Z130570008

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ÄÄBE N WE N 2079-B IIIiiiiiil +Z130570008 Nach dem Orient. "-"-">-->-->--------- --->--> Reiseskizzen V011 Wilhelm Wiener. FWien 1870. Wallishauſſer'ſche Buchhandlung (Joſef Klemm). Druck von Alex. Emrich. 120479 B Die Reiſe des Kaiſers von Oeſterreich nach dem Oriente und die Eröffnung des Suezkanales bildeten in den letzten Wochen Ereigniſſe, mit denen ſich die ge- ſammte Tagesliteratur beſchäftigte. Ich, der ich dieſe Reiſe mitmachte, habe die Eindrücke derſelben im „Neuen Fremdenblatte“ in einer Reihe von Briefen niedergelegt, die bei ihrem Erſcheinen vielfach freund- liche Aufnahme fanden. Von meiner Reiſe zurückge- kehrt, wurde ich wiederholt aufgefordert, dieſe Briefe in einer eigenen Sammlung zu veröffentlichen. Wenn ich dieſer Aufforderung nachkomme, ſo geſchieht dies ge- wiß nicht, um die umfangreiche und erſchöpfende Literatur orientaliſcher Reiſebilder unnöthig zu vermehren, ſondern einzig und allein, um den zahlreichen Europäern, nament- lich aber den Oeſterreichern, die Zeugen der Orient- reiſe unſeres Kaiſers und der aus Anlaß der Kanal- eröffnung ſtattgefundenen Feſte waren, eine Erinnerung an jene Tage zu bieten. IV In meinen Briefen habe ich mir ſtets jene Ob- jectivität zu wahren gewußt, welche für jeden Erzähler eine unbedingte Nothwendigkeit iſt und nur das mitge- theilt, was ich ſelbſt geſehen oder was mir vollkommen verläßliche Augenzeugen mittheilten. Wahrhaftigkeit der Erzählung, Unparteilichkeit der Schilderung – das ſind vielleicht die einzigen Vorzüge, die man dieſen Brie- fen zuerkennen wird, und mit dieſer Anerkennung wird ſich der Verfaſſer begnügen. Wien, Mitte Jänner 1870. ÜWilhelm FÜNiener. Nach dem Orient. Turn-Severin, am Bord des „Radetzky“, 24. Oktober. - Mit des Geſchickes düſteren Mächten, mit den Dampfſchiffen der Donau und walachiſchen Poſtpferden, iſt kein ewiger Bund zu flechten, nicht einmal ein kontraktliches Verhältniß auf wenige Stunden einzugehen. In dieſem Augenblicke ſollten wir nach dem Wortlaut aller offiziellen Fahrordnungen ſchon auf dem ſchwarzen Meere ſchwimmen und die Thürme von Stambul in Sicht bekommen, und ſtatt deſſen ſitzen wir noch immer ruhig an den troſtloſen Ufern der Donau, in Turn- Severin, und ſuchen mit den Archäologen, die unſer Schiff unſicher machen, die Trümmer der Brücke, die einſt Trajan für den Uebergang römiſcher Legionen erbaute. – Unſer Schickſal liegt in Allah's Händen und in jenen der kaiſerlich- öſterreichiſchen Hausoffiziere und Inten- danten, die mit den Gepäckſtücken, welche zur Kaiſer- 2 reiſe nach Varna zu expediren haben, unſer um neun- zehn Stunden verſpätetes Eintreffen verſchulden. Man kann darum den Herren nicht grollen, denn ſie über- bieten ſich an Liebeswürdigkeit gegen die Paſſagiere, um den faſt unerträglich gewordenen Aufenthalt, den die fortwährende Umladung des kaiſerlichen Gepäckes verurſacht, vergeſſen zu machen. In nicht weniger als 361 Kiſten, Koffern und Fäſſern ſchwimmen mit uns alle die Dinge die Donau hinab, welcher der Kaiſer Franz Joſef und ſeine Begleitung während des fünfwöchentlichen Aufenthaltes im Orient bedürfen, und nichts, was in Küche, Keller und Haushaltung irgendwie nützlich oder nothwendig erſcheint, iſt vergeſſen. Köche, Zuckerbäcker, Kellermeiſter, die nöthigen Gehilfen, Jungen und Diener begleiten die Rieſenladung, ſie werden vorläufig in Varna ihr Hauptquartier aufſchlagen und dann während der Meerfahrt des Kaiſers das Menu der Hoftafel be- ſorgen. Da die Kriegsſchiffe, welche Se. Majeſtät und deſſen Gefolge aufnehmen werden, nicht für Paſſagiere eingerichtet ſind, ſo mußte natürlich Alles, ſelbſt die geringſte Kleinigkeit von Wien aus beſorgt werden, um die Schiffe gehörig zu fourniren. In Varna erwarten Se. Majeſtät die Schiffe: „Helgoland“, „Kaiſerin Eliſabeth“, „Fiume“ und „Gargnano“. Der Kaiſer ſchifft ſich auf dem ihm vom Sultan zur Verfügung geſtellten Prachtdampfer „Sultanieh“ ein, da die für ihn beſtimmte Dampf-A)acht „Greif“, welche die Königin von Neapel nach Civitavecchia führte, erſt in Kon- ſtantinopel zum Geſchwader ſtoßen kann und dort Se. Majeſtät aufnehmen wird. Unſere Reiſegeſellſchaft iſt eine ſehr amuſante und gewählte, die heitere Stimmung, die an Bord herrſcht, macht uns manches Ungemach vergeſſen, die der niedere «D «D Waſſerſtand uns bereitete. Haidar Effendi, der liebens- würdige türkiſche Botſchafter, der in Begleitung des türkiſchen Konſuls in Wien nach Ruſtſchuk fährt, um dort den Kaiſer zu empfangen und ihn bis nach Kon- ſtantinopel zu begleiten, iſt ein äußerſt angenehmer Ge- ſellſchafter, der bei der großen Ueberfüllung des Schiffes lieber auf ſeinen Sitz in der Kajüte oder auf dem Verdecke verzichtet, ehe er eine Dame ſtehen läßt und zugleich den Herren ein äußerſt freundlicher und zu- vorkommender Cicerone für türkiſche Verhältniſſe iſt. – Da iſt ferner am Bord Herr Cohen, der Präſident der Alliance israelite in Paris, der kürzlich in Wien Vorträge hielt und jetzt nach Bukareſt, Jeruſalem und Alexandrien geht, um in dieſen Städten die von ihm begründeten Schulen zu inſpiziren, – ein lebendiges Lexikon an encyklopädiſchem Wiſſen, ein Nachſchlagebuch für alle erdenklichen Perſonalien der civiliſirten Welt, die Seele der Unterhaltung für einen großen Theil unſerer Schiffgeſellſchaft. Cohen iſt ein geborener Preß- burger, ſeit 30 Jahren in Paris naturaliſirt, uner- müdlich im Wirken für ſein Volk – er war bekanntlich die Hand Rothſchild's, mit welcher der verſtorbene Chef des Pariſer Hauſes ſeine zahlloſen Wohlthaten ausſtreute. Außerdem haben wir auf dem Schiffe die konven- tionelle Anzahl Engländer, die ihre ſprichwörtliche Ex- kluſivität auf dem kleinen Raume, über den die Paſſa- giere des „Radetzky“ gebieten, ſo ziemlich aufgegeben haben, zwei höhere öſterreichiſche Hofbeamte, Hofſekretär Rauch und Hofkontrolor Zehkorn, den Hofmarſchall des Fürſten Karl von Rumänien, den Direttore dell' Osservatore Triestino Profeſſor Coglievina, einen Vertreter der franzöſiſchen Preſſe, den Präſidenten des Hamburger Handelsgerichts Dr. =nº, ein Paar 4 reizende Griechinnen und eine etwas gewagt luſtige Fran- zöſin, Fräulein Sarah Blum, eine in Konſtantinopel enga- girte Schauſpielerin, die auf dem Halsband ihres Neu- fundländers ihre vollſtändige Adreſſe offenbar nur zu dem Zwecke eingravirt hat, damit – die Verluſtträgerin leicht zu finden iſt. Unſere gegenſeitigen Bekanntſchaften fingen erſt heute an, geſtern und vorgeſtern waren wir theils in den ungemüthlichen Coupés der Eiſenbahn verpackt, theils auf anderen Schiffen ſo eingepfercht und ſo wenig vor Aus- und Einſchiffen ſicher, daß wir fort- während mehr unſer Gepäck, als unſere Mitreiſenden in Acht nehmen mußten. In Bazias begann die Tortur, ein ganzer Wall von Koffern, Kiſten, Küchenbatterien, Rum- und Weinfäſſern, die alle die achtunggebietende Aufſchrift „Hofgepäck“ führten, ſperrte jede Kommuni- kation, und daß ich überhaupt das Schiff – es war der prächtige „Franz Joſeph“, das ſchönſte Schiff der Dampfſchifffahrtgeſellſchaft – erreichte, habe ich einzig und allein den ausgezeichneten Turnkünſten eines Freundes zu verdanken, der mich aus purer Gefälligkeit nicht unter ſeine Fittige, aber im buchſtäblichen Sinne des Wortes auf ſeine Schultern nahm. Kaum embarkirt, machte ich die reizende Entdeckung, daß mein Koffer mit dem übrigen Gepäcke in 48 Stunden nachkommen werde und daß ich bis dahin auf jeden Wechſel eines Kleidungsſtückes verzichten müſſe. Ich würde dieſen Uebel- ſtand vielleicht verſchmerzt haben, hätten wir den wahr- haft lukulliſchen Aufenthalt auf dem „Franz Joſeph“ nicht binnen wenigen Stunden ſchon aufgeben müſſen, da das Schiff nach Bazias zurückkehren mußte, um den Kaiſer zu erwarten. Wir wurden auf dem „Boreas“ eingeſchifft, einem Miniaturdampfer, auf dem wir förmlich einge- pökelt waren. Ich theilte mit Sr. Exzellenz Haidar 5 Effendi die Ecke einer Theerdecke, auf der wir es uns ſo bequem als nur immer möglich machten. Eine ſibi- riſche Kälte und eintretender Platzregen machten den Aufenthalt auf dem Verdecke geradezu unerträglich und doch herrſchte hier noch eine paradieſiſche Luft gegen die in- fernaliſche Atmoſphäre der Kajüte, in die ſich die Damen geflüchtet hatten. So fuhren wir von Moldava über Trenkova, Futs, Orſova bis Vancorova. Ueberall ſahen wir bereits große Vorbereitungen zum Empfang Sr. Majeſtät. Von allen Seiten ſchleppten walachiſche Bauern Ladungen voll grüner Reiſer und Guirlanden herbei, Fahnen wurden aufgehißt, Flaggenſtöcke ein- gerammt und Triumphbogen errichtet. Wir ſelbſt hatten in irgend einer Station das Vergnügen, unſer Gepäck mit zwei koloſſalen Triumphpforten in ihren primitiv- ſten Anfängen vermehrt zu ſehen, die beſtimmt waren, den Landungsplatz von Guravei zu ſchmücken. – In einer der kleinen Stationen, in der wir einige Zeit verweilen mußten, verſetzte man uns ein Diner, das mir 24 Stunden meines Lebens verbitterte. Ach, hätte ich nur die Rathſchläge des vortrefflichen Dr. Löbl befolgt, der mich vor meiner Abreiſe im Wiener Carl-Theater wäh- rend der Vorſtellung des „Salon Pitzelberger“, beſchwor, vor walachiſchen Köchen auf der Hut zu ſein. Du lieber Gott, ich hatte alle ärztlichen Rathſchläge im Salon Pitzelberger vergeſſen, und mußte im Salon unſeres Dampfers hart genug dafür büßen – ich werde wohl die Folgen jenes Diners erſt jenſeits des Balkans oder gar in den Fluthen des ſchwarzen Meeres los werden können! Selbſt die kaiſerlichen Köche, die mit uns an der Schiffstafel ſpeisten, konnten trotz ihrer langjährigen und großen Erfahrungen uns weder über das Herkom- men, noch die Entſtehungsgeſchichte einzelner Speiſen G genügende Auskunft geben, und als ſie vollends von irgend einem Geflügel verſicherten, es habe einen un- zweifelhaften Krähengeſchmack, da ſank mit der Gabel auch unſer letzter Muth. Hätte nicht einer der chefs de la cuisine imperiale uns raſch einen prächtigen Salat improviſirt, wir wären hungerig zu Bette gegangen. Die kaiſerlichen Köche ſind, wie man uns erzählte und wie wir dies auch im Geſpräche bemerkten, durchwegs intelligente Leute und iſt die Wahl für dieſe Reiſe mit großer Sorgfalt geſchehen. Mr. Stefanie z. B. hat als Zuaven-Unteroffizier im Krimkriege wacker mitgekämpft, und an derſelben Stelle, wo er in Varna demnächſt das hors d'oeuvre für den kaiſerlichen Tiſch zurechtmachen wird, fanden Tauſende ſeiner ehe- maligen Kameraden den Tod. – Eine der ergötzlichſten Perſönlichkeiten des Schiffes iſt ein gleichfalls in der kaiſerlichen Küche Bedienſteter, Herr P., ein Original- Wiener vom reinſten Typus, der durch ſeine im präch- tigſten Thury-Deutſch vorgebrachten Phraſen und durch ſeinen kauſtiſchen Witz uns manche halbe Stunde ange- nehm vertreibt. – Gibt es z. B. etwas Köſtlicheres, als daß, während wir Alle die Stromſchnellen am eiſernen Thore in Augenſchein nahmen, der Mann ruhig über unſer Staunen lächelte und gleichgiltig ausrief: „Da ſeh i gar nix, in Laxenburg der Waſſerfall iſt tauſend Mal ſchöner!“ Dieſes gemüthliche Urwienerthum verleugnet ſich doch nirgends! – – Bei ſtockfinſterer Nacht - langten wir in Vancorova an, verließen das Schiff und wateten durch klaftertiefen Koth den bereitſtehenden Wagen zu, da wir die Strecke nach Guravei des nie- deren Waſſerſtandes wegen nicht zu Schiff paſſiren konnten. Es gehört einiger Muth dazu, ſich den vier- räderigen Karren anzuvertrauen, auf welchen die Rei- 7 ſenden expedirt werden, und weder Kutſcher noch die unanſehnlichen walachiſchen Pferde ſind geeignet, unſer Vertrauen zu erhöhen. Um ſo überraſchter waren wir, als wir nach wenigen Minuten mit der Schnelligkeit eines Wiener Grabenfiakers dahinflogen. Anfangs ging's zwar herzlich ſchlecht, wir blieben jeden Augenblick ſtehen, das Geſpann trabte wiederholt in höchſt verdächtiger Weiſe dem Waſſer zu und der Kutſcher erzählte jammernd, ſeine Pferde hätten den Weg heute ſchon zwei Mal machen müſſen. Aber ein Mitreiſender, ein walachiſcher Zollbeamter, warf dem Kutſcher einige Flüche an den Kopf und wies einfach auf ſeine Reitpeitſche und fort ging's im Flug. „Das habe ich in Rußland gelernt“, verſicherte uns der Beamte treuherzig, „der Reiſende haut den Kutſcher, der Kutſcher die Pferde, und dann geht's, anders nicht.“ Das Mittel mag probat ſein, aber für uns Wiener hatte es wenig Reiz zur Nach- ahmung. In einer Stunde hatten wir den „Radetzky“ er- reicht, ein Schiff erſter Klaſſe, und fünf Minuten nach Ankunft an Bord hatte ich mich auf die erſtbeſte Ma- tratze hingeworfen und ſchlief wie ein junger Gott bis zum frühen Morgen. – Da unſer Gepäck erſt gegen Mittag erwartet wurde, machten wir – ungefähr zehn Perſonen – nach dem Dejeuner einen Ausflug nach dem eiſernen Thor, um die Felſenriffe, die dort die Schiff- fahrt unſicher machen – ein eigentliches Thor gibt es bekanntlich nicht – zu beſichtigen. Wir kehrten bald um, – waren aber noch ein halbes Stündchen vom Schiffe entfernt, als drei gellende Pfiffe uns belehr- ten, daß der Dampfer zur Abfahrt bereit ſei. Zwi- ſchen dem „Radetzky“ und einem mehrtägigen, un- freiwilligen Aufenthalte in Guravei gab es wohl keine 8 Wahl; wir ſetzten unſere Beine in eine Bewegung, die Racepferden erſten Ranges alle Ehre gemacht hätte – und flogen durch Dick und Dünn über die Haide. Zum Glück hatte der Kapitän einem Bauernwagen den Be- fehl ertheilt, uns entgegen zu fahren, wir nahmen knie- end, hockend, liegend in demſelben Platz und erreichten unter dem Hohngelächter, theils auch unter dem Murren der übrigen Geſellſchaft den Landungsplatz. – Gegen 8 Uhr langten wir in Turn-Severin an, wo alle Hände, wie auf dem ganzen Wege, vollauf mit Reinhaltung und Ebnen der Wege und Dekorirung der Straßen beſchäf- tigt waren. Am Landungsplatze warteten bereits zwei der ſchönſten Schiffe der Dampfſchifffahrtgeſellſchaft, „Sophie“ und „Friedrich“, im Feſtſchmucke; der Damenſalon der „Sophie“ war mit vollendetem Geſchmack in eine Kabine für Se. Majeſtät umgeſtaltet. Die Reiſe des Kaiſers wird einem Triumphzuge gleichen, und was wir jetzt beim Beginne unſerer Reiſe ſchon ſehen und hören, gibt die Gewißheit, daß der Orient all ſeine Pracht und zauberhafte Herrlichkeit enthüllen wird, um den erſten chriſtlichen Souverän, der ſeinen Boden betritt, würdig zu begrüßen. Uon Turn-Severin bis Barna. Varna, 25. Oktober, Nachts. Heute Mittags endlich verließen wir nach fünfzig- ſtündiger Fahrt die Donau und faßten wieder feſten Fuß am Lande. In dem Salon des „Radetzky“, der den Paſſagieren die größten Annehmlichkeiten bietet, die der verwöhnteſte Reiſende nur immer verlangen kann, ver- lebten wir geſtern noch einen glücklichen Abend. Der Salon eines Dampfſchiffes, in dem eine aus allen Län- dern zuſammengewürfelte Geſellſchaft mehrere Tage lang vereint leben muß, geſtaltet ſich bald zu einem traulichen chez soi – der enge Kreis, in den man gebannt iſt, läßt Abſonderung oder Fremdthuerei nicht aufkommen, man findet ſich raſch in kleinen Gruppen zuſammen, Nordamerikaner und Engländer, Preußen und Oeſter- reicher, Franzoſen und Italiener, die ſich auf dem großen Weltſchiff fremd und oft feindlich gegenüberſtehen, bilden auf dem kleinen Dampfer ſchnell eine Familie, und wenn vollends des Abends auf den Tiſchen der erſten Kajüte die Lampen brennen und der Theekeſſel brodelt, dann 10 löst ſich das Eis auch von der ſtarrſten Zunge – man erzählt von der Heimat, zeigt ſich wechſelſeitig die Photo- graphien der zurückgelaſſenen Lieben, lacht über die älteſten Anekdoten, ſchwärmt ein wenig mit den Damen, die den eilenden Wolken Grüße mitgeben in die Ferne – kurz, man ſchafft ſich raſch ein heimliches Zuhauſe. Mit geſpannter Aufmerkſamkeit lauſchten wir ſtunden- lang dem unerſchöpflichen Erzähler Dr. Cohen, der uns ſeine Abenteuer in Algier und der Wüſte zum Beſten gab, und von Canrobert, Changarnier, Bugeaud und dem Prinzen von Aumale Hunderte von Schnurren zu er- zählen wußte, als hätte er Zeit ſeines Lebens bei den Zuaven gedient, während er doch in Wirklichkeit das edelſte und friedlichſte Handwerk treibt, das der Menſch kennt – für den Unterricht zu ſorgen in allen Landen, wo das auserwählte Volk ſeine Zelte aufgeſchlagen. Dr. Cohen, den, wie ich ſchon erwähnte, ſeine Miſſion nach Bukareſt und ſpäter nach Jeruſalem führt, fand viele Glaubensgenoſſen an Bord, die ihm von ihren Leiden und Qualen in Rumänien erzählten und ſeine Hilfe erbaten. Er gab den Meiſten tröſtende Worte, ließ es aber auch an ernſten Ermahnungen nicht fehlen. Fürſt Karol, mit dem der Präſident der iſraelitiſchen Alliance kürzlich eine längere Unterredung hatte, erklärte, er wolle gerne die ſofortige Gleichſtellung der Juden in der Walachei durchführen, in der Moldau dagegen ſei dies nicht möglich. Das mag eigenthümlich klingen, aber es hat ſeine Begründung, wie verſtändige Iſraeliten ſelbſt zugeſtehen. Die Juden in der Moldau hängen mit zäher Verbiſſenheit an alten Formen und noch älte- rem Schmutz, ſie thun nichts für die Erziehung der Jugend, die ſie zum Wucher und zur Uebervortheilung Anderer förmlich heranbilden – das gibt den reform- 11 feindlichen Bojaren mehr als hinlängliche Veranlaſſung, jeden Verſuch, die Lage der Juden zu verbeſſern, zu hintertreiben. Vielleicht gelingt es dem unermüdlichen Cohen, auch in dieſer Richtung einen Weg zum Beſſern anzubahnen. – – – Raſch fuhren wir den mächtigen Strom hinab, der von Widdin an immer weiter in's Land ſich breitet, in zahlloſe Arme ſich theilt, große Inſeln umkreist und erſt hier den Reiſenden die immenſe Bedeutung dieſes Stromes als wichtigſte Handelsſtraße klar macht. Die öden, menſchen- und häuſerleeren Ufer, die unabſehbaren Steppen, die ſich zu beiden Seiten der Donau weit in's Land ziehen, deren Einſamkeit nur zeitweilig von den armſeligen, ruinenartigen Baraken der Grenzwache und den Heerden weidender Büffel unterbrochen wird, bieten ein wahres Jammerbild – welche Schätze ruhen da noch unaufgebrochen in der Mutter Erde, welche rieſige Produktion könnte ſich hier entfalten – für die zehn- fache Bevölkerung wäre hier noch Platz, – die unver- ſtändige Verwaltung und das verwahrloste, wild auf- wachſende Volk aber haßt den Koloniſten und würde ihn aus dem Lande verjagen, weil es die Herrſchaft des ge- bildeten Einwanderers über die Eingebornen fürchtet. Die wenigen Stationen, die man paſſirt, ſind durch die Anſiedlungen der Dampfſchifffahrtgeſellſchaft zu bedeu- tenden Städten geworden, der Werth von Grund und Boden hat ſich verdreißigfacht und doch legt man überall der Geſellſchaft Hemmniſſe in den Weg, will neue Ab- gaben und Steuern erzwingen und verleidet jedem Un- ternehmer den Ausbau ſeiner Pläne. – – Widdin, Kalafat, Siſtow, die hiſtoriſchen Schlacht- felder der Orientfrage, flogen an uns vorüber, überall kamen die Paſcha's an Bord, um den ottomaniſchen 12 Botſchafter Haidar Effendi zu begrüßen und Meldungen über die Vorbereitungen zum Empfang des Kaiſers zu erſtatten, endlich erſchien auch das erſehnte Ruſtſchuk, das Endziel unſerer Donaufahrt vor unſeren Blicken. Am Ufer gab es feierlichen Empfang, denn Haidar Effendi verließ hier mit uns das Schiff. Ein türkiſches Regiment Berſaglieri mit Fahnen und Muſik war am Ufer aufgeſtellt, Kawaſſen hielten rings das Volk in reſpektvoller Entfernung, ein Trupp Reiter umgab die bereitſtehenden Karoſſen und von den Feſtungswällen donnerten die Grüße der Kanonen. Wir hatten übri- gens mehr Augen, und zwar mit Operngläſern und Fernröhren bewaffnete, für die türkiſchen Frauen, die dicht verſchleiert auf einem kleinen Hügel kauerten, als für die Feierlichkeiten am Ufer. Leider war keiner unſerer Operngucker ſo ſcharf, um uns entdecken zu laſſen, ob die züchtigen Töchter Mohameds unſere liebe- vollen Grüpe erwiederten oder nicht. Wir ſtiegen an's Land und hofften raſch weiterzukommen, aber wie unſere Hoffnungen während dieſer Reiſe ſchon ſo oft getäuſcht wurden, geſchah es auch hier. Fünf wohlgezählte Stun- den dauerte das Auspacken des Hofgepäcks, und ſtatt um halb 1 Uhr konnte der Train erſt nach 5 Uhr ab- gehen. Hier konnte man gemächlich die Umſicht beur- theilen, mit der man für die Reiſe des Kaiſers vorge- ſorgt. Rieſige Eiskäſten, koloſſale Kollis mit Silber- geſchirr vollgepackt, Kiſten voll Theebäckerei, hinreichend, eine kleine Armee zu verproviantiren, Flaſchenkeller mit Moet, ein Paar Dutzend Fäſſer mit Ungarwein, darun- ter eines mit echtem Tokayer, ein förmliches Lager für die Zuckerbäckerei, Tiſch- und Bettzeug, alle nur erdenk- lichen Details für Entrées und Deſſerts und endlich eine Anzahl geheimnißvoll verpackter Kiſtchen, über deren A 13 Inhalt wir erſt nach wiederholten Nachforſchungen Auf- ſchluß erhielten. Die Kiſtchen bergen Flaſchen, gefüllt mit Schönbrunner Waſſer, das, in Eis gekühlt, auf alle kaiſerlichen Tafeln kömmt. Von Trieſt aus gehen Ladungen dieſes köſtlichen Trunkes auch nach Alexan- drien, und ſo wird der Kaiſer im Marmorameer, wie im mittelländiſchen Ozean, in Jaffa, wie in Jeru- ſalem nur Waſſer von Schönbrunn trinken. – Ueber welche Arbeitskraft das bulgariſche Volk verfügt, konnten wir in Ruſtſchuk an einzelnen im übri- gen Europa wohl für unmöglich gehaltenen Leiſtungen erkennen. Die bulgariſchen Laſtträger hoben ſechs Zent- ner ſchwere Eiskaſten, zu deren Transportirung man in Wien vier handfeſte Männer benöthigt, ſpielend in die Luft, luden ſie einem einzigen Genoſſen auf den Rücken und dieſer trug die Laſt ohne Mühe über die ſteil anſteigende Brücke zum Bahnhof. Mit Eimerfäſſern bepackt tanzten die Kerle förmlich, und eine zwei Klafter breite Kiſte balancirten ſie auf dem Rücken, als gelte es einen Haſelſtock im Gleichgewicht zu halten. Und doch ſcheuen dieſelben Leute die Feldarbeit, wie über- haupt jede auf regelmäßigen Taglohn berechnete an- dauernde Anſtrengung! – - In Ruſtſchuk ſahen wir mehrere höhere türkiſche Generale am Bahnhof – Abdul Kerim Paſcha, den Armeekommandanten, dann den Gouverneur von Ruſt- ſchuk :c. Abdul Kerin empfing eben ein Paket Zeitun- gen. Man kann ſich die Neugierde vorſtellen, mit der wir ausſpähten, um zu erſehen, welche Zeitungen der Armeekommandant von Bulgarien liest – unſere Augen hafteten unverwandt auf der Schleife – endlich wird dieſelbe gelöst – – Abdul Kerim iſt Abonnent der „Independance“, der „Allgemeinen“ und des Wiener 14 „Kikeriki“. Wenn der Verfaſſer der „Pfarrerköchin“ nach Ruſtſchuk kömmt, kann er gewiß bei Abdul Kerim auf einen guten Empfang rechnen, wenn er nicht vorher für etwelche derbe türkiſche Witze die Baſtonade er- hält. – – – Kurz nach fünf Uhr wurden wir endlich in die Waggons eingepackt. Man nehme das Wort buchſtäb- lich – eine ſchmachvollere Art, Reiſende zu behandeln, gibt es wohl in der ganzen Welt nicht mehr, und daß die Türkei dieſe unverſchämten Engländer, welche die Eiſenbahn von Ruſtſchuk nach Varna ihr Eigenthum nennen, noch nicht mit Peitſchenhieben zum Lande hin- ausgejagt hat, iſt nur tief zu beklagen. Wir hatten zwölf Stunden früher unſere Ankunft telegraphiſch an- gezeigt, die Depeſche beſagte ausdrücklich: „74 Paſſa- giere erſter Klaſſe kommen an“ – wir lösten unſere Karten erſter Klaſſe, die Beamten nahmen das Geld und erklärten hinterdrein, es ſeien nur zwei Waggons erſter Klaſſe vorräthig, die von Damen okkupirt wurden. Die anderen Waggons ſeien in Varna, oder würden für die Kaiſerreiſe aufgefriſcht u. ſ. w., u. ſ. w. Wir mußten uns mit Waggons zweiter Klaſſe begnügen, wahre Marterkaſten, gegen die unſere Laſtwaggons ele- gante Fahrgelegenheiten ſind. Sitze, ſo ſchmal, daß ſie kaum hinreichen, einem mageren Truthahn als Ruhe- punkt zu dienen, kein Haken, kein Korb im Waggon, um auch nur eine Stecknadel unterzubringen, kleine Scheiben, Lampen, die, kaum angezündet, wieder erlöſchen, der Fußboden ſchmutzig, und in dieſen Verſchlag, in dem ſechs Perſonen ehrlich Platz haben, zehn Menſchen ein- pferchen – das nennt Goddam zweite Klaſſe und läßt ſich erſte Klaſſe dafür zahlen. Dergleichen Unverſchämt- heiten ſind in der That nur Söhne Albions fähig. Die X 15 Eiſenbahnverwaltung lebt ſowohl mit den türkiſchen Behörden wie mit dem Lloyd, der in Varna die Reiſen- den erwartet, auf dem ſchlechteſten Fuße – kürzlich hat ſie gedroht, den Kaiſer von Oeſterreich nicht zu be- fördern, wenn man ihr nicht ſofort die Subvention auszahle, und dem Lloyd ſpielt ſie jeden Augenblick den Schabernak, den Train abfahren zu laſſen, wenn der Dampfer von Konſtantinopel ſchon in Sicht iſt. Die armen Reiſenden müſſen natürlich dann in Varna eine troſtloſe Nacht zubringen. – Man fährt übrigens ziem- lich raſch von Ruſtſchuk nach Varna, die Stationen ſind in dem unwirthlichen Lande äußerſt ſpärlich, die Wächterhäuschen aus Sparſamkeitsrückſichten abgeſchafft, und ſo jagt der Train dahin – ob er hin und wieder einen Büffel überfährt – was liegt daran, ſonſt ſtört ohnedies Niemand die Einſamkeit des Schienenweges. In Saitanſchik (Trou du Diable), der fünften Station nach Ruſtſchuk, machten wir kurzen Halt, Haidar Effendi ſchlug hier ſein Nachtquartier auf, um den Großvezier Aali Paſcha zu empfangen und mit ihm am nächſten Tage dem Kaiſer bis Ruſtſchuk entgegenzufahren. Wir hatten vorſichtig uns auf telegraphiſchem Wege ein Souper beſtellt und ſtürzten nun heißhungrig nach der Reſtauration. Welch ein Anblick! – „Da iſt ja unſer Gänſerndorf das reine Café riche gegen dieſes Hunde- loch“, rief der urgemüthliche Koch, deſſen Einfälle uns während dieſer Reiſe - ſchon ſo oft amüſirt. Und der Mann übertrieb nicht. In einer finſteren Spelunke hockte, wie eine von Macbeth's Hexen, ein rußiges altes Weib am Herde und rührte einen Brei, in den ſie Jedem, der einen Löffelvoll in ſeinen Teller goß, ein Stück zähes Fleiſch mit ſolcher Gewalt warf, daß uns die Brühe in die Augen ſpritzte. Dazu erhielten wir als 16 zweiten Gang fetttriefendes Sauerkraut und ein Brod, das ein Mittelding zwiſchen Lebkuchen und „Schuſter- labl“ war. Dafür zahlten wir per Perſon 15 Piaſter und das nennt man im Teufelsloch ein telegraphiſch beſtelltes Souper! – – In finſterer Nacht brachte uns der Zug nach Varna – die kaiſerliche Dienerſchaft ſtieg hier aus, uns ſchleppte die Lokomotive noch tauſend Schritte weiter an den Strand des Meeres – hoch ging die Brandung und ſchäumende Wellen warf die See an die Ufer. – Aus weiter Ferne leuchteten die Laternen des Dampfſchiffes, das ſeit 36 Stunden auf uns wartete, durch die Nacht – wir hörten den Pfiff der Maſchine, der gellend das Toſen der See übertönte, am Ufer ſchwankten die Boote auf und nieder – in wenigen Minuten ſchiffen wir uns ein und über- geben unſeren müden, wankenden Leib dem trügeriſchen Gotte des Pontus Euxinus: Allah ſei uns gnädig! Eine Nacht im Bosporus. Am Bord des „Neptun“, 27. Oktober, Früh. Wohl wünſcht' ich Vieles mir; doch wär' ich ein Matroſe, Dann wünſcht' ich einen Sturm und eine Waſſerhoſe Im fernſten Südmeer mir; dann wünſcht ich, daß mein Schiff Der zürnenden Gewalt des Trombengeiſt's verfiele, Daß maſt- und ſegellos es ſäße mit dem Kiele Geſpießt auf ein blutroth, thurmhoch Korallenriff. Wir hatten geſtern Nachts während der Fahrt nach Varna tolles Zeug im Waggon getrieben, der Ham- burger Präſident, der Trieſter Profeſſor, der Wiener Feuilletoniſt und ein luſtiger Arzt aus Pera, der ſich zu uns geſellte, gaben Geſchichten aus dem Studenten- leben zum Beſten, wir ſangen alle Burſchenlieder vom „Gaudeamus“ bis zum „Ich bin der Fürſt von Thoren“ durch, und lachten nicht wenig, wenn auf den Stationen die Türken verwundert über ſolch ſpukhaftes Treiben die Köpfe ſchüttelten und mit den langen Nägeln die Silberfäden ihrer Bärte glätteten. In ſolch toller Laune hatte ich auch die obigen Verſe Freiligrath's zitirt, 2 18 uneingedenk des alten Spruches vom Teufel, den man nicht an die Wand malen ſoll. Neptun, der Tückiſche, hatte offenbar die freche Herausforderung gehört und ſchwur uns Rache. – Die Einſchiffung ging in Varna nach gewöhnlichem Ceremoniel vor ſich, nur daß die pechſchwarze Nacht die Szenerie etwas unheimlicher machte. Man warf uns ziemlich unſanft in ein Boot, und ehe wir uns noch in dem engen Raume, in dem wir eingepfercht zwiſchen Koffern und Reiſetaſchen lagen, zurechtfanden, tanzten wir bereits auf hoher See. Welch ein Cancan! Auf und nieder ſchaukelte das Boot, bald auf der Spitze einer ihren Geifer entladenden Zornwelle tanzend, bald hinab in die Tiefe, wie in ein gähnendes Grab ver- ſinkend. Die Sterne tanzten, die Ufer tanzten, die fernen Berge machten den Reigen mit, die ganze Waſſer- maſſe wiegte ſich in dem hölliſchen Kehraus – ich hatte eine Vorahnung von dem, was man Seekrankheit zu nennen pflegt. Nach einer Viertelſtunde waren wir an Bord, d. h. man trug mich die Schiffstreppe hinauf, denn ich hatte total meinen Schwerpunkt verloren und büßte jeden Verſuch, ihn wiederzufinden, mit einem ſchmerzlichen Anprall an irgend ein Tau oder eine Wand. Nach und nach fand ich einigermaßen Ruhe; aber das Eſſen, das der für das leibliche Behagen ſeiner Paſſagiere ſo aufmerkſame und unermüdliche Lloyd auf- tragen ließ, widerte mich an und ich kroch raſch in meine Kabine, die ich erſt nach 24 Stunden wieder ver- ließ. Glücklicher Weiſe hatte ich das ganze ſchwarze Meer und einen artigen Sturm verſchlafen und fühlte mich, als ich erwachte, ziemlich behaglich. Der Ruf: Bosporus! hatte mich erweckt und ich eilte auf's Verdeck. Unvergeßlicher Anblick! Die Sonne war dem Untergang 19 nahe und beleuchtete uit ihren letzten Strahlen die Berge der Ufer Aſiens und Europa's. Die verdammten Seelen des Bosporus, die nie ruhenden Seemöven, um- flatterten in zahlloſen Schaaren unſer Schiff, in alle Farben des Regenbogens war das Meer gebadet, – in weiter Ferne verſchwammen die blauen Contouren des Gebirges, vom Lande herüber grüßten die grünen Cy- preſſen, die ſtrebenden Pinien, tauſend Sonnen, blaue, gelbe, grüne Reife und Strahlen wiegten ſich tanzend auf der See – der Sturm hatte aufgehört, die Waſſer grollten nicht mehr und ſanft ſchaukelte das Schiff auf der Fluth. Die Leuchtthürme von Rumuli und Anatolu tauchten auf, ein Fort nach dem anderen ward ſichtbar, immer näher rückten die Berge und wie eine rieſige Schlange zog ſich die Fluth in unaufhörlichen Windun- gen weiter. Um mich herum war das Bild ein troſt- loſes. Der bramarbaſirende Franzoſe, der alle Meere der Welt bereits befahren, kauerte leichenblaß in einem Lehnſtuhl und verſuchte fortwährend die Sohlen ſeiner Füße feſt in den Boden einzuſetzen, ein Manöver, das aber momentan über ſeine Kräfte zu gehen ſchien – der türkiſche Doktor hielt die kalte Cigarre zwiſchen den Fingern und verſuchte zu lächeln, aber der kalte Schweiß, der auf ſeiner Stirn perlte, ſtrafte ſeine Heiterkeit Lügen, und Miß Sarah Blum, die in der letzten Nacht auf der Donau die Naſenſpitze ihres Begleiters mit ihrem Fuß berührt hatte, lag wie ein Häuflein Unglück im Winkel, als käme ſie eben aus einer Orgie in Mabille und hätte ſeit acht Tagen kein Auge geſchloſſen. – Doch was kümmerte mich all' das Elend, mein Auge ſchweifte trunken zwiſchen zwei Welttheilen, mir war's, als könnte ich die Sterne vom Himmel greifen und müßte mit ihnen hinabſpringen in die sº und mich 20 geſund baden in den Wellen, die unſer Schiff um- rauſchten. Noch eine halbe Stunde und wir hielten im Meere kurze Raſt; ein Boot wurde ausgeſetzt, um von der nahen Landſpitze die Pratika, die Erlaubniß zur Einfahrt, zu erlangen. Wir konnten den Augenblick der Rückkehr des Bootes nicht erwarten, wir ſahen Stambul, die geheimnißvolle, ſo oft in Lied und Märchen vorgezau- berte Reſidenz des Orients, vor uns, und wollten noch vor Einbruch der Nacht im Hafen ſein. Da endlich legt das Boot an, die Miene des zweiten Kapitäns weisſagt nichts Gutes – in der That, der türkiſche Beamte hat die Erlaubniß zur Einfahrt verſagt, da die Sonne bereits untergegangen. Selbſtverſtändlich all- gemeines Murren der Paſſagiere, – aber da hilft kein Widerſtreben, man muß gute Miene zum böſen Spiel machen – das Schiff legt ſich vor Anker und wir ſind verurtheilt, eine Nacht im Bosporus zuzubringen. Frei- lich ſegneten wir am frühen Morgen den Einfall des türkiſchen Beamten, hatte er uns doch das herrlichſte Schauſpiel verſchafft, das man auf dieſem Erdenrund erleben kann, – einen Sonnenaufgang vor Stambul. Wir konnten dem Beamten um ſo weniger grollen, als er zwei Stunden nach verweigerter Erlaubniß perſönlich an Bord kam und die Meldung brachte, ſein Chef habe eigens nach Konſtantinopel telegraphirt, um ſich für uns eine beſondere Erlaubniß zur Einfahrt zu erbitten, und ſoeben ſei die Einwilligung der maßgebenden Be- hörde im telegraphiſchen Wege eingelaufen. Der Türke war in ſeinem Recht und hatte ſich überdies, wie das neueſtens überall Sitte der türkiſchen Beamten in ihrem Benehmen gegen Fremde iſt, äußerſt zuvorkommend ge- zeigt – wir aber blieben vor Anker und brachten die Nacht im Bosporus zu. – – – 21 Kein Schlaf kam in unſere Augen, behaglich dehnten wir uns auf raſch herbeigeholten Plaids und Teppichen aus und blickten in die ſternbeſäete klare Nacht. Kein Laut ſtörte die heimliche Stille, nur zuweilen tönte der Klagegeſang der Mekkapilger, die in einem abgeſonder- ten Verſchlage um einige Piaſter die Fahrt mitmachten und jede vierte Stunde zum Gebet ſich erhoben, die Bruſt ſich zerſchlugen, rechts und links die böſen Geiſter verſcheuchten und niederſinkend die Erde küßten, zu uns herüber. – Uns zur Seite und hinter uns hatten ſich wie ſchweigende Wächter des Meeres ſpäter eingetroffene Segler vor Anker gelegt, weit vor uns erblickten wir die Spitzen des Maſtenwaldes, der die Bucht von Terapia bedeckt, links ſtieg aus den olympiſchen Hügeln die ſil- berne Mondesſichel empor und vermehrte mit ihrem leichenfahlen Scheine den wunderſamen Effekt dieſer Märchennacht. Die Luft war mild wie die eines Juni- abends in unſerer Heimat, und ohne Furcht vor böſen Folgen konnte man ſich dem ganzen Zauber des geiſter- haften, wunderherrlichen Zwielichts, das uns umhüllte, hingeben. Ohne daß wir es merkten, flogen die Stun- den dahin, wir ſcherzten nicht mehr, wir ſangen nicht – wir träumten und blickten den Wölkchen nach, die aus unſeren Cigarretten ſich emporkräuſelten. Nach und nach graute der Morgen und während wir weiter fuhren, erneute ſich das Zauberbild des Orients jeden Augenblick in wechſelnden Umriſſen und friſchen Lichtern. Welch ein Panorama zu beiden Seiten, man hat nicht Augen genug, zu ſehen; rechts, links fliegt der Kopf, man ſtarrt und ſtaunt, und ehe ſich der Blick noch geſättigt, ja ehe das Bild unſere Sehorgane noch geſtreift, taucht Land- ſchaft um Landſchaft auf, jede in neuer, farbenprächtiger Beleuchtung. Da beginnt Bujukdere, das Hietzing der 22 Orientalen, die Sommerfriſche von Konſtantinopel, mit ſeinen zahlloſen Villen, Paläſten und terraſſenförmig auf- ſteigenden Gärten, da iſt der prächtige Palaſt der Sul- tanin Valide – dort iſt Bebek, mit Fazyl Paſcha's Sommerſitz, den im Hintergrund im lauſchigen Walde ein reizendes Schweizerhäuschen abſchließt, – rechts er- blicken wir die einförmigen Grabſteine eines türkiſchen Friedhofes, hoch oben auf der äußerſten Spitze zieht ſich ein Cypreſſenwäldchen hin, in dem ſich – zwei einzelne Steine bezeugen dies – ein Pärchen abſeits von der Menge ein beſonderes Grab gebettet, als ob der Tod, der unerbittliche Gleichmacher, einen Unterſchied ließe zwiſchen Arm und Reich, weit unten baut ſich Pera auf bis an die äußerſte Spitze des Berges, während im nebelhaften Hintergrunde Stambul auftaucht mit der altehrwürdigen Sofia. Aber noch haftet unſer Blick an den in nächſter Nähe vorüberhuſchenden Gebilden – da iſt der neue, noch unausgebaute Sultanspalaſt von Tſchiragan mit rieſigen Glashäuſern, gleich darauf ein noch neueres, erſt im Bau begriffenes Palais, ein marmorenes Zeug- niß orientaliſcher Pracht, links in Aſien Skutari mit ſeinen abenteuerlichen Häuſern in byzantiniſchen Formen, mitten im Meere der Leanderthurm, dann Galata und endlich Stambul, das goldene Horn mit ſeinen tauſend und tauſend Maſten, die wie ein ſtarrender Wald den Eingang in das Heiligthum des Orients wehren. Be- täubt und doch entzückt, berauſcht, ſeligtrunken blicken wir um uns, wo ſollen wir anfangen zu ſehen, wo aufhören, – welchen Eindruck feſthalten, welchen ver- flüchtigen laſſen – umſonſt, in dieſem Labyrinthe orientaliſcher Farbenfülle ſuchen wir vergeblich nach einem Leitfaden, mit Hilfe deſſen wir uns ſammeln könnten – chaotiſch verwirrt ſich Alles in ein rieſiges, blenden- 23 des Farbenmeer. Da, jetzt taucht der Sonnenball glü- hend hinter den Hügeln Scutari's empor – jenſeits im ſchwarzen Meere iſt die Nacht kaum gewichen und bleigrau, aſchfarbig fließt Himmel und Waſſer in eine Maſſe zuſammen, zu unſeren Füßen hat das Meer bereits jenes tiefgeſättigte Grün, für das unſere Maler keine Farbe haben, während drüben in Bujukdere die Kryſtallſcheiben in den Paläſten im Brillantfeuer glühen und uns zur Rechten der Thurm von Galata wie mit einer leuchtenden Kugel gekrönt erſcheint – über die Berge von Scutari aber ſendet das aufgehende Geſtirn blitzende Strahlen, die mit goldener Gluth die Fluthen überſchütten. – Draußen im Marmorameere iſt der Tag ſchon angebrochen, ſilberhell erſcheint die Fluth, wie ein Königsgewand mit glitzernden Demanten beſäet – tief unten aber ſchließt der blaue Olymp die Landſchaft ab. – Noch ehe wir aber den Blick gewendet, iſt die Sonne auch über Stambul aufgegangen und raſch wechſelt das Farbenſpiel. Der blaue Olymp iſt roſenfarbig überzogen; das weiße Waſſer färbt ſich blau und auch im ſchwarzen Meere bricht der Tag herein und verjagt die letzten fahlen Schatten der Nacht. – So wechſelt ſtündlich dieſes unbeſchreiblich ſchöne Bild zwiſchen zwei Welttheilen und drei Meeren, ewig, ewig den Beſchauer durch neue Reize und Farbenwechſel berauſchend. – Unſer Schiff hat ſich indeſſen dem Hafen genähert, links und rechts, vor und hinter uns pfeifen die Keſſel und fliegen die Dampfer vorüber, das Meer iſt bedeckt mit Fiſcherbooten und Kaiks in allen Formen, Panzer- fregatten und Kauffahrer, Kriegsdampfer und Segel- ſchiffe fahren aus und ein – von allen Seiten ſchwär- men die Boote um uns herum – ein Ruck und wir liegen vor Anker. Wir ſind im Stambul. –-SZ->– Die Rnkunft des Kaiſers. Konſtantinopel, 28. Oktober. Seit geſtern herrſcht in Pera große Bewegung. Man arbeitet mit Rieſenkräften, um die neue Straße, die zum öſterreichiſchen Geſandtſchaftshotel führt und die der Kaiſer von Oeſterreich nächſten Sonntag zum erſten Male befahren wird, herzuſtellen. Eine ganze Häuſerreihe wurde demolirt, um die Straße zu erwei- tern, und jetzt iſt man mit Planiren, Anſchütten und Pflaſtern – ſelbſtverſtändlich was man in Stambul pflaſtern nennt – vollauf beſchäftigt. Auch ſonſt hört man von vielen Vorbereitungen zum feſtlichen Empfange des Kaiſers. Die Munizipalität von Pera läßt einen Triumphbogen herſtellen und längs der Straße Flaggen- ſtöcke aufſtellen, die mit Wappenſchildern, die Initialen des Kaiſers enthaltend, geſchmückt ſind – die öſterrei- chiſche Kolonie hat ihrerſeits eine bedeutende Summe aufgebracht, ſie erbaut in der Nähe des Botſchafter- hotels einen geſchmackvollen Bogen, läßt die Straße 25 dekoriren, und wird dem Kaiſer nebſt einer Adreſſe ein großes Album, die photographiſchen Anſichten Konſtan- tinopels enthaltend, überreichen. Der Sprecher der Deputation iſt ein Wiener, Herr Frank, dr vor 18 Jahren aus Wien hieher überſiedelte und nun Chef eines der erſten Bankhäuſer in Galata (Frank und Adler) iſt. Noch geſtern Abends ließ die Botſchaft die Depe- ſchen über die Ankunft des Kaiſers in der Kolonie cirkuliren, und der Lloyd, deſſen Verwaltungsräthe Prä- ſident Baron Elio Morpurgo und Dr. Hagenauer und deſſen Direktor Hr. Bordini, hier anweſend ſind, ſtellte dem Publikum ſechs ſeiner ſchönſten Schiffe, auf denen über dreitauſend Menſchen Platz haben, gratis zur Verfügung. Auf dem „Pluto“, der ſich an die Spitze der Lloyd- Escadre ſtellte, ging die Direktion ſelbſt an Bord in Geſellſchaft eines auserleſenen Publikums. Der Lloyd entfaltete bei dieſem Feſte großen Pomp und lieferte ein glänzendes Schauſpiel, das ſeine maritime Bedeu- tung in das hellſte Licht ſtellte. Sechs Dampfſchiffe erſten Ranges nehmen an dem Triumphzuge des Kaiſers Theil, und doch ward nirgends eine Linie, eine Fahrt auch nur momentan unterbrochen. Ganz Konſtantinopel rühmt heute die Liberalität des Lloyd und auch die kleine Geſellſchaft, die ſich während der Fahrt ins ſchwarze Meer die Zeit mit einem ſplendiden Dejeuner vertrieb, profitirte von der Liebenswürdigkeit des Lloyd-Präſiden- ten, der die Honneurs auf dem „Neptun“ machte. Schon um 5 Uhr Morgens war Pera auf den Beinen, in hellen Haufen ſtrömte man dem Meere zu. Boot auf Boot ſtieß vom Ufer ab und fuhr den bereitſtehen- den Dampfern zu, die bald die Menge der Paſſagiere nicht faſſen konnten. Auf dem „Vulkan“, der neben dem „Pluto“ ſteht, ſchifft ſich die öſterreichiſche Kolonie mit 26 einer Muſikkapelle ein, die fortwährend heitere Weiſen ſpielt – alle Nationen und Geſellſchaften haben ihre Dampfer aufgeſtellt, alle füllen ſich raſch, auch die Lokalboote werden genommen und um 7 Uhr iſt längs des ganzen Ufers faſt kein Kaik aufzutreiben. Die Schiffe im Hafen prangen im Feſtſchmucke, ſelbſt die unheimlichen Panzerfregatten haben heute ein freund- licheres Ausſehen, – blank geputzt und reich bewim- pelt ſtehen die Stationsſchiffe der Geſandtſchaften vor Anker – vor Dolma-Bagdſche, der Reſidenz des Sul- tans, die bald die Reſidenz unſeres Kaiſers werden ſoll, ſtehen in gebührender Entfernung vier türkiſche Fre- gatten, weiter draußen halten Panzerſchiffe und Kriegs- dampfer. Vom Palaſt des Sultans bis nach Bujukdere ſind längs des Ufers Truppen mit Spiel und Fahnen in voller Parade aufgeſtellt und auch am aſiatiſchen Ufer wimmelt es von Truppen. – Schlag halb 8 Uhr er- tönt das Signal vom „Pluto“, das ganze Lloydgeſchwa- der ſetzt ſich in Bewegung und hinter ihm drein und neben ihm dampfen die franzöſiſchen, türkiſchen, eng- liſchen, italieniſchen Boote, eine Dampferflotte, die den Bosporus mit Rauch erfüllt, ſo daß momentan der Ausblick auf die Ufer geſtört iſt. Kurz vor der Ab- fahrt trifft auch der „Greif“ aus dem mittelländiſchen Meere ein und legt ſich vor Anker. - Um halb 10 Uhr macht man im ſchwarzen Meere Halt – eine Viertelſtunde ſpäter ertönt der Ruf des Kapitäns: Imperatore, und Alles drängt ſich auf dem Verdeck zuſammen. Aber noch iſt für ein ſee- männiſch nicht geübtes Auge nichts zu ſehen – erſt nach guten zwanzig Minuten entdeckt man einen ſchwarzen Punkt am Horizonte; die „Sultanieh“, die ſchönſte und ſchnellſte A)acht des Sultans, iſt in Sicht. Sie iſt der 27 übrigen Flotte weit voraus geeilt, auf ihrem Maſte weht die ſchwarzgelbe Fahne mit dem kaiſerlichen Adler, am Hintertheil flattert die türkiſche Flagge. Jetzt naht der Dampfer, die Lloydſchiffe umgeben ihn, die Matro- ſen klettern auf die Raaen, der erſte Kapitän ſchwenkt den Hut: Hurrah, ruft er und die Matroſen rufen ihm nach, und von allen Schiffen tönt tauſendſtimmig der Ruf wieder. Sechs Mal erneuert ſich der Ruf ſtürmiſch und freudig, die Muſik ſtimmt die Volkshymne an und bei den wohlbekannten Klängen bricht erneuerter Jubel aus. Der Kaiſer, in großer Marſchallsuniform, die der graue Militärmantel nur theilweiſe bedeckt, das Band des Medjidie um den Leib geſchlungen, die Mütze auf dem Kopfe, tritt auf die Treppe des Radkaſtens, ihm zur Seite ſteht rechts Graf Beuſt in glänzender, gleich- falls theilweiſe vom grauen Mantel bedeckter Uniform, links Baron Prokeſch in der Uniform eines Feldzeug- meiſters, weiter rechts Miniſter Plener, Graf Andraſſy im Magnatenkoſtume, den Kalpak mit weißem Federbuſch und Demantagraffe auf dem Kopfe, hinter dem Kaiſer Fürſt Hohenlohe, Graf Bellegarde und die Adjutanten. Der Kaiſer hat den Lloyd und die öſterreichiſche Kolonie erkannt, er ſalutirt wiederholt, grüßt, winkt – endlich gibt er einem Adjutanten einen Befehl und raſch wird die kaiſerliche Flagge dreimal zum Salut des Lloyd geſenkt. Es iſt dies eine Auszeichnung, auf die der Lloyd ſtolz ſein kann, denn in der Regel grüßt man mit dem nationalen Banner, da aber der Kaiſer über die auf ſeinem Schiffe aufgehißte türkiſche Flagge nicht verfügen konnte, ſo hatte jeder Salut zu unterbleiben. Daß der Kaiſer mit ſeiner eigenen Flagge ſalutiren ließ, iſt eine ganz beſondere Ehrenbezeigung für den Lloyd. – Die Jubelrufe dauern indeſſen fort, der Kaiſer 28 muſtert die Geſellſchaft auf dem „Pluto“ mit dem Fernglas, ſelbſtverſtändlich ſind alle Gläſer an Bord der Lloydſchiffe nach dem kaiſerlichen Schiffe gerichtet, die Damen wehen mit ihren Taſchentüchern, die Herren ſchwingen die Hüte, der Kaiſer dankt fortwährend nach allen Seiten. Das Lloydgeſchwader hat raſch gewendet und begleitet das kaiſerliche Schiff – die übrigen Dampfer kommen jetzt auch herbei; ein kecker Englän- der legt ſich hart an die kaiſerliche A)acht und verläßt ſie bis zum Palaſte nicht mehr – von allen Schiffen, auch von den türkiſchen, auf denen auch tiefverſchleierte Frauen Platz genommen, ertönen begeiſterte Zurufe – jetzt iſt die Flotte in Sicht des erſten Forts – ein Blitz, eine Rauchwolke und von allen Bergen wider- hallt der Schuß – bald löſen ſich die ehernen Zungen, von Fort zu Fortpflanzt ſich das Krachen fort, die Kanonade erſchüttert die Lüfte, man hört ſein eigenes Wort nicht mehr. In zwanzig Minuten iſt der Kaiſer an der Stelle, wo die Pratika eingeholt wird, das Schiff hält, denn auch der Kaiſer muß ſich dem Geſetze fügen – der Kaiſer befiehlt, länger zu halten, um das tür- kiſche Geſchwader, das ihn in Varna erwartete, und die öſterreichiſchen Kriegsſchiffe nachkommen zu laſſen. Dieſen Moment benützen die Lloyddampfer, um neuerdings an das kaiſerliche Schiff heranzukommen und wiederum ſchallen tauſendſtimmige begeiſterte Hurrahs durch die Luft. Nach einer Raſt von zwanzig Minuten – die fehlenden Schiffe ſind noch nicht ſichtbar – ſetzt ſich das Geſchwader in Bewegung. Von rechts und links ſalutiren die Forts, die Kanonen krachen, die am Ufer aufgeſtellten Truppen rufen Hurrah und präſentiren das Gewehr, die Muſikbanden rühren das Spiel und die Menge wird nicht müde, ihre Rufe zu erneuern. Die 29 Balkone und Fenſter, die Straßen und Brücken ſind beſäet mit Menſchen, auf den Abhängen haben ſich Gruppen geſammelt – überall ſtrömt das Volk herbei, um das ſeltene Schauſpiel des Einzugs des erſten chriſt- lichen Kaiſers in die Stadt der Moslemen anzuſtaunen. Punkt zwölf Uhr lenken die Schiffe um die letzte Spitze – Stambul iſt in Sicht – jetzt fallen in den Chor der Forts auch die Panzerfregatten mit markerſchüttern- dem Brummbaß ein und ein Krachen beginnt, das auch ſtärker beſaitete Nerven in einige Aufregung verſetzen müßte. Von allen Raaen rufen die türkiſchen Matro- ſen ihr „tauſend Jahre ſoll er leben“, alle Schiffe ſalutiren, lauter und immer lauter dringt der Klang der Volkshymne von den ferner ſtehenden Schiffen her- über – es iſt halb 1 Uhr, der Kaiſer iſt vor Dolma- Bagdſche angelangt. Langſam wendet das Schiff und gefolgt von den Dampfern und zahlloſen Booten, die trotz des Befehls der Marinepolizei nicht von Ort und Stelle zu bringen ſind, nähert ſich das