
in den Palaſt. – Zehn Minuten ſpäter ſetzen ſich auch
die Dampfer in Bewegung und entleeren die ſie be-
deckende Maſſe in die harrenden Kaiks – der Bos-
porus hat ſeine gewöhnliche Phyſiognomie wieder an-
genommen. – Drei Stunden ſpäter erſt treffen die „Eli-
ſabeth“ und der „Gargnano“, aufgehalten durch die lang-
ſame Fahrt des „Helgoland“, dem als Admiralſchiffe
nicht vorgefahren werden durfte, vor Dolma-Bagdſche ein.
Der Kaiſer begab ſich nach dem Eintreffen im Palaſt
in den großen Saal, wo die gegenſeitige Vorſtellung der
Suiten erfolgte. Der Sultan ließ ſich jedes einzelne
Mitglied des kaiſerlichen Gefolges beſonders vorſtellen;
er war ſehr liebenswürdig und hatte für Jeden ein
freundliches Wort. Den Grafen Beuſt begrüßte er in
herzlichſter Weiſe, ihn, den Fürſten Hohenlohe und den
Grafen Bellegarde erkannte er ſofort. Dr. Löbl, der
dem Sultan ſagte, er habe die hohe Miſſion, für die
31
Geſundheit des Kaiſers Sorge zu tragen, erwiederte der
Padiſchah lächelnd, er hoffe, daß ſeine Miſſion während
des ganzen Aufenthaltes im Oriente eine überflüſſige
ſein werde. –
Ueber den glänzenden Empfang des Kaiſers während
ſeiner Fahrt von Ruſtſchuk nach Varna erzählen die Reiſe-
theilnehmer die erfreulichſten Einzelnheiten. Ruſtſchuk
prangte im Flaggenſchmucke, die Kanonen der türkiſchen
Feſtung und die am jenſeitigen Ufer aufgeſtellten rumä-
niſchen Batterien gaben die gebührenden Salven. Der Groß-
vezier Ali Paſcha, der Serdar Omer Paſcha, der Inter-
nuntius Freiherr v. Prokeſch begrüßten den Kaiſer, der
in einem von türkiſcher Kavallerie eskortirten Galawagen
zum Bahnhofe fuhr. Dort überreichten die Juden der Pro-
vinz Bulgarien Sr. Majeſtät eine Adreſſe, in welcher ſie
in begeiſterten Worten ihren Dank für die großmüthige
Unterſtützung ausſprachen, welche die öſterreichiſch-unga-
riſche Monarchie ihren bedrohten Glaubensgenoſſen
wiederholt ſo erfolgreich hatte zu Theil werden laſſen.
Auch die öſterreichiſchen Nationalen der Provinz über-
reichten eine ähnliche Adreſſe und überbrachten dem Kaiſer
Medaillen aus Gold, Silber und Bronze, die ſie eigens
zur Feier des kaiſerlichen Beſuches hatten prägen laſſen.
– In Saitanſchik war ein Bataillon türkiſcher Infan-
terie aufgeſtellt, das vor Sr. Majeſtät defilirte und ver-
ſchiedene Manöver ausführte. Der Sultan, hatte hier
dem Kaiſer ein Dejeuner angeboten, das in einem pracht-
voll ausgeſtatteten Zelte ſervirt wurde, während die
Suite in einem zweiten Zelte ſpeiſte. Für Se. Majeſtät
wurde ein nach franzöſiſcher Manier eingerichtetes ex-
quiſites Diner auf goldenen Schüſſeln aufgetragen; das
Menu für die Uebrigen war ſtreng national: Hammelfleiſch,
Pilaf, Hühner, Kraut mit Fleiſchhachée gefüllt, und
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zum Deſſert eingemachte Früchte. – In Varna endlich
empfingen der Vizeadmiral v. Tegethoff, der Vizekonſul
Tedeschi, der griechiſche Biſchof und das Munizipium
den Kaiſer. Bahnhof und Stadt waren glänzend beleuch-
tet, die Schiffe im Hafen waren mit zahlloſen Lampen
behängt und ſprühende Raketengarben erhellten die Nacht.
Tauſendſtimmige Rufe „Es lebe der Kaiſer“ erfüllten die
Luft und als der Wagen des Monarchen beim Ruſtſchuker
Thore ankam, ließ Se. Majeſtät halten und richtete
huldvolle Worte des Dankes an die Anweſenden. Gegen
9 Uhr Abends erfolgte die Abfahrt der Eskadre von
Varna, am nächſten Tage Mittags ſtieg der Kaiſer in
Konſtantinopel an's Land.
Ein Tag in Stambuk.
Konſtantinopel, 30. Ottober r)
Zu Tode erſchöpft kehrte ich geſtern ſpät Abends
in mein Hotel in Pera zurück. Von 7 Uhr Morgens
bis 8 Uhr Abends war ich zu Pferde, und was es heißt,
in Stambul dreizehn Stunden auf den ſtrupirten Klep-
pern zuzubringen, die man hier nicht entbehren kann,
durch enge winklige Straßen, von der Landplage Kon-
ſtantinopels, den Myriaden Hunden verfolgt, ſich zu
winden, das kann nur der beurtheilen, der längere Zeit
am goldenen Horn geweilt. Bergauf, bergab, über Ab-
gründe und durchfußhohen Schotter, oft ſtundenlang über
Stufen, die in den Bergen, an deren Lehnen ſich Pera
eingeniſtet hat, eingehauen ſind, geht der Weg; bald muß
man ſich durch die menſchenbeſäeten Bazars von Galata
drängen, bald wieder zwiſchen fluchenden Limonadever-
käufern, heulenden Kaſtanienbratern, ſchlafenden Derwi-
ſchen und Nargile rauchenden Müßiggängern durchzu-
kommen ſuchen, hier verſperren die Trümmerhaufen eines
abgebrannten Stadttheiles den Weg, dort machen Ketten,
Schienen, Blöcke ein Weiterkommen geradezu unmöglich
– kein Türke weicht einem Pferde aus, man wird ge-
ſtoßen, an die Wand gedrückt, fortgeſchoben, zien
34
Mauleſeln, die gaſſenbreit mit Tragkörben beladen ſind,
und Heerden von Ziegenböcken und Schweinen einge-
pfercht – Schaaren von Ausrufern, Händlern, Gaſſen-
jungen umſchwärmen die Pferde, der Eine ſchlägt mit
der Gerte nach dem empfindlichſten Theile der Roſinante,
ein Anderer zerrt an den Mähnen, der Dritte endlich
macht ſich das Vergnügen, den Rauch ſeiner Pfeife dem
armen Klepper in die Nüſtern zu blaſen – auf der
Höhe von Byzanz, in der Nähe der uralten Sofia,
paſſirte es uns ſogar, daß zwei rieſige Sträuße unſere
Pferde attakirten, die, vor den fremdartigen Vögeln er-
ſchreckend, einen in Stambul geradezu unerhörten Galopp
einſchlugen. Und doch widerfährt dem Reiter nur ſelten
ein Unfall. Die Pferde ſind an dieſes Pflaſter und
dieſen Höllenlärm gewohnt, vorſichtig wählen ſie ihren
Weg und wenn ſie zehn Mal ſtraucheln, richten ſie ſich
auch zehn Mal wieder auf, ohne die, die ſie tragen, zu
Schaden zu bringen. –
Ich begab mich in früheſter Morgenſtunde nach
Dolma-Bagdſche, um mich über das Programm des
Tages zu vergewiſſern. Im Palaſte herrſchte eine un-
gemeine Thätigkeit. In den vor den Appartements be-
findlichen, fenſterloſen, daher halbdunklen Vorſälen
deckte man den Dejeunertiſch, reichgalonirte Lakaien rannten
mit rieſigen Tſchibuks von einem Saale zum anderen,
in den Gängen wurde Geſchirr geputzt, in großen Kaffee-
mühlen Mokkakörner zu Staub gemahlen, zahlloſe Diener
harrten der Befehle der Oeſterreicher und die türkiſchen
Hofchargen überwachten mit ſorgſamen Blicken den Dienſt.
Die Herren entwickelten jedem Fremden gegenüber, in
dem ſie einen Oeſterreicher vermutheten, eine Artigkeit und
Zuvorkommenheit, die für manche anderweitige Entbehrung
reichliche Entſchädigung bot.
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Abdul Aziz ſoll, erzählte man allenthalben, ſchon ſeit
mehreren Tagen in äußerſt heiterer Laune geweſen ſein,
ſeit Jahren hat man den Sultan nicht ſo glücklich und
ſo auf ein Ereigniß ſich freuen geſehen, wie auf den
Beſuch des Kaiſers. Jedes Detail des Empfanges mußte
ihm mitgetheilt werden und er befahl wiederholt, die
den Türken ſo heilige Hofetikette ganz bei Seite zu
laſſen, wenn es gelte, ſeinen kaiſerlichen Gaſt zu
ehren. Es iſt in Konſtantinopel unerhört, daß der
Padiſchah ſeinen eigenen Palaſt verläßt, ſeinen Harem
ausquartiert, um das ganze rieſige Gebäude einem
fremden Herrſcher zu überlaſſen. Die Kaiſerin Eugenie,
die Prinzen von Preußen und Italien waren alle in
Paläſten untergebracht, die nie vom Sultan bewohnt
werden. – Mit welchem Aufwand von Galanterie und
Aufmerkſamkeit die Türken beim Empfang des öſterreichi-
ſchen Monarchen vorgingen, kann man vielleicht aus
dem Umſtand entnehmen, daß bei der Ankunft auf der
Barke des Kaiſers ein General und auf der Barke,
welche die Miniſter Beuſt, Andraſſy und Plener vom
Kriegsſchiff an's Land brachte, der Hafen-Admiral als
Steuermann fungirten. Für die Unterkunft der Gäſte iſt
wahrhaft pompös geſorgt. Graf Beuſt bewohnt in
Dolma-Bagdſche ein ganzes Haus, von deſſen Fen-
ſtern man eine reizende Ausſicht hat, die übrigen Herren
der Begleitung ſind ſämmtlich im Parterre oder im
erſten Stock des kaiſerlichen Palaſtes in allerliebſt arran-
girten Salons untergebracht, deren Fenſter theils nach dem
Garten, theils nach dem Meere gehen. Das Innere des
Palaſtes iſt feenhaft ausgeſtattet, und es ſchien uns
Allen nur natürlich, daß der Kaiſer, als er nach der
erſten Begrüßung des Sultans im großen Saale ſich
mit ſeinem Gefolge allein befand, ausrief: 3h glaube,
ö“
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wir erleben alle ein Märchen aus Tauſend und einer
Nacht. – Dolma-Bagdſche liegt am äußerſten Ende
von Galata, hart am Hafen, ſchief gegenüber von Sku-
tari, – ein durch mauriſche Bögen und Säulen unterbro-
chenes Gitter ſcheidet es vom Meere, zu den Eingängen,
die mit koloſſalen goldenen Gittern verſehen ſind, führen
breite Stufen – zwiſchen dem Gitter und dem Palaſte
liegt ein Garten, der einige prachtvolle Platanen ent-
hält und deſſen Raſen mit hübſchen Bosquets geziert
iſt. Von der Landſeite tritt man durch zwei reich ver-
goldete Thore in den Vorhof ein. Vor den Thüren des
Vorgebäudes, durch die man in den eigentlichen Hof des
Palaſtes gelangt, ſind Zelte aufgeſchlagen für die Offi-
ziere der Truppe, die vor dem Palaſte mit Sack und
Pack lagert, vor den Zelten ſtehen die Gewehre in Py-
ramiden – weiter rechts befindet ſich die Muſikbande.
Durch einen etwas dunklen Gang gelangt man in den
Garten, den man durchſchreiten muß, um über eine
breite Freitreppe zu den Gemächern, die der Kaiſer be-
wohnt, zu gelangen. Ueberall ſind die Gänge mit
Matten von Reisſtroh bedeckt, über die Laufteppiche ge-
ſpannt ſind. Der Empfangsſalon in der erſten Etage
bildet ein Rondeau mit zwei großen Pavillons auf
beiden Seiten, die rechtsſeitigen Fenſter gehen nach dem
Meere, die gegenüberliegenden nach dem Garten, an vier
Seiten ſind Kamine angebracht mit goldenen Gittern,
über den Kaminen Moſaikſpiegel aus buntfärbigen pris-
matiſch geformten Kryſtallgläſern zuſammengeſetzt –
von der Decke hängt ein Kryſtallluſter mit tauſend
Kerzen – es iſt dies jenes prachtvolle Meiſterſtück, das
ſeinerzeit auf der Pariſer Ausſtellung ſo viel Aufſehen
erregte, – rechts und links ſind kleinere Luſter aufge-
hängt. Koſtbare gewirkte Teppiche bedecken den Boden,
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auf den Kamintiſchen ſtehen prachtvolle japaneſiſche Vaſen
und Pendulen – acht Spiegel, die vom Boden bis zur
Decke reichen, vertauſendfachen all die Pracht, die hier
verſchwendet iſt. Wenn möglich noch reicher und pom-
pöſer iſt der rothe Saal ausgeſtattet, der gleichfalls zu
den Appartements des Kaiſers gehört. Dolma-Bagdſche
wäre ein vollſtändiger Zauberpalaſt, wenn nicht bei einer
näheren Beſichtigung des Innern dem Auge des Euro-
päers manche Schattenſeiten auffallen würden. Um zu
den einzelnen Etagen und Appartements zu gelangen,
muß man finſtere Gänge paſſiren, ſich förmlich durch die
Flur winden und dieſe Gänge ſind eben die Reversſeite
der glänzenden Medaille. Wenn die k. k. Hofkehrweiber
unſerer Wiener Burg dieſe Gänge ſehen würden, ſie
ſchlügen Beſen und Hände über den Kopf zuſammen,
jedenfalls aber hätten ſie eine Woche vollauf zu thun,
um die Räumlichkeiten etwas zu europäiſiren.
Für die minutiöſe Aufmerkſamkeit, die man den
öſterreichiſchen Gäſten gegenüber beobachtet, ſprechen wohl
einige kleine Details. Der Sultan hat vier Wiener
Bäcker hieherkommen laſſen, um Brot und Semmeln für
die Gäſte zu beſorgen. Echte Wiener „Preßgerm“ wird
mit Eilzügen und Eilſchiffen hieher befördert und als
vorgeſtern das Eilſchiff von Varna ankam, ſtürmten die
Diener des kaiſerlichen Palaſtes das öſterreichiſche Poſt-
amt – aber ſie verlangten nicht nach Briefen – ſie
wollten nur die Preßgerm holen, welche die kaiſerliche
Poſt in wohlverſchloſſenen Kiſtchen hieher befördert hatte.
Doch ich verliere mich in Details – und wollte
„einen Tag in Stambul“ ſchildern.
Um acht Uhr bereits trat der Kaiſer heute ſeinen
Rundgang an; er und ſein Gefolge waren alle in Civil
gekleidet, Se. Majeſtät trug einen ſchwarzen Rock, licht-
Z8
graue Hoſen, ſchwarzen Seidenhut. Er war in Geſell-
ſchaft des Fürſten Hohenlohe und des Grafen Belle-
garde, hinter ihm gingen die Miniſter und die anderen
Perſönlichkeiten des Gefolges, zu denen ſich noch Lega-
tionsrath Haymerle und Dolmetſch Mayr von der
öſterreichiſchen Internuntiatur geſellten. Der Kaiſer
beſuchte zuerſt den Marſtall des Sultans, der in un-
mittelbarer Nähe des Palaſtes liegt. Ich halte es für
überflüſſig, die Einzelnheiten der Sattelkammer, der
Ställe 2c. zu ſchildern, unſer Wiener Marſtall vor dem
Burgthor iſt ebenſo reich eingerichtet, freilich zählt der
hieſige mindeſtens fünf Mal ſo viele Pferde, größten-
theils arabiſcher Race. Der Reichthum hiſtoriſcher
Erinnerungen, durch den namentlich die Wiener Wagen-
burg ſich auszeichnet, fehlt hier gänzlich. Von den Mar-
ſtällen begab ſich der Kaiſer nach dem Arſenal am Bos-
porus und von da zurück in's Palais, um ein Dejeuner
einzunehmen. Kurz vor 12 Uhr ging der Kaiſer nach
einem Seitenflügel des Palaſtes, um von dort aus den
Zug des Sultans nach der Moſchee zu beſichtigen.
Der Kiosk, in den der Kaiſer eintrat, beſteht aus zwei
Gemächern, deren eines einen Wintergarten mit den
prachtvollſten exotiſchen Gewächſen darſtellt – in der
Mitte des Gartens war ein großes Baſſin mit hoch-
ſprühenden Springbrunnen angebracht. Heute iſt Frei-
tag, der Sonntag des Türken, und da man aus Anlaß
der Anweſenheit des öſterreichiſchen Kaiſers eine Ent-
faltung beſonderen Pompes erwartete, füllten ſich die
Straßen, die nach der nächſt dem Palaſte gelegenen
Moſchee führen, ſchon um 11 Uhr mit Menſchen. Tau-
ſende und Tauſende wogten in den Gaſſen auf und ab,
auf der Mauerbrüſtung, die gegenüber dem Palaſte ſich
befindet, hatten Schaaren verſchleierter Türkinnen Platz
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genommen, die neugierig das Treiben der Fremden be-
obachteten. Zwei Reihen Equipagen ſtanden auf der
einen Seite der Straße aufgeſtellt; die offenen europäi-
ſchen hatten wenig Intereſſe für mich, um ſo mehr die
geſchloſſenen türkiſchen, aus denen reizende Gazellen-
augen glühende Blicke auf die Vorübergehenden – ſelbſt-
verſtändlich nicht auf meine Wenigkeit – warfen. Die
Türkinnen ſcheinen arge Koketten, ſie benützen die wenigen
freien Minuten, die man ihnen bei öffentlichen Aufzügen
gönnt, um die ewige und angeborne Kunſt des Weibes,
das Augenſpiel, zu üben. Ein Lächeln, ein Blick iſt
eine ſüße und unſchuldige Spielerei, und man kann auf
der Straße unbemerkt vom Haremswächter freundlich
lächeln und ſehnſüchtig ſchauen – gerade die verbotene
Frucht ſchmeckt ja ſo ſüß. Wenn irgendwo im türkiſchen
Reiche die Sehnſucht nach Freiheit und Reformen mächtig
iſt, ſo iſt dies gewiß bei den türkiſchen Frauen der Fall,
ſie müſſen des unerbittlichen Zwanges, der trägen, ein-
ſchläfernden Haremsluft längſt müde ſein. Das beweist
auch die Gier, mit der ſich die Türkinnen zu Feſten heran-
drängen, an denen Europäer theilnehmen, und daß ſie über-
all ſchaarenweiſe erſcheinen, wo der öſterreichiſche Kaiſer
zu ſehen iſt, beweist nur, daß ſie im Harem den guten
Geſchmack, der die Frauen aller Zonen auszeichnet,
nicht verlernt haben. –
Längs des ganzen Weges vom Palaſte bis zur
Moſchee waren Truppen in voller Parade aufgeſtellt.
„In voller Parade“ iſt freilich nicht ſo buchſtäblich zu
nehmen, wie bei uns, ebenſo wenig wie die ſtramme
Haltung der Truppen. Der Türke wutzelt ſich ſeine
Cigarrette in Reih und Glied, raucht und plaudert –
den Oberſten zu Pferde begleitet wie jeden Civilreiter
ein Kavaß mit nackten Beinen, der hie und da mit
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einem primitiven Haslinger das Roß zu etwas mehr
Leben anfeuert . . . Gegen Mittag nahm das Leben in
den Straßen die chaotiſche Geſtalt einer Völkerwanderung
an, weiße, ſchwarze, braune Menſchen drängen ſich bunt
durcheinander, Perſer mit ſpitzigen ſchwarzen Hüten,
Araber in weißen Burnuſſen, kohlſchwarze Aethiopier,
Neger, die lachend die perlweißen Zähne zeigen, dazwi-
ſchen Frauen und Mädchen mit eklig braungefärbten
Fingern und ſchlampeten Pantoffeln an träge ſchlen-
kernden Füßen – Derwiſche mit grünen Turbans,
Ulemas in ſchwarzen Kaftans – zuweilen auch ein
katholiſcher Geiſtlicher mit tief von der Mütze herab-
flatterndem ſchwarzem Schleier. Die Pferde der Wagen
ſind ausgeſpannt, die Reiter abgeſtiegen und an der
Häuſerfront lagern die müden Thiere. – – Ich habe
mir einen Platz knapp ami Harem ausgeſucht und be-
trachte die zahlloſen Eunuchen, die vor dem halb ge-
öffneten Thore herumlungern und mit den blaulivrirten
Dienern plaudern, die dem Harem zugewieſen ſind,
dieſen ſelbſt aber nie betreten dürfen. Man zählt einige
hundert Eunuchen, es gibt blutjunge mit zwölf Jahren
und altersſchwache mit zahnloſem Munde, die in übler
Laune oft genug ihren Stock auf dem Rücken der ihrem
Befehle unterſtellten Jugend tanzen laſſen. Selbſt das
heutige Feſt geht nicht vorüber, ohne daß ſie ein ſolches
argumentum ad hominem verſuchen. Die Eunuchen
ſind europäiſch gekleidet – ſchwarzer Leibrock und weiß-
graue Hoſen – faſt alle ſind unförmlich im Körper-
bau und haben eine ausgeſprochene Neigung, einen nicht
näher zu bezeichnenden Theil des Leibes ſtark ausge-
bogen zu tragen. Mitten im Gewühle erblicke ich eine
koloſſale Geſtalt mit wulſtigen Lippen, glotzenden Augen
und vorfallendem Bauch – die Eunuchen grüßen ihn
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ehrerbietig – ich glaube unſeren Price zu ſehen, wie
er in „Sardanapal“ auf die Bühne wackelt – es iſt
einer der Chefs der Verſchnittenen, eine hochwichtige und
anſehnliche Perſon im Innern des Palaſtes. Kaum iſt
er vorbei, beginnen die jungen Eunuchen zu lachen und
zu ſcherzen, ſie ſtoßen ſich und treiben allerlei Kurzweil.
Die Jugend iſt doch unter allen Verhältniſſen glücklich
– wie könnte man ſonſt ein Eunuch ſein und lachen!! –
Endlich iſt es zwölf Uhr, langgezogene Fanfaren
und das Schreien der Truppen verkünden das Nahen
des Sultans. Die Truppen präſentiren und rufen ihr:
„Viele Jahre“ und „Tauſend Jahre“, die Janitſcharenmuſik
rührt das Spiel, alles drängt ſich vorwärts und die
ſtark vertretene türkiſche Polizei wehrt nicht der Menge.
Reiter, die Garden auf Schimmeln, eröffnen den Zug,
dann kommen die Paſcha's auf reichgeſchirrten Arabern
mit goldgeſtickten Uniformen und blitzenden Sternen
auf der Bruſt – zwanzig, dreißig Paſcha's und Würden-
träger, alle von Dienern zu Fuß begleitet – – dieſes
Meer von Gold, von der Mittagsſonne beleuchtet, blendet
das Auge – hinter den Paſcha's reiten die Miniſter
und Kammerherren, dazwiſchen Diener und Hofchargen
zu Fuß, endlich erſcheint der Padiſchah ſelbſt – er ſitzt
auf ſchneeweißem Pferde edelſter Race mit goldenen
Zügeln, goldenen Steigbügeln und reich vergoldetem
Sattel. Der Padiſchah iſt ernſt, er reitet, andächtig
nach der Moſchee blickend, weder grüßend noch lächelnd,
die Menge kaum bemerkend. Hinter ihm kommen Garden
zu Fuß und zu Pferde und in einiger Entfernung folgt
zu Pferde der Kronprinz, ein Knabe von acht Jahren
in voller Uniform, mit dem grünen Bande des Osmanli
um den Leib. Der junge Prinz bleibt bei dem Offiziers-
korps der Truppe ſtehen, er wird vom Pferde gehoben
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und in das Serail geführt. Er iſt offenbar ermüdet,
ſein Auge halb geſchloſſen, ſeine Hand hält den Säbel
krampfhaft feſt. – Kaum iſt der Zug vorüber, ſo zer-
ſtreut ſich die Menge und ſtille wird es in den eben
menſchenüberfüllten Straßen. – –
Der Kaiſer ſetzte um 1 Uhr ſeine Wanderung
fort und begab ſich nach der Echelle des Schloſſes
von Dolma - Bagdſche, um die Fahrt nach Stambul
anzutreten. Die mit vergoldetem Schnitzwerk überladenen
Kaiks des Sultans nahmen den Kaiſer und ſein Ge-
folge auf.
Die Fahrt ging zunächſt nach der Serailſpitze,
dem hiſtoriſch denkwürdigen Winkel Stambuls, der das
goldene Horn vom Marmorameer trennt. Der Kaiſer
beſuchte zuerſt den ſüdweſtlich gelegenen, modern einge-
richteten Kiosk, von dem aus man eine herrliche Fernſicht
auf den Hafen, die Stadt bis zu den Prinzeninſeln und
den blauen Gebirgskamm des Olymps genießt. Von
da fuhr man nach dem Kiosk von Bagdad, einem in
perſiſchem Geſchmacke eingerichteten Pavillon, der mit
phantaſtiſch-geformten Porzellainziegeln dekorirt iſt. In
raſcher Aufeinanderfolge beſichtigte man hierauf den Schatz
und die Bibliothek. In letzterer riefen namentlich die Werke
der ſogenannten corviniſchen Bibliothek die beſondere Theil-
nahme des Kaiſers hervor. Wie aufmerkſam der Sultan
und ſeine Umgebung, für den leiſeſten Wunſch des
Kaiſers war, zeigte ſich am beſten bei dieſer Gelegenheit.
Die Theilnahme, mit welcher der Kaiſer die koſtbaren
Ueberreſte der Ofner Bibliothek des Königs Mathias
Corvinus im Zeughauſe zu Stambul betrachtete, reichte
hin, den Sultan zu beſtimmen, dieſe Bibliothek, deren
Erwerbung ſeiner Zeit einer eigens von der ungariſchen
Akademie nach Konſtantinopel entſendeten Kommiſſion
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vollſtändig mißglückt war, dem Kaiſer zum Geſchenke
zu machen. Als Se. Majeſtät in Trieſt den öſterreichi-
ſchen Boden wieder betrat, wurde ihm Namens des
Sultans eine Kiſte übergeben, in welchen die „Corviniana“
enthalten waren. Die werthvollen hiſtoriſchen Reliquien
ſind gegenwärtig im Nationalmuſeum in Peſt aufbewahrt.
Vom Kiosk von Bagdad wurde die Fahrt in
Wagen fortgeſetzt. Zwölf vierſpännige offene Wagen à la
Daumont, von Jockeys gelenkt, nahmen die Oeſterreicher
auf. Im erſten Wagen ſaß der Kaiſer, ihm zur Linken
Haidar Effendi, der ſich hier großer Aufmerkſamkeit
Seitens beider Souveräne erfreut, da er für einen der
gewandteſten und gebildetſten Diplomaten der Pforte
gilt; dem Kaiſer gegenüber Prinz Hohenlohe und Graf
Bellegarde; im zweiten Wagen Graf Beuſt und Miniſter
Plener, im dritten Graf Andraſſy 2c. Eine reitende
Escorte eröffnete, eine andere ſchloß den Zug. Der
Kaiſer begab ſich zuerſt über die alte Brücke nach
Stambul in die Sofia, die zum großen Verdruß der
Fanatiker am Freitag den Chriſten eröffnet ward, die
in Stiefeln – in der Türkei eine unerhörte Neuerung –
die Moſchee betraten. Von da fuhr Se. Majeſtät nach
dem Seraskeriat, dem höchſten Punkte Konſtantinopels,
wo eben die prachtvollen Palais des Kriegsminiſters
und Aali Paſchas der Vollendung nahe ſind. Mehr als
20.000 Menſchen erwarteten daſelbſt den Kaiſer, im
Hofe war eine Brigade mit Muſik aufgeſtellt – in
einem luxuriös ausgeſtatteten Kiosk, in deſſen Mitte ein
reizendes Bouquet auf einem Paliſandertiſche ſtand,
erwarteten Diener des Sultans mit Erfriſchungen und
den unvermeidlichen Tſchibuks den Kaiſer. Gegen 2 Uhr
traf Se. Majeſtät ein, die Truppen ſalutirten, die
Muſik ſpielte die öſterreichiſche Volkshymne. Der Kaiſer
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beſtieg den großen im Hofe befindlichen Thurm, an
deſſen Eingang ein Detachement der Feuerwehr, die
rothe Wollblouſen und zierliche Picken mit vergoldeter
Spitze als Abzeichen trug, aufgeſtellt war, und begab
ſich auf die im oberſten Stockwerke befindliche Eſtrade,
von der aus man einen der wunderbarſten Ausblicke
über das ſchwarze Meer, den Bosporus, das Marmora-
meer, die aſiatiſche Küſte, die Prinzeninſeln und ganz
Konſtantinopel genießt. Nach kurzem Aufenthalte ſtieg
der Kaiſer wieder hinab und begab ſich ſofort, ohne die
Truppen zu beſichtigen und Erfriſchungen einzunehmen,
nach der Moſchee Suleimanie und nach den in unmittel-
barer Nähe liegenden Gräbern Suleimans des Großen
und der Sultanin Roxane. In den Moſcheen, die der
Kaiſer beſuchte, fehlte trotz des Feſttages das andächtige
Publikum, das gewöhnlich die mohamedaniſchen Tempel
charakteriſirt, da in denſelben ausnahmsweiſe kein Gottes-
dienſt abgehalten wurde und nur die unmittelbar zum
Dienſt in der Moſchee gehörigen Perſönlichkeiten anweſend
W(NYEM.
Den Schluß der Exkurſionen des heutigen Tages
bildete eine Fahrt nach der Meierei und nach Juldus Bat-
ſchiſe, der Privatmenagerie des Sultans. Gegen 6 Uhr
traf der Kaiſer wieder im Palaſt ein. Der zweite Tag
in Konſtantinopel neigte ſich ſeinem Ende zu!
Die Revue in Hemkiar-Eskeleſſi.
Konſtantinopel, 30. Oktober.
Am Bord des „Pluto“.
Es iſt ein Rauſch, in dem wir Alle leben, ſagte
mir heute Morgens eines der nüchternſten Mitglieder
der kaiſerlichen Reiſegeſellſchaft, und in der That, die
Bemerkung charakteriſirt treffend unſere Situation. Wir
ſchlürfen das Opiat der Feſte gierig ein, und ſind voll-
ſtändig unfähig, unſeren Gedankengang nach der ſtram-
men in Europa gangbaren Disziplin zu regeln. Was
nützt es auch, daß wir uns feſt vornehmen, heute,
morgen, übermorgen tüchtig auszuſchlafen, uns bei des
nächſten Tages Erwachen die Augen zu reiben und
endlich einmal unbefangen die Zuſtände, die uns um-
geben, zu betrachten – wir kämpfen vergebens gegen
den Zauber dieſer orientaliſchen Welt an und ſind wahre
Schwächlinge in den Banden, die man mit raffinirtem
Verſtändniß um uns ſchlingt. Wenn ich mir auf dem nichts-
würdigen Pflaſter von Galata hundert Mal vornehme,
endlich wieder einmal ein vernünftiges Menſchenkind zu
werden, ſo macht der nächſte Schritt zum Strande, ein
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einziger Ausblick auf den Bosporus die ſchönſten Vor-
ſätze zu Schanden. Und vollends dieſe ſybaritiſchen Feſte,
mit denen man uns überhäuft, dieſe märchenhaften Feerien,
mit denen man unſere Sinne beſtrickt, wer könnte ihnen
widerſtehen ? – – Wer einen Ritt durch Pera macht,
oder zu Fuß durch die belebteſten Straßen des Franken-
viertels wandelt, wird in jeder zweiten, dritten Gaſſe
mitten in dem bewegteſten, bunteſten Treiben einen
kleinen Friedhof ſehen, deſſen einförmige Grabſteine
zwiſchen den dürren Cypreſſen wie warnende Meilen-
zeiger des Todes emporlugen. Rings um den Friedhof
pulſirt das friſche Leben, die Orangenverkäufer und
Kaſtanienhändler, die Waſſerträger und Mandelbrater
preiſen ihre Waare, der Kavaß ſtreichelt ſein müdes
Pferd, feine Stoffe vor den Bazars locken neugierige
Käufer, aus den Fenſtern nicken liebreizende Mädchen-
köpfe und aus den Sänften, die vorbeihuſchen, flattern
die Schleier der Bewohnerinnen des Harems – und
inmitten dieſes Taumels zwiſchen der lärmenden Orgie
eines franzöſiſchen Cafés und dem nicht minder ge-
räuſchvollen dolce far niente einer türkiſchen Tabagie
liegt ein Friedhof – Tod und Leben hart aneinander.
– Das Bouquet, das die tanzende Dirne wegwirft,
fliegt auf das Grab eines Osmanlis und theilnahms-
los klopft der Vorübergehende ſeine Pfeife auf der
Turbanſpitze eines Leichenſteins aus. Man fühlt ſich
momentan ergriffen, wirft einen Blick auf die Gräber
und fünf Schritte weiter hat man in dem toſenden
Gewühle, überwältigt von den jeden Augenblick wech-
ſelnden Eindrücken, an den Tod und ſeine Markſteine
vergeſſen. So geht es uns alle Tage, alle Stunden.
Hin und wieder fährt ein Friedhofgedanke ſtörend in
die Wirklichkeit des Lebens, aber die Fanfaren ſchmettern,
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die Janitſcharenmuſik rauſcht darein, die Raketengarben
ziſchen durch die Luft, ein Feuerſtrom wandelt die Nacht
zum Tage und wir lachen und jubeln und ſchlürfen
wonnetrunken das Gift ein, das der Orientale ſo un-
widerſtehlich zu kredenzen verſteht. . . .
Vielleicht waren dieſe wenigen Worte nöthig, um
den Leſern die Stimmung zu erklären, in der ihre am
goldenen Horn weilenden Landsleute ſich befanden; ſie
werden dann auch den Ton entſchuldigen, der aus dieſenr
Briefen klingt und die Farben nicht zu üppig finden,
in die meine Feder ſich taucht . . . . .
Heute Morgens empfing der Kaiſer mehrere ange-
ſehene Perſönlichkeiten der türkiſchen Bureaukratie und
ſpäter das geſammte diplomatiſche Korps, das ſich in
Gala-Uniform im rothen Saale eingefunden hatte.
Hierauf ward ein Dejeuner eingenommen und die Vor-
bereitungen zur Fahrt nach Beikos oder beſſer nach Hemkiar-
Eskeleſſi getroffen. Beikos liegt an der aſiatiſchen Küſte
und man gelangt mittelſt Dampfer in zwei Stunden
an Ort und Stelle. Seit ungefähr vier Wochen kam-
pirt auf dem vom Meere aufſteigenden Hügel ein tür-
kiſches Armeekorps von 22,000 Mann unter Zelten.
– Dieſes Armeekorps hatte heute die Beſtimmung, vor
Sr. Majeſtät dem Kaiſer von Oeſterreich zu defiliren.
Ich ſchiffte mich gegen 11 Uhr, einer liebenswürdigen
Einladung des in Auftnerkſamkeiten gegen die Oeſter-
reicher geradezu unermüdlichen Barons Elio Morpurgo
folgend, auf dem eleganten Dampfer „Pluto“ ein und
fand daſelbſt die Elite der öſterreichiſchen Kolonie ver-
ſammelt. Kurz nach 12 Uhr dampften wir ab und
wurden in der Nähe von Bujukdere von der „Sultanieh“
eingeholt, die Se. Majeſtät den Kaiſer, den Sultan und
das Gefolge an Bord hatte. Um 2 Uhr ſchifften
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wir uns vor Beikos aus. Längs der aſiatiſchen Küſte
war in weitem Halbkreiſe die türkiſche Panzerflotte auf-
geſtellt, die beim Erſcheinen des kaiſerlichen Schiffes
aus allen Batterien gleichzeitig Salutſchüſſe abfeuerte.
Wenn wir diesmal mit unverletztem Trommelfell an's
Land ſtiegen, ſind wir wohl für ewige Zeiten vor Taub-
heit bewahrt. Die „Sultanieh“ fuhr langſam längs
der aufgeſtellten Flotte dahin, die Matroſen waren bis
zu den äußerſten Spitzen der Maſten auf den ſchwan-
kenden. Seilen aufgeſtellt und brachten zahlloſe Hurrahs
den Souveränen, alle Muſikbanden ſpielten die öſter-
reichiſche Hymne und vom Lande erſchollen die Rufe
der Tauſende und Tauſende, welche die Lokaldampfer
von Stambul und Pera aus am frühen Morgen hierher
befördert hatten. Die prachtvolle Barke des Sultans
näherte ſich dem kaiſerlichen Schiffe und unter dem er-
neuerten Donner der Kanonen fuhren die Majeſtäten
dem Lande zu. Dort harrten Pferde und Equipagen
der Gäſte. Se. Majeſtät der Kaiſer, der die öſterrei-
chiſche Marſchallsuniform trug, beſtieg einen prachtvollen
Schimmel, der Sultan ein gleiches Thier; den Maje-
ſtäten folgten zu Pferde der Sohn des Sultans, der
Reichskanzler Graf Beuſt, Miniſterpräſident Graf An-
draſſy in der Uniform eines Honvedoberſten, Fürſt
Hohenlohe, Graf Bellegarde, die ſämmtlichen Adjutanten
des Kaiſers, Admiral Tegetthoff, die Kommandanten der
öſterreichiſchen Kriegsſchiffe, viele Marine-Offiziere, die
Legationsräthe Haymerle und Mayr, der Generaliſſimus
Omer Paſcha, der Kriegsminiſter Huſſein Paſcha, der
Oberceremonienmeiſter des Sultans, viele türkiſche Ge-
nerale und Ordonnanzoffiziere. In vierſpännigen Wagen
folgten dem Zuge Miniſter Plener, Sektionschef v. Hof-
mann, der türkiſche Geſandte in Wien Hajdar Effend
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und die übrigen Begleiter des Kaiſers. Eine Eskorte
Garde und Tſcherkeſſen eröffnete und ſchloß den impo-
ſanten Zug. Vom Ufer bis zum kaiſerlichen Pavillon,
vor dem die Truppen defiliren ſollten, hat man eine
Viertelſtunde zu gehen – das Terrain bildete früher
einen prächtigen Garten, der aber ſeit der letzten Parade
zu einer ſtaubigen Wüſte zerſtampft wurde. Ein chao-
tiſches Leben herrſchte auf dem weiten Felde, mehr als
zweimalhunderttauſend Menſchen lagerten in der Ebene
oder wogten in unüberſehbaren Gruppen auf und ab
und faſt ebenſo viele hatten auf den nahen Bergen ihr
Lager aufgeſchlagen. Die türkiſche Polizei machte zwar
Spalier, aber ſie ließ trotzdem die Menge frei gewähren
und ſtörte nirgends die Kommunikation, und die berit-
tenen Wächter der Ordnung beobachteten trotz des im-
menſen Andranges eine Rückſicht, die wir gern in pho-
tographiſch getreuer Aufnahme als nachahmungswerthes
Muſter gewiſſen Reitern unſeres lieben Wien zur Ein-
ſicht empfohlen hätten. Die Szene erinnerte an Wal-
lenſtein's Lager. Truppen in den abenteuerlichſten Uni-
formen ſtanden in Schlachtordnung aufgeſtellt, des Be-
fehls zum Abmarſch gewärtig, die Infanterie in blauen
Röcken, kurzen Hoſen und rohledernen Stiefeln, die
Tſcherkeſſen mit weißwollenen Mützen und buntem Auf-
putz auf der Bruſt, die Artillerie mit prächtiger Be-
ſpannung, die Uhlanen mit fliegenden Fähnleins, die
Muſikbanden mit Trommlern, Pfeifern und dem Tſchi-
nerata und ſo fort. Und erſt das Publikum, welches
farbenprächtige Bild! – Dort lagern die barfüßigen
Laſtträger um ein Feuer und röſten ſich die Kaſtanien
und Mandeln, die ihr Mittagſmahl bilden; wo es fru-
galer hergeht, beſteht das Menu aus den rieſigen Bretzen,
die man in Stambul um wenige Para's a einem
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Stück Käſe und friſchgebratenen Fiſchen – weiter oben
drängt ſich Wagen an Wagen, Reiter an Reiter, Sänfte
an Sänfte – mitten im Felde ſteht eine ganze Wagen-
burg von Tulicas, breiten, offenen, mit allerlei Zier-
rathen und Goldflitter behängten Holzwagen, von koloſſa-
len Stieren gezogen, deren Hörner mit Blumen und
bunten Bändern aufgeputzt ſind – die Harems der
Paſchas hatten ſich entleert und ihren ganzen Vorrath
an morgenländiſchen Schönen entſendet, um dies ſeltene
militäriſche Schauſpiel anzuſtaunen – die Frauen hatten
ihre Schleier mehr als gewöhnlich enthüllt und unſere
neugierigen Oeſterreicher ſchenkten den buntgeputzten
Dämchen mehr Aufmerkſamkeit als all den Batterien
und Schwadronen, die ſtundenlang an uns vorüberzogen.
Es wird ihnen gewiß dieſer Mangel militäriſchen Ver-
ſtändniſſes mild verziehen werden. Wir ſind ja alle
ſo begierig, die Geheimniſſe des Harems kennen zu lernen,
und wir verzichten gern, die Wunder des kaiſerlichen
Schatzes zu ſchauen, wenn man uns ſtatt deſſen einen
Blick in das geheimnißvolle Walten türkiſcher Frauen
gönnt. Wie ſie ſich ſtreckten und dehnten in ihren Kar-
roſſen und Sänften, anmuthig mit den goldenen Fächern
ſpielend, den Schleier kokett zuziehend und wieder lüftend
– der Himmel verzeihe uns die Untreue – wir hatten
wohl alle, ledig oder verheiratet – momentan Luſt,
dem Koran zuzuſchwören und unter die Fahne des Pro-
pheten zu treten . .
Entfeſſelt rollt ihr Haupthaar hin –
Ruht ſchlummernd die Cirkaſſierin
An ſeiner Bruſt! vom Kaukaſus
Der Demant glänzt am Bosporus . . . .
Doch kehren wir zur Parade zurück. Wir erreichten,
uns drängend und vom Gedränge fortgetrieben, den
51
kaiſerlichen Kiosk, der während der Anweſenheit der
Kaiſerin Eugenie zum erſten Male benützt wurde. Der
Kiosk führt den Namen Hemkiar-Eskeleſſi (Stiege des
Blutherrn), iſt vom Vizekönig von Egypten erbaut
und dem Sultan als Geſchenk desſelben übergeben worden.
Es iſt ein Prachtwerk orientaliſcher Baukunſt, überladen
natürlich und in ſchreienden Farben, aber impoſant durch
den Reichthum der Ausſchmückung. Von zwei Seiten
führen breite Treppen zur Hauptſtiege und über dieſe
gelangt man zu einem rieſigen offenen, ſäulengetragenen
Kiosk, deſſen koloſſale Bogenfenſter mit ſchweren roth-
ſeidenen, mit Goldbrocat verbrämten Draperien geſchmückt
ſind. In der Mitte des Kiosk iſt ein mit Teppichen
belegter, verſchwenderiſch ausgeſtatteter, für die Sou-
veräne reſervirter Pavillon, links und rechts befinden
ſich die Hallen für die Gäſte, die in offene Pavillons
nach rückwärts verlaufen. Im Fond ſind vier oder
fünf Salons, kühle Ruheplätze, in die man ſich zurück-
ziehen kann, um einige Minuten das von all dem Glanz
und der Farbenfülle geblendete Auge ausruhen zu laſſen,
im Erdgeſchoß befinden ſich kleinere vergitterte Logen
zur Aufnahme des Harems beſtimmt, die heute zu unſerem
lebhaften Bedauern unbeſetzt blieben. Der Kaiſer und
der Sultan begaben ſich in den reſervirten Salon und
nahmen daſelbſt auf rothſammtenen Fauteuils Platz, der
Kaiſer ſaß zur Rechten des Sultans – es war wohl
das erſte Mal, daß Se. Majeſtät eine Parade ſitzend
abnahm. Hinter den Majeſtäten ſaß der Dolmetſch.
Zur Linken des Sultans nahmen Graf Andraſſy, Fürſt
Hohenlohe und Graf Bellegarde, zur Rechten des Kaiſers
Graf Beuſt, Miniſter Plener, Feldmarſchalllieutenant
Baron Prokeſch und die Frau des ruſſiſchen Geſandten
General Ignatieff ihre Plätze ein – Mºme Ignatieff
52
war die einzige Dame, die im kaiſerlichen Pavillon Ein-
tritt fand. In den übrigen Räumen bewegten ſich die
Herren und Damen des diplomatiſchen Korps, die Mit-
glieder der kaiſerlichen Suite, die Marineoffiziere, die
türkiſchen Paſchas, die hervorragendſten Bankiers Peras,
die Vertreter des Lloyd und der ausländiſchen Preſſe.
In dem Augenblicke, als die Majeſtäten ſich ſetzten, be-
gann das Defiliren der Truppen, das volle zwei Stunden
dauerte und die Zuſeher ſichtlich ermüdete. Gegenüber
dem kaiſerlichen Pavillon nahmen die Kommandanten
des Armeekorps ihre Aufſtellung und blieben daſelbſt
bis zum beendigten Vorbeimarſch der Truppen. Im
Ganzen defilirten vor dem Kiosk vierzehn Infanterie-,
ſieben Jäger- und ein Pionnierbataillon, drei Kavallerie-
regimenter und zweiundzwanzig Batterien. Sämmtliche
Truppen – ſo verſicherte man uns – waren neu uni-
formirt, die Jäger und Pionniere mit grünen, die In-
fanterie mit rothen Verzierungen auf den Röcken, der
Schnitt der Kleider durchaus national. Zuerſt erſchienen
die Pionniere, von denen die Mannſchaft des zweiten
Gliedes außer den Gewehren auch Schanzzeug trug.
Hierauf defilirte die Infanterie und die Jägertruppe,
die durchaus mit Hinterladern – nach dem Syſtem
Snider – und Matagan-Bajonneten bewaffnet war, die
Kommandanten ſalutirten, wie es das Reglement der
öſterreichiſchen Armee vorſchreibt, beim Vorbeimarſch,
jedoch nur ein Mal mit dem Säbel. Vor jedem Re-
giment marſchiren vier Zimmerleute mit Hacken, hierauf
eine Abtheilung Trompeter, Trommler und Pfeifer und
dann die Muſikbande. Die Markirung wird durch
Soldaten mit grünen Fahnen gegeben. Die Defilirung
erfolgte in ganzen Kolonnen, die Kolonnen wie bei uns
zwei Mann hoch. Nach der Infanterie, die ziemlich
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gut marſchirte, defilirte die Artillerie, die durch ihr Aus-
ſehen und die treffliche Haltung Bewunderung erregte.
Sie defilirte in Batterie-Fronten, die Kanonen ſämmt-
lich ſechsſpännig, hinter jeder Batterie die Bedienungs-
mannſchaft zu Pferd, Roß und Reiter wie aus Erz ge-
goſſen. Intereſſant iſt wohl die Thatſache, daß die
Geſchütze (4- und 6pfündige Gußſtahl-Hinterlader) mit in
Ungarn gekauften Pferden beſpannt ſind. Zuletzt er-
folgte das Defiliren der Kavallerie im ſcharfen Trab.
Die Kommandanten ſalutirten, indem ſie den Säbel
wagrecht mit der Spitze gegen die Souveräne hielten.
Jede Abtheilung brach im Augenblicke, als ſie den Kiosk
paſſirte, in Hurrahs aus. Um vier Uhr war die Revue
beendet. -
Im Kiosk wurde die ganze Zeit über von Dienern
des Sultans ein frugales Gouter ſervirt, Bäckerei,
Sorbet, Gefrornes, kalte Küche und der unvermeidliche
Kaffee. Ein Adjutant des Sultans überreichte dem
Kaiſer vor Beginn des Vorbeimarſches einen Plan der
Revue, den der Kaiſer ſeinem Adjutanten zur Aufbe-
wahrung übergab. Nach beendeter Revue erhoben ſich
die Souveräne, der Kaiſer ſprach einige Zeit mit dem
Sultan, ging darauf auf Madame Ignatieff zu und
wechſelte mit ihr einige Worte. Dann grüßte Se. Maje-
ſtät nach allen Seiten und verließ mit dem Sultan und
ſeiner Umgebung den Kiosk, um ſich zu Pferde nach
dem an der Küſte auf einem Hügel erbauten Sommer-
palais zu begeben, wo ein glänzendes Diner die Gäſte
erwartete. Vom Kiosk gewährte in dieſem Augenblicke
ein Ausblick ein prächtiges Schauſpiel. Die Truppen
zogen in der Ferne über das Gebirge dem Lager zu,
deſſen weiße Zelte wie rieſige Möven den weiten Plan
bedeckten, und unten im Thale ſtrömte dus Volk in
54
hellen Haufen nach dem Meere, um die Schiffe zur
Heimat wiederzufinden. Das Wetter war, wie ſeit dem
Tage der Ankunft des Kaiſers, das günſtigſte – ein
wolkenloſer Himmel wölbte ſich über Byzanz und das
Meer, und die Gluth der Sonne kühlte ein ſanfter, von
der See hereinwehender Wind wohlthuend ab. Das
herrliche Wetter der letzten Tage hat nicht wenig dazu
beigetragen, das Preſtige des öſterreichiſchen Kaiſers
bei den Türken zu heben.
Der Bosporus in Flammen.
Konſtantinopel, 31. Oktober, Morgens.
Ich hatte geglaubt, die Aufregung, in der wir uns
befinden, ließe ſich nicht mehr ſteigern und wir hätten
endlich gelernt, nach dem Spruche der Alten „nichts
mehr zu bewundern“ – ich bin abermals im Irrthum
geweſen. Was wir bis jetzt geſehen, war nur ein un-
bedeutendes Vorſpiel, der heutige Abend im Bosporus
ſollte uns erſt in jene Zauberwelt einführen, welche die
orientaliſche Verſchwendung zu ſchaffen verſteht.
Als wir geſtern nach der Revue den „Pluto“
wieder beſtiegen, fanden wir daſelbſt eine auserleſene
Geſellſchaft verſammelt, die der Präſident des Lloyd
zum Diner geladen hatte. Außer dem Verwaltungs-
rathe Dr. Hagenauer hatten ſich der kommerzielle, um
das Gedeihen des Lloyd hochverdiente Direktor Herr
Bordini, der Generalinſpektor H. Nicolits, Baron
Morpurgo junior, Fregattenkapitän v. Radonetz, der
Präſident der Pariſer Wohlthätigkeitsanſtalten Herr
Cohen, von der öſterreichiſchen Geſandtſchaft Legations-
rath Haymerle, Kanzler Jelinek, der erſte Dolmetſch
56
und der Poſtdirektor der Internuntiatur, von Fremden
Rittmeiſter Graf Nugent, Oberſtlieutenant Baron
Swrtnik, mehrere Offiziere der öſterreichiſchen Marine,
Profeſſor Coglievina aus Trieſt, meine Wenigkeit und
mehrere Damen Pera’s eingefunden. Das Diner ward
in dem eleganten Salon des „Pluto“ ſervirt, das Menu
zählte achtzehn Gänge und machte in ſeinem Arrange-
ment den Tafeln der Frères Provenceaux oder des Café
Riche die glücklichſte Konkurrenz. Als der Champagner
ſervirt wurde, brachte Präſident Baron Elio Morpurgo
einen begeiſterten Trinkſpruch auf den Kaiſer aus, den
die Geſellſchaft mit lebhaften Evvivas erwiederte. Herr
Cohen erhob ſich hierauf zu folgendem Trinkſpruch,
deſſen erſtes Drittel er in franzöſiſcher, deſſen zweites
in deutſcher und deſſen letztes in italieniſcher Sprache,
ſämmtliche Zungen mit der Geläufigkeit eines Einge-
bornen ſprechend, vortrug: „Meine Herren und Damen!
