Neiſe in den Orient.
Reiſe
in den Orient
VON
+
(e/ncÄew-Ä
Conſtantin Fiſchendorf,
Ritter vom Nordſtern, von der Ehrenlegion,
vom Luccheſiſchen heiligen Ludwig
Erſter Band.
Leipzig,
Verlag von Bernh. Tauchnitz jun.
1846,
785936-B.
Sein er
geliebten Braut
A n g e l i k a
dargebracht
am Hochzeitsmorgen.
V or w or t.
Freundlichen Leſern übergeb' ich hiermit den erſten
Theil meiner Reiſe in den Orient. Die vielſeitige Theil-
nahme die meine Wanderungen während ihres Verlaufs
gefunden läßt mich auch für dieſe Erinnerungsblätter ein
günſtiges Auge hoffen. Daß die Haltung meiner Mit-
theilungen keine gelehrte iſt, das ſagt ſchon die äußere
Erſcheinung des Buches. Ich habe bei weitem mehr mit
dem Herzen als mit dem Kopfe geſchrieben. Wer den
Orient bereiſt hat, der beſitzt an ihm wenigſtens das was
der Schweizer an ſeinen Bergen beſitzt; hat er ſie nicht
mehr vor Augen, ſo trägt er ſie im Herzen. Ich ſage,
daß der Orient „wenigſtens“ gleicher Weiſe feſſelt; denn
im Grunde feſſelt er noch weit mehr, ſobald man nur zu
„“
VIII
ihm mit dem rechten Sinne und Gemüthe für die Erin-
nerungen kömmt, die er an des Chriſtenthums und der
Menſchheit heilige Vergangenheit bewahrt.
Welches Auge ich ſelber zu den Anſchauungen des
Orients mitbrachte, das wird man dem Geſchriebenen
leicht anmerken. Die Eindrücke, die auf dieſes Auge die
wirklichen Anſchauungen machten, in eine beſtimmte Form
zu bleibender Erinnerung zu kleiden: das war meine
Hauptabſicht bei der Abfaſſung dieſer Reiſe.
Mißlich iſt es daß eine ſolche Reiſebeſchreibung die
erſte Perſon auf eine gewiſſe Weiſe in den Vordergrund
ſtellt; ich dachte aber daß eine vertrauensvolle Hingabe,
eine offene Unbefangenheit der Erzählung, welche Schrei-
ber und Leſer einander gleichſam Aug in Aug ſehen läßt,
immer noch von vielen gewürdigt wird. Ich habe des-
halb auch mein Buch mit dem Briefe an meinen Bruder
eröffnet, der getreu aus der Zeit ſtammt von der er ſein
Datum trägt.
Was ich mir aber da und dort ungern verſagt habe,
das iſt der Ausdruck der Dankbarkeit den ich Gönnern
und Freunden hätte darbringen mögen. Ich bitte daher
alle diejenigen denen ich dieſen Namen ſchuldig bin, beim
Durchblättern meines Buches meiner als eines Schuld-
IX
ners zu gedenken, dem keine Erfahrungen theurer gewor-
den ſind als die der freundlichen Gunſt, die er auf ſeiner
Reiſe genoſſen. Von denen die am heimathlichen Herde
des fernen Wanderers heißen Dank verdienten, muß ich,
indem ich von der hohen vaterländiſchen Regierung
ſchweige die mich ihrer beſondern Huld gewürdigt, vor
allen drei Männer nennen, den Oberhofprediger Dr. von
Ammon, den Superintendenten Dr. Großmann, den Con-
ſiſtorialrath Dr. Dav. Schulz.
Ueber den Sinn und die Bedeutung meines durch
meine fünfjährige Reiſe ſich ziehenden bibliſchkritiſchen
Unternehmens ſind mir von Nichtgelehrten oft Fragen
willkommener Theilnahme geſtellt worden. Ich habe die
Abſicht, um darauf angemeſſen zu entgegnen, eine „brief-
liche Mittheilung an eine hohe Gönnerin“ dem zweiten
Theile meiner orientaliſchen Reiſe einzuverleiben.
Noch eine Bemerkung muß ich über die Schreibung
orientaliſcher Namen und Wörter beifügen. Ich habe
dergleichen nicht mühſam ans Geſetz der arabiſchen Aus-
ſprache und deren Nachbildung angepaßt, da es ja doch
für die Zunge der meiſten Leſer unbrauchbar wäre und
die Kenner des Arabiſchen meines derartigen Verſuches
nicht bedürfen.
So übergeb' ich denn, wie ich bereits geſagt, mein
Buch den freundlichen Leſern. Solchen Leſern das Ge-
leite ins heilige Land geben zu dürfen, darüber freu' ich
mich im Voraus.
Leipzig, am 18. September 1845.
Prof. Dr. Tiſchendorf.
I n h a l t.
Seite 17–20. Brief an meinen Bruder vor der Abreiſe von
Livorno.
Seite 21–29. Malta am 26. März 1844. Seefahrt
von Livorno nach Malta. Ankunft in Malta. Beſonder-
heiten der Inſel. Die Bevölkerung. Die britiſchen Herren.
Die Malteſer Ritter. Des Apoſtel Paulus Schiffbruch in
Malta; die Schlange; die Paulsgrotte; die Paulsbai.
Seite 30–39. Alexandrien am 6. April. Fahrt nach
Griechenland. Die Inſel Syra. Der Sclavenhändler. Das
Gewitter. Ankunft in Alexandrien. Die Peſt. Die Be-
ſchneidungsfeſte. Die Nadeln der Cleopatra und die Pom-
pejusſäule. Die Katakomben. Vergangene Pracht Aleran-
driens.
Seite 40–51. Cairo am 12. April. Die Nilreiſe. Die
arabiſchen Matroſen. Orientaliſche Sitte. Die umgeſchla-
gene Barke. Die Ufer des Canals und des Nils. Das
Nilwaſſer. Der Matroſengeſang. Die Beter am Nil. Erſter
XII
Blick auf die Pyramiden. Ankunft in Cairo. Der aufge-
knüpfte Scheik. Die ſolidariſche Haftung. Beſuch bei Me-
hemed Ali.
Seite 52–63. Mehemed Ali. Meinungsſtreit. Carriere
Mehemed Ali's; ſeine Landeseinrichtungen. Der rechte
Maßſtab des Urtheils. Die Fellahs. Mehemed Ali's Or-
thodorie und Humanismus. Die Renegatenfrage. Mehe-
med Ali's Politik; ſeine Reſignation im Juli 1844.
Seite 64–72. Cairo am 8. Mai. Der Esbekiehplatz. Die
Muezzin. Der Bazar. Die Blinden. Die Citadelle. Die
Wachtſoldaten mit dem Strickſtrumpfe. Die Menagerie.
Die Ausſicht von der Citadelle. Die Kalifengräber. Burck-
hardts Grabſtein.
Seite 72–75. Beſuch bei Ibrahim Paſcha. Die Inſel
Roda.
Seite 75–79. Kloſterwanderungen in Cairo. Das
katholiſche Kloſter. Der armeniſche Biſchof. Das Sinai-
tenkloſter. Empfangsſitten. Die Handſchriften.
Seite 79–86. Der griechiſche Patriarch von Aleran-
drien und ſeine vermauerte Bibliothek. Repuls im
Eramen. Soliman Paſcha und die ſächſiſchen Apothekers-
töchter. Die ausgegrabene altgriechiſche Kirche zu Aleran-
drien. Studien in der Patriarchalbibliothek.
Seite 86–103. Die Pyramiden. Vergleich mit dem
Straßburger Münſter. Beſteigung der Cheopspyramide.
Ausſicht; Betrachtungen. Das Innere der Pyramiden. Die
Pyramiden des Cephren und des Mykerinos. Die Liebha-
berpyramide. Erbauung und Beſtimmung der Pyramiden.
Die neueſte Hieroglypheninſchrift zum Geburtstag Friedrich
Wilhelms IV. Der Rieſenſphinx.
XIII
Seite 103–109. Beſuch bei den orientaliſchen Frauen;
Empfang ohne Schleier; ihr Schmuck; ihre Stellung; ihre
Talente.
Seite 110–132. Die koptiſchen Klöſter der libyſchen
Wüſte. Terraneh. Der nächtliche Ritt durch die Wüſte.
Caſtello Cibara. Die Natronfelder und Natronſeen. Der
Fluß ohne Waſſer. Der Queber. Die koptiſchen Klöſter
der Vorzeit. Die vier Makariusklöſter. Bau. Einrich-
tung. Koſt. Gottesdienſt. Euchariſtie. Der blinde Prior.
Die Bilder. Die Bibliothek. Der Greis von 120 Jahren.
Die Conſultationen. Das koptiſche Chriſtenthum. Glau-
bensbekenntniß der Kopten. Michael Wandsleb's Nach-
richten von dieſen Klöſtern.
Seite 133–143. Memphis und Heliopolis. Der Coloß
zu Memphis. Abdallatif von den Ruinen zu Memphis.
Das Mumienfeld von Sakkara. Heliopolis; ſeine Obelis-
ken. Die Sykomore und der Sonnenquell.
Seite 144–148. Erpedition nach Altcairo. Die grie-
chiſche Inſchrift im koptiſchen Kloſter. Die heilige Grotte.
Die Moſchee Amrus mit dem Judenhäuschen und der ge-
ſpaltenen Säule.
Seite 148–152. Abbotts Alterthümer. Der Bücherbazar
zu Cairo.
Seite 153–217. Reiſe zum Sina .
Seite 153–162. Von Cairo bis Suez. Contrakt mit
den Beduinen; ihr Heimathsdorf. Eindrücke der Wüſte.
Die engliſchen Poſtbauten in der Wüſte.
Seite 163–173. Suez. Der türkiſche Bettler. Der Be-
duinenſtreit. Der Durchſtich der Meerenge. Durchgang
GO durchs Meer. Die Moſisquellen.
XIV
Seite 174–185. Zug der Israeliten durchs rothe
Meer. Heliopolis, nicht Heroopolis, iſt Raemſes, der Aus-
gangspunkt der Israeliten. Die Israeliten gehen nicht über
Beſſatin, ſondern auf die Nordgrenze des Meerbuſens zu
und wenden ſich nach Suez. Ihr wunderbarer Durchgang
durchs Meer.
Seite 186–217. Von Ajin Muſa nach dem Sinai.
Wadi Sadr. Am rothen Meere. Der böſe Blick. Die
bittere Howaraquelle. Der ſchöne Wadi Garandel, das
Elim der Schrift. Wadi El Bada mit dem Beduinendorfe.
Das wildromantiſche Naſſebthal. Der geheimnißreiche Wadi
Mokatteb. Das reizende Feiranthal. Das Scheikthal mit
den Mannatamarisken. Das Manna der Schrift. Das
großartige Felſenportal. Die Glockentöne. Der Traum.
Einladung zum Salechfeſte der Sinaibeduinen. Der Lyoner
Apotheker als Kamelarzt der Beduinen. Ankunft zum Be-
duinenfeſte. Das Prophetengrabmal. Der oberſte Bedui-
nenſcheik. Verlauf des Feſtes; Umgang ums Denkmal.
Das Wettrennen auf Dromedaren. Die Mahlzeit. Geſpräch
mit dem oberſten Beduinenſcheik. Die Nacht. Nachrichten über
die Sinaibeduinen. Ankunft beim St. Catharinenkloſter.
Seite 218–224. Der Sinai und ſein Kloſter. Auf-
nahme. Der geiſteskranke Signor Pietro. Der ehemalige
Mameluckenoberſt und jetzige Fremdenaufwärter. Der
würdige, freundliche, gelehrte Bruder Kyrillos. Kloſter-
ſitten. Die Hauptkirche mit der Moſaik der Verklärung
und der Kapelle des brennenden Buſches. Die Moſchee.
Der Garten.
Seite 224–239. Der Pfingſtmorgen auf dem Sinai.
Das Erwachen. Das Kloſterglöcklein. Der Aufbruch. Weg
XV
auf den Horeb mit den Erinnerungen an Elias. Der Rigi,
der Veſuv, der Sinai. Die griechiſche Meſſe. Der Moſis-
ſtein. Die Ausſicht vom Gipfel. Der Catharinenberg. Der
Wadi Sebaye als Lagerſtätte Israels. Das Schwanken der
Namen Horeb und Sinai. Die moſaiſche Geſetzgebung un=
ter Donner und Blitz. Der Fußtritt des Dromedars des
Propheten und die Literatur darüber. Das Feſtgelage der
Kloſterbrüder in der Felſengrotte.
Seite 240–247. Ueber die Geſchichte des Kloſters. Das
Schreiben Mahomets. Das Evangelienbuch des Kaiſers
Theodoſius. Die Stiftungsurkunde. Das „ſataniſche“
Manuſcript. Das Beduinenlamm. Spaziergang im Bo-
ſtanthale mit dem wunderbaren Moſisfelſen aus Raphidim;
den beſchriebenen Felſen; der ſteinernen Kalbsform. Der
Garten mit dem Beduinenpaar. Der Wadi Sebaye.
Seite 248–252. Abſchied vom Sinai. Die Beduinen-
conferenzen. Der Reichthum des Kloſters; ſeine Leibeige-
nen. Verhältniß der Beduinen zum Kloſter. Abſchied.
Seite 253–268. Rückkehr vom Sinai nach Cairo. Der
verhängnißvolle Bruch des Sattelknopfs. Der Beduinen
Leben, Sitten und Glück. Ihre Verwandtſchaft zu den
alten Patriarchen; Hoffnung für ihre Bekehrung zum Chri-
ſtenthume. Zur Charakteriſtik des Kamels. Die Heu-
ſchrecken. Die Schlangen. Weg am Meere zwiſchen den
Wadis Taibe und Garandel. Der ſchreckliche Chamſin.
Raubzug der Beduinen.
Seite 269–295. Reiſe nach Jeruſalem. Die Ueberra-
ſchung beim Auszuge. Die neuen Führer. Der Drago-
man, ein deutſcher Schneider. Die Anekdote vom Eſelsohr.
Das Land Goſen. Der Weg durch die wüſten Sandſtrecken.
XVI
Der egyptiſche Wachtpoſten. Die Gazellen. Die Drome-
darpoſt. El Ariſch. Der Beduinenkrieg. Der laufende
Krebs. Das Blutegelwaſſer. Die junge Schlange. Die
Reiterei zu El Ariſch. Die gaſtfreundliche Galanterie.
Strenges Verfahren gegen die widerſpenſtigen Führer. Die
Unſicherheit in Syrien. Von El Ariſch nach Gaza. Die
Ueberraſchung an der Grenze des gelobten Landes. Das
gelobte Land, der Schauplatz für die großen Religions-
kämpfe. Ankunft in der alten Hauptſtadt der Philiſter.
Die Quarantäne. Gaza's Geſchichte; ſeine Erinnerungen
an Simſon. Der arme Engländer auf Reiſen. Die nächt-
liche Ueberraſchung durchs Gewehrfeuer der Beduinen und
durch zwei Straßenräuber. Schwur der Blutrache zu Beth-
lehem. Ramleh, angeblich das alte Rama und Arimathia.
Ramleh's Thurm mit der Ausſicht.
Seite 296–301. Ankunft in Jeruſalem. Das Thal
Ajalon. Latrun. Kuryet el Enab. Kulonieh. Der tür-
kiſche Schimmel. Erſter Blick auf Jeruſalem. Eintritt.
Wohnung im Kloſter.
Seite 302–318. Jeruſalem. Geſchichtliches. Lage Jeru-
ſalems. Ausſicht vom Oelberg auf die Stadt. Ausſicht
vom Oelberg aufs, todte Meer. Der Garten Gethſemane.
Der Teich Bethesda. Die Kirche zum heiligen Grabe.
Livorno, am 12. März 1844.
An meinen Bruder Julius.
So ſteh ich am Vorabende eines ernſten Tages: mor-
gen reiſ' ich ab nach dem Lande des Aufgangs. Ich komme
Dir noch einmal ein langes Lebewohl zu ſagen; es iſt ein
freudiges, und doch fällt mir die Thräne nieder aufs Blatt.
Freilich iſts ein Weg über Klippen, ein ſchwindelnder Steg
über einen Abgrund; da ſtürzt ſichs leichter als ſichs geht.
Darum biſt Du auch nicht müde geworden mich abzumah-
nen; zu Hauſe, ſo ſchriebſt Du, da wartet Deiner ein
freundlicher Herd. Nein nein, rief Dir meine Seele zu.
Und ſieh, die Flügel ſind gewachſen. O wie glücklich führt
mein Engel mich. Denkſt Du noch an jene Octobertage
des Jahres Vierzig? Da war kein Auge das glauben
mochte woran ich glaubte; da war keine Hand die feſtigen
mochte meine Hoffnungen. Endlich gelang's doch mich
an einen Zweig zu halten, wenn er auch verwandt war
mit dem Dornſtrauche des Fuchſes in der Fabel. Am Re-
formationsfeſte reiſte ich ab; nach wenig Monaten ge-
dacht ich wiederzukehren. Da kamen die Pariſer Arbeiten
und ihre Erfolge; ich ſah Holland, England, die Schweiz,
Italien; ich fand eine Ernte, reich über alle Erwartung.
I. 2
18
Aber das Herz ſchlug ſehnſuchtsheiß. Wer ſichs ein-
mal geſagt: Ich will Jeruſalem ſehen, welche Stimmen von
Glück und Luſt und Liebe könnten Den noch verlocken von
ſeinem Ziele. Das Harren war lange. Aber ein paar
Worte aus dem grauen Alterthume von einem Manne
der den Geiſt trug in ſeiner Bruſt, die umklangen mich
täglich und nächtlich. Es ſind die Worte die Priamos
zur Hekabe ſpricht, als er allen zurückhaltenden Bitten
zum Trotze ins feindliche Lager gehen will um Hektors
Leiche auszulöſen. Freilich mußt Du ſie lieber griechiſch
leſen als deutſch.
„Halte mich nicht der zu gehen beſchloß, noch werde du ſelber
Zum wehdrohenden Vogel im Haus mir; du redeſt vergeblich.
Hätt' es ein anderer mir der Erdbewohner geboten,
Etwa ein Zeichendeuter, ein Opferprophet und ein Prieſter:
Traun, wir nennten's ein Wort der Lüge, wohl werth der
Verachtung.
Aber, ich hörte ja ſelber die Göttin und ſchaut ihr ins
Antlitz,
Jetzt werd' ich gehn, und ich halte mein Wort. Hat das
Schickſal den Tod mir
Zugetheilt bei den Schiffen der erzumſchienten Achaier,
Will ich es“ . . .
Da kamen endlich die erſehnten Briefe. In Gedanken
bin ich ſchon wieder heimgekehrt die Phantaſie trug mich
ſchnell durch alle Länder meiner Wanderung. Ich hab'
auch im Geiſte ſchon Dein Willkommen gehört; Herz an
19
Herz geruht; das glückliche Auge geſpiegelt in Euren
freudeglänzenden. -
So geh' ich fort mit fröhlichem Vertrauen; es kann
kein Wahn ſein der mich blendet. Fragſt Du noch was
ich will? Iſts nicht genug die Pyramiden ſehen? Den
Sinai ſehen? Jeruſalem ſehen? Göthe ſagte von Neapel,
wer es geſehen der könne nie ganz unglücklich werden in
ſeinem Leben. Neapel hab' ich genoſſen ; aber wie glück-
lich werd' ich ſein, hab' ich die Pyramiden, den Sinai,
Jeruſalem geſehen. Und noch beſtimmter weiß ich was
ich will. Wie anders muß das Studium der Bibel ge-
lingen, hab' ich das heilige Land mit ſeinen Denkmalen
und ſeinen Menſchen ins lebendige Auge gefaßt. Die
Geſchichte der Kirche hat keinen Schauplatz der großarti-
ger wäre als das Morgenland. Und iſt nicht jetzt eben
der Orient begriffen in ſeinen großen Entwicklungen, poli-
tiſch wie religiös? Das will geſehen, geprüft, erfaßt ſein.
Auch für meine manuſcriptlichen Forſchungen fehlt mir
die Hoffnung nicht. Von dort hat Europa ſeine Reich-
thümer; manche Klöſter haben noch heute ihre Winkel.
Niemand ſuchte neuerdings ſo beſtimmt wie ich; auch hab'
ich Mißtrauen gelernt an denen die gearbeitet vor mir.
Fände ſich aber in der That nichts, ſo läßt ſich dann mit
Nachdruck weiter bauen auf dem was wir haben.
Blieb ich ohne Heimkehr, nun ſo weiß ichs: ich ging
unter in einem redlichen Streben. Der Krieger muß blei-
2
20
ben auf dem Schlachtfelde; Du kennſt mein Schlachtfeld.
Dann hätt' ich auf dem Wege zum irdiſchen Jeruſalem
gefunden das himmliſche. Die blühende Erde iſt ſchön;
der heilige Himmel muß ſchöner ſein. Steht mir hier die
harrende Hütte, ſteht ſie mir dort: ich will ſie heiter ſuchen.
So leb' wohl, mein Geliebter; ſo lebt wohl, Ihr Lieben
alle im Vaterhauſe. Gedenkt meiner wann mich in die Weite
trägt die dunkle Fluth, wann ich wandere auf der frem-
den Erde; ich gedenk Eurer wo ich auch bin mit treuem
Herzen.
Malta, am 26. März 1844.
Der Lykurg, das franzöſiſche Poſtſchiff, ließ ſich am
13. umſonſt in Livorno erwarten; die Heftigkeit widriger
Winde hatte ihn nach Elba verſchlagen. Es ſah ſich ſor-
genvoll hinaus auf die wilde See; vor meinen Augen
lagen zwei Schiffe in Trümmern. Am 14. Nachmittags
endlich erſchien der Erſehnte, die Dampfröhre noch bis an
die Spitze mit Meerſchaum bedeckt. Er blieb ſo fern vom
Strande daß die Fahrt in der beſcheidenen Barke an ſei-
nen Bord furchtfremde Segler wollte.
Die beiden nächſten Tage brachten uns eine glückliche
Fahrt. Da genoß ich den Reiz des Seereiſens; ich wan-
delte mit ungetrübtem Auge und ſicheren Schritten das
Verdeck auf und ab. Der blaue Himmel oben, die noch
dunklere blaue Fluth unten; zur Seite die fliehenden Ge-
ſtade: ich grüßte ſie mit dem ſchmerzlichen Lächeln im
Auge. Mitten in dieſer engen Haft hat man das Gefühl
einer Freiheit wie man es ſonſt ſelten hat. Vor Civitavecchia
und Neapel hielten wir ſtundenlang. Aber kaum hatten
wir die Rauchſäule des Veſuvs im Rücken, ſo verfiel das
Meer wieder in ſeine Sturmsgedanken. Darum faßte ich
22
am 19., als uns Lavalette in ſeinen prächtigen Hafen
aufnahm, auf acht Tage feſten Fuß auf Malta.
Wie merkwürdig iſt dies Land durch ſeinen Boden,
durch ſein Leben, durch ſeine Schickſale. Ueberſchaut man
die Inſel von einem der Höhepunkte, ſo ſieht man manche
Strecken in ihrer urſprünglichen Geſtalt, in der des nack-
ten Felſen; denn das durchgängig flach aufliegende Erd-
reich iſt vom nachbarlichen Sizilien geholt worden. Dem-
ohngeachtet hat Malta eine reiche Vegetation. Die Palme
wächſt ſchon ſtattlich neben der Olive; die Orangen ſind
von beſonderer Köſtlichkeit. Von der Pracht ſeiner Roſen
hört' ich leider nur erzählen; doch prangen Gärten und
Fluren ſchon mannichfaltig. Wehten nicht täglich kühlende
Winde, ſo wäre die Hitze ſehr groß. Es kömmt mir ſchon
ganz afrikaniſch vor, wenn auch immer jene Parlaments-
acte Malta dem europäiſchen Erdtheile einverleibt hat.
Das Klima der Inſel gilt für äußerſt geſund, womit
ihre außerordentlich glückliche Produktivität zuſammenhän-
gen mag. Sie iſt nämlich ſo produktiv daß ſie ihren eige-
nen Söhnen nicht Raum genug am väterlichen Herde
bieten kann; ſie bereichert mit ihnen die Küſten Aſiens und
Afrika's. Neuerdings dachte man daran die malteſiſchen
Coloniſten vorzugsweiſe nach dem Peloponnes zu lenken,
nur aber unter einer beſonderen Garantie der griechiſchen
Regierung. Der Gedanke hatte keine Folge weil die grie-
chiſche Regierung nicht für jedwede Möglichkeit einſtehen
23
mochte. Ich glaube, dieſe Malteſer wären die rechten
Leute für Griechenland, das unter ſeinen unglücklichen poli-
tiſchen Träumereien den Boden nach dem Pfluge ſeufzen
läßt.
Die Bevölkerung vereinigt ſehr verſchiedene Elemente
in ſich. Die Frauen mit ihrem bräunlichen Teint, mit
ihren dunklen brennenden Augen, mit ihren perfiden Man-
tillen von ſchwarzer Seide, die vom Kopfe bis tief herab
reichen: die gehören, das ſieht man auf den erſten Blick,
der Inſel urſprünglich an. Leicht harmoniren dazu die
Italiäner; die reizende Neapolitanerin in meinem hótel del
Mediterraneo ſcheint ganz an ihrem Platze. Aber da ſind
auch ſteife Engländer in großer Zahl, und zwar als die
Herren der Inſel. Die ſchottiſche Garniſon, in ihrer Er-
ſcheinung oben nördlich unten ſüdlich, die frierts hier we-
nigſtens nicht an die nackten Beine. Doch nicht jeder Zug
der nordiſchen Protektoren paßt wie dieſer zur Inſel. Da-
her macht ſich gegen dieſelben, trotz der dem Palaſte des
Gouverneurs gegenüber in Gold leuchtenden Inſchrift:
Magnae et invictae Britanniae Melitensium amor et Eu-
ropae vox has insulas confirmat, 1814, eine gewiſſe
Oppoſition des malteſiſchen Nationalſinns geltend. Den
Engländern, fliehen ſie auch noch in ſo ferne Erdenwinkel,
haftet bekanntlich ohnehin an Stirn und Aug' und Herz ihrer
Heimath Luft und Himmel; aber auf Malta vernachläſ-
ſigt man die Anſchmiegung ans fremde Element auffällig.
_24_
Wie mißlich iſts daß der gegenwärtige Gouverneur nicht
einmal italiäniſch verſteht. Das Italiäniſche nämlich iſt
herrſchend in der Schrift und im vornehmen Verkehre, wäh-
rend das Malteſiſche, ein arabiſcher Dialekt, auf den ver-
trauteren Umgang ſich beſchränkt. Auf den Wunſch der
Malteſer, ihnen den vorigen Gouverneur länger als die
gewöhnliche Friſt zu belaſſen, wußte der engliſche Staats-
miniſter nichts anders zu entgegnen als daß der Stellen
wenige, der Wartenden viele ſeien.
Franzoſen befinden ſich wenige auf der Inſel. Im
Ganzen iſt der engliſche Einfluß durch keinen andern
beeinträchtigt, obſchon in neuerer Zeit namentlich Ein Ver-
ſuch dazu gemacht wurde. Dies geſchah als die ruſſiſche
Flotte nach der Schlacht bei Navarin in Malta ſich er-
holte. Man erzählte mir daß von Seite der ruſſiſchen
Marine ein ſo großer Aufwand, ja ſelbſt ſolche Schenkun-
gen unter das Volk gemacht wurden daß die hieſige Re-
gierung ſichs angelegen ſein ließ, das immer und immer
ſäumende Auslaufen der ruſſiſchen Flotte zu beſchleunigen.
Man erinnerte ſich dabei des überaus freundlichen Ent-
gegenkommens der ruſſiſchen Regierung bevor ſich die In-
ſel von Neuem Englands Schutze übergeben. Natürlich
vergißt Rußland nicht daß der Kaiſer Paul des Johan-
niterordens Großmeiſter geweſen, und nur durch ſeine Er-
mordung verhindert worden der engliſchen Anmaßung ge-
genüber ſeine Rechte geltend zu machen.
25
Die wahre Glanzperiode die Malta gehabt ruht jetzt
noch in Aller Angedenken, obſchon die gegenwärtige Ge-
neration nur den Nachſchimmer derſelben aus eigener An-
ſchauung kennt; ich meine die Zeit der Ritter des heiligen
Johannes von Jeruſalem. Urſprünglich nämlich eine Co-
lonie der Carthaginienſer, dann bald Rom bald Byzanz
zugehörig, darauf aus den Händen der Gothen befreit
durch Beliſar, im neunten Jahrhundert in der Gewalt
der Sarazenen, die im elften der tapfere Normanne
Ruggiero vertrieb, wodurch es an Sizilien kam, wurde
Malta im ſechzehnten Jahrhundert von Carl V. den
Johannisrittern geſchenkt, als dieſe durch Soliman II.
die Inſel Rhodus verloren hatten. Ich ſage geſchenkt,
denn ſie hatten jährlich nichts als einen Falken nach Pa-
lermo zu liefern. Bald darauf beſtanden dieſe edlen Ritter
unter Lavalette ihren glorreichen Vertheidigungskampf ge-
gen Muſtapha. Zwanzig Jahre ſpäter erbauten ſie die
herrliche Johanniskirche, die durch ihre Marmorpracht,
durch ihre Grabdenkmäler der Ordensgroßmeiſter, durch
ihre eroberten Fahnen und Flaggen noch heute die ver-
gangene Größe vor Augen ſtellt. Dieſer Ritterorden paßte
vortrefflich zu dem religiöſen Sinn der Malteſer, der ſchon
aus älteſter Zeit bekannt iſt. Jetzt beſitzt die Inſel nur
noch Einen der Ritter; er trägt zwar kein tapferes Schwert,
doch trägt er noch das Kreuz auf der Bruſt. Er erzählte mir
gar angelegentlich von dem unvergleichlichen Hospitale,
26
an deſſen Dienſt er ſelbſt noch Theil genommen. Funf-
zehnhundert Kranke wurden darin verpflegt; es galt kein
Unterſchied der Religion; ſervirt wurde Alles auf Silber.
Freilich wußte er mir noch mehr von Bonaparte zu er-
zählen, der jene ſechs Tage nach der ſchmähligen Ueber-
gabe der Feſtung in ſeinem Hauſe zugebracht, und zwar
ohne eine einzige Nacht ſeine Uniform abzulegen.
Aber ich eile zu einer andern Erinnerung der Malte-
ſer, die ihnen ungetrübter geblieben als die an ihre Rit-
terzeit; ſie iſt ihnen aber auch wie ans Herz gewachſen,
nämlich die Erinnerung an den Apoſtel Paulus. Wer
die Apoſtelgeſchichte geleſen, weiß daß Paulus auf ſeiner
ſtürmiſchen Fahrt von Cäſarea nach Rom an der Inſel
Melite Schiffbruch litt. Dieſes Melite iſt Malta, obſchon
man nach dem Vorgange des Conſtantin Porphyrogenne-
tes die Identität beider im vorigen und auch noch in die-
ſem Jahrhunderte ernſtlich und gelehrt in Zweifel gezogen.
Man wollte Meleda an der illyriſchen Küſte dagegen gel-
tend machen. Aber dieſer Angriff, namentlich vom Bene-
diktiner Giorgio unternommen, wurde aufs Ritterlichſte
zurückgeſchlagen. Was die Angreifenden am meiſten her-
vorhoben, das war die ausdrückliche Erwähnung des
adriatiſchen Meeres in Lucas Reiſebericht, 27, 27: „da
aber die vierzehnte Nacht kam und wir in Adria fuhren um
die Mitternacht.“ Allein was wäre leichter als das Meer
um Malta mit dem Begriffe des adriatiſchen zu verei-
27
nigen, zumal da wir beſtimmt wiſſen daß man ehedem
gewöhnlich das ganze Meer zwiſchen Griechenland Und
Italien mit dieſem Namen belegte. Dagegen läßt ſich
durch keine Künſtelei der Auslegung die Folge der Erzäh-
lung von der Ankunft in Syrakus und in Reggio bewäl-
tigen; der Ausdruck des Hinabſteuerns iſt dabei von kei-
nem ſtörenden Belange. Einen andern Grund des Zwei-
fels fand man darin daß es jetzt durchaus keine gifti-
gen Schlangen auf Malta giebt. Das hat mich aller-
dings verwundert; es gibt daſelbſt wohl, und zwar ſehr
reichlich, eine kleine Art von Schlangen, über eine Elle
lang; aber ſie iſt nicht giftig. Der fromme Glaube der
Malteſer weiß ſich leicht zu helfen; darnach hat die ge-
ſammte Race durch die von Paulus ins Feuer geſchleu-
derte das Gift verloren. Nichts wäre freilich für eine
gewiſſe Auslegungsweiſe einfacher als unter ſolchen Um-
ſtänden jenem Wunder das Wunderbare abzuſtreifen.
Allein die Eingebornen, gute Kenner der einheimiſchen
Thiere, ſind es ja ſelbſt geweſen, die bei Lucas die Furcht
ausſprechen und auf den wunderbaren Hergang ihren
Glauben gründen. Ich meine, die Schlichtung der Sache
hat nicht mehr als den Schein von Schwierigkeit. Uebrigens
fand ich aber weder in der Paulsgrotte noch ſonſt irgendwo
etwas von jenen Schlangenaugen und Schlangenzungen,
deren Heilskraft von frommen Reiſenden ſo ſehr geprieſen
worden; die mögen doch wohl aufgehört haben.
28
Zur Paulsgrotte unternahm ich eine Sonntagsfahrt
in lieber Begleitung. Wir fuhren von Lavalette nach der
Citta vecchia, die größtentheils aus ſtattlichen Landhäu-
ſern beſteht. Dabei lernt ich eine beſondere Art von Leu-
ten kennen die Carriere machen, nämlich die Malteſer
Kutſcher, die, da ihre zweirädrigen Wagen keinen Sitz für
ſie haben, trotz Hitze, Sturm und Wetter nebenher galop-
piren. Jener Grotte wag' ich ihren Pauliniſchen Ruhm
ſehr ſtreitig zu machen. Sie ſoll Paulus während ſeines
dreimonatlichen Aufenthalts beherbergt haben. Aber wie
konnte dem ſchiffbrüchigen Paulus, der ſogleich als Wun-
derthäter erkannt und verehrt wurde, der auch dem Gou-
verneur den kranken Vater rettete, eine ſolche Grotte zur
Wohnung geboten werden. Man ſagt ihr nach daß ſie
nie kleiner werde trotz aller daraus gebrochenen Steinchen.
Das hab' ich ungeprüft gelaſſen.
Bei weitem intereſſanter iſt mir die Paulsbai. Daran
läßt ſich, wie ich glaube, in der That die Stelle des Schiff-
bruchs erkennen, die Lucas genau bezeichnet als „einen
Ort der von beiden Seiten Meer hatte.“ Der Nordoſt-
wind, den auch Lucas vorher nannte, trieb das Schiff an
dieſe Felſenzunge, deren äußerſte Spitze zwei Riffe bilden,
die nach der Heftigkeit der Wogen bald mehr bald weni-
ger getrennt erſcheinen, aber allerdings durch die unterm
Waſſer fortlaufende Felſenwurzel zur Zunge ſelbſt gehören.
Nahe dabei ſteht der Paulsthurm, und etwa zwei Stünd-
29
chen davon liegt das Caſale Nazzara. Dies Dorf ſoll
ſeinen Namen von der durch Paulus begründeten Ge-
meinde der „Nazaräer“ erhalten haben.
So bin ich ſchnell auf dem rechten Terrain meiner
Reiſe. Vorm Jahre ſtand ich in Puzzuolo da wo einſt Pau-
lus feſten Fuß auf italiſchem Boden gefaßt. Jetzt ſeh' ich
ihn mitten im Kampfe der Wogen; er ſteht wie ein uner-
ſchütterlicher Fels im Meer. „Dieſe Nacht iſt bei mir
geſtanden der Engel meines Gottes,“ das rief er den ver-
zagten Schiffern zu; das Engelwort ſelber klang wie ein
ewiges Feſt durch ſeine Seele. Drum blitzte ihm der ret-
tende Leuchthurm für jede Nacht; drum ſtand ihm in jedem
Sturm der Hafen offen. Im Angeſichte dieſes Meeres,
da denkt ſichs ſchön an Paulus. Zwei Jahrtauſende ſind
geſchwunden; es ſchwand mancher Glanz, manche Größe;
aber dem Meere gleich brauſt noch heute Sein Wort
durch die Welt ohne Raſt ohne Ruh: es trägt das Herz
ins Eiland aller Eilande.
Alexandrien, am 6. April 1844.
Am 28. März früh bei guter Stunde verließ ich auf
dem Scamander das merkwürdige Inſelland, das mir durch
ein herzliches, liebreiches Entgegenkommen recht theuer ge-
worden. Die dunklen Mächte der Gewäſſer hatten keinen
Sinn für meine Bedürfniſſe. Kurz nach unſerer Abfahrt
begrub ich mich in mein Zimmer; der Scamander liebte
den Tanz. Mein junger ſeevertrauter Schiffsarzt war
freilich ungehalten über ſeinen Clienten. Er verordnete
mir ein tüchtiges Stück Schinken und ein Glas Bordeaur.
Da mir aber dieſer Verſuch von Bravour ohne allen Zwei-
fel mißlungen wäre, ſo zog ich es vor mich an der Tafel
als eine nature faible repräſentiren zu laſſen. Am 31.
März kurz vor Mitternacht warfen wir Anker. Das
Schiff ſtand, die See war ruhig. Da ſprang ich wie vom
Geiſte getrieben vom Lager auf und ſtieg aufs Verdeck.
Ich war in Griechenland. Wie wunderlieblich war der
Anblick. Syra lag vor uns; der Vollmond ſchaute her-
nieder; an den ſteilaufſteigenden hochröthlichen Felſen der
Inſel lehnten ſich, wie zu einer Pyramide zuſammenge-
drängt, die weißen Häuſer an. Viele Schiffe raſteten im
31
Hafen, am Gipfel der Maſten ein einſames Lichtlein, das
durch die gekräuſelte dunkelblaue Fluth einen langen Schim-
mer zog. Sei gegrüßt, du ſchönes Griechenland, rief ich
hinüber; „du ſelger Boden, ſchön mit jedem Lobgeſchmückt!“
Wie eine Jungfrau im Feſtkleide, ſchweigend und doch be-
redt, ſah ich es vor mir. Eine Schaar Träume lagerte
darüber; was mochten ſie dem jungen Griechenland ins
Ohr flüſtern.
Das waren die letzten Augenblicke des Pſalmſonntags.
Seit vier Tagen hinter die Couliſſen verſchwunden, jetzt
plötzlich um Mitternacht träumeriſch auf und abſchreitend
auf der Bühne, nahm ich mich aus wie ein Nacht-
wandler.
Am Morgen darauf eilte ich auf die Inſel. Da war
Alles neu für mich. Ich ſah zum erſten Male dies bunte
Gemiſch griechiſcher Trachten, dieſe ſchmuck und ſtolz ein-
herſchreitenden Palikaren mit den Waffen in ihren wei-
chen Kleidern. Darunter wandelt der fränkiſche Rock wie
ein Fremdling. Auch ohne die rothen und blauen Bänder
nebſt Kreuzen auf der Bruſt ſchien jeder Einzelne ſagen
zu wollen: Auch ich bin ein Held. Freilich keiner von
Marathon oder Salamis. Die Septembertage glänzten
ihnen noch in den Augen. Als Deutſcher konnt ich mich
nicht daran erfreuen; wer könnte ſich am Undank erfreuen.
Unter meinen Reiſegefährten lernte ich jetzt einen jun-
gen Artillerielieutenant aus der Schweiz kennen, der als
32
Gouverneur in ein vornehmes Haus nach Odeſſa ging.
Ich war entſetzt als er mir ſagte daß er auf dem dritten
Platze ſtationirt war. Welche Reſignation gehört zu einem
ſolchen Poſten. Auch macht ich hier die Bekanntſchaft
eines jungen franzöſiſchen Arztes, der ſich ſeit mehreren
Jahren in Cairo niedergelaſſen, aber ſeiner Geſundheit
halber eine Erholungsreiſe nach Paris unternommen hatte,
woher er jetzt eben zurückkehrte.
Am Nachmittage beſtieg ich den Dante; er ſollte mich
nach Egypten bringen. Von da an befand ich mich ziem-
lich vereinſamt in der Cajüte; nur ein junger ruſſiſcher
Fürſt war mit mir. Dafür bot das Verdeck eine reiche
ſonderbare Geſellſchaft. Da hatte nämlich ein türkiſcher
Sclavenhändler ſeine Leute und fünf Sclaven um die
Dampfröhre herumgeſchichtet. Unter den Sclaven erreg-
ten beſonders Intereſſe ein hübſcher weißer Knabe und
ein dunkelſchwarzes Mädchen. Ich verwunderte mich ſehr
daß ein franzöſiſches Poſtſchiff mit einer ſolchen Fracht ſich
befaſſen konnte. Uebrigens hatten wir kaum dieſe Paſſa-
giere, die direkt aus einem türkiſchen Schiffe zu uns an-
gefahren kamen, an Bord genommen, ſo zog unſer Schiff
die bleichfarbige Peſtflagge auf, wodurch unſer weiterer
Verkehr mit Syra an ſtrenge Regeln gewieſen war.
Des Abends hatten wir einen ſchauerlich ſchönen Him-
mel; ein Gewitter war im Anzuge. Man traf auf dem
Verdecke alle Vorkehrungen um es zu empfangen. Die
ZZ
Sclaven und andere Paſſagiere des vierten Platzes blie-
ben ganz in ihrer Poſition; nichts als eine wenig dichte
Decke lag zu ihrem Schutze bereit. Bald erfüllte ſich un-
ſere Erwartung; das Gewitter entlud ſich. Eine ſolche
Scene läßt ſich nicht wiedergeben. Das Schiffſchaukelte
wild auf den empörten Wogen; ich klammerte mich feſt
an mein Bett an; was nur irgend in der Cajüte umfal-
len konnte, das fiel um; ein Mal übers andere klirrten
Gläſer, Taſſen, Teller. Der Blitz leuchtete durch die nächt-
lichen Räume; der Donner krachte durch das kniſternde
Gebälk; der Regen ſtürzte in ſchwerer Laſt aufs Schiff
nieder und drang ſelbſt in die Cajüte ein. Faſt glaubte
ich gar an eine Gefahr für unſer Dampfſchiff. Noch die-
ſen Morgen hatte keins der beiden vor Syra liegenden
franzöſiſchen Poſtſchiffe rechte Luſt zur weiteren Fahrt ge-
zeigt; unſer Dante, wie mir die Offiziere ſelbſt geſtanden,
hatte bereits viel gelitten. Aber in einer ſolchen Lage lernt
man Reſignation. Meine Seele klammerte ſich feſt an
meinen guten Engel an. Hätte er mich, ſo ſagt ich mir,
meinem erſehnteſten Zielpunkte ſo nahe geführt um mich
hier ſammt allen meinen Hoffnungen in ein einſames
Meergrab zu verſenken?
Alles lief gut ab. Am Morgen erkundigte ich mich
bei meinem Begleiter, der eben vom Verdeck herab kam,
ſogleich nach den armen Sclaven. Ich hatte ſie recht be-
klagt, als die ſchreck chen Regengüſſe fielen. Freilich hatten
I. Z
34
ſie dies kalte nächtliche Bad aushalten müſſen; aber ſie
waren ſchon wieder fröhlich; nur die Negerin wurde ſtark
vom Fieberfroſt geſchüttelt.
Am 3. April des Abends ſpät kamen wir vor Aleran-
drien an. Da hatten wir noch eine böſe Nacht zu über-
ſtehen. Der Hafen von Alerandrien iſt nämlich zu ge-
fährlich um im Dunkel der Nacht einlaufen zu können;
darum kreuzte unſer Schiff viele Stunden lang vor dem
Eingange und machte, ſo oft es ſich umwendete, die aller-
unangenehmſte Bewegung. Wie froh war ich als wir
am Morgen die Anker warfen. Der Hafen war überaus
belebt; auf den Schiffen fielen mir die vielen ſchwarzen
Arbeiter auf. Schlanke Minarets ſtiegen über die Häuſer
empor; zur Linken blinkten die Reſidenzgebäude des Vize-
königs, nahe davon wo einſt der wunderbare Leuchthurm
geſtanden; zur Rechten waren am Quai hin geräuſchvolle
Marinebauten; Palmen ſchauten da und dort hervor; fern
im Hintergrunde erhob ſich einſam die Pompejusſäule.
Aber welches Gewühl und welch ein Lärm umringte uns
als wir den Fuß auf den Quai geſetzt hatten. Kamele
und Eſel lagen oder ſtanden um uns in Menge; feiſte
Türken in bunte Seide gekleidet ſtrotzten neben den brau-
nen Beduinen, bedeckt mit ihrem einfachen ſchmuzigen
Hemde; der zierliche Turban, der rothe Tarbuſch, der frän-
kiſche Hut untermengten ſich. Wir waren bereits auf dem
Schiffe vom Gaſtwirthe des hôtel d'Orient in Beſchlag
35
genommen worden; er beſeitigte ſchnell die Schwierigkei-
ten der Douane, und ſofort galoppirten wir aufmuthigen
Eſeln durch die Türkenſtadt hinein auf den ſogenannten
europäiſchen Platz. Dieſer große ſchöne Platz, von lauter
ſtattlichen neuen Häuſern umgrenzt, eine Schöpfung
Ibrahim Paſcha's, macht beſonders dann einen feſtlichen
Eindruck wenn, wie es den Tag nach meiner Ankunft ge-
ſchah, von den Conſularwohnungen die Nationalflaggen,
die auf den platten Dächern über einem Treppenthürm-
chen errichtet ſind, in ihren bunten Farben weithin durch
die Lüfte flattern.
Ich beſuchte ſogleich einige Conſuln, den Sardini-
ſchen, den Franzöſiſchen, den Däniſchen. Sodann freut'
ich mich den Protomedikus Alerandriens Graſſi wieder zu
ſehen. Wir hatten uns im letzten October in Oberitalien
begegnet. Sein Gegenbeſuch wurde freilich nicht eben gut
im Gaſthauſe aufgenommen. Seit wenigen Tagen näm-
lich waren gegen dreißig Peſtkranke geſtorben, und die Peſt
iſt Graſſi's Lieblingsbeſchäftigung. Er geht ſogar ernſtlich
mit der Realiſirung jenes zuerſt von Bulard gefaßten
Planes um, dieſe Geißel des Orients völlig auszurotten.
Er hatte mich bereits in Italien zum Proſelyten für ſeine
Anſicht gemacht, daß nur die unmittelbare Berührung mit
dem Kranken die Anſteckung herbeiführe; drum nahm ich
auch ohne Anſtand ſeine Einladung an mit ihm den In-
ſpektionsbeſuch bei einem ſo eben neu angemeldeten Peſt-
3*
36
franken zu machen. Ich bedauere daß ich durch die Be-
ſorgniſſe des Gaſtwirths unſere Uebereinkunft hintertrei-
ben ließ.
In die muhamedaniſche Bevölkerung war ein beſon-
deres Leben eingezogen, dadurch daß nach langer Pauſe
einige Löhnung von der Regierung ausgezahlt worden
war. Daher kam ein Beſchneidungsfeſtzug nach dem an-
dern über unſern Platz. Ein mit ſeidenen Tüchern und
Teppichen geſchmücktes Kamel trug den Helden des Feſtes,
faſt immer Knaben von bereits ſechs Jahren; Frauen wim-
merten ihre muſikaliſchen Eingebungen dazu; eine große
Trommel wurde tüchtig geſchlagen; ein Tamburin und
ein paar ſchreiende Pfeifen fehlten nicht. Ein oder zwei
gelenke Leibeskünſtler ſpielten Hauptrollen dabei. Um den
Feſtzug im engern Sinne wandelte noch eine Maſſe Volks
voll Jubel. Den Verhüllungen der Frauen konnt' ich am
wenigſten Geſchmack abgewinnen; doch nehmen ſich die
iſolirt durch die weißleinwandene Geſichtsmaske durchbli-
tzenden dunklen Augen ſchelmiſch genug aus. Ihre heu-
tige Feſtmuſik hatte ſeltſamer Weiſe keinen Unterſchied von
den Klagelauten die ſie des Tags darauf bei einem Lei-
chenzuge von ſich gaben.
Des Abends noch macht' ich einen Spaziergang in
einen herrlichen Palmengarten. Was iſt das für eine
Pracht. Mit welchem Stolze, mit welcher Hoheit ſteht
die Palme da; aber doch wiegt ſie anmuthig im Säuſeln
37
des Abendwindes ihre Zweige, gleich als wollte ſie ver-
traulich koſen.
Am Freitage beſucht ich die ſogenannten Nadeln der
Cleopatra. Dieſer aufrecht ſtehende hellrothe Granitobe-
lisk, belegt mit den Namen Thothmoſes III. und Rameſes,
jener beiden Schöpfer der wundervollſten Bauten Egyp-
tens, und ſein am Boden liegender Genoſſe bilden ein
wahres Trauerpaar. Welche Zeiten voll Luſt und Glück
mögen ſie geſehen haben. Einſt mögen ſie, zwei treue
Brüder, geprangt haben vor dem Palaſte der reizenden
Königin. Noch tragiſcher erſchien mir die dunkelrothe
Granitſäule, genannt die Säule des Pompejus oder viel-
leicht richtiger die des Diokletian". Sie ſteht auf einer
iſolirten Anhöhe, hinter ſich bleiche Sandhügel und den
See Mareotis, vor ſich unermeßlichen Schutt und einen
türkiſchen Gottesacker. Aber mit Luſt ſchweift das Auge
weiter und ruht auf dem neuen Alexandrien: da feiert der
Tod die Auferſtehung, und ruht auf dem weithin glän-
* Man hat ſich oft gefragt wie dieſe Säule zum Namen der Pom-
pejusſäule gekommen. Von Prokeſch ſagt, ſie ſei wie das Grab des
Themiſtoklesam Geſtade des Piräus zum berühmten Namen gekommen.
Schöner klingts freilich, läßt man bei dieſer Säule den Pompejus ſeine
ſtolze Seele aushauchen. Uebrigens ſcheint mir die von Villoiſon und
Wilkinſon geleſene Inſchrift, welche die Errichtung zu Ehren Diokle-
tians durch den Eparchen Egyptens Publius nachweiſt, noch nicht eine
andere frühere Beziehung auf Pompejus nothwendig auszuſchließen,
wenn es nicht an jedem alten Zeugniſſe dafür fehlte.
38
zenden Spiegel des Meeres, wo das Leben unerſättlich
ſchäumt und ſeit den geſchwundenen Jahrtauſenden noch
keine Sekunde geſchlummert hat. Dieſe Säule und jene
Obelisken: das iſt Alles was von der berühmten Pracht der
Aleranderſtadt geblieben iſt. Die rieſigen Katakomben, eine
wahre Todtenſtadt, mit dem daran ſtoßenden Bade der
Cleopatra, das ſeinen Namen ohne allen Grund führt,
rufen weniger die vergangene Pracht als die vergangene
Größe zurück. Der Eindruck derſelben, der Einem den
Blick ins heitere Farbenſpiel des Lebens überkleidet mit
Trauervorhängen, war für mein Auge nicht neu und drum
weniger unheimlich; doch war ich froh ihn in die Seele
wieder einzuſargen. Wie freut' ich mich des Sonnen-
ſtrahls, obſchon er eben dem Mittag entgegenbrannte, als
ich wieder heraustrat aus dieſem nächtlichen Schauplatz
der Verwüſtung. Aber der Beſuch paßte für den Char-
freitag. Nur mögen die Todten, deren Gebeine hier ruhn
– wohl hatte mancher Märtyrer darunter ſeinen eigenen
blutigen Charfreitag – nun längſt ſich ergehen im Strahle
der ewigen Oſterſonne.
Die Marmorſäulenſtraße, vom Thore der Sonne bis
zu dem des Mondes – wer kann ſich dieſe Herrlichkeit
ganz denken? – iſt nur noch an Subſtruktionsreſten und
am Laufe ihrer Ciſternen erkenntlich. Vom Serapistem-
pel, der einſt ein Wunder der Baukunſt auf dem Erdkreis
prangte, läßt ſich kaum noch ſehen wo er geſtanden. Aber
39
Schutthaufen gibts über Schutthaufen. Daraus mag
noch mancher Reſt der großen, ſchönen Vergangenheit,
noch mancher Kunſtſchatz hervorgehen können, wenn auch
keine Manuſcripte der Ptolemäerbibliothek. Dafür wan-
deln in unvergänglicher Lebensfriſche über dies wüſte Lei-
chenfeld die Namen eines Eratoſthenes, eines Clemens,
eines Origenes.
Das iſt der Triumph des Geiſtes über die Materie.
Städte verſchwinden mit ihrer Macht die jeden Trotz ge-
brochen, mit ihrem Glanze der das Auge geblendet, mit
ihrer Größe die gegrenzt ans Wunder; Städte, gebaut in
Jahrhunderten von den Händen der Tauſende. Du ſtehſt
auf ihren formloſen Trümmern und fragſt: Wo ſind ſie
geweſen? Ein Denker nannte kaum eine dürftige Hütte
ſein; aber er trug den Gott in ſeiner Bruſt: der Gedanke
den er gedacht und gefaßt ins treue Wort, der ſteht durch
alle Zeiten unerſchütterlich wie ein Gebirg, der ſtrahlt wie
ein ewiger Stern durchs Reich der Geiſter.
Cairo, am 12. April 1844.
Gegen früheren Wunſch ſah ich mich veranlaßt Aleran-
drien ſehr bald zu verlaſſen. Es war am Morgen des
Oſtertages als ich mich einer Barke anvertraute, um zur
alten Hauptſtadt der Chalifen den Nil hinaufzuſteuern.
Am Abende vorher hatte ſich zum erſten Male in dieſem
Jahre der ſchreckliche Chamſin erhoben; was ich für Abend-
roth hatte halten wollen, war nichts anderes geweſen als
der aus der Wüſte aufgewühlte und um die ganze Atmo-
ſphäre gelagerte hochröthliche Sandſtaub; noch nach 6 Uhr
des Abends war die Hitze drückend geblieben; des Nachts
hatte mir der heulende Sturm den Schlaf verkümmert:
aber dieſen Morgen wars als ob auch die Sonne Egyp-
tens das heilige Oſtern feiern wollte. Es war ſo heiter
daß es Alle überraſchte, und ein Wind blies der die Nil-
fahrt möglich machte. Das war ein ganz neues Unter-
nehmen für mich. Dadurch daß ich mit jenem aus Paris
nach Cairo heimkehrenden Arzte reiſte, wurde es mir leicht.
Wir waren auf mehrere Tage verproviantirt, auch das
Küchengeräth und der Koch fehlten uns nicht. In unſerer
Barke hatten wir außerdem noch ſieben Araber als Matroſen.
41
Als wir die Barke beſtiegen, trafen wir ſie beim Mahle.
Im Kreiſe gelagert, ſtrichen ſie mit den Fingern, die ein
ſehr blankes Ausſehen hatten, ihren Bilav aus einer gro-
ßen Familienſchüſſel. Dies blieb auch im Verlaufe unſerer
Fahrt die Haupterquickung für ihren Gaumen. Nur hol-
ten ſie ſich mehrmals von den Feldern der Nilufer ein
grünes Kraut, das ſie mit großer Genugthuung verzehrten,
während ich es nur für den Magen der Vierfüßler hätte
beſtimmt geglaubt. Zum Abſchiede von uns ließen ſie
ſichs angelegen ſein mit einem tüchtigen Stücke Hammel-
fleiſch beſchenkt zu werden; auch verſchmähten ſie keines-
wegs ein Glas von unſerem Weine.
Meine erſte direkte Unterhaltung mit unſeren Arabern
beſtand in der bedeutungsvollen Frage: Waue deiib?
(Haben wir guten Wind?) Das Wort deiib (gut) leiſtete
mir lange vorzügliche Dienſte, und ich glaube, es mußte
einen günſtigen Eindruck machen, daß der Fremdling nichts
beſſer zu ſagen wußte als das Wort gut. Außerdem ſind
es zwei andere Wörter mit denen der Ankömmling in
Egypten beſonders ſchnell Bekanntſchaft macht; es ſind
die erſten und die letzten die um ſeine Ohren klingen; ſie
enthalten im Compendium eine Charakteriſtik des Orients.
Das eine heißt bufra (morgen), das andere backſchiſch
(Trinkgeld). Alles was der Orientale auf morgen ver-
ſchieben kann, das thut er ſicherlich nicht heute; von der
Zeit hat er einen anderen Begriff als wir. Das Wort
42
backſchiſch ſcheinen die Kinder unmittelbar nach „Vater“
und „Mutter“ zu lernen. Es iſt werth ihr Abc zu heißen.
An die Gefahren unſerer Nilreiſe dachte ich nicht eher
als bis wir, nahe bei der Ausmündung des Canals in
den Nil, einer Barke begegneten die ſo eben vom Winde
umgeworfen worden war. Dieſe Barke war nur um ein
weniges kleiner als die unſrige. Sechs Männer, jeden-
falls gute Schwimmer, trugen ans Land den ſiebenten
Paſſagier, eine Frau die ertrunken war. Dieſe traurige
Anſchauung hatte wenigſtens die Folge für uns daß wir
unſeren Matroſen ohne Sträuben erlaubten in eine Bucht
zu ziehen, ſobald ihnen an gefährlichen Stellen der Strom
zu heftig dünkte.
Die Ufer des Nils ſind nicht mit den Ufern der Seine
oder mit denen des Rheins zu vergleichen. Aber ſie haben
ihre eigenthümliche Schönheit; mein Auge ſchwelgte in
manchem neuen Genuſſe. Den Canal entlang erquicken
die weiten flachen Ebenen mit ihrem Grün und ihren vie-
len Ortſchaften. Bei hereinbrechendem Abend erreichten
wir Hatfeh. Akaziengruppen bildeten wie die Vorpoſten
dazu; es machte mit ſeinen Palmen, Pappeln und Syko-
moren, mit ſeinen blanken Fabriken und hohen Minarets,
einen gar freundlichen Eindruck. Dazu dufteten uns Oran-
gengärten aus naher Ferne an. Wir ſtiegen aus um die
Oeffnung der Paſſage von den Canalswächtern zu erlan-
gen. Es gelang leicht durch die vertrauliche Zuſprache
43
und einen inhaltsvollen Händedruck meines Reiſegefähr-
ten. Wir durchwanderten den engen Bazar, und kauften
Orangen und Datteln ein.
Jetzt aber nahm uns auf in ſeine ſtolzen Wogen der
heilige Strom. Verſunken in die Erinnerung an jene fer-
nen dunklen Zeiten die uns allen mit den Tagen der eige-
nen Kindheit verwachſen ſind, ſah ich hinein in die maje-
ſtätiſche Fluth. Aber ſchnell brach der Abend herein; ich
merkte heute zum erſten Male daß in Egypten die Dämme-
rung fehlt. Der herrliche Anblick von Fuah war uns
ſchon ſtark umdunkelt. Am nächſten Morgen ſahen wir
daß wir eben gar nicht viel weiter noch gekommen waren.
Der Wind, ſo verſicherte uns unſer Reis, hatte gänzlich
gefehlt. Die Farbe des Nilwaſſers war ſo lichtſchlamm-
gelb wie der flavus Tiber zu Rom. Ich war begierig es
zu koſten. Wer wüßte nicht wie berühmt ſeine Vortreff-
lichkeit iſt. Mein Arzt ſagte mir daß es am geſundeſten
ſei ohne alle Abklärung, wie man ſie durch irdene oder
ſteinerne Flaſchen, auch durch Verſetzung mit bitteren Man-
deln vornimmt. Und in der That hatte es trotz ſeines
verdächtigen Ausſehens durchaus keinen unangenehmen
Beigeſchmack.
Jetzt hatten wir faſt fortwährend noch reizendere Ufer;
das Grün der Wieſen und Kleefelder war viel dunkler
und üppiger als am Canal; hie und da prangte ein Pal-
menwäldchen oder auch eine Gruppe dunkler Sykomoren,
44
etwa um das weiße Grabdenkmal eines arabiſchen Heili-
gen zu beſchatten. Außer den erdfarbigen Dörfern, die
ohne ihr weißes oder rothweißes Minaret ſich öfters kaum
bemerklich machen würden, erhoben ſich auch einzelne ſtatt-
liche Häuſer. So beſonders zu Terraneh, deſſen herr-
ſchaftliches Haus, vom Italiäner Cibara gebaut, wie ein
vornehmer Europäer von der baumreichen Höhe herab-
ſchaute in den breiten Strom. Hoch ſtand der Nil eben
nicht. Daher kam's wohl auch daß wir noch mehrere feſt
gefahrene Barken, darunter zwei mit Wolle beladene, un-
terwegs trafen; während wir von anderen völlig verun-
glückten noch manche Reſte auftauchen ſahen. Wir ſelber
geriethen mehrmals auf Untiefen; aber unſere Matroſen
ſprangen ohne Säumen mitten ins Waſſer hinein um uns
wieder flott zu machen.
Eine beſondere Lebendigkeit gewinnt die Nilſchifffahrt
durch die Sitte der Araber; alle ihre Arbeiten mit Ge-
ſang zu begleiten. Freilich vergißt man dabei das was
wir Geſang nennen, aber dennoch hört' ich gern, dieſe
einförmigen Tonweiſen. Ihr Tert war wohl immer
religiös. Allah oder Ma Allah, das große Wort des
Orients, klang überall durch. Ueberhaupt fand ich bei
dieſen Leuten eine gewiſſe religiöſe Haltung. Jeden-
falls wirkt dazu das häufige Gebet. Es machte mir
oft einen erhebenden Eindruck, ſah ich, namentlich in dem
Augenblicke wo die ſinkende Sonne mit ihrem röthlichen
45
Goldſchimmer den Himmel anhauchte, unſere eigenen Ara-
ber und alle andern die etwa am Ufer wandelten, plötzlich,
wie auf Eingebung eines Engels, ihre Arme kreuzen und
wieder gen Oben heben, und niederknieen und zur Erde
fallen. Die Araber mögen auch darin die Sitte der Juden
angenommen haben daß ſie beſonders gern am Ufer der
Gewäſſer beten. Sie glauben daß dadurch ihre Seele
reiner werde und geheiligter.
Am vierten Morgen ſtiegen wir aufs linke Ufer zu
unſerer Rechten aus, da wo der Nil eine große Krüm-
mung macht. Nachdem wir eine Strecke lang durch rei-
zende duftende Fluren, belebt von zahlloſen Vögeln, ge-
wandert waren, gelangten wir an eine Sandſtrecke, die
ziemlich hoch über dem Fluſſe lag. Aengſtlich ſah ſichs
hinunter zu ihm; denn dreißig bis vierzig Fuß tief lag
der feine Sandwie hingehaucht; es ſchien als könnte da
ein hinabgleitender Schritt unmöglich einen rettenden Halt-
punkt finden. Mein Begleiter ſagte daß ich mir von dieſer
Sandſtrecke einen Begriff von der Wüſte machen könnte;
ſie gehörte in der That zur libyſchen Wüſte, die in ihrer
Habſucht hier bis an den Heil und Leben ſpendenden Nil
einen Arm ausgeſtreckt hatte. Aber wunderbar ſchauten
mitten aus hohen Sandſchichten dichte und fette Sträucher
heraus.
Uebrigens hielten wir auf der ganzen Nilfahrt nicht
ſelten an; jeden Morgen, wo ich immer froh war mein
46
hartes Lager und die den Nilbarken inwohnenden nächt-
lichen Peiniger zu verlaſſen, befanden wir uns bei einem
Dorfe. Da hatte jedes Mal für unſere Araber des Abends
der Wind fehlen müſſen. Wir kauften jeden Morgen wenn
ſonſt nichts wenigſtens friſche Milch und Eier. Für unſere
Araber gab's in allen Dörfern freundliche Bekannte; im-
mer mußten wir zum Abſchied drängen. Arm und ſchmuzig
ſahen wohl dieſe Fellahs aus die wir an den Ufern ſahen,
die Männer wie die Frauen; aber ich glaube, ihr eigenes
Auge ſieht nicht wie das unſrige. Sie entbehren nicht
was wir vermiſſen. Unter den Männern ſah ich manche
Geſichter voll eines angenehmen Ausdrucks von Kraft.
Die Sonne hatte ſie immer dunkelbraun gebrannt, was
vortrefflich zu ihren Zügen harmonirte. Die Frauen ſahen
nur in der Ferne hübſch, wenn ſie mit ihren Waſſerkrügen
auf dem Kopfe in graziöſer Haltung dahin wandelten.
Um Mittag des vierten Tages erblickten wir die Spitzen
der Pyramiden. Ich hielt ſie anfangs für die Maſt- und
Segelſpitzen von Fahrzeugen in der Nähe vor uns; aber
es waren die Pyramiden. Der Gedanke ergreift wunder-
bar: Sieh da die Pyramiden! Wer hat ſie nicht geſehen
mit dem geiſtigen Auge, dieſe unvergänglichen Pyramiden,
dieſe geheimnißvollen Denkmale einer längſt verklungenen
großen Zeit; wie glücklich fühlt' ich mich daß ich ſie ſah
mit dem leiblichen Auge! Nur behielt bis jetzt freilich
noch die Phantaſie volle Freiheit, an die uns ſichtbaren
47
Gipfelſpitzen einen ganzen impoſanten Körper anzu-
ſetzen.
Als der Abend hereinbrach und wir noch nichts von
Schubra ſahen, hatten wir die Hoffnung ſchon aufgegeben
noch vor Nachts nach Cairo zu gelangen. Da erhob ſich
plötzlich ein ſehr günſtiger Wind, obſchon ſo heftig daß
immer nur ein paar Zoll fehlten um unſere Barke auf der
einen Seite ins Waſſer zu tauchen; bald flogen wir bei
dem in reichem Lichtglanz prangenden Schubra vorüber;
zwiſchen acht und neun, nachdem uns unſere Araber etwa
vierzig Schritt weit durch ſeichtes Waſſer auf ihren Schul-
tern getragen hatten, ſtiegen wir wohlbehalten in Bulak
ans Land. Nun kamen wir freilich zur unrechten Zeit
nach Cairo, weil wir das Thor ſchon verſchloſſen fanden
und die Parole nicht kannten; allein mein Begleiter wußte
den Knoten zu löſen. Er rief der Wache durchs Thor zu,
er komme in ſeiner Eigenſchaft als Hakim Baſchi (ein erſter
Arzt) geraden Weges von Mehemed Ali aus Schubra,
wohin er plötzlich gerufen worden ſei. Sobald die trotz
allem Mangel an Legitimation (jeder Arzt trägt ein Staats-
abzeichen) gläubige Wache das Thor geöffnet hatte, paſ-
ſirten wir ohne Weiteres ein.