Schiff dem Palaſte. Fünf Minuten verſtreichen, da beginnt der Donner der Kanonen, zehnfach verſtärkt, von Neuem, alle Fregatten, alle Panzerſchiffe, alle Forts feuern gleichzeitig – der Sultan hat den Palaſt verlaſſen und ſeine A)acht beſtiegen. Vierundzwanzig rothgekleidete Ruderer bringen das reichvergoldete Schiff vorwärts, an deſſen Ende ſich ein prachtvoller, von vier goldenen Säulen getragener Kiosk befindet. Der Kiosk iſt von goldener Kuppel bedeckt, auf deren Spitze ein maſſiver Halb- mond von Gold erglänzt, und mit rothen und grünen Seidendraperien geſchmückt, koſtbare Teppiche bedecken den Boden, auf dem rothſammtene Divans ſtehen. Der Sultan hat auf einem der Divans Platz genommen, ſeiner A)acht folgen zahlreiche andere Langboote, von 30 reichgekleideten Schiffern gelenkt, die für das Gefolge des Kaiſers beſtimmt ſind. Zehn Minuten ungefähr dauert die Fahrt des Sultans – die Kanonen hören inzwiſchen nicht auf, ihre Salutſchüſſe abzufeuern, endlich hat das Boot das kaiſerliche Schiff erreicht, der Kaiſer eilt bis zur Treppe, der Sultan ſteigt langſam hinauf und auf der letzten Stufe begrüßen ſich beiden Monarchen in herzlichſter Weiſe. In dieſem Augenblick wird auf der „Sultanieh“ neben der Flagge des Kaiſers die große Flagge des Sultans aufgezogen und vereint flattern beide Fahnen vom höchſten Maſte. Die beiden Monar- chen eilen die Treppe hinab, nehmen im Kiosk Platz, die Begleitung nimmt von den anderen Booten Beſitz, in wenigen Augenblicken haben die Ruderer die Strecke zum Palaſte zurückgelegt und Schlag 1 Uhr tritt der Kaiſer durch das linke goldene Thor von Dolma-Bagdſche in den Palaſt. – Zehn Minuten ſpäter ſetzen ſich auch die Dampfer in Bewegung und entleeren die ſie be- deckende Maſſe in die harrenden Kaiks – der Bos- porus hat ſeine gewöhnliche Phyſiognomie wieder an- genommen. – Drei Stunden ſpäter erſt treffen die „Eli- ſabeth“ und der „Gargnano“, aufgehalten durch die lang- ſame Fahrt des „Helgoland“, dem als Admiralſchiffe nicht vorgefahren werden durfte, vor Dolma-Bagdſche ein. Der Kaiſer begab ſich nach dem Eintreffen im Palaſt in den großen Saal, wo die gegenſeitige Vorſtellung der Suiten erfolgte. Der Sultan ließ ſich jedes einzelne Mitglied des kaiſerlichen Gefolges beſonders vorſtellen; er war ſehr liebenswürdig und hatte für Jeden ein freundliches Wort. Den Grafen Beuſt begrüßte er in herzlichſter Weiſe, ihn, den Fürſten Hohenlohe und den Grafen Bellegarde erkannte er ſofort. Dr. Löbl, der dem Sultan ſagte, er habe die hohe Miſſion, für die 31 Geſundheit des Kaiſers Sorge zu tragen, erwiederte der Padiſchah lächelnd, er hoffe, daß ſeine Miſſion während des ganzen Aufenthaltes im Oriente eine überflüſſige ſein werde. – Ueber den glänzenden Empfang des Kaiſers während ſeiner Fahrt von Ruſtſchuk nach Varna erzählen die Reiſe- theilnehmer die erfreulichſten Einzelnheiten. Ruſtſchuk prangte im Flaggenſchmucke, die Kanonen der türkiſchen Feſtung und die am jenſeitigen Ufer aufgeſtellten rumä- niſchen Batterien gaben die gebührenden Salven. Der Groß- vezier Ali Paſcha, der Serdar Omer Paſcha, der Inter- nuntius Freiherr v. Prokeſch begrüßten den Kaiſer, der in einem von türkiſcher Kavallerie eskortirten Galawagen zum Bahnhofe fuhr. Dort überreichten die Juden der Pro- vinz Bulgarien Sr. Majeſtät eine Adreſſe, in welcher ſie in begeiſterten Worten ihren Dank für die großmüthige Unterſtützung ausſprachen, welche die öſterreichiſch-unga- riſche Monarchie ihren bedrohten Glaubensgenoſſen wiederholt ſo erfolgreich hatte zu Theil werden laſſen. Auch die öſterreichiſchen Nationalen der Provinz über- reichten eine ähnliche Adreſſe und überbrachten dem Kaiſer Medaillen aus Gold, Silber und Bronze, die ſie eigens zur Feier des kaiſerlichen Beſuches hatten prägen laſſen. – In Saitanſchik war ein Bataillon türkiſcher Infan- terie aufgeſtellt, das vor Sr. Majeſtät defilirte und ver- ſchiedene Manöver ausführte. Der Sultan, hatte hier dem Kaiſer ein Dejeuner angeboten, das in einem pracht- voll ausgeſtatteten Zelte ſervirt wurde, während die Suite in einem zweiten Zelte ſpeiſte. Für Se. Majeſtät wurde ein nach franzöſiſcher Manier eingerichtetes ex- quiſites Diner auf goldenen Schüſſeln aufgetragen; das Menu für die Uebrigen war ſtreng national: Hammelfleiſch, Pilaf, Hühner, Kraut mit Fleiſchhachée gefüllt, und 32 zum Deſſert eingemachte Früchte. – In Varna endlich empfingen der Vizeadmiral v. Tegethoff, der Vizekonſul Tedeschi, der griechiſche Biſchof und das Munizipium den Kaiſer. Bahnhof und Stadt waren glänzend beleuch- tet, die Schiffe im Hafen waren mit zahlloſen Lampen behängt und ſprühende Raketengarben erhellten die Nacht. Tauſendſtimmige Rufe „Es lebe der Kaiſer“ erfüllten die Luft und als der Wagen des Monarchen beim Ruſtſchuker Thore ankam, ließ Se. Majeſtät halten und richtete huldvolle Worte des Dankes an die Anweſenden. Gegen 9 Uhr Abends erfolgte die Abfahrt der Eskadre von Varna, am nächſten Tage Mittags ſtieg der Kaiſer in Konſtantinopel an's Land. Ein Tag in Stambuk. Konſtantinopel, 30. Ottober r) Zu Tode erſchöpft kehrte ich geſtern ſpät Abends in mein Hotel in Pera zurück. Von 7 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends war ich zu Pferde, und was es heißt, in Stambul dreizehn Stunden auf den ſtrupirten Klep- pern zuzubringen, die man hier nicht entbehren kann, durch enge winklige Straßen, von der Landplage Kon- ſtantinopels, den Myriaden Hunden verfolgt, ſich zu winden, das kann nur der beurtheilen, der längere Zeit am goldenen Horn geweilt. Bergauf, bergab, über Ab- gründe und durchfußhohen Schotter, oft ſtundenlang über Stufen, die in den Bergen, an deren Lehnen ſich Pera eingeniſtet hat, eingehauen ſind, geht der Weg; bald muß man ſich durch die menſchenbeſäeten Bazars von Galata drängen, bald wieder zwiſchen fluchenden Limonadever- käufern, heulenden Kaſtanienbratern, ſchlafenden Derwi- ſchen und Nargile rauchenden Müßiggängern durchzu- kommen ſuchen, hier verſperren die Trümmerhaufen eines abgebrannten Stadttheiles den Weg, dort machen Ketten, Schienen, Blöcke ein Weiterkommen geradezu unmöglich – kein Türke weicht einem Pferde aus, man wird ge- ſtoßen, an die Wand gedrückt, fortgeſchoben, zien 34 Mauleſeln, die gaſſenbreit mit Tragkörben beladen ſind, und Heerden von Ziegenböcken und Schweinen einge- pfercht – Schaaren von Ausrufern, Händlern, Gaſſen- jungen umſchwärmen die Pferde, der Eine ſchlägt mit der Gerte nach dem empfindlichſten Theile der Roſinante, ein Anderer zerrt an den Mähnen, der Dritte endlich macht ſich das Vergnügen, den Rauch ſeiner Pfeife dem armen Klepper in die Nüſtern zu blaſen – auf der Höhe von Byzanz, in der Nähe der uralten Sofia, paſſirte es uns ſogar, daß zwei rieſige Sträuße unſere Pferde attakirten, die, vor den fremdartigen Vögeln er- ſchreckend, einen in Stambul geradezu unerhörten Galopp einſchlugen. Und doch widerfährt dem Reiter nur ſelten ein Unfall. Die Pferde ſind an dieſes Pflaſter und dieſen Höllenlärm gewohnt, vorſichtig wählen ſie ihren Weg und wenn ſie zehn Mal ſtraucheln, richten ſie ſich auch zehn Mal wieder auf, ohne die, die ſie tragen, zu Schaden zu bringen. – Ich begab mich in früheſter Morgenſtunde nach Dolma-Bagdſche, um mich über das Programm des Tages zu vergewiſſern. Im Palaſte herrſchte eine un- gemeine Thätigkeit. In den vor den Appartements be- findlichen, fenſterloſen, daher halbdunklen Vorſälen deckte man den Dejeunertiſch, reichgalonirte Lakaien rannten mit rieſigen Tſchibuks von einem Saale zum anderen, in den Gängen wurde Geſchirr geputzt, in großen Kaffee- mühlen Mokkakörner zu Staub gemahlen, zahlloſe Diener harrten der Befehle der Oeſterreicher und die türkiſchen Hofchargen überwachten mit ſorgſamen Blicken den Dienſt. Die Herren entwickelten jedem Fremden gegenüber, in dem ſie einen Oeſterreicher vermutheten, eine Artigkeit und Zuvorkommenheit, die für manche anderweitige Entbehrung reichliche Entſchädigung bot. 35 Abdul Aziz ſoll, erzählte man allenthalben, ſchon ſeit mehreren Tagen in äußerſt heiterer Laune geweſen ſein, ſeit Jahren hat man den Sultan nicht ſo glücklich und ſo auf ein Ereigniß ſich freuen geſehen, wie auf den Beſuch des Kaiſers. Jedes Detail des Empfanges mußte ihm mitgetheilt werden und er befahl wiederholt, die den Türken ſo heilige Hofetikette ganz bei Seite zu laſſen, wenn es gelte, ſeinen kaiſerlichen Gaſt zu ehren. Es iſt in Konſtantinopel unerhört, daß der Padiſchah ſeinen eigenen Palaſt verläßt, ſeinen Harem ausquartiert, um das ganze rieſige Gebäude einem fremden Herrſcher zu überlaſſen. Die Kaiſerin Eugenie, die Prinzen von Preußen und Italien waren alle in Paläſten untergebracht, die nie vom Sultan bewohnt werden. – Mit welchem Aufwand von Galanterie und Aufmerkſamkeit die Türken beim Empfang des öſterreichi- ſchen Monarchen vorgingen, kann man vielleicht aus dem Umſtand entnehmen, daß bei der Ankunft auf der Barke des Kaiſers ein General und auf der Barke, welche die Miniſter Beuſt, Andraſſy und Plener vom Kriegsſchiff an's Land brachte, der Hafen-Admiral als Steuermann fungirten. Für die Unterkunft der Gäſte iſt wahrhaft pompös geſorgt. Graf Beuſt bewohnt in Dolma-Bagdſche ein ganzes Haus, von deſſen Fen- ſtern man eine reizende Ausſicht hat, die übrigen Herren der Begleitung ſind ſämmtlich im Parterre oder im erſten Stock des kaiſerlichen Palaſtes in allerliebſt arran- girten Salons untergebracht, deren Fenſter theils nach dem Garten, theils nach dem Meere gehen. Das Innere des Palaſtes iſt feenhaft ausgeſtattet, und es ſchien uns Allen nur natürlich, daß der Kaiſer, als er nach der erſten Begrüßung des Sultans im großen Saale ſich mit ſeinem Gefolge allein befand, ausrief: 3h glaube, ö“ 36 wir erleben alle ein Märchen aus Tauſend und einer Nacht. – Dolma-Bagdſche liegt am äußerſten Ende von Galata, hart am Hafen, ſchief gegenüber von Sku- tari, – ein durch mauriſche Bögen und Säulen unterbro- chenes Gitter ſcheidet es vom Meere, zu den Eingängen, die mit koloſſalen goldenen Gittern verſehen ſind, führen breite Stufen – zwiſchen dem Gitter und dem Palaſte liegt ein Garten, der einige prachtvolle Platanen ent- hält und deſſen Raſen mit hübſchen Bosquets geziert iſt. Von der Landſeite tritt man durch zwei reich ver- goldete Thore in den Vorhof ein. Vor den Thüren des Vorgebäudes, durch die man in den eigentlichen Hof des Palaſtes gelangt, ſind Zelte aufgeſchlagen für die Offi- ziere der Truppe, die vor dem Palaſte mit Sack und Pack lagert, vor den Zelten ſtehen die Gewehre in Py- ramiden – weiter rechts befindet ſich die Muſikbande. Durch einen etwas dunklen Gang gelangt man in den Garten, den man durchſchreiten muß, um über eine breite Freitreppe zu den Gemächern, die der Kaiſer be- wohnt, zu gelangen. Ueberall ſind die Gänge mit Matten von Reisſtroh bedeckt, über die Laufteppiche ge- ſpannt ſind. Der Empfangsſalon in der erſten Etage bildet ein Rondeau mit zwei großen Pavillons auf beiden Seiten, die rechtsſeitigen Fenſter gehen nach dem Meere, die gegenüberliegenden nach dem Garten, an vier Seiten ſind Kamine angebracht mit goldenen Gittern, über den Kaminen Moſaikſpiegel aus buntfärbigen pris- matiſch geformten Kryſtallgläſern zuſammengeſetzt – von der Decke hängt ein Kryſtallluſter mit tauſend Kerzen – es iſt dies jenes prachtvolle Meiſterſtück, das ſeinerzeit auf der Pariſer Ausſtellung ſo viel Aufſehen erregte, – rechts und links ſind kleinere Luſter aufge- hängt. Koſtbare gewirkte Teppiche bedecken den Boden, 37 auf den Kamintiſchen ſtehen prachtvolle japaneſiſche Vaſen und Pendulen – acht Spiegel, die vom Boden bis zur Decke reichen, vertauſendfachen all die Pracht, die hier verſchwendet iſt. Wenn möglich noch reicher und pom- pöſer iſt der rothe Saal ausgeſtattet, der gleichfalls zu den Appartements des Kaiſers gehört. Dolma-Bagdſche wäre ein vollſtändiger Zauberpalaſt, wenn nicht bei einer näheren Beſichtigung des Innern dem Auge des Euro- päers manche Schattenſeiten auffallen würden. Um zu den einzelnen Etagen und Appartements zu gelangen, muß man finſtere Gänge paſſiren, ſich förmlich durch die Flur winden und dieſe Gänge ſind eben die Reversſeite der glänzenden Medaille. Wenn die k. k. Hofkehrweiber unſerer Wiener Burg dieſe Gänge ſehen würden, ſie ſchlügen Beſen und Hände über den Kopf zuſammen, jedenfalls aber hätten ſie eine Woche vollauf zu thun, um die Räumlichkeiten etwas zu europäiſiren. Für die minutiöſe Aufmerkſamkeit, die man den öſterreichiſchen Gäſten gegenüber beobachtet, ſprechen wohl einige kleine Details. Der Sultan hat vier Wiener Bäcker hieherkommen laſſen, um Brot und Semmeln für die Gäſte zu beſorgen. Echte Wiener „Preßgerm“ wird mit Eilzügen und Eilſchiffen hieher befördert und als vorgeſtern das Eilſchiff von Varna ankam, ſtürmten die Diener des kaiſerlichen Palaſtes das öſterreichiſche Poſt- amt – aber ſie verlangten nicht nach Briefen – ſie wollten nur die Preßgerm holen, welche die kaiſerliche Poſt in wohlverſchloſſenen Kiſtchen hieher befördert hatte. Doch ich verliere mich in Details – und wollte „einen Tag in Stambul“ ſchildern. Um acht Uhr bereits trat der Kaiſer heute ſeinen Rundgang an; er und ſein Gefolge waren alle in Civil gekleidet, Se. Majeſtät trug einen ſchwarzen Rock, licht- Z8 graue Hoſen, ſchwarzen Seidenhut. Er war in Geſell- ſchaft des Fürſten Hohenlohe und des Grafen Belle- garde, hinter ihm gingen die Miniſter und die anderen Perſönlichkeiten des Gefolges, zu denen ſich noch Lega- tionsrath Haymerle und Dolmetſch Mayr von der öſterreichiſchen Internuntiatur geſellten. Der Kaiſer beſuchte zuerſt den Marſtall des Sultans, der in un- mittelbarer Nähe des Palaſtes liegt. Ich halte es für überflüſſig, die Einzelnheiten der Sattelkammer, der Ställe 2c. zu ſchildern, unſer Wiener Marſtall vor dem Burgthor iſt ebenſo reich eingerichtet, freilich zählt der hieſige mindeſtens fünf Mal ſo viele Pferde, größten- theils arabiſcher Race. Der Reichthum hiſtoriſcher Erinnerungen, durch den namentlich die Wiener Wagen- burg ſich auszeichnet, fehlt hier gänzlich. Von den Mar- ſtällen begab ſich der Kaiſer nach dem Arſenal am Bos- porus und von da zurück in's Palais, um ein Dejeuner einzunehmen. Kurz vor 12 Uhr ging der Kaiſer nach einem Seitenflügel des Palaſtes, um von dort aus den Zug des Sultans nach der Moſchee zu beſichtigen. Der Kiosk, in den der Kaiſer eintrat, beſteht aus zwei Gemächern, deren eines einen Wintergarten mit den prachtvollſten exotiſchen Gewächſen darſtellt – in der Mitte des Gartens war ein großes Baſſin mit hoch- ſprühenden Springbrunnen angebracht. Heute iſt Frei- tag, der Sonntag des Türken, und da man aus Anlaß der Anweſenheit des öſterreichiſchen Kaiſers eine Ent- faltung beſonderen Pompes erwartete, füllten ſich die Straßen, die nach der nächſt dem Palaſte gelegenen Moſchee führen, ſchon um 11 Uhr mit Menſchen. Tau- ſende und Tauſende wogten in den Gaſſen auf und ab, auf der Mauerbrüſtung, die gegenüber dem Palaſte ſich befindet, hatten Schaaren verſchleierter Türkinnen Platz 39 genommen, die neugierig das Treiben der Fremden be- obachteten. Zwei Reihen Equipagen ſtanden auf der einen Seite der Straße aufgeſtellt; die offenen europäi- ſchen hatten wenig Intereſſe für mich, um ſo mehr die geſchloſſenen türkiſchen, aus denen reizende Gazellen- augen glühende Blicke auf die Vorübergehenden – ſelbſt- verſtändlich nicht auf meine Wenigkeit – warfen. Die Türkinnen ſcheinen arge Koketten, ſie benützen die wenigen freien Minuten, die man ihnen bei öffentlichen Aufzügen gönnt, um die ewige und angeborne Kunſt des Weibes, das Augenſpiel, zu üben. Ein Lächeln, ein Blick iſt eine ſüße und unſchuldige Spielerei, und man kann auf der Straße unbemerkt vom Haremswächter freundlich lächeln und ſehnſüchtig ſchauen – gerade die verbotene Frucht ſchmeckt ja ſo ſüß. Wenn irgendwo im türkiſchen Reiche die Sehnſucht nach Freiheit und Reformen mächtig iſt, ſo iſt dies gewiß bei den türkiſchen Frauen der Fall, ſie müſſen des unerbittlichen Zwanges, der trägen, ein- ſchläfernden Haremsluft längſt müde ſein. Das beweist auch die Gier, mit der ſich die Türkinnen zu Feſten heran- drängen, an denen Europäer theilnehmen, und daß ſie über- all ſchaarenweiſe erſcheinen, wo der öſterreichiſche Kaiſer zu ſehen iſt, beweist nur, daß ſie im Harem den guten Geſchmack, der die Frauen aller Zonen auszeichnet, nicht verlernt haben. – Längs des ganzen Weges vom Palaſte bis zur Moſchee waren Truppen in voller Parade aufgeſtellt. „In voller Parade“ iſt freilich nicht ſo buchſtäblich zu nehmen, wie bei uns, ebenſo wenig wie die ſtramme Haltung der Truppen. Der Türke wutzelt ſich ſeine Cigarrette in Reih und Glied, raucht und plaudert – den Oberſten zu Pferde begleitet wie jeden Civilreiter ein Kavaß mit nackten Beinen, der hie und da mit 40 einem primitiven Haslinger das Roß zu etwas mehr Leben anfeuert . . . Gegen Mittag nahm das Leben in den Straßen die chaotiſche Geſtalt einer Völkerwanderung an, weiße, ſchwarze, braune Menſchen drängen ſich bunt durcheinander, Perſer mit ſpitzigen ſchwarzen Hüten, Araber in weißen Burnuſſen, kohlſchwarze Aethiopier, Neger, die lachend die perlweißen Zähne zeigen, dazwi- ſchen Frauen und Mädchen mit eklig braungefärbten Fingern und ſchlampeten Pantoffeln an träge ſchlen- kernden Füßen – Derwiſche mit grünen Turbans, Ulemas in ſchwarzen Kaftans – zuweilen auch ein katholiſcher Geiſtlicher mit tief von der Mütze herab- flatterndem ſchwarzem Schleier. Die Pferde der Wagen ſind ausgeſpannt, die Reiter abgeſtiegen und an der Häuſerfront lagern die müden Thiere. – – Ich habe mir einen Platz knapp ami Harem ausgeſucht und be- trachte die zahlloſen Eunuchen, die vor dem halb ge- öffneten Thore herumlungern und mit den blaulivrirten Dienern plaudern, die dem Harem zugewieſen ſind, dieſen ſelbſt aber nie betreten dürfen. Man zählt einige hundert Eunuchen, es gibt blutjunge mit zwölf Jahren und altersſchwache mit zahnloſem Munde, die in übler Laune oft genug ihren Stock auf dem Rücken der ihrem Befehle unterſtellten Jugend tanzen laſſen. Selbſt das heutige Feſt geht nicht vorüber, ohne daß ſie ein ſolches argumentum ad hominem verſuchen. Die Eunuchen ſind europäiſch gekleidet – ſchwarzer Leibrock und weiß- graue Hoſen – faſt alle ſind unförmlich im Körper- bau und haben eine ausgeſprochene Neigung, einen nicht näher zu bezeichnenden Theil des Leibes ſtark ausge- bogen zu tragen. Mitten im Gewühle erblicke ich eine koloſſale Geſtalt mit wulſtigen Lippen, glotzenden Augen und vorfallendem Bauch – die Eunuchen grüßen ihn 41 ehrerbietig – ich glaube unſeren Price zu ſehen, wie er in „Sardanapal“ auf die Bühne wackelt – es iſt einer der Chefs der Verſchnittenen, eine hochwichtige und anſehnliche Perſon im Innern des Palaſtes. Kaum iſt er vorbei, beginnen die jungen Eunuchen zu lachen und zu ſcherzen, ſie ſtoßen ſich und treiben allerlei Kurzweil. Die Jugend iſt doch unter allen Verhältniſſen glücklich – wie könnte man ſonſt ein Eunuch ſein und lachen!! – Endlich iſt es zwölf Uhr, langgezogene Fanfaren und das Schreien der Truppen verkünden das Nahen des Sultans. Die Truppen präſentiren und rufen ihr: „Viele Jahre“ und „Tauſend Jahre“, die Janitſcharenmuſik rührt das Spiel, alles drängt ſich vorwärts und die ſtark vertretene türkiſche Polizei wehrt nicht der Menge. Reiter, die Garden auf Schimmeln, eröffnen den Zug, dann kommen die Paſcha's auf reichgeſchirrten Arabern mit goldgeſtickten Uniformen und blitzenden Sternen auf der Bruſt – zwanzig, dreißig Paſcha's und Würden- träger, alle von Dienern zu Fuß begleitet – – dieſes Meer von Gold, von der Mittagsſonne beleuchtet, blendet das Auge – hinter den Paſcha's reiten die Miniſter und Kammerherren, dazwiſchen Diener und Hofchargen zu Fuß, endlich erſcheint der Padiſchah ſelbſt – er ſitzt auf ſchneeweißem Pferde edelſter Race mit goldenen Zügeln, goldenen Steigbügeln und reich vergoldetem Sattel. Der Padiſchah iſt ernſt, er reitet, andächtig nach der Moſchee blickend, weder grüßend noch lächelnd, die Menge kaum bemerkend. Hinter ihm kommen Garden zu Fuß und zu Pferde und in einiger Entfernung folgt zu Pferde der Kronprinz, ein Knabe von acht Jahren in voller Uniform, mit dem grünen Bande des Osmanli um den Leib. Der junge Prinz bleibt bei dem Offiziers- korps der Truppe ſtehen, er wird vom Pferde gehoben 42 und in das Serail geführt. Er iſt offenbar ermüdet, ſein Auge halb geſchloſſen, ſeine Hand hält den Säbel krampfhaft feſt. – Kaum iſt der Zug vorüber, ſo zer- ſtreut ſich die Menge und ſtille wird es in den eben menſchenüberfüllten Straßen. – – Der Kaiſer ſetzte um 1 Uhr ſeine Wanderung fort und begab ſich nach der Echelle des Schloſſes von Dolma - Bagdſche, um die Fahrt nach Stambul anzutreten. Die mit vergoldetem Schnitzwerk überladenen Kaiks des Sultans nahmen den Kaiſer und ſein Ge- folge auf. Die Fahrt ging zunächſt nach der Serailſpitze, dem hiſtoriſch denkwürdigen Winkel Stambuls, der das goldene Horn vom Marmorameer trennt. Der Kaiſer beſuchte zuerſt den ſüdweſtlich gelegenen, modern einge- richteten Kiosk, von dem aus man eine herrliche Fernſicht auf den Hafen, die Stadt bis zu den Prinzeninſeln und den blauen Gebirgskamm des Olymps genießt. Von da fuhr man nach dem Kiosk von Bagdad, einem in perſiſchem Geſchmacke eingerichteten Pavillon, der mit phantaſtiſch-geformten Porzellainziegeln dekorirt iſt. In raſcher Aufeinanderfolge beſichtigte man hierauf den Schatz und die Bibliothek. In letzterer riefen namentlich die Werke der ſogenannten corviniſchen Bibliothek die beſondere Theil- nahme des Kaiſers hervor. Wie aufmerkſam der Sultan und ſeine Umgebung, für den leiſeſten Wunſch des Kaiſers war, zeigte ſich am beſten bei dieſer Gelegenheit. Die Theilnahme, mit welcher der Kaiſer die koſtbaren Ueberreſte der Ofner Bibliothek des Königs Mathias Corvinus im Zeughauſe zu Stambul betrachtete, reichte hin, den Sultan zu beſtimmen, dieſe Bibliothek, deren Erwerbung ſeiner Zeit einer eigens von der ungariſchen Akademie nach Konſtantinopel entſendeten Kommiſſion 43 vollſtändig mißglückt war, dem Kaiſer zum Geſchenke zu machen. Als Se. Majeſtät in Trieſt den öſterreichi- ſchen Boden wieder betrat, wurde ihm Namens des Sultans eine Kiſte übergeben, in welchen die „Corviniana“ enthalten waren. Die werthvollen hiſtoriſchen Reliquien ſind gegenwärtig im Nationalmuſeum in Peſt aufbewahrt. Vom Kiosk von Bagdad wurde die Fahrt in Wagen fortgeſetzt. Zwölf vierſpännige offene Wagen à la Daumont, von Jockeys gelenkt, nahmen die Oeſterreicher auf. Im erſten Wagen ſaß der Kaiſer, ihm zur Linken Haidar Effendi, der ſich hier großer Aufmerkſamkeit Seitens beider Souveräne erfreut, da er für einen der gewandteſten und gebildetſten Diplomaten der Pforte gilt; dem Kaiſer gegenüber Prinz Hohenlohe und Graf Bellegarde; im zweiten Wagen Graf Beuſt und Miniſter Plener, im dritten Graf Andraſſy 2c. Eine reitende Escorte eröffnete, eine andere ſchloß den Zug. Der Kaiſer begab ſich zuerſt über die alte Brücke nach Stambul in die Sofia, die zum großen Verdruß der Fanatiker am Freitag den Chriſten eröffnet ward, die in Stiefeln – in der Türkei eine unerhörte Neuerung – die Moſchee betraten. Von da fuhr Se. Majeſtät nach dem Seraskeriat, dem höchſten Punkte Konſtantinopels, wo eben die prachtvollen Palais des Kriegsminiſters und Aali Paſchas der Vollendung nahe ſind. Mehr als 20.000 Menſchen erwarteten daſelbſt den Kaiſer, im Hofe war eine Brigade mit Muſik aufgeſtellt – in einem luxuriös ausgeſtatteten Kiosk, in deſſen Mitte ein reizendes Bouquet auf einem Paliſandertiſche ſtand, erwarteten Diener des Sultans mit Erfriſchungen und den unvermeidlichen Tſchibuks den Kaiſer. Gegen 2 Uhr traf Se. Majeſtät ein, die Truppen ſalutirten, die Muſik ſpielte die öſterreichiſche Volkshymne. Der Kaiſer 44 beſtieg den großen im Hofe befindlichen Thurm, an deſſen Eingang ein Detachement der Feuerwehr, die rothe Wollblouſen und zierliche Picken mit vergoldeter Spitze als Abzeichen trug, aufgeſtellt war, und begab ſich auf die im oberſten Stockwerke befindliche Eſtrade, von der aus man einen der wunderbarſten Ausblicke über das ſchwarze Meer, den Bosporus, das Marmora- meer, die aſiatiſche Küſte, die Prinzeninſeln und ganz Konſtantinopel genießt. Nach kurzem Aufenthalte ſtieg der Kaiſer wieder hinab und begab ſich ſofort, ohne die Truppen zu beſichtigen und Erfriſchungen einzunehmen, nach der Moſchee Suleimanie und nach den in unmittel- barer Nähe liegenden Gräbern Suleimans des Großen und der Sultanin Roxane. In den Moſcheen, die der Kaiſer beſuchte, fehlte trotz des Feſttages das andächtige Publikum, das gewöhnlich die mohamedaniſchen Tempel charakteriſirt, da in denſelben ausnahmsweiſe kein Gottes- dienſt abgehalten wurde und nur die unmittelbar zum Dienſt in der Moſchee gehörigen Perſönlichkeiten anweſend W(NYEM. Den Schluß der Exkurſionen des heutigen Tages bildete eine Fahrt nach der Meierei und nach Juldus Bat- ſchiſe, der Privatmenagerie des Sultans. Gegen 6 Uhr traf der Kaiſer wieder im Palaſt ein. Der zweite Tag in Konſtantinopel neigte ſich ſeinem Ende zu! Die Revue in Hemkiar-Eskeleſſi. Konſtantinopel, 30. Oktober. Am Bord des „Pluto“. Es iſt ein Rauſch, in dem wir Alle leben, ſagte mir heute Morgens eines der nüchternſten Mitglieder der kaiſerlichen Reiſegeſellſchaft, und in der That, die Bemerkung charakteriſirt treffend unſere Situation. Wir ſchlürfen das Opiat der Feſte gierig ein, und ſind voll- ſtändig unfähig, unſeren Gedankengang nach der ſtram- men in Europa gangbaren Disziplin zu regeln. Was nützt es auch, daß wir uns feſt vornehmen, heute, morgen, übermorgen tüchtig auszuſchlafen, uns bei des nächſten Tages Erwachen die Augen zu reiben und endlich einmal unbefangen die Zuſtände, die uns um- geben, zu betrachten – wir kämpfen vergebens gegen den Zauber dieſer orientaliſchen Welt an und ſind wahre Schwächlinge in den Banden, die man mit raffinirtem Verſtändniß um uns ſchlingt. Wenn ich mir auf dem nichts- würdigen Pflaſter von Galata hundert Mal vornehme, endlich wieder einmal ein vernünftiges Menſchenkind zu werden, ſo macht der nächſte Schritt zum Strande, ein 46 einziger Ausblick auf den Bosporus die ſchönſten Vor- ſätze zu Schanden. Und vollends dieſe ſybaritiſchen Feſte, mit denen man uns überhäuft, dieſe märchenhaften Feerien, mit denen man unſere Sinne beſtrickt, wer könnte ihnen widerſtehen ? – – Wer einen Ritt durch Pera macht, oder zu Fuß durch die belebteſten Straßen des Franken- viertels wandelt, wird in jeder zweiten, dritten Gaſſe mitten in dem bewegteſten, bunteſten Treiben einen kleinen Friedhof ſehen, deſſen einförmige Grabſteine zwiſchen den dürren Cypreſſen wie warnende Meilen- zeiger des Todes emporlugen. Rings um den Friedhof pulſirt das friſche Leben, die Orangenverkäufer und Kaſtanienhändler, die Waſſerträger und Mandelbrater preiſen ihre Waare, der Kavaß ſtreichelt ſein müdes Pferd, feine Stoffe vor den Bazars locken neugierige Käufer, aus den Fenſtern nicken liebreizende Mädchen- köpfe und aus den Sänften, die vorbeihuſchen, flattern die Schleier der Bewohnerinnen des Harems – und inmitten dieſes Taumels zwiſchen der lärmenden Orgie eines franzöſiſchen Cafés und dem nicht minder ge- räuſchvollen dolce far niente einer türkiſchen Tabagie liegt ein Friedhof – Tod und Leben hart aneinander. – Das Bouquet, das die tanzende Dirne wegwirft, fliegt auf das Grab eines Osmanlis und theilnahms- los klopft der Vorübergehende ſeine Pfeife auf der Turbanſpitze eines Leichenſteins aus. Man fühlt ſich momentan ergriffen, wirft einen Blick auf die Gräber und fünf Schritte weiter hat man in dem toſenden Gewühle, überwältigt von den jeden Augenblick wech- ſelnden Eindrücken, an den Tod und ſeine Markſteine vergeſſen. So geht es uns alle Tage, alle Stunden. Hin und wieder fährt ein Friedhofgedanke ſtörend in die Wirklichkeit des Lebens, aber die Fanfaren ſchmettern, 47 die Janitſcharenmuſik rauſcht darein, die Raketengarben ziſchen durch die Luft, ein Feuerſtrom wandelt die Nacht zum Tage und wir lachen und jubeln und ſchlürfen wonnetrunken das Gift ein, das der Orientale ſo un- widerſtehlich zu kredenzen verſteht. . . . Vielleicht waren dieſe wenigen Worte nöthig, um den Leſern die Stimmung zu erklären, in der ihre am goldenen Horn weilenden Landsleute ſich befanden; ſie werden dann auch den Ton entſchuldigen, der aus dieſenr Briefen klingt und die Farben nicht zu üppig finden, in die meine Feder ſich taucht . . . . . Heute Morgens empfing der Kaiſer mehrere ange- ſehene Perſönlichkeiten der türkiſchen Bureaukratie und ſpäter das geſammte diplomatiſche Korps, das ſich in Gala-Uniform im rothen Saale eingefunden hatte. Hierauf ward ein Dejeuner eingenommen und die Vor- bereitungen zur Fahrt nach Beikos oder beſſer nach Hemkiar- Eskeleſſi getroffen. Beikos liegt an der aſiatiſchen Küſte und man gelangt mittelſt Dampfer in zwei Stunden an Ort und Stelle. Seit ungefähr vier Wochen kam- pirt auf dem vom Meere aufſteigenden Hügel ein tür- kiſches Armeekorps von 22,000 Mann unter Zelten. – Dieſes Armeekorps hatte heute die Beſtimmung, vor Sr. Majeſtät dem Kaiſer von Oeſterreich zu defiliren. Ich ſchiffte mich gegen 11 Uhr, einer liebenswürdigen Einladung des in Auftnerkſamkeiten gegen die Oeſter- reicher geradezu unermüdlichen Barons Elio Morpurgo folgend, auf dem eleganten Dampfer „Pluto“ ein und fand daſelbſt die Elite der öſterreichiſchen Kolonie ver- ſammelt. Kurz nach 12 Uhr dampften wir ab und wurden in der Nähe von Bujukdere von der „Sultanieh“ eingeholt, die Se. Majeſtät den Kaiſer, den Sultan und das Gefolge an Bord hatte. Um 2 Uhr ſchifften 48 wir uns vor Beikos aus. Längs der aſiatiſchen Küſte war in weitem Halbkreiſe die türkiſche Panzerflotte auf- geſtellt, die beim Erſcheinen des kaiſerlichen Schiffes aus allen Batterien gleichzeitig Salutſchüſſe abfeuerte. Wenn wir diesmal mit unverletztem Trommelfell an's Land ſtiegen, ſind wir wohl für ewige Zeiten vor Taub- heit bewahrt. Die „Sultanieh“ fuhr langſam längs der aufgeſtellten Flotte dahin, die Matroſen waren bis zu den äußerſten Spitzen der Maſten auf den ſchwan- kenden. Seilen aufgeſtellt und brachten zahlloſe Hurrahs den Souveränen, alle Muſikbanden ſpielten die öſter- reichiſche Hymne und vom Lande erſchollen die Rufe der Tauſende und Tauſende, welche die Lokaldampfer von Stambul und Pera aus am frühen Morgen hierher befördert hatten. Die prachtvolle Barke des Sultans näherte ſich dem kaiſerlichen Schiffe und unter dem er- neuerten Donner der Kanonen fuhren die Majeſtäten dem Lande zu. Dort harrten Pferde und Equipagen der Gäſte. Se. Majeſtät der Kaiſer, der die öſterrei- chiſche Marſchallsuniform trug, beſtieg einen prachtvollen Schimmel, der Sultan ein gleiches Thier; den Maje- ſtäten folgten zu Pferde der Sohn des Sultans, der Reichskanzler Graf Beuſt, Miniſterpräſident Graf An- draſſy in der Uniform eines Honvedoberſten, Fürſt Hohenlohe, Graf Bellegarde, die ſämmtlichen Adjutanten des Kaiſers, Admiral Tegetthoff, die Kommandanten der öſterreichiſchen Kriegsſchiffe, viele Marine-Offiziere, die Legationsräthe Haymerle und Mayr, der Generaliſſimus Omer Paſcha, der Kriegsminiſter Huſſein Paſcha, der Oberceremonienmeiſter des Sultans, viele türkiſche Ge- nerale und Ordonnanzoffiziere. In vierſpännigen Wagen folgten dem Zuge Miniſter Plener, Sektionschef v. Hof- mann, der türkiſche Geſandte in Wien Hajdar Effend 49 und die übrigen Begleiter des Kaiſers. Eine Eskorte Garde und Tſcherkeſſen eröffnete und ſchloß den impo- ſanten Zug. Vom Ufer bis zum kaiſerlichen Pavillon, vor dem die Truppen defiliren ſollten, hat man eine Viertelſtunde zu gehen – das Terrain bildete früher einen prächtigen Garten, der aber ſeit der letzten Parade zu einer ſtaubigen Wüſte zerſtampft wurde. Ein chao- tiſches Leben herrſchte auf dem weiten Felde, mehr als zweimalhunderttauſend Menſchen lagerten in der Ebene oder wogten in unüberſehbaren Gruppen auf und ab und faſt ebenſo viele hatten auf den nahen Bergen ihr Lager aufgeſchlagen. Die türkiſche Polizei machte zwar Spalier, aber ſie ließ trotzdem die Menge frei gewähren und ſtörte nirgends die Kommunikation, und die berit- tenen Wächter der Ordnung beobachteten trotz des im- menſen Andranges eine Rückſicht, die wir gern in pho- tographiſch getreuer Aufnahme als nachahmungswerthes Muſter gewiſſen Reitern unſeres lieben Wien zur Ein- ſicht empfohlen hätten. Die Szene erinnerte an Wal- lenſtein's Lager. Truppen in den abenteuerlichſten Uni- formen ſtanden in Schlachtordnung aufgeſtellt, des Be- fehls zum Abmarſch gewärtig, die Infanterie in blauen Röcken, kurzen Hoſen und rohledernen Stiefeln, die Tſcherkeſſen mit weißwollenen Mützen und buntem Auf- putz auf der Bruſt, die Artillerie mit prächtiger Be- ſpannung, die Uhlanen mit fliegenden Fähnleins, die Muſikbanden mit Trommlern, Pfeifern und dem Tſchi- nerata und ſo fort. Und erſt das Publikum, welches farbenprächtige Bild! – Dort lagern die barfüßigen Laſtträger um ein Feuer und röſten ſich die Kaſtanien und Mandeln, die ihr Mittagſmahl bilden; wo es fru- galer hergeht, beſteht das Menu aus den rieſigen Bretzen, die man in Stambul um wenige Para's a einem 50 Stück Käſe und friſchgebratenen Fiſchen – weiter oben drängt ſich Wagen an Wagen, Reiter an Reiter, Sänfte an Sänfte – mitten im Felde ſteht eine ganze Wagen- burg von Tulicas, breiten, offenen, mit allerlei Zier- rathen und Goldflitter behängten Holzwagen, von koloſſa- len Stieren gezogen, deren Hörner mit Blumen und bunten Bändern aufgeputzt ſind – die Harems der Paſchas hatten ſich entleert und ihren ganzen Vorrath an morgenländiſchen Schönen entſendet, um dies ſeltene militäriſche Schauſpiel anzuſtaunen – die Frauen hatten ihre Schleier mehr als gewöhnlich enthüllt und unſere neugierigen Oeſterreicher ſchenkten den buntgeputzten Dämchen mehr Aufmerkſamkeit als all den Batterien und Schwadronen, die ſtundenlang an uns vorüberzogen. Es wird ihnen gewiß dieſer Mangel militäriſchen Ver- ſtändniſſes mild verziehen werden. Wir ſind ja alle ſo begierig, die Geheimniſſe des Harems kennen zu lernen, und wir verzichten gern, die Wunder des kaiſerlichen Schatzes zu ſchauen, wenn man uns ſtatt deſſen einen Blick in das geheimnißvolle Walten türkiſcher Frauen gönnt. Wie ſie ſich ſtreckten und dehnten in ihren Kar- roſſen und Sänften, anmuthig mit den goldenen Fächern ſpielend, den Schleier kokett zuziehend und wieder lüftend – der Himmel verzeihe uns die Untreue – wir hatten wohl alle, ledig oder verheiratet – momentan Luſt, dem Koran zuzuſchwören und unter die Fahne des Pro- pheten zu treten . . Entfeſſelt rollt ihr Haupthaar hin – Ruht ſchlummernd die Cirkaſſierin An ſeiner Bruſt! vom Kaukaſus Der Demant glänzt am Bosporus . . . . Doch kehren wir zur Parade zurück. Wir erreichten, uns drängend und vom Gedränge fortgetrieben, den 51 kaiſerlichen Kiosk, der während der Anweſenheit der Kaiſerin Eugenie zum erſten Male benützt wurde. Der Kiosk führt den Namen Hemkiar-Eskeleſſi (Stiege des Blutherrn), iſt vom Vizekönig von Egypten erbaut und dem Sultan als Geſchenk desſelben übergeben worden. Es iſt ein Prachtwerk orientaliſcher Baukunſt, überladen natürlich und in ſchreienden Farben, aber impoſant durch den Reichthum der Ausſchmückung. Von zwei Seiten führen breite Treppen zur Hauptſtiege und über dieſe gelangt man zu einem rieſigen offenen, ſäulengetragenen Kiosk, deſſen koloſſale Bogenfenſter mit ſchweren roth- ſeidenen, mit Goldbrocat verbrämten Draperien geſchmückt ſind. In der Mitte des Kiosk iſt ein mit Teppichen belegter, verſchwenderiſch ausgeſtatteter, für die Sou- veräne reſervirter Pavillon, links und rechts befinden ſich die Hallen für die Gäſte, die in offene Pavillons nach rückwärts verlaufen. Im Fond ſind vier oder fünf Salons, kühle Ruheplätze, in die man ſich zurück- ziehen kann, um einige Minuten das von all dem Glanz und der Farbenfülle geblendete Auge ausruhen zu laſſen, im Erdgeſchoß befinden ſich kleinere vergitterte Logen zur Aufnahme des Harems beſtimmt, die heute zu unſerem lebhaften Bedauern unbeſetzt blieben. Der Kaiſer und der Sultan begaben ſich in den reſervirten Salon und nahmen daſelbſt auf rothſammtenen Fauteuils Platz, der Kaiſer ſaß zur Rechten des Sultans – es war wohl das erſte Mal, daß Se. Majeſtät eine Parade ſitzend abnahm. Hinter den Majeſtäten ſaß der Dolmetſch. Zur Linken des Sultans nahmen Graf Andraſſy, Fürſt Hohenlohe und Graf Bellegarde, zur Rechten des Kaiſers Graf Beuſt, Miniſter Plener, Feldmarſchalllieutenant Baron Prokeſch und die Frau des ruſſiſchen Geſandten General Ignatieff ihre Plätze ein – Mºme Ignatieff 52 war die einzige Dame, die im kaiſerlichen Pavillon Ein- tritt fand. In den übrigen Räumen bewegten ſich die Herren und Damen des diplomatiſchen Korps, die Mit- glieder der kaiſerlichen Suite, die Marineoffiziere, die türkiſchen Paſchas, die hervorragendſten Bankiers Peras, die Vertreter des Lloyd und der ausländiſchen Preſſe. In dem Augenblicke, als die Majeſtäten ſich ſetzten, be- gann das Defiliren der Truppen, das volle zwei Stunden dauerte und die Zuſeher ſichtlich ermüdete. Gegenüber dem kaiſerlichen Pavillon nahmen die Kommandanten des Armeekorps ihre Aufſtellung und blieben daſelbſt bis zum beendigten Vorbeimarſch der Truppen. Im Ganzen defilirten vor dem Kiosk vierzehn Infanterie-, ſieben Jäger- und ein Pionnierbataillon, drei Kavallerie- regimenter und zweiundzwanzig Batterien. Sämmtliche Truppen – ſo verſicherte man uns – waren neu uni- formirt, die Jäger und Pionniere mit grünen, die In- fanterie mit rothen Verzierungen auf den Röcken, der Schnitt der Kleider durchaus national. Zuerſt erſchienen die Pionniere, von denen die Mannſchaft des zweiten Gliedes außer den Gewehren auch Schanzzeug trug. Hierauf defilirte die Infanterie und die Jägertruppe, die durchaus mit Hinterladern – nach dem Syſtem Snider – und Matagan-Bajonneten bewaffnet war, die Kommandanten ſalutirten, wie es das Reglement der öſterreichiſchen Armee vorſchreibt, beim Vorbeimarſch, jedoch nur ein Mal mit dem Säbel. Vor jedem Re- giment marſchiren vier Zimmerleute mit Hacken, hierauf eine Abtheilung Trompeter, Trommler und Pfeifer und dann die Muſikbande. Die Markirung wird durch Soldaten mit grünen Fahnen gegeben. Die Defilirung erfolgte in ganzen Kolonnen, die Kolonnen wie bei uns zwei Mann hoch. Nach der Infanterie, die ziemlich 53 gut marſchirte, defilirte die Artillerie, die durch ihr Aus- ſehen und die treffliche Haltung Bewunderung erregte. Sie defilirte in Batterie-Fronten, die Kanonen ſämmt- lich ſechsſpännig, hinter jeder Batterie die Bedienungs- mannſchaft zu Pferd, Roß und Reiter wie aus Erz ge- goſſen. Intereſſant iſt wohl die Thatſache, daß die Geſchütze (4- und 6pfündige Gußſtahl-Hinterlader) mit in Ungarn gekauften Pferden beſpannt ſind. Zuletzt er- folgte das Defiliren der Kavallerie im ſcharfen Trab. Die Kommandanten ſalutirten, indem ſie den Säbel wagrecht mit der Spitze gegen die Souveräne hielten. Jede Abtheilung brach im Augenblicke, als ſie den Kiosk paſſirte, in Hurrahs aus. Um vier Uhr war die Revue beendet. - Im Kiosk wurde die ganze Zeit über von Dienern des Sultans ein frugales Gouter ſervirt, Bäckerei, Sorbet, Gefrornes, kalte Küche und der unvermeidliche Kaffee. Ein Adjutant des Sultans überreichte dem Kaiſer vor Beginn des Vorbeimarſches einen Plan der Revue, den der Kaiſer ſeinem Adjutanten zur Aufbe- wahrung übergab. Nach beendeter Revue erhoben ſich die Souveräne, der Kaiſer ſprach einige Zeit mit dem Sultan, ging darauf auf Madame Ignatieff zu und wechſelte mit ihr einige Worte. Dann grüßte Se. Maje- ſtät nach allen Seiten und verließ mit dem Sultan und ſeiner Umgebung den Kiosk, um ſich zu Pferde nach dem an der Küſte auf einem Hügel erbauten Sommer- palais zu begeben, wo ein glänzendes Diner die Gäſte erwartete. Vom Kiosk gewährte in dieſem Augenblicke ein Ausblick ein prächtiges Schauſpiel. Die Truppen zogen in der Ferne über das Gebirge dem Lager zu, deſſen weiße Zelte wie rieſige Möven den weiten Plan bedeckten, und unten im Thale ſtrömte dus Volk in 54 hellen Haufen nach dem Meere, um die Schiffe zur Heimat wiederzufinden. Das Wetter war, wie ſeit dem Tage der Ankunft des Kaiſers, das günſtigſte – ein wolkenloſer Himmel wölbte ſich über Byzanz und das Meer, und die Gluth der Sonne kühlte ein ſanfter, von der See hereinwehender Wind wohlthuend ab. Das herrliche Wetter der letzten Tage hat nicht wenig dazu beigetragen, das Preſtige des öſterreichiſchen Kaiſers bei den Türken zu heben. Der Bosporus in Flammen. Konſtantinopel, 31. Oktober, Morgens. Ich hatte geglaubt, die Aufregung, in der wir uns befinden, ließe ſich nicht mehr ſteigern und wir hätten endlich gelernt, nach dem Spruche der Alten „nichts mehr zu bewundern“ – ich bin abermals im Irrthum geweſen. Was wir bis jetzt geſehen, war nur ein un- bedeutendes Vorſpiel, der heutige Abend im Bosporus ſollte uns erſt in jene Zauberwelt einführen, welche die orientaliſche Verſchwendung zu ſchaffen verſteht. Als wir geſtern nach der Revue den „Pluto“ wieder beſtiegen, fanden wir daſelbſt eine auserleſene Geſellſchaft verſammelt, die der Präſident des Lloyd zum Diner geladen hatte. Außer dem Verwaltungs- rathe Dr. Hagenauer hatten ſich der kommerzielle, um das Gedeihen des Lloyd hochverdiente Direktor Herr Bordini, der Generalinſpektor H. Nicolits, Baron Morpurgo junior, Fregattenkapitän v. Radonetz, der Präſident der Pariſer Wohlthätigkeitsanſtalten Herr Cohen, von der öſterreichiſchen Geſandtſchaft Legations- rath Haymerle, Kanzler Jelinek, der erſte Dolmetſch 56 und der Poſtdirektor der Internuntiatur, von Fremden Rittmeiſter Graf Nugent, Oberſtlieutenant Baron Swrtnik, mehrere Offiziere der öſterreichiſchen Marine, Profeſſor Coglievina aus Trieſt, meine Wenigkeit und mehrere Damen Pera’s eingefunden. Das Diner ward in dem eleganten Salon des „Pluto“ ſervirt, das Menu zählte achtzehn Gänge und machte in ſeinem Arrange- ment den Tafeln der Frères Provenceaux oder des Café Riche die glücklichſte Konkurrenz. Als der Champagner ſervirt wurde, brachte Präſident Baron Elio Morpurgo einen begeiſterten Trinkſpruch auf den Kaiſer aus, den die Geſellſchaft mit lebhaften Evvivas erwiederte. Herr Cohen erhob ſich hierauf zu folgendem Trinkſpruch, deſſen erſtes Drittel er in franzöſiſcher, deſſen zweites in deutſcher und deſſen letztes in italieniſcher Sprache, ſämmtliche Zungen mit der Geläufigkeit eines Einge- bornen ſprechend, vortrug: „Meine Herren und Damen! Geboren in Preßburg in Ungarn, erzogen in Wien, und ſeit mehr als 33 Jahren in Paris, Präſident aller unſerer Wohlthätigkeitsanſtalten, an Allem, was die Humanität und den Fortſchritt intereſſirt, lebhaften An- theil nehmend, erlaube ich mir auf die Geſundheit des Lloyd zu trinken, der uns eine ſo liebenswürdige Gaſt- freundſchaft angeboten; aber ich habe gleichzeitig ein weit höheres Ziel, indem ich dieſen Toaſt ausbringe. Der Lloyd war, ſo viel ich weiß, die erſte Inſtitution dieſes Genres, welche dem Handel mit anderen Völkern und durch den Handel dem Fortſchritt und der Entwickelung aller Kräfte in Oeſterreich Bahn gebrochen hat. Der Handel nähert die Nationen und wird dadurch das beſte Mittel zur Vereinigung derſelben und zur Freiheit. Sie werden bald den zahlreichen Produkten Oeſterreichs eine neue Linie eröffnen. Wenn Sie den Iſthmus von 57 Suez paſſiren, haben Sie auf der einen Seite das alte Mizraim, jenes Land der einſtigen Knechtſchaft, und auf der anderen Seite den Sinai, das Symbol der Be- freiung, und wenn Sie den Iſthmus verlaſſen und in das rothe Meer gelangen, werden Sie den Ort ſehen, wo Moſes die Iſraeliten hindurchführte. Alte Geſchichte und moderner Fortſchritt, Traditionen von hoher und ehrwürdiger Bedeutung und moderne Fortſchrittsideen reichen ſich die Hände, und wahrlich, dies wird nicht die am wenigſten beachtenswerthe Seite des ſeltenen, er- habenen Schauſpiels ſein, das Sie erwartet. Wie könnte ich von dieſem Ereigniſſe ſprechen, ohne auf die Geſund- heit des Kaiſers von Oeſterreich zu trinken, deſſen An- weſenheit an dieſen Küſten die Veranlaſſung dieſes heu- tigen Feſtes und unſeres Beiſammenſeins iſt. Die erſte Hälfte ſeines Lebens war von ſchweren Prüfungen heim- geſucht, und ich kann nichts Beſſeres thun, als ihm wünſchen, daß die zweite Hälfte ſich länger und glück- licher geſtalten möge. Durch die Freiheit, die er all ſeinen Völkern gegeben, durch die Legalität, die er allen Glaubensbekenntniſſen und allen Nationalitäten zuge- ſichert, hat er Oeſterreich in eine neue Aera eingeführt, die dieſem Lande eine hochwichtige und wohlverdiente Stellung in der Zukunft und namentlich im Oriente ſichert. Sein Wahlſpruch erfülle ſich in ſeinen Landen und mögen Oeſterreich und Ungarn viribus unitis vereint leben, mit allen Kräften den Fortſchritt und die Freiheit fördern, vor Allem aber den Frieden – denn der Krieg iſt nur gerecht, wenn er bedingt iſt, um die Ehre und die ernſten Intereſſen eines Landes zu ver- theidigen; der Friede aber iſt die wahre Lebensbedingung der Völker.