Geboren in Preßburg in Ungarn, erzogen in Wien, und
ſeit mehr als 33 Jahren in Paris, Präſident aller
unſerer Wohlthätigkeitsanſtalten, an Allem, was die
Humanität und den Fortſchritt intereſſirt, lebhaften An-
theil nehmend, erlaube ich mir auf die Geſundheit des
Lloyd zu trinken, der uns eine ſo liebenswürdige Gaſt-
freundſchaft angeboten; aber ich habe gleichzeitig ein weit
höheres Ziel, indem ich dieſen Toaſt ausbringe. Der
Lloyd war, ſo viel ich weiß, die erſte Inſtitution dieſes
Genres, welche dem Handel mit anderen Völkern und
durch den Handel dem Fortſchritt und der Entwickelung
aller Kräfte in Oeſterreich Bahn gebrochen hat. Der
Handel nähert die Nationen und wird dadurch das beſte
Mittel zur Vereinigung derſelben und zur Freiheit.
Sie werden bald den zahlreichen Produkten Oeſterreichs
eine neue Linie eröffnen. Wenn Sie den Iſthmus von
57
Suez paſſiren, haben Sie auf der einen Seite das alte
Mizraim, jenes Land der einſtigen Knechtſchaft, und
auf der anderen Seite den Sinai, das Symbol der Be-
freiung, und wenn Sie den Iſthmus verlaſſen und in
das rothe Meer gelangen, werden Sie den Ort ſehen,
wo Moſes die Iſraeliten hindurchführte. Alte Geſchichte
und moderner Fortſchritt, Traditionen von hoher und
ehrwürdiger Bedeutung und moderne Fortſchrittsideen
reichen ſich die Hände, und wahrlich, dies wird nicht die
am wenigſten beachtenswerthe Seite des ſeltenen, er-
habenen Schauſpiels ſein, das Sie erwartet. Wie könnte
ich von dieſem Ereigniſſe ſprechen, ohne auf die Geſund-
heit des Kaiſers von Oeſterreich zu trinken, deſſen An-
weſenheit an dieſen Küſten die Veranlaſſung dieſes heu-
tigen Feſtes und unſeres Beiſammenſeins iſt. Die erſte
Hälfte ſeines Lebens war von ſchweren Prüfungen heim-
geſucht, und ich kann nichts Beſſeres thun, als ihm
wünſchen, daß die zweite Hälfte ſich länger und glück-
licher geſtalten möge. Durch die Freiheit, die er all
ſeinen Völkern gegeben, durch die Legalität, die er allen
Glaubensbekenntniſſen und allen Nationalitäten zuge-
ſichert, hat er Oeſterreich in eine neue Aera eingeführt,
die dieſem Lande eine hochwichtige und wohlverdiente
Stellung in der Zukunft und namentlich im Oriente
ſichert. Sein Wahlſpruch erfülle ſich in ſeinen Landen
und mögen Oeſterreich und Ungarn viribus unitis
vereint leben, mit allen Kräften den Fortſchritt und die
Freiheit fördern, vor Allem aber den Frieden – denn
der Krieg iſt nur gerecht, wenn er bedingt iſt, um die
Ehre und die ernſten Intereſſen eines Landes zu ver-
theidigen; der Friede aber iſt die wahre Lebensbedingung
der Völker.“ – Baron Joſeph Morpurgo brachte nun-
mehr einen lebhaft begrüßten Toaſt auf die Kaiſerin
58
aus, Legationsrath Haymerle einen Toaſt auf den Lloyd
und deſſen Präſidenten, der gerade in dieſen Tagen ſo
mächtig beigetragen, das Anſehen des öſterreichiſchen
Namens im Oriente zu fördern, worauf Baron Elio
Morpurgo mit einem Toaſt auf die öſterreichiſche Ge-
ſandtſchaft, welche die Intereſſen des Handels ſo leb-
haft beſchützt, antwortete. Herr Cohen brachte noch einen
Trinkſpruch auf den Sultan und die Türkei, deren
Toleranz namentlich in religiöſen Dingen manchen Völ-
kern des Abendlandes zu empfehlen wäre, worauf ein
Toaſt auf die Damen die Reihe der Toaſte und das
Diner ſchloß, bei dem wir in der gemüthlichſten Weiſe
anderthalb Stunden verweilt hatten.
Die letzten Worte waren noch nicht ausgeſprochen,
als uns der Kanonendonner der Panzerfregatten ver-
kündete, das Diner im kaiſerlichen Palaſt ſei zu Ende und
die Souveräne begeben ſich wieder auf die „Sultanieh“.
Wir eilten an Bord und ein Ruf höchſter Ueberraſchung
entfuhr unſeren Lippen. Der Bosporus ſtand in
Flammen – die Nacht war zum Tage gewandelt.
Man denke ſich Millionen Sterne verſtreut im weiten
Kreiſe, Millionen Flammen aufzüngeln aus der Fluth,
Millionen Sonnen leuchten in der Runde, Millionen
Glühwürmer durch die Luft ſchwirren, Millionen Strah-
len von den Bergen in das Meer ſich ſenken und ebenſo
viele aus den Fluthen zum Himmel hinanreichen, und
man hat ein unzureichendes Croquis des Bildes, das
ſich vor unſeren Augen entrollte. Man erzählte mir,
der Oberceremonienmeiſter des Sultans habe 200,000
Gulden für die Beleuchtung des Bosporus beſtimmt;
wolle man gefälligſt unſeren Stuwer oder den erſten
beſten Pyrotechniker zu Rathe ziehen und man wird
erfahren, was mit dieſer Summe geleiſtet werden kann.
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Längs des ganzen Bosporus befinden ſich Flöße, ſo-
genannte Zattere, die als Zufluchtsſtätten für kleine
Schiffe beſtimmt ſind, auf dieſen Flößen hatten die
türkiſchen Feuerwerker ihre Depots aufgeſchlagen und
begannen von dort ſich gegenſeitig mit allen nur erdenk-
lichen Feuerwerkskörpern zu bewerfen; außerdem befan-
den ſich vor jedem Palaſt des Sultans im Bosporus,
auf allen Kriegsſchiffen und längs der beiden Ufer rie-
ſige Vorräthe an Raketen und Leuchtkugeln aufgehäuft.
Die größten Depots aber waren im Lager aufgehäuft,
und von dort, alſo von der höchſten Spitze des Gebirges,
wurden im Laufe des Abends, wie uns ein Mitglied
des großen Feſtcomités verſicherte, nicht weniger als
10,000 Raketengarben ununterbrochen nach dem Meere
zu geſchleudert. Jeder Paſcha brannte im Garten ſei-
nes Palais, der Lloyd auf ſeinen Schiffen und viele
Private vor ihren Villen ſeparate Feuerwerke ab. Zu
dieſen tauſend Feuerbränden denke man ſich folgende
Staffage. Das ganze Lager, das ſich vom Ufer des
Meeres bis zur Spitze des Berges hinzieht, war mit
Lichtern, die in geſchliffenen Gläſern brannten, förm-
lich beſäet. Während den unteren Theil des Berges
Myriaden Leuchtkäfer zu bedecken ſchienen, wand ſich
von der Mitte bis an die Spitze eine glühende Rieſen-
ſchlange in zahlloſen Krümmungen den Berg hinan,
am Ufer brannte Licht an Licht bis zum Einſchiffungs-
platze, von da an zog ſich ein flammendes Meer bis
zum Palaſt, in dem die Herrſchaften weilten, dieſer
ſelbſt war matt beleuchtet und hob ſich dadurch um ſo
beſſer von der ihn oben bedeckenden Finſterniß ab. Alle
Schiffe, ſo weit das Auge reichte, ſtanden im Feuer-
meere, längs der Raaen bis zum Maſte hinauf brann-
ten in rieſigen Dreiecken Lämpchen an Lämpchen in
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den bunteſten Farben getränkt, vom Steuerruder ſchoſſen
elektriſche Sonnen ihre blendenden Lichteffekte meilen-
weit in die See, längs der Schiffswände an Bord
flackerten zahlloſe bengaliſche Flammen, die jeden Augen-
blick ihre Farben wechſelten und in weitem Umkreiſe
ein feenhaft ſchönes Spiel mit den Farben des Regen-
bogens trieben, und ſelbſt in den Stückpforten waren
die ehernen Schlünde entfernt und glühende Feuer
ſtrömten aus denſelben. Weit hinaus bis an das Meer
ſtanden die Schiffe in ſtrahlender Beleuchtung und am
äußerſten Horizonte ſtiegen als Abſchluß des Bildes
leuchtende Maſte aus den Gewäſſern empor. Noch
effektvoller wenn möglich geſtaltete ſich die Szenerie an
beiden Ufern. Da bot jeder Palaſt eine neue Ueber-
raſchung. Bald waren die architektoniſchen Linien der
Gebäude oder die Linien der Eiſengitter benützt, bald
wieder vor den Paläſten Gerüſte aus den abenteuer-
lichſten Arabesken und Schnörkeln zuſammengeſetzt und
dieſe mit Lämpchen beſteckt. Dort brannte Licht an
Licht in pedantiſcher Symmetrie, eine brennende Armee
in Reih und Glied, hier waren die Flämmchen zu ko-
loſſalen Bouquets gebunden, da flammten rieſige Cy-
preſſen, dort ein ganzer Wald, eine Orangerie voll
Blumen und Blättern, an dem einen Ufer bauten ſich
leuchtende Säulen auf, um eine flammende Giganten-
krone zu tragen, an dem anderen krönte einen in allen
Farben brennenden Tempel ein rieſiger glühender Halb-
mond – da rechts iſt über einen Palaſt eine Broderie
von Lichtern geſpannt, als hätte man das Gewebe
eines indiſchen Shawls im Feuer vergolden laſſen, dort
links ziſcht die Lohe eines Veſuvs mächtig zum Himmel
empor und um das Bild zu vervollſtändigen, züngeln
von allen Bergen thurmhohe Wachfeuer auf, denen
61
man wohl ganze Wälder zum Opfer gebracht. Das
Meer aber iſt vollſtändig in Licht getaucht, in ſeinen
Wellen baden ſich die Feuerſtröme und die Myriaden
Leuchtkugeln, die von allen Seiten durch die Luft
ſchwirren, ſpiegeln ſich in den Fluthen wieder und ihre
farbigen Strahlen tanzen auf der See den wunderſam-
ſten Reigen. Raketengarben werfen Tauſende von far-
bigen Sternen gen Himmel, aus Millionen römiſchen
Lichtern ſteigen blaue, grüne, rothe und weiße Feuer-
kugeln empor, große Ballons, die jeden Augenblick ihr
Licht wechſeln, ſenken ſich auf Fallſchirmen langſam
herab – Schwärmer und Granaten regnet es förm-
lich von allen Seiten, dort treffen ſich zwei Raketen in
der Luft und fahren praſſelnd aneinander, ein Garben-
bündel fährt ziſchend in das Meer hinab und als Er-
wiederung ſenden die Feuerwerker im Meere ihre feuri-
gen Grüße zum Berge hinauf. Eine Stunde dauert
dieſes ſchauerlich ſchöne Schauſpiel, und man glaubt
jeden Augenblick, es müſſe endlich Nacht werden, und
doch war alles dies nur eine Ouverture, die erſte
Front, wie Stuwer ſagt. Die Souveräne begeben ſich
an Bord – die „Sultanieh“ gibt das verabredete Zei-
chen und in dieſem Augenblicke donnern die Kanonen
und an allen Schiffen züngeln die Flammen empor – die
hundert und hundert Matroſen, die auf den Maſten in
Reih und Glied aufgeſtellt waren, hielten bengaliſche
Lichter in den Händen, die ſie auf Kommando alle an-
zündeten, von allen Seiten der Schiffe werden die elek-
triſchen Sonnen in Brand geſteckt, und jetzt entladen
die Feuerwerker auf den Flößen und auf den Schiffen
ihre Hauptfronten, vom Lager her ſchütten ſie förmlich
Raketen herab – ſo weit das Auge reicht, regnet es
Sterne und kaum, daß die einen verlöſchen, werden ſie
62
durch neue und immer neue erſetzt. Aber noch iſt das
Schauſpiel nicht zu Ende, ein noch impoſanteres iſt
uns zugedacht. Wie das Schiff des Kaiſers ſich in Be-
wegung ſetzt, entladen ſich hoch auf dem Kamme des
ganzen Gebirges, von Beikos und Bujukdere bis hinab
nach Skutari und Byzanz zahlloſe Gewitter. Die bis
jetzt dunkel gebliebenen Bergſpitzen werden auf Mo-
mente erhellt, zahlloſe Blitze durchzucken den Aether,
der Donner rollt und kracht, als ſollte das Ende der
Welt hereinbrechen. Wir hätten den Grund dieſer eigen-
thümlichen meteorologiſchen Erſcheinung uns nicht erklä-
ren können, wäre uns das Räthſel nicht von kompeten-
ter Seite erklärt worden. Der Sultan hatte 20,000
Mann auf beiden Seiten des Gebirges aufſtellen laſſen
und dieſe unterhielten während der ganzen Dauer der
Meerfahrt des Kaiſers ein wohlberechnetes Pelotonfeuer.
Die Wirkung dieſes Effektes läßt ſich nicht beſchreiben.
Von Bergſpitze zu Bergſpitze pflanzte ſich das Zucken
der Blitze fort, und erſt bis der Kaiſer den Fuß an's
Land geſetzt, hörte es auf. Im Bosporus krachte und
ziſchte es aber fort, die Feuerwerker mußten ihren Vor-
rath aufarbeiten und hatten damit bis Mitternacht
zu thun.
Um 11 Uhr legten wir an der großen Brücke
von Stambul an und kehrten in unſere Quartiere zu-
rück. Die Straßen von Pera waren noch dicht belebt,
denn die Munizipalität hatte die Triumphbogen und
mehrere öffentliche Gebäude erleuchtet – und das Volk,
das von der Bella vista, aus den „Bosporus in Flam-
men“ bewundert hatte, ergötzte ſich noch im Heimgehen
an den kleinen Gasflämmchen – es hatte ſich noch
nicht ſatt geſehen. Beneidenswerthes Volk; wir hatten
uns blind geſchaut und fielen wie erſchöpft zuſammen,
63
als wir in unſer Zimmer traten. – Jetzt kann es
keine Steigerung mehr geben, ſagte ich meinem Beglei-
ter. – Sie irren ſich, erwiederte er mir, Sie werden
in Egypten noch mehr und noch Glänzenderes ſehen.
Der Khedive hat es ſich in den Kopf geſetzt, den Sul-
tan in jeder Beziehung zu übertreffen. Hat der Padi-
ſchah 20.000 Mann aufmarſchiren laſſen, wird der
Vicekönig deren 40.000 aufbringen, und hat der Sul-
tan eine Viertel-Million für das Feuerwerk ausgege-
ben, wird ſich's der Khedive eine Million koſten laſſen
. . . . Wie ſoll das enden?!
Die öſterreichiſche Kolonie.
Konſtantinopel, 31. Oktober, Abends.
Der heutige Tag gehörte der öſterreichiſchen Kolo-
nie. Die Kolonie, die noch vor 13 Jahren kaum 700
Mitglieder zählte, weist deren jetzt mehr als 20.000
auf und alle Nationalitäten der öſterreichiſch-ungariſchen
Monarchie ſind in derſelben vertreten. Seit dem Krim-
kriege iſt alljährlich ein maſſenhafter Zuwachs erfolgt
und heute iſt die Kolonie die zahlreichſte unter allen
fremdländiſchen Anſiedlungen – leider iſt ſie nicht auch
die mächtigſte. Der Ruſſe und Franzoſe hat es ver-
ſtanden, den Türken mehr zu imponiren, und ſo ſehen
wir namentlich die letztere Nation in allen türkiſchen
Branchen durch zahlreiche Angeſtellte vertreten, während
es bisher nur wenigen Oeſterreichern gelang, in tür-
kiſche Staatsdienſte einzutreten. Die öſterreichiſche Ko-
lonie krankt noch ein wenig an den jammervollen Zu-
ſtänden, die einer unſerer untauglichſten Diplomaten
Graf Stürmer hier geſchaffen. Unter Bruck ſchon,
deſſen man ſich hier in allen europäiſchen Kreiſen mit
großer Theilnahme erinnert, wurde es beſſer und Ba-
65
ron Prokeſch hat während ſeiner Amtirung Alles auf-
geboten, um den öſterreichiſchen Namen und das öſter-
reichiſche Anſehen hier in jeder Beziehung zu heben.
Er wird in dieſer Aufgabe von den Beamten der In-
ternuntiatur kräftig unterſtützt und beſitzt in dem Le-
gationsrath Haymerle, dem Konſul Vaſſits, dem erſten
Dolmetſch, dem Kanzler Jelinek, dem Poſtoffizial
Bründel tüchtige und eifrige Perſönlichkeiten, die nach
verſchiedenen Richtungen bemüht ſind, den Botſchafter
in ſeiner Arbeit zu unterſtützen. Am weſentlichſten
aber trägt zur Erhaltung und Hebung des Anſehens
und der Bedeutung des Kaiſerſtaates der öſterreichiſche
Lloyd bei, deſſen Flagge ſich in allen Meeren des
Orients der größten Achtung erfreut, der in maritimer
und kommerzieller Beziehung die hervorragendſte Rolle
zu ſpielen berufen iſt, eine Rolle, die leider in
der Heimat viel zu wenig gewürdigt wird, und deſſen
Offiziere ſich allſeitige Anerkennung erworben haben.
Er hat auch diesmal durch die Anweſenheit eines gro-
ßen Theiles ſeiner Flotte und ſein impoſantes Auftre-
ten weſentlich dazu beigetragen, den Glanz der Kaiſer-
reiſe zu erhöhen, der Kaiſerreiſe, die der Stellung
Oeſterreichs im Oriente einen mächtigen und nachhal-
tig wirkenden Aufſchwung gegeben hat. Die Erſcheinung
unſeres Monarchen in Konſtantinopel hat die glanz-
vollen Tage, die man während des Aufenthaltes der
Kaiſerin Eugenie in der türkiſchen Kapitale erlebte,
vollſtändig in den Schatten geſtellt und dieſes hocher-
freuliche Reſultat iſt zum großen Theile dem energi-
ſchen Auftreten der öſterreichiſchen Kolonie zu verdan-
ken, die in ihren Beſtrebungen bei der Internuntiatur
warme Unterſtützung fand. Während die franzöſiſche
Kolonie gerade bei den Vorbereitungen z Empfange
66
der Kaiſerin Eugenie in Konflikt mit der Ambaſſade
gerieth, und in allen ihren Arbeiten eine gewiſſe Knau-
ſerei herrſchte, handelten die Oeſterreicher Hand in
Hand mit ihrer Vertretung; in ihren Berathungen gab
ſich eine erfreuliche Einſtimmigkeit kund und man zeich-
nete die Beiträge zur Beſtreitung der Auslagen, die
zum würdigen Empfange des Kaiſers nothwendig wa-
ren, mit vollen Händen. So ward es auch möglich,
die Anweſenheit des öſterreichiſchen Monarchen ſeitens
der Kolonie in einer den Türken ungemein imponi-
renden Weiſe zu feiern.
Heute Morgens kurz vor 10 Uhr langte der Kai-
ſer mit ſeiner Begleitung in vierſpännigen offenen
Galawagen von Dolma-Bagdſche kommend, in Pera an
und ward an der in byzantiniſchem Style erbauten
Triumphpforte von der Munizipalität von Pera, die
in einem zunächſt der Pforte errichteten Salon aufge-
ſtellt war, mit einer Anſprache begrüßt. Der Triumph-
bogen war mit Fahnen in den öſterreichiſchen Farben
und Blumengewinden reich dekorirt, zu beiden Seiten
ſtanden ſowohl innen wie außen auf großen Poſtamen-
ten Rieſenbouquets von friſchen Blumen. Unter den
Klängen der öſterreichiſchen Volkshymne und von den
Zurufen der Kopf an Kopf gedrängten Bevölkerung
freudig begrüßt, fuhr der Kaiſer langſam durch die
Fahnenallee bis hinab zur öſterreichiſchen Gaſſe, in
welcher ſich das Hotel der Internuntiatur und die
öſterreichiſche Kirche befindet. In letzterer hatte ſich in-
zwiſchen die Elite der öſterreichiſchen Kolonie, Herren
wie Damen, die Mitglieder der Deputation, die in
Pera weilenden Fremden, die Direktoren des Lloyd mit
ihrem Präſidenten an der Spitze, alle Offiziere der
öſterreichiſchen Kriegsſchiffe und des Lloyd en pleine
67
parade und die geſammte katholiſche Geiſtlichkeit mit
dem lateiniſchen Erzbiſchof eingefunden. Im Schiff der
Kirche bildeten Marineſoldaten Spalier. Die Kirche
war mit Laubgewinden geſchmückt, die Brüſtung vor
dem Hochaltar mit Blumen bedeckt. In dem Augen-
blicke, als der kaiſerliche Wagen vor dem Portale der
Kirche hielt, ſpielte die Muſik die Volkshymne, die
Glocken läuteten und ein weißgekleidetes fünfjähriges
Mädchen überreichte dem Kaiſer ein Bouquet und be-
grüßte ihn mit wenigen Worten. Das arme Kind
zitterte heftig, ſo daß der Kaiſer in ſeiner bekannten
Liebenswürdigkeit es beruhigte, dem Kinde die Wange
ſtreichelte und das Bouquet dankend entgegennahm. Die
Geiſtlichkeit zog unter Vorantragung des Kreuzes dem
Monarchen bis an die Pforte der Kirche entgegen und
der Erzbiſchof begrüßte daſelbſt den Herrſcher Oeſter-
reichs. Se. Majeſtät, der die Feldmarſchalls-Uniform
trug, begab ſich auf den unter einem Baldachin rechts
vom Hochaltar errichteten Thron, ihm zur Linken nahm
auf den Stufen, die zur Eſtrade führen, der Ober-
Ceremonienmeiſter des Sultans Platz, für die Miniſter
und Adjutanten waren die erſten Bänke reſervirt. Der
Erzbiſchof intonirte unter zahlreicher Aſſiſtenz das Hoch-
amt, das ungefähr eine Stunde dauerte. Während der
einzelnen Momente der kirchlichen Ceremonie ſpielte die
Orgel die wunderlichſten Melodien, die, wie es ſcheint,
die Anſäſſigen andächtig ſtimmten, auf uns Oeſterrei-
cher aber einen eigenthümlichen Eindruck machten. So
hörten wir während der Wandlung einen bekannten
czechiſchen Gaſſenhauer und unmittelbar darauf eine
veritable Polka, die zuletzt in einen förmlichen Cancan
umſprang. Und doch exiſtirt in Pera ein Verein für
Förderung der Kirchenmuſik! Das sei sºmiten
68
ſind übrigens bekanntlich auch in Italien üblich und
die Türken leiſten in ihrer Kirchenmuſik gleichfalls Außer-
ordentliches. So erzählte mir ein Bankier, neben dem
ich in der Kirche zu ſtehen kam, daß während des letz-
ten Beirams, des höchſten kirchlichen Feſtes der Tür-
ken, die Muſik den ganzen „Trovatore“ zum Beſten
gab und die Türken über den bekannten Zigeunerchor
ſehr entzückt waren. – Nach beendeter Meſſe erhob
ſich der Kaiſer und verließ unter den Klängen der
Volkshymne, welche die Orgel im Galopptakt intonirte,
die Kirche, um ſich in das Geſandtſchaftshotel zu bege-
ben. Während ſich im großen Saale des Hotels die
Deputation der öſterreichiſchen Kolonie, geführt vom
Bankier Frank, und eine zahlreiche Deputation der im
Nationalcoſtume erſchienenen Kroaten aufſtellte, empfing
der Kaiſer in einem Nebenſalon mehrere Perſönlichkei-
ten und Deputationen, unter Anderen den Erzbiſchof,
die Geiſtlichkeit der verſchiedenen chriſtlichen Konfeſſio- -
nen, den Großrabiner, die Munizipalität von Pera,
eine Deputation von Adrianopel, eine Deputation der
italieniſchen Kolonie und die Vertretung des Lloyd,
geführt vom Präſidenten Baron Morpurgo. Der Kai-
ſer hatte namentlich für Letzteren und die anweſenden
Verwaltungsräthe und Beamten die ſchmeichelhafteſten
Worte, er dankte in den verbindlichſten Ausdrücken für
den Empfang, den ihm der Lloyd bereitet und ſprach ſeine
vollſte Anerkennung über das impoſante Auftreten der
Geſellſchaft aus; der Kaiſer bemerkte unter Anderem,
er ſei ſtolz geweſen, bei ſeiner Einfahrt in den Bos-
porus ſich von einer ſo ſchönen und ausgezeichneten
Flotte des Lloyd umgeben zu ſehen und ſicherte dem
Inſtitute ſein gnädigſtes Wohlwollen zu. Dem Inſpector
der Kapitäne ſagte Se. Majeſtät, er wiſſe, daß die
69
Lloydkapitäne ſich allerorts der größten Achtung erfreuen
und ſich überall zum Ruhme der öſterreichiſchen Flagge
auszeichnen. Mit den herzlichſten Worten ward die
Deputation entlaſſen. Endlich empfing der Kaiſer noch
die von der Schweiz nach Suez entſendete Delegation.
Nach Beendigung des Empfangs begab ſich Seine
Majeſtät, gefolgt vom Internuntius Baron Prokeſch
und dem Sohne des Letzteren, Hauptmann Baron Anton
Prokeſch in den großen Saal, und wurde bei ſeinem
Eintritt mit ſtürmiſchen Zurufen begrüßt. Bankier Frank
trat hierauf vor und verlas folgende Adreſſe der öſter-
reichiſchen Kolonie:
Majeſtät!
Die öſterreichiſch-ungariſche Kolonie von Konſtantinopel
bittet Eure Majeſtät ihre treugehorſamſte Huldigung gnädigſt
entgegenzunehmen. Mag uns auch Sprache und Abſtammung
trennen, ein Gefühl vereinigt und bindet uns immerdar: es
iſt die Liebe zu unſerem herrlichen Vaterlande, welches Eure
Majeſtät mit der größten bürgerlichen Freiheit beglückt haben
– es iſt die Liebe und Treue zum angeſtammten Kaiſerhauſe.
Tief ergriffen von dem Glücke, den erhabenen Nachkommen
des abendländiſchen Kaiſers in der Hauptſtadt des Morgenlandes
begrüßen zu können, rufen wir mit Begeiſterung:
Se. Majeſtät unſer Kaiſer und König Franz Joſeph I.
lebe Hoch! Hoch! Hoch!
In das Hoch am Schluſſe ſtimmte die Verſam-
melten dreimal ſtürmiſch ein. Se. Majeſtät, der die
Adreſſe ſichtlich erfreut und mit großer Befriedigung
entgegennahm, ſprach hierauf mit bewegter Stimme un-
gefähr folgende Worte:
„Ich danke Ihnen, meine Herren, von ganzem
Herzen für die unerwartete, herzliche Theilnahme, die
mir meine Landsleute (dieſe Worte wurden mit freu-
70
diger Bewegung begrüßt) hier bereiteten. Ich bin von
dieſem Empfange, der mir fern von der Heimat auf
fremder Erde zu Theil geworden, tief ergriffen und
hoch erfreut, hier ſo viele und wackere Oeſterreicher
um mich verſammelt zu ſehen. Oeſterreichs Handel
und Schifffahrt knüpfen das Intereſſe des Reiches
feſt an jenes des Orients und Sie dürfen überzeugt
ſein, daß ich es als eine meiner ſchönſten und wich-
tigſten Pflichten betrachten werde, dieſen Handel und
Ihre Intereſſen zu ſchützen.“
Stürmiſche, enthuſiaſtiſche Rufe begrüßten die Worte
des Kaiſers, die in den Herzen der Anweſenden einen
lebhaften Widerhall gefunden. Se. Majeſtät ließ ſich
hierauf mehrere Mitglieder der Deputation vorſtellen
und ſprach mit denſelben längere Zeit in der herab-
laſſendſten Weiſe in deutſcher und italieniſcher Sprache.
Auch zwei im Nationalcoſtume anweſende Magyaren
erfreuten ſich der Aufmerkſamkeit des Kaiſers, der ſie
in ihrer Mutterſprache anredete. Dann begab ſich Seine
Majeſtät zu den Kroaten, mit denen er längere Zeit
und mit gewinnender Liebenswürdigkeit konverſirte. „Wir
empfehlen uns der Gnade Ew. Majeſtät,“ rief der
Führer der Kroaten. – „Ich werde eurer gedenken,“
erwiederte Se. Majeſtät lächelnd. Zuletzt führte der
Poſtdirektor noch den greiſen Chef der Tataren, der
öſterreichiſchen Poſtreiter, vor, der ſeit fünfzig Jahren
der Botſchaft treu dient und noch immer rüſtig ſeinen
Dienſt verſieht. Auch an dieſen Veteranen richtete der
Kaiſer gnädige Worte. In dem Augenblick, als Se.
Majeſtät die Audienz beendete und die Verſammlung
nochmals freundlich grüßte, rief Baron Prokeſch ein
kräftiges: „Es lebe der Kaiſer!“ und unzählige Male
71
ſtimmte die Verſammlung in die Lebehochs, Evvivas,
Eljens, welche die einzelnen Vertreter der Nationali-
täten ausbrachten, ein. Die ganze Verſammlung aber
war entzückt über die huldvolle Aufnahme, die ſie ge-
funden. –
Auf den Galerien des Saales wohnten die Damen,
die Miniſter und geladenen Gäſte der feierlichen Cere-
monie bei, während in den Nebenzimmern eine Art diplo-
matiſchen Bazars ſich entwickelte. Die Herren der kai-
ſerlichen Begleitung hatten nämlich den Aufenthalt im
Botſchafterpalaſte benützen wollen, um Einkäufe in türki-
ſchen und perſiſchen Produkten zu machen. Die Geſandt-
ſchaft hatte drei Zimmer in Bazars umwandeln laſſen,
in denen armeniſche Kaufleute ihre Waaren aufgeſtapelt
hatten. In dem einen Zimmer befanden ſich Edelſteine,
Goldwaaren, Tſchibuks und Bernſteinſchmuck, in dem
zweiten perſiſche und indiſche Stoffe, Schlafröcke und
Teppiche, und in einem Kabinet eine Kollektion von
Toilettegegenſtänden für Damen. Die Herren kauften
viel, vielleicht auch theuer, und da die meiſten Gegen-
ſtände Angebinde für die in Wien Zurückgebliebenen
waren, ſo durfte man den Türken und Armeniern den
ungewöhnlichen Profit ſchon gönnen. Auch Se. Majeſtät
der Kaiſer hat geſtern und heute bedeutende Einkäufe
gemacht und hatte einer der bewährteſten Kaufleute, der
Armenier Senope, das Glück, Se. Majeſtät zu be-
dienen. – - -
Nach dem Empfang der öſterreichiſchen Kolonie ward
im Hotel ein Dejeuner eingenommen, zu dem mehrere
Honoratioren von Pera und Baron Elio Morpurgo zu-
gezogen wurden. Gegen 1 Uhr verließ der Kaiſer das
Hotel und fuhr langſamen Schritts zur öſterreichiſchen
Schule, wo neue Ueberraſchungen ſeiner warteten. Die
72
Kolonie hatte die Straße geſchmackvoll dekoriren laſſen,
Fahnen in den öſterreichichen Farben flatterten von den
Häuſern und Balkonen und bildeten eine reizende Dra-
perie; in der Mitte der Gaſſe zog ſich von einem Hauſe
zum andern eine allerliebſte Guirlande von feinem Mouſſe-
lin gebildet, von den Damen Peras geſpendet, und am
Ende ſchloß ein künſtleriſch ſchöner und höchſt geſchmack-
voll ausgeführter, mit Fahnen beſäeter Triumphbogen,
auf deſſen Spitze die öſterreichiſchen Adler auf beiden
Seiten Wacht hielten, die Szenerie effektvoll ab. Das
Arrangement des Ganzen hatte ein kunſtſinniger, äußerſt
talentirter junger Maler, Tony Terenzio, ein Schüler
Kaulbach's und Piloty's, geleitet und mit anerkennens-
werther Aufopferung binnen drei Tagen vollendet. Tony
Terenzio iſt ein Talent, das zu den beſten Erwartungen
berechtigt. – Der Kaiſer ward während der Fahrt
enthuſiaſtiſch begrüßt, ließ vor der Schule halten, ſtieg
aus und beſichtigte das Inſtitut in allen Räumen. Auch
hier überreichte ihm ein Mädchen ein Bouquet, das der
Kaiſer dankend annahm. In der Schule ſangen Knaben
und Mädchen die öſterreichiſche Volkshymne mit einer
eigens dazu gedichteten Strophe. Der Kaiſer ließ ſich
den Direktor und die Lehrer vorſtellen, erkundigte ſich
nach vielen Einzelnheiten und verließ ſichtlich befriedigt
die Schule. Gegen halb 2 Uhr war der Beſuch in der
öſterreichiſchen Kolonie beendet und Se. Majeſtät fuhr
in den Palaſt zurück. Unmittelbar nach ſeiner Ankunft
fandte er eine Depeſche an Ihre Majeſtät nach Wien.
Der Kaiſer telegraphirte der Kaiſerin alle Tage, und
ſein erſter Wunſch, als er hier landete, war der, die
Kaiſerin ſofort von der glücklichen Ankunft telegraphiſch
in Kenntniß zu ſetzen.
73
Nachmittags beſuchte der Kaiſer das Militärſpital
Hajdar Paſcha's und wurde bei dieſem Beſuche vom
Admiral Tegetthoff und der militäriſchen Suite begleitet.
Im Spitale ward Se. Majeſtät vom Seraskier Izzet
Paſcha und Marco Paſcha, dem Leibarzt des Sultans,
empfangen. Der Chefarzt de Caſtro hielt an den Kaiſer
folgende Anſprache, die ich ihrem Wortlaute nach wie-
dergebe, weil ſie ſich von den phraſenreichen Anſprachen,
die bei ähnlichen Anläſſen üblich ſind, wohlthuend unter-
ſcheidet. -
- „Seien Sie, Sire, freudigſt willkommen geheißen
in dieſen Räumen. Sie haben uns der Ehre eines Beſuchs
gewürdigt, in dieſem Aſyle der Leidenden, in dem die un-
erſchöpfliche Großmuth unſeres gnädigen Souveräns unauf-
hörliche Wohlthateu ausſtreut. Sie, der Vater des Volkes,
haben, wie alle Familienväter, erhabene Vorzüge und Schätze
von Sorgfalt für die kranken Kinder und namentlich für
jene, die bei der Vertheidigung unſerer Ehre gelitten.
Sire, wir werden niemals dieſen glücklichen Tag ver-
geſſen. Es iſt dies der erſte Beſuch, den dieſes Land
von einem gekrönten Haupte des Occidents empfängt –
dieſer Beſuch wird Epoche machen in unſerer Geſchichte.
Im Namen des militäriſchen Korps, deſſen Dolmetſch
ich bin, wage ich es, Ew. Majeſtät zu bitten, mit gnä-
digem Wohlwollen unſere ehrfurchtsvolle Begrüßung ent-
gegenzunehmen.“ -
Se. Majeſtät dankte für die Begrüßung und be-
ſichtigte hierauf das Spital, die Apotheke und alle Kran-
kenſäle, erkundigte ſich überall um die kleinſten Details,
namentlich eingehend um die Verpflegung der Kranken.
Abends 6 Uhr fand im Palaſte ein diplomatiſches.
Galadiner im rothen Saale ſtatt. Der Kaiſer ſaß zur
Linken des Sultans, neben dem Sultan Baron Pro-
74
keſch, neben dem Kaiſer Hajdar Effendi, dem Kaiſer
gegenüber die Generäle Muſtapha Naili Paſcha, Koprisli
Mehemed Paſcha, Huſſein Paſcha und Omer Paſcha,
an der Seite der Souveräne ferner die fremden Geſandten
und die geſammte Suite des Kaiſers. Um halb 8 Uhr
wurde die Tafel aufgehoben und begab ſich der Kaiſer
nach dem Theater Naum. Als ſein Wagen durch die
große Pforte fuhr, war der Platz vor dem Palaſte
taghell beleuchtet, die deutſche Kolonie brachte dem Kaiſer
einen glänzenden Fackelzug und begleitete mit Muſik und
unter begeiſterten Zurufen den Wagen des Monarchen
eine Strecke weit.
Bor dem Theater Naum.
Auf dem Programm des Kaiſers befand ſich auch
ein Beſuch des italieniſchen Theaters Naum in Pera.
Der Kaiſer hatte mehrere Logen beſtellt und wollte in-
kognito der Vorſtellung beiwohnen, die Nachricht von
dem Erſcheinen des Monarchen war aber durch die Jour-
nale verbreitet worden und die Direktion hatte durch
große Anſchlagzettel, Ankündigung einer außerordent-
lichen Vorſtellung der Donizetti'ſchen „Favorita“ und
wahrhaft unverſchämte Preiſe für die nöthige Reklame
geſorgt. Für eine Loge, die gewöhnlich 20 bis 30 Francs
koſtet, verlangte die Direktion heute 140 Francs und
man verkaufte Logen erſten Ranges bis zu 200 Francs.
Das Theater Naum iſt nach Art aller italieniſchen ge-
baut, enthält Parquet und Parterre und eine vierfache
Reihe von Logen, es iſt etwas größer als der Muſentempel
in der Wiener Joſefſtadt und zeichnet ſich ſonſt durch
mesquines Ausſehen der Logendraperien und einen Schmutz
aus, der an die Straßen von Galata erinnert. Die
Truppe, die daſelbſt Vorſtellungen gibt, iſt aus aller
76
Herren Länder zuſammengewürfelt und die Türken haben
es wohlweislich unterlaſſen, eine Feſtoper auf das offi-
zielle Programm zu ſetzen. Ich ſah vorgeſtern eine Vor-
ſtellung des „Rigoletto“, die, hätte ſie in einer Stadt
Italiens ſtattgefunden, wohl nicht ohne ein Bombarde-
ment fauler Aepfel vorübergegangen wäre. Im Falſch-
ſingen und Mimik leiſteten der erſte Tenor und die Prima-
donna geradezu Unglaubliches, und im Chor, der aus
dreißig bis vierzig Perſonen beſtand, ſangen immer nur
acht Menſchen, der Reſt ſchien aus für den Abend
engagirten Statiſten zu beſtehen. Für die Vorſtellungen
während der Feſtwoche war Madame Cſillag eigens
engagirt worden und ſie bewies, daß ſie die beaux restes
ihrer einſt ſo mächtigen Stimme noch immer gut zu
verwerthen verſteht. Da die öſterreichiſche Kolonie für
den Abend einen Fackelzug nach dem kaiſerlichen Palaſte
proponirt hatte, war ich Willens an demſelben theil-
zunehmen und mich ſpäter in das Theater zu begeben;
einer der Polizeioberſten der Hauptſtadt, dem ich Vor-
mittags geſprächsweiſe mein Programm für den Abend
mittheilte, warnte mich aber in der eindringlichſten Weiſe
vor der Ausführung desſelben. Er erzählte mir Szenen,
die man während der letzten Illumination zu Ehren der
Kaiſerin Eugenie erlebt, von den Flegeleien, die ſich die
türkiſche Gaſſenjugend an den europäiſchen Frauen, die
ſie von rückwärts umfaßte, erlaubt, von angetriebenen
Hüten 2c, ſo daß ich alle Luſt verlor, den Abend außer
dem Hauſe zuzubringen. Ich hatte um ſo weniger Grund
dazu, als mein Hotel dem Theater gerade gegenüber
lag und ich von meinem Balkon die Ankunft des Kaiſers
und das Treiben auf der Straße bequem beſichtigen
konnte. Ich weiß nicht, ob ich in dieſem Leben dem
Polizeioberſten unbekannten Namens jemals begegnen
77
werde, aber ich ſage ihm hiemit meinen aufrichtigſten
Dank, er hat mir durch ſeine Warnung meine geraden
Glieder, vielleicht das Leben gerettet. Ich habe während
des ganzen Jahres 1848 in Wien gelebt und die hundert
und hunderte Volksfeſte und Aufzüge mitgemacht, die
jeden Tag dieſes bewegten Jahres ausfüllten, ich habe
die Krönung des Kaiſers in Peſt geſehen, als die unga-
riſche Hauptſtadt zehn Mal ſo viel Bewohner als gewöhn-
lich beherbergte, ich wohnte dem Einzug Viktor Emanuel's
in Venedig bei und ſtand ſtundenlang in den ſchmalen
Gäßchen der Lagunenſtadt im dichteſten Gedränge, aber
ſolche Szenen, wie ich ſie vor dem Theater Naum in
Pera erlebt, ſind auch nicht annäherungsweiſe mit dem
tollſten Treiben in Wien, Peſt oder Venedig zu verglei-
chen. Die Hauptſtraße von Pera, in der das Theater ſich
befindet, iſt an einzelnen Stellen kaum zwanzig Schritte
breit und die Paſſage in der Nähe des Theaters iſt
eine der engſten der ganzen Route. In dieſer Gaſſe nun
wogten von 6 Uhr Abends angefangen wohl an hundert-
tauſend Menſchen auf und ab – wogten? nein preßten
und drückten ſich ſchreiend und lärmend große Menſchen-
knäuel, die mit jeder Minute aus allen Seitengäßchen
neuen Zuwachs erhielten. Die Polizei hatte keine
anderen Vorkehrungen getroffen, als daß ſie eine
impoſante Macht entwickelte, die aber nur zu zweck-
loſem Patrouilliren oder noch planloſerem Herum-
ſtehen verwendet wurde. Ganze Kolonnen von Poliziſten
waren längs des Trottoirs aufgeſtellt, wo ſie das Ge-
dränge nnr vermehrten, während zeitweilig bewaffnete
Patrouillen zu Fuß und zu Pferde durch die Menge ſich
Bahn brachen. Ueberdies war weder das Umherwandern
der Laſtträger mit ihren Butten und fliegenden Kauf-
läden, noch der Verkehr der zahlloſen Reiter, Sänften
78
und Wagen eingeſtellt, ja man trieb die Sorgloſigkeit
ſo weit, den Verkehr der Wagen ſowohl hinab, wie
hinauf zuzulaſſen. Vor dem Thore des Theaters ſaß in
aller Gemüthsruhe der Chef der Polizei, rauchte ſeine
Cigarrette und ſchaute mit echt türkiſchem Phlegma dem
Drängen der Menge zu, die gegen halb 8 Uhr lawinen-
artig anwuchs. Es iſt unmöglich, das Treiben dieſer
ſich vorwärts wälzenden, jeden Augenblick ſtauenden, ſich
balgenden, ſchreienden, fluchenden Menge zu beſchreiben
– jede Minute machten ſich zwanzig, dreißig Facchini,
die Hände kettenartig aneinandergereiht, den Scherz, die
Menge zu durchbrechen und die Verwirrung zu erhöhen,
die Reiter hieben mit Peitſchen in das Volk, die Kutſcher
thaten desgleichen, leichtſinnige Väter drängten, ihre kleinen
Kinder hoch über den Köpfen haltend, durch die Maſſen,
für die Wagen der Diplomaten machten die berittenen
Kavaſſen mit unverſchämter Rückſichtsloſigkeit Bahn, ob
dabei ein paar Beine mehr oder weniger zu Grunde
gingen, was kümmerte das die wüſten Geſellen – da
packt ein Kavaß, dem eine Frau im Wege ſteht, dieſelbe
einfach beim Kopf, hebt ſie förmlich in die Höhe, ſchleu-
dert ſie in den dichteſten Haufen und erntet dafür den
wiehernden Beifall der Menge, dort fällt es plötzlich
einem Dutzend Poliziſten ein, das Publikum von den
Trottoirs zu vertreiben – was in die Hände der
Wächter des Geſetzes fällt, wird ergriffen, geſtoßen,
fortgezerrt, zu Boden geworfen – da ziehen einige
die blanke Klinge und bearbeiten damit die Rücken
der Umſtehenden – und dies Alles erträgt dieſes Volk
ohne Widerrede, ohne eine Miene zu machen, ſich gegen
die Wächter der Ordnung aufzulehnen. Endlich ſtockt
der ganze undurchdringliche Knäuel, die Wagen ſtehen
zu beiden Seiten und können nicht weiter, die ſcheuen
79
Pferde bäumen ſich hoch auf und zerſtampfen mit ihren
Hufen, was in ihrer Nähe iſt; kreiſchend flüchtet die Menge,
um im nächſten Momente wieder vorzubrechen, an die
Schweife der Pferde, an die Räder der Wagen klammern
ſich Hunderte, um nur durch die Bahn, die Reiter und
Wagen momentan frei machen, weiter zu kommen. Endlich
naht die achte Stunde, berittene Garden, die Alles nie-
derreiten, was ihnen in den Weg kömmt, verkünden
die Ankunft des Kaiſers, – jetzt rafft ſich die Polizei
auf, ſie rennt Sturm gegen die Maſſen und ſchafft auf
einige Augenblicke wirklich Raum. Die kaiſerlichen Wagen
fahren vor, der Kaiſer und ſeine Begleitung in Civil-
kleidern – der Kaiſer trägt einen ſchwarzen Frack und
graue Beinkleider – verlaſſen die Wagen, aber die
Eingänge des Theaters ſind ſo überfüllt, daß der Kaiſer
nicht paſſiren kann; er geräth ins Gedränge, die türki-
ſchen Offiziere ſpringen hinzu, ſchleudern die Drängenden
weg und ſchaffen mit Gewalt einen ſchmalen Durchgang
zu dem reſervirten Portale. Der Kaiſer iſt im Theater,
draußen aber dauert der bacchantiſche Lärm fort und
die Orgie auf den Straßen ſoll noch ärger werden. Die
Polizei, die einſieht, daß, wenn der Kaiſer das Theater
verlaſſen will, es unmöglich ſein wird, die Wagen her-
beizuſchaffen, will Platz machen, aber ſie iſt ohnmächtig
– vom Fackelzuge, der inzwiſchen ſtattgefunden, kehren
einzelne Gaſſenjungen, die den Fackelträgern die Flam-
beaux entriſſen, durch Pera heim und begehen die Nichts-
würdigkeit, mit brennender Fackel ſich Platz zu ſchaffen,
und mit dem flammenſprühenden Pech in die Maſſe
hineinzufahren – rechts und links ſchwingen ſie die
Fackeln – da brennt ein Hut, dort iſt ein Bart verſengt,
ein Wuthſchrei tönt durch die Lüfte, die Polizei entreißt
endlich den Burſchen ihre Waffen und jagt ſie fort. Einen
80
Moment lang herrſcht Ruhe, die Polizei hat ſich zurück-
gezogen, aber nach wenigen Minuten kehrt ſie, mit
Peitſchen und langen Stöcken bewaffnet, zurück – un-
erbittlich wird auf die Menge eingehauen, die Offiziere
laſſen ihre Peitſchen kunſtgerecht über die Rücken tan-
zen und die Gemeinen bearbeiten die Häupter und Füße
der langſam zurückweichenden Menge mit Haslingern.
Einzelne Poliziſten haben ſich der ausgelöſchten Fackeln
bemächtigt und bedienen ſich dieſer furchtbaren Waffe für
beſonders ſtarrſinnige Zuſchauer. Alles wird geprügelt,
ohne Unterſchied der Nation, des Ranges und des
Geſchlechts, und das Mittel iſt probat, der Raum vor dem
Theater wird wenigſtens frei; wie es weiter unten zugeht,
wiſſen die Götter, ich entnehme nur aus dem jammern-
den Aufſchrei, dem Brüllen der Menge, daß die Peitſchen
und Stöcke dort unten ihr Handwerk noch nicht vollendet
haben. Und als ob die Verwirrung noch nicht groß genug
wäre, kehrt jetzt das Gros des Fackelzuges, mit den
Kroaten als Fahnenträgern an der Spitze, begleitet von
einer Muſikbande zurück. Statt ſie in Nebengaſſen zu
weiſen, läßt man ſie hereinbrechen. Die Kroaten und
Fackelträger bleiben vor dem Theater ſtehen, die Bande
ſtimmt die Volkshymne an, die Kroaten ſchwingen ihre
Fahnen, und ein donnerndes Zivio und Evviva erſchallt
dem Kaiſer, tauſend Stimmen rufen ſeinen Namen,
tauſend Menſchen verlangen ihn zu ſehen. Man ſchließt die
Fenſter des erſten Stockes, deſſen Räume zu einem Buffet
hergerichtet waren, damit der betäubende Lärm nicht in
das Theater dringe und dort Verwirrung anrichte. Die
Kroaten aber, die den Kaiſer um jeden Preis ſehen
wollen, ſtürmen das Theater und erzwingen ſich den
Eintritt in die Halle, mit ihren Fahnen dringen ſie
ein und reißen mit denſelben die Initialen des Sultans
81
herab, die in Gasflammen vor dem Portale prangten,
ſo daß die Gaslohe mächtig emporſchießt und Alles
einen Brand beſorgt. Zwei Pompiers ſpringen raſch
hinauf, brechen die Röhren ab und dämpfen die Flammen.
Die Kroaten ſind inzwiſchen bis in das Parterre vor-
gedrungen und erfüllen mit ihren Zivios die Räume
und ihnen nach ſtürzt die Menge – der Augenblick iſt
kritiſch, noch ein Moment und die Situation kann ſehr
ernſt werden, da ſchreitet die Polizei abermals zum
Angriff, mit Säbeln und Gewehren, Peitſchen und
Stöcken dringt ſie auf die Menge ein, ſie wirft ſie aus
dem Theater, Reiterkommen ihr zu Hilfe und ein förmlicher
Kampf entſpinnt ſich zwiſchen der Polizei, die Raum ſchaffen
will, und der Volksmenge, die keinen Ausweg hat. Jetzt
geräth unglücklicherweiſe die Muſikbande auch ins Gedränge,
die Trompeter werfen ihre Inſtrumente in die erſten
beſten Laden und bringen ſich ſelbſt in Sicherheit, der
arme Paukenſchläger aber weiß ſich nicht zu helfen, hoch
über dem Kopfe hält er ſein rieſiges Inſtrument, aber der
ſüße Pöbel haut in das Fell und zerſchlägt es, der Arme
wird zu Boden geriſſen und ſeine Pauke zum Spielball, bis
ſie endlich im halbgeöffneten Laden eines Perruquiers eine
letzte Ruheſtätte findet. Die Polizei benützt indeſſen das
gewonnene Terrain, läßt die kaiſerlichen Wagen vorfahren
und beginnt jetzt erſt die Straße abzuſperren. Der Kaiſer,
der nur einen Akt im Theater verweilte, kann das Haus
verlaſſen, ſeine Begleitung folgt ihm bald nach und end-
lich hat das lärmende, ſchaudererregende Schauſpiel ſein
Ende erreicht. Die Volksmenge verläuft ſich nach und nach,
und um Mitternacht kann auch die Polizeiabziehen; ſie hat
heute ihren ſchwerſten Tag erlebt. Ich aber werde Zeit
meines Lebens gedenken an die Nacht „vor dem Theater
Naum.“
-SSz=– 6
Abſchied von Stambul.
Am Bord des Pluto, 2. November.