Im Gaſthauſe, grand hótel de l'Orient, traf ich mei-
nen früheren Reiſegefährten von Syra nach Alexandrien.
Er erzählte mir ſogleich daß es hier zu Lande eine ganz
eigenthümliche Baumfrucht gebe. Gehen Sie nach Schubra,
48
ſagte er mir, da können Sie ſie hängen ſehen. Das war
nämlich der Scheik eines benachbarten Dorfes von Cairo,
der, weil er einen in ſein Dorf geflüchteten Bewohner
eines andern Dorfes – natürlich wegen des Druckes der
ſolidariſchen Haftung“ – nicht ſofort ausgeliefert oder in
ſein Dorf zurückgeſchickt hatte, mochte er nun deſſen An-
weſenheit kennen oder nicht kennen, ohne allen Prozeß
ſtrangulirt und auf drei Tage an einem Baume der herr-
lichen Schubra-Allee zur Schau aufgehangen worden war.
Dieſer Vorgang überraſchte mich aufs Höchſte. Denn
wenige Tage zuvor hatte mir der franzöſiſche General-
conſul in Alerandrien erzählt, wie er, ſobald Mehemed
Ali jene Verordnung erlaſſen hatte, zu ihm gegangen
ſei und ihm vorgeſtellt habe, daß dergleichen grauſame
* Mit dieſer ſolidariſchen Haftung verhält ſichs ſo. Jedes Dorf
hat ſeine beſtimmten Abgaben. Kann nun der Eine den ihn betreffen-
den Antheil nicht abtragen, ſo nimmt man ihn unbedenklich vom näch-
ſten Nachbar, oder hat auch dieſer nichts, vom darauf folgenden,
und ſo fort. Dabei kömmts ſogar vor daß Verſtorbene noch beſteuert
bleiben. Die Zurückgebliebenen oder auch nur die Heimathsverwand-
ten müſſen für ihn bezahlen. Der Fiskus kann nichts verlieren: das
iſt Staatsmaxime. Dieſe Marime wurde kürzlich auch auf eine faſt
noch ſonderbarere Weiſe befolgt. Bei einem Transporte Hornvieh
nach Unteregypten waren kurz vor der Ankunft und bei der Ankunft
ſelber die meiſten geſtorben. Die Aerzte erklärten das Fleiſch für un-
genießbar. Wie ſollte nun der Fiskus entſchädigt werden? Die Aerzte
mußten für ihre abgegebene Erklärung büßen. Es klingt allerdings
unglaublich; erzählt ward es mir aber von mehreren glaubwürdigen
Männern zu Alexandrien.
49
Maßregeln ſeinem Rufe in Europa ungemein nachtheilig
ſein müßten. Darauf habe ihm Mehemed Ali verſprochen,
die Verordnung als bloßen Schreckſchuß zu betrachten und
nie in wirkliche Ausführung zu bringen. Lavalette hatte
ſich gratulirt zu dieſem ſiegreichen Acte ſeiner diplomati-
ſchen Autorität; dies war alſo das Nachſpiel dazu: dieſer,
wie mir von mehrern Seiten verſichert wurde, ſonſt brave
Scheif, wie er mitten auf der lebhafteſten und herrlichſten
Cairiner Straße am Baume hing.
Tags darauf ritt ich mit dem öſterreichiſchen General-
conſul nach Schubra. Wir hatten in Begleitung des
Dragomans Sr. Hoheit kaum einige Schritte im Garten
gethan, ſo trafen wir auf Mehemed Ali, der mit einigem
Gefolge luſtwandelte. Als er unſer anſichtig geworden,
blieb er ſtehen; ich wurde ihm ſogleich vorgeſtellt. Er
firirte mich nach ſeiner Sitte mit ſcharfem Auge und ſagte,
er werde uns ſogleich rufen laſſen. Mehemed Ali hat ſehr
edle, ſcharf markirte Züge, zu denen ſein langer weißer
Bart vortrefflich ſteht. Zwiſchen den Augen hat er eine
mehr als ernſte Falte, die mich wünſchen ließ ihn nicht
zum Feinde zu haben. Nach der Friſche ſeines Ausſehens
hält man ihn noch für jünger als er iſt. Unter ſeinen
Kleidern fiel mir ſein feines Pelzgewand ins Auge. Er
hatte an ſich weder Schmuckſachen noch auch ein Zeichen
ſeines Ranges. Auf dem Kopfe trug er keinen Turban
ſondern ein rothes Fes.
I. 4
50
Etwa fünf Minuten mochten wir uns in dieſem Gar-
tenparadieſe, das nicht leicht Seinesgleichen hat, ergangen
haben, ſo ließ uns Mehemed Ali zu ſich rufen. Wir
nahmen neben ihm auf ſeinem Divan Platz. Er hieß
mich aufs Freundlichſte durch ſeinen Dragoman willkom-
men, während er dem Generalconſul ſagen ließ, ihn heiße
er nicht willkommen, denn er ſei vom Hauſe. Als ich ihm
mein Verwundern ausſprach, daß er ſeine Reſidenz in
Schubra eben zu einer Zeit verlaſſen wollte wo dieſelbe
den reizendſten Aufenthalt von der Welt gewährte, ent-
gegnete er, wir in Europa ſeien ganz anders daran als
er. Bei uns geſchehe was die Regierung anbefehle; er
hingegen möge immerhin befehlen, ohne ſein perſönliches
Einſchreiten geſchehe nichts. Er wollte nämlich zu ſeinen
Ackerbauern bei Alerandrien gehen und ihre Arbeiten über-
wachen. Wir ſprachen dann nach einer Taſſe Kaffee von
vielerlei. In Betreff der Goldwäſcherei in Oberegypten
hat Mehemed Ali Vorſicht und Mißtrauen gelernt. Die
Reichthümer, die durch eine Verbeſſerung des üblichen
rohen Verfahrens gewonnen werden könnten, ſollen über-
aus groß ſein; allein alle bis jetzt von Europäern für den
Vicekönig darin gemachten Verſuche hatten keine andere
Folge als ſeiner Generoſität hohe Summen zu koſten. Er
erzählte uns weitläufig, daß er ſich jetzt viel mit der Ver-
größerung ſeiner Pferderacen beſchäftige und daß er zu
dieſem Behufe große Mecklenburger Pferde beſtellt habe.
51
Bei dieſem Kapitel machte er eine witzige Bemerkung. Es
fragte ſich nämlich, ob die Größe des Beſchälers oder die
der Stute vorzugsweiſe in Betracht kömmt bei der Ver-
größerung der Race. Mein Begleiter meinte: die Stute;
Mehemed Ali war der entgegengeſetzten Anſicht. Da neh-
men Sie doch, ſagte er, meinen Stiefſohn Ibrahim und
ſeine Mutter. Der iſt doch groß genug und ſeine Mutter
iſt klein. Dieſe Bemerkung war um ſo überraſchender
weil bekannter Maßen die Orientalen ſehr ſelten, und
vollends gar gegen Europäer, das ſchöne Geſchlecht ins
Geſpräch ziehen.
Im Allgemeinen ſprach Mehemed Ali ſehr gern und
gut. Als wir den Greis verließen, mochten wir wohl
gegen zwei Stunden bei ihm zugebracht haben.
Mehemed Ali.
Kein Name des Orients iſt ſeit dem Beginne dieſes
Jahrhunderts öfter genannt worden in den europäiſchen
Zirkeln als der Name Mehemed Ali's. Unſere Sympa-
thie für den Orient, die uns aus der Kindheit im tiefſten
Herzen ruht, mußte ſich aufs Lebhafteſte mit einem Manne
beſchäftigen der das Licht eines neuen Tages über das
alte Pharaonenland heraufbeſchworen hat. Wie viele
Stimmen, in engliſcher, in franzöſiſcher, in deutſcher Zunge,
ſind erklungen über dieſes Phänomen. Hören wir ſie aber
in ihrer grellen Disharmonie, wie die Einen bis zum Him-
mel erheben den großen Reformator, wie die Andern ver-
dammend niedertreten das tyranniſche Ungeheuer: ſo hat
uns jenes Land der unergründlichen Geheimniſſe mit die-
ſem Manne das neueſte Geheimniß dargeboten. Der
Zwieſpalt der Urtheile dauert bis dieſe Stunde fort. In
demſelben Augenblicke wo der Verfaſſer der Briefe eines
Verſtorbenen die Perſon Mehemed Ali's durch den Glanz
ſeiner Darſtellung in das ſchmuckeſte Feſtgewand kleidet,
lauten die Correſpondenzen vom Nil wie unverſöhnliche
Anklageacten gegen den fluchbeladenen Barbaren.
53
Ich bin fern von der Anmaßung dieſen Streit ſchlich-
ten zu wollen. Einen ganz anderen Beruf dazu hatten
Männer wie Eduard Rüppell, bei der langen Dauer ſei-
nes Aufenthalts in den egyptiſchen Staaten, bei ſeinem
genauen Studium der geſchichtlichen Entwickelungen und
des gegenwärtigen Beſtands Egyptens, bei ſeiner Schärfe
und zugleich Gerechtigkeit im Urtheile. Doch hatt' ich im
Verlaufe von drei Monaten manche Gelegenheit zur Be-
obachtung, und mancher Aufſchluß wurde mir von Män-
nern gegeben die mit dem Lande ſeit Jahren vertraut ſind.
Seit meiner Rückkehr aus dem Oriente bin ich bereits zu
oft in den Fall gekommen mich über Mehemed Ali zu
äußern, um nicht wünſchen zu müſſen mein eigenes Ur-
theil hier über ihn niederzulegen.
Vor vierzig Jahren kommandirte Mehemed Alivierhun-
dertalbaneſiſche Soldaten: das war ſeine ganze Bedeutung.
Unwillkürlich kömmt mir dabei die Erinnerung an den jetzi-
gen Fremdenaufwärter im St. Catharinenkloſter des Sinai,
einen würdigen Greis mit feinen griechiſchen Zügen und
einem ſchönen weißen Barte, der in derſelben Zeit tauſend
Mamelucken befehligte. Welche Carriere liegt nun zwi-
ſchen jenem Albaneſenoberſten von 1803 und dem egypti-
ſchen Vicekönig von 1845. Die türkiſchen Statthalter
von Egypten wie Kosruf und Kurſchid Paſcha waren
wohl, trotz ihrer offiziellen Vertretung der Pforte, nur
ſchwache Gegner für ihn im Vergleich zu den Mamelucken,
54
die wie unzerſtörbare Feſtungsmauern den ehrgeizigen
Planen des jungen Albaneſen gegenüber trotzten. Aber
in wenig Jahren hat er ſie, wenn auch immer zumeiſt mit
den Waffen blutiger Intrigue, zu vernichten gewußt. Zu
welchen Kämpfen und Schlachten hat ihn die Pforte ge-
trieben, um der Muhamedaner heiliges Land den Wecha-
biten abzuringen und um ſich ſelber zum arabiſchen Für-
ſten aufzuwerfen: er hat's, trotz der Aufrührer im Schooße
ſeines eigenen Reiches, glücklich hinaus geführt. Auf welche
Ländermaſſen hat er in Oberegypten ſein Auge zu werfen
gewagt: er hat ſie den wildempörten Schaaren der Ein-
geborenen ſiegreich abgekämpft. Er wollte Syrien haben:
er nahm es. Und dies alles vor den Augen des Divans,
der den rebelliſchen Vaſallen vom Beginne ſeiner großen
Laufbahn an mit Ernſt überwacht hat, mit Hinterliſt um-
ſtellt hat, mit dem Schwerte offen bekriegt hat. Allerdings
hat ihn die Treuloſigkeit ſeines europäiſchen Bundesge-
noſſen und die Uebermacht europäiſcher Waffen um den
Beſitz Syriens verkürzen müſſen; aber Conſtantinopel ſel-
ber hat ihm keine Niederlage beigebracht.
Und was thut Mehemed Ali während dieſer kriegeri-
ſchen Bewegung nach Außen im Innern ſeines Landes?
Er ſchafft ſich eine über Alles koſtſpielige Marine – wenn
auch nur für den gebieteriſch drängenden Augenblick –,
eine Marine wie ſie der Orient noch nie gehabt hat; er
disciplinirt ſeine Truppen nach europäiſchem Muſter; er
55
ſetzt ſich in friedliche Beziehungen zu den wilden Hrden
der Wüſte; er cultivirt den Boden durch Anpflanzung von
Baumwolle, Indigo, Zuckerrohr, ſowie durch den Seiden-
bau in Syrien; er verſchönert ſein Land mit reizenden
Anlagen, mit herrlichen Bauten; er hebt die Fruchtbarkeit
der Erdſtriche durch Waſſerleitungen, deren impoſanteſte
von unberechenbarer Wichtigkeit noch fort und fort ſeine
Sorge feſſelt; er überſäet die Ufer des Nils mit Fabrik-
gebäuden; er legt eine Menge Schulen an für die Künſte
des Krieges und des Friedens; er ſtiftet Krankenhäu-
ſer; er führt die Kuhpockenimpfung ein; er beruft die
Landeshäuptlinge zu berathenden Verſammlungen. Heißt
das nicht das Außerordentliche leiſten? Heißt das
nicht an einer großartigen Wiedergeburt des Orients
arbeiten?
Freilich hat er zu dem Kopfe voll ſolcher Plane, voll
ſo ſeltener Talente nicht das Herz eines chriſtlichen Hu-
maniſten, womit er – das glaub ich ſicher – nie zu ſei-
nen Reſultaten gekommen wäre. Sein Auge weint nicht
wenn es Blut ſieht, gerechtes oder ungerechtes. Er hat
eine eiſerne Hand; jeder Schlag läßt einen Todten auf
dem Platze. Der Meuchelmord laſtet leicht auf ſeiner
Seele, und die Noth eines bedrückten Volkes kümmert ihn
wenig, wenn nur Alles ſeinen großen letzten Zwecken dient.
Die Unterdrückung des Sclavenhandels iſt ihm gleichgil-
tiger als Guizot und Aberdeen. Allen ſeinen Untertha-
56
nen ſchreit er unerbittlich ins Ohr was Napoleon ſeinen
Fürſten und Königen zurief: Deine erſten Pflichten ge-
hören mir an; jenes Fürſtenwort: Der Staat bin ich, das
hat er vollkommener noch ausgeprägt als jener Ludwig
der es geſagt.
So haben wir wohl Recht Mehemed Ali die Krone
der Menſchlichkeit vorzuenthalten, wie ſie fürs Haupt eines
chriſtlichen Herrſchers unerläßlich iſt, will er nicht zum
fluchwürdigen Tyrannen geſtempelt ſein. So haben wir
Recht ſchmerzlich ergriffen die Größe zu betrachten, die
über ſo viel traurige Leichen ihren Triumphbogen errichtet.
Aber nehmen wir auch den Orient ſo wie er iſt. Dort
ſucht heute der Verfaſſer der Briefe eines Verſtorbenen
nicht mit Ungrund das europäiſche Mittelalter. Stehen
wir auf dieſem Boden, ſo werden wir gerecht ſein im Ur-
theil über ſeine Grauſamkeiten. Hatten doch die Grau-
ſamkeiten unſeres Mittelalters noch das vor denen des
egyptiſchen Machthabers voraus daß ſie ſich in den Mantel
des religiöſen Eifers hüllten, den ſie nicht anders als
blutroth trugen. Und ſtand nicht vierzig Jahre lang für
Mehemed Ali ſelber das Gift in ſeinem eigenen Palaſte
bereit? Hing nicht für ihn ſelber der Strang fertig zu
allen Stunden? Blitzte nicht das Schwert der Empörung
wiederholt mit kühner Hand gegen ihn geſchwungen?
Dafür freilich ſuchen wir umſonſt die Parallele im heuti-
gen Europa; ebenſo für die trotz aller blutigen Strenge
57
Mehemed Ali's maß- und ſchamloſen Betrügereien der
egyptiſchen Beamtenwelt.
Will man die Klagen beurtheilen mit denen manche
europäiſche Reiſende die armen Fellahs bejammern: ſo
gilt es die Kenntniß dieſer eingebornen Bevölkerung Egyp-
tens mit ihrer hartnäckigen Indolenz, die für kein mahnen-
des Wort ein Ohr hat, ſo gilt es auch ein Abſehen von
unſerem Begriffe von Wohlhabenheit bei Leuten denen die
Freiheit vom Bedürfniſſe viel höher ſteht als aller Lurus.
Und wiederholt man immerfort daß doch nichts als die
Selbſtſucht Mehemed Ali's thätig ſei bei allem was er
thue, daß er ja alles Land ſein eigen nenne, daß er ja
alle Fabriken beſitze, daß er ja der Univerſalſpeculant ſowie
der alleinige, der Alles monopoliſirende Kaufmann ſei: ſo
darf man dabei nicht überſehen, wie Mehemed Ali alles
was er gewinnt aufs große Ganze verwendet, und damit,
möcht' ers auch ſelbſt nicht wollen oder wenigſtens nicht
zunächſt oder entſchieden beabſichtigen, eine Zukunft vor-
bereiten muß die Egypten in den Genuß einer neuen ſchö-
nen Aera verſetzen wird.
Ein Unſtern kann freilich über Egypten mit dem Tode
ſeines Vicekönigs aufgehen. Ein Ibrahim Paſcha möchte
wohl mit hartem Tritte über die zarten Saaten ſchreiten
die einer pflegenden Hand bedürfen. Doch iſt es ſehr
fraglich, in wie weit Egyptens Geſchick in ſeiner Fauſt
wird ruhen. Es könnte ihm leicht die Rolle eines Abdel
58
Kader zugedacht ſein. Und dann werden die Früchte von
Mehemed Ali's Wirken ihrem vollſten Gedeihen entge-
genreifen.
Man hat Mehemed Ali als den Schutz und Hort der
muhamedaniſchen Orthodorie angeſehen, oder wenigſtens
erzählt daß er den Ruf eines ſolchen im Oriente genießt.
Von anderer Seite hat man dieſes Prädikat Mehemed
Ali's gänzlich geleugnet, und ſich dabei namentlich auf
ſein eigenmächtiges, gottloſes Verfahren gegen die Güter
der Moſcheen geſtützt. Allein das Einziehen dieſer Güter,
das freilich, nackt betrachtet, der Act einer gewaltſamen
Hinterliſt war, trug zuerſt den Anſtrich der Rechtfertigung
in der liederlichen und betrügeriſchen Verwaltung derſelben
von Seite der Geiſtlichen; ſodann aber hat Mehemed Ali
vor Kurzem ſein ſämmtliches Beſitzthum zu Waqf erklärt,
wodurch er es unter den über Alles mächtigen Schutz der
Moſcheen ſtellte und für den Fall des Ausſterbens ſeiner
Familie die Moſcheen ſelber zu ſeinen Univerſalerben ein-
ſetzte. Das war wohl eine der glücklichſten Maßregeln
in der Politik Mehemed Ali's. Außerdem mag der muha-
medaniſche Fürſt am Nil ebenſo freiſinnig und aufgeklärt in
religiöſer Anſchauung ſein als der heutige Rex christianis-
simus am Seineſtrome; er hat aber auch dem Letzteren ſeine
kluge Schonung der orthodoren Kirchenelemente abgelernt.
Wozu man aber dem Humanismus von Herzen gra-
tuliren muß, das iſt die durch Mehemed Ali verbreitete
59
religiöſe Toleranz. Nirgends in den Ländern des Muha-
medanismus iſt der Chriſt als ſolcher ſo hoch geachtet als
in Egypten. Natürlich iſt dabei von großem Belange daß
ſo viele europäiſche Chriſten, namentlich Franzoſen und
Italiäner, in den Dienſten Mehemed Ali's ſtehen und zum
Theil hohe Stellungen bekleiden. Egypten iſt durch Me-
hemed Ali der einſtigen Bekehrung zum Chriſtenthume
unzweifelhaft entgegengeführt worden, ſo wenig es auch
im Augenblicke geſchehen kann daß derſelbe in der Sache
der Renegaten offen und entſchieden gegen die Entſchlie-
ßungen der hohen Pforte verfahre.
Ich erinnere mich bei dieſem Anlaſſe einer mir von
einem Diplomaten in Cairo gemachten intereſſanten Mit-
theilung. Es lag demſelben der Fall vor, die Renegation
eines früheren Unterthanen ſeiner Regierung bei Mehemed
Ali zu vertreten. Mehemed Ali ſagte: Laſſen Sie ihn nach
Hauſe reiſen. Das hieß natürlich den Knoten zerhauen
aber nicht löſen. Denn in dieſem Falle kam Mehemed
Ali's Schutz in keinen Betracht. Es verſteht ſich daß der
Renegat in Egypten bleiben wollte. Darauf rieth nun
Mehemed Ali, derſelbe möchte ſich nur weder in Cairo
noch in Alerandrien aufhalten, weil er für die ruhige Dul-
dung von Seite der Population dieſer Hauptſtädte nicht
einſtehen könnte. Er leugnete dabei daß er bereits von
Conſtantinopel in Betreff der neueſten Beantwortung der
Renegatenfrage benachrichtigt worden ſei. Beim Weg-
_60_
gehen begegnet der Generalconſul dem Miniſter, der die
betreffende Note der hohen Pforte an Mehemed Ali
eben noch bei ſich führte. In der Vorausſetzung, Me-
hemed Ali habe ſie dem Generalconſul bereits wiſſen
laſſen, theilte er demſelben wortgetreu ihren Inhalt mit.
Das war ungefähr die beſondere Ausdrucksweiſe der
Note:
Es hätten ſich früher wiederholt ſchändliche Subjekte
gefunden, die erſt hinübergetreten in den Schooß der Kirche
des Propheten, dann wieder hinausgetreten ſeien um die
heiligen Geheimniſſe zu verrathen und zu entweihen.
Dieſe habe der Sultan früher köpfen und aufknüpfen laſ-
ſen. Nun habe er aber beſchloſſen dieſe Strafe nicht mehr
über ſie zu verhängen; man wolle vielmehr dieſe meineidi-
gen Auswürflinge der Menſchheit, die es nicht werth ſeien
daß man ihnen das Leben nehme, ihrer Schande und ihrem
Elende preisgeben. Sie möchten nun immerhin zu den
Ihrigen zurückkehren und das Gift des Meineids hinein
in ihre Gemeinſchaft tragen.
Man darf, glaub' ich, dieſe Worte nicht eben als den
Ausdruck der aufrichtigen Geſinnung des Divans in der
Sache ſelber nehmen, obſchon ſein Zelotismus groß genug
iſt; aber ſeine Politik gegen Mehemed Ali ſpiegelt ſich
darin ab, die ihm eine erzwungene Condeſcendenz gegen
die europäiſchen Großmächte als einen Act freier Entſchlie-
ßung und religiöſen Gutachtens darſtellt. Der alte ſchlaue
61
Herr wird freilich den Stil der Pforte ſo gut wie ein
Anderer zu beurtheilen gewußt haben.
In ſeinen politiſchen Beziehungen zu den europäiſchen
Großmächten iſt Mehemed Ali immer ſchlau genug ge-
weſen um in dem Zwieſpalte derſelben ſeinen Vortheil zu
ſuchen. Daß ohne dieſen Zwieſpalt der Orient ſchon lange
eine andere Geſtalt gewonnen haben würde, das iſt ihm
klar, und die Gewißheit daß demohngeachtet das türkiſche
Reich unaufhaltſam der großen Kataſtrophe entgegeneilt
hat ihr volles Gewicht in den Berechnungen ſeiner Politik.
Recht wohl weiß er, daß ſein eigenes Königthum nicht die
letzte Stelle einnimmt auf der großen Proſcriptionsliſte.
Wenn er nun ſchwankend und perfid geworden gegen ſeine
europäiſchen Freunde, ſo folgt er damit eben ſo ſehr ſeinem
Kopfe als ſeinem Herzen. -
Klug berechnet war gewiß ſein Plan, gegen Rußlands
auf dem Papiere wohl ſchon gemachte Eroberungsſchritte
ein Bollwerk dadurch aufzuwerfen daß er über Syrien
hinaus bis an Perſiens Grenzen ſeinen Arm ausſtreckte
und ſo zugleich für den Muhamedanismus wie ein großes
Aſil bildete. Er hatte volles Recht dabei auf Englands
Allianz zu rechnen; denn wollte England neben ſeinem
Intereſſe das Intereſſe Mehemed Ali's gelten laſſen, ſo
mußte es ſich als ſeinen natürlichen Bundesgenoſſen er-
kennen. Aber England ſah mit anderen Augen. Das
türkiſche Reich konnte durch die Zurücknahme Syriens
-
62
keine Rettung finden gegen ſeinen Todeskampf; drum war
es unbedenklich das gelobte Land an ſeine alten Bedrücker
zurückzugeben. Mehemed Ali hingegen konnte wohl durch
eine glückliche Verfolgung ſeines Planes eine Bedeutung
gewinnen, die fremde Speculationen mit Nachdruck geſtört
hätte. Erſt als er ſich in ſeinen Erwartungen von England
getäuſcht ſah, dachte Mehemed Ali an die franzöſiſche
Allianz. Die Erfahrung an dieſem Bundesgenoſſen hat
ihm die Augen, wenn es anders deſſen bedurfte, vollends
geöffnet. Denn derſelbe Gedanke der die Politik Englands
vom Schutzbündniſſe mit dem Vicekönig abgehalten hatte,
der hat wohl auch Frankreich geleitet als es die Sache
ſeines Verbündeten ſchonungslos preisgab.
Jetzt ſo nahe ſeinem Abſchiede von der goldenen Sonne,
mögen ihm wohl die Sorgen um ſo ſchwerer auf dem
Herzen laſten, je umwölkter ſein Blick in die Zukunft iſt.
In allen Verhandlungen mit England, gilt es auch dem
Anſcheine nach nur geringe Intereſſen, iſt er mehr als
bedenklich. Er fürchtet zu ſehr die langen Finger dieſer
Gäſte. Wenn er römiſche Geſchichte kennt, ſo wird er
gewiß an die Römer denken, die immer nur irgendwie ein-
geladen und ins Land genommen ſein wollten wo ſie bald ihre
Adler aufzupflanzen gedachten. Außerdem fehlts Mehemed
Ali auch nicht an diplomatiſchen Freunden, die ihm mit
bunten Reden in den Ohren liegen; obſchon die Politik
da häufig in den Dienſt kaufmänniſcher Speculation tritt,
63
wobei man ihm die Entdeckung goldener Berge vorſpiegelt
und ſich indeſſen die eigenen Taſchen füllt.
Was jene letzte Ueberraſchung am egyptiſchen Hofe in
den Juliustagen 1844 betrifft, ſo iſt ihre Beurtheilung frei-
lich ſchwer. Man hat eine Manifeſtation des alten Fuch-
ſes, man hat ein neues Kunſtſtück des geübten Taſchen-
ſpielers darin erkennen wollen. Durchläuft man die Ge-
ſchichte ſeines Lebens und namentlich die erſten entſchei-
denden Schritte in ſeiner Carriere, ſo fehlt es allerdings
nicht an Analogie. Hat er ſich doch in dem Augenblicke
wo er zuerſt ſein ſtolzes Auge auf den Thron Egyptens
warf in die Maske harmloſer Reſignation verſteckt und
damit am glücklichſten den Sturm der Ereigniſſe hervor-
gezwungen. Allein anderer Seits iſt es Thatſache, daß ſich
ſchon ſeit einiger Zeit auffällige Spuren eines angegriffe-
nen Geiſtes bei ihm gezeigt haben. Vielleicht darf man
damit zuſammenſtellen, daß er auf nachdrücklichen ärztlichen
Rath unlängſt ſeinen Harem entlaſſen hat. Und ſo mag
wenigſtens ein Anfall von Melancholie, der ſich außerdem
noch mehr erklärt durch die ihm dargebrachten Aufſchlüſſe
über den traurigen Zuſtand des Landes, zu einer ſolchen
Aeußerung ſeiner Politik weſentlich mitgewirkt haben.
Cairo, am 8. Mai.
Um bald vertrauter zu werden mit der alten Saraze-
nenſtadt, mußte ich mein Hotel mit ſeinem europäiſchvor-
nehmen Anſtrich, noch ſchmackhafter für den Beutel als
für den Magen, ſo bald als möglich verlaſſen. Ich hatte
dort allerdings von meinen Fenſtern aus eine erquickliche
Ausſicht auf den ſchönen Esbekiehplatz, von Akazien und
Sykomoren umrankt und geſchmückt mit der Erinnerung
an die dort gefeierten Mameluckenfeſte, an Bonaparte, der
hier im Palaſte Elfy Bey's wohnte, und an Kleber, dem
hier der türkiſche Fanatismus mit dem Dolche jenes Su-
leyman die tapfere Bruſt durchbohrte. Zugleich hatt' ich
damit vor meinen Augen eine der preiswürdigen Schö-
pfungen der gegenwärtigen Regierung; denn erſt durch ſie
iſt dieſer Platz vor den jährlichen Ueberſchwemmungen
geſichert und zu dieſer freudigen Erſcheinung gebildet
worden. -
Wenige Tage nach meiner Ankunft in Cairo zog ich
in die Caſa Pini, Nachbarin des engliſchen Conſulats,
in einer ächt Cairiner Straße. Denn ſchon die Begeg-
nung mit einem Eſelritter kann in Verlegenheit bringen;
65
ein beladenes Kamel ſchreitet nur mühſam durch*. Eine
Ausſicht hab' ich hier nur vom flachen Dache aus, wo ich
nicht verſäume bisweilen gegen Sonnenuntergang zu luſt-
wandeln. Da hab' ich um mich die unzähligen Minarets,
die nebſt einzelnen Palmen aus dem Häuſergewühle fröh-
lich emporſtreben. Auch ſeh' ich kleine Gartenanlagen
mit ſtattlichen Bäumen auf einigen Nachbardächern. Dicht
neben mir treff ich regelmäßig einen oder zwei der katho-
liſchen Kloſterbrüder in ihren Kapuzinergewändern.
Da viele Häuſer in gewiſſem Sinne oben offen ſind,
ſo könnten die Muezzin oder Gebetsausrufer von den
Madnehs der Moſcheen herab wohl manche ſtille Fami-
lienfreude beäugeln, wären ſie nicht faſt alle blind. Aber
eben ihre Blindheit mag eine Empfehlung zu ihrem Poſten
ſein. Denn die Mitfreude an ſeinem häuslichen Herde
oder auch nur die harmloſe Mitſchau ſeiner Frauen über-
wacht der Egyptier aufs Eiferſüchtigſte. Uebrigens mach-
ten mir dieſe Muezzin, obſchon ihre Stimme keine deutſche
* Vor Kurzem dachte man darauf viele enge Straßen dadurch zu
erweitern daß man die ſteinernen Aufſätze vor den Thüren und alle
Vorſprünge bei den Parterrelocalen wegnähme. Da kam von den Be-
theiligten einer über den andern zum Polizeiminiſter um Beſchwerde
zu führen. Der Polizeiminiſter ruft den Polizeidirektor, und ſetzt ihn
zur Rede darüber wie er ſo ungeſchickt ſeine Maßregel habe ausführen
können daß jetzt die Leute mit lauten Klagen zu ihm kämen. Er ſcheint
nämlich geglaubt zu haben daß man ſicher wie der Dieb bei Nacht und
Nebel ſeinem Befehle hätte nachkommen können.
I. 5
66
Choralbildung hat, einen ernſten Eindruck mit ihrem
„Außer Gott iſt kein Gott“ und was ſie ſonſt noch Herr-
liches ſingen. Das laute Gebet, von den vielen hundert
Minarets beſonders in den Augenblicken gerufen wo die
wildſchäumenden Wogen dieſer Welt der tauſend und einen
Nacht wie eingeſchlummertruhn, umgürtet das orienta-
liſche Leben wie mit einer heiligen Tempelmauer. Die
Muezzin ſind dem Muhamedaner unſere Glocken. Wir
in unſerem chriſtlichen Europa meſſen kaufmannsmäßig
Stunde für Stunde nach ihren Vierteln, damit ja die
Geſchäfte der bürgerlichen Geſellſchaft in voller Regel
laufen. Aber wie ſelten klingen unſere Glocken noch durch
das erdenſchwere Treiben der Werkeltage, um ihre ſchönen
Gebeteslaute wie himmliſche Verſöhnungsworte darüber
auszuſprechen.
Jetzt ſpring ich ſchnell einen Augenblick auf den Bazar,
der in meiner Nähe iſt: da ſchlürft ſich das Leben Cairo's
in vollen Zügen. So heftig auch die Sonne brennt, ſo
reitet ſichs doch kühl durch die engen ungepflaſterten Stra-
ßen, deren hohe Häuſer, häufig mit vorſpringenden Eta-
gen, die heißen Strahlen hemmen. Der Bazar ſelbſt,
ungefähr zehn Schritte breit, iſt oben größtentheils mit
lichten Tüchern geſchloſſen, die von einem Dache zum
andern hängen. Zu beiden Seiten haben wir die Kauf-
läden mit ſoviel Köſtlichem und Lockendem und Schönem.
Da ſitzen die Verkäufer mit untergeſchlagenen Beinen,
67
gern die Pfeife im Munde und in der Hand eine Taſſe
Mokka, die ſie mit dem nachdenklichſten Ernſte zu behan-
deln wiſſen. Kaffeehäuſer trifft man überdies bei jedem
Schritte; ich ſehe ſie eben ſo ſelten leer als die Moſcheen.
Der Zuſammenfluß ſo vieler Nationen des Orients
ruft mir jenes Pfingſtfeſt zu Jeruſalem vor Augen. Da
gibts Araber voll einer träumeriſchen Ruhe; Türken in
gedankenloſer Selbſtgenügſamkeit; Perſer, den Stolz in
den Augen, die Pracht im Gewande; Armenier mit ihren
männlich ſchönen Zügen und dunklen Bärten; Kopten mit
ihren braungelblichen Geſichtern, voll düſtern Mißtrauens;
griechiſche Mönche in ihren ſchwarzen Talaren, im ver-
rätheriſchen Blicke die Falſchheit; Beduinen, maleriſch mit
ihrem Keffijeh und Hanfſtrick um die Stirn, die Freiheit
der Wüſte in allen Bewegungen; hübſche Negerknaben,
die ſich ganz behaglich fühlen unter ihrem rothen Tarbuſch
und in dem ſchmucken Kleide, womit ſie ihre Herren ge-
ziert haben; Fellahweiber, mit einem ſchmuzigen Hemde
über ihren weiten Hoſen, große Ringe in den Ohren, häufig
auch in der Naſe, und viele Goldſtückchen um den Hals.
Plötzlich drängt ſich durchs Gewühl ein Engländer mit
ſeiner Lady zu Eſel. Ein fränkiſcher Arzt, den Säbel an
der Seite, kömmt geritten auf prächtigem Schimmel; ſein
Vorläufer weiß ihm Platz zu machen. Jetzt zieht ein
Harem ins Bad. Gehüllt in ſchwarzſeidene Mäntel von
Kopf bis zu Fuß, das Geſicht verborgen hinter dem weißen
5 zk
_68_
Vorhange bis auf die Augen: ſo ziehen dieſe Frauen auf
hübſchgezäumten Eſeln, gelenkt von den Seis, ſchweigſam
und geiſterhaft durch die bunte Menge. Die Badehäuſer
ſelber machen nach den Moſcheen die feſtlichſte Figur.
Noch vor einer Barbierſtube muß ich ſtehen bleiben.
Da vergehen. Einem die Gedanken, ſieht man ſo einen
Kopf einſeifen und dann mit dem Scheermeſſer zu einer
blanken Mondſcheibe abglätten, nur daß in ihrer Mitte
die Mahometslocke flattert.
Auf dem Rückwege geh' ich beim engliſchen Hotel vor-
bei. Da kömmt eben eine Caravane von Suez mit Paſſa-
gieren aus Indien an. Hundert Kamele ſtehen noch ge-
packt unabſehlich in Reih und Glied. So eine ſoldaten-
mäßig aufgeſtellte Schaar dummer Geſichter macht einen
originellen Eindruck.
Der Staub wäre zu dieſer Jahreszeit eine ſchrecklich
drückende Laſt, wandelten nicht unausgeſetzt durch die Stadt
wohl mehr als tauſend Eſel mit geöffneten Waſſerſchläu-
chen zur Beſprengung: eine Maßregel die der Geſund-
heitspolizei viel Ehre macht; denn ſie iſt der Augenkran-
ken halber, die ſich hier in trauriger Menge finden, von
der größten Wichtigkeit. Iſt doch ſelbſt die Zahl der völlig
Erblindeten in Cairo ſo groß daß ganze Länder damit
nicht vergleichbar ſind. Eins der Privilegien dieſer Blin-
den hat mir gefallen: ſie allein dürfen des Abends und
des Nachts ohne Laterne auf den Straßen ſein. Die Ecken
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und Winkel der Straßen nämlich ſowie die offenen Gär-
ten ſind ſehr häufig ihr alleiniger häuslicher Herd. Wie
oft bin ich, kam ich ſpät nach Hauſe, unterwegs auf her-
umliegende Leiber geſtoßen die vorzugsweiſe blinden ſoge-
nannten Einwohnern zugehörten. Uebrigens beſchäftigt
man ſich dennoch ſehr viel mit der Bildung der Blinden
in Cairo. Der Poſten der Muezzin iſt nicht der einzige
der ihnen offen ſteht.
Am 12. April ging ich auf die Citadelle. Mein Cairi-
ner Dragoman ritt mir zur Seite, in ſeinem langen wei-
ßen Hemde, das er über ſeinen ſonſtigen Staat geworfen,
in ſeinem rothen Tarbuſch mit herabwallender blauer Quaſte,
unter dem ſeine kleinen dunklen Augen voll Verſchmitzt-
heit hervorblitzten. Unſere Eſel trugen uns über viele
jener unartigen Hunde hinweg, die trotz aller Paſſage mit-
ten auf der Straße liegen blieben. Das riklek dſchemalek
und wie alle die andern oft mit ſchmeichelhaften Redens-
arten gewürzten Einladungen zum Ausweichen heißen, die
der Seis oder Eſeltreiber ohne Pauſe ins Gedränge hin-
einſchreit, klingt Einem lange darauf noch in den Ohren.
Oft hab' ich mich eben ſo ſehr über die Unerſchütterlichkeit
dieſer Eſelsbefehlshaber als über die achtſame Behendigkeit
gewundert mit der man auf ihren Ausruf dem ungläu-
bigen Franken Platz macht.
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Soldaten auf der Wache trafen wir mit dem Strick-
ſtrumpfe in der Hand, während ihr Gewehr aus einem
Winkel zuſah: ein gemüthliches Bild. Freilich taugen
jene widerſpenſtigen Fellahſöhne mit einem abgehackten
Zeigefinger, mit ausgebrochenen Vorderzähnen, mit einem
ausgeriſſenen Auge, beſſer zum Strickſtrumpfe als zur Flinte.
Mehemed Ali thut ſehr recht daß er ſolchen unſinnigen
Selbſtverſtümmelungen die Befreiung vom Soldatendienſte
verſagt.
Wir beſuchten als wir auf die Höhe kamen zuerſt die
Menagerie mit vier Löwen, einer Tigerkatze und einigen
Hyänen, die hier im Lande ihrer Heimath doch noch einen
andern Eindruck machen als bei uns auf der Leipziger
Meſſe. Dann ſtiegen wir hinab in den merkwürdigen
tiefen Juſſufsbrunnen; nur mußten wir warten bis die
Beſchauerin, die bei unſerer Ankunft darin war, das Ter-
rain geräumt hatte; obſchon eine ganze Geſellſchaft genug
Raum gefunden hätte. -
Die Citadelle auf dem Abhange des Mokattam iſt ein
lang geſtreckter, ſehr feſter Bau. Viele aufgepflanzte Ka-
nonen richten ihre Drohung auf die Stadt; in Cairo gibts
keine Pariſer Deputirtenkammer. Vor Allem aber waren
es zwei Stücke die meine Aufmerkſamkeit feſſelten: die in
trauriger Vereinzelung da ſtehenden Granitſäulen vom
einſtigen Palaſte jenes Salaheddin der die Citadelle be-
gründet hat, und die unvergleichlich prächtige Alabaſter-
71
moſchee Mehemed Ali's, die wie ein neues Wunderwerk
Egyptens hinüber zu den alten, den Pyramiden, ihr zau-
berhaft glänzendes Auge trägt. Wohl ruht zu den Füßen
der Citadelle dieſes „Meer der Welt“ in ſeiner groß-
artigen Fülle und Schönheit, dieſe „ſiegreiche“ Fürſtin
der Städte, die ſich, ein neues Memphis, aus den Trüm-
mern des alten ihren prunkenden Thron erbaut hat. Ich
verlor mich in der Fülle, in dem Reichthume ihres An-
blicks. Aber wie die Magnetnadel den Sternen des
Nordens, ſo flieht hier das Auge wo es nur kann den
Pyramiden zu. Und von der Citadelle aus geſehen, üben
ſie ihre volle Gewalt auf den bewundernden Fremdling aus,
Nahezu den zwei Seiten der Ausſicht auf die Stadt
ruhen ernſte Bilder; im Süden und im Nordoſten dehnen
ſich, nur getrennt durch den Mokattam, die großen Tod-
tenſtädte mit ſo vielen ſchönen Denkmalen und Moſcheen
aus. An beide Todtenſtädte ſchließt ſich die Wüſte an;
ſo liegen ſie da wie ein heiliges Merkzeichen mitten zwi-
ſchen dem luſtigen Rauſch des Augenblicks und dem Ernſte
der unabſehlichen Ewigkeit. Beſonders zogen mich im
Nordoſten die mit ſtarken Thürmen hervorragenden Grab-
denkmäler der Kalifen an, merkwürdige Ueberreſte des
altſarazeniſchen Bauſtils. Als ich ſpäter dieſe ſtumme und
doch zugleich ſo beredte Welt der Todten durchwanderte,
beſuchte ich unter Anderem das Familienbegräbniß Mehe-
med Ali's, eine doppelte Kapelle die durch zwei Kuppeln
72
von oben ein düſteres Licht empfängt. Die marmornen
Sargmonumente, die ſich in der Mitte hinziehen, ſind ein-
fach und würdig. Von den friſchen Palmenzweigen die
drauf ruhten durft' ich einige Blätter brechen. Die orien-
taliſche Farbe bringen namentlich hinzu die prachtvollen
Teppiche, die zu beiden Seiten der Monumente ausge-
breitet liegen.
Auch bei dem einfachen Grabſteine Burckhardts bin ich
geſtanden. Er iſt einen ſchönen Tod geſtorben. Mitten
heraus aus ſeinen Forſchungen nach den Geheimniſſen
einer ehrwürdigen Vorwelt und eines geheiligten Bodens
hat ihn ſein Engel gerufen in die Hallen des ewigen
Schauens. Aber ſeine Gebeine hat er gelaſſen im Lande
der unverweslichen Todten, nahe den unvergänglichen
Grabtempeln der Pharaonen; in demſelben Lande wo er
ſeinem eigenen Namen eine weithin ſchimmernde Pyramide
des Ruhms erbaut.
Ibrahim Paſcha.
Bei Ibrahim Paſcha war ich. Clot Bey, der durch
ſeine Zuvorkommenheit ſo gern die Wanderer am Nil zu
ſeinen Schuldnern macht, begleitete mich zu ihm. Im
erſten Augenblicke ging unſere Unterhaltung nicht recht
von Statten; es fehlte der Dragoman des Paſcha, und
Clot Bey iſt kein ſtarker Arabiſt. Ich hatt' es aber zu
73
meiner Verwunderung ſchon geſehen, wie ſelbſt Conſuln
von mehr als zwanzigjähriger Thätigkeit in Egypten nicht
ohne den Dragoman ſich zu verſtändigen wußten. Ein
Mißverſtändniß hatten wir als Ibrahim Paſcha fragte,
bis in welches Alterthum die älteſten Urkunden der Bibel
hinaufreichen. Schon vorher hatte ich gehört daß er ſich
für meine theologiſchen Reiſezwecke intereſſirte. Ich ſagte
ihm, bis ins vierte Jahrhundert. Darauf verwunderte er ſich
daß wir nichts Aelteres hätten, da doch ſie ſelber Doku-
mente aus der Zeit des Propheten beſäßen. Natürlich
beeilt ich mich den Irrthum zu berichtigen; es iſt möglich
daß er die Rechnung unſerer Jahrhunderte falſch gefaßt
hatte. Sehr erwünſcht war mirs aber daß dieſen Augen-
blick eben der Dragoman eintrat. Der Paſcha ſagte mir
ſogleich durch ihn, daß man in wenig Jahren am egypti-
ſchen Hofe keines Dragomans mehr bedürfen würde; denn
die jungen Prinzen lernten alle Italiäniſch und Fran-
zöſiſch. Ich entgegnete ihm daß die Sprache, die er zu
Land und zur See ſchon längſt ſo vortrefflich zu ſprechen
gewußt, auch in Europa eine allgemein verſtändliche ge-
weſen. Zur goldenen Zeit Egyptens, fuhr er fort, müßten
drei Plagen fehlen: die Schreiber, die Dolmetſcher und die
Peſt. Der Dragoman mußte mir dieſe Uriaszeile über-
bringen; doch ſchien er ſichs nicht eben zu Herzen zu nehmen.
Unter Anderem ſprach er vom Prinzen Albert, dem
Gemahl der Königin Victoria. Er hatte geleſen daß der
Prinz bei ſeinem Beſuche im Vaterhauſe auf ſein Fami-
lienerbtheil verzichtet habe. Ich ſagte dazu daß England
die beſte Erbſchaft am Prinzen ſelbſt gethan. Daran
knüpfte er eine nach ſeinem Geſchmacke wohl ſehr gute
Bemerkung über die berühmten Talente der Prinzen aus
den Sächſiſchen Fürſtenhäuſern.
Ibrahim Paſcha hat bei weitem weniger edle und feine
Geſichtszüge als ſein Stiefvater, der Vicekönig. Der
Soldat läßt ſich in ſeinem Ausdrucke nicht verkennen,
obſchon er ein beſtändiges heiteres Lächeln um den Mund
hat; aber auch dieſer Zug entbehrt der Feinheit.
Ein ſchönes Beſitzthum Ibrahim Paſchas iſt die Nil-
inſel Roda. Sie bildet einen großen reichen Garten, mit
deſſen Anlage ſcharfe Geſchmackskritiker freilich nicht zu-
frieden ſind. Ich traf ihn in der vollſten Ueppigkeit ſeines
Blumenflors. In einem der fürſtlichen Gebäude, das ganz
nach europäiſchem Geſchmacke gebaut iſt, beſuchte ich den
ſchwediſchen Conſul, den Griechen Anaſtaſy, mit ſeinen
beiden lieblichen Pflegetöchtern. Von ſeinen Feſtern aus
hatten wir gerade vor uns die Pyramiden von Gizeh;
man glaubte ſie ein Stündchen entfernt. Im Garten ſah
ich auch die ſchöne Giraffe, die der Conſul dem Könige
von Schweden zum Geſchenk ſenden wollte. Dieſer Tauſch
wird dem delikaten Thiere ſchwerlich behagen.
Aber die ehrwürdigſte Erſcheinung der Inſel bildet
jener alte Thurm, wofür man ihn aus der Ferne hält,
75
oder vielmehr jene achteckige Marmorſäule mitten in einem
überbauten Brunnenbaſſin, genannt Mekkias oder der Nil-
meſſer. Er ſteht mit dem Strombette auf gleichem Niveau
und gibt nach den Maßen die an ihm angebracht ſind
genau das Steigen und Fallen des Nils an. Er ſoll
früher dem Auge des europäiſchen Fremdlings geheim-
mißvoll entzogen worden ſein. Wenn er auch nicht uralt
iſt, wie man bisweilen gemeint hat, ſo ſteht er doch nach-
weislich über tauſend Jahre auf ſeinem Poſten, als Pro-
phet von Segen und Unſegen für das Nilthal.
Uebrigens bezeichnete mir mein Dragoman die Inſel
Roda als den Badegarten jener Tochter des Pharao die
im Schilfe des Nils Moſes „das zierliche Knäblein“ ge-
funden. Die Tradition konnte kein beſſeres Terrain wäh-
len; freilich müßte dann, was wohl auch das Wahrſchein-
lichſte iſt, Memphis, nicht Zoan, die damalige königliche
Reſidenz geweſen ſein.
Kloſterwanderungen in Cairo.
Sehr begierig war ich die Klöſter zu Cairo zu beſuchen.
Einen vortrefflichen Begleiter hatte ich am Dragoman
des öſterreichiſchen Conſulats, einem Kopten von Geburt.
Im katholiſchen Kloſter trafen wir nur einen einzigen
Mönch; er war von der liebenswürdigſten Geſchäftigkeit.
Wir mußten durch eine Menge Erquickungen für den
76
Gaumen paſſiren ehe wir zur Bibliothek vordringen konn-
ten, die bei ihm in keinem guten Anſehen zu ſtehen ſchien.
Als wir endlich hineintraten, war allerdings ein ſtarker
hart aufliegender Nebel über ſie gefallen. Von Manu-
ſcripten, ſagte er mir, haben wir nichts. Doch fand ich
einige arabiſche von geringem Werthe.
Einen intereſſanten Mann lernt' ich am armeniſchen
Biſchof kennen. Er gefiel ſich beſonders in dem Gedanken
der friedlichen Vereinigung aller chriſtlichen Parteien.
Dieſer Zug iſt allerdings ſo natürlich, lebt man mitten
unter den muhamedaniſchen Gegnern des Kreuzes, aber
doch iſt er ſo ſelten. Denn die ſchroffe Abgeſchloſſenheit
der chriſtlichen Confeſſionen von einander tritt gerade im
Oriente aufs Unangenehmſte hervor. Ich dachte daran
mir für einen Autographenfreund im Vaterlande ein paar
Zeilen vom Biſchofe zu erbitten; er hatte aber eine ſelt-
ſame Furcht vor aller Oeffentlichkeit ſeiner Meinungen;
ſelbſt ein Bibelſpruch, den er ſchreiben könnte, ſchien ihm
verfänglich. Unter ſeinen Manuſcripten hielt er beſonders
einige einem neueren Manuſcript beigebundene Blätter
für ſehr alt; er war aber nicht im Stande ein einziges
Wort davon zu leſen, da der Schriftcharakter derſelben ein
ganz ungebräuchlicher war *.
* Unter den armeniſchen Fragmenten die ich aus dem gelobten
Lande mitgebracht habe befinden ſich mehrere Pergamentblätter die mit
demſelben uralten Schriftcharakter belegt ſind.
77
Als wir ins griechiſche Kloſter der Sinaiten zu Cairo
kamen, waren ſämmtliche Brüder in der Kapelle. Wir
traten alſo gleichfalls zum Gottesdienſte ein. Kerzenlicht
gab's in Fülle; der Geſang, woraus mir das von Mehre-
ren nach einander abgeſungene „ho tu paradoru thanatos“
im Gedächtniß geblieben, war ſo lächerlich mißklingend
daß ſich die Chorknaben nur mit Gewalt des lauten La-
chens erwehren konnten. Wie betrübt verläßt man eine
ſolche Andacht. Das Kyrie eleiſon, unzählige Mal wie-
derholt, umrahmte die ganze Ceremonie.
Nach dem Schluſſe derſelben wurde uns etwas von
den eben geweihten Broden gebracht; außerdem präſentirte
man uns noch vor dem Kaffee Honig und Waſſer. Man
kann in Paris einen ganzen Tag Beſuche machen ehe
man zu ſo viel Magenfreuden kömmt als in Cairo bei
jedem Schritte in ein Haus. Stehende Gewohnheit iſt
der Kaffee und die Pfeife. Sehr häufig aber, namentlich
bei Griechen, wurde mir vorher noch Honig oder ein ſehr
ſüßes Compot aufgetragen. Auch das ſteht bei den Orien-
talen und den Kennern ihrer Sitte feſt daß vor dem Kaffee
und der Pfeife nie eine Hauptſache, etwa gar die Angelegen-
heit um deren willen man gekommen, ins Geſpräch gefaßt
wird. Die Geſchäfte gewinnen dadurch eine gewiſſe Be-
haglichkeit; man iſt gar nicht mehr der volle Fremdling,
ſitzt man da mit der Pfeife im Munde, die Taſſe in der
Hand.
Als ich nun endlich nach den Manuſcripten fragte,
ſagten ſie mir daß ſie ſelber gar keine beſäßen, wohl aber
würd' ich deren viele und gute auf dem Sinai finden.
Ihre eigene Bibliothek enthalte nur Druckwerke, dieſe aber
ſeien zu meiner Dispoſition. Ich bat den vor meinen
Augen ſtehenden Wandſchrank mit Büchern zu öffnen.
Eine halbe Stunde mochte vergangen ſein ehe der Schlüſſel
dazu gefunden und die Oeffnung bewerkſtelligt war. Die
Bibliotheken in dieſen Klöſtern ſind reine Zierrathen; ſie
vertreten dort die Stelle welche bei uns die Nipptiſchchen
der Frauen einnehmen. Ich nahm einige Bücher hervor
und fand – lauter Chirographa. Verwundert ſagt ichs
ihnen; aber mit noch mehr Verwunderung hörten ſie's
und beſchauten ſich's. Chirographon? Chirographon?
fragten ſie und ſchienen faſt einiges Mißtrauen zu hegen.
Eine alte Handſchrift war ihnen eine völlige Neuigkeit;
nur kannten ſie dergleichen recht wohl par renommée.
Denn kaum hatten ſie durch mich ihren Reichthum an
Manuſcripten erfahren, ſo träumten ſie auch von dem
unſchätzbaren Werthe derſelben. Ich unterſuchte nach die-
ſem Bücherſchranke noch einen andern in einer Kapelle des
Kloſters, der mir eine noch weit reichere Ausbeute bot.
Ich bin ſeitdem ſchon wieder in dieſem Kloſter gewe-
ſen; man hat mir aufs Freundlichſte ein Studirzimmer
eingeräumt. Der weitere Verlauf dieſer Studien gehört
nicht hierher. Ich hatte aber mit meinen Funden in dieſer
79
Bibliothek die erſte fröhliche Genugthuung gewonnen gegen
die ungläubigen Abmahnungen von meiner Reiſe, von der
man, wenigſtens im Vaterlande, nach ſo vielen Vorgän-
gern nichts Neues erwarten wollte. Ein Mann meines
Fachs von weitklingendem Namen iſt allerdings vor zwanzig
Jahren in dieſem Kloſter geweſen; ſein Bericht davon
lautet mit kahlen Worten, „es enthalte keine Handſchriften
von literäriſchem Intereſſe.“
Der griechiſche Patriarch von Alerandrien und ſeine
vermauerte Bibliothek.
Von mehreren Seiten kam mir das Gerücht zu von
einem manuſcriptlichen Schatze, der vor zwanzig Jahren
aus Antiochien nach Cairo gelangt ſein ſollte. Eine ganze
Bibliothek ſollte es ſein, nach Cairo als Pfand gegeben
und befindlich in dem unmittelbaren Beſitze des Patriar-
chen. Kein der Sache kundiges Auge hatte je dieſe Ma-
nuſcripte geſehen; um ſo mehr erzählte man ſich Wunder-
dinge davon. Bald trat der unglaubliche Zuſatz zum Ge-
rüchte daß dieſe Bibliothek vermauert ſei. Der öſter-
reichiſche Generalconſul verſuchte aufs Gütigſte mich zur
Enthüllung des Geheimniſſes zu führen. Fürs Geeig-
netſte hielt er es, das Anliegen direkt an den Patriarchen
zu bringen, von dem er perſönlich ſehr wohl gekannt war.
Wir fuhren deshalb des Sonntags in Begleitung eines
80
gebornen Griechen nach Altcairo, wo der Patriarch reſidirt
wenn er von Alexandrien abweſend iſt.
Nachdem uns eine bejahrte Haushälterin deſſelben vor-
läufig beſtens empfangen, auch mit Kaffee und Pfeife bewir-
thet hatte, erſchien der Patriarch in einem Hauskleide, das
vornehm genug wär um ſeinen hohen Rang zu verrathen.
Der Pabſt Gregor XVI. ging viel einfacher, als er mich
in einer Privataudienz empfing. Der Patriarch, der jetzt
in ſeinem ein und neunzigſten Lebensjahre ſteht, hat viele
Würde in ſeinem Aeußeren; ſein auf die Bruſt herabfal-
lender weißer Bart kleidet ihn ſehr gut; ſeine Statur
überſteigt das gewöhnliche Maß. Wir wechſelten einige
freundliche Worte. Unter Anderem ſagt ich ihm, daß der
erſte Geiſtliche meines Vaterlandes eben ſo wie er ein
Wunder in ſeiner Erſcheinung ſei, indem er den Angriffen
des höchſten Alters eine unnehmbare, ſturmesfreudige Fe-
ſtung entgegen halte.
Schnell rückten wir der Sache näher. Der General-
conſul ſagte ihm, daß ich ein tüchtiger Helleniſt ſei, obſchon
ich nie in Griechenland geweſen. Darauf ließ der Pa-
triarch ein gedrucktes griechiſches Buch in folio bringen,
ich glaube, es war ein Band Chryſoſtomus, und erſuchte
mich drin zu leſen. Ich ſtand in der Meinung, er wünſche
zu hören wie wir ungriechiſche Griechen das Griechiſche
ausſprechen, und las ein paar Zeilen nach meiner Leipziger
Ausſprache vor. Dies Eramen hatt' ich aber zu meinem
81
Beſtürzen überaus ſchlecht beſtanden; man kann es unbe-
denklich für einen Repuls ausgeben. Der Patriarch ent-
gegnete nämlich auf dieſe Probevorleſung, ich hätte es
noch nicht eben weit im Leſen gebracht. Wir mengten
in unſere eilige Berichtigung einige Heiterkeit; aber das
Unglück war nicht gut zu machen. Ich ſprach einiges
Griechiſche mit, aber das geringſte Verſehen in der neu-
griechiſchen Ausſprache oder auch eine Accentverletzung –
ich hatte mich in den letzten Jahren gewöhnt das Grie-
chiſche nach der Quantität zu betonen – rügte er hart
zur Beſtätigung ſeines Urtheils. Es ſchien als habe der
Patriarch das feine Ohr einer Pariſer Salondame. Nun
war es freilich ſchwer ihm begreiflich zu machen, daß meine
manuſcriptlichen Studien von irgend einem Belange ſein
könnten. Mein Coder Ephrämi Syri reſcriptus ver-
klang wie ein gutmüthiges Mährchen. Als er davon
hörte, fiel er ſogleich ein, wie ich denn das Geſchriebene
leſen könnte da ich nicht einmal mit dem Gedruckten aus-
käme.
Der Conſul wurde verſtimmt und ſagte ihm, er möge
das ganz auf ſich beruhen laſſen; unſer großes Anliegen
ſei nur, zur Einſicht ſeiner verborgenen Bibliothek zu ge-
langen. Als er wiſſen wollte was wir darin ſo begierig
ſuchten, theilten wir ihm mit daß ich mirs zur Aufgabe
gemacht habe die alten Urkunden des Neuteſtamentlichen
Originaltertes mit eigenen Augen einzuſehen, um aus
1.
82
deren Zuſammenſtellung einen Tert zu ſchöpfen der dem
Buchſtaben, wie er aus der Hand der Apoſtel gekommen,
ſo nahe als möglich träte. Aber, verſetzte er, wir haben
ja doch alles was wir brauchen; wir haben die Evange-
liſten, wir haben die Apoſtel"; was fehlt uns noch? Der
Begriff der Kritik mochte zum erſten Male in ſeinen ein-
undneunzig Jahren an ſeine Ohren klingen. Auf unſere
Erläuterungen war er bedenklich und mißtrauiſch. Endlich
machte er auch geltend, daß die Bibliothek vermauert und
nur mit großen Koſten zu öffnen ſei. Dagegen erklärten
wir uns freudig bereit die Koſten der Oeffnung zu tragen.
Demohngeachtet nahm er nicht mehr als einen gewiſſen
Schein von Zuſtimmung an. Wir verließen ihn bald.
Daß ich ihm die Hand nicht geküßt hatte, was meine
beiden Begleiter thaten, mochte mich nicht eben in ſeine
Gunſt geſetzt haben. Ich erinnerte mich bei dieſer Gele-
genheit und bei mancher andern, wo ich dieſen Reſpekts-
beweis von Geiſtlichen gegen Biſchöfe darbringen ſah, an
jenes edle Wort das der Patriarch von Conſtantinopel
einſt einem jungen Geiſtlichen zugerufen, der ihm die Hand
küſſen wollte: „Wir brauchen Prediger, keine Schauſpie-
ler.“ Das Bedürfniß ſcheint ſich geändert zu haben; auch
an der Tiber gibts kein Echo von jenem Patriarchenwort.
Vom Patriarchen gingen wir zu Soliman Paſcha.
* tö eiayyétov waróv dröoroov.
83
Soliman Paſcha iſt von Geburt Franzoſe und hat ſich
durch die Organiſation der Armee Mehemed Ali's große
Verdienſte um Egypten erworben. Wie ſehr Mehemed
Ali ſeine Verdienſte anzuerkennen wußte, beweiſt der fürſt-
liche Rang womit er denſelben bekleidet hat. Freilich iſt
er ums Evangelium ärmer geworden; er hat ſich an den
Koran verkauft; wohl mag er ſich damit für ſein Gewiſſen
manche Stunde des Fluchs erkauft haben.
Bei ihm hatt' ich es mit keinem alten Palimpſeſten,
auch mit keinem Griechiſch zu thun. Er wußte kaum daß
ich aus Sachſen war, ſo hatte er eine angelegentliche
Frage auf dem Herzen. Kennen Sie, fragte er mich,
zwei Apothekerstöchter in M... .. ? Ich war freilich nicht
ſo glücklich ſo liebe Bekanntſchaften in M . . . . . zu beſitzen;
aber Soliman Paſcha erzählte mir nun mit einer liebens-
würdigen Ausführlichkeit, wie er unter Napoleon in Sach-
ſen geweſen und zu M... .. im Hauſe eines Apothekers
kleine unſchuldige Abenteuer gehabt. Das läßt ſich freilich
keine eigentliche alte Liebe nennen; aber doch gehört's zu
den unverwelklichen Vergißmeinnicht der alten Liebe. Ein
Mann, noch dazu von franzöſiſchem Blut und Militair,
der dreißig Jahre in der vollen Praris der orientaliſchen
Sitte verlebt hat, denkt noch mit einer herzlichen Behag-
lichkeit an zwei Apothekerstöchter an der Elbe, denen er kurz
vor der Leipziger Völkerſchaft mehr oder weniger ſeine
Galanterien dargebracht.
6 2:
_84_
Noch einen anderen Franzoſen traf ich in Cairo der
unter Napoleon in Sachſen geweſen, und zwar als Regi-
mentsarzt. Er hatte, wie alle ſeine Freunde wußten, die
ſchwache Seite von nichts lieber als von Sachſen zu
ſprechen, und war ſehr vergnügt als wir uns eines Abends
bei Clot Bey unter den Granaten ſeines Gartens zuſam-
men fanden, wo er mit vollem Rechte ſeinen Sympathien
für Sachſen ein lebendiges Wort gönnen durfte.
Auf unſerem Heimwege nach Cairo erzählte mir mein
Begleiter von einem vor mehreren Jahren in Alerandrien
aus dem Mauerſchutte ausgegrabenen Schatze, einer alten
griechiſchen Kirche, deren Wände eine Art Palimpſeſt
enthielten. Es befanden ſich nämlich darauf Malereien,
deren eine über die andere ausgeführt war, zugleich mit
griechiſchen Inſchriften. Der öſterreichiſche Generalconſul
hatte ſo viel daraus erſchloſſen, daß die urſprünglichen
Malereien, Darſtellungen aus dem Leben der Heiligen,
erſt übertüncht und verdrängt, dann wieder durch ähnliche
erſetzt worden waren. Eine tiefere Unterſuchung wurde
ihm verkümmert; bei der Rückkehr von einem kurzen Aus-
fluge nach Cairo fand er ſämmtliche Reſte zerſtört. Gewiß
darf man zur Erklärung dieſes Palimpſeſten an die Zeit
und den Verlauf des Bilderſturms denken, der hiernach
auch zu Alexandrien getobt haben muß.
Aber ich kehre zur vermauerten Bibliothek des Pa-
iriarchen zurück. Wir zogen mehrere angeſehene Griechen
85
von Einfluß in unſer Intereſſe; demohngeachtet wollte
nichts gelingen. Denn als eine neue Feindin ſtellte ſich
uns eine dogmatiſche Beſchränktheit mit ihren Vorurtheilen
gegenüber, die hinter meinen kritiſchen Arbeiten über den
heiligen Tert ich weiß nicht welche Gefahr für den ſtatus
quo des griechiſchen Kirchenglaubens witterte.
Endlich ſchlug ſich ein deutſcher Arzt ins Mittel, ein
Mann deſſen Name mir ſchon längſt ungemein theuer ge-
worden. Er benutzte für meine Angelegenheit ſein haus-
ärztliches Verhältniß zum Prokurator des Patriarchen,
wobei noch die demſelben eröffnete Ausſicht von einiger
Mitwirkung war, daß ich nach meiner Rückkehr auf euro-
päiſchen Boden dieſer unzugänglichen vermauerten Pa-
triarchalbibliothek gar wohl einen üblen Denkſtein errichten
würde. Der Prokurator verſprach die Bibliothek für mich
öffnen zu laſſen. Freilich war ich bei dem Acte ſelber nicht
perſönlich zugegen, und die Zahl der mir daraus zur freien
Unterſuchung geſtellten Manuſcripte war ſehr gering, wäh-
rend der übrige Gehalt der Bibliothek angeblich aus meh-
reren tauſend gedruckten Büchern beſtehen ſollte. Ich bin
in der Vermuthung geblieben daß man nicht ganz auf-
richtig geweſen; übrigens haben mir auch jene wenigen
Handſchriften ſehr willkommene Reſultate geliefert". Ich
* Ich gebe anderwärts nähere Auskunft darüber. Man ſehe die
Wiener Jahrbücher, Jahrgang 1845. Band 2. ff.