“ – Baron Joſeph Morpurgo brachte nun- mehr einen lebhaft begrüßten Toaſt auf die Kaiſerin 58 aus, Legationsrath Haymerle einen Toaſt auf den Lloyd und deſſen Präſidenten, der gerade in dieſen Tagen ſo mächtig beigetragen, das Anſehen des öſterreichiſchen Namens im Oriente zu fördern, worauf Baron Elio Morpurgo mit einem Toaſt auf die öſterreichiſche Ge- ſandtſchaft, welche die Intereſſen des Handels ſo leb- haft beſchützt, antwortete. Herr Cohen brachte noch einen Trinkſpruch auf den Sultan und die Türkei, deren Toleranz namentlich in religiöſen Dingen manchen Völ- kern des Abendlandes zu empfehlen wäre, worauf ein Toaſt auf die Damen die Reihe der Toaſte und das Diner ſchloß, bei dem wir in der gemüthlichſten Weiſe anderthalb Stunden verweilt hatten. Die letzten Worte waren noch nicht ausgeſprochen, als uns der Kanonendonner der Panzerfregatten ver- kündete, das Diner im kaiſerlichen Palaſt ſei zu Ende und die Souveräne begeben ſich wieder auf die „Sultanieh“. Wir eilten an Bord und ein Ruf höchſter Ueberraſchung entfuhr unſeren Lippen. Der Bosporus ſtand in Flammen – die Nacht war zum Tage gewandelt. Man denke ſich Millionen Sterne verſtreut im weiten Kreiſe, Millionen Flammen aufzüngeln aus der Fluth, Millionen Sonnen leuchten in der Runde, Millionen Glühwürmer durch die Luft ſchwirren, Millionen Strah- len von den Bergen in das Meer ſich ſenken und ebenſo viele aus den Fluthen zum Himmel hinanreichen, und man hat ein unzureichendes Croquis des Bildes, das ſich vor unſeren Augen entrollte. Man erzählte mir, der Oberceremonienmeiſter des Sultans habe 200,000 Gulden für die Beleuchtung des Bosporus beſtimmt; wolle man gefälligſt unſeren Stuwer oder den erſten beſten Pyrotechniker zu Rathe ziehen und man wird erfahren, was mit dieſer Summe geleiſtet werden kann. 59 Längs des ganzen Bosporus befinden ſich Flöße, ſo- genannte Zattere, die als Zufluchtsſtätten für kleine Schiffe beſtimmt ſind, auf dieſen Flößen hatten die türkiſchen Feuerwerker ihre Depots aufgeſchlagen und begannen von dort ſich gegenſeitig mit allen nur erdenk- lichen Feuerwerkskörpern zu bewerfen; außerdem befan- den ſich vor jedem Palaſt des Sultans im Bosporus, auf allen Kriegsſchiffen und längs der beiden Ufer rie- ſige Vorräthe an Raketen und Leuchtkugeln aufgehäuft. Die größten Depots aber waren im Lager aufgehäuft, und von dort, alſo von der höchſten Spitze des Gebirges, wurden im Laufe des Abends, wie uns ein Mitglied des großen Feſtcomités verſicherte, nicht weniger als 10,000 Raketengarben ununterbrochen nach dem Meere zu geſchleudert. Jeder Paſcha brannte im Garten ſei- nes Palais, der Lloyd auf ſeinen Schiffen und viele Private vor ihren Villen ſeparate Feuerwerke ab. Zu dieſen tauſend Feuerbränden denke man ſich folgende Staffage. Das ganze Lager, das ſich vom Ufer des Meeres bis zur Spitze des Berges hinzieht, war mit Lichtern, die in geſchliffenen Gläſern brannten, förm- lich beſäet. Während den unteren Theil des Berges Myriaden Leuchtkäfer zu bedecken ſchienen, wand ſich von der Mitte bis an die Spitze eine glühende Rieſen- ſchlange in zahlloſen Krümmungen den Berg hinan, am Ufer brannte Licht an Licht bis zum Einſchiffungs- platze, von da an zog ſich ein flammendes Meer bis zum Palaſt, in dem die Herrſchaften weilten, dieſer ſelbſt war matt beleuchtet und hob ſich dadurch um ſo beſſer von der ihn oben bedeckenden Finſterniß ab. Alle Schiffe, ſo weit das Auge reichte, ſtanden im Feuer- meere, längs der Raaen bis zum Maſte hinauf brann- ten in rieſigen Dreiecken Lämpchen an Lämpchen in 60 den bunteſten Farben getränkt, vom Steuerruder ſchoſſen elektriſche Sonnen ihre blendenden Lichteffekte meilen- weit in die See, längs der Schiffswände an Bord flackerten zahlloſe bengaliſche Flammen, die jeden Augen- blick ihre Farben wechſelten und in weitem Umkreiſe ein feenhaft ſchönes Spiel mit den Farben des Regen- bogens trieben, und ſelbſt in den Stückpforten waren die ehernen Schlünde entfernt und glühende Feuer ſtrömten aus denſelben. Weit hinaus bis an das Meer ſtanden die Schiffe in ſtrahlender Beleuchtung und am äußerſten Horizonte ſtiegen als Abſchluß des Bildes leuchtende Maſte aus den Gewäſſern empor. Noch effektvoller wenn möglich geſtaltete ſich die Szenerie an beiden Ufern. Da bot jeder Palaſt eine neue Ueber- raſchung. Bald waren die architektoniſchen Linien der Gebäude oder die Linien der Eiſengitter benützt, bald wieder vor den Paläſten Gerüſte aus den abenteuer- lichſten Arabesken und Schnörkeln zuſammengeſetzt und dieſe mit Lämpchen beſteckt. Dort brannte Licht an Licht in pedantiſcher Symmetrie, eine brennende Armee in Reih und Glied, hier waren die Flämmchen zu ko- loſſalen Bouquets gebunden, da flammten rieſige Cy- preſſen, dort ein ganzer Wald, eine Orangerie voll Blumen und Blättern, an dem einen Ufer bauten ſich leuchtende Säulen auf, um eine flammende Giganten- krone zu tragen, an dem anderen krönte einen in allen Farben brennenden Tempel ein rieſiger glühender Halb- mond – da rechts iſt über einen Palaſt eine Broderie von Lichtern geſpannt, als hätte man das Gewebe eines indiſchen Shawls im Feuer vergolden laſſen, dort links ziſcht die Lohe eines Veſuvs mächtig zum Himmel empor und um das Bild zu vervollſtändigen, züngeln von allen Bergen thurmhohe Wachfeuer auf, denen 61 man wohl ganze Wälder zum Opfer gebracht. Das Meer aber iſt vollſtändig in Licht getaucht, in ſeinen Wellen baden ſich die Feuerſtröme und die Myriaden Leuchtkugeln, die von allen Seiten durch die Luft ſchwirren, ſpiegeln ſich in den Fluthen wieder und ihre farbigen Strahlen tanzen auf der See den wunderſam- ſten Reigen. Raketengarben werfen Tauſende von far- bigen Sternen gen Himmel, aus Millionen römiſchen Lichtern ſteigen blaue, grüne, rothe und weiße Feuer- kugeln empor, große Ballons, die jeden Augenblick ihr Licht wechſeln, ſenken ſich auf Fallſchirmen langſam herab – Schwärmer und Granaten regnet es förm- lich von allen Seiten, dort treffen ſich zwei Raketen in der Luft und fahren praſſelnd aneinander, ein Garben- bündel fährt ziſchend in das Meer hinab und als Er- wiederung ſenden die Feuerwerker im Meere ihre feuri- gen Grüße zum Berge hinauf. Eine Stunde dauert dieſes ſchauerlich ſchöne Schauſpiel, und man glaubt jeden Augenblick, es müſſe endlich Nacht werden, und doch war alles dies nur eine Ouverture, die erſte Front, wie Stuwer ſagt. Die Souveräne begeben ſich an Bord – die „Sultanieh“ gibt das verabredete Zei- chen und in dieſem Augenblicke donnern die Kanonen und an allen Schiffen züngeln die Flammen empor – die hundert und hundert Matroſen, die auf den Maſten in Reih und Glied aufgeſtellt waren, hielten bengaliſche Lichter in den Händen, die ſie auf Kommando alle an- zündeten, von allen Seiten der Schiffe werden die elek- triſchen Sonnen in Brand geſteckt, und jetzt entladen die Feuerwerker auf den Flößen und auf den Schiffen ihre Hauptfronten, vom Lager her ſchütten ſie förmlich Raketen herab – ſo weit das Auge reicht, regnet es Sterne und kaum, daß die einen verlöſchen, werden ſie 62 durch neue und immer neue erſetzt. Aber noch iſt das Schauſpiel nicht zu Ende, ein noch impoſanteres iſt uns zugedacht. Wie das Schiff des Kaiſers ſich in Be- wegung ſetzt, entladen ſich hoch auf dem Kamme des ganzen Gebirges, von Beikos und Bujukdere bis hinab nach Skutari und Byzanz zahlloſe Gewitter. Die bis jetzt dunkel gebliebenen Bergſpitzen werden auf Mo- mente erhellt, zahlloſe Blitze durchzucken den Aether, der Donner rollt und kracht, als ſollte das Ende der Welt hereinbrechen. Wir hätten den Grund dieſer eigen- thümlichen meteorologiſchen Erſcheinung uns nicht erklä- ren können, wäre uns das Räthſel nicht von kompeten- ter Seite erklärt worden. Der Sultan hatte 20,000 Mann auf beiden Seiten des Gebirges aufſtellen laſſen und dieſe unterhielten während der ganzen Dauer der Meerfahrt des Kaiſers ein wohlberechnetes Pelotonfeuer. Die Wirkung dieſes Effektes läßt ſich nicht beſchreiben. Von Bergſpitze zu Bergſpitze pflanzte ſich das Zucken der Blitze fort, und erſt bis der Kaiſer den Fuß an's Land geſetzt, hörte es auf. Im Bosporus krachte und ziſchte es aber fort, die Feuerwerker mußten ihren Vor- rath aufarbeiten und hatten damit bis Mitternacht zu thun. Um 11 Uhr legten wir an der großen Brücke von Stambul an und kehrten in unſere Quartiere zu- rück. Die Straßen von Pera waren noch dicht belebt, denn die Munizipalität hatte die Triumphbogen und mehrere öffentliche Gebäude erleuchtet – und das Volk, das von der Bella vista, aus den „Bosporus in Flam- men“ bewundert hatte, ergötzte ſich noch im Heimgehen an den kleinen Gasflämmchen – es hatte ſich noch nicht ſatt geſehen. Beneidenswerthes Volk; wir hatten uns blind geſchaut und fielen wie erſchöpft zuſammen, 63 als wir in unſer Zimmer traten. – Jetzt kann es keine Steigerung mehr geben, ſagte ich meinem Beglei- ter. – Sie irren ſich, erwiederte er mir, Sie werden in Egypten noch mehr und noch Glänzenderes ſehen. Der Khedive hat es ſich in den Kopf geſetzt, den Sul- tan in jeder Beziehung zu übertreffen. Hat der Padi- ſchah 20.000 Mann aufmarſchiren laſſen, wird der Vicekönig deren 40.000 aufbringen, und hat der Sul- tan eine Viertel-Million für das Feuerwerk ausgege- ben, wird ſich's der Khedive eine Million koſten laſſen . . . . Wie ſoll das enden?! Die öſterreichiſche Kolonie. Konſtantinopel, 31. Oktober, Abends. Der heutige Tag gehörte der öſterreichiſchen Kolo- nie. Die Kolonie, die noch vor 13 Jahren kaum 700 Mitglieder zählte, weist deren jetzt mehr als 20.000 auf und alle Nationalitäten der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie ſind in derſelben vertreten. Seit dem Krim- kriege iſt alljährlich ein maſſenhafter Zuwachs erfolgt und heute iſt die Kolonie die zahlreichſte unter allen fremdländiſchen Anſiedlungen – leider iſt ſie nicht auch die mächtigſte. Der Ruſſe und Franzoſe hat es ver- ſtanden, den Türken mehr zu imponiren, und ſo ſehen wir namentlich die letztere Nation in allen türkiſchen Branchen durch zahlreiche Angeſtellte vertreten, während es bisher nur wenigen Oeſterreichern gelang, in tür- kiſche Staatsdienſte einzutreten. Die öſterreichiſche Ko- lonie krankt noch ein wenig an den jammervollen Zu- ſtänden, die einer unſerer untauglichſten Diplomaten Graf Stürmer hier geſchaffen. Unter Bruck ſchon, deſſen man ſich hier in allen europäiſchen Kreiſen mit großer Theilnahme erinnert, wurde es beſſer und Ba- 65 ron Prokeſch hat während ſeiner Amtirung Alles auf- geboten, um den öſterreichiſchen Namen und das öſter- reichiſche Anſehen hier in jeder Beziehung zu heben. Er wird in dieſer Aufgabe von den Beamten der In- ternuntiatur kräftig unterſtützt und beſitzt in dem Le- gationsrath Haymerle, dem Konſul Vaſſits, dem erſten Dolmetſch, dem Kanzler Jelinek, dem Poſtoffizial Bründel tüchtige und eifrige Perſönlichkeiten, die nach verſchiedenen Richtungen bemüht ſind, den Botſchafter in ſeiner Arbeit zu unterſtützen. Am weſentlichſten aber trägt zur Erhaltung und Hebung des Anſehens und der Bedeutung des Kaiſerſtaates der öſterreichiſche Lloyd bei, deſſen Flagge ſich in allen Meeren des Orients der größten Achtung erfreut, der in maritimer und kommerzieller Beziehung die hervorragendſte Rolle zu ſpielen berufen iſt, eine Rolle, die leider in der Heimat viel zu wenig gewürdigt wird, und deſſen Offiziere ſich allſeitige Anerkennung erworben haben. Er hat auch diesmal durch die Anweſenheit eines gro- ßen Theiles ſeiner Flotte und ſein impoſantes Auftre- ten weſentlich dazu beigetragen, den Glanz der Kaiſer- reiſe zu erhöhen, der Kaiſerreiſe, die der Stellung Oeſterreichs im Oriente einen mächtigen und nachhal- tig wirkenden Aufſchwung gegeben hat. Die Erſcheinung unſeres Monarchen in Konſtantinopel hat die glanz- vollen Tage, die man während des Aufenthaltes der Kaiſerin Eugenie in der türkiſchen Kapitale erlebte, vollſtändig in den Schatten geſtellt und dieſes hocher- freuliche Reſultat iſt zum großen Theile dem energi- ſchen Auftreten der öſterreichiſchen Kolonie zu verdan- ken, die in ihren Beſtrebungen bei der Internuntiatur warme Unterſtützung fand. Während die franzöſiſche Kolonie gerade bei den Vorbereitungen z Empfange 66 der Kaiſerin Eugenie in Konflikt mit der Ambaſſade gerieth, und in allen ihren Arbeiten eine gewiſſe Knau- ſerei herrſchte, handelten die Oeſterreicher Hand in Hand mit ihrer Vertretung; in ihren Berathungen gab ſich eine erfreuliche Einſtimmigkeit kund und man zeich- nete die Beiträge zur Beſtreitung der Auslagen, die zum würdigen Empfange des Kaiſers nothwendig wa- ren, mit vollen Händen. So ward es auch möglich, die Anweſenheit des öſterreichiſchen Monarchen ſeitens der Kolonie in einer den Türken ungemein imponi- renden Weiſe zu feiern. Heute Morgens kurz vor 10 Uhr langte der Kai- ſer mit ſeiner Begleitung in vierſpännigen offenen Galawagen von Dolma-Bagdſche kommend, in Pera an und ward an der in byzantiniſchem Style erbauten Triumphpforte von der Munizipalität von Pera, die in einem zunächſt der Pforte errichteten Salon aufge- ſtellt war, mit einer Anſprache begrüßt. Der Triumph- bogen war mit Fahnen in den öſterreichiſchen Farben und Blumengewinden reich dekorirt, zu beiden Seiten ſtanden ſowohl innen wie außen auf großen Poſtamen- ten Rieſenbouquets von friſchen Blumen. Unter den Klängen der öſterreichiſchen Volkshymne und von den Zurufen der Kopf an Kopf gedrängten Bevölkerung freudig begrüßt, fuhr der Kaiſer langſam durch die Fahnenallee bis hinab zur öſterreichiſchen Gaſſe, in welcher ſich das Hotel der Internuntiatur und die öſterreichiſche Kirche befindet. In letzterer hatte ſich in- zwiſchen die Elite der öſterreichiſchen Kolonie, Herren wie Damen, die Mitglieder der Deputation, die in Pera weilenden Fremden, die Direktoren des Lloyd mit ihrem Präſidenten an der Spitze, alle Offiziere der öſterreichiſchen Kriegsſchiffe und des Lloyd en pleine 67 parade und die geſammte katholiſche Geiſtlichkeit mit dem lateiniſchen Erzbiſchof eingefunden. Im Schiff der Kirche bildeten Marineſoldaten Spalier. Die Kirche war mit Laubgewinden geſchmückt, die Brüſtung vor dem Hochaltar mit Blumen bedeckt. In dem Augen- blicke, als der kaiſerliche Wagen vor dem Portale der Kirche hielt, ſpielte die Muſik die Volkshymne, die Glocken läuteten und ein weißgekleidetes fünfjähriges Mädchen überreichte dem Kaiſer ein Bouquet und be- grüßte ihn mit wenigen Worten. Das arme Kind zitterte heftig, ſo daß der Kaiſer in ſeiner bekannten Liebenswürdigkeit es beruhigte, dem Kinde die Wange ſtreichelte und das Bouquet dankend entgegennahm. Die Geiſtlichkeit zog unter Vorantragung des Kreuzes dem Monarchen bis an die Pforte der Kirche entgegen und der Erzbiſchof begrüßte daſelbſt den Herrſcher Oeſter- reichs. Se. Majeſtät, der die Feldmarſchalls-Uniform trug, begab ſich auf den unter einem Baldachin rechts vom Hochaltar errichteten Thron, ihm zur Linken nahm auf den Stufen, die zur Eſtrade führen, der Ober- Ceremonienmeiſter des Sultans Platz, für die Miniſter und Adjutanten waren die erſten Bänke reſervirt. Der Erzbiſchof intonirte unter zahlreicher Aſſiſtenz das Hoch- amt, das ungefähr eine Stunde dauerte. Während der einzelnen Momente der kirchlichen Ceremonie ſpielte die Orgel die wunderlichſten Melodien, die, wie es ſcheint, die Anſäſſigen andächtig ſtimmten, auf uns Oeſterrei- cher aber einen eigenthümlichen Eindruck machten. So hörten wir während der Wandlung einen bekannten czechiſchen Gaſſenhauer und unmittelbar darauf eine veritable Polka, die zuletzt in einen förmlichen Cancan umſprang. Und doch exiſtirt in Pera ein Verein für Förderung der Kirchenmuſik! Das sei sºmiten 68 ſind übrigens bekanntlich auch in Italien üblich und die Türken leiſten in ihrer Kirchenmuſik gleichfalls Außer- ordentliches. So erzählte mir ein Bankier, neben dem ich in der Kirche zu ſtehen kam, daß während des letz- ten Beirams, des höchſten kirchlichen Feſtes der Tür- ken, die Muſik den ganzen „Trovatore“ zum Beſten gab und die Türken über den bekannten Zigeunerchor ſehr entzückt waren. – Nach beendeter Meſſe erhob ſich der Kaiſer und verließ unter den Klängen der Volkshymne, welche die Orgel im Galopptakt intonirte, die Kirche, um ſich in das Geſandtſchaftshotel zu bege- ben. Während ſich im großen Saale des Hotels die Deputation der öſterreichiſchen Kolonie, geführt vom Bankier Frank, und eine zahlreiche Deputation der im Nationalcoſtume erſchienenen Kroaten aufſtellte, empfing der Kaiſer in einem Nebenſalon mehrere Perſönlichkei- ten und Deputationen, unter Anderen den Erzbiſchof, die Geiſtlichkeit der verſchiedenen chriſtlichen Konfeſſio- - nen, den Großrabiner, die Munizipalität von Pera, eine Deputation von Adrianopel, eine Deputation der italieniſchen Kolonie und die Vertretung des Lloyd, geführt vom Präſidenten Baron Morpurgo. Der Kai- ſer hatte namentlich für Letzteren und die anweſenden Verwaltungsräthe und Beamten die ſchmeichelhafteſten Worte, er dankte in den verbindlichſten Ausdrücken für den Empfang, den ihm der Lloyd bereitet und ſprach ſeine vollſte Anerkennung über das impoſante Auftreten der Geſellſchaft aus; der Kaiſer bemerkte unter Anderem, er ſei ſtolz geweſen, bei ſeiner Einfahrt in den Bos- porus ſich von einer ſo ſchönen und ausgezeichneten Flotte des Lloyd umgeben zu ſehen und ſicherte dem Inſtitute ſein gnädigſtes Wohlwollen zu. Dem Inſpector der Kapitäne ſagte Se. Majeſtät, er wiſſe, daß die 69 Lloydkapitäne ſich allerorts der größten Achtung erfreuen und ſich überall zum Ruhme der öſterreichiſchen Flagge auszeichnen. Mit den herzlichſten Worten ward die Deputation entlaſſen. Endlich empfing der Kaiſer noch die von der Schweiz nach Suez entſendete Delegation. Nach Beendigung des Empfangs begab ſich Seine Majeſtät, gefolgt vom Internuntius Baron Prokeſch und dem Sohne des Letzteren, Hauptmann Baron Anton Prokeſch in den großen Saal, und wurde bei ſeinem Eintritt mit ſtürmiſchen Zurufen begrüßt. Bankier Frank trat hierauf vor und verlas folgende Adreſſe der öſter- reichiſchen Kolonie: Majeſtät! Die öſterreichiſch-ungariſche Kolonie von Konſtantinopel bittet Eure Majeſtät ihre treugehorſamſte Huldigung gnädigſt entgegenzunehmen. Mag uns auch Sprache und Abſtammung trennen, ein Gefühl vereinigt und bindet uns immerdar: es iſt die Liebe zu unſerem herrlichen Vaterlande, welches Eure Majeſtät mit der größten bürgerlichen Freiheit beglückt haben – es iſt die Liebe und Treue zum angeſtammten Kaiſerhauſe. Tief ergriffen von dem Glücke, den erhabenen Nachkommen des abendländiſchen Kaiſers in der Hauptſtadt des Morgenlandes begrüßen zu können, rufen wir mit Begeiſterung: Se. Majeſtät unſer Kaiſer und König Franz Joſeph I. lebe Hoch! Hoch! Hoch! In das Hoch am Schluſſe ſtimmte die Verſam- melten dreimal ſtürmiſch ein. Se. Majeſtät, der die Adreſſe ſichtlich erfreut und mit großer Befriedigung entgegennahm, ſprach hierauf mit bewegter Stimme un- gefähr folgende Worte: „Ich danke Ihnen, meine Herren, von ganzem Herzen für die unerwartete, herzliche Theilnahme, die mir meine Landsleute (dieſe Worte wurden mit freu- 70 diger Bewegung begrüßt) hier bereiteten. Ich bin von dieſem Empfange, der mir fern von der Heimat auf fremder Erde zu Theil geworden, tief ergriffen und hoch erfreut, hier ſo viele und wackere Oeſterreicher um mich verſammelt zu ſehen. Oeſterreichs Handel und Schifffahrt knüpfen das Intereſſe des Reiches feſt an jenes des Orients und Sie dürfen überzeugt ſein, daß ich es als eine meiner ſchönſten und wich- tigſten Pflichten betrachten werde, dieſen Handel und Ihre Intereſſen zu ſchützen.“ Stürmiſche, enthuſiaſtiſche Rufe begrüßten die Worte des Kaiſers, die in den Herzen der Anweſenden einen lebhaften Widerhall gefunden. Se. Majeſtät ließ ſich hierauf mehrere Mitglieder der Deputation vorſtellen und ſprach mit denſelben längere Zeit in der herab- laſſendſten Weiſe in deutſcher und italieniſcher Sprache. Auch zwei im Nationalcoſtume anweſende Magyaren erfreuten ſich der Aufmerkſamkeit des Kaiſers, der ſie in ihrer Mutterſprache anredete. Dann begab ſich Seine Majeſtät zu den Kroaten, mit denen er längere Zeit und mit gewinnender Liebenswürdigkeit konverſirte. „Wir empfehlen uns der Gnade Ew. Majeſtät,“ rief der Führer der Kroaten. – „Ich werde eurer gedenken,“ erwiederte Se. Majeſtät lächelnd. Zuletzt führte der Poſtdirektor noch den greiſen Chef der Tataren, der öſterreichiſchen Poſtreiter, vor, der ſeit fünfzig Jahren der Botſchaft treu dient und noch immer rüſtig ſeinen Dienſt verſieht. Auch an dieſen Veteranen richtete der Kaiſer gnädige Worte. In dem Augenblick, als Se. Majeſtät die Audienz beendete und die Verſammlung nochmals freundlich grüßte, rief Baron Prokeſch ein kräftiges: „Es lebe der Kaiſer!“ und unzählige Male 71 ſtimmte die Verſammlung in die Lebehochs, Evvivas, Eljens, welche die einzelnen Vertreter der Nationali- täten ausbrachten, ein. Die ganze Verſammlung aber war entzückt über die huldvolle Aufnahme, die ſie ge- funden. – Auf den Galerien des Saales wohnten die Damen, die Miniſter und geladenen Gäſte der feierlichen Cere- monie bei, während in den Nebenzimmern eine Art diplo- matiſchen Bazars ſich entwickelte. Die Herren der kai- ſerlichen Begleitung hatten nämlich den Aufenthalt im Botſchafterpalaſte benützen wollen, um Einkäufe in türki- ſchen und perſiſchen Produkten zu machen. Die Geſandt- ſchaft hatte drei Zimmer in Bazars umwandeln laſſen, in denen armeniſche Kaufleute ihre Waaren aufgeſtapelt hatten. In dem einen Zimmer befanden ſich Edelſteine, Goldwaaren, Tſchibuks und Bernſteinſchmuck, in dem zweiten perſiſche und indiſche Stoffe, Schlafröcke und Teppiche, und in einem Kabinet eine Kollektion von Toilettegegenſtänden für Damen. Die Herren kauften viel, vielleicht auch theuer, und da die meiſten Gegen- ſtände Angebinde für die in Wien Zurückgebliebenen waren, ſo durfte man den Türken und Armeniern den ungewöhnlichen Profit ſchon gönnen. Auch Se. Majeſtät der Kaiſer hat geſtern und heute bedeutende Einkäufe gemacht und hatte einer der bewährteſten Kaufleute, der Armenier Senope, das Glück, Se. Majeſtät zu be- dienen. – - - Nach dem Empfang der öſterreichiſchen Kolonie ward im Hotel ein Dejeuner eingenommen, zu dem mehrere Honoratioren von Pera und Baron Elio Morpurgo zu- gezogen wurden. Gegen 1 Uhr verließ der Kaiſer das Hotel und fuhr langſamen Schritts zur öſterreichiſchen Schule, wo neue Ueberraſchungen ſeiner warteten. Die 72 Kolonie hatte die Straße geſchmackvoll dekoriren laſſen, Fahnen in den öſterreichichen Farben flatterten von den Häuſern und Balkonen und bildeten eine reizende Dra- perie; in der Mitte der Gaſſe zog ſich von einem Hauſe zum andern eine allerliebſte Guirlande von feinem Mouſſe- lin gebildet, von den Damen Peras geſpendet, und am Ende ſchloß ein künſtleriſch ſchöner und höchſt geſchmack- voll ausgeführter, mit Fahnen beſäeter Triumphbogen, auf deſſen Spitze die öſterreichiſchen Adler auf beiden Seiten Wacht hielten, die Szenerie effektvoll ab. Das Arrangement des Ganzen hatte ein kunſtſinniger, äußerſt talentirter junger Maler, Tony Terenzio, ein Schüler Kaulbach's und Piloty's, geleitet und mit anerkennens- werther Aufopferung binnen drei Tagen vollendet. Tony Terenzio iſt ein Talent, das zu den beſten Erwartungen berechtigt. – Der Kaiſer ward während der Fahrt enthuſiaſtiſch begrüßt, ließ vor der Schule halten, ſtieg aus und beſichtigte das Inſtitut in allen Räumen. Auch hier überreichte ihm ein Mädchen ein Bouquet, das der Kaiſer dankend annahm. In der Schule ſangen Knaben und Mädchen die öſterreichiſche Volkshymne mit einer eigens dazu gedichteten Strophe. Der Kaiſer ließ ſich den Direktor und die Lehrer vorſtellen, erkundigte ſich nach vielen Einzelnheiten und verließ ſichtlich befriedigt die Schule. Gegen halb 2 Uhr war der Beſuch in der öſterreichiſchen Kolonie beendet und Se. Majeſtät fuhr in den Palaſt zurück. Unmittelbar nach ſeiner Ankunft fandte er eine Depeſche an Ihre Majeſtät nach Wien. Der Kaiſer telegraphirte der Kaiſerin alle Tage, und ſein erſter Wunſch, als er hier landete, war der, die Kaiſerin ſofort von der glücklichen Ankunft telegraphiſch in Kenntniß zu ſetzen. 73 Nachmittags beſuchte der Kaiſer das Militärſpital Hajdar Paſcha's und wurde bei dieſem Beſuche vom Admiral Tegetthoff und der militäriſchen Suite begleitet. Im Spitale ward Se. Majeſtät vom Seraskier Izzet Paſcha und Marco Paſcha, dem Leibarzt des Sultans, empfangen. Der Chefarzt de Caſtro hielt an den Kaiſer folgende Anſprache, die ich ihrem Wortlaute nach wie- dergebe, weil ſie ſich von den phraſenreichen Anſprachen, die bei ähnlichen Anläſſen üblich ſind, wohlthuend unter- ſcheidet. - - „Seien Sie, Sire, freudigſt willkommen geheißen in dieſen Räumen. Sie haben uns der Ehre eines Beſuchs gewürdigt, in dieſem Aſyle der Leidenden, in dem die un- erſchöpfliche Großmuth unſeres gnädigen Souveräns unauf- hörliche Wohlthateu ausſtreut. Sie, der Vater des Volkes, haben, wie alle Familienväter, erhabene Vorzüge und Schätze von Sorgfalt für die kranken Kinder und namentlich für jene, die bei der Vertheidigung unſerer Ehre gelitten. Sire, wir werden niemals dieſen glücklichen Tag ver- geſſen. Es iſt dies der erſte Beſuch, den dieſes Land von einem gekrönten Haupte des Occidents empfängt – dieſer Beſuch wird Epoche machen in unſerer Geſchichte. Im Namen des militäriſchen Korps, deſſen Dolmetſch ich bin, wage ich es, Ew. Majeſtät zu bitten, mit gnä- digem Wohlwollen unſere ehrfurchtsvolle Begrüßung ent- gegenzunehmen.“ - Se. Majeſtät dankte für die Begrüßung und be- ſichtigte hierauf das Spital, die Apotheke und alle Kran- kenſäle, erkundigte ſich überall um die kleinſten Details, namentlich eingehend um die Verpflegung der Kranken. Abends 6 Uhr fand im Palaſte ein diplomatiſches. Galadiner im rothen Saale ſtatt. Der Kaiſer ſaß zur Linken des Sultans, neben dem Sultan Baron Pro- 74 keſch, neben dem Kaiſer Hajdar Effendi, dem Kaiſer gegenüber die Generäle Muſtapha Naili Paſcha, Koprisli Mehemed Paſcha, Huſſein Paſcha und Omer Paſcha, an der Seite der Souveräne ferner die fremden Geſandten und die geſammte Suite des Kaiſers. Um halb 8 Uhr wurde die Tafel aufgehoben und begab ſich der Kaiſer nach dem Theater Naum. Als ſein Wagen durch die große Pforte fuhr, war der Platz vor dem Palaſte taghell beleuchtet, die deutſche Kolonie brachte dem Kaiſer einen glänzenden Fackelzug und begleitete mit Muſik und unter begeiſterten Zurufen den Wagen des Monarchen eine Strecke weit. Bor dem Theater Naum. Auf dem Programm des Kaiſers befand ſich auch ein Beſuch des italieniſchen Theaters Naum in Pera. Der Kaiſer hatte mehrere Logen beſtellt und wollte in- kognito der Vorſtellung beiwohnen, die Nachricht von dem Erſcheinen des Monarchen war aber durch die Jour- nale verbreitet worden und die Direktion hatte durch große Anſchlagzettel, Ankündigung einer außerordent- lichen Vorſtellung der Donizetti'ſchen „Favorita“ und wahrhaft unverſchämte Preiſe für die nöthige Reklame geſorgt. Für eine Loge, die gewöhnlich 20 bis 30 Francs koſtet, verlangte die Direktion heute 140 Francs und man verkaufte Logen erſten Ranges bis zu 200 Francs. Das Theater Naum iſt nach Art aller italieniſchen ge- baut, enthält Parquet und Parterre und eine vierfache Reihe von Logen, es iſt etwas größer als der Muſentempel in der Wiener Joſefſtadt und zeichnet ſich ſonſt durch mesquines Ausſehen der Logendraperien und einen Schmutz aus, der an die Straßen von Galata erinnert. Die Truppe, die daſelbſt Vorſtellungen gibt, iſt aus aller 76 Herren Länder zuſammengewürfelt und die Türken haben es wohlweislich unterlaſſen, eine Feſtoper auf das offi- zielle Programm zu ſetzen. Ich ſah vorgeſtern eine Vor- ſtellung des „Rigoletto“, die, hätte ſie in einer Stadt Italiens ſtattgefunden, wohl nicht ohne ein Bombarde- ment fauler Aepfel vorübergegangen wäre. Im Falſch- ſingen und Mimik leiſteten der erſte Tenor und die Prima- donna geradezu Unglaubliches, und im Chor, der aus dreißig bis vierzig Perſonen beſtand, ſangen immer nur acht Menſchen, der Reſt ſchien aus für den Abend engagirten Statiſten zu beſtehen. Für die Vorſtellungen während der Feſtwoche war Madame Cſillag eigens engagirt worden und ſie bewies, daß ſie die beaux restes ihrer einſt ſo mächtigen Stimme noch immer gut zu verwerthen verſteht. Da die öſterreichiſche Kolonie für den Abend einen Fackelzug nach dem kaiſerlichen Palaſte proponirt hatte, war ich Willens an demſelben theil- zunehmen und mich ſpäter in das Theater zu begeben; einer der Polizeioberſten der Hauptſtadt, dem ich Vor- mittags geſprächsweiſe mein Programm für den Abend mittheilte, warnte mich aber in der eindringlichſten Weiſe vor der Ausführung desſelben. Er erzählte mir Szenen, die man während der letzten Illumination zu Ehren der Kaiſerin Eugenie erlebt, von den Flegeleien, die ſich die türkiſche Gaſſenjugend an den europäiſchen Frauen, die ſie von rückwärts umfaßte, erlaubt, von angetriebenen Hüten 2c, ſo daß ich alle Luſt verlor, den Abend außer dem Hauſe zuzubringen. Ich hatte um ſo weniger Grund dazu, als mein Hotel dem Theater gerade gegenüber lag und ich von meinem Balkon die Ankunft des Kaiſers und das Treiben auf der Straße bequem beſichtigen konnte. Ich weiß nicht, ob ich in dieſem Leben dem Polizeioberſten unbekannten Namens jemals begegnen 77 werde, aber ich ſage ihm hiemit meinen aufrichtigſten Dank, er hat mir durch ſeine Warnung meine geraden Glieder, vielleicht das Leben gerettet. Ich habe während des ganzen Jahres 1848 in Wien gelebt und die hundert und hunderte Volksfeſte und Aufzüge mitgemacht, die jeden Tag dieſes bewegten Jahres ausfüllten, ich habe die Krönung des Kaiſers in Peſt geſehen, als die unga- riſche Hauptſtadt zehn Mal ſo viel Bewohner als gewöhn- lich beherbergte, ich wohnte dem Einzug Viktor Emanuel's in Venedig bei und ſtand ſtundenlang in den ſchmalen Gäßchen der Lagunenſtadt im dichteſten Gedränge, aber ſolche Szenen, wie ich ſie vor dem Theater Naum in Pera erlebt, ſind auch nicht annäherungsweiſe mit dem tollſten Treiben in Wien, Peſt oder Venedig zu verglei- chen. Die Hauptſtraße von Pera, in der das Theater ſich befindet, iſt an einzelnen Stellen kaum zwanzig Schritte breit und die Paſſage in der Nähe des Theaters iſt eine der engſten der ganzen Route. In dieſer Gaſſe nun wogten von 6 Uhr Abends angefangen wohl an hundert- tauſend Menſchen auf und ab – wogten? nein preßten und drückten ſich ſchreiend und lärmend große Menſchen- knäuel, die mit jeder Minute aus allen Seitengäßchen neuen Zuwachs erhielten. Die Polizei hatte keine anderen Vorkehrungen getroffen, als daß ſie eine impoſante Macht entwickelte, die aber nur zu zweck- loſem Patrouilliren oder noch planloſerem Herum- ſtehen verwendet wurde. Ganze Kolonnen von Poliziſten waren längs des Trottoirs aufgeſtellt, wo ſie das Ge- dränge nnr vermehrten, während zeitweilig bewaffnete Patrouillen zu Fuß und zu Pferde durch die Menge ſich Bahn brachen. Ueberdies war weder das Umherwandern der Laſtträger mit ihren Butten und fliegenden Kauf- läden, noch der Verkehr der zahlloſen Reiter, Sänften 78 und Wagen eingeſtellt, ja man trieb die Sorgloſigkeit ſo weit, den Verkehr der Wagen ſowohl hinab, wie hinauf zuzulaſſen. Vor dem Thore des Theaters ſaß in aller Gemüthsruhe der Chef der Polizei, rauchte ſeine Cigarrette und ſchaute mit echt türkiſchem Phlegma dem Drängen der Menge zu, die gegen halb 8 Uhr lawinen- artig anwuchs. Es iſt unmöglich, das Treiben dieſer ſich vorwärts wälzenden, jeden Augenblick ſtauenden, ſich balgenden, ſchreienden, fluchenden Menge zu beſchreiben – jede Minute machten ſich zwanzig, dreißig Facchini, die Hände kettenartig aneinandergereiht, den Scherz, die Menge zu durchbrechen und die Verwirrung zu erhöhen, die Reiter hieben mit Peitſchen in das Volk, die Kutſcher thaten desgleichen, leichtſinnige Väter drängten, ihre kleinen Kinder hoch über den Köpfen haltend, durch die Maſſen, für die Wagen der Diplomaten machten die berittenen Kavaſſen mit unverſchämter Rückſichtsloſigkeit Bahn, ob dabei ein paar Beine mehr oder weniger zu Grunde gingen, was kümmerte das die wüſten Geſellen – da packt ein Kavaß, dem eine Frau im Wege ſteht, dieſelbe einfach beim Kopf, hebt ſie förmlich in die Höhe, ſchleu- dert ſie in den dichteſten Haufen und erntet dafür den wiehernden Beifall der Menge, dort fällt es plötzlich einem Dutzend Poliziſten ein, das Publikum von den Trottoirs zu vertreiben – was in die Hände der Wächter des Geſetzes fällt, wird ergriffen, geſtoßen, fortgezerrt, zu Boden geworfen – da ziehen einige die blanke Klinge und bearbeiten damit die Rücken der Umſtehenden – und dies Alles erträgt dieſes Volk ohne Widerrede, ohne eine Miene zu machen, ſich gegen die Wächter der Ordnung aufzulehnen. Endlich ſtockt der ganze undurchdringliche Knäuel, die Wagen ſtehen zu beiden Seiten und können nicht weiter, die ſcheuen 79 Pferde bäumen ſich hoch auf und zerſtampfen mit ihren Hufen, was in ihrer Nähe iſt; kreiſchend flüchtet die Menge, um im nächſten Momente wieder vorzubrechen, an die Schweife der Pferde, an die Räder der Wagen klammern ſich Hunderte, um nur durch die Bahn, die Reiter und Wagen momentan frei machen, weiter zu kommen. Endlich naht die achte Stunde, berittene Garden, die Alles nie- derreiten, was ihnen in den Weg kömmt, verkünden die Ankunft des Kaiſers, – jetzt rafft ſich die Polizei auf, ſie rennt Sturm gegen die Maſſen und ſchafft auf einige Augenblicke wirklich Raum. Die kaiſerlichen Wagen fahren vor, der Kaiſer und ſeine Begleitung in Civil- kleidern – der Kaiſer trägt einen ſchwarzen Frack und graue Beinkleider – verlaſſen die Wagen, aber die Eingänge des Theaters ſind ſo überfüllt, daß der Kaiſer nicht paſſiren kann; er geräth ins Gedränge, die türki- ſchen Offiziere ſpringen hinzu, ſchleudern die Drängenden weg und ſchaffen mit Gewalt einen ſchmalen Durchgang zu dem reſervirten Portale. Der Kaiſer iſt im Theater, draußen aber dauert der bacchantiſche Lärm fort und die Orgie auf den Straßen ſoll noch ärger werden. Die Polizei, die einſieht, daß, wenn der Kaiſer das Theater verlaſſen will, es unmöglich ſein wird, die Wagen her- beizuſchaffen, will Platz machen, aber ſie iſt ohnmächtig – vom Fackelzuge, der inzwiſchen ſtattgefunden, kehren einzelne Gaſſenjungen, die den Fackelträgern die Flam- beaux entriſſen, durch Pera heim und begehen die Nichts- würdigkeit, mit brennender Fackel ſich Platz zu ſchaffen, und mit dem flammenſprühenden Pech in die Maſſe hineinzufahren – rechts und links ſchwingen ſie die Fackeln – da brennt ein Hut, dort iſt ein Bart verſengt, ein Wuthſchrei tönt durch die Lüfte, die Polizei entreißt endlich den Burſchen ihre Waffen und jagt ſie fort. Einen 80 Moment lang herrſcht Ruhe, die Polizei hat ſich zurück- gezogen, aber nach wenigen Minuten kehrt ſie, mit Peitſchen und langen Stöcken bewaffnet, zurück – un- erbittlich wird auf die Menge eingehauen, die Offiziere laſſen ihre Peitſchen kunſtgerecht über die Rücken tan- zen und die Gemeinen bearbeiten die Häupter und Füße der langſam zurückweichenden Menge mit Haslingern. Einzelne Poliziſten haben ſich der ausgelöſchten Fackeln bemächtigt und bedienen ſich dieſer furchtbaren Waffe für beſonders ſtarrſinnige Zuſchauer. Alles wird geprügelt, ohne Unterſchied der Nation, des Ranges und des Geſchlechts, und das Mittel iſt probat, der Raum vor dem Theater wird wenigſtens frei; wie es weiter unten zugeht, wiſſen die Götter, ich entnehme nur aus dem jammern- den Aufſchrei, dem Brüllen der Menge, daß die Peitſchen und Stöcke dort unten ihr Handwerk noch nicht vollendet haben. Und als ob die Verwirrung noch nicht groß genug wäre, kehrt jetzt das Gros des Fackelzuges, mit den Kroaten als Fahnenträgern an der Spitze, begleitet von einer Muſikbande zurück. Statt ſie in Nebengaſſen zu weiſen, läßt man ſie hereinbrechen. Die Kroaten und Fackelträger bleiben vor dem Theater ſtehen, die Bande ſtimmt die Volkshymne an, die Kroaten ſchwingen ihre Fahnen, und ein donnerndes Zivio und Evviva erſchallt dem Kaiſer, tauſend Stimmen rufen ſeinen Namen, tauſend Menſchen verlangen ihn zu ſehen. Man ſchließt die Fenſter des erſten Stockes, deſſen Räume zu einem Buffet hergerichtet waren, damit der betäubende Lärm nicht in das Theater dringe und dort Verwirrung anrichte. Die Kroaten aber, die den Kaiſer um jeden Preis ſehen wollen, ſtürmen das Theater und erzwingen ſich den Eintritt in die Halle, mit ihren Fahnen dringen ſie ein und reißen mit denſelben die Initialen des Sultans 81 herab, die in Gasflammen vor dem Portale prangten, ſo daß die Gaslohe mächtig emporſchießt und Alles einen Brand beſorgt. Zwei Pompiers ſpringen raſch hinauf, brechen die Röhren ab und dämpfen die Flammen. Die Kroaten ſind inzwiſchen bis in das Parterre vor- gedrungen und erfüllen mit ihren Zivios die Räume und ihnen nach ſtürzt die Menge – der Augenblick iſt kritiſch, noch ein Moment und die Situation kann ſehr ernſt werden, da ſchreitet die Polizei abermals zum Angriff, mit Säbeln und Gewehren, Peitſchen und Stöcken dringt ſie auf die Menge ein, ſie wirft ſie aus dem Theater, Reiterkommen ihr zu Hilfe und ein förmlicher Kampf entſpinnt ſich zwiſchen der Polizei, die Raum ſchaffen will, und der Volksmenge, die keinen Ausweg hat. Jetzt geräth unglücklicherweiſe die Muſikbande auch ins Gedränge, die Trompeter werfen ihre Inſtrumente in die erſten beſten Laden und bringen ſich ſelbſt in Sicherheit, der arme Paukenſchläger aber weiß ſich nicht zu helfen, hoch über dem Kopfe hält er ſein rieſiges Inſtrument, aber der ſüße Pöbel haut in das Fell und zerſchlägt es, der Arme wird zu Boden geriſſen und ſeine Pauke zum Spielball, bis ſie endlich im halbgeöffneten Laden eines Perruquiers eine letzte Ruheſtätte findet. Die Polizei benützt indeſſen das gewonnene Terrain, läßt die kaiſerlichen Wagen vorfahren und beginnt jetzt erſt die Straße abzuſperren. Der Kaiſer, der nur einen Akt im Theater verweilte, kann das Haus verlaſſen, ſeine Begleitung folgt ihm bald nach und end- lich hat das lärmende, ſchaudererregende Schauſpiel ſein Ende erreicht. Die Volksmenge verläuft ſich nach und nach, und um Mitternacht kann auch die Polizeiabziehen; ſie hat heute ihren ſchwerſten Tag erlebt. Ich aber werde Zeit meines Lebens gedenken an die Nacht „vor dem Theater Naum.“ -SSz=– 6 Abſchied von Stambul. Am Bord des Pluto, 2. November. Heute Nachmittag haben wir Konſtantinopel ver- laſſen. Wir befinden uns – Dank der Sorgfalt und Zuvorkommenheit der Lloyddirektion – an Bord des eleganteſten Dampfers der orientaliſchen Linie, ſind nur vierzehn Paſſagiere auf dem Schiffe, verfügen ſomit Jeder über eine ſeparate Kabine und leben wie der Herrgott, will ſagen wie der Allah im Orient nur immer leben kann. Die Reiſegeſellſchaft beſteht aus dem Lloyd- präſidenten Baron Elio Morpurgo, ſeinem Sohne Baron Marco, dem Vizepräſidenten der Trieſter Handelskammer Baron Joſeph Morpurgo, dem kaiſerlichen Kommiſſär Oberſt von Radonetz ſammt Gattin, dem Verwaltungs- rathe Dr. Hagenauer mit Schwägerin und Nichte, dem kommerziellen Direktor des Lloyd Herrn Bordini und dem Inſpektor Herrn Nicolits, beide zählen zu den intelligenteſten und verdienteſten Beamten des Lloyd, dem ungariſchen Schriftſteller Herrn Ketskemety, der ſich 83 in Konſtantinopel von der kaiſerlichen Suite getrennt hat und es vorzieht, mit uns zu fahren, dem Profeſſor Coglievina, einem Schiffsarzt und mir. Unſere Damen ſind wahre Muſter von Liebenswürdigkeit und Geſelligkeit, und wenn wir die eine Hälfte des Tages in ernſter Debatte mit den Herren zugebracht, verkürzen uns die Damen durch heitere Converſation und geiſtvolle Cauſerie die andere Hälfte. – Unſer Fahrplan iſt trefflich combi- nirt. Wir durchkreuzen die Dardanellen, berühren Smyrna, halten zwei Tage im Piräus Raſt, beſuchen Athen und fahren dann direkt nach Alexandrien. Man kann die Reiſe nicht angenehmer machen und ſelten noch hat ſich ein Orientreiſender ſo behaglich, ſo komfortabel, ſo tout à son aise befunden, wie meine Wenigkeit. Alle unſere Wünſche werden erfüllt, wir ſpeiſen, als weilten wir bei Munſch, verfügen über die beſten Karten und Reiſe- bücher, werden bedient wie Souveräne, rauchen den Tabak des Sultans aus Tſchibuks, die uns ein liebens- würdiger Paſcha verehrte, und ſelbſt das Papier, das wir benützen, trägt noch den Stempel: „Palais Im- périal de Bechiktach“. Kann man mehr verlangen, um glücklich zu ſein? – – Die Gegend, die wir durchfahren, bietet dem Be- ſchauer reichlichen Stoff, das Buch unſerer Jugenderin- nerungen rollt ſich vor uns auf, mit Hilfe eines ge- druckten Cicerone wecken wir die Reſte der gelehrten Errungenſchaften unſerer Studienzeit, welche die ma- terielle Aera ſeit lange eingeſchläfert, wieder zu einigem Leben. Hier iſt jeder Stein hiſtoriſch, jeder Trümmer- haufen mahnt an eine glänzende Epiſode der grauen Vorzeit, hier haben Homer und Sophokles gedichtet, hier hat Sappho geſungen. – – Doch wir haben noch nicht Zeit, an die Vorzeit zu denken, is beſchäftigt 84 uns die Gegenwart zu ſehr. Der Traum von Stam- bul iſt noch nicht ausgeträumt, aus den Fluthen vor uns ſteigt im Nebelgrauen die Aja Sofia mit ihren wunderſamen Kuppeln empor, dort am Ufer winken Minarets, die Stimme des Kapitäns wandelt ſich in die des Mueddins, der zum Gebete ruft, wir ſind wieder zu Pferde und das Schaukeln des Schiffes mahnt uns täuſchend an die Bewegung, die wir beim Hinabreiten auf den unwegſamen Pfaden von Pera nach Galata durchgemacht – noch einmal phosphoreszirt der Bos- porus, das Wetter leuchtet vom Gebirge und die unter- gehende Sonne ſteigt in den ſilbernen, mit rothen Roſen geſchmückten Rieſenſarg hinab, den das Marmorameer allabendlich für das ſterbende Himmelsgeſtiru bereit hält . . . . Plaudern wir, ehe wir weiter ziehen, noch ein wenig von Konſtantinopel; ich habe noch Mancherlei auf dem Herzen und in meinem Notizbuch erblicke ich noch eine Reihe von Hieroglyphen, die entziffert werden müſſen, ehe ich Abſchied nehme von den glühenden Farben Byzantiums. Der letzte Tag, den der Kaiſer in Konſtantinopel zubrachte, war dem Beſuch des großen weltbekannten Bazars und des Artilleriearſenals gewidmet. Nachmittags machte er einen Ausflug nach Bujukdere und den Ruinen der Waſſerleitung. Am Abende des 1. November er- folgte die Abreiſe. Der Sultan begleitete ſeinen Gaſt bis zum Boot, das den Kaiſer nach der Dampfyacht „Greif“ brachte. Der ganze Hafen erglänzte in feenhafter Beleuchtung, die Schiffe ſtrahlten in ver- ſchiedenfarbigem Lichte, Raketengarben ziſchten durch den reinen Aether. – Der Bosporus ſtand aber- mals in Flammen. – Schlag 9 Uhr erfolgte unter dem Donner der Kanonen die Abfahrt. – Während 85 ſeines Aufenthaltes in Konſtantinopel empfing der Kaiſer viele Petitionen, während ſeiner Rundfahrten durch die Stadt wurden ihm zahlreiche Bittſchriften in den Wagen geworfen. Die meiſten derſelben fanden günſtige Er- ledigung. – Große Begeiſterung rief in der öſterrei- chiſchen Kolonie das Reſultat einer Audienz hervor, welche die Deputation der Kolonie bei dem Reichskanzler Grafen Beuſt und dem Handelsminiſter v. Plener hatte. Beide ſicherten der Deputation den kräftigſten Schutz der In- tereſſen der öſterreichiſchen Kolonie zu, und als die Depu- tation auf die Nothwendigkeit einer autonomen, legislativen Vertretung hinwies, erklärte Graf Beuſt, er werde Alles aufbieten, um der Kolonie eine gewiſſe Selbſtſtändig- keit zu ſichern. Beide Miniſter verſprachen überdies der Kolonie das baldige Inslebentreten einer Handels- kammer und einer mit beſonderen Vorrechten ausgeſtatteten ſtändigen Deputation, die künftig die autonomen Organe der öſterreichiſchen Kolonie zu bilden hätten. Es iſt ſelbſt- verſtändlich, daß die Nachricht von der Unterredung unter den Oeſterreichern in Konſtantinopel einſtimmig mit Jubel begrüßt wurde. . Mich über Land und Leute beſtimmt auszuſprechen und ein definitives Urtheil zu fällen, halte ich nicht für angezeigt. Unſer Aufenthalt war ein viel zu kurzer und innerhalb dieſes beſchränkten Zeitraumes zu beweg- ter, wir waren durch Feſte und Vorſtellungen viel zu ſehr in einen engen Kreis gebannt, als daß wir Zeit gehabt hätten, Land und Leute kennen zu lernen. „Wir werden fünf Tage in Konſtantinopel geweſen ſein, ohne es geſehen zu haben“, ſagte mir vorgeſtern einer unſerer Miniſter, und übertrieb mit dieſer Bemerkung gewiß nicht. Dennoch ſcheint uns Allen bei noch ſo flüchtiger Betrachtung der Dinge Eines klar geworden zu ſein: 86 Der kranke Mann iſt nicht ſo krank, als gewiſſe Aerzte des civiliſirten Europa's glauben machen wollen, ja ohne den ewigen Wechſel von Arzneien, den ihm ſeine diplomatiſchen Aerzte verordnen, wäre er vielleicht ſchon längſt geſund. Es ſcheint uns eine große Thorheit, die Türkei nach franzöſiſchem, engliſchem oder irgend einem anderen civiliſirten Muſter reformiren zu wollen, dahin wird man die Türken nie bringen, man müßte denn eine Generation erſt zu dem Reformwerke erziehen. Man darf ſo einſichtsvollen und erprobten Männern, wie Ali Paſcha, Huſſein Paſcha 2c. ſchon getroſt das Reform- werk der Türkei mit Berückſichtigung der nationalen und religiöſen Eigenthümlichkeiten überlaſſen, und die Vertreter der Großmächte mögen ſich begnügen, die Intereſſen ihrer Landsleute zu wahren und zu ſchützen. Ich betone das Wort Landsleute, hat doch der Kaiſer ſelbſt die Oeſterreicher ſo angeſprochen und ſie nicht sujets genannt, wie es noch bei verſchiedenen Geſandt- ſchaften, denen der bureaukratiſche Zopf nach hinten hängt, gang und gäbe iſt. Am allermeiſten aber möge man ſich vor den allzu übereifrigen religiöſen Miſſionen hüten, mit denen man die Türkei beglücken will. Man wird, wenn man es klug anpackt, für gewiſſe politiſche und nationale Reformen die Türkei zugänglich finden; mit dem Verſuche, Proſelyten zu machen, wird man ſcheitern und nur das Kind mit dem Bade ausſchütten. – – – Ich habe es bereits früher flüchtig angedeutet, daß ich von der türkiſchen Frauenwelt für die künftigen Reformen manche kräftige Anregung erwarte. Das war nicht Scherz, ſondern voller Ernſt. Die türkiſche Frau wurde zu lange unter- drückt und zu gewaltſam ihrer natürlichen Rechte be- raubt, der Verkehr mit europäiſchen Damen iſt zu 87 häufig, die Bekanntſchaft mit abendländiſchen Sitten und Formen zu mächtig, als daß das alte Verhältniß noch lange fortdauern könnte. Die türkiſchen Frauen lernen franzöſiſch, ſie leſen franzöſiſche Romane und Zeitungen – wie lange werden ſie, auf ſo ſüße Weiſe vergiftet, ſich noch geduldig in das alte Joch fügen? – – Das, was man ſich übrigens in Europa unter Harem und wollüſtigem Leben der Türken vorſtellt, iſt theilweiſe ſchon längſt Mythe. Eine große Anzahl Paſcha's und angeſehener Türken hat die Polygamie längſt aufgegeben und lebt glücklich mit einer einzigen Frau, deren Sklavinnen wirklich Dienſtboten und nicht Rivalinnen ſind. Unſere Damen, die mit uns an Bord des „Pluto“ ſind, beſuchten während unſerer Fahrt nach Beikos die Harems verſchiedener Paſchas, darunter den Djemil Paſcha's, des türkiſchen Geſandten in Paris, und den ſeines Schwagers. Beide beſitzen nur je eine Frau, mit der ſie ſeit Jahren in den glücklichſten Ver- hältniſſen leben. Ja, die türkiſchen Frauen ſtellen die Treue ihrer Ehemänner, trotzdem dieſelben nur eine Frau beſitzen, als über allen Verdacht erhaben dar, ein Lob, das unſeren Oeſterreicherinnen geradezu unglaublich vorkam. In der That, man wird dasſelbe Urtheil ſchwerlich über uns von der Kultur beleckte Weſteuro- päer fällen! Die Frauen im Harem ſind heiter und glücklich, ſie plaudern und ſcherzen, und verſichern, die Anzahl Derjenigen, die dem Kerkerleben im Harem ein Ende machen und der türkiſchen Frau zu einer Stellung im ſozialen Leben verhelfen wollen, ſei ſehr groß und ein ernſter Bund verbinde dieſelben. Die Schweſter der Gattin Djemil Paſcha's, eine reizende, liebenswür- dige Frau, wie man mir erzählt – ich ſelbſt habe ſie natürlich nicht geſehen – hat eine allerliebſte rührende 88 Geſchichte. Sie ward mit vierzehn Jahren mit zwölf Schickſalsgenoſſinnen nach Konſtantinopel gebracht, ein Geſchenk irgend eines Paſcha's für den Sultan. Sie ſollte eben noch ihre letzte Probe beſtehen und der Sul- tanin Valide, der Mutter des Sultans, zur definitiven Auswahl vorgeſtellt werden, als ſie ihr künftiger Mann zufällig ſah. Er ſah ſie, ſie ihn, und Beide liebten ſich – Heine hat ſolche Liebe beſungen und das Lied gewiß nicht für die abendländiſchen Chriſten allein gedichtet – auch die Völker des Orients lieben, und heißer und raſcher als wir. Die Beiden liebten ſich, aber hoff- nungslos, denn die ſchönſte Perle Tſcherkeſſiens war ja für den Sultan beſtimmt. Liebende aber kennen kein Hinderniß; er war raſch entſchloſſen, beſtach die Wächter und entfloh mit der Heißgeliebten. Fern von Stambul ward ſie ſein Weib, ſie lebten auf fremder Erde, und erſt nach Abdul Medſchid's Tode kehrte das Liebespaar zurück, das heute noch ſo ſelig und vergnügt lebt, wie in den Honigwochen ſeines Bündniſſes. . . Die öſterreichiſchen Gäſte haben hier überhaupt manches anders gefunden als ſie gedacht. Welche Furcht herrſchte nicht in Wien vor der türkiſchen und egypti- ſchen Küche, man dachte mit einer gewiſſen Unbehaglichkeit an den kulinariſchen Feldzug, der bevorſtand, und hatte es ſogar für nöthig befunden, ſich auf telegraphiſchem Wege über die getroffenen Vorbereitungen Auskunft zu verſchaffen. Die Befürchtungen – das zeigte ſich gleich am erſten Tage in Konſtantinopel – waren übertrieben. Das Gros der Speiſen an der Sultanstafel entſtammte