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Österreichische Nationalbibliothek
+Z255761902
Ein Kleinſtädter in Aegypten.
406082
Ein Kleinſtädter in Aegypten.
Reiſe
Bogumil Goltz.
„ Die Gerechtigkeit kommt nicht
aus dem Geſetze der Natur und "
deſſen Werken.“
(Epiſtel Paulian die Römer.)
-
Berlin.
Verlag von Franz Duncker.
(W. Beſſer's Verlagshandlung)
1853.
Der Verfaſſer behält ſich das Recht einer Ueberſetzung in's Engliſche vor.
Jeinem herzlieben freunde
Aler an der Jung
zu Königsberg
widmet dieſes Buch in dankbarer Erinnerung an ſchön verlebte Stunden
im Familienkreiſe
mit aufrichtigſter Hochachtung
der Verfaſſer.
V or wort.
Ich habe keine neuen Hieroglyphen zu den alten erfun-
den und keinen kurioſen Privatſchlüſſel zugefeilt.
Ich habe die Pyramiden nicht von friſchem ausge-
meſſen oder pyramidal interpretirt, oder den vorweltlichen
Sphinx modern examinirt, oder einen Pharaonen aus
ſeinem ſteinernen Inkognito aufgeſchreckt und in die papier-
nen Lücken der manethoniſchen Königsreihen geſteckt.
Ich habe nichts heraus und nichts hinein „geheimniſſet“;
überhaupt Alles beim Alten gelaſſen und nicht einmal
ſonderliche Vorſtudien für meine abſonderliche Reiſe ge-
macht, z. B. im Voraus gelehrt feſtgeſtellt, was ich an
Ort und Stelle beobachten, profitiren und eventualiter
nach Hauſe bringen müßte oder was nicht.
Ich habe mir's vielmehr ſo zurechtgelegt: erſt in
Aegypten ſelbſt müßte ſo ein Naturaliſt, wie ich bin, am
gründlichſten und natürlichſten erfahren, was dort für ihn
zu holen und zu beginnen ſei.
VI
Es ſcheint mir wirklich ſo, man dürfe nicht früher
losſchwimmen und tauchen, als bis man bis zum Halſe
im Waſſer ſteht. –
Und falls Einer nur ein ſimpler Fiſcher iſt,
ſo ſoll er nicht auf's Perlenfiſchen gehen. –
Bei den Gelahrten und Schulphiloſophen gilt mit-
unter freilich ein umgekehrtes Prinzip. Dieſelbigen Meiſter
ſagen ſich eine Taucherlunge auf ihre Engbrüſtigkeit
zu; halten Schwimmübungen am Balken aufgehängt in
der Luft; konſtruiren das Leben a priori und erhärten die
Wahrheit ex vi formae, wie das in der wiſſenſchaftlichen
Handwerksſprache heißt. In Konſequenz deſſen laſſen ſie
die Welt gefälligſt in die vorräthigen ideellen Chablonen,
Kategorieen und Hirngeſpinnſte hineinwachſen oder mit me-
taphyſiſchem Dampf in die a priori gelegten logiſch-gram-
matiſchen Geleiſe hineinlaufen, daß es nur ſo pfeift und fegt;
und wenn's nicht halten oder biegen kann, – ſo brichts,
das ſind ſo deutſch ſyſtematiſche und ideologiſche Lebens-
arten. Was mich betrifft, ſo verfall ich aus purer Ro-
mantik mitunter ins eutgegengeſetzte Malheur – und weiß
z. B., wenn ich die Wahrheit ſagen ſoll, ſelbſt nicht allzu-
genau, warum ich eben nach Aegypten gereiſt bin. – Es
ſcheint aus unerklärlichen Sympathieen und Wahlverwandt-
ſchaften geſchehen zu ſein, – wie ſie überhaupt zwiſchen
dem Vollblutdeutſchen und dem alten Aegypter, dem ägyp-
tiſchen Apis und dem deutſchen „Pfingſtochſen“, dem deut-
ſchen und dem ägyptiſchen Kaſtengeiſte, der deutſchen und
ägyptiſchen Verharzung und Ungeheuerlichkeit, – den ſterbe-
und traumſeligen Frühlingsliedern der Deutſchen und dem
ägyptiſchen Todtenrituale, den Pyramiden und den gothi-
ſchen Münſterthürmen, und endlich der ägyptiſchen wie
VII
deutſchen Hieroglyphenkunſt, Schreibſeligkeit und Theoſophie
beſtehen.
Vielleicht wollte ich meinen Antezedentien die
ägyptiſche Konſequenz ziehen, denn ich habe den beſten
Theil meines Lebens in einem kleinen Grenzſtädtchen
mit Polen und Juden verträumt.
Aegypten iſt ja aber das Land der Orientalen, der
Ismaeliten und Chamiten, das Vaterland von Moſe, das
Land der verſteinerten Träume und des einbalſamirten
Seius. –
Ach, man muß in „Schweine lieben“ gelebt haben,
um zu faſſen, wie das kleinſtädtiſche Vollblutſchwein
durch erbliche Liebe, Züchtungskunſt und Umgangsverede-
lung faſt bis zum polniſch-preußiſchen Sphinx idea-
liſirt worden iſt, nämlich zu dem Thiere, welches dem
kleinbürgerlichen Kartoffelmenſchen ohne Aufhören das Le-
bensräthſel aufgiebt und löſt, da es ihm jene dämoniſch-
unterirdiſche Knollenfrucht in Silber und Gold, nämlich
in Speck und Fleiſch umſetzen hilft.
Man muß in „Mummelburg“ ein Stillleben ge-
führt haben, um zu wiſſen, wie ſumpfſchön ägyptiſch die
Seele da in Träumen „vermummelt“ und der Verſtand
da verharzt, beſonders wenn ein Menſchenkind von Natur
und durch Schickſale zum Winkelphiloſophen, zum Ge-
dankenſpinner, zum verſchwiegenen Literaten, zum Träumer
und ſtillen Propheten ausgeprägt iſt. – Kurz und gut,
ich habe einmal ein Vierteljahrhundert in Klein-Aegypten,
uämlich im preußiſch-polniſch-jüdiſchen Städtchen „Duh -
ſelzwieſeln“ an der ruſſiſch-polniſchen Drewenz-Grenze
gewohnt, und mir iſt noch mitunter wüſte davon im
Kopf.
VIII
Aber man ſchläft und träumt daſelbſt wie ein Ratz
und den Winter über wie ein Dachs, und ſaugt da ſei-
nen Tatzen das Schmalz heraus, was man in der ſommer-
lichen Natur geſammelt hat, und läßt ſich die ſchönſten
Phantaſieſtücke und den köſtlichſten Winterpelz wachſen,
und hat an jedem Härchen ein Wintermärchen, etwa wie
an den Nadeln eines Weihnachtsbaumes Roſinen und
Mandeln aufgeſpießt ſind. – Im Frühjahr ſitzen die
Haare und die Winterträume noch ziemlich feſt, im
Sommer aber fallen ſie aus. Die Naturmärchen wer-
den flügge und nehmen die Seele auf ihre Schwingen.
Der Körper wandert zwar nur zu den offenen Thoren
von „Grün-Graſingen“ hinaus, aber die Dichtungen
und Gedanken fliegen über die ganze Welt. Und wenn
endlich wieder die Blätter fallen, die Herbſtwinde über
die Stoppel ſtreichen und die langen melancholieſchweren
Herbſttage kommen, dann wird der Märchenprinz (der
Stilldichter und Winkeldenker wollte ich ſagen) wieder in
einen Bären zurückgepaſcht; aber er liegt der Jung-
frau Poeſie im Schoße. Sie ſtreichelt und kämmt
ihn, und liebt ihn trotz ſeiner ungeleckten und rauchhaari-
gen Geſtalt, und macht ihre eigene Toilette in des Bären
Gegenwart, und ſtrählt ſich ihr goldiges Haar, und raunt
ihrem verzauberten Liebſten die ſchönſten Naturgeſchichten
ins Ohr! – Um aber ohne Poeſie und rein preußiſch zu
ſprechen:
Ich habe in Flachſenfingen die langen, regnichten, ko-
thigen, todesfinſtern, traumwüſten und nordiſch-ägyptiſchen
Spätherbſttage, – (Abende ſollte ich ſagen), mit dem Bür-
germeiſter, dem Apotheker, dem Doktor, dem Grenzkontrol-
leur 2c., in's ungeſchneuzte Talglicht geſchaut. Ich habe
IX *
X
zuweilen dieſes einzige trübe Reſourcenlicht lichtfreundlich
mit meinem Bischen Witz geſchneuzt; aber die Flachſen-
finger fingen doch nicht viel Feuer, und konnten ſich auch
nicht drauf einlaſſen, denn ſie trugen vaterländiſche Perücken
von Flachs.
Ich habe mir alſo auch eine dergleichen, mit einem
ordentlichen kleinſtädtiſch antediluvianiſchen Zopfe, auf das
in ſolchem Klima ſehr bedeutend entwickelte Occiput geſtülpt;
ich habe mit meinen Leidensgefährten und Kulturverſchwo-
renen Braunbier getrunken, mit ihnen um die Wette gegähnt
und den Kinnbackenkrampf ausgehalten, mich mit ihnen in Anek-
doten und ſchlechten Witzen übernommen, mit ihnen über
der langen Weile im Stillen gebrütet und ein herkömm-
liches: „Ja, ja, ſo gehts in der Welt,“ oder: „man wird
wohl ſchlafen gehn müſſen“ oder „da ſind wir mal wieder
beiſammen geweſen“ produzirt. – Ich habe mit den „Mum-
melburgern“ fraterniſirt und muſizirt; ich habe zwei heiſer
lamentirende Geigen auf einem Bierbaſſe oder Krugviolon
begleitet, nur um zu vermeiden, daß nicht ein Autochthone
mit dem naſſen Daumen den Baſſiſten machen möchte.
Ich habe alles Mögliche und noch etwas drüber hin-
aus für die Flachſenfinger Geſelligkeit und Kurzweil gethan;
– ich war ſogar daran, auf Brusbart und Galgenknaſter
anzubeißen, obgleich ich weder ſpiele noch rauche; da trat
der Genius meines Lebens vor mich hin und ſagte: „Menſch
bedenk dein Ende,“ aber nicht fürder in Hühnerhorſt;
du haſt bereits Pips und Mauſer überſtanden; du biſt für
eine höhere Staffel gereift. – Jetzt denke darauf, wie du
deine Lenden gürteſt, den Staub von deinen Füßen ſchüt-
telſt und nie wiederkehrſt. Damit du dies aber vermögeſt,
ſo ſchreibe dies Buch! – -
X
In demſelbigen Augenblicke erſchien vor meinen ver-
zückten Blicken der lichte Genius meiner Kindheit. Er hielt
eine Schrift in Händen, auf deren Titelblatt in farbeu-
glühenden und goldigen Lettern „Kindheit“ zu leſen ſtand.
Als ich erwachte, ſah ich, daß ich wieder einmal in
„Duh ſter-Duhſeln“ ſo ſchön geträumt. Aber diesmal
hielt ich den Traum feſte und machte Ernſt mit der Schrift-
ſtellerei, und fiel doch nicht aus meiner Rolle, ſondern in
den tiefſten Seelentraum, in den Mittelpunkt der Natur,
in „die heiligen Paradiesträume der Kindheit“
zurück und ſchrieb ſie nieder, und nannte ſie „Buch der
Kindheit,“ und verkaufte mein Bischen Hab und Gut,
und ging hauſiren mit meinem Manuſkript; unter andern
in Pregel- und Spree-Athen, und erhielt an beiden ſee-
lenvollen Orten die naive und tiefgefühlte Antwort:
daß mein Buch für dieſe profane Welt und Zeit viel zu
ſchade ſein dürfte und ſomit auch für den Druck. Endlich
fand ſich doch aber ein reellerer und derberer Sachkenner,
der es „gerade gut genug“ hielt und ſo nachdrücklich
empfahl, daß es ein Zweiter ganz materialiſtiſch mit
Louisd'oren honorirte, und dieſer Jemand war mein ehren-
feſter und freundlicher Verleger H. Zimmer in der ſchö-
nen, billigen und manierlichen Stadt „Frankfurt am
Main“. Und derſelbige reelle Manuſkriptenkenner und
Käufer bezahlte mir ſpäter mein Buch „vom Men-
ſchen-Daſein“, und weil ich eben ein Bischen nach
Aegypten reiſen wollte, pränumerando baar und blank,
und das war mein Glück. Ohne dieſes Geld wäre
ich keinesweges nach der Heimath der Träume des
Menſchen geſchlechts gekommen, denn Reiſen koſtet zum
erſten- und zum letztenmal und hinter allen andern Koſten,
XI
z. B. des eingebüßten Sitzfleiſches, der urväterlichen Ruhe,
Begnügſamkeit und Naivetät, immer noch wieder Geld.
Dies iſt ſo ein Stückchen Biographie, meinen verehr-
lichen Leſern auf die Köpfe geſchoſſen, damit ſie doch von
ihrem jüngſten Cicerone für Aegypten wiſſen: woher, wo-
mit, worin, woraus, warum und wie ſo! –
Wollte Gott, ich wüßte den Schuß in der Leute Herz;
denn nur mit herzigen Menſchen, mit guten Freunden lebt
und reiſet, lieſet, ſpricht und verſtändigt es ſich lebendig,
richtig, leicht und ſchön. Mit Gleichgültigen, Förmlichen
oder Uebelgeſinnten, mit Neunundneunzigklugen kommt
man beim beſten Willen und Rechte, wie bei den beſten
Talenten, nicht zu Rande und zu Stand.
Mein Aufenthalt in Aegypten war zu kurz, um mehr
als die unmittelbaren Eindrücke wiedergeben zu kön-
nen, die ich dort empfing.
Gelehrte Forſchungen mußten mir ferne bleiben; was
ich aber aus eigener Anſchauung kennen lernte und ſonſt
erlebte, das werde ich ehrlich und ſo viel an mir iſt zum
Beſten geben; gelegentlich auch das, was Andere geſehen
oder geſagt.
Die erſten Eindrücke ſind nicht ſelten die richtigſten;
die ſpätere Reflexion verdirbt oft mehr als ſie in Ordnung
zu bringen vermag. Länder muß man entweder im Fluge
ſehen oder ein halbes Leben lang ſtudiren, um eines ob-
jektiven Urtheils einigermaßen gewiß zu ſein.
In der Jugend und Eile täuſcht uns die Sinnlichkeit,
und im Alter mit Zeit und Weile täuſcht uns der
Verſtand! –
XII
Zeit und Nachdenken machen unſere Urtheile billiger
und vielſeitiger, aber charakterlos und blaß. – Die ſitt-
liche Indignation, gleich wie die Begeiſterung, gehören
dem erſten, herzlichen, lebensinbrünſtigen, divinatoriſchen
Verkehr mit den Menſchen, den Dingen und Geſchichten
dieſer in ſo wunderbaren Gegenſätzen prozeſſirenden Welt.
Dieſe Wahrheit iſt es, die ich im Allgemeinen zur
Erklärung und Entſchuldigung meiner Art und Weiſe
anführen will, daß ich dabei immer noch die Nachſicht der
wirklichen Sach- und Fachverſtändigen erbitten muß, ver-
ſteht ſich von ſelbſt. –
Thorn an der Weichſel, 5. Januar 1853.
Inhaltsverzeichniß.
Seite
Widmung.
Vorwort.
Ein Wort über das Reiſen . . . . . . . . . . . 1
Abfahrt von Trieſt und Auf dem Meere . . . . . 4
Corfu - - - - - - - - * • • 8
Alexandrien . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Erſter Anblick und Eindruck. – Ausſchiffung. – Kleine Aben-
teuer mit den Eſeljungen und Waſſerſchläuchen. – Der
Bakſchieſch. – Erſter Eindruck vom Gaſſenleben. –
Die bella Venezia. – Gaſthaus-Reminiszenzen von weſt-
preußiſchen Immediatſtädten. – Rumpelkammern und al-
legoriſche Rummelei in Alexandrien und in der gan-
zen Welt. – Allgemeine Skizze von Alexandrien. –
Arabiſche Konverſation mit den Eſeljungen. – Lichten-
berg und Frau Angelika Kaufmann in Venedig. – Erſtes
Flaniren zu Eſel in Alexandriens Gaſſen und Plätzen. –
Ein geſchorenes Kameel. – Eine Verlobungs- und Be-
ſchneidungsfeierlichkeit als Straßenprozeſſion. – Differen-
zen und Mißverſtändniſſe zwiſchen dem Eſeljungen und dem
Autor. – Experimente zu Fuß aufs Gerathewohl. –
Ausbeuten für die erſte wüthende Neubegier im Bazar 2c.
und in den Gaſſen der Profeſſioniſten. – Rencontre mit
einem arabiſchen Schulmeiſter. – Ein Kaffeehaus. –
Marktplätze. – Brunnen und Waſſerräder. – Gärten und
Gartenmauern. – Ein Brunnenheiliger. – „Wo die letz-
ten Häuſer ſtehen.“ – Mahlmühlen und Lumpenbeduinen
– und eine Hundeſündfluth. – Ein neu ausgegrabener
Sarkophag. – Eine Kleopatra zu Pferde.
XIV
Seite
Ausflucht nach den Gabarrigärten . . . . . -18
Szenerie von Plätzen. – Der Mahmudikanal und ſeine Al-
legorie. – Niſchnei-Nowgorod. – Ein Geſicht von der
ägyptiſchen Staatswirthſchaft. – See Mareotis. – Aleran-
drien ein Hydrarchos. – Ein Ritt durch die Alleen, die zu
den Gabarrigärten führen. – Der Said-Paſcha zu Roß. –
Ein Odaliskengarten. – Zweite Ausflucht zum Mareotis-
ſee. – Ein Ritt auf einem Damm in der Niederung des
Mareotis. – Aegyptiſche Gartenarbeiter. – Eine ägyp-
tiſche Waſſerleitung. – Eine Meduſenmoſaik als Aegyp-
tens Symbolum.
Pompejus-Säule . * - - - - - - - - - - - -
Gelehrte Notizen. – Welche Philoſophie die Säule predigt.
Harmonie und Maß ein Weltgeſetz. – Der Eſeljunge
paßt als Bild auf die Säule. – Narrenhände beſchmieren
Tiſch und Wände, auch Säulen und Pyramiden.
Tagebuchsnotizen in Alexandrien . - - - - - -
Alexandriniſche Bibliothek. – Ein italieniſcher und ein dent-
ſcher Flickſchneider. – Eine Matratze. – Einkäufe für
eine Nilreiſe. – Klein Geld in Aegypten. – Aegyptiſche
Praxis und Technologie. – Mahlmühle. – Aegyptiſche
Paſſivität und Temporiſiren. – Büchſenſchäfter. – Holz-
hauen und Bauen. – Artillerie, Pfeifer und Trommelſchlä-
ger. – Thürſchloß von Holz. – Technologie im Ar-
ſenal. – Aegyptiſches Dampfſchiff. – Aegyptiſche
Induſtrie. – Analogie zwiſchen Aegyptern und Juden.
– Lebensbedürfniſſe, Waaren und woher ſie bezogen
werden. – Oelfladen. – Preiſe der Lebensmittel. –
Liebesäpfel und Pettingani. – Peccafigi. – Kaktusfeige. –
Wildſchwein. – Die Fauna und Flora. – Kamäleon. –
Konfituren und Bananen. – Abhanden gekommene Na-
turprodukte. – Saubohnen. – Das Kameel. – Das -
arabiſche Pferd nach Lamartine. – Der Vergnügungsort
Maharembeh. – Eſel und ihre Treiber. – Branntwein-
trinken in Alexandria. – Die Einäugigen. – Die Schleier
der Weiber. – Die junge Frau eines Barkenreis. –
Geldgier-Anekdote. – Abgewieſene Philoſophie. – Tracht
und körperliche Kraft. – Negerinnen und Neger.
Italieniſche Landwirthſchaft . . . . . . . . . .
Zimmerkomfort und Einrichtung. – Baulichkeiten. – Kanal-
niederung. – Landgarten- und Berliner Thiergarten-Etabliſ-
ſements.
Eine arabiſche Nacht auf dem Mahmudikanal . . . 107
Die Abendfahrt. – Ein Beiramfeſt. – Die Mücken halten
auch ein Feſt. – Aegyptiſche Lebensarten bei Eventuali-
täten mit der Barke. – Bezugnahme auf die chriſtliche
Religion.
XV
Seite
Paradieſes- und Hadesſzenen an den Schleuſen in Atfeh . 110
Eine Reiſephiloſophie. – Erſter Anblick des Nils und ſeine
Szenerie. – Lebensarten der Schiffer an den Schleuſen,
mit daran geknüpfter Philoſophie.
Aegyptiſche Architektur auf dem Dorfe e. . . . . .
Erklärung derſelben aus dem ägyptiſchen Charakter. –
Muſterdörfer. – Verunglückte Neuerungen im Bauen zu
Alexandria. – Die Baulichkeiten ſpiegeln das Eingeweide
der Aegypter zurück.
Schibbelchit, ägyptiſche Lebensarten und Liebenswürdig-
keiten . . . . . . . . . . . . . . . . .
Eine Notiz über Araber und Aegypter von Lepſius. – Jahr-
markt in Schibbelchit. – Ein Hausvater, der ſeine Hütte
baut. – Die Aegypterin eine Kuchenbäckerin. – Unem-
pfindlichkeit des Fellahweibes gegen Schmutz. – Scham-
loſigkeit des Fellah. – Verſuchte Entſchuldigung aus der
Naivität. – Taſchenſpieler und Bettler und ihre Gri-
maſſen. – Rückblicke auf die heilige Schrift, alten wie
neuen Teſtaments. – Der Aegypter ein Krakehler. –
Barkenſchiffer und ihre Art und Weiſe. – Chineſen. –
Arabiſche Schrift und Sprache.
Kahira . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Erſter Anblick der Pyramiden. – Der Weg von Bulak nach
dem Frankenviertel. – Ezbekiehplatz. – Große Hotels. –
Allgemeine Umſchreibungen Kahira's. – Hiſtoriſche Erin-
118
127
nerungen. – Kahira's Topographie und Statiſtik. –
Foſtat. – Das Kapitel von den Uebertreibungen der Rei-
ſen aus künſtleriſchem Geſichtspunkte ventilirt. – Ich
mache mich noch Abends auf die Gaſſen von Kahira hin-
aus. – Das erſte Erwachen in Kahira. – Kopfüber in
das Gaſſenlabyrinth geſtürzt und den Rahm der Abenteuer
abgeſchöpft. – Die Meſchrebijehs oder Balkone. –
Erſter Eindruck der Architektur. – Die inneren Höfe und
Kaufläden. – Eine Menagerie. – Die Giraffe. – Ein
junges Nilpferd. – Wikabehs Hallen der Kaufleute. –
Die Architektur verglichen mit der gothiſchen. – Die
Minarets. – Menſchenſtrudel und Abenteuer in demſel-
ben. - Eventualitäten. – Aegyptiſche Polizei. – Die
Waſſerſpenden in Kahira. – Notizen aus dem Hadra-
maut. – Reitende Damen und die kahiriniſchen Hunde. –
Ein wüthendes Fellahweib vor der Kaufbude. – Grazien,
Kothfladen auf dem Haupte balancirend. – Silbergroſchen-
buden in Kahira. – Poſſenreißer, Märchenerzähler, Baja-
derenphantaſieen, Ausrufer nach H. Schubert. – Eßwaa-
ren auf der Gaſſe. – Die Mueddins und ihre Gebete von
den Minarets.
_XV
Die Citadelle . . . . . . . . . . . . . . . .
Erſter Eindruck. – Die maſſakrirten Mamelucken. – Der
Juſſufsbrunnen. – Ausſicht.
Die Kalifengräber
Die Haſſansmoſchee .
Der verſteinerte Wald .
Eine Kindheiterinnerung.
Die Wüſte eine Mutter der arabiſchen Phantaſie und
Kunſt . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Wüſte -
Heliopolis . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ein Morgenritt. – Hiſtoriſche Reminiszenzen. – Altägyp-
tiſche Theoſophie. – Schlußbetrachtungen. – Sonſt und
jetzt.
Schubra und Roda .
Adieu an Kahira . -
Die Pyramiden . . . . . . . . . . . . . . .
1) Der Ritt zu den Pyramiden. – Szenen in Foſtat
und beim Ueberſetzen über den Nil. Erſter Eindruck in
der Nähe. -
2) Materielle Notizen. – Maße u. dgl. – Der
Sphinx. – Das Eingeweide der Pyramiden.
3) Ausſicht von der Cheopspyramide. – Die Che-
phrenpyramide. – Die Pyramiden des Mykerinus. – Die
Brunnen. – Unterirdiſche Gänge zwiſchen dem Sphinx,
den Brunnen und den Pyramiden. – Beſchreibung des
Sphinx im gegenwärtigen Zuſtande.
4) Die Beſteigung der Pyramiden. – Oben. – Re-
flexionen und Empfindungen. – Die Nilniederung und
die libyſche Wüſte.
5) Nüchterne Auffaſſungen. – Aegyptiſche und mo-
derne Baukunſt.
6) Symbolik und Ausdeutung der Pyramiden, mit
Zuhülfenahme der deutſchen Münſter.
7) Lepſius über das Labyrinth und den See Möris.
Auf dem Nil - - - - - - - - - - - - - -
Abfahrt von Kahira. – Oekonomika. – Proviant. – Klein
Geld. – Schwäbiſches Zureden. – Dogana. – Zur Phy-
ſiognomie der Gegend. – Wieſen, Gebirge und Grabkam-
mern im Zuſammenhange mit der Spektakelwuth der Ae-
gypter. – Eine Nil-Paradiesſzene. – Die Waſſerräder
und Schöpfanſtalten. – Geier, Störche und Tauben. –
Kaffeekochen und Stoßen. – Waſſerkrüge und Klären des
Nilwaſſers. – Das Dorf Bibbe ein Labyrinth und Ha-
des von Wirrwarr und Schmutz. – Dattelbäume und ihr
Seitc
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216
XVII
Erſteigen. – Waſſervögel. – Waſſerratzen. – Milräuber
-
. G
und eine Attaque mit ihnen. – Deutſche Handwerksge-
ſellen und ihre Naturgeſchichte.
(Stylbeluſtigungen.)
Ein kleiner Dialog zwiſchen dem Autor und zwei Schnei-
dern auf dem Nil. – Eine Schneiderphantaſie vom Affen-
berge in Algier. – Desgleichen von einem Monſtrum in
Syra. – Desgleichen von dem erſten Eindruck Algeriens. –
Analoge Momente zwiſchen einer ägptiſchen Reiſe und dem
deutſchen Styl.
elohſoleh, ein Dorf am Nil. – Nilſtrudel. – Wir werden -
ins Trakſeil geſpannt. – Dschebel elter. – Koptiſcher
Pope. – Aegyptiſche Landwirthſchaft. – Der Schneider
und der junge Löwe in der Durah: – Daß nur ſo „ge-
knahſtert“. – Fahrt bei Mondenſchein. – Minyeh bei der
Nacht und am Tage. – Zur Charakteriſtik des Landes und
malteſiſcher Dolmetſch. – Meine Ausrüſtung für die
Klimas. – Sittlicher Profit in Aegypten. – Korrektionen
fürs ganze Leben. – Ein arabiſches Thürſchloß und Bal-
kon zu Minyeh. – Girgeh und ſeine Ufer. – Ein ägyp-
tiſcher Buchhalter, Schnapswirth und Koch zu Ä.
Experiment ins Innere von Minyeh einzudringen. – Ein
Fahrt nach Theben. – Todesangſt auf dem Nil. – Waſ-
ſervögel auf dem Nil. – Abendſzenen. – Experimente im
Arabiſchen. – Zum arabiſchen Ä Unverſchämt-
heit und Haderſucht. – Chriſtus ein Friedensprediger. –
Aegyptiſche Kontraſte. – Ein Effendi. – Pflügen mit
Kameelen. – Kleines Abenteuer. – Kopten. – Waſſer-
Ä. – Durchſichtigkeit der Luft. – Ein kleines Kroko-
dill. – Die Bibel auf dem Nil. – Achmihm. – Nacht-
fahrt. – Todesangſt. – Szenerie. – Verlorne Hemden. –
Arabiſche Gemüthlichkeit. – Träumerei im fremden Welt-
theil. – Eine Sturmfahrt. – Zur Naturgeſchichte der
Barkenſchiffer. – Engländer auf dem Nil. – Hunde. –
Die Töpferei und der Thon in Aegypten. – Barken-
ſchifferei und ihre Eventualitäten, Ausrüſtung 2c. –
Waſchökonomie und Profit jeder Robinſonade. – Nutzan-
wendungen und Selbſtkorrektionen. – Gerechtigkeit kommt
nicht aus dem Geſetz der Natur. – Schwärmerei für Ak-
ten, Polizei und andere Anſtalten wie Apparate der Zi-
viliſation. – Büffel. – Kenneh, Empfehlungen. –
Nacht beſuch in Kenneh. – Die Löſung der Nachtmy-
ſterien bei dem Apotheker. – Die Ä Geſchichten
und ihre Wahrheit in Aegypten. – Die Ratten in der
Wüſte bei Alexandria. – Die Läuſe, Flöhe und Wanzen.
– Man nimmt ſich überall hin mit. – Waſſerkrüge, die
nicht mehr zu Waſſer gehen. – Sänger und Geſangswei-
#T Abgehauene Daumen. – Eine Rieſeneidechſe. –
eVeN.
xvin
Der Tempelpalaſt in Kurnah
Zur Orientirung in Theben.
Die Memnonsſäulen . . . . . . . . . . . . .
Die Szenerie. – Allegorie und Phantaſie von den Säulen. –
Die alte und die moderne Phantaſie und Baukunſt. –
Poſitive Notizen über die Bildſäulen in ihrem gegenwär-
tigen Zuſtande. – Der Granitkoloß Rhamſes III. – Die
klingende Säule. – Inſchriften und Erklärungen des Wun-
ders. – Ein Portikus mit Pylonen.
Medinet-Habu .
Die Königsgräber
Notizen von Lepſius.
Luqſor .
Karnak - - - - - - - - - - - - - - -
Einleitung von Lepſius. – Vorflug. – Ein Thor von Kar-
nak. – Der Rieſenſaal. – Die Cella. – Das Granit-
thor. – Die Sphinxallee. – Bildſäulen der Bubaſtis.
Sic transit gloria mundi.
Altägyptiſche Sprache und ihre Hieroglyphenſchrift
Seite
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401
409
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Ein Wort über das Reiſen.
Reiſen heißt durch Kommen und Gehen, durch ver-
gnügliches Zuſammenſein und Lebewohl die Eindrücke
vervielfältigen, welche der Gang eines angeſeſſenen
Leßens nur in ſeltenen Abſchnitten darbietet, es heißt
hundertmal im Jahre, die Fälle des gewöhnlichen
Lebens erfahren; Weſen, welche die Vorſehung auf
unſern Weg führt, kennen zu lernen, lieb zu gewinnen
und zu verlieren. Abreiſen iſt wie ſterben: wenn
man jene fernen Länder verläßt, wohin das Geſchick
den Reiſenden nicht zweimal führt. Reiſen iſt: ein
langes Leben in wenig Jahre zuſammenfaſſen; eine
der ſtärkſten Uebungen, die der Menſch ſeinem Her-
zen, wie ſeinem Verſtande auflegen kann. Der
Philoſoph, der Politiker, der Dichter ſollten viel
gereiſt ſein. Aenderung des moraliſchen Horizontes
iſt Aenderung der Ideen. –
(L am a rtine's Reiſen im Orient.)
Das dilettantiſche Reiſen iſt ſo ein Luxus, wie der Verkehr
mit hochgebildeten und hochgeſtellten Leuten; mit Schöngeiſtern,
Gelehrten und Genies; – man kann auch anders beſtehen.
Der Himmel wölbt ſich über allen Ländern, die Wunder der
Natur in Tages- und Jahreszeiten ſprechen an allen Orten zum
menſchlichen Herzen, – und innerhalb dieſes Herzens – in
Liebe, Glaube und Leidenſchaft – iſt der älteſte und jüngſte, der
ungebildetſte, der gewöhnlichſte und geringſte Menſch ein Urmenſch,
1 -
- - - - - -
->. *. 2-
?
ein Adam, ein Chriſtenmenſch, ein Genius, ein Seher, ein Dichter,
ein Original, ein Märtyrer und ein Held –!
Die Natur und der Menſch bleiben ſich in ihren Grundzügen,
ihren Elementarprozeſſen, ihren Geſchichten, ihrer überſinnlichen
Zeichenſchrift und ewigen Bedeutung – unter allen Himmelsſtrichen,
auf allen Alters- und Bildungsſtufen und in allen Weltaltern
gleich! – Aber dieſe Gleichheit ſchließt keineswegs die Man-
nigfaltigkeit aus – ſondern ein.
Die Heimath übt erſt am Gegenſatz der Fremde den vollen
Reiz auf das menſchliche Gemüth. – Die Formen und Prozeſſe
des Daſeins, mit denen wir alle Tage verkehren, laſſen uns gleich-
gültig und wiegen zuletzt unſere innern und äußern Sinne in
Schlaf, – bis ſie ein fremder Himmel, eine nie geſehene Natur-
und Menſchenwelt zu neuem Daſein erweckt, und wir durch den
Vergleich und Kontraſt – die heimathliche, die uns von Kin-
desbeinen zugebildete und zugewöhnte Welt von Herzen und mit
Schmerzen verſtehen –! –
So gehen Bruder und Schweſter leidenſchaftslos, oft lieblos
neben einander her, – und doch entzündet die verſchloſſenen Sinne
oft ein einziger Blick aus fremden Augen, entfeſſelt er alle Lei-
denſchaften eines kühlen Herzens; – und nun geſchieht es: –
daß ſich die Geſchlechter erkennen, daß der Mann in dem Weibe
eine Eva, und daß das Weib im Manne einen Adam erblickt. –
Wie wir alſo außerhalb des Elternhauſes, – die Geliebte
zu ſuchen gehen, – wie wir in der Fremde unſer Handwerk,
oder unſre Kunſt und Wiſſenſchaft, wie wir in weiter Ferne
unſer Vaterland, unſre Sprache, die Menſchheit und unſer
ganzes Herz erſt recht verſtehen, – ſo begreifen und erkennen
wir auch, unter einem andern Himmel, in ſeinen Wettern, in
fremden Jahres- und Tageszeiten die göttliche, die übernatürliche
Bilderſchrift, die volle Schönheit und Bedeutung, – die Seele
Ein herzenseinfältiger Menſch beſteht auch ohne Reiſen ganz
wohl. Mit dem „ora et labora“ macht man die Reiſe um die
Himmel und zum Mittelpunkte der Welt. Ein herz- und gewiſ-
ſenloſer Menſch wird vollends nichtswürdig, glaubens - und
charakterlos in der Fremde; ein Beſchränkter: „vertümmelt“,
anmaßlich und konfus. Ein geſcheiter und herziger Menſch
aber, ſchäumt und klärt ſeinen Geiſt und erweitert ſeinen Herzpunkt
zu einer peripheriſchen Weltempfindung, zu einem Gemüth, in
welchem ſich die Vernunft einzufleiſchen vermag, welche bei
ungereiſeten Gelehrten, der Seele und Sinnlichkeit, oft nur paral-
lel zu laufen pflegt und ihnen zufolge keine Fakultät genannt wer-
den ſoll. So ungefähr kann man Reiſebildung und Verbildung
formuliren. Das Leben ſelbſt aber prozeſſirt in und über aller
Formulirung oder a priori'ſchen Konſtruktion; – denn ſeine Fak-
toren ſind das Feſte und das Flüſſige, Abſolutismus und Libera-
lismus, Freiheit und Geſetzlichkeit, Natur und Geiſt, Grammatik
und Poeſie zugleich. Alles, was die Weiſeſten ſo ſagen und
konſtituiren, wird von der Natur- und Weltgeſchichte mit Varia-
tionen aufgeſpielt, auf daß die Thoren nicht lauter
Nieten ziehen und der alte Gott, der ewig Gerechte und
Unpartheiiſche bleibt!
Abfahrt von Trieſt und auf dem Meere.
Trieſt ſieht ſo kaufmänniſch aus, als müßte man
gleich Galeerenſklave werden, falls man ſeinen Geld-
beutel verliert. Man ſpricht hier nicht, man zahlt.
Die alte Stadt, mit einem illyriſchen Bettelgeſicht.
kriecht höher nach dem Berge hinauf, um das Kaſtell
her, ignorirt von den neuen ſteinernen Fremdlingen.
– Handelsſtädte und große Gelehrte muß man aus
der Ferne anſehen.
(Laub e's Reiſe-Novellen.)
Den 29. September 1849 auf dem öſterreichiſchen Lloyd-Schiff,
welches nach Alexandrien hinüber fährt. Ich muſtre die Paſſagiere,
und werde gemuſtert; alſo wieder die Welt im Auszuge, und dies
ſo recht der Begriff des Lebens auf einem Schiff. Ein garſtiger
Kerl von altem Engländer diktirt mir unwiſſentlich die nachfolgende
Notiz:
„Man kann wohl alt werden, aber nicht mit Zügen wie ein
alter Schimpanſé oder Mandrill. Man muß Gxemplare dieſer bla-
ſirten, engliſchen Travellers in Augenſchein nehmen, um zu erfahren,
bis zu welchem Grade das Menſchenantlitz, das Ebenbild Gottes, ver-
zerrt werden kann: der in Rede ſtehende Paſſagier hat Augen, die ſeit
undenklichen Zeiten keine Augen und am wenigſten Seelenſpiegel ſind;
– ſondern wie ein Paar Stückchen Gallerte, oder wie krepirte Fiſch-
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augen ausſehen. Dann ziehen ſich von den Naſenflügeln bis zu
den Mundwinkeln zwei Falten wie an einem alten Schlafrock
herab. Ein Menſch kann freilich alt werden und alt ausſehen, aber
doch wie ein alter Menſch, nicht wie ein Leder auf der Stange,
und darf nicht Falten kriegen wie ein Rhinozeros, und nun vollends
wie ein Schlafrock, dem das Oberzeug eingekrumpfen und das
Futter herausgebeutelt iſt; pfui! das kommt von einem ab-
ſcheulichen Materialismus her.“ – - -
Cras iterabimus ingens aequor.
Das Meer iſt wie der Himmel und wie die ganze Natur. –
Es ſpiegelt alle Farben und bleibt keiner getreu; es iſt das Man-
nigfaltigſte und doch das Einfachſte, das Ruhigſte und Unru-
higſte zugleich; – das Paſſivſte und eine heilloſe Aktivität. Es
erzeugt Schäume und Wellen auf Wellengebirgen, und löſt alle
Geſtalten jeden Augenblick in ein Nichts. Auf der Oberfläche
ewig bewegt, herrſcht die Ruhe auf ſeiner Tiefe wie am Himmel, der
dieſe Meereswaſſer in Ebbe und Fluth bewegt. Sie ſcheinen
himmelblau, ſmaragdgrün, wie Beryll, und dann wieder ſchwarz
wie die ſtygiſchen Gewäſſer, und wenn ein Zephyr dieſe Urwaſſer
kräuſelt, ſo überzieht ſich jede Welle mit Wellenſpielen, die ſich dem
Auge darſtellen wie Melonengeflecht.
In jeder Mondnacht iſt jedes Schiff ein Geiſterſchiff. Der
Mond ſteht bleich am Himmel; – der Steuermann wie ein Ge-
ſpenſt oder ein Zauberer an ſeinem Rade, mit dem er das Steuer
und das Schiff lenken muß. Ein Paar Geſtalten in Capuzenmäntel
verhüllt, halten die Wacht, ſonſt iſt Alles ſtille und todt.
Und das Meer ſtört dieſe Todtenſtille nicht, und iſt mit
ſeinem gleichförmigen Brauſen, nur die Sprache der Waſſerwüſte,
der Welteinſamkeit, des Geiſterſchweigens, das Nachtönen der
Stimme Gottes, des „Werde“, welches die Schöpfung ins Da-
ſein rief. -
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Und ſo haben dieſe Wellen ſeit Anbeginn der Schöpfung ge-
rauſcht; und es ſind dieſelbigen, welche in der Sündfluth die Menſch-
heit verſchlangen, und ſo fluthen und rauſchen ſie, bis zum jüng-
ſten Tag! –
Es iſt etwas Ungeheures, auf fernem Meere, in fremder Zone,
umgeben von einer großartigen Naturſeenerie zu ſein –: aber auf
der Höhe der Pyramiden oder des Himalaia, wie im Krater des
Aetna, nimmt der Menſch ſeine Perſönlichkeit mit. Er ſetzt ſich
ſchwerlich eine Linie zu, aber eben deshalb kommt er vielleicht nur
ſcheinbar unter ſein natürliches Maaß. Gewohnheit ſtumpft die
außerordentlichſten Scenen und Vorſtellungen ab. Man ſchläft,
durch eine Plankenwand vom Meere und vom Tode getrennt; man
wird von dieſem Meere eingewiegt, und ſchläft zuletzt ſo ruhig wie
zu Hauſe im eigenen Bett. –
Man meint zuvor, nicht faſſen zu können, unter fremdem
Himmel, in einem neuen Klima zu ſein, und iſt zuletzt wie daheim,
oder eigentlicher geſagt: man gewöhnt ſich wohl ſchnell genug an
die Fremde, und an die Vorſtellung, im andern Welttheil zu ſein,
aber man begreift das Wunder der Welt und ſeines Selbſt ſo wenig
in der Fremde wie zu Haus. –
Mütter ſagten mir einmal: es mag ſo ſcheinen, als wenn wir
über das Wunder, Kinder geboren zu haben ganz beruhigt ſind,
uns ſelbſt ſcheint es einige Zeit ſo; aber in vielen Augenblicken faſ-
ſen wir es in keine Wege, daß ſolche ſelbſtſtändige Weſen von unſrer
Seele abgezweigt, und wie ſie unſer eigenes Fleiſch und Blut ge-
worden ſind. Es iſt unbeſchreiblich, wie einer jungen Mutter zu
Muthe iſt, wenn ſie nun in der Stille der Nacht erwacht, und bei
Lampenſchein, aus der Wiege des erſten Säuglings, zum erſten-
mal von zwei Augen angeblickt wird wie vom Andern ihres
Selbſt!
Natur und Einſamkeit erziehen Weltreformatoren und große
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Verbrecher. Auch das Meer bildet Helden, kräftige, biederſinnige,
freie Männer; und rohe, thieriſch entartete Matroſen. Die bloße
Natur wird Beſtialität, und die bloße Uebernatürlichkeit wird Un-
natur und Wahn. *-
Der Menſch ſoll eben die Verſöhnung, die Ineinsbildung
ſein: von Materie und Geiſt, von Gott und Thier, von Natur und
Uebernatürlichkeit. –
In einem Faktor allein iſt die volle Wahrheit nie, ſondern
in der lebendigen verſöhnten Mitte, die in den Extremen wiederge-
boren wird; – in dem regelmäßigen Wechſel von Ausdehnung und
Zuſammenziehung, von Leben auf der Peripherie und im Punkt, –
von Vernunft und Herz, von Ebbe und Fluth. –
Wie uns aber die durchgeiſtigte, die wahrhaft gebildete Natur
das veredelte, vernunftgezügelte, wenn auch ungeſchulte Herz
treibt, ſo müſſen wir vorzugsweiſe ſein; und dieſe Doppelnatur
iſt in jeder Seele eine andere, und dennoch dieſelbe in dem einigen
Geiſte Gottes, der in allen Menſchenkindern derſelbige iſt, von
Anbeginn der Welt, bis zum Weltende.
Was hat man in den Jugendjahren Alles von den griechiſchen
Inſeln in der warmen, ſtillen, Südfrüchte reifenden Luft des Bin-
nenmeeres geträumt, welches drei Welttheile an ſeinen Ufern ver-
eint! – Heute liegt nun eines der ſchönſten und fruchtbarſten jener
paradieſiſchen Eilande, in demſelben Meere, auf welchem Odyſſeus
umhergetrieben wurde, im Funkeln einer glorioſen Morgenſonne,
vor meinen durch Einbildungskraft faſt närriſch erhitzten Sinnen:
und die Wirklichkeit hält diesmal der Phantaſie, den tauſend Ueber-
lieferungen und Fabeln Wort!
Auch der Dichter, der Landſchaftsmaler muß eingeſtehen, daß,
falls ſeiner Seele oder Querköpfigkeit, ein anderes Bild von Corfu
vorgeſchwebt hat: – das wirkliche darum nicht minder reizend
erſcheint.
Ja, hier iſt das nackte Daſein, das bloße Athemholen eine
Wolluſt und Glückſeligkeit. – Die Meereswaſſer ſind flüſſige
Smaragde und Saphire, welche die Sonnengluth, vom blauen
Himmel und von der grünen Erde abgeſchmolzen hat. Es iſt ein
Schimmer und Geflimmer, ein elektriſches Wellenzittern, eine Magie
in den Lüften, auf den Licht getränkten Wogen, welche im ſchneeigen
Giſchte ihre Buhlerei mit Sonne und Aether ausſchäumen: – daß
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die Seele trunken und taumlig werden muß. Und in dieſem natur-
heiligen Rauſche, wenn alle Sinne mit den himmliſchen Elementen
ins Nichts zerrinnen wollen: da deucht es dem Abenteuernden, wie
wenn das in blauen Duft gehüllte Amphitheater von Oel- und
Cypreſſenbergen, dem Schiffe entgegenkämen, es in ſeinen Schooß
aufzunehmen –: ein ſchwimmendes Paradies! –
Aber auch dieſes irdiſche Eden, wo Milch und Honig fleußt,
und gleichermaßen Wein und Oel, hat doch nicht Oel genug, daß
es alle Sturmwellen glättete. -
Und, wenn man mit ruhigen Blicken, über die bepflanzten
Vordergründe hinwegſchweift, ſo ſtarrt da am ätherblauen Ho-
rizonte, ein Gebirge von nacktem, zerklüftetem, brennen-
dem, unbarmherzigem Geſtein! –
Eine glückliche Weile dauerte gleichwohl die Täuſchung und der
ſchöne Schein. Ja, der Zauber wurde noch erhöht, als von den
zierlichen und ſchönen, mit Zeltdächern geſchützten Fahrzeugen,
die in der Nähe und Ferne blinkten und flaggten, auch leicht ge-
baute, und leicht geruderte Gondeln, mit den viel verheißenden
Produkten des Landes auf uns zufuhren. Ich träumte mich auf
dem ſtillen Ocean vor Otaheit, auf der Weltumſegelung mit George
Forſter und Cook. – Die Corfioten brachten Truthühner, Enten,
Tauben, Trauben, glatte, goldgelbe Waſſermelonen, (ganz wie
unſere nordiſchen Kürbißungeheuer anzuſchauen); desgleichen
Aepfel, nebſt unſern vaterländiſchen Kartoffeln und Gemüſen, die
man ſo fern von der Heimath, keineswegs mit proſaiſchen Augen
anſchaut, ſondern vielmehr eben ſo naiv gemüthlich, mit den Süd-
früchten zuſammenzählt und leidet, wie die unausſprechlich „däm-
lichen“ und proſaiſchen Puthen, mit den ſchönen Krepper-
Tauben, die um ihrer wunderlieblichen Geberdung und Geſtalt,
ſo die rechten idylliſchen Staffagen und Paradiesvögel ſind;
ſelbſt wenn man nicht an Amor und Venus, an Turteltauben, an
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Taubenherzen, an Brieftauben, an die Taube mit dem Oelblatte
und an die Pfingſttaube denken will.
Für eine Abkühlung iſt aber hienieden, bei jeder poetiſchen oder
phantaſtiſchen Gelegenheit geſorgt. Auch diesmal blieb die Reaktion
nicht aus. Während ich im Uebermaaße des Entzückens, den Baſt
von den Händen ringen wollte: ſaßen ein halbes Dutzend feiner
Damen, an einem großen runden Tiſche unter dem Verdeckgezelte,
und ſtrickten, und ſchneiderten, und pfriemten an Schuhen; und
wichſten Zwirn, und ſchnitten gemüthlich zu, und kümmerten ſich
ſolcher Geſtalt um den Paradies-Ausſchnitt und Ausverkauf vor
ihren Augen keinen Deut. Sie hatten nämlich die ägyptiſche Tour
von Trieſt nach Alexandrien ſchon ein paarmal gemacht, und dabei
ihre Bewunderung verbraucht. – Der Maſchiniſt erklärte mir das
als Antwort auf meine Ereiferung über die gräuliche Schneiderei
unter griechiſchem Himmel; und ſetzte mit großer Seelenruhe hinzu:
Man wird ja Alles gewohnt; ich fahre auch nicht mehr über ſchöne
Ausſichten aus der Haut, und falls ich es zu Stande brächte, was
hätt' ich denn davon, als ein Elend, wenn ich wieder in meinen
Oel- und Fettdunſt zurückfahren muß. – Für unſer Einen iſt das
Paradies doch nicht gewachſen, ſo macht man ſich mit der Bewun-
derung nicht erſt zum Narren. Man muß Alles aushalten können,
alſo auch die Begeiſterung meine ich. – Unſer Konrektor ſagte den
Jungen, die zu oft anzeigten, ſie könnten es nicht mehr aushalten:
„Na denn haltet es ein“; und das wird wohl in vielen Stücken
das Richtige ſein. – Dieſe Maſchiniſten-Philoſophie läßt noch heute
meine Begeiſterung ſchwächer gehen, und ſo kann ich mit ziemlicher
Gemüthsruhe berichten, daß jener travellernde Inglisman mit den
gemüthlichen Schlafrocksfalten im Gottes ebenbildlichen Antlitze,
Angeſichts jener paradieſiſchen Scenerieen, ſeine Schimpanſe-Viſage
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in ein großes Buch geſteckt und auch nicht früher herausgebracht
hat, als bis wir weiterhin vor der Stadt und Feſtung Corfu an-
langten, um derentwillen der Literaturverherte gleichwohl nicht von
ſeiner Lektüre abſolvirt worden iſt, ſondern weil es vor der
Feſtung ſechs engliſche Linienſchiffe anzuſchauen gab. –
Dieſer Vaterlandszauber und die an ihn gebundene Natio-
nal-Parole und Politik beſiegten alſo ſelbſt die unverwüſtliche,
weil angeborene Pedanterie und Geſchmackloſigkeit. Der
Engländer ſagte der aſchgrauen Büchertheorie Valet, und klammerte
ſich an des Lebens goldengrünen Baum, der ihm in dem vorliegenden
oder vorſchwimmenden Augenblick ganz und gar ein engliſcher
Maſtbaum zu ſein ſchien. Eben um dieſer liebenswürdigen Ver-
wechslung von Vaterland und Welt, von Nationalehre und Privat-
ehre, von Maſtbaum und Lebensbaum, – von engliſcher
Marine und Lebenspoeſie: verzieh ich dem garſtigen Patron die
Pedanterie und die Schlafrocksfalten im Geſicht. In derſelben
Zeit aber hatte ſich auch ſchon ein Erſatzmann in der Geſtalt eines
„alten Franzoſen“ eingeſtellt. – Der ausgedörrte Narr (ein
Kerl wie der Schwiegervater von einem Stockfiſch anzu-
ſchauen) verglich jetzt die Wirklichkeit mit ſeiner Buchbeſchreibung ſo
gewiſſenhaft ſkrupulös, als ob dies und nichts Anderes ſein Reiſe-
zweck ſei. – Daß in ſeinem Guide auch zufälliger Weiſe die eng-
liſche Flotille mit 90 und 120 Kanonenſchiffen geſtanden hat,
glaube ich nicht. –
Die Schiffe gewährten, ſo viel iſt gewiß, einen ſchönen und
imponirenden Anblick; – und ſelbſt der Feind ſah ſie wohl nicht ohne
Reſpekt. – Es müſſen wahrhaftig viele Dinge und Geſchichten,
viel Verſtand und viel Siege voraufgehen, und viel Dummheiten
oder Unmachten von der ganzen übrigen Welt mit im Spiele ſein,
bevor es zu einer ſolchen Seemacht und Weltherrſchaft kommen
kann. Mit dieſen „ſchwimmenden Feſtungen“, wie die
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Linienſchiffe erſchöpfend bezeichnet werden, – hält England die
ganze Welt im Schach, und die hundertköpfige Hydra Staaten-
Politik im Zaum. – Dieſe Meerrieſen ſchiebt es überall, ſo weit
die Erde flüſſig iſt, dem politiſchen Schachbrettſpiel auf den Rand,
und ſie halten an den Thoren der Städte und Reiche, die auf die
See hinausgucken mit grimmiger Miene und metallenen Kanonen-
rachen Wacht.
Die Stadt Corfu präſentirt ſchöne hohe Häuſer; ihre Feſtungs-
werke ſind wie aus dem Felſen geſchnitzt. – Rings umher ſieht
man Dörfer, Flecken, Landhäuſer, Gärten und Oelpflanzungen
in einem durchſichtigen blauen Duft. – Meine von vorhin depri-
mirte Begeiſterung wollte mir eben wieder über den Kopf wachſen,
– als zugleich mit jenen Gondeln, welche Südfrüchte brachten,
ein höchſt proſaiſches, über die ganze Erde verbreitetes, unter allen
Klimaten wucherndes Civiliſationsprodukt zum Schiffe gelangte:
nämlich die Landespolizei in Geſtalt einer Sanitätskommiſſion.
Die Paſſagiere der zweiten Klaſſe, unter welchen ich mich als
unbemittelter Skribente befand, machten vor den ſehr wichtig thuen-
den Herren Beamteten, Graduirten, Betitelten und Uniformirten
komplette „Front“; – ich konnte mich der Fatalität nicht ent-
ziehen; – dergleichen kühlt ab. – Lieber wären mir ein Paar
Gläſer friſchen Waſſers geweſen, aber auf unſerm Schiffe gab es
dergleichen, ſelbſt in der Nähe Corfu's, nicht für Geld. – Ich
habe alſo die ſechs Tage und ſechs Nächte der Ueberfahrt faſt in
ununterbrochenem Durſt zugebracht, da ihn das lauwarme Tonnen-
waſſer nicht löſchte.
Was mich zum andernmal aus meinen corfiotiſchen Paradies-
träumen aufſtören durfte, war das an Bord nehmen von
Kohlen und Waſſer. Vier Barken voll bröcklicher Kohlen
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wurden mit Waſſer begoſſen, damit ſie nicht ſtäubten; das gab
dann einen Brei und Koth, der das Schiff und die Arbeitsleute
auf eine gräuliche Weiſe inkruſtirt hat. Von der nächſten Wirklich-
keit, von einer Fatalität ganz und gar zu abſtrahiren, welche meine
Umgebung, meine Mitmenſchen betrifft, dies iſt nicht meine Art
und Virtuoſität. – Unter den verharzten und verſtäubten Aegyp-
tern, unter den chroniſch und originell verſtänkerten, mit materiel-
lem und immateriellem Schmutz einbalſamirten Italienern, wurde
mir wenige Augenblicke ganz wohl. –
Eine ſtehende, oder vielmehr laufende und „trapſende“ Fata-
lität war das Scheuern des Verdecks mit furchtbar „buffſenden“
Schrubbern von Holzkloben und hartem Seegras gemacht. – Dieſe
Hantirung ging mit einem ſolchen Teufelslärm und in einer ſolchen
Unmittelbarkeit über den Köpfen derjenigen Paſſagiere vor ſich,
welche gleich mir unter den geſcheuerten dünnen Brettern in ihren
1/2 Fuß hohen Cojen lagen: daß wir ſammt und ſonders eine
Empfindung verſpürten, als kämen uns die originellen Seegras-
Schrubber auf die eigene Haut.
An einen ſüßen Morgenſchlaf konnte unter ſo dämoniſchen
Reinlichkeitsexzeſſen keinmal zu denken ſein. Man ſetzte vielmehr
mit Entſetzen und mit einem Satze aus ſeinem Sargkaſten, wie
ein Haſe, der vom Lager geſcheucht wird. – Gleichwohl thut der
Morgenſchlaf um deswillen wirklich Noth, weil man ſich in den
ſchönen und kühlen Nächten von der Tageshitze abfriſchen muß,
die der Paſſagier zweiter Klaſſe entweder in der drückenden Luft
der Kajüte, oder ohne Gezelt auf dem Verdecke zubringt, auf wel-
chem der Sonnenbrand, im Verein mit dem Kohlendunſt und Fett-
geſtank der Maſchine, oft eine verzweifelte Atmoſphäre fabrizirt. –
Es hat demnach ſo ſeine beſonderen Schwierigkeiten, einen
Reiſeenthuſiasmus feſtzuhalten, wenn man auf einem Schiffe unter-
wegens iſt, und gehörte es auch dem öſterreichiſchen Lloyd.
T
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Es iſt nicht in allen Augenblicken romantiſch und geheuer,
oder gar bequem, ſich durch eine bloße Planke von der brüllenden
See geſchieden zu ſehen, falls man, zumal bei Winterszeit, die
felſigten und unwirthlichen Küſten Italiens entlang ſchifft. Wenn
ein Mühlſtein ins mittelländiſche Meer fällt, ſo wird er freilich
nur naß, – mit einem reiſeluſtigen Schiffspaſſagier aber paſſirt
doch eventualiter ein wenig mehr.
Unſer Dampfſchiff, 140 Fuß lang und einige 20 Fuß breit,
iſt für die direkten Fahrten nach Alexandrien beſtimmt, – die es
in der Regel und bei gutem Wetter in ſechs Tagen und Nächten
zurücklegt, und wofür der Paſſagier zweiter Klaſſe etwa 85 Thaler
preußiſch, mit Einſchluß der Biergelder, ſo wie der Ein- und Aus-
ſchiffungskoſten 90 Thaler bezahlt. Es arbeiten zwei Maſchinen
mit je 60, alſo 120 Pferdekraft. Zu jedem Dampfkeſſel gehören
ſechs Feuerungen. – Der Kohlenbedarf, – den der Dampfer für
19 Tage einzunehmen im Stande iſt, – beträgt für die Stunde
12 Centner Kohlen, von denen einer in Corfu 10 Sgr. koſtet. –
Die Räder machen in der Minute 25 Umſchwünge. Ein eiſerner
Keſſelboden kann fünf Jahre ausdauern (verſichert der Maſchiniſt)
und das ganze Lloydſchiff koſtet 200,000 Kaiſergulden (falls es
akkurat ſo viel macht). Sollte mir der Maſchiniſt, der ganz wie
ein ſolider Mann erſchien und ſprach, falſch diktirt haben, ſo
ſchreibe ihm ein klügerer Paſſagier nicht mehr nach.
Die Matroſen ſind Dalmatier, d. h. ganz ſo ſchmutzig,
gutmüthig, begnügſam, frugal und vergnügt, wie dieſe Raçe in
der gemeinen Klaſſe überall angetroffen wird, – und unſern auf
der Weichſel ſchiffenden Galliziern oder Waſſerpolakken ſo ähnlich,
wie ein gut gefütterter Herr Bruder ſeinem ſchlecht gehaltenen zu
ſein pflegt. +–
Die Schiffsleute werden gut geſpeiſet und traktirt: mit Maka-
roninudeln, Reis und Fleiſch. – Zum Getränke iſt auf dem Ver-
deck eine Tonne mit einem Gemiſch von zwei Drittheilen Waſſer
und einem Drittheil Rothwein aufgeſtellt, von welchem Miſchwein
ſelbſt die Schiffsjungen ſo viel trinken dürfen, als ihnen beliebt.
Wenn man die Nüchternheit der Schiffsleute und Paſſagiere
erſt wegbekommen hat, ſo wird einem nichts weniger als romantiſch,
ſondern vielmehr ganz ordinär und werktäglich zu Muth. Das
Erdenleben ſieht ſich der Hauptſache nach überall ziemlich gleich,
und es iſt wahrhaftig kein natürlicher Grund vorhanden, warum
es eben auf dem Mittelmeer und im Süden beſtändig poetiſcher,
als im Norden und auf dem Feſtlande ſein ſoll. – Ich lobe mir
vielmehr die Heimath und den feſten Grund!
Auf ſo einem Schiffe kann man am eindringlichſten und that-
ſächlichſten materielle Ordnung lernen und die Oekonomie mit dem
Raum. In einer Kajüte, die ſo groß wie ein beſcheidenes Stübchen
iſt, befinden ſich zwanzig Schlafſtätten, ringsum Divans und in
der Mitte ein Tiſch, an welchem 8 bis 10 Perſonen ſpeiſen. An
den Wänden (in welchen die Schlafſtätten etagenweiſe vertieft
ſind) laufen gepolſterte Sitz- und Lagerſtätten umher. Der Koch
kocht für 30 Perſonen und für mehr in einem Raume, in welchem
eine großſtädtiſche Köchin ſich kaum umzudrehen und Feuer anzu-
machen verſteht.
Die Paſſagiere der erſten Klaſſe ſitzen während des Sonnen-
brandes unter einem Gezelt und trinken mit Eis gekühltes und
filtrirtes Waſſer, haben auch Ziegenmilch zum Kaffee, – wir
ſchlechtes Pack Nr. II. genießen unſern Kaffee ſchwarz, ſchmoren
an der Sonne, trinken lauwarmes Waſſer (was durch Zitronen
und Zucker noch ſchlimmer wird) und müſſen mit dem vorlieb neh-
men, was den Herrſchaften Nr. I. nicht mehr beliebt. – Gleichwol
iſt das Eſſen kein Abhub von der großen Tafel, ſondern im Ueber-
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fluß vorhanden, mit einem Nachtiſch von Weintrauben und Orangen,
mit Rothwein und Madeira verſehen, durchweg kräftig und gut. –
Es giebt keine eingeſalzenen Speiſen oder Leguminen, ſondern
Geflügel, Makaroni und Reis. – Die Bedienung iſt ebenfalls für
billige Forderungen hinlänglich freundlich und gut.
Das ginge alſo ſchon, aber von dem Rothwein wird man
hartleibig, die Limonade ſchlägt durch und der Uebelkeit iſt kein
Ende, wenn ſie auch bei ruhigem Wetter nicht bis zur wirklichen
Seekrankheit entwickelt wird. Das veränderte Klima iſt für einen
ältlichen Menſchen eine große Pönitenz; dazu das Lager in der
engen Coje, – mit kaum 1% Fuß Raum über dem Geſicht, ein
Kreuz und eine Noth für Einen, der Luft und Raum über ſich
braucht, oder ſich nicht kreuz- und hüftenlahm liegen will. –
Das Erwachen auf dem Schiffe iſt, wie berichtet, nichts
weniger als romantiſch, Oft wird man von einem Kettengeraſſel
aufgeſtört, das in der Hölle nicht großartiger ſein kann. Will
man auf dem Verdeck ſpazieren gehen, ſo muß es breitſpurig ge-
ſchehen, und indem man in die Nähe der Maſchine geräth, allwo
der ſchmirgelnde Fettdunſt der Schmirage mit dem Kohlendunſt zu
einem Totalgeſtank, und mit der Hitze des Tages zu einem Klima
gegattet iſt, daß die geruchfeſteſte, und ſelbſt eine naſenloſe
Natur alterirt und zu „Abweichungen“ genöthigt wird. Dazu
brennt die Sonne in dieſen erſten Oktobertagen von ſieben Uhr an
mit einer Präziſion und Gewiſſenhaftigkeit, wie bei uns in Weſt-
Preußen an den heißeſten Tagen des Juli und Auguſt, die Nächte
dagegen ſind lau und märchenhaft ſchön. – Das Meer zwiſchen
Candia und Alexandrien (wo viel Sturm zu ſein pflegt) erſcheint,
zumal am Schiffe, im Sonnenſchein vollkommen ſaphirblau in
einer unglaublichen Reinheit und Durchſichtigkeit der Farbe; –
ohne ſchwärzliche Schatten, – und mit dieſem Wellenblau harmo-
nirt der ſchneeweiße Giſcht an den bewegten Rädern, daß man ſich
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nicht ſatt daran ſehen kann. Das Seewaſſer, welches die Pumpen
heraufbringen, iſt vollkommen geruchlos und klar.
Ich lebe und konverſire mit drei alten Italienern aus dem
Mittelſtande ſeit drei Tagen und Nächten. – Dieſe „Orangen-
Philiſter“ ſind ganz wie die preußiſchen „Kartoffel-Seelen“ anzu-
ſchauen; und auch ſie lehren mich wieder aufs neue, daß Pietät,
Höflichkeit, und vollends Schüchternheit auf Reiſen nicht ſonderlich
rentiren. Wer übrigens keinen alten, plappernden Italiener geſehen
hat, weiß nicht, was die Geſchwätzigkeit eines Greiſes ſagen will.
Es iſt grauslich: ſo ein alter, runzliger, pommeranziger Italiener
hat komplette Diarrhöe auf der Zunge; bevor der Kerl nicht aus-
ſpeit, kommt man nicht zu Worte. – Und dabei bewegen ſich dem
Redepatienten die welken Backen, Ganaſchen und Hautfalten wie
an einem defekten Blaſebalg, und verurſachen beim Zuſchauer die
Empfindung, als wenn die Sprache etwas wäre, das aus einem
alten Geſichtsleder herausgebeutelt, gepumpt und über die alte
ſchleimige Lilazunge zum zahnloſen „ausgefaumelten“ und gaumen-
harten Maule hinausgemuffelt werden muß. Pfui, lieber unter
der Erde, wie ſo ein ſäkulariſirter, vernutzter, zum Skandal leben-
diger Greis!
Ich finde überhaupt nichts Liebenswürdiges auf dem ganzen
Schiffe, als einen jungen Pudel; – meine eigene Perſon aber am
unleidlichſten, weil ich keinesweges in meinem Esse bin.
Mein bischen konverſationeller Troſt iſt der Maſchiniſt, ein
Rheinländer. Seine Philoſophie dürfte freilich etwas zu nüchtern
und trivial erfunden werden; aber die Sachen ſind ſicherlich auch
ſo, wie ſo Einer ſie ſieht. Er meint: – Ich habe alle dieſe Ku-
rioſia um das Mittelmeer herum geſehen, ich habe mich an die
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2
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10 Jahre im Oriente umhergetrieben. Es iſt bei den Reiſenden
viel Selbſttäuſchung im Spiel. Wenn man eine griechiſche oder
ägyptiſche Ruine geſehen hat, hat man ſie weſentlich Alle geſehen.
Was ſieht man z. B. an dieſen Pyramiden? Einen Hau-
fen Steine; oder weiß man denn eigentlich, was man daran ſieht?
– Die Religion wird ſelbſt einem guten Chriſten verdächtig,
wenn man ihren ſchamloſen Mißbrauch im Oriente gewahr wird.–
Die Pilger ſind vollends ein Geſindel; – ganz Jeruſalem eine
religiöſe Babel, ein Ort des Aergerniſſes und der Säuerei in jedem
Sinn. – (So lautete auch das Urtheil eines Dieners des Biſchof
Gobat in Jeruſalem; mit welchem Herrn ich von Terranah nach
Cairo auf dem Nil zuſammen gereiſet bin). Man muß auch die
Herzensmeinung und das ungenirte Urtheil der inferioren Geiſter
hören; ſolcher Geſtalt wird die ideale Auffaſſung durch geſunden
Realismus ergänzt. –
Die Dinge ſind „ſo und ſo.“
Eine ſo wundervolle Vollmondnacht, wie die zwiſchen
Ithaka und Kandia erlebte, entſchädigt für den heißeſten Tag! –
Dies iſt etwas, das der Seele verbleibt, und mit ihr in die Ewig-
keit hinübergeht. Der Vollmond verwandelt einen breiten Streifen
des Meeres in eine wogende Maſſe geſchmolzenen Silbers und
ſilbernen Schaums, und was iſt dies noch für ein armſeliges und
abgeſchmacktes Bild –! Wo hat denn Silber und Gold dieſen
Schimmer und dieſe Durchſichtigkeit –? Es iſt eine elementare
Zauberei, ein Kampfſpiel von Silber und Diamanten, die zu
Waſſer werden wollen; eine Naturbuhlerei des Mondenlichtes mit
dem Meere, bei welcher die arme elementare Menſchenſeele unwill-
kürlich wie Göthe's Fiſcher unter das Waſſer gezogen wird. –
A l er an dria.
Wer nie auf dem Meere eine längere Reiſe gemacht,
wer nicht die große gewaltige Abgeſchloſſenheit von
der lebendigen Welt gefühlt, und noch nicht Tage
lang ſchwankend auf dem trüglichſten Elemente nur
den Himmel über ſich, und des Himmels Trugbild
– das Meer mit ſeinen Leichenbegierigen Ungeheuern
unter ſich geſehen, wem die furchtbaren hungrigen
Zungen der Sturmwoge noch nicht den Leib geleckt,
und wem die düſtre Wolkenſturmgluth noch nicht
ins Auge geleuchtet hat, der kann die Wonne des
Seefahrers nicht ermeſſen, wenn es vom Maſtkorbe
herunterſchallt: Land! Land!
Julius Moſen.
Das Vergnügen ſprang wie ein Gaſſenbube über
ſein Geſicht.
(Laub e's Reiſenovellen.)
Um Mitternacht erſchien das Fanal, – das Feuer des Leucht-
thurms von Alexandrien wie ein Abendſtern ganz niedrig am
Horizonte. Die Maſchinen wurden angehalten, und ich legte mich
mit der Gewißheit in meine Coje, am andern Tage den neuen
Welttheil zu ſchauen. Mit Sonnenaufgang kam der arabiſche Pilot
auf das Schiff. Als ich das Verdeck betrat, fiel zuerſt mein Auge
auf ihn. Er ſtand auf dem Radkaſten, und gab im Vollgefühl
ſeiner Würde, obgleich mit nackten Beinen, und lichtblöde
„zwinkernden“ Augen, Zeichen, indem er von Zeit zu Zeit den
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linken Arm erhob, – denn, in der rechten Hand hielt er eine Taſſe
Kaffee. –
Es iſt einem wunderlich zu Muthe, wenn man zum erſtenmal
ſo ein Exemplar aus einem andern Welttheil und Glauben vor ſich
ſieht; man begreift kaum, wie ſo Einer mit Anſtand Kaffee trinken
kann, aber ich hatte bald mehr zu thun: – Die Welt der Palmen,
der Ruinen, der Kameele, der halbnackten Araber, der Wüſten, der
Kalkſteinfelſen – die ich bis dahin nur aus Büchern, Maskeraden
und Dekorationen kennen gelernt hatte, lag jetzt vor meinen poetiſch
verdutzten Sinnen, und ich wunderte mich gewiſſermaßen, daß ich
das ſo aushielt, und nicht ganz und gar außer mir gerieth. Ich
dachte mir bis dahin, man könnte gar nicht mehr Derſelbe bleiben
in dem Augenblicke, wo man eine funkel-hagel-nagel-neue
Welt zu ſehen bekäme; aber ich habe von Anfang bis zu Ende
erfahren, daß, und wie man unter keinen Umſtänden aus ſeiner
Haut zu fahren vermag, wiewohl ich zugleich bemerken muß, daß
allerdings diejenigen Augenblicke die genugthuendſten ſind, in denen
unſeren Sinnen das als handgreifliche Wirklichkeit entgegen-
tritt, was ſo viel Jahre und ein halbes Leben hindurch nur Ge-
dankending und Einbildung war. Dieſe auf der Ueberfahrt
wenig vorbereitete Ueberſetzung von Europa in Afrika; dieſe, plötz-
lich meinen innern und äußern Sinnen vorgezauberte neue Welt,
mit ihren ganz neuen Lebensarten und Erſcheinungen, für die ich
gleichwohl die alten fünf Sinne behielt; das war es eben, was
mich die erſten Stunden in den Straßen von Alexandrien wie ein
Wachträumen umfangen hat. -
Wir fuhren bald in den gewaltigen Hafen ein. Das waren
impoſante Scenen um uns her. Uns umgaben ägyptiſche Kriegs-
ſchiffe, Fregatten und Dreidecker, engliſche Dampfer, Schiffe aller
Nationen und ein Gewimmel von Böten, deren eine Maſſe, wie
im Angriff auf unſer Schiff losfuhr. – Auf ganz niederer Küſte
-
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lag lang und ſchmal, wie ein verſteinertes Meer ungeheuer,
„Alexandrien“, mit ſeinen weißen, würfelförmigen Häuſern,
mit ſeinen weitläufigen, auf Felszungen weit ins Meer vorgeſcho-
benen Feſtungswerken, ſeinen hundert achtflügeligen Windmühlen
und ſeinen ſchlanken Minarets. –
In dem Augenblicke, als ſo die letzten Paſſagiere in einer
Haſt, wie wenn Tod und Leben vom raſchen Anslandkommen ab-
hinge, ſich in die Böte warfen, überfiel mich doch eine Art von
Beſorgniß und Verzagtheit, wo ich denn in der wildfremden Stadt
bleiben, und wie ich da mit den Leuten konverſiren würde; denn
ich mißhandle, zeichenrede und drille nur franzöſiſch aus den bar-
bariſchen Schulzeiten her; – und habe erſt ſpäter auf der Reiſe
etwas arabiſch und italieniſch in puren Todesnöthen gelernt. –
Wie ich nun ſo rathlos da ſtand, offerirte mir ein ganz
manierlicher und fein ausſchauender Garçon oder Commiſſionair
irgend eines großen Hotels, der mit den Barken-Arabern an Bord
gekommen war, in franzöſiſcher Sprache ſeine Dienſte. Ich begab
mich aber nur mit der Bedingung unter ſeine Leitung, daß er mir
eine möglichſt billige Privatwohnung zuweiſe; – indem ich kein
Engländer, ſondern nur ein armer deutſcher Bücherſchreiber ſei. –
Ich muß dem Manne nachrühmen, daß er nach dieſer ziemlich alt-
fränkiſchen Offenheit von meiner Seite nichts an Artigkeit und
Dienſtfertigkeit von der ſeinigen verlor, und auch ſo nobel und
zugleich billig bis zu meinem Abſchiede von Alexandrien verblieben
iſt. – Die Ausſchiffung koſtet für die Perſon, mit gewöhnlichem
Gepäck, nur ein Paar Piaſter, alſo vier Silbergroſchen oder höch-
ſtens deren ſechs. –
Am Ufer empfängt oder zerreißt den Reiſenden vielmehr eine
durch Gewinnſucht, wie raſend erſcheinende Judenſchule von halb-
nackten Eſeltreibern (Kinder und Erwachſene), die wie beſeſſen
durch einander ſchreien, ſich und ihre Eſel anpreiſen, ſich durch
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einander ſtoßen, zanken und ſchlecht machen, – und dem betäubten
Fremden dermaßen thätlich zu Leibe gehen, daß er ſich alles Ernſtes
ſeiner Haut wehren muß, wenn er nicht nolens volens, auf einen
Eſel geſetzt, und mit ſeinen Kiſten und Kaſten zu einem Hotel ent-
führt ſein will. – Wenn es geſchähe, wär auch nichts Uebles
dabei; – denn dieſe armen nackten Eſelbuben, ſind ſelbſt mit ihren
unverſchämteſten Forderungen, noch ſpottwohlfeil; und im Allge-
meinen ſo verläſſig und gutartig, als es kaum von einem Natur-
menſchen und Halbwilden erwartet werden kann. –
Was mich aber nun betraf, ſo konnte ich mich ſchon in Rück-
ſicht auf meine knappen Diäten, nicht ſo den Zufälligkeiten und den
nackten Humoren dieſer arabiſchen Jugend überlaſſen. – Ich hatte
einmal meinen Führer vom Schiffe her und ſtieß alſo die aufdring-
lichſten Naturmenſchen mit ſo gutem Erfolg zurück, daß ich ſofort
Luft bekam. – Energiſche, d. h. handgreifliche Manöver bei wenig
Worten und anſcheinender Gelaſſenheit, werden bekanntlich im un-
polizirten Afrika, wie im überpolizirten Europa, und in der ganzen
wilden wie gebildeten Welt, am ſchnellſten und nachhaltigſten
reſpektirt. Die Eſeljungen unterhandelten nun mit weniger Schrei-
wuth und Gewaltthätigkeit, und Einige waren ſogar über die Art
und Weiſe, mit der unter ihnen aufgeräumt worden, ſichtlich amü-
ſirt. Mein Führer verhielt ſich bei dem kleinen Intermezzo ſo
unbefangen und paſſiv, wie wenn er bei Wellenſchlag gebadet, oder
ihm ein Wirbelwind den Hut vom Kopf geriſſen hätte. – Er
beſchränkte ſich in Worten und Werken auf die Nothwendigkeit und
drängte ſich mit mir zur Dogana hindurch, die mit ihren Maga-
zinen unweit des Landungsplatzes der Böte faſt unmittelbar am
Waſſer liegt. Es war Freitag (der muhamedaniſche Sonntag)
mein Lederkoffer blieb alſo im Magazin, die Ledertaſche aber, die
ich um den Leib hängen hatte, und mein Nachtſack, den ich in der
Hand trug, wurden mir nach einem flüchtigen Betaſten auf
23
Verwendung meines Mentors, der ein Bekannter der Beamten zu
ſein ſchien, frei zurückgeſtellt und zwar ohne Biergeld, hier „Bak-
ſchieſch“ genannt, mit dem Accent auf dem gedehnten „ſchieſch“.
Und wenn Einer ſtocktaub wäre: dies Bakſchieſch hört er in
Aegyptenland durch, und wenn er kein arabiſches Wort weiter aus-
ſprechen und behalten lernte: dieſe Parole der ägyptiſchen Prole-
tarier und der Eſelbuben, dies „Bakſchieſch“ bekommt er vom erſten
Augenblick fort. Es tönt ihm von einem Ende Aegyptens bis zum
andern, und über das Meer bis nach Haus; – von Alexandrien
bis zu den Katarakten, und wahrſcheinlich bis zu dem Orte, wo
noch irgend ein Reiſender hingekommen iſt, und die Geldgier dieſer
armſeligen, nackten Menſchen gereizt hat. – Dieſer Bakſchieſch alſo
zeigt demjenigen, welcher die Nilquellen verfolgt, wie weit ſeine
Vorgänger vorgedrungen ſind. Von dieſem Trinkgelde, Gaſt-
geſchenk oder Ehrenſold, von dieſem Fremdentribut und Reiſezoll,
– dieſem metalliſchen Andenken, – dieſem ſilbernen Hammer-
ſchlag, den man insbeſondere den lebendigen Bildſäulen
der reiſenden Engländer abzuſchlagen und abzudividiren ver-
ſteht: – träumt und ſpricht der arme Araber, der orientaliſche
Eckenſteher, der Fellah, der Eſeljunge oder Kameeltreiber, der
Bettler, Proletarier und Taugenichts, wo er geht und ſteht; und
wo er nun den Geber dieſes höchſten Gutes erblickt, – da ſtürzt
er ihm mit dem verhexten und wahnwitzig-leidenſchaftlichen Ge-
ſchrei: „Bakſchieſch Howaje“, „Bakſchieſch Effendi“, (Jaſſihdi
oder Kawadje) „Herr ein Trinkgeld“ auf den Leib!
Ein ältlicher, halbnackler Lumpenkerl von Araber, trug meinen
Handſack für 12 Piaſter, das iſt für 3 preuß. Silbergroſchen zur
Locanda „bella venezia“.
Dieſe Speiſewirthſchaft zweiten Ranges hatte mir auf dem
Schiffe, Einer der beiden Geſundheitswächter rekommandirt, die
von Trieſt aus zu unſerer beſſern Beglaubigung und Kontrole,
24
mitfahren mußten, weil am letztern Orte die Cholera ausgebrochen
war, – und nur dieſer Vorſichtsmaßregel verdankten wir eben die
prattica, d. h. die Erlaubniß, in Alexandrien ans Land zu gehen.
Mit Zittern und Zagen ſahen wir alſo der prattica entgegen,
und ſiehe da, die Praktiken waren diesmal nicht ſo mächtig, wie
Liberalismus und Vernunft. – Das ſind ſo einige „Abſchnitzel“
von den Aengſten, Widerwärtigkeiten und Beſorgniſſen, von dem
Ungeheuer: „Reiſe unbequemlichkeit“, Reiſezufällig-
keit“ und „Reiſeabenteuer“ mit dem man nach Afrika und
dem Oriente zu Schiffe gehen muß! – Weiterhin mehr davon,
nämlich auf dem Nil. Gleich beim Anslandſteigen, hatte ich
ein Phantaſieabenteuer, das gar leicht und ſpaßig durch ein
bischen Beſinnens und kalt Blut in die gemeine Ordnung der
Dinge ausgedeutet wurde; aber nicht alle Reiſeabenteuer werden ſo
wohlfeil und erbaulich aplanirt. – Ich ſah nämlich unter dem
Getümmel von Eſeltreibern, auch Eſel und Kameele mit eben ge-
fangenen Seethieren von unerhörter Geſtalt beladen. Sie ſahen
ungefähr wie eine fabelhafte Robbenart, wie ungeheure, ziegen-
große Maulwürfe, oder neuholländiſche Schnabelthiere aus, denen
der Kopf bereits abgeſchnitten war; – und wie Gott den Schaden
meines überrumpelten Verſtandes beſah: – da waren jene unbe-
kannten, triefenden, pechſchwarzen Seethiere: Waſſerſchläuche,
von behaarter, ſchwarzer, ganzgelaſſener Ziegenhaut. – Selbſt
der Hals und die halben abgeſchnittenen Beine werden zugebunden
und an dem Felle gelaſſen, welches, vom Waſſer aufgetrieben und
Robbenglatt geworden, der exaltirten Einbildungskraft eines An-
kömmlings im Wunderlande Afrika, in einem kurioſen Augenblick
wie ein Wunderthier erſcheinen kann.
Ich wanderte nach dieſer Enttäuſchung, nichtsweniger in uner-
hörter Stimmung und Spannung, durch ein Wirrſal von engen
und weiteren, ungepflaſterten Gaſſen, auf kalkigem, unebenem,
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überall mit allen möglichen Abgängſeln verunſäubertem Boden,
zwiſchen Häuſerwürfeln, die ohne eine Spur von Dach, aber mit
unregelmäßig angebrachten Speicherluken, vergitterten Fenſterlöchern
und elenden Jalouſien, – gleich wie mit Magazinen- und Arbeits-
räumen im Erdgeſchoß verſehen waren und drängte mich zuletzt
weiter fort, durch einen von Menſchen wimmelnden Bazar; unter
lauter halbnacktem, beturbantem oder bemütztem Geſindel (faſt wie
die polniſchen Juden in kleinen Städten anzuſchauen). – Nicht
lange, ſo waren wir in der Speiſeanſtalt zur „bella venezia“ ange-
langt, allwo eine Dame, von der intimſten Bekanntſchaft meines
gefälligen Führers, mir, auf deſſen Empfehlung, ein erträgliches
Zimmer im zweiten Stock, gegen eine tägliche Entſchädigung von
ſieben Piaſtern (14 Silbergroſchen) abtrat. .
Das Mittag an der table d'hote im Erdgeſchoß, wo man
italieniſche Küche nach der Karte verſpeiſete, kam für einen mäßigen
Gaſt mit Rothwein und einem Nachtiſch, der aus friſchen Datteln
und ſchönen Weintrauben beſtand, zehn bis zwölf Silbergroſchen
zu ſtehen. – Die halbe Quartflaſche Rothwein wird dabei ungefähr
mit drei Silbergroſchen berechnet, da derſelbe von 100 Thlr. Werth
nur 5 Thlr. Eingangsſteuer zahlt, und die Sorte trinkt ſich, zumal
mit dem Waſſer des Mahmudi-Kanals, ganz ſo gut, wie der rothe
Gerbewein, welcher bei einem Preiſe von 15 bis 20 Silber-
groſchen die °/4 Quartflaſche in den kleinen unſchuldigen weſtpreu-
ßiſchen Landſtädten, ungefähr ſo wunderſchön wie rothe Dinte zu
ſchmecken pflegt, zu welcher noch ein bischen ſchwarze als Liqueur
gegoſſen iſt; – probatum est, geliebter Leſer, – probire es, reiſe
nach Weſtpreußen in die Immediat-Städtchen verſteht ſich,
bleibe da über Nacht bei dem zuthulichen Gewürzkrämer oder dem
Apotheker, dem Vielgewandten, nimm Deinen Nachttrunk in rothem
oder weißem Wein, und ſieh dann zu, ob dem bibliſchen Verſpre-
chen zufolge, – „Dein Herz erfreut und Deine Geſtalt (d. h.
26
zunächſt Dein Geſicht) ſchön oder verzerrt werden wird. Aber
darauf verlaß Dich, ſchlafen wirſt Du, falls Dir die Gurtenbett-
ſtelle nicht durchreißt, und der ſogenannte Zapfen im Halſe vom
Niedrigliegen mit dem Kopfe nicht herabfällt, und falls die, am
Bettende bloß liegenden Füße, Dich nicht von unten auf erwecken,
und falls Dir nicht allerlei von demjenigen Malheur paſſirt, welches
z. B. in Schweinelieben-Mummelburg, oder in Hühnerhorſt, – in
Grün-Grafingen, in Flachſenfingen, – in Kuhſchnappel und
Duſel-Zwieſeln zu Hauſe zu ſein pflegt. –
Ich habe mir dieſe Abſchweifung im Intereſſe der weſtpreußi-
ſchen Krähwinkelei und polizeilich taxirten Gaſtfreundſchaft erlaubt,
um von vornherein erſichtlich zu machen, daß ich keinesweges ein
in jedem Betracht ungeprüfter, unvorbereiteter, oder ein gar zu un-
billiger und chikanöſer Reiſender bin. – Im Gegentheil: wer es in
unſern paradiesartigen, noch im Kindesalter der Welt befindlichen
„Immediatſtädtchen“ riskirt, wer allda Eſſen und Trinken,
Wachen und Schlafen veraſſekurirt gehabt hat, der beklagt ſich nir-
gend und niemals mehr auf dieſer Welt.
Wenn ich davon abſtrahire, daß die Fenſter meines Zimmers
unmittelbar auf den neuen Hafen hinausgingen, deſſen Wellen bis
an die Fundamente des Hauſes brandeten, und dort Bruchſtücke
von liegenden Granitſäulen glattſchliffen, ſo konnte ich mich in hei-
mathliche Träume wiegen: eine ſo echtjüdiſch-polniſch-weſtpreußiſche,
kleinſtädtiſch-dörfliche, unverwüſtliche, unverbeſſerliche, unergründ-
liche; eine ſo welten untergangsmäßige, alle Verſuchs-Rein-
lichkeiten ſofort abſorbirende chroniſch-hiſtoriſche Unreinlichkeit, be-
fand ſich rund um mich her. Aber es war etwas Originelles und
Pikantes dabei im Spiel, nämlich eine Kreuzung von italie-
niſcher und arabiſch-ismaelitiſcher Schmutzerei.
Meine Frau Wirthin Wittwe, deren Portrait als Gaſthaus-
ſchild ausgehängt werden konnte, ſo frappant glich ſie einer ſchönen
27
Venetianerin.–Dieſe feine Dame hatte untern andern Luxusmöbeln
und Lebensarten einen Nippestiſch mit Jaspiskugeln, Muſcheln,
Mineralien, Straußeneiern und andern Raritäten des Landes, z. B.
mit Briefpapier, Dinte, geſchnittenen Federn, Petſchaft und Lack;
und unter dieſem Tiſche lag ſogar bei der Nacht eine Hunde-
Menagerie sans gène. –
Bei der erſten Begrüßung fand ich die edle Venetianerin in
ihrer Rumpel- und Trödelkammer, mitten unter einem Haufen
Schwarzzeuges, das, wie zur großen Wäſche, aus den Winkeln
hervorgeholt ſchien; – wie ſich aber hinterdrein ergab, war das
die Weißwäſche, die Wohnſtube, und die ungeſtörte Lebensord-
nung des Tages; – und ich närriſcher Reiſender, hatte mich im
Stillen bereits über die Unordnung und Unreinlichkeit dieſer ver-
meintlichen alexandriniſch-venetianiſch-ismaelitiſchen Rumpel-
kam mer moguirt. – Warum dieſe patentreinliche Wittwe ſich nicht
bereits mit dem Herrn Gaſt- oder Hauswirth verheirathet hatte,
begriff ich weiterhin keineswegs: denn, draußen unter meinem
Fenſter, im Angeſichte des brüllenden und weißſchäumenden Meeres
befand und befindet ſich noch, auf einer Art von Balkon, oder
herausgebauten Eſtrade des erſten Stockes, ebenfalls ein Schurr-
Murr oder Muſeum von alten Kameel- und Eſel-Sätteln, von
Hühnerbauern und Schilfſtühlen, von auseinandergegangenen
Kiſten (die von Palmblatt-Stielen zuſammengefügt werden) und
von ſo verfertigten aufrecht geſtellten Divangeſtellen (ankareb),
die wie die Rachegeſpenſter der faulen arabiſchen Ruhe ausſehen.
– Und zwiſchen dieſen garſtigen, verweſenden Scheiterhaufen, der
unverbrennlichen Schatten und Geſpenſter, verbrauchter Lebens-
arten, Moden, Luxusartikel und Commoditäten: da ſchiefſtehen,
balançiren, kippen und wippen, da wirrſalen, ſpuken, roſten und
konverſiren fort und fort hartnäckige, ausgediente Eiſenpfannen und
Tiegel, mit eingebrochenem Boden (die trotzigen Beine rathlos nach
28
oben gekehrt), da greifen eingeplatzte, koloſſale Waſſerkrüge
Platz, die wie Todtenurnen ausſehen! – Dieſe Krüge, die
nicht länger zu Waſſer gehen, – desgleichen die Hühnerbauer von
Palmenzweigen, – dazu die abgedankten Pack- und Reitſättel von
Eſeln und Kameelen, deren Knochen gleichfalls in der Wüſte oder
auf den Gaſſen der Städte bleichen: bilden den Grundſtock, die
bleibenden Elemente jedes ägyptiſchen Gerümpels auf innern Höfen
und vereinſamten Balkonen, in finſtern Speichern, Magazinen und
am Sonnenlichte auf dem platten Dach. – Dieſer unbegrabene
Menſchentrödel, den die Geſpenſter des Werkeltagslebens, der ver-
reckten Moden und Comforts umſpuken, haben für mich in allen
Welttheilen und unter allen Bedingungen die abſcheulichſte Hades-
Phyſiognomie. – Der elendeſte Friedhof iſt eine baare
Poeſie, wenn man ihn mit ſolchen unbegrabenen, unvertilgbaren
Fetzen und Abgängſeln der Biographieen, ſolchen auf den Markt
und ans Tageslicht hinausgeſtellten, nirgend und nie zur Ruhe
kommenden, profanirten Symbolen und Wahrzeichen unſerer ver-
endenden Hiſtorien und Wandelleichen vergleicht! Und dabei habe
ich die Narrheit, daß ich mich darüber nicht zufrieden geben kann:
was wohl der Schurr-Murr Alles geweſen iſt, wo er herſtammt,
wozu er gebraucht worden, – ob er nicht noch zurechtgeflickt und
ins Leben zurückgebracht werden könnte, oder was andernfalls und
zu allerletzt aus ihm geworden ſein, zu welcher Zeit und bei
welcher Gelegenheit z. E.: ſo ein alter Filzhut, ſo eine alte
zähe Schuhſohle, oder ſo ein gußeiſerner Grapenfuß, gänzlich
verweſet, zerroſtet, zerſtiebt und in die Atome aufgelöſet ſein wird.
– Man begreift, es iſt dies ein Thema, daß in allen Haus- und
Straßenwinkeln, in allen Kiſten und Kaſten, – und was das Un-
vertilgbarſte iſt, in allen Winkeln der Seele immer wieder
erſteht, und auf jedem Düngerhaufen friſche Nahrung erhält. Es
ſind dieſe Trödelmyſterien ein Appendix zum Antiquitätenſtudium
29
und eine Contrebalance zur äſthetiſchen Archäologie, aber wer das
auszubalanciren hat, kommt beinahe vom Verſtand. Dabei ſag'
ich mir indeß zum Troſte:
Wer die Hades- und Werkeltags-Geſchichten der
deutſchen Kleinſtädtereien und Staatereien, wer die ſymboliſch-alle-
goriſche Rummelei der irdiſchen Künſte und Wiſſenſchaften, der Con-
venienzen und Politiken, nicht in den wirklichen Polter- und Trödel-
kammern, in Bibliotheken, Muſeen, Archiven, Pergamenten, auf
Auktionen, in Papiermühlen und hinter den Kouliſſen; – wer die,
bei lebendigem Leibe krepirende Miſere des irdiſchen Seins und
Scheins, nicht an ausgejubelten Jubel-Greiſen, an ausgeſungenen
und ausgeklungenen Lieblings-Sängerinnen, an den Aspaſien im
Spitale; oder an ausgetrunkenen Champagnerflaſchen, an „aus-
geballerten“ Schießmörſerk, an durchlöcherten Transparenten, an
abgebrannten Feuerwerken und ihren übriggebliebenen Drath-
gerüſten; wer ſie nicht an verblichenen Blumen, Bändern und
Locken, – an alten Chapeaubashüten und hackenloſen ſeidenen
Strümpfen, an großmütterlichen Brautſchuhen und Kothurn-Ab-
ſätzen auf dem Miſte; – wer die Natur- und Menſchengeſchichten
nicht bereits zu Hauſe an modernden Familienakten im Keller oder
unter dem Dache, an der klaſſiſchen Literatur in Pfefferdüten, an
metaphyſiſchen Manuſkripten auf einem Papierdrachen, – an ly-
riſchen auf geräucherten Gänſebrüſten, an vergilbten Liebesbriefen
und Stammbuchblättern: unter Lebens- und Todeswehen ſtudirt
hat: der begreift auch die ägyptiſchen Pyramiden und Obelisken,
ihre Tempel, ihre Grotten, Gräber und Labyrinthe, ihre großen
und kleinen Ueberbleibſel nimmermehr! Es iſt in dieſem Leben
Eines wie Alles, und Eines in Allem; überall ein Wechſelſpiel von
Geiſt und Materie, von Trieb und Sättigung, von Steigen und
Fallen, – von Ebbe und Fluth, von Entſtehen und Vergehen, von
Ruhe und Bewegung, von Sinn und Unſinn, von Schönheit und
–
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Häßlichkeit, von Licht und Dunkelheit, von Leben und Tod. –
Es ſind überall, im Großen wie im Kleinen, dieſelben Hiſtorien,
Prozeſſe, Lebensarten, Schickſale und Wirrſale; derſelbe Sinn und
Geiſt, dieſelbe Gewiſſensmahnung, dieſelbe Zeichenſprache des
Todes zum Leben, dieſelbe himmliſche Allegorie und Oekonomie,
die den Tod ins Leben flechten darf. – Wer Vaterlands- oder
Europamüde iſt, wem die Civiliſations-, die Societätsmiſeren und
ſeine eigenen Bildungs-Vernünftigkeiten allzuviel Langeweile
machen, wer mal ganz was Neues ſehen, und ſich ſo recht nach
Herzensluſt auswundern will, der gehe, falls er noch nicht ganz
und gar blaſirt iſt, direkt nach Cairo oder Alexandrien; am Beſten
von Trieſt. Er tritt dann, faſt ohne Vorbereitung in eine uner-
hörte Welt. – Einem guten Alt-Preußen und Kleinſtädter wenig-
ſtens kann es nicht kurioſer im Monde vorkommen, wie die erſten
Stunden in dieſem „Skenderih.“ – Es iſt ein ſinnverwirrendes
Durcheinander von Trachten, Sprachen, Nationen, Lebensarten,
Zeitaltern, Anmahnungen, Ruinen, eine Kulturmoſaik, die gleich-
wohl nur den Eindruck einer augenblicklichen Weltmaskerade oder
Operndekoration macht. Hohe Dattelpalmen mit goldgelben und
karmoiſinrothen Fruchtbündeln überragen die weißſchimmernden
Steinwürfel der Häuſer, und die ganze Babel iſt mit donnernden
Meereswogen, die zu allen Hauptſtraßen hineinſchauen, in Natur-
ſcene geſetzt!
Ich ſtudirte das Alles in einem completten Sinnentaumel,
mit wollüſtiger Neubegier. – Dieſe arabiſchen Proletarier, mit
nackten, gelb- oder ſchwarzbraunen Armen und Beinen, in ſchmutzig
weißen oder blauen ärmelloſen Hemden, mit ſchmutzigen Turbanen
oder rothen Troddelmützen auf den Köpfen; dieſe Mahagonigeſich-
ter und Gliedmaßen in allen Farbenabſtufungen, bis zum blitzen-
den Kohlſchwarz des Nubiers; dieſe haſtige maſſenhafte und all-
gemeine Eſelreiterei von Halbnackten, und dann wieder von
31
Honoratioren mit Prachtgewändern in Gold und Seide; von
deutſchen Handwerksleuten in deutſcher Blouſe, von italieniſchen
oder engliſchen Lion's; Jene mit modernen Fracks und den feinſten
Pariſer Hüten, Dieſe, mit breiträndigen weißen Filzbedeckungen
uffd mit allerlei Phantaſiekleidagen koſtümirt: Dieſes fragmenta-
riſche, grelle, kunterbunte, haſtende Menſchenwirrſal, durchſchnitten
von langen Zügen melancholiſch brüllender, Speichel ſchleudernder
mit Palmenſeilen gekoppelter, hintereinander drauf los tapſender
Wüſtenkameele. Dieſe erſte Schmeckprobe von einem in alte und
neue Wunder gehüllten Heiden-Welttheile benahm mir Adepten
dergeſtalt den Kopf, daß ich inſtinktmäßig nach der Taſchenuhr griff,
ob ſie nicht zugleich mit meiner armen eingeäſcherten Chriſten- und
Kleinſtädterſeele vor Verwunderung ſtehen geblieben wäre. – Ein
Paar muntere, echt deutſche, graulich beſcheidene Sperlinge, die mir
die vaterländiſche Parole zuzwitſcherten, brachten mich jedoch „bin-
'nen Bälde,“ wie die moderne geſpreizte Styliſtik ſagt, zu Raiſon,
vulgo zu ordinairem Menſchenverſtande. Der Weg von der Do-
gana zur bella venezia hatte mich ſo lüſtern gemacht, daß ich ohne
Cicerone, vielmehr ganz auf eigne Fauſt und Gefahr, mich kopfüber
in die dickſten Abenteuer zu ſtürzen beſchloß. -
Ich fing in dieſer nagelneuen Welt mein Leben offenbar wieder
von friſchem an. – Ich warf mich alſo mit den Empfindungen des
Schul- und Gaſſenjungen, der in einer großen Stadt frei umher-
vagabondiren darf – zum Flaniren in das modern ägyptiſche
Labyrinth. –
Um mich an einem ſolchen Tage durch nichts, und am wenig-
ſten durch Rückſichten der Convenienz behindert zu ſehen, gab ich
keine meiner Empfehlungen ab, ging nicht mal auf's Conſulat, und
nur zu einem Mecklenburger Conditor am Frankenplatze, an den ich
durch den Maſchiniſten vom Schiffe adreſſirt worden war, und dies
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that ich wahrſcheinlich, um Jemand zu haben, der, falls mir ein
Unglück paſſirte, daſſelbe dem Conſulat anzeigen, eventualiter meine
unglückliche Leiche rekognosciren, und meine Habſeligkeiten zur Poſt
nach Thorn geben ließ. - -
Vor dem Conditorladen ſtanden eine Maſſe von Eſeljungen
mit ihren geſattelten humar's (Eſeln). Ich durfte alſo dem Mecklen-
burger nur ein Wort ſagen, ſo machte er den Handel für mich ab;
aber ich hatte bereits in einer Kneipe zu A“ mit einem Drechsler,
der in Aegypten und Jeruſalem geweſen war, noch um Mitternacht
Bekanntſchaft gemacht; und dieſer intereſſante Spießbürger, nun-
mehr ein Schnapswirth, hatte mir einen kürzeſten Auszug aus ſei-
nem ſehr unglücklich prononcirten und buchſtabirten arabiſchen
Taſchen-Vokabularium eingepauckt. – Das: „anne aus humar“
(ich will einen Eſel) und: „bekam di Görsch oder Gruhsch“ (wie
viel Piaſter), das hatte ich gleichwohl richtig fortbekommen; denn
der gute Baier hatte z. B. die Leſeart „Jürsch“ und „hummer“
adoptirt. Jedenfalls genoß ich jetzt den Kitzel, mich für eigene
Rechnung und Gefahr in arabiſche Handlungen, Redensarten und
Reitgeſchäfte verwickelt zu ſehen.
Ich gab alſo meine Redehieroglyphen mit der Satisfaktion
eines Kindes von mir, das zum erſtenmal artikulirte Lautzeichen
ausſtößt. Als ich vollends von zehn und zwanzig Eſelbuben augen-
blicklich ſo wunderſchön verſtanden wurde, daß ſie mir Alle auf ein-
mal ihre Eſel offerirten, welches ſie wahrſcheinlich auch gethan
hätten, wenn ich nichts geſprochen, da fühlte ich mich wie einen
Zauberer, der die Beſchwörungsformel richtig getroffen hat. –
Aber etwas Sonderbares mußte gleichwohl den verzwickten Eſeln,
an mir oder meinem Arabiſch aufgefallen ſein, denn ſie ver-
ſcheuten ſich unzweifelhaft vor meiner Perſon. Selbſt ein ſolid
und ſchwermüthig in der Nähe weilendes Kameel ſchien unruhig zu
33
werden und ich kann nicht ſagen, weshalb das geſchah, wenn nicht
aus Alteration über meine arabiſche Pronunciation.
Dieſe zweideutigen oder unzweideutigen Wahrnehmungen
hätten mich ebenfalls kopfſcheu oder zweifelhaft in meinem Sprach-
talent machen können, – aber es geſchah gleichwohl nicht.
Ich hatte mich zwar nur an der Küſte, aber vermöge meiner
Einbildungskraft mitten im wüſten Arabien auf eigene Hand Ara-
biſch ſprechen gehört, und mich durchdrang ein wollüſtiges Gefühl,
wie ſchön ich mir in dieſem abenteuerlichen Welttheil zu helfen
wüßte: – das war's! –
Ich ſchwang mich alſo nach dieſer „Aktnahme“ meines Reiſe-
Genies mit einer Sicherheit und Leichtigkeit in den Sattel, als
wenn ich in Alexandrien zu Hauſe geweſen wäre. Der Eſeljunge
fragte mich wahrſcheinlich „wohin,“ ich fühlte mich aber für den
Augenblick mit meinen arabiſchen Formulirungen und Zauber-
parolen am Rande, und ſagte in einem ſehr abbrevirten Styl:
„kullo kullo“ – ſo viel wie „Alles, Alles“ (nämlich will ich ſehen).
Der Eſeljunge nickte dann ſein „taib anne aref“ – gut ich ver-
ſtehe. Ich ſelbſt war jetzo meiner Sprachfähigkeit abſolut ſicher;
der Eſel wurde auf die ewig wund erhaltenen Hinterſtellen (die
ſtehenden Fontanellen ſeines Eigenſinns und ſeiner Faulheit) ge-
kitzelt und geprickelt, bis er ſich in Galopp mit mir ſetzte, und ich
flog in den erſten beſten Knäuel von Fußgängern, Reutern und
Gaſſen hinein, daß es nur ſo eine Art, oder daß es eben keine hatte,
denn ich wußte weder wohin, warum, wie weit, oder wie ſo; –
aber das war eben der Witz und die Luſt; – denn ich war wieder
ein Jüngling, ein Junge, ein Halbwilder, die bekanntlich Alle
wider jede Grammatik, Zwecklichkeit. Lebens- und Vernunftordnung
verſchworen ſind. Ich war alſo mit Alexandrien und Arabien auf
–
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denſelben zerſtreuten, konfuſen Ton und Rhythmus geſtimmt; und
das war eben der richtige Takt, wie mir heute noch ſcheint.
- O, wie köſtlich und ſüß ſind ſelbſt noch dieſe nachgeborenen
Dummheiten, Unwiſſenheiten, Genieſtreiche und Abenteuer; –
dieſe Lebensſtyle aufs Gerathewohl ins Blaue hinein, ohne eigent-
liche Berechtigung und Zweck, und mit halbem Gelde, ſo daß man
den Witz mit auswechſeln und zuſetzen muß. –
Ich war ſo hitzig losgeritten, oder vielmehr: der Eſeljunge,
der ſeinem „Humar“ in allen Allüren als vollkommner „Menſen-
Ernſt“ nachzufolgen verpflichtet iſt, hatte im malitiöſen Humor nicht
ſobald fortbekommen, daß ich ein ganz friſcher Ankömmling ſei, als
er mich recht in den dickſten Haufen, wie einen Keil hineintrieb; und
da die arabiſchen Eſel keineswegs ſo unempfindlich und ehrlos, wie
die deutſchen Langohre, ſondern häufig ſo feurig und ambitiös, wie
die beſten Pferde ſind, ſo gerieth ich in die Gefahr, meine Knie-
ſcheiben zerbrochen, oder mich von den Uebergerittenen garſtig zu
Raiſon gebracht zu ſehen, wenn ich nicht aus dem Gedränge kam.
Ich erſah alſo die Gelegenheit und lenkte in einen großen, halb-
wüſten Marktplatz hinein, woſelbſt aus einem Haufen von Kindern
und Geſindel ein furchtbares Kameelgebrüll erſcholl. Ich befand
mich nun, außer der ſchon angedeuteten allgemeinen Stimmung,
noch in ganz abſonderlichen Spiel- und Tonarten der Seele, die
man ſich etwa ſo zur Grundſtimmung denken kann, wie allerlei
muſikaliſche Inſtrumente oder Flötenregiſter zum Pedal und fort-
klingelnden Stern.
Zu dieſen Spezialſtimmen gehörte denn auch die romantiſch-
grausliche Furcht vor Mord- und Todſchlagsſeenen in den ab
gelegenſten Winkeln und Gaſſen, womöglich unter meinen Augen
und auf öffentlichem Markte. Ich war beinahe in der Stimmung,
wie Frau Angelika Kaufmann in Venedig, die, am frühen Morgen
durch einen Eſelſchrei geweckt, im Hemde zum Fenſter ſtürzt, indem
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ſie, zu ihrer Reiſegefährtin gewendet, händeringend ausruft: „Ach
Gott, da ermorden ſie ſchon wieder einen Unglücklichen, und es
iſt noch ſo früh am Tag!“ Ich dachte nun wohl im Ernſte nicht
an Menſchenmord auf jenen Schrei des Kameels, aber wie bei uns
in den kleinen Städten das Schweineſchlachten nicht ſelten auf der
Gaſſe unter der Zuſchauerſchaft eines Rudels von Schulkindern und
unter ohrzerreißendem (ein Kindesgewiſſen zwickendem) Schreien,
der zu Wurſt und Sülze beſtimmten Kreatur vor ſich zu gehen
pflegt, – ſo fuhr mir etwas von Kameelwürſten und Kameel-
ſchlachten, von dahin bezüglichen Opfern und Operationen durch
den Sinn. – Ich hatte mich aber diesmal ganz umſonſt in Phan-
taſieſtücke hineinbrüllen laſſen, denn dem allerdings mit Baſtſtricken
gebundenen, auf der Erde mit Jubel von Eſel- und Kameeljungen
feſtgehaltenen Beeſte fehlte weniger als nichts. – Es wurde viel-
mehr ſehr ſorgfältig am ganzen Leibe geſchoren, und ſtatt ſeinen
Wohlthätern dankbar die Hände zu lecken, geiferte, brüllte und
ſtöhnte es, wie ein bei lebendigem Leibe geſpießter arabiſcher
Delinquent. –
Ich hatte mich noch nicht von dieſem Abenteuer erholt, ſo
nahm mich bereits ein anderes, mit nicht weniger lauten und räthſel-
haften Naturtönen, und ebenfalls in Geſtalt eines vorwärts be-
wegten Menſchenknäuels in Beſchlag. –
Es kam eine Prozeſſion, eine Art von feierlichem, oder von
närriſchem Aufzuge, – was hier zu Lande ziemlich ſynonym zu
gelten ſcheint – auf uns los; – und meiner kurioſen Neugierde
war die Vermiſchung ſolcher Lebensſtyle, die bei uns Vernunft-Ge-
bildeten, falls nicht zufällig ein Bischen Rebellion angeſagt iſt,
ſeparirt ausgeſpielt werden, – vollkommen à propös.
Diesmal hatte ich ein Volksvergnügen aus der Bourgeoiſie
vor Augen, und das machte ſich, nach ſeinen pittoresken Umriſſen
ſkizzirt, ungefähr ſo: dem Jubel und Trubel vorauf, geputzte
- 3*
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Kavaliere auf ſchön geſchirrten Pferden; dann zwei Kinder von
etwa drei und vier Jahren, mit ſeidenen Kaftans (alias: Warſchauer
Schlafröcken angethan) Blumen und Nürnberger Kniſtergold in
den Haaren, oder vielmehr um die geſchorenen, kleinen Bonzenköpfe
feſtgemacht. – Beide närriſche Prinzen auf einem und demſelben
vernünftigen Eſel ſitzend, von Verwandten gehalten und bewahrt.
Dann mehrere Kameele mit Geſtellen, die wie quer über den Rücken
gelegte breite und kurze Leitern ausſahen, ſo daß der Höcker durch
die ſproſſenfreie Mitte dringen und die Balance feſtſtellen konnte;
und auf jeder dieſer naiven Kunſtreiter-Tragbahren, oder ambu-
lanten Eſtraden, vier pro forma verſchleierte, lebensüppige und neu-
gierige Weiblein auf den Ferſen hockend, in einer Reihe, (zu jeder
Seite des Kameelbuckels je zwei). Vorauf ging ein Kerl, wie
eine Art luſtiger Perſon, in einem Coſtüm von freier Erfindung,
der einen Weiberrock oder ſeidenes Hemde mit horizontal gereckten
Aermeln (wie zum Ausklopfen) und über denſelben eine Maske auf
einer Stange, alſo nach unſerm Geſchmnck eine Vogelſcheuche, ein-
hertrug; wiewohl mit einer Miene, als wenn er mit einer Pro-
zeſſionsfahne chargirt geweſen wäre.
Die Kameele gingen bei dieſer ehrenvollen Betheiligung in
ſtiller Billigung und ohne Schmerzensſeufzer ihre Stelzenſchritte
fort. Die Weiber dagegen brachten mit Zungenſchlag und Kehl-
künſten ein frappant abſonderliches, „blubbernd“ tremulirendes,
durchdringendes und unartikulirtes Ton-Unweſen, etwa wie wilder
Waldvogelgeſang in Urwäldern (vor der Sündfluth und der Ein-
führung eines geläuterten Naturgeſchmacks) hervor.– Volksgeſchrei
bildete den Chorus und das menſchlich-beſtialiſche Volksganze war,
wie ich ſpäter erfuhr, Hochzeit und Beſchneidung auf einen Hieb.
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Bei dieſer arabiſch-feierlich-närriſchen Gelegenheit ſtellte oder
ritt es ſich vielmehr durch mich heraus: daß mein Eſeltreiber und
ich ſelbſt, ganz entgegengeſetzte Gelüſte, Intentionen und Direktionen
im Sinne hatten. Er kitzelte ſeinen Eſel (welcher doch vorläufig
der meinige ſein ſollte) in den Augenblicken, wo ich anhalten,
– und hielt ihn wiederum an, wo ich weiter reiten wollte:
das ſchien ein offenbares Mißverhältniß und Mißverſtändniß zu
ſein. – Meine ägrirten Geberden und plaſtiſch-mimiſchen Tele-
graphengeſten mit Händen und Füßen, ſowie meine preußiſch-
arabiſchen Zungenverrenkungen, Gurgelungen, Röchelungen und
reſpektiven Wörterverſchluckungen oder Ueberſchlagungen von kehl-
wärts gekehrten Manifeſtationen, bei denen nach der arabiſchen
Grammatik die Zunge hinuntergeſchluckt und im höchſten Ingrimm
wieder herausgegeben, und dem mißverſtehenden Gegner ins An-
geſicht geſpieen werden muß, falls es echt ägyptiſche Pöbelvollblut-
Converſation ſein ſoll – ich ſage: meine dilettantiſchen Proteſta-
tionen wie Andeutungen wurden von jenem, an ganz plaſtiſchere
und handgreiflichere Buckel hieroglyphen gewöhnten Naturſohn
in allen Momenten verkehrt gedeutet, oder ignorirt. – Er that mit
der harmloſeſten Naivetät das Seine, und ließ meine Deklamir-
floſſen und Spazierzinken vom Eſel herab das ihrige thun. Ich
ſah es wohl, der vön der Feierlichkeit mit fortgeriſſene Eſeljüngling
gehörte ſeiner verjüngt herumwuchernden Freundſchaft und einer ſich
aus ihr mit Ueberſchuß entbindenden Converſationsempfindung zu
ſehr an, um für die momentanen Bedürfniſſe eines Fremdlings inſpi-
rirt und auf dem Punkte reell intereſſirt zu ſein. – Es ging uns
Beiden, wie der witzigſte Naturforſcher aller Deutſchen, der ergötz-
liche Lichtenberg, erzählt, daß es ihm mit einem „Bullkalbe“
gegangen iſt. – Er verfiel nämlich eines Tages auf die natur-
neugierige Idee, einem ſolchen Kalbe das Apportiren beizu-
bringen, wie einem Hund! – Am Anfang – berichtet er nun –
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ſchienen wir uns nicht gänzlich mißzuverſtehen, aber gegen das Ende
hin wurde das Schisma immer größer und zuletzt verſtanden wir
uns auf keinem Punkt,“ – Derſelbe Lichtenberg ſchrieb mal an
ſeinen Sohn einen, wie es ſcheint, ſehr lebensluſtigen Studenten
etwa dies: Mein lieber Sohn; wenn ſich Prügel ſchreiben
ließen – (über Poſt, meine ich, mag das freilich ſchwer halten,
aber tête à tête geht es ganz gut) ſo ſollteſt Du dieſe Zeilen mit
dem Rücken leſen ºc. – Auch dieſe Cardinalcorreſpondenz zwi-
ſchen einem guten Vater und ſeinem Sohne, „der ihm Freude macht,“
fiel mir in meinen Mißverſtändniß mit dem Sohn der Wüſte bei,
und ich meine, ich meine, falls ich dem Eſeljungen mein mangel-
haftes Arabiſch und meine Redehieroglyphen nur auf den Rücken
geſchrieben hätte, ſtatt in die Luft: er hätte mich augenblicks kapirt.
– Das beſte Abkühlungsmittel im Aerger bleibt aber der gute
Humor, und da mir in jenen afrikaniſchen Augenblicken ungemein
gutlaunig zu Muthe war, ſo nahm ich das in Rede ſtehende Exem-
plar afrikaniſcher Eſeljugend, wie ich es fand, – und bemerke nur
noch für Diejenigen, welchen ſelbſt die ideelle Nutzanwendung des
Lichtenbergiſchen Schreibens ſchon anſtößig ſein möchte, daß die
arabiſchen Eſeljungen, ſo arm und ſchnellläuferiſch ſie auch leben,
und ſo gutartig ſie auch im Allgemeinen erſcheinen, gleichwohl witzig,
dreiſt und boshaft genug ſind: einen Fremden und Neuling, der ſich
nicht energiſchen Rath weiß, vielmehr zu billig und nachſichtig
operirt, dergeſtalt zu hänſeln, zu ärgern, zu prellen und in Des-
peration zu bringen, wie wenn er ein Affe wäre oder ſonſt ein kurio-
ſes Thier. Dies iſt der Eſeljungenhumor mit Solchen, die in
ihrem harmloſen und gutmüthigen Weſen verrathen, daß ſie hier
noch nicht zünftig geworden ſind; – dabei verſteht ſich von ſelbſt:
der größte Theil der hier angeſiedelten Europäer und der Ankömm-
linge benimmt ſich ſo brutal, gewaltthätig und gefühllos gegen
dieſe armſeligen, halbnackten, afrikaniſchen Proletarier und Parias,
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daß der Charakter und die Repreſſalien der Letztern als ein natur-
nothwendiges Product der ziviliſirten Barbarei anzuſehen ſind. –
Was meinen mißverſtändlichen Caſus, betraf, ſo löſte er ſich
ganz leicht zu meinem Profit.
Mich hatten bereits bei dem kurzen Durchfluge durch die
Gaſſen des Bazars eine ſolche Unmaſſe von fabelhaften Sehens-
würdigkeiten, Lebensarten und Märchen angeblitzt, um Entree an-
gebettelt und verſtrickt, daß ich vollkommen das Unpraktiſche einer
allererſten Sinne betäubenden Bekanntſchaft von Alexandriens
Myſterien einſah, falls es ferner „zu Eſel“ geſchah. – Myſterien
abſolvirt und zahlt man ſchicklichermaßen ohne Zeugenſchaft und
mit ſeiner Perſon allein. – Mit dem Eſel und ſeinem wie meinem
Dränger und Tyrannen, waren wir aber zu Dreien. Ich konnte
doch nicht in die Boutiken, die Gewölbe, die Waarenläger, in die
Häuſer und Thüren der Kaufleute, Handwerker und Wechsler; in
alle Winkel und Höfe hinein, oder gar zu den geheimnißvoll
und enge, zwiſchen Mauerwänden fortführenden Kalk-
ſteintreppen hinaufreiten. Zu meiner unſaglichen, deutſchgründ-
lichen Neugierde, zu meinem abſonderlichen Sinn und Verſtande
für die Allegorie und Poeſie des afrikaniſchen Werkeltagslebens und
ſeine Methaphyſik ſchickten ſich nur meine beiden Beine allein. Vier
Eſelfüße waren für meine ſtatariſche Methode der Beaugenſcheinigung
von Weltwundern, das überflüſſigſte Ding von der Welt. Ich
gab alſo meinem Schnellläufer den Lohn für eine ganze Stunde,
das iſt 2 Piaſter, die er nicht ohne wüthende Proteſtationen an-
nahm, obgleich ihm ein Einheimiſcher nur den vierten Theil gegeben
hätte – und ich beſah nunmehr Alles solo zu Fuß.
Von dieſem erſten Abenteuerlüſternen, tumultuariſchen und
arabiſch-berauſchten Umherirren im buntgewürfelten und ſo gekütteten
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Alexandrien, kann ich ſo wenig Poſitives, Förmliches und Geſcheu-
tes berichten, wie dies von einem Traum oder verliebten Rendezvous
möglich iſt. Ich drehte, das weiß ich, meinen Kopf wie Einer,
der durch Wunderkuren von einem ſteifen Genick geheilt worden
iſt: in allen Probewendungen rechts und links, nach allen zwei und
dreißig Richtungen der Windroſe, im Cirkelſchlag nach Oben und
Unten zugleich. – Ich guckte um alle Ecken, in alle Winkel und
pränumerando in die fernſten Perſpektiven der, auf den Hafen
hinauslaufenden Gaſſen, – oder durch die arabiſchen Labyrinthe
und Zickzackwege hindurch – bis in die offene See.
Ich rannte mit halbſcheuen Gelüſten in alle offenen Höfe und
auf jeden kurioſen Miſt; – ich viſitirte die Tiefe der Brunnen,
taxirte die Höhe der Minarets, ſchnellſchnüffelte mit in den Wind
gehobener Naſe, und ſkizzirte mit ungeduldig zwinkernden Augen in
allen Kaufmanns- und Handwerkergewölben umher; naſchte allerlei
Früchte und Confituren ohne Handeln und Appetit; verkehrte ſo
mit dem afrikaniſchen Welttheil auf der Zunge, ſog die fremd-
ländiſchen Gerüche in mich, die hier nicht alle Augenblicke arabiſche
Weihrauchsdüfte ſind; und buhlte mit den fremden Formen, Stoffen,
Kunſt- und Naturprodukten, mit den gurkenähnlichen, blauſchwarzen
Pitt injans, mit Waſſermelonen, Weintrauben, Dattelcompot,
Bananen, Orangen, fetten Tabaksbündeln, Menſchen-, Eſel- und
Kameelsphyſiognomien, wie ein allerweltsbegieriger Narr. –
Ich ſturrte die Nackten und die Verhüllten, die In- und
Ausländiſchen an, bohrte mich durch die gröbſten und ſchmutzigſten
Schleier und ſpähte in deren offen gelaſſenen Seiten, wie nach einer
Odaliskenſchönheit aus Tauſend und einer Nacht; muſterte in heiß-
hungriger Haſt und ohne Ekel, die garſtigſten Lumpen, die geſcho-
renen Köpfe, (auch diejenigen, die eben im Schooße des Gaſſen-
barbiers wolluſtſeufzeten), die nackten Gliedmaßen und die Gebreſte
des Bettelvolkes, gleichwie die mit Schnüren benähten Kaftans,
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Weſten und Gamaſchen der Effendis und Jaßidihs, ihre arabiſchen
Turbane, ihr orientaliſches Air und a plomb. Ich ſchaute ver-
wundert den Pfeifenrohrbohrern und den Kunſtdrechslern zu, welche
mit Händen und Füßen zugleich arbeiteten und mit der linken Hand
kunſtfertiger, wie mit der rechten zu ſein ſchienen. Ich ſah den
Büchſenſchäftern und Schwertfegern auf die Finger bei ihren impro-
viſirten Diminutivfeldſchmieden mit Handblaſebälgen, mit einem
Dutzend Kohlen und halbwilden Handwerkszeugen, die kein deutſcher
Meiſter und Techniker zu handhaben verſteht – (von dem Mittags-
eſſen all' dieſer arabiſchen Künſtler: einem Ä voll Sau-
bohnen mit Oel- und Citronenſaft abgemacht und einem Weizen-
oder Durrahfladen dazu, wird auch nur ein Warſchauer Gaſſenjude,
aber auf keiner Seite ein deutſcher Bettler und vollends ein oſt- oder
weſtpreußiſcher Arbeitsmenſch ſatt). –
Ich gerieth auch in eine offene Elementarſchule hinein, die
ſelbſt ein Jude mit einer Judenſchule verwechſeln muß. Der junge
Schulmeiſtergehülfe ging meiner auf der Schwelle ſtehen gebliebenen
Gaſſenneugierde, mit einem hansir fransai (Schwein, Franke) dicht
auf den Leib, welche Aufrichtigkeit ich aus bloßem Sprechkitzel mit
einem bedawi hansir (Schwein, Araber) retourkutſchirte und mit
einem abwehrenden Stoße, von welchem der Fanatiker die Balance
verlor; worauf der alte Schulmeiſter, vernünftiger wie wir Beide,
ſchiedsrichterlich zwiſchen uns trat. – Ganz erſchöpft, erhitzt, be-
ſtäubt und über mich ſelbſt verdutzt, wie wenn ich ein Anderer und
mein Doppelgänger geweſen wär', hospitirte ich dann in Schnaps-
boutiken auf franzöſiſchen Annis oder inländiſchen Dattelbranntwein,
zu welchen Likören ein Glas friſches Waſſer gereicht wird; – und
hierdurch zu größerer Courage verführt, trat ich, ohne zu wiſſen, ob
man mich leiden, oder hinauswerfen würde, in ein Volkskaffeehaus
ein, hörte daſelbſt auf zwei näſelnden Kniegeigen – Rubaba ge-
nannt, – a la Paganini auf einer einzigen Saite gewinſelte
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Judenlamentationen, wie in den Judenſchulen exekutirt, und trank,
zum erſtenmal in meinem Leben, auf einer Matte und terraſſen-
artigen Geſtellen hockend, in Geſellſchaft eines übereinander ſituirten
nacktbeinigen Publikums aus einem arabiſchen Duodezfäßchen, wie
auf einem Kinderkaffee, und wie wenn ich es ſelbſt nicht geweſen
wäre, den ſchönſten Mokka ohne Cichorien, Zucker und Rahm. –
Für den Augenblick überfüllt, abſorbirt und betäubt, machte
ich mich jetzt zu den engen Gaſſen, und auf die luftigen Vorſtädte
hinaus. Von zwei entgegengeſetzten Richtungen ſchimmerte mir
bald der Hafen entgegen; ich wollte aber aus dem Getümmel in
die Dattelplantagen, da wo die letzten Häuſer ſtehen, und
wo möglich mitten in die Wüſte hinein. Endlich ſchien ich die
Längenausdehnung von Alexandrien und die Richtung getroffen zu
haben, welche direkt nach dem „Innern von Afrika“ führt. Es
dauerte nicht lange, als ich auf einen großen, halbwüſten Marktplatz
gerieth, wo Ziegen und Schaafe von den Fellahs feil geboten, und
von Städtern erhandelt wurden, und zwar mit dem Getümmel,
den Leidenſchaften, den Manieren, den Kniffen, Pfiffen, Prak-
tiken, Gebehrdungen und Nichtswürdigkeiten, wie bei uns.
Brot-, Dattel- und Schnapsverkäufer, ſingende, blinde und
ſehende Bettler, und allerlei müſſigen Pöbel zum Knäuel geballt
gab es hier, wie auf einem polniſchen Jahrmarkt in einem
Judenſtädtchen daheim. Dann aber wieder eine afrikaniſche Scene,
ſo normal und original, wie ſichs gehört. An einem furchtbar
knarrenden und winſelnden tiefen Brunnen, der wie alle andern aus
dem Mahmudicanal beſpeiſet wird, ſtanden Kameele mit Waſſer-
ſchläuchen, die wie ungeheure viereckige Ledertaſchen ausſahen; an
jeder derſelben war eine Ecke offen gelaſſen und ſchlechtweg mit
einem Riemen oder Baſtſtrick zugebunden, das machte im kürzeſten
Prozeß den Krahn. Das Waſſer wurde mit einem ſogenannten
Paternoſterwerk von thönernen Krügen, an einem von Ochſen ge-
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triebenen Rade (Sakih) heraufgewunden und war trübe und warm.
Ich ſelbſt, nicht durſtig, trank dieſes garſtige Waſſer aus Neugierde
und Einbildungskraft, wie wenn ich bereits ein verſchmach-
tender Wüſtenwanderer geweſen wäre!
