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Neiſe in den Orient. Reiſe in den Orient VON + (e/ncÄew-Ä Conſtantin Fiſchendorf, Ritter vom Nordſtern, von der Ehrenlegion, vom Luccheſiſchen heiligen Ludwig Erſter Band. Leipzig, Verlag von Bernh. Tauchnitz jun. 1846, 785936-B. Sein er geliebten Braut A n g e l i k a dargebracht am Hochzeitsmorgen. V or w or t. Freundlichen Leſern übergeb' ich hiermit den erſten Theil meiner Reiſe in den Orient. Die vielſeitige Theil- nahme die meine Wanderungen während ihres Verlaufs gefunden läßt mich auch für dieſe Erinnerungsblätter ein günſtiges Auge hoffen. Daß die Haltung meiner Mit- theilungen keine gelehrte iſt, das ſagt ſchon die äußere Erſcheinung des Buches. Ich habe bei weitem mehr mit dem Herzen als mit dem Kopfe geſchrieben. Wer den Orient bereiſt hat, der beſitzt an ihm wenigſtens das was der Schweizer an ſeinen Bergen beſitzt; hat er ſie nicht mehr vor Augen, ſo trägt er ſie im Herzen. Ich ſage, daß der Orient „wenigſtens“ gleicher Weiſe feſſelt; denn im Grunde feſſelt er noch weit mehr, ſobald man nur zu „“ VIII ihm mit dem rechten Sinne und Gemüthe für die Erin- nerungen kömmt, die er an des Chriſtenthums und der Menſchheit heilige Vergangenheit bewahrt. Welches Auge ich ſelber zu den Anſchauungen des Orients mitbrachte, das wird man dem Geſchriebenen leicht anmerken. Die Eindrücke, die auf dieſes Auge die wirklichen Anſchauungen machten, in eine beſtimmte Form zu bleibender Erinnerung zu kleiden: das war meine Hauptabſicht bei der Abfaſſung dieſer Reiſe. Mißlich iſt es daß eine ſolche Reiſebeſchreibung die erſte Perſon auf eine gewiſſe Weiſe in den Vordergrund ſtellt; ich dachte aber daß eine vertrauensvolle Hingabe, eine offene Unbefangenheit der Erzählung, welche Schrei- ber und Leſer einander gleichſam Aug in Aug ſehen läßt, immer noch von vielen gewürdigt wird. Ich habe des- halb auch mein Buch mit dem Briefe an meinen Bruder eröffnet, der getreu aus der Zeit ſtammt von der er ſein Datum trägt. Was ich mir aber da und dort ungern verſagt habe, das iſt der Ausdruck der Dankbarkeit den ich Gönnern und Freunden hätte darbringen mögen. Ich bitte daher alle diejenigen denen ich dieſen Namen ſchuldig bin, beim Durchblättern meines Buches meiner als eines Schuld- IX ners zu gedenken, dem keine Erfahrungen theurer gewor- den ſind als die der freundlichen Gunſt, die er auf ſeiner Reiſe genoſſen. Von denen die am heimathlichen Herde des fernen Wanderers heißen Dank verdienten, muß ich, indem ich von der hohen vaterländiſchen Regierung ſchweige die mich ihrer beſondern Huld gewürdigt, vor allen drei Männer nennen, den Oberhofprediger Dr. von Ammon, den Superintendenten Dr. Großmann, den Con- ſiſtorialrath Dr. Dav. Schulz. Ueber den Sinn und die Bedeutung meines durch meine fünfjährige Reiſe ſich ziehenden bibliſchkritiſchen Unternehmens ſind mir von Nichtgelehrten oft Fragen willkommener Theilnahme geſtellt worden. Ich habe die Abſicht, um darauf angemeſſen zu entgegnen, eine „brief- liche Mittheilung an eine hohe Gönnerin“ dem zweiten Theile meiner orientaliſchen Reiſe einzuverleiben. Noch eine Bemerkung muß ich über die Schreibung orientaliſcher Namen und Wörter beifügen. Ich habe dergleichen nicht mühſam ans Geſetz der arabiſchen Aus- ſprache und deren Nachbildung angepaßt, da es ja doch für die Zunge der meiſten Leſer unbrauchbar wäre und die Kenner des Arabiſchen meines derartigen Verſuches nicht bedürfen. So übergeb' ich denn, wie ich bereits geſagt, mein Buch den freundlichen Leſern. Solchen Leſern das Ge- leite ins heilige Land geben zu dürfen, darüber freu' ich mich im Voraus. Leipzig, am 18. September 1845. Prof. Dr. Tiſchendorf. I n h a l t. Seite 17–20. Brief an meinen Bruder vor der Abreiſe von Livorno. Seite 21–29. Malta am 26. März 1844. Seefahrt von Livorno nach Malta. Ankunft in Malta. Beſonder- heiten der Inſel. Die Bevölkerung. Die britiſchen Herren. Die Malteſer Ritter. Des Apoſtel Paulus Schiffbruch in Malta; die Schlange; die Paulsgrotte; die Paulsbai. Seite 30–39. Alexandrien am 6. April. Fahrt nach Griechenland. Die Inſel Syra. Der Sclavenhändler. Das Gewitter. Ankunft in Alexandrien. Die Peſt. Die Be- ſchneidungsfeſte. Die Nadeln der Cleopatra und die Pom- pejusſäule. Die Katakomben. Vergangene Pracht Aleran- driens. Seite 40–51. Cairo am 12. April. Die Nilreiſe. Die arabiſchen Matroſen. Orientaliſche Sitte. Die umgeſchla- gene Barke. Die Ufer des Canals und des Nils. Das Nilwaſſer. Der Matroſengeſang. Die Beter am Nil. Erſter XII Blick auf die Pyramiden. Ankunft in Cairo. Der aufge- knüpfte Scheik. Die ſolidariſche Haftung. Beſuch bei Me- hemed Ali. Seite 52–63. Mehemed Ali. Meinungsſtreit. Carriere Mehemed Ali's; ſeine Landeseinrichtungen. Der rechte Maßſtab des Urtheils. Die Fellahs. Mehemed Ali's Or- thodorie und Humanismus. Die Renegatenfrage. Mehe- med Ali's Politik; ſeine Reſignation im Juli 1844. Seite 64–72. Cairo am 8. Mai. Der Esbekiehplatz. Die Muezzin. Der Bazar. Die Blinden. Die Citadelle. Die Wachtſoldaten mit dem Strickſtrumpfe. Die Menagerie. Die Ausſicht von der Citadelle. Die Kalifengräber. Burck- hardts Grabſtein. Seite 72–75. Beſuch bei Ibrahim Paſcha. Die Inſel Roda. Seite 75–79. Kloſterwanderungen in Cairo. Das katholiſche Kloſter. Der armeniſche Biſchof. Das Sinai- tenkloſter. Empfangsſitten. Die Handſchriften. Seite 79–86. Der griechiſche Patriarch von Aleran- drien und ſeine vermauerte Bibliothek. Repuls im Eramen. Soliman Paſcha und die ſächſiſchen Apothekers- töchter. Die ausgegrabene altgriechiſche Kirche zu Aleran- drien. Studien in der Patriarchalbibliothek. Seite 86–103. Die Pyramiden. Vergleich mit dem Straßburger Münſter. Beſteigung der Cheopspyramide. Ausſicht; Betrachtungen. Das Innere der Pyramiden. Die Pyramiden des Cephren und des Mykerinos. Die Liebha- berpyramide. Erbauung und Beſtimmung der Pyramiden. Die neueſte Hieroglypheninſchrift zum Geburtstag Friedrich Wilhelms IV. Der Rieſenſphinx. XIII Seite 103–109. Beſuch bei den orientaliſchen Frauen; Empfang ohne Schleier; ihr Schmuck; ihre Stellung; ihre Talente. Seite 110–132. Die koptiſchen Klöſter der libyſchen Wüſte. Terraneh. Der nächtliche Ritt durch die Wüſte. Caſtello Cibara. Die Natronfelder und Natronſeen. Der Fluß ohne Waſſer. Der Queber. Die koptiſchen Klöſter der Vorzeit. Die vier Makariusklöſter. Bau. Einrich- tung. Koſt. Gottesdienſt. Euchariſtie. Der blinde Prior. Die Bilder. Die Bibliothek. Der Greis von 120 Jahren. Die Conſultationen. Das koptiſche Chriſtenthum. Glau- bensbekenntniß der Kopten. Michael Wandsleb's Nach- richten von dieſen Klöſtern. Seite 133–143. Memphis und Heliopolis. Der Coloß zu Memphis. Abdallatif von den Ruinen zu Memphis. Das Mumienfeld von Sakkara. Heliopolis; ſeine Obelis- ken. Die Sykomore und der Sonnenquell. Seite 144–148. Erpedition nach Altcairo. Die grie- chiſche Inſchrift im koptiſchen Kloſter. Die heilige Grotte. Die Moſchee Amrus mit dem Judenhäuschen und der ge- ſpaltenen Säule. Seite 148–152. Abbotts Alterthümer. Der Bücherbazar zu Cairo. Seite 153–217. Reiſe zum Sina . Seite 153–162. Von Cairo bis Suez. Contrakt mit den Beduinen; ihr Heimathsdorf. Eindrücke der Wüſte. Die engliſchen Poſtbauten in der Wüſte. Seite 163–173. Suez. Der türkiſche Bettler. Der Be- duinenſtreit. Der Durchſtich der Meerenge. Durchgang GO durchs Meer. Die Moſisquellen. XIV Seite 174–185. Zug der Israeliten durchs rothe Meer. Heliopolis, nicht Heroopolis, iſt Raemſes, der Aus- gangspunkt der Israeliten. Die Israeliten gehen nicht über Beſſatin, ſondern auf die Nordgrenze des Meerbuſens zu und wenden ſich nach Suez. Ihr wunderbarer Durchgang durchs Meer. Seite 186–217. Von Ajin Muſa nach dem Sinai. Wadi Sadr. Am rothen Meere. Der böſe Blick. Die bittere Howaraquelle. Der ſchöne Wadi Garandel, das Elim der Schrift. Wadi El Bada mit dem Beduinendorfe. Das wildromantiſche Naſſebthal. Der geheimnißreiche Wadi Mokatteb. Das reizende Feiranthal. Das Scheikthal mit den Mannatamarisken. Das Manna der Schrift. Das großartige Felſenportal. Die Glockentöne. Der Traum. Einladung zum Salechfeſte der Sinaibeduinen. Der Lyoner Apotheker als Kamelarzt der Beduinen. Ankunft zum Be- duinenfeſte. Das Prophetengrabmal. Der oberſte Bedui- nenſcheik. Verlauf des Feſtes; Umgang ums Denkmal. Das Wettrennen auf Dromedaren. Die Mahlzeit. Geſpräch mit dem oberſten Beduinenſcheik. Die Nacht. Nachrichten über die Sinaibeduinen. Ankunft beim St. Catharinenkloſter. Seite 218–224. Der Sinai und ſein Kloſter. Auf- nahme. Der geiſteskranke Signor Pietro. Der ehemalige Mameluckenoberſt und jetzige Fremdenaufwärter. Der würdige, freundliche, gelehrte Bruder Kyrillos. Kloſter- ſitten. Die Hauptkirche mit der Moſaik der Verklärung und der Kapelle des brennenden Buſches. Die Moſchee. Der Garten. Seite 224–239. Der Pfingſtmorgen auf dem Sinai. Das Erwachen. Das Kloſterglöcklein. Der Aufbruch. Weg XV auf den Horeb mit den Erinnerungen an Elias. Der Rigi, der Veſuv, der Sinai. Die griechiſche Meſſe. Der Moſis- ſtein. Die Ausſicht vom Gipfel. Der Catharinenberg. Der Wadi Sebaye als Lagerſtätte Israels. Das Schwanken der Namen Horeb und Sinai. Die moſaiſche Geſetzgebung un= ter Donner und Blitz. Der Fußtritt des Dromedars des Propheten und die Literatur darüber. Das Feſtgelage der Kloſterbrüder in der Felſengrotte. Seite 240–247. Ueber die Geſchichte des Kloſters. Das Schreiben Mahomets. Das Evangelienbuch des Kaiſers Theodoſius. Die Stiftungsurkunde. Das „ſataniſche“ Manuſcript. Das Beduinenlamm. Spaziergang im Bo- ſtanthale mit dem wunderbaren Moſisfelſen aus Raphidim; den beſchriebenen Felſen; der ſteinernen Kalbsform. Der Garten mit dem Beduinenpaar. Der Wadi Sebaye. Seite 248–252. Abſchied vom Sinai. Die Beduinen- conferenzen. Der Reichthum des Kloſters; ſeine Leibeige- nen. Verhältniß der Beduinen zum Kloſter. Abſchied. Seite 253–268. Rückkehr vom Sinai nach Cairo. Der verhängnißvolle Bruch des Sattelknopfs. Der Beduinen Leben, Sitten und Glück. Ihre Verwandtſchaft zu den alten Patriarchen; Hoffnung für ihre Bekehrung zum Chri- ſtenthume. Zur Charakteriſtik des Kamels. Die Heu- ſchrecken. Die Schlangen. Weg am Meere zwiſchen den Wadis Taibe und Garandel. Der ſchreckliche Chamſin. Raubzug der Beduinen. Seite 269–295. Reiſe nach Jeruſalem. Die Ueberra- ſchung beim Auszuge. Die neuen Führer. Der Drago- man, ein deutſcher Schneider. Die Anekdote vom Eſelsohr. Das Land Goſen. Der Weg durch die wüſten Sandſtrecken. XVI Der egyptiſche Wachtpoſten. Die Gazellen. Die Drome- darpoſt. El Ariſch. Der Beduinenkrieg. Der laufende Krebs. Das Blutegelwaſſer. Die junge Schlange. Die Reiterei zu El Ariſch. Die gaſtfreundliche Galanterie. Strenges Verfahren gegen die widerſpenſtigen Führer. Die Unſicherheit in Syrien. Von El Ariſch nach Gaza. Die Ueberraſchung an der Grenze des gelobten Landes. Das gelobte Land, der Schauplatz für die großen Religions- kämpfe. Ankunft in der alten Hauptſtadt der Philiſter. Die Quarantäne. Gaza's Geſchichte; ſeine Erinnerungen an Simſon. Der arme Engländer auf Reiſen. Die nächt- liche Ueberraſchung durchs Gewehrfeuer der Beduinen und durch zwei Straßenräuber. Schwur der Blutrache zu Beth- lehem. Ramleh, angeblich das alte Rama und Arimathia. Ramleh's Thurm mit der Ausſicht. Seite 296–301. Ankunft in Jeruſalem. Das Thal Ajalon. Latrun. Kuryet el Enab. Kulonieh. Der tür- kiſche