franzöſiſcher Küche, nur am Schluſſe und zum Beginn der Tafel gab es nationale Gerichte, wie Pilaw – letzterer freilich war in der Regel ſo fett, daß er kaum genießbar war. Die Zuſammenſtellung des Menu's ver- 89 rieth wenig Verſtändniß des europäiſchen Magens. Vor Allem war es überladen und die Eintheilung unſeren kulinariſchen Begriffen durchaus nicht entſprechend. Auf 22 bis 25 Gerichte – ſo viele zählte manches Menu – kamen 10 bis 12 Entrées, in der Regel gehacktes Fleiſch oder Gansleber in den verſchiedenartigſten Formen und Zubereitungen. Man verdarb ſich, wenn man nicht gewitzigt war, mit den Schleckereien den Magen, noch ehe das erſte nahrhafte Gericht auf die Tafel geſetzt wurde. Im Ganzen aber war die Küche gut, beſonders Fiſche und Geflügel delikat zubereitet und fein garnirt. Der türkiſche Keller war über alles Lob erhaben, Bor- deaux, Johannisberger und Champagner erſter Qualität, letzterer freilich ungenügend frappirt, da es an hinläng- lichen Quantitäten von Eis fehlte. Das Waſſer war wie in ganz Konſtantinopel trübe und warm, und da die Herren der kaiſerlichen Suite dem letzteren Uebel- ſtande durch, kleine Eisklümpchen abhelfen zu müſſen glaubten, hatten ſie ſich die unangenehmen Folgen dieſes kühlen Trunkes ſelbſt zuzuſchreiben. Goldtropfen und Doveriſche Pulver ſpielten namentlich in den letzten Tagen unſeres Aufenthalts im Palaſte Dolma-Bagdſche eine große Rolle. Trüffeln ſcheinen in der türkiſchen Hofküche entweder gar keinen Werth zu beſitzen oder für unentbehrlich gehalten zu werden. Sie kamen in der erſten Hälfte des Menu's faſt bei jedem Gange in ſolchen Maſſen vor, daß man beim dritten Diner ſchon ihrer überdrüſſig war. Die Türken dagegen konnten davon nicht genug haben, und daß die Herren Paſcha's auch dem Weine tüchtig zuſprachen, bewies uns, daß ſie ſich wenigſtens in dieſer Richtung vom Koran emanzipirt haben. – Der Sultan ſprach bei Tiſche nur ſelten ein Wort, er vollzog die Funktionen des 90 Eſſens mit demſelben Ernſte, mit dem er am Freitag inmitten ſeiner Würdenträger den feierlichen Zug in die Moſchee antrat. – - Sonſt war man in Dolma-Bagdſche prächtig auf- gehoben, namentlich erfreute die Thatſache, daß es ganz unnöthig war, von Zacherl's wunderthätigem Erzeugniſſe hier Gebrauch zu machen, das Herz jedes mit Zittern in die ihm angewieſenen Zimmer eingetretenen Oeſter- reichers. – – Ueber die Aufmerkſamkeit , Dienſt- willigkeit und Höflichkeit der türkiſchen Diener und Hof- beamten gegen die Gäſte herrſchte nur eine Stimme unbedingten Lobes und die Oeſterreicher waren während ihres Aufenthaltes im wahrſten Sinne des Wortes die Herren des Palaſtes. – – – In den letzten Stunden, die ich in Konſtantinopel zubrachte, war ich noch Zeuge zweier Leichenbegängniſſe in Pera. Wenn man eine Stadt verläßt, ſieht man ein ſo trauriges Ereigniß weniger als böſes Omen an, wie bei der Ankunft. Man begrub einen gemeinen tür- kiſchen Soldaten und unmittelbar darauf einen reichen Armenier. Das Leichenbegängniß des Türken ähnelt ſehr der gleichen Ceremonie bei den Juden – in einem einfachen Bretterſarg wird die in weiße Linnen gehüllte Leiche aus der Stadt der Lebenden hinausgetragen zum Wohnſitz der Todten, jeden Augenblick löſen ſich die Träger ab, denn man betrachtet es als eine fromme Pflicht, den Todten nach ſeiner letzten Ruheſtätte zu be- fördern. Der Soldat wurde ohne alles militäriſche Gepränge begraben, nur ein Dutzend Kameraden beglei- teten den Sarg. Wir gelangten mit der Leiche auf den Friedhof, der in der Nähe von bella vista ſich aus- dehnt. Der Türke hält etwas darauf, nach ſeinem Tode noch die Nachwelt wiſſen zu laſſen, wer unter den Lei- 91 chenſteinen ruhe, die in ihrer Form gleichfalls den Denk- ſteinen auf iſraelitiſchen Friedhöfen gleichen. Die Leichen- ſteine der Männer tragen in der Regel auf ihrer Spitze einen Turban von grauer, rother, grüner Farbe, der manchmal mit goldenen Quaſten geziert iſt. Alle Steine tragen Inſchriften, Sprüche des Korans – auf einzelnen ſind die Ehrenzeichen des Todten ein- gemeißelt – ſo ſahen wir auf dem Denkmale eines Artillerieoffiziers nicht nur die Embleme ſeines Hand- werkes, die Kanonen, ſondern auch den Medſchidje dritter Klaſſe mit aller Sorgfalt ausgeführt. – Das ſtrikteſte Gegentheil zu der Einfachheit des Leichen- begängniſſes des türkiſchen Soldaten bildete das Be- gräbniß des reichen Armeniers. Stolz wie er gelebt, ward er auch zu Grabe getragen. Kavaſſen und Poliziſten eröffneten den Zug, dann kamen armeniſche Geiſtliche in ihrem ſonderbaren Coſtume (ſchwarze lange Kaftans mit weißen Bändern eingefaßt und ſchwarze hohe Kappen) – ſie ſchritten paarweiſe langſam ein- her, die erſten Paare trugen Fackeln, die Anderen lange ſchwarze florumwundene Stäbe, an deren Spitzen ſilberne unter dem Kreuze ſich windende Schlangen ſich befanden, – hinter ihnen ſchritt die höhere Geiſtlichkeit in violetten Ge- wändern mit hohen Kronen, von denen blaue und ſchwarze Schleier herabflatterten, – Knaben, in ſchmutzigen Trauerkleidern, heulten Trauerlieder in jener einförmigen Melodie, die wir in Europa nur noch in polniſchen Synagogen hören, – zuletzt kam der Leichenwagen, ein wahres Prachtſtück, in dem ſich Millionäre mit wahrer Luſt zu Grabe führen laſſen müſſen – dem Leichen- wagen folgten die offiziellen Klagemänner, verkommene Geſtalten in ſchwarzweißen Mänteln, die wahrſcheinlich vor Beginn des Zuges ihre Naſe in friſche Zwiebeln 92 geſteckt hatten, nur um reichlich Thränen zu vergießen. Heulend und klagend, die Luft mit Weihrauch und dem – Dufte der Pechfackeln erfüllend, bewegte ſich der Zug durch Pera: wahrlich, der letzte Gang des türki- ſchen Soldaten in ſeiner Einfachheit und Stille bot ein weit rührenderes und ergreifenderes Bild, als das lärmende Scheiden des armeniſchen Chriſten ! – Als wir hinab nach Galata kamen, zeigte die Uhr die dritte Stunde. Es war Zeit ſich einzuſchiffen – eine halbe Stunde ſpäter lichtete der „Pluto“ die Anker. – Wenige Minuten vor der Abfahrt nahte ſich noch ein Boot dem Schiffe und ein Freund brachte mir vom öſterreichiſchen Poſtamte die eben aus Varna angekom- mene Wiener Poſt. Es waren Briefe und Zeitungen für mich. Sechs Nummern des „Neuen Fremden-Blatt“ – wir griffen alle mit Haſt nach den Blättern – und eine Depeſche. Die letztere enthielt für mich eine freudige Nachricht. Sie war von Nubar Paſcha, dem Premier des Vizekönigs, gezeichnet und lautete: Som Altesse le Khedivé invite Mr. Wilhelm Wiener assister inauguration Canal. Nubar. In Smyrna. Smyrna, 3. November. - Seit geſtern ſind wir in Smyrna, der lieblichen Stadt, der Perle Anatoliens. Wir hatten eine herr- liche Fahrt. Um 4 Uhr Morgens langten wir geſtern bei den Dardanellenſchlöſſern an und mußten den Sonnenauf- gang abwarten, um die Erlaubniß zur Weiterfahrt zu er- halten. Von Kilidbari, dem Schlüſſel des Meeres, ward uns die Genehmigung zu Theil und bald hatten wir Tenedos in Sicht – links zeigte man uns die Richtung, in der Troja gelegen. – Hier fochten die Trojaner ihre viel- beſungenen Schlachten, hier lagerten in der Beſikabai die Flotten der Alliirten im Krimkrieg vor Anker. Die Küſte, die ziemlich troſtlos und öde iſt, zeigt im Innern mehrere Gruppen bewaldeter Hügel, hinter denen ſich die Kette des Jda erhebt, von deſſen Gipfel man die hochgefeierte Stätte des alten Jlion überblickt – dort hauste Hekuba, des Priam's Gemalin, hier, wo das Meer am engſten zwiſchen den Gebirgen ſich durch- 94 windet, ſollen Hero und Leander ihr ſagenhaftes Liebes- ſpiel durchlebt haben – noch weiter und die Inſel Mytilene taucht aus dem Meere empor – Lesbos wird ſichtbar, wo Sappho dichtete. – Die Gegend nimmt raſch einen anderen Charakter an, die Vegetation wird üppig, wären wir am Ufer, wir könnten friſche Oliven pflücken und den Duft der Myrthen und Oleander ein- athmen – jetzt taucht links Mytilene, die Stadt, vor uns auf, rieſiges altes Gemäuer krönt den Hügel am Meeresufer, es ſind Trümmer einer alten Feſtung, die heute noch zu militäriſchen Zwecken dient, aus den Schießſcharten ſtarren uns wenigſtens Kanonen entgegen, die Citadelle birgt ſogar eine Garniſon. Mytilene ſelbſt bietet einen ungemein freundlichen Anblick – wie es ſo daliegt mit ſeinen weißen, von Gärten umgebenen Häuschen, die an der Berglehne bis zur höchſten Spitze ſich aufbauen, hat es eher Aehnlichkeit mit einem Tiroler Bergſtädtchen, mit Brixen etwa, als mit einer orienta- liſchen Stadt. Mit dem Fernrohre unterſcheiden wir Bäume und Häuſer ganz genau. Große Aprikoſen- und Orangenwälder dehnen ſich am Fuße des Berges, Re- benpflanzungen bedecken die Häuſer mit ihren grünen Fittigen, ſchwellender Raſen zieht ſich vor den Villen hin, – es muß ein paradieſiſches Leben in dieſer Land- ſchaft ſein. Unſer Kapitän machte uns das Waſſer im Munde zuſammenlaufen, erzählte er uns doch, daß die Haine von Mytilene mit Nachtigallen angefüllt ſind, daß die Roſenbäume ihre würzigſten Düfte verſenden und die Feigen nirgends ſo ſüß ſind wie hier. Als wollten ſie ſeine verführeriſche Schilderung beſtätigen, flatterten gerade zwei Schmetterlinge (am 2. November!) vom Lande herüber zu uns an Bord und begleiteten uns ein Stück Weges. Das herrlichſte Wetter blieb 95 uns auch in dieſen Regionen günſtig. Immer mehr er- weiterten ſich die Ufer, wir paſſirten die beiden wunder- ſam geformten Felstrichter, die außerhalb Mytilene aus dem Meere emporragen, und fuhren in's ägäiſche Meer hinaus. Kurz vor Sonnenuntergang landeten wir vor Smyrna. – Heute Morgens waren wir vor 6 Uhr auf den Beinen und traten unſere Wanderung durch die lieb- liche Stadt an. Kaum an's Land getreten, hörten wir ſchon das unmelodiſche Glockenläuten der Kameele. Das Schiff der Wüſte iſt hier heimiſch, hunderte und hunderte Kameele lagern in Smyrna und durchziehen in Karawanen zu zehn bis zwanzig die engen Straßen der Stadt. – Ein Eſel, dieſes zu allen Dienſten und Verrichtungen willig bereite Thier, eröffnet mit dem Führer den Zug, dann folgen die Kameele, eines nach dem anderen und jedes mit dem anderen durch Stricke und Ketten ver- bunden, das letzte, das den Zug ſchließt, hat eine fort- während läutende Glocke am Halſe, damit der Führer im Gedränge oder in der Finſterniß genau nach dem Schalle erkennt, ob ſich nicht ein Theil des Zuges ab- geriſſen. Die Kameele ſind mit Waarenballen bepackt und tragen einen unförmlichen Sattel – auf dem Schiff der Wüſte reiten iſt ärger, als ſich dem Schiff des Meeres anvertrauen, ſelbſt die ausdauerndſte Natur wird ſofort ſeekrank. Der Witz iſt ja bekannt: Man ſetze ſich auf einen hohen, zum Auf- und Niederſchrauben gerichteten Komptoirſtuhl, laſſe ſich dann auf einen ſlovakiſchen Leiterwagen laden, von zwei Pferden über eine friſch geackerte Fläche ſchleppen und man hat un- gefähr einen Vorgeſchmack von den Annehmlichkeiten des Kameelreitens. 96 Wir zogen zu Fuß durch das fränkiſche und arme- niſche Viertel, den Pagos hinauf, deſſen Spitze rieſige Trümmerhaufen bedecken. Der Gang durch die Stadt iſt intereſſant, die Straßen reinlich, überall friſches Waſſer in Brunnen und Fontainen, der Blick durch die halb geöffneten Thore in die Hausfluren äußerſt angenehm – der Schmutz Stambuls fehlt hier – es iſt Alles ſauber gekehrt, die Hausflur gewöhnlich mit kleinen Steinchen moſaikartig beſetzt, die Decke zuweilen von Marmorſäulen getragen, in der Flur eine Otto- mane, ein paar Fauteuils, eine Orangerie, rückwärts im Hofe eine ſprudelnde Fontaine und im Hintergrund ein Garten – Citronenbäume, Orangen, die eben jetzt zu reifen beginnen, die ſchattige Platane, hin und wieder Eichen, Maulbeerbäume und Kürbispflanzungen, denen wir vorſichtig ausweichen, der Anekdote aus der Schül- fibel gedenkend, in der die Naſe des den Schöpfer ta- delnden Thoren ſo gut wegkömmt. Denn hier hängen, da der Strauch zu Laubengängen benützt wird, die Kür- biſſe in der That auf den Bäumen, und bei ſtarkem Winde iſt es unheimlich, im Schatten dieſer Bosquets auszuruhen. – Mühſelig und im Schweiße unſeres Angeſichts, denn die Sonne ſtach förmlich – klommen wir die höher gelegenen Stadttheile hinan – je höher man kömmt, deſto mehr verliert die Stadt ihr liebliches Ausſehen – die Häuſer werden zu Baraken, die Armuth ſtarrt aus allen Löchern, die Kinder hocken auf dem Pflaſter und verfolgen uns mit ihren Rufen um Almo- ſen – höchſtens, daß hie und da eine ſchwarz- äugige Zigeunerin auftaucht, deren dunkle Haare wirr auf den Nacken herabfallen – ſie ſtarrt uns an, dann lacht ſie und eine Reihe blendend weißer Zähne blinkt 97 uns entgegen. – Dieſe Zigeunerinnen hat der Satan ſo verlockend ausgeſtattet! Von den türkiſchen Frauen ſahen wir gar nichts – das iſt wörtlich zu nehmen. – Die Schleierkoketterie, wie ſie in Stambul üblich, hat hier ganz aufgehört – die Türkinnen in Smyrna tragen ſchwarze, undurchſichtige Larven vor dem Geſicht, deren Oeffnungen kaum groß genug ſind, um die Reſpiration möglich zu machen. – Beim Anblick der erſten ſchwarzen Maske erſchrak ich, ich dachte eine türkiſche Karmeliterin zu ſehen, ſpäter beluſtigte mich die Maskerade und ich hatte große Luſt ſo eine Haremiſche mit den Worten: „Ich kenne Dich, ſchöne Maske“, anzureden. Auch der Farbenwechſel, wie ihn die türkiſchen Frauen Konſtantinopels lieben, deren Mäntel in alle Farben des Regenbogens getaucht ſind, fehlt hier; man ſieht nur ſchwarze Mäntel – die armen Frauen Smyrna's, ſie denken wohl nicht an Reform und Emanzipation. – – – - Nach anderthalb Stunden waren wir auf der Bergſpitze angelangt. Die Wanderung war beſchwerlich, mitunter durch das Gerölle, in dem wir waten mußten, gefährlich, aber oben war die Ausſicht lohnend und machte alle Beſchwerden vergeſſen. Vor uns dehnte ſich in unüberſehbarer Ferne das Meer, an der Küſte bedeckt mit Segeln, Wimpeln und rauchenden Schloten – mit blendendem Schimmer hatte die Sonne die Wellen belegt, die ein ſanfter Wind leiſe kräuſelte – links von uns hatte das Auge in den wellenförmig geformten, terraſſen- artig aufſteigenden Hügelketten einen Ruhepunkt, während es ſich an dem landſchaftlichen Bilde zu unſeren Füßen, an den ſchlanken Minarets, an den grünenden Fluren und cypreſſen-bedeckten Friedhöfen, die ſich weit an den Berg hinaufziehen, an den rºmantis Höhlen und 08 Formen des Felſens, auf dem wir ſtanden, nicht ſatt ſehen konnte. Der Melis, an deſſen Ufer Homer ge- dichtet, ein kleiner, ſchmutziger Bach, der an die Wien erinnert, rinnt durch das Thal, während vom Berge ſelbſt zahlreiche Wäſſer plaudernd und tändelnd in die Stadt hinabſpringen – unten im Thale fliegt durch die Gärten und Cypreſſenwäldchen die Lokomotive, das Sinnbild der civiliſirten Aera, nach Epheſus, dem ver- ſteinerten Grabe einer längſt entſchwundenen Zeit. Drüben am jenſeitigen Ufer liegt die Sommerfriſche Smyrna's, ein verlockender Aufenthalt, und rechts von uns zieht ſich am Geſtade das neu aus Trümmern er- ſtehende Coeur du Lion hin, das von Richard Löwen- herz' Aufenthalte ſeinen Namen trägt. Die Landſchaft feſſelte uns ſo mächtig, daß wir weder Muße noch Luſt hatten, den Trümmern, die uns umgaben, große Auf- merkſamkeit zu ſchenken – es ſollen Trümmer einer genueſiſchen Feſtung ſein, gemiſcht mit Ueberreſten von Werken, die ein General des macedoniſchen Alexander erbaut, ſogar Spuren von Bauten der joniſchen Griechen, Trümmer eines Tempels des Zeus, will man gefunden haben. – – Nach kurzer Raſt kehrten wir in die Stadt zurück und zogen nach dem Bazar. Er iſt in ſeinen Dimenſionen rieſig groß – aber hält auch nicht den entfernteſten Vergleich mit jenem von Konſtantinopel aus. Der Abhub franzöſiſcher und deutſcher Fabrikate iſt hier aufgeſpeichert, ſelten nur findet man heimiſche, nationale Produkte – nur der Lebensmittelmarkt macht hievon eine Ausnahme. Der Bazar von Smyrna iſt eine koloſſale Markthalle für den lokalen Bedarf, jener von Konſtantinopel iſt eine nationale Merkwürdigkeit, eines von den Wundern Stambuls. Um Teppiche, Seidenwaaren oder perſiſche Stoffe, die in und um 99 Smyrna fabrizirt werden, zu kaufen, muß man eigene Etabliſſements aufſuchen, die außerhalb des Bazars ſich befinden. – Auf dem Heimwege blieben wir noch ein Viertelſtündchen auf der Karawanenbrücke ſtehen. Sie führt über den Melis, an deſſen Ufern die Kameele Raſt halten. Ein paar hundert Thiere hielten daſelbſt Lager, die Mehrzahl war niedergekniet und kaute an den letzten Reſten im Futterſacke, die übrigen ſtanden neuer Laſten und neuer Mühſal gewärtig. Wir hörten hier das heiſere, an das Jammern der Kinder mahnende Gewimmer des Kameeles, in das dieſes Thier aus- bricht, wenn es von der Peitſche des Treibers ermahnt wird, ſich zu erheben und ſeine Wanderung fortzuſetzen. Es war ein echt orientaliſches Bild, das ſich von der Brücke aus bot und damit der europäiſche Chic nicht fehle, hatte am Ende des Lagers ein Photograph ſein Zelt aufgeſchlagen, um das Bild aufzunehmen. Photo- graphen gibt es hier, wie überall, an allen Ecken und Enden. Ich wette, wir ziehen demnächſt durch die Wüſte und finden am Eingange einer Oaſe eine rieſige Tafel: Photographie de Mr. X. – Cinq minutes. – Prix moderé 2c. – – Es war ſchon dunkel, als wir wieder an Bord kamen. Das Diner wartete bereits, wir ſpeisten bei Lucull, beim Lloyd wollte ich ſagen. Unſer Deſſert bot wie täglich die verlockendſten Dinge: duftende Aepfel von Amaſia, Birnen von Trapezunt, ölig-ſüße Trauben von Smyrna, Melonen von Caſſaba, friſche Feigen und Orangen – Herz, was begehrſt du noch? - –=5&s=– Jlach Rthen. Athen, 7. November. Vorgeſtern Abends verbrachten wir noch ein paar glückliche, unvergeßliche Stunden an Bord des „Pluto“ im Golf von Smyrna. Der gewöhnliche Mittagstiſch hatte ſich vergrößert, da die Vertreter des Lloyd in Smyrna und einige der angeſehenſten Familien der Stadt zum Diner geladen worden waren. Auch die Kapitäns der im Hafen liegenden Lloyddampfer – die Flagge des Lloyd iſt in allen Häfen und auf allen Meeren des Orients zu finden – waren unſere Gäſte. Das angenehme und gemüthliche Daheim, das wir auf unſerem Schiffe gefunden, ward durch dieſe Vermehrung keineswegs geſtört und der Abend verflog unter heiteren Geſprächen und Austauſch gegenſeitiger Anſchauungen über türkiſche Zuſtände. Beim perlenden Champagner ſtimmten wir freudig in das Hoch ein, das Baron Joſeph Morpurgo der Gaſtfreundſchaft brachte, die uns in ſo reichem Maße in Smyrna zu Theil geworden, 101 und zogen uns dann auf das Verdeck zurück, um den Inhalt unſerer bereitſtehenden Tſchibuks in Rauch auf- gehen zu laſſen. Unſer Kapitän hatte uns eine kleine Ueberraſchung bereitet. Das Verdeck war mit Lampions behängt und von der Kapitänsluke flammten bengaliſche Feuer auf, welche die Finſterniß, die uns umgab, ma- giſch aufhellten. Ueber uns leuchteten am klaren Himmel zahlloſe Sterne, die phosphoreszirenden Fluthen waren mit kühngeſchwungenen blaugrünen Arabesken bedeckt, und ſo hatten wir im Golfe von Smyrna unſere kleine Illumination, die freilich mit der kürzlich im Bosporus geſehenen keinen Vergleich aushielt. Aber Himmel und See ſind unter allen Zonen ſchön, und in einem kleinen, mit morgenländiſchem Flitter aufgeputzen Kiosk, behaglich in ein Fauteuil geſtreckt, ausruhen, den Rauch in die Lüfte blaſen, bald die Sterne bewundern, die in den Schleier der Milchſtraße eingewebt ſind, bald wieder den Blick dem Reigen zuwenden, den geheimnißvolle Geiſter auf den Wellen ausführen, oder den Stern be- neiden, der fern am Horizont aus dem All in das Meer hinabſtürzt – gehört wahrlich zu den beneidens- wertheſten Situationen des Lebens – wir durchlebten ſie und waren darum im Golf von Smyrna ebenſo glücklich und heiter wie in dem ſonnebeſtrahlten, in tauſend Feuern erglühenden Bosporus. – – - Ach, während wir jene glücklichen Stunden durch- träumten, ahnte Niemand, was uns bevorſtand. Wir lichteten am nächſten Morgen die Anker und man er- zählte uns, daß wir – ich wenigſtens zählte zu der Minorität, die ſich des geſundeſten Schlafes erfreute – einen heftigen Sturm verſchlafen. Die Blitze leuch- teten und der Donner rollte die ganze Nacht, während uns Briefe, die wir heute aus der Heimat erhalten 102 hatten, von tüchtigen Schneefällen berichteten. Die Luft war bedeutend abgekühlt, Regen und Sonnenſchein wechſelten raſch ab – die Schiffsoffiziere aber ſchauten uns mit bedauernden Blicken an und meinten, die hohe See, die wir in wenigen Stunden erreichen ſollten, dürfte uns einige Nachwehen des nächtlichen Unge- witters bringen. Uns ſchwante nichts Gutes, aber wir wollten uns vorläufig unſere gute Laune nicht ſtören laſſen und zogen uns in das Rauchkabinet zurück, in dem wir plaudernd bis gegen 1 Uhr Mittags verweil- ten. Wohl ſahen wir von dem kleinen Guckloche unſeres Kabinets die Wellen immer höher und höher ſteigen und den Schaum zu kleinen Hügeln ſich aufthürmen, aber da uns die empörte See in unſerem Wohlbehagen nicht ſtörte, blieben wir guten Muthes. Da fiel mir, als dem Vorwitzigſten, ein, den Rummel ein wenig vom Verdeck aus anzuſehen, ich trat hinaus, die Anderen folgten mir und – Halb zog ſie ihn, halb ſank er hin Und ward nicht mehr geſeh'n. – – – Nicht eine Sekunde hatten wir in die empörte Fluth geſehen, als die Berge an der Küſte zu tanzen anfingen und wir mit ihnen. Wir mußten uns krampfhaft am Geländer feſthalten und Kajüte und Bett war die einzige Loſung, die man hörte. Wir hatten uns kaum auf das Lager hingeworfen, als das Schiff einen Cancan auf- zuführen begann, an den ich Zeit meines Lebens denken werde. Erſt wurden wir von oben nach unten, dann von rechts nach links und umgekehrt gehoben, geworfen und geſchleudert – ich hielt mich krampfhaft feſt, da ich fürchtete, aus dem Bette geſchleudert zu werden, 103 empfahl meine Seele dem Herrn und ließ über mich ergehen, was da kam. Und es kam arg, ſieben Stunden währte das Unwetter, wir hatten, um uns ſeemänniſch auszudrücken, zuerſt alte, und dann, um einige freudige Abwechslung in den Jammer zu bringen, gekreuzte See. Jeden Augenblick hörte man ein Krachen und Poltern, als ſtürze das Schiff zuſammen, die Wellen ſchlugen an meinem Fenſter empor, ich drehte mich nach allen Richtungen der Windroſe – blieb zuletzt für Alles gleichgiltig und mein ganzer Ideenkreis ſchrumpfte endlich in dem einen Gedanken zuſammen: Ich wollte, es wäre Abendzeit und der Finanzwächter bei der Favoriten- linie in Wien ſtellte die hochnothpeinliche Frage an mich, ob ich nichts Steuerbares habe. Ich glaube ſogar, ich habe, um die zürnenden Götter zu verſöhnen, gelobt, diesmal dem Staatsſäckel kein Schnippchen zu ſchlagen nnd Alles genau anzugeben, was ſich Zollfreundliches in meinen Koffern befände – ſelbſt den in glänzenden Blechkiſten verpackten türkiſchen Tabak. Gott beſtärke mich und die geſammte im Oriente verſammelte Geſell- ſchaft aus Oeſterreich zum Wohle des Reiches und zur Freude unſeres Finanzminiſters in dieſem frommen und löblichen Vorſatze! - In der Nacht hatte ſich der Sturm gelegt und als wir uns im Morgengrauen dem Piräus näherten, konnten wir wieder das Verdeck betreten. Das Unwetter hatte uns zwar gehörig durchgebeutelt, wir waren matt und hatten Alle etwas Katzenjämmerliches in unſeren Phyſiognomien, aber trotzdem ſchlürften wir mit Wonne die friſche Luft ein. Um 10 Uhr landeten wir in Piräus, der kleinen Stadt, die ſich ſeit zehn Jahren bedeutend vergrößert hat, deren Bedeutung jedoch im Vergleich mit anderen Hafenſtädten ſich faſt auf Null reduzirt. In 104 vierzehn Minuten waren wir mit der Eiſenbahn in Athen – auf dem klaſſiſcheſten Boden der Welt. Die üppige, dem Nordländer höchſtens nur aus Treibhäuſern und Schilderungen bekannte Vegetation feſſelte vor Allem unſere Blicke. Längs der Wege erblickten wir ſtaunend gewaltige Zäune aus rieſigen Agaven und Kaktus von doppelter Manneshöhe, die Alleen waren mit Feigenbäumen und immergrünen Eichen bepflanzt, die Aloe ſtand in Büſchen auf freiem Felde, ihre Rieſen- blätter fächerartig um ſich breitend und die gewaltigen Samendolden gen Himmel ſtreckend – die Palme mit ihrem wunderſam geformten Stamme und der impo- nirenden Blätterkrone ſtand friedlich neben der fein- nadeligen Weimuthskiefer, ein lebendiges Dementi des bekannten Heine'ſchen Gedichtes. Von der Bewunderung dieſer herrlichen Tropenwelt erfüllt, betraten wir in gehobener Stimmung das Heiligthum Athens, die ſelbſt in ihren Trümmern und Ruinen ehrfurchtgebietende Akropolis. Wir verweilten volle fünf Stunden in dem „einzigen Weihgeſchenk der Götter“, das von dem hohen Kunſtſinn Athens das glänzendſte Zeugniß ablegt, von jenem Kunſtſinn, der einſt die Hauptaufgabe, die leitende Idee des Staates bildete. Man erläßt es mir wohl, die Wunder der Akropolis detaillirt zu ſchildern, nach- dem doch dem Publikum die umfaſſendſten, eingehend- ſten und tiefſinnigſten Beſchreibungen in allen Sprachen, die das gebildete Europa ſpricht, ſeit Jahren vorliegen. Wir bewunderten die prachtvolle marmorne Freitreppe, die zu den Propyläen führt, ſchauten hinab in das Odeon des Herodes, beſichtigten die wirr im Vorhofe durcheinanderliegenden Marmorfragmente, Grabſteine, die Köpfe und Rümpfe der antiken Figuren, warfen einen Blick auf den Haufen Kanonenkugeln, die von 105 dem letzten Bombardement der Barbaren, wie man hier ſagt, ſtammen, beſuchten den Tempel der Nike und ruhten dann in der großen Halle der Propyläen aus. Trunken ſchweifte unſer Blick nach dem Meere, das ſonnenbeglänzt vor uns lag; aus der phaleriſchen Bucht ſteigt das vielgipfelige Aegina mit dem zuckerhutförmigen Ilias empor – dort weit unten tauchten Inſeln aus den Fluthen empor, Platia, die vielgenannte Pantemiſia, am fernſten Ende des Horizonts erſcheint der Hügel, von dem Kerxes inmitten ſeines Hofes die Schlacht von Salainis ihrem verhängnißvollen Ende zueilen ſah – uns zur Rechten dehnt ſich Athen mit ſeinen zwei, das Häuſermeer durchſchneidenden Straßen – die Töne einer Janitſcharenmuſik dringen bis zur Akropolis herauf und ſtören momentan den Zauberkreis, in den wir uns gern bannen ließen. Ueberhören wir den modernen Kriegs- lärin und laſſen wir vor unſerem geiſtigen Auge die Wagen, Reiter und Opferthiere im feſtlichen Zuge vorbeigleiten, wie ſie auf dem Felskamme heraufkamen, um beim panathenäiſchen Feſte zu erſcheinen. Dort hoch oben ſtand die rieſige Statue der Athene Promachos, deren in der Sonne blitzende Lanzenſpitze weit draußen auf hoher See den Schiffern gleichſam als Leuchtfeuer entgegenflimmerte, unter uns aber dehnt ſich der Areopag, die große Richtſtätte des alten Athen, wo die erſten Schwurgerichte der Welt über Schuldig oder Nicht- ſchuldig aburtheilten, wo Oreſt von der entſetzlichen Blutſchuld des Muttermordes freigeſprochen wurde und Paulus vor Gericht ſtand, und vom jenſeitigen Berge ſchreiten die furchtbaren Eumeniden herüber, um in die finſtere Felslluft einzuziehen, die man vom Fuße des Berges aus erblickt. – Wohin unſer Auge blickt nichts als Säulentrümmer, Torſos, Kapitäler, Marmorblöcke, 106 Basreliefs, zerſchmetterte Figuren, Ueberreſte einer ver- ſunkenen Welt . . . . Nachdem wir uns ſatt geſehen und ausgeträumt, brachen wir auf und begaben uns in den niedlichen Miniaturtempel der ungeflügelten Siegesgöttin, wir durchziehen nochmals die Propyläen, überklettern Blöcke und Felſen, beſehen das Erechtheum, die Karyatidenhalle mit den prachtvollen attiſchen Frauenſtatuen, das Parthenon und traten von dort tief bewegt den Rückweg an. – Es war Abend geworden, als wir wieder am Fuße des Berges anlangteu – noch einige Augenblicke dem Beſuche des Theaters des Dionyſios widmeten und uns in den marmornen Fau- teuils niederließen, die rings um die Orcheſtra laufen. –– Ueber die Fahrt des Kaiſers durch die Dardanellen und den Aufenthalt in Athen erfuhren wir hier einige intereſſante Einzelnheiten. Die Fahrt durch die Dardanellen lief glücklich ab und die Reiſegeſellſchaft konnte mit Muße die Ovationen bewundern, die man dem öſterreichiſchen Kaiſer aller- orts brachte. Der Hafen von Gallipoli prangte im Flaggenſchmucke, von den Dardanellenſchöſſern erdröhnten die Salutſchüſſe, überall hatten die Konſulate feſtlich ge- flaggt. Die kaiſerliche Eskadre, die aus dem „Greif“ (Kommandant Linienſchiffskapitän v. Pauer), der „Eliſa- beth“ (Schiffskapitän v. Kern) und dem „Gargnano“ (Fre- gattenkapitän v. Nölting) beſtand, wurde am Ausgange der Dardanellen durch die Panzerfregatte „Ferdinand Max“ und das Kanonenboot „Kerka“ verſtärkt. Am 3. No- vember Morgens langte man, nachdem während der ſtürmiſchen Nacht ein großer Theil der Reiſegeſellſchaft die unangenehme Bekanntſchaft der Seekrankheit gemacht hatte, in Piräus an. Der König von Griechenland kam an Bord des „Greif“ und begrüßte den Kaiſer in herz- 107 licher Weiſe, in Boten fuhr man hierauf dem Landungs- platze zu. Der Landungsplatz in Piräus war mit Triumphbögen geziert, welche die deutſche Inſchrift trugen: „Den konſtitutionellen Kaiſer und König von Oeſterreich- Ungarn begrüßt mit Freude und Ehrfurcht der Magiſtrat und die Gemeinde Piräus.“ Bei der Ankunft in Athen ſowohl wie im königlichen Schloſſe fanden feier- liche Begrüßungen der Oeſterreicher ſtatt – es erfolgte die offizielle Vorſtellung, bei denen der König und die Kö- nigin viele Freundlichkeit zeigten. Am zweiten Tage ſollte eine glänzende Beleuchtung des Akropolis ſtatt- finden, dieſelbe mußte aber des ſtürmiſchen Wetters wegen unterbleiben. Am 4. November Abends verließ der Kaiſer und ſein Gefolge wieder den Piräus und trat die Reiſe nach Jaffa an. Jm griechiſchen Parlamente. Athen, 8. November. Ich hatte zwei Stunden auf den Trümmern des Arcopags zugebracht und auf der Stätte geweilt, auf der vor Jahrtauſenden die Volksverſammlungen der Athener ſtattfanden – es war nur recht und billig, daß ich auf meiner Wanderung durch das moderne Athen auch in das griechiſche Parlament eintrat, in dem die Volks- beglücker der neuen Aera ihr Verdikt über verantwort- liche Miniſter zu fällen haben. Vom Areopag bis zum griechiſchen Parlament in der Nähe der königlichen Burg ce m'est qu'un pas – es liegen nur ein paar Jahr- tauſende dazwiſchen. Wer in dem klaſſiſchen, ſäulen- getragenen Athen einen Parlamentspalaſt in antikem Style zu ſehen erwartet, wird bitter enttäuſcht. Wir traten durch ein Thor, vor dem ein militäriſcher Poſten aufgeſtellt war, in einen ſchmutzigen Hof und erblickten 109 vor uns ein niedriges Gebäude, das eher einem Stalle oder einer Futterkammer, als einem Wohngebäude ähnlich ſah. Drei enge Thüren führten in das Haus, deſſen ſchmale, mit kleinen, trüben Scheiben beſetzte Fenſter, und proſaiſche eiſerne Röhren, die uns unwillkürlich die Rauchableiter einer Trödlerbude in Erinnerung brachten, jede andere Beſtimmung eher ver- muthen ließen, als die das griechiſche Parlament zu zieren. Da iſt unſer vielverſchrieenes Haus vor dem Schottenthor ein wahrer Palaſt gegen die Bretterbude, in der ſich zur Stunde die Abgeordneten Griechenlands verſammeln. Im Hofe trieben ſich zahlreiche Gruppen umher, die laut und eifrig debattirten. Wir betraten das griechiſche Parlament zur glücklichen Stunde, denn eine intereſſante Sitzung ſtand bevor und das Publikum, das in Athen an den parlamentariſchen Debatten An- theil nimmt, ſtrömte maſſenhaft herbei, um der ſtür- miſchen Verhandlung, die in Ausſicht ſtand, beizuwohnen. Die Oppoſition bereitete einen wuchtigen Schlag gegen das Miniſterium Zaimis vor. Das Kabinet hatte Tags vorher einen kleinen Staatsſtreich ausgeführt, der die politiſche Welt Athens in einige Aufregung verſetzt hatte. Zu einer ganz ungewöhnlichen Zeit – an einem Sonntag – war plötzlich eine Sitzung anberaumt worden und die Freunde des Miniſteriums hatten Sorge getragen, die Majorität faſt vollzählig zu verſammeln, während die Oppoſition nur durch einige Mitglieder vertreten war. Man votirte mit möglichſter Raſchheit das geſammte Budget, beſchloß überdies ein Vertrauensvotum für die Regierung und beendete dann, zufrieden mit dem mo- mentanen Sieg, die Sitzung. Am nächſten Tage erfuhr das überraſchte Athen die Vorgänge im Sonntagspar- lamente, und ſchon in der nächſten Sitzung ſollten die 11() feindſelig ſich gegenüberſtehenden Parteien aufeinander platzen. Die beiden Führer der bisher nicht geeinigten oppoſitionellen Fraktionen, Bulgaris und Comenduros, hatten ſich verſtändigt, um gemeinſchaftlich gegen das Miniſterium zu operiren. Die Rollen waren vertheilt, der Feldzug organiſirt, die Heerführer und ihre Knappen gerüſtet – es bedurfte nur des Alarmſignales vom Präſidententiſche und das Treffen konnte beginnen – wir waren, wie geſagt, zur glücklichen Stunde in das griechiſche Parlament eingetreten. Als wir gegen 11 Uhr erſchienen, war dem Publikum die Erlaubniß, den Saal zu betreten, noch nicht ertheilt, wir wandten uns daher an den Quäſtor des Hauſes um Eintrittskarten. Der griechiſche Kupka, ein äußerſt höflicher Mann, der ge- wandt franzöſiſch ſprach und das kleidſame National- coſtume trug, hatte kaum unſere Namen erfahren – wir paſſirten ſämmtlich als Paſſagiere des eben ein- gelaufenen „Pluto“, alſo als Vertreter des Lloyd – als er ſofort befahl, die Diplomatenloge uns zur Ver- fügung zu ſtellen und den Dienern einſchärfte, alle unſere Wünſche gewiſſenhaft zu erfüllen. Ueber eine ſchmale Stiege kletterten wir empor und gelangten in die Loge, die Raum für ungefähr zwölf Perſonen hat und mit bequemen Sammtfauteuils möblirt iſt. Die Sitzung hatte noch nicht begonnen und wir hatten hin- länglich Zeit, das Haus zu betrachten. Es hatte offen- bar mehr Aehnlichkeit mit jenen Lokalen, in denen die bekannten Arbeiterbeglücker Wiens Laſſalle'ſche Theorien zu entwickeln pflegen, als mit einem Parlamentsſaal, in dem unſere Kaiſerfeld's und Hopfens zu präſidiren ge- wohnt ſind. Der Saal war aus Holz gebaut, das theils weiß, theils blaßgrün angeſtrichen war – zwiſchen zwei Reihen Holzſäulen von primitivſter Form erhob 111 ſich amphitheatraliſch das eigentliche Haus – d. h. es ſtanden in drei, durch Gänge getrennten Reihen je ſieben mit grünem Tuche überzogene Bänke, die deutliche Spu- ren trugen, daß auf denſelben nicht nur die zum Sitzen beſtimmten Extremitäten der verehrlichen Abgeordneten, ſondern auch deren reſpektive Fußſohlen, und zwar im vom Kothe der Hermesſtraße noch nicht gereinigten Zu- ſtande Poſto gefaßt haben mußten. Die Beleuchtung erhielt der Saal am Tage durch vier dachlukenartige Fenſter und am Abende durch ärmliche Oellämpchen, die an den Säulen angebracht waren – die zwei letzten Bänke waren durch einfache, an den Lehnen der vorderen Sitzreihen angebrachte Bretter zu Schreibtiſchen um- gewandelt – rückwärts ſtanden eiſerne Oefen, wie ſie unſere Tandler dutzendweiſe das Stück um zwei Gulden ausbieten, und die, für die Winterſaiſon beſtimmt, die Atmoſphäre des Saales gerade nicht in der angenehm- ſten Weiſe parfümiren dürften; in einer Ecke lehnte ein Stuhl mit drei Füßen, der ſein viertes Bein, wie uns ſpäter einfiel, vielleicht in einer heißen parlamen- tariſchen Schlacht an dem Dickſchädel eines eigenſinni- gen Hellenen eingebüßt hatte. Rings um den Saal waren in mäßiger Höhe Logen und Galerien angebracht, für etwa zweihundert Perſonen berechnet; neben der Diplomatenloge befand ſich der k. Salon mit rothen Draperien aufgeputzt – in der Mitte der den Depu- tirtenſitzen gegenüberliegenden Längenſeite des Saales ſtand der Tiſch des Hauſes auf einer nothdürftig zu- ſammengezimmerten, mit grünem Tuch beſpannten Eſtrade – da, wo das grüne Tuch Lücken ließ, hatte man dieſe mit farbigen Teppichfetzen verſtopft. – An dem läng- lichen Tiſche ſaßen der Präſident, der Vizepräſident und ein Schriftführer, vor dem Präſidententiſche ſtand eine 112 kleine Rednertribune und zur Seite derſelben nahmen die Beamten des Hauſes auf den Stufen der Eſtrade ſelbſt Platz. Oberhalb des Präſidenten war das Bild des Königs, eine in Oktavgröße angefertigte Lithographie, aufgehängt und dem Präſidenten gegenüber, alſo mit dem Rücken gegen die Abgeordneten, nahmen die Mi- niſter Platz, deren Bank durch nichts von den Plätzen portefeuilleloſer Volksvertreter unterſchieden war, ſo zwar, daß die Miniſter einfach in der Mitte der erſten Bank ihre Sitze einnahmen, während knapp neben ihnen rechts und links Abgeordneten ihre Plätze inne hatten. Ein hölzerner Tiſch, der vor den Miniſtern ſtand und auf den ſpäter von einem Diener ein Dintenfaß geſtellt und ein Buch Papier gelegt wurde, machte für die Fremden den Platz erkenntlich, wo ſie die Miniſter des griechiſchen Parlamentes zu ſuchen hatten. Ungefähr 80 Depu- tirten hatten ſich, als wir unſere Loge betraten, bereits im Saale eingefunden, ſtanden in Gruppen plaudernd beiſammen oder lagerten auf den Bänken; die große Mehrzahl rauchte, während der Reſt die Beſchäftigung des Baron Petrino trieb, der bekanntlich ſeine freie Zeit während der Sitzungen des öſterreichiſchen Abgeordneten- hauſes – und er genießt dieſelbe in reichem Maße – mit dem Wickeln zierlicher Cigarretten zubringt, einer Beſchäftigung, in der er eine beneidenswerthe Fertigkeit er- langt hat. Die Rauchwolken, die von allen Seiten durch den Saal getrieben wurden, machten die Luft gerade nicht reiner, aber darauf ſchien Niemand zu achten. Ein Theil der Abgeordneten hatte die Lehnen der Bänke mit Beſchlag belegt und ließ die Füße über die nächſte Bank hinaus auf die Sitze der Vordermänner baumeln, während Andere die parlamentariſche Bequemlichkeit noch weiter trieben und ſich vor Beginn der Sitzung auf den 113 Bänken recht behaglich ausſtrecken. Diener eilten in- zwiſchen mit Kaffee und Waſſer durch den Saal und ſervirten den unentbehrlichen Mokka einigen Abgeord- neten, die, wahrſcheinlich in der Haſt, ihrer Berufspflicht pünktlich nachzukommen, das Frühſtück zu Hauſe ein- zunehmen vergeſſen hatten. Von den Abgeordneten trug ungefähr ein Drittel nationales Coſtume, die Mehrzahl aber franzöſiſche Kleidung, Alle aber behielten Hut oder Fez auf dem Kopfe und ein Theil legte die Kopfbe- deckung ſelbſt während der Sitzung nicht ab. Der Prä- ſident ſaß in ſeinem Fauteuil und hörte mit dem Gleich- muth eines echten Philoſophen auf die Fragen und Be- merkungen, die von allen Seiten an ihn gerichtet wurden. Von der Seite aus geſehen, hat Präſident Chriſtides einige Aehnlichkeit mit Franz Deak, an den auch ſeine unerſchütterliche Ruhe, die er im Laufe der Sitzung während der aufregendſten Szenen zu bewahren wußte, erinnert. Auch er trägt ein leichtes Käppchen mit einer Quaſte, das er aufbehält, ſelbſt nachdem ſeine amtliche Funktion bereits begonnen. – Nach und nach iſt es 12 Uhr geworden, der Präſident, der jeden Augenblick Diener mit Aufträgen entſendet und einen Beamten des Hauſes auch in unſere Loge abſchickte, um Erkun- digungen einzuziehen, ob wir gut verſorgt wären, ſcheint endlich die Einläufe geordnet zu haben und eröffnet die Sitzung mit einem minutenlangen Läuten, das aber keineswegs ſofort die wünſchenswerthe Ruhe herſtellt. Es bedarf – c'est tout comme chez nous – wieder- holter energiſcher Glockenzeichen, um die Abgeordneten zu vermögen, ihre privaten Diskuſſionen aufzugeben und ihre Plätze einzunehmen. Da die Glocke nicht ausreicht, erhebt ſich der Präſident und fordert die Säumigen auf, ſich auf ihre Sitze zu begeben. Man will vor Allem 8 114 die Beſchlußfähigkeit des Hauſes konſtatiren und der Schriftführer verliest die Namen. Das langweilige Geſchäft nimmt ungefähr eine Viertelſtunde in Anſpruch, während welcher Zeit es an den Eingangsthüren, wo das Publikum Eintrittskarten auf die Galerien verlangt, ziemlich ſtürmiſch zugeht, ſo daß der Präſident wiederholt bewaffnete Hausoffiziere mit dem Auftrage betrauen muß, die Ruhe herzuſtellen. Die Beſchlußfähigkeit iſt konſtatirt und jetzt erſt wird das Publikum eingelaſſen. Die Galerien werden früher militäriſch beſetzt, je zwei Mann mit aufgepflanztem Bajonnet poſtiren ſich in vorderſter Reihe an den Enden der Galerien und nun ſtrömen die Neugierigen lärmend in die Räume. Inzwiſchen haben ſich auch die Bänke der Abgeordneten gefüllt, es befinden ſich auffallend viele junge Männer im Hauſe und die Kahlköpfe, die bei uns in ſo entſchiedener Majorität ſind, kommen hier nur vereinzelt vor. Ein eisgrauer Abgeordneter in phantaſtiſcher Tracht, mit rothſammte- ner, goldverzierter Jacke, weißen Pluderhoſen und rothen Gamaſchen feſſelt unſere Aufmerkſamkeit. Er ſitzt ruhig auf ſeinem Platze in der letzten Bank, dreht ſeinen grauen Schnurrbart und ſcheint wie verächtlich auf das wüſte Treiben zu blicken, das im Saale herrſcht. Nach und nach erſcheinen auch die Miniſter: Delijanis, der Miniſter des Aueßern, eine feine Geſtalt mit ausdrucks- vollen Geſichtszügen, Zaimi, das Haupt des Kabinets u. ſ. w. Sie legen ihre Hüte vor ſich auf den Tiſch und verkehren wenig mit den Abgeordneten, von denen nur einige die Räthe der Krone flüchtig begrüßen. Der Präſident verkündet die Beſchlußfähigkeit, der Schrift- führer verliest das Protokoll der letzten Sitzung. Das Protokoll iſt diesmal von großer Bedeutung; tiefe, feier- liche Stille herrſcht im Saal, die Meiſten haben zu - 115 rauchen aufgehört – es iſt die Ruhe, die dem Sturme vorhergeht. Kaum iſt das Protokoll verleſen, als ein im Cen- trum ſitzender Abgeordneter ſich erhebt und einige Worte ſpricht, mitten in der Rede wird er von einem Anderen unterbrochen, aber auch den Unterbrecher trifft dasſelbe Schickſal, das er ſeinem Vorredner bereitet; vier, fünf Abgeordnete beginnen gleichzeitig zu ſchreien, bald be- theiligt ſich ein ganzes Dutzend an dem Lärm, auf der Linken ſpringen zwei heißblütige Redner auf die Bank und geſtikuliren mit Händen und Füßen gegen ihre Gegner, dieſe glauben offenbar von ihren niedrigeren Standpunkten nicht ausgiebig genug ihren Worten Nach- druck verleihen zu können und ſpringen gleichfalls auf die Bänke; man ſchreit hinüber und herüber, der erſte Redner im Centrum aber, der über die ſtärkſte Lunge gebietet, überſchreit Alle und behauptet ſchließlich das Schlachtfeld, ein Sieg, mit dem auch das Publikum auf den Galerien einverſtanden zu ſein ſcheint. Aber noch iſt die Szene nicht zu Ende, der Mann des Centrums iſt offenbar zu weit gegangen, denn neuerdings wird er unterbrochen und von allen Seiten ſtürmt man jetzt auf ihn ein, und da der Störenfried – der Mann erinnert unwillkürlich an unſeren wackern Greuter – keinen Frieden halten will, packt ihn ſein Hintermann einfach mit beiden Händen an den Schultern und drückt ihn gewaltſam auf ſeinen Sitz nieder. Das Mittel wirkt, die Ruhe iſt hergeſtellt und der Präſident, welcher der lärmenden Epiſode ruhig zugeſehen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen oder den Verſuch zu machen, mit ſeiner Autorität zwiſchen die Streitenden zu treten, kann die Sitzung wieder fortſetzen laſſen. Ein junger Mann, gleichfalls im Centrum ſitzend – das sie Centrum 116 ſcheint der Sammelplatz der enragirteſten Hitzköpfe des Parlaments zu ſein – verlangt das Wort und eilt ſofort auf die Tribune. Es iſt ein Mitglied der Oppo- ſition, das ſpricht und man hört ihm aufmerkſam zu. Er erklärt, er wolle den Standpunkt der Oppoſition ruhig auseinanderſetzen, und von vielen Seiten begrüßt man dieſe Erklärung mit Beifall. Der Redner ver- dammt das Auftreten der Majorität in der geſtrigen Sitzung und verlangt, daß die Beſchlüſſe für null und nichtig erklärt werden. Das hieß Oel ins Feuer gießen – ein heilloſer Lärm entſteht. „Hinunter“ rufen die Einen, „ſprechen laſſen“, ſchreien Andere, – eine An- zahl Abgeordneter ſtürmt gegen die Tribune und droht von Worten zu Thaten zu ſchreiten, der Mann auf der Tribune aber blickt ſie mit verſchränkten Armen heraus- fordernd an und ſein Trotz ſcheint den Gegnern zu im- poniren. – Im Saale erneuert ſich die frühere Szene, Dreißig, Vierzig ſchreien gleichzeitig – Handbe- wegungen und Füßeſtampfen helfen da aus, wo die Worte nicht mehr ausreichen – jeden Augenblick glaubt man, jetzt müſſen ſich die Streitenden in die Haare fahren. – Endlich wird die Situation auch dem Prä- ſidenten zu arg, mit mächtiger Hand ſchwingt er die Glocke und erzwingt ſich Ruhe. Mit bewegter Stimme wendet er ſich an das Haus und beſchwört es, die Würde der Verſammlung nicht zu verletzen, und gleich- zeitig richtet er auch an die Galerie die ernſte Mahnung, ſich ruhig zu verhalten, da er ſonſt das Publikum ent- fernen laſſen würde. Der Redner kann jetzt wieder fortfahren, aber er hat nicht zwanzig Worte geſprochen, als der Skandal abermals beginnt. Die Galerie unter- ſtützt die Oppoſition, der Präſident erhebt ſich und rich- tet an die oberhalb ſeines Sitzes befindliche Loge eine 117 letzte Mahnung. Man antwortet von oben, ein Wort- wechſel entſteht – aber dieſe Epiſode verliert ſich in dem Chaos, das im Saale ausbricht. Ein Abge- ordneter, im Nationalcoſtume, der in der zweiten Bank hinter den Miniſtern ſitzt, hat ſich erhoben und ſchreit mit gellender Stimme einige Worte – wie ich ſpäter hörte, enthielten dieſelben eine flagrante Beleidigung der Oppoſition. Und nun beginnt eine Szene, wie ſie wohl ſelten in einem Parlamente erlebt wurde und die genau zu beſchreiben geradezu unmöglich iſt. Ein rieſiger Mann ſpringt von rückwärts über zwei Bänke auf den Beleidiger und wirft ihn mit einem gewaltigen Fauſt- ſchlag zu Boden. Der Angegriffene wehrt ſich, ſein Gegner aber macht kurzen Prozeß, er reißt ſeinem Opfer den Fez vom Haupte, erfaßt ſeine weißen Haare und beginnt ihn tüchtig zu beuteln. Zwei Freunde kommen dem Unterliegenden zu Hilfe, ſie packen den Rieſen, reißen ihm die Jacke ab und zerfetzen ſein Hemd. Jetzt eilen von allen Seiten Freunde und Feinde herbei, man erhebt die Stöcke und beginnt unerbittlich die Rücken der Kämpfenden zu bearbeiten, die Schläge fallen ſo wuchtig, daß der Staub der Kleider hoch aufwirbelt. Man faßt ſich an den Ohren, bei den Haaren – wo die Hand nicht ausreicht, werden Schläge mit den Füßen applizirt, und endlich iſt im Centrum nichts als ein wirrer Knäuel zu erblicken, in dem unbarmherzig einer den Anderen durchkeilt, und aus dem hin und wieder die Bambusrohre auftauchen, wenn ihre Beſitzer zu neuen Schlägen ausholen. Umſonſt verſucht der greiſe Abge- ordnete, der uns beim Eintritt in den Saal durch ſeine imponirende Ruhe auffiel, die Kämpfer zu trennen, er erntet nur Undank und Püffe – ein Abgeordneter iſt bereits blutig geſchlagen, ein anderer bringt ſeinen Körper und ſeine zerriſſene Kleidung in Sicherheit – die Mehr- 118 zahl aber bedeckt das Haupt und verläßt den Saal. Auch die Miniſter, die bis jetzt, ohne den Kopf nach dem Schauplatz des Kampfes zu wenden, da geſeſſen, finden die Situation unheimlich und ſchreiten gegen die Thüre. Niemand hört auf den Glockenſturm des Prä- ſidenten – Niemand achtet auf die Rufe der Haus- offiziere, Griechenlands Kupka ſucht mit Gewalt die Ord- nung herzuſtellen, aber auch er entgeht dem Schickſal der Anderen nicht, und Freund wie Feind erproben an dem Bedauernswerthen die Kraft ihrer Fäuſte. Da ſich endlich auch die Galerie in den Streit miſcht und die Parteien im Publikum gleichfalls Miene machen, ſich zu meſſen, ſv hielten wir es für angemeſſen, den Schauplatz zu räumen, und dies um ſo raſcher, als die bewaffnete Macht von allen Seiten herbeieilt, und wir Konflikte mit Bewaffneten in fremden Landen gern vermeiden. Erſchöpft und aufgeregt gelangten wir ins Freie. Der Hausoffizier, der uns eingeführt, folgte uns und ſuchte uns zu beſchwichtigen. – „Dergleichen Szenen“, meinte er lächelnd, „ſeien ſchon öfter vorgekommen und hätten noch immer mit der Verſöhnung der Streitenden geendet. Heute ſei es freilich ein wenig ärger geweſen, als ge- wöhnlich.