86
brachte deshalb einen ganzen Tag im Hauſe des gelehrten
Sekretärs des Procurators zu.
Dieſer Sekretär war ſeit Kurzem Ehemann; er hatte
eine ſehr jugendliche Frau. Ihre Haupttheilnahme an
meinem Beſuche beſtand in nichts Beſſerem als daß ſie
mir eine Pfeife nach der andern, die ſie ſelbſt anrauchte,
ſowie den Kaffee präſentirte, und bei Tiſche mich und
ihren Gemahl bediente, ohne die Tafelfreuden ſelbſt in
unſerer Geſellſchaft zu theilen. Die deutſchen Frauen
werden ſchwerlich die Frau des Sekretärs beneiden.
Die Pyramiden.
Am 16. April bin ich bei den Pyramiden geweſen.
Um unvergeßliche Stunden bin ich reicher geworden.
Tageweit ſchimmert dem entzückten Auge die Königin der
Pyramiden; eine Stunde auf ihrem Gipfel verlebt, die
ſchimmert getreu der Erinnerung nach in die fernſte
Ferne.
Noch vor Sonnenaufgang wars als ich mit meinem
Ali über den Schutt Babylons an den Nil ritt. An ſei-
nen beiden Ufern fanden wir den Markt ſchon im vollen
Leben; bei Gizeh lagen zu unſeren Füßen große aufge-
ſchichtete Haufen von Bohnen, Hirſe, Linſen. Wir ritten
durch eine fröhliche Landſchaft, reich an Palmen und Aka-
87
zien. Viele Getraidefelder waren in der Ernte begriffen;
andere ſtanden noch in weiten Strecken, hoch und prächtig.
Leicht hatten wir den Kanal überſchritten; er war faſt
waſſerleer. Bald hatten wir anſtatt des lachenden Grüns
den Sand der Wüſte unter uns. So ritten wir in freu-
diger Haſt dem winkenden Ziele näher und näher. Jetzt
eilten uns von allen Seiten Geſtalten entgegen, verwandte,
bekannte wie es ſchien, und doch hatten wir ſie niemals
geſehen. Es waren die Beduinen der Umgegend, Leute
von kräftigem Schlage, von der Sonne ſtark gebräunt, in
den dunklen Augen ein ſchönes Feuer. Obſchon ich es
meinem Dragoman eingeſchärft hatte mir nicht mehr als
zwei dieſer zuvorkommenden Pyramidenführer aufzubürden,
ſo waren doch alle die kamen ganz unabweislich und
wandelten ohne Bedenken mit uns fort.
Während unſeres vierſtündigen Weges gewannen die
Pyramiden nichts an impoſantem Effekt; faſt ſchien es gar
als ob ſie dem Kreiſe der Gewöhnlichkeit näher rückten.
Als wir aber nach Ueberſteigung der Felſenbaſis, deren
beträchtlichſter Theil im Sande verſteckt liegt, am Fuße der
größten unter ihnen ſtanden: da hatte dieſes Gebirg, ge-
ſchaffen von Menſchenhand, eine unvergleichliche Gewalt,
Horaz durfte nicht hier ſtehen als er ſein nil admirari
ſchrieb.
Ich weiß nicht wie's kam, ein Gedanke riß mich in
dieſem Augenblicke fort an den Rhein zum Straßburger
88
Münſter. Es mochte eine Verwandtſchaft der begeiſterten
Stimmung ſein, die ich wie hier ſo einſt dort gehabt in
der Anſchauung von Erwin's wundervollem Bau, zugleich
Deutſchlands Obelisk und Deutſchlands Pyramide.
Dort war es bei ſinkendem Abend als ich unerſättlich
hinaufſtarrte zu der wolkenhohen Spitze. Sie erſchien
mir wie das Gebet der deutſchen Nation, in herrliche
ewige Form gegoſſen, klar und offen wie das deutſche Auge,
kühn und entſchieden wie das deutſche Herz. Die Begei-
ſterung die kurz zuvor ſo viel tapfere Schwerter, ſo viel
theures Blut die Fluthen hinüber gen Jeruſalem getragen
hatte zum Kampfe fürs verlorene Grab: die war plötzlich
wie durchklungen worden von einem Engelwort; fürs
irdiſche ſuchte ſie das himmliſche Jeruſalem; fürs leere
Erdengrab den ewig Lebendigen droben. Dort, im An-
ſchaun jenes Denkmals des begeiſtrungsvollen chriſt-
lichen Glaubens, dort wars ein religiöſer Schauer der
mich in der tiefſten Seele faßte und in dem Auge die
Thräne weckte.
Hier ſtand ich wie getroffen vom Blitzſtrahl des Ge-
nius; hier ſtaunt' ich an dies uralte Geheimniß. Seit
Jahrtauſenden haben es die Forſcher geſehen in dem blen-
denden Lichte der Mittagsſonne; aber der tiefſinnige Sohn
Egyptens hat es gehüllt in ſeiner Weisheit nächtlichen
Schleier. Wie ein rieſiger Gedanke iſts, geboren in einer
großen Zeit aus dem Haupte eines allmächtigen Herr-
89
ſchers; wie ein Triumphfeſt menſchlichen Willens, menſch-
licher Kunſt über das Reich des Todes und der Vergäng-
lichkeit. Hier fühlt' ich das Auge nicht feucht von Rüh-
rung; in ſtumme Bewundrung war ich feſtgebannt; es
war als ſäh’ ich vor mir den menſchlichen Geiſt mit him-
melumſpannenden Flügeln des Cherubs.
Andere Gedanken mochten meine Beduinen haben; ſie
betrachten ihre Pyramiden als theure Großväter, die es
nicht verlernen können den lockeren Enkeln eine Münze
der Fröhlichkeit in die Taſche zu ſtecken. Das könnte man
ihnen wohl nachſehen; denn ſie allein theilen mit den
Pyramiden ihr weites ödes Vaterland; ſie hangen beide
mit gleicher Treue am Sande der Wüſte. Aber was ſie
zu einer ſehr unangenehmen Geſellſchaft macht, das iſt ihr
Backſchiſchjubel – ich meine den Jubel nach Backſchiſch –
der mitten im beſten Momente nur mit halbgeſchloſſenem
Auge ſchlummert. So hängen ſie ſich, trotz ihrer Behen-
digkeit, wie Bleigewichte an die Schwingen der geiſtigen
Betrachtung.
Wir hatten vor uns die zweihundert und ſechs terraſ-
ſenförmig über einandergelegten Quadern von weißgrauem
feinem Kalkſtein“, deren manche über drei Fuß Höhe haben.
Wir ſtiegen ohne Säumen hinauf; vier Beduinen, zwei
vor mir und zwei hinter mir, ließen ſichs nicht nehmen
*v. Schubert nennt ihn Nummulitenkalk.
_90_
mir behilflich zu ſein. Die Werkſtücke ſind allerdings zu
groß um ſie, zumal in europäiſcher Kleidung, mit Leichtig-
keit zu überſteigen. Zwei Mal raſteten wir unterwegs,
obſchon ich keine außerordentliche Ermüdung ſpürte. Nach
einigen zwanzig Minuten hatten wir die Plattform erreicht,
nahe an fünfhundert Fuß über dem Felſengrunde der Py-
ramide. Auf dieſer Plattform, einer Quadratfläche, findet
eine Geſellſchaft von zwanzig Perſonen bequem Raum.
Wahrſcheinlich hatte die Pyramide urſprünglich keine Platt-
form ſondern lief in ihre Spitze aus; doch macht ſich da-
gegen die Vermuthung geltend, es habe auf dieſer Pyra-
mide, wie auf ähnlichen Monumenten Oberegyptens, an-
fangs ein Koloß geſeſſen“. Auch war ihr ganzer Stu-
fenbau früher von einem geglätteten marmorartigen Stein
überkleidet. So hat die Cheopspyramide noch Herodot
geſehen, und die zweite, die nach Cephren benannte, trägt
noch heute an ihrer oberſten Spitze die Reſte eines ſolchen
glänzenden Ueberzugs.
Da ſtand ich denn auf dem Gipfel der größten Pyra-
mide und durchmaß mit meinem Auge einen weiten Um-
kreis von dieſer merkwürdigen, wundervollen Egyptus.
Welch eine Ausſicht hatt' ich nach allen Seiten. Im Nord-
oſten lag die Kalifenſtadt mit ihren alten Mamelucken-
* Schon Wansleb (im Jahre 1673) behauptete, man ſähe
auf der Plattform noch die Höhlen in denen der Koloß befeſtigt ge-
weſen.
91
ſchlöſſern, mit ihren ſchlanken Minarets, mit ihren Pal-
menkronen; mit ihrer Citadelle die eben ſo prächtig iſt als
mächtig. Sie lehnt ſich an den Mokattam, der wie ein
Greis mit ſeinem weißen Scheitel darüberſchaut. Nach
Oſten wie nach Weſten ſtarrte mich an die grenzenloſe
Wüſte mit ihrer Nacktheit, mit ihrem blendenden Sande;
nur da und dort zogen ſich Strecken kargen Geſträuchs
wie Wolkenſchatten hin. Nach Norden ruhte das Auge
mit Erquickung aus auf dem glücklichen Nilthal, mit ſei-
nem dunklen Grün, mit ſeiner Bäume Pracht, mit ſeinen
goldreichen Feldern. In ſeiner Mitte hat es den heiligen
Nil, den Alles ernährenden, den Spender des Lebens.
Wie ein Lieblingskind Gottes ſchlägt es ſein dankbares
Auge zum Himmel auf. Eingeſchloſſen ringsum vom
ſtarren Wüſtenſaume, liegt es da wie ein fröhliches Ge-
denkemein von einem fernen lieben Freunde. Im Süden
endlich ruhen die Ruinen von Memphis; ſie ſchlummern
Todten gleich; die Wüſte hat ſie eingeſargt. Daneben
trauert das Mumienfeld, ein wahres Schlachtfeld des
Todes. Aber noch ragen drüber empor, gleichwie ſtarke
treue Brüder, gerüſtet gegen jeglichen Trotz, die Pyrami-
den von Abuſir, von Sakkara, von Daſchur.
Wie Kinder der Schmerzen mögen ſie ſelber geboren
worden ſein, dieſe Pyramiden, geboren unter den Händen
eines bedrückten Volkes; ſeine Thränen hangen dran und
ſeine Seufzer. Aber ein adlerkühner Gedanke blitzte auf
92
in einer Menſchenbruſt; er wollte unter den Wechſeln der
Schickſale ein ewiges Denkmal bauen. Da gewann das
Geſtein der Wildniß die herrliche Form; da thürmte ſich
aufs Gebirg, von Gott gebaut, ein zweites Gebirg. Wohl
ſtammt es von der Menſchen Hand, und iſt doch dem
menſchlichen Auge ein Wunder,
Was haben ſie geſehen, dieſe Pyramiden, im Laufe
der Jahrtauſende. In ihrem Umkreiſe ſchweben der großen
Pharaonen Geiſter; ſollten ſie auch ihre Leiber nicht bergen
in ihrem Innern. Sie haben Joſeph und ſeine Brüder
geſehen; ſie ſind Zeugen geworden vom Auszuge insge-
lobte Land und Zeugen vom Strafgerichte am verſtockten
Pharao. Die tiefe Weisheit Egyptens haben ſie geſehen,
ſeine Kunſt, ſein Glück, ſeine Macht; aber ſie ſahen auch
ſeine Sonne untergehen.
Herodot, der Vater der Geſchichte, ſaß zu ihren Füßen,
Und Alexander der Welteroberer.
Kaum leuchtete die Fackel des Chriſtenthums über dieſe
Städte, über dieſe Wüſten: da fand es auch die auf-
opferungsvolle Begeiſterung der Eremiten, da fand es
auch die ſiegesfreudige Wiſſenſchaft der Alerandriniſchen
Väter.
Trotz dem wich bald das Kreuz des Erlöſers dem
Halbmonde des Propheten. Ein neues Memphis ſtand
auf; es prangte die Kalifenſtadt am Mokattam, dem Islam
ein heiliges Centrum.
93
Bald darauf kämpfte die Barbarei mit der Cultur.
Und endlich folgten aufs lange ſchöne Feſt die Schauer
einer trüben Nacht.
Aber wieder ein Lichtſtrahl ſchien eh das letzte Jahrhun-
dert ſchied. Du haut de ces pyramides quarante siècles
vous contemplent, ſo rief Bonaparte ſeinem Heere zu; da
mußte es ſiegen. Folgte nicht der Unſtern von Abukir, ſo
hatte vielleicht Egypten ſeine Wiedergeburt dem großen
Sohne der franzöſiſchen Revolution zu danken.
So hab' ich mich recht in der Betrachtung der Gegen-
wart und der Vergangenheit ergangen, als ich auf dem
Gipfel der Pyramide ſtand. Noch heute freu' ich mich
daß ich den herrlichen Moment mit voller Seele genoſſen.
Was hilft's auch, klingt die Glocke den Feſtlaut, wenn das
Herz fehlt wo er wiederklingt.
Als ich herabſtieg, hatt ich wieder die hilfreiche Hand-
leiſtung meiner vier Beduinen. Ich fand das Hinabſteigen
nicht nur beſchwerlicher als das Hinaufſteigen ſondern
an manchen Stellen faſt gar gefährlich. Glücklich auf
dem Grundfelſen angekommen, beſuchte ich das Innere
der Pyramide. Bekanntlich führt dazu einer der unan-
genehmſten und ſchwierigſten Wege. Ich glaub' es dem
verehrten von Schubert “ vollkommen, daß er lieber das
Aeußere der Pyramide drei Mal und eben ſo oft den tief-
* Vergl. ſeiner Reiſe 2. Band S. 200.
94
ſten Bergſchacht im Vaterlande habe beſteigen mögen, als
dieſen Weg noch einmal wiederholen.
Die beiden ſchrägen, engen, niederen Gänge, von denen
der eine hinabwärts der andere aufwärts führte, waren
mir, obſchon ſie keine andere als eine ſehr gezwungene
Haltung des Körpers zuließen, noch erträglicher als eine
Strecke Wegs, wo ich auf ſchmalen Mauervorſprüngen
zu beiden Seiten etwa die Hälfte des Fußes ſetzte und
auf dieſe Weiſe emporſtieg".
* Schon der Pater Sicard (zu Anfang des 18. Jahrh.) hat von
den Wegen im Innern der Pyramide mit einiger Genauigkeit berichtet.
Ich nehme die nachſtehenden Angaben deſſelben aus Paulus Samm-
lung der merkwürdigſten Reiſen in den Orient 4. Th. S. 341. 342.
„Man geht durch einen Kanal hinein, der abhängig iſt und 85 Fuß
in der Länge und 3 Fuß 6 Zoll in der Breite hat. Bei dieſem Kanal
findet man einen anderen der aufwärts geht. Er iſt 96 Schuh lang und
3 Schuh 4 Zoll hoch und breit. Am Ausgang dieſes zweiten Kanals
iſt rechts ein eingetrockneter Brunnen. Er läuft bergab, und iſt am
Ende mit Sand verſchüttet. Von dieſem Brunnen läuft ein ebener
Gang, 113 Schuh lang und 3 Schuh im Quadrat breit, der mit einem
Zimmer endigt welches 18 Fuß in der Länge, 16 in der Breite hat, und
bis zum Anfange der nach Art eines Eſelsrücken gebrochenen Wölbung
21 Schuh hoch iſt. Gegenwärtig iſt in dieſem Zimmer weder Grab noch
Leichnam. Beides iſt ſchon vor mehreren Jahrhunderten weggenom-
men worden.“
„Man geht auf dem nämlichen Wege zurück bis auf die Höhe des
zweiten Kanals; von da ſteigt man über ein 136 Fuß langes Glacis,
auf jeder Seite iſt eine Bank, jede mit 28 Oeffnungen; das Glacis iſt
6 Schuh breit, und bis zum Grund der eſelsrückenförmigen Wölbung
24 Schuh hoch. Am hohen Ende des Glacis iſt ein ebner Platz, und
dem Boden deſſelben gleich läuft ein mit Granit bekleideter Kanal, 21
95
Nach ſehr alten Nachrichten und zwar denen Makrizi's,
Maſudi's, auch Abdallatifs, wurde dieſe Oeffnung in die
Pyramide unter Mamun, Sohn des berühmten Harun
al Raſchid, bewerkſtelligt, nachdem man denſelben von dem
Plane abgewendet hatte, eine der Pyramiden aus Neu-
gierde zu zerſtören. Doch iſt Silveſtre de Sacy aus gu-
tem Grunde zu der Annahme geneigt geweſen, daß Ma-
mun die Oeffnung ſchon vorfand und vielleicht nur weiter
verfolgte.
Uebrigens war das Reſultat wenig lohnend. Wir ge-
langten wohl in eine weite Kammer, genannt die Kammer
der Königin, die unſere vier Fackeln ſpärlich erleuchteten;
auch ſahen wir darin einen leeren Sarkophag; aber wir
blieben ohne jeden großartigen Eindruck. Nur das Be-
wußtſein hatten wir, im Herzen des angeſtaunten Welt-
wunders zu ſein. Die Beduinen wollten mich noch höher
zu einer andern Kammer oder noch zu zwei anderen füh-
ren; doch zog ich vor, den aufgeſtörten großen Fleder-
mäuſen das Terrain zu räumen.
Schuh lang, 3 Schuh 8 Zoll breit, und 3 Schuh 4 Zoll hoch. Von
dieſem Kanal geht man in den zum Begräbniß beſtimmten Saal. Die-
ſer iſt 32 Fuß lang, 16 breit und eben ſo hoch. Das Pflaſter, die Decke
und Mauern ſind mit Granit bekleidet. Auf dem Boden, 4 Schuh 4
Zoll von der Mauer weg, ſteht der Sarg. Er iſt von Granit, aus
einem Stück gehauen und ohne Deckel. Er iſt 7 Schuhlang, 3 Schuh
breit, einen halben Schuh dick und 3 Schuh hoch. Wenn man darauf
ſchlägt, klingt es wie eine Glocke.“
96
Deſſen darf man aber wohl gewiß ſein, daß das In-
nere dieſer ſo wie der anderen Pyramiden noch intereſſante
Geheimniſſe verbirgt. Wenn man auch immer die Be-
ſtätigung finden wird daß ſie ihrer Hauptbeſtimmung
nach als königliche Gräber erbaut worden ſind, ſo wird
ſich dabei doch noch manche Beſonderheit des Baues und
auch die Rückſicht auf ſekundäre Zwecke ergeben. Den
großen Kanalbauten in der Tiefe, die ſchon Herodot und
Plinius angeben, wird man gewiß immer noch mehr Klar-
heit abgewinnen.
Die zwei anſehnlichſten Nachbarpyramiden, die des
Cephren oder des Senſuphis und die des Mykerinos oder
des Moſcheris, begnügt' ich mich beſcheiden von außen
und von unten zu genießen, wenn gleich einer der
Beduinen ſehr bereitwillig war vor unſeren Augen die
zweite, gegen vierhundert Fuß hohe, die des Cephren, zu
erklettern.
An Material unterſcheiden ſich die beiden letzteren nicht
weſentlich von der erſten; denn ein Irrthum war's daß
man früher glaubte, die dritte Pyramide ſei aus dem
prächtigen ſchwarzröthlichen Granit erbaut woraus nur
ihre Ueberkleidung beſtand. Die Koſtbarkeit dieſer Ueber-
kleidung war ſehr verführeriſch; doch fällt ihre gewaltſame
Wegnahme erſt in die letzten Jahrhunderte; noch jetzt lie-
gen Ueberbleibſel davon am Fuße der Pyramide, während
bei der zweiten ein Reſt des ehemaligen farbigen Marmor-
97
überzugs noch heute wohl erhalten herab vom Gipfel
ſchimmert. Uebrigens ſind bekanntlich mehrere der anderen
Pyramiden Egyptens aus Back- und Ziegelſteinen erbaut,
und unter den kleineren von Daſchur iſt auch eine aus Zie-
geln derſelben Art errichtet wie ſie die Israeliten nach dem
ausdrücklichen Berichte der Bücher Moſis gefertigt haben,
Dieſe Ziegeln beſtehen nämlich aus Erde oder vielmehr
aus Nilſchlamm, der mit kleingehacktem Stroh zu feſterem
Halt vermiſcht und an der Sonne gehärtet iſt.
Die zwei erſteren Pyramiden, in geringer Entfernung
von einander und mit gleichen Seitenflächen dem Auge
entgegentretend, ſcheinen von gleicher Größe zu ſein. Daher
konnten auch die arabiſchen Dichter, „in der Trunkenheit
ihrer Begeiſterung,“ wie Abdallatif ſehr richtig hinzuſetzt,
beide „ein Zwillingspaar gewölbter Brüſte“ nennen, die
ſich über dem Buſen Egyptens erheben.
Bekanntlich iſt man auch in das Innere der zweiten
Pyramide eingedrungen, und ſchon das erſte neuere Un-
ternehmen der Art durch Belzoni 1816 war nicht ohne
Ausbeute. Der große von ihm in einem Zimmer aufge-
fundene Sarg enthielt Gebeine eines Apis. Er traf auch
eine Inſchrift, welche einen früheren Beſuch daſelbſt durch
einen Kalifen bezeugte.
Die dritte trägt auf einer ihrer vier Seiten Spuren
einer roh zerſtörenden Hand an ſich. Abdallatif war
Augenzeuge davon wie im Jahre 1196 der Kalif Osman
I. 7
98
Ben Juſſuf „auf thörichten Rath“ mit außerordentlichen
Kräften die Zertrümmerung der Pyramide unternommen.
Er erzählt daß von dem Krachen der herabſtürzenden Fel-
ſenſtücke die Berge bebten und die Erde dröhnte. Dennoch
mußte es nach acht Monaten ſchwerer Koſten und un-
ſäglicher Arbeit beim mißlungenen ſchwachen Verſuche
bleiben.
Unter den kleineren thurmhohen Pyramiden waren
mir die Trümmern derjenigen am intereſſanteſten, die des
Cheops königliche Tochter vom Gelde ihrer Liebhaber er-
baut haben ſoll. Ich dachte dabei: Was läßt ſich wohl
heutzutage mit ſolchen Liebesopfern bauen. Dieſe gewiß
vorſündfluthliche Galanterie ſetzt voraus vorſündfluthliche
Liebesnetze, auch dergleichen Liebespfeile. Welche Phan-
taſie mag ihre Bilder coloſſal genug davon ſchaffen. Im-
mer iſt Herodots Nachricht ein ſchöner Beitrag zur ver-
lorenen Rieſenchronik der Vorzeit.
Ob Herodot Recht hat die Königin der Pyramiden
dem Cheops zuzuſchreiben, oder Manetho der ſie dem
Pharao Suphis zuſchreibt: darüber ſind die Forſcher noch
nicht einig, obſchon man in einer neuerdings aufgefunde-
nen inneren Kammer den Namen des Letzteren in Hiero-
glyphen entziffert hat. Immer nimmt ſichs vortrefflich
aus alle drei größeren Pyramiden, ſo wie es Herodot
thut, als Familienſtücke zu betrachten, da Cephren des
Cheops Bruder und Mykerinos des Cheops Sohn geweſen.
99
".
Dazu tritt dann noch die zerſtörte Liebhaberpyramide von
der Tochter des Cheops.
Eine gar intereſſante Nachricht danken wir Herodot
über die Baukoſten der Cheopspyramide, die ſich auf dem
platten Marmorüberzuge zu ſeiner Zeit noch aufgezeichnet
vorfanden. Darnach haben hunderttauſend Menſchen wäh-
rend eines Zeitraumes von dreißig Jahren die Pyramide
zur Ausführung gebracht und dabei für ſechzehnhundert
Talente (etwa anderthalb Millionen Thaler) Zwiebeln,
Knoblauch und Rettig verzehrt.
Bis auf welches Alterthum die Erbauung derſelben
zurückgeht, ob aufs dritte Jahrtauſend vor Chriſtus, ob
aufs vierte oder auf ein noch früheres: darüber werden
wohl baldigſt Bunſen und Lepſius die giltigſten Auf-
ſchlüſſe darbieten.
Auch die Hieroglyphen auf den Pyramiden, von denen
Abdallatif angibt, obſchon wahrſcheinlich nicht ohne orien-
taliſche Hyperbel, daß allein die der beiden größten zehn-
tauſend Blätter füllen würden, während ſie ſpäter ſo oft
überſehen worden ſind, auch dieſe Hieroglyphen werden
gewiß durch den letztgenannten neueſten Forſcher der ge-
lehrten Welt vollkommen vermittelt werden.
Wenn auch naiv doch natürlich genug war es, daß
fromme Pilgrime ſehr frühzeitig in den Pyramiden die
Getraidekammern Joſephs wiedererkannten. Gregor von
Tours im ſechsten Jahrhundert erklärte ſogar aus dieſer
7.
100
Beſtimmung die Art des Baues. Er ſagt nämlich, ſie ſeien
oben ſo eng gebaut damit nur durch eine kleine Oeffnung der
Waizen hineingeworfen würde, während ſie unten Unermeß-
liches in ſich faßten. Dazu kam der frommen Anſchauung
noch die Wiſſenſchaft ſelber, wie es ſchien, zu Hilfe. Denn
das griechiſche Wortpyros, welches Waizen oder Getraide
bezeichnet, findet ſich in dem Namen der Pyramide wieder.
Noch einer Ueberraſchung muß ich gedenken die ich
nahe beim Eingange in die Cheopspyramide hatte. Dort
prangt nämlich in Farbenſchmuck die Hieroglypheninſchrift
wodurch Lepſius mit ſeiner Erpedition unlängſt den Ge-
burtstag des Königs Friedrich Wilhelm IV. gefeiert hat,
Das iſt ein ſinniger Ausdruck eines feſtlichen Gedankens.
Das deutſche Vaterland darf eben ſo ſtolz ſein als ſich
innig freuen, wenn die Erwartungen von den Reſultaten
der preußiſchen Erpedition in Erfüllung gehen, wenn ſo-
mit das überraſchendſte und klarſte Licht über die geheim-
nißvolle Vorwelt am Nil aus der Liberalität eines deut-
ſchen Fürſten, aus dem Scharfſinne beharrlicher deutſcher
Forſcher gewonnen werden wird. Dann wird auch dieſe
Inſchrift von den ſpäteſten Jahrhunderten noch mit dank-
barem Auge geſehen werden.
Nachdem ich die Pyramide in einer Viertelſtunde um-
gangen hatte, ſtaunt ich den ungeheueren Sphinr an, den
die Sandwüſte faſt gänzlich bis auf den Kopf in ihren
gierigen Rachen gefaßt hat. Dieſe geniale Schöpfung
101
ſchließt würdig die Gruppe dieſer Bauwunder; nur darf
man ihr nicht zu nahe treten, weil dann die Verſtümme-
lungen, beſonders die fehlende Naſe, ſtören. Es läßt ſich
jetzt nicht mehr gut mit Abdallatif davon ſagen: „Er
ſcheint zu lächeln und Einem freundlich zuzuwinken.“ Doch
begreift man trotz aller Verunſtaltungen noch heute die
Bewunderung, die ſelbſt Denon, jener competenteſte der
Kritiker, dem Sphinr gezollt hat, und zwar beſonders dem
graziöſen, ſanften Geſammtausdrucke des Kopfes, ſowie der
lebensvollen Weichheit und Lieblichkeit des Mundes. Ab-
dallatif konnte gar wohl auf die Frage, was das Wun-
derbarſte geweſen von allem, was er geſehen, immer die
Antwort geben: Abu 'lhäul's Geſicht“. Und auch Denon
ſagt, daß zur Zeit einer ſolchen Schöpfung die Kunſt auf
einer hohen Stufe der Vollendung geſtanden haben müſſe,
und daß man Unrecht gehabt habe immer nur den groß-
artigen Umfang dieſes Monuments anzuſtaunen, da die
vollendete Ausführung deſſelben noch anſtaunungswürdi-
ger ſei.
Der Kopf dieſes aus einem einzigen Felſen ausgehaue-
nen Rieſen hat ungefähr zwanzig Fuß Länge. Nach Pli-
nius liegt in ihm der König Amaſis begraben, während
er nach dem in den hieroglyphiſchen Zeichen daran gele-
ſenen Namen ſeinen Erbauer, den Pharao Thothmes IV.,
* So nennen die Araber dieſen Sphinx. Abu 'lhäul heißt der
Staunenswerthe, eigentlich Vater des Staunens.
102
aus dem funfzehnten Jahrhundert vor Chriſtus, abbildlich
darſtellen ſoll. Daß er in der That unterirdiſch mit den
Pyramiden in Verbindung geſtanden und von den Prie-
ſtern, die von dort aus in ſeinen Kopf gelangten, zu Ora-
keln benutzt worden iſt, werden künftige Unterſuchungen
noch klarer darthun.
Wohl würde man den Verſuch der franzöſiſchen Erpe-
dition, dieſen großen Todten aus ſeinem Sandgrabe zu
erlöſen, längſt erneuert haben, müßte man nicht fürch-
ten daß die Wüſte ihren Raub unerbittlich zurückfordern
würde. -
Ich hatte mir den Beſuch der ſüdlichen Pyramiden-
gruppe ſowie der Ruinen von Memphis für eine beſondere
Wanderung aufgehoben. Drum kehrte ich in gerader Rich-
tung nach Cairo zurück. Mein Dragoman, der ſo oft
bei den Pyramiden geweſen, führte mich auf dem Heim-
wege in Unkunde des richtigen Weges durch ein hohes
Waizenfeld; er entſchuldigte ſich damit daß faſt alljähr-
lich durch die Nilüberſchwemmungen die Wege ſich ver-
änderten.
Aber den Abſchied von den Beduinen, meinen Pyra-
midenführern, hab' ich vergeſſen. Ich bezahlte ihrer fünf.
Kaum waren ſie von uns gegangen, ſo ſahen wir wie ſie
ſich zum Spiele zuſammenſetzten. Mein Dragoman ſagte
mir daß ſie die Gewohnheit hätten ſo zu ſpielen daß die
ſämmtlichen Trinkgelder einem einzigen zufallen.
103
Bei guter Stunde des Nachmittags war ich wieder in
meiner Caſa Pini. Am Tage darauf fühlte ich in den
untern Ertremitäten eine außerordentliche Ermüdung. Ich
glaube daß nichts dazu mehr gewirkt hatte als die zuvor-
kommende Hilfeleiſtung meiner Beduinen, durch die ich
mich zu ganz unnöthiger Beſchleunigung hatte verführen
laſſen. Mein Dragoman, der langſamer und ohne Bei-
hilfe hinterdrein gegangen war, hatte keine ähnlichen Fol-
gen davon.
Am Tage vor meiner Nilreiſe nach Terraneh hatt' ich
ein kleines Abenteuer. Ich wollte Herrn v. L. beſuchen;
ſeine kleine ausgewachſene verſchmitzte Schwägerin machte
ſich den Scherz mich in Abweſenheit des Herrn v. L. zu
ſeiner Frau zu führen, die in ihrem Zimmer von acht orien-
taliſchen und zwar wohl lauter levantiniſchen Frauen
umringt ſaß. Herr v. L. hatte mir früher erzählt, daß er
ſelber nicht in das Zimmer ſeiner Frau treten dürfe wenn
dieſe den Harem eines Paſcha oder eines anderen Großen
bei ſich ſieht. Ich war daher nicht wenig überraſcht als
ich in dieſen Kreis eintrat, und wurde es noch mehr
als bei meinem Eintritte dieſe Frauen ſämmtlich vom
Divan, worauf ſie mit untergeſchlagenen Beinen ſaßen,
haſtig herunter traten um mich ſtehend zu begrüßen.
104
Ich erfuhr ſpäter daß dieſe Artigkeit eine allgemeine Re-
gel iſt. Ich nenne es Artigkeit; ſie hängt aber mit der
großen Ehrerbietung zuſammen, mit der nach Geſetz
und Gewohnheit die Frau dem Manne im Oriente be-
gegnet.
Unter dieſen Frauen befanden ſich mehrere gar hübſche
Geſichter. Durch die reiche Fülle ihrer Formen erinnerten
ſie an die geprieſene Rebekka, deren bedeutungsvoller Name
nach dem Geſchmacke der Orientalen noch heute einen vor-
züglichen Liebreiz bezeichnet. Meine Nachbarin verſtand
ein wenig Italiäniſch. Ich drückte ihr meine Verwunde-
rung aus daß mich die Damen unverſchleiert empfingen.
Sie entgegnete, vor uns Franken hätten ſie ſich nicht zu
fürchten; uns hielten ſie für gute Kinder. Ich wußte nicht
ob dies Compliment in der That ſchmeichelhaft war. Aber
ſehen Sie, fuhr ſie fort, Eine hat ſich doch verſchleiert; ſie
iſt aber auch die Häßlichſte. Und ſie hatte Recht.
Mit welchem Lurus waren dieſe Damen geſchmückt.
Brillanten trugen ſie alle; davon gefiel mir beſonders ein
Halbmond der von einer ſchönen Stirne glänzte. Dieje-
nige die ihn trug beeilte ſich ihn abzunehmen, damit ich
ihn aufs Genauſte bewundern könnte.
So tragen alſo die Muhamedanerinnen ihren Halb-
mond wie die chriſtlichen Frauen ihr Kreuz, wie ehedem
die Jüdinnen ihr goldnes Krönlein in der Form der Stadt
Jeruſalem. Und ſo hat ſich überall der eitle Frauenſchmuck
105
zum Träger des bedeutungsvollſten religiöſen Symbols
gemacht. -
Keine Kleinigkeit waren die langen breitgeflochtenen
Zöpfe dieſer Frauen. Tauſend und noch mehr Goldſtück-
chen hingen an einem jeden. Wenn der Seis, galant wie
es das Bedürfniß gebietet, um die Dame auf ſeinem Eſel
den Arm legt, iſts kein Wunder daß er begehrlich auf die
Kehrſeite ſeiner Reiterin ſchielt. Einer von denſelben
Frauen die ich hier auf ihrem Abſchiedsbeſuche bei Frau
v. L. ſah wurde in der That beim Ritte nach Hauſe der
Zopf um einige Goldſtückchen geſchmälert. Dabei ſind
dieſe Zöpfe nicht immer von falſchen oder künſtlichen Haa-
ren. Es iſt bekannt daß die Orientalinnen die beſonderſte
Pflege auf ihre langen ſchönen Haare verwenden. Ich
berufe mich dafür zum Ueberfluſſe noch auf ein vollgiltiges
Zeugniß, auf das der Lady Montague, die, wie ſie ver-
ſichert, nirgends ſchönere Haarköpfe geſehen hat als im
Morgenlande. Ich habe, ſagt ſie ausdrücklich, bei einer
Dame hundert und zehn lange Locken gezählt, die alle
natürlich waren. Die Lady ſetzt noch hinzu daß über-
haupt alle Arten der Schönheit im Oriente allgemeiner
ſeien. Darüber möchten die Urtheile verſchieden aus-
fallen.
Uebrigens ſieht man aus dieſem reichen Schmucke, in
den ſich die Schönen und Unſchönen des Orients kleiden,
daß das Elend worin ſie ſchmachten wenigſtens ein glän-
106
zendes iſt. Denn als ein Elend möchten doch wohl die
Frauen des emancipationsluſtigen Deutſchlands das ſociale
Verhältniß der hieſigen Frauen charakteriſiren – ich ſpreche
jetzt beſonders von den Haremsfrauen – bei ihrer ge-
fängnißartigen Abgeſchloſſenheit vom öffentlichen Leben,
von der geiſtigen Cultur, ja ſelbſt vom Lichte der Sonne.
Nichts aber mag eine reichere Quelle des Unglücks für
dieſelben ſein als der Zwang, mit anderen Frauen den
Beſitz des Gatten zu theilen. Daher bietet auch die Frau
Alles auf um keine Nebenbuhlerin zu erhalten. Stammt
ſie aus einer vornehmeren Familie als ihr Gatte, ſo bin-
det ſie denſelben durch die Furcht vor der Rache ihrer An-
gehörigen. Man darf übrigens nicht glauben, daß zwei
oder mehrere Frauen eines Harems zuſammen zu wohnen
pflegen; ſo weit geht nicht leicht jemals die Eintracht.
Selbſt Leute der geringeren Claſſe ſuchen – wenn ſie,
was nicht eben immer der Fall iſt, mehr als eine Frau
haben – die Trennung der Gemächer zu ermöglichen.
Bei dem Allen beſitzen die Frauen im Oriente vielleicht
noch eine größere Gewalt über ihre Männer als die unſri-
gen. Man weiß wie feſt der Orientale am Genuſſe hängt;
wie er ſeine liebſten Stunden im häuslichen Heiligthume,
dieſem unantaſtbaren Aſile, vertändelt und verträumt; wie
er den Glanz ſeines Hauſes in keinem Stücke mehr ſucht
als in der Herrlichkeit ſeines Harems und in dem Schmucke
ſeiner Frauen. Auch haben die Frauen hier gewiſſe Rechte
107
an den Ehemann, die anderwärts wenigſtens nicht auf
eine ähnliche offizielle Weiſe geltend gemacht werden. Jetzt
gerade beſitzen die ehelichen Klägerinnen ihren Hauptan-
walt an der Tochter Mehemed Alis, der Wittwe jenes
berüchtigten Defterdars, den ganz kürzlich als Gouverneur
vom Sennaar der eigne Schwiegervater vergiften ließ".
Während der Muhamedaner bedenklich zweifelt, ob er auch
der Frau eine vernünftige Seele ſo gut wie ſich ſelber zu-
ſchreiben ſoll, ſcheint er indeſſen um ſo mehr die Rechte
ihrer leiblichen Erſcheinung hochzuachten. Daher kömmts
* Von dieſem merkwürdigen Manne, Mohammed Bey, gewöhnlich
als Defterdar bezeichnet, hört' ich Vieles erzählen. Er hatte in Cairo
zur gewöhnlichen Geſellſchaft in ſeinem Zimmer auf ſeinem Divan
einen Löwen und eine Tigerin, beide ohne alle Feſſel. Er ſelber ſoll in
ſeiner Geſichtsbildung eine auffällige Aehnlichkeit mit einem Tiger ge-
habt haben. Auch ſeine Beſuche empfing er in dieſer unheimlichen Ge-
ſellſchaft, wobei es natürlich zu mehr als einem Abenteuer kam.
Seine herzloſe Grauſamkeit gegen eine ſeiner ſchwarzen Frauen,
die er als ſie einen geringfügigen Auftrag vergeſſen hatte auf der Stelle
mit dem Piſtol das er im Gürtel trug niederſchoß, zog ihm einſt einen
gefährlichen Aufſtand ſeiner ſchwarzen Leibgarde zu. Sie wollten ſich
ſeiner ſogleich bemächtigen; er entſprang aber in ein Seitengemach,
von wo aus er hinein in den Garten um Hilfe ſchrie. Ibrahim Paſcha
half ihm mit einem Bataillon Soldaten aus der Klemme. Nicht einer
der Garden ergab ſich eher als bis er durchbohrt war.
Ein Beiſpiel von ſeiner Rechtspflege muß ich erzählen. Eine Milch-
frau verklagte einen Soldaten, der es leugnete ein Glas Milch von ihr
getrunken zu haben. Der Defterdar fragte wann der Soldat die Milch
getrunken habe, und als er hörte: vor wenig Minuten, ließ er ihm auf
der Stelle den Leib aufſchneiden. Die Milch fand ſich; die Frau erhielt
ihre Bezahlung. Das heißt, ein Exempel ſtatuiren.
-
108
wohl auch daß er bei Entlaſſung ſeines Harems, wie ſie
kürzlich Mehemed Ali vornahm, keineswegs verlangt daß
ſie unverheirathet bleiben. Ein Gegenſatz zu unſern Sit-
ten iſts daß es für ſehr ehrenvoll galt, eine Frau aus dem
Harem Mehemed Ali's heimzuführen. Das war Ehren-
ſache der Großen ſeines Hofes.
Uebrigens würde jeder Orientale der Frau von Staël
dieſelbe Antwort wie Napoleon gegeben haben, als ſie ihn
fragte welche Frau ihm die erſte der Welt zu ſein dünke. Na-
poleon nannte bekanntlich diejenige die am öfterſten Mutter
würde. Wie es im Morgenlande vor vier Jahrtauſenden
war, zur Zeit der häßlichen Lea und der ſchönen Rahel,
ſo iſts noch heute. Die ſchöne Rahel ohne „Erbauung,“
iſt unglücklich und neidiſch über die Mutter Lea, trotz ihres
„blöden Geſichtes.“ Dazu erfreuen ſich die orientaliſchen
Mütter, und zwar am allermeiſten die der Beduinen und
der Fellahs, eines beneidenswerthen Privilegiums daran
daß ſie die an Eva ergangene fluchbeſchwerte Verheißung
an ſich ohne Erfüllung zu laſſen pflegen. Sie wiſſen
daher auch nichts vom europäiſchen Wochenbette. Daß
eine Frau mit dem neugebornen Kindlein im Arme der
Karavane ſich wieder anſchließt, von der ſie wenige
Stunden vorher mit leerem Arme ſeitwärts trat: das iſt
nichts Außerordentliches. Morier erzählt von einer Ar-
beiterin im Weinberge, die das neugeborne Kind auf
dem Rücken zur Beſcherung nach Hauſe trug. Uebri-
109
gens wäre dem jetzigen entvölkerten Egypten nichts wün-
ſchenswerther als die Erneuerung jenes Talents wornach
Ariſtoteles von einer Egyptierin erzählte, daß ſie vier
Mal fünf Kinder geboren.
Die koptiſchen Klöſter der libyſchen Wüſte.
Am achtzehnten April des Nachmittags um Vier ritt
ich mit meinem Ali nach Bulak; die öſterreichiſche Flagge
wehte mir von einer großen Nilbarke entgegen, die bereits
den Generalconſul und ſeine Familie ſammt Dienerſchaft
aufgenommen hatte um ſie nach Alerandrien überzuſiedeln.
Auch ich eilte auf die Barke um eine Strecke Wegs mit-
zumachen; ich wollte nach Terraneh und von Terraneh
aus zu den koptiſchen Klöſtern der libyſchen Wüſte.
Unſere Fahrt war angenehm; zwei Mal ſtiegen wir
ans Ufer: da gab's die Turteltaube, den Wiedehopf und
anderes Geflügel in Menge; wir ſchoſſen ſchnell eine reiche
Ausbeute für unſere Küche. Am Zwanzigſten früh ſchied
ich von der lieben Familie, nachdem der Generalconſul
mich und mein Vorhaben noch aufs Nachdrücklichſte dem
Verwalter von Terraneh empfohlen hatte. Das herr-
ſchaftliche Gebäude von Terraneh gehört dem Italiäner
Cibara, der das Monopol des Natron vom Vizekönig an
ſich gebracht hat. Es prangt am Saume dieſes unan-
ſehnlichen Dorfes wie eine zauberhafte Schöpfung. Nach-
dem ich mich in den duftenden Gärten die es umgeben
111
genug ergangen hatte, badete ich im Nil; fand aber daß
man in ſeinem weichen Grunde leicht haften bleibt.
Des Nachmittags um Fünf trat ich mit einer ſtarken
Caravane den Ritt nach der Niederlaſſung bei den Na-
tronſeen, nach Caſtello Cibara an. Das war meine erſte
Wüſtenreiſe; das Enſemble war ſeltſam genug. Dreißig
Kamele, einige zwanzig Büffel, eine ſtarke Bedeckung be-
waffneter Araber, größtentheils auf Eſeln, dabei auch
mehrere Frauen und Kinder: ſo zogen wir aus. Ich ſel-
ber war bewaffnet mit doppelter Brille, deren eine mit
ihren vier blauen Gläſern mein Auge gegen den gefähr-
lichen Widerſtrahl der Sonne im Sande ſchützte, und hatte
den Kopf geſchmückt mit großem Strohhute, von dem
herab ein grüner Schleier wehte: ſo mag ich wohl auch
ſelbſt eine ſeltſame Figur in der ſeltſamen Geſellſchaft ge-
ſpielt haben. Ueber den Kanal trug mich ein ſtarker Ara-
ber auf ſeinen Schultern; auf dem weiten Stoppelfelde
daneben ſammelte ſich die Karavane. Die Sonne ſank
als wir aufbrachen; ſehr bald darauf ritten wir über die
unabſehliche in der Abendſonne bleichrothe Sandſtrecke der
libyſchen Wüſte.
Die Nacht war wunderſchön; die Sterne, ſo ſchien's
mir, leuchteten hier mit noch hellerem Lichte als im euro-
päiſchen Norden; die Temperatur war angenehm kühl.
Meinmuthiger Eſel, der vor allen ſeinen Genoſſen durch
ſeine ſtattlichere Haltung ſowie durch ſein prächtiges Zaum-
112
und Sattelwerk hervorglänzte, trug mich oft an den Kopf
der Karavane; aber meine beſorgten Wächter ereilten mich
mit bittendem Vorwurfe; ich blieb dann in der vollen Ge-
ſellſchaft. Nur nahm ich mich vor der Begegnung mit
der Büffelheerde in Acht, die wiederholt in einen feurigen
Tact verfiel. Dagegen hielten ſich die Kamele wie ehr-
bare Philiſter.
Bald nach Mitternacht gönnte ſich die Karavane eine
kurze Raſt, ſie kam mir ſehr erwünſcht; denn die Unge-
wohnte Strapaze hatte mich unbeſchreiblich ſchläfrig ge-
macht. Da lagerten wir uns bei einer Strecke grünenden
Strauchwerks, woran unſere Thiere ſich laben ſollten,
während ihre Wächter ſich um ein Feuer zu einer Taſſe
Kaffee gruppirten. Zwei Stunden mocht' ich, gehüllt in
meine wollene Decke, geſchlummert haben, als ich zum
Aufbruche geweckt ward; nach einer Taſſe Kaffee beſtieg ich
mein wackeres Thier wieder.
Nachdem der Morgen gegraut, ſahen wir in der Ferne
zu unſerer Linken mitten in der Wüſte ein hohes ſteiner-
nes Mauerwerk und noch weiter ein zweites: es waren
zwei von den koptiſchen Klöſtern; bald blitzte uns auch
einer der Natronſeen mit ſeinem dunklen Rothblau entge-
gen, eine Schaar Flamingos ſtieg aus ſeinem Schilfe auf;
zur Rechten zeigte ſich das Caſtello Cibara; hinter dem
Allen aber zog das niedere libyſche Gebirg einen hochröth-
lichen Saum. Früh um Neun waren wir am Ziele. Da
113
fand ich mitten in der Wüſte einen gaſtlichen Raum. Ein
Italiäner, der als Pharmaceut die Bearbeitung des Na-
tron leitet, bewohnt das Herrnhaus oder vielmehr das
Caſtell, wovon man ſich freilich keinen hohen Begriff ma-
chen darf; wir betrachteten uns, die zwei einzigen Euro-
päer unter dieſen Söhnen der Wildniß, wie brüderliche Ver-
wandte. Dies Caſtell geht auf eine alte Conſtruktion
zurück, genannt Kaſſr, und iſt zum Theil aus Natron ge-
baut. Durch Cibara hat das Caſtell ſelbſt weſentlich ge-
wonnen, und die Bauten um daſſelbe danken ihm größten-
theils ihre Entſtehung.
Des Nachmittags machten wir einen Ausflug zu den
Natronfeldern und Natronſeen. Welch eine wunderbare
Erſcheinung. Mitten in dieſer nur ſelten von Gräſern
und Sträuchern unterbrochenen Sandwüſte giebt es mehrere
lange Strecken wo das Natron wie kryſtalliſirte Früchte
aus der Erde wächſt. Man glaubt ein waldiges Feld voll
Moos, Kräuter und Sträucher von einem ſtarken Reif
überfallen zu ſehen. Denkt man ſich dieſen winterlichen
Anblick unter der egyptiſchen Sonnengluth, ſo wird man
begreifen wie ſeltſam er überraſcht. Dieſes Natron auf
der Sandfläche wird durch das Austreten der Natronſeen
erzeugt. Da das Waſſer bald mehr bald weniger Salz-
theile zurückläßt, ſo ſind auch die genannten Bildungen
bald mehr blendend weiß bald mehr mit der Sandfarbe
vermiſcht. Die Natronſeen ſelbſt, ich glaube ſechs an der
I. 8
114
Zahl, in einem weiten Thale zwiſchen zwei Reihen niede-
rer Sandhügel gelegen, boten, namentlich die drei die wir
beſuchten, durch ihr dunkles Blau und Roth einen ſchönen
Contraſt mit dem bleichen Sande dar. Aus dieſen wenig
tiefen Seen bricht man das Natron als eine ſtarke Kry-
ſtallkruſte in großen viereckigen Tafeln ab, die von Farbe
bald ſchmuzig weiß, bald fleiſchfarben, bald dunkelröthlich
ſind. Die Fellahs ſtehen bei dieſer Arbeit ganz nackt im
Waſſer, mit eiſernen Stangen verſehen. Da ſich das Ab-
gebrochene ſchnell wieder erzeugt, ſo iſt dieſer Reichthum
unerſchöpflich. Auch wird allerdings von hier aus faſt
ganz Europa mit Natron verſorgt, was ſchon ſeit Jahr-
hunderten geſchehen mag; wenigſtens erzählt ſchon Sicard
zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, daß damals alljähr-
lich ſechs und dreißig tauſend Centner Natron für den
Großherrn gebrochen wurden, die demſelben ſechs und
dreißig Beutel eintrugen.
An dem einen See lag die durch mehrere hundert Fel-
lahs in der letzten Woche gewonnene Ausbeute in großen
Schichten vor; mein Begleiter hatte Urſache mit der Lei-
ſtung des einen Dorfes unzufrieden zu ſein. Der Scheik
des Dorfes ſtand vor uns. Er tadelte denſelben ſcharf,
und um ſeinen Worten mehr Nachdruck zu geben, zog er
ihm ſeine Peitſche aus Elephantenhaut ein paar Mal
über den nackten Rücken. Der Scheik ſprang ſo ſchnell
wie eine Gazelle in den See, und nahm die weiteren In-
115
ſtruktionen par distance auf. Aber mit einem ſo barba-
riſchen Lehrſyſteme glaubte es gegen dieſe Fellahs ſelbſt
dieſer Italiäner, der ſonſt von milden Sitten war, halten
zu müſſen.
Von den Seen werden die Natrontafeln, nach einer
bereits an den Ufern ſelbſt vorgenommenen Reinigung,
nach dem Caſtell gebracht, wo es durch verſchiedene Vor-
richtungen zu blendend weißem Pulver wird. In dieſer
Geſtalt geht es in großen Transporten nach Terraneh ab.
Merkwürdig iſt was mir mein Begleiter (Varſi iſt
ſein Name) von dem guten Waſſer dieſer Wüſtengegend
erzählte. Er hat an mehreren Stellen nur wenig in die
Tiefe graben laſſen und faſt überall Trinkwaſſer gefunden,
doch ſo daß es da und dort eine mineraliſche Eigenthüm-
lichkeit und zwar nach verſchiedenen Graden hatte. Da-
mals eben wollte er eine Sendung von ſechſerlei Waſſer
an Mehemed Ali machen; ich koſtete eins davon, das ein
herrliches Trinkwaſſer war. Dieſe Erſcheinung mag wohl
mit dem Umſtande zuſammenhängen daß der Nil früher einen
Abfluß durch die libyſche Wüſte genommen hatte. Oder
wenn dieſer Nilabfluß durch die Wüſte, worauf doch wohl
auch der arabiſchen Geographen ſogenannter Bahr bela
ma (Fluß ohne Waſſer) in dieſem Striche der Wüſte zu-
rückweiſt, nicht außer allem Zweifel ſtehen ſollte, ſo würde
er durch die genannte Erſcheinung eine Beſtätigung ge-
winnen.
8 k
116
In der kleinen Naturalienſammlung des Herrn Varſi
fiel mir beſonders ein ſchöner Queber auf, wovon nach
Paris erſt durch Leon de Laborde Eremplare gebracht
worden ſind, während einige Jahre früher Ehrenberg und
Rüppell Eremplare davon nach Berlin und nach Frank-
furt vermittelt hatten. Derjenige den ich hier ſah traf
ziemlich genau mit der farbigen Darſtellung in Leon de
Laborde's Reiſewerk zuſammen. Wahrſcheinlich ſtammt
aber keins der Eremplare in Berlin, in Frankfurt, in
Paris, aus der Makariuswüſte oder überhaupt aus der
libyſchen Wüſte. Laborde giebt an, er ſei in der Halb-
inſel des Sinai häufig. Arabiſche Schriftſteller ſetzten ihn
zwiſchen Katze und Wieſel; aber das Schwänzchen, das
ihm Bochart in ſeinem Hierozoikon nach denſelben arabi-
ſchen Autoren geben wollte, das trägt er nur auf dem
Papier*.
Am zweiundzwanzigſten April in aller Frühe unter-
nahm ich von Caſtello aus meine Wanderung zu den
* So beſchreibt ihn Laborde: Cesanimaux, vifs dans leurs mou-
vements, cherchaient à mordre lorsqu'on les saisissait; leur poil
est brun-jaunâtre, pálit et alonge chez les vieux; leur forme parla
vivacité des yeux, la tête près des épaules, la croupe rentrée et privée
de queue, se rapproche du cochon d'Inde. Leurs jambes sont
d'égale hauteur, mais la disposition de leurs pieds est particulière;
aulieu d'ongles ou de griffes ils ont trois doigts devant et quatre
derrière, et marchent comme les lapins sur la longueur de la jambe.
Siehe Voyage de l'Arabie pétrée etc. Paris 1830. Seite 47.
117
nachbarlichen koptiſchen Klöſtern. Außer meinem Drago-
man und dem Sekretär des Caſtells, einem gebornen
Kopten, Namens Malem Saad, hatt' ich noch acht be-
waffnete Natronswächter mit mir. Eine ſo ſtarke militäri-
ſche Bedeckung hielt man der umherſtreifenden Beduinen
halber für nöthig; doch ſahen wir deren nirgends, und von
Vierfüßlern begegneten uns nur mehrere graziöſe Gazellen
und ein Wildſchwein mit ſeinen Jungen. Dagegen erzählt
Sicard, daß er alle Morgen im Sande auch Spuren von
Bären, Hyänen und Wölfen geſehen. Zu Anfang un-
ſerer Wanderung ſahen wir mehrmals Flamingos, Enten
und andere Waſſervögel aus den Seen aufſteigen; ſie
waren aber ſchwer zu ſchießen.
Der genannten koptiſchen Klöſter ſind vier, in einer
Entfernung von wenig Stunden von einander. Kloſter-
ruinen und mehr noch Kloſterſchutt ſah ich in der ganzen
Umgegend in Menge. Man erzählte mir daß gegen drei-
hundert koptiſcher Klöſter vor Zeiten in dieſer Wüſte ge-
ſtanden haben, was Wahrſcheinlichkeit durch die hiſtoriſche
Thatſache gewinnt, daß Kaiſer Valens gegen das Ende
des vierten Jahrhunderts fünftauſend Mönche aus dieſem
Wüſtenſtriche zu Soldaten ausheben ließ. Dem Pater
Sicard erzählte ſein Begleiter, der Superior des Maka-
riuskloſters, daß man ehemals in dieſer Wüſte von Scete
und auf dem Gebirge von Nitrien eben ſo viele Klöſter
zählte als Tage im Jahre. Und Ueberreſte von funfzig
118
Klöſtern will Sicard auf einer einzigen Strecke ſelbſt un-
terſchieden haben.
Von Außen ſowie auch im Innern ſehen dieſe Klöſter
einander ſehr ähnlich. Bald mehr in der Form des Qua-
drats bald mehr in der des Parallelograms liegen ſie da,
von ziemlich hohen und gegen hundert Schritte langen
Mauern umſchloſſen. Aus der Mitte dieſer Mauern
ſpitzen einige Palmen hervor; denn jedes Kloſter hat in
ſeinem Umkreiſe einen kleinen Garten. Auch hat jedes
Kloſter einen Thurm mit einem Glöcklein, der um ein
weniges über die Mauer emporſteigt. Der Eingang, eine
eiſenfeſte Pforte, iſt ſo niedrig daß auch die Eſel auf denen
wir ritten nur ohne Sattel hineinkriechen konnten. Dazu
liegt noch an jeder dieſer Pforten ein großer wie ein Mühl-
ſtein zugerichteter Block Sandſtein, um damit im Falle feind-
licher Angriffe den Eingang noch ſicherer zu verwahren.
Innerhalb der Mauern ſieht man nichts als altes
zum Theil verfallenes Gemäuer, worin die Wohnungen
der Mönche ſind.
Der oben genannte Thurm iſt immer durch eine in Ketten
hängende Zugbrücke in eine gewiſſe Iſolirung vom Körper
des Kloſters gebracht, um ſelbſt noch gegen die ins Kloſter
eingedrungenen Feinde ein Aſil zu bieten. Uebrigens be-
herrſcht der Thurm gerade den Eingang zum Kloſter. Im
Thurme ſelber iſt, außer einer Kapelle, einem Brunnen,
einer Mühle, einem Backofen und einer Vorrathskammer –
119
alles was ein längerer Abſchluß im Thurme gegen den“
Feind erheiſcht – auch die Kammer der Bibliothek.
Die Kirchen oder Kapellen, deren jedes drei und noch
mehr hat, ſind wohl anſehnlicher als die Zellen, doch bleibt
auch ihnen der Charakter einer ärmlichen Einfachheit.
Hie und da blickt aus dem Mauerwerk bei Zellen- und
Kapelleneingängen, ein Stück Marmorſäule, ein Stück
Fries oder dergleichen hervor. So hat man aus Trüm-
mern vergangener Pracht und Größe die dürftige Gegen-
wart erbaut.
Zum erſten Kloſter das wir beſuchten machten wir
etwa acht Stunden Wegs. Wir wurden ſehr freundlich
empfangen, da mein Kopte recht wohl von den Brüdern
gekannt war. Salam oder Salamalek wechſelten wir ge-
gen einander aus, indem wir dabei die Hand auf Bruſt
und Stirne führten. Dies Kloſter trägt vorzugsweiſe den
Namen des heiligen Makarius. Ich ſage vorzugsweiſe,
weil dieſer ganze Wüſtenſtrich die Makariuswüſte und alle
vier Klöſter die des Abu Makar genannt werden. Der
Brüder trafen wir funfzehn; während einſt Sicard nur
zwei Mönche und zwei weltliche Diakonen vorfand. Ihre
Geſichter waren alle bleich, mehrere krankhaft gelblich. An
den Augen litten die meiſten; der Vorſteher war gänzlich
blind. Die Zellen ſind finſtere, faſt wie in Stein gehauene
Kammern und Kämmerchen zur ebenen Erde, ohne Fen-
ſter; nur durch die Thüre fällt das Licht hinein.
120
Eine dieſer Zellen war mein Gaſtzimmer. Nachdem
es finſter geworden, hatt' ich in einem Winkel ein Lämp-
chen brennen. Ich ſaß zu ebner Erde; zu meiner Rechten
ſaß mein koptiſcher Sekretär mit weißem Turban, in ſei-
nem ſeidenen Gürtel ein Paar Piſtolen und ſein Schreib-
zeug, Krieg und Frieden; zu meiner Linken ſaß mein klein-
äugiger Dragoman gehüllt in ſein langes weißes Hemd, be-
deckt mit dem rothen Tarbuſch. An beide ſchloſſen ſich an
zum Kranze ſechs koptiſche Kloſterbrüder in ihren dunklen
Gewändern nebſt dunklem Turban, langen Bärten, lei-
denden Zügen. Unſere Pfeifen gingen von Hand zu Hand.
Die Kloſterkoſt iſt mehr als mager. Fleiſch ißt man
an ſehr wenigen Tagen des Jahres; den größten Theil des
Jahres genießt man nichts als Brod, getaucht in eine
Brühe von ſehr üblem Geſchmack, Linſen, Zwiebeln und
Leinöl. Außerdem trinkt man Kaffee und raucht die Pfeife.
Ich hatte ſehr wohlgethan mich mit einigen Hühnern,
mit Reiß und einiger Beikoſt auf dieſem Ausfluge zu
verſehen.
Schon vor Sonnenaufgang erklang das Glöcklein das
zur Meſſe läutete. Sie dauerte über drei Stunden. Die
Vorleſungen aus den bibliſchen Lectionen waren theils
koptiſch theils arabiſch. Was geſungen wurde, kam mir
ſehr mißtönend vor. Das Kyrie eleiſon und das Halle-
lujah wiederholten ſich öfters. Die Andacht fand ich äußerſt
mangelhaft. Man ſprach dem Vortragenden mitten im
121
Acte ins Ohr und empfing auch ſeine Entgegnung. Der
eine fing ein falſches Stück an, der andere verbeſſerte ihn:
in Heiterkeit nahm man das Rechte vor.
Der mich begleitende Kopte hingegen war voll Ernſt
und Ehrerbietung. Er fiel vor allen Heiligenbildern,
nachdem er geleſen oder erkannt wer es war, nicht blos
aufs Knie ſondern ſo zur Erde daß er mit der Stirne den
Boden berührte. Beim Eintritt in die Kirche übte er die-
ſelbe Ceremonie. Während des Gottesdienſtes ſelbſt blieb
er in der angemeſſenſten Haltung; auch las er ſelbſt Et-
Waß Vor.
Sehr eigenthümlich war mir die Euchariſtie. Statt
des Weines bediente man ſich eines dicken Traubenſaftes,
den ich anfangs für Oel gehalten. Der fungirende Prie-
ſter nahm denſelben erſt mit dem Löffel aus einem gläſer-
nen Kelche, genoß ihn theils ſelbſt theils gab er davon
dem ihm gegenüberſtehenden Diakonus; dann ſtrich er
mit den bloßen Fingern das Gebliebene heraus und leckte
es ab, goß demohngeachtet noch Waſſer in den Kelch und
aus dem Kelche in den gläſernen Kelchunterſatz; drauf
trank er's mit dem Diakonus aus. Endlich berührte er
mit ſeinen vom letzten Reſte gefeuchteten Händen alle
übrigen Brüder an Stirn und Wangen. An dieſer letzten
Ceremonie nahm ich ſelbſt Theil.
Ich ſtand nämlich bei der ganzen Feier mit den Mön-
chen außerhalb des Heiligthums, Heikal genannt, innen
122
am Gitter des Hauptkirchenraums, geſtützt wie alle zu
meinen Seiten auf einen hölzernen Stab mit einem gleich
ſtarken, ungekrümmten Handgriffe. Man nennt dieſen
Stab den Makariusſtab; ich ſah auch immer den heiligen
Makarius mit dieſem Stabe bildlich dargeſtellt.
Was mich an der ganzen Meßfeier, wo das Räuchern,
namentlich das vor den einzelnen Heiligenbildern, das
Handküſſen beim fungirenden Prieſter, das Handauflegen
und das Circuliren mit dem Madonnenbilde vorherrſchend
iſt, hätte erbauen können, das iſt ſchwer zu ſagen. Manche
Hergänge ſahen altegyptiſch aus; einen düſtern Anſtrich
hatte das Ganze, wozu die Räumlichkeit ſelber das Ihrige
that. Nur Eine Anſchauung hatte etwas Ergreifendes
für mich. Jener erblindete Kloſterälteſte mit ſeinem nar-
benvollen aber würdigen Geſicht, ſeinem langen weißen
Barte, das Haupt bedeckt mit blauſchwarzem Turban, ge-
hüllt in eine Kutte von derſelben Farbe, barfuß ſowie alle
andern: dieſer Greis wandelte, indem er ſeine Metall-
ſchellen von einem melancholiſch grellen Tone zuſammen-
ſchlug und ein jauchzendes Hallelujah ſang, drei Mal um
den Altar herum. Er ſah aus wie ein Todter, geſtiegen
aus der Gruft, der noch träumte von den dunklen Bildern
die er geſehen im heiligen Jenſeits.
In der Anlage der Kirche fielen mir zwei Beſonder-
heiten auf. Die eine iſt der Ofen hinter der Sakriſtei,
beſtimmt zu den geſäuerten und bei jeder Meſſe friſchen
123
Abendmahlsbroden. Dieſe Brode ſind rund wie ein klei-
ner Kuchen, gerade ſo groß wie eine hohle Hand, nicht
allzu weiß, oben mit vielen Kreuzen bedruckt. Eins
davon wird auf dem Altare ſelbſt genoſſen, die andern
werden nach der Meſſe unter die Brüder vertheilt; auch
ich erhielt das meinige. Die andere Beſonderheit iſt ein
viereckiges ſteinernes Baſſin im Vordergrund der Kirche,
das zu einer eigenthümlichen heiligen Badeceremonie be-
ſtimmt iſt.
Unter den bildlichen Darſtellungen in allen vier Klö-
ſtern waren die hauptſächlichſten die vom heil. Makarius
und vom heil. Georg. In dem dritten, demjenigen das
den Namen der Syrer oder der Jungfrau der Syrer trägt,
iſt der heilige Ephräm in hohen Ehren. Auch wurde mir
ein Tamarindenbaum gezeigt der aus dem Stabe Ephräms,
als er denſelben beim Eingang in die Kapelle außen ins
Erdreich hineingeſteckt hatte, wunderbar erwachſen ſein
ſoll“. Im zweiten war der heilige Ambeſchun als Patron
dargeſtellt. Im vierten war außer dem heiligen Georg
auch der heilige Theodor zu Pferd mit dem erlegten Dra-
chen unter ſich. Des Kloſters Name iſt el Baramus“.
* Vergleiche unten Seite 131. -
** Ruſſegger erwähnt bei ſeiner Reiſe zu den Natronſeen nur
zwei dieſer Klöſter, und nennt das eine Labiat, das andere U-Serian;
während Andreoſſy in ſeinen Mém. sur l'Egypte das eine el Bara-
mus, das andere Amba-Bichay nennt. Andreoſſy's Angabe folgt auch
Ritter in ſeiner Erdkunde. Dieſes Amba-Bichay fällt offenbar mit
124
Doch ich muß auch davon reden was mein Hauptziel
bei dieſen Kloſterwanderungen war, von den Bibliotheken.