Als ich den Platz durchſchritten hatte, gerieth ich in ein Stadt-
viertel, von langen, einſamen, kalkſtaubigen Gaſſen, die durch
weißgetünchte, hohe, bucklichte und wie in Eile aufgeführte Garten-
mauern gebildet werden, über welche dick beſtäubte Feigenbäume,
gnomenhafte Kaktusungethüme, Bananen mit koloſſalen, wunder-
ſam eingeriſſenen, wie ungeheuere Schwungfedern geſtalteten Blät-
tern hinwegſchauten; und von den hohen Dattelpalmen hingen die
goldgelben und karmoiſinlackirten Fruchtbündel herab, je viere,
ſechſe oder ihrer achte um die kurioſen Stämme; es war ein kom-
plettes Paradies! So ungefähr hatte es ſich meine Phantaſie ge-
träumt, daß es in Bagdads Vorſtädten ausſehen müßte, und ſo
war es nun in Skenderih. –- Wahrlich, darauf kann ſich das
Menſchenkind verlaſſen, wie in der Phantaſie, ſo ſieht es
irgendwo und irgendwann auch in der Wirklichkeit aus
und der Poet antizipirt vollends die ganze Welt! Hier und da
fand ſich ein Eingang, eine offene Thüre zu dieſen halbwüſten und
halbbebauten Gärten und Dattelplantagen, deren Halbdunkel,
Scenerie, Phyſiognomie, Melancholie und Symbolik keine Styli-
ſation anſchaulich machen kann! – Ich ſpähte erſt zaghaft und
furchtſam, wie ein Obſtdieb, bald aber von Alles bezwingender
Neugierde angeſpornt, im Trabe in allen Gängen und Bosquetten
umher. Ich ſah keine lebende Seele, aber mit Verwunderung und
ſeltſamen Empfindungen unter alle den fremdländiſchen koloſſalen
Gewächſen, die man in Deutſchland nur als zwerghafte Topf- und
Treibhauspflanzen kennt, auch die heimiſche Pflanzenwelt kultivirt:
die blaue Winde, den Fuchsſchwanz, die deutſche Studentennelke,
auch Todtenblume genannt, und dergl. mehr... – Dann hörte ich
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Menſchenſtimmen, viſirte einen Augenblick hinter einem Palmen-
ſtamm nach den Kommenden, fürchtete mich ſchon in Haremsaben-
teuer verwickelt, im kürzeſten Prozeß mit Baſtonadenregalirt, rannte
zum Garten hinaus, in andere fabelhafte Mauergaſſen hinein und
kam zu einem einſamen, tiefen Brunnen, an dem ein Bettler oder
Heiliger, mit einem ſchrecklich geſchwollenen Beine, einem ſogenann-
ten Elephanten- oder Straubfuße, daſaß. – Dieſer Unglückliche zog
mit einem, an langen Seilen befeſtigten Topf Waſſer aus dem in
den Kalkfels gehauenen Brunnen herauf, und bot es dann in einem
ſeltſamen Zinngefäß, das wie ein Barbierbecken ausſah, vielleicht
auch ein ſolches war, den Vorübergehenden dar. Es kamen zwei
Kameelführer und tranken, und empfingen eine Art von Segen und
zahlten nichts. Dann trank ich aus demſelben Barbierbecken, ſchon
um mir den wunderlichen Brunnen heiligen und ſeinen entſetz-
lichen, von der Elephantiaſis entſtellten Straubfuß anzuſehen; gab
ihm zwei Fünfparaſtücke, hörte ſeine, zwiſchen den Zähnen gemur-
melten und geſeufzeten Gebetformulare, und beſann mich erſt weiter
hin: daß ich unreiner Nemse (Deutſcher) mit den reinen Arabern
aus demſelben Gefäße getrunken hatte, ohne zu Ungelegenheiten
gekommen zu ſein; und verfiel aus Anlaß meiner kurioſen Wande-
rung und Situation in eine Träumerei, aus der mich wieder ein
vaterländiſcher Hahn kräh aufſtörte; rannte weiter und kam
zu Mahlmühlen mit Eſeln getrieben, ſo einfach konſtruirt, wie
zu Abrahams Zeiten; – und gerieth weiter wandernd in Ba-
rakenbezirke, zu einer Art von Lumpen beduinen, wo alte
Weiber hinter mir her ſchimpften, welche türkiſchen Weizen zwiſchen
Steinen zerquetſchten und Grütze davon ſiebten; – und als ich
mir dieſe Hexen betrachtete, wurde ich von nackten, am Kopf ge-
ſchorenen Kindern mit kleinen Steinen geworfen, und von einer
garſtigen Race gelbbrauner und ſtruppiger fuchsähnlicher Hunde,
(Alle wie aus demſelben Neſte), mit eingekniffenem Schwanze und
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Zähnefletſchen heiſer angebellt, wie ein deutſcher Hund nur dann
zu thun pflegt, wenn er toll geworden iſt. –
Mehemed Ali hat mehrere Wochen lang eine Unmaſſe von
Hunden, die ſich früher in Meuten umhertrieben, auffangen und im
Meere erſäufen laſſen; es ſollen mit dieſem Manöver an die
50,000 Exemplare, weniger oder mehr, (ich vertrete die Anzahl nicht)
über Seite geſchafft worden ſein, ſind aber immer noch hier zu viel.
Nach dieſen wetterleuchtenden Vorſpielen zu handgreiflichern
Abenteuern wurde meinem unſchuldigen Novizenthum in Alexan-
driniſchen Myſterien doch zu bange. Ich hatte ihren Champagner-
ſchaum geſchlürft, ich hatte den alexandriniſchen Staub und Schmutz,
die Hitze, die Brunnen, die Bettelheiligen, die Waſſerkameele, die
Mühlen, die todtſtillen Gärten, die traumwüſten Mauergaſſen und
Plätze, die Palmen und die Bananen, die Kaktusfeigen, die Baracken
mit der nackten arabiſchen Gymnaſten- und Schnellläuferjugend, ich
hatte die bettelhaften Gymnoſophiſten, und die entſetzlich ver-
ſchrumpften, bei lebendigem Leibe von Gift und Galle gar gegerbten
alten Weiber poetiſch überträumt: ich machte mich alſo im
wörtlichen Verſtande aus dem Staube, und fand ſo ziemlich den
Weg, welchen ich gekommen war, zurück. –
-
Was die Alterthümer von Alexandrien betrifft, ſo ſind ſie
vielleicht ſchon zu oft beſchrieben, jedoch mit Ausnahme eines erſt
im Jahre 1849 am alten Hafen an einer Grubenſtätte entdeckten
koloſſalen wunderſchönen Sarkophags, welcher aus einem ein-
zigen Stück milchweißen Quarzes ausgehauen und mit von
Genien gehaltenen Blumenguirlanden in Basrelief geſchmückt iſt.
Ich entdeckte dies Prachtſtück, als ich zum Thor von Roſette hinaus-
geritten, zur linken Seite, einem Kirchhofe vorüber, eine gepflaſterte
Römerſtraße verfolgte, die etwa eine Viertelſtunde weit zum Meeres-
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ufer führt. Der Sorkophag ſtand da aus ſeiner Gruft gehoben,
unter freiem Himmel, der Beſchädigung von Hirtenjungen ausgeſetzt,
die ſich leicht den Zeitvertreib machen konnten, den Genien die Naſen
abzuſchlagen, dergleichen bekanntlich auch von civiliſirtem Pöbelaus-
geübt wird. –
Wie es hieß, ſollte der koſtbare Fund auf fernere Anordnung
des Said Paſcha von der Stelle geſchafft werden, was indeß nicht
ohne Schwierigkeiten geſchehen konnte, da die ſchwere Steinmaſſe
einen Bergabſturz hinauf geſchafft werden müßte, während es an
Mechanikern und dem gewöhnlichſten Hebezeug gebricht.
Merkwürdiger und ergreifender wie alle Antiken ſind dem
Poeten die lebendigen modernen Bilder, welche ſich alle Augenblicke
in Alexandrien darbieten und eben nur hier ſo poetiſch in Scene
geſetzt ſind. – -
Kahira liegt zu fern vom Meere; – es iſt ein zu ungeheuer-
licher, fabelhafter, verhexter Steinklump, als daß man ſonderlich
auf einzelne Perſonen achtete, die ſich dort ins Freie hinausmachen;
ſie ſtehen auch mit einem ſo altgläubigen, überall abgeſperrten, halb-
geſpenſtigen, durch tauſend und ein Thor verſchloſſenen Stadtun-
geheuer in keiner Harmonie. Kahira verſchlingt jede Staffage von
Figuren, und wenn es lebendige Antiken unter ihnen gäbe, oder
einen zweiten Napoleon und Saladin.
Aber Alexandrien mit ſeinen nach dem alten und neuen Hafen
geöffneten Straßen, mit ſeinen breiten, lichten, luftigen Vorſtädten
zur Winter- und Frühlingszeit, – da wo die zerſtreuten Paläſte
ſtehen, zwiſchen welchen der Blick frei über Felder und Gärten
hinausſchweifen darf: dies halbaufgelöſte, halbmoderniſirte, zer-
ſtreute, von Italienern, Schiffsleuten und allen möglichen Frem-
den wimmelnde, einer Operndekoration und improviſirten Welt-
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maskerade gleichende Alexandrien: iſt der Ort, wo man die
Spazierritte reicher engliſcher, franzöſiſcher und ruſſi-
ſcher Familien ins Auge faſſen muß. – Als ich zu den
Nadeln der Cleopatra, die an dem Feſtungswalle liegen und ſtehen,
hinausritt, hatte ich die Schickſalsgunſt, ſo eine Seraphs geſtalt
von ſechzehn oder ſieben zehn Lenzen auf einem herrlichen
weißen Araberroß, begleitet von Kavalieren, die ihre Brüder zu ſein
ſchienen, dahin galoppiren zu ſehen. – Ihr langes Reithabit und
ihr Halsſhawl blähten ſich in der Morgenluft. Die Straußfedern
des Barets wogten und ſchwankten mit den üppigſten, halbaufge-
löſten Locken über der roſa angehauchten Wange; die Scenerie von
Meer und Wüſte, von Paläſten und Obelisken ſchien nur die
Staffage für dieſe wiedergeborene Cleopatra; Alexandrien
war kaum gut genug, der Fußſchemel ihrer kleinen Füßchen zu ſein!
Ausflucht nach den Gabarrigärten und zum
Mareotisſee.
Der Dichter kann die Natur beſingen, der Maler
giebt ſie in reichen Bildern, – aber den Duft der
Wirklichkeit, der auf ewig hineindringt und in der
Seele bleibt, vermögen ſie nicht wiederzugeben! –
Eines Dichters Bazar von Anderſen.
Nach den Gabarrigärten nahm mein gefälliger Führer, der
Ornithologe Brehm, den meine haſtigfriſche Neugierde ebenfalls
ins Zeug ſetzte, den Weg über halbwüſte und halbbebaute, fabel-
haft weite Marktplätze und Räume, an deren Grenzen ſich die iſolirt
ſtehenden Gebäude, kleinen Moſcheen und Magazine in mährchen-
hafter Perſpective verloren, – wie wenn die Scene nur eine Deco-
rationsmalerei oder ein Panorama von Gropius geweſen wäre.
Aber die Contraſte ſind in Aegypten Stirne gegen Stirne geſtellt
und ſo ging es bald zu andern Plätzen, durch Budenreihen und
Bazars, mit einem Getümmel von Eſeljungen, von beturbanten
und bekaftanten Geſtalten, über deren durcheinander bewegte Köpfe
die langen Kameelhälſe mit ihren rieſigen Schaafsköpfen hervor-
ragten und wehklagten; und aus den brauſenden Wogen des
arabiſchen Lärmens und Tümmelns kochte von Zeit zu Zeit das
Wuth- und Angſtgeſchrei eines gelangweilten Eſelhengſtes, wie eine
Fontaine, wie die Stimme eines Ungeheuers hervor, zum mindeſten
wähnte man einen hungrigen Wüſtenlöwen auf dem Platze.
49
- Nach dieſen Seenen endlich kam nicht etwa ein Dämpfer,
ſondern ein Klimar, aber in eine mir ganz neue Sphäre hinüber
geſpielt. Ich erblickte diejenige Strecke des Mahmudi-Kanals,
welche im Wortverſtande mit Nilbarken überbrückt und wie ge-
pflaſtert erſcheint. Hier fallen dem Fremden vor allen Dingen
die ſechzig, ſiebenzig und achtzig Fuß langen Segelſtangen, mit
ihren ungeheuern Segeltüchern ins Geſicht; die auf einem kurzen
Maſtbaum beweglich feſt gemacht ſind. – Jede größere Barke führt
zwei ſolcher Segelungeheuer, die nach beiden Schiffsſeiten her-
überhängend, dem Fahrzeuge das Gleichgewicht, und in der Ent-
fernung das Anſehn geben: von einem ungeheuern, durch die
Wellen fortſchießenden Schwan.
Wenn man von einer Unmaſſe Barken, mit einem Walde
von ungeheuern, auf kurzen Maſten ſchwebend gehaltenen, und nach
derſelben Richtung geneigten Segelſtangen, von einem Gewimmel
nackter und wüſt durcheinander ſchreiender Araber ſpricht: ſo ſcheint
das dem ruhigen Leſer, der in europäiſchen Hafenorten war, eben
nichts Außerordentliches zu ſein; – und doch iſt's dieſes in einem
Grade, in einer Weiſe, von der ſich kaum eine leiſeſte Färbung,
ein entfernteſter Ton, eine Ahnung geben läßt. – Es war
etwa um die Vesperzeit; – es war ein unerklärlich be-
zogener, myſteriöſer und doch wolkenfreier Himmel. bei einer
ſchwülen und ſtaubigen Luft, Die Fellahbarken ſind alleſammt
roh gezimmert, ohne Anſtrich von Farben oder Theer; vielmehr
häufig mit Schlamm und Dünger verklebt; – und dazu ſtarrt die
ungeheure Maſſe der gleichfarbigen, graubraunen Segelſtangen in
derſelben ſchräg aufſteigenden Richtung nach derſelben Weltgegend
in die Luft, wie die Spieße und Bäume von unbekannten Sturm-
maſchinen oder andern Ungeheuern, welche zum Kampfe gegen
die kultivirte Welt ausgezogen ſind.
Und es iſt noch etwas Anderes, Wüſteres, Fabelhafteres in
4
50
dieſer echt ägyptiſchen Scene, wovon die Seele traumgeängſtet und
die Bruſt wie von einem Alp gedrückt wird: es iſt eine unausdeut-
bare Allegorie, und ſie liegt, wenn man ſich da hineinempfinden und
hinüberträumen kann, in der Einförmigkeit, der Einfarbig-
keit, der unſaglichen Monotonie, der Ruhe und Todtenſtille von
Wüſte und Meer, zwiſchen denen dieſe bunten und lärmenden
Bilder eingeſetzt und feſtgerahmt ſind. –
Es iſt mit dieſem arabiſchen Kanallärmen, wie mit einem
Jahrmarkt, der in einer ſybiriſchen Winterwüſte zuſammen getrom-
melt iſt; wie auf dem Weltmarkte von Niſchney-Nowgorod, wo
Waaren hinkommen für 70 bis 100 Millionen Silberrubel an
Werth; wo man Felle von Zobeln und blauen Füchſen, dazu Gold-
und Silberbarren, ja ſogar Edelſteine aus der Bucharei und Indien
erhandeln kann, und doch nur der Lebensſtrom des Geiſtes
unter eiſiger Decke fortſtrömen darf. – Es iſt alſo wie eine
Fackel, oder wie eine Feuersbrunſt bei der Nacht, durch welche eben
nur die Finſterniß ſichtbar gemacht wird. – Und hier am Mahmudi-
Kanal fühlt die hörige, freiſinnige Seele aus alle dem bunten und
wüſten Lärmen doch nur die pharaoniſch-despotiſchen Steinpyra-
miden, den Mumientod, das Schweigen der ſchwülen
Sandwüſte, die betrüglichen Luftſpiegelungen, die quellen-
loſen Oaſen, das tückiſcheinſchläfernde und einförmige Wellenſpiel
des rundum eingeſchloſſenen, und von einem übermüthigen
Inſelvolke beherrſchten Mittelmeeres heraus, welches nur durch
eine enge Straße mit dem Weltmeere korreſpondirt. –
Ich kann die Ausdeutung, ich kann das Bild vom maſten-
reichen und doch verſchlammten, ſchmalen, flachen Mahmudi-Kanal,
der über ſo viele Tauſende Leichen der geopferten Arbeiter trübe und
träge hinwegfließt, nicht weiter verfolgen; aber ſo viel iſt gewiß:
dieſer Kanal giebt dem ſymboliſchen Verſtande das erſte, die Seele
durchſchauernde Geſicht vom alten und neuen Aegypten, vom todten
51
Leben und vom geſchäftigen Tode auf dem Nil; von der ägyptiſchen
Wirthſchaft, die noch heute ſo tyranniſch und menſchenmörderiſch
iſt, wie zu Möris *) Zeiten, der das ungeheure Nilbaſſin, den See
Möris ausgraben ließ. –
Und was nicht das Meer und die Wüſte und der geheimniß-
volle Nil erzählen, deſſen Quellenmyſterien und Kulturgeſchichten
ſich die voraushaſtende Phantaſie in den ſchlammigen Nilwaſſern
des Mahmudi-Kanals pränumerirt, das träumt die Seele in den
dunkeln, aus der Ferne herüberſchimmernden und herüberfabelnden
Schilfmaſſen des See's Mareotis, welcher im Alterthume
ſtark kultivirt war, und 50 Karawanenſtunden im Umfange hielt.
Im Jahre 1801 durchſtachen die Engländer den Damm, der dieſen
See vom See bei Abukir trennt, und über welchen der Mahmudi-
Kanal jetzt hinführt: da drangen die Meerwaſſer von dort heran. –
Der Damm iſt ſchlecht wiederhergeſtellt; der See wächſt und fällt
alſo mit dem Nil. Man gewinnt aus ihm große Maſſen von Salz.
– Zwiſchen dieſem Mareotisſee und dem Mittelmeere reckt ſich nun
eben eine ſchmale Sand- und Kalkwüſte, wie die ſtaubige
Zunge eines vor Hitze lechzenden Ungeheuers hin, und
auf ihrer Spitze liegt Alexanders todtlebendige Stadt,
mit ihren würfeligen, weißen Kalkſteingebäuden, wie
ein tauſend wirbliger antediluvianiſcher Hydrarchos
unter Palmen und am Meeresſtrande ausgeſtreckt: ein
Monſtrum auf des Weltenſtürmers Grabe! – Dieſe Ro-
mantik und Symbolik iſt der Profit einer zu Grunde gerichteten
und von Naturalismus überwucherten arabiſchen Kultur; aber ſie
kommt allein dem kurioſen Reiſenden zu gut, der Aegypter profitirt
ſie nimmermehr. –
*) Nach Lepſius Entdeckung heißt der Erbauer des Labyrinthes und
ſomit wohl auch der Urheber des gegrabenen See's: ,,Amen em ha“
und war er der ſechſte König der zwölften Dynaſtie.
4*
52
In ſolchen Träumereien ritt ich vom Mahmudi-Kanal fort,
durch lange, herrliche, lichtdunkle Alleen von Sykomorren und
Akazien, durch Plantagen, Fruchtfelder und Gemüſegärten, durch
eine ganze mit Kunſt und Sorgfalt, aber leider auch mit heilloſer
Brutalität und Tyrannei ins Leben gerufene Landſchaft, die aus
den Kanalwaſſern getränkt wird, gleich der Stadt ſelbſt. Ich hatte
die Augen überall und gedachte alles zu faſſen und zu behalten, aber
die Neuheit und Mannigfaltigkeit der Gegenſtände, das Mährchen-
hafte der Scenerie und meiner Situation, äſcherte meinen ſo ſchon
zuſammengeſchnurrten Verſtand vollends ein, und löſte dann meine
Einbildungskraft in Schaum und Traum. – -
Ganz unerhörte Dinge, ganz neue Welten muß man mehrere-
male ſehen, um ſie verſtändig zu begreifen, zu behalten, und um
auszugeſtalten, was man geſehen. Ich habe das auch gethan, ich
bin noch einigemale am See Mareotis geweſen, aber ſo ſchön hat
ſich meine brennende Phantaſie nie kopfüber in ſeine Waſſer geſtürzt
und in ſeinen Wundern gebadet, wie dieſes erſte Mal. Das
Topographiſche, das Botaniſche, Mineralogiſche, Zoologiſche und
Geologiſche mag indeß ein poſitiv gelehrter und informirter Doktor
oder Magiſter regiſtriren, ich hab' es auch auf der letzten Ausflucht
nicht ſonderlich inſpizirt oder kapirt. Ich bin keineswegs nach
Karten und Planen geritten, und habe nicht mal eine Bouſſole im
Stiefel, oder ein Thermometer im Buſen gehabt, denn mein klein-
ſtädtiſches Herz und meine weitläuftige Einbildungskraft, ließ zu
Inſtrumenten und Experimenten keinen Raum. – Die Feldmeſſer
und Phyſiker mögen mir das verzeihen. Ein Poete iſt nun einmal
ein flüſſiges und halbkonfuſes Subjekt und läßt ſelbſt trockne Farben
ineinander laufen, wie im türkiſchen Papier. Bei dieſer phantaſti-
ſchen Lebensart habe ich aber wenigſtens die muhamedaniſchen
Gartenkünſte mit einem muhamedaniſchen Geſchmack und Sinnen-
taumel geſehn, und das ſcheint mir für die Gabarrigärten keineswegs
53
ohne Raiſon. Was nun aber die Farben und Formen der
afrikaniſchen Vegetation und Scenerie betraf, ſo bildeten ſie ſich
meinen traumwachen Sinnen zu Roſetten und Chromatropen
ein, ich mochte wollen oder nicht. – Das Bewegungstempo für
dieſe Kaleidoskopſpiele gab die Reitpeitſche und die Haſt meinem
Eſel unter den Fuß, der überdies ſo feurig war, wie nur ein weſt-
preußiſches Pferd; und an der Transparenz fehlte es bei dem
gluthenden Lichte der afrikaniſchen Sonne keinen Moment.
Ich hatte alſo ein ägyptiſch-chineſiſches Feuerwerk in den Augen
und im Kopfe, das ſich keinen Augenblick recht beſchreiben läßt, weil
es alle Augenblicke ein anderes iſt. –
Es war ſchon ſpät geworden; die karmoiſinglühende, in den
Dünſten des Mareotis violett ſpielende Sonne konnte etwa noch
eine Stunde am Himmel ſtehen, alſo jugen wir denn im unausge-
ſetzten Galopp durch die endloſen Alleen fort und fort und mit uns
ein ganzer Haufe Eſelritter vom chriſtlichen und muhamedaniſchen
Glauben, die bei dieſer Gelegenheit ihre gegenſeitigen Sympathieen
in der Thier- und Menſchenauälerei fanden. Endlich aber wurde ich
durch eine von denjenigen Scenen aufgehalten, die ich ſo ſehnlichſt
erwünſcht hatte, wie nur den Anblick einer paradieſiſchen Vegetation,
ſo wenig dieſe auch jenem Erlebniß entſprach. – Aber es gilt ja
eben in dieſem Lande und Welttheil die Contraſte und nicht
die Harmonie. – Und was bekam ich hier zum erſtenmal zu
ſehn? – Einen Paſcha, einen türkiſch-arabiſchen Prinzen, den
Said-Paſcha, den Bruder Ibrahims, den Schöpfer der Gabarri-
gärten, – einen ungeheuerlich dicken Herrn. Er war im Begriff,
ſeinen langſamen Abendritt durch die Zaubergärten und Alleen zu
machen, und zwar auf einem luſtig wieherndem und ſchnaubenden,
ſchön geſchirrten, ſchneeweißen Hengſt. –
Das prächtige arabiſche Thier war ſchön und ſtämmig, war
muthig und fromm zugleich ausgewählt, wie verhältnißmäßig in ſo
F
54
-
glücklich edler Blutmiſchung kaum ein Menſchenkind aufzufinden iſt,
– und der Reiter ſaß ſo breit und dickwanſtig wie ein Fallſtaff auf
dem rund gerippten Roß. Mit der rechten fetten Fauſt hatte er
einen ſchwarzen, neben dem milchweißen Thiere ſchreitenden Sklaven
ins wollige Haar gefaßt; ein zweiter Neger oder Nubier hielt ſich
am linken Steigbügel feſte, und führte den tanzenden Hengſt im
ruhigen Schritt; und zwiſchen den beiden muskelgeſchwollenen,
dunkeln und ſchön modellirten Geſtalten in kurzen ärmelloſen Hem-
den, mit ſeidenen Kaftanen in kurzen Pumphoſen, die bloßen Beine
vom Knie ab in Saffianſchuhe geſteckt: – ſaß der Prinz wie ein
modellirter und türkiſch koſtümirter Fettklumpe, wie ein ſeidner
Sack voll Sand; aber mit einem ſchönen Kopf und Geſicht.
Und um den arabiſchen Abt von St. Gallen herum, und ihm vor-
auf, der über Tod und Leben, über Baſtonaden und Geſchenke mit
einem Worte und einer Miene verfügt: da tummelten ſich geſchäftige
und eilfertig rennende, mit geſpannter Aufmerkſamkeit zu den Sei-
ten und hintennach gehende, des leiſeſten Winkes befliſſene Diener
und Unteroffizianten, mit Seſſeln, Teppichen, Gezelten, Gefäßen,
Erfriſchungen und Luxusartikeln; wie mirs ſchien, ohne Namen
und Zahl. – Und dem mächtigen Plenipotenten von Alexandrien
hinterdrein folgten in einer eleganten Pariſer oder Londoner offenen
Kaleſche, die wie ein Spinnrädchen fortrollte, ein Paar Adjutanten,
Hausoffizianten, oder wie ich ſie ſonſt tituliren ſoll; denn ich fragte
ſie nicht um ihren Dienſt und Rang, ſondern grüßte ſie und den
Prinzen reſpectvoll genug um nicht eventualiter zu einer Baſtonade
herangewinkt zu ſein, die bekanntlich durch keinen Widerruf und
keine Ehrenerklärung abgewaſchen wird.
Das war die Scene, die ich erſehen, und der Mann, den ich
in Alexandrien zu ſchauen begehrt. Ich guckte ihn mir im ehr-
erbietig langſamen Vorbeireiten ſo ſcharf an, als dies die Schick-
lichkeit geſtattete und galloppirte dann, von arabiſch-türkiſcher
55
Fürſtlichkeit und Herrlichkeit illuminirt, zu dem ſchönſten der Ga-
barrigärten: zu demjenigen, in welchem damals ein Sommerpalais
gebaut und von italieniſchen Künſtlern mit Plafondgemälden de-
korirt wurde, was al fresco geſchah, ich aber das mal in halber
Dunkelheit beſah. – Der Prinz hatte zu unſerer Freude einen
andern Weg eingeſchlagen; wir ließen alſo unſere Eſel von ihren
unermüdlich mitgaloppirenden Antreibern halten, und ſchlüpften
durch eine auf unſer Anpochen von einem Gartenwächter geöffnete
Thüre, und dann unter Pränumeration, wie Verſprechungen von
Bakſchiſch, in das arabiſche Paradies. Wie mir das Herz ge-
ſchlagen hat, als mich die betäubenden, eſſentiellen Abenddüfte alle
der Wunderblumen und gewürzigen Kräuter, – als mich die dunkeln
Jasmin- und Roſenlauben umfingen, als ich zum erſtenmale in
meinem Leben in ein Wäldchen von Zitronen- und Orangenbäumen
trat, deren Früchte und Blätter die flammende Abendſonne mit
goldigen Tinten und einem magiſchen Lichtdunkel übergoß: das
rührt man mit keinem Worte von Erden an. Und doch blieb mir
von meiner jugendlichen Romanleſerei und den Erinnerungen aus
tauſend und einer Nacht ein letzter Wunſch: die Sehnſucht nach der
Spitze, nach der Blume der Belohnung jedes Abenteuers, ohne
welche alle Paradiesgärten Spott und lange Weile, wenn nicht
Verzweiflung, Unnatur und bodenloſe Melancholie zu ſein pflegen:
ich hatte keine Odaliske, keine Haremsbewohnerin auch nur von
ferne erblickt. Es hilft nichts, man muß entweder nicht in ſo ein
natürliches Paradies hineingucken, wenn man noch einen Reſt von
Adamsnatur konſervirt, oder man thuts nicht ohne Sünde und
Melancholie.
Am Vormittage und bis zur Vesperzeit war die Hitze für
Exkurſionen zu groß; – am frühen Morgen der ſtarke Thau ein
56
Hinderniß, um zu Fuße in irgend welcher Vegetation umherzugehn.
Ich und mein ausdauernd dienſtfertiger Führer, wir konnten alſo
wieder nur an einem Spätnachmittage die Gabarrianpflanzungen
bereiten. Diesmal hielten uns aber weder der Mahmudi-Kanal,
noch der Prinz und ſeine Schloßgärten auf; und wir gelangten ſo-
mit noch bei vollem Tage auf den Damm, der durch die Nie-
derungsplantagen am See Mareotis hinführt.
Wenn man nun erzählte:
In dem fetten Marſchlande, zu beiden Seiten des mäßig
breiten und hohen Dammes, ſtanden da junge und alte, hohe und
ſtrunkige Dattelpalmen (etliche wie paradieſiſche Kalmuswurzeln
anzuſchauen); eine Gruppe derſelben auf trocknern Stellen, andere
Bäume und Sträucher in einem Sumpf, welcher von der Sonne
eine Kruſte von Schlamm, von zuſammengeſchwemmten aſchfarb
vertrockneten, und beſchlammten Vegetabilien erhielt; – auf andern
Quartieren des von der Ueberſchwemmung abtrocknenden Niederungs-
bodens gab es Olivenbäume und Zuckerrohrpflanzungen, – zunächſt
am Damme bildeten preußiſche Weichſelpappeln eine Allee; und an
Küchengewächſen, z. B. an großen Maſſen von Zwiebeln und Ra-
dieſern, von Rettig und allen Arten von Kohl fehlte es keineswegs:
ich ſage, wenn man ſo referiren wollte, ſo könnte das für eine ganz
richtige und verſtändige Beſchreibung paſſiren, und doch wäre ſie
unrichtig, ſchon weil ſie gar zu verſtändig und nüchtern:
nur das Material, das trockne Holz, die Körperlichkeit und Hand-
greiflichkeit der Scene gäbe, nicht aber ihre Beleuchtung, ihre Seele
und Phyſiognomie, nicht ihren Grundton, – nicht das Lebens-
und Schönheitsprinzip, in welchem die Natur dieſe Mareotisſcenen
komponirt, gefärbt, konfigurirt und transparent gemacht hat. –
Es ſpricht freilich keine Zunge aus, es malt es kein Claude
Lorrain, wie dieſe afrikaniſche Niederungsvegetation von Licht und
Aether, von Ruhe und Schweigen umfloſſen iſt; wie ihre chaotiſchen
- 57
Bilder, ihre ſich aus Waſſer und Schlamm herausarbeitenden Palmen
und Orangen, vom ägyptiſchen Himmel akkompagnirt und verklärt
werden, über den nur dann und wann leiſe Wolkenſchleier wie
Silbergazen dahin ziehen, welche die tiefer und tiefer ſinkende
Sonne, mit Roſa und hohem Purpurgolde umſäumt: aber ein
naturbeſeelter, ein gewiſſenhafter Beſchauer, ſo einer, dem die
Seele der Erſcheinungen, die himmliſche Allegorie, die
Muſik in allen natürlichen und menſchlichen Dingen was zu ſchaffen
macht; der deutet doch wenigſtens ſolche Geſchichten an;
– der ſchreibt doch einige Noten hin, falls er auch riskiren muß,
daß er ſtille Muſik macht, ihn alſo Niemand hört und verſteht, –
oder daß man ihm nur auf einem Dudelſack akkompagnirt. –
Muß doch zuletzt unſer Herr Gott ruhig zuſehen, wie ſeine ſchöne
Welt ſelbſt in Künſten und Wiſſenſchaften, wie ſie in ſogenanntem
Lieben und Glauben, in rohen Freuden und Leiden, von Ueber-
bildeten und Ungebildeten, von den Barbaren der Natur
und der Civiliſation: nach allen Seiten und in allen Sphären
verhunzt und verfratzt, gemißdeutet und übel ausgebaut wird.
– So kann es denn ſchon ein Winkelpoete darauf ankommen laſſen,
ob man reproduziren werde, was ihm Klang und Sang wurde,
Gottesmyſterium und Naturpoeſie! –
Auch am heutigen Tage folgte dieſen Bildern des ſtillen
Segens und Wachſens, des hundertfältigen Gedeihens, dieſem
heiligen Gottesfrieden im Himmel und auf Erden: der die Para-
diespalmen wiederum aus den Schlammwaſſern der verlaufenen
Sündfluth ans goldne Tageslicht rief, – die Kehrſeite der ägyp-
tiſchen Wirklichkeit und Welt.
Wir gelangten ruhig fortſchreitend zu Bauwerken und Gärten,
in denen Erdarbeiten durch allerlei zuſammengerafftes Geſindel:
Männer, Weiber und Kinder ausgeführt wurden. Nur wenige
58
hatten Grabſcheite, Hacken, Schaufeln, Schiebkarren oder ein anderes
ordentliches Geräth. Die Maſſe arbeitete mit nothdürftig zurecht-
gemachten und lächerlichen Hilfsmitteln: mit Spähnen, Stöcken,
Scherben und mit bloßen Händen. Die Aermſten trugen Erde in
Körben und Schürzen, in ihren Hemden in Töpfen und Schüſſeln
und auf Brettſtücken fort indem die Laſt auf den Kopf geſetzt und
entweder mit einer Hand, oder ganz frei balancirt ward. – Das
war mal wieder eine echt arabiſche Scene, eine Unordnung, ein
Wirrwarr, ein Geſäuer, ein Gezänke und ein Geſchrei, als wenn
Holland in Waſſersnoth, oder vielmehr Jeruſalem in Belagerung
geweſen wäre! Die Aufſeher gehörten wohl ſelbſt dieſer ismaeli-
tiſchen Raçe an. Der Tag mußte ſie auch bereits mürbe gemacht
haben, und ſo ſchienen ſie dem Getümmel und der Verwirrung von
Babylon, ziemlich theilnahmlos zuzuſchauen; um deſto toller aber
wurde das Gewirre und Gezänke von Moment zu Moment.
Ich ſtellte mich auf die Mauer einer in in Kalkſteinen und
Kalkmörtel aufgeführten Waſſerleitung, die an allen Stellen
ſo con amore krumm und bucklicht, ſo pfuſcherig zuſammen-
geklebt, und wie ich weiterhin in Erfahrung brachte, ſo zick-
zackig fortgeleitet war: daß ſie für ein vollkommenes Sym-
bolum des arabiſchen Naturells und der Zickzackbewegungen
in dem durch einander arbeitenden Menſchenhaufen gelten darf.
Wenige Schritte von dieſer kunſtbucklichten Waſſerleitung befand
ſich ein ganz kleines Gebäude, wie bei uns ein Gebeinhäuschen an-
zuſehen, in welchem man durch ein vergittertes Loch einen berühm-
ten antiken Meduſenkopf ſieht, der auf einer Steinplatte am
Fußboden in alter Moſaik ausgeführt iſt. –
Die untergehende Sonne überglänzte den Mareotis, in deſſen
Rohr- und Schilfmaſſen die Abendlüfte wühlten mit falbem und
fabelhaftem Schein. Mir ſchien es, man brauchte unter dieſen
59
Scenen wahrlich kein extraordinärer Symboliker zu ſein, um zu
empfinden: daß hinter den Kompoſitionen der Wirklichkeit, wenn
ſich Natur- und Kulturgeſchichten ineinsbilden und begleiten, jede
Dichtung und Ausdeutung des Menſchenwitzes weit zurückbleiben
muß. Gewißlich wahr, Aegypten hat vor allen Dingen
Grund gehabt, ein Moſaikbild des verſteinernden Me-
duſenhauptes zu konſerviren, denn das Symbol um und
Princip ſeines Regiments und ſeiner Kultur iſt Ver-
ſteinerung und Moſaik. –
Die Pompejusſäule.
Für die folgende Kleinigkeit über die Pompejusſäule ſei mir,
um einer leicht möglichen Mißdeutung vorzubeugen; eine Bemerkung
vergönnt. –
Man kann nicht füglich von Alexandrien referiren, ohne die
Alexandriniſche Gelehrſamkeit zu bedenken. In verbindlicher Weiſe
geſchieht dies natürlichermaßen nicht; – ſchon weil man an ſo viel
Alexandriniſches in unſern Tagen erinnert wird. –
Mißliebige Anſpielungen aber auf wahre, lebendige Wiſſen-
ſchaft und Kunſt wird ſich Derjenige am wenigſten zu Schulden
kommen laſſen, der in Aegypten oder in einem andern halbbarbari-
ſchen Lande erfuhr, wie wenig der Menſch, die bloße Natur
auszuhalten vermag; und daß eben der Geiſt, welchen echte Ge-
lehrſamkeit vertreten und groß ziehen muß, den andern Pol und
Factor aller ſegenbringenden Kulturgeſchichten in ſich begreift,
Meine geehrten Leſer wollen überhaupt weniger wiſſen,
was ich in Alexandrien und in ganz Aegypten hätte denken ſollen
– als was ich dort geſcheuter- oder närriſcherweiſe wirklich ge-
dacht; – und darum berichte ich ohne Winkelzüge und Schön-
pfläſterchen harmlos, was ich meditirt und notirt. –
61
Die aller Welt bekannten und eben deshalb von mir bis an's
Ende aufgeſparten Merkwürdigkeiten Alexandriens, um derentwillen
der Alterthumsforſcher von dieſer Stadt Notiz zu nehmen pflegt:
ſind die beiden ägyptiſchen Obelisken, die ſogenannten Nadeln der
Kleopatra (aus der Periode der Könige Thuthmosis III. im 16.
Jahrhundert vor Chriſto; ſpäter des Rhamses-Mi-Amun) und die
Pompejusſäule, welche nach der griechiſchen Inſchrift an der
Baſis dem Kaiſer Diokletian vom Präfekten Publius geſetzt
worden iſt.“)
Die Höhe der ganzen Säule, die frei von Schutt auf einem
elenden und ſehr defekten Fundament von unbehauenen Steinen
ſteht, beträgt mit Knauf und Sockel (welcher letztere aus einem be-
ſonderen Granitblocke zugehauen iſt) nach der Angabe von Prokeſch
98 Pariſer Fuß. –
Der Schaft, aus einem Granit mit viel rothem Feldſpath
eingeſprengt und von den Nil- Katarakten gebrochen, mißt 63
Pariſer Fuß Höhe; oben 7 Fuß 3 Zoll im Durchmeſſer, unten auf
dem Piedeſtal 8 Fuß 4 Zoll. – Die Säule verjüngt ſich dem
Auge wundervoll, und iſt überhaupt ein Meiſterſtück der Pro-
- portion.
Eben aus dieſem Grunde geht es dem Beſchauer mit dieſer
ſchönſten Kolumne der Welt, welche (die Alexandersſäule in Peters-
burg ausgenommen) auch für den mächtigſten Monolith in Säulen-
form gelten darf, – wie mit der Peterskirche und den Pyramiden,
deren Koloſſalität um ihres glücklichen Ebenmaßes vom Auge unter-
ſchätzt zu werden pflegt. -
*) Lepſius hat noch einen bis dahin unbekannt gebliebenen Königs-
namen, der auf den äußerſten Rändern der 4 Seiten eingeſchrieben war,
erbeutet; eben ſo auf einem Block des Unterbaues an der Pompejus-
ſäule das Thronſchild des zweiten Pſammitich erkannt.
62
Sinn und Geiſt faſſen ſelten vom erſten Moment mit voll-
kommenen Bewußtſein, was ihnen erſcheint. Es bedarf dazu einiger
Sammlung, des Kontraſtes und eines Maaßſtabes zum Vergleich.–
Für die Pompejusſäule giebt es einen ſolchen nicht, ſie ſteht
einſam auf einer Anhöhe, mitten unter kahlen Kalkhügeln, in einer
Wüſte von Scherben und Schutt. Wie zur beſtimmteren
Ausdeutung befindet ſich noch ein ſchöner Friedhof ganz in der
Nähe, mit Aloepflanzen auf den Gräbern und aufrecht geſtellten
Grabſteinen, an deren oberen Enden Turbane ausgemeißelt ſind:
aber nirgend giebt es einen Baum, einen Strauch, oder nur einen
Grashalm, mit welchem der Wind ſpielen könnte; denn jene ſtach-
lichten, ſteifen, dicken Aloe ungeheuer erſcheinen wie von grü-
nem Stein oder Metall. Kein Ton einer lebenden Welt tönte
zu dieſer Todesſtätte herüber; kein Vogel flog in jenen Augenblicken
über dieſe Kirchhofſtelle einer vernichteten Rieſenſtadt, die durch den
allmächtigen Willen eines Weltenſtürmers aus dem Nichts hervor-
gerufen, für die gebildeten Geiſter der alten Welt neun Jahrhunderte
hindurch eine Weltſtadt geworden war. –
- Die Jahrhunderte rollten vorüber, – ſie verſanken wie eben
ſo viele Tage und Augenblicke im Meere der Zeit; und mit dieſen
Jahrhunderten, den Weltſekunden, ſank auch die eingeweidloſe,
nimmerſatte, bucklichte Rieſenhere Schulgelehrſamkeit, die ſeelenloſe
todtgeborne Tochter des Gedächtniſſes, in ihr zeitlebens aus-
gehöltes Grab; und über ſie hin ſtürzten die Trümmer ihrer Schul-
ſtätte, der wiſſensſtolzen Alexandria und über dieſe hinweg die alte
und neue Fluth: Menſchenleben, Weltgeſchichte, Natur!
– Hier, zu dieſer Grabſäule der Alexandriniſchen Weltgelehrſam-
keit, die am hohlen Formalismus und Schematismus, am Notizen-
kram eines entſeelten Gedächtnißverſtandes zerkrümelte und zerbrach:
müßten die Schulweiſen wallfahrten, um ihren Hochmuth zu Paaren
zu treiben, um ihre thönernen Götzen: Grammatik, Logik und
63
Mathematik, um ihren Vokabeln-, Chablonen- und Notizenverſtand
an dieſen Topfſcherbenbergen, auf dieſem Felde von Kalk und
Leichenmoder, in ſeinem letzten Stadio zu beſchau'n. –
Und was ſpiegelt ſich denn in der einen ſtehen gebliebenen
Säule, was bedeutet ſie ſelbſt, mitten in dieſer Gräberwüſte von
Schutt? – Vielleicht das Gegentheil von überfreſſener todter Ge-
lehrſamkeit, nämlich: Ebenmaß, Schönheit, – Weltökonomie; eine
Harmonie, die auch den todten Stein beſeelt, die er den ſchwere
Maſſe überwindet und an ewig ſchönen Verhältniſſen,
in den ewig klaren Aether zum Himmel hin anſteigen
darf, – während die Ungeheuerlichkeit, der todte Mechanismus,
die garſtige Verſtandesunzucht und jede Sünde wider Lebensſchön-
heit und Weltökonomie in Scherben zerbröckelt, dem Erdenſtaube
zurückgegeben wird. –
Mit ſolchen Gewiſſensbiſſen flocht ich „alte Gedanken und
neue Grillen“ zuſammen; aber es war mir, als ſei ich verdammt,
den Faden zu drehen, der durch das alte und neue Labyrinth
der Weltmyſterien führt. – So ſann ich und käuete an dem
Staube, den mir die Alexandriniſche Gelehrſamkeit aus Rache
zwiſchen die Zähne warf, ſo ſtand ich vor der wunderſchönen, durch
Harmonie die alte und neue Welt verbindenden Säule,
und neben mir meditirte vielleicht mein auerköpfig obſtinates Reit-
eſelein, das zum Hündchen am Sockel der Rieſenſäule verſchrumpfte,
wie ich ſelbſt zu einem Gnom: – das Alles ſchien mir verdammt
anzüglich komponirt, das machte mir immer melancholiſcher und
fataler zu Muth: – da ſtörte mich der Eſeljunge aus dem Traum.
Er mahnte zum Aufbruch, denn wir wollten noch zu den Granit-
nadeln der Kleopatra hin; und als ich nun dieſen nackten Cicerone
ſo recht ins Auge faßte, da ſchienen mir ſeine Gliedmaßen eben ſo
proportionirt und ſchön, wie die Verhältniſſe der Pompejusſäule
zu ſein. Erkenne die ausgleichende Gerechtigkeit! tönte
64
es in meinem Innern, welche die Menſchenwerke, die Werke des
reflektirten Menſchenwitzes, die falſchen Künſte und Wiſſenſchaften
zerſchmeißt, aber die Schöpfungen der Natur und Uebernatürlichkeit,
den Menſchenleib, die Menſchenſchöne, die Seelenſchönheit im
Sturme und Sturze aller Zeiten heilig erhält und keinem Stande,
keiner Rage entzieht! -
Ich verbiſſener Tiefdenker, ich marinirter Kleinſtädter har-
monirte den Guckuck mit der wunderſchönen Denkſäule: aber der
ſchlanke Eſeljunge, das ſchien mir klar, der paßte nackt wie er
war, auch ohne Ziſelirung und Drapirung als Bildſäule, als
lebendiges Symbol um des heutigen Aegyptens und Alexandriens
zu dieſer Kolumne, und zwar oben hinauf!! Alſo: ob alte
oder neue Welt: – – Schönheit, Harmonie, Oekonomie
bleiben ihr unverwüſtliches, ihr unſterbliches Prinzip!“
Zu dieſem ethiſch-äſthetiſchen Schluß muß ich aber leider eine garſtige
Nachſchrift hinzufügen:
Vom unterſten Theile des Schafts hat die Barbarei der alten
Zeiten ein mäßiges Stück fortgeſchlagen, – die moderne Kultur-
barbarei dagegen mit ellenlangen und handbreiten ſchwarzen Buch-
ſtaben den ganzen Sockel bepinſelt und die verdammten Namen
ſchamloſer Weiſe bis in das, aus einem Stück mit dem Schafte
gehauene, entweder nie ganz fertig gemeißelte, oder ganz ver-
witterte korinthiſche Kapitäl, wie an einen äſthetiſchen
Pranger hingeſchmiert. Die Schwierigkeiten, da hinaufzukommen,
ſind ſo koſtſpielig, und ihre Löſung ſetzt ſo viel Raffinement voraus,
daß ſie nur von bemittelten und ſogenannten gebildeten Perſo-
nagen, abſurder und ſchamloſerweiſe überwunden worden ſind. –
Die nackten Araber alſo haben der Säule keinen Schaden zu-
gefügt, aber die bekleideten Europäer, die gebildeten Fremden, die
Weltreiſenden thun den ſchönen Kunſtwerken, ſich ſelbſt und der
Civiliſation ſolchen Schimpf! –
Es wird aber nicht bloß an der Pompejusſäule oder an den -
Pyramiden und in den Gräbern zu Theben, ſondern an allen
Kunſtwerken, Dingen, Orten und Stellen, die irgend abzulangen
oder begreiflichermaßen nicht zu erreichen ſind, dieſe Entweihung
und Beſudelung mit Nameninſchriften verübt. Man findet koſt-
ſpielige, halsbrechende, ſcharfſinnige, mühſelige, ja ganz unerklär-
liche Manöver und Operationen im Dienſte dieſer chroniſchen In-
ſchriftenmanie und Namens-Proſtitutionsverſuche exekutirt; der-
geſtalt, daß es mich ſtellenweiſe gleichwohl gerührt und nachſinnend
gemacht hat: denn das Ding will doch, ſo garſtig und abgeſchmackt
es an ſich erſcheint, auf Verewigungs- und Unſterblichkeits-
bedürfniſſe hinaus. Die arme Dutzend- und Commißſeele
will nicht im Meere des allgemeinen Lebens erſäuft, ſie
will ihre Namenshieroglyphe von der Welt buchſtabirt, ſie will alſo
wenigſtens einen Hauch und Schatten ihres Sonderweſens aus dem
heilloſen entſetzlichen Nichts, aus der Erdenvergänglichkeit für ein
Paar Weltaugenblicke gerettet ſehn, welche der Erdenverſtand
Jahrhunderte nennt; – und die Helden, die Propheten, die
Genien aller Zeiten erreichen ja auch nichts mehr. Es iſt ja Alles
Schattenſpielerei; und wenn der irdiſche Ruhm das irdiſche
Verdienſt und die irdiſche Weisheit oder Heiligkeit ſich dem all-
gemeinen Erden nichts nicht entziehn, – wie wäre denn im
Grunde beſehen die Abgeſchmacktheit und die Narrheit und die
irdiſche Proſtitution eine Realität oder viel mehr als ein Nichts!
Tagebuchs-Motizen in Alerandrien,
bunt und krau5.
Das Haus des öſterreichiſchen Konſuls Laurin ſoll auf der
Stelle ſtehn, wo nach Pauſanias Beſchreibung die Alexandriniſche
Bibliothek geſtanden hat. – Ueber ihre Stelle, (oder richtiger über
eine von den Stellen) will man durch den einen noch aufrecht ſte-
henden Obelisken der Cleopatra, und die eben ſo weit zu ſchauende
Pompejusſäule orientirt ſein.
Auf der vermeintlichen Stelle der alten Bibliothek ſind Bild-
ſäulen und ſelbſt Bücherkiſten (?) oder ſolche Geräthſchaften und
Bruchſtücke von Mobilien ausgegraben, die darauf hinweiſen, daß
ſie zu einer Bibliothek gehörten und Spuren eines Brandes ſollen
deutlich an ihnen zu erkennen geweſen ſein.
„Hammer“ behauptet (entgegen neueren Annahmen, zu Folge
deren: ein Haufen fanatiſcher Chriſten unter Anführung des Erz-
biſchofs Theophilus den Tempel des Jupiter Serap is, und
mit ihm die Bücherſammlung zerſtört habe): Omar ſei und bleibe
der Zerſtörer der Alexandriſchen Bibliothek, – die einſtimmigen
Zeugniſſe der alten Schriftſteller würden durch nichts entkräftet.
67
Alexandrien hatte in der Blüthezeit 600.000 Einwohner. Ein
Mamelukenſultan ſtiftete auch eine Bibliothek zu Alexandrien, die
bereits 600,000 Bände gehabt haben ſoll. – -
Die von den Ptolemäern geſtiftete Sammlung wurde auf
400,000 Bände oder Rollen geſchätzt und umfaßte die geſammte
römiſche, griechiſche und ägyptiſche Literatur. – Der größere Theil
war im ſchönſten Theile Alexandrias im Bruchium aufgeſtellt, und
verbrannte während der Belagerung durch Julius Cäſar, wurde
aber durch die Pergamiſche Bibliothek erſetzt, welche Antonius der
Cleopatra zum Geſchenk machte. –
(Brockhaus' Converſations-Lexikon.)
Ein italieniſcher Schneider, in einem ſchön dekorirten Magazin
des Frankenviertels hinter Glasthüren arbeitend c, fordert für ein
Flick, das er meinem tuchenen Reiſerock unter der Achſel appliziren
ſoll, die Bagatelle von einem ägyptiſchen Thaler (1 Thlr. 10 Sgr.).
Ich werfe ihm höhniſch ein Kußhändchen zu und acquirire mir richtig
einen deutſchen Schneider, der meinen Schaden für 10 Sgr. reparirt.
Ein Deutſcher iſt alſo nur zum vierten Theil ſo unverſchämt, wie
ein Italiener oder minder logiſch und eben drum richtiger geſagt:
ein Deutſcher iſt ſogar am unrechten Orte verſchämt. Heute habe
ich die erſten Einkäufe für die Nilreiſe gemacht.
Eine Decke von brauner Naturellwolle, wie ſie jeder Araber
zum Schlafen und gegen kalte Witterung gebraucht, für 27 Piaſter
(à 2 Sgr.); – ein großes Küchenmeſſer 10 Piaſter; – ein Blech-
becher 25 Para (15 Pf); – zwei Buch ſchönes Mundirpapier 5
Piaſter; – eine viertel Quartkruke mit Dinte 4 Piaſter; – acht
Stahlfedern 2 Piaſter; – Bleifedern à 1 Piaſter; – ein Naturell-
ſtock wie von Faulbaum 1 Piaſter und 10 Para (2/2 Sgr). –
Dabei habe ich in einer ordinairen Boutike zwei Gläschen Cyper-
wein mit Waſſer, und ein Weißbrot verzehrt: machte 2/2 Piaſter,
wofür man's bei uns nicht bekommt. Für eine auf zehn Stellen
5*
68
zerriſſene und geflickte Matratze, mit einem ungeflickten Loche, daß
man einen Kindskopf durchſtecken konnte, – ſollte ich 100 Piaſter,
alſo 6 Thlr. 20 Sgr. zahlen. Man verſicherte mich, die pure
Baumwolle mit der die Matratze allerdings geſtopft war, habe den
geforderten Werth; die Einſchüttung ſei dabei umſonſt. Da ich
mich aber nicht auf den Baumwollenhandel, ſondern nur zu Bette
zu legen gedachte, ſo fiel meinem kindlichen Gemüthe das liebens-
würdige Reimlein ein: -
„Hab' ich kein Bettelein,
Schlaf ich auf Stroh,
Sticht mich kein Federlein,
Beißt mich kein Floh.“
und kaufte mit Hülfe eines deutſchen Sattlers, 8 Ellen ſehr breiten
ſtarken Sackdrillich à 2/2 Piaſter die Elle; – betrug 1 Thlr. 10
Sgr., und der deutſche Meiſter fertigte davon eine Matratze zum
Zuſammenlegen eingerichtet und mit Stroh ausgeſtopft, auf der ich
während der ganzen Nilreiſe, nämlich ſieben Wochen hindurch, eine
ganz leidliche horizontale Lebensart verführt habe, falls ich ein
chroniſches Hüftweh und einige akute Kreuzſchmerzen aus der Ma-
tratzenrechnung fortlaſſen will. Wenn ich alſo die Wahrheit ſagen
ſoll, ſo geb' ich das nächſtemal, wenn's wieder ſo kommt, lieber 6
Thlr. 20 Sgr. für ein Baumwolllager als gar nichts für Stroh.
Allzuklug iſt dumm.
Falls ich die Nilreiſe von Alexandrien nach Kahira, nicht mit
dem ägyptiſchen Dampfſchiffe mache, welches etwa 30 Stunden ge-
braucht, und auf dem zweiten Platze, incl. freier Beköſtigung 20
Thlr. koſtet; ſondern mir auf einer ordinairen Frachtbarke eine
Kajüte bedinge, welche 60 bis 80 Piaſter zu koſten pflegt, ſo muß
ich mich für die vier bis ſechs Tage, einer mittelmäßig ſchnellen
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Fahrt, (denn ſie kann auch 14 Tage dauern) freundlichſt ſelbſt be-
köſtigen und bekochen; und brauche dann in dieſem durchaus
poſitiven Verhältniß vor allen Dingen circa nachſtehende Dinge:
Stearinlichte, Steinkohlen, ein kupfernes Kochgeſchirr, welches
hier ſehr nett und praktiſch fabrizirt zu haben iſt, und aus einem
allerliebſten ausgezinnten Keſſelchen, mit genau ſchließendem Deckel
beſteht, welcher Letztere den Teller hergiebt, Brot, Wein, z. B. Mar-
ſalla (ein gekochter und mit Sprit verſetzter Madeira), lebendige
Hühner, Eier, braunſchweiger Wurſt, Zucker und Kaffee, Datteln,
Reis, Käſe, Annisbranntwein für die Schiffsleute und für mich
(am Morgen gegen die kalte Luft), – ferner: Schuhwichſe und
Schuhbürſten, Pfeffer und Salz, – Zitronen und Apfelſinen, –
Oel und Butter, auch Zwiebeln nicht zu vergeſſen, – und bittre
Mandeln um das Nilwaſſer zu klären. – Vor allen Artikeln aber:
Kleines Geld, d. h. Piaſter und Drei-Piaſter-Stücke – Fünf-
Para- und Zehn-Paraſtücke. – Für einen öſterreichiſchen Maria-
Thereſienthaler (es kann auch ein Joſephs- oder Franzthalerſtück
ſein) giebt der Alexandriniſche Wechsler 19 Piaſter in „Fadda“
(kleine Münze), während der Thaler in der That 21 Piaſter werth
iſt, und auch ſo in Zahlung angenommen wird. Gabeln, Meſſer,
Blechlöffel, Handtücher, Servietten, ein Paar Topftücher, ein
halb Rieß Löſchpapier oder Makulatur, Waſſerflaſchen von gebrann-
tem und ungebranntem Thon (Gula) und dergleichen Schüſſeln;
mehrere Blechtöpfe und Blechgeſchirre (hier ſehr billig) ſind gleich-
falls nicht zu vergeſſen. – Zündhölzchen und Wachsſtock habe ich
bereits. – Sollte was Nothwendiges in die Gedächtnißritzen ge-
ſcharrt ſein, – ſo muß es der Witz wett machen. – Eine ſchöne
Wirthſchaft dürfte es aber mit mir jedenfalls abgeben, denn ich
verſtehe doch noch immer verdammt wenig Arabiſch, – und mein
franzöſiſch-arabiſches Vokabularium von einem Conſulats-
ſekretair Nolden hier herausgegeben (1844), läßt in der Ausſprache
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ſehr ungewiß. Den Kochsgehülfen macht gegen Bakſchieſch ein
nackter Matroſe auf dem Schiff.
Wenn in Aegypten auch nicht im Lichte des Geiſtes große
Geſchäfte gemacht werden, ſo giebt es doch mancherlei Handgriffe,
Praktiken und kürzeſte Prozeſſe in ökonomiſchen und techniſchen Ver-
richtungen, die ſich auch ein ziviliſirtes und beſonders eingelehrtes Men-
ſchenkind ad notam nehmen kann. Ich habe mirs übrigens ſchon zu
Hauſe gedacht: ein Geſcheuter iſt nicht überall und immer geſcheut, und
ein Dummerjahn oder Barbar nicht in jeglichem Punkte, und in allen
Augenblicken barbariſch und unwiſſend oder dumm. – Es hat mich
alſo außerordentlich belehrt und frappirt: wie ſich der halbnackte
Araber in allerlei Künſten und Handwerken mit ſeinem Mutterwitz
praktiſch aus der Affaire zu ziehen verſteht. – Dieſe Praxis beſteht
vor allen Dingen in einer Einfachheit, Krafterſparniß, Unmittel-
barkeit und Oekonomie, durch deren Wahrnehmung ſich der Zivili-
ſirte, falls er ein poetiſches Gemüth beſitzt, ſehr behaglich in die
Zeiten von Abraham und Adam zurückverſetzt fühlt.
Solche Schmieden und Werkſtätten, wie hier zu Lande, hat
der menſchliche Verſtand ſicherlich ſchon im erſten Decennium der
Schöpfung erfunden, oder gar im erſten Jahr. Hier liegen die
Künſte, die Handwerke, und die ganze Lebensökonomie in den
Windeln. Nichts ergötzlicher und patriarchaliſcher, als wie hier
z. B. Weizen und Spelt gemahlen wird. – Es iſt da ein ſenk-
rechter Baum zu ſehen; in demſelben iſt ein krummes Holz horizontal
eingezapft, an welches ein Eſel oder Ochſe dergeſtalt angeſpannt
wird, daß er in einer Art von Gurt, mit Hals und Bruſt wie in
einem Pferde-Chomonte ſteckt. Am untern Ende des um ſeine
Achſe gedrehten Baumes befindet ſich das Triebrad, deſſen Zähne
unmittelbar in die Kurbel greifen, die eben ſo ungenirt den kleinen
- 71
Mühlſtein zu drehen ſcheint; und wenn's ihr auch aus Gründen der
Mechanik ein bischen ſauer anzukommen pflegt, ſo ſchiebt ſie das auf
den Eſel oder Ochſen zurück, die dafür ein bischen ſtrammer anzie-
hen müſſen, was dem Araber keine Kopfſchmerzen macht. – Unter
Krafterſparniß wird in dieſem Lande eine unmittelbarſte und hand-
greiflichſte Arbeitserleichterung oder Arbeitsmuße für den Menſchen
und Herrn, ſodann eine ſcheinbare, d. h. augenblickliche Geldöko-
nomie, endlich noch in allen Fällen Gedanken ökonomie ver-
ſtanden. Wenn eine Sache, eine Maſchine, oder Prozedur, nur
vorläufig – d. h. die erſten 24 Stunden oder Tage hält und geht,
ſo iſt das ſchon hinlänglicher Grund, ſie einer koſt- und zeitſpieligern
Vorrichtung und Operation vorzuziehn, ſelbſt wenn dieſelbe zehnmal
ſo viel leiſtet und x-mal länger hält. – An die Zukunft denkt nun
einmal der Araber nicht, und über die nachfolgenden Geſchlechter,
oder das Ende der Welt zerbricht er ſich nicht den Kopf. – Alſo
ſeine angeborne Faulheit und Lethargie, giebt ſeinem geſunden Witz
allerdings die möglichſt kürzeſten Methoden für alle Arbeitsprobleme
an die Hand – aber ohne dabei aus dem Punkt in die Weltkreiſe,
– d. h. über die Forderung und den Impuls des Augenblicks hin-
auszugehn. –
Die Göthe'ſche gereimte Sprichwörtlichkeit: „Willſt Du Dir
ein gut Leben zimmern, mußt um's Vergangne Dich nicht kümmern“
iſt hier die überflüſſigſte Mahnung, und die größeſte Ungereimtheit
von der Welt, und das „An ſich kommen laſſen“ kriegt der
dümmſte Araber beſſer fertig, wie der klügſte deutſche Praktikus
oder Philoſoph. – Beide ſind, verglichen mit Halbwilden: viel
zu geſchäftig, zu umſtändlich, zu kraftverſchwenderiſch, zu kitzlich in
Geſchäftsſachen, überhaupt zu haſtig und aktiv. – Der Araber
temporiſirt.
Um aber mein angefangenes Penſum herunterzumahlen, ſo
bemerke ich noch: die Art, wie das Korn von oben in die Mahlſteine
F
72
geſchüttet wird, und unten als Schrot herauskommt, und wie dieſes
weiter von Kindern und alten Weibern zu Mehl geſiebt wird, iſt ſo
luſtig einfach, daß man einen förmlichen Widerwillen vor aller ordent-
lichen und komplizirten Maſchinerie bekommt; und daß einem die
ordinairſte Bockwindmühle, trotz ihres ſteifen Genicks, wie ein höchſt
fataler, raffinirter, und faſt ſündhafter Mechanismus erſcheint. Man
kommt bei ſo einfachen Inſtrumenten, Maſchinen und Lebensarten
in eine paradieſiſche Illuſion!
Eben ſo kunſtlos, naiv und robinſonartig, arbeiten die arabi-
ſchen Waffenſchmiede, Schloſſer und Büchſenſchäfter. – Vor einem
Blasbälglein, das lange nicht für einen „Bruder Redner“ aus-
hielte, ſind ein Paar Ziegeln zu einem kleinen Arbeitsaltar ge-
mauert, aber weder Schornſtein noch Rauchmantel vorhanden, – da
dem Dunſt und Rauch der Abzug durch Thür und Luken unver-
wehrt iſt, falls er es ſich nicht lieber bei den Leuten in der Werkſtätte
gefallen laſſen will. – Und dieſe Naturkünſtler fabriziren nicht
ſelten die kunſtreichſten Dinge–: eingelegte Arbeiten, Ciſelirungen,
Gravirungen u. dergl. m. – Nichtsdeſtoweniger mußte zu der ein-
gelegten Arbeit an ein Paar Piſtolen für den Said Paſcha, ein
Italiener herangezogen werden: denn die Araber waren auch zu
dieſer ihrer Lieblingsarbeit gleichwohl nicht ſorgfältig und kunſtreich
genug. Die Stickereien und die Schnurarbeiten auf Wämſern oder
Lederſchuhen und Gamaſchen ſind bewundernswerth; aber ein
ſolcher Künſtler näht keine feſte Naht; und ſo werden ſelbſt die
Kommiß uniformen von deutſchen Schneidern gemacht.
Holz wird wie in Berlin und Breslau mit zugeſchärften Häm-
mern geſpalten, und dann mit ſcharfer Haue behauen. – Es
kommen Stämme von Fichten und Lärchen über die See von Ka-
ramanien hieher; – ſie werden dann gebrettſchneidert und zu Balken
geſchnitten, die nicht ſtärker wie ſtarke Latten, und höchſtens wie
73
ſchwaches Kreuzholz gerathen; und da hier weder Bau- noch Brenn-
holz exiſtirt, ſo nimmt man ſo vorlieb. Gleichwohl iſt das Bauen
in Alexandrien luſtig anzuſehn, weil es gar ſo einfach, unſchuldig
und kunſtlos vor ſich geht.
Man klebt Bruchkalkſteine von jeder beliebigen Form, ohne alle
Skrupuloſität zu Wänden; läßt Löcher für Fenſter und Thür, die
ſich etwa ſo wie die Fluglöcher an Bienenſtöcken ausnehmen; –
deckt über die Umfangsmauern Latten oder Stangen, verſchmiert
dieſe mit Kalk, oder legt Bohnenſtroh, Strauchwerk und Steine
drüber hin; fertigt einen kürzeſten Schornſtein von Luftziegeln, wenn
man ſehr witzig ſein will, dazu eine ganz rohe Bretterthür mit
einem Holzriegel verſehn; – und die Vorſtadtwohnung iſt comme
il faut.
So einem Gaſſenbarbier ſieht ſich auch prächtig zu. – Die
Meſſer ſchneiden ſo luſtig, wie in chriſtlichen Ländern auf einem
gebrühten Schwein, das von den Haaren rein geputzt wird.
Am Thor von Roſette, habe ich Lafetten auf Rädern geſehen,
die aus zuſammengefügten Bohlen beſtehn: die Letztern rund ge-
ſchnitten, mit Eiſen beſchlagen, und in der Mitte für die Achſe mit
einem Loche verſehn, geben das Rad für die ägyptiſche Artillerie,
im unſchuldigſten und kürzeſten Prozeß. Bei uns wills doch mehr
Umſtände und eine koſtſpieligere Kunſt, bevor man laden und los-
ſchießen darf, und wenn auch nur vom Wall.
Vor dem Thore von Roſette übten ſich Trommelſchläger und
Pfeifer, zuſammen 96 Mann – ich habe ſie der Kurioſität halber
gewiſſenhaft gezählt.
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Die Hufeiſen für Eſel und Pferde ſind hier eine Platte mit
einem Loch in der Mitte. – Die Nägel werden den Eſeln ſo hoch
hinauf in die Wand des Hufes genagelt, wie es bei Pferden niemals
geſchehen darf.
Sonderbar, daß man Holz und Eiſenwerk nicht mit Oelfarbe
ſtreicht, da hier wegen der Meeresausdünſtungen der Roſt Schlöſſer
und Riegel dergeſtalt verdirbt, daß man mit ſolchen von Holz zu
Hülfe kommen muß. – Dieſe Holzriegel ſind Meiſterſtücke des
arabiſchen Raffinements; ſie haben eine Anzahl Löcher nach einem
Muſter, das mit eben ſo vielen Pflöckchen oder Nägelchen auf ein
beſonderes Inſtrument übertragen iſt, mit welchem dann der kurioſe
Riegel erſt nach einer Minute langen Arbeit, von dem eingeweihten
und routinirten Sachverſtändigen fortgeſchoben zu werden vermag.
– Daß ein Dieb Thür und Riegel mit einem Fußſtoß zerbricht, iſt
eine Sache für ſich; es giebt doch ein Geräuſch, und der Araber hat
einen ſehr leiſen Schlaf, dem kein feiger Dieb ſo leicht traut; und
feige iſt der halbziviliſirte Araber gewiß. – So halten ſich denn
die arabiſchen Künſte, Eigenſchaften und Lebensarten gegenſeitig
im Schach.
Der deutſche Handwerksburſch arbeitet das Beſte, hier, wie
ſelbſt in London, Paris und in der ganzen Welt. Der Deutſche
iſt der Handarbeiter par preference.
Ich habe das Marinearſenal und ein faſt fertig gewordenes
Nildampfſchiff geſehn. Deutſche Arbeiter machen die Tapezierung
und die Fußbodenparketts. – Auch in dieſem Schiff iſt wie überall,
das Geſchmackloſeſte und Stümperhafteſte, – die Pfuſcherei mit
der Meiſterſchaft zuſammengeſtellt. Die Gallerie auf dem Verdeck
wird von den Arabern ganz ordinair abgeprudelt, und die ausge-
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legte Fußbodenarbeit iſt eine wahre Kunſtfertigkeit und königliche
Pracht. -
In dieſem Arſenal befinden ſich Werkſtätten mit Drehbänken,
Maſchinen und Modellen angefüllt. Es arbeiten da auch geſchickte
italieniſche und deutſche Geſellen, aber es fehlt an Vollſtändigkeit
des Materials, an Vollzähligkeit der Arbeiter, an ineinander grei-
fenden Thätigkeiten, letzten Konſequenzen und Accenten; an einem
das Ganze überſehenden und leitenden Kopf. – Es geſchieht hier
Alles halb. Man fängt unzählige Dinge mit Eifer an, erſchrickt auf
halbem Wege vor den Ausgaben und Schwierigkeiten, findet das
Aufgewendete für Spaß und Dilettantismus zu viel, für Ernſt und
Meiſterſchaft zu wenig, und läßt mitten in der Arbeit und im Or-
ganiſiren Alles ſtehn und liegen, bis es mit den hiſtoriſchen Ruinen
und allen andern Alterthümern hübſch in Harmonie geräth. –
Dies iſt der hieſige poetiſche Verlauf in probirter Induſtrie. –
Dilettantismus, Pfuſcherei, Oberflächlichkeit, „furchtbare, un-
glaubliche Lüderlichkeit“ iſt dieſer Araber und dieſes Landes
Fluch. – Der Araber iſt unſer Jude ganz und gar: unternehmend,
erwerbsluſtig, ſpitzfindig, haarſpaltend, fügſam und widerſtands-
zähe zugleich – im Handel und Wandel ausdauernd, hartnäckig,
praktiſch, raffinirt und geſchickt: iſt er gleichwohl kein tüchtiger
» und ehrlicher Arbeiter, in keiner Handarbeit oder Dienſtleiſtung
zuverläſſig, gewiſſenhaft, propre und akkurat. – Weil es ſo iſt,
werden die inländiſchen Arbeiten elend bezahlt; und weil ſie ſo
elend rentiren, werden ſie, wenn möglich, noch ſchlechter verrichtet
wie honorirt. Aus dieſem Zirkel führt kein Weg hinaus. – Es
iſt eine Katze, die ſich in den Schwanz beißt. Es fehlt auch an
inländiſchen Inſtrumenten, wie Handwerksſchulen, und die fremden
Profeſſioniſten kommen nur ab und zu. Im obern Stockwerk
des Arſenals ſaß da ein Araber, der Elfenbein und Ebenholz ab-
drehte. Seine rechte Hand ſetzte mittelſt eines Fiedelbogens die
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Drehſcheibe in Bewegung; den Meißel führte er mit der linken
Hand, und mit den Zehen der Füße half er der Hand nach. -
Die polniſchen Juden in kleinen Städten und ihre Kinder,
haben mich vollkommen für die Araber präparirt. Hier wie in
Polen unter den Juden: dieſelbe Lüderlichkeit und Unregelmäßigkeit,
derſelbe Schacher und Schmutz. Keine Haltung, keine Einheit,
keine Spur von Styl und Geſchmack, bei irgend einer Gelegenheit,
in irgend einem Akt oder Ding: außer in der urſprünglichen Kleidung
und väterlichen Sitte, alſo in den Dingen, welche Jahrhunderte und
Jahrtauſende hindurch, der Natur- und Menſchengeiſt kryſtalliſirt
und produzirt hat. Ob aber eine Sache krumm oder ſchief ſteht,
iſt den Leuten hier egal. Das Einmauern von Holz und Latten
ohne beſondern Zweck, bloß weil das Holz zur Hand lag, iſt hier
überall im Gebrauch. Der Araber wie der Jude bei uns, haben
für die beſondere Natur der verſchiedenen materiellen Stoffe und
die in ihnen begründete Anwendung in Künſten und Handwerken
keinen Sinn und Verſtand. – Jude und Araber mengen und
miſchen was ſich verträgt und nimmer vertragen will; – ſie haben
keine Spur von Geſchmack. Das Unverträglichſte zu kombi-
niren, iſt für ihren Witz eine aparte Satisfaktion. Ein kleines
Minaret haben ſie von hinten auf eine Mauer, vorn aber auf zwei
Säulen geſtellt, von denen die eine ganz harmlos 1% Fuß niedriger
wie die andere iſt, und damit dieſe Verſchiedenheit ausgeglichen
werde, ſo ſind über den Knauf der kürzeren Säule Bretterſtücke ge-
legt. Ich rechne dergleichen nicht zur menſchlichen, ſondern zur
beſtialiſchen Naivetät.
Wer in Polen und Weſtpreußen ſolche ſchlechtgepfuſcherten
Judenſchulen und Synagogen, oder Krug-Gaſthäuſer in hochadeli-
gen Dörfern geſehn hat, denen ſo eine Art von Facade und Styl
applizirt worden iſt, der beſitzt einen anſchaulichen Begriff von dem
modernen arabiſchen Bauſtyl, und der auf ihn gewendeten Präziſion.
Die Maurerei iſt unter der Schwalbenkritik, und die Tiſchlerei unter
den Produkten des ruſſiſchen Beils, das ebenfalls Meiſterſtücke
der Pfuſcherei in Holz auszuhauen verſteht. Keine Thür, kein
Fenſter und kein Eiſenbeſchlag iſt mit Oelfarbe angeſtrichen, und
gleichwohl verroſtet daſſelbe von der Seeluft durch die Zuſammen-
wirkung von Hitze und Meeresfeuchtigkeit, aus der ſich Salz nieder-
ſchlagen muß, ſchneller wie irgendwo.
Auch die türkiſchen und griechiſchen Schiffe erkennt man wie
die ägyptiſchen an dem Schmutze heraus; ſie ſind weder mit Oel
geſtrichen noch getheert. Bei Engländern und Amerikanern erſcheint
Alles ſchmuck und wie neu.
Holz zum Bauen und Brennen kommt von Karamanien in
Syrien. – Das Brennholz iſt nur Knüppelholz. Der Zentner
oder Kandahr, das iſt 44 Okka (105 Pfd.) koſtet 12 Piaſter.
Holzkohlen kommen aus Griechenland, der Kandahr für 15 – 20
Piaſter; – und ſie werden meiſt zum Kochen gebraucht. Eine
Kameelladung Waſſer von 4 Säcken, wird mit 30–40 Parabe-
zahlt. Spiritus wird aus Italien, England und von den griechi-
ſchen Inſeln, gegen 10 Prozent des Werths Eingangszoll bezogen.
Alle andern Produkte zahlen 5 Prozent ihres Werthes, und die
Schiffe ſind abgabenfrei. – Ein Franke zahlt in Aegypten keine
direkte Steuer, keine Gewerbe- und Kommunalſteuer. Der ägypti-
ſche Unterthan aber entrichtet in der Stadt Gewerbeſteuer, und auf
dem Lande den Zehnten. Gutsbeſitzer und Bauern giebts auf
ägyptiſchem Grund und Boden nicht; – dieſer gehört dem Vize-
könige, ſeinen Oberbeamten und Günſtlingen, den Paſchas und
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Beys. Sie erhalten Güter zur Einnahme anſtatt eines baaren
Gehalts, oder neben demſelben zum Taſchengelde. – Jeder
Dattelbaum koſtet für das Jahr 2 Piaſter Abgabe; dies hat
zur Folge gehabt, daß die Fellahs ganze Plantagen abhieben; –
hinterher mußten ſie für die abgehauenen Bäume zahlen; ein Dattel-
baum aber trägt erſt viele Jahre nach ſeiner Pflanzung Frucht.
Das Kochen und Backen der Oelfladen, in welche Eier ge-
ſchlagen werden, iſt höchſt einfach und ſchnell. Die Mahlzeiten
werden überhaupt ſehr frugal und ohne alle Umſtände abgethan.
So ein armer Araber kommt mit einem ausgehöhlten Brode zum
Dattelverkäufer, läßt ſich daſſelbe für 5 Para voll Frucht ſchütten,
und iſt zur Noth für den ganzen Tag arrangirt, und jedenfalls vor
dem Hungertode geſchützt. Das will in unſerm Klima ſchon
gründlicher bedacht und abgefüttert ſein.
Die hieſigen Mühlen beuteln kein Mehl, man ſiebt ſich alſo
das Schrot zu Hauſe.
Der Preis des Speltes ſteigt nie bis auf 60 Piaſter für das
Ardeb (4 Berl. Scheffel). Am Ardeb Frucht haben drei Menſchen
3 Monate zu Brot und allem Bedarf, obgleich Brot hier das Fun-
dament aller Mahlzeiten ausmachen muß, – Kartoffeln kommen von
Malta(auch mitunter von da Kirſchen). Eine Okka (2% Pfd. Berl.)
Kartoffeln koſtet 60 Para (3 Sgr.) bis zwei Piaſter (4 Sgr.). Eine
Okka Butter 7 Piaſter. Eine Okka Büffelmilch 50 Para. Eine Okka
Reis 1/2 Piaſter. Geflügel, Eier und Reis haben hier den billigſten
Preis. – 20–24 Eier koſten 1 Piaſter; ein Paar junge Hühner
1/2 Piaſter, alte Hennen 2 Piaſter; ein Paar Tauben 1% Piaſter;
– in der Brütezeit (durch Oefen) 8 – 12 Piaſter. Auch bei
Alexandrien giebts ſo viel Brutöfen, daß ein Korb voll Hühner
nur einen Korb voll Eier koſtet. Eine Okka Mokka-Kaffee Prima-
Sorte koſtet 7 Piaſter.
Hier ſind eine Art blauer Gurken zu Hauſe, blauſchwarze
„ Petting ani“. Es iſt die Gurke von Zante, eine Coloquinten-
art; ſie wird mit Reis und Fleiſch (Pillau), und dann wird wieder
das Fleiſch mit Liebesäpfeln gefüllt, die hier „Pettingani
achmer“ (rothe Pettingani) heißen. Dieſe Liebesäpfel zuſammt
türkiſchem Pfeffer (filfil), ungariſch paprika, ißt der Araber faſt in
jedem Gericht, wenigſtens zu jedem Fleiſch; und ein Ragout ohne
Liebesäpfel nnd filfil iſt keins mehr, und auch der deutſche Gaumen
gewöhnt ſich daran. – Was aber ſelbſt demjenigen, welcher Reis-
ſpeiſen für ſein Leben gerne mag, den Spaß bereits in Italien
und vollends in Aegypten verdirbt, iſt: daß in beiden Ländern
dieſer Reis nur halb und höchſtens dreiviertel gahr und
in keinem Falle ganz weich gekocht wird.
Es giebt hier einen großen Zugfiſch im Meere, Palamides
auf Griechiſch genannt, der vortrefflich ſchmeckt, deſſen Preis aber
in Alexandrien mit der Wohlfeilheit der andern Lebensmittel in
keinem Verhältniſſe ſteht, wiewohl er in den ordinairſten Garküchen
zu haben iſt.
Den ganzen Tag hört man von halbnackten Buben „Pekka-
figi“ (Feigenfreſſer auf italieniſch) ausrufen. – Das ſind kleine
Zugvögel, ſo groß wie Sperlinge oder Ortolane. Der Araber
legt ſie um Mittag in den heißen Sand, und ſchüttelt dann die ſo
abgebrühten Federn ab. – Die Maſſe dieſer Thierchen muß ſehr
groß ſein, denn ſie ſind ſpottwohlfeil und werden aller Orten ver-
ſpeiſt. – Dieſer Vogel iſt der Laneus excubitor, Laneus minor
Laneus colureo und rufus – der Ornithologie. – Seine Lieb-
lingsſpeiſe iſt die ſäuerliche Frucht einer koloſſalen Cactusart
(Cactus opuntia), die hier Stachelfeige genannt wird, und überall
ohne die mindeſte Pflege gedeiht. – Man darf nur einen Schöß-
ling, ſo einen von dieſen monſtros dicken, fleiſchigen, beſtachelten
und fabelhaft kurioſen Blattklumpen, oder vegetativen Fleiſchglie-
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A
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dern und Buckelauswüchſen, an den verengten und hart verknor-
pelten Gelenken abbrechen, und auf's Geradewohl in den Sand-
oder Kalkboden ſtecken, und er wuchert auch ohne Gießkanne und
Gartenkünſte fort; ſo daß zu einem Zaun und einer lebendigen
Hecke nichts weiter nöthig iſt, als daß man die benöthigte Maſſe
von Cactusklumpen in die gezogenen Grenzlinien ſteckt, was z. B.
in Syrien geſchieht. Schon in Unteritalien und Sicilien bildet
derſelbe Cactus oder eine Variante davon, das ſtehende Unkraut,
oder wenn man lieber will, die Vegetation und natürliche Dekora-
tion par preference. Alle Felſen, Wege, Stege und unbeackerten
Plätze ſind bis in die Vorſtädte hinein mit dieſen fabelhaften Cactus-
maſſen beſetzt, wie bei uns etwa mit Diſteln, Dornen und Strauch.
– Die Feigen der ägyptiſchen Cactusart werden als eine ſehr
erfriſchende, ſäuerliche und ſaftige kleine Feige gerühmt, ſie führt
ab und wird daher als Magenreinigungsmittel gebraucht. – Als ich
Anfangs Oktober nach Alexandrien kam, war die Zeit der Cactus-
feigen vorüber. - -
Die ordentliche Feige hat friſch genoſſen, einen widerlich-
ſüßen geilen Geſchmack, faſt wie eine Waſſermelone, – auch ſo ein
röthliches und weichliches Fleiſch, – und der Baum ſelbſt iſt ein
form- und charakterloſes Gewächs, weder Strauch noch Baum.
Seine unordentlich ſchief und krumm herumgeilenden Aeſte und
Zweige bilden trotz der großen Blätter keine dichte Laubmaſſe.
Kurz und gut, ich hatte mir von dem paradieſiſchen Feigenbaume
und ſeinen Früchten im Oriente etwas Anderes und Schöneres
gedacht. Dazu kommt noch, daß die Blätter, zumal in den Plan-
tagen um Kahira, mit ewigem fingerdickem Staube bedeckt ſind.
In den Reis und Zuckerfeldern, ſchon 5 oder 6 Meilen von
Alexandrien, giebt es wilde Schweine, faſt von der Größe eines
Eſels, und ſie ſind öfter für 15 Piaſter zum Kauf.
Man findet auch Haſen, wiewohl eine kleinere Art wie bei
uns; – eben ſo Schnepfen; – ſelten Hirſche und Rehe; in der
Wüſte Gazellen, die bis in die Nähe von Kahira kommen. Der
Araber ſchießt die wilden Schweine, weil ſie Schaden machen, ge-
nießt aber doch nur höchſt ſelten und in großer Noth ihr Fleiſch.
Früchte und ſelbſt Konfituren ſind hier ſehr wohlfeil; die
letztern ſchon um des Zuckers willen, – von welchem das preuß.
Pfund etwa 3 bis 3% Sgr. koſtet, und der ungeachtet ſeines ge-
ringen Anſehens beſſer als der europäiſche Zuckerſüßt. Für einen
Piaſter kaufte ich mir auf dem Bazar eine Smyrnaer Traube, eine
Banane und noch Konfituren von Mandeln und Zucker, – und
dazu Lederzucker in aller Geſtalt. Eine Okka Zucker koſtet
4% Piaſter, eine Okka Kaffee 5 Piaſter, eine Okka Rind- oder
Schaffleiſch 3% Piaſter. Auf den Vorſtädten hält Jedermann
Ziegen und melkt ſie vor den Häuſern zum Verkauf; (wie in Neapel
und London die Kühe in Gegenwart der Käufer gemolken werden).
Ein Okka beträgt etwa 2% Pfd. Berl. Ein Ardeb Weizen iſt
circa 4 gute berl. Scheffel, und koſtet 56 Piaſter, wenn er vom
beſten iſt; der Beſte iſt aber glaſig wie Spelt.
Die Fauna wie die Flora ſind in Aegypten arm. Es giebt
viel Schlangen und Eidechſen. Die Letztern findet man ſchon in
den Stuben zu Trieſt. – Dem Ornithologen Brehm wurde ein
ganzes Neſt von Springhaſen gebracht, welche die blanken Wände
hinanſprangen, wie wenn ſie Gummi elaſticum im Leibe gehabt
hätten. In den Zimmern dieſes Naturforſchers gab es auch leben-
dige Kamäleons, welche in der Brunſt und in der Wuth ihr ſchönes
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Farbenſpiel in ein weißlich-ſchmutziges verwandeln, mit einem Auge
vorwärts, und mit dem andern hinterwärts ſehen, – und mit
einer Behutſamkeit an den Thüren und Fenſtern umherflettern, die
ſich höchſt poſſirlich ausnimmt. – Brehm hatte ein Weibchen, es
ward ein Männchen dazu gebracht, und die Paarung ging ſofort
vor ſich. – Die Thiere wurden faſt milchweiß während des Akts,
– und der arabiſche Sprachlehrer, welcher dem Experiment bei-
wohnte, ſagte ganz ernſthaft: „del wakti nachme a melna gulluna
el marasihn bittahum“; wörtlich: jetzt haben wir Alle miteinander
die gsv-Kuppler gemacht.
In dem Viertel der Kaufleute und Höker umhèrzuwandern,
hat großen Reiz. Von der Mannigfaltigkeit orientaliſcher Waaren
und Früchte machte ſich der europäiſche Großſtädter gewiß einen zu
geringen Begriff. Hier giebt es von den griechiſchen Inſeln:
große und kleine Roſinen, Korinthen, Traubroſinen, Knackmandeln,
Feigen, Johannisbrot, köſtliche getrocknete Pflaumen und Apri-
koſen (misch-misch genannt), ferner uns ganz unbekannte Konfituren
und Leckereien, wie ſie der Muſelmann zum Reis und als Nachtiſch
genießt. Vor allen Dingen muß aber, wenn von Früchten die Rede
iſt, der friſchen Bananen gedacht werden.
Dieſe köſtliche Frucht iſt von der Schaale befreit, etwa ſo
groß wie eine keine Gurke, auch von ihrer Geſtalt. Die Farbe
des ausgeſchälten Fleiſches iſt bläſſer wie das der Apfelſine, faſt
chamois; – der Geſchmack überaus fein und originell: ein un-
beſchreiblich mildes Gemiſch von Apfelſine und Citrone, die mit
Zucker, Mehl und Butter zu einer feinſten Teigmaſſe geknetet ſind.
Es iſt die Poeſie einer Paſte; eine Butter darin, der das thie-
riſche Fett genommen, und ein Zuckermehl, das zum Ambroſia
raffinirt worden iſt. Die ganze Miſchung ein Myſterium der
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himmliſchen Konditorei; ein Produkt, der Ananas unbedingt eben-
bürtig, von noch mehr ſolidem und doch höchſt originellem Gehalt;
ein Eſſen für Fürſten und Geſchmackskünſtler; ein wahrhaft para-
dieſiſche Frucht, an der man in Erfahrung bringen kann, daß es
eine Myſterioſität des materiellen Geſchmacks giebt. Für 70 Para
(3% Sgr.) erhält man in Alexandrien etwa ein Dutzend Bananen,
oder eine Mandel, je nach der Zeit.
Nach dem Ibis, der Papyrusſtaude und dem Lotos
habe ich vergebens ausgeſchaut; dieſe charakteriſtiſchen Produkte
des alten Aegyptens ſcheinen ſich zugleich mit dem Nilpferde nach
Abyſſinien retirirt zu haben, und ob ſie dort (den Hyppopotamos
ausgenommen) noch anzutreffen ſind, weiß ich ebenfalls nicht.
Eine Art von ſogenannten „Saubohnen“ ſpielt hier eine
große Rolle; ich habe auch oft an Eſaus Linſengericht gedacht. –
Was nur von Leguminen, von Bohnen, Lupinen, Kichern und
Linſen, mit Ausnahme unſerer weißen, gelben und grauen Erbſen,
auf der Welt exiſtirt, das wird in Aegyptenland gebaut. Jene
Saubohnen heißen „Fuhl“ und ſind die gewöhnliche Nahrung für
Menſchen und Vieh, werden gemahlen oder geweicht, gekocht und
dann mit Oel und Citronenſaft oder mit bloßem Salze verſpeiſet,
ganz ſo, wie der polniſche Jude ſeine „bubi“ (ebenfalls Sau-
bohnen) verzehrt.
Dem Kameel und Eſel wird langes Heckerling mit Bohnen
oder Gerſte gegeben, bis das Grünfutter kommt. – Das Futter
für einen Eſel koſtet täglich in Alexandrien 30 Para (1/2 Sgr.)
– Sein Kaufpreis variirt je nach Alter und Eigenſchaften von
20 Thlr. bis zu 100 Thlr. öſtreichiſch, alſo 30 bis 140 Thlr.
preußiſch. Ein Eſel von der vorzüglichſten Race und Beſchaffenheit,
6*
iſt geſuchter wie Mauleſel und Pferd. – Die Kameele ſind alle
einhöckerige Dromedare; – in Syrien trifft man häufiger auf das
zweihöckerige Thier. Es iſt größer und ſtärker und verträgt mehr
Kälte wie das Dromedar. Die Kameele, welche nach Deutſchland
kommen, ſind in der Regel aus den Geſtüten von St. Roſoro bei
Piſa und aus Guaſtalla bei Piazenza.")
Heute ſah ich zu, wie ein Kameel mit Mahagonibretern be-
laden wurde, jedes mindeſtens 1/4 Zoll dick und 8 Fuß lang, und
man packte dem fortwährend brüllenden, grunzenden und geifernden
Thier 50 ſolcher Breter auf, von jeder Seite 25 Stück. Nimmt
man jedes Bret nur zu 20 Pfund an, ſo ſind es 9 Ctr. Gewicht;
mit ihm mußte ſich das Dromedar aufrichten. Die Laſt war offen-
bar zu groß. Das Thier mußte angeſtachelt werden, machte zuerſt
ohnmächtige Verſuche und richtete ſich dann durch Mißhandlungen
aufs Aeußerſte gebracht, mit einer letzten Kraftanſtrengung, zuerſt
mit den Hinterfüßen, und dann mit dem rechten Vorderfuß in die
Höhe, indem es unter Wuthgebrülle und mit einem Grunzen wie ein
aufgeſtörtes Maſtſchwein den im Maule angeſammelten „blubbernden“
Speichel und Geifer mehrere Schritte weit von ſich warf. Es war
eine empörende Scene von arabiſcher Unvernunft und Thierquälerei,
bei der man dem wüthenden, häßlichen und obſtinaten Dromedar,
noch den Vorzug vor den beſtienhaften Arabern gab. Für den
Wüſtenmarſch beladet man ein Dromedar mit 3 und 4 Ctr., auf
ſehr langen Reiſen nur mit 2 Ctr.; 9 Ctr. ſind ein Maximum auf
*) Lepſius ſagt: „Es hat ſich von jeher ein Unterſchied geltend
gemacht zwiſchen dem ſtarken, ſchwerfälligen Laſtkameel, ſchlechthin „gémel“
genannt, und dem jüngern, geſchmeidigern zugerittenen Reitkameel,
welches „heggin“ genannt wird. – Káum og Ögouég ſollte bei den
Alten, wie der Name beweiſt, nichts bedeuten als einen Läufer von der
leichten Race.
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kürzeſte Strecken. Die in Rede ſtehende Breterlaſt betrug wohl
über 10 Ctr. und das Thier verſagte doch nicht den Dienſt.
So ein Kameel iſt ein Bild der Mühſal, der Ausdauer, der
Geduld und Reſignation, aber zugleich auch ein grundabſcheuliches
Beeſt, wenn man einen Augenblick von ſeiner vollkommen zweck-
mäßigen Organiſation für die Wüſte und die ganze Wüſtenmenſch-
heit abſtrahirt.
Dies Kameel allein kann dem ſinnigen und hörigen Menſchen
eine vernünftige Weltordnung und einen Gottesglauben beibringen.
Es giebt kein Thier, dem ſo viel Symbolik anhaftet und ſo viel
Phyſiognomie. Es iſt ganz und gar zum Marſchiren, zum Laſten-
tragen und zum Entbehren geſchaffen. Der Höcker entzieht das
Thier auf den erſten Blick dem Bereiche der Schönheit und über-
weiſet es dem der Nützlichkeit und des materiellen Gebrauchs. –
Der ganze Körper, gleichwie die Diſteln abſchneidende Zunge und
der Rachen ſind mit Schwülen und hier in Alexandrien noch mit
Schwären und Wunden bedeckt. Der ungeheure, Vorrath freſſende
und ſaufende Panzen iſt bei den Hinterſchenkeln hoch aufgeſchürzt
und zwiſchen den hochgeſpaltenen, weit ausgreifenden Beinen gleich-
ſam in Schwebe aufgehängt. Und damit dieſe, wie durch eine Maſchi-
nerie vorwärts geſchobenen Stelzbeine, zu welchen ſich der Leib und
das ganze Thier faſt nur wie obligat zu erhalten ſcheint, nicht in den
Wüſtenſand verſinken, ſo ſind ſie von der vorſorglichen Natur und
Gottheit auf fleiſchige Ballen geſtellt, die man bei den in Europa
gezeigten faſt vertrocknet findet, die hier aber, wo es der Marſch
durch die Wüſte gilt, ein Hauptbedingniß und auf den erſten An-
blick ein frappantes Symbolum ſind. Und ſiehe, jetzt ſegelt das
befrachtete, durchaus nur materiell zweckmäßig und nirgend ſchön
erſchaffene Monſtrum von koloſſalem Schaf- und Rindvieh wie ein
Wüſtenſchiff los, und ſtreckt den langen Storchvogelhals, mit welchem
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es die kleinſte Diſtel abweiden kann, in eine durch keinen Weg und
Steg bezeichnete Weltgegend, die es bei verlorner Richtung mit
ſeinem Inſtinkte finden und einhalten muß; und vorauf ſegelt wie
ein Lootſenboot der wagerecht gehaltene, antediluvianiſch modellirte,
wie in Wellen auf und nieder bewegte fabelhafte Schafskopf, der
mit den langſam forttapſenden ſchweren Schritten wie der Regulator
an einer leibhaftigen Dampfmaſchine zu korreſpondiren ſcheint.
Wahrhaftig, man kann dies Geſchöpf einer abenteuerlichen Natur-
laune und Gottesökonomie nicht ohne die ſonderbarſte Gemüths-
bewegung ins Auge faſſen, und ohne von ihm, wie von einem in
die ſittliche Welt aufgenommenen, faſt tugendhaft zu nennenden
Ungeheuer ergriffen zu ſein.
Ich für mein Theil mußte an meine Kindheit denken, wo
Kameele mit Bären und Affen gezeigt wurden; der witzigſte oder
dümmſte Gaſſenjunge auf das zweihöckrige, unter Gebrüll nieder-
knieende Ungeheuer geſetzt und beim Aufſtehen deſſelben faſt herun-
tergeſchleudert, ſich unter wüthendem Volksgelächter von dem menſch-
lich grimmaſſirenden Affen beim Kopfe nehmen und in der Reinlich-
keit viſitiren ließ. – Unter der nie raſtenden Muſik einer Pfennig-
pfeife und kleinen Trommel mit einem einzigen Trommelſtock ge-
ſchlagen, deklamirte dann der Volksredner und Gaſſenprofeſſor der
Naturgeſchichte folgendes vom Geſchrei des Kameels unterbrochene,
ſtreng wiſſenſchaftlich formulirte Signalement:
„Meine Errn und Damn, betrachte Sie dieſe gar wunderbare
Thier; – das Thier hab' ſich eine Kopf wie eine Schaf, eine
Schwanz wie eine Hok's, eine Pukkel wie zwei kleine Ameiſehaufe,
eine Hals wie eine „Storchvogehl“. – Das Thier hab' ſich ge-
ſpaltene Klaue, es kann gehn, in ehnem „ Tohge“, und in ehnem
Drohbe (Trabe) 30 bis 40 Meile, ohne zu freſſe und zu ſaufe; –
wenn es aber zu viel belade iſt, ſteht es niks wieder auf. Jetzt
mak ſie eine Komplement vor die ganze Geſellſchaft!“ – Das
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Kameel gehorſamte mit einem ohrzerreißenden „Aih!“ – Ach das
war noch ſchöner noch wunderbarer und viel luſtiger wie hier in
Alexandrien, – und wie irgendwo in der Welt! –
Ueber das arabiſche Pferd kann man nichts Schöneres
und mehr Charakteriſtiſches ſagen, als „ Lamartine“ in ſeinen
Reiſen im Orient.
„Wir gingen von da mit einem der Stallmeiſter, um die Höfe
und die Ställe zu beſuchen, wo die prächtigen arabiſchen Zuchtpferde
angebunden waren. Man muß die Ställe von Damaskus oder die
des „Emir Beſchir“ beſucht haben, um eine Idee von den arabi-
ſchen Pferden zu bekommen. Dieſes herrliche zierliche Thier ver-
liert von ſeiner Schönheit, ſeiner Zahmheit und ſeiner maleriſchen
Form, wenn man es von ſeinem Geburtslande und ſeinen heimath-
lichen Gewohnheiten in unſere kalten Klimate, in die Dunkelheit und
die Einſamkeit unſerer Ställe verpflanzt. Man muß es ſehen vor der
Thür des Zeltes der Araber der Wüſte, den Kopf zwiſchen den
Beinen, die lange ſchwarze Mähne wie einen beweglichen Sonnen-
ſchirm ausbreitend und mit dem Schweife, deſſen Spitze immer
purpurn bemalt wird, ſeine glatten Weichen wie von polirtem
Kupfer oder Silber bewedelnd; man muß es ſehen in der Pracht
ſeiner, mit Gold und Perlenſtickereien beſetzten Schabracken, mit einem
blauen oder rothen, von Gold oder Silber durchwirkten ſeidenen Netze,
mit klingenden flatternden Neſteln, welche von ſeiner Stirne bis auf
ſeine Nüſtern fallen und mit denen es bei jeder Schwingung des
Halſes den glühenden, großen, verſtändigen, ſanften und ſtolzen Ball
ſeiner hervorſtehenden Augen, abwechſelnd bald verhüllt, bald ent-
ſchleiert, – Hauptſächlich muß man es ſehen, wie es hier war: in
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einer Maſſe von zwei- bis dreihundert Pferden: die einen auf dem
Staube des Hofes gelagert, die andern mit eiſernen Ringen gefeſ-
ſelt und an lange Stricke gebunden, welche durch dieſe Höfe gehen;
andere, die ſich losgemacht haben, auf dem Sande mit einem Sprunge
über die Reihen der Kameele ſetzend, die ſich ihrem Laufe entgegen-
ſtellen; dieſe an der Hand von jungen, mit ſcharlachenen Weſten
bekleideten ſchwarzen Sklaven, legen liebkoſend ihren Kopf auf die
Schulter dieſer Kinder, andere frei, ohne Koppel, ſpielen gleich
Füllen auf einer Wieſe. Eins ſpringt gegen das andere auf, oder
ſie reiben die Stirn gegen einander; oder belecken ſich gegenſeitig ihr
ſchönes ſilberglänzendes Haar. – Alle betrachten uns mit einer
unruhigen, neugierigen Aufmerkſamkeit wegen unſerer europäiſchen
Tracht und unſerer fremden Sprache. Bald aber werden ſie zutrau-
lich und recken zierlich den Hals nach unſern Liebkoſungen und
dem ſchmeichelnden Schnalzen unſerer Hand. Unglaublich iſt die
Beweglichkeit und Durchſichtigkeit der Phyſiognomien dieſer Pferde,
wenn man nicht ſelbſt Zeuge davon geweſen iſt. Alle ihre Gedanken
malen ſich in ihren Augen und in der krampfhaften Bewegung ihrer
Backen, ihrer Lippen, ihrer Nüſtern mit ſo viel Deutlichkeit, als
die Eindrücke der Seele auf einem Kindergeſichte. Als wir uns
ihnen das erſtemal näherten, verzogen ſie das Geſicht mit Geberden
des Widerwillens und der Neugierde gerade ſo, wie man ſie an
einem Menſchen von ſtarken Eindrücken beim Anblick eines unvor-
hergeſehenen und beunruhigenden Gegenſtandes hätte ſehen können.
unſere Sprache hauptſächlich fiel ihnen auf und ſetzte ſie in leb-
haftes Erſtaunen, die Bewegung der Ohren, welche ſie ſpitzten und
zurück- oder vorwärts bogen, zeigte ihre Ueberraſchung und ihre
Unruhe. Vor Allem bewunderte ich einige Stuten von unſchätzbarem
Werth, welche für den Gebrauch des Emirs ſelbſt beſtimmt ſind. Ich
ließ durch unſern Dolmetſcher dem Stallmeiſter für eine der hüb-
ſcheſten bis auf zehntauſend Piaſter antragen; aber eine Stute von
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erſtem Geblüt ſchlägt der Araber um keinen Preis los, und ich machte
diesmal keinen Kauf.“
An einem Sonntage ritt ich zu Eſel mit Hunderten eben ſo
Berittener auf der humplichſten, ſtaubigſten und ſchlechteſten
Chauſſee von der Welt nach „ Maharem beh“; einem Orte am
Mahmudi-Kanal, eine ſtarke halbe Meile von Alexandrien, wo man
ſich nach Kairo einzuſchiffen pflegt, weil dort weniger Getümmel und
Gedränge von Barken gefunden wird, wie z. B. an der Stelle, wo
es nach dem See Mareotis und den Gabarri-Gärten hinausgeht.
Es wird dieſe Exkurſion für eine Art von Alexandriniſchem Volks-
und Bürgervergnügen angeſehen. Wettjagende Handwerker, athem-
loſe Eſeljungen, und Einſpänner vor ſchweren Kgbriolets; Kalk,
Staub, Hitze, Eſelgeſchrei, Kameelgebrüll, Stutzer, Karoſſen mit
ſchäumenden Roſen und in Schweiß zerfließenden Laufern; Bilder
der Nacktheit, des Elendes, des Schmutzes, des Prunkes, der Knecht-
ſchaft und des empörendſten Uebermuthes, bunt durcheinander ge-
tummelt wie zu Sodom und Gomorrha: das iſt die Phyſiognomie
dieſer Exkurſion. Von einem Vergnügtſein iſt hier nicht die Rede,
und auch nicht einmal die Idee, ſchon weil die hieſigen Italiener
und die übrige Nobleſſe, mit Permiſſion zu ſagen, noch widerlicher
und niederträchtiger als die Araber ſind.
Ich habe die Equipage des Said-Paſcha, Onkels des jetzigen
Abas-Paſcha, geſehn. Sechs köſtliche Araberpferde vor einer Pracht-
karoſſe, Mohren als Läufer voran, und Diener, die laufend herr-
liche Saumroſſe führten. Zuletzt kam eine Kavalkade von Italienern
auf Eſeln von der Jagd. Dieſen vorauf und hinterdrein rannten
die nackten Araberburſchen, oft nur Kinder von zehn Jahren, ſich
9()
für ein Paar Piaſter Bruſt und Füße wund. Das Herz thut einem
Menſchen bei ſolcher Barbarei weh. Dieſe alexandriniſchen Honora-
tioren, Jäger und Eſelreiter ſehen aber nur von draußen wie
Menſchen aus; wie es ſonſt mit ihnen beſchaffen iſt, weiß Gott. –
Aber nicht bloß die Eſelbuben, ſondern ihre Thiere werden unver-
antwortlich gequält. – Dieſe armen kleinen Eſel haben am Hinter-
theil eine ewig wund erhaltene Stelle, eine Fontanelle vom Stacheln
und Schlagen. Thierquälerei iſt hier zu Hauſe. – Ein mittelgro-
ßes Pferd muß oft 5–6 Perſonen mit einem ſchweren Halbwagen,
auf einer gräßlichen Chauſſee, bei Hitze und Kalkſtaub im vollen
Trabe ziehn.
Etwas Nutzbareres und Braveres von einer Kreatur, wie
dieſe Eſel, iſt gar nicht denkbar. Der größte Kerl wirft ſich auf ein
Exemplar, das oft nicht größer wie ein Kalb von ſechs Wochen iſt,
und ſetzt es in Galopp. Dieſe ſchwachgebauten Thiere gehn einen
trefflichen Paß, (einen Halbtrab,) wo ſie aber vollends die Kraft
hernehmen, Stundenlang einen ausgewachſenen Menſchen ſelbſt bei
großer Hitze im Trabe und Galopp umherzuſchleppen, das ſcheint
mir faſt über die Natur hinaus, in die Eſelmyſterien zu gehn,
die auch noch ihren Eſel-Sue bekommen müſſen, wenn Gerechtigkeit
in der Weltgeſchichte iſt. Ein ſchon ältlicher, ganz abgeriſſener Ara-
ber trabte übrigens, meinen 50 Pfund ſchweren Koffer auf ſeinen
Schultern, von der Dogona bis zur Bella venezia, (wohl über /s
Poſtmeile) mit meinem Eſel in die Wette, und animirte mich zur
Schnelligkeit, als ich langſam reiten wollte: Eine ſolche Kraftlei-
ſtung bei ein wenig Datteln, Bohnen und Brot, von einem ſcheinbar
elenden und ältlichen Menſchen, ſcheint mir auch ein phyſiologiſches
Myſterium und Problem. Gewohnheit und Verzweiflung, Uebung
und Willenskraft ſind freilich dabei im Spiel.
Die gemeinen Araber trinken mit Leidenſchaft Branntwein,
wie die Polen und Weſtpreußen; ein achtel berliner Quart auf
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einen Zug, und dann Waſſer hinterdrein. Wein ſieht man ſie
ſelten trinken; verſtohlen thun ſie das auch. Unſere Schiffsmann-
ſchaft auf der Fahrt von Cahira nach Theben ſchlürfte den ihr dar-
gebotenen Rothwein (nebid achmer) mit der höchſten Gier, wenn-
gleich nicht ſo unbefangen wie den „Rakki“ (ſo wird der Brannt-
wein genannt). Zu dieſem gießen die Araber zur Verſtärkung
mitunter aufgelöſten Vitriol, und behaupten buchſtabengehor-
ſam, Muhamed habe doch den Branntwein nicht verboten, ſondern
allein den Wein.
An der perſiſchen Grenze giebt es bekanntlich eine muhameda-
niſche Sekte, bei welcher der Genuß des Weines förmlich geſtattet
iſt. Branntwein aber wird in der Türkei, in Aegypten und allen
Orten von den Muhamedanern ſo ſtark und leidenſchaftlich getrunken,
wie in der chriſtlichen und nordiſchen Welt.
Die vornehmen Araber und Italiener trinken gern ein Glas
franzöſiſchen ſtarken Annisbranntwein mit ſo viel Waſſer, daß er
ganz milchig und unangenehm bitter wird; ohne Waſſer iſt er in
rauher Morgenluft auf dem Schiff, eine köſtliche Reſtauration.
Nicht von ungefähr ſpielen die Einäugigen in Tauſend und
einer Nacht eine ſolche Rolle. Es giebt ihrer bereits hier erſtaunlich
Viele. Der zehnte oder funfzehnte Menſch hat mit den Augen ein
Malheur, und die Kinder der Europäer leiden zum dritten Theile
MN Ophthalmie.
Kopf und Leib müſſen hier warm gehalten und darum ſelbſt
von den Europäern Tücher um die Mützen und Hüte gebunden
werden, was ganz natürlich den Turban produzirt. Die
Kleider, Sitten und Lebensarten, gleich wie die Geſetze und Reli-
gionsverſchiedenheiten ſind zunächſt vom Klima diktirt.
Zwei Märchen-Erzähler, die einander ablöſten und ſonſt
ſekundirten, fand ich heute am Hafen, und drei Blinde machten
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den Chor; das um ſie hockende und ſtehende Publikum hörte höchſt
kontentirt und aufmerkſam zu.
Die arabiſchen Kinder und Buben ſchreien, greinen und ge-
berden ſich ganz und gar wie die Judenkinder, werden in reitender
Stellung mit geſpreiteten Beinen auf der Achſel getragen und haben
alle eine Augenkrankheit auszuſtehn.
Es iſt für einen Europäer, und beſonders für einen gründ-
lichen und ſinnigen Deutſchen, des Unbegreiflichen in Aegypten ſo
vielerlei und ſo viel, daß er bald genug vom Grübeln und Wundern
ablaſſen muß. – Der Hälfte der arabiſchen Weiber hängt da z. B.
ein zwei Hände breiter Streifen Zeug, welcher an der Stirne feſt-
gemacht wird, vor dem Geſicht. Ein anderer Menſch erſtickt faſt
von Hitze und Staub, ſelbſt wenn er frei athmen darf; – wie
alſo dieſe halb und ganz Verſchleierten zu der nothwendigen Portion
Luft gelangen, ſcheint wiederum ihr aparter Witz zu ſein. – Wenn
ſie nicht bemerkt zu ſein glauben nehmen ſie freilich den Zeugſtreifen
zur Seite; denſelben auch nur auf Augenblicke in großer Hitze vor
Naſe und Mund zu haben, ſcheint dem Nordländer eine unerträgliche
Pein. – Auf der Fahrt von Kahira nach Minnyeh ſteckte der Reis
ſein junges Weib, um ſie unſern Blicken zu entziehn, unter das
Verdeck der Barke, wo das arme Geſchöpf halb liegend und halb
hockend, unter allerlei Gerümpel, mit Hühnern und Ratzen, und
in einer Stickluft zubringen mußte. Freilich wird ſie das Geſicht
an eine Oeffnung in dem Fußboden über ſich gehalten haben, ſonſt
hätte ſie bei lebendigem Leibe einen Sargdeckel auszuhalten gehabt;
aber welcher fromme Chriſt hielte ſo eine Situation, Tage und
Nächte hindurch, bei ein bischen Brot und Quarkkäſe, bei Zwie-
beln und Datteln, und noch dazu mit einer Laune aus, wie ich ſie
dieſer jung verheiratheten Frau abgemerkt. Denn ſo oft ihr Herr
und Gemahl zu ihr an die Luftöffnung niederhockte, ſo kicherte und
93
plauderte ſie wie Eine, der für ihren Komfort nichts in der Welt
zu wünſchen übrig geblieben war. Und zu dieſer Stick- und Brüh-
luft, in dieſer abſcheulichen Kerkerhaft, ohne freie Leibesbewegung,
trank die Jungverehelichte von Zeit zu Zeit aus einem irdenen,
unglaſirten Teller das lehmige Nilwaſſer, bevor ſich ſein Schlamm
noch geſetzt hatte. Meine durch ihren Mann vermittelte Offerte von
abgeklärtem Waſſer wurde mit mokantem Kichern abgewieſen. –
Weiterhin nahm die Verſchämte Kaffee und etwas Branntwein an.
Sie ſchien in intereſſanten Umſtänden zu ſein, das machte ihr wohl
das Leben in allen Situationen ſo erträglich und intereſſant!
Von der Geldgier, Betrüglichkeit und hartnäckigen Beſtialität
des Arabers wird hier folgende Thatſache erzählt: Ein Steuer-
erheber unterſchlägt eine Summe von etwa hundert Thalern. Er
wird halb todt geprügelt, um das Geld herauszugeben, und geſteht
nichts. Endlich kriegt er einen letzten Schlag oder Fußtritt ins Ge-
ſicht, bei welchem ihm in halber Ohnmacht das geſuchte Geld aus
dem Maule fällt. Er hatte es in Goldſtücken dort verborgen, und
war alſo gefaßt und entſchloſſen, lieber ſeinen Geiſt aufzugeben, als
das geſtohlene Geld –!
Mag man ſich noch ſo objektiv ſtellen, oder rektifiziren und
zurechtquälen: man ſehnt ſich, unter dieſen Menſchenbeſtien und
italieniſchen Kulturfratzen, nach der deutſchen Heimath und ſegnet
die Ziviliſation!
Von einem einſeitigen radikaliſtiſch-romantiſch-bornirten Ueber-
ſchätzen der puren Natur und Natürlichkeit, des ſüdlichen Himmels
und der orientaliſchen Poeſie kommt man hier bald zurück. Erſt
am Gegenſatz des Chriſtent hums, der Ziviliſation und
des Verſtandes iſt Natur und Seele ein Segen, eine
Wahrheit und Poeſie. Seit der Verbannung aus dem Para-
dieſe, halten wir die pure nackte Natur nicht mehr aus –: die Men-
ſchennatur will auch den andern Faktor, „den Geiſt.“
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Man könnte ſagen: Dieſe Araber ſind lumpig, ſchmutzig und
nackt; aber unter den Lumpen haben ſie einen geſundern Körper als
ihre reich bekleideten Herren und die grobe Speiſe findet bei ihnen
einen geſundern Magen und Appetit, als bei ihren Drängern und
Tyrannen. Dieſe Leibeigenen haben weniger Gedanken, aber auch
weniger Kopfbrechen, weniger feinen Genuß und Ehrgefühl, aber
auch nicht ſo viel Herzeleid, Sorge und Schmerz. Man könnte ſo
philoſophiren, und das Genre iſt bekanntlich bei den Gebildeten,
den Ariſtokraten, und leider ſogar bei den Fürſten und Geiſtlichen
ſo beliebt und exekutirt, daß es die Revolution in Europa verſchuldet
hat; aber: – das Raiſonnement iſt nicht wahr; denn ſonſt wäre
das Thier beſſer daran wie der Menſch. – Der Menſch ſoll aber
eben ein ſolcher, in Leid und Freude bleiben, im Dichten und Den-
ken, im Streben und Erringen in, Sorge und Beſitz; und er ſoll in
keinem Augenblicke, in keiner Lage ein Thier ſein, das ſich gedanken-
los auf die Weide legt, wenn es nach harter Arbeit ſich ſatt gefreſſen
hat. Der Menſch ſoll durch Kunſt und Wiſſenſchaft, durch Ziviliſation
ſich eine Menſchenwelt, ein Menſchendaſein in der Natur und Got-
teswelt erbauen. Er ſoll eine ſittliche Reaktion ausüben, auf die
bloß thieriſche Sinnlichkeit und die nackte Adamsnatur, die ihn
für immer aus dem Paradieſe vertrieben hat und durch die
chriſtliche Religion zur Uebernatürlichkeit erhöht wor-
den iſt. – Anders iſt der Zweck der Menſchheit nicht erfüllt, ihre
Würde und ihr Sinn nicht begriffen, und ihr Begriff und Prinzip
nimmer realiſirt. Halbnackte, thieriſch arbeitende, thieriſcher-
nährte, thieriſch begnügte, thieriſch vergnügte Wilde oder Halb-
barbaren ſind und bleiben aller Orten, in allen Welttheilen
und Zeiten eine Schande für die Menſchheit, für die Ge-
ſchichte und ganz beſonders für die europäiſche Ziviliſation, die
doch vor allen Dingen, bis dieſen Augenblick Gott ſei's gedankt,
noch eine chriſtliche ſein will! Chriſtus aber will mit heiligem und
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ewigem Rechte den alten Adam, alſo den nackten Naturmenſchen
erſäuft wiſſen, damit wieder geboren werde in Chriſto, im heiligen
Geiſte der Menſchheit und chriſtlichen Ziviliſation ein neuer Menſch.
So lautet der Spruch, und dieſer Chriſt ſoll in keiner Weiſe thie-
riſch begnügt, taxirt und abgefunden ſein!
Die orientaliſche Tracht kann gewiß für die kleidſamſte gelten,
wenn ſie vollſtändig rein und gut iſt; darum aber auch im andern
Falle für die miſerabelſte und lächerlichſte von der Welt. Dieſe
armen alten Araber winden ein Stück altes Zeug als Turban um
den Kopf, und ſcheinen ſich dann trotz der nackten Beine und Arme,
und im puren Hemde, vollſtändig equipirt. – Etwas gräßlich Fraz-
ziges iſt aber ſo ein Negerweibsbild in der „ſchmudlichen“ Haube
mit alten ſeidenen Locken, mit ſchmutzigen und zerriſſenen Hand-
ſchuhen und Strümpfen, in einem Kattunkleide, das ſich ihr ohne
die diskrete Vermittelung eines Unterrocks um die fettwulſtigen
Leibesparthieen klatſcht; ungefähr ſo, wie es unſern Damen zur Zeit
der griechiſchen Kleidermode, vor vierzig und fünfzig Jahren bei
Platzregen und Sturm wiederfuhr.
Die arabiſchen Fellah-Weiber ſollen aber mitunter von dem
Teint wie Italienerinnen und dann ſehr reizend ſein. Mit Glie-
derfülle und graziöſen Bewegungen ſind ſie faſt Alle von der Natur
ausgeſtattet. Hände und Füße ſind bei ihnen klein und oft zierlich
modellirt; beſonders zeichnen ſich dadurch die Arme und Ellbogen
aus. Im Geſichtsſchnitt und Ausdruck gleichen die Fellah- Weiber
den Bäuerinnen in polniſch Maſuren, (aus der Gegend von Mlawa
und Szrynſk c.) auf die frappanteſte Art. In den ſogenannten
„intereſſanten Umſtänden“ ſehen aber die Maſuren-Weiber,
zuſammt den zierlichen Araberinnen, bei Leibe nicht intereſſant, ſon-
dern vielmehr unglaublich monſtroſe aus.
Wer ſchöne muskulöſe Körper und beſonders ſolche Arme und
Beine ſehen will, der ſieht hier am Bettelvolke eine Pracht. Die
96
armen Teufel ſcheinen doch aber keine rechte Kraft zu haben, falls
man das Tragen von ſolchen Laſten, oder das Rudern und Laufen
und ſolche körperliche Leiſtungen ausnehmen will, auf welche ſie
ganz beſonders eingeübt ſind. Eine gewiſſe Lebenszähigkeit und
ihre große Frugalität im Eſſen läßt ſie alt werden und erhält ſie
leidlich ſpannkräftig und geſund. – Wenn ein Deutſcher, und be-
ſonders ein Weſtpreuße, der an maſſenhafte und zugleich kompakte
Nahrungsmittel, an Speckſeiten, Erbſen, Klöße und Kartoffeln,
an Schweinefleiſch mit Sauerkraut und an Schrotbrot gewöhnt iſt
– die Speiſeanſtalten und Mahlzeiten der arabiſchen Arbeiter, z. B.
der Nilſchiffsleute ſieht, dann begreift er ſchwerlich, wovon ihnen die
verbrauchte Lebenskraft immer wieder zuſchießen kann. – Unſere
Dreſcher, Holzhauer, Bretſchneider und Sackträger eſſen auch wenig
Fleiſch, aber deſto mehr von den andern guten Dingen, die Gott
giebt. –
Auf dem Sklavenmarkte, einem halbwüſten Stadtviertel, ſieht
man hie und da Negerinnen, die aber frei umhergehen, ſchon weil
Flucht weder thunlich noch ein Profit, oder nur ein Bedürfniß für
dieſe Aermſten iſt. – Die, welche ich ins Auge faßte, waren beklei-
det und zeigten ſich dazu in einer Coiffüre von lauter fettglän-
zenden, dichten, kleinen, „Pfropfenzieherlöckchen“ am ganzen Kopfe
um und um, ſo daß mir übel davon geworden iſt. – Die ſchwarzen
Mannsleute erſcheinen weniger widerlich, aber auch bei ihrem An-
blick wird dem Menſchenfreunde, dem gebildeten Europäer, unheim-
lich und beängſtigend zu Muth. Auch dem Vorurtheilsfreiſten dünkt
der Ausdruck thieriſcher Verwandtſchaft bei dieſer Menſchenrace allzu
beleidigend und frappant prononcirt.
Vom Neger iſt nicht bloß zu merken, daß er eine ſchwarze Haut
hat, ſondern dieſe Haut bietet auf den Ellbogen, auf den Knieen
und an anderen Stellen eine Textur dar, wie die Haut des Weißen
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unter dem Mikroſkop: ſie erſcheint ſchinnig, ſchuppig, in groben Po-
ren, – glänzend wie eine Steinkohle, ja an vielen Stellen wie die
Haut eines ſchwarzen Maſtſchweines, dem im ſogenannten Brand-
ſtall von der Branntweinſchlempe die Haare ausgefallen ſind. Es
iſt der Charakter einer thieriſchen Haut. – Noch augenfälliger tritt
dies an den inwendigen Handflächen, zwiſchen den Fußzehen und
an den Fußſohlen hervor, die Negerhaut erſcheint da wie die eines
ſchwarzen Affen; es wird einem weißen Chriſtenmenſchen, einem
Profeſſor der Anthropologie, der Ethik, der Aeſthetik und Theologie
nicht beſſer davon. Den Affentypus vollenden die auffallend dün-
nen, oder klumpig und am unrechten Ort, z. B. halb aufs Schien-
bein geſetzten Waden; die dünnen Barthaare, der mangelnde Backen-
bart und dieſes pelzige Haupthaar, das ſich zumal bei den Weibern
ganz in der Weiſe zu dünnen Pfropfenziehern kräuſelt, wie bei dem
Negretti (Merino-) Schaf; – dann das Geſicht mit den wulſtigen
ſchwarzen Lippen, die, wie durch einen Meſſerſchnitt ins volle
Fleiſch entſtanden ſcheinen, und durch welche das Roth nur wie durch
Trauerkrepp aufſchimmern darf; – die glühenden Augen, die thie-
riſchen Kinnladen, der aufgewippte Naſenſtumpf, das weißleuchtende
Zahngebiß, die mißgeſtalteten, oft ganz verpfuſchten, nur ſkizzirten
Ohren. Der Affenſchädel endlich, mit ſeiner zurückliegenden,
ſchmalen und niedrigen Stirne, drückt das Siegel auf dieſe Men-
ſchen-Beſtialität.
Man muß gewiſſe Exemplare von dieſen Negern und Nubiern
mit ihrem thieriſchen Schädel, Blick, Haar, Gebiß und Weſen,
man muß den viehiſchen Ausdruck ihrer Leidenſchaften, ihre Tiger-
wuth, ihr Racheſchnauben geſehen haben, um zu begreifen, wie der
Sklavenhandel entſtehen konnte und welche Beanſtandung und Op-
poſition die Freilaſſung der Schwarzen bei den Pflanzern gefunden
hat. Es gehört alle Konſequenz, alle Kraft und Humanität eines
ziviliſirten und durchgebildeten Menſchen, eines Chriſten, eines war-
7
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men und vollempfindenden Herzens dazu, um dieſer ſchwarzen Race
das volle Menſchenrecht zu vindiziren und ihr die chriſtliche Bruder-
liebe zu widmen, wenn man ſie täglich ſieht, wenn man ſtündlich
mit ihnen zu ſchaffen hat; aber es kann freilich keine Frage ſein,
daß man ſie ſich im Staate, wie im Herzen für ebenbürtig erklären
muß, oder man iſt immer nicht der richtige Menſch und ein Chriſt
durch und durch.
Eine italieniſch-ägyptiſche Landwirthſchaft am
Mahmudi-Kanal.
Heute den 16. Oktober 1849 ſehe ich am Mahmudi-Kanal
die erſte ägyptiſche Landwirthſchaft bei dem Vater des italieniſchen
Kaufmannes Popolini, auf deſſen Barke ich von Alexandrien nach
Taraneh abgefahren bin. Es iſt eine ägyptiſche Niederungswirth-
ſchaft, die in vielen Stücken, z. B. mit ihrem ſchwarzen fetten Thon-
boden an die Weichſelniederungs-Oekonomie erinnert, aber gleich-
wohl im Prinzip ſo ſeltſam, in allen Einzelheiten ſo unerhört iſt,
daß ich überall verzweifeln muß, wie ich das nur faſſen, behalten,
daguerreotypiren und vollends mit dem fabelhaften Eindruck in die
Seele des Leſers hinübergehen laſſen ſoll, den es auf die meinige
gemacht.
Was man als Kind vom Häuſer-, Höhlen- und Budenbauen
geträumt oder davon mit kindiſchen Kräften intentionirt hat, das
findet man hier in Aegypten als Wirklichkeit vor; finſtere, niedrige,
kellerartige, zu Magazinen, Speicherräumen“) und Polterkammern
benutzte Souterrains; Treppen mit häufigen Abſätzen und Ruhe-
*) Weizen, von der Farbe und Beſchaffenheit, wie unſere ſchlechteſte
rothe Art, war in dem Erdgeſchoß in geflochtenen Körben von Binſen
oder Palmblättern (ähnlich den Bienenkörben) und in thönernen Gefäßen,
wie Waſſertonnen groß, aufbewahrt. »k
7
1 ()()
punkten, ſicher und feſt zwiſchen Wänden hinaufgeführt; ſo daß ſie
den Eindruck machen, als wenn ſie, wie in alten Ritterſchlöſſern, in
einer ungeheuern doppelten Wand und auf geheimnißvolle Weiſe
angebracht ſind; – eine Menge kleiner, behaglicher Zimmer, mit
korreſpondirenden Kämmerchen und erhöhten Bühnen in dem Zim-
merraum ſelbſt, – und ſogar in den Kammern Eſtraden mit
Matten belegt, um darauf hocken zu können, und dazu gemauerte
Divans und Wandniſchen, wo allerlei Dinge und Hausgeräthe
Raum haben; und dann wieder vor den größern und nach draußen
liegenden Stuben, Balkone und Verandas; – und das Eingeweide
des Hauſes: ein kleines Labyrinth von großen und kleinen Treppen,
(Stufen hinauf und herunter), von Korridoren, Verſchlägen, Win-
keln, Kreuz- und Quergängen, wie für phantaſtiſche Kinder zum
Blinzwinkelſpiel, und überhaupt zum Spielen, zum Träumen und
Phantaſiren mit allem Fleiß aufgebaut. Wahrlich, die ägyptiſchen
Grabkammern und Labyrinthe haben ihr vollkommenes Abbild auch
in den Gebäuden der Lebendigen, und der Italiener hat, was die
Einrichtung von Häuſern anbetrifft, ganz den ägyptiſchen Geſchmack,
wie ich das auf der Rückreiſe durch Italien erfuhr.
Man muß dieſe Baulichkeiten geſehen haben, um ihre Kom-
forts und Phantaſieſtücke zu begreifen. Es iſt unbegreiflich viel
Gelaß in mäßig großen Gebäuden, eben weil Vieles an die vielen
Wände und die vielen Winkel geſtellt werden kann, und weil Oefen
und Kamine ausgeſchloſſen ſind. – Der Kaffee wurde bei dieſem
alten, italieniſch-ägyptiſchen Landwirth, oben auf dem flachen
Dache unter dem blauen Himmel, von einer alten dicken Negerin
und ihrem eben ſo alten Manne, oder guten Freunde und Beiſtande
im Hausweſen, gekocht. – Wie einem kurioſen Reiſenden das Alles
vorkommen muß, geht über allen Redewitz hinaus. – Vater und
Sohn hatten. Vieles mit einander zu beſprechen, und ſo viſitirte und
flannirte ich ungenirt in allen Baulichkeiten umher und konnte mich
1 01
keinen Augenblick zufrieden geben, daß ich auf Schritten und Tritten
und in allen Winkeln die ägyptiſch-labyrinthiſchen Winkel-, Höhlen-,
Grotten-, Treppen- und Niſchen-Gelüſte meiner Kindheit und ihre
Traumbauten ausgeführt fand.