“ – Wir aber hatten wenig Luſt umzukehren und zogen es vor, nach dem Hotel d'Angleterre zu gehen und dort unſer Dejeuner einzunehmen. Wie wir nach- träglich erfuhren, räumte die Oppoſition das Feld, kehrte aber bald wieder zurück und die Sitzung dauerte unter fortwährendem parlamentariſchem Sturme bis zum Abend. Die Schlacht endete ſchließlich mit dem Siege des Kabinets, – mir aber ſchien es intereſſant, für die Leſer dieſes flüchtige Croqui hinzuwerfen und mit ihnen eine Stunde zuzubringen – im griechiſchen Par- l am ente! - SR3- Im modernen Rthen. Ath en, 8. November. Heißblütige Athenienſer, die ohne ihren Demoſthenes nicht aufſtehen und ohne einen Gang in die Akropolis ſich nicht zur Ruhe legen können, träumen noch immer von dem Wiederaufleben des alten Glanzes, von dem Wiedererſtehen der Macht und Herrlichkeit Athens. Sie glauben, Athen werde ſich politiſch und künſtleriſch ver- jüngen, die alten Tempel werden wieder erſtehen, die Ruinen mit Schöpfungen der neuen Zeit ſich bedecken, die Helden des Landes an der Spitze beutebeladener Schaaren einziehen in das meerumfloſſene Byzanz u. ſ. f. In dem ganzen Weſen des Volkes, in der iſolirten Lage der Stadt, in der täglichen Anſchauung der bewunde- rungswürdigen Ueberreſte einer glorreichen Vergangen- heit, findet dieſer Größenwahnſinn ſeine Begründung. Weil ein Paar Millionäre, die zerſtreut in der Welt leben, zufällig Griechen ſind, und weil dieſe in dank- barer Erinnerung an ihr Vaterland Schätze opfern, um 120 Athen mit monumentalen Bauten und wiſſenſchaftlichen Inſtituten auszuſtatten, zieht man aus dieſer allerdings anerkennenswerthen Thatſache – nicht alle Völker rühmen ſich ſolcher Millionäre – überſpannte Konſe- quenzen, die ſich nie erfüllen werden. Man bereichert die Bibliothek Athens, man vergrößert die Univerſität, man baut Muſeen, man baut ein Polytechnikum, aber man baut äußerſt wenig Wohnhäuſer. Und daß dieſer maßgebende Faktor fortſchreitender Civiliſation, geſunder Entwicklung und blühenden Aufſchwungs in Athen fehlt, beweist, daß die Stadt vorläufig bleibt, was ſie war, eine Denkſtätte der Vergangenheit, keine Stadt der Zu- kunft. Unſer praktiſches Jahrhundert rechnet mit prak- tiſchen Faktoren, nicht mit ausgegrabenen Denkmälern und wiedergefundenen Säulen, und wo die natürlichſten Lebensbedingungen des modernen Staates fehlen oder die Pulsadern des öffentlichen, ſozialen, induſtriellen, handelspolitiſchen Lebens, aus denen das geſunde Blut in den Staatskörper fließt, kaum merkbar ſchlagen oder unterbunden ſind, da ſind auch alle Träume von wieder- erſtehender Größe, neu erwachender Macht eitle Hirnge- ſpinnſte verblendeter Thoren! – Wir wurden zu dieſen Betrachtungen angeregt, als wir eine Parallele zogen zwiſchen dem alten Athen, das wir geſtern bewundert, und dem modernen, das wir heute durchzogen. Athen beſitzt nur zwei große Straßen nach europäiſchem Muſter, die Aeolus- und die Hermes- ſtraße, die beide in entgegengeſetzter Richtung die Stadt durchſchneiden. In dieſen beiden Straßen herrſcht reges Treiben, man ſieht da bunte Nationaltrachten und an Sonntagen eine ziemlich bewegte Staffage promenirender Maſſen, die freilich mit der täglich ſich erneuernden Völkerwanderung in Konſtantinopel auch nicht den be- 121 ſcheidenſten Vergleich aushält. – Der Reſt der Straßen iſt öde, todt, unſauber und athmet die ganze Unbehag- lichkeit orientaliſcher Schmutzwinkel aus. Nur der neue Stadttheil, der ſich von der königlichen Burg bis zur neuen Promenade hinzieht, macht hievon eine Ausnahme: in der Nähe der öffentlichen Inſtitute haben ſich hier auch Private angeſiedelt und dieſer Stadttheil hat ein imponirendes Ausſehen – ſteht ja den athenienſiſchen Bauherren der herrlichſte Marmor leichter und billiger zu Gebote, als uns die Ziegel aus den Draſche'ſchen Oefen. Das Wort Luxus ſcheint man in Athen kaum dem Namen nach zu kennen, – außer zwei oder drei Etabliſſements zweiten Ranges in der Nähe der könig- lichen Burg fanden wir in Athen kein einziges Gewölbe, deſſen Inhalt ſich auch nur mit dem Lager eines Ge- miſchtwaarenhändlers in einer der Vorſtädte Wiens meſſen könnte. Ein Paar Trödler, etwelche Schuſter und Schneider, eine Unmaſſe Tabakhändler, einige Buch- händler repräſentiren ſo ziemlich die geſammte Handels- welt Athens. Die Cafés ſind in der primitivſten Weiſe eingerichtet, man findet daſelbſt eben nichts als Kaffee, keine von den Erfriſchungen, die abendländiſche und auch orientaliſche Cafés ſo reichlich bieten – das Wort Ge- frornes exiſtirt in dem kulinariſchen Wörterbuche Athens nicht, Schnee gibt es nur ſehr wenig, und das Eis, das allenfalls zugeführt werden könnte, würde Niemand be- zahlen. Das gibt ein glänzendes Zeugniß für die Mäßigkeit und Anſpruchsloſigkeit der Athener, zeigt aber auch, wie es mit dem Wohlſtand beſtellt iſt. Im Som- mer iſt der Aufenthalt geradezu unerträglich, friſches Waſſer zu erhalten, iſt unmöglich, – ſelbſt die Bäder ſind trotz der Nähe des Meeres im primitivſten Zu- ſtande, und das einzige, das ſich in Piräus befindet, 122 ſteht weit hinter unſerem Wiener Volksbad zurück und man kann da während der heißen Jahreszeit fortwährend die Kampffähigkeit und Gewandtheit der athenienſiſchen Athleten bewundern, die im Streite um die Kabinen- ſchlüſſel förmliche Fauſtſchlachten aufführen. Die kleid- ſame Nationaltracht ſieht man nur noch bei Männern der unteren Stände und einigen enthuſiaſtiſchen Patrio- ten, die Frauen tragen faſt ſämmtlich einfache franzö- ſiſche Kleidung, nur bedeckt oft ſtatt des Hutes ein rother Fez mit Gold- oder Silberquaſten den Kopf, eine Mode, die für den Geſchmack des ſchönen Geſchlechtes in Athen gerade nicht beſonders ſpricht. Schaufenſter, Auslagen habe ich in ganz Athen kaum ein halbes Dutzend geſehen und dieſe waren mit Stickereien und Photographien an- gefüllt. Ein Beweis für die Armuth des Landes iſt vielleicht auch die freilich winzige Thatſache, daß der Photographienſchwindel, wie er doch in ganz Europa bis in das unbedeutendſte Dorf gedrungen iſt, hier nur ſpär- lich ſeine Rechnung findet. Auf der Akropolis vor den verſchiedenen Tempeln lagern zwar die Sonnenmaler und nehmen die monumentalen Trümmer auf, aber ſie arbeiten faſt ausſchließlich für Fremde. Ein Theater wird in Athen nur mit Noth erhalten und iſt in der Regel von einer Truppe dritten oder vierten Ranges beſetzt; öffentliche Gärten gibt es nicht, den königlichen Garten ausgenommen, der freilich einzig in ſeiner Art daſteht und, wie es ſcheint, zum Theile bei der Anlage von Miramar als Muſter benützt wurde. Ein Beſuch des Gartens – von 4 Uhr an iſt er täglich dem Pub- likum geſtattet – lohnt der Mühe. – Gleich beim Eingange rechts feſſeln vier mächtige Palmen, deren Stämme durch Ketten verbunden ſind, den Blick, im Garten ſelbſt finden wir mächtige Bananen, koloſſale 123 Kaktus, die aus gewaltigen Baumſtämmen aufwärts ſtreben, herrliche Platanen, die rothkörnige Pfefferpflanze, blühende Akazien, zwergartige Mandarinenbäumchen, duf- tende Orangenwäldchen, mächtige Eichen, an denen ſich Roſenbüſche bis zum Wipfel emporwinden, fruchtbeladene Feigenbäume, Cypreſſen, Myrthenbüſche und zahlloſe tropiſche und europäiſche Pflanzen. Eine reizende Oran- gerie mit weinlaubumſponnenem Dache führt zu einer wahrhaft überwältigenden Ausſicht, der ſchönſten, die ich auf meiner Fahrt bisher geſehen; – dem Raſen- parterre fehlt natürlich – die erſten Frühlingstage etwa ausgenommen – die Friſche, – an kleinen Tändeleien, wie ſie fürſtliche Parke gewöhnlich aufzuweiſen haben, iſt kein Mangel – es gibt Höhlen, Einſiedeleien, Waſſer- fälle, Grotten, einen Thiergarten en miniature 2c. – Als wir gegen vier Uhr uns im Parke einfanden, fuhr gerade vor dem Hauptportale des Palaſtes eine Hof- equipage vor, um das königliche Paar zu einer Spazier- fahrt abzuholen. Die Equipage war einfach, aber ge- ſchmackvoll, ein offener zweiſitziger Wagen mit zwei hübſchen, von einem Jockey gelenkten Pferden beſpannt. Ein Diener im griechiſchen Nationalcoſtume nahm den Rückſitz ein – der König, der bald an der Seite ſeiner Gattin erſchien, trug einfache franzöſiſche Civilkleidung und rauchte eine Cigarette, die er ſich während des Hinabſteigens von der Treppe raſch gedreht hatte. – König Georgios iſt bekanntlich ſehr jung und macht mehr den Eindruck eines der Leitung eines Gouverneurs bedürfenden Prinzen, als eines Königs, berufen von einem der gefährlichſten Throne unter den ſchwierigſten Verhältniſſen ein leicht erregbares, dabei wankelmüthiges und unverläßliches Volk zu beherrſchen. Seine Gemalin hat eine ſchlanke wohlgeformte Geſtalt, ein Geſicht, aus 124 dem Kindlichkeit und Sanftmuth leuchten – ſie trug, gleichfalls franzöſiſche, mit Geſchmack gepflegte Toilette, doch ſahen wir Photographien der Königin, auf denen ſie eine Art nationales Phantaſiecoſtume trägt. Hinter dem Wagen lief eine Dogge, die früher in einem Winkel des Hofes unbemerkt lag und jetzt in weiten Sprüngen dem raſch dahinrollenden Wagen folgte. König Geor- gios ward von der Volksmenge, die den Eingang des Gartens belagerte und den Platz vor dem Schloſſe füllte, nur ſehr gleichgiltig begrüßt, er erfreut ſich, wie Per- ſonen, denen ich eine gewiſſe Objektivität in ihrem Urtheile zutrauen darf, verſichern, keiner beſonderen Popularität, und ſelbſt bei feierlichen Gelegenheiten müſſen die Rufe, die dem König ausgebracht werden, amtlich vorbereitet werden. Der junge König iſt, wie Leute, die wiederholt Gelegenheit hatten, ihn zu beob- achten, erzählen, aufgeweckten Geiſtes und ſichtlich bemüht, ſich in ſeiner Sphäre zu orientiren. Er ſpricht das Neu- griechiſche nicht perfekt, aber er hat ſich ſo viel von der Volksſprache anzueignen gewußt, daß er eine Konverſa- tion führen kann und die Sprache verſteht. Ein Pro- feſſor der Univerſität, der ihm kürzlich vorgeſtellt wurde, ſprach ihn franzöſiſch an. „Sie ſind an der griechiſchen Univerſität angeſtellt?“ frug der König in griechiſcher Sprache. „Ja“, erwiederte der Profeſſor. „Nun ſo reden Sie auch griechiſch.“ – Ein anderer Beamter glaubte ſich beſonders einzuſchmeicheln, wenn er den König mit einer Phraſe in däniſcher Sprache begrüßte. – „Wir ſind in Athen und nicht in Kopenhagen“, unterbrach der König den Redner mißmuthig, „reden wir die Sprache des Landes, in dem wir leben.“ – Die Vertretung des Lloyd, die heute vom König in be- ſonderer Audienz empfangen und vom öſterreichiſchen 125 Geſandten Baron Eder eingeführt wurde, hatte ſich einer beſonders günſtigen Aufnahme zu erfreuen. Der König unterhielt ſich ſowohl mit den Verwaltungsräthen des Lloyd wie mit dem Vertreter der Trieſter Handels- kammer eingehend und ſprach über die Thätigkeit des Lloyd ſeine beſondere Anerkennung aus. Unter Anderem brachte der König die Sprache auch auf das Projekt, bei Korinth einen ähnlichen Durchſtich zu verſuchen wie bei Suez. Baron Morpurgo bemerkte, daß ſchon Mini- ſter Bruck dieſem Plane ſeine beſondere Aufmerkſamkeit geſchenkt und daß das Projekt damals für ausführ- bar gehalten wurde. „Alſo braucht man zu dergleichen Unternehmungen nicht ausſchließlich Herrn v. Leſſeps?“ erwiederte lächelnd der König. . . . . Das Schloß iſt von einer Einfachheit, die im klaſſi- ſchen Athen geradezu mesquin ſich ausnimmt, nur an der Vorderfront iſt bis zum erſten Stocke theilweiſe Marmor verwendet, alles Andere iſt einfaches Mauer- werk ohne Ornamente, ohne irgend welchen Schmuck. Hätte nicht die nach der Akropolis zu gelegene Seiten- front eine Säulenhalle aufzuweiſen, das Haus würde nach allen vier Seiten ſein kaſernartiges Ausſehen nicht verleugnen. Die Wohnhäuſer Athens und alle Neubau- ten – die wiſſenſchaftlichen Inſtitute ausgenommen – haben überhaupt einen ſpießbürgerlichen Anſtrich und kontraſtih ganz eigenthümlich zu den gigantiſchen Trüm- mern, die man überall in Athen erblickt. Wüßte man nicht, daß man in Athen weilt, man könnte glauben, in den Straßen von Hernals oder Lerchenfeld zu promeniren. Für Oeſterreich ſind trotz der klugen und umſich- tigen Haltung ſeiner Diplomatie die Sympathien äußerſt geringe; man trägt uns in politiſchen Kreiſen noch immer unſere Haltung in der orientaliſchen Frage, namentlich 126 während des Aufſtandes in Candia nach, als wenn wir dazu da wären, in unſerer Politik ſtatt unſerer eigenen die Intereſſen anderer Völker zu wahren. Zum Glücke braucht uns die Antipathie der Griechen wenig zu kümmern; die deutſche Kolonie in Athen iſt zwar nicht unbedeutend, aber ſie zählt nicht mehr als fünf öſter- reichiſche Familien. – – – Wir hatten heute noch den Theſeustempel, das Ur- bild der den Wienern aus dem Beſuche des Volksgartens bekannten Säulenhalle, beſichtigt und deſſen Schätze, na- mentlich den Apoll bewundert, den Baron Prokeſch bei Marathon auffand und der griechiſchen Regierung zum Geſchenke machte, beſuchten noch einige Kirchen, darunter die Kathedrale, deren geſchmackloſe Ueberladung und grelle Bemalung geradezu widerlich iſt, die intereſſante Sammlung der archäologiſchen Geſellſchaft 2c. und bum- melten dann bis zur Abendſtunde in den Straßen Athens umher, das Volk in ſeinem alltäglichen Leben und Treiben belauſchend. Einen Moment hatten wir auch dem Steine ge- widmet, der auf der Südſeite des Felſens, auf der ſich der Areopag befindet, den Fremden gezeigt wird, und der für das alte Athen – vielleicht auch noch für das moderne – in ſozialer Beziehung ſehr wichtig war. Der Stein hatte für das weibliche Athen jene Bedeutung, die Franzensbad heutzutage für jene verheiratete, Frauen hat, die noch nicht in der glücklichen Lage waren, Kopien des menſchlichen Geſichts zu liefern und den befruchten- den Segen, den der Herr dem erſten Menſchenpaare mit in die Welt gab, zu bewahrheiten. Der Stein iſt glatt und abgeſchliffen und verdankt dieſe Glätte den Frauen, die, einer alten Gewohnheit folgend, auf dem Stein in adamitiſcher Toilette hinabrutſchten und durch I27 die hiedurch verurſachte Erſchütterung ſich für jenes freudige Ereigniß vorbereiteten, das die Gattin Abrahams noch in ihrem ſpäteſten Alter zur Ueberraſchung des Patriarchen erlebte. Ob der Stein noch heutzutage ſeine Wunderkraft erprobt, müſſen wir wohl dem Urtheile mediziniſcher Autoritäten überlaſſen. Mit einbrechender Dunkelheit eilten wir nach dem Piräus auf unſere Schiffe zurück, denn wir hatten heute noch vollauf zu thun – es war diplomatiſches Diner am Bord des „Pluto“. Der Lloyd fetirte, wie in allen Städten, die wir beſuchten, auch hier ſeine Freunde und Gönner und hatte für heute eine beſonders auserleſene Geſellſchaft zu Gaſte geladen. Außer den Stammgäſten des Schiffes wohnten dem Diner bei: der Geſandte Baron Eder, Legationsſekretär Pußwald ſammt Gemalin, einer jugendlich reizenden Griechin mit einem allerliebſten Cameenprofile, Profeſſor Pervanoglu, Bibliothekar der Nationalbibliothek, einer der angeſehenſten und zugleich liebenswürdigſten Gelehrten Athens, der geſtern auf der Akropolis uns als Cicerone begleitete, mehrere Agenten des Lloyd und Kapitäne der im Laufe des Tages ein- gelangten Dampfer. Die Konverſation während der Tafel war lebhaft und animirt, unſere Damen überboten ſich an Liebenswürdigkeit, um den männlichen und weib- lichen Vertretern der Griechen die möglichſt günſtigſte Erinnerung an deutſchen Geiſt und deutſche Bildung zurückzulaſſen, und beim Champagner fehlten die üblichen Toaſte nicht. Baron Elio Morpurgo brachte ein Hoch dem Geſandten, deſſen energiſcher Vertretung öſterreichi- ſcher Intereſſen der Handel und die Induſtrie des Vater- landes ſo viel zu verdanken haben, – Baron Eder antwortete ſofort in einem improviſirten, geiſtvoll ge- haltenen Trinkſpruch auf den Lloyd. Er hob die Bedeu- 128 tung dieſes Inſtituts und das Anſehen ſeiner Flagge hervor und kam mit einer feinen Wendung auch auf die Handelskammer der bedeutendſten Seeſtadt Oeſter- reichs und deren anweſenden Vertreter zu ſprechen. Dem Lloyd und deſſen wackerer Vertretung galt das Hoch des Geſandten, der mit dem Wunſche auf das Heil und Gedeihen des Inſtituts unter lautem Beifall endete. Baron Joſeph Morpurgo, der ſtets ſchlagfertige Redner, ein Mann, deſſen reichen Erfahrungen wir manchen lehr- reichen Wink zu verdanken haben, dankte im Namen der Handelskammer Trieſts für die Anerkennung, die deren Wirken von Seite des Geſandten gefunden. – Nach aufge- hobener Tafel begaben wir uns auf's Verdeck und wurden daſelbſt auf das Angenehmſte überraſcht. Die Offiziere des Schiffes, dienſteifrig und zuvorkommend, wie alle Lloyd-Offiziere, hatten während der Tafel das Verdeck in einen reizenden Salon umwandeln laſſen – den Plafond bildete das gewöhnliche Segeltuch, die Wände waren aus allen erdenklichen Flaggen reizend zuſammen- geſtellt – zwiſchen denſelben waren Fahnen gruppirt, während ringsum farbige Lampions die nöthige Beleuch- tung lieferten. Wir nahmen in dem luftigen, meerum- rauſchten Salon Kaffee und unterhielten uns ſo vor- trefflich, daß die Stunden im Fluge an uns vorüber- eilten. Baron Eder iſt einer unſerer erfahrenſten und tüchtigſten Diplomaten; er hat, wie man ſagt, von Picke auf gedient, und iſt ein gelernter und kein geborner Diplomat, mit welch' letzterer Sorte von Staatswürden- trägern wir leider nur zu reichlich geſegnet ſind. Er hat nichts von der zopfigen Steifheit der alten Schule, ver- bindet im Gegentheil die Erfahrung einer langen Praxis mit der Friſche und Lebendigkeit eines mit der Zeit fortſchreitendeu ſelbſtſtändigen Mannes. Wollte der Him- 129 incl, Oeſterreich beſäße viele ſolche Diplomaten, die mit den Verhältniſſen, in denen ſie wirken, mit den Männern und dem Volke, unter dem, und der Zeit, in der ſie leben, ſo innig vertraut ſind wie Baron Eder. Seine Abberufung vom hieſigen Poſten iſt übrigens bereits erfolgt; er iſt durch den feingebildeten Haymerle, früheren Legationsrath in Konſtantinopel, erſetzt. – Gegen 10 Uhr ſchieden die Gäſte aus Athen, die einen freundlichen Abend mit uns zugebracht, von unſerem Schiffe. Vielfarbige bengaliſche Flammen zeichneten ihnen den Weg über die in undurchdringliche Finſterniß gehüllte See, vom Lande her begrüßte elektriſches Licht ihre Landung, vom Schiffe aber ſandten wir ihnen feurige Raketengrüße nach und beſtreuten mit farbigen Sternen den griechiſchen Himmel. – Morgen Früh mit Sonnenaufgang lichten wir wieder die Anker – wir haben eine fünfzigſtündige Fahrt vor uns – dann landen wir im Wunderlande der Pharaonen – in Egypten! Jn Egypten. Alexandrien, 12. November. Seit geſtern Morgens ſind wir im Lande der Pharaonen, in Egypten, dem eigentlichen Ziele unſerer Reiſe, dem Schauplatze eines der großartigſten Kultur- feſte, zu deſſen würdiger Feier aus allen Zonen und Enden der Welt die Vertreter der Nationen herbei- eilen, um einen der glänzendſten Siege menſchlicher Thatkraft zu bewundern. – Wir hatten ſeit unſerer Abfahrt von Athen das herrlichſte, reizendſte Wetter, kein Wölkchen am Himmel, das Meer ſpiegelglatt, die Luft faſt unbewegt – unſer „Pluto“ tanzte auf den Wellen – der treffliche Dampfer legte 12% Meilen in der Stunde zurück – und uns Allen war ſowohl an Bord, als hätten wir uns auf einer Spazierfahrt über den Traunſee befunden und nicht auf dem mittelländiſchen Meere, ein paar hundert Meilen von den Küſten des Feſtlandes entfernt. Die See war – Neptun hatte offenbar ein Faible für unſere Geſell- 131 ſchaft – ſo ruhig, daß wir uns auf dem Verdecke die Zeit mit Schach, Domino und Damenſpiel vertrieben, ſogar eine Whiſtparthie ward arrangirt und Schlemm und Bettel wurden ſo ſicher gemacht und angeſagt, als ſäßen die Partner gemüthlich im hintern Zimmer bei Daum – ſogar die unvermeidlichen Kibitze, dieſe un- ausrottbaren Schmarotzerpflanzen der Spieltiſche, fehl- ten nicht – meine Wenigkeit zählte längere Zeit zu den letzteren und auch auf den Fluthen des Ozeans hatte das ſprichwörtliche Pech, das ich als unbetheiligter Zuſchauer eines Spiels mit mir herumſchleppe, mich nicht verlaſſen. – Als wir am Abend des erſten Tages vor Santorin vorüberfuhren, hatten wir das prächtige Schauſpiel einer Eruption des Vulkans, der auf dieſer Inſel ſchon öfter Verheerungen angerichtet. – Wären wir in Egypten geweſen, man hätte glauben können, Se. Hoheit der Khedive habe dieſes Schauſpiel eigens für ſeine Gäſte arrangiren laſſen. – Donnerstag den 11. vor Tagesanbruch langten wir vor Alexandrien an, und kaum daß die Sonne auf- gegangen, erſchien ſchon der egyptiſche Lootſe an Bord, um uns in den klippenreichen Hafen einzuführen. Gegen halb 8 Uhr warfen wir Anker – die Kriegsſchiffe aller Nationen hatten ſich daſelbſt Rendezvous gegeben, die ganze franzöſiſche Flotte mit dem „Aigle“, der A)acht der Kaiſerin, lag da vor Anker, außerdem gab es eng- liſche, ſchwediſche, egyptiſche, holländiſche, belgiſche und ruſſiſche Kriegsſchiffe – nur die italieniſchen fehlten, da ſie nach Eintreffen der erſten Nachricht von der lebensgefährlichen Erkrankung Viktor Emanuel's nach Italien zurückgekehrt waren. Von allen Schiffen krachten die Salutſchüſſe, um bei Sonnenaufgang das Aufhiſſen der Flaggen zu begrüßen, – Boot um se löste ſich 132 von den Fregatten ab und brachte Paſſagiere und Matroſen ans Land, das Waſſer bot ein bewegtes, farbenreiches Bild. Wir waren kaum eine halbe Stunde im Hafen, als ein Abgeſandter des Gouvernements erſchien, um ſich zu erkundigen, ob Eingeladene des Vizekönigs an Bord wären. Wir nannten unſere Namen und erfuhren zu unſerer freudigen Ueberraſchung, daß wir nichts zu thun hätten, als unſer Gepäck auf das Verdeck ſchaffen zu laſſen – für alles Andere ſei ſchon geſorgt. Eine Viertelſtunde ſpäter erſchien der Sekretär der Munizipalität, Mr. de Régny, an Bord, einer der liebenswürdigſten Beamten, die wir kennen lernten, der, wie wir ſpäter an uns ſelbſt erfuhren, mit wahrhaft heroiſcher Ausdauer und unerſchöpflicher Fürſorge für die Bedürfniſſe der Eingeladenen ſorgte, und bat uns, ihm in ſein Boot zu folgen. Wir nahmen Abſchied von unſerer Reiſegeſellſchaft, in deren Mitte wir wie im Schooße einer Familie gelebt und eine Reihe glücklicher, uns unvergeßlicher Tage zugebracht hatten, und ſprangen in das uns erwartende Kaik. Nach zehn Minuten landeten wir – die ſonſt unbarmherzigen Douanebeamten verbeugten ſich tief vor den Gäſten ihres Herrſchers und ließen uns ungehindert paſſiren; vor dem Zollgebäude ſtanden die Wagen, wir fuhren durch ein Winkelwerk von Gaſſen nach dem Boulevard Alexandriens, dem Platze Mehemed Ali, und hielten vor dem erſten Gaſthofe der Stadt, dem Hotel Europe. Noch nicht eine Viertelſtunde waren wir auf egyptiſchem Boden und hatten ſchon die überzeugendſten Beweiſe, daß gegen uns eine Gaſtfreundſchaft geübt wurde, wie ſie ſelbſt das gewandteſte orientaliſche Raffinement nicht ſplendider und freundlicher erſinnen konnte. Man wird wohl in allen Reiſehandbüchern über Egypten die 133 Bemerkung finden, daß man, ohne Bakſchiſch zu geben, nicht zehn Schritte machen kann. Vom Bakſchiſch, ſagt Bogumil Goltz, dieſem Ehrentribut oder Reiſezoll, dieſem ſilbernen Hammerſchlag, träumt und ſpricht der arme Araber, der orientaliſche Eckenſteher, der Fellah, der Eſeljunge oder Kameeltreiber, der Bettler, Proletarier und Taugenichts, wo er geht und ſteht, und wo er nur den Geber des höchſten Guts erblickt – da ſtürzt er ihm mit dem verhexten und wahnwitzigen, leidenſchaftlichen Geſchrei „Bakſchiſch Hawaje“ auf den Leib. Die Be- merkung iſt vollkommen richtig, nur bei uns traf ſie, wenigſtens in den erſten Tagen nicht zu – den Einge- ladenen gegenüber hatten die egyptiſchen Facchini's ihre unausrottbare Gewohnheit des Bettelns abgelegt und wo Einzelne gegen das ſtrenge Verbot, die Gäſte des Khedive zu beläſtigen, ſündigten, wurden ſie ſofort von auf- merkſamen Wächtern zurückgewieſen. Weder die Laſtträ- ger, noch die Diener, noch die Kutſcher forderten ihr Trink- geld, und als ich aus freien Stücken einem der Träger, der ſich arg geplagt hatte, einen Franc ſchenkte, trug ſich das in Egypten unerhörte Ereigniß zu, daß mir ein Munizipal- diener nach zehn Minuten das Geldſtück mit der Be- merkung zurückſtellte, es ſei den uns zugewieſenen Leuten die Annahme einer Entlohnung ſtreng unterſagt. Freilich als die Fluth der Eingeladenen über Egypten hereinbrach, trat die Natur des Bakſchiſchbegehrens und Nehmens wieder in ihr volles Recht. – Wir fanden Alles vorbereitet – Wagen, Zimmer, Dolmetſch 2c. – vor dem Hotel ſtand die Equipage, die uns hinführte, wohin wir begehrten, neben dem Wagen der Araber, der uns als Führer und Dolmetſch diente. Man trieb die Aufmerkſamkeit ſo weit, daß man uns Oeſterreicher ſämmtlich in einem Hotel, und zwar in der comfortabelſten Weiſe ein- º 134 quartierte. Die Idee, allen Landsmannſchaften die Ge- legenheit zu bieten, ſich zuſammenzufinden, rührt von Collucci Bey, dem Präfekten Alexandriens, her, einem der tüchtigſten und energiſcheſten Funktionäre Egyptens, der uns gleich nach ſeiner Ankunft einen Beſuch ab- ſtattete, den wir ſofort erwiederten. Collucci Bey iſt Chef der Munizipalität in Alexandrien und Präſident der Sanitätsintendantur in Egypten, ein gebildeter, ſehr unterrichteter Mann, der ſeinen Untergebenen ein wür- diges Beiſpiel von Liebenswürdigkeit im Umgang mit Fremden gibt. Ueber die Art und Weiſe, wie man Mrs. les invités behandelt, geben wohl nachfolgende Details ge- nügenden Aufſchluß. Zwei Mal des Tages ſervirt man uns ein Menu, deſſen eine Hälfte vollkommen hin- reichte, um auch den wildeſten Heißhunger zu ſtillen, und unſer Keller bietet Alles, was das Herz begehrt: Porter, Pale Ale, Sherry, Rheinwein, Bordeaux und Champagner. Zu jedem Diner erſcheinen Abgeordnete der Munizipalität, um den Hotelier zu überwachen und uns jeden Augenblick zu bitten, uns ja nichts abgehen zu laſſen, da ohnedies Alles bezahlt wird, was vorbe- reitet iſt, auch wenn wir uns deſſen nicht bedienen. Jeder Eingeladene koſtet dem egyptiſchen Staatsſchatze täglich 65 Francs – die müſſen aufgearbeitet werden. Ein ſchweres Stück und dies Alles bei 30 Grad Hitze! – Um das Maß des Guten bis zum äußerſten Rande voll zu machen, iſt Mr. Pea, der Archivar der egyp- tiſchen Akademie der Wiſſenſchaften, der ſpeziell den Oeſterreichern als Kommiſſär zngetheilt iſt, in ſeinen Aufmerkſamkeiten gegen uns geradezu unerſchöpflich. Seit vier Wochen hat der Mann täglich kaum zwei Stunden geſchlafen. Bei Sonnenaufgang war er auf d 135 dem Meere, um den ankommenden Schiffen entgegenzu- fahren und um Mitternacht war er noch mit den Vor- bereitungen zum Empfange der nächſten Gäſte beſchäftigt. Er erſcheint beim Kaffee, um mit uns das Programm des Tages feſtzuſtellen, er begleitet uns überall, er ſpeist mit uns, ſorgt mit einer uns geradezu erdrücken- den Gefälligkeit ſelbſt für die kleinſten Bedürfniſſe, und iſt mit einem Worte der unermüdliche, ewig bereite Cicerone und Führer der Oeſterreicher. – Wie Alles hier für die Fremden einen freundlicheren Anſtrich hat als in Konſtantinopel, ſo unterſchied ſich auch unſere Aufnahme im öſterreichiſchen Konſulat in Alexandrien weſentlich von dem Empfang, den wir bei manchem etwas hochnaſigen Herrn der Internuntiatur in Pera gefunden. Generalkonſul Schreiner weilt bereits längere Zeit in Kairo, er beſitzt in Konſul Schwegel einen Stellvertreter, über deſſen liebevolles Entgegenkommen und freundliche Bereitwilligkeit nur Eine Stimme der Anerkennung herrſcht. Ueber Alexandrien ſelbſt läßt ſich kaum etwas von hervorragendem Intereſſe berichten, was nicht ſchon längſt durch Reiſebücher, feuilletoniſtiſche Schilderungen und Romane vollſtändig erſchöpft wäre. Alle Welt kennt theils aus eigener Anſchauung, theils vom Hören- ſagen, theils aus der Lektüre jene wunderſame Vegetation, die hier zu allen Jahreszeiten das Auge entzückt. Wo man hinblickt, ragt die Dattelpalme mit ihrem nackten, wie aus Ananasrinde gefügtem Stamm, der blätter- reichen Krone und den an breiten Faſern hängenden Früchtenbüſcheln in die Lüfte – bald ſteht ſie einzeln, bald in kleinen Hainen, wo das Blätterdach wohl- thuenden Schatten ſpendet und Schutz vor der uner- träglichen Hitze bietet – in einzelnen Gärten iſt ſie in 136 Reihen gepflanzt und von weitem ſehen die ſchlanken, himmelanſtrebenden Bäume wie Säulen edelſter Gattung aus. Ueber die Gartenzäune ſtreckt die Banane ihre rieſigen Blätter, unter denen ſich die ſüßliche Frucht in länglichen Kolben birgt, die ſtaubigen Landſtraßen ſind mit Tamarisken bepflanzt und wildverzweigte abenteuer- liche Kaktuſſe bilden lebendige Hecken. Die echte Akazie mit fußlangen Schoten kommt faſt überall vor, Syco- moren, Orangen, Oliven, Citronenbäume und Olean- der umgeben die Villen, die ſich längs des Kanals hin- ziehen – Pelargonien, rothe Hibicus, ſcharlachfarbene Poincianen und Roſen ſtehen im November noch in voller Blüthe, Gummibäume von fünfzig Schuh Höhe, an deren Stämme ſich die herrliche, roth blühende Dolichos Lebleb emporrankt, erfriſchen mit ihren hell- glänzenden, grünen Blättern das Auge – wo das Waſſer des Mahmudiekanals hingeleitet wird, entſprießt dem Boden ewig grüner fetter Raſen, der an Friſche den Bergwieſen des Salzkammergutes im Juli nichts nachgibt und nach den ſaharagleichen Staubwüſten außerhalb der Stadtmauern doppelt erfriſchend auf das Auge wirkt. Alexandrien iſt nach dem Comfort, den es bietet, nach ſeinen Bazars und Hauptſtraßen zu urtheilen, faſt eine europäiſche Stadt – nur die Staffage des die Straßen durchziehenden Volkes gibt ihm orientali- ſchen Reiz. Auf dem Platze Mehmed Ali mit ſeinen eleganten zwei bis dreiſtöckigen dachloſen Häuſern, ſeinen Alleen und rieſigen Fontainen, ſeinen Pariſer Magazins und Cafés, glaubt man ſich mitten auf die Boulevards verſetzt – wenn uns nicht das Publikum eines Anderen belehren würde. So oft man auch auf den Balkon tritt, man kann ſich nicht ſatt genug ſehen an dem 137 phantaſtiſchen Treiben auf dem Platze. Elegante, nach der neueſten Mode gekleidete Damen promeniren auf dem Trottoir, in weiße Burnuſſe gehüllte Geſtalten mit kohlſchwarzen Geſichtern, welche europäiſche Kinder in ihren Armen halten, folgen den Damen, dort führt ein Charabanc ein gauzes Dutzend in blaue Lumpen gehüllte Araberinnen vorüber, da wackeln zwei ſchwarz in ſchwarz gekleidete Frauen vorbei, Burnus ſchwarz, Hautfarbe ſchwarz, Kopfbedeckung ſchwarz, vor dem Geſichte einen ſchwarzen Schleier, der mit der Kapuze durch ein Bein verbunden iſt, das gerade über die Stirne herabhängt. Ein abſcheulicher Anblick! Ein paar Araber mit glänzenden Ebenholzſchädeln begrüßen ſich an der Ecke, Aethiopier, Nubier, Araber, alle Nuancen vom Braun bis zum tiefgeſättigten Schwarz eilen, die Meiſten in ihre flatternden weißen Burnuſſe gehüllt, an uns vorüber, dazwiſchen die Frauen in gelben, blauen, rothen und ſchwarzen Mänteln, eine farbenreiche Staf- fage! Schaaren von Eſeln und Kameelen durchziehen die Straßen – der Eſel unterhält die Kommunikation überall, zahlloſe Langohren, zum Tragen jeder Laſt fähig, ſtehen an den Straßenmündungen, und unter ohrenzerreißendem Geſchrei bieten ihre Herren die Thiere den Fremden an. Alle Welt reitet – der bedächtige Türke, der tſchibukrauchende Araber, der Einkäufe be- ſorgende Hausherr, der europäiſche Kommis, – die eng- liſchen Matroſen traben unter wilden Hurrahs durch die Straßen, am Ufer des Kanals, bei den Nadeln der Kleopatra, wie draußen im erfriſchenden, blüthen-beſäeten Ramleh bietet der Eſel die ſicherſte und billigſte Kom- munikation. Sonſt verfügt Alexandrien auch über alle anderen europäiſchen Beförderungsmittel, es hat Omni- buſſe, Einſpänner und Zweiſpänner, die ſowohl bezüg- 138 lich der Raſchheit des Fahrens, der Eleganz der Wagen, wie der Gewandtheit der Roſſelenker mit den Fiakern Wiens konkurriren können. – Die Bauluſt iſt eine ungemein große und der beſte Beweis für das raſche Aufblühen der Stadt – immer mehr verſchwinden die Winkel uud Gäßchen der alten Stadt, überall wird gepflaſtert und der fußhohe Staub mit breiten Granit- quadern zu bedecken verſucht, – freilich, da, wo die europäiſche Kultur den Urzuſtand noch nicht zu belecken angefangen, ſieht es entſetzlich genug aus. Man braucht nicht fünfhundert Schritte weit außer den Thoren zu gehen und man ſtößt auf Stätten der Armuth, des entſetzlichſten Elends, vor denen ſelbſt der an die Schrecken des Pauperismus gewohnte Europäer zurückſchaudert. In Erdlöchern, in Spelunken, aus Binſen und Lehm wie die Vogelneſter zuſammengeſchweißt, in Hütten, in denen wir Anſtand nehmen würden, unſer Vieh unter- zubringen, haust der Fellah mit Weib und Kind, und Hund und Eſel, Huhn und Ziege finden in dem Loche neben den Menſchen ihren Aufenthalt. Ohne das wun- derherrliche Klima, mit dem dieſes Land geſegnet iſt, müßten in dieſen Schauerneſtern die verheerendſten Krankheiten entſtehen – ſo aber bringt die Familie den ganzen Tag und die halbe Nacht im Freien zu und das bedeckte Loch dient offenbar nur zum Schutz während der Regenzeit. Wir beſichtigten heute die Nadeln der Kleo- patra, von denen nur eine noch vorhanden iſt, die den Franzoſen gehört, die andere, die ſchon längſt umge- ſtürzt lag, haben die Engländer, denen ſie zum Geſchenk angeboten war, fortſchaffen laſſen – dann fuhren wir zu der Pompejusſäule, die im Jahre 290 nach Chriſto angeblich zu Ehren Diocletian's erbaut wurde, von da zu den Katakomben, die von einigen Forſchern für 139 chriſtliche Kapellen oder Grüfte gehalten werden, und begaben und endlich längs des Mahmudiekanals nach dem Garten des Vizekönigs. Welch ein Leben auf dem Kanale! Das gelbliche Waſſer iſt mit Booten, Kaiks, Segelfahrzeugen, Dahalien bedeckt, keuchende Fellahs ziehen mit Baumwolle beladene Schiffe ab- und auf- wärts, hart am Ufer ſtehen zahlreiche Boote, die für Vergnügungsfahrten eingerichtet ſind. Am Lande reiht ſich Villa an Villa, Paradies an Paradies – die europäiſchen Bankiers und die türkiſchen Exzellenzen haben hier ihre Sommerfriſchen und überbieten ſich wechſelſeitig an Luxus. Da gibt's Palmenalleen und Kaktusgänge zu beiden Seiten mit prachtvollen japane- ſiſchen Vaſen eingefaßt, Roſenbosquets und Orangerien; die Banane überwuchert die Vorgärten und Orangen und Oleander würzen die Luft mit ihren berauſchenden Düften. Die Straße längs des Kanals iſt beſäet mit Equipagen und Reitern, es kann am 1. Mai im Prater nicht toller zugehen. Der Garten des Vizekönigs iſt nach franzöſiſchem Muſter eingerichtet und Sonntag und Freitag verſammelt ſich die europäiſche Welt in demſelben, um dem Konzert der Araber beizuwohnen, die mit Verdiſcher Muſik und einigen Walzern die Ohren muſikaliſcher Occidentalen beleidigen. Vor Sonnenunter- gang kehrten wir nach Alexandrien zurück, dinirten und eilten dann in unſer Zimmer, um zum erſten Mal nach zehn Nächten wieder einmal auf feſtem Boden zu ſchlafen! Vor dem feſte. Im Hafen von Alexandrien, 14. November. Die Sündfluth beginnt – die Eingeladenen kommen, von allen Enden des Erdballs ſtrömen ſie herbei. Das Terzett, das wir bisher bildeten, iſt ſeit geſtern durch die Gäſte aus Deutſch-Oeſterreich und Un- garn bedeutend angewachſen und wir repräſentiren bereits, 25 Köpfe ſtark, das gemeinſame Vaterland. Admiral Wüllerstorff, für die zuletzt angelangten Oeſterreicher als Reiſeführer beſtimmt, um, wie es im Amtsſtyle der betreffenden Dekrete heißt, „den Herren mit ſeinen reichen im Oriente während eines längeren Aufenthaltes geſchöpften Erfahrungen zur Seite zu ſtehen“, vollführt ſein Amt mit einer gewiſſen Grandezza, die nicht beſon- ders am Platze zu ſein ſcheint; außer ihm kamen mit der „Minerva“ von Trieſt noch an: der Präſident der Central-Seebehörde v. Gödel-Lannoy , General Ebner, die Hofräthe Scherer, Hamm und Hammer, der Unterſtaatsſekretär im ungariſchen Kriegsminiſterium 141 Szende, die ungariſchen Hof- und Sektionsräthe Suhay, Keneſzy und Walland, Hofſekretär BarouPongraz, die dies- ſeitigen Sektionsräthe Kremer und Hofmann, Legations- rath Baron Schlechta, der Repräſentant der Nordbahn v. Stummer, Baron Paſſeti, die Handelskammer-Präſi- denten von Wien und Prag Winterſtein und Dormitzer, der Profeſſor Sueß, Oberbaurath Wex, der Vertreter der Trieſter Handelskammer Eſcher, Graf Solms, Hofrath Hackländer und Sohn. Wir, die wir ſchon ſeit 48 Stunden in Alexandrien verweilten, bemerkten mit Vergnügen, daß die Geſellſchaft, die ſich während der Fahrt von Trieſt nach Egypten trefflich amüſirt und auf offener See den Gedenktag Schiller's in würdiger Weiſe begangen hatte, auch in Alexandrien ihre Harmonie be- wahrte, und daß die wenigen Differenzen, die aus der zopfigen Haltung einiger in die oberſten Diätenklaſſen rangirenden Herren entſtanden, das gute Einverſtändniß zwiſchen Oeſterreichern und Ungarn nicht im mindeſten ſtörten. – – Wenige Stunden trennen uns noch vom Feſte der Kanaleröffnung und ſchon hat die Gemüthlichkeit, mit der wir in den erſten Tagen dem Feſte entgegenblickten, wenigſtens bei einem Theile der Geladenen einer beſorg- nißvollen Stimmung Platz gemacht. Man fürchtet – die egyptiſche Gaſtfreundſchaft dürfte den eingehenden An- forderungen, die an ſie herantreten werden, nicht immer Stand halten. Das Chaos bricht herein und auf Jeder- manns Lippen ſchwebt nur die eine Frage: Wie wird das enden? Man hat, als man die erſten Vorbereitungen zum Feſte traf, auf ungefähr 400 Gäſte gerechnet, und aus dieſen 400 ſind eben ſo viele Tauſend geworden. Niemand weiß mehr, wer und wie viele eingeladen ſind. Man hat nicht nur von Kairo und Alexandrien aus 142 eingeladen, man hat auch einzelnen Regierungen carte blanche gegeben, und was das Schlimmſte iſt, gewiſſen diplomatiſchen Müßiggängern, die ſich ohne beſtimmten Zweck bei den orientaliſchen Miſſionen herumtreiben, unbeſchränkte Vollmacht ertheilt, nach ihrem Ermeſſen Einladungen zu erlaſſen. Am erſten Tage unſerer An- kunft waren wir nur ein kleines Häuflein Eingeladener, acht Perſonen im Ganzen, wir nahmen an der für 100 Eingeladene beſtimmten Tafel Platz – fünf Minuten ſpäter ſtürmt eine Schaar eben angekommener Engländer in den Saal und beſetzt die Plätze. Der Wirth iſt in Verzweiflung – ſoll er den Goddams ſagen, ſie müßten wieder aufſtehen und warten, bis die Gäſte des Vize- königs geſpeist, da ſetzt er ſich etwelchen Grobheiten und Boxerübungen aus – ſoll er die Engländer anders bedienen laſſen, als uns – das wäre noch ärger. In ſeiner Herzensangſt wendet er ſich an den Feſtkommiſſär und dieſer entſcheidet lakoniſch: Alle gleich bedienen, ſind alle Gäſte des Khedive! – Ja, das ging am erſten Tage, aber jetzt, wo wir Oeſterreicher allein bereits auf 25 Köpfe angewachſen ſind, und die Preußen, Franzoſen, Engländer, Italiener, Dänen und Ruſſen vom Meere und von Oberegypten ſündfluthartig herbeiſtrömen, hat der geregelte Gang der Dinge aufgehört und das Chaos bricht herein. Alle Welt hat den Kopf verloren; in Alexandrien iſt kein Platz mehr, in Kairo auch nicht, und in Ismailia, wo bei einer Feuerwerksprobe ein Labora- torium und mehrere für die Gäſte eigens errichtete Häuſer in die Luft flogen, noch weniger. Aber es fehlt nicht nur an Unterkunft, es fehlt auch an hinreichenden Transportmitteln, und ich fürchte ſehr, wer nicht mit der in Egypten unumgänglich nothwendigen Unverſchämt- heit vorgehen wird, dürfte zurückbleiben und überall im 143 eigentlichen Sinne des Wortes post festum kommen. Wie es erſt am Tage der Eröffnung des Iſthmus zu- gehen wird, wiſſen die Götter. 120 Schiffe ſollen durch- paſſiren, die Fahrt kann aber nur ſehr langſam und mit äußerſter Vorſicht geſchehen, die Schiffe müſſen nach- einander in gewiſſen Diſtanzen fahren, und ſobald das eine ſtehen bleibt, müſſen alle dieſem Beiſpiele folgen – die Fahrt von Port Said nach Ismailia dauert acht bis zehn Stunden – man kann es an den Fingern abzählen, wann die letzten Schiffe ankommen. Wahr- ſcheinlich, wenn die Paſſagiere des erſten bereits auf der Rückreiſe in die Heimat begriffen ſind. – – Wir vertrieben uns die letzten Stunden, die wir in Alexandrien zubrachten, in der angenehmſten Weiſe. Vormittags beſichtigten wir die Paläſte des Vizekönigs und bewunderten die Verſchwendung, mit der hier alles Raffinement des franzöſiſchen Luxus aufgehäuft iſt. Die beiden Paläſte haben nicht den geringſten orientaliſchen Anſtrich – beide ſind im Renaiſſanceſtyl gehalten und im Innern verrathen nur die breiten Ottomanen die Nationa- lität des Beſitzers. In dem erſten am Meere gelegenen Palaſte tritt man durch einen Garten ein – eine Säulen- halle mit marmornem Fußboden nimmt uns auf, von der aus man eine hübſche Ausſicht auf den Hafen hat, rings- um ſind Divans und Fauteuils angebracht, vom Veſti- bule tritt man in eine Art Grotte, deren Kühle in der heißen Jahreszeit ungemein einladend wirken muß und in der Fontainen und Baſſins ſich befinden, um die Tem- peratur noch milder zu machen. Man ſteigt von hier über eine hübſche Treppe in den erſten Stock, wo eine weite Flucht von Zimmern ſich aufthut. Ueberall rieſige Spiegel mit den prachtvollſten Goldverzierungen im üppigſten Renaiſſanceſtyl, wunderbare Teppiche – die meiſten 144 von Haas in Wien bezogen, – Parquetten aus Eben- holz, Gold- und Silber-Tapeten, Möbel von blauem, rothem und weißem Damaſt, Vaſen aus Sèvres, und einige originelle Rieſenvaſen aus der ehemaligen Wiener Porzellan-Fabrik, wahrhafte Meiſterwerke von Luſter und Girandoles. Den prächtigſten Anblick gewährt der große Empfangsſaal mit großer Kuppel, aus der das Licht durch farbige Scheiben magiſch einfällt – die Möbel und Vorhänge ſind von violetter Seide, die Rieſenluſter aus farbigem Kryſtall, kurz Alles darauf berechnet, die blendendſten Lichteffekte hervorzurufen. Auf Marmor- platten ſtehen am Eingange koloſſale Kryſtallkandelaber, die aus Palmenbäumen von geſchliffenem Glas auf- ſtreben und ſich oben in hundert Kelchen auszweigen. – Im Schlafzimmer ſtehen Betten mit ſeidenen Matratzen unter einem von goldenen Säulen getragenen Baldachin – ein Tiſch mit eingelegter Arbeit enthält Anſichten von Rom, der Peterskirche, dem Vatikan 2c. Im Neben- zimmer finden wir einen großen Tiſch mit eingelegtem Sèvres, ein geradezu unſchätzbares Kabinetſtück. – Der Palazzo Nr. 3, gleichfalls Eigenthum des Vizekönigs, neueſtens von ſeinem Sohne bewohnt, iſt womöglich noch luxuriöſer eingerichtet. Licht und Luft bilden hier die weſentlichſten Vorzüge aller Räume, von allen Seiten werden dieſe Elemente des Lebens zugeleitet, und Säle, die an beiden Längenſeiten und oben Fenſter nnd Oeff- nungen haben, ſind nichts Seltenes. Gleich der erſte Saal macht einen ungemein lieblichen Eindruck. Die Decke bildet reichgegliedertes, mit Arabesken geziertes Holz- getäfel, Möbel und Vorhänge vom ſanfteſten Lila, Licht von allen Seiten durch runde buntfarbige Fenſter ein- fallend. Im zweiten Salon bewunderten wir einen pracht- vollen Teppich – der Saal ſelbſt dient als Spielzimmer, 145 ein Billard ſammt nöthiger Einrichtung iſt daſelbſt auf- geſtellt. Die Gänge und Seitenzimmer ſind ſämmtlich mit franzöſiſchen Teppichen belegt – allerliebſt ſind die Badezimmer, in denen das in europäiſchen Bädern ſo widerliche Halbdunkel durch buntfarbiges Licht erſetzt iſt. Die Decke des Badezimmers iſt mit weißem Kryſtall- glas bedeckt, die untere Seite iſt von zahlloſen Gittern durchſchnitten, deren innere Flächen bunt bemalt ſind, – die dadurch hervorgerufenen Lichteffekte ſind reizend. Die Wannen ſind aus Marmor und gibt es deren ſo viele, daß man für jeden Körpertheil bequem ein ſeparates Bad herrichten kann. Im Seitenzimmer ladet ein ſchwel- lender Divan zum Ausruhen ein. – Die Damen des Palaſtes ſcheinen nicht abgeſondert zu wohnen, wenigſtens ſahen wir neben dem prächtig eingerichteten Schlafzim- mer des Paſcha's – ein reizendes Schlafzimmer für ſeine Gemalin beſtimmt und in demſelben ein pracht- volles Bett und eine niedliche, mit Roſaſeidenſtoff über- zogene Wiege. – Nach den ziemlich ermüdenden Beſichtigungen der beiden Paläſte, von denen der eine am Meere, der andere am Kanale liegt, fuhren wir ins Hotel zurück, um unſer Dejeuner einzunehmen. Die Geſellſchaft war noch zahlreicher geworden, und wir ſaßen jetzt Mann an Mann an der Tafel. In dem gleichen Maßſtabe übrigens, als ſich die Gäſte des Khedive vermehrten, verſchlimmerte ſich das Menu und namentlich die Weine. Wir tranken jetzt eine Art Branntwein für Haute Sau- terne und ein Gemiſch von Weidlinger und Sodawaſſer als Champagner. Ich machte zu meinem Nachbar, einem jungen Manne mit beſtechend ſchönen Zügen, feurigen Augen, pechſchwarzem Haare – einem wahren Ideal eines jungen Italieners – einige Bemerkungen - 10 146 über die nunmehr eingetretene Vernachläſſigung – er antwortete, und bald hatte ſich ein Geſpräch angeknüpft, wie es eben zwei Menſchen, die der Zufall an einen Tiſch geführt hat, führen. Der Italiener fragte, ob ich auch nach Oberegypten gehe und ob mich blos Neigung zum Reiſen herbeigeführt. Ich antwortete: Nein, mich ruft auch die Pflicht; ich bin Journaliſt, Miteigenthümer der Gazette „Neues Fremdenblatt“ 2c. –- Der junge Mann verbeugte ſich, nachdem ich meinen Namen genannt und antwortete, auf ſeine Perſon zeigend: Riccioti Garibaldi. – Fünf Minuten ſpäter war ſelbſt- verſtändlich die Neuigkeit, daß der Sohn des Hel- den von Caprera ſich in unſerer Mitte befinde, allge- mein bekannt, und wir erfuhren auch, daß ſich der Sohn ſeines Vaters ſeitens der Türken der größten Aufmerk- ſamkeit erfreue und daß man beſorge, die Kaiſerin Eugenie, deren Ankunft im Laufe des Tages erwartet wurde, werde ſo viel als möglich vermeiden, das feſte Land zu betreten, um allen möglichen Demonſtrationen, mit denen ſie namentlich die zahlreich hier weilenden Italiener bedenken wollten, aus dem Wege zu gehen. – Abends beſuchten wir das Teatro Ziziano, in dem die „Favorita“ zur erſten Aufführung kam und das vom eleganteſten Publikum Alexandriens und den Frem- den beſucht war. Das Theater hat einen vollſtändig europäiſchen Charakter und wird nur von Europäern beſucht, ſelten einmal, daß ſich, wenn das Erſcheinen eines europäiſchen Prinzen angeſagt iſt, einige neugie- rige Araber in das Haus verirren. Die Preiſe ſind nicht gering: 60 Franks die Loge, 12 Franks der Sitz – die Damen erſcheinen ſämmtlich in Balltoilette, die Herren im ſchwarzen Frack. Man hatte uns die beſten Plätze angewieſen und wir konnten die Geſellſchaft nach 147 Belieben muſtern. In einer Loge erſten Ranges hatte ſich Riccioti Garibaldi mit mehreren ſeiner Freunde eingefunden. Nach dem zweiten Akte ſtimmte die Muſik plötzlich die Garibaldi-Hymne an und nun begann eine lärmende, ohrenzerreißende Demonſtration. Von allen Seiten erhoben ſich die Italiener und brüllten ihr Evviva Garibaldi – das Rufen und Händeklatſchen dauerte fünf bis ſechs Minuten. Der junge Garibaldi benahm ſich ungemein taktvoll; er nickte mit dem Kopfe einigen Freunden, vermied es aber, trotz der lärmendſten Zurufe, ſich zu erheben und durch irgend eine Bewegung die Demonſtration für ſich in Anſpruch zu nehmen. Dieſe Zurückhaltung machte endlich dem Schreien ein Ende und die Vorſtellung konnte ungehindert ihren Fortgang nehmen. Die Oper war übrigens beſſer, als wir erwarteten, ſie durfte ſich ſogar kühn mit manchen Vorſtellungen, die wir in der Scala geſehen, meſſen. Der Tenoriſt hat ein ſehr hübſches Organ, die Prima- donna, eine Deutſche, Fräulein Urban, eine kleine, aber höchſt ſympathiſche Stimme; ſie iſt Liebling des Publi- kums, das ſie mit Beifall und Blumen überſchüttete. Das Enſemble iſt gut, Chor und Orcheſter tadellos, die Coſtume glänzend. Wir blieben bis gegen % 12 Uhr, um welche Zeit der dritte Akt endete, und kehrten dann in unſer Hotel zurück, nicht ohne am Wege von etwel- chen jugendlichen Aethiopiern angefallen zu werden, die uns mit ihren widerlichen, nicht näher zu bezeichnenden Anträgen beläſtigten. Wir mußten förmlich Reißaus vor den Kerlen nehmen, flüchteten in ein Café chantant, in dem man uns für ein Glas Schwechater zwei Francs zahlen ließ und kehrten nach Mitternacht in unſer Hotel zurück. 