Wo die Bibliothek in jedem der Klöſter befindlich iſt, hab'
ich bereits angegeben, nämlich in einer Thurmkammer zu
der man durch die Kettenbrücke gelangt. Wohl kein Raum
im Kloſter iſt vor dem Beſuche der Kloſterbrüder ſicherer
als dieſer. Hier erblickt man, ich rede beſonders vom
erſten Kloſter, die Manuſcripte unter und über einander:
auf dem Boden ſowie in großen Körben liegen unter Staub-
maſſen unzählige Fragmente von alten zerriſſenen und
verſtörten Manuſcripten. Nirgends ſah ich etwas Griechi-
ſches: alles iſt koptiſch und arabiſch; im dritten Kloſter
ſah ich auch einiges Syriſche; auch ein paar Blätter Ae-
thiopiſches fand ich. Bei weitem die meiſten dieſer Ma-
nuſcripte enthalten Liturgiſches, viele Bibliſches. Aus dem
vierten der Klöſter haben Engländer ganz neuerdings eine
überaus wichtige Erwerbung von mehreren hundert Manu-
ſcripten fürs brittiſche Muſeum gemacht, und zwar mit ſehr
Ambeſchun zuſammen, ſowie auch das weiter unten, Seite 131, ange-
geführte Amba Biſchoi. Sicard dagegen gibt genaue Nachricht von
denſelben vier Klöſtern die ich beſuchte. Das zweite Kloſter nennt er
Amba Biſchoi (da er franzöſiſch ſchrieb, ſchrieb er Bichoi; ſowie An-
dreoſſy Bichay) oder das des heil. Abiſay. Vom vierten, Elbara-
mus, gibt er an daß es nach den beiden Schülern des Abts Moſe des
Aethiopiers, Marimus und Timotheus, ſeinen Namen erhalten habe.
Elbaramus oder Piromaus ſei nämlich ein verdorbenes Wort für el
Romaus, was Griechen bedeute. Siehe Paulus Sammlung Theil V.
Seite 15 ff.
125
beſcheidenem Aufwande. So Bedeutendes enthalten aller-
dings die noch übrigen Klöſter nicht; doch der Mühe Loh-
nendes gewiß noch vieles. Die Mönche ſelbſt verſtehen
davon äußerſt wenig. Des Koptiſchen iſt wohl kein ein-
ziger unter ihnen mächtig; ſie leſen nur mechaniſch was
in ihren Kirchenlektionen ſteht. Das Arabiſche älterer
Manuſcripte leſen nur wenige. Ueberhaupt iſt es ſchwer
zu ſagen, was dieſe Mönche noch außer ihrem kirchlichen
Gebrauche wiſſen. Deſſenungeachtet iſt es bei ihrem Miß-
trauen ſehr ſchwer, dieſelben, trotz der ſie umgebenden
Aermlichkeit, zur Veräußerung der Manuſcripte zu bewe-
gen. Wohl mag dabei das Verbot ihres Patriarchen
imponiren. Einen ſehr glücklichen Fund that ich meines
Theils an einer Menge im Staub vergrabener und ſchon
halbzerſtörter koptiſcher Pergamentblätter, wohl größten-
theils aus dem ſiebenten und ſechſten Jahrhunderte. Dieſe
gönnte man mir ohne Widerſpruch; nur büßte ich für den
in drückender Hitze aufgewühlten Staub mit mehrtägigen
Halsbeſchwerden.
Im zweiten Kloſter ſind nur noch vier Brüder. Der
Kloſterälteſte war ein Greis von hundert und zwanzig
Jahren. Erblindet iſt er ſeit längerer Zeit; in ſeiner engen
dunklen Kammer hält er ſich an einen Querbalken, und
ſingt oder betet laut Tag und Nacht; nur eine Stunde
ſchläft er. Dieſer Lebensabend hat einen ſchönen Zug.
So tief hängt alſo dieſem Greiſe, der vier Menſchenalter
126
geſehen, ins enge Thal der Erde herein der Himmel mit
ſeinen heiligen Ampeln daß ſein von der Welt ſchon ge-
ſchiedenes Auge nur noch Gott ſieht, daß ſeine Lippe nur
noch betet. Ich beſuchte ihn ſogleich in ſeiner Kammer
als mich das ununterbrochene laute Gebet aufmerkſam ge-
macht hatte. Als ich Abſchied vom Kloſter nahm, kam er
an ſeinem Stabe heraus; er ſprach mit vollem Verſtande,
wie's mir ſchien. Die Segensworte von dieſen greiſen
Lippen haben mich herzlich ergriffen.
Im dritten Kloſter, genannt das der Syrer oder der
Jungfrau der Syrer, ſind über vierzig Brüder. Das iſt
von allen das ſchmuckeſte und reichſte. Deshalb dankte
man auch am wenigſten für das nach meinem Bedünken
doch gute Geſchenk, das ich nach der Sitte beim Abſchiede
zurückließ. Meine ſtarke Bedeckung, zu der hier noch drei
andere Ritter zu Eſel geſtoßen waren, die mich von der
Kloſtermauer herab mit Freudenſchüſſen empfingen, hatte
allzu hohe Erwartungen erregt. Dazu iſt man an die
Beſuche und an das Gold der Engländer gewöhnt.
Eine Madonna in der Grottenkapelle dieſes Kloſters gilt
für das Produkt des Evangeliſten Lucas. Sie iſt, ſowie ich
deren mehrere in Egypten ſah, von dunkelbraunem Teint.
Mit demſelben Rechte wird man ſie wohl im Lande der
Mohren zu einer Mohrin machen. Wenn, wie es aller-
dings den Schein hat, nach dieſem Bilde dem Kloſter ſeine
beſondere Benennung nach der Jungfrau gegeben worden
127
iſt, ſo muß es allerdings von einem alten Künſtler ſtam-
men. Keinem meiner Araber wurde erlaubt den Fuß in
dieſe Grotte zu ſetzen.
Conſultirt wurd' ich in dieſem Kloſter für alle mög-
lichen Leibesnöthe, deren manche ſchon mehrere Jahre alt
waren. Es that mir leid daß ich nicht wenigſtens meine
kleine Apotheke bei mir hatte. So gab ich nur homöopa-
thiſche Rathſchläge und adreſſirte fürs Weitere an meinen
Freund im Caſtello.
Im vierten Kloſter, el Baramus genannt, traf ich
zwanzig Mönche. Hier waren die Zellen am ſchwärzeſten
und am engſten. Der Aelteſte hatte einen ſonderlichen
Gebrauch. So oft nämlich unſere Unterhaltung – er
ſaß neben mir in der Zelle – eine kleine Pauſe machte,
ſo ſervirte er als Einſchiebegericht ſchnell wieder jene erſte
Begrüßungsformel: Salam, Salam, mit dem Handcere-
moniel.
Wornach ich überall umſonſt fragte, das waren ſchrift-
liche Nachrichten über die Geſchichte des Kloſters. Davon
kannte man kein Blatt. So lebt man ſorglos in den Tag
hinein. Was iſt auch für eine ſolche Eriſtenz Vergangen-
heit und Zukunft. Freilich will jedes dieſer Klöſter, fragt
man wie alt es iſt, ſeinen Urſprung anderthalbtauſend
Jahre zurückreichen laſſen. Das möchte wohl mehr von
denjenigen gelten auf deren Trümmern ſie erbaut ſind; die ge-
genwärtigen Conſtruktionen ſind meines Erachtens jünger.
128
Von Augenkranken ward ich in allen Klöſtern um
Rath und Hilfe angeſprochen; mehrere gingen ſicher der
Erblindung entgegen. Gibt es irgend eine Lebensweiſe
die geradezu zur Erblindung führt, ſo iſt es gewiß die
dieſer Mönche. Ihre Klöſter liegen mitten im blendenden
Sande unter der augenfeindlichen egyptiſchen Sonne.
Ihre Zellen ſind dunkle Kammern, des Abends nur von
einem Kerzchen oder Lämpchen erleuchtet. Die Koſt des
Leinöls, die ſie täglich haben, ſoll an ſich ſchon Augenübel
erzeugen. Tabakrauchen ſie faſt ſämmtlich und in reich-
lichem Maße. In den düſteren Kapellen endlich, mit ſtets
brennenden Lampen und Lichtern und dem unaufhörlich
dampfenden Räucherwerk, bringen ſie den größten Theil
des Tages und der Nacht zu.
So iſt der ganze Zuſtand dieſer koptiſchen Kloſterbrü-
der eine gewiß widernatürliche und unbibliſche Pönitenz.
Da ſchleicht der Geiſt des Chriſtenthums umher wie ein
düſterer Dämon; mit Gift verſetzt er den Freudetrank des
Lebens. Der Weg den er zum Jenſeits zeigt iſt ein ſon-
nenloſer Schacht; da ſtirbt ſichs mit Leib und Seele jede
Stunde näher und näher der letzten Sterbeſtunde. Und
doch ſpannt ſich der Himmel über unſern Häuptern aus
mit ſeinem heiteren Blau. Wie manche Freudenthräne
vergoſſen fromme Augen die ſich erhoben zu ihm, verſenkt
in ein heiliges Anſchaun. Fragſt du wo der Weg iſt der
dahin führt? Haſt du keine andere Stimme die zu dir
129
ſprechen mag, ſo frage die Lerche wie ſie ſchwirrt durch
die Lüfte, jubelnd ihren Gottespreis.
In der Nacht vom Fünfundzwanzigſten auf den Sechs-
undzwanzigſten ritt ich unter trefflicher Bedeckung von Ca-
ſtello zurück nach Terraneh. Der liebreichen Aufnahme in
der Wüſte bewahr' ich ein dankinniges Gedächtniß. Am
Sechsundzwanzigſten des Nachmittags fuhr eine von etwa
dreißig Frauen und Kindern beſetzte Barke nach Cairo vor
Terraneh vorbei. Ich beſtieg mit meinem Dragoman die
noch frei gebliebene Cajüte. Dieſe Geſellſchaft war ergötzlich
genug. Am Siebenundzwanzigſten ſchon eilten wir wieder
durch die Thore von Cairo. Ich ſehe ſeitdem jedem mir begeg-
nenden Kopten doppelt ſcharf ins Auge. Wenige von den
hieſigen ſehen ſo krank und ſo ärmlich aus wie die Kloſter-
brüder der libyſchen Wüſte, wohl aber eben ſo verſteckt und
mißtrauiſch. Es mögen deren in der Hauptſtadt gegen zehn-
tauſend und in ganz Egypten vielleicht hundertfunfzigtau-
ſend leben. Man iſt geneigt ſie für die eigentlichen Ab-
kömmlinge der alten Egyptier zu halten. Ihr chriſtlicher
Lehrbegriff hat ſeine größte Beſonderheit darin daß ſie
Anhänger der Lehre des Eutyches und Dioskurus ſind,
die man gewöhnlich mit dem Namen der Jacobiten oder
Monophyſiten belegt. So lautet ihr Glaubensbekenntniß
das ſie vor der Communion ablegen, wie es nämlich aus
Egypten der Jeſuit du Bernat an den Jeſuiten Fluriau
berichtet hat: y
I. 9
130
„Ich glaube, ich glaube, ich glaube, und bekenne bis
auf meinen letzten Augenblick, daß dies der lebendige Leib
iſt welchen dein einziger Sohn, du, unſer Herr und unſer
Gott, unſer Erlöſer Jeſus Chriſtus, von unſerer lieben
Frau, der reinen und unbefleckten Mutter Gottes empfan-
gen hat. Er hat ihn mit ſeiner Göttlichkeit ohne Vermi-
ſchung und ohne Veränderung vereinigt. Er bekannte
großmüthig vor Pontius Pilatus, und gab ihn freiwillig
für uns an den heiligen Baum des Kreuzes. Ich glaube
daß die Gottheit ſich keinen Augenblick von der Menſch-
heit getrennt hat. Er gibt ſich zum Heil der Welt, zur
Vergebung der Sünden und zum ewigen Leben für den
der ihn empfängt. Ich glaube dies wahrhaftig. Amen.“*
Sie ſtehen unter ihrem eigenen in Cairo reſidirenden
Patriarchen. Was ich in kirchlich-ſocialer Beziehung bei
ihnen hervorheben hörte, iſt die überaus große Leichtigkeit
mit der ſie das Eheband löſen. Ihre Uebung der Be-
ſchneidung iſt wohl mehr eine Eigenthümlichkeit in ihrer
Auffaſſung des hiſtoriſchen Eintritts des Heilands in die
Welt als eine gezwungene Accommodation an die muha-
medaniſchen Herren ihrer Heimath. Doch kann ihnen
dieſe Sitte wohl auch von ihren alten Vorfahren über-
kommen ſein“.
* S. Paulus Sammlung 4. Theil S. 276. 277.
**Siehe unten Seite 150.
131
Anhangsweiſe theil' ich noch mit, daß Johann Mi-
chael Wandsleb aus Erfurt auf ſeiner Reiſe nach
Egypten im Jahre 1663 auch einen Ausflug zu den kop-
tiſchen Klöſtern der libyſchen Wüſte unternahm, obſchon
es ihm nicht gelang, durch die ihn umlagernden Gefahren
zum Ziele zu dringen. Paulus theilt in ſeiner „Samm-
lung der merkwürdigſten Reiſen in den Orient“ Wands-
leb's Reiſebeſchreibung mit". Darin berichtet der Reiſende
von dieſen Klöſtern unter Anderem Folgendes:
„Aus einem alten arabiſchen Manuſcript ſah ich, daß
ehemals ſieben berühmte Klöſter in der Wüſte eriſtirt hät-
ten: 1. Das Kloſter zum heiligen Macarius. 2. Das
zum heiligen Johann dem Kleinen. 3. Amba Biſchoi.
4. Zum heiligen Marimus und Timotheus. 5. Amba
Moyſe mit dem Beinamen der Schwarze. 6. Amba Kema
und 7. das zur heiligen Jungfrau der Syrer. Außer
dieſen ſieben Klöſtern ſollen ſich noch dreihundert Häuſer
für Eremiten da gefunden haben. Von allen dieſen Klö-
ſtern aber kann man nur noch zwei als beträchtlich anfüh-
ren; nämlich das Kloſter der Syrer und das zum Amba
Biſchoi.“
„In dem Kloſter der Syrer ſieht man einen Baum
der aus dem Stabe des heiligen Ephraim wunderbarlich
gewachſen iſt. Dieſer Heilige hatte ihn, als er einen Geiſt-
* Siehe Theil III. Seite 255.256.
9 »k
132
lichen daſelbſt beſuchte, vor der Thüre ſtehen laſſen; im
Augenblick ſchlug er Wurzel, und Blätter und Blüthen
ſproßten hervor. Man ſagt daß man in ganz Egypten
dieſe Baumart nicht finde.“ -
„Zwiſchen den Klöſtern zum heil. Macarius und Amba
Biſchoi, und von da noch weiter vorwärts in die Wüſte
hinein iſt eine lange Reihe kleiner Erdhügel, die immer
um einen Schritt von einander entfernt liegen und einen
Weg bezeichnen. Dieſe, ſagen die Geiſtlichen, hätten die
Engel gemacht, damit die Eremiten des Sonntags wenn
ſie die Meſſe hören wollten, den Weg zur Kirche finden
könnten, da ſie wahrſcheinlich ſich oft verirrt hätten. Des-
wegen nenne man dieſen Weg noch bis auf dieſen Tag
den Engelsweg.“* -
* Auch Sicard erzählt a. a. O. von dieſem „Engelswege.“
--
Memphis und Heliopolis.
Memphis und Heliopolis: zwei Namen die wie Schat-
ten rieſiger Gebirge aus der Vergangenheit zu uns her-
überſchauen. Viel mehr als ihre Namen iſt uns nicht
geblieben von beiden Sitzen der egyptiſchen Pracht und
Kunſt, der egyptiſchen Gottesfurcht und Weisheit. Wenige
ihres Gleichen mag der Erdkreis getragen haben; jetzt ſind
ſie zu einem Trauerliede von der Hinfälligkeit alles Irdi-
ſchen geworden.
War es nicht die wahre Königin unter den Städten
der Erde, unter den vergangenen und unter den zukünfti-
gen, dieſes Memphis, das die Pyramiden ſeine Kinder
nannte? Schon um Jahrtauſende haben die Mutter über-
lebt die Kinder, die wie unbeſiegbare Helden aus den
Schlachten aller Zeiten hervorgegangen ſind. Sie hüten
getreu das Grab deren die ſie geboren und gepflegt; ſie
erzählen, wenn auch in dunklen Zungen, den wandelnden
Geſchlechtern von ihren Werken, von ihren Schickſalen.
Kehrte Abraham zurück aus der Gruft, der würde mit den
Pyramiden von den Wundern zeugen können die einſt hier
ſein leibliches Auge geſehen.
134
Auf dem großen Sandfeldeformloſer Ruinen, wo ehedem
Memphis drei und drei Viertel geographiſche Meilen" mit
ſeinem Umfange einnahm, ſtehen jetzt neben einem Aka-
zienwäldchen ein paar dürftige Hütten, die den Namen
Mitrahenny tragen. Sie bilden mit der Erinnerung an
die von demſelben Boden geſchwundene Größe und Herr-
lichkeit einen bitteren Contraſt, deſſen Eindrucke man ſich
umſonſt zu entziehen ſucht. Um den Contraſt noch leben-
diger zu machen, liegt nahe bei dem Dörflein, gleichwie
ein geſtrandeter Wallfiſch, einer von jenen Koloſſen die
den winzigen Menſchen zum fabelhaften Rieſen umſchaf-
fen. Er iſt vierzig Fuß lang. Man zählt ihn mit großer
Wahrſcheinlichkeit zu den ſechs Koloſſen in denen einſt
Pharao Rameſes II. ſich, ſeine Gemahlin und ſeine vier
Söhne vor dem Tempel des Phtha darſtellen ließ. Dem-
nach mocht' ich hier auf dem Schutthaufen jenes berühm-
ten Tempelbauwerks ſtehen, das dem Phtha, dem ewigen
im Urfeuer wohnenden weltſchöpferiſchen Geiſte, Egyp-
tens myſtiſcher Glaube errichtet hatte. Hier auch war's
alſo wo der ſchwarze Stier, mit ſeinem weißen Stempel
auf der Stirn, unter den prachtvollen Säulenhallen, den
Propyläen, ſeinen Umgang hielt, vor den Augen der
ſchweigend harrenden Menge.
Freilich reicht ſelbſt die Zerſtörung von Memphis ins
* Nach Diodor von Sizilien.
135
hohe Alterthum hinauf, und ſchon Strabo erzählt, wie er
hier unter den Prachtwerken der Baukunſt den Tempel des
Serapis nebſt ſeinen Sphinren zerſtört und unter dem
Sande begraben gefunden; aber noch im dreizehnten Jahr-
hundert war Abd-allatif von großen Eindrücken überwäl-
tigt, als er unter ihren Ruinen, eine halbe Tagereiſe weit,
umherwandelte. „Die beredteſte Zunge,“ ſchreibt er, „möchte
umſonſt dieſe anſtaunungswürdigen Ruinen zu ſchildern
verſuchen. Je mehr man ſie betrachtet, um ſo höher
ſteigt die Bewunderung. Jeder Blick verſetzt in neues
Entzücken.“
Abd-allatif ſah noch jenes ſogenannte grüne Haus,
neun Ellen hoch, acht Ellen lang, ſieben Ellen breit, ein
einziger Granitſtein, bedeckt mit myſteriöſen Schriftzügen
und mit den ebenſo myſteriöſen Bildern von der Sonne
und den Geſtirnen, von Menſchen und Thieren. Und
dies „wunderbare“ Haus war das in der Vereinſamung
erhaltene Herz eines mächtigen Tempels, vielleicht eben
jenes Tempels der dem Phtha geweiht geweſen.
Abd-allatif fand ferner die Idole noch in großer Menge
vorhanden. Er beſchreibt eins derſelben, gearbeitet aus
einem einzigen Stein, überzogen mit rothem Firniß, über
dreißig Ellen hoch. Auch zwei gegen einander aufgerichtete
koloſſale Löwen hielten ſein Auge gefeſſelt.
Was er, der Arzt, am meiſten an allen dieſen rieſen-
haften Schöpfungen bewunderte, das war die Richtigkeit
136
aller Leibesproportionen, beurtheilt nach den kleinen Mu-
ſtern die die lebendige Natur an die Hand gibt.
Hat man ſich nun auch ſeit der Zeit Abd-allatifs an
den Ruinen von Memphis namentlich deshalb vielfach
vergriffen weil man ſie als Material zu neuen Bauten in
Cairo verwendete, wozu der an Memphitiſchen Monu-
menten vorzugsweiſe benutzte herrliche Granit von Syene
ganz beſonders einlud: ſo bleibt es mir doch wahrſchein-
lich, daß der tiefe Wüſtenſand auf dem ehemaligen Stadt-
gebiete gar Manches in ſich verſchlungen hält, das noch
heute, tritt's nur wieder durch hilfreiche Menſchenhand
ans Licht der Sonne, die europäiſchen Forſcher mit Stau-
nen und Bewunderung erfüllen wird.
Als ich weiter im Akazienwalde nach Sakkara fortging,
konnte ich der Begierde nicht widerſtehen mehrere der hohen
Schutthaufen zu beſteigen und das Auge durch den ganzen
Bezirk der nahen Pyramiden ſchweifen zu laſſen. Neun-
zehn größere, mit Einrechnung der drei von Gizeh, waren
es die ſich vor meinen Blicken gruppirten. Da drängte
ſich mir noch heute der Gedanke auf, daß hier vor Zeiten
ein Geſchlecht gewaltet haben möchte zu dem das gegen-
wärtige hinaufſchaut wie zum Vater, zum helmumflat-
terten Hektor, Aſtyanar, das ſpielende Kind. Verwun-
derlich findet man's auf dem Schauplatze ihrer Erinne-
rungen keineswegs, daß die Egyptier ihre Vorzeit mit
Rieſen bevölkert glauben.
137
Das große Mumienfeld von Sakkara läßt keine Ver-
gleichung zu. Da liegen in weiter Zerſtreuung umher
Schädel, Hände, Füße und andere Gebeine von den Mumien,
die Jahrtauſende hindurch ungeſtört in ihren unterirdiſchen
Kammern geruht hatten. Fragt man ſich, woher dieſe
Zerſtörung der einſt ſo ſorgſam gepflegten Leichname ſtammt,
ſo glaubt man allerdings eher an leichengierige Schakals
denken zu müſſen als an erwerbluſtige Beduinen und gar
an europäiſche Alterthumsforſcher.
Immer ſtimmt es eigenthümlich zum Nachdenken, be-
trachtet man die gewiſſenhafte, die ſinnreiche Acht, mit der
die alten Egyptier diejenigen behandelten die aus dem
lebendigen Kreiſe der Ihrigen, entgegen dem Tage der
einſtigen Auferſtehung, geſchieden waren. Wie ſchön ſind
dieſe Felſenkammern bemalt, in deren Niſchen die Mumien
ruhten; wie regelmäßig ſind ſie an einander gebaut; wie
vollkommen waren ihre Bewohner geordnet Und dieſe
Mumien ſelber, die leere Bruſt ausgefüllt mit den Symbo-
len ihrer Gottheiten, ausgeſtattet mit inhaltsvollen Schrift-
rollen, belegt mit koſtbarem Schmucke, durch ihr unver-
wesliches Gewand beſtimmt zu einer unabſehlichen Dauer:
die gaben nothwendig dem Tode den Charakter eines leich-
ten aber bedeutungsvollen Schlummers. Da war das
Licht des Tages nicht erloſchen, es war nur verdunkelt;
die Bande der Herzen wurden nicht gelöſt, ſie wurden nur
gelockert; die Wohnſtätten über der Erde und die Wohn-
138
ſtätten darunter waren durch keine ſchauerliche Scheide-
wand getrennt wie ſie, trotz unſeres chriſtlichen Bewußt-
ſeins, unſere Begriffe von Grab und Leiche gezogen haben.
Darum nahmen dieſe Egyptier auch bei ihren Feſtgelagen
Mumien unter die Genoſſen der Feier auf. Dieſe ſchöne
Vertrautheit mit den Todten mußte über die lachende Freude
ein Gewand des Ernſtes werfen; ſie mußte aber auch die
Nachtſeite des Lebens wie mit den Purpurſtreifen des
Morgenhimmels verklären.
Von der Region der menſchlichen Mumien kamen wir
zu einer anderen von großer Ausdehnung, wo ſich Mu-
mien von heilig gehaltenen Thieren, beſonders VON PeT-
ſchiedenen Ibisgattungen und andern Vögeln vorfinden,
und zwar gleichfalls in tiefen, künſtlich angelegten Kam-
mern oder vielmehr in breiten, langen Gängen, die in
den Felſen gehauen ſind. Man gelangt hinunter wie
in einen Schacht oder Brunnen. Die Zahl der hier in
ihren irdenen Krügen mit irdenen Deckeln verwahrten und
in den unterirdiſchen Gemächern in langen Reihen auf-
geſchichteten Thiermumien mag, trotz der ſchon ſeit langer
Zeit geübten Plünderungen, immer noch außerordentlich
groß ſein.
Mit Memphis hab' ich Heliopolis zuſammengeſtellt.
Sein egyptiſcher Name On klingt uns aus den Erinne-
rungen an Joſeph, jenen Liebling Gottes, entgegen.
139
Pharao gab dem Joſeph, ſo erzählt Moſes", ein Weib,
Asnath, die Tochter des Prieſters zu On, Potiphera. Zu
Joſephs Zeit mochte die Sonnenſtadt in ihrer vollſten
Pracht blühen. Sie war Hauptſitz der egyptiſchen Prie-
ſter und ihrer Weisheit. Neben ihren Opferdienſten be-
trieben dieſe Prieſter beſonders Philoſophie und Aſtro-
nomie.
Noch zur Zeit des großen Klagepropheten von Israel
erſcheint Heliopolis als der Mittelpunkt des egyptiſchen
Göttercultus; denn in ſeiner Prophezeiung ruft er aus:
„Er ſoll (Nebukadnezar) die Bildſäulen zu Beth Schemes
(das iſt eben Sonnenhaus, Sonnenſtadt) zertrümmern
und die Götzentempel in Egypten verbrennen.“ Das
düſtere Prophetenwort hat ſich bald erfüllt; was Nebukad-
nezar geſchont hatte, das hat Cambyſes unter die Füße
ſeiner Zerſtörungswuth getreten. Mit ſeinem maßloſen
Eifer gegen die religiöſen Denkmale ſchien er mehr die
Götter Egyptens als ſeine menſchlichen Bewohner zu be-
kriegen.
Dennoch kam auch noch Plato nach Heliopolis, um
die gebliebenen Ruinen zu ſehen, zu befragen, zu bewun-
dern. Einige Jahrhunderte ſpäter ward noch Strabo das
Haus gezeigt wo der „Göttliche“ gewohnt hatte.
* 1 Moſes 41, 45.
* Jeremias 43, 13.
140
Unter jenen Bildſäulen des Jeremias ſind namentlich
die Obelisken zu verſtehen. Dieſe Obelisken mögen in
großer Zahl zu Heliopolis geſtanden haben. Strabo fand
deren noch viele vor un erzählt, daß zwei derſelben und
zwar von denen des Sonnentempels, die Seſoſtris hatte
errichten laſſen, unter dem Kaiſer Auguſtus nach Rom
gebracht worden ſeien. Aber ſogar Abd-allatif im drei-
zehnten Jahrhundert ſpricht noch von der Großartigkeit
der Ruinen die er hier geſehen. Er ſagt dabei unter An-
derem, daß da nicht leicht ein Stein geſehen würde der
nicht mit verſchiedenen jener ſinnreichen Zeichen und Fi-
guren belegt wäre. Gewiß ruht daher auch hier noch
mancher intereſſante Reſt der Ruinen unterm Schutte ver-
graben.
Aber noch heute ſteht wenigſtens Ein Zeuge von den
vergangenen großen Tagen der Sonnenſtadt; wie durch
eine Wunderhand iſt er allen den Stürmen dreier Jahr-
tauſende entronnen. Ein hoher Obelisk von rothem Granit
hält noch heute zum Himmel gerichtet ſein ungebeugtes
Haupt. Alle ſeine vier Seiten ſind bedeckt mit Hiero-
glyphen.
Herrlich iſt es daß ſich dieſer Obelisk in den Berech-
nungen Wilkinſons als der Zeitgenoſſe Joſephs und ſogar
als Denkmal deſſelben Pharao ausweiſt der den gottbe-
ſeelten Träumerjüngling zum Pfleger des Landes ſetzte.
Alle ſeine brüderlichen Genoſſen ſind geſtorben, ſind ge-
141
ſchieden, mit den Göttern ſelber deren eitlem Dienſte ſie
geweiht waren: er allein ward ausgezeichnet unter ihnen wie
einſt Joſeph unter ſeinen Brüdern in ſeines Vaters Haus.
Der Lenker der Schickſale hat ihm den Stempel der Weihe
aufgedrückt; der Gott Abrahams, Iſaaks und Jacobs hat
über ihn gehalten ſeinen ſtarken Arm. Wie ein Kündiger
des Heils das kommen ſoll aus Israel ſteht er da, der
ehrwürdige Greis; aber unverſtanden klingt ſein Seher-
wort zu den Kindern ſeiner Heimath.
Sehr nahe von dem Obelisken liegt das Dorf Ma-
taryeh, ähnlich jenem Mitrahenny beim umgeſtürzten Koloß
auf den Ruinen von Memphis.
Es bot mir noch zwei Merkwürdigkeiten dar: eine
uralte Sykomore und den ſogenannten Sonnenquell. Dem
harmloſen Glauben geben beide Antwort auf die Weiſſa-
gung des Obelisken; denn ſie künden ihm von dem Heile
das gekommen iſt aus Israel. Unter der Sykomore ſoll
nämlich das Kindlein Jeſus mit ſeinen Eltern auf der
Flucht nach Egypten geruht haben; oder vielmehr, wie die
Sage genauer berichtet, der Baum ſoll, ich weiß nicht ob
mit ſeinen herabgeſenkten dichten Zweigen oder mit ſeinem
geöffneten Stamme, die heilige Familie vor den Augen
der vorübereilenden Verfolger verborgen haben. Dieſe
Sykomore ſteht in einem freundlichen Orangengarten; ſie
wird fort und fort ſehr hoch verehrt, und iſt mit vielen
Kleiderlappen behangen, die eben ſo wohl von muhame-
142
daniſchen als von chriſtlichen Pilgern ſtammen. Könnte
man ſich nur dieſe Lappen zu Lichtern umdenken, ſo ſtände
ſie da wie ein wahrer ſchöner Chriſtbaum.
Uebrigens macht dieſe Sykomore in der That den Ein-
druck eines hohen Alters; ihr Stamm iſt von außeror-
dentlichem Umfange. Ich zweifle daher daß der große
däniſche Reiſende des vorigen Jahrhunderts Recht hatte,
indem er dieſelbe kaum zweihundert Jahre wollte hinauf-
reichen laſſen.
Zur Sykomore gehört noch Ajin Schemeſch oder der
Sonnenquell. Fromme Pilgrime nennen ihn lieber den
Quell der Jungfrau. Er ſoll nämlich, nach der Sage,
durch ein Wunder plötzlich hervorgeſprudelt ſein als das
Kind Jeſus von heißem Durſte gepeinigt ward“. Der
Trappiſt Geramb findet es, gegenüber dem Philoſophen
der darüber etwa lachen wollte, ſehr natürlich, daß Gott
für ſeinen Sohn, für Joſeph, für Maria daſſelbe gethan
hat was er früher durch Moſes am Horeb für ein mur-
rendes und undankbares Volk gethan hatte.
Dieſer Quell hat der ganzen Ortſchaft ehedem ſeinen
Namen mitgetheilt; Abd-allatif bezeichnet ganz Heliopolis
durch Ajin Schemeſch. Wohl mag er mit ſeinem Waſſer,
das von einer ganz ausnehmenden Güte iſt und ſogar für
* Die apokryphiſche Literatur der Evangelien handelt eben ſowohl
von dieſer wunderbaren Quelle als auch von dem verehrungswürdigen
Sykomorusbaume.
143
heilkräftig gehalten wird, zum alten Sonnentempel in ge-
wiſſer Beziehung geſtanden haben.
Von Neuem iſt in der jüngſten Zeit Heliopolis be-
rühmt geworden durch die Schlacht, die zu Anfang dieſes
Jahrhunderts Kleber mit dem franzöſiſchen Heere gegen
eine außerordentliche Uebermacht des Großveziers lieferte
und gewann. Es iſt dieſelbe Schlacht in deren Folge den
tapferen Elſaſſer der meuchelmörderiſche Dolch des fanati-
ſchen Suleyman traf, der ſeine That mit unglaublicher
Kaltblütigkeit, nach abgebrannter Hand, geſpießt auf dem
Pfahle büßte.
Erpedition nach Altcairo.
Das Hauptziel dieſer Erpedition war eine angeblich
in räthſelhaftes Dunkel gehüllte Inſchrift in einem kopti-
ſchen Kloſter. Wilkinſon, ſo wurde mir erzählt, hatte nicht
einmal die Sprache in der ſie verfaßt mit Gewißheit er-
mittelt. Fragmente einer Kopie, freilich von der Hand
einer Frau, und zwar einer Engländerin, wurden mir
vorgezeigt; ſie verriethen einen griechiſchen Typus.
Ich war zu Eſel, Lieder zu Pferd, Bonomi zu Ka-
mel: ſo traten wir, unter Begleitung einiger Araber, am
neunten Mai des Nachmittags unſere Wanderung nach
Altcairo an. Als wir dort angekommen, ließen wir un-
ſere Thiere an der Mauer halten und gingen zu Fuß
durch mehrere enge Gaſſen zum koptiſchen Kloſter. Die
Inſchrift befand ſich in einem Winkel des Kloſters, in
einem engen faſt viereckigen Gemach. Wir errichteten ein
eben ſo künſtliches als gefährliches Geſtell, um zur In-
ſchrift hinaufzuſteigen. Es ward mir nicht eben ſchwer
ſie zu entziffern. Sie war in griechiſchen erhabenen Cha-
rakteren auf hartem Holze verfaßt, lief durch mehrere Zei-
len, und ſprach einen frommen Lobſpruch aus. Wahr-
145
ſcheinlich knüpfte ſie ſich an eine beſtimmte feierliche That-
ſache an, etwa an die Einweihung des Kloſters, da ſie
am Ende die Namen des Abbas, des Diakonos, und des
Oikonomos mit einem Datum nach der Diokletianiſchen
Zeitrechnung enthielt. Uebrigens hatte ſich Wilkinſon,
wie ich ſpäter in ſeinen Mittheilungen darüber las, kei-
neswegs bis zur Verwechſelung der Sprache verirrt.
Nachdem wir von der Inſchrift ſowie von den bild-
lichen Darſtellungen die ſie umgaben beſtmöglichſt Kopie
genommen hatten, beſuchten wir ein anderes koptiſches
Kloſter, das im Beſitze einer Grotte iſt, welche, wie man
glaubt, Joſeph und Maria mit dem Kindlein auf ihrer
Flucht nach Egypten beherbergt hat. Dies alte Kloſter,
benannt nach dem heil. Sergius, iſt von einer ſehr feſten
Bauart; in ſeinem Innern iſt es vollkommen koptiſch durch
ſeine Einfachheit und Dürftigkeit; ſeinen einzigen Reich-
thum, ſeinen einzigen Schmuck bilden ſeine Erinnerungen.
Aus dem Kirchlein ſtiegen wir, zur Rechten des Altars,
eine Treppe hinab und gelangten ſo zur Grotte, in der
wir wegen der feuchten Wände nur eine flüchtige Umſchau
hielten. Sie iſt durch mehrere niedere Säulen geſtützt
und enthält ein Taufbecken und einen Altar. Aus der
größeren Grotte traten wir noch in eine kleine beſondere
Felsvertiefung, der ein Gemälde auf Holz zur Abtrennung
vom größeren Raume dient, worauf die Flucht ins Land
des Nils mit den Pyramiden dargeſtellt iſt. Der fromme
I. 10
146
Glaube weiß ſogar, daß gerade hier die heilige Familie
geſeſſen hat. Auf einer Treppe die zur Linken des Altars
führte ſtiegen wir ins Kirchlein wieder zurück. Dieſe bei-
den Treppen ſind nicht ohne eigenthümliche Beſtimmung.
Auf der einen nämlich ſteigen die Kopten, auf der andern
die Griechen in die Grotte hinab; denn auch die Letzteren
üben kirchliche Ceremonien in dieſem geheiligten Raume.
Daß man gerade in Egypten, dem Heimathslande
der Einſiedler, chriſtliche Erinnerungen gern an Grotten
angeknüpft hat, iſt leicht begreiflich. Ueberzählt man aber
die ſämmtlichen Grotten, die aus der heiligen Geſchichte
mit weihevoller Bedeutung hervorgegangen ſind, ſo ſtellt
ſich ein wahrer chriſtlicher Grottencultus heraus.
In der Nähe dieſes Kloſters beſuchten wir die große
Moſchee Amrus. Sie beſteht aus einem faſt amphithea-
traliſchen, oben völlig offenen Raume, umgeben von mehr-
fachen überwölbten Säulenreihen. Man ſagte mir daß
dieſer Säulen, nach der Zahl der Tage des Jahres, drei-
hundert fünf und ſechzig ſind. Doch wären ihrer auch
hundert weniger, wie ich anderwärts angegeben fand, ſo
macht man ſich doch leicht eine Vorſtellung von dem groß-
artigen Eindrucke dieſer Gallerien.
Inmitten des Hofraums, beim marmornen Waſchbaſ-
ſin, befindet ſich ein ſtattlich überbautes Häuschen, das
man nicht unpaſſend mit der berühmten Mühle zu Pots-
dam zuſammengeſtellt hat. Eine arme Jüdin hat es
147
nämlich jenem Amru, deſſen Arm mit Eroberungen ſo
vertraut war wie ein Kind mit ſeinen Spielen, durchaus
nicht abtreten wollen. Dies Judenhäuschen, ſo gut wie
die Potsdamer Mühle, verdient ihr Plätzchen in der Welt-
geſchichte.
Uebrigens verläugnet der Orientale nicht leicht einen
gewiſſen poetiſchen oder abenteuerlichen Zug. Von dem-
ſelben Amru, der bekanntlich Egypten eroberte, iſt Altcairo
und zwar unter dem Namen Foſtat angelegt worden;
wozu eine auf der Stange ſeines Zeltes niſtende Taube
Veranlaſſung gab. Er ließ die Zeltſtange nicht umreißen,
ſondern baute an der Stelle ſein Foſtat (Zelt) auf.
Die große Amru-Moſchee iſt im Laufe der Jahrhun-
derte vielfach verfallen. Da aber der Glaube herrſcht daß
der Verfall dieſer Moſchee ominös für die Herrſchaft des
Propheten iſt, eine Glaubensſorgniß der man ſich, wie's
mir ſchien, gerade jetzt gerne hingibt, ſo hat Mehemed Ali
die Wiederherſtellung derſelben unternommen. Doch wird
auch ſchon in ihrem gegenwärtigen Zuſtande bei großen
Feierlichkeiten von ihr Gebrauch gemacht.
Noch bei zwei Merkwürdigkeiten dieſer Moſchee ver-
weilten wir. An einer der Säulen nämlich hat Amru ein
Wunder ſeines gewaltigen Armes verſucht; er hat ſie mit
ſeinem Säbel mitten entzweiſpalten wollen. Dies iſt ihm
zwar nicht gelungen, aber noch heute ſieht man wie tief
ſeine Damascener Klinge eingedrungen. Dann aber gibt's
10*
148
nahe beim Eingange ein Säulenpaar, durch das jeder
ehrliche Mann ſich ſoll durchwinden können. Wir ver-
anlaßten einen unſerer Araber, der eben nicht an Mager-
keit litt, ſeine Ehrlichkeit auf die Probe zu ſtellen. Wir
ſahen bald daß es ihm nicht recht gelingen möchte, und
riefen ihn unter fröhlichem Gelächter der Zuſchauer vom
Unternehmen zurück.
Nachdem mir noch die herrlichen Portalverzierungen
in Arabesken bewundert hatten, die mir ſchon früher von
Herrn Beaumont in der vortrefflichen Sammlung ſeiner
Kunſtſtudien vorgezeigt worden waren, ritten wir nach
Hauſe. Unterwegs, in einer Cairiner Straße, ſah ich
einen bejahrten Mann mit ſehr ſtarkem Bart- und Haar-
wuchs, der völlig nackt ging. Er wurde mir als ein be-
rühmter Heiliger bezeichnet.
Am Vormittag dieſer Ercurſion beſuchte ich in Herrn
Lieder's freundlicher Begleitung die ausgezeichnete Samm-
lung egyptiſcher Alterthümer des Herrn Abbott. Herr
Abbott iſt ein eben ſo gelehrter als liebenswürdiger Eng-
länder; hohe Verdienſte um die Wiſſenſchaft des egypti-
ſchen Alterthums erwirbt er ſich namentlich durch ſeine
Theilnahme an der egyptian literary association, deren
Sekretär er iſt. Dieſe egyptiſche Geſellſchaft ſowie ihre
149
Rivalin, von gleichem Namen und gleicher Tendenz und
ebenfalls in Cairo, beweiſen daß die in Egypten anſäſſi-
gen Franken ihren Beruf fühlen, den Welttheil, in dem
die Gelehrſamkeit wie in keinem anderen eine Art Ge-
meingut iſt, im Angeſichte der von ihren Landsleuten
traurig verlaſſenen Pyramiden würdig zu repräſentiren.
Jene andere egyptiſche Geſellſchaft, die ich andeutete, bietet
dem reiſenden Fremdling durch ihre aufs Zweckmäßigſte
ausgewählte Bibliothek einen koſtbaren Schatz dar. Der
Sekretär derſelben, Herr Walmaß, errichtet jetzt eben auch
eine europäiſche Druckerei, der man den beſten Erfolg
wünſchen darf und muß.
Wollt ich alles ſchildern was ich Intereſſantes in der
Antiquitätenſammlung des Herrn Abbott ſah, ſo hätte ich
eine ſchwere Aufgabe. Für das größte ſeiner Kleinodien
hält er ſelbſt einen goldenen erſt unlängſt aufgefundenen
Ring, der ſich als der Siegelring des großen Seſoſtris
ausweiſen ſoll. Er erzählte uns daß ihm zweitauſend
Pfund dafür geboten worden ſeien. Auch einen ehernen
Helm hielt er ſehr hoch; er ſoll in ein hohes Alterthum
hinaufreichen und auf einen berühmten Namen zurück-
gehen.
Ebenſo wie im Pompejaniſchen Cabinete zu Neapel
ſah ich hier mancherlei uraltes Backwerk und andere Köſt-
lichkeiten aus den häuslichen Vorrathskammern; ſowie
ein ganzes Wagenrad, verſchiedene Theile von einer alten
150
Art des Ackerpflugs, und ähnliche Geräthſchaften. Auch
an Papyrusbündeln – dieſe Bezeichnung ſcheint mir hier
richtiger als die der Papyrusrolle – ſowie an alten mit
koptiſcher Schrift beſchriebenen Scherben fehlte es nicht.
Eine beſondere Merkwürdigkeit zeigte uns Herr Abbott
an einem feinen Goldblättchen in Pyramidenform, der-
gleichen man auf weiblichen Mumien gefunden hat und
nach ihrer eigenthümlichen Beſtimmung auch nur auf ſol-
chen hat finden können. Schon Abd-allatif hat von ſol-
chen Goldblättern Erwähnung gethan, ſowie von anderen
ähnlichen, die Stirn, Naſe und Augen bei Mumien be-
decken. Zur beſonderen Merkwürdigkeit iſt dasjenige das
ich meine wohl dadurch erſt geworden daß ein gelehrter
Engländer in allem Ernſte die Meinung daran geknüpft
und ausführlich erörtert hat, die Pyramide ſelber ſei ein
ſolches Goldblättchen im Großen und ſtehe zur Bedeutung
deſſelben in der genaueſten Beziehung. Ich möchte wohl
dieſe ſeltſame Pyramidentheorie näher kennen lernen; nur
iſts Schade daß ſich davon in guter Geſellſchaft nicht gut
offen ſprechen läßt. -
Unter den Amuleten, Scarabäen und dergleichen fan-
den ſich auch viele Eremplare vom Symbole der Fort-
pflanzung, wie es die Egyptierinnen, ſo gut wie die Frauen
anderer Nationen, ehedem als Schmuck oder Talisman
um den Hals zu tragen pflegten. Daraus ergab ſich die
Beſtätigung der doch immer noch ſtreitig gebliebenen
151
Anſicht, daß die Beſchneidung bei den alten Egyptiern
ſehr üblich, obſchon nicht allgemein herrſchend geweſen
ſein mag.
Wie's mir auf dem Bücherbazar in Cairo ging, muß
ich noch erzählen. Ein junger türkiſch gekleideter Ruſſe
vom Ruſſiſchen Conſulate hatte mir mitgetheilt, daß er
auf dieſem Bazare vortreffliche Einkäufe an arabiſchen
Manuſcripten gemacht. Ich begleitete ihn auf dem näch-
ſten Beſuche. Doch meine Speculation mißlang gänzlich.
Während ich ſonſt gefunden daß mein fränkiſcher Rock
und Hut eine Autorität war, für die der Orientale allen
Reſpekt hegte, war hier mein Gewand ein Aergerniß oder
vielmehr ein Verräther. Wir waren kaum durch eine
enge Pforte in dieſen Bazar eingetreten und hatten an
mehreren Kaufläden die ausgelegten Handſchriften be-
ſchaut, ſo erhoben ſich in der gedrängten Menge, in der
wir ſtanden, feindliche Bemerkungen, beſonders der Ruf:
Macht die Bude zu! Macht die Bude zu! Mein Be-
gleiter wurde ängſtlich und winkte mir zu ſchnellem Rück-
zuge.
Der Muhamedaner verfährt mit ſeinem Koran ganz
anders als der Chriſt mit der Bibel. Bekanntlich ſtreuen
unſere Miſſionäre die letztere in Ueberfluß aus. Der
152
Muhamedaner hingegen hält's für eine Sünde, an einen
Chriſten einen Koran zu verkaufen. Natürlich läßt ſich
immer leicht dazu in kluger Zurückhaltung gelangen, aber
ein öffentlicher Handel der Art möchte zu einem öffent-
lichen Aergerniſſe führen.
Reiſe zum S in a i.
Von Cairo bis Suez.
Ich hatte Cairo und ſeine Umgegend über einen Monat
genoſſen und für meine beſonderen Zwecke emſig genützt:
wie drängte michs nun nach dem Sinai. Die Temperatur
war freilich nicht die günſtigſte; wir hatten einige Tage
drückender Hitze, viel angreifender noch als der Neapoli-
taniſche Scirocco im Juli, ſo wie ich ihn im vorigen Jahre
erfahren hatte. Man nannte dies in Cairo die Tempe-
ratur des Chamſin. Am zehnten Mai ging ich gegen drei
Uhr aus. Als ich aus meiner engen kühlen Straße in
den großen Garten, der daran ſtößt, getreten war, drückte
michs ſo erſtickend daß ich in der Gewißheit umkehrte, es
könne eben erſt voller Mittag ſein. Aber keine Säumniß
konnte förderlich ſein; die Tage glühten unaufhaltſam dem
Sommer entgegen. Ich hielt es nun einmal entſchieden
mit dem Prädeſtinationsglauben, und zwar vielleicht noch
mehr mit dem türkiſchen als mit dem chriſtlichen.
Am Elften waren Beduinen nach Cairo gekommen die
mich nach dem Sinai führen wollten. Ich traf ſie mit
154
mehreren Kamelen vor dem öſterreichiſchen Conſulate ge-
lagert; auf dem Conſulate ſchritten wir zum Contracte.
Ich hatte gute Rathgeber; drum nahm ich mich in Acht
zu viel zu bewilligen. Wir waren ſchon einig; drei Ka-
mele ſollten jedes mit hundert vierzig Piaſter bezahlt wer-
den; das vierte für den Scheik, den Führer der Karavane,
ſollte unberechnet bleiben. Da wurden die Beduinen un-
ter ſich uneins; ſie waren mit der Summe nicht zufrieden.
Ich glaubte, wir würden am ſicherſten fertig, ſtellten wir
ihnen die Alternative, entweder fortzugehen oder das Ge-
bot anzunehmen. Aber ich irrte mich. Sofort brachen ſie
auf und zogen mit ihren Kamelen heimwärts. Der Con-
ſularkawaß holte ſie zurück. Ich verſtand mich nun zu
vierhundert achtzig Piaſter für vier Kamele. Der requi-
rirte Cairiner Notar verzeichnete den Contract auf einen
langen Papierſtreifen, der auf ſeiner Hand ruhte, indem er
vor uns ſtand. Ich unterſchrieb mich; der Scheik drückte
als Unterſchrift ſein mit Tinte gefeuchtetes Petſchaft
darauf.
Am Zwölften des Vormittags wollt' ich abreiſen; aber
erſt in der Mittagsſtunde langten die Kamele vor der Caſa
Pini an. Mein braver Ali hatte zu thun genug bis alles
Reiſe- und Küchengeräth ſowie aller Mundvorrath in Be-
reitſchaft war. Um drei Uhr Nachmittags wanderten die
Kamele mit ihren Laſten fort. Ich befand mich zum Ab-
ſchiede noch in einer lieben freundlichen Begleitung, wozu
155
ich auch zwei Araber und einen Kopten rechne, die mir
manche Dienſte geleiſtet hatten und nun noch mit einigen
Freunden ſowie auch dem Conſularkawaß zu Eſel das
Geleit mir gaben. Aber der Abſchied von Cairo fiel mir
nicht ſchwer; nach wenig Wochen hofft ich in ſeine Thore
wieder einzuziehen, reich geworden an unvergeßlichen Er-
innerungen.
Das Wetter war angenehm. Wir hatten etwa eine
halbe Stunde Wegs außerm Thore zu Kamel gemacht,
ſo hielten wir in der Nähe einiger anſehnlichen Grabſtät-
ten; meine Beduinen hatten noch Beſorgungen. Wie
war ich überraſcht mich auf dem „Schiffe der Wüſte“ ſo
behaglich zu fühlen. Ich hatte in Reiſebeſchreibungen
geleſen, daß die Bewegungen des Kamels Aehnlichkeit
hätten mit dem Schaukeln der Schiffe und daher faſt gar
eine Art Seekrankheit hervorbrächten. Aber ich ſaß ſo
ſicher und ſo faſt ganz nach meinem Wunſche.
Wir gingen übrigens einen Weg der ein wenig ſüd-
lich lag von der gewöhnlichen Karavanenſtraße nach Suez.
Die letztere iſt ſeit einigen Jahren um ſo mehr firirt, weil
ſie die engliſche Poſt- und Transportſtraße geworden, mit
ſieben Stationsbauten für dieſen Zweck verſehen und auch
mit einer Linie von Telegraphenthürmchen ausgeſtattet wor-
den iſt. Unſer Weg im Süden ſollte näher ſein; er führte
uns aber, was wohl der Hauptgrund ſeiner Wahl war,
zunächſt zum Heimathsdorfe meiner Beduinen. Wir
156
kamen bei demſelben kurz nach Einbruch der Dunkel-
heit an.
Dies Dorf machte in dieſem Augenblick einen ich
möchte ſagen Zigeunereffekt. Mitten in der Oede der Wüſte
und in der Stille der Nacht bereitete ſich eine Menge
ſchwarzer, kunſtlos hingeworfener Zelte vor unſern Blicken
aus. Vor den meiſten derſelben loderte ein Feuer; um
das Feuer herum lagen oder ſtanden die Beduinen, von
ihrem einfachen, ſchmuzigweißen Hemde überhangen. Als
wir näher und näher heranritten, malten ſich dieſe Figu-
ren ganz grotesk im Schimmer des Feuers ab. Bald
vernahmen wir auch die vierfüßige Bewohnerſchaft des
Dorfes; Kamele brüllten, Heerden blökten, Hunde bellten.
Empfangen wurden wir aber von den Herzueilenden aufs
Freundlichſte.
Ich ließ jetzt zum erſten Male mein Zelt aufſchlagen.
Ich freute mich kindiſch über den Aufbau dieſes kleinen
Beduinenhauſes; es war das erſte Haus das ich mein
eigen nannte. Der Beduinenſtamm, bei dem ich weilte
und dem meine drei Führer angehörten, hat ſich erſt ſeit
zwei Jahren hier in der Nähe des Mokattam niederge-
laſſen. Er wohnte früher zwiſchen Gaza und Jeruſalem.
Nachdem er aber einen Nachbarſtamm glücklich bekriegt
und ihm mehrere hundert Kamele als Kriegsbeute wegge-
führt hatte, war es gerathen dieſe Ueberſiedelung vorzu-
nehmen. Uebrigens machten mir dieſe Söhne der Wüſte
157
einen ſo guten Eindruck, daß ich mich mit dem vollen Ge-
fühle der Sicherheit unterm Zelte zur Ruhe legte,
Am Dreizehnten nach Sonnenaufgang war Alles mun-
ter. Unſere Beduinen brachten mir gute Milch. Nachdem
ich eine Taſſe Thee und meine Führer ihren Kaffee ge-
trunken hatten, brachen wir auf.
Unſer Weg durch dieſes Wüſtenfeld war ganz überſäet
mit dunkeln Feuerſteinen, unter denen mir auch häufig
rother Jaspis und andere ähnliche Steinarten von ſchö-
ner Farbe ins Auge fielen. Auch lagen mehrmals größere
und kleinere Stücke verſteinerter Palmenſtämme auf unſe-
rem Wege; ich erkannte ſie ſogleich daran daß ſie genau
daſſelbe Ausſehen hatten wie der ſogenannte verſteinerte
Wald, einige Stunden von Cairo, von dem ich viele
Stücken mit nach Haus gebracht. Zu unſerer Rechten
hatten wir vom Mokattam her einen allmählig immer
tiefer abfallenden Bergzug; zur Linken begrenzten das
Auge Sandhügel an Sandhügel.
Zwiſchen Zehn und Elf lagerten wir uns, um Mittag
zu halten. Meine Führer wählten dazu eine von grünen
Sträuchern bewachſene Strecke; es ſtanden beſonders hohe
ſchönfarbige Diſteln darauf. Zu meiner Verwunderung
verſchlangen unſere Kamele dieſe Diſteln, deren Stacheln
mir vom bloßen Sehen wehe thaten, aufs Wohlgemutheſte.
Was für eine glückliche Conſtitution mag ſo ein Kamel-
maul haben.
158
Nachdem ich mein Huhn verzehrt und ein wenig ge-
ſchlummert hatte, trat ich heraus aus dem Zelte, mit dem
Auge ſchweifend über die weite Sandfläche. Alles war ſtill
um mich, der Dragoman und die Beduinen ſchliefen; in der
weiten Ferne weideten die Kamele. Nur ein Paar Gril-
len ſummten und ein Wüſtenvögelchen klagte mit einem
melancholiſchen Laute wie der Weidenzeiſig im Voigt-
lande. Da fühlt ichs zum erſten Male mit aller Leben-
digkeit daß ich in der Wüſte war. Durch nichts in der
Welt verliert man ſich ſo ſehr in ſein tiefſtes Innere wie
durch die Wüſte.
Aber jetzt herrſchte vor Allem Ein Gedanke in meiner
Seele. Ich hatte kurz vorher unterm Zelte in den Büchern
Moſis geleſen; nun war ich ſelber da wo Moſes gewan-
delt mit ſeinen Brüderſchaaren. Wie ichs einſt las als
Kind unter meiner Mutter Augen, hätt' ichs gedacht daß
ichs heute hier wieder leſen würde. So rief mich die Bibel
ſchnell in meine Heimath. Die klagende Stimme des klei-
nen Vogels klang ohnedem wie lauter Heimweh. O die
Lieben der Heimath! Nicht eben mocht' ich ihre grünen Berge
und ihre feſten Häuſer tauſchen um mein kleines weißes
Zelt in der öden Sandebene; aber ich ſagte mir: Hätteſt
du doch ein Auge hier in das du deine Freude hinein-
lächeln könnteſt, und ein Herz das du feurig herzen könn-
teſt, und zwei Lippen mit denen du ſingen könnteſt ein
jubelndes Lied.
159
Um vier Uhr weckt' ich meine Beduinen. Schnell
wurden die Kamele herangeholt; die hatten ſich indeſſen
ganz heimgefunden; ſo weit ſich nur das Grün blicken
ließ, waren ſie umhergeſchweift. Ich ſtellte mich vor eins
dieſer Thiere, wie es ſchon auf den Knieen lag um ſeine
Ladung zu empfangen. Kaum ſtand ich mit meinem Stroh-
hute, umflattert von einem grünen Schleier, vor ſeinen
Augen, ſo ſprang es auf und galoppirte davon. So ſcheu
hatte dieſes große Thier von ſo phlegmatiſchem Weſen
mein Strohhut gemacht; der Scheik ſagte mir, es habe
noch nie einen Strohhut geſehen. Dagegen wunderte ich
mich, daß unſere Kamele ſich nie entſetzten wenn wir auf
dem Wege Knochen und Gerippe von gefallenen Kamelen
trafen. Freilich mögen ſie an dieſen Anblick gewöhnt
ſein; wir hatten von Cairo bis Suez, namentlich nachdem
wir auf die Hauptcaravanenſtraße gekommen, an dieſen
zahlreichen, mit ihrem Weiß ſchon aus der Ferne glän-
zenden Gerippen wahre Wegweiſer.
Kurz vor Sonnenuntergang kamen wir ganz dicht bei
einer Maſſe coloſſaler dunkelfarbiger Steine vorbei, die
einen mehr als ernſten, einen ſchauerlichen Effekt machten.
Es waren wohl urgebirgliche Reſte. Heute ritten wir
lange in die Nacht hinein; es wurde ziemlich dunkel. Wir
ritten auf weiter Ebene hin; hatten aber zu unſerer Rech-
ten einen langen niederen Gebirgszug, den ein viel höhe-
rer braunfarbiger Berg, der Dſchebel Gharbun, überragte.
160
Plötzlich ſeh' ich ganz nahe von uns zur Rechten unter
niederem Geſträuche einen Wanderer, der noch ſchwärzer
war als unſere Nacht; es war ein großes Zingale. Ich
hatte um ſo weniger Freude an dieſer Begegnung da mir
mein Dragoman ſagte, daß die Zingalen in dieſer Wüſte
bisweilen ſogar angriffen.
Als wir hielten um Nachtquartier zu machen, ließ ich
das Zelt nicht erſt aufſchlagen; ich ließ zwiſchen dem läng-
lichen Vorrathskorbe aus Palmenblättern und dem Reiſe-
koffer meine wollene Decke nebſt Lammfell und Schlafpelz
ausbreiten, und legte mich hinein. Zur Seite hatte ich
meine friſchgeladene Doppelflinte. Um mich herum ſchlie-
fen mein Ali und die Beduinen. Die Kamele durften
mit zuſammengebundenen Vorderfüßen in die Nähe zur
Weide hüpfen.
Ich mochte eine Stunde geſchlafen haben, ſo wacht
ich auf. Ich vergeſſe den Augenblick nicht; zum zweiten
Male hatt' ich das volle Bewußtſein der Wüſte. Da lag
ich mitten in der ſchauerlichen Einöde, deren menſchen-
feindliche Bewohner jetzt ihre Beute ſuchen mochten. Um
mich war Alles todt; nur die Täubchen flatterten in ihrem
Käfig; in der Ferne brüllten die Kamele. Ueber mir
hatt ich den nächtlichen Himmel, herrlich geſtirnt; der
Kanopus blitzte mit ſeinem Feuerauge hernieder. Hat
man in dieſer Lage nicht den feſten Glauben an ſeinen
guten Engel, ſo mag ſichs ſchwer wieder einſchlafen. Aber
161
da lernt man die Hingabe wenn man ſie noch nicht hat.
Es war mir als reichten die Vaterarme von den Sternen
herab, die mich auf meinen Wanderungen immer ſo treu
gehalten; ich ſchloß getroſt das Auge wieder.
Am Vierzehnten hatten wir beſtändig gegen Südoſt
zu unſerer Rechten den ſchroffen Ataka vor Augen; er
hatte ein röthliches, nur wenig ins Braune fallendes
Ausſehen. Gegen Mittag ſahen wir, als wir uns der
Hauptcaravanenſtraße zuwendeten, in einiger Entfernung
vor uns eine von den ſieben engliſchen Haltſtätten und
einen Telegraphenthurm, der mich gar ſeltſam überraſchte
als er mit ſeiner Spitze hinter Sandhügeln hervorwuchs.
Als wir des Abends bei dem weißen Stationshauſe vor-
beizogen, geriethen unſere Kamele in ſcheue Aufregung.
Dies Haus mochte ihnen hier mitten in ihrer harmloſen
Heimath, wo das Gefühl einer unbegrenzten Freiheit
herrſcht, wie ein uſurpirender Fremdling vorkommen. Der-
gleichen Abenteuer haben nicht viel Angenehmes. Zum
Glücke ging ich eben zu Fuß den Kamelen voraus, und
das mit dem Küchenkafaßbelaſtete Kamel wurde am
Zaume geführt; die drei andern ſprangen wirr rechts und
links. Die wenigen Geräthſchaften meiner Beduinen gin-
gen beim Fall in Stücken. Doch gelang's ihnen bald die
Thiere zu beſchwichtigen. Wir übernachteten heute nahe
bei Adſcherud, jenem Fort mit einem tiefgegrabenen Bit-
terwaſſerbrunnen, das die Mekkapilgrime mit freundlicher
I. 11
162
Sorgfalt empfängt. Doch ſahen wir vom Fort weniger
als wir hörten; denn die Hunde bellten laut.
Am Funfzehnten früh nach zwei Stunden Wegs kamen
wir bei Bir Suez an. Dort hat man zwei Brunnen mit
einem ſteinernen Quadratbau und vier Thürmen umgeben.
Wir trafen eine reichliche arabiſche Geſellſchaft. Deshalb
kamen unſere Kamele nicht allzu ſchnell zur Tränkung.
Dies Waſſer iſt nämlich nur für Kamele trinkbar, doch
wird es in Suez auch zu wirthſchaftlichen Zwecken ver-
wandt; es iſt ſtark mit Salztheilen vermiſcht. Seit Cairo
war es das erſte Waſſer das wir antrafen; wir hatten
für unſern Bedarf zwei große Schläuche abgeklärten Nil-
waſſers mitgenommen, die anfangs ziemlich eine volle
Kamelladung ausmachten.
Jetzt hatten wir ſchon deutlich vor unſern Augen Suez
und den Spiegel des rothen Meeres. Bis an die Mee-
resküſte zog ſich im Süden der röthlichbraune Ataka hin,
während wir überm Meere drüben eine andere lange Berg-
kette, gleichfalls von einem röthlichen Dunkel, von Norden
nach Süden ſich ziehen ſahen. Sie wurde mir Toraha
genannt. Zwiſchen Acht und Neun hielten wir vor dem
Thore von Suez. Anſtatt in eins der beiden europäiſchen
Hotels zu gehen, zog ich es vor der Gewohnheit der Wüſte
getreu zu bleiben. Ich ließ ein wenig nördlich vom Thore
dicht beim Meere unter einem hohen Hügel von Sand
und Schutt mein Zelt aufſchlagen.
Su e z.
Suez ſelbſt nimmt ſich beſcheiden aus; es kam mir,
nach europäiſchem Maßſtabe, wie ein großes Dorf vor.
Doch ſtehen beſonders am Ufer des Meeres auf dem Quai
mehrere ſehr ſtattliche Häuſer, die ſich abſpiegeln in der
blauen Fluth. Die Schiffe die hier lagen waren ſtark an
Zahl, doch größtentheils klein. Die zwiſchen Indien und
Suez laufenden Dampfſchiffe legen ſich wegen der Untie-
fen bei der Stadt in gehöriger Entfernung nach Süden
vor Anker. Das Innere der Stadt iſt, beim Mangel aller
Vegetation, voll einer öden Traurigkeit. Sogar an Waſſer
iſt man arm; dasjenige das von der Oſtſeite des Meeres
geholt wird iſt wohl beſſer als das Waſſer von Bir Suez,
doch iſt's nicht ganz frei von ſalzigem Geſchmacke.
Nach einem erquickenden Bade im Meere, wobei mir
nur der Boden mit ſeinen vielen Korallen und Muſcheln
unbequem war, machte ich einen Beſuch beim Conſul für
Frankreich und Oeſterreich. Obſchon er ein geborner
Grieche iſt, ſo verſtand er doch kein Wort griechiſch.
Während ich bei ihm ſaß, trat ein Mann von mitt-
leren Jahren, in gewöhnlicher Kleidung, ins Zimmer
11
164
herein, ſetzte ſich unbefangen nach orientaliſcher Art auf
den Boden und begann eine Mittheilung. Darauf hän-
digte ihm der Sohn des Conſuls eine Münze ein. Der
Fremdling fuhr aber in ſeiner Mittheilung fort, und er-
hielt eine zweite Münze. Darauf ſtand er auf und empfahl
ſich. Jetzt erfuhr ich, daß es ein türkiſcher Bettler war,
der ausgeſagt hatte, er ſei auf ſeiner Reiſe nach Suez ge-
kommen und habe ihm, dem berühmten, reichen Conſul,
durchaus einen Beſuch machen müſſen. Darauf hatte er
die erſte Münze empfangen. Allein ſie dünkte ihm gering;
drum fügte er hinzu, daß er ſich damit nichts Rechtes
kaufen könne, was doch gegen die Würde des Conſuls
ſei. Darauf hatte er den Zuſchuß erhalten. Das alles
war ſo anſtändig und ſo freundlich abgethan worden daß
mir kein Gedanke an einen Bettler gekommen war.
Herr Coſta und ſein Sohn waren mehrmals wochen-
lang zu ihrer Erholung im Kloſter auf dem Sinai ge-
weſen. Sie wußten mir vom Reichthume der Bibliothek
daſelbſt, wenn auch ohne nähere Kenntniß, zu erzählen.