Und dieſe ganze Herrlichkeit und Logirbequemlichkeit iſt von
Luftziegeln, aus Nilſchlamm gebaut; von einem zerbröckelnden Ma-
terial, das jede Ueberſchwemmung aufweichen und fortführen muß,
– wie das denn auch in der That theilweiſe bei der eben erſt im
Verlaufen befindlichen Waſſersnoth vor ſich gegangen war. Aber
die eingeſtürzten Baulichkeiten wurden ſchon wieder emſig wie von
Schwalben zuſammengeklebt; z. B. eine Reihe von gewölbten, Back-
ofen gleichen Räumen neben einander aufgeführt, unter ſich durch
Thüren verbunden, und zwiſchen ſtärkere Umfaſſungsmauern geſtellt,
(in welchen ſich wiederum eine Unzahl von kleinen Höhlungen für die
Tauben befinden), bilden Stallungen für Pferde, Kameele und
Hornvieh. -
Durch dieſe Art zu bauen entgeht man der Anwendung eines
großen Daches, das um des mangelnden Holzes willen zu koſt-
ſpielig iſt, und vollends nicht ohne noch größere Schwierigkeiten im
Ganzen und Großen wie eine Kuppel gewölbt werden kann. –
Dünne Kreuzholzbalken von Palmenſtämmen geſchnitten ſind hier
ſchon eine Rarität, folglich muß eben ſo operirt werden wie ge-
ſchieht, und wie man's richtig den „Schwalben abgeſehn; und der
ewig klare, regenfreie Himmel hat dieſen Bauarten ſein Visa ge-
geben. Die Stubendecken ſind von ſtarken Latten und mit Rohr-
matten belegt, es kann gar nicht natürlicher, zweckmäßiger und wohl-
feiler ſein.
In ſo einem italieniſch-ägyptiſchen Landgarten muß man um-
herſpazieren, und über ſeine niedrige, flüchtig improviſirte Rohrein-
friedigung hinweg in die unermeßliche Niederung; auf die ſchwar-
zen und grünen, überall von Gräben, Tümpeln und Dämmen durch-
1 02
ſchnittenen und mit jungen Akazien eingefaßten Ackertafeln, auf
die kleinen Villen ſchauen, die ſo bibliſch-patriarchaliſch aus Dat-
telplantagen hervorgucken; und dann wieder auf die den Backöfen
gleichen Lehmhütten von Schlamm, die mit ihren aus der Mitte
der kleinen Kuppeln herausgebauten Schornſteinen rundgebauchten
Bocksbeutelflaſchen gleichen: dies muß man thun, – um vollends
närriſch und träumeriſch zu werden, wie es mir denn auch zum
Ueberfluß geſchah. – Aber ich denke, ich war geſcheut und hab'
mir mit keiner Gewalt und unnützlichen Geſchäftigkeit die ägyptiſche
Träumerei und Phantaſterei aus den Augen gewiſcht; – denn,
wer das nicht mag oder verſteht, der komme doch lieber gar nicht
hieher. – Iſt für Einen die Nüchternheit ein Lebenselement, und
reflektirte Intelligenz allein ſein Ziel, ſein Prinzip, und ſeine Sa-
tisfaktion: ſo hat er das wohlfeiler und an der Quelle, etwa in
Berlin; auf deſſen Lebensarten alle die Geiſter abonnirt zu ſein
pflegen, die mit Poeſie und Natur, im Intereſſe des guten Ge-
ſchmacks, über den Bogen geſpannt ſind.
So ein ägyptiſcher Garten wenigſtens, hat ſo wenig mit einem
Garten in der Thiergartenſtraße, oder mit dem dortigen fein gebil-
deten Stadtlandleben in ſeparat gemietheten Kaffeelauben, mit
einem babyloniſchen Syſtem von „perſönlichen Klingelzügen“,
(deren labyrintiſchen Dräthe durch unſchuldige Blumenbosketts
laufen), mit gewiſſenhaft einzuhaltenden Grenz- und Spaziergangs-
linien, und mit diskret zu ignorirenden Nachbarslebensarten irgend
eine Aehnlichkeit und Analogie, wie wenn er im Monde oder in der
Sonne belegen wär. – Wie ſo ein ägyptiſcher Naturgarten eigent-
lich ausſieht, und wie er meiner, in Abenteuern verbuhlten, klein-
ſtädtiſch-ägyptiſchen, polniſch-jüdiſch-weſtpreußiſchen Naturaliſten-
Seele vorgekommen iſt: dies mitzutheilen, plaſtiſch und muſikaliſch,
flüſſig und feſt zu machen: müßte ich Muſiker, Maler, Dichter, Da-
guerreotypiſt und Humoriſt in einem und demſelben Athem ſein;
103
und dann brauchte ich noch ein Publikum von demſelben Genre und
Univerſal-Genie. Um aber doch etwas zu beſchreiben, ſo berichte
ich: der Garten war eine halbwilde und halbzahme, phantaſtiſch-
träumeriſche, eine improviſirte, und doch wieder eine, mit ökono-
miſchen Partikularitäten, z. B. Gemüſebeeten untermengte,
humoriſtiſche Kompoſition: von Palmen, Feigen, Orangen,
Oel- und Oleanderbäumen, Bananen, Weinlauben, Stachelfeigen,
Kaktus, Akazien und koloſſalen Blumenſträuchern, und was weiß
ich, wovon ſonſt; Alles in ägyptiſche Beleuchtung und Scene ge-
ſetzt. –
Dieſe jungen Dattelpalmen ſind am Stamme wie rieſige,
antediluvianiſche Kalmus wurzeln, oder zu Bäumen
verhexte Artiſchokken und ungeheure, langgeſtreckte Sellerie-
wurzeln anzuſchauen; die Bananen, wie ein fabelhaftes Schilf. –
Der wehende Nordwind klappert und klatſcht mit dieſen Palmen
und Bananenblättern wie mit einem Segelwerk auf dem Schiff. –
Der Eindruck von alledem iſt unerhört, und um die Fabeln zu vol-
lenden, muß man auf die nie erblickten Scenerieen und Gegenſtände
der Landſchaft hinausſchauen, auf die weidenden jungen Ka-
meele, die wie Robiſons zahme Lamas ausſehen, auf die von der
Ueberſchwemmung noch überall ſtehen gebliebenen Waſſertümpel,
aus denen die ſchwarzen Büffel ihre wilden Köpfe mit glühenden
Augen, wie eben ſo viele Teufel herausſtecken, – und auf die halb
oder ganz nackten arabiſchen Hirten, mit kohlſchwarzen Nubiern und
Negern untermengt. – Nichts iſt aber bei dieſen ägyptiſchen Natur-
märchen ſo abkühlend, als die Nüchternheit des italieniſchen oder
die Beſtialität des arabiſchen Naturells. – Die Engländer und
Franzoſen kann man eben ſo wenig zur Mittheilung brauchen, alſo
raiſonnirt man inwendig, und ſchreibt ins Tagebuch auf Teufel hol.
Nicht weit von einem wie nach dem Modell koloſſaler Terpen-
tinflaſchen gebauten Dorfe am Kanal, ſah ich einen großen Kirchhof.
1 04
Die Gräber erſchienen nicht viel niedriger und kleiner wie die Hütten
der Lebenden. Die heutigen Araber ſcheinen ſtellweiſe ſo zu denken,
wie die alten Aegypter, von denen Diod or in ſeiner hiſtoriſchen
Bibliothek folgendes beibringt:
„Die Einwohner achten das zeitliche Leben ganz gering; hin-
gegen auf das Fortleben nach dem Tode in rühmlichem Andenken,
legen ſie den höchſten Werth. – Die Wohnungen der Lebenden
heißen ſie Herbergen, die Gräber der Verſtorbenen aber nennen ſie
ewige Häuſer; daher wenden ſie auf den Bau derſelben weniger
Fleiß; um ſo eifriger ſorgen ſie aber für eine unübertreffliche Aus-
ſtattung der Gräber. –
Auf dem Hofe des italieniſchen Gutsbeſitzers wurde ein höchſt
kurioſes Gebäude gemauert, mit lauter kleinen Abtheilungen, 2/2
Fuß im Quadrat und 1!/2 Fuß hoch. Ich begriff nicht, ſollten es
Hühnerſtälle oder Brutöfen ſein. Von den Italienern bring ich
nur heraus, daß die Gallina bei dieſer Architektur betheiligt iſt.
Man braucht auch nicht Alles auf einmal zu wiſſen, denn ſo wun-
dert man ſich deſto mehr, und hält die Ohren hübſch ſteif.
Eine arabiſche Macht.
Poeſie und Fratzerei auf dem Mahmudi-Kanal.
Aus der Ferne geſehen, hat der Orient für uns jenen majeſtätiſchen
Zauber, jene imponirende Anziehungskraft, welche die unerſchütterliche
Ruhe über die bewegliche Unruhe hat,
Nichts wünſchen, verlangen, erſtreben; bei jedem Glücksfall ſich
faſſen durch „Allah Kerim“ (Gott iſt groß), in jedem Unglücksfall ſich
tröſten durch: „Kismeth“ (Schickſal), das ſieht wie wundervolle gei-
ſtige Ueberlegenheit, wie Herrſchaft über alle Affekte und Leidenſchaften
aus, und man ſtaunt über ſo erhabene Naturen. Aber ſie ſind nicht
erhaben; ſie werden auch zerarbeitet von Leidenſchaften, und die äußere
Ruhe iſt nur das Ceremoniel, in welchem ſie vor den Leuten erſchei-
nen. – Sie iſt ihnen anerzogen, errungen haben ſie dieſelbe nicht.
In ihrem Hauſe oder wenn ſie ein Amt bekleiden, befehlen ſie unbe-
dingt und finden blinden Gehorſam ; während ſie wiederum dem Hö-
heren im Amte und Dienſt eben ſo blind gehorchen. Mit Seines-
gleichen hat der Menſch im Orient wenig zu thun, und das iſt doch
der Pro birſte in der Gharakter e.
Er raucht eine Pfeife mit ihm und füllt das geſellige Schwei-
gen durch eine Taſſe Kaffee.
Der Orientale iſt nach Sonnenuntergang unter Dach und Fach,
und geht mit den Hühnern ſchlafen. Es giebt nicht Schenken, nicht
Bierſtuben, noch Weinhäuſer, nicht Schauſpiele noch Soireen.
(Orient. Briefe von Ida Hahn - Hahn.)
„Man ſoll den Tag nicht vor dem Abende loben.“ – Für
eine Nil- oder Kanalfahrt in Aegypten muß es heißen: man lobe
den Abend nicht vor der Nacht. Wie phantaſtiſch und lieblich ſchön
war meiner Seele der Abend; ein gemäßigtes, ſtilles Beiram feſt,
aus der lärmenden Wirklichkeit in einen heiligen Wachtraum über-
ſetzt. – Barken mit Laternen und Geſang glitten an uns vorüber,
1 06
einmal ein langes Floß, wie ein ſchwimmendes Dorf. Buden mit
Lichtern und „Phantaſie en“, wie hier jede Muſik und Kurzweil
genannt wird. Die tremulirenden Klarinetten und Oboen von
Rohr klangen wie gedämpfte näſelnde Trauertrompeten und dann
wieder wie eine Savoyardenleier. Die Milliarden Grillen akkom-
pagnirten dieſe Muſik; die unabläſſigen, melancholiſch-dumpfen,
wohlabgeſtimmten Schläge des Tambourins, die regelmäßigen Ru-
derſchläge betäubten die Sinne; der ägyptiſche Sternenhimmel mit
ſeiner ſchimmernden Milchſtraße, die laue, ſtille, von Düften ge-
ſchwängerte Luft, wiegten die Seele in die uralten Träume von
Paradieſesruhe und Glückſeligkeit; es war mir wunder- und won-
nevoll, faſt zu ſchön für dieſe Erde zu Muth; da kam der Nachtthau,
da kamen die Miriaden Mücken, von denen die menſchliche Haut ſo un-
menſchlich, ſo eifrig und pünktlich bunt geſtochen wird, bis man
das, durch die Mücken-Akupunktur wüthend gewordene Geſchöpf in
dieſer bunten Haut wie es ſich ſo toll auf der Matraze umherwarf,
für eine Rieſenſchleie auf dem Bratroſte halten konnte; und end-
lich ſaßen wir auf einer von den vielen Untiefen des verſchlammten,
ſchlecht und liederlich gemachten Mahmudi-Kanals feſt.
Die Scene, welche ich nun unter den Anſtrengungen zum Los-
kommen erlebte, iſt unbeſchreiblich, unbegreiflich, und unglaublich
ſelbſt für Den, der ihr beigewohnt hat.
Die Matroſen animirten ſich gegenſeitig zur höchſten Kraft-
anſtrengung im Abſtoßen der feſtaufſitzenden Barke; aber mit wel-
chen abſcheulich widernatürlichen Manövern, Tönen und Grimaſſen
thaten ſie das! – Wer dergleichen erlebt hat, beruhigt ſich darüber
Zeit ſeines Lebens und vielleicht auch in jener Welt nicht; – denn
das Läppiſche, Grimaſſenhafte und Affenartige, das Häßliche iſt
nicht minder eine Sünde wider den heiligen Geiſt der Wahrheit,
der Schönheit, der ſittlichen Oekonomie, der Weltharmonie, als die-
jenigen Verbrechen, welche die Kriminaljuſtiz beſtraft. –
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Wie dieſe ägyptiſchen Bootsknechte, ſo ſchreien, plappern,
gurgeln, näſeln, ſchnaufen und räuſpern bei uns nur die Narren,
die faſelnden Schulbuben, die Wüthenden, die Raſenden, die Be-
ſoffenen in der Kulmination. Solche Worte, Töne, Rythmen,
Accente, Tonarten, Geräuſcharten und Lebensarten, ſind auch nicht
mal im Tollhauſe Styl und Manier! Das waren nicht mehr
menſchliche Geberdungen, Töne und Ausdrucksweiſen, das war
Dämonie; eine Trias von Tod, Teufel und Hanswurſt! So
ſtöhnen, ächzen, winſeln, knarren und pfeifen nur Thürangeln und
todte Maſchinen; – ſo knurren, pruhſten, fauchen, ſpinnen,
miauen, möckern , bellen, ſprudeln, blubbern, grunzen und
gurgeln nur Affen, Katzen, Hunde, Ziegen, Schweine und Kameele.
So unartikulirte, ſo faſelnd-läppiſch zerhackte, zerquetſchte, zer-
mökkerte Lebenszeichen oder Angſtſignale giebt nur eine Kreatur von
ſich, die von allem natürlichen Maß, von jedem Schönheitsſinn, von
jeder Harmonie, Norm und Geiſtesökonomie entblößt iſt. – So
etwas empört und ekelt im Innerſten der Seele, das iſt ab-
ſcheulicher wie Beſtialität, denn es iſt Widernatürlichkeit, es
iſt Fratzerei, willkürliche, gemachte, verſchuldete Abſurdität,
die eben nur den entarteten, den halbwilden und halbziviliſirten
Menſchen charakteriſirt. – Das iſt die belobte und beliebte pure
Natur, wenn ihr nicht der frei entbundene Menſchengeiſt, der Geiſt
einer durchgebildeten Kunſt und Wiſſenſchaft, wenn ihr gar keine
Schule und Norm zu Hülfe gekommen iſt! – Die verwichene
Nacht auf der Schlammbank, und dieſen Morgen vor den Schleu-
ſen, habe ich den weiten Weg begriffen, den das arme Menſchen-
geſchlecht machen müſſen, um ſich dem Beſtialiſchen, dem Fratzen-
haften, der Dämonie, zu entziehen ! –
So ſäuiſch wie dieſe Araber iſt kaum ein Schwein; ſo unem-
pfindlich gegen Koth und Ungeziefer, wie ein arabiſches Kind und
ſeine Mutter, die ihm nicht einmal die Fliegenklumpen von den feſt
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mit Eiter verklebten Augen wiſcht, und die, mit denſelben Fingern,
mit welchen ſie ſo eben unausſprechliche Reinigungen an ihrem Leibe
» vollzogen hat, in den Durahbrei fährt, – kein Thier; ſo ſchamlos
wie dieſe Aegypter, nur ein Hund. – In ſolcher Weiſe wie dieſe
Barkenſchiffer, zerhackt und zerſägt, ſo zerſprudelt, zergeifert, zer-
krächzt, zerſtöhnt und zerfetzt; – ſo zerſchnalzt, zerfaucht und zer-
haucht, – ſo verwimmert, entwürdigt und blutſchändet kein Menſch
die göttliche Sprache, der ſich von der thieriſch-ſinnlichen Zerfahren-
heit losgemacht, der irgend eine lebendige Idee von Einheit und
Ganzheit, – irgend eine maßgebende Norm und Oekonomie einge-
fleiſcht hat. – So verhäkelt und verpunktirt, ſo iſolirt und korrum-
pirt, ſo konglommerirt und konfundirt kein vernünftiges, irgend
ſittlich oder ſchön empfindendes Weſen die Schriftzeichen, wie
dieſes arabiſche Volk. Kein Wunder alſo, daß bei ihm Vielweibe-
rei Sitte geworden, daß es die Moſaik und einen verſchnörkelten,
grotesken Bauſtyl, – daß es Arabesken und Phantaſtereien er-
funden hat; aber ein weltewiges Wunder, und eine himm-
liſche Gnade: daß aus dem Schooße des Judenvolkes, deſſen
Zweig und Sproß dieſe jachzornige und zerfahrene Araberrace iſt;
der Weltheiland erſtand. Er, der die Mäßigung predigte, –
den Friedfertigen das Himmelreich verſprach, die Dämonie und
Fratzigkeit in die Hölle zurückgeſcheucht, und aus der, durch Teufelei
und Narrethei zerſtückelten, heidniſchen Weltmoſaik, ein Menſchen-
Daſein hergeſtellt hat, in welchem wiederum die Gotteshar-
monie vernommen wird.
Um mich bei dieſer Schilderung nicht der Uebertreibung zu
zeihen, muß man die Berichte anderer Reiſenden, und unter Ande-
ren, Lepſius Briefe über Aegypten, (bei Beſſer-Herz in
Berlin 1852) Seite 188 einſehen. – Der Verfaſſer ſchildert dort
*
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eine Todten-Zeremonie in „Wed Médineh.“ „Es gab da eine
Maskerade mit gellendem Geſchrille, (durch einen vibrirenden Zun-
genſchlag hervorgebracht, der den Urvögeln abgelauſcht zu ſein
ſcheint, und von mir bei Gelegenheit eines Beſchneidungsfeſtes in
Alexandrien beſchrieben worden iſt) – ferner einen dämoniſchen
Verrenkungstanz, nach deſſen Beendigung ſich die Tänzerinnen
auf den Boden warfen, und mit Staub überſchütteten, während
Andere laut heulten, grimaſſirten und ſchluchzeten.“ – Das Auf-
fallendſte und Widerlichſte bei dieſem Schauſpiele (ſagt Lepſius) iſt:
daß nichts mit entfeſſelter Leidenſchaft, ſondern Alles
langſam, pathetiſch und ſichtlich einſtudirt geſchieht. (Das Na-
türliche hat für barbariſche Völker keinen Reiz, ſondern der er-
gänzende Gegenſatz des Gemachten, Affektirten, alſo Mechanismus,
und ein Zeremoniel, welches ſich bis zu dämoniſcher Gri-
maſſenhaftigkeit, zu Narret hei und Teufelei ſteigert, –
kurz: die Unnatur, wie das an den Chineſen zu erſehen iſt. B. G.)
Im zweiten Akte jener Maskerade und Todtenzeremonie, kol-
lern ſich die Aktrizen unter betäubendem Gelärme einen Berg herab,
indem ſie ſorgfältig die Kniee an den Leib ziehen, um ſo das Ge-
wand feſtzuhalten. Das Ganze, (ſchließt Lepſius), macht durch
ſeine alles überbietende Unnatur, einen unbeſchreiblichen
Eindruck.
Paradieſes- und Hades-Scenen an den Schleuſen des
Mahmudi-Kanals in Atſeh,
und
der erſte Anblick des Mil.
In Unter-Aegypten iſt man feiner und höflicher. Der Munadi mit ſeinem
Knaben, der jetzt von jedem Hausbeſitzer ein Trinkgeld für ſein Ausſchreien zu
empfangen hat, geht, feſtlicher als gewöhnlicher geputzt, den Tag vorher, ehe man
hier bei Altkairo oder Foſtat den Nildamm durchſticht und das Waſſer in die
Kanäle der Stadt ſtrömen läßt, in ſeinem Stadtquartier herum und beide ſingen
oder ſchreien gegen einander: M. Der Strom hat Ueberfluß gegeben und ſein
Maaß erreicht. K. Gott hat den Ueberfluß geſendet. M. Der Kanalteich iſt ge-
füllt, in den Gräben ſtrömt das Waſſer. K. Gott hat den Ueberfluß geſendet.
M. Die Fahrzeuge ſind flott. – Darauf, nach manchen ähnlichen Beſchreibungen
der Stromfülle, fährt das Duett fört, die Bewohner der einzelnen Häuſer an-
redend: Mögt ihr lange leben. – Dieſer edle Mann (hier im Hauſe) liebt die
Edlen. – Das Paradies iſt den Freigebigen verheißen. – Die Hölle aber den
Geizigen. – Möge Gott mich nicht vor die Thür eines Geizigen führen. – Einen
Solchen, der das Waſſer im Kruge mißt. – Oder die Brode noch im Teige zählt.
– Nicht eines Solchen, der die Katzen zur Eſſenszeit hinausſchließt; – oder die
Hunde von ſeiner Mauer hinwegtreibt. – Seht nur, wie die Welt ſich geſchmückt
hat. – Die Damen haben ſich geputzt. – Der Junggeſell ſieht ſich nach Ge-
ſellinnen um. – Der Jungfrau bereitet man den Brautſchatz. -
Die fröhlichen Feſtlichkeiten, die man bei Kairo vor dem Durchſtechen des
Großen Dammes anſtellt, ſind ſchon oft beſchrieben.
(H. Schubert ' s Reiſen im Morgenlande.)
Am 17. Oktober 1849, 7 Uhr Morgens, habe ich zum erſten-
mal den wunderbarſten aller Ströme, den fabelhaften Nil erblickt.
Zu ſagen, was er für einen Seelenzuſtand in mir gewirkt hat, geht
über meinen Witz. So viel iſt aber gewiß: Dieſe erſten Augenblicke
in außerordentlichen Situationen, vor weltberühmten Scenen,
Menſchen und Dingen, faſſen die Genugthuung in ſich, um deret-
1 11
willen ſich der Poet auf Reiſen begiebt, und um die es ſich über-
haupt verlohnt.
Der Himmel wölbt ſich über allen Ländern, Sonne, Mond
und Sterne ſieht man überall am Himmel ſtehn; Morgen- und
Abendroth überall am Himmel glühn; und an jedem Orte, in jedem
Augenblicke, in jeder Erſcheinung und Geſtalt iſt dieſe Natur eine
heilige und wunderbare Gottesnatur: aber wir haben ſeit den Ta-
gen der Kindheit und der Jugend den innerſten Sinn, die Seele,
die Begeiſterung für dieſe natürlichen Weltwunder abgeſtumpft, –
und es geſchieht dann in der weiten Fremde, in andern Welttheilen,
daß die neuen Naturerſcheinungen, daß alle die neuen Dinge und
Geſchichten, unerhörten Sitten und Lebensarten: – unſere erſte
Lebensinbrunſt, unſere heilige Naturliebe, die ſeligen Träume aus
den Tagen der Kindheit wiedererwecken: Hierin liegen die ſublim-
ſten Genugthuungen, die beſeligendſten Augenblicke und die Zau-
berei des Reiſens, und doch legen die Gelehrten auf dieſe Reiſe-
myſterien und Genugthuungen niemals den Accent!
Es iſt ſicherlich an dem: Dieſe Palmen ſind nicht ſchlechtweg
ſchöner wie die Eichen und Buchen; – der dunkelblaue Himmel
nicht wunderbarer, wie der vom blaſſen Blau in geiſterhaftem Schein.
Der ewig dürſtende, glühende, ſtaubige Sommer muß ermattender
und troſtloſer ſein, wie der Wechſel von Winter und Sommer, von
Hitze und Kälte, von Näſſe und Dürre; wie ein nordiſcher, ach ſo
verheißungsvoller Frühling, und wie unſer Herbſt, der ſo viel un-
ausſprechliche Lebens-Allegorieen, Lebens-Myſterien und Wehklagen
in ſich ſchließt. Aber, wir nordiſchen Menſchenkinder, leben mit
dieſen vaterländiſchen Bäumen und Himmelswolken, mit dieſem
geſpenſtiſch-humoriſtiſchen Winter, wie in einer gleichgültigen
abgenüchterten Ehe; und die Palmen, die Orangen, der ewige
Sommer, die dunkle Bläue, die fremden Thier- und Menſchenge-
ſtalten, die neuen Abenteuer und Situationen, die neuen Lebens-
112
arten, und die Hinterlaſſenſchaft aller Sorgen und Arbeiten, aller
Verdrießlichkeiten, Beſchränkungen, Miſeren und Pedanterien der
Heimath: giebt uns die natürliche Spannkraft, die Jugend, die
Poeſie, den Liebesrauſch im Verkehre mit allen erſchaffenen Dingen;
ſchenkt uns auf Augenblicke das verlorene Paradies, die Vaterlands-
liebe, die tiefere Lebensruhe, den rein menſchlichen Charakter zurück:
nämlich einen gereiften, umfaſſenden, überall verſöhnten Sinn und
Geiſt! – -
Welch eine unnennbare Magie umwebt doch dieſen uralten
Nil, welch ein Geheimnißzauber die Vorſtellung von ſeinen unent-
deckten Quellen. – Er iſt freilich nicht älter als die andern Welt-
ſtröme, aber älter in der Kulturgeſchichte, und darum älter in der
Menſchenphantaſie, wie irgend ein Strom und ein Ding. Dazu
hat man noch außer der paradieſiſchen Buhlerei mit ſeinen Ufern
und Waſſern, ein ganz abſonderliches Träumen und Schäumen,
um jener uralten Kulturhiſtorien willen, die mit Naturmothwendig-
keit von dieſen Nilwaſſern und ihrem befruchtenden Schlamm ab-
hängig geweſen ſind: Der erſte Menſch aus Erden erſchaffen und
eine älteſte Menſchengeſchichte, hervorgegangen aus Schlamm und
Letten, die zwiſchen Felſen und Wüſten ein Weltſtrom mit ſich führt;
welch eine wunderbare erhabene Symbolik und Analogie!
Der Nil ſcheint bei Atfeh ſo breit, wie die Weichſel an den
breiteſten Stellen, alſo etwa 1000 Schritte. Seine Waſſer waren
noch nicht ganz in die hie und da mit hohem Rohr eingefaßten
Ufer zurückgekehrt. *) Im Hintergrunde aber tauchte auf beiden
*) Die Ueberſchwemmung des Nil beträgt in unſern Tagen noch
ſo viel wie zu Herodots, Plinius und Kaiſer Julianus Zeit: nämlich
15 – 16 Fuß, die Breite übertrifft jeden vaterländiſchen Strom. Im
engen Bette bei Lurſor 1300 F.; bei Montfalut und Ssyut auf 2034
bis 2800 während des mittleren Waſſerſtandes im Januar, weil hier
1 13
Seiten aus der verlaufenden Fluth (die hier den Gegenſatz zur
Sündfluth, nämlich daß vornehmſte Lebenselement bildet,) je ein
bethürmtes Städtchen in den Horizont. Die waſſerfreien Strecken
zeigten überall, ſo weit das Auge reichte, grünende wie reifende
Felder und Bäume, denen man die ſeltene Wolluſt anzufühlen
glaubte, im Waſſer oder am Waſſer, im Schlamm oder im feuchten
und friſch befruchteten Erdboden zu ſtehn.
Die ägyptiſche Morgenſonne glitzerte auf den dunkelgrünen,
vom Nachtthau abgewaſchenen und fetten Blättern der koloſſalen
Sykomoren (Gemus); ſie vergoldete die bronzefarbenen Aeſte und
Zweige der Platanen, daß ſich die überall geplatzte feine Baumhaut
wie in Sonnenwolluſt abzuſchlauben ſchien, – und dann flammte
das erdenlüſterne Meteor durch die gelichteten Kronen der Akazien,
deren kleine und dichtgeſchaarte Blätter die Morgenzephire wie Klee
kräuſelten, daß es wiederum eine Buhlerei von Licht und Morgen-
wind, auf Blättern gleich wie auf Waſſerwellen gab.
Und über dieſer ganzen lichtgetränkten, ſonneberauſchten, luft-
durchſtrömten und ätherverklärten Welt von Feldern, Waſſern,
Inſeln, Ortſchaften, Städten, Schiffen, Menſchen und Thieren
ragten hohe, ſchlanke, mit ihren Kronen und Zweigen zum getränkten
Boden geneigte, fruchtbeladene, träumeriſche Palmen in die
Paradieſesluft hinein, die aus Sonne, Gold und Aetherbläue ſo
himmliſch das Grün des Erdbodens zu weben verſtand.
zu beiden Seiten kein Gebirge die Ausbreitung hemmt. Am 17. Juni
iſt die Leileth en Nucktah: die Nacht des Tropfens der vom
Himmel in den Nil fällt, und ihn ſo anſchwellen macht – dieſe
Nacht wird fröhlich und im Freien zugebracht.
1 4
Dieſe irdiſchen Paradieſesſeenen, die ich gleich beim erſten
Anlanden in Atfeh noch vor der Paſſage durch die Kanalſchleuſen,
zu Fuße aufgeſucht hatte, – indem ich mir, von wüthender Sehn-
ſucht nach dem Anblicke des wunderreichen Stromes ergriffen, aufs
Gerathewohl einen Weg durch das Dorflabyrinth bahnte, wurden
durch wahrhaftige Höllenſcenen in Kontraſt und Schatten geſetzt,
als ich wieder zur Barke kam.
Dieſes Dorf Atfeh, am Mahmudi-Kanal, der hier in den Nil-
arm von Roſette mündet, in welchen die Barken durch zwei Schleuſen
emporgehoben werden, hat mir die Ueberzeugung gegeben, daß man
nicht „böhmiſche“, ſondern „ägyptiſche Dörfer“ ſagen muß,
und daß die babyloniſche Verwirrung keine Fabel, ſondern eine Ge-
ſchichte, eine ewig wahre und fortwirkende Thatſache im jüdiſchen Ae-
gypten iſt bis auf dieſen Tag; gleichwie die vom ewigen Juden, der in je-
dem Juden erſteht, ſo lange ein Einziger noch auf Erden exiſtirt. Mag
ſich ein Menſchenkind, ein Poete, ein Phantaſt oder ein Tollhäus-
ler die Weltverwirrung denken: eine Unordnung, ein Lärmen, ein
Raſen und Schreien, ein Durcheinander von Menſchen, Dingen,
Geſchichten, Stimmen, Geſtalten, Aktionen und Prozeſſen wie
er will; ein eben ausgebrochenes Tollhaus; eine waſſerſcheu ge-
wordene, in einen biſſigen Hundeknäuel und Rattenkönig zuſammen-
gewirrte Welt; – hier in Atfeh bei den Schleuſen kommt ſeine
Phantaſterei zum Bankerott. Man ſieht das, man hört das und man
begreift und glaubt gleichwohl lange nicht, was man ſieht und erlebt.
Jeder Augenblick, jede Gruppe und Scene, jeder Sonderlärm wird
fort und fort durch das fabelhafte dämoniſche Enſemble übertümmelt,
verſchüttet, übertönt und verlöſcht! – Dieſes Menſchen-Chaos zu
Atfeh iſt ein ewiges, ſich ſelbſt verſchlingendes, tauſendköpfiges
Ungeheuer, von mutternackten, hündiſch-ſchamloſen, arabiſch-dra-
matiſchen Wuth- und Schreileidenſchaften. Es iſt der Welt-
wirrwarr im Extrakte, als chineſiſches Feuerwerk angeſchaut und
durch hündiſchgeidiſche, hündiſch belfernde, und hündiſch ſcham-
loſe Menſchenteufel, Dämonen, Narren und Fratzen in Scene
geſetzt!
Hier im Gedränge der Barken, die zu den Schleuſen nach
und von Kairo kommen, iſt jede europäiſche, ziviliſirte und
chriſtliche Verwirrung eine gottvolle Ordnung. Gegen dieſe
Menagerie von Menſchenſtimmen aus faſernackten Menſchengeſtal-
ten, die in allen Farbenabſtufungen von Weiß und Gelb, von
Kupferfarbe und Schwarzbraun und Kohlſchwarz durcheinander
gewirrt ſind; im Vergleich mit dieſem Zanken, Keifen, Kreiſchen,
Gewaltſchreien, Wuthſchreien, Brüllen und Stöhnen, das in allen
Rhythmen und Tonarten, in allen Geberdungen und Aktionen ver-
körpert wird; gegenüber dieſen unartikulirten, unmenſchlichen, dia-
boliſchen Tönen iſt aller Lärm und Tonſpektakel, wie ich ihn auf
polniſchen Judenjahrmärkten, in blühenden Judenſchulen, in
Synagogen während der langen Nacht gehört, iſt der Gaſſen- und
Marktlärm in Paris und auf der Londonbridge – Friede Gottes,
Schamhaftigkeit und ſüße Harmonie!
Bei ſolcher Gelegenheit kann man begreifen, daß und wie
Häßlichkeit, Sünde und Unſittlichkeit nicht als die bloße Ab-
weſenheit des Schönen, Wahren und Guten, ſondern als ein
diaboliſches, poſitives, gottvermaledeites und weltenuntergangs-
mäßiges Prinzip gefaßt werden muß – und daß es eine Harmonie,
ein Zuſammenſpiel der Ungereimtheit und Abſurdität, eine Macht
in der Unmacht, eine Konſequenz und Methode der Verrückt-
heit geben kann, von welcher die harmoniſche Seele in Stücke
ſpringen will.
Halb nackt und wie vom Mutterleibe gekommen ſtehen dieſe
mahagonifarbenen, ſchmutzig gelben und kohlenſchwarzen Beſtien,
dieſe Aegypterfratzen auf ihren Barken, oft nicht einmal einen
8*
116
Schanddeckel um ihre Hüfte und ſo ſprudeln, geifern und brül-
len ſie ſich ihre hündiſche Wuth, ihre viehiſche Unvernunft ins
gottähnliche, aber zur Fratze verzerrte Antlitz, – und ſo drän-
gen ſie ohne eine Spur von Ueberlegung, ohne einen Hauch von
Billigkeit, Ordnung und natürlicher Polizei, mit nicht mehr Mä-
ßigung und Lebensart wie ein Häringszug beweiſt, Alle zugleich
auf denſelben Punkt.
Eben durch dieſe Scenen findet ſich jede bloße Phantaſtereipa-
ralyſirt. – Hier müßte man zankende Neapolitaner und wüthende
Fiſchbrücksweiber herbringen und ſie würden ſtutzig, ruhig und
ſchämig werden, ähnlich wie ein Narr erſchrickt und ſich zuſammen-
zunehmen pflegt, wenn er ſich zu einem Raſenden geſperrt ſieht.
Hier denkt der bitterſte Feind der Disziplin, der Kontrole und
jeder Gewalt unwillkürlich an den ruſſiſchen Kantſchu und die
Schnellgerechtigkeit, das iſt an die exekutive Polizei.
Und dieſe Gewalthandhabung mangelt hier nicht ganz. Es
wird von Polizeibeamten und Profoßen mit dickgedrehten Baſt-
ſtricken ohne ſonderliche Rückſicht auf Anatomie oder Oſteologie,
vielmehr auf gut ruſſiſch über die nackten Leichname gehauen;
und die Gehauenen brüllen dabei die X geſtrichenen Noten zu
dem ganzen Höllenkonzert von Atfeh. Aber ſo lange dieſen Race-
Exemplaren nicht die arabiſche Seele aus dem Leibe fährt, bleiben
ſie eben Araber, Aegypter, Barbaren und Fratzen wie zuvor!
Es wollte kein Einziger auch nur um einen Strich und Schat-
ten nachgeben, und wenn er gleich ſah, daß er durch ſeine Rückſichts-
loſigkeit und Hartnäckigkeit mit zu Schaden und zu Grunde kom-
men mußte, es half nichts; denn der Aegypter beſteht auf ſeinen
Sinn. Und um dieſes Chaos, dieſe Hölle ſah man an hohen und
ſteilen Lehmufern ein Labyrinth von Schmutzhütten und Schlamm-
neſtern, chaotiſch terraſſenartig über einander geklebt und auf den
117
kuppelförmigen, oder flachen, mit Bohnenſtroh und dem Wirrſal
von trockenen Linſen- und Erbſenranken bedeckten Dächern der
kegelförmigen Häuſerwände ſchmutzten, kratzten, krähten und gurrten
Hühner- und Taubenſchwärme umher, belferten und zähnefletſchten
abſcheuliche Hunde, keiften alte Megären, katzbalgte und kugelte
ſich die junge nnd nackte Araberbrut: das war die Harmonie vom
Lande zu der Waſſer- und Schleuſen-Oekonomie.
. . . . .
–
S chibb el ch it.
Die ägyptiſche Architektur auf dem Dorfe mit darangek==sFter
Philoſophie und Allegorie.
Vom 17. zum 18. Oktober haben wir im Dorfe Schibbel-
chit genachtet. Die Hütten liegen unmittelbar am Nil, ſo daß
er ſie überſchmemmt haben muß. Ich wundre mich, daß nicht alle
niedrig liegenden Dörfer mit ihren Lehmbuden aufgelöſt worden
ſind. Mit einigen iſt es geſchehen, ſie werden aber ohne ſonder-
liche Arbeit und Koſten wieder aufgeführt, denn Holz und Steine,
Glaſer, Töpfer, Tiſchler, Zimmermann und Tapezier ſind dabei
nicht von nöthen, und den Maurer macht der Fellah nach dem
Muſter der Schwalben, wobei ihm ſeine Familie handlangern
muß. Die wenigen aus elenden Bretterſtücken zuſammengebaſtel-
ten, oder nur aus Flechtwerk gefertigten Thüren und Kiſten rettet
Jedermann vor der Fluth, und ſo ſieht er ruhig von den höher
liegenden Stellen und Dämmen zu, wie ſeine Backofenwohnung
in den Schlamm aufgelöſet wird, aus dem ſie in Eile zuſammen-
geknetet und bald genug von der Sonne zu Stein getrocknet iſt. –
Es regnet kaum dreimal im Jahr und dann iſts nur ein himm-
iſhes pro forma, das eben den Staub löſchen darf. Kalt iſt es nur
wenige Wochen oder Tage, und auch an dieſen nicht viel kälter,
wie in Preußen in einem kalten Mai,“) z. B. in einem ſolchen,
wo Friedrich dem Großen die Potsdamer Orangerie erfror. Die
Palmen vertragen alſo gleichwohl mehr Froſt, denn ſie erfrieren
hier doch nimmermehr. – Alſo das Klima erlaubt im Allgemeinen
dieſe Lehmarchitektur ex improviso, – und man darf ihr ſogar
nachſagen, daß ſie nicht ohne ländlich ſittliche Vortheile, vielmehr
in vielen Stücken von dem ägyptiſchen Himmel ſo für den Fellah
vorgeſchrieben iſt. – Die Hauptrückſicht für eine hieſige Wohnung
iſt nämlich Schatten und Kühlung, und für die kalten Tage
ein enger Raum, der von dem kleinſten Feuer erwärmt;
denn es giebt hier außer dem Kameel-, Eſel- und Büffeldünger,
oder wenigem Strauch, Rohrig und Palmenſtielen kein Brenn-
material. – Zum Dritten-, Erſten- und Letztenmal aber müſſen
die Hütten ſo nahe wie möglich am Nilſtrome ſtehn; – weil
Waſſer, Kühlung, Erfriſchung, Bad und Reinlichkeit das vor-
nehmſte Bedingniß des Garten- und Ackerbaues, wie der Thiere
und Menſchen iſt. – Die Büffelkuh ſteckt während der Tageshitze
im Waſſer bis an den Hals, – und die Menſchen ſitzen an den
Ufern, um Bad und Labung bei der Hand zu haben, oder um das
Waſſer mittelſt ganz einfacher Vorrichtungen in die großen und
kleinen Kanäle zu ſchöpfen, von denen das kleinſte Ackerſtück
durchſchnitten, und aus welchem es mit Schaufeln begoſſen und
beſpritzt ſein muß, wenn es irgend einen Ertrag geben ſoll.
Wenn aber ſolchergeſtalt die Hütten am Waſſer ſtehen müſſen, ſo
werden ſie auch in den meiſten Fällen während der Nilüberſchwem-
*) Lepſius erlebte im Januar an den Pyramiden von Gizeh
5" R. Froſt, und einen Regenorkan, der in wenig Minuten kleine
Bäche und Teiche im Sande bildete, ſeine Zelte umriß und die Geräth-
ſchaften auf Wellen forttrieb.
120
mung halb oder ganz zerſtört; und alsdann nur unter der Be-
dingung faſt jahrjährlich aufgebaut werden können, wenn ſie ſo
leicht und klein und mühelos wie erdenklich eingerichtet und her-
gerichtet ſind. – Geräumige, ordentliche Häuſer, oder nur ſolche
Hütten kann der arme, nackte, ſchlechtgenährte, von allen Hülfs-
mitteln entblößte beſitzloſe Leibeigene, in einem brennend
heißen Klima, ohne anderes Baumaterial als ſeinen leicht zu
knetenden, raſch und ſteinhart zuſammentrocknenden Nilſchlamm
und Thon, – doch nicht erbauen; und falls er dies Wunder auch
einmal in ſeinem Leben zu Stande brächte, ſo kann ers doch
nicht alle Jahr! –
Verträglichkeit und Friedfertigkeit iſt ferner die ſchwächſte
aller Araber tugenden ſo ſehr, daß ſie ihm ſogar ganz und
gar abzugehen ſcheint, und man an Ort und Stelle erſt den
Akzent begreift, den der Welt heiland auf dieſes echt jüdiſch-
arabiſche Menſchen mal heur und Kriterion gelegt hat,
indem er bei aller Gelegenheit den Friedfertigen, Sanftmüthigen
und Geduldigen das Himmelreich verſpricht, indem er Liebe und
Gehorſam als das erſte und letzte Gebot hinſtellt. Sintemal
aber das arabiſch-jüdiſche Naturell ein ſo unverträgliches, und
was zur Konſequenz gehört: ein ſo zerfahrendes, bei allen Ge-
legenheiten ſich eigennützig und kitzlich abſonderndes, ſchismati-
ſirendes, disharmoniſches und nirgend gemeinſchaftlich auf einen
Punkt hinarbeitendes iſt: ſo wird auch ſonnenklar, daß die arabi-
ſchen Familien, ſelbſt wenn ſie Balkenholz und Bretter hätten,
um größere Familienhäuſer in gemeinſchaftlicher Thätigkeit für
ein gemeinſchaftliches Beiſammenwohnen aufzuführen, dies ihrer
Abſonderungsſucht ſchlechtweg unmöglich wäre. Mehemed Ali
hat ein oder ein Paar Dutzend vermeintlicher Muſterdörfer
in Unter- und Oberägypten aufbauen laſſen; anſtatt aber, daß die
geräumig und regelmäßig eingerichteten Häuſer und Gaſſen eine
Nachahmung gefunden hätten, ſind ſie vielmehr ſelbſt denjenigen
widerwärtig, unbequem und durchaus nicht zu Sinn, welchen man
ſie koſtenfrei oder gegen die billigſten Verpflichtungen zur Wohnung
angewieſen hat. Natürlich konnte das Experiment nur an den
höher gelegenen Stellen ausgeführt werden; – dieſe ſind
aber nicht immer in der Nähe des Waſſers, der Bäume, der Pal-
men und des beſten Bodens, oder der größern Ortſchaften und
Verkehrsorte zu haben, folglich nicht gut. – Endlich ergeben
ſich die breiten Gaſſen, wenn ſie nicht wie in den Bazars der
Städte mit Palmbalken überbrückt, und mit Matten belegt werden,
als zu licht und zu heiß. – Das Zuſammenwohnen iſt aber ſchon
um der hierdurch bedingten gemeinſchaftlichen Gehöfte,
wie der zuſammengelegten Gemüſegärten dem Araber ein Scheuel
und Greuel, da er, wie geſagt, überall ſeine aparte Welt und Ge-
ſchäftigkeit haben, und gleich Kindern, Weibern und allen Bauers-
leuten mit ſeinem Beſitzthum durchaus abgeſondert wirth-
ſchaften, und nur nach Belieben, zum puren Vergnügen geſellig
und plaudernd zuſammenhocken will. Dies koſtſpielige Experiment
des zu allen möglichen Neuerungen und Zwangsverbeſſerungen
nur allzu entſchloſſen geweſenen Vicekönigs, der als Türke nichts
von dem arabiſchen Eingeweide, alſo nichts von den natür-
lichen Sympathieen, Anthipathien und Idioſynkraſieen ſeiner
Pflegbefohlenen begreift, – iſt alſo ganz ſo in die Brüche gefallen,
wie Alles, was in der übrigen Welt ohne Berückſichtigung des
Himmelſtrichs, der Naturen, der Sitten, der Lebensgewohnheiten,
der Charaktere, der eingefleiſchten Vorurtheile, der feſteingelebten
Formen, der Race und Volksthümlichkeit, der materiellen und
ökonomiſchen Verhältniſſe und endlich ohne Vermittelung mit der .
herrſchenden Religionsform und Kirche neu organiſirt und funda-
mentirt werden ſoll. – Es ginge wohl, aber es geht nicht.
– Und wenn ſelbſt den an ſich wahren und vollſtändigen Theo-
1 22
rien und Ideen, unter ziviliſirten Nationen und in ſchulgebildeten
Ständen ſogar langſam und mühſelig ein Leib zugebildet
werden kann, um wieviel ſchwieriger wird das mit halbwahren, ab-
ſtrakten und konfuſen Theorien im kurioſen und obſtinaten
Aegypten, unter Halbwilden der Fall ſein –!
Es kann, da insbeſondere von baulichen Verbeſſerungen und
Neuerungen die Rede iſt, Alexandrien angeführt werden als
ein Beiſpiel verunglückter, weil abſtrakter und unpraktiſcher
Theorie. – Ihr zufolge ſollte die Stadt breite und gerade
Straßen erhalten; man hat zu dem Ende ein Stadtviertel ziem-
lich gewaltſam raſirt; – die breiten und geraden Gaſſen aber
ergeben ſich nur für diejenigen Leute bewohnbar, welche wohl-
habend genug ſind, ſich durch alle möglichen Luxusmittel gegen
Licht und Sonnenbrand und gegen Kalkſtaub zu ſchützen,
gleichwie im Winter gegen Regen, Kälte und Wind, welche elemen-
tariſchen Prozeſſe in Alexandrien wegen der Meeresnähe
manche Woche einem preußiſchen Herbſt- und Frühlingswetter
komplett ähnlich ſehn.
Die engen und labyrinthiſchen Straßen können im
Sommer, wie ſchon bemerkt, mit Matten verdeckt, ſie können auch
leicht mit Waſſer beſprengt werden, und ſind wiederum im Winter
ungleich beſſer gegen Wind und Wetter vom Meere her geſchützt.
– Die wohlhabenden Alexandrier bringen alſo den Sommer in
Kahira's engen Straßenlabyrinthen zu, und halten ſich, falls ſie
den Winter in Alexandrien riskiren, durch Kamine, Polſter,
Decken, Teppiche, Matten und warme Kleidungsſtücke gegen den
Sturm, den Regen und Froſt verwahrt, der unaufgehalten,
von einem Ende der ſchönen, lichten, breiten und ge-
raden Straßen und zwiſchen den überall unterbrochenen
Häuſerreihen nach Belieben daher fegen kann. Man
muß wie ich zur Weihnachtszeit die halbnackten Eſeljungen und
1 23
Proletarier in dem neumodiſchen Frankenviertel geſehen haben,
um zu begreifen, daß in Aegpten der Hauptſache nach gerade ſo
gebaut werden muß, als von Alters her wirklich gebaut wird. –
Das Architektoniſche iſt dem rückſichtsloſen, abſtrakten, überall
egoiſtiſch, mechaniſch und tyranniſch zu Werke gehenden Türken
– Mehemed Ali (dem es nicht mal beliebte oder glückte, daß er
arabiſch lernte), in jedem Sinne mißglückt. – Auch der
Mahmudi-Kanal mit dem gewaltſamen Opfertode von vielen Tau-
ſenden der zwar widerſpenſtigen, aber doch nackenden, unwiſſen-
den und armſeligen Fellahs ins Werk gerichtet, iſt ſchlecht und
verſchlammt und keineswegs für die Dauer gemacht. Wahrhaftig.
Staat und Humanität werden durch kein Rechenexempel allein
realiſirt.
Von der arabiſchen Dorfbaukunſt iſt noch dies zu merken,
daß man, ungeachtet des ſeparatiſtiſchen Charakters, ein ſogenann-
tes Haus am liebſten unmittelbar an das andere klebt, damit
eine Wand geſpart werde. Zwiſchen den einzelnen Lehmbuden,
oder ihren zellenartigen Konglomerationen bleiben dann nur ſo
ſchmale Gänge, daß ſich eben nur eine Menſchengeſtalt in ihnen
fortbewegen kann. Dazu ſind kleinere Hofräume (oft nur
ſo groß wie ein Schlafkabinet, um etwas aus der Hand und aus
dem Wege zu ſtellen, – die Nothdurft zu verrichten, mit dem
Federvieh zu verkehren und die Ziegen zu melken,) mit in den
wunderlichen, ganz willkürlichen, plan- und regelloſen Bau auf-
genommen und umfriedigt. Dieſe kleinen eingeſchloſſenen Ge-
höfte vertreten wegen des immer trockenen Klimas unſere Rumpel-
kammern oder ſogenannten Hausflure, Speicher und Magazine
vollkommen gut, und noch mit dem Vorzuge, daß ſie weder finſter
noch ſtockig, oder hermetiſch verſchloſſen ſind, wie bei uns. –
Das Ganze ſo eines Nildorfes iſt in ſeiner Unregelmäßigkeit,
ſeiner Bodenunebenheit, ſeiner Ungleichartigkeit und Winklichkeit,
1 24
mit ſeinen ſchmalen verdeckten und offenen Gängen, Höfen,
Mauern, Stufen, Eſtraden, Abſätzen, Löchern, Kegeln und ab-
geſtumpften Pyramiden, Würfeln, kleinen Kuppeln, welche den
Hütten das Anſehen von Backöfenbuden und thönernen Terpentin-
flaſchen geben, ein unbeſchreibliches und unkonſtruir bares
Labyrinth, aus welchem ſich kein Fremder, ſelbſt mit einem
Kompaß, heraus oder auch nur ordentlich hineinzufinden ver-
mag. –
Man verſteht das Eingeweide der Pyramiden, die Grab-
kammern, die Nekropolen und das alte Labyrinth, ſobald man das
erſte beſte ägyptiſche Dorf geſehen hat. Es iſt hier derſelbe an-
geborne, durch das Klima und die eintönige einförmige
Wüſte ausgebildete, naturn othwendig gewordene
Hang zur Unregelmäßigkeit, zur Abwechſelung, zur
Mannigfaltigkeit, zur Höckerigkeit, zur und uliren-
den Linie, zum Zickzack, zur Winklichkeit, zur Schläf-
rigkeit, zur Träumerei; und dieſe Elemente ſind dann zur
delirirenden, zur faſelnden, ungeheuerlichen, konfuſeſten, willkür-
lichſten und abenteuerlichſten Lebensart, zur närriſchen Kunſt,
zur läppiſchen Spielerei und Fratzerei in allen Geſtalten
ausgeartet; ſo ſcheint es mir. – Dieſe arabiſchen Bauaben-
teuerlichkeiten auf dem Dorfe ſind die Karrikatur der alt -
ſarazeniſchen Architektur. Die bunte Phantaſterei und
myſteriöſe Konfiguration der letztern, ihre überall unterbrochenen
undulirenden Baulinien, ihre Roſetten, Sproſſenwerke, Zinnen,
Balkone und Erker, ihr myſtiſch vegetativkonfigurirter Styl, ent-
artet beim Fellah zur närriſchen Willkür und Formloſigkeit, zur
Faſelei, Konfuſion und Abſurdität überall. – Ganz ſo, wie der
Gebildete und Ziviliſirte, wie ein ſchulgerecht erzogener Menſch
die gerade Linie, die Symetrie; wie er Ebenmaaß, Logik, Gram-
matik, Mathematik, Architektonik, Konſtruktion, Styl, Einheit,
125
Haltung, Würde, Stätigkeit, Charakter, Ruhe, Idee, Plan,
Ueberſicht, Ordnung, Geſetz, Regel, Norm, Klarheit, Ausgeglichen-
heit, Harmonie, einfache, leicht zu kontrolirende, zu lehrende und
zu lernende Oekonomie liebt –: ſo begehrt der Wilde, das
Kind, – das weibliche Geſchlecht, der bloße Naturaliſt, der
Sinnenmenſch und rohe Praktiker, der Winkelkonſulent, der
Quackſalber, ſo begehren alle Sinnenmenſchen, weil ſie vom Augen-
blicke beherrſcht werden, weil ſie dem wechſelnden Sinneneindruck
hingegeben nur an der Partikularität haften und nie ein Ganzes,
ein Geiſtiges, Peripheriſches und Zukünftiges zu erfaſſen ver-
mögen –: die Unregelmäßigkeit, die Unordnung, die Willkür,
die Geſetzloſigkeit, die Zerfahrenheit, die Zerſtückelung, die Wink-
ligkeit, die Winkelzüge, das Zickzack, die Praktiken, die Hinter-
liſten, die Hinterthüren, die krummen Wege und Stege, das
Chaos, die Auflöſung, das Labyrinth: eine bunte Welt, in der
es drunter und drüber, wo es kopfüber geht. Dieſes labyrin-
thiſche, bunte, geſetzloſe Innere bildet der Sinnen-
menſch naturn othwendig auch äußerlich ab. Dieſe Zick-
zackſprünge, Winkelzüge, Undulationen und Zerfahrenheiten ſpie-
gelt alſo auch der Araber unter den Modifikationen ſeiner
Bildung und ſeiner beſondern Naturgaben, im Sprechen und
Schreiben, im Bauen und Buchſtaben zeichnen, in ſei-
nen Sitten und Gebehrden, – in all ſeinem Thun
und Laſſen, willentlich und unwillentlich ab; wie z. B. in der
Moſaik- und Arabeskenbildnerei, in der harmonie loſen
Muſik, wie in dem komplizirten Niſchen- und Grottenwerk,
welches in dem Bauſtyl der arabiſchen Moſcheen ſo ungeheuerlich
eigenthümlich ausgebildet erſcheint, daß der ſchulgerecht gebildete,
an große Baulinien und Bauflächen, an überſichtlich geebnete und
einfach gehaltene Maſſen gewöhnte Menſch anfänglich durchaus
nicht faſſen und begreifen kann, was er mit einem ſolchen Grotten-
126
werk von ſieben nebeneinander und ſiebenfach über -
einander geſtellten Koloſſalniſchen in der Idee anzufangen
hat, dazumal in jedem dieſer Niſchenungeheuer das ganze Ni-
ſchen- und Grottenwerk bis zum Labyrinthiſchen wiederholt iſt,
wie z. B. zu Kairo in der Haſſanmoſchee. Dieſe abenteuerliche,
verworrene, prinzip- und ſtylloſe, ſchmutzige Lehmklackſerei, die an
Termiten und Biber erinnert, und mit dem reinlichen, akkuraten,
mathematiſch-regelrechten Zellenbau der Bienen nicht im min-
deſten verglichen werden kann, iſt ein Bild des heutigen
Arabers. So zickzackig, ſo undulirend, ſo prinzip- und norm-
los, ſo abenteuerlich, willkürlich und jeder Zufälligkeit hin-
gegeben, ſo unſchön, zerhackt und abſurd wie die Architektur, ſo
bucklicht und ungeheuerlich wie das Wüſtenkameel ſind
dieſe Fellaharaber in ihrem Sinn und Geiſt. – Das Innere wird
überall durch das Aeußere, das Unſinnliche durch das Sinnliche
abgeſpiegelt und erklärt: das iſt dann eben Symbolik und
Allegorie.
§ chib b el ch it.
Aegyptiſche Lebensarten und Liebenswürdigkeiten.
Er wußte gar wohl, daß dort zwiſchen Kades und
Bared, bei dem Brunnen am Wege zu Sur, der
Engel des Herrn Hagar gefunden und zu ihr ge-
ſprochen hatte: Hagar, Sarai Magd, wo kommſt
Du her und wo willſt Du hin? und weiter: Du
wirſt einen Sohn gebären, des Namen ſollſt Du
Ismael heißen darum, daß Dich der Herr erhöret
hat! „Er wird ein wilder Menſch ſein“ –
und Ismael wußte es gar wohl, daß er nur der
natürliche Sohn ſeines Vaters Abraham war. –
(Julius Moſe n.)
Lepſius ſagt in ſeinen Briefen über Aegypten:
„Araber, ('Arab, plur. 'Urbän) nenne ich nach der Sitte des
Landes diejenigen Bewohner, welche ſich nachweislich erſt ſpäter
im Nilthale niedergelaſſen und mit Gerechtſamen Dörfer gegründet
haben. Sie unterſcheiden ſich durch ihre freie Abkunft und ihren
männlichen Charakter ſehr beſtimmt von den Fellahs (Fellah, plu-
ral. Fellah "in), den durch Jahrhundertlange Knechtſchaft herab-
gekommenen und entnervten urſprünglichen Landbauern, die
auch dem eindringenden Islam nicht zu widerſtehen vermochten.
Beduine (Bedaui, plur. Bedauin), heißt nur der noch immer
freie Sohn der Wüſte. Längſt den Pyramiden finden ſich eine An-
zahl Araberdörfer.
128
Es liegt im Araber ein Gemiſch von edlem Stolze und gemei-
ner Habgier. Die freie edle Haltung und unerſchütterliche Ruhe
ſcheint nichts als ſtolzes Ehrgefühl auszuſprechen. Dem geringſten
Geldgewinn gegenüber ſchmilzt dies aber wie Wachs. Ammianus
Marcellinus ſagt von den Aegyptern zu römiſcher Zeit: „Erubeseit
apudeos, si quis non infitiando tributa, plurimas in corpore vibi-
ces ostendat.“ “ –
Dieſes Schibbelchit, das ich im erſten Anlaufe für ein
bloßes Dorf gehalten, ſcheint bereits ein Marktflecken zu ſein. Da
giebt es wie auch in Atfeh unmittelbar am Kirchhofe und an den
Schlammbuden Kaffeehäuſer und Reſtaurationen; – da ſind
Kaufboutiken, da fand ich einen Wochenmarkt, auf dem Alles ge-
nau ſo herging, wie in einem jüdiſch-polniſchen Neſt. – An einem
Tümpel vom zurückgetretenen Nil ſaßen da die Kaufleute wie un-
ſere Band- und Kattun-Juden auf dem Boden, und boten Taſchen-
ſpiegel, Meſſer, Pfeifen, Perlen, Bänder, Garn, Kattun, blaue
Leinewand zu Hemden und allen andern Dorfluxus und Lebens-
bedarf feil.
In dem, ſich unmittelbar anſchließenden Viehmarkte wurde
auch ungebrochener Flachs (auf junge Kameele geladen) verkauft.
Das ganze Gedränge, Gelärme und Geſumme iſt in eine ſolche
Atmoſphäre von Hitze, Fliegen und arabiſchen Transpirationen ein-
gehüllt, daß eine ſchwächliche und ekle Natur zu Boden ſinken müßte;
der Geſtank iſt ſo kompakt, daß er wie ein Dünger untergepflügt
werden kann; die Hitze ſo groß, daß von den Schiffern Siesta ge-
macht wird. – Ich habe einen Spiegel für 25 Para (1 Sgr. 3
Pf) erhandelt, und raſire mich zum erſtenmal auf dem Nil. In
einer neuen Welt und Situation wirkt das Alltäglichſte wunderbar
Und neu.
Jeder Handtierung kann der Fremde hier mit Profit für ſeine
kurioſen Gelüſte zuſchauen. – Da mauert ein alter Kerl ſeine
Kothwand auf mit kleinen Ziegeln von getrocknetem Nilſchlamm
(einem feinem ſchwarzen Thon). – Ihm aſſiſtirt ſeine ganze Fa-
milie und allenfalls ein Nachbar und Verwandter bei dem Bau.
Die Kinder männlichen und weiblichen Geſchlechts, in einem Alter
von 9 bis 13 Jahren, treten in puris naturalibus geſchwiſterlich
den Mörtel, das iſt den Schlamm, und bringen denſelben in einem
Scherben auf dem Kopfe herbei. Der Alte hat eine Art impro-
viſirter hölzerner Kelle, die wie ein großer flacher Löffel geſtaltet
iſt, mit demſelben ſchlägt und verſtreicht er den zwiſchen den Zie-
geln hervorquellenden Schlamm. – Jede Ziegel nimmt dieſer Fa-
milienvater und Meiſter ſeinen Handlangern mit einer Art Ge-
ſtöhne und Eklat, mit leiſern und lautern Seufzern aus den war-
tenden Händen; Alles mit unaufhörlichen Verlautbarungen ſeiner
inwendig raiſonnirenden Zuſtände, ſeiner vielfältig mitleidenden
Seele, ſeines, alle Dinge und Akte mit Grimaſſen begleitenden,
ewig gereizten, haderſüchtigen und kitzlichen Temperaments; dazu
mit einer Art, als wenn er ein tief erwägender, mit einem hoch-
wichtigen Werke betrauter Künſtler und Werkmeiſter wäre; und
gleichwohl iſt das Produkt dieſer, vom Augenblick genothwendigten
Meiſterhände, jämmerlich krumm und ſchief, da nicht einmal der
Grund und Boden zu dem garſtigen Bau ein wenig geebnet wor-
den iſt, auch kein Richtſcheit, Loth oder Winkelmaß, ſondern nur
für den erſten Anlauf, eine Schnur in Anwendung gebracht wird.
So kothig, ſo höckrich, ſo ſchmierig und regellos, ſo einfarbig,
erdig, bröcklich und ſtaubig, ſo planlos wie dieſer Kothbudenbau,
ſo fundamentslos, am Boden wuchernd, und in ihn verſinkend, ſo
von der Lebensſtrömung, vom Strom der Geſchichte fortgeſpült,
wie die Schlammhütte vom Nil; – ſo winklich, rauchig, finſter
und unbequem, ſo lüderlich und unakkurat, ſo Eingangsoffen,
9
130
ſo ſchamlos und doch ſo winklicht abgekammert, ſo zickzackig abge-
ſondert und zerhackt, ſo labyrinthiſch grabesdunkel, enge und ſarg-
artig wie die Wohnung, iſt das ganze Leben des Fellah! Aber
es geſtaltet ſich ſo nach ſeiner Art und Natur; – dieſe Race fühlt
ſich ſo in ihrem Esse und Komfort. – Das Naturell der ägypti-
ſchen Weiber fordert aber noch eine Separatſchilderung und man
begreift dieſe arabiſchen Schönen nicht beſſer, als wenn man ihnen
zuſieht, wie ſie am frühen Morgen Kuchen backen. Ich meine
nicht ſolche von Butter, Eiern und Mehl, ſondern mit Gunſt ge-
ſagt, von reinen, mit keinem Stroh vermengten thieriſchen Exkre-
menten. Die ägyptiſche Paſtetenbäckerin ſetzt ſich zu dieſem Behufe
hockend auf die Erde nieder; zu ihrer rechten Seite befindet ſich
ein Haufe Kameel- oder Eſelmiſt, zur Linken ein Sieb mit Hecker-
ling und Spreu. Jetzt greift ſie mit unnachahmlicher lüſterner
Händefertigkeit, mit einer Art und Miene, denen man den Kom-
fort und die Lieblingsbeſchäftigung anſieht, ein- ums andremal
in den parfümirten Naturellſpinat, und in die mit Heckerling ge-
miſchte Spreu; und ballt ſo zwiſchen ihren wirklich zierlich model-
lirten Händen, mit ſchmeidigen Roſenfingern Semmelbrödchen,
welche ſie letztlich zu mäßig großen Fladen klopft, und auf den Bo-
den zum Trocknen hinlegt. – Aber Alles dies in allen Augen-
blicken mit einer Volubilität, mit einer Virtuoſität, mit einem
Naturellgenre, mit einem ſo appetitlich geſättigten Thätigkeits-
triebe, einer ſo behaglich im angeſtammten Element ſchwimmenden,
graziöſen Plaſtik und Naivetät, daß eine eben verheirathete Pa-
ſtetenbäckersgattin – ſelbſt in dem Augenblicke, wo ſie ihrem jun-
gen Gatten das erſte Probeſtück ihrer delikaten plaſtiſch-ſtomacha-
liſchen Kunſt im Teige vor kneten darf, – nur als eine Pfu-
ſcherin, verglichen mit ſo einer arabiſchen Naturpaſtetenproduzentin
erſcheint. – Ja, ſo iſt es in Wahrheit, in ſo unäſthetiſchem Stoff
verbackt und verknetet ſich die arabiſche Kunſt, bis ſie zuletzt vom
131 _
Feuer verzehrt wird; denn dieſe Fladen allein bilden das Feuerungs-
material. Iſt kein paſſender Raum zur Ausbreitung der Dünger-
kuchen vorhanden, ſo werden ſie zum Trocknen an die Wände der
Schlammhütten geklebt; das iſt dann die arabiſche Tapezirkunſt
und Harmonie. Es wird auf dieſe Weiſe ein Koth zum an-
dern gebracht, und das Inwendige zum Auswendigen gemacht; –
ländlich ſittlich – und, degustibus non est disputandum. –
Wenn man dieſen Arabern auf die Finger, ins Eingeweide und in
die Seele ſieht, ſo begreift man erſt, mit welchen Gütern, Seg-
nungen und Wohlthaten unſer Eins zur Welt gekommen iſt, und
was die Ziviliſation für jeden Ankömmling auf Gottes Erdboden
thut! –
Wenn man dieſe gänzliche Unempfindlichkeit gegen jede Ak-
kurateſſe, Reinlichkeit, Nettigkeit, Ordnung und Regelmäßigkeit,
bei allen Gelegenheiten wahrnehmen muß, dann erſt faßt man:
wie durch eine eingefleiſchte, zur andern Natur gewordene Säuber-
lichkeit, Grammatik und Präziſion in allen Augenblicken,
der Menſch ſich erſt von der thieriſchen Natürlichkeit und Lebens-
art befreit und zum Menſchen erzieht; wie Sittlichkeit, d. h.
beſtimmte Sitte, Art und Form, – recht eigentlich der geſetzliche,
ſäuberliche Sinn und Geiſt iſt, der ſich als überſchüſſiger Faktor,
als anderer Pol aus dem bloß natürlichen Leben entbindet,
um mit dieſem ineinsgebildet und polariſirt den ziviliſirten
Menſchen herauszugeben, welcher in Seele und Geiſt zugleich ent-
wickelt, alle Augenblicke ſeines natürlich flüſſigen, wetterwendigen
und verwandlungsvollen Lebens einer übernatürlichen Norm
unterwirft, während der natürliche Menſch nur dem Mo-
mente hingegeben iſt. –
Wie hat uns unſere Mutter vom erſten Augenblicke an, da
wir das Licht der Welt erblickten, geſäubert, gewickelt und in eine
bequeme ordentliche Lebensempfindung, zu einer geregelten Lebens-
9 2:
1 32
art gebracht; – und wie lüderlich, unfläthig, wie ſcheußlich ver-
fährt das Fellahweib mit ihrem Kinde! – Von jedem möglichen
Kothe bedeckt reitet es auf ihrer Achſel, liegt es an ihrer verun-
ſauberten Bruſt, hockt es neben ihr, am Unrath bedeckten Boden;
es ſelbſt, eine Muſterkarte, eine Moſaik und leibhaftige Inkruſta-
tion von Koth. – Seine Augen ſind von Eiter und Schweiß feſt
verklebt, in dieſem ſcheußlichen Unrathniſtet ein fingerdicker Klum-
pen von kleinen Fliegen, aber weder das Unglückskind, noch die
entartete fühlloſe Mutter machen einen Verſuch, Ungeziefer und
Schmutz zu entfernen, da doch Beide nur die Hand ins Waſſer
tauchen dürfen, an welchem ſie ſitzen; aber ihr mehr wie viehiſcher
Stumpfſinn gegen jede Reinlichkeit, läßt keine andere zu, als die-
jenige, welche durch die Vorſchriften der Religion geboten worden
iſt; – und auch dieſe wird, wie ſich von ſelbſt verſteht, abſolut
mechaniſch, ſinnlos, ſeelenlos, ohne einen Hauch von innerm An-
triebe, von lebendiger, begriffener Genugthuung vollbracht. –
Bei ſolchen Thatſachen wenigſtens wie der eben berichteten,
verſtummt und verdummt der Verſtand der Verſtändigen ſelbſt;
das glaubt man kaum, wenn man es erlebt, denn man will ſeinen
Augen lieber nicht trauen. Ein Thier hat ja Reinlichkeitsſinn;
Katze, Hund und Rind lecken und ſäubern ihr Junges und ſich
ſelbſt; und dieſe Araber, die ſich den Vorſchriften der Religion zu
Folge, ſo viele Male des Tages Hände und Füße waſchen und das
Geſicht, begreifen das Weſen, die Wohlthat, die Seele, das Sym-
bolum, die Luſt und das Leben der Sauberkeit nimmermehr; und
bleiben an einem Ende, und in einem Winkel ſchmutzig, während
ſie am andern Reinlichkeitsoperationen vollziehn. Sie beſpülen
ſich den auswendigen und nicht den inwendigen Mund, das Auge
und die Augenwinkel wieder nicht; ſie fahren mit naſſen Händen
über das Geſicht und nicht mal über das Ohr oder dahinein. –
Sie waſchen das Kind einmal und zehnmal; falls es aber außer
133
der vorgeſchriebenen Reinigungszeit im Kothe ſteckt, belaſſen ſie es
in demſelben harmlos, gemüthlich und vollkommen zufrieden, wie
mit dem reinlichſten Ort.
Aus ſo heilloſen, unbegreiflichſten Kontraſten und Wider-
ſprüchen, iſt dieſes Volk fort und fort zuſammengeſetzt. In die-
ſem Augenblicke putzt ſich dieſer Aegypter mit Turban und Kaftan,
mit kurzer Pluderhoſe, Troddelmütze (Tarbuſch), Leibbinde und
feinem Hemd, und ſteckt geſtickte Pantoffeln an den nackten Fuß;
und dann wieder ſteht er nackt wie ein Thier vor ſeinem Neben-
menſchen, vor ſeiner Familie, vor ſeiner erwachſenen Tochter, ohne
daß er einen Augenblick zu ahnen vermag, warum dies anders
ſein ſoll. Das könnte für Paradieſesunſchuld gelten, aber ſie iſt
hier weniger zu finden als irgendwo, und jenes Symptom gehört
einer hündiſchen Schamloſigkeit an, die an das Klima gebunden
ſcheint; denn die Berichte Herodots und aller Späteren bekunden
bereits die Unflätherei der Aegypter, und ihren Mangel an
Scham. Dahin bezügliche Anekdoten von Fürſten, greift das
Volk nie aus der Luft. -
Ein Wilder, der keine Kleider kennt, mag dem Stande der
Unſchuld angehören, aber Kleiderpracht, ziviliſirte Gebräuche und
Mißbräuche, – maſſenhafte Converſationen mit Hetären bei Dat-
telbranntewein und Muſik, die ganzen Nächte hindurch, wie in
dieſen „Chamaren“ (Schenkhäuſern) am Nil überall: zerſtören
nothwendig jene Unſchuld aus Eden, und dulden die völlige Nackt-
heit nimmermehr. Von dem Augenblick an, wo der Menſch ein
Feigenblatt vorgenommen hat, darf er es auch nicht wieder fort-
thun; und die arabiſche Trunkenheit, die Unzucht in Dörfern wie
in Städten, verträgt und fordert wenigſtens ein Hemde auf dem
Leibe, wenn nicht mehr. Daß es unter dieſen ſchamloſen Halb-
wilden nicht auch noch hin und wieder unſchuldige Menſchen giebt,
wird dabei nicht Abrede geſtellt; man darf und kann aber ohne
134
ſeinen Sinnen, ſeinen ſtündlichen Erfahrungen, und ſeinem unbe-
fangenen Menſchenverſtande Gewalt anzuthun, – die ſplinter-
faſer-nackten Barkentreidler und Matroſen, unmöglich für pure
Adamiten und ſchuldloſe Naturkinder anſehn. Was aber die
quasi-unſchuldige Schamloſigkeit der Aegypter betrifft, ſo hat ſie
eben die landesübliche Zudringlichkeit, Frechheit und jede Art von
Unverſchämtheit erzeugt. – Aus dieſer Schamloſigkeit entſpringt
oder zu ihr gehört auch eine jeweilige beiſpielloſe, bis zur wirk-
lichen Dämonie geſteigerte Abgeſchmacktheit, Albernheit und Poſ-
ſenreißerei der Aegypter, in welcher die letzte Spur von menſch-
licher und perſönlicher Würde untergegangen ſcheint. Hier in
Schibbelchit ſah ich einen Bettler, der den wandernden Hans-
wurſt und Grimaſſenſchneider machte.
Die italieniſchen Bettler können auch unverſchämt werden,
aber ſie machen ſich doch nicht zum Narren, ſie reißen keine Poſſen
und betteln nicht mit Geberdungen, in welchen das menſchliche
Antlitz geſchändet und jeder Schatten von Scham fortgewiſcht
wird. -
Man muß es gehört und geſehn haben, was ſo ein ägyptiſcher
Bettler oder gar ein Taſchenſpieler für Grimaſſen treibt, wie
er ſingt und ſpringt, wie er plappert und ,,ſchabbert“, wie er
möckert und lacht, was er für Männchen macht, welche Töne und
Anſpielungen, welche plaſtiſch-mimiſchen Attitüden und ſchauer-
lichen Handgreiflichkeiten er eventualiter mit ſeiner Frau um die
Wette produzirt; wie er ſich in allen erdenklichen Aberwitzigkeiten,
Unfläthereien und Beſtialitäten erſäuft, bis er eine Gurke, ein
Stück Melone, einen ſogenannten Liebesapfel oder eine Zwiebel
für ſeinen Bettelſack ergattert hat; um zu begreifen, daß alle
übrigen Bettler, verglichen mit den ägyptiſchen: Beliſars und
Tragöden auf dem Kothurn ſind. –
Aus dem kleinen unbemerkbaren Keime der na-
türlichen Neigung hat die chriſtliche Religion den
überſchattenden Baum Philanthropie genannt, ent-
wickelt. Aus der wilden zaſrigen Wurzel
menſchlicher Rechtſchaffenheit, hat ſie einen
rechten Sinn für die göttliche Gerechtigkeit
groß gezogen. – Aus dem Ehrgeiz: Macht und
Ruhm zu erlangen, für mein elendes Ich, hat ſie
den Ehrgeiz gebildet, meines Herrn Reich auszu-
breiten. Sie hat meine Matur von dem umgebenden
Unkraut und den Auswüchſen befreit, – aber ſie
konnte ſie nicht ganz ausrotten, und ſollte es wohl
nicht, bis das Sterbliche mit dem unſterblichen ver-
tauſcht wird.
(Jane Eyre von Currer Bell.)
Hier in Aegypten begreift man die Geſetze Moſis, die Rein-
lichkeitsvorſchriften, die Waſchungen, die jüdiſchen Umſtände mit
Speiſe und Trank. – Hier, die zehn Gebote und warum das:
Du ſollſt nicht andere Götter haben neben mir, an die Spitze ge-
ſtellt iſt, denn die Zerfahrenheit und Zerſtückelung, das Viele und
Mannigfaltige, iſt noch heute in Aegypten eine Naturreligion. –
Hier faßt man die Geſchichte vom goldenen Kalbe, und die
Nothwendigkeit eines Wüſten zuges, der 40 Jahre dauerte, da-
mit die alte, verderbte, hartnäckige und unverbeſſerliche Race aus-
ſterben konnte. – Hier die Nothwendigkeit einer Abſonderung des
Volkes Gottes von den Nachbarvölkern, durch deren Einfluß und
Beiſpiel das ſinnlich wetterwendige Judenvolk immer wieder und
wieder in Unglaube und Götzendienſt verfiel. Unter dieſen ewig
1 36
haderſüchtigen Aegyptern, – den Nachkommen Chams und Js-
maels, fühlt man vén ganzer Seele Chriſti Ermahnung zu Liebe,
Sanftmuth und Mäßigung, als das weltheiligſte und als
ein wahrhaft göttliches Gebot! –
Hier in Aegypten begreift man die Weisheit der alten Ge-
ſetzgeber, das Heil ſpegger Geſetze und gefeſtigter Lebensformen,
gleich wie den Weltuntergang in einem naturaliſtiſchen
Liberalismus, mehr als an irgend einem Orte der Welt! –
Die Gemüthsſtimmung des Aegypters iſt bei viel liebens-
würdigem und geſelligem Element im Allgemeinen eigentlich der
perſonifizirte Krakehl. – Jeden Augenblick zeigt er ſich ungeber-
dig, ſtörrig, verdroſſey, gallſüchtig, querköpfig, eigenſinnig, gereizt
zu Zank und Hader, zu Widerſpruch und Händeln aufgelegt. Im-
merfort aiſonnie auswendig Und iñwendig zugleich. In die-
ſer Beziehung erſcheint er ganz das Gegentheil vom Juden, der
in Polen als beſtändiger Faktor und Commiſſionair, alle entſte-
henden Schwierigkeiten, Unebenheiten, Verlegenheiten und Diffe-
renzen ausgleichen, überall den Unterhändler machen, Alles was
krumm iſt ins Gerade und in Richtigkeit bringen, Haken und
Oeſen zuſammenbringen oder auseinanderhäkeln muß.
Eben ſo leicht befriedigt, unſchwierig, verläugnend, bereit-
willig, uneigenwillig, fügſam, ſchmiegſam, nachgiebig, geduldig,
ausdauernd, elaſtiſch und paſſiv widerſtehend der Jude im Ver-
kehr mit dem Chriſten geworden iſt, eben ſo ſehr war er das
Gegentheil von dem Allen zu ſeiner Väter, Richter und Propheten
und Moſis Zeit; kann er es unter Umſtänden auch heute noch ſein.
Und das Gegenſtück von allen chriſtlichen und deutſchen
Tugenden iſt des Aegypters Signalement. Er iſt ein Halb-
wilder und obſtinater Barbar, den nur eine eiſerne Fauſt zur Raiſon
zu bringen und zu ziviliſiren vermag. – Aber freilich eine Fauſt,
die nicht von Tyrannei und Haß, ſondern von Menſchenliebe und
137
Menſchenachtung geleitet, jeden Augenblick eine weiche, ſchonende
Menſchenhand iſt! –
Es iſt nicht möglich, man wird aus dieſen Aegyptern nicht
klug. Bei allem Hange zum Individualiſiren, Detailliren und
Partikulariſiren, ſind alle Dinge hier unpraktiſch und pfuſchrig
gemacht. So haben z. B. die Bootsſtangen, mit denen im ſeichten
Waſſer das Fahrzeug fortgeſtoßen wird, kein Kopfſtück. Der
Bootsknecht ſetzt vielmehr das zugeſpitzte Ende der Stange, allem
geſunden Menſchenverſtande zum Trotz, gegen die Achſelknochen,
und weder der Schmerz, noch der Mangel an Effekt, bringen den
Aegypter auf die Idee, ein Polſter anzubringen, was mit einem
kurzen Querholz abgemacht wäre. Ferner, bei wirklicher Gefahr
auf Untiefen oder an eine Barke anzufahren, ſind die Leute ſo
lange gleichgültig, bis das Malheur geſchehen iſt, – und wenn
gar nichts los iſt, bei Kleinigkeiten und leichter Arbeit, wird eine
Geſchäftigkeit, eine Lauferei und ein Lärmen bis zur Verrücktheit
etablirt.
Wer dieſelbe in allen Tönen, Tonleitern und Rhythmen der
Menſchenſtimme kennen lernen will, der begebe ſich auf den Nil
und höre zu, wenn die arabiſchen Schiffer ſich mit der Bootsſtangen
von der Untiefe losarbeiten, oder wenn ſie im Wettrudern in ihrem
Humor ſind und das Aeußerſte thun. – Das alsdann zum Beſten
gegebene Genre von Präludien in Tönen, Manövern und Geber-
dungen kann ſelbſt Demjenigen, der für den Naturalismus
ſchwärmt, den Geſchmack an Naturmenſchen auf immer verderben.
Wenn es endlich nach allem Möckern, Stöhnen, Winſeln, Seufzen,
Tremuliren, Knurren, Miauen, Gurgeln und Schnaufen zum
Singen kam, ſo wimmerte ein Subjekt unabläßig: „Eli heli, eli
heli, – Allah, Jallah-he-éleh sah!“ – Der Chorus aber gar ma
huff; oder dem ähnliche Klang- und Sangworte. Endlich aber
nahm das Singen und Sprechen und das Rezitativ an Leidenſchaft,
138
Schnelligkeit und Abſurdität dergeſtalt zu, daß ich komplette Ver-
rückte vor mir ſah, mit dem Vortheil auf Seiten ziviliſirter Toll-
häusler, daß dieſe unmöglich je ſo abgeſchmackt und widerlich läp-
piſch deliriren werden, als von dieſen methodiſch überſchnappenden
Barkenſchiffern geſchieht. Sie richten ein ordentliches Reſpon-
ſorium von Tonfiguren und Stimmproben ein. – Auf die ab-
ſurdeſten, albernſten und unmöglichſten Locktöne und Gurgelexpe-
rimente, Lamentationen und Parolen, wird regelmäßig geantwortet.
Jede ausgeſpielte Abgeſchmacktheit findet hier ein Echo, einen
Klimax und wird durch alle erdenklichen Tonleitern fugirt. –
Ganz kurz, ganz ſchnell und immer ſchneller und immer kürzer
wird hier geſeufzet, geſtöhnet, gewimmert, gegurgelt, geröchelt, ge-
faucht, geknurrt und geknarrt; – und je weniger dieſes Manöver
zur Sache verfängt, deſto toller wird es geſteigert und karrikirt.
Ich ſage es noch einmal, man muß es gehört haben, um zu be-
greifen, bis zu welchem Grade von Abſurdität der Menſch aus-
arten und welche Hölle von Häßlichkeit ſelbſt in bloßen Tönen und
Rhythmen verwirklicht werden kann.
Ich hatte dieſe Hölle oder dieſen Hades zum mindeſten wohl
ſchon ein Dutzendmal ausgehalten, und jedesmal war ich wieder
frappirt, indignirt und torquirt; denn dieſe Abſurdität beleidigt
die Menſchheit und ſpiegelt die ganze Fratzigkeit, Beſtialität und
Dämonie einer entarteten Race zurück. –
Die reine Natur iſt freilich nicht abgeſchmackt, ſondern gra-
ziös, dies zeigt das wilde Thier; aber der Anfang und Ausgang
der Ziviliſation verfällt heilloſen Abſurditäten, wie das vielleicht
an den Chineſen zu erſehen iſt. – Das Hauptelend indeß muß
in dem Raceprinzip liegen; – denn es giebt ja ganz und halb-
barbariſche Völker und ſie ſind darum nicht ſo läppiſch, ſo abge-
ſchmackt, ſo widerwärtig abſurd, wie dieſe Nachkommen Ismaels
und Chams. – Von den Chineſen weiß man vollends nicht zu
1 39
ſagen, – iſt ihre Abgeſchmacktheit in Sprache, Sitte und Zere-
moniell, als eine unvollendete, in der Mitte ſtehen gebliebene, als
eine in der Kriſis und im Gährungsprozeß umgeſchlagene oder
endlich als eine entartete und bereits lange abgeſtorbene Civili-
ſation anzuſehen. Die Griechen waren doch auch Naturaliſten,
und hoben ſich mit dem Heidenthum allein, bei einem glücklichen
Naturell, und unter einem ſchönen Himmel, zu den Aetherhöhen
der ſchönen Künſte und Wiſſenſchaften, zu einer Geſchmacksbildung
in Sprache, Sitte und Lebensart, die für alle Zeiten geſetzgebend
und unerreicht geblieben iſt. – Warum ſind nun dieſe Araber,
Chineſen und Juden ſo abgeſchmackt, unkünſtleriſch, formlos, maß-
los und abſurd? – Das weiß allein unſer Herr Gott, denn es
giebt bis zum heutigen Tage geſchmackvolle Naturaliſten und ab-
geſchmackte Chriſten überall.
Die Araber haben ganz und gar den unnützlich ſpitzfindigen,
häckligen, ſchismatiſirenden, partikulariſirenden und dabei doch
konfuſen, unpräziſen Sinn und Verſtand wie die Juden. Ihre
Schrift beweiſt das zunächſt.
Dieſe arabiſchen Buchſtaben haben Pünktchen und Häkchen,
die Denjenigen zur Verzweiflung bringen, der ſie lernen oder
lehren ſoll; und gleichwohl werden wiederum die Worte ſo dicht
nebeneinander oder ineinandergeſchoben, daß kaum ein Einge-
weihter, geſchweige ein Anfänger, arabiſche Schrift mit Leichtigkeit
zu leſen vermag. Was zu trennen wäre, das wird mit ſtenogra-
phiſchen Abkürzungen dergeſtalt ineinandergezogen, daßeventualiter
drei Worte ein einziges Zeichen bilden müſſen; – und was zu-
ſammengefaßt, einheitlich, unter einer Idee und einem Bilde be-
griffen bleiben ſollte, das wird ſtreng geſondert und individualiſirt,
bis zur Diſſipation. Hiefür eine kleine Exemplifikation:
1 40
Es giebt eine Frucht, welche Sim-Sim heißt; die arabiſchen
Buchſtaben für das Wort Sim ſind ſ U“ der Vokal i bleibt wie
im Hebräiſchen und in allen ſemitiſchen Sprachen fort. – Im
Schreiben aber werden nicht nur m und s einmal, ſondern beide
Worte Sim Sim mit nachſtehender Abkürzung zu einem Wortbilde
konfigurirt; und es wird alſo ſtatt "ſ U“ ſº U-«“ nur dies
Zeichen geſchrieben: ſº «-T
Wir ägyptiſch-gearteten Deutſchen haben bereits fünferlei
S; nämlich S, s, ſ, ß, ſſ; – die Araber haben noch ein S mehr
und kein „Z“. Das N (Nun) wird auf viererlei Art geſchrieben.
Alle Buchſtaben außer dem A – (Alef) werden auf zwei und drei-
erlei Art geſchrieben, je nachdem der Buchſtabe zu Anfange, in der
Mitte oder am Ende zu ſtehen kommt. „Was die ,,S-Wirth-
ſchaft betrifft, ſo giebt es ein: ßin, (ſchin), ſehn, ßa, ſe,
ſal, ſad. –
Ich erkläre mir dieſe Grundzüge und Eigenheiten des ara-
biſchen Charakters ſo:
Alle Bildung beginnt mit der Entwickelung des ſinnlichen
Verſtandes. Der Verſtand aber diſtinguirt und analyſirt, – er
ſchismatiſirt und artikulirt. – Später kommt die generaliſirende
Vernunft und ganz zuletzt erſt die ſelbſtbewußte Herrſchaft
und Reflexion dieſer Vernunft, als worin die Freiheit des
Geiſtes und Bildung beſteht. – In ſtatt ihrer, wirthſchaftet im
Aegypter die Phantaſie. Sie bildet wenigſtens die ſinnliche
Einheit, und den Kitt für die bunte Sinnen- und Verſtandes-
Moſaik. Mit dem Chineſen iſt es derſelbe Fall, auch er iſt
ſpitzfindig, zerfahren und partikulariſirend und zerhackt eben drum
die Worte in lauter Sylben, ſcheint jedoch nicht überall ſo lüder-
lich, unpräziſe und unſäuberlich wie der Aegypter zu ſein, ſondern
1 41
arbeitet vielmehr bei vielen Gelegenheiten unnachahmlich künſtlich,
mühſelig, ſauber und nett.
Das Prinzip der Zerbröckelung und Zerfahrenheit, liegt
in der arabiſchen, wie in der hebräiſchen Sprache zu Tage. Es
giebt nichts Aermlicheres und Fühlloſeres, als das hebräiſche und
arabiſche Verbum.“) Die ganze Grammatik dieſer Mutter- und
Tochterſprache iſt eine Armſeligkeit, eine Zerſtückelung und Zer-
bröckelung, ein Stammeln, Mechanismus und Moſaik. Der In-
finitiv muß wie bei den Kindern für alle Tempora gelten. Dieſe
arabiſche Grammatik kennt keine Pathologie; die einzelnen
Worte ſtehen in keiner ſenſiblen und flüſſigen Beziehung, in keiner
Gegenſeitigkeit und Mitleidenſchaft, wie das in der deutſchen,
griechiſchen und altrömiſchen Sprache der Fall iſt, da es ja der
lebendige Prozeß und die Seele ſo diktirt. Die Zerbröckelung der
arabiſchen Sprache zeigt ſich außer der Armuth und Empfindungs-
loſigkeit in Deklination und Conjugation, auch in dem großen
Mangel an Partikeln, an alle den Verbindungs- und Flickworten,
durch die eine Sprache erſt flüſſig gemacht und zum Ganzen ver-
bunden wird.
Jedes Wort ſteht egoiſtiſch, ſtarr und ſturr, partikulariter,
empfindungs-mitleidenſchaftslos, unflüſſig, vom Ganzen abgelöſt
*) Die arabiſche und hebräiſche Sprache ſind volltöniger, natur-
wüchſiger, kräftiger, männlicher, phyſiognomiereicher, ſymboliſcher, wie
irgend eine Sprache der Welt. Man hört und fühlt ihren gehäuften
Conſonanten, ihren Ziſchlauten, ihren Rachentönen, dem dicken
l–: die elementaren Zeugungskräfte, die Schwangerſchaft, die Lebens-
unmittelbarkeit, und den erſten Hauch des friſch aufgebrochenen Erd-
reiches, der göttlichen Eingebung an, aus der ſie hervorwucherten; aber
Pathologie, Fluß, Form, Schönheit; Anmuth und Wohllaut, haben dieſe
ſemitiſchen Sprachen nimmermehr.
142
–-
T-
üx fich da; ganz wie die Inhaber
Ä ofairſprache, die Araber und Ae
dieſer zuſammengekitteten
verſündigten 3erſtückelung,
99pter, die eben um dieſer überall
aber Völker wie Individuen ſind doch auch
ihrer Schickſale und Geſchichten Sch
Zerfahrenheit gehört der Race MN.
-m- –
Erſter Anblick der Pyramiden vor
Battn el Bakkera.
In Mitte der Krümmung, die der Nil vor Battn el Bakkera
(dem Bauche der Kuh) d. h. den Punkt macht, wo er die beiden
Arme nach Roſette und Damiette entſendet, durch welche jenes
fruchtbare Delta gebildet wird, das oft drei Ernten im Jahre her-
geben muß: da bekam ich am Morgen des 21. Oktobers 1849 zum
erſtenmal die Pyramiden von Ghizeh zu Geſicht. Sie zeichne-
ten ihre ungeheuern gleichſeitigen Dreiecke in die
durchſichtig ätherr eine Luft! Man konnte denken: einer der
altägyptiſchen Magier und Aſtrologen hätte da ſein Grabdenkmal
oder ſeinen myſtiſchen Apparat.
In dieſer Entfernung erſcheinen jene Weltwunder der Kunſt,
die es bis zum heutigen Tage geblieben ſind, jene Zeit, Natur und
Mode trotzenden Zeugniſſe der vollendetſten Technik wie der ko-
loſſalſten Phantaſie, ſo maſſenhaft und hehr, wie ſie in Wirk-
lichkeit ſind.
Mit dem Anblick dieſer fabelhaften Denkſteine, die ſich die
Menſchengeſchichte ſelbſt geſetzt zu haben ſcheint, fühlt ſich der An-
kömmling erſt recht eigentlich auf ägyptiſchem Grund und Boden
und in die ägyptiſchen Myſterien eingeweiht. Dieſe Pyramiden
machen an dem gewaltigen Nil, an den Pforten der Wüſte, an der
Stätte des alten Memphis, gleichwie der Sarazenenſtadt Kairo
144
und am Schluſſe des Delta, deſſen Form ſie zeigen: gleich-
ſam die hiſtoriſchen Honneurs, aber auf eine Weiſe, daß
ſelbſt dem Pedanten und Höflinge die leeren und neumodigen
Facons in dem Augenblicke entfallen müſſen, wo ihm dieſes pyra-
midale Ceremoniell aufs Gewiſſen gefallen iſt.
Es mag mehr wie ſonderbar ſein, (aber der Menſch iſt nun
einmal ſo kurios, ſo aus purer Wunderſucht zweifelſüchtig und
närriſch) genug, ich hegte noch immer ſo einen leiſeſten Schatten
von einem irrſinnigen Argwohn, ob es denn wirklich ſolche Pyra-
miden geben könne: ſo koloſſal, ſo kurios; – und ob ich es eben
erleben würde, ſie mit leiblichen Augen zu ſehn. Und als ich ſie
nun zum erſtenmal erblickte, da dachte ich: alſo doch wahr, und du
haſt ſie wirklich geſchaut!
Ein zweiter nicht minder außerordentlicher Augenblick iſt der:
wo das Menſchenkind von heute unmittelbar vor dieſen Wahr-
zeichen der alten Fabel- und Titanenwelt ſteht, wo der Epigone
dieſer entgötterten, profanen und ausgenüchterten Zeit, wo der
welke Glaubenszwerg mit dem überkugeln den Rieſen-
kopfe, vor dieſen erdenewigen Grenzſteinen der alten und neuen
Zeit, des Lebens und des Todes weilen, und ſie mit ſeinen Hän-
den von Fleiſch und Bein berühren darf.
So gewaltig auch die Phantaſie, durch die Vorſtellung von
Kahira im Aufruhr, ſo vielfältig ſie auch durch Alexandrien, ſeine
Umgebungen, Geſchichtserinnerungen und durch eine ſechstägige
Nil- und Kanalfahrt in Fluß gebracht worden iſt: dieſe Pyramiden
ſind ein Dämpfer auf alle bloßen Farbenſpiele und Entzündlich-
keiten der Einbildungskraft. – Wenn man dieſe hehren Denk-
male geſehn, ſchreitet man mit dem nothwendigen hiſtoriſchen à
plomb, mit dem höchſten Maßſtabe, mit Styl und Haltung, mit
Orientirung durch das arabiſche Babylon, und findet ſich fürder
durch keine Welterſcheinung mehr über die Maßen verwundert und
1 45
beirrt: denn man hat eben das Wunderbarſte, das Ungeheuerſte
geſehen. Man gehört fortan mit Fleiſch und Blut zu den Novizen
der Kunſtmyſterien, der uralten Geſchichten Gottes, die in den
Menſchenwerken geoffenbaret worden ſind; zu denjenigen Frei-
maurern, die das älteſte Baugeheimniſ angeſchaut haben,
welches kein Mund, kein Symbolum, kein Meiſter - und kein
Schottengrad verrathen kann, welches ſich den Erwählten von
Innen heraus entſiegeln und verſiegeln muß.
1 0
K a h i r a.
Der Weg von dem Nilhafen und der nördlich gelegenen, durch
Anpflanzungen von Kahira getrennten Vorſtadt „Bulak“ nach der
„Musky“, (dem Frankenquartier) führt in gerader Linie durch
ſchöne Plantagen und Alleen, die ſchon um deswillen Bewunderung
verdienen, weil ſie aus einem See und Sumpfe hervorgegangen
ſind, in welchen viele von den Schutthügeln geworfen wurden,
welche vor Mehemed Alis Zeit die Stadt von allen Seiten mit
einem Staub und Schmutz anfüllten, der noch bei den Kalifen-
gräbern und an andern Orten zum topographiſchen Souvenir übrig
geblieben iſt.
Der Ezbekieh-Platz bildet den großartigen Schluß und die
Krone dieſer von Mehemed und ſeinem Sohne Ibrahim geſchaf-
fenen Anlagen, welche bis unmittelbar an die eigentliche Stadt
reichen und von denen aus man durch wenige kurze Gaſſen mit
ein paar Mal rechts und links Schwenken in das Frankenviertel,
zur populär wohlfeilen, allen billigen Anſprüchen gemüthlich genü-
genden Lokanda Ludwig gelangt, falls man ein armer Teufel, d. h.
ein Wanderburſch, ein obſkurer Abenteurer im ehrlichen Zuſchnitte,
ein Landſchaftsmaler, ein ſtudirender Architekt, ein Ausgewieſener,
oder ein länderneugieriger Literat und Kleinſtädter
1 47
iſt. Denn im andern und faſhionabeln Fall, d. h. wenn man für
24 Stunden an ſein Logis und die ganze Verpflegung etwa 3–4
Thaler preuß. wenden darf, logirt man in einem der großen, auf
italieniſchem, franzöſiſchem und engliſchem Fuß eingerichteten
Hotels, welche den Ezbekieh-Platz ganz im Style einer europäiſchen
Hauptſtadt umgeben, durchaus ſo komfortable und faſhionable
wie in Berlin, Wien, London oder Paris.
Der ankommende Fremde wird in jenen palaſtgroßen Gaſt-
häuſern von einer propre und elegant gekleideten Dienerſchaft,
eventualiter mit ſilbernen Kandelabern, auf denen Wachslichte
brennen, deſſelbigen gleichen von Kourtoiſie befliſſenen, in drei
oder vier Sprachen geübten Kellnern mit und ohne Servietten
über den Armen, kurz, mit all dem Apparat und Eklat, dem
Terreur, den Facons und den Geſchmack verheißenden Offerten
empfangen, wie nur an der luxuriöſeſten ziviliſirteſten Stätte der
Welt; und dieſer Empfang macht trotz der augenblicklichen Vor-
wehen ſeiner heidniſchen Koſtſpieligkeit ſicherlich einen entzücken-
den Eindruck auf diejenigen Reiſenden, die zum erſtenmal vom
Wüſtenſtaube bedeckt und halb erſtickt oder auch halb gebraten und
ganz und gar verſchmachtet, ſich wie durch Zauberei aus einem
quälenden Traum zur genußreichſten Wirklichkeit erwacht ſehen.
Dieſe Kontraſte von wilden und ziviliſirten Situationen,
Scenen und Hiſtorien ſind es, welche Kahira ſo romantiſch, aben-
teuerlich machen, die den Reiſenden vom erſten bis zum letzten Au-
genblick frappiren und unterhalten, die ſelbſt das blaſirteſte, (UVP-
pamüdeſte Narrenexemplar anfriſchen und ſich durch alle Sphären
und Erſcheinungen dieſer Araber- und Wüſtenhauptſtadt wie
durch ganz Aegyptenland ziehen! -
Kahira iſt die bunteſte, keckſte Moſaik und Muſterkarte aller .
Nationen, Lebensarten und kulturhiſtoriſchen Epochen, ein leben-
diges Muſeum von allen möglichen und unmöglichen Formen,
1 0*
148
Fragmenten, Fetzen und Fratzen der Bildung, der Mißbildung,
der Artung, der Ausartung, der Rohheit, der Sitte, der Künſte,
der Wiſſenſchaften, des Heidenthums, des Chriſtenthums, des
Muhamedanismus (nämlich des aufgewärmten Judenthums), der
verwilderten Ziviliſation, der Kulturbarbarei, der Ueberfeinerung,
der Lebensvergeudung, der Lebensverkümmerung, der Verſchwen-
dung, der Bettelhaftigkeit, des Kleiderprunks, der Nacktheit, der
Wolluſt, des Fakirthums, des Fanatismus, der Glaubensloſigkeit,
der Glaubensmengerei, der Paradieſes - und der Wüſtennatur.
Drei Welttheile berühren ſich hier wie mit den Stirnen,
und ihre Bewohner, ihre Reiſenden, Gelehrten, Abenteurer, Han-
delsleute, Genies und Weltverbeſſerer geben ſich hier ein Welt-
Rendez-vous.
Im neuen Kahira oder im alten Memphis, in Heliolopolis,
in Sais (bei Sà-el-Hager, zwiſchen Atfeh und Nekleh) weilten,
wurzelten und wirrſalten bunt durcheinander Abraham, Joſeph,
Moſes, Herodot und Cambiſes; Plato und Eratoſthenes, Alexan-
der der Große, Julius Cäſar, die Mutter Maria mit dem Welt-
heilande, der heilige Antonius und Napoleon Buonaparte;– alſo
Juden, Perſer, Griechen, Römer, Araber, Türken, Franzoſen
und die Seehelden von Albion. An jenen Stätten und in ihren
Umkreiſen, in ihrer Nachbarſchaft, in der ägyptiſchen, der arabi-
ſchen, der äthiopiſchen Wüſte, in der Thebais wurden alle Reli-
gionen empfangen, gezeitiget, fortgepflanzt, zur Entwickelung und
zum Märtyrerthum gebracht. Hier wurden die Geſchichten
Gottes, der Menſchheit, die älteſten Krieges-, Religions-, Staats-
und Kulturgeſchichten begonnen und zu Ende geführt. In Aegyp-
ten verſpannen und verwirrten ſich ohne Unterlaß die Fäden der
Welthiſtorien zu einem Wirrſal und gordiſchen Knoten von Welt-
kriegen und Weltprozeſſen, zu einem Netze von Gelehrſamkeit
149
und Literatur, in welchem ſich die alte und neue Spitzfindigkeit
des Menſchengeiſtes „neun Jahrhunderte lang“ verfing; bis
ſich der verwirrte Sinn und Geiſt durch Barbarei, durch Völker-
wanderung, durch den Untergang des römiſchen Weltreichs und
den Sonnenaufgang des chriſtlichen Himmelreichs erlöſet und zu
einem neuen Leben, zu einer übernatürlichen Wahrheit
wiedergeboren ſah.
Wer ein beſſerer Kulturhiſtoriker, Alexandriner und Kon-
rektor iſt, der mag das beſſer oder ſchlechter ins Auge faſſen; –
ich laſſe ihn in den hiſtoriſchen und geographiſchen Reminiszenzen,
Bruchrechnungen und Bruchſtücken ſtecken und kehre zur Gegenwart,
in die flüſſige, konkrete Lebensunmittelbarkeit, d. h. zum heutigen
Kahira zurück. -
Mit der leidigen Topographie, der Statiſtik, Hiſtorie und
Ethnographie von Kahira, mit der Aufzählung der Häuſer, der
Moſcheen, der Stadtviertel, der Einwohner, der Kameele und
Eſel, gleich wie mit der ſyſtematiſchen und vollſtändigen Beſchrei-
bung der kahiriniſchen Sitten, Gebräuche, Mißbräuche, Lebens-
arten und Unarten will ich die geſchmackvollen Leſer und mich
ſelbſt weder langweilen, noch gedächtnißmartern oder verwirren und
zerſtreuen. Der gründliche, ſach- und fachverſtändige Leſer kennt
dieſe wohlfeilen Notizen, und der kurioſe Dilettant findet ſie in
dem trefflichen Werke von „Lane“, in jedem Converſations-Lexikon,
in der Schulgeographie und in jeder gewiſſenhaft geiſtloſen Reiſe-
beſchreibung wiedergekäut. Zur Beruhigung der ſehr poſitiven
Geiſter will ich indeß von vorne weg zum Beſten geben, daß der
altſemitiſche Name für Aegypten Mäsr, (im Dual Misraim) zu
deutſch „Schwarzerde“ iſt; – daß das italieniſche Cairo und das
franzöſiſche Caire auf arabiſch „Másr El qahireh“ nämlich die
„Siegreiche“ heißt, und zwar im Unterſchiede von Foſtat oder
150
„Másr el Atiqeh“ nämlich Alt-Kahira, – ferner daß dieſe
Sarazenenhauptſtadt von den Arabern auch Omm-ed dunja, d. h.
Mutter der Welt genannt wird, daß die Nilvorſtadt Bulak und
daß Alt- Kahira darum Foſtat heißt (welches letztere Wort Zelt
bedeutet), weil auf der Stelle von Alt-Kairo Amru, der Feldherr
des Kalifen Omar, ſeine Zeltſtange aufgeſchlagen hatte, als ſich
auf dieſelbe eine Taube herabließ, was Amru als ein Zeichen an-
geſehen haben ſoll, an derſelbigen Stelle eine Stadt hinzubauen.
Daß 300 Jahre ſpäter, im zehnten Jahrhundert, das eigentliche
große Kahira, von den fatimidiſchen Kalifen, (den Nachkommen
der Fatime, der Tochter Muhameds) gegründet worden iſt; –
daß die Stadt nunmehr faſt eine Quadratmeile Landes bedeckt;
daß ſie in der Blüthezeit gegen 400.000 Einwohner gehabt haben,
einſtweilen aber nur 240,000 Seelen, 30,000 Häuſer, 400
Moſcheen oder Minarets und 20.000 Eſel zählen ſoll; und daß
ich, weder auf die Richtigkeit dieſer noch anderer Ziffern, Namen,
Notizen und Poſitivitäten ſchwören will, die von mir friſch-
weg abgeſchrieben ſind. – Es verkehrt und hantirt ſich wohl
ſchön, mit ſolchen Namen und Nomenklaturen, meint Famulus
Wagner; denn man weiß doch gleich „wo und wie und wie viel.“
Kurz, es iſt mit dem Poſitiven und in Zahlen Formulirten wie
mit dem Henkel am Topf; man weiß doch, wo und wie man ihn
anfaſſen ſoll.
Um aber dem Prinzip meiner ganzen Reiſe und Reiſebeſchrei-
bung getreu zu bleiben, ſo geſtehe ich im Gegenſatz, oder eigent-
lich zur Ergänzung der poſitiven Beſchreibungen:
Ich finde es ſo menſchlich, ſo natürlich, ſo im poetiſchen und
pſychologiſchen Intereſſe, hören und leſen zu wollen, wie dem
Fremden, dem Europäer und Chriſten die erſten Tage und
Stunden in der Sarazenenſtadt „zu Muthe“ geweſen und mit-
geſpielt worden iſt.
1 51
Denn wo einmal Seele und Geiſt durch ganz neue Gegen-
ſtände, ja, durch eine unerhörte Welt aus ihrer Apathie geweckt
und zu einem neuen Leben wiedergeboren werden, wo der Menſch
ſeine urſprüngliche Lebenskraft gewinnt, der natürliche Lebensreiz
wiederum in allen Pulſen hämmert, alle Adern ſchwellt und das
Gehirn mit dem Herzen in Kontakt gebracht hat, da bedeutet
das Individuum die Gattung, da wird die Menſchheit
einmal wieder vom einzelnen Menſchen repräſentirt!
Aus der Poeſie, der Liebe, dem intenſiv gewordenen Leben,
entbindet ſich die Idee, die ideale generelle Kraft des Lebens, und
ſie befaßt wiederum die Norm, den objektiven Verſtand.
Ohne Herz und Seele, ohne Subjektivität, giebt es
keine beſeelte Objektivität.
Aber das liebetrunkene Herz iſt inſpirirt und die echte Lebens-
begeiſterung auch in Harmonie mit der Vernunft, ſchon weil die
Natur mit ihr im heiligen Bunde ſein muß.
Die objektive, die ideale und generelle Wahrheit muß noth-
wendig in einer Seele ſein, welche in Lebensfreuden oder Schmer-
zen berauſcht, von der Poeſie und der Seligkeit des Daſeins ent-
zückt iſt, wie dies dem Reiſenden in Kahira geſchieht, falls er vom
Phlegma keine Profeſſion und von der Blaſirtheit keine vornehme
Lebensart zu machen pflegt.
Die Schilderung des Gaſſenlebens in Kahira iſt nicht ſelten
in Einzelheiten übertrieben worden; auch finden die ver-
ſchiedenen Scenen, Kurioſitäten und Bilder ſich nicht alle Tage
und Stunden, in allen Gaſſen ſo auf einem Punkte ver-
eint und bei einer Lebensgelegenheit auf den Haufen gepackt,
wie ſich das der Leſer einzubilden pflegt, wenn ſeine Phantaſie
durch lebhaft gefärbte und relief gemachte Schilderungen ins
152
Feuer gebracht iſt. Gleichwohl kann der Akzent nicht ſtark genug
auf die Wahrheit und Thatſache gelegt werden, daß die über-
triebenſte Schilderung von den Seenen in Kahira und in Aegyp-
ten überhaupt nicht im entfernteſten das auszuſprechen oder im
Leſer zu erzeugen vermag, was die Wirklichkeit unmittelbar auf
die geweckten lebensfriſchen Sinne des Ankömmlings wirkt.
Das Leben und die Wirklichkeit kann gar nicht mit Worten
übertrieben werden. Die höchſte Kunſt, die grellſte Kunſt bleiben
nothwendig hinter den Urbildern der Wirklichkeit und der leben-
digen Genugthuung zurück. Der Landſchaftsmaler muß grellere
Farben anwenden, er muß die einzelnen Schönheiten, Felſen und
Vegetationen, das Liebliche und das Erhabene, das Helle und
Dunkle, das Verborgene und Offene, das Starre und Flüſſige,
kurz alle die Tauſend Gegenſätze der Natur und ihre Abſtufungen
näher zuſammenrücken, als es die Wirklichkeit zeigt. Der Künſtler
muß auf einen gewiſſen idealen Effekt malen und komponiren, weil
der bloße „Abklatſch der Wirklichkeit“ gar zu ſehr unter dem
lebendigen Effekt bleiben würde. Dieſe Thatſache iſt der Grund
und die Nothwendigkeit einer gewiſſen Uebertreibung in
jeder Kunſt; ſie gehöre der Poeſie, der Malerei oder dem er-
höhten ungebundenen Schreibſtyl an.
Wenn das bloße Wort und Farben-Pigment, wenn die an
ſich todten Stoffe und Zeichen des Lebens mit der Lebensunmit-
telbarkeit den Wettkampf beginnen ſollen, ſo iſt das nur möglich,
wenn die Einbildungskraft des Leſers und Beſchauers angeſtachelt
wird, und dies geſchieht wiederum nur durch Akzentuation, durch
ſtark aufgetragene Farben, durch Licht und Schatten, durch Grup-
pirung und Gliederung, durch Konzentration von Bildern, Einzel-
zügen und Effekten, die ſonſt nur zerſtreut anzutreffen ſind.
Was aber auch auf einer Stelle und nach einer Seite hin
in einer Sphäre mit Wort und Farben übertrieben werden möge,
153
es fehlt nach andern Seiten und in andern Punkten und Lebens-
reichen um ſo mehr.
Hundert lebendige Kreiſe, tauſend beſeelte und pulſirende
Herzpunkte, zehntauſend Farbenabſtufungen, Vermittlungen, Ueber-
gänge, Harmonien, Polariſationen und Prozeſſe; – der Fluß der
Formen, das Ineinander des Geſonderten, die Totalität, das
Klima, die Stimmung, die Seele des Lebens, der heilige Zauber
des Lebens, ſeine Magie, ſeine Berauſchungen, ſein himmliſcher
Duft, ſeine Blutwellen, ſeine Nervenſchwingungen, ſeine Ener-
gieen, ſeine Aether, ſeine Grazien, ſeine Humore, ſeine Symbolik;
Licht, Luft und Glanz ſind mit aller Uebertreibung im Einzelnen
und Materiellen, ſo wenig wiederzugeben, als aus Karmin und
Kremnitzer Weiß die Blutwelle, ihr Geäder, die Welt von Far-
bentönen, Lichtreflexen und Halbſchatten gemiſcht werden kann,
welche die Natur im wirklichen Fleiſche und auf ſeinen leiſeſten,
dem Auge nur an den Farben ſchatten bemerkbaren
Modellirungen produzirt!
Aber der Maler muß ſich nichts deſto weniger zu grellern
Fleiſchtönen und überhaupt zu einer Palette, zu einer
Kunſtmanier, zu einer Uebertragung der Natur in ein künſt-
leriſches Medium, zu einer künſtleriſchen Konvenienz, Erhö-
hung und Idealität, zu einem Kothurn und Styl, ja zu einer
leiſen Maske bequemen, wenn er den Effekt der Natur errei-
chen, und wenn dieſe Natur in ſeiner Willkür und Launenhaftig-
keit nicht zuletzt aus der Art ſchlagen und alle höhere Einheit,
allen Charakter, Styl und Typus verlieren ſoll. Kunſt und
Natur zu verſöhnen, das bleibt freilich die höchſte
Kunſt! Und wieviel ſinnlichen, materiellen, handgreiflichen Vor-
theil hat der Maler nicht vor dem Poeten und dem bloßen
Reiſebeſchreiber voraus!
Verlieren nicht bei dem großen Haufen der Leſer die abſtrak-
154
ten Worte gegen die ſichtbaren Farben und Formen ſo viel, wie
die auf ber Palette gemiſchten Farben gegen die lebengeſchwellte
Farbenleiter, die flüſſigen Formen der Natur? Alſo das beherzige
der Leſer wohl, was immer auch vom ehrlichſten und wahrhaftig-
ſten Reiſenden in Partikularitäten, in Augenblicken in gewiſſen
Beziehungen, um der künſtleriſchen Oekonomie und Harmonie
willen, – übertrieben werde: es iſt mit dem lebendigen
Ganzen verglichen immer noch ſeelenlos, kleinlich, farblos,
hölzern und matt. Nur durch grell aufgehöhte Lichter und
Schatten giebt ja der Maler den Dingen auf der Leinwandfläche
ein Relief, macht er aus dem todten Farbenpigment ein künſtlich
leuchtendes Licht! – oder giebt es irgend einen Künſtler, der
Licht malen, einen Dichter, der Leben zu ſprechen und
zu ſchreiben vermag? Aber daß er es nicht vermag, dieſe
Verzweiflung treibt und zwingt ihn zu Uebertreibungen auf dem
Punkte, da ihn der Inſtinkt oder die Kunſtwiſſenſchaft gelehrt,
daß es die Lichter und Schatten ſind, durch die er das Spiegel-
bild der Natur und Wirklichkeit gewinnt. –
Es war ſchon am Sonnenuntergange, als ich von Bulak auf
einem galoppirenden Eſelchen vor der Lokanda Ludwig im Fran-
kenviertel ankam, und dort bei dem Wirthe, einem höchſt gut-
müthigen Oeſterreicher, die dienſtbefliſſenſte und wohlfeilſte Auf-
nahme fand. – Bevor ich das nothwendigſte in Ordnung gebracht
hatte, war es, da die Dämmerung in Aegypten viel kürzere Zeit
wie im Norden dauert, bereits ſo finſter geworden, daß ſich von
dem Bau der Häuſer nichts mehr erkennen, und von dem Leben
und Treiben auf den Gaſſen wenig profitiren ließ, ſintemal der
Araber am liebſten mit den Hühnern zu Bette geht. – „-
155
Gleichwohl machte ich mich mit einem ehrlichen und gefälligen
deutſchen Handwerker in brennender Neugier und höchſter Auf-
regung noch im Dunkeln auf die Gaſſen hinaus; – hier mußten
ſich mit den erſten Schritten Abenteuer an meine Ferſen heften.
In der mäßig breiten Straße der Musky (des Frankenviertels)
mit ihren erleuchteten Kaufmanns- und Droguerieläden, Kaffee-
häuſern und Konditoreien ſah es ganz ziviliſirt aus; dann aber
geriethen wir in ein ſo ſchauerlich finſteres Labyrinth von Klafter-
breiten Gängen, daß ich mein phantaſtiſches Gelüſt eines Herum-
ſchweifens wohl aufgeben mußte und todtmüde, wie ich von Reiſe-
ſtrapazen und Aufregungen war, mich gerne zu meiner guten Lo-
kanda zurückführen ließ. – Dieſer Entſchluß ſchien auch ſchon um
deswillen praktiſch, weil wir keine Laterne mitgenommen hatten,
und wiewohl kein Eingeborener aus dem gemeinen Volke bei ein-
getretener Finſterniß ohne eine Leuchte in Kahira umhergehen
darf, wenn er nicht durch die Polizei arretirt ſein will, ſo iſt es
in abgelegenen und engſten Straßen doch nicht ſo geheuer, daß der
Fremde hier ohne Waffen, Licht und Dienerſchaft mit vollkom-
mener Sicherheit umherſchweifen darf, ſobald der Abend eingetre-
ten iſt. –
Einſtweilen legte ich mich alſo auf den Divan meines hoch-
fenſtrigen und hochgebauten Zimmers, für das ich nur nach der
Handwerkertaxe einen Piaſter zu bezahlen hatte, mit meinem Pa-
letot bedeckt zurecht und ſchlief wie ein Klotz. – Mit Sonnenauf-
gang aber war ich munter und vernahm die Töne des Straßen-
lebens mit der Luſt und Neubegier, die man in der Kindheit
empfindet, wenn man zum erſtenmal in einer größern Stadt und
überhaupt an einem Orte erwacht, von dem man ſich Wunder und
Abenteuer verſpricht. –
Meine Toilette war bald gemacht. Kameelgebrüll, Eſelſchrei
und das dumpfe Wogenbrauſen des erwachenden Lebens einer
156
großen Stadt tönte von der Hauptſtraße des Frankenviertels zu
den undurchſichtig gewordenen, aus kleinſten Scheiben zuſammen-
geſetzten Fenſtern der Lokanda Ludwig hinauf, die in einer ſchma-
len Seitengaſſe zu Anfang der Hauptſtraße des Frankenviertels
liegt. Ich ſchlürfte alſo meinen Mokka in brennender Haſt, ver-
brühte mir den Mund, ſteckte das Weizenbrötchen in die Taſche
und rannte in meinem Nilkoſtüm, d. h. in einem abgetragenen
Rock und Leinwandhoſe, mit einem breitrandigen Filzhut auf dem
Kopfe, und einem ſpaniſchen Rohr in der Hand, ohne meinem
fragenden und rathenden Wirth Rede zu ſtehen oder für mich
ſelbſt irgend eine Eventualität in Frage zu ziehen, auf eigenes
Riſiko in die Gaſſen und in ihren abenteuerlichſten Knäuel hinein.
Ich wußte wohl, daß mich jeder Eſeljunge (Seis) von jedem
Punkte der Stadt für einen halben oder ganzen Piaſter nach „Ez-
beki eh,“ einem vor dem Frankenviertel gelegenen mit ſchönen
Hotels und Parkanlagen geſchmückten ungeheuern Raum, – oder
der Musky zurückbrächte, wenn ich ihm die Worte ſagte: „anne
äus fil Musky“ (ich will nach der Musky), falls man aber nichts
weiter als das Wort „Ezbekieh“ oder „Musky“ zum Eſeljungen
ſagt, iſt's auch vollkommen genug; und wenn der Fremdling gar
nichts ſagte, weil er ſtumm wäre, ſo würde er ſicherlich zu einem
fränkiſchen Hotel oder zu einem deutſchen Handwerksmann ge-
führt. Es iſt jedoch eine aparte Genugthuung, traktiren zu dürfen,
was man nicht verſteht.–Dilettantismus iſt ſüßer als Virtuoſität.
Mit den erſten erlernten Worten einer wildfremden Sprache geht
jeder Reiſende wollüſtig und verſchwenderiſch um; ich hätte am lieb-
ſten jedem Eſeljungen mein ganzes Vokabularium aufſagen und
ihn dazu umarmen mögen, ſo arabiſch, abenteuerlich, kahiriniſch
und tauſend-kontentirt, ſo kurios-glückſelig war mir zu Sinn. –
Mit ſolchem Wolluſtgrauſen erſter Lebensneubegier muß Adam die
erſten haſtigzögernden Schritte im Paradieſe gethan, oder des
157
guten Feldpredigers Auguſt Lafontaine zwiſchen ſteilen Bergen
eingeſperrt geweſener Naturmenſch von jenen Höhen in die
weite, ihm von ſeinem kurioſen Vater unterſagte Welt hinaus-
geblickt haben: als mich über Leib und Leben durchſchauerte, da
ich mich an dieſem erſten wundervollen Morgen in den kahirini-
ſchen Wunder- und Blinddarmgaſſen losgelaſſen ſah. – Ich
ſchnellte, glaub' ich, wie ein angeſpannt geweſenes und plötzlich
losgegebenes Stück Gummi-Elaſtikum in den arabiſchen Quirl
hinein, denn die Moslemin und ſelbſt die Eſel gaben verwundert
Raum, und guckten mir wie einem ganz aparten Fremdenerem
plar nach. Die Franzoſen ſind nämlich bei ihrer Haſtigkeit höflich
und manierlich; die Engländer aber bei ihrer Rückſichtsloſigkeit,
Kurioſität und Abgeſchmacktheit von gemeſſenerem Weſen und
einem gehalteneren Styl. – Ich aber gebehrdete mich haſtig und
sans façon aus demſelben Sack. Aber was thut das in einer
wildfremden Stadt. Auf Stunden, Tage und Monate ſo ein
bischen naturwüchſig, gänzlich ungenirt zu ſein, iſt nicht der ge-
ringſte Faktor der Reiſeluſt und des Humors am wilden und halb-
ziviliſirten Ort. Dies Gelüſte iſt ſehr naturnothwendig im alten
Adam, in der natürlichen Reaktion gegen lebenslange Schule,
Konvenienz und Gene erklärt. Wer mal nach ſeinem Penchant,
d. h. ſeinem aparten Humore leben will, der nimmt nothwendig
das Riſiko einer Inkonvenienz, einer Formloſigkeit oder einer
kleinen Lächerlichkeit und konventionellen Geſchmackloſigkeit mit
in den Kauf. – Von den erſten Schritten oder Wogenbewegungen
in den flüſſigen Elementen der Natur: in Luft und Waſſer, werden
wir ſchwindlig und taumlich; – weiterhin kommt eine See-
krankheit dazu; ſie wird aber überwunden und macht nicht in jedem
Falle Jedermann gleich übel zu Muth. In Kahira findet
der Reiſende die Scenen, die Bilder und insbeſondere die Bau-
werke verwirklicht, von denen er in Alexandrien geträumt. Die
Beſchreiberei und Spezifikation dieſer Bau- und Gaſſenwunder,
wie alle Wunderanalyſe und Präſentation iſt für mich eine Pein;
aber oportet iſt ein Brettnagel, und Desperation giebt unter-
weilen den richtigen Witz. Ich berichte alſo wie folgt. Das
Erſte, was mich in Erſtaunen ſetzte und meine Blicke feſſelte,
waren alle die Erker, die Mauerzinnen, die geſchnitzten Thüren,
die ſkulpirten Thoreinfaſſungen von Stein; die übereinander-
geſtellten Säulenreihen von Kalkſtein und Granit, welche Spitz-
bogen- und Rundbogengewölbe tragen, und mit welchen die vielen
innern Höfe der Paläſte und größern Kaufhäuſer geſchmückt ſind.
Vor allen Dingen aber durchbohrte ich mit meinen Blicken die
rundum verſchloſſenen und bedeckten Balkone (Meschrebijeh), die
aus dem wundervollſten durchbrochenen Schnitzwerk in Oliven,
Buchsbaum und Orangenholz, ja ſelbſt an gewöhnlichen Häuſern
aus einem Gatterwerk von geſchnitzten Sykomorenholz oder von
zierlich gekreuzten und geglätteten Palmholzſtäben beſtehen. –
Die Motive für dieſes ganz und gar den arabiſchen Geſchmack
und die arabiſche Phantaſie abdrückende Bildwerk ſind komplette
Stick- und Spitzenmuſter, ein Netz- und Maſchenwerk von Stern-
chen, Knötchen und ſolchen Figurationen, wie ſie ein Frauen-
zimmer etwa in Tüll und Mouſſelin mit Glanzgarn und Wolle
zu Stande bringen mag. In dieſen Meſchrebijeh's giebt es kleine
Guckfenſterchen mit Schiebern und Jalouſieen, durch welche dunkel-
glühende Frauen- und Odaliskenaugen auf die Gaſſen hinaus-
ſchauen, ohne ſelbſt geſehen zu werden. – Ich nahm mir aber
nicht die Zeit, nach arabiſchen Evastöchtern zu ſpähen, denn augen-
blicklich hatte ich es noch mit den materiellen Wundern in Holz
und in Stein zu thun.
Dieſe arabiſche Architektonik, die farbigen kleinen Glas-
fenſter hinter den Gitterwerken, die Skulpturen in Holz und
Stein, die Gallerien um die Höfe und um die Etagen der ſchlan-
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ken Minarets, die Korridore und verdeckten Gänge, die vielen
Durchgänge, Thoreingänge und blinzwinklichten Gehöfte mit ihren
Steinbrunnen und Steinſitzen, mit ihren myſteriöſen Ein- und
Ausgängen; – die Trag- oder Kragſteine, auf denen die Balkons
oder die obern übergebauten Stockwerke ruhen; die übereinander-
geſtellten Säulenhallen, die Spitzbögen, die Erkerausbaue, die
Mauerkränze: dieſer ganze ſo unendlich mannigfaltige Bauappa-
rat und architektoniſche Humor erinnert auf das Lebhafteſte und
Genugthuendſte an die mittelalterlichen Städte, an Nürnberg,
Augsburg, Marburg, Danzig und Köln; an die alten Handels-
ſtädte der Hanſa, am frappanteſten aber an das uralte Rouen.
– Ich war außer mir vor Vergnügen, in Arabien Deutſch-
land wiederzufinden, und in Aegypten vaterländiſch ge-
muthet und geaugenweidet zu ſein. – Ich lief alſo die erſten
Stunden in ſo vielen Gaſſen umher, wie ich irgend ablaufen
konnte; je närriſcher um die Ecke, je enger, je winklichter, je go-
thiſcher, je arabiſcher, deſto beſſer. Es giebt dort viele Sackgaſſen,
– ſo mußte ich denn oft wieder des Weges zurück, den ich ge-
kommen war. Dafür guckte ich denn auch in alle Durchgänge
und Eingänge und in alle offenen Magazine hinein, ſtahl mich
halb ängſtlich und halbnärriſch vor Vergnügen haſtigzögernd wie
ein Gelegenheitsritter in alle Thorwege und Hofwinkel hinein,
wo ich eben keine Thürhüter (Buabs) oder ſonſt verdächtige Ge-
ſichter, Polizeianſtalten und Schildwachten erſah, und profitirte
für den erſten Anlauf mehr Kurioſa und nagelneue Geſchichten,
als ich mein Lebelang auszudeuten oder zurechtzufleien vermag.
Ich müßte die deutſche Sprache, den guten Geſchmack, die
vaterländiſchen Sitten, die gewohnten Vorſtellungen und mich
ſelbſt in die Luft ſprengen, falls ich detaillirt und vollſtändig
ſchildern, malen, bildſchnitzen und daguerreotypiren wollte, was
ich in jenen erſten Stunden Alles geſehen, geahnt, gekoſtet, ge-
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züngelt, umgelernt, überdichtet und überdacht. In vielen Höfen
gab es ſchöne Brunnen und Springbrunnen; in andern Orangen-
und Palmenbäume, wieder in anderen ſtanden geſattelte Eſel,
Pferde und Dromedare bereit. In dem Hofe eines Palaſtes,
der ſich wie eine kleine Burg anſchauen ließ, ſah ich prächtige
Adler, Pelikane, Affen und viel wunderſchönes zahmes Federvieh.