Schimmel. Erſter Blick auf Jeruſalem. Eintritt. Wohnung im Kloſter. Seite 302–318. Jeruſalem. Geſchichtliches. Lage Jeru- ſalems. Ausſicht vom Oelberg auf die Stadt. Ausſicht vom Oelberg aufs, todte Meer. Der Garten Gethſemane. Der Teich Bethesda. Die Kirche zum heiligen Grabe. Livorno, am 12. März 1844. An meinen Bruder Julius. So ſteh ich am Vorabende eines ernſten Tages: mor- gen reiſ' ich ab nach dem Lande des Aufgangs. Ich komme Dir noch einmal ein langes Lebewohl zu ſagen; es iſt ein freudiges, und doch fällt mir die Thräne nieder aufs Blatt. Freilich iſts ein Weg über Klippen, ein ſchwindelnder Steg über einen Abgrund; da ſtürzt ſichs leichter als ſichs geht. Darum biſt Du auch nicht müde geworden mich abzumah- nen; zu Hauſe, ſo ſchriebſt Du, da wartet Deiner ein freundlicher Herd. Nein nein, rief Dir meine Seele zu. Und ſieh, die Flügel ſind gewachſen. O wie glücklich führt mein Engel mich. Denkſt Du noch an jene Octobertage des Jahres Vierzig? Da war kein Auge das glauben mochte woran ich glaubte; da war keine Hand die feſtigen mochte meine Hoffnungen. Endlich gelang's doch mich an einen Zweig zu halten, wenn er auch verwandt war mit dem Dornſtrauche des Fuchſes in der Fabel. Am Re- formationsfeſte reiſte ich ab; nach wenig Monaten ge- dacht ich wiederzukehren. Da kamen die Pariſer Arbeiten und ihre Erfolge; ich ſah Holland, England, die Schweiz, Italien; ich fand eine Ernte, reich über alle Erwartung. I. 2 18 Aber das Herz ſchlug ſehnſuchtsheiß. Wer ſichs ein- mal geſagt: Ich will Jeruſalem ſehen, welche Stimmen von Glück und Luſt und Liebe könnten Den noch verlocken von ſeinem Ziele. Das Harren war lange. Aber ein paar Worte aus dem grauen Alterthume von einem Manne der den Geiſt trug in ſeiner Bruſt, die umklangen mich täglich und nächtlich. Es ſind die Worte die Priamos zur Hekabe ſpricht, als er allen zurückhaltenden Bitten zum Trotze ins feindliche Lager gehen will um Hektors Leiche auszulöſen. Freilich mußt Du ſie lieber griechiſch leſen als deutſch. „Halte mich nicht der zu gehen beſchloß, noch werde du ſelber Zum wehdrohenden Vogel im Haus mir; du redeſt vergeblich. Hätt' es ein anderer mir der Erdbewohner geboten, Etwa ein Zeichendeuter, ein Opferprophet und ein Prieſter: Traun, wir nennten's ein Wort der Lüge, wohl werth der Verachtung. Aber, ich hörte ja ſelber die Göttin und ſchaut ihr ins Antlitz, Jetzt werd' ich gehn, und ich halte mein Wort. Hat das Schickſal den Tod mir Zugetheilt bei den Schiffen der erzumſchienten Achaier, Will ich es“ . . . Da kamen endlich die erſehnten Briefe. In Gedanken bin ich ſchon wieder heimgekehrt die Phantaſie trug mich ſchnell durch alle Länder meiner Wanderung. Ich hab' auch im Geiſte ſchon Dein Willkommen gehört; Herz an 19 Herz geruht; das glückliche Auge geſpiegelt in Euren freudeglänzenden. - So geh' ich fort mit fröhlichem Vertrauen; es kann kein Wahn ſein der mich blendet. Fragſt Du noch was ich will? Iſts nicht genug die Pyramiden ſehen? Den Sinai ſehen? Jeruſalem ſehen? Göthe ſagte von Neapel, wer es geſehen der könne nie ganz unglücklich werden in ſeinem Leben. Neapel hab' ich genoſſen ; aber wie glück- lich werd' ich ſein, hab' ich die Pyramiden, den Sinai, Jeruſalem geſehen. Und noch beſtimmter weiß ich was ich will. Wie anders muß das Studium der Bibel ge- lingen, hab' ich das heilige Land mit ſeinen Denkmalen und ſeinen Menſchen ins lebendige Auge gefaßt. Die Geſchichte der Kirche hat keinen Schauplatz der großarti- ger wäre als das Morgenland. Und iſt nicht jetzt eben der Orient begriffen in ſeinen großen Entwicklungen, poli- tiſch wie religiös? Das will geſehen, geprüft, erfaßt ſein. Auch für meine manuſcriptlichen Forſchungen fehlt mir die Hoffnung nicht. Von dort hat Europa ſeine Reich- thümer; manche Klöſter haben noch heute ihre Winkel. Niemand ſuchte neuerdings ſo beſtimmt wie ich; auch hab' ich Mißtrauen gelernt an denen die gearbeitet vor mir. Fände ſich aber in der That nichts, ſo läßt ſich dann mit Nachdruck weiter bauen auf dem was wir haben. Blieb ich ohne Heimkehr, nun ſo weiß ichs: ich ging unter in einem redlichen Streben. Der Krieger muß blei- 2 20 ben auf dem Schlachtfelde; Du kennſt mein Schlachtfeld. Dann hätt' ich auf dem Wege zum irdiſchen Jeruſalem gefunden das himmliſche. Die blühende Erde iſt ſchön; der heilige Himmel muß ſchöner ſein. Steht mir hier die harrende Hütte, ſteht ſie mir dort: ich will ſie heiter ſuchen. So leb' wohl, mein Geliebter; ſo lebt wohl, Ihr Lieben alle im Vaterhauſe. Gedenkt meiner wann mich in die Weite trägt die dunkle Fluth, wann ich wandere auf der frem- den Erde; ich gedenk Eurer wo ich auch bin mit treuem Herzen. Malta, am 26. März 1844. Der Lykurg, das franzöſiſche Poſtſchiff, ließ ſich am 13. umſonſt in Livorno erwarten; die Heftigkeit widriger Winde hatte ihn nach Elba verſchlagen. Es ſah ſich ſor- genvoll hinaus auf die wilde See; vor meinen Augen lagen zwei Schiffe in Trümmern. Am 14. Nachmittags endlich erſchien der Erſehnte, die Dampfröhre noch bis an die Spitze mit Meerſchaum bedeckt. Er blieb ſo fern vom Strande daß die Fahrt in der beſcheidenen Barke an ſei- nen Bord furchtfremde Segler wollte. Die beiden nächſten Tage brachten uns eine glückliche Fahrt. Da genoß ich den Reiz des Seereiſens; ich wan- delte mit ungetrübtem Auge und ſicheren Schritten das Verdeck auf und ab. Der blaue Himmel oben, die noch dunklere blaue Fluth unten; zur Seite die fliehenden Ge- ſtade: ich grüßte ſie mit dem ſchmerzlichen Lächeln im Auge. Mitten in dieſer engen Haft hat man das Gefühl einer Freiheit wie man es ſonſt ſelten hat. Vor Civitavecchia und Neapel hielten wir ſtundenlang. Aber kaum hatten wir die Rauchſäule des Veſuvs im Rücken, ſo verfiel das Meer wieder in ſeine Sturmsgedanken. Darum faßte ich 22 am 19., als uns Lavalette in ſeinen prächtigen Hafen aufnahm, auf acht Tage feſten Fuß auf Malta. Wie merkwürdig iſt dies Land durch ſeinen Boden, durch ſein Leben, durch ſeine Schickſale. Ueberſchaut man die Inſel von einem der Höhepunkte, ſo ſieht man manche Strecken in ihrer urſprünglichen Geſtalt, in der des nack- ten Felſen; denn das durchgängig flach aufliegende Erd- reich iſt vom nachbarlichen Sizilien geholt worden. Dem- ohngeachtet hat Malta eine reiche Vegetation. Die Palme wächſt ſchon ſtattlich neben der Olive; die Orangen ſind von beſonderer Köſtlichkeit. Von der Pracht ſeiner Roſen hört' ich leider nur erzählen; doch prangen Gärten und Fluren ſchon mannichfaltig. Wehten nicht täglich kühlende Winde, ſo wäre die Hitze ſehr groß. Es kömmt mir ſchon ganz afrikaniſch vor, wenn auch immer jene Parlaments- acte Malta dem europäiſchen Erdtheile einverleibt hat. Das Klima der Inſel gilt für äußerſt geſund, womit ihre außerordentlich glückliche Produktivität zuſammenhän- gen mag. Sie iſt nämlich ſo produktiv daß ſie ihren eige- nen Söhnen nicht Raum genug am väterlichen Herde bieten kann; ſie bereichert mit ihnen die Küſten Aſiens und Afrika's. Neuerdings dachte man daran die malteſiſchen Coloniſten vorzugsweiſe nach dem Peloponnes zu lenken, nur aber unter einer beſonderen Garantie der griechiſchen Regierung. Der Gedanke hatte keine Folge weil die grie- chiſche Regierung nicht für jedwede Möglichkeit einſtehen 23 mochte. Ich glaube, dieſe Malteſer wären die rechten Leute für Griechenland, das unter ſeinen unglücklichen poli- tiſchen Träumereien den Boden nach dem Pfluge ſeufzen läßt. Die Bevölkerung vereinigt ſehr verſchiedene Elemente in ſich. Die Frauen mit ihrem bräunlichen Teint, mit ihren dunklen brennenden Augen, mit ihren perfiden Man- tillen von ſchwarzer Seide, die vom Kopfe bis tief herab reichen: die gehören, das ſieht man auf den erſten Blick, der Inſel urſprünglich an. Leicht harmoniren dazu die Italiäner; die reizende Neapolitanerin in meinem hótel del Mediterraneo ſcheint ganz an ihrem Platze. Aber da ſind auch ſteife Engländer in großer Zahl, und zwar als die Herren der Inſel. Die ſchottiſche Garniſon, in ihrer Er- ſcheinung oben nördlich unten ſüdlich, die frierts hier we- nigſtens nicht an die nackten Beine. Doch nicht jeder Zug der nordiſchen Protektoren paßt wie dieſer zur Inſel. Da- her macht ſich gegen dieſelben, trotz der dem Palaſte des Gouverneurs gegenüber in Gold leuchtenden Inſchrift: Magnae et invictae Britanniae Melitensium amor et Eu- ropae vox has insulas confirmat, 1814, eine gewiſſe Oppoſition des malteſiſchen Nationalſinns geltend. Den Engländern, fliehen ſie auch noch in ſo ferne Erdenwinkel, haftet bekanntlich ohnehin an Stirn und Aug' und Herz ihrer Heimath Luft und Himmel; aber auf Malta vernachläſ- ſigt man die Anſchmiegung ans fremde Element auffällig. _24_ Wie mißlich iſts daß der gegenwärtige Gouverneur nicht einmal italiäniſch verſteht. Das Italiäniſche nämlich iſt herrſchend in der Schrift und im vornehmen Verkehre, wäh- rend das Malteſiſche, ein arabiſcher Dialekt, auf den ver- trauteren Umgang ſich beſchränkt. Auf den Wunſch der Malteſer, ihnen den vorigen Gouverneur länger als die gewöhnliche Friſt zu belaſſen, wußte der engliſche Staats- miniſter nichts anders zu entgegnen als daß der Stellen wenige, der Wartenden viele ſeien. Franzoſen befinden ſich wenige auf der Inſel. Im Ganzen iſt der engliſche Einfluß durch keinen andern beeinträchtigt, obſchon in neuerer Zeit namentlich Ein Ver- ſuch dazu gemacht wurde. Dies geſchah als die ruſſiſche Flotte nach der Schlacht bei Navarin in Malta ſich er- holte. Man erzählte mir daß von Seite der ruſſiſchen Marine ein ſo großer Aufwand, ja ſelbſt ſolche Schenkun- gen unter das Volk gemacht wurden daß die hieſige Re- gierung ſichs angelegen ſein ließ, das immer und immer ſäumende Auslaufen der ruſſiſchen Flotte zu beſchleunigen. Man erinnerte ſich dabei des überaus freundlichen Ent- gegenkommens der ruſſiſchen Regierung bevor ſich die In- ſel von Neuem Englands Schutze übergeben. Natürlich vergißt Rußland nicht daß der Kaiſer Paul des Johan- niterordens Großmeiſter geweſen, und nur durch ſeine Er- mordung verhindert worden der engliſchen Anmaßung ge- genüber ſeine Rechte geltend zu machen. 