Ich wollte jetzt Herrn Manoli, Agenten der oſtindi-
ſchen Compagnie und Lieferanten des Sinai, beſuchen;
man ſagte mir aber, er ſei eben in ſeinem Harem, und da
ſei keine Störung oder auch nur Anmeldung möglich. Es
iſt alſo hier faſt wie bei der italiäniſchen Prinzeſſin, wann
ſie inamorata iſt, wenigſtens nach der Schilderung der
Frau von Staël. Ich kam nun einige Stunden ſpäter
165
und fand in Herrn Manoli einen feinen und gebildeten
Araber, der ſogar engliſch ſprach. Er hatte in einem
Zimmer ein Bildniß von Rüppell und ſprach von dieſem
großen Forſcher mit der größten Hochachtung. Rüppell
mochte wohl der einzige Deutſche ſein der am arabiſchen
Meerbuſen bildlich repräſentirt war. Sowohl Manoli
als Coſta boten mir aufs Zuvorkommendſte ihre Empfeh-
lungen ans ſinaitiſche Kloſter an; ich hatte Urſache ſie
von beiden Seiten anzunehmen.
Als ich zu meinem Zelte zurückkehrte, traf ich eine
Menge dunkelbrauner Beduinen vor demſelben verſam-
melt. Sie ſagten mir daß ſie die wahren Sinaiführer
ſeien, daß ſie am Sinai ſelbſt ihre eigene Niederlaſſung
hätten und von jedem Weg und Steg der Wüſte die ge-
naueſte Kenntniß beſäßen; darum möchte ich meine Be-
gleiter entlaſſen und ſie an deren Statt annehmen; bezah-
len ſollte ich bei dem Tauſche nicht das Geringſte mehr
über das Ausgemachte. Ich wußte nun freilich daß ſich
aus ſolchen Händeln für andere Reiſende die größten Ge-
fahren ergeben hatten, da ein Stamm gegen den andern
ſeine vermeintlichen Rechte mit den Waffen zu verfechten
bereit iſt. Ich fragte meine Beduinen, ob ſie in der That
volles Recht hätten mich zu führen; ſie betheuerten mir's.
Ich erklärte nun jenen, daß ich meinen Beduinen mein
Wort gegeben habe und daß mir mein Wort eine uner-
läßliche Verpflichtung gelte. Sie verließen mich darauf.
166
Als ich aber des Nachmittags zum zweiten Male aufs
Conſulat kam, fand ich ſie vor demſelben gelagert; ſie
hatten ihr Anliegen vor den Conſul gebracht. Der Conſul
trug mir die Sache vor. Ich fragte, von wem die Ent-
ſcheidung abhange. Er entgegnete daß ſie von mir ab-
hange. Darauf wiederholt ich dem Conſul meine ſchon
früher den Beduinen gegebene Erklärung, und er ſelber
ſchickte ſie abweiſend fort.
Der Verlauf dieſes Rechtshandels machte auf meine
Beduinen einen ſolchen Eindruck daß ſie mir ſchwuren,
mit ihrem Leben für mich einzuſtehen. Und daß es Leute
waren die es ernſt meinten, die es auch, obſchon ſie nur
drei waren, mit jedem Dutzend Feinden aufgenommen hät-
ten: davon bekam ich ſpäter einen thatſächlichen Beweis.
In geringer Entfernung von meinem Zelte nach Nor-
den hin fand ich viel Schutthaufen und Spuren der frü-
her hier geſtandenen Städte. Ich ging nicht weit genug
in der genannten Richtung fort um mich mit eigenen Au-
gen von der Richtigkeit der Aufſchlüſſe zu überzeugen, die
mir Linant de Bellefonds von der ehemaligen Ausdeh-
nung dieſes Armes des rothen Meers gegeben hatte. Das
aber ſieht man dem Terrän leicht an daß der Triebſand
der Wüſte ſeine Angriffe auf ihn gemacht hat.
Die Spuren eines alten Canals ſind ebenfalls jetzt
noch ſichtlich. Doch hat ſich Karl von Raumer bei der
Unterſuchung über die Grenzen des Meeres zur Zeit des
167
Israelitiſchen Durchgangs mit Ungrund auf dieſelben be-
rufen um darzuthun, daß die damalige Ausdehnung von
der heutigen unweſentlich verſchieden geweſen. Dieſer
Canal nämlich reicht auf keine andere Zeit als auf die
der Kalifen zurück.
Des Abends hatten wir einen ſchön geſtirnten Him-
mel; ich beſtieg die Spitze des Hügels, woran mein Zelt
ſtand, und genoß von da einen herrlichen Blick aufs Meer.
Da wars alſo wo ſich einſt des Herrn ſtarker Arm offen-
barte. Die Waſſer rauſchten; ſie erzählen noch immer die
alte heilige Mähr.
Ueber die Angelegenheit des Durchſtichs der Meer-
enge ließ ich mir mehrmals von dem der Sache treff-
lichſt kundigen Linant de Bellefonds mittheilen. Be-
kanntlich iſt er von Mehemed Ali mit derſelben vorzugs-
weiſe beauftragt und hat jahrelang das Terrän ſtudirt.
Die Beſorgniſſe wegen der Ungleichheit des Niveaus der
beiden Meere möchten wohl nicht allzu ernſt ſein dürfen.
Ptolemäus unterbrach einſt den bis zu den Bitterſeen ge-
führten Canal zum Nil aus Sorge für das trinkbare Nil-
waſſer. Daß die Ausführung keine für unſere an große
Bauunternehmungen gewöhnte Zeit gar außerordentlichen
Kräfte und Opfer in Anſpruch nimmt, hat Linant de Belle-
fonds klar genug dargethan. Und daß die Reſultate des
Durchſtichs von ganz unabſehlicher Bedeutung für den
europäiſchen Handel und von der Art ſein werden, daß die
168
Koſten deſſelben, dagegen gehalten, ſehr gering erſcheinen
müſſen: das leuchtet wohl einem Jeden ein.
Warum er aber immer noch nicht ins Werk genom-
men und im Gegentheile durch die neueſten Poſtanſtalten
zwiſchen Cairo und Suez vertagt wird, das beantwortet
der Staat am beſten deſſen Intereſſe es am meiſten dabei
gilt. England kann ohne große Benachtheiligung ſeines
Intereſſes mit keiner anderen Nation die Vortheile des
Durchſtichs theilen. Fände aber jetzt der Durchſtich ſtatt,
wie wollte England die Vortheile deſſelben für ſich allein
in Anſpruch nehmen? Wem wäre es unbekannt, worauf
das Auge der engliſchen Politik in Egypten abzielt? Die
Verwickelung der Verhältniſſe wird zur rechten Zeit nicht
fehlen, wo die Hand ergreifen wird was das Auge längſt
firirt hat. Mit Einem Worte: Bevor Egypten engliſch
iſt, wird England mehr als irgend eine Macht den Durch-
ſtich hintertreiben; ſobald es engliſch iſt, geſchieht er im
erſten Augenblicke, und das Jahrhundert wird ſich mit
vollem Rechte der großen That bewußt fühlen. Aber die
großen Ereigniſſe des Orients mit Ungeduld wecken wol-
len, daß hieße ſich am Herzen der heutigen Politik der
Großmächte vergreifen. Und Mehemed Ali wird den gro-
ßen Bau um ſo weniger beſchleunigen, weil er Freund
und Feind nicht noch lüſterner nach ſeinem Lande machen
mag. Dazu kömmt daß die beabſichtigte Nildämmung alle
ſeine Kräfte in Anſpruch nehmen muß und für ſein Land
169
ſelbſt ungleich erſprießlicher iſt als der Durchſtich der
Meerenge.
Am nächſten Morgen ließ ich in aller Frühe meine
Kamele mit den Beduinen und dem Dragoman etwa zehn
Minuten nördlich von Suez durchs Meer ziehen; denn
wir hatten vollkommenen Ebbeſtand. Das Waſſer reichte
den Kamelen nirgends bis an die Schenkel; eine Strecke
in der Mitte lag ganz trocken; nach einer guten Viertel-
ſtunde ungefähr waren ſie an der öſtlichen Seite des
Meers angekommen". Der Umweg der zur Zeit der Fluth
um den äußerſten Meeresarm gemacht werden muß be-
trägt, wie man mir angab, mehrere Stunden. Ich ſelbſt
hatte die Einladung des jungen Herrn Coſta angenom-
men, mit ihm in ſeiner Barke nach Ajin Muſa überzufah-
ren, wo er ein ländliches Gut angelegt hatte. Doch
mußten wir zu unſerem Aufbruche die Rückkehr der Fluth
* Niebuhr hat genau die jetzige Breite des Meeres bei Suez
gemeſſen; wobei nur zu bemerken iſt, daß die nächſte nördliche Strecke
von Suez bei weitem breiter iſt als diejenige die Suez gerade gegenüber
liegt. Doch nähert ſich die Breite des Meeres, im Norden von Suez,
eben da wo die Araber zur Ebbezeit ihren Weg durch daſſelbe einzu-
ſchlagen pflegen, wieder jener Breite bei Suez ſelbſt. So lautet Nie-
buhrs Berechnung: „Ich ſtellte das Aſtrolabium am Ufer an der Oſt-
ſeite des Meers auf, und fand den Winkel zwiſchen meiner Grundlinie
von 83 doppelten Schritten und der Südoſtecke der Stadt, in dem erſten
Standpunkte 76" 5 und in dem zweiten 97" 52“. Die Breite dieſes
Arms des rothen Meers iſt alſo 757 doppelte Schritte oder ungefähr
3450 Fuß.“
170
abwarten, und mit der Fluth zugleich auf einen günſtigen
Wind rechnen.
Unterdeſſen machte ich in Begleitung Herrn Coſta's
dem Statthalter von Suez meine Aufwartung. Wir trafen
ihn, einen ſtarken kräftigen Mann, der früher viele Kriegs-
dienſte gethan, unter dem Eingangsgewölbe ſeines Pala-
ſtes. Wir ſetzten uns ſogleich zu ihm. Ich übergab ihm
das Empfehlungsſchreiben, das mir vom Gouverneur von
Cairo für meine Sinaireiſe ausgeſtellt worden war. Der
Statthalter empfing es mit der üblichen Reſpektbezeigung,
konnte es aber nicht leſen. Es wurde ſein Sekretär ge-
rufen, der es ihm vorlas und ſodann ein paar Worte
darunter ſchrieb, die ausſagten, daß es der Statthalter
von Suez geſehen. Von den Anerbietungen ſeines Schutzes
und von allen anderen lag keine Veranlaſſung vor Ge-
brauch zu machen.
Um Neun unternahmen wir unſere Ueberfahrt nach
Ajin Muſa. Es fiel mir dabei eine große Untiefe in der
Mitte des Waſſerarmes ſowie eine andere auf, die wie
eine leicht bedeckte Landzunge von Oſten herüberreichte.
Unſere Barke mußte ſich ängſtlich vor aller Annäherung
hüten und durfte nicht den geraden Weg einſchlagen. Un-
terwegs erzählte mir Chalil, des Conſuls Dragoman,
von den Dienſten die er Alphonſe de Lamartine auf ſeiner
Reiſe geleiſtet. Nahe an zwei Stunden blieben wir auf
dem Waſſer, obſchon der Wind nicht eben ungünſtig war.
171-
Als wir Ajin Muſa uns gegenüber im Auge hatten, ſtand
dort wie eine kleine ſchimmernde Pyramide. Es war aber
nichts anders als mein Zelt, das mein Ali bereits aufge-
ſchlagen hatte. Dieſes kleine weiße Haus ſah hier ganz
ſtolz und impoſant von ſeiner Höhe ins ſchöne dunkel-
blaue Meer hinab. Doch war die optiſche Täuſchung kurz,
die ich übrigens mit der Niebuhrs zuſammenhalten möchte,
als er, eben auch in der Nähe von Suez, einen Araber
auf ſeinem Kamele ſah der höher als eine Kirche in der
freien Luft zu reiten ſchien*.
Die ganze Umgegend von Ajin Muſa oder den Mo-
ſisquellen enthält viel Schutthügel; gewiß ruhen auch
hier manche Ruinen alter Bauten. Unter der franzöſi-
ſchen Erpedition entdeckte bekanntlich der General Bona-
parte ſelber den großen Canal durch den das Waſſer
dieſer Quellen, acht an Zahl, bis ans Ufer des Meers
geleitet wurde. Dieſer Canal brachte wahrſcheinlich den
Venezianern Waſſervorräthe für ihre Flotten, die ſie gegen
die Portugieſen ausſandten, als dieſe den Weg nach In-
dien ums Cap der guten Hoffnung entdeckt hatten. Das
Waſſer iſt übrigens beſſer als alles andere der Umgegend,
obſchon es weder vom Milch- oder Salpetergeſchmack
noch auch von einer leichten mediziniſchen Wirkung ganz
frei iſt. Einzelne Palmen ſtehen da, und zwar in ihrer
* S. Niebuhr's Reiſebeſchreibung: 1. Band, S. 253.
172
vollen Wildheit, bewachſen mit dichten Zweigen vom Fuß
bis zum Scheitel. Mehrere uralte Baumſtämme machten
ſonderliche Figuren. Eine der größten der Moſisquellen
wird von der Gartenanlage Herrn Coſta's umſchloſſen.
Dieſes freundliche Gut mit ſeinem friſchen Grün, mit
ſeinen üppig gedeihenden Anpflanzungen von Gemüſen
und Fruchtbäumen, mitten aus der öden Sandſtrecke her-
vorgerufen, nimmt ſich aus wie das fröhliche Auge der
Wüſte. Man ſieht daran recht gut daß der Boden hier
der Hand der Cultur mit herrlichem Lohne dankt. Schon
haben ſich auch Engländer zu Anlagen, ähnlich der des
Herrn Coſta, eingefunden. Ich möchte aber dieſen An-
lagen eine noch viel reichere Zukunft vorausſagen.
Die Benennung dieſer Quellen nach Moſes dürfte
ſich freilich nur mit Unſicherheit aufs hohe Alterthum zu-
rückführen laſſen. Da jedoch hier der große Führer Is-
raels nach ſeinem Durchgange durchs Meer faſt ohne allen
Zweifel raſtete, ſo hatten ſpätere Generationen, mögen es
Muhamedaner oder Chriſten geweſen ſein, vielleicht am
wahrſcheinlichſten die erſten Wallfahrer nach dem Sinai,
vollkommen Recht, gerade an dieſe erquickenden Quellen
den Namen des Moſes zu knüpfen. Peter Belon, der
gerade vor dreihundert Jahren hier war, führt allerdings
an daß dieſe Quellen, deren er zwölf zählte, jene bekann-
ten bitteren Quellen des Moſes ſein ſollten. Allein theils
iſt dazu das Waſſer nicht bitter genug, theils ſtimmt
173
damit die Lage nicht überein; was man auch längſt ein-
geſehen.
Als ich allein unter einem alten Palmbaume bei einer
der Quellen ſaß, überließ ich mich der Erinnerung an die
große Stunde der Vorzeit. Ich las das Lied das Moſes
mit den Kindern Israel bei denſelben Quellen dem Herrn
einſt angeſtimmt hat, einſt, nach der wunderbaren Erret-
tung aus den Fluthen und aus der Feinde Hand: „Ich
will dem Herrn ſingen; denn er hat eine herrliche That
gethan; Roß und Wagen hat er ins Meer geſtürzt.“ Das
Lied vergißt ſich nimmer, hat man's hier geleſen. Ich ſah
Mirjam, die Prophetin, ihre Pauke in der Hand; ſammt
den Frauen mit Pauken am Reigen. „Laßt uns dem
Herrn ſingen,“ ſo klang's mir entgegen „denn er hat eine
herrliche That gethan; Mann und Roß hat er ins Meer
geſtürzt.“
Ich kann nicht umhin gerade hier einen Haltpunkt
für meine Wanderungen zu wählen, um das Reſultat
von meinen Studien über den Durchgang der Israeliten
durchs rothe Meer niederzulegen. Doch werde ich zu
vermeiden ſuchen was meine Mittheilung zu einer ſtreng-
wiſſenſchaftlichen Abhandlung ſtempeln könnte; um ſo
mehr da ich eine ſolche demnächſt zu veröffentlichen ge-
denke.
Zug der Israeliten durchs rothe Meer.
Moſis Erzählung vom Wunder des Herrn am Volke
Israel, bei ſeinem Auszuge aus der egyptiſchen Knecht-
ſchaft ins gelobte Land, iſt neuerdings dadurch feindlich
angegriffen worden daß man aus der Anſchauung des
Schauplatzes ſelbſt anſtatt des göttlichen Retterarms die
einfachſte Gunſt der Umſtände zu folgern geneigt ward.
Alles Weitere maß man der poetiſch vergrößernden Sage
bei. Sehr begreiflich riefen dieſe Angriffe Gegner hervor,
die um den Glauben der Väter einen neuen Wall auf-
warfen. Vielleicht iſt man aber auf den zwei entgegen-
geſetzten Seiten in Irrthum verfallen. Hier hat man das
Wunder geradezu natürlich, dort hat man es allzu wun-
derbar gemacht. Dagegen ſcheint mir daß die rechte Prü-
fung der Sache mit der Wiſſenſchaft auch den Glauben
beim vollen Rechte beläßt. -
Vor Allem gilts die genaue Verfolgung der bibliſchen
Erzählung, und zwar vom Auszuge bis zum Durchgange.
Die Kinder Israel zogen von Raemſes aus gen Suchoth,
ſo heißts ausdrücklich 1 Moſ. 12, 37. Wo lag Raemſes?
Ich glaube da wo wir Heliopolis wiſſen. Statt deſſen
175
hat man vor Kurzem an Heroopolis gedacht“. Ich ſage:
vor Kurzem; doch hat man damit eigentlich nur den Faden
wieder aufgenommen den ſchon Dü Bois-Aimé für dieſe
Angelegenheit 1810 gezogen hatte“. Das bedarf einer
Widerlegung. Weniges wird dazu hinreichend ſein.
Erſtens dient die Stelle, die zum Beweis genommen
worden daß Heroopolis mit Raemſes zuſammenfällt, zum
entſcheidendſten Beweiſe daß beide nicht zuſammenfallen kön-
nen. Es heißt nämlich 1 Moſ. 46, 28.: „Und Jacob ſandte
Juda vor ſich hin zu Joſeph, auf daß er ihm entgegen
käme gen Goſen.“ Hier haben die griechiſchen Ueberſetzer
für „Goſen“ geſetzt „Heroopolis im Lande Raemſes.“
Das „Land Raemſes“ iſt gleichbedeutend mit dem
„Lande Goſen.“ Das iſt klar aus 1 Moſ. 47, 11, wo
der hebräiſche Tert ſelber „Raemſes“ für „Goſen“ ſetzt.
Heißt es aber nun 1 Moſ. 46, 28. beſtimmt „Heroopolis
im Lande Raemſes,“ ſo kann das nimmermehr eben ſoviel
heißen als „Raemſes im Lande Raemſes.“ Der Name
der Stadt Raemſes, ſagt Hengſtenberg, war außer Ge-
brauch gekommen. Das wird entſchieden widerlegt durch
2 Moſ. 1, 11., weil hier der Name der Stadt Raemſes
auch bei den griechiſchen Ueberſetzern ruhig ſtehen geblie-
ben iſt.
* Vergl. Hengſtenberg: Die Bücher Moſe's und Aegypten.
1841.
* Vergl. Description de l'Egypte, tome VIII. p. 111. ff.
Zweitens kann Heroopolis nicht Raemſes und als
ſolches der Ausgangspunkt der Israeliten geweſen ſein
weil der Weg von Heroopolis aus, deſſen Lage man ja
genau kennt, zu irgend einer Durchgangsſtelle durchs rothe
Meer ganz unbegreiflich iſt. Von Heroopolis aus mußte
vielmehr das nördliche Ende des Meerbuſens, das ja ſelbſt
der Meerbuſen von Heroopolis genannt ward weil es faſt
daran ſtieß, ſofort umgangen werden.
Man darf nicht einwenden daß wir von dem Wege,
den Moſes nehmen mußte, gar nichts wiſſen können.
Moſes hatte ſeinen beſtimmten Plan oder vielmehr die
ausdrückliche göttliche Weiſung, über den Sinai nach Ca-
naan zu ziehen. Um dies zu bewerkſtelligen durfte er
unmöglich einen widerſinnigen Weg einſchlagen. Wider-
ſinnig wär's aber, von Heroopolis aus anders als auf
die Oſtſeite des Meeres zu gehen.
Allerdings hatte Moſes beim Pharao zur Täuſchung
vorgegeben, die Israeliten gingen nur zu einem Opferfeſte
in die Wüſte. Allein die Wüſte war ſo gut öſtlich als
weſtlich vom Meerbuſen. Und will man an Beſorgniſſe
denken die Moſes vor Ausfällen der egyptiſchen Grenzbe-
ſatzungen habe hegen können, ſo iſt darauf zu erwidern
daß ja Heroopolis ſelbſt eine Grenzfeſte war und demnach
Beſatzung haben mußte. Ueberdieß hatten die wunder-
baren Schickungen Gottes gewiß auf alle Egyptier noch
mehr Eindruck gemacht als auf den halsſtarrigen Pharao;
177
drum mochte auch Niemand ſonſt als dem Pharao das
Verlangen ankommen die Auswanderer zurückzuzwingen.
Allen Verfolgungen aber konnte Moſes nicht ſicherer ent-
gehen als wenn er ſich ſofort an die Oſtſeite des Meeres
zog, was in ſehr wenigen Stunden thunlich war. Wäre
übrigens die Furcht vor ſolchen egyptiſchen Grenzbeſatzun-
gen wirklich in Betracht gekommen, ſo wäre im Tert da-
- von eben ſo gut Erwähnung geſchehen wie von der Furcht
vor dem Streite mit den Philiſtäern; denn jene Furcht
hätte noch weit näher liegen müſſen.
Nur Etwas hat einigen Schein für ſich; es iſt die
Berufung dü Bois-Aimés auf 2 Moſ. 13, 18.: „Darum
führte er das Volk um auf die Straße durch die Wüſte
am Schilfmeer. Dü Bois-Aimé ſagt, nur wenn man
aus dem Thale Sebabyar, wo eben auch Heroopolis lag,
den Auszug ſtattfinden laſſe, ſei es begreiflich wie die Is-
raeliten ſofort drei Tage am Schilfmeer hin ihren Weg
nehmen konnten. Allein das letztere ſagt die Stelle kei-
neswegs aus. Der Weg durch die Wüſte am Schilfmeer
iſt dem Wege durchs Land der Philiſtäer, nahe am mittel-
ländiſchen Meere, entgegengeſetzt; er bezieht ſich nicht eben
auf die drei erſten Tage. Die angezogene Stelle ſteht beim
Antritte des Wegs und betrifft die ganze Richtung deſſel-
ben. Auch heißt es nicht „der Weg am Schilfmeer,“ ſon-
dern „der Weg durch die Wüſte am Schilfmeer.“ Der
direkte Weg von Heliopolis nach Canaan durchs Land
I. 12
178
der Philiſtäer wäre nach Belbeis und nach dem See
Menzaleh hinauf nach Peluſium und Gaza gegangen,
wie ich ihn ſelbſt gemacht. Auf dieſem Wege trafen die
Israeliten noch cultivirtes Land; dafür zogen ſie der gött-
lichen Weiſung gemäß durch die Wüſte am Schilfmeer,
durch welche der Weg nach dem Sinai führte.
Noch ein Uebelſtand bei der Annahme des Auszugs
von Heroopolis liegt darin daß Moſes in der Nähe von
der königlichen Reſidenz zu denken iſt, da er noch in der
Nacht der letzten Plage zum Pharao gerufen wird. Mem-
phis liegt aber viel zu fern von Heroopolis, und Zoan,
das allerdings wenigſtens viel näher als Memphis iſt,
dürfte ſich ſchwerlich als Reſidenz halten laſſen.
Endlich möchte die 2 Moſ. 14, 2. anbefohlene „Wen-
dung“ des Zuges bei der Annahme des Aufbruchs von
Heroopolis gar nicht gut möglich ſein.
Nach meiner Anſicht alſo zogen die Israeliten von
Heliopolis aus. Damit harmonirt Joſephus in ſo fern
als er in Heliopolis die Israeliten überhaupt ſtationirt
ſein läßt und von da aus ihren Zug über Beſſatin lenkt.
Damit ergibt ſich ferner eine angemeſſene Entfernung in
der Moſes vom Pharao zu Memphis war. Endlich ſtimmt
„Heliopolis“ vortrefflich zu „Raemſes.“ Das beweiſt der
alte arabiſche Ueberſetzer Saadias, der Raemſes geradezu
durch Heliopolis wiedergiebt. Dafür läßt ſich ſodann doch
wohl auch Jablonsky's Etymologie aus dem Koptiſchen
179
wenigſtens „anführen.“ Endlich aber ſpricht dafür gerade
das woraus man den Widerſpruch zu folgern gewohnt
iſt, nämlich die griechiſche Ueberſetzung von 2 Moſ. 1, 11.
Für „Raemſes“ hat dieſe nämlich nach dem üblichen Terte
„Raemſes und On, was Heliopolis iſt.“ Den Zuſatz
„und On, was Heliopolis iſt,“ halt ich für eine nähere
Beſtimmung zu Raemſes. Richtiger hat daher die koſtbare
Handſchrift des ſechſten Jahrhunderts zu Mailand nicht
„und On“ ſondern „oder auch On;“ während zwei arabi-
ſche Ueberſetzungen „und On“ und „was Heliopolis iſt“
als zwei verſchiedene Zuſätze hinſtellen. Auch wär's in
der That verwunderlich, wie der griechiſche Ueberſetzer faſt
anderthalb tauſend Jahre hinterdrein noch eine förmlich
neue Thatſache zum alten Terte hinzugebracht hätte; wo-
gegen es ganz in ſeinem Geſchmacke iſt, wenn er den fremd-
artigen koptiſchen Namen Raemſes zuerſt mit dem bekann-
teren egyptiſchen Namen On und zugleich mit dem entſpre-
chenden griechiſchen Heliopolis verdeutlicht hat.
Von Heliopolis nun will man mit beſonderer Vor-
liebe den Zug durch Beſſatin gehen laſſen. Der Haupt-
grund dafür iſt daß Joſephus dieſe Richtung nennt. Al-
lein beſaß Joſephus dafür zu ſeiner Zeit eine andere Au-
torität als eine vielleicht vage Ueberlieferung? Wo die
Israeliten gewohnt hatten, das konnte und mußte viel
leichter und treuer im Gedächtniß des Volkes bleiben als
der Weg den Moſes durch die Wüſte einſchlug.
12*
180
Die weitere Folge des Zuges hat beſonders Sicard
im Süden der Gebirgskette des Mokattam nachzuweiſen
verſucht; in Gendeli fand er Suchoth, Etham in der Ebene
von Ramlie, Pihahiroth in Thuärek, und ließ den Durch-
gang durchs Meer ziemlich Ajin Muſa gegenüber von
Südweſt nach Nordoſt ſtattfinden, eben da wo ihn die
jetzige Tradition, vielleicht den Moſisquellen zu Gefallen,
annehmen will. Das Meer iſt daſelbſt fünf bis ſechs
Stunden breit. -
Es iſt nicht zu leugnen daß ſich für dieſen Weg Man-
ches ſagen läßt; aber gewiß noch mehr dagegen. Ich er-
wähne nur erſtens daß Sicard, zur Kürzung des Wegs
von drei Tagereiſen, den Auszug von Beſſatin beginnen
läßt, indem er in Beſſatin Raemſes wieder erkennt. Das
ſcheint mir ganz unſtatthaft; denn, ohne auf Weiteres
einzugehen, Beſſatin liegt doch außerhalb der Grenzen des
Landes Goſen. Ferner bleibt der Weg immer noch ſehr
lang. Sicard machte dieſe ſiebenundzwanzig franzöſiſche
Meilen wohl ſelber in drei Tagen; aber für jenes Heer
von zwei Millionen war die Aufgabe bei weitem ſchwerer,
und ſie war wohl gar unlöslich, nimmt man den Weg
von mehreren Stunden von Heliopolis bis Beſſatin noch
hinzu. Karl v. Raumer iſt daher neulichſt darauf ver-
fallen, daß im Moſaiſchen Berichte gar keine Tagereiſen
zu verſtehen ſeien. Dies iſt aber gewiß irrthümlich; Ta-
gereiſen müſſen eben ſo gut hier als ſpäter verſtanden
181
werden (vom ſpäteren Verlaufe nimmt Raumer ſeinen
Beweis her); keineswegs iſt aber bei dieſen Tagereiſen
die Raſt auf eine Nacht oder überhaupt auf eine beſtimmte
Kürze beſchränkt. -
Ferner iſt die Breite des Meeres von fünf bis ſechs
Stunden, die für das Heer der Israeliten wenigſtens acht
bis neun Stunden Wegs werden mußten, ſchwerlich ver-
einbar mit Moſis Zeitangabe für die verhängnißvolle Nacht.
Endlich hat man Unrecht auf die Tradition für die
genannte Stelle großes Gewicht zu legen, da ſich zugleich
eine andere Tradition noch ein paar Tagereiſen ſüdlicher
feſtgeſetzt hat, bei dem ſogenannten Hamam Pharaun,
wodurch das Wunder noch wunderbarer würde, während
die hiſtoriſche Prüfung auf Abſurdität geriethe.
Ziehen aber nun die Israeliten von Heliopolis aus,
nicht über Beſſatin, ſo beträgt die Entfernung in gerader
Linie bis ans Meer gegen zwanzig Stunden. Doch nehm'
ich an daß Moſes mit klarem Auge und entſchiedenem
Plane ans Nordende des Meerbuſens ſeinen Zug lenkte
Erſt am zweiten Reiſetage befinden ſie ſich „vorn an der
Wüſte,“ in Etham; denn der Anfang des Wegs berührte
noch das fruchtbare Land Goſen. Uebrigens entbehrt
bekanntlich ſowohl Suchoth als auch Etham aller be-
ſtimmten Färbung; wenn nicht etwa zu berückſichtigen iſt
daß gerade um Suez, öſtlich und weſtlich vom Meere, die
Wüſte den Namen Etham führt.
182
Von der zweiten Station Etham aus erfolgt die gött-
lich anbefohlene Wendung des Zugs, wobei ſogleich des
nacheilenden Pharao's Erwähnung geſchieht. Des letz-
tern Umſtandes halber mochte Moſes, in gewiſſer Hinſicht
gezwungen, an die Möglichkeit eines Durchgangs durchs
Meer auf den beiden ihm wohlbekannten Furthen im
Norden und Süden von Suez denken; während Pharao
ſo weit als möglich von Norden heranrückte, um den
Auswanderern den einzigen Ausweg abzuſchneiden.
Moſes ging gegen Pihahiroth und lagerte ſich ans
Meer, gegenüber Baalzephon. Baalzephon mag, wie
man eben auch gewöhnlich annimmt, mit der Lage von
Suez ziemlich zuſammenfallen. Pihahiroth oder Hahiroth
iſt das heutige Adſcheruth. Die weitere Beſtimmung der
Lagerung „zwiſchen Migdol und dem Meere“ rechtfertigt
ſich ganz, ſobald man unter Migdol den Berg Ataka ver-
ſteht, wogegen ſich in keiner Beziehung etwas Erhebliches
wird einwenden laſſen. Berg und Meer werden ſehr paſ-
ſend zuſammengeſtellt, während noch die Stadt Baalzephon
dazu genannt iſt.
Dagegen iſt es mir völlig unbegreiflich wie Hengſten-
berg vermuthen kann, Migdol bezeichne die Grenzfeſte
dieſes Namens in der Nähe von Peluſium. Ein einziger
Blick auf die Karte lehrt, daß ſich zwei Punkte in einer
Entfernung von drei Tagereiſen nicht als Grenzpunkte
für eine Lagerſtätte angeben laſſen. Jenes Migdol nahe
183
am mittelländiſchen Meer liegt außer allem Nerus. Uebri-
gens war daſſelbe den Israeliten von Heroopolis aus –
wie Hengſtenberg will – die beiden erſten Tage viel
näher als den dritten, worauf ſich doch die fragliche La-
gerung bezieht.
Jetzt aber befanden ſich die Israeliten in der That in
der mißlichſten Stellung von der Welt. Rechts von ſich
hatten ſie den Berg Ataka, der von Suez aus geſehen
kaum einen Streifen zwiſchen ſich und dem Meere frei zu
laſſen ſcheint; vor ſich das Meer; hinter ſich und neben
ſich das Heer Pharao's.
Denen gegenüber die das Wunder gern noch in ihre
eigenen Vergrößerungsgläſer faſſen – bisweilen wohl im
Eifer für Gott aber mit Unverſtand – iſts nun freilich
gefährlich, Ebbe und Fluth in Betracht zu ziehen. Allein
der Tert ſelber führt uns entſchieden darauf. „Durch
einen ſtarken Oſtwind,“ heißt es, „ließ der Herr das Meer
hinwegfahren die ganze Nacht.“ Der Nordoſtwind iſts
noch heute der die Ebbe verſtärkt; dazu fällt noch heute,
wie ich ſelbſt zwei Mal geſehen und benutzt habe, die Eb-
bezeit in die frühſten Morgenſtunden.
Das rothe Meer hat bei Suez, wie ich ſchon angege-
ben habe, zwei Furthen, eine nördlich, eine ſüdlich; zur
Ebbezeit werden beide noch heute von den Arabern durch-
gangen. Damals aber hatte das Meer bekanntlich eine
viel weitere Ausdehnung nach Norden als jetzt; es reichte
184
ja, man vergleiche nur die Karten von dü Bois-Aimé und
von Laborde, nahe bis ans Thal Sebabyar; weshalb auch
von einem leichten Umgehen des Meeres, wovon Raumer
ſpricht, gar keine Rede ſein kann. Waren nun auch die
Furthen, wie es ſehr glaublich iſt, ſchon damals vorhan-
den, ſo mußte doch der Durchgang von längerer Ausdeh-
nung als heute ſein, und damit die ganze Thatſache viel
außerordentlicher ſich geſtalten als es heute den Schein hat.
In der Nacht zogen die Israeliten glücklich durchs
Meer; um die Morgenwache ſchon waren ſie am Ufer und
die Egyptier inmitten der Waſſermauern. Dies alles iſt
nur bei Suez möglich. Der ſechsſtündige Weg dagegen
bei Ajin Muſa, der für die Israeliten immer noch um ein
Beträchtliches länger werden mußte und der durch den
ſtärkſten Oſtwind nicht blos gelegt werden kann – hätte
Moſes von einem abſoluten Wunder ſprechen wollen, ſo
hätte er ſich gar nicht auf den Oſtwind bezogen – dieſer
Weg dagegen, ſag' ich, nimmt dem Vorgange jegliches
Band mit der ſonſtigen göttlichen Ordnung der Dinge.
Als die impoſantere Seite des Wunders ſtellt ſich nun
allerdings nicht ſowohl der ſichere Durchzug Israels, als
vielmehr der Untergang des Pharaoniſchen Heeres heraus,
obſchon man ſich umſonſt ängſtlich nach dem nöthigen Waſſer
dazu umgeſehen hat; denn man dachte dabei nicht an die
ſeit damals veränderte Ausdehnung des Meeres. Ent-
ſcheidet man ſich aber vollends für die ſüdliche Furth, was
185
kaum bedenklich iſt, ſo kann man heute noch etwas Aehn-
liches erleben.
Nach alle dem erſcheint mir bei jenem Ereigniſſe nach
ſeinen beiden Hauptſeiten der wunderbare Retterarm des
Herrn für ſein Volk in unzweifelhaftem Lichte. Daß er
ſich aber die Kräfte der Natur, wenn auch immer in der
beſonderſten Weiſe, dienſtbar machte, das ſagen wir dem
heiligen Terte ſelber nach. Ueber den Tert hinausgehen,
das iſt, meines Bedünkens, weniger fromm als leichtfertig
und eigenwillig. -
„Der Herr hat eine herrliche That gethan.“ „Der
Herr wird König ſein immer und ewig.“ Dieſe Feſtworte
des erwählten Knechtes Gottes werden, ſo lange es in
der Welt Geſchichte und Glauben gibt, den Zug der Is-
raeliten durchs rothe Meer getreu und unwandelbar um-
ſchweben.
Von Ajin Muſa nach dem Sinai.
Am ſechzehnten Mai des Nachmittags brach ich von
Ajin Muſa auf. Wir nahmen im Oſten zum treuen Be-
gleiter auf die nächſten Wanderungen mit den röthlichen
Toraha, deſſen ſüdliche Spitze, der Dſchebel Sadr, weithin
ihren weißlichen Schimmer warf; während wir im Weſten
anfangs noch die über den Spiegel des Meeres hervor-
ſtarrende Stirn des Ataka, bald aber den Dſchebel Kuaib
hatten. Als der Abend herniederſank, hüllte ſich der Kuaib
in dunkelblaue Düfte, die ſich zauberiſch um ſeine röth-
lichen Felſen ſchmiegten. Wir zogen jetzt wieder durch
eine Sandebene die mit Feuerſteinen beſtreut war; das
Meer war dem Auge entſchwunden. Aber es zog mich
mit Gewalt zu ihm hin; noch dieſen Abend mußten mich
meine Führer dicht an ſeine Ufer führen. Kaum waren
wir dort zu unſerem Nachtlager angekommen, ſo eilt ich
mit der Laterne an die rauſchenden Fluthen; meine Sehn-
ſucht war zu groß die ſchönen Conchilien ſelber am Strande
zu ſammeln. Ich hatte, als ich zurückkehrte, alle Ta-
ſchen voll.
187
Am andern Morgen zogen wir ſtundenlang am Strande
hin, der von der zurücktretenden Fluth noch feucht war.
Jetzt erſt ſah ich vollkommen dieſen Reichthum, dieſe
Pracht. Die Conchilien des rothen Meers verdienen
ihren Ruhm; an keinem andern Meeresufer gibt's einen
ſolchen Schaugenuß. Meine Beduinen ſuchten anſtatt der
Muſcheln die von der Ebbe etwa blosgelegten Fiſch-
chen auf.
Gegen Mittag befanden wir uns im Wadi Sadr,
der ſich faſt gar wie ein kleiner Wald ausnimmt durch die
Menge ſeiner Tamariskenbäume, ſeines hohen Geſträuchs
und Buſchwerks. Auch ſah ich darin mehrere junge Ha-
ſen. Ich ließ den Wadi hindurch nach Weſten wieder ans
Meer ziehen. Hier hielt ich meine Haupternte in den Con-
chilien. Beſonders ſammelte ich eine kleine weiß und grau
geſprenkelte Art, welche die egyptiſchen Mütter ihren Kind-
lein um den Hals hängen als Talismane gegen den böſen
Blick. Als ich darauf am Ufer ſchlief, träumte ich von
einem ſchönen Auge in der Ferne. Sieh, ſagt' ich der die es
trug, gegen den böſen Blick hab' ich den Talisman gefunden;
aber wo wäre Rettung vor deinem himmelſchönen Blick.
Uebrigens iſt es den Egyptierinnen voller Ernſt mit
dem Glauben an den böſen Blick; ich hab' es ſelber zu
meinem Verdruſſe wiederholt erfahren, daß mir die Müt-
ter ihre Kinder verdeckten wenn ich ſie freundlich beſchauen
wollte. Eine gleiche Furcht haben ſie vor dem ſogenannten
188
Beſchreien. Sind wir freilich von ſo viel böſen Genien
umringt wie die Egyptier glauben, dann iſt keine Vorſicht
übertrieben. Nun in der Wüſte, wo die ſichtbaren Dä-
monen der ſocialen Cultur fehlen, hat der Glaube an un-
ſichtbare mehr Recht als anderswo.
Am Achtzehnten des Vormittags zogen wir lange
zwiſchen weißlichen Kalkfelſen hin. Nach einigen Stun-
den Wegs kamen wir bei einem Wachthauſe vorbei; es
ſchien verwaiſt zu ſtehen. Gleich dahinter war nach der
Ausſage meiner Begleiter die Howaraquelle mit bitte-
rem aber doch zur Noth trinkbarem Waſſer. Bekanntlich
iſt man ſehr geneigt in dieſer Quelle jenes Marah der
Schrift wieder zu erkennen, wo Moſes durch „einen Baum
den ihm der Herr wies“ das Waſſer ſüß machte. Die
Entfernung von „drei Tagereiſen“ ſtimmt recht wohl mit
dieſer Lage überein. Natürlich ſind die drei ununterbro-
chenen Tagereiſen nur ſo zu verſtehen daß es während der-
ſelben zu keiner eigentlichen längeren Lagerung kam. Auch
nach der Verſüßung des Waſſers hat man ſich umgeſehen;
namentlich fand Burckhardt, daß die Beeren des Gurkud,
der reichlichſt an der Quelle wächſt, dazu gedient haben
mögen. Doch kennen wenigſtens jetzt die Beduinen keinen
ähnlichen Gebrauch davon. Uebrigens wurde mir in Cairo
mitgetheilt, daß ſich als das Marah der Schrift vielmehr
eine im Oſten von Howara gelegene Quelle ausweiſe,
deren Waſſer von einer weit entſchiedenern Bitterkeit ſein
189
ſoll. Vielleicht erhalten wir bald weiteren Aufſchluß
darüber. )
Die Hitze ſtieg gegen Mittag zu einer faſt unerträg-
lichen Höhe; ich hatte nie etwas Aehnliches erfahren.
Sicher mochten wir dreißig bis fünfunddreißig Grad im
Schatten haben. Und was das Gefühl dieſer Hitze noch
ſteigert, das iſt die Vorſicht gegen den Sonnenſtich. Ich
habe nicht leicht in einem heißen Sommer in Deutſchland
den Kopf ſo warm gehalten wie in der arabiſchen Wüſte.
Außerdem trug ich noch ſeidene Tücher über dem Geſichte.
Das hatte mir ein Freund in Cairo zur Pflicht gemacht,
der von einer Sinaireiſe um dieſelbe Sommerzeit eine völlige
Metamorphoſe ſeines Geſichts nach Hauſe gebracht hatte.
Wohl eine Stunde zogen wir ſchon im Garandel-
thale ehe wir zum Quellbaſſin mit dem zum Meere eilen-
den Bächlein kamen. Das iſt eine herrliche Oaſe; ſie ruht
da wo wir raſteten, verſchloſſen wie ein Kleinod, zwiſchen
Wänden von Kalkfelſen. Wir wadeten lange im Schilf-
graſe, ſo hoch wie wir ſelber; Tamarisken und niedere
Palmen zogen ſich wie eine Guirlande von Oſten nach
Weſten. An der Bergwand vor unſeren Augen ſpielten
viele Schwalben und kleine Raubvögel; unter den Bäu-
men ſchwärmten Turteltauben. So ſehr auch die Sonnen-
gluth bis in dies ſchöne Thal herein brannte, ſo daß eine
Erfriſchung ſchwer war und ſelbſt das Waſſer der Quelle
wie gewärmt ſchmeckte, ſo war doch der Gedanke überwäl-
190
tigend daß wir im bibliſchen Elim waren, in jenem Elim
mit „den zwölf Waſſerbrunnen und den ſiebenzig Pal-
menbäumen.“ Von jeher hatte mich dieſes Elim gefeſſelt;
ich hatte mir ſo gern die Kinder Israel, nach der erſchö-
pfenden Wanderung durch die öde Sandſteppe, unter die-
ſen Palmen bei den fröhlichen Quellen gedacht. Drum
ruht' ich heute auch recht lang und glücklich in dem ge-
ſegneten Thale. Nur drängten gegen Abend wider Ge-
wohnheit die Beduinen zum Aufbruch; ſie fürchteten für
die Kamele von den ſtechenden Inſekten.
Bald nach unſerem Abſchiede zogen wir eine beträcht-
liche Anhöhe hinab; dann waren wir zu beiden Seiten
umgeben von weißlich grauen Kalkfelſen, die ſich im We-
ſten oft zu grotesken Formen geſtalteten. Ein heftiger
Wind erhob ſich. Nach zwei Stunden Wegs fehlte mir
der Strohhut, den ich an die Flinte gebunden hatte. Der
Verluſt war unerſetzlich. Slen und Attajö und Ali liefen
ſogleich zurück. Ich legte mich indeſſen in der Dunkelheit
mit dem Scheik und den vier Kamelen hin in den Sand.
Wir machten uns hier, ſo gut es ging, gegenſeitige
Freundſchaftsbezeugungen; ich rauchte aus ſeinem Tchybuck.
Die Späher kamen zurück, aber ohne den Hut. Auf
ihren Wunſch macht' ich ſofort Halt, da ſie des Fundes
für den nächſten Morgen völlig gewiß ſein wollten. Al-
lerdings hatten ſie ſelber vorher ihren gemeinſchaftlichen
blauen Leinwandmantel verloren und nach einem Rückwege
191
von vielen Stunden wiedergefunden. Und in der That
war auch mein Hut des Morgens um Acht gefunden.
Am Neunzehnten hatten wir die Wirkungen des Ga-
randelwaſſers, deſſen weicher Milchgeſchmack mir ſogleich
verdächtig geweſen. Die Erfahrung von den Moſisquellen
hatte uns hier nicht klug machen können. Zu Mittag
hielten wir an einem mächtigen Felsblock, vereinzelt in-
mitten der Ebene, wie ein verlorner Sohn vom Dſchebel
Pharaun, der aus nordweſtlicher Ferne drohend auf uns
niederſah.
Des Nachts nahmen plötzlich unſere Kamele eine
ſcheue Miene an; Attajö lief unerſchrocken nach der Rich-
tung ihres bedenklichen Auges; es war nichts als ein in
der Irre gelaſſenes Kamel. Später hatten wir die Muſik
eines ſtarken Wolfgeheules.
Am Zwanzigſten früh um Acht trafen wir auf eine
kleine Zeltniederlaſſung. Im Boden waren mehrere Waſ-
ſerlöcher, aber ihr Inhalt war ſehr gering. Ein Mägd-
lein tränkte ihre Lämmer davon; ſie hatte Urſache uns die
Theilung des Vorraths zu mißgönnen. Der Wadi hieß
El Bada (Regenwaſſer). Meine Beduinen holten nun
aus der Ferne Waſſer von einer Quelle, genannt El Malha
(bitter); ſie ließen mich aber dadurch in die Mittagsſonne
fallen, ſo daß ich zu ihrem großen geſellſchaftlichen Ver-
gnügen bis zum Abend beim Dorfe bleiben mußte. Als
wir aufbrachen, mußte ich für meine außerordentliche Er-
.
192
ſchöpfung von der andauernden Gluth einige Tropfen
Naphtha nehmen.
Jetzt gingen wir durch ſehr ſteinigte und bergigte
Wege, die oft ſogar gefährlich wurden; aber das Kamel
hat einen ſicheren Tritt. Als wir Nachtlager machten,
waren wir von Bergfelſen eingeſchloſſen, doch fanden un-
ſere Kamele grüne Sträucher zur Weide.
Am Einundzwanzigſten gelangten wir in das wild-
romantiſche Naſſebthal. Was für eine Pracht haben
hier die Maſſen von Sandſtein und Urgebirg. Wie zu
trotzenden Bollwerken lagen ſie gethürmt zu unſerer Rech-
ten und Linken; oft liefen ſie pyramidenförmig aus und
hatten ſeltſame Bildungen, gleich als wären's Trümmern
von einer Stadt jener egyptiſchen Rieſen. Das Spiel
der Farben dieſer Felſen war reizend. Bald ſchien es als
wären ſie von einem grauen Nebel umſchleiert; bald trugen
ſie ein lichtes oder dunkles Roth mit Schieferadern; bald
endlich hatten ſie einen grünlichen Schimmer über einer
grauweißen Decke. Unſer Weg ſchlängelte ſich beſtändig;
man ſah nie mehr als einige hundert Schritte weit vor
ſich. Zu Mittag wehte der Wind wieder heiß; doch hatt'
ich mich glücklich erholt von der geſtrigen Erſchöpfung.
Zwei meiner Beduinen holten Waſſer von einer Quelle
die ſie mir Om Nagla nannten. Mein Dragoman über-
ſetzte es matre degli arberi, und ſagte mir, es ſtänden zwei
Dattelbäume um die Quelle.
193
Als wir weiter ritten, „im beſtändigen Anſchaun der
Felsmaſſen die uns umragten, konnte ich mich des Ge-
dankens nicht erwehren daß wir durch ein verlaſſenes
Strombett zogen. Die Felſen hatten viele Waſſeraushöh-
lungen, auch lagen auf unſerem Wege oft Haufen von
kleinem Flußgeſtein. Nun wenigſtens mögen alljährlich
durch dieſes Thal die winterlichen Regengüſſe ſtürzen.
Schon vier und ein halb Uhr verließen wir unſere Halt-
ſtätte, um noch bei vollem Sonnenlichte den Wadi Me-
katteb zu erreichen. Als ſich das Naſſebthal zum Thale
Mokatteb erweiterte, traten wir wie in ein prächtiges
Theater; uns gegenüber hatten wir das majeſtätiſche
Feirangebirge. Ich eilte zu den merkwürdigen Felſen,
von deren Inſchriften das Thal ſeinen Namen trägt.
Einen ſeltſamen Eindruck machen dieſe unverſtändlichen
Denkmale. Ich wandelte lang unter ihnen ſtumm umher;
wie ein vergeſſener Traum ſchwebte mir vor den Augen.
Da haben alſo Menſchen gewandelt deren Zunge heute
kein Ohr verſteht; ſie haben hier mitten in der ſtillen
Wüſte Schmerzen und Freuden gehabt, und zu Erinne-
rungsboten dieſe ſteinernen Tafeln der Natur geweiht.
Waren es Söhne der Wildniß die hier hauſten, wie in
einem glücklich gefundenen Aſile? Waren es Gefangene
die hier, entriſſen einem fernen Heimathsboden, über
ihr armes Leben trauerten? Waren es fromme Wan-
I. 13
194
derer aus entlegenen Zonen, die das Herz getrieben zum
Sinai, zum heiligen Berge? Ich hätte rufen mögen: Steht
auf, ihr Schläfer! Steht auf und erzählt ſelber von euren
dunklen, fernen Tagen. Warum wiegt ihr uns in unge-
wiſſe Träumereien?
Schon ſeit dem ſechſten Jahrhunderte ſind dieſe In-
ſchriften und die anderen ähnlichen der ſinaitiſchen Halb-
inſel geſehen worden, ohne daß ſich ein ſicherer Fingerzeig
zu ihrer Deutung gefunden hätte. Der bekannte Cosmas
Indicopleuſtes iſt der erſte der davon erzählt. Dies macht
nothwendig geneigt, ihren Urſprung in ein hohes Alter-
thum hinaufzurücken. Dagegen ſpricht aber daß ſich da
und dort unter den Inſchriften chriſtliche Kreuze finden,
ſowie daß die griechiſchen Inſchriften, die mitten unter den
fremdartigen Schriftzeichen ſtehen, von einzelnen Buch-
ſtaben namentlich vom Omega genau diejenige Form
haben die erſt in der chriſtlichen Zeit auf Steinen vor-
kömmt. So viel ich weiß, hat man hierauf noch nicht
geachtet. Zu meiner Verwunderung fand ich übrigens
daß Leon de Laborde mehrere griechiſche Wörter, die gerade
etwas Beſonderes enthalten, aufs Auffälligſte in ſeiner
Copie verunſtaltet hat“. Das flößt wenig Vertrauen für
* xaxovyevos rovro und orgartorys sygawa hab' ich vom Felſen
geleſen; Leon de Laborde hat dafür xaxor yeos ovyo; und orgºtto-
t n; *y«ua veröffentlicht.
195
die anderen Charaktere ein; zum Glücke ſind ſie jedoch
bereits von Grey genauer kopirt worden.
Wäre mein Landsmann Beer in dieſem Augenblicke
an meinem Platze geweſen – leider hat ihn das Geſchick
ſo früh ſeinen ernſten Studien entriſſen – der wäre wohl
auf Tage an dieſe ſeine Lieblinge gefeſſelt geblieben; er
würde auch mehr als irgend Jemand ihren Geheimniſſen
Klarheit abgewonnen haben. Nach Beers Meinung haben
dieſe Schriftzüge, ſowie die der Inſchriften auf dem Serbal
und am Sinai, einige Verwandtſchaft mit den palmyreni-
ſchen, und ſtehen mitten inne zwiſchen dem ſyriſchen Es-
trangelo und dem Kufiſchen; während er im Dialekte,
worin ſie verfaßt ſind, aramäiſche und arabiſche Beſtand-
theile gefunden hat. Zu Verfaſſern möchte er mit Ouatre-
mère die Nabathäer machen, die im vierten Jahrhundert
nach Chriſtus das peträiſche Arabien bewohnten; doch
denkt er zugleich an Wallfahrten als Veranlaſſungen zu
den Inſchriften.
Ich würde mir, wären nicht kundigere Sprecher da,
die Bemerkung erlauben daß mir an dieſer Felſenſchrift
eine Verwandtſchaft mit dem Samaritaniſchen aufgefal-
len iſt.
Mit dem Gedanken an Pilgrime ſtimmt das Wenige
zuſammen was Beer glaubt entziffert zu haben. Darnach
ſteht häufig zu Anfang: Friede! Heil! oder, ſo wie es
auch in den unzweifelhaften griechiſchen Ueberreſten heißt:
13*
196
In Andenken bleibe u. ſ. w. Auch ſollen ſich öfters die
Bezeichnungen „Pilger“ und „Prieſter“ darin finden.
Doch machen ſich gegen fromme Wallfahrer, wenigſtens
als ausſchließliche Urheber, die wiederholten Darſtellungen
von kleinen Kämpfen, wie zwiſchen zwei Bogenſchützen,
und von bewaffneten Kriegern geltend, ſo wie auch die
oben im Originalterte angegebene griechiſche Inſchrift,
wo ein Soldat und zwar ganz ſoldatenmäßig ſpricht.
Außerdem aber iſt es mir unglaublich, daß diejenigen
von denen die Inſchriften ſtammen gerade Bewohner die-
ſer Gegenden, wie die Nabathäer, geweſen ſeien. Viel
wahrſcheinlicher waren es Fremdlinge aus Egypten oder
aus Aſien, die von Suez aus durch dieſe Wüſtenſtriche zogen.
Ein deutſcher Gelehrter in Cairo hat mir die Meinung
mitgetheilt, daß die Schriftzüge dem Baktriſchen am näch-
ſten ſtehen und von Gefangenen, worunter vielleicht auch
Chriſten, ſtammen möchten die hier in Steinbrüchen ge-
arbeitet. Er wollte wiſſen daß ſich auch in Oberegypten,
z. B. in den Steinbrüchen von Aswan, ähnliche Inſchrif-
ten vorfinden.
Als wir das merkwürdige Thal verließen, erzählte
mir mein Dragoman von dem nahgelegenen Sarbut el
kadem, das viel großartiger iſt als das Thal Mokatteb.
Eine wunderbare Oaſe ſinnreicher redender Monumente,
liegt es zwiſchen den nackten Felſen, in der lautloſen Wüſte.
Am meiſten mag es den Eindruck eines Gottesackers machen
197
durch die vielen wie über Gräber aufgerichteten Denk-
ſteine, reichlich belegt mit Hieroglyphen. Aber dazu kom-
men noch in der Mitte dieſer Steine Tempelbauten, die
jetzt zerſtört liegen, ſowie zahlreiche umgeſtürzte Säulen.
Das dürfte weniger zum Gottesacker paſſen. Und wie
geſchah es, möchte man fragen, gerade hier in der einſa-
men Wüſte eine ſo koſtbare Gräberſtätte zu errichten?
Auch hat man bis dieſen Augenblick noch nichts von Mu-
mien aufgefunden, die doch nothwendig vorhanden ſein
müßten. Deshalb gefällt mir ausnehmend was der Lord
Prudhoe vermuthet, nämlich daß dies Sarbut ein alter
egyptiſcher Wallfahrtsort geweſen, deſſen Urſprung freilich,
trotz der ſo ſchön erhaltenen Hieroglyphen, mehr als ein
Jahrtauſend vor Chriſtus zurückreichen müßte.
Um Mitternacht hielten wir neben einem Häuschen
worin Körner fürs Bedürfniß der Pilgerfahrten nach
Mekka von der Regierung niedergelegt ſind. Des Mor-
gens zeigte mir mein Dragoman und die Beduinen eine
Tigerſpur, die dicht bei unſerem Nachtlager dem Sande
eingedrückt war. Sie verſicherten mir daß ſich in dieſen
Gebirgen jetzt noch Tiger und Tigerarten aufhalten.
Am Zweiundzwanzigſten hatten wir einen herrlichen
Tag; wir kamen in das reizende Feiranthal. Zu An-
fange deſſelben ſah ich zu meiner Linken noch eine Felſen-
wand die reichlich mit den Inſchriften des Mokattebthales
198
bedeckt war. Bald darauf trugen die hohen Felſen, nament-
lich die zur Linken, viele Spuren alter Conſtruktionen; ſie
ſahen zum Theil aus wie die Felſenwohnungen zu Siloam;
wahrſcheinlich waren es alte Grabhöhlen. Je näher wir
dem Dorfe ritten, deſto ſchöner ward das Thal: baumhohe
Tamariskenſträucher, durchdrungen von Honiggeruch oder
vielmehr vom Geruche des Manna, Feigen, Mandeln,
Granaten, Orangen, Oliven und verſchiedene der gewöhn-
lichen Fruchtbäume Deutſchland's hatten wir um uns; viele
Tauben und kleine Vögel umſchwärmten ſie. Prächtige
Schmetterlinge ſah ich; ſtolze Königskerzen blühten und
erinnerten mich an die freundlichen Hügel der Heimath;
Waſſerbäche, hell und klar rauſchten laut durch die grüne
Flur. Vor Allem aber gaben dem Thale ſeinen Charakter
die großen prangenden Dattelpalmen, die hier ſehr reich-
lich gedeihen. Beim Dorfe ſelbſt bilden ſie einen dichten
Wald. Neben den lebensfriſchen und zur Höhe ragenden
lagen lebensmüde, durch die Ebene lang hingeſtreckt.
Es kam mir bei dem Anblicke die Erinnerung an jene
egyptiſchen Rieſen. So lagen dieſe Palmbäume da: wie
rieſige Krieger, gefallen auf dem Schlachtfelde.
Außer jenen Felſengräbern hat das Feiranthal noch
viele Ruinen, obſchon ſie von keiner beſonderen Schönheit
ſind. Ich zweifle nicht daß hier ſchon zur Zeit des Zugs
der Israeliten Niederlaſſungen vorhanden waren; wahr-
ſcheinlich beziehen ſich die Namen die den Stationen des
199
Heeres vor Raphidim gegeben werden, Daphka und Alus,
auf dieſe Gegend. Hier mußten die Kinder Israel eine
fröhliche Labung finden. Aus dem Anfange des ſiebenten
chriſtlichen Jahrhunderts wiſſen wir daß der Monothelet,
Theodorus Biſchof von Feiran war; ſowie auf dem
Concil zu Conſtantinopel im ſechſten Jahrhundert „ein
Presbyter und Legat der heiligen Kirche zu Pharan“, mit
Namen Theonas vorkömmt. -
Auch unſere Kamele waren glücklich im Feiranthale.
Die jungen Tamarisken müſſen die größte Delikateſſe für
ihre Mägen ſein; ſie langten unerſättlich mit ihren langen
Hälſen rechts und links.
Im Palmenwalde ſchlug ich mein Zelt auf. Die hie-
ſigen Beduinen waren hübſch und freundlich. Als ich im
Zelte lag, bekam ich viele Kinder zum Beſuche; doch hiel-
ten ſie ſich in reſpektvoller Entfernung. Aber intereſſant
war ihnen alles was ſie bei mir ſahen; ſie langten mit
ihren Fingerchen unter's Zelt, um meine Schuhe und
meinen Hut zu betaſten. Ich gab ihnen eine Handvoll
der kleinen dürren Früchte die im Thale wachſen, den
Kirſchen ähnlich, von Farbe gelbröthlich; dennoch blieben
ſie zu meinem Verwundern recht artig; keines erlaubte
ſich den „Backſchiſch“ auf die Lippen zu bringen.
Kurz nachdem wir das Thal verlaſſen hatten, umga-
ben uns zu beiden Seiten hohe graue Felſen, durchzogen
von vielen kupferfarbigen und oft ſchönzackigen Adern.
200
Davor lagen Ruinen, die ſich wie einzeln ſtarrende Lehm-
felſenwände ausnahmen. Auf unſerem Wege hatten wir
immer noch viel grünes Geſträuch, beſonders Tamarisken;
auf dem Boden lag eine Maſſe kleinen ſchimmernden Ge-
ſteins, roth, grau und weißlich geſprenkelt. Wir hatten
in dem Augenblicke den Untergang der Sonne; er hob
noch den ſchwärmeriſchen Effekt der Landſchaft. Aus altem
Gemäuer, woran wir vorüberritten, ſchauten zwei mächtig
große Eidechſen hervor, die eine ſchieferfarbig, die andere
lehmfarbig. Gegen Mitternacht umheulten uns die Wölfe;
es war faſt ſchauerlich ſich da zur Ruhe zu legen. Doch
meine Beduinen hatten Muth; ich hatte Vertrauen: ſo
ruhten wir Beide in Frieden.
Am Dreiundzwanzigſten früh brachen wir auf, kurz
nachdem uns der erſte Strahl begrüßt, und erreichten nach
anderthalb Stunden das Scheikthal mit den berühmten
Mannatamarisken oder, wie ſie mir dort genannt wurden,
den Darfabäumen. Das Feiranthal beſitzt zwar dieſelbe
Tamariske und noch in viel größerer Menge als das
Scheikthal; auch waren, wie ich ſchon geſagt, die Tamaris-
kenſtrecken deſſelben ganz durchdrungen vom eigenthüm-
lichen Geruche des Manna: dennoch wurde mir allgemein
verſichert, daß das Manna ſelbſt ausſchließlich von den
Tamarisken des Scheikthales geſammelt wird. Ich freute
mich ſehr, daß ich zu Anfange der Zeit ins Thal gekom-
201
men wo die Bildung des Manna ſtattfindet; man nimmt
nämlich die Monate Juni und Juli dafür an. Ich wan-
derte begierig von Strauch zu Strauch, um zu dem Ge-
ruche auch Etwas fürs Auge zu entdecken. Wie glücklich
war ich als ich bald bei einem der höchſten und breiteſten
Sträucher an vielen Zweigen wie glänzende Perlen, wie
verdickte Thautropfen hängen ſah. Ich brach die ſchönſten
davon; denn ich überzeugte mich daß ich in der That das
Manna, begriffen in ſeiner Bildung, in Händen hatte.
Dieſe dicklichte Maſſe war klebrig und hatte ſehr ſtark den-
ſelben Geruch der den ganzen Strauch umgab. Ich koſtete
davon; es ſchmeckte, ſo weit meine Analogie reicht, dem
Honig am ähnlichſten. An vielen andern Sträuchern
fand ich kleine Anſätze an den Zweigen, die den beſchrie-
benen in der Ferne gliechen; in der Nähe fand ich daß es
runde dichte Gewebe waren, wie man ſie an andern Sträu-
chern als Inſektenverpuppungen antrifft.
Die abgebrochenen Zweige mit den Mannaperlen ver-
wahrte ich in einer blechernen Büchſe; ſie haben ſich ſehr
gut erhalten. Nach einigen heißen Wochen waren aller-
dings die Tropfen wie geſchmolzen und aus dem weißlichen
Schimmer war eine dunkelbräunliche Färbung geworden.
Aber noch dieſen Augenblick wo ich ſchreibe tragen die
heimgebrachten Zweige dieſe bräunliche Mannamaſſe an
ſich, fühlen ſich klebrig an und haben noch den vollen
Geruch den ſie im Scheikthale hatten.
202
Meine Beduinen erzählten mir, daß in drei Jahren
kein Manna gekommen ſei, daß aber für dies Jahr eine
reiche Ernte in Ausſicht ſtehe. Im Monat Juli ſammeln
es die Beduinen und auch Mönche des St. Katharinen-
kloſters in kleine lederne Schläuche, größtentheils vom
Boden weg, wohin es ſich in heißen Tagen von den Zwei-
gen abtropft. Da es ſich nicht in allzu großer Menge
erzeugt, ſo wird es ziemlich theuer verkauft, am liebſten
an die Sinai- und Mekkapilgrime. Doch genießen es bis-
weilen die Beduinen wohl auch ſelber, ſo daß ſie's wie
den Honig aufs Brod ſtreichen.
Ueber die eigenthümliche Bildung dieſes Manna hat
Ehrenberg, nachdem er zur Sommerzeit ſelber im Scheik-
thale geweſen, den gründlichſten Aufſchluß gegeben. Nach
ihm iſts ein kleines Inſekt, das er coccus manniparus
nennt, das durch ſeinen Stich das Ausſchwitzen des Manna
aus den Tamariskenzweigen bewirkt. Von dieſem Coccus
konnt' ich allerdings nichts entdecken; nur wieſen, wenn
ich nicht irre, jene kleinen weißen Gewebe auf ſeine
Eriſtenz hin. Dafür umſchwärmten dieſe Tamarisken
eine große ſchöne Art Bienen, die es faſt gefährlich mach-
ten ſich zu nahen. Hat es mit Ehrenberg's Theorie volle
Richtigkeit, ſo glaub' ich daß die Tamarisken des Feiran-
thales dieſelbe Fähigkeit zur Produktion des Manna be-
ſitzen, daß ihnen aber zur wirklichen Produktion jener hilf-
reiche Coccus fehlt, der ſich freilich, wie's ſcheint, leicht
203
genug zu ihnen verpflanzen ließe. Was Ehrenberg's Un-
terſuchung noch beſtätigt, iſt der Umſtand daß auch das
mediziniſche Manna Calabriens und Siziliens in den
Sommermonaten aus Eſchbäumen durch den Stich einer
Cicade hervorgelockt wird.