Gleich beim Hinaustreten aus meinem Gaſthauſe waren mir zwei
halbnackte Araber, Jeder mit einem wunderſchönen Flamingo in
den Armen begegnet. – Ich ſturrte das an, aber ich dachte
wundertrotzig, daß müßte hier eben ſo ſein; dafür wäre es
die Wüſten- und Wunderſtadt Kahira; es würde noch ganz anders
kommen, und dem iſt auch alſo geſchehen: denn ich ſah ſpäterhin
bei dem Thierbändiger und Menageriebeſitzer Hartmann, der ſich
in Kahira zum Abgange nach London rüſtete, einen koloſſalen
Strauß mit unbefiederten Schenkeln, die ſo dick waren, wie ſie
mancher Mann nicht aufzuweiſen hat. – Der Thierbändiger ſelbſt
durfte ſich dieſem Vögelein der Wüſten nur mit einer langen
Eiſenſtange nähern, die oben zwei ſtumpfe Gabelzinken hatte, mit
denen man ſich den Kopf und den langen Hals des wüthenden
Ungethüms vom Leibe halten konnte, welches ein Gelüſt auf
Menſchenhirn zu haben ſchien. Ein ungeheuerliches und doch
wunderſchönes Giraffenpaar marſchirte dagegen völlig liebens-
würdig und gezähmt auf ſeinen Stelzbeinen wie auf einer eman-
zipirten Maſchinerie in einem fabelhaft hohen Magazinraume um-
her; und gleichwohl war der Mechanismus dieſer Fußbewegun-
gen mit der natürlichen Grazie der Wüſtenthiere gepaart. Das
Thier iſt in dem Sinne ein Philoſoph zu nennen, als in ſeiner
äußern Erſcheinung alle möglichen Gegenſätze in eins ge-
bildet ſind. Die Giraffe beſitzt eine zierliche Pedanterie, eine
ſymmetriſche Unſymmetrie (in der Thatſache, wie das Vordertheil
und dasjachabſtürzende Hintertheil zuſammengefügt ſind), einbalan-
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cirtes Uebergewicht, eine harmoniſche Ungeheuerlichkeit, eine lä-
cherliche Grandioſität, eine impoſante Poſſirlichkeit. Die Giraffe
zeigt eine Symbolik der Halsbewegungen, durch welche
die widerſprechendſten Charaktere ansgedrückt werden: Stolz und
Majeſtät in der Art, wie ſie den Kopf trägt und auf Alles herab-
blickt, eine demüthige Harmloſigkeit und Naivetät, wenn ſie Halme
vom Boden aufſammelt; Spürſinn und Diplomatie in den Augen-
blicken, wo ſie horchend die Kuhohren ſpitzt und zuckende Seiten-
bewegungen macht. Manchmal gewährt ſie den Eindruck eines
Phantoms, eines verzauberten Menſchen, der ſich zurückwandeln
will. (In Mundt's Weltfahrten, Altona 1838, iſt eine ſo
frappant wahre, ſo originelle Schilderung der Giraffe gegeben,
daß ſie als ein Meiſterſtück ſymboliſcher Ausdeutung und Thier-
charakteriſtik gelten darf.) – Im Hofe des engliſchen Geſandten
bekam ich das ſeltenſte Beeſt zu ſehen, welches ſelbſt ein Wüſten-
jäger und ein Wilder zu Geſichte bekommen kann: ein lebendiges,
ein Jahr oder ein halb Jahr altes, in Abyſſinien gefangenes
Nilpferd. Das Thier ſah faſt ſo wie ein koloſſales Maſtſchwein
aus, grunzte und gebehrdete und bewegte ſich ſo, war durchaus
zahm und zuthätig, ſteckte den Kopf in des Wärters Schooß, der
vor ihm ſaß, und mochte nichts lieber leiden, als wenn ihm der
Mann mit der Fauſt in dem zahnloſen Rachen und auf den jucken-
den Gaumen herumwirthſchaftete; – man konnte nichts Fabel-
hafteres mitanſehen, als dieſe „zitzkindlichen“ Ammenmanöver mit
einem antediluvianiſchen Schwein.
Die Hallen und Läden der Kaufleute, „Wikabehs“ genannt,
befinden ſich nicht ſelten in innern Höfen, deren In- und Aus-
gänge bei Nacht bewacht werden, da in der Regel dort die koſt-
barſten Waaren enthalten ſind. Man ſieht da die ſchönen Felle
von Löwen, Tigern, Panthern und Antilopen; Straußfedern,
Edelſteine, Perlmutter- und Schildpattſachen; rothe Meerkorallen
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zu Schmuckſachen verarbeitet, koloſſale Bernſteinſpitzen zu einem
Preiſe von 3000 bis 6000 Piaſtern. Korallenſchnüre von köſt-
lichem Bernſtein, Karneol, Chalcedon und Obſidian; Mouſſelin-
zeuge mit Gold- und Silberfäden, aber auch mit den Faſern einer
Pflanze geſtickt, die mit ihrem Goldglanze täuſcht; – endlich
damaszirte Waffen, Piſtolen, Dolche (wie ein Schilfblatt geſtaltet),
lange Flintenläufe ohne Schloß und Schaft, aber von einer Maſſe,
die nicht zum Schein, ſondern in der That aus lauter feinen
Drathringen zuſammengeſchweißt iſt. Ein ſolches Rohr iſt ſomit
kaum für eine Summe von 1000 Piaſtern (66 Thaler) feil.“)
Das waren mal wieder Lebensarten, wie in den Kindheits-
tagen. Die Wunder ſchienen aus dem Boden zu wachſen, ſie
ſprangen diesmal in Wirklichkeit für mich hinter jeder Hausecke
und aus allen Winkeln hervor; man durfte nicht mal hinter die
Thüren gucken, man athmete in Kahira die arabiſchen Myſterien,
die Abenteuer aus Tauſend und einer Nacht am hellen lichten
Tage, und mit der bloßen Luft. – Sie attakirten mich auf offener
Straße und packten mich nordiſchkleinſtädtiſchen, nachtigallneu-
gierigen Lump bei der Bruſt. – Mir war zu Muthe, wie einem,
der ſich zu Myſterien herangeſchlichen hat, und jeden Augenblick
zum Tempel hinausgeworfen werden kann.
Dies iſt gewiß: falls man auch nichts weiter als die Archi-
') Es giebt dreierlei damaszirten Stahl. Der geringſte, Stam-
bulka genannt, wird in Konſtantinopel verfertigt; die zweite Sorte in
Damaskus, der beſte in Choraſſan, Schwarz und Weiß; ſo daß es
ſchwarzen und weißen Choraſſan ſtahl giebt. – Die Araber nennen
ihn Tabahn. In der Muskyſtraße werden damaszirte und oft ſehr
koſtbare Waffen aller Art, prachtvolle Säbel, Meſſer und Dolche feil-
geboten, deren Griff nicht ſelten aus einem köſtlichen Chalcedon oder
einem anderen Halbedelſteine beſteht. – Herabgekommene Familien über-
geben ſolche Waffen den Trödlern in Vertrieb. –
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tektur ins Auge faßt, ſo weiß man kaum, auf welchen Gebäuden und
Ornamenten man den Blick haften laſſen ſoll, ſo originell und köſt-
lich, ſo ſolide in Kalk- und Sandſteinwerkſtücken ſind insbeſondere
die Häuſer und Paläſte der Vornehmen gebaut, ſo tauſendfältig
ſind ſie verziert. – Kahira iſt reines Sarazenenwerk. – Die
große Maſſe ſeiner älteren und anſehnlichern Häuſer, wie ſeiner
zu kleinen Burgen eingerichteten Paläſte, ſeiner Hunderte von
Moſcheen und der Tauſend Thore, durch welche in den fehdevollen
Zeiten die Straßen von einander abgeſperrt wurden, das Alles
iſt wie aus einem Guß.“)
Hier müſſen ſich die Architekten, die Bildhauer, die Maler,
die Tapezierer neue Muſter für die Ornamentik holen, hier wird
die deutſche Baukunſt, hier werden Spitzbögen, Gewölbe, Konſolen,
Steinſitze, Niſchen, Grottenwerke, beſonders aber Roſetten, Ara-
besken, Zickzackverzierungen, alle nur erdenklichen myſtiſchen Kon-
figurationen und phantaſtiſchen Ornamente ſo gut wie an der
Quelle ſtudirt; denn wiewohl dieſelbe den byzantiniſchen Bau-
werken entſtammt, ſind ihr doch durch die arabiſche Sinnlichkeit
und ihre feurige Wüſtenphantaſie neue Adern zugeführt. Der
Sohn der Wüſte wohnte in Zelten und hatte alſo in der Baukunſt
unmöglich etwas gethan, aber er faßte die orientaliſchen Muſter,
und beſonders die Motive der griechiſchen Ornamentik, die grie-
chiſchen Zickzackfigurationen mit glücklicher Bildkraft auf.
*) Es gab Zeiten, wo ſich ſogar die Fellahs Jahrhunderte lang in
zwei Partheien „Sad und Charam“ befehdeten. Noch bis heute werden
dieſe Thore zur Nacht verſchloſſen. Wenn man anpocht, ruft die Wache:
„kim dur o“ (wer iſt das), der Pocher antwortet: „Ibn Beled,“ (ein
Bürger der Stadt). – Wo es noch auf alte Weiſe hergeht, ſagt die
Wache: „Wach hid Allah“ (bezeuge daß ein Gott iſt). Der Exami-
minirte muß dann das Moslemitiſche: „Es iſt kein Gott außer Gott“
ſagen. – (Schuberts Reiſe ins Morgenland.)
11 *
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Der deutſche Genius hat in den Kreuzzügen ebenfalls ſeinen Bau-
ſtyl aus dem Orient geholt, aber im Unterſchiede des Arabers die
vegetativen Elemente jenes Styls mit Vorliebe und Glück aus-
gebildet. Er hat die großen Maſſen ſeiner Münſter in einer
Weiſe abgegliedert, welche man eine vollkommene Sym-
bolik der vegetativen Grundformen nennen muß, –
von der vegetativen Evolution in den Maſſen weiß der Araber
indeß nichts.
Das phantaſtiſche Blumen- und Blätterwerk der ornamen-
talen Arabesken iſt nur eine Verzierung auf der Oberfläche geblie-
ben; – die Maſſen ſeiner Paläſte, Moſcheen, Thore und Mi-
narets zeigen nur das kryſtalliniſch-byzantiniſche Element; das
feſtgehaltene Prinzip iſt hier: die überall gebrochene Baulinie,
die gebrochene Fläche und die Grundform für alle Verzierungen:
der Zickzack, der Winkel und die Niſche; das aus Niſchen zU-
ſammengeſetzte Grottenwerk, welches nach dem Muſter eines
ungeheueren Wabenſtücks von Bienenzellen gemacht zu ſein
ſcheint, und in deſſen kleinſter Niſche noch der Hohlmeißel jede
Spur einer glatten Fläche ausgraben muß.
In dieſen Zickzackfigurationen und Grottenwerken iſt die
Poeſie eines Winkels im Winkel, des Winkelverſtecks in unendli-
cher Evolutionsreihe erfaßt. – Glatte Flächen, überſichtliche
Sachen und Verhältniſſe, planirte Maſſen, gerade Linien und
Wege ſcheinen der arabiſchen Phantaſie ein unausſtehliches Prin-
zip zu ſein. Das unabläſſige Metamorphoſenſpiel ſeiner ent-
zündeten Sinnlichkeit, ſeine alle Naturmenſchen und Halbwilden
charakteriſirende elementare Wetterwendigkeit und undulirende
Geiſtesthätigkeit, hat in der neugriechiſchen Ornamentik und dem
aſiatiſchen Bauſtyl nur die Formenmannigfaltigkeit und Phan-
taſterei aufgefaßt, aber der vernünftige Geiſt der deutſchen Men-
ſchenrace hat die tiefſte Einheit herzugebracht. Alle Mannigfal-
tigkeit iſt im gothiſchen Styl eine naturwüchſige Gliederung, die un-
unterbrochene Reihe der Entwicklungsmomente einer und derſelben
Grundform des vegetativen Prinzips. – Der deutſche Baumeiſter
hat in ſeinen Münſtern: Hallen aus Bündeln von Palmenſtämmen
gebildet, deren Aeſte und Blattſtiele ſich auf die natürlichſte Weiſe
zu Spitzbögen verſchränken. – Die ganze Maſſe des deutſchen
Bauwerkes wächſt oft ohne Plinte, Plattform und irgend einen
Unterbau (welcher z. B. den griechiſchen Tempel ganz beſtimmt
vom Erdboden abſcheidet), wie unmittelbar aus der Erde heraus;
Wände, Decken und Balken giebt es im deutſchen Münſter nimmer-
mehr. Die Wände werden durch die Fenſter zwiſchen den vege-
tativen Pfeilern gebildet, welche noch zum Dach herausgewachſen,
durch Schwibbögen in der Luft zu einem Ganzen verbunden ſind.
– Die Thürme endlich erſcheinen nur als die äußerſte Kon-
ſequenz der zum Himmel wachſenden vegetativen Evolution. –
Nur in den Minarets, welche kerzenſchlank neben den Kuppeln
in den Aether hinaufſchießen, zeigt ſich die natürliche Reaktion des
geradeaufwachſenden Menſchengeiſtes, gegen eine ſchlingkrautig
herumwuchernde, Moosformen produzirende, elementare, zickzack-
blitzende, Winkelzügen nachgehende, zu Kriſtalliſationen anſchie-
ßende Phantaſie. In den vielen Galleriewerken um alle
Stockwerke der Minarets herum revangirt ſich aber auch hier
der krausſprudelnde und maſchenſtrickende Arabergeſchmack. –
Die äußeren Wände der Minarets ſind vollends ſo bunt, wie
Rokoko ziſelirte Taſchenuhrgehäuſe ſkulpirt, und wenn nicht an-
ders: ſo iſt in den Stuck und Mörtel der mit rothen Streifen be-
malten Dorfminarets wie mit einem abgehackten, vulgo „ſtrump-
lichten“ Beſen in die Wandfläche hineinpunkt irt. Glatt, eben,
geradlinigt, überſichtlich und unverhäkelt darf in Arabien ein
Kunſtwerk, ein Staatswerk, eine Lebensart und Herzensgenug-
thuung bei Leibe nicht ſein, – das wäre wider die arabiſche
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Zickzacknatur! Der Zufall, mein ziemlich guter Freund, hatte mir
bei der Beſichtigung Kahiras das Richtige an die Hand gegeben. Ich
hatte in den erſten ſtillern Morgenſtunden und in minder frequen-
ten Gaſſen die Häuſer ſtudirt, dann fand ich mich beim Eintritt
in die Hauptſtraße, die in mannichfaltigen Windungen aus der
Musky zur Zitadelle hinführt und die Napoleon in einem Phaeton
mit ſechs Schimmelhengſten paſſirt haben ſoll (was eventualiter
zu ſeinen fabelhaften Unternehmungen gerechnet werden muß),
mitten in einem Karneval; in einem meeresbrauſenden, ſündfluth-
lichen Durcheinander von Thieren und Menſchen, in einer Strö-
mung, aus der nur die Kameele ihre fabelhaft langen, vor- und
rückwärts wogenden Straußhälſe und horizontal geſtreckten Köpfe
emporhielten, die wie Lootſenboote vorausſchwammen. Und wie
die maſchinenmäßigen Maſſenbewegungen dieſer Schiffe der Wü-
ſten, die tauſendſtimmige Menſchenmoſaik zertheilten, ſo zerriß ihr
blubbernd-brüllendes wüſtenſtöhnendes Seufzen, welches in den
ohrzerſchneidenden Eſelſchreien ſeine höchſten Noten zu haben
ſchien, die Wellen der Luft. -
In den Pariſer Boulevards und auf der London-Bridge
hatte ich nur den Schatten, in Alexandrien nur das Vorſpiel einer
babyloniſchen Verwirrung geſehn, und der römiſche oder venetia-
niſche Karneval ſind eben nur ein Spaß. – Hier aber gehts
Jedermann ohne Unterſchied und beſonders dem allzuneugierigen
Neuling geradeswegs an den Leib. Hier möchte man hinten und
vorne Augen und die gleichmäßige Schiebekraft eines Laſtenkameels
haben, um ſich in Extraeventualitäten aus der Affaire gezogen zu
ſehen. In Kahiras Hauptſtrömung kann man beim Himmel nichts
weniger als Meſchrebijehs und Architekturen ſtudiren; hier muß
man „ſeine Bewußthaftigkeiten bei einander haben,“ oder man
wird von einem Paßtrabenden, blindeifrigen Packträger um und
um geſtoßen, von einem mit Bruchſteinen, Kohlen und ſogar mit
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Bauholz beladenen, rückſichtslos drauflos tapſenden Dromedar zu
Boden getreten; oder es werden Einem, falls man zu Eſel ſitzt,
von plötzlich um die Ecke und vorbeigaloppirenden andern Eſel-
rittern die Knieſcheiben aus dem Scharniere gebracht, und der-
gleichen freundlich oſteologiſche Demonſtrationen am lebendigen
Skelette mehr vorgezeigt, die weit über den Spaß gehen. –
Kameele ſchreiten wenigſtens langſam und avertiren ſich wie
die minder gefährlichen galoppirenden Eſel durch Gebrüll; –
durch die Mosleminmaſſe arbeitet ſich auch ein guter Chriſt trotz
ſeiner Nächſtenliebe mit Ellbogen und Fäuſten: was thut man
aber, falls plötzlich querüber oder entgegen eine angeſtachelte
Büffelheerde im Trabe oder Galopp auf dem Schauplatz erſcheint,
und Alles in Grund und Boden zu trampeln droht; dann iſt es
zu ſpät, die Straßenpolizei zu Hülfe zu rufen, die zufällig nirgend
exiſtirt, und ſelbſt im Exiſtenzfalle das paſſivgemüthlichſte, liebens-
würdigſte und liberalſte Staatsinſtitut iſt, was ſich eine Spitz-
buben- und Pöbelphantaſie irgend ausmalen kann. Ich wollte
ſagen: im Fall eine Büffelheerde einen Chok formirt, heißt es:
sauve qui peut. – Man klatſcht ſich dann an die Mauer, man
voltigirt ſelbſt mit ſteif gewordenen Beinen und ohne je zur Tur-
nerſchaft gehört zu haben, in ein offenes Magazin, oder über einen
Eſel hinweg, oder wirft ſich platt in den aufgewühlten Staub,
oder man leidet, was einem das Büffelſchickſal beſcheert, ein klei-
nes Loch im Kopfe, eine entzweigetretene Rippe und dergleichen
exemplifizirte Kleinigkeiten mehr, und hat ſolchergeſtalt ein plaſti-
ſches Angedenken von Kahiras Gaſſen profitirt und ſeinen En-
thuſiasmus für Gaſſenabenteuer gekühlt. Dies ſind freilich die
extraordinairen Abenteuer; ich war gewiß in Anbetracht
meiner heilloſen Neugierde, kein ordinairer Reiſender, und es
wurde mir doch nichts Extraordinaires an meiner Leibeskonſtitu-
tion ruinirt: aber vorgekommen iſt das Geſchilderte und viel
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Schlimmeres dazu nur zu oft, und wen es eben getroffen hat, dem
galt es ſicherlich egal, ob Er der Zehntauſendſte oder der Zehnte
war, ob ſein erlittenes Malheur alle Augenblicke oder alle Jahre
einmal vorzukommen pflegt; alſo ſei jeder kurioſe Reiſende ver-
warnt. Die Polizei erſcheint weder vorauf noch hinterdrein, weder
zu früh noch zu ſpät. – Es iſt Kahira vielmehr der originelle Ort,
in der ganzen ziviliſirten und halbziviliſirten Welt, wo ein Frem-
der weder im Guten, noch im Böſen ſonderlich an die Polizei er-
innert wird. – Der Reiſende ſchickt ſeinen Paß auf ſein Konſu-
lat, erhält eine arabiſche Aufenthalts- oder Reiſekarte den Nil
hinauf und bekommt in jeder Differenz mit dem gemeinen Araber
grundſätzlich von vorn herein Recht, falls er nicht himmelſchreien-
des Unrecht hat. Auf den Gaſſen vollends trifft er keine Spur
von dem, was zumal in deutſchen Landen unter Polizeiverwaltung
verſtanden zu werden pflegt.
Die Polizei iſt in ziviliſirten Landen bekanntlich das förm-
liche Gegengewicht gegen die pure, nackte, elementariſche
Natur und jeden extemporirten Naturalismus, gegen
Feuers- und Waſſersnoth, öffentliche Beleidigung der guten
Sitten, plaſtiſch gewordene Leidenſchaften, Prügeleien, Gaſſen-
aufläufe und ſolche Lebensäußerungen, wie Eventualitäten, die
als die Fortſetzungen der elementaren Naturgewalten
im lebendigen Menſchen anzuſehen ſind.
Waſſersnoth iſt aber im Oriente eine Segnung, Schnee
und Regen oder ſchadhafte Dachtraufen und überſchwemmte Goſſen
giebt es hier nimmermehr; Peſt und Feuersnoth wird für ein
unabwendbares Schickſal, Irrſinnigkeit für eine Weiſſagung,
Schamloſigkeit für eine unanſtößige Natürlichkeit, hündiſcher Na-
turalismus für eine Prophetie und ein Fakirthum angeſehen.
– Kehricht und Kothhaufen werden aus Liebhaberei geduldet;
denn Schmutzerei, Unordnung und Nachläſſigkeit ſind arabiſches
Lebenselement; Geſchrei und Spektakel aber den Leuten dieſes
Welttheils ſo zur andern Natur geworden, daß die Polizei höch-
ſtens dahin geht, wo es ſtille zu werden beginnt, falls dies
Wunder irgend wo und wann mitten unter lebendigen und
wachenden Ismaeliten einzutreten vermag. – -
Zur Prügelei aber haben dieſe ägyptiſchen Juden keine
Kourage. Sie zanken und ſchreien ihre Unverträglichkeit fort.
Gaſſenaufläufe endlich ſind in Kahira ſo unmöglich wie Plätſcher-
und Zephyrwellen im ſtürmenden Meere. Die ganze Sarazenen-
ſtadt ſtellt einen ſtetigen Straßenkrawall von Menſchen und Thie-
ren vor. Wohnungs-Exmiſſionen ſind auch nicht nothwendig,
weil ſchlimmſtenfalls für diejenigen, welche wegen ſchuldigen Mieths-
zinſes zum Hauſe hinausgeworfen werden ſollen, der ewig blaue
und warme Himmel kein ſo ſchlimmer Feind als ein mahnender
und zankender Hauswirth zu ſein pflegt. Folglich exiſtirt hier ſo
eigentlich keine Polizei, ſchon weil ſie nicht nothwendig iſt, alſo
weil ſie ſelbſt auf unnatürliche Gedanken und Geſchäftigkeiten
kommen müßte, und weil ſie einmal keine arabiſche, ſondern nur
eine nordiſche Erfindung, Liebhaberei und Nothwendigkeit ſein
ſoll. Gleichwohl iſt die gegenwärtige Straßenordnung das goldene
oder heroiſche Zeitalter der arabiſchen Polizei, wenn man es mit
den alten Zeiten vergleicht. Aeſer verweſeten da mitten auf den
Marktplätzen, Meuten halbwilder, herrenloſer, verhungerterſchakal-
vetterlicher Hunde durchzogen die Gaſſen; dieſe ſelbſt ſahen bloßen
Schmutzkanälen ähnlich und wurden durch Mattenbedeckungen von
einer Hauszinne zur andern verfinſtert, durch ſteinerne Divans
vor den Häuſern bis zur Menſchenquetſche verengt, und durch die
Schuttberge, welche Kahira von allen Seiten umgaben, mit erſtik-
kenden Staubwolken und an den Regentagen mit einem Urbrei
angefüllt. Vagabonden, Spitzbuben und Hetären hatten hier
allein ihr Paradies, und der Franke (der kein Pferd reiten durfte,)
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mußte von ſeinem Eſel herabſteigen und ſich demüthig verneigen,
falls er einen vornehmen Moslemin herannahen ſah. Noch im
Jahre 1815 bekam Belzoni auf der Gaſſe in Kahira von einem
vornehmen Türken einen Säbelhieb ins Bein, weil er dieſem
nicht ſchnell genug ausgewichen war. Solche Straßenabenteuer
galten vor des Vizekönigs Zeit in dieſer Kapitale für ordinair.
Den-Märchen in Tauſend und Einer Nacht mag dazumal dieſe
Stadt der ägyptiſchen Kalifen noch ähnlicher geſehen haben wie
jetzt, aber ſelbſt ein Romantiker kann nicht umhin zu geſtehen, daß
in gewiſſen Situationen und Augenblicken ein bischen weniger
Nacht und ein bischen mehr Tag, ein bischen weniger Fabelhaftig-
keit und ein bischen mehr Wirklichkeit oder Werktüchtigkeit, ein
bischen mehr aktive Polizei und ein bischen weniger Romantik,
mehr Kunſt und viel weniger nackte Natürlichkeit, daß ein ſolcher
Tauſchhandel ein himmelſchreiendes Bedürfniß ſein kann.“)
Alle Dinge dieſer Erde haben jedoch zwei Seiten, oder an-
ders geſagt: Alle Dinge und Verhältniſſe ſind nicht blos ſo oder
ſo, dies oder das, ſondern ſo und ſo, ſchlimm und gut, närriſch
und geſcheut, natürlich und übernatürlich zugleich, ſie ſind berech-
tigt und unberechtigt, aktiv und paſſiv, frei und gebunden, noth-
wendig und zufällig, anziehend und abſtoßend, raumnehmend und
raumgebend, peripheriſch und punktuell, oder wie man das weiter
formuliren will. Das will auf den vorliegenden Fall angewendet
ſagen: Der Araber zeigt alle Fehler des Orientalen, aber auch
deſſen gute und liebenswürdige Seiten, falls man nur Organ und
*) Das rechte Maß und Ziel pflegt überhaupt für jedes Land
und für jede Zeit, für jeden Menſchen und in jedem Falle ein anderes
zu ſein und in Aegypten thut wahrlich der Formalismus und
Mechanismus einer Polizei und Schule dermalen ſo noth, wie
in unſern überziviliſirten Schulen, Moden, Sitten, Verwaltungs- und
Prozeßordnungen die Natur!
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Blick für dieſelben hat. Man kann dieſer Menſchenrace nicht
lange böſe bleiben, ſie verſöhnt ganz ſo, wie die Natur uns mit
den Unarten von Weibern, Wilden, Kindern, Juden und Polen,
wie ſie mit allen Naturmenſchen oder naiven Bildungen zu ver-
ſöhnen pflegt. Der Araber iſt zänkiſch und ſchiefrig, aber er iſt
nicht brutal. Er iſt im beſtimmten Falle, wo ſein Eigennutz rege
gemacht worden, rückſichtslos, und doch im Allgemeinen dem Mit-
leiden nicht fremd; er iſt haderſüchtig, und gleichwohl geſellig, mit-
theilſam und oft zur gutmüthigſten Verſöhnung und Abbitte geneigt.
Der Araber iſt jähzornig und doch gutmüthig, ſo lange ſeine
Leidenſchaften nicht aufgeſtachelt ſind. Wer an ſeinen tiefgewur-
zelten Anlagen für Humanität zweifeln könnte, der darf ſich nur
eines Grundzuges in der arabiſchen Sitte und Lebensart erinnern,
welche bereits eine arabiſche Natur und Religion geworden iſt: an
die Ausübung und Heiligung der Gaſtfreundſchaft. Sie
iſt es, von der nicht blos das Wüſtenleben in Zelten, ſondern auch
das arabiſche Gaſſenleben Zeugniſſe in ſo liebenswerther und er-
greifender Geſtalt offenbart, daß ſich wohl auch ein Chriſt und
eben ein ſolcher, in ſeinem Gewiſſen gemahnt fühlen kann, wenn
er ſich ſagen muß, daß es in chriſtlichen Staaten an ähnlichen
großartigen durchgreifenden Zügen von Natur gewor-
den er Nächſtenliebe gebricht!
Zwei arabiſche Inſtitutionen ſind es, die hinſichts des in
ihnen entfalteten Prinzips der natürlichſten und liebenswürdig-
ſten Humanität jedem chriſtlichen Lande als Muſter vorleuchten
können, und die dem Fremdlinge auch in Kahiras Gaſſen in einer
Geſtalt entgegentreten, die ihn erkennen läßt, wie auch beim Araber
die Religion und Moral unterweilen mit den ſchönſten Künſten
verſöhnt und ineinsgebildet iſt, es ſind die Waſſerſpenden
und die Moſcheen, welche nicht nur die Hauptſtadt, ſondern jede
andere Stadt wie mächtige Lebensadern durchziehn.
Waſſer iſt im Orient, im dürren Arabien, im heißen
Aegypten, in der auelenloſen Wüſte, unter jedem ſüdlichen Him-
melsſtrich ein ſo nothwendiges Element, wie Sonne und Luft.
Hunger und Blöße werden in Aegypten, in Arabien, in der Wüſte
leichter ertragen wie der Durſt. – Der Nil mußte den alten
Aegyptern als die höchſte Segnung, als eine direkte Gabe des
Himmels, als der unmittelbare Ausfluß der Gottheit erſcheinen,
als ihre Perſonifikation; und auch der Fremdling, der nor-
diſche Menſch begreift hier die göttliche Wohlthat, die himmliſche
Vorſorge in großen und kleinen Waſſern, ihren Reiz, ihre Poeſie
in einer Weiſe, wie ihm das nie in der quellen - und ſtromreichen
Heimath zu Sinn gekommen iſt.
Welcherlei Lebensarten in Aegypten mit Komfort, mit
Poeſie, mit Liebhaberei vor ſich gehen ſollen, die werden wie in
der Türkei bei den alten Juden und im ganzen Oriente, mit
Waſſer in Verbindung gebracht. An Waſſern, an Quellen,
am Strome wird hier geſeſſen, gebetet, gearbeitet, gewehklagt, ge-
plaudert, geliebt, intriguirt, konverſirt, gedichtet und geträumt.
An Waſſern wurden von Anbeginn Dörfer und Städte gebaut.
Waſſer iſt das Grundbedingniß für das Leben der Einzelnen, wie
für die Maſſen; denn nur auf Waſſerwegen giebt es in Felſen und
Wüſten einen leichten und größern Verkehr. Mit dem Weine iſt
dem leichten Durſte gewehrt, aber der Lebensnothdurft nimmer-
mehr. Wein iſt ein Luxus und eine Arznei, aber kein Element,
in welchem der Menſch baden, in welchem die Kreatur ſich vom
Wüſtenſtaube zu reinigen und von der Hitze abzukühlen vermag.
Brot und Waſſer ſind die unentbehrlichſten und die allgemeinſten
Lebensmittel für die Menſchen und ihre Hausthiere und daher
Heiligthümer, die im tiefſten Zuſammenhange mit allen religiöſen
Vorſtellungen und Handlungen ſtehn.
Wunderbar ſollen nach den Berichten der Reiſenden die Vor-
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richtungen zum Auffangen und Bewahren des wenigen Regenwaſſers
im wüſten und ſteinigten Arabien ſein! Im Hadramaut,
einem Felſenplateau von etwa 8000 Fuß über dem Meere fand Hr.
v. Wrede (mein eben ſo unterrichteter als gefälliger Führer in Ka-
hira) einen vollſtändigen Kaffeeapparat zwiſchen Felsblöcken ver-
wahrt, Kännchen und Täßchen aus hartem Holze gemacht; ein
wenig Dornenreiſig zur Feuerung und einen kleinen Vorrath von
Kaffeebohnen, den ſelbſt der Räuber dahin reſpektirt, daß er ihn ver-
mehrt, falls er irgend mehr Kaffee mit ſich führt, als er zur noth-
wendigſten Erquickung bedarf. (Welch ein Lebensbedürfniß dem
Araber dieſes Getränk geworden iſt, beweiſet unter andern die
Thatſache, daß es neben friſchem Waſſer und Brote zu frühern
Zeiten ſogar in der Azhar-Moſchee ausgeſchenkt worden iſt).
In dem wüſten Arabien wird ſelbſt vom räuberiſchen Be-
duinen jeder Platanenbaum in der Nähe von Wohnungen aufs
ſorgſältigſte und wie ein Heiligthum umzäunt. Dahingegen kennt
der gemeine Mann in Polen und Weſtpreußen, der fix und fertige
Chriſt, der dem Chriſtenthum bereits entwachſen ſein ſollende Ur-
wähler, notoriſchermaßen keine witzigere Genugthuung, als junge
und alte Bäume an den Landſtraßen zu beſchädigen und ob er ſich
eben auf Gartenanpflanzungen legt, danach mögen ſich die gelang-
weilten Geſchäftsreiſenden in meinem lieben Vaterlande umthun.
Selbſt unſere ehrenwerthen Stadtverordneten und wohlweiſen
Magiſtrate ſind bei wenig Gelegenheiten ſo geſchäftig, ſo gewiſſen-
haft, flink und präzis in der Exekution von Wünſchen nnd Verord-
nungen, oder im ſtrikten Feſthalten von Prinzipien als wenn es das
Niederhauen von Bäumen vor den Häuſern gilt, und ſoll-
ten es auch ſolche ſein, die ohne Schaden und Gefahr noch in
Gottes Namen hätten ſtehen bleiben können, gleichwie im Namen
der Poeſie und der elementaren grünen Natur, mit welcher
allerdings die Polizei in Konflikte zu gerathen pflegt.
1 74
Um aber wieder auf das Waſſer zurückzukommen, ſo habe ich
zu berichten: Faſt in allen Gaſſen fallen dem Fremden die größern
und kleinern, gewöhnlich im Halbzirkel gebauten, mit ſchönem
Gitter- und Schnitzwerk in Holz, Eiſen und Stein geſchmückten
Brunnenhäuſer auf. Es ſind Stiftungen von Reichen und
Vornehmen, Waſſerſpenden für das Volk. Das klar und kühl
gemachte Element des ſegensreichen Nils fließt da in ſteinernen
Rinnen, oft in ſchönen Marmorbehältern zur Erfriſchung für Je-
dermann. Eine Reihe blanker Meſſingbecher ſind an Kettchen zum
Gebrauch hingehängt, und der elendeſte Bettler, der von der Wüſte
heimkommende, verſtaubte Kameeltreiber löſcht vor dieſen ſchönen,
mit kühlenden Hallen, Höfen, Niſchen und Sitzbänken verſehenen
Gebäuden an der „Moje helba“ (dem friſchen Waſſer) ſeinen Durſt;
und wen ſein Weg an gewiſſen Moſcheen vorbeiführt, der erhält
auch noch, falls er ein Pilgrim und Bedürftiger iſt, gegen den
Hunger ein weißes Brot. Man muß dieſe Waſſerſpenden geſehn,
man muß verſchmachtet, ſelbſt mitgetrunken haben, um auch noch
in der bloßen Erinnerung lebendig und mit Seele zu begreifen,
was für ein ſchönes, natürliches und ewig wahres Men-
ſchenthum ſich in ſolchen Anſtalten manifeſtirt, und in
welch poetiſcher, jedes Menſchenherzergreifender Geſtalt.
Bis in die Vorſtadt und in die Wüſte hinein ziehen ſich die
kleinen Waſſerſpenden „Ssibihl“ genannt und in der älteſten
Moſchee, der von Amru, welche im einundzwanzigſten Jahre der
Hedſchra aus alten Säulen und Fragmenten von der Feſte Baby-
lon am Mokattam gebaut worden iſt, den älteſten (wiewohl ver-
mauerten) Spitzbogen aufzuweiſen hat, und deren Hauptkuppel
das blaue Himmelsgewölbe vorſtellen muß: Hier findet der Rei-
ſende nicht nur, wie in allen Moſcheen, einen Brunnen für ſeine
Abwaſchungen, ſondern eine Karawanſerei mit Stallungen für Eſel
und Kameel. -
175
Mit faſt allen Moſcheen, und darum auch mit denen, welche
man die Kalifengräber (Gräber der ägyptiſchen Sultane) nennt,
waren urſprünglich milde Stiftungen von jeglicher Art in Verbin-
dung gebracht, die zum Theil bis auf dieſen Tag noch beſtehn.
In dieſen Moſcheen gab und giebt es nicht bloß ein Unter-
kommen für Reiſende, ſondern Apotheken, Irrenanſtalten, Hospi-
täler, Schulen und Austheilungen von Brot.
Mit der Moſchee El-Azhar ſollen an die 26 wohlthätige
Anſtalten für alle muhamedaniſchen Nationen verbunden ſein.
Bei der alten Moſchee Tulun beſtand eine Apotheke; bei der Ta-
launs, der „Moriſtan“, ein Irrenſpital, mit der Moſchee El-Azhar
iſt noch heute eine Art von Akademie verbunden. Die religiöſe
Bedeutſamkeit von Damaskus hat ſich im Verlauf der Zeiten auf
Bagdad, und von da ſolcher Geſtalt auf Kahira übertragen, daß
die Moſchee El-Azhar der Mittelpunkt der heutigen arabiſchen
Gelehrſamkeit geworden iſt. Es wurde hier von dem Sultan
Aziz-Billah eine Hochſchule für Theologie und Rechtswiſſenſchaft
geſtiftet, ſie erklärt ſeitdem den Koran und das weltliche Recht.
Hier lehren die ausgezeichnetſten arabiſchen Gelehrten und geben
in ſtreitigen Fällen ihre Entſcheidung mit einer Autorität, der
man den Reſpekt nicht verſagt. Zwölf Scheikhs ſtehen an der
Spitze der Akademie und mehr wie 1000 Schüler bilden ihren
Beſtand.
Außer den grandioſen Zeugniſſen für die Humanität und
das ideale Organ der Araber giebt es aber auch der kleinen und
gewöhnlichen genug, und vielleicht heben ſich die rein menſchlichen
Elemente an den barbariſchen nur um ſo effektiver hervor. Denn,
wenn irgendwo in der Welt, ſo ſind in Kahira alle Kontraſte auf
dem Appell. Hier wird die gedrängte geſtopfte Menge von dem
1 76
Kawaß oder den Läufern der Prinzen, Generale und hohen Be-
amten, mit Peitſchen auseinandergetrieben, und dort werden Eſel
berittenen Damen (Sittehs, die bis auf die gelben Saffianpan-
toffelchen in große bauſchige, ſchwarzſeidene Dominos gehüllt und
mit Schleiern oder weißen Kattunmasken vor dem Geſichte ver-
ſehen ſind, das nur ein Paar dunkelblitzende ſpähende Mährchen-
und Odalisken-Augen zeigt), nicht bloß ſorgſamlichſt von ihrer
Dienerſchaft unterſtützt, ſondern auch vom gemeinſten Manne mit
natürlicher Diskretion und in allen Eventualitäten z. B. im
ärgſten Gedränge mit dem förmlichſten Reſpekte traktirt.
Während im Uebrigen aber in dieſem Straßenwirrſal Alles
durcheinander kreiſet und brüllt, als ſollte Kahira noch ein Kahira
gebären, alſo von Ziel und Maß, von Ordnung, Polizei und von
ordinairer Menſchenvernunft kaum die Spur zu verſpüren iſt,
halten die kahiriniſchen Hunde auf ſo ſtrenge Disziplin, daß
ſich kein Hund aus ſeinem Revier in ein anderes hinüberpaſchen
darf, ohne ſich ſofort in ſeine Grenzen zurückgewieſen zu ſehen.
In dieſem Augenblick hör und ſeh' ich ein vor Wuth halb
raſend gewordenes Fellahweib Himmel und Erde zu Zeugen des Be-
truges anrufen, den ein Quinquailleriekrämer bei dem Verkauf von
ein Paar Bronze-Ohrringen (zum Preiſe von 6 oder 9 Pfennigen)
an der Unglücklichen verübt haben ſoll, und da ich nordiſcher Pſy-
chologe und Ethnograph in dieſe echt arabiſche, wuthgeſchnobene
und ſchaumgeborene Demonſtration, halb verblüfft meine Tief-
denkernaſe mit abſolut objektiver Parteiloſigkeit hin-
einſchiebe, um womöglich Recht und Unrecht bis auf & De-
zimalſtellen zu berechnen, ſo läßt die ſchakalheulende, heiſer
ſchreiende Megäre einen unſchuldigen Soldaten los, den ſie als
Zeugen bis dahin bei der weißleinenen Uniformjacke feſtgepackt
hielt, und beſchwört nunmehro meine Zeugenſchaft, indem ſie mich
beim Kragen nehmen will, was mich dergeſtalt ins Gedränge bringt,
1 77
daß ich die um 3 Pfennig Geſchädigte mit einem Piaſter ſchadlos
halte, durch den ſie ſofort zur tanzenden Luſt-Bachantin verwandelt
wird. Während nun dieſe frühverwelkte Tochter der arabiſchen
Natur, die Freude über ihren unvermutheten Schickſalswechſel in
improviſirten Tanztouren und Guttural-Rhapſodien, (die
eben nicht von Bajaderen und Grazien diktirt ſchienen) dem um ſie
geſchaarten Menſchenknäuel zum Beſten giebt, bewegen ſich junge
Gaſſenweiber in der zierlichſten Haltung und Attitüde, mit den
ſonderbarſten Laſten, welche je von Grazien häuptlings getragen
worden ſind, durch den wirren Strom. Und was bedeuten die in
einem Netzwerk mit graziöſeſter Armbewegung auf dem Kopfe halb
gehaltenen und halb balancirten Cylinder? Sind es Baumkuchen
oder Glaswaren, oder Kopfzeuge, die mit ſo viel Delikateſſe und
mit ſo viel Schönheitsgefühl emporgehalten werden, daß die Beu-
gung des zum Haupte emporgehaltenen, ſchön modellirten Arms
mit ſeinem feinen Ellbogen wie der Henkel einer grie-
chiſchen Vaſe erſcheint? Bewahre, es ſind hochaufge-
ſtapelte Fladen von Dünger, der, zumal in der ägyptiſchen
Kapitale, wegen gänzlichen Mangels an Brennmaterial, ein ſo ge-
ſuchter und koſtſpieliger Artikel iſt, daß er von Kindern und armen
Leuten faſt in dem Augenblick aufgeſammelt wird, wo ihn das
Thier auf den Boden fallen läßt.")
Jene dramatiſch-plaſtiſche Scene vor dem Krambüdner im
großen Bazar, der durch Matten von oben her in ein ſtehendes
*) Wie zähe man hier überhaupt im Ankauf von Feuerungsgegen-
ſtänden iſt, kann unter Anderm aus der Thatſache abgenommen werden,
daß die Dampfmaſchinen der Regierung mit Baumwollkernen ge-
heizt werden. Dieſe enthalten allerdings Oel, ſind aber doch kein paſ-
ſendes und noch weniger ein gouvernementales oder fürſtlich anſtändiges
Brennmaterial.
12
1 78
Halbdunkel verſetzt iſt, an das man ſich erſt gewöhnen muß, und
wo jeder Gattung von Waaren eine aparte Gaſſe angewieſen
bleibt, ließ mich näher den Pfennigtand rekognosziren, der hier
dem Volke feil geboten wird. Es ſind die deutſchen Silbergro-
ſchenbuden aufs Intereſſanteſte und Phantaſiereichſte ins Ara-
biſche überſetzt. – Wer dieſe Reichthümer von Muſcheln, Bronze,
Dattelkernen und Glas, dieſe Fünf-Para-Bijouterien, dieſe Witz-
und Phantaſieſtücke der Wohlfeilheit, dieſe himmelſchreienden
Hungerzeugniſſe der Fabrikenarbeiter, dieſe raffinirteſten Anſchläge
und Attentate auf die arabiſche Geldzähigkeit nicht beobachtet, wer
nicht geſehen hat, wie vor dieſen Buden arabiſche Armuth und
arabiſche Weiberknauſerei, mit nackter Putzlüſternheit und ägyp-
tiſch - kaufmänniſchen Ueberredungsliſten durcheinanderge -
kämpft werden, mit welchen Phantaſie- und Erfindungskünſten
in den unſcheinbarſten und gemeinſten Stoffen, doch endlich von dem
arabiſchen Fabrikanten und Kaufmann der Sieg über Bettelarmuth
erfochten, und wie aus dem ausgeſogenen Fellah, aus dieſem ver-
preßten Oelkuchen, noch ein letztes Tröpfchen Oel im poeti-
ſchen Deſtillationswege extrahirt wird, der hat keinen
Blick in die kleinen und alltäglichen Volksmyſterien und in die
arabiſche Seele hineingethan.
Man kann nichts Intereſſanteres als dieſe arabiſche Bauern-
quincailleriewaare ſehen, die im Allgemeinen eine frappante Aehn-
lichkeit mit derjenigen hat, die von Band- und Bündeljuden
auf polniſchen und weſtpreußiſchen kleinen Jahrmärkten feil ge-
boten wird; wenn gleich Artikel vorkommen, die nur in Aegypten
zu haben ſind; als z. B. Ohrgehänge von wunderſchönen gerſt-
korngroßen Conchilien, ſogenannten Schlangenköpfen aus
dem rothen Meer; Roſenkränze aus den alabaſterweißen, knochen-
harten Fruchtkernen der Dom- oder Dum-Palme; Perlen und an-
dere Arbeiten von rothen Korallen, Perlmutter, Jaspis, Karneol,
1 79
Obſidian, edelm Gips und verſteinertem Holz. Armringe aber
und Korallen von farbigen Gläſern, die wie ich hörte, in Paleſtina,
in der Gegend des ehemaligen Haines von Mamre angefertigt
werden, ſind im beliebteſten Geſchmack; ebenſo kleine Taſchenſpie-
gel und Taſchenkneife d. h. bleiweiche Einlegemeſſer von der Sorte,
die bei polniſchen Bandjuden im Gebrauche iſt; vor allen Dingen
aber die im Lande fabrizirten und in großer Menge um 5 Para
(3 Pf) feil gebotenen Pfeifenköpfe von rothem, feinem Thon,
in allerlei Formen gepreßt, die auch auf polniſchen Jahrmärkten
in ähnlicher Form zu haben ſind.
Und neben dieſen Scenen des Marktens, des Feilſchens, des
Getümmels, des Gezänkes und einer tauſendfältig genährten und
in Scene geſetzten Leidenſchaftlichkeit, trifft man in allen Winkeln
und auf allen Plätzen, insbeſondere auf dem Rumeyleh oder
Romeliplatz (an welchen im Süden der lange Zkara-Meydan-
platzgrenzt) auf ſtillhockende, aufmerkſam zuhorchende Volksmaſ-
ſen, die um einen Gaukler, Athleten und Poſſenreißer, um einen
Heiligen, einen drehenden Derwiſch (Sikr) oder um Schlangen-
beſchwörer, (Psyllen)“) und endlich um die allbeliebte und überall
*) Die Pſyllen ſtammen aus uralter Zeit. Unter allerhand Be-
ſchwörungen und Locktönen, die dem Gluckſen der Bruthühner ähnlich
klingen, gelingt es ihnen, die Schlangen aus ihren Schlupfwinkeln her-
vorzurufen. Unſer Derwiſch brachte uns giftige Schlangen und Skor-
pionen ins Haus. Ein kleine Truppe Straßenkomödianten führten auf
dem Markte ein Stück auf, in welchem eine verkleidete Mannsperſon die
Rolle eines zänkiſchen Weibes darſtellte und den Hausherrn mißhandelte.
Die Taſchenſpieler „Hhöwah“ werden feſtgebunden in einen Sack geſteckt
und bringen ſo Künſte zu Wege, die Keiner mit freien Händen verrichten
kann. Unter all dem Volk ſchleichen auch Zigeuner (Ghujars) umher.
Abgerichtete Hunde und andere Thiere ſieht man oft. Man hat ſogar
gelehrte Kälber, die vor dem Volke allerhand Künſte machen, ihre
Hochſchule iſt beim Grabe eines Heiligen; ſo berichtet Schubert.
Lichtenberg erzählt von einem mißlungenen Verſuch, ein Kalb zum
12*
1 80
anzutreffende „Fantaſia“ gruppirt ſind. Die Araber nennen näm-
lich im Allgemeinen jede Art von vergnüglicher Unterhaltung eine
Fantaſie, im beſtimmteren Sinne iſt ſie aber Tanz und Muſik; der
erſtere von jungen Burſchen ausgeführt, welche die üppigen Be-
wegungen der nach Esneh verbannten Almehs und Hetären in der
Hüftenpartie nicht eben auf die dezenteſte Weiſe nachahmen. Die
Muſik aber wird auf der „Darabukah“, einem dumpftönenden
Tamburin") und auf der „ Zumarah“ gemacht, welches letztere
Inſtrument in einer doppelten Rohrpfeife beſteht, auf welcher ein
Grundton wie beim Dudelſackſpiel feſtgehalten und ein Ton pro-
duzirt wird, der wie eine näſelnde Oboe oder eine Savoyarden-
Leier klingt, an deren Darmſaiten ein Rad umhergedreht wird;
wobei zu bemerken iſt, daß die arabiſche Tonleiter nicht nur aus
halben, ſondern auch aus Drittel, Viertel und Achtel-Tönen oder
Intervallen beſteht, die beſonders beim Geſang in Anwendung
kommen und eine unſagliche Melancholie und Wehklagen ausdrük-
ken können. Wer Synagogen-Lamentationen, z. B. während der
langen Nacht, angehört hat, der gewinnt eine Vorſtellung von dem
Charakter der arabiſchen Muſik, die nebenbei geſagt, nur Melodie
und nicht einmal die Elemente der Harmonie, das einfachſte Zu-
ſammenwirken oder gar die Verflechtung mehrerer Stimmen zu
einer Totalwirkung kennt und zwar aus dem Grunde, weil Har-
monie eben das Widerſpiel der arabiſchen wie jüdiſchen Kultur
und Natur zu ſein ſcheint. Der Fluß und Wechſel der Melodie
liegt dagegen viel beſſer im Element und Naturell dieſes ewig
reizbaren, farbenſchillernden und phantaſiegeweckten Volkes. –
Apportiren abzurichten, und dieſer Witz wird in Aegypten zur Wahrheit
gemacht, nil desperandum, d. h. in dieſem Falle; es realiſirt ſich jede
Tollheit irgendwo und wann oder wie in dieſer bunten Welt.
*) Ein trichterförmiges, aus Thon gebranntes Gefäß, welches an
ſeinem weitern Durchmeſſer mit einer Haut überſpannt iſt.
181
Der Sohn des Steuermanns auf meiner Nilbarke, ein Junge von
etwa 13 Jahren, ſang mit merkwürdig klangreicher und in Figuren
geübter Stimme höchſt wunderbare und ergreifende Lamenta-
tionen ganz im Styl unſerer jüdiſchen Muſik. – Man wird bei
jeder Gelegenheit erinnert, daß Juden und Araber derſelben Race
angehören und demſelben Klima und Volksſtamm entſproſſen ſind.
Des ſtillſten Publikums haben ſich die Märchenerzähler zu er-
freuen, die an allen Orten und zu allen Tageszeiten, in der Regel
zU Zweien und Dreien anzutreffen ſind, ſo daß von Zeit zu Zeit ein
aſſiſtirender Chorus und eine Ablöſung möglich wird, ſo bald einer
ermüdet oder von ſeinem Phantaſiewitz im Stiche gelaſſen wird.
Hat man ſich nur von dem erſten betäubenden und Sinne
verwirrenden Lärm befreit, aus welchem die ewig ungeſchmierten
Eſel- und Ochſenkarren ſich gleichwohl noch einen Separateffekt
herausſchneiden, der einem gefühlvollen und muſikaliſch ge-
ſtimmten Reiſenden noch über das Meer nachzuklingen pflegt:
dann faßt man allmälig auch die eben angedeuteten und eine
ganze Welt von nicht mehr aufzuzählenden Einzelheiten ins Auge,
zu denen extraordinairer Weiſe Hochzeits-, Beſchneidungs- und
Begräbnißaufzüge gehören, die von mir bereits in Alexandrien
mit angeſehen und in der Schilderung dieſer Stadt nicht ver-
geſſen worden ſind. –
Die Ausrufer auf den Gaſſen verdienen aber noch eine Mit-
theilung, die in H. Schubert's Reiſe nach dem Morgenlande ſehr
getreu und ſpeziell in nachſtehender Weiſe gegeben wird:
„Da kommen wir nun wieder einmal in der Hauptſtraße
recht in das Treiben des Volkshaufens hinein. Höre nur die
ſonderbare Art, in welcher hier die Verkäufer ihre Waaren aus-
rufen. -
Der mit den ſüßen, lieblichen Apfelſinen (ich habe ſie noch
niemals ſo ſüß gegeſſen als hier) ſchreit: „Honig, o Orangen,
182
Honig“ (Asal ja Burtukan, Asal); und doch hat der gute Mann
wenig für ſein Geſchrei, denn er verkauft zwei Dutzend ſeiner
prächtigen Burtukans um ſechs Kreuzer Münze; eine um einen
Pfennig. Der Verkäufer der Tirmis oder Lupinenkerne, welcher
noch weniger für ſeine Waare einnimmt, ſchreit eben darum noch
lauter ſein „Meded ja Imbabeh, Meded,“ d. h. Hülfe o Imbabeb,
Hülfe; womit er darauf anſpielt, daß ſeine Tirmis von daher ſind,
wo die beſten ihrer Art gebaut werden: von der Gegend des Grab-
mals eines moslemitiſchen Heiligen Namens Imbabeh und des
gleichnamigen Dörfleins.
Ein junger Menſch, welcher Wollenzeug verkauft, das mit
einer Maſchine gefertigt wird, die ein Ochſe treibt, ruft: „Schukt
es tor ja Benat,“ d. h. das Werk eines Ochſen o Töchter.
Der Verkäufer der Citronen ſingt mit heller Stimme: „Gott
mache ſie leicht, o Citronen!“ weil er wahrſcheinlich die Laſt ſei-
nes Korbes, den er auf dem Kopfe trägt, lieber ganz als halb los
wäre. Am lauteſten von all dieſen Verkäufern ſchreien aber zwei
arme Kerle, denen man es anſieht, daß aus ihnen der bittere
Hunger mitſchreit: die Ausbieter von „Libb“ oder von geröſteten
Melonenkernen, und der von einer Art von Scherbet, das meiſt
nur aus einem mit Süßholz verzuckerten Waſſer beſteht. – Jener
brüllt in tiefem Baßtone: „o Tröſter der Betrübten, o Melonen-
kerne,“ dieſer läßt ſich dazwiſchen in einem hohen, gellenden Tone
vernehmen: „für einen Nagel o Süßmeth“ – weil nämlich der
Lohn für einen Trunk ſeines Süßholzwaſſers gewöhnlich in einem
alten Nagel, oder in einem andern Stücklein alten Eiſens beſteht,
das die arabiſchen Dienſtboten und Gaſſenbuben, die im Vorüber-
gehen ſich hier laben, im Schutt und Kehricht gefunden oder
entwendet haben. Der Verkäufer von Kunafeh oder Nudeln dort
im gegenüberſtehenden Laden hört, ganz ruhig ſeine Pfeife rau-
chend, dieſen Schreiern zu und meint mit Recht, ſeine Waare werde
183
ſich wohl ſtillſchweigend verkaufen, auch kann der gute Mann jetzt
ganz ruhig ſein, ſeitdem der große Popanz Muſtapha Kaſchif todt
iſt. Dieſer Polizeibeamte hatte die Aufſicht über das Innehalten
der feſtbeſtimmten Preiſe, ſowie des richtigen Maaßes und Ge-
wichtes. – Er übte ſein Amt mit ſolcher Grauſamkeit, daß er einen
Nudelverkäufer, der vielleicht aus Verſehen etliche Heller mehr für
ſeine Waare genommen hatte als taxmäßig war, auf ein heiß-
gemachtes Nudelblech ſetzen und dazu noch auspeitſchen; einem
Metzger, der beim Abwiegen einige Loth Fleiſch zu wenig gegeben
hatte, ebenſoviel dem Gewicht nach aus ſeinem Rücken heraus-
ſchneiden; Bäckern, welche das Brot zu leicht gemacht, die
Naſenſcheidewand mit einem Stück Eiſen durchbohren und das
Brot daran hängen ließ, wobei die ſo Gemißhandelten den heißen
Sonnenſtrahlen ausgeſetzt daſtehn mußten. – Die gelindeſte
Aeußerung ſeines Zornes gegen Schuldige und Unſchuldige war
die, daß er ihnen die Ohrläppchen abſchneiden ließ.“ –
Was am häufigſten feilgeboten wird, das ſind geröſtete
Maiskolben, gekochte Bohnen (Fulmu demmes), die den weſt-
preußiſchen „Saubohnen“ gleichen und die Nacht hindurch in zu-
gekitteten Töpfen in den Backöfen gar dämpfen. – Butterkuchen
mit und ohne Honig und Paſtetchen (Eesch bi lahm), zu deren
Füllung auch das Fleiſch von den Fettſchwänzen der Schafe
benutzt wird. – An gewiſſen Orten werden ſogar ganze Schafe
in einer Blechmaſchine im Ofen gebraten, und Portionen dieſes
köſtlich ſchmeckenden Fleiſches zu einem Piaſter von denjenigen,
die ſich bene thun wollen, auf der Gaſſe verzehrt. Der Arme
iſt indeß zufrieden, wenn er zum Frühſtück ein Stückchen Eesch
(Brot) in Duck-kah, d. h. in eine Miſchung aus Salz, Schwarz-
kümmel und Pfeffer ſtippen kann. – Zum Fleiſch eſſenden Volke
184
gehörte auch meine nordiſche Perſon, und ich habe in Kahiras
Gaſſen zwei Portionen Blech-Schafbraten von Dampf mit einem
Appetit und einer Natürlichkeit verſpeiſet, indem ich dabei abwech-
ſelnd in ein ſchneeweißes Durahbrot und in eine ungeheure Bur-
tukan (Apfelſine) hineinbiß, daß ich für einen Vollblut-Araber
gelten konnte, und daß es mir heute noch ſchmeckt, wenn ich daran
denke; und ich denke öfter daran und an ähnliche Situationen und
Akte, als meiner Ruhe, d. h. der Erziehung meines Sitzfleiſches
zuträglich iſt.
Man könnte und müßte ſich todt erzählen, wenn man Alles
erzählen wollte, was es auf dieſen arabiſchen Gaſſen für Lebens-
arten und Dinge zu ſchauen giebt. Man muß ſie mitgemacht ha-
ben, ſonſt begreift man ſie nicht. Die beſte Darſtellung produzirt
kaum eine Silhouette oder Anatomie. Man muß aber die leben-
dige Perſon vor ſich haben und in ihrer Umarmung ruhen, wenn
man wiſſen will, was Liebe und Freundſchaft iſt, und ſo muß man
auch als kurioſer Reiſender mit allem Wolluſtappetit ſeine klein-
ſtädtiſche Neubegier in Kahiras Gaſſen geſtillt haben, um zu wiſſen,
mit welchen Farben, Rhythmen, Tönen und Luftſpiegelungen die
Sarazenenſtadt von unſerm Herr Gott in Scene geſetzt worden
iſt und in welchen Aufruhr die Einbildungskraft des Fremdlings
gerathen kann. Dieſe Kontraſte von Ruhe und Unruhe, von
Leidenſchaft und Apathie, von Marktgetümmel und Todesſchweigen
in den abgelegenen Gaſſen und Moſcheen; von Lebensübermuth
und Märtyrerthum, von ſinnlichem Welttreiben und religiöſem
fanatiſchem Wahn ergreifen die Seele in unausſprechlicher Weiſe.
Hier, innerhalb dieſer Mauern von Neubabylon, das bunteſte
ſinnverwirrendſte Getümmel einer Menſchenwelt und Menſchenge-
ſchichte in konzentrirteſter Geſtalt, und draußen die ſchweigende
Wüſte, die Pyramiden, die Ruinen der alten Welt, der ewig
junge friſche Nil; und in Kahira hineintönend, in all das Wirr-
1 85
ſal, in den ſinnbetäubenden, bunten Kram und Lärm: die Gebete
der Mueddins von den hunderten Minarets und ihr ſtündlicher
Ruf, der wie eine Geiſtermahnung der Geſtorbenen an die Leben-
den erklingt, und wo vernimmt der Menſch dieſe Mahnung nicht!
Auf den Madnehs der größeren Sultansmoſcheen läßt der Gebetausrufer auch
in der Nacht noch vor dem Rufe zum Morgengebet zweimal ſeine Stimme vernehmen,
zum Troſte derer, welche wach ſind auf ihrem Lager. Das erſte ſeiner Lieder, das
er bald nach Mitternacht ſingt, heißt Ula. Es beginnt mit den Eingangsworten
des gewöhnlichen Morgenrufes aller Minarets: „ Gebet iſt beſſer denn ſchlafen.“
Dann nach dem allgemeinen Glaubensbekenntntß des Islams wiederholt der
Mueddin noch dreimal den Ruf: es iſt kein Gott außer Gott, und ſingt weiter:
„Er hat Keinen, der Ihm gleich wäre; Ihm gebührt die Herrſchaft, Ihm gebührt
der Preis. Er giebt das Leben und ſendet den Tod; Er aber lebet und ſtirbet
nie. In ſeiner Hand iſt Fülle des Segens, denn Er iſt allmächtig. Es iſt kein
Gott außer Gott, und wir wollen keinen anbeteu außer Ihn, dienend Ihm in
aufrichtiger Gottesfurcht.“ – „O Herr“ (Ja Rubb, dieſe Worte werden drei-
mal mit ſehr lauter Stimme geſungen) „Deine Güte hat kein Ende; Du biſt voll
Erbarmen gegen die Abtrünnigen und beſchützeſt ihn; Du bedeckeſt das Niedrige;
läſſeſt Deine Milde walten auch über den Knecht, und befreieſt ihn aus den
Banden ſeiner Knechtſchaft, o Du Gütiger. O Herr“ (dies wieder dreimal),
meiner Sünden, wenn ich ihrer gedenke, ſind viele, aber die Gnade meines
Gottes iſt noch mehr. Ich denke nicht an das Gute, das ich gethan, ſondern
am meiſten an die Gnade Gottes. Erhaben ſei der Ewige; Er hat in ſeinem
weiten Reich Keinen, der Ihm gleich iſt.
Auch in dem andern Nachtrufe, welcher „Ebed“ (der Ewige) heißt, kommen
einige gar ſchöne Stellen vor. Er beginnt mit dreimaligem Abſingen der Worte:
Ich bezeuge den unbegrenzten Ruhm Gottes, des Ewigen, des Einen Ewigen:
Ich verkünde den unbegrenzten Ruhm deſſen, der alle Geſchöpfe ſchuf, ſie zählte
und ihnen ihren Unterhalt beſtimmte; der die Schickſale ſeiner Knechte ordnete;
der durch ſeine Macht und Größe es verſchaffte, daß reines Waſſer floß
vom Stein des Felſen. Er ſprach mit Moſes auf dem Gebirge, das aus Furcht "
vor Ihm zu Dampf und Staub ward; geprieſen ſei der Name des Ewigen,
Alleinigen.
(Schubert's Reiſen im Morgenlande.)
Die Cidatelle von Kahira.
Selbſt, wenn man aus den Geiſterräumen der Haſſanmoſchee
zu Saladins Veſte hinanſteigt, kommt man nicht aus Märchen und
Träumereien heraus; ſie haben vielmehr in dieſem wunderlichen
Durcheinander von alten wie neuen Bauwerken, ihr tauſendfältiges
wundervolles Hexenneſt und Verſteck.
Dieſe Citadelle iſt ein in der ganzen Welt nicht zum anderen-
mal anzutreffendes phantaſtiſch-babyloniſches Wirrſal von fabel-
haften Höfen und mäandriſchen Mauergängen; von Kaſernen und
Paläſten, von jach abſtürzenden Felsmauern und ſchauerlichen
Mordwinkeln, in welchen die Geiſter der maſſakrirten Mameluken-
Häuptlinge und der heimlich umgebrachten Haremsſchönheiten
umgehen. – Ruinen und Neubauten, Schutthaufen und Pracht-
bauten in Alabaſter ausgeführt; Felſenbrunnen, die bis zum Nil-
ſpiegel hinabreichen, und Minarets, die wie ungeheure Wachs-
kerzen auf Kandelabern, um das Heiligthum der Kuppeln aufge-
ſteckt ſind, durchirrt hier der Fremdling mit beängſtetem Herzen
und zögerndem Fuß.
Wenn man dieſe Kontraſte in ſo allgemeinen Andeutungen
und Zitaten zuſammenſtellt, ſo iſt es nur ein Schattenriß, eine
1 87
abſtrakte Formel, für die konkrete Proteuspoeſie, für die dämoni-
ſchen Phantasmagorieen, welche an dieſem ſeltſamſten Orte und
Bauwerke, in den unerhörteſten Verkleidungen, Geſtaltungen,
Tonarten und Metamorphoſenſpielen umherſpuken, und dann
wieder idealiſch und natürlich zum Himmel wachſen, ſobald der
Beſchauer die hohen Mauer zinnen betritt, von denen ſich eine
Ausſicht nach allen Weltgegenden hin, ähnlich wie von den Pyra-
miden oder dem rothen Berge, über das ägyptiſche Wunderland
und die Wunderſtadt eröffnet, welche der Araber in gerechtem
Stolze Ommoddunja, d. h. Mutter der Welt nennen mag. –
Mit welchen Worten, mit welchen Zauberformeln, ſoll man
denn nur entfernt die Myſterien andeuten, in die man hier unter-
getaucht wird; – die Geiſter, die Fühlungen, die Stimmen und
Tonarten, die hier beſchworen, die Regiſter der Seele, die hier
gezogen werden, ſo daß man kaum mehr weiß, ob auch noch dem
alten mitgebrachten Ich, ein Winkelchen in dem Tummelplatze
fremder, Raum nehmender Geiſter und neu aufſprießender Organe
übrig geblieben iſt.
Hat man den großen, ſtets von Märchenerzählern und Gauk-
lern, zuſammt ihrem Auditorio beſetzten Rume y lehplatz über-
ſchritten, der den Fuß der Citadelle umgiebt, ſo führt eine breite
gepflaſterte Straße zum Asab-Burgthore (Bab el Asab) bergan.
Links iſt hier eine Menagerie mit ſchönen Löwen; – ihre Wüſten-
wildheit findet ſich hier zu Menſchen, zu uniformirten Soldaten,
zum freien Sohne der Wüſte, zwiſchen Burgmauern einge-
ſperrt; – eine wunderſam polariſirte Harmonie!
Bei dem Eintritt in die innern Räume der Citadelle bemerkt
man die Spuren der alten Abtheilungen der Janitſcharenkaſernen
und des Palaſtbezirks. – Eine Pulverexploſion im Jahre 1824
hat Saladins Prachtbau in Trümmer gelegt, und neben dieſen
wird die durch Mehemed Ali errichtete koloſſale Moſchee, aus
durchſcheinendem braungelbgewäſſertem köſtlichem Alabaſter, in
eigenthümlich-phantaſtiſchem Style, langſam weiter ausgebaut.
Dann befindet ſich noch innerhalb der auf jähen Felsabſtürzen
hinangethürmten Feſtungsmauern, eine Gewehrfabrik, eine Münze,
der Divan, der Palaſt des Vizekönigs, mit einem ſchauerlich hoch
und wüſt herabblickenden Stockwerk, welches als die ehemalige
Haremswohnung bezeichnet wird. Ein hohes Minaret mit einem
Kuppelaufſatz von blaugrün glaſirten Ziegeln, vollendet den fabel-
haften Eindruck, den dieſer formlos gygantiſche Palaſt mit ſeinen
wüſten, himmelhohen, monotonen Mauerflächen, und kleinen, un-
regelmäßig angebrachten Jalouſiefenſtern, in der Seele hervor-
bringen muß; weil man ſich dort die Schauerräume und Laby-
rinthe aller möglichen Despotenausſchweifungen, Leidenſchaften
und Verbrechen imaginirt, – So geſchieht es denn ganz unwill-
kürlich, daß ſich zu der abenteuerlichen Romantik die Geſpenſter
der Schauderempfindungen heranſchleichen. Man durchſchreitet
all' dieſe von Wachen beſetzten, todtenſtillen, weiten und engen
Höfe, dieſe in Trümmern liegenden alten Bezirke und neuen Ab-
grenzungen; dieſe unbegreiflichen Verſteckwinkel und architektoni-
ſchen Irrgänge, mit einem ſonderbar aufgeregten Gewiſſen, mit
einem Alpdrücken, wie wenn man ſelbſt mit großen Verbrechen be-
laſtet wäre, oder jeden Augenblick zu irgend einem graußlichen
Torturverließ und Mordwinkel fortgeſchleppt werden könnte; –
und wie Vielen iſt's ſo geſchehen! –
Die Grundſtimmung einer armen Winkelpoeten- und Klein-
ſtädterſeele in dieſem kurioſen Rendezvous von alten und neuen
Bauten und ſolchen Verbrechen; vor dieſen Henkerſtätten des
ſchamloſeſten Eidbruchs, des Verrathes einer unter Wilden heilig
1 89
geachteten Gaſtfreundſchaft, an den Hunderten der zuſammenge-
hauenen und geſchoſſenen Mamelukenhäuptlinge, (von denen ſich
nur ein Einziger durch einen Sprung ſeines Roſſes von hoher
Mauer herab gerettet hat). Dies Alles iſt ein unbeſchreibliches
Chaos von dämoniſcher Poeſie. – Die Seele liegt hier in Traum-
delirien, in wolluſtgrauſenden Märchen- und Abgrundsempfin-
dungen, ohne Namen und Geſtalt. – Es war in der romantiſchen
Ordnung, daß wir jetzt zum Joſephsbrunnen kamen, der 250 Fuß
tief in den Fels gehauen iſt, und um deſſen Wände ein ſchnecken-
artig gewundener Gang bis auf den Grund hinabführt: denn ich
verſenkte in ſeine unausſprechlich ſchauerlichen Tiefen, aus denen
das 18 Grad Réaumur warme Nilwaſſer durch ein von Ochſen
getriebenes Schöpfwerk heraufgeholt wird, meine Traumgeſichte
und Teufeleien,') und ſie durften ſich nicht weiter zu mir finden,
als ich an den Mauerbrüſtungen ſtand, von welchen man die welt-
berühmte Ausſicht über die tauſend Schönheiten und Wunder des
alten und neuen Aegypterlandes mit verzückten Sinnen genießt,
Zuerſt ſchaute ich meiner Gewohnheit gemäß auf das nächſte, alſo
hier von ſteilen Mauerabgründen auf die Haſſanmoſchee, die Ge-
bäude der Kanonengießerei, auf den Rumeyleh und den ſich ihm
anſchließenden langen Zkara-Maydanplatz herab. Aber, dieſe von
oben wüſt und fabelhaft anzuſchauenden Räume, auf denen das
Menſchentreiben ſich zu einem Gewimmel von Zwergen verjüngt,
hielten mich nur einige Augenblicke von dem bis zur Wüſte krei-
ſenden, Leben athmenden Weltbilde zurück, das einer ſchwellenden
') Dieſer Waſſerſtollen wird Joſephsbrunnen genannt, wiewohl
er von Juſuf Saladin bei dem Bau der Veſte zu Ende des 12. Jahrhun-
derts nur gereinigt ſein ſoll, und wahrſcheinlich aus der Zeit herrührt,
wo auf der Stelle der Burg der verſchwundene Ort Liui Tkeschromi
ſtand.
19()
Frucht ähnlich, nur ſeinen Steinkern in den Steinklum-
pen und Gaſſenlabyrinthen der Sarazenenſtadt hat.
Im Nordoſten dehnt ſich am Abhange des Mokattam die
Mamelukengräberſtadt in einer Länge von mehr als dreiviertel
Wegſtunden gleich bei den Thoren der Stadt hin. – Jenſeits der-
ſelben, am Saume einer weiten, nur ſpärlich von Sykomoren,
Dattelpalmen und Tamariskengruppen, gleichwie von weißen Ge-
bäuden unterbrochenen Ebene, die ſich in die arabiſche Wüſte ver-
liert, taucht der hohe Obelisk von Heliopolis auf, wie ein
Grenzſtein des Weichbildes und Geſichtskreiſes der ungeheuern,
im Schutze der Akropolis ausgebreiteten Hauptſtadt des Nils, auf
deren Gräber und Paläſte, auf deren Siegesthoren und Schutt-
haufen, auf deren lebendige und todte Myſterien man aus der
Vogelperſpektive herabblicken darf.
Im Südweſten führt da der alte Aquädukt die Nilwaſſer bei
der uralten Amru-Moſchee ins Land; und wie majeſtätiſch treibt
der geheimnißvolle, zur Gottheit gemachte Strom, ſeine Wogen
zwiſchen Gizeh und Alt-Kairo der Inſel Rudah entgegen, die wie
ein grünes Bollwerk und Wehr, oder wie eine ſchwimmende
Opfergabe von Blumen und Früchten der alten Nilgottheit von
der ſiegreichen Kahira entgegengeſendet wird. Dem paradieſiſchen
Eilande ſchließen ſich die Plantagen Ibrahims in Foſtat an;
aber in dem ungeheuern Panorama erſcheinen dieſe grünen Maſ-
ſen nur wie ein Smaragd, auf dem flüſſigen Silber des ſegen-
ſpendenden Stromes, welcher gleichſam einem unbekannten Nichts
entquollen, ſich wiederum im Weltmeere ins Nichts zurückwandeln
muß. Aber an ſeinen vorübereilenden, ſich ewig bildenden und
ewig verſchwindenden Wogen, ſtehen als Gegenſatz im fortwälzen-
den Strome der Zeiten, die ins Meer der Ewigkeit münden, die
im vollen Sonnenlichte marmor weiß ſchimmern -
191
den Pyramid en maſſen feſt, wie die Felſen, durch welche
die libyſche Wüſte in langer monotoner Linie von der grünen
Nilniederung abgeſchnitten wird. – Und jene ewigen Bauwunder
zeichnen ihre koloſſalen Dreiecke in den klaren Aether, zum Zeichen,
daß es in allem Wandel und Fluß der irdiſchen Dinge und Zeiten,
auch ſchon hienieden ein Feſtes und Unwandelbares geben darf
und ſoll. –
Die Kalifengräber.
Von Allem, was einer chriſtlichen Kirche zu
gleichem Zweck zu Gebote ſteht, Gemälde, Heiligen-
bilder, glänzender Altarſchmuck, Muſik, Weihrauch,
Blumen, – hat die Moſchee nichts! – ſie muß den
Stein geſchmeidig machen; und ſie thut es. –
(Hahn - Hahn.)
Die Kalifengräber liegen im Süden von Kahira, zu dem
wunderſchönen Thore des Sieges heraus. Sie bilden am Saume
der Wüſte eine geſonderte Stadt, eine Nekropolis von vielleicht
hundert prachtvollen Moſcheen, – an denen ſich die Kunſt der
Bildhauer erſchöpft, und die Bildkraft der arabiſchen Phantaſie
in einem unerſchöpflichen Arabeskenwitze ein Denkmal geſetzt hat,
das ſo lange dauern wird, wie es noch Künſtler, Architekten,
Poeten, Myſtiker, Symboliker oder irgend einen Deſſinzeichner,
Spitzenklöppler und Piquéefabrikanten auf dieſer Erde geben
wird. –
Wer dieſe ſeit dem 9. Jahrhundert begonnenen Begräbniß-
bauwerke, unter welchen die Moſchee des Sultan Beruth die
193
ausgezeichnetſte iſt; wer dieſe von Außen und von Innen mit
Reliefſkulpturen und Moſaik bedeckten, von Sand- und Kalkſtein-
blöcken aufs Sauberſte zuſammengefügten Prachtkuppeln mit ge-
ſunden Augen und Sinnen geſehen hat, dem iſt klar geworden,
welchen Quellen die „Motive“ zu den gothiſch-architektoniſchen
Bildwerken, die myſtiſchen Konfigurationen und „Ara-
besken“, die Sproſſenwerke, Roſetten, Pyramiden, Baldachine
und Sakramentshäuschen an den deutſchen Münſtern entſtammen;
denn dieſe Quellen ſind an den arabiſchen Wunderkuppeln wie ein
verſteinerter Sprudel anzuſchauen, der in ſeinem myſtiſchen Wi-
derſcheine Palmen, Sterne und Blumen erkennen läßt, aus denen
jene Steinmuſter in Wirklichkeit zuſammengedichtet ſind.
Die deutſchen, engliſchen und franzöſiſchen Kreuzfahrer wur-
den von der arabiſchen Phantaſie, von der orientaliſchen Myſtik
angeſteckt; das begreift ſich ohne allzuwitzige Kombination; –
unbegreiflicher ſind die ganz und gar modernen Piquée- und bra-
banter Kantenmuſter auf der auswendigen Seite aller Kuppeln, in
eitel Steinblöcke ſo haut-relief ausgehauen, daß das Bildwerk faſt
eine Viertelmeile weit in dem klaren Aether ſtudirt werden kann,
wiewohl es ſo wunderbar figurirt und verſchlungen iſt, daß man
die Muſter kaum mehr abzeichnen kann, ſondern mit einem Da-
guerreotyp abnehmen muß. – Dieſe Antizipation der Neuzeit,
durch die früheſte muhamedaniſche Kunſt, ihre frappante Wahl-
verwandtſchaft mit dem Modengeſchmack von geſtern und heute,
dies Faktum in Stein, macht ſelbſt einem Alles erklärenden und
ausklärenden Sachverſtändigen von Profeſſion ein Loch in ſein
Handwerksraiſonnement, falls er nicht annehmen will, daß die
modernſten gleich den mittelalterlichen Deſſins von den Kalifen-
gräbern geholt worden ſind, – was doch gar zu kurios zuſammen-
gereimt wär. – Sei ihm indeß wie ihm wolle: auch an dieſer
13
194
muhamedaniſchen Mauſoleen- und Moſcheenarchitektur werden dem
Beſchauer förmliche Muſterkarten von kunſtgereimten Kontraſten
inſinuirt; – das iſt mal ſo der arabiſch-ismaelitiſche Witz.
Und dieſer, alle Gegenſätze Stirne an Stirne kittende Phan-
taſiewitz des Wüſtenſohnes, welcher von der Wirklichkeit wenig
mehr als Wüſtenſandkörner und Sterne, fatamorgana, leiſe Wol-
kengebilde und keinmal die Formen- und Konvenienzgeſetze des
künſtleriſchen Geſchmacks zu Geſichte bekam, dieſer halbnaive
und halbraffinirte, komiſch-erhabene, ſinnlich-abſtrakte, me-
taphyſiſch-phantaſtiſche Bilderverſtand des arabiſchen Ismaeliten
charakteriſirt und dirigirt auch heute noch den unverwüſtlichen,
dreimal rektifizirten Juden verſtand und ſeinen immer wieder
aus der Wurzel aufſchlagenden, ſtets ſchlagfertigen Witz,
für welchen kein Geſchmacks-, kein Natur- und Gottesgeſetz exiſtirt,
dem er nicht ein Schnippchen zu ſchlagen verſteht, ein Witz, der
jedes Ding unter dem Scheine der Wahrheit mit ſeinem ſchreiend-
ſten Gegenſatze zu paaren verſteht.
Welche Sinnbilder, welche Allegorieen Himmels und der
Erden ſprechen auch von dieſen Bauwerken, die mit den altägyp-
tiſchen verglichen, einer Epigonenzeit angehören, zu Demjenigen,
der ſie mit innern und äußern Sinnen zugleich anſchauen will.
Es ſind nicht allein die Wunder der Skulptur, nicht die un-
erſchöpflichen Konfigurationen kryſtalliniſcher und vegetativer Mo-
tive, – nicht die myſteriöſen Verſchlingungen von Baumſtämmen
und Aeſten, die ſich zu gothiſchen mit Sternen gekrönten Spitz-
bögen verſchränken; – es iſt nicht der kühne Kuppelbau allein,
der von Außen mit einem Reifen von blau verglaſeten und ge-
muſterten Ziegelſteinen geſchmückt, von Innen zuweilen die
Windungen eines Schneckengehäuſes imitirt; es ſind
nicht die wunderſam zuſammengeſtellten Niſchenetagen, die Grot-
195
tenwerke, welche wie Stalaktitenhöhlen anzuſchauen ſind: – es
ſind noch andere und ſublimere Myſterien bei dieſen Wunderbauten
im Spiel. Der Wüſtenſand häuft ſich an den Wänden der Mo-
ſcheen in die Höhe, der wolkenloſe Himmel und die Naturwüſte
gucken durch die hohen Fenſter in die kunſtgeſchmückten, ſtillen,
leeren Geiſterräume, deren Wände und Fußböden mit farbigen
Marmorſteinen, mit verde antico und Roſenporphyr, mit Perl-
mutter und Jaſpis, mit den Edelſteinen der Wüſte, in den wun-
derbarſten Muſtern ausgelegt ſind. – Es iſt ja eine Wüſten-
kunſt und eine Wüſtenreligion; ſie haben ſich aus der Wüſte
hervorgebildet, und löſen ſich Augenblick um Augenblick wieder in
die Wüſte zurück. – Zwiſchen ihr und dieſen Grabmälern der
Kalifen thürmen ſich bereits Berge von Trümmern und
Schutt, auf denen die Mühlen ſtehen, die das tägliche
Brod mahlen.
Dieſe Mühlen, die der Wind treibt, werden um des Brodes
willen bleiben und erneut werden, ſo lange der Menſch in Fleiſch
und Bein wandeln muß. – Dieſes Erdenbrod wird gegeſſen
werden bis zu dem Tage, da ein himmliſches Manna an die Stelle
der irdiſchen Speiſe treten ſoll; – aber bis das geſchieht, wan-
delt ſich der Glaube, der dieſe Grabkuppeln gewölbt und mit
Bildwerken geſchmückt hat, vielleicht früher, als ſie der Wüſtenſand
begräbt; – da wandeln ſich die Bedürfniſſe des fortſchreitenden
Geiſtes, der ein ſo einheitlicher, und doch ein ſo mannigfaltiger
und wetterwendiger iſt, wie die Natur, von der er hienieden nicht
minder, wie vom heiligen Weltgeiſte geſpeiſet wird. – Und es
treiben die lebendigen Vorſtellungen und die beſeelten Ideen im
ewig wechſelnden Wogenſpiele dem Meere der Ewigkeit zu, aus
welchem ſie im Wolkenthau und Regen auf die dürſtende Erde
niederfallen, ihre Quellen zu ſpeiſen. Und die dürren Sandkörner
-
13*
196
der abſtrakten unfruchtbaren Schulbegriffe, gleich wie der todtge-
borenen egoiſtiſchen Sinnen gedanken wetzen ſich zu Staube,
und wirbeln ſich zu loſen formloſen Haufen empor, auf denen kein
Grashalm Wurzel faſſen kann, weil ſie der himmliſche Wind hin-
trägt, wohin er will, und weil er ſie ebnet und zerſtreut, wie er ſie
zuſammengehäuft hat; dies iſt die Sprache der Wüſte und die
Predigt, welche mein inneres Ohr in den arabiſchen Grab- und
Wüſtenkirchen der todten Kalifen vernahm! –
Die Haſſanmoſchee und der rothe Berg.
Von der ſpätern Grazie, der Ausſchmückung iſt bei der Amru-
Moſchee noch keine Spur; aber dieſe langen, lichten, von 238 Mar-
morſäulen getragenen Hallen machen einen wahrhaft edlen Eindruck.
Man begreift, daß geradeſo die glühenden Anhänger einer Religion
bauen mußten, denen der myſtiſche Dienſt der Heiligen und Bilder ein
Greuel war; die keine Opfer zu bringen, keine Myſterien zu vollziehen
hatten, und die ſich in dem jugendlichen vollen Purismus
einer neuen geiſtigen Lehre, welche ſich klar wie ein Rechnen-
exempel ausſprach, durchaus begnügt fühlten. Für Phantaſie und
Gefühl iſt hier nichts! – aber auch gar nichts! – dennoch kann ich
nicht ſagen, daß ich jene Dürre empfunden hätte, wie in Konſtanti-
nopel zwiſchen den hohen kahlen Mauern der Moſcheen. Nein! aber
ich dachte: o Himmel, hier müſſen Geiſter ihren Gottesdienſt
halten und keine Menſchen. Der Menſch will noch etwas Anderes,
will Symbole, will Bilder, Geheimniſſe, will Begrenzung, – und
nicht bloß dieſe unendliche Klarheit, die beinahe wie eine winterliche
Sternennacht meiner nordiſchen Heimath wirkt, erhaben, daß man
ſchauert.
(Orientaliſche Briefe von Ida Gräfin Hahn-Hahn.)
Das Frankenviertel liegt am nördlichen, die Zitadelle am
ſüdöſtlichen Ende Kahiras auf einem Vorſprunge des Mokattam.
Man reitet alſo zu dieſer von Juſuf Salaheddin (Sultan Sala-
din) angelegten und von Mehemed Ali faſt ganz umgebauten Veſte,
durch die ganze Länge Kahiras, das über einen Raum von faſt
einer Quadratmeile ausgebreitet iſt.
Die bei dem nothwendig raſchen Ritt immer neu wechſelnden
Szenen und Bilder; die vielfältigen Myſterien eines endloſen
1 98
Labyrinths von bandwurmförmigen Gaſſen, von Paläſten, Mo-
ſcheen, Höfen, Thoren, verwunderlichen Durchgängen und dreimal
um die Ecke „gekrengelten“ Richtwegen; – das ferne und nahe
Gebrauſe und Wogenſpiel des Menſchenſtroms, – das bunte
Schauſpiel einer beturbanten und bekaftanten oder halbnackten und
blau behemdeten, vor- und rückwärts drängenden, in Ebbe und
Fluth bewegten, ſchreienden, ſingenden, ſchachernden, tauſendge-
ſchäftigen, von Kameelzügen gewaltſam und plötzlich auseinander
geſprengten, zu Fuß fortdrängenden und eſelberittenen Menge, die
dem Europäer wie eine ungeheure, tollgewordene Maskerade er-
ſcheinen muß: Das Alles und unbeſchreibliches Andere wogte
und feuerwerkte mir noch vor den Sinnen wie ein endlos allego-
riſches Chromatrop: da ſenkten ſich die hohen düſtern Wände der
rieſigen Haſſanmoſchee und das fabelhafte „Grotten werk“ in
der ungeheuern Niſche des Hauptportals wie ein ſteinern er
Vorhang vor dem bunten ſinnebetäubenden Markt und ſeinem
Lärm.
Man hält unwillkürlich ſtille und ſtarrt die endloſen traum-
wüſten Wände, die gothiſchhohen, öden, verſtaubten und erblinde-
ten Fenſter hinauf, an denen die ſpuckenden Geſpenſter der öden,
todtenſtillen Räume vorbeihuſchen. Es ſind die Vampyrgeiſter des
altmuhamedaniſchen Glaubens und der uralten Heidenzeit, die
in jenen Räumen wie in einem Hades umgehen, wo ſie nicht leben
und nicht ſterben, nicht ſelig und nicht zur Hölle verdammt ſind.
Wie einem kurioſen Reiſenden und Chriſtenmenſchen vor dieſer
Haſſanmoſchee, wie ihm in ihrem Innern zu Muthe iſt, wenn das
Morgen- oder Abendlicht an dieſen weißgekalkten, weiten, wüſten,
mit nichts als Koranſprüchen geſchmückten Wänden ſeine fliegen-
den und zitternden Schattenbilder malt, wenn an den öden, gei-
ſterbleichen, ſtarren, ſtummen Mauern die Stimmen im Gei-
ſterecho flüſtern, welche das tiefſte Menſchen gewiſſen in ſich
199
verſchließt: das ſpricht keine Zunge, das macht ſich kein Profan-
verſtand bewußt, das ruft kein Redeverſtand bei Namen, das er-
lebt ſich nur thatſächlich und unmittelbar im eigenen Selbſt und
gehört zu den Reiſereſultaten, die dem Denker und Dichter, dem
Gemüthsmenſchen unendlich mehr bedeuten, wie alle die poſitive
materielle Wiſſenſchaft und Kunſt, die von den echten Myſterien
des Seelenlebens und der Uebernatürlichkeit abgelöſt, nur Ge-
dächtnißwerk und ein Körper des Lebens zu ſein vermag; ein
Staub und Höhenrauch, welcher den reinen Aether der Wahrheit,
den Sonnenglanz und Schimmer des ewigen Morgenroths am
fernſten Horizonte mit Wolken umhüllt! –
Es war im erſten Tagesgrauen, als ich mit Hülfe von reich-
lich geſpendeten Trinkgeldern, in das Innere dieſer dem Beſuch
von Franken nicht offenſtehenden, ſchönſten und merkwürdigſten
Moſchee in einem von den Augenblicken eingelaſſen wurde, wo
unter den wenigen Leuten auf der Gaſſe eben kein Späher und
möglicher Angeber zu vermuthen war. – Als ich mit meinem
Führer, einem Herrn von Wrede, deſſen unermüdet gefälligem,
uneigennützigſtem Beiſtande ich die Beſichtigung aller Merkwürdig-
keiten Kahiras und ſeiner Umgebungen danke, in den Vorraum
getreten war, mußten wir uns die Fußbekleidung abziehen. Wir
wandelten ſonach im Heiligthume auf bloßen Strümpfen umher.
Diesmal belohnte ſich aber das Ceremoniel in Uebereinſtimmung
mit der deutſchen Redensart, die von einem Geneſenden oder einem,
der gute Geſchäfte macht, zu ſagen pflegt: „er iſt wiederum auf
dem Strumpf.“ Die Haſſanmoſchee iſt aus den Werkſtücken einer
zerſtörten Pyramide in Form eines griechiſchen Kreuzes erbaut.
Ihre Mauern ſteigen zu einer rieſigen Höhe hinan und werden
von impoſanten Zinnen bekrönt. Sie zeigt einen edeln Kuppel-
bau und ihre Gewölbebogen haben jene majeſtätiſche Hufeiſenform,
die zugleich Starrſinn und Ueberkraft auszudrücken pflegt.
200
Der ungeheure, ringsumher mit einer Inſchrift (in basrelief
ausgehauenen Buchſtaben von 2 Fuß Höhe), geſchmückte Hofraum
iſt auf allen vier Seiten von großen Hallen umgeben. Die nach
Oſten liegende iſt bedeutend größer als die andere und enthält
Kanzel wie Pult. Hinter ihr traten wir in eine öde weite Ka-
pelle, in deren Mitte unter der gewaltigen Kuppel ſich das Grab-
mal des Sultans befindet: ein einfacher, von eiſernem Gitter-
werk eingefriedigter ſteinerner Sarkophag, auf welchem ein Foliant
des Korans aufgeſchlagen liegt.
Aber eben dieſe Einfachheit, die gänzliche Schmuckloſigkeit
und Leere, die Geiſteröde der ſtillen geweihten Räume, zu deren
hohen Fenſterbrüſtungen der Lärm des Welttreibens nicht hinein-
zudringen vermag, krampft das eitle Herz zuſammen, ſpricht zum
Geiſte und wirkt das Gefühl des Erhabenen in den Tiefen
des menſchlichen Gemüths.
In dieſen leeren Räumen wird das Gott ergebene Herz –
ähnlich wie in der Wüſte, – endlich den Anblick und die Pein
des Erdengerümpels, des Sinne verwirrenden vielfältigen Lebens-
apparates, dieſer nach Beſitz und Bequemlichkeit haſtenden Men-
ſchenwelt los.–Dieſe Gott geweihten Mauern des muhamedani-
ſchen Glaubens bieten den ſchroffſten Gegenſatz zu dem bunten
Kram und der farbenſchillernden, aus tauſend ſchimmernden Mo-
ſaikſteinchen, aus zehntauſend Drahtringen damaszirten Weltluſt,
welche das Profanleben der Moslemin charakteriſirt.
In dieſen Räumen giebt es nichts, was die Sinne zerſtreuen
und von dem Gedanken an den außerweltlichen Allah abziehen
könnte, als ein fabelhaftes in Holz gebautes und geſchnitztes
Grottenwerk, welches jeden der vier Winkelräume zwiſchen
den Wänden und der Kuppel ausfüllt, aus ſieben koloſſalen Niſchen
übereinander und nebeneinander beſtehend, in welche fort und fort
ſo viel andere Niſchen hineingebaut und geſchnitzt ſind, daß ſich
201
das Ganze den Augen als ein Myſterium und Labyrinth darſtellen
muß. Und ſo geſchieht es denn hier wie überall, daß der
Menſch ebenſo wenig in dem Idealeinheitlichen, die reelle Erden-
mannigfaltigkeit, als in dem Endlichen das Abbild des Unend-
lichen zu entbehren vermag. –
- Zwei Naturen, ein ſinnlicher und ein überſinnlicher Geiſt,
ſind eben die Faktoren, welche das göttliche perpetuum mobile
bilden, welches hienieden Perſon und Menſchengeſchichte genannt
wird. – Auf dem ſinnlichen Vordergrunde zeigen ſich aber nur
die Schattenſpiele der Biographieen und Welthiſtorien, – und
hinter den Vorhang des Tempels zu Sais hat kein Sterblicher
geblickt. –
Unfern der Kalifengräber liegt der Gebel (weichgeſprochen
Dschebel) achmer, d. h. der rothe Berg. Er beſteht aus einem
hölliſch zertrümmerten Miniaturgebirge von lauter ſchauerlichen
Trichtern eines röthlich-bunten Steingerölles, das wie von Teu-
felshämmern zerklopft iſt, und dieſerhalb auf das Bequemſte für
die Straße nach Suez verwendet wird, die hier in der Nähe be-
ginnt, – gleich wie der nicht kunſtgerecht angebahnte Weg nach
dem Dschebel el chaschab (dem verſteinerten Wald e.)
Von der höchſten Spitze des rothen Berges genießt man eine
Ausſicht, die noch vielfältiger und großartiger, wie die mit Recht
bewunderte auf der Zitadelle erachtet werden muß. -
Zunächſt ſchaut das lichtgeblendete Auge auf die gemuſterten
Kuppeln der Kalifenmoſcheen herab und zur nahen Zitadelle hin,
die mit ihren maſſenhaften Paläſten und der köſtlichen Alabaſter-
moſchee höchſt impoſant auf dem Ausläufer des Mokattam gebaut
iſt, von welchem eine Berghöhe noch die des Dſchebel Achmer über-
ragt. Auf derſelben Seite dehnt ſich die Wüſte Suez in uner-
202
meßlichen Ebenen wie die ruhige See, und dann wieder in wellen-
förmigen Sanddünen wie ein wogendes Meer. – Und dennoch
führt eine in 12 Stationen angelegte Straße nach Suez bis zum
rothen Meer. – Je vier arabiſche Hengſte fahren einen zweirädri-
gen verdeckten Paſſagierwagen von Station zu Station im Ga-
lopp. Von drei ſolchen Poſtorten ſchimmern die weißen Telegra-
phenthürme durch die ſonnenklare Luft. – Im Vordergrunde der
Wüſte und am Wege nach Suez erhebt ſich in ſtolzen Paläſten
das von Abas-Paſcha neu angelegte Stadtviertel, „Abassihe“ ge-
nannt, – an welchem mit Beiſteuer der ägyptiſchen Großen rüſtig
fortgebaut wird, indem Jeder von ihnen zur Aufführung eines
Prachtgebäudes verpflichtet iſt. Neben der Wüſte läuft ſcharf ab-
geſchnitten das Grün der Nilniederung hin. – Jenſeits des auf-
blitzenden Stromes ſteigen die Pyramiden aus der Wüſte auf, die
vom libyſchen Gebirge umſäumt wird, und endlich ſchwimmt vor
den berauſchten Sinnen in einem Meere von Licht und Glanze
das märchenhaft bethürmte Kahira mit ſeinen 300 Moſcheen. ––
Alle die Kuppeln blitzen in den reverberirenden Sonnenſtrahlen,
und blähen ſich ſo mächtig im blauen Aether, daß die
weißen und ſchlank aufſchießen den Minarets wie die
Fontainen anzuſchauen ſind, durch welche den ſchwel-
lenden Gewölben Luft gemacht wird, damit die architek-
toniſche Zauberei, die fatamorgana, nicht wie ein buntes Seifen-
blaſenſpiel zerplatzt, ſo groß iſt die Illumination der Sinne von
dieſer Wirklichkeit in Stein, daß ſie auf Augenblicke wie Traum
und Phantasmagorie erſcheint.
Der verſteinerte Wald.
Zum ſogenannten verſteinerten Walde reitet man zu Eſel,
etwa eine deutſche Meile von Kahira bei den Kalifengräbern vor-
über, in die Wüſte Suez hinein. – Der Weg führt vom rothen
Berge durch ein Wüſtenthal, zwiſchen mäßigen Anhöhen zu einer
Art von Höhle. – Wir ließen daſelbſt die Eſel zurück, gaben
ihren Treibern und Schnellläufern einen „Hangar“ zur Abwehr
gegen unerbetenen Beſuch von Schakals oder Hyänen und gingen
dann eine kurze Strecke zu Fuß nach dem Orte, wo jene zerſtückel-
ten und zerſtreuten Baumſtämme liegen, die man den verſteinerten
Wald (Gebel oder Dschebel el chaschab) benennt.
Das verſteinerte Holz hier ſcheint Sykomore zu ſein und
unterſcheidet ſich von jedem andern Holze, das ich in den Muſeen
Europas geſehen, durch eine Beſchaffenheit, die am anſchaulichſten
mit einer Porzellanmaſſe verglichen wird. – Man kann ſich gar
keine ſchöneren Kabinetsſtücke von verſteinertem Holze in allen
Größen denken, als hier auf einem unabſehbaren Plane vom
Sande aufzuleſen ſind. Viele Stämme liegen noch vollſtändig,
nur in viele Stücke zerbrochen, oben auf. – Weder begreife ich
nun, daß ſie nicht längſt vom Wüſtenſande verſchüttet, noch daß
204
ſie zerbrochen ſind, denn, falls ſie erſt dann verſteinerten, als ſie
bereits am Boden lagen, ſo konnten ſie ſchwerlich zerbrechen; –
der Wind vollbrachte das nicht, und aus langer Weile hämmerte
die Stämme Niemand entzwei. Man muß alſo annehmen, ſie
ſeien aufrechtſtehend in der Luft verſteinert, und das iſt ein kurio-
ſes Problem. – Die zerbrochenen Stücke ſind oft ſo wenig aus
ihrem Zuſammenhange gerückt, daß man vollkommen deutlich er-
ſieht, wie der ganze Baum eben an Ort und Stelle zerbrochen ſein
muß und keineswegs durch irgend welche Erdrevolutionen von an-
dern Orten hierher gekommen und unterwegs zerbrochen ſein kann.
Ich begreife ſchlechterdings nichts von alledem. Den Geologen
wird es aber ſicherlich geläufig genug ſein, um meine Konjekturen
miſſen zu können, und mir gingen auch zu dem ganz andere Ge-
ſchichten, nämlich menſchliche Natur- und Kindergeſchichten im
Kopfe und Herzen umher. –
In meiner Kindheit gab es einen Schuljungen in der Ho-
ſpitalſchule zu Königsberg, einen Baarfüßler, aber ein Straßen-
genie und meinen intimſten Freund. – Dieſer nordiſche Gamin
hatte einmal einen Urgroßonkel in Mohrungen gehabt, welcher
ſeiner Zeit, zufolge der Verſicherung des Urneffen Baarfüßlers, der
gelehrteſte und vornehmſte Konrektor in der weiten Welt Gottes
geweſen ſein ſollte, wovon ich ebenfalls vollkommen überzeugt war.
In der Verlaſſenſchaft dieſes Weltweiſen und Naturforſchers
hatte ſich nun außer einigen Büchern, einem naturwiſſenſchaftlichem
Löſchpapier mit getrockneten Offizinalpflanzen, einigen zerriſſenen
Hemden und Hoſen, unter anderen Kurioſitäten auch ein Stück
verſteinertes Holz vorgefunden; und ein Splitterchen davon
hatte dieſer mein naturwitziger Schulkamerade ſeiner Mutter Bru-
der fortgeſtibitzt, der ein vaccirender Apothekergeſelle war, (ſo wur-
den nämlich die heutigen Apothekergehülfen 1807 genannt). Die-
ſer Geniejunge wußte ſicherlich was er hatte, denn er zeigte die
205
Rarität weder alle Tage, noch erſt Wem, und niemals ganz um-
ſonſt. Man mußte wenigſtens mit einem Stück Salzfladen prä-
numeriren; denn dergleichen Speiſe gehörte in dieſer Armenſchule
zur Frühſtücksleckerei. Was mich betraf, ſo konnte ich da-
mals gar nicht begreifen, wie ein Junge, der ein natürlicher
Schulkamerad von mir war und nicht mal Stiefeln an den Füßen
hatte, ein ſo unnatürliches und eben darum wunderbar-
köſtliches Beſitzthum haben könnte, wie dieſes petrefi zirte
Holz! Heute, wo ich „verſteinerte Gehirne und Herzen“
in lebendigen Perſonagen kennen gelernt habe, iſt mir ein verſtei-
nerter Wald keine Rarität; aber damals, damals war es noch
ſchön und wunderbar in der Welt; da war mir jenes Stückchen
verſteinerte Holz das wunderbarſte Ding, das ein Junge im Beſitz
haben konnte, gleichviel ob mit Diebſtahl oder mit Recht; ja, ſo
etwas Köſtliches konnte vielmehr nur geraubt worden ſein. –
Und jetzt lag hier für die 10- oder 30,000 Eſel, welche Kahira
für ſeine Straßen im Gange haben ſoll, eine Ladung von lauter
Kabinetsſtücken auf purem Sande da; und wenn man wollte,
konnte man eine zweite Karawane mit verſteinerten See-
muſcheln befrachten, die abwechſelnd mit Thon- und Marien-
glas ganze Schichten in dieſer Wüſte bilden, und was galt mir
das Heute?
Hätte ich ein einziges ſolches, wie eitel Silber in der Sonne
flimmerndes Stückchen „Marienglas“ in jener glückſeligen Königs-
berger Zeit zufällig wo vom Erdboden aufgeleſen, ich würde när-
riſch vor Entzücken geworden ſein. Jetzt flimmerte und blitzte
eine ganze Wüſte von jenem ſchönen Mineral ſo fabelhaft in
meine Augen, wie wenn ich Sindbad der Abenteurer aus Tau-
ſend und einer Nacht geweſen wäre, der für ſeinen Herrn ein be-
ſtimmtes Maß voll Edelſteine ebenfalls in der Wüſte zuſammen-
leſen mußte, welche Arbeit er für ein Malheur hielt, (was ich wieder
206
in keinem Wege begriff). – Aber, – ein Menſchenkind bleibt gar
zu kurze Zeit ein Kind. – „Es thut's halt nimmerm ehr.“
Nichts deſto weniger befrachtete ich meine Ledertaſche und mich
mit ſo viel diluvianiſchen oder antediluvianiſchen Muſcheln, Holz-
ſtücken und jenem edeln Gyps, als ich und mein Eſel bezwang,
denn ihn drückte die Laſt, die meine Achſeln beſchwerte, vollſtän-
digermaßen mit, – eine Thatſache, die nicht gleich a priori aus
purer Logik einleuchten will. Es ſcheint vielmehr kurios, daß
ihrer Zweie an ein und derſelben Laſt ganz ſo ſchwer tragen
ſollen, wie Einer allein. Ich nahm dazumal auch die merkwür-
digen Roſen von Jericho mit, von denen man hier kleine,
aber ſchöne Exemplare im kühlen und feuchten Schutze der größern
verſteinerten Holzblöcke vorfinden kann, und die ſchon während des
Wachsthums wie lebendige Pflanzen mumien anzuſchauen
ſind. – Dieſe Roſen wachſen im Sande förmlich getrocknet auf,
– wie Göthe die märkiſche Vegetation in dem Liede: „Grazien
und Muſen in der Mark“ – ſo malitiös aber wunderſchön ver-
leumdet hat. – -
Mehr wie dieſe Kurioſitäten beſagt die Stimmung der Seele,
wenn ein Menſchenkind, welches ſelbſt noch nicht durch Bildung pe-
trefizirt und mumifizirt worden iſt, zum erſtenmal in ſeinem Leben
die Wüſte beſucht. –
207
Wir begegneten einem Rudel Engländer; geſchmackvoll ſahen
ſie nicht aus, aber unausſtehlich abſurd. Die Kerle ſchauten wie
ziviliſirte Orangoutang's aus Körben hervor, in denen ſie an den
Thieren aufgehängt waren wie Gepäck. – Ihre Reiſekleidagen
und röthlichbebarteten, wunderſchön ſommerſproſſigen Viſagen
mit rothbraunen Filzdeckeln ſtörten die Illuſion einer transpor-
tirten Menagerie von eingefangenen Wüſtenthieren keineswegs.
Hinterdrein kam aber ein Kameel mit Flaſchen und ſolchen Din-
gen bepackt, welche nicht eben zum Affenfutter gehören, und
ſo beruhigte ſich mein äſthetiſch gerechtfertigter Verdacht. Eines
aber ſtellte ſich für mich als Erfahrungsſatz heraus: daß nämlich
ein Begegnen mit reiſenden Engländern vom gewöhnlichen
Schlage gegen alle Schwärmerei für Natur ſowohl, wie
für moderne Kulturinduſtrie und auf die Spitze getrie-
bene Nationalität, ein ſpezifiſches Abkühlungsmittel iſt. –
Kaum, daß dieſe Albionsſöhne in meinen Horizont kommen,
ſo vergeht mir polniſch-preußiſchem Menſchenkinde der Idealismus
und der Realismus zugleich; und ich begreife dann nur aufs an-
ſchaulichſte, wie diejenige perſonifizirte Abgeſchmacktheit, Unliebens-
würdigkeit und Ungrazie ausſieht, welche das Vorrecht erworben
hat, auf Reiſen für die faſhionable Lebensart par Excel-
lence angeſehen zu ſein. –
Haben die Homöopathen wirklich Recht, ſo müßte eine
Zwangsjacke das effektivſte Rezept für viele travellernde Inglis-
manns ſein, weil ihre Krankheit recht eigentlich in dem Zwange
unnatürlicher Förmlichkeit, Pedanterie und nationaler Hochmüthig-
keit zu beſtehen pflegt. – Mir ſind die Exemplare dieſer weltherr-
208
ſchenden Fabrikrace in der Seele zuwider, ſchon weil ſie die
Fratzenbilder der deutſchen Tugenden und Untugen-
den, wie der deutſchen Genieanlage ſind. Man ſieht an
ihnen, was für eine wunderſchöne Unausſtehlichkeit durch nationale
Binnenzucht aus dem deutſchen Kern gekunſtgärtnert werden
kann. –
Die Wüſte, eine Mutter der arabiſchen Phantaſie
4 und Kunſt.
Die Wüſte, welche dem ewig heitern und wolkenfreien Himmel
ähnlich, nicht einmal die ſchattenhaften Abbilder des bewegten und
buntgeſtalteten Erdenlebens zeigt, dieſes form-, ton- und farbloſe
todte Sandmeer, in welchem der arme Sohn der Wüſte ſtatt
auf Spuren des Lebens, nur auf die bleichenden Knochen der
verſchütteten Karawanen trifft, hat wohl im heißblütigen Araber
von Anbeginn die Phantaſie und das Gelüſt nach einer
bunten, ſchimmernden, tönenden und vielgeſtaltigen
Kunſtwelt geweckt. – -
Er verwirklichte dieſe ſeine bildkräftige und bildlüſterne
Phantaſie zunächſt in prächtigen, bunteingelegten, mit Edelſteinen
beſetzten Waffen; – in einem damascirten Stahl, der aus
tauſend einzelnen Dräthen zuſammengeſchweißt wurde; in bunt-
farbigen und prächtigen Gewändern von den gleißendſten und
reichſten Stoffen; – in einem herrlich aufgeſchirrten Roß und
in einem bunt und prächtig drapirten, auf jede erſinnliche Weiſe
ausgeſchmückten Zelt. –
In demſelben umgab ſich der Araber mit den Zeichen und
Abbildern deſſen, was ihm die Wüſte verſagte: mit dem bunten,
ſchimmernden Lebensluxus, wie ihn ſich eine nach den Schätzen und
14
21 0
Genüſſen der reichen Welt ausſchauende Sinnlichkeit und die bren-
nende Wüſtenphantaſie ewigen Naturgeſetzen zu Folge vorſpiegeln
muß. –
Wo die ſtehenden Szenen, die nächſten Umgebungen des
wirklichen Lebens nur eine farbloſe, todte Einförmigkeit zeigen,
wo eine endloſe Wüſte alte Lebensmannigfaltigkeit, allen Formen-
reichthum und alle Phantaſieſpiele verſchlungen, mit ihrem Toden-
ſande bedeckt und zerfreſſen zu haben ſcheint, da wird die auf
Ergänzung, auf den fehlenden Lebensfaktor hindrän-
gende, weil auf ein ganzes und heiles Daſein, auf
einen Mikrokosmus angewieſene und ſo organiſirte
Menſchennatur in ihren Künſten und Wiſſenſchaften, Ver-
gnügungen und Bildungsformen nicht das Einheitliche und Ein-
förmige das Prinzipſtrenge und Normative erſtreben, ſondern
das Bunte, das Abgegliederte, die reiche, unendliche Lebens-
mannigfaltigkeit. Darum rief auch der erhabene, über-
menſchlich ſtrenge und monotone Styl der Wüſte im
arabiſchen Volke den Sinn und Geſchmack für die bunt kompo-
nirte, aus blitzenden Steinchen zuſammengekittete Moſaik, für
die Phantaſieblüthen treibende Arabeske, für die myſtiſch kon-
figurirten architektoniſchen Roſetten, Sproſſen- und Grotten-
werke, kurz für den unerſchöpflich mannigfaltig gegliederten, kry-
ſtalliniſch-vegetativen Styl der alt ſarazeniſchen Bau-
kunſt hervor, welcher beſonders ſeit den Kreuzzügen mit Hinzu-
fügung von Thier- und Menſchengeſtalten, deren Abbildung dem
Araber nicht geſtattet war, für den deutſchen Dombau zum
Vorbilde genommen worden iſt. Und dieſe durch die Wüſte
niedergehaltene und darum eben in der freien Kunſt hervorbrechende
Araberphantaſie war es auch, welche aus der Maſſe von großen
und kleinen Kuppeln, die ein und derſelbe Bau in ſich zu faſſen
pflegt, dieſe fabelhaft ſchlanken, hohen und kühnen Minaretthürme
211
herauswachſen ließ. Denn an ihnen manifeſtirt ſich förmlich für
jeden ſymboliſchen Sinn und Verſtand, wie der feine altara-
biſche Witz und Champagnergeiſt durch die Kunſt entſiegelt und
entpfropft, in einem hohen Strahle aufſteigen darf.
Die großen und kleinen Kuppeln können dieſen wüſtenmelan-
choliſchen und dennoch wüſtenfeurigen und wüſtenfreien Araberſinn,
der unermüdet wie ein Strauß und ein arabiſches Vollblutroß durch
das Sandmeer rennt, nicht ſo bedecken und niederhalten, daß er
nicht in dieſen ätherlüſternen und erhitzten Minarets, wie in eben
ſo vielen architektoniſchen Fontainen zum Himmel aufſteige!
Wie aber aus der Wüſte die arabiſche Baukunſt erklärt werden
muß, ſo auch die Gaſtfreundſchaft des Arabers und die Liebe zum
Pferde, der einzigen Kreatur, mit der er beſtändig zuſammenleben
darf. –
In der Wüſte paaren ſich ja die ungeſelligſten und wildeſten
Beſtien; – wo eine Hyäne der andern begegnet, da läßt ſie viel-
leicht den ausgeſcharrten Leichnam fahren und geſellt ſich der ihr
gleichen Kreatur zu; wie ſollte denn alſo dieſe Wüſteneinſamkeit
den Araber nicht zum Freunde und Erzieher ſeines thieriſchen
Kameraden, des edlen Roſſes, und zur Heilighaltung der Gaſt-
freundſchaft erziehen! –
Die erſten und letzten Gründe aller Volksſitten und Lebens-
arten liegen in der Natur und Uebernatürlichkeit zugleich.
Ethnographie hat zum andern Faktor Geographie.
14
Die Wüſte.
Eine mächtige Karawane von Kameelen breitet ſich um uns auf der
gleichen Stelle aus. – Nacht unter dem Zelte: Wiehern der Pferde,
Schreien der Kameele, Rauch der abendlichen Feuer, durchſcheinendes
Licht der Lampe durch den geſtreiften Zeug des Zeltes. – Gedanken
an ein ruhiges Leben, an die Heimath, die Familie, welche in der
Seele aufſteigen, während man müde und voll Gluth das Haupt auf
den Sattel niederlegt, der ſtatt des Kopfkiſſens dient. – Morgens,
während die Mukra's und die Sklaven die Pferde zäumen, reißen
zwei oder drei Araber die Pflöcke des Zeltes aus; ſie rütteln an dem
Pflock, welcher als Pfeiler dient; er fällt und das weit ausgebreitete
Tuch, welches eine ganze Familie von Reiſenden bedeckt hat, gleitet
und fällt ſelbſt zur Erde herab als ein kleiner Ballen Zeug, den ein
Kameeltreiber unter den Arm nimmt und an den Sattel ſeines Thier's
hängt. – Es bleibt auf dem leeren Platze, auf welchem wir ſo eben
noch wie auf einem bleibenden Wohnort uns eingerichtet hatten:
Nichts übrig, als ein kleines verlaſſenes Feuer, das noch
raucht, und bald in der Sonne erliſcht; ein wahres, treffendes, leben-
diges Bild des Lebens, wie es ſo oft in der Bibel beſchrieben wird,
und das mich jedesmal tief rührte, ſo oft es ſich meinen Augen
darbot. –
Lamartine's Reiſen im Orient.
Die Neugierde hat in Aegypten auch im Sehen ihre Schwie-
rigkeit. Man kann nur des Morgens vor Sonnenaufgang und
des Abends ſo recht in die Welt hineinſchauen: ſo groß iſt die
Intenſität des Lichts. – In ihr liegt auch die Urſache der in
ganz Egypten verbreiteten Ophthalmie. –
Den Augen kommen aber die trüben Tage zu Hülfe, die im
Oktober bereits nicht ſo ſelten ſind, wie man meint. So ein ganz
213
gleichmäßig in einem trüben Medium verſchleierter Himmel ſteht
mit dem Charakter des Landes, mit ſeiner Regierung, Geſchichte
und Myſterioſität in unausſprechlicher Harmonie.
Es giebt hier Tage, die ganz ſo eine Beleuchtung haben, wie
ein Panorama oder eine Gegend im Traum. – Fabelhafte und
halbwüſte Plätze, wie die in Alexandrien und Kahira, wenn man
in dieſer alten Sarazenenſtadt von der Zitadelle auf die traum-
öden Räume hinabſtarrt, in welchem die Gebäude der Kanonen-
gießerei verloren ſtehen, vor allen Dingen die Wüſte ſelbſt,
ſchicken den Geiſt in die Seele und die Seele in
den Natur traum zurück!
Natur, Seele und Traum ſind Eins. – Die
Seele kann nichts an der es ſein, als die einge-
fleiſchte Natur. Die natürlichen Leidenſchaften ſind die
Fortſetzungen der elementariſchen Prozeſſe; die Seele iſt die
Summe und Perſonifikation aller natürlichen Geſchichten und
Sympathieen. Die Urelemente, die Grundformen ſinnlicher An-
ſchauung ſind Zeit und Raum. Wo dieſe beiden Faktoren der
Materie ſich den Sinnen ſo ausſchließlich behändigen dürfen, wie
in der Wüſte geſchieht, da wird naturnothwendig der Geiſt ab-
ſorbirt und die Seele lebendig gemacht; da träumt ſie,
da wühlt ſie ſich tiefer ins verlorene Paradies zurück, wie auf
lachender Flur; da hat ſie Luftſpiegelungen von himmliſchen
Oaſen, da erſchaut ſie in der Jugend und bei arabiſcher Phantaſie
mit Muhamed als das Schönſte im Himmel wie auf Erden ein
ſchönes Weib und eine ſchöne Paradiesgartennatur!
Dieſer traumentzündenden Wüſten natur entſtammt die
üppige Traumbildnerei der arabiſchen Baukunſt, der Mährchen-
charakter der arabiſchen Poeſie, die Kleider- und die Waffenpracht
des Arabers nicht minder wie die Farben gluth, mit denen
das arabiſche Himmelsparadies ausgemalt iſt, von welcher der
214
Reflex auch an den bunten und prachtvollen Gezelten der Reichen
und Vornehmen wiederſtrahlen muß. –
Dieſe Wüſtenträumerei lockte die erſten chriſtlichen Heroen
und Heiligen, die alten und neuen Propheten in den unermeß-
lichen, immerdar ſchweigenden Raum. In dieſem Wüſten-,
dieſem Traum- und Naturſchooße entſtanden und reiften die Reli-
gionen, und an dem Saume, dem Eingange der libyſchen Wüſte
ſtellten die alten Pharaonen ihre Mauſoleen, die Pyramiden hin,
als die heiligen Pforten der Wüſtenöde, in welcher Zeit und Raum
formlos in Eins gebildet und ermüdet von der Weltſchöpfung
ruh'n! – Die alte Menſchenſeele fühlte dieſe Phantaſiewerke als
die Sinnbilder der Ewigkeit, und dem Beſchauer aus
dieſen Zeiten können ſie als ein Zeichen gelten wie aus der Boden-
ebene, aus dem formloſen, alle Geſtaltung verſchüttenden Sandmeere
heraus ſich auch die Materie zum Himmel hinanbildet und in
ihrer luftzerfließenden Spitze die Erdenſchwere verliert.
Alles tiefſte und unſchuldige Träumen, – der Traum der
Kindheit und Phantaſie iſt Natur bildnerei und Natur -
ſzenerie. Alle Natur und Liebe, alle Menſchen- und Natur-
ſchöne, alle wahre Natur- und Liederpoeſie macht träumeriſch und
melancholiſch, weil durch ſie der freibewußte, freientbundene, frei
mit der Welt und den Geiſtern verkehrende Geiſt in der Seele
ertränkt und die Seele in die Natur zurückge-
löſet wird. –
In Träumen, im Dichten, im Naturalismus, in der Ueber-
natürlichkeit, der Andacht, der Geſchlechtsliebe, auf dem Meere,
in der Wüſte, in den Gebirgen gewinnen wir, entronnen den
Feſſeln, den Formen und dem Mechanismus der Kultur anfänglich
die Freiheit unſerer Seele zurück; aber zuletzt wird ſie
ſelbſt von dieſer Gottesnatur, von den bildneriſchen Elementen,
den Lebenswogen, von dem Meere der göttlichen Zeugungskräfte
215
verſchlürft: das iſt dann die Melancholie. – Auch die
Religion iſt die Menſchheit im Traum; aber in dem
tiefſten Traume, welcher die Seele nicht nur in die Naturſeele,
ſondern in den heiligen Weltgeiſt zurücklöſen und aus ihm wieder
mit einem Aetherleibe hervorbilden darf. – Der übernatürliche
Löſungsprozeß indeß iſt gleich dem natürlichen, gleich demjenigen
in Liebe und Leidenſchaft, in Freude und Schmerz, in Scheiden
und Wiederſehen und gleich der Löſung unſeres Weſens, welche
durch Menſchen und Naturſchönheit, oder in wahrer
Muſik und Kunſt vor ſich geht: Melancholie und
Traum!
Dies iſt der Sinn der Worte: „Unter Palmen wandelt
Niemand ungeſtraft.“
Denon ſagt in Uebereinſtimmung mit Ehrenberg (der
eine Piece über die Wüſte geſchrieben hat): „Nach einem acht-
tägigen Aufenthalt in der Wüſteneinſamkeit werden die Sinne bei
der Rückkehr in das angebaute Land durch die geringſten Ein-
drücke aufgeregt. Ich kann es gar nicht ſagen, was ich empfand,
als ich in der erſten Nacht nach unſerer Rückkehr von Koſſeir
am Ufer des Nils gelagert den Wind durch die Zweige ſäu-
ſeln und mit den Blättern der Palmen ſpielen hörte.
Alles erwachte, Alles belebte ſich, hier ſchien die Natur wieder zu
athmen. . Ehrenberg vernahm auf der Nachtwache vor dem
Zelte ein unerklärliches Geräuſch, von dem ſich bei näherer Unter-
ſuchung ergab, daß es von einem Käfer herrührte, der ein Sand-
kügelchen wälzte; ſo ſchärft und ſteigert die Abgeſchiedenheit in
der Wüſte die Sinne, – ſie gewinnen durch Erholung ordentlich
eine Wiedergeburt. –
He l i op o l i s.
Der Weg nach Heliopolis, welches nordöſtlich etwa eine
ſtarke deutſche Meile von Kahira entfernt liegt (und jenſeits deſſen
der geſegnete Landſtrich Goſen beginnt), führt auf einem Damme,
neben dem Nilkanal von Hadrian, der neuen Stadtanlage
„Abaſſia“ vorüber, zwiſchen der Wüſte Suez zur Rechten und
der Nilniederung zur Linken, durch Gärten, Felder, Oelplantagen
und allen möglichen Anlagen zu dem Dorfe Matarieh. – Der
junge Tag war auch diesmal ſo fabelhaft ſchön, daß er mir als
die wache Fortſetzung meines Morgentraums erſchien. Am fernen
Wüſtenhorizonte färbte ſich das Morgengrau in Violett und leiſes
Windeswehen ging den Myſterien des nahenden Lichtes vorauf,
bog die dürren Wüſtengräſer und kräuſelte die leichten Wellen des
Kanals. –
Noch ſtand die Pflanzenwelt im Schutze des Nachtthaus;
raſch leckten ihn die jach heraufblitzenden Strahlen des neuerſchaffe-
nen glorioſen Sonnengottes auf: – es waren ſeine tauſend mal
tauſend goldenen Pfeile, die er ohne Unterlaß von ſeinem Sonnen-
wagen verſchoß, und ſie trafen die letzten Schatten, welche im
Weſten entfloh'n. –
Mein heutiges Reiſeziel war aber kein Bild des aufgehenden
Tages, ſondern das einer untergegangenen verſchütteten und ver-
217
geſſenen Welt. Die Stätte von Heliopolis iſt eine Schuttwüſte
und die Orangengärten des Dorfes Matarieh ſetzen durch den
Kontraſt nur die Todtenſtille und Wüſteneinſamkeit ins Licht! –
Der Reiſende Abdullalif ſah beide Obelisken des Sonnen-
tempels und an dem noch ſtehenden ein Pyramidion von Kupfer
aufgeſetzt. Im Jahre 656 der Hedſchra wurde ſein ſteinerner
Gefährte zu Boden geſtürzt, ſeit ſo viel Jahrhunderten trauert Jener
allein und flüſtert vielleicht den Mauerwespen, die ſeine Hierogly-
phenſchrift verkleben, und den Rosmaringängen, die zu ihm hinfüh-
ren, und den Orangenblüthen, die ihn umduften, ſeine fabelhaften
Schmerzen und Geheimniſſe zu. – Oder wo ſoll die fühlende alte
Weltſeele hier in dieſem gefühlloſen barbariſchen Aegypten von
heute hingekommen ſein, wenn nicht in den älteſten Granitſtein der
alten Kunſt und Schrift; denn ein ſolcher iſt dieſer Obelisk, auf
dem der Kundige den Namensſchild des Königs Osortasen I.
(richtiger: Sesurtesen 2300 v. Chr.) erblickt. – Dieſer redende
Stein ſteht in einem kleinen, rings umzäunten Orangen- und
Aprikoſengarten in der Nähe von ein Paar elenden Hütten tief im
Schutt und iſt gleichwohl noch über fünfzig Fuß hoch, und fünf
einen halben Fuß an jeder Seite über dem Boden breit. Von
dieſem Gartenobelisken, welcher zu einem Weltgrabmal geworden
iſt, – ſchreitet man nach Norden zu über einen mit Schutt und
Sumpfſtellen und nur mit wenigen Trümmerſpuren bedeckten
Boden zu den übrigen Hütten des gewöhnlichen Dorfes, deſſen
Name Matarieh „friſch Waſſer“ bedeutet; wahrſcheinlich
wegen des uralt berühmten ſüßen Quells der Sonne (auf Arabiſch
Ain Schems), der heute noch Menſchen und Thiere labt, wie von
Anbeginn; während das ſtolze Menſchenwerk rings umher lange
zu Grunde gegangen iſt. An dieſem Waſſer, dem ſüßeſten in ganz
- Aegypten, hat ſich die Mutter Gottes mit dem Jeſuskinde erquickt,
und in der Nähe wird mitten in einem zierlich eingerichteten Garten
eine uralte, gewaltige Sykomore gezeigt, unter welcher die heilige
Familie Joſephs auf ihrer Flucht geruht haben ſoll. Ich halte
den Baum nicht ſo alt; ich glaube nicht, daß man ſich die Ruhe-
ſtelle des unerkannten Weltheilandes gemerkt haben wird; jeden-
falls aber iſt eine liebliche Sage unendlich erquicklicher, wie eine
Thatſache, durch welche eine gemeine Alltagswahrheit erhärtet wird.
– Vielen Leſern dürfte bei dieſer Gelegenheit eine Notiz von
Lepſius intereſſant ſein, die ſich in ſeinen ägyptiſchen Studien
für die Staatszeitung findet und ſich auf die Schickſale der Juden
in Aegypten bezieht. „Ramses II. beſteigt den Thron 1394 v. Chr.
und iſt Bedrücker der Juden. – Menephtes ſendet 80,000 Juden
in die Steinbrüche; ſpäter wird ihnen die Stadt Abaris angewieſen,
wo ſie ſich unter dem ägyptiſchen Prieſter Osarches (Moſes) em-
pören und Aegypten verlaſſen.“ – Friſch und labend quillt der
Born der Poeſie und des Glaubens und ertödtend dürre, ſtaubig
ſind die Sandwüſtenkörner der ausgenüchterten, lieb- und glauben-
loſen Wirklichkeit, welche einerſeits zu lauter materiellem Induſtrie-
verſtand, und anderntheils zu ſeelenloſer, purer, zerkrümelnder
Dialektik geworden iſt.
Ein polniſches Sprichwort ſagt witzig genug: „ aus Sand
kann man keine Peitſchen drehen;“ die deutſche Dialektik
ſcheint ſich aber gleichwohl auf dieſe kurioſe Kunſt zu verſtehen,
und was das Allerkurioſeſte iſt: ſie geißelt ſich mit dieſen abſtrakten
Peitſchen die konkrete Seele aus dem Leibe heraus! – wohl be-
komms!