25 Die wahre Glanzperiode die Malta gehabt ruht jetzt noch in Aller Angedenken, obſchon die gegenwärtige Ge- neration nur den Nachſchimmer derſelben aus eigener An- ſchauung kennt; ich meine die Zeit der Ritter des heiligen Johannes von Jeruſalem. Urſprünglich nämlich eine Co- lonie der Carthaginienſer, dann bald Rom bald Byzanz zugehörig, darauf aus den Händen der Gothen befreit durch Beliſar, im neunten Jahrhundert in der Gewalt der Sarazenen, die im elften der tapfere Normanne Ruggiero vertrieb, wodurch es an Sizilien kam, wurde Malta im ſechzehnten Jahrhundert von Carl V. den Johannisrittern geſchenkt, als dieſe durch Soliman II. die Inſel Rhodus verloren hatten. Ich ſage geſchenkt, denn ſie hatten jährlich nichts als einen Falken nach Pa- lermo zu liefern. Bald darauf beſtanden dieſe edlen Ritter unter Lavalette ihren glorreichen Vertheidigungskampf ge- gen Muſtapha. Zwanzig Jahre ſpäter erbauten ſie die herrliche Johanniskirche, die durch ihre Marmorpracht, durch ihre Grabdenkmäler der Ordensgroßmeiſter, durch ihre eroberten Fahnen und Flaggen noch heute die ver- gangene Größe vor Augen ſtellt. Dieſer Ritterorden paßte vortrefflich zu dem religiöſen Sinn der Malteſer, der ſchon aus älteſter Zeit bekannt iſt. Jetzt beſitzt die Inſel nur noch Einen der Ritter; er trägt zwar kein tapferes Schwert, doch trägt er noch das Kreuz auf der Bruſt. Er erzählte mir gar angelegentlich von dem unvergleichlichen Hospitale, 26 an deſſen Dienſt er ſelbſt noch Theil genommen. Funf- zehnhundert Kranke wurden darin verpflegt; es galt kein Unterſchied der Religion; ſervirt wurde Alles auf Silber. Freilich wußte er mir noch mehr von Bonaparte zu er- zählen, der jene ſechs Tage nach der ſchmähligen Ueber- gabe der Feſtung in ſeinem Hauſe zugebracht, und zwar ohne eine einzige Nacht ſeine Uniform abzulegen. Aber ich eile zu einer andern Erinnerung der Malte- ſer, die ihnen ungetrübter geblieben als die an ihre Rit- terzeit; ſie iſt ihnen aber auch wie ans Herz gewachſen, nämlich die Erinnerung an den Apoſtel Paulus. Wer die Apoſtelgeſchichte geleſen, weiß daß Paulus auf ſeiner ſtürmiſchen Fahrt von Cäſarea nach Rom an der Inſel Melite Schiffbruch litt. Dieſes Melite iſt Malta, obſchon man nach dem Vorgange des Conſtantin Porphyrogenne- tes die Identität beider im vorigen und auch noch in die- ſem Jahrhunderte ernſtlich und gelehrt in Zweifel gezogen. Man wollte Meleda an der illyriſchen Küſte dagegen gel- tend machen. Aber dieſer Angriff, namentlich vom Bene- diktiner Giorgio unternommen, wurde aufs Ritterlichſte zurückgeſchlagen. Was die Angreifenden am meiſten her- vorhoben, das war die ausdrückliche Erwähnung des adriatiſchen Meeres in Lucas Reiſebericht, 27, 27: „da aber die vierzehnte Nacht kam und wir in Adria fuhren um die Mitternacht.“ Allein was wäre leichter als das Meer um Malta mit dem Begriffe des adriatiſchen zu verei- 27 nigen, zumal da wir beſtimmt wiſſen daß man ehedem gewöhnlich das ganze Meer zwiſchen Griechenland Und Italien mit dieſem Namen belegte. Dagegen läßt ſich durch keine Künſtelei der Auslegung die Folge der Erzäh- lung von der Ankunft in Syrakus und in Reggio bewäl- tigen; der Ausdruck des Hinabſteuerns iſt dabei von kei- nem ſtörenden Belange. Einen andern Grund des Zwei- fels fand man darin daß es jetzt durchaus keine gifti- gen Schlangen auf Malta giebt. Das hat mich aller- dings verwundert; es gibt daſelbſt wohl, und zwar ſehr reichlich, eine kleine Art von Schlangen, über eine Elle lang; aber ſie iſt nicht giftig. Der fromme Glaube der Malteſer weiß ſich leicht zu helfen; darnach hat die ge- ſammte Race durch die von Paulus ins Feuer geſchleu- derte das Gift verloren. Nichts wäre freilich für eine gewiſſe Auslegungsweiſe einfacher als unter ſolchen Um- ſtänden jenem Wunder das Wunderbare abzuſtreifen. Allein die Eingebornen, gute Kenner der einheimiſchen Thiere, ſind es ja ſelbſt geweſen, die bei Lucas die Furcht ausſprechen und auf den wunderbaren Hergang ihren Glauben gründen. Ich meine, die Schlichtung der Sache hat nicht mehr als den Schein von Schwierigkeit. Uebrigens fand ich aber weder in der Paulsgrotte noch ſonſt irgendwo etwas von jenen Schlangenaugen und Schlangenzungen, deren Heilskraft von frommen Reiſenden ſo ſehr geprieſen worden; die mögen doch wohl aufgehört haben. 28 Zur Paulsgrotte unternahm ich eine Sonntagsfahrt in lieber Begleitung. Wir fuhren von Lavalette nach der Citta vecchia, die größtentheils aus ſtattlichen Landhäu- ſern beſteht. Dabei lernt ich eine beſondere Art von Leu- ten kennen die Carriere machen, nämlich die Malteſer Kutſcher, die, da ihre zweirädrigen Wagen keinen Sitz für ſie haben, trotz Hitze, Sturm und Wetter nebenher galop- piren. Jener Grotte wag' ich ihren Pauliniſchen Ruhm ſehr ſtreitig zu machen. Sie ſoll Paulus während ſeines dreimonatlichen Aufenthalts beherbergt haben. Aber wie konnte dem ſchiffbrüchigen Paulus, der ſogleich als Wun- derthäter erkannt und verehrt wurde, der auch dem Gou- verneur den kranken Vater rettete, eine ſolche Grotte zur Wohnung geboten werden. Man ſagt ihr nach daß ſie nie kleiner werde trotz aller daraus gebrochenen Steinchen. Das hab' ich ungeprüft gelaſſen. Bei weitem intereſſanter iſt mir die Paulsbai. Daran läßt ſich, wie ich glaube, in der That die Stelle des Schiff- bruchs erkennen, die Lucas genau bezeichnet als „einen Ort der von beiden Seiten Meer hatte.“ Der Nordoſt- wind, den auch Lucas vorher nannte, trieb das Schiff an dieſe Felſenzunge, deren äußerſte Spitze zwei Riffe bilden, die nach der Heftigkeit der Wogen bald mehr bald weni- ger getrennt erſcheinen, aber allerdings durch die unterm Waſſer fortlaufende Felſenwurzel zur Zunge ſelbſt gehören. Nahe dabei ſteht der Paulsthurm, und etwa zwei Stünd- 29 chen davon liegt das Caſale Nazzara. Dies Dorf ſoll ſeinen Namen von der durch Paulus begründeten Ge- meinde der „Nazaräer“ erhalten haben. So bin ich ſchnell auf dem rechten Terrain meiner Reiſe. Vorm Jahre ſtand ich in Puzzuolo da wo einſt Pau- lus feſten Fuß auf italiſchem Boden gefaßt. Jetzt ſeh' ich ihn mitten im Kampfe der Wogen; er ſteht wie ein uner- ſchütterlicher Fels im Meer. „Dieſe Nacht iſt bei mir geſtanden der Engel meines Gottes,“ das rief er den ver- zagten Schiffern zu; das Engelwort ſelber klang wie ein ewiges Feſt durch ſeine Seele. Drum blitzte ihm der ret- tende Leuchthurm für jede Nacht; drum ſtand ihm in jedem Sturm der Hafen offen. Im Angeſichte dieſes Meeres, da denkt ſichs ſchön an Paulus. Zwei Jahrtauſende ſind geſchwunden; es ſchwand mancher Glanz, manche Größe; aber dem Meere gleich brauſt noch heute Sein Wort durch die Welt ohne Raſt ohne Ruh: es trägt das Herz ins Eiland aller Eilande. Alexandrien, am 6. April 1844. Am 28. März früh bei guter Stunde verließ ich auf dem Scamander das merkwürdige Inſelland, das mir durch ein herzliches, liebreiches Entgegenkommen recht theuer ge- worden. Die dunklen Mächte der Gewäſſer hatten keinen Sinn für meine Bedürfniſſe. Kurz nach unſerer Abfahrt begrub ich mich in mein Zimmer; der Scamander liebte den Tanz. Mein junger ſeevertrauter Schiffsarzt war freilich ungehalten über ſeinen Clienten. Er verordnete mir ein tüchtiges Stück Schinken und ein Glas Bordeaur. Da mir aber dieſer Verſuch von Bravour ohne allen Zwei- fel mißlungen wäre, ſo zog ich es vor mich an der Tafel als eine nature faible repräſentiren zu laſſen. Am 31. März kurz vor Mitternacht warfen wir Anker. Das Schiff ſtand, die See war ruhig. Da ſprang ich wie vom Geiſte getrieben vom Lager auf und ſtieg aufs Verdeck. Ich war in Griechenland. Wie wunderlieblich war der Anblick. Syra lag vor uns; der Vollmond ſchaute her- nieder; an den ſteilaufſteigenden hochröthlichen Felſen der Inſel lehnten ſich, wie zu einer Pyramide zuſammenge- drängt, die weißen Häuſer an. Viele Schiffe raſteten im 31 Hafen, am Gipfel der Maſten ein einſames Lichtlein, das durch die gekräuſelte dunkelblaue Fluth einen langen Schim- mer zog. Sei gegrüßt, du ſchönes Griechenland, rief ich hinüber; „du ſelger Boden, ſchön mit jedem Lobgeſchmückt!“ Wie eine Jungfrau im Feſtkleide, ſchweigend und doch be- redt, ſah ich es vor mir. Eine Schaar Träume lagerte darüber; was mochten ſie dem jungen Griechenland ins Ohr flüſtern. Das waren die letzten Augenblicke des Pſalmſonntags. Seit vier Tagen hinter die Couliſſen verſchwunden, jetzt plötzlich um Mitternacht träumeriſch auf und abſchreitend auf der Bühne, nahm ich mich aus wie ein Nacht- wandler. Am Morgen darauf eilte ich auf die Inſel. Da war Alles neu für mich. Ich ſah zum erſten Male dies bunte Gemiſch griechiſcher Trachten, dieſe ſchmuck und ſtolz ein- herſchreitenden Palikaren mit den Waffen in ihren wei- chen Kleidern. Darunter wandelt der fränkiſche Rock wie ein Fremdling. Auch ohne die rothen und blauen Bänder nebſt Kreuzen auf der Bruſt ſchien jeder Einzelne ſagen zu wollen: Auch ich bin ein Held. Freilich keiner von Marathon oder Salamis. Die Septembertage glänzten ihnen noch in den Augen. Als Deutſcher konnt ich mich nicht daran erfreuen; wer könnte ſich am Undank erfreuen. Unter meinen Reiſegefährten lernte ich jetzt einen jun- gen Artillerielieutenant aus der Schweiz kennen, der als 32 Gouverneur in ein vornehmes Haus nach Odeſſa ging. Ich war entſetzt als er mir ſagte daß er auf dem dritten Platze ſtationirt war. Welche Reſignation gehört zu einem ſolchen Poſten. Auch macht ich hier die Bekanntſchaft eines jungen franzöſiſchen Arztes, der ſich ſeit mehreren Jahren in Cairo niedergelaſſen, aber ſeiner Geſundheit halber eine Erholungsreiſe nach Paris unternommen hatte, woher er jetzt eben zurückkehrte. Am Nachmittage beſtieg ich den Dante; er ſollte mich nach Egypten bringen. Von da an befand ich mich ziem- lich vereinſamt in der Cajüte; nur ein junger ruſſiſcher Fürſt war mit mir. Dafür bot das Verdeck eine reiche ſonderbare Geſellſchaft. Da hatte nämlich ein türkiſcher Sclavenhändler ſeine Leute und fünf Sclaven um die Dampfröhre herumgeſchichtet. Unter den Sclaven erreg- ten beſonders Intereſſe ein hübſcher weißer Knabe und ein dunkelſchwarzes Mädchen. Ich verwunderte mich ſehr daß ein franzöſiſches Poſtſchiff mit einer ſolchen Fracht ſich befaſſen konnte. Uebrigens hatten wir kaum dieſe Paſſa- giere, die direkt aus einem türkiſchen Schiffe zu uns an- gefahren kamen, an Bord genommen, ſo zog unſer Schiff die bleichfarbige Peſtflagge auf, wodurch unſer weiterer Verkehr mit Syra an ſtrenge Regeln gewieſen war. Des Abends hatten wir einen ſchauerlich ſchönen Him- mel; ein Gewitter war im Anzuge. Man traf auf dem Verdecke alle Vorkehrungen um es zu empfangen. Die ZZ Sclaven und andere Paſſagiere des vierten Platzes blie- ben ganz in ihrer Poſition; nichts als eine wenig dichte Decke lag zu ihrem Schutze bereit. Bald erfüllte ſich un- ſere Erwartung; das Gewitter entlud ſich. Eine ſolche Scene läßt ſich nicht wiedergeben. Das Schiffſchaukelte wild auf den empörten Wogen; ich klammerte mich feſt an mein Bett an; was nur irgend in der Cajüte umfal- len konnte, das fiel um; ein Mal übers andere klirrten Gläſer, Taſſen, Teller. Der Blitz leuchtete durch die nächt- lichen Räume; der Donner krachte durch das kniſternde Gebälk; der Regen ſtürzte in ſchwerer Laſt aufs Schiff nieder und drang ſelbſt in die Cajüte ein. Faſt glaubte ich gar an eine Gefahr für unſer Dampfſchiff. Noch die- ſen Morgen hatte keins der beiden vor Syra liegenden franzöſiſchen Poſtſchiffe rechte Luſt zur weiteren Fahrt ge- zeigt; unſer Dante, wie mir die Offiziere ſelbſt geſtanden, hatte bereits viel gelitten. Aber in einer ſolchen Lage lernt man Reſignation. Meine Seele klammerte ſich feſt an meinen guten Engel an. Hätte er mich, ſo ſagt ich mir, meinem erſehnteſten Zielpunkte ſo nahe geführt um mich hier ſammt allen meinen Hoffnungen in ein einſames Meergrab zu verſenken? Alles lief gut ab. Am Morgen erkundigte ich mich bei meinem Begleiter, der eben vom Verdeck herab kam, ſogleich nach den armen Sclaven. Ich hatte ſie recht be- klagt, als die ſchreck chen Regengüſſe fielen. Freilich hatten I. Z 34 ſie dies kalte nächtliche Bad aushalten müſſen; aber ſie waren ſchon wieder fröhlich; nur die Negerin wurde ſtark vom Fieberfroſt geſchüttelt. Am 3. April des Abends ſpät kamen wir vor Aleran- drien an. Da hatten wir noch eine böſe Nacht zu über- ſtehen. Der Hafen von Alerandrien iſt nämlich zu ge- fährlich um im Dunkel der Nacht einlaufen zu können; darum kreuzte unſer Schiff viele Stunden lang vor dem Eingange und machte, ſo oft es ſich umwendete, die aller- unangenehmſte Bewegung. Wie froh war ich als wir am Morgen die Anker warfen. Der Hafen war überaus belebt; auf