Was nun aber dieſem Manna des Scheikthales ein ſo
großes Intereſſe verleiht, das iſt bekanntlich die Erinne-
rung an jenes Himmelsbrod, das die Israeliten in der
Wüſte genoſſen. Was man auch immer gegen die Zu-
ſammenſtellung des einen mit dem andern ſagen mag: das
ſteht mir feſt, daß das jetzige Manna des Scheikthales
eine beſondere, eine nahe Beziehung zum bibliſchen Manna
hat. Denn dieſe Gegend trifft zuſammen mit der Gegend
wo die Israeliten das Manna zuerſt erhielten. Das
zweite Buch Moſis ſetzt dieſelbe nämlich vor Raphidim,
und Raphidim iſt nirgends anders als zwiſchen dem
Scheikthale und dem Sinai. Ueberraſchend iſt es auch
daß die bibliſche Beſchreibung des Manna, „es habe einen
Geſchmack wie Semmel mit Honig“ 2 Moſ. 16, 31, ſo-
wie „es ſei geſchmolzen wenn die Sonne heiß ſchien“
2 Moſ. 16, 21. vollkommen auf das jetzige Manna paßt,
obſchon das in Perſien von einer morgenländiſchen Ei-
chenart und in Meſopotamien vom Gavanſtrauche herab-
träufelnde Manna noch genauer mit dem „weißen Korian-
derſamen“ harmonirt. Freilich ergeben ſich daneben der
Verſchiedenheiten genug: das bibliſche Manna fiel des
204
Nachts vom Himmel und lag des Morgens wie Thau
auf den Feldern; am Sabbathe fiel es nicht, am Tage
vorher fiel es doppelt; nach kurzer Aufbewahrung wuchſen
Würmer darin. Dazu war es geeignet, ein Heer von
zwei Millionen vierzig Jahre lang zu ernähren.
Der Angabe des Herabfallens halber hat man ſich
erinnert daß Ariſtoteles erzählt, es falle bisweilen beim
Aufgange großer Geſtirne Honig aus der Luft, was Pli-
nius noch weiter ausführt, indem er dieſen Honig beim
Aufgange der Plejaden fallen läßt, ſo daß das Laub der
Bäume und die Kleider der Reiſenden davon klebrig
werden. Damit hielt man die Erzählung der Mönche zu
Tor von Honigſpuren zuſammen, die ſich oft des Mor-
gens auf dem Dache ihres Kloſters finden ſollen. End-
lich berichtet unlängſt Wellſted daß er von einem jüdi-
ſchen Rabbi gehört habe, in der Wüſte von Damaskus
falle in der That jetzt noch ein Manna aus freiem
Himmel.
Dadurch ſcheint freilich das Tamariskenmanna am
Sinai in ſeinem Ruhme geſchmälert zu werden, um ſo
mehr da ſich doch beim Manna der Israeliten vom Wun-
der nicht abſehen läßt. Bleibt aber das Wunder nicht
in ſeinem wahren Charakter, wenn man ſich das heutige
Manna durch die waltende Gnade bis zum ehemaligen
der Israeliten nach jeder Seite hin potenzirt denkt? Wär's
nicht allzu künſtlich, ſo würde ich ſagen daß der von Ta-
205
mariskenwäldern aufſteigende Dunſt recht wohl wieder als
Thau zur Erde fallen könne. Wenigſtens möchte dieſer
Gedanke eben ſo zuläſſig ſein als jener andere, wornach
das jetzige Manna als eine ſchwache Nachwirkung vom
bibliſchen Himmelsbrode erſcheint.
Nahe an zwei Stunden mochte es ſein daß ich von
den Mannatamarisken geſchieden, da hatte ich einen An-
blick der leicht der impoſanteſte in meinem Leben war.
Wir ritten eine ſanft ſich erhebende Anhöhe hinan; zu
beiden Seiten drängten ſich näher und näher die Felſen
zuſammen. Plötzlich ſtehen wir vor zwei koloſſalen glatten
Granitwänden, die ſenkrecht in die Lüfte ſteigen: ein maje-
ſtätiſcher Bau! Wie verſteinerte Palmen ſind's die zuſam-
mengeſchmolzen, braun, grau und röthlich; wilde Streifen
von dunkelblauer Stahlfarbe ziehen ſich herunter, als hätte
der Blitz daran ſeine Feuerbahnen durchlaufen. Das iſt
ein Portal wie zum Throne des Herrſchers der Herrſcher.
Ich war ſtumm und erſchüttert. Hier iſt heiliges Land,
das fühlt' ich; hier haben die Engel Gottes gewaltet, um
das ſterbliche Auge zu feſſeln für einen großen Zweck.
Wir ritten durchs Portal; wir ritten aufwärts wie über
unſichtbare Stufen; die Felſenmauern erweiterten ſich; wir
ſtanden in einem fröhlich bewachſenen weiten Raume,
amphitheatraliſch geſchloſſen und nur von einzelnen wie
zu Areopagen gebildeten Felsblöcken unterbrochen.
206
Mitten unter dieſen Eindrücken war es mir als hört'
ich Glockenklänge aus der Ferne; das vollendete den feſt-
lichen Moment. Seit Monaten hatt' ich keine Glocken
gehört; da brachen ſie plötzlich wie verhaltene ſüße Schmer-
zen los. Als ich darauf meinen Dragoman fragte, ant-
wortete er mir, faſt im Spotte: Hier gibt's keine Glocken.
Dennoch waren wir hier in der That jenem merkwürdigen
Dſchebel Nakus oder Glockenberg nahe, der durch die glo-
ckenverwandten Töne, die er, wandelt ein Fuß über ſeinen
lockern Sand, von ſich gibt, zu dem Glauben geführt hat,
es ruhe ein verſchüttetes Kloſter unter ihm.
Als wir herausgetreten aus dem amphitheatraliſchen
Raume, nahm der Weg wieder den früheren großartigen
Charakter an; es war eine wahre Triumphſtraße; gerade
vor meinen Augen ſtanden, den Wolken vertraut, hehr und
ernſt, Gipfelpunkte des Sinai.
In der Mittagsſtunde träumt' ich vom Gärtlein mei-
nes Vaterhauſes; Geſpielen der Kindheit ſaßen um mich;
ich erzählte ihnen, ſo wie es ehemals geſchehen. Als ich
das Auge geöffnet, zog ein Schwarm der kleinen Vögel,
die einſt oft im Herbſte meine ganze Luſt geweſen, übers
Zelt hinweg. Grüße der Heimath waren's aus frühen
fröhlichen Jahren. So wachte im Angeſicht des Sinai
meine Kindheit auf. Es war ſchön hier wieder ein Kind
zu ſein. Da iſts ja auch geweſen, einſt in der kindlichen
Phantaſie, wo ich ihn zuerſt geſehen, den Sinai, den Berg
207
Gottes. Dieſen Augenblick ſchien mir's als hätt ich ſie
wieder, jene kindliche Seele, die das Leben, ach, ſo tief in
ſeinen Sturm begräbt. Als ich es zum erſten Male las,
wie der Herr, um ſein Geſetz in ſeines Knechtes Hand zu
geben, herabfuhr mit Feuer auf den Berg daß der Berg
bebte, da mochte ich im religiöſen Schauer einen der erſten
Momente des Bewußtſeins haben von Gottes Nähe und
Größe und heiliger Hoheit. Glücklich die Seele die die-
ſen Momenten zu wahren weiß ein feſtliches Echo.
Aber ſchnell wurd' ich entriſſen dem Kreiſe meines Sin-
nens und Denkens. Mehrere Züge von Beduinen der Sinai-
wüſte, Männer mit Frauen und Kindern, auf ſtattlich ge-
ſchmückten Dromedaren, begleitet von Lämmerheerden und
belebt durch einen weithin ſchallenden Freudenruf, kamen bei
uns vorbeigezogen. Einige Scheiks ſetzten ſich zu meinen
Führern, und der berühmte Fremdenführer, der Scheik
Tuäleb, trat zu mir ins Zelt und lud mich zum heutigen
großen Feſte, dem Feſte des Propheten Salech ein. Dies
Feſt wurde bei dem Grabdenkmale des Propheten gefeiert,
das von meiner Lagerſtätte etwa eine Stunde und vom St.
Catharinenkloſter gegen zwei Stunden entfernt war. Ich
entgegnete dem Scheik daß ich dem Feſte nicht beiwohnen
könne, da ich heute noch im Kloſter ankommen müſſe; doch
verſprach ich im Vorübergehen einen Augenblick zu halten.
Als ich aber auf das feſtliche Zeltgelage zu ritt,
zogen mir die Scheiks, ihr gemeinſames Oberhaupt an
208
der Spitze, auf dreißig Schritte entgegen, um mich von
Neuem förmlich zum Feſte einzuladen. Ich war über-
raſcht durch dieſe in aller Freundlichkeit zudringliche An-
ſprache; die Beduinen ſchienen einen wahren Werth auf
meinen Feſtbeſuch zu legen. Als ich eben noch mit der
gewünſchten Antwort zögerte, wurde ich plötzlich aus dieſen
fremdartigen Geſichtern heraus in der Zunge angeredet
die man an der Seine ſpricht. Ich hielt es faſt für eine
akuſtiſche Täuſchung; aber ſchnell trat leibhaftig vor mich
ein Männlein, in türkiſcher Kleidung, mit kleinen geröthe-
ten Augen, von einem zarten weißen Teint, keinem Er-
zeugniſſe dieſer heißen Sandſteppe. Es war in der That
ein Franzoſe von Geburt, der eine eigenthümliche Carriere
gemacht. Vom Apotheker in Lyon iſt er nämlich zum
Charakter eines Kamelarztes der Beduinen bis in dieſe
Wüſte vorgerückt. Jetzt eben kehrte er von den Hedſchas
oder vielmehr von ihren Kamelen zurück; ſein von ſeiner
glücklichen Praris gefüllter Beutel lief vierfüßig neben
ihm her; er beſtand nämlich aus einer anſehnlichen Heerde
Ziegen und Lämmer.
Ich entſchloß mich beim Salechfeſte zu bleiben; meine
Führer waren glücklich darüber, obſchon ſie nicht gewagt
hatten eine Bitte deshalb auszuſprechen. Mit der Schaar
die mir entgegengekommen zog ich in das große gemein-
ſchaftliche Zelt; ich ließ meine wollene Decke und mein
Tigerfell ausbreiten, und faßte drauf inmitten der Häupt-
209
linge Platz. Dies Zelt, worin im Kreiſe vierzig bis funf-
zig ſaßen, war nur von zwei Seiten völlig geſchloſſen.
Nach Norden bot es die Ausſicht auf die Heerden, auf
die Dromedare und Kamele, auf die Bagage; nach Süden
hatte es in der Mit ein Feuer lodern, woran aufs Thä-
tigſte Kaffee gekocht wurde; vierzig Schritte dahinter ſtand
auf einem felſigen Hügel das friſch übertünchte“ Grabmal
des Propheten. Beim Feuer und Kaffee ſaß, als Gene-
ralwirth, der Fürſt oder Oberſte der Häuptlinge. Seine
Erſcheinung war würdig und angenehm. Er war einer
der größten in der Zahl, von männlich kräftigen Zügen,
braunen Augen, dunklem Barte. Auf dem Haupte hatte
er einen weißen Turban, aus deſſen Mitte der rothe Fes
hervorſah; an den Füßen hatte er keine Bekleidung; haupt-
ſächlich aber trug er ein ungewöhnlich langes weißes
* Dies Grabmal und einzelne andere, die ich in der Wüſte traf,
machten mir die Beziehung recht anſchaulich die des Heilands Ausdruck
hatte, als er den Phariſäern zurief: Ihr ſeid wie übertünchte Gräber,
die hübſch von Außen ſcheinen, aber inwendig ſind ſie voll Todtenge-
beine. Bis heute noch hat man im Oriente die Sitte, die Grabmäler
bisweilen von Neuem zu übertünchen, ſo daß ſie namentlich in der
Wüſte weithin ſchimmern; obſchon häufig ihre ganze Pracht in nichts
beſteht als in einem Steine, der unter mehreren andern, die auf dem
Graberuhen, in die Höhe gerichtet iſt. Es mögen wohl dabei die Mu-
hamedaner einen ähnlichen Zweck im Auge haben wie einſt die Juden
hatten, die deshalb auf die Uebertünchung der Gräber ſo ſehr bedacht
waren, damit ſich die Prieſter, die Naſiräer und auch die zum Paſcha-
feſte ziehenden Pilgrime vor der verunreinigenden Nähe derſelben ver-
wahren konnten.
14
210
Hemd von leichtem wollenen Stoffe. Dieſe Tracht erin-
nerte mich an das Camaldulenſer Gewand, das der Papſt
Gregor XVI. bei meiner Aufwartung trug. So nahe be-
rühren ſich ferne Gegenſätze; der Fürſt der kriegeriſchen
Beduinenhorden am Sinai und der heilige Vater zu Rom
in ſeinem Vatican kleiden ſich, wie es den Schein hat,
nach derſelben Mode.
An unſer großes Zelt reihten ſich mehrere kleinere an,
die von allen Seiten verſchloſſen waren; ſelbſt der Ein-
gang war mit Teppichen verhangen. In dieſen Zelten
weilten die Frauen und Kinder. Gleich hinter mir ſtieß
das erſte dieſer Zelte ans unſrige; dadurch machte ich eine
Bekanntſchaft der unſchuldigſten Art, dos-à-dos und mit
ſtummen Lippen. Ich lehnte mich nämlich an und be-
merkte bald, daß meine Lehne von weichem, unſicherem
Stoffe war. Doch ſchien es mir meine Nachbarin, von
der mich nur die Zeltleinwand trennte, durchaus nicht
übel zu deuten, daß ich von der harmlos gewonnenen
Poſition unbedenklich Gebrauch machte.
So ſaß ich denn, der ſchlichte deutſche Wandersmann,
mitten unter dieſen braunen Kindern der arabiſchen Wüſte,
kriegeriſch genug in ihrem Waffenſchmucke. Sollte ich an
Schiller's Taucher denken: „Da hing ich und war's mir
mit Grauſeſ bewußt,“ „Von der menſchlichen Hilfe ſo
weit,“ „Unter Larven die einzige fühlende Bruſt?“ Frei-
lich war ich der vollen Gewalt dieſer wilden und mächti-
211
gen Horden preisgegeben, die lange Zeit ſelbſt dem Hel-
denarme Mehemed Ali's trotzig entgegnet haben, und die
auch jetzt mehr durch ſeine Klugheit für ihn gewonnen als
durch ſeine Macht von ihm bezwungen worden ſind. Aber
ich hatte ein ganz anderes Gefühl. Es ſprach mir aus
den Zügen dieſer Leute ein ſo ehrenhafter Charakter, ſolch
eine offene Biederkeit entgegen, daß ich in ihrer Umgebung
wie zwiſchen heimathlichen Mauern ſaß.
Im Anfang waren natürlicher Weiſe Aller Augen auf
den fremden Gaſt gerichtet; diejenigen dieſer Beduinen die
ſich nicht gerade mit der Führung der Reiſenden befaſſen
ſehen äußerſt ſelten einen europäiſchen Reiſenden. Ich
meines Theils verſäumte nicht, ihnen als berühmten Krie-
gern meine Komplimente zu machen über ein ſo friedlich
ſchönes Feſt. Eine Taſſe Kaffee und noch eine zweite
wurde mir präſentirt, ſowie allen die im Kreiſe ſaßen.
Dazu dampften die Pfeifen. Aber bald erhob ſich mir
gegenüber ein lebhafter Wortwechſel. Meine Führer wa-
ren nämlich mit zwei Genoſſen jenes von ihnen bekriegten
Stammes aus der Umgegend von Jeruſalem zuſammen-
getroffen; Slen, einer meiner Führer, hatte bei der Fehde
eine beſondere Tapferkeit entwickelt; zwei der Feinde wa-
ren von ſeiner Hand gefallen. Doch hier befanden ſich
beide Theile unter dem unverletzlichen Schutze der Gaſt-
freundſchaft und keiner hatte vom andern im Ernſte zu
fürchten,
14*
212
Nach einer kleinen Stunde kam's zum feſtlichen Um-
gange ums Denkmal des Propheten. Da waren die
Frauen voran, aufs Sittſamſte gekleidet und aufs Uner-
baulichſte verhüllt. Unter jener mehrmals erwähnten
Muſik, welche die orientaliſchen Frauen in ihrem eigenen
Munde zu bewerkſtelligen wiſſen, ging der Zug den Hügel
hinauf, ums Grabmal herum und endlich in daſſelbe hin-
ein, wo die Frauen einige Minuten zu beten ſchienen.
Junge Burſche führten beim Zuge die Opferlämmer, denen
noch oben auf dem Hügel ein paar Haare von der Stirne
geſchnitten und die Stirne ſelbſt blutig geritzt wurde.
Darauf folgte das allgemeine Abſchlachten dieſer funfzig
bis ſechzig Lämmer, deren eigentliche Opferung vermittelſt
der Zähne und Mägen geſchieht. Sie wurden ſodann an
den Zelten aufgehangen, ihres Felles entledigt und mit
den großen Meſſern, die zugleich als Waffen wie kurze
Schwerter dienten, in einige Stücke zerhauen.
Während die Mahlzeit am Feuer bereitet wurde, er-
öffnete ſich ein Wettrennen auf Dromedaren. Das war
ein anziehendes Schauſpiel. Immer vier oder ſechs Ritter
ſprengten auf dieſen herrlichen, mit Gehängen von Perlmut-
ter und ſchönen Teppichen geſchmückten Thieren vor den Zel-
ten vorbei. Die Frauen, die wieder hinter den Zeltvorhängen
ſaßen, erhoben bei jedem neuen Ritterzuge ihre jauchzende
Muſik. Das Dromedar, in ſeiner das flüchtigſte Roß über-
flügelnden Schnelligkeit, erkennt man hier kaum als Bru-
213
der vom Kamele, wenn's mit ſeinen gemeſſenen Schritten,
wie ins abgründliche Nachdenken der deutſchen Eſel ver-
loren, durch die ſandige Wüſte ſchreitet. Noch während
der letzten Wettrennen erhob ſich ein Sturm, der von den
nahen Bergen herab mit wilder Muſik durch unſer Thal
ſtürzte. Dadurch wurde beſonders die Erwartung auf den
Tanz der Frauen geſtört, der des Abends auf die Mahl-
zeit folgen ſollte.
Jetzt wurde zur Mahlzeit geſchritten. Alles Fleiſch
war gekocht worden; ich hatte es abgelehnt mir ein Stück
nach meinem Geſchmacke zubereiten zu laſſen, da ich ohne-
dem nur zur Geſellſchaft mitaß. Alle lagen im Kreiſe
herum; immer vier bis ſechs gruppirten ſich wieder zu
einem kleinen Zirkel und hatten in ihrer Mitte ein ausge-
breitetes Lammfell. In einer großen hölzernen Mulde
wurde das Fleiſch aufgetragen und aufs Fell geſchüttet.
Natürlich gab's keine Meſſer und Gabeln. Jeder nahm
ſich mit den Werkzeugen die ihm die Natur angeſchaffen
ſeinen Theil; ich that ſoviel wie möglich daſſelbe. Nach
dem Fleiſche kam noch ein Bilav, zuſammengeknetet aus
Gerſtenmehl und gewiß von ſehr wenig Zuthaten behel-
ligt. Ich leiſtete Verzicht darauf. Getrunken wurde bei
der Mahlzeit ein Krug vortrefflichen Waſſers. Somit hab'
ich die ganze Magenerquickung dieſer kleinen Fürſten der
Wüſte bei ihrem großen Salechfeſte geſchildert; das Podagra
läßt ſich von dergleichen Schmäuſen ſchwerlich heimtragen.
214
Nach der Mahlzeit wuchs der Sturm zu noch größerer
Heftigkeit. Nur mit Mühe ließ ſich das Zelt vor dem
Einſturze ſichern. Das Feuer blies uns allen Dampf und
Aſche in die Augen. Auch große Regentropfen fielen.
Unter dieſen Umſtänden ſchwand alle Hoffnung, die Be-
duinenfrauen noch tanzen zu ſehen; man begreift wie leid
es mir that. Ich unterhielt mich noch einige Minuten
mit dem oberſten Häuptling. Sein unerſchütterlicher Hu-
mor gefiel mir und ſein entſchiedener Glaube. Er war
fern davon, ſich über den Sturm zu beklagen; „Gott
hat's geſchickt, drum muß es gut ſein,“ ſagte er, und in
ſeinen Augen ſtand geſchrieben: Ich glaube was ich ſage.
Neben der Ueberzeugung von der göttlichen Vorſehung
herrſchte beſonders noch in ſeinem religiöſen Geſichtskreiſe
das Bewußtſein von der Pflicht der Gaſtfreundſchaft.
Als ich von Mehemed Ali mit ihm ſprach, war er voll
großer Hochachtung für denſelben. Von unſerem Treiben
überm Mittelmeere drüben wußte er faſt nichts. Unter
dem Namen der Franken ſind bei ihm, wie bei ſo vielen
Orientalen, alle Europäer brüderlich verſchmolzen; nur
der Ruſſe ſchien ſich aus dem großen Geſchlechte mit be-
ſonderer Farbe losgerungen zu haben.
Es war noch nicht ſpät als ich mich zur Ruhe legte.
Mein Dragoman baute mir eine ſeltſame Wohnung für
die Nacht. Er breitete zwiſchen Küchenkafaß und Reiſe-
koffer das Zelttuch aus; ich kroch darunter. Rings um
215
mich lagen die Beduinen mit Frauen und Kindern, mit
Dromedaren und Kamelen, mit Lämmern und Ziegen.
Ich werde ſchwerlich eine ähnliche Feſtnacht erleben.
Ich benutze dieſe nächtliche Ruhe um einige nähere
Nachrichten über meine Gaſtfreunde zu geben". Sie ge-
hören zu den Stämmen der Tawarah, wie ſich die Be-
duinen des Sinai oder des Dſchebel et Tur insgeſammt
nennen, und zwar zu dem Hauptſtamme der Sawalihah,
deren Großahnen nach der Einnahme Egyptens durch die
Helden des Halbmonds von der egyptiſchen Grenze in
dieſe Gegenden eingewandert ſein ſollen. Einer der drei
Zweige von den Sawalihah, und zwar gerade derjenige
deſſen Beziehungen zum St. Katharinenkloſter weit ferner
oder gar feindlicher ſind als die der beiden anderen, die
Karraſchy, zählt in ſich jenen jetzigen Hauptſcheik oder das
gemeinſame Oberhaupt für alle Stämme der Tawarah.
Derſelbe führt, gleichwie jener verehrte Scheik oder, wozu
er wohl erſt ſpäter geworden, Prophet, den Namen Salech.
Unter den Beduinen gelten die Tawarah für arm; freilich
mögen ſie zwiſchen den kahlen Bergen vom Sinai bis
nach Akaba keine Schätze gewinnen; obſchon ſie fürs Ge-
leite der Sinaipilger ein gewiſſes Vorrecht behaupten.
Ihre Seelenzahl beläuft ſich nach Burckhardts und Rüp-
pell's Schätzungen auf vier bis ſechs tauſend. Ihre Praris
* Vergl. Robinſon's Paläſtina Th. 1. S. 219. ff.
216
des Muhamedanismus mag eine ſehr lockere und eigen-
willige ſein. Zu den Kriegen, die ſie häufig gegen andere
Beduinenſtämme führen, kommen auch bisweilen blutige
Kämpfe in ihrer eigenen Mitte. Nur wenn ſie eine Ver-
mittelung beim Paſcha von Egypten ſuchen, miſcht ſich
dieſer in ihre Händel.
Sehr früh am Morgen des vierundzwanzigſten Mai
weckte mich ein ungewohntes Concert. Die Kamele brüll-
ten ihr Morgenlied, und zwar größtentheils in einem un-
vergleichlich tiefen Baſſe; einige dazwiſchen meckernde Zie-
gen nahmen ſich wie hüpfende Diskantiſten aus.
Nachdem ich von den verſammelten Scheiks aufs
Freundlichſte Abſchied genommen, ritt ich meinem Reiſe-
ziele in Eile näher. Der Morgen war angenehm kühl.
Der Unterſchied der Temperatur, den ich ſchon ſeit den
beiden letzten Tagen geſpürt hatte, fiel mir heute beſonders
auf; freilich liegt das Scheikthal, wo wir jetzt waren, um
mehrere tauſend Fuß höher als das Garandelthal, wo die
Hitze unerträglich geweſen. Das Kloſter ſah ich nicht
eher als bis wir in ſeine nächſte Nähe gekommen waren; es
liegt in einem langen aber engen Thale zwiſchen dem
Berge des heil. Epiſtemius, auch Dſchebel ed Deir ge-
nannt, und dem Horeb. Aber aufs Lieblichſte kündigt
ſichs an durch ſeinen herrlichen Garten, der mit ſeinen
Cypreſſen, Granaten, Orangen aus den grauen ſteinernen
Mauern gar freundlich hervorſchaut. Das Kloſter ſelbſt
217
nimmt ſich durch ſeine gegen vierzig Fuß hohen Mauern
wie eine kleine Feſtung aus; der Mangel eines eigent-
lichen Eingangs verſtärkt dieſen Eindruck noch. Dreißig
Fuß hoch iſt die Thüröffnung, zu der man durch ein Seil
hinaufgewunden wird. Mehrere Beduinen hielten ſchon
vor mir unter der Thüre; ſie ließen es nicht daran fehlen
meine Ankunft durch Geſchrei und durchs Abfeuern ihrer Ge-
wehre zu verkünden. Aber eh’ ich die Seilwanderung an-
trat, fragte man mich nach meinen Briefen. Ich übergab
die beiden Briefe aus Suez, die ſofort hinaufgezogen wur-
den. Da aber der Prior wußte daß ich aus Cairo kam –
ich war ihm von dort ſchon angemeldet worden – ſo glaubte
er daß ich nothwendig vom Mutterkloſter daſelbſt eine
Empfehlung mitbringen müßte. Niebuhr erhielt bekannt-
lich in Ermangelung eines ſolchen Empfehlungsbriefes
keinen Eingang. Ich entgegnete daß ich allerdings vom
Kloſter in Cairo, wo ich aufs Beſte gekannt ſei, ein Schrei-
ben erhalten habe; es ſei mir aber unter anderen Papieren
zu meinem Unglücke liegen geblieben, weshalb ich mich
eben der Briefe aus Suez bediene. Nebenbei ſei's geſagt
daß ich aus gutem Grunde jene Empfehlung zurückgelaſ-
ſen, da ſie bei aller Liebenswürdigkeit einen Zug vom
Uriasbriefe hatte. Meine Auskunft mochte nicht ganz be-
friedigen; doch ſtand man nicht länger an, mich ins Seil
zu faſſen und ins heitere Aſil zu ſich aufzunehmen.
Der Sinai und ſein Kloſter.
Wie überraſchend iſts, mitten in der öden, von Sand
und Fels ſtarrenden Wüſte plötzlich zwiſchen dieſen gaſt-
lichen Mauern zu weilen, in dieſen ordnungsvollen, zier-
lichen Anlagen und Gemächern, umgeben von ernſten
Männern, mit langen Bärten, in ſchwarzen Talaren. Der
jetzige Superior des Kloſters, der leider trotz der Feinheit
ſeiner Züge die ausgeprägteſte Falſchheit im Blicke trägt,
begleitete mich ſogleich in ein geräumiges Zimmer, ge-
ſchmückt mit ringsum laufendem Divan und bunten Tep-
pichen. Dies Zimmer wurde mir als Salon angewieſen,
ein anderes daneben war meine Schlafſtube, ein drittes
mein Speiſe- und Arbeitszimmer. Außerdem führte mir
der Superior als gewöhnlichen Begleiter während meines
Aufenthalts im Kloſter einen jungen Mann zu, der nichts
auf dem Leibe trug als ein kurzes härenes, braun und
grau geſtreiftes Gewand. Ich begriff bald daß ichs mit
einem halben Narren zu thun hatte; denn bei der erſten
Unterhaltung fragte er mich, ob ich ſchon Reiſen in Sonn'
und Mond gemacht. Dieſer „Signor Pietro“ iſt ein gebor-
ner Grieche, von guter Familie; er ſpricht außerdem Ita-
liäniſch und Franzöſiſch, auch ein wenig Engliſch, Deutſch,
219
Arabiſch. Vor einigen Jahren iſt er von ſeinen Verwand-
ten zur Verwahrung ins Kloſter gebracht worden; täglich
harrt er umſonſt ihres Beſuches. Trotz ſeiner verrückten
Einfälle iſt er ohne Zweifel der witzigſte und geiſtreichſte
Menſch im Kloſter. Sein Umgang war mir intereſſant,
obſchon er mir bisweilen läſtig wurde.
Gleich neben mir wohnte der mit der Aufwartung der
Fremden betraute Bruder, Gregorios, ein freundlicher
würdiger Greis mit einem ſtattlichen weißen Barte. Vor
vierzig Jahren war er Befehlshaber von tauſend Mame-
lucken; aus dem blutigen Kriegslärme hat er ſich, wie
ein Rhodiſcher Johannisritter, zu dieſem beſcheidenen
Dienſte ins ſtille Kloſter zurückgezogen. Den Kriegsmann
merkte man ihm noch an wenn er Gewehre ſah; faſt täg-
lich ſchoß er mit meiner Doppelflinte und traf genau, un-
ter dem Donner des Echo's, den zum Ziele erwählten
Ziegel auf der Kloſtermauer. Doch hatte er auch ſogar
ſo viel wiſſenſchaftlichen Sinn, daß er ſich meines Eifers
für die griechiſchen Manuſcripte freute.
Von meinen Fenſtern hatte ich übers Kloſter hinweg
die Ausſicht auf den Horeb; da lag er völlig nackt in ſei-
nem grauen Granit vor mir, voll einer abſchreckenden
Schroffheit. Doch winkten von den Höhen herab einige
einzeln ſtehende Kreuze; dem frommen Drange der Ein-
ſiedler war nichts zu ſchroff, nichts zu abſchreckend. Trat
ich zur Thüre meines Zimmers hinaus, ſo hatt' ich unter
220
mir den Hofraum mit einem Brunnen in der Mitte, um-
rankt von grünen Weinreben. Zwiſchen Vier und Fünf
des Morgens, wenn das Glöcklein ſchon erklungen, ſah
ich immer beim Brunnen den würdigen Bruder Kyrillos.
Noch immer ſteht mir dieſer Brunnen mit ſeinen Reben
und dem guten Kyrillos vor Augen.
Mit dieſem Manne, vierzig bis funfzig Jahre alt, hab'
ich mich herzlich befreundet. Urſprünglich iſt er auf dem
Berge Athos heimiſch geweſen; vor kurzer Zeit aber wurde
er, ich weiß nicht aus welchem Ungehorſam gegen den
Patriarchen, mit Gewalt nach dem Sinai gebracht. Hier
iſt er Bibliothekar. Ich hab' ihn als einen biedern, un-
terrichteten, ernſten, wohlwollenden Mann ſchätzen gelernt.
In den letzten Tagen meines Aufenthalts im Kloſter über-
raſchte er mich ſo oft ich ihn ſah mit einem netten neu-
griechiſchen Gedichte, das er auf ein ſchmuckes Blatt ge-
ſchrieben und zu meiner Ehre verfaßt hatte. Aus der
Bibliothek gab er mir alle Manuſcripte die ich wünſchte
in mein Zimmer. Als ich mich wegen der Störung an-
klagte die ich dadurch in die Ordnung der Bücher brachte,
beruhigte er mich damit, daß er ſich doch meines Beſuches
fröhlich erinnern könnte wenn er die entnommenen Ma-
nuſcripte wieder in ihre vorige Ordnung fügte. Freilich
mag er ſelten genug auf ähnliche Weiſe geſtört werden;
kaum wird Jemand im Kloſter außer ihm an die ſo reiche
Bibliothek denken.
221
Im Ganzen traf ich achtzehn Brüder im Kloſter, von
denen faſt ein jeder ein beſtimmtes Amt hat. Am meiſten
merkt man dem Oikonomos ſeinen Poſten an; denn er iſt
von einer vollkommenen Wohlbeleibtheit. Ich weiß nicht
ob man die Lebensweiſe dieſer Mönche, vom Orden des
heil. Baſilius, ſtreng nennen kann. Die Charakteriſtik
Rudolph's von Suchem im vierzehnten Jahrhundert führt
leicht in Irrthum; er ſagt: „Sie trinken nicht Wein denn
in den hohen Feſten, eſſen nimmer kein Fleiſch, ſondern
erhalten ſich mit Kräutern, Erbſen, Bohnen und Linſen,
welches ſie ihnen mit Waſſer, Salz und Eſſig zubereiten;
ſie eſſen bei einander in einem Refektorio ohn' ein Tiſch-
tuch.“ Es ſind hierbei die Fiſche vergeſſen, die bei der
Nähe des Meeres nie fehlen, ferner der Reis, den ich nir-
gends ſchöner als hier geſehen, die Datteln und Mandeln,
der Kaffee und vieles Andere. Für den Wein beſonders
hat man ſich durch den vortrefflichen Dattelbranntwein
zu entſchädigen gewußt, wovon ein jeder eine tüchtige
Portion allwöchentlich auf ſeine Zelle bezieht. Das Brod
des Kloſters iſt ſo ſchön, daß es kaum im Oriente ſeines
Gleichen hat. Spuren des Mangels hab' ich keinem ein-
zigen der Brüder angeſehen.
Die Zahl der Kapellen überſteigt um vier die Zahl der
Mönche; vor Zeiten iſt das Verhältniß ein ſehr verſchie-
denes geweſen. Troilo im ſiebzehnten Jahrhundert traf
ſiebenzig Mönche an. Außer den zweiundzwanzig Kapellen
222
hat das Kloſter eine Hauptkirche, reich an Pracht. Zwei
Reihen von Granitſäulen tragen das Gewölbe, das auf
blaugemaltem Grunde mit Sternen überſäet iſt. Der
Boden iſt mit ſchwarzem und weißem Marmor belegt.
Viele Lampen und Leuchter prangen in Gold und Silber.
Unzählige Bilder bedecken die Wände; aber geſchmack-
voller und ſchöner als dieſe alle iſt die alte Moſaik am
Gewölbe des Rundtheils, wo die aufs Koſtbarſte ver-
wahrten Reliquien der heil. Catharina ruhen. Dieſe Mo-
ſaik ſtellt zu beiden Seiten Moſes dar, links vor dem
brennenden Buſche, rechts mit den Geſetzestafeln, und
enthält in der Hauptgruppe die Scene der Verklärung
Chriſti mit Moſes, Elias und den drei Jüngern. In den
beiden Ecken über der Gruppe befinden ſich auf zwei Me-
daillons Juſtinian und Theodora. Beide gelten, und
zwar mit Grund, für die Stifter des jetzigen Kloſters,
wenngleich ſchon vorher, namentlich im vierten Jahrhun-
derte, der Sinai von vielen Anachoreten bebaut und be-
wohnt geweſen, die, wie der egyptiſche Mönch Ammonios
erzählt, nur von Datteln, Beeren und ähnlichen Früchten
lebten, und von den Sarazenen viel zu leiden hatten.
Die geſchilderte Moſaik, wahrſcheinlich aus der Zeit
der Stiftung ſelbſt, beweiſt daß das Kloſter urſprünglich
der Verklärung gewidmet geweſen, weshalb auch noch
heute manche Reiſende an dieſer Bezeichnung feſthalten.
Allein jetzt hat offenbar die Verehrung der heil. Catharina,
223
die nach Euſebius im Jahre 307 nach dem Sinai floh,
von wo die Engel ihren Leib nach ihrem Märtyrerthume
auf den Gipfel des Catharinenbergs getragen haben ſol-
len, nicht nur mit ihrem Räucherwerk und Kerzendampf
die Verklärungsſcene, gerade über dem Reliquienſchreine,
in düſtere Schatten geſtellt, ſondern auch die Benennung
des Kloſters uſurpirt. Denn ſogar die Abendmahlsbrode
des Kloſters, wie ich deren ſelbſt eins beſitze, ſind mit der
„hagia katherine“ beſchrieben.
Die letzte Beſonderheit der Kirche hab' ich noch nicht
genannt: das iſt die Kapelle des brennenden Buſches.
Sie ſoll eben da errichtet ſein wo der Herr ſeinem Knechte
in den Flammen erſchien. Man geſtattet dem Pilger nicht
dieſe Kapelle mit beſchuhten Füßen zu betreten. „Tritt
nicht herzu,“ heißt es ja, „ziehe deine Schuhe aus von
deinen Füßen; denn der Ort wo du ſteheſt iſt ein heiliges
Land.“ Iſts auch immer nur der fromme Glaube, der ſo
genau die weihevolle Stelle wieder gefunden hat; doch wem
käme hier nicht ins Herz, ins Herz und auf die Lippen
das Gebet: „Herr, durchglühe auch mich mit deinem Feuer-
eifer für dein heiliges Wort, wie du einſt durchglüht haſt
deinen Knecht Moſes.“
Ueberraſchender Weiſe beſitzt das Kloſter in ſeinen
Mauern neben ſeinen Kirchen und Kapellen auch eine
Moſchee. Sie ſah jetzt ziemlich verödet aus. Man erzählt
daß durch Erbauung dieſer Moſchee das Kloſter ſeiner
224
Zerſtörung entgangen ſei, als Mahomet der Prophet den
Sinai beſuchte. Gedient hat ſie wohl beſonders für die
muhamedaniſchen Leibeigenen des Kloſters, deren mehrere
die niederen Dienſte im Kloſter verrichten. Außerdem mag
ſie bei Beſuchen von Männern wie Ibrahim Paſcha noch
heute in Gebrauch kommen.
Aus dem Kloſter eil' ich jetzt in den Garten. Der
Weg zu ihm iſt ſchauerlich; etwa vierzig Schritte weit
führt er durch einen engen niederen in den Fels gehauenen
unterirdiſchen Gang. Um ſo herrlicher iſt der auf meh-
reren Terraſſen angelegte Garten. Da prangt Alles, da
blüht und duftet Alles. Das friſcheſte Waſſer läuft durch
ſeine Gräben. Die dunklen hoch aufſtrebenden Cypreſſen
ſtehen unter den ſilberfarbigen Oliven; neben den Man-
deln und Feigen, den Orangen und Citronen gedeihen
auch Aepfel und Birnen. Vor Allem aber feſſelten mein
Auge die vollbuſchigen Granaten mit dem feurigen Roth
ihrer Blüthenkronen. Ich brach davon Erinnerungszei-
chen für meine fernen Lieben.
Der Pfingſtmorgen auf dem Sinai.
Am ſechsundzwanzigſten Mai war der Sonntag der
Pfingſten. Wohl nie in meinem Leben mag ich ſo glück-
lich erwacht ſein zum Pfingſtfeſte. Nur einmal weiß ich daß
mein Herz gar innig ihm entgegenſchlug; da fiel der Ge-
burtstag einer ſeligen Frau, die ich unausſprechlich geliebt,
225
zuſammen mit dem Pfingſtſonntage. Ich dachte, als ich
dieſen Morgen erwachte, mit ganzer Seele an die Ver-
klärte. Von welcher Freude würde ihr mütterliches Auge
glänzen, wüßte ſie mich heute an dieſem heiligen Orte.
Es war mir im Augenblick als wüßt ich ſie noch getreu-
lich walten zu Hauſe am väterlichen Herde. Ich dachte
mir unſer Wiederſehn. Da rollte mir ein heißer Strom
über die Wangen. Gott kann einen Sterblichen nicht ſo
glücklich machen, ſagt ich mir. Der Moment hätte meines
Lebens letzter werden müſſen.
Das Kloſterglöcklein war's das mich geweckt hatte mit
ſeinem feierlichen Klange. Sonſt hört' ich keinen Laut in
dieſer Sabbathsruhe. So mag es im Herzen eines ſelig
verklärten Menſchen ſein, um den eingeſchlummert ſchweigt
der geräuſchvolle Werkeltag des Lebens. Wohl uns, wenn
wir Augenblicke aus der Hand der Gnade nehmen, wo's
auch ſo iſt in unſerem Herzen.
Den Gipfel des Sinai wollt ich heute beſteigen; wie
freut' ich mich darauf. So lange war's mir wie ein him-
melhohes Ziel erſchienen, zu dem hinauf meine Hand nicht
reichen könne. Jetzt ſah ich's vor mir glänzen, wohl ſchön
wie der Himmel, aber ſo freundlich nahe wie die Kirche
meinem Vaterhauſe.
Mein Ali ſtand ſehr früh zum Aufbruche bereit; er
hatte ſein Scharlachkoller, geſtickt mit Gold und Silber,
angelegt; die Sonne des Feſtes leuchtete ihm aus den
I. 15
226
freundlichen Zügen. Signor Pietro gefiel ſich ſehr wohl
in unſeren Waffen. Mohammed trug die Proviſion. In
dieſer Begleitung wanderte ich durch den Garten hinaus
an den Fuß des Horeb.
Bald begannen wir ſteil aufzuſteigen. Zwiſchen zwei
in eine Kluft abfallenden Abhängen führt der Weg auf-
wärts, über viele Felſentrümmern mit Reſten von einge-
hauenen Stufen, die auf die Zeit der Helena zurückgehen
ſollen. Geſträuch, Gräſer und Blumen wachſen nur ſpär-
lich. Nahe an tauſend Fuß über dem Kloſter raſteten wir
bei der klaren Quelle des heil. Sangarius. Nachdem wir
kurz darnach bei zwei kleinen Kapellen vorüber waren, ſah
ich überraſcht in der Höhe vor mir den Weg von einem
ſteinernen Bogen mit einem Kreuze überragt, und gleich
darauf von einem zweiten, zu dem wir zwiſchen ſchroff
hervortretenden Felſen aufſtiegen. Eben waren meine Ge-
danken noch verloren in jene frühen Zeiten, wo ſo viele
fromme Einſiedler auf dieſem Berge in treuer Herzinnig-
keit dem Herrn gelebt und geſtorben: da ſtanden wir auf
der Oaſe des Horeb, die zwiſchen die grauen Granit-
felſen, wie zur Verſöhnung mit ihrem ernſten Ausdrucke
einen fröhlichen Kranz hinbreitet. In der Mitte, neben
einem Baſſin friſchen Quellwaſſers, erhebt ſich einſam eine
Cypreſſe. Welch lieblichere Erſcheinung ließe ſich denken
als dieſe Cypreſſe mit ihrem dunklen unverwelklichen Grün,
mit ihrem hohen ungebeugten Scheitel, den Fuß auf dem
227
Horeb, den Blick auf den Gipfel des Sinai. Wie der
jüngſte prophetiſche Bote, dem vertraut iſt worden ein
himmliſches Wort von einer glücklichen heiligen Zukunft,
ſo ſteht ſie da. Nahe davon iſt die verlaſſene Kapelle des
Propheten Elias, der einſt hier weilte als er vor dem
Zorne Ahabs und der Iſebel geflohen. „Gehe heraus,“
ſo ſprach hier der Engel zu ihm, „gehe heraus und tritt
auf den Berg vor den Herrn.“ Und ſiehe, heißt es, der
Herr ging vorüber, und ein großer ſtarker Wind, der die
Berge zerriß, der die Felſen zerbrach, ging her vor dem
Herrn. Ja, hier iſt der Herr vorüber gegangen, ſo rief,
wie Geramb, meine Seele aus auf dieſer geweihten Stätte;
dieſe zerriſſenen Berge, dieſe zerbrochenen Felſen, die geben
noch heute Kunde von den Schritten des Herrn.
Von hier ſtiegen wir neunhundert Fuß höher, über
wild aufgethürmte nackte Felsmaſſen, zur Spitze des
Sinai.
Als ich vor Jahren auf dem Rigi ſtand, da lagerte
ſich eine unvergeßliche Scene um Aug' und Seele. Im
Norden ruhte das tiefe weite Thal mit all ſeinen Seen,
worüber der Morgen ſeinen duftigen Schleier geworfen.
Im Süden ſtanden die Schweizer Gebirge, ihre Gipfel
bedeckt mit dem ewigen Schnee. Der Tag wachte auf;
hinter lichtblauen Wölkchen blitzte ſein erſter Strahl her-
vor. Wunderbare, roſigſchimmernde Streifen durchzogen
den blendenden Schnee; es war mir als ſäh’ ich Gedanken
15*
228
der Engel, die an die jungfräuliche Erde ſtreiften. Ein
Mägdlein brachte Alpenroſen; ein Hirtenknabe ſpielte auf
der Schalmei. Du glücklicher Schweizer; deine Sehnſucht
verſteh ich; deine Thräne hat ein heiliges Recht. Mein
eigenes Auge weinte ſich entzückt hinein ins Auge der
Schweiz.
Ein paar Jahre ſpäter erſtieg ich den Veſuv. Die
Dämmerung herrſchte noch um uns als wir am Krater
ſaßen. Aus dreifachem Munde ſtrömte der Feuerregen
aus; fürchterliches Krachen umtobte ihn; der ganze Berg
rauchte. Die Stunde des Aufgangs war da, aber das
Auge des Tages verbarg ſich hinter Gewitterwolken. Die
nachbarliche Gebirgsgruppe hüllte ſich in ein ſeltſames
Blau, als dampfte ein Brand aus ihren Eingeweiden.
Unheimlichen Schauers, wie vor einer unglücksſchwange-
ren Zukunft, war ich voll.
Jetzt ſtand ich auf dem Sinai. Der Sturmwind brauſte
mit Macht. Graue, wildgezackte Granitmaſſen umragten
mich; weiße Wolken lagerten zwiſchen den ſchroffen Spitzen;
drauf glänzte die Sonne des Pfingſtmorgens. Nahe unter
dem öden Felſengipfel erhob ſich von der Oaſe des Horeb
die prächtige Cypreſſe mit ihrem dunklen Grün. Hier
hatt' ich nicht das Entzücken vom Rigi, nicht die unheim-
lichen Schauer des Veſuvs: beten, voll Inbrunſt beten
mußt ich hier. Es war mir als wäre Gott hier näher
als an irgend einem Orte der Welt. Seine Hoheit, ſeine
229
ehrfurchtgebietende Majeſtät, und ſeine Liebe, ſeine Milde,
gefaßt in ein einziges herrliches Bild: ſo war mir der
Sinai. Wie ein Königsſtuhl den Gott ſich auf Erden
gebaut, unwandelbar ſeit dem Tage der Schöpfung, den
derſelbe Finger gebaut der das geiſtdurchbebte Meer ge-
ſchaffen, der den unendlichen Himmel gewölbt: ſo iſt der
Sinai. Wie eine heilige Veſte iſt er, entrückt aus den
Märkten der Welt, fern von den Wohnungen der Men-
ſchen, zwiſchen Wüſte und Meer einſam bis zu den Wol-
ken gethürmt.
Nach dem Rigi weint zurück das Auge des Schwei-
zers, wie von ſeinem Münſter am Rheine ſehnſüchtig der
Elſaſſer träumt: zum Sinai ſtreben die Herzen der Völker
der Erde zuſammen. Zu ihm flüchten wie zu einer ewigen
Stiftshütte die Söhne Israels; zu ihm drängt es den
Chriſten vom eiſigen Norden Europens, aus Afrika's ſen-
genden Gluthen; zu ihm wallfahrten getreu die Verehrer des
Propheten. Auf ſeinem Gipfel denkt ſichs unwillkürlich
an jenen großen ſchönen Tag, wo geſchlichtet ruhen wird
der Völker unerſättliche Fehde, wo ſich alle Kinder der
Erde brüderlich zuſammenfinden werden zu dem einzigen
Fels des Heils, wo aus Tempel und Moſchee, aus Syna-
goge und Kirche ein einiges ewiges Hallelujah ſchallen
wird.
Hätt' ich einſt als Kind geträumt von einer Stunde
der Zukunft, heilig über alle anderen Stunden und wie
230
emporgehoben aus den Werkeltagen in die Region der
Verklärung: von dieſer Stunde des Pfingſtfeſtes auf der
Höhe des Sinai mußte ich träumen. Und dürft' ich einen
Wunſch ins Wort faſſen für alle die meine Wanderungen
mit Liebe begleitet, der Wunſch wäre es: Möchtet Ihr alle
ſelber eine Stunde des Pfingſtmorgens auf dem Gipfel
des Sinai verleben.
Doch nicht ich allein feierte heute Pfingſten auf die-
ſem hohen Standpunkte; der Prior des Catharinenkloſters
mit noch zwei anderen Brüdern war ſchon vor mir daſelbſt
angekommen; ſie feierten in der kleinen chriſtlichen Kapelle,
die auf der nördlichen Spitze ſteht, eine Meſſe. Dieſer
Kapelle gegenüber, auf der ſüdlichen Bergſpitze, ſteht eine
kleine Moſchee, mit einem Brunnen herrlichen Waſſers
daneben. Darin mochten gleichfalls religiöſe Feierlich-
keiten geübt werden als am nächſten Donnerſtage die Be-
duinen, die um den Sinai wohnen, mit Frauen und Kin-
dern hinauf wallfahrteten.
Einen Stein gleich hinter der Kapelle bezeichnet man
als den Sitz des Mannes Gottes, als er der Geſetzgebung
pflegte. Lange ſaß ich darauf; ich war ſo den Augen mei-
ner Begleiter entzogen und beſchrieb hier, meinen eigenen
Gedanken hingegeben, ein paar Blätter frommer Begrü-
ßung an mein Vaterhaus. Wie innig hängt, wer allein
reiſt wie ich, in feſtlichen Momenten an den Lieben in der
Ferne, die er im Herzen trägt.
231
Die Ausſicht die ich vom Gipfel des Sinai hatte berührte
ſich nicht mit dem Wüſtenpanorama von zweihundert Mei-
len, wie es Schubert gehabt und beſchrieben hat. Ich ſah
das rothe Meer nicht mit ſeiner afrikaniſchen Küſte; nicht die
Gebirge von Akaba; auch nicht bis nach Suez. Aber die
nahe Umgebung war mir großartig und gewaltig genug,
Im Süden, in geringer Entfernung von uns, thronte der
Catharinenberg, noch über tauſend Fuß höher als der
Sinai. Er ſah ſchwarzröthlich aus und war nur ſpärlich
da und dort mit niederem Grün bewachſen“.
Im Weſten hatten wir das Gebirg Humr; zwiſchen
ihm und dem weſtlichen Abhange des Horeb liegt das
Kloſter der vierzig Märtyrer (El Erbain) im Boſtanthale.
Nach Norden ſchweifte das Auge am weiteſten, und zwar vom
* So beſchreibt Rüppell den Catharinenberg, den er jedoch lie-
ber mit dem Namen des Horeb benennt. „Dieſe Gebirgsmaſſe iſt von
derjenigen des Sinai ganz verſchieden, und beſtehet aus wagerechten
Lagern von röthlichem Feldſpathgeſtein, in welchem kleine ſechsſeitige
doppelte Ouarzpyramiden porphyrartig eingewachſen ſind; beige-
miſchter Glimmer iſt nirgends ſichtbar, und nur ſparſam zerſtreut zei-
gen ſich kleine röthliche Feldſpathfryſtalle in der Felsmaſſe. In den
Felsritzen hat ſich allenthalben eine ſpärliche Vegetation entwickelt.“
Vergl. ſeine Reiſe in Abyſſinien. 1. B. S. 121. Gleich vorher be-
ſchreibt er ſo den Sinai: „Der ganze Berg beſteht aus verticalen
Schichten eines feinkörnigen, grauen Granits, der ausgleichen Thei-
len von Feldſpath und Quarz und ſehr wenigem beigemiſchtem Glim-
mer zuſammengeſetzt iſt; überallſproßt zwiſchen den Felsſtücken niede-
res Geſträuch hervor. Der Gipfel des Berges iſt eine iſolirte Kuppe
mit einer ſchmalen abgeplatteten Stelle.“ S, Seite 117.
232
Horeb zu unſeren Füßen hinweg nordweſtlich zum Aarons-
gebirge, hinter dem der Serbal liegt, und nordöſtlich zum
Berge des heil. Epiſtemius, der auch der Kloſterberg heißt.
Zwiſchen beiden ziehen ſich lange Wüſtenſtriche hin, die
wieder von Gebirgszügen umſchloſſen werden. Im Oſten
endlich, ganz nahe unter uns, hatten wir den Wadi Se-
baye, der wie ein abgeſchloſſenes Aſil zwiſchen ſteinernen
Bergmauern ruht. Nordweſtlich, da wo der Weg aus
ihm nach dem Kloſter läuft, wird der Wadi vom Hutberge
begrenzt, dem Berge worauf Moſes die Heerden Jethro's
ſeines Schwiegervaters gehütet haben ſoll.
Dieſen Wadi Sebaye hält man, und zwar nicht ohne
Grund, für die Lagerſtätte der Kinder Israel während
der Moſaiſchen Geſetzgebung. Er iſt von großem Um-
fange und wie geſchaffen zu ſolch einem Feſtacte. Auch
giebt er eine vortreffliche Erklärung für den Ausdruck
deſſen ſich Moſes bedient: „Wer den Berg anrührt.“
Im Wadi Sebaye nämlich läßt ſich im eigentlichen
Sinne der Berg anrühren, da er ſo ſchroff aufſteigt daß
man ihn vom Fuße bis zum Scheitel wie eine abge-
ſchloſſene Perſönlichkeit vor Augen hat. Eben ſo ver-
hält ſichs mit den Worten: „Und das Volk trat unten
an den Berg.“ Selten ſteht man ſo eigentlich unten
am Berge, mit dem Blicke bis auf den mehrere tauſend
Fuß hohen Gipfel, wie im Wadi Sebaye am Fuße des
Sinai.
233
Das Beſteigen des Berges iſt direkt aus dem Wadi
faſt unmöglich; was gleichfalls nach Moſes Wunſch und
Plan ſein mußte, und wodurch „das Gehege um den
Berg“ um ſo voller ſeiner heiligenden Beſtimmung ent-
ſprach. Der Weg den Moſes auf den Gipfel nahm
könnte wohl mit demſelben Wege zuſammenfallen, der
noch heute die Pilgrime aus dem Kloſter hinaufführt.
Moſes ging dann zuerſt durch den Engpaß von Südoſt
nach Nordweſt, und dann von Norden nach Weſten. Die
ganze Wanderung wurde ſo von keinem Auge, auch nicht
aus der Ferne, begleitet. Sehr unbequem war ſie freilich
dieſe ſchroffen, zerriſſenen Felſen hindurch; man hat ſich
jetzt gar ſehr der Reſte von jenem oben erwähnten Stufen-
bau zu freuen. Deshalb darf man noch an einen zweiten
Weg – ein dritter wird nicht möglich ſein – für Moſes
denken; es iſt der aus dem Boſtanthale beim Kloſter der
Vierzig vorbei. Dadurch wird ziemlich die dem Wadi
Sebaye entgegengeſetzte Seite des Gebirgs betroffen.
Soll ich aber auch ſagen was die Annahme dieſes
Wadi als der großen Lagerſtätte behelligt? Es iſt der
enge mißliche Weg den die Israeliten, als ſie aus dem
Scheikthale kamen, zu ihm gehen mußten. Und zugleich
ſcheinen die Worte: „Moſes führte das Volk aus dem
Lager Gott entgegen, und ſie traten unten an den Berg“,
noch auf eine beträchtliche Räumlichkeit zwiſchen dem
Berge und dem Lager hinzuweiſen. Dafür hat allerdings
234
der Wadi Sebaye, ſo viel man auch von der angegebenen
Stärke des Heers Israel abziehen mag, durchaus keinen
Raum.
Als ich durch jenes impoſante Portal der ſenkrechten
Granitwände mehrere Stunden vor dem Catharinenkloſter
in die weite und nur durch vereinzelte Felsblöcke unter-
brochene Ebene eingetreten war, ſo faßte mich der Gedanke,
daß gerade hier der Schau- und Ruheplatz Israels bei
ſeinem heiligen Feſte geweſen ſein möchte. Doch treten
auch hieraus manche Schwierigkeiten hervor. Dagegen
bot mir der Wadi Rahah, als ich das Kloſter der Vierzig
beſuchte, neben der ergreifendſten Ueberraſchung durch die
majeſtätiſche Herrlichkeit der ſchroffen Abhänge des Horeb
nach Norden alles dar was geneigt macht hier die Lage-
rung der Israeliten anzunehmen. Denn auch hier läßt
ſich der Berg anrühren; auch hier läßt ſichs unten an den
Berg treten, und er ſelber läßt ſich in ein Gehege faſſen.
Hier war vollkommen Spielraum für zwei volle Millio-
nen, da es doch gut iſt die Zahl ſtreng zu nehmen, und
hier konnte Moſes in der That „das Volk aus dem Lager
Gott entgegen zum Berge führen.“ *
Daß man bei dieſer Anſicht mit dem Sinai den Horeb
vertauſchen möchte, hat keine wahre Schwierigkeit. Noch
heute ſteht die Bezeichnung der beiden Gipfel der Gebirgs-
* Doch ſ. weiter unten.
235
gruppe nicht feſt; ſo hat Ruſſegger im Fremdenbuche des
Catharinenkloſters den Sinai als Horeb, den Horeb als
Sinai benannt. Und bekanntlich ſtehen in den heiligen
Urkunden ſelber beide Namen, Horeb und Sinai, für den
Berg der Geſetzgebung“.
Uebrigens fand nach Moſis Beſchreibung der Act der
* Ich erinnere mich daß Rüppell, als ich mich 1843 in Mailand
ſeines lehrreichen Umgangs freute, unbedingt den jetzigen Horeb für
den Berg des Moſes hielt, und zwar namentlich deshalb weil beim
Sinai die rechte Lagerungsebene fehle. Auch ſeh' ich daß Robinſon,
der ſogleich bei ſeiner Ankunft am Sinai durch den Wadi Rahahzog,
von dieſem Terrän aufs Entſchiedenſte den Eindruck gewann, daß hier
einſt Israel gelagert geweſen. So lautet ſeine Beſchreibung: „Beim
Fortſchreiten erweiterte ſich das Thal immer mehr, ſtieg allmälig und
war voll von Geſträuch und Kräuterbüſcheln, auf beiden Seiten von
hohen Granitgebirgen mit wilden zerſplitterten Spitzen, tauſend Fuß
hoch, eingeſchloſſen, während die breite Felswand des Horeb ſich gerade
vor uns erhob. Sowohl mein Gefährte als ich brachen unwillkührlich
in die Worte aus: Hier iſt Platz genug für ein großes Lager! Sobald
wir oben auf der Höhe oder der Waſſerſcheide waren, lag eine ſchöne
breite Ebne vor uns, die ſich allmälig nach Südſüdoſt abdachte und
von rauhen, ehrwürdigen Bergen von dunklem Granit eingeſchloſſen
war: wilde, nackte, geſpaltene Spitzen und Kämme von unbeſchreib-
licher Erhabenheit. Etwa eine halbe Stunde weit nach hinten ſchloß
die kühne, hehre Wand des Horeb, die ſenkrecht in drohender Majeſtät
ſich zu einer Höhe von 1200 bis 1500 Fuß erhebt, das Ganze. Es war
eine herrliche erhabne Umgebung, ganz unerwartet und wie wir ähn-
liches nie vorher geſehen.“ – – „Als wir weiter gingen, erhob ſich
der Horeb wie eine Mauer vor uns. Man kann ganz nahe an den Fuß
deſſelben herantreten und den Berg anrühren.“ – – „Indem wir ſo
über die Ehne ſchritten, wurden wir davon ſehr ergriffen, daß wir hier
ſo unerwarteter Weiſe einen Fleck fanden, der ſo ganz zu der bibliſchen
Erzählung von der Geſetzgebung paßt.“
236
göttlichen Offenbarung unter Donnern und Blitzen ſtatt,
während eine dichte Wolke ſich auf den Berg niederließ.
Schon ein gewöhnliches Gewitter muß hier eine Erſchei-
nung ſein deren Großartigkeit alle Darſtellung übertrifft.
Ich habe – wenn man anders Zwerg und Rieſe ver-
gleichen darf – nie ein Echo von ſo nachhaltigem und
ſo erſchütterndem Eindrucke gehört als das der Ge-
wehre, die ich auf dem Sinai abſchießen ließ. Das erklärt
ſich aus der Form und Gruppirung dieſes ganzen Ge-
birgszuges, aus der Zerriſſenheit ſeiner vielen Höhepunkte,
aus den hohen wilden Zacken, in die er wie geſpalten iſt.
Es iſt mir ein bezeichnendes Bild dafür gekommen; ich
weiß nicht ob aus Erinnerung an die Anſchauungsweiſe
des Trappiſten Geramb. Es iſt nämlich als hätte das
Weltmeer thurmhoch ſeine ſturmgepeitſchten Wogen ge-
worfen. Mitten im Sturme beſchwor das Meer ein all-
mächtiges Zauberwort: die gebäumten Wogen ſtehn ver-
ſteinert. Ein Gewitter, das ſeine ſchweren Wolken nieder-
ſenkte auf dieſe Gottesburg, das noch dazu durchdrungen
war von wunderbarer Tendenz, was mußte das für ein
ergreifendes, ein über alle Erfahrung weit hinausliegen-
des Schauſpiel für das Volk Israel ſein, das aus Egyp-
tens Ebenen kam, da wo ſelbſt der Regen nur ſelten fällt
und ein Gewitter nicht leicht jemals ſeine Entladung findet.
Ich bin weit entfernt dem Wunder ſeine Glorie ab-
ſtreifen zu wollen; aber an dem natürlichen Faden, den
237
uns Moſes gegeben mit eigener Hand, zieht er uns auch
ſelber mit eigener Hand zur Anſchauung des Wunders
zu ſich hinauf.
Je näher der Mittag kam, deſto heller traten vor mich
die Umgebungen des Sinai; die leichten Wolkennebel hatte
der brauſende Sturm zertheilt; die Sonne warf einen ver-
klärenden Schimmer darüber. Die Scene war wunderbar
ſchön; meine Gedanken ergaben ſich dran wie Gefangene.
Jetzt gerade fiel mir der Abſchied von der heiligen Stätte
doppelt ſchwer. Ich begriff in dem Augenblicke recht wohl
das fromme Gemüth der Einſiedler, die einſt ihre ſchwär-
meriſche Begeiſterung fürs ganze Leben an den Sinai
gefeſſelt hat.
Als wir die oberſte Granitkuppe herabſtiegen, zeigte
mir mein Dragoman, etwa fünfhundert Fuß unter der
Höhe, den Fußtritt des Dromedars, das der Prophet auf
dem Sinai geritten. Man erkennt mitten im Felſen genau
die treuen Umriſſe dieſes Fußtritts. Das iſt doch nichts
anderes als eine Satyre, als eine Ironie auf den chriſt-
lichen Reliquiencultus. Es kömmt mir vor als ob durch
manchen Zug der Koran ſich zur Bibel verhält wie zum
Genie ſein Affe; dazu paßt vortrefflich dieſer vielverehrte
Fußtritt vom Dromedare Mahomets. Uebrigens giebt es
außer dem ſinaitiſchen noch drei andere, nämlich zu Da-
maskus, zu Cairo und zu Mekka.
Im Fremdenbuche des Kloſters hat dieſe muhameda-
238
niſche Reliquie eine eigenthümliche ſchriftſtelleriſche Bear-
beitung gefunden. Zuerſt ſchrieb ein Engländer nieder,
daß er unter allen heiligen Erinnerungszeichen - in den
Ländern wo poſitiver Glaube herrſche doch nichts ange-
troffen habe was dieſe Krone aller Reliquien überträfe e.
Ein zweiter Engländer erboste ſich über ſeinen Landsmann
und apoſtrophirte ihn: 0thou stupid fellow. Ein dritter,
und zwar der berühmte Miſſionär Joſeph Wolff, vergaß
im frommen Eifer ſich und die liberale Nation der er an-
gehört; denn er dekretirte dem Dromedarspasquillanten
„3times 40 bastinadoes.“ Ein vierter endlich betrübte
ſich über alle drei Schriftſteller; er vermahnte durch eitirte
Bibelſtellen zum Frieden und zur Artigkeit. Einem fünf-
ten iſts nun noch vorbehalten, die ſämmtlichen Fechthiebe
dieſer frommen und unfrommen Ritter zu ſich in die Taſche
zu ſtecken, um dadurch die Nachwelt der Pilgrime von
dem ganzen Aergerniſſe zu erlöſen.
Auf der Oaſe des Horeb brachten wir noch eine Weile
zu. Am großen vollen Quellbaſſin, das nach dem Pro-
pheten Elias benannt wird, ſchwärmten Gebirgsrebhühner.
Unter der ehrwürdigen Cypreſſe ſaß ich lange; hier ſah
ich zum letzten Male hinauf zum nachbarlichen hohen
Sinai.
Nahe an tauſend Fuß tiefer wurden wir durch zwei
Freudenſchüſſe überraſcht; es war eine Bewillkommnung,
die uns aus einer Grotte die zu einem fröhlichen Feſt-
-
239
mahle verſammelten Kloſterbrüder entgegenbrachten. Ich
fand dieſen Kreis faſt gemüthlich; ſelbſt der Prior war
von einer Liebenswürdigkeit die ich ihm nicht zugetraut
hätte. Der materielle Lurus beſtand in geſalzenen Fiſchen,
in rothen und weißen Eiern, in Bohnen, in Dattelbrannt-
wein und in einem delikaten Weine, der vom Sinai ſel-
ber ſtammt und mit dem Cyperwein einige Aehnlichkeit
hat. Auch die Pfeife fehlte nicht. Ein beſonderer Freund-
ſchaftsaustauſch beſtand darin, mit den Eiern zuſammen-
zuſtoßen. Die Brüder tranken mit mir von der Sinairebe
aufs Wohl alles deſſen was ich liebe in der fernen Hei-
math. Ich ſagte ihnen, das ſeien der Himmel, die Berge
und die Herzen. Ob ſie's ahnen mögen, die Freunde in
der Heimath, ſo ſagt' ich zu mir im Stillen, daß ich heute
hier ſo feſtlich ihrer gedenke.
Am Eingange unſerer Grotte ſaß ein hochbetagter aber
noch munterer Sänger, geboren am Sinai, einer der Leib-
eigenen des Kloſters. Es war ſo ein „Alter vom Berge.“
Er mußte uns ein paar Lieder ſingen, was unſer Feſtge-
lage erbaulich hob. Nur war zu meinem Bedauern mein
lieber Kyrillos nicht mit auf dem Berge; den traf ich
wenn auch nicht bei ſeinen Büchern, doch in den engen
Mauern ſeiner Zelle, die er mit lauter ſinnreichen Sprü-
chen beſchrieben hat.