Zu den ältern beiden Obelisken, von welchen der Eine in
jenem Gärtchen ſteht, hatte Pheron, der Sohn des Sesostris noch
zwei Spitzſäulen aufrichten laſſen, eine jede 150 Fuß hoch. Eine
Allee von Sphinxen lief von da zum nordweſtlichen Thore der,
Stadt, deſſen Lage noch heute kenntlich ſein ſoll; ich habe es nicht
219
rekognoszirt, denn ich wußte kaum, hatte ich noch einen Kopf
oder nicht. – -
Den Sonnentempel hat der hiſtoriſchliebenswürdige Cam-
byſes zerſtört; zum Glück iſt ſeine Nachkommenſchaft und Wahl-
verwandtſchaft doch nur ſo dünn in der Welt geſät, daß immer
noch genug vom Alten übrig bleibt, um das Neue darin zu be-
wurzeln. – Es muß auch ſolche Beſtienheroen auf dieſer Erden-
welt geben, aber man wird ihre Blutſpuren nicht ohne Grauen
gewahr. –
Strabo fand noch den Grundriß der Stadt deutlich aus den
Trümmern heraus; heute dürfte das unmöglich geworden ſein,
denn es ſind wie geſagt auch nicht mehr Trümmer zu ſehen, falls
man nicht Schutt dahin rechnen will. Die längſte Ausdehnung
dieſes Schuttbezirks mißt 1500, die Breite 1150 gewöhnlicher
Schritte. – Die Wohnhäuſer lagen auf der nördlichen Seite, der
Tempel war auf der Südſeite erbaut. –
Am Thore von Heliopolis ſtand ein jüdiſcher Tempel, ſo
lange wie der zu Jeruſalem, den ein Prieſter Onias unter Ptolo-
mäus Philometor errichtet hatte und der auf Vespaſians Befehl
zugleich mit dem von Jeruſalem vernichtet worden iſt. Sein
Schutthaufen wird noch der der Juden genannt.
•
- -
Eine der werthvollſten Früchte des Forſchens der neuern Zeit iſt
der wiſſenſchaftliche Erweis der Thatſache, daß auch hier in Aegyp-
ten, wie in Indien jene Religion der Altväter die älteſte
und anfänglichſte war, welche auf ein Erkennen des
wahren Gottes, des Drei in Einem ſich gründet e; denn
die früheſte Grundlehre der Tempel war die der Drei-
einigkeit. Erſt ſpäter wurde ſtatt jenes Ewigen und Unſichtbaren,
der ſich dem Geſchlechte der Menſchen in leiblicher Geſtalt nahte, die
leibliche, vergängliche Form ſelber vergöttert.
Die Prieſterſtadt Heliopolis war das On der Geneſis; On
ein Tempel der Sonne oder des Phré. On heißt im Koptiſchen
„das was glänzt.“
Der Vater der Asnath, welche vom Pharao dem Joſeph ver-
mählt wurde, war (der Orthographie der Septuaginta zufolge)
Pete-Phre, d. h. Prieſter der Sonne, oder „welcher der Sonne an-
gehört“; wie z. B. Pet-Oſiris: der dem Oſiris (ſeinem Dienſte)
gehört. (Von Pete-Phre iſt nach „Ampère“ Potiphar gemacht.)
Wie zu Saisbeſtand hier eine Schule der Tempelweisheit.
Außer den Geheimlehren wurden hier Aſtronomie, Mathematik und
Naturwiſſenſchaften gelehrt.
Hier ſollen Orpheus und Dädalus, auch Homer geweilt haben.
Sicherlich waren da Lykurg und Solon, Herodot und Pytha-
goras, Plato und Demokritus; der Alexandriniſche Bibliothekar
Eratoſthenes (aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.) nnd der berühmte
Aſtronom Eudoxus. – Der Geograph Strabo (unter Auguſt) ſah
das Haus des Plato, der hier drei Jahre ſtudirte, und das Kollegium
221
wo er ſtudirt. Ein Prieſter ſoll zu ihm geſagt haben „o Plato,
Plato! ihr Griechen ſeid noch Kinder!“
Der Prieſter Manetho ſchrieb hier im Auftrage des Ptolo-
mäers die Geſchichte Aegyptens aus den Archiven des Reichs, von
der nur die lückenhaften chronikalen Regiſter der Dynaſtien auf uns
gekommen ſind. Und gleichwohl wurde auch hier an dem Quell der
Weisheit der Stier Mmevis verehrt, wie zu Memphis der Apis. –
Das war die Ausartung einer älteſten Weisheit, einer Anbetung
des „Phtha“, des Vaters aller Götter, einer Erkenntniß des un-
ſichtbaren, ewigen Gottes, des Urſprunges und Anfanges alles
Seins, deſſen Weſen ein Licht iſt, „das auch in der Mitte der
Nacht leuchtet mit der Klarheit des Tags.
Die griechiſche Götterlehre und Philoſophie hat ihre Wurzeln
in der ägyptiſchen Theogenie; aus ihr ſchöpfte Moſes. Dieſen
Quell verleugnet auch die deutſche Bildung und Wiſſenſchaft nim-
mermehr. Dem ägyptiſchen Sinn und Geiſt iſt der deutſche
wahlverwandt, nicht aber dem griechiſchen Formen -
und Schönheitsſinn. Auch bei uns liegt, wie bei den alten
Aegyptern, der Idealismus mit dem Materialismus, die Phan-
taſie mit der Metaphyſik, die Natur mit der Uebernatürlichkeit, die
Symbolik mit der Buchſtäblichkeit im Kampfe, mit der Erhaben-
heit die Pedanterie,
Wer darf noch ſeines Menſchenwitzes, was darf noch ſeiner
Erdendauer ſicher ſein, wenn ſolche Lehrſtätten der Welt, wenn ihr
älteſter, in Heiligthümern, in Myſterien genährter und fortgepflanzter
Geiſt ſo ſpurlos verſchwinden konnte, daß nicht einmal die Zeichen
ſeiner Hülle, die leeren Hirnkammern übrig blieben, der grinzende
Todtenſchädel, worinnen ſich einſt das kreiſende Weltgehirn befand.
Nur ein aufgerichteter Stein über dem eingeſunkenen Grabe
dieſer ägyptiſchen Schaum- und Traumgeſtalt des Menſchengeiſtes
iſt ſtehen geblieben, ein Obelisk im Rosmarin- und Orangengarten
222
zu Matarieh, ein Gedenkſtein, den heute die Welle der ſteigenden
Nilwaſſer, die durch Thebens und Memphis alte Herrlichkeit floſſen,
mahnend beſpült, und deſſen halbentzifferte Hieroglyphenſchrift,
die Mauerwespe mit ihren wunderbaren Sandzellen überzogen hat,
zum Zeichen, daß die ewig geheimnißvoll ſchaffende und unerſchöpf-
liche Natur fort und fort morgen verſchleiert, was ſie heute
enthüllt.
Aus dem ſpitzgeſchliffenen Prunkſtein vor dem Sonnentempel
der hohen Prieſter und Pharaonen, aus der Granitnadel (dem
Obelos), dem Granitſpeer, mit welchem der ägyptiſche Titane den
Himmel eines unvergänglichen Nachruhms im ungetreuen Menſchen-
gedächtniſſe erſtürmen wollte, iſt ein Leichenſtein geworden in
einem Gräbergarten, den eine meeresweite Wüſte umgiebt; ein hoch-
emporgereckter Granitfinger, welcher die kommenden Geſchlechter
bedräut, wenn ſie ſolche Symbolik, wenn ſie die Zeichenſchrift ver-
ſtehen, die zwiſchen den Hieroglyphen in „Geiſter noten“ ſteht.
Es iſt dafür geſorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel
wachſen und an der Stätte, wo vor Jahrtauſenden die Rieſenpalme
der Theoſophie und Aſtronomie in den wolkenfreien ägyptiſchen
Sternenhimmel hineingewachſen iſt, da zieht man heute in einem
Raume, der für einen Kirchhofgarten gelten muß, nordiſche
Obſtbäume, deutſche Apfel- und Birnbäume, im Intereſſe
der arabiſchen Kurioſität.
Beim hohen Himmel, es iſt ſehr wenig und ſehr viel in He-
liopolis zu lernen und zu ſehen; denn nicht ſelten geſchieht es, daß
der rege, ſchaffende Menſchengeiſt, einer Weichſelpappel ähnlich,
trockene Zäune und Stecken mit dem Grün und Silbergrau ſeiner
Träume und Gedankenlaubmaſſen überkleidet, während er zu ver-
trocknen und zu erſticken pflegt, wenn er in ein Walddickicht geräth.
Schubra und Roda.
Gegen Abend athmet man die leichte, linde, friſche, Luft. Die Sonne ſinkt
hinter das libyſche Gebirge, das dunkelblau wie Email im Schatten liegt,
während die Lichtſtrahlen auf dem arabiſchen wie auf einem Prisma ſpie-
len, und es mit Farben von Blumen, Schmetterlingen und Edelſteinen
ſchmücken.
Wie große flammende Roſen liegen einzelne Maſſen da; wie Ketten von
Amethyſt in goldener Faſſung die langgeſtreckten Berge. -
Die ſtillen Waſſer ſpiegeln getreu die ſchönen Gebilde zurück, nur mit einem
leichten Florſchleier umhaucht.
Frühlingsduft erfüllt die Atmoſphäre; Rübſamen -, Bohnen -, Lupinen-,
Wicken - und Baumwollenfelder ſtehen tn Blüthe; Weitzen und Gerſte ſind
armslang; Akaziengeſträuch mit lilafarbenen und blauen Schlingpflanzen durch-
flochten, auch andere Gebüſche, die ich nicht kenne, umgeben die Waſſerräder
(Sakieh genannt, welche ununterbrochen die Felder bewäſſern,) oder wachſen
auf ihre eigene Hand am Ufer, da, wo es nicht bebaut iſt.
Frühlingsodem müßte ich eigentlich dieſen unbeſtimmten, balſamiſchen,
erquickenden Geruch nennen, den unſere Felder und Wälder auch in der ſchön-
ſten Zeit unſeres Jahres, im Junius aushauchen. Die wilden Tauben wiegen
ſich auf Palmenzweigen, oder gurren und lachen lieblich neckend wie fröhliche
Mädchen aus den Gebüſchen; Waſſervögel ſitzen geſchaart beiſammen auf den
Sandbänken, marmorweiße hier, rabenſchwarze dort, und zirpen oder ſchnur-
ren ihr eintöniges Abendlied, das ſie vom eintönigen Geplätſcher der Wellen,
zwiſchen denen ſie leben, gelernt haben. Ein großer Reiher fliegt zuweilen
über die ganze Breite des Nils, oder ein Pelikan, der mit ſchwerem Flügel-
ſchlag nach irgend einem Fiſch untertaucht.
(Orient. Briefe von Ida Hahn-Hahn.)
Schubra iſt ein Landhaus und Garten am Nil, Beide von
Mehemed Ali mit orientaliſchem Luxus ausgeſtattet.
Die Lage iſt günſtig, die Elemente kommen hier zu Hülfe,
und ſo entſtand ein kleines Paradies in einem Sultansgeſchmack,
224
dem auch ein Chriſt zu Zeiten verfallen kann, falls er kein Heuchler
oder Selbſttäuſcher zu ſein verſteht.
Es iſt ſchwer zu ſagen, ob der Ritt nach dieſem ägyptiſchen
Sansſouci köſtlicher iſt oder der Ort ſelbſt,
Auf dieſer Ausflucht begreift man, wie das Unterwegsſein
noch ſchöner wie das Anlangen ſein kann.
Nach Schubra führt eine ſechs Wagen breite gerade Allee von
Sykomoren und Lebbeck-Mimoſen, wohl eine Stunde lang auf
einem Damm, der von den alten Schuttbergen, zum Theil durch
die Nilniederung aufgeſchüttet worden iſt. Die Kaffeehäuſer und
die Villa's, welche Abbas Paſcha am Wege hat aufbauen laſſen,
gleichwie Reiter und Equipagen, könnten die Täuſchung unterhal-
ten, daß man ſich in der Nähe einer europäiſchen Hauptſtadt befinde,
und mitten im Schooße der Ziviliſation; und doch iſt der heimath-
liche Text ſo fremdartig und fabelhaft in Szene geſetzt, ſo opern-
artig komponirt, daß man ſich mehr wie je in fremden Zonen und
unter einem Wunderhimmel fühlen muß.
Zu beiden Seiten des Dammes wechſeln Klee- und Getreide-
felder, ebenſo Gemüſegärten mit Zucker-, Oelbaum- und Baum-
wollenplantagen. Andere Alleen durchſchneiden die Hauptſtraße,
und führen nach Landhäuſern, die mitten in Palmen-, Orangen- und
Aprikoſenhainen, wie in einem Feenzauber ſtehen. An vielen Stel-
len iſt noch das Nilwaſſer zurückgeblieben, als Angedenken des
Ueberſchwemmungsſegens und als Nachſpende für den immer dur-
ſtigen Boden; und an den Kanälen befinden ſich die Sakihs, d. h.
die durch Ochſen getriebenen Schöpfräder, in knarrender und weit
durch die Luft ſeufzender Thätigkeit, wie wenn ſelbſt die todten Ma-
ſchinen in dieſem heißen Lande nichts thun könnten ohne Noth und
Geſtöhn. Aber auch dieſer Schein von proſaiſch-ökonomiſcher Thä-
tigkeit iſt von der romantiſchen Wundernatur allhier, mit Akazien,
mit Jasmin und wilden Roſen dekorirt. Sykomoren und Johannis-
H.:
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bäume überragen das wilde Geſträuch, in deſſen Schatten Thiere
und Menſchen „von des Tages Laſt und Hitze“ ausruhen.
Durch die zur linken Seite des Dammes gepflanzten Mimoſen,
(welche ganz wie kleinblättrige Akazien ausſehen,) ſchimmerten hie
und da die Silbermaſſen des Nil; aber die Rieſenſegel, welche in
der Ferne wie ungeheure Pelikane oder Schwäne mit halbgeöffneten
Flügeln ausſehen, erinnern den Fremdling wiederum, daß er keine
vaterländiſche Szene vor ſich ſieht.
Die feurigen und ambitiöſen Eſel ſtellten dasmal wieder zu
ihrer eigenen Genugthuung ein komplettes Wettrennen mit uns
deutſchen Phlegmatikern an. Die Arme ermüdeten mir zuletzt vom
Halten, ich ließ alſo in Gukuks Namen laufen und durchflog mit
einer Menge von deutſchen Profeſſioniſten und Künſtlern die Hälfte
der Allee im wiegenden Galopp. Die Eſeljungen aber blieben uns
als eben ſo viele Schnellläufer hart auf den Ferſen, ohne daß dies
von ihnen irgend verlangt worden war. Die mäßige Hitze wurde
durch den uns entgegenwehenden angenehmen Nordwind und den
friſchen Hauch des Nilſtroms gemildert; Staub und Inſekten
beläſtigten uns keineswegs. An unſern Blicken flogen wie im
Zauberfluge alle Zauberſzenen vorüber, welche ſich die nordiſche
Einbildungskraft irgend vom Oriente zu träumen vermag; alle
Sinne feierten in dieſen natur - und phantaſietrunkenen Augen-
blicken ihre Wiedergeburt. Die Luſt der raſchen, ſchaukelnden Be-
wegung auf den ſanft galoppirenden Thieren verſchmolz mit den
Entzückungen des Schauens, des Einathmens alle der duftgeſchwän-
gerten Lüfte zu einer Wolluſt des Daſeins, und doch war dieſem
Sinnengenuß eine Reflexion und Abſicht, eine überſinnliche und
myſtiſche Empfindung beigemiſcht. Der Himmel ſchien wunder-
barer Weiſe wie mit einem leichten, dichten und doch matt durch-
ſichtigen, ſilbernen Iſisſchleier verhüllt, eine Myſterioſität, die
ſich im Norden nur höchſt ſelten auf einige Stunden oder Augen-
15
blicke in der heißeſten Jahreszeit wahrnehmen und aus einer außer-
ordentlich raſchen Verflüchtigung der verdampfenden Feuchtig-
keit erklären läßt, vorzugsweiſe aber den ägyptiſchen Himmel in
allen Jahreszeiten charakteriſirt.
Der Eingang in den Garten von Schubra, welcher manchen
Reiſenden nicht prächtig und oſtenſibel genug dünkt, gewinnt eben
durch die blühenden Schlingpflanzen, mit denen das Thor roman--
tiſch umwuchert iſt, etwas höchſt Einladendes und bildet ſo den
reizendſten Kontraſt zu der Marmorpracht, die den Beſucher mitten
im künſtlichen Paradieſe überraſcht. Hier findet ein romantiſches
und nach Abenteuern lüſternes Gemüth ſo eine von den Szenen,
die ihm durch die Märchen aus Tauſend und einer Nacht in einem
orientaliſchen Sultansgarten verſprochen worden ſind und auf
welche von ihm aus den Tagen der Kindheit und Jugendzeit her
mit allen Seelenkräften pränumerirt und gefahndet worden iſt.
Hier ſieht man in Wirklichkeit einen Kiosk mit Fontainen
und Marmorverſchwendungen, daß es die erſehnte Art und den
freien Märchenſpielraum hat. Um mich kurz zu faſſen: Ein großes
tiefes Marmorbecken, mit filtrirtem Nilwaſſer gefüllt, in welchem
die Haremſchönheiten baden, ſchwimmen und auf einem Nachen
umherfahren können und zu welchem breite Marmorſtufen hinab-
führen, iſt von offenen Hallen, aus ſchön geſchliffenen weißen Mar-
morſäulen in länglichem Viereck umbaut. Die vier Winkel des
Baſſins ſind mit waſſerſpeienden Marmorlöwen ausſtaffirt, und aus
der Mitte des Marmorteiches erhebt ſich ein Marmoraltan, der
von 24 waſſerſpeienden marmornen Krokodilbeſtien getragen wird,
damit man nicht vergeſſe, daß die Szene am Ufer des Nils hinge-
zaubert iſt. An die vier abgeſtumpften Ecken des doppelten Por-
tikus, welcher ſich mit lebhaften Wand- und Deckenmalereien im
indiſchen Style geſchmückt zeigt, ſind vier luftige Pavillons mit
Gemächern gelehnt. Das Ganze iſt ſelbſt nach dem Urtheile ſol-
227
cher Perſonen, die viel im Oriente gereiſet ſind, die prächtigſte und
geſchmackvollſte Garten-Architektur der Art, die im Sonnenaufgange
gefunden wird: eine üppige Phantaſterei, halb Fontaine halb Kiosk,
eine koſtſpielige Marmorſpielerei, ohne beſondern Kunſtwerth, wenn
man will; aber nichtsdeſtoweniger höchſt charakteriſtiſch für die Le-
bensarten und den Kunſtgeſchmack im Orient; höchſt verführeriſch
für die Sinne, und zumal für eine zwiſchen kalten, feuchten, finſtern
Steinmauern brach gelegene nordiſche Einbildungskraft, die erſt im
April und mitunter noch nicht im Mai vom Schnee und Eis auf-
thauen darf.
Es thut's nicht immer die Kunſt im engern Sinne; es
thut's auch die Lebenspoeſie, die himmliſche, lebendige und na-
türliche Kunſt, von der alle beſondern Künſte nur die im todten
Stoff vermittelten, endlichen, ſchwachen Abbilder und Ableger ſind.
Es iſt aber ein Elend, daß die profeſſionirten und patentirten
Herrn Aeſthetiker, Naturforſcher, Alterthümler und Gelehrten von
dieſer Kunſt der Künſte, von Symbolik, Seelenmyſterien
und von der allgemeinen natürlichen Poeſie, welche
alle Künſte und Wiſſenſchaften beſpeiſen muß,
wenn ſie nicht zum todten Holz vertrocknen ſollen, oft nicht mehr
wiſſen und verſtehen, wie der trockne Zaunſtecken von der grünen
Vegetation, die ſich über ihn hinwegrankt; oder wie der Perücken-
ſtock, der im grünen Walde den wunderſchönen Signalements und
Nomenklaturen zu Liebe botaniſirt, und erſt dann ganz glücklich iſt,
wenn er ein neues Exemplar benamſet, beſchrieben, klaſſifizirt, in
die wiſſenſchaftlichen Rubriken, in ſein herbarium vivum und in
ſeinen lebendigen Vokabelnkaſten eingetragen hat. Das Palais
am Nil iſt mit ſchönen Gemächern eingerichtet. In denſelben
giebt es große Wandſpiegel, Damaſt-Ottomanen, aſiatiſche Tep-
piche, vergoldete Flügelthüren, Kühlungs- und Baderäume, Spring-
brunnen in den Erdgeſchoſſen, Decken- und Wandmalerei im chine-
15*
228
ſiſchen Geſchmack und Alles, was der raffinirteſte orientaliſche
Luxus nur erſinnt und diktirt. Selbſt einem nordiſchen Menſchen-
kinde wird hier zuletzt ganz „ſchwirblich“ und ſultaniſch zu Sinne
vom bloßen Beſehen. Man wandelt ungeſtraft weder unter Palmen
noch in orientaliſchen Paläſten umher. Der alte Adam wirft
ſeine Hefe nach oben, wenn der ſinnliche Grund aufgerührt wird.
Zu Mehemed Alis Zeiten wurden in Schubra zwei beſonders
große und ſchöne, mit orientaliſchen Palankins ausgerüſtete Ele-
phanten gepflegt. Ich habe ſie nicht geſehn und weiß nicht gleich
was aus ihnen geworden ſein mag.
Eine halbe Meile von Schubra befindet ſich ein Geſtüt mit
vortrefflich eingerichteter Stallung und Fütterungsökonomie. Es
werden daſelbſt 36, nicht beſonders ſkrupulös gewählte Hengſte
und 600 Stuten ordinairen ägyptiſchen Schlages gehalten, ſomit
nur eine Baſtardrace erzeugt. Ich habe die Stuterei nicht beſucht
und erzähle nur, was ich gehört. Als orientaliſche und natur-
widrige Kurioſität iſt anzuführen, daß man den Pferden hier
die Schweife raſirt. Es iſt dies eine andere Art der überall
adoptirten engliſchen Abſurdität, welcher zufolge der Pferdeſchweif
koupirt werden muß, damit angeblichermaßen die Kraft im Kreuze
deſto beſſer konzentrirt verbleibt, und damit noch für reiche Leute
ein aparter Fliegen wedler hinter dem vornehmen Ritter und
Reiter nothwendig wird. -
Degustibus non est disputandum.
An einem andern Tage beſuchte ich die Inſel Roda oder
Ruda. Nach ſo viel Aufwand von Kunſt und Natur in Schubra
iſt hier noch eine Steigerung in der Totalwirkung zu finden, die
man nicht für möglich halten mag, wenn man zumal die Gabarri-
gärten bei Alexandrien geſehen.
229
Der Fruchtgarten in Schubra bricht faſt unter der goldenen
Laſt von Sevilla-Apfelſinen, Zitronen und „Pompelmuſen.“ Die
Blumenboskets ſind die Wintermonate hindurch, außer den Roſen
von allen Schattirungen, mit einem ſchimmernden, bunten Flor
von Tulpen, Hyazinthen, Tazetten Jonquillen und, die Blu-
miſten wiſſen es, mit was für andern Blumen geſchmückt. Selbſt
die vaterländiſchen Apfel- und Birnbaumblüthen vermählen ſich
hier mit dem Blumenſtaube der Orangen, die faſt zu aller Zeit in
Frucht und Blüthe anzutreffen ſind. Im weiten Parke, welcher
zu dem mit geſchorenen Myrthenhecken ſteifgeſchmückten, mit parket-
tirten Wegen verſehenen, in regelmäßige Vierecke zerſchnittenen, echt
orientaliſchen Baumgarten im pikanteſten Kontraſte ſteht, jagen ſich
ſchlanke Gazellen und Strauße, und gewähren ſo eine Szene, die
kaum phantaſtiſcher und origineller gefunden werden kann, falls
man nicht mit Giraffen, Nilpferden und Elephanten nachrücken will,
wozu hier gleichfalls die Mittel geboten ſind. Das Alles und
unendlich mehr iſt in Schubra zu profitiren und gleichwohl ver-
gißt man auf der Inſel Roda Alles, was man in Schubra geſehn:
ſo neu iſt hier wieder das Einzelne und die begleitende Szenerie
ringsumher! -
Dieſes Hesperideneilandtheilt den majeſtätiſchen Strom und
bildet mit den hart an ihm gelegenen Paläſten zu Foſtat, welche
die Konſuln bewohnen und unter denen ſich auch der Palaſt Mehe-
med Alis befand, eine Waſſerſtraße, die zumal für die Beſitzer
jener Prachtwohnungen ihres Gleichen nicht hat.
Kühlung ſtrömt von den Wellen des Nil zu den offen gehal-
tenen Lufträumen, Luft fängen und Ventilatoren jener Zauber-
paläſte, und Zephire tragen die Düfte von Orangen, Roſen, Aka-
zien, Myrthen und Jasmin zu den Jalouſien und leicht vergitterten
Balkonen, (den Meſchrebijehs) hinauf, durch deren Schiebfenſterchen
die großen brennenden Augen der arabiſchen Frauen alle Paradie-
230
ſespracht des kleinen Inſelreichs überſchauen, das wie eine grünende,
blühende und fruchtſtrotzende Opfergabe dem alten Nilgott entgegen-
zuſchwimmen ſcheint.
Der majeſtätiſche, geheiligte, geheimnißvolle, ſich immer ſelbſt
gleiche Strom, mit jenen pyramidalen Steinthoren, „welche
die Zeit ſelbſt zu fürchten ſcheint“, am Saume der ſchwei-
genden Wüſte, und über dieſen Sinnbildern der Ruhe und Unwan-
delbarkeit der ſich ewig gleiche afrikaniſche Sternenhimmel: das iſt
eine Harmonie von Szenen und Vorſtellungen, wie ſie nicht leicht
an einem zweiten Orte der Erde dem Geiſte, der Seele und den
Sinnen zugleich aufgeſpielt wird.
Um aber die konkreten Dinge nicht zu vergeſſen, ſo berichte ich
zur Abfriſchung von der Wüſte, deren immer mehr um ſich greifenden
Zerſtörungsprozeſſen kein Einhalt durch Menſchenkräfte geſchehen
kann, wie folgt: -
Auf der Inſel Roda befinden ſich alle tropiſchen Gewächſe im
liebenswürdig tumultuariſchen Rendez-vous. Da ſind: Kaffeebäume,
Vanillenſträucher, Bananen, Johannisbrotbäume, Bambusrohr,
Tamarisken, Oleander, Kaktusfeigen, Aloe, Quaſſiamimoſen,
Gummi-Elaſtikumbäume, Pompelmuſen und Sykomoren; da ſind
alle möglichen Orangen und Palmenarten zu einer künſtlichen
Wildniß durcheinander gepflanzt worden und ſo ins Gelage hinein-
gewachſen, daß z. B. eine Sykomore den Umfang von 4 Klaftern
erreicht hat. Hier giebt es Fächerpalmen mit kurioſen Früchten,
Delebpalmen oberhalb des Sennär unter dem 10. Grade nördl.
Br. zu Hauſe, beide mit ſchöner glatter Rinde angethan; die Dom-
palme, die ſich erſt bei Ssiut findet; das ſchönſte aber ſind vielleicht
Myrthen- und Hebyskushecken von ſechs Fuß Höhe und fünf
Fuß Dicke, die einen großen Theil der Gärten im nördlichen
Theile der Inſel durchziehen.
231
Kanäle durchſchneiden alle Raſenplätze, in Waſſerbecken ſpie-
geln und tränken ſich die dürſtenden Blumen und die Roſenmaſſen,
welche in allen Schattirungen von Weiß, Roth und Gelb faſt das
ganze Jahr hindurch blühen.
Eine breite Terraſſe führt an der nördlichen Spitze, wo ſich
auch eine Muſchelgrotte befindet, bis zum Nile hinab, der ununter-
brochen zwiſchen den maſſenhaften Pflanzungen und Fruchtgärten
von Alt-Kairo fortſtrömen darf, und an dem ſüdlichen Ende der
Inſel ſteht der Nilmeſſer, unter dem man ſich eine einfache Säule,
den Zeiten der ägyptiſchen Könige entſtammend, zu denken hat.
Ein Morgenritt durch jene köſtlichen und wunderbaren Plan-
tagen, welche die ältere Stadt mit der neuern verbinden, gehört zu
den Genüſſen, die nur Kahira in ſolcher Weiſe gewährt. Gleich-
wohl zerſtört auch hier ein dicker Staub auf allen Blättern
nur gar zu poſitiv das geträumte wie das wirkliche Paradies.
Adie an Kahira.
Mit der Anziehungs- und Abſtoßungskraft einer geiſtigen Atmoſphäre
die aus unfaßbaren und unleugbaren Atomen um den Körper eines jeden
Lebens gebildet iſt, erkläre ich mir, was ich ſonſt nicht erklären kann.
Wie ging es ſonſt wohl zu, daß Kairo mir ſo ungemein gefiele!
Eine weite Fläche, charakterloſe Höhenzüge, unendlicher Sand, dann
auf dem kultivirten Boden eine ſehr reiche, ich möchte ſagen, köſtliche Ve-
getation, welche aber, weil ſie künſtlich und mühſelig hervorgebracht wird,
an Einförmigkeit leidet, wie z. B. die in Reihen gepflanzten Palmen-
waldungen. Das ſind doch im Grunde genommen, keine reizenden Ele-
mente – und doch greift das Ganze ſo wunderbar ans Herz.
(Ida Hahn-Hahn.)
Es iſt ein eigen Ding, von Menſchen und Orten auf immer
Abſchied nehmen zu müſſen. Wir kommen nicht zum Schluſſe eines
Buches, das uns angezogen hat, ohne das Gefühl der Endſchaft
aller Erdendinge, und nach einem fremden Welttheil kehrt man nicht
ſo leicht zurück.
Je glücklicher man an einem Orte und mit Menſchen war,
deſto ſtärker ergreift uns beim Scheiden die Vorempfindung des
Todes, deſto tiefer drückt dieſer ſeinen Stachel in unſer Herz, das
eben an die Geſtalten und Lebensarten dieſer Erden- und Sinnen-
welt gekettet iſt.
Man kann aber von Kahira ohne Uebertreibung ſagen: es
gebe für die Fremden wenig Orte ſolchen Zaubers und Komforts
in der Welt. Für den Europäer hat das Leben dieſer Stadt einen
wahrhaft großartigen Styl.
Nirgend in der Fremde fühlt man ſich ſo heimiſch, ſowohlauf-
gehoben, ſo wenig von Verwaltungs- und Polizeimaßregeln behelligt,
ſo von allen beengenden und kleinlichen Verhältniſſen befreit, wie
in dieſem wunderbaren Ort.
Es iſt auch gar nicht anders möglich, wenn man irgend ein
an Leib und Seele geſunder, einigermaßen geweckter und gebildeter
Menſch iſt.
Kahira wirkt durch ſeine Umgebungen wie durch ſeine Bauart,
durch Natur und Kunſt zugleich, durch ſein Klima, ſeine Luft, ſeine
gefällige, natürliche Lebensart, ſeine tauſendfältige Szenerie, endlich
durch ſeine Erinnerungen aus allen Zeiten, von der Sündfluth bis
zum laufenden Jahr; durch den Magnetismus, welcher von all den
Wunderſtätten, von den Pyramiden, von Heliopolis, den Kalifen-
gräbern, der Zitadelle, von der Wüſte, dem Nil und den köſtlichen
immergrünen Gärten auf Seele und Geiſt ausſtrömt, einen un-
ausſprechlichen Reiz.
An einer Stätte, wo drei Welttheile, wo drei Religionen zu-
ſammenſtoßen, wo ſich faſt alle Nationen der ziviliſirten Erde und
ſelbſt die halbwilden Völker in ihren bedeutendſten Trägern und
Repräſentanten, in Sklaven und Herren, in Reiſenden und Gelehr-
ten, in Künſtlern, Kaufleuten, Handwerkern, in Weltverbeſſerern,
in Verbannten und Glücksrittern ein Stelldichein geben; wo von
den Pyramiden herab die Jahrtauſende in jedes Gewiſſen reden,
und die Wüſte der Bodenkultur, alſo der Natur ſelbſt den Unter-
gang droht, aus einer Stätte, die faſt aus ſo vielen Denkmälern
untergegangener Menſchengeſchlechter, wie der Diluvialboden des
Nilſtroms aus Schlammſchichten beſteht, in dieſem Tummelplatz,
dieſer ungeheuern Rumpelkammer von Kulturfragmenten, auf dieſer
bleibenden Ausſtellung von Nationalitäten; da muß ſich die Spieß-
234
bürgerlichkeit abſchleifen, die Ichſüchtigkeit und die nationale Eitel-
keit ſich im Sande verlieren, da muß die leere Förmlichkeit, die Un-
natur, die leidige hohle Konvenienz verrinnen, die abſtrakte Schul-
bildung ſich in die Luft geſchnellt, doch in Nichts aufgelöſt ſehen. –
Hier wird dem Partikularismus, den kleinlichen, tauſendfälti-
gen Unterſchieden, Rückſichten, Maßſtäben, Intriguen und Motiven,
welche die Menſchenwelt ſo beklagenswerth zerkrümelt, ſo in ihren
heiligſten und gemeinſamſten Intereſſen zerklüftet haben, durch die
ungeheuerſten Welteindrücke, Weltbilder und Weltmahnungen ge-
wehrt. Hier ſehen ſich bei den gebildeten Fremden und in den
tiefer organiſirten Menſchen Natur und Uebernatürlichkeit
wiederum in ihre urewigen Rechte eingeſetzt. A
Dieſe Beduinen-Araber, die in ihre weißen Mäntel gehüllt,
mit ihren langen Stäben von der Wüſte hereinkommen, dieſe ſchwar-
zen Sklaven, dieſe armſeligen Fellahs und Eſelbuben, das ganze
nackte, frugale und doch fröhliche, begnügte Leben und Treiben des
arabiſchen Volkes; dieſe ägyptiſchen Lüfte und Balſamdüfte, dieſe
üppigen Fruchtfelder und Gärten, im Abſtiche der Wüſten und
Steinklüfte, zwiſchen denen ein Weltſtrom ſeine Wogen zum Meere
wälzt, pflanzen Natur in die Seele, und predigen Wiſ-
ſenſchaft dem Geiſte, wo anders noch für Beide ein fruchtbarer
Grund und Boden übrig geblieben iſt. Dieſe zertrümmerten Welt-
ſtätten und Weltreiche, die Wüſten, die Pyramiden und das Meer
zeigen über die Endlichkeit hinaus in ein überſinnliches, in ein über-
natürliches Reich. Man kann ſich dieſer irdiſchen und himmliſchen
Symbolik, welche ſogar aus dem ewigklaren ägyptiſchen Sternen-
himmel zum Menſchen zeichenredet, nicht entziehen, wenn man an-
ders ein denkender und fühlender Menſch iſt. Man unterliegt hier
alſo ſideriſchen wie magnetiſchen Einflüſſen, dem Naturalismus wie
dem Supernaturalismus. Man wird in gleicher Weiſe, ohne daß
man es weiß und will, Realiſt und Idealiſt, ſo daß es zuletzt eine
235
echt menſchliche und „konkret abſolute“ Art hat, und dies meine
ich, iſt dann eben der großartigſte Styl, den es giebt.
Eben in dieſer Natürlichkeit der kahiriniſchen Lebensweiſe, in
dieſer Weltatmoſphäre, in der freien Phyſiognomie, die hier
das Thun und Treiben der Fremden und Nichteingeſeſſenen hat; in
dieſem Reiten, Pilgern, Umherſchweifen, Ausruhen, Genießen und
Wachträumen, in dieſen unausſprechlichen Gegenſätzen des Mate-
riellſten und Ideellſten, der Hingebung an den Augenblick und der
Erinnerung an alle die Urgeſchichten der Welt; in der Art und Weiſe,
wie in dieſem Lande Zukunft und Vergangenheit der Gegenwart
im Schooße ruhen; in und über dieſen ungeheuern, von allen
kleinlichen Maßſtäben, Sorgen, Intriguen und ſpießbürgerlichen
Miſeren losgerungenen Weltprozeſſen und Zukunftswehen, in die-
ſem arabiſchen Wüſten-Naturalismus, wo unter der Zeugenſchaft
der Strauße und Giraffen, wie der Löwen und Hyänen die Reli-
gionen ausgebrütet und ausgebildet wurden, welche noch heute die
Welt beherrſchen: da liegt der große, der himmelswüchſige Keim
einer wahren Menſchenfreiheit, der Befreiung von Dummheit und
Unduldſamkeit, von Fanatismus und Förmlichkeit in jedem Sinn, da
liegen die Bedingniſſe, die befruchtenden und erziehenden Elemente
zu jeder großartigen Auffaſſung und Anſicht der Dinge, zu einer bil-
ligſten, objektiveſten, wahrhaftigſten Beurtheilung von Geſchichten,
Völkern und Weltverhältniſſen, da iſt der Boden für eine abgeklärte
Lebensſtimmung, für eine Welttoleranz, Humanität und Weltphi-
loſophie. Hier wird eine Aetherhöhe des Geiſtes und des Urtheils
gewonnen, die mit den Sternen über den Pyramiden und mit dem
Weltſtrome korreſpondirt.
Unter Palmen, geht die Rede, wandelt Keiner ungeſtraft, weil
der Menſch von heute den Naturalismus, weil er die
nackte Natur nicht mehr aushalten kann. In Kahira, in
Aegypten aber findet dieſer Naturalismus ſein genügendes Gegen-
236
gewicht. Hier entſproſſen alle Religiönen, alle Künſte und Wiſſen-
ſchaften, alle Kulturgeſchichten haben hier ihren Quell. Hier
bildeten ſich von Anbeginn Natur und Uebernatürlichkeit in Eins.
Wenn an irgend einem Orte der Menſch die Natur, den Genuß,
die Poeſie, die Träumerei, die Paſſivität auszuhalten, wenn er
alſo irgendwo auf Erden „unter Palmen ungeſtraft zu wan-
deln“ vermag, ſo darf es unter den Palmen von Kahira geſchehen.
Dieſer Stadt bleibt um ihrer Lage und Geſchichte willen eine
große Zukunft aufbewahrt.
Der Ritt zu den Pyramiden.
Die im Nilthale einheimiſch gewordene farneſiſche Mimoſa
(Mimosa farmesiana), welche als Heckengewächs am Saume
der Dörfer und Felder ſteht, begann mit ihrem feinen, jas-
minartigen Dufte das Lied der Wohlgerüche, dann folgten
die zwiſchen den Palmenwäldern weithin ausgebreiteten Fel-
der der blühenden ägyptiſchen Bohnen, der Lupinen
und des Alexandriniſchen ſo wie des Trigonellenklees mit
einer Stärke und Mannigfaltigkeit der Düfte, wie ſie ein
Maienmorgen in unſern Orangengärten oder über den Beeten
der Hyazinthen und Jonguillen erweckt; alle Getreidearten
Aegyptens, untermiſcht mit der jungen Ausſaat des Hanfes
und Mohns, prangten im friſcheſten Grün des jungen Hal-
mes. Die Landleute waren in den Palmenwäldern, deren
auf unſerm heutigen Wege einer auf den andern folgte, be-
ſchäftigt die Dattelbäume zu reinigen, an deren Blätterſchopfe
ſich ſchon die Kolben der neuen Blüthen entfalteten. Auf den
Gipfeln der vereinzelt ſtehenden Bäume wiegte ſich der große
weiße Ibis (Tantalus Ibis) mit roſenrothen Schwingen; da-
zwiſchen vernahm man den Geſang einiger lautſtimmiger
Vögel vom Geſchlecht der Droſſel und Lerche. Von Zeit zu
Zeit öffnete ſich "durch die Lichtung der Palmenwälder die
Ausſicht auf den Nil und die mit günſtigem Winde ſtrom-
aufwärts ſegelnden Schifflein, auf die Felſenhöhen des rechten
Ufers bei Torrah mit ſeinen Landhäuſern und Burgen.
(H. Schubert.)
In der Herbſtzeit reitet man von Kahira, das am rechten
Nilufer liegt, nach den Pyramiden, die auf dem linken Ufer ſtehen,
in drei oder vier Stunden zu Eſel hin, je nachdem man der Ka-
238
näle und Waſſerſtellen wegen, größere oder kleinere Umwege machen
muß, und wird in Alt-Kahira, Foſtat genannt, bei der Nilinſel
Ruda über den Strom geſetzt.
Ein munterer kräftiger Eſel koſtet mit ſeinem Führer, welcher
unermüdet zu Fuße hinter dem Thiere drein laufen muß, es gehe
nun im Trabe oder Galopp, für die ganze Expedition nur 15
bis 20 Silbergroſchen und ein kleines Trinkgeld obenein. Ich
machte mich am 6. Dezember 1849 mit Sonnenaufgang auf den
Weg und war mit Sonnenuntergang wieder heim.
Die Araber, welche den kurioſen Reiſenden vor der Pyra-
mide in Empfang nehmen, ihn in derſelben mit Holzfackeln um-
herführen und eventualiter vier Mann hoch zur Plattform hinauf-
ziehen, ſind freilich erſt nach langem Handeln mit einem Pauſch-
Quantum von 30 – 40 Piaſtern, alſo mit 2 – 3 Rthlr. zu-
frieden; je nachdem man den Piaſter mit 2 oder mit 2 Sgr. 3–6
Pf. berechnen will.
Gebratene Hühner, Eier, Brödchen, Apfelſinen und Anis-
branntwein, bilden den Proviant, welchen die Eſeljungen gerne
mitnehmen, weil davon etwas für ſie abzufallen pflegt. Die Eſel
aber reißen ſich beim Paſſiren der Nilniederung dann und wann
ein Maul voll Klee ab, worin es ihnen noch die arabiſchen Schnell-
läufer zuvorthun, welche ganze Hände voll verzehren, wie den
köſtlichen Sallat, und zwar ohne Eſſig und Oel; denn dieſe Zu-
thaten haben ſie in ihrem Magenſafte und Blut. –
Der Ritt iſt zumal in Geſellſchaft von Bekannten und Freun-
den, und an einem ſchönen Dezembermorgen, über jede Beſchrei-
bung erquickend, poetiſch, abenteuerlich, kurz ſo luſtig und ſchön,
daß man ſein Leben lang auf ſolche Weiſe, in ſolcher Stimmung,
auf ſolchem Wege, in ſolchem Wetter, unter ſolchen Szenen und
mit der Ausſicht auf ein ſo wunderbares Ziel unterweges ſein
möchte. – Man erlebt das Beſte und Schönſte aber nur einmal.
239
Durch das endloſe Gaſſenlabyrinth Kahira's geht's im
ſchärfſten Trabe und Galopp, und je beſſer die Eſel rennen, deſto
toller werden ſie geſtachelt und gepeitſcht. Ob man proteſtirt oder
nicht, der Eſeljunge, der für ſeine extraordinaire Thätigkeit doch
zuletzt auf ein extraordinaires Trinkgeld rechnet, lacht über alle
Proteſtationen, indem er immer von friſchem auf die Thiere los-
ſchlägt. Die Ambition der Eſel und Reiter, die ſich in allen
Gaſſen ſtreckenweit zuſammenfinden, kommt dazu; die Jungen
ſchreien ihr „Jeminak“, „Schimlak“, (weiche zur Rechten, zur
Linken), oder wenn der Eſel an Reiter und Mauern anzurennen
droht, „Dahrak“ (dein Rücken), „riglak“ (deine Ferſe), ,,gembak“,
(deine Seite), auch alle dieſe ſtehenden Worte auf einmal; – und
ſo geht die Kavalkade wie toll und blind durch alle die bandwurm-
förmigen Gaſſen, der Zitadelle vorüber, (die links liegen bleibt),
nach Foſtat zum Nil. Hier wird täglich Markt mit allen mög-
lichen Lebensmitteln gehalten, mit Fleiſch und Fiſchen, mit Tau-
ben, Hühnern, Eiern und Apfelſinen; mit Bohnen, Lupinen, Lin-
ſen und „Kichern“; mit Weizen, Gerſte, Durrah, türkiſchem Weizen
(deſſen geröſtete Kolben aus freier Fauſt verzehrt werden), mit
Brodfladen, Zwiebeln, Rettigen und Gemüſen; desgleichen mit
Eſelheckerling, mit Taubenmiſt für die Gärtner, und was weiß
ich womit ſonſt. Es iſt auf dem Markte ein Gewühl von Wei-
bern und Männern, von Fellahs und Bürgersleuten, von Bett-
lern und Laſtträgern, von Kameeltreibern und Eſelbuben, daß man
in die Wogen eines Menſchenmeeres geräth, in welchem man un-
terzugehen glaubt. Aber die Eſeljungen ſind unermüdliche und
humoriſtiſche Platzmacher; was nicht freiwillig aus dem Wege
gehen will, wird übergeritten und zur Seite geſtoßen, ohne daß
der übel Behandelte ſich anders als mit einem Schimpfworte oder
einer Zorngeber.de rächt. Es iſt mal ſo die arabiſche Lebensart,
überall kurzen Prozeß mit perſönlichen Hinderniſſen zu machen,
240
und ganz beſonders ſobald Geld zu gewinnen ſteht. Man ſtößt
und tritt und wird contra geſtoßen und getreten. – Reiſende zu-
mal haben überall das prae, und in Prozeſſen iſt grundſätzlich
gegen die Einheimiſchen der Verdacht des Unrechts und der Schuld
maßgebend; das iſt wenigſtens Raiſon bei der Polizei. – Im
Beiſtande ſolcher Parteilichkeit fühlt man ſich denn durch den gan-
zen Jahrmarkt und jedes andere Getümmel, wie einen Keil hin-
durchgetrieben, und am Ufer des Nils, bevor man ſich deſſen ver-
ſieht. Hier wollen die Thiere nie gutwillig in den Kahn, man
bringt es ihnen aber mit fürchterlichen Hieben und unbarmherzigen
Gewaltmanövern bei. – Iſt ein Eſel gar zu obſtinat, ſo tragen
ihn ſtarke Kerle mit ſammt dem Reiter, falls dieſer ſich bequem ge-
nug giebt, in den Prahm, und der ganze Trödel wird von den
Eſeltreibern ſowohl, wie von den Schiffern mit der unverwüſtlich-
ſten Laune und Lebensluſt abgemacht, denn am Ziele winkt der
Bakſchieſch, welcher nach Verhältniß der Umſtände gezahlt wer-
den muß. –
Wenn der Reiſende nun ſelbſt guten Humor merken läßt,
wenn er dieſen Schnellläufern von Eſeljungen Branntewein, Eier
und Durrahfladen austheilt; wenn er ihnen Bakſchieſch verſpricht,
wenn er auf ihre Luſtigkeit halbwege eingehen will, dann überſteigt
ihre Tollheit alles Maß, und in dem Falle erzwingt zuletzt doch
nur ein Hieb mit der Reitgerte, ſo ſchwer er dem freien und gut-
müthigen Reiſenden ankommt, die nothwendige Raiſon; aber ein
Schluck aus der Schnapsflaſche, ein gutes Wort, machen wieder
die plaſtiſchen Demonſtrationen und Handgreiflichkeiten gut. –
Es iſt eine wahre Luſt und ein wahrer Jammer, mit dieſen Ara-
bern und insbeſondere mit den Eſeljungen umzugehen. Man kann
nie einig mit ſich werden, ſoll man ſie für gutmüthiger oder bös-
artiger, für obſtinater oder dienſtwilliger, träger oder lebhafter,
verſchmitzter oder naiver, begnügſamer oder unverſchämter halten.
241
Sie ſind ein Quirl von allen möglichen entgegengeſetzten Eigen-
ſchaften, aber Biergelderwuth, Scham- und Ehrloſigkeit ſind die
gräßliche Drei, welche das Hautrelief ihres im Allgemeinen
liebenswürdigen Naturells ausmachen darf. –- Und doch
hat dieſe Liebenswürdigkeit um jener Scham- und Ehrloſigkeit, und
um der Geldgier willen, etwas, worin ſie der Septemberfliege bei
uns gleicht, die ewig abgewehrt, ewig auf demſelben Punkte an-
greift, wo ſie mal Blut geſogen hat. –
An jenem wunderſchönen Tage ſtanden noch überall Waſſer-
tümpel auf dem Niederungsboden; es ging alſo um dieſe herum
durch kleine Palmenhaine, durch Dörfer, durch kleine und große
Kanäle, über Dämme hinweg, auf Dämmen entlang, durch große
Klee- und Saatfelder, über Sturzäcker, kurz, durch eine ſolche köſt-
liche, fabelhafte Agrikultur und Bodenmannigfaltigkeit, durch ſo
wechſelnde Bilder und Szenerien des Wachsthums, der Fruchtbar-
keit, des himmliſchen Segens und Gedeihens, und die Morgen-
Zephire buhlten dabei ſo luſtig in den Blüthenhäuptern des dicht-
ſtehenden Klees und ſchwängerten die klarſten und friſcheſten Lüfte
mit ſo wundervollem Arom, daß mein höchſter Ungeſtüm, die bald
näher und ferner, bald größer und kleiner ſcheinenden Pyramiden
endlich unmittelbar vor mir zu ſehen und mit Händen abzutaſten,
dieſer Morgenluſt weichen mußte. In ſolchen Augenblicken empfin-
det man mit ſchwellendem Herzen und trunkenen Sinnen, trotz
allem Erdenjammer, das alte und ewig neue Paradies.
Endlich waren wir an Stelle und Ort. Die Pyramiden erſchei-
nen allerdings mehr und minder maſſenhaft, je nachdem man
ihnen ferner und näher ſteht, und ſie von dem einen oder dem an-
dern Standpunkte aus zu Geſichte bekommt: in allen Fällen aber
iſt der Eindruck dieſer älteſten, gewaltigſten und räthſelhafteſten
Bauwerke ein ſo wunderbarer und bewältigender, daß die Seele
bei wachem Muthe ins Sinnen und ins Träumen geräth.
16
242
Als ich nun wirklich vor dieſen Weltwunderwerken ſtand,
da mußte ich wie Einer, der Geiſter ſieht, bei mir ſelbſt ausrufen:
alſo doch wahr, alſo die Giganten und Titanen keine Fabel, wirk-
liche Felsberge von Menſchenhänden gebaut!
Ja es iſt ein Ungeheures mit dieſem Bau; – er iſt ein
Spiegelbild der uralten Menſchenphantaſie. Von gen Himmel
gethürmten Steinmaſſen zeichenreden hier zu den Nachgebornen,
zu Menſchenkindern einer machtloſen Zeit: der älteſte Menſchen-
glaube, der adamitiſche Natur- und Gottesinſtinkt, die unge-
ſchwächte Thatkraft, die Herrſchertyrannei, der Titanenübermuth.
Die älteſten Kultur- und Naturgeſchichten des Menſchenge-
ſchlechts, die Jahrtauſende ſelbſt ſind es, welche am Saume der
Wüſte ihre ungeheuern. Denkſteine zurückgelaſſen haben, Markſteine
auf der Grenzſcheide zwiſchen Leben und Tod, zwiſchen dem liby-
ſchen Sandmeere und den Fruchtfeldern eines Weltſtromes, der
geheimnißvollen Quellen entſtammend, von todten Felsgebirgen
auf beiden Seiten begleitet, aus unbekannten Ländern die be-
fruchtende Erde herbeiführt, welcher das alte Aegypten ſeinen
Ueberfluß, ſeine Macht und ſeine Geſchichte, das neue Aegypten
aber ſeine Lebensnothdurft ſelbſt unter Tyrannengeiz und Hab-
ſucht verdankt! –
Nicht die Maſſenhaftigkeit als ſolche, nicht die bloße Vor-
ſtellung der aufgewendeten Arbeit und Mühſal; wohl aber dieſe
Felſenſymbolik des altägyptiſchen Gemüthes, einer Menſchen-
kraft, welche Berge zu ebenen und ein Kunſtgebirge aufzubauen
vermochte; die Sinnbilder der Unendlichkeit, der Ewigkeit, „die
zu den Augen ſprechen,“ dieſe gegeneinander geneigten Pyramiden-
wände, die „wie zum Gebet emporgehaltene Steinhände“ anzu-
ſchauen ſind, – die uralte Gottesnothdurft, die bis zum heutigen
Tage noch Thürme in den Himmel reckt, und ſolchergeſtalt ſchlanke,
lichtdurchbrochene, von der heidniſchen Erdenſchwere und Dunkel-
243
heit befreite, chriſtliche Pyramiden zu den deutſchen Münſtern hin-
geſtellt hat; – die Sprache, die Mahnung der Jahrtauſende,
die im Todesſchweigen der Wüſte zum letzten Ueberreſte des alten
Menſchengewiſſens herübertönt: das iſt es, was den Beſchauer ſo
allmächtig ergreift, was ſeinen Profanverſtand ſo überwältigt, daß
er die mitgebrachten Maßſtäbe und Vorſtellungen, daß er Heimath
und Gegenwart vergißt, daß er den Zuſammenhang mit der mo-
dernen Welt und Zeit verliert, – daß er ſich in die uralten Men-
ſchengeſchichten, in die Gottesgeſchichten zurückträumt, die immer
und nimmer geſchehen, daß ihm in dem unendlichen Wüſten-
raume, im ſonnenlichten Feueräther, in welchem die Pyramiden-
ſpitzen verglühen, zu Muthe wird, als wolle auch ſein ſterbliches
Theil der Erdenſchwere enthoben, in das All und die Ewigkeit zu-
rückgelöſet ſein! –
16*
Materielles Signalement des Aeußern und Innern der
Cheopspyramide.
„Alles fürchtet die Zeit, aber die Zeit fürchtet die
Ppramiden.“
Arabiſches Sprichwort.
V
Es giebt Pyramiden bei Gizeh, Abuſir, Sakarrah und Daſchur;
– Pyramiden von Liſcht, Meidum und Rigah, beim Labyrinth
und ihrer Hundert in Meroe. – Pyramiden bei Barkal, Nuri,
Tankaſſi, Kurru und Zuma. Die merkwürdigſten ſind jedoch ohne
Vergleich die Pyramiden von Gizeh, ſowohl was Alter, Phantaſie
und Koloſſalität, als was Baumaterial und Präziſion in der Aus-
führung betrifft.
Ich habe es alſo in der folgenden Beſchreibung nur mit dieſen
Pyramiden bei Gizeh, d. h. bei Kahira zu thun – Perrings
Meſſungen und Aufnahmen der Pyramiden ſind die zuverläſſigſten
und eben darum auch von Lepſius benutzt.
Die drei Pyramiden in der Nähe des Dorfes Gizeh erheben
ſich etwa 100 Fuß über dem Nil, auf einem Plateau des libyſchen
Gebirges, das vollends durch Kunſt geebnet zu ſein ſcheint und ſich
hier im Sandmeere verliert, ſo daß jene rieſigen Bauwerke ohne
Nebenbuhlerſchaft von Gebirgshöhen wie ein Thor der weiten
Wüſte daſtehen. –
245
Der mächtigſten Pyramide, der des Cheops (Chufu), nähert
man ſich nicht ohne einige Kletterkünſte auf ihrer ſüdöſtlichen Seite,
die im Sande und im Schutt einer kleinen Pyramide oder den
Ueberreſten von Pylonen") ſteckt, welche noch in Herodots Zeiten
den Eingang zu der prächtig gepflaſterten Plattform am Fuße der
großen Pyramide zierten. Hier geſchieht es alſo, daß man zuerſt
die Werkſtücke betaſten und beſchauen darf. Der größte Theil der-
ſelben mag aus ein und derſelben Gebirgsmaſſe, dem ſogenannten
Nummulitenkalke von Thorrah und Meſſorah im gegenüberliegen-
den Mokattam beſtehen; man endeckt aber ſogleich Blöcke von ver-
ſchiedenartigem Kalkſtein und es werden wohl auch Werkſtücke von
dem Fels vorkommen, der beim nothwendigen Planiren des Ge-
birgsgrundes an Ort und Stelle gebrochen (und in Maſſen bei
der zweiten ganz ſichtbar pfuſcherhaft gebauten Pyra-
mide, der des Chephren, angewendet worden iſt).
Die regelmäßig von allen Seiten behauenen Werkſtücke, aus
denen die Pyramide des Cheops mit vollkommener Sorgfalt, Akku-
rateſſe, Kunſtfertigkeit und Mechanik errichtet worden iſt, meſſen
zumeiſt gegen 6 Fuß Länge, und ſind etwa 3% Fuß dick, ſo daß man
auf den ſchichtweiſe von allen Seiten in einer Breite von 9% Pa-
riſer Zoll eingerückten Steinen wie auf eben ſo viel tiſchhohen Stufen
hinaufſteigen muß, was bei 202 Schichten, ungeachtet der Beihülfe
von drei oder vier Arabern (die den Reiſenden ſchieben und bei den
Händen hinauf ziehen) doch eine höchſt anſtrengende Gymnaſtik iſt,
und die Beinmuskeln noch mehr anſtrengen würde, wenn die Steine
auf der obern Hälfte der Pyramide nicht um die Hälfte niedriger
*) Unter Pylonen verſteht man die thurmhohen, pyramidenför-
migen, oben abgeſtumpften und von einem Simswerk eingefaßten Pfeiler
der wunderbaren Rieſenthore, durch welche man noch heute zu den
Prachtruinen Thebens eingeht. –
246 .
wird er 3 dazu ſind ſie noch durch die von der Spitze herabgerollten
Werkſtücke ſo beſchädigt worden, daß der Fuß oft genug kleinere
Abſä3e findet, als eben ſolche von drei oder vier Fuß. –
Die Cheopspyramide, welche 450 Fuß hoch und deren Spitze
s weit abgetragen iſt, daß ihr Plateau 14 gewöhnlicher Schritte
ins Gevierte beträgt, bildete urſprünglich mit ihren vier Seiten-
flächen eben ſo viele gleichſeitige Dreiecke, deren Grundlinie
(Sockellinie) 753 preußiſche Fuß mißt, ſo daß die Steinmaſſe eine
Fläche von 21% Morgen preußiſch bedeckt.
Nicht die Flächen, ſondern die Ecken der großen Pyra-
mide ſind noch heute genau auf die vier Weltgegenden gerichtet, ein
Beweis, daß die Erdachſe ſeit 5000 Jahren (ſo alt ſchätzt Lepſius
die Pyramiden) ihre Neigung nicht bemerklich verändert haben
kann. –
Der Eingang befindet ſich auf der nordöſtlichen Seite,
45 Fuß hoch über der Grundfläche in der 15ten Schichte der Werk-
ſtücke; da aber auch dieſe Seite in Trümmern und Wüſtenſand be-
graben iſt, ſo gelangt man von der vorbemerkten, ſüdöſtlichen
Seite zu der wunderſamen Oeffnung, die mit ungeheuern 10 bis
12 Fuß langen und proportionirt dicken Granitblöcken ein-
gefaßt iſt. Zwei derſelben, in horizontaler Richtung übereinander-
gelegt, bilden die Decke der Pforte und zwei Paar andere ſind noch
über jenen erſten Balkenſteinen wie Dachſparren gegeneinander ge-
ſtützt. Dieſe ſechs behauenen Granitblöcke und diejenigen, welche die
beiden Pfoſten bilden, nehmen in Höhe und Breite einen ſolchen
Raum ein, daß nach der Entfernung der Verkleidung, d. h. der
prismatiſch geſtalteten Polſterſteine, mit denen die Stufenab-
ſätze urſprünglich ausgefüllt waren, der Eingang leicht
zu erkennen war. Die Steine, welche die Oeffnung verſchloſſen,
ſollen kegelförmig behauen und ſolchergeſtalt verhältnißmäßig leich-
ter zu entfernen geweſen ſein. –
247
Die unterſte Steinſchichte, die man am beſten an der zweiten
Pyramide des Chephren (Chafra) unterſucht, ruht auf dem, zu
einem regelmäßigen Sockel von 5 Fuß 8/2 Zoll Höhe
behauenen Felsgrunde, und iſt in dieſen ſelbſt ſieben bis acht
Zoll hineinvertieft oder eingelaſſen, wie es genannt wird.")
Der Felsgrund erhebt ſich beinahe 100 Fuß über den
höchſten Waſſerſtand des Nil und hat, auf 200 Fuß Tiefe unter-
ſucht, dieſelbe gediegene Steinmaſſe gezeigt. Die Werkſtücke könn-
ten nicht leicht ſorgfältiger behauen, in geraderen Linien über-
einander gelegt und vollkommener zuſammengefügt werden, als
bei dem Bau der größten Pyramide, ohne Zuhülfenahme von
Kalkmörtel geſchehen, da die Steine hinlänglich durch ihre bloße
Schwere zuſammengehalten ſind, und der ganze Bau, die engen
Gänge und verhältnißmäßig kleinen Kammern abgerechnet, keine
Höhlung erhielt, ſondern durchweg maſſiv ausgeführt iſt. –
Jeder Stein ſoll überdies an ſeinen vier Kanten der Länge
nach in den auf ihm liegenden Stein eingefügt ſein; der untere
Stein, in welchen eine 2 Zoll tiefe Rinne ausgehauen iſt, nimmt
einen gleich großen Vorſprung (Leiſte) von dem obern Werkſtücke
auf. Nach dieſen Notizen über die äußerliche Beſchaffenheit
*) Man erſieht aus dieſem maſſiven Sockel, daß die auf ihn
gebaute Pyramide nicht allmälig von einem kleinen Kern, (wie
dies Lepſius an einigen Pyramiden von Sakarrah und an mehreren in
Meroe entdeckt hat,) durch immer weitere Umhüllungen (Steinmäntel),
ſondern gleich im Anfange ſo maſſenhaft angelegt und aus-
geführt worden iſt. – (Da aber die Pyramide des Chephren zum
großen Theil aus unbehauenen und ſchlecht behauenen, kleinern
zuſammengemauerten Steinen und ans Bruchſtücken der
größten Pyramide beſteht, ſo unterliegt keinem Zweifel, daß auch
dieſe einen aus der Gebirgsmaſſe zugehauenen Sockel beſitzt
und alſo gleich Anfangs in ihrer ganzen Großartigkeit
projektirt und erbaut worden iſt.)
248
der großen Pyramide iſt noch Einiges über das Innere beizu-
bringen. Man muß ſich über dieſe Bauwerke mit Andeutungen
und Bruchſtücken begnügen, denn eine erſchöpfende und gründliche
Behandlung erforderte wohl ein ganzes Buch.
Der Kalif „Mamun“ verſuchte mit einem großen Aufwande
an Geld, Zeit und Menſchenkräften in das Innere des Welt-
wunders von Oſten her einzudringen, alſo umſonſt. – Als im
Verlauf der Zeit eine dreieckige Platte von Kalkſtein herabgefallen
war, welche die Granitblöcke ſo lange verborgen hatte, war auch
der Eingang entdeckt; und doch iſt bis zum heutigen Tage das
Innere ſelbſt der großen Pyramide, die am öfterſten und gründ-
lichſten unterſucht worden iſt, ſchon um der materiellen Schwierig-
keiten willen nur ſehr mangelhaft bekannt, denn weder iſt die un-
vollendete Kammer, zu der man vom Eingange unter einem Winkel
von 27 Grad hinabſteigt, das Unterſte, noch hat man das
oberſte Ende des ausgehöhlten Innern erreicht, wenn man durch
den erſten mit geſchliffenen Granitplatten ausgelegten Gang, 100
Fuß vom Eingang wieder unter einem Winkel von 27 Graden
emporſteigt, und ſo zuerſt durch einen horizontalen Gang zur
ſogenannten Kammer der Königin, dann aber, auf der unter dem
nämlichen Winkel ſich fortſetzenden Gallerie zu der größten, höher
gelegenen Königskammer gekommen iſt. In neueſter Zeit iſt ein
noch höher gelegenes Gemach entdeckt worden, in welchem man das
hieroglyphiſche Namenszeichen eines Saophis (des erſten Pharaonen
der 4ten Dynaſtie nach Manetho) gefunden haben will.
Ein am Eingange der horizontalen Gallerie befindlicher
Stollen oder Brunnen iſt größtentheils in den unter der Pyra-
midenbaſis befindlichen Felſengrund gehauen. Er hat einen
Durchmeſſer von 22 Zoll Breite und 24 Zoll Länge, und eine
Tiefe, welche, wie es heißt, erſt auf 200 Fuß unterſucht worden
iſt. Unregelmäßige, in den Wänden des Stollens befindliche Ein-
249
ſchnitte haben das Hinabſteigen möglich, wenn auch ſchon um der
verdorbenen Luft willen nicht ungefährlich gemacht. Den arabi-
ſchen Schriftſtellern zufolge giebt es mehrere Brunnen und unter-
irdiſche Gallerieen, welche von der großen Pyramide auslaufen,
und in dem Kopfe der aus dem Felſen gehauenen Rieſenſphinx
vor der Cheopspyramide eine Oeffnung, welche zu den unter-
irdiſchen Gängen derſelben hingeführt hat. – Die Nachgrabungen
unter der Napoleoniſchen Expedition haben dieſe Behauptungen
wahrſcheinlich gemacht.“) Der die Sphinx verhüllende Sand wurde
für den Augenblick weggeräumt, und man fand, daß die
Dimenſionen zwiſchen den Hinterbeinen und dem Halſe zu einem
Eingange gewählt waren, den die Pfeiler einer Thüre anzeigten
und der zu Gallerieen führte, die ſo weit in den Felſen gehauen
waren, daß ihre Kommunikation mit den Pyramiden kaum einen
Zweifel übrig ließ. –– Heute ſieht man weder von dieſer Aufgra-
bung, noch von jener früheren eine Spur: in Folge der -
ſelben wurde zwiſchen den Vorderfüßen der Sphinx
ein Tempelchen mit einer „Stele“ entdeckt.")
*) Denon erzählt: „Vor einigen Jahren ließ der engliſche General-
konſul, Herr Salt, die Sphinx durch Herrn Caviglia ganz vom Sande
befreien, wobei ſich auswies: daß der Körper des Ungeheuers größten-
theils aus dem Felſen gehauen, dagegen die Tatzen, die gegen 50 Fuß
Länge hatten, aus Mauerſteinen gearbeitet ſind.
*) Lepſius ſagt über die Sphinx: „die gewaltigen Ausgra-
bungen des Caviglia im Jahre 1818 waren längſt ſpurlos verweht.
Durch tagelange Ausgrabungen einiger 60 bis 80 Perſonen gelangten
wir faſt bis zum Fuße der Stele (einem Granitblock von 11 Fuß
Höhe und 7 Fuß Breite), welche die Hinterwand des Tempelchens bildet,
von Thutmoſis IV. aus dem erſten Regierungsjahre datirt. Er fand
alſo den Koloß ſchon vor. – In einer faſt ganz abgebrochenen Zeile
dieſer Stele wird der König Chephren genannt, warum führt aber das
Bild der Sphinx nicht ſeinen Namen? Es wird vielmehr als Har-em-chu,
„Horus im Horizonte,“ als Bild des Sonnengottes, des Vorbildes
250
Der erſte zur Cheopspyramide abwärts führende Gang von
3 Fuß 5 Zoll Höhe und Breite mündet in einen andern, eben ſo
hohen und breiten 202 Fuß langen Gang, welcher zwar in der-
ſelben Richtung, jedoch aufwärts bis zu der Höhe des Eingangs
der Pyramide aufſteigt. Ein ungeheuerer Granitblock liegt genau
in dem Winkel, wo beide Gänge zuſammentreffen, und man mußte
dieſes Hinderniß umgehen, indem man die weichern Steine fort-
brach, welche auf der rechten Seite des Ganges und parallel mit
ſeiner Richtung die Grundmauer bilden. Auf dieſe Weiſe kam
und kommt man heute noch in dieſen zweiten Gang. An ſeinem
Ende findet ſich ein Ruheplatz und zur Rechten der Eingang in
einen tiefen, in den Felſen gehauenen Brunnen. Hier beginnt
auch ein horizontaler Kanal, der 19% Toiſen lang iſt, er führt
in eine Kammer, welche man die Kammer der Königin nannte,
die 17 Fuß 10 Zoll lang und 16 Fuß 1 Zoll breit iſt. Sie iſt
leer. –
Kehrt man an den Eingang des horizontalen Ganges zurück,
ſo gelangt man in eine neue (ſchräg aufſteigende) Gallerie, welche
125 Fuß lang, 25 Fuß hoch und 6% Fuß breit iſt. Auf jeder
Seite ſind Bänke von 21 Zoll Höhe und 19 Zoll Breite. Acht
und zwanzig Löcher von 12 Zoll Weite und 6% Zoll Tiefe ſind
auf jeder Bank angebracht. Acht vorſtehende Steinſchichten bilden
die Mauern dieſer Gallerie und geben ihrem Plafond das An-
ſehen eines Gewölbes. An dem Ende deſſelben befindet ſich ein
Ruheplatz, und von da kommt man auf einen Vorplatz, der zu einer
drei Fuß drei Zoll breiten, drei Fuß 5 Zoll hohen und 7 Fuß
aller Könige bezeichnet; ebenſo in einer vor der Sphinx gefundenen
griechiſchen Inſchrift genannt. Auch kommt das Bild der Sphinx in
jenen älteſten Zeiten der Pyramidenerbauer nicht vor. – Das Räthſel
der bärtigen Rieſenſphinx iſt demnach nicht gelöſt.“ –
251
10 Zoll langen Oeffnung hinführt; es iſt der Eingang zu der
obern Kammer, welche die Königskammer heißt, der aber ur-
ſprünglich durch Steinblöcke verſchloſſen und verborgen geweſen
iſt. Dieſe Kammer hat man ganz von geſchliffenen Granit-
blöcken erbaut; ihre Dimenſionen nach Champollion ſind:
Höhe . . . 18 Fuß – Zoll 5 Linien
Nördliche Breite 32 - 2 - 8 -
Südliche - 32 - 2 - 10 -
Weſtliche - 16 - 1 - 5 -
Oeſtliche - 16 - – - 1
Am weſtlichen Ende der Kammrr ſteht der Sarkophag, eben-
falls von Granit, 7 Fuß 1 Zoll lang, 3 Fuß 1 Zoll breit und
3 Fuß 6 Zoll hoch. Seine Stellung iſt von Norden nach Süden,
ſein Deckel wurde nicht gefunden. Ueber dieſer Grabkammer be-
findet ſich ein leerer Raum, der nur 3 Fuß hoch iſt. Die Steine,
welche dieſen Raum bilden, ſind ebenfalls von Granit, behauen,
aber nicht polirt, und die des Fußbodens, der die Rückſeite des
Plafonds der königlichen Kammer bildet, ſind von ungleicher Höhe
und roh. Dieſer leere Raum bildet einen doppelten Plafond für
die königliche Kammer, indem er ſie gegen die Wirkungen des
Drucks von Oben ſchützen muß. – Der Sarkophag iſt mit
keinem Bilde und keiner Hieroglyphenſchrift geſchmückt.
Die Berechnung der für Rüben und Gemüſe an die Arbeiter veraus-
gabten Gelder, welche Herodot auf der Verkleidung der größten
Pyramide eingegraben fand, entſtammt ohne Zweifel einer ſpätern
Zeit. – Der Erbauer ſeines Mauſoleums hatte überdies keine
Veranlaſſung, mit dem Koſtenaufwand zu prahlen, der ihm ſo
ſchon den Haß der gequälten und gebrandſchatzten Unterthanen
zuzog. –
Ausſicht von der Cheopspyramide. – Die Chephrenpyramide.
Pyramide des Moſcheris. – Brunnen und unterirdiſche
Gänge der Sphinx im gegenwärtigen Zuſtande.
Von der Spitze der großen Pyramide erblickt man ihre
Schweſtern zu Abuſir; von ſieben Pyramiden die bloßen Spitzen,
ihrer fünfe ganz. – Noch ſüdlicher wie dieſe liegen die von
Sakarrah, und die letzten in dieſer Reihe ſind die Pyramiden
von Daſchur.
Der nächſte Gegenſtand, den man von der großen Pyramide
ins Auge faßt, iſt ihre faſt gleich koloſſale Nachbarin, nur durch
einen Raum getrennt wie der, welchen die Baſis des Bauwerks
beträgt. –
Dieſe Pyramide des Chephren hat noch ihre Spitze und an
dieſer die Bekleidung konſervirt, ſo daß über das Vorhandenge-
weſenſein einer ſolchen auch bei der erſten Pyramide kaum ein
Zweifel beſtehen darf. – Dieſe Bekleidung der zweiten Pyramide
beſteht aus dreiſeitigen Kalkſteinpolſtern zwiſchen den Stufen und
aus einer Art von Stuck darüber, den man unten aufleſen und
unterſuchen kann. – Was alſo über dieſe Verkleidung noch viel
zu konjekturiren und zu ſtreiten iſt, begreife ich nicht. – Auf der
253
nordweſtlichen und ſüdweſtlichen Seite markiren ſich, von oben her-
abgeſehen, die vielen Grabmäler um die Pyramiden herum in
dem Maßſtabe von gewöhnlichen Grabhügeln und Leichenſteinen,
ſo daß über die wiſſentliche und willentliche Hauptbeſtimmung der
Pyramiden, als Königsmau ſoleen, kein Zweifel obwal-
ten kann,– wie wohl von mir zum Schluß die wichtigere und
ſchwierigere Frage: nach der Form, der Koloſſalität, der
ganzen Beſchaffenheit und Symbolik der Pyramiden
zur Sprache gebracht werden ſoll. – Auf der ſüdöſtlichen
Seite mit dem Kopfe gegen Oſten gerichtet, liegt die Sphinx.
Ihr Kopfſchmuck und Vordertheil iſt ungeachtet der Ungeheuer-
lichkeit aus der Höhe nur wie ein koloſſaler Pilz anzuſchauen;
der Rücken, von welchem noch ein Paar verwitterte Schichten aus
dem Sande hervorkommen, verſchwindet nothwendig in ſolcher
Entfernung ganz. –
Bei der zweiten Pyramide zieht ſich ein Ueberreſt von koloſ-
ſalen Mauerwerken wie eine Straße in die Wüſte hinein, von
einer ſolchen kann aber ſchon um des Sandes willen keine Spur
mehr vorhanden ſein. – Das Herabſteigen von der Pyramide
hat für Einen, der ſeine Unausſprechlichen ſchonen will, viel mehr
Fatalität, wie die Aſcenſion. Man kann viel leichter hinaufge-
zogen als herabgehoben werden, und 200 Sätze zu thun, verrenkt
und verſtaucht ſelbſt einem Gymnaſten das Kreuz, wenn er eben
kein Araber iſt. Von dieſer Race war eine ganze Menge auf gut
Glück mit mir gegangen, Knaben mit Waſſerkrügen, und Einer
ſogar mit einem Spitzhammer, der meinen Namen auf den Werk-
ſtücken verewigen ſollte, was ich aber in dem gerechten Autorſtolze,
mich in deutſchen Rezenſionen der papiernen Unſterblichkeit ausge-
liefert zu wiſſen, nicht gethan. Die Unart der Schule und
Knabenzeit, das Beſchmieren der Tiſche und Wände, und nun
vollends der Pyramidenwände, juckt meine Hände nicht mehr.
254
Die zweite von Belzoni eröffnete Pyramide iſt aus viel
kleineren Werkſtücken wie die der Cheopspyramide, und offenbar
aus ihren Abgängſeln erbaut. Die behauenen Steine wechſeln
hier, wie ſchon geſagt, mit ganzen Reihen unbehauener, mit
Mörtel verbundener Bruchſtücke ab. – Verglichen mit der Pyra-
mide des Cheops, iſt die des Chephren trotz ihrer Höhe von 400
Fuß und einer Länge der Grundfläche von 680 Fuß ins Gevierte,
– nur eine großartige Pfuſcherei und Prudelei, ſowohl
in Betreff der Arbeit als des Materials. – Bereits von Außen
nimmt man wahr, daß die Schichten ohne Sorgfalt und ſogar
in bucklichten Linien aufeinander gelegt und reſp. zu-
ſammen gemauert ſind. – Daß dieſe Eile und Unakkurateſſe
vollends da verſchuldet ſein wird, wo ſie den Augen verborgen
bleiben muß, erhellt von ſelbſt. – Daß von dieſer Thatſache nir-
gend die Rede iſt, kann eben ſo befremdlich ſcheinen als der Um-
ſtand, daß dieſe zweite Pyramide nicht auf dem Plateau des Ge-
birges, ſondern in eine vierſeitig ausgehauene Vertiefung deſſel-
ben aufgebaut, und alſo dergeſtalt in die Felſenmaſſe hineinver-
ſenkt worden iſt, daß der Bau von ſenkrecht zugehauenen, und mit
Graböffnungen verſehenen 25 – 30 Fuß hohen Wänden einge-
friedigt erſcheint. – Zwiſchen ihnen und dem Fuß der Pyramide,
die auf zwei Seiten vom Sande befreit, den nackten Fels des
Gebirges als regelmäßig zugehauenen Sockel in zwei
Staffeln vollkommen erkennen läßt, befindet ſich ein breiter
Gang, der indeß auf zwei Seiten von der Wüſte verſchüttet
worden iſt. – Zu dem Sande kommen noch die Maſſen des
Schuttes, von der verwitternden Pyramide ſelbſt. – Ihr Mate-
rial ſcheint nur zum kleinſten Theile von dem arabiſchen Gebirge
hergeholt. – Die Erſteigung dieſes Baues unterliegt eben wegen
ſeiner Unregelmäßigkeit und Zerbröckelung, ungleich größeren
Schwierigkeiten, als die der Pyramide des Cheops. Die Araber
255
bringen für einen halben ägyptiſchen Thaler die Aſcenſion in 10
Minuten zu Stande. Mich gelüſtete nach dem Kunſtſtücke keines-
wegs und ich habe auch meine Araber nicht dazu animirt. In
dem Innern der zweiten Pyramide iſt noch weniger zu holen wie
in dem größeren Bau. – Als Belzoni im Jahre 1816 durch
einen der beiden jetzt bekannten Eingänge in das Eingeweide die-
ſer Chephrenpyramide eingedrungen war, ſagte ihm eine Inſchrift,
die er da antraf, daß er nicht der Erſte ſei, der dieſe Gewölbe auf-
gefunden, ſondern daß ſchon von einem Sultan Ali Muhamed der
Eingang eröffnet und wieder verſchloſſen worden ſei. –
An der dritten ohne Vergleich kleineren, und wieder etwas
ſorgfältiger gebauten Pyramide des Mykerinus oder Menkera
ſieht man 5 Reihen Granitblöcke an der Eingangsſeite
als äußere Verkleidung übereinander geſchichtet, – aber die ganze
Breite der Seite nehmen ſie nicht ein. – Der Bau ſcheint nicht
zerſtört, ſondern nie fertig geweſen zu ſein; – denn eine Unmaſſe
von Granitblöcken liegen dort umher; ganz und halb behauene
Werkſtücke, die meiſten von etwa 100 Zentnern Schwere. – Es
kommen aber auch Blöcke von 9 – 10 Fuß Länge und 4 Fuß
Dicke vor. – An dieſen Steinen konnte ich die Anwendung einer
Steinſäge nicht herausfinden, es ſchienen nur Hammer und Meißel
gebraucht. Die Reſte einer Kunſtſtraße, um die ausgeſchifften Werk-
ſtücke nach der Bauſtelle zu ſchaffen, ſind unverkennbar bei dieſer
kleinen Pyramide, ſchwächer bei der zweiten zu ſehen. – Zwiſchen
den beiden großen Pyramiden und bis zur Sphinx hin ſind mehr
wie ein Dutzend Brunnen von 50 – 60 Fuß Tiefe in das Fels-
geſtein gehauen. – Sie haben, wie der Joſephsbrunnen auf der
Zitadelle in Kahira, jeder einen Umgang und engen Raum um
die vier Wände, und ſollen durch unterirdiſche Gänge mit der
Sphinx, dem Nil und den Pyramiden in Verbindung ſtehen. –
Dieſelben Kanäle konnten freilich nie für Waſſer und Menſchen
256
zugleich gangbar, und ſo werden ſie denn doppelt vorhanden ge-
weſen ſein oder nur einem Zwecke gedient haben. – Wie einem
Menſchenkinde dieſer Zeiten bei all dieſen ober- und unterirdiſchen
Geſchichten, – dieſen Gräber-, Brunnen-, Sphinx- und Pyra-
midenmyſterien, dieſen verwirklichten Räuber-, Ritter- und Mär-
chengeſchichten der Kindheit und Jugendzeit zu Muthe wird, iſt ein
Prozeß, von dem ſo wenig etwas im Konverſationslexikon, als in
irgend einer Pſychologie zu leſen ſteht.
Neben einem ſolchen Brunnen mit doppelten Wänden, den
man durchaus nicht beſchreiben, ſondern mit ſeinem ganzen Akkom-
pagnement von Sonne, Wüſtenpyramiden, Gebirgen und der
Sphinx an Ort und Stelle überträumen muß, – ſteht da unter
Andern ein gut erhaltener koloſſaler Sarkophag aus Syenit,
mit ſchön ausgemeißelten Hieroglyphen bedeckt, – alſo das Hei-
ligthum der finſtern Gräber, auf das freie Feld und ans grelle
Sonnenlicht hinausgeſtellt. – Wir traten jetzt an die Sphinx.
Wenn man ſo mit verbundenen Augen oder mit Hülfe eines
Schlaftrunks aus der modernen Welt und Nüchternheit vor dies
Rieſenphantom der alten Aegypterphantaſie gebracht werden
könnte, ſo käme man bei lebhafter Einbildungskraft und einem
Ueberreſt von wahrer Poeſie im Leibe in den erſten Augenblicken
zur Clairvoyance. – Die ganze Länge des aus dem Fels gehaue-
nen und mit ihm zuſammenhängenden Bildes beträgt 117 Fuß.
Der Umfang des Kopfes 81 Fuß; die Höhe von der Bruſt bis
zum Scheitel des Kopfes 51 Fuß. – Dieſer ſelbſt zeigt eine
Höhlung von einigen Fuß im Umfange, – welche zu den unter-
irdiſchen Gallerien der Pyramiden geführt haben ſoll. Relata
refero; – ich war nicht im Kopfe und nicht in den Gängen; –
denn überall kriecht nur ein kurios gewiſſenhafter Engländer hin. Ich
hatte in jenen Stunden und ſeit meiner Ankunft in Theben ſo
viele unerhörte Dinge geſehen und gehört, daß mir Hören und
257
Sehen faſt verging. Eine hieroglyphiſche Inſchrift datirt aus
der Regierung Thuthmosis IV. (oder Thothmes).
Das Geſicht des Sphinx zeigt eine ganz erkenntliche, nubiſche
Phyſiognomie und zwar die eines Mannes. – Die Naſe iſt fort,
an Stelle der Augen ſind nur Höhlen zu ſehen. Dem Munde
fehlt der größte Theil der Oberlippe – und dem Kinn etwa der
dritte Theil von unten. Die rechte Wange und ihr Ohr ſind ſo
gut erhalten, daß man ſogar noch die Glätte und die rothe Farbe
der erſtern wahrnimmt. – Ob der farbige Anſtrich aus ſpätern
Zeiten herrührt, weiß ich nicht; daß er ſich unter dem bloßen
Schutze des natürlichen Daches, welches durch den gewaltigen
Kopfſchmuck gebildet wird, Tauſende von Jahren erhalten haben
könnte, iſt mir ſelbſt für den ägyptiſchen Himmel zu kurios; –
aber eine rothe Färbung habe ich geſehen. – Um aber weiter in
meinem Sphinxtexte fortzufahren, – ſo fehlt dem Munde ſo viel
von Ober- und Unterlippe, daß er faſt nur für einen wüſten und
ungeſchlachten Schnitt oder einen zerbröckelten, trocknen Felsgra-
ben angeſehen werden kann. – Am deutlichſten modellirt iſt außer
der Wange das Ohr. – Hals, Bruſt und Rücken zeigen nur ein
verwittertes Geſtein, ohne die Spur einer Modellirung und Kunſt.
Der Rücken zumal ſchaut nur eben aus dem Sande hervor, und
iſt ſo zerſchülbert und verwittert, daß man es nur an dem Kopfe
merkte, wo der Rücken fortlaufen ſoll; – das Haupt aber thut faſt
den vollen Effekt. -– "
Die Geſichtszüge der Sphinx aber graben ſich in die Seele
des Beſchauers und kommen ihm Zeitlebens nicht aus dem Sinn. –
Man könnte ſagen: das Räthſel, welches die ägyptiſche
Sphinx aufgegeben habe, ſei der Menſch ſelbſt und dies Gottes-
räthſel ſei von der griechiſchen Kunſt gelöſet worden, da von
ihr die Menſchengeſtalt in ihrer idealen Schönheit be-
griffen und abgebildet worden iſt. – Aber der andere gewaltigere
17
Faktor der Menſchennatur iſt doch die Geiſtes ſchöne, die Ueber-
natürlichkeit, die Wiedergeburt des alten Adam im Chriſtenthum;
und ſo wird das aufgegebene Sphinxräthſel erſt dann vollkommen
gelöſet ſein, wenn das Chriſtenthum allen Menſchenherzen, allen
Handlungen und Geſchichten; wenn der Kommunismus, welchen
Chriſti Lehre und Leben gepredigt hat, allen Staatseinrichtungen
und Kulturgeſchichten einverleibt ſein wird. –
Unſer Lebensräthſel iſt alſo, Dank dem Chriſtengotte, ein
ſolches im geläuterten Herzen und im Geiſte, – keines aber im
Marmor oder im Fleiſch. – Der Leib der Heidenſphinx iſt ver-
wittert und verſchüttet, aber ihr Kopf ragt noch immer aus dem
Wüſtenſande, und ihr Blick verhext noch heute im Naturalismus
und Materialismus nicht allein die muhamedaniſche, ſondern auch
die Welt, welche ſich die chriſtliche nennt. –
Die Aſcenſion. – „Schwebe zwiſchen uralten Grillen und neuen
Gedanken.“ – Die libyſche Wüſte und die Nilniederung.
Die Beſteigung der Pyramiden iſt ungeachtet der unüber-
trefflichen Beihülfe von drei oder vier muskelkräftigen und ga-
zellenbehenden Arabern, für Jeden anſtrengend bis zur Er-
ſchöpfung, der nicht für einen Turner oder einen mit ganz beſon-
dern Beinmuskeln begabten jüngern Mann gelten darf. Denn
die 4 und 2 Fuß hohen Stufen machen aus der Aſcenſion das
Kunſtſtück der höhern Gymnaſtik: wie ein Dilettant in bloßer
Kraft der Begeiſterung zweihundert übereinander geſtellte Stein-
tiſche und Bänke hinauf und nach kurzer Raſt wieder ohne Hals-
brechen herabzuſteigen vermag. Wer's alſo bei dieſem unerhörten
Experimente nicht von Natur „in den Beinen“ hat, dem hilfts
weder in den Händen noch im Kopfe, und zuletzt läßt ihn ſelbſt
die Schwärmerei für dominirende Ausſichten und ägyptiſche Vogel-
perſpektiven im Stich. – Gewiß, ich habe auch wieder bei dieſer
„pyramidalen“ Gelegenheit die ſehr „nivellirte“ Ueberzeugung an-
gefriſcht, daß der vollkommenſten Begeiſterung und Willenskraft
ein Vehikel, eine materielle Vermittelung und eine Organiſation
in Fleiſch und Blut, mit Haut und Haaren entſprechen müſſe,
17“
260
falls der ſublimſte Geiſt nicht Haare laſſen und Blößen geben
ſoll. – Ich weiß nicht, ob mich die Nilruhr, die Nilkrätze, das
Nilungeziefer, die Nilmenage und die intermittirende Todesangſt
auf dem Nil ſo mitgenommen hatten; aber erinnerlich iſt mir, wie
ich dergeſtalt abgeäſchert auf dem Plateau der großen Pyramide
(das von unten geſehen nur 3 Schritte zu haben ſcheint) ange-
kommen bin, daß ich gleichgültig gegen alle Ausſichten, Fernſichten,
Umſichten und Anſichten, wie ein „vergüſchter“ Jagdhund auf
dem mit tauſend Namen gravirten und bekritzelten Steinboden
ausgeſtreckt gewartet habe, bis ſich wieder die natürliche, ordi-
naire Lebenskraft und Elaſtizität und mit ihr der Enthuſiasmus
zu mir fand. – Als ich wieder auf die Beine gebracht um mich
ſchaute, fand ich mich nicht nur für meine Strapazen belohnt, ſon-
dern in der augenſcheinlichen Ueberzeugung, daß man immerhin
von Europa oder von Krähwinkel hieher und dann ſofort wieder
zurück geſchickt ſein könnte, ohne zu kurz und zu niedrig gekommen
oder gar geprellt worden zu ſein.
Um zuerſt von der Ausſicht zu ſprechen, ſo ſind viel geſchmack-
volle Leute und namentlich Damen des allzuidylliſchen Gefühls,
daß nur eine baum- und grasgrüne Ausſicht, die lebendige und
erquickende, und daß eine ſolche allein die poetiſche geſcheute und
berechtigte ſein kann. – -
Was mich betrifft, ſo liebe ich mit den Humoriſten das
Grüne und Graue, Theorie und Praxis, Berge und Thäler,
Fruchtfelder und Wüſten zugleich, und ſuche eben in den Ge-
genſätzen von Altem und Neuem, von Todtem und Lebendigem,
von Ruhe und Bewegung, von Flüſſigem und Trocknem, von
Winkel- und Weltgeſchichten, – von Herzpunkt und Vernunftpe-
ripherie, – von Spieß- und Weltbürgerlichkeit, die Myſterien
und Genugthuungen der Wahrheit wie der Poeſie. –
261
Kurios genug, dachte ich aber, indem ich ſo auf dem Plateau
der Cheopspyramide bald rückwärts und bald bauchwärts ausge-
ſtreckt lag, zunächſt an das moderne Literatenelend: meine a priori-
ſchen oder a posterioriſchen Weltpanoramaempfindungen und
Adamsgedanken vielleicht Jahre lang hinterher in Druckpapier
auferſtehen laſſen zu müſſen, – und meine Vorahnung ſcheint
nicht umſonſt geweſen zu ſein. –
Ich fühle mich in der That außer Stande, vor einem verehr-
lichen und geſchmackvollen Publiko von heute aufzuſagen, wie
von meiner Kleinſtädterſeele auf der großen Pyramide die klein-
große Gegenwart vorwärts und rückwärts überträumt worden iſt.
Auf dieſer älteſten und höchſten Kulturſtelle findet ſich auch
ein Epigone, durch eine ſolche Kluft von Tagesanſchauungen und
Zeitungen getrennt, – ſo hinweggehoben über den Wirrwarr des
Augenblicks; und zwiſchen den pyramidalen Pharaonen und den
kleingroßen Meinungsgeſpenſtern, ihrer deutſcheinheitlichen Katz-
balgerei oder Vereinsprügelei, liegen ſolche Meere und Sphären
der Vergangenheit ausgebreitet, daß weder mit poetiſchen Schiff-
brücken noch mit philoſophiſchen Luftgondeln, und ſelbſt nicht mit
politiſchen Dampfkräften hinüber zu kommen iſt. –
Auf dem Wege von den ägyptiſchen Pyramiden zu den Eu-
ropamüden, von den pyramidalen Geſchichten in Stein zu denen
auf Druckpapier ohne Ende, laſſen ſelbſt einen Dialektiker und
vernunfthiſtoriſchen Gans-ianer die Begriffsvermittlungen im
Stich. – So viel ſcheint gewiß, wer auf den Pyramiden nichts
zu denken verſteht, der kann die Symbolik im Gigantenſtyle
nicht vertragen; wer aber dieſen Granitſtyl in moderne Redens-
arten kleiden und mit den Tagesmeinungen in Harmonie bringen
ſoll, der muß mehr wie ein pyramidaler Philoſoph, der
262 -
müßte der zweite Weltheiland ſein; – ja er müßte Pyramiden
aus Wüſtenſand in den Himmel zu bauen verſtehen. –
Kein Gegenſatz kann ergreifender ſein, als der, welchen von
der großen Pyramide herab die libyſche Wüſte mit ihren unabſeh-
baren Sandhügeln zur grünen Nilniederung bildet. Von der
einen Seite ein farbloſes, klangloſes, einförmiges, unabſehbares
todtes Sandmeer, in deſſen ſchrecklichem Gelbgrau das Auge keine
beſondern Gegenſtände zu unterſcheiden vermag, alſo die furchtbar
nivellirende, alles Lebendige durch Vernichtung gleichmachende, Alles
im zehrenden Gruftſande verſchüttende Republik des Todes;
ein ungeheures Bild des Schweigens, der Ruhe, des Stillſtandes,
der Lebenshemmung, der unwandelbaren Gleichförmigkeit. –
Was auch immer für ein lebendiges, wachſendes, luſtiges, ſich
hervorthuendes Ding in dieſen Wüſtenkommunismus hinein-
gerathe: die Dürre erſtickt und vertrocknet es. Die Atome eines
verwüſteten Daſeins, die Sandkörner, dieſe Milliarden mal
Milliarden Grabzähne des nie raſtenden Todes, zernagen an
dieſen heilloſen Stätten eines endloſen Raumes ſelbſt das blei-
chende Gebein. – Vielleicht haben die Menſchen ſchon um des-
willen eine Ariſtokratie, einen Unterſchied der Stände und Bil-
dungen von Anbeginn gelitten, und überhaupt eine Lebensman-
nigfaltigkeit wiſſentlich wie unwiſſentlich darum gefördert und
erſtrebt, um nicht durch Nivellirung und Gleichförmigkeit, an die
entſetzliche Gleichmacherei des Todes, auch ſelbſt noch inmitten der
Geſellſchaft, des Staates, des ſchaffenden und prozeſſirenden Gei-
ſtes, erinnert zu ſein! Und doch, welch' eitles Bemühen auch um
dieſe konventionelle Ariſtokratie! – Wo immer ein Sterblicher
einen Kopf höher gewachſen oder künſtlich emporgehoben iſt über
der Maſſe, was hilft es ihm denn, da ihn der Tod ſo geſchwinde
263
einen Kopf kürzer machen darf, ohne daß ihm ſeine Korporation
und der Mechanismus der künſtlichen Staatsmaſchine zu Hülfe kom-
men kann. Vom Plateau der Pyramiden erblicken wir auf einer Seite
alle Geſchichten, alle Spiegelbilder und Phantasmagorieen des To-
des; den geheimnißverhüllten Eingang in das Innere eines unbekann-
ten Welttheils, von dem wir durch die Wüſte, durch eine angehaltene,
gehemmte, zerkrümmelte Schöpfung getrennt ſind; ähnlich, wie
vom Jenſeits durch den Tod; – und von der andern Seite
ſchauen wir den im Sonnenlicht blinkenden, mächtigen, ſegenſpen-
denden Weltſtrom; an ſeinen Ufern die grünenden und blühenden
Saaten, die von Kanälen durchſchnittenen, fruchtſchwangern und
fruchtſtrotzenden Aecker, die überall ausgeſtreuten Hütten, Dörfer
und Palmen, mit dem ganzen an ſie gebundenen Hauche und
Strome des Lebens wie der Lebens mannigfaltigkeit, alle
Schifflein einer Hauptſtätte zutreibend: der in der Ferne mit
ihren Hunderten von Minarets und Moſcheen im Sonnenäther
erglänzenden Kahira, der neuen Babel, dem Erdenpunkte, wo drei
Welttheile und ihre Nationen ſich berühren und verkehren, wo die
alte und neue Welt, wo Barbarei und Geſittung, Heiden- und
Chriſtenthum noch bis zu dieſem Tage nicht zur Scheidung ge-
kommen ſind. –
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265
Die rechnende Nüchternheit, der ſeelenloſe Blödſinn, die Un-
poeſie ſehen im Weltmeer eben nur X-Milliarden Waſſertropfen,
und in der libyſchen Wüſte eben ſo viele Sandkörner, oder eine
Portion weniger, wenn man will. Eine Streuſandbüchſe und eine
Schüſſel mit Waſſer können gewiſſen Leuten alſo dem Weſen nach
daſſelbe gelten, wie Wüſte und Meer. Der Menſchengeiſt aber er-
faßt in und an der Materie, an der Form einen göttlichen Sinn
und Gedanken, und das giebt dann eben die Symbolik und
Allegorie; das ſchöne ſinnige Leben und die Poeſie, welche zu
ihren Faktoren Geiſt und Materie haben muß. Was ſich Geiſt und
Seele an den Dingen nicht einzubilden, was ſie nicht aus ſich ſelbſt
hervorzurufen und einzubilden vermögen, das iſt doch unmöglich für
ſie in Wirklichkeit da.
Wer Seele und Geiſt, wer Vorſtellungen, Empfindungen, Ge-
fühle und Gedanken gar nicht als Realität zu faſſen und zu
glauben vermag, wem nur die Materie, an der man ſich ein
Loch in den Kopf ſtößt oder weil ſie ſtinkt und riecht, die wirklichſte
Wirklichkeit, der lebendige Sinn und Geiſt aber, das bloße Produkt
materieller Prozeſſe iſt, den muß man laſſen, wie er's verſteht und
wie er iſt.
Was man alſo in die Pyramiden nicht hineinlegt, das nimmt
man aus ihnen ſchwerlich heraus; aber das gilt, wie eben geſagt, von
der ganzen Welt und am eigentlichſten von jedem Werke der Kunſt.
Dieſes iſt an und für ſich nur ein todtes Machwerk. Der Menſch
bringt keinen Organismus hervor, ſondern nur das Abbild, die
Zurückſpiegelung eines ſolchen, die Schönheit, d. i. den lebendigen,
vollkommnen, ſinnreichen, zeichenredenden Schein, welcher eben an
Seele und Geiſt, an Einbildung und Verſtand adreſſirt iſt. Ein
Kunſtwerk iſt ein Traumbild, ein Idealismus und keine lebendige,
keine ſchöne Realität, wie ein Werk der Natur.
266
Ein Gemälde iſt an und für ſich nur eine bepinſelte Leinwand,
aber für den ſinnigen Beſchauer eine Zeichenſchrift und Sprache,
mittelſt deren ſich die Geiſter beſpiegeln und verſtändigen und an der
die ſichtbare, gleichwie die unſichtbare Natur der Dinge vor die
Menſchenſeele tritt.
Alſo ſind auch die Pyramiden rein objektiv genommen, und
wenn man vom Beſchauer abſtrahirt, nur ein Haufen Steine; durch
den Sinn und Geiſt ihrer Erbauer aber, der aus ihnen zeichenredet,
ſind ſie für den ſinnigen Menſchen eine beredte ergreifende Sym-
bolik der ägyptiſchen Lebensfühlung, Einbildungskraft und Orga-
niſation der uralten Zeit und Kunſt ſo ſehr, daß ſie dem Beſchauer
faſt ein lebendiges Weſen dünken, und in ſolcher Stimmung ſtellt
ſich das abenteuerliche Innere der Pyramide wie das Eingeweide
der uralten Geſchichten oder eines verſteinerten Sandwüſten-
dämons dar.
Selbſt den Gebildeten wohnt nicht immer eine klare Ueber-
zeugung bei, was großartige Bauwerke auf ſich haben, welche
Phantaſie und Bildung, welche Weltanſchauung, Begeiſterung, Or-
ganiſation und Glaubenskraft ein origineller Bauſtyl bedingt und
dokumentirt, welch einen Himmel, welche Natur!
Wir Modernen wiſſen wohl um unſre Ueberlegenheit über
orientaliſche Bildung und alte Zeit, aber unſere Unmachten, die
Miſerabilität unſerer Organiſation, die Impotenz unſerer
Seelenkräfte, die Korruption unſrer Bildung, unſere
Gemüthsflachheit, die ganze Zerfahrenheit, Gewiſſens- und Cha-
rakterloſigkeit unſeres Weſens, unſere gleichmäßige Abtrennung von
Natur und Uebernatürlichkeit und die Monſtroſität unſerer abſtrak-
ten wie konventionellen Intelligenz iſt uns nur in Augenblicken klar.
Wir können nichts mehr bauen. Wir ſind ſchlechter-
dings unfähig, einen wirklichen Bauſtyl zu erſchaffen, und warum?
-
267
Es drängt uns zu keinem Dinge, zu keiner Form, zu keinem Thun
und Laſſen ſo recht aus der Seele heraus. Wir haben weder ein
Glauben, noch ein Lieben und Heiligen, noch eine Urſtimmung des
Gemüths auszugeſtalten. Unſer bischen Lebensunmittelbarkeit,
Natur und Uebernatürlichkeit wird von Schule, Konvenienz und
Politik, kurz, vom Weltverſtande und ſeiner Kritik aufgezehrt. Es
gebricht uns alſo nothwendigerweiſe an urſprünglicher Phantaſie, an
Seele, an Begeiſterung, an idealer, an plaſtiſcher und an jeder über-
flüſſigen Kraft. Was ſich etwa von einer ſolchen entbindet, wird
reflektirt, formirt und formulirt, was kann da übrig bleiben
für die bildende Kraft?
Die Materie als ſolche, das Schaffen, das Bauen,
macht uns keine abſolute Genugthuung und keine Illuſion,
Wir ſind zu abſtrakt, zu nüchtern, zu blaſirt und verbraucht, zu
kultur- und lebensmüde, zu abgeſtanden und abgeraucht. Ein heil-
loſer Egoismus frißt unſere Thatkraft, unſere Bildkraft und unſer
Herz.
Die alten Aegypter wühlten ſich mit kindlichem, mit wollüſti-
gem Grauen in den Bauch des Gebirges hinein, ſie thürmten Maſſen
übereinander aus Luſt an Kraftäußerungen und an einem Werk der
Hände. Sie verfuhren bei dieſer Baulikſt unbarmherzig mit dem
Menſchen, das war die Schattenſeite. Wir aber würden auch dann
nichts Selbſtſtändiges und Bedeutſames, nichts Zeichenredendes
mehr bauen, wenn wir die materiellen Kräfte dazu hätten, denn
wir haben keine rechte Natur, und ſelbſt unſere Barmherzigkeit iſt,
wie all unſer modernes Lieben, Glauben und Heiligen, nur eine
zeugungsloſe, unplaſtiſche Abſtraktion, die durch den Staatsme -
chanismus, durch den Inſtinkt der Selbſterhaltung unter-
baut und nur in einer dünnen Schichte durch den herzlebendigen
268
Genius des Chriſtenthums und der Humanität über Waſſer
gehalten wird. – Wir haben trotz allen Redens und Renommirens
von konkreter Erkenntniß und Lebensart nur einen abſtrakten,
einen idealformalen, aber keinen poetiſchen, ſymboliſchen, religiöſen
und beſeelten Verſtand. Die Verwirklichung der Ideen oder Humore
in Stein macht uns keine Genugthuung und keinen Spaß. Raum-
und Zeitgrößen imponiren und begeiſtern uns nicht; die Koloſſali-
tät der Formen und die Feſtigkeit des Materials läßt uns ohne
Illumination. Ob Granit oder Ziegelſtein das iſt uns ziemlich
einerlei. Wir mengen Eiſen, Glas, Papiermachée und getheerten
Thon; alle Bauſtyle, alle Formen und Ornamente, alle Sphären
und Rhythmen, denn wir ſind mal im Nivelliren und Durcheinan-
derrühren. Unſere demokratiſche Bilderſtürmerei im Reiche der
Geiſter kann die Erhebungen, die Unterſchiede, die Autoritäten,
die verſchiedenen Sphären und Potenzen, die Zuſpitzungen nicht
leiden, es ſei denn in Redensarten, in der Styliſation. Wie ſollte
ſie nun Kraft und Luſt haben, Thürme, Pyramiden oder Kuppeln
und Obelisken zu bauen. Es ſoll ja nichts in den Himmel ſteigen,
ſondern Alles in den Brei und Sumpf der Gewöhnlichkeit, der
Werktäglichkeit, der induſtriellen, ſtaatsökonomiſchen, handwerks-
mäßigen, genieloſen Gemeinſamkeit und Volksuniformität unter-
getaucht ſein!
Wenn wir dieſe altägyptiſchen Bauten nach Verdienſt wür-
digen wollten, müßten wir närriſch oder blödſinnig vor ihnen wer-
den aus purer Desparation über unſre moderne Nüchternheit und
Unmächtigkeit. Es geht dem Reiſenden mit dieſen Bauwundern
wie mit denen der Natur, er faßt ſie nimmermehr ganz. Einzelnes
ſcheint an dieſen ägyptiſchen Kunſtwerken, wie an denen der Natur
leicht gewürdigt, verſtanden und beſſer gemacht werden zu können,
aber das Ganze iſt eine Evolution des Menſchen genius,
ein Produkt des Himmelſtrichs, der Natur, der Gottheit,
269
und einer durch ſie geſegneten Zeit. Dieſe Bauten ſind wahrhaftige
Natur-, Kultur- und Gottesgeſchichten in Stein; eine plaſtiſche
Emanation und Verwirklichung der Urphantaſie; das Zeugniß einer
Menſchenorganiſation, einer Bildung, Begabung und Glaubens-
begeiſterung, einer Weltanſchauung, einer plaſtiſchen und werkthä-
tigen Kraft, für welche uns jüngſten Menſchenkindern der Maßſtab,
die Faſſungskraft und jegliches Organon gebricht.
-
-
-
Symbolik und vergleichende Ausdeutung der Pyramiden
mit Zuhülfnahme der deutſchen Münſter.
Des Geiſtes Dauer iſt ſeine ſtete Beweglichkeit, und in der Wandelbarkeit
begründet ſich ſeine Ewigkeit von 3eit zu Zeiten. So hat man dieſe Dome in die
Wolken hineingebaut, und der Geiſt war in den Domen; und die Menſchheit hat
ihn darin wie in ſeiner ſichtbaren Erſcheinung angebetet. Jetzt iſt der alte Geiſt
nicht mehr darin, aber die Dome ſtehen noch, in ihren gewaltigen Steinmaſſen
ſcheinbar feſter und getreuer, als der Geiſt, der ſie erſchaffen und verlaſſen hat.
Gott läßt ſich nicht in dieſen Münſtern und Domen feſſeln, er wandelt ſich immer
wieder in neue Formen und Zeiten hinein, und die alten ſtehen oft nur noch als eine
verſteinerte Illuſion da, wie dieſe Münſter und Dome, welche uns in ihrer him-
melanſtrebenden Glorie an die große Illuſion des Chriſtenthums als einer weltbe-
herrſchenden und einheitgründenden Inſtitution der Menſchheit gemahnen. Ob dieſe
Illuſion in anderer Form zur Wahrheit werden wird, muß ſich offenbaren, wenn
die neuere Menſchheit, ihre eigenſte Lebenskraft zuſammennehmend, etwas Fertiges
daraus geſchaffen hat, das an Würdigkeit und Größe des Gedankens mit jenen
Münſterbauten ſich vergleichen kann. Dieſe alten Kirchen, dieſe majeſtätiſchen Träume
der chriſtlichen Baukunſt ſcheinen aber gleichſam um dieſer Mahnung willen bis
auf uns geblieben zu ſein, um durch ihren Anblick die neueſte That der Geſchichte
von uns zu fordern; die That, welche die Einheit des Lebens, die wir verloren
haben, auf unſere Art, in unſern Formen wiederbegründen ſoll! Ihnen gegenüber
muß uns bange werden wegen der Zuſammenſchrumpfung aller unſerer heutigen
Richtungen; und die Sehnſucht und der Neid müſſen den Geiſt auälen, der ſich in
ſeiner heutigen Art ebenfalls ausdehnen und entfalten möchte mit derſelben gött-
lichen Freiheit, mit welcher damals, um den mächtigen Gedanken hervorzubilden,
die ſchlanke Säule des Doms ſich hochſchwingen, und der Bogen ſich in die Lüfte
wölben durfte. So tritt oft, wenn wir auf der Höhe dieſer Münſter weilen, der
Verſucher zu uns heran und nährt uns mit dem Haß gegen unſere eigene Zeit,
die wir mit einem Blick voll Wehe überſchauen, nach allen ihren vor uns liegenden
-
Weiten und Fernen. Und zuweilen kann man dann ſogar den großen gothiſchen
Rieſenbau haſſen, dem unſer Geſchlecht ſo klein, arm und thatlos gegenüberſteht,
daß es ſich vor jener ſtolzen That der Vergangenheit verhüllen muß, wie ein
ſtummer Bettler. Wie Plato einſt in ſeiner Republik den Wunſch hatte, daß die
Dichter alle bekränzt aus dem Lande geführt würden, weil ſie durch ihre Träume
dem Volke die Kraft und den Glauben raubten, ſo könnte man hier ſich dem ſelt-
ſamen Geiſte überlaſſen, daß dieſe gothiſchen Thürme alle abgetragen werden möch
ten von der Erde, weil ihr ſtolzes und titanenhaftes Weſen uns heute mit Klein-
muth und Verzagtheit an uns ſelbſt erfüllt, oder auch die Gemüther magiſch ver-
lockt, daß ſie träumeriſch ſich ſelbſt und ihr Heute aufgeben und in den feudalen
Geiſt jener Vergangenheit ſich wieder einſpinnen möchten, die doch todt iſt, trotz
ihrer unerſchütterlichen Dome, die ſie noch aus dem Grabe der Zeiten ſo hoch
emporſtreckt.
- (Mundt's Weltfahrten und Spaziergänge.)
Die Pyramiden ſtehen am Saume der Wüſte, denn hier iſt
Schweigen und Geheimniß; hier hat die Seele Ruhe und Faſſung
ihrer ſelbſt. Ein Pharaonendenkmal, ein Denkmal der Welt ge-
hört in die Wüſte. Hier erſt iſt Sammlung und Selbſtbeſinnen
möglich, Andacht und Theoſophie. Hier iſt der Geiſt frei und
abgelöſt von den tauſendfältigen Eindrücken und Zerſtreuungen
der lärmenden bunten Welt. Die Stimme des alten einigen
Gottes tönt aus der Wüſte zu dem Menſchengeſchöpf herüber, und
er verſenkt ſich wieder in die Myſterien der Schöpfung und des
eigenen Seins.
Aus der Ebene, der Wüſte erhebt ſich die Pyramide um ſo
erhabener. Jedes entfernte Gebäude, jeder lange Weg und Baum-
gang verjüngt ſich und ſpitzt ſich zu; ſo giebt denn auch die Py-
ramidalform das Bild der Größe, der Unermeßlichkeit, der Un-
endlichkeit heraus. Die Form eines Thurmes würde ſchwierig
zu behauende Werkſtücke erfordert haben; ſeine Konſtruktion bietet
eine Mannigfaltigkeit und Abgliederung in der Hauptmaſſe
dar. Dieſe ſteigt bei der Pyramide von der breiteſten Grund-
lage ganz allmälig zum Himmel hinan, indem ſie ſolcher Geſtalt
das Urbild aller Erden- und Menſchenbildung giebt,
während der Thurmjach, unvermittelt und ſchroff aus der Grund-
272
fläche zur Höhe hinanſchießt – und ſich doch zuletzt zuſpitzen muß,
als wozu ſich die Pyramide von unten auf anzuſchicken verſtand.
In der Form des Thurmes liegt alſo für den ſymboliſchen
Verſtand eine Uebereilung und Ueberſchätzung der Kräfte wie der
Maſſen; eine Unreife und Kecklichkeit, eine Demüthigung und
Inkonſequenz, eine Unweisheit und Jugendlichkeit, welcher die
Pyramide mit heiligem und himmliſchem Takte entgeht. -
Jede andere Bauform, der Würfel das Oblong, müßte irgend-
wie mit einem Dach verſehn, zugeſpitzt, gewölbt, abgerundet und
abgeſchloſſen werden. – Eine fünfhundert oder tauſend Fuß hohe
Säule würde wie ein unvollendeter abgeſtumpfter Thurm da-
geſtanden ſein, zu dem die Beiwerke, die geſackten und ſchwereren
Maſſen fehlten, und erſchien ſelbſt mit einem geglückten Kapitäl
immer nur als iſolirtes Glied eines projektirten Ganzen, eines
Koloſſaltempels, welchen zu bauen der Menſchenwitz und die
materielle Kraft zu unmächtig war. –
Aber ſelbſt abgeſehen von ſublimern Kunſtforderungen und
jeder Allegorie, ſo würde ein Tempel leichter vom Wüſtenſande
verſchüttet, und unmöglich ſo feſt, ſo koloſſal wie eine Pyramide
gebaut worden ſein. Sie allein ermöglichte Stufen auf allen
Seiten, von der Baſis bis zur Spitze, ſomit einen Zugang für
die Arbeiter ohne Rüſtwerke, und ſchon um dieſes techniſchen Vor-
theils willen die größtmöglichſte Höhe bei dem mindeſten Aufwande
an Kraft.
Die Pyramide war alſo, alle Kunſtſymbolik zur Seite ge-
laſſen, die ſolideſte, Material und Kräfte ſparende Form; diejenige,
welche die größeſte Feſtigkeit und Koloſſalität erlaubte; die natür-
lichſte, einfachſte Form für die Wüſte; – eine kryſtalliniſche
Figuration, wie von der Natur ſelbſt! – Ein Werk der
Wüſte aber kann nicht maſſenhaft genug ſein. – Die innern
Gänge und Schachte ſtellen ſich wie das Eingeweide und innere
Myſterium dieſer ſchweigend beredten, dieſer vorweltlichen Denk-
mäler dar. Die Pyramide des Cheops ſteht wie ein beſeeltes
Weſen da, wie ein verſteinertes Ungeheuer der vorſündfluthlichen
Welt; wie der Genius Aegyptens und der uralten
Phantaſei; wie der Rieſe, welcher die Wüſte und ihre
Geheimniſſe bewacht und verſchließt. – Dieſe Pyra-
miden ſind verſteinerte Aegypter-, Pharaonen - und
Prieſter träume, und wirken darum in jedem Beſchauer
noch heute einen Traum!
Das Wunder der Pyramiden wird durch keinen einzigen
von den Zwecken auch nur annäherungsweiſe erklärt, die man
jenen natürlich-ſymboliſchen Bauwerken mit und ohne Grund bei-
gelegt hat; noch kann es Nützlichkeits- oder auch bloße Kunſtzwecke
geben, die mit einem ſo enormen Kraftaufwande und einer ſo
ungeheuerlichen Phantaſie zuſammenzureimen ſind. – Zweck-
nützlichkeit und Kunſtſchönheit ſind überdies nicht ſonderlich ver-
trägliche Begriffe. Schöne oder phantaſtiſche Formen tragen viel-
mehr Zweck und Naturnothwendigkeit in ſich ſelbſt. – Schönheit,
Poeſie und Phantaſie haben eben das Kriterion und die himm-
liſche Genugthuung, daß an ihnen Zweck und Mittel, Form und
Inhalt, Geiſt und Materie, Natur- und Uebernatürlichkeit,
Idealismus und Realismus, Freiheit und Nothwendigkeit, Spiel
und Ernſt und alle Gegenſätze oder Widerſprüche dieſer zweck-
befliſſenen Packeſel- und Schulmeiſterwelt nicht mehr ſchlecht-
weg ſchismatiſirt, ſondern verſöhnt und reell-konkret in eins gebildet
ſind, während es in der Philoſophie nur ein Dialektiſch-Konkretes
oder Konkret-Geredetes giebt.
Falls die alten Aegypter förmlich und in unſerem Sinne
darauf ausgegangen wären, das Kunſtſchöne zu produziren, ſo
18
274
würden ſie ökonomiſcher, zweckmäßiger und regelmäßiger zu Werke
gegangen, ſo würden ſie kürzer und phantaſieloſer zu Rande ge-
kommen ſein, als mit dieſen Pyramiden, Obelisken, Gebirgs-
ſphinxen, Memnonsſäulen, Grotten, Gräbern und mit den Tem-
peln im Bauche der Gebirge in der That geſchehen iſt. –
In bloßen Nützlichkeitszwecken dagegen muß alles
Schöne und Phantaſiereiche verkümmern und zu Grunde gehen;
vollends die Romantik, die Träumerei, die Abenteuerlichkeit und
der himmliſche Inſtinkt. –
Man braucht weder zu Sternwarten, noch zu Waſſer-
werken, noch zu Myſterien und Königsgräbern ſolche Ge-
birgsmaſſen und Kräfte zu verſchwenden; und falls es ſich etwa
nur darum handelte, der Nachwelt ein unvergängliches Denkmal
zu hinterlaſſen, einen ungeheuern Grabſtein für ganz Aegypten,
ein Rieſenthor vor die Wüſte zu ſetzen, oder dem ganz unbeſtimm-
ten Gelüſt nach einer Kraftanſtrengung und plaſtiſchen Evolution
Raum zu geben: ſo ſind die innern Gänge, die Kammern, Brun-
nen und Stollen, kurz das ganze Eingeweide dieſer Pyra-
miden, gleichwie ihre Brunnen-, Tempel- und Grabhöhlen um-
gebungen unerklärt.
Wir haben es alſo hier mehr mit Werken der Phantaſie und
eines natürlich-übernatürlichen Inſtinktes, als mit ſolchen der
Nützlichkeit und Nothwendigkeit, oder auch nur mit pur regelrecht
und beſonnen produzirten Kunſtwerken im modernen Sinne zu
thun. – -
Es ſteht außer allem Zweifel, daß die Pyramiden zu Grab-
gewölben, es iſt leicht möglich, daß ſie auch zu Religionsmyſte-
rien, zu aſtronomiſchen und aſtrologiſchen, ja wenn man will, zu
hydrauliſchen Zwecken benutzt wurden; es iſt ſogar wahrſcheinlich,
daß man bei der Idee und dem Plan ihrer Errichtung, mit deut-
lichem Bewußtſein, nur eben an jene Zwecke, und an nichts
275
Anderes, weder an etwas Kunſtſchönes noch Myſtiſches, noch Ku-
rioſes und Symboliſches gedacht hat; – und es iſt gleichwohl
natürlich und nothwendig, daß der Bau dieſer Mauſoleen die
unwillkürliche Gelegenheitsurſache wurde, bei welcher
alle Elemente der ägyptiſchen Phantaſie, ja alle Kräfte der alten
Seele und des alten Menſchengeiſtes, alle ſeine Impulſe und
Ideale ausgeſtaltet worden ſind.
Oder iſt denn dies Alles bei den mittelalterlichen Bauten in
Europa nicht eben ſo geſchehen; und wurden nicht mit den Bau-
korporationen Myſterien, Philoſopheme, Verbrüderungen, Frei-
heiten, Symbole und Weltzwecke verknüpft, die bis zum heutigen
Tage in der Freimaurerei beſtehen?
Der alte Breslauer Profeſſor Wachler hatte Verſtand genug,
um einzuſehen, daß bei ſo fabelhaft konſtruirten Werken nicht aus-
ſchließlich von Nützlichkeitszwecken oder klarbewußter Abſicht die
Rede ſein könne; er näherte ſich alſo, ermüdet von proſaiſchen und
wahnwitzigen Ausdeutungen (z. B. daß die Pyramiden als Korn-
kammern, als Schutzbauten gegen den Wüſtenſand und womöglich
als Gebirgskryſtalliſationen, alſo als Naturwerke anzuſehen ſein
dürften), der Wahrheit von einer entgegengeſetzt extremen Seite,
indem er alle Zweckerklärungen diktatoriſch beſeitigte, und erklärte:
„ Herrſcherlaune“ ſchiene ihm bei dieſen Bauten einzig und
allein im Spiel.
Man kann ſich auch dieſe Auslegung gefallen laſſen, wenn
man unter altägyptiſchen Launen in ſo ungeheuerlichem Styl
eben in Stein überſetzte, titanenhafte Humore oder antedilu-
vianiſche Träume verſtehen, und wenn man ſich vor allen Dingen
erinnern will, daß die Dichtungen und Träume, alſo die freien
Ausflüſſe des uralten Menſchengeſchlechts, als die Fortſetzungen
der Naturprozeſſe und Naturgeſetze im Menſchen, alſo für keine
bloß kurioſen Launen im modernen Kunſt- oder Konverſations-
18*
276
ſinn zu nehmen ſind. Es iſt, um das Kurze und Lange von den
Pyramiden zu ſagen, mit dieſen Bauwerken, was es mit den alten
deutſchen Münſtern iſt: dieſe dienten ausſchließlich gottes-
dienſtlichen Zwecken; aber mit denſelben iſt doch ihr myſtiſchtief-
ſinniger, faſt melancholiſcher Bauſtyl ſo wenig begriffen und aus-
gedeutet, wie der Bauſtyl der heitern, ſinnlichſchönen Tempel in
Griechenland und Rom. Vielmehr hat der deutſche Sinn und
Geiſt, die altdeutſche Phantaſie und Seele, ähnlich der ägyptiſchen,
ſich die gute und religiöſe Gelegenheit erſehen, ſeine
innerſten Gottesträume und Menſchen humore eben-
falls in ungeheueren Steinmaſſen zu verbildlichen,
die zu Thürmen ausgeſtaltet, wie lichtdurchbrochene
Pyramiden und Obelisken und wie eine natürliche Kryſtal-
liſation in den Himmel wachſen; und die Säulen dieſer deutſch-
ägyptiſchen Münſterpyramiden bilden Bündel von Palm-
ſtämmen, deren Aeſte und Zweige ſich oben zu einem Spitzbogen-
dach, dem ſogenannten Schiff verſchränken, und aller Stein, alſo
alle ſchwere Materie iſt bei aller Gelegenheit zu einer brabanter
Spitzenarbeit, zu Pflanzen- und Thierformen, gleichwie zu Men-
ſchengeſtalten gebildet; dies Alles iſt in ſeiner Art ſo kurios, wie
die Pyramiden des Cheops, und wird keinesweges aus dem
gottesdienſtlichen Zweck erklärt.
Es giebt aber eine andere Erklärung dieſer durchbrochenen
Steinmaſſen, dieſer leicht und luftig in die Wolken ſteigenden
Dome und deutſchen Pyramiden, ſie iſt uns nahe genug ans Herz
gelegt: ſie liegt im deutſchen und chriſtlichen Gemüth!
Es hat in ſeinem Glauben den Tod überwunden, es hat ſich alſo
auch von der ſchweren, maſſenhaften Materie abgelöſt, mit welcher
die altägyptiſche Seele dergeſtalt zuſammengetraut war, daß ſie
immer und überall das Leben mit dem Tode über -
träumte, den Geiſt auf die Materie und die lebendige
277
Bewegung auf die Ruhe des Grabes bezog. – Dieſer
ägyptiſche Sinn und Geiſt machte alſo nothwendig auch in der
Wiſſenſchaft und Kunſt alles Lichte, Leichte, Durchſichtige und
Flüſſige ſtarr, düſter und ſchwer.
Herodot theilt uns die Lieblingsformel der ägyptiſchen Weis-
heit und Lebensauffaſſung mit; ſie lautet: „Sitzen iſt beſſer, wie
Stehen, Liegen beſſer wie Sitzen, und Nichtſein beſſer wie Sein.“
Dem ägptiſchen Sinn und Geiſt imponirte, ihn reizte und
illuminirte die Materie und Koloſſalität, die Ungeheuerlichkeit
mehr, wie Leben und Geiſt, wie Ebenmaß und flüſſige Form.
Stilleſtand, Wüſtenruhe, Einſamkeit und Schweigen, Ruhe des
Grabes war dem Aegypter ein abſoluter, ein urheiliger, ein erſter
und letzter, ein eingefleiſchter Begriff; – derſelbige wurde
die Grundſtimmung ſeiner Seele, ſein Gemüth, ſeine Religion,
und geſtaltete ſich nothwendig zum Bilde einer breit und ſchwer
auf dem Wüſtenfels ruhenden und gleichwohl zum Himmel auf-
ſteigenden ſchweren Maſſe, zu einem unwandelbar feſten, allem
Wechſel trotzenden Kunſtberge, zum kryſtalliſirten Felſen, alſo:
zur Pyramide von Stein, als deren natürliche Konſequenz
und Reaktion der ſchlank und ſteil aufſteigende Obelisk angeſehen
werden muß; während die ägyptiſchen Tempel, Thore, Py-
lonen und Propyläen mit ihren überall gegeneinander
geneigten Wänden wieder nichts anderes, als die ab-
geſtumpfte oder in der Mitte durchſchnittene Pyra-
midenform ſind.
Der unter dem ſchönſten Himmel harmoniſche, wenn auch
minder tief organiſirte Grieche manifeſtirte die Heiterkeit, die
Leichtigkeit ſeines Naturells, die ſchöne flüſſige Sinnlichkeit, den
wachen, freibewußten, harmoniſch entwickelten Geiſt, welcher weder
von der Materie, noch von ihren ungeheuerlichen Träumen und
Todesgedanken belaſtet war, auch in ſeiner Kunſt. Er ge-
278
ſtaltete Dieſen Sinn und Geiſt in ſeinen lichtern und leichtern
Tempelgebäuden, in ſeinen ewig ſchöngeformten, freibewegten
Götter- und Menſchengeſtalten, die der Meißel ganz und gar von
der Materie der Erdenſchwere und Ungeheuerlichkeit abgelöſet hat,
währen. D die ägyptiſchen Koloſſalfiguren mehr und weniger archi-
tektoruiſche, ſymboliſche, ſteif und ſtreng ſtyliſirte Geſtalten und
Karyatiden ſind, welche ſelbſt da, wo ſie frei und rundgebildet er-
ſcheinen - in den kleinſten Götteridolen mit dem Rücken an eine
Eha B lone oder Leiſte feſtgewachſen ſind, durch welche
offensar die Tempelwand angedeutet wird, als deren obligate
Geſtalten man ſie anzuſchauen hat.
Die lebendig bewegten, von der Architektonik emanzipirten
Geſtalten der griechiſchen Bildhauerkunſt ſcheinen ſich überall hin
frei bewegen und ihre Stellen verlaſſen zu können; – die ägyp-
tiſchen Statuen müſſen feſtbleiben, wo ſie eben ſtehen. Dies be-
kundet viel architektoniſchen Takt und Styl, aber um deßwillen auch
die Herrſchaft der Materie, des Todes und der ſtarren Form über
Leben und Bewegung und über den Geiſt, der endlich in
Chriſtenthume zum freieſten Durchbruch und zum ewigen Siege
gekommen, ſich naturnothwendig auch in der chriſtlichen Kunſt und
Wiſſenſchaft, in der chriſtlichen Sprache, Sitte und Lebensart be-
kundet und ſomit auch im chriſtlichen Dom! –
In ſeinen Thürmen erblicken wir die vom chriſtlichen
Glauben durchbrochenen, die gelichteten, die ſchlank und leicht
zum Sternenhimmel wachſenden Obelisken und Pyramiden.