den Schiffen fielen mir die vielen ſchwarzen Arbeiter auf. Schlanke Minarets ſtiegen über die Häuſer empor; zur Linken blinkten die Reſidenzgebäude des Vize- königs, nahe davon wo einſt der wunderbare Leuchthurm geſtanden; zur Rechten waren am Quai hin geräuſchvolle Marinebauten; Palmen ſchauten da und dort hervor; fern im Hintergrunde erhob ſich einſam die Pompejusſäule. Aber welches Gewühl und welch ein Lärm umringte uns als wir den Fuß auf den Quai geſetzt hatten. Kamele und Eſel lagen oder ſtanden um uns in Menge; feiſte Türken in bunte Seide gekleidet ſtrotzten neben den brau- nen Beduinen, bedeckt mit ihrem einfachen ſchmuzigen Hemde; der zierliche Turban, der rothe Tarbuſch, der frän- kiſche Hut untermengten ſich. Wir waren bereits auf dem Schiffe vom Gaſtwirthe des hôtel d'Orient in Beſchlag 35 genommen worden; er beſeitigte ſchnell die Schwierigkei- ten der Douane, und ſofort galoppirten wir aufmuthigen Eſeln durch die Türkenſtadt hinein auf den ſogenannten europäiſchen Platz. Dieſer große ſchöne Platz, von lauter ſtattlichen neuen Häuſern umgrenzt, eine Schöpfung Ibrahim Paſcha's, macht beſonders dann einen feſtlichen Eindruck wenn, wie es den Tag nach meiner Ankunft ge- ſchah, von den Conſularwohnungen die Nationalflaggen, die auf den platten Dächern über einem Treppenthürm- chen errichtet ſind, in ihren bunten Farben weithin durch die Lüfte flattern. Ich beſuchte ſogleich einige Conſuln, den Sardini- ſchen, den Franzöſiſchen, den Däniſchen. Sodann freut' ich mich den Protomedikus Alerandriens Graſſi wieder zu ſehen. Wir hatten uns im letzten October in Oberitalien begegnet. Sein Gegenbeſuch wurde freilich nicht eben gut im Gaſthauſe aufgenommen. Seit wenigen Tagen näm- lich waren gegen dreißig Peſtkranke geſtorben, und die Peſt iſt Graſſi's Lieblingsbeſchäftigung. Er geht ſogar ernſtlich mit der Realiſirung jenes zuerſt von Bulard gefaßten Planes um, dieſe Geißel des Orients völlig auszurotten. Er hatte mich bereits in Italien zum Proſelyten für ſeine Anſicht gemacht, daß nur die unmittelbare Berührung mit dem Kranken die Anſteckung herbeiführe; drum nahm ich auch ohne Anſtand ſeine Einladung an mit ihm den In- ſpektionsbeſuch bei einem ſo eben neu angemeldeten Peſt- 3* 36 franken zu machen. Ich bedauere daß ich durch die Be- ſorgniſſe des Gaſtwirths unſere Uebereinkunft hintertrei- ben ließ. In die muhamedaniſche Bevölkerung war ein beſon- deres Leben eingezogen, dadurch daß nach langer Pauſe einige Löhnung von der Regierung ausgezahlt worden war. Daher kam ein Beſchneidungsfeſtzug nach dem an- dern über unſern Platz. Ein mit ſeidenen Tüchern und Teppichen geſchmücktes Kamel trug den Helden des Feſtes, faſt immer Knaben von bereits ſechs Jahren; Frauen wim- merten ihre muſikaliſchen Eingebungen dazu; eine große Trommel wurde tüchtig geſchlagen; ein Tamburin und ein paar ſchreiende Pfeifen fehlten nicht. Ein oder zwei gelenke Leibeskünſtler ſpielten Hauptrollen dabei. Um den Feſtzug im engern Sinne wandelte noch eine Maſſe Volks voll Jubel. Den Verhüllungen der Frauen konnt' ich am wenigſten Geſchmack abgewinnen; doch nehmen ſich die iſolirt durch die weißleinwandene Geſichtsmaske durchbli- tzenden dunklen Augen ſchelmiſch genug aus. Ihre heu- tige Feſtmuſik hatte ſeltſamer Weiſe keinen Unterſchied von den Klagelauten die ſie des Tags darauf bei einem Lei- chenzuge von ſich gaben. Des Abends noch macht' ich einen Spaziergang in einen herrlichen Palmengarten. Was iſt das für eine Pracht. Mit welchem Stolze, mit welcher Hoheit ſteht die Palme da; aber doch wiegt ſie anmuthig im Säuſeln 37 des Abendwindes ihre Zweige, gleich als wollte ſie ver- traulich koſen. Am Freitage beſucht ich die ſogenannten Nadeln der Cleopatra. Dieſer aufrecht ſtehende hellrothe Granitobe- lisk, belegt mit den Namen Thothmoſes III. und Rameſes, jener beiden Schöpfer der wundervollſten Bauten Egyp- tens, und ſein am Boden liegender Genoſſe bilden ein wahres Trauerpaar. Welche Zeiten voll Luſt und Glück mögen ſie geſehen haben. Einſt mögen ſie, zwei treue Brüder, geprangt haben vor dem Palaſte der reizenden Königin. Noch tragiſcher erſchien mir die dunkelrothe Granitſäule, genannt die Säule des Pompejus oder viel- leicht richtiger die des Diokletian". Sie ſteht auf einer iſolirten Anhöhe, hinter ſich bleiche Sandhügel und den See Mareotis, vor ſich unermeßlichen Schutt und einen türkiſchen Gottesacker. Aber mit Luſt ſchweift das Auge weiter und ruht auf dem neuen Alexandrien: da feiert der Tod die Auferſtehung, und ruht auf dem weithin glän- * Man hat ſich oft gefragt wie dieſe Säule zum Namen der Pom- pejusſäule gekommen. Von Prokeſch ſagt, ſie ſei wie das Grab des Themiſtoklesam Geſtade des Piräus zum berühmten Namen gekommen. Schöner klingts freilich, läßt man bei dieſer Säule den Pompejus ſeine ſtolze Seele aushauchen. Uebrigens ſcheint mir die von Villoiſon und Wilkinſon geleſene Inſchrift, welche die Errichtung zu Ehren Diokle- tians durch den Eparchen Egyptens Publius nachweiſt, noch nicht eine andere frühere Beziehung auf Pompejus nothwendig auszuſchließen, wenn es nicht an jedem alten Zeugniſſe dafür fehlte. 38 zenden Spiegel des Meeres, wo das Leben unerſättlich ſchäumt und ſeit den geſchwundenen Jahrtauſenden noch keine Sekunde geſchlummert hat. Dieſe Säule und jene Obelisken: das iſt Alles was von der berühmten Pracht der Aleranderſtadt geblieben iſt. Die rieſigen Katakomben, eine wahre Todtenſtadt, mit dem daran ſtoßenden Bade der Cleopatra, das ſeinen Namen ohne allen Grund führt, rufen weniger die vergangene Pracht als die vergangene Größe zurück. Der Eindruck derſelben, der Einem den Blick ins heitere Farbenſpiel des Lebens überkleidet mit Trauervorhängen, war für mein Auge nicht neu und drum weniger unheimlich; doch war ich froh ihn in die Seele wieder einzuſargen. Wie freut' ich mich des Sonnen- ſtrahls, obſchon er eben dem Mittag entgegenbrannte, als ich wieder heraustrat aus dieſem nächtlichen Schauplatz der Verwüſtung. Aber der Beſuch paßte für den Char- freitag. Nur mögen die Todten, deren Gebeine hier ruhn – wohl hatte mancher Märtyrer darunter ſeinen eigenen blutigen Charfreitag – nun längſt ſich ergehen im Strahle der ewigen Oſterſonne. Die Marmorſäulenſtraße, vom Thore der Sonne bis zu dem des Mondes – wer kann ſich dieſe Herrlichkeit ganz denken? – iſt nur noch an Subſtruktionsreſten und am Laufe ihrer Ciſternen erkenntlich. Vom Serapistem- pel, der einſt ein Wunder der Baukunſt auf dem Erdkreis prangte, läßt ſich kaum noch ſehen wo er geſtanden. Aber 39 Schutthaufen gibts über Schutthaufen. Daraus mag noch mancher Reſt der großen, ſchönen Vergangenheit, noch mancher Kunſtſchatz hervorgehen können, wenn auch keine Manuſcripte der Ptolemäerbibliothek. Dafür wan- deln in unvergänglicher Lebensfriſche über dies wüſte Lei- chenfeld die Namen eines Eratoſthenes, eines Clemens, eines Origenes. Das iſt der Triumph des Geiſtes über die Materie. Städte verſchwinden mit ihrer Macht die jeden Trotz ge- brochen, mit ihrem Glanze der das Auge geblendet, mit ihrer Größe die gegrenzt ans Wunder; Städte, gebaut in Jahrhunderten von den Händen der Tauſende. Du ſtehſt auf ihren formloſen Trümmern und fragſt: Wo ſind ſie geweſen? Ein Denker nannte kaum eine dürftige Hütte ſein; aber er trug den Gott in ſeiner Bruſt: der Gedanke den er gedacht und gefaßt ins treue Wort, der ſteht durch alle Zeiten unerſchütterlich wie ein Gebirg, der ſtrahlt wie ein ewiger Stern durchs Reich der Geiſter. Cairo, am 12. April 1844. Gegen früheren Wunſch ſah ich mich veranlaßt Aleran- drien ſehr bald zu verlaſſen. Es war am Morgen des Oſtertages als ich mich einer Barke anvertraute, um zur alten Hauptſtadt der Chalifen den Nil hinaufzuſteuern. Am Abende vorher hatte ſich zum erſten Male in dieſem Jahre der ſchreckliche Chamſin erhoben; was ich für Abend- roth hatte halten wollen, war nichts anderes geweſen als der aus der Wüſte aufgewühlte und um die ganze Atmo- ſphäre gelagerte hochröthliche Sandſtaub; noch nach 6 Uhr des Abends war die Hitze drückend geblieben; des Nachts hatte mir der heulende Sturm den Schlaf verkümmert: aber dieſen Morgen wars als ob auch die Sonne Egyp- tens das heilige Oſtern feiern wollte. Es war ſo heiter daß es Alle überraſchte, und ein Wind blies der die Nil- fahrt möglich machte. Das war ein ganz neues Unter- nehmen für mich. Dadurch daß ich mit jenem aus Paris nach Cairo heimkehrenden Arzte reiſte, wurde es mir leicht. Wir waren auf mehrere Tage verproviantirt, auch das Küchengeräth und der Koch fehlten uns nicht. In unſerer Barke hatten wir außerdem noch ſieben Araber als Matroſen. 41 Als wir die Barke beſtiegen, trafen wir ſie beim Mahle. Im Kreiſe gelagert, ſtrichen ſie mit den Fingern, die ein ſehr blankes Ausſehen hatten, ihren Bilav aus einer gro- ßen Familienſchüſſel. Dies blieb auch im Verlaufe unſerer Fahrt die Haupterquickung für ihren Gaumen. Nur hol- ten ſie ſich mehrmals von den Feldern der Nilufer ein grünes Kraut, das ſie mit großer Genugthuung verzehrten, während ich es nur für den Magen der Vierfüßler hätte beſtimmt geglaubt. Zum Abſchiede von uns ließen ſie ſichs angelegen ſein mit einem tüchtigen Stücke Hammel- fleiſch beſchenkt zu werden; auch verſchmähten ſie keines- wegs ein Glas von unſerem Weine. Meine erſte direkte Unterhaltung mit unſeren Arabern beſtand in der bedeutungsvollen Frage: Waue deiib? (Haben wir guten Wind?) Das Wort deiib (gut) leiſtete mir lange vorzügliche Dienſte, und ich glaube, es mußte einen günſtigen Eindruck machen, daß der Fremdling nichts beſſer zu ſagen wußte als das Wort gut. Außerdem ſind es zwei andere Wörter mit denen der Ankömmling in Egypten beſonders ſchnell Bekanntſchaft macht; es ſind die erſten und die letzten die um ſeine Ohren klingen; ſie enthalten im Compendium eine Charakteriſtik des Orients. Das eine heißt bufra (morgen), das andere backſchiſch (Trinkgeld). Alles was der Orientale auf morgen ver- ſchieben kann, das thut er ſicherlich nicht heute; von der Zeit hat er einen anderen Begriff als wir. Das Wort 42 backſchiſch ſcheinen die Kinder unmittelbar nach „Vater“ und „Mutter“ zu lernen. Es iſt werth ihr Abc zu heißen. An die Gefahren unſerer Nilreiſe dachte ich nicht eher als bis wir, nahe bei der Ausmündung des Canals in den Nil, einer Barke begegneten die ſo eben vom Winde umgeworfen worden war. Dieſe Barke war nur um ein weniges kleiner als die unſrige. Sechs Männer, jeden- falls gute Schwimmer, trugen ans Land den ſiebenten Paſſagier, eine Frau die ertrunken war. Dieſe traurige Anſchauung hatte wenigſtens die Folge für uns daß wir unſeren Matroſen ohne Sträuben erlaubten in eine Bucht zu ziehen, ſobald ihnen an gefährlichen Stellen der Strom zu heftig dünkte. Die Ufer des Nils ſind nicht mit den Ufern der Seine oder mit denen des Rheins zu vergleichen. Aber ſie haben ihre eigenthümliche Schönheit; mein Auge ſchwelgte in manchem neuen Genuſſe. Den Canal entlang erquicken die weiten flachen Ebenen mit ihrem Grün und ihren vie- len Ortſchaften. Bei hereinbrechendem Abend erreichten wir Hatfeh. Akaziengruppen bildeten wie die Vorpoſten dazu; es machte mit ſeinen Palmen, Pappeln und Syko- moren, mit ſeinen blanken Fabriken und hohen Minarets, einen gar freundlichen Eindruck. Dazu dufteten uns Oran- gengärten aus naher Ferne an. Wir ſtiegen aus um die Oeffnung der Paſſage von den