10* 148 Heute Morgens wurden wir zu früher Stunde ge- weckt und uns angezeigt, daß wir uns ſo raſch als möglich auf den „Maſſr“, einem der größten egyptiſchen, auch für Paſſagiere eingerichteten Kriegsſchiffe, einzuſchiffelt hätten. Man brachte uns mit aller Höflichkeit und Accurateſſe an Bord, aber bei all dem ſchien man froh zu ſein, daß man wiederum eine nicht unbedeutende Ladung Eingeladener wenigſtens in der einen Stadt los geworden iſt. In dem Augenblicke, als wir Alexandrien verließen, wurde die Stadt feſtlich geſchmückt. Der Platz vor dem franzöſiſchen Konſulate war mit fran- zöſiſchen Flaggen bedeckt, das Haus vom Fuße bis zum Giebel mit kleinen Laternen, die hier zu Illuminations- zwecken benützt werden, Wappen und Feſtons dekorirt, der Eingang in einen blühenden Garten verwandelt. Wir waren kaum an Bord, als die eben von Ober- Egypten angelangte Kaiſerin von Frankreich den uns gegenüberliegenden „Aigle“ verließ und, von einem Mi- niatur-Dampfſchiff eskortirt, in einer eleganten Barke dem Ufer zufuhr. Die Kaiſerin trug ein goldgelbes Kleid, Hut, Mantille, Schirm und Stiefelchen von glei- cher Farbe. Wie ſie ſo in der Barke daſaß, ſah ſie, wenn die Sonnenſtrahlen auf ſie fielen, einer niedlichen Bronzeſtatue nicht unähnlich. Sie beſucht Abends das Theater – wenn die Demonſtrationen für . Garibaldi fortdauern, kann das eine ſchöne Unterhaltung werden! Ruf dem „ſflaſfr". Vor Port Said, an Bord des „Maſſr“, 16. November. Entſetzlich! Ich bin noch immer an Bord des „Maſſr“. Sonntag Früh ſchifften wir uns ein, in der ſicheren Erwartung, ſofort weiter befördert zu werden und Abends in Port Said einzutreffen, und jetzt ſind wir noch immer auf dem „Maſſr“, ſehen zwar den Hafen von Port Said vor uns, können aber noch nicht ausgeſchifft werden. Man hielt uns jeden Augenblick mit einer anderen Ausrede hin; bald war die Bran- dung zu groß, bald weigerte ſich der Pilot, uns aus dem Hafen zu bugſiren, bald ſollten wir die Abfahrt der Kaiſerin Eugenie abwarten, dann fehlte es uns wieder an Proviſion c.! So blieben wir 24 Stunden im Hafen von Alexandrien vor Anker liegen. – Offenbar hatte unſere ſchnelle Einſchiffung nur den Zweck gehabt, in Alexan- drien Platz für die von Ober-Egypten anrückenden Fran- zoſen zu machen. Der „Maſſr“ iſt ein rieſiges Schiff 150 mit koloſſalen Räumlichkeiten und einer Maſchine von 800 Pferdekraft. Man zählt 120 Kabinen an Bord, vier große Speiſeſäle, Schreibſalon, Badezimmer 2c. – jeder Raum in der eleganteſten Weiſe eingerichtet – kurz, es iſt für Alles geſorgt und doch wieder für gar nichts. Man hat 150 Paſſagiere an Bord genommen und an die Bedienung faſt gar nicht gedacht, einige ungeſchickte Kellner, die man raſch aufgenommen, be- ſchütten uns bei Tiſche mit Sauce und hauen uns die Weinflaſchen förmlich um die Schädel. Die Schiffs- aufſicht bemüht ſich, Alles für uns zu thun, aber ſie verfügt über unzulängliche Kräfte. In der Mehrzahl der Kabinen iſt der Aufenthalt geradezu unerträglich. Wir konnten anfangs die Urſache des peſtilenzartigen Geruches nicht ergründen, erfuhren aber nachträglich, daß der Parfum von verfaultem Holze herrühre, in das ſich übelriechendes Waſſer eingeſogen. Die Koſt iſt geradezu abſcheulich, man gibt uns Leder ſtatt Fleiſch und ſervirt uns Saucen, deren Herkunft in das undurchdringlichſte Dunkel gehüllt iſt. Aber ſelbſt wenn man ſich entſchlie- ßen könnte, das uns Gebotene zu verdauen, vermögen dies nicht Alle, denn in der Regel wird die Hälfte der Tiſche gar nicht bedient. Ach, wo ſind die ſchönen Tage des „Pluto“ hingekommen! – Geſtern Morgens endlich fuhren wir aus, die See war ziemlich bewegt, und da unſer Schiff nur äußerſt wenig Ballaſt hatte, um, wenn uöglich, durch den Kanal fahren zu können, ſo war die Bewegung eine ungewöhnlich ſtarke – nach der erſten halben Stunde war bis auf ein kleines Häuflein uner- ſchütterlicher Seefahrer Alles krank. Außer uns Oeſter- reichern befinden ſich der berühmte Orientaliſt Profeſſor Bruggſch, ein engliſcher Admiral, der däniſche Staatsrath Graf Blome, der ruſſiſche Graf Solohub, Graf Schwei- 151 nitz und Herr Eiſenlohr aus Berlin, die Familie Scan dinavi aus Alexandrien, Oberlieutenant Baron Bianchi, der däniſche Konſul Dumreicher, Attaché Hausmann, Lord Houghton c. an Bord. Da der Geruch in den unteren Räumen immer ärger wurde, ſo breiteten wir unſere Plaids zunächſt dem Maſtbaume auf, ließen uns Decken und Abends auch die Matratzen auf das Verdeck bringen und verließen unſer Lager von Montag Früh 11 bis Dienſtag Morgens 7 Uhr auch nicht einen Augenblick. Auf Speiſe und Trank hatten wir im vorhinein verzichtet, und der wackere Reſtaurateur des Schiffes hatte mit Rückſicht auf die zu erwartenden Geſundheitsverhältniſſe der Paſſagiere nicht nur zwei Tiſche weniger gedeckt, ſon- dern, wie Hackländer treffend bemerkte, gleich für drei Tiſche weniger gekocht. Daß man uns mit einer tür- kiſchen Muſik regalirte, die unſere Ohren zerriß, daß man am Vorabend unſerer Abfahrt zu Ehren der fran- zöſiſchen Kaiſerin Raketen ſteigen ließ und eine derſel- ben gerade zwiſchen unſeren Füßen durchfuhr, daß wir während der Fahrt drei Mal ſtehen bleiben mußten, weil die Maſchine verſchiedene Brüche erlitt, daß ſchließ- lich das Schiff den Kurs verfehlte, das Alles erwähne ich nur als kleine Unfälle, die angeſichts unſerer allge- meinen Lage gar nicht in Betracht kommen konnten. Wie glücklich waren wir, als man uns heute gegen 7 Uhr meldete, der Leuchtthurm von Port Said wäre in Sicht. Alle Leiden waren vergeſſen, wir zogen uns raſch an und eilten, mit Ferngläſern und Opernguckern bewaffnet, auf die Brücke. Ein ganzer Wald von Segeln und Dampfern lag vor uns; rechts, weit draußen vor dem Hafen zwei öſterreichiſche Panzerſchiffe, darunter der „Ferdinand Max“, links die engliſche Mittelmeer- flotte, ein ruſſiſcher und zwei italieniſche Dampfer, weiter 152 gen Port Said zahlreiche Schiffe, deren Flaggen nicht zu erkennen waren. Kurz nach 7 Uhr kam der „Aigle“ in Sicht und ſofort begannen die Hafenbatterien ihr Feuer. Die öſterreichiſchen Fregatten ſtanden in zwei Minuten in großer Toilette da, die Matroſen erkletter- ten die Raaen und das Salutſchießen begann. Wir waren an die Kanonaden ſchon vom Bosporus her ge- wöhnt, neu war für uns nur die Präziſion, mit der auf den öſterreichiſchen und engliſchen Schiffen alle Kommandos ausgeführt wurden. Der „Aigle“ wendete raſch und fuhr zuerſt zwiſchen den beiden öſterreichiſchen und dann zwiſchen den engliſchen Schiffen durch, beide Flaggen mit dem üblichen Ceremoniel begrüßend. Ein Aviſodampfer mit dem franzöſiſchen Konſul an Bord kam dem „Aigle“ entgegen, und letzterer fuhr ſo nahe an uns vorbei, daß wir die Kaiſerin, die in Begleitung einer Dame und mehrerer Offiziere auf dem Verdeck ſtand, genau betrachten konnten. Die Kaiſerin trug ein lichtes Kleid, weiße Mantille, weißen Hut mit blauem Schleier und grüßte freundlich nach allen Seiten. Gegen 8 Uhr näherte ſich ihr Boot dem Hafen und ward neuer- dings mit Salven begrüßt. Im Hafen von Port Said. – Der Kaiſer im heiligen Land. Port Said, 16. November. Heute Morgens endlich verließen wir den „Maſſr“, nachdem wir Kunde erhalten, daß der Kaiſer von Oeſter- reich bereits geſtern hier angelangt und die Oeſterreicher heute zu empfangen wünſche. Der Anblick des Hafens von Port Said bot ein impoſantes Schauſpiel: Schiff an Schiff ſtand im Hafen, ein Wald von Wimpeln und Flaggen aller Nationen wehte uns entgegen – von allen Seiten eilten Schiffe herbei, vom Norden, Süden, Weſten und Oſten nahten die Dampfer – alle Nationen hatten ſich hier ein ſolennes Rendezvous gegeben. Das Salut- ſchießen und Hurrahſchreien wirkte wahrhaft marker- ſchütternd; geſtern Morgens hatte es begonnen und in dieſem Augenblicke (5 Uhr Abends) noch nicht aufge- hört. Jeder Monarch und Vertreter einer Nation wird, ſobald er an's Land geht oder wieder an Bord kömmt, mit Salutſchüſſen begrüßt. der Kanonendonner dauert ſomit den ganzen Tag fort. 154 Admiral Wüllerstorff und Unterſtaatsſekretär Szende waren in einer Barke vorausgeeilt und trafen Se. Maje- ſtät gerade, als er die Schiffstreppe hinabſtieg und ſich auf den „Aigle“ begab, um die Kaiſerin zu begrüßen. Der Kaiſer ſtieg, gefolgt von ſeiner militäriſchen Be- gleitung, die Schiffstreppe hinauf, die Kaiſerin ging ihm einige Schritte entgegen, Se. Majeſtät gab der Kaiſerin den Arm und führte ſie in den Salon, wo beide Maje- ſtäten ungefähr zehn Minuten allein blieben. Die Kai- ſerin hatte eine reizende Toilette, – violet mit ſchwar- zem Spitzenſchleier. Se. Majeſtät kehrte hierauf an Bord des „Greif“ zurück und empfing am Verdeck die Oeſterreicher. Er hatte für Jeden freundliche Worte, erkundigte ſich, wie wir die Fahrt überſtanden und unterhielt ſich längere Zeit mit Herrn v. Wüllerstorff, Herrn Winterſtein, Baron Schlechta, Hofrath Scherer, Sektionsrath Kremer c. Dem Mitgliede der Trieſter Handelskammer, Herrn Eſcher, ſagte Se. Majeſtät, daß er ſchlimme Nachrichten von Trieſt habe und leider ſeit geſtern ohne Nachrichten von ſeiner Familie ſei, da der Telegraph unterbrochen ſei. Auch die Miniſter Beuſt und Plener und Graf Andraſſy nahmen uns ſehr freund- lich auf. Hier erſt erfuhren wir von den Begleitern des Kaiſers nähere und genauere Details über die Reiſe nach Jeruſalem. Von Piräus nach Jaffa war die Fahrt der kaiſerlichen Flotte eine äußerſt ſtürmiſche und das Befinden der Reiſenden – mit wenig Ausnahmen, zu denen der Kaiſer zählt – gerade kein allzu behagliches. Dennoch unterließ man nichts, um die einmal gegebene und nicht abzuändernde Situation ſo humoriſtiſch als nur immer möglich aufzufaſſen. Der Kaiſer war wohl und ſtets bei guter Laune. Er ließ der „Eliſabeth“ 155 ſignaliſiren: „Welche Paſſagiere ſind ſeekrank?“ „Eliſa- beth“ antwortet: „Der Reichskanzler und Hoff- mann.“ Sofort telegraphirt der Kaiſer: „Widme Theilnahme den Kranken.“ Abends frug der Kaiſer die „Eliſabeth“ abermals telegraphiſch: „Wie geht es den Patienten?“ – Antwort: „Entſprechend.“ – Samstag den 6. November war der Seegang im Zu- nehmen begriffen. Unter den Paſſagieren herrſchte Angſt und Schrecken; die Seekrankheit mit allen ihren gräß- lichen Folgen trat epidemiſch auf und verſchonte weder Miniſter noch Hofräthe. Reichskanzler Graf Beuſt, der trotz heftiger Seekrankheit ſeine gute Laune nicht einen Moment verlor, telegraphirte in der neunten Morgen- ſtunde an den Kaiſer: „Caesar, morituri te salutant!“ (Kaiſer, die Sterbenden begrüßen Dich!) Der Kaiſer antwortete telegraphiſch: „Requiescant in pace! (Sie mögen in Frieden ruhen.) Die Ausſchiffung in Jaffa, vor der man ſich ernſt- lich fürchtete, da ſie bei ungünſtiger Witterung mit großen Gefahren verbunden iſt, erfolgte am 8. Novem- ber Morgens ohne alle Schwierigkeit. Der Empfang am Landungsplatze war ein feſtlicher und lebhafter. Zahlreiche türkiſche Würdenträger erwarteten ſchon ſeit mehreren Tagen den Kaiſer, um ſich ihm und ſeiner Begleitung zur Verfügung zu ſtellen. Von allen Enden des Landes waren die Scheichs der Beduinen und die Häuptlinge der Drnſen mit ihren Schaaren herbeigeeilt, um die kaiſerliche Karawane zu begleiten, und nächſt ihnen bildeten zahlreiche türkiſche Kavallerietruppen die nöthige Bedeckung. – Im nahen Lager ordnete ſich der Zug, aber ehe er noch aufbrach, führten die Beduinen vor dem „Nemcar Padiſchah“ ritterliche Spiele und glänzende Reiterkünſte auf. Sie ſchwangen ihre Lanzen, 156 ſprengten im Carrière durch die Reihen der ſie Verfol- genden, feuerten während des Rittes ihre Gewehre ab und kehrten dann, kaum echauffirt von dem raſenden Ritte, wieder auf ihren früheren Standplatz zurück. – Nach beendetem Waffenſpiel ordnete ſich die Karawane. Den Beginn machten die Kawaſſen des öſterreichiſchen Konſulats in Jeruſalem in reicher Tracht, dann folgten der Kaiſer und deſſen Suite, hierauf die Scheichs und Anführer in prachtvollem Koſtume, die türkiſche Kaval- lerie, die Wagen und Sänften, und zuletzt die Kameele. Der Zug war über eine Stunde lang, mehr als 1000 Reiter nahmen an demſelben Theil. Die Gaſtfreund- ſchaft des Sultans manifeſtirte ſich auch hier in glän- zendſter Weiſe. An fünfhundert Kameele waren mit den verſchiedenartigſten Geräthſchaften beladen, die aus- ſchließlich für die Bequemlichkeit und den Komfort der öſterreichiſchen Gäſte beſtimmt waren. Während der ganzen Reiſe ſchlief der Kaiſer allnächtlich in einem vier Centner ſchweren ſilbernen Bette, welches jeden Morgen zerlegt und auf Kameelen nach dem nächſten Nachtlager transportirt wurde. In Ramleh ward das Frühſtück eingenommen und dann der beſchwerliche Ritt zur Nachtſtation angetreten, die in beſter Stimmung erreicht wurde. Am nächſten Morgen (9. November) ward frühzeitig aufgebrochen und in den erſten Vormittagsſtunden langte man vor Jeruſalem an. In einer Thalmulde ward Halt ge- macht und Alles warf ſich raſch in Gala-Toilette. Bald war Jeruſalem in Sicht und nun begann der Empfang ſeitens der von der Bevölkerung dem Kaiſer entgegen- geſendeten Deputationen. Die ungariſchen Juden Jeru- ſalems erſchienen die Erſten, mit einer ungeheuren Trikolore, auf welcher mit goldenen Buchſtaben die 157 Aufſchrift ſich befand: „Eljen a Czászár es magyar Apostoli Király Ferencz József Eljen a nemzet. A magyar, morva es eseh izraelita község.“ Von nun an erfolgte raſch Empfang an Empfang. Bei dem erſten Triumphbogen harrte ein Theil des chriſtlichen Klerus des Kaiſers. Der Kaiſer ſtieg vom Pferde, küßte andächtig den Boden und verweilte längere Zeit in inbrünſtigem Ge- bete. – Der Einzug in die heilige Stadt erfolgte zu Fuße – die Geiſtlichkeit ging dem Kaiſer entgegen und geleitete ihn in feierlicher Prozeſſion in die Grabkirche. – Nachmittag machte der Kaiſer einen Spazierritt nach dem Oelberge und beſichtigte mehrere öffentliche Anſtalten. Am nächſten Tage beſuchte Se. Majeſtät nochmals die Grabkirche und verweilte längere Zeit in derſelben, dann die arabiſche Schule, den Konvent der Ar- menier, das engliſche und das Rothſchild-Spital und die von Dr. Ludwig Auguſt Frankel vor mehreren Jahren ein- gerichtete Herz-Lämel-Stiftung. Am Nachmittag erfolgte ein Ausflug nach Bethlehem, der etwa ſechs Stunden in Anſpruch nahm. Der Kaiſer beſuchte die Helenen- kirche, die lateiniſche Kapelle und die Geburtsſtätte Chriſti, an letzterem Orte verweilte der Kaiſer andächtig betend länger als eine Stunde. Während dieſer Tour traf den in der Suite des Kaiſers befindlichen General- konſul v. Wekbecker ein ernſter Unfall. Während eines ziemlich ſtarken Galopps riß der Zügel des Pferdes, der Reiter ſtürzte und erlitt einen Rippenbruch, der ſich anfangs ziemlich gefährlich anließ, ſpäter aber glücklich geheilt ward. Glücklicher war Sektionschef v. Hofmann, der am Tage zuvor in Folge eines Riſſes des Sattelgurts vom Pferde ſtürzte, zur Freude ſeiner zahlreichen Freunde aber nicht gefährlich verletzt wurde. 158 Der Kaiſer und ein Theil der Suite machte auch einen Ausflug nach Jericho, dem Jordan und dem todten Meere, während Graf Beuſt und Miniſter v. Plener mit mehreren Herren nach Bethlehem fuhren. Die letztere Fahrt verdient inſoferne als ein Ereigniß betrachtet zu werden, als der Reichskanzler ſeit König Salomo der Erſte war, der die Stadt im Wagen beſuchte. Die Aufregung der Bevölkerung, als ſie das nie geſehene Wunder eines europäiſchen Wagens erblickte, entzieht ſich der genauen Beſchreibung. Von allen Seiten ſtrömten die Menſchen herbei und ſtaunten das Gefährte an und befühlten zitternd und zagend die einzelnen Beſtandtheile desſelben. Am 13. November erfolgte die Rückreiſe von Jeru- ſalem über Ramleh, wo übernachtet ward, nach Jaffa. Der Kaiſer widmete auf der Rückreiſe einige Zeit dem edlen Waidwerk und bewährte ſich auch hier als aus- gezeichneter Jäger. Er ſchoß zwei Steinhühner, einen ſchönen Wanderfalken und eine Gabelweihe. Flügel- adjutant Major von Krieghammer produzirte ein Jägerſtückchen, das wohl in der Jägerchronik verzeichnet zu werden verdient. Er ritt einen großen Adler an, verfolgte ihn, während der Vogel in den Lüften kreiste im Carrière und erlegte ihn während des Rittes. – Die Einſchiffung in Jaffa erfolgte unter den ungünſtigſten Verhältniſſen und war geradezu lebensgefährlich. Man verſichert, daß Admiral Tegetthoff jede Verantwortlichkeit für die möglichen Folgen abgelehnt und die ſofortige Ein- ſchiffung entſchieden widerrathen habe, daß aber derKaiſer mit gewohnter Unerſchrockenheit den Befehl zur Einſchiffunger- theilte. Das Meer bei Jaffa war in ſtärkſter Bewegung und die Gefahr für die Boote, an den zahlreichen Klippen zu zerſchellen, eine drohende. Der Kaiſer und ein Theil 159 der Suite beſtiegen das erſte Boot und nur den unge- heuerſten Anſtrengungen der Ruderer gelang es, einen ernſten Unfall zu verhüten. Einen Moment lang hielt man das Boot für verloren, wiederholt verſuchte man an den „Greif“ zu gelangen, aber immer wieder ward das Boot zurückgeworfen. Endlich mußte zu dem äußer- ſten Mittel gegriffen werden und der Kaiſer an Bord „gehißt“ werden. Die Szite, die auf dem „Gargnano“ ihren Platz hatte, verſuchte ſich vergebens einen Weg durch die ſchäumenden Wogen zu bahnen. Wiederholt ſchlugen die Wellen über Bord und nur nach über- menſchlicher Anſtrengung gelang es den Paſſagieren, an Bord zu kommen. Eine zweite Barke dagegen mußte umkehren und die Paſſagiere der „Eliſabeth“ (der Reichskanzler und die Miniſter) mußten am Ufer bleiben, da die Araber trotz der glänzendſten Verſprechungen ſich weigerten, die Fahrt zu unternehmen. Von Jaffa nach Pord Said war die Fahrt eine günſtige und als man am Morgen des 15. im Hafen anlangte, war jedes Ungemach vergeſſen, und neu gekräftigt betraten die Reiſenden das feſte Land. Das internationale Te Deum. Port Said, 16. November. Nachdem wir heute unſeren Beſuch auf dem „Greif“ beendigt, begaben wir uns zum Schiff des Khedive, der „Makrusza“, dem prächtigſten Dampfer, den die Welt wohl aufzuweiſen hat. Nubar Paſcha empfing uns und führte uns in den prachtvollen, auf das Ge- ſchmackvollſte ausgeſtatteten Salons umher, in denen abendländiſcher Luxus mit orientaliſcher Bequemlichkeit vereint iſt. Vom Verdeck ſahen wir, wie Abd-el-Kader, in einen weißſeidenen Burnus gehüllt und mit dem großen Band des Osmanli geziert, der Kaiſerin der Franzoſen einen Beſuch abſtattete. Erleben wir hier nicht Wunder? Abd-el-Kader, der erbittertſte Feind der Franzoſen, an Bord des „Aigle“ ein höflicher Beſucher! – Wir traten eben in den unteren Salon ein, als der Khedive erſchien und Jedem mit der Liebenswür- digkeit eines vollendeten Gentleman die Hand ſchüttelte. Er plauderte mit jedem Einzelnen und lud uns dann 161 ein, uns niederzulaſſen. Wir wollten eben von Kaffee und Tſchibuks, die von Dienern ſervirt wurden, Ge- brauch machen, als eine franzöſiſche Deputation eintrat und wir ihr Platz machten. Nubar Paſcha begleitete uns und führte uns noch auf die Kapitänsbrücke, wo uns der Kronprinz empfing. Im ſelben Augenblicke verließ die Kaiſerin ihr Schiff und ſtattete den Monarchen Gegenviſite ab. Nachdem unſer Beſuch abgethan war, ſtiegen wir an's Land, beſichtigten das prächtig aufge- putzte Port Said und wurden dann durch militäriſches Spalier an den Strand des Meeres geleitet, wo der erſte Akt des großen Feſtes, das internationale Tedeum, ſtattfinden ſollte. Nicht weit vom Ufer, an das brandend und toſend die See ſchäumende Wogen warf, war ein großer freier Platz dem Meere abgerungen worden; noch geſtern hatte die Springfluth einen Theil unter Waſſer geſetzt und mit Aufgebot aller Kräfte mußte gearbeitet werden, um die Kommunikation zum Feſt- Platze möglich zu machen. Auf dieſem ſtanden von Flaggenſtangen umgeben drei große Zelte: rechts ein weiß-blaues Zelt, in dem der chriſtliche Altar aufgeſtellt war und eine zahlreiche Geiſtlichkeit mit dem Erzbiſchof vom Sinai Monſignore Ciurcia an der Spitze, den Beginn der feierlichen Handlung erwartete, links ein grün-weißes Zelt mit egyptiſchen Prieſtern, im Zelte eine Art Kapelle, in welcher der Scheik-el-Zakha ſtand und Gebete aus dem Koran vorlas. Gegenüber von den beiden Zelten war eine große Tribüne für die Majeſtäten - und deren Gefolge errichtet. Außer den Geſandten und den Frauen und den Admiralen hatten nur noch fünfzig Perſonen, darunter der Schreiber dieſer Zeilen Zutritt gefunden. Herr v. Leſſeps machte mit gewohnter Liebens- würdigkeit daſelbſt die Honneurs. In ºriten Kreiſe 162 ſtand außerhalb der Tribüne das eleganteſte Publikum Europa's, die Vertreter aller Nationen, und harrten des Beginnes der großartigen Ceremonie. Rechts von der Tribüne war am Meeresſtrande eine Batterie auf- geſtellt, an der Straße vom Kai bis zum Pavillon paradirte eine egyptiſche Brigade. Kurz vor 3 Uhr erſchien am Arme des Kronprinzen von Egypten die Prinzeſſin von Oranien, gefolgt von ihrem Gemal, der die Gattin des ruſſiſchen Geſandten v. Ignatieff führte. Wenige Minuten nach 3 Uhr ver- kündete Kanonendonner das Nahen des großen Feſt- zuges. Voran ſchritten Arbeiter des Kanals mit Fahnen aller Nationen, die ſchwarz-gelbe öſterreichiſche erſchien an der Spitze des Zuges, dann die franzöſiſche. – Nach den Arbeitern kamen Kavaſſen und egyptiſche Offiziere, hierauf der Kaiſer Franz Joſef in Feldmarſchallsuni- form, am Arme die Kaiſerin Eugenie führend. Die Kaiſerin trug ein perlgraues Seidenkleid mit weißen Spitzen garnirt, perlgraues Jäckchen, ein ſchwarzes Sammthütchen mit Halbſchleier vor dem Geſichte, am Halſe ein ſchwarzes Sammtband und an dem- ſelben eine runde Broche, ein Kreuz aus Smaragd von Brillanten umgeben. Den Majeſtäten folgte der Khedive mit dem Kronprinzen von Preußen, dann die Vertreter Italiens, Rußlands, Englands und Däne- marks. Die Herrſchaften nahmen in folgender Ordnung von rechts nach links Platz. Am äußerſten rechten Ende der Vertreter Englands, dann die Prinzeſſin von Ora- nien, der Khedive, die Kaiſerin Eugenie, der Kaiſer von Oeſterreich, der Kronprinz von Preußen, der Prinz von Oranien, und die Vertreter der übrigen Mächte. In der zweiten Reihe ſaßen mehrere Damen, der egyptiſche Kronprinz, Abd-el-Kader und die Miniſter 163 Beuſt, Graf Andraſſy und Fürſt Hohenlohe. Dann ſtand dichtgedrängt das übrige Gefolge. Nachdem die Majeſtäten Platz genommen, ſprach zuerſt der Scheik-el- Zakha ein Gebet, worauf der Erzbiſchof unter Kanonen- ſchüſſen das Tedeum anſtimmte. Nachdem dasſelbe be- endet war, trat Abbé Bauer, der Bruder des Direktors der Wiener Eskomptebank, ein bekannter franzöſiſcher Kanzelredner, vor den Altar und hielt mit klangvoller, weithinſchallender Stimme eine lange Rede, in der er die Bedeutung des Feſtes, als eines Feſtes des Friedens, als eines für den Handel weltbedeutenden Feſtes her- vorhob, des Handels, der den Völkern Frieden und Freiheit ſichere. Er dankte dem Vizekönig, unter deſſen Aegide das Werk gediehen, im Namen der Völker. Egypten, rief der Redner, wird ſeine Regeneration von der Regierung Ismael Paſcha's datiren und die Geſchichte dieſem trefflichen Regenten eines ihrer ruhmvollſten Blätter widmen. Er dankte für die Toleranz, welche Se. Hoheit dem Chriſtenthume gegenüber bewähre, eine Toleranz, die ſich glänzend in dem eben vollzogenen kirchlichen Akt manifeſtirt. Egypten, das einſt das Land der Sklaverei geweſen, ſei heute das Land wahrer konfeſſioneller Freiheit. Abbé Bauer dankte hierauf dem Kaiſer der Franzoſen für den Schutz, den Frankreich dem Werke angedeihen ließ, bei deſſen feierlicher Einweihung es durch ſeine Kaiſerin vertreten ſei. Der Redner dankte auch dem Kaiſer von Oeſterreich für das Zeugniß der be- wunderungswürdigen Sympathie, welches der Kaiſer Angeſichts der ganzen Welt dem großen Werke in ein- ſichtsvoller Erkenntniß ſeiner Bedeutung für Oeſterreich gab, er knüpfte an dieſen Dank die innigſten Segens- wünſche für das Kaiſerhaus und das ſchöne Oeſterreich. Dann gedachte er in ſchwungvollen Retº Schöpfers 164 des Kanals, Herrn v. Leſſeps, deſſen Namen die Geſchichte aller Zeiten in glorreicher Weiſe nennen und deſſen An- denken ſo wie jenes des Entdeckers von Amerika ehren werde. Noch gedachte er mit bewegter Stimme aller Jener, die im Kampfe „gegen Wüſte und Barbarei“ während des Baues gefallen und flehte ſchließlich den Segen des Himmels herab auf das vollendete Werk, auf den neuen Weg, der das Licht der Gerechtigkeit, des Friedens und der Civiliſation weithin verbreiten und die Völker des Orients und des Occidents ſich ſelbſt und Gott näher bringen ſolle. Nach beendeter Rede ſang die Geiſtlichkeit noch ein Gebet, an deſſen Schluſſe die Kaiſerin Eugenie faſt auf die Knie ſank und ſich bekreuzte. Die Herrſchaften kehrten hierauf in derſelben Ordnung, wie ſie gekommen, zu Fuß nach dem Schiffe zurück. Die Menſchenmenge begrüßte ſie mit unaufhörlichen Hurrahs. – Die ganze Ceremonie hatte ungefähr zwei Stunden gedauert. Die Fahrt durch den Suezkanal. Ismailia, 17. November. Geſtern Abend beſchloß ich den „Maſſr“ zu ver- laſſen, da ich beſtimmt hörte, derſelbe werde nicht den Kanal paſſiren und die auf dem Schiffe befindliche Geſellſchaft müſſe auf mehrere kleine Dampfer vertheilt werden, die einen halben Tag ſpäter als die kaiſerlichen Schiffe in Ismailia landen ſollten. Um dieſer Unge- wißheit zu entgehen, wandte ich mich durch Vermittlung eines Freundes an Mr. Leſſeps und dieſer wackere Mann, der heute das ſchönſte Feſt begeht, das ein Sterb- licher feiern kann, hatte die Gefälligkeit, mir einen Platz auf einem Extradampfer anzubieten, der die Familie Leſſeps nach Ismailia bringen ſollte. – Ich benützte den Reſt des Abends, um durch die Straßen Port Saids zu wandern. Straßen? Als ob man dieſe der Wüſte, dem Meere abgerungene, mit nothdürftig zuſammenge- zimmerten Häuſern beſetzte Fläche ſo nennen könnte. Inmitten jeder Straße iſt ein feſtgeſtampfter, ſechs Fuß 166 breiter Weg für europäiſche Stiefeln mit Sicherheit zu paſſiren, ein Schritt daneben und man verſinkt fußtief in den Staub. Port Said, das vor wenigen Jahren auch nicht eine Barake aufzuweiſen hatte, zählt heute mehrere hundert Häuſer und etwa 12.000 Einwohner. In dieſen Tagen hat es ſeine Galakleider angezogen und namentlich der Hafen beſchämt in dieſem Augen- blicke die berühmteſten Häfen des Ozeans. Die Kriegs- ſchiffe aller Nationen ſind da verſammelt, die Flaggen der Welt wehen von den Raaen und von allen Enden ſind Dampfer der Privatgeſellſchaften herbeigeeilt, um Tauſende von Neugierigen hier auszuladen. Wenn dieſe Feſttage nicht trügeriſch ſind und nur die Hälfte von dem halten, was ſie verſprechen, ſo hat Port Said eine große Zukunft. – Welches Leben herrſchte geſtern in den Straßen ! Alle Sprachen Europa's konnte man hören und ſelbſt im kaiſerlichen Kiosk war das Franzöſiſche nicht das allein herrſchende Idiom – man hörte ruſſiſch, Polniſch, ungariſch, deutſch, engliſch, ſpaniſch – nur nicht böhmiſch. Das Reich Czechien ſchien gar keinen Repräſentanten bei dem internationalen Feſte zu haben. – Die Straßen Port Saids waren feſtlich dekorirt, überall gab es Lampions, Laternen, Fahnen und Triumphbogen. Beſonders glänzend waren der Lloyd und das öſterreichiſche Konſulat dekorirt. – Der Mißmuth, der ſich meiner geſtern auf dem „Maſſr“ bemächtigte, iſt gänzlich ver- ſchwunden. Der „Maſſr“ war eben in aller Eile zur Beherbergung der Gäſte hergerichtet worden und konnte den bereits durch den Aufenthalt in Kairo und Alexan- drien geſteigerten Erwartungen nicht entſprechen, zudem beeinträchtigte die Gewinnſucht des Unternehmers auf dem Schiffe den guten Willen des Feſtgebers. Hier auf feſtem Boden iſt wieder Alles anders – niemals, ſo 167 lautet der einſtimmige Ausſpruch aller Theilnehmer, iſt Gaſtfreundſchaft in ſo verſchwenderiſcher und alle Be- dürfniſſe befriedigender Weiſe geübt worden, wie hier in Egypten. Der Spruch: „Tiſchlein, deck dich“ erfüllt ſich hier jeden Augenblick, der Gaſt äußert nur den Wunſch und er iſt ſofort befriedigt; ſelbſt die Franzoſen, die in ihren Anſprüchen geradezu das Unmögliche leiſten – ſie laſſen z. B. ihre kleinen Einkäufe auf Koſten des Vizekönigs beſorgen – ſind zufrieden, und das ſagt Alles. Erzählt man doch, daß etwelche Franzoſen die Spielſchulden, die ſie am grünen Tiſche machten, zur Bezah- lung an den Vizekönig anwieſen und daß dieſer zahlte! – Daß eine Geſellſchaft von acht bis zehn Perſonen hier Extratrains oder Extradampfer verlangt, iſt gar nichts Seltenes und ſelbſt ſolche extravagante Wünſche werden erfüllt. Die großen Säle, in denen man ſpeist, werden faktiſch keinen Augenblick geſperrt, die ganze Nacht hin- durch wird gezecht, und man kennt eingeladene Schma- rotzer, die drei Mal des Tages dejeuniren und ebenſo oft zum Diner kommen. – – Geſtern Nachts alſo verließ ich den „Maſſr“, be- ſichtigte die prächtige Illumination, ſchenkte dem brillan- ten Feuerwerk, das von allen Schiffen abgebrannt wurde und den Horizont mit zahlloſen farbigen Sternen be- deckte, einige Aufmerkſamkeit und begab mich dann auf den Dampfer der Suezgeſellſchaft, einer mit einem Miniaturkeſſel verſehenen Nußſchale, auf deren Verdeck ungefähr 20 Perſonen Platz nahmen. Ich ſuchte zwi- ſchen Koffern, Plaids und Hutſchachteln ſo gut als möglich unterzukommen, hüllte mich in meinen Plaid und blickte nach dem Leuchtthurm von Port Said, deſſen elektriſches Licht uns vier Meilen weit begleitete. Rechts breitet ſich die ſyriſche Wüſte, links ein See aus, an 168 beiden Ufern dehnen ſich kahle, ſandige Strecken, deren Sand von den aufſchäumenden Wellen fortwährend ab- geſpült wird. Man durchſchneidet, von Port Said kom- mend, den Kanal von Norden nach Süden, durchfährt dann den See Menzaleh, deſſen Waſſer in einer Strecke von 40 Kilometer Länge für den Kanal benützt wurde, ſpäter die Seen Ballah und gelangt dann in die Mitte des Iſthmus in den Lac Timſah, an deſſen Ufer Js- mailia liegt, – paſſirt dann die ſchwierigſte Stelle, ſchifft in das Baſſin der blauen Bitterſeen und von dort in wenigen Stunden nach Suez. Die ganze Länge beträgt 168 Kilometer oder 224 deutſche Meilen. Davon kommen auf die Strecke von Port Said bis Ismailia 80 Kilometer oder 1066 deutſche Meilen. Die Tiefe des Kanals ſoll 85 Meter unter dem gemittelten Niveau des mittelländiſchen und des rothen Meeres betragen. (Das Niveau des mittel- ländiſchen Meeres unterſcheidet ſich von dem des rothen Meeres zur Ebbezeit nur unbedeutend.) Die Sohlenbreite des Kanals ſoll 22 Meter meſſen und ſollen die Böſchungen in dem Verhältniſſe von 2:1 anſteigen. Von Kantarah bis El Ferdane iſt der Kanal in der angenommenen Breite fertig, auch an den meiſten Stellen auf die vorgeſchriebene Tiefe gebracht. Von El Ferdane bis zum Timſahſee iſt die verlangte Breite vorhanden, es fehlt aber an vielen Stellen noch die vor- geſehene Tiefe. Zwiſchen den beiden letztgenannten Orten liegt bei El Giſr die alte Waſſerſcheide des mittellän- diſchen und rothen Meeres. Hier werden die Muſcheln beider Meere nahe nebeneinander liegen gefunden. Auch liegt hier die höchſte Stelle der Landenge, da ein Durch- ſtich von 20 Meter gemacht werden mußte, um auf das Niveau des Kanalwaſſerſtandes zu gelangen. Der durch 169 den Timſahſee geführte Kanal hat die volle Breite; die Tiefe beträgt indeſſen durchſchnittlich erſt 7 Meter unter mittlerem Waſſerſtande. Vom Timſahſee bis zum Se- rapeum hat der Kanal höchſtens 20 Meter Sohlenbreite und 7 Meter Tiefe mit Ausnahme einer Strecke von ppt. 30 Meter, wo nur 55 Meter Waſſertiefe vorhan- den iſt. Es liegt hier eine leider nicht früh genug durch die Bohrungen feſtgeſtellte Felsbank von 2% bis 3 Meter Mächtigkeit, an der alle Baggerungen geſcheitert ſind und der man erſt mit Sprengungen zu Leibe gehen muß. Vom Serapeum durch den großen Bitterſee iſt eine Tiefe von durchſchnittlich 9 bis 10 Meter vorhan- den, die ſich durch Auflöſung der Salzbänke gebildet hat. Der kleine Bitterſee wurde auf trockenem Wege bis zu vollſtändiger Breite und Tiefe des Kanales hergeſtellt. Von dem kleinen Bitterſee bis zu dem ſogenannten kleinen Chalouf, bis etwa zum 155. Kilometer, wurde der Kanal ebenfalls auf trockenem Wege hergeſtellt, weil angeſtellte Bohrungen das Vorhandenſein von Felſen ergeben hatten. Vom Kilometer 155 bis zum Ende des Kanales im rothen Meer wurden alle Arbeiten durch Baggerungen beſchafft, nachdem ſtellenweiſe Waſſer aus dem Süß- waſſerkanale eingelaſſen war. Im Laufe des letzten Jahres ſind ganz außerordentliche Anſtrengungen gemacht worden, um das Werk bis zu dem Tage der Eröffnung fertig zu ſtellen, reſpektive ſo weit zu fördern, daß größere Fahrzeuge würden paſſiren können. Es waren in dieſem letzten Jahre gegen 40.000 Menſchen, 8000 Kameele und 12,000 Eſel bei den Arbeiten und Trans- porten in Thätigkeit. Man hat eine ganze Flotte von Baggern und Fahrzeugen aller Art im Betriebe gehabt, um das vorgeſteckte Ziel zu erreichen. Nicht weniger als 35 bis 40 Bagger der größten Sorte, 170 30 kleinere Bagger, 12 Elevatoren, 20 Schlepp- und Dienſtdampfer, 50 Pontons mit Dampfmaſchinen zum Transport des Baggergutes, von denen jedes bei drei Meter Tiefgang 180 Kubikmeter faßte, 40 kleinere derartige Fahrzeuge, jedes 120 Kubikmeter faſſend, und 30 Schuten, jede mit 7 Einſetzkaſten à 3% Kubikmeter, alſo zuſammen 24% Kubikmeter – 1012 Kubikfuß tragend, waren unausgeſetzt, in den letzten Monaten zur Tages- und Nachtzeit in Thätigkeit. Man ſieht aus dieſen einer verläßlichen Quelle entnommenen Notizen, mit welchem enormen Aufwand von Kräften und Mitteln gearbeitet worden iſt, und doch iſt der Kanal noch ein unvollendetes Werk, das weder überall die erforderliche Sohlenbreite noch die nothwen- dige Tiefe hat. Hätte man in derſelben Weiſe fort- gearbeitet, wie das in den letzten Monaten geſchehen iſt, ſo darf man nicht daran zweifeln, daß nach Verlauf von fünf bis ſechs Monaten das ganze Werk, wenn auch nicht durchweg vollendet, ſo doch ſeiner Voll- endung ganz nahe hätte gebracht werden können. Daß das nicht geſchehen iſt, hatte aber ſeinen guten Grund. Die Mittel waren vollſtändig erſchöpft und außer den von den Aktionären eingezahlten Summen ſind einmal die vom Khedive als Entſchädigung gezahlten 84 Mil- lionen Francs, ferner auch die 37% Millionen Francs, welche der letztere für die Rückerwerbung der aufblü- henden Ländereien am Süßwaſſerkanale gezahlt hat, verbraucht. Was blieb unter dieſen Umſtänden übrig, als der Welt ein Schauſpiel ohne Gleichen vorzuführen, als den aus allen Himmelsgegenden Herbeigeſtrömten das Werk in möglichſt günſtiger Geſtalt zu zeigen, eine thunlichſt große Anzahl ſorgfältig ausgewählter Schiffe in vorſichtiger Weiſe auf dem neuen Wege aus dem 171 mittelländiſchen in das rothe Meer zu führen und damit zu dokumentiren, daß der Suezkanal keine Chimäre iſt, daß er faktiſch exiſtirt, und daß es nur noch einer ge- wiſſen Summe bedarf, um das zu vollenden, an dem die mißtrauiſche Welt zweifelte. - Bis jetzt haben die Baukoſten gegen 404 Millionen Francs betragen, von denen indeſſen nur gegen 270 Millionen in die Hände der Unternehmer gefloſſen ſind. Der Reſt iſt für anderweitige Ausgaben und Unkoſten daraufgegangen. Finden ſich nun die annoch erforderlichen, zu 60 bis 100 Millionen Francs anzuſchlagenden Summen, und wird der Kanal, wie unter den obwaltenden Um- ſtänden kaum zu bezweifeln iſt, vollendet, ſo dürfte die Frage der Unterhaltung bei den demnächſtigen Kanal- budgets allerdings eine wichtige Rolle ſpielen. Aber ſie zu löſen, iſt, wie gewiegte Fachmänner nachgewieſen haben, nicht unmöglich. Geht einmal ein großer Theil der Schifffahrt, die ſich jetzt in anderer Richtung bewegt, durch den Kanal, und fährt die Dampfſchifffahrt fort, die Segelſchifffahrt auf allen Meeren ſo zu bekämpfen, wie ſie das ſeit den letzten zehn Jahren gethan hat, ſo iſt nicht zu be- zweifeln, daß man eines Tages ein anderes Urtheil über ein Unternehmen fällen wird, welches man mit Recht zu den großartigſten unſeres Jahrhundertes rechnen darf. - s glaube, daß dieſe einem verläßlichen und ge- diegenen Bericht entnommenen Daten genügen dürften, um den Leſern dieſer Skizze ein Bild des Kanals und ſeiner Bedeutung zu liefern, und ich darf wohl in der Schil- derung meiner nächtlichen Kanalreiſe fortfahren. – – 172 Jeden Augenblick kamen uns Poſt- und Aviſo- dampfer entgegen oder wurden von uns überholt, an mehreren Stellen erblickten wir koloſſale Bagger- maſchinen, deren Arbeit weithin vernehmbar war. Die Fahrt ging in der glücklichſten Weiſe von ſtatten, denn daß unſer Dampfer zwei Mal auf die Ankerkette eines Baggerſchiffes auffuhr, daran trägt nur die Ungeſchick- lichkeit des Kapitäns und nicht der Suezkanal Schuld. Wir fuhren die ganze Nacht hindurch – die Ufer behielten ihre Einförmigkeit, nur das Waſſer, das ſich bald zum See ausbreitete, war von Schiffen und Booten belebt. Am rechten Ufer zieht ſich der Telegraphendraht hin, das Zeichen der Kultur, des Lebens in der Wüſte; hin und wieder erblickt man eine Eiſenbahn, auf der Schotterwagen weiterbefördert werden – jede halbe Stunde eine Station mit primitiven Bauten. Die zahl- reichen großen Dampfer, die eben im Kanal ſtationirten, ließen bereits erkennen, daß die Gerüchte, die noch in letzter Stunde das Scheitern des großen Unternehmens prophezeit hatten, unbegründet waren. – Beim Morgen- grauen ward das Bild lebendiger. Tauſende und Tau- ſende von Arbeitern waren mit Abgraben der Ufer be- ſchäftigt und Schaaren von Eſeln keuchten unter der Laſt, die ſie wegſchleppten; weiter unten vollführten Hunderte von Kameelen die gleiche Arbeit. Die Uhr zeigte ſieben, als Ismailia feſtlich beflaggt ſich unſeren Blicken zeigte. Um halb 8 Uhr ſtiegen wir an's Land, die Fahrt durch den Suezkanal war glücklich beendet. Ismailia iſt gegen Port Said eine große Stadt, es iſt zwar Alles neu und proviſoriſch, aber die An- ſiedlung hat bereits eine große Ausdehnung. Wir fanden Häuſer und Straßen feſtlich beflaggt; Triumphpforten zeigten uns den Weg nach der neuen großen Straße, 173 die zu unſerer freudigen Ueberraſchung den Namen Avenue François Joſeph erhalten hatte. Wir ſuchten zuerſt den öſterreichiſchen Konſularagenten Herrn Bader, einen allgemein beliebten, jungen Mann auf, und erhielten ſo- fort unſere Zelte angewieſen. Ich ſcherze nicht – wir lebten Alle hier wie Abd-el-Kader in der Wüſte – unter Zelten. Je zwei, auch drei weilen unter dem Leinwand- dache, der Sandboden iſt mit Strohmatten bedeckt, auf denen friſche Matratzen und weißgeſteppte Decken aus- gebreitet ſind. Ich genoß der beſonderen Protektion, ein Zelt für mich allein zu erhalten, mußte mir aber gleich den Anderen die nothwendigſte Einrichtung meiner lufti- gen Behauſung aus allen Ecken und Enden ſelbſt herbei- ſchaffen. Ein verſchmitzter Spitzbube von Araber, der jede Viertelſtunde mit lachendem Munde um Tabak und Bakſchiſch bittet, iſt mein Diener, und ich biete alle Künſte der Mimik auf, um mich mit ihm zu verſtän- digen. Der Menſch iſt fürchterlich ungelehrig – nur wenn ich in meinen Tabaksſack greife, fängt er mich zu verſtehen an. – Die Strecke zwiſchen dem Kanal und dem Städtchen iſt in ein rieſiges Zeltlager umgewandelt, in dem vorn die Eingeladenen und rückwärts die Truppen und die von allen Seiten herbeigeeilten Beduinen und Araber lagern. Man begegnet auf jedem Schritt den abenteuerlichſten Auf- zügen. Unter Vortritt einer zahlreichen, den grauenhaf- teſten Lärm verurſachenden Muſikbande kömmt ein Zug daher, fratzenhaft gekleidete Geſtalten mit ſpitzigen Papier- hüten eröffnen unter entſetzlichem Geheul denſelben; dann folgen Derwiſche, ſingende Knaben, Männer mit Lanzen und langen Flinten, dann Reiter auf Pferden, Kameelen und Dromedaren. Dort kommen die unabhängigen Tribus der Wüſte, von ihren Scheiks geführt, angeritten, ein irregulärer Reitertrupp zu Kameel, die Thiere greifen 174 weit aus und in Carrière ſprengen die Krieger der Wüſte mit flatternden Gewändern ſo raſch vorüber, daß wir kaum die Bewaffnung flüchtig muſtern können. Lanzen, Spieße, Piken, Flinten mit Steinſchlöſſern, Piſtolen, Dolche, Säbel, Alles iſt hier vertreten. – Da rechts kommen Araber auf prächtigen Roſſen. Wie ſie die herr- lichen Thiere tummeln! – Sie werden morgen vor den Souveränen ihre waghalſigen Sprünge ausführen und in raſendem Galopp mit den Speeren nach den Schildern werfen – eine Equitation arabe ſteht ja auch auf dem Programme von Ismailia. Kann man ſich etwas Abenteuerlicheres denken, als jene Equipage mit acht Kameelen beſpannt? – Zwei Vorreiter auf Dromedaren bahnen den Weg, ihnen folgt das Geſpann, ein Kameel, auf dem das Ideal eines Arabers thront, hat die Füh- rung, dann ſind zwei, dann wieder drei und zuletzt zwei Kameele nebeneinander geſpannt – bis zu den Wolken wirbelt der Staub auf, aber blitzſchnell eilt der Wagen vorbei und in dem fußtiefen Sande ſcheint die Höllen- fahrt für die Paſſagiere nicht einmal unangenehm zu ſein. Leſſeps hat dieſe Equipage für die Kaiſerin der Fran- zoſen beſtimmt, die ſich derſelben auch einmal bediente. Jetzt marſchirt egytiſche Infanterie auf, eine ſehr gut ausſehende, prächtig adjuſtirte Truppe – dazwiſchen drängen ſich Tänzerinnen, Cymbalſchläger, die Nomaden mit ihren Trommeln, Cymbals und Dudelſäcken, mit denen ſie unaufhörlich betäubenden Lärm verurſachen, quartierſuchende Europäer, fluchende Engländer, lachende Franzoſen, ſingende Italiener, heulende Türken, zankende Fellahs, ſchreiende Eſel, jammernde Kameele, vom Kanale her tönt der gellende Pfiff der Dampfer – es iſt ein Tohuwabohu, das nicht ausgemalt werden kann. Wir aber ſitzen unter unſeren Zelten, wie Jeremiaſſe auf 175 den Trümmern der zerſtörten Stadt, und auch wir klagen und jammern, denn alle unſere Glieder ſind zer- ſtochen von Mosquitos, unſere Haut zeigt nichts als rothe Blaſen, und alle Zauberkünſte Zacherl's reichen nicht mehr aus, uns reinzuhalten von der Landplage Egyptens, von der ſchon das auserwählte Volk heim- geſucht war. Nachmittags eilte Alles nach dem Kanale, um die Einfahrt der Schiffe anzuſehen. Gegen halb 4 Uhr kam der erſte Dampfer in Sicht. Nubar Paſcha langte mit einigen Würdenträgern an und beſtieg nach kurzer Raſt einen Salondampfer, um den Souveränen entgegenzu- fahren. Gegen 5 Uhr verkündeten Kanonendonner und Hurrahrufe das glückliche Eintreffen der Schiffe. Zuerſt erſchien der „Aigle“ mit der Kaiſerin Eugenie und Herrn Leſſeps an Bord, dann der „Greif“ mit dem Kaiſer, der Civilkleider und einen weißen Schleier auf dem Hute trug, ſpäter die „Eliſabeth“ mit der Suite Sr. Majeſtät. – Als der Kronprinz von Preußen einfuhr, war es bereits dunkel geworden und die Bevölkerung wieder in das Lager zurückgeſtrömt. Der Kaiſer ward beim Einfahren mit ſtürmiſchen Evvivas und Lebehochs begrüßt, die Damen wehten mit ihren Tüchern und ſtimmten in die herzlichen Zurufe jubelnd ein. Es machte ſich ſchon früher und auch bei dieſer Gelegenheit ein bemerkenswerther Unterſchied zwiſchen der Aufnahme, die unſer Kaiſer findet, und dem Empfange, den man der Kaiſerin der Franzoſen bereitet, bemerkbar. Seitdem Madame Eugenie in Kairo zu Eſel ausgeritten, hat ſie die auf Etiquette und Form großen Werth legenden Orientalen ſchwer verletzt, und ſeitdem ſie ſich in Alexandrien ſo zurückzog, daß ſie nicht einmal ihre Landsleute empfing, erfreut ſie ſich auch nicht der Theil- 176 nahme der Franzoſen. Als der „Aigle“ hier einfuhr, ſchrien die Franzoſen donnernd: Vive Lesseps! und da die Matroſen reglementsmäßig Vive l'Empereur! rufen müſſen, ging die Kaiſerin ganz leer aus. Sie wird ſich zu tröſten wiſſen! –-SR->–- Ein arabiſches Bolksfeſt. Ismailia, 18. November. Geſtern Abend war die Loſung: Zu den Arabern, – - und alle Welt folgte der Einladung, um einem Volks- feſte in der Wüſte beizuwohnen und die ſprichwörtliche Gaſtfreundſchaft der Araber zu erproben. Wir hatten uns eine zahlreiche Geſellſchaft guter Oeſterreicher zuſammen- gefunden – die liebenswürdige, gegen ihre Landsleute in Aufmerkſamkeiten unerſchöpfliche Familie unſeres Generalkonſuls Herrn v. Schreiner, Freiherr v. Gagern, die ausdauerndſte Arbeitskraft des internationalen Kon- greſſes – man hat, ſo verſichern die Mitglieder, ſeiner Unermüdlichkeit allein es zu verdanken, daß die Bera- thungen ſo raſch von einem erſprießlichen Erfolg be- gleitet waren, – Oberſtlieutenant Baron Swrtnik und Oberlieutenant Graf Nugent, die beide den Ritt von Jaffa nach Jeruſalem und zurück in zwei Tagen gemacht – Baron Swrtnik erlegte während des Rittes einen prächtigen Schakal – Oberlieutenant v. Krauffen- 12 178 berger, Ritter v. Wertheim, Oberkommiſſär Landſteiner aus Wien, einer der angenehmſten Geſellſchafter, der Korreſpondent des „Peſter Lloyd“, der Oberſtſtallmeiſter des Vizekönigs Graf della Salle, früher in öſterreichi- ſchen, ſpäter in Dienſten des Kaiſers von Mexiko, ein wahres Ideal von Gefälligkeit, der für alle unſere Be- dürfniſſe ſorgt und die Wüſte in einen Garten ver- wandeln würde, wenn wir es wünſchten, der Sekretär des Vizekönigs Dr. Kiſſel 2c. – Unſer erſter Gang war nach dem Zelte El Bekeri's, des reichſten und mächtigſten Scheiks der Wüſte. El Bekeri ſaß am Eingang eines prachtvollen, aus reichge- ſtickten Stoffen errichteten, mit Teppichen belegten Zeltes und begrüßte uns beim Eintreten, indem er, ohne ſich zu erheben, Herz, Mund und Stirne berührte. Erſt ſpäter, als Madame Zachmann, die Gattin des Kauf- manns gleichen Namens, eine enragirte Freundin Oeſter- reichs, arabiſch zu ſprechen begann, ward der Patriarch freundlicher und reichte uns die Hand. Die zahlreichen Diener brachten uns ſofort Stühle und ſervirten uns Kaffee, ein franzöſiſch ſprechender Diener machte uns auf die Koſtbarkeiten aufmerkſam, auf und in denen ſervirt wurde. Der Diener brachte den Kaffee in ſilber- nen Kannen von prächtiger Arbeit, die von einer roth- ſammtenen, mit Gold reich geſtickten Decke umhüllt waren. Als er zu ſerviren begann, legte er die Decke um ſeine Schultern und reichte uns die Becher; auf Schäl- chen von feinſtem Porzellan ſtanden wahre Kabinets- ſtücke kleiner Becher, letztere waren aus Silberfiligran gearbeitet, oder aus Gold mit Brillanten und Smarag- den reich beſetzt, einige aus geſchnitztem Elfenbein 2c. Nachdem wir Kaffee und Liqueur getrunken, ließ uns El Bekeri fragen, ob wir den Tanz der Derwiſche 179 anſehen wollten. Wir nickten bejahend und ſofort wurden aus einem Seitengemache die Schauſpieler der widerlichen