240
Ich unterhielt mich mit Kyrillos über die Geſchichte
des Kloſters, in deren Studium er freilich bei ſeiner kurzen
Anweſenheit am Sinai nicht tief eingedrungen iſt. Ein
altes Dokument des Kloſters ſoll vom Propheten Mahomet
ſtammen; das Original ſoll ſeit Selim I. zu Anfange des
ſechzehnten Jahrhunderts ins Serail nach Conſtantinopel
gelangt, aber eine Copie davon, durch Selim beſtätigt,
dem Kloſter verblieben ſein. Kyrillos hatte ſie weder ge-
ſehen, noch glaubte er mehr davon als ich. Schon früher
hat man in Deutſchland den Tert des Documents ver-
öffentlicht, der meines Erachtens unmöglich aus Maho-
mets Feder oder Kopfe gefloſſen. Die Verordnungen darin
für die Pflege und Unterſtützung der Prieſter, der Biſchöfe
und Anderer, ſowie die Privilegien verſchiedener Art für
den chriſtlichen Cultus verrathen mehr den Stil der römi-
ſchen Curie als ein Schreiben des Propheten.
Auf eine andere handſchriftliche Merkwürdigkeit des
Sinai war ich ſehr geſpannt; es ſoll ein Evangelienbuch
ſein das aus dem Hauſe des Kaiſers Theodoſius kömmt.
Kyrillos hatte es, trotz ſeiner Eigenſchaft als Bibliothekar,
nicht geſehen; aber ein anderer Kloſterbruder und Signor
Pietro wußten mir davon eine genaue Beſchreibung zu
machen. Darnach ſowie nach den früheren Mittheilungen,
die ich darüber in Cairo erhalten, mag die Handſchrift
allerdings zu, den tauſendjährigen gehören. Aber alle
meine Schritte, freundlich und unfreundlich, waren um-
241
ſonſt; die Auskunft lautete, das Manuſcript ſei in der erz-
biſchöflichen Kapelle, deren gegenwärtiger Verweſer erſt ſeit
kurzem im Dienſte war, unauffindbar. Bei meiner Rückkehr
nach Cairo verſicherte mir der dortige Biſchof, es ſei vor
einigen Jahren zum Erzbiſchofe nach Conſtantinopel zum
Behuf einer Abſchrift geſendet worden. Allein auch in
Conſtantinopel fand ich keine Spur davon.
Das war von allen Seiten jene graeca fides. So
offen ich aber auch den Kloſterbrüdern die Lüge vorwarf,
ſie nahmen ſie unbedenklich hin. Der Prior iſt aus Creta
gebürtig; das berühmte Wort des Apoſtel Paulus über
die Cretenſer ſcheint er noch heute wahr zu machen. Ich
glaube nun daß das Manuſcript, wofür ſchon vor meh-
reren Jahren Lord Prudhoe zweihundertfunfzig Pfund
geboten hat, die man nicht angenommen weil man über
deren Vertheilung nicht einig geworden, in der That nach
England verkauft worden iſt. Zur Schande des Kloſters
meint man es nicht ſagen zu dürfen. Iſt es aber unter
Englands Himmel, ſo wünſche ich der chriſtlichen Literatur
Glück zu dem neuen Schatze. Denn daß es nun recht
bald dem Leben der chriſtlichen Kirche vermittelt werden
möchte, das iſt ein Wunſch deſſen Erfüllung von Män-
nern der Wiſſenſchaft gewiß ſchon betrieben wird.
Von einem anderen intereſſanten Documente iſt mir
erzählt worden; es ſoll die Urkunde der Stiftung des Klo-
ſters durch Juſtinian ſein. Unmöglich wäre ihre Eriſtenz
I. 16
242
nicht. Zu meiner Ueberraſchung fand ich in meinen eige-
nen heimgebrachten griechiſchen Manuſcripten einen Auf-
ſatz mit der Ueberſchrift: „Goldene Bulle, die der berühmte
Kaiſer Juſtinian dem Abte des Kloſters des heiligen Berges
Sinai gegeben.“ Das kann recht wohl aus einem uralten
Original gefloſſen ſein, obſchon es ſich keineswegs eine
Stiftungsurkunde nennen läßt. Ich werde mit deſſen
öffentlicher Mittheilung nicht zögern. Doch meine eigent-
lichen handſchriftlichen Arbeiten im Kloſter gehören nicht
hieher. Nur erwähn' ich noch daß ich in einem neugrie-
chiſchen Manuſcripte aſtrologiſche, naturhiſtoriſche, medi-
ziniſche und ähnliche Studien beſonderer Art niedergelegt
fand. Beim Artikel „über den Adler“ wird angeführt daß
ſein Herz, gekocht und heimlich der Frau unter ihre Speiſen
gebracht, dem Manne ihre ganze Freundſchaft und Liebe
zuwende. Andere Geheimniſſe will ich unverrathen laſſen.
Als der alte Mameluckenoberſt Gregorios die Note im
Manuſcripte geleſen, wo es als ein „ſataniſches Buch“
bezeichnet wird, „voll von böſen, gottloſen, ſeelenverderb-
lichen Sätzen,“ „ein Buch das nur deshalb nicht nach
Verdienſt verbrannt worden damit diejenigen die es leſen
vor den Menſchen mit dergleichen Zauberkünſten ſich hüten
könnten,“ machte er eine ſehr bedenkliche Miene dazu;
doch ließ er's in meinen Händen.
Mit meiner Küche im Kloſter kam ich in Verlegenheit;
es gab keine Hühner, und mit den Fiſchen war man ſehr
243
karg. Deshalb brachten mir die Beduinen ein fettes Lamm.
Da ich aber ihre Forderung zu hoch fand, that ich ihnen
mein Gebot und erklärte, daß ich bei jedem anderen Preiſe
auf den Kauf verzichte. Nachdem ſie vom Morgen bis
zum Nachmittag Anſtand genommen hatten, gingen ſie
auf den Handel ein. Ich meines Theils wußte wohl daß
ihnen der Aberglaube verbietet, ein feilgebotenes Lamm
wieder nach Hauſe zu führen.
Von meinen Wanderungen in die Thäler ums Kloſter
nur wenige Worte. Mein beſtändiger Begleiter dabei war
Signor Pietro mit den trüben Geiſtesaugen.
Der Spaziergang nach dem Boſtanthale, dem Thale
der Gärten, hat des Anziehenden ſehr viel. Pietro ſagte
mir, daß er immer die große Ebene Rahah als das bibli-
ſche Raphidim habe bezeichnen hören. Damit hängt natür-
lich der wunderbare Moſisfels zuſammen, nahe am Klo-
ſter der vierzig Märtyrer, in dem engen Arme den der
Wadi von Südweſt nach Nordoſt ausſtreckt. Merkwürdig
genug iſt dieſer vereinzelte mächtige Block röthlichen Gra-
nits. Von oben bis unten durchzieht ihn eine Ader, die
wie durchbrochen oder wie durchritzt ausſieht. Wahr-
ſcheinlich haben ſich dieſe Mundlöchern ähnliche Spalten
einſt beim Sturz vom benachbarten Berge gerade durch das
weichere Korn der Ader gebildet. Kein Wunder iſts daß
ihn der Mönchsglaube ſo feſt hält als den Felſen aus dem
Moſis Stab den Trank fürs murrende Jörael hervorlockte.
16*
244
Raphidim aber, obſchon es allerdings in großer Nähe
vom Sinai geſucht werden muß, läßt ſich nicht an den
Fuß des Horeb ſelbſt ſetzen. Die Israeliten kamen ſehr
wahrſcheinlich deſſelben Wegs wie ich zum Sinai, nämlich
durch Feiran und durchs Scheikthal. Auf dieſem Wege
alſo muß Raphidim liegen. Ich glaube, keine Oertlichkeit
wird dazu entſprechender ſein als die große „amphitheatra-
liſche, nur durch einzelne Felsblöcke unterbrochene Ebene,“
die ich gleich nach dem erhabenen Granitportale getroffen
und oben angegeben habe. Dieſe Ebene läßt ſich unbe-
denklich für den Schauplatz der Schlacht gegen Amalek
betrachten; wobei „des Hügels Spitze,“ worauf Moſes
bei der Schlacht mit der emporgehaltenen Hand geſtanden,
in keine Verlegenheit bringen kann. Der vereinzelte Fels-
hügel, unter dem ich dort am dreiundzwanzigſten Mai
Mittag hielt, beherrſcht vollkommen die Ebene und kann
des Moſes feierlicher Standpunkt geweſen ſein. Von da
bis zum Sinai iſt gerade noch eine kleine Tagereiſe, wie
ſie fürs Heer der Israeliten paßte.
Da wo der angeſtaunte Granitblock liegt kann man
noch weniger als anderswo an den eingetretenen Waſſer-
mangel glauben. Schon die fröhlichen Gärten in ſeiner
Nähe zeugen dagegen. Das ſinaitiſche Gebirg beſitzt einen
auffallenden Reichthum an herrlichen Quellen; ſonſt hätte
es wohl auch einſt die zahlreichen Einſiedler weniger zu
feſſeln gewußt.
245
Bei den beſchriebenen Felſen hatt' ich die Erneuerung
der Eindrücke vom Wadi Mokatteb. Sie ſtimmen aber
gerade hier vortrefflich zu der Erinnerungsfeier an die
großen Tage Israels. Wie, wenn ſich gar der wahre
Kern dieſer Inſchriften auf dieſelben Tage zurück bezöge
und das dem Scheine nach Störende ſpäterer Zuſatz wäre?
Wenigſtens iſt bei ihrer Zurückführung aufs vierte Jahr-
hundert ihre große Räthſelhaftigkeit um ſo überraſchender
weil ſie ſich an dieſer Stätte von Einſiedeleien und Klö-
ſtern aus noch früherer Zeit befinden, durch die doch eine
aufklärende Tradition ſo leicht konnte erhalten werden.
Von dem Grabe der verſchlungenen Rotte Korah,
das gleichfalls der Bibel zum Trotze hieher verſetzt wor-
den iſt, hielt ſelbſt mein Pietro nichts. Aber zwei andere
Merkwürdigkeiten zeigte er mir mit vollem Ernſte: den
Fels worauf Moſes, als er herab vom heiligen Berge
kam, die Tafeln des Geſetzes zerſchlagen, und die Form
für den Guß des goldenen Kalbes. Wenn es gleich in
mein Fach einſchlug, ſo mochte ich doch mit den Beduinen
nicht concurriren, die noch heute nach dem koſtbaren Funde
der Tafelreſte um den Felſen herum graben ſollen. Uebri-
gens hat derſelbe doch eins für ſich: Moſes konnte nämlich,
ſtieg er vom Horeb oder vom Sinai herab, gerade hier einen
guten Ueberblick über das frevelhafte Beginnen gewinnen.
Zu der ſteinernen Kalbsform hatt' ich daſſelbe Zutraun
wie zum Fußtritte des Prophetendromedars. Ich konnte
246
mich nicht entſchließen mit dem Auge des Forſchers dieſe
lächerliche Reliquie zu prüfen, für die ſich mehr als ein
begeiſterter Sprecher unter den europäiſchen Reiſenden
gefunden hat.
Dafür ergötzt' ich mich in den Gärten des Thales
unter den prächtigen grünen Bäumen, den Sykomoren,
den Granaten, den Cypreſſen; dafür wurd' ich nicht müde
mich dem Eindrucke hinzugeben den die Geſtalten des fel-
ſigen Berges mit ihrer melancholiſchen Wildheit, mit ihrer
düſteren Erhabenheit, mit ihrer ernſten Majeſtät ſo gewalt-
ſam machen.
Gleich der erſte der Gärten, den wir vom Kloſter her
links trafen, war gänzlich verlaſſen, bis auf einen jungen
Beduinen, einen Leibeigenen des Kloſters, den Pfleger
und Wächter des Gartens, den wir mit ſeiner ſehr jugend-
lichen Frau, die ſich eilig unſern Blicken entzog, unter
einem traulichen Laubzelte trafen. Ich hätt' ihn beſingen
mögen, dieſen Beduinen in ſeinem Paradieſe; faſt hätt'
ich ihn um ſein Loos beneidet. Welch eine glückliche Ein-
ſamkeit hat er hier, mit dem „Raum in kleiner Hütte für
ein glücklich liebend Paar.“ In Cairo erzählte mir Linant,
daß er einen dieſer Gärten im Boſtanthale eigenthümlich
beſitze und dort häufig im Sommer einen kurzen Aufent-
halt nehme. Nach ſolchen Erholungsreiſen, klingt's auch
gefährlich daß der Weg durch die Wüſte führt, könnte man
wohl Verlangen tragen.
247
Der Beſuch des Wadi Sebaye vertiefte mich ganz in
die bibliſchen Forſchungen. Da liegt der Sinai wie ein
ungeheurer Bau unendlicher Kräfte, wie ein Tempelwerk
aus längſt verklungener Vorzeit, zu dem ſich die Pyrami-
den verhalten wie kindliche Nachbildungen. Sein Gipfel
ſtarrt herunter wie eine drohende Rieſengeſtalt; aber ſei-
nen harten Ausdruck mildernd ſchmiegen ſich um ſein
Haupt wie ſpielende Kindlein die Kapelle und die Mo-
ſchee. Freilich iſt der Raum ohne allen Zweifel zu klein
für ein Heereslager von zwei Millionen; aber immer bleibt
noch die Auskunft übrig, das Lager ſelber in die weite
Ebene zu verlegen, da wo der Wadi Rahah und der
Wadi Scheik gerade vor dem Eingange zum Kloſterthale
zuſammentreffen, und anzunehmen, daß Moſes zum Feſte
der Geſetzgebung die Kinder Israel „aus dem Lager“
ins Thal Sebaye „Gott entgegenführte.“
Abſchied vom Sinai.
Gegen das Ende der Pfingſtwoche rüſtete ich mich
zum Abſchiede vom Kloſter. Hatt' ich auch manchen Miß-
fallen an den Mönchen und an ihren Gewohnheiten ge-
funden – wie ſchrecklich klang mir's daß ſie in dieſe weihe-
volle Einſamkeit ſogar eine Art Herausforderung auf den
Stock eingeführt haben; ſo beleidigt etwa ein Rusfleck
auf einem Madonnenbilde – ſo dacht' ich doch als ich
Schuberts Worte vom ſechsten März 1837 im Fremden-
buche las: „ich werde ſo lang ich lebe dieſer Tage mit
Freude und Dankbarkeit gedenken,“ ich dachte daß die
Worte aus meiner eigenen Seele ſtammen.
Ich bedurfte neuer Führer für meinen Rückweg nach
Cairo; zwei Scheiks kamen deshalb in den Kloſtergarten.
Ich wollte nicht umſonſt von jenem Franzoſen, dem Ka-
melarzte, erfahren haben, daß er für ein Kamel vom Sinai
bis nach Cairo ſiebenzig Piaſter zahlte, während ich für
meine Herreiſe hundertzwanzig bewilligt hatte. Ich bot
daher jetzt auf die Forderung der Scheiks von hundert-
funfzig nicht mehr als neunzig, mit ausdrücklicher Beru-
fung auf den Kamelarzt. Ei, ſagten ſie mir, wenn ich
249
ihr Kamelarzt ſein wollte wie der Lyoner Apotheker, ſo
wollten ſie mich gleichfalls für ſiebenzig führen. Da ich
mich ſo plötzlich im Wechſel des Berufs nicht verſuchen
mochte, ſo hob ſich unſere Conferenz auf.
Zwei Tage ſpäter contrahirte ich mit Scheik Huſſein
Erhebi. Auch er verlangte hundertfunfzig Piaſter, be-
gnügte ſich jedoch mit hundertzwanzig, unter der Bedin-
gung, daß der engliſche Conſul nachweiſen könnte, be-
reits im laufenden Jahre ſei derſelbe Preis für dieſelbe
Reiſe gezahlt worden. Da ich dazu ſelber den Beweis
lieferte – was ich voraus ſagte – ſo ging ich den Con-
trakt unbedenklich ein. Uebrigens benahm ſich bei unſerer
Ankunft in Cairo der Scheik, der Bruder des Contrahen-
ten, aufs Vortheilhafteſte. Nachdem der engliſche Conſul
meinen früheren Contrakt mit Zuziehung ſeines Dragomans
geprüft und richtig befunden hatte, gab er dahin ſeine
Meinung ab, meine Führer möchten ſich mit hundertzwan-
zig Piaſter zufrieden ſtellen. Das Geſammthonorar ging
aber in elf Theile, denn zu elf Beduinen war allmählig
mein Geleit angewachſen und die Vertheilung war unter-
wegs ſtets nach hundertfunfzig Piaſter berechnet worden.
Demohngeachtet geſtattete ſich der Scheik auf des Conſuls
Auskunft keine andere Entgegnung als das reſpektvolle
Zeichen unbedingter Zuſtimmung.
Für die Erkenntlichkeit der beherbergten Pilgrime hat
das Kloſter eine unbeſtrittene Vorliebe. Signor Pietro
250
kömmt dem Geſchmacke der Brüder freundlich zu Hilfe.
Ich fragte ihn um Rath wegen meines Geſchenks ans
Kloſter. Ich würde, ſagte er, für jeden Tag hundert Pia-
ſter bezahlen. Dann folgt ich meinem eigenen Rathe.
Uebrigens gilt das Kloſter für ſehr reich und iſt es auch.
Außer den ihm zugehörigen Stiftungen in der Ferne und
den reichlichen Geſchenken der Pilgrime, insbeſondere der
griechiſchen Chriſten, hat es viele Beſitzungen an einträg-
lichen Gärten und Olivenpflanzungen und Dattelwäldern
in Feiran, in Tor und anderwärts, die es den Händen
ſeiner leibeigenen Diener anvertraut.
Dieſe Leibeigenen des Kloſters, die Dſchebelijeh ge-
nannt, machen eine beſondere Klaſſe von Bewohnern der
ſinaitiſchen Halbinſel aus, und zählen wohl über tauſend
Seelen. Sie ſind Beduinen und ſind auch keine; denn
ſie werden von den eigentlichen Beduinen nicht für voll
angeſehen. Ihren Urſprung leitet man von den zweihun-
dert Wallachen und den zweihundert Egyptiern ab, die
durch den Kaiſer Juſtinian dem Kloſter bei der Stiftung
als leibeigene Diener ſollen beigegeben worden ſein. Trotz
dem daß ſie durch die Einfälle der Araber zu Muhameda-
nern geworden, ſind ſie doch in ihrer dienſtlichen Stellung
zum Kloſter verblieben. Nur einige und zwar neugetaufte
Chriſten befinden ſich in der Zahl; ihre Erſcheinung beim
Pfingſtgottesdienſte in der Kloſterkirche hatte mich durch
ihre Beduinentracht ganz überraſcht. Diejenigen die in
251
der Nähe des Kloſters wohnen erhalten jede Woche mehr-
mals Gaben vom Kloſter, beſonders Körbe voll Brod,
das von geringerer Güte iſt als das Brod des Kloſters.
Gleich den erſten Tag meines Aufenthalts im Kloſter
hört' ich am ſpäten Nachmittage ein gewaltiges Rufen
und Schreien. Das waren die vor dem Kloſter verſam-
melten Dſchebelijeh, Männer, Frauen und Kinder, die
ihre Ankunft und ihr rechtskräftiges Anliegen durch dieſe
ohrenzerreißende Muſik anmelden müſſen. Robinſon er-
zählt mit welcher Ehrfurcht ein alter Bergführer, Namens
Aid – die Dſchebelijeh haben das Privilegium des Ge-
leits auf den Sinai, den Horeb, den Catharinenberg –
dem ehrwürdigen Prior des Kloſters begegnete als er ihn
eines Abends zu El Erbain antraf. Aid kniete nieder und
küßte dem Prior, der die Schuhe ausgezogen, die nackte
Fußzehe, und war ganz glücklich den verehrten Patriar-
chen außerhalb der Kloſtermauern zu treffen.
Was das Verhältniß der eigentlichen Beduinen zum
Kloſter betrifft, ſo iſts in der Hauptſache ein friedliches,
obſchon man ſeine Dauer niemals verbürgen kann. Da-
für iſt aber auch das Kloſter zur Vertheidigung gerüſtet;
ſogar eine kleine Kanone beſitzt es, und eine beſtens aus-
geſtattete Rüſtkammer. Regelmäßig beſorgen die Beduinen
durch ihre Kamele die häufigen Transporte zwiſchen Cairo
und dem Sinai, wofür ſie das Kloſter zu honoriren weiß,
Außerdem begegnen die Beduinen den Kloſterbrüdern mit
252
einer wahren Hochſchätzung; auch glauben ſie an manche
heilige Geheimniſſe, in deren Beſitz das Kloſter ſei. Des-
halb wenden ſie z. B. bei andauernder Trockenheit ihre
Bitte an die Mönche, ſie möchten mit ihren unfehlbaren
Gebeten den Regen vom Himmel herabflehen.
In der Frühe des erſten Juni verließ ich das Kloſter,
Mit Freundlichkeit hatte man meinen Reiſevorrath bedacht.
Darunter befand ſich auch jenes eigenthümliche Dattel-
brod des Sinai, ohne Zweifel die ſchmackhafteſte aller
Kloſterarbeiten. Es wird aus Datteln und Mandeln des
Feiranthales bereitet, feſt zuſammengepreßt und in zuge-
nähte lederne Säcke gefaßt, ſo daß es unſerer Magenwurſt
von innen und außen ähnlich ſieht. Unter meinen Ge-
gengeſchenken ans Kloſter waren beſonders zwei Brillen
willkommen.
Als ich am Fuße des Kloſters angelangt war, fand
ich einige zwanzig Beduinen mit ihren Kamelen, die
ſämmtlich am Geleite Theil haben wollten. Ich ſah ihre
Schwerter gezogen und wurde ſehr unzufrieden; doch wur-
den ſie bald einig. Anſtatt der vier Kamele, die ich brauchte
und bezahlte, geleiteten mich elf, worüber ſie ſich unter
einander verſtändigten.
Rückkehr vom Sinai nach Cairo.
Als wir den erſten Mittag unter den Darfabäumen im
weſtlichen Theile des Scheikthales gehalten hatten und zum
neuen Aufbruche ſchritten, zerbrach dem Scheik Huſſein
beim Aufſteigen der Sattelknopf. Das war keine Kleinig-
keit. Er kam und bat mich inſtändig, für ihn ſeinen Bru-
der als Führer der Caravane mitzunehmen; denn außer
dieſem böſen Vorzeichen mit dem Sattelknopfe ſei ihm ſchon
von ſeinen Frauen aus einem Spiele vorhergeſagt wor-
den, daß ihm dieſe Reiſe Unheil bringen würde. Ich er-
innerte mich dabei an jenen alten griechiſchen Philoſophen,
der, als er ſich beim Fallen den Fuß verrenkt hatte, dieſem
Rufe in die mütterliche Erde zurückzukehren folgte, und
mußte darum meinen Huſſein ſehr philoſophiſch finden.
Ich fragte ihn: Iſt aber dein Bruder auch brav? Er
antwortete: Mein Bruder iſt braver als ich. So ließ ich
denn ſeiner Kümmerniß Recht widerfahren, und ihn zu
ſeinen Frauen nach Hauſe gehen.
Dieſe Beduinen hatten ſo ſehr wie meine erſten
Führer die vollkommenſte Einfachheit in ihrer Lebensweiſe.
254
Früh tranken ſie Kaffee; zu Mittag buken ſie friſches Brod
aus Mehl in der Form kleiner runder Kuchen, das ſchon
fertig war nachdem es einige Stunden in der heißen Aſche
gelegen; Kaffee tranken ſie gleichfalls dazu; des Abends
nahe an Mitternacht wiederholte ſich das Mittagsmahl.
Unterwegs rauchten ſie gern eine Pfeife; auch ſah ich ſie
mehrmals Kamelmilch trinken. Nur ausnahmsweiſe er-
hielten ſie etwas von meiner Küche, die eben auch nicht
à la parisienne war.
Bald gewöhnten ſie ſich meinen Wünſchen unbedingt
Folge zu leiſten. Ich weiß nicht ob ich es ſagen ſoll:
Mein Verkehr mit den Beduinen gehört zu meinen ange-
nehmſten Reiſeerinnerungen. Dieſe Kinder der Wüſte
leben in vielen Stücken ſo edel und ehrſam, daß ſie die
Menſchen der europäiſchen Cultur beſchämen. Ich muß
einige Züge ihrer Sitte anführen.
Sehr ſtreng wird bei ihnen der Familienreſpekt gehal-
ten; der Vater, das Haupt des Hauſes, iſt immer verehrt
und bedient von ſeinen Frauen und Kindern. Auch die
Mütter werden von den Kindern ſehr hoch geachtet: eine
freundliche Erſcheinung, die der ſonſtigen Zurückſetzung der
Frauen mildernd gegenüber tritt.
Die Frauen ſind auch gegen fremde Männer ſehr ehr-
erbietig, ſowie Niebuhr erzählt daß eine Frau, die ihm
in der Wüſte am Sinai begegnete, vom Kamel ſtieg und
entfernt vom Wege zu Fuß ging, bis ſeine Caravane
«G
255
vorüber war. Ich erhielt bei ſolchen Begegnungen wenig-
ſtens abgewendete Geſichter, allerdings eine unwillkom-
mene Ehrenbezeugung. Wer gedächte aber bei dieſen heu-
tigen Frauenſitten nicht an Moſis Erzählung von der
Braut Rebekka: „Und Rebekka hub ihre Augen auf und
ſahe Iſaak; da fiel ſie vom Kamel.“ Natürlich aus Re-
ſpekt. Ich will dabei nicht an die Verſchiedenheit der
Sitte bei unſeren Bräuten erinnern.
Die Mädchenehre wird nicht leicht bei den Beduinen
verletzt; die Verletzung büßt die Schuldige mit dem Tode.
Dabei kommen freilich die frühen Heirathen zu Statten.
Dagegen werden weniger ſtreng und ſogar mit einer ge-
wiſſen Freundſchaftlichkeit die ſeltenen Ausnahmen bei
Frauen behandelt.
Die Ehrlichkeit halten die Beduinen heilig. Im Naſ-
ſebthale ſah ich mehrere Gewänder an den Bäumen hän-
gen; anderwärts trafen wir einzelne und auch Heerden
Kamele, die ohne Wächter weideten. Mein Dragoman
ſagte mir daß die Beduinen dergleichen unbeſorgt auf län-
gere Zeit thun; denn keiner beſtehle den andern. Rechts-
händel in ihrer Mitte ſchlichten ſie auf eine einfache Weiſe
durch gewählte Schiedsrichter. -
Als ein Beweis großer Innigkeit fiel mir auf, daß
ſie ſich einander bei Begegnungen vielmals küßten. Auch
mit den verbindlichen Handceremonien waren ſie nicht
karg.
256
Die Beduinen leben ſo frei, ſo unabhängig, daß ſie
nimmermehr mit dem zwangsvollen Leben eines deutſchen
Hofmanns tauſchen würden. Ihre Wüſte mit ihren Ka-
melen lieben ſie über Alles; ſie befinden ſich unwohl, ſind
ſie genöthigt wenn auch nur auf kurze Zeit zwiſchen den
engen Mauern der Stadt zu verweilen. Bei dem allen
ſind ſie immer zum Kriege gerüſtet; ihre Waffen begleiten
ſie getreu. So hoch ſie, wie die Orientalen überhaupt,
die Pflicht der Gaſtfreundſchaft achten, ſo nachdrücklich
üben ſie die Blutrache.
Was mir den Verkehr mit den Beduinen noch inter-
eſſanter machte, das war die Erinnerung an die alten
Patriarchen, von deren Leben ſich unverkennbar noch heute
manche Züge erhalten haben. Auch herrſcht noch heute
jene Abneigung der Städter und auch der Ackerbau treiben-
den Fellahs gegen das Hirtenvolk, welche Moſes bei der
Ankunft der Familie Jacobs im Lande Goſen erwähnt:
„Denn was Viehhirten ſind, das iſt den Egyptiern ein
Gräuel.“
Ein Gedanke, eine Hoffnung drängte ſich mir wieder-
holt auf, als wir mit einander durch die Wüſte dahin-
- zogen: Dieſe Beduinen werden leicht zu einem einfachen,
lauteren Chriſtenthume bekehrt werden. Daß ohnehin
ihre Ausübung des Muhamedanismus ſehr larer Art iſt,
hab' ich ſchon erwähnt. Die Achtung, die ſie vor den
europäiſchen Reiſenden haben, muß das Werk der Bekeh-
257
rung vorzüglich fördern. Ich wünſche von Herzen, daß
recht bald die proteſtantiſchen Miſſionsanſtalten meinen
Gedanken theilen mögen, dann wird auch meine Hoffnung
bald erfüllt ſein.
Neben den Beduinen hat mich das Kamel viel be-
ſchäftigt. Ich glaube daß ihm die modernen Phyſiologen
unter ihren vielen Phyſiologien noch keinen Platz gegönnt
haben; demohngeachtet bietet es ihnen den dankbarſten
Stoff. Ich ſelbſt will keineswegs einen Verſuch machen;
nur hervorheben will ich daß es in der Welt keine ver-
fehlten Carrieren geben würde, wäre Jedermann ſo ſehr
an ſeinem Platze wie das Kamel in der Wüſte. Allbe-
kannt iſt ſein Talent, der Tränkung viele Tage entbehren
zu können, wobei jedoch die frühe Gewöhnung in Betracht
kömmt; beim häufigen Waſſermangel in der Wüſte iſt ein
anderes Thier gar nicht im Stande lange Strecken aus-
zudauern. Seine Nahrung findet das Kamel auch in der
ſandigen, unfruchtbaren Wüſte faſt überall; denn es be-
gnügt ſich mit allerhand Kräutern, Laubwerk und Sträu-
chern die keine Tagereiſe weit gänzlich fehlen und die zum
Theil, wie die hartſtachlichen Diſteln, nur für den feſten
Knorpelbau ſeines Mauls tauglich ſind. Selbſt aber auf
den Fall des wirklichen Mangels iſt das Kamel ſehr eigen-
thümlicher Weiſe gerüſtet; dann zehrt es nämlich, wie aus
einer nachhaltigen Proviſionstaſche, von ſeinem eigenen
I. 17
258
Höcker, der bei fetten Kamelen am vollſten, bei magern
am ſchmalſten und kleinſten iſt.
Der lange Hals dient ihm vortrefflich, um ohne Stö-
rung ſeines Gangs und ſeines Reiters von beiden Seiten
des Wegs wegzuraffen was ſich nur irgend Köſtliches
findet. Auch dient er dem Beduinen um ſich über denſel-
ben ſofort auf den Rücken des Thiers zu ſchwingen.
Der Gang des Kamels durch die Wüſte iſt leiſe wie
auf Socken; auf wenige Schritte hört man faſt nichts von
einer Caravane von hundert Kamelen. Sein Fuß iſt
unten mit einer weichen und doch rauhen Haut belegt;
deshalb geht es am liebſten auf dem harten Kiesſande der
Wüſte, und ſchreitet über gefährliche Felſen, wenn ſie nur
nicht allzu glatt ſind, ſo ſicher wie ein Maulthier.
Die Laſten die es zu tragen vermag ſind nicht gleich;
ich ſah Ladungen von faſt tauſend Pfund. Da es zu
hoch iſt um ſtehend beladen zu werden, ſo hat es harte
Kniegelenke, auf die es leicht niederfällt, und die allmählig
um ſo unempfindlicher werden da es auf ſeinen Knien zu
ruhen und auch zu freſſen pflegt.
Die Milch der Kamele ſchmeckt angenehm und iſt nahr-
haft. Das Fleiſch derſelben – namentlich von gefallenen,
weil es zum Abſchlachten der anderen nicht leicht kömmt
– wird gleichfalls von den Beduinen genoſſen.
Von der Geduld iſt das Kamel ein Muſterbild; es
wird nicht leicht böſe zum Ausreißen; aber in der Wüſte
259
möchte ſich auch ein entflohenes Thier ſchwer wiederfin-
den laſſen.
So liefert das Kamel wohl noch einen beſſern Tert
zu einer Predigt über die göttliche Vorſehung als jener
Hund den ein Jeſuit mit auf die Kanzel brachte, zur Predigt
über die Spürtalente des Jeſuitenordens. Oder wenig-
ſtens begreift man nun, daß die Geburt eines Kamels zu
einem Freudenfeſte der Familie wie die Geburt eines Kin-
des wird; denn mit den Worten: Es iſt uns ein neues
Kind geboren, wird es ſogar bei ſeinem Erſcheinen in der
Welt begrüßt. Auch begreift man, wie der Zuruf: Du
biſt mein Kamel, oder: O du mein Kamel, der Ausdruck
zärtlicher Neigung ſein kann, womit namentlich die Frau
ihren Gatten regalirt.
Zu den Bekanntſchaften von Intereſſe, die ich in der
Wüſte machte, gehören die Heuſchrecken. Sie waren
zwar keineswegs zu einer egyptiſchen Landplage ange-
wachſen, was für einen Kritiker und Ausleger der Bibel
eine allzu ſchmeichelhafte Erfahrung geweſen wäre; auch
zogen ſie mir nicht, wie es anderen Reiſenden begegnete,
als ein geſchloſſenes Armeekorps entgegen, das für alle
Länderſtrecken die es angriff traurige Verwüſtung, leere
Brandſtellen zurückließ; ſie lagen nur in zahlreichen klei-
nen Schwärmen auf den Sträuchern der Wüſte und flat-
terten, wenn wir uns annäherten, wie leichte Wolken vor
17 *
260
unſeren Augen vorüber. Diejenigen die ich in der arabi-
ſchen Wüſte nahe beim rothen Meere ſah waren wahr-
ſcheinlich von derſelben Gattung, die Shaw und Morier
beſchrieben haben. Sie waren an den Schenkeln und am
Körper, der gegen drei Zoll Länge hatte, glänzend gelb,
und hatten braungefleckte Flügel. Dagegen traf ich in
Paläſtina und Syrien eine Art, die um ein weniges klei-
ner und von Farbe grau und lichtroth war. Mit dem
unteren Flügel verbreiteten ſie, wenn ſie flogen, einen röth-
lichen Schimmer. Sie ließen ſich nicht eben leicht haſchen;
ſie waren kräftig und gewandt.
Ganz kürzlich erſt hat Egypten wieder von einer Heu-
ſchreckenplage zu leiden gehabt. Mehemed Ali ſetzte auf
jeden Korb den man mit dieſen Thierchen gefüllt ein-
brachte einen kleinen Preis aus: das half dem Uebel vor-
trefflich ab. Doch wußte ſich der ſchlaue Fürſt für ſeine
Ausgabe zu entſchädigen; denn er ließ ſich, wie mir er-
zählt wurde, hinterdrein ſein Geld zurückzahlen.
Uebrigens haben die Beſuche der Heuſchrecken doch
auch eine freundliche Seite; ſie werden nämlich von vielen
Orientalen, z. B. von den Arabern und den Perſern, mit
Appetit gegeſſen. Ihre Zubereitung iſt eine mannigfaltige.
Sie werden ſowohl friſch als geſalzen oder auch, und das
iſt das üblichſte, geröſtet genoſſen. Die geröſteten werden
bald mit Salz und Gewürz ſchmackhaft gemacht, bald mit
Reiß und Datteln vermiſcht. Ihr Geſchmack wird ver-
261
ſchieden angegeben; dem der Seekrebſe ſcheint er am ver-
wandteſten zu ſein.
Trotz dem kann man's den Bauern nicht verdenken,
wenn ſie einer auf den Flügeln des Oſtwindes, den bei
Erzählung der egyptiſchen Heuſchreckenplage auch Moſes
anführt, heranziehenden Caravane dieſer kriegeriſchen
Gäſte mit Geſchrei und Lärm entgegentreten, wodurch es
ihnen bisweilen gelingt die Niederlaſſung derſelben von
ihren Gärten, Feldern und Fluren abzuwenden. Auch
halten ſie es für ein Verbrechen ſich an dem ſchönen gold-
gelben Vogel, Samarmar, zu vergreifen, der mit noch
größerem Appetite als der Araber die Heuſchrecken ver-
zehrt. Die ſicherſten und ſtärkſten Vertilger derſelben ſchickt
aber der Herr noch heute wie zu Pharao's Zeit durch
ſeine Winde, welche die läſtigen Schwärmer ins Meer,
beſonders – der Süd- und Südoſtwind – in die mittel-
ländiſchen Fluthen treiben. Im Schwimmen gelten die
Heuſchrecken für keine Helden.
Die gefährlichſten Begegnungen in der Wüſte ſind
aber unſtreitig die Schlangen. Auch dieſe ſind mir wie-
derholt geworden. Auf dem Rückwege von Suez nach
Cairo erhoben meine Beduinen zwei Mal ihr Angſtge-
ſchrei: „eine Schlange,“ „eine Schlange.“ Mein Drago-
man ſäumte nicht vom Kamel zu ſpringen und die beiden
Schüſſe ſeiner Doppelflinte auf die Wellen des geſchmei-
digen Thiers abzudrücken, während die Führer eilig die
262
Kamele aus der Nähe drängten. Dieſe beiden Schlangen
waren keine Elle lang, gelten aber für die gefährlichſten
und giftigſten. Es waren ſogenannte gehörnte Schlan-
gen, Ceraſten, die bekanntlich ihren Namen von ihren zwei
kleinen auf dem Kopfe hervorragenden Fühlhörnern haben.
Wenn dieſe Fühlhörner allein aus dem Sande hervor-
ſpitzen, ſo verlocken ſie die Vögel, die ſie für Würmer
halten; aber ſchnell umſchlingt ſie der giftige Verführer.
Die Schlangenſpuren die ich im Sande geſehen ſind
ganz unzählig; weite Sandſtriche waren davon wie
durchadert.
Unter meinen Kamelen befand ſich eins mit einer
Wunde von einem Schlangenbiß, die noch alle Tage
blutete. Die Beduinen ſorgten ſich nicht ängſtlich darum;
ſie ſagten mir aber daß auch das Kamel in der Regel von
einem vollen Schlangenbiſſe ſehr bald ſtirbt. Da es ſo
leicht iſt, von dieſen Thieren, beſonders während der Nacht
auf dem preisgegebenen Lager im Sande, gebiſſen zu wer-
den, ſo hatt' ich mich von meinem Arzte in Cairo genau
über die nöthigen Maßregeln für dieſen Fall unterrichten
laſſen. Fürs einzige ſichere Mittel hielt er das ſchleunige
Ausſaugen der Wunde, was für den ſelber der die Hilfe
leiſtet nur dann Gefahr bringt, wenn er an den Lippen
oder im Munde eine wunde Stelle hat. Erſt nach dem
Ausſaugen hat noch das Ammoniacum ſeine wohlthätige
Wirkung.
263
Von meinem Rückwege nach Suez halt ich eine Wen-
dung der Erwähnung werth, die wir am Abende des drit-
ten Tages vom Wadi Taibe zum Wadi Garandel nahmen.
Wir umgingen nämlich das hohe felſige Gebirge, das vor
dem heißen Pharaobade liegt, im Weſten und zwar trotz
der herrſchenden Ebbe eine Strecke lang ſo dicht beim
Meere, daß von zwei neben einander gehenden Kamelen
das eine im Waſſer waden mußte. Ich hatte meinen
Führern, die bis auf den Mondſchein warten wollten, die
angebliche Gefahr des Wegs nicht geglaubt; aber ich ſah
jetzt daß es in der That Vorſicht galt. Der Umſtand,
daß das Meer hier ſo nahe ans Gebirg herranreicht, iſt
wichtig um die Unmöglichkeit der Annahme darzuthun,
daß hier die Israeliten am Schilfmeer hingezogen ſeien.
Am vierten Tage als wir kurz vor Mittag ins Ga-
randelthal, öſtlich von der Ouelle, ankamen, erfuhr ich die
heißeſte Temperatur meiner Reiſe. Bevor wir hielten,
war's mir als hielt ich das Geſicht einem lodernden Ka-
minfeuer entgegen. Den nackten Fuß auf den Sand zu
ſetzen, war unmöglich. Wir zogen erſt nach Sonnenun-
tergang weiter; demohngeachtet hatt' ich die Kleider kaum
angelegt, ſo waren ſie bei der fortdauernden Schwüle
durchfeuchtet.
Den Tag darauf des Nachmittags, als ich vom Wadi
Sadr aufbrechen wollte, erlebte ich ein ſchreckliches Schau-
ſpiel. Es iſt mir koſtbar geworden, da ich's glücklich über-
264
ſtanden. Es war das Schauſpiel des berüchtigten Chamſin.
So gefährlich wie der geweckte Leu, ſo verderblich wie der
Zahn des Tigers iſt die Begegnung mit dieſem Schreck-
niſſe der Wüſte.
Es war nach fünf Uhr; ich wollte eben das Zelt ab-
brechen laſſen, damit ich noch vor Mitternacht nach Ajin
Muſa käme, um den folgenden Morgen die Ebbe zum
Durchgange durchs Meer zu benutzen: da riß ein plötz-
licher Windſtoß das Zelt und mit ihm mich ſelber nieder.
Als ich mich herausgearbeitet hatte, ſah ich bereits kaum
noch wenige Schritte weit; aber bald war ich in den dich-
ten hochröthlichen Sandſtaub wie in eine Wolke einge-
hüllt. Es fehlte wenig daß die drückend heiße Luft er-
ſtickend wurde; dazu herrſchte ein Getöſe um uns und
über uns, gewaltiger und wilder als das Meer wenn es
im Sturme toſt; es erinnerte mich am lebhafteſten an die
donnerbegleiteten Ausbrüche des Veſuvs. Dies Getöſe
war um ſo ſeltſamer da es doch weit und breit an allen
Bauten und Wäldern fehlte; nur vom Meere waren wir
nicht gar fern.
Die Beduinen hatten eiligſt die Kamele in die Enge
zuſammengeführt, damit ſie vor Ueberraſchung nicht aus-
reißen möchten; wir ſelber lagerten uns dicht unter einem
zwar niedrigen doch buſchigen Sandhügel, der uns zum
Heile war; ich ließ mich noch überdecken ſo ſehr es mög-
lich war. Der Zuſtand durfte nicht lange andauern,
265
ſollte er mich nicht im Reiſekleid und in ſo guter Geſell-
ſchaft, aus dem Wadi Sadr ins Thal des Todes hinüber
ſpielen.
Ich war eingeſchlummert; gegen Acht ſagte mir mein
Dragoman, daß die Gefahr vorüber und der Sturm ſehr
ſchwach geworden ſei; doch könne man nur vielleicht nach
Aufgang des Mondes an den Aufbruch denken.
Ich ſchlief wieder ein und erwachte nach Mitternacht.
Da ſtand ein Viertel der Mondſcheibe rein und klar über
mir. Wie aus einem ſchweren Traume athmete ich auf.
Mit heißer Dankbarkeit hing mein Auge an dem heiteren
nächtlichen Himmel. Aber mein guter Stern, dacht ich,
hat mich nicht umſonſt geweckt; ich wollte drum ſogleich
aufbrechen um meinen früheren Vorſatz noch auszuführen.
Meinen Beduinen war es freilich eben ſo unglaublich als
unbehaglich. Und unbehaglich war's auch mir ſelber; denn
ich merkte jetzt daß mir der Sandſtaub in den Augen und
in den Ohren, im Munde und im Halſe lag; daß er mir
in die Aermel und überall hin gedrungen war. Doch nach
einer halben Stunde ritten wir, die kühle Nacht hindurch
die leider bald ſehr feucht wurde, ohne Ruh und Raſt den
Moſisquellen zu.
Als ich in Suez mit dem Generalconſul Coſta von -
meinem Abenteuer ſprach, nannte auch er die Gefahr ſehr
groß die ich überſtanden. Er erzählte mir, daß erſt vor
vier Jahren ein junger Schweizer, ſeinen Abmahnungen
266
zum Trotze, nach Cairo aufgebrochen ſei als ſich eben der
Chamſin erhob; aber wenig Stunden darauf ſeine Un-
überlegtheit mit dem Tode gebüßt habe. Außerdem er-
zählte man mir von ganzen und ſtarken Caravanen, die
eine Ueberraſchung durch den Chamſin mitten in der ſchutz-
loſen Wüſte im Sande begraben hat. Darnach darf ich
allerdings keinem Reiſenden rathen meinem Beiſpiele zu
folgen, und die Zeit des Chamſin von Mitte April bis
Mitte Juni zu einer Wüſtenreiſe zu wählen.
Als wir einen Tag weit hinter Suez waren, kehrten
auch meine erſten drei Führer zurück; aber ſie kamen wie
aus der Schlacht, beladen mit reichlicher Beute. Der
Stamm von Tor (am Geſtade des rothen Meeres), zu
dem auch jene Beduinen gehörten die in Suez bei meiner
Durchreiſe ſo nachdrücklich das Recht der Führung gegen
meine Begleiter beanſpruchten, hatte ſchon lange unfreund-
liche Geſinnungen gegen die paläſtinenſer Einwanderer am
Mokattam geäußert. Dafür hatten dieſe jetzt Rache ge-
nommen. Meine drei Führer waren, in Vereinigung mit
ſiebzehn ihrer Stammgenoſſen, auf die Kamelheerden der
Beduinen von Tor gefallen und hatten ſie als Beute
weggeführt. Dreihundert Verfolger waren aufgebrochen;
im Dorfe El Bada* waren ſogar einige davon mit mei-
nem Attajö zuſammengetroffen und hatten ihn, natürlich
* S. Seite 191.
267
ohne ihn zu kennen, nach der Spur der Raubhelden ge-
fragt. Demohngeachtet waren dieſe ihnen unerreichbar
geblieben. Es läßt ſich kaum begreifen wie zwanzig Be-
duinen eine Heerde von vierhundert Kamelen dieſe Wüſte
und Felſen hindurch ſo ſicher vor den Augen der dreihun-
dert Nachſpäher entführen konnten. Nunmehr waren ſie ge-
borgen; ihre Heimath lag nur noch eine Tagereiſe entfernt.
Als dieſer prächtige Zug von vierhundert Kamelen,
von denen viele ſo ſchönes und vollbuſchiges Haar trugen
daß ſie noch ungebraucht zu ſein ſchienen, bei uns vor-
überkam, und meine Beduinen den Zuſammenhang be-
griffen, ſo geriethen ſie in nicht geringe Beſorgniß. Schnell
trieben ſie ihre eigenen elf Thiere zuſammen. Aber meine
alten Führer kamen um mich einen Augenblick im Zelte
zu beſuchen, und ihr Scheik aß Brod mit meinen Beglei-
tern, das dieſe in aller Eile aufs Zuvorkommenſte buken.
Das flößte ihnen Muth ein; ich erfuhr, daß es ein ſtren-
ges Geſetz der Beduinen iſt, den als Freund zu betrachten
mit dem man Brod gegeſſen. Dennoch wachten ſie des
Nachts bei fortwährend unterhaltenem Feuer, wozu ich
ihnen einen tüchtigen Kaffee geſchenkt hatte. Ich meines
Theils ſchlief ruhig; denn ich war an meinen alten Füh-
rern meiner Freunde gewiß, und freute mich daß ich dieſe
tapferen Leute in meinem Dienſte gehabt. Dieſer Raub-
zug war nun freilich ein überraſchendes Nachſpiel zum
großen friedlichen Salechfeſte
268
Später erfuhr ich in Conſtantinopel, daß die Bedui-
nen von Tor die Vermittlung Mehemed Ali's nachge-
ſucht hatten, wornach ſie unter gewiſſen Bedingungen faſt
ihre ſämmtlichen Kamele zurückerhalten mußten.
Reiſe nach Jeruſalem.
Am einundzwanzigſten Juni des Nachmittags um
Fünf nahm ich von Neuem und zwar vielleicht auf immer
Abſchied von Cairo. Jeruſalem war mein Ziel. Ich be-
daure daß ich nicht vom Sinai aus ſogleich über Akaba
Petra und Hebron dahin gegangen bin; ich hatte aber für
meine Rückkehr nach Cairo neben anderen Gründen auch
den gehabt, zum Behufe meiner handſchriftlichen Forſchun-
gen die koptiſchen Klöſter bei Damiette zu bereiſen. Ich
gab dieſen Plan jetzt auf, da meine Erwartungen von
jenen Klöſtern herabgeſtimmt wurden und weder der Beſuch
von Damiette, dem eigentlichen Herde der Peſt, noch der
Weg zu Waſſer von dort auf einem türkiſchen Küſten-
ſchiffe etwas Anziehendes beſaß.
An meine Abreiſe von Cairo knüpfte ſich ein Aben-
teuer. Faſt eine Stunde hatt' ich das Thor im Rücken,
als plötzlich mehrere arabiſche Reiter anſprengten, in kei-
ner andern Abſicht als um mich anzuhalten. Ich ritt
allein meiner Caravane voraus und empfing die unver-
ſtändlichen, doch zugleich recht wohl verſtändlichen De-
monſtrationen dieſer Cavalleriſten aufs Unfreundlichſte.
270
Als ich die Erklärung darüber erhalten hatte, ſah ich auch
ſchon hinter mir ein Geſchwader von vielen Reitern zu
Eſel und einen Schwarm Fußgänger über Hals und Kopf
heranrücken. Der Sekretär des öſterreichiſchen Conſulats
ritt daraus hervor und ſagte mir, daß ein angeſehener
Italiäner, Namens ––, dieſen Morgen eine Summe
von zehn tauſend Gulden anſtatt zu einem Banquier in
ſeine eigene Taſche befördert, und daß man erzählt hatte,
derſelbe habe ſich meiner Caravane nach Syrien ange-
ſchloſſen. Wahrſcheinlich hatte man meinen Dragoman,
der trotz ſeiner orientaliſchen Tracht den Franken verrieth,
mit jenem Flüchtlinge verwechſelt. Er machte mir nun
eine genaue Beſchreibung deſſelben und gab mir die Voll-
macht, im Falle der Begegnung mich ſofort ſeiner zu be-
mächtigen. Die getäuſchte Erpedition kehrte zurück; von
der Vollmacht konnt' ich keinen Gebrauch machen.
Als wir an den Brunnen zu Mataryeh kamen, beſah
ich noch einmal den alten ehrwürdigen Sykomorusbaum
woran ſich jene Sage knüpft, daß er die heilige Familie
auf der Flucht nach Egypten wunderbar beſchützt habe.
Mit dem ſchönen Waſſer des berühmten Sonnenquells
ließ ich meine Schläuche füllen. -
Am nächſten Nachmittage erfuhr ich wie ſchlecht die
Wahl meiner Führer ausgefallen war. Wir hielten vor
Kanka; ich wollte noch mehrere Stunden Wegs machen;
aber meine Führer zwangen mich zu halten, indem ſie mir
271
ihre unbeſiegbare Furcht vor den Räubern hinter Kanka
vorhielten. Sie hatten dafür den Beweis, daß erſt vor
wenigen Tagen einem Straßenräuber zu Kanka der Kopf
war abgeſchlagen worden. Im Grunde aber, abgeſehen
von ihrer wirklichen Furchtſamkeit, wünſchten ſie ſich einer
uns nachrückenden Caravane anzuſchließen, die aus vier-
zig Kamelen beſtand und ihnen befreundet war. Dieſe
arabiſche Geſellſchaft, welcher Frauen und Kinder die Be-
quemlichkeit zur Pflicht machten, war mir durchaus unbe-
haglich; ich beſtand vom nächſten Morgen an auf unſere
Trennung. Meine jetzigen Führer waren übrigens keine
Beduinen; im Gegentheil ſprachen ſie verächtlich von den
Beduinen die uns begegneten und die ſie „Araber“ nann-
ten. Zwei von ihnen waren in El Ariſch anſäſſig; der
dritte war ein ſchwarzer Sclave.
Aber auch von meinem Dragoman muß ich eine Nach-
richt geben. Ich hatte ſchon meinen braven Ali aus Gizeh
für die Reiſe nach Syrien gewonnen, als mir mehrere
Freunde an deſſen Statt einen Landsmann anempfahlen,
der ohne Mittel war um, wie er wünſchte, nach Jeruſa-
lem zu reiſen. Er war aus den preußiſchen Oſtſeepro-
vinzen gebürtig und war ein Schneider, hatte ſich in Con-
ſtantinopel und in Cairo jahrelang aufgehalten und ſprach
das Arabiſche vollkommen. Man erzählte mir, daß die
vielen galanten Abenteuer des hübſchen jungen Deutſchen
ſeine Abreiſe aus der alten Kalifenſtadt wünſchenswerth
272
machten. Da er – ein wahrer homme à tout faire –
zugleich in den Künſten der Küche bewandert war und
auch die nöthige Energie für die Caravane zu haben ſchien,
ſo ließ ich mich, trotz der nöthigen Vorſicht gegen derglei-
chen Landsleute in ſolchen Ländern, zum Tauſche bewegen
und nahm den „ſchönen Friedrich“ in meine Dienſte.
Daß er zur Nadel ſtatt zur Fahne geſchworen, ſah
ihm Niemand an als er neben mir auf ſeinem Kamele
ritt, vom Kopfe bis zum Fuße türkiſch gekleidet, geſchmückt
mit einem blinkenden Schleppſäbel, ein Paar Piſtolen im
Gürtel. Ich hatte ſeine Wahl nicht zu bereuen, obſchon
es ihm mit dem Commando der Führer nicht recht gelang.
Dafür wußte er mir Tauſenderlei zu erzählen; auch er-
fuhr ich durch ihn daß die deutſchen Wanderer ſeines
Standes und anderer ähnlichen im fernen Auslande eine
Art Coalition bilden, deren Nachdruck ich nimmermehr
geahnt hätte. Leider hört ich von ihm zu ſpät daß die
Cairiner Eſeltreiber vor den „groben Deutſchen“ einen
beſonderen Reſpekt hegen; ſoviel ich mich erinnere, haben
ſie mir die Nationalität nicht angeſehen. Eine Anekdote,
die darauf gewirkt haben mag, erlaub' ich mir mitzutheilen.
Ein Deutſcher, von der Profeſſion meines Dragomans,
hatte den Sonntag allzu naß gefeiert – eine der ſchlech-
ten Vorarbeiten fürs chriſtliche Miſſionsgeſchäft. Er ritt
von Bulak nach Cairo heim, und machte ſich in den Stra-
ßen mit gezogenem Säbel Platz. Alles wich ihm aus –
273
im Oriente gilt jeder was er de facto iſt – bis auf einen
Seis, der mit einem ebenſo guten Gewiſſen wie ſein grauer
Vierfüßler ruhig ſeines Weges zog. Aber der voltigirende
Reiter geräth an den Eſel und ſchlägt ihm die Naſe ab.
Der Seis klagt, er will Erſatz für ſein Thier; der Schnei-
der ſowie der Eſel ohne Naſe werden geſetzt. Allein bei
den üblichen Provokationen der Franken auf ihre Conſuln
zog ſich die Sache in die Länge, während der geſetzte Eſel
trotz der fehlenden Naſe den beſten Appetit entwickelte.
Das Endreſultat war: Man bedeutete den Seis, man
werde ſein Thier fortſchicken wenn er es nicht zurückneh-
men wolle; der deutſche Held aber behielt nicht nur, ge-
gen die Sitte der orientaliſchen Rechtspflege, ſeine eigene
Naſe, ſondern erhielt auch von Seiten ſeines Conſulats
noch eine darzu.
Die erſten vier Tage unſerer Wanderung zogen wir
durch belebte fruchtbare Gegenden; waren wir doch größ-
tentheils im Lande Goſen, jenem Kleinode Egyptens.
Wir kamen an herrliche Wälder von Dattelpalmen; einer
überraſchte mich beſonders, da er ringsum von Sand um-
geben war. Das beweiſt wie ſehr in dieſem geſegneten
Egypten ſogar dem Anſcheine nach wüſte Sandſtriche der
Cultur fähig ſind, ſobald ſich nur das Waſſer vermitteln
läßt. Unter den Feldfrüchten bemerkt' ich eine große Pflege
der Kürbiſſe und Waſſermelonen. Als wir das letzte
I. 18
274
Aermchen vom Nile trafen, unterließen meine Führer nicht
mir's anzukündigen; ſie ſelber tranken noch aufs Herzhafteſte.
Drei Tage vor der egyptiſchen Grenzveſte El Ariſch zogen
wir beſtändig durch tiefen weichen Sand, der unſer Zelt
nirgends feſte Wurzel faſſen ließ. Er hatte hier eine Menge
Thäler und Berge von eigenthümlicher Geſtalt gebildet;
nicht leicht wars, da hindurch die rechte Richtung zu tref-
fen. Nach hereingebrochenem Dunkel dienten uns immer
die Geſtirne zu Wegweiſern; bisweilen ſahen wir nicht
die geringſte Spur, und ohne die Lichter von oben konnte
man ſich völlig verlieren. Einmal verirrten wir uns ſel-
ber; wir ſtanden an Abgründen, die ſich bei dem bodenloſen
Sande ſehr bedenklich anſahen; doch der ſchwarze Sclave
wußte uns herauszuhelfen, wofür ich ihm die Entſchei-
dung in allen zweifelhaften Fällen übertrug.
Unſern Waſſerbedarf entnahmen wir mehrmals bei
den Ueberbleibſeln von den Poſtſtationen, die Ibrahim
Paſcha als Herr von Syrien zum Verkehre mit Egypten
eingerichtet hatte. Doch war das Waſſer niemals von
einem Beigeſchmacke nach Salz oder Salpeter frei. Am
beſten ſchmeckte es unſeren Kamelen, die bei weitem weni-
ger als die Kamele der Beduinen der Tränkung entbehren
konnten. Einen täuſchenden Erſatz für helles ſchönes
Waſſer bot uns das wiederholte Schauſpiel des Serab
oder der berühmten Luftſpiegelung. Mein Dragoman war
damit nicht unbekannt; aber einmal meinte er doch, jetzt
275
müßten wir einen See treffen. Wir ſahen in der That
ſo deutlich die vom Winde gekräuſelten und in der Sonne
ſchimmernden Wellen, daß ein Unkundiger getäuſcht wer-
den mußte.
Auch auf einen egyptiſchen Wachtpoſten, noch fern
von der Grenze, ſtießen wir; er war beſetzt mit albane-
ſiſchen Soldaten, die mir ſogleich in meinem Zelte ihren
Beſuch machten und der Sicherheit halber ihre eigenen
Pfeifen mitbrachten. Sie waren bei einem Tamarisken-
walde ſtationirt, worin wir mehrere Gazellen aufjagten
aber umſonſt zu ſchießen verſuchten. Sieht man dieſe
Thiere, die wie mit einer mädchenhaften Sittſamkeit ange-
than ſind und doch ſo graziöſe Formen zeigen in ihren
flüchtigen Sprüngen über die weite Wüſte, ſo begreift
man die Vorliebe der orientaliſchen Dichter für ſie. Auch
ihre lieblichen feurigen Augen, wie ſie immer eine ſchöne
Geliebte des Orients haben muß, hab' ich ſtudirt; in Cairo
hält man nämlich zahme Gazellen die ſich in den Höfen
unter den Pfauen, Störchen und Hühnern zu gefallen
ſcheinen. Bekanntlich hat man den Namen „Gazelle“
anch zu einem Mädchennamen gemacht; „Tabitha“ iſt
ihre Bezeichnung im Syriſchen, eben ſo wie jene fromme
Frau zu Joppe hieß, welche Petrus wieder ins Leben
zurückrief.
Von Intereſſe war für mich auch ein einzelner Reiter
zu Dromedar, dem wir begegneten. Es war die Poſt des
18*
276
franzöſiſchen Conſuls zu Jeruſalem, die gewöhnlich in
fünf bis ſechs Tagen auf dem flüchtigen Renner den lan-
gen Weg von Cairo nach Jeruſalem zurücklegt. Leider
iſt derſelbe Reiter, den wir trafen, wahrſcheinlich den feind-
lichen Beduinen hinter Gaza in die Hände gefallen; denn
bei meiner Ankunft und ſelbſt während meines Aufent-
halts in Jeruſalem war er noch nicht eingetroffen. Der
Conſul erzählte mir, daß es nicht der erſte war den er
vergeblich erwartete, obſchon er ſeit einiger Zeit mit einem
Beduinenſcheik der Umgegend ſelber über die Poſtbeſor-
gung übereingekommen war.
Ehe wir nach El Ariſch kamen, begegneten uns ver-
ſchiedene kleine arabiſche Caravanen. An jede hatten meine
Führer die Frage: Wie geht's? Was giebt's Neues?
Von allen lautete die Antwort: Krieg! Krieg!
Am Morgen des achtundzwanzigſten Juni waren wir
in El Ariſch, dem alten Rhinocolura. Meine Führer leg-
ten ſogar ihre Sandalen an um die gehörige Figur vor
ihren Freunden zu ſpielen. Ich ließ mein Zelt in einiger
Entfernung von der Mauer unter Palmen aufſchlagen,
und ging ſogleich in die Stadt um mich über den Stand
der Dinge zu unterrichten. Der einzige Europäer daſelbſt
war ein Grieche, Namens Riſo, Adjutant und einziger
Reſt der Sanitätsbehörde. Vom Arzte ſelber, einem jun-
gen Italiäner, war nichts als eine ſchwarze Frau mit
ihrer Sclavin übrig geblieben; er hatte Bankerott gemacht
277
und war nach Alerandrien gegangen. Mit dem Kriegs-
lärme hatte es nach der Auskunft des Adjutanten folgende
Bewandtniß. Am ſechzehnten April waren die Beduinen-
ſtämme von Suerke und Aſasme egyptiſcher Seits gegen
die Stämme von Telja und Sarbim türkiſcher Seits aus
Blutrache zu Felde gezogen. Am fünfundzwanzigſten Mai
hatten ſie ihre feindſeligen Begegnungen erneuert. Seit-
dem hatten ſich jene erſteren, die egyptiſchen Beduinen,
einige Tauſend an der Zahl, zu ihrem größeren Schutze
in die nächſte Nähe von El Ariſch gezogen; ihre Zelte
ſtanden jetzt an der öſtlichen Seite dieſer feſten und mit
hundertfunfzig Mann Soldaten beſetzten Stadt. Was die
Sicherheit der Straße betraf, ſo war natürlich der Ver-
kehr der Beduinen ſelber im höchſten Grade bedroht, und
auch manche Behelligung der ſonſtigen Reiſenden war
vorgekommen. Doch alle Behelligungen der Franken be-
ſchränkten ſich auf Erpreſſungen eines Tributs, der bald
höher bald niedriger geſtellt worden war. Etwa vierzehn
Tage vor mir war ein Engländer nach El Ariſch gekom-
men, der von ſeiner glücklichen Ankunft in Gaza an den
Adjutanten ſchriftliche Nachricht gegeben hatte. Drei Mo-
nate früher waren einem ruſſiſchen Oberſten tauſend Tha-
ler und mehrere Effekten kurz vor ſeiner Ankunft in El
Ariſch über Nachts geſtohlen worden. Dadurch hatte man
eben jenen Engländer, der gleichfalls viel Geld bei ſich
führte, zu bewegen gewußt acht Tage in El Ariſch liegen
278
zu bleiben, um vorherige Erkundigungen von Gaza ein-
zuziehen. Aus dem allen erſah ich jedoch keine wirkliche
Gefahr, und war ſie vorhanden, ſo ließ ſich keine baldige
Beſeitigung derſelben abſehen; daher war ich durchaus
nicht geneigt dem Wunſche meiner Führer nachzugeben,
wornach ich die Ankunft jener andern arabiſchen Carava-
nen, mit den vierzig Kamelen, den Frauen und Kindern,
abwarten ſollte. Begreiflich dagegen war's mir daß mei-
nen Führern, von denen Muſtapha zwei Frauen und
Mohammed eine Frau nebſt Familie in El Ariſch hatte,
jeder Verzug lieb und koſtbar war. Allein trotz meiner
ernſten und beharrlichen Drohungen, die der Adjutant
kräftig unterſtützte, während vom Gouverneur, wie er mir
geſchildert wurde, weder Hilfe noch militäriſches Geleite
zu erzielen war, ſah ich mich genöthigt, meinen Führern
zu Willen zu ſein. Daß ich ihnen darauf die gebührende
Antwort nicht ſchuldig blieb, werd' ich nachher erzählen.
Ich ſuchte mich nun vier Tage lang in dieſer wilden
kriegeriſchen Umgebung ſo gut als möglich zu vergnügen.
Das Meer, zu dem der Weg durch einen herrlichen Wald
führte, war kaum eine Stunde weit entfernt. An ſeinem
Ufer ſah ich unzählige jener kleinen Meerkrebſe, von denen
ich unter Anderem in Belon's Reiſe von 1555 geleſen
hatte. Er ſchreibt davon, daß ſie nicht viel größer als
eine Kaſtanie ſeien und ſchneller als ein Menſch laufen;
daß ſie, was das Sonderbarſte ſei, des Tags auf dem
279
trockenen Lande die heftige Sonnenhitze aushalten und des
Nachts ins Waſſer gehen. Es iſt des Ariſtoteles „laufen-
der Krebs,“ der auch, ſeiner Schnelligkeit halber, der Läu-
fer oder Dromon heißt. Nach ihrer Erſcheinung möchte
man ſie zwiſchen Spinne und Krebs mitten inne ſtellen.
Die das abſchüſſige Ufer überfluthende Woge brachte ſie
immer mit; aber nur mit ſchnellem Fuß und behender
Hand ließ ſich einer ertappen.
Der große Brunnen in El Ariſch hatte die Beſonder-
heit, daß er in ſeinem recht guten Waſſer Blutegel enthielt.
Ich ſah während meines Aufenthalts ein Kamel und einen
Araber, denen der Mund von einem halbverſchluckten
Blutegel blutete. Man darf deshalb das Waſſer nur fil-
trirt trinken. Gefährlicher als hierdurch wurd' ich eines
Abends überraſcht, als ich ſchon auf dem Nachtlager im
Zelte lag. Eine junge Schlange, nicht länger als acht
bis zehn Zoll, kroch dicht neben mir. Mein Dragoman
ſchlug mit ſeinem Säbel darnach; aber jedes Stück blieb
lebendig, bis viele kleine Reſte daraus geworden waren.