Heute Nachmittag haben wir Konſtantinopel ver-
laſſen. Wir befinden uns – Dank der Sorgfalt
und Zuvorkommenheit der Lloyddirektion – an Bord
des eleganteſten Dampfers der orientaliſchen Linie, ſind
nur vierzehn Paſſagiere auf dem Schiffe, verfügen ſomit
Jeder über eine ſeparate Kabine und leben wie der
Herrgott, will ſagen wie der Allah im Orient nur immer
leben kann. Die Reiſegeſellſchaft beſteht aus dem Lloyd-
präſidenten Baron Elio Morpurgo, ſeinem Sohne Baron
Marco, dem Vizepräſidenten der Trieſter Handelskammer
Baron Joſeph Morpurgo, dem kaiſerlichen Kommiſſär
Oberſt von Radonetz ſammt Gattin, dem Verwaltungs-
rathe Dr. Hagenauer mit Schwägerin und Nichte, dem
kommerziellen Direktor des Lloyd Herrn Bordini und
dem Inſpektor Herrn Nicolits, beide zählen zu den
intelligenteſten und verdienteſten Beamten des Lloyd,
dem ungariſchen Schriftſteller Herrn Ketskemety, der ſich
83
in Konſtantinopel von der kaiſerlichen Suite getrennt hat
und es vorzieht, mit uns zu fahren, dem Profeſſor
Coglievina, einem Schiffsarzt und mir. Unſere Damen ſind
wahre Muſter von Liebenswürdigkeit und Geſelligkeit,
und wenn wir die eine Hälfte des Tages in ernſter
Debatte mit den Herren zugebracht, verkürzen uns die
Damen durch heitere Converſation und geiſtvolle Cauſerie
die andere Hälfte. – Unſer Fahrplan iſt trefflich combi-
nirt. Wir durchkreuzen die Dardanellen, berühren Smyrna,
halten zwei Tage im Piräus Raſt, beſuchen Athen und
fahren dann direkt nach Alexandrien. Man kann die
Reiſe nicht angenehmer machen und ſelten noch hat ſich
ein Orientreiſender ſo behaglich, ſo komfortabel, ſo tout
à son aise befunden, wie meine Wenigkeit. Alle unſere
Wünſche werden erfüllt, wir ſpeiſen, als weilten wir
bei Munſch, verfügen über die beſten Karten und Reiſe-
bücher, werden bedient wie Souveräne, rauchen den
Tabak des Sultans aus Tſchibuks, die uns ein liebens-
würdiger Paſcha verehrte, und ſelbſt das Papier, das
wir benützen, trägt noch den Stempel: „Palais Im-
périal de Bechiktach“. Kann man mehr verlangen,
um glücklich zu ſein? – –
Die Gegend, die wir durchfahren, bietet dem Be-
ſchauer reichlichen Stoff, das Buch unſerer Jugenderin-
nerungen rollt ſich vor uns auf, mit Hilfe eines ge-
druckten Cicerone wecken wir die Reſte der gelehrten
Errungenſchaften unſerer Studienzeit, welche die ma-
terielle Aera ſeit lange eingeſchläfert, wieder zu einigem
Leben. Hier iſt jeder Stein hiſtoriſch, jeder Trümmer-
haufen mahnt an eine glänzende Epiſode der grauen
Vorzeit, hier haben Homer und Sophokles gedichtet,
hier hat Sappho geſungen. – – Doch wir haben noch
nicht Zeit, an die Vorzeit zu denken, is beſchäftigt
84
uns die Gegenwart zu ſehr. Der Traum von Stam-
bul iſt noch nicht ausgeträumt, aus den Fluthen vor
uns ſteigt im Nebelgrauen die Aja Sofia mit ihren
wunderſamen Kuppeln empor, dort am Ufer winken
Minarets, die Stimme des Kapitäns wandelt ſich in
die des Mueddins, der zum Gebete ruft, wir ſind wieder
zu Pferde und das Schaukeln des Schiffes mahnt uns
täuſchend an die Bewegung, die wir beim Hinabreiten
auf den unwegſamen Pfaden von Pera nach Galata
durchgemacht – noch einmal phosphoreszirt der Bos-
porus, das Wetter leuchtet vom Gebirge und die unter-
gehende Sonne ſteigt in den ſilbernen, mit rothen Roſen
geſchmückten Rieſenſarg hinab, den das Marmorameer
allabendlich für das ſterbende Himmelsgeſtiru bereit
hält . . . . Plaudern wir, ehe wir weiter ziehen, noch
ein wenig von Konſtantinopel; ich habe noch Mancherlei
auf dem Herzen und in meinem Notizbuch erblicke ich
noch eine Reihe von Hieroglyphen, die entziffert werden
müſſen, ehe ich Abſchied nehme von den glühenden Farben
Byzantiums.
Der letzte Tag, den der Kaiſer in Konſtantinopel
zubrachte, war dem Beſuch des großen weltbekannten
Bazars und des Artilleriearſenals gewidmet. Nachmittags
machte er einen Ausflug nach Bujukdere und den Ruinen
der Waſſerleitung. Am Abende des 1. November er-
folgte die Abreiſe. Der Sultan begleitete ſeinen Gaſt
bis zum Boot, das den Kaiſer nach der Dampfyacht
„Greif“ brachte. Der ganze Hafen erglänzte in
feenhafter Beleuchtung, die Schiffe ſtrahlten in ver-
ſchiedenfarbigem Lichte, Raketengarben ziſchten durch
den reinen Aether. – Der Bosporus ſtand aber-
mals in Flammen. – Schlag 9 Uhr erfolgte unter
dem Donner der Kanonen die Abfahrt. – Während
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ſeines Aufenthaltes in Konſtantinopel empfing der Kaiſer
viele Petitionen, während ſeiner Rundfahrten durch die
Stadt wurden ihm zahlreiche Bittſchriften in den Wagen
geworfen. Die meiſten derſelben fanden günſtige Er-
ledigung. – Große Begeiſterung rief in der öſterrei-
chiſchen Kolonie das Reſultat einer Audienz hervor, welche
die Deputation der Kolonie bei dem Reichskanzler Grafen
Beuſt und dem Handelsminiſter v. Plener hatte. Beide
ſicherten der Deputation den kräftigſten Schutz der In-
tereſſen der öſterreichiſchen Kolonie zu, und als die Depu-
tation auf die Nothwendigkeit einer autonomen, legislativen
Vertretung hinwies, erklärte Graf Beuſt, er werde Alles
aufbieten, um der Kolonie eine gewiſſe Selbſtſtändig-
keit zu ſichern. Beide Miniſter verſprachen überdies
der Kolonie das baldige Inslebentreten einer Handels-
kammer und einer mit beſonderen Vorrechten ausgeſtatteten
ſtändigen Deputation, die künftig die autonomen Organe
der öſterreichiſchen Kolonie zu bilden hätten. Es iſt ſelbſt-
verſtändlich, daß die Nachricht von der Unterredung unter
den Oeſterreichern in Konſtantinopel einſtimmig mit
Jubel begrüßt wurde. .
Mich über Land und Leute beſtimmt auszuſprechen
und ein definitives Urtheil zu fällen, halte ich nicht für
angezeigt. Unſer Aufenthalt war ein viel zu kurzer
und innerhalb dieſes beſchränkten Zeitraumes zu beweg-
ter, wir waren durch Feſte und Vorſtellungen viel zu
ſehr in einen engen Kreis gebannt, als daß wir Zeit
gehabt hätten, Land und Leute kennen zu lernen. „Wir
werden fünf Tage in Konſtantinopel geweſen ſein, ohne
es geſehen zu haben“, ſagte mir vorgeſtern einer unſerer
Miniſter, und übertrieb mit dieſer Bemerkung gewiß
nicht. Dennoch ſcheint uns Allen bei noch ſo flüchtiger
Betrachtung der Dinge Eines klar geworden zu ſein:
86
Der kranke Mann iſt nicht ſo krank, als gewiſſe Aerzte
des civiliſirten Europa's glauben machen wollen, ja
ohne den ewigen Wechſel von Arzneien, den ihm ſeine
diplomatiſchen Aerzte verordnen, wäre er vielleicht ſchon
längſt geſund. Es ſcheint uns eine große Thorheit, die
Türkei nach franzöſiſchem, engliſchem oder irgend einem
anderen civiliſirten Muſter reformiren zu wollen, dahin
wird man die Türken nie bringen, man müßte denn
eine Generation erſt zu dem Reformwerke erziehen. Man
darf ſo einſichtsvollen und erprobten Männern, wie Ali
Paſcha, Huſſein Paſcha 2c. ſchon getroſt das Reform-
werk der Türkei mit Berückſichtigung der nationalen
und religiöſen Eigenthümlichkeiten überlaſſen, und die
Vertreter der Großmächte mögen ſich begnügen, die
Intereſſen ihrer Landsleute zu wahren und zu ſchützen.
Ich betone das Wort Landsleute, hat doch der Kaiſer
ſelbſt die Oeſterreicher ſo angeſprochen und ſie nicht
sujets genannt, wie es noch bei verſchiedenen Geſandt-
ſchaften, denen der bureaukratiſche Zopf nach hinten
hängt, gang und gäbe iſt.
Am allermeiſten aber möge man ſich vor den allzu
übereifrigen religiöſen Miſſionen hüten, mit denen man
die Türkei beglücken will. Man wird, wenn man es klug
anpackt, für gewiſſe politiſche und nationale Reformen die
Türkei zugänglich finden; mit dem Verſuche, Proſelyten
zu machen, wird man ſcheitern und nur das Kind mit
dem Bade ausſchütten. – – – Ich habe es bereits
früher flüchtig angedeutet, daß ich von der türkiſchen
Frauenwelt für die künftigen Reformen manche kräftige
Anregung erwarte. Das war nicht Scherz, ſondern
voller Ernſt. Die türkiſche Frau wurde zu lange unter-
drückt und zu gewaltſam ihrer natürlichen Rechte be-
raubt, der Verkehr mit europäiſchen Damen iſt zu
87
häufig, die Bekanntſchaft mit abendländiſchen Sitten
und Formen zu mächtig, als daß das alte Verhältniß
noch lange fortdauern könnte. Die türkiſchen Frauen
lernen franzöſiſch, ſie leſen franzöſiſche Romane und
Zeitungen – wie lange werden ſie, auf ſo ſüße Weiſe
vergiftet, ſich noch geduldig in das alte Joch fügen?
– – Das, was man ſich übrigens in Europa unter
Harem und wollüſtigem Leben der Türken vorſtellt, iſt
theilweiſe ſchon längſt Mythe. Eine große Anzahl
Paſcha's und angeſehener Türken hat die Polygamie
längſt aufgegeben und lebt glücklich mit einer einzigen
Frau, deren Sklavinnen wirklich Dienſtboten und nicht
Rivalinnen ſind. Unſere Damen, die mit uns an Bord
des „Pluto“ ſind, beſuchten während unſerer Fahrt
nach Beikos die Harems verſchiedener Paſchas, darunter
den Djemil Paſcha's, des türkiſchen Geſandten in Paris,
und den ſeines Schwagers. Beide beſitzen nur je eine
Frau, mit der ſie ſeit Jahren in den glücklichſten Ver-
hältniſſen leben. Ja, die türkiſchen Frauen ſtellen die
Treue ihrer Ehemänner, trotzdem dieſelben nur eine
Frau beſitzen, als über allen Verdacht erhaben dar, ein
Lob, das unſeren Oeſterreicherinnen geradezu unglaublich
vorkam. In der That, man wird dasſelbe Urtheil
ſchwerlich über uns von der Kultur beleckte Weſteuro-
päer fällen! Die Frauen im Harem ſind heiter und
glücklich, ſie plaudern und ſcherzen, und verſichern, die
Anzahl Derjenigen, die dem Kerkerleben im Harem ein
Ende machen und der türkiſchen Frau zu einer Stellung
im ſozialen Leben verhelfen wollen, ſei ſehr groß und
ein ernſter Bund verbinde dieſelben. Die Schweſter
der Gattin Djemil Paſcha's, eine reizende, liebenswür-
dige Frau, wie man mir erzählt – ich ſelbſt habe ſie
natürlich nicht geſehen – hat eine allerliebſte rührende
88
Geſchichte. Sie ward mit vierzehn Jahren mit zwölf
Schickſalsgenoſſinnen nach Konſtantinopel gebracht, ein
Geſchenk irgend eines Paſcha's für den Sultan. Sie
ſollte eben noch ihre letzte Probe beſtehen und der Sul-
tanin Valide, der Mutter des Sultans, zur definitiven
Auswahl vorgeſtellt werden, als ſie ihr künftiger Mann
zufällig ſah. Er ſah ſie, ſie ihn, und Beide liebten ſich
– Heine hat ſolche Liebe beſungen und das Lied gewiß
nicht für die abendländiſchen Chriſten allein gedichtet
– auch die Völker des Orients lieben, und heißer und
raſcher als wir. Die Beiden liebten ſich, aber hoff-
nungslos, denn die ſchönſte Perle Tſcherkeſſiens war ja
für den Sultan beſtimmt. Liebende aber kennen kein
Hinderniß; er war raſch entſchloſſen, beſtach die Wächter
und entfloh mit der Heißgeliebten. Fern von Stambul
ward ſie ſein Weib, ſie lebten auf fremder Erde, und
erſt nach Abdul Medſchid's Tode kehrte das Liebespaar
zurück, das heute noch ſo ſelig und vergnügt lebt, wie
in den Honigwochen ſeines Bündniſſes. . .
Die öſterreichiſchen Gäſte haben hier überhaupt
manches anders gefunden als ſie gedacht. Welche Furcht
herrſchte nicht in Wien vor der türkiſchen und egypti-
ſchen Küche, man dachte mit einer gewiſſen Unbehaglichkeit
an den kulinariſchen Feldzug, der bevorſtand, und hatte
es ſogar für nöthig befunden, ſich auf telegraphiſchem
Wege über die getroffenen Vorbereitungen Auskunft zu
verſchaffen. Die Befürchtungen – das zeigte ſich gleich
am erſten Tage in Konſtantinopel – waren übertrieben.
Das Gros der Speiſen an der Sultanstafel entſtammte
franzöſiſcher Küche, nur am Schluſſe und zum Beginn
der Tafel gab es nationale Gerichte, wie Pilaw –
letzterer freilich war in der Regel ſo fett, daß er kaum
genießbar war. Die Zuſammenſtellung des Menu's ver-
89
rieth wenig Verſtändniß des europäiſchen Magens. Vor
Allem war es überladen und die Eintheilung unſeren
kulinariſchen Begriffen durchaus nicht entſprechend. Auf
22 bis 25 Gerichte – ſo viele zählte manches Menu
– kamen 10 bis 12 Entrées, in der Regel gehacktes
Fleiſch oder Gansleber in den verſchiedenartigſten Formen
und Zubereitungen. Man verdarb ſich, wenn man nicht
gewitzigt war, mit den Schleckereien den Magen, noch
ehe das erſte nahrhafte Gericht auf die Tafel geſetzt
wurde. Im Ganzen aber war die Küche gut, beſonders
Fiſche und Geflügel delikat zubereitet und fein garnirt.
Der türkiſche Keller war über alles Lob erhaben, Bor-
deaux, Johannisberger und Champagner erſter Qualität,
letzterer freilich ungenügend frappirt, da es an hinläng-
lichen Quantitäten von Eis fehlte. Das Waſſer war
wie in ganz Konſtantinopel trübe und warm, und da
die Herren der kaiſerlichen Suite dem letzteren Uebel-
ſtande durch, kleine Eisklümpchen abhelfen zu müſſen
glaubten, hatten ſie ſich die unangenehmen Folgen dieſes
kühlen Trunkes ſelbſt zuzuſchreiben. Goldtropfen und
Doveriſche Pulver ſpielten namentlich in den letzten
Tagen unſeres Aufenthalts im Palaſte Dolma-Bagdſche
eine große Rolle. Trüffeln ſcheinen in der türkiſchen
Hofküche entweder gar keinen Werth zu beſitzen oder
für unentbehrlich gehalten zu werden. Sie kamen in
der erſten Hälfte des Menu's faſt bei jedem Gange
in ſolchen Maſſen vor, daß man beim dritten Diner
ſchon ihrer überdrüſſig war. Die Türken dagegen
konnten davon nicht genug haben, und daß die Herren
Paſcha's auch dem Weine tüchtig zuſprachen, bewies uns,
daß ſie ſich wenigſtens in dieſer Richtung vom Koran
emanzipirt haben. – Der Sultan ſprach bei Tiſche
nur ſelten ein Wort, er vollzog die Funktionen des
90
Eſſens mit demſelben Ernſte, mit dem er am Freitag
inmitten ſeiner Würdenträger den feierlichen Zug in die
Moſchee antrat. – -
Sonſt war man in Dolma-Bagdſche prächtig auf-
gehoben, namentlich erfreute die Thatſache, daß es ganz
unnöthig war, von Zacherl's wunderthätigem Erzeugniſſe
hier Gebrauch zu machen, das Herz jedes mit Zittern
in die ihm angewieſenen Zimmer eingetretenen Oeſter-
reichers. – – Ueber die Aufmerkſamkeit , Dienſt-
willigkeit und Höflichkeit der türkiſchen Diener und Hof-
beamten gegen die Gäſte herrſchte nur eine Stimme
unbedingten Lobes und die Oeſterreicher waren während
ihres Aufenthaltes im wahrſten Sinne des Wortes die
Herren des Palaſtes. – – –
In den letzten Stunden, die ich in Konſtantinopel
zubrachte, war ich noch Zeuge zweier Leichenbegängniſſe
in Pera. Wenn man eine Stadt verläßt, ſieht man
ein ſo trauriges Ereigniß weniger als böſes Omen an,
wie bei der Ankunft. Man begrub einen gemeinen tür-
kiſchen Soldaten und unmittelbar darauf einen reichen
Armenier. Das Leichenbegängniß des Türken ähnelt
ſehr der gleichen Ceremonie bei den Juden – in einem
einfachen Bretterſarg wird die in weiße Linnen gehüllte
Leiche aus der Stadt der Lebenden hinausgetragen zum
Wohnſitz der Todten, jeden Augenblick löſen ſich die
Träger ab, denn man betrachtet es als eine fromme
Pflicht, den Todten nach ſeiner letzten Ruheſtätte zu be-
fördern. Der Soldat wurde ohne alles militäriſche
Gepränge begraben, nur ein Dutzend Kameraden beglei-
teten den Sarg. Wir gelangten mit der Leiche auf den
Friedhof, der in der Nähe von bella vista ſich aus-
dehnt. Der Türke hält etwas darauf, nach ſeinem Tode
noch die Nachwelt wiſſen zu laſſen, wer unter den Lei-
91
chenſteinen ruhe, die in ihrer Form gleichfalls den Denk-
ſteinen auf iſraelitiſchen Friedhöfen gleichen. Die Leichen-
ſteine der Männer tragen in der Regel auf ihrer Spitze
einen Turban von grauer, rother, grüner Farbe,
der manchmal mit goldenen Quaſten geziert iſt. Alle
Steine tragen Inſchriften, Sprüche des Korans –
auf einzelnen ſind die Ehrenzeichen des Todten ein-
gemeißelt – ſo ſahen wir auf dem Denkmale eines
Artillerieoffiziers nicht nur die Embleme ſeines Hand-
werkes, die Kanonen, ſondern auch den Medſchidje
dritter Klaſſe mit aller Sorgfalt ausgeführt. –
Das ſtrikteſte Gegentheil zu der Einfachheit des Leichen-
begängniſſes des türkiſchen Soldaten bildete das Be-
gräbniß des reichen Armeniers. Stolz wie er gelebt,
ward er auch zu Grabe getragen. Kavaſſen und
Poliziſten eröffneten den Zug, dann kamen armeniſche
Geiſtliche in ihrem ſonderbaren Coſtume (ſchwarze lange
Kaftans mit weißen Bändern eingefaßt und ſchwarze
hohe Kappen) – ſie ſchritten paarweiſe langſam ein-
her, die erſten Paare trugen Fackeln, die Anderen lange
ſchwarze florumwundene Stäbe, an deren Spitzen ſilberne
unter dem Kreuze ſich windende Schlangen ſich befanden, –
hinter ihnen ſchritt die höhere Geiſtlichkeit in violetten Ge-
wändern mit hohen Kronen, von denen blaue und ſchwarze
Schleier herabflatterten, – Knaben, in ſchmutzigen
Trauerkleidern, heulten Trauerlieder in jener einförmigen
Melodie, die wir in Europa nur noch in polniſchen
Synagogen hören, – zuletzt kam der Leichenwagen, ein
wahres Prachtſtück, in dem ſich Millionäre mit wahrer
Luſt zu Grabe führen laſſen müſſen – dem Leichen-
wagen folgten die offiziellen Klagemänner, verkommene
Geſtalten in ſchwarzweißen Mänteln, die wahrſcheinlich
vor Beginn des Zuges ihre Naſe in friſche Zwiebeln
92
geſteckt hatten, nur um reichlich Thränen zu vergießen.
Heulend und klagend, die Luft mit Weihrauch und dem
– Dufte der Pechfackeln erfüllend, bewegte ſich der
Zug durch Pera: wahrlich, der letzte Gang des türki-
ſchen Soldaten in ſeiner Einfachheit und Stille bot
ein weit rührenderes und ergreifenderes Bild, als das
lärmende Scheiden des armeniſchen Chriſten ! –
Als wir hinab nach Galata kamen, zeigte die Uhr
die dritte Stunde. Es war Zeit ſich einzuſchiffen –
eine halbe Stunde ſpäter lichtete der „Pluto“ die Anker.
– Wenige Minuten vor der Abfahrt nahte ſich noch
ein Boot dem Schiffe und ein Freund brachte mir vom
öſterreichiſchen Poſtamte die eben aus Varna angekom-
mene Wiener Poſt. Es waren Briefe und Zeitungen
für mich. Sechs Nummern des „Neuen Fremden-Blatt“
– wir griffen alle mit Haſt nach den Blättern –
und eine Depeſche. Die letztere enthielt für mich eine
freudige Nachricht. Sie war von Nubar Paſcha, dem
Premier des Vizekönigs, gezeichnet und lautete: Som
Altesse le Khedivé invite Mr. Wilhelm Wiener
assister inauguration Canal. Nubar.
In Smyrna.
Smyrna, 3. November.
- Seit geſtern ſind wir in Smyrna, der lieblichen
Stadt, der Perle Anatoliens. Wir hatten eine herr-
liche Fahrt. Um 4 Uhr Morgens langten wir geſtern bei
den Dardanellenſchlöſſern an und mußten den Sonnenauf-
gang abwarten, um die Erlaubniß zur Weiterfahrt zu er-
halten. Von Kilidbari, dem Schlüſſel des Meeres, ward uns
die Genehmigung zu Theil und bald hatten wir Tenedos in
Sicht – links zeigte man uns die Richtung, in der
Troja gelegen. – Hier fochten die Trojaner ihre viel-
beſungenen Schlachten, hier lagerten in der Beſikabai
die Flotten der Alliirten im Krimkrieg vor Anker. Die
Küſte, die ziemlich troſtlos und öde iſt, zeigt im Innern
mehrere Gruppen bewaldeter Hügel, hinter denen ſich
die Kette des Jda erhebt, von deſſen Gipfel man die
hochgefeierte Stätte des alten Jlion überblickt – dort
hauste Hekuba, des Priam's Gemalin, hier, wo das
Meer am engſten zwiſchen den Gebirgen ſich durch-
94
windet, ſollen Hero und Leander ihr ſagenhaftes Liebes-
ſpiel durchlebt haben – noch weiter und die Inſel
Mytilene taucht aus dem Meere empor – Lesbos wird
ſichtbar, wo Sappho dichtete. – Die Gegend nimmt
raſch einen anderen Charakter an, die Vegetation wird
üppig, wären wir am Ufer, wir könnten friſche Oliven
pflücken und den Duft der Myrthen und Oleander ein-
athmen – jetzt taucht links Mytilene, die Stadt, vor
uns auf, rieſiges altes Gemäuer krönt den Hügel am
Meeresufer, es ſind Trümmer einer alten Feſtung, die
heute noch zu militäriſchen Zwecken dient, aus den
Schießſcharten ſtarren uns wenigſtens Kanonen entgegen,
die Citadelle birgt ſogar eine Garniſon. Mytilene ſelbſt
bietet einen ungemein freundlichen Anblick – wie es
ſo daliegt mit ſeinen weißen, von Gärten umgebenen
Häuschen, die an der Berglehne bis zur höchſten Spitze
ſich aufbauen, hat es eher Aehnlichkeit mit einem Tiroler
Bergſtädtchen, mit Brixen etwa, als mit einer orienta-
liſchen Stadt. Mit dem Fernrohre unterſcheiden wir
Bäume und Häuſer ganz genau. Große Aprikoſen- und
Orangenwälder dehnen ſich am Fuße des Berges, Re-
benpflanzungen bedecken die Häuſer mit ihren grünen
Fittigen, ſchwellender Raſen zieht ſich vor den Villen
hin, – es muß ein paradieſiſches Leben in dieſer Land-
ſchaft ſein. Unſer Kapitän machte uns das Waſſer im
Munde zuſammenlaufen, erzählte er uns doch, daß die
Haine von Mytilene mit Nachtigallen angefüllt ſind,
daß die Roſenbäume ihre würzigſten Düfte verſenden
und die Feigen nirgends ſo ſüß ſind wie hier. Als
wollten ſie ſeine verführeriſche Schilderung beſtätigen,
flatterten gerade zwei Schmetterlinge (am 2. November!)
vom Lande herüber zu uns an Bord und begleiteten
uns ein Stück Weges. Das herrlichſte Wetter blieb
95
uns auch in dieſen Regionen günſtig. Immer mehr er-
weiterten ſich die Ufer, wir paſſirten die beiden wunder-
ſam geformten Felstrichter, die außerhalb Mytilene aus
dem Meere emporragen, und fuhren in's ägäiſche Meer
hinaus. Kurz vor Sonnenuntergang landeten wir vor
Smyrna. –
Heute Morgens waren wir vor 6 Uhr auf den
Beinen und traten unſere Wanderung durch die lieb-
liche Stadt an. Kaum an's Land getreten, hörten wir
ſchon das unmelodiſche Glockenläuten der Kameele. Das
Schiff der Wüſte iſt hier heimiſch, hunderte und hunderte
Kameele lagern in Smyrna und durchziehen in Karawanen
zu zehn bis zwanzig die engen Straßen der Stadt. –
Ein Eſel, dieſes zu allen Dienſten und Verrichtungen
willig bereite Thier, eröffnet mit dem Führer den Zug,
dann folgen die Kameele, eines nach dem anderen und
jedes mit dem anderen durch Stricke und Ketten ver-
bunden, das letzte, das den Zug ſchließt, hat eine fort-
während läutende Glocke am Halſe, damit der Führer
im Gedränge oder in der Finſterniß genau nach dem
Schalle erkennt, ob ſich nicht ein Theil des Zuges ab-
geriſſen. Die Kameele ſind mit Waarenballen bepackt
und tragen einen unförmlichen Sattel – auf dem Schiff
der Wüſte reiten iſt ärger, als ſich dem Schiff des
Meeres anvertrauen, ſelbſt die ausdauerndſte Natur
wird ſofort ſeekrank. Der Witz iſt ja bekannt: Man
ſetze ſich auf einen hohen, zum Auf- und Niederſchrauben
gerichteten Komptoirſtuhl, laſſe ſich dann auf einen
ſlovakiſchen Leiterwagen laden, von zwei Pferden über
eine friſch geackerte Fläche ſchleppen und man hat un-
gefähr einen Vorgeſchmack von den Annehmlichkeiten des
Kameelreitens.
96
Wir zogen zu Fuß durch das fränkiſche und arme-
niſche Viertel, den Pagos hinauf, deſſen Spitze rieſige
Trümmerhaufen bedecken. Der Gang durch die Stadt
iſt intereſſant, die Straßen reinlich, überall friſches
Waſſer in Brunnen und Fontainen, der Blick durch
die halb geöffneten Thore in die Hausfluren äußerſt
angenehm – der Schmutz Stambuls fehlt hier – es
iſt Alles ſauber gekehrt, die Hausflur gewöhnlich mit
kleinen Steinchen moſaikartig beſetzt, die Decke zuweilen
von Marmorſäulen getragen, in der Flur eine Otto-
mane, ein paar Fauteuils, eine Orangerie, rückwärts
im Hofe eine ſprudelnde Fontaine und im Hintergrund
ein Garten – Citronenbäume, Orangen, die eben jetzt
zu reifen beginnen, die ſchattige Platane, hin und wieder
Eichen, Maulbeerbäume und Kürbispflanzungen, denen
wir vorſichtig ausweichen, der Anekdote aus der Schül-
fibel gedenkend, in der die Naſe des den Schöpfer ta-
delnden Thoren ſo gut wegkömmt. Denn hier hängen,
da der Strauch zu Laubengängen benützt wird, die Kür-
biſſe in der That auf den Bäumen, und bei ſtarkem
Winde iſt es unheimlich, im Schatten dieſer Bosquets
auszuruhen. – Mühſelig und im Schweiße unſeres
Angeſichts, denn die Sonne ſtach förmlich – klommen
wir die höher gelegenen Stadttheile hinan – je höher
man kömmt, deſto mehr verliert die Stadt ihr liebliches
Ausſehen – die Häuſer werden zu Baraken, die Armuth
ſtarrt aus allen Löchern, die Kinder hocken auf dem
Pflaſter und verfolgen uns mit ihren Rufen um Almo-
ſen – höchſtens, daß hie und da eine ſchwarz-
äugige Zigeunerin auftaucht, deren dunkle Haare wirr
auf den Nacken herabfallen – ſie ſtarrt uns an, dann
lacht ſie und eine Reihe blendend weißer Zähne blinkt
97
uns entgegen. – Dieſe Zigeunerinnen hat der Satan ſo
verlockend ausgeſtattet!
Von den türkiſchen Frauen ſahen wir gar nichts
– das iſt wörtlich zu nehmen. – Die Schleierkoketterie,
wie ſie in Stambul üblich, hat hier ganz aufgehört –
die Türkinnen in Smyrna tragen ſchwarze, undurchſichtige
Larven vor dem Geſicht, deren Oeffnungen kaum groß
genug ſind, um die Reſpiration möglich zu machen. –
Beim Anblick der erſten ſchwarzen Maske erſchrak ich,
ich dachte eine türkiſche Karmeliterin zu ſehen, ſpäter
beluſtigte mich die Maskerade und ich hatte große Luſt
ſo eine Haremiſche mit den Worten: „Ich kenne Dich,
ſchöne Maske“, anzureden. Auch der Farbenwechſel,
wie ihn die türkiſchen Frauen Konſtantinopels lieben,
deren Mäntel in alle Farben des Regenbogens getaucht
ſind, fehlt hier; man ſieht nur ſchwarze Mäntel – die
armen Frauen Smyrna's, ſie denken wohl nicht an
Reform und Emanzipation. – – – -
Nach anderthalb Stunden waren wir auf der
Bergſpitze angelangt. Die Wanderung war beſchwerlich,
mitunter durch das Gerölle, in dem wir waten mußten,
gefährlich, aber oben war die Ausſicht lohnend und
machte alle Beſchwerden vergeſſen. Vor uns dehnte ſich
in unüberſehbarer Ferne das Meer, an der Küſte bedeckt
mit Segeln, Wimpeln und rauchenden Schloten – mit
blendendem Schimmer hatte die Sonne die Wellen belegt,
die ein ſanfter Wind leiſe kräuſelte – links von uns
hatte das Auge in den wellenförmig geformten, terraſſen-
artig aufſteigenden Hügelketten einen Ruhepunkt, während
es ſich an dem landſchaftlichen Bilde zu unſeren Füßen,
an den ſchlanken Minarets, an den grünenden Fluren
und cypreſſen-bedeckten Friedhöfen, die ſich weit an den
Berg hinaufziehen, an den rºmantis Höhlen und
08
Formen des Felſens, auf dem wir ſtanden, nicht ſatt
ſehen konnte. Der Melis, an deſſen Ufer Homer ge-
dichtet, ein kleiner, ſchmutziger Bach, der an die Wien
erinnert, rinnt durch das Thal, während vom Berge
ſelbſt zahlreiche Wäſſer plaudernd und tändelnd in die
Stadt hinabſpringen – unten im Thale fliegt durch
die Gärten und Cypreſſenwäldchen die Lokomotive, das
Sinnbild der civiliſirten Aera, nach Epheſus, dem ver-
ſteinerten Grabe einer längſt entſchwundenen Zeit.
Drüben am jenſeitigen Ufer liegt die Sommerfriſche
Smyrna's, ein verlockender Aufenthalt, und rechts von
uns zieht ſich am Geſtade das neu aus Trümmern er-
ſtehende Coeur du Lion hin, das von Richard Löwen-
herz' Aufenthalte ſeinen Namen trägt. Die Landſchaft
feſſelte uns ſo mächtig, daß wir weder Muße noch Luſt
hatten, den Trümmern, die uns umgaben, große Auf-
merkſamkeit zu ſchenken – es ſollen Trümmer einer
genueſiſchen Feſtung ſein, gemiſcht mit Ueberreſten von
Werken, die ein General des macedoniſchen Alexander
erbaut, ſogar Spuren von Bauten der joniſchen Griechen,
Trümmer eines Tempels des Zeus, will man gefunden
haben. – – Nach kurzer Raſt kehrten wir in die
Stadt zurück und zogen nach dem Bazar. Er iſt in
ſeinen Dimenſionen rieſig groß – aber hält auch nicht
den entfernteſten Vergleich mit jenem von Konſtantinopel
aus. Der Abhub franzöſiſcher und deutſcher Fabrikate
iſt hier aufgeſpeichert, ſelten nur findet man heimiſche,
nationale Produkte – nur der Lebensmittelmarkt macht
hievon eine Ausnahme. Der Bazar von Smyrna iſt
eine koloſſale Markthalle für den lokalen Bedarf, jener
von Konſtantinopel iſt eine nationale Merkwürdigkeit,
eines von den Wundern Stambuls. Um Teppiche,
Seidenwaaren oder perſiſche Stoffe, die in und um
99
Smyrna fabrizirt werden, zu kaufen, muß man eigene
Etabliſſements aufſuchen, die außerhalb des Bazars ſich
befinden. – Auf dem Heimwege blieben wir noch ein
Viertelſtündchen auf der Karawanenbrücke ſtehen. Sie
führt über den Melis, an deſſen Ufern die Kameele
Raſt halten. Ein paar hundert Thiere hielten daſelbſt
Lager, die Mehrzahl war niedergekniet und kaute an den
letzten Reſten im Futterſacke, die übrigen ſtanden neuer
Laſten und neuer Mühſal gewärtig. Wir hörten hier
das heiſere, an das Jammern der Kinder mahnende
Gewimmer des Kameeles, in das dieſes Thier aus-
bricht, wenn es von der Peitſche des Treibers ermahnt
wird, ſich zu erheben und ſeine Wanderung fortzuſetzen.
Es war ein echt orientaliſches Bild, das ſich von der
Brücke aus bot und damit der europäiſche Chic nicht
fehle, hatte am Ende des Lagers ein Photograph ſein
Zelt aufgeſchlagen, um das Bild aufzunehmen. Photo-
graphen gibt es hier, wie überall, an allen Ecken und
Enden. Ich wette, wir ziehen demnächſt durch die Wüſte
und finden am Eingange einer Oaſe eine rieſige Tafel:
Photographie de Mr. X. – Cinq minutes. –
Prix moderé 2c. – –
Es war ſchon dunkel, als wir wieder an Bord
kamen. Das Diner wartete bereits, wir ſpeisten bei
Lucull, beim Lloyd wollte ich ſagen. Unſer Deſſert bot
wie täglich die verlockendſten Dinge: duftende Aepfel
von Amaſia, Birnen von Trapezunt, ölig-ſüße Trauben
von Smyrna, Melonen von Caſſaba, friſche Feigen und
Orangen – Herz, was begehrſt du noch? -
–=5&s=–
Jlach Rthen.
Athen, 7. November.
Vorgeſtern Abends verbrachten wir noch ein paar
glückliche, unvergeßliche Stunden an Bord des „Pluto“
im Golf von Smyrna. Der gewöhnliche Mittagstiſch
hatte ſich vergrößert, da die Vertreter des Lloyd in
Smyrna und einige der angeſehenſten Familien der
Stadt zum Diner geladen worden waren. Auch die
Kapitäns der im Hafen liegenden Lloyddampfer – die
Flagge des Lloyd iſt in allen Häfen und auf allen
Meeren des Orients zu finden – waren unſere Gäſte.
Das angenehme und gemüthliche Daheim, das wir auf
unſerem Schiffe gefunden, ward durch dieſe Vermehrung
keineswegs geſtört und der Abend verflog unter heiteren
Geſprächen und Austauſch gegenſeitiger Anſchauungen
über türkiſche Zuſtände. Beim perlenden Champagner
ſtimmten wir freudig in das Hoch ein, das Baron
Joſeph Morpurgo der Gaſtfreundſchaft brachte, die uns
in ſo reichem Maße in Smyrna zu Theil geworden,
101
und zogen uns dann auf das Verdeck zurück, um den
Inhalt unſerer bereitſtehenden Tſchibuks in Rauch auf-
gehen zu laſſen. Unſer Kapitän hatte uns eine kleine
Ueberraſchung bereitet. Das Verdeck war mit Lampions
behängt und von der Kapitänsluke flammten bengaliſche
Feuer auf, welche die Finſterniß, die uns umgab, ma-
giſch aufhellten. Ueber uns leuchteten am klaren Himmel
zahlloſe Sterne, die phosphoreszirenden Fluthen waren
mit kühngeſchwungenen blaugrünen Arabesken bedeckt,
und ſo hatten wir im Golfe von Smyrna unſere kleine
Illumination, die freilich mit der kürzlich im Bosporus
geſehenen keinen Vergleich aushielt. Aber Himmel und
See ſind unter allen Zonen ſchön, und in einem kleinen,
mit morgenländiſchem Flitter aufgeputzen Kiosk, behaglich
in ein Fauteuil geſtreckt, ausruhen, den Rauch in die
Lüfte blaſen, bald die Sterne bewundern, die in den
Schleier der Milchſtraße eingewebt ſind, bald wieder
den Blick dem Reigen zuwenden, den geheimnißvolle
Geiſter auf den Wellen ausführen, oder den Stern be-
neiden, der fern am Horizont aus dem All in das
Meer hinabſtürzt – gehört wahrlich zu den beneidens-
wertheſten Situationen des Lebens – wir durchlebten
ſie und waren darum im Golf von Smyrna ebenſo
glücklich und heiter wie in dem ſonnebeſtrahlten, in
tauſend Feuern erglühenden Bosporus. – – -
Ach, während wir jene glücklichen Stunden durch-
träumten, ahnte Niemand, was uns bevorſtand. Wir
lichteten am nächſten Morgen die Anker und man er-
zählte uns, daß wir – ich wenigſtens zählte zu der
Minorität, die ſich des geſundeſten Schlafes erfreute
– einen heftigen Sturm verſchlafen. Die Blitze leuch-
teten und der Donner rollte die ganze Nacht, während
uns Briefe, die wir heute aus der Heimat erhalten
102
hatten, von tüchtigen Schneefällen berichteten. Die Luft
war bedeutend abgekühlt, Regen und Sonnenſchein
wechſelten raſch ab – die Schiffsoffiziere aber ſchauten
uns mit bedauernden Blicken an und meinten, die hohe
See, die wir in wenigen Stunden erreichen ſollten,
dürfte uns einige Nachwehen des nächtlichen Unge-
witters bringen. Uns ſchwante nichts Gutes, aber wir
wollten uns vorläufig unſere gute Laune nicht ſtören
laſſen und zogen uns in das Rauchkabinet zurück, in
dem wir plaudernd bis gegen 1 Uhr Mittags verweil-
ten. Wohl ſahen wir von dem kleinen Guckloche unſeres
Kabinets die Wellen immer höher und höher ſteigen
und den Schaum zu kleinen Hügeln ſich aufthürmen,
aber da uns die empörte See in unſerem Wohlbehagen
nicht ſtörte, blieben wir guten Muthes. Da fiel mir,
als dem Vorwitzigſten, ein, den Rummel ein wenig
vom Verdeck aus anzuſehen, ich trat hinaus, die
Anderen folgten mir und
– Halb zog ſie ihn, halb ſank er hin
Und ward nicht mehr geſeh'n. – – –
Nicht eine Sekunde hatten wir in die empörte Fluth
geſehen, als die Berge an der Küſte zu tanzen anfingen
und wir mit ihnen. Wir mußten uns krampfhaft am
Geländer feſthalten und Kajüte und Bett war die einzige
Loſung, die man hörte. Wir hatten uns kaum auf das
Lager hingeworfen, als das Schiff einen Cancan auf-
zuführen begann, an den ich Zeit meines Lebens denken
werde. Erſt wurden wir von oben nach unten, dann
von rechts nach links und umgekehrt gehoben, geworfen
und geſchleudert – ich hielt mich krampfhaft feſt, da
ich fürchtete, aus dem Bette geſchleudert zu werden,
103
empfahl meine Seele dem Herrn und ließ über mich
ergehen, was da kam. Und es kam arg, ſieben Stunden
währte das Unwetter, wir hatten, um uns ſeemänniſch
auszudrücken, zuerſt alte, und dann, um einige freudige
Abwechslung in den Jammer zu bringen, gekreuzte See.
Jeden Augenblick hörte man ein Krachen und Poltern,
als ſtürze das Schiff zuſammen, die Wellen ſchlugen
an meinem Fenſter empor, ich drehte mich nach allen
Richtungen der Windroſe – blieb zuletzt für Alles
gleichgiltig und mein ganzer Ideenkreis ſchrumpfte endlich
in dem einen Gedanken zuſammen: Ich wollte, es wäre
Abendzeit und der Finanzwächter bei der Favoriten-
linie in Wien ſtellte die hochnothpeinliche Frage an mich,
ob ich nichts Steuerbares habe. Ich glaube ſogar, ich
habe, um die zürnenden Götter zu verſöhnen, gelobt,
diesmal dem Staatsſäckel kein Schnippchen zu ſchlagen
nnd Alles genau anzugeben, was ſich Zollfreundliches
in meinen Koffern befände – ſelbſt den in glänzenden
Blechkiſten verpackten türkiſchen Tabak. Gott beſtärke
mich und die geſammte im Oriente verſammelte Geſell-
ſchaft aus Oeſterreich zum Wohle des Reiches und zur
Freude unſeres Finanzminiſters in dieſem frommen und
löblichen Vorſatze! -
In der Nacht hatte ſich der Sturm gelegt und als
wir uns im Morgengrauen dem Piräus näherten,
konnten wir wieder das Verdeck betreten. Das Unwetter
hatte uns zwar gehörig durchgebeutelt, wir waren matt
und hatten Alle etwas Katzenjämmerliches in unſeren
Phyſiognomien, aber trotzdem ſchlürften wir mit Wonne
die friſche Luft ein. Um 10 Uhr landeten wir in Piräus,
der kleinen Stadt, die ſich ſeit zehn Jahren bedeutend
vergrößert hat, deren Bedeutung jedoch im Vergleich mit
anderen Hafenſtädten ſich faſt auf Null reduzirt. In
104
vierzehn Minuten waren wir mit der Eiſenbahn in
Athen – auf dem klaſſiſcheſten Boden der Welt. Die
üppige, dem Nordländer höchſtens nur aus Treibhäuſern
und Schilderungen bekannte Vegetation feſſelte vor
Allem unſere Blicke. Längs der Wege erblickten wir
ſtaunend gewaltige Zäune aus rieſigen Agaven und
Kaktus von doppelter Manneshöhe, die Alleen waren
mit Feigenbäumen und immergrünen Eichen bepflanzt,
die Aloe ſtand in Büſchen auf freiem Felde, ihre Rieſen-
blätter fächerartig um ſich breitend und die gewaltigen
Samendolden gen Himmel ſtreckend – die Palme mit
ihrem wunderſam geformten Stamme und der impo-
nirenden Blätterkrone ſtand friedlich neben der fein-
nadeligen Weimuthskiefer, ein lebendiges Dementi des
bekannten Heine'ſchen Gedichtes. Von der Bewunderung
dieſer herrlichen Tropenwelt erfüllt, betraten wir in
gehobener Stimmung das Heiligthum Athens, die ſelbſt
in ihren Trümmern und Ruinen ehrfurchtgebietende
Akropolis. Wir verweilten volle fünf Stunden in dem
„einzigen Weihgeſchenk der Götter“, das von dem hohen
Kunſtſinn Athens das glänzendſte Zeugniß ablegt, von
jenem Kunſtſinn, der einſt die Hauptaufgabe, die leitende
Idee des Staates bildete. Man erläßt es mir wohl,
die Wunder der Akropolis detaillirt zu ſchildern, nach-
dem doch dem Publikum die umfaſſendſten, eingehend-
ſten und tiefſinnigſten Beſchreibungen in allen Sprachen,
die das gebildete Europa ſpricht, ſeit Jahren vorliegen.
Wir bewunderten die prachtvolle marmorne Freitreppe,
die zu den Propyläen führt, ſchauten hinab in das
Odeon des Herodes, beſichtigten die wirr im Vorhofe
durcheinanderliegenden Marmorfragmente, Grabſteine,
die Köpfe und Rümpfe der antiken Figuren, warfen
einen Blick auf den Haufen Kanonenkugeln, die von
105
dem letzten Bombardement der Barbaren, wie man
hier ſagt, ſtammen, beſuchten den Tempel der Nike und
ruhten dann in der großen Halle der Propyläen aus.
Trunken ſchweifte unſer Blick nach dem Meere, das
ſonnenbeglänzt vor uns lag; aus der phaleriſchen Bucht
ſteigt das vielgipfelige Aegina mit dem zuckerhutförmigen
Ilias empor – dort weit unten tauchten Inſeln aus
den Fluthen empor, Platia, die vielgenannte Pantemiſia,
am fernſten Ende des Horizonts erſcheint der Hügel,
von dem Kerxes inmitten ſeines Hofes die Schlacht von
Salainis ihrem verhängnißvollen Ende zueilen ſah –
uns zur Rechten dehnt ſich Athen mit ſeinen zwei, das
Häuſermeer durchſchneidenden Straßen – die Töne einer
Janitſcharenmuſik dringen bis zur Akropolis herauf und
ſtören momentan den Zauberkreis, in den wir uns gern
bannen ließen. Ueberhören wir den modernen Kriegs-
lärin und laſſen wir vor unſerem geiſtigen Auge die
Wagen, Reiter und Opferthiere im feſtlichen Zuge
vorbeigleiten, wie ſie auf dem Felskamme heraufkamen,
um beim panathenäiſchen Feſte zu erſcheinen. Dort hoch
oben ſtand die rieſige Statue der Athene Promachos,
deren in der Sonne blitzende Lanzenſpitze weit draußen
auf hoher See den Schiffern gleichſam als Leuchtfeuer
entgegenflimmerte, unter uns aber dehnt ſich der Areopag,
die große Richtſtätte des alten Athen, wo die erſten
Schwurgerichte der Welt über Schuldig oder Nicht-
ſchuldig aburtheilten, wo Oreſt von der entſetzlichen
Blutſchuld des Muttermordes freigeſprochen wurde und
Paulus vor Gericht ſtand, und vom jenſeitigen Berge
ſchreiten die furchtbaren Eumeniden herüber, um in die
finſtere Felslluft einzuziehen, die man vom Fuße des
Berges aus erblickt. – Wohin unſer Auge blickt nichts
als Säulentrümmer, Torſos, Kapitäler, Marmorblöcke,
106
Basreliefs, zerſchmetterte Figuren, Ueberreſte einer ver-
ſunkenen Welt . . . . Nachdem wir uns ſatt geſehen
und ausgeträumt, brachen wir auf und begaben uns
in den niedlichen Miniaturtempel der ungeflügelten
Siegesgöttin, wir durchziehen nochmals die Propyläen,
überklettern Blöcke und Felſen, beſehen das Erechtheum,
die Karyatidenhalle mit den prachtvollen attiſchen
Frauenſtatuen, das Parthenon und traten von dort tief
bewegt den Rückweg an. – Es war Abend geworden,
als wir wieder am Fuße des Berges anlangteu –
noch einige Augenblicke dem Beſuche des Theaters des
Dionyſios widmeten und uns in den marmornen Fau-
teuils niederließen, die rings um die Orcheſtra laufen. ––
Ueber die Fahrt des Kaiſers durch die Dardanellen
und den Aufenthalt in Athen erfuhren wir hier einige
intereſſante Einzelnheiten.
Die Fahrt durch die Dardanellen lief glücklich ab
und die Reiſegeſellſchaft konnte mit Muße die Ovationen
bewundern, die man dem öſterreichiſchen Kaiſer aller-
orts brachte. Der Hafen von Gallipoli prangte im
Flaggenſchmucke, von den Dardanellenſchöſſern erdröhnten
die Salutſchüſſe, überall hatten die Konſulate feſtlich ge-
flaggt. Die kaiſerliche Eskadre, die aus dem „Greif“
(Kommandant Linienſchiffskapitän v. Pauer), der „Eliſa-
beth“ (Schiffskapitän v. Kern) und dem „Gargnano“ (Fre-
gattenkapitän v. Nölting) beſtand, wurde am Ausgange
der Dardanellen durch die Panzerfregatte „Ferdinand Max“
und das Kanonenboot „Kerka“ verſtärkt. Am 3. No-
vember Morgens langte man, nachdem während der
ſtürmiſchen Nacht ein großer Theil der Reiſegeſellſchaft
die unangenehme Bekanntſchaft der Seekrankheit gemacht
hatte, in Piräus an. Der König von Griechenland kam
an Bord des „Greif“ und begrüßte den Kaiſer in herz-
107
licher Weiſe, in Boten fuhr man hierauf dem Landungs-
platze zu. Der Landungsplatz in Piräus war mit
Triumphbögen geziert, welche die deutſche Inſchrift trugen:
„Den konſtitutionellen Kaiſer und König von Oeſterreich-
Ungarn begrüßt mit Freude und Ehrfurcht der
Magiſtrat und die Gemeinde Piräus.“ Bei der Ankunft
in Athen ſowohl wie im königlichen Schloſſe fanden feier-
liche Begrüßungen der Oeſterreicher ſtatt – es erfolgte
die offizielle Vorſtellung, bei denen der König und die Kö-
nigin viele Freundlichkeit zeigten. Am zweiten Tage
ſollte eine glänzende Beleuchtung des Akropolis ſtatt-
finden, dieſelbe mußte aber des ſtürmiſchen Wetters wegen
unterbleiben. Am 4. November Abends verließ der
Kaiſer und ſein Gefolge wieder den Piräus und trat
die Reiſe nach Jaffa an.
Jm griechiſchen Parlamente.
Athen, 8. November.
Ich hatte zwei Stunden auf den Trümmern des
Arcopags zugebracht und auf der Stätte geweilt, auf
der vor Jahrtauſenden die Volksverſammlungen der
Athener ſtattfanden – es war nur recht und billig,
daß ich auf meiner Wanderung durch das moderne Athen
auch in das griechiſche Parlament eintrat, in dem die Volks-
beglücker der neuen Aera ihr Verdikt über verantwort-
liche Miniſter zu fällen haben. Vom Areopag bis zum
griechiſchen Parlament in der Nähe der königlichen Burg
ce m'est qu'un pas – es liegen nur ein paar Jahr-
tauſende dazwiſchen. Wer in dem klaſſiſchen, ſäulen-
getragenen Athen einen Parlamentspalaſt in antikem
Style zu ſehen erwartet, wird bitter enttäuſcht. Wir
traten durch ein Thor, vor dem ein militäriſcher Poſten
aufgeſtellt war, in einen ſchmutzigen Hof und erblickten
109
vor uns ein niedriges Gebäude, das eher einem Stalle
oder einer Futterkammer, als einem Wohngebäude
ähnlich ſah. Drei enge Thüren führten in das
Haus, deſſen ſchmale, mit kleinen, trüben Scheiben
beſetzte Fenſter, und proſaiſche eiſerne Röhren, die uns
unwillkürlich die Rauchableiter einer Trödlerbude in
Erinnerung brachten, jede andere Beſtimmung eher ver-
muthen ließen, als die das griechiſche Parlament zu
zieren. Da iſt unſer vielverſchrieenes Haus vor dem
Schottenthor ein wahrer Palaſt gegen die Bretterbude,
in der ſich zur Stunde die Abgeordneten Griechenlands
verſammeln. Im Hofe trieben ſich zahlreiche Gruppen
umher, die laut und eifrig debattirten. Wir betraten
das griechiſche Parlament zur glücklichen Stunde, denn
eine intereſſante Sitzung ſtand bevor und das Publikum,
das in Athen an den parlamentariſchen Debatten An-
theil nimmt, ſtrömte maſſenhaft herbei, um der ſtür-
miſchen Verhandlung, die in Ausſicht ſtand, beizuwohnen.