In den aus Palmenäſten geflochtenen Spitzbögen der Ge-
wölbeſchiffe, gleichwie der Wände, die eben nur durch die bunten
Glasfenſter zwiſchen den Säulen zum Schein geſchloſſen werden,
wird die ſchwere Stein decke mit ihren Simswerken und Ge-
bälken abgeworfen, welche das Alpdrücken der ägyptiſchen
Traum ſeele bedeuten und ſelbſt noch die korinthiſchen Säulen
v,
279
in die Erde drücken dürfen. Hier in den deutſchen Münſtern
endlich iſt die deutſche Seele, von der bloß kryſtalliniſchen
Form, von der mineralogiſchen Naturordnung, alſo von der Allein-
herrſchaft der puren Materie, der Mathematik und Mechanik erlöſt
und zur vegetativ-animaliſchen, zur organiſch-lebendigen Form,
zur Geiſterfreiheit erhöht!
Hier im deutſchen, chriſtlichen Pyramidenſtyl iſt der Tod dem
ewigen Leben, der Staub dem Aether gewichen, die Erdenſchwere
und Düſterheit dem immateriellen, lichten und leichten Geiſt.
Die chriſtliche Seele träumt und duftet zwar noch unter die-
ſen ſteinernen Palmenſtämmen, wie im heiligen Gottesdunkel ihrer
alten heidniſchen Waldbäume, aber ſie hat den Naturdienſt zum
Gottes- und Geiſterdienſt. die Natur zur Uebernatürlichkeit und
den Glauben an die materielle Kraft und Größe zum freien
Wiſſen und Gewiſſen vom Welt- und Menſchengeiſte zum Glauben
an den heiligen Gottesgeiſt hinaufgeläutert und verklärt.
Dies alſo iſt die heilige Bedeutung der alten und neuen Bau-
werke aller Völker: ſie ſind die Denkmale, die Zeichenſprache, die
Steinbilder menſchlicher Kulturgeſchichten, der Natur- und Got-
tesgeſchichten, der Menſchenſeele, der menſchlichen Sitte, Religion
und Organiſation; unmöglich aber ſind ſie einzig und allein die
leidigen Mittel, Vehikel, Formen und Apparate
materieller Abſichten und todter Zwecke ſo und ſo!
Und wenn ich die Pyramidenkammern voller Korn oder voll
von Gold und Edelſteinen oder mit aſtronomiſchen und aſtrologi-
ſchen Inſtrumenten angefüllt, oder wenn ich als Waſſerbaukundiger
in dieſen labyrinthiſchen Gängen, Stollen und Brunnen das klarſte
Syſtem einer Nilbewäſſerung für die Wüſte und das benachbarte
Memphis gefunden, es hätte mich ſo wenig in meinem Glauben
von der natürlichen Symbolik der Pyramiden irre gemacht, als die
280
Königsmumien, die in der That dieſen Wunderbauten anver-
traut worden ſind.
Schon des einzelnen Menſchen Thun und Laſſen iſt voller
Sinn und Bedeutung, iſt eine fortlaufende Allegorie; und up ſo
mehr zeigen Obelisken, Pyramiden und Tempelgrotten, zeigen die
Werke ganzer Nationen und Jahrtauſende über ſich hinaus, in ein
Reich des Geiſtes, der ewigen Ideen, der Urträume des
Menſchen geſchlechts; ſie ſind alſo eine Zeichenſchrift der
Menſchheit, der Natur und Gottes ſelbſt!
Ein Menſch thut nicht bloß weniger, ſondern auch unendlich
mehr als er weiß und will. Das Kleinere vollbringt ſein Wille
und Verſtand, ſein Bewußtſein, das Größere der Natur -, der
Welt- und Gottesgeiſt, der uns Alle regiert, aus uns Allen zei-
chenredet, ſpricht und ſchafft, uns Alle fort und fort zu ſeinen letz-
ten Erdenzwecken verbraucht, die wiederum nur Mittel der Welt-
ewigkeit ſind: dies iſt die Symbolik und Allegorie des
menſchlichen Daſeins, dies iſt die unergründliche, nur der
Liebe, dem Glauben, der Heiligung faßliche Oeko-
nomie der Welt!
Es iſt gleichgültig zu wiſſen, durch welche äußerlichen Zwecke,
Antriebe, materielle Nothdurften und Umſtände die alten und
neuen Bauten, die alten und neuen Kultur-, Kunſt-, Wiſſen-
ſchafts-, Staats-, Kirchen- oder Polizei- und Kriminalanſtalten
hervorgerufen, zu welchen Nebenzwecken, Werkeltagsmiſeren und
Nichtswürdigkeiten dieſe Künſte und Wiſſenſchaften, die idealen
Formen, Normen, Symbole, Sitten, Chablonen und Zeremonien
oder dieſe Bauwerke, Pyramiden, Münſter und Tempel gemiß-
braucht wurden, ſobald man nicht zu faſſen und zu ergründen
vermag, wo die erſten und letzten Antriebe, die Grundtriebe; in
welchem natürlichen und übernatürlichen Sinn und Geiſt alle die
Kunſt und Wiſſenſchaft, alle die Geſchäftigkeit und das Rüſtwerk
281
gehalten iſt; ſobald man die Idee nicht begreift, die als rother
Faden durch alle die Mannigfaltigkeit und den Wechſel der Er-
ſcheinungen hindurchgeht, ſobald man nicht Sinn und Verſtand
hat, zwiſchen den Zeilen, zwiſchen den Bauwerken, den Formen,
den Hieroglyphen oder den Buchſtaben und Artikeln der Künſte
und Wiſſenſchaften, der Sitte und Geſetzgebung, des ſtaatlichen
und kirchlichen Lebens zu leſen und inne zu werden, wie oft
der menſchliche Geiſt das Unendliche und Ewige, das
Geiſtige und Uebernatürliche im Sinne hat, wenn
er ſcheinbar nur das Endliche, das Materielle und Er-
den ſchwere, das Gemeine ausgeſtaltet und zum Beſten
gegeben hat!
Auch aus dieſen erdenſchweren, düſtern Gräberpyra-
miden der ſchweigenden Wüſte ſpricht gleichwohl zum ſinnigen
Beſchauer, zum Chriſten ein übernatürlicher, himmelanſteigender,
lichter und leichter, ſeine Flügel regender Geiſt! Er umwebt dieſe
Gebirgsmaſſen, die von Pharaonen-Titanen durch zertretene Skla-
ven, durch Mitbrüder in den ewig ſchweigſamen, alles duldenden
Himmel gebaut ſind, ganz ſo immateriell myſtiſch, wie die licht-
geſättigte ägyptiſche Luft, oder er ſtreift, wenn man länger
von dieſen Pyramiden träumt, wie ein Seraphwölkchen, wie Fata
Morgana über die abgeſtumpfte Höhe hin, ſpitzt ſie dann bis in den
blauen Aether und ſetzt einen blaſſen, blaſſen Stern als ewiges
Himmelsfeuer darauf.
Das Labyrinth.
An der Stätte des „Labyrinths“ und am „See Möris“
war ich nicht und theile darum einen Theil deſſen mit, was Lepſius
in ſeinen Briefen aus Aegypten über die gegenwärtige Beſchaffen-
heit jener Orte beibringt, die man zu den wirklichen Fabeln zäh-
len muß.
„Von der Höhe der Pyramiden betrachtet liegt der regel-
mäßige Plan der ganzen Anlagen des Labyrinths wie auf einer
Karte vor Augen.
Die Dispoſition des Ganzen iſt ſo, daß darin mächtige Ge-
bäudemaſſen in der Breite von 300 Fuß einen viereckigen Platz
einſchließen, der an 600 Fuß lang und 500 breit iſt. Die vierte
Seite, eine der ſchmalen, wird durch die dahinter liegende
Pyramide begrenzt, welche 300 Fuß im Geviert hat.“
„In den Manethoniſchen Königsliſten finden wir den Erbauer
des Labyrinths gegen das Ende der 12. Dynaſtie, der letz-
ten des Reichs, kurz vor dem Einfall der Hykſos auf-
geführt.“ -
283
„Die Fragmente der mächtigen Säulen und Architrave, die
wir auf dem großen Platze der Aulen ausgegraben haben, zeigen
uns die Namensſchilder des ſechsten Königs eben dieſer
12. Dynaſtie „Amenem ha III.“ Hiermit iſt dieſe wichtige
Frage ihrem hiſtoriſchen Theile nach beantwortet. Wir haben auch
dieſen Namen in einer Kammer vor der Pyramide gefunden. –
Wahrſcheinlich gehören aber die großen Zimmermaſſen, welche den
mittlern Platz umgeben, und die Errichtung der 12 Höfe erſt der
26. Dynaſtie des Manetho (wie es nach Herodots Erzählung ab-
zunehmen iſt), ſo daß der urſprüngliche Tempelbau des Amenemha
nur den Kern dieſes großartigen Umbaus gebildet hat.“
„Der Birqet el Qorn, welchen man für den See Möris
gehalten, iſt ein natürlicher See, der nur zum Theil von dem
Waſſer des Juſſufkanals geſpeiſet wird und keine einzige von den
Eigenthümlichkeiten beſitzt, die der Mörisſee gehabt hat. Er liegt
zu tief, als daß er je zu einer Ueberſchwemmung des Landes beim
Verſiegen des Nil zu brauchen war.
Da hat nun Linant mächtige, meilenange Dämme von ur-
alter, ſolider Konſtruktion gefunden, die den oberſten Theil des
muſchelförmig, konvex gebildeten Faiumbeckens gegen die
hintern, tiefergelegenen Theile abgrenzen und nur dazu beſtimmt ſein
konnten, einen großen See künſtlich zurückzuhalten, der aber jetzt,
nachdem die Dämme längſt durchbrochen ſind, völlig trocken liegt.
Dieſen See hält Linant für den Mörisſee, und ich muß
bekennen, daß mir das Ganze den Eindruck einer äußerſt glücklichen
Entdeckung ſchon nach ſeiner erſten mündlichen Mittheilung gemacht
hat. Die Beſichtigungen des Terrains haben mir jeden
Zweifel an der Richtigkeit der Anſicht genommen. Ich
halte ſie für eine unumſtößliche Thatſache.
284
Mit dem Namen Möris, der weder auf den Denkmälern,
noch bei Manethós vorkommt, iſt es eines der zahlreichen griechi-
ſchen Mißverſtändniſſe; die Aegypter nannten den See Phiom en
mere, den See der Nilüberſchwemmung (kopt. uyog) Inundatio; die
Griechen machten aus mere Möris und aus Phium wurde Faiüm.
Der Boden des Mörisſees hat ſich in der Zeit ſeines mehr
als 2 000jährigen Beſtehens um 11 Fuß durch Erdniederſchläge
erhöht. Dadurch begreift ſich, wie ſeine Nützlichkeit mit der Zeit
ganz und gar aufhören mußte.
Durch die Erdauffüllung nur von 11 Fuß gingen dem See,
wenn wir den Umfang nach Linant annehmen, ſchon ungefähr
13,000 Millionen Quadratfuß Waſſer verloren. Erhö-
hung und Dämme halfen dagegen nichts.“
Auf dem Uil.
Trink recht viel Waſſer; alle Elemente ſind ge-
ſund: Luft, Waſſer, Sonne, ausgebacken Brot, –
roher Schinken; – Homer, Shakespeare, Götheſche
Lieder. (Ich ſchlage noch die Bibel, Reiſen und
Prügel vor; – die letzteren gehören ganz hand-
greiflich zu den Elementen, und es giebt z. B.
viel Prügelei auf dem Nil. B. G.)
(Laube's Reiſenovellen.)
Am 23. Oktober 1849 bin ich von Kahira nach Minyeh in
Geſellſchaft von zwei deutſchen Schneidern abgeſegelt: einem be-
ſcheidenen, gutartigen, echten Schwabenkinde und einem unter-
nehmenden fix und fertigen, überall ſicheren, weit durch die Welt
gereiſten Berliner (einer Art von Lion). Der Mann ſchien ein
Jäger, handhabte eine Schießflinte, ſtand mit franzöſiſchen und
italieniſchen Redensarten Du auf Du, verunglückte aber im deut-
ſchen Styl und in der Logik auf die luſtigſte Art.
Wir haben eine ordinaire, roh gezimmerte Fellahbarke,
jedoch mit einer Kajüte zur Dispoſition. Auf den hölzernen
Divans liege ich, und der Niljäger mir vis-à-vis. Sein ſchwäbi-
286
-
ſcher Kamerad hat eine zerriſſene Baumwollmatratze ohne Kopf-
kiſſen zwiſchen die Holzbänke auf den Boden gelegt und iſt nur
mit einem Bettlaken zugedeckt, unter welchem er vor Sonnen-
aufgang im Namen ſeiner ganzen Zunft frieren muß. Hinter der
Kajüte in dem äußerſten Winkel des Fahrzeuges befindet ſich noch
ein Verſchlag, allwo unſer Gepäcke und die Lebensmittel unter-
gebracht ſind. Dieſelben beſtehen in italieniſchem geräuchertem
Schinken, in Schweizerkäſe und Braunſchweiger Wurſt. Dazu
haben wir franzöſiſchen Rothwein, franzöſiſchen Anisbranntwein,
Zucker, Kaffee, Reis, Zwiebeln, Pfeffer, Salz, Butter, Oel,
Apfelſinen, hartgekochte Eier und Brot. – Weſentlicher aber wie
Alles iſt das Feuerungsmaterial; denn in den Dörfern am Nil
kauft man zu billigen Preiſen Hühner, Tauben, Eier, Weizen-
und Durrahfladen, Gemüſe und Baumfrüchte; – in den Städ-
ten Alles, was man braucht, aber ſehr ſelten und theuer ein wenig
altes Bretterholz oder Strauch. Wir hatten ſchlechte Palmholz-
kohlen, – es giebt aber gute Steinkohlen und Knüttelholz in
Bulak (der Vorſtadt von Kahira, wenn man von Alexandrien
kommt). -
Eine zweite Hauptſache für eine Nilreiſe iſt, daß man ſich
mit ſo viel gewechſelter Münze verſieht, als man für Lebensmittel
und Biergelder unterwegs auszugeben gedenkt, denn um kleines
Geld iſt in ganz Aegypten von Anfang bis zu Ende eine unaus-
geſetzte Noth. – Der Geldwechsler im Frankenviertel zu Kahira
gab mir für einen Maria-Therſia- oder Franzthaler, welcher in
Maſſenzahlungen zu 21 Piaſter angenommen wird, nur 19 Piaſter
Münze.
In Alexandrien zog man mir drei Piaſter auf die Faddah
(kleine Münze) ab; in Minyeh erhielt ich nur durch freundſchaft-
liche Vermittelung des italieniſchen Arztes gegen drei Piaſter Auf-
geld ein Paar öſterreichiſche Thaler ausgetauſcht. – Die Schiffer
287
quälen den Reiſenden unausgeſetzt um Vorſchüſſe in kleinem
Gelde, und die Krone wird dieſer Kleingeldnoth dadurch auf-
geſetzt, daß die Hühnerweiber jedes „ Fünf- oder Zehnparaſtück“
der genaueſten Unterſuchung unterwerfen und es ſofort zurück-
geben, falls es nur ein wenig abgerieben, verbogen oder ſonſt wie
beſchädigt erſcheint.
Die Freundſchaftlichkeit mit der Geldwechſelung in Minyeh
klärte ſich dahin auf, daß ich eben viel abgegriffene Münze erhalten
hatte, die ich zuletzt mit fünfzig Prozent Verluſt losſchlagen
mußte. – Der Wechsler in Kahira hatte mir gute Münze gegeben,
ich kannte alſo das Malheur mit etwas abgegriffenem Gelde nicht,
und habe auch in dieſem Punkte mein ägyptiſches Lehrgeld be-
zahlt. – Von dieſen Trivialitäten en detail und mit Akzent zu
ſprechen, iſt im Intereſſe des reiſelüſternen Publikums Pflicht. –
Ich wünſchte, es hätte mir Jemand von dieſen Geldteufeleien und
anderen verzweifelten Reiſeabenteuern, Reiſevorſichten und Klug-
heiten nur das Mindeſte geſagt. Man hört hier und da eine
Andeutung, aber phlegmatiſch hingeworfen und ohne allen Akzent.
Wer für Aegypten meinen Rath verlangen ſollte, dem will ich ihn
mit ſo viel Nachdrücklichkeit, Detail, Aufrichtigkeit und Vollſtän-
digkeit geben, daß ihm die Haare zu Berge ſtehen ſollen, wie mir
ſelbſt, als ich zu ſpät erfuhr, was es ſagen will: aufs Gerathe-
wohl und ohne alle Präparation ſo ein Bischen nach Theben zu
gehen. – -
Unſere Einkäufe koſteten 170 Piaſter. Das Reiſegeld war
mit dem Fellahſchiffer für uns drei und unſern Dolmetſcher (Dert-
ſchoman), einen verſchmitzten, ſchmierigen und frechen Malteſer-
bengel, von circa 20 Jahren, der zugleich den Koch machte und
von den beiden Schneidern die Kunſt erlernen wollte, – inclus.
des Trinkgeldes auf 115 Piaſter abgemacht. – Unſere Fahrt
dauerte bis Minyeh ſechs Tage; dazu gaben wir unterwegs noch
288
für Hühner, Tauben, Milch, Eier, Brod und an Biergeldern etwa
fünfzig oder ſechszig Piaſter aus. Die Reiſe koſtete alſo bis zu
jener Hauptſtation Jedem von uns zirka 115 bis 120 Piaſter,
– und die ganze Fahrt von Kahira bis Theben und zurück be-
rechne ich mir nur auf etwa 70 Thlr. preußiſch, obgleich ſie über
ſechs Wochen gedauert hat. Unſer Herr Gott bewahre mich aber
in allen Gnaden vor einer zweiten, ſo ganz und gar natürlich zu-
geſchnittenen Exkurſion. Auf der in Rede ſtehenden mußte ich
von Minyeh aus, wo mich die Schneider im Stiche ließen und der
Herr Dertſchoman fortgejagt wurde, nicht nur meinen eigenen
Dolmetſcher machen, ſondern auch meine Waſchfrau und meinen
Koch. Es war ein Genieſtreich, aber ich riskire ihn nicht mehr.
Um aber ſolide Eins hinter dem Andern zu berichten, was
ſich eben zugetragen hat, ſchreibe ich lieber mit den nothwendigſten
Zuſätzen und Korrekturen mein Tagebuch ab, wie es in Wirklich-
keit und mit aller mir möglich geweſenen Gewiſſenhaftigkeit ge-
führt worden iſt.
Vom früheſten Morgen iſt gerüſtet worden; um 5 Uhr Nach-
mittags ſind wir mit einem ſchwachen Nordwinde von Bulak aus
einem Wirrſal von Barken losgefahren. Abends 6 Uhr kamen
wir bei der Nilinſel Ruda vorbei, die Ibrahim Paſcha in fabel-
haft ſchöne, mit allen möglichen exotiſchen Gewächſen gezierte
Gärten umgeſchaffen hat. – Die Barke ſchwamm nun endlich
dem wunderbaren Theben entgegen; ich begriff aber doch nicht
klar, wie das möglich geworden war. So lange wir da ohne
Wind zwiſchen Hunderten von Fahrzeugen eingeklemmt gelegen
hatten, umbrauſt und umtobt von alle dem unbeſchreiblichen Ge-
lärme, (ich für meine Perſon wenigſtens, von alle den Szenen
nackter Natur- und Menſchengeſchichten beängſtigt und verwirrt)
– konnte ich gar nicht faſſen, wie es nur eines Augenblickes
wirklich losgehen ſollte, beſonders da der Herr Reis (der Kapitain)
289
noch nicht da war und die Schiffsmannſchaft (acht Mann an der
Zahl) auf dem Verdeck ausgeſtreckt ſchlief. – Dazu hatte ich Zeit,
ein wenig über das nachzudenken, was ich gewagt und was im
Zukunftsſchooße verborgen lag. Von ſolchen und von anderen
Reflexionen wird der armen Menſchenſeele keineswegs beſſer zu
Muthe. – Der Schwabe mochte ſo etwas von meiner Reiſe-
melancholie merken und ziſchte treuherzig: Schie ſchpinne Gedanke;
das iſcht nickſch nutz in Egypteland; mir ſcheind ehrliche Leut',
habe Schie denn kei Zſchutraue zu unſch?
Dieſe Anſprache that ihre Wirkung. – In demſelben Au-
genblick kam der Herr Reis auf die Barke, es erhob ſich bald
darauf ein leiſer Wind, und als ſich die Markeb (die Barke) unter
dem geblähten Segel bewegte, dachte ich nur ans Vorwärts und
ſagte Allem Valet, was hinter mir lag. – Die Menſchenſeele hat
viel Aehnlichkeit mit Aegyptenland und ſeinem jähen Wechſel in
allen Erſcheinungen der Natur. Die Morgen- und Abend-
dämmerung iſt hier ſchon viel kürzer, wie bei uns. – Mitten in
der Luftſtille fährt ein Windſtoß daher, der die größte Barke um-
werfen kann, – und die Finſterniß fällt wie ein ſchwarzer Flor
vor den noch lichtgeblendeten Augen herab. – Ganz ſo jach und
unmotivirt brechen die Leidenſchaften hier aus; ganz ſo plötzlich
ſchlagen ſie in Apathie oder Luſtigkeit um: es iſt hier Alles haſti-
ger, formloſer und elementariſcher, und eben darum auch wag-
halſiger und abenteuerlicher, wie daheim. Alles eine unkontrollirte,
nackte Natur. Z. B.:
Um 10 Uhr Abends ſegelte die Barke aufs Gerathewohl
durch die Dogana. Die Schneider hatten zwei Faß Rothwein
und Kleiderſtoffe zum Handel für Esneh, wohin ihre Reiſe ging,
mitgenommen. Es kreuzten aber Wachtbarken und hielten unſer
Fahrzeug an.
19
290
Ich lag auf meiner Strohmatratze und ſchaute in behaglicher
Stimmung zur Luke hinaus, als ich von dem Anruf der Dogana-
Beamten in die Höhe geſchreckt wurde; dann gab es einen ver-
zweifelt unromantiſchen Zank, der mir von Minute zu Minute
weniger Spaß machte, und endlich aplanirte der allmächtige
„ Backſchieſch“, der ägyptiſche Friedens- und Unfriedenſtifter,
die Fatalität.
Am Morgen um 5 Uhr legten wir bei einem kleinen Orte,
gegenüber den Pyramiden von Sakarrah an; man ſah ihrer drei
und die Spitze der vierten. Unmittelbar am linken Ufer zogen
ſich unabſehbare Palmenwälder, faſt ſo dicht wie bei uns ein
Kiefernwald, hin; über die Palmen hinaus ragten die Pyramiden
in die reine blaue Luft.
Etwas weiter den Strom hinauf ſahen wir auf einem Ab-
hang des libyſchen Gebirges die Pyramiden von „Daſchur“.
Der öſtliche Gebirgszug, Mokattam genannt, welcher als breiter
Plateaurücken den ganzen Landſtrich zwiſchen dem rothen Meere
und dem Nil ausfüllt, fällt gegen dieſen meiſt in ſteilen Wänden
ab, ſo daß zwiſchen den öſtlichen Nilufern und dem mäßig hohen
Sand- und Kalkſteinbergen nur hie und da ſchmale Streifen Acker-
landes anzutreffen ſind.
Das eigentliche kultivirte Niederungsland liegt auf der
weſtlichen Seite des Nils, zwiſchen ſeinen Ufern und dem libyſchen
Gebirge, welches (dem öſtlichen Mokattam im Allgemeinen pa-
rallel laufend) das Ackerland vor dem libyſchen Wüſtenſande
beſchützt. – Die durchſchnittliche Breite dieſes fruchtbaren
Schlammlandes wird auf zwei geographiſche Meilen, ſeine Länge
etwa auf 100 Meilen geſchätzt. – Es liegen aber noch Sand-
ſtrecken, Sümpfe und anderes Unland in dem urbaren und frucht-
baren Boden zerſtreut. – Die Gebirge zeigen nicht die mindeſte
Spur von Vegetation, kaum eine Flechte wie unſere Feldſteine, –
291
geſchweige denn Kraut und Strauch. – Wo Schlamm und Waſſer
ein Ende nehmen, iſt nur der brennende Wüſtenſand und ſein
nacktes Geſtein, und ſelbſt an den Nilufern und in den Sumpf-
ſtellen giebt es keine Wieſen, kein feines, dicht ſtehendes, ſondern
nur ein grobes, weitläufiges Riedgras und Schilf.
Mit den Wieſen hat es bereits in Italien ein Ende. – Bei
Florenz ſind einige Morgen Wieswachs wie eine Naturſeltenheit
geſchont. In den italieniſchen Gebirgsthälern giebt es kleine
Wiesflecken, ſie brennen aber ſchon im Frühlinge von der Hitze und
wegen Waſſermangel aus. – Große herrliche Wieſenmatten,
Quadratmeilen von immergrünen Flächen, ſelbſt unter Schnee
und Eis, ſind nur im Norden zu Hauſe. – Es iſt nimmer alles
Schöne auf einem Punkte und an einem Orte der Welt vereint.
Alſo Wieſen, Bäume und Sträucher hat der Mokattam an
keinem Orte; kaum irgendwo ſo viel Flechtenmoos, daß ſich ein
Stäubchen daran feſtſetzen könnte; aber Grabkammern mit we-
nigen Unterbrechungen von Kahira bis Theben und an jedem Orte,
dem die alten Aegypter nahe gekommen ſind. – Wer alſo ein
Freund von Todesgedanken iſt, der ſchiffe ja auf dem Nil. –
Zwar ſind Tod und Leben die Thatſachen und Begriffe, aus
denen auch mein Bischen Philoſophie, wie eine gekappte Elſe aus
den Wurzeln, ausſchlägt; aber in Aegypten und dem ſteinernen
Mokattam entlang wurde es mir doch ein Bischen zu viel Tod-
ten- und Troglodyten-Philoſophie. – Das Leben kam
ungeachtet der grünenden Reis- und Durahfelder und der Palmen,
gegenüber dieſen Höhlen der Lebendigen und Todten, zu kurz.
Ein Paar hundert Quadratmeilen Ackerland ſind hier von dem
Todesgrauſen der libyſchen Wüſte eingeſchloſſen; von ihrem ewigen
Schweigen wird ſelbſt der arabiſche Lärmen übertönt!
Ich überzeugte mich zuletzt, dieſe Spektakeleigenſchaften der
nackten Aegypter ſind unter dieſen Szenen des Todes, der Höhlen-
19*
292
wirthſchaft und in der Wüſtenei eine Naturnothwendigkeit, eine
Naturtugend und Naturökonomie. Wenn die Aegypter eine ſtille,
in ſich gekehrte, ſchweigſame Race wären, ſo hielte es der Tod ſelbſt
in dieſem Lande nicht aus. Man ſieht alſo bei jeder Gelegenheit: die
Natur und unſer Herrgott wiſſen zuletzt und zuerſt, warum ſie die
Welt, die Menſchen und die Naturgeſchichten ſo und nicht anders
getrieben, geſtaltet, geſtempelt und gemacht.
Wir fuhren mit halbem Winde ſtromauf und nichts deſto-
weniger flogen ſtromab kleine Barken an uns mit Windesſchnelle
vorüber; ein ſchlagender Beweis, daß die Aegypter den Wind in
die Segel zu fangen verſtehen. Die Ausſicht auf Palmenwälder,
bebaute Felder, Pyramiden und Gebirge in der reinen, klaren
Luft iſt entzückend ſchön.
Ich ſehe wiederum, wie Weizen „auf dem Schlamm“
ausgeſät wird; das ſcheint in der That die leichteſte und natür-
lichſte Ackerung zu ſein. Sie hat auch noch den Vortheil, daß
der Saame nicht von den Vögeln verzehrt werden kann. – Jeden-
falls kommt man ſo wohlfeiler ab, als wenn, wie bei uns, drei-
bis viermal gepflügt und eben ſo oft geegt werden muß.
Es war eine vollkommene trländiſche Landſchaft.
Der ſtets wechſelnde Himmel, die ſchnell fliegenden
Schatten, das helle Sonnenlicht, die geſegneten Fel-
der, der breite ſchnellende Strom, das dunkle Ge-
birge, von deſſen höchſter Spitze ein dünner blauer
Streifen Dampf emporſtteg. – Alles ringsum war
lächelnd aber doch traurig wie die Söhne des
Landes ſelbſt, über deren ernſte Stirn Scherz und
Freude hingleiten und die Tiefen verbergen, welche
darunter lauern. – Ich ſaß nachdenkend über die
ſeltſame Uebereinſtimmung der Menſchen mit dem
Klima in meiner Barke da.
(Der irländiſche Dragoner, engl. Roman.)
Wir halten vor einem Dorfe am flachen Ufer des Nil. –
Die unmittelbar am Strom gebauten Hütten ſind in Haufen ge-
ſchwemmt, gleich den Grabhügeln, die immer im Zuſammenhange
mit den Hütten ſtehen. Das thut dem Dinge aber nicht ſonder-
lich viel, denn der Thon iſt bald wieder zu Backſteinen geformt,
getrocknet und zu einer Hütte zuſammengeklebt. Zwiſchen übrig
gebliebenen und mit Rohr halbgedeckten Schlammwänden ſaß
eine Familie und trocknete goldgelbe Datteln. Der Strom liefert
ſüßes Waſſer und Fiſche; – das Ufer eine Weide für die Büffel-
kuh; – der Saame gedeiht ohne Dünger und oft ohne Ackerung
in dem Schlamm, auf den er unmittelbar ausgeſät wird; – Tau-
ben und Hühner vermehren ſich ohne ſonderliche Mühe; der Ka-
meel- und Büffelmiſt giebt das Brennmaterial her; der Dattelwald
294
ſteht um die Hütte her: es ſind bibliſche und patriarchaliſche Ge-
ſchichten; – Schlaraffenlandſzenen, – aber der Schein trügt!
An dieſem Tage ſchien jedoch aus dem ägyptiſchen Paradies-
leben Ernſt werden zu wollen. – Wir fuhren von jenem Dorfe
Schobat nach dem Muſterdorf Masruhne. Es lag einige hundert
Schritte weit vom Ufer; hart an demſelben zog ſich ein Palmen-
wäldchen hin, alle Bäume mit Früchten beladen und mit Tauben
beſetzt. In dem kühlen von Streiflichtern durchblitzten Schatten
hockten die Dorfbewohner gruppenweiſe beiſammen, vor Körben
mit Eiern, Durahfladen und getrockneten Datteln. – Die fri-
ſchen Früchte holten auf unſern Wunſch einige Männer mit na-
türlicher Kletterfertigkeit in ganzen Bündeln von den Bäumen
herab. An das Wäldchen grenzte eine Zuckerpflanzung, weiter
hin ſahen wir weidende Ziegen, Schafe und Rinder; dann wieder
von Rohr eingefriedigte Räume, wo auf Matten große Dattel-
maſſen getrocknet wurden. – Der Boden unter den Palmen war
nicht ſtaubig, ſondern noch feucht und weich von der Ueberſchwem-
mung, aber doch ſo feſt, daß man reinlich und wie auf Gummi-
Elaſtikum trat. – Die Kinder jagen ſich nackt umher, die Alten,
Weiber wie Männer, ſpannen Wolle auf der Spindel und ſpa-
zierten dabei unter den Palmen umher oder ſaßen in ihre Plau-
dereien vertieft. - -
Wir gingen mit dem Barkenführer zum Dorfe. Es war
klein, aber regelmäßig und gut gebaut. Die Häuſer hatten ordent-
liche Wände, Höfe und Stallungen. – Ueber den Thüren, die
wie eine Art von Portal ausſehen, fanden wir zum Zierrath häu-
fig grün glaſirte Teller in den Thon eingeklebt. Anfangs
verweigerte man Lebensmittel; als aber doch ein altes Weib ihre
Henne verkaufte, wurde der Markt vollauf mit Hühnern und
Eiern etablirt. Eine gute Henne koſtete uns jedoch 2 Piaſter;
drei Eier fünf Para (drei Pfennige.) Die Kinder warfen uns
295
heimlich mit Thonbrocken, – und die Hunde zeigten uns die
Zähne. Es war alſo nicht ganz ein Paradies. – Bei dem klei-
nen Flecken Kaffer el Saratin giebt es große Durahfelder. –
Dieſe Art Mais hat ausgewachſen einen Halm von 8 – 9 Fuß
Höhe und proportionirlicher Dicke; die Kolben ſind von der Form
und Größe einer Limonie oder koloſſalen Zitrone; die Samen-
körner, welche das ſchönſte Mehl geben, bilden eine maſſive Maſſe;
ihre Geſtalt uud Farbe iſt wie die von türkiſchem Weizen, ſie ſind
aber etwa nur zum vierten Theil ſo groß. –
Auf einer Weide am Nil ſahen wir 23 Stück Kameele, ſie
machen beim Wiederkäuen einen Rachen, wie er am Nilpferde ab-
gebildet wird; das Schroten der Kinnladen iſt wie eine Maſchine
anzuſehen. – Dieſe Thiere können gereizt wüthend werden,
brüllen, geifern, ſchlagen ihren eigenen Treiber mit den Vorder-
füßen zu Boden und beißen nicht ſo gar ſelten denen, die ihnen
in ihrer Wuth zu nahe kommen, die ganze Hand fort. –
Unſere Araber drehen auf der Barke aus Dattelbaſt Stricke,
beinahe ſo feſt und akkurat wie von Hanf; dies Kunſtprodukt wird
in unglaublich kurzer Zeit mit bloßen Händen, ohne jedes Werk-
zeug und insbeſondere ohne Seilerrad fertig gemacht. In Kahira
wie auf den Dörfern werden aus den Zweigen der Dattelpalme,
Kiſten, Hühnerkörbe, Deckelkörbe mit Ohren, prächtige Matten,
Reiſetaſchen und alles mögliche Flechtwerk fabrizirt. – Hinter
Kaffer el Saratin ſah ich unmittelbar am Ufer zum erſtenmal die
einfachen Schöpfanſtalten, mittelſt deren das Nilwaſſer durch
Menſchenhände in die Kanäle hinaufgebracht wird. Ueber zwei
Säulen von Schlamm iſt ein Querholz gelegt; auf dieſem ſelbſt
296
eine bewegliche ſtarke Stange befeſtigt, von deren einem Ende ein
waſſerdicht geflochtener Korb oder ein Lederkübel mit ſteifem Rande
an einem ſteifen Baſtſtrick oder Palmenblattſtiel herabhängt, um
ſolchergeſtalt von einem oder von zwei Männern ins Waſſer ge-
ſtoßen und heraufgezogen zu werden, was durch das Gewicht von
einem Thonklumpen erleichtert wird, welcher um das entgegen-
ſetzte Ende der auf- und niederbewegten Stange feſtgeklebt iſt.
Die Bootsleute nannten dieſe Waſſergalgen „Schettuhf.“
Morgens den 25. Oktober befinden wir uns wiederum Py-
ramiden gegenüber; – die Araber nennen die Gegend Hirmesaui,
d. h. wohl Pyramidenort; denn heram oder hirm bedeutet Pyra-
mide, und vier Dörfer endigen ſich in der Gegend auf „saui.“ Es
ſind dies die letzten Pyramiden in der Reihe von Gizeh, alſo im-
mer noch die von Daſchur. – Wegen der außerordentlich häufigen
und oft ganz rückläufigen Windungen des Nil befindet man ſich
oft nach 12- oder 24ſtündiger Treidelfahrt denſelben Gebirgs-
ſtellen und Gegenden gegenüber, die man vor ſo viel Stunden zum
erſtenmal zu Geſichte bekam. – Auf dieſe ſchlangenläufige Weiſe
geſchieht es z. B., daß man die Pyramiden von Daſchur von drei
Seiten zu Geſichte bekommt, – ſelbſt wenn man ſich nicht aufs
Land zu ihnen hinaus macht.
Das Geknarre und Gepfeife der Waſſergalgen, ſo wie der
durch Ochſen getriebenen Schöpfwerke (Sakkihs), iſt der Ton,
welchen der Nilreiſende von Sonnenaufgang bis Sonnennieder-
gang vernimmt, auch wo er nichts weiter zu hören bekommt. –
In den meiſten Gegenden befinden ſich dieſe Schöpfanſtalten ſo
nahe beieinander, daß ſich die Leute zurufen können. – Die Ar-
beiter werden den Tag über drei- oder viermal abgelöſt, und ſte-
hen an hohen Ufern in zwei Etagen auf Terraſſen übereinander
297
F.
ſo daß das Waſſer zuerſt in eine Grube auf dem erſten Uferabſatz
und dann zum andernmal in den Kanal gelangt. Die Araber
ſind auch bei dieſer Arbeit nackt und ſelten mit einem Blätter-
kranz um die Hüften bedeckt. – Für die Waſſer- und Kanalwerke
hat alſo der Araber den altägyptiſchen Fleiß und Verſtand ſo
ziemlich konſervirt. – In den andern Bauwerken haben die bei-
den Racen nichts miteinander gemein. –
Eben bekommen wir am Ufer Marmorfelſen zu Geſicht, und
ganz nahe vor uns ſitzen ein Paar koloſſale Geier, ſo daß wir ſie
in der Entfernung für einen Eſel gehalten haben, ohne deshalb
Eſel zu ſein. –
Auf einer Sandbank ſpazieren ſechs Störche umher, vielleicht
Landsleute von mir. Ich ſah ſpäter ſchwarze Störche, ſie haben
mich aber kaum ſo ſehr wie die bei uns einheimiſchen weißen in-
tereſſirt, wiewohl ſich auch dann und wann ein ſchwarzer Storch
nach Weſtpreußen verfliegt. – Meine Eltern verflegten ein ſo
rares, ich weiß nicht mehr auf welchem Wege, ihnen zugekommenes
Exemplar im Keller; aber der arme Aegypter gab ſeinen Geiſt in
der preußiſchen Finſterniß auf, es bangte ihn nach dem
ägyptiſchen Licht. –
Für die Tauben, die in manchen Dörfern Wolkenzüge bilden
könnten, ſind auf den Plattformen der Hütten, die hier meiſten-
theils wie kleine abgeſtumpfte Pyramiden ausſehen, kleine Thürm-
chen mit lauter Löchern für die Tauben zurechte geklebt. –
Bei den Pyramiden von Daſchur weicht das libyſche Ge-
birge, und dem Städtchen Beniſuef gegenüber der Mokattam
von den Nilufern in die Wüſte zurück, kommt aber bald wieder
298
nahe heran. – Die libyſche Bergkette aber zieht ſich erſt in The-
ben maſſenhaft zu den Ufern des Nils. –
In der Nacht vom 26. zum 27. landeten wir im Dorfe
Bibbe. Ein alter Araber wunderte ſich da über mein kleines
Taſchenkämmchen und die Bürſte in Duodez. Als ich ihm aber
den Apparat zu einem Experiment für ſeine Toilette hinreichte,
und der Gute ſeinen grauen, krauſen und kurzen Bart ſo ſchön
ausgekämmt ſah, ſagte er mit großem Nachdruck taihb, milihch!
d. h. gut! vortrefflich! – Lieblingsworte, mit denen beſonders
dem Fremden geſchmeichelt und Dienſtwilligkeit kund gegeben
wird. –
Man muß dieſe Araber Kaffee kochen ſehen. Sie brennen
ein wenig Bohnen in einem Scherben oder flachen thönernen Ge-
fäß, (indem ſie die Frucht mit einem Spahn umrühren), ſo braun
wie wir. Dann zerſtoßen und zerreiben ſie die gebrannte Bohne
in einem kleinen aber ſtarken Napf, der ganz ſo geformt iſt, wie
das Gefäß, in welchem der weſtpreußiſche deutſche Bauer ſeinen
Schnupftabak präparirt. – Zum Stößel dient das erſte beſte In-
ſtrument, am liebſten ein langer Stock aus einem eiſenharten
Holze, der Nabuth genannt und mit 10 bis 12 Piaſtern bezahlt
wird. – (Mit ſo einem gewachſenen Stecken, 6 – 7 Fuß hoch,
wehrt man ſich ſchon einen Räuber oder Hund und Schakal vom
Leibe). Was nun den Kaffee anbetrifft, ſo iſt der Witz der, daß
eben nur eine ſolche Portion gebrannt und gerieben wird, als man
auf einmal eben zum Kochen gebraucht, damit das Aroma ſo we-
nig als möglich verfliegt. Ueberhaupt wird in Aegypten der
Kaffee nicht gemahlen, ſondern in großen Eiſenmörſern zerſtampft,
bei welchem Geſchäfte gewöhnlich drei Menſchen auf die Weiſe in
Thätigkeit ſind, daß der Jüngſte und Behendeſte, gewöhnlich
299
ein Knabe, zehn bis fünfzehn Jahre alt, von Zeit zu Zeit den am
Boden feſtſitzenden Kaffee mit der Hand rund herum und in der
Mitte loskratzen muß, ohne daß deshalb mit dem Stampfen einen
Augenblick eingehalten wird. – Wer dieſes gefährliche Manöver
zum erſtenmale mit anſieht, kann ſich der Beſorgniß nicht erweh-
ren, daß dem armen Jungen im nächſten Augenblicke die Hand in
den Kaffee hineingeſtampft wird. – Schnupftabak dagegen ſtößt
man bei den Gewürzkrämern mit einem langen hölzernen Stößel,
an deſſen oberem Ende eine ſchwere Eiſenkugel feſtgemacht iſt;
kurz, die Kurioſitäten nehmen für den fremden Zuſchauer kein
Ende. –
Zum Klären des Nilwaſſers, welches von vortrefflichem Ge-
ſchmack und zum Thee wie zum Kaffee gleich gut zu brauchen iſt,
zwiſchen hartem und weichem Waſſer das rechte Mittel hält, und
ſeinen alten Ruf mit vollem Rechte verdient, – kann man mit
merkwürdigem Erfolge gepulverten Alaun (Schehbeh) anwenden,
– er iſt aber nicht geſund. Bekanntlich ſind geſtoßene Mandeln
das gebräuchlichſte und unverfänglichſte Klärungsmittel; – das
Nothwendigſte iſt aber ein großer Waſſerkrug, in welchem ſich
der Schlamm zu Boden ſetzen muß, bevor das Waſſer in die thö-
nernen kleinen Kühlkrüge kommt. Wird ſo verfahren, ſo bedarf
es keiner andern Operation. Eines von den größten gebrannten
Thongefäßen, das etwa 60 bis 90 berliner Quart Waſſer faſſen
kann, alſo den Umfang und die Höhe einer gewöhnlichen Waſſer-
tonne hat, kommt bis auf 8 oder 10 öſterreichiſche Thaler zu ſte-
hen. Der gemeine Araber hat in der Regel Thonkrüge bis zu
dem Inhalte von ungefähr 10 und 20 Quart, die mit Waſſer ge-
füllt, von den Weibern mit eben ſo viel Geſchick als Grazie und
Kraft, auf dem Kopfe balanzirt werden. Dieſe leicht gebrannten
Waſſerkrüge werden mittelſt Palmenzweigen und Aeſten künſtlich
300
zu einer ſchwimmenden Maſſe verbunden (etwa wie eine „Weichſel-
holztrafft“), und ſolcher Geſtalt von Kenneh nach allen Nildör-
fern den Strom herab bis nach Kahira gebracht. – Daß dieſe
Topfflöſſerei ſich nicht von den Ufern entfernen, und im Winde
ſtill liegen muß, verſteht ſich wie vieles Andere nicht zu Beſchrei-
bende von ſelbſt. – In Kenneh, einer Stadt etwa 10 Fahrſtun-
den von Theben, werden die beſten Kühlkrüge (Gulla) gemacht.
Sie beſtehen aus ungebranntem Thon, koſten drei Pfennige das
Stück, und halten bei dieſem Preiſe an Flüſſigkeit ein Quart. In
ihrem engen Halſe befindet ſich ein durchlöcherter Boden eingeſetzt,
damit das Waſſer nach Möglichkeit vor der warmen Luft geſchützt
iſt. Die Wärme des Waſſers verdunſtet durch den poröſen
Thon; es iſt ihm aber gar keine andere Beſchaffenheit anzu-
ſehen, als jedem andern Thon. Wie dem auch ſein mag, dies
Faktum ſteht feſt: „das in eine ſolche Gulla unmittelbar aus dem
Nil geſchöpfte, lauwarme und ſtark mit Thon vermiſchte Waſſer
(ein gewöhnliches Waſſerglas giebt einen fingerdicken feſten Satz)
gießt ſich etwa eine halbe Stunde darauf, als ein ziemlich kla-
res, ziemlich abgekühltes und ganz beſonders wohlſchmecken-
des Waſſer aus der Thonflaſche heraus.“ Wegen der durch-
löcherten Scheibe in dem langen Halſe der Gulla darf man in
dieſelbe aber nur ſolches Waſſer gießen, das bereits in einem grö-
ßern Schöpfkruge ſeinen Bodenſatz zurückgelaſſen hat; andernfalls
werden vom Schlamm die Löcher der Scheibe bald verklebt. –
Unſere Barkenaraber machten bei keiner Gelegenheit Umſtände mit
dem Waſſer und ſetzten ihren kleinen gebrannten Schöpfkrug
in demſelben Augenblick, wo ſie ihn an einem kleinen Baſtſeil in
die Höhe gezogen hatten, auch an den durſtigen Hals. – Als ich
die junge Frau des Reis, die unter dem Verdeck der Barke von
uns Mannsleuten abgeſperrt hockte, mit geklärtem und gekühltem
Waſſer erfriſcht wiſſen wollte, lächelte ihr Mann dazu, wie über
301
ein ganz überflüſſiges Rezept und eine komiſche Galanterie. –
Ich hatte mich ein wenig in das Dorf Bibbe und jenſeits deſſel-
ben bis auf die Felder hinausgemacht, die ſich zwiſchen dem Mo-
kattam und dem Strome befanden, da der Ort am rechten Nilufer
liegt. Dieſe Aecker gewähren einen Anblick, welcher dem unſerer
Flußniederungen gleicht, einem Wechſel von Weiden, Durahfeldern,
Palmen, Bruchwieſen, Sumpfſtellen, Büffel- und Ziegenheerden,
der dem Auge wohlthut, nach dem Staube und der Hitze im Dorfe
ſelbſt. In dieſem aber ſah ich den Fellah in allen Stadien,
Stufen und Phaſen ſeiner menſchenſchändenden und weltenunter-
gangsmäßigen Fahrläſſigkeit, Verwirrung, Lüderlichkeit und Un-
flätherei. –
So uneben wie der Erdboden etwa von Natur angetroffen
worden, ſo hat er ihn gelaſſen und zwar ohne die mindeſte Beein-
trächtigung ſeines Komforts. Iſt der Anlage einer Hütte irgend
ein Gegenſtand im Wege, ein Palmſtamm, ein krepirter Hund, eine
Sumpfſtelle, ein Stein und was immer ſonſt, dieſer Araber ver-
mauert das Ding und Unding lieber in den ſogenannten Bau, als
daß er die kleinſte Mühe im Forträumen anwendete. – Es iſt aber
nicht allein Faulheit, – es iſt gänzlicher Mangel an Organ für
Ordnung, Sauberkeit, Akkurateſſe, Gleichmäßigkeit, Symmetrie,
Ebenmaß und Ebene: – ein inſtinktmäßiger Haß gegen jede irgend
wie verwirklichte Grammatik, Logik, Geometrie, Einheit, Ganzheit
und Geſetzmäßigkeit. – Chaos, Labyrinth, Wirrwarr, Lärmen
und Schmutz – gelten dem Fellah für Poeſie, Komfort und Le-
benselement. –
Jedes ägyptiſche Dorf (mit Ausnahme eines Dutzend von
überwachten Muſterdörfern) iſt ohne Unterſchied ein Bild des em-
pörendſten Durcheinander und Uebereinander von Schutt, Staub,
Ziegeln, Steinen, Backſteinſtücken, Kehricht, Federn, Menſchenkoth
und Aas, nur am Viehdünger fehlt es, weil er zum Brennmaterial
302
verwendet wird. – Jedes Dorf iſt in ſeinen ſogenannten Straßen,
Wegen und Stegen, (für die kein Wagen und kein Karren in An-
wendung kommt, da Alles auf Kameelen und Eſeln transportirt
wird) – bucklicht, krumm und ſchief, ſchmal und weit auf einen
Hieb. Da giebt es große und kleine, hohe und niedrige, bedeckte
und offene, viereckige und runde, zugewölbte und pyramidenförmig-
abgeſtumpfte Mauerwerke, mit Palmenſtämmen, Rohr, Bohnen-
ſtroh und Strauch belegt; mit Hunden, Hühnern und Tauben auf
der Plattform, – und nicht zu vergeſſen mit einem Schurrmurr
und Miſt von brauchbaren und vernutzten Geräthen, deſſen bloßer
Anblick einen ordnungliebenden, reinlichen Chriſtenmenſchen auf
Augenblicke ſeiner fünf Sinne berauben und komplet unglücklich
machen kann. – Da giebt es ferner zur vollkommenern Ausgeſtal-
tung des labyrinthiſchen Unweſens große und kleine Einfriedigun-
gen von Backſteinen und Rohrwerk; – große und kleine, runde
und viereckige Hütten, Stallungen, „Kruplöcher,“ Taubenlöcher,
Hundelöcher, Brutöfen, Backöfen, Niſchen, Gruben, Hofräume,
Hühner- und Taubenhäuſer; item bedeckte und offene, krumme
und krümmere, ſchmale und noch ſchmälere, kothige und ſcheußliche
Gänge, Winkel und Verſchläge, mit welchen verglichen ſelbſt ein
polniſches Labyrinth und Chaos eine Grammatik, Regiſtratur und
Oberrechnungskammer und jede Unflätherei eine holländiſche
Reinlichkeit iſt. – Hier ſtudirt man die Myſterien der univerſellſten,
volksthümlichſten perennirenden Säuerei, und eines konzentrirte-
ſten, lächerlich - furchtbaren chroniſchen Geſtanks. Hier
iſt die Naſe nur noch zu ihrem Hohn und Skandal in der Welt
und „binnen Bälde“ ein krepirter Geſichtstriangel, für welchen
weder Geruch noch Geſtank mehr exiſtirt. – Hier räumen die
Säue den Menſchen das Feld, welche Letztere die Rolle der Erſtern
vollkommen ausfüllen und darum von Religionswegen mit den
Schweinen auf immer zerfallen ſind. – Ein Schwein iſt, verglichen
303
mit einem Fellah, ein diskretes, reinliches und appetitliches Thier,
ſchon um der Thatſache willen, daß es im Stalle die reinlichſte
Stelle zu ſeinem Lager ausſucht, dasſelbe nicht verunſaubert und
nur bei Reinlichkeit und trockener Streu gedeiht.
Die Taubenhäuschen von Schlamm ſind hier in Bibbe in
voller Glorie, Ausbildung und Normalität zu ſehen. Sie gleichen
ungeheuern Terpentinölflaſchen mit kurzem Halſe. Der Bauch
dieſer kurioſen Architektur iſt aber mit ausgerundeten Gefäßen von
gebranntem Thone, wie halbe Bomben groß, beſteckt, und dieſe
mit der Hohlſeite nach Außen gekehrten Halbkugeln bilden dann
für jedes Taubenpaar ein abgeſondertes Neſt; – denn Partiku-
larismus und Schismatik iſt der arabiſche Verſtand von Anfang
bis zu Ende. Dieſe Taubenflaſchen ſtehen wie eben ſo viele
Thürmchen zu Hauf, und bilden eine Art von Zinnen, Zierrath,
Kuppeln oder zweitem Stockwerk auf den Häuſern, und ſind als
Ausputz auch nicht ſelten weiß gekalkt. -- .
Die Knotenringe und die ſchuppenförmige Rinde des Palm-
baums bilden ſo gute Anhaltspunkte für die Hände und die
nackten Füße der Araber, daß dieſe mit großer Leichtigkeit vor
unſern Augen Probe kletterten und goldgelbe Datteln herabholten,
die, obwohl reif und ſüß, doch ſo herbe, zuſammenziehend und
ungenießbar wie die polniſchen Holzbirnen ſind. – Abgelegen,
und an der Sonne auf Baſt und Schilfmatten gedörrt, erhält dieſe
herrlichſte, und dem Araber unentbehrlichſte Frucht erſt ihren köſt-
lichen Geſchmack. Der Branntwein, den ſie liefert, giebt dem
Franzbranntwein nichts nach.
Für glattere und ſchwerer zu erſteigende Palmbäume nimmt
der Araber einen Strick zu Hülfe, der an der rechten Schulter feſt-
gemacht und ſo eingerichtet iſt, daß er, um den Stamm geworfen,
304
an der linken Rippenſeite des Kletternden, leicht in eine dort be-
feſtigte Schlinge gezogen werden kann. – Das Manöver iſt alſo
demjenigen ſehr ähnlich, mit welchem in polniſch Maſuren die
Kiefern erſtiegen werden, in denen ſich die wilden Bienenſtöcke be-
finden. – Die polniſch-maſuriſchen Weiber haben, beiläufig ge-
ſagt, mit den Fellahweibern eine Raceähnlichkeit im Geſichtstypus,
den Gliedermaßen und Bewegungen, die nicht ſchlagender ſein
kann. – In dieſen Frauen iſt auch der altägyptiſche Menſchen-
typus konſervirt, – gleichwie in den heutigen Römerinnen die
Race des alten Roms. –
Im Dorfe Bibbe ſah ich zum erſtenmal eine größere Menge
Krähen auf den Palmen. – Sperlinge giebt's faſt mehr wie bei
uns. – Die Wiedehöpfe ſind hier zu Hauſe; und Waſſervögel
mit einem ſperlingsgroßen Leibe und hohen Beinen ſcheinen die
Kunſt des Waſſertretens zu beſitzen, ſo leicht und zierlich beſchwim-
men und beherrſchen ſie ihr Element. –
In unſerer Barke halten Ratten, wie junge Katzen groß, kom-
plette Wettrennen und Hochzeiten, pfeifen und zwitſchern wie
Vögel, zernagen Schiebdeckel, Stricke, Kiſten und Koffer, ſobald
ſie Eßwaaren wittern; klettern an einer glatten Bretterwand, an
dem Maſtbaum und an einem Strick in die Höhe; – laufen dem
ſchlafenden Menſchen über das Geſicht, ſind verjagt und blitzſchnell
verſchwunden, im nächſten Augenblick ganz vergnügt wieder auf
dem alten Platz, und ſchauen aufrecht ſitzend den erbitterten Paſ-
ſagier mit ſo verwunderten, klugen, grellen Eichkatzenäuglein an,
als wollten ſie ihm ſagen: Du närriſches Menſchenkind, Du, was
zerärgerſt Du Dich denn ſo haſtig über uns, wir ſind ja ganz
luſtige und manierliche Thierchen, und waren lange vor Dir hier
in unſerem Bereich. – Kannſt Du Dich nicht mit uns vertragen,
305
ſo reiſe doch nach Haus! Dieſe allerliebſten und unglaublich na-
türlichen Thierchen, Far genannt, würgten mir die lebendigen
Hühner (Farcha), die ich wegen Mangels eines Korbes im Bo-
denraum placirt hatte, – ſodann theilten ſie ſich trotz aller Vor-
ſichtsanſtalten in meinen Proviant, den ich zuletzt in einer, aus
Baſt geflochtenen und zugeſchnürten Reiſetaſche an den Maſtbaum
aufgehißt hatte. – Eine halbe Melone ſoffen ſie ungenirt in
ganzen Familienhaufen vor meinen erſtaunten Augen aus. – An
einem Schiebkaſten durchnagten ſie den Schieber und ſchoben ihn,
indem ſie den Leib gegen den überſtehenden Rand der Kiſte ſtemm-
ten, ſo weit auf, daß ſie zu dem Edammer Käſe gelangten, den ich
in Kenneh mit einem öſterreichiſchen Thaler bezahlt hatte. –
Wenn ich Abends, auf meiner Matratze liegend, mitunter etwas
verſpeiſete, ſo ſprangen dieſe Waſſerthierchen über mich hinweg in
die Lucke, an der ich lag, oder durch dieſelbe ins Waſſer, und waren
dann wieder „eins, zwei, drei“ an Bord. Zuletzt dankte ich Gott,
daß ſie meine Kleider unzernagt ließen und mich ſelbſt. –
20
Mein Vater machte ſich ein Vergnügen daraus,
Jeden, der ihm in den Wurf kam, mit einem Schwarz-
dornſtocke durchzuprügeln, durch und durch; denn
vorn an dem Stocke war ſo was von 'ner Senſe,
eine hübſche Waffe, ſeine Favoritwaffe; aber die mör-
deriſchen Spitzbuben, die Viehhändler, die niemals
wahrhaftes Gefühl für unſchuldige Vergnügungen
und Späße hatten, fielen über den armen Mann her
und machten ihm den Garaus!
(Ein irländiſcher Dragoner. Engl. Roman.)
Bei dem Orte Geſihre el Fogei, unterwärts der Berge von
Feſch, eine gute Stunde vor dem Orte Elhebi mit einer Moſchee,
paſſirte uns eine Fatalität, die mir vorläufig den Spaß an der
Nilfahrt verdarb; denn Abenteuer erzählen und hören iſt beſſer,
als ſie ſelbſt erleben. Unſere Araber landeten an einer Stelle, um
eine Maſſe Löſchpapier aufzuleſen, die in ganzen Büchern und be-
kotheten Ballen umhergeſtreut lag, ob von einem geſtrandeten Bo-
taniker oder Papierhändler herrührend, weiß ich nicht. In der Zeit,
da die Leute unſere Barke verlaſſen haben, kommt eine andere heran,
und einer von den Schiffern ſagt ſo laut, daß es unſer Dragoman
hört: „Wir wollen dieſe Franken nehmen, es iſt gute Gelegenheit.“
In demſelben Augenblick kommen unſere Araber mit dem aufge-
leſenen Papier zurück, ſie werden von dem Anführer der Räuber
aufgefordert, ſich zu ergeben, ſtürzen aber, von mir und dem Mal-
307
teſer zur Gegenwehr ermuntert und von unſern blanken Säbeln
unterſtützt, mit ihren „Nabuts“ und Bootsſtangen auf die An-
greifer los und treiben ſie auf das Ufer ein Stück ins Land. Jetzt
aber kommt den Flüchtigen ein anderer Haufe zu Hülfe, wir müſſen
retiriren, gelangen mit knapper Noth auf unſer Schifflein und
halten uns die Verfolgenden nur durch die Doppelflinte vom
Leibe, mit der der Schneider gegen das Geſindel ganz tapfer im
Anſchlage liegen bleibt. Dieſe Waffenthat gab unſerm Nimrod
mit ſeiner Flinte Würde, Gewicht und Ladung für die ganze Fahrt,
mir benahm das Abenteuer die paradieſiſche Unbefangenheit.
Man muß nicht zu viel an ſeinem erſten Urtheil über Dinge
und Menſchen herummäkeln und modifiziren, man verkünſtelt und
vertuſcht nur die Wahrheit, ſtatt ſie bis auf X-Dezimalſtellen zu
berechnen, wie man vermeint.
In meiner Jünglingszeit widerte mich die Unwiſſenheit, die
Rohheit, die Lüderlichkeit, die Schmierigkeit, die Unflatherei, die
Formloſigkeit und die fatale Geſchmackloſigkeit der Handwerks-
burſche an. Weiterhin korrigirte ich dieſes allzu ſummariſche Ur-
theil ins Schöne und Poetiſche, denn ich hatte in Romanen vom
deutſchen Handwerksburſchen geleſen, wie er frei und luſtig und
leichten Sinnes durch die Welt geht, wie er in der ganzen Welt
Geltung hat, wie bei ihm noch Freundſchaft, Kameradſchaft, Ge-
müthlichkeit, Freude, Wanderluſt, Liederluſt und alle echt deut-
ſchen Normaltugenden konſervirt ſind. Nachdem ich aber auf
Reiſen dieſen belobten Handwerksburſchen in der Nähe geſehen,
nachdem ich mit ihm zu Waſſer und zu Lande gereiſet, auf dem
Nil Tag und Nacht mit ihm zuſammengeweſen und in der ägyp-
tiſchen Chamarra (der Branntweinskneipe) mit ihm hinter denſel-
ben Fäſſern gelegen bin, nachdem ich ihn nüchtern und beſoffen, in
Freude und Schmerz, in Zorn und Liebe, in Sorge und Uebermuth,
in Noth und Ueberfluß, in guten unb böſen Stunden und in allen
20*
308
Situationen geſehn, kehre ich in der Hauptſache, deductis dedu-
cendis, exceptis excipiendis und mutatis mutandis zu meinem
Jugendurtheil zurück.
Die beſten Exemplare konſerviren allerdings eine gewiſſe
Natürlichkeit, Gutmüthigkeit, Gemüthlichkeit, Kameradſchaftlich-
keit und Gaſtfreiheit, falls nämlich zu dieſen Eigenſchaften die
Natur bereits den Grund gelegt hat, denn die Lebensſtellung des
Profeſſioniſten und ſeine Lebensart begünſtigt die Entwickelung
der angeführten Tugenden und Liebenswürdigkeiten mehr wie ein
anderer Stand; aber der Schmierigkeit, der Mierigkeit, der Lüder-
lichkeit, der Unflätherei in Worten und Werken, der Zänkerei, des
Jachzorns, der Eigenwilligkeit, der Querköpfigkeit, der Unwiſſen-
heit, der Rechthaberei, der Konfuſion, der Beſchränktheit, der Abge-
ſchmacktheit und aller möglichen Untugenden, Korruptionen, Ver-
rücktheiten, Willkürlichkeiten, Begriffsverwirrungen, Beeſtereien,
Teufeleien und Exzeſſe iſt gar kein End', und ein ganz konfufes,
ſich jeden Augeublick ſelbſt ins Geſicht ſchlagendes, Alles mißver-
ſtehendes, Alles herausforderndes, Allem mißtrauendes, ſich ſelbſt
keinen Augenblick begreifendes, ſich überall verrückt anſtachelndes,
nie Frieden haltendes, nie fremde Rechte und Perſönlichkeiten be-
rückſichtigendes, inquiſitoriſches attentäterndes „Geſellen-point
d'honneur“ ſetzt allen Unausſtehlichkeiten dieſer Profeſſioniſten
die Krone der Unerträglichkeit auf -
Alle Troſtloſigkeit, Verwilderung und Gefahr, alle Langwei-
ligkeit, Trivialität, Wetterwendigkeit und Schmutzerei, die mit
einem gänzlichen Mangel an Erziehung, Herkommen, feſter Hei-
math, Unterricht und Form verbunden zu ſein pflegt, tritt dem
Gebildeten unter dieſen Wanderburſchen entgegen. Sie verſtehen
nur untereinander fertig zu werden, ſie können nur in ihrem Pökel,
in ihrer gegenſeitig aſſekurirten Verwirrung, Beeſterei, Schmierig-
keit und Wetterwendigkeit mit einander leben und verkehren. Ein
309
Anderer, der ſich in dies Chaos hineinbegiebt, kommt auf die
Dauer vor Ekel und Alteration darin um, ohne daß er den Rat-
tenkönig von Begriffsverwirrung nnd Lüderlichkeit aufgeknüpft
oder mit dem Schwerte zerhauen hätte. In ſolchen Kultur-Mon-
ſtroſitäten, Sozietäts-Miſeren und Korporations-Korruptionen,
bei ſo einer Tollhäuslerei in allen Tonarten und Sphären hilft
nur die Zeit, die ganze Welt- und Naturgeſchichte, indem ſie ja
Berge verſinken läßt und Berge aus den Thälern hebt, die Meere
austrocknet und Waſſer aus dem Schooße der Felſen hervorbre-
chen läßt.
Geredet, gelehret, geſchrieben, gepredigt und probirt wird
gegen dieſe Geſellenmiſere genug und mit Recht, denn ohne An-
fang iſt nimmer ein Ende erhört; aber ſo ſchnell und handgreiflich,
ſo geradeaus und ins Herz hinein, ſo im kürzeſten Prozeß und
aus der richtigen Mitte heraus, wie die Weltbeglücker, die Weltver-
beſſerer und die radikalen Demagogen wähnen, geht es mit dieſen
Profeſſioniſten keineswegs. Bei den Bauerburſchen findet ſich in der
Regel ein geſunder Untergrund, ein heiler und natürlicher Fleck,
eine geſunde, derbe und maſſive Unwiſſenheit, Gläubigkeit und
Religioſität; da hat die Schule, die Lektüre, die ſtädtiſche Lebens-
art noch nicht alle Natur in Verwirrung gebracht, aber mit den
Profeſſioniſten, mit den Wanderburſchen iſt es ein korruptes an-
brüchiges Ding.
Wie man in dieſem Brei von Natur und Kultur von roher
Sinnlichkeit und verrückten Ideen, von klitſchigen Gefühlen und
zerkrümelten Begriffen, von Beeſterei und verkitzeltem, konfuſem
point d'honneur, den Grundſtein künftiger, deutſcheinheitlicher, kor-
porativer und zugleich weltbürgerlicher Bildung legen ſoll, dies
iſt wohl nur dem Weltbaumeiſter, und weder den Sternkundigen
noch den Freimaurern, oder den Radikalen bewußt. Ich weiß es
wohl und es iſt mein Lieblingsſatz und Troſt: die Gebildeten
31 0
ſprechen und handeln geſcheuter und ſittlicher, wie ſie es begreifen,
und die Leute aus dem Volke ſtellen ſich wiederum konfuſer, gemei-
ner und unſittlicher dar, wie ſie es in Wirklichkeit ſind. Keiner
iſt ſo klug und ſo dumm, ſo gut und ſo böſe, ſo gottlos und fromm,
wie er handelt und ſcheint, wie er ſchreibt und wie er ſpricht. Es
geſchieht dies zufolge der urewigen Differenz zwiſchen Weſen und
Form, zwiſchen Gewohnheit und Begriff. Man kann in den ge-
ſchmackvollſten und gottſeligſten Formen ſehr ruchlos, gemein und
abgeſchmackt und man kann bei ſehr rohen oder abſurden Redens-
arten und Manieren ein grundgeſcheuter, ein frommer, verläſſiger,
herzensdelikater und ehrenfeſter Menſch ſein. In der Regel aber
ſteht feſt: daß der Stoff ſich in der Form manifeſtirt, daß die Le-
bens- und Redensart den Charakter darlegt, daß Schein und Form
nicht minder in Acht zu nehmen ſind, wie das Weſen, daß der
Schein gewöhnlich nicht trügt, und daß Formloſigkeit eine Verſtan-
desunmacht, eine Prinzip- und Geiſtloſigkeit iſt.
Dieſe Expektorationen mögen die Einleitung zu nachſtehenden
kurioſen Schmeckproben von weitgereiſeter Schneiderbildung und
Schneiderſtyliſation abgeben, die ich, ausgerüſtet mit einigen ſteno-
graphiſchen und mnemotechniſchen Künſten, im Intereſſe eines un-
verfänglichen Reiſehumors pure zum Beſten geben will. Ich ſchreibe
demzufolge mein Niltagebuch ab, wie folgt:
„Der Berliner ſchießt in ſeinem Gelüſte auf die kleinſten
Vögel und trifft erſt das zehntemal, um dann zu proklamiren, daß
er neunmal unerhörtes Malheur gehabt und daß er z. B. in
Beyrut jeden Sperling auf 60 Schritt weggeputzt c.
Der Schneider-Nimrod hat wieder einen Vogel aufs Korn
genommen und es entſpinnt ſich bei der Gelegenheit nachſtehender
Dialog:
Der Schwabe. Ich weiſch nit, waſchdaſch für a Vogel ſein
kann, eſch iſch bald wie e Enteart daſch.
311
- Meine Wenigkeit. Ich bin kein ſonderlicher Kenner, aber
eine Ente iſt's nicht, die ſieht ganz anders aus.
Der Schwabe. Ja wiſche Sie daſch, eſch iſch daſche
ägyptiſche Ent'. -
Ich. Gewiß iſt ſie das, aber eine ägyptiſche Ente hat in der
Hauptſache einen ſo breiten und ſtumpfen Schnabel, ſo einen Kopf
und Leib und ſolche Schwimmfüße, wie die Enten bei uns und in
der ganzen Welt; dafür iſt's und bleibts eben eine Ent'. Dieſer
Vogel hat aber einen langen ſpitzen Schnabel, einen „Tſchups“
Federn auf dem Kopfe und ähnelt in der Geſtalt einem Wiedehopf
oder Specht.
Der Nimrod. Ja, dieſes kann in der Wahrheit an dem
ſein, denn warum? wiſſen Sie, es iſt keine Ente nich, wiſſen Sie,
es iſt ein „Geſchlecht Nilvogel“ iſt dieſes Thier. Ich will ihm
mal ſchießen will ich.
Ich. Sparen Sie lieber den Schuß, das Thierchen iſt zu
klein als Braten, fällt von dem Aſt ins Waſſer und wird ſtinken
wie ein Wiedehopf, darauf verlaſſen Sie ſich.
(Meine Fürbitte wird von dem lüſternen Jäger nicht beachtet,
er ſchleicht ſich vom Ufer aus mit Manieren heran, wie zu einem
ſchlafenden Löwen und brennt los. Ein Vogel fliegt auf, ein
Anderer bleibt verdutzt ſitzen.)
Der Jäger. Ich hab' ihm getroffen, der bleibt ſchonſt ſitzen.
(Stürzt auf den Baum zu, um das vermeintliche „todt ſitzen
gebliebene“ Exemplar vom Aſte zu pflücken, wie eine Pflaume,
dieſe fliegt aber auf und dem Schneider um den Kopf)
Schneider. Sehn Sie, er hats gekriegt, der Vogel fliegt
auf den Nil, (fühlt ſich nämlich auf dem Lande nicht mehr ſicher)
er hat es in die Bruſt gekriegt, wiſſen Sie, nur freilich, daß er zu
tief geſeſſen, wiſſen Sie, um dieſes iſt er mits Leben fortgekom-
men, daß er fliegen thut, aber mits Leben kommt er doch nicht davon.
31 2
Ich. Es thut mir eben leid, daß ſo ein armes Ding umkom-
men muß, ohne uns mal was zu nutzen.
Jäger. Ja wiſſen Sie, dieſes will ich Sie ſagen, daß ein
Nilvogel ganz hartnäckiger iß mits Leben als ein anderer Vogel,
ja. Wenn man dieſen nicht in den Kopf rein treffen thut, ſo fällt
er nicht. Darum iſt es ſehr ſchweer mit dieſe Thiere, zu ſchießen,
wiſſen Sie.
Ich. Glaube es ſchon und habe es ſo eben geſehen, aber eben
drum muß man ganz beſonders auf Nilvögel eingeſchoſſen ſein.
Jäger. Ja wiſſen Sie, wenn man dieſes Thier nicht gerade
in den Kopf drein ſchießen thut, ſo fällt er nicht. In Beyrut, wiſſen
Sie, hab' ich jeden Sperling, was nur Sperlinge ſein, um dieſes zu
ſagen, jedes Thier, wiſſen Sie, auf 60 Schritt in den Kopf drein
getroffen, oder meinetwegen in den Flügel, oder wo man ſonſt 'nein
ſchießen thut – will ich nur ſagen. Aber per Exempel nur dieſes,
daß es mit dieſe Vögel in Aegyptenland, per Exempel bei den Nil
mit dieſe Nilvögel ſehr ſchweer anzukommen iſt; um dieſes, daß ſie
weit zäher ſind am Leben, zu krapiren, wiſſen Sie, bis man ſie nicht
in den Kopf drein ſchießen thut. Gezielt hab' ich ganz richtig,
wiſſen Sie. Ja.
Ich muß geſtehen, ich halte viel auf Sprichwörter und Volks-
vorurtheile, jedoch meine ich, falls ein Schneider nur geſcheut zur
Welt gekommen iſt, ſo bleibt er es wohl trotz der Schneiderei.
Wenn er aber von Natur abſurd oder bösartig iſt, dann wird er
eben wegen der erblichen Schneiderambition, der türkiſchen Lebens-
art mituntergeſchlagenen Beinen und der ſtumm in die Kleider ver-
nähten Gedanken und ehrgeizigen Leidenſchaften doppelt ſo närriſch
und ſchlimm, wie ein ähnliches Menſchenexemplar, das ſich hinläng-
liche Motion verſchaffen kann, nicht ſo viel geärgert wird und auf
männlichere Weiſe beſchäftigt iſt.
313
Ein ander Mal räusperte ſich der Niljäger im Angeſichte des
Weltſtromes, der Wüſte, der Gebirgszüge, der Palmenwälder, der
hiſtoriſchen Jahrtauſende, der erſtaunten Pyramiden und einer im
Phalanx heranſegelnden Schaar von Pelikanen, und berichtete,
ewiger Wahrheit getreu, wie folgt:
„Um dieſes will ich nur ſagen, daß man auf Reiſen Vieles
ſehen thut, wo man nicht der Möglichkeit denken ſollte, daß es
könnte in der Wirklichkeit ſein. Per Exempel will ich nur dieſes
ſagen: wie ich bin in das Algier drein gekommen, ganz in Philippe-
ville und in die Städte, was da ſein, da iſt mich bewußt geweſen,
wo ich dieſes ſtändig gehört, von den großen Affenberg mit die viele
große Affen, was da ſein; weil man dieſes immer gehört hat. In-
dem alſo, daß ich denke, du willſt dir doch dieſes ſelbſten in der
Ueberzeugung nehmen, ob dieſes in der Wahrheit ſein könnte, wenn
man es ſelbſt anſchauenthäte mit ſichtlichen Augen: ſo bin ich drein
gereiſt nach dieſen Affenberg, indem ſie mir geſagt haben, daß dieſe
Thiere (mir zu Gefallen Pavianer, oder Arinutans, oder was es
vor andre Beſtien ſein könnten) ins Meer drein gehen und ſich ba-
den, in der Wirklichkeit, wie pure Menſchen; indem daß dieſer
Affenberg ans Meer liegt. Und ſo ſpringen ſie drein ins Waſſer
und klettern wieder rauffer, ganz oben in den Spitzberg, alles wie
wirkliche Menſchen. So um dieſes denk' ich: du willſt dir doch
ſelbſten mit dein eignes Auge, wo du dieſes nie nich geſehen, über-
führen, willſt Du.
„Alſo bin ich in die Gegend richtig gekommen; gar nicht weit
von den Affenberg haben mir gelegen ins Schiff; ganz dicht ans
Meeres Küſte, indem, daß dieſer Affenberg ans Meer liegen thut.
Ich hab' es aber nicht können glauben, bis mir der Kapitain auf-
geweckt hat ganz in der Früh: „Herr Finger, ich bitt' Ihnen
ſtehen Sie auf, um dieſes, wenn Sie jetzo dieſes betrachten wollen
in der Wirklichkeit, wie dieſe Thiere ſich baden auf den Berg“. –
31 4
(Alles, wie ich dieſes gehört in Algier drein.) – So ſag ich:
„Laſſen Sie mir zur Ruhe, Herr Kapitain!“ – indem ich dieſes
nicht glauben konnte, ſo daß ich mir ſelbſt erſt von der Wahrheit
noch überzeugen wollte mit dieſe Affen. Alſo bin ich doch auf-
geſtanden, weil er mir gebeten, und geh mit ihm, ſo hab' ich mit
mein ſichtliches Auge dieſes Alles geſehn, daß dieſe Thiere, meinet-
wegen Pavianer und Orinutans will ich ſagen (oder was nu vor
Thiere ſein): von dieſer ganz ſpitzigten und ganz hohen Bergklippe
ganz von oben herunter geklettert oder mir zu Gefallen herunter
geſprungen ſeind, orntlich ins Meer drein; und haben ſich wie
Menſchen gebadt, und wieder heraufgeklettert; und wie wir ſelbſt
ſeind in dieſen Affenberg gegangen, ganz drein (indem daß wir uns
doch wollten die Affen ganz in Bekenntſchaft nehmen): alſo ſind
dieſe Thiere ganz zu ſagen wimmelnd an uns gekommen, daß wir
ſie mit Säbels und meinetwegen mit Geſchütz zu ſagen, Piſtolen
und Waffen, was Jeder gehabt hat, oder Stöcker meinetwegen,
haben abgewehrt. – Kerls, ſag ich Sie ſolche Pavianer, wie
rechte ausgewachſene Menſchen in der Größe, was man gar nicht
in der Möglichkeit ſollte denken; und ſind um uns gewimmelt,
daß wir um ſich gehauen haben, daß wir ſind durchgekommen durch
dieſen Affenberg, daß es zu ſagen grauslich geweſen iſt, wo ich nie
nich glauben konnte, daß es in der wirklichen Wahrheit könnte die
Möglichkeit ſein, dieſes, was ich mit mein ſichtliches Auge, oder zu
ſagen alle beide Augen ſelbſt geſehn habe, daß es iſt: dieſer Affen-
berg; – Ja!“ –
Zweites Fingerſches Reiſeabenteuer und Reiſe-
reſultat.
„Der Menſch thut gewiß Vieles erfahren, wenn er ſich auf
Reiſen will ich ſagen begeben hat, in die Welt recht einer indem
ihn dieſes Alles nie mich zu Hauſe arreviren kann, keinesweges nich
im Mindeſten, was mich in Syra ſelbſten paſſirt iſt, mit ein ſcheuß-
315
liches Mißgeburt oder Mondkalb; weil ich dieſes nich möchte ſagen,
wo ich es nich geſehn hätte mit dies mein ſichtliches Auge. –
„Um dieſes: daß ich in Syra war, in das ganze Syrien und
in die aſiatiſchen Länder drein, wo ich bin geweſt, fünfzig Stun-
den über Konſtantinopel tief drein; von die Küſte ganz entgegen-
geſetzt bin ich geweſen; alſo war ich auch in Syra ans Meer, ſo
ſah ich ins Haff drein:
„Iſt da ein Dinges geſchwommen, was die ſyraſchen Metzger
hineingeworfen haben (dieſe dumme Kerls), wo ſie dieſes lieber
hätten ſollen in die Stille ganz vergraben thun, als ins Haff; wo
es vor alle Augen iß herumgeſchwommen worden, indem dieſes
Thier einen ganz orntlichen Menſchenkopf gehabt hat: Haare, Au-
gen, Naſe und Maul, meinetwegen Ohren, Alles, wie es in der
Beſchaffenheit richtig gefunden wird bei ein orntliches Kind ganz
in der Natürlichkeit; und das Uebrige, Leib oder Leichnam meinet-
wegen, ganz wie ein Ochs oder Kalb will ich ſagen, und ein
Schwanz ganz fein und klein, daß man's kaum mit Augen
bemerkt hat, daß es ein orntlicher Ochſenſchwanz oder Kuhſchwanz
mir zu gefallen vorgeſtellt hat; um dieſes: weil es ſchon ein
Menſch oder Kind geweſen iſt, weit mehr in der Wahrheit, als
ein Kalb oder Rind, oder was dieſe Mißgeburten ſein. –
„Dieſes Thiermenſch, wie es iß ins Haff herummergeſchwom-
men von die Metzgers, wo ſie es hereingeworfen haben, hab' ich
dieſes förchterliche Unthier, wo ich dieſes mein Lebtage nich geſehn
habe, ſelbſt geſehn, mit meine Augen ſichtlich vors Auge gehabt,
ſonſt hätt' ich es nicht geglaubt, um dieſes, weil ſolches unmöglich
der Wirklichkeit nach ſein könnte nie nicht, auch vielleicht nie nicht
ſein wird oder geweſen iſt, – wo ich es ſelbſt in Syra hab' ge-
ſehn. – Das hab' ich. – Ja!“
–*16
An den ziemlich langen Abenden (es wurde etwa Zwiſchen
ſechs und ſieben Uhr finſter) gab ſich Herr Finger in "nterſchied-
lichen Abenteuern und Hiſtorien ganz ſo ZUm Beſten, wie ihn die
Natur und die Reiſen gemacht hatten. _ Von ſeinem erſten
GEintritt in *gier berichtete er wie folgt: -
„Nur zu ſagen dieſes, was ich erfahren habe in das wilde
Land, in dieſes Algier drein, an die afrikaniſche Küſte drein, wo
ich dieſes nie mich geſehn oder in die Idee gehatt, Oder bekannt ge-
weſen bin in die Vorſtellung, daß dieſes möglich könnte ſein! –
Komm' ich ans Meeresküſte, wder vielmehr daß ich ans Land ſtei-
9"hu, ſo kommen die ſchwarze Menſchen auf mir Zll, mit dieſe
"geheure Kamöle, wo ich dieſes nie mich geſehn "der bekennt ge-
weſen bin. – In der ganzen Stadt, in das Algier ſo 3 ſagen,
nach Stroh gerochen; dieſer Strohgeruch, wiſſen Sie, wie ein
Dorf will ich ſagen bei uns riechen thut. – Und um dieſes: dar-
nach dieſe Frauenzimmer mit die kurze Röcke, wo bei uns eine
H... ſchon kurze Kleider trägt, per Exempel bis " das Waden-
bein will h ſagen, und Um dieſes: – dieſe algieriſche Frauen-
drein 9ehn, mußt "; – und bin dieſes *fahren, – wo ich mich
"eVorſtej 9emacht oder Idee gehatt – von °ieſes. – Ja.
T-_
317
Jedenfalls habe ich auf erbauliche Weiſe in Erfahrung ge-
bracht, daß die Myſterien eines weitgereiſten und ambitionirten
deutſchen Schneiderſtyls lange nicht ſo genießbar, filtrirbar, frucht-
bar und beſchiffbar ſind wie der Nil; höchſtens ſo ſchlammig, rück-
läufig, kataraktentoll und windig wie der ägyptiſche Strom.
Es iſt überhaupt nicht aus dem Wege, wenn man in einer
ägyptiſchen Reiſe auf den deutſchen Styl zu ſprechen kommt;
denn es finden ſich nicht nur im deutſchen Schneider-, Schulmeiſter-,
Barbier- und Perückenmacherſtyl, ſondern in aller deutſchen
Schreibart, Naturgeſchichte und Literatur, außer den Eigenthüm-
lichkeiten und Abenteuern des Nilſtroms, Labyrinthe, Pyramiden,
Obelisken, Sphinxe, Sandwüſten, Strauße, reißende Beſtien, Be-
duinen, lebendige und verſchüttete Karawanenzüge, Ziſternen, Luft-
ſpielungen, Oaſen, Palmen, Paradiesſzenen, Zugvögel, und dann
wieder Aasgeier, Gräber, Grotten, Katakomben, ausgehöhlte Ge-
birge, Mumienfelder, verſteinerte oder in Stein modellirte Hiſtorien
und Alles, was nur irgend ſonſt in Aegyptenland angetroffen
wird. –
Die Sache kann auch nicht viel anders ſein; denn der Styl
iſt der Menſch, – und der deutſche Menſch dem alten Ae-
gypter unendlich wahlverwandter, wie irgend einer an-
deren Race in der Welt!
Der Aegypter grub ſeine Hieroglyphen-Symbolik in Stein,
– der deutſche Genius modellirt ſie heute noch in Fleiſch und
Bein und macht davon „Geſchichte und Staat“. Wir wollen aber
aus dieſer ägyptiſchen Lebensart, aus der Symbolik und Träumerei
heraus und in die Wirklichkeit hinein: dies iſt eben unſer
Prozeß. – Wenn wir ihn gewinnen, wenn wir die ſtreitenden
Mächte in uns und außeruns zum „Gleichgewichte“, das heißt
zum Staate bringen, wenn wir den Idealismus und Rea-
lismus unſerer von Hauſe aus gezwieſpalteten deutſchen Natur,
dabei hera "skommt:
e jure Und auf brei-
"lage geſchehen – Das "ollbrachte hi-
iſt, wenn auch nicht für die
das vollkomme
*Weltgeſchichte iſt "enigſtens das irdiſche Weltge
T-_
Heute Macht, vom S
onntage auf den
einem bedeutenderen Dorfe
/ Gelohſoleh, V
als ſie bereits Be
ſo viel "erderbter,
dürfniſſe der Civiliſation kenne
Die ganze Nacht hindurch bis MM den 9taltenden ”gen tönten
Von dem Wirthshauſe her, das unmittelbar a hohen Ufer ſteht
"nd wie eine Veranda eingerichtet iſt, 3ank, Lä
hantaſiemuſik und Geſchrei.
nſer Herr Reis hat für ” gefunden, ſeinen °eſchäften nach
zugehen, haben
ch
Jetzt nur 3"ei junge und Zwei alte Kerle,
ichkeit de facto ſo
-
s
3 9
zwei Schneider, den Malteſer und einen weſtpreußiſchen Klein-
ſtädter, nämlich meine Wenigkeit, am Bord. – Wir kommen in
Stromſchnellen. – Es iſt Noth am Manne; – ich enkouragire
alſo die Schneidergeſellen, wir ſpannen uns ſämmtlich ins Seil;
unſer Dolmetſch geht ans Steuer, und nach übermenſchlicher oder
viehiſcher Arbeit, über und über mit Schlamm bedeckt, paſſiren wir
die Scylla und Charybdis, d. h. Strudel, welche Trichter bilden,
daß ein Kameel darin verwirbelt werden kann, und allenfalls auch
ſo ein elendes Schiff. – Hol' der Henker eine Romantik von dieſer
Art. –
Einen Nilfiſch mit plattem Quappenkopf und langen Bart-
fäden, ganz wie ein Wels anzuſchauen, an dreißig Pfund ſchwer,
kauften wir lebendig und eben gefangen auf einer kleinen Barke für
ſechs Piaſter. – Der Angelhaken blieb dem Fiſch im Rachen, und
da wir nicht gleich Luſt und Gelegenheit zum Schlachten und Ko-
chen hatten, ſo ließen wir das Thier, an einem Strick feſtgemacht,
hinter der Barke ſchwimmen. Bald that mir die Kreatur leid, und
wir haben ihr dann den Garaus gemacht, die gekochten Stücke mit
Oel und Eſſig in Töpfe eingelegt und lange davon geſchmauſt.
Am Dſchebel el Ter, neben dem Dorfe Scherihe, auf dem rech-
ten Ufer des Nils, gegenüber dem großen Dorfe Sſamalot, auf der
linken Uferſeite, giebt es eine chriſtliche Gemeinde von Kopten, mit
mehreren Geiſtlichen, einem Kloſter und einem Obergeiſtlichen darin.
Da unmittelbar am Dorfe Scherihe ſich Ueberbleibſel von Bau-
werken mit Skulpturen befinden, die in den Kalkfels gehauen ſind,
ſo legten wir an, fanden uns mit dem Ober-Geiſtlichen zuſammen
und nöthigten ihn an Bord. – Die Schneider ſchenkten ihm Per-
320
lenſchnüre aus Jeruſalem; der heilige Mann revangirte ſich dagegen
mit zwei Flaſchen Dattelbranntwein, der ſehr ſtark und von Ge-
ruch wie Geſchmack dem echten Franzbranntwein durchaus ähn-
lich iſt. –
Ich kann dem Ober-Popen viel Anſtand und Beſcheidenheit
zugleich nachrühmen; er forderte nichts und nahm nur ſehr zögernd,
was ihm geſchenkt und womit er bewirthet wurde. Seine übrige
Perſönlichkeit, Kleidung und Ausſehen entſprachen ſeinem würdigen
und guten Benehmen. Verſchiedene Kopten kamen herbei, erklärten
uns, daß ſie Chriſten (Nassara, im Singularis Nusrani) wären,
und zeigten mit großer Selbſtgenugthuung ein auf dem Arme ein-
geäztes Kreuz. – Die Ruinen von Scherihe zeigen nur grob aus
der Gebirgsmaſſe zugehauene Wände und Decken in einem großen
Raum; – ein Paar große Thore, und ſehen überhaupt ſo aus,
als wenn ſie ein nie fertig gewordenes Bauwerk geweſen ſind. –
Der Kalkſtein ſcheint ganz und gar Muſchel-Breccie zu ſein. Die
Sandwüſte ringsumher giebt der Stelle eine unausſprechliche Me-
lancholie; nicht eine Flechte auf einem Stein iſt zu finden; die
Schakals und Hyänen haben da wohl ihr ſchönſtes Rendezvous.
Heute Nacht, den 31. Oktober 1849, blieben wir vor einer
Fellah-Wirthſchaft unmittelbar am Nil zur Nacht. Es iſt aber erſt
um die Vesperzeit; – ich ſehe mir alſo die ägyptiſche Bauer-
wirthſchaft in Zeit und Weile an, und zum erſtenmale einen
ägyptiſchen Pflug. Derſelbe iſt mit zwei guten Kühen von deut-
ſcher Race beſpannt, und es wird auf einem halb abgetrockneten,
ſchwarzen und bereits einmal ziemlich mürbe gepflügten Boden,
Gerſte durch Querpflügen untergehakt. Ein Stück Acker, etwa
zwei Magdeburger Morgen groß, war bereits ſo beſtellt, überall
ſtanden aber noch die Büſche von Segge oder Schnittgras heraus:
321
dieſe rodeten zwei Menſchen aus; – der eine mittelſt einer ge-
wöhnlichen Hacke, der andere mittelſt eines Holzes, an welchem
ein kurzer Aſt ſaß; um dieſen wurde das Gras gewickelt, mit einer
Hand feſt am Boden gehalten und der ſtarke Stock als Hebel beim
Ausraufen angewendet, was ziemlich raſch und mit großer Ge-
ſchicklichkeit von ſtatten ging. –
Auf einem anderen Stücke ſchien bereits Weizen eingeſät zu
ſein; – denn einer der Arbeiter, dem meine Aufmerkſamkeit
Spaß machte, nahm ein Weizenkorn auf und zeigte es mir vor,
wie eine Frucht, die ich vielleicht noch nicht geſehen. – Rings
um das Gehöft ſtanden große Felder reifender hoher Durrah,
9 bis 10 Fuß hoch in den Stengeln und ſo dick wie ein ſpaniſches
Rohr. – Am Hauſe gab es einen Garten von Akazien, wie wir
ſie bei uns kennen, und dann von einer anderen Art mit Miniatur-
blätterchen, die zu zwanzig oder dreißig an der Zahl in doppel-
ter dichter Reihe am Stiele ſitzen, ſo daß die ſtrauchartigen
Bäume wie Mimoſen ausſehen.
Der Pflug iſt im Weſentlichen nichts Anderes, als ein pol-
niſcher Haken, eine ſogenannte „Tſchapjigga“, mit dem Unter-
ſchiede, daß der Unterpflug nicht ein krummes, ſondern ein gerades
Holz iſt. – Quer über dem langen Pflugbaume lag, wie an der
oſtpreußiſchen Zoche, ein Jochholz, an welchem die Kühe mit Baſt-
ſtricken eingejocht gingen. – An anderen Orten ſah ich eine Kuh
und ein junges Kameel, und dann wieder zwei Kameele in den
Pflug eingeſpannt.
Mein Schneiderjäger wollte in der hohen Durrah von einem
jungen Löwen angefallen ſein. Er beſchrieb das Abenteuer ver-
botenus ſo:
„Mich iſt ein ſchönes Beeſt, wiſſen Sie, was man ſagen kann
ein gefährliches Thier, aufgeſtoßen. Wie ich in das Fruchtgetreide
oder Feld drein kommen thue, ſieht mir dieſes Scheuſal, wilde
21
322
Thier, mit zwei ſchrecklichen Augen an, ganz als wenn es mir an-
greifen will. Ich denke, entweder du kommſt auf mir, oder ich auf
Dir, und ſo will ich gerade abdrücken, was ich eingeladen habe, ſo
Hat es mir nochmals angeblickt, ganz grimmig, und iſt davon ge-
ſetzt auf zwei Hinterfüße, daß nur ſo geknaſtert in das Rohr; daß
ich gewiß denken kann, der Geſtalt nach und Grimmigkeit, daß dieſes
Thier ein Löwe geweſen iſt, vielleicht noch nicht ganz ausgewachſen,
aber doch ſchon in der Force, was man ſagen kann, ein wirklicher
Löwe, der mir angefallen hat.“ –
Auch bei dem beſchriebenen Bauerhof, wie an allen geeigneten
Orten, geht ein ſehr breiter und tiefer Graben, wie ein Kanal, in
die Niederung hinein, ſo weit das Auge reicht, und kleinere Gräben,
die ſich zu immer kleineren verjüngen, und zuletzt in bloße Rinnen
auslaufen, durchſchneiden alle Aecker, ſo daß ſie an vielen Orten in
ſtubengroße Quadrate getheit erſcheinen, deren tägliche Bewäſſerung
mit Schaufeln und Händen durch Weiber und Kinder vor ſich gehen
kann. – Nur einem ſo vollkommen ausgebildeten Kanal- und Be-
wäſſerungsſyſtem verdankt der Aegypter ſeine Subſiſtenz; denn der
Schlamm wird zuſammengetrocknet ſo hart und unfruchtbar wie ein
Stein. –
Große Maſſen von Zugvögeln durchzogen die Luft mit Ge-
ſchrei. – Um ſieben Uhr Abends erhob ſich ein friſcher Nordwind,
auf den wir bereits ſeit drei oder vier Tagen gewartet hatten, wir
blieben alſo nicht an jenem Bauerhofe zur Nacht, ſondern ſpannten
die Segel auf, und kamen nach einer wundervoll ſchnellen und ro-
mantiſchen Fahrt bei vollem Mondſcheine etwa zwiſchen zwölf und
ein Uhr Nachts vor Minyeh an. – Die großen Räume vor der
Zuckerfabrik mit prächtigen Sykomoren umgeben, die in Alleen aus-
laufen, nahmen ſich bei der kühlen Mondnacht am rauſchenden
Strome wunderbarlich ſchön und großartig aus, wie ein Geſicht
im Traum; die Enttäuſchung am Tage, im Staube und Sonnen-
brand war heillos! Schwimmende Aeſer verpeſteten auf dem
Waſſer, wie in den Straßen und auf den Stadtfeldern, die Luft.
In den Gärten und Umgebungen des Ortes, der etwa drei- oder
viertauſend Einwohner haben mag, erregte der zuſammengetrocknete,
in unzählige Stücke zerborſtene Schlamm mit ſeinen gräßlich aus-
dünſtenden Pfützen und Gruben, die ein Chaos von faulenden
Vegetabilien und Animalien bilden, ein wahres Grauen. Ja, ſtatt
Freude und Erquickung hat man von einem vernachläſſigten ägyp-
tiſchen Garten mit ſeinen nach Regen ſchmachtenden, fingerdick ver-
ſtaubten und zum Theil verbrannten Gewächſen nur Unbehagen und
eine ähnliche Pein, als ob man ſelbſt an Durſt leiden und in Staub-
wolken erſticken müßte! – Es iſt da nirgend ein Gras, geſchweige
denn ein Raſen zu ſehen. –
Zwiſchen der Stadt und dem Nil, an ſtinkenden Tümpeln
kampirte ägyptiſche Kavallerie unter freiem Himmel; vor jedem
Pferde ſtand auf dem Boden eine kleine Krippe von Schlamm ge-
formt, und dazu wurden die armen, von Hitze, Inſekten und Staub
geplagten Thiere mit Schlammwaſſer getränkt. Es waren Hades-
ſzenen, von denen mir alle Reiſeluſt verging. –
Ein Land ohne Regen, ohne Quellen, ohne kühlende Winde,
ein Land ohne Frühling und Winter, – ohne Jahreszeiten, ohne
Wieſengrund, ohne Raſen und mit Bäumen, die von ewigem Staube
bedeckt ſind; – dieſe Nilniederung, ein ſchmaler Streifen frucht-
baren Ackers, zwiſchen nackte Steingebirge und Wüſten eingeklemmt,
kann wohl einem kurioſen Reiſenden Spaß machen, der von den
Bequemlichkeiten aller Welttheile umgeben, eine Spazierfahrt auf
dem Strome unternimmt; aber es iſt ein heilloſes Land für einen
armen, auf den Erwerb ſeiner Hände beſchränkten Einwanderer aus
ſolchen Gegenden, wo es regnet und ſchneit, wo es grünende Matten,
21 *
324
erfriſchende Lüfte, Quellen und von den Waſſern des Himmelser-
quickte Vegetationen, wo es ein von brennender Hitze und Kälte
gleich weit entferntes Klima giebt.
Zu Aegyptens ewig trockenem, ewig regendurſtigem, heiß und
hart gebranntem Thon- oder Wüſtenboden, zu ſeinen Sandmeer- und
Steinklüften, kommt der Quellenmangel, kommen die Sumpfſtätten,
das warme Schlammwaſſer des Nils. Zu dieſem ewigen Staube
einer glühenden, ſelten durch Winde abgekühlten Luft geſellt ſich
die gräßlichſte Unordnung in allen Dingen; – der Mangel einer
gemangelten und gut präparirten Leibwäſche; – die unausſprech-
liche Unflätherei auf jedem Punkt. – Dieſem Staube, der das
erhitzte Auge und die Lungen zerfrißt, verbindet ſich die Sonnen-
gluth, die Intenſität des Lichts. –
Auf dieſe Tagesleiden folgt der Morgenthau und eine Mor-
genkälte, daß man die Zähne nicht feſt zuſammenhalten kann.
– In der ſengenden Hitze am Tage wird der Kopf noch mit
einem Turban oder einem um den Filzhut gewundenen langen Tuche
geplagt, wenn er gegen den Sonnenſtich geſichert bleiben ſoll. –
Zu dieſem Hitzbade kommt die Annehmlichkeit einer Flanelljacke und
Bauchbinde, wenn es nicht Ruhr und Kolikſchmerzen geben ſoll,
und dieſem Elende am Tage aſſoziirt ſich das Ungeziefer bei der
Nacht. Das ſind aber nur die phyſiſchen Unbequemlichkeiten,
und man muß noch weit mehr gegen die Eindrücke, gleichwie gegen
die Inſinuationen der ägyptiſchen Sitten und Lebensarten ge-
rüſtet ſein. – Die Kontraſte von Niederträchtigkeit und Hochmüthig-
keit, von Knechtſchaft und Tyrannei, von Dünkel und Unwiſſenheit,
von Schwelgerei und Hunger, von Schmutz und Prunk, von Pracht
und Bettelei, von Nacktheit und Flitterſtaat, von Aberglaube und
Unglaube, von Fanatismus und Ruchloſigkeit; der Widerſpruch in
dem Bekennen eines einigen Gottes, bei der Zerbröckelung alles
Deſſen, was heil und ganz bleiben ſoll: dieſe Lüge und Beſtiali-
325
tät überall müſſen auf die Dauer dem wohlorganiſirten Menſchen
Höllenpein ſein. Einen Gewinn habe ich, ich fühle es, von dieſer
ägyptiſchen Reiſe für mein Leben: ich erkenne aufs Neue und noch
unendlich nachdrücklicher, wie ſchon bisher, daß der deutſche Menſch,
der Chriſt, der Mann, der ein gutes Weib hat, nur ſeine Sinne
aufzuthun braucht, um ſich mit Wohlthaten überſchüttet zu ſehen.
Hier in dieſem ägyptiſchen Chaos, dieſem Sodom und Gomorrha,
unter Barbaren und Heiden, unter Abenteurern, unter den Mon-
ſtroſitäten und Exkrementen der Ziviliſation, in dieſer Unordnung,
Formloſigkeit, Unheiligkeit, Schamloſigkeit, Säuerei und Beſtialität,
da kommt ſelbſt der nüchternſte, der heilloſeſte Verſtand zur Er-
kenntniß des Segens, der Glückſeligkeit, der Lebensſchöne, die ihn
in der Heimath umfangen, im Schooße des Chriſtenthums und
der Ziviliſation. O wie wahrhaftig, wie heilig empfinde ich hier
alle die Ermahnungen zur Sitte und Tugend, alle die Sprüch- und
Stichwörter der Schule, der Erziehung, der täglichen Lebensordnung
und Zucht, die mir in der Heimath zu pedantiſch und orthodox er-
ſchienen, zu bedeutungslos, trivial und verbraucht, eben weil ich
ſie von Kindesbeinen an gehört. Ach wie iſt Alles ſo wahr und
wohlthätig, was uns in der chriſtlichen Heimath wie eine ſittliche
Lebensluft umgiebt! Wir ſpotten dieſes chriſtlichen Elementes,
dieſer Schule und Disziplin, dieſer Haus- und Lebensordnung und
wiſſen nicht wie, und müſſen erſt in der Fremde, unter Barbaren
und Heiden erfahren, wie wir eben nur in dieſen mißachteten, be-
fehdeten und verſpotteten Formen, in dieſer Scham und Reinlichkeit,
in dieſer Sitte und Heiligung Menſchen geworden ſind und Men-
ſchen bleiben können bis zum Ende der Welt!
Nachdem die erſte reine Menſchennatur verloren gegangen und
entartet iſt, gelangt der Menſch nur wieder durch Schule, Wiſſen-
ſchaft und Religion, durch Kunſt und Ziviliſation zu einer andern
geiſtigern Natur und Uebernatürlichkeit. Nachdem dies Paradies
326
verſcherzt, die Feigenblätter der Scham vertrocknet und mit
Zeitungspapier, mit jeder Art von Oeffentlichkeit vertauſcht
ſind, helfen und erretten nur Feder, Dinte Papier und Buch-
druckerſchwärze (wenn man die Letztere auch des Teufels Heilſalbe
nennen kann). Alles Jammern und Züngeln und Sehnen nach der
reinen Menſchennatur und unſchuld hilft nichts. T verloren bleibt
verloren; uns retten nur Kultur und Ziviliſation, T daß aber
dieſe Begriffe ſo ganz verſchieden gefaßt werden, macht das Unglück
und den Streit.
Hier in der ägyptiſchen Unord" Säuerei, Regelloſig"
und Schamloſigkeit, im halben Heidenthume erfa" ich in tiefſter
Seele, aus allen Kräften und in allen Organen was Ordnung
Schule, Sitte, Geſetz, Zucht S" und Säuberlichkeit * T
Hier ſetzt ſich mir die ſittliche Welt in ihre Akzen“ hier repetire
ich mit Entzücken das Alphabet der ſittlichen Weltordnung und
Lebensökonomie. Hier bittet ma"" Schöpfer der europäiſchen
Kultur, der deutſchen Schule der chriſtlichen Lebensordnung ſeine
jeweiligen ſchnöden Redensarten über ſittlichen Rigorismus ab –
und über Pedanterie. – Den" eben dieſer Rigorismus und For*
malismus iſt es, der die lüderliche Freiheit und Willkür die
Phantaſterei und den Naturalismus aufw” und wieder gut
machen muß, welche Liberalismus und Romantik verſchulden
Wer ſo recht von Herzen in den Tiefen ſei" Seele, mit allen
Kräften ſeines Gemüthes begreifen will, was und wie erduº
j, Schule, Geſeb, 3us " Ä was Rühe, S"
Ljhaftsloſigkeit und Selbſtº und wie in Ä
Tugenden und Elementen erſt menſchliches geiſtiges und göttliche
Leben gewirkt und anerzºº wird, der gehe " Aegypten”
thue ſich mit verluderten umtreibern" Abenteurern sº
der fahre auf dem kehre in Dörfern und Städten " lebe
Tag für Tag und Stunde für Stunde mit dieſer halb " ganz
327
verthierten korrumpirten Fellahrace, – der logire wie ich in einem
Branntweinladen mit einem malteſiſchen frechen Lümmel, mit ver-
wilderten Handwerksgeſellen, der lege ſich hinter Branntweinfäſſern
ſchlafen und erwache unter dem Lärmen beſoffener arabiſcher
Schnapsgäſte, wie ich. –
In dieſe ägyptiſchen Volksmyſterien, in dieſe Detailhiſtorien
eingeweiht, untergetaucht in den Schlamm und Pfuhl des Schmu-
tzes, des Ekels, der Unzucht, der Nacktheit, der Hundezucht, der ge-
waltthätigſten Willkür, des Lärmens, des Widerſinns; in ſolcher
Vorhölle von Menſchenbeſtialität wird der Geiſt wiedergeboren
zum lebendigen Begriff der Ordnung und Oekonomie. In Aegyp-
ten fragt auch ein Schulphiloſoph nicht mehr nach dem Weſen der
Sittlichkeit und ihrem Prinzip, oder welcher Geſtalt dieſe Sittlich-
keit zwiſchen Natur und Uebernatürlichkeit mitten inne ſteht, und
dergleichen mehr. Auf einer Nilreiſe nach dem Zuſchnitte und mit
den Abenteuern, wie ich ſie gemacht, wird ein Ziviliſirter ſchwerlich
mehr die Kultur und Ziviliſation verdächtigen, den Formalismus
der Schulen oder die ſchulmeiſterliche Pedanterie verhöhnen, oder
wohl gar im nackten Naturalismus das Heil der Welt erſehen.
Alles Natürliche hat ja nicht minder die heilige Beſtimmung, in
Begriffen vermittelt, als feſtes Geſetz gefaßt, zum Geiſtigen und
Formellen entwickelt zu werden, als dieſer reflektirte und fixirte
ſittliche Geiſt wiederum in Seele und Natur zurückgelöſt, flüſſig
und unmittelbar gemacht werden muß. Sittlichkeit, ſittliches Leben
iſt nichts anderes, als die ſtetige Verwirklichung, die Ein-
fleiſchung des Geſetzes, das iſt: derjenigen Ordnung, Akku-
rateſſe, Grammatik und Lebensökonomie, in welcher die Welt in
dem Punkte wie auf der Peripherie beſteht. Aeſthetik iſt die
Symbolik dieſer Oekonomie, der ſchöne ſittliche Schein.
Wo alles äußere Thun und Laſſen, wo das Leben in jeder
Verrichtung und Hantirung zum Spiegelbilde der Pünktlichkeit, der
328
Ordnung, des Maßes und Ebenmaßes, des Geſetzes, der Säu-
berlichkeit, der Klarheit, der Wahrheit, der ſtillen Heimlichkeit, der
Scham und Heiligkeit gemacht wird; wo das Aeußerliche und Kör-
perliche zum Abbilde des Innerlichen und Geiſtigen, das Parti-
kulare zum Sinnbilde und Spiegelbilde des Ganzen erhoben, wo
im Augenblicke die Ewigkeit abgefangen, das Einzelmoment mit
Rückſicht und in Empfindung der Oekonomie des Univerſums ge-
lebt, begriffen und ausgeſtaltet wird, wo es keine Widerſprüche,
keinen Riß mehr giebt zwiſchen Geiſt und Materie, zwiſchen Sein
und Denken, Weſen und Form, Thun und Wiſſen, Wollen und
Sollen, zwiſchen Aeußerlichkeit und Innerlichkeit, Schein und
Sein, Ewigkeit und Zeit, Perſon und Welt, Freiheit und Geſetz:
da iſt Sittlichkeit, da iſt ſittliche Welt! – Der ſittliche
Geiſt begreift, geſtaltet und verkörpert das Geſetz, die Regel, die
Ordnung, die Einheit, die Säuberlichkeit, die Totalität und In-
tegrität, das Abſolute auch in der Unordnung, der Vielfältigkeit,
der Regelloſigkeit, der Willkür und Unſäuberlichkeit. – Der Ge-
nius entbindet immerdar im Schoße der Sinnlichkeit und des
Naturalismus den naturnothwendigen Gegenſatz des Geſetzes,
des Geiſtes und der Uebernatürlichkeit. So erſtanden die
Propheten eben im Schoße des jüdiſchen Volks. Ihr
ſittlich-religiöſer Geiſt führte alle Regeln und Geſetze, alle partiku-
lare Einheit, alle augenblickliche Ordnung und Sauberkeit auf die
Urordnung, die Ureinheit und Urſäuberlichkeit, auf
die Gottes ſcham und Gottesfurcht, auf die Heiligung
Gottes zurück; – ihr mußte alſo auch die Perſon und die
ganze Welt unterthan werden. – Glaube, Liebe, Hoffnung bezog
der Weltheiland auf jene Ureinheit und Urordnung im Schoße
Gottes zurück, – und gab ſo der ſittlichen Welt den abſoluten
Grund und den Schluß. –
329
Auf dem Nil muß man das alte und neue Teſtament leſen.
Unter dieſen Szenerien, in ſo unerhörten Gemüthszuſtänden mundet
kein anderes Buch als das Buch der Bücher. Hier faßt und begreift
man eindringlicher wie irgendwo ſeinen weltheiligen, weltewigen,
keuſchnatürlichen und übernatürlichen Sinn und Geiſt. –
In Minyeh in der Nilſchenke habe ich auch ein arabiſches
Thürſchloß kennen gelernt, ſo pfiffig, daß es kein Menſch mit dem
zerbrechlichen hölzernen Schlüſſel ohne eine Stunde Unterricht und
eine vierteljährige Uebung aufmachen lernt. Selbſt den Meiſter
ließ es zu Zeiten im Stich. – Dann gab es da über den Nil
hinausgehängt einen Balkon von Dattelholzbrettern und Balken, die
jeden Augenblick herabzubrechen drohten, und auf dieſen ſchauerlich
gebrechlichen Ausbau, welcher eine Probe und Prangerausſtellung
der ganzen lüderlichen Hausarchitektur abgeben konnte, war noch
ein höherer Balkon geſtützt und auf dieſen halsbrechenden Gallerieen
zechten die arabiſchen Schnapsgäſte ihren „Akavite“ ſo ruhig,
wie wenn Alles auf Fels gegründet worden, und doch unterſpült
der Nil das Fundament. Aber er unterwühlt und erſäuft bereits
ſeit vielen Jahrzehnten das hart und hoch am Strom gebaute
„ Gir geh“ dergeſtalt, daß die Trümmer von Häuſern und Men-
ſchen die Ufer bilden und die ſtehen gebliebenen Hälften von Bau-
werken, gräßlich auseinandergebrochen, ihre Eingeweidemyſterien
ans Tageslicht gekehrt haben; – und der Araber klebte neben dieſe
geviertheilten Häuſer ſinn- und gedankenlos die neuen Neſter hin,
denn die Zufälligkeit, die Zerſtörung und Zerbröckelung iſt
ſein Lebenselement und ſeine Satisfaktion. Es ziehen ſich an den
hohen ſteilen Nilufern ſolche Fußpfade hin, auf denen Eſel und
Menſchen ſelbſtmörderiſche Gedanken ins Plaſtiſche überſetzen, und
ſich nach Belieben erſäufen oder das Genick abſtürzen, oder auch
330
in beiden Todesarten zugleich experimentiren können; aber es denkt
Niemand an ſolche Eventualitäten, als bis er revera Arm und Bein
gebrochen hat, und beim nächſtenmal bricht er ſich womöglich eben
ſo gedankenlos den Hals, wenn es ſich irgend thun laſſen will.
Bei meinem Herrn Wirth, einem gräßlichen Schmutzer und Sauf-
aus, facht der Kochjunge, der zugleich Schenkjungfer und Buchhalter
iſt, das Heerdfeuer an, indem er mit einer Art Rohrfächer wüthend
auf die Heerdfläche ſchlägt. Aber der Eſelkoth will lange nicht ſo
gut ſchweelen, wie er räuchert und ſtinkt, und das Meſſer dieſes
vielgewandten Koches will trotz allem Hin- und Herwetzen nicht
beſſer ſchneiden, als eines von Kupfer oder Blei, obgleich er es mit
Kennermiene auf der Schneide probirt, wie man bei uns die Raſir-
meſſer verſucht. – Kein Inſtrument, kein Geräth thut hier zu Lande
ſeine Schuldigkeit regelmäßig, freiwillig, ohne Erfindungskünſte
ſeines Beſitzers und ohne improviſirtes Raffinement. Hier iſt
das Land der Praktiken, der Pfiffe, der Kniffe, der
Abenteuer, der Zufälligkeiten, des Gerathewohls. –
Hier iſt nichts regelmäßig, überſichtlich, begreiflich, planmäßig,
ſchnell, klar, zuverläſſig, leicht und gewiß, – nichts auf die Stunde
oder gar auf den Schlag der Uhr. –
Es führt keine einzige gerade fahrbare oder nur für Chriſten-
menſchen gangbare Straße zur Stadt oder irgend eine Gaſſe gerade
in ſie hinein. Der Plan aller arabiſchen Dörfer und Städte iſt eine
Gedärm verwickelung, ein auskalkulirter Irrgang, ein Knäuel
von Wandgängen, Höfen und Winkeln, – ein altägyptiſches La-
byrinth. Man läuft da an Mauerwerken hin, welche mit ſchauer-
lichen Jalouſieen verſehen ſind, mit Magazinlucken, welche den
Fluglöchern an Bienenſtöcken ähnlich ſehen; und zu den Thüren ge-
langt man von den Gehöften aus, falls man dieſe durch einen Zu-
fall aufgefunden hat. Ich verſuchte einmal, allein in den Kern von
Minyeh einzudringen, gerieth aber in ein ſolches Wirrſal von Bau-
331
lichkeiten und Exkrementen, in ſo fabelhafte Hades- und Miſchlings-
geſchichten, Geſchichten von menſchlicher und beſtialiſcher Kultur, in
eine ſolche Spukwirthſchaft, ſolche Polterräume von Bruchſtücken,
Fetzen und Larven menſchlicher Weiſe und Eriſtenz, unter ſo ver-
fratzte, verhexte alte Weiber, unter ſo von Koth zuſammengeklebte
Nachkommenſchaften, ſo zottliche, ſchakalartig wüthende Hundebeſtien,
daß es mir, bei der elementariſchen Zugabe von Hitze und Staub,
wie ein Chaos vor den Sinnen ſchwirrte, in welchem Hunde- und
Menſchengeſtalten, Hunde- und Menſchenſtimmen, Schlamm-
mauern, Staub- und Kothmaſſen, Geſtank und Sonnenbrand
noch nicht auseinander geſchieden waren. – Nur Eines
rang ſich nervenerſchütternd, rundbildneriſch und mit Eklat aus
der babyloniſchen Nachſchöpfung, dem arabiſchen Hades, der ante-
diluvianiſchen Probeſchöpfung hervor: das war Kameel -
gebrüll, und ihm antwortete in Mark und Bein erſchütternden
Stoßtönen die animaliſche Trompete des Eſelgeſchreis. Wahr-
haftig, meine Vorliebe für Abenteuer, für eine gewiſſe Abwechslung,
Unregelmäßigkeit, Inſtinktlichkeit, Lebensunmittelbarkeit, Roman-
tik, Paradies-Exiſtenz und elementare Natur, entgegen halb-
krepirter Schule, Förmlichkeit, Kultur und Konvenienz, hat mich
größtentheils nach Egypten geführt; aber an Ort und Stelle ge-
langt, wird mir doch des Guten, des Romantiſchen, des Fabel-
haften, des Natürlichen und Irregulären zu viel. Es geht mir
mit meinem Durſte nach Urgeſchichten und elementariſchen Exiſten-
zen, wie einem, der bloß trinken oder auch ein Bischen ſchwimmen
will und bei der Gelegenheit dem Erſaufen nahe gekommen iſt.
Die ägyptiſche Romantik ſteigt mir bereits an den Hals.
Das iſt mal ein Vergnügen mit ſo einem Dolmetſch, ohne
den man nichts machen kann und mit dem man doch bei der über-
menſchlichſten Geduld nichts anfangen kann, weil er nicht nur
verſoffen, händelſüchtig, diebiſch, betrügeriſch, frech und verlogen
332
iſt, ſondern noch obendrein eine Perſon zu ſein affektirt. Dieſer
Miethling hat uns ſchon in hunderterlei Malheur und Wirrniß
gebracht, z. B. uns hinterbracht, daß wir in der Nacht vom
Wirthe beraubt und eventualiter umgebracht werden ſollen, und
dem denunzirten Raubmörder wiederum zugeflüſtert, daß wir ſein
anſtändiges Hotel für eine Diebeshöhle und Mördergrube hielten;
– und dann wiederum uns erklärt, er müſſe eine andere Woh-
nung haben, denn der Wirth ſei in griechiſcher Liebe zu ihm dem
Jünglinge entbrannt. Bevor wir nun hinter alle die miſerabeln
Kabalen kamen, brachten wir ſehr originell romantiſche Nächte
hinter den Branntweintonnen mit blanken Säbeln und Meſſern
bewaffnet zu. Dann kriegte die Maltheſerbeſtie mitten in der
Nacht Streit mit dem Wirthe und rächte ſich dadurch, daß er
den Zapfen aus einem vollen Faſſe zog und mit dem Säbel auf
ſeinen Widerſacher losging, ſo daß dieſer die Polizeiwache kom-
men ließ. – Das Alles war mir denn doch für Ernſt viel zu
wenig und für Spaß mehr als zu viel.
Und all dieſe Fatalitäten wollen doch nichts ſagen gegen
die Tortur, die ich von der mehr als viehiſchen Säuerei unſeres
Wirthes und dieſes Maltheſerlümmels aushalten muß. Da
mantſcht dieſer Baſtard beim Kaffeetrinken an einem geſchlachteten
Fiſch, greift dann mit den blutigen und ſchleimigen Klauen ein
großes Stück Zucker vom Tiſch, bricht davon ab und legt den
gräßlich lakirten Klumpen wieder vor unſere Taſſen hin; und die
Herren Reiſegefährten bröckeln von dieſem Blut- und Schleim-
zucker harmlos ihr Bedürfniß weiter ab; – und ich – muß das
Alles dulden, oder es kommt zu Wortwechſel, Erörterungen, Ex-
zeſſen, Malicen, und ich bleibe allein.
Um aber das gräßliche Subjekt dieſer Maltheſerrace nur los
zu werden, faßte ich mir drei Tage ſpäter gleichwohl den Muth
333
und fuhr mit zwei Schwarzen, d. h. mutterſeelen allein, in die
ägyptiſche Welt weiter hinauf.,
Alſo nachdem ich in Minyeh drei entſetzliche Tage in Schmutz
und Ekel, in Kümmerniß, Rathloſigkeit und ſelbſt Todesangſt zu-
gebracht habe, finde ich zwei Nubier mit einer erträglichen Barke,
die nach Kenneh hinaufſchiffen, um dort Wallfahrer von Mekka
für Kahira in Empfang zu nehmen. Die Fahrt auf dem rothen
Meere bis Suez iſt für arme Leute zu koſtſpielig; ſie ſetzen alſo
nur von der arabiſchen Küſte nach Koſſeier über, ziehen von da
gewöhnlich in drei Tagen nach Kenneh und fahren dann für ein
Billiges in Maſſen und wie Heringe zuſammengeſchichtet den
Strom hinab oder hinauf.
Meine Schiffsleute ließen ſich in Rückſicht darauf, daß meine
Mitreiſe doch eigentlich nur ein Nebenverdienſt war, der ihnen un-
vermuthet zufiel, billig finden, und ſo zahlte ich von Minyeh bis
Kenneh 200 Piaſter und 40 davon auf die Hand. –- Es waren
nur zwei Kerle auf dem Schifflein, den dritten Mann verſprachen
die Beiden am andern Tage, ich weiß nicht woher, dazu zu neh-
men, indem ihnen ein Matroſe in Minyeh abhanden gekommen
ſei. – Ich hatte aber auf drei Mann akkordirt, um bei Sturm
oder dem Feſtſitzen auf einer Schlammbank nicht mitarbeiten zu
müſſen, wie ſpäter in casu adverso allemal geſchah, – denn ich
mußte ſo ſchon meine Waſchfrau, meinen Koch und meinen Dol-
metſch vorſtellen, in welchen Funktionen ich ſo ſchlecht wie möglich
eingeübt war. Bei dieſem erſten Kontraktbruch wurde mir alſo,
in Ausſicht auf alle noch wahrſcheinlichen Variationen und Modi-
fikationen unſerer Abmachung, die allerdings ein Schreiber in
Minyeh unter der Zeugenſchaft der Schneider und des dolmet-
ſchenden Maltheſers zu Papier brachte, nicht beſſer zu Muth. –
Ich faßte mir aber eine Abenteurerkourage, und fuhr bei einem
ſchwachen Nordwinde mit den beiden Schwarzen den 3. November
334
1849 bei Sonnenuntergang meinem ferneren Schickſale mit ziem-
lichem Troſte entgegen. – Es gab nun einmal keinen andern
Rath, und ins baare, blanke Muß fügt ſich ein nicht ganz unge-
behrdiger Menſch bald mit Geduld. – Die Herren Schneider
hatten auf Anfertigung von Uniformſtücken für die ägyptiſche
Kavallerie zu Minyeh einen vortheilhaften Akkord angenommen,
etablirten bald nach meiner Abreiſe eine Schenke am Nil, und
löſten aus den mitgebrachten Fäſſern Rothwein, zu welchem ſie auf
Anrathen des dortigen Arztes, eines Italieners, ein Dritttheil
„Nil“ zugegoſſen hatten, ein ſo ſchönes Stück Geld, daß ſie bald
genug friſche Waare von Kahira holen durften. Aber mit dem
Herrn Maltheſer, der ihren Lehrling abgeben ſollte, ging es keines-
wegs ſo gut. Sie hatten viel Kreuz mit dem Vagabonden, und
entledigten ſich ſeiner nur mit Hülfe der Polizei, wiewohl in
Furcht vor der Rache, mit der ſie von dem Taugenichts bedroht
wurden, bis er endlich verſchwand. –
Ich hatte die nothwendigſten Einkäufe gemacht und ſchien
mir, da die Nachtfahrt glatt und angenehm von ſtatten ging, mit
meinem Bischen Proviant, z. B. einem Theil des marinirten Fi-
ſches, einigen Hühnern, Früchten und Branntwein, mit flüſſiger
Butter in Flaſchen, einer Flaſche voll gemahlenen Kaffees, mit
meinem franzöſiſch-arabiſchen Vocabulaire, einem halben Dutzend
möglichſt ſchlecht gewaſchener und ungemangelter Hemden, ſowie
im Beiſtande eines von den Schneidern erhandelten arabiſchen
Säbels und eines koloſſalen Küchenmeſſers, – ein erträglich ar-
rangirter Mann. Von Geräthen und Bequemlichkeiten beſaß ich
nichts, als mein kupfernes Kochgeſchirr, deſſen Deckel meinen
Teller abgab, meine Matratze und Decke, ein Paar Waſſerkrüge,
einen Blechlöffel, ein Taſchenmeſſer, ein Paar kleine Thon-
ſchüſſeln, einen Blechbecher zum Kaffeekochen und eine gewaltige,
einen halben Zentner ſchwere Schüſſel zur Reinigung der Hemden.
335
Das Monſtrum wird auch zu einem tragbaren Feuerheerd benutzt,
nachdem Thon hineingethan iſt. – Man hat dann an dem Rande
der Schüſſel einen Schutz vor dem Winde, und macht ſich, mit
Anwendung von Bruchkalkſteinen oder harten Thonklumpen, eine
Stellage für das Kochgeſchirr und einen Zug für das Feuer zu-
recht. Das war alſo mein Komfort und meine Oekonomie. Für
grüne Halbauart-Flaſchen hatte ich drei Piaſter, das iſt ſechs
Silbergroſchen gezahlt, ſo theuer iſt Glas!
Das Schlachten, Brühen und Abrupfen einer Henne voll-
brachte der eine Schwarze gleich am Abende mit großem Geſchick;
ſo war ich denn für den andern Tag, und eventualiter für alle Tage,
mit der fatalſten Präparatur zu meinem Mittagseſſen im Klaren,
und ſtellte Gott das Große anheim, nachdem ich ſolchergeſtalt das
Kleine in Ordnung gebracht ſah. So iſt mal der Menſch organiſirt, die
kleinſten Sorgen, Fatalitäten und Mühwaltungen chikaniren, küm-
mern und ergrimmen ihn in der Regel viel mehr, als eine große
Arbeit und Noth. Das Schifflein, ſo wie meine Tagesſorgen und
Geſchäftigkeiten, wiegten mich noch vor der Nacht, bis an den hellen
Morgen in einen ſüßen Schlaf. – Es war doch ein kurioſes Ding
ſo mit zwei halbwilden und halbnackten Kerlen, allein und zum
erſtenmale im Leben auf dem Nile Tag und Nacht unterweges zu
ſein. Sie konnten mich ohne große Gefährlichkeit, ſchien es mir,
berauben und todt machen; meine Kajüte hatte nicht mal Schloß
oder Riegel, und ich klemmte nur auf alle Fälle einen Bindfaden
mit einem eingebundenen Stein in die Thüre, damit mich das Ge-
polter beim Oeffnen aufwecken möchte. – Die Beſorgniß vor Nil-
räubern, ſchien abgeſehen von dem bereits in Probe erhaltenen
Abenteuer bei Fogei, – ſchon um der Nachtwache willen nicht
ohne Grund, – die jeder Nilreiſende nolens volens ſich von Po-
lizeiwegen vor jedem Dorfe gefallen laſſen und mit einem oder zwei
336
Piaſtern honoriren muß. – Sie beſteht aus dem Gafihr (dem
Dorfſchulzen) und 2 oder 4 Mann (etneihn oder arbaa Rigahl). –
In der Schlacht hat der Menſch wohl ein anderes Gefühl vom
Tode; – aber ſich von Räubergeſindel nackt ausgezogen, in die
Wüſte ausgeſetzt oder lebensgefährlich beſchädigt und bei herzhafter
Gegenwehr auch ein Bischen todtgeſchlagen zu denken, iſt ein graus-
liches point de vue, für Einen, der in Bezug auf Todesgedanken
oder ſolche Vorgefühle, ganz ſo wie das gros der Leute organiſirt
iſt. – Ich muß bei dieſer Gelegenheit überhaupt geſtehen, daß mir
die Schiller'ſche Phraſe: „ das Leben iſt der Güter höchſtes
nicht“, nie ſo recht von Herzen einleuchtend geworden iſt; und
daß mir des Achilles Geſtändniß, der dem Odyſſeus in der Un-
terwelt erklärt: er wollte lieber im freundlichen Erdenlichte die
Schweine hüten, als über die Schatten der Unterwelt an Plutos
Stelle herrſchen,“ viel natürlicher und ehrlicher vorkommen will. –
Ich kann dieſes Bravthun mit dem Tode weder recht glauben, noch
leiden oder nur verſtehen. Sintemalen ich mich am Leben finde,
mir aus dem Nichtſein gar keinen Vers und vom künftigen Leben
keine Vorſtellung oder dauernde Sehnſucht machen kann, ſo leb' ich
der trivialen aber nothgedrungenen Parole: „beſſer ein Sperling in
der Hand, als Zehne auf dem Dach.“ – Geſchaffen bin ich ein-
mal und ſo macht mir das Leben Spaß, und ſo will ichs auch ſo
lange laufen laſſen, bis es auf natürliche Weiſe ſeine Endſchaft er-
reicht. – Ohne Liebe am Leben zu bleiben und es wie ſauer Bier
auszutrinken, weil's doch mal eingeſchenkt oder bezahlt worden iſt,
ſcheint mir eine komplette Abſurdität. – Kannſt du das Leben
nicht lieben und nicht leiden, ſo mach dich lieber kaput, Hundsfott,
bevor du lebensluſtige und geſunde Leute mit deiner Lebensunluſt
und Gleichgültigkeit quälſt und ennuyirſt. – Willſt du aber ſo
337
fromm ſein, daß du um Gottes willen am Leben verbleibſt, dann
leg dieſer Gottesfurcht noch ſo viel Liebe zu, daß du dich des gött-
lichen Geſchenkes deines Lebens von Herzen erfreuſt. – Das Leben
lieben und den ehrenvollen, den nothwendigen Tod nicht ſcheuen,
iſt die natürlichſte und nothwendigſte Religion. – Ich könnte das
Geſagte unendlich ſublimer und minder trivial oder naturaliſtiſch
formuliren, ſtimuliren und paraphraſiren, aber es wäre nicht ſo
wahr wie mit dieſem sans façon Hol der Henker auch die ſub-
limſte Lüge und Affektation. Man will weniger wiſſen wie der
Held, Biograph und Reiſende hätte denken ſollen, als wie er unter
den gegebenen Umſtänden wirklich gedacht, ob mit Unrecht oder mit
Recht. –
Um wieder auf meine lebensluſtige Perſon zurückzukommen,
ſo landeten wir am Morgen nach der Abfahrt von Minyeh vor dem
Dorfe Karmabomar, wo Kavallerie ſtand. Hier hab ich zum erſten-
male einen halben Piaſter für die Nachtwache gezahlt, – ohne da-
mals herausbringen zu können, wofür.