Auch mit den Soldaten in Ariſch, die alle beritten
waren, und noch mehr mit ihren ſchönen Pferden macht'
ich Bekanntſchaft. Ich war keineswegs an den Galopp
dieſer wie auf beſtändiger Flucht begriffenen Thiere ge-
wöhnt; doch konnt' ich mich leicht damit befreunden.
Die Abende boten mir immer ein herrliches Schau-
ſpiel. Da ſaß ich auf dem höchſten der weißen Grabſteine
280
des Gottesackers, der auf einem hohen felſigen Hügel lag.
Ich hatte im Weſten den ſchimmernden Silberſpiegel des
mittelländiſchen Meeres, im Oſten das große Beduinen-
lager, gegen hundert ſchwarze und weiße Zelte mit lodern-
den Feuern; vor mir erhob ſich aus dem Sande heraus die
kleine Feſtung mit ihren Mauern und Palmbäumen; hin-
ter mir grenzte das bleiche Sandfeld an den Horizont.
Ueber dem allen glänzte der prächtigſte Vollmond; der
dunkelnde Himmel war wie mit einem blauen Schleier
überwoben. -
Aber auch der gaſtfreundlichen Galanterie in El Ariſch
muß ich gedenken. Sie beſtand darin daß mir am Abende
meiner Ankunft von ſchöner Hand ein Feſtgericht über-
ſchickt wurde: eine vortreffliche Suppe mit gekochtem Huhn,
ein Paar gebratener Tauben und ein Reisbilav. Mein
Dragoman wußte daß dies eine Sitte war, die man gegen
willkommene Fremde beobachtet. Es wurde mir zu be-
ſonderer Würze noch geſagt, daß dieſe Köſtlichkeiten aus
den eigenen Händen der Hausfrau der erſten Familie zu
Ariſch kämen. Ich darf nicht erſt verſichern, daß darnach
das Gericht gut ſchmecken mußte.
Leider muß ich aber fürchten, daß mein Andenken bei
den gaſtlichen Ariſchern nicht eben in Segen geblieben.
Denn als ich in Jeruſalem angekommen war, berichtete
ich ſogleich dem franzöſiſchen Conſul das Benehmen mei-
mer Führer, die bereits Alles vergeſſen glaubten. Er be-
281
ſtätigte mich in der Abſicht, ihnen für alle Widerſetzlich-
keiten auf dem Wege, zu denen auch ein boshafter Auf-
tritt gegen meinen Dragoman gehörte, der ohne mein Ein-
ſchreiten mit ſeinem Säbel ſofort Gerechtigkeit geübt hätte,
die verdiente Strafe auszuwirken. Freilich waren ſie dar-
über der Verwunderung voll, und als ihre demüthigen
Abbitten nichts halfen, beklagten ſie ſich beim Paſcha von
Jeruſalem, der ſich deshalb auch wenigſtens im Kloſter
nach mir erkundigen ließ. Allein ich hatte mein Schreiben
ans franzöſiſche Conſulat in Cairo bereits ausgefertigt;
dem Schreiben legte ich die noch rückſtändigen drei Napo-
leonsd'or bei, eventualiter für die Armen in Cairo; denn
wahrſcheinlich wurden ſie meinen Führern bei ihrer Rück-
kehr in anderen Münzſorten ausgezahlt.
Ich bin überzeugt daß von einem ſolchen Verfahren
die europäiſchen Reiſenden weſentlichen Gewinn ziehen
werden. Zu leiden haben von den Kamel- und Pferdetrei-
bern dieſer Gegenden gewiß faſt alle; nur läßt gewöhnlich
der frohe Augenblick der Ankunft die Aergerniſſe der Reiſe
vergeſſen. Dadurch werden dieſe eigenwilligen, trägen und
betrügeriſchen Menſchen in ihrer launenhaften Hartnäckig-
keit gegen uns beſtärkt. Was aber wiederholte Beweiſe
thatſächlicher Strenge zur Verbeſſerung der Sitten wirken
würden, das läßt ſich aus Ibrahim Paſcha's Verfahren
im Großen abnehmen.
Uebrigens iſt die Unſicherheit, die in der That mit der
282
ſyriſch-türkiſchen Grenze für die aus Egypten kommenden
Reiſenden beginnt, eines von jenen unerquicklichen Reſul-
taten der Rückgabe Syriens an den Sultan. Unter
Ibrahim Paſcha, ſo verſicherte man mir aller Orten in
Syrien, hätte man ein Kind mit Geld beladen auf Wan-
derungen ſchicken können. Ich ſollte glauben, es wäre
eine billige und überaus dankenswerthe Rückſicht der Groß-
mächte bei ihren freundſchaftlichen, ſiegreichen Schritten
in Syrien geweſen, für die dortigen Reiſenden, die ja
immer unter ihrem gemeinſchaftlichen Schutze ſtehen, von
der Pforte die gehörigen Garantien oder wenigſtens ſte-
hende Militärgeleite auszuwirken.
Doch ich kehre zu meiner Reiſe zurück. Am Nachmit-
tage des zweiten Juli reiſten wir von El Ariſch endlich
ab, und zwar in Begleitung der großen arabiſchen Cara-
vane. Am Dritten hatten wir eine der angedeuteten übli-
chen Tributsbehelligungen. Ich hatte mich aber nicht
darin geirrt, daß ich allein vortheilhafter gegangen wäre
als in dieſer Geſellſchaft; denn man verlangte anfangs
– gewiß auf beſonderes Anſtiften – von mir allein ge-
rade daſſelbe was man von der geſammten zweiten Cara-
vane verlangte. Ich wußte die gehörige Antwort darauf
und zahlte endlich eine ſehr mäßige Summe. Am Vierten
wiederholte ſich die Tributsforderung. Es ſah ſich an-
fangs ganz gefährlich an, als die eiligen Ritter zu Pferde
mit ihren langen Spießen die Caravane umzingelten
283
und zum Halte nöthigten. Am Ende ging Alles fried-
lich ab. -
Aber einer ſchönen Ueberraſchung muß ich gedenken;
ſie wurde mir als wir Paläſtina betraten. Die öden
wüſten Sandſtrecken hatten eben angefangen einzelne Spu-
ren der Vegetation zu tragen. Wie ein Zerrbild von
Vegetation hatten wir einen hügeligen Strich mit ſtrau-
chigem Waldboden paſſirt, wo ich auf einen einzigen Blick
Tauſende von wimmelnden Ratten und Mäuſen, und
zwar mehr weiß als grau, geſehen. Das drängte mir
natürlich die Erinnerung an die Plage der Philiſtäer auf,
als ſie den Israeliten die Bundeslade geraubt hatten;
nur von den „fünf goldenen Mäuſen“ merkte ich keine
Spur. Aber da plötzlich bei Khan Munes knüpfte ſich,
wie an die Schatten des Todes des Lebens junger Tag,
an den Saum der Wüſte das Gefilde von Gaza mit
ſeinem fröhlichen Reichthume. Wie eine zauberhafte Täu-
ſchung war's; wie ein freudiges Nebelbild das aus der
farbloſen Leinwand ſchnell hervortritt. Da dehnte ſich ein
weiter Wieſenplan vor uns aus, mit Feldern die das Gold
der Ernte geboten und noch überſäet waren von blumigen
Stauden, mit Tabaksfluren in ihrer farbigen Blüthenpracht,
mit üppigen Melonenpflanzungen, mit Hecken des wuchern-
den Feigencactus, mit Oliven und Granaten, mit Syko-
moren und Feigenbäumen. Es war der Eindruck des ge-
lobten Landes; es war ein feſtlicher Gruß den es bot.
284
So begrüßt ich denn jenes kleine und doch ſo merk-
würdige Küſtenland am Mittelmeere und an der arabi-
ſchen Wüſte, zwiſchen dem röthlichen Gebirge von Edom
und dem ſchneeigen Libanon. Welches Land käme ihm
gleich in der Welt an großen Ereigniſſen die es geſehen.
Soll ich's mit einem Worte ſagen, wie es erſcheint in der
Geſchichte? Wie der heilige Schauplatz für die Schlachten
des Geiſtes, für die Kämpfe der Religion erſcheint es.
Und ſo erſcheint es von Abraham's grauen Zeiten an bis
zu den Pforten der Zukunft. Dort beſtand der reine Got-
tesglaube ſeine früheſten Prüfungen gegen die Canaaniter,
gegen die Philiſtäer, gegen die Phönizier. Dort ſpaltete
ſich der Jehovahdienſt zwiſchen dem Tempel und dem
Garizim. Dort erwuchs das Heil vom Kreuze, umfloſſen
von viel theuerem Blute; dort fand die Kirche ihre heiße-
ſten Kampfesſtunden. Dort erſtarkte das Prophetenthum
von Mekka; dort begegneten ſich Halbmond und Kreuz
Jahrhunderte lang in begeiſterungsvoller Fehde. Dort
ſehen wir noch heute wie in keinem anderen Lande Chriſt
und Jude, Türk und Heide, unter den wuchernden Spal-
tungen am eigenen Herd, fanatiſch ſeinen Gott umklam-
mern; dort wird auch für eine neue Zeit das große Wort
erklingen, die heilige Kraft erſtehn.
Am vierten Juli zog ich glücklich in die alte Haupt-
ſtadt der Philiſtäer, in Gaza ein. Der Empfang der mir
wurde wäre der Philiſter werth geweſen. Ich wurde in
285
die traurige Quarantäne einquartirt, ich der ich aus dem
geſunden Egypten kam und zwei Wochen lang Sand und
Wind der Wüſte zur Erfriſchung genoſſen hatte. Der
franzöſiſche Quarantänearzt nahm meinen Brief nur durch
die Feuerzange über der Räucherpfanne in Empfang. Ich
bat mich ſo weit als möglich von dem arabiſchen Geſindel
zu ſondern, von dem übrigens mehrere klüglicher Weiſe
um die Quarantäne herumgezogen waren, ſo daß jetzt ein
Türke ſeine zwei gefangenen Reiſegefährten, und zwar
ſeine beiden Frauen, mit vorſichtiger Beobachtung der vor-
geſchriebenen Entfernung beſuchte.
Ich hatte aber ein ſchlechtes Loos erwählt. Der mir
gewordene Raum hatte früher verſchiedenen Beſtien ge-
dient, wovon in der Nacht allerlei Erinnerungen zu Tage
kamen. Ich kündigte am frühen Morgen dem Arzte an
daß ich Beſchwerde führen würde, da man in einer ſolchen
Quarantäne weit leichter krank als geſund werden könne.
Der Arzt entgegnete mir, er habe ſich ſelber längſt aber
vergeblich deshalb beſchwert. Ich wurde nun mit meinem
Zelte für den nächſten Tag und die nächſte Nacht aufs
Dach des Stallgebäudes Ibrahim Paſcha's verpflanzt,
wo ich zur Sicherheit noch zwei Wächter halten mußte.
Hiermit hatt' ich dieſe Carricatur von Quarantäne
überſtanden; ich gewann freien Spielraum mich in dem
uralten Gaza zu ergehen, während meine Kamele ihre
Quarantäne noch auf der Weide hielten. Uralt nenne ich
286
Gaza; denn es iſt eine der Städte deren Namen aus der
früheſten Vorzeit zu uns herüber klingen. Canaan, Noah's
Enkel, und ſein Geſchlecht, ſo heißt's im zehnten Kapitel
der Geneſis, hatte das Gebiet von Zidon durch Gerar bis
Gaza inne. Gaza war ſodann nicht nur die Hauptſtadt
der Philiſter, ſondern auch ihr größtes Bollwerk. Vor
Gaza's Mauern fanden Joſuas Eroberungsſchritte ihre
Hemmung, und noch ſpäter war das Verhältniß der Stadt
zu Israel öfter herriſch als dienend; während ſie gegen
Egypten als der wahre Grenzwächter des gelobten Landes
galt. Auch Alexander der Große mußte mit ſeinen ſiegge-
wohnten Schaaren fünf ganze Monate um Gaza's Be-
ſitznahme ſtreiten. Darnach unterlag es wiederholt un-
glücklichen Schickſalen; es ſank in Trümmern; es erſtand
aus Trümmern.
Frühzeitig faßte das Chriſtenthum feſten Fuß in Gaza.
Die demohngeachtet noch gebliebenen Götzentempel erfuh-
ren ihre Zerſtörung erſt zu Anfang des fünften Jahrhun-
derts, wo ſich an ihrer Statt die prächtige Kirche der
Kaiſerin Eudoria erhob. Noch heute ſtehen Mauern und
Säulen dieſes Kirchenbaues; nur iſt daraus ſeit der Mitte
des ſiebenten Jahrhunderts eine Moſchee geworden. In
den Kreuzzügen erlebte Gaza manche heiße Stunde des
Kampfes; vorzüglich waren es die Tempelherren, die hier
gegen die Sarazenen Stand hielten.
Heutzutage iſt Gaza eine betriebſame Stadt, deren
287
Einwohnerzahl, gegen ſechzehntauſend Seelen, der von
Jeruſalem ziemlich gleich ſteht. Sie hat keine Thore mehr,
und liegt nicht ſowohl auf der runden Anhöhe, worauf
die alte Stadt geſtanden, als in der breiten Ebene, welche
dieſe Anhöhe nach Norden und Oſten umgibt. Spuren
früherer Bauwerke hat man an den vielen Stücken von
Marmor und Granit, die da und dort in der Stadt zer-
ſtreut liegen. Auch von den feſten zwölf Thoren des Al-
terthums laſſen ſich noch Reſte rund um die genannte
Anhöhe erkennen.
Was aber vor allem Anderen Gaza berühmt gemacht
hat, das ſind die abenteuerlichen Großthaten Simſon's,
deren Schauplatz es war. Dort hub er das Thor aus
und trug es auf die „Höhe des Berges vor Hebron.“
Nahe davon am Bache Sorek gewann er ſeine Delila
lieb, die ihm das Geheimniß ſeiner Rieſenkraft entlockte,
worauf ihn die Philiſter geblendet nach Gaza führten.
Dort endlich ſtand der Dagonstempel, unter deſſen Ruinen
er ſich ſelber mit ſeinen Feinden begrub. Daher iſt auch
noch heute das Andenken an dieſen verliebten Helden, der
zugleich zwanzig Jahre Richter von Israel war, den Ga-
zanern ein theueres Kleinod. Den Berg worauf er jenes
Thor getragen, im Buche der Richter als Berg vor Hebron
bezeichnet, glaubt man in der iſolirten Anhöhe, ſüdöſtlich
von der Stadt, wiederzufinden. Dort ſoll auch der chriſt-
liche Biſchof gewohnt haben; jetzt ſteht daſelbſt nur ein
-
288
Heiligengrabmal. Das ausgehobene Thor ſelber nimmt
man in entſprechender Richtung vom Berge an, da wo
man auch ein „Grab Simſons“ errichtet hat, obſchon mir
ein anderes in der Moſchee, die nach Simſon benannt iſt,
gezeigt wurde.
Am ſechsten Juli gegen Mittag verließ ich Gaza.
Meine Caravane war um einen Gefährten gewachſen.
Das war ein Engländer, der Deutſchland in ſeinem Rufe
beeinträchtigte, die ſogenannten armen Teufel auf Reiſen
zu ſchicken. Er hatte beim Abſchiede von der Quarantäne
noch fünf Piaſter (etwa acht Groſchen), außerdem nichts
als ein ſehr kleines Bündel mit Wäſche und einigen Bü-
chern. Seine Kleidung beſtand in leichten weißen Som-
merkleidern. Er war dreißig Jahre alt, kam aus England
und ging jetzt über Egypten nach Jeruſalem, um dort
oder in Damaskus das Arabiſche zu ſtudiren. Er zeigte
mir ein Zeugniß, wodurch er ſich als eine Art Sprachleh-
rer auswies. Ich nahm ihn auf einem meiner Kamele
nach Jeruſalem mit, nachdem er bis Gaza, auf Koſten
engliſcher Gönner in Cairo, mit jener ſtarken arabiſchen
Caravane gezogen war.
Das Gefild von Gaza, durch das wir zogen, war
ſchön und üppig. Beſonders zahlreich ſind die Tabaksfel-
der; unter den Bäumen fehlt es auch nicht an Palmen.
Wohin ich aber ſah, da traf ich auf große Gehege von Fei-
gencactus, die wegen der feinſtachlichen Fruchthülle für
289
keine Hand, die heil bleiben will, antaſtbar ſind. Bald
nachdem wir die Stadt verlaſſen ging unſer Weg durch
einen langen Olivenwald, wo wir raſteten.
Als der Abend hereinbrechen wollte, wachten die alten
Sorgniſſe meiner Führer auf. Allerdings hatte ich ſelber in
Gaza vom franzöſiſchen Quarantänenarzt einige der Ari-
ſcher Erzählungen von den räuberiſchen und mörderiſchen
Ueberfällen beſtätigen gehört; aber meine furchtſamen Füh-
rer hatten den Glauben bei mir verloren. Faſt wär' ich
heute dafür geſtraft worden. Als wir nämlich gegen zehn
Uhr in ſchwarzer Nacht ſehr nahe bei einem großen Zelt-
lager von Beduinen vorbeizogen, waren wir plötzlich ſo
unfern von einem lebhaften Flintenfeuer daß uns einzelne
Kugeln um die Köpfe ſauſten. Da fehlte wenig, ich hätte
das himmliſche Jeruſalem anſtatt des irdiſchen begrüßt.
Unſer Zuſammentreffen mit dieſem feindſeligen Kugel-
wechſel war natürlich ein unglücklicher Zufall. Daß aber
die Beduinen, die uns hier in ihrer vollen Gewalt hatten,
einen gehörigen Tribut beanſpruchen würden, das war
mehr als wahrſcheinlich. Meine Führer waren lautlos;
das geringſte Geräuſch das die Kamele machten erhöhte
ihre Angſt. Ich ſelber nahm meinen mit franzöſiſchen
Goldſtücken gefüllten Gürtel in die Hand, um ihn ſogleich
in den Sand zu werfen. Wachtfeuer loderten in weiter
Strecke; die Hunde bellten. Demohngeachtet ſcheints als
ob man uns nicht bemerkt hat. Dafür ſah ich plötzlich,
I. 19
290
als wir kaum die Zeltlichter hinter den Hügeln aus den
Augen verloren hatten, auf fünfzehn Schritte vom Wege
zwei Männer, die platt auf der Erde lagen, aber ſich jetzt
aufs Behutſamſte erhoben und in ſcharfer Beobachtung
auf uns einige Schritte rückwärts thaten. Ich ſprang
vom Kamel, eben ſo mein Dragoman; mit gezogenem
Säbel und geſpanntem Hahn auf Flinte und Piſtol, den
Blick nach der verdächtigen Stelle gerichtet, zogen wir
weiter. Gegen zwei Straßenräuber hätte es Gewalt ge-
golten; bei einem Angriffe der Beduinen hingegen, deren
Lager gewiß mehrere Tauſend ſtark war, wäre unſere Waf-
fenrüſtung lächerlich oder gar gefährlich für uns ſelber
geweſen. Zwei Fußgänger, die ſich ſeit einigen Stunden
an uns angeſchloſſen hatten, wurden verdächtig zu den
Geſellen am Wege zu gehören. Um ſo achtſamer und
entſchloſſener hielten wir uns ſelber, und gingen zu Fuß
bis Mitternacht, in der bezeichneten Bereitſchaft zum An-
griffe. Gewiß war's weniger unſere Anzahl als unſere
Entſchloſſenheit, welche dieſe Straßendiebe zurückſchreckte.
Obſchon wir bei einem Dorfe hielten, ſo wacht' ich doch
abwechſelnd mit meinem Dragoman bis zum Morgenlichte
des ſchwer gewonnenen Sonntags. Einen Dankgottes-
dienſt feierte ich da im tiefſten Herzen.
In Jeruſalem erfuhr ich, daß auch die Beduinen von
Bethlehem und die von Gaza aus Blutrache mit einander
im Kriege begriffen waren, und daß man deshalb unſern
291
eben zurückgelegten Weg allgemein für unſicher hielt. Der
zuletzt ausgebliebene Cairiner Poſtreiter war wahrſchein-
lich erſt zwiſchen Gaza und Ramleh in feindliche Hände
gefallen. Von der Veranlaſſung dieſer Blutrache erzählten
mir zwei fränkiſche Reiſende was ſie mit eigenen Augen
kurz vorher in Bethlehem geſehen hatten. Ein Gazaner
kam daſelbſt an, indem er hinter ſich am Zaume ein Dro-
medar führte, auf welchem ein Leichnam ruhte, gehüllt in
ein weißes Tuch. Der Leichengeruch war bereits ſehr ſtark.
Die Bevölkerung ſtrömte ſogleich zuſammen; ſchnell waren
jammernd die Klageweiber da. Aber aus der Menge kam
ein bejahrtes Weib zur Leiche herangeeilt und hob das
Leichentuch, ſo daß man auch in der Ferne den ſchrecklich
zerſchmetterten Kopf der Leiche ſah. Da riß die Frau in
der Wuth des Schmerzes den Schleier vom Geſicht, raufte
ſich die Haare aus und ſchlug ſich in lauter Wehklage die
entblößten Brüſte blutig. Plötzlich kam ein neuer Act zur
Trauerſcene. Durchs Gedränge brach ſich Bahn ein jun-
ger rüſtiger Mann; er ſchwang über der Leiche ſeinen
Degen und gelobte feierlich, den Erſchoſſenen zu rächen.
Als kurz darauf die eigentlichen Begräbnißceremonien ſtatt-
fanden, ſchwuren noch viele andere feierlich den Schwur
der Rache. Uebrigens war der Getödtete in einem Liebes-
handel gefallen.
Am ſiebenten Julius raſtete ich zu Mittag vor den
Mauern zu Ramleh, in einem großen Olivenhaine vor
19*
292
der Stadt, deſſen Boden aus grobem Sande beſtand, mit
nichts als Diſteln bewachſen. Die Stadt lag vor uns in
einer Entfernung von wenigen Minuten; von einem Con-
ſulatsgebäude flatterte uns eine europäiſche Flagge entge-
gen. Fünf Minuten hinter unſerem Lager ſtand eine merk-
würdige Ruine mit einem hohen Thurme. Je kürzer mein
Beſuch in der Stadt war, um ſo länger war er auf dem
Thurme. Freilich ſcheint es als ob die Stadt anziehend
genug ſein müßte, da Ramleh für das neuteſtamentliche
Arimathia, woher Nicodemus und Joſeph, ſowie für Rama,
Samuels Geburtsort, gehalten wird. Liegt doch ſogar
das Kloſter der Väter vom heiligen Grabe angeblich eben
da wo ſein Haus der nächtliche, heilbegierige Freund des
Heilands gehabt. Allein der Zweifel am Rechte der Zu-
rückbeziehung Ramleh's auf Chriſti Zeit und Vorzeit hat
gewichtige Gründe, wenn auch immer das wahre Arima-
thia und Rama in großer Nähe davon geſucht werden
muß. Dagegen weiſet ſich Ramleh als eine der früheſten
Anlagen aus, welche die Sarazenen im gelobten Lande
gemacht. Nur gegen Ein Moment, das der gelehrte Ro-
binſon für die Verſchiedenheit von Rama und Ramleh
geltend macht, muß ich mich erklären; ich meine dasjenige
das er von der etymologiſchen Verſchiedenheit der beiden
Namen hernimmt. Ramleh bedeutet „die ſandige“, Rama
eine Anhöhe. Allein Ramleh iſt ſandig und liegt zugleich
auf einer Anhöhe; recht wohl konnte aus den Trümmern
293
vom alten Rama das neue Ramleh hervorgehen. Die
Verwandtſchaft im Wortklange mußte die Hervorhebung
des Sandigen um ſo mehr befördern da daſſelbe in der
That dieſer Anhöhe einen unterſcheidenden Charakter von
der glücklichen Ebene gibt, die ſich an ſie anlehnt; ein
Umſtand der wahrſcheinlich nicht ſchon in der älteſten Zeit
obgewaltet hat.
Aber ich eile zur Ruine mit dem Thurme. Die hiſto-
riſche Beurtheilung hat ihre Schwierigkeit. Vermuthlich
ſtand hier keine Kirche, etwa ein Denkmal von Helena's
Frömmigkeit, wie fromme Mönche wollen, ſondern ein
großer prächtiger Moſcheenbau. „Die weiße Moſchee“ zu
Ramleh ſchildern arabiſche Schriftſteller als großartig und
herrlich; ihren Urſprung führen ſie auf die Gründung von
Ramleh zu Anfang des achten Jahrhunderts zurück. Jetzt
liegen nur noch wüſte Umriſſe des viereckigen Baues an
Mauern und Säulen vor, doch hinreichend um die ge-
ſchwundene Pracht zu bezeugen. Von ganz beſonderem
Intereſſe iſt das weite unterirdiſche Gewölbe, worin der
Muhamedaner die vierzig Gefährten ſeines Propheten,
der chriſtliche Mönch ſeine vierzig Märtyrer, die von Se-
baſte in Armenien, begraben ſein läßt. Daß es vielmehr,
wie Robinſon will, urſprünglich als Niederlage eines
Khans gedient habe, iſt mir nicht wahrſcheinlich; auch
hätte es als ſolche füglich bis heute fortbeſtehen müſſen,
da jetzt noch die großen Caravanenzüge ihren Weg über
294
Ramleh nehmen. Im ſteinernen viereckigen Thurme von
beträchtlicher Höhe" fand ich mit Robinſon anſtatt ver-
meintlicher Spuren eines chriſtlichen Glockenthurms ſichere
Kennzeichen eines türkiſchen Minarets.
Aber was ſoll ich von der Ausſicht ſagen, die ich von
oben herab mit glücklichem Auge genoß. Im Norden und
im Süden breitete unter mir die Ebene von Saron ihren
Reichthum aus. Wer ſollte ſie nicht kennen, die berühmte
Ebene, deren Schmuck Jeſaias zugleich mit der Herrlich-
keit des Libanon preiſt, deren Roſen eine die Geliebte
Salomo's „lieblich wie die Hütten Kedar's, wie des
Königes Teppiche“, ſich nennt.
Der Ernteſegen lag jetzt aufgethürmt auf vielen Fel-
dern; andere Früchte ſtanden noch fröhlich; die Fluren
waren grün und blumig. Aber umſonſt ſucht' ich nach
einem Röslein von Saron; die mochten längſt vor der
Juliusgluth verblüht haben. Dennoch ſah ich Ein Rös-
lein in dieſem Augenblicke; es war mir ſo theuer wie dem
Salomo ſeine gefeierte Roſe von Saron. Es war die an
die ich dachte, als ich nach Weſten gar lange hinüber-
ſchweifte zu den ſilbernen Fluthen des Mittelmeers und
ihnen feurige Grüße zuwinkte für die fernen Länder der
Heimath. Dem Meere gegenüber, im Oſten von uns,
begrenzten den Blick Judas ſchroffe Gebirge; aber zu
* Robinſon gibt die Höhe zu etwa hundertundzwanzig Fuß an.
295
ihren Füßen, näher zu uns heran, lagen auf den Hügeln
in weitem Umkreiſe ſtattliche Dörfer, die ſich mit ihren
Olivenhainen und ihren Minarets fröhlich darſtellten. Vor
allen den andern feſſelte mich das Diospolis der Römer,
das bibliſche Lydda, wo einſt Petrus den gichtbrüchigen
Aeneas geſund machte. Sie lag dem Scheine nach vor
meinen Augen noch näher als ſie's wirklich war, dieſe
uralte Stadt der Benjamiten, die in der chriſtlichen Zeit
am berühmteſten durch den heiligen Georg geworden. St.
Georg ſoll nämlich aus Lydda ſtammen; daher ihm auch
frühzeitig daſelbſt ein koſtbares Grabmal und eine pracht-
volle Kirche erbaut wurden, wovon noch heute viele und
ſchöne Ruinen ſtehen.
Als wir gegen Abend noch eine Strecke weiter nach
dem geliebten Ziele wanderten, winkte uns Lydda noch
lange freundlich von ſeinem Hügel zu. Daß ich von Je-
ruſalem träumte, als ich an dieſem Sonntage eingeſchlum-
mert war, das darf die Feder nicht erſt ſagen.
Ankunft in Jeruſalem.
Es graute der Morgen des achten Juli. Ich lagerte
mit meinen Kamelen und Arabern unter einem vollbuſchi-
gen Olivenbaume im Thal Ajalon. Meine Araber liebten
es ſeines friſchen Quellwaſſers halber; ich verſetzte mich
in die Zeit Joſua's zurück, der an dieſe Landſchaft die
Erinnerung ſeiner glorreichen Kriegsthaten geknüpft. Wer
gedächte ſeiner Worte nicht: Sonne, ſteh ſtill zu Gibeon,
und Mond, im Thal Ajalon! Latrun, das ſeinen arabi-
ſirten Namen der alten Mönchsbezeichnung als domus
boni latronis– als Heimathsort jenes begnadigten Schä-
chers am Kreuze – verdankt, hängt ſüdweſtlich am Hügel.
Ueber Latrun ſchaute noch weſtlicher vom runden Gipfel
der Höhe eine Burgruine hernieder. Man konnte keine
ſchönere Lage zu einer Wartburg wählen. Gehörte ſie zu
dem alten Emmaus (nicht dem neuteſtamentlichen), dem
ſpäteren Nikopolis, ſo mag ſie wohl den Makkabäern vor-
trefflich gedient haben. -
Wir ritten nun die Gebirge von Judäa hinan. Eine
Strecke lang machte ſich's maleriſch genug; es fehlte nicht
an Baumwuchs und an hohem Strauchwerk. Ich glaubte
297
im Charakter dieſer Strecke etwas Aehnliches von unſerem
Odenwalde zu erkennen; breite runde Hügel lagen neben
und über einander. Aber bald wurde es öder, felſiger,
ſteiler. Nach einem mehrſtündigen mühſamen Ritte hielten
wir am Abfalle des Gebirges bei einer impoſanten Ruine,
ich glaube einſt Kirche der Templer. Ich beſuchte das
Innere, wo noch viele mächtige Säulen ſtehen, auch einige
Malereien noch ſichtbar ſind. Sie liegt dicht bei dem
ſtattlich aus Steinen gebauten Kuryet el-Enab (Stadt
des Weins), worin man mit Robinſon das alte berühmte
Kiriath Jearim (Stadt der Wälder) wieder erkennen will,
das zu Samuels Zeiten die Bundeslade aus den räu-
beriſchen Händen der Philiſter zu ſich holte. Zu un-
ſerer Rechten ſahen wir auf ſchöner Bergſpitze thronend
Soba, das nach Robinſon mit Samuels Geburtsort Rama
und mit dem Arimathia der Evangelien zuſammenfallen
ſoll. Wir genoſſen eine Strecke Wegs lang dieſen erhe-
benden Anblick.
Jetzt ritten wir von einem der höchſten Höhepunkte
ſo jäh abwärts, daß wir genöthigt waren abzuſteigen.
Wir gelangten in ein fruchtbares enges Thal. Zur Linken
von uns präſentirten ſich mehrere Bauwerke, auch eins
von hervorſtechender Haltung; es war Kulonieh. Wenige
Schritte vor mir lief ein Reh den Rebenhügel hinan. Auf
dem Wege lag an einer aus alter zierlicher Steinumfaſ-
ſung hervorbrechenden Quelle ein türkiſcher Schimmel,
298
ſeinen letzten Augenblicken nahe. Man hatte dem armen
Thiere noch die Mähne und den Schweif abgeſchnitten;
reichliches Blut quoll ihm durch die Zähne. Unſere Ka-
mele mußten darüber ſteigen. So grauſam konnten es
gewiß nur Türken, keine Beduinen oder Araber, ſeinem
Tode überlaſſen. Unwillkürlich kam mir der Gedanke,
dieſen ſterbenden Renner, wie er ſich noch mehrmals
ſchnaubend emporraffte, aber immer vergeblich wieder nie-
derſank, als ein Bild von der Gegenwart des türkiſchen
Reichs zu nehmen.
Nachdem wir eine ſteinerne Brücke über einem rau-
ſchenden Waſſer vorüber waren, während wir zu unſerer
Rechten einen mit Feigen, mit Oliven und anderen Bäu-
men reichlich prangenden Garten bewunderten, bot ſich
wieder eine ſehr ſteile, felſige Höhe unſern Blicken dar.
Unſere Kamele erklommen ſie erſchöpft; die Sonne brannte
heiß; die Mittagsſtunde war nahe. Wie klopfte mir das
Herz; bald, bald ſollt ich ſie ſehen, die Stadt Gottes mit
ihren heiligen Wohnungen. Freilich hatten wir um uns
kein Land das nach Milch und Honig ausſah. Faſt rings
umher war's wie in Malta, wo aus dem flach aufliegen-
den Erdreich oft genug der nackte Felſen hervorſtarrt. Ich
fragte mich: Lagen dieſe Steinmaſſen immer ſo offen da?
Sie ſahen zum Theil von Regengüſſen ſehr abgeſpült
aus; gewiß waren ſie einſt da und dort von viel reich-
licherem Grün überwachſen. Faſt zwei Stunden mochten
299
wir die Brücke im Thal von Kulonieh verlaſſen haben,
da ſahen wir im Oſten die kahle, ſandröthliche Gebirgs-
kette, das Jordansgebirge, das Pisga der Schrift; zu
unſerer Rechten erkannten wir zwiſchen friſchen Bäumen
in grüner Landſchaft ein Kloſtergebäude, das Kloſter zum
heiligen Kreuze; jetzt erhob vor uns der Oelberg ſein
olivenbekränztes Haupt ſammt ſeinen heiligen Bauwerken;
im Norden von ihm ſtand ziemlich hoch eine Moſchee, auf
dem Grunde des einſtigen Silo. Noch einige Schritte
weiter, da ſahen wir Mauern, Thürme und Kuppeln, wir
ſahen Jeruſalem. Welch unvergeßlicheren Augenblick hätt'
ich je gehabt in meinem Leben! Ich rief es aus vollſtem
Herzen dem begeiſterten David nach: Ich freue mich daß
ich werde ins Haus des Herrn gehen, daß meine Füße
ſtehen werden in deinen Thoren, Jeruſalem!
Aber welchen Eindruck, wird man fragen, macht Jeru-
ſalem an ſich, als bloße Stadt wie jede andere? Wer
möchte darauf genügend antworten. Ein Sohn der ſeiner
Mutter in die Arme ſtürzt, die er nie geſehen und doch
geliebt ſeit früheſter Kindheit, wollen wir ihn fragen: Wie
gefällt dir deine Mutter? Die Pilgrime aus allen Him-
melsſtrichen bekennen es heute wie vor Jahrhunderten:
ein tiefer, geheimnißvoller Zug von Melancholie ruht über
der heiligen Stadt; mit unausſprechlicher Wehmuth füllt
ſie Herz und Auge. Die vielen Kuppeln über den platten
Dächern geben Jeruſalem ein eigenthümliches Gepräge.
Z00
Durch ſeine graue Steinfarbe erinnerte es mich an italiä-
niſche Städte und beſonders an Avignon. Seine hohen
von mehreren Seiten den Blick begrenzenden Mauern
machten mir einen Eindruck wie das Catharinenkloſter
des Sinai; gleich als wäre der Feſtungsbau am Fuße des
Moſisberges ein Jeruſalem im Kleinen.
Das Pilger- oder Jaffathor winkte uns entgegen; zu
ſeiner Linken hat es, wie einen treuen ſicheren Wächter,
die alte feſte Burg der Stadt, aus deren Hintergrund eine
Gruppe freundlich grüner Bäume des armeniſchen Klo-
ſtergartens hervorſchaut; zu ſeiner Rechten überraſcht es
mit dem erſten Blicke auf die hohen Kuppeln der heiligen
Grabeskirche. Links und rechts haben wir Gräber; ſo
empfängt uns die heilige Stadt mit treuen Bildern ihres
Charakters. Links ſind's die Gräber von Märtyrern
des Halbmonds; bald darauf rechts, im Thale Gihon,
ein türkiſcher Begräbnißplatz um einen viereckigen Teich
herum.
Dicht vor dem Pilgerthore hatten wir unſere Sanitäts-
beſcheinigung aus der Quarantäne von Gaza abzugeben;
unterm Thore ſelbſt ſtiegen wir ab. Es war eben Mittag
vorüber. Zudringlich wurden wir in ein neues erſt kürz-
lich eingerichtetes italiäniſches Gaſthaus eingeladen; ich
zog es aber vor in die Caſa nuova des lateiniſchen Klo-
ſters zu gehen, wohin wir links vom Thore durch eine
lange enge aber reinliche Straße gelangten. Bald war
301
ich daſelbſt aufs Freundlichſte empfangen; ein großes
helles Zimmer des erſten Stockes nahm mich auf, in ein
anderes Parterre ließ ich meinen Dragoman mit meinem
Gepäcke einquartieren.
--
I e r uſ a le m.
Wo ſoll ich anfangen, wo aufhören Jeruſalem zu be-
ſchreiben? Was erzählen dieſe Steine, dieſe Berge, dieſe
Thäler! Nennt man Rom die „ewige Stadt,“ wie will
man Jeruſalem heißen? Es iſt als wäre die Menſchheit
geboren zu Jeruſalem; die Züge einer trauten, heiligen
Heimath ſprechen einem Jeden daraus entgegen.
Schon Abraham hat es geſehen. Melchiſedech, der
König von Salem, ſegnete den Patriarchen wie er heim-
kehrte von ſeinen Heldenthaten. Was Joſua's Schlacht-
heer, obſchon es ſiegreich einzog, nicht vermochte, das
Jebus durch Vertreibung der Jebuſiter wieder zu Salem,
zur Friedensſtadt, zu machen: das gelang David. „Aus
Zion bricht an der ſchöne Glanz Gottes,“ ſo durfte ſeine
Seele ſingen, und weithin klang das Lied vom heiligen
Berge. Salomo's prächtiger Tempelbau vollendete Da-
vids Preisgeſang; von nun an beſaß für alle Zeiten die
religiöſe Anſchauung ſo ſehr als die politiſche des Volkes
Israel in Jeruſalem ihren Mittelpunkt.
Leider kam es bald zum Trauern und Klagen; feind-
liche Schwerter und Wagen überwältigten die Tochter
303
Zion, bis ſie in Trümmern lag. Aber wie ewig grüne
Palmbäume mitten in der öden Wüſte, ſo ſtanden die
Propheten mit ihrem allgewaltigen Gotteseifer über den
Trümmern: „Mache dich auf, mache dich auf, Zion; ziehe
deine Stärke an, ſchmücke dich herrlich, du heilige Stadt
Jeruſalem.“ Und nach den vielen Kämpfen, Mühſalen,
Verwüſtungen erhob ſich unter den heimgekehrten Gefan-
genen aus Babylon eine neue Stadt, ein neuer Tempel.
Zerubabel, Esra, Nehemia: ſo heißen die Namen des ed-
len Triumvirats, aus deſſen Begeiſterung die neue Schö-
pfung ſtammte. Der alte Glanz freilich kehrte niemals
wieder. Die Fremdherrſchaft behauptete ihren feſten Fuß;
Raub, Plünderung, Schmach und Unterdrückung waren
getreu in ihrem Gefolge. Auch Alexander der Große
trug ſeinen eiſernen Fuß über den heiligen Boden. Die
kurze Freiheit, erkämpft durch die Heldenarme der Makka-
bäer, war eine ſchöne Blüthenkrone, entfaltet im Sturme,
im Sturme geſchloſſen. Pompejus pflanzte über der er-
oberten Stadt die römiſchen Adler auf; Craſſus vergriff
ſich mit frecher Habgier an den Schätzen des Heiligthums.
Nur Herodes der Große kleidete noch einmal in einen
neuen Prachtmantel die Lieblingstochter des Morgenlan-
des; ſo war ſie zur rechten Stunde geſchmückt wie eine
Braut. Denn da ging es wie ein großer letzter Feſttag
auf über Jeruſalem. Nein, ſein letzter war es nicht; aber
es war ſein größter. Das Licht kam.
304
Leider hallte umſonſt der Tempel wieder von den ewi- -
gen Lebensworten; vom Oelberge erklang das Abſchieds-
wort des verſchmähten Retters an die Verlornen: „Jeru-
ſalem, du Prophetenmörderin, wie oft hab' ich deine Kin-
der verſammeln wollen wie eine Henne verſammelt ihre
Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt.
Siehe, euer Haus ſoll euch wüſte gelaſſen werden!“ Und
es ward wüſte gelaſſen. Titus' Arm ſtreckte ſich wie zum
Gericht aus über die Thore der Stadt. Aus einem ein-
zigen der Thore trugen die fremden Sieger in den ver-
hängnißſchweren Sommertagen des Jahres 71. hundert
funfzehn tauſend achthundert achtzig Todte; wie zu einer
bitteren Verſpottung der Käufer des Gottesſohnes um
dreißig Silberlinge wurden an hundert tauſend Gefan-
gene je dreißig für einen Denar feilgeboten; rauchende
Schutthaufen blieben der Million Leichen das einzige
traurige Denkmal. -
Aber das Heil der Völker war ausgegangen von Zion.
Mochte die Stadt zertrümmert liegen: über den Schutt-
haufen ſtand in unverwelklicher Schöne der ewige Stern.
Aelius Hadrian baute umſonſt ſeine Aelia darüber und
füllte ſie mit heidniſchen Götzentempeln: Jeruſalem ſtand
den chriſtlichen Völkern des Erdkreiſes ins Herz geſchrie-
ben. Unter der frommen Helena und dem thatenfreudigen
Conſtantin feierte Chriſtus, auf dem Haupte Dornenkranz
und Siegerkrone, ſeinen zweiten Einzug in die Gottesſtadt,
305
Allein gleichwie ein Vorbild der ſtreitenden Kirche
auf Erden, ſollte ſie, die Vermittlerin des Friedens, den
Frieden ſelber nicht finden unter der Sonne. Die falſchen
Propheten zogen als blutige Eroberer ein, der Halbmond
verdrängte das Kreuz; wenn ſchon ſowohl Israel als auch
die Kirche, aller Grauſamkeit der Barbaren ungeachtet,
nie ganz gewichen ſind aus den Mauern Jeruſalems.
Was aber dem Chriſtenthume der Oſten, ſein Vater-
land, verſagte, das hatte es nach einem Jahrtauſend in
der Fremde, im Norden gefunden: ganz Europa betete im
Namen des Gekreuzigten. Da loderte plötzlich die Flamme
einer ſchönen Begeiſterung auf über die Länder des Nor-
dens; der Glaube wohnte tief in den Herzen; das Feuer
der Jugend floß in den Adern; das Ritterthum mit ſeinem
Muthe und ſeiner Kraft brach auf aus ſeinen heimathli-
chen Burgen, das Kreuz auf der Bruſt. Jeruſalem galt
es; Jeruſalem, das ewig alte, das ewig neue! Und Je-
ruſalem ſah noch einmal ſiegreich das Kreuz auf ſeinen
Bergen ſtehen; die großen, heiligen Thaten der Vorzeit
erwuchſen neu, groß und herrlich, wie die Cedern des
Libanon. -
Leider verſchlang bald den kurzen Tag eine lange
Nacht. Salaheddins Eroberung war dauernder denn die
des edlen Gottfried. Seit dem Ende des dreizehnten
Jahrhunderts behielt der Islam die Stadt Davids im
feſten Beſitze.
I. - 20
Z06
Aber heilig ſteht ſie dennoch da, fort und fort, wie
keine andere Stadt von Menſchenhand. Denn auch den
Bekennern Mohammeds heißt ſie el Kuds, die heilige; die
Chriſten von Nord und Süd haben in ihr ihre Heilig-
thümer und Klöſter und Bethäuſer; die verwaisten Kinder
Israels tragen zu ihr ohne Aufhören ihre Klagen, ihre
Schmerzen, ihre Thränen. Wer möchte ſie zählen die
Thränen alle die geweint worden ſind im Laufe dreier
Jahrtauſende auf den Hügeln dieſer Stadt. Wer möchte
es ſagen wie viel Blut gefloſſen über die Steine dieſer
Stadt. Wie ein großartiges ernſtes Schickſal, wie ein
verkörpertes Weltgericht ſteht ſie da. Wenngleich die
Welt unterginge – ſo ſang einſt der Sänger, von Gott
beſeelt – wenngleich die Berge ſänken mitten ins Meer:
ſo ſoll doch die Stadt Gottes fein luſtig bleiben mit ihren
Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchſten ſind.
Und geblieben iſt ſie, trotz allem was ſank und ſtürzte,
ruht auch immer eine ſchwere Trauerwolke über ihrem
Freudenſcheine.
Durchläuft man, wenn auch nur nach meinen ſchwa-
chen Andeutungen, die Kette der Ereigniſſe die über Je-
ruſalem gekommen ſind, ſo begreift ſich's nur ſchwer wie
heute mit unſerem Auge die Localitäten wieder zu erken-
nen ſind, an die ſich die großen Erinnerungen anknüpfen.
Hat doch das prophetiſche Wort faſt ſeine volle Erfüllung
gefunden: Es wird hier kein Stein auf dem andern blei-
Z07
ben der nicht zerbrochen würde. Ohne im Geringſten
Skeptiker zu ſein, wird man im Voraus mißtrauiſch zwei-
feln an gar vielem was der fromme, glückliche Pilger noch
in unſern Tagen geſehen haben will. Deſſenungeachtet
iſt die Beſonderheit der Lage Jeruſalems von der Art, daß
ſie viele Merkzeichen unaustilgbar bewahrt hat; wenn
auch ſchon ſehr viele andere ſogenannte heilige Oerter auf
einen höchſt grundloſen Grund hin mit ihren Namen be-
zeichnet werden. Ich glaube nichts weniger als eine üble
Verdächtigung hervorzurufen, wenn ich mich gegen manche
der gewöhnlichen Annahmen von heiligen Oertern ohne
Rückhalt erkläre.
Jeruſalem liegt wie Rom auf Hügeln; es läßt ſich
am einfachſten ſagen, daß es von zwei Hügelhöhen, einer
im Oſten und einer im Weſten, getragen wird. Beide
verbindet ein tiefes Thal, das mit ihnen ſelber von Nor-
den nach Süden läuft. Der Zion im Weſten dehnt ſich
weit nach Süden aus; was ich ſeine nördliche Hälfte
– es iſt freilich eine abgetrennte Hälfte – nennen will,
iſt man gewöhnt worden mit dem Namen Akra zu be-
zeichnen. Dem Zion liegt gegenüber im Oſten Mor-
jah, der Tempelberg, der nach Süden wie einen Vor-
ſprung den Hügel Ophla hat und nach Norden den Hü-
gel Bezetha oder, wie es wohl richtiger lautet, Akra.
Wie Jeruſalem heute liegt, ſo lag's in der Hauptſache
20*
308
ſchon vor den letztgeſchwundenen achtzehnhundert Jahren
und noch früher; nur daß des Zions ſüdlichſter Theil jetzt
mit der Davidsburg und wenigen andern Bauten außer-
halb der Mauer befindlich iſt, während er zur Zeit Da-
vids wie zur Zeit Chriſti den hauptſächlichſten Stadtbau
trug, und daß im Norden eine weite Strecke jetzt leer und
wüſte liegt, welche von der dritten, zu den zwei früheren
zehn Jahre nach Chriſtus hinzugekommenen Mauer mit
umſchloſſen ward.
Die unveränderlichſten Züge der Natur hat Jeruſalem
gegen Oſten; da fällt der Morjah ziemlich ſteil ab ins
Thal Joſaphat mit dem Kidron, während ihm gegenüber
der die Stadt und die Umgegend überragende Oelberg ſich
erhebt. Faſt nicht weniger treu mußte ſich das Terrän
nach Süden und Weſten bleiben. Im Südoſt erhebt ſich
als Nachbar vom Oelberg der Berg des Aergerniſſes, ſo
genannt nach dem dort von Salomo geübten Cultus
heidniſcher Gottheiten. An ſeinem Fuße liegt, gerade im
Angeſichte des Hügels Ophla, der mit dem Morjah ſtreng
genommen nur ein Ganzes bildet, das uralte Dorf Si-
loam, dicht unter welchem das Thal Joſaphat am eng-
ſten wird, bis ſich beim berühmten Brunnen Rogel in ei-
nem ſpitzen Winkel ans Thal Joſaphat das Thal Hinnom
anſchließt. In das Thal Hinnom fällt der ganze ſüdliche
Theil Jeruſalems, das iſt der Berg Zion ab. Eben-
daſſelbe bildet im Weſten, mit dem Anfange des Thales
Z09
Gihon gleichfalls eine nothwendige Grenze der Stadt, die
gerade hier durch den Hippicus, der ins jetzige Caſtell am
Jaffathore hineingebaut iſt, einen überaus wichtigen An-
haltspunkt für die Wiedererkennung der Stadtgrenzen bie-
tet wie ſie zur Zeit Chriſti und auch vor derſelben waren.
Nur nach Norden hat das Terrän keine fire Naturgrenze;
im Nordweſt liegt abſtufiges Hügelland; den Norden ſel-
ber bildet eine andauernde Flachhöhe.
Aus dem allen ergibt ſich, daß man noch heute ohne
große Mühe den Geſammteindruck von der Lage des alten
Jeruſalems empfängt. Vom Oelberg aus hat man ihn
am vollkommenſten. Wer möchte je da geſtanden haben
ohne die tiefſte Bewegung ſeines Innern. Da ſtand der
Herr gewiß oft und ſah zu ſeinen Füßen die heilige Stadt.
Wie ſie damals vor ſeinen Blicken die öſtliche Mauer
begrenzte, ſo begrenzt ſie dieſelbe genau noch heute. Wo
die Moſchee Omars nebſt der el Akſa auf der weiten blan-
ken Area entgegentritt, da ragte unzweifelhaft damals em-
por der Tempel mit ſeiner Pracht. Vor allem erinnerte
ich mich auf meinen Wanderungen über den Oelberg wie
der Herr, als er von Jericho her zu ſeinem feſtlichen
Einzuge kam, „weinte über die Stadt als er ſie von ferne
ſah,“ und wie ihn die Jünger daſelbſt fragten nach der
ſchweren Stunde der Zukunft. Natürlich konnte auch
dieſe ſo weihevolle Stelle der Tradition nicht entgehen;
man nahm einen vorſpringenden Fels dafür an und hatte
310
darauf auch eine Kapelle gegründet, von der jetzt nur
noch wenig Spuren übrig ſind. Allein daß die Oertlich-
keit durchaus nicht genauer beſtimmt werden kann, wo
der Heiland geſeſſen bei ſeiner ergreifenden Prophezeiung,
das eben läßt die Erinnerung in ihrer harmloſen Reinheit.
Der Oelberg bietet noch einen andern herrlichen
Standpunkt; er iſt da wo man auf der nach Oſten ſich
neigenden Fläche ſeines Gipfels ſteht, ohne die Ausſicht
auf die Stadt zu haben, die durch einige Baulichkeiten
benommen iſt.“ Da hat man vor ſich das ſandfarbige
Pisga, ernſt und ſchroff; von dort – denn der Berg
Nebo gehört zum Gebirge Pisga – ſah einſt Moſes das
gelobte Land. Unter dem Gebirge breitet das todte Meer
ſeinen Spiegel wie eine blendende Stahlplatte aus; rings-
um ſtarrt in ihrer Nacktheit die Wüſte. Nach Nordoſt
läßt ſich der Lauf des Jordans am Grün und an den
Bäumen ſeines Ufers erkennen. Auch Ruinen glaubt
ich zu unterſcheiden, die mein Führer als Jericho bezeich-
nete. Nach Südſüdoſt liegt Bethanien; näher zu mir
heran ſah ich Baureſte die mir Bethphage genannt wur-
den. Wie gern mag der Herr mit ſeinen Jüngern in
dieſer Gegend und bei dieſem Anblicke verweilt haben. Ich
genoß hier unvergeßliche Stunden. Das todte Meer
* Ich muß noch erwähnen daß man von der Höhe des Minarets ne-
ben der Moſchee die Ausſicht nach Oſten und nach Weſten, auf Jeruſa-
lem und aufstodte Meer, zugleich hat.
311
liegt da wie ein Immortellen-Vergißmeinnicht, wie ein
dunkles Blatt aus dem Buche des Weltgerichts. Seit
Jahrtauſenden ſieht es das Auge der wandelnden Men-
ſchen, der Phantaſie des Beſchauers ſchimmern die Zinnen
der verſchlungenen Städte entgegen; aber es ſteigt kein
Todter aus der kalten Meeresgruft, und die Zweifel-
gedanken der ewig Blinden verlieren ſich im troſtloſen
Sande der Wüſte. Im Norden nimmt das todte Meer
den Jordan auf; dicht bei ſeinem Einfluſſe taufte Jo-
hannes. Hier alſo ſchleuderte er ſeine aufſchreckenden
Blitze in die Herzen der verſtockten Phariſäer. Auch den
Heiland taufte er hier; noch alljährlich ſtrömt die Schaar
der frommen Pilgrime hinzu um das Andenken daran zu
feiern. Aber umſonſt fiel die Stimme vom Himmel auf
die Häupter der Ungläubigen; und ſo ward das Wort
des Heils zur Poſaune des Gerichts.
Ich kehre in die Stadt zurück; der Weg führt mich
an Gethſemane vorüber. Am Fuße des Oelbergs liegt
es, von niederen leicht überſteiglichen Mauern eingefaßt,
die im Weſten den Bach Kidron neben ſich haben. Acht
Oelbäume ſtehen in ſeinem Umkreiſe; das hohe Alter hat
ihren Stamm ausgehöhlt; durch eingelegte Steine ſind
ſie gegen den Sturmwind gefeſtigt. Bereichert ſich auch
gern der pilgernde Fremdling mit Blättern und einem
Zweiglein aus Gethſemane, ſo wachen doch Katholik und
Grieche ſorgſam für die Erhaltung dieſer ehrwürdigen
312
Bäume. Eine hervorſtechende Abzeichnung hat dieſer
Raum zwar nicht die ihn als Gethſemane legitimirte; aber
alles was wir aus den Evangelien wiſſen, harmonirt
vollkommen mit der Localität. „Jeſus ging hinaus mit
ſeinen Jüngern an den Oelberg und kam an einen Hof,
der hieß Gethſemane,“ ſagt Matthäus; und Johannes
ſagt: „Jeſus ging hinaus mit ſeinen Jüngern über den
Bach Kidron; da war ein Garten, darein ging Jeſus
mit ſeinen Jüngern.“ Merkwürdig genug iſt es, daß die
genannten acht Oelbäume nachweislich ſchon zur Zeit der
Eroberung Jeruſalems durch die Türken geſtanden haben;
dennoch ſcheint ihr Beſtehen nicht bis zur Zeit Chriſti
ſelbſt hinaufreichen zu können, da Joſephus bezeugt daß
Titus bei der Belagerung alle Bäume im Umkreiſe der
Stadt bis auf eine Entfernung von hundert Stadien um-
hauen ließ. Uebrigens hat ſich gewiß die genaue Kennt-
niß der Oertlichkeit von Gethſemane um ſo leichter erhal-
ten, da ſie nicht in die Hände eigentlicher Zerſtörung
fallen konnte.
Die Vereinigung des heutigen Gethſemane mit dem
ſogenannten Cönaculum, dem Saale der Einſetzung des
Abendmahls, iſt freilich unbequem; aber für die Aechtheit
des Cönaculum ſpricht nicht die geringſte Wahrſcheinlich-
keit, obſchon es bereits vor Conſtantin nach Cyrills Zeug-
niſſe in dieſer Verehrung geſtanden haben kann. Freilich
mag man es zu gewiſſen Zeiten recht gut gefunden haben,
313
daß dieſer große Saal gerade über dem Grabe Davids,
voll von einer traurigen Oede, der Schauplatz eines Actes
geweſen den man in ſchauerliche Opferbegriffe einzukleiden
bemüht war. -
In den Garten Gethſemane gelangt man noch heute
kurz nach Ueberſchreitung der Kidronsbrücke, wenn man
ſich rechts wendet; es ſchließen ſich an ſeine Ummauerung
nach dem Berge des Aergerniſſes zu andere ähnliche Gar-
tenräume an, während links von der Brücke die in den
Felſen hinein gehauene und größtentheils unterirdiſche
Kirche Maria's ſteht, mit Maria's Grab und Andenken,
an die Eltern derſelben, Anna und Joachim, ſowie an
Joſeph. Gleich daneben wurde ich mit Lichtern in den
Hintergrund einer Felſengrotte geführt, wo Chriſtus ſeinen
Kampf des blutigen Schweißes gekämpft haben ſoll. Jede
andere Stelle des Oelbergs ſchien mir eher als dieſe der
Schauplatz jener heiligen Stunde geweſen zu ſein. Denn
wie kann dieſelbe nach dem Berichte der Evangeliſten eine
Grotte geweſen ſein?
Ich gehe über die Kidronsbrücke in die Stadt zurück.
Den kahlen ſteilen Berg hinauf haben wir zur Linken tür-
kiſche Gräber, da wo ſo gern die türkiſchen Frauen knieen
und ſitzen, nicht blos um zu weinen und zu beten, ſon-
dern auch um ſich gegenſeitig gemüthlich auszutauſchen.
Nachdem wir durchs Stephansthor in die Stadt einge-
treten ſind, liegt faſt unmittelbar zu unſerer Linken der
314
ſogenannte Teich Bethesda, ein großes tiefes länglich
rundes Baſſin (nach Robinſons Meſſung dreihundertund-
ſechzig engliſche Fuß lang, hundertunddreißig breit, fünf-
undſiebenzig tief). Nach Nord und Weſt wird es von
Häuſern umgrenzt; im Süden liegt es an der Mauer der
Tempelarea; im Oſten dicht an der Stadtmauer. Im
Innern liegt viel Schutt aufgehäuft, namentlich in ſeiner
nördlichen Hälfte. Darüber grünen hochgewachſene wilde
Granatbäume. Robinſons Gründe gegen die Identität
dieſer Stelle mit dem bibliſchen Bethesda ſind ſehr ge-
wichtvoll, und zwar um ſo mehr, da noch vor wenigen
hundert Jahren ein anderer Teich für den bibliſchen ge-
halten worden iſt. Robinſon will in derſelben ein Stück
vom tiefen Feſtungsgraben der Burg Antonia erkennen.
Sehr viel Wahrſcheinlichkeit bleibt aber dafür daß
allerdings in der Nähe vom Stephansthore das bibliſche
Bethesda geweſen iſt, vielleicht eben da wo Felir Fabri
und noch frühere Reiſende es ſahen, nämlich bei der Kirche
der heiligen Anna. Was ſo entſchieden den Teich Be-
thesda hieher verſetzt, das iſt Folgendes. Das Schafthor,
an dem der Teich lag, muß jedenfalls ſo gut wie das
heutige Stephansthor ſehr nahe beim Tempel geſtanden
haben, da es die Prieſter waren die es unter Nehemias
errichteten, ſowie gleich daneben die Männer von Jericho
bauten, die doch gewiß da gebaut haben wo der Weg nach
Jericho führt.
315
Wie leicht aber wird durch das heutige Bethesda der
argloſe Beſchauer zum Glauben verführt! Nicht nur zeigen
ſich unten an der ſüdlichen Mauer, die an die Tempelarea
anſtößt, kleine runde abgeſpülte Steine, die nothwendig
darauf führen, daß im Graben Waſſer gefloſſen; ſondern
im Weſten oder faſt Südweſten ſieht man ſogar zwei
offene Bogenwölbungen, die zu den fünf Hallen des bibli-
ſchen Bethesda ſo gut zu paſſen ſcheinen. Aber weder
das Waſſer in einem Feſtungsgraben hat etwas Ueberra-
ſchendes, noch die Bogengewölbe welche ſtützend die dar-
über errichteten Gebäude tragen.
Was die wunderbaren Eigenſchaften des Teiches Be-
thesda betrifft, ſo hat neuerdings Robinſon die merkwür-
dige Unregelmäßigkeit des Waſſerzufluſſes bei der Quelle
der Jungfrau im Thal Joſaphat damit in Verbindung
zu bringen geſucht. Die Beobachtung iſt nämlich keines-
wegs neu, obſchon ſie oft verabſäumt worden iſt, daß
das Waſſer der genannten Quelle, die ſich durch einen
unterirdiſchen Canal auch dem Teiche Siloam mittheilt,
bisweilen plötzlich auf eine ungewöhnliche Weiſe hervor-
ſprudelt und ſichtlich ſteigt. Robinſon fragt nun: Kann
nicht dieſe Quelle der Jungfrau Bethesda ſein, da das
Schafthor nicht weit von dem Tempel gelegen zu haben
ſcheint und die Mauer der alten Stadt wahrſcheinlich die-
ſem Thale entlang lief? Mag aber auch dieſe Vermu-
thung ſchon dadurch ihre Bedeutung verlieren, daß die
316
alte Mauer ſchwerlich den von Robinſon angedeuteten
Gang verfolgte; ſo ſcheint mir doch ein Band zwiſchen dem
bibliſchen Bethesda und dieſem intermittirenden Quell-
waſſer auffindbar, und zwar um ſo mehr, da von dem
letzteren die Quelle unter der großen Moſchee Zuflußer-
halten ſoll, wodurch eine Vermittlung deſſelben bis zu
dem wahrſcheinlichſten Terrän Bethesda's, ein wenig
nördlich vom Stephansthore, nahe genug gelegt wird.
Doch ich verſpare mir alle weitern Mittheilungen von
Jeruſalem, und eile die via dolorosa hinauf, um nur noch
einen Augenblick in der Kirche zum heiligen Grabe zu
verweilen.
Ich trete von Süden herein, da wo die zwei Haupt-
portale ſind, die von der Seite in die Kirche führen. Die
hauptſächlichſte Ausdehnung der Kirche geht von Weſten
nach Oſten, ſo daß am weſtlichſten unter einer mächtigen
Kuppel die Rotunde des heiligen Grabes ſteht, von da
nach Oſten in der Mitte des Gebäudes, die große läng-
liche Kirche der Griechen, gleichfalls von einer Kuppel
überragt, und am öſtlichſten in einem Vierecke die Kapelle
der Helena nebſt der Stelle der Kreuzesauffindung. Wir
ſtehen nach dem Eintritte in einem länglichen Vorhofe,
von welchem gleich rechts Golgatha liegt. Achtzehn Stu-
fen führen hinauf; im Hintergrunde, nach Oſten, haben
wir den Standpunkt des Kreuzes Chriſti, worunter ſehr
merkwürdiger Weiſe und wohl mit übel angebrachtem Ei-
317
fer das Grab Adams, ſowie die Stätte wo Abraham ſei-
nen Sohn opfern wollte, gezeigt und verehrt wird. Links
vom Eingange treten wir nach Weſten in die Rotunde
des heiligen Grabes ein, deſſen Anlage die eines altjüdi-
ſchen Grabes iſt, ſo daß aus einem Vorgemache eine nie-
drige Thür in den eigentlichen Gräberraum führt. Gerade
über dem Eingange zur Grabeskapelle hängt ein Bild von
der Auferſtehung, das mit einem öſterreichiſchen Doppel-
adler gekrönt iſt, der vielleicht nicht nach Jedermanns
Geſchmacke hier angebracht ſein möchte. Im Innerſten
der Grabeskapelle liegt eine geſpaltene Platte weißen
Marmors über dem für Chriſti Grab gehaltenen Raume.
Daneben ſteht ein Altar mit vielen unverlöſchlich bren-
nenden Lampen. Außerdem iſt Alles mit Marmor über-
kleidet und ſonſt mehrfach verziert. Hinter dem heiligen
Grabe zeigt man zwei Gräber als die des Nicodemus
und des Joſeph von Arimathia, die man vielleicht mit
vollem Rechte jetzt noch als alte jüdiſche Felſengräber an-
erkennt. In der Gallerie, die im Norden um die präch-
tige Kirche der Griechen herumläuft, treffen wir einzelne
Stellen mit Erinnerungen an Thatſachen, die zu des Hei-
lands Leiden und Auferſtehung gehören, wie ein Stück
der Säule woran Chriſtus gegeiſſelt worden, die Stätte
der Looſung ums heilige Gewand. Aus dieſer Gallerie
ſteigen wir nach Oſten auf achtundzwanzig Stufen zur
Kapelle der Helena hinab, von welcher aus links andere
318
dreizehn Stufen dahin führen wo das Kreuz Chriſti auf-
gefunden worden iſt.
Manches gibts was ſtört in dieſen heiligen Räumen.
Abgeſehen von den türkiſchen Wächtern, die mit ihren
Pfeifen und Caffeetaſſen im Vorhofe nach den beiden
Portalen liegen; abgeſehen von den leicht ſichtlichen ge-
genſeitigen Beeinträchtigungen der Griechen, der Lateiner,
der Armenier, der Kopten, wovon gar viel zu klagen iſt:
ſtört ſchon die mannigfaltige Pracht der Kapellen, der
Kirche und aller der verehrten Stätten gerade da wo man
die traurige Schädelſtätte und das Felſengrab im Garten
wieder erkennen will. Auch iſt die Identität dieſer Oert-
lichkeiten mit den bibliſchen nach mehreren Seiten hin dem
Zweifel unterworfen, was ich ſpäter in weitere Unter-
ſuchung ziehen werde. Demohngeachtet ſchlägt das Herz
des Pilgrims in dieſen geweihten Hallen mit einer In-
brunſt, mit einer Rührung, mit einem Schauer, was un-
ausſprechlich iſt. Das Gebet, das hier auf die Lippe
tritt, das gleicht keinem anderen Gebete. Denn was bei
allen obwaltenden Zweifeln der heutigen Grabeskirche als
ein unantaſtbares theueres Eigenthum bleibt, das iſt die
Verehrung, die ſie ſeit Conſtantin und Helena von den
Pilgrimen aller chriſtlichen Völker der Erde genoſſen hat
und noch genießt; das iſt die alles aufopfernde Liebe, mit
der ſich durch alle Verfolgungen und Bedrückungen der
Muhamedaner hindurch die Chriſten Jeruſalems an die-
319
ſelbe feſt angeklammert haben; das iſt die Erinnerung an
ſo viel Herzeleid und ſo viel fromme Andacht die ſie im
Laufe von anderthalb tauſend Jahren geweckt und geſe-
hen hat.
Druck von Bernh. Tauchnitz jun.