Die Oppoſition bereitete einen wuchtigen Schlag gegen
das Miniſterium Zaimis vor. Das Kabinet hatte
Tags vorher einen kleinen Staatsſtreich ausgeführt, der
die politiſche Welt Athens in einige Aufregung verſetzt
hatte. Zu einer ganz ungewöhnlichen Zeit – an einem
Sonntag – war plötzlich eine Sitzung anberaumt worden
und die Freunde des Miniſteriums hatten Sorge getragen,
die Majorität faſt vollzählig zu verſammeln, während die
Oppoſition nur durch einige Mitglieder vertreten war.
Man votirte mit möglichſter Raſchheit das geſammte
Budget, beſchloß überdies ein Vertrauensvotum für die
Regierung und beendete dann, zufrieden mit dem mo-
mentanen Sieg, die Sitzung. Am nächſten Tage erfuhr
das überraſchte Athen die Vorgänge im Sonntagspar-
lamente, und ſchon in der nächſten Sitzung ſollten die
11()
feindſelig ſich gegenüberſtehenden Parteien aufeinander
platzen. Die beiden Führer der bisher nicht geeinigten
oppoſitionellen Fraktionen, Bulgaris und Comenduros,
hatten ſich verſtändigt, um gemeinſchaftlich gegen das
Miniſterium zu operiren. Die Rollen waren vertheilt,
der Feldzug organiſirt, die Heerführer und ihre Knappen
gerüſtet – es bedurfte nur des Alarmſignales vom
Präſidententiſche und das Treffen konnte beginnen –
wir waren, wie geſagt, zur glücklichen Stunde in das
griechiſche Parlament eingetreten. Als wir gegen 11 Uhr
erſchienen, war dem Publikum die Erlaubniß, den Saal
zu betreten, noch nicht ertheilt, wir wandten uns daher
an den Quäſtor des Hauſes um Eintrittskarten. Der
griechiſche Kupka, ein äußerſt höflicher Mann, der ge-
wandt franzöſiſch ſprach und das kleidſame National-
coſtume trug, hatte kaum unſere Namen erfahren –
wir paſſirten ſämmtlich als Paſſagiere des eben ein-
gelaufenen „Pluto“, alſo als Vertreter des Lloyd –
als er ſofort befahl, die Diplomatenloge uns zur Ver-
fügung zu ſtellen und den Dienern einſchärfte, alle
unſere Wünſche gewiſſenhaft zu erfüllen. Ueber eine
ſchmale Stiege kletterten wir empor und gelangten in
die Loge, die Raum für ungefähr zwölf Perſonen hat
und mit bequemen Sammtfauteuils möblirt iſt. Die
Sitzung hatte noch nicht begonnen und wir hatten hin-
länglich Zeit, das Haus zu betrachten. Es hatte offen-
bar mehr Aehnlichkeit mit jenen Lokalen, in denen die
bekannten Arbeiterbeglücker Wiens Laſſalle'ſche Theorien
zu entwickeln pflegen, als mit einem Parlamentsſaal, in
dem unſere Kaiſerfeld's und Hopfens zu präſidiren ge-
wohnt ſind. Der Saal war aus Holz gebaut, das
theils weiß, theils blaßgrün angeſtrichen war – zwiſchen
zwei Reihen Holzſäulen von primitivſter Form erhob
111
ſich amphitheatraliſch das eigentliche Haus – d. h. es
ſtanden in drei, durch Gänge getrennten Reihen je ſieben
mit grünem Tuche überzogene Bänke, die deutliche Spu-
ren trugen, daß auf denſelben nicht nur die zum Sitzen
beſtimmten Extremitäten der verehrlichen Abgeordneten,
ſondern auch deren reſpektive Fußſohlen, und zwar im
vom Kothe der Hermesſtraße noch nicht gereinigten Zu-
ſtande Poſto gefaßt haben mußten. Die Beleuchtung
erhielt der Saal am Tage durch vier dachlukenartige
Fenſter und am Abende durch ärmliche Oellämpchen,
die an den Säulen angebracht waren – die zwei letzten
Bänke waren durch einfache, an den Lehnen der vorderen
Sitzreihen angebrachte Bretter zu Schreibtiſchen um-
gewandelt – rückwärts ſtanden eiſerne Oefen, wie ſie
unſere Tandler dutzendweiſe das Stück um zwei Gulden
ausbieten, und die, für die Winterſaiſon beſtimmt, die
Atmoſphäre des Saales gerade nicht in der angenehm-
ſten Weiſe parfümiren dürften; in einer Ecke lehnte
ein Stuhl mit drei Füßen, der ſein viertes Bein, wie
uns ſpäter einfiel, vielleicht in einer heißen parlamen-
tariſchen Schlacht an dem Dickſchädel eines eigenſinni-
gen Hellenen eingebüßt hatte. Rings um den Saal
waren in mäßiger Höhe Logen und Galerien angebracht,
für etwa zweihundert Perſonen berechnet; neben der
Diplomatenloge befand ſich der k. Salon mit rothen
Draperien aufgeputzt – in der Mitte der den Depu-
tirtenſitzen gegenüberliegenden Längenſeite des Saales
ſtand der Tiſch des Hauſes auf einer nothdürftig zu-
ſammengezimmerten, mit grünem Tuch beſpannten Eſtrade
– da, wo das grüne Tuch Lücken ließ, hatte man dieſe
mit farbigen Teppichfetzen verſtopft. – An dem läng-
lichen Tiſche ſaßen der Präſident, der Vizepräſident und
ein Schriftführer, vor dem Präſidententiſche ſtand eine
112
kleine Rednertribune und zur Seite derſelben nahmen
die Beamten des Hauſes auf den Stufen der Eſtrade
ſelbſt Platz. Oberhalb des Präſidenten war das Bild
des Königs, eine in Oktavgröße angefertigte Lithographie,
aufgehängt und dem Präſidenten gegenüber, alſo mit
dem Rücken gegen die Abgeordneten, nahmen die Mi-
niſter Platz, deren Bank durch nichts von den Plätzen
portefeuilleloſer Volksvertreter unterſchieden war, ſo zwar,
daß die Miniſter einfach in der Mitte der erſten Bank
ihre Sitze einnahmen, während knapp neben ihnen rechts
und links Abgeordneten ihre Plätze inne hatten. Ein
hölzerner Tiſch, der vor den Miniſtern ſtand und auf
den ſpäter von einem Diener ein Dintenfaß geſtellt und
ein Buch Papier gelegt wurde, machte für die Fremden
den Platz erkenntlich, wo ſie die Miniſter des griechiſchen
Parlamentes zu ſuchen hatten. Ungefähr 80 Depu-
tirten hatten ſich, als wir unſere Loge betraten, bereits
im Saale eingefunden, ſtanden in Gruppen plaudernd
beiſammen oder lagerten auf den Bänken; die große
Mehrzahl rauchte, während der Reſt die Beſchäftigung
des Baron Petrino trieb, der bekanntlich ſeine freie Zeit
während der Sitzungen des öſterreichiſchen Abgeordneten-
hauſes – und er genießt dieſelbe in reichem Maße –
mit dem Wickeln zierlicher Cigarretten zubringt, einer
Beſchäftigung, in der er eine beneidenswerthe Fertigkeit er-
langt hat. Die Rauchwolken, die von allen Seiten durch
den Saal getrieben wurden, machten die Luft gerade
nicht reiner, aber darauf ſchien Niemand zu achten.
Ein Theil der Abgeordneten hatte die Lehnen der Bänke
mit Beſchlag belegt und ließ die Füße über die nächſte
Bank hinaus auf die Sitze der Vordermänner baumeln,
während Andere die parlamentariſche Bequemlichkeit noch
weiter trieben und ſich vor Beginn der Sitzung auf den
113
Bänken recht behaglich ausſtrecken. Diener eilten in-
zwiſchen mit Kaffee und Waſſer durch den Saal und
ſervirten den unentbehrlichen Mokka einigen Abgeord-
neten, die, wahrſcheinlich in der Haſt, ihrer Berufspflicht
pünktlich nachzukommen, das Frühſtück zu Hauſe ein-
zunehmen vergeſſen hatten. Von den Abgeordneten trug
ungefähr ein Drittel nationales Coſtume, die Mehrzahl
aber franzöſiſche Kleidung, Alle aber behielten Hut oder
Fez auf dem Kopfe und ein Theil legte die Kopfbe-
deckung ſelbſt während der Sitzung nicht ab. Der Prä-
ſident ſaß in ſeinem Fauteuil und hörte mit dem Gleich-
muth eines echten Philoſophen auf die Fragen und Be-
merkungen, die von allen Seiten an ihn gerichtet wurden.
Von der Seite aus geſehen, hat Präſident Chriſtides
einige Aehnlichkeit mit Franz Deak, an den auch ſeine
unerſchütterliche Ruhe, die er im Laufe der Sitzung
während der aufregendſten Szenen zu bewahren wußte,
erinnert. Auch er trägt ein leichtes Käppchen mit einer
Quaſte, das er aufbehält, ſelbſt nachdem ſeine amtliche
Funktion bereits begonnen. – Nach und nach iſt es
12 Uhr geworden, der Präſident, der jeden Augenblick
Diener mit Aufträgen entſendet und einen Beamten
des Hauſes auch in unſere Loge abſchickte, um Erkun-
digungen einzuziehen, ob wir gut verſorgt wären, ſcheint
endlich die Einläufe geordnet zu haben und eröffnet die
Sitzung mit einem minutenlangen Läuten, das aber
keineswegs ſofort die wünſchenswerthe Ruhe herſtellt.
Es bedarf – c'est tout comme chez nous – wieder-
holter energiſcher Glockenzeichen, um die Abgeordneten
zu vermögen, ihre privaten Diskuſſionen aufzugeben und
ihre Plätze einzunehmen. Da die Glocke nicht ausreicht,
erhebt ſich der Präſident und fordert die Säumigen auf,
ſich auf ihre Sitze zu begeben. Man will vor Allem
8
114
die Beſchlußfähigkeit des Hauſes konſtatiren und der
Schriftführer verliest die Namen. Das langweilige
Geſchäft nimmt ungefähr eine Viertelſtunde in Anſpruch,
während welcher Zeit es an den Eingangsthüren, wo
das Publikum Eintrittskarten auf die Galerien verlangt,
ziemlich ſtürmiſch zugeht, ſo daß der Präſident wiederholt
bewaffnete Hausoffiziere mit dem Auftrage betrauen muß,
die Ruhe herzuſtellen. Die Beſchlußfähigkeit iſt konſtatirt
und jetzt erſt wird das Publikum eingelaſſen. Die
Galerien werden früher militäriſch beſetzt, je zwei Mann
mit aufgepflanztem Bajonnet poſtiren ſich in vorderſter
Reihe an den Enden der Galerien und nun ſtrömen die
Neugierigen lärmend in die Räume. Inzwiſchen haben
ſich auch die Bänke der Abgeordneten gefüllt, es befinden
ſich auffallend viele junge Männer im Hauſe und die
Kahlköpfe, die bei uns in ſo entſchiedener Majorität
ſind, kommen hier nur vereinzelt vor. Ein eisgrauer
Abgeordneter in phantaſtiſcher Tracht, mit rothſammte-
ner, goldverzierter Jacke, weißen Pluderhoſen und rothen
Gamaſchen feſſelt unſere Aufmerkſamkeit. Er ſitzt ruhig
auf ſeinem Platze in der letzten Bank, dreht ſeinen
grauen Schnurrbart und ſcheint wie verächtlich auf das
wüſte Treiben zu blicken, das im Saale herrſcht. Nach
und nach erſcheinen auch die Miniſter: Delijanis, der
Miniſter des Aueßern, eine feine Geſtalt mit ausdrucks-
vollen Geſichtszügen, Zaimi, das Haupt des Kabinets
u. ſ. w. Sie legen ihre Hüte vor ſich auf den Tiſch
und verkehren wenig mit den Abgeordneten, von denen
nur einige die Räthe der Krone flüchtig begrüßen. Der
Präſident verkündet die Beſchlußfähigkeit, der Schrift-
führer verliest das Protokoll der letzten Sitzung. Das
Protokoll iſt diesmal von großer Bedeutung; tiefe, feier-
liche Stille herrſcht im Saal, die Meiſten haben zu
-
115
rauchen aufgehört – es iſt die Ruhe, die dem Sturme
vorhergeht.
Kaum iſt das Protokoll verleſen, als ein im Cen-
trum ſitzender Abgeordneter ſich erhebt und einige Worte
ſpricht, mitten in der Rede wird er von einem Anderen
unterbrochen, aber auch den Unterbrecher trifft dasſelbe
Schickſal, das er ſeinem Vorredner bereitet; vier, fünf
Abgeordnete beginnen gleichzeitig zu ſchreien, bald be-
theiligt ſich ein ganzes Dutzend an dem Lärm, auf der
Linken ſpringen zwei heißblütige Redner auf die Bank
und geſtikuliren mit Händen und Füßen gegen ihre
Gegner, dieſe glauben offenbar von ihren niedrigeren
Standpunkten nicht ausgiebig genug ihren Worten Nach-
druck verleihen zu können und ſpringen gleichfalls auf
die Bänke; man ſchreit hinüber und herüber, der erſte
Redner im Centrum aber, der über die ſtärkſte Lunge
gebietet, überſchreit Alle und behauptet ſchließlich das
Schlachtfeld, ein Sieg, mit dem auch das Publikum auf
den Galerien einverſtanden zu ſein ſcheint. Aber noch
iſt die Szene nicht zu Ende, der Mann des Centrums
iſt offenbar zu weit gegangen, denn neuerdings wird er
unterbrochen und von allen Seiten ſtürmt man jetzt auf
ihn ein, und da der Störenfried – der Mann erinnert
unwillkürlich an unſeren wackern Greuter – keinen
Frieden halten will, packt ihn ſein Hintermann einfach
mit beiden Händen an den Schultern und drückt ihn
gewaltſam auf ſeinen Sitz nieder. Das Mittel wirkt,
die Ruhe iſt hergeſtellt und der Präſident, welcher der
lärmenden Epiſode ruhig zugeſehen, ohne auch nur eine
Miene zu verziehen oder den Verſuch zu machen, mit
ſeiner Autorität zwiſchen die Streitenden zu treten, kann
die Sitzung wieder fortſetzen laſſen. Ein junger Mann,
gleichfalls im Centrum ſitzend – das sie Centrum
116
ſcheint der Sammelplatz der enragirteſten Hitzköpfe des
Parlaments zu ſein – verlangt das Wort und eilt
ſofort auf die Tribune. Es iſt ein Mitglied der Oppo-
ſition, das ſpricht und man hört ihm aufmerkſam zu.
Er erklärt, er wolle den Standpunkt der Oppoſition
ruhig auseinanderſetzen, und von vielen Seiten begrüßt
man dieſe Erklärung mit Beifall. Der Redner ver-
dammt das Auftreten der Majorität in der geſtrigen
Sitzung und verlangt, daß die Beſchlüſſe für null und
nichtig erklärt werden. Das hieß Oel ins Feuer gießen
– ein heilloſer Lärm entſteht. „Hinunter“ rufen die
Einen, „ſprechen laſſen“, ſchreien Andere, – eine An-
zahl Abgeordneter ſtürmt gegen die Tribune und droht
von Worten zu Thaten zu ſchreiten, der Mann auf der
Tribune aber blickt ſie mit verſchränkten Armen heraus-
fordernd an und ſein Trotz ſcheint den Gegnern zu im-
poniren. – Im Saale erneuert ſich die frühere Szene,
Dreißig, Vierzig ſchreien gleichzeitig – Handbe-
wegungen und Füßeſtampfen helfen da aus, wo die
Worte nicht mehr ausreichen – jeden Augenblick glaubt
man, jetzt müſſen ſich die Streitenden in die Haare
fahren. – Endlich wird die Situation auch dem Prä-
ſidenten zu arg, mit mächtiger Hand ſchwingt er die
Glocke und erzwingt ſich Ruhe. Mit bewegter Stimme
wendet er ſich an das Haus und beſchwört es, die
Würde der Verſammlung nicht zu verletzen, und gleich-
zeitig richtet er auch an die Galerie die ernſte Mahnung,
ſich ruhig zu verhalten, da er ſonſt das Publikum ent-
fernen laſſen würde. Der Redner kann jetzt wieder
fortfahren, aber er hat nicht zwanzig Worte geſprochen,
als der Skandal abermals beginnt. Die Galerie unter-
ſtützt die Oppoſition, der Präſident erhebt ſich und rich-
tet an die oberhalb ſeines Sitzes befindliche Loge eine
117
letzte Mahnung. Man antwortet von oben, ein Wort-
wechſel entſteht – aber dieſe Epiſode verliert ſich in
dem Chaos, das im Saale ausbricht. Ein Abge-
ordneter, im Nationalcoſtume, der in der zweiten Bank
hinter den Miniſtern ſitzt, hat ſich erhoben und ſchreit
mit gellender Stimme einige Worte – wie ich ſpäter
hörte, enthielten dieſelben eine flagrante Beleidigung der
Oppoſition. Und nun beginnt eine Szene, wie ſie wohl
ſelten in einem Parlamente erlebt wurde und die genau
zu beſchreiben geradezu unmöglich iſt. Ein rieſiger
Mann ſpringt von rückwärts über zwei Bänke auf den
Beleidiger und wirft ihn mit einem gewaltigen Fauſt-
ſchlag zu Boden. Der Angegriffene wehrt ſich, ſein
Gegner aber macht kurzen Prozeß, er reißt ſeinem Opfer
den Fez vom Haupte, erfaßt ſeine weißen Haare und
beginnt ihn tüchtig zu beuteln. Zwei Freunde kommen
dem Unterliegenden zu Hilfe, ſie packen den Rieſen,
reißen ihm die Jacke ab und zerfetzen ſein Hemd. Jetzt
eilen von allen Seiten Freunde und Feinde herbei, man
erhebt die Stöcke und beginnt unerbittlich die Rücken
der Kämpfenden zu bearbeiten, die Schläge fallen ſo
wuchtig, daß der Staub der Kleider hoch aufwirbelt.
Man faßt ſich an den Ohren, bei den Haaren – wo
die Hand nicht ausreicht, werden Schläge mit den Füßen
applizirt, und endlich iſt im Centrum nichts als ein
wirrer Knäuel zu erblicken, in dem unbarmherzig einer
den Anderen durchkeilt, und aus dem hin und wieder
die Bambusrohre auftauchen, wenn ihre Beſitzer zu neuen
Schlägen ausholen. Umſonſt verſucht der greiſe Abge-
ordnete, der uns beim Eintritt in den Saal durch ſeine
imponirende Ruhe auffiel, die Kämpfer zu trennen, er
erntet nur Undank und Püffe – ein Abgeordneter iſt
bereits blutig geſchlagen, ein anderer bringt ſeinen Körper
und ſeine zerriſſene Kleidung in Sicherheit – die Mehr-
118
zahl aber bedeckt das Haupt und verläßt den Saal.
Auch die Miniſter, die bis jetzt, ohne den Kopf nach
dem Schauplatz des Kampfes zu wenden, da geſeſſen,
finden die Situation unheimlich und ſchreiten gegen die
Thüre. Niemand hört auf den Glockenſturm des Prä-
ſidenten – Niemand achtet auf die Rufe der Haus-
offiziere, Griechenlands Kupka ſucht mit Gewalt die Ord-
nung herzuſtellen, aber auch er entgeht dem Schickſal der
Anderen nicht, und Freund wie Feind erproben an dem
Bedauernswerthen die Kraft ihrer Fäuſte. Da ſich endlich
auch die Galerie in den Streit miſcht und die Parteien
im Publikum gleichfalls Miene machen, ſich zu meſſen,
ſv hielten wir es für angemeſſen, den Schauplatz zu
räumen, und dies um ſo raſcher, als die bewaffnete
Macht von allen Seiten herbeieilt, und wir Konflikte
mit Bewaffneten in fremden Landen gern vermeiden.
Erſchöpft und aufgeregt gelangten wir ins Freie. Der
Hausoffizier, der uns eingeführt, folgte uns und ſuchte
uns zu beſchwichtigen. – „Dergleichen Szenen“, meinte
er lächelnd, „ſeien ſchon öfter vorgekommen und hätten
noch immer mit der Verſöhnung der Streitenden geendet.
Heute ſei es freilich ein wenig ärger geweſen, als ge-
wöhnlich.“ – Wir aber hatten wenig Luſt umzukehren
und zogen es vor, nach dem Hotel d'Angleterre zu gehen
und dort unſer Dejeuner einzunehmen. Wie wir nach-
träglich erfuhren, räumte die Oppoſition das Feld, kehrte
aber bald wieder zurück und die Sitzung dauerte unter
fortwährendem parlamentariſchem Sturme bis zum Abend.
Die Schlacht endete ſchließlich mit dem Siege des
Kabinets, – mir aber ſchien es intereſſant, für die
Leſer dieſes flüchtige Croqui hinzuwerfen und mit ihnen
eine Stunde zuzubringen – im griechiſchen Par-
l am ente!
- SR3-
Im modernen Rthen.
Ath en, 8. November.
Heißblütige Athenienſer, die ohne ihren Demoſthenes
nicht aufſtehen und ohne einen Gang in die Akropolis
ſich nicht zur Ruhe legen können, träumen noch immer
von dem Wiederaufleben des alten Glanzes, von dem
Wiedererſtehen der Macht und Herrlichkeit Athens. Sie
glauben, Athen werde ſich politiſch und künſtleriſch ver-
jüngen, die alten Tempel werden wieder erſtehen, die
Ruinen mit Schöpfungen der neuen Zeit ſich bedecken,
die Helden des Landes an der Spitze beutebeladener
Schaaren einziehen in das meerumfloſſene Byzanz u. ſ. f.
In dem ganzen Weſen des Volkes, in der iſolirten Lage
der Stadt, in der täglichen Anſchauung der bewunde-
rungswürdigen Ueberreſte einer glorreichen Vergangen-
heit, findet dieſer Größenwahnſinn ſeine Begründung.
Weil ein Paar Millionäre, die zerſtreut in der Welt
leben, zufällig Griechen ſind, und weil dieſe in dank-
barer Erinnerung an ihr Vaterland Schätze opfern, um
120
Athen mit monumentalen Bauten und wiſſenſchaftlichen
Inſtituten auszuſtatten, zieht man aus dieſer allerdings
anerkennenswerthen Thatſache – nicht alle Völker
rühmen ſich ſolcher Millionäre – überſpannte Konſe-
quenzen, die ſich nie erfüllen werden. Man bereichert
die Bibliothek Athens, man vergrößert die Univerſität,
man baut Muſeen, man baut ein Polytechnikum, aber
man baut äußerſt wenig Wohnhäuſer. Und daß dieſer
maßgebende Faktor fortſchreitender Civiliſation, geſunder
Entwicklung und blühenden Aufſchwungs in Athen fehlt,
beweist, daß die Stadt vorläufig bleibt, was ſie war,
eine Denkſtätte der Vergangenheit, keine Stadt der Zu-
kunft. Unſer praktiſches Jahrhundert rechnet mit prak-
tiſchen Faktoren, nicht mit ausgegrabenen Denkmälern
und wiedergefundenen Säulen, und wo die natürlichſten
Lebensbedingungen des modernen Staates fehlen oder
die Pulsadern des öffentlichen, ſozialen, induſtriellen,
handelspolitiſchen Lebens, aus denen das geſunde Blut
in den Staatskörper fließt, kaum merkbar ſchlagen oder
unterbunden ſind, da ſind auch alle Träume von wieder-
erſtehender Größe, neu erwachender Macht eitle Hirnge-
ſpinnſte verblendeter Thoren! –
Wir wurden zu dieſen Betrachtungen angeregt, als
wir eine Parallele zogen zwiſchen dem alten Athen, das
wir geſtern bewundert, und dem modernen, das wir
heute durchzogen. Athen beſitzt nur zwei große Straßen
nach europäiſchem Muſter, die Aeolus- und die Hermes-
ſtraße, die beide in entgegengeſetzter Richtung die Stadt
durchſchneiden. In dieſen beiden Straßen herrſcht reges
Treiben, man ſieht da bunte Nationaltrachten und an
Sonntagen eine ziemlich bewegte Staffage promenirender
Maſſen, die freilich mit der täglich ſich erneuernden
Völkerwanderung in Konſtantinopel auch nicht den be-
121
ſcheidenſten Vergleich aushält. – Der Reſt der Straßen
iſt öde, todt, unſauber und athmet die ganze Unbehag-
lichkeit orientaliſcher Schmutzwinkel aus. Nur der neue
Stadttheil, der ſich von der königlichen Burg bis zur
neuen Promenade hinzieht, macht hievon eine Ausnahme:
in der Nähe der öffentlichen Inſtitute haben ſich hier
auch Private angeſiedelt und dieſer Stadttheil hat ein
imponirendes Ausſehen – ſteht ja den athenienſiſchen
Bauherren der herrlichſte Marmor leichter und billiger
zu Gebote, als uns die Ziegel aus den Draſche'ſchen
Oefen. Das Wort Luxus ſcheint man in Athen kaum
dem Namen nach zu kennen, – außer zwei oder drei
Etabliſſements zweiten Ranges in der Nähe der könig-
lichen Burg fanden wir in Athen kein einziges Gewölbe,
deſſen Inhalt ſich auch nur mit dem Lager eines Ge-
miſchtwaarenhändlers in einer der Vorſtädte Wiens
meſſen könnte. Ein Paar Trödler, etwelche Schuſter
und Schneider, eine Unmaſſe Tabakhändler, einige Buch-
händler repräſentiren ſo ziemlich die geſammte Handels-
welt Athens. Die Cafés ſind in der primitivſten Weiſe
eingerichtet, man findet daſelbſt eben nichts als Kaffee,
keine von den Erfriſchungen, die abendländiſche und auch
orientaliſche Cafés ſo reichlich bieten – das Wort Ge-
frornes exiſtirt in dem kulinariſchen Wörterbuche Athens
nicht, Schnee gibt es nur ſehr wenig, und das Eis, das
allenfalls zugeführt werden könnte, würde Niemand be-
zahlen. Das gibt ein glänzendes Zeugniß für die
Mäßigkeit und Anſpruchsloſigkeit der Athener, zeigt aber
auch, wie es mit dem Wohlſtand beſtellt iſt. Im Som-
mer iſt der Aufenthalt geradezu unerträglich, friſches
Waſſer zu erhalten, iſt unmöglich, – ſelbſt die Bäder
ſind trotz der Nähe des Meeres im primitivſten Zu-
ſtande, und das einzige, das ſich in Piräus befindet,
122
ſteht weit hinter unſerem Wiener Volksbad zurück und
man kann da während der heißen Jahreszeit fortwährend
die Kampffähigkeit und Gewandtheit der athenienſiſchen
Athleten bewundern, die im Streite um die Kabinen-
ſchlüſſel förmliche Fauſtſchlachten aufführen. Die kleid-
ſame Nationaltracht ſieht man nur noch bei Männern
der unteren Stände und einigen enthuſiaſtiſchen Patrio-
ten, die Frauen tragen faſt ſämmtlich einfache franzö-
ſiſche Kleidung, nur bedeckt oft ſtatt des Hutes ein rother
Fez mit Gold- oder Silberquaſten den Kopf, eine Mode,
die für den Geſchmack des ſchönen Geſchlechtes in Athen
gerade nicht beſonders ſpricht. Schaufenſter, Auslagen
habe ich in ganz Athen kaum ein halbes Dutzend geſehen
und dieſe waren mit Stickereien und Photographien an-
gefüllt. Ein Beweis für die Armuth des Landes iſt
vielleicht auch die freilich winzige Thatſache, daß der
Photographienſchwindel, wie er doch in ganz Europa bis
in das unbedeutendſte Dorf gedrungen iſt, hier nur ſpär-
lich ſeine Rechnung findet. Auf der Akropolis vor den
verſchiedenen Tempeln lagern zwar die Sonnenmaler
und nehmen die monumentalen Trümmer auf, aber ſie
arbeiten faſt ausſchließlich für Fremde. Ein Theater
wird in Athen nur mit Noth erhalten und iſt in der
Regel von einer Truppe dritten oder vierten Ranges
beſetzt; öffentliche Gärten gibt es nicht, den königlichen
Garten ausgenommen, der freilich einzig in ſeiner Art
daſteht und, wie es ſcheint, zum Theile bei der Anlage
von Miramar als Muſter benützt wurde. Ein Beſuch
des Gartens – von 4 Uhr an iſt er täglich dem Pub-
likum geſtattet – lohnt der Mühe. – Gleich beim
Eingange rechts feſſeln vier mächtige Palmen, deren
Stämme durch Ketten verbunden ſind, den Blick, im
Garten ſelbſt finden wir mächtige Bananen, koloſſale
123
Kaktus, die aus gewaltigen Baumſtämmen aufwärts
ſtreben, herrliche Platanen, die rothkörnige Pfefferpflanze,
blühende Akazien, zwergartige Mandarinenbäumchen, duf-
tende Orangenwäldchen, mächtige Eichen, an denen ſich
Roſenbüſche bis zum Wipfel emporwinden, fruchtbeladene
Feigenbäume, Cypreſſen, Myrthenbüſche und zahlloſe
tropiſche und europäiſche Pflanzen. Eine reizende Oran-
gerie mit weinlaubumſponnenem Dache führt zu einer
wahrhaft überwältigenden Ausſicht, der ſchönſten, die
ich auf meiner Fahrt bisher geſehen; – dem Raſen-
parterre fehlt natürlich – die erſten Frühlingstage etwa
ausgenommen – die Friſche, – an kleinen Tändeleien,
wie ſie fürſtliche Parke gewöhnlich aufzuweiſen haben,
iſt kein Mangel – es gibt Höhlen, Einſiedeleien, Waſſer-
fälle, Grotten, einen Thiergarten en miniature 2c. –
Als wir gegen vier Uhr uns im Parke einfanden, fuhr
gerade vor dem Hauptportale des Palaſtes eine Hof-
equipage vor, um das königliche Paar zu einer Spazier-
fahrt abzuholen. Die Equipage war einfach, aber ge-
ſchmackvoll, ein offener zweiſitziger Wagen mit zwei
hübſchen, von einem Jockey gelenkten Pferden beſpannt.
Ein Diener im griechiſchen Nationalcoſtume nahm den
Rückſitz ein – der König, der bald an der Seite ſeiner
Gattin erſchien, trug einfache franzöſiſche Civilkleidung
und rauchte eine Cigarette, die er ſich während des
Hinabſteigens von der Treppe raſch gedreht hatte. –
König Georgios iſt bekanntlich ſehr jung und macht
mehr den Eindruck eines der Leitung eines Gouverneurs
bedürfenden Prinzen, als eines Königs, berufen von
einem der gefährlichſten Throne unter den ſchwierigſten
Verhältniſſen ein leicht erregbares, dabei wankelmüthiges
und unverläßliches Volk zu beherrſchen. Seine Gemalin
hat eine ſchlanke wohlgeformte Geſtalt, ein Geſicht, aus
124
dem Kindlichkeit und Sanftmuth leuchten – ſie trug,
gleichfalls franzöſiſche, mit Geſchmack gepflegte Toilette,
doch ſahen wir Photographien der Königin, auf denen
ſie eine Art nationales Phantaſiecoſtume trägt. Hinter
dem Wagen lief eine Dogge, die früher in einem Winkel
des Hofes unbemerkt lag und jetzt in weiten Sprüngen
dem raſch dahinrollenden Wagen folgte. König Geor-
gios ward von der Volksmenge, die den Eingang des
Gartens belagerte und den Platz vor dem Schloſſe füllte,
nur ſehr gleichgiltig begrüßt, er erfreut ſich, wie Per-
ſonen, denen ich eine gewiſſe Objektivität in ihrem
Urtheile zutrauen darf, verſichern, keiner beſonderen
Popularität, und ſelbſt bei feierlichen Gelegenheiten
müſſen die Rufe, die dem König ausgebracht werden,
amtlich vorbereitet werden. Der junge König iſt, wie
Leute, die wiederholt Gelegenheit hatten, ihn zu beob-
achten, erzählen, aufgeweckten Geiſtes und ſichtlich bemüht,
ſich in ſeiner Sphäre zu orientiren. Er ſpricht das Neu-
griechiſche nicht perfekt, aber er hat ſich ſo viel von der
Volksſprache anzueignen gewußt, daß er eine Konverſa-
tion führen kann und die Sprache verſteht. Ein Pro-
feſſor der Univerſität, der ihm kürzlich vorgeſtellt wurde,
ſprach ihn franzöſiſch an. „Sie ſind an der griechiſchen
Univerſität angeſtellt?“ frug der König in griechiſcher
Sprache. „Ja“, erwiederte der Profeſſor. „Nun ſo
reden Sie auch griechiſch.“ – Ein anderer Beamter
glaubte ſich beſonders einzuſchmeicheln, wenn er den
König mit einer Phraſe in däniſcher Sprache begrüßte.
– „Wir ſind in Athen und nicht in Kopenhagen“,
unterbrach der König den Redner mißmuthig, „reden
wir die Sprache des Landes, in dem wir leben.“ –
Die Vertretung des Lloyd, die heute vom König in be-
ſonderer Audienz empfangen und vom öſterreichiſchen
125
Geſandten Baron Eder eingeführt wurde, hatte ſich
einer beſonders günſtigen Aufnahme zu erfreuen. Der
König unterhielt ſich ſowohl mit den Verwaltungsräthen
des Lloyd wie mit dem Vertreter der Trieſter Handels-
kammer eingehend und ſprach über die Thätigkeit des
Lloyd ſeine beſondere Anerkennung aus. Unter Anderem
brachte der König die Sprache auch auf das Projekt,
bei Korinth einen ähnlichen Durchſtich zu verſuchen wie
bei Suez. Baron Morpurgo bemerkte, daß ſchon Mini-
ſter Bruck dieſem Plane ſeine beſondere Aufmerkſamkeit
geſchenkt und daß das Projekt damals für ausführ-
bar gehalten wurde. „Alſo braucht man zu dergleichen
Unternehmungen nicht ausſchließlich Herrn v. Leſſeps?“
erwiederte lächelnd der König. . . . .
Das Schloß iſt von einer Einfachheit, die im klaſſi-
ſchen Athen geradezu mesquin ſich ausnimmt, nur an
der Vorderfront iſt bis zum erſten Stocke theilweiſe
Marmor verwendet, alles Andere iſt einfaches Mauer-
werk ohne Ornamente, ohne irgend welchen Schmuck.
Hätte nicht die nach der Akropolis zu gelegene Seiten-
front eine Säulenhalle aufzuweiſen, das Haus würde
nach allen vier Seiten ſein kaſernartiges Ausſehen nicht
verleugnen. Die Wohnhäuſer Athens und alle Neubau-
ten – die wiſſenſchaftlichen Inſtitute ausgenommen –
haben überhaupt einen ſpießbürgerlichen Anſtrich und
kontraſtih ganz eigenthümlich zu den gigantiſchen Trüm-
mern, die man überall in Athen erblickt. Wüßte man
nicht, daß man in Athen weilt, man könnte glauben, in
den Straßen von Hernals oder Lerchenfeld zu promeniren.
Für Oeſterreich ſind trotz der klugen und umſich-
tigen Haltung ſeiner Diplomatie die Sympathien äußerſt
geringe; man trägt uns in politiſchen Kreiſen noch immer
unſere Haltung in der orientaliſchen Frage, namentlich
126
während des Aufſtandes in Candia nach, als wenn wir
dazu da wären, in unſerer Politik ſtatt unſerer eigenen
die Intereſſen anderer Völker zu wahren. Zum Glücke
braucht uns die Antipathie der Griechen wenig zu
kümmern; die deutſche Kolonie in Athen iſt zwar nicht
unbedeutend, aber ſie zählt nicht mehr als fünf öſter-
reichiſche Familien. – – –
Wir hatten heute noch den Theſeustempel, das Ur-
bild der den Wienern aus dem Beſuche des Volksgartens
bekannten Säulenhalle, beſichtigt und deſſen Schätze, na-
mentlich den Apoll bewundert, den Baron Prokeſch bei
Marathon auffand und der griechiſchen Regierung zum
Geſchenke machte, beſuchten noch einige Kirchen, darunter
die Kathedrale, deren geſchmackloſe Ueberladung und
grelle Bemalung geradezu widerlich iſt, die intereſſante
Sammlung der archäologiſchen Geſellſchaft 2c. und bum-
melten dann bis zur Abendſtunde in den Straßen Athens
umher, das Volk in ſeinem alltäglichen Leben und
Treiben belauſchend.
Einen Moment hatten wir auch dem Steine ge-
widmet, der auf der Südſeite des Felſens, auf der ſich
der Areopag befindet, den Fremden gezeigt wird, und
der für das alte Athen – vielleicht auch noch für das
moderne – in ſozialer Beziehung ſehr wichtig war. Der
Stein hatte für das weibliche Athen jene Bedeutung, die
Franzensbad heutzutage für jene verheiratete, Frauen
hat, die noch nicht in der glücklichen Lage waren, Kopien
des menſchlichen Geſichts zu liefern und den befruchten-
den Segen, den der Herr dem erſten Menſchenpaare
mit in die Welt gab, zu bewahrheiten. Der Stein iſt
glatt und abgeſchliffen und verdankt dieſe Glätte den
Frauen, die, einer alten Gewohnheit folgend, auf dem
Stein in adamitiſcher Toilette hinabrutſchten und durch
I27
die hiedurch verurſachte Erſchütterung ſich für jenes
freudige Ereigniß vorbereiteten, das die Gattin Abrahams
noch in ihrem ſpäteſten Alter zur Ueberraſchung des
Patriarchen erlebte. Ob der Stein noch heutzutage ſeine
Wunderkraft erprobt, müſſen wir wohl dem Urtheile
mediziniſcher Autoritäten überlaſſen.
Mit einbrechender Dunkelheit eilten wir nach dem
Piräus auf unſere Schiffe zurück, denn wir hatten heute
noch vollauf zu thun – es war diplomatiſches Diner
am Bord des „Pluto“. Der Lloyd fetirte, wie in allen
Städten, die wir beſuchten, auch hier ſeine Freunde und
Gönner und hatte für heute eine beſonders auserleſene
Geſellſchaft zu Gaſte geladen. Außer den Stammgäſten
des Schiffes wohnten dem Diner bei: der Geſandte
Baron Eder, Legationsſekretär Pußwald ſammt Gemalin,
einer jugendlich reizenden Griechin mit einem allerliebſten
Cameenprofile, Profeſſor Pervanoglu, Bibliothekar der
Nationalbibliothek, einer der angeſehenſten und zugleich
liebenswürdigſten Gelehrten Athens, der geſtern auf der
Akropolis uns als Cicerone begleitete, mehrere Agenten
des Lloyd und Kapitäne der im Laufe des Tages ein-
gelangten Dampfer. Die Konverſation während der
Tafel war lebhaft und animirt, unſere Damen überboten
ſich an Liebenswürdigkeit, um den männlichen und weib-
lichen Vertretern der Griechen die möglichſt günſtigſte
Erinnerung an deutſchen Geiſt und deutſche Bildung
zurückzulaſſen, und beim Champagner fehlten die üblichen
Toaſte nicht. Baron Elio Morpurgo brachte ein Hoch
dem Geſandten, deſſen energiſcher Vertretung öſterreichi-
ſcher Intereſſen der Handel und die Induſtrie des Vater-
landes ſo viel zu verdanken haben, – Baron Eder
antwortete ſofort in einem improviſirten, geiſtvoll ge-
haltenen Trinkſpruch auf den Lloyd. Er hob die Bedeu-
128
tung dieſes Inſtituts und das Anſehen ſeiner Flagge
hervor und kam mit einer feinen Wendung auch auf
die Handelskammer der bedeutendſten Seeſtadt Oeſter-
reichs und deren anweſenden Vertreter zu ſprechen. Dem
Lloyd und deſſen wackerer Vertretung galt das Hoch
des Geſandten, der mit dem Wunſche auf das Heil und
Gedeihen des Inſtituts unter lautem Beifall endete.
Baron Joſeph Morpurgo, der ſtets ſchlagfertige Redner,
ein Mann, deſſen reichen Erfahrungen wir manchen lehr-
reichen Wink zu verdanken haben, dankte im Namen der
Handelskammer Trieſts für die Anerkennung, die deren
Wirken von Seite des Geſandten gefunden. – Nach aufge-
hobener Tafel begaben wir uns auf's Verdeck und wurden
daſelbſt auf das Angenehmſte überraſcht. Die Offiziere
des Schiffes, dienſteifrig und zuvorkommend, wie alle
Lloyd-Offiziere, hatten während der Tafel das Verdeck
in einen reizenden Salon umwandeln laſſen – den
Plafond bildete das gewöhnliche Segeltuch, die Wände
waren aus allen erdenklichen Flaggen reizend zuſammen-
geſtellt – zwiſchen denſelben waren Fahnen gruppirt,
während ringsum farbige Lampions die nöthige Beleuch-
tung lieferten. Wir nahmen in dem luftigen, meerum-
rauſchten Salon Kaffee und unterhielten uns ſo vor-
trefflich, daß die Stunden im Fluge an uns vorüber-
eilten. Baron Eder iſt einer unſerer erfahrenſten und
tüchtigſten Diplomaten; er hat, wie man ſagt, von Picke
auf gedient, und iſt ein gelernter und kein geborner
Diplomat, mit welch' letzterer Sorte von Staatswürden-
trägern wir leider nur zu reichlich geſegnet ſind. Er hat
nichts von der zopfigen Steifheit der alten Schule, ver-
bindet im Gegentheil die Erfahrung einer langen Praxis
mit der Friſche und Lebendigkeit eines mit der Zeit
fortſchreitendeu ſelbſtſtändigen Mannes. Wollte der Him-
129
incl, Oeſterreich beſäße viele ſolche Diplomaten, die
mit den Verhältniſſen, in denen ſie wirken, mit den
Männern und dem Volke, unter dem, und der Zeit, in
der ſie leben, ſo innig vertraut ſind wie Baron Eder.
Seine Abberufung vom hieſigen Poſten iſt übrigens
bereits erfolgt; er iſt durch den feingebildeten Haymerle,
früheren Legationsrath in Konſtantinopel, erſetzt. –
Gegen 10 Uhr ſchieden die Gäſte aus Athen, die
einen freundlichen Abend mit uns zugebracht, von unſerem
Schiffe. Vielfarbige bengaliſche Flammen zeichneten ihnen
den Weg über die in undurchdringliche Finſterniß gehüllte
See, vom Lande her begrüßte elektriſches Licht ihre
Landung, vom Schiffe aber ſandten wir ihnen feurige
Raketengrüße nach und beſtreuten mit farbigen Sternen
den griechiſchen Himmel. –
Morgen Früh mit Sonnenaufgang lichten wir wieder
die Anker – wir haben eine fünfzigſtündige Fahrt vor
uns – dann landen wir im Wunderlande der Pharaonen
– in Egypten!
Jn Egypten.
Alexandrien, 12. November.
Seit geſtern Morgens ſind wir im Lande der
Pharaonen, in Egypten, dem eigentlichen Ziele unſerer
Reiſe, dem Schauplatze eines der großartigſten Kultur-
feſte, zu deſſen würdiger Feier aus allen Zonen und
Enden der Welt die Vertreter der Nationen herbei-
eilen, um einen der glänzendſten Siege menſchlicher
Thatkraft zu bewundern. –
Wir hatten ſeit unſerer Abfahrt von Athen das
herrlichſte, reizendſte Wetter, kein Wölkchen am Himmel,
das Meer ſpiegelglatt, die Luft faſt unbewegt – unſer
„Pluto“ tanzte auf den Wellen – der treffliche Dampfer
legte 12% Meilen in der Stunde zurück – und uns
Allen war ſowohl an Bord, als hätten wir uns auf einer
Spazierfahrt über den Traunſee befunden und nicht auf
dem mittelländiſchen Meere, ein paar hundert Meilen
von den Küſten des Feſtlandes entfernt. Die See war
– Neptun hatte offenbar ein Faible für unſere Geſell-
131
ſchaft – ſo ruhig, daß wir uns auf dem Verdecke die
Zeit mit Schach, Domino und Damenſpiel vertrieben,
ſogar eine Whiſtparthie ward arrangirt und Schlemm
und Bettel wurden ſo ſicher gemacht und angeſagt, als
ſäßen die Partner gemüthlich im hintern Zimmer bei
Daum – ſogar die unvermeidlichen Kibitze, dieſe un-
ausrottbaren Schmarotzerpflanzen der Spieltiſche, fehl-
ten nicht – meine Wenigkeit zählte längere Zeit zu den
letzteren und auch auf den Fluthen des Ozeans hatte das
ſprichwörtliche Pech, das ich als unbetheiligter Zuſchauer
eines Spiels mit mir herumſchleppe, mich nicht verlaſſen.
– Als wir am Abend des erſten Tages vor Santorin
vorüberfuhren, hatten wir das prächtige Schauſpiel einer
Eruption des Vulkans, der auf dieſer Inſel ſchon öfter
Verheerungen angerichtet. – Wären wir in Egypten
geweſen, man hätte glauben können, Se. Hoheit der
Khedive habe dieſes Schauſpiel eigens für ſeine Gäſte
arrangiren laſſen. –
Donnerstag den 11. vor Tagesanbruch langten
wir vor Alexandrien an, und kaum daß die Sonne auf-
gegangen, erſchien ſchon der egyptiſche Lootſe an Bord,
um uns in den klippenreichen Hafen einzuführen. Gegen
halb 8 Uhr warfen wir Anker – die Kriegsſchiffe
aller Nationen hatten ſich daſelbſt Rendezvous gegeben,
die ganze franzöſiſche Flotte mit dem „Aigle“, der A)acht
der Kaiſerin, lag da vor Anker, außerdem gab es eng-
liſche, ſchwediſche, egyptiſche, holländiſche, belgiſche und
ruſſiſche Kriegsſchiffe – nur die italieniſchen fehlten,
da ſie nach Eintreffen der erſten Nachricht von der
lebensgefährlichen Erkrankung Viktor Emanuel's nach
Italien zurückgekehrt waren. Von allen Schiffen krachten
die Salutſchüſſe, um bei Sonnenaufgang das Aufhiſſen
der Flaggen zu begrüßen, – Boot um se löste ſich
132
von den Fregatten ab und brachte Paſſagiere und
Matroſen ans Land, das Waſſer bot ein bewegtes,
farbenreiches Bild. Wir waren kaum eine halbe Stunde
im Hafen, als ein Abgeſandter des Gouvernements
erſchien, um ſich zu erkundigen, ob Eingeladene des
Vizekönigs an Bord wären. Wir nannten unſere Namen
und erfuhren zu unſerer freudigen Ueberraſchung, daß
wir nichts zu thun hätten, als unſer Gepäck auf das
Verdeck ſchaffen zu laſſen – für alles Andere ſei
ſchon geſorgt. Eine Viertelſtunde ſpäter erſchien der
Sekretär der Munizipalität, Mr. de Régny, an Bord,
einer der liebenswürdigſten Beamten, die wir kennen
lernten, der, wie wir ſpäter an uns ſelbſt erfuhren,
mit wahrhaft heroiſcher Ausdauer und unerſchöpflicher
Fürſorge für die Bedürfniſſe der Eingeladenen ſorgte,
und bat uns, ihm in ſein Boot zu folgen. Wir nahmen
Abſchied von unſerer Reiſegeſellſchaft, in deren Mitte
wir wie im Schooße einer Familie gelebt und eine
Reihe glücklicher, uns unvergeßlicher Tage zugebracht
hatten, und ſprangen in das uns erwartende Kaik. Nach
zehn Minuten landeten wir – die ſonſt unbarmherzigen
Douanebeamten verbeugten ſich tief vor den Gäſten
ihres Herrſchers und ließen uns ungehindert paſſiren;
vor dem Zollgebäude ſtanden die Wagen, wir fuhren
durch ein Winkelwerk von Gaſſen nach dem Boulevard
Alexandriens, dem Platze Mehemed Ali, und hielten
vor dem erſten Gaſthofe der Stadt, dem Hotel Europe.
Noch nicht eine Viertelſtunde waren wir auf egyptiſchem
Boden und hatten ſchon die überzeugendſten Beweiſe,
daß gegen uns eine Gaſtfreundſchaft geübt wurde, wie
ſie ſelbſt das gewandteſte orientaliſche Raffinement
nicht ſplendider und freundlicher erſinnen konnte. Man
wird wohl in allen Reiſehandbüchern über Egypten die
133
Bemerkung finden, daß man, ohne Bakſchiſch zu geben,
nicht zehn Schritte machen kann. Vom Bakſchiſch, ſagt
Bogumil Goltz, dieſem Ehrentribut oder Reiſezoll, dieſem
ſilbernen Hammerſchlag, träumt und ſpricht der arme
Araber, der orientaliſche Eckenſteher, der Fellah, der
Eſeljunge oder Kameeltreiber, der Bettler, Proletarier
und Taugenichts, wo er geht und ſteht, und wo er nur
den Geber des höchſten Guts erblickt – da ſtürzt er
ihm mit dem verhexten und wahnwitzigen, leidenſchaftlichen
Geſchrei „Bakſchiſch Hawaje“ auf den Leib. Die Be-
merkung iſt vollkommen richtig, nur bei uns traf ſie,
wenigſtens in den erſten Tagen nicht zu – den Einge-
ladenen gegenüber hatten die egyptiſchen Facchini's ihre
unausrottbare Gewohnheit des Bettelns abgelegt und
wo Einzelne gegen das ſtrenge Verbot, die Gäſte des
Khedive zu beläſtigen, ſündigten, wurden ſie ſofort von auf-
merkſamen Wächtern zurückgewieſen. Weder die Laſtträ-
ger, noch die Diener, noch die Kutſcher forderten ihr Trink-
geld, und als ich aus freien Stücken einem der Träger, der
ſich arg geplagt hatte, einen Franc ſchenkte, trug ſich das in
Egypten unerhörte Ereigniß zu, daß mir ein Munizipal-
diener nach zehn Minuten das Geldſtück mit der Be-
merkung zurückſtellte, es ſei den uns zugewieſenen Leuten
die Annahme einer Entlohnung ſtreng unterſagt. Freilich
als die Fluth der Eingeladenen über Egypten hereinbrach,
trat die Natur des Bakſchiſchbegehrens und Nehmens wieder
in ihr volles Recht. – Wir fanden Alles vorbereitet –
Wagen, Zimmer, Dolmetſch 2c. – vor dem Hotel
ſtand die Equipage, die uns hinführte, wohin wir begehrten,
neben dem Wagen der Araber, der uns als Führer
und Dolmetſch diente. Man trieb die Aufmerkſamkeit ſo
weit, daß man uns Oeſterreicher ſämmtlich in einem
Hotel, und zwar in der comfortabelſten Weiſe ein-
º
134
quartierte. Die Idee, allen Landsmannſchaften die Ge-
legenheit zu bieten, ſich zuſammenzufinden, rührt von
Collucci Bey, dem Präfekten Alexandriens, her, einem
der tüchtigſten und energiſcheſten Funktionäre Egyptens,
der uns gleich nach ſeiner Ankunft einen Beſuch ab-
ſtattete, den wir ſofort erwiederten. Collucci Bey iſt
Chef der Munizipalität in Alexandrien und Präſident
der Sanitätsintendantur in Egypten, ein gebildeter, ſehr
unterrichteter Mann, der ſeinen Untergebenen ein wür-
diges Beiſpiel von Liebenswürdigkeit im Umgang mit
Fremden gibt.