Auf dem Wege von Minyeh bis Kenneh bemerkt man auf
dem rechten Ufer im Kalkſteingebirge von Zeit zu Zeit viereckige
Oeffnungen; ſie ſind die Fenſter von Grotten, die hie und da ein
unfreiwilliger Troglodyte, – wahrſcheinlich ein Proletarier be-
wohnt, der anderweit nicht unterkommen kann. – Das Gebirge
zieht ſich in der Gegend von Minyeh auf der rechten Uferſeite in einer
durchſchnittlichen Höhe von ſcheinbar fünfhundert Fuß, mit wenig
Unterbrechungen ſo dicht am Strome hin, daß es daſelbſt ſehr oft
kaum Fußpfade für Menſchen und Laſtthiere giebt. – Die Barken
werden daher mit wenigen Ausnahmen an der linken Stromſeite
gehalten und dort fortgezogen, wenn Windſtille eingetreten iſt.
Heute ſah ich wiederum zwei ſchwarze Störche und neun ungeheure
22
338
Schwäne, falls es doch nicht am Ende, um mit Herrn Schneider
Finger zu ſprechen, Pelikane geweſen ſind. –
Man ſieht überall zierliche, ſchöne Waſſervögel, groß und
klein. – Am Abende wenn's finſter wird, ſetzen ſich ganze Wolken
ſchneeweißer ſtorchartiger Vögel, welche lange ſchwarze Schnäbel
und Beine, aber kaum den dritten Theil der Körpermaſſe eines
Storches haben, auf die Sand- und Schlammbänke des Nils
tumultuariſch und mit wüſtem Geſchrei zur Nachtruhe nieder, ſo
daß man in der Entfernung Schneemaſſen zu ſehen glaubt. Das
Geſchrei dieſer Vögel und ihr Auffliegen beim Anbruch des Tages,
die Maſſen von wilden Gänſen und andern Zugvögeln, die mit
Gekreiſch in dem lichten Aether ihrer Wege dahin ziehen, und ganze
Geſchwader von Pelikanen, die im Phalanx ſtromaufwärts die
Wellen des Rieſenſtromes durchſchneiden; dieſe und viele andere
Szenen beleben die Einförmigkeit einer Nilfahrt, und belohnen für
ſo manche lange Weile und Fatalität. –
Wenn man ein leidliches Wörterbuch bei der Hand und nur
ein wenig Talent oder Geſchick für arabiſche Ausſprache hat, ſo
läßt ſich ſchon das Nothwendigſte radbrechen und verſtändigen, zu-
mal wenn Noth und ein wenig Witz die Dolmetſcher ſind. – Ich
wollte z. B. meinen Schiffern Vorwürfe machen, daß ſie beim Ein-
kaufe der Lebensmittel in einem ſcheinbar unweit des Ufers bele-
genen Dorfe ſo lange fortgeblieben wären, und ſetzte mir alſo nach
dem Wörterbuche folgende Wortmoſaik ſchriftlich zuſammen: anne
osbur – entum ma fihsch; – Belledgarihb, – haua taihb, –
entum ma fihsch – zu Deutſch: Ich warte, ihr ſeid nicht da; –
das Dorf iſt nah, der Wind gut, – ihr ſeid fort! – Ihre Ant-
wort war: el belled baid baid; das Dorf iſt weit, weit; – (viele
arabiſche Worte klingen faſt gleich: be th heißt ein Haus, – bedd
ſind Eier, und baid bedeutet „weit.“) – Einmal konnte ich den
339
Nil nicht weiter mit den Augen verfolgen, er machte eine ſo zähe
Wendung, daß er „alle geworden“ ſchien; ich ſagte zu den
Schiffsleuten: elbacher chalaass, der Fluß iſt am Ende, iſt fertig;
ſie verſtanden ſehr wohl, was ich meinte, und es machte ihnen gro-
ßen Spaß. –
Manfelut iſt ein Neſt, noch elender von Schlamm zuſam-
mengeklackſt wie Minyeh. Aus den Baulichkeiten guckten zwei
oder drei Minarets hervor; – da der Wind gut war, fuhren wir
ohne Notiznahme vorbei. –
Ein Grundzug des alten wie des neuen Juden iſt Frech-
heit; und dieſe Frechheit iſt es auch, welche den Aegypter charak-
teriſirt. Daß beim gemeinen Mann Rückſicht, Höflichkeit und
Verſchämtheit nicht zur Sitte und Form entwickelt iſt, wird Nie-
mand Wunder nehmen; grob, plump und täppiſch ſind die gemei-
nen Leute auch bei uns, aber ſie haben doch einen kleinſten Reſt
und einen Inſtinkt von Sitte, Lebensart und Scham. Daß ſie
dies haben, daß jedem, auch dem roheſten Chriſten und Europäer
noch irgend eine Zucht und Scham, eine Heiligung und irgend ein
Ehrgefühl an irgend einem Orte und in irgend einer Weiſe und
Form innewohnt, das erfährt man eben, wenn man in die ägyptiſche
Schamloſigkeit, Unheiligkeit und Ehrloſigkeit, wie in eine Vorhölle
untergetaucht wird. –
So ein Aegypter fordert und betrügt rückſichtslos und dankt
nie, während den Juden bei uns zu Lande Dankbarkeit charak-
teriſirt. – Eines Fellah Anfrage, wenn er etwas nicht verſtanden
hat, iſt ein unerträglich rohes He! ein beſtialiſcher Laut. Ob auch
der Reiſende im tiefſten und im erſten Schlafe liege, der Araber
weckt ihn um der erſten beſten Lumperei mit einem Ruck oder Schrei,
und wenn nicht anders mit einem gemüthlichen Fußſtoß in die
22*
- - 340
Rippen, wenns ihm ein gewöhnlicher Paſſagier und kein Jaſſidi
oder Effendi zu ſein ſcheint. Man muß überhaupt als armer Rei-
ſender, als Paſſagier vom dritten und vierten Range, nicht nur in
Aegypten, ſondern überall die Welt und die Leute gekoſtet haben,
man muß ſo Einer ſein, vor dem ſich Keiner und Keine ſonder-
lich genirt, um zu erfahren, wie ſchamhaft und nobel, wie geſittet,
geartet und liebenswürdig der Pöbel in allen Ständen ſein
kann, und wie wenig herzensgebildete und herzensnoble Menſchen
es giebt. Wenn ſo ein Araber einen Europäer ſchreiben oder leſen
ſieht, ſo beugt er den Kopf, falls er neugierig genug iſt, mit aufs
Papier. Wenn der Reiſende in der eifrigſten Unterhaltung oder
im größten Zorne und in Verzweiflung iſt, – der Fellah ignorirt,
er mißkennt das vollkommen, er unterbricht Jedermann im Intereſſe
ſeiner Albernheit und geringſten Noth. Er empfindet nur ſein
Ich oder beſſer ſein ſinnlichthieriſches Daſein; er hat kein feineres
Mitgefühl, keine dauernde Mitleidenſchaft, ſelbſt nicht in der An-
lage wie es ſcheint. –
Zank- und Streitſucht, Unfriedfertigkeit, Ungeberdigkeit und
„widerhaariges“ Weſen ſind in Aegypten ſo allgemein Sitte, daß
die erſten Töne, welche den Reiſenden allenthalben in Dörfern und
Städten empfangen und bevor er noch die Leute zu Geſichte be-
kommt, aus Geſchrei und Wuthgezänke beſtehen. Unter Lärmen
und Streit ſchläft man hier ein und wacht man auf Mag es ſein,
daß der Hader ſelten mit Rauferei und noch ſeltener mit gefährlicher
Verwundung und Todtſchlägereiendet, wie oft genug bei uns geſchieht,
es geht dann um ſo weibiſcher, feiger und unwürdiger her. – Der
Aegypter wird mit einem Worte in Harniſch gebracht, und dieſer
heilloſe Jachzorn, dieſe garſtige Geberdung, dieſes ewige Geſchrei,
geben dem Leben und Lande eine unerträgliche Phyſiognomie. –
341
* -- ,
Der Fremde kommt nach Aegypten als mit Vorſtellungen und Bil-
dern vom Oriente, von menſchlicher Ruhe, Würde und Schweig-
ſamkeit, und findet das Gegentheil von dem Allen. –
Unter dieſen Aegyptern begreife ich die himmliſche Schönheit,
die göttliche Abſtammung der Bergpredigt, wenn es in ihr heißt:
Selig ſind die Sanftmüthigen, denn ſie werden das Erdreich
beſitzen. Selig ſind die Friedfertigen, denn ſie werden Gottes
Kinder heißen. – Und am ſelben Orte Vers 21: Ihr habet ge-
hört, daß zu den Alten geſagt iſt: Du ſollſt nicht tödten c., ich
aber ſage euch: Wer mit ſeinem Bruder zürnet, der iſt des Ge-
richtes ſchuldig. – Sei willfährig deinem Widerſacher. – Ihr
habet gehört, daß da geſagt iſt: Aug' um Auge, Zahn um Zahn;
ich aber ſage euch: daß ihr nicht widerſtreben ſollt dem Uebel, ſon-
dern ſo dir Jemand einen Streich auf den rechten Backen giebt, ſo
halte ihm den linken dar. Ihr habt gehört, daß geſagt iſt, du
ſollſt deinen Nächſten lieben und deinen Feind haſſen, – ich aber
ſage euch: Liebet eure Feinde, ſegnet die euch fluchen, thuet wohl
Denen, die euch haſſen, bittet für Die, ſo euch beleidigen und ver-
folgen, auf daß ihr Kinder ſeid eures Vaters im Himmel, denn er
läſſet ſeine Sonne aufgehen über die Böſen und über die Guten,
und läſſet regnen über Gerechte und Ungerechte. –
In Aegypten iſt nun mal die Welt der unverſöhnlichſten Kon-
traſte. Um mich herum am Ufer und in Barkenhocken halbnackte zer-
lumpte Kerle müſſig in der Sonne; und unter den Dattelbäumen
wandelt da ein rieſiger Araber Wolle ſpinnend ſpazieren, mit der
Spindel in der Hand. Er trägt einen Bournus von der
“-
- -- - 342
gröbſten kaffeebraunen Wolle, und über dieſe Wüſtenrobe Fat er ein
ungeheures weiß und grau gewürfeltes, mit feuerfarbenen Streifen
verziertes Umſchlagetuch geworfen, von einem Stoffe, das wie
Seide und feinſte Wolle glänzt; – aber die nackten Füße ſind
in Saffianpantoffeln geſteckt, und Hoſen inkommodiren ihn eben-
falls nicht. (Eben ſo trägt nicht ſelten ein ganz zerlumpter, arm-
ſeliger, ſchmutziger und ordinärer Kerl köſtliche Waffen im Gürtel,
denn ſie ſind eben ſein ganzer Beſitz, ſein Schatz, ſeine Reputation
und ſein Stolz. –
In Schibbelchit bei Atfeh an den Schleuſen ſah man neben
den elendeſten Hundebuden von Hütten, und unmittelbar am Nil-
ufer, Grabhäuschen über die Gräber gebaut, die eben ſo geräumig
ſchienen wie die Bauwerke, welche zum Aufenthalte der Lebendigen
beſtimmt waren und an denen die Kothfladen zum Trocknen an-
geklebt wurden, – mit welcher äſthetiſchen Verrichtung ich die
Fellahweiber con amore beſchäftigt erſah. Unmittelbar aber an
dem Kirchhofe war das Schenk- und Kaffeehaus belegen, und
hinter dieſen Saufgräbern" Kothſzenen probirte ein theatraliſch
ſchön koſtümirter Bey oder was ſonſt für ein arabiſcher Würden-
träger ſein reich geſchirrtes arabiſches Roß in Allüren und Cour-
betten, während ihn eine Elite von Unterbeamten und Sklaven,
ſeiner Befehle und Winke gewärtig, umgab. -
Man kann berei“ in Neapel, Warſchau, London und Paris
ſo etwas von kontraſtirende" Szenen uns Gºſsisten zu ſehen
bekommen, aber es ſº" de immer nur die Gegenſäbe, welche die
Glücksgü ter produzire" Estate Und Mietaten ſind doch
in demſelben Elemente menſchlicher Rechte und Kennzeichen aus-
gefärbt. – Es ſteht doch Keiner in der naten Haut da, s liegt
doch a ner vor dem Andern mit dem Antlitz im Staube, winſelnd
" –
"uf dem nackten Bauch!
- -
343 - - - -
Hier aber iſt realiſirt zu finden, was kaum ein Tollhäusler
von Kontraſten auszuhecken vermag. Nirgend in der Welt können
Koth und Seide, Geſchmack und Abgeſchmacktheit, Raffinement
und Stupidität, Freiheit und Tyrannei, Elend und Schwelgerei,
Lärmen und Todeseinſamkeit, Verhüllung und Proſtitution, Bi-
gotterie und Unheiligkeit, Cynismus und Förmlichkeit, Beſtialität
und Religionsübung, Abwaſchung und Säuerei, Lebensreſignation
und Ueppigkeit, nirgend können alle Kontraſte der Welt in ſolcher
Exzentrizität, Maſſenhaftigkeit und Vermengung gefunden werden
wie hier. Der Kontraſt, die Regelloſigkeit, die Inkonſequenz,
die Willkür, die babyloniſche Verwirrung, die Mengerei, die
Konfuſion, das Labyrinth, die Zerbröcklung, die Abſurdität und
der Lärm, das ſind die Prinzipe, von denen das heutige Aegypten
beherrſcht und geſtaltet erſcheint.
Geſtern ſah ich einen ſogenannten Effendi dem Ufer des Nil
entlang über Land gehen und zwei zerlumpte Kerle als Diener
hinterdrein. Seine Herrlichkeit waren mit einem Kaftan von
Seide oder Halbſeide angethan. Dero bloße Füße, die mit den
nackten Waden in der natürlichſten Harmonie ſtanden, ſchienen in
zu kurze Pantoffeln geſteckt, auf denen alſo nicht zum beſten fort-
zukommen war und die ſelbiger Effendi nur mittelſt beſonderer
Kunſtfertigkeit und in ſteter Aufmerkſamkeit an den Fußzehen be-
hielt. Dieſes Malheur an den untern Extremitäten kontraſtirte
nun auf die luſtigſte Weiſe mit einer exquiſiten, durch nichts zu
ſtörenden Grandezza, deren ſich der arabiſche Ariſtokrat in ſeinen
Geberden, ſeinen Augenbrauen, ſeinen Naſennüſtern, ſeinen
Mundwinkeln, ſeinem in den Nacken geworfenen Haupte und in
ſeinem ganzen Oberleibe befliß, an welchem durch zurückgebro-
chene Achſeln, Oberarme, und ein hohles Kreuz, eine ſpitz
vorgedrängte, ſtolze Hühnerbruſt herausmodellirt erſchien. Wenn
344
dem Guten nun ſolchergeſtalt die zu knappen Fußbekleidungen ent-
ſchlüpfen wollten, ſo wußte er dieſe ſtehende oder laufende Even-
tualität jedesmal durch einen Entrechat zu präkaviren, deſſen
nothgedrungene Zierlichkeit und Gefügigkeit mit der gebieteriſch-
unwandelbaren Haltung und Phyſiognomie des Oberparlaments
im hochkomiſchen Abſtiche ſtand. Unten Pantoffelkünſte und oben
ein augenbrauen-donnernder Jupiter en miniature, welch eine koſt-
bar allegoriſche Figur! Ich grüßte den Pantoffelkünſtler und
Gehtänzlertyrannen mit befliſſenſter Ehrfürchtigkeit, und profitirte
ſeinen Gegenreſpekt in der angemeſſenen Façon.
Auf dem Wege zwiſchen Ssyuth und Dachta, am linken Nil-
ufer, führt ein Kanal ins Land hinein, ſo daß etwa 600 Schritte
vom Ufer des Stroms eine gut gemauerte Brücke in drei oder
vier Bogen die Wegverbindung herſtellen muß.
Ein großes langes arabiſches Hemde, ganz wie ein koloſſales
Frauenhemde gemacht, von ſtarker, wenngleich grober, gut gefärbter
blauer Leinwand, ſauber und mühſam gefertigt, mit Schnur am
Halſe ausgenäht: koſtet in den kleinen Nilſtädten 10 Piaſter. Ein
guter weiter Burnous von brauner Schafwolle, (eigentlich ein
weites langes Hemde) von ſtarkem Faden und dicht gewebt, koſtet
in Achmihm 16 Piaſter, alſo 1 Thlr. 2 Sgr., einen lächerlich billi-
gen Preis, der nur ſo erklärlich ſcheint, daß die Weiber das Ge-
webe machen, aber auch dann begreift ſich der Preis keineswegs.
Ein ſehr großes, ſtarkes, blau und weiß gewürfeltes Leinwand-
Umſchlagetuch koſtet 20 Piaſter, 1 Thlr. 10 Sgr. 300 Stück
Zündhölzchen koſten in den Nilſtädten 6 Pf. / Quart Salz
4 Pf, Zwiebeln und kleine rundliche, ſehr ſaftige, grüne Zitro-
nen ſind ſpottwohlfeil; eben ſo das Brot, das in Fladen y-
#
345
Pfennig und zu drei Pfennigen das Stück verbacken wird. In
vielen Städten ſind dieſe Durrah- und Weizenfladen ſo locker, weiß
und wohlſchmeckend, wie unſer Weißbrot in den kleinen Städten
und auf dem Lande. Butter wird hier mit 8 Piaſtern das Okka
(2% Pfd.) bezahlt. Eine fleiſchige und große Henne koſtet nur
1 Piaſter, / Quart Dattelbranntwein aber 3 Piaſter, (6 Sgr.).
Ich bin wohl ein Freund von pikantem Käſe, aber den ein-
gelegten Quarkkäſe der gemeinen Araber hab' ich doch nicht eſſen
können. Er ſchmeckt wie präparirter Pfeifenthon, nnd ſchlim-
mer, wie etwas Mineraliſches, zugleich nach Seife und Kalk. Einen
Nilwels, halb ſo groß wie der, den wir vor Minyeh für 6 Piaſter
gekauft, erhandelten hinter Ssyuth meine Barkenleute für 1
Piaſter, er wog wenigſtens 6–8 Pfd.
Heute, den 6. Novbr. 1849, ſehe ich wieder auf dem Felde
pflügen. Der Pflug iſt wie geſagt ein polniſcher Haken mit zwei
Sterzen; zwei gute mittelgroße Kühe unſrer Race ſind wie an einem
oſtpreußiſchem Joche vorgeſpannt und pflügen mit äußerſter An-
ſtrengung, in einer Hitze, die ſo groß iſt, wie bei uns im Monat
Auguſt, den halbabgetrockneten, ziemlich hantirbaren Thon. Der
Pflüger ſchreit den Thieren ſein Jemilaktale ex ſo zu, wie bei uns
der Pflüger ſein „Otſch, otſcha und Xe, Xe!“ (Rechts, links). –
Der Boden zerklüftet beim Trocknen in Spalten bis zu 4 und 5
Zoll. Es wird wieder Gerſte untergepflügt, deren Korn nur ſehr
mittelmäßig iſt, gewendet wird beim Pflügen nur rechtsum.
Heute ſah ich auch zum erſtenmal Kameele vor den Haken
eingehannt und ſogar ein Kameel mit einer Kuh. Unverträgliche
Dinge ſcheint der Araber gar nicht zu kennen. Es iſt ſonach unbe-
greiflich Adaß er noch irgend worüber lacht, da es doch nur über
346
Ungereimtheiten geſchehen ſoll. Ungereimt erſcheint ihnen aber
nicht ſelten das, was nach unſern Vorſtellungen und Gewohnheiten
in vollkommner Harmonie ſteht, nämlich unſer Hantiren, Ankleiden,
Toilette machen, Gebahren, Sprechen, Sitzen, Liegen, Stehen
und Gehen. Mein Mundausſpülen und Gurgeln mit Waſſer wurde
mehr als einmal belacht, eben ſo mein Auf- und Niedergehen auf
dem Schiff. Die Art des Lachens iſt aber bei dem Araber ganz
wie an uns. Er will ſich ausſchütten, wenns ihm ankommt, und
kreiſcht dabei wie auch wir.
Koloſſale Geier ſieht man oft auf den Sandbänken und in
den Felſen des Mokattam. Die Araber nennen dieſe Aasvögel
„Rachem“ mit dem Beiwort batahl (ſchlecht, ſchlimm, fatal). -
Wer um Abenteuer verlegen iſt, der fahre mit armſeligen
Bauern auf dem Nil. Durch Ungeſchicklichkeit und Fahrläſſigkeit
riß ein ſtarkes Seil, an welchem uns eine andere gut bemannte
Barke durch heftige Strudel mitſchleppen ſollte, und ich gerieth
ſolchergeſtalt, da der ſtärkere Mann am Lande war, mitten in die
Strömung des Nil, ohne daß uns ein Gegenwind zu Hülfe kam.
Wir blieben endlich an dem rechten Ufer im tiefen Schlamm ſtecken.
Ich mußte alſo da hinein bis an die Bruſt und den Kiel heraus-
heben helfen, daß mir die Haut an den Planken ſitzen blieb, um
nur das Schifflein wieder flott gemacht zu ſehen. Es war Arbeit,
Angſt und Sorge, bis endlich der ſtarke Mann herübergeſchwommen
kam. Daß ich ſo tapfer mitgearbeitet hatte, ſchien ihm ſehr erbaa-
lich zu ſein und er drückte mir darüber auf ſehr naive und teu-
herzige Weiſe ſeine Billigung aus. Gemüthliches Element blickt
an dieſen Arabern wie an den Juden bei vielen Gelegenheitn hin-
durch, trotz aller „Beeſterei.“
347
Von den Kopten, die wir vor Minyeh antrafen, durchſchwam-
men ihrer Zwei, um ein Biergeld von 20 Para zu erhaſchen, den
Nil hin und zurück; denn unſere Barke befand ſich am linken Ufer
des Stroms und dieſe chriſtlichen Wilden kamen von der
rechten Seite zu uns heran. Der Nil hatte dort eine Breite wie
die Weichſel am breiteſten Ort."
Wer doch ein oberägyptiſcher Vogel wäre! Dieſe Geier,
Reiher, Störche, Pelikane und alle die Waſſervögel führen ein
paradieſiſches Leben, kein Menſchenkind ſchießt auf ſie, wenn es
nicht im ganzen Jahr einmal ein Naturforſcher, Sammler und
Ausſtopfer thut. Die Schießwaffen ſind den Arabern, zu meh-
rerer Sicherheit im Lande, abgenommen worden und, in den Ber-
gen zumal, ganze Raubneſter zerſtört. Der Fellah hat Tauben,
Fiſche und Hühner im Ueberfluß und ſo ſtellt Niemand ſelbſt nur
den eßbaren Vögeln nach. Heute früh ſah ich Geier, Störche,
Reiher und ibisartige Vögel nicht weit von einander in Gruppen
auf einer Sandbank im Nil. Die Geier machen, ſtill ſitzend, einen
ſo eingezogenen Hals, daß ſie wie koloſſale Raben oder Trappen
ausſehen. Allerliebſte, ſehr kleine und behende, den Bachſtelzen
ähnliche Vöglein giebt es hier in Menge, unter dem ganzen Leibe
ſehen ſie weiß und darüber ſchön grau aus, laufen pfeilſchnell und
wippen mit dem ganzen Körper immerwährend und mit einer
Grazie, wie ſie nur der lebendigen Natur innezuwohnen vermag.
Wie viel Staub die Luft von dem trockenen Thonboden mit
ſich führt, kann uns die Thatſache erhellen, daß ein dichter Kamm
ſelbſt dann noch Staub aus den Haaren kämmt, wenn man 24
Stunden nicht auf dem Lande geweſen iſt und den Kopf faſt be-
ſtändig bei Tage und bei Nacht bedeckt gehalten hat.
348
Heute Morgen ſchöpfte ein Neger, deren es durch ganz
Aegypten eine Menge giebt, Waſſer am Ufer. Meine Schiffer ſind
ſchwarze Nubier, und doch erſchrak ich über die Häßlichkeit jenes
Schwarzen. Unbeſchreiblich beſtialiſch erſcheinen nicht bloß Stirne
und Naſe, ſondern das Maul iſt ein bloßer Schnitt ins dicke Fleiſch,
ſo daß ſich die Lappen herauswenden, wie an einer klaffenden
Wunde. Von einer Modellirung des Mauls iſt kaum der erſte
Verſuch der bildenden Naturkräfte zu ſehn.
Wegen der großen Durchſichtigkeit der Luft, oder der In-
tenſität des Lichts unterliegt hier das Auge ganz unglaublichen
Täuſchungen. So eben (am 9. Novbr) ſegeln wir an Uferfelſen
vorüber, die ſich in ihrer faſt ſenkrechten Erhebung aus dem Waſſer
etwa 300 Fuß hoch darſtellen; daß ſie aber mindeſtens die doppelte
Höhe haben müſſen, erſehe ich daraus, daß die Menſchen, welche
am Fuße des Berges mit Eſeln und Kameelen hinziehn, kaum die
Hälfte der wirklichen Größe zu haben ſcheinen; die Eſel ſehn ſich
wie Hunde und die Kameele wie kleine Pferde an, die erwachſenen
Menſchen ſcheinen Kinder zu ſein.
Ueberall ſind Grabkammern kn die Felſen gehauen.
Heute Vormittag bekam ich auch zum erſtenmal ein Krokodill
zu Geſicht. Die Schiffer zeigten mir mit dem Ausruf „Timssah“
den Kopf des Thiers, von welchem eben nur ſo viel über dem
Waſſer ſchwamm, daß er von einem Fiſchkopf zu unterſcheiden war,
Ein Paar Minuten ſpäter (die Barke ging ſehr unmerklich ſtrom-
auf) ſah ich das Krokodill auf eine Sandbank gehn. Es war ein
junges Exemplar, etwa 5 oder 6 Fuß lang; die Stelle, wo ich es
traf, liegt zwiſchen Dachta und Achmihm.
349
Ich habe Alligatoren oder Kaimans von der Größe wie das
Nilkrokodill in Menagerien geſehn, aber in Gefangenſchaft und in
ſeinem Behältniß macht ein Thier nicht den Eindruck, wie in der
Wildniß an ſeinem aparten Ort, in dem Lande, dem es gehört.
So muß man auch Menſchen in ihrem angeſtammten Elemente oder
gewohnten Wirkungskreiſe ſehn, wenn man ſie in ihrem Weſen, in
ihrer Poeſie und Vermögenheit begreifen ſoll. Jedes Ding und
Geſchöpf iſt nur verſtändlich, herzergreifend und komplett in der
Welt und Sphäre der es gehört. Lospräparirt vom Grund und
Boden der Natur, der Heimath, dem angeſtammten Wirkungskreiſe,
hat der kernhafteſte und kompakteſte Charakter eine abſtrakte und
rathloſe Phyſiognomie. Schiffer muß man nicht auf dem Trocknen
und Landleute weder zu Schiff noch in der feinen Stadtgeſellſchaft
ſehn, ſo wenig wie Diplomaten und Leute von Extraktion auf dem
Dorfe und auf dem Miſt. Jedem das Seine und Jeder in ſeinem
Eſſe und Element, das iſt die poetiſche und die ſittliche Raiſon.
Es iſt merkwürdig, in welch gleichmäßiger Höhe ſich der Mo-
kattam am Stromufer hinzieht. Vor Achmihm beſonders iſt das
Gebirge Meilen lang wie durch Kunſt planirt und zwar in einer
ſcheinbaren Höhe von 500 Fuß, die wirkliche hat aber wohl das
zwiefache Maß. -
Das ſei Jedem geſagt: auf dem Nil, in einer wildfremden
Welt, ſo weit vom Vaterlande, unter ſo großartigen Naturſzenen
will kein Buch und keine Zeitung munden. Nur die
Bibel lieſt man hier mit mehr Verſtändniß, Sammlung und
Stimmung, wie vielleicht zu Hauſe, denn ſie entſtammt ja dem
Oriente, den Urempfindungen der Welt, der Natur und
350
Uebernatürlichkeit und gehört ſomit der ganzen Welt; das iſt ihr
Charakter, ihr Ton, ihr Sinn und Prinzip – und ihre ewige
Kraft!
Die Hitze iſt fortwährend wie bei uns an den heißeſten Tagen
des Juli und Auguſt. Geregnet hat es ſeit ich in Aegypten bin.
nur wenige Tropfen (ich bin auch wieder hinausgegangen ohne
Regen erlebt zu haben). In Alexandrien regnete es im Dezember
ſo herzhaft und anhaltend, wie bei uns im April, ſo daß ſich die
platten Dächer für dieſe Zeit ohne Schaden Sparren und Dach-
pfannen verſchreiben könnten. Zu Kahira aber und weiter hinauf
rechnet man im Durchſchnitt dreimal des Jahres auf einen Regen,
der den Namen verdient. Andere Beobachter nehmen im Durch-
ſchnitt die doppelte Maſſe Regen an. Bezogen und trübe iſt da-
gegen der Himmel nicht ſelten und Wolkenbildungen hat er,
wenn auch viel ſeltener, ſo doch von Zeit zu Zeit wie bei uns.
Die Redensart vom ewig klaren, wolkenloſen Himmel
muß alſo nicht wörtlich genommen werden, wie denn ſo
Vieles nur cum grano salis und nicht buchſtäblich verſtanden
werden darf. -
Achmihm iſt etwa 500 Schritte von dem niedrigen Ufer ins
Land hinein gebaut, jedoch keineswegs auf einer Höhe. Wie ſichs
alſo in dem Lehmſtädtchen zur Zeit der Ueberſchwemmung wohnen
mag, begreife ich keineswegs. Es iſt aber ein wahres Glück, daß
man nicht Alles begreift, denn es dürfte vielleicht noch langwei-
liger wie pure Dummheit ſein.
Sonnabend mit Sonnenaufgang, den 10. Novbr., landen wir
vor dem Städtchen, wo der Schifferknecht ſeine Familie und der
Beſitzer der Barke die dickſten Bekanntſchaften hat, auch jedenfalls
ein dritter Mann für das Steuer genommen werden ſoll. Daſſelbe
351
wird von einem Sitz auf der Kajütendecke regiert, welcher Sitz
in dem natürlichen Geſäße des Steuerbeamten beſteht. Wollte
Gott es wäre jeder Sitz und jede Stimme in der Welt mit etwas
Natürlichem und a posterioriſchem, d. h. mit Erfahrungen auf
breiteſter Grundlage, aber auch mit einer feſten, vernünftigen
Richtung; alſo mit einem Steuer verknüpft. Die Bewe-
gung allein thut es ſo wenig in der Welt, wie der feſte Sitz.
Was aber unterdeſſen Achmihm betrifft, ſo iſt es eine ehemalige
Mamelukenhauptſtadt, wie Minyeh, Girgeh, Kenneh und alle die
übrigen Neſter aus der Zeit, wo 40 Mameluken das unglückliche
Aegyptenland unter ſich gevierzigtheilt hatten, wiewohl ich
nicht gerade weiß, obs 39 oder 41 Tyrannen und ägyptiſche Für-
ſtenthümer, etwa nach dem Muſter der „thüringiſchen“ geweſen
ſind und ob eben Achmihm eine richtige Kapitale vorgeſtellt hat.
Daß ich aber von Kapitalſachen und Kapitalnotizen ſo meine
aparten Definitionen und Gewiſſenserleichterungen habe, iſt gewiß.
Es geht mir damit wie dem alten Univerſalhiſtoriker Schloſſer,
der, überführt, eine gewonnene oder verlorne Schlacht an den unrech-
ten Mann adreſſirt zu haben, mit ſchlagender Wahrheit verſicherte:
auf ſo einen alten Schlachten irrthum, auf eine verwech-
ſelte Etiquette käme es in der Weltgeſchichte nicht an. Ich
ſelbſt halte dergleichen Falſa ſogar für die einzig liebenswürdigen
Momente eines pedantiſchen Gelehrten und für eine Legitimation,
daß ihm nicht alle Natur von der Schule abſorbirt iſt.
Die Nachtfahrt gen Achmihm war ſchauerlich ſchön: Am be-
zogenen ſternenloſen Himmel die Mondſichel wie das leuchtende
Symbolum und Inſtrument eines böſen Geiſtes, der Herrſchaft über
die Welt gewonnen hat; fortwährende Windſtöße, welche die Barke
umzuwerfen oder Maſt und Steuer zu brechen drohen, und die
beiden Schiffsleute berauſcht, da ſie zum Freitage ein halbes ber-
liner Quart ſtarken Dattelbranntwein auf einen Zug hinunter
352
getrunken haben, ohne geübte Trinker zu ſein. Mit uns ſegelte
keine Barke, ſo war ich denn bei Sturm, in Nacht und Graus, auf
einem höchſt gebrechlichen und jämmerlich ausgerüſteten Fahrzeuge
mit dieſen Halbwilden auf einem reißenden Strom allein, deſſen
Beutezeichen in Barkenüberreſten aus ſeinen Schlammbänken her-
vorragen und der in jeder Jahreszeit ſeine Menſchenopfer verlangt.
Es iſt ein entſetzliches Gefühl, ſich in der Gewalt von Menſchen
zu wiſſen, denen man jede Schlechtigkeit und Unbarmherzigkeit,
Raub und Mord zutrauen darf. Meinem Todfeinde, dem ſchlimm“
ſten Menſchen gönne ich nicht die Empfindungen, die mich über-
kamen, als dieſe ſchwarzen Menſchenexemplare bei hereinbrechender
Nacht fortwährend mit einander ziſchelten und mich von einer
Schlammbank zur andern umherſchleppten, zu den Orten, wº die
Geier und Reiher ſitzen, oder das Krokodil wie ein angefaulter
Baumſtamm ausgeſtreckt liegt.
Die Amphibienſtaffage gehörte wahrſcheinlich meiner unſch"
digen Phantaſie, und die Schiffsleute ſprachen ſicherlich ſo eſ
um den Nilräubern unhörbar zu ſein, die an gewiſſen Stellen ihren
Zoll zu erheben pflegen, aber mir konnte es zuletzt einerlei gelten,
ob ich den gemietheten oder den fremden Räubern in die Hände
fiel. Und wie ſollte der Muthigſte unter ſolchen Szeneriee" Und
Umſtänden nicht auf den Gedanken kommen: die Schiffsleute *
rathen und tödten dich; dieſe Nacht kann leichtlich deine letzte ſº
Freilich faßte ich den Entſchluß, mein Leben theuer zu verkaufen,
legte den blanken Säbel, gleich wie das Küchenmeſſer zureÄ
iſt aber, wenn man nicht affektiren will, ein ſcheußliches Gefühl,
jeden Augenblick fürchten zu müſſen: jetzt kommen ſie un” danN
mußt du haſtig dein Meſſer in einen Menſchenleib ſtoßen, oder er
thut ir ſelbſt den Gefallen zuerſt und läßt dich vielleicht halbtodt
auf einer Sandant zurück. So viel weiß ich, ich entrire derglei-
chen Genieſtreiche zu Waſſer und zu Lande nicht zum zweitenmal
353
Die Schiffsleute beſuchen alſo ihre Verwandtſchaft und Be-
kanntſchaft, ich aber bleibe als Hüter meiner Habſeligkeiten zurück
und verkehre, indem ich das Schifflein keinen Augenblick aus den
Augen verliere, mit den Leuten, die am Ufer ſchachern und plau-
dern; denn hier, wie überall, wo es an Quellen gebricht, verweilt,
etablirt und amüſirt ſich alle Welt an dem Orte, wo das Element
fließt, welches der Kreatur ſo unentbehrlich iſt, wie der feſte Boden
unter den Füßen, wie Luft und Licht. Die Ebene vor dem Städt-
chen iſt noch von dem zurückgetretenen Waſſer feucht geblieben; der
Tag iſt bewölkt und ohne beſchwerliche Hitze, die Weiber kommen
mit ihren zierlich auf dem Kopf balanzirten Waſſerkrügen zum
Strome, oder ſie plaudern und waſchen da ihr Zeug. Die Männer
treiben allerlei Handel, Wandel und Kurzweil – das Getümmel
und Geſchrei iſt nicht zu groß; eine unbeſchreibliche herbſt-
liche Ruhe iſt über die ganze Szene ausgegoſſen. Die
Menſchen erſcheinen manierlicher nnd gemüthlicher als bei Kahira
oder Minyeh; ſie quälen ſich, meine arabiſche Wörterbuchsmoſaik zu
verſtehen, und ich ſchieße ihnen tapfer auf die Köpfe, was ich irgend
an Vokabeln habhaft werden kann und meine, ich bin mit Kook in
Otaheite und halte das köſtliche ägyptiſche Idyll mit allen
Sinnen und Geiſteskräften feſt. Es wird Ruhetag gehalten, ein
alter Araber beſorgt mir alſo meine Wäſche auf dem Schiff, wobei
er mir ein Taſchentuch verbrennt. Bei einer andern Gelegenheit
flogen mir von einem plötzlichen Windſtoß ein Paar Hemden von
der Leine in den Nil, ohne daß ich ſie auffiſchen konnte, denn ich
lag ermüdet vom Waſchen auf meinem Strohſack und es war Nacht.
Dieſen zwei Hemden von dem halben Dutzend, das ich beſaß, ſah
ich wie einem Verluſte an Leib und Seele nach, denn meine flei-
ßige Frau hatte die Weißwäſche in langen nordiſchen Winteraben-
den genäht, und nun ſollten ſie von den Krokodillen zerriſſen
werden, und ich wußte wahrlich nicht, ob ich nicht zu demſelben
–
23
Schickſal auserſehen war. Morgen früh gehts gen Kenneh, wo
ich von Kahira aus an einen italieniſchen Apotheker rekommandirt
bin. Von Kenneh aber iſt nicht mehr weit nach Theben, dem Ziele
meiner Reiſe, und ſo ſcheint mir meine nächtliche Todesangſt
eine große Dummheit und die Kourage wächſt mir wieder
über den Kopf. So iſt der Menſch, für böſe Stunden hat er kein
Gedächtniß, den Glückszufall nimmt er für ein Muß, den ſchönen
Schein des Augenblicks für das Weſen, und das iſt eben ſein
Glück.
Ich will jedem Reiſenden gerathen haben, ſich dahin kontrakt-
lich ſicher zu ſtellen, daß der Herr Reis in keinem Orte ohne Er-
laubniß des Paſſagiers anhalten und unter dem Prätext des Ein-
kaufs von Lebensmitteln ſich nach Belieben in den Dörfern umher-
treiben darf. Windſtille wird in der Regel zum Vorwand für
ſolche Exkurſionen genommen; da dieſe aber oft eintreten und ſehr
lange anhalten kann, ſo iſt es Raiſon, daß die Schiffsleute die
Barke am Seile gegen den Strom fortziehn. Auf großen Barken
giebts ihrer funfzehn bis zwanzig, ſie dürfen ſich alſo bei dieſer
Treidelarbeit nicht mehr anſtrengen, wie die Schiffsleute bei uns,
und wenn ſie gut bezahlt werden, ſcheint es billig und nothwendig
zu ſein, daß der Reiſende weiter geſchafft wird. Mich ließen meine
Araber gleich am dritten Tage in der Gegend von Ssyuth ſo einen
halben Tag mutterſeelenallein an einem einſamen Ufer zurück.
Die an einem elenden Baſtſtrick ſchlecht angepflockte Barke konnte
von dem ſtark wehenden Winde fortgeriſſen werden, mich konnten
die Hirten berauben, und unterdeſſen gaben ſich meine gemüthlichen
Aegypter mit ihren Freunden und Freundinnen in dem etwa eine
Viertelmeile vom Ufer entlegenen Dorfe ein luſtiges Rendez-vous.
Es iſt wahr, dieſe Araber ſind nicht ohne natürliche Gutmüthig-
keit, ohne Anlagen und Ausbildung zu geſelligem Zuſammenhocken
und Plaudern, ſie können augenblicklich zärtlich und freundſchaft-
355
lich und dasjenige ſein, was mit Grund gemüthlich genannt
wird; ſie empfinden die Behaglichkeit einer geſelligen
Situation oder Stimmung und führen ſie gerne her-
bei, aber ſie ſtören dieſelbe auch eben ſo oft um nichts
und wieder nichts, weil ſie eben als bloße Naturmen-
ſchen durchaus wetterwendig und ohne andere Normen
und Impulſe ſind, als welche ihnen der Augenblick
giebt. Und wie oft ſoll man es noch ſagen, daß mit der puren
Gemüthlichkeit, ſelbſt wenn ſie eine andauernde wäre, auf die
Dauer eben ſo wenig die Welt zu beſtehen vermag, als mit dem
Verſtande allein, der von Seele und Herz lospräparirt iſt. Man
muß mit lüderlich gemüthlichen, unpräziſen, wetterwendigen und
gewiſſenloſen Leuten zu Hauſe in Geſchäftsverbindung geſtanden
haben, um zu begreifen, wie hübſch ſich mit ſo einer nackt arabiſchen
Gemüthlichkeit auf dem Nil beſonders bei Windſtille fortkommen
läßt.
Die Arbeit des Treidelns wird „Schiddelle bahn“ genannt,
was ſich diejenigen merken mögen, die ohne Dolmetſcher reiſen.
Uebrigens hilft in den Fällen, wo ein Araber ſeine aparten Ge-
lüſte hat, weder das Arabiſche noch ein Kontrakt, ſondern allein
die Gewalt und ein ruſſiſches Muß. 0portet iſt ein Brettnagel
mit einem Hammer, die beiden ſchaffen eventualiter auch unter
widerſpenſtigen und hölzernen Elementen eine Harmonie. Wenn
die gemüthlichen Leute in Deutſchland wie in Aegypten und in
der ganzen Welt nicht handgreiflich und exekutionsweiſe von ihren
Kontraktsverbindlichkeiten überzeugt werden, ſo entbinden ſie ſich
eben aus purer Gemüthlichkeit von all den Arbeiten, Sorgen,
. Verſtandsanſtrengungen und Reſignationen, durch welche allein
Verpflichtungen und Geſchäfte erledigt werden, und erklären nach
einer ſehr gemüthlichen Reihe von Kneiptagen und Kneipjahren
23*
356
wiederum keineswegs ohne Gemüthlichkeit ihren gemüthlichen Ban-
querutt. In Geſchäften führt die Gemüthlichkeit zur Schurkerei.
Glaube doch Niemand um deswillen wirklich im fremden
Lande und Welttheil zu ſein, weil er leiblich da angelangt, dort
ißt und trinkt oder kauderwelſcht und umherſchnüffelt und umher-
ſtiefelirt. Ich kann ohne alle Uebertreibung, ohne im entfernteſten
etwas Auffallendes und Paradores ſagen zu wollen, verſichern,
daß ich mit offenen Augen und Ohren hier in Aegypten, in Kahira,
auf dieſem Nil, in dieſen Uferſtädten, im Angeſichte dieſer Gebirge,
Wüſten und Pyramiden, dieſer Palmen und Durahfelder, gegen-
über dieſen nackten Arabern und Nubiern, in dieſem mir wild-
fremden Himmelsſtrich, unter dieſer verwirklichten Märchen- und
Opernſzenerie nur ein Träumer bin. Ich kanns bis jetzt
nicht faſſen, nicht einmal den Gedanken, daß ich da in
Wirklichkeit bin, wo ich bin, und um wie viel weniger die Sache
ſelbſt und die ägyptiſche Welt!
Ich ſehe und höre und vernehme Alles mit meinen Sinnen,
aber ich habe es nicht meinem Ich aſſimilirt. Es iſt noch nicht
Körper und Seele, nicht reifer Sinn und Verſtand in mir gewor-
den, und am wenigſten Geſchichte, Gewohnheit, Gemüth und eine
zweite Natur. Das Bild, das Bewußtſein, das Leben der Hei-
math iſt noch viel zu friſch und tyranniſch in mir. Dieſes Wach-
träumen in weiter Fremde, in andern Welttheilen, iſt ein Zu-
ſtand, den man nur im Träumen begreift; das Nervenſyſtem wird
davon unendlich affizirt. Bei Sonnenaufgang und Untergang und
bei trübem Himmel, wo die Beleuchtung ſolchen Traumland-
ſchaften gleich iſt: da erſcheint mir dies einſame Leben auf dem
Nil ganz und gar ein Traum:
„Nur ein Traum iſt unſer Leben,
Und die Träume ſelbſt ſind Traum!“
357
Ein Sturm auf dem Nil iſt anfangs luſtig genug, bald aber
verkehrt ſich die Romantik von Wind und Wetter in Todesangſt.
die Wellen thürmen ſich wie auf dem Meer. Ein ſolcher Sturm
überfiel uns zwiſchen Achmihm und Girgeh. Die Schiffer wagten
es und wir fuhren mit Sturmesſauſen wie auf Fittigen dahin.
In zwei Stunden hatten wir Girgeh vor uns, alſo ſechs Stunden
gemacht. Das Wetter und das Wagſtück iſt glücklich überſtanden,
aber mit fortwährender Gefahr, erſäuft oder an die Felſen zer-
ſchellt zu werden.
Zwei große, ſchöne Barken mit Engländern und Franzoſen
konnten nicht hinter uns drein und mußten die Segel reffen. –
Ganz ſo plötzlich wie uns der Sturm gefaßt hatte, ließ er uns
beim Einlaufen in Girgeh wieder los. Das iſt der Charakter
Aegyptens in allen Dingen, ſo ſind die Elemente, ſo ſind die Men-
ſchen überall: Ebbe und Fluth in den Leidenſchaften, Sing-Sang
und Streit, Alles plötzlich und jach. Es kommt und geht, man weiß
nicht, woher und wohin; nichts vermittelt und nichts präparirt.
Die Art von Gleichgültigkeit, welche der Araber auf dem
Waſſer zeigt, iſt nicht Seelenſtärke, bewußte Todesverachtung oder
Gewohnheit und Ueberlegenheit über das Element, alſo Sicherheit
in der Schifferei: es iſt vielmehr baare Unvernunft, Gefühlloſigkeit
und thieriſche Gleichgültigkeit. Der Herr Reis fand für gut, erſt
während des Sturmes allerlei zu knüpfen und zu repariren, was er
in guter Ruhe hätte abmachen ſollen und was ich ihm ausdrücklich
als unzuverläſſig prophezeit hatte. Der Schiffsknecht war be-
ſchnapſt und ergötzte ſich angeſichts der Todesgefahr mit ſeinem
weimernden Judengeſange und mit Rauchen, ſtatt auf das Seil
in ſeinen Händen zu achten. Es verſteht ſich, daß ich mich
358
ungeacht“ der Proteſtationen des Trunkenboldes und unter Zu-
ſtimmung des Herrn Kapitains, mit eigenen Händen dieſes
Strickes vom Segel, der bald nachgelaſſen und bald angezogen
werden muß und von welchem Tod und Leben abhing, bemäch-
tigte. Gs geſchah aber nicht ohne Gewaltthätigkeit. Wir kamen
indeß nichts deſto weniger heil und trocken davon. – Ich hatte
mich aufs Schlimmſte, d. h. auf meine Schwimmkünſte, gefaßt
gemacht und arbeitete alſo im tiefſten Negligée. –
So muß man auf dem Nil reiſen, wie dieſe Engländer. Nach
der Seite des Komforts verſtehen ſie das Unterwegsſein wie eine
Profeſſion und Kunſt, und eine Oekonomie machen ſie noch oben-
drein in Aegypten daraus.
So eine mit dieſen engliſchen Menſchen befrachtete Barke
iſt und ſchwimmt auf dem Nil, wie ein ordentlich eingerichtetes
Haus oder wie eine Arche Noäh, wenn man lieber will: nämlich
mit lebendigen Hühnern und Tauben in großen Hühnerhäuſern;
mit milchenden Ziegen, mit Katze und Hund. Vom ſilbernen
Theekeſſel bis auf den Mahagoni-Stiefelknecht, von der Nacht-
mütze bis zUm Reitfrack iſt Alles, was zur Perſon und zum
“gulären Komfort gehört, in dem Schiff. Die Familie iſt voll-
ſtändig beiſammen, und die Gouvernante ſo wenig vergeſſen,
ºie die Bibliothek und ein muſikaliſches Inſtrument auf daß ſich
ein Mitglied natürlichermaßen verſteht. So geht denn Alles
Ä förmlichen und geregelt." Gang wie daheim: Unterricht,
Är. Korreſpondenzen, Studien, Zeitvertreib, sie Jagen,
Ä Trinken, Schlafen und einſilbige Konverſation, weise
ZU die unerhörte Szenerie nºt ſonderlich eles oder Ä
Ä pflegt, falls die Reiſenden echte Repräſentanten ihrer
" und ewigennuyirten ariſtokratiſchen Race ſind.
359
Auf der Barke giebt es Zimmer, Abſchläge, Kabinets, Ve-
randen, und darinnen Kiſten, Kaſten, Schränke und Säcke, Eta-
geren voll Handbücher, Muſikalien und Mappen mit Karten und
Kupferſtichen; ferner große Kiſten mit Wäſche und Speiſevorräthen,
mit Likören und Früchten. Die Fäſſer mit Wein, die Flaſchen-
futter, die geräucherten und getrockneten Eßwaaren verſtehen ſich
von ſelbſt. –
Was die Korreſpondenz mit dem Barkenkapitain betrifft, ſo
geht ſie den gnädigen Herrn nichts an, der unter ſeinem Gezelt
auf den bequemſten Polſtern hingeſtreckt liegt. Alle Fatalitäten
macht der Dragoman, der Haushofmeiſter, der Reiſemarſchall mit
Zuhülfenahme der Dienerſchaft ab. Alles wird hinlänglich be-
zahlt, folglich iſt Jedermann dienſtbefliſſen, intereſſirt und attent.
Die Waffen bilden ein kleines Arſenal, der Herr iſt in der Regel
ein ausgezeichneter Schütze, die Dienerſchaft jeden Augenblick
bereit, auf erhaltenen Befehl von ihren Waffen Gebrauch zu ma-
chen, oder in außerordentlichen Fällen der Schiffsmannſchaft Hülfe
zu leiſten; der Herr Kapitain, der eine Sicherheit beſtellt haben
und von der Polizei zu Protokoll genommen ſein muß, iſt mit
einem kürzeſten Prozeß bedroht, wenn er Irregulariräten probirt;
– auf ſolche Weiſe geht's. –
Daß dieſe verhungerten, ſich im Sonnenbrande umhertreiben-
den Hunde nicht Alle toll werden, kann da erklärlich ſein, wo der
Nil in der Nähe iſt. In Alexandrien und Kahira, wo die armen
Hunde ſtellenweiſe eine ſtarke halbe Meile oder noch weiter zum
Waſſer haben, müßten ſie, Hunger und Hitze dazu gerechnet, ihrer
Natur zu Folge häufiger waſſerſcheu werden, als es der Fall iſt.
Die Natur und unſer Herrgott verfahren aber, wie es mir
vorkommt, bei allen Gelegenheiten mit der Kindheit, der Unſchuld
360
der Dummheit, der Wildheit, der Thorheit, der Leidenſchaft und
der Barbarei viel glimpflicher und nachſichtiger, wie es ein ver-
nünftiger und gealterter, ein richtig geſchulter und ziviliſirter
Menſch ſeinem Schickſale nachrühmen kann. –
Aegypten iſt das Land der Hühner, der Tauben und der
Töpfer; – der Ziegelſtreicher, der Thonkünſtler. Hier iſt der
echte Töpferthon, der Grund und Boden, auf dem ſich alles Le-
bendige bewegt und auf dem alle Produktion von Lebensmitteln,
gleich wie von Baumaterialien, Haus- und Kochgeräthen be-
ruht. –
Wer von Aegypten verhandeln will, und gleichwohl nicht
von dieſem Schlamm und Thon, oder von den Dingen referirt,
zu denen derſelbe dient, die er vermittelt, verbindet und produzirt,
und wie durch dieſe ägyptiſche Materie par preference,
(im Verein mit ihrem Vater, dem Nil) die Landwirthſchaft die
Baukunſt, die Induſtrie und das ganze ägyptiſche Daſein bedingt
und geſtaltet wird: der hat Aegypten nicht begriffen und kaum ge-
ſehen. Nilwaſſer und Nilſchlamm ſind die beiden Faktoren
und materiellen Pole, die Zwillingsgottheiten des alten und neuen
Aegyptens. – Neben den Granit-Pyramiden hat man daher zu
allen Zeiten Pyramiden aus Schlammbackſteinen zum Himmel ge-
baut, und die Hauptbedrückung der Juden in Aegypten war
Ziegel ſtreicherei. –
Alle Häuſer, alle Bauten in den Nilſtädten und Dörfern
(den alten Kern von Kahira ausgenommen, der aus Kalkſtein,
Sandſtein und Granit ausgeführt iſt), ſelbſt viele Dinge, zu denen
Holz durchaus nothwendig zu ſein ſcheint, ſind hier von dieſem
Thon fabrizirt, der, da er meiſt ſandfrei iſt, keiner ſonderlichen
Präparatur bedarf, und kaum in die benöthigte Form gebracht,
361
auch ſchon hart getrocknet iſt. Backſteine, wie das meiſte Töpfer-
geſchirr, werden ungebrannt verbraucht, und zwar mit dem beſten
Erfolg, da der Regen zu den exkluſiven Phänomenen gehört und
überdies das ordentliche Feuermaterial zum Ziegel- und Topf-
brennen ganz und gar nicht im Lande exiſtirt. –
Mit dieſem Thon- und Nilſchlamme ſpielt das Kind, wirth-
ſchaften Mann und Weib, mit ihm hantiren Fellah, Hirte,
Handwerker, Baumeiſter, Gärtner und alle Welt. Auf dieſen
Schlamm, wenn er noch weich iſt, ſät der Landmann Weizen und
Gerſte. Dieſen Schlamm pflügt und hackt er, wenn er halb
trocken iſt, – und den trocknen Staub dieſes Nilſchlammes, dem
er die Subſiſtenzmittel des Leibes und ſomit auch das Bischen
Geiſteskultur verdankt, – denſelbigen muß der Aegypter ein-
athmen, der darf ihm Augen und Bruſt zerfreſſen bis er in's
Grab ſinkt und Staub zum Staube wird, und dann iſt ein Bau-
werk von dieſem ägyptiſchen Stoff der Stoffe, von dieſem Nil-
ſchlamm, ſein Monument. –
Ganze Berge von Schutt, an den Nilſtädten Minyeh und
Girgeh, an dem großen Dorfe Bellienih (zwiſchen Girgeh und
Kenneh) beſtehen aus Schichten von Topfſcherben. – Vor
allen Orten aber mnß man Alexandrien geſehen haben, um es
glaublich zu finden, daß es eine Wüſte von Topfſcherben
giebt. Geſehen hab' ich's, – aber begreifen kann ich dieſe Scher-
bengebirge und Ebenen und eine pure antike Scherbenwelt nimmer-
mehr. Es ſei denn, daß die Alexandriniſche Welt nur eine
Töpferwelt geweſen iſt, und daß insbeſondere die weltberühmte
Alexandriniſche Gelehrſamkeit eitel hohle Töpfe ge-
dreht, alſo das Material zu welthiſtoriſchen Scherben geliefert,
alſo eventuell von Rechts- und Naturwegen welthiſtoriſchen Fiasco
gemacht hätte.
Z62
Im richtigen Vorgefühle ägyptiſcher Barkenſchifferei und
ſolcher Lüderlichkeitsverlegenheiten hatte ich ſo allerlei Dinge mit-
genommen, die man bei allerlei Eventualitäten brauchen kann, z. B.
Bindfaden, Packnadeln und von Stricken ein kleines Sortiment;
was mir das hintendrein auf der Barkenwirthſchaft prächtig zu
ſtatten gekommen iſt! Aber was ich nicht hatte, das fehlte gleich-
wohl. – -
Die Herren Schifffahrer hatten kein Beil und keine Axt;
weder Bohrer, noch Säge, ja nicht einmal einen ordentlichen höl-
zernen Schlägel, oder einen Pfahl für das Seil, an welchem die
Barke angepflockt wird. Auch fehlte ein Seil, um das Segel
raſch hinaufzuziehen, ohne erſt an der Segelſtange in die Höhe
klettern zu müſſen. Ich gab ein ſolches alſo her und hatte nun-
mehr größere Satisfaktion von meiner eigenen weiſen Voraus-
ſicht, als wenn die Leute dieſelbe gehabt hätten; und ſo kindlich
ſind viele große Menſchen geſinnt. –
Es geht uns Allen nichts über die Genugthuung, unſere
Mitmenſchen kurzſichtig, nachläſſig, einfaltspinſelig und ſchuld-
beſchwert zu finden, falls unſere Tugend und unſer Mutterwitz bei
der Gelegenheit ſtarke Reliefgeſchäfte machen dürfen. – Beim
rückſichtsloſen Vorbeifahren an anderen Barken zerriß ein Theil
des Segels und wurde nur mit meinem Bindfaden heil ge-
näht, und mittelſt meines ſtarken Küchenmeſſers ſpaltete ich das
Holz zum Kochen, und überhörte mir allemal dabei meine Vor-
ſicht und mein Verdienſt.
Es iſt allerdings eine verzweifelte Situation, ſo fünf
Wochen ſeinen Koch, ſeine Waſchfrau, ſeinen Haushofmeiſter,
ſeinen Dolmetſcher, mit Hülfe von mageren Hühnern und mit ei-
nem noch magerern Vokabulaire, machen zu müſſen, – und mit
363
ewiger Noth um ein wenig Brennmaterial. Es ging mir in
allen Stücken ſo kurios, wie mit der Wäſche. Ich hatte eine ganz
vorzügliche und ſehr wohlfeile weiße Seife in Minyeh gekauft
und ſchwamm dazu auf dem Nil; aber zur Wäſche gehörte außer
Nilwaſſer und Seife noch „Allerlei“, von dem ich nur „Man-
cherlei“ aufzubringen im Stande war. Das Schlammwaſſer
mußte geklärt und gekocht werden; dazu bedurfte es größerer Ge-
fäße, als meine kleinen Trinkkrüge und Kochgeſchirre waren. Ich
konnte alſo nur wenig Stücke brühen und ſpülen. Um aber die
ſtinkende Seife aus einem einzigen Hemde rein herauszuſpülen,
gehörte mehr reines Waſſer, als in alle vorhandenen Gefäße
hineinging. Böttcher giebt es hier nicht, weil ſie kein Holz be-
kommen und weil die Holzgefäße ohne Aufhören zuſammentrock-
nen. Große gebrannte Waſſerkrüge oder Wannen, welche meh-
rere Eimer in ſich faſſen, werden mit zehn ägyptiſchen Thalern
bezahlt. Blecherne Gefäße roſten zu leicht; kupferne ſind vollends
zu theuer, und Zink verträgt ſich vielleicht mit dem Klima nicht
gut. Ich erzielte alſo nach den umſichtigſten und langweiligſten
Manövern nur eingeſeifte Hemden, und gemangelt oder gerollt
waren ſie nimmermehr; und was iſt nun ſo ein reibeiſenrauhes,
nach Seife ſtinkendes Hemde für eine elende Satisfaktion! Bei
einer partout ſelbſt übernommenen Oekonomie lernt man indeß
eindringlich und ausführlich in lauter fühlbaren und ſich dem Ge-
dächtniß einprägenden Erfahrungen kennen, was Alles zum
menſchlichen Leben, was zur bloßen Friſtung des Daſeins, zur
Leibesnothdurft und Nahrung gehört; in welcher Summe
von ſogenannten Kleinigkeiten, von lauter ſcheinbar nichtsbedeu-
tenden und gleichwohl nicht abzuweiſenden Einzelmomenten das
Menſchenleben bedingt iſt und materiell beſteht; wie Alles, Sand-
korn um Sandkorn, zuſammengetragen werden, wie alle Partikel-
chen, Augenblicke, Handgriffe, Sinne und Begriffe in einander
364
greifen und zuſammenſpielen müſſen, bis es zu einem ſolchen
Komfort, bis es zu einer ſolchen Harmonie und Oekonomie
kommt, die den Namen einer ziviliſirten Menſchenſubſiſtenz und
Exiſtenz verdient. In ſolcher Alleinſorge lernt man eben das
Weſen-und den Beruf der Frauen kennen, und die Segnung, die
durch ihre Art und Weiſe und ihre vorzugsweiſe auf Hausökono-
mie beſchränkte Thätigkeit, dem männlichen Geſchlechte und der
ganzen Menſchheit unaufhörlich erwächſt. Ein Weib, welches
Verſtand und Seele genug beſitzt, ihre Beſtimmung und Lebens-
ſtellung tiefer zu begreifen, wird auch eben darum faſſen, daß und
warum dieſelbe eine Weltſtellung iſt, auch ohne ſogenannte
Emanzipation! – „Dienen,“ dem Ganzen, dem Großen,
im kleinen Maßſtabe dienen; und dieſes Kleine und Materielle
groß ſehen und mit Virtuoſität, mit Sinn und Seele verrichten
und überdichten, und ſich in Hingebung, in Demuth, in der Re-
ſignation üben, welche doch einmal das unvermeidliche Fazit für
alle Sterblichen iſt, für Mann und Weib, für Bettler und Für-
ſten, für Gelehrte und Laien, für Arme und Reiche, für die große
Maſſe und die Genies: das iſt gewiß nicht das ſchlechteſte und
ſchlimmſte Loos. Im beſchränkteren Lebenskreiſe konzentriren ſich
Herz und Witz, Thatkraft und Eingebung unendlich leichter, wie
in dem peripheriſch abſtrakten Daſein und Wirken, zu welchem die
Männer, namentlich in den gebildeten Ständen, verdammt ſind.
Ob Glückſeligkeit ein Letztes und Maßgebendes ſei, darüber
können verſchiedene Anſichten exiſtiren, aber daß Glückſeligkeit
nur in gewiſſer Beſchränkung und eben darum in dem natürlichen
und ſinnlichen Herzen groß gezogen wird, und daß keine Genug-
thuung der Welt auf die Dauer derjenigen einer glücklichen
Hausfrau und Mutter zu vergleichen iſt: darüber beſteht wohl
kein Streit.
365
Wenn man ſo einen Robinſon auf dem Nile debütiren muß,
da erfährt man wie ſich jede kleinſte Fahrläſſigkeit, Unakkurateſſe,
Bequemlichkeit, Unhandlichkeit und Gedankenloſigkeit beſtraft. –
Jede Halbheit, jeder kleinſte Mangel an Willens- und Thatkraft,
an praktiſcher Logik und Grammatik, an Entſchiedenheit, an Klar-
heit, an Kontrole, Sorge, Vorausſicht, Umſicht und geſundem
Menſchenverſtande, wirkt, wenn man allein ökonomiſirt, auf
den Oekonomen mit der Unerbittlichkeit eines Naturgeſetzes zurück.
In ſolcher Iſolirung wird unſere Unvermögenheit weder durch
Perſonen noch Verhältniſſe oder durch Geldwerthe übertragen.
In der Einſamkeit, in der Robinſonade ſtehen wir für den klein-
ſten Fehler und für jeden Riß. – Was wir hier vergeſſen und
verſehen haben, das eſſen und trinken wir nicht, – das wärmt
und kühlt, das ſchützt und vergnügt uns keineswegs. Als ich mal
das Salz vergeſſen hatte, blieb die Suppe ungeſalzen; denn die
Araber faſteten eben, eſſen wenig Gekochtes, und machen nicht
viel vom Salz. – Und welch ein Malheur, wenn nun Nie-
mand da iſt, dem wir unſer Verſehen in die Schuhe ſchieben und
den wir auszanken können! – Solche Situationen und Selbſt-
prozeſſe machen kirre und klug! – „Selfgovernment“
heißt die Parole, welche der Dummheit und der Verarmung reell
entgegenzuarbeiten vermag.
Tag und Nacht, jede Stunde und Wochen lang nur durch ein
Brett, durch Planken, die ſtellenweiſe nur mit Schlamm nnd
Dünger verſtrichen ſind – vom Waſſer und vom Tode getrennt,
und keinen Augenblick ſeines Lebens und Eigenthums, oder nur
ſeiner Geſundheit, insbeſondere ſeiner Augen und ſeines Kopfes
ſicher zu ſein, – da ihnen Ophthalmie und Sonnenſtich droht,
das iſt mehr wie ein Menſchenkind meiner Gewohnheit und meines
--
366
Naturells mit Gleichgültigkeit aushalten kann. – Wie glücklich
will ich mich fühlen, wie dankbar ſein, wenn ich dieſer heilloſen
Natur und nackten Natürlichkeit, dieſem Spiel und Zufall, dieſer
Willkür und Tyrannei, dieſem ewigen Wechſel, dieſer Fühllo-
ſigkeit und Unbarmherzigkeit der Elemente entronnen
ſein werde! – Es leben Ordnung, Zucht, Geſetz und Schule, es
lebenu Feſtland, feſter Grund und Boden unter den Füßen, und
daneben Polizei und Ziviliſation!! – Wenn ich einen bevoll-
wächtigten preußiſchen Gensdarmen und Poliziſten hier auf der
Barke hätte, er ſollte mein Buſenfreund werden. – Hol der Teufel
alle Unordnung, alle Willkür, alle pure Natürlichkeit, alles rein
Elementariſche: Waſſer, Winde, Wetter, Sonnenbrand, Staub
und Rebellion, und die ganze Romantik dazu! – Ich bin
in der ägyptiſchen Wildniß ſchon aus Gründen einer natürlichen
Reaktion ſo zahm geworden, daß ich faſt in einem berliner Salon
Thee und Butterbrödchen präſentiren oder die Letztern ſpitzfingrig
herauslangen und ſpitzmäulig vermuffeln könnte. – Was
nicht die Elemente Alles aus einem Menſchen machen können! –
Ich bin von ihnen zwiefältig gewalkt, das Wilde haben ſie mir
zahm und das Zahme wiederum wild gewandelt. – Eine Portion
Inwendiges haben ſie mir nach Außen und dann wieder das Haa-
rige nach Innen gekehrt. – Ich bin wie vertauſcht und probir's
nicht ſo bald wieder mit ſechswöchentlicher Waſſereinöde und
Natur, – wenn auch im Paradieſe; denn wenn kein anderes
Malheur dabei im Spiele iſt, ſo iſt's das Ennui, falls man nicht
zugleich mit dem Paradieſe in einen partout herzenseinfältigen
Adam umgeſchaffen wird. –
Ich ſag es noch einmal und immer wieder mit allem Akzent,
den ich aufbringen kann: „Wir Modernen halten die pure
Natur nicht mehr aus!“ –
Wie wundervoll wahr beginnt die Epiſtel Pauli an die Rö-
mer mit der Inhaltsanzeige: „die Gerechtigkeit kommt nicht
aus dem Geſetze der Natur und deſſen Werken; denn
alle Heiden ſind Sünder und Ungerechte.“
Es iſt aber eine himmelſchreiende Thatſache, daß eben die
Menſchen, welche am ſchlimmſten gegen Bibel und Chriſtenthum
eifern, Beides nicht kennen und dann betroffen und ordentlich er-
ſchrocken daſtehen, wenn ſie zufällig ſolche Stellen finden, die auch
ein rohes und verhärtetes Gemüth und einen bloßen Verſtandes-
menſchen bezwingen. –
So viel iſt gewiß, in einem Lande, einem Orte und Verhält-
niß, wo Dinte, Feder und Papier, wo Druckſchriften zu den
Luxusartikeln und Kurioſitäten gehören; – wo es keine regulären
Poſten, keine trockenen Wegeverbindungen, keine Aktenſtücke, Re-
poſitorien, Kontrolen und Polizeianſtalten giebt; wo die Tinte
eintrocknet und wie chineſiſche Tuſche betrachtet wird, da iſt auf
die Dauer meines Bleibens nicht mehr. Die vier Elemente allein
wollen es nicht mehr bei mir thun.“) Mag's ſein, daß mich die
Ziviliſation bereits zum Philiſter gemacht hat, – aber ich denke,
die Ziviliſation und Kultur, die Kunſt und Wiſſenſchaft, die Sitte,
die Religion und Konvenienz machen erſt recht das Weſen der
menſchlichen Natur aus, und ſo gehören auch Aktenſtücke, Bücher
und Polizeianſtalten zu ihr. – Nicht zu löſchen oder zudämmen,
*) Der Autor bittet ſeine billigen Leſer und Rezenſenten, bei dieſer
wie bei hundert andern Expektorationen zu berückſichtigen, „daß ein Klein-
ſtädter ſein Herz auf der Zunge hat, und daß ihm ſo wenig darauf an-
kommt, ſich als objektiven Muſterreiſenden oder fix und fertig ge-
backenen Charakter darzuſtellen, daß er viel mehr ehrlicher und naiver
Weiſe erzählt, wie ihm Land und Leute mitgeſpielt und zu welchen Thor-
heiten und Uebertreibungen ſie ihn eventualiter verführt. Dieſe Art und
Weiſe kann nur für den Referenten Mißlichkeit und Martyrium haben,
dem Leſer, Pſychologen und Ethnographen iſt ſie ſicherlich à propos. –
368
wo Feuers- oder Waſſersnoth iſt, wäre eine bloße Affennatur.
Daß der Menſch mit den Elementen, alſo auch mit den Leiden-
ſchaften und Rebellionen, als den perſonifizirten Elementarkräften
in Kampf tritt, unterſcheidet ihn eben vom Thier, iſt ſeine ver-
nünftige Natur. Ueber die nackte Natur, ihr Geſetz, ihre Oeko-
nomie und ihr Recht hinauszugehen, iſt eben die Aufgabe und die
Bedeutung der Ziviliſation wie des Staats, – wenn auch die
Natur überall den Untergrund bilden muß. –
Nur die Büffel liegen bis an das Maul im Nil; – das
deutſche Rindvieh ſteht wiederkäuend dabei und thut's nicht. So
iſt denn ſelbſt unter den Hornviehracen und Individuen viel Un-
terſchied, – und die Welt eine unerſchöpfliche Mannigfaltigkeit.
Die arabiſchen Jungen laufen große Strecken den am Ufer
fortgezogenen Reiſebarken nach und ſchreien ihr „Bakſchieſch“,
auch wenn nicht die Möglichkeit vorhanden iſt, ihnen das erbetene
Biergeld in ein Papier gewickelt mit einem Steine zuzuwerfen.
Sie glauben lieber an ein Wunder und Kunſtſtück, als daß ſie ihr
Bakſchieſch geſchrei aufgeben; hören es die Reiſenden nicht, ſo
durchzittert es doch die Luft, und nächſt dieſer iſt Bakſchieſch das
Lebenselement, der Traum bei Tag und bei Nacht. –
Zwiſchen Girgeh und Kenneh (die Araber ſprechen Genneh),
liegt noch das Städtchen Farſchuht mit Zuckerfabriken, es ſieht
ſich in der Entfernung freundlich und nobel an. –
Eine halbe Meile von Farſchuht liegt der kleine Ort Huh.
Ein paar Minarets ragen aus den Häuſern hervor. Von Achmihm
bis Girgeh werden 12 Stunden gerechnet, von da bis Kenneh
369
etwa 18 Stunden; von Kenneh bis Theben etwa 20 Stunden
mit gutem Winde. –
Endlich, endlich, Mittwoch Abends den 14. November 1849
Kenneh erreicht; alſo von Achmihm volle 4 Tage auf dem Nil
zugebracht, und davon zwei Tage mit ſtarkem und zwei mit
ſchwachem Winde geſegelt, und die Entfernung wird nur 30–36
Fahrſtunden geſchätzt. Solchergeſtalt differiren in Aegypten
Theorie und Exekution. Wer hier nicht einen Hopfenſack voll
Geduld bei der Hand hat, ärgert ſich ein Gallenfieber an den
Hals. –
Wir hatten von Achmihm aus einen ſehr guten alten Mann
am Steuer, der im Charakter und Benehmen ganz den Eindruck
machte, wie ein alter, grundehrlicher, ſehr ruhiger, vernünftiger,
ſchlichter deutſcher Mann. – Inſo verwunderlichen Ausnahmen
gefällt ſich die Natur, daß ſie im Herzen von Deutſchland ſo ha-
ſtige, zerfahrene, eigenſüchtige, tollköpfige und ſinnliche Menſchen
wie Araber; und daß ſie in Aegypten oder Arabien wiederum
Charaktere erſchafft, die wie echte Weiſe und wie deutſche Pracht-
exemplare organiſirt ſind. – Dieſer alte Steuermann war ſelbſt
in Details und Nüancen, im Ton der Stimme, in Mienen, in
gutmüthig beſonnener Art und Weiſe, in Achtſamkeit auf alle
Kleinigkeiten, in Vorſorglichkeit, in immer gleicher Ruhe, Fried-
fertigkeit, Uneigennützigkeit und Beſcheidenheit, ſo ſehr das Bild
eines guten alten weſtpreußiſchen Bauersmannes meiner Bekannt-
ſchaft, daß ich in ſeiner Geſellſchaft endlich der Beſorgniß vor
Beraubung und Todtſchlag durch die Schiffsleute überhoben war.
Die letzten Stunden unſerer Fahrt hatte uns der Wind ganz
und gar verlaſſen, es war ſehr finſter geworden und die vom Trei-
deln abgematteten Schiffer geriethen zuletzt noch unter die vielen
Schlammbänke vor Kenneh. Das machte dann eine übermenſch-
liche Anſtrengung nothwendig; endlich aber waren wir am vor-
24
370
läufigen Ziel. Ich hatte Empfehlungen von dem Doktor Pruner,
dem jedem Fremden durchaus gefälligen, geſcheuten und gaſtfreien
Leibarzt und Bey des Abbas Paſcha, an den italieniſchen Doktor
Diamanti, und von einem Großneffen des Dichters Salis in
Kahira an den italieniſchen Apotheker F. in dieſer Stadt. Dieſe
Herren ſollten mich für Theben im Detail orientiren und für die
Rückreiſe meine Rathgeber ſein, falls meine Schiffer ſich mit den
Pilgrimmen von Mekka einließen, – und ich dann meine Reiſe-
gelegenheit verlor. – Ich ſuchte alſo noch am finſtern Abende
zwiſchen 9 und 10 Uhr zuerſt den Apotheker auf, und hatte mir
zu dem Ende bereits am hellen Tage, nicht ohne große Künſte,
vor meinem in Schibbelchit erkauften Handſpiegelchen den Bart
abgenommen, ſorgfältig die Stiefeln gewichſt, einen ſchwarzen
Frack zu ſchwarzen Hoſen und die letzte feine Wäſche angethan,
die mir noch aus Europa, d. h. aus Trieſt übrig geblieben war.
Als ich das weiße Halstuch über die gekraftmehlten Vatermörder
band, dachte ich unwillkürlich daran, ob und wann ich wohl wie-
der europäiſche Wäſche und ein gut geſpültes, glatt gerolltes
Hemde auf dem Leibe haben würde. – Es war mir halb und
halb zu Muthe, wie wenn ich meine eigene Leiche anputzte, und
mir fiel jener närriſche alte Kauz ein, der, ſich vor dem Trümeau
zu einem Leichenzuge anziehend, zu ſich ſelbſt ſagte: „Wird mal
eine ſchöne Leiche ſein.“ – Alſo ich war in europäiſcher Galla,
die meinen Arabern noch viel kurioſer vorzukommen ſchien, wie
mir ihr arabiſches Koſtüm. – Es handelte ſich jetzt noch um eine
Vorſichtsmaßregel. Ich hatte in meinem Koffer einen Beutel mit
120 öſterreichiſchen Thalerſtücken, die konnte ich bei meiner Ent-
fernung von der Barke nicht auf gut Glück zurücklaſſen. – Ich
ſteckte alſo den Geldklumpen in eine Ledertaſche, und mein Reis
ging mit einem von den Schneidern erkauften Säbel (ſo zu ſagen,
mit einem hauenden Schwerte), dazu in einem ſaubern blauen
37 !
Hemde und weißen Turban, mir als Sauvegarde voraus. So
kletterten wir ein Schuttufer wie einen vulkaniſchen Aſchenkegel
hinauf, wanderten dann durch Getreidehaufen an verhüllten
Wächtergeſtalten und über Schlafende hinweg, die ſich quer über
die ſchmalen labyrinthiſchen Fußpfade niedergeſtreckt hatten, durch
die Phantasmagorieen von Licht und Finſterniß, und gelangten
ſo in den Knäuel der engen, klafterbreiten, oben zum Theil mit
Matten bedeckten Gaſſen des Bazars. Hier flackerten noch Lam-
pen im matten Schein; durch die Lucken eines Kaffeehauſes ſah
man noch Licht und verlorene Gäſte; in den Wandniſchen fabel-
haft gebauter Häuſer ſchnarchten mumienhafte, in Decken feſt ge-
wickelte Geſtalten, von ihren uns anknurrenden Hunden bewacht.
Unter unſern Füßen wirbelte ſich der am Tage aufgewühlte Staub
noch ein letztesmal aus ſeiner Ruhe; eine ſchwüle, drückende Luft
erfüllte die Atmoſphäre. – Die aus Nilſchlamm roh aufgebauten
zweiſtöckigen Häuſer in ihrer Erdfarbe, mit ihren geſpenſtigen
Lucken, Löchern, Niſchen und Jalouſien, ſchienen von Zauberern,
Alchymiſten oder von Raubgeſindel bewohnt. Durch ſolche Traum-
und Nachtgeſchichten führte uns ein koloſſaler Araber, welchen ich
nach dem Atahr (Apotheker) Effendi Fiorani gefragt; – den Hak-
kim (Arzt) Diamanti kannte er nicht. – Dem Rieſen der Finſter-
niß geſellte ſich dann noch ein entſetzlich verwachſener Zwerg von
kaum drei Fuß Höhe hinzu, aber von einer unglaublichen Beweg-
lichkeit, Lebhaftigkeit, Geſchäftigkeit und einer Gangart, die es
zweifelhaft ließ, ob der unglückliche Gnom aus einem oder zwei
entgegengeſetzt konſtruirten und zur Chikane zuſammengekoppelten
Zwergkrüppeln beſtand. Ich mußte mir die Augen auswiſchen,
um all die Fabeln und Nachtmärchen nur zu glauben, in die ich
leibhaftig hineingerathen war. Aber ich ſtiefelirte mit meinem
Thalerklumpen immer vorwärts drauf los, wie Einer, der einer
Hexerei entgegengeht oder mit dem gewonnenen Schatze den Teufe-
24*
372
--
leien entrinnen will. – Mir leckte bereits der Schweiß in die
Stiefel; wir wurden endloſe, ganz enge Gänge an der Stadt-
mauer und vielleicht in ein Mordloch geführt. – Ich hatte mein
Küchenmeſſer blank gezogen, da wurde endlich vor einem aben-
teuerlichen Hauſe Halt gemacht; wir waren beim Atahr angelangt.
Da gab es wieder im untern Stockwerke Stufen hinab in die
Erde; ein Untergeſchoß mit Küchen und Laboratorien, wie es ſchien,
deſſelbigengleichen Dienſtboten auf Matten hingeſtreckt, durch uns
aus dem Schlafe aufgeſchreckt, und zu verwunderten, konfuſen,
perpendikulären Fragezeichen umgehext. – Dann ging es eine
enge Treppe (zwiſchen Wänden fortgeführt), hinauf, und
endlich in ein kleines, niedriges Zimmer mit gemauerten, von
Matten bedeckten Ottomanen und Wandniſchen verſehen. Hier
ſpielte der italieniſche Herr Apotheker, drei andere Italiener und
ein griechiſcher Schankwirth des Ortes mit klebrichten Karten um
Bohnen, das war die Auflöſung und der Schluß. – Ein Mitt-
leres, welches der Mittheilung werth wäre, trug ſich für mich an
dieſem Orte keineswegs zu. Ich gab meine Empfehlungen ab,
nahm widerlich übertriebene Höflichkeits- und Freundſchaftsver-
ſicherungen in Gegenempfang, honorirte ſie, ſo viel ich mächtig
war, mit gleicher Münze und vernahm endlich die betrübte Zeitung,
daß Doktor Diamanti gar nicht in Kenneh anweſend ſei, daß mir
aber augenblicklich und jedenfalls morgen am Tage alles Mög-
liche und Unmögliche zu Gebote ſtehen ſolle. – Da ich nicht über
Nacht bleiben wollte und konnte, ſo wurde ich zum Morgenkaffee
eingeladen und ging dann, von Dienern mit Laternen begleitet,
die Fabeln des Weges zum Schifflein zurück. Am andern Mor-
gen zeigte mir und meinem Schiffskapitän der Zwerg, welcher ſein
Biergeld von geſtern ad notam genommen hatte, wiederum den
Weg; – es war aber am hellen lichten Tage nicht mehr ſo mär-
chenhaft und ſo ſchauerlich ſchön. –
:
373
Kenneh iſt auch am Tage ähnlich wie Beniſuef, eine erträg-
lich reinliche und, nach arabiſchem Maßſtab gemeſſen, eine nicht
zum Unſinnigwerden verwirrt gebaute Stadt. Zu Kauf giebts
auf dem Bazar was man irgend zur Leibesnothdurft und Nah-
rung gebraucht, vor allen Dingen die berühmteſte Fabrikation von
thönernen Waſſerflaſchen, um drei Pfennige das Stück, für den
Einheimiſchen und im Dutzend wird wohl der Preis kaum halb ſo
groß ſein. Meine Schiffsleute kauften hier ſolche Waſſerkrüge
auf Spekulation, und ich handelte von dem griechiſchen Höker, bei
dem wir einkehrten und der faſt in Artigkeit und freundſchaftlicher
Dienſtfertigkeit zerfloß, einen Edammer Käſe um einen öſterrei-
chiſchen Thaler und pries mich glücklich, daß ich die weitläufige
Landsmannſchaft, wenn auch nur in Käſe antraf. Was indeß
Herrn F. den Athar betraf, ſo fand ich den guten Mann in der
verwunderlichſten Stimmung und Leibesbeſchaffenheit von der
Welt. Er ſchien von furchtbarem Bauchgrimmen oder ſonſt wovon
geplagt, und zog ſich, grimmig höfliche Entſchuldigungen ſtotternd,
mit einer Manier zurück, daß ich glauben mußte, er habe beim
Morgenſchnaps eine unrechte Flaſche gegriffen oder ein Buch mit
ſieben Siegeln verſchluckt; denn es kam kein einziger brauchbarer
Rath von ihm heraus. – Ich ging alſo wie ich gekommen war,
beſorgte den Reſt meiner Präparationen und Einkäufe für Theben
allein und ſegelte bei ſchwachem Winde dahin ab. Die Wall-
fahrer waren noch nicht angekommen, und ſo hatte ich durch
Hülfe des griechiſchen Hökers, der etwas franzöſiſch und arabiſch
ſprach, mit meinen Schiffsleuten einen neuen ums Doppelte koſt-
ſpieligern Kontrakt bis Lugſor und für die Rückfahrt nach Kahira
gemacht. Die Sorge, wie ich den langen Nil wieder zurückkommen
würde, war ich alſo im Allgemeinen los. – Wind und Abenteuer
und Nilräuber blieben mir deßhalb immer noch in der Einbil-
dungskraft einlogirt, aber man wird die ſchlimmſte Einquartirung
374
gewohnt. – Auch ſchmeichelte ich mir bereits mit dem Bewußtſein
ein intereſſanter Reiſender und Weſtpreuße geworden Zu ſein.
Die Bibel bleibt doch die ewige Urkunde für alle größeſten
wie kleinſten Geſchichten, Kriterien und Charakteriſtiken der Welt.
– So entnehmen wir bereits aus dem Buche der Bücher, was
Aegypten für eine Ungezieferhecke iſt. – Und wahrlich, falls ein
Zoologe die Hausinſekten zu ſeinem Favoritſtudium gemacht
hätte, ſo müßte er auf den Nil. – Als ich in meiner Kindheit in
der Hospitalſchule zu Königsberg unter dem ſeligen ehrlichen Rek-
tor Thiele die bibliſchen Geſchichten an der Quelle ſtudirte und
bei Gelegenheit der Belagerung Jeruſalems durch Sanherib las,
daß eine Legion Mäuſe zu ſeinem Lager gekommen wäre und
ihn ſo gezwungen hätte, von der heiligen Stadt abzuziehen, ſo
konnte ich ſo viel hiſtoriſche Mäuſe keinesweges begreifen, weil ich
ſelbſt, eventualiter mit vielen Tauſenden fertig zu werden gedachte.
– Hinterdrein habe ich in Jünglingsjahren und bei gereifter
Manneskritik der Bibel den ſtillen Vorwurf ſtellenweiſer Ueber-
treibungen und naturhiſtoriſcher Unrichtigkeiten gemacht. Jetzt
aber, nachdem ich Aegyptenland geſehen, hat ſie an mir vollends
einen rechtgläubigen Mann. – Es iſt eine Freude und ein Elend
Zugleich für den Reiſenden, wie wahrhaftig die heilige Schrifter-
funden wird, wenn man ſie an den Orten lieſt, von denen ſie
ſpricht. Sie hat dann auf dem Punkte ſo recht, wie in der Per-
"erie. – Wie Gott der Herr überall und nirgend iſt,
ſe geſchehen die bibliſchen Geſchichten immer Und
Ä“; immer im heiligen Sinn und Geiſte *
Ä Ä keinmal ſo materiell, wie "Ä
jÄ examinirt! - hat das
geſchriebene Ä der übernatürlichen ºr tür -
ort Gottes auch eine buchſtäbliche ""
375
liche Wahrheit, an die ich in Aegypten jeden Tag und jede
Stunde gemahnt worden bin. In der Wüſte Suez ſoll es Milliar-
den rothbrauner Ratten geben, – ich habe ſie weder geſehen
noch gezählt, wiewohl ich die Wüſte um Kahira beritt, aber ich
habe mich in die Scherbenwüſte von Alexandrien zum Thore von
Roſette hinausgemacht und zu meinem Aerger in Erfahrung ge-
bracht, daß die Reiteſel kaum drei Schritte thun konnten, ohne
in Rattenlöcher zu verſinken, ſo unglaublich iſt ein unab-
ſehbares Terrain an der Meeresküſte von dieſen garſtigen Nage-
thieren unterwühlt. – Worin ihre Nahrung, ihre Genugthuung
eben in der Wüſte beſteht, was hier ihren Zeitvertreib ausmachen
kann, ob ſie Meereswaſſer zur Abkühlung ſaufen, ob ſie Seeſpinnen
fangen, ob ſie Sandkörner, Panzer von antediluvianiſchen In-
fuſionsthieren oder die Ueberbleibſel vom Zahne der Zeit zer-
ſchroten; ob ſie ſich hier mit dem überſchüſſigen Ungeziefer von
Alexandrien ein diaboliſch-komiſches Rendesvouz geben, oder was
ſonſt, das hab' ich Alles nicht ergründet, aber gedacht hab' ich bei
dieſen vierfüßigen Ungeziefergeſchichten und bei vielen andern Ge-
legenheiten, daß unſere Geographie und Naturgeſchichte noch ſehr
lückenhaft, ſehr langweilig, ſkizzenhaft abſtrakt ergründet und
abgefaßt iſt. Man erfährt erſt auf Reiſen, wie breit und hohl
ſich auch die gelehrte Unwiſſenheit machen darf.
Immer wieder verfolgen mich die Gedanken über das Weſen,
den Inhalt, das Wunder und den Begriff der Poeſie. Alſo ſelbſt
in Aegypten, bei ſteter Furcht vor Räubern und anderem Unheil,
werde ich mein äſthetiſirendes und reflektirendes deutſches Menſchen-
Ich nicht los. So nimmt ſich denn der Menſch überall mit, er
ſteige auf den Tſchimboraſſo oder in den Aetna hinab, er gehe
über Land oder Meer, er wandere nach Weſt oder Oſt, von Pol
zu Pol, er bleibt immerfort der, welcher er von Hauſe aus iſt. –
376
So viel ſteht erfahrungsmäßig feſt, und wird mir auch in
Aegypten jeden Tag und jede Stunde beſtätigt: man muß die
Heimath quittiren, um im fremden Lande, unter einem andern
Himmel die Schönheit des Vaterlandes in tiefſter Seele zu er-
ſchauen. – Man muß dem Tode ins Auge ſehen, um das Leben
zu erkennen, man muß ein Gut verloren haben, um es zeitlebens
zu beklagen. Der Tod muß eine geliebte Seele von unſerer Seele
geriſſen haben, dann erſt ſind beide aufs innigſte und in Ewigkeit
vermählt. -
Dieſe Aegypter haben eine förmliche Wuth, Waſſerkrüge und
allerlei zerbrochenes oder ganzes Töpfergeſchirr überall zu ver-
mauern. – Grün glaſirte Teller und Schüſſeln ſah ich nicht weit
von Kahira in einem Muſterdorf über den Hausthüren mit der
gleißenden Seite nach Außen als kleine Niſchen und Zierrathen
eingeſetzt. In Girgeh, Kahira, Minyeh und an andern Orten
beſteht der Knopf oder noch größere Theile am Aufſatze der Mi-
narets, in Kahira die ganze Spitze eines Minarets auf der Zita-
delle am alten Serail aus grünglaſirtem Thon.
Die Frugalität dieſer Aegypter iſt bewunderungswerth. –
Seit vierzehn Tagen, daß ich mit denſelben Leuten auf dem Waſſer,
bin, ſehe ich ſie nichts anderes eſſen, als Früchte, Brot und etwas
rohes Gemüſe, Datteln, Zwiebeln, Arbuſen, Melonen und der-
gleichen, ſehr ſelten und mehr aus Leckerei ein hartgeſottenes Ei.
Einmal haben ſie einen Fiſch gekauft und Ziegenfleiſch ein ander-
mal; dann und wann wird ein wenig Kaffee zur beſondern Stär-
kung genoſſen, und wie ein Traktament; nur beim Branntwein
unterliegen ſie der Völlerei. Ihre ausdauernde Kraftanſtrengung
im - Rudern, Treideln und Losarbeiten des Fahrzeuges von
Schlammbänken bei ſolcher, kraft- und ſaftloſen Nahrung ſcheint
ein Wunder zu ſein. –
377
Wenn die Barke bei Windſtille und während der größten
Hitze angepflockt liegen muß und die Schiffsleute in Winkeln ver-
krochen ſchlafen, ſo iſt mir zu Muthe, als ob es nie wieder von der
Stelle gehen könnte, – und wenn nun plötzlich die Luft bewegt
wird, ſo entrafft ſich der Schiffer der ermattenden Ruhe, das Schiff-
lein iſt im Augenblicke flott und fliegt dahin, als hätte es keinen
Augenblick einen Stillſtand gehabt. –
Von Sonnenaufgang bis zu Sonnenniedergang knarren und
ächzen dieſe Waſſergalgen und Waſſerräder in Oberägypten. –
Drei Wohlthaten gab die Vorſehung dieſem Lande, ohne die es
ſchlechterdings nicht beſtehen könnte: den Nil, den Dattelbaum
und das Kameel, wenn man anders nicht den Schlamm und die
Durah dazu zählen will, oder die ganze Organiſation der Ein-
wohner, die eben das Produkt der Elemente und gegebenen Ver-
hältniſſe geworden iſt.
An der ägyptiſchen wie an aller barbariſchen Muſik iſt dies
charakteriſtiſch und merkwürdig, daß in allem Tremuliren und
Figuriren ein Ton feſtgehalten wird, ganz wie beim ſchot-
tiſchen Dudelſack, bei der Leiermuſik der Savoyarden und in dem
Koſakengeſang. Auch haben die Aegypter mit den Koſaken einen
Vorſänger und den Chor beim Singen gemein. Unter dem Ru-
dern ſpricht Einer irgend welche Klang- und Reimworte, oft
ſolche, die keinen Sinn haben, z. B. heli eli – he elesah, und
die Uebrigen wiederholen die vorgeſprochenen Worte, oder ſie bil-
den ein Reſponſorium mit einem andern improviſirten Wort. –
Die Sorgloſigkeit dieſer Araber iſt über alle Beſchreibung; ſie
verbrauchen ein Ding bis auf den Strunk, einen Vorrath bis auf
die Krume, und erſt, wenn Alles aufgezehrt iſt, kommt das Stich-
wort, die Lieblingsparole: „chalaass“ oder „ma fisch,“ – d. h.:
378
Es iſt Alle, Baſta, – es giebt nichts mehr. – Der Patron,
welcher zuweilen meinen Kochsjungen vorſtellt, verbrennt ganz
ruhig Die letzten Späne, und meldet erſt dann, wenn er wieder
Feuer anmachen ſoll, „chaschab ma fihsch:“ es giebt kein Holz.
Man muß dieſe perſonifizirte, naive Sorg- und Harmloſigkeit zum
Koch und Bedienten für den Nil engagirt haben, um einzuſehen,
wie viel Beſtialität mit der Kindlichkeit, der Naivetät und Ro-
wantie in eins gebildet ſein kann. –
-
Die Sykomore kommt mit ihren ſaftigen Blättern in Ober-
ägypten nicht mehr fort; mimoſenartige Akazien und andere klein-
blätterige, ſtrauchartige Gewächſe erſcheinen auch nur hie und da;
dagegen iſt die ſchöne Dompalme in Oberägypten anzutreffen. Die
erſten Exemplare ſieht der Reiſende in Sſyuth. – Mit Hunden,
Tauben, Hühnern und Waſſerratten aber iſt das Land geſegnet
wie keines mehr in der Welt. -
Schon Kindern wird der Daum an der rechten Hand abge-
hackt, um ſie durch dieſe Verſtümmelung vom Militair zu befreien.
Mehemed hat aber auf ſeinem Standpunkte mit richtiger Konſequenz
aus den abſichtlich Verſtümmelten beſondere Kompagnieen von
Trainſoldaten formirt. – Es iſt dieſelbe Politik, zu Folge deren
Diejenigen, welche ihre Dattelpalmen umgehauen hatten, um keine
Abgabe von denſelben zu entrichten, die beſtimmten zwei Piaſter
auch von den nicht mehr vorhandenen Fruchtbäumen zahlen mußten.
Auf dieſe Weiſe nur wurden die Daumen und die Dattelbäume
konſervirt. – Dieſe Araber ſind geſchunden, ſind aber auch in
billigen und nothwendigen Dingen obſtinat. Selbſt Proletarier
entſchließen ſich hier ſehr ſchwer zu Tagelöhnerarbeit; ſie werden
379
alſo für Staatsbauten mit Gewalt zuſammengebracht, indem man
ſie auf Jahrmärkten pèle méle überfällt. –
Nicht alle Pferde in Aegypten haben Race und ſind ſchön ge-
baut. – Das gewöhnliche Bauerpferd ſieht gerade ſo aus, hat
eventualiter Kroupe, Kopf, Schweifanſatz, Hundehacken, Schweine-
kreuz, kurz denſelben unedeln Leiſten, wie in Deutſchland und bei
UNs. –
Eidechſen von 1/2 und 2 Fuß Länge ſieht man zwiſchen
Kenneh und Luxor von Zeit zu Zeit an den Ufern des Nil hervor-
ſchießen. In Kurna, einer Ruinenſtätte auf dem linken Nilufer,
Lugſor ſchrägüber gelegen, brachten Hirtenjungen eine lebendige
Eidechſe an Baſtſtricken ſchwebend getragen. – Das Thier war
etwa 3 oder 4 Fuß lang, wehrte ſich aus Leibeskräften, hatte Mus-
keln und Krallen wie ein junges Krokodil, und ſpielte die geſpaltene
und pfeilförmige Fadenzunge wie eine Schlange weit zum Rachen
heraus. In Alexandrien ſah ich ausgeſtopfte Wüſteneidechſen
von 1% Fuß Länge bei dem Dr. Reiz. –
Die Hirtenjungen hielten mich wohl für einen Engländer und
boten mir die Eidechſe mit der Verſicherung an, daß es ein ssogeier
Timssah wäre (ein kleines Krokodil). Obgleich ich ſelbſt bei Theben
kein Krokodil zu Geſicht bekommen habe, ſo dürften ſie hier doch
wohl nicht ſo ganz ſelten ſein, denn die Araber nehmen aus Furcht
vor den „Timssahs“ bereits Anſtand, ins Waſſer zu gehen. –
Wenn man von Kahira kommt, landet man zuerſt an dem
linken Ufer in Kurnah, von den Arabern Gurnah ausgeſprochen,
das iſt eine von den Stätten, auf denen die Ruinen von Theben
380
liegen; ein Ort, den man nicht mal ein Dorf nennen kann, weil er
kaum ein halbes Dutzend zerſtreuter Schlammhütten aufzuzeigen
hat. Es war Sonnabend Abends den 17. November 1849, als
ich die Gegend zu Geſichte bekam, die man in vielen Rückſichten eine
der merkwürdigſten dieſer Erde nennen kann. – Großartigere
Bauwerke giebt es an keinem Orte der bekannten Welt!
Ich war ziemlich timide und mürbe geworden, aber der Gedanke
in Theben zu ſein und der Anblick einer von der untergehenden
Sonne vergoldeten Säulenreihe in dem am jenſeitigen Ufer belege-
nen Luq ſor, gab mir ſelbſt die körperliche Spannkraft für die An-
ſtrengungen des folgenden Tages. –
Der Tempel-Palaſt in Kurnah.
Mathematik und Konſtruktion machen ſich in allem Leben
geltend; – bevor ich mich alſo in Detailbeſchreibungen verliere
und Konfuſionen bei meinen ungelehrten Leſern verſchulde, gebe
ich lieber zur Orientirung über die Lage der merkwürdigſten
Ruinenſtätten vom hundertthorigen Theben, welches an beiden
Nilufern gebaut war und zwölf Stunden im Umfange hielt, Fol-
gendes dem Gedächtniſſe und der Generalanſchau zur Notiz:
Auf dem rechten Ufer, gegenüber einer grünen Inſel im
Nil (el Gedideh), liegt das Dorf Luqſor. Eine halbe Meile nörd-
licher, den Strom hinab, an derſelben Seite, aber etwas weiter
vom Ufer entfernt: erheben ſich die achtzig oder hundert Fuß
hohen, pyramidenförmigen, abgeſtumpften Thürme der Rieſen-
thore von Karnak, welcher Ort nur wenige zerſtreute Hütten
in ſich faßt. –
Auf dem linken Ufer, wenig weiter nach Norden wie Karnak
und hart am libyſchen Gebirge, ſteht der Tempel-Palaſt von
Kurnah, wiederum nur von wenigen und weit zerſtreuten Hütten
382
umgeben, Südlich von dieſem Tempel, und dem Hauptthore von
Karnak genau gegenüber, liegt das ſogenannte „Memnonium“,
beſtehend aus einem Portikus, einem halb zertrümmerten Thore mit
Pylonen, der umgeſtürzten Granitbildſäule von Rhamſes, und den
beiden Memnons- oder Rhamſesſäulen, die aber jetzt eine Strecke
von etwa 1500 Schritten gegen den Nil hin vorgeſchoben erſcheinen,
weil der Raum zwiſchen ihnen und den in ihrem Rücken befind-
lichen Bauwerken nur mit Fragmenten von Bildſäulen und Trüm-
mern ausgefüllt iſt. – Luqſor gegenüber, das etwa nur fünf-
oder ſechshundert Schritte vom Ufer entfernt liegt, ſteigen die
Tempel und Paläſte von Medinet-Habu in die klare Luft.
Der Tempel-Palaſt von Kurnah, das Memnonium und Me-
dinet-Habu liegen weiter vom Nilufer wie Luaſor, faſt gleichweit
unter einander entfernt, und zwar ſolcher Geſtalt, daß ſie in dem
vom libyſchen Gebirge eingeſchloſſenen Nilthale einen Halbkreis
bilden, in deſſen Mitte die Memnonsſäulen ſchon aus weiter Ent-
fernung wie die abgewetterten Thurmpfeiler eines ungeheueren
Thores anzuſchauen ſind.
Aus den Grüften der Könige ans Licht hinaufgeſtiegen,
ſchaut man von den Höhen des Gräbergebirges auf die älteſten
und denkwürdigſten Stätten der Geſchichte, der Geſittung, der
Künſte und einer untergegangenen Weltherrlichkeit: gleichſam die
in Stein geſchriebenen Blätter der Ur-Hiſtorien des Menſchen-
geſchlechts.
Der von Sethos dem Erſten erbaute Tempel-Palaſt von
Kurnah hat eine Façade von dreißig Fuß hohen Säulen, durch
welche drei Thüren in drei Reihen zertrümmerter Gemächer führen,
die, wie in allen Tempeln, ſchon um der Hitze und des allzu in-
383
tenſiven Lichtes willen, ohne Fenſteröffnungen ſind. – Die-
ſer Palaſt iſt der kleinſte der Palaſt-Bauwerke von Theben, aber
merkwürdig, weil er der glorreichſten Epoche der Pharaonen an-
gehört. Sein Ganzes hat eine aparte Phyſiognomie, und wenn
ſein Plan eine Privatwohnung verräth und die Form eines Tem-
pels zu verbergen ſcheint, ſo beweiſt doch der Reichthum an Bild-
werken, die Schönheit des Materials, die ſorgfältigſte Ausführung,
daß dies Gebäude einſt der Aufenthalt eines mächtigen Herr-
ſchers war. – -
Er iſt, wie alle andern Tempel und Paläſte, von feſten
Sandſteinblöcken aufgeführt, welche, über die Säulen gelegt,
Balken von fünfzehn Fuß Länge bilden und von verhältniß-
mäßiger Dicke ſind.
Merkwürdig abweichender Weiſe befindet ſich am Eingange
ein Mauerwerk von gebrannten Ziegelſteinen in Kalk-
mörtel gelegt, welches, wie eine am Architrav von Champollion
ausgedeutete Inſchrift beſagt, ſchon dem erſten Plan und Aus-
bau angehört. Der Hieroglyphen-Entzifferer überſetzt ſo: „Der
mächtige Aroëris, der Freund der Wahrheit, der Herr des untern
Landes, der Lenker von Aegypten, der, welcher fremde Länder ge-
züchtigt hat, der goldene Sperber, die Stütze der Heere, der
größte der Sieger, der König, der Sonnenwächter der Wahrheit,
von „Phre“ anerkannt, der Sohn der Sonne, der Freund
Amon's, der König der Götter, hat den Palaſt ſeines Vaters,
des Königs, der dauerhaften Sonne der Gerechtigkeit, des Sohnes
der Sonne, Menephta-Borei"), verſchönert. Er ließ Folgendes
*) Dieſem Namen zu Folge nennt auch Champollion den Palaſt
das „ Menephtheum“, während Lepſius, Ampère und Lenormand das
Bauwerk dem Sethos I. zuſchreiben. – Wie das in Ordnung zu
bringen iſt, verſtehe ich nicht.
384
errichten ..... (große Lücke) die Vorhallen des Palaſtes, und hat
ihn mit Ziegelmauern, die auf ewig gebaut ſind, umgeben;
das hat der Sohn der Sonne, der Freund Rhamſes, ausgeführt.“
Eine andere Inſchrift an einem Plafond beſagt nach Cham-
pollion, daß der Hauptſaal (von 48 Fuß Länge und 33 Fuß
Breite) das Manoskh, der Ehrenſaal war, der Ort, wo die religiö-
ſen und politiſchen Verſammlungen gehalten wurden, wo die
Gerichtshöfe ihre Sitzungen hielten. Säle dieſer Art werden ge-
wöhnlich „hypoſtyliſche“*) Säle genannt. Er iſt mit vielen
Bildwerken verziert. Auf allen Basreliefs ſieht man den Gründer
dieſes Palaſtes, wie er Wohlgerüche, Blumen oder das Bild ſei-
nes myſtiſchen Vornamens der Thebaiſchen Trias, und beſonders
dem Haupte dieſer Trias, Amon-Ra, unter ſeiner urſprünglichen
Form und unter der des Erzeugers, darbringt. –
Champollion erklärt: „An einer Wand iſt die Kindheit
des Königs dargeſtellt: der junge König in den Armen Muth's,
der großen göttlichen Mutter, welche ihm ihre Bruſt reicht. Die
Legende, welche dieſe Szenen begleitet, lautet ſo: „Dies ſagt
Muth, die Herrin des Himmels: mein Sohn (der mich liebt),
Herr der Diademe, Rhamſes, Liebling Ammons: Mir, die ich
Deine Mutter bin, gefallen Deine ſchönen Werke; nähre Dich
von meiner Milch.“
Die Reliefbilder, welche wie überall alle Wände und Säulen
bedecken, ſind ganz ſo flach gemeißelt und in die Wand- oder
Säulenfläche hineingelaſſen, wie in den Gräbern der Könige.
Die jetzige Umgebung dieſes Tempels, wie aller andern in
Theben, iſt die Wüſte. Neuere Reiſende haben hier noch Palm-
*) Öztooté o herunter -, zuſammen-, einziehen; Öztooth ou«
Strebepfeiler.
385
baumgruppen und Hütten gefunden, ich nur Sand und Ge-
ſtein. –
Auf Säulenfragmenten ſitzend, wartete ich hier mit Schmer-
zen auf meine Oelfladen und vor allen Dingen auf einen Krug
mit Waſſer, was ſicherlich nicht geſchehen wäre, wenn irgend eine
Hütte in der Nähe zu erblicken geweſen wäre. –
- Lepſius ſagt in ſeinen ägyptiſchen Briefen:
Der Tempel von Gurna iſt der nördlichſte am weſtlichen
Ufer und von Sethos I. erbaut.
Weiter nach Süden liegt der Tempel des Rham -
ſes II., vielleicht der ſchönſte in Aegypten. Rings um den zer-
ſtörten Theil des Tempels ſind die weitläufigen „ Ziegelhal-
l en“ ſichtbar, welche alle mit regelmäßig und ſauber gebauten,
zum Theil zwölf Fuß weit geſpannten Tonnengewölben
bedeckt ſind und in die Zeit der Erbauung des Tempels ſelbſt
gehören. Dies geht unwiderleglich aus den Stempeln hervor,
welche jedem Ziegel der königlichen Fabrik aufgeprägt wurden und
die Namensſchilder des Königs Rhamſes enthalten. – Diodor
giebt eine Beſchreibung nach „Hecatäus“ von dieſem Tempel,
unter dem Namen des Grabmals des Oſymandias. –
25
Das Memnonium.
Der Weg vom Palaſte in Kurnah bis zum Memnonium
beträgt vielleicht nur eine Viertelmeile, aber meiner äußerſten
Haſt und Aufregung war er doch zu weit. – Jenes beſonders
ſchöne Bauwerk (welches von Champollion das Menephteum ge-
nannt wird, nach Lepſius aber von Sethos I. erbaut worden iſt)
konnte nur für die erſte Schmeckprobe gelten; jetzt ging es zu den
Stätten, die einſt ſogar das unter Kunſtwundern lebende alte
Rom in Alarm geſetzt hatten; wie pochte mir alſo das Herz!
Wir zogen bei großer Nachmittagshitze am Gebirge hin. –
Die beiden Memnonsſäulen blieben mir zur Linken, in der Nähe
des Nil. Die Luft war von der Sonne zu lauter Sonne, in
einen Lichtäther verwandelt, in welchem kein Lüftchen und kein
Ton eine Welle ſchlug. Die Kreatur ſah und empfand jetzt kein
anderes Element, als Licht, in welches ſich ſelbſt die träumende
Menſchenſeele melancholiſch zurücklöſen zu wollen ſchien. Die
Sonnenſtrahlen reverberirten an dem nackten Felsgeſtein in der
Nähe und Ferne, bronzirten die ockergelben zerklüfteten Breccien-
maſſen und hüllten das arabiſche Gebirge jenſeits des Stromes,
gleich wie die ganze Landſchaft, in einen goldig elementaren Duft,
der die ſpiegelhelle Silberfläche des Rieſenſtromes überhauchte;
und die Palmen, die junge Uferſaat, flammten in grünem Feuer
zu Ehren des Herrn der Welt. Der Künſtler, welcher dieſe Na-
tur in dieſer Lichtatmoſphäre malen wollte, müßte ſich Rembrandts
Goldtinten borgen, müßte ſeinen Pinſel in Feuer ſtatt in Farben
tauchen, der müßte mehr als ein menſchlicher Maler ſein. Nur ein
himmliſcher Genius vermöchte es, eine ägyptiſche Mittags-Land-
ſchaft zu konterfeien, falls er Licht in Licht zu malen und zu
bilden verſtünde: aber die urheilige Gottesbildnerin Natur voll-
bringt dieſe Wunder gleichwohl.
Und in dieſer ägyptiſchen Aether bläue, vom goldenen
Sonnenlichte leiſe mit grünen Schatten durchwebt, ſaßen und
ſaßen die ſteinernen Rieſenzwillinge, ihr Antlitz dem Aufgang der
Sonne entgegen gewendet, die Jahrtauſende hindurch; – und ſo
war es endlich kein Wunder, daß der Stein einen Ton von ſich
gab, denn der Weltſchöpfung ging ja das Sonnenlicht vorauf.
Als es ſich auf des Schöpfers Werde dem Chaos entrungen hatte,
war das Beſte gethan. Wie konnte ſelbſt ein ſteinernes Götterbild
die Jahrtauſende im himmliſchen Lichte, im Aufgange der Sonne
ſitzen, ohne endlich zu erwarmen und zu tönen! Es geſchah
aber um die Zeit der Erſcheinung des chriſtlichen Lich-
tes, des Sonnenaufganges in der Geiſterwelt, daß der Heiden-
könig Amenophis III., zu deſſen Angedenken das Zwillingsbild
am Strome aufgeſtellt worden iſt, daß „der mächtige Aroëris, der
Sonnenkönig, der Sohn der Sonne, der Herr der Wahrheit, der
Waltende über den reinen Glauben“ (wie ihn die Inſchrift
der Thronlehne benennt), daß er zum erſtenmal einen Ton hören
ließ; denn um den Sonnenglauben war es mit dem Erſcheinen
des chriſtlichen Glaubens gar bald geſchehen!
25 *
In dieſem Lande begreift der Nordländer die parſiſche Licht-
theoſophie, den Sonnendienſt der alten Aegypter und das noth-
wendige Gegenſtück, den Kultus, welcher den Nilwaſſern und
ihrer Befruchtung gewidmet worden iſt. Waſſer, Licht und Letten
ſind ja die heilige Trias der Agrikultur, die Elemente des mate-
riellen Menſchendaſeins, aus welchem ſich im weiteren Prozeß das
geiſtige Leben zu entbinden beginnt.
Ich mußte meine chriſtlich-heidniſchen Naturempfindungen
auf dem Wege nach dem Memnonium (welches eigentlicher Ame-
nophium heißen ſoll) zum Beſten geben, denn an der Wunder-
ſtätte ſelbſt vergeht einem Menſchen von lebhafter Einbildungs-
kraft in den erſten Augenblicken zumal dergeſtalt Hören und
Sehen, daß er Gott dankt, wenn er chronikaliſch nüchtern ad acta
geben kann, was in Stein vor ihm geſtanden oder vielmehr ge-
ſeſſen und ihn angepredigt hat!
Ja, hier reden die Steine; hier tragen ſie lebendiger Welt-
geſchichte vor, wie es die leibhaftigen Katheder-Profeſſoren ver-
ſtehen.
Jede Nachbildung, auch die des ſogenannten Klaſſiſchen, iſt eine
ſchöpferiſche Armuth. Wir müſſen ſo lange betteln, bis wieder ein
überwältigendes Dogma durch all' unſere Lebenskreiſe gebrochen iſt.
Was hilft es Euch jetzt, Kirchen und Schlöſſer zu bauen! Seid noch
ſo rein gothiſch, oder byzantiniſch, oder ſo geſchickt durcheinander griechiſch,
römiſch und italieniſch: ein wirklich herrſchend Gebäude bringt Ihr
nicht zu Stande; denn die heutige Weltſeele iſt noch zerſplittert. Erſt
wenn alle die Einzelheiten wieder zu einem Glauben verdichtet ſind,
erſt dann werdet Ihr ein Haus finden. Denn auch das Haus muß
mitten aus der Seele einer Zeit wachſen, wenn es echt und gewaltig
ſein ſoll. Jetzt baut Ihr nichts als Studien, und in dieſem Betrachte
mögt Ihr Klenze loben, daß ſein Talent eine gebieteriſche Darſtellung
im Ganzen zu bilden verſteht, und mögt Schinkel preiſen, daß er im
Einzelnen fein und ſchön zu ordnen weiß; Originale habt Ihr nicht.
Bildende Talente, bearbeitende Talente gehen jetzt durch alle Fächer
unſerer Geiſtigkeit, durch die Kunſt der Schrift, durch die Kunſt der
Farbe und des Steins und durch die Kunſt des Tones; aber das
Genie iſt noch in den tauſend neuen Atomen unſerer Zeit verſtreut,
es hat noch keinen Leib gefunden.
(Laube's Reiſenovellen.)
Die ſogenannten Memnonsſäulen ſtehen wunderſamer Weiſe
auf dem Niederungsboden des Nil. Er war an jenem Tage noch
mit Waſſertümpeln bedeckt und trieb auf den abgetrockneten Stel-
len bereits grünende Saaten hervor. Ich wurde von meinem
Barken-Reis und dem Führer durch tiefe Waſſergräben und
Sumpfſtellen getragen. Es war eine komplete Märchen-Phan-
taſterei, die ſich nicht im Entfernteſten mit Worten von heute an-
rühren läßt. – Endlich ſah ich die weltberühmten Koloſſe vor
390
mir und taſtete vor allen Dingen mit meinen Händen von Fleiſch
und Bein nicht ohne Noth das eine Fundament, da es, gleich dem
andern, rings mit einer Waſſerlache umgeben war.
Jeder Menſch, der nicht expreß von dem vertrakt-profanen,
Horaziſchen: „Nil admirari“ Profeſſion machen will, iſt die erſte
halbe oder ganze Stunde von der Maſſenhaftigkeit dieſer ein
Thor bildenden, auf kurzlehnigen Thronſeſſeln neben einander
ſitzenden, ohne Fundament ſechzig Fuß hohen Felsfiguren wie be-
rauſcht, und vielleicht noch mehr von dem Totaleindruck, den
die ganze Szene gewährt.
Mag man nun ſeine Gedanken ſammeln und ſein modernes
Bewußtſein examiniren wie man will: es hilft diesmal an dieſem
Orte zu Nichts. Denn der Anblick von Thaten, Pſycholo-
gieen und Hiſtorien in Stein iſt unerhört!
Es fehlen die Maßſtäbe, die Analogieen, die Anknüpfungs-
punkte an Bekanntes. Es paßt nichts Mitgebrachtes, Gewöhntes,
Gedachtes, Gedichtetes, Gelerntes oder Erlebtes; – es reimt ſich
nichts Nordiſches, Ziviliſtrtes und Chriſtliches auf dieſe unmit-
telbar in Fels abgedrückte Pharaonenphantaſie, auf dieſe figurirten
Initialen des Amenophiums, die man auch für die plaſtiſchen
Hieroglyphen einer in Stein modellirten Welt- und Kulturgeſchichte
nehmen darf.
Durch dieſe ägyptiſche Symbolik wird die moderne Menſchen-
ſeele aus ihrer ziviliſirten Apathie und Chloroformirung aufge-
weckt, wird ſie bis in den uralten Naturgrund aufgerührt.
Hier wird der Profeſſor der Pſychologie, wenn er anders noch
einen Reſt von Natur nnd altem Menſchengewiſſen in ſich trägt,
gewahr, daß es in der alten Zeit ein Glauben und Träumen, daß
es in der alten Menſchenſeele Sympathien, Illuminationen, Inten-
tionen, Prozeſſe und Genugthuungen gegeben haben müſſe, von
denen der dreſſirteſte, der gelahrteſte, der ſpitzfindigſte und witzigſte,
391
moderne Welt- und Schulverſtand keine Ahnung mehr aus ſeiner
Epigonenſeele heraufzuholen vermag. Oder was konnte dieſe
alten Aegypter und Pharaonen antreiben, Felſen zu konfiguriren,
Gebirge auszuhöhlen und wieder künſtliche Berge in Geſtalt von
Pyramiden-Kryſtallen auf der Wüſtenebene in die Lüfte zu bauen,
wenn ſie nicht zur Materie, zum Stein, zum Gebirgsſchooße, zu
allen natürlichen Myſterien und Formationen in einem unendlich
tiefern, ſeeliſchen wie ſinnlichen und überſinnlichen Rapport ſtan-
den, in einem ſpezifiſch andern Kontakt wie wir; wenn ſie nicht
andere Seelen und Organiſationen, eine weſentlich verſchiedene
Phantaſie und Lebensſtimmung, eine unendlich mehr elementare
Poeſie und Theoſophie hatten, wie heute der gute Geſchmack und
die ſchulformale Bildung diktirt.
Uns iſt die Materie an ihr ſelbſt nichts weiter, wie ein Ge-
dankending, ſinnliche Vorſtellung, geiſtiges Nichts, oder andern
Falls das Vehikel des Geiſtes, ja das widerwärtige, obſtinate,
todte Hinderniß des Kulturwitzes, und ſeiner ewig formenwechſeln-
den Haſt. Selbſt unſern Baumeiſtern iſt es leider nur zu oft gleich-
gültig, aus was für Material ſie ihre Konditorſpielſachen und
großen Weihnachtsausſtellungen (die der moderne Sinn und Ge-
ſchmack Bauwerke zu nennen beliebt,) zuſammenbauen, ob aus
Ziegeln, Holz und Stein oder aus Preßſpähnen, Steinpappe,
Papiermachée, Eiſen, Glas, von Steinkohlentheer getränktem Thon.
Die guten Leute mengen und miſchen die heterogenſten Stoffe
mit derſelben widernatürlichen Unempfindlichkeit, mit demſelben
unſymboliſchen Verſtande, mit derſelben äſthetiſchen Bornirtheit und
Gewiſſenloſigkeit, mit welcher ſie Fragmente und Fetzen der Bau-
ſtyle komponiren, die nicht ſelten auch bei bewunderten Prachtbauten
nur über das Knie gebrochen, aber nicht aus ihren Elementen, in
ihrer natürlichen Symbolik verſtanden, und ſo zum Ganzen ge-
fügt ſind. Dieſe Thatſache kann indeß demjenigen kein Wunder
392
ſein, der inne geworden iſt, wie ſelten der moderne Verſtand
noch mit Seele, Natur und Uebernatürlichkeit in Rap-
port zu bleiben oder von einer lebendigen und eingefleiſchten Idee
getrieben zu werden pflegt.
Die beiden Bildſäulen, welche von den Arabern gegenwärtig
Schama und Tama oder Sanamát d. i. die Idole genannt werden,
ſind nicht viel über die Breite ihrer ungeheuern Fundamentblöcke
von einander entfernt. Sie ſitzen mit dem Geſichte dem Oſten,
alſo dem Nil zugewendet und ſchauen ſomit nach Karnak und Luqſor
über den Strom. Der nördliche Koloß (der zur Rechten, wenn
man mit dem Geſichte dem Antlitz der Koloſſe gegenüber ſteht)
iſt derjenige, welcher die Memnonsſäule genannt wird. Der ſüd-
liche Koloß iſt ein Monolith, der Zwillingsnachbar aber wurde
nach ſeiner Zertrümmerung durch ein Erdbeben auf Befehl des
Septimius Severus, von den Ellbogen an, aus ſechs oder ſieben
Schichten von Blöcken in die Höhe gebaut. Beide Idole wie ihre
Unterlagen (die aus ungeheuren, acht Fuß vom Nilſchlamm bedeckten,
alſo halbirten Würfeln beſtehn) ſind aus der an ſich ſchon ſpaltigen
und klingenden Kieſelbreceie des ganz nahen libyſchen Gebirges ge-
macht und ſo abgewettert, ſo zerklüftet, wie dieſes ſelbſt. Zu Cam-
byſes Zeiten wurden die Memnonsſäulen ſo ruinirt, daß ſich nur
eben noch Arme und Beine und die allgemeinen Umriſſe des Rumpfes
und der Köpfe erkennen laſſen. Die Geſichter, ſelbſt die Muskel-
formen der Bruſt, des Bauches wie der Arme und Beine oder des
Rückens exiſtiren kaum auf einigen Stellen. Nur das rechte Ohr
an dem ſüdlichen Koloß läßt ſich in ſeinen Formen erkennen, und
iſt der Beweis, daß die Figur ſorgfältig ausgeführt war. An ihrer
rechten Seite am Beine ſteht eine weibliche Statue von 15 Fuß
Länge, wie eine Puppe, da ſie noch nicht zur Höhe des obern Knies
393
hinanreicht. Es ſtanden je zwei ſolcher Figuren an jedem Koloſſe
und ihre Ausführung ſoll namentlich am Kopfputze von bewunderns-
werther Feinheit geweſen ſein, was heute noch ſtellweiſe wahrnehm-
bar iſt.
Viel merkwürdiger noch wie die Memnonsſäulen iſt der zer-
trümmerte geglättete Koloß, welcher unweit jener Idole vor den
eingeſtürzten Pylonen des Memnoniums auf dem Rücken da liegt,
wie ein kleines Gebirge von Granit, auf das man mit Bei-
hülfe der Führer hinaufklettern muß. Der Stein iſt in der Haupt-
maſſe Quarz mit viel Feldſpath eingeſprengt, der eben die röthliche
Farbe giebt. Kopf, Bruſt und Bauch, die Ellbogen mit einge-
ſchloſſen, bilden drei zerklüftete Hauptmaſſen, jede gewaltiger wie
die 22 Fuß im Durchmeſſer haltende Granitvaſe vor dem Muſeum
in Berlin; was man dann begreifen wird, wenn man weiß, daß die
Schulterblätter des Koloſſes eine Breite von 21 Pa-
riſer Fuß meſſen und daß die große Zehe an einem erhaltenen
Fußblatt ſo dick iſt, wie ein Mann im Leibe. Eine Touriſtin
erzählt ohne Uebertreibung, daß ſie mit ihren beiden Füßchen nur
zwei Drittheile der Breite der kleinen Zehe des Koloſſes bedeckt
habe.
Die Beine und der Unterleib der enormen Statue, wahrſchein-
lich der größeſten, welche je in Granit ausgehauen worden iſt,
bilden eine große Trümmermaſſe, aus welcher der ganze Koloß
vielleicht doch noch ſo weit zuſammengekittet werden könnte, daß
es möglich wäre, die Umriſſe des Ganzen anzuſchauen. Das Ge-
ſicht iſt zerſchlagen; man hat ſogar einen Schnitt hinein begonnen;
die beiden Oberarme, auf deren linkem der Namensſchild (die
Kartuſche) Rhamſes III.") ſehr ſauber eingemeißelt iſt, – die
*) Dieſer Rhamſes wird ebenfalls der Große genannt, und für den-
ſelben Pharao gehalten, an deſſen Hofe Moſes die Weisheit Aegyp-
tens lernte.
394
linke Schulter und das linke Ohr, ſind am beſten erhalten und zu
ſehen. Die rechte Schulter und Seite ſtecken halb im Schutte.
Der Rücken iſt unbegreiflicherweiſe nicht fertig gemei-
ſelt. Ich nenne dieſen Umſtand unbegreiflich, weil die Statue
in den Granitfelſen von Syene ſchon um deswillen vor dem
Transporte ganz fertig gemacht werden mußte, um ihr Gewicht
auf das Minimum zu reduziren, das ſo wie ſo doch ein ungeheue-
res verblieb.
Man erſtaunt über die mechaniſchen Kräfte, mittelſt deren
dieſer Koloß zertrümmert wurde, der vielleicht an Größe eine von
den Memnonsſäulen übertrifft, welche doch nur von dem vielleich-
ter zu bearbeitenden und in der Nähe befindlichen halb verglaſten
Sandſtein gefertigt worden ſind. Aber die geſchickteſten Inge-
nieure und Mechaniker unſerer Zeit begreifen ſchlechterdings nicht,
mit welchen mechaniſchen Vorrichtungen jene Granitmaſſe ein- oder
ausgeſchifft, Strecken zu Lande fortgeſchafft und wie ſie nur den
weiten Weg auf dem Nile transportirt worden iſt. – Es muß
mittelſt eines ungeheuern Balkenfloſſes bei einem ausnahms-
weiſen hohen Waſſerſtande ausgeführt worden ſein,
Der in Paris befindliche Obelisk von Lugſor, der auf
4457 Zentner Gewicht abgeſchätzt wird, iſt nur ein Spielzeug,
verglichen mit jenem immenſen Granit-Idol, und forderte gleich-
wohl allen Witz und alle Hülfsmittel des franzöſiſchen Mechanikers
bei dem Transporte heraus. Er wurde von einer Balkenmaſſe
rund umgeben, durch ein Dampfſchiff den Nil hinab und dann
ebenſo von einem Seeſchiffe durch die mittelländiſche und atlan-
tiſche See nach Havre geſchleppt. –
Was nun die klingende Säule betrifft, ſo iſt das über ſie
von Fachgelehrten Beigebrachte und für Jeden Wiſſenswürdige
-
395
etwa dieſes im Extrakt: beide Figuren ſtellen zu Folge der von
Champollion entzifferten Inſchrift auf der Rücklehne des Thrones
den Pharao Amenoph oder Rhamſes Seſoſtris III. aus der
18. Dynaſtie dar, deſſen Namensſchilder (Kartuſchen) dreimal
eingemeißelt ſind. Er ſaß etwa um das Jahr 1680 v. Chr. auf
dem Throne, iſt nicht mit einem ebenfalls berühmten Seſoſtris
aus der 15. Dynaſtie zu verwechſeln, findet ſich auch Ph-Amenoph
geſchrieben und von den Griechen Amenophis genannt. Pauſa-
nias berichtet bereits als Augen- oder Ohrenzeuge, daß die The-
bäer in der Statue des Memnon ihren König Phamenoph erken-
nen, nicht aber einen Sohn Tithon's und der Aurora, der jeden
Morgen ſeine Mutter begrüße.