Canalswächtern zu erlan- gen. Es gelang leicht durch die vertrauliche Zuſprache 43 und einen inhaltsvollen Händedruck meines Reiſegefähr- ten. Wir durchwanderten den engen Bazar, und kauften Orangen und Datteln ein. Jetzt aber nahm uns auf in ſeine ſtolzen Wogen der heilige Strom. Verſunken in die Erinnerung an jene fer- nen dunklen Zeiten die uns allen mit den Tagen der eige- nen Kindheit verwachſen ſind, ſah ich hinein in die maje- ſtätiſche Fluth. Aber ſchnell brach der Abend herein; ich merkte heute zum erſten Male daß in Egypten die Dämme- rung fehlt. Der herrliche Anblick von Fuah war uns ſchon ſtark umdunkelt. Am nächſten Morgen ſahen wir daß wir eben gar nicht viel weiter noch gekommen waren. Der Wind, ſo verſicherte uns unſer Reis, hatte gänzlich gefehlt. Die Farbe des Nilwaſſers war ſo lichtſchlamm- gelb wie der flavus Tiber zu Rom. Ich war begierig es zu koſten. Wer wüßte nicht wie berühmt ſeine Vortreff- lichkeit iſt. Mein Arzt ſagte mir daß es am geſundeſten ſei ohne alle Abklärung, wie man ſie durch irdene oder ſteinerne Flaſchen, auch durch Verſetzung mit bitteren Man- deln vornimmt. Und in der That hatte es trotz ſeines verdächtigen Ausſehens durchaus keinen unangenehmen Beigeſchmack. Jetzt hatten wir faſt fortwährend noch reizendere Ufer; das Grün der Wieſen und Kleefelder war viel dunkler und üppiger als am Canal; hie und da prangte ein Pal- menwäldchen oder auch eine Gruppe dunkler Sykomoren, 44 etwa um das weiße Grabdenkmal eines arabiſchen Heili- gen zu beſchatten. Außer den erdfarbigen Dörfern, die ohne ihr weißes oder rothweißes Minaret ſich öfters kaum bemerklich machen würden, erhoben ſich auch einzelne ſtatt- liche Häuſer. So beſonders zu Terraneh, deſſen herr- ſchaftliches Haus, vom Italiäner Cibara gebaut, wie ein vornehmer Europäer von der baumreichen Höhe herab- ſchaute in den breiten Strom. Hoch ſtand der Nil eben nicht. Daher kam's wohl auch daß wir noch mehrere feſt gefahrene Barken, darunter zwei mit Wolle beladene, un- terwegs trafen; während wir von anderen völlig verun- glückten noch manche Reſte auftauchen ſahen. Wir ſelber geriethen mehrmals auf Untiefen; aber unſere Matroſen ſprangen ohne Säumen mitten ins Waſſer hinein um uns wieder flott zu machen. Eine beſondere Lebendigkeit gewinnt die Nilſchifffahrt durch die Sitte der Araber; alle ihre Arbeiten mit Ge- ſang zu begleiten. Freilich vergißt man dabei das was wir Geſang nennen, aber dennoch hört' ich gern, dieſe einförmigen Tonweiſen. Ihr Tert war wohl immer religiös. Allah oder Ma Allah, das große Wort des Orients, klang überall durch. Ueberhaupt fand ich bei dieſen Leuten eine gewiſſe religiöſe Haltung. Jeden- falls wirkt dazu das häufige Gebet. Es machte mir oft einen erhebenden Eindruck, ſah ich, namentlich in dem Augenblicke wo die ſinkende Sonne mit ihrem röthlichen 45 Goldſchimmer den Himmel anhauchte, unſere eigenen Ara- ber und alle andern die etwa am Ufer wandelten, plötzlich, wie auf Eingebung eines Engels, ihre Arme kreuzen und wieder gen Oben heben, und niederknieen und zur Erde fallen. Die Araber mögen auch darin die Sitte der Juden angenommen haben daß ſie beſonders gern am Ufer der Gewäſſer beten. Sie glauben daß dadurch ihre Seele reiner werde und geheiligter. Am vierten Morgen ſtiegen wir aufs linke Ufer zu unſerer Rechten aus, da wo der Nil eine große Krüm- mung macht. Nachdem wir eine Strecke lang durch rei- zende duftende Fluren, belebt von zahlloſen Vögeln, ge- wandert waren, gelangten wir an eine Sandſtrecke, die ziemlich hoch über dem Fluſſe lag. Aengſtlich ſah ſichs hinunter zu ihm; denn dreißig bis vierzig Fuß tief lag der feine Sandwie hingehaucht; es ſchien als könnte da ein hinabgleitender Schritt unmöglich einen rettenden Halt- punkt finden. Mein Begleiter ſagte daß ich mir von dieſer Sandſtrecke einen Begriff von der Wüſte machen könnte; ſie gehörte in der That zur libyſchen Wüſte, die in ihrer Habſucht hier bis an den Heil und Leben ſpendenden Nil einen Arm ausgeſtreckt hatte. Aber wunderbar ſchauten mitten aus hohen Sandſchichten dichte und fette Sträucher heraus. Uebrigens hielten wir auf der ganzen Nilfahrt nicht ſelten an; jeden Morgen, wo ich immer froh war mein 46 hartes Lager und die den Nilbarken inwohnenden nächt- lichen Peiniger zu verlaſſen, befanden wir uns bei einem Dorfe. Da hatte jedes Mal für unſere Araber des Abends der Wind fehlen müſſen. Wir kauften jeden Morgen wenn ſonſt nichts wenigſtens friſche Milch und Eier. Für unſere Araber gab's in allen Dörfern freundliche Bekannte; im- mer mußten wir zum Abſchied drängen. Arm und ſchmuzig ſahen wohl dieſe Fellahs aus die wir an den Ufern ſahen, die Männer wie die Frauen; aber ich glaube, ihr eigenes Auge ſieht nicht wie das unſrige. Sie entbehren nicht was wir vermiſſen. Unter den Männern ſah ich manche Geſichter voll eines angenehmen Ausdrucks von Kraft. Die Sonne hatte ſie immer dunkelbraun gebrannt, was vortrefflich zu ihren Zügen harmonirte. Die Frauen ſahen nur in der Ferne hübſch, wenn ſie mit ihren Waſſerkrügen auf dem Kopfe in graziöſer Haltung dahin wandelten. Um Mittag des vierten Tages erblickten wir die Spitzen der Pyramiden. Ich hielt ſie anfangs für die Maſt- und Segelſpitzen von Fahrzeugen in der Nähe vor uns; aber es waren die Pyramiden. Der Gedanke ergreift wunder- bar: Sieh da die Pyramiden! Wer hat ſie nicht geſehen mit dem geiſtigen Auge, dieſe unvergänglichen Pyramiden, dieſe geheimnißvollen Denkmale einer längſt verklungenen großen Zeit; wie glücklich fühlt' ich mich daß ich ſie ſah mit dem leiblichen Auge! Nur behielt bis jetzt freilich noch die Phantaſie volle Freiheit, an die uns ſichtbaren 47 Gipfelſpitzen einen ganzen impoſanten Körper anzu- ſetzen. Als der Abend hereinbrach und wir noch nichts von Schubra ſahen, hatten wir die Hoffnung ſchon aufgegeben noch vor Nachts nach Cairo zu gelangen. Da erhob ſich plötzlich ein ſehr günſtiger Wind, obſchon ſo heftig daß immer nur ein paar Zoll fehlten um unſere Barke auf der einen Seite ins Waſſer zu tauchen; bald flogen wir bei dem in reichem Lichtglanz prangenden Schubra vorüber; zwiſchen acht und neun, nachdem uns unſere Araber etwa vierzig Schritt weit durch ſeichtes Waſſer auf ihren Schul- tern getragen hatten, ſtiegen wir wohlbehalten in Bulak ans Land. Nun kamen wir freilich zur unrechten Zeit nach Cairo, weil wir das Thor ſchon verſchloſſen fanden und die Parole nicht kannten; allein mein Begleiter wußte den Knoten zu löſen. Er rief der Wache durchs Thor zu, er komme in ſeiner Eigenſchaft als Hakim Baſchi (ein erſter Arzt) geraden Weges von Mehemed Ali aus Schubra, wohin er plötzlich gerufen worden ſei. Sobald die trotz allem Mangel an Legitimation (jeder Arzt trägt ein Staats- abzeichen) gläubige Wache das Thor geöffnet hatte, paſ- ſirten wir ohne Weiteres ein. Im Gaſthauſe, grand hótel de l'Orient, traf ich mei- nen früheren Reiſegefährten von Syra nach Alexandrien. Er erzählte mir ſogleich daß es hier zu Lande eine ganz eigenthümliche Baumfrucht gebe. Gehen Sie nach Schubra, 48 ſagte er mir, da können Sie ſie hängen ſehen. Das war nämlich der Scheik eines benachbarten Dorfes von Cairo, der, weil er einen in ſein Dorf geflüchteten Bewohner eines andern Dorfes – natürlich wegen des Druckes der ſolidariſchen Haftung“ – nicht ſofort ausgeliefert oder in ſein Dorf zurückgeſchickt hatte, mochte er nun deſſen An- weſenheit kennen oder nicht kennen, ohne allen Prozeß ſtrangulirt und auf drei Tage an einem Baume der herr- lichen Schubra-Allee zur Schau aufgehangen worden war. Dieſer Vorgang überraſchte mich aufs Höchſte. Denn wenige Tage zuvor hatte mir der franzöſiſche General- conſul in Alerandrien erzählt, wie er, ſobald Mehemed Ali jene Verordnung erlaſſen hatte, zu ihm gegangen ſei und ihm vorgeſtellt habe, daß dergleichen grauſame * Mit dieſer ſolidariſchen Haftung verhält ſichs ſo. Jedes Dorf hat ſeine beſtimmten Abgaben. Kann nun der Eine den ihn betreffen- den Antheil nicht abtragen, ſo nimmt man ihn unbedenklich vom näch- ſten Nachbar, oder hat auch dieſer nichts, vom darauf folgenden, und ſo fort. Dabei kömmts ſogar vor daß Verſtorbene noch beſteuert bleiben. Die Zurückgebliebenen oder auch nur die Heimathsverwand- ten müſſen für ihn bezahlen. Der Fiskus kann nichts verlieren: das iſt Staatsmaxime. Dieſe Marime wurde kürzlich auch auf eine faſt noch ſonderbarere Weiſe befolgt. Bei einem Transporte Hornvieh nach Unteregypten waren kurz vor der Ankunft und bei der Ankunft ſelber die meiſten geſtorben. Die Aerzte erklärten das Fleiſch für un- genießbar. Wie ſollte nun der Fiskus entſchädigt werden? Die Aerzte mußten für ihre abgegebene Erklärung büßen. Es klingt allerdings unglaublich; erzählt ward es mir aber von mehreren glaubwürdigen Männern zu Alexandrien. 49 Maßregeln ſeinem Rufe in Europa ungemein nachtheilig ſein müßten. Darauf habe ihm Mehemed Ali verſprochen, die Verordnung als bloßen Schreckſchuß zu betrachten und nie in wirkliche Ausführung zu bringen. Lavalette hatte ſich gratulirt zu dieſem ſiegreichen Acte ſeiner diplomati- ſchen Autorität; dies war alſo das Nachſpiel dazu: dieſer, wie mir von mehrern Seiten verſichert wurde, ſonſt brave Scheif, wie er mitten auf der lebhafteſten und herrlichſten Cairiner Straße am Baume hing. Tags darauf ritt ich mit dem öſterreichiſchen General- conſul nach Schubra. Wir hatten in Begleitung des Dragomans Sr. Hoheit kaum einige Schritte im Garten gethan, ſo trafen wir auf Mehemed Ali, der mit einigem Gefolge luſtwandelte. Als er unſer anſichtig geworden, blieb er ſtehen; ich wurde ihm ſogleich vorgeſtellt. Er firirte mich nach ſeiner Sitte mit ſcharfem Auge und ſagte, er werde uns ſogleich rufen laſſen. Mehemed Ali hat ſehr edle, ſcharf markirte Züge, zu denen ſein langer weißer Bart vortrefflich ſteht. Zwiſchen den Augen hat er eine mehr als ernſte Falte, die mich wünſchen ließ ihn nicht zum Feinde zu haben. Nach der Friſche ſeines Ausſehens hält man ihn noch für jünger als er iſt. Unter ſeinen Kleidern fiel mir ſein feines Pelzgewand ins Auge. Er hatte an ſich weder Schmuckſachen noch auch ein Zeichen ſeines Ranges. Auf dem Kopfe trug er keinen Turban ſondern ein rothes Fes. I. 4 50 Etwa fünf Minuten mochten wir uns in dieſem Gar- tenparadieſe, das nicht leicht Seinesgleichen hat, ergangen haben, ſo ließ uns Mehemed Ali zu ſich rufen. Wir nahmen neben ihm auf ſeinem Divan Platz. Er hieß mich aufs Freundlichſte durch ſeinen Dragoman willkom- men, während er dem Generalconſul ſagen ließ, ihn heiße er nicht willkommen, denn er ſei vom Hauſe. Als ich ihm mein Verwundern ausſprach, daß er ſeine Reſidenz in Schubra eben zu einer Zeit verlaſſen wollte wo dieſelbe den reizendſten Aufenthalt von der Welt gewährte, ent- gegnete er, wir in Europa ſeien ganz anders daran als er. Bei uns geſchehe was die Regierung anbefehle; er hingegen möge immerhin befehlen, ohne ſein perſönliches Einſchreiten geſchehe nichts. Er wollte nämlich zu ſeinen Ackerbauern bei Alerandrien gehen und ihre Arbeiten über- wachen. Wir ſprachen dann nach einer Taſſe Kaffee von vielerlei. In Betreff der Goldwäſcherei in Oberegypten hat Mehemed Ali Vorſicht und Mißtrauen gelernt. Die Reichthümer, die durch eine Verbeſſerung des üblichen rohen Verfahrens gewonnen werden könnten, ſollen über- aus groß ſein; allein alle bis jetzt von Europäern für den Vicekönig darin gemachten