Ueber die Art und Weiſe, wie man Mrs. les
invités behandelt, geben wohl nachfolgende Details ge-
nügenden Aufſchluß. Zwei Mal des Tages ſervirt man
uns ein Menu, deſſen eine Hälfte vollkommen hin-
reichte, um auch den wildeſten Heißhunger zu ſtillen,
und unſer Keller bietet Alles, was das Herz begehrt:
Porter, Pale Ale, Sherry, Rheinwein, Bordeaux und
Champagner. Zu jedem Diner erſcheinen Abgeordnete
der Munizipalität, um den Hotelier zu überwachen und
uns jeden Augenblick zu bitten, uns ja nichts abgehen
zu laſſen, da ohnedies Alles bezahlt wird, was vorbe-
reitet iſt, auch wenn wir uns deſſen nicht bedienen.
Jeder Eingeladene koſtet dem egyptiſchen Staatsſchatze
täglich 65 Francs – die müſſen aufgearbeitet werden.
Ein ſchweres Stück und dies Alles bei 30 Grad Hitze!
– Um das Maß des Guten bis zum äußerſten Rande
voll zu machen, iſt Mr. Pea, der Archivar der egyp-
tiſchen Akademie der Wiſſenſchaften, der ſpeziell den
Oeſterreichern als Kommiſſär zngetheilt iſt, in ſeinen
Aufmerkſamkeiten gegen uns geradezu unerſchöpflich.
Seit vier Wochen hat der Mann täglich kaum zwei
Stunden geſchlafen. Bei Sonnenaufgang war er auf
d
135
dem Meere, um den ankommenden Schiffen entgegenzu-
fahren und um Mitternacht war er noch mit den Vor-
bereitungen zum Empfange der nächſten Gäſte beſchäftigt.
Er erſcheint beim Kaffee, um mit uns das Programm
des Tages feſtzuſtellen, er begleitet uns überall, er
ſpeist mit uns, ſorgt mit einer uns geradezu erdrücken-
den Gefälligkeit ſelbſt für die kleinſten Bedürfniſſe, und
iſt mit einem Worte der unermüdliche, ewig bereite
Cicerone und Führer der Oeſterreicher. – Wie Alles
hier für die Fremden einen freundlicheren Anſtrich hat
als in Konſtantinopel, ſo unterſchied ſich auch unſere
Aufnahme im öſterreichiſchen Konſulat in Alexandrien
weſentlich von dem Empfang, den wir bei manchem
etwas hochnaſigen Herrn der Internuntiatur in Pera
gefunden. Generalkonſul Schreiner weilt bereits längere
Zeit in Kairo, er beſitzt in Konſul Schwegel einen
Stellvertreter, über deſſen liebevolles Entgegenkommen
und freundliche Bereitwilligkeit nur Eine Stimme der
Anerkennung herrſcht.
Ueber Alexandrien ſelbſt läßt ſich kaum etwas
von hervorragendem Intereſſe berichten, was nicht ſchon
längſt durch Reiſebücher, feuilletoniſtiſche Schilderungen
und Romane vollſtändig erſchöpft wäre. Alle Welt
kennt theils aus eigener Anſchauung, theils vom Hören-
ſagen, theils aus der Lektüre jene wunderſame Vegetation,
die hier zu allen Jahreszeiten das Auge entzückt. Wo
man hinblickt, ragt die Dattelpalme mit ihrem nackten,
wie aus Ananasrinde gefügtem Stamm, der blätter-
reichen Krone und den an breiten Faſern hängenden
Früchtenbüſcheln in die Lüfte – bald ſteht ſie einzeln,
bald in kleinen Hainen, wo das Blätterdach wohl-
thuenden Schatten ſpendet und Schutz vor der uner-
träglichen Hitze bietet – in einzelnen Gärten iſt ſie in
136
Reihen gepflanzt und von weitem ſehen die ſchlanken,
himmelanſtrebenden Bäume wie Säulen edelſter Gattung
aus. Ueber die Gartenzäune ſtreckt die Banane ihre
rieſigen Blätter, unter denen ſich die ſüßliche Frucht in
länglichen Kolben birgt, die ſtaubigen Landſtraßen ſind
mit Tamarisken bepflanzt und wildverzweigte abenteuer-
liche Kaktuſſe bilden lebendige Hecken. Die echte Akazie
mit fußlangen Schoten kommt faſt überall vor, Syco-
moren, Orangen, Oliven, Citronenbäume und Olean-
der umgeben die Villen, die ſich längs des Kanals hin-
ziehen – Pelargonien, rothe Hibicus, ſcharlachfarbene
Poincianen und Roſen ſtehen im November noch in
voller Blüthe, Gummibäume von fünfzig Schuh Höhe,
an deren Stämme ſich die herrliche, roth blühende
Dolichos Lebleb emporrankt, erfriſchen mit ihren hell-
glänzenden, grünen Blättern das Auge – wo das
Waſſer des Mahmudiekanals hingeleitet wird, entſprießt
dem Boden ewig grüner fetter Raſen, der an Friſche
den Bergwieſen des Salzkammergutes im Juli nichts
nachgibt und nach den ſaharagleichen Staubwüſten
außerhalb der Stadtmauern doppelt erfriſchend auf das
Auge wirkt.
Alexandrien iſt nach dem Comfort, den es bietet,
nach ſeinen Bazars und Hauptſtraßen zu urtheilen,
faſt eine europäiſche Stadt – nur die Staffage des
die Straßen durchziehenden Volkes gibt ihm orientali-
ſchen Reiz. Auf dem Platze Mehmed Ali mit ſeinen
eleganten zwei bis dreiſtöckigen dachloſen Häuſern, ſeinen
Alleen und rieſigen Fontainen, ſeinen Pariſer Magazins
und Cafés, glaubt man ſich mitten auf die Boulevards
verſetzt – wenn uns nicht das Publikum eines Anderen
belehren würde. So oft man auch auf den Balkon
tritt, man kann ſich nicht ſatt genug ſehen an dem
137
phantaſtiſchen Treiben auf dem Platze. Elegante, nach
der neueſten Mode gekleidete Damen promeniren auf
dem Trottoir, in weiße Burnuſſe gehüllte Geſtalten
mit kohlſchwarzen Geſichtern, welche europäiſche Kinder
in ihren Armen halten, folgen den Damen, dort führt
ein Charabanc ein gauzes Dutzend in blaue Lumpen
gehüllte Araberinnen vorüber, da wackeln zwei ſchwarz
in ſchwarz gekleidete Frauen vorbei, Burnus ſchwarz,
Hautfarbe ſchwarz, Kopfbedeckung ſchwarz, vor dem
Geſichte einen ſchwarzen Schleier, der mit der Kapuze
durch ein Bein verbunden iſt, das gerade über die
Stirne herabhängt. Ein abſcheulicher Anblick! Ein paar
Araber mit glänzenden Ebenholzſchädeln begrüßen ſich
an der Ecke, Aethiopier, Nubier, Araber, alle Nuancen
vom Braun bis zum tiefgeſättigten Schwarz eilen, die
Meiſten in ihre flatternden weißen Burnuſſe gehüllt,
an uns vorüber, dazwiſchen die Frauen in gelben, blauen,
rothen und ſchwarzen Mänteln, eine farbenreiche Staf-
fage! Schaaren von Eſeln und Kameelen durchziehen
die Straßen – der Eſel unterhält die Kommunikation
überall, zahlloſe Langohren, zum Tragen jeder Laſt
fähig, ſtehen an den Straßenmündungen, und unter
ohrenzerreißendem Geſchrei bieten ihre Herren die Thiere
den Fremden an. Alle Welt reitet – der bedächtige
Türke, der tſchibukrauchende Araber, der Einkäufe be-
ſorgende Hausherr, der europäiſche Kommis, – die eng-
liſchen Matroſen traben unter wilden Hurrahs durch
die Straßen, am Ufer des Kanals, bei den Nadeln der
Kleopatra, wie draußen im erfriſchenden, blüthen-beſäeten
Ramleh bietet der Eſel die ſicherſte und billigſte Kom-
munikation. Sonſt verfügt Alexandrien auch über alle
anderen europäiſchen Beförderungsmittel, es hat Omni-
buſſe, Einſpänner und Zweiſpänner, die ſowohl bezüg-
138
lich der Raſchheit des Fahrens, der Eleganz der Wagen,
wie der Gewandtheit der Roſſelenker mit den Fiakern
Wiens konkurriren können. – Die Bauluſt iſt eine
ungemein große und der beſte Beweis für das raſche
Aufblühen der Stadt – immer mehr verſchwinden die
Winkel uud Gäßchen der alten Stadt, überall wird
gepflaſtert und der fußhohe Staub mit breiten Granit-
quadern zu bedecken verſucht, – freilich, da, wo die
europäiſche Kultur den Urzuſtand noch nicht zu belecken
angefangen, ſieht es entſetzlich genug aus. Man braucht
nicht fünfhundert Schritte weit außer den Thoren zu
gehen und man ſtößt auf Stätten der Armuth, des
entſetzlichſten Elends, vor denen ſelbſt der an die Schrecken
des Pauperismus gewohnte Europäer zurückſchaudert.
In Erdlöchern, in Spelunken, aus Binſen und Lehm
wie die Vogelneſter zuſammengeſchweißt, in Hütten, in
denen wir Anſtand nehmen würden, unſer Vieh unter-
zubringen, haust der Fellah mit Weib und Kind, und
Hund und Eſel, Huhn und Ziege finden in dem Loche
neben den Menſchen ihren Aufenthalt. Ohne das wun-
derherrliche Klima, mit dem dieſes Land geſegnet iſt,
müßten in dieſen Schauerneſtern die verheerendſten
Krankheiten entſtehen – ſo aber bringt die Familie den
ganzen Tag und die halbe Nacht im Freien zu und das
bedeckte Loch dient offenbar nur zum Schutz während der
Regenzeit. Wir beſichtigten heute die Nadeln der Kleo-
patra, von denen nur eine noch vorhanden iſt, die den
Franzoſen gehört, die andere, die ſchon längſt umge-
ſtürzt lag, haben die Engländer, denen ſie zum Geſchenk
angeboten war, fortſchaffen laſſen – dann fuhren wir
zu der Pompejusſäule, die im Jahre 290 nach Chriſto
angeblich zu Ehren Diocletian's erbaut wurde, von da
zu den Katakomben, die von einigen Forſchern für
139
chriſtliche Kapellen oder Grüfte gehalten werden, und
begaben und endlich längs des Mahmudiekanals nach
dem Garten des Vizekönigs. Welch ein Leben auf dem
Kanale! Das gelbliche Waſſer iſt mit Booten, Kaiks,
Segelfahrzeugen, Dahalien bedeckt, keuchende Fellahs
ziehen mit Baumwolle beladene Schiffe ab- und auf-
wärts, hart am Ufer ſtehen zahlreiche Boote, die für
Vergnügungsfahrten eingerichtet ſind. Am Lande reiht
ſich Villa an Villa, Paradies an Paradies – die
europäiſchen Bankiers und die türkiſchen Exzellenzen
haben hier ihre Sommerfriſchen und überbieten ſich
wechſelſeitig an Luxus. Da gibt's Palmenalleen und
Kaktusgänge zu beiden Seiten mit prachtvollen japane-
ſiſchen Vaſen eingefaßt, Roſenbosquets und Orangerien;
die Banane überwuchert die Vorgärten und Orangen
und Oleander würzen die Luft mit ihren berauſchenden
Düften. Die Straße längs des Kanals iſt beſäet mit
Equipagen und Reitern, es kann am 1. Mai im
Prater nicht toller zugehen. Der Garten des Vizekönigs
iſt nach franzöſiſchem Muſter eingerichtet und Sonntag
und Freitag verſammelt ſich die europäiſche Welt in
demſelben, um dem Konzert der Araber beizuwohnen,
die mit Verdiſcher Muſik und einigen Walzern die Ohren
muſikaliſcher Occidentalen beleidigen. Vor Sonnenunter-
gang kehrten wir nach Alexandrien zurück, dinirten und
eilten dann in unſer Zimmer, um zum erſten Mal nach
zehn Nächten wieder einmal auf feſtem Boden zu ſchlafen!
Vor dem feſte.
Im Hafen von Alexandrien, 14. November.
Die Sündfluth beginnt – die Eingeladenen
kommen, von allen Enden des Erdballs ſtrömen ſie
herbei. Das Terzett, das wir bisher bildeten, iſt ſeit
geſtern durch die Gäſte aus Deutſch-Oeſterreich und Un-
garn bedeutend angewachſen und wir repräſentiren bereits,
25 Köpfe ſtark, das gemeinſame Vaterland. Admiral
Wüllerstorff, für die zuletzt angelangten Oeſterreicher
als Reiſeführer beſtimmt, um, wie es im Amtsſtyle der
betreffenden Dekrete heißt, „den Herren mit ſeinen
reichen im Oriente während eines längeren Aufenthaltes
geſchöpften Erfahrungen zur Seite zu ſtehen“, vollführt
ſein Amt mit einer gewiſſen Grandezza, die nicht beſon-
ders am Platze zu ſein ſcheint; außer ihm kamen mit
der „Minerva“ von Trieſt noch an: der Präſident
der Central-Seebehörde v. Gödel-Lannoy , General
Ebner, die Hofräthe Scherer, Hamm und Hammer, der
Unterſtaatsſekretär im ungariſchen Kriegsminiſterium
141
Szende, die ungariſchen Hof- und Sektionsräthe Suhay,
Keneſzy und Walland, Hofſekretär BarouPongraz, die dies-
ſeitigen Sektionsräthe Kremer und Hofmann, Legations-
rath Baron Schlechta, der Repräſentant der Nordbahn
v. Stummer, Baron Paſſeti, die Handelskammer-Präſi-
denten von Wien und Prag Winterſtein und Dormitzer,
der Profeſſor Sueß, Oberbaurath Wex, der Vertreter
der Trieſter Handelskammer Eſcher, Graf Solms,
Hofrath Hackländer und Sohn. Wir, die wir ſchon ſeit
48 Stunden in Alexandrien verweilten, bemerkten mit
Vergnügen, daß die Geſellſchaft, die ſich während der
Fahrt von Trieſt nach Egypten trefflich amüſirt und auf
offener See den Gedenktag Schiller's in würdiger Weiſe
begangen hatte, auch in Alexandrien ihre Harmonie be-
wahrte, und daß die wenigen Differenzen, die aus der
zopfigen Haltung einiger in die oberſten Diätenklaſſen
rangirenden Herren entſtanden, das gute Einverſtändniß
zwiſchen Oeſterreichern und Ungarn nicht im mindeſten
ſtörten. – –
Wenige Stunden trennen uns noch vom Feſte der
Kanaleröffnung und ſchon hat die Gemüthlichkeit, mit
der wir in den erſten Tagen dem Feſte entgegenblickten,
wenigſtens bei einem Theile der Geladenen einer beſorg-
nißvollen Stimmung Platz gemacht. Man fürchtet – die
egyptiſche Gaſtfreundſchaft dürfte den eingehenden An-
forderungen, die an ſie herantreten werden, nicht immer
Stand halten. Das Chaos bricht herein und auf Jeder-
manns Lippen ſchwebt nur die eine Frage: Wie wird
das enden? Man hat, als man die erſten Vorbereitungen
zum Feſte traf, auf ungefähr 400 Gäſte gerechnet, und
aus dieſen 400 ſind eben ſo viele Tauſend geworden.
Niemand weiß mehr, wer und wie viele eingeladen ſind.
Man hat nicht nur von Kairo und Alexandrien aus
142
eingeladen, man hat auch einzelnen Regierungen carte
blanche gegeben, und was das Schlimmſte iſt, gewiſſen
diplomatiſchen Müßiggängern, die ſich ohne beſtimmten
Zweck bei den orientaliſchen Miſſionen herumtreiben,
unbeſchränkte Vollmacht ertheilt, nach ihrem Ermeſſen
Einladungen zu erlaſſen. Am erſten Tage unſerer An-
kunft waren wir nur ein kleines Häuflein Eingeladener,
acht Perſonen im Ganzen, wir nahmen an der für
100 Eingeladene beſtimmten Tafel Platz – fünf Minuten
ſpäter ſtürmt eine Schaar eben angekommener Engländer
in den Saal und beſetzt die Plätze. Der Wirth iſt in
Verzweiflung – ſoll er den Goddams ſagen, ſie müßten
wieder aufſtehen und warten, bis die Gäſte des Vize-
königs geſpeist, da ſetzt er ſich etwelchen Grobheiten
und Boxerübungen aus – ſoll er die Engländer anders
bedienen laſſen, als uns – das wäre noch ärger. In
ſeiner Herzensangſt wendet er ſich an den Feſtkommiſſär
und dieſer entſcheidet lakoniſch: Alle gleich bedienen, ſind
alle Gäſte des Khedive! – Ja, das ging am erſten
Tage, aber jetzt, wo wir Oeſterreicher allein bereits auf
25 Köpfe angewachſen ſind, und die Preußen, Franzoſen,
Engländer, Italiener, Dänen und Ruſſen vom Meere
und von Oberegypten ſündfluthartig herbeiſtrömen, hat
der geregelte Gang der Dinge aufgehört und das Chaos
bricht herein. Alle Welt hat den Kopf verloren; in
Alexandrien iſt kein Platz mehr, in Kairo auch nicht, und
in Ismailia, wo bei einer Feuerwerksprobe ein Labora-
torium und mehrere für die Gäſte eigens errichtete
Häuſer in die Luft flogen, noch weniger. Aber es fehlt
nicht nur an Unterkunft, es fehlt auch an hinreichenden
Transportmitteln, und ich fürchte ſehr, wer nicht mit
der in Egypten unumgänglich nothwendigen Unverſchämt-
heit vorgehen wird, dürfte zurückbleiben und überall im
143
eigentlichen Sinne des Wortes post festum kommen.
Wie es erſt am Tage der Eröffnung des Iſthmus zu-
gehen wird, wiſſen die Götter. 120 Schiffe ſollen durch-
paſſiren, die Fahrt kann aber nur ſehr langſam und
mit äußerſter Vorſicht geſchehen, die Schiffe müſſen nach-
einander in gewiſſen Diſtanzen fahren, und ſobald das
eine ſtehen bleibt, müſſen alle dieſem Beiſpiele folgen
– die Fahrt von Port Said nach Ismailia dauert
acht bis zehn Stunden – man kann es an den Fingern
abzählen, wann die letzten Schiffe ankommen. Wahr-
ſcheinlich, wenn die Paſſagiere des erſten bereits auf der
Rückreiſe in die Heimat begriffen ſind. – –
Wir vertrieben uns die letzten Stunden, die wir
in Alexandrien zubrachten, in der angenehmſten Weiſe.
Vormittags beſichtigten wir die Paläſte des Vizekönigs
und bewunderten die Verſchwendung, mit der hier alles
Raffinement des franzöſiſchen Luxus aufgehäuft iſt. Die
beiden Paläſte haben nicht den geringſten orientaliſchen
Anſtrich – beide ſind im Renaiſſanceſtyl gehalten und im
Innern verrathen nur die breiten Ottomanen die Nationa-
lität des Beſitzers. In dem erſten am Meere gelegenen
Palaſte tritt man durch einen Garten ein – eine Säulen-
halle mit marmornem Fußboden nimmt uns auf, von
der aus man eine hübſche Ausſicht auf den Hafen hat, rings-
um ſind Divans und Fauteuils angebracht, vom Veſti-
bule tritt man in eine Art Grotte, deren Kühle in der
heißen Jahreszeit ungemein einladend wirken muß und in
der Fontainen und Baſſins ſich befinden, um die Tem-
peratur noch milder zu machen. Man ſteigt von hier über
eine hübſche Treppe in den erſten Stock, wo eine weite
Flucht von Zimmern ſich aufthut. Ueberall rieſige Spiegel
mit den prachtvollſten Goldverzierungen im üppigſten
Renaiſſanceſtyl, wunderbare Teppiche – die meiſten
144
von Haas in Wien bezogen, – Parquetten aus Eben-
holz, Gold- und Silber-Tapeten, Möbel von blauem,
rothem und weißem Damaſt, Vaſen aus Sèvres, und
einige originelle Rieſenvaſen aus der ehemaligen Wiener
Porzellan-Fabrik, wahrhafte Meiſterwerke von Luſter und
Girandoles. Den prächtigſten Anblick gewährt der große
Empfangsſaal mit großer Kuppel, aus der das Licht
durch farbige Scheiben magiſch einfällt – die Möbel
und Vorhänge ſind von violetter Seide, die Rieſenluſter
aus farbigem Kryſtall, kurz Alles darauf berechnet, die
blendendſten Lichteffekte hervorzurufen. Auf Marmor-
platten ſtehen am Eingange koloſſale Kryſtallkandelaber,
die aus Palmenbäumen von geſchliffenem Glas auf-
ſtreben und ſich oben in hundert Kelchen auszweigen. –
Im Schlafzimmer ſtehen Betten mit ſeidenen Matratzen
unter einem von goldenen Säulen getragenen Baldachin
– ein Tiſch mit eingelegter Arbeit enthält Anſichten
von Rom, der Peterskirche, dem Vatikan 2c. Im Neben-
zimmer finden wir einen großen Tiſch mit eingelegtem
Sèvres, ein geradezu unſchätzbares Kabinetſtück. – Der
Palazzo Nr. 3, gleichfalls Eigenthum des Vizekönigs,
neueſtens von ſeinem Sohne bewohnt, iſt womöglich noch
luxuriöſer eingerichtet. Licht und Luft bilden hier die
weſentlichſten Vorzüge aller Räume, von allen Seiten
werden dieſe Elemente des Lebens zugeleitet, und Säle,
die an beiden Längenſeiten und oben Fenſter nnd Oeff-
nungen haben, ſind nichts Seltenes. Gleich der erſte
Saal macht einen ungemein lieblichen Eindruck. Die
Decke bildet reichgegliedertes, mit Arabesken geziertes Holz-
getäfel, Möbel und Vorhänge vom ſanfteſten Lila, Licht
von allen Seiten durch runde buntfarbige Fenſter ein-
fallend. Im zweiten Salon bewunderten wir einen pracht-
vollen Teppich – der Saal ſelbſt dient als Spielzimmer,
145
ein Billard ſammt nöthiger Einrichtung iſt daſelbſt auf-
geſtellt. Die Gänge und Seitenzimmer ſind ſämmtlich
mit franzöſiſchen Teppichen belegt – allerliebſt ſind die
Badezimmer, in denen das in europäiſchen Bädern ſo
widerliche Halbdunkel durch buntfarbiges Licht erſetzt
iſt. Die Decke des Badezimmers iſt mit weißem Kryſtall-
glas bedeckt, die untere Seite iſt von zahlloſen Gittern
durchſchnitten, deren innere Flächen bunt bemalt ſind, –
die dadurch hervorgerufenen Lichteffekte ſind reizend. Die
Wannen ſind aus Marmor und gibt es deren ſo viele,
daß man für jeden Körpertheil bequem ein ſeparates
Bad herrichten kann. Im Seitenzimmer ladet ein ſchwel-
lender Divan zum Ausruhen ein. – Die Damen des
Palaſtes ſcheinen nicht abgeſondert zu wohnen, wenigſtens
ſahen wir neben dem prächtig eingerichteten Schlafzim-
mer des Paſcha's – ein reizendes Schlafzimmer für
ſeine Gemalin beſtimmt und in demſelben ein pracht-
volles Bett und eine niedliche, mit Roſaſeidenſtoff über-
zogene Wiege. –
Nach den ziemlich ermüdenden Beſichtigungen der
beiden Paläſte, von denen der eine am Meere, der andere
am Kanale liegt, fuhren wir ins Hotel zurück, um
unſer Dejeuner einzunehmen. Die Geſellſchaft war
noch zahlreicher geworden, und wir ſaßen jetzt Mann
an Mann an der Tafel. In dem gleichen Maßſtabe
übrigens, als ſich die Gäſte des Khedive vermehrten,
verſchlimmerte ſich das Menu und namentlich die Weine.
Wir tranken jetzt eine Art Branntwein für Haute Sau-
terne und ein Gemiſch von Weidlinger und Sodawaſſer
als Champagner. Ich machte zu meinem Nachbar,
einem jungen Manne mit beſtechend ſchönen Zügen,
feurigen Augen, pechſchwarzem Haare – einem wahren
Ideal eines jungen Italieners – einige Bemerkungen
- 10
146
über die nunmehr eingetretene Vernachläſſigung – er
antwortete, und bald hatte ſich ein Geſpräch angeknüpft,
wie es eben zwei Menſchen, die der Zufall an einen
Tiſch geführt hat, führen. Der Italiener fragte, ob
ich auch nach Oberegypten gehe und ob mich blos
Neigung zum Reiſen herbeigeführt. Ich antwortete:
Nein, mich ruft auch die Pflicht; ich bin Journaliſt,
Miteigenthümer der Gazette „Neues Fremdenblatt“ 2c.
–- Der junge Mann verbeugte ſich, nachdem ich meinen
Namen genannt und antwortete, auf ſeine Perſon zeigend:
Riccioti Garibaldi. – Fünf Minuten ſpäter war ſelbſt-
verſtändlich die Neuigkeit, daß der Sohn des Hel-
den von Caprera ſich in unſerer Mitte befinde, allge-
mein bekannt, und wir erfuhren auch, daß ſich der Sohn
ſeines Vaters ſeitens der Türken der größten Aufmerk-
ſamkeit erfreue und daß man beſorge, die Kaiſerin
Eugenie, deren Ankunft im Laufe des Tages erwartet
wurde, werde ſo viel als möglich vermeiden, das feſte
Land zu betreten, um allen möglichen Demonſtrationen,
mit denen ſie namentlich die zahlreich hier weilenden
Italiener bedenken wollten, aus dem Wege zu gehen. –
Abends beſuchten wir das Teatro Ziziano, in dem
die „Favorita“ zur erſten Aufführung kam und das
vom eleganteſten Publikum Alexandriens und den Frem-
den beſucht war. Das Theater hat einen vollſtändig
europäiſchen Charakter und wird nur von Europäern
beſucht, ſelten einmal, daß ſich, wenn das Erſcheinen
eines europäiſchen Prinzen angeſagt iſt, einige neugie-
rige Araber in das Haus verirren. Die Preiſe ſind
nicht gering: 60 Franks die Loge, 12 Franks der Sitz
– die Damen erſcheinen ſämmtlich in Balltoilette, die
Herren im ſchwarzen Frack. Man hatte uns die beſten
Plätze angewieſen und wir konnten die Geſellſchaft nach
147
Belieben muſtern. In einer Loge erſten Ranges hatte
ſich Riccioti Garibaldi mit mehreren ſeiner Freunde
eingefunden. Nach dem zweiten Akte ſtimmte die Muſik
plötzlich die Garibaldi-Hymne an und nun begann eine
lärmende, ohrenzerreißende Demonſtration. Von allen
Seiten erhoben ſich die Italiener und brüllten ihr Evviva
Garibaldi – das Rufen und Händeklatſchen dauerte
fünf bis ſechs Minuten. Der junge Garibaldi benahm
ſich ungemein taktvoll; er nickte mit dem Kopfe einigen
Freunden, vermied es aber, trotz der lärmendſten
Zurufe, ſich zu erheben und durch irgend eine Bewegung
die Demonſtration für ſich in Anſpruch zu nehmen.
Dieſe Zurückhaltung machte endlich dem Schreien ein
Ende und die Vorſtellung konnte ungehindert ihren
Fortgang nehmen. Die Oper war übrigens beſſer, als
wir erwarteten, ſie durfte ſich ſogar kühn mit manchen
Vorſtellungen, die wir in der Scala geſehen, meſſen.
Der Tenoriſt hat ein ſehr hübſches Organ, die Prima-
donna, eine Deutſche, Fräulein Urban, eine kleine, aber
höchſt ſympathiſche Stimme; ſie iſt Liebling des Publi-
kums, das ſie mit Beifall und Blumen überſchüttete.
Das Enſemble iſt gut, Chor und Orcheſter tadellos,
die Coſtume glänzend. Wir blieben bis gegen % 12 Uhr,
um welche Zeit der dritte Akt endete, und kehrten dann
in unſer Hotel zurück, nicht ohne am Wege von etwel-
chen jugendlichen Aethiopiern angefallen zu werden, die
uns mit ihren widerlichen, nicht näher zu bezeichnenden
Anträgen beläſtigten. Wir mußten förmlich Reißaus vor
den Kerlen nehmen, flüchteten in ein Café chantant,
in dem man uns für ein Glas Schwechater zwei Francs
zahlen ließ und kehrten nach Mitternacht in unſer Hotel
zurück.
10*
148
Heute Morgens wurden wir zu früher Stunde ge-
weckt und uns angezeigt, daß wir uns ſo raſch als möglich
auf den „Maſſr“, einem der größten egyptiſchen, auch
für Paſſagiere eingerichteten Kriegsſchiffe, einzuſchiffelt
hätten. Man brachte uns mit aller Höflichkeit und
Accurateſſe an Bord, aber bei all dem ſchien man froh
zu ſein, daß man wiederum eine nicht unbedeutende
Ladung Eingeladener wenigſtens in der einen Stadt los
geworden iſt. In dem Augenblicke, als wir Alexandrien
verließen, wurde die Stadt feſtlich geſchmückt. Der
Platz vor dem franzöſiſchen Konſulate war mit fran-
zöſiſchen Flaggen bedeckt, das Haus vom Fuße bis zum
Giebel mit kleinen Laternen, die hier zu Illuminations-
zwecken benützt werden, Wappen und Feſtons dekorirt,
der Eingang in einen blühenden Garten verwandelt.
Wir waren kaum an Bord, als die eben von Ober-
Egypten angelangte Kaiſerin von Frankreich den uns
gegenüberliegenden „Aigle“ verließ und, von einem Mi-
niatur-Dampfſchiff eskortirt, in einer eleganten Barke
dem Ufer zufuhr. Die Kaiſerin trug ein goldgelbes
Kleid, Hut, Mantille, Schirm und Stiefelchen von glei-
cher Farbe. Wie ſie ſo in der Barke daſaß, ſah ſie,
wenn die Sonnenſtrahlen auf ſie fielen, einer
niedlichen Bronzeſtatue nicht unähnlich. Sie beſucht
Abends das Theater – wenn die Demonſtrationen für .
Garibaldi fortdauern, kann das eine ſchöne Unterhaltung
werden!
Ruf dem „ſflaſfr".
Vor Port Said,
an Bord des „Maſſr“, 16. November.
Entſetzlich! Ich bin noch immer an Bord des
„Maſſr“. Sonntag Früh ſchifften wir uns ein, in der
ſicheren Erwartung, ſofort weiter befördert zu werden
und Abends in Port Said einzutreffen, und jetzt ſind
wir noch immer auf dem „Maſſr“, ſehen zwar den
Hafen von Port Said vor uns, können aber noch nicht
ausgeſchifft werden. Man hielt uns jeden Augenblick
mit einer anderen Ausrede hin; bald war die Bran-
dung zu groß, bald weigerte ſich der Pilot, uns aus
dem Hafen zu bugſiren, bald ſollten wir die Abfahrt der
Kaiſerin Eugenie abwarten, dann fehlte es uns wieder
an Proviſion c.! So blieben wir 24 Stunden im Hafen
von Alexandrien vor Anker liegen. – Offenbar hatte unſere
ſchnelle Einſchiffung nur den Zweck gehabt, in Alexan-
drien Platz für die von Ober-Egypten anrückenden Fran-
zoſen zu machen. Der „Maſſr“ iſt ein rieſiges Schiff
150
mit koloſſalen Räumlichkeiten und einer Maſchine von
800 Pferdekraft. Man zählt 120 Kabinen an Bord,
vier große Speiſeſäle, Schreibſalon, Badezimmer 2c. –
jeder Raum in der eleganteſten Weiſe eingerichtet –
kurz, es iſt für Alles geſorgt und doch wieder für gar
nichts. Man hat 150 Paſſagiere an Bord genommen
und an die Bedienung faſt gar nicht gedacht, einige
ungeſchickte Kellner, die man raſch aufgenommen, be-
ſchütten uns bei Tiſche mit Sauce und hauen uns die
Weinflaſchen förmlich um die Schädel. Die Schiffs-
aufſicht bemüht ſich, Alles für uns zu thun, aber ſie
verfügt über unzulängliche Kräfte. In der Mehrzahl
der Kabinen iſt der Aufenthalt geradezu unerträglich.
Wir konnten anfangs die Urſache des peſtilenzartigen
Geruches nicht ergründen, erfuhren aber nachträglich, daß
der Parfum von verfaultem Holze herrühre, in das ſich
übelriechendes Waſſer eingeſogen. Die Koſt iſt geradezu
abſcheulich, man gibt uns Leder ſtatt Fleiſch und ſervirt
uns Saucen, deren Herkunft in das undurchdringlichſte
Dunkel gehüllt iſt. Aber ſelbſt wenn man ſich entſchlie-
ßen könnte, das uns Gebotene zu verdauen, vermögen
dies nicht Alle, denn in der Regel wird die Hälfte der
Tiſche gar nicht bedient. Ach, wo ſind die ſchönen Tage
des „Pluto“ hingekommen! – Geſtern Morgens endlich
fuhren wir aus, die See war ziemlich bewegt, und da
unſer Schiff nur äußerſt wenig Ballaſt hatte, um, wenn
uöglich, durch den Kanal fahren zu können, ſo war die
Bewegung eine ungewöhnlich ſtarke – nach der erſten
halben Stunde war bis auf ein kleines Häuflein uner-
ſchütterlicher Seefahrer Alles krank. Außer uns Oeſter-
reichern befinden ſich der berühmte Orientaliſt Profeſſor
Bruggſch, ein engliſcher Admiral, der däniſche Staatsrath
Graf Blome, der ruſſiſche Graf Solohub, Graf Schwei-
151
nitz und Herr Eiſenlohr aus Berlin, die Familie Scan
dinavi aus Alexandrien, Oberlieutenant Baron Bianchi,
der däniſche Konſul Dumreicher, Attaché Hausmann,
Lord Houghton c. an Bord. Da der Geruch in den
unteren Räumen immer ärger wurde, ſo breiteten wir
unſere Plaids zunächſt dem Maſtbaume auf, ließen uns
Decken und Abends auch die Matratzen auf das Verdeck
bringen und verließen unſer Lager von Montag Früh
11 bis Dienſtag Morgens 7 Uhr auch nicht einen
Augenblick. Auf Speiſe und Trank hatten wir im vorhinein
verzichtet, und der wackere Reſtaurateur des Schiffes hatte
mit Rückſicht auf die zu erwartenden Geſundheitsverhältniſſe
der Paſſagiere nicht nur zwei Tiſche weniger gedeckt, ſon-
dern, wie Hackländer treffend bemerkte, gleich für drei
Tiſche weniger gekocht. Daß man uns mit einer tür-
kiſchen Muſik regalirte, die unſere Ohren zerriß, daß
man am Vorabend unſerer Abfahrt zu Ehren der fran-
zöſiſchen Kaiſerin Raketen ſteigen ließ und eine derſel-
ben gerade zwiſchen unſeren Füßen durchfuhr, daß wir
während der Fahrt drei Mal ſtehen bleiben mußten,
weil die Maſchine verſchiedene Brüche erlitt, daß ſchließ-
lich das Schiff den Kurs verfehlte, das Alles erwähne
ich nur als kleine Unfälle, die angeſichts unſerer allge-
meinen Lage gar nicht in Betracht kommen konnten.
Wie glücklich waren wir, als man uns heute gegen
7 Uhr meldete, der Leuchtthurm von Port Said wäre
in Sicht. Alle Leiden waren vergeſſen, wir zogen uns
raſch an und eilten, mit Ferngläſern und Opernguckern
bewaffnet, auf die Brücke. Ein ganzer Wald von
Segeln und Dampfern lag vor uns; rechts, weit draußen
vor dem Hafen zwei öſterreichiſche Panzerſchiffe, darunter
der „Ferdinand Max“, links die engliſche Mittelmeer-
flotte, ein ruſſiſcher und zwei italieniſche Dampfer, weiter
152
gen Port Said zahlreiche Schiffe, deren Flaggen nicht zu
erkennen waren. Kurz nach 7 Uhr kam der „Aigle“
in Sicht und ſofort begannen die Hafenbatterien ihr
Feuer. Die öſterreichiſchen Fregatten ſtanden in zwei
Minuten in großer Toilette da, die Matroſen erkletter-
ten die Raaen und das Salutſchießen begann. Wir
waren an die Kanonaden ſchon vom Bosporus her ge-
wöhnt, neu war für uns nur die Präziſion, mit der
auf den öſterreichiſchen und engliſchen Schiffen alle
Kommandos ausgeführt wurden. Der „Aigle“ wendete
raſch und fuhr zuerſt zwiſchen den beiden öſterreichiſchen
und dann zwiſchen den engliſchen Schiffen durch, beide
Flaggen mit dem üblichen Ceremoniel begrüßend. Ein
Aviſodampfer mit dem franzöſiſchen Konſul an Bord
kam dem „Aigle“ entgegen, und letzterer fuhr ſo nahe
an uns vorbei, daß wir die Kaiſerin, die in Begleitung
einer Dame und mehrerer Offiziere auf dem Verdeck
ſtand, genau betrachten konnten. Die Kaiſerin trug ein
lichtes Kleid, weiße Mantille, weißen Hut mit blauem
Schleier und grüßte freundlich nach allen Seiten. Gegen
8 Uhr näherte ſich ihr Boot dem Hafen und ward neuer-
dings mit Salven begrüßt.
Im Hafen von Port Said. – Der Kaiſer
im heiligen Land.
Port Said, 16. November.
Heute Morgens endlich verließen wir den „Maſſr“,
nachdem wir Kunde erhalten, daß der Kaiſer von Oeſter-
reich bereits geſtern hier angelangt und die Oeſterreicher
heute zu empfangen wünſche. Der Anblick des Hafens von
Port Said bot ein impoſantes Schauſpiel: Schiff an Schiff
ſtand im Hafen, ein Wald von Wimpeln und Flaggen
aller Nationen wehte uns entgegen – von allen Seiten
eilten Schiffe herbei, vom Norden, Süden, Weſten und
Oſten nahten die Dampfer – alle Nationen hatten ſich
hier ein ſolennes Rendezvous gegeben. Das Salut-
ſchießen und Hurrahſchreien wirkte wahrhaft marker-
ſchütternd; geſtern Morgens hatte es begonnen und in
dieſem Augenblicke (5 Uhr Abends) noch nicht aufge-
hört. Jeder Monarch und Vertreter einer Nation wird,
ſobald er an's Land geht oder wieder an Bord kömmt,
mit Salutſchüſſen begrüßt. der Kanonendonner dauert
ſomit den ganzen Tag fort.
154
Admiral Wüllerstorff und Unterſtaatsſekretär Szende
waren in einer Barke vorausgeeilt und trafen Se. Maje-
ſtät gerade, als er die Schiffstreppe hinabſtieg und ſich
auf den „Aigle“ begab, um die Kaiſerin zu begrüßen.
Der Kaiſer ſtieg, gefolgt von ſeiner militäriſchen Be-
gleitung, die Schiffstreppe hinauf, die Kaiſerin ging ihm
einige Schritte entgegen, Se. Majeſtät gab der Kaiſerin
den Arm und führte ſie in den Salon, wo beide Maje-
ſtäten ungefähr zehn Minuten allein blieben. Die Kai-
ſerin hatte eine reizende Toilette, – violet mit ſchwar-
zem Spitzenſchleier. Se. Majeſtät kehrte hierauf an
Bord des „Greif“ zurück und empfing am Verdeck die
Oeſterreicher. Er hatte für Jeden freundliche Worte,
erkundigte ſich, wie wir die Fahrt überſtanden und
unterhielt ſich längere Zeit mit Herrn v. Wüllerstorff,
Herrn Winterſtein, Baron Schlechta, Hofrath Scherer,
Sektionsrath Kremer c. Dem Mitgliede der Trieſter
Handelskammer, Herrn Eſcher, ſagte Se. Majeſtät, daß
er ſchlimme Nachrichten von Trieſt habe und leider ſeit
geſtern ohne Nachrichten von ſeiner Familie ſei, da der
Telegraph unterbrochen ſei. Auch die Miniſter Beuſt
und Plener und Graf Andraſſy nahmen uns ſehr freund-
lich auf.
Hier erſt erfuhren wir von den Begleitern des
Kaiſers nähere und genauere Details über die Reiſe
nach Jeruſalem. Von Piräus nach Jaffa war die Fahrt
der kaiſerlichen Flotte eine äußerſt ſtürmiſche und das
Befinden der Reiſenden – mit wenig Ausnahmen, zu
denen der Kaiſer zählt – gerade kein allzu behagliches.
Dennoch unterließ man nichts, um die einmal gegebene
und nicht abzuändernde Situation ſo humoriſtiſch als
nur immer möglich aufzufaſſen. Der Kaiſer war wohl
und ſtets bei guter Laune. Er ließ der „Eliſabeth“
155
ſignaliſiren: „Welche Paſſagiere ſind ſeekrank?“ „Eliſa-
beth“ antwortet: „Der Reichskanzler und Hoff-
mann.“ Sofort telegraphirt der Kaiſer: „Widme
Theilnahme den Kranken.“ Abends frug der Kaiſer
die „Eliſabeth“ abermals telegraphiſch: „Wie geht es
den Patienten?“ – Antwort: „Entſprechend.“ –
Samstag den 6. November war der Seegang im Zu-
nehmen begriffen. Unter den Paſſagieren herrſchte Angſt
und Schrecken; die Seekrankheit mit allen ihren gräß-
lichen Folgen trat epidemiſch auf und verſchonte weder
Miniſter noch Hofräthe. Reichskanzler Graf Beuſt, der
trotz heftiger Seekrankheit ſeine gute Laune nicht einen
Moment verlor, telegraphirte in der neunten Morgen-
ſtunde an den Kaiſer: „Caesar, morituri te salutant!“
(Kaiſer, die Sterbenden begrüßen Dich!) Der Kaiſer
antwortete telegraphiſch: „Requiescant in pace! (Sie
mögen in Frieden ruhen.)
Die Ausſchiffung in Jaffa, vor der man ſich ernſt-
lich fürchtete, da ſie bei ungünſtiger Witterung mit
großen Gefahren verbunden iſt, erfolgte am 8. Novem-
ber Morgens ohne alle Schwierigkeit. Der Empfang
am Landungsplatze war ein feſtlicher und lebhafter.
Zahlreiche türkiſche Würdenträger erwarteten ſchon ſeit
mehreren Tagen den Kaiſer, um ſich ihm und ſeiner
Begleitung zur Verfügung zu ſtellen. Von allen Enden
des Landes waren die Scheichs der Beduinen und die
Häuptlinge der Drnſen mit ihren Schaaren herbeigeeilt,
um die kaiſerliche Karawane zu begleiten, und nächſt
ihnen bildeten zahlreiche türkiſche Kavallerietruppen die
nöthige Bedeckung. – Im nahen Lager ordnete ſich
der Zug, aber ehe er noch aufbrach, führten die Beduinen
vor dem „Nemcar Padiſchah“ ritterliche Spiele und
glänzende Reiterkünſte auf. Sie ſchwangen ihre Lanzen,
156
ſprengten im Carrière durch die Reihen der ſie Verfol-
genden, feuerten während des Rittes ihre Gewehre ab
und kehrten dann, kaum echauffirt von dem raſenden
Ritte, wieder auf ihren früheren Standplatz zurück. –
Nach beendetem Waffenſpiel ordnete ſich die Karawane.
Den Beginn machten die Kawaſſen des öſterreichiſchen
Konſulats in Jeruſalem in reicher Tracht, dann folgten
der Kaiſer und deſſen Suite, hierauf die Scheichs und
Anführer in prachtvollem Koſtume, die türkiſche Kaval-
lerie, die Wagen und Sänften, und zuletzt die Kameele.
Der Zug war über eine Stunde lang, mehr als 1000
Reiter nahmen an demſelben Theil. Die Gaſtfreund-
ſchaft des Sultans manifeſtirte ſich auch hier in glän-
zendſter Weiſe. An fünfhundert Kameele waren mit
den verſchiedenartigſten Geräthſchaften beladen, die aus-
ſchließlich für die Bequemlichkeit und den Komfort der
öſterreichiſchen Gäſte beſtimmt waren. Während der
ganzen Reiſe ſchlief der Kaiſer allnächtlich in einem vier
Centner ſchweren ſilbernen Bette, welches jeden Morgen
zerlegt und auf Kameelen nach dem nächſten Nachtlager
transportirt wurde.
In Ramleh ward das Frühſtück eingenommen und
dann der beſchwerliche Ritt zur Nachtſtation angetreten,
die in beſter Stimmung erreicht wurde. Am nächſten
Morgen (9. November) ward frühzeitig aufgebrochen
und in den erſten Vormittagsſtunden langte man vor
Jeruſalem an. In einer Thalmulde ward Halt ge-
macht und Alles warf ſich raſch in Gala-Toilette. Bald
war Jeruſalem in Sicht und nun begann der Empfang
ſeitens der von der Bevölkerung dem Kaiſer entgegen-
geſendeten Deputationen. Die ungariſchen Juden Jeru-
ſalems erſchienen die Erſten, mit einer ungeheuren
Trikolore, auf welcher mit goldenen Buchſtaben die
157
Aufſchrift ſich befand: „Eljen a Czászár es magyar
Apostoli Király Ferencz József Eljen a nemzet.
A magyar, morva es eseh izraelita község.“ Von
nun an erfolgte raſch Empfang an Empfang. Bei dem
erſten Triumphbogen harrte ein Theil des chriſtlichen
Klerus des Kaiſers.
Der Kaiſer ſtieg vom Pferde, küßte andächtig den
Boden und verweilte längere Zeit in inbrünſtigem Ge-
bete. – Der Einzug in die heilige Stadt erfolgte zu
Fuße – die Geiſtlichkeit ging dem Kaiſer entgegen und
geleitete ihn in feierlicher Prozeſſion in die Grabkirche.
– Nachmittag machte der Kaiſer einen Spazierritt
nach dem Oelberge und beſichtigte mehrere öffentliche
Anſtalten. Am nächſten Tage beſuchte Se. Majeſtät
nochmals die Grabkirche und verweilte längere Zeit in
derſelben, dann die arabiſche Schule, den Konvent der Ar-
menier, das engliſche und das Rothſchild-Spital und die von
Dr. Ludwig Auguſt Frankel vor mehreren Jahren ein-
gerichtete Herz-Lämel-Stiftung. Am Nachmittag erfolgte
ein Ausflug nach Bethlehem, der etwa ſechs Stunden
in Anſpruch nahm. Der Kaiſer beſuchte die Helenen-
kirche, die lateiniſche Kapelle und die Geburtsſtätte
Chriſti, an letzterem Orte verweilte der Kaiſer andächtig
betend länger als eine Stunde. Während dieſer Tour
traf den in der Suite des Kaiſers befindlichen General-
konſul v. Wekbecker ein ernſter Unfall. Während
eines ziemlich ſtarken Galopps riß der Zügel des
Pferdes, der Reiter ſtürzte und erlitt einen Rippenbruch,
der ſich anfangs ziemlich gefährlich anließ, ſpäter aber
glücklich geheilt ward. Glücklicher war Sektionschef
v. Hofmann, der am Tage zuvor in Folge eines Riſſes
des Sattelgurts vom Pferde ſtürzte, zur Freude ſeiner
zahlreichen Freunde aber nicht gefährlich verletzt wurde.
158
Der Kaiſer und ein Theil der Suite machte auch einen
Ausflug nach Jericho, dem Jordan und dem todten
Meere, während Graf Beuſt und Miniſter v. Plener
mit mehreren Herren nach Bethlehem fuhren. Die letztere
Fahrt verdient inſoferne als ein Ereigniß betrachtet zu
werden, als der Reichskanzler ſeit König Salomo der
Erſte war, der die Stadt im Wagen beſuchte. Die
Aufregung der Bevölkerung, als ſie das nie geſehene
Wunder eines europäiſchen Wagens erblickte, entzieht
ſich der genauen Beſchreibung. Von allen Seiten ſtrömten
die Menſchen herbei und ſtaunten das Gefährte an und
befühlten zitternd und zagend die einzelnen Beſtandtheile
desſelben.
Am 13. November erfolgte die Rückreiſe von Jeru-
ſalem über Ramleh, wo übernachtet ward, nach Jaffa.
Der Kaiſer widmete auf der Rückreiſe einige Zeit dem
edlen Waidwerk und bewährte ſich auch hier als aus-
gezeichneter Jäger. Er ſchoß zwei Steinhühner, einen
ſchönen Wanderfalken und eine Gabelweihe. Flügel-
adjutant Major von Krieghammer produzirte ein
Jägerſtückchen, das wohl in der Jägerchronik verzeichnet
zu werden verdient. Er ritt einen großen Adler an,
verfolgte ihn, während der Vogel in den Lüften kreiste
im Carrière und erlegte ihn während des Rittes. –
Die Einſchiffung in Jaffa erfolgte unter den ungünſtigſten
Verhältniſſen und war geradezu lebensgefährlich. Man
verſichert, daß Admiral Tegetthoff jede Verantwortlichkeit
für die möglichen Folgen abgelehnt und die ſofortige Ein-
ſchiffung entſchieden widerrathen habe, daß aber derKaiſer mit
gewohnter Unerſchrockenheit den Befehl zur Einſchiffunger-
theilte. Das Meer bei Jaffa war in ſtärkſter Bewegung und
die Gefahr für die Boote, an den zahlreichen Klippen
zu zerſchellen, eine drohende. Der Kaiſer und ein Theil
159
der Suite beſtiegen das erſte Boot und nur den unge-
heuerſten Anſtrengungen der Ruderer gelang es, einen
ernſten Unfall zu verhüten. Einen Moment lang hielt
man das Boot für verloren, wiederholt verſuchte man
an den „Greif“ zu gelangen, aber immer wieder ward
das Boot zurückgeworfen. Endlich mußte zu dem äußer-
ſten Mittel gegriffen werden und der Kaiſer an Bord
„gehißt“ werden. Die Szite, die auf dem „Gargnano“
ihren Platz hatte, verſuchte ſich vergebens einen Weg
durch die ſchäumenden Wogen zu bahnen. Wiederholt
ſchlugen die Wellen über Bord und nur nach über-
menſchlicher Anſtrengung gelang es den Paſſagieren, an
Bord zu kommen. Eine zweite Barke dagegen mußte
umkehren und die Paſſagiere der „Eliſabeth“ (der
Reichskanzler und die Miniſter) mußten am Ufer bleiben,
da die Araber trotz der glänzendſten Verſprechungen ſich
weigerten, die Fahrt zu unternehmen. Von Jaffa nach
Pord Said war die Fahrt eine günſtige und als man
am Morgen des 15. im Hafen anlangte, war jedes
Ungemach vergeſſen, und neu gekräftigt betraten die
Reiſenden das feſte Land.
Das internationale Te Deum.
Port Said, 16. November.