Eines der Stadtviertel Thebens, auf dem linken Nilufer, in
der Gegend der Gräber, führte im höchſten Alterthum den Namen
Memnonia, ein ägyptiſches Wort, welches Begräbnißplatz heißt.
Dieſer Name ſoll die griechiſche Eitelkeit verführt haben, die
Amenophſäule zur Memnonsſäule zu machen, bei welcher Leſeart
es auch bis auf unſere Zeiten verblieb.
Ein Erdbeben zerbrach um's Jahr 27 v. Chr. den nördlichen
Koloß, ſo daß nur die untere Hälfte bis zu den Ellbogen ſtehen
blieb. Erſt einige Jahre ſpäter verbreitete ſich im Lande ein
Gerücht, daß der übrig gebliebene Theil der Statue Töne von ſich
gebe; und erſt von da an wurde die Fabel von der Memnonsſäule
erfunden und Wallfahrten mit Opfern von vornehmen Römern
zu einer Mode gemacht. Die verſtümmelte Statue endlich wurde
unter Septimius Severus wiederum aus Blöcken hergeſtellt, und
man vernahm ſeit der Zeit von ihr keinen Ton. Champollion
hat 1829 an verſchiedenen Tagen mit dem erſten Morgenrothe
auf ihren Knieen geſeſſen und vernahm nichts.
Eine Maſſe von Inſchriften, mit denen die Beine und der
Sockel der Statue bedeckt ſind, bezeugen das Wunder des Tones,
396
Unter dieſen Zeugniſſen in Proſa und in Verſen, die, 72 an der
Zahl, ſorgfältig abgeſchrieben, von Letronne überſetzt, erläutert
und zum Druck beſorgt ſind, befinden ſich die Expektorationen
vornehmer Römerinnen, ebenſo des Kaiſers Hadrian aus dem
Jahre 130 und ſeiner Gemahlin Sabina. Eine Dame, Cäcilia
Trebulla, ſchrieb, nachdem ſie Memnon zum zweitenmal gehört
hatte: „Zuvor ließ Memnon, Aurora's und Tithon's Sohn, nur
ſeine Stimme vernehmen; jetzt hat er uns wie Bekannte und
Freunde gegrüßt. So hat denn die Natur, die Schöpferin aller
Dinge, dem Steine Empfindung und Sprache verliehen?“ –
Eine Inſchrift von dem Richter Asklepiodot, kaiſerlichem
Prokurator in Aegypten, lautet ſo: „Vernimm, o Thetis, die Du
im Meere wohnſt, daß Memnon noch athmet, daß er, erwärmt
durch die mütterliche Fackel, eine klangreiche Stimme erhebt am
Fuße der libyſchen Berge Aegyptiens, da wo der Nil in ſeinem
Laufe das ſchönpfortige Theben theilt, während Achill, einſt uner-
ſättlich im Kampfe, jetzt auf dem Gefilde Trojas wie in Theſſalien
verſtummt.“ –
Man erſieht zumal aus der Inſchrift der Dame, daß der
moderne Gedanken- und Gefühlsſtyl in der heid-
niſch-römiſchen Kaiſerzeit ſich bereits ganz ſo an -
hören läßt, wie bei uns. – Alles ſchon dageweſen, nichts
Neues unter der Sonne! – º
Was nun die natürliche Erklärung des Tonwunders betrifft,
ſo iſt nach de Rozièrs ausgemacht, daß die Granite und Breceien
oft bei Sonnenaufgang einen Ton hervorbringen, was bei dem
in Rede ſtehenden Koloß etwa ſo zugegaygen ſein ſoll: wenn die
Sonnenſtrahlen ihn trafen, ſo trockneten ſie die reichliche Feuchtig-
keit aus, womit der ſtarke Nachtthau die ungeglättete Oberfläche
bedeckt und die von ihr ſelbſt eingeſogen war. So entſtand eine
fortgeſetzte Thätigkeit in dem Stein; Körner oder Blättchen der
397
Breceie wichen und zerplatzten; und dieſer Bruch verurſachte in dem
ſpröden, ein wenig elaſtiſchen Steine eine Erſchütterung, eine
raſche Vibration auf der Oberfläche, und dadurch den Ton, wel-
chen die Statue bei Sonnenaufgang hören ließ.“ –
Seit ſechzehn Jahrhunderten iſt ſie ganz und gar ver-
ſtummt.
Die von Champollion gemachte wörtliche Ueberſetzung der
Hieroglyphen-Inſchrift an der Thronlehne lautet ſo:
„ Der mächtige Aroëris, der Herrſcher über die Herrſcher 2c.,
der Sonnenkönig, der Herr der Wahrheit (oder der Gerechtigkeit),
der Sohn der Sonne, der Herr der Diademe, Amenoph, der
Waltende über den reinen Glauben, der Liebling Ammon-Ra's c,
der ſtrahlende Horus, – Er, der Vergrößerer der Behauſung
- d« 4. (Lücke) auf immerdar, hat errichtet dieſe Bauwerke zu Ehren
ſeines Vaters Ammon, und ihm geweiht dieſes koloſſale Stand-
bild von hartem Stein c.“ –
Und auf den Seiten der Grundflächen lieſt man in mehr als
ſchuhgroßen, zumal auf dem nördlichen Koloß mit der höchſten
Vollkommenheit und Eleganz ausgeführten Hieroglpphen die Um-
ſchrift oder die beſondere Deviſe, den Vornamen und den Eigen-
namen des Königs, welchen die Koloſſe darſtellen: „Der unum-
ſchränkte Gebieter der Ober- und der Unterwelt, der Verbeſſerer
der Sitten, – Er, der die Welt in Ruhe hält, der Horus, der
gewaltig durch ſeine Kraft die Barbaren ſchlug, der Sonnenkönig,
der Herr der Wahrheit, der Sohn der Sonne, Amenoph, der
Waltende über den reinen Glauben, der Liebling Ammon-Ra's,
des Königs der Götter.“ –
Von gelehrten Notizen iſt noch beizubringen, daß die Be-
ſchreibung, welche Diodor von Sizilien nach dem griechiſchen
398
Geſchichtsſchreiber Hecateus von dem wunderbaren Grabmale des
Pharaonen Oſymandias, aus der fünfzehnten Dynaſtie (2500 v.
Chr.), gemacht hat (und in welcher unter andern von einem aſtro-
nomiſchen goldenen Zirkel die Rede iſt, welcher 354 Vorder-
armlängen [500 Fuß circa] im Umfange hatte) – die frappante-
ſten Aehnlichkeiten mit dem Plane des Memnoniums (oder
Rhameſſeums) darbietet, wiewohl die Größenverhältniſſe des Letz-
teren weit geringer ſind als diejenigen, welche Diodor für das
Grabmal des Oſymandias rezipirt. –
Daraus würde alſo allenfalls das folgen, daß Rhamſes III.
ſein Rhameſſeum nach dem Plane ſeines Vorfahren aus der fünf-
zehnten Dynaſtie gebaut hat, – nicht aber, daß beide Mauſoleen
als identiſch zu nehmen ſind. –
So viel für diesmal von dem gelehrten Kram, der in dieſer
enzyklopädiſch-alexandriniſchen Zeit von der Oberfläche geſchöpft,
ohne übertriebene Mühe und Wiſſenſchaft gar bald formulirt und
in Suppentäfelchen zum gelehrten Dilettanten-Frühſtück ſervirt
werden kann. – Schwerer, wie gelegte Eier aufzubrechen, oder
wie Rüben zu ziehen und zu präpariren, die auf gelehrtem Miſte
gewachſen ſind, – iſt es, ſich lebendig und doch mit kritiſchem
Bewußtſein zurückzuträumen in die Urzeiten, in das Kindes-
und Jünglingsalter der Menſchheit, und mit einer adamitiſchen
Phantaſie dasjenige als ein Ganzes zu reproduziren, was nur
noch in zerſtreuten Bruchſtücken exiſtirt. –
Zwiſchen den Memnonsſäulen und den Ruinen, welche in
halb eingeſtürzten Pylonen mit dem Granitkoloß und einem Por-
tikus, näher zum Gebirge hin, beſtehen, und mit jenen Bildſäulen
das ausmachen, was heute von dem Rhameſſeum übrig geblieben
iſt, befindet ſich ein Raum von 1000 oder 1500 Schritten, von
welchem Champollion ſagt:
„Man denke ſich einen etwa 1800 Schuh langen, durch die
ſich folgenden Niederſätze der Ueberſchwemmung geebneten, von
hohem Graſe bewachſenen Raum, deſſen auf vielen Punkten zer-
riſſene Oberfläche noch Trümmer von Architraven, Stücke von Ko-
loſſen, Säulenſchafte und Fragmente von ungeheuern Basreliefs
hervorblicken läßt. Hier haben mehr als 18 Koloſſe exiſtirt; die
kleinſten von einer Höhe von 20 Fuß. Alle dieſe Monolithe von
verſchiedenen Materien ſind zerbrochen, und man trifft da und
dort ihre rieſenhaften Glieder, die einen obenauf, die andern in
der Tiefe von Ausgrabungen neuerer Forſcher. Auf dieſen ver-
ſtümmelten Reſten lieſt man die Namen einer großen Zahl aſiati-
ſcher Völker, deren gefangene Häuptlinge den Fuß dieſer Koloſſe
umgaben, die ihren Beſieger, Pharao Amenophis III. des Na-
mens, darſtellten. Denſelben, welcher von den Griechen in ihren
Heldenſagen mit Memnon verwechſelt worden iſt.“ –
Die Fronten der Mauerwerke jener nach Innen zu halb-
eingeſtürzten Pylonen ſind mit kriegeriſchen Szenen aus den Er-
oberungen des Königs bedeckt; ſie gleichen denen auf dem großen
Pylon zu Lugſor, welcher einen Theil des ſogenannten öſtlichen
Rhameſſeums ausmacht, welches von Rhamſes II. und III.
gebaut worden iſt. -
Alle dieſe Basreliefs ſtellen offenbar ein und denſelben Feld-
zug gegen aſiatiſche Völker dar, die ihrer Phyſiognomie und
Tracht zu Folge, wie die Antiquare behaupten, für Perſer zu hal-
ten ſind, d. h. für diejenigen Nationen, die zu jenen Zeiten in
den weitläufigen Landen zwiſchen dem Tigris und Euphrat auf
400
der einen und dem Oxus und Indus auf der andern Seite wohn-
ten. Dieſes Land hieß bei den alten Aegyptern „Scheto“ oder
„Schto“.
Ein großes Kriegsbild, das in zwei Haupttheile zerfällt,
ſtellt eine weite Ebene dar, auf welcher Rhamſes die „Scheto“ be-
ſiegt; ſie ſind in voller Flucht. Zwei Prinzen oder Feldherren
jagen dem Feinde nach. Die Belagerten leiſten hier hartnäckige
Gegenwehr, aber die Mauern werden mit Leitern erſtürmt.
Die Hälfte eines gut erhaltenen Portikus von acht Pfeilern,
an welchen ſich zwei koloſſale Mumienfiguren wie Karyatiden
anlehnen, die eine Größe von 25–30 Fuß haben, iſt das Voll-
ſtändigſte, was von den Bauwerken des Rhameſſeums übrig ge-
blieben iſt. –
Vor dieſem Portikus liegen die prächtigſten Fragmente von
Ornamenten und Bildſäulen ſo obenauf und zum Mitnehmen be-
quem, wie ſie ſich nur ein anderer Lord Elgin und archäologiſcher
Freibeuter wünſchen mag. – Ich ſah da unter andern den voll-
kommen erhaltenen Kopf einer Koloſſalſtatue aus ſchönem
ſchwarzblauem Granit von etwa 8–10 Ztr. Gewicht.
Der Umfang der Säulen des Portikus betrug 4 ſolcher Klaf-
tern, wie ich ſie ſpannen kann, alſo genau 22 Fuß preußiſch, ſo-
mit iſt der Durchmeſſer über 7 Fuß und die Höhe, zu Folge der
Proportion, welche die ägyptiſche Säule hat, etwa 40 Fuß.
Säulen, Wände und Steinbalken über den Säulen ſind
mit flachen Basreliefs bedeckt. Die Knäufe haben ganz und gar
die Tulpenform, welche in der Dekorationsmalerei für ägyp-
tiſche Tempel ſtereotyp geworden iſt.
Med in et - H ab u.
Die Maſſen von Medinet-Habu, welche nicht ſoweit von
dem Memnonium entfernt ſind, wie dieſes von dem Tempel in
Kurnah, verwirren in der erſten Stunde nicht nur durch ihre
immenſe Ausdehnung und ihre Berge von altem Schutt, der an
Stellen bis zu den Knäufen der prachtvollen Säulengänge hinan-
reicht, ſondern auch durch die unerhörte Weiſe, wie in alle Räume
und Höfe dieſer Tempel, Paläſte und Pylonenmaſſen, bis in die
zweiten Stockwerke des kleinern Tempels hinauf, ein ganzes
Dorf von ungebrannten Schlammziegeln hineinge-
niſtet, längſt wieder verlaſſen und dergeſtalt verfallen iſt, daß die
unheimlichſte Vermengung alter Prachtfragmente und zerbrochener
Schwalbenneſter von Koth entſtehen mußte, von denen noch Hek-
kerling, Miſt und Federn umherliegen, ein Kontraſt, der nicht un-
erträglicher gedacht werden kann und nur von den Szenen zu Lugſor
übertroffen wird, weil die abſcheulichen Schlammbuden, die daſelbſt
bis zu den Decken der Tempel hinaufgekleiſtert und gekothet wur-
den, noch bewohnt geblieben ſind, ſo daß man ſich durch nackte,
um Bakſchieſch ſchreiende Kinder, durch garſtige arabiſche Hexen-
weiber und heiſerbellende Hunde weiter ſchlagen, durch Schafe,
26
Ziegen, Eſel, Kühe und Kameele, durch Kehricht, Koth- und
Heckerlinghaufen, durch Hühner- und Taubenhöfe, durch unaus-
ſprechliche Lebensarten und lebende Bilder, durch weltenunter-
gangsmäßige Geſtanks- und Exiſtenzmyſterien weiter taſten und
„drengeliren“, daß man wie ein zu Hadesgeſchichten Verbannter
hinauf- und herabklettern und labyrinthiſiren muß, um ſagen zu
können, ich habe die wirkliche Unmöglichkeit oder die unmögliche
Wirklichkeit, ich habe die älteſten Weltwunder und den neuen
Weltſkandal, die alten Heiligthümer und die neue Affenſchande
geſehen. – Dies iſt auf gewiſſen Stellen im Sonnenaufgange
dieſer Erde der Fortſchritt des Menſchengeſchlechts! – Wenigſtens
bekommt man doch in Medinet-Habu die lebendige Staffage
dieſer Koth- und Schandgemälde nicht zu ſehen – Schmach der
Regierung, die ſolche Greuel von Lebensarten verſchuldet, ſolche
Beſudelungen der Blätter der Weltgeſchichte; – ſolche Entar-
tungen des menſchlichen Geſchlechts; und Schmach auch Denen,
die den Entſchuldigungen und Beſchönigungen ſo unmenſchlicher
Verbrechen und Unterlaſſungsſünden nicht abgeneigt ſind. –
Zwei Paar Pylonen und zwei Vorhöfe des großen Tempels
ſind von dem allgemeinen Schutt, von der Verſandung und Ver-
wüſtung ziemlich frei geblieben. – Die äußeren Säulengänge
liegen meiſt in Trümmern. Die innern mit Pfeilerkoloſſen ge-
ſchmückt, ſind noch in ihrer ganzen Pracht zu ſchauen. An dem
größten und ſchönſten Portikus, der mit doppelten Säulenreihen
von etwa 40 Fuß Höhe einen prachtvollen Hof inmitten der
chaotiſchen Maſſen bildet, iſt die wohlerhaltene Decke mit einem
köſtlichen Blau gemalt, das nicht im Mindeſten verbleicht ſcheint
und den Himmel mit ſeinen Sternen darſtellt. Viele Gemächer
haben Thüreinfaſſungen von Grauit; die Basreliefs ſind aber hier
wie in dem Grabmal des Rhamſes-Mi-Amun, in einem Stuck-
mörtel modellirt, mit welchem die Steinwände überzogen ſind; –
403
das hat der Sauberkeit des Schnitts Eintrag gethan, während die
Farben deſto friſcher erhalten ſind. – An den Wänden dieſes un-
ausſprechlich wunderbaren ſchattigen Hofes, deſſen Todtenſtille ſo
zeichenberedt von Weltgeſchichten und vom Menſchengeſchick iſt, daß
der Fremdling von ihren Geiſtern und ihren Stimmen erfüllt, in
ihre Myſterien wie in Wellen untergetaucht, ſeine Heimath
und ſeine eigene Seele vergißt, befinden ſich die hiſtoriſchen
Bildwerke in farbigen Skulpturen, welche durch die dargeſtellten
aſiatiſchen und afrikaniſchen Völker mit ihren beigegebenen
Namen koſtbare Elemente für die Reſtauration des ethno-
graphiſchen Gemäldes der alten Welt geworden ſind. –
Ein Treppengang in der Mauer führt auf die Plattform des
Portikus. Die Sandſteinwerkſtücke, welche das Sims und Ge-
bälke bilden, zeigen ebenſo wie die in Karnak da, wo ſie anein-
ander gefügt ſind, ſorgfältig ausgehauene Vertiefungen, in denen,
ihrer Form und Beſchaffenheit zu Folge, nothwendig Metallklam-
mern geſeſſen haben. – Rinnen und Löcher zum Abfluß des Waſ-
ſers ſind ganz ſo ſorgfältig und umſichtig angelegt, wie auf Platt-
formen in unſerer Zeit. Der älteſte Theil der Gebäude von Me-
dinet-Habu, welche nach Lepſius von Rhamſes III., dem erſten
Könige der 20. Dynaſtie, dem reichen Rhampſinit des Herodot,
im 15. Jahrhundert vor Chriſti gegründet wurden, und deſſen ge-
waltige Kriegeszüge zu Lande und zur See an den Wänden ver-
herrlicht ſind, – beſteht aus einem Heiligthum, umgeben von
Säulengallerieen und aus acht Sälen verſchiedener Größe. –
Alle Theile ſind mit Bildwerken überladen, ausgezeichnet durch die
ſorgfältigſte Ausführung wie durch Styl. Kein anderes Bauwerk
in Aegypten hat aber die Ausdehnung des gigantiſchen Palaſtes,
den hier Rhamſes-Mi-Amun errichtete. Alle Bildwerke an den
obern Façaden im Süden und Norden (ſagt Champollion), wurden
auf ſeinen Befehl ausgeführt; andere Dekorationen rühren von
26*
Möris (?) her. – „Um dies große Denkmal haben ſich ſpäter die
Gebäude von anderen Königen, und mit ihnen – ſo zu ſagen –
die Jahrhunderte gruppirt. Die Künſte finden hier ihre ganze
Geſchichte in einer Reihe von Werken aus den verſchiedenſten Pe-
rioden aufbewahrt: einen Tempel aus der glänzendſten Epoche der
Pharaonen; einen unermeßlichen Palaſt aus der Zeit der Erobe-
rungen; ein Bauwerk aus der Zeit des erſten Zerfalls unter der
äthiopiſchen Invaſion; eine Kapelle von einem der Fürſten, welche
das perſiſche Joch abgeſchüttelt hatten; ein Propylon von der
griechiſchen Dynaſtie; Propyläen aus der römiſchen Epoche, und
in einem der Höfe des pharaoniſchen Palaſtes Säulen, welche
einſt den Giebel einer chriſtlichen Kirche trugen; – ſo haben hier
Nationen und Zeiten einander verdrängt.“
„Rhamſes-Mi-Amun von der neunzehnten Dynaſtie war ein
großer Eroberer. Den Beginn ſeiner Regierung ſetzt man in
das Jahr 1474 vor Chr. Er führt in den Liſten Manethos den
Namen Sethos; auf den Denkmälern heißt er Rhamſes, der Vierte
dieſes Namens. Sein Bruder war Armas Danaus, der vor
ihm fliehen mußte; und dieſe Zeit ſtimmt mit der zuſammen,
welche für die Ankunft der ägyptiſchen Kolonieen des Danaus
angenommen wird, nämlich mit dem Jahre 1450 v. Chr.“
ueber den Antheil des Königs Möris an dem älteſten Theil
des Gebäudes ſollen Inſchriften ſprechen, welche Champollion
entziffert zu haben meint. Ihm zu Folge ſtellen die meiſten
Basreliefs, mit denen die Gallerien und Zimmer geſchmückt ſind,
Möris dar, wie er den Göttern Huldigungen darbringt und Ge-
ſchenke oder Gnadenbezeugungen von ihnen empfängt. Auf der
linken Wand des großen Saales oder Heiligthums wird dieſer
berühmte Pharao von der Göttin Athor und dem Gotte Ammon,
die ſich die Hände geben, zu dem myſtiſchen Baume des Lebens
geführt. Der König der Götter, Ammon-Ra, zeichnet ſitzend mit
405
einem Pinſel den Namen Thuthmoſis auf das dichte Blätterwerk
dieſes Baumes und ſagt: „Mein Sohn, Erhalter des Weltalls,
ich ſetze Deinen Namen auf den Baum Oſcht, im Palaſt der
Sonne.“ Zeugen dieſer Szene ſind die fünfundzwanzig zu Theben
angebeteten Gottheiten zweiten Ranges, in zwei Reihen aufgeſtellt,
Eine Inſchrift kündigt ſie folgendermaßen an: „Hier folgt, was
die anderen Gottheiten von Opht (Theben) ſagen: Unſere
Herzen freuen ſich über das ſchöne Gebäude, welches der König,
die erhaltende Sonne der Welt, erbaut hat. – So feierten die
Götter und Menſchen den Ruhm des Königs Möris.“
Auf der äußern Mauer der Südſeite findet man in großen
Vertikallinien den heiligen Kalender eingehauen. Er iſt durch
Aufgrabungen wieder bloß gelegt, und es ſollen genug Elemente
geſammelt ſein, um den bürgerlichen und religiöſen Kalender der
alten Aegypter wieder hergeſtellt zu ſehen.
- - Im Innern des kleinen Hofes ſieht man zwei maſſive Py-
lonen, auf deren Frieſen die Inſchriften und Basreliefs des
Gründers eingemeißelt ſind.
Champollion deutet und beſchreibt die Wände der vier
Gallerien jenes prachtvollen Hofes, deſſen ich zuvor Erwähnung
gethan, ſo:
Unermeßliche Bilder des Meißels und Pinſels ziehen überall
die Aufmerkſamkeit des Beſchauers auf ſich. Gern ruht das Auge
auf dem ſchönen Azur der mit goldnen Sternen überſäeten Pla-
fonds, aber bald verdrängen die Wichtigkeit und Mannigfaltigkeit
der Bildhauereien jeden andern Eindruck. – Vier Schilderungen,
welche das untere Regiſter der öſtlichen Gallerie links und einen
Theil der ſüdlichen Gallerie bilden, enthalten die Hauptumſtände
eines Krieges Rhamſes Mi-Amuns (?)") gegen die „Robu“,
*) Nach Lepſius ſind es, wie Eingaugs bemerkt, die Thaten Rhamſes II.
406
aſiatiſche Völker mit heller Geſichtsfarbe, Adlernaſe, langem Bart,
in langen Tuniken und Oberröcken, welche blau und weiß der
Quere nach geſtreift ſind. Dieſe Tracht iſt ganz die der Aſſyrer
und Meder auf den babyloniſchen oder perſepolitaniſchen Cy-
lindern. –
Erſtes Bild. Große Schlacht. Der ägyptiſche Held ſteht
auf dem im Schnelllauf dahin rennenden Wagen, er ſchießt Pfeile
auf die Feinde, die in wirrer Flucht aufgelöſt ſind. – Man ge-
wahrt auf dem erſten Plan die ägyptiſchen Hauptleute auf Wa-
gen und ihre Soldaten mit den verbündeten „Fekkaro“ ver-
miſcht; ſie metzeln die beſtürzten „ Robu“ nieder oder legen ihnen
Feſſeln an. Dieſes Bild allein begreift mehr als hundert Figuren
in Lebensgröße, ungerechnet die Pferde.
Zweites Bild. Die Fürſten und Hauptleute des ägyptiſchen
Heeres führen dem ſiegreichen Könige vier Reihen Gefangener zu.
Schreiber zählen und verzeichnen die den gefallenen
„Robu“ auf dem Schlachtfelde abgeſchnittenen rechten
Hände und LavyovvygyMusöag. – Die Inſchrift lautet wörtlich:
„Vorführung der Gefangenen vor Seine Hoheit. Es ſind ihrer
tauſend. Abgeſchnittene Hände dreitauſend. uaevvl.tys yMusöag
dreitauſend.“
Der Pharao, zu deſſen Füßen man dieſe Trophäen nieder-
legt, ſitzt friedlich auf ſeinem Wagen, deſſen Pferde von Offizieren
gehalten werden; er beglückwünſcht die Krieger und ſpendet ſehr
naiv die größten Lobſprüche ſich ſelbſt. -
Auf dem ſechſten Bilde ſpricht der König zu ſeinen Söhnen
und Hauptleuten, und ſeine Rede ſchließt mit den Worten:
„Amon-Ra war zu meiner Rechten und zu meiner Linken. Sein
Geiſt beſeelte meine Entſchlüſſe. Amon-Ra hat meinen Feinden
“
407
Verderben bereitet und die ganze Welt in meine Hände ge-
geben.“ -
Siebentes Bild. Des Pharao Rückkehr nach Theben. Man
ſieht die vornehmſten Hauptleute der überwundenen „Robu und
Fekkaro“, geführt von Rhamſes, vor dem Tempel der großen
thebaiſchen Trias, „Amon-Ra, Muth und Chons.“ Der Text der
in dieſer triumphaliſchen und religiöſen Szene gehaltenen Reden
exiſtirt noch größten Theils: Worte der Hauptleute des Landes
Fekkaro und des Landes Robu, welche ſind in der Gewalt Seiner
Hoheit, und preiſen den wohlthätigen Gott, den Gebieter der
Welt, die hütende Sonne der Gerechtigkeit, Amon's Freund:
„ „Deine Wachſamkeit hat keine Grenzen, Du walteſt wie eine
mächtige Sonne über Aegypten. Groß iſt Deine Kraft, gleich
dem Boré (Greif) biſt Du an Muth. Unſer Haupt gehört Dir,
wie unſer Leben, welches iſt in Deiner Macht immerdar.““ –
„Worte des Königs, des Herrn der Welt c. an ſeinen Vater
Amon-Ra, den König der Götter: „ „Du haſt mir geboten. Ich
habe die Barbaren verfolgt. Ich habe bekämpft alle Gegenden der
Erde. Die Welt iſt ſtill geſtanden vor mir. Meine Arme haben
bezwungen die Hauptleute der Erde, nach dem Geheiß, das hervor-
ging aus Deinem Munde.““
„ Worte Amon-Ra's, des Herrn des Himmels, Lenkers der
Götter: „ „Möge Deine Heimkehr fröhlich ſein! Du haſt ver-
folgt die neun Bogen (Barbaren), Du haſt niedergeworfen alle
Hauptleute. Du haſt durchbohrt die Herzen der Fremden und
frei gemacht den Odem der Naslöcher aller Derer, die ... ... (Lücke).
Mein Mund zollt Dir Beifall.““
408
Das nenn' ich mir eine franzöſiſche Hieroglyphen-
Freſſerei! – Und wenn die ganzen Inſchriften aus lauter
phonetiſchen Hieroglyphen und Kartuſchen, d. h. aus
eitel Buchſtaben beſtänden, ſo lautete die Ueberſetzung für unſere
Kenntniß des Altägyptiſchen und ſeine Verwandtſchaft mit dem
Koptiſchen doch zu flüſſig und fix zugleich.
Die Königsgräber zu Theben.
Es ſcheint natürlich, etwas von der Stimmung zu ſagen, mit
der ich (an einem Sonntagmorgen) das linke Ufer bei den Paar
elenden Hütten von Kurnah betrat und nach den prachtvollen Tem-
peln, den fabelhaft koloſſalen Säulengängen von Karnak und
Luqſor hinüberblickte, aber es iſt bei ſo außerordentlichen Erleb-
niſſen und Gemüthsbewegungen mehr ohne Schilderungen, als mit
ihnen gethan. – Die ehrlichſten, die begeiſtertſten und glücklichſten
Worte verklingen ſolchen Weltſtätten, Weltruinen und wahrhaf-
tigen Kunſtwundern gegenüber zum eiteln, tragikomiſchen Nichts.
Zwiſchen den alten Titanen, welche Felſenſtücke gen Himmel
thürmten, und den modernen Titanen im Frack, welche Worte,
Formen und Normen auf breiteſter Grundlage in abstracto zu-
ſammenkitten, iſt eben die unüberſteigliche Kluft, welche ewiglich
zwiſchen Lebens- und Redensart, zwiſchen Gottesinſtinkt und
Schulverſtand, zwiſchen Thaten und Worten, zwiſchen den leben-
digen Geſchichten und ihrer Beſchreibung befeſtigt bleiben wird.
Der moderne Redeverſtand iſt kein Gefäß, um die uralte Aegypter-
ſeele und Phantaſie darein zu faſſen, die ſich in Pyramiden, in
Tempel- und Grottenbauten beſpiegelte und ihre Worte den
Steinen eingrub. –
4 10
Den Namen Theben kennt der Araber nicht, nur der Führer
Achmed Ali in Lugſor, welcher italieniſch und franzöſiſch ſprach,
kannte ein Theb. – Zu mir fand ſich gleich am frühen Morgen
(den 18. November) ein Cicerone Namens Achmed Girgar, ein
alter, aber kräftiger Mann. In Betreff der beiden Achmeds muß
ich bemerken, daß hier Jedermann Achmed heißt, wie bei uns
Jakob oder Johann. – Dieſer Girgar zeigte eine Menge Zeug-
niſſe auf, unter andern vom Fürſten Colloredo Mansfeld. – Ein
vom Führer mitgebrachter Eſel taugte nichts, ein zweiter herbei-
geholter fiel nicht viel beſſer aus, war jedoch etwas ſtärker und grö-
ßer als ein Kalb. Die Steigbügelriemen aber gingen beim Aufſitzen
entzwei und wurden mit Stricken erſetzt. – Dergleichen kühlte
meine Begeiſterung ſo weit ab, daß es zur Gedankenkryſtalliſation
kam. Endlich ſaß ich im Sattel, der Führer ging rüſtig zu Fuße
vorauf und mein Barkenkapitain neben mir her; dazu hatte ich
mir meine Tyroler Ledertaſche umgehängt und zwanzig Thalerſtücke
hineingethan, um auf alle Fälle nicht ohne Geld zu ſein. – Es
ging jetzt durch Fruchtfelder und wüſte Strecken dem libyſchen
Gebirge entgegen, zu den Gräbern der Könige (Bab el meluk);
ſie liegen vom Nilufer keine deutſche Meile entfernt, am Ende eines
ſchauerlichen Thales, ſo von zerriſſenen, zerklüfteten und zerbröckel-
ten hohen Kalkſteinmaſſen eingeſchloſſen, daß man vollkommen auf
die Nekropolis ſelbſt vorbereitet wird. –
Wie iſt die Welt ſo ſchön, wenn man mit der Natur auf vertrautem
Fuße lebt. – Da blitzt der Kryſtall, da lacht die Rebe, da funkeln die
Diamanten, auch wenn man Kryſtall und Diamanten nicht ſelbſt beſitzt,
Im Auge liegt die Welt, im fröhlichen Auge der Liebe liegt ſie gewiß.
– Liebe verklärt, Liebe beſitzt, Liebe verjüngt! – O wer ſie nie geſehen
hätte, die ſchaurigen Schatten der Einſamkeit; wer nie erbebt
wäre von dem Anblick des Todes! Da würden ſie ferne geblieben
ſein die düſtern Gedanken, mit denen der grübelnde Menſch ſich ſeinen
Sonnenſchein verhängt, ſeine Lauben in Grüfte verwandelt,
ſeine lachenden Fernſichten in Abgründe! Ein Kind, ein
Kind zu ſein unter Blumen und Früchten, nichts ſchleppen, als (jenem
lieblichen dicken Dresdner Jungen des Rubens ähnlich) Trauben und
Pfirſiche und kleine Kaninchen; o Seligkeit, es iſt vielleicht die des
Himmels auf Erden! – Und wenns nun einſt heißen wird: die
Seligkeit habt Ihr euch ja auf Erden entgehen laſſen; Thoren, was
ſucht ihr hier oben! Ach ich weiß, was im Zwiſchenreich hauſet: es
iſt die bittre Reue.
(Gutzkows Ritter vom Geiſt.)
Dieſe Gräber, welche ſich die Pharaonen der 19. und 20.
Dynaſtie bei ihren Lebzeiten bauen ließen, befriedigen die aus-
ſchweifendſten Erwartungen, durch die unermeßliche Mühſeligkeit
und Kunſt, mit der ſie in dem Bauche des Gebirges ausgehöhlt
ſind, welches aus einem faſt marmorweißen, ſehr feinkörnigen und
harten Kalkſteine beſteht. – Man beſucht und beſchaut dieſe unter-
irdiſchen Wunder ohne irgend welche Gefahr und ohne andere
Unbequemlichkeit oder Strapaze als die, welche mit dem Hinab-
ſteigen auf zum Theil zerbröckelten und mit Schutt bedeckten Stein-
treppen, gleichwie mit dem Einathmen einer drückendheißen,
41 2
dumpfen, ſtaubigen, von Mumien, Moder, Fackeldampf und kre-
pirten Fledermäuſen verpeſteten Atmoſphäre verbunden iſt. –
Die zu den Grabſälen hinabführenden, etwa acht bis zehn Fuß
breiten und 15 bis 20 Fuß hohen Treppenräume ſind indeß keines-
weges ſo tief und gefährlich, und die Dünſte nicht ſo unerträglich,
daß der Enthuſiasmus ſich beeinträchtigt finden dürfte, welchen
dieſe unterirdiſche Kunſtwelt ſelbſt im blaſirteſten und phantaſie-
loſeſten Menſchenkinde erweckt. Hier zieht der Reiſende (welcher
mit der Beſichtigung der Ruinenſtätten der hundertthorigen Dios-
polis auf dem linken Nilufer beginnt) das erſte überwältigende
Fazit ſeiner Mühſeligkeit. Er vergißt ſie vor dieſen unerhörten
und im Wortverſtande märchenhaften Thaten des alten Kunſt-
verſtandes und der alten Arbeitsreligion. – Die alte Menſchen-
ſeele hat ſich an dieſen Stätten Jahrtauſende hindurch mit Häm-
mern und Meißeln in das Eingeweide des Felſens hineingewühlt,
und eben ſo lange Zeit die Felsblöcke der Hunderte von Pyra-
miden zum Himmel aufgethürmt!
Die alten Aegypter haben von ihrem ehrlichen Kampfe mit
der Idee und der Materie zugleich in dieſer unterirdiſchen Todten-
ſtadt wie in den Pyramiden ein in Stein gegrabenes Zeugniß
hinterlaſſen, das den modernen Menſchenwitz mit ſeinen klügſten
Parolen zerdrückt! Die Korridore und alle Räume meſſen in der
Regel gegen 20 Fuß Höhe. – Die Decken der Säle bilden ent-
weder einen mäßigen Bogen oder eine Fläche. – Die vierſeitigen
Pfeiler, von denen die Decken geſtützt werden, ſind gleich den
Wänden mit Hieroglyphen und Figuren bedeckt; die letzteren
haben kaum ein fingerdickes Relief. Daſſelbe iſt aber auf ſolche
Weiſe in die Wandfläche getieft, daß es nur ſelten über ihre
Rahmen hinausſteht. Alles Bildwerk iſt farbig und die Menſchen-
geſtalten ſind meiſt braunroth kolorirt; alle Farben ſo rein und
friſch, wie von geſtern und heute. Die Figuren haben meiſt Lebens-
größe; dann wieder kommen ſie in allen andern Maßen und mit-
unter ganz koloſſal vor. Es giebt etwa ſiebzehn Eingänge
zu dieſen Königsgräbern, die zwar nicht mit einander in Ver-
bindung, jedoch in naher Nachbarſchaft ſind. – Sechs Ein-
gänge werden ohne Gefährlichkeit beſucht. – Ich ſelbſt war nach
der Beſichtigung der drei merkwürdigſten dieſer Gebirgsmauſoleen,
zu denen insbeſondere das von Belzoni entdeckte gerechnet wird,
aus dem er den Granitſarkophag nach England entführt hat, kör-
perlich und geiſtig erſchöpft. – Für Diejenigen, welche dieſe
Stätten nicht als Fach- und Sachkundige beſuchen, hat die Be-
ſichtigung ſämmtlicher Gräber keinen Reiz und Zweck. – Ihre
Symbolik und charakteriſtiſche Beſchaffenheit giebt ſich in jedem
Saale und Gange auf dieſelbe Weiſe mit unweſent-
lichen Abweichungen kund. – Von der engliſchen Manie,
ein hundertſtes Winkelchen und Kurioſum zu beſchauen, wenn be-
reits neunundneunzig gleich ausgeprägte beſichtigt worden ſind,
und zwar in keinem anderen Intereſſe, als dem der Vollſtän-
digkeit, der Kurioſität, des verordneten Reiſerezepts,
alſo einer bornirten Gewiſſenhaftigkeit, von dieſem freiwillig auf-
erlegten Reiſefakirthum, das auf Händen und Knieen und
auf dem Bauche, in den ungangbarſten Krypten oder in antiken
Schornſteinen umherrutſchen muß, – ſelbſt wenn das Reſultat
auch keinmal eine zerriſſene Hoſe oder einen Mund voll Moder be-
zahlt machen kann, fühle ich mich frei.
Man ſteigt durch tiefere und tiefere Korridore zu dieſen Ka-
takomben herab, die jeder Pharaone bereits bei ſeinen Lebzeiten
aushauen und allmälig größer machen ließ, falls er ſich noch ein
längeres Lebensziel verſprach. Zu beiden Seiten der Treppen
befindet ſich eine fortlaufende Reihe offener Kämmerchen, ganz
wie die großen Säle, mit gemalten Skulpturen bedeckt. Die
Mitte dieſer Grottenwerke wird in der Regel durch einen großen
41 4
Saal gebildet, der ringsum durch enge Gänge, mit kleineren und
größeren Gemächern, bis zu zwölfen an der Zahl, in Verbindung
gebracht iſt, während andere Gräber wiederum nur aus zwei Sä-
len, aus einem und ſogar nur aus einem in augenſcheinlicher Eile
gegrabenen Kämmerchen mit roher Bemalung beſtehen.
In einem Saale lag ein mitten durchgebrochener Gra-
nitblock, ſo groß, daß man ſchwer begreift, wie er durch den Ein-
gang fortgeſchafft worden iſt. In einem anderen Grabe ſieht man
einen Sarkophag von Granit, der einen ungeheuern ausgehöhlten
und aus dem Groben gehauenen Würfel bildet, mit einem eben ſo
koloſſalen, von einer unbegreiflichen Gewalt zerbrochenen Deckel,
auf welchem in haut relief eine liegende Figur nur im erſten An-
lauf ausgehauen iſt. Der Umfang dieſes Granitkaſtens betrug
6/2 Klafter, wie ich ſie ſpannen kann (à 5 Fuß 6 Zoll), alſo
35 Fuß 9 Zoll, die Höhe etwa 10 Fuß.
Die Wände aller Gänge und Gemächer ſind durchaus ſorg-
fältig geebnet, und an den Orten, die ich näher unterſuchte, waren
die Figuren in einem Gypsſtuck modellirt, der auf die
Steinwand aufgetragen iſt, was ein Franzoſe, der mit mir
die Gräber beſah, ſelbſt dann noch nicht glaublich zu finden ſchien,
als er den Glauben in die Hände bekam. Er hatte ſich's 'mal
in den Kopf geſetzt und in ſeinem Buche ſtand es ebenfalls ge-
druckt: die Figuren wären alle in Stein ausgeführt.
Der gelahrte Archäologe hatte nicht Licht genug mitgenommen,
ich half ihm alſo mit Stearinlicht und Wachsſtock aus, bat mir
aber als Gegengefälligkeit etwas von ſeinen Waſſervorräthen aus.
Der Gute ließ mich indeß nur auf dringendes Bitten wenige Züge
aus einer Thonflaſche thun, und nahm ſie mir dann mit der Ent-
ſchuldigung vom Munde fort: ſein Weg führe ihn nicht ſobald
in die Nähe des Nils. Mein Barkenkapitän konnte ſich über die-
ſen franzöſiſchen Tauſchhandel gar nicht zufrieden geben, und
415
meinte entrüſtet: ein Nemse wäre ein raggl taib, aber ein Fran-
saui ein raggl batahl (ein Deutſcher wäre ein guter, ein Franzoſe
ein fataler Menſch). – Bemerken muß ich bei dieſer Gelegenheit,
daß man ſich am beſten mit einem Packeſel zu dieſen Gräbern auf
den Weg macht, der vor allen Dingen mit einem Waſſerſchlauch
verſehen iſt. Ich wenigſtens litt unausgeſetzt den fürchterlichſten
Durſt, obgleich ich bei der weiteren Exkurſion alles Waſſer hin-
untergoß, das mir irgend von Hirtenjungen angeboten wurde.
Der Hunger bleibt bei den großen Strapazen eben ſo wenig aus,
und ich verſchlang eine Maſſe Oelfladen, die mir der Führer durch
einen Hirtenjungen von Hauſe holen ließ, wie wenn es die ſchön-
ſten Eierkuchen geweſen wären. Ich hatte in meiner Begeiſterung
keinen Proviant mitgenommen, und mein Kapitän, ſo wie der
alte Girgar, lebten ächt arabiſch, halb von der Luft. Ein
Deutſcher kommt von dieſer arabiſchen Frugalität geradezu ums
Leben. – Mich hatte in dem erſten Tempel, den wir nach den
Gräbern beſahen, ein Wolfshunger überfallen, und ich habe das
Malheur, ich werde vom Hunger ungemüthlich und fange Händel
an, wie Einer, der zu viel getrunken hat. So ein Heißhunger,
mit Anſtrengungen verknüpft, erzieht aber Sympathien für das
Proletariat, und erinnert auf ſehr nützliche Weiſe an den Zuſam-
menhang des Geiſtes mit der Materie in dieſer ſublunaren Welt.
Man entgeht durch dieſe ſtomachaliſchen Mahnungen der ſpiritua-
liſtiſchen Phantaſterei, der hohlen Ideologie, und das iſt auch ein
Gewinn.
Außer Moder, Staub und mit Asphalt durchzogenen Lum-
penfetzen findet man nichts in dieſen Gräbern, was mit fortzuneh-
men wäre, falls man nicht Fledermäuſe greifen, Basreliefs von
den Wänden ablöſen oder die Granitſarkophage in die Taſche
ſtecken will.
41 6
Der Geſtank oder das hiſtoriſche Exiſtenzklima iſt in
einigen Kammern doch ſogar der entwickeltſten Begeiſterung zu
originell. Verbindet ſich aber dem Naſenmalheur, dem Staube,
dem Fackeldunſte, der erſtickenden Luft noch der brennendſte Durſt,
ſo katzbalgen ſich zuletzt Idealismus und Materialismus, Träu-
merei und Wirklichkeit ſelbſt im ſchwärmeriſchen Reiſenden ums
enge Quartier in der immer enger werdenden Bruſt. Ohne Licht
und Luft, ohne Eſſen und Trinken, ohne lebendige Geſelligkeit
und recht viel Spielraum hält's doch der brennendſte Enthuſias-
mus nicht lange in dieſer Welt aus.
Was nun den Inhalt und die Details der figurenreichen
Darſtellungen in dieſen Räumen der Finſterniß und des Schwei-
gens betrifft, ſo kann ich nur ein Paar Andeutungen von dem wa-
gen, was eben mir in dieſer unerhörten Welt noch extraordinär
ins Geſicht geſchlagen oder wie mit Meſſern in die Seele geſchnit-
ten hat; denn grell, barock, frappant, grotesk, kurios und unge-
heuerlich iſt Alles ſo ſehr, daß man aus der dickſten Verwunde-
rung gar nicht herauskommen kann. In dem Gedränge all der
todten Götter, Geiſter, Geſpenſter und Fratzen wird der leben-
dige Geiſt dergeſtalt geſtoßen, gekitzelt, geohrfeigt, genaſenſtübert,
gekniffen, geknetet, geprellt und außer Balance gebracht, daß ſich
zuletzt auch der profeſſionirte Alterthümler dieſes urhiſtoriſchen
und urarchäologiſchen Todtengräberſpukes mit beiden Händen er-
wehrt. Man will allenfalls in Wundern und Abenteuern ein
Bischen umherſchwimmen, aber das Untertauchen halten ſelbſt die
froſchblütigen Amphibien nicht lange aus.
Ich übergehe alſo die modellirten und kolorirten Darſtellun-
gen von allen Dingen, Geſchäften und Bedürfniſſen der alt-ägyp-
tiſchen Werkeltagswelt, alſo die kleineren Gemächer, welche ganz
und gar mit Waffen, oder allein mit Vaſen, oder mit muſikaliſchen
Inſtrumenten, und dann wieder nur mit Früchten, ja ſogar mit
417
lauter Tiſchen und Stühlen bemalt ſind, und greife nur das Pi-
kanteſte aus dieſen konfigurirten Märchen der bildneriſchen Welt-
geſchichte heraus. Gleich in einer der kleineren Kammern, zur
Seite des Einganges in das größte Mauſoleum, giebt es zwei
Figuren mit 21ſaitigen Harfen, welche letztere aber ohne Säule
oder Stange gemacht ſind. Eben daſelbſt ſieht man ein großes,
dickes Schwein (ſo eins von der ächt polniſchen Race, mit borſti-
gem Bogenrücken, alſo nicht etwa lang geſtreckt deutſch), im
vollen Laufe, den Schwanz in Waldhornwindung gebracht und
Figuren mit Knitteln hinter dem Thiere her").
An mehreren Stellen iſt eine ausgedehnte Darſtellung des
Nilſtroms die ganze Wand entlang zu ſchauen. Barken werden
da unter großem Trödel fortgezogen und gerudert, die im We-
ſentlichen ſo wie die heutigen gebaut ſind. Nach Champollion
giebt es hier ſechs Bilder des Nil und ſechs des perſonifizirten
Aegyptens, die zuſammen als eine ſymboliſche Darſtellung des
ägyptiſchen Jahres anzuſehen ſind.
Die Katakomben, in welchen ſich die beiden Harfeniſten
abgebildet finden. nennt Champollion das Grabmal des Rham-
ſes-Mi-Amun, und ſchreibt demſelben Pharaonen einen Antheil
an den Bauten von Medinet-Habu zu, welchen Lepſius Rhamſes III.
vindizirt.
*) Man erſieht aus Herodot's Schilderungen Aegyptens, daß
Moſes viele Geſetze für die Juden von den Aegyptern entlehnt ha-
ben muß. Bei dieſen war z. B. die Beſchneidung und eine viel-
fältige Abwaſchung von den älteſten Zeiten her eingeführt, auch
aßen die Aegypter nur zu gewiſſen Zeiten und unter andern Ein-
ſchränkungen Schweinefleiſch, züchteten aber dies Schwarzvieh und ge-
brauchten es (nach Herodot) nicht bloß zum Eintreten der Saat in
den Schlamm, ſondern auch zum Ausdreſchen des Kornes.
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418
Alles iſt auf blauem Grunde, mit gelb gefärbten
Figuren, prächtig, glänzend und originell im Effekt ausgeführt
und wie wenn die Malerei eben fertig geworden wäre.
In einer der kleinen Kammern am Treppeneingange finden
ſich Myſterien abgebildet, die nur einem eſoteriſchen Publikum
mittheilbar ſind.
Thiere trifft man oft abgebildet, gleichwohl ſelten Elephanten,
deſto öfter aber Krokodille, Tiger, Löwen, Affen und Leoparden.
Ueberall giebt es Götterzüge, Opferungen, Seelenfahrten, ſchauer-
liche Hinrichtungen und Todtengerichte über die Seele, durch die
42 Beiſitzer des Oſiris; ſodann die verſinnlichten aſtronomiſchen
und kosmogoniſchen Syſteme. Darſtellungen des Ganges der
Sonne in der obern Hemiſphäre. (Nach Champollion eine Alle-
gorie der königlichen Biographie.) Endlich ſind Schlachten und
Triumphzüge wie an allen andern Bauwerken ein Hauptgegen-
ſtand. Man erblickt da gerüſtete, hoch behelmte Könige, gleich
Sonnengöttern auf Kriegeswagen daherſtürmend, vor dieſen reich-
geſchirrte und ſchnaubende Roſſe, an den Köpfen mit Strauß-
federn geſchmückt. Die Feinde ſind unter die Füße geſtampft,
die verſchiedenen Truppengattungen der ägyptiſchen Heeresmacht
mit ihrer Bewaffnung aufgeſtellt. – Und dann erſcheinen wieder
die unſchönen, ſteifen, typiſch dürftig gehaltenen, pedantiſch ver-
ſchrobenen Mißgeſtalten von Iſis und Oſiris, die einander bei
den Händen halten und ſich mit großen, dunkeln, harten Augen
ſo allegoriſch-mythologiſch verhext anſtarren, daß dem lebhaften
Beſchauer vom bloßen Zuſehen die Seele aus dem Leibe und
jenen Götterfratzen in die todt-lebendigen Sehſterne fahren will.
Und dann giebt es wieder an andern Orten ganze Haufen
von Händen, Vögel mit Menſchengeſichtern, Schlangen, die auf
419
Menſchenfüßen kriechen, Mumien auf ihrem Rücken forttragen und
von einer Länge ſind, die einen ganzen Saal herumlangt.
Endlich wirrſaalt, ſpukt und figurirt da eine unbeſchreib-
liche Menge von andern Dingen, Geſchichten und Myſterien,
die zum alt-ägyptiſchen Phantaſie-Ameublement ge-
hören.
Es wird auf die Dauer ſelbſt einem Poeten und Phantaſten
von alle dem zu viel, und allzu ägyptiſch zu Muth. – Man weiß
zuletzt nicht mehr, hat man noch die alte Seele und den chriſtlich
nordiſchen Verſtand, wandelt man noch unter den Lebenden auf
der Oberwelt, oder iſt man verhext. So viel iſt gewiß: das Ta-
geslicht wird von Jedem, der aus dieſen Schauer- und Phantaſie-
grüften hinaufſteigt, mit einer Herzensempfindung, mit einer An-
dacht begrüßt, die allein ſchon das Hinabſteigen reichlich belohnt.
Ich theile zum Schluß einige intereſſante und wichtige
Notizen über die Gräber zu Theben, aus den ägyptiſchen Brie-
fen von Lepſius mit: „Die Felsgräber von Theben erinnerten
mich ſogleich an die in dieſelbe Zeit gehörenden Gräber von Be-
nihaſſan. – Sie entſtanden in der zweiten Hälfte des 3. Jahr-
tauſends vor Chriſto, unter den Königen der 11. und 12. Ma-
nethoniſchen Dynaſtie.
Seit Rhamſes III. ging die äußere Macht ſowohl, als die in-
nere Größe des Reiches wieder zurück. Nur aus dieſer und der
unmittelbar folgenden Zeit finden wir auch die Gräber der
Könige in den Felſenthälern des Gebirges.
Zu dieſen liegt der Eingang jenſeits des Vorgebirges
von Gurna. Wild und öde ſteigen dort zu beiden Seiten die
Felswände auf.
27 *
420
Nach langen Windungen, die auf großen Umwegen faſt un-
mittelbar hinter die hohen Gebirgswände des oben beſchriebenen
Aſaſivthales führen, theilt ſich das Thal in zwei Arme,
von denen der rechte zu den älteſten jener Gräber führt.
Von dieſen ſind nur zwei geöffnet, beide der 18. Dynaſtie
angehörig; das eine Amenophis III., dem Memnon der Grie-
chen, das andere ſeinem Gegenkönig Ai. Es liegt am äußerſten
Ende der langſam aufſteigenden Felsſchlucht. Das Grab des
Amenophis III. liegt mehr vorn im Thale, iſt von größerer Aus-
dehnung, mit ſchönen, aber leider ſehr verſtümmelten Skulpturen
bedeckt. -
Der linke Zweig des Hauptthals enthält die Gräber faſt
aller Könige der 19. und 20. Dynaſtie (ſiehe Seite 289).
Oft, wenn der König bei Beendigung des Grabes nach er-
ſtem Plane ſich noch ungeſchwächt fühlte, wurden neue Korridore
und Kammern in andern Richtungen ausgehöhlt und mit einem
neuen, noch größern und prächtigern Pfeilerſaale geſchloſſen,
und dieſem event noch kleine Kammern zugefügt“ c.
„Von ſpäteren Monumenten ſind namentlich die Gräber
aus der 26. Dynaſtie des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. be-
merkenswerth. Dieſe ſind im vordern Theile jener Felſenbucht,
zwiſchen Gurna und dem Hügel Abd-el Gurna, in den flachen
Boden gehauen, und werden vorzugsweiſe El Aſaſiv genannt
(Seite 291).
Schon zu Strabo's Zeiten war das alte Theben in meh-
rere Dörfer zerfallen, und Germanikus beſuchte es aus Wißbe-
gierde und Ehrfurcht, wie Tacitus berichtet.
Decius (250 n. Chr.) iſt der letzte hieroglyphiſche
Kaiſer name, den ich in ganz Aegypten gefunden, in einer Dar-
421
ſtellung des Tempels zu Esneh. Hundert Jahre ſpäter zieht ſich
ſchon der heilige Athanaſius in die thebaiſche Wüſte unter die
dortigen chriſtlichen Eremiten zurück. Das Edikt des Theo-
doſius gegen das Heidenthum 391 nahm den ägyptiſchen
Tempeln das letzte Anſehen, und begünſtigte das Mönchs- und
Einſiedlerweſen daſelbſt.
Seitdem erſtehen im ganzen Lande zahlreiche Kirchen und
Klöſter, und die Grabhöhlen der Wüſte werden zu Trog-
lotydenwohnungen für eine ascetiſche Eremitenbevölkerung.
In einem Grabe von Gurna iſt noch heute ein Brief des heiligen
Athanaſius, Erzbiſchofs von Alexandrien, an die orthodoxen
Mönche von Theben auf dem weißen Stuck in ſchönen Unzia-
len, aber leider ſehr fragmentariſch erhalten, und beſonders liebte
man es, alte Tempel in koptiſche Kirchen und Klöſter zu verwan-
deln, was ihnen zum Nachtheil und Vortheil zugleich gereichte.
Man überzog oft die Skulpturen mit Niler de.
Noch jetzt iſt ein großer Theil der Bevölkerung auf beiden
Seiten des Nils koptiſch.
Dieſe Kopten ſind die Epigonen, die ächteſten unge-
miſchten Nachkommen jenes alten Pharaonenvolkes,
das einſt Aſien und Aethiopien erobert, und ſeine Gefangenen
von Nord und Süd in die große Halle von Karnak vor Ammon
geführt hatte, in deſſen Weisheit Moſes erzogen worden und
bei deſſen Prieſterſchaften griechiſche Gelehrte in die
Schule gingen.“ – 0 Aegypte, Aegypte etc. (ſiehe 299). –
Am Schluſſe ſeiner Briefe aus Aegypten giebt Lepſius die
nachſtehende Tabelle:
Vorgeſchichtlich.
Erhebung des Gottes Horus auf Oſiris Götterthron (Dendera).
422
Altes Reich.
Dynaſtie I. Auszug des Menes von This, der Stadt des
Oſiris.
Gründung von Memphis, Stadt des Phtah, durch Menes.
Dynaſtie IV. Pyramidenbau des Cheops und Chephren.
Dynaſtie VI. Vereinigung der beiden Kronen von Ober- und
Unterägypten unter die hundertjährige Regierung des
Apappus. -
Dynaſtie XII. Tempel des Ammon in Theben, von Seſurteſen I.
gegründet in der 12. Dynaſtie. Einwandernde Hykſos.
(Benihaſſan).
Labyrinth und Mörisſee: Werke des Amenemha III. der
12. Dynaſtie.
Dynaſtie XIII. Einfall der Hykſos in Unterägypten. Vertrei-
bung der ägyptiſchen Herrſcher nach Aethiopien. Herrſchaft
der Hykſos.
Neues Reich.
Dynaſtie XVII–XVIII. Amenophis I.
Tuthmoſis III. vertreibt die Hykſos aus Abaris. – Jeruſa-
lem von ihnen gegründet. s -
Amenophis III., – Memnon und die klingende Statue.
Dynaſtie XIX. Sethos I. (Sethoſis, Seſoſtris).
Beſiegung von Kanaan (Karnak). – Joſeph und ſeine
Brüder. -
Rhamſes II., der Große. Mi-Amun. Krieg gegen die Cheta.
(Rhameſſeum).
Die ziegel ſtreichenden Juden (Theben).
Koloniſation Griechenlands von Aegypten aus.
Menephtes. Auszug der Israeliten zum Sinai.
423
Moſes vor Pharao. Beginn der neuen Siriusperiode
1322 v. Chr.
Dynaſtie XX. Rhamſes III. Rhampſenit. Medinet-Habu.
Dynaſtie XXII. Scheſchenk I. (Schiſchak) nimmt Jeruſalem ein.
Dynaſtie XXV. Sabako der Aethiope herrſcht in Aegypten.
Dynaſtie XXVI. Pſammetich, der Griechenfreund, hebt die
Kunſt.
Dynaſtie XXVII. Kambyſes.
Lu q ſo r.
Weiter bin ich nicht im Stande, den alten Plan
der Gebäude von Luqſor zu verfolgen. Bald waren
wir in einem Stall, bald in einem Hofe, bald in
W einer Hütte, um Säulen und Gemäuer mit Hiero-
glyphen zu ſehen. Tauben und Hühner, Ziegen und -
Schafe, Kinder und Hunde verſtörten wir bei unſe-
rer Wanderung, und was einen Menſchenmund
hatte, ſchrie uns an um „Backſchieſch“.
(Hahn-Hahn.)
Die Wunderruinen des Dorfes Luqſor (welches Wort im
Arabiſchen ſo viel als Paläſte bedeutet) liegen an einer Stelle
kaum ſechzig Schritte, die Pylonen mit dem übrig gebliebenen
herrlichen Obelisk mehrere hundert Schritte weit vom rechten Nil-
ufer entfernt, welches hier, vollkommen flach, eine fruchtbare Ebene
bildet, die ſich mehrere Stunden weit his zu dem am Saume der
arabiſchen Wüſte liegenden Orte Medamót hin erſtreckt.
Was ſich dem von Kenneh den Strom hinaufſchiffenden Rei-
ſenden zuerſt und vielverheißend präſentirt, iſt ein Pracht-
Portikus mit vierzehn über die Hälfte in Schutt vergrabenen
Koloſſalſäulen und einem Flügel von eilf kleineren in der Fronte;
dieſe wie jene Kolumnen haben noch ihr maſſenhaftes Gebälk.
425
In der Abend- und Morgenbeleuchtung, aus der Entfernung
vom andern Ufer geſehen, mit dem ſtillen, breiten Strom im Vor-
dergrunde, und vom arabiſchen, im Dufte des Horizontes ver-
ſchwimmenden Gebirge eingefaßt, haben dieſe Säulenhallen
einen ſo träumeriſch-idealiſchen Charakter, eine ſo
magiſche Färbung, einen ſo phantaſtiſch-maleriſchen
Effekt, daß man eine Fata Morgana vor ſich zu ſehen
glaubt. So hat ſich eine Dichter-Phantaſie dieſe ägyptiſchen
Märchenbauwerke geträumt, und nun ſind ſie Wirklichkeit geworden
und ſtehen in ungeheurer Maſſenhaftigkeit vor dem trunkenen Blick,
und ſind gleichwohl Dichtungen und Träume der alten
Menſchenſeele in Fels gebildet und gebaut.
Hier iſt die Kunſtſchönheit, nach der die Seele vergeblich
im Norden ausgeſchaut hat, und ihre Magie zerrinnt wahrlich nicht
in Luft, wenn man im Abend- oder im Morgenlichte zu dem
Prachtportal von Lugſor herantritt, wenn man ſeinen, wie
einen Achatſtein geſchliffenen und mit hieroglyphiſcher Kameenarbeit
bedeckten Obelisken betaſtet; –- wenn uns unter umherliegenden
Trümmern die Spiegelpolitur eines Rieſenhelms von acht Fuß
Höhe aus Roſengranit in die Augen blitzt; wenn unſerm aus den
Fugen weichenden Verſtande, wenn unſeren delirirenden Sinnen
hinter der ſchlanken Spitzſäule, deren geſchliffenes Pyramidion im
untergehenden Sonnenlichte flammt, ſich die Basreliefbilder der
Pylonenwände in Purpurſchatten malen, und die letzten oder erſten
Strahlen der Sonne über die Enaksglieder der zerbrochenen, drei-
ßig Fuß hohen Granitbildſäulen hinwegzittern, die zu beiden Sei-
ten eines Wunderthores gelehnt ſtehen. Dieſes ſelbſt iſt
zwiſchen abgeſtumpften Pyramidenthürmen von ſiebenzig Fuß
Höhe und zweiundneunzig Fuß Breite noch zweiundfünfzig Fuß
hoch mitten inne gebaut, und bildet mit dieſen von Bildwerken
bedeckten Pylonen den Eingang zu einem Gigantenpalaſte, der
426
von Schlammhütten verbaut worden iſt, und deſſen Portikus der
Wallfahrer zu dieſen Kunſtwundern aus der Ferne begrüßt. –
Unter den Bildwerken in Lugſor fällt eine Darſtellung auf,
in welcher ein Mann vier fette Kühe führt, die aus dem Nil
hervorſteigen. Sie erinnern an Pharao's Traum.
(Sinai und Golgatha von Strauß.)
Der General Heilbronner beſchreibt in ſeinem Reiſe-
werk „Morgen- und Abendland“ das Schlachtenbild auf
der einen Pylonenwand folgender Geſtalt: „ Wie groß erſcheint
jene Zeit ſelbſt im Verfalle, und wie lange bedurfte unſere Zeit,
um zur Erkenntniß zu kommen, daß all' ihr Bauwerk gegen jene
erhabenen Werke nur Puppenſpiel iſt! –
„Man vermuthet oft in der ägyptiſchen Mythologie nu
Gegenſtände grottesker und faſt ſcheußlicher Natur, und ſieht hier
zu ſeinem Erſtaunen die edelſten Bildwerke, wahrhaft erhabene
Geſtalten von Göttern und Kriegern, meiſtens über Lebensgröße,
ſich in Schönheit und Grazie überbietend. –
„Wenn wir aber auch nichts fänden als das Schlachtbild
auf dem einen Pylon in Luqſor, ſo würde ſeine Anlage und die
Vertheilung der Figuren hinreichen, um uns die höchſte Vorſtel-
lung von dem Zuſtande der ägyptiſchen Kunſt zu verleihen. Die
Wuth, mit welcher die ägyptiſche Armee ſich auf die Feinde ſtürzt
und ſie in ihre Feſtung zurückwirft, iſt vom höchſten Effekt, und
ein Bild, würdig von Heß entworfen zu ſein.
„Der ſiegende König iſt wie immer in koloſſaler, alles über-
ragender Geſtalt dargeſtellt. Zwei muthige Roſſe ziehen den
Wagen, in welchem er ſtehend einen ſtraff geſpannten Bogen ab-
427
ſchießt. Hinter ihm entfaltet ſich die fliegende Fahne, ſein Helm
iſt mit dem königlichen Diskus geziert; die Geſtalt iſt voll Muth
und Feuer, maleriſch ſchön geſtellt. Zu ſeinen Füßen liegt ein
Löwe, und an den in vollem Laufe rennenden Pferden iſt alles
Leben und Geiſt, in Haltung und Form. Federn wehen auf ihren
Köpfen und die Zügel ſchlingt ſich der Sieger um den ſchönen
Leib. – Das Gewühl der Schlacht tobt über Todten und Ver-
wundeten. Schrecken erfaßt die Glieder der Feinde und ihre
Roſſe. Jene werfen ſich in wilder Flucht kopfüber der Tiefe
eines Walles zu, der die Feſtung umſchließt.
„Die Verzweiflung der Wagenlenker, das Stutzen der Pferde
vor dem Abgrund und das allgemeine vom heftigſten Gedränge
der Fliehenden und Sieger erzeugte Hinabſtürzen iſt hier in harten
Fels, in Gruppen und Szenen gemeißelt, die dem kühnſten Pinſel
Ehre machen würden. Man glaubt das Wüthen des Kampfes,
das Geſchrei von den Wällen, den verzweifelten Ruf der Weiber
und Greiſe auf den Thürmen zu hören. – Weit ſeinen Schaaren
voraus hat Mordluſt den tapfern Feldherrn in die Feinde geführt,
und die Haufen der Erſchlagenen um ihn zeugen von ſeiner mör-
deriſchen Fauſt. Die Aegypter ſtellten ihre Könige und Götter
gern mit hohen Körperkräften begabt dar, und der mächtige Oſi-
ris erſcheint überall in übermenſchlicher Geſtalt, wie er eine ganze
Schaar feindlicher Köpfe, zu einem Schopfe vereint, in der linken
Hand hält, während die Rechte eine Axt ſchwingt, um ihnen die
Hälſe auf einmal durchzuhauen. Alle Wände der Pylonen und
Tempel ſind mit derlei hiſtoriſchen Bildern meiſtens heroiſcher Na-
tur überdeckt, und man weiß nicht, ſoll man mehr die feurige Auf-
faſſung bewundern, oder die Technik, die Friſche der Farben,
die unermeßliche Kunſtfertigkeit.
K a r n a k.
Hier im Nilthal Leben; rings umher Erſtarrung und Tod. –
Das iſt das Vorbild der Geſchichte Aegpptens und ſeiner Religion.
Aegypten iſt der Nil mit ſeinen Schlammufern; das Andere iſt
Felſen und Sand. –
Aegypten iſt eine Auſter, welche zwiſchen zwei Schalen an Afrika
hängt, – (dem lybiſchen Gebirge und dem Mokattam). –
Theben die heilige Pharaonenſtadt – ein Chaos unverwüſtlicher
Trümmer, ein Räthſel in Steine verwandelt; ein zerriſſenes Blatt
uralter, ſeltſamer Geſchichten, das Niemand vereinigen und leſen kann.
Wie ein in Melancholie und Wahnſinn verſunkener Menſch die-
ſelbe Frage, über welche er verrückt geworden iſt, immer wiederholt,
ſo Aegypten ſeine Sphinx in Koloſſen aufgeſtellt zu Alleen, welche zu
den Tempeln und Pharaonenpaläſten in Karnak führen. – Wie ge-
waltig wirken dieſe Maſſen eben in ihrer Einförmigkeit! Vor den
mächtigen Pylonen ſitzen und ſtehen die koloſſalen ſteinernen Sklaven
mit den fanatiſchen dumpf hinſtarrenden Geſichtern. – In dieſer ent-
ſetzlichen Ausdehnung zum Ungeheuern über Maaß und Verhältniß
hinaus, und im ewigen Einerlei hinbrütender Melancholie drinnen im
Hofe ſtehen umher in langer, einförmiger Trabantenreihe wieder an-
dere ſteinerne, ewige Knechte des königlichen Gebäudes, welche noch
nach Jahrtauſenden gehorſam auf dem Nacken den Felſen tragen. –
Dahinter, welche Hallen thuen ſich auf! und mitten darin der Feſt-
ſaal, deſſen Decke ein Säulenwald emporträgt, deſſen Wände bedeckt
ſind mit bunten abenteuerlichen Göttern und Opferzügen und wunder-
lichen Verzierungen überall.
Hier iſt ein ſteinernes und wahrhaftiges Märchen, ein
Gedicht, das ihr mit der Hand angreifen könnt. Glaubt ihr noch
nicht an die Wahrheit der Poeſie!
-
429
Und dieſe Hieroglyphen, ſind ſie nicht wie Geiger, welche mit
einem in Fett getauchten Violinbogen über die geſpannten Saiten
fahren? Kann man das hören und kann man dieſe Schriftzüge leſen?
Was wollen ſie bedeuten? –
Zur Ruhe auch Du mit Hieroglyphen beſchriebenes Herz!
(Julius Moſen. Bilder im Mooſe.)
Den Forſchungen von Lepſius zu Folge hieß Ap (mit
dem weiblichen Artikel Tap, woraus die Griechen Thebe machten,)
ein einzelnes Heiligthum in dem großen Reichstempel des „Am-
mon-Ra zu Theben. An ihn knüpft ſich die ganze Geſchichte des
ägyptiſchen Reiches, ſeit der Erhebung der Ammonsſtadt zu einer
der beiden Reſidenzen.
Alle Dynaſtieenwetteiferten in dem Ruhme einer Erweiterung,
Verſchönerung und Wiederherſtellung dieſes Nationalheiligthums,
nachdem es durch die Hykſos aus deren fünfhundertjähriger Herr-
ſchaft kein Bauwerk auf unſere Zeiten gekommen iſt – zerſtört
worden war. – Dieſer Reichstempel (zu Karnak), berichtet Lep-
ſius, wurde unter der erſten thebaiſchen Reichsdynaſtie der 12ten,
bei Manethös, von ihrem erſten Könige, dem mächtigen Seſur-
teſen I. im viertletzten Jahrhundert des dritten Jahrtauſends vor
Chriſto (circa 2650) gegründet, und weiſet noch jetzt in ſeiner
Mitte einige Trümmer aus der Zeit und mit dem Namen dieſes
Königes auf.
Nachdem dem erſten Könige der 17. Dynaſtie Amoſis im 17.
Jahrhundert vor Chriſto die erſte Schilderhebung gegen die Hykſos
geglückt war, ſo erbauten ſchon die beiden Nachfolger Amenophis I.
und Tuthmoſis I., um die Reſte des älteſten Heiligthums
einen ſtattlichen Tempel mit vielen Kammern, welche die Cella
umſchloſſen, und mit einem breiten Hofe, wie mit den zugehörigen
Pylonen, vor welchen Tuthmoſis I. zwei Obelisken aufſtellen ließ.
Eine noch weit glänzendere Erweiterung des Tempels wurde im
430
15. und 14. Jahrhundert vor Chriſto von den großen Pharaonen
der 19. Dynaſtie ausgeführt, indem Sethos I. (welchen Cham-
pollion irrthümlich Menephta genannt hat), der Vater des Rham-
ſes Mi-Amun in der urſprünglichen Axe des Tempels, den mächtigen
Pfeilerſaal anbaute, welcher Königsſaal genannt wird. Seine
Skulpturen, welche alle Flächen bedecken (theils erhaben, theils
vertieft) wurden von den Nachfolgern und großentheils von
Rhamſes Mi-Amun vollendet. – Vor dieſes Hypoſtylwurde ſpäter
noch ein großer hypäthraler, nur an den Seiten mit Säulengän-
gen verzierter Hof von 270 zu 320 Fuß mit einem ſtattlichen
Pylon vorgelegt. Das Haupt der 20. Dynaſtie, Rhamſes III.,
baute einen beſonderen Tempel mit Säulenhof und Hypoſtyl über
200 Fuß lang, welcher nur ziemlich unſymmetriſch die Umfaſſungs-
mauer des äußern Vorhofes durchſchneidet, und gründete in einiger
Entfernung davon ein noch größeres Heiligthum für die
dritte Perſon der Thebaiſchen Triade: den Ammons
Sohn Chen ſu. Dieſes Letztere vollendeten die folgenden Könige
ſeiner Dynaſtie und die Prieſterkönige der 21. Dynaſtie. Aus
der 22. iſt Scheſchenk I., der Schiſchak der Bibel bekannt, welcher
um 970 Jeruſalem eroberte. Seine aſiatiſchen Kriegszüge ſind
an der ſüdlichen Außenwand des großen Tempels verherrlicht, wo
er 140 überwundene Städte und Landſchaften in den ſymboliſchen
Geſtalten von Gefangenen vor Ammon führt. Unter ihren Namen
findet ſich einer, den man nicht ohne Grund für eine Bezeichnung
des Reiches Juda hält, ſo wie die Namen mehrerer bekannter pa-
läſtinenſiſcher Städte. So weit alſo Lepſius im Extrakt.
An einem paradieſiſchen Novembermorgen auf meiner Barke
erwacht, ritt ich von Luqſor mit einem von dort mitgenommenen,
billigen und beſcheidenen Führer, Namens Mehemed Ali, welcher
43 1
franzöſiſch, italieniſch und auch etwas engliſch verſtand, auf einem
munter trabenden Eſelein, in der glücklichſten und bewegteſten
Stimmung, welche ein Menſchenkind haben kann, nach den Wun-
derruinen von Karnak, die eine halbe Meile von Lugſor, und
kaum eine achtel deutſche Meile vom Nilufer entfernt ſind. –
Auf einer mäßigen Bodenerhöhung und über einen von Rie-
ſenthoren umgrenzten Raum verbreitet, in welchem eine mittelgroße
Stadt nicht beengt wäre, liegen die prächtigſten Kunſtwerke dieſer
Erde, an welchen die Hoffahrt und Herrlichkeit der mächtigſten
Fürſtengeſchlechter der alten Welt zwei Jahrtauſende gebaut hat,
ſo verwüſtet, verſchüttet, zerſchmiſſen und durcheinander geſtürzt
am Boden; – und zugleich erheben ſich aus dieſen markerſchüt-
ternden Trümmerſtätten, aus dieſem Erdbebengericht der
Weltgeſchichte die Triumphthore, die 70 Fuß hohen
Mauerumwallungen, die Obelisken und ein Wald von
Rieſenſäulen, mit ſo gerüſtetem, zu Hauf geſchaartem Stolze,
mit einer ſo überirdiſch vereinſamten, glorioſen Majeſtät in die
ſchweigſamen, ätherreinen Myſterien hauchenden Lüfte, daß es un-
entſchieden bleiben muß, ob die Jahrtauſende Sieger ge-
blieben ſind, oder ob ihnen der Menſch in jenen faſt
übermenſchlichen Werken Trotz bieten gedurft!
Iſt der Reiſende ſchon vor den Ruinen in Medinet-Habu in
Luqſor und vor den Memnonsſäulen in Verwirrung, in tiefſtes
Nachdenken und in Erſtaunen gerathen, hat er ſich vergebens auf
Maßſtäbe und Anknüpfungspunkte, auf gewohnte Vorſtellungen,
Proportionen und Chablonen beſonnen; – war er bis dahin auf
einem ganz unbekannten Felde des Dichtens und Denkens, der
Kulturgeſchichte und des ganzen menſchlichen Seins, ſo wandelter
auf den Trümmern von Karnak wie in einer andern Welt. –
432
Dieſe Tempelpaläſte, dieſer Wald von thurmhohen, 9 und 12
Fuß im Durchmeſſer haltenden, von oben bis unten mit Skulp-
turen bedeckten Steinſäulen, mit einem Gebälke aus Steinblöcken
von 20 bis 25 Fuß Länge, auf welchen ſich über dem Mittel-
ſchiffe von 12 ſechsundſechzig Fuß hohen Säulen noch ein zweites
Stockwerk von vierſeitigen Pfeilern erhebt; – dieſe immenſen
Steinthore, von denen noch fünf an der Zahl aufrecht ſtehen, mit
ihren abgeſtumpften Pyramiden (Pylonen) in einer Höhe von
60 und 80 Fuß; – dieſe paarweiſe aufgeſtellten Granitobelisken
und Koloſſal-Bildſäulen, die Granitgemächer, der Rieſenſaal mit
134 Säulen, – alle die Säulenhallen, die Säle, die Sphinx-
alleen, die 70 Fuß hohen pyramidal geneigten Mauerumwallungen
mit ihren wundervoll-proportionirten Simswerken und Bildwerken
in Stein, dieſe unermeßlichen Bauten, ſcheinen nicht mehr die Er-
zeugniſſe von Menſchenhänden und ſterblichen Kräften, ſondern die
Thaten und Ideen von Giganten und Titanen ! – ſie ſcheinen
verwirklichte Fabeln, in Stein überſetzte Mythen zu ſein! –
Verglichen mit dieſen Rieſenmaſſen und Rieſenmaßen, mit
dieſer ſteinernen Traumwelt von Phantaſiebauwerken, deren bloßer
Anblick die moderne Einbildungskraft erlahmt, vor deren Studium
der Bauverſtand unſerer größten Baumeiſter in die Pfanne ge-
hauen wird, erſcheinen ſelbſt die Koloſſalbauten der alten und
neuen Römer nur gewöhnlich, bedeutungslos, ja dürftig und klein.
Was wollen die Kolonnaden von St. Peter, was der Dom
ſelbſt oder auch das Koloſſeum, die Trajans- und Antoninsſäule,
wenn man ſie an jenen Tempeln, jenen Säulen bemißt, von welchen
jede einen maſſiven, mit Basreliefs bedeckten runden Steinthurm
darſtellt, – was wollen die römiſchen Triumphbögen be-
433
ſagen gegen das Hauptportal auf der Südſeite zu Karnak, aus
ſkulpirten Granitblöcken auferbaut, mit Granitkoloſſen von 30 und
40 Fuß Höhe geziert, von anderen Pylonenthoren flankirt und
eingeleitet von einer Allee, die heute noch aus 120 koloſſalen
Steinſphinxen beſteht, – während zum Nebenthore eine gleiche
Sphinxreihe führt. Selbſt das Sehen hilft bei dieſen Bauwerken
noch nicht zum Begreifen. Hier iſt in ungeheueren Steinmaſſen
Seele und Geiſt, wie ſonſt nur in Bildſäulen ausgedrückt; –
das Erhabene und Anmuthige in den Proportionen von todten
Wänden und Simswerken verſöhnt. –
Ebenmaß, Symmetrie, Einfachheit, die grandioſeſte Ruhe und
Harmonie, Alles wird zu Karnak in den großartigſten archi-
tektoniſchen Linien, Flächen, Maſſen und Ornamenten
angeſchaut, welche irgend ein Bauwerk der Erde aufzuzeigen hat.
Nichts iſt an dieſem ſtreng einheitlichen, einfachen, erhabenen,
koloſſalen und doch anmuthigen Bauſtyl auf arabiſche Weiſe ver-
ſchnörkelt, gezickzackt, verwirrt und kleinlich verziert. Keine un-
nützlich üppigen Beiwerke und Nebengedanken verdecken, ſchmälern
und überwuchern die Haupttheile, die großen Gliederungen, die
Maſſen und den impoſanten Eindruck der Totalität.
Die Idee des Baumeiſters und ſeine Intentionen liegen
mathematiſch geregelt, ruhig und klar, – durch nichts unterbrochen
und getrübt vor Das Prinzip dieſer altägyptiſchen Baukunſt iſt
nur Mathematik und Kryſtalliſation; – die Grundform iſt
die der Pyramide überall. Alle Mauerwerke, Tempelwände,
Pylonen und Pforten neigen ſich pyramidal; und mit einem Py-
ramidion iſt auch der Obelisk zugeſpitzt, welcher nur als die
Blüthe, der höchſte Witz und Blitz der Pyramidenmaſſe erſcheint.
Wundervoll einfach und großartig iſt das Simswerk
überall angewendet. Es hat kein Karnieß nur drei Glieder, die
Tafel, die Hohlkehle und den Stab, das iſt eine halbrunde
28
434
Wulſt, mit welcher letztern alle ſcharfen Ecken und Kanten der
Wände dergeſtalt eingefaßt und eingerahmt ſind, daß die Mauer-
flächen wie ungeheure Füllungen erſcheinen und wie wenn ſie in
die Maſſen hinein vertieft ſind.
Man kann ſein Auge, ſeine Sinne nur allmälig zu dieſer
unerhörten Welt von Proportionen, Maßen und Formen, zu dieſen
grandios architektoniſchen Evolutionen von ungeheuern Werkſtücken
erziehen. In den erſten Augenblicken und Stunden iſt das Men-
ſchenkind von alle dem, was hier auf Seele und Geiſt einſtürmt,
überwältigt – vernichtet und wie von Sinnen gebracht. Solchen
Sturmeindrücken, ſolchen Kunſtthaten gegenüber hält das moderne
Kunſt- und Kulturgewiſſen nicht Stand. – Hier vergeht den Klei-
nigkeitskrämern, den konventionell-ausſtaffirten Geſchmacksmäklern
von Heute, – den abſtrakten Dialektikern, die ſich das Konkrete,
welches nur in Seele, Sinnlichkeit und That ermöglicht iſt, auf
den Kopf zu ſagen: Hören und Sehen! –
Für die detaillirtere Schilderung von Karnak ſchreibe ich
wohl am beſten die Notizen meines Tagebuches ab, welche ich an
Ort und Stelle machte, und Schritt für Schritt.
Was man ſpäterhin und zu Hauſe aus ſolchen erſten augen-
blicklichen Sturm- und Drangempfindungen zuſammenſtyliſirt und
korrigirt, verliert nothwendig die erſte Friſche und Unmittelbarkeit
der Auffaſſung und gewinnt in Stelle der rhapſodiſchen Natür-
lichkeit und Divination eine abſtrakte, blaſſe, todte Einheit, eine
aus Lektüren zuſammengeflickte Vollſtändigkeit, die keinesweges
förderlich oder erbaulich zu wirken pflegt. Zu dem nordweſtlichen
Rieſenthore von Karnak führt eine Allee von 104 geköpften
435
Sphinxen, zumeiſt aus ſehr verwittertem Geſtein. Das Thor
ſelbſt iſt über alle Begriffe großartig, maſſenhaft,
originell und ſchön! – Es bildet eine abgeſtumpfte Pyra-
mide aus vollkommen ſorgfältig behauenen und ſo gefugten harten
Sandſteinwerkſtücken aufgeführt, mit einem herrlichem nur wenig
beſchädigten Geſims.
Das ganze Bauwerk erſcheint ſowohl konſervirt, daß man ihm
nur um ſeiner originellen Majeſtät willen die Jahrtauſende ſeines
Alters abzumerken vermag, die unter einem ſo ewig gleichen Him-
mel an den Felsmaſſen wie eben ſo viele Jahrzehende an nordiſchen
Bauwerken vorüberziehen.
Unter dem Simswerk am Fries ſieht man das ſtehende
Symbol dieſer Thore: eine Kugel mit zwei aufgerichteten Schlan-
gen in Basrelief abgebildet, und darüber ein ausgebreitetes un-
geheures Flügelpaar, deſſen Spitzen beinahe die Enden des Simſes
berühren, ſo daß durch dieſe Bildnerei die Fläche des Frieſes ver-
ziert wird. –
An beiden Seiten dieſes äußerſten Thores befinden ſich die
Subſtruktionen der Pylonen, von denen es flankirt war; an ihnen
ſind prächtige Skulpturen von lebensgroßen Basreliefiguren mit
ausgemeißelten Geſichtern zu ſehen. – Die architektoniſchen Ver-
hältniſſe, Linien, Maſſen, Gliederungen und Contrebalancen des
ganzen Bauwerkes ſind wunderwürdig einfach, grandios und im-
poſant. Der Charakter des Bauſtyls iſt triumphatoriſch
ſchön, das Thor ſteht ſo felſenfeſt, ruhig, maſſenhaft gegründet,
und ſteigt doch ſo wunderbar ſchön und verjüngt, ſo ſchlank und
leicht, ja ſo glorios in die Luft, daß es wie ein ungeheurer
fort klingender Trompetenſtoß wirkt, durch welchen der
Einbildungskraft die folgenden Ruhmeshallen und Tempelpaläſte
für alle Jahrtauſende angemeldet ſind.
28*
436
Hier oder an keinem Orte begreift die Seele, daß und
wie die Baukunſt eine verſteinerte Muſik ſein und genannt
werden darf.
Man kann dies Thor für einen vollkommenen Typus und die
anſchaulichſte Einleitung aller pharaoniſchen Prachtbauten gelten
laſſen, ſo wunderſchön und inſtruktiv zugleich ſtellt ſich ſeine Maſ-
ſen- und Formen harmonie dar!
Mir zitterte jede Fiber, wie ich durch dieſe Pforte ging, ob
ich auch der kommenden Wunder würdig ſein möchte. Man zagt
hier vor der himmliſchen Gewalt, welche der Seele durch die höchſte
Schönheit angethan werden kann! –
Iſt nun dieſer Idealismus, dieſe natürlich-übernatürliche Be-
geiſterung der Menſchenkreatur für eine materielle Schönheit, für
eine in todtem Stoff abgeſpiegelte Harmonie und Weltökonomie,
iſt ſie nicht ein hehrer Fingerzeig unſerer göttlichen Abkunft, unſe-
rer Seelenunſterblichkeit, – und iſt dieſe ſelbſt nicht die ſchönſte
Ausdeutung dieſes Lebenstraumes von Erde und Staub! –
Ja, es liegt und wirkt eine Religion auch in den ſchönen
Künſten: in dem richtig behauenen und zum Ganzen gefügten
Steine, in der Mathematik, dem natürlichen Ebenmaß, der Sym-
metrie und Harmonie der Töne wie der Formen, überall. – Ich
hatte das längſt geleſen, gedichtet und gedacht; aber hier auf Kar-
naks Bauwundern habe ich es in tiefſter Seele, im Gewiſſen em-
pfunden, eingefleiſcht und geglaubt! –
Wir treten aus jenem Thore zunächſt in ein kleineres ein-
ſtöckiges Tempel- oder Palaſtgebäude: allda ſind Säulen mit
Prachtknäufen wie Tulpenblätter anzuſchauen, ſchöne Skulpturen
an allen Wänden, flach gehaltene Basreliefs, die aber nicht wie in
den Königsgräbern in die Wandfläche vertieft ſind, Gemächer von
Souterrains, in welche durch eine Art von Kellerlöchern das Licht
hineinfällt (ordentliche große Fenſteröffnungen nach nordiſcher Art
437
habe ich bis jetzt in keinem Palaſte oder Tempelgebäude bemerkt,
und ein zweites Stockwerk kommt nur in dem kleinern Palaſte
von Medinet-Habu vor).
Wir ſchreiten durch ein zweites Prachtportal mit wohlerhal-
tenen Pylonen, ganz wie das Thor in Luaſor anzuſchauen. Dop-
pelte Säulengänge rings um den Hof; im zweiten Hofe ein Schutt,
der bis an die Mitte der Säulen hinanreicht.
Ich beſteige die Plattform des Thors. Die Deckſteine ſind
15 Fuß (9 gewöhnliche Schritte) lang, 2 Fuß dick und 3 Fuß
breit. Es täuſchen hier alle Maße und Verhältniſſe, ſie erſchei-
nen wegen der Verjüngung, des Ebenmaßes und der allgemeinen
Koloſſalität viel kleiner, wie ſie in Wirklichkeit ſind.
In den Deckſteinen finden ſich häufig Fußſohlen mit den
Zehen ſkulpirt, eben ſo Vertiefungen für Metallklammern, wie in
Medinet-Habu; die letztern ſcheinen aber nie vorhanden geweſen zu
ſein, wenn man erwägt, wie unverletzt und ſcharf geſchnitten die
Höhlen geblieben ſind.
Wir wenden uns jetzt zur Nilſeite der Bauwerke hin; hier
giebt es pyramidal geneigte Koloſſalwände von 70 Fuß Höhe.
Es iſt das Ganze ein Komplexus von Tempeln, Paläſten, Pylo-
nen und Umwallungsmauern in einer Ausdehnung und Maſſenhaf-
tigkeit und in einem ſo erhabenen Styl, daß man gegen kleinliche
Verwunderungen und bloße Kurioſitäten für zeitlebens abgehärtet
wird. Die Aehnlichkeit dieſes ägyptiſchen Pyramiden ſtyls
mit dem der altmexikaniſchen Gebäude dringt ſich unab-
weislich dem unbefangenſten Beſchauer auf, und wenn man be-
denkt, daß ſich dieſe Pyramidenform in der indiſchen Architektur,
daß ſie ſich in den ſogenannten „Morais“ (den Mauſoleen eini-
ger Südſee-Inſulaner) vorfindet, daß ſie der Kern der deutſchen
Münſterthürme iſt, ſo ſcheint ſie wohl nicht minder in der
4"
438
menſchlichen Seele und Organiſation begründet, wie im kryſtal-
liniſchen Geſtein.
Die Frage nach dem Zweck der ägyptiſchen Pyramiden, nach
ihrer Form, Nothwendigkeit und äſthetiſchen Oekonomie iſt alſo
wohl eine Frage nach der Idee, der Oekonomie, der Bildkraft und
den Formen der Natur ſelbſt!
Die landſchaftliche Umgebung, – die Nilniederung, das ara-
biſche Gebirge von der entgegengeſetzten Seite ſind ſo prächtig, ha-
ben einen ſo mythologiſch-idealen Charakter, daß man bei wachem
Muthe nicht aus Träumen und verwirklichten Operndekorationen
herauszukommen vermag. – Schaf- uud Ziegenhirten ſieht man
zu jeder Tageszeit mit ihren Thieren zwiſchen den Ruinen. Eine
Heerde von jungen Kameelen, von Eſeln und Rindern, die am
Morgen über die mit zerſtreuten Palmen beſtandenen Trümmer,
durch offene Höfe und Säulengänge zur Weide getrieben wurden,
und Araber mit Kameelen, die eine Laſt Datteln nach Lugſor
führten, und denen wir ſelbſt etwas abkauften, gaben die Staffage
für dieſe Ruinenlandſchaft, die ohne Gleichen auf dem weiten Er-
denrund iſt! –
Die koloſſalen Quadern, von 3% bis zu 6 Fuß Länge und
von 1/2 bis zu 3 Fuß Dicke, ſind aller Orten ſorgfältig behauen
und ohne Mörtel auf das Akkurateſte zuſammengefügt.
Die franzöſiſche Expedition unter Denon hat dieſen Mauer-
werken eine große Inſchrift eingemeißelt.
Bei dieſer Gelegenheit wird zur allgemeinſten Orientirung
bemerkt werden müſſen, daß der Grundriß dieſer Tempel- und Pa-
laſtbauten zu Karnak, zuſammt ihren Umwallungen, wie ſie durch
die nach allen Seiten noch vorhandenen und ſich gegenüberſtehenden
Thore bezeichnet ſind, ein Oblong von 2000 Fuß bildet, welches
439
die vierfache Breite in ſich faßt und genau von Nord-Weſt nach
Süd-Oſt gerichtet iſt.
Mitten im größten Hofe iſt von zwölf Koloſſalſäulen nur
noch eine ſtehen geblieben; ſie hat nach meiner Armſpannung ge-
meſſen, die genau 5*/2 Fuß beträgt, 28!/2 Fuß Umfang, alſo im
Durchmeſſer 9!/2 Fuß. Sie iſt wie alle andern Kolumnen aus
Sandſtein-Werkſtücken (Trommeln) von ungleicher Dicke zuſammen-
geſetzt, deren ich 27, bei anderen Säulen nur 15 gezählt. 122
Säulen, welche je einen Umfang von 27 Fuß und eine Höhe von
40 Fuß haben, tragen das Gebälke im ſogenannten Königs- oder
Rieſenſaale, in den man von jener einſamen Säule aus wie in
einen Wald von ſteinernen Maſtbäumen hineinſchaut. Das Mittel-
ſchiff dieſes Gigantenſaales aber zeigt eine Reihe von 12 Säulen,
deren Umfang je 36 berliner Fuß, alſo 12 Fuß Durchmeſſer und
bis unter der Architrav eine Höhe von 66 Fuß beträgt. Der ganze
ungeheure Saal mißt 164 Fuß in der Breite, in der Länge aber
320 Fuß.
Die Anzahl aller Säulen in dem größeſten Saale iſt alſo 134
Stück. – Die zwölf mächtigſten tragen auf ihrem Gebälke aus
Felsblöcken von 20 bis 25 Fuß Länge zuſammengeſetzt, noch ein
zweites Stockwerk von vierſeitigen Pfeilern, – die
aber nur in einer Reihe ſtehen geblieben ſind und mit den Säulen
von 66 Fuß, eine Totalhöhe von etwa 100 Fuß bilden, wenn das
nicht unter der Wirklichkeit taxirt iſt, die in ſolcher Entfernung
und Verjüngung nothwendig täuſcht.
Die Säulenſchafte ſind vollkommene Cylinder; die Knäufe
haben die Form von Tulpenkelchen, deren Blätter zwar ſkulpirt,
aber doch nur äußerlich und andeutungsweiſe modellirt ſind. Alle
Gebälke, Wände und Säulen, die bis auf ein Paar umgeſtürzte,
440
ein Paar von ihren ſtarken Nachbarn im Fallen aufgehaltene, und
neun der Quere zerborſtene, Alle aufrecht ſtehen, ſind über und über
mit koloſſalen Basrelief-Figuren und Hieroglyphen bedeckt, ſo daß
man kaum eine handgroße Stelle auffinden kann, wo nichts ge-
bildſchnitzt iſt. Die Geſichter der Figuren, deren Ausdruck nicht
bloß ſtereotyp, ſondern oft lebendig, individuell und zugleich
typiſch edel iſt, ſind hier großentheils konſervirt.
Der Schutt hat ſich glücklicherweiſe in dieſem von Säulen
walddunkeln Saale ſelten über die Sockel hinaufgehäuft; aber die
Werkſtücke über demſelben gehen an vielen Säulen einer
Auflöſung entgegen, die beklagenswerth iſt. Die Waſſer
des Nil ſcheinen doch von Zeit zu Zeit dieſen Wunderbau erreicht
und eine Feuchtigkeit zurückgelaſſen zu haben, welche den Sandſtein
die Jahrtauſende hindurch verzehrt.
Aus dem Vorhofe gewinnt man eine Perſpektive durch Säu-
lenhallen und aufeinander folgende Thore, die zum Heiligthume
leiten. Dieſer große Zugang führt mitten durch den Rieſenſaal
hin; aber Seitenwege, welche nicht minder herrliche Thore hatten,
mündeten mit ihren Portiken von Säulen und Koloſſen in die
Hauptſtraße ein. Wir folgten ihr, ſie hatte uns durch die erſten
Pylonen in den erſten Vorhof gebracht, der zur Linken einen Por-
tikus, zur Rechten einen abgeſonderten Tempel hat. Wir kamen
dann an jener zuvor beſchriebenen einſam ſtehengebliebenen Säule
vorüber, die auf ſechs zu Boden geſtürzte und zertrümmerte Kame-
raden herabſchaut; dann durch ein zweites ganz zertrümmertes, wie
ein Bergſturz anzuſchauendes Pylonen-Paar, vor welchem einſt
Koloſſe Wache hielten, zu den Rieſenſäulen des Königsſaals. Aus
dieſen Hallen traten wir durch zwei 60 Fuß hohe Obelisken, von
denen nur der eine ſehr Beſchädigte aufrecht ſteht, der andere aber
zerbrochen am Boden liegt, wieder in einen mit Koloſſen geſchmückt
geweſenen zertrümmerten Portikus, und abermals durch ein drittes
441
Pylonen-Paar in eine zweite zerſtörte Säulenhalle mit zertrüm-
merten Koloſſen und einem größeren prächtigen Obelisken-Paar
von 70 Fuß Höhe, von denen wiederum nur Einer aufrecht er-
halten und glücklicherweiſe wenig beſchädigt worden iſt, – zur
Pforte des Tempelſaales, der das Heiligthum umfängt, welches
in zwei mäßig großen, von geſchliffenen röthlichen Granitblöcken
erbauten Gemächern beſteht.
Auch in dies harte Material ſind 1/2 Fuß hohe Basreliefs
hineingemeißelt und bemalt; die Decke iſt mit goldenen Sternen
auf blauem Grunde geſchmückt. – Die Pforte des Heiligthums
beſteht aus ſchwarzem Granit; und vor derſelben ſtehen zwei nur
an den Spitzen beſchädigte Granit-Obelisken von etwa 25 Fuß
Höhe, die ſich merkwürdigerweiſe dadurch auszeichnen, daß jede
ihrer Seiten mit drei relief gearbeiteten tulpenförmigen Blumen
geziert iſt, deren Stengel über die ganze Länge der Spitzſäule fort-
gehen. Ein zweites Beiſpiel von Basrelief-Verzierun-
gen auf Obelisken liegt meines Wiſſens nicht vor. Die
Hieroglyphenſchrift iſt an allen vertieft, wie an einer Kamee.
In der Nähe dieſer fabelhaft anzuſchauenden Granitkammern
ſah ich auch in den Trümmern eines Kabinets eine Art Divan aus
Stein, und auf demſelben enge nebeneinander ſitzend, zwei bis zu
den Armen zerbrochene Koloſſe, das Ganze aus einem ungeheuern
Block von weißem feinem Kalkſtein gehauen. Ueberall ſchauen
aus Schutt und Trümmern Köpfe und Gliedmaßen von ganzen
und zertrümmerten Steinkoloſſen oder Säulen hervor. Ein Bein
von geſchliffenem Granit maß bis zum Knie 6/2 Fuß. – An
einem von den vielen Portiken ſah ich viele Karyatidenkoloſſe
von Sandſtein, mit auf der Bruſt gekreuzten Händen bis an die
Ellbogen im Schutt. – Der bloße Staub bildet an manchen
Orten Maſſen, in die man faſt bis zu den Knieen verſinkt; an an-
dern Orten muß man halb ausgetrocknete Tümpel mit Binſen paſ-
442
ſiren; dann wieder über ganze Berge von Schutt und Gerölle, von
Steinblöcken, zerbrochenen Säulen, Koloſſen und Obelisken hin-
wegklettern, ſo daß man vor Anſtrengung und Alteration, von der
Unmaſſe tumultuariſcher, tief in die Seele ſchneidender Eindrücke
und unerhörter Szenerieen kaum noch ſeiner Sinne mächtig zu
bleiben vermag.
Die Rieſenhalle ausgenommen, welche von Schutt und
Trümmern ziemlich frei geblieben iſt, wenn auch viele Säulen über
den Sockeln ſehr tief von Feuchtigkeit angefreſſen ſind, thürmen
ſich Trümmer über Trümmern, Jahrhunderte über Jahrhunderten,
ähnlich den verſchiedenern Erdſchichten, welche die Sündfluthen ab-
gelagert haben, und die wiederum von den vulkaniſchen Erdrevo-
lutionen durchbrochen und durcheinander geworfen ſind; – und
ſo iſt denn Karnak derjenige Schauplatz dieſer Erde, welcher die
tiefſte und troſtloſeſte Melancholie erweckt; das Sinnbild eines
Weltunterganges, einer Nichtigkeit alles irdiſchen Seins, welches
den feſteſten Geiſt erſchüttert und verwirrt, ein Zeugniß von That-
ſachen, durch welche die Seele zermalmt werden muß!
Unter alle dem Ruinen-Chaos findet der Forſcher bei längerem
Aufenthalte gleichwohl noch alle Hauptbauwerke und den ganzen
Plan. Unter den Tempelreſten der großen Umwallung iſt auch ein
Typhonium aus römiſcher Zeit ziemlich gut konſervirt. –
Jenſeits der Granitgemächer geht es wieder weiter fort aus
einem Portikus in den andern bis zu dem Thor, durch welches das
Tempelgebiet geſchloſſen wird, und welches, wie ſchon bemerkt, den
Eingangspylonen von der Nilſeite genau gegenüber gebaut iſt.
In dieſen weiten Räumen trifft man auf Bauwerke aus allen
Jahrhunderten, alſo von weſentlich unterſchiedenem Styl, auch von
einem ſolchen, welcher Privatwohnungen erkennen läßt, die von den
Reiſenden ſo benutzt worden ſind. Man zeigt die Küche und das
443
Schlafkabinet von Lepſius, mit wohlerhaltenen Decken, wenn auch
ohne Fenſteröffnungen, was wenig zu ſagen hat, da man die Räume
nur eben zum Schlafen benutzt. –
An einer Säule in dieſen Bauwerken aus ſpätern Zeiten, wo
man durchaus modern gearbeitete Säulen antrifft, ſieht man auch
den Namen Champollions in eine Säule gravirt. Auf dem
Bruchſtück einer granitnen Koloſſalbildſäule vor einem Portikus, in
der Nähe der Memnonsſäulen, findet ſich der Name Belzoni's mit
der Jahreszahl 1816 eingehauen. An dieſer hinteren Seite der
Ruinen von Karnak bemerkte ich auch zum erſtenmal Quadern, die
mit Mörtel verbunden ſind.
Wir nahmen nunmehr unſern Rückweg zu einem Thore von
Granit. – Zuvor ſah ich noch vor einem zerſtörten Portal drei
verſtümmelte Koloſſe in ſitzender Stellung von einigen 20 Fuß
Höhe aus weißem und rothem Kalkſtein gemacht.
Jenes Prachtthor iſt aus koloſſalen Granitblöcken aufgerichtet,
welchen die Bildniſſe und Geſchichten des böſen Gottes Typhon
eingemeißelt ſind. Vor dem Portal an der Binnenſeite ſtehen noch
zwei Koloſſe ohne Köpfe und gleichwohl einige 20 Fuß hoch. Von
dieſem Granitthor führt nach Lugſor eine zweite Allee von 120
ſehr verwitterten Sphinxen, die etwa 12 bis 15 Fuß Länge, aber
keine Köpfe mehr haben, da ſie ihnen von kopfloſen Bilderſtürmern
und Barbaren ſorgfältig abgeſägt worden ſind. Trotz alles Spä-
hens konnte ich nur noch einen ſehr beſchädigten Mädchenkopf ent-
decken. General Heilbronner ſagt von dieſen Sphinxen Fol-
gendes: „Die Widderköpfe auf den Sphinxen ſind voll Treue und
Wahrheit; – einen unverlöſchlichen Eindruck machen aber zwei
Mädchen-Sphinxe, – das Vollendetſte und Erhaltenſte was ich
von ägyptiſcher Plaſtik geſehen. Der ſchalkhafte Blick der Einen,
mit dem ſchönſten edelſten Ausdruck des Geſichtes, wäre des Bil-
444
des einer Kleopatra werth und nimmt ſich zwiſchen all dem über-
menſchlich Großen, und unter den ſtupenden Proportionen der
Tempel von Karnak um ſo reizender aus. Wenn etwas geeignet
iſt, in Europa einen beſſern Begriff von ägyptiſcher Skulptur zU
erzeugen, ſo wäre es eines dieſer räthſelhaften Frauenbilder von
Stein.“ Die Philoſophen des Oſtens, gewöhnt die ganze Schöpfung
als die Wirkung einer gewiſſen myſteriöſen Zeugung anzuſehen, er-
dachten die Sphinx und vereinigten in ihr die männliche und die
weibliche Natur, als das Symbolum der ſchöpferiſchen Kraft. –
Der ſchöne Frauenkopf, in welchem aller Liebreiz konzentrirt iſt,
auf dem ſchlanken Leibe des zum Sprunge bereit liegenden Löwen,
giebt für die Einbildungskraft, die in natürlicher Naivetät über den
Unterſchied der menſchlichen und thieriſchen Bildung hinwegſchaut,
ein herrliches Bild. –
Die Sonne neigte ſich ſchon zum Untergange da hatte ich
noch ein Bildſäulen-Abenteuer, was die Fabeln des Tages ganz in
deren Sinn und Prinzip beſchloß.
In einem trocknen Graben bei einem Hügelabhange, ſaßen
da in der ungewiſſen Abendbeleuchtung eine Maſſe von dunkeln
ſchauerlichen Hexen, wie es mir ſchien. Als ich von meinem Thier
geſtiegen näher herzuging, waren es einige 20 Stück halbver-
ſchüttete aber aufrecht beiſammen ſtehende Bildſäulen aus ſchwarz-
blauem Granit. Die Löwenköpfe dieſer Idole deuten auf die
Göttin Bubaſtis oder Paſcht. – Dieſe Bildſäulen von nicht
viel über Lebensgröße trifft man mehr und minder erhalten am
häufigſten von allen andern Götterſtatuen an. – Sie lagen in
Luqſor und unweit der Memnonsſäulen auf dem Felde umher;
aber ſelbſt die Antiquare und Muſeen ſcheinen bereits der alten
445
Götter überdrüſſig zu ſein; und ſo gelten ſie fortan nur für Feld-
ſteine. Wenn der belebende Glaube, die begeiſtigende,
ſchöpferiſche Idee entwichen ſind, hinterlaſſen ſie nur den
todten Stoff, den Materialismus, eine moderne Ver-
ſtandes- und Werkeltags-Philoſophie!
Sic transit gloria mundi. –
Alt-ägyptiſche Sprache und ihre Hieroglyphenſchrift.
Da eine Menge von Leſern wenigſtens einen allgemeinen
Begriff von der Möglichkeit, ägyptiſche Hieroglyphen zu
entziffern, haben wollen, ſo gebe ich in Nachſtehendem über dieſe
Materie einen kurzen Auszug, welcher der deutſchen Bearbei-
tung eines franzöſiſchen Werkes durch den Dr. C. A. Mebold
von mir entlehnt worden iſt. -
„Durch die Inſchriften aus allen Epochen Aegyptens ſtellt ſich
der Gebrauch deſſelben National-Idioms heraus. Eine Menge
Urkunden bürgerlicher Verträge oder Schriften von mannigfaltigem
Inhalt, die einen älter als Moſes, andere mit den römiſchen Kai-
ſern gleichzeitig, ſind in der nämlichen Sprache verfaßt. Vor den
Gerichten war auch zur Zeit der griechiſchen Herrſchaft nur der
ägyptiſch geſchriebene Vertrag rechtskräftig und die griechiſche Ab-
ſchrift reichte nicht hin. – Noch unter den Römern waren die mit
den Mumien in die Särge gelegten Gebete ägyptiſch geſchrieben.
Die Papyrusrollen in unſeren Muſeen erhärten dieſe Thatſache.
447
Das Zeugniß der Monumente wird unterſtützt durch die alten
Autoren; Plutarch meldet, Kleopatra, die letzte Königin Aegyp-
tens, habe ohne Dolmetſcher den Fremden Antwort ertheilt,
während einige der Könige ihrer Vorfahren ſich kaum die Mühe
genommen hatten, die ägyptiſche Sprache zu lernen. St. Hiero-
nymus gedenkt der ägyptiſchen Sprache öfters in ſeinen Schriften.
Er erzählt, St. Paul, der Eremit, habe griechiſch und ägyp-
tiſch gleich gut verſtanden, St. Antonius habe nur ägyptiſch
geſprochen. – Bis zum Einbruch der Araber war die ägyptiſche
Sprache in Aegypten im allgemeinen Gebrauch. Die Litaneien
und andere Gebete waren griechiſch und ägyptiſch, die Abſchnitte
aus der heiligen Schrift wurden griechiſch geleſen und den Gläu-
bigen ägyptiſch erläutert. – Alle gegenwärtig unter den ägyp-
tiſchen Chriſten gebräuchlichen theologiſchen Bücher ſind ägyptiſch
und arabiſch geſchrieben. Die ägyptiſche Kirche hat uns
die ägyptiſche Sprache bis in die Mitte des ſieb-
zehnten Jahrhunderts aufbewahrt.
„Als Pater Vansleb auf Befehl Ludwig XIV. die Levante
bereiſte, ſah er denjenigen chriſtlichen Prieſter, der, der Letzte von
Allen, in der ägyptiſchen Sprache noch etwas bewandert war.
Wenige Sprachen hatten wohl dieſe ſtete Fortdauer von minde-
ſtens 4000 Jahren. Es verſteht ſich natürlich, daß wir
die ſogenannte koptiſche Sprache mit der ägyptiſchen
für identiſch halten.
„Wer könnte auch vernünftiger Weiſe daran zweifeln nach
den von Renaudot, Jablonski, Barthelemy und in unſeren Tagen
von Quatremere und de Sacy geſammelten Beweiſen? Eine neue
Maſſe ähnlicher Zeugniſſe ergiebt ſich aus den Arbeiten des jün-
gern Champollion über die noch exiſtirenden Monumente des
alten Aegyptens und aus der ſehr großen Zahl von Beiſpielen in
ſeiner ägyptiſchen Grammatik.
448
„ Werden die alten Texte in Hieroglyphenſchrift nach Cham-
pollion's Alphabet Zeichen für Zeichen in koptiſche Charaktere
umgeſchrieben, ſo bringen ſie regelmäßige Worte und Redensarten
der koptiſchen Sprache hervor, die alſo, da ſie ſich auf den älte-
ſten Monumenten Aegyptens findet, keine andere ſein kann, als
die ägyptiſche ſelbſt.
„Und nicht allein dieſe Worte und Redensarten ſind es, die
auf's augenfälligſte die Identität dieſer nur dem Namen nach
verſchiedenen Sprachen erhärten, ſondern auch die Elemente der
Sprachen, ihr innerſter Organismus, ihre Artikel, Präpoſitionen,
Fürwörter c, die im Koptiſchen in griechiſchen Schriftzeichen wie
vor Alters auf den Monumenten in heiligen Zeichen geſchrieben
ſind. –
„Der grammatiſche Bau der ägyptiſchen Sprache war ſo,
daß er ſie gegen Verderbniß und Zerfall ſchützte, gleichwohl die
Einführung fremder Wörter in das geſprochene und geſchriebene
Idiom nicht verhindern konnte. – Dieſe Aufnahme exotiſcher
Wörter in Wurzeln, Vor- und Nachſetzungen, ohne ſie ihren Re-
geln zu unterwerfen, war für ihre zweite Periode charakte-
riſtiſch. Die griechiſchen Wörter verſchafften ſich unter der ma-
zedoniſchen Autorität Eingang. In dem mittlern Theil der
Inſchrift von Roſette ſteht ein griechiſches Wort in
ägyptiſchen Charakteren.
„Die ägyptiſche Sprache iſt in ihren Urwörtern einſilbig.
Dies Prinzip gilt ohne Ausnahme. Jedes Wort von mehr als
einer Silbe iſt ein abgeleitetes oder zuſammengeſetztes Wort. Ein
einſilbiges Wort kann 42 Umwandlungen durchmachen, als eben
ſo viele Modifikationen der Wurzel-Vorſtellung, die ihm zu
Grunde liegt.
„Der Sinn jedes einſilbigen Wortes wird verändert durch
Zugabe anderer Monoſyllaben, als ſtehender Zeichen von Gat-
449
tungen, Zahlen, Perſonen, Modi und Zeiten. Dieſe Bezeich-
nungen, durch welche die Wurzel nach und nach in den Zuſtand
des allgemeinen Nennwortes, des abſtrakten Nennwortes, des
Nennwortes der Handlung, des privativen, des intenſiven Bei-
wortes, des Partizipiums, des aktiven, negativen und tranſitiven
Zeitwortes übergeht, geſchehen faſt immer vergrößerungsweiſe,
ſehr ſelten mittelſt Endungen (Abwandlungen).
„Trotz ihrer zahlreichen arabiſchen und hebräiſchen
Fremdwörter iſt die ägyptiſche oder koptiſche Sprache in der gro-
ßen Maſſe des Sprachſchatzes und der ganzen Grammatik von
dieſen beiden Idiomen und deren Sippſchaft durchaus verſchieden.
Wie glle Urſprachen geht ſie von der Nachahmung aus. So iſt
in Aegypten der Name der meiſten Thiere nur die annähernde
Nachahmung des dem Thiere eigenthümlichen Schreies. Der Eſel
hieß z. B. „Jo“, der Löwe „Mui“, der Ochs „Ehe“, der Froſch
„Crur“, die Katze „Schau“, das Schwein „Rir“, der Wiedehopf
„Petepp“, die Schlange „Hfo“ (Hof).
„Eben ſo waren lebloſe Gegenſtände oder phyſiſche Zuſtände
und Handlungen nicht durch willkürliche Laute dargeſtellt.
Es waren Nachahmungen im Spiel, z. B. tönen hieß sensen,
tophtheph krachen, uodschuedsch kauen, kim ſchlagen, kremrem
Geräuſch, kradschradsch mit den Zähnen knirſchen, teltel tropfen,
Schkelkil Glocke, Omk verſchlucken, Rodschredsch reiben, poliren,
Chercher ſchnarchen, Nef, Nefé blaſen. Dieſe Nachahmungen
waren bald erſchöpft und man ſuchte Aehnlichkeiten. Susu
hieß der flüchtige Augenblick, die Stimme Uo, Schuschu ſchön-
thun, Bridsch Blitz, Scherschór zerſtören, Lali, Lulai ſich freuen.
Endlich kam man zu den Vergleichungen: Hét bezeichnet Herz
und folglich Geiſt, Einſicht, mit Einſchließung der meiſten mora-
liſchen Eigenſchaften mittelſt grammatiſcher Modifikationen des
Wurzelwortes. Die Aegypter ſagten: Hétschem kleinherzig, feig,
29
450
harschihêt langſamherzig oder geduldig, ssacihèt hochherzig, ſtolz,
ssabhèt ſchwachherzig, hètnascht hartherzig, hètsnau zweiherzig,
unentſchieden, tamhèt geſchloſſenen Herzens, hartnäckig, üomhét
herzzehrend, reuig, athèt herzlos, unſinnig. Aus eben dieſen Wur-
zelwörtern bildete man durch bloße Zugabe des Monoſyllabons
„Mét“, Eigenſchaft, die abſtrakten Begriffe, z. B. Mêt-hêt-schem
Kleinherzigkeit. Ei-hèt ſein Herz kommen fühlen, nachdenken;
thöt-hèt das Herz miſchen, überzeugen; ka-hèt ſein Herz ſetzen,
vertrauen; tihèt ſein Herz geben, beobachten; dschem-hèt Herz
finden, wiſſen; me-hèt das Herz füllen, befriedigen. So iſt es
auch mit andern Urwörtern, z. B.: Tot Hand; titot die Hand rei-
chen: helfen; hitot die Hand werfen: anfangen. Apdschir Fliegen
fangen, geizig ſein; dscherbal ſpitzäugig, unverſchämt; dsshace-
bal hochäugig, keck; balhèt Herz im Auge, aufrichtig, naiv.
Eleks-cha Naſe hinaufziehen, verhöhnen; naschtmach hartherzig,
eigenſinnig.“
(Wieanorganiſch willkürlich konventionell und abſtrakterſcheinen
ſolchen Evolutionen, ſolchen ſymboliſchen und organiſchen Sprach-
prozeſſen gegenüber unſere modernen Sprach-Agglomerationen. B. G.)
„Es giebt koptiſche Grammatiken von Kopten verfaßt. Es
giebt abbildliche, ſinnbildliche und Buchſtabenzeichen. Abbildlicher
Zeichen ſoll es gegen achthundert geben, und ſie ſind die eigentlich
hieroglyphiſchen. Die hieratiſche iſt eine Abkürzung der abbild-
lichen Zeichenſchrift. Die demotiſche oder populäre Schrift war
wiederum eine Abkürzung der Prieſterſchrift in geringerer Zahl.
Dieſe drei Arten von Schrift bildeten im Grunde und in der
Theorie nur Eine, und waren in allgemeiner wie gleichzeitiger
Anwendung; die abbildliche Zeichenſchrift jedoch vorzugsweiſe für
öffentliche Monumente beſtimmt.
„Oft kommen dieſe dreierlei Schriftzeichen in ein und dem-
ſelben Manuſkript vor.
451
„Die figurativen oder abbildenden Zeichen drücken einfach die
Vorſtellung des abgebildeten Gegenſtandes aus, z. B. Pferd,
Löwe, Obelisk c. Die ſymboliſchen verſinnlichten einen über-
ſinnlichen und abſtrakten Begriff durch ein ſinnliches Abbild, das
der zu bezeichneten Idee zu entſprechen ſchien. Die Biene war
z. B. das Symbol des Wortes König; erhobene Arme bedeuteten
Darbringen und Opfergabe; ein Gefäß, aus welchem ſich Waſſer
ergießt, eine Libation.
„Die phonetiſchen Zeichen vertraten die Laute der geſproche-
nen Sprache und hatten in der ägyptiſchen Schrift daſſelbe zu lei-
ſten, was die Buchſtaben unſeres Alphabets. Der weſentliche
Unterſchied zwiſchen der Hieroglyphik und der Schrift unſerer Zeit
liegt alſo darin, daß jene in demſelben Texte, in derſelben Redens-
art und bisweilen in demſelben Worte die drei Arten von figura-
tiven, ſymboliſchen und phonetiſchen Charakteren verwendete,
während wir nur phonetiſche oder alphabetiſche Charaktere haben,
Zu den ſymboliſchen Zeichen kamen noch grammatikaliſche Prä-
fixen oder Affixen, um anzudeuten, in welcher Zeit und Perſon
z. B. ein Verbum zu nehmen ſei.
„Da Aegypten, an eine „ideographiſche“ Schrift ge-
wöhnt, Vorſtellungen malte und nicht Sprachlaute, ſo konnte es
ſich in ſeinen phonetiſchen Zeichen nicht gleich zur Willkürlichkeit
unſerer konventionellen Buchſtabenſchrift erheben. Es mußte die
neuen Zeichen mit denjenigen verbinden, die ihm längſt vertraut
waren; z. B. Adler heißt im Aegyptiſchen „Ahóm“, deswegen
wurde ſein figuratives Zeichen das phonetiſche des Buchſtabens
„A“. Ein Rauchgefäß heißt „Berb“, ſein figuratives Zeichen
gab den Buchſtaben „B“. „Tot“, die Hand, gab die Buch-
ſtaben „T“ und „D“. –
„Der phonetiſchen Zeichen gab es nicht über zweihundert,
und es giebt moderne Alphabete, welche nicht weniger Laute oder
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Buchſtaben zählen. Dieſe phonetiſchen Hieroglyphen ſind aber in
allen hieroglyphiſchen Texten vorherrſchend; ſie finden ſich zu den
ſo ziemlich gleich vertheilten figurativen und ſymboliſchen Zeichen
im Verhältniß von zwei Dritttheilen vor.
„Nicht immer aber gab der Anfangs laut eines Wortes
das figurative Zeichen für daſſelbe ab, es erhielten vielmehr
nur einige der gewöhnlichſten Gegenſtände und ihre Anfangsbuch-
ſtaben dieſe ſtellvertretende Eigenſchaft. Es gab demnach eine
Anzahl von Homophonen oder gleichbedeutende Schriftzeichen,
und ſie bringen natürlich eine Schwierigkeit mehr in die Ent-
zifferung. Daſſelbe graphiſche Zeichen drückte z. B. die Laute L
und R aus, ein anderes die Laute P und Ph, wieder ein anderes
die Laute T und Th.
„Die Wichtigkeit der Entdeckung des Alphabets der
ägyptiſchen Hieroglyphen für die hiſtoriſchen Wiſſenſchaften begreift
ſich. Aus der Erzählung, wie man dazu gelangt iſt, wird auch
ihre Zuverläſſigkeit erhellen. Eine Sprache oder Schrift, die man
nicht verſteht, lernt man kennen durch einen Dolmetſcher. Ein
ſolcher Dolmetſcher iſt ein Menſch oder ein Buch. Frankreich iſt
es, das ihn in Aegypten ſelbſt gefunden hat und zwar in der be-
rühmten „Inſchrift von Roſette“, einem Stein von meh-
reren Fuß Höhe mit drei Inſchriften: die erſte, oben verſtümmelt,
in Hieroglyphen, die zweite in dem otiſchen Charakteren,
die dritte griechiſch. Da man die letztere als eine Ueberſetzung
deſſen erkannte, was vorhergeht, ſo hatte man den Dolmetſcher
der Hieroglyphik, deſſen wir zuvor entbehrten, und die Bahn für
die Forſchung war gebrochen. Die Inſchrift von Roſette wurde
bekannt gemacht und begierig aufgenommen, aber erſt nach zwanzig
Jahren reſultatloſer Unterſuchungen gewann man endlich Licht.
Folgendes ſind die Thatſachen, bei welchen man ſtehen bleiben
muß: 1) Der griechiſche Text beweiſt, daß die Inſchrift ein
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Dekret der ägyptiſchen Prieſter zu Ehren des Ptolemäus Epi-
phanes iſt. 2) Dieſes Dekret enthält mehrmals den Namen dieſes
Königs und mehrere andere Eigennamen. 3) Man konnte alle
in dem griechiſchen Text ausgedrückte Ideen ägyptiſch ſchreiben,
aber die griechiſchen Eigennamen konnten, weil ſie im Ae-
gyptiſchen keine Idee ausdrückten, nicht überſetzt werden,
und man mußte die Laute dieſer griechiſchen Eigen-
namen in ägyptiſchen Charakteren ſchreiben. 4) Es
mußte folglich in der ägyptiſchen Inſchrift Hieroglyphen ge-
ben, welche Laute aus drückten, alſo phonetiſche Zeichen.
5) Der ägyptiſche Text bietet eine Gruppe Hieroglyphen, aus-
gezeichnet durch eine elliptiſche Einrahmung, die ſie umgiebt.
Dieſe Gruppe kommt zu wiederholten Malen vor,
ſo auch im griechiſchen Text der Name des Königs Ptole-
mäus. Die eingerahmten Hieroglyphen können mithin der Name
Ptolemäus ſein, und dies vorausgeſetzt, ſo ſind die ſo gruppirten
Zeichen alphabetiſch. Das erſte iſt ein P, das zweite ein T.
So hätte man ſchon mehrere alphabetiſche Hieroglyphen und man
brauchte nur das Alphabet zu vervollſtändigen. 6) Noch waren
allerlei Schwierigkeiten zu löſen. Die eingerahmte Gruppe in
dieſer Ellipſe oder Kartuſche iſt der Name Ptolemäus oder ſie
iſt es nicht. Im erſteren Fall iſt es nothwendig, die Wahrheit
dieſes alphabetiſchen Ergebniſſes an anderen, zumal griechiſch und
hieroglyphiſch geſchriebenen Eigennamen nachzuweiſen, in welchen
ſich alle die in dem Namen Ptolemäus enthaltenen Buchſtaben
wiederfinden müßten. Der griechiſche Text der Inſchrift
von Roſette liefert in ſeinem Eingang noch mehrere Eigennamen,
da jedoch der hieroglyphiſche Text in der entſprechenden Gegend
verſtümmelt iſt, ſo fehlt uns dort der Anhaltspunkt. So war in
der Ausbeute dieſer mühſamen Forſchungen noch keine Sicherheit,
und die Zeit allein konnte Rath ſchaffen. Sie hat den Wiſſen-
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ſchaften und der Geſchichte dieſe große Wohlthat nicht verſagt. –
7) Der unglückliche Belzoni entdeckte in Philä einen Grab-
ſtein mit einer griechiſchen Inſchrift und einen kleinen
Obelisk mit einer Inſchrift in Hieroglyphen. Es zeigte
ſich, daß der Grabſtein und der Obelisk ein und daſſelbe
Monument bildeten. Dieſe Hauptſache war öffentlich kon-
ſtatirt. Da die griechiſche Inſchrift auch einen König Ptole-
mäus, eine Königin Kleopatra nannte, und man in der hiero-
glyphiſchen Inſchrift an der Stelle, die den Namen Ptolemäus
einnehmen mußte, die nämliche eingerahmte Gruppe fand,
welche in der Inſchrift von Roſette nach der Vorausſetzung den
Namen Ptolemäus bezeichnete, ſo war das anfänglich abgeleitete
Reſultat beſtätigt, der Name des griechiſchen Königs in Hiero-
glyphenſchrift enträthſelt. Die zweite eingerahmte Stelle auf dem
Obelisk konnte nun nichts Anderes ſein, als der Name der Kö -
nigin Kleopatra, und wirklich fand ſich das erſte Zeichen in
dem Worte Ptolemäus, P, als das fünfte in dem Worte Kleo-
patra, das zweite in dem einen T, als das ſiebente in dem andern,
das vierte dort, L, als das zweite hier. So hatte man aus dieſen
beiden Namen bald einen großen Theil des Alpha-
bets! Und wußte man einmal, daß die eingerahmten Hierogly-
phen von Königen und Königinnen ſeien, welche man aus Etikette
ſo hervorhob, ſo wurde bei dem zahlreichen Vorhandenſein
dieſer Kartuſche das Alphabet leicht ergänzt und die er-
wünſchteſte, die unerwarteſte Entdeckung ſeit der Wiedergeburt der
Wiſſenſchaften war gemacht! Dies iſt das Werk des jüngern
Champollion. Das Ineinandergreifen ſeiner Analyſen und
ſeine Ausdauer thaten das Uebrige. Die Geheimniſſe des alten
Aegyptens ſind endlich enthüllt. Der Beifall der gelehrten Welt
war die Belohnung einer Hingebung, die ſich während 25 Jahren
keinen Augenblick verleugnet hat, und ein ſchneller und frühzeitiger
Tod war die Weihe ihrer unſterblichen Reſultate.“
Als Nachſchrift zu dieſem Auszuge gebe ich folgende Mit-
theilung aus Lepſius Briefen, die hierher gehört:
„Einen köſtlichen Fund haben wir im Hofe des großen
Iſistempels (zu Philä) gethan. Zwei ziemlich wortreiche
„Bilingua“, hieroglyphiſch und demotiſch abgefaßte De-
krete der ägyptiſchen Prieſter, von denen das Eine denſelben
Text, wie das Dekret des Steines von Roſette ent-
hält!
„ Wenigſtens habe ich bis jetzt die ſieben letzten Zeilen ver-
glichen, die nicht nur dem Inhalte nach, ſondern auch in der
Länge jeder einzelnen Zeile mit der Inſchrift von Roſette über-
einſtimmen. Jedenfalls iſt der Gewinn für die ägyptiſche Phi-
lologie nicht unbedeutend, wenn auch nur ein Theil des abge-
brochenen Dekretes von Roſſette hiernach ergänzt wer-
den kann. – -
„Der ganze erſte Theil der Inſchrift von Roſette, der dem
Dekrete vorausgeht, fehlt hier. Statt deſſen ſteht ein zwei-
tes Dekret zur Seite, welches ſich auf denſelben Ptolemäus
Epiphanes bezieht. – Im Eingange wird die Feſtung des
Alexander, d. h. die Stadt Alexandrien erwähnt, zum erſten-
mal auf den bis jetzt bekannt gewordenen Monumenten. Beide
Dekrete ſchließen, wie die Inſchrift von Roſette, mit der
Beſtimmung: die Inſchrift in hieroglyphiſcher, demoti-
ſcher und griechiſcher Schrift aufzuſtellen, – die griechiſche
fehlt aber hier. -
„Die Menge der griechiſchen Inſchriften auf Philä iſt
unzählig.
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„ Wie unrichtig die Griechen oft die ägyptiſchen
Namen auffaßten, davon geben die Inſchriften von Talmis ein
neues Beiſpiel, welche denſelben Gott Mandulis nennen, wel-
cher hieroglyphiſch deutlich Meruli hieß und Lokalgott von
Talmis war.“ - -
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Druck von Gebrüder Katz in Deſſau.