Verſuche hatten keine andere Folge als ſeiner Generoſität hohe Summen zu koſten. Er erzählte uns weitläufig, daß er ſich jetzt viel mit der Ver- größerung ſeiner Pferderacen beſchäftige und daß er zu dieſem Behufe große Mecklenburger Pferde beſtellt habe. 51 Bei dieſem Kapitel machte er eine witzige Bemerkung. Es fragte ſich nämlich, ob die Größe des Beſchälers oder die der Stute vorzugsweiſe in Betracht kömmt bei der Ver- größerung der Race. Mein Begleiter meinte: die Stute; Mehemed Ali war der entgegengeſetzten Anſicht. Da neh- men Sie doch, ſagte er, meinen Stiefſohn Ibrahim und ſeine Mutter. Der iſt doch groß genug und ſeine Mutter iſt klein. Dieſe Bemerkung war um ſo überraſchender weil bekannter Maßen die Orientalen ſehr ſelten, und vollends gar gegen Europäer, das ſchöne Geſchlecht ins Geſpräch ziehen. Im Allgemeinen ſprach Mehemed Ali ſehr gern und gut. Als wir den Greis verließen, mochten wir wohl gegen zwei Stunden bei ihm zugebracht haben. Mehemed Ali. Kein Name des Orients iſt ſeit dem Beginne dieſes Jahrhunderts öfter genannt worden in den europäiſchen Zirkeln als der Name Mehemed Ali's. Unſere Sympa- thie für den Orient, die uns aus der Kindheit im tiefſten Herzen ruht, mußte ſich aufs Lebhafteſte mit einem Manne beſchäftigen der das Licht eines neuen Tages über das alte Pharaonenland heraufbeſchworen hat. Wie viele Stimmen, in engliſcher, in franzöſiſcher, in deutſcher Zunge, ſind erklungen über dieſes Phänomen. Hören wir ſie aber in ihrer grellen Disharmonie, wie die Einen bis zum Him- mel erheben den großen Reformator, wie die Andern ver- dammend niedertreten das tyranniſche Ungeheuer: ſo hat uns jenes Land der unergründlichen Geheimniſſe mit die- ſem Manne das neueſte Geheimniß dargeboten. Der Zwieſpalt der Urtheile dauert bis dieſe Stunde fort. In demſelben Augenblicke wo der Verfaſſer der Briefe eines Verſtorbenen die Perſon Mehemed Ali's durch den Glanz ſeiner Darſtellung in das ſchmuckeſte Feſtgewand kleidet, lauten die Correſpondenzen vom Nil wie unverſöhnliche Anklageacten gegen den fluchbeladenen Barbaren. 53 Ich bin fern von der Anmaßung dieſen Streit ſchlich- ten zu wollen. Einen ganz anderen Beruf dazu hatten Männer wie Eduard Rüppell, bei der langen Dauer ſei- nes Aufenthalts in den egyptiſchen Staaten, bei ſeinem genauen Studium der geſchichtlichen Entwickelungen und des gegenwärtigen Beſtands Egyptens, bei ſeiner Schärfe und zugleich Gerechtigkeit im Urtheile. Doch hatt' ich im Verlaufe von drei Monaten manche Gelegenheit zur Be- obachtung, und mancher Aufſchluß wurde mir von Män- nern gegeben die mit dem Lande ſeit Jahren vertraut ſind. Seit meiner Rückkehr aus dem Oriente bin ich bereits zu oft in den Fall gekommen mich über Mehemed Ali zu äußern, um nicht wünſchen zu müſſen mein eigenes Ur- theil hier über ihn niederzulegen. Vor vierzig Jahren kommandirte Mehemed Alivierhun- dertalbaneſiſche Soldaten: das war ſeine ganze Bedeutung. Unwillkürlich kömmt mir dabei die Erinnerung an den jetzi- gen Fremdenaufwärter im St. Catharinenkloſter des Sinai, einen würdigen Greis mit feinen griechiſchen Zügen und einem ſchönen weißen Barte, der in derſelben Zeit tauſend Mamelucken befehligte. Welche Carriere liegt nun zwi- ſchen jenem Albaneſenoberſten von 1803 und dem egypti- ſchen Vicekönig von 1845. Die türkiſchen Statthalter von Egypten wie Kosruf und Kurſchid Paſcha waren wohl, trotz ihrer offiziellen Vertretung der Pforte, nur ſchwache Gegner für ihn im Vergleich zu den Mamelucken, 54 die wie unzerſtörbare Feſtungsmauern den ehrgeizigen Planen des jungen Albaneſen gegenüber trotzten. Aber in wenig Jahren hat er ſie, wenn auch immer zumeiſt mit den Waffen blutiger Intrigue, zu vernichten gewußt. Zu welchen Kämpfen und Schlachten hat ihn die Pforte ge- trieben, um der Muhamedaner heiliges Land den Wecha- biten abzuringen und um ſich ſelber zum arabiſchen Für- ſten aufzuwerfen: er hat's, trotz der Aufrührer im Schooße ſeines eigenen Reiches, glücklich hinaus geführt. Auf welche Ländermaſſen hat er in Oberegypten ſein Auge zu werfen gewagt: er hat ſie den wildempörten Schaaren der Ein- geborenen ſiegreich abgekämpft. Er wollte Syrien haben: er nahm es. Und dies alles vor den Augen des Divans, der den rebelliſchen Vaſallen vom Beginne ſeiner großen Laufbahn an mit Ernſt überwacht hat, mit Hinterliſt um- ſtellt hat, mit dem Schwerte offen bekriegt hat. Allerdings hat ihn die Treuloſigkeit ſeines europäiſchen Bundesge- noſſen und die Uebermacht europäiſcher Waffen um den Beſitz Syriens verkürzen müſſen; aber Conſtantinopel ſel- ber hat ihm keine Niederlage beigebracht. Und was thut Mehemed Ali während dieſer kriegeri- ſchen Bewegung nach Außen im Innern ſeines Landes? Er ſchafft ſich eine über Alles koſtſpielige Marine – wenn auch nur für den gebieteriſch drängenden Augenblick –, eine Marine wie ſie der Orient noch nie gehabt hat; er disciplinirt ſeine Truppen nach europäiſchem Muſter; er 55 ſetzt ſich in friedliche Beziehungen zu den wilden Hrden der Wüſte; er cultivirt den Boden durch Anpflanzung von Baumwolle, Indigo, Zuckerrohr, ſowie durch den Seiden- bau in Syrien; er verſchönert ſein Land mit reizenden Anlagen, mit herrlichen Bauten; er hebt die Fruchtbarkeit der Erdſtriche durch Waſſerleitungen, deren impoſanteſte von unberechenbarer Wichtigkeit noch fort und fort ſeine Sorge feſſelt; er überſäet die Ufer des Nils mit Fabrik- gebäuden; er legt eine Menge Schulen an für die Künſte des Krieges und des Friedens; er ſtiftet Krankenhäu- ſer; er führt die Kuhpockenimpfung ein; er beruft die Landeshäuptlinge zu berathenden Verſammlungen. Heißt das nicht das Außerordentliche leiſten? Heißt das nicht an einer großartigen Wiedergeburt des Orients arbeiten? Freilich hat er zu dem Kopfe voll ſolcher Plane, voll ſo ſeltener Talente nicht das Herz eines chriſtlichen Hu- maniſten, womit er – das glaub ich ſicher – nie zu ſei- nen Reſultaten gekommen wäre. Sein Auge weint nicht wenn es Blut ſieht, gerechtes oder ungerechtes. Er hat eine eiſerne Hand; jeder Schlag läßt einen Todten auf dem Platze. Der Meuchelmord laſtet leicht auf ſeiner Seele, und die Noth eines bedrückten Volkes kümmert ihn wenig, wenn nur Alles ſeinen großen letzten Zwecken dient. Die Unterdrückung des Sclavenhandels iſt ihm gleichgil- tiger als Guizot und Aberdeen. Allen ſeinen Untertha- 56 nen ſchreit er unerbittlich ins Ohr was Napoleon ſeinen Fürſten und Königen zurief: Deine erſten Pflichten ge- hören mir an; jenes Fürſtenwort: Der Staat bin ich, das hat er vollkommener noch ausgeprägt als jener Ludwig der es geſagt. So haben wir wohl Recht Mehemed Ali die Krone der Menſchlichkeit vorzuenthalten, wie ſie fürs Haupt eines chriſtlichen Herrſchers unerläßlich iſt, will er nicht zum fluchwürdigen Tyrannen geſtempelt ſein. So haben wir Recht ſchmerzlich ergriffen die Größe zu betrachten, die über ſo viel traurige Leichen ihren Triumphbogen errichtet. Aber nehmen wir auch den Orient ſo wie er iſt. Dort ſucht heute der Verfaſſer der Briefe eines Verſtorbenen nicht mit Ungrund das europäiſche Mittelalter. Stehen wir auf dieſem Boden, ſo werden wir gerecht ſein im Ur- theil über ſeine Grauſamkeiten. Hatten doch die Grau- ſamkeiten unſeres Mittelalters noch das vor denen des egyptiſchen Machthabers voraus daß ſie ſich in den Mantel des religiöſen Eifers hüllten, den ſie nicht anders als blutroth trugen. Und ſtand nicht vierzig Jahre lang für Mehemed Ali ſelber das Gift in ſeinem eigenen Palaſte bereit? Hing nicht für ihn ſelber der Strang fertig zu allen Stunden? Blitzte nicht das Schwert der Empörung wiederholt mit kühner Hand gegen ihn geſchwungen? Dafür freilich ſuchen wir umſonſt die Parallele im heuti- gen Europa; ebenſo für die trotz aller blutigen Strenge 57 Mehemed Ali's maß- und ſchamloſen Betrügereien der egyptiſchen Beamtenwelt. Will man die Klagen beurtheilen mit denen manche europäiſche Reiſende die armen Fellahs bejammern: ſo gilt es die Kenntniß dieſer eingebornen Bevölkerung Egyp- tens mit ihrer hartnäckigen Indolenz, die für kein mahnen- des Wort ein Ohr hat, ſo gilt es auch ein Abſehen von unſerem Begriffe von Wohlhabenheit bei Leuten denen die Freiheit vom Bedürfniſſe viel höher ſteht als aller Lurus. Und wiederholt man immerfort daß doch nichts als die Selbſtſucht Mehemed Ali's thätig ſei bei allem was er thue, daß er ja alles Land ſein eigen nenne, daß er ja alle Fabriken beſitze, daß er ja der Univerſalſpeculant ſowie der alleinige, der Alles monopoliſirende Kaufmann ſei: ſo darf man dabei nicht überſehen, wie Mehemed Ali alles was er gewinnt aufs große Ganze verwendet, und damit, möcht' ers auch ſelbſt nicht wollen oder wenigſtens nicht zunächſt oder entſchieden beabſichtigen, eine Zukunft vor- bereiten muß die Egypten in den Genuß einer neuen ſchö- nen Aera verſetzen wird. Ein Unſtern kann freilich über Egypten mit dem Tode ſeines Vicekönigs aufgehen. Ein Ibrahim Paſcha möchte wohl mit hartem Tritte über die zarten Saaten ſchreiten die einer pflegenden Hand bedürfen. Doch iſt es ſehr fraglich, in wie weit Egyptens Geſchick in ſeiner Fauſt wird ruhen. Es könnte ihm leicht die Rolle eines Abdel 58 Kader zugedacht ſein. Und dann werden die Früchte von Mehemed Ali's Wirken ihrem vollſten Gedeihen entge- genreifen. Man hat Mehemed Ali als den Schutz und Hort der muhamedaniſchen Orthodorie angeſehen, oder wenigſtens erzählt daß er den Ruf eines ſolchen im Oriente genießt. Von anderer Seite hat man dieſes Prädikat Mehemed Ali's gänzlich geleugnet, und ſich dabei namentlich auf ſein eigenmächtiges, gottloſes Verfahren gegen die Güter der Moſcheen geſtützt. Allein das Einziehen dieſer Güter, das freilich, nackt betrachtet, der Act einer gewaltſamen Hinterliſt war, trug zuerſt den Anſtrich der Rechtfertigung in der liederlichen und betrügeriſchen Verwaltung derſelben von Seite der Geiſtlichen; ſodann aber hat Mehemed Ali vor Kurzem ſein ſämmtliches Beſitzthum zu Waqf erklärt, wodurch er es unter den über Alles mächtigen Schutz der Moſcheen ſtellte und für den Fall des Ausſterbens ſeiner Familie die Moſcheen ſelber zu ſeinen Univerſalerben ein- ſetzte. Das war wohl eine der glücklichſten Maßregeln in der Politik Mehemed Ali's. Außerdem mag der muha- medaniſche Fürſt am Nil ebenſo freiſinnig und aufgeklärt in religiöſer Anſchauung ſein als der heutige Rex christianis- simus am Seineſtrome; er hat aber auch dem Letzteren ſeine kluge Schonung der orthodoren Kirchenelemente abgelernt. Wozu man aber dem Humanismus von Herzen gra- tuliren muß, das iſt die durch Mehemed Ali verbreitete 59 religiöſe Toleranz. Nirgends in den Ländern des Muha- medanismus iſt der Chriſt als ſolcher ſo hoch geachtet als in Egypten. Natürlich iſt dabei von großem Belange daß ſo viele europäiſche Chriſten, namentlich Franzoſen und Italiäner, in den Dienſten Mehemed Ali's ſtehen und zum Theil hohe Stellungen bekleiden. Egypten iſt durch Me- hemed Ali der einſtigen Bekehrung zum Chriſtenthume unzweifelhaft entgegengeführt worden, ſo wenig es auch im Augenblicke geſchehen kann daß derſelbe in der Sache der Renegaten offen und entſchieden gegen die Entſchlie- ßungen der hohen Pforte verfahre. Ich erinnere mich bei dieſem Anlaſſe einer mir von einem Diplomaten in Cairo gemachten intereſſanten Mit- theilung. Es lag demſelben der Fall vor, die Renegation eines früheren Unterthanen ſeiner