Nachdem wir heute unſeren Beſuch auf dem „Greif“
beendigt, begaben wir uns zum Schiff des Khedive,
der „Makrusza“, dem prächtigſten Dampfer, den die
Welt wohl aufzuweiſen hat. Nubar Paſcha empfing
uns und führte uns in den prachtvollen, auf das Ge-
ſchmackvollſte ausgeſtatteten Salons umher, in denen
abendländiſcher Luxus mit orientaliſcher Bequemlichkeit
vereint iſt. Vom Verdeck ſahen wir, wie Abd-el-Kader,
in einen weißſeidenen Burnus gehüllt und mit dem
großen Band des Osmanli geziert, der Kaiſerin der
Franzoſen einen Beſuch abſtattete. Erleben wir hier
nicht Wunder? Abd-el-Kader, der erbittertſte Feind der
Franzoſen, an Bord des „Aigle“ ein höflicher Beſucher!
– Wir traten eben in den unteren Salon ein, als
der Khedive erſchien und Jedem mit der Liebenswür-
digkeit eines vollendeten Gentleman die Hand ſchüttelte.
Er plauderte mit jedem Einzelnen und lud uns dann
161
ein, uns niederzulaſſen. Wir wollten eben von Kaffee
und Tſchibuks, die von Dienern ſervirt wurden, Ge-
brauch machen, als eine franzöſiſche Deputation eintrat
und wir ihr Platz machten. Nubar Paſcha begleitete
uns und führte uns noch auf die Kapitänsbrücke, wo uns
der Kronprinz empfing. Im ſelben Augenblicke verließ
die Kaiſerin ihr Schiff und ſtattete den Monarchen
Gegenviſite ab. Nachdem unſer Beſuch abgethan war,
ſtiegen wir an's Land, beſichtigten das prächtig aufge-
putzte Port Said und wurden dann durch militäriſches
Spalier an den Strand des Meeres geleitet, wo der
erſte Akt des großen Feſtes, das internationale Tedeum,
ſtattfinden ſollte. Nicht weit vom Ufer, an das brandend
und toſend die See ſchäumende Wogen warf, war ein
großer freier Platz dem Meere abgerungen worden;
noch geſtern hatte die Springfluth einen Theil unter
Waſſer geſetzt und mit Aufgebot aller Kräfte mußte
gearbeitet werden, um die Kommunikation zum Feſt-
Platze möglich zu machen. Auf dieſem ſtanden von
Flaggenſtangen umgeben drei große Zelte: rechts ein
weiß-blaues Zelt, in dem der chriſtliche Altar aufgeſtellt
war und eine zahlreiche Geiſtlichkeit mit dem Erzbiſchof
vom Sinai Monſignore Ciurcia an der Spitze, den
Beginn der feierlichen Handlung erwartete, links ein
grün-weißes Zelt mit egyptiſchen Prieſtern, im Zelte
eine Art Kapelle, in welcher der Scheik-el-Zakha ſtand und
Gebete aus dem Koran vorlas. Gegenüber von den
beiden Zelten war eine große Tribüne für die Majeſtäten -
und deren Gefolge errichtet. Außer den Geſandten und
den Frauen und den Admiralen hatten nur noch fünfzig
Perſonen, darunter der Schreiber dieſer Zeilen Zutritt
gefunden. Herr v. Leſſeps machte mit gewohnter Liebens-
würdigkeit daſelbſt die Honneurs. In ºriten Kreiſe
162
ſtand außerhalb der Tribüne das eleganteſte Publikum
Europa's, die Vertreter aller Nationen, und harrten
des Beginnes der großartigen Ceremonie. Rechts von
der Tribüne war am Meeresſtrande eine Batterie auf-
geſtellt, an der Straße vom Kai bis zum Pavillon
paradirte eine egyptiſche Brigade.
Kurz vor 3 Uhr erſchien am Arme des Kronprinzen
von Egypten die Prinzeſſin von Oranien, gefolgt von
ihrem Gemal, der die Gattin des ruſſiſchen Geſandten
v. Ignatieff führte. Wenige Minuten nach 3 Uhr ver-
kündete Kanonendonner das Nahen des großen Feſt-
zuges. Voran ſchritten Arbeiter des Kanals mit Fahnen
aller Nationen, die ſchwarz-gelbe öſterreichiſche erſchien
an der Spitze des Zuges, dann die franzöſiſche. – Nach
den Arbeitern kamen Kavaſſen und egyptiſche Offiziere,
hierauf der Kaiſer Franz Joſef in Feldmarſchallsuni-
form, am Arme die Kaiſerin Eugenie führend. Die
Kaiſerin trug ein perlgraues Seidenkleid mit weißen
Spitzen garnirt, perlgraues Jäckchen, ein ſchwarzes
Sammthütchen mit Halbſchleier vor dem Geſichte,
am Halſe ein ſchwarzes Sammtband und an dem-
ſelben eine runde Broche, ein Kreuz aus Smaragd
von Brillanten umgeben. Den Majeſtäten folgte der
Khedive mit dem Kronprinzen von Preußen, dann die
Vertreter Italiens, Rußlands, Englands und Däne-
marks. Die Herrſchaften nahmen in folgender Ordnung
von rechts nach links Platz. Am äußerſten rechten Ende
der Vertreter Englands, dann die Prinzeſſin von Ora-
nien, der Khedive, die Kaiſerin Eugenie, der Kaiſer von
Oeſterreich, der Kronprinz von Preußen, der Prinz
von Oranien, und die Vertreter der übrigen Mächte.
In der zweiten Reihe ſaßen mehrere Damen, der
egyptiſche Kronprinz, Abd-el-Kader und die Miniſter
163
Beuſt, Graf Andraſſy und Fürſt Hohenlohe. Dann
ſtand dichtgedrängt das übrige Gefolge. Nachdem die
Majeſtäten Platz genommen, ſprach zuerſt der Scheik-el-
Zakha ein Gebet, worauf der Erzbiſchof unter Kanonen-
ſchüſſen das Tedeum anſtimmte. Nachdem dasſelbe be-
endet war, trat Abbé Bauer, der Bruder des Direktors
der Wiener Eskomptebank, ein bekannter franzöſiſcher
Kanzelredner, vor den Altar und hielt mit klangvoller,
weithinſchallender Stimme eine lange Rede, in der er
die Bedeutung des Feſtes, als eines Feſtes des Friedens,
als eines für den Handel weltbedeutenden Feſtes her-
vorhob, des Handels, der den Völkern Frieden und
Freiheit ſichere. Er dankte dem Vizekönig, unter deſſen
Aegide das Werk gediehen, im Namen der Völker.
Egypten, rief der Redner, wird ſeine Regeneration von
der Regierung Ismael Paſcha's datiren und die Geſchichte
dieſem trefflichen Regenten eines ihrer ruhmvollſten Blätter
widmen. Er dankte für die Toleranz, welche Se. Hoheit
dem Chriſtenthume gegenüber bewähre, eine Toleranz,
die ſich glänzend in dem eben vollzogenen kirchlichen Akt
manifeſtirt. Egypten, das einſt das Land der Sklaverei
geweſen, ſei heute das Land wahrer konfeſſioneller Freiheit.
Abbé Bauer dankte hierauf dem Kaiſer der Franzoſen
für den Schutz, den Frankreich dem Werke angedeihen
ließ, bei deſſen feierlicher Einweihung es durch ſeine
Kaiſerin vertreten ſei. Der Redner dankte auch
dem Kaiſer von Oeſterreich für das Zeugniß der be-
wunderungswürdigen Sympathie, welches der Kaiſer
Angeſichts der ganzen Welt dem großen Werke in ein-
ſichtsvoller Erkenntniß ſeiner Bedeutung für Oeſterreich
gab, er knüpfte an dieſen Dank die innigſten Segens-
wünſche für das Kaiſerhaus und das ſchöne Oeſterreich.
Dann gedachte er in ſchwungvollen Retº Schöpfers
164
des Kanals, Herrn v. Leſſeps, deſſen Namen die Geſchichte
aller Zeiten in glorreicher Weiſe nennen und deſſen An-
denken ſo wie jenes des Entdeckers von Amerika ehren
werde.
Noch gedachte er mit bewegter Stimme aller Jener,
die im Kampfe „gegen Wüſte und Barbarei“ während
des Baues gefallen und flehte ſchließlich den Segen des
Himmels herab auf das vollendete Werk, auf den neuen
Weg, der das Licht der Gerechtigkeit, des Friedens
und der Civiliſation weithin verbreiten und die Völker des
Orients und des Occidents ſich ſelbſt und Gott näher
bringen ſolle.
Nach beendeter Rede ſang die Geiſtlichkeit noch ein
Gebet, an deſſen Schluſſe die Kaiſerin Eugenie faſt
auf die Knie ſank und ſich bekreuzte. Die Herrſchaften
kehrten hierauf in derſelben Ordnung, wie ſie gekommen,
zu Fuß nach dem Schiffe zurück. Die Menſchenmenge
begrüßte ſie mit unaufhörlichen Hurrahs. – Die ganze
Ceremonie hatte ungefähr zwei Stunden gedauert.
Die Fahrt durch den Suezkanal.
Ismailia, 17. November.
Geſtern Abend beſchloß ich den „Maſſr“ zu ver-
laſſen, da ich beſtimmt hörte, derſelbe werde nicht den
Kanal paſſiren und die auf dem Schiffe befindliche
Geſellſchaft müſſe auf mehrere kleine Dampfer vertheilt
werden, die einen halben Tag ſpäter als die kaiſerlichen
Schiffe in Ismailia landen ſollten. Um dieſer Unge-
wißheit zu entgehen, wandte ich mich durch Vermittlung
eines Freundes an Mr. Leſſeps und dieſer wackere
Mann, der heute das ſchönſte Feſt begeht, das ein Sterb-
licher feiern kann, hatte die Gefälligkeit, mir einen Platz
auf einem Extradampfer anzubieten, der die Familie
Leſſeps nach Ismailia bringen ſollte. – Ich benützte
den Reſt des Abends, um durch die Straßen Port Saids
zu wandern. Straßen? Als ob man dieſe der Wüſte,
dem Meere abgerungene, mit nothdürftig zuſammenge-
zimmerten Häuſern beſetzte Fläche ſo nennen könnte.
Inmitten jeder Straße iſt ein feſtgeſtampfter, ſechs Fuß
166
breiter Weg für europäiſche Stiefeln mit Sicherheit zu
paſſiren, ein Schritt daneben und man verſinkt fußtief
in den Staub. Port Said, das vor wenigen Jahren
auch nicht eine Barake aufzuweiſen hatte, zählt heute
mehrere hundert Häuſer und etwa 12.000 Einwohner.
In dieſen Tagen hat es ſeine Galakleider angezogen
und namentlich der Hafen beſchämt in dieſem Augen-
blicke die berühmteſten Häfen des Ozeans. Die Kriegs-
ſchiffe aller Nationen ſind da verſammelt, die Flaggen
der Welt wehen von den Raaen und von allen Enden
ſind Dampfer der Privatgeſellſchaften herbeigeeilt, um
Tauſende von Neugierigen hier auszuladen. Wenn dieſe
Feſttage nicht trügeriſch ſind und nur die Hälfte von
dem halten, was ſie verſprechen, ſo hat Port Said eine
große Zukunft. – Welches Leben herrſchte geſtern in
den Straßen ! Alle Sprachen Europa's konnte man hören
und ſelbſt im kaiſerlichen Kiosk war das Franzöſiſche
nicht das allein herrſchende Idiom – man hörte ruſſiſch,
Polniſch, ungariſch, deutſch, engliſch, ſpaniſch – nur
nicht böhmiſch. Das Reich Czechien ſchien gar keinen
Repräſentanten bei dem internationalen Feſte zu haben. –
Die Straßen Port Saids waren feſtlich dekorirt, überall
gab es Lampions, Laternen, Fahnen und Triumphbogen.
Beſonders glänzend waren der Lloyd und das öſterreichiſche
Konſulat dekorirt. – Der Mißmuth, der ſich meiner
geſtern auf dem „Maſſr“ bemächtigte, iſt gänzlich ver-
ſchwunden. Der „Maſſr“ war eben in aller Eile zur
Beherbergung der Gäſte hergerichtet worden und konnte
den bereits durch den Aufenthalt in Kairo und Alexan-
drien geſteigerten Erwartungen nicht entſprechen, zudem
beeinträchtigte die Gewinnſucht des Unternehmers auf
dem Schiffe den guten Willen des Feſtgebers. Hier auf
feſtem Boden iſt wieder Alles anders – niemals, ſo
167
lautet der einſtimmige Ausſpruch aller Theilnehmer, iſt
Gaſtfreundſchaft in ſo verſchwenderiſcher und alle Be-
dürfniſſe befriedigender Weiſe geübt worden, wie hier
in Egypten. Der Spruch: „Tiſchlein, deck dich“ erfüllt
ſich hier jeden Augenblick, der Gaſt äußert nur den
Wunſch und er iſt ſofort befriedigt; ſelbſt die Franzoſen,
die in ihren Anſprüchen geradezu das Unmögliche leiſten
– ſie laſſen z. B. ihre kleinen Einkäufe auf Koſten
des Vizekönigs beſorgen – ſind zufrieden, und das ſagt
Alles. Erzählt man doch, daß etwelche Franzoſen die
Spielſchulden, die ſie am grünen Tiſche machten, zur Bezah-
lung an den Vizekönig anwieſen und daß dieſer zahlte! –
Daß eine Geſellſchaft von acht bis zehn Perſonen hier
Extratrains oder Extradampfer verlangt, iſt gar nichts
Seltenes und ſelbſt ſolche extravagante Wünſche werden
erfüllt. Die großen Säle, in denen man ſpeist, werden
faktiſch keinen Augenblick geſperrt, die ganze Nacht hin-
durch wird gezecht, und man kennt eingeladene Schma-
rotzer, die drei Mal des Tages dejeuniren und ebenſo
oft zum Diner kommen. – –
Geſtern Nachts alſo verließ ich den „Maſſr“, be-
ſichtigte die prächtige Illumination, ſchenkte dem brillan-
ten Feuerwerk, das von allen Schiffen abgebrannt wurde
und den Horizont mit zahlloſen farbigen Sternen be-
deckte, einige Aufmerkſamkeit und begab mich dann auf
den Dampfer der Suezgeſellſchaft, einer mit einem
Miniaturkeſſel verſehenen Nußſchale, auf deren Verdeck
ungefähr 20 Perſonen Platz nahmen. Ich ſuchte zwi-
ſchen Koffern, Plaids und Hutſchachteln ſo gut als
möglich unterzukommen, hüllte mich in meinen Plaid
und blickte nach dem Leuchtthurm von Port Said, deſſen
elektriſches Licht uns vier Meilen weit begleitete. Rechts
breitet ſich die ſyriſche Wüſte, links ein See aus, an
168
beiden Ufern dehnen ſich kahle, ſandige Strecken, deren
Sand von den aufſchäumenden Wellen fortwährend ab-
geſpült wird. Man durchſchneidet, von Port Said kom-
mend, den Kanal von Norden nach Süden, durchfährt
dann den See Menzaleh, deſſen Waſſer in einer Strecke
von 40 Kilometer Länge für den Kanal benützt wurde,
ſpäter die Seen Ballah und gelangt dann in die Mitte
des Iſthmus in den Lac Timſah, an deſſen Ufer Js-
mailia liegt, – paſſirt dann die ſchwierigſte Stelle,
ſchifft in das Baſſin der blauen Bitterſeen und von
dort in wenigen Stunden nach Suez.
Die ganze Länge beträgt 168 Kilometer oder 224
deutſche Meilen. Davon kommen auf die Strecke von
Port Said bis Ismailia 80 Kilometer oder 1066
deutſche Meilen. Die Tiefe des Kanals ſoll 85 Meter
unter dem gemittelten Niveau des mittelländiſchen und
des rothen Meeres betragen. (Das Niveau des mittel-
ländiſchen Meeres unterſcheidet ſich von dem des rothen
Meeres zur Ebbezeit nur unbedeutend.)
Die Sohlenbreite des Kanals ſoll 22 Meter meſſen
und ſollen die Böſchungen in dem Verhältniſſe von 2:1
anſteigen. Von Kantarah bis El Ferdane iſt der Kanal
in der angenommenen Breite fertig, auch an den meiſten
Stellen auf die vorgeſchriebene Tiefe gebracht. Von
El Ferdane bis zum Timſahſee iſt die verlangte Breite
vorhanden, es fehlt aber an vielen Stellen noch die vor-
geſehene Tiefe. Zwiſchen den beiden letztgenannten Orten
liegt bei El Giſr die alte Waſſerſcheide des mittellän-
diſchen und rothen Meeres. Hier werden die Muſcheln
beider Meere nahe nebeneinander liegen gefunden. Auch
liegt hier die höchſte Stelle der Landenge, da ein Durch-
ſtich von 20 Meter gemacht werden mußte, um auf das
Niveau des Kanalwaſſerſtandes zu gelangen. Der durch
169
den Timſahſee geführte Kanal hat die volle Breite; die
Tiefe beträgt indeſſen durchſchnittlich erſt 7 Meter unter
mittlerem Waſſerſtande. Vom Timſahſee bis zum Se-
rapeum hat der Kanal höchſtens 20 Meter Sohlenbreite
und 7 Meter Tiefe mit Ausnahme einer Strecke von
ppt. 30 Meter, wo nur 55 Meter Waſſertiefe vorhan-
den iſt. Es liegt hier eine leider nicht früh genug durch
die Bohrungen feſtgeſtellte Felsbank von 2% bis 3
Meter Mächtigkeit, an der alle Baggerungen geſcheitert
ſind und der man erſt mit Sprengungen zu Leibe gehen
muß. Vom Serapeum durch den großen Bitterſee iſt
eine Tiefe von durchſchnittlich 9 bis 10 Meter vorhan-
den, die ſich durch Auflöſung der Salzbänke gebildet hat.
Der kleine Bitterſee wurde auf trockenem Wege bis zu
vollſtändiger Breite und Tiefe des Kanales hergeſtellt.
Von dem kleinen Bitterſee bis zu dem ſogenannten kleinen
Chalouf, bis etwa zum 155. Kilometer, wurde der Kanal
ebenfalls auf trockenem Wege hergeſtellt, weil angeſtellte
Bohrungen das Vorhandenſein von Felſen ergeben hatten.
Vom Kilometer 155 bis zum Ende des Kanales im
rothen Meer wurden alle Arbeiten durch Baggerungen
beſchafft, nachdem ſtellenweiſe Waſſer aus dem Süß-
waſſerkanale eingelaſſen war. Im Laufe des letzten
Jahres ſind ganz außerordentliche Anſtrengungen gemacht
worden, um das Werk bis zu dem Tage der Eröffnung
fertig zu ſtellen, reſpektive ſo weit zu fördern, daß
größere Fahrzeuge würden paſſiren können. Es waren
in dieſem letzten Jahre gegen 40.000 Menſchen, 8000
Kameele und 12,000 Eſel bei den Arbeiten und Trans-
porten in Thätigkeit. Man hat eine ganze Flotte
von Baggern und Fahrzeugen aller Art im Betriebe
gehabt, um das vorgeſteckte Ziel zu erreichen. Nicht
weniger als 35 bis 40 Bagger der größten Sorte,
170
30 kleinere Bagger, 12 Elevatoren, 20 Schlepp- und
Dienſtdampfer, 50 Pontons mit Dampfmaſchinen zum
Transport des Baggergutes, von denen jedes bei drei
Meter Tiefgang 180 Kubikmeter faßte, 40 kleinere
derartige Fahrzeuge, jedes 120 Kubikmeter faſſend, und
30 Schuten, jede mit 7 Einſetzkaſten à 3% Kubikmeter,
alſo zuſammen 24% Kubikmeter – 1012 Kubikfuß
tragend, waren unausgeſetzt, in den letzten Monaten
zur Tages- und Nachtzeit in Thätigkeit.
Man ſieht aus dieſen einer verläßlichen Quelle
entnommenen Notizen, mit welchem enormen Aufwand
von Kräften und Mitteln gearbeitet worden iſt, und doch iſt
der Kanal noch ein unvollendetes Werk, das weder
überall die erforderliche Sohlenbreite noch die nothwen-
dige Tiefe hat. Hätte man in derſelben Weiſe fort-
gearbeitet, wie das in den letzten Monaten geſchehen
iſt, ſo darf man nicht daran zweifeln, daß nach Verlauf
von fünf bis ſechs Monaten das ganze Werk, wenn
auch nicht durchweg vollendet, ſo doch ſeiner Voll-
endung ganz nahe hätte gebracht werden können. Daß
das nicht geſchehen iſt, hatte aber ſeinen guten Grund.
Die Mittel waren vollſtändig erſchöpft und außer den
von den Aktionären eingezahlten Summen ſind einmal
die vom Khedive als Entſchädigung gezahlten 84 Mil-
lionen Francs, ferner auch die 37% Millionen Francs,
welche der letztere für die Rückerwerbung der aufblü-
henden Ländereien am Süßwaſſerkanale gezahlt hat,
verbraucht. Was blieb unter dieſen Umſtänden übrig,
als der Welt ein Schauſpiel ohne Gleichen vorzuführen,
als den aus allen Himmelsgegenden Herbeigeſtrömten
das Werk in möglichſt günſtiger Geſtalt zu zeigen, eine
thunlichſt große Anzahl ſorgfältig ausgewählter Schiffe
in vorſichtiger Weiſe auf dem neuen Wege aus dem
171
mittelländiſchen in das rothe Meer zu führen und damit
zu dokumentiren, daß der Suezkanal keine Chimäre iſt,
daß er faktiſch exiſtirt, und daß es nur noch einer ge-
wiſſen Summe bedarf, um das zu vollenden, an dem
die mißtrauiſche Welt zweifelte. -
Bis jetzt haben die Baukoſten gegen 404 Millionen
Francs betragen, von denen indeſſen nur gegen 270
Millionen in die Hände der Unternehmer gefloſſen ſind.
Der Reſt iſt für anderweitige Ausgaben und Unkoſten
daraufgegangen.
Finden ſich nun die annoch erforderlichen, zu 60
bis 100 Millionen Francs anzuſchlagenden Summen,
und wird der Kanal, wie unter den obwaltenden Um-
ſtänden kaum zu bezweifeln iſt, vollendet, ſo dürfte die
Frage der Unterhaltung bei den demnächſtigen Kanal-
budgets allerdings eine wichtige Rolle ſpielen. Aber
ſie zu löſen, iſt, wie gewiegte Fachmänner nachgewieſen
haben, nicht unmöglich.
Geht einmal ein großer Theil der Schifffahrt, die
ſich jetzt in anderer Richtung bewegt, durch den Kanal,
und fährt die Dampfſchifffahrt fort, die Segelſchifffahrt
auf allen Meeren ſo zu bekämpfen, wie ſie das ſeit
den letzten zehn Jahren gethan hat, ſo iſt nicht zu be-
zweifeln, daß man eines Tages ein anderes Urtheil
über ein Unternehmen fällen wird, welches man mit
Recht zu den großartigſten unſeres Jahrhundertes rechnen
darf. -
s glaube, daß dieſe einem verläßlichen und ge-
diegenen Bericht entnommenen Daten genügen dürften,
um den Leſern dieſer Skizze ein Bild des Kanals und
ſeiner Bedeutung zu liefern, und ich darf wohl in der Schil-
derung meiner nächtlichen Kanalreiſe fortfahren. – –
172
Jeden Augenblick kamen uns Poſt- und Aviſo-
dampfer entgegen oder wurden von uns überholt, an
mehreren Stellen erblickten wir koloſſale Bagger-
maſchinen, deren Arbeit weithin vernehmbar war. Die
Fahrt ging in der glücklichſten Weiſe von ſtatten, denn
daß unſer Dampfer zwei Mal auf die Ankerkette eines
Baggerſchiffes auffuhr, daran trägt nur die Ungeſchick-
lichkeit des Kapitäns und nicht der Suezkanal Schuld.
Wir fuhren die ganze Nacht hindurch – die Ufer
behielten ihre Einförmigkeit, nur das Waſſer, das ſich
bald zum See ausbreitete, war von Schiffen und Booten
belebt. Am rechten Ufer zieht ſich der Telegraphendraht
hin, das Zeichen der Kultur, des Lebens in der Wüſte;
hin und wieder erblickt man eine Eiſenbahn, auf der
Schotterwagen weiterbefördert werden – jede halbe
Stunde eine Station mit primitiven Bauten. Die zahl-
reichen großen Dampfer, die eben im Kanal ſtationirten,
ließen bereits erkennen, daß die Gerüchte, die noch in
letzter Stunde das Scheitern des großen Unternehmens
prophezeit hatten, unbegründet waren. – Beim Morgen-
grauen ward das Bild lebendiger. Tauſende und Tau-
ſende von Arbeitern waren mit Abgraben der Ufer be-
ſchäftigt und Schaaren von Eſeln keuchten unter der
Laſt, die ſie wegſchleppten; weiter unten vollführten
Hunderte von Kameelen die gleiche Arbeit. Die Uhr
zeigte ſieben, als Ismailia feſtlich beflaggt ſich unſeren
Blicken zeigte. Um halb 8 Uhr ſtiegen wir an's Land,
die Fahrt durch den Suezkanal war glücklich beendet.
Ismailia iſt gegen Port Said eine große Stadt,
es iſt zwar Alles neu und proviſoriſch, aber die An-
ſiedlung hat bereits eine große Ausdehnung. Wir fanden
Häuſer und Straßen feſtlich beflaggt; Triumphpforten
zeigten uns den Weg nach der neuen großen Straße,
173
die zu unſerer freudigen Ueberraſchung den Namen
Avenue François Joſeph erhalten hatte. Wir ſuchten zuerſt
den öſterreichiſchen Konſularagenten Herrn Bader, einen
allgemein beliebten, jungen Mann auf, und erhielten ſo-
fort unſere Zelte angewieſen. Ich ſcherze nicht – wir
lebten Alle hier wie Abd-el-Kader in der Wüſte – unter
Zelten. Je zwei, auch drei weilen unter dem Leinwand-
dache, der Sandboden iſt mit Strohmatten bedeckt, auf
denen friſche Matratzen und weißgeſteppte Decken aus-
gebreitet ſind. Ich genoß der beſonderen Protektion, ein
Zelt für mich allein zu erhalten, mußte mir aber gleich
den Anderen die nothwendigſte Einrichtung meiner lufti-
gen Behauſung aus allen Ecken und Enden ſelbſt herbei-
ſchaffen. Ein verſchmitzter Spitzbube von Araber, der
jede Viertelſtunde mit lachendem Munde um Tabak und
Bakſchiſch bittet, iſt mein Diener, und ich biete alle
Künſte der Mimik auf, um mich mit ihm zu verſtän-
digen. Der Menſch iſt fürchterlich ungelehrig – nur
wenn ich in meinen Tabaksſack greife, fängt er mich zu
verſtehen an. – Die Strecke zwiſchen dem Kanal und dem
Städtchen iſt in ein rieſiges Zeltlager umgewandelt, in dem
vorn die Eingeladenen und rückwärts die Truppen und die
von allen Seiten herbeigeeilten Beduinen und Araber lagern.
Man begegnet auf jedem Schritt den abenteuerlichſten Auf-
zügen. Unter Vortritt einer zahlreichen, den grauenhaf-
teſten Lärm verurſachenden Muſikbande kömmt ein Zug
daher, fratzenhaft gekleidete Geſtalten mit ſpitzigen Papier-
hüten eröffnen unter entſetzlichem Geheul denſelben; dann
folgen Derwiſche, ſingende Knaben, Männer mit Lanzen
und langen Flinten, dann Reiter auf Pferden, Kameelen
und Dromedaren. Dort kommen die unabhängigen Tribus
der Wüſte, von ihren Scheiks geführt, angeritten, ein
irregulärer Reitertrupp zu Kameel, die Thiere greifen
174
weit aus und in Carrière ſprengen die Krieger der Wüſte
mit flatternden Gewändern ſo raſch vorüber, daß wir
kaum die Bewaffnung flüchtig muſtern können. Lanzen,
Spieße, Piken, Flinten mit Steinſchlöſſern, Piſtolen,
Dolche, Säbel, Alles iſt hier vertreten. – Da rechts
kommen Araber auf prächtigen Roſſen. Wie ſie die herr-
lichen Thiere tummeln! – Sie werden morgen vor den
Souveränen ihre waghalſigen Sprünge ausführen und in
raſendem Galopp mit den Speeren nach den Schildern
werfen – eine Equitation arabe ſteht ja auch auf
dem Programme von Ismailia. Kann man ſich etwas
Abenteuerlicheres denken, als jene Equipage mit acht
Kameelen beſpannt? – Zwei Vorreiter auf Dromedaren
bahnen den Weg, ihnen folgt das Geſpann, ein Kameel,
auf dem das Ideal eines Arabers thront, hat die Füh-
rung, dann ſind zwei, dann wieder drei und zuletzt zwei
Kameele nebeneinander geſpannt – bis zu den Wolken
wirbelt der Staub auf, aber blitzſchnell eilt der Wagen
vorbei und in dem fußtiefen Sande ſcheint die Höllen-
fahrt für die Paſſagiere nicht einmal unangenehm zu
ſein. Leſſeps hat dieſe Equipage für die Kaiſerin der Fran-
zoſen beſtimmt, die ſich derſelben auch einmal bediente.
Jetzt marſchirt egytiſche Infanterie auf, eine ſehr gut
ausſehende, prächtig adjuſtirte Truppe – dazwiſchen
drängen ſich Tänzerinnen, Cymbalſchläger, die Nomaden
mit ihren Trommeln, Cymbals und Dudelſäcken, mit
denen ſie unaufhörlich betäubenden Lärm verurſachen,
quartierſuchende Europäer, fluchende Engländer, lachende
Franzoſen, ſingende Italiener, heulende Türken, zankende
Fellahs, ſchreiende Eſel, jammernde Kameele, vom Kanale
her tönt der gellende Pfiff der Dampfer – es iſt ein
Tohuwabohu, das nicht ausgemalt werden kann. Wir
aber ſitzen unter unſeren Zelten, wie Jeremiaſſe auf
175
den Trümmern der zerſtörten Stadt, und auch wir
klagen und jammern, denn alle unſere Glieder ſind zer-
ſtochen von Mosquitos, unſere Haut zeigt nichts als
rothe Blaſen, und alle Zauberkünſte Zacherl's reichen
nicht mehr aus, uns reinzuhalten von der Landplage
Egyptens, von der ſchon das auserwählte Volk heim-
geſucht war.
Nachmittags eilte Alles nach dem Kanale, um die
Einfahrt der Schiffe anzuſehen. Gegen halb 4 Uhr kam
der erſte Dampfer in Sicht. Nubar Paſcha langte mit
einigen Würdenträgern an und beſtieg nach kurzer Raſt
einen Salondampfer, um den Souveränen entgegenzu-
fahren. Gegen 5 Uhr verkündeten Kanonendonner und
Hurrahrufe das glückliche Eintreffen der Schiffe. Zuerſt
erſchien der „Aigle“ mit der Kaiſerin Eugenie und Herrn
Leſſeps an Bord, dann der „Greif“ mit dem Kaiſer,
der Civilkleider und einen weißen Schleier auf dem
Hute trug, ſpäter die „Eliſabeth“ mit der Suite Sr.
Majeſtät. – Als der Kronprinz von Preußen einfuhr,
war es bereits dunkel geworden und die Bevölkerung
wieder in das Lager zurückgeſtrömt. Der Kaiſer
ward beim Einfahren mit ſtürmiſchen Evvivas und
Lebehochs begrüßt, die Damen wehten mit ihren
Tüchern und ſtimmten in die herzlichen Zurufe jubelnd
ein. Es machte ſich ſchon früher und auch bei dieſer
Gelegenheit ein bemerkenswerther Unterſchied zwiſchen
der Aufnahme, die unſer Kaiſer findet, und dem Empfange,
den man der Kaiſerin der Franzoſen bereitet, bemerkbar.
Seitdem Madame Eugenie in Kairo zu Eſel ausgeritten,
hat ſie die auf Etiquette und Form großen Werth
legenden Orientalen ſchwer verletzt, und ſeitdem ſie ſich
in Alexandrien ſo zurückzog, daß ſie nicht einmal ihre
Landsleute empfing, erfreut ſie ſich auch nicht der Theil-
176
nahme der Franzoſen. Als der „Aigle“ hier einfuhr,
ſchrien die Franzoſen donnernd: Vive Lesseps! und da
die Matroſen reglementsmäßig Vive l'Empereur! rufen
müſſen, ging die Kaiſerin ganz leer aus. Sie wird ſich
zu tröſten wiſſen!
–-SR->–-
Ein arabiſches Bolksfeſt.
Ismailia, 18. November.
Geſtern Abend war die Loſung: Zu den Arabern,
– - und alle Welt folgte der Einladung, um einem Volks-
feſte in der Wüſte beizuwohnen und die ſprichwörtliche
Gaſtfreundſchaft der Araber zu erproben. Wir hatten uns
eine zahlreiche Geſellſchaft guter Oeſterreicher zuſammen-
gefunden – die liebenswürdige, gegen ihre Landsleute
in Aufmerkſamkeiten unerſchöpfliche Familie unſeres
Generalkonſuls Herrn v. Schreiner, Freiherr v. Gagern,
die ausdauerndſte Arbeitskraft des internationalen Kon-
greſſes – man hat, ſo verſichern die Mitglieder, ſeiner
Unermüdlichkeit allein es zu verdanken, daß die Bera-
thungen ſo raſch von einem erſprießlichen Erfolg be-
gleitet waren, – Oberſtlieutenant Baron Swrtnik und
Oberlieutenant Graf Nugent, die beide den Ritt von
Jaffa nach Jeruſalem und zurück in zwei Tagen gemacht
– Baron Swrtnik erlegte während des Rittes
einen prächtigen Schakal – Oberlieutenant v. Krauffen-
12
178
berger, Ritter v. Wertheim, Oberkommiſſär Landſteiner
aus Wien, einer der angenehmſten Geſellſchafter, der
Korreſpondent des „Peſter Lloyd“, der Oberſtſtallmeiſter
des Vizekönigs Graf della Salle, früher in öſterreichi-
ſchen, ſpäter in Dienſten des Kaiſers von Mexiko, ein
wahres Ideal von Gefälligkeit, der für alle unſere Be-
dürfniſſe ſorgt und die Wüſte in einen Garten ver-
wandeln würde, wenn wir es wünſchten, der Sekretär
des Vizekönigs Dr. Kiſſel 2c. –
Unſer erſter Gang war nach dem Zelte El Bekeri's,
des reichſten und mächtigſten Scheiks der Wüſte. El
Bekeri ſaß am Eingang eines prachtvollen, aus reichge-
ſtickten Stoffen errichteten, mit Teppichen belegten Zeltes
und begrüßte uns beim Eintreten, indem er, ohne ſich
zu erheben, Herz, Mund und Stirne berührte. Erſt
ſpäter, als Madame Zachmann, die Gattin des Kauf-
manns gleichen Namens, eine enragirte Freundin Oeſter-
reichs, arabiſch zu ſprechen begann, ward der Patriarch
freundlicher und reichte uns die Hand. Die zahlreichen
Diener brachten uns ſofort Stühle und ſervirten uns
Kaffee, ein franzöſiſch ſprechender Diener machte uns
auf die Koſtbarkeiten aufmerkſam, auf und in denen
ſervirt wurde. Der Diener brachte den Kaffee in ſilber-
nen Kannen von prächtiger Arbeit, die von einer roth-
ſammtenen, mit Gold reich geſtickten Decke umhüllt
waren. Als er zu ſerviren begann, legte er die Decke
um ſeine Schultern und reichte uns die Becher; auf Schäl-
chen von feinſtem Porzellan ſtanden wahre Kabinets-
ſtücke kleiner Becher, letztere waren aus Silberfiligran
gearbeitet, oder aus Gold mit Brillanten und Smarag-
den reich beſetzt, einige aus geſchnitztem Elfenbein 2c.
Nachdem wir Kaffee und Liqueur getrunken, ließ uns
El Bekeri fragen, ob wir den Tanz der Derwiſche
179
anſehen wollten. Wir nickten bejahend und ſofort wurden
aus einem Seitengemache die Schauſpieler der widerlichen
Szene geholt, die uns bevorſtand. In einem gegen uns
zu offenen Viereck ſtellten ſich einundzwanzig Derwiſche
auf. Die vier, welche die Querreihe bildeten, begannen
in einem Tone, wie man ihn in den orthodoxen Syna-
gogen zu hören bekömmt, einen monotonen Geſang, wäh-
rend die Anderen, der Länge nach aufgeſtellt, den Ober-
leib nach rechts und links zu bewegen begannen und dabei
fortwährend Allah, Allah in einer Weiſe gurgelten, daß
man die große Glocke von St. Stephan zu hören ver-
meinte. Einer klatſchte mit den Händen Takt und ſo
währte der Unſinn faſt eine Viertelſtunde. Jeden Augen-
blick ſprang einer in den Kreis und legte ſeine Pan-
toffel auf die Matten. Ich ſchaute dem Tanze, der an-
geblich dazu dienen ſoll, die Derwiſche in Verzückung
zu bringen, aufmerkſam zu und gewann die Ueber-
zeugung, daß wir es einfach mit Komödianten zu thun
hatten, die auf Befehl ihres Scheiks und um des lieben
Bakſchiſch willen Alles thaten, um uns oder das Volk
zu verblüffen. Mitten in der gräßlichſten Verzückung,
während ſie ſich die Bruſt zu zerfleiſchen drohten, ſah
ich einige Tänzer ihren Platz verlaſſen und vor das
Zelt eilen, um ſich in aller Gemüthsruhe mit einem
Schluck Kaffee zu ſtärken. Die älteren ausgedienten
Tänzer erfüllten ihre Pflicht nur äußerſt ſchwerfällig
und ſchienen ſich offenbar zu ſchonen, nur die jüngeren
ſteigerten fortwährend die Heftigkeit ihrer Bewegungen.
Nach einer Viertelſtunde fingen die Tänzer zu ſpringen
und konvulſiviſch zu zittern an, immer toller und un-
geheuerlicher wurden die Sprünge, immer ohrenzer-
reißender das Geſchrei, bis endlich ein ſchwarzgelockter
Derwiſch in den Kreis ſprang und volle fünf
12
180
Minuten wie ein Kreiſel drehte. Wenn die berühmteſten
Kreisdreher unſeres Ballets, die Herren Calori und
Caron, ihre Rivalen in Ismailia geſehen hätten, ſie
würden ihnen bezüglich ihrer fabelhaften Ausdauer ihre
volle Anerkennung gewiß nicht verſagt haben. Endlich
ſtürzte der Tänzer erſchöpft zuſammen; aber nur einen
Moment dauerte die Erſchlaffung, dann ſprang der
Mann wieder auf, geberdete ſich wie ein Wüthender,
riß ſich die Oberkleider herab, begann ſich die Bruſt
zu zerkratzen und zu zerfleiſchen und aß ſchließlich zum
Entſetzen aller Anweſenden glühendes Feuer und leben-
dige Schlangen, ein Kunſtſtück, das wir übrigens in
Europa bereits wiederholt zu bewundern Gelegenheit
hatten. Ein Grieche, der in das Zelt trat, und mir
als Führer der Bewegung in Candia vorgeſtellt wurde,
äußerte ſein Bedauern über dieſes Gaukelſpiel, das
von civiliſirten Menſchen nur als eine Komödie be-
trachtet werden könnte. Wir waren müde des ewigen
Tanzes und ſetzten unſere Wanderung fort, das Zelt
eines anderen Emirs nahm uns auf, in dem man uns
Kaffee mit Moſchus reichte, einen Trank, den ich zur
Indignation des Spenders einfach auf den Boden
ſchüttete, denn ich hätte nicht um alle Schätze Indiens
einen Tropfen verſchlucken können, ohne ſeekrank zu
werden. Vor dem nächſten Zelte trafen wir arabiſche
Gaukler und Meſſerwerfer, zehn Schritte weiter ſahen
wir Lanzenwerfer zu Pferde, die mit wunderbarer Accura-
teſſe auf einer kleinen Strecke ein Pferd in pleine
carrière bringen, im Vorüberfliegen mit einem Speere
nach dem Centrum eines Schildes werfen, ohne auch
nur einmal das Ziel zu verfehlen, und eine Sekunde
ſpäter das Pferd im raſendſten Laufe zum Stehen
bringen, ſo daß die Kniee des bedauernswürdigen Renners
181
förmlich einknicken. Der Rückweg führte uns wieder
vor dem Zelte El Bekeri's vorbei, es war dicht gefüllt,
auf Wunſch des Emirs traten wir abermals ein, der
Tanz der Derwiſche dauerte noch immer fort. – Zwei
Adjutanten des Kaiſers kamen gleichzeitig mit uns in
das Zelt und da der Führer ihr Inkognito verrieth,
reichte man ihnen ſofort Tſchibuks mit langen Bern-
ſteinſpitzen, die mit Perlen und Diamanten reich beſetzt
waren. In dieſem Augenblicke bemerkten wir eine Be-
wegung am Eingang des Zeltes – der Kaiſer war
im ſtrengſten Inkognito in Begleitung des Fürſten
Hohenlohe, des Grafen Bellegarde, des Reichskanzlers
Grafen Beuſt, des Miniſterpräſidenten Andraſſy, des
Miniſters Plener und des Generalkonſuls Schreiner
erſchienen und ſchaute eine Viertelſtunde lang mit großem
Intereſſe dem Tanz der Derwiſche zu. Erſt hier konnte
ich mich unſerem Generalkonſul vorſtellen. Der erſte
Eindruck gleich beſtätigte den Ruf, den Herr v. Schreiner
als einer der liebenswürdigſten, für ſeine Landsleute
aufopferungsfähigſten, begabteſten öſterreichiſchen Vertre-
ter im Oriente beſitzt. Man braucht nur den Namen
Schreiner zu nennen und man iſt in Egypten wie im
Kreiſe der Familie aufgenommen und erfreut ſich überall
des herzlichſten Entgegenkommens. Auch Nubar Paſcha,
den allmächtigen Miniſter des Khedive, hatte ich hier
Gelegenheit längere Zeit zu ſprechen, er war ungemein
freundlich und hatte die Liebenswürdigkeit, mir beim
Abſchiede die Worte zu ſagen: Je vous assure, que
j'ai appris la langue allemande en lisant votre
journal. – El Bekeri bot dem Kaiſer einen Sitz auf
dem Divan an, Se. Majeſtät lehnte es ab, Graf
Beuſt aber mußte ſich auf dem Divan niederlaſſen und
ein Täßchen Mokka ſchlürfen. Nach Beendigung des
182
Tanzes verließ der Kaiſer und ſein Gefolge das Zelt
und ſetzte ſeine Wanderung durch das Lager fort, wir
aber begaben uns zum Schiffe des egyptiſchen Finanz-
miniſters, auf dem eine Fantaſia dargeſtellt wurde.
Se. Exzellenz lud uns freundlichſt ein, Platz zu nehmen,
und nachdem wir mit Sorbet, Kaffee, Limonade und
einem wahrhaft klaſſiſchen Curaçao verſorgt worden
waren, begannen die Sängerinnen ihr eintöniges Lied.
Eine derſelben, la dame aux diamants – ſie iſt die
Lieblingsſängerin des Khedive und trug in den Haaren
und am Halſe Schätze von Brillanten – ſang vor und
die übrigen bildeten den Chor, während eine wohlbeleibte
Künſtlerin mit den Fingern auf die Trommel ſchlug. Die
zwei erſten Sängerinnen ſaßen auf einem Sopha, vier
andere kauerten am Boden. Nach einer Weile ließen
wir durch unſeren freundlichen Dolmetſch Mad. Z. bitten,
ob wir nicht einen Tanz ſehen könnten und ſofort ward
unſerem Wunſche entſprochen. Der berühmte Tanz der
Egyptierinnen, in welchem die Verfolgung einer Biene,
die ein Mädchen in die verſchiedenſten Körpertheile zu
ſtechen droht, plaſtiſch und mit dem Aufgebot aller
ſinnlichen Mimik dargeſtellt wird, iſt ſchon ſo oft be-
ſchrieben worden, daß ich den Leſer zu ermüden
fürchte, wenn ich eine ausführlichere Schilderung noch-
mals verſuchte. Die Tänzerinnen tanzen nicht mit den
Beinen, ſondern mit Hüften und Bauch. Sie wiegen
ſich wollüſtig in den Hüften, zucken mit allen Glied-
maßen, bewegen den Mittelkörper bald rechts, bald
links – vor- und rückwärts und ſchreiten – nur zwei
nehmen am Tanze Theil und ſtehen vis-à-vis – zuckend
an einander vorüber. Die Melodie des Tanzes, welche
von den übrigen Damen geſpielt und geſungen wurde,
während die Tänzerinnen mit ihren Caſtagnetten klap-
183
perten, mahnt theilweiſe an den Cſardas, auch einige
Bewegungen erinnern an dieſen aſiatiſchen Tanz,
während der übrige Theil einfach ein egyptiſcher Cancan
der ausdrucksvollſten und verlockendſten Sorte iſt. Wenn
man im Harem ſolche Tänze täglich ſieht, dann iſt das
Schlaraffenleben der Alttürken wohl zu begreifen. –
Nach einer Viertelſtunde endete der Tanz, wir dankten
den Tänzerinnen und dem Feſtgeber und verließen das
Schiff. Der Khedive hatte ſich während unſerer An-
weſenheit gleichfalls eingefunden, ſprach aber nur im
unteren Raume einige Worte mit dem Miniſter und
verließ die Barke, ohne das Verdeck betreten zu haben.
Es war inzwiſchen zehn Uhr geworden, und von allen
Seiten praſſelten die Feuerwerke in die dunkle Nacht,
rieſige Bouquets wurden emporgeſchleudert, Leuchtkugeln
und Granaten ſtürmten zum Himmel empor, die
Nacht war durch Fallſchirme und Raketengarben erhellt,
das Feuerwerk des Khedive ſtand in keiner Beziehung
dem Brande im Bosporus nach. Im Lager aber dauerte
der chaotiſche Lärm fort, Pauke und Trommel wurden
unaufhörlich geſchlagen, die Rufe der Araber tönten aus
der Ferne zu uns herüber – wie Myriaden von Glüh-
würmern leuchteten die Laternen durch das Dunkel, in
den Speiſeſälen knallten die Champagnerpfropfen, wir
aber ſuchten unſere Zelte auf, um endlich einmal wieder
auf feſter Erde zu ſchlafen. Es war ſeit vier Tagen
der erſte geſunde Schlaf, deſſen wir uns erfreuten.
Der Ball beim Vizekönig.
Ismailia, 19. November.
Wenn jemals Jemand berechtigt war, eine ſoziale
Märtyrerkrone zu erhalten, ſo ſind es gewiß jene be-
dauernswürdigen Ideale der Geduld und Ausdauer,
welche die öffentliche Meinung in den ſüßen und bitteren
Gewäſſern des Suezkanals vertreten. Wahrhaftig, die
Fellahs, die im Schweiße ihres Angeſichts Frohndienſte
verrichten, die Garçons der vizeköniglichen Tafeln, die
für 20 Francs Taglohn täglich tauſend Gäſte bedienen
und ein Drittheil des kontrahirten Champagners bei
Seite ſchaffen, führen ein wahres Götterleben gegen
uns vielbeneidete und viel zu wenig bedauerte journali-
ſtiſche Märtyrer. Verſetze man ſich gefälligſt in meine
Situation. In dieſem Augenblicke – es iſt 2 Uhr
Morgens – ſitze ich in meinem Zelte, das drei Betten
enthält – ich bin ein Protektionskind und alleiniger
Bewohner des Leinwandpalaſtes – mit der einen Hand
wehre ich die Mosquitos ab, die jeden vernünftig orga-
185
niſirten Menſchen in einem halben Tage zur Verzweif-
lung bringen können, mit der anderen Hand ſchreibe
ich. Der wackelnde Tiſch gräbt ſich immer tiefer in
den Wüſtenſand, auf dem ich mein Lager aufgeſchlagen,
und der hölzerne Seſſel, der mein Meublement vervoll-
ſtändigt, droht jeden Augenblick unter ſeiner Laſt zu-
ſammenzubrechen. Die Zeltlaterne läßt nur einen matten
Schein über mein Papier gleiten, auf dem zeitweilig
die blutſaugenden Quäler der Menſchheit, die ſpringen-
den Derwiſche der Thierwelt, ein luſtiges Stelldichein
ſich geben. – Im Zelte herrſcht eine echt afrikaniſche
Hitze, von der Steppe mir gegenüber dringt das kanni-
baliſche Geheul der Nomaden herüber und jeden Augen-
blick drängt ſich der bakſchiſchfordernde Araber durch
den Vorhang, um mir Cigarren oder Tabak abzubetteln.
Und in einer ſolchen Situation ſoll ich Märchen aus
Tauſend und Einer Nacht erzählen, ſoll die Wunder
einer Feennacht ſchildern, ſoll die Feſte beſchreiben, die
dem Khedive bereits an die 40 Millionen koſten? Welcher
Märtyrer hat jemals eine ſo furchtbare Aufgabe zu be-
wältigen gehabt? –
Vor zehn Minuten bin ich vom Ball des Khedive
heimgekehrt. In meinem Zelte, in dem neben den noth-
wendigſten Utenſilien kaum mein Reiſegepäck noch Platz
hat, mußte ich Toilette machen, dann zu Fuß durch fuß-
hohen Staub bis zum Palais wandern und jetzt ſitze
ich in Lackſtiefeln und weißer Kravate und vervollſtän-
dige meine Reiſebriefe. Doch ich will in Geduld mich
faſſen und den Verlauf des heutigen Tages ſchildern.
Von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang herrſchte am
Kanale das regſte Leben. Jede Viertelſtunde kam ein
Schiff von Port Said an und ſetzte ſeine Paſſagiere
an's Land. Viertauſend Gäſte waren angeſagt und für
186
28,000 mußte Rath und Platz geſchafft werden, denn
wer ankam, lebte auf Koſten des Khedive. Die offizielle
Fahrt durch den Kanal war nicht ſo glatt abgelaufen,
als man geſtern annahm. Der Dampfer „Helgoland“,
auf dem ſich ein Theil der Suite des Kaiſers befand,
blieb zwei Mal ſtecken, der franzöſiſche Dampfer „La
Peluſe“ rannte ſo feſt, daß er ſechs Stunden nicht vom
Flecke konnte, und alle Schiffe, die hinter ihm kamen,
mußten nolens volens ſtehen bleiben. So kamen Tau-
ſende, die Mittwoch Früh von Port Said abgefahren
waren, erſt Donnerstag Nachmittags in Ismailia an
und mußten ſtundenlang herumirren, ehe eine proviſo-
riſche Unterkunft für ſie geſchaffen werden konnte. Zu
dieſen Verſpäteten gehörten leider auch unſere Oeſter-
reicher, deren Erbitterung ſich hier in herben Worten
Luft machte.