Szene geholt, die uns bevorſtand. In einem gegen uns zu offenen Viereck ſtellten ſich einundzwanzig Derwiſche auf. Die vier, welche die Querreihe bildeten, begannen in einem Tone, wie man ihn in den orthodoxen Syna- gogen zu hören bekömmt, einen monotonen Geſang, wäh- rend die Anderen, der Länge nach aufgeſtellt, den Ober- leib nach rechts und links zu bewegen begannen und dabei fortwährend Allah, Allah in einer Weiſe gurgelten, daß man die große Glocke von St. Stephan zu hören ver- meinte. Einer klatſchte mit den Händen Takt und ſo währte der Unſinn faſt eine Viertelſtunde. Jeden Augen- blick ſprang einer in den Kreis und legte ſeine Pan- toffel auf die Matten. Ich ſchaute dem Tanze, der an- geblich dazu dienen ſoll, die Derwiſche in Verzückung zu bringen, aufmerkſam zu und gewann die Ueber- zeugung, daß wir es einfach mit Komödianten zu thun hatten, die auf Befehl ihres Scheiks und um des lieben Bakſchiſch willen Alles thaten, um uns oder das Volk zu verblüffen. Mitten in der gräßlichſten Verzückung, während ſie ſich die Bruſt zu zerfleiſchen drohten, ſah ich einige Tänzer ihren Platz verlaſſen und vor das Zelt eilen, um ſich in aller Gemüthsruhe mit einem Schluck Kaffee zu ſtärken. Die älteren ausgedienten Tänzer erfüllten ihre Pflicht nur äußerſt ſchwerfällig und ſchienen ſich offenbar zu ſchonen, nur die jüngeren ſteigerten fortwährend die Heftigkeit ihrer Bewegungen. Nach einer Viertelſtunde fingen die Tänzer zu ſpringen und konvulſiviſch zu zittern an, immer toller und un- geheuerlicher wurden die Sprünge, immer ohrenzer- reißender das Geſchrei, bis endlich ein ſchwarzgelockter Derwiſch in den Kreis ſprang und volle fünf 12 180 Minuten wie ein Kreiſel drehte. Wenn die berühmteſten Kreisdreher unſeres Ballets, die Herren Calori und Caron, ihre Rivalen in Ismailia geſehen hätten, ſie würden ihnen bezüglich ihrer fabelhaften Ausdauer ihre volle Anerkennung gewiß nicht verſagt haben. Endlich ſtürzte der Tänzer erſchöpft zuſammen; aber nur einen Moment dauerte die Erſchlaffung, dann ſprang der Mann wieder auf, geberdete ſich wie ein Wüthender, riß ſich die Oberkleider herab, begann ſich die Bruſt zu zerkratzen und zu zerfleiſchen und aß ſchließlich zum Entſetzen aller Anweſenden glühendes Feuer und leben- dige Schlangen, ein Kunſtſtück, das wir übrigens in Europa bereits wiederholt zu bewundern Gelegenheit hatten. Ein Grieche, der in das Zelt trat, und mir als Führer der Bewegung in Candia vorgeſtellt wurde, äußerte ſein Bedauern über dieſes Gaukelſpiel, das von civiliſirten Menſchen nur als eine Komödie be- trachtet werden könnte. Wir waren müde des ewigen Tanzes und ſetzten unſere Wanderung fort, das Zelt eines anderen Emirs nahm uns auf, in dem man uns Kaffee mit Moſchus reichte, einen Trank, den ich zur Indignation des Spenders einfach auf den Boden ſchüttete, denn ich hätte nicht um alle Schätze Indiens einen Tropfen verſchlucken können, ohne ſeekrank zu werden. Vor dem nächſten Zelte trafen wir arabiſche Gaukler und Meſſerwerfer, zehn Schritte weiter ſahen wir Lanzenwerfer zu Pferde, die mit wunderbarer Accura- teſſe auf einer kleinen Strecke ein Pferd in pleine carrière bringen, im Vorüberfliegen mit einem Speere nach dem Centrum eines Schildes werfen, ohne auch nur einmal das Ziel zu verfehlen, und eine Sekunde ſpäter das Pferd im raſendſten Laufe zum Stehen bringen, ſo daß die Kniee des bedauernswürdigen Renners 181 förmlich einknicken. Der Rückweg führte uns wieder vor dem Zelte El Bekeri's vorbei, es war dicht gefüllt, auf Wunſch des Emirs traten wir abermals ein, der Tanz der Derwiſche dauerte noch immer fort. – Zwei Adjutanten des Kaiſers kamen gleichzeitig mit uns in das Zelt und da der Führer ihr Inkognito verrieth, reichte man ihnen ſofort Tſchibuks mit langen Bern- ſteinſpitzen, die mit Perlen und Diamanten reich beſetzt waren. In dieſem Augenblicke bemerkten wir eine Be- wegung am Eingang des Zeltes – der Kaiſer war im ſtrengſten Inkognito in Begleitung des Fürſten Hohenlohe, des Grafen Bellegarde, des Reichskanzlers Grafen Beuſt, des Miniſterpräſidenten Andraſſy, des Miniſters Plener und des Generalkonſuls Schreiner erſchienen und ſchaute eine Viertelſtunde lang mit großem Intereſſe dem Tanz der Derwiſche zu. Erſt hier konnte ich mich unſerem Generalkonſul vorſtellen. Der erſte Eindruck gleich beſtätigte den Ruf, den Herr v. Schreiner als einer der liebenswürdigſten, für ſeine Landsleute aufopferungsfähigſten, begabteſten öſterreichiſchen Vertre- ter im Oriente beſitzt. Man braucht nur den Namen Schreiner zu nennen und man iſt in Egypten wie im Kreiſe der Familie aufgenommen und erfreut ſich überall des herzlichſten Entgegenkommens. Auch Nubar Paſcha, den allmächtigen Miniſter des Khedive, hatte ich hier Gelegenheit längere Zeit zu ſprechen, er war ungemein freundlich und hatte die Liebenswürdigkeit, mir beim Abſchiede die Worte zu ſagen: Je vous assure, que j'ai appris la langue allemande en lisant votre journal. – El Bekeri bot dem Kaiſer einen Sitz auf dem Divan an, Se. Majeſtät lehnte es ab, Graf Beuſt aber mußte ſich auf dem Divan niederlaſſen und ein Täßchen Mokka ſchlürfen. Nach Beendigung des 182 Tanzes verließ der Kaiſer und ſein Gefolge das Zelt und ſetzte ſeine Wanderung durch das Lager fort, wir aber begaben uns zum Schiffe des egyptiſchen Finanz- miniſters, auf dem eine Fantaſia dargeſtellt wurde. Se. Exzellenz lud uns freundlichſt ein, Platz zu nehmen, und nachdem wir mit Sorbet, Kaffee, Limonade und einem wahrhaft klaſſiſchen Curaçao verſorgt worden waren, begannen die Sängerinnen ihr eintöniges Lied. Eine derſelben, la dame aux diamants – ſie iſt die Lieblingsſängerin des Khedive und trug in den Haaren und am Halſe Schätze von Brillanten – ſang vor und die übrigen bildeten den Chor, während eine wohlbeleibte Künſtlerin mit den Fingern auf die Trommel ſchlug. Die zwei erſten Sängerinnen ſaßen auf einem Sopha, vier andere kauerten am Boden. Nach einer Weile ließen wir durch unſeren freundlichen Dolmetſch Mad. Z. bitten, ob wir nicht einen Tanz ſehen könnten und ſofort ward unſerem Wunſche entſprochen. Der berühmte Tanz der Egyptierinnen, in welchem die Verfolgung einer Biene, die ein Mädchen in die verſchiedenſten Körpertheile zu ſtechen droht, plaſtiſch und mit dem Aufgebot aller ſinnlichen Mimik dargeſtellt wird, iſt ſchon ſo oft be- ſchrieben worden, daß ich den Leſer zu ermüden fürchte, wenn ich eine ausführlichere Schilderung noch- mals verſuchte. Die Tänzerinnen tanzen nicht mit den Beinen, ſondern mit Hüften und Bauch. Sie wiegen ſich wollüſtig in den Hüften, zucken mit allen Glied- maßen, bewegen den Mittelkörper bald rechts, bald links – vor- und rückwärts und ſchreiten – nur zwei nehmen am Tanze Theil und ſtehen vis-à-vis – zuckend an einander vorüber. Die Melodie des Tanzes, welche von den übrigen Damen geſpielt und geſungen wurde, während die Tänzerinnen mit ihren Caſtagnetten klap- 183 perten, mahnt theilweiſe an den Cſardas, auch einige Bewegungen erinnern an dieſen aſiatiſchen Tanz, während der übrige Theil einfach ein egyptiſcher Cancan der ausdrucksvollſten und verlockendſten Sorte iſt. Wenn man im Harem ſolche Tänze täglich ſieht, dann iſt das Schlaraffenleben der Alttürken wohl zu begreifen. – Nach einer Viertelſtunde endete der Tanz, wir dankten den Tänzerinnen und dem Feſtgeber und verließen das Schiff. Der Khedive hatte ſich während unſerer An- weſenheit gleichfalls eingefunden, ſprach aber nur im unteren Raume einige Worte mit dem Miniſter und verließ die Barke, ohne das Verdeck betreten zu haben. Es war inzwiſchen zehn Uhr geworden, und von allen Seiten praſſelten die Feuerwerke in die dunkle Nacht, rieſige Bouquets wurden emporgeſchleudert, Leuchtkugeln und Granaten ſtürmten zum Himmel empor, die Nacht war durch Fallſchirme und Raketengarben erhellt, das Feuerwerk des Khedive ſtand in keiner Beziehung dem Brande im Bosporus nach. Im Lager aber dauerte der chaotiſche Lärm fort, Pauke und Trommel wurden unaufhörlich geſchlagen, die Rufe der Araber tönten aus der Ferne zu uns herüber – wie Myriaden von Glüh- würmern leuchteten die Laternen durch das Dunkel, in den Speiſeſälen knallten die Champagnerpfropfen, wir aber ſuchten unſere Zelte auf, um endlich einmal wieder auf feſter Erde zu ſchlafen. Es war ſeit vier Tagen der erſte geſunde Schlaf, deſſen wir uns erfreuten. Der Ball beim Vizekönig. Ismailia, 19. November. Wenn jemals Jemand berechtigt war, eine ſoziale Märtyrerkrone zu erhalten, ſo ſind es gewiß jene be- dauernswürdigen Ideale der Geduld und Ausdauer, welche die öffentliche Meinung in den ſüßen und bitteren Gewäſſern des Suezkanals vertreten. Wahrhaftig, die Fellahs, die im Schweiße ihres Angeſichts Frohndienſte verrichten, die Garçons der vizeköniglichen Tafeln, die für 20 Francs Taglohn täglich tauſend Gäſte bedienen und ein Drittheil des kontrahirten Champagners bei Seite ſchaffen, führen ein wahres Götterleben gegen uns vielbeneidete und viel zu wenig bedauerte journali- ſtiſche Märtyrer. Verſetze man ſich gefälligſt in meine Situation. In dieſem Augenblicke – es iſt 2 Uhr Morgens – ſitze ich in meinem Zelte, das drei Betten enthält – ich bin ein Protektionskind und alleiniger Bewohner des Leinwandpalaſtes – mit der einen Hand wehre ich die Mosquitos ab, die jeden vernünftig orga- 185 niſirten Menſchen in einem halben Tage zur Verzweif- lung bringen können, mit der anderen Hand ſchreibe ich. Der wackelnde Tiſch gräbt ſich immer tiefer in den Wüſtenſand, auf dem ich mein Lager aufgeſchlagen, und der hölzerne Seſſel, der mein Meublement vervoll- ſtändigt, droht jeden Augenblick unter ſeiner Laſt zu- ſammenzubrechen. Die Zeltlaterne läßt nur einen matten Schein über mein Papier gleiten, auf dem zeitweilig die blutſaugenden Quäler der Menſchheit, die ſpringen- den Derwiſche der Thierwelt, ein luſtiges Stelldichein ſich geben. – Im Zelte herrſcht eine echt afrikaniſche Hitze, von der Steppe mir gegenüber dringt das kanni- baliſche Geheul der Nomaden herüber und jeden Augen- blick drängt ſich der bakſchiſchfordernde Araber durch den Vorhang, um mir Cigarren oder Tabak abzubetteln. Und in einer ſolchen Situation ſoll ich Märchen aus Tauſend und Einer Nacht erzählen, ſoll die Wunder einer Feennacht ſchildern, ſoll die Feſte beſchreiben, die dem Khedive bereits an die 40 Millionen koſten? Welcher Märtyrer hat jemals eine ſo furchtbare Aufgabe zu be- wältigen gehabt? – Vor zehn Minuten bin ich vom Ball des Khedive heimgekehrt. In meinem Zelte, in dem neben den noth- wendigſten Utenſilien kaum mein Reiſegepäck noch Platz hat, mußte ich Toilette machen, dann zu Fuß durch fuß- hohen Staub bis zum Palais wandern und jetzt ſitze ich in Lackſtiefeln und weißer Kravate und vervollſtän- dige meine Reiſebriefe. Doch ich will in Geduld mich faſſen und den Verlauf des heutigen Tages ſchildern. Von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang herrſchte am Kanale das regſte Leben. Jede Viertelſtunde kam ein Schiff von Port Said an und ſetzte ſeine Paſſagiere an's Land. Viertauſend Gäſte waren angeſagt und für 186 28,000 mußte Rath und Platz geſchafft werden, denn wer ankam, lebte auf Koſten des Khedive. Die offizielle Fahrt durch den Kanal war nicht ſo glatt abgelaufen, als man geſtern annahm. Der Dampfer „Helgoland“, auf dem ſich ein Theil der Suite des Kaiſers befand, blieb zwei Mal ſtecken, der franzöſiſche Dampfer „La Peluſe“ rannte ſo feſt, daß er ſechs Stunden nicht vom Flecke konnte, und alle Schiffe, die hinter ihm kamen, mußten nolens volens ſtehen bleiben. So kamen Tau- ſende, die Mittwoch Früh von Port Said abgefahren waren, erſt Donnerstag Nachmittags in Ismailia an und mußten ſtundenlang herumirren, ehe eine proviſo- riſche Unterkunft für ſie geſchaffen werden konnte. Zu dieſen Verſpäteten gehörten leider auch unſere Oeſter- reicher, deren Erbitterung ſich hier in herben Worten Luft machte. Heute Morgens empfing der Kaiſer, der geſtern un- mittelbar nach ſeiner Ankunft von dem Vertreter der Wiener Handelskammer, Herrn v. Wertheim, und dem Legations- rath Baron Kübek begrüßt worden war, auf dem „Greif“ die Deputation der hieſigen öſterreichiſchen Kolonie und drückte dem Führer derſelben, Konſularagenten Bader, ſeine beſondere Anerkennung über die herzliche Aufnahme aus, die ihm die Oeſterreicher hier bereitet; Herrn Bader belobte der Kaiſer insbeſondere für ſeine Thätigkeit bei den Kanalarbeiten. Später ſtattete der Kaiſer dem Khedive einen Beſuch ab, während die franzöſiſche Kai- ſerin in einer reizenden Toilette, auf einem prächtig aufgezäumten Kameele reitend, das Lager beſuchte. Nach- mittags fuhren ſämmtliche Souveräne und deren Suite in offenen Wagen nach dem Chalet des Khedive und von dort nach dem Lager, wo die Araber und Beduinen eine Reitphantaſie zu Pferde und Kameel zum Beſten 187 gaben. Der Kaiſer fuhr mit der Kaiſerin Eugenie unter Vorritt einer Abtheilung der Garde in einem vierſpännigen Wagen à la Daumont, der Khedive in offener Kaleſche, der preußiſche Kronprinz und die öſter- reichiſchen Miniſter in vierſpännigen Poſtwagen. Ich machte über erfolgte Einladung die Fahrt mit, an der auch der zur Freude ſeiner zahlreichen Freunde wieder- geneſene Sektionschef v. Hofmann theilnahm. Das in- tereſſanteſte Schauſpiel war wohl das Kampfſpiel der Beduinen, das übrigens, wie mich Augenzeugen ver- ſichern, in Ramleh zu Ehren des Sultan Nemce noch prächtiger in Szene geſetzt wurde. In weitem, an einer Seite offenen Kreiſe hatten ſich die Zuſchauer aufge- ſtellt und innerhalb desſelben führten die kühnen Reiter ihre waghalſigen Spiele auf. Bewährte Equitations- lehrer verſicherten mich, daß kein Europäer dergleichen Kunſtſtücke auszuführen im Stande ſei, wobei natür- lich der weiche Boden und die Gleichgiltigkeit, mit wel- cher hier die edelſten Thiere zu Schanden gehetzt werden, mit in Betracht zu ziehen ſind. Beſonders intereſſant war die Darſtellung der zerſtreuten Gefechtsart, die von den Wüſtenbewohnern theils auf Pferden, theils auf Ka- meelen ausgeführt ward. Pfeilſchnell flogen die Beduinen dahin, drohende Rufe ausſtoßend, die lange Flinte ſtets ſchußbereit haltend, eine Staubwolke hüllte die Renner ein, jeden Augenblick glaubte man, Roß und Reiter müßten zuſammenbrechen, aber wie angeſchmiedet ſaß der Reiter im Sattel, und hatte er den fingirten Feind auf Schußweite erreicht, feuerte er ſein Gewehr ab und wandte im ſelben Augenblicke ſein Roß, um in Carrière zu den Freunden zurückzukehren und während des Rittes ſein Gewehr von Neuem zu laden. Der Kaiſer ſchaute der Uebung ungefähr zehn Minuten zu, dann wurde 188 eine Fahrt durch die feſtlich beflaggte Stadt unternom- men und zum Kanal zurückgekehrt, wo die Boote die Souveräne wieder nach ihren Schiffen brachten. Abends 9 Uhr fand im Palaſt des Khedive der große Feſtball ſtatt, zu dem nahezu fünftauſend Ein- ladungen ausgegeben worden waren. Da der Vizekönig alle in Kairo und Alexandrien disponiblen Wagen hieher dirigirt hatte, blieb den Fremden und ihren Damen nichts übrig, als die Strecken von ihren Häuſern oder Zelten zum Ballſaale zu Fuß zurückzulegen, wenn ſie nicht das Beiſpiel unſeres Reichskanzlers befolgen wollten, der einfach den erſten beſten Eſel beſtieg und mittelſt dieſes nicht mehr ungewöhnlichen Kommunikationsmittels zum Palaſt gelangte. Vor nicht ganz drei Monaten befand ſich auf demſelben Platze, in dem heute an 4000 Men- ſchen aus allen Ständen und allen Nationen der Erde die unerſchöpfliche Gaſtfreundſchaft des Khedive in An- ſpruch nahmen, ein Stück Wüſte. Ismail Paſcha aber wollte die Feſttage in Ismailia mit einem Balle be- ſchließen, und aus allen Enden kamen die Werkleute, die Baumeiſter und Gärtner, die Dekorateure und Ta- pezierer, die Maler und Bildhauer, und ehe die eilfte Woche noch abgelaufen, war ein Wunderbau vollendet, würdig, die Souveräne und Völker Europa's zu em- pfangen. Für die Art und Weiſe, wie man hier Para- dieſe und Feerien improviſirt, dient wohl Folgendes als Muſter: Als wir geſtern Früh hier ankamen, war der Platz vor dem Palais ein kahler Sandhaufen. Vier- undzwanzig Stunden ſpäter war er in einen Palmen- hain verwandelt, blühende Roſen und blüthenbeladene Oleander ſtanden in Büſchen und Kaktusgehege begrenz- ten die Beete. Durch dieſen Garten, der Abends mit buntfarbigen Lampions beleuchtet war, gelangte man 189 über eine Treppe in den rieſigen, mit Gobelins tape- zierten, brillant möblirten Vorſaal. Kryſtallluſter und Glasbäume mit Kelchen trugen mindeſtens tauſend Ker- zen, in deren Scheine die goldenen Möbel, die gold- und ſilberdurchwirkten Stoffe und die buutfarbigen Teppiche ſich noch effektvoller ausnahmen, als beim Tages- licht. Im Hintergrunde führte eine mehrere Klafter breite Treppe zu einem erſten Stocke, der aber gar nicht exiſtirte, denn die Säle nahmen die ganzen Höhe des Gebäudes ein. Rechts gelangte man in eine Flucht von fünf Sälen, einer prächtiger und luxuriöſer als der andere arrangirt, überall rieſige Spiegel, aus einem Stück gearbeitet, mannshohe Vaſen aus Japan, Roſen- holzkäſtchen, Parketen aus Ebenholz, Divans mit per- ſiſchen Shawlſtoffen überzogen, andere Möbel mit den reichſten Goldſtickereien, eine wahre Phantaſie im letzten Saale, in dem ein Orcheſter aufgeſtellt war: Möbel mit weißem Cachemir überzogen, den reiche Goldſtickereien bedecken. – Links vom erſten Saale trat man in eine Art Empfangsſaal, der an Reichthum das Arrangements ſeinen Kollegen von rechts nichts nachgab, und von da in einen durch ſeine Kühle wohlthuenden, mit Palmen geſchmückten Gang, der in eine rieſige Speiſehalle führte, in der ein Buffet für 1000 Perſonen und Tiſche für 2500 Eingeladene aufgeſtellt waren. Am oberen Ende des Saales befand ſich, durch ein niederes Gebüſch von Palmenzweigen von den übrigen Tiſchen getrennt, die Tafel der Souveräne, bedeckt mit Aufſätzen aus der vizeköniglichen Küche, welche die von den Souveränen bei der Kanalfahrt benützten Schiffe darſtellten. Da man viermal ſo viel Einladungen zu dem Ball ausgegeben, als urſprünglich projektirt war, ſo kann man ſich leicht denken, wie überfüllt die Säle waren. Unſere 190 Faſchingdienstag-Redouten ſind leere Räume gegen dieſe von Menſchen ſtrotzenden Säle. Da war von Vorwärts- ſchieben oder Durchdrängen keine Rede, man mußte einfach ſtundenlang auf einem Flecke ſtehen und froh ſein, daß man hin und wieder einen Arm bewegen oder den Kopf drehen konnte. Wir hatten trotz des Wider- ſpruchs einiger Hofbedienten die Stiege im erſten Saale beſetzt und genoſſen von dieſem erhöhten Standpunkte einen prächtigen Ueberblick. Welch ein Gewühle, welche Kollektion von Uniformen, Trachten und Coſtumen! Dieſes Schauſpiel wird wohl die Welt in dieſem Jahr- hundert kaum mehr bieten – die Repräſentanten aller Nationen der Welt auf einem Fleck vereinigt. Mit Ausnahme der Oeſterreicher, die, dem Beiſpiele ihres Kaiſers folgend, in einfachem Salonanzuge erſchienen, war faſt alle Welt uniformirt. Da war die ſchim- mernde Uniform der engliſchen Marine, das ſtramme Galakleid der Preußen, der hanswurſtartige Frack der Holländer, das ſchmucke Paradekleid der Italiener und Franzoſen, die Pickelhaube des Nordbundes, der Zwei- maſter der Schweden, der Fez des Türken, der Kalpak der Magyaren, der Zuckerhut des Perſers, der ſhawl- umwickelte Turban des Arabers, die goldumflochtene, topfähnliche Bedeckung des Kopten, der Kaftan des Scheiks, der Burnus des Beduinen u. ſ. w. Mit ge- kreuzten Beinen ſaßen die Emire auf den golddurchwirk- ten Divans und raubten unſeren bedauernswürdigen Europäerinnen das erſehnte Plätzchen, während die Stamm- älteſten der Wüſte in rothen Pantoffeln und weitbau- ſchigen Gewändern durch die Säle hatſchten und tauſend und tauſend Mal mit den Händen Herz, Mund und Stirn berührten, um den Großen der Erde ihre Ver- ehrung zu bezeigen. Freilich ſah man mitunter auch 191 europäiſche Coſtume der ſchauerlichſten Sorte, Toiletten, denen gegenüber der Portier in Schwender's Koloſſeum vielleicht Anſtand nehmen würde, trotz bezahlten Entrée's den Zulaß zu geſtatten. Namentlich die Engländer leiſteten in dieſer Beziehung Außerordentliches. Einige derſelben erſchienen in beſtaubten Stiefeln, grauen Hoſen, lichten Röcken und Korkhüten mit Schleiern im Saale, ſie glichen zum Glücke Fettaugen in einer Rieſenſchüſſel die in dem koloſſalen pèle méle bald verſchwanden. Daß auch engliſche Damen in Toiletten erſchienen, mit denen ſich die Trägerinnen in England nicht auf die Straße wagen würden, beweist, daß weibliche Neugierde noch gewaltiger iſt, als weibliche Eitelkeit. Zu ſehen gab es in der That genug, man konnte ſeine Neugierde voll- auf befriedigen. Wenn nur die Hälfte der Ziffern wahr iſt, die man uns nannte, ſo repräſentirten die anweſenden Scheiks und Emire mit ihren Shawls allein einen Werth von einer Million. Der Kronprinz von Preußen erſchien zuerſt mit ſeinem Gefolge, eine Viertelſtunde ſpäter der Kaiſer im Frack, er ward bei ſeinem Erſcheinen mit der öſterrei- chiſchen Volkshymne und lebhaften Zurufen begrüßt und der Khedive, der die Honneurs des Hauſes in der liebens- würdigſten Weiſe machte, ging ihm bis in den Garten entgegen. Gegen 11 Uhr kam die Kaiſerin Eugenie, ſie trug ein hellrothes Kleid mit weißer Spitzenguipure, am Halſe und an der Bruſt ein unſchätzbares Collier und Riviére von Brillanten, darunter ſechsthalergroße Solitairs, in den Haaren ein Brillanten-Diadem und eine Art Haube mit Brillanten geſtickt. – Wenn ich auch kein Oeſterreicher wäre, müßte ich, wie es hier alle Gäſte zugeben, konſtatiren, daß ſich die allgemeine Aufmerkſamkeit auf unſeren Kaiſer konzentrirte, 192 und daß ſein Auftreten, die Ungezwungenheit, mit der er ſich überall bewegt, die Unermüdlichkeit, die er trotz der beſchwerlichſten Reiſeſtrapazen ſich bewahrt hat, und die Theilnahme, die er für die kleinſten Details zeigt, ihm die allgemeinen Sympathien zugewendet hat. Er iſt der einzige Souverän, der ſtets bei ſeinem Erſcheinen und bei der Abfahrt mit den herzlichſten Zurufen be- grüßt wird, ein Reſultat, das die Preußen trotz des reichlich geſpendeten Bakſchiſch für ihren froſtigen Kron- prinzen nicht erreichen konnten. Schlag 12 Uhr begann das Souper, deſſen gran- dioſes Menu ausnahmsweiſe, um den Leſern einen Begriff der egyptiſch-franzöſiſchen Küche zu liefern, hier dem vollen Inhalt nach citirt werden mag: Es lautete Grand Souper, donné à Ismailia au bal de l'Inau- guration du Canal de Suez le 18 Novembre 1869. (Grand Pièces.) Poisson à la reunion des deux mers, Roast Beef à l'Anglaise, Galatine de Dinde à la Perigueux sur socle, Jambon historié, Grand pain de Gibier en bastion, Galantine de Faisans à la Volière. – (Entrée.) Patés de Gibier à la Dorsey, Langues de boeuf à l'anglaise, Aspics de Nerac, Galantine de Cailles en belle vue, Filets à l'Imperiale. – (Salade.) Crevettes de Suez au Cresson, Truffes au Vin de Champagne, Salade russe, Asperges d'Italie à l'huile vierge. – (Rôti.) Cuissot de chevreuil à S. Hubert, Dindonneaux truffés, Faisans au Cresson, Chápons garnis de Cailles. – (Entremets.) Macedoines au Kirsch- wasser, Pudding diplomate à l'ananas, Biscuits de Savoie decorés, Napolitaine historié, Glaces, Pièces momtées, Dessert assorti. 193 Aber nicht bei der Feſttafel zeigte ſich, die ver- ſchwenderiſche Gaſtfreundſchaft, die hier überall und gegen Jeden Sitte iſt, ſondern beim Buffet, das wohl noch nie und in keiner Stadt Europa's in ſolcher Groß- artigkeit aufgeſtellt worden iſt. Man konnte welchen Wein immer wünſchen, man erhielt ihn, die Franzoſen verlangten alle Sorten Burgunder und Bordeaux, die Norddeutſchen begehrten einer nach dem andern die unterſchiedlichſten Sorten des Rebenſaftes vom Rhein, Rüdesheimer, Hochheimer, Domdechantei, Johannisberger – alle waren in der beſten Qualität vertreten. Dieſelbe Auswahl herrſchte in Fiſchen, Geflügel und Obſt. Aal, Thun, Branzin, Sfoglio, Rheinlachs wurden ebenſo reich- lich ſervirt, wie Rebhuhn, Wachtel, Faſan, Kapaun u. ſ. f. Gegen 1 Uhr verließen die Gäſte nach und nach den Palaſt und wurden beim Austreten aus demſelben durch das brillante Feuerwerk überraſcht, das am jen- ſeitigen Hügel abgebrannt wurde, um 11 Uhr begann und deſſen letzte Rakete noch um 3 Uhr Morgens hundert farbige Sterne gegen den Kanal zu ausſtreute. Wenige Stunden vor dem Balle verſammelte Herr Leſſeps die Mitglieder der großen Kommiſſion, die Ver- treter des Lloyd, die hervorragendſten Ingenieure und einige anweſende Celebritäten zu einem glänzenden Banket. Herr Leſſeps brachte den erſten Toaſt aus auf die Eröff- nung des Kanals. Er erwähnte der großen Schwierig- keiten, die Dank der Energie Ismail Paſcha's, überwunden werden konnten, er ſprach es unverhohlen aus, daß die Konſulargerichtsbarkeit aufgehoben werden müſſe, und be- däuerte, daß gerade ſein Vaterland ſich dieſem Fortſchritte in Egypten ſo lebhaft widerſetze, dankte dem Lloyd, der ſo raſch die Initiative zur Eröffnung der Schifffahrt nach Indien ergriffen, der Trieſter Heamter 194 welche die Idee des Suezkanals ſo lebhaft unterſtützte, und leerte ſchließlich ſein Glas auf das Gedeihen des Unternehmens. Baron Elio Morpurgo brachte hierauf folgenden Trinkſpruch aus: „Meine Herren! Die Dampfſchifffahrtgeſellſchaft des öſterreichiſchen Lloyd, der zu präſidiren ich die Ehre habe, wünſcht ſich Glück, daß ſie die feierliche Eröffnung des Iſthmus von Suez begrüßen kann, ein Unternehmen, deſſen Zuſtandekommen nur der Energie eines einzigen Mannes von Genie und eines glorreichen Protektors zu verdanken iſt – ein Unternehmen, einzig in ſeiner Art, ſeit langer Zeit als unausführbar in das Reich der Chimären verwieſen, das aber heute eine vollendete Thatſache geworden. Galilei und Columbus wurden in der alten Zeit, Watt und Fulton in dieſem Jahr- hunderte als Träumer betrachtet . . . . und doch mußte die ganze Welt ſich überzeugt vor ihnen beugen – die neue Welt ward entdeckt und wurde mit uns durch die Schnelligkeit des Blitzes in Verbindung geſetzt. – Die Ozeane und die Kontinente ſind durch koloſſale Dampf- ſchiffe und mächtige Lokomotiven verbunden, und in dieſem Augenblicke iſt die Eröffnung des Suezkanals, der zwei Meere verbindet, das größte Ereigniß des neunzehnten Jahrhunderts, das dem Welthandel einen unberechen- baren Aufſchwung verleiht. „Der öſterreichiſche Lloyd, welcher der erſte war, der die Dampfſchifffahrt im Oriente entwickelte, wird nicht zögern, auch in den indiſchen Meeren die öſter- reichiſch-ungariſche Flagge zu entfalten. (Lebhafter Beifall.) Das große Ereigniß des Tages wird der Nachwelt zwei dann unſterbliche Namen verkünden, 195 jenen von Ismail Paſcha und von Ferdinand Leſſeps. (Beifall) „Ich erlaube mir einen ehrfurchtsvollen und herz- lichen Toaſt auf dieſe berühmten Perſönlichkeiten aus- zubringen und an denſelben die lebhafteſten Wünſche für das glückliche Gedeihen eines Unternehmens zu knüpfen, für das Millionen Herzen in der ganzen civiliſirten Welt ihre Stimme erheben. Es lebe Ismail Paſcha, es lebe Ferdinand Leſſeps!“ Baron Joſeph Morpurgo dankte Herrn Leſſeps für ſeine Erwähnung der Trieſter Handelskammer und brachte ſein Glas dem Frieden, dieſer Schutzwehr des Handels, dieſer Garantie allen Fortſchritts, aus, worauf Leſſeps erwiederte, daß gerade die Begründung ſo großartiger Inſtitutionen und Werke, wie des Suezkanals, den Frieden ſichern. Herr v. Wertheim endlich brachte in deutſcher Sprache einen mit Beifall aufgenommenen Trinkſpruch aus. 134 Eine Eiſenbahnfahrt in Egypten. Kairo, 20. November. Wir ſind in Kairo – wir haben den Weg von Ismailia hieher glücklich zurückgelegt, aber fragt nur nicht: Wie? Und wenn ihr fragt, zwingt ihr mich eine Leidensgeſchichte zu erzählen, wie ſie tragikomiſcher ſeit Peter Schlemihl's berühmten Abenteuern nicht erlebt worden iſt. Die Fahrt von Port Said nach Ismailia hatte uns etwas mißtrauiſch gemacht, die ſtecken geblie- benen Schiffe, die dutzendweiſe ins Waſſer geſtürzten, aber glücklich wieder geretteten Gäſte, die Ueberfluthung Ismailia's mit Unberufenen und Nichteingeladenen, die Zeltwirthſchaft im Wüſtenſande und die Ueberzeugung, daß die Unterkunft in den Bitterſeen und Suez noch ärger, die rechtzeitige Abfahrt von Suez nach Kairo aber geradezu unmöglich ſein würde, veranlaßte nament- lich die Oeſterreicher, die ſeit ihrer Vereinigung in Alexandrien feſt zuſammenhielten, die Fahrt nach Suez aufzugeben, direkt von Ismailia nach Kairo zu fahren 197 und dort diejenigen zu erwarten, die den Kanal bis auf die Neige leeren mußten. Aber leider waren wir nicht die einzigen Klugen unter den Weiſen, zehntauſend, zwanzigtauſend hatten den gleichen Plan wie wir, und ſo glich der Eiſenbahnhof zu Ismailia, eine Lokalität, ungefähr ſo groß wie der Bahnhof von Mödling, am Vormittag des denkwürdigen 19. November einem rie- ſigen Heerlager. Als wir gegen 9 Uhr, eine kleine Karawane, nach dem Bahnhof zogen, Graf Nugent auf einem Koffer des ſchwerbeladenen Streifwagens rittlings ſitzend, Baron Swrtnik den Wagen und die Fellahs rechts bewachend, ich dasſelbe Geſchäft links ausübend, und unſer wackerer Reiſeleiter dem Wagen als Eskorte folgend, begegneten wir dem Kaiſer, der gerade in Be- gleitung des Grafen Bellegarde und des Fürſten Hohen- lohe einen Spaziergang durch die Stadt machte. Er blickte uns lächelnd an und erwiederte unſeren Gruß freundlichſt. Fünf Minuten ſpäter waren wir auf dem Bahnhofe – Beamte, Kondukteure, Stationschefs, alle hatten den Kopf verloren oder ſich einfach geflüchtet, ſie hatten den ſchüchternen Verſuch gemacht, die erſten Tau- ſend unterzubringen, beim zweiten Tauſend verloren ſie alle Beſinnung und als endlich das dritte, vierte und das zehnte Tauſend anrückte, als der Bahnhof und ſeine Umgebung haushoch mit Koffern, Kiſten und Reiſeſäcken bedeckt war, da ſank auch dem energiſcheſten Eiſenbahn- paſcha der Muth und nur eine Frage ſchwebte auf Aller Lippen: Wie wird das enden? Man illuſtrire gefälligſt ſich folgendes dürftige, die thatſächlichen Vorgänge nur matt wiederſpiegelnde Bild: In der Bahnhalle, in den Warteſälen, auf den Schienen drängen ſich zehntauſend Reiſende, die in allen Sprachen der Erde ſchreien, fluchen, läſtern, fragen, rufen, Jeder ſchleppt ſeine Säcke und 198 Taſchen mit ſich und ſucht ſich ſo gut als er kann, der Fellahs zu entledigen, die mit Kiſten und Koffern be- laden einherkeuchen und ihre Laſt da niederſetzen, wo ſich noch ein Fleckchen unbeſetzter Erde findet. Auf den Schienen ſtehen fünfzig, ſechzig Waggons aller Klaſſen, Laſtwaggons und Lowries und alle ſtarren von Menſchen, Niemand weiß, wohin der Zug geht, oder ob dieſe Wag- gons überhaupt zum Train gehören, man beſetzt ſie nur, um ſich einen Platz zu ſichern – das ſind die Glück- lichen, die ihr großes Gepäck auf den Schiffen, oder in Port Said, oder gar in Alexandrien zurückgelaſſen haben. – Aber wir Anderen, die wir je einer in zwei, drei Koffern unſere Habſeligkeiten mit uns ſchleppen, was ſoll mit uns geſchehen? Seufzend blicken wir nach den Sitzenden, wir können ja unſer Gepäck, unſere Fracks und Kravaten, unſere Tſchibuks, unſeren mit ſchwerem Gold erkauften Latakija nicht verlaſſen! – So weit die Bahnhofsrampe reicht und draußen vor dem Gitter lagern die Araber und Beduinen, in Horden ſtehen ſie zuſammen mit ihren Eſeln und Tep- pichen, Zelten und Fahnen, mit Waffen und Mundvor- räthen, Kindern und Frauen – denn, was nicht Kameele und Pferde beſitzt, und ſich mit Hilfe dieſer fortbringt, will per Eiſenbahn in die Heimat befördert werden. Mitten drin aber, in dieſer tobenden, tauſendſtimmigen Menge liegt ein Tandelmarkt von Geräthſchaften, Zelten, Waſchbecken, Laternen, Tiſchen, Stühlen, Matratzen, Bettdecken c., Alles ſoll weitergeſchafft werden, um in Suez für die Fremden wieder benützt werden zu können. Eine halbe Stunde ſitzen wir rathlos im Bahnhofe, thronend auf unſeren Kiſten, trauernde Jeremiaſſe, die den Untergang einer ſchönen Zeit beweinen. Nur manch- mal verſcheucht irgend eine hochkomiſche Szene momen- 199 kan unſere trübſelige Stimmung. Bei einer derſelben lieferte ich ſelbſt den Stoff zur allgemeinen Heiterkeit. Ein Dutzend Laſtträger ſtürzt gleichzeitig auf unſer Ge- päck und bemächtigt ſich unter hölliſchem Geſchrei des- ſelben, alle wollen Bakſchiſch verdienen und betäuben uns förmlich mit Anträgen und Bitten, todesmuthig ſtürze ich mitten unter ſie, den Einen renne ich zu Boden, an der Bruſt des Anderen probire ich die Kraft meines Ellbogens, den dritten laſſe ich meine Fäuſte fühlen, ich haue nach rechts und links, nach oben und unten, da fühle ich plötzlich, daß man meine Füße umklammert und irgend ein borſtenartiger Gegenſtand – offenbar die Schnauze eines Thieres – das Oberleder meiner Stiefel bearbeitet – ich ſtürze zuſammen und ein Höllen- gelächter ertönt. Mitten in der allgemeinen Aufregung, im erbittertſten Kampfe gegen die zudringlichen Fellahs, hatte ein jugendlicher Stiefelputzer, den ich bereits zwan- zig Mal abgewieſen, meine Stiefel gewichst und fing ſie in Anhoffung des unvermeidlichen Bakſchiſch mit Bürſte und Wichſe zu maltraitiren an. Die allgemeine Heiterkeit war gerechtfertigt und ich ſtimmte in dieſelbe Lllt. – – Endlich wird der Train vorgeſchoben und die Laſt- waggons kommen in unſere Nähe – wir verſuchen ſie zu öffnen, ſie ſind geſperrt – Hammer und Stemm- eiſen ſind zur Hand – wir ſprengen die Thüre, und nun geht's an's Einpacken. Jeder ſchleppt, was er ſchleppen kann, Koffer, Schachteln, Säcke, Kiſten, ob fragile oder piano noch ſo deutlich darauf gezeichnet ſteht, werden in den Waggon geſchleudert – wir ordnen die Maſſe ſo gut es geht und in zehn Minuten iſt der Waggon gefüllt. Ein Packkondukteur einer unſerer vater- ländiſchen Bahnen würde wahrſcheinlich über die Art 200 und Weiſe, wie wir mit dem Gepäcke der P. T. Ein- geladenen umgingen, die Hände über den Kopf zuſam- mengeſchlagen haben, aber uns hätte das wenig geküm- mert, wir wollten unſere Siebenſachen um jeden Preis untergebracht ſehen. Ob Madame X. noch ſo raſend ſchrie, ihre Hutſchachtel liege unter dreizentnerſchweren Kiſten vergraben – ſie werde in Kairo die Straße nicht betreten können, oder der Sportman, der auch zu den Eingeladenen gehörte, bei allen Vollbluthengſten Arabiens ſchwur, er dulde es nicht, daß ſeine Reiſetaſche am Grund des Waggons vergraben liege, uns genirte das wenig, wir freuten uns vielmehr, daß wir mit ge- raden Gliedern wieder aus dem Waggon herauskamen, ſchloſſen nothdürftig die Thüre und machten uns nun daran, für unſere Plätze zu ſorgen. Aber jetzt begann erſt unſer eigentliches Leiden. Jede Thüre, die wir öffnen wollten, wurde von den Inſaſſen des Waggons gewaltſam zugehalten und wo wir die Thüre mit Sturm nahmen, drang man uns ſcheltend und in Boxerſtellung entgegen, um uns zurückzuweiſen; waren doch in jedem Waggon zwei auch drei Paſſagiere mehr, als ſelbſt die rigoroſeſte Verwaltung je in dieſelben gepreßt hätte. An einzelnen Stellen kam es auch zu ernſten Szenen; dem Baron Pongraz, der in ein Coupé eindringen wollte, trat ein rabiater Italiener mit dem Revolver entgegen, und drohte ihn zu erſchießen, wenn er nicht ſofort den Waggon verlaſſen würde. – Endlich hatte ein deutſcher Arbeiter aus Ungarn, der in Egypten ein zweites Vater- land gefunden und unſere Verzweiflungsrufe vernahm, Mitleid mit uns und rief uns zu, in ſeinen Waggon zu kommen. Es gab für uns Fünf noch drei leere Plätze in demſelben, der Waggon war verſchloſſen und deshalb bis jetzt noch nicht ganz gefüllt. Wir erſtiegen 201 den Tritt und zwängten uns, ſo gut es ging, durch das Fenſter in das Coupé, die im Waggon zogen an, die unten halfen nach und ſo fielen wir förmlich mitten unter die Paſſagiere. Wer den mit einem anſehnlichen Embonpoint geſegneten und durch die Menu's Sr. Hoheit des Khedive keineswegs abgemagerten Schreiber dieſer Zeilen kennt, wird zugeſtehen, daß ihm für die Qualen dieſer einen Viertelſtunde viel von dem verziehen werden muß, was er geſündigt. – Endlich waren wir im Waggon, aber noch nicht am Ende unſerer Qualen. Noch ärgere Dinge erwarteten uns. In dem Coupé, das uns der Zufall beſchieden, ſteckten jetzt dreizehn Perſonen. Da für zehn nur ehrlich Platz war, ſo mußten drei auf der Lehne der zwei Coupés trennenden Bank ſich placiren – ſie konnten ſomit während der Fahrt im Vorhinein die Annehmlichkeit einer Kameelreiſe kennen lernen. Aber auch die Anderen, die wirkliche Sitze inne hatten, waren nicht auf Roſen gebettet. Ein türkiſcher Kaufmann, der ſich mit zwei dichtverſchleierten Frauen, von denen jede ein kleines Kind an der Bruſt hielt, im Wagen eine allerliebſte Niederlaſſung gegründet, hatte auch ſein ganzes Waarenlager, in einen rieſigen Ballen verpackt, mitgeſchleppt, deſſen Höhe weit jene der Sitze überragte. Trotz unſeres Schimpfens und Schreiens blieb der Ballen im Waggon und wir mußten auf den Sitzen ſo Platz nehmen, daß unſer Körper einen Winkel von 45 Graden bildete, deſſen Spitze durch unſer Geſäß repräſentirt wurde, während Oberleib und Füße als Tangenten in die Höhe ragten. Man urtheile, ob in dieſer Stellung von Ismailia nach Kairo – eine Entfernung wie von Wien nach Salzburg – zu fahren, nicht eine der angenehmſten Beſchäftigungen bildet? Daß die Türkinnen nebſt ihren Waaren auch noch Körbe mit 202. Nahrungsmitteln, unterſchiedliche Thonkrüge mit Nil- waſſer mit ſich führten, und den ſchreienden Kindern jeden Augenblick gewiſſe Porzellangefäße zeigten, um die lieben blatternbedeckten Kleinen mit deutlicher Panto- mime zu fragen, ob ſie derſelben nicht bedürften, trug gerade nicht dazu bei, unſere Situation zu verſchönern. Indeſſen, wir waren untergebracht und verſuchten, indem wir uns wechſelſeitig verſpotteten, unſeren Humor wieder zu erlangen. Und in der That, ein Blick aus dem Waggon belehrte uns, daß unſer Los noch zehn Mal beſſer war, als das vieler unſerer bisherigen Reiſege- fährten. Da ſaß der wackere Szende, dieſes Muſter magyariſchen Freimuths und Biederkeit, auf einer Koffer- ladung und blickte verächtlich auf das Getriebe um ſich. Er dachte offenbar im Gegenſatze zu Mohamed: Ich hab' Zeit, kommt der Szende nicht zum Waggon, kommt der Waggon ſchon zum Szende. – – Erſchöpft und faſt ſeekrank hatte ſich Baron Pongraz, der liebenswür- digſte, aber auch ſchwächlichſte Reiſekompagnon, auf einen Schienenhaufen niedergelaſſen und rief: Ach, wäre ich nur wieder in meinem Photographienſalon in Peſt an der ſchönen blauen Donau und hätte den Nil und die Pyramiden weit hinter mir. Mit drohendem Finger ſchritt Präſident Stummer an uns vorüber und ſein Blick ſchien zu ſagen: Ihr verteufelten Journaliſten, wenn Ihr auch nur ein Mal noch über meine Nordbahn raiſonirt, dann will ich Euch an den Tag von Ismailia erinnern und Ihr müßt ſchweigen. Profeſſor Sueß, dieſes Ideal von Sanftmuth, hatte ſich in das fernſte Ende des Bahnhofes zurückgezogen – wo man mit Ell- bogen und Fäuſten kämpfte, war kein Platz für ihn, und ſelbſt Hofrath Scherer, deſſen Energie und Lebhaf- tigkeit wir Oeſterreicher ſchon ſo manchen Sieg in Egyp- 203 ten zu verdanken hatten, hatte diesmal den Kampf auf- gegeben. – – Um 10 Uhr hatten wir unſeren Waggon erobert, um 12 Uhr ſetzte ſich, bei 36 Grad Hitze, der Train in Bewegung. Wir waren kaum eine Viertelſtunde ge- fahren, als wir ſchon ſtehen blieben. Ein Zug, hieß es, fahre vor und zwei Extrazüge, die nachkommen, müßten vorſahren. Eine ſchöne Ausſicht! Aber es kam noch beſſer! In der zweiten Station verfehlte ein egyp- tiſcher Soldat ſeinen Waggon, reißt unſere Thüre auf und pflanzt ſich gerade vor mich hin. Ich will den Kerl hinauswerfen, aber der Zug geht ab und ich kann den Eindringling doch nicht während des Fahrens beſei- tigen. So fuhren wir zwei Meilen weit, und auf einem Raume, der gerade für vier Füße Platz bot, befanden ſich jetzt acht; ich fuhr drei Fuß oder richtiger drei Stiefel hoch bis nach Zagazik. Jetzt folgten die Ueber- raſchungen eine nach der anderen. In der einen Station heißt es, müſſen wir eine halbe Stunde warten, dürfen aber die Waggons nicht verlaſſen, denn rechts und links gibt es nichts als ſteilabfallende Böſchung; zwei Meilen weiter entſteht ein fürchterlicher Lärm, der erſte Waggon brennt lichterloh, man muß halten und das Feuer löſchen – noch weiter theilt ſich der Weg, man ſteigt nach Suez und Alexandrien aus, aber Niemand weiß, ob wir ausſteigen oder ſitzen bleiben! Die für uns Europäer entſetzlichſte Szene aber ſpielte ſich hinter Zagazik ab. Die Mutter der beiden egyptiſchen Kinder, welche die den ganzen Tag über lamentirenden Kleinen weder durch Aepfel noch durch Zuckerrohr zum Schweigen bringen konnten, ent- blößte plötzlich in aller Gemüthlichkeit den Kopf des einen Kindes und begann in deſſen Haaren jene eigenthümliche Jagd, für welche die polniſchen Genoſſen des auser- 204 wählten Volkes eines der ausgiebigſten und wildreichſten Reviere mit ſich herumſchleppen. Ihre Jagd lieferte gleich im Beginn glänzende Reſultate, denn ſie zog zwiſchen den Fingern die gefangenen Thierchen aus dem ſtruppigen Haare und ſchnellte ſie einfach uns zu. Das war denn doch zu viel. Wir ſchreien, und da der Türke uns nicht verſteht und lachend nichts als: „Maläſch“ (Was ſchadet es) ruft, ſo packen wir den Kerl einfach bei der Bruſt und erklären ihm pantomimiſch, wir würden ihn zum Fenſter hinauswerfen, wenn er nicht ſofort die gräuliche Operation ſeiner Frau einſtellen würde. Das wirkte und wir fuhren unbehelligt weiter. – Trotz allen Ungemachs blieben uns doch hie und da einige Ruhepunkte, um dem Lande, das wir durch- fuhren, einige Aufmerkſamkeit zu ſchenken. Die erſten fünf oder ſechs Stationen führen durch die Wüſte, rechts und links, ſo weit das Auge reicht, nichts als Sand, Berg und Thal von Sand, nur an einzelnen Stellen dürres, ſaftloſes Gras. Durch die Wüſte ſprengten die Reiter auf Kameelen und Pferden, vom Feſte in Ismailia zu ihren Zelten heimkehrend. Je tiefer man ins Land dringt, deſto reicher wird die Kultur, die Palme erhebt zuerſt ihre Krone und kündet den Beginn der Vegetation an, dann kommen die Baumwollfelder mit ihren tauſend und tauſend Flocken, die Zuckerfelder, die Maisäcker – die Wüſte verwandelt ſich raſch in die Kornkammer der Welt. – – – Um 9 Uhr Früh hatten wir den Bahnhof von Ismailia betreten, um halb 8 Uhr bei finſterer Nacht langten wir in Kairo an. Wir hatten nicht weniger als ſieben Stunden Verſpätung. Wir krochen müde, gebrochen aus dem Waggon und freuten uns noch, daß wir unſer Gepäck vollſtändig wieder fanden. Unſer un- 205 ermüdlicher Freund aus Alexandrien, der Archivar Pea, der für die Oeſterreicher wie ein Vater ſorgte, erwartete uns am Bahnhof und brachte uns raſch in unſer Quar- tier im Hotel d'Orient. Zwei prächtige Salons nahmen uns auf, dienſteifrige Garçons erkundigten ſich nach unſeren Wünſchen, man frug, wie viel Wagen wir am nächſten Morgen brauchten – die Gaſtfreundſchaft des Vizekönigs war wieder in ihre Blüthen geſchoſſen!“ ſflasr-el-Rahira. Kairo, 21. November. Seit zwei Tagen bin ich in Kairo und habe mich bisher damit zufriedengeſtellt, die Stadt nach allen Rich- tungen zu durchkreuzen, mich in das Volksgewühl zu miſchen und Leute und Leben zu beobachten. Zu den Pyramiden zu eilen, habe ich Zeit. Hätte ich ſie nicht ſchon hundert Mal in Bildern geſehen und bis in das kleinſte Detail in Reiſebüchern beſchrieben gefunden, mir würde es vorläufig genügen, die Grabſteine einer vergangenen Welt von der Höhe der Citadelle von Alt-Kairo oder von der Grotte in Ghezireh aus zu bewundern. Man wird die Pyramiden an einem der nächſten Abende be- leuchten und dann will ich mir Zeit nehmen, ſie zu be- ſichtigen. Hinauf bringt mich ohnedies kein Menſch, ſelbſt ein Araber nicht. Seitdem ich gute Freunde mit ausge- renkten Armen und ſchlotternden Füßen von dieſer ante- diluvianiſchen Turnübung habe zurückkommen ſehen, iſt das Projekt der Pyramiden-Beſteigung definitiv aus 207 meinem Programm geſtrichen. Heinrich Laube eifert gegen das Bergſteigen, und meint, daß die Berge von unten gerade ſo ſchön ausſehen, wie von oben; was würde der treffliche Dramaturg erſt ſagen, wenn er ſehen würde, wie ſich europäiſche Reiſende von vier handfeſten Arabern die für Gog's Füße und nicht für unſere Beine berech- neten Stufen hinaufreißen laſſen! – Reiſende, die Egyp- ten und namentlich Kairo in den letzten fünfzehn Jahren nicht geſehen, erkennen es nicht mehr wieder. Ismail Paſcha iſt nicht nur der größte Kaufmann, der reichſte Kapitaliſt, der euergiſcheſte Regent, er iſt auch der unter- nehmendſte Bauherr ſeines Landes und hat in wenigen Jahren Kairo förmlich umgewandelt. Freilich, in die Winkel der Moskie iſt ſeine reformatoriſche Hand noch nicht gedrungen, aber da er bereits trotz des Wider- ſtandes des Volkes Moſcheen niederreißen und Stadt- theile abtragen ließ, wird es ihm gewiß auch gelingen, ſeinen Boulevard-Plan durchzuſetzen, nach welchem Kairo von einem Gürtel moderner Häuſer umſchloſſen werden wird. – Man kann in Kairo wie in Europa leben und ſich doch jeden Augenblick in die berauſchenden Geheimniſſe des Orients verſenken und dadurch unterſcheidet es ſich vortheilhaft von Stambul, das mit ſeinen Bergen und unmöglichen Straßenabhängen den Europäern nach und nach unleidlich wird und nur ſeinen Bosporus als ein Unikum zu ſeinem Vortheil in die Wagſchale wirft. – Ghezireh, der Palaſt am Nil, wo der Kaiſer wohnt und von deſſen romantiſcher Grotte ich die Pyramiden ſchon zwei Mal, bei Sonnenauf- und bei Sonnenuntergang bewundert habe, ward vom Khedive mit einer Pracht und einer Verſchwendung errichtet, die Alles weit über- trifft, was wir in Konſtantinopel geſehen. Der Palaſt iſt in mauriſchem Styl erbaut, rings von einer fein ciſe- 208 lirten eiſernen Säulenhalle umgeben und durch den Nil von der eigentlichen Stadt getrennt, ſo daß der Kaiſer, ſo oft er ſich in ſein Abſteigquartier begeben will, am andern Ufer den Wagen verlaſſen muß, um mittelſt eines bereitſtehenden Dampfſchiffes in zwei Minuten nach Ghezireh zu fahren. Die Appartements des Kaiſers haben ſelbſt die verwöhnteſten Kenner orientaliſchen Luxus zu lauter Bewunderung hingeriffen. Von der Treppe tritt man in einen großen Marmorſaal, ungefähr ſo groß wie unſer kleiner Redoutenſaal, deſſen Fenſter auf einen Balkon führen, von dem man eine hübſche Aus- ſicht über den Nil und Kairo genießt. An den Thüren ſtehen rieſige Vaſen aus egyptiſchem Marmor, Wände und Fußboden ſind von Marmor, die Decke moſaikartig, . die Luſter und Kandelaber aus blinkendem Kryſtall, die Möbel von gelber, ſilberdurchwirkter Seide. Links gelangt man in den Empfangsſaal des Kaiſers, deſſen Wände mit Tapeten von Silberbrokat dekorirt ſind; ein Schreib- tiſch von Roſenholz ſteht in der Nähe des Fenſters, am Seſſel lehnt ein koſtbarer Tſchibuk. – Das Toilette- zimmer hat geſteppte Tapeten von blauem Atlas (ſo gerichtet, daß man beim Anlehnen an die Wand ſo weich ruht wie im Fauteuil), im Schlafzimmer ſteht ein Himmel- bett aus maſſivem Silber, Matratzen und Decke aus Atlas mit Spitzengarnitur, der Vorhang zum Schutze gegen die Mosquitos aus den feinſten Damenſchleiern, hinter denſelben ein zweiter Vorhang von feinen Spitzen, um das allenfalls durch die erſte Wand gedrungene Inſekt abzuwehren; – die Möbel ſind von Roſenholz mit Atlas überzogen, die Polſter geſtickt; – allerliebſt iſt das Badezimmer (blaue Seide) mit einer Toilette von Silber und allem nur erdenklichen orientaliſchen Komfort ausgeſtattet. Rechts vom Eingang befindet ſich 209 das Appartement des Fürſten Hohenlohe, deſſen Vorſaal der Muſikſaal des Palaſtes iſt. Die Zimmer des Grafen Beuſt ſind im Harem gelegen, deſſen Frauen ſchon vor acht Tagen den Platz räumen mußten, die übrigen Herren der Suite ſind in prachtvoll eingerichteten Salons untergebracht. Minder reich iſt das Service – man ſpeist auf Porzellan, das zum Theil defekt iſt, während man in Konſtantinopel abwechſelnd auf Silber, Gold und Sèvres ſpeiste und den Herren Tſchibuks ſervirte, deren Werth das Vermögen unſerer Ringbarone reprä- ſentirte. – Ghezireh beſitzt einen wundervollen Garten, eine allerliebſte Grotte mit Springbrunnen und eine ſehens- werthe Menagerie. Nachdem wir den geſtrigen Tag dazu verwendeten, Heliopolis zu beſuchen, den Marienbaum zu plündern, die Citadelle und die Kalifengräber zu beſichtigen, fuhren wir Abends nach dem Bahnhofe, um bei der Ankunft des Kaiſers gegenwärtig zu ſein. Man erwartete Se. Majeſtät gegen 7 Uhr, die Ankunft verzögerte ſich jedoch bis */ 11 Uhr. Das Militär, das in allen Straßen Spalier bildete, blieb die ganze Zeit über aufgeſtellt, – am Bahnhofe warteten die Konſuln von Alexan- drien und Kairo, die Herren Schwegel und Queſtiaux, und die öſterreichiſche Kolonie, die am Ende der Esbekieh, des größten Platzes in Kairo, einen impoſanten Triumph- bogen mit lateiniſcher Inſchrift – man wich auf dieſe Weiſe einem Sprachenſtreit aus – errichtet hatte. Der Khedive war bereits gegen 8 Uhr eingetroffen nnd er- kundigte ſich im Bahnhofe nach den kleinſten Details der für ſeinen kaiſerlichen Gaſt getroffenen Vorberei- tungen. Vor dem Bahnhofe harrte die Menſchenmenge Kopf an Kopf, die Garde zu Pferde hielt die Zufahrt frei und eine Wagenburg, wie ſie wohl wenige Remi- 14 21() ſen Europas aufzuweiſen haben, erwartete den Kaiſer und ſein Gefolge. Ein vierſpänniger, runder, von Jockeys gelenkter, mit Kryſtallſcheiben verſehener Wagen, unſerem Krönungswagen gleichend, war für den Kaiſer beſtimmt, zwei mit Gold überdeckte Vorreiter hatten den Zug zu eröffnen. Für das Gefolge ſtanden nagelneue, prächtig beſpannte Poſtzüge bereit, auch die anderen Wagen, bis auf den Fourgon, waren neu, bisher noch nicht ge- braucht. Um % 11 Uhr langte der Kaiſer, begrüßt von den Klängen der Volkshymne und den Zurufen der Kolonie, im Bahnhof an und begab ſich, nachdem er einige Worte mit dem Vizekönig und dem egyptiſchen Kronprinzen gewechſelt, zu dem Wagen. Schlag 12 Uhr traf Se. Majeſtät in Ghezireh ein. Der Kaiſer war nur von ſeinem militäriſchen Gefolge begleitet, er hatte in Suez von der Kaiſerin Eugenie Abſchied genommen, die nach Port Said gefahren war, um dort als Zeugin bei der Trauung Leſſeps' zu fungiren. Der Kronprinz von Preußen, der um 9 Uhr hier anlangte, begab ſich ſofort auf ein Schiff und trat die Reiſe nach Ober- Egypten an. Die Miniſter Beuſt, Andraſſy und Plener und die übrige Suite waren zwiſchen den Bitterſeen und Suez mit der „Eliſabeth“ abermals aufgefahren und erſt in dem Augenblicke wieder flott geworden, als der kaiſerliche Zug bereits im Gange war. Die Fahrt von Ismailia nach Suez wurde übri- gens ohne beſonderen Unfall zurückgelegt; denn daß zufällig unter ſechs Paſſagieren, die beim Zuſammen- ſtoße eines Aviſodampfers mit einem Boote ins Waſſer fielen und gerettet wurden, ſich gerade drei Vertreter der öffentlichen Meinung befanden, wird man wohl für keinen beſonderen Unfall ausſchreien. 