Regierung bei Mehemed Ali zu vertreten. Mehemed Ali ſagte: Laſſen Sie ihn nach Hauſe reiſen. Das hieß natürlich den Knoten zerhauen aber nicht löſen. Denn in dieſem Falle kam Mehemed Ali's Schutz in keinen Betracht. Es verſteht ſich daß der Renegat in Egypten bleiben wollte. Darauf rieth nun Mehemed Ali, derſelbe möchte ſich nur weder in Cairo noch in Alerandrien aufhalten, weil er für die ruhige Dul- dung von Seite der Population dieſer Hauptſtädte nicht einſtehen könnte. Er leugnete dabei daß er bereits von Conſtantinopel in Betreff der neueſten Beantwortung der Renegatenfrage benachrichtigt worden ſei. Beim Weg- _60_ gehen begegnet der Generalconſul dem Miniſter, der die betreffende Note der hohen Pforte an Mehemed Ali eben noch bei ſich führte. In der Vorausſetzung, Me- hemed Ali habe ſie dem Generalconſul bereits wiſſen laſſen, theilte er demſelben wortgetreu ihren Inhalt mit. Das war ungefähr die beſondere Ausdrucksweiſe der Note: Es hätten ſich früher wiederholt ſchändliche Subjekte gefunden, die erſt hinübergetreten in den Schooß der Kirche des Propheten, dann wieder hinausgetreten ſeien um die heiligen Geheimniſſe zu verrathen und zu entweihen. Dieſe habe der Sultan früher köpfen und aufknüpfen laſ- ſen. Nun habe er aber beſchloſſen dieſe Strafe nicht mehr über ſie zu verhängen; man wolle vielmehr dieſe meineidi- gen Auswürflinge der Menſchheit, die es nicht werth ſeien daß man ihnen das Leben nehme, ihrer Schande und ihrem Elende preisgeben. Sie möchten nun immerhin zu den Ihrigen zurückkehren und das Gift des Meineids hinein in ihre Gemeinſchaft tragen. Man darf, glaub' ich, dieſe Worte nicht eben als den Ausdruck der aufrichtigen Geſinnung des Divans in der Sache ſelber nehmen, obſchon ſein Zelotismus groß genug iſt; aber ſeine Politik gegen Mehemed Ali ſpiegelt ſich darin ab, die ihm eine erzwungene Condeſcendenz gegen die europäiſchen Großmächte als einen Act freier Entſchlie- ßung und religiöſen Gutachtens darſtellt. Der alte ſchlaue 61 Herr wird freilich den Stil der Pforte ſo gut wie ein Anderer zu beurtheilen gewußt haben. In ſeinen politiſchen Beziehungen zu den europäiſchen Großmächten iſt Mehemed Ali immer ſchlau genug ge- weſen um in dem Zwieſpalte derſelben ſeinen Vortheil zu ſuchen. Daß ohne dieſen Zwieſpalt der Orient ſchon lange eine andere Geſtalt gewonnen haben würde, das iſt ihm klar, und die Gewißheit daß demohngeachtet das türkiſche Reich unaufhaltſam der großen Kataſtrophe entgegeneilt hat ihr volles Gewicht in den Berechnungen ſeiner Politik. Recht wohl weiß er, daß ſein eigenes Königthum nicht die letzte Stelle einnimmt auf der großen Proſcriptionsliſte. Wenn er nun ſchwankend und perfid geworden gegen ſeine europäiſchen Freunde, ſo folgt er damit eben ſo ſehr ſeinem Kopfe als ſeinem Herzen. - Klug berechnet war gewiß ſein Plan, gegen Rußlands auf dem Papiere wohl ſchon gemachte Eroberungsſchritte ein Bollwerk dadurch aufzuwerfen daß er über Syrien hinaus bis an Perſiens Grenzen ſeinen Arm ausſtreckte und ſo zugleich für den Muhamedanismus wie ein großes Aſil bildete. Er hatte volles Recht dabei auf Englands Allianz zu rechnen; denn wollte England neben ſeinem Intereſſe das Intereſſe Mehemed Ali's gelten laſſen, ſo mußte es ſich als ſeinen natürlichen Bundesgenoſſen er- kennen. Aber England ſah mit anderen Augen. Das türkiſche Reich konnte durch die Zurücknahme Syriens - 62 keine Rettung finden gegen ſeinen Todeskampf; drum war es unbedenklich das gelobte Land an ſeine alten Bedrücker zurückzugeben. Mehemed Ali hingegen konnte wohl durch eine glückliche Verfolgung ſeines Planes eine Bedeutung gewinnen, die fremde Speculationen mit Nachdruck geſtört hätte. Erſt als er ſich in ſeinen Erwartungen von England getäuſcht ſah, dachte Mehemed Ali an die franzöſiſche Allianz. Die Erfahrung an dieſem Bundesgenoſſen hat ihm die Augen, wenn es anders deſſen bedurfte, vollends geöffnet. Denn derſelbe Gedanke der die Politik Englands vom Schutzbündniſſe mit dem Vicekönig abgehalten hatte, der hat wohl auch Frankreich geleitet als es die Sache ſeines Verbündeten ſchonungslos preisgab. Jetzt ſo nahe ſeinem Abſchiede von der goldenen Sonne, mögen ihm wohl die Sorgen um ſo ſchwerer auf dem Herzen laſten, je umwölkter ſein Blick in die Zukunft iſt. In allen Verhandlungen mit England, gilt es auch dem Anſcheine nach nur geringe Intereſſen, iſt er mehr als bedenklich. Er fürchtet zu ſehr die langen Finger dieſer Gäſte. Wenn er römiſche Geſchichte kennt, ſo wird er gewiß an die Römer denken, die immer nur irgendwie ein- geladen und ins Land genommen ſein wollten wo ſie bald ihre Adler aufzupflanzen gedachten. Außerdem fehlts Mehemed Ali auch nicht an diplomatiſchen Freunden, die ihm mit bunten Reden in den Ohren liegen; obſchon die Politik da häufig in den Dienſt kaufmänniſcher Speculation tritt, 63 wobei man ihm die Entdeckung goldener Berge vorſpiegelt und ſich indeſſen die eigenen Taſchen füllt. Was jene letzte Ueberraſchung am egyptiſchen Hofe in den Juliustagen 1844 betrifft, ſo iſt ihre Beurtheilung frei- lich ſchwer. Man hat eine Manifeſtation des alten Fuch- ſes, man hat ein neues Kunſtſtück des geübten Taſchen- ſpielers darin erkennen wollen. Durchläuft man die Ge- ſchichte ſeines Lebens und namentlich die erſten entſchei- denden Schritte in ſeiner Carriere, ſo fehlt es allerdings nicht an Analogie. Hat er ſich doch in dem Augenblicke wo er zuerſt ſein ſtolzes Auge auf den Thron Egyptens warf in die Maske harmloſer Reſignation verſteckt und damit am glücklichſten den Sturm der Ereigniſſe hervor- gezwungen. Allein anderer Seits iſt es Thatſache, daß ſich ſchon ſeit einiger Zeit auffällige Spuren eines angegriffe- nen Geiſtes bei ihm gezeigt haben. Vielleicht darf man damit zuſammenſtellen, daß er auf nachdrücklichen ärztlichen Rath unlängſt ſeinen Harem entlaſſen hat. Und ſo mag wenigſtens ein Anfall von Melancholie, der ſich außerdem noch mehr erklärt durch die ihm dargebrachten Aufſchlüſſe über den traurigen Zuſtand des Landes, zu einer ſolchen Aeußerung ſeiner Politik weſentlich mitgewirkt haben. Cairo, am 8. Mai. Um bald vertrauter zu werden mit der alten Saraze- nenſtadt, mußte ich mein Hotel mit ſeinem europäiſchvor- nehmen Anſtrich, noch ſchmackhafter für den Beutel als für den Magen, ſo bald als möglich verlaſſen. Ich hatte dort allerdings von meinen Fenſtern aus eine erquickliche Ausſicht auf den ſchönen Esbekiehplatz, von Akazien und Sykomoren umrankt und geſchmückt mit der Erinnerung an die dort gefeierten Mameluckenfeſte, an Bonaparte, der hier im Palaſte Elfy Bey's wohnte, und an Kleber, dem hier der türkiſche Fanatismus mit dem Dolche jenes Su- leyman die tapfere Bruſt durchbohrte. Zugleich hatt' ich damit vor meinen Augen eine der preiswürdigen Schö- pfungen der gegenwärtigen Regierung; denn erſt durch ſie iſt dieſer Platz vor den jährlichen Ueberſchwemmungen geſichert und zu dieſer freudigen Erſcheinung gebildet worden. - Wenige Tage nach meiner Ankunft in Cairo zog ich in die Caſa Pini, Nachbarin des engliſchen Conſulats, in einer ächt Cairiner Straße. Denn ſchon die Begeg- nung mit einem Eſelritter kann in Verlegenheit bringen; 65 ein beladenes Kamel ſchreitet nur mühſam durch*. Eine Ausſicht hab' ich hier nur vom flachen Dache aus, wo ich nicht verſäume bisweilen gegen Sonnenuntergang zu luſt- wandeln. Da hab' ich um mich die unzähligen Minarets, die nebſt einzelnen Palmen aus dem Häuſergewühle fröh- lich emporſtreben. Auch ſeh' ich kleine Gartenanlagen mit ſtattlichen Bäumen auf einigen Nachbardächern. Dicht neben mir treff ich regelmäßig einen oder zwei der katho- liſchen Kloſterbrüder in ihren Kapuzinergewändern. Da viele Häuſer in gewiſſem Sinne oben offen ſind, ſo könnten die Muezzin oder Gebetsausrufer von den Madnehs der Moſcheen herab wohl manche ſtille Fami- lienfreude beäugeln, wären ſie nicht faſt alle blind. Aber eben ihre Blindheit mag eine Empfehlung zu ihrem Poſten ſein. Denn die Mitfreude an ſeinem häuslichen Herde oder auch nur die harmloſe Mitſchau ſeiner Frauen über- wacht der Egyptier aufs Eiferſüchtigſte. Uebrigens mach- ten mir dieſe Muezzin, obſchon ihre Stimme keine deutſche * Vor Kurzem dachte man darauf viele enge Straßen dadurch zu erweitern daß man die ſteinernen Aufſätze vor den Thüren und alle Vorſprünge bei den Parterrelocalen wegnähme. Da kam von den Be- theiligten einer über den andern zum Polizeiminiſter um Beſchwerde zu führen. Der Polizeiminiſter ruft den Polizeidirektor, und ſetzt ihn zur Rede darüber wie er ſo ungeſchickt ſeine Maßregel habe ausführen können daß jetzt die Leute mit lauten Klagen zu ihm kämen. Er ſcheint nämlich geglaubt zu haben daß man ſicher wie der Dieb bei Nacht und Nebel ſeinem Befehle hätte nachkommen können. I. 5 66 Choralbildung hat, einen ernſten Eindruck mit ihrem „Außer Gott iſt kein Gott“ und was ſie ſonſt noch Herr- liches ſingen. Das laute Gebet, von den vielen hundert Minarets beſonders in den Augenblicken gerufen wo die wildſchäumenden Wogen dieſer Welt der tauſend und einen Nacht wie eingeſchlummertruhn, umgürtet das orienta- liſche Leben wie mit einer heiligen Tempelmauer. Die Muezzin ſind dem Muhamedaner unſere Glocken. Wir in unſerem chriſtlichen Europa meſſen kaufmannsmäßig Stunde für Stunde nach ihren Vierteln, damit ja die Geſchäfte der bürgerlichen Geſellſchaft in voller Regel laufen. Aber wie ſelten klingen unſere Glocken noch durch das erdenſchwere Treiben der Werkeltage, um ihre ſchönen Gebeteslaute wie himmliſche Verſöhnungsworte darüber auszuſprechen. Jetzt ſpring ich ſchnell einen Augenblick auf den Bazar, der in meiner Nähe iſt: da ſchlürft ſich das Leben Cairo's in vollen Zügen. So heftig auch die Sonne brennt, ſo reitet ſichs doch kühl durch die engen ungepflaſterten Stra- ßen, deren hohe Häuſer, häufig mit vorſpringenden Eta- gen, die heißen Strahlen hemmen. Der Bazar ſelbſt, ungefähr zehn Schritte breit, iſt oben größtentheils mit lichten Tüchern geſchloſſen, die von einem Dache zum andern hängen. Zu beiden Seiten haben wir die Kauf- läden mit ſoviel Köſtlichem und Lockendem und Schönem. Da ſitzen die Verkäufer mit untergeſchlagenen Beinen, 67 gern die Pfeife im Munde und in der Hand eine Taſſe Mokka, die ſie mit dem nachdenklichſten Ernſte zu behan- deln wiſſen. Kaffeehäuſer trifft man überdies bei jedem Schritte; ich ſehe ſie eben ſo ſelten leer als die Moſcheen. Der Zuſammenfluß ſo vieler Nationen des Orients ruft mir jenes Pfingſtfeſt zu Jeruſalem vor Augen. Da gibts Araber voll einer träumeriſchen Ruhe; Türken in gedankenloſer Selbſtgenügſamkeit; Perſer, den Stolz in den Augen, die Pracht im Gewande; Armenier mit ihren männlich ſchönen Zügen und dunklen Bärten; Kopten mit ihren braungelblichen Geſichtern, voll düſtern Mißtrauens; griechiſche Mönche in ihren ſchwarzen Talaren, im ver- rätheriſchen Blicke die Falſchheit; Beduinen, maleriſch mit ihrem Keffijeh und Hanfſtrick um die Stirn, die Freiheit der Wüſte in allen Bewegungen; hübſche Negerknaben, die ſich ganz behaglich fühlen unter ihrem rothen Tarbuſch und in dem ſchmucken Kleide, womit ſie ihre Herren ge- ziert haben; Fellahweiber, mit einem ſchmuzigen Hemde über ihren weiten Hoſen, große Ringe in den Ohren, häufig auch in der Naſe, und viele Goldſtückchen um den Hals. Plötzlich drängt ſich durchs Gewühl ein Engländer mit ſeiner Lady zu Eſel. Ein fränkiſcher