Heute Morgens empfing der Kaiſer, der geſtern un-
mittelbar nach ſeiner Ankunft von dem Vertreter der Wiener
Handelskammer, Herrn v. Wertheim, und dem Legations-
rath Baron Kübek begrüßt worden war, auf dem „Greif“
die Deputation der hieſigen öſterreichiſchen Kolonie und
drückte dem Führer derſelben, Konſularagenten Bader,
ſeine beſondere Anerkennung über die herzliche Aufnahme
aus, die ihm die Oeſterreicher hier bereitet; Herrn Bader
belobte der Kaiſer insbeſondere für ſeine Thätigkeit bei
den Kanalarbeiten. Später ſtattete der Kaiſer dem
Khedive einen Beſuch ab, während die franzöſiſche Kai-
ſerin in einer reizenden Toilette, auf einem prächtig
aufgezäumten Kameele reitend, das Lager beſuchte. Nach-
mittags fuhren ſämmtliche Souveräne und deren Suite
in offenen Wagen nach dem Chalet des Khedive und
von dort nach dem Lager, wo die Araber und Beduinen
eine Reitphantaſie zu Pferde und Kameel zum Beſten
187
gaben. Der Kaiſer fuhr mit der Kaiſerin Eugenie
unter Vorritt einer Abtheilung der Garde in einem
vierſpännigen Wagen à la Daumont, der Khedive in
offener Kaleſche, der preußiſche Kronprinz und die öſter-
reichiſchen Miniſter in vierſpännigen Poſtwagen. Ich
machte über erfolgte Einladung die Fahrt mit, an der
auch der zur Freude ſeiner zahlreichen Freunde wieder-
geneſene Sektionschef v. Hofmann theilnahm. Das in-
tereſſanteſte Schauſpiel war wohl das Kampfſpiel der
Beduinen, das übrigens, wie mich Augenzeugen ver-
ſichern, in Ramleh zu Ehren des Sultan Nemce noch
prächtiger in Szene geſetzt wurde. In weitem, an einer
Seite offenen Kreiſe hatten ſich die Zuſchauer aufge-
ſtellt und innerhalb desſelben führten die kühnen Reiter
ihre waghalſigen Spiele auf. Bewährte Equitations-
lehrer verſicherten mich, daß kein Europäer dergleichen
Kunſtſtücke auszuführen im Stande ſei, wobei natür-
lich der weiche Boden und die Gleichgiltigkeit, mit wel-
cher hier die edelſten Thiere zu Schanden gehetzt werden,
mit in Betracht zu ziehen ſind. Beſonders intereſſant
war die Darſtellung der zerſtreuten Gefechtsart, die von
den Wüſtenbewohnern theils auf Pferden, theils auf Ka-
meelen ausgeführt ward. Pfeilſchnell flogen die Beduinen
dahin, drohende Rufe ausſtoßend, die lange Flinte ſtets
ſchußbereit haltend, eine Staubwolke hüllte die Renner
ein, jeden Augenblick glaubte man, Roß und Reiter
müßten zuſammenbrechen, aber wie angeſchmiedet ſaß
der Reiter im Sattel, und hatte er den fingirten Feind
auf Schußweite erreicht, feuerte er ſein Gewehr ab und
wandte im ſelben Augenblicke ſein Roß, um in Carrière
zu den Freunden zurückzukehren und während des Rittes
ſein Gewehr von Neuem zu laden. Der Kaiſer ſchaute
der Uebung ungefähr zehn Minuten zu, dann wurde
188
eine Fahrt durch die feſtlich beflaggte Stadt unternom-
men und zum Kanal zurückgekehrt, wo die Boote die
Souveräne wieder nach ihren Schiffen brachten.
Abends 9 Uhr fand im Palaſt des Khedive der
große Feſtball ſtatt, zu dem nahezu fünftauſend Ein-
ladungen ausgegeben worden waren. Da der Vizekönig
alle in Kairo und Alexandrien disponiblen Wagen hieher
dirigirt hatte, blieb den Fremden und ihren Damen
nichts übrig, als die Strecken von ihren Häuſern oder
Zelten zum Ballſaale zu Fuß zurückzulegen, wenn ſie nicht
das Beiſpiel unſeres Reichskanzlers befolgen wollten, der
einfach den erſten beſten Eſel beſtieg und mittelſt dieſes
nicht mehr ungewöhnlichen Kommunikationsmittels zum
Palaſt gelangte. Vor nicht ganz drei Monaten befand
ſich auf demſelben Platze, in dem heute an 4000 Men-
ſchen aus allen Ständen und allen Nationen der Erde
die unerſchöpfliche Gaſtfreundſchaft des Khedive in An-
ſpruch nahmen, ein Stück Wüſte. Ismail Paſcha aber
wollte die Feſttage in Ismailia mit einem Balle be-
ſchließen, und aus allen Enden kamen die Werkleute,
die Baumeiſter und Gärtner, die Dekorateure und Ta-
pezierer, die Maler und Bildhauer, und ehe die eilfte
Woche noch abgelaufen, war ein Wunderbau vollendet,
würdig, die Souveräne und Völker Europa's zu em-
pfangen. Für die Art und Weiſe, wie man hier Para-
dieſe und Feerien improviſirt, dient wohl Folgendes als
Muſter: Als wir geſtern Früh hier ankamen, war der
Platz vor dem Palais ein kahler Sandhaufen. Vier-
undzwanzig Stunden ſpäter war er in einen Palmen-
hain verwandelt, blühende Roſen und blüthenbeladene
Oleander ſtanden in Büſchen und Kaktusgehege begrenz-
ten die Beete. Durch dieſen Garten, der Abends mit
buntfarbigen Lampions beleuchtet war, gelangte man
189
über eine Treppe in den rieſigen, mit Gobelins tape-
zierten, brillant möblirten Vorſaal. Kryſtallluſter und
Glasbäume mit Kelchen trugen mindeſtens tauſend Ker-
zen, in deren Scheine die goldenen Möbel, die gold- und
ſilberdurchwirkten Stoffe und die buutfarbigen Teppiche
ſich noch effektvoller ausnahmen, als beim Tages-
licht. Im Hintergrunde führte eine mehrere Klafter
breite Treppe zu einem erſten Stocke, der aber gar nicht
exiſtirte, denn die Säle nahmen die ganzen Höhe des
Gebäudes ein. Rechts gelangte man in eine Flucht von
fünf Sälen, einer prächtiger und luxuriöſer als der
andere arrangirt, überall rieſige Spiegel, aus einem
Stück gearbeitet, mannshohe Vaſen aus Japan, Roſen-
holzkäſtchen, Parketen aus Ebenholz, Divans mit per-
ſiſchen Shawlſtoffen überzogen, andere Möbel mit den
reichſten Goldſtickereien, eine wahre Phantaſie im letzten
Saale, in dem ein Orcheſter aufgeſtellt war: Möbel
mit weißem Cachemir überzogen, den reiche Goldſtickereien
bedecken. – Links vom erſten Saale trat man in eine
Art Empfangsſaal, der an Reichthum das Arrangements
ſeinen Kollegen von rechts nichts nachgab, und von da
in einen durch ſeine Kühle wohlthuenden, mit Palmen
geſchmückten Gang, der in eine rieſige Speiſehalle führte,
in der ein Buffet für 1000 Perſonen und Tiſche für
2500 Eingeladene aufgeſtellt waren. Am oberen Ende
des Saales befand ſich, durch ein niederes Gebüſch von
Palmenzweigen von den übrigen Tiſchen getrennt, die
Tafel der Souveräne, bedeckt mit Aufſätzen aus der
vizeköniglichen Küche, welche die von den Souveränen
bei der Kanalfahrt benützten Schiffe darſtellten.
Da man viermal ſo viel Einladungen zu dem Ball
ausgegeben, als urſprünglich projektirt war, ſo kann man
ſich leicht denken, wie überfüllt die Säle waren. Unſere
190
Faſchingdienstag-Redouten ſind leere Räume gegen dieſe
von Menſchen ſtrotzenden Säle. Da war von Vorwärts-
ſchieben oder Durchdrängen keine Rede, man mußte
einfach ſtundenlang auf einem Flecke ſtehen und froh
ſein, daß man hin und wieder einen Arm bewegen oder
den Kopf drehen konnte. Wir hatten trotz des Wider-
ſpruchs einiger Hofbedienten die Stiege im erſten Saale
beſetzt und genoſſen von dieſem erhöhten Standpunkte
einen prächtigen Ueberblick. Welch ein Gewühle, welche
Kollektion von Uniformen, Trachten und Coſtumen!
Dieſes Schauſpiel wird wohl die Welt in dieſem Jahr-
hundert kaum mehr bieten – die Repräſentanten aller
Nationen der Welt auf einem Fleck vereinigt. Mit
Ausnahme der Oeſterreicher, die, dem Beiſpiele ihres
Kaiſers folgend, in einfachem Salonanzuge erſchienen,
war faſt alle Welt uniformirt. Da war die ſchim-
mernde Uniform der engliſchen Marine, das ſtramme
Galakleid der Preußen, der hanswurſtartige Frack der
Holländer, das ſchmucke Paradekleid der Italiener und
Franzoſen, die Pickelhaube des Nordbundes, der Zwei-
maſter der Schweden, der Fez des Türken, der Kalpak
der Magyaren, der Zuckerhut des Perſers, der ſhawl-
umwickelte Turban des Arabers, die goldumflochtene,
topfähnliche Bedeckung des Kopten, der Kaftan des
Scheiks, der Burnus des Beduinen u. ſ. w. Mit ge-
kreuzten Beinen ſaßen die Emire auf den golddurchwirk-
ten Divans und raubten unſeren bedauernswürdigen
Europäerinnen das erſehnte Plätzchen, während die Stamm-
älteſten der Wüſte in rothen Pantoffeln und weitbau-
ſchigen Gewändern durch die Säle hatſchten und tauſend
und tauſend Mal mit den Händen Herz, Mund und
Stirn berührten, um den Großen der Erde ihre Ver-
ehrung zu bezeigen. Freilich ſah man mitunter auch
191
europäiſche Coſtume der ſchauerlichſten Sorte, Toiletten,
denen gegenüber der Portier in Schwender's Koloſſeum
vielleicht Anſtand nehmen würde, trotz bezahlten Entrée's
den Zulaß zu geſtatten. Namentlich die Engländer
leiſteten in dieſer Beziehung Außerordentliches. Einige
derſelben erſchienen in beſtaubten Stiefeln, grauen Hoſen,
lichten Röcken und Korkhüten mit Schleiern im Saale,
ſie glichen zum Glücke Fettaugen in einer Rieſenſchüſſel
die in dem koloſſalen pèle méle bald verſchwanden. Daß
auch engliſche Damen in Toiletten erſchienen, mit denen
ſich die Trägerinnen in England nicht auf die Straße
wagen würden, beweist, daß weibliche Neugierde noch
gewaltiger iſt, als weibliche Eitelkeit. Zu ſehen gab
es in der That genug, man konnte ſeine Neugierde voll-
auf befriedigen. Wenn nur die Hälfte der Ziffern
wahr iſt, die man uns nannte, ſo repräſentirten die
anweſenden Scheiks und Emire mit ihren Shawls allein
einen Werth von einer Million.
Der Kronprinz von Preußen erſchien zuerſt mit
ſeinem Gefolge, eine Viertelſtunde ſpäter der Kaiſer im
Frack, er ward bei ſeinem Erſcheinen mit der öſterrei-
chiſchen Volkshymne und lebhaften Zurufen begrüßt und
der Khedive, der die Honneurs des Hauſes in der liebens-
würdigſten Weiſe machte, ging ihm bis in den Garten
entgegen. Gegen 11 Uhr kam die Kaiſerin Eugenie,
ſie trug ein hellrothes Kleid mit weißer Spitzenguipure,
am Halſe und an der Bruſt ein unſchätzbares Collier
und Riviére von Brillanten, darunter ſechsthalergroße
Solitairs, in den Haaren ein Brillanten-Diadem und
eine Art Haube mit Brillanten geſtickt. –
Wenn ich auch kein Oeſterreicher wäre, müßte ich,
wie es hier alle Gäſte zugeben, konſtatiren, daß ſich die
allgemeine Aufmerkſamkeit auf unſeren Kaiſer konzentrirte,
192
und daß ſein Auftreten, die Ungezwungenheit, mit der
er ſich überall bewegt, die Unermüdlichkeit, die er trotz
der beſchwerlichſten Reiſeſtrapazen ſich bewahrt hat, und
die Theilnahme, die er für die kleinſten Details zeigt,
ihm die allgemeinen Sympathien zugewendet hat. Er
iſt der einzige Souverän, der ſtets bei ſeinem Erſcheinen
und bei der Abfahrt mit den herzlichſten Zurufen be-
grüßt wird, ein Reſultat, das die Preußen trotz des
reichlich geſpendeten Bakſchiſch für ihren froſtigen Kron-
prinzen nicht erreichen konnten.
Schlag 12 Uhr begann das Souper, deſſen gran-
dioſes Menu ausnahmsweiſe, um den Leſern einen
Begriff der egyptiſch-franzöſiſchen Küche zu liefern, hier
dem vollen Inhalt nach citirt werden mag: Es lautete
Grand Souper, donné à Ismailia au bal de l'Inau-
guration du Canal de Suez le 18 Novembre 1869.
(Grand Pièces.) Poisson à la reunion des
deux mers, Roast Beef à l'Anglaise, Galatine de
Dinde à la Perigueux sur socle, Jambon historié,
Grand pain de Gibier en bastion, Galantine de
Faisans à la Volière. – (Entrée.) Patés de Gibier
à la Dorsey, Langues de boeuf à l'anglaise, Aspics
de Nerac, Galantine de Cailles en belle vue, Filets
à l'Imperiale. – (Salade.) Crevettes de Suez au
Cresson, Truffes au Vin de Champagne, Salade
russe, Asperges d'Italie à l'huile vierge. – (Rôti.)
Cuissot de chevreuil à S. Hubert, Dindonneaux
truffés, Faisans au Cresson, Chápons garnis de
Cailles. – (Entremets.) Macedoines au Kirsch-
wasser, Pudding diplomate à l'ananas, Biscuits de
Savoie decorés, Napolitaine historié, Glaces, Pièces
momtées, Dessert assorti.
193
Aber nicht bei der Feſttafel zeigte ſich, die ver-
ſchwenderiſche Gaſtfreundſchaft, die hier überall und
gegen Jeden Sitte iſt, ſondern beim Buffet, das wohl
noch nie und in keiner Stadt Europa's in ſolcher Groß-
artigkeit aufgeſtellt worden iſt. Man konnte welchen
Wein immer wünſchen, man erhielt ihn, die Franzoſen
verlangten alle Sorten Burgunder und Bordeaux, die
Norddeutſchen begehrten einer nach dem andern die
unterſchiedlichſten Sorten des Rebenſaftes vom Rhein,
Rüdesheimer, Hochheimer, Domdechantei, Johannisberger
– alle waren in der beſten Qualität vertreten. Dieſelbe
Auswahl herrſchte in Fiſchen, Geflügel und Obſt. Aal,
Thun, Branzin, Sfoglio, Rheinlachs wurden ebenſo reich-
lich ſervirt, wie Rebhuhn, Wachtel, Faſan, Kapaun u. ſ. f.
Gegen 1 Uhr verließen die Gäſte nach und nach
den Palaſt und wurden beim Austreten aus demſelben
durch das brillante Feuerwerk überraſcht, das am jen-
ſeitigen Hügel abgebrannt wurde, um 11 Uhr begann
und deſſen letzte Rakete noch um 3 Uhr Morgens hundert
farbige Sterne gegen den Kanal zu ausſtreute.
Wenige Stunden vor dem Balle verſammelte Herr
Leſſeps die Mitglieder der großen Kommiſſion, die Ver-
treter des Lloyd, die hervorragendſten Ingenieure und
einige anweſende Celebritäten zu einem glänzenden Banket.
Herr Leſſeps brachte den erſten Toaſt aus auf die Eröff-
nung des Kanals. Er erwähnte der großen Schwierig-
keiten, die Dank der Energie Ismail Paſcha's, überwunden
werden konnten, er ſprach es unverhohlen aus, daß die
Konſulargerichtsbarkeit aufgehoben werden müſſe, und be-
däuerte, daß gerade ſein Vaterland ſich dieſem Fortſchritte
in Egypten ſo lebhaft widerſetze, dankte dem Lloyd, der
ſo raſch die Initiative zur Eröffnung der Schifffahrt
nach Indien ergriffen, der Trieſter Heamter
194
welche die Idee des Suezkanals ſo lebhaft unterſtützte,
und leerte ſchließlich ſein Glas auf das Gedeihen des
Unternehmens.
Baron Elio Morpurgo brachte hierauf folgenden
Trinkſpruch aus:
„Meine Herren! Die Dampfſchifffahrtgeſellſchaft
des öſterreichiſchen Lloyd, der zu präſidiren ich die Ehre
habe, wünſcht ſich Glück, daß ſie die feierliche Eröffnung
des Iſthmus von Suez begrüßen kann, ein Unternehmen,
deſſen Zuſtandekommen nur der Energie eines einzigen
Mannes von Genie und eines glorreichen Protektors zu
verdanken iſt – ein Unternehmen, einzig in ſeiner Art,
ſeit langer Zeit als unausführbar in das Reich der
Chimären verwieſen, das aber heute eine vollendete
Thatſache geworden. Galilei und Columbus wurden
in der alten Zeit, Watt und Fulton in dieſem Jahr-
hunderte als Träumer betrachtet . . . . und doch mußte
die ganze Welt ſich überzeugt vor ihnen beugen – die
neue Welt ward entdeckt und wurde mit uns durch die
Schnelligkeit des Blitzes in Verbindung geſetzt. – Die
Ozeane und die Kontinente ſind durch koloſſale Dampf-
ſchiffe und mächtige Lokomotiven verbunden, und in dieſem
Augenblicke iſt die Eröffnung des Suezkanals, der zwei
Meere verbindet, das größte Ereigniß des neunzehnten
Jahrhunderts, das dem Welthandel einen unberechen-
baren Aufſchwung verleiht.
„Der öſterreichiſche Lloyd, welcher der erſte war,
der die Dampfſchifffahrt im Oriente entwickelte, wird
nicht zögern, auch in den indiſchen Meeren die öſter-
reichiſch-ungariſche Flagge zu entfalten. (Lebhafter
Beifall.) Das große Ereigniß des Tages wird der
Nachwelt zwei dann unſterbliche Namen verkünden,
195
jenen von Ismail Paſcha und von Ferdinand Leſſeps.
(Beifall)
„Ich erlaube mir einen ehrfurchtsvollen und herz-
lichen Toaſt auf dieſe berühmten Perſönlichkeiten aus-
zubringen und an denſelben die lebhafteſten Wünſche für
das glückliche Gedeihen eines Unternehmens zu knüpfen,
für das Millionen Herzen in der ganzen civiliſirten
Welt ihre Stimme erheben. Es lebe Ismail Paſcha,
es lebe Ferdinand Leſſeps!“
Baron Joſeph Morpurgo dankte Herrn Leſſeps für
ſeine Erwähnung der Trieſter Handelskammer und brachte
ſein Glas dem Frieden, dieſer Schutzwehr des Handels,
dieſer Garantie allen Fortſchritts, aus, worauf Leſſeps
erwiederte, daß gerade die Begründung ſo großartiger
Inſtitutionen und Werke, wie des Suezkanals, den
Frieden ſichern. Herr v. Wertheim endlich brachte in
deutſcher Sprache einen mit Beifall aufgenommenen
Trinkſpruch aus.
134
Eine Eiſenbahnfahrt in Egypten.
Kairo, 20. November.
Wir ſind in Kairo – wir haben den Weg von
Ismailia hieher glücklich zurückgelegt, aber fragt nur
nicht: Wie? Und wenn ihr fragt, zwingt ihr mich eine
Leidensgeſchichte zu erzählen, wie ſie tragikomiſcher ſeit
Peter Schlemihl's berühmten Abenteuern nicht erlebt
worden iſt. Die Fahrt von Port Said nach Ismailia
hatte uns etwas mißtrauiſch gemacht, die ſtecken geblie-
benen Schiffe, die dutzendweiſe ins Waſſer geſtürzten,
aber glücklich wieder geretteten Gäſte, die Ueberfluthung
Ismailia's mit Unberufenen und Nichteingeladenen, die
Zeltwirthſchaft im Wüſtenſande und die Ueberzeugung,
daß die Unterkunft in den Bitterſeen und Suez noch
ärger, die rechtzeitige Abfahrt von Suez nach Kairo
aber geradezu unmöglich ſein würde, veranlaßte nament-
lich die Oeſterreicher, die ſeit ihrer Vereinigung in
Alexandrien feſt zuſammenhielten, die Fahrt nach Suez
aufzugeben, direkt von Ismailia nach Kairo zu fahren
197
und dort diejenigen zu erwarten, die den Kanal bis auf
die Neige leeren mußten. Aber leider waren wir nicht
die einzigen Klugen unter den Weiſen, zehntauſend,
zwanzigtauſend hatten den gleichen Plan wie wir, und
ſo glich der Eiſenbahnhof zu Ismailia, eine Lokalität,
ungefähr ſo groß wie der Bahnhof von Mödling, am
Vormittag des denkwürdigen 19. November einem rie-
ſigen Heerlager. Als wir gegen 9 Uhr, eine kleine
Karawane, nach dem Bahnhof zogen, Graf Nugent auf
einem Koffer des ſchwerbeladenen Streifwagens rittlings
ſitzend, Baron Swrtnik den Wagen und die Fellahs
rechts bewachend, ich dasſelbe Geſchäft links ausübend,
und unſer wackerer Reiſeleiter dem Wagen als Eskorte
folgend, begegneten wir dem Kaiſer, der gerade in Be-
gleitung des Grafen Bellegarde und des Fürſten Hohen-
lohe einen Spaziergang durch die Stadt machte. Er
blickte uns lächelnd an und erwiederte unſeren Gruß
freundlichſt. Fünf Minuten ſpäter waren wir auf dem
Bahnhofe – Beamte, Kondukteure, Stationschefs, alle
hatten den Kopf verloren oder ſich einfach geflüchtet, ſie
hatten den ſchüchternen Verſuch gemacht, die erſten Tau-
ſend unterzubringen, beim zweiten Tauſend verloren ſie
alle Beſinnung und als endlich das dritte, vierte und
das zehnte Tauſend anrückte, als der Bahnhof und ſeine
Umgebung haushoch mit Koffern, Kiſten und Reiſeſäcken
bedeckt war, da ſank auch dem energiſcheſten Eiſenbahn-
paſcha der Muth und nur eine Frage ſchwebte auf Aller
Lippen: Wie wird das enden? Man illuſtrire gefälligſt
ſich folgendes dürftige, die thatſächlichen Vorgänge nur
matt wiederſpiegelnde Bild: In der Bahnhalle, in den
Warteſälen, auf den Schienen drängen ſich zehntauſend
Reiſende, die in allen Sprachen der Erde ſchreien, fluchen,
läſtern, fragen, rufen, Jeder ſchleppt ſeine Säcke und
198
Taſchen mit ſich und ſucht ſich ſo gut als er kann, der
Fellahs zu entledigen, die mit Kiſten und Koffern be-
laden einherkeuchen und ihre Laſt da niederſetzen, wo
ſich noch ein Fleckchen unbeſetzter Erde findet. Auf den
Schienen ſtehen fünfzig, ſechzig Waggons aller Klaſſen,
Laſtwaggons und Lowries und alle ſtarren von Menſchen,
Niemand weiß, wohin der Zug geht, oder ob dieſe Wag-
gons überhaupt zum Train gehören, man beſetzt ſie nur,
um ſich einen Platz zu ſichern – das ſind die Glück-
lichen, die ihr großes Gepäck auf den Schiffen, oder in
Port Said, oder gar in Alexandrien zurückgelaſſen
haben. – Aber wir Anderen, die wir je einer in zwei,
drei Koffern unſere Habſeligkeiten mit uns ſchleppen,
was ſoll mit uns geſchehen? Seufzend blicken wir nach
den Sitzenden, wir können ja unſer Gepäck, unſere
Fracks und Kravaten, unſere Tſchibuks, unſeren mit
ſchwerem Gold erkauften Latakija nicht verlaſſen! –
So weit die Bahnhofsrampe reicht und draußen
vor dem Gitter lagern die Araber und Beduinen, in
Horden ſtehen ſie zuſammen mit ihren Eſeln und Tep-
pichen, Zelten und Fahnen, mit Waffen und Mundvor-
räthen, Kindern und Frauen – denn, was nicht Kameele
und Pferde beſitzt, und ſich mit Hilfe dieſer fortbringt,
will per Eiſenbahn in die Heimat befördert werden.
Mitten drin aber, in dieſer tobenden, tauſendſtimmigen
Menge liegt ein Tandelmarkt von Geräthſchaften, Zelten,
Waſchbecken, Laternen, Tiſchen, Stühlen, Matratzen,
Bettdecken c., Alles ſoll weitergeſchafft werden, um in
Suez für die Fremden wieder benützt werden zu können.
Eine halbe Stunde ſitzen wir rathlos im Bahnhofe,
thronend auf unſeren Kiſten, trauernde Jeremiaſſe, die
den Untergang einer ſchönen Zeit beweinen. Nur manch-
mal verſcheucht irgend eine hochkomiſche Szene momen-
199
kan unſere trübſelige Stimmung. Bei einer derſelben
lieferte ich ſelbſt den Stoff zur allgemeinen Heiterkeit.
Ein Dutzend Laſtträger ſtürzt gleichzeitig auf unſer Ge-
päck und bemächtigt ſich unter hölliſchem Geſchrei des-
ſelben, alle wollen Bakſchiſch verdienen und betäuben
uns förmlich mit Anträgen und Bitten, todesmuthig
ſtürze ich mitten unter ſie, den Einen renne ich zu Boden,
an der Bruſt des Anderen probire ich die Kraft meines
Ellbogens, den dritten laſſe ich meine Fäuſte fühlen, ich
haue nach rechts und links, nach oben und unten, da
fühle ich plötzlich, daß man meine Füße umklammert
und irgend ein borſtenartiger Gegenſtand – offenbar
die Schnauze eines Thieres – das Oberleder meiner
Stiefel bearbeitet – ich ſtürze zuſammen und ein Höllen-
gelächter ertönt. Mitten in der allgemeinen Aufregung,
im erbittertſten Kampfe gegen die zudringlichen Fellahs,
hatte ein jugendlicher Stiefelputzer, den ich bereits zwan-
zig Mal abgewieſen, meine Stiefel gewichst und fing
ſie in Anhoffung des unvermeidlichen Bakſchiſch mit
Bürſte und Wichſe zu maltraitiren an. Die allgemeine
Heiterkeit war gerechtfertigt und ich ſtimmte in dieſelbe
Lllt. – –
Endlich wird der Train vorgeſchoben und die Laſt-
waggons kommen in unſere Nähe – wir verſuchen ſie
zu öffnen, ſie ſind geſperrt – Hammer und Stemm-
eiſen ſind zur Hand – wir ſprengen die Thüre, und
nun geht's an's Einpacken. Jeder ſchleppt, was er
ſchleppen kann, Koffer, Schachteln, Säcke, Kiſten, ob
fragile oder piano noch ſo deutlich darauf gezeichnet
ſteht, werden in den Waggon geſchleudert – wir ordnen
die Maſſe ſo gut es geht und in zehn Minuten iſt der
Waggon gefüllt. Ein Packkondukteur einer unſerer vater-
ländiſchen Bahnen würde wahrſcheinlich über die Art
200
und Weiſe, wie wir mit dem Gepäcke der P. T. Ein-
geladenen umgingen, die Hände über den Kopf zuſam-
mengeſchlagen haben, aber uns hätte das wenig geküm-
mert, wir wollten unſere Siebenſachen um jeden Preis
untergebracht ſehen. Ob Madame X. noch ſo raſend
ſchrie, ihre Hutſchachtel liege unter dreizentnerſchweren
Kiſten vergraben – ſie werde in Kairo die Straße
nicht betreten können, oder der Sportman, der auch zu
den Eingeladenen gehörte, bei allen Vollbluthengſten
Arabiens ſchwur, er dulde es nicht, daß ſeine Reiſetaſche
am Grund des Waggons vergraben liege, uns genirte
das wenig, wir freuten uns vielmehr, daß wir mit ge-
raden Gliedern wieder aus dem Waggon herauskamen,
ſchloſſen nothdürftig die Thüre und machten uns nun
daran, für unſere Plätze zu ſorgen. Aber jetzt begann
erſt unſer eigentliches Leiden. Jede Thüre, die wir
öffnen wollten, wurde von den Inſaſſen des Waggons
gewaltſam zugehalten und wo wir die Thüre mit Sturm
nahmen, drang man uns ſcheltend und in Boxerſtellung
entgegen, um uns zurückzuweiſen; waren doch in jedem
Waggon zwei auch drei Paſſagiere mehr, als ſelbſt die
rigoroſeſte Verwaltung je in dieſelben gepreßt hätte. An
einzelnen Stellen kam es auch zu ernſten Szenen; dem
Baron Pongraz, der in ein Coupé eindringen wollte,
trat ein rabiater Italiener mit dem Revolver entgegen,
und drohte ihn zu erſchießen, wenn er nicht ſofort den
Waggon verlaſſen würde. – Endlich hatte ein deutſcher
Arbeiter aus Ungarn, der in Egypten ein zweites Vater-
land gefunden und unſere Verzweiflungsrufe vernahm,
Mitleid mit uns und rief uns zu, in ſeinen Waggon
zu kommen. Es gab für uns Fünf noch drei leere
Plätze in demſelben, der Waggon war verſchloſſen und
deshalb bis jetzt noch nicht ganz gefüllt. Wir erſtiegen
201
den Tritt und zwängten uns, ſo gut es ging, durch das
Fenſter in das Coupé, die im Waggon zogen an, die
unten halfen nach und ſo fielen wir förmlich mitten
unter die Paſſagiere. Wer den mit einem anſehnlichen
Embonpoint geſegneten und durch die Menu's Sr. Hoheit
des Khedive keineswegs abgemagerten Schreiber dieſer
Zeilen kennt, wird zugeſtehen, daß ihm für die Qualen
dieſer einen Viertelſtunde viel von dem verziehen werden
muß, was er geſündigt. – Endlich waren wir im
Waggon, aber noch nicht am Ende unſerer Qualen.
Noch ärgere Dinge erwarteten uns. In dem Coupé,
das uns der Zufall beſchieden, ſteckten jetzt dreizehn
Perſonen. Da für zehn nur ehrlich Platz war, ſo
mußten drei auf der Lehne der zwei Coupés trennenden
Bank ſich placiren – ſie konnten ſomit während der
Fahrt im Vorhinein die Annehmlichkeit einer Kameelreiſe
kennen lernen. Aber auch die Anderen, die wirkliche
Sitze inne hatten, waren nicht auf Roſen gebettet. Ein
türkiſcher Kaufmann, der ſich mit zwei dichtverſchleierten
Frauen, von denen jede ein kleines Kind an der Bruſt
hielt, im Wagen eine allerliebſte Niederlaſſung gegründet,
hatte auch ſein ganzes Waarenlager, in einen rieſigen
Ballen verpackt, mitgeſchleppt, deſſen Höhe weit jene
der Sitze überragte. Trotz unſeres Schimpfens und
Schreiens blieb der Ballen im Waggon und wir mußten
auf den Sitzen ſo Platz nehmen, daß unſer Körper
einen Winkel von 45 Graden bildete, deſſen Spitze durch
unſer Geſäß repräſentirt wurde, während Oberleib und
Füße als Tangenten in die Höhe ragten. Man urtheile,
ob in dieſer Stellung von Ismailia nach Kairo – eine
Entfernung wie von Wien nach Salzburg – zu fahren,
nicht eine der angenehmſten Beſchäftigungen bildet? Daß
die Türkinnen nebſt ihren Waaren auch noch Körbe mit
202.
Nahrungsmitteln, unterſchiedliche Thonkrüge mit Nil-
waſſer mit ſich führten, und den ſchreienden Kindern
jeden Augenblick gewiſſe Porzellangefäße zeigten, um die
lieben blatternbedeckten Kleinen mit deutlicher Panto-
mime zu fragen, ob ſie derſelben nicht bedürften, trug
gerade nicht dazu bei, unſere Situation zu verſchönern.
Indeſſen, wir waren untergebracht und verſuchten, indem
wir uns wechſelſeitig verſpotteten, unſeren Humor wieder
zu erlangen. Und in der That, ein Blick aus dem
Waggon belehrte uns, daß unſer Los noch zehn Mal
beſſer war, als das vieler unſerer bisherigen Reiſege-
fährten. Da ſaß der wackere Szende, dieſes Muſter
magyariſchen Freimuths und Biederkeit, auf einer Koffer-
ladung und blickte verächtlich auf das Getriebe um ſich.
Er dachte offenbar im Gegenſatze zu Mohamed: Ich
hab' Zeit, kommt der Szende nicht zum Waggon, kommt
der Waggon ſchon zum Szende. – – Erſchöpft und
faſt ſeekrank hatte ſich Baron Pongraz, der liebenswür-
digſte, aber auch ſchwächlichſte Reiſekompagnon, auf einen
Schienenhaufen niedergelaſſen und rief: Ach, wäre ich
nur wieder in meinem Photographienſalon in Peſt an
der ſchönen blauen Donau und hätte den Nil und die
Pyramiden weit hinter mir. Mit drohendem Finger
ſchritt Präſident Stummer an uns vorüber und ſein
Blick ſchien zu ſagen: Ihr verteufelten Journaliſten,
wenn Ihr auch nur ein Mal noch über meine Nordbahn
raiſonirt, dann will ich Euch an den Tag von Ismailia
erinnern und Ihr müßt ſchweigen. Profeſſor Sueß,
dieſes Ideal von Sanftmuth, hatte ſich in das fernſte
Ende des Bahnhofes zurückgezogen – wo man mit Ell-
bogen und Fäuſten kämpfte, war kein Platz für ihn,
und ſelbſt Hofrath Scherer, deſſen Energie und Lebhaf-
tigkeit wir Oeſterreicher ſchon ſo manchen Sieg in Egyp-
203
ten zu verdanken hatten, hatte diesmal den Kampf auf-
gegeben. – –
Um 10 Uhr hatten wir unſeren Waggon erobert,
um 12 Uhr ſetzte ſich, bei 36 Grad Hitze, der Train
in Bewegung. Wir waren kaum eine Viertelſtunde ge-
fahren, als wir ſchon ſtehen blieben. Ein Zug, hieß
es, fahre vor und zwei Extrazüge, die nachkommen,
müßten vorſahren. Eine ſchöne Ausſicht! Aber es kam
noch beſſer! In der zweiten Station verfehlte ein egyp-
tiſcher Soldat ſeinen Waggon, reißt unſere Thüre auf
und pflanzt ſich gerade vor mich hin. Ich will den
Kerl hinauswerfen, aber der Zug geht ab und ich kann
den Eindringling doch nicht während des Fahrens beſei-
tigen. So fuhren wir zwei Meilen weit, und auf einem
Raume, der gerade für vier Füße Platz bot, befanden
ſich jetzt acht; ich fuhr drei Fuß oder richtiger drei
Stiefel hoch bis nach Zagazik. Jetzt folgten die Ueber-
raſchungen eine nach der anderen. In der einen Station
heißt es, müſſen wir eine halbe Stunde warten, dürfen aber
die Waggons nicht verlaſſen, denn rechts und links gibt
es nichts als ſteilabfallende Böſchung; zwei Meilen
weiter entſteht ein fürchterlicher Lärm, der erſte Waggon
brennt lichterloh, man muß halten und das Feuer löſchen
– noch weiter theilt ſich der Weg, man ſteigt nach
Suez und Alexandrien aus, aber Niemand weiß, ob
wir ausſteigen oder ſitzen bleiben! Die für uns Europäer
entſetzlichſte Szene aber ſpielte ſich hinter Zagazik ab.
Die Mutter der beiden egyptiſchen Kinder, welche die den
ganzen Tag über lamentirenden Kleinen weder durch Aepfel
noch durch Zuckerrohr zum Schweigen bringen konnten, ent-
blößte plötzlich in aller Gemüthlichkeit den Kopf des einen
Kindes und begann in deſſen Haaren jene eigenthümliche
Jagd, für welche die polniſchen Genoſſen des auser-
204
wählten Volkes eines der ausgiebigſten und wildreichſten
Reviere mit ſich herumſchleppen. Ihre Jagd lieferte
gleich im Beginn glänzende Reſultate, denn ſie zog
zwiſchen den Fingern die gefangenen Thierchen aus dem
ſtruppigen Haare und ſchnellte ſie einfach uns zu. Das
war denn doch zu viel. Wir ſchreien, und da der Türke
uns nicht verſteht und lachend nichts als: „Maläſch“
(Was ſchadet es) ruft, ſo packen wir den Kerl einfach bei
der Bruſt und erklären ihm pantomimiſch, wir würden
ihn zum Fenſter hinauswerfen, wenn er nicht ſofort die
gräuliche Operation ſeiner Frau einſtellen würde. Das
wirkte und wir fuhren unbehelligt weiter. –
Trotz allen Ungemachs blieben uns doch hie und
da einige Ruhepunkte, um dem Lande, das wir durch-
fuhren, einige Aufmerkſamkeit zu ſchenken. Die erſten
fünf oder ſechs Stationen führen durch die Wüſte, rechts
und links, ſo weit das Auge reicht, nichts als Sand,
Berg und Thal von Sand, nur an einzelnen Stellen
dürres, ſaftloſes Gras. Durch die Wüſte ſprengten
die Reiter auf Kameelen und Pferden, vom Feſte in
Ismailia zu ihren Zelten heimkehrend. Je tiefer man
ins Land dringt, deſto reicher wird die Kultur, die
Palme erhebt zuerſt ihre Krone und kündet den Beginn
der Vegetation an, dann kommen die Baumwollfelder
mit ihren tauſend und tauſend Flocken, die Zuckerfelder,
die Maisäcker – die Wüſte verwandelt ſich raſch in
die Kornkammer der Welt. – – –
Um 9 Uhr Früh hatten wir den Bahnhof von
Ismailia betreten, um halb 8 Uhr bei finſterer Nacht
langten wir in Kairo an. Wir hatten nicht weniger
als ſieben Stunden Verſpätung. Wir krochen müde,
gebrochen aus dem Waggon und freuten uns noch, daß
wir unſer Gepäck vollſtändig wieder fanden. Unſer un-
205
ermüdlicher Freund aus Alexandrien, der Archivar Pea,
der für die Oeſterreicher wie ein Vater ſorgte, erwartete
uns am Bahnhof und brachte uns raſch in unſer Quar-
tier im Hotel d'Orient. Zwei prächtige Salons nahmen
uns auf, dienſteifrige Garçons erkundigten ſich nach
unſeren Wünſchen, man frug, wie viel Wagen wir am
nächſten Morgen brauchten – die Gaſtfreundſchaft des
Vizekönigs war wieder in ihre Blüthen geſchoſſen!“
ſflasr-el-Rahira.
Kairo, 21. November.
Seit zwei Tagen bin ich in Kairo und habe mich
bisher damit zufriedengeſtellt, die Stadt nach allen Rich-
tungen zu durchkreuzen, mich in das Volksgewühl zu
miſchen und Leute und Leben zu beobachten. Zu den
Pyramiden zu eilen, habe ich Zeit. Hätte ich ſie nicht ſchon
hundert Mal in Bildern geſehen und bis in das kleinſte
Detail in Reiſebüchern beſchrieben gefunden, mir würde
es vorläufig genügen, die Grabſteine einer vergangenen
Welt von der Höhe der Citadelle von Alt-Kairo oder
von der Grotte in Ghezireh aus zu bewundern. Man
wird die Pyramiden an einem der nächſten Abende be-
leuchten und dann will ich mir Zeit nehmen, ſie zu be-
ſichtigen. Hinauf bringt mich ohnedies kein Menſch, ſelbſt
ein Araber nicht. Seitdem ich gute Freunde mit ausge-
renkten Armen und ſchlotternden Füßen von dieſer ante-
diluvianiſchen Turnübung habe zurückkommen ſehen, iſt
das Projekt der Pyramiden-Beſteigung definitiv aus
207
meinem Programm geſtrichen. Heinrich Laube eifert gegen
das Bergſteigen, und meint, daß die Berge von unten
gerade ſo ſchön ausſehen, wie von oben; was würde der
treffliche Dramaturg erſt ſagen, wenn er ſehen würde,
wie ſich europäiſche Reiſende von vier handfeſten Arabern
die für Gog's Füße und nicht für unſere Beine berech-
neten Stufen hinaufreißen laſſen! – Reiſende, die Egyp-
ten und namentlich Kairo in den letzten fünfzehn Jahren
nicht geſehen, erkennen es nicht mehr wieder. Ismail
Paſcha iſt nicht nur der größte Kaufmann, der reichſte
Kapitaliſt, der euergiſcheſte Regent, er iſt auch der unter-
nehmendſte Bauherr ſeines Landes und hat in wenigen
Jahren Kairo förmlich umgewandelt. Freilich, in die
Winkel der Moskie iſt ſeine reformatoriſche Hand noch
nicht gedrungen, aber da er bereits trotz des Wider-
ſtandes des Volkes Moſcheen niederreißen und Stadt-
theile abtragen ließ, wird es ihm gewiß auch gelingen,
ſeinen Boulevard-Plan durchzuſetzen, nach welchem
Kairo von einem Gürtel moderner Häuſer umſchloſſen
werden wird. – Man kann in Kairo wie in Europa
leben und ſich doch jeden Augenblick in die berauſchenden
Geheimniſſe des Orients verſenken und dadurch unterſcheidet
es ſich vortheilhaft von Stambul, das mit ſeinen Bergen
und unmöglichen Straßenabhängen den Europäern nach
und nach unleidlich wird und nur ſeinen Bosporus als ein
Unikum zu ſeinem Vortheil in die Wagſchale wirft. –
Ghezireh, der Palaſt am Nil, wo der Kaiſer wohnt und von
deſſen romantiſcher Grotte ich die Pyramiden ſchon
zwei Mal, bei Sonnenauf- und bei Sonnenuntergang
bewundert habe, ward vom Khedive mit einer Pracht
und einer Verſchwendung errichtet, die Alles weit über-
trifft, was wir in Konſtantinopel geſehen. Der Palaſt
iſt in mauriſchem Styl erbaut, rings von einer fein ciſe-
208
lirten eiſernen Säulenhalle umgeben und durch den Nil
von der eigentlichen Stadt getrennt, ſo daß der Kaiſer,
ſo oft er ſich in ſein Abſteigquartier begeben will, am
andern Ufer den Wagen verlaſſen muß, um mittelſt
eines bereitſtehenden Dampfſchiffes in zwei Minuten
nach Ghezireh zu fahren. Die Appartements des Kaiſers
haben ſelbſt die verwöhnteſten Kenner orientaliſchen Luxus
zu lauter Bewunderung hingeriffen. Von der Treppe
tritt man in einen großen Marmorſaal, ungefähr ſo
groß wie unſer kleiner Redoutenſaal, deſſen Fenſter auf
einen Balkon führen, von dem man eine hübſche Aus-
ſicht über den Nil und Kairo genießt. An den Thüren
ſtehen rieſige Vaſen aus egyptiſchem Marmor, Wände
und Fußboden ſind von Marmor, die Decke moſaikartig, .
die Luſter und Kandelaber aus blinkendem Kryſtall, die
Möbel von gelber, ſilberdurchwirkter Seide. Links gelangt
man in den Empfangsſaal des Kaiſers, deſſen Wände
mit Tapeten von Silberbrokat dekorirt ſind; ein Schreib-
tiſch von Roſenholz ſteht in der Nähe des Fenſters, am
Seſſel lehnt ein koſtbarer Tſchibuk. – Das Toilette-
zimmer hat geſteppte Tapeten von blauem Atlas (ſo
gerichtet, daß man beim Anlehnen an die Wand ſo weich
ruht wie im Fauteuil), im Schlafzimmer ſteht ein Himmel-
bett aus maſſivem Silber, Matratzen und Decke aus
Atlas mit Spitzengarnitur, der Vorhang zum Schutze
gegen die Mosquitos aus den feinſten Damenſchleiern,
hinter denſelben ein zweiter Vorhang von feinen Spitzen,
um das allenfalls durch die erſte Wand gedrungene
Inſekt abzuwehren; – die Möbel ſind von Roſenholz
mit Atlas überzogen, die Polſter geſtickt; – allerliebſt
iſt das Badezimmer (blaue Seide) mit einer Toilette
von Silber und allem nur erdenklichen orientaliſchen
Komfort ausgeſtattet. Rechts vom Eingang befindet ſich
209
das Appartement des Fürſten Hohenlohe, deſſen Vorſaal
der Muſikſaal des Palaſtes iſt. Die Zimmer des Grafen
Beuſt ſind im Harem gelegen, deſſen Frauen ſchon
vor acht Tagen den Platz räumen mußten, die übrigen
Herren der Suite ſind in prachtvoll eingerichteten Salons
untergebracht. Minder reich iſt das Service – man
ſpeist auf Porzellan, das zum Theil defekt iſt, während
man in Konſtantinopel abwechſelnd auf Silber, Gold
und Sèvres ſpeiste und den Herren Tſchibuks ſervirte,
deren Werth das Vermögen unſerer Ringbarone reprä-
ſentirte. – Ghezireh beſitzt einen wundervollen Garten,
eine allerliebſte Grotte mit Springbrunnen und eine ſehens-
werthe Menagerie.
Nachdem wir den geſtrigen Tag dazu verwendeten,
Heliopolis zu beſuchen, den Marienbaum zu plündern,
die Citadelle und die Kalifengräber zu beſichtigen, fuhren
wir Abends nach dem Bahnhofe, um bei der Ankunft
des Kaiſers gegenwärtig zu ſein. Man erwartete Se.
Majeſtät gegen 7 Uhr, die Ankunft verzögerte ſich
jedoch bis */ 11 Uhr. Das Militär, das in allen Straßen
Spalier bildete, blieb die ganze Zeit über aufgeſtellt,
– am Bahnhofe warteten die Konſuln von Alexan-
drien und Kairo, die Herren Schwegel und Queſtiaux,
und die öſterreichiſche Kolonie, die am Ende der Esbekieh,
des größten Platzes in Kairo, einen impoſanten Triumph-
bogen mit lateiniſcher Inſchrift – man wich auf dieſe
Weiſe einem Sprachenſtreit aus – errichtet hatte. Der
Khedive war bereits gegen 8 Uhr eingetroffen nnd er-
kundigte ſich im Bahnhofe nach den kleinſten Details
der für ſeinen kaiſerlichen Gaſt getroffenen Vorberei-
tungen. Vor dem Bahnhofe harrte die Menſchenmenge
Kopf an Kopf, die Garde zu Pferde hielt die Zufahrt
frei und eine Wagenburg, wie ſie wohl wenige Remi-
14
21()
ſen Europas aufzuweiſen haben, erwartete den Kaiſer
und ſein Gefolge. Ein vierſpänniger, runder, von Jockeys
gelenkter, mit Kryſtallſcheiben verſehener Wagen, unſerem
Krönungswagen gleichend, war für den Kaiſer beſtimmt,
zwei mit Gold überdeckte Vorreiter hatten den Zug zu
eröffnen. Für das Gefolge ſtanden nagelneue, prächtig
beſpannte Poſtzüge bereit, auch die anderen Wagen, bis
auf den Fourgon, waren neu, bisher noch nicht ge-
braucht.
Um % 11 Uhr langte der Kaiſer, begrüßt von
den Klängen der Volkshymne und den Zurufen der
Kolonie, im Bahnhof an und begab ſich, nachdem er
einige Worte mit dem Vizekönig und dem egyptiſchen
Kronprinzen gewechſelt, zu dem Wagen. Schlag 12 Uhr
traf Se. Majeſtät in Ghezireh ein. Der Kaiſer war
nur von ſeinem militäriſchen Gefolge begleitet, er hatte
in Suez von der Kaiſerin Eugenie Abſchied genommen,
die nach Port Said gefahren war, um dort als Zeugin
bei der Trauung Leſſeps' zu fungiren. Der Kronprinz
von Preußen, der um 9 Uhr hier anlangte, begab ſich
ſofort auf ein Schiff und trat die Reiſe nach Ober-
Egypten an. Die Miniſter Beuſt, Andraſſy und Plener
und die übrige Suite waren zwiſchen den Bitterſeen
und Suez mit der „Eliſabeth“ abermals aufgefahren
und erſt in dem Augenblicke wieder flott geworden, als
der kaiſerliche Zug bereits im Gange war.
Die Fahrt von Ismailia nach Suez wurde übri-
gens ohne beſonderen Unfall zurückgelegt; denn daß
zufällig unter ſechs Paſſagieren, die beim Zuſammen-
ſtoße eines Aviſodampfers mit einem Boote ins Waſſer
fielen und gerettet wurden, ſich gerade drei Vertreter
der öffentlichen Meinung befanden, wird man wohl für
keinen beſonderen Unfall ausſchreien.
211
Der Kaiſer verließ heute ſchon um 7 Uhr Mor-
gens Ghezirch, um die Merkwürdigkeiten der Stadt
in Augenſchein zu nehmen. Man kann ſich in Europa
von der Ausdauer, mit welcher der Kaiſer ſein Reiſe-
programm einhielt, und den Strapazen, denen ſein Ge-
folge ſich unterzog, kaum einen Begriff machen. Hier ein
Beiſpiel. Vorgeſtern Nachts langte der Kaiſer in den
Bitterſeen an, ſchlief nur wenige Stunden und fuhr
geſtern Morgens nach Suez, dort war kaum, eine
Viertelſtunde Zeit zum Diner, dann begab man ſich
auf die Eiſenbahn und fuhr nach Kairo. Hier langte
Se. Majeſtät um 11 Uhr an und kam erſt um 12 Uhr Nachts
in ſein Abſteigquartier. Das Diner daſelbſt dauerte bis
2 Uhr, hierauf las der Kaiſer Briefe, expedirte noch
einige dringende Geſchäftsſtücke, und heute Früh 7 Uhr
verkündete ſchon der Kanonendonner von der Citadelle,
daß Se. Majeſtät die Reſidenz verlaſſen. .
Der Kaiſer fuhr zuerſt in die katholiſche Kirche
zur Meſſe, von dort zu dem durch eine fromme Sage
geheiligten Marienbaum, dann in die Citadelle, beſich-
tigte die große Marmormoſchee, das Grab Mehmed
Ali's, den Juſſufbaum, die Kalifengräber und langte
gegen 4 Uhr wieder in Ghezireh an. Auf dem Wege
hatte der Kaiſer die eben von der Bahn anlangenden
Miniſter getroffen und nahm ſie in ſein Dampfſchiff
auf. Als der Kaiſer heute Nachmittags von ſeinem
Ausflug in Ghezireh anlangte, war man von Seite der
vizeköniglichen Dienerſchaft auf die Ankunft nicht vor-
bereitet und kein Diener oder Dolmetſch befand ſich in
der Nähe. Der Kaiſer wollte den Garten beſichtigen,
konnte ſich aber mit den arbeitenden Gärtnern nicht
verſtändigen. Graf Bellegarde, der umſonſt nach einem
Dragoman ſpähte, wandte ſich endlich an einen anwe-
14*
212
ſenden Fezträger und frug ihn in italieniſcher Sprache,
ob er nicht Jemanden wüßte, der arabiſch verſtände.
Zufällig hatte ſich der Graf an den rechten Mann ge-
wendet. Der Gefragte war ein in Egypten anſäßiger
Ungar, Namens Rosner, der als Architekt beim Bau
des Palaſtes mitgewirkt hatte und für den Kaiſer einen
prächtigen Cicerone abgab. Se. Majeſtät erkundigte
ſich ſorgfältig nach den Verhältniſſen ſeines Führers
und bieß ſich von ihm über jeden Baum, jede Anlage,
genauen Aufſchluß geben. Während der Kaiſer über eine
Brücke ging, flog plötzlich ein Schwarm Vögel auf.
„Was ſind das für Vögel?“ frug der Kaiſer. „Nil-
vögel, eine Art Möven“, lautete die Antwort. „Die
möchte ich ſchießen“, rief der Kaiſer und man erfüllte
raſch ſeinen Wunſch. Zwei Minuten ſpäter hatte der
Leibjäger die Flinte des Kaiſers gebracht, aber faſt
wäre dem Kaiſer ſein Jagdvergnügen verleidet worden.
Die arabiſchen Gartenwächter machten nämlich, als ſie
die Flinte ſahen, ganz entſetzliche Sprünge und bedeu-
teten drohend und warnend dem Cicerone, daß Möven
zu ſchießen nicht erlaubt ſei, daß aber im Garten des
Khedive zu ſchießen geradezu unerhört wäre. Herr Rosner
hatte viele Mühe, den Leuten begreiflich zu machen, daß
der Sultan Nemce Alles thun dürfe – der Kaiſer
ſchoß und traf mit zwei Schüſſen zwei Möven, die
ſofort zum Ausſtopfer wanderten. Nun hätte man die
Leute ſehen ſollen! Sie beugten ſich vor dem deutſchen
Sultan bis zum Boden; ſo ſchießen hatten ſie ihr Lebtag
nicht geſehen – das habe ſelbſt Mohamed nicht gekonnt,
verſicherten ſie. – Der Kaiſer begab ſich hierauf in die
Menagerie und verweilte längere Zeit daſelbſt; auch
hier gab der Monarch wiederholt ſeinen Wunſch ZU
213
erkennen, wie ſehr es ihn freuen würde, einmal eine
Jagd auf afrikaniſche Thiere mitzumachen.
Geſtern und heute Abend war Kairo glänzend be-
leuchtet. Nur eine Stadt der Welt kann ähnliche Effekte
bei allgemeiner Beleuchtung hervorbringen und das iſt
Venedig. Hier wie dort eignen ſich die engen Straßen,
das milde Klima, die windſtillen Nächte vortrefflich
dazu, den Salon auf die Gaſſe zu verlegen und
im Freien denſelben Glanz und Effekt zu erzielen, wie
im Innern des Hauſes. Rieſige Teppiche werden von
Dach zu Dach geſpannt und bilden glänzende Pla-
fonds, von denen an Stricken zahlloſe Kryſtallluſter
herabhängen und ſo einer ganzen Straße das Ausſehen
eines koloſſalen Ballſaales geben. Die Häuſer ſind
dekorirt und mit Glaskelchen beſteckt, in denen Ker-
zen brennen. Die Läden ſind geöffnet und jeder
Beſitzer hat ſeine Lichter aufgeſtellt und ſeine Luſter
ausgehängt. "Wo die Gaſſe ſich weitet, wimmelt es von
farbigen Lämpchen und Laternen – in der Moskie
namentlich, wo die Gaſſe hoch oben von einem Dach
zum andern zur Abwehr der Sonnenſtrahlen mit Bret-
tern gedeckt iſt, wird die Ueberſpannung mit Teppichen
leicht ins Werk geſetzt, und hier wie im Bazar nahm
die Illumination grandioſe Dimenſionen an. Man
hatte mit richtigen Verſtändniß einzelne Partien dunkel
gelaſſen, um die beleuchteten Theile deſto brillanter aus
der Finſterniß hervortreten zu laſſen. Die iſraelitiſchen
Oeſterreicher zeichneten ſich in hervorragender Weiſe
aus und das Haus des Kaufmanns Matutia Nahmir
war in der Front mit Lampen förmlich beſpickt. In
Kasr-Nil waren die Höfe und Hallen, Räume, in denen
leicht für die innere Stadt Wien Platz wäre, in ein
Feuermeer gehüllt, in der Mitte glühte eine rieſige
214
Pyramide und um dieſelbe herrſchte das tolle Treiben
einer arabiſchen Phantaſie. – Unter Phantaſie verſteht
der Araber, was wir unter Bolksfeſt verſtehen. –
Farbige Lampions, lärmende Muſik, tanzende und
ſingende Almehs, einige Hanswurſte bilden die Grund-
elemente einer Phantaſie, in deren Genuß der Araber
ſich durch nichts ſtören läßt. Der Garten von Ghezireh
war am heutigen Abend auch beleuchtet und von allen
Bäumen flatterten die Lampions – eines der letzteren
riß und die Flamme entzündete die dürren Zweige des
Baumes, der bald in hellen Flammen ſtand. – Ein
Hofbeamter des Kaiſers machte den in nächſter Nähe
ſtehenden egyptiſchen Wachpoſten auf den Brand und die
mögliche Gefahr aufmerſam. „Phantaſia“, erwiederte
der Soldat ruhig und ließ den Baum weiter brennen.
Der lodernde Baum gehörte offenbar mit zu der Phan-
taſia, wie ſich der Mann dieſes berauſchende Feſt ſeiner
Nation vorſtellte. „*
Alle Welt war auf den Beinen, um die Beleuch-
tung anzuſtaunen, die Harems hatten ihre Bewohnerinnen
auf die Straße geſendet und in den engſten Gaſſen
wimmelte es von Eſeln, Kameelen und Kutſchen. Daß
trotzdem kein Unglück geſchah, wie Unglück durch Ueber-
fahren in Kairo überhaupt zu den Seltenheiten gehört,
verdankt man einzig und allein der fabelhaften Ge-
wandtheit der egyptiſchen Kutſcher, die in dieſer Rich-
tung mit unſeren Wiener Roſſelenkern ganz ernſtlich
konkurriren könnten. – –
Welche Koſten dieſe vier Nächte andauernde Illu-
mination und dieſe Dekorirung der Straßen – man
ſieht überall ſchwarzgelbe Fahnen und den Namenszug
des Kaiſers – verſchlingt, iſt vorläufig unberechenbar.
Man ſchätzt ſie auf täglich 36,000 fl. Nehme man
215
einen zweiten Poſten in die Rechnung, der mir von
beſter Seite beſtätigt wurde, nämlich, daß in Ismailia
24,000 Perſonen durch drei Tage bewirthet wurden
und jeder Tag 30,000 Pf. St. koſtete, und man kann
einen beiläufigen Schluß auf die Geſammtrechnung
machen.
In der egyptiſchen Freudenau.
Kairo, 22. November.
Iſt die Schubra in Kairo ein egyptiſcher Abklatſch
unſeres Praters, in der die ſchöne, und was öfter vor-
kömmt, die reiche Welt Kairo's ſpazieren fährt, ſo iſt
die Abbaſſieh eine keineswegs verunglückte Nachahmung
der Freudenau. In der Schubra reitet Mlle. G. jeden
Tag ſpazieren und wird, wie boshafte Zungen verſichern,
eigens dafür bezahlt, damit der Korſo auch ſeine Dame
zu Pferd beſitzt – und in der Abbaſſieh tummeln ſich
engliſche Jockeys herum, die nichts zu thun haben, als
ſich ſehen zu laſſen, und dem Publikum glauben zu
machen, es befinde ſich in Epſom. Ich habe vor Jahren
in Peſt einem Rennen auf dem Rakos beigewohnt, und
damals meiner Mißſtimmung Luft gemacht über die
wahrhaft infernaliſchen, ſteinbeſäeten Wege, die man
mit Lebensgefahr paſſiren muß, um zur Tribune zu
gelangen. – Jetzt bitte ich den Peſter Gemeinderath
oder wer ſonſt daſelbſt mit der Herſtellung anſtändiger
217
Straßen betraut iſt, demüthig um Vergebung. Die
Pfade zum Rakos ſind Macadampflaſter gegen jene von
der Kultur der Plaſterung oder Aufſpritzung noch nie-
mals beleckten Wege, auf denen man zur Abbaſſieh
gelangt.
Man fährt mittelſt Wagen eine volle Stunde von
Kairo zum Wettrennplatze. Die Eiſenbahn führt zwar
bis in die nächſte Nähe, aber wir Invités eclairés, die
über Gratiswagen und mit kleinen Bakſchiſch zufriedene
Zaiſſe – ohne ſolche Vorläufer fährt hier kein anſtän-
diger Menſch aus – verfügen, zogen es vor, die Eiſen-
bahn unbenützt zu laſſen, und uns der koloſſalen Wagen-
reihe anzuſchließen, die von 12 Uhr angefangen die
Straße nach Abbaſſich bedeckte. Das war ein
Treiben und Rennen auf dieſem Wege, wie es in ſo
grotesker und charakteriſtiſcher Weiſe kein Rennplatz der
Welt mehr bieten kann, Wagen an Wagen rollt über
die fußhoch mit Wüſtenſtaub bedeckte Straße, jeder Wagen
iſt von Kawaſſen, Vorläufern, Reitern begleitet, die
ein ohrenbetäubendes Geſchrei erheben, wenn die Straße
leer iſt, und dieſen Lärm verzehnfachen, wenn die Paſ-
ſage durch irgend ein Hinderniß gehemmt iſt – alle
Welt ſchreit: Guarda (habt Acht), Riglach (Dein
Fuß – Abkürzung für: Nimm Deinen Fuß in Acht),
Schimalek (links), Jeminak (rechts), der Kutſcher
ſchreit, der Kawaß ſekundirt ihm, der Zais heult als
Echo nach und die Paſſagiere helfen mit, um die Hetze zu
vergrößern. Neben den Wagen ſprengen die Dandies
Kairo's, die unverbeſſerlichen Sportfreunde, die in Egyp-
ten ebenſo wild wachſen, wie im Prater und zu denen
aus Anlaß der Suezfeſte Wien ein ganz unerträgliches
Kontingent hieher geſtellt hat. Alle reiten ſelbſtverſtänd-
lich echte Vollblut-Araber, – die egyptiſchen Tippolde und
218
Schawels haben keine anderen Renner am Lager –
und unbekümmert um Fußgeher und die armen über den
Weg laufenden Fellahs ſprengen ſie dahin, Alles
niederreitend, was ihnen - in den Weg kömmt. Ich
ſah ſelbſt, wie ſo ein Lump einen Zais, der pflicht-
ſchuldigſt vor dem Wagen ſeiner Herrſchaft lief, in
frevelhaftem Uebermuth abſichtlich niederritt und nach
dem im Blute am Boden Liegenden noch mit der Peitſche
hieb. Ich hätte meine ganze Baarſchaft darum gegeben,
wäre ich in dieſem Augenblicke in Wien geweſen und
ein moderner Pfanner hätte an dem Elenden die
Kraft eines in Salz gelegenen Haslinger erproben
können. –
An den Seiten der Straße keuchen die Eſel,
gefolgt von ihren Treibern, welche unermüdlich die
ganze Strecke hin und zurück zu Fuß machen und die
bedauernswerthen Thiere mit Stöcken, die ſie in den
ſchweifbedeckten Theil des Eſels einſchlagen, zum Trabe
zwingen. Ganze Karawanen zogen diesmal nach Abaſ-
ſieh, kein einziger Eſel war in ganz Kairo zurückge-
blieben, verſicherte mich ein Witzling, – und alle
Invités eclairés hatten ſich auf dem Rennplatze ein
Rendezvouz gegeben. Männer, Frauen, verrückte Eng-
länder mit En-tout-cas auf dem Kopfe, rieſige Schirme
in den Händen, rohledernen Stiefeln und nackten Beinen,
halbnärriſche Franzoſen mit lichten Gamaſchen, dünnen
Höschen und pelzverbrämten Röcken, den Kopf in ſeidene
Coffüs gehüllt, vorlaute Berliner, die „vor die Jejend“
ſchwärmen und den norddeutſchen Schädel mit rothem
Tarbuſch bedeckt haben – eine ganze Völkerwanderung
zu Eſel! – Hinter den Grauthieren zotteln die Drome-
dare, auf deren Höcker die gleichgiltig ins Gewühle
blickenden Egyptier ſich ſchaukeln, trabende Kameele, die
219
mit den galoppirenden Pferden gleichen Schritt halten,
dann kommen Einſpänner, Vierſpänner, Fourgons, Poſt-
züge u. ſ. f. So lange die Straße einigermaßen kennt-
lich iſt, geht es noch leidlich gut, aber jetzt beginnt die
Wüſte und todesmuthig ſtürzt ſich der Kutſcher in das
unergründliche Sandmeer. Unter hölliſchem Geſchrei
werden die Pferde zur Carrière angetrieben, denn nur
ſo iſt die Fläche zu paſſiren, die Pferde ſetzen über
Gräben und Hügel, Untiefen und Sandhaufen, unbarm-
herzig werden die Paſſagiere gebeutelt und herumge-
ſchleudert; aber es geht doch vorwärts. Bleibt der
Karren aber nur einen Moment im Sande ſtecken, ſo
iſt die Situation dieſelbe, als wenn ein Schiff aufge-
fahren, es bedarf der rieſigſten Kraftanſtrengungen, um
das Gefährte wieder flott zu machen. Uns paſſirte der
Unfall einmal, Kutſcher und Zais wußten aber raſch
Rath, der erſtere hieb unbarmherzig in die Pferde, ſo
daß die armen Thiere kerzengerade ſich aufbäumten, und
der Zais griff in die Speichen des Hinterrades und
ſchob mit jener Rieſenkraft, die dem Araber angeboren
iſt, den Wagen weiter. –
Gegen halb 2 Uhr langten wir an der Rennbahn
an. Es war tout comme chez nous. Tribune,
Aktionärraum, Wage, Jockeys, engländeriſirende Sport-
narren, die jedes Pferd antaſten müſſen und mit zwicker-
bewaffnetem Auge die Chancen prüften, die Ratib Pa-
ſcha's Iskander gegen Bilal-Aga's Koheilar-Tamrie
haben konnte 2c. Sogar die ſportmäßige Nonchalance,
mit der man von einem Rennen zum andern eine halbe
Stunde verzettelt, war in der Abaſſieh eingeführt und
hätten die egyptiſchen Kavaliere ſtatt des Tarbuſch
einen engliſchen Cylinder getragen, wir hätten gewettet,
eine halbe Stunde von Praterſtern entfernt zu ſein.
220
Beim Eingang überreichte man uns gratis – ſchon ein
Unterſchied gegen Wien – das Rennprogramm in
franzöſiſcher Sprache und ein gleiches Programm auf
Pergament gedruckt in arabiſcher Sprache. Die Tribune
war gedrängt voll, die eleganteſte Damenwelt Egyptens
hatte ſich daſelbſt eingefunden. Rings um die zwei
Meilen lange, mit öſterreichiſchen Fahnen eingeſäumte
Bahn hatten ſich die Equipagen und Fußgeher aufge-
ſtellt, links vor der Haupttribune befand ſich eine ein-
fache Tribune für den Hof und nebenan zwei ſchatten-
gewährende Zelte. Vor der kaiſerlichen Tribune hatte
man eine rieſige ſchwarzgelbe Fahne mit verkehrtem
Adler aufgehißt. - -
Kurz vor 2 Uhr kündete der Donner der in einer
Entfernung von etwa 3000 Schritten aufgeſtellten Bat-
terie das Nahen des Kaiſers. Den Zug eröffnete der
Khedive, der in Begleitung Nubar Paſcha's in einem
allerliebſten vierſpännigen niedrigen Wagen, der mit
einem auf vier Stäben ruhenden Schirme gedeckt war,
vorfuhr. Unmittelbar darauf erſchien der Kronprinz,
dann in einem von zahreichen Reitern begleiteten
Wagen der Kaiſer in Begleitung des Grafen Belle-
garde und des Fürſten Hohenlohe und zuletzt in drei
Poſtwagen die Suite. Unmittelbar nach dem die Herr-
ſchaften die Tribune betreten, begannen die „Courses
extraordinaires données en l'Honneur de S. M.
l'Empereur d'Autriche“. – Bei der Wage gab es
inzwiſchen dieſelben lebhaften Szenen, wie bei uns, die
Jockeys verſuchten alle möglichen Künſte, um den Blei-
gewichten zu entgehen und die Intereſſenten ſuchten ihnen
ſo viel als möglich hinaufzudisputiren. Schließlich ging
es ohne eine Fluth von Schimpfwörtern und etwelchen
Drohungen mit der Reitpeitſche nicht ab. Das erſte
221
Rennen verlief prächtig. Es ſtarteten, wie bei uns,
ſtatt 13 angekündigten Pferden nur fünf, trotzdem blieb
die Theilnahme des Publikums und der Wettenden die
gleiche. Man begrüßte den Sieger mit Händeklatſchen
und Zurufen und führte das Pferd im Triumphe herum.
Die Namen der Sieger werden wohl weder das große
Publikum noch den engeren Kreis der Jokeyklubs in
Europa intereſſiren. Wen kümmert es bei uns, daß
im erſten Rennen Akif Bey's Djellan erſtes Pferd und
Colonel Stanton's El Boſta gut zweites Pferd war.
Mehr dürften vielleicht die Preiſe und die Diſtanz in-
tereſſen. Ich führe beide nachfolgend an. Erſtes Ren-
nen 150 Pfd. St., Diſtanz 2 Meilen; 2. Rennen
350 Pfd. St. erſtes, 100 Pfd. St. zweites Pferd,
Diſtanz 3 Meilen; 3. Rennen, nur für Scheiks und
Beduinen, 125 Pfd. Sterl., Diſtanz 2'/, Meilen; 4.
Rennen, nur für arabiſche Pferde, 200 Pfd. St., Di-
ſtanz 2 Meilen; 5. Rennen, für Dromedare, 125 Pfd.
St., Diſtanz 6 Meilen; 6. Rennen 200 Pfd. St.,
Diſtanz 2 Meilen; 7. Rennen 150 Pfd. St., Diſtanz
1% Meilen; 8. Rennen, für Eſel, 20 Pfd. St., Di-
ſtanz 1 Meile; 9. Rennen 150 Pfd. St., Diſtanz
1% Meilen; 10. Rennen 100 Pfd. St, Diſtanz
2 Meilen.
Das Hauptintereſſe des Tages konzentrirte ſich für
uns Gäſte auf das Rennen der Dromedare, das auf
Wunſch des Kaiſers als zweites Rennen eingeſchoben
wurde. Wir wurden aber ziemlich enttäuſcht. – Es
erſchienen nur drei Dromedare in der Bahn und dieſe
ritten in, wie es uns anfangs ſchien, ziemlich mäßigem
Tempo über die Bahn. Die Rieſenſchritte, welche dieſe
Thiere im Laufe machen, täuſchen nämlich über ihre
Schnelligkeit. Erſt als Reiter zu Pferde neben ihnen
222
ritten und eine Strecke in ſcharfem Galopp zurücklegen
mußten, um gleichen Schritt zu halten, merkten wir, wie
raſch das Tempo war, das die Dromedare einſchlugen. Sie
kamen ſchweißbedeckt, mit ſchäumendem Munde am Ziele
an. – Ebenſo wenig Intereſſe gewährte das Eſelrennen.
Ziemlich unbefriedigt werließen wir gegen 4 Uhr die
Abaſfieh und kehrten in die Stadt zurück. Die Sport-
verſtändigen unter uns verſicherten allen Ernſtes, das
Rennen habe ſie gewaltig intereſſirt, aber ſie hätten die
Ueberzeugung gewonnen, dieſes europäiſche Amuſement
habe am Nil, trotz der herrlichen heimiſchen Pferde, keine
Zukunft. Ich kann dieſes fachmänniſche Urtheil weder
beſtreiten noch beſtätigen, ich weiß nur, daß ich mich
gründlich gelangweilt habe.
In der Schubra. -
Kairo hat ſeine Boulevards wie Paris, ſeinen
Bazar wie Konſtantinopel, ſeinen Rennplatz wie London,
es hat auch ſeinen Prater wie Wien. Der Prater
Kairo's iſt die Schubra, eine rieſige Allee, in der ſich
das ganze Jahr hindurch – die Regenzeit ausgenommen
– vor Sonnenuntergang die elegante Welt ein Rendez-
vous gibt. Die Schubra hat keine beſtimmte Saiſon, wie
der Prater, man fühlt eben in Kairo immer das Be-
dürfniß, nachdem man Tags über vor der glühenden
Sonnenhitze ſich zwiſchen vier Wänden verbergen mußte,
den Abend im Freien zuzubringen. Und dazu bietet die
Schubra die herrlichſte Gelegenheit. Die mächtigen Syko-
moren zu beiden Seiten gewähren einigen Schatten, die
Straße iſt ſtaubfrei, rechts und links hat man einen
hübſchen Ausblick auf Palmenhaine, Baumwollfelder und
reizende Villen, hin und wieder ladet ein franzöſiſches
Cafe zum Ausruhen ein, und vor Allem, man ſieht
Alles, was in Kairo lebt und einigermaßen von Bedeu-
tung iſt, täglich in der Schubra. Selbſt der gewiſſe
224
Baum unſeres Praters, von dem aus die Wiener
Feuilletoniſten die Geheimniſſe der ganzen und halben
Welt zu erſpähen pflegen, fehlt in der Schubra nicht,
und an ihn gelehnt ließ ich mehr als einmal die beau
monde an mir vorbeipaſſiren und machte mir Notizen
als warteten die Leſer bereits heißhungrig auf die neueſten
petits mystères der Geſellſchaft. Allah iſt groß und
die Einbildungskraft eines Feuilletoniſten noch größer –
denken wir alſo, wir wären in Wien und plaudern wir
von den Myſterien der Schubra – des Praters, wollte
ich ſagen. – –
Da ſprengt eben eine einzelne, elegante Rei-
terin vorüber und ſtört mich mit ihren Lancaden in
meinen Betrachtungen. Das Geſicht der Dame kömmt
mir bekannt vor. Es iſt wie eine freundliche Erinnerung
an die Heimat, die an mir vorüberzieht. Carl-Theater
– erſte Vorſtellung – Loge, auf der Brüſtung rieſiges
Bouquet – hinter demſelben ein reizender Mädchenkopf,
eine prächtige Toilette – im Hintergrund der Loge ein
junger Mann – das iſt ja Mademoiſelle Gabriele, die
einſt in der Reitallee des Praters brillirte und jetzt täg-
lich in der Schubra zu Kairo ihren Araber tummelt.
Sie iſt, erzählt die böſe Welt, für dieſen Ritt eigens
engagirt und repräſentirt dem Khedive zuliebe, der aus
ſeinem Kairo ein kleines Paris machen will, das egyp-
tiſche Amazonenthum. – – Eben grüßt ſie mit einem
kühnen Schwung der Reitpeitſche einen Mann, der im
Phaeton vorüberfährt und ihren Gruß lächelnd erwiedert.
Das iſt eine gar gewichtige Perſönlichkeit – der Hülſen
Kairo's, Dranet Bey, der Intendant der vizeköniglichen
Hoftheater. War Herr v. Hülſen früher ein unbeachteter
Fähnrich, ſo hat Dranet Bey eine noch ſonderbarere
Vergangenheit, er war Barbier oder Apotheker, und „die
225
Weiber, die Weiber“ haben ihn zum Beherrſcher der
die Welt bedeutenden Bretter emporgeſchnellt. – Man
erzählt ſich hundert Anekdoten über ihn in Kairo, und
auch das hat er mit Herrn von Hülſen gemein, daß er
in ſeiner Stellung weniger die Kunſt als die Form
berückſichtigt. Eine Künſtlerin, die ſich in letzterer Be-
ziehung auszeichnet, kann der Gunſt des Intendanten ver-
ſichert ſein. Ob es wahr iſt, daß Dranet Bey ſeinen
Sinn für ſchöne Formen ſo zu verwerthen verſteht, daß
die Prieſterinnen Terpſichorens, die kleinen Ratten, vor
ihm in jenem Coſtume erſcheinen müſſen, in dem die
Bewohnerinnen des Harems vor ihrem Einzuge in den-
ſelben vom Käufer geprüft werden, will ich dahingeſtellt
ſein laſſen, aber daß der Intendant in allen Couliſſen-
geſchichten, welche die europäiſche Welt der egyptiſchen
Reſidenz in Aufregung verſetzen, eine Hauptrolle ſpielt,
verſichert ganz Kairo, und einer ganzen Stadt muß man
am Ende glauben. Daß Dranet Bey die Liebenswürdig-
keit hatte, uns Oeſterreicher an jenem Abende, an dem
unſer Kaiſer das Theater beſuchte, von dem Eintritte
in dasſelbe förmlich auszuſchließen, ſei nebenbei erwähnt,
– die untergeordneten Kolleginnen Fräulein Gabriele's
machten ſich's in den Parquetfauteuils bequem, und das
ſchien jedenfalls mehr nach dem Geſchmack des ehemaligen
Pillenfabrikanten! – –
Die brillante Equipage, die eben jetzt vorüberfährt
und in der ein Herr und eine mit mehr als anſtändiger
Korpulenz begabte Dame ſich breit machen, fällt wohl
Jedem auf? Die Equipage gehört einem Millionär und
der Herr, der in dieſem Augenblicke in den Kiſſen ſich
wiegt und ihr Beſitzer iſt, hatte vor wenigen Jahren
kaum über ſo viele Francs zu verfügen, als er jetzt
Hunderttauſende beſitzt. Wie er ſo raſch wir wurde?
226
Wie man eben in Egypten reich werden kann. Wir leben
ja im Lande der Wunder. Herr K. kam vor einigen
Jahren nach Egypten, fing allerlei Geſchäfte an und
verfiel endlich auf den glücklichen Gedanken, dem Vize-
könig kleine Geſchenke zu machen. Alle Welt beſchenkt
den Khedive, er liebt dieſe Aufmerkſamkeiten, warum
ſollte ſich Herr X. ausſchließen? Er begann, wenn ich
nicht irre, mit Früchten, die er aus Ungarn kommen
ließ, dann folgten getunktes Obſt, Leckereien aus Paris,
Backwerk aus Mailand, kandirte Süßigkeiten 2c. Das
ging einige Jahre ſo fort, jedes Schiff brachte ſein Kiſt-
chen Deſſert, der Tiſch des Khedive ward nicht leer.
Eines Tages aber hatte die Sendung eine papierene
Begleitung. Herr v. K. überſandte dem Vizekönig für
die ihm ſeit drei Jahren gelieferten Kleinigkeiten eine
Rechnung von 200.000 Francs. Der Haushofmeiſter
ſchlug gewaltigen Lärm, die Zahlung ward verweigert,
aber Herr v. K. wandte ſich an ſein Konſulat und da
dieſes drohte, die Sache endgiltig in Konſtantinopel aus-
tragen zu laſſen und man in Kairo lieber Millionen
zahlt, ehe man irgend eine Hoheit Stambuls, alſo auch
die obergerichtliche, anerkennt – ſo erhielt Herr v. X. ſeine
200.000 Francs und war ſeit dieſem Moment ein ge-
machter Mann. In Egypten nämlich gibt ein kühner Coup
dem Ausführenden eine bedeutende Avance. – Herr
v. X. war ſeit jenem Tag der Mann der Geſellſchaft.
Die egyptiſche Regierung überhäufte ihn mit Lieferungs-
aufträgen, uud heute iſt er Millionär und fährt in der
Schubra ſpazieren . . . .
Daß die zwei Herren in den ſteifleinenen Uni-
formen mit den kerzengeraden Oberleibern, die ausſehen,
als hätten die Träger eben ein Lineal verſchluckt, keine
227
Egyptier ſind, braucht wohl nicht eigens verſichert zu
werden. Man höre nur einen Moment lang dieſe un-
ausſtehlichen Naſaltöne und man wird wiſſen, daß zwei
Helden von Sadowa hier promeniren. Preußen kann in
dieſem Jahrhundert noch zwanzig Mal wie bei Sadowa
ſiegen, man wird ihm doch in aller Welt das Prädikat
der unausſtehlichſten Nation zuerkennen. In dem Völker-
Tohuwabohu, das ſich am Suezkanal einfand, zählte
man nur ein paar Dutzend Preußen, aber alle Welt
wich ihnen aus und ſchon am erſten Tage cirkulirten
zahlreiche Anekdoten über die Bengelhaftigkeit dieſer
Geſellen. Den Major v. H. lernte ich unter den Zelten
von Ismailia kennen. Er war der Nachbar einer der
liebenswürdigſten Damen Kairo's, an die er, ohne ſich
vorzuſtellen, verſchiedene Fragen richtete, die bereitwilligſt
beantwortet wurden. Es entſpann ſich auf dieſe Art
eine kleine Reiſebekanntſchaft und als wir nach dem
Diner vor dem Zelte ſaßen, wandte ſich die Dame
nach dem Major um und rief: „Lieber Major, jetzt
können Sie die Kaiſerin ſehen, ſie kömmt eben auf
einem Dromedar.“ Die Neugierde des Preußen ſiegte
momentan über den Schmerz, den ihm das vertrauliche
„Lieber Major“ verurſachte, und er poſtirte ſich auf einen
Seſſel, um die reitende Kaiſerin zu ſehen, aber kaum
war ſie vorbei, ſo pflanzte er ſich ſtramm in jener
lächerlichen Paradeſtellung, die unſer Aſcher ſo trefflich
zu karrikiren verſteht, vor die Dame hin und
näſelte: „Ich bemerke Ihnen, daß der königlich preußi-
ſche Major Baron v. Sprudelwitz vor Ihnen ſteht.“
Drehte ſich um und verſchwand. Wir konnten fünf
Minuten lang nicht aus dem Lachen herauskommen. –
Der Freund, den der Major Baron von Sprudelwitz
am Arme führt, paßt vortrefflich zu Ä. es iſt der
228
Portcépée - Fähnrich Graf Trottelheim. Der Herr
Fähnrich trifft hier in Kairo einen ehemaligen Schul-
kameraden, der ſich in Egypten als Zuckerbäcker redlich
ſein Brod verdient – der Schulkamerad führt den
jungen Grafen einen ganzen Tag lang in allen Winkeln
und Ecken Kairo's herum, dient als Cicerone, Drago-
man, Unterhändler c., natürlich. Alles nur aus Ge-
fälligkeit für den Landsmann. Abends kommen. Beide
zufällig im Hotel an der Table d'hôte zuſammen.
Der Zuckerbäcker ſetzt ſich dem Grafen gegenüber und
redet ihn an – er erhält keine Antwort, er fragt ein
zweites Mal – endlich öffnet ſich der gräfliche Mund
und der Herr Fähnrich ruft erbittert: „Wie können
Sie ſich denn mit uns, die wir die königlich preußiſche
Armee und Marine repräſentiren, an einen Tiſch
ſetzen?“ – „Wenn Ihnen der Tiſch nicht gefällt,“
gab der Zuckerbäcker ruhig zur Antwort, „ſetzen Sie
ſich an einen anderen.“ – Die Geſchichtchen, die ich
eben erzählte, ſind buchſtäblich wahr, nur die Namen
ſind erfunden – ſo repräſentirte ſich Berlin in
Kairo.
Es iſt Zeit, daß wir die Schubra verlaſſen, die Luft
wird kühl und wir Europäer ſind nicht warm genug
gekleidet. Gehen wir. – Einen Augenblick noch. In
dem Brummer, der eben vorüberrollt, ſitzt ein junger,
bleicher Mann mit geiſtreichen Zügen. Die Wagenfenſter
ſind herabgelaſſen, als ſollte die Oeffnung nur der
Luft Zutritt gewähren und jeder weitere Verkehr mit
der Außenwelt vermieden werden. Der Mann, der ſo
abgeſpannt und müde im Wagen ruht, iſt Dr. Kiſſel,
der Secretär Nubar's, eine Perſönlichkeit, die uns
VOeſterreichern während unſeres kurzen Aufenthalts lieb
und theuer geworden. Kiſſel, ein junger Advokat, hat
229
in Egypten raſch Carrière gemacht und hängt mit inniger
Verehrung an ſeinem Meiſter Nubar, von dem er die
Regeneration, die Zukunft, das Glück des Landes er-
wartet. Vom erſten Augenblicke unſerer Ankunft in
Egypten bis zu unſerer Abreiſe ſtand Dr. Kiſſel den
Oeſterreichern, ein rathender, helfender, fördernder
Schutzgeiſt, zur Seite, und es war nur eine Pflicht,
die man erfüllte, als man ihm vor dem Abſchiede mit
einer bei den Oeſterreichern ſeltenen Einſtimmigkeit den
wärmſten Dank votirte. – –
Wir verlaſſen die Schubra – noch einen Blick
werfen wir auf ein links ſtehendes Haus, das ſich zur
Feier der Anweſenheit unſeres Kaiſers beſonders feſtlich
ſchmückte. Die reizende Villa gehört dem Bankier Zach-
mann, einem der gaſtfreundlichſten Bewohner Kairo's.
Herr Zachmann ſteht unter preußiſchem Schutz, Frau
Zachmann iſt eine glühende Verehrerin Oeſterreichs
und ſeiner gegenwärtigen Miniſter, ſie hat dieſe An-
hänglichkeit an das öſterreichiſche Banner in den letzten
Tagen bei den verſchiedenſten Gelegenheiten bewieſen.
Ihrer liebenswürdigen Einladung verdanken wir einen
unſerer ſchönſten Abende, die wir in Kairo verlebt, und
ein lang entbehrtes, echtes Wiener Diner. Hackländers
Toaſt, der an dieſem Abende die Wiener Hausfrau
leben ließ, fand bei uns allen den lebhafteſten Anklang . . .
Langſam fährt unſer Wagen in die Stadt zurück
– das Gewühle iſt groß in den Straßen, denn die
Beleuchtung, die ſeit der Anweſenheit des Sultans
Nemce jeden Abend mit gleicher Pracht wie am erſten
Tage immer von Neuem begonnen wird, lockt die Neu-
gierigen herbei. In der Nähe der franzöſiſchen Triumph-
pforte feſſelt ein brillant beleuchtetes Haus die Auf-
merkſamkeit. Es iſt Nubar Paſcha's Palais, die Woh-
230
nung des erſten Miniſters des Vizekönigs. Wenn
Egypten jemals zu einem mächtigen, ſelbſtſtändigen
Staate ſich emporraffen wird, ſo wird man mit dem
Moment der Wiedererſtehung den Namen Nubar's ſo
feſt verbinden, wie den Namen Cavour's mit dem aus
ſich ſelbſt erſtandenen Italien. Nubar iſt ein Mann
von 45 Jahren, ein geborner Armenier, der einzige
Chriſt im Miniſterium des Vizekönigs, der intelligenteſte
und ernſteſte Mann Egyptens. Seine Bedeutung und
ſein Anſehen datiren nicht von heute. Nubar Paſcha war
vor Jahren durch längere Zeit iu Wien als egyptiſcher
Agent thätig und kennt ſeitdem die öſterreichiſchen Ver-
hältniſſe und Perſönlichkeiten genau, ſpäter ward er
Eiſenbahnminiſter, Ackerbauminiſter, Miniſter der öffent-
lichen Arbeiten und zuletzt Miniſter des Aeußern. Das
Ziel, das er gegenwärtig mit dem unerſchütterlichen
Willen eines Mannes, der durchſetzen muß, was er
einmal will, verfolgt, iſt die Erledigung der Kapitu-
lationsfrage, die Befreiung Egyptens von der unerträg-
lich gewordenen Gerichtsbarkeit der Konſuln. Nie, ſeit-
dem es Miniſter auf dieſer Welt gibt, hat ein Staats-
mann rückſichtsloſer und freimüthiger die Schäden und
Gebrechen des eigenen Landes ſo dargelegt, wie Nubar
in ſeiner berühmten Note à Son Altesse sur la re-
gularisation à opérer dans les rapports judiciaires
entre etrangers et Indigenes. – Nubar wird dieſe
Frage löſen oder mit ihr fallen – Männer wie er
kennen keinen anderen Weg. – Im Privatleben iſt Nubar
der liebenswürdigſte und freundlichſte Geſellſchafter, im
Kreiſe ſeiner Familie der glücklichſte Gatte und zärt-
lichſte Vater, im Hauſe der gemüthlichſte Gaſtfreund.
Er hat die bedeutendſten Städte Europa's auf ſeinen
Reiſen kennen gelernt, war, als er die Vorbereitungen
231
zur Erledigung der Kapitulationsfrage traf, zu dieſem
Zwecke in Paris und Konſtantinopel und erfreute ſich
überall des ehrendſten Entgegenkommens ſeitens der be-
deutendſten Staatsmänner. Egypten wird durch ihn groß
werden, wenn es ihn nicht zu früh verliert.
Mit dieſen Gedanken beſchäftigt, kehrten wir heim.
– Mit dem unbedeutendſten Menſchen in Kairo hatten
wir unſere Skizze begonnen, mit dem bedeutendſten
ſchließen wir ab. – Man ſieht und erlebt eben Alles
– in der Schubra.
Der Reſuch der Pyramiden.
Kairo, 24. November.
Das Feſt geht ſeinem Ende zu – im Fluge be-
rühren wir noch die Denkmäler tauſendjähriger Vergan-
genheit, und vielfache Anzeichen deuten darauf hin, daß
bei den meiſten Eingeladenen die Sehnſucht nach der
Heimat mächtiger denn je erwacht. Genug geſchwelgt
und bewundert – wir wollen wieder ausruhen und uns
ſelbſt wiederfinden.
In den letzten Tagen jagte ein Feſt das andere,
und wenn das Ende aller Feierlichkeiten nicht nahe be-
vorſtünde, Niemand würde mehr die Verantwortlichkeit
übernehmen können, uns eine noch größere Laſt von
Vergnügungen aufzubürden. Vor drei Tagen ward
das glänzendſte Feſt der egyptiſchen Kanalſaiſon, der
Ball in Kasr-Nil abgehalten. Man war diesmal mit
der Ausgabe der Karten ungemein ſtreng vorgegangen
und nur die Invités und das diplomatiſche Korps waren
anweſend. Man ſah glänzende Uniformen und pracht-
volle Toiletten, die Damenwelt Kairo's und Alexan-
233
driens hatte ihre ſchönſten Repräſentantinnen zum Feſte
geſendet, und wäre ich ein Dichter, wie Müller von
der Werra, der hier zahlloſe Sonette dichtet und noch
zahlloſere Quantitäten Gerſtenſaft vertilgt, ich würde
von nichts als Gazellenaugen, ſchwarzen Locken, Alaba-
ſterzähnen und Roſenlippen erzählen. – Die Ballſäle
in Kasr-Nil waren zum großen Theile erſt in den letzten
Tagen errichtet worden – ſo hatte man raſch einen
Garten in einen Tanzſaal umgewandelt – und ent-
ſprachen nicht vollkommen der Geſellſchaft, die ſich in
ihnen bewegte. Der ſchreiende, in allen Farben flim-
mernde Fahnen- und Flor-Aufputz des Tanzſaales war
nicht beſonders geſchmackvoll und hatte einen Anſtrich
von Sperl- oder Schwenderthum, der das Auge ver-
letzte. Dagegen konnte man ſich an dem Meublement
und Arrangement des erſten großen Saales und der
beiden Nebenſäle nicht ſatt ſehen. Der Kaiſer erſchien
kurz nach 9 Uhr im ſchwarzen Frack und ward vom
Khedive und Kronprinzen herzlich begrüßt. Die Muſik
intonirte die Volkshymne und ſpielte dieſelbe ſo lange,
bis der Kaiſer ſelbſt den Khedive erſuchte, die Ball-
muſik wieder beginnen zu laſſen. Durch ein Mißver-
ſtändniß erhielt das Orcheſter ein falſches Aviſo und
ſpielte ſtatt des Walzers das Partant pour la Syrie,
bis endlich auf ein neuerliches Zeichen ein Strauß'ſcher
Walzer begann. Der Khedive hatte uns Oeſterreichern
diesmal zwei Ueberraſchungen vorbereitet, die bei uns
mehr Anklang fanden, als alle die ſechsundzwanziggän-
gigen Menus der letzten Tage. Das Orcheſter durfte
nur Strauß'ſche Kompoſitionen ſpielen und als wir an's
Buffet traten – an dieſem wichtigen Orte fanden wir
uns ſtets und präzis zuſammen – erblickten wir echtes,
unverfälſchtes Lieſinger in Originalgebinden im Eis
234
ſtehen und ließen es friſch vom Zapfen kredenzen. Es ge-
nügt wohl dieſe Bemerkung, und ſcheint mir die Ver-
ſicherung ganz überflüſſig, daß der Vorrath bis auf den
letzten Tropfen geleert wurde.
Nachdem der Kaiſer geſtern und vorgeſtern ver-
ſchiedene kleine Ausflüge unternommen und unter andern
auch den weltberühmten Bazar von Kairo beſucht hatte,
in dem das bloße Erſcheinen des Kaiſers und ſeiner
Suite hinreichte, um die Preiſe einzelner Artikel um
200 Perzent in die Höhe zu ſchnellen, wurde heute der
große Ausflug nach den Pyramiden unternommen, den
nur ein kleiner Theil der Suite mitmachte. Der Khedive
hatte wie immer auch diesmal die umfaſſendſten Vor-
bereitungen für den Empfang und Komfort ſeiner
Gäſte getroffen und ſein Prachtſchiff, dasſelbe, wel-
ches die Kaiſerin Eugenie auf der Reiſe nach Ober-
egypten benützt hatte, für die Nilfahrt zur Verfügung
geſtellt. Als man das Schiff nach raſcher Fahrt ver-
ließ, wartete am Landungsplatze eine ganze Karavane
von Pferden, Eſeln und Dromedaren, ſämmtlich auf das
zierlichſte und eleganteſte gezäumt. Graf Beuſt, der
während der ganzen Reiſe ſeine Ausdauer und ſeinen
unerſchöpflichen Humor in glänzender Weiſe bewährt
hatte, beſtieg einen Eſel, während Admiral Tegetthof,
Oberſt Beck u. A. es vorzogen, die Strecke auf Dro-
medaren zurückzulegen, eine Wahl, um die ſie gerade
nicht beneidet wurden. Der Kaiſer ritt ein prachtvolles,
koſtbar geſchirrtes Pferd an der Spitze des impoſanten
Zuges. Die vorgezeichnete Route führte nach den Py-
ramiden, zu den Trümmern des Serapeums, nach den
Apisgräbern und Sakkarah. Die erſte Station wurde
bei den Apisgräbern gemacht – die durch längere Zeit
der Beſichtigung unterzogen wurden. Schallende Heiter-
235
keit rief die vom Profeſſor Bruggſch erklärte Inſchrift auf
einem Grabdenkmal hervor, welche das ganze Hausweſen
eines pharaoniſchen Baumeiſters, darunter auch die zahlrei-
chen ihm gehörenden Thiere in bildlicher Darſtellung ver-
einigt, die wohl den älteſten Witz der Welt enthält. Ein der
Schwere ſeiner Arbeit faſt erliegender Eſel wird mit den
Worten apoſtrophirt: „O könnteſt du dieſe Arbeit ſehen.“ –
„Bei uns“, meinte der ſtets ſchlagfertige Reichskanzler,
„braucht man ſich nicht ſo viel Mühe zu geben, um
ſechsundvierzig Ochſen auf einem Gottesacker beiſammen
zu ſehen.“ – – In der Nähe des Serapeums ſollte
gefrühſtückt werden, aber ein tückiſcher Zufall ſetzte un-
ſeren an europäiſche Pünktlichkeit gewöhnten Magen auf
eine harte Probe. Das zur Herbeiſchaffung des Dejeu-
neurs beorderte Schiff hatte ſich verſpätet und kam erſt
in Sicht, als der Kaiſer bereits den Aufbruch anbefohlen.
Die Reiſenden erſehnten mit wehmüthigen Blicken den
Dampfer herbei – aber vergebens – die Genügſam-
keit des Monarchen, der ſich mit einem raſch herbeige-
ſchafften Stück Brod zufrieden ſtellte, wirkte belebend,
und ſo fand man ſchließlich ſogar die Aſchenkuchen
genießbar, die in einem nächſt den Gräbern befindlichen
Hauſe aufgetrieben wurden.
Die Ruinen von Gizeh, denen ſich die Karavane in
den erſten Nachmittagsſtunden zuwandte, wurden nach
dreiſtündigem anſtrengendem Ritte erreicht. Die Bemer-
kung, die ſchon ſo oft von Reiſenden gemacht wurde, daß
die Pyramiden in unmittelbarer Nähe nicht den großartigen
und imponirenden Eindruck machen, auf den ſich der Rei-
ſende, der tagelang früher dieſe koloſſalen Steinunge-
thüme von der Ferne bewunderte, vorbereitet, fanden auch
wir beſtätigt, ebenſo die Thatſache, daß die Beſteigung
eine ungemein mühevolle und die Ausſicht auf der Spitze
236
die ausgeſtandenen Mühſale nicht aufwiegt. Die Stufen
der Cheopspyramide ſind über drei Fuß hoch und man
kann dieſelben nur ſprung- und ruckweiſe und mit Hilfe
der den Beſteiger ziehenden und ſchiebenden Araber er-
klimmen. Der Kaiſer und ſeine Suite führte die Be-
ſteigung aus, nur Graf Beuſt hüllte ſich in ſeinen pracht-
vollen, golddurchwirkten Burnus und zog es vor, das
Schauſpiel des Beſteigens am Fuße der Pyramide zu
bewundern. Das Hinaufſteigen dauerte ungefähr 20
Minuten, auf der oberſten Spitze ward eine kurze Zeit
geraſtet und dann der Rückweg angetreten, der aber als
viel gefährlicher geſchildert wird, als das Emporklimmen.
Als der Kaiſer wohlbehalten und ohne die geringſte
Spur von Ermüdung wieder am Fuße der Pyra-
miden anlangte, ward er mit lebhaften Zurufen em-
pfangen. Die Araber erboten ſich, wie das gewöhnlich
bei Anweſenheit hoher Beſuche der Fall iſt, eine Tour
auf die Pyramide und wieder zurück im Lauftritt zu
machen und in der That legten ſie dieſe anſtrengende
Exkurſion in ungefähr 10 Minuten zurück. Das an-
ſehnliche Bakſchiſch, das ihnen gereicht wurde, ſchien
ſie ungemein zu befriedigen. – Für den Kaiſer und
ſeine Begleitung ward in einem in der Nähe befindlichen
Kiosk ein Diner ſervirt, nach deſſen Beendigung das
mit Spannung erwartete Schauſpiel der Pyramiden-
beleuchtung in Szene geſetzt wurde. Der Anblick war
hübſch, aber nach den pyrotechniſchen Wundern, die wir
in den letzten Wochen erlebten, konnte dieſe Illumination
in der Wüſte nicht mehr enthuſiasmiren.
Die Nacht war bereits längſt angebrochen, als der
Rückzug angetreten wurde, und erſt gegen 11 Uhr traf
die Geſellſchaft wieder im Palaſte von Ghezireh ein.
–=8&s=-
Der letzte Tag in Egypten.
Alexandrien, 27. November.
In einer Stunde verlaſſen wir das Land der Wun-
der – die „Ceres“ dampft bereits im Hafen – wenn
die vierte Stunde ſchlägt, haben alle Strapazen und
Mühſeligkeiten vorläufig ein Ende und nur die Miſère
einer ſtürmiſchen Fahrt ſteht uns im ſchlimmſten Falle
noch bevor. Ich eile, den Epilog zu dem großen Aus-
ſtattungsſtück, in dem wir Alle eine mehr oder minder
bedeutende Rolle geſpielt, zu Papier zu bringen.
Der Kaiſer langte vorgeſtern Mittags in Alexan-
drien an und begab ſich von der Eiſenbahn direkt nach
dem Palaſt Nr. 3, deſſen prachtvolle Einrichtung ich
bereits früher detaillirt geſchildert. Bald nach ſeiner An-
kunft ſtattete er dem Vizekönig einen Beſuch ab und
beſichtigte die Merkwürdigkeiten der Stadt. Abends er-
ſchien Se. Majeſtät in Civilkleidung mit ſeiner ganzen
Suite auf dem von der öſterreichiſchen Kolonie im Cercle
internationale veranſtalteten glänzenden Balle. Ein
Comité, an deſſen Spitze der vielverdiente Lloydagent
Herr Battiſta ſtand, hatte die Vorbereitungen zu dem
238
Feſte getroffen und ſich durch die geſchmackvolle und
brillante Inſceneſetzung ein großes Verdienſt erworben.
Die Koſten des Feſtes – ſie waren ſehr bedeutend, das
Buffet allein beanſpruchte eine Summe von 25.000 Francs
– waren durch freiwillige Beiträge der Oeſterreicher in
einem Tag aufgebracht und Einladungen nur an Oeſter-
reicher ausgegeben worden. Der Vizekönig und einige
egyptiſche Hofwürdenträger repräſentirten allein das
fremde Element. Die Säle waren ſehr hübſch dekorirt
und an Reichthum der Toiletten übertraf der Ball alle
ſeine Vorgänger in Egypten. Es waren, verſicherte mich
ein Gewährsmann, der die anweſenden Bankiers zu
ſchätzen wußte, einige hundert Millionen im Saale ver-
eint, und der Schmuck der Damen bildete eine kleine
Schatzkammer. Der Kaiſer erſchien um 10 Uhr und
äußerte ſich gegen alle Perſönlichkeiten, die ihm vorgeſtellt
wurden, mit einer Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit,
die alle Welt entzückte. Ich habe den Kaiſer während
ſeines ganzen Aufenthaltes in Egypten nicht ſo heiter
und fröhlich geſehen, wie an dieſem Abende. Wiederholt
ſprach er ſeine Freude darüber aus, ſich inmitten ſeiner
treuen Oeſterreicher zu befinden. Vorgeſtellt wurde dem
Kaiſer die Nichte des Comitépräſes, Fräulein Battiſta,
dann Frau Zachmann und ſämmtliche Comitémitglieder.
Zu Frau Zachmann äußerte Seine Majeſtät, es freue
ihn ungemein, hier nur Oeſterreicher um ſich ver-
ſammelt zu ſehen, er fühle ſich inmitten ſeiner Lands-
leute ſehr wohl. Herrn v. Wertheim, den der Kaiſer auf
dem Wege durch die Säle traf, ſprach Seine Majeſtät an
und bemerkte: „er bedaure, daß die öſterreichiſche Indu-
ſtrie nicht beſſer ihren Vortheil einſehe und nicht eine
größere Aufmerkſamkeit dem egyptiſchen Markt widme,
er ſehe, daß hier nur engliſche und franzöſiſche Stoffe
239
getragen würden.“ Gegen 11 Uhr verließ der Kaiſer den
Saal, nachdem er noch früher dem Comité auf das
freundlichſte gedankt hatte. –
Geſtern Mittags verabſchiedete ſich der Kaiſer in
der herzlichſten Weiſe vom Vizekönig, dem Kronprinzen
und allen Miniſtern und fuhr dann nach dem „Greif“,
der um 3 Uhr den Hafen verließ. Das öſterreichiſche
Comité gab dem Kaiſer auf dem Dampfer das Geleite
bis nach der hohen See.
Heute Früh beſuchten wir noch das Atelier der
Photographen Schier und Schöfft, wo das Bild des
Kaiſers und ſeiner Suite, das im Palaſt von Ghezireh,
aufgenommen worden war, eben vollendet wurde. Der
Kaiſer ſitzt im Reiſeanzug, einen niederen Hut auf dem
Kopfe, in einem Fauteuil, während ſich auf den Stufen
der Säulenhalle des Palaſtes die Suite gruppirt. In der
nächſten Nähe des Kaiſers zu ſeiner Rechten ſteht der Reichs-
kanzler Graf Beuſt und neben ihm Miniſter Plener.
Im Vordergrunde rechts vom Kaiſer ſitzen auf dem
Piedeſtal einer Säule Graf Bellegarde, eine Cigarrette
rauchend, Graf Andraſſy und Oberſt Beck, links vom
Kaiſer ſteht Fürſt Hohenlohe, Admiral Tegetthoff, in
einen weiten Burnus gehüllt, den Hut tief in die Stirne
gedrückt, Graf Berchtolsheim, die äußerſte Linke der
Gruppe bilden Leibarzt Jung, Marine-Adjutant Funk
und Sektionsrath Teſchenberg, hinter dem Kaiſer ſtehen
Hofrath Papay, Oberſt Kraus, der Offizial Halkiewicz,
in der Ecke rechts blicken aus einer Säulenhalle Hof-
Fourier Branko und Kammerdiener Hahnenkamm, ganz
im Hintergrund ſteht ſchwarz in ſchwarz auf einem
Fauteuil Dr. Löbl. –
Ehe wir Abſchied nahmen vom Lande der Wunder,
kauften wir Blumen und Früchte, ſo viel wir zuſammen-
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raffen konnten, blühende Roſen, duftende Orangen, Flieder
und Nachtviolen. So lange die Blumen duften und
blühen, wollen wir ſie feſthalten, eine Erinnerung
an das herrliche Land, das wir verlaſſen, ein duftiges
Angedenken an das orientaliſche Paradies, an rauſchende
Feſte und ſelig verträumte Stunden!