211 Der Kaiſer verließ heute ſchon um 7 Uhr Mor- gens Ghezirch, um die Merkwürdigkeiten der Stadt in Augenſchein zu nehmen. Man kann ſich in Europa von der Ausdauer, mit welcher der Kaiſer ſein Reiſe- programm einhielt, und den Strapazen, denen ſein Ge- folge ſich unterzog, kaum einen Begriff machen. Hier ein Beiſpiel. Vorgeſtern Nachts langte der Kaiſer in den Bitterſeen an, ſchlief nur wenige Stunden und fuhr geſtern Morgens nach Suez, dort war kaum, eine Viertelſtunde Zeit zum Diner, dann begab man ſich auf die Eiſenbahn und fuhr nach Kairo. Hier langte Se. Majeſtät um 11 Uhr an und kam erſt um 12 Uhr Nachts in ſein Abſteigquartier. Das Diner daſelbſt dauerte bis 2 Uhr, hierauf las der Kaiſer Briefe, expedirte noch einige dringende Geſchäftsſtücke, und heute Früh 7 Uhr verkündete ſchon der Kanonendonner von der Citadelle, daß Se. Majeſtät die Reſidenz verlaſſen. . Der Kaiſer fuhr zuerſt in die katholiſche Kirche zur Meſſe, von dort zu dem durch eine fromme Sage geheiligten Marienbaum, dann in die Citadelle, beſich- tigte die große Marmormoſchee, das Grab Mehmed Ali's, den Juſſufbaum, die Kalifengräber und langte gegen 4 Uhr wieder in Ghezireh an. Auf dem Wege hatte der Kaiſer die eben von der Bahn anlangenden Miniſter getroffen und nahm ſie in ſein Dampfſchiff auf. Als der Kaiſer heute Nachmittags von ſeinem Ausflug in Ghezireh anlangte, war man von Seite der vizeköniglichen Dienerſchaft auf die Ankunft nicht vor- bereitet und kein Diener oder Dolmetſch befand ſich in der Nähe. Der Kaiſer wollte den Garten beſichtigen, konnte ſich aber mit den arbeitenden Gärtnern nicht verſtändigen. Graf Bellegarde, der umſonſt nach einem Dragoman ſpähte, wandte ſich endlich an einen anwe- 14* 212 ſenden Fezträger und frug ihn in italieniſcher Sprache, ob er nicht Jemanden wüßte, der arabiſch verſtände. Zufällig hatte ſich der Graf an den rechten Mann ge- wendet. Der Gefragte war ein in Egypten anſäßiger Ungar, Namens Rosner, der als Architekt beim Bau des Palaſtes mitgewirkt hatte und für den Kaiſer einen prächtigen Cicerone abgab. Se. Majeſtät erkundigte ſich ſorgfältig nach den Verhältniſſen ſeines Führers und bieß ſich von ihm über jeden Baum, jede Anlage, genauen Aufſchluß geben. Während der Kaiſer über eine Brücke ging, flog plötzlich ein Schwarm Vögel auf. „Was ſind das für Vögel?“ frug der Kaiſer. „Nil- vögel, eine Art Möven“, lautete die Antwort. „Die möchte ich ſchießen“, rief der Kaiſer und man erfüllte raſch ſeinen Wunſch. Zwei Minuten ſpäter hatte der Leibjäger die Flinte des Kaiſers gebracht, aber faſt wäre dem Kaiſer ſein Jagdvergnügen verleidet worden. Die arabiſchen Gartenwächter machten nämlich, als ſie die Flinte ſahen, ganz entſetzliche Sprünge und bedeu- teten drohend und warnend dem Cicerone, daß Möven zu ſchießen nicht erlaubt ſei, daß aber im Garten des Khedive zu ſchießen geradezu unerhört wäre. Herr Rosner hatte viele Mühe, den Leuten begreiflich zu machen, daß der Sultan Nemce Alles thun dürfe – der Kaiſer ſchoß und traf mit zwei Schüſſen zwei Möven, die ſofort zum Ausſtopfer wanderten. Nun hätte man die Leute ſehen ſollen! Sie beugten ſich vor dem deutſchen Sultan bis zum Boden; ſo ſchießen hatten ſie ihr Lebtag nicht geſehen – das habe ſelbſt Mohamed nicht gekonnt, verſicherten ſie. – Der Kaiſer begab ſich hierauf in die Menagerie und verweilte längere Zeit daſelbſt; auch hier gab der Monarch wiederholt ſeinen Wunſch ZU 213 erkennen, wie ſehr es ihn freuen würde, einmal eine Jagd auf afrikaniſche Thiere mitzumachen. Geſtern und heute Abend war Kairo glänzend be- leuchtet. Nur eine Stadt der Welt kann ähnliche Effekte bei allgemeiner Beleuchtung hervorbringen und das iſt Venedig. Hier wie dort eignen ſich die engen Straßen, das milde Klima, die windſtillen Nächte vortrefflich dazu, den Salon auf die Gaſſe zu verlegen und im Freien denſelben Glanz und Effekt zu erzielen, wie im Innern des Hauſes. Rieſige Teppiche werden von Dach zu Dach geſpannt und bilden glänzende Pla- fonds, von denen an Stricken zahlloſe Kryſtallluſter herabhängen und ſo einer ganzen Straße das Ausſehen eines koloſſalen Ballſaales geben. Die Häuſer ſind dekorirt und mit Glaskelchen beſteckt, in denen Ker- zen brennen. Die Läden ſind geöffnet und jeder Beſitzer hat ſeine Lichter aufgeſtellt und ſeine Luſter ausgehängt. "Wo die Gaſſe ſich weitet, wimmelt es von farbigen Lämpchen und Laternen – in der Moskie namentlich, wo die Gaſſe hoch oben von einem Dach zum andern zur Abwehr der Sonnenſtrahlen mit Bret- tern gedeckt iſt, wird die Ueberſpannung mit Teppichen leicht ins Werk geſetzt, und hier wie im Bazar nahm die Illumination grandioſe Dimenſionen an. Man hatte mit richtigen Verſtändniß einzelne Partien dunkel gelaſſen, um die beleuchteten Theile deſto brillanter aus der Finſterniß hervortreten zu laſſen. Die iſraelitiſchen Oeſterreicher zeichneten ſich in hervorragender Weiſe aus und das Haus des Kaufmanns Matutia Nahmir war in der Front mit Lampen förmlich beſpickt. In Kasr-Nil waren die Höfe und Hallen, Räume, in denen leicht für die innere Stadt Wien Platz wäre, in ein Feuermeer gehüllt, in der Mitte glühte eine rieſige 214 Pyramide und um dieſelbe herrſchte das tolle Treiben einer arabiſchen Phantaſie. – Unter Phantaſie verſteht der Araber, was wir unter Bolksfeſt verſtehen. – Farbige Lampions, lärmende Muſik, tanzende und ſingende Almehs, einige Hanswurſte bilden die Grund- elemente einer Phantaſie, in deren Genuß der Araber ſich durch nichts ſtören läßt. Der Garten von Ghezireh war am heutigen Abend auch beleuchtet und von allen Bäumen flatterten die Lampions – eines der letzteren riß und die Flamme entzündete die dürren Zweige des Baumes, der bald in hellen Flammen ſtand. – Ein Hofbeamter des Kaiſers machte den in nächſter Nähe ſtehenden egyptiſchen Wachpoſten auf den Brand und die mögliche Gefahr aufmerſam. „Phantaſia“, erwiederte der Soldat ruhig und ließ den Baum weiter brennen. Der lodernde Baum gehörte offenbar mit zu der Phan- taſia, wie ſich der Mann dieſes berauſchende Feſt ſeiner Nation vorſtellte. „* Alle Welt war auf den Beinen, um die Beleuch- tung anzuſtaunen, die Harems hatten ihre Bewohnerinnen auf die Straße geſendet und in den engſten Gaſſen wimmelte es von Eſeln, Kameelen und Kutſchen. Daß trotzdem kein Unglück geſchah, wie Unglück durch Ueber- fahren in Kairo überhaupt zu den Seltenheiten gehört, verdankt man einzig und allein der fabelhaften Ge- wandtheit der egyptiſchen Kutſcher, die in dieſer Rich- tung mit unſeren Wiener Roſſelenkern ganz ernſtlich konkurriren könnten. – – Welche Koſten dieſe vier Nächte andauernde Illu- mination und dieſe Dekorirung der Straßen – man ſieht überall ſchwarzgelbe Fahnen und den Namenszug des Kaiſers – verſchlingt, iſt vorläufig unberechenbar. Man ſchätzt ſie auf täglich 36,000 fl. Nehme man 215 einen zweiten Poſten in die Rechnung, der mir von beſter Seite beſtätigt wurde, nämlich, daß in Ismailia 24,000 Perſonen durch drei Tage bewirthet wurden und jeder Tag 30,000 Pf. St. koſtete, und man kann einen beiläufigen Schluß auf die Geſammtrechnung machen. In der egyptiſchen Freudenau. Kairo, 22. November. Iſt die Schubra in Kairo ein egyptiſcher Abklatſch unſeres Praters, in der die ſchöne, und was öfter vor- kömmt, die reiche Welt Kairo's ſpazieren fährt, ſo iſt die Abbaſſieh eine keineswegs verunglückte Nachahmung der Freudenau. In der Schubra reitet Mlle. G. jeden Tag ſpazieren und wird, wie boshafte Zungen verſichern, eigens dafür bezahlt, damit der Korſo auch ſeine Dame zu Pferd beſitzt – und in der Abbaſſieh tummeln ſich engliſche Jockeys herum, die nichts zu thun haben, als ſich ſehen zu laſſen, und dem Publikum glauben zu machen, es befinde ſich in Epſom. Ich habe vor Jahren in Peſt einem Rennen auf dem Rakos beigewohnt, und damals meiner Mißſtimmung Luft gemacht über die wahrhaft infernaliſchen, ſteinbeſäeten Wege, die man mit Lebensgefahr paſſiren muß, um zur Tribune zu gelangen. – Jetzt bitte ich den Peſter Gemeinderath oder wer ſonſt daſelbſt mit der Herſtellung anſtändiger 217 Straßen betraut iſt, demüthig um Vergebung. Die Pfade zum Rakos ſind Macadampflaſter gegen jene von der Kultur der Plaſterung oder Aufſpritzung noch nie- mals beleckten Wege, auf denen man zur Abbaſſieh gelangt. Man fährt mittelſt Wagen eine volle Stunde von Kairo zum Wettrennplatze. Die Eiſenbahn führt zwar bis in die nächſte Nähe, aber wir Invités eclairés, die über Gratiswagen und mit kleinen Bakſchiſch zufriedene Zaiſſe – ohne ſolche Vorläufer fährt hier kein anſtän- diger Menſch aus – verfügen, zogen es vor, die Eiſen- bahn unbenützt zu laſſen, und uns der koloſſalen Wagen- reihe anzuſchließen, die von 12 Uhr angefangen die Straße nach Abbaſſich bedeckte. Das war ein Treiben und Rennen auf dieſem Wege, wie es in ſo grotesker und charakteriſtiſcher Weiſe kein Rennplatz der Welt mehr bieten kann, Wagen an Wagen rollt über die fußhoch mit Wüſtenſtaub bedeckte Straße, jeder Wagen iſt von Kawaſſen, Vorläufern, Reitern begleitet, die ein ohrenbetäubendes Geſchrei erheben, wenn die Straße leer iſt, und dieſen Lärm verzehnfachen, wenn die Paſ- ſage durch irgend ein Hinderniß gehemmt iſt – alle Welt ſchreit: Guarda (habt Acht), Riglach (Dein Fuß – Abkürzung für: Nimm Deinen Fuß in Acht), Schimalek (links), Jeminak (rechts), der Kutſcher ſchreit, der Kawaß ſekundirt ihm, der Zais heult als Echo nach und die Paſſagiere helfen mit, um die Hetze zu vergrößern. Neben den Wagen ſprengen die Dandies Kairo's, die unverbeſſerlichen Sportfreunde, die in Egyp- ten ebenſo wild wachſen, wie im Prater und zu denen aus Anlaß der Suezfeſte Wien ein ganz unerträgliches Kontingent hieher geſtellt hat. Alle reiten ſelbſtverſtänd- lich echte Vollblut-Araber, – die egyptiſchen Tippolde und 218 Schawels haben keine anderen Renner am Lager – und unbekümmert um Fußgeher und die armen über den Weg laufenden Fellahs ſprengen ſie dahin, Alles niederreitend, was ihnen - in den Weg kömmt. Ich ſah ſelbſt, wie ſo ein Lump einen Zais, der pflicht- ſchuldigſt vor dem Wagen ſeiner Herrſchaft lief, in frevelhaftem Uebermuth abſichtlich niederritt und nach dem im Blute am Boden Liegenden noch mit der Peitſche hieb. Ich hätte meine ganze Baarſchaft darum gegeben, wäre ich in dieſem Augenblicke in Wien geweſen und ein moderner Pfanner hätte an dem Elenden die Kraft eines in Salz gelegenen Haslinger erproben können. – An den Seiten der Straße keuchen die Eſel, gefolgt von ihren Treibern, welche unermüdlich die ganze Strecke hin und zurück zu Fuß machen und die bedauernswerthen Thiere mit Stöcken, die ſie in den ſchweifbedeckten Theil des Eſels einſchlagen, zum Trabe zwingen. Ganze Karawanen zogen diesmal nach Abaſ- ſieh, kein einziger Eſel war in ganz Kairo zurückge- blieben, verſicherte mich ein Witzling, – und alle Invités eclairés hatten ſich auf dem Rennplatze ein Rendezvouz gegeben. Männer, Frauen, verrückte Eng- länder mit En-tout-cas auf dem Kopfe, rieſige Schirme in den Händen, rohledernen Stiefeln und nackten Beinen, halbnärriſche Franzoſen mit lichten Gamaſchen, dünnen Höschen und pelzverbrämten Röcken, den Kopf in ſeidene Coffüs gehüllt, vorlaute Berliner, die „vor die Jejend“ ſchwärmen und den norddeutſchen Schädel mit rothem Tarbuſch bedeckt haben – eine ganze Völkerwanderung zu Eſel! – Hinter den Grauthieren zotteln die Drome- dare, auf deren Höcker die gleichgiltig ins Gewühle blickenden Egyptier ſich ſchaukeln, trabende Kameele, die 219 mit den galoppirenden Pferden gleichen Schritt halten, dann kommen Einſpänner, Vierſpänner, Fourgons, Poſt- züge u. ſ. f. So lange die Straße einigermaßen kennt- lich iſt, geht es noch leidlich gut, aber jetzt beginnt die Wüſte und todesmuthig ſtürzt ſich der Kutſcher in das unergründliche Sandmeer. Unter hölliſchem Geſchrei werden die Pferde zur Carrière angetrieben, denn nur ſo iſt die Fläche zu paſſiren, die Pferde ſetzen über Gräben und Hügel, Untiefen und Sandhaufen, unbarm- herzig werden die Paſſagiere gebeutelt und herumge- ſchleudert; aber es geht doch vorwärts. Bleibt der Karren aber nur einen Moment im Sande ſtecken, ſo iſt die Situation dieſelbe, als wenn ein Schiff aufge- fahren, es bedarf der rieſigſten Kraftanſtrengungen, um das Gefährte wieder flott zu machen. Uns paſſirte der Unfall einmal, Kutſcher und Zais wußten aber raſch Rath, der erſtere hieb unbarmherzig in die Pferde, ſo daß die armen Thiere kerzengerade ſich aufbäumten, und der Zais griff in die Speichen des Hinterrades und ſchob mit jener Rieſenkraft, die dem Araber angeboren iſt, den Wagen weiter. – Gegen halb 2 Uhr langten wir an der Rennbahn an. Es war tout comme chez nous. Tribune, Aktionärraum, Wage, Jockeys, engländeriſirende Sport- narren, die jedes Pferd antaſten müſſen und mit zwicker- bewaffnetem Auge die Chancen prüften, die Ratib Pa- ſcha's Iskander gegen Bilal-Aga's Koheilar-Tamrie haben konnte 2c. Sogar die ſportmäßige Nonchalance, mit der man von einem Rennen zum andern eine halbe Stunde verzettelt, war in der Abaſſieh eingeführt und hätten die egyptiſchen Kavaliere ſtatt des Tarbuſch einen engliſchen Cylinder getragen, wir hätten gewettet, eine halbe Stunde von Praterſtern entfernt zu ſein. 220 Beim Eingang überreichte man uns gratis – ſchon ein Unterſchied gegen Wien – das Rennprogramm in franzöſiſcher Sprache und ein gleiches Programm auf Pergament gedruckt in arabiſcher Sprache. Die Tribune war gedrängt voll, die eleganteſte Damenwelt Egyptens hatte ſich daſelbſt eingefunden. Rings um die zwei Meilen lange, mit öſterreichiſchen Fahnen eingeſäumte Bahn hatten ſich die Equipagen und Fußgeher aufge- ſtellt, links vor der Haupttribune befand ſich eine ein- fache Tribune für den Hof und nebenan zwei ſchatten- gewährende Zelte. Vor der kaiſerlichen Tribune hatte man eine rieſige ſchwarzgelbe Fahne mit verkehrtem Adler aufgehißt. - - Kurz vor 2 Uhr kündete der Donner der in einer Entfernung von etwa 3000 Schritten aufgeſtellten Bat- terie das Nahen des Kaiſers. Den Zug eröffnete der Khedive, der in Begleitung Nubar Paſcha's in einem allerliebſten vierſpännigen niedrigen Wagen, der mit einem auf vier Stäben ruhenden Schirme gedeckt war, vorfuhr. Unmittelbar darauf erſchien der Kronprinz, dann in einem von zahreichen Reitern begleiteten Wagen der Kaiſer in Begleitung des Grafen Belle- garde und des Fürſten Hohenlohe und zuletzt in drei Poſtwagen die Suite. Unmittelbar nach dem die Herr- ſchaften die Tribune betreten, begannen die „Courses extraordinaires données en l'Honneur de S. M. l'Empereur d'Autriche“. – Bei der Wage gab es inzwiſchen dieſelben lebhaften Szenen, wie bei uns, die Jockeys verſuchten alle möglichen Künſte, um den Blei- gewichten zu entgehen und die Intereſſenten ſuchten ihnen ſo viel als möglich hinaufzudisputiren. Schließlich ging es ohne eine Fluth von Schimpfwörtern und etwelchen Drohungen mit der Reitpeitſche nicht ab. Das erſte 221 Rennen verlief prächtig. Es ſtarteten, wie bei uns, ſtatt 13 angekündigten Pferden nur fünf, trotzdem blieb die Theilnahme des Publikums und der Wettenden die gleiche. Man begrüßte den Sieger mit Händeklatſchen und Zurufen und führte das Pferd im Triumphe herum. Die Namen der Sieger werden wohl weder das große Publikum noch den engeren Kreis der Jokeyklubs in Europa intereſſiren. Wen kümmert es bei uns, daß im erſten Rennen Akif Bey's Djellan erſtes Pferd und Colonel Stanton's El Boſta gut zweites Pferd war. Mehr dürften vielleicht die Preiſe und die Diſtanz in- tereſſen. Ich führe beide nachfolgend an. Erſtes Ren- nen 150 Pfd. St., Diſtanz 2 Meilen; 2. Rennen 350 Pfd. St. erſtes, 100 Pfd. St. zweites Pferd, Diſtanz 3 Meilen; 3. Rennen, nur für Scheiks und Beduinen, 125 Pfd. Sterl., Diſtanz 2'/, Meilen; 4. Rennen, nur für arabiſche Pferde, 200 Pfd. St., Di- ſtanz 2 Meilen; 5. Rennen, für Dromedare, 125 Pfd. St., Diſtanz 6 Meilen; 6. Rennen 200 Pfd. St., Diſtanz 2 Meilen; 7. Rennen 150 Pfd. St., Diſtanz 1% Meilen; 8. Rennen, für Eſel, 20 Pfd. St., Di- ſtanz 1 Meile; 9. Rennen 150 Pfd. St., Diſtanz 1% Meilen; 10. Rennen 100 Pfd. St, Diſtanz 2 Meilen. Das Hauptintereſſe des Tages konzentrirte ſich für uns Gäſte auf das Rennen der Dromedare, das auf Wunſch des Kaiſers als zweites Rennen eingeſchoben wurde. Wir wurden aber ziemlich enttäuſcht. – Es erſchienen nur drei Dromedare in der Bahn und dieſe ritten in, wie es uns anfangs ſchien, ziemlich mäßigem Tempo über die Bahn. Die Rieſenſchritte, welche dieſe Thiere im Laufe machen, täuſchen nämlich über ihre Schnelligkeit. Erſt als Reiter zu Pferde neben ihnen 222 ritten und eine Strecke in ſcharfem Galopp zurücklegen mußten, um gleichen Schritt zu halten, merkten wir, wie raſch das Tempo war, das die Dromedare einſchlugen. Sie kamen ſchweißbedeckt, mit ſchäumendem Munde am Ziele an. – Ebenſo wenig Intereſſe gewährte das Eſelrennen. Ziemlich unbefriedigt werließen wir gegen 4 Uhr die Abaſfieh und kehrten in die Stadt zurück. Die Sport- verſtändigen unter uns verſicherten allen Ernſtes, das Rennen habe ſie gewaltig intereſſirt, aber ſie hätten die Ueberzeugung gewonnen, dieſes europäiſche Amuſement habe am Nil, trotz der herrlichen heimiſchen Pferde, keine Zukunft. Ich kann dieſes fachmänniſche Urtheil weder beſtreiten noch beſtätigen, ich weiß nur, daß ich mich gründlich gelangweilt habe. In der Schubra. - Kairo hat ſeine Boulevards wie Paris, ſeinen Bazar wie Konſtantinopel, ſeinen Rennplatz wie London, es hat auch ſeinen Prater wie Wien. Der Prater Kairo's iſt die Schubra, eine rieſige Allee, in der ſich das ganze Jahr hindurch – die Regenzeit ausgenommen – vor Sonnenuntergang die elegante Welt ein Rendez- vous gibt. Die Schubra hat keine beſtimmte Saiſon, wie der Prater, man fühlt eben in Kairo immer das Be- dürfniß, nachdem man Tags über vor der glühenden Sonnenhitze ſich zwiſchen vier Wänden verbergen mußte, den Abend im Freien zuzubringen. Und dazu bietet die Schubra die herrlichſte Gelegenheit. Die mächtigen Syko- moren zu beiden Seiten gewähren einigen Schatten, die Straße iſt ſtaubfrei, rechts und links hat man einen hübſchen Ausblick auf Palmenhaine, Baumwollfelder und reizende Villen, hin und wieder ladet ein franzöſiſches Cafe zum Ausruhen ein, und vor Allem, man ſieht Alles, was in Kairo lebt und einigermaßen von Bedeu- tung iſt, täglich in der Schubra. Selbſt der gewiſſe 224 Baum unſeres Praters, von dem aus die Wiener Feuilletoniſten die Geheimniſſe der ganzen und halben Welt zu erſpähen pflegen, fehlt in der Schubra nicht, und an ihn gelehnt ließ ich mehr als einmal die beau monde an mir vorbeipaſſiren und machte mir Notizen als warteten die Leſer bereits heißhungrig auf die neueſten petits mystères der Geſellſchaft. Allah iſt groß und die Einbildungskraft eines Feuilletoniſten noch größer – denken wir alſo, wir wären in Wien und plaudern wir von den Myſterien der Schubra – des Praters, wollte ich ſagen. – – Da ſprengt eben eine einzelne, elegante Rei- terin vorüber und ſtört mich mit ihren Lancaden in meinen Betrachtungen. Das Geſicht der Dame kömmt mir bekannt vor. Es iſt wie eine freundliche Erinnerung an die Heimat, die an mir vorüberzieht. Carl-Theater – erſte Vorſtellung – Loge, auf der Brüſtung rieſiges Bouquet – hinter demſelben ein reizender Mädchenkopf, eine prächtige Toilette – im Hintergrund der Loge ein junger Mann – das iſt ja Mademoiſelle Gabriele, die einſt in der Reitallee des Praters brillirte und jetzt täg- lich in der Schubra zu Kairo ihren Araber tummelt. Sie iſt, erzählt die böſe Welt, für dieſen Ritt eigens engagirt und repräſentirt dem Khedive zuliebe, der aus ſeinem Kairo ein kleines Paris machen will, das egyp- tiſche Amazonenthum. – – Eben grüßt ſie mit einem kühnen Schwung der Reitpeitſche einen Mann, der im Phaeton vorüberfährt und ihren Gruß lächelnd erwiedert. Das iſt eine gar gewichtige Perſönlichkeit – der Hülſen Kairo's, Dranet Bey, der Intendant der vizeköniglichen Hoftheater. War Herr v. Hülſen früher ein unbeachteter Fähnrich, ſo hat Dranet Bey eine noch ſonderbarere Vergangenheit, er war Barbier oder Apotheker, und „die 225 Weiber, die Weiber“ haben ihn zum Beherrſcher der die Welt bedeutenden Bretter emporgeſchnellt. – Man erzählt ſich hundert Anekdoten über ihn in Kairo, und auch das hat er mit Herrn von Hülſen gemein, daß er in ſeiner Stellung weniger die Kunſt als die Form berückſichtigt. Eine Künſtlerin, die ſich in letzterer Be- ziehung auszeichnet, kann der Gunſt des Intendanten ver- ſichert ſein. Ob es wahr iſt, daß Dranet Bey ſeinen Sinn für ſchöne Formen ſo zu verwerthen verſteht, daß die Prieſterinnen Terpſichorens, die kleinen Ratten, vor ihm in jenem Coſtume erſcheinen müſſen, in dem die Bewohnerinnen des Harems vor ihrem Einzuge in den- ſelben vom Käufer geprüft werden, will ich dahingeſtellt ſein laſſen, aber daß der Intendant in allen Couliſſen- geſchichten, welche die europäiſche Welt der egyptiſchen Reſidenz in Aufregung verſetzen, eine Hauptrolle ſpielt, verſichert ganz Kairo, und einer ganzen Stadt muß man am Ende glauben. Daß Dranet Bey die Liebenswürdig- keit hatte, uns Oeſterreicher an jenem Abende, an dem unſer Kaiſer das Theater beſuchte, von dem Eintritte in dasſelbe förmlich auszuſchließen, ſei nebenbei erwähnt, – die untergeordneten Kolleginnen Fräulein Gabriele's machten ſich's in den Parquetfauteuils bequem, und das ſchien jedenfalls mehr nach dem Geſchmack des ehemaligen Pillenfabrikanten! – – Die brillante Equipage, die eben jetzt vorüberfährt und in der ein Herr und eine mit mehr als anſtändiger Korpulenz begabte Dame ſich breit machen, fällt wohl Jedem auf? Die Equipage gehört einem Millionär und der Herr, der in dieſem Augenblicke in den Kiſſen ſich wiegt und ihr Beſitzer iſt, hatte vor wenigen Jahren kaum über ſo viele Francs zu verfügen, als er jetzt Hunderttauſende beſitzt. Wie er ſo raſch wir wurde? 226 Wie man eben in Egypten reich werden kann. Wir leben ja im Lande der Wunder. Herr K. kam vor einigen Jahren nach Egypten, fing allerlei Geſchäfte an und verfiel endlich auf den glücklichen Gedanken, dem Vize- könig kleine Geſchenke zu machen. Alle Welt beſchenkt den Khedive, er liebt dieſe Aufmerkſamkeiten, warum ſollte ſich Herr X. ausſchließen? Er begann, wenn ich nicht irre, mit Früchten, die er aus Ungarn kommen ließ, dann folgten getunktes Obſt, Leckereien aus Paris, Backwerk aus Mailand, kandirte Süßigkeiten 2c. Das ging einige Jahre ſo fort, jedes Schiff brachte ſein Kiſt- chen Deſſert, der Tiſch des Khedive ward nicht leer. Eines Tages aber hatte die Sendung eine papierene Begleitung. Herr v. K. überſandte dem Vizekönig für die ihm ſeit drei Jahren gelieferten Kleinigkeiten eine Rechnung von 200.000 Francs. Der Haushofmeiſter ſchlug gewaltigen Lärm, die Zahlung ward verweigert, aber Herr v. K. wandte ſich an ſein Konſulat und da dieſes drohte, die Sache endgiltig in Konſtantinopel aus- tragen zu laſſen und man in Kairo lieber Millionen zahlt, ehe man irgend eine Hoheit Stambuls, alſo auch die obergerichtliche, anerkennt – ſo erhielt Herr v. X. ſeine 200.000 Francs und war ſeit dieſem Moment ein ge- machter Mann. In Egypten nämlich gibt ein kühner Coup dem Ausführenden eine bedeutende Avance. – Herr v. X. war ſeit jenem Tag der Mann der Geſellſchaft. Die egyptiſche Regierung überhäufte ihn mit Lieferungs- aufträgen, uud heute iſt er Millionär und fährt in der Schubra ſpazieren . . . . Daß die zwei Herren in den ſteifleinenen Uni- formen mit den kerzengeraden Oberleibern, die ausſehen, als hätten die Träger eben ein Lineal verſchluckt, keine 227 Egyptier ſind, braucht wohl nicht eigens verſichert zu werden. Man höre nur einen Moment lang dieſe un- ausſtehlichen Naſaltöne und man wird wiſſen, daß zwei Helden von Sadowa hier promeniren. Preußen kann in dieſem Jahrhundert noch zwanzig Mal wie bei Sadowa ſiegen, man wird ihm doch in aller Welt das Prädikat der unausſtehlichſten Nation zuerkennen. In dem Völker- Tohuwabohu, das ſich am Suezkanal einfand, zählte man nur ein paar Dutzend Preußen, aber alle Welt wich ihnen aus und ſchon am erſten Tage cirkulirten zahlreiche Anekdoten über die Bengelhaftigkeit dieſer Geſellen. Den Major v. H. lernte ich unter den Zelten von Ismailia kennen. Er war der Nachbar einer der liebenswürdigſten Damen Kairo's, an die er, ohne ſich vorzuſtellen, verſchiedene Fragen richtete, die bereitwilligſt beantwortet wurden. Es entſpann ſich auf dieſe Art eine kleine Reiſebekanntſchaft und als wir nach dem Diner vor dem Zelte ſaßen, wandte ſich die Dame nach dem Major um und rief: „Lieber Major, jetzt können Sie die Kaiſerin ſehen, ſie kömmt eben auf einem Dromedar.“ Die Neugierde des Preußen ſiegte momentan über den Schmerz, den ihm das vertrauliche „Lieber Major“ verurſachte, und er poſtirte ſich auf einen Seſſel, um die reitende Kaiſerin zu ſehen, aber kaum war ſie vorbei, ſo pflanzte er ſich ſtramm in jener lächerlichen Paradeſtellung, die unſer Aſcher ſo trefflich zu karrikiren verſteht, vor die Dame hin und näſelte: „Ich bemerke Ihnen, daß der königlich preußi- ſche Major Baron v. Sprudelwitz vor Ihnen ſteht.“ Drehte ſich um und verſchwand. Wir konnten fünf Minuten lang nicht aus dem Lachen herauskommen. – Der Freund, den der Major Baron von Sprudelwitz am Arme führt, paßt vortrefflich zu Ä. es iſt der 228 Portcépée - Fähnrich Graf Trottelheim. Der Herr Fähnrich trifft hier in Kairo einen ehemaligen Schul- kameraden, der ſich in Egypten als Zuckerbäcker redlich ſein Brod verdient – der Schulkamerad führt den jungen Grafen einen ganzen Tag lang in allen Winkeln und Ecken Kairo's herum, dient als Cicerone, Drago- man, Unterhändler c., natürlich. Alles nur aus Ge- fälligkeit für den Landsmann. Abends kommen. Beide zufällig im Hotel an der Table d'hôte zuſammen. Der Zuckerbäcker ſetzt ſich dem Grafen gegenüber und redet ihn an – er erhält keine Antwort, er fragt ein zweites Mal – endlich öffnet ſich der gräfliche Mund und der Herr Fähnrich ruft erbittert: „Wie können Sie ſich denn mit uns, die wir die königlich preußiſche Armee und Marine repräſentiren, an einen Tiſch ſetzen?“ – „Wenn Ihnen der Tiſch nicht gefällt,“ gab der Zuckerbäcker ruhig zur Antwort, „ſetzen Sie ſich an einen anderen.“ – Die Geſchichtchen, die ich eben erzählte, ſind buchſtäblich wahr, nur die Namen ſind erfunden – ſo repräſentirte ſich Berlin in Kairo. Es iſt Zeit, daß wir die Schubra verlaſſen, die Luft wird kühl und wir Europäer ſind nicht warm genug gekleidet. Gehen wir. – Einen Augenblick noch. In dem Brummer, der eben vorüberrollt, ſitzt ein junger, bleicher Mann mit geiſtreichen Zügen. Die Wagenfenſter ſind herabgelaſſen, als ſollte die Oeffnung nur der Luft Zutritt gewähren und jeder weitere Verkehr mit der Außenwelt vermieden werden. Der Mann, der ſo abgeſpannt und müde im Wagen ruht, iſt Dr. Kiſſel, der Secretär Nubar's, eine Perſönlichkeit, die uns VOeſterreichern während unſeres kurzen Aufenthalts lieb und theuer geworden. Kiſſel, ein junger Advokat, hat 229 in Egypten raſch Carrière gemacht und hängt mit inniger Verehrung an ſeinem Meiſter Nubar, von dem er die Regeneration, die Zukunft, das Glück des Landes er- wartet. Vom erſten Augenblicke unſerer Ankunft in Egypten bis zu unſerer Abreiſe ſtand Dr. Kiſſel den Oeſterreichern, ein rathender, helfender, fördernder Schutzgeiſt, zur Seite, und es war nur eine Pflicht, die man erfüllte, als man ihm vor dem Abſchiede mit einer bei den Oeſterreichern ſeltenen Einſtimmigkeit den wärmſten Dank votirte. – – Wir verlaſſen die Schubra – noch einen Blick werfen wir auf ein links ſtehendes Haus, das ſich zur Feier der Anweſenheit unſeres Kaiſers beſonders feſtlich ſchmückte. Die reizende Villa gehört dem Bankier Zach- mann, einem der gaſtfreundlichſten Bewohner Kairo's. Herr Zachmann ſteht unter preußiſchem Schutz, Frau Zachmann iſt eine glühende Verehrerin Oeſterreichs und ſeiner gegenwärtigen Miniſter, ſie hat dieſe An- hänglichkeit an das öſterreichiſche Banner in den letzten Tagen bei den verſchiedenſten Gelegenheiten bewieſen. Ihrer liebenswürdigen Einladung verdanken wir einen unſerer ſchönſten Abende, die wir in Kairo verlebt, und ein lang entbehrtes, echtes Wiener Diner. Hackländers Toaſt, der an dieſem Abende die Wiener Hausfrau leben ließ, fand bei uns allen den lebhafteſten Anklang . . . Langſam fährt unſer Wagen in die Stadt zurück – das Gewühle iſt groß in den Straßen, denn die Beleuchtung, die ſeit der Anweſenheit des Sultans Nemce jeden Abend mit gleicher Pracht wie am erſten Tage immer von Neuem begonnen wird, lockt die Neu- gierigen herbei. In der Nähe der franzöſiſchen Triumph- pforte feſſelt ein brillant beleuchtetes Haus die Auf- merkſamkeit. Es iſt Nubar Paſcha's Palais, die Woh- 230 nung des erſten Miniſters des Vizekönigs. Wenn Egypten jemals zu einem mächtigen, ſelbſtſtändigen Staate ſich emporraffen wird, ſo wird man mit dem Moment der Wiedererſtehung den Namen Nubar's ſo feſt verbinden, wie den Namen Cavour's mit dem aus ſich ſelbſt erſtandenen Italien. Nubar iſt ein Mann von 45 Jahren, ein geborner Armenier, der einzige Chriſt im Miniſterium des Vizekönigs, der intelligenteſte und ernſteſte Mann Egyptens. Seine Bedeutung und ſein Anſehen datiren nicht von heute. Nubar Paſcha war vor Jahren durch längere Zeit iu Wien als egyptiſcher Agent thätig und kennt ſeitdem die öſterreichiſchen Ver- hältniſſe und Perſönlichkeiten genau, ſpäter ward er Eiſenbahnminiſter, Ackerbauminiſter, Miniſter der öffent- lichen Arbeiten und zuletzt Miniſter des Aeußern. Das Ziel, das er gegenwärtig mit dem unerſchütterlichen Willen eines Mannes, der durchſetzen muß, was er einmal will, verfolgt, iſt die Erledigung der Kapitu- lationsfrage, die Befreiung Egyptens von der unerträg- lich gewordenen Gerichtsbarkeit der Konſuln. Nie, ſeit- dem es Miniſter auf dieſer Welt gibt, hat ein Staats- mann rückſichtsloſer und freimüthiger die Schäden und Gebrechen des eigenen Landes ſo dargelegt, wie Nubar in ſeiner berühmten Note à Son Altesse sur la re- gularisation à opérer dans les rapports judiciaires entre etrangers et Indigenes. – Nubar wird dieſe Frage löſen oder mit ihr fallen – Männer wie er kennen keinen anderen Weg. – Im Privatleben iſt Nubar der liebenswürdigſte und freundlichſte Geſellſchafter, im Kreiſe ſeiner Familie der glücklichſte Gatte und zärt- lichſte Vater, im Hauſe der gemüthlichſte Gaſtfreund. Er hat die bedeutendſten Städte Europa's auf ſeinen Reiſen kennen gelernt, war, als er die Vorbereitungen 231 zur Erledigung der Kapitulationsfrage traf, zu dieſem Zwecke in Paris und Konſtantinopel und erfreute ſich überall des ehrendſten Entgegenkommens ſeitens der be- deutendſten Staatsmänner. Egypten wird durch ihn groß werden, wenn es ihn nicht zu früh verliert. Mit dieſen Gedanken beſchäftigt, kehrten wir heim. – Mit dem unbedeutendſten Menſchen in Kairo hatten wir unſere Skizze begonnen, mit dem bedeutendſten ſchließen wir ab. – Man ſieht und erlebt eben Alles – in der Schubra. Der Reſuch der Pyramiden. Kairo, 24. November. Das Feſt geht ſeinem Ende zu – im Fluge be- rühren wir noch die Denkmäler tauſendjähriger Vergan- genheit, und vielfache Anzeichen deuten darauf hin, daß bei den meiſten Eingeladenen die Sehnſucht nach der Heimat mächtiger denn je erwacht. Genug geſchwelgt und bewundert – wir wollen wieder ausruhen und uns ſelbſt wiederfinden. In den letzten Tagen jagte ein Feſt das andere, und wenn das Ende aller Feierlichkeiten nicht nahe be- vorſtünde, Niemand würde mehr die Verantwortlichkeit übernehmen können, uns eine noch größere Laſt von Vergnügungen aufzubürden. Vor drei Tagen ward das glänzendſte Feſt der egyptiſchen Kanalſaiſon, der Ball in Kasr-Nil abgehalten. Man war diesmal mit der Ausgabe der Karten ungemein ſtreng vorgegangen und nur die Invités und das diplomatiſche Korps waren anweſend. Man ſah glänzende Uniformen und pracht- volle Toiletten, die Damenwelt Kairo's und Alexan- 233 driens hatte ihre ſchönſten Repräſentantinnen zum Feſte geſendet, und wäre ich ein Dichter, wie Müller von der Werra, der hier zahlloſe Sonette dichtet und noch zahlloſere Quantitäten Gerſtenſaft vertilgt, ich würde von nichts als Gazellenaugen, ſchwarzen Locken, Alaba- ſterzähnen und Roſenlippen erzählen. – Die Ballſäle in Kasr-Nil waren zum großen Theile erſt in den letzten Tagen errichtet worden – ſo hatte man raſch einen Garten in einen Tanzſaal umgewandelt – und ent- ſprachen nicht vollkommen der Geſellſchaft, die ſich in ihnen bewegte. Der ſchreiende, in allen Farben flim- mernde Fahnen- und Flor-Aufputz des Tanzſaales war nicht beſonders geſchmackvoll und hatte einen Anſtrich von Sperl- oder Schwenderthum, der das Auge ver- letzte. Dagegen konnte man ſich an dem Meublement und Arrangement des erſten großen Saales und der beiden Nebenſäle nicht ſatt ſehen. Der Kaiſer erſchien kurz nach 9 Uhr im ſchwarzen Frack und ward vom Khedive und Kronprinzen herzlich begrüßt. Die Muſik intonirte die Volkshymne und ſpielte dieſelbe ſo lange, bis der Kaiſer ſelbſt den Khedive erſuchte, die Ball- muſik wieder beginnen zu laſſen. Durch ein Mißver- ſtändniß erhielt das Orcheſter ein falſches Aviſo und ſpielte ſtatt des Walzers das Partant pour la Syrie, bis endlich auf ein neuerliches Zeichen ein Strauß'ſcher Walzer begann. Der Khedive hatte uns Oeſterreichern diesmal zwei Ueberraſchungen vorbereitet, die bei uns mehr Anklang fanden, als alle die ſechsundzwanziggän- gigen Menus der letzten Tage. Das Orcheſter durfte nur Strauß'ſche Kompoſitionen ſpielen und als wir an's Buffet traten – an dieſem wichtigen Orte fanden wir uns ſtets und präzis zuſammen – erblickten wir echtes, unverfälſchtes Lieſinger in Originalgebinden im Eis 234 ſtehen und ließen es friſch vom Zapfen kredenzen. Es ge- nügt wohl dieſe Bemerkung, und ſcheint mir die Ver- ſicherung ganz überflüſſig, daß der Vorrath bis auf den letzten Tropfen geleert wurde. Nachdem der Kaiſer geſtern und vorgeſtern ver- ſchiedene kleine Ausflüge unternommen und unter andern auch den weltberühmten Bazar von Kairo beſucht hatte, in dem das bloße Erſcheinen des Kaiſers und ſeiner Suite hinreichte, um die Preiſe einzelner Artikel um 200 Perzent in die Höhe zu ſchnellen, wurde heute der große Ausflug nach den Pyramiden unternommen, den nur ein kleiner Theil der Suite mitmachte. Der Khedive hatte wie immer auch diesmal die umfaſſendſten Vor- bereitungen für den Empfang und Komfort ſeiner Gäſte getroffen und ſein Prachtſchiff, dasſelbe, wel- ches die Kaiſerin Eugenie auf der Reiſe nach Ober- egypten benützt hatte, für die Nilfahrt zur Verfügung geſtellt. Als man das Schiff nach raſcher Fahrt ver- ließ, wartete am Landungsplatze eine ganze Karavane von Pferden, Eſeln und Dromedaren, ſämmtlich auf das zierlichſte und eleganteſte gezäumt. Graf Beuſt, der während der ganzen Reiſe ſeine Ausdauer und ſeinen unerſchöpflichen Humor in glänzender Weiſe bewährt hatte, beſtieg einen Eſel, während Admiral Tegetthof, Oberſt Beck u. A. es vorzogen, die Strecke auf Dro- medaren zurückzulegen, eine Wahl, um die ſie gerade nicht beneidet wurden. Der Kaiſer ritt ein prachtvolles, koſtbar geſchirrtes Pferd an der Spitze des impoſanten Zuges. Die vorgezeichnete Route führte nach den Py- ramiden, zu den Trümmern des Serapeums, nach den Apisgräbern und Sakkarah. Die erſte Station wurde bei den Apisgräbern gemacht – die durch längere Zeit der Beſichtigung unterzogen wurden. Schallende Heiter- 235 keit rief die vom Profeſſor Bruggſch erklärte Inſchrift auf einem Grabdenkmal hervor, welche das ganze Hausweſen eines pharaoniſchen Baumeiſters, darunter auch die zahlrei- chen ihm gehörenden Thiere in bildlicher Darſtellung ver- einigt, die wohl den älteſten Witz der Welt enthält. Ein der Schwere ſeiner Arbeit faſt erliegender Eſel wird mit den Worten apoſtrophirt: „O könnteſt du dieſe Arbeit ſehen.“ – „Bei uns“, meinte der ſtets ſchlagfertige Reichskanzler, „braucht man ſich nicht ſo viel Mühe zu geben, um ſechsundvierzig Ochſen auf einem Gottesacker beiſammen zu ſehen.“ – – In der Nähe des Serapeums ſollte gefrühſtückt werden, aber ein tückiſcher Zufall ſetzte un- ſeren an europäiſche Pünktlichkeit gewöhnten Magen auf eine harte Probe. Das zur Herbeiſchaffung des Dejeu- neurs beorderte Schiff hatte ſich verſpätet und kam erſt in Sicht, als der Kaiſer bereits den Aufbruch anbefohlen. Die Reiſenden erſehnten mit wehmüthigen Blicken den Dampfer herbei – aber vergebens – die Genügſam- keit des Monarchen, der ſich mit einem raſch herbeige- ſchafften Stück Brod zufrieden ſtellte, wirkte belebend, und ſo fand man ſchließlich ſogar die Aſchenkuchen genießbar, die in einem nächſt den Gräbern befindlichen Hauſe aufgetrieben wurden. Die Ruinen von Gizeh, denen ſich die Karavane in den erſten Nachmittagsſtunden zuwandte, wurden nach dreiſtündigem anſtrengendem Ritte erreicht. Die Bemer- kung, die ſchon ſo oft von Reiſenden gemacht wurde, daß die Pyramiden in unmittelbarer Nähe nicht den großartigen und imponirenden Eindruck machen, auf den ſich der Rei- ſende, der tagelang früher dieſe koloſſalen Steinunge- thüme von der Ferne bewunderte, vorbereitet, fanden auch wir beſtätigt, ebenſo die Thatſache, daß die Beſteigung eine ungemein mühevolle und die Ausſicht auf der Spitze 236 die ausgeſtandenen Mühſale nicht aufwiegt. Die Stufen der Cheopspyramide ſind über drei Fuß hoch und man kann dieſelben nur ſprung- und ruckweiſe und mit Hilfe der den Beſteiger ziehenden und ſchiebenden Araber er- klimmen. Der Kaiſer und ſeine Suite führte die Be- ſteigung aus, nur Graf Beuſt hüllte ſich in ſeinen pracht- vollen, golddurchwirkten Burnus und zog es vor, das Schauſpiel des Beſteigens am Fuße der Pyramide zu bewundern. Das Hinaufſteigen dauerte ungefähr 20 Minuten, auf der oberſten Spitze ward eine kurze Zeit geraſtet und dann der Rückweg angetreten, der aber als viel gefährlicher geſchildert wird, als das Emporklimmen. Als der Kaiſer wohlbehalten und ohne die geringſte Spur von Ermüdung wieder am Fuße der Pyra- miden anlangte, ward er mit lebhaften Zurufen em- pfangen. Die Araber erboten ſich, wie das gewöhnlich bei Anweſenheit hoher Beſuche der Fall iſt, eine Tour auf die Pyramide und wieder zurück im Lauftritt zu machen und in der That legten ſie dieſe anſtrengende Exkurſion in ungefähr 10 Minuten zurück. Das an- ſehnliche Bakſchiſch, das ihnen gereicht wurde, ſchien ſie ungemein zu befriedigen. – Für den Kaiſer und ſeine Begleitung ward in einem in der Nähe befindlichen Kiosk ein Diner ſervirt, nach deſſen Beendigung das mit Spannung erwartete Schauſpiel der Pyramiden- beleuchtung in Szene geſetzt wurde. Der Anblick war hübſch, aber nach den pyrotechniſchen Wundern, die wir in den letzten Wochen erlebten, konnte dieſe Illumination in der Wüſte nicht mehr enthuſiasmiren. Die Nacht war bereits längſt angebrochen, als der Rückzug angetreten wurde, und erſt gegen 11 Uhr traf die Geſellſchaft wieder im Palaſte von Ghezireh ein. –=8&s=- Der letzte Tag in Egypten. Alexandrien, 27. November. In einer Stunde verlaſſen wir das Land der Wun- der – die „Ceres“ dampft bereits im Hafen – wenn die vierte Stunde ſchlägt, haben alle Strapazen und Mühſeligkeiten vorläufig ein Ende und nur die Miſère einer ſtürmiſchen Fahrt ſteht uns im ſchlimmſten Falle noch bevor. Ich eile, den Epilog zu dem großen Aus- ſtattungsſtück, in dem wir Alle eine mehr oder minder bedeutende Rolle geſpielt, zu Papier zu bringen. Der Kaiſer langte vorgeſtern Mittags in Alexan- drien an und begab ſich von der Eiſenbahn direkt nach dem Palaſt Nr. 3, deſſen prachtvolle Einrichtung ich bereits früher detaillirt geſchildert. Bald nach ſeiner An- kunft ſtattete er dem Vizekönig einen Beſuch ab und beſichtigte die Merkwürdigkeiten der Stadt. Abends er- ſchien Se. Majeſtät in Civilkleidung mit ſeiner ganzen Suite auf dem von der öſterreichiſchen Kolonie im Cercle internationale veranſtalteten glänzenden Balle. Ein Comité, an deſſen Spitze der vielverdiente Lloydagent Herr Battiſta ſtand, hatte die Vorbereitungen zu dem 238 Feſte getroffen und ſich durch die geſchmackvolle und brillante Inſceneſetzung ein großes Verdienſt erworben. Die Koſten des Feſtes – ſie waren ſehr bedeutend, das Buffet allein beanſpruchte eine Summe von 25.000 Francs – waren durch freiwillige Beiträge der Oeſterreicher in einem Tag aufgebracht und Einladungen nur an Oeſter- reicher ausgegeben worden. Der Vizekönig und einige egyptiſche Hofwürdenträger repräſentirten allein das fremde Element. Die Säle waren ſehr hübſch dekorirt und an Reichthum der Toiletten übertraf der Ball alle ſeine Vorgänger in Egypten. Es waren, verſicherte mich ein Gewährsmann, der die anweſenden Bankiers zu ſchätzen wußte, einige hundert Millionen im Saale ver- eint, und der Schmuck der Damen bildete eine kleine Schatzkammer. Der Kaiſer erſchien um 10 Uhr und äußerte ſich gegen alle Perſönlichkeiten, die ihm vorgeſtellt wurden, mit einer Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit, die alle Welt entzückte. Ich habe den Kaiſer während ſeines ganzen Aufenthaltes in Egypten nicht ſo heiter und fröhlich geſehen, wie an dieſem Abende. Wiederholt ſprach er ſeine Freude darüber aus, ſich inmitten ſeiner treuen Oeſterreicher zu befinden. Vorgeſtellt wurde dem Kaiſer die Nichte des Comitépräſes, Fräulein Battiſta, dann Frau Zachmann und ſämmtliche Comitémitglieder. Zu Frau Zachmann äußerte Seine Majeſtät, es freue ihn ungemein, hier nur Oeſterreicher um ſich ver- ſammelt zu ſehen, er fühle ſich inmitten ſeiner Lands- leute ſehr wohl. Herrn v. Wertheim, den der Kaiſer auf dem Wege durch die Säle traf, ſprach Seine Majeſtät an und bemerkte: „er bedaure, daß die öſterreichiſche Indu- ſtrie nicht beſſer ihren Vortheil einſehe und nicht eine größere Aufmerkſamkeit dem egyptiſchen Markt widme, er ſehe, daß hier nur engliſche und franzöſiſche Stoffe 239 getragen würden.“ Gegen 11 Uhr verließ der Kaiſer den Saal, nachdem er noch früher dem Comité auf das freundlichſte gedankt hatte. – Geſtern Mittags verabſchiedete ſich der Kaiſer in der herzlichſten Weiſe vom Vizekönig, dem Kronprinzen und allen Miniſtern und fuhr dann nach dem „Greif“, der um 3 Uhr den Hafen verließ. Das öſterreichiſche Comité gab dem Kaiſer auf dem Dampfer das Geleite bis nach der hohen See. Heute Früh beſuchten wir noch das Atelier der Photographen Schier und Schöfft, wo das Bild des Kaiſers und ſeiner Suite, das im Palaſt von Ghezireh, aufgenommen worden war, eben vollendet wurde. Der Kaiſer ſitzt im Reiſeanzug, einen niederen Hut auf dem Kopfe, in einem Fauteuil, während ſich auf den Stufen der Säulenhalle des Palaſtes die Suite gruppirt. In der nächſten Nähe des Kaiſers zu ſeiner Rechten ſteht der Reichs- kanzler Graf Beuſt und neben ihm Miniſter Plener. Im Vordergrunde rechts vom Kaiſer ſitzen auf dem Piedeſtal einer Säule Graf Bellegarde, eine Cigarrette rauchend, Graf Andraſſy und Oberſt Beck, links vom Kaiſer ſteht Fürſt Hohenlohe, Admiral Tegetthoff, in einen weiten Burnus gehüllt, den Hut tief in die Stirne gedrückt, Graf Berchtolsheim, die äußerſte Linke der Gruppe bilden Leibarzt Jung, Marine-Adjutant Funk und Sektionsrath Teſchenberg, hinter dem Kaiſer ſtehen Hofrath Papay, Oberſt Kraus, der Offizial Halkiewicz, in der Ecke rechts blicken aus einer Säulenhalle Hof- Fourier Branko und Kammerdiener Hahnenkamm, ganz im Hintergrund ſteht ſchwarz in ſchwarz auf einem Fauteuil Dr. Löbl. – Ehe wir Abſchied nahmen vom Lande der Wunder, kauften wir Blumen und Früchte, ſo viel wir zuſammen- 2 40 raffen konnten, blühende Roſen, duftende Orangen, Flieder und Nachtviolen. So lange die Blumen duften und blühen, wollen wir ſie feſthalten, eine Erinnerung an das herrliche Land, das wir verlaſſen, ein duftiges Angedenken an das orientaliſche Paradies, an rauſchende Feſte und ſelig verträumte Stunden!