Arzt, den Säbel an der Seite, kömmt geritten auf prächtigem Schimmel; ſein Vorläufer weiß ihm Platz zu machen. Jetzt zieht ein Harem ins Bad. Gehüllt in ſchwarzſeidene Mäntel von Kopf bis zu Fuß, das Geſicht verborgen hinter dem weißen 5 zk _68_ Vorhange bis auf die Augen: ſo ziehen dieſe Frauen auf hübſchgezäumten Eſeln, gelenkt von den Seis, ſchweigſam und geiſterhaft durch die bunte Menge. Die Badehäuſer ſelber machen nach den Moſcheen die feſtlichſte Figur. Noch vor einer Barbierſtube muß ich ſtehen bleiben. Da vergehen. Einem die Gedanken, ſieht man ſo einen Kopf einſeifen und dann mit dem Scheermeſſer zu einer blanken Mondſcheibe abglätten, nur daß in ihrer Mitte die Mahometslocke flattert. Auf dem Rückwege geh' ich beim engliſchen Hotel vor- bei. Da kömmt eben eine Caravane von Suez mit Paſſa- gieren aus Indien an. Hundert Kamele ſtehen noch ge- packt unabſehlich in Reih und Glied. So eine ſoldaten- mäßig aufgeſtellte Schaar dummer Geſichter macht einen originellen Eindruck. Der Staub wäre zu dieſer Jahreszeit eine ſchrecklich drückende Laſt, wandelten nicht unausgeſetzt durch die Stadt wohl mehr als tauſend Eſel mit geöffneten Waſſerſchläu- chen zur Beſprengung: eine Maßregel die der Geſund- heitspolizei viel Ehre macht; denn ſie iſt der Augenkran- ken halber, die ſich hier in trauriger Menge finden, von der größten Wichtigkeit. Iſt doch ſelbſt die Zahl der völlig Erblindeten in Cairo ſo groß daß ganze Länder damit nicht vergleichbar ſind. Eins der Privilegien dieſer Blin- den hat mir gefallen: ſie allein dürfen des Abends und des Nachts ohne Laterne auf den Straßen ſein. Die Ecken 69 und Winkel der Straßen nämlich ſowie die offenen Gär- ten ſind ſehr häufig ihr alleiniger häuslicher Herd. Wie oft bin ich, kam ich ſpät nach Hauſe, unterwegs auf her- umliegende Leiber geſtoßen die vorzugsweiſe blinden ſoge- nannten Einwohnern zugehörten. Uebrigens beſchäftigt man ſich dennoch ſehr viel mit der Bildung der Blinden in Cairo. Der Poſten der Muezzin iſt nicht der einzige der ihnen offen ſteht. Am 12. April ging ich auf die Citadelle. Mein Cairi- ner Dragoman ritt mir zur Seite, in ſeinem langen wei- ßen Hemde, das er über ſeinen ſonſtigen Staat geworfen, in ſeinem rothen Tarbuſch mit herabwallender blauer Quaſte, unter dem ſeine kleinen dunklen Augen voll Verſchmitzt- heit hervorblitzten. Unſere Eſel trugen uns über viele jener unartigen Hunde hinweg, die trotz aller Paſſage mit- ten auf der Straße liegen blieben. Das riklek dſchemalek und wie alle die andern oft mit ſchmeichelhaften Redens- arten gewürzten Einladungen zum Ausweichen heißen, die der Seis oder Eſeltreiber ohne Pauſe ins Gedränge hin- einſchreit, klingt Einem lange darauf noch in den Ohren. Oft hab' ich mich eben ſo ſehr über die Unerſchütterlichkeit dieſer Eſelsbefehlshaber als über die achtſame Behendigkeit gewundert mit der man auf ihren Ausruf dem ungläu- bigen Franken Platz macht. 70 Soldaten auf der Wache trafen wir mit dem Strick- ſtrumpfe in der Hand, während ihr Gewehr aus einem Winkel zuſah: ein gemüthliches Bild. Freilich taugen jene widerſpenſtigen Fellahſöhne mit einem abgehackten Zeigefinger, mit ausgebrochenen Vorderzähnen, mit einem ausgeriſſenen Auge, beſſer zum Strickſtrumpfe als zur Flinte. Mehemed Ali thut ſehr recht daß er ſolchen unſinnigen Selbſtverſtümmelungen die Befreiung vom Soldatendienſte verſagt. Wir beſuchten als wir auf die Höhe kamen zuerſt die Menagerie mit vier Löwen, einer Tigerkatze und einigen Hyänen, die hier im Lande ihrer Heimath doch noch einen andern Eindruck machen als bei uns auf der Leipziger Meſſe. Dann ſtiegen wir hinab in den merkwürdigen tiefen Juſſufsbrunnen; nur mußten wir warten bis die Beſchauerin, die bei unſerer Ankunft darin war, das Ter- rain geräumt hatte; obſchon eine ganze Geſellſchaft genug Raum gefunden hätte. - Die Citadelle auf dem Abhange des Mokattam iſt ein lang geſtreckter, ſehr feſter Bau. Viele aufgepflanzte Ka- nonen richten ihre Drohung auf die Stadt; in Cairo gibts keine Pariſer Deputirtenkammer. Vor Allem aber waren es zwei Stücke die meine Aufmerkſamkeit feſſelten: die in trauriger Vereinzelung da ſtehenden Granitſäulen vom einſtigen Palaſte jenes Salaheddin der die Citadelle be- gründet hat, und die unvergleichlich prächtige Alabaſter- 71 moſchee Mehemed Ali's, die wie ein neues Wunderwerk Egyptens hinüber zu den alten, den Pyramiden, ihr zau- berhaft glänzendes Auge trägt. Wohl ruht zu den Füßen der Citadelle dieſes „Meer der Welt“ in ſeiner groß- artigen Fülle und Schönheit, dieſe „ſiegreiche“ Fürſtin der Städte, die ſich, ein neues Memphis, aus den Trüm- mern des alten ihren prunkenden Thron erbaut hat. Ich verlor mich in der Fülle, in dem Reichthume ihres An- blicks. Aber wie die Magnetnadel den Sternen des Nordens, ſo flieht hier das Auge wo es nur kann den Pyramiden zu. Und von der Citadelle aus geſehen, üben ſie ihre volle Gewalt auf den bewundernden Fremdling aus, Nahezu den zwei Seiten der Ausſicht auf die Stadt ruhen ernſte Bilder; im Süden und im Nordoſten dehnen ſich, nur getrennt durch den Mokattam, die großen Tod- tenſtädte mit ſo vielen ſchönen Denkmalen und Moſcheen aus. An beide Todtenſtädte ſchließt ſich die Wüſte an; ſo liegen ſie da wie ein heiliges Merkzeichen mitten zwi- ſchen dem luſtigen Rauſch des Augenblicks und dem Ernſte der unabſehlichen Ewigkeit. Beſonders zogen mich im Nordoſten die mit ſtarken Thürmen hervorragenden Grab- denkmäler der Kalifen an, merkwürdige Ueberreſte des altſarazeniſchen Bauſtils. Als ich ſpäter dieſe ſtumme und doch zugleich ſo beredte Welt der Todten durchwanderte, beſuchte ich unter Anderem das Familienbegräbniß Mehe- med Ali's, eine doppelte Kapelle die durch zwei Kuppeln 72 von oben ein düſteres Licht empfängt. Die marmornen Sargmonumente, die ſich in der Mitte hinziehen, ſind ein- fach und würdig. Von den friſchen Palmenzweigen die drauf ruhten durft' ich einige Blätter brechen. Die orien- taliſche Farbe bringen namentlich hinzu die prachtvollen Teppiche, die zu beiden Seiten der Monumente ausge- breitet liegen. Auch bei dem einfachen Grabſteine Burckhardts bin ich geſtanden. Er iſt einen ſchönen Tod geſtorben. Mitten heraus aus ſeinen Forſchungen nach den Geheimniſſen einer ehrwürdigen Vorwelt und eines geheiligten Bodens hat ihn ſein Engel gerufen in die Hallen des ewigen Schauens. Aber ſeine Gebeine hat er gelaſſen im Lande der unverweslichen Todten, nahe den unvergänglichen Grabtempeln der Pharaonen; in demſelben Lande wo er ſeinem eigenen Namen eine weithin ſchimmernde Pyramide des Ruhms erbaut. Ibrahim Paſcha. Bei Ibrahim Paſcha war ich. Clot Bey, der durch ſeine Zuvorkommenheit ſo gern die Wanderer am Nil zu ſeinen Schuldnern macht, begleitete mich zu ihm. Im erſten Augenblicke ging unſere Unterhaltung nicht recht von Statten; es fehlte der Dragoman des Paſcha, und Clot Bey iſt kein ſtarker Arabiſt. Ich hatt' es aber zu 73 meiner Verwunderung ſchon geſehen, wie ſelbſt Conſuln von mehr als zwanzigjähriger Thätigkeit in Egypten nicht ohne den Dragoman ſich zu verſtändigen wußten. Ein Mißverſtändniß hatten wir als Ibrahim Paſcha fragte, bis in welches Alterthum die älteſten Urkunden der Bibel hinaufreichen. Schon vorher hatte ich gehört daß er ſich für meine theologiſchen Reiſezwecke intereſſirte. Ich ſagte ihm, bis ins vierte Jahrhundert. Darauf verwunderte er ſich daß wir nichts Aelteres hätten, da doch ſie ſelber Doku- mente aus der Zeit des Propheten beſäßen. Natürlich beeilt ich mich den Irrthum zu berichtigen; es iſt möglich daß er die Rechnung unſerer Jahrhunderte falſch gefaßt hatte. Sehr erwünſcht war mirs aber daß dieſen Augen- blick eben der Dragoman eintrat. Der Paſcha ſagte mir ſogleich durch ihn, daß man in wenig Jahren am egypti- ſchen Hofe keines Dragomans mehr bedürfen würde; denn die jungen Prinzen lernten alle Italiäniſch und Fran- zöſiſch. Ich entgegnete ihm daß die Sprache, die er zu Land und zur See ſchon längſt ſo vortrefflich zu ſprechen gewußt, auch in Europa eine allgemein verſtändliche ge- weſen. Zur goldenen Zeit Egyptens, fuhr er fort, müßten drei Plagen fehlen: die Schreiber, die Dolmetſcher und die Peſt. Der Dragoman mußte mir dieſe Uriaszeile über- bringen; doch ſchien er ſichs nicht eben zu Herzen zu nehmen. Unter Anderem ſprach er vom Prinzen Albert, dem Gemahl der Königin Victoria. Er hatte geleſen daß der Prinz bei ſeinem Beſuche im Vaterhauſe auf ſein Fami- lienerbtheil verzichtet habe. Ich ſagte dazu daß England die beſte Erbſchaft am Prinzen ſelbſt gethan. Daran knüpfte er eine nach ſeinem Geſchmacke wohl ſehr gute Bemerkung über die berühmten Talente der Prinzen aus den Sächſiſchen Fürſtenhäuſern. Ibrahim Paſcha hat bei weitem weniger edle und feine Geſichtszüge als ſein Stiefvater, der Vicekönig. Der Soldat läßt ſich in ſeinem Ausdrucke nicht verkennen, obſchon er ein beſtändiges heiteres Lächeln um den Mund hat; aber auch dieſer Zug entbehrt der Feinheit. Ein ſchönes Beſitzthum Ibrahim Paſchas iſt die Nil- inſel Roda. Sie bildet einen großen reichen Garten, mit deſſen Anlage ſcharfe Geſchmackskritiker freilich nicht zu- frieden ſind. Ich traf ihn in der vollſten Ueppigkeit ſeines Blumenflors. In einem der fürſtlichen Gebäude, das ganz nach europäiſchem Geſchmacke gebaut iſt, beſuchte ich den ſchwediſchen Conſul, den Griechen Anaſtaſy, mit ſeinen beiden lieblichen Pflegetöchtern. Von ſeinen Feſtern aus hatten wir gerade vor uns die Pyramiden von Gizeh; man glaubte ſie ein Stündchen entfernt. Im Garten ſah ich auch die ſchöne Giraffe, die der Conſul dem Könige von Schweden zum Geſchenk ſenden wollte. Dieſer Tauſch wird dem delikaten Thiere ſchwerlich behagen. Aber die ehrwürdigſte Erſcheinung der Inſel bildet jener alte Thurm, wofür man ihn aus der Ferne hält, 75 oder vielmehr jene achteckige Marmorſäule mitten in einem überbauten Brunnenbaſſin, genannt Mekkias oder der Nil- meſſer. Er ſteht mit dem Strombette auf gleichem Niveau und gibt nach den Maßen die an ihm angebracht ſind genau das Steigen und Fallen des Nils an. Er ſoll früher dem Auge des europäiſchen Fremdlings geheim- mißvoll entzogen worden ſein. Wenn er auch nicht uralt iſt, wie man bisweilen gemeint hat, ſo ſteht er doch nach- weislich über tauſend Jahre auf ſeinem Poſten, als Pro- phet von Segen und Unſegen für das Nilthal. Uebrigens bezeichnete mir mein Dragoman die Inſel Roda als den Badegarten jener Tochter des Pharao die im Schilfe des Nils Moſes „das zierliche Knäblein“ ge- funden. Die Tradition konnte kein beſſeres Terrain wäh- len; freilich müßte dann, was wohl auch das Wahrſchein- lichſte iſt, Memphis, nicht Zoan, die damalige königliche Reſidenz geweſen ſein. Kloſterwanderungen in Cairo. Sehr begierig war ich die Klöſter zu Cairo zu beſuchen. Einen vortrefflichen Begleiter hatte ich am Dragoman des öſterreichiſchen Conſulats, einem Kopten von Geburt. Im katholiſchen Kloſter trafen wir nur einen einzigen Mönch; er war von der liebenswürdigſten Geſchäftigkeit. Wir mußten durch eine Menge Erquickungen für den 76 Gaumen paſſiren ehe wir zur Bibliothek vordringen konn- ten, die bei ihm in keinem guten Anſehen zu ſtehen ſchien. Als wir endlich hineintraten, war allerdings ein ſtarker hart aufliegender Nebel über ſie gefallen. Von Manu- ſcripten, ſagte er mir, haben wir nichts. Doch fand ich einige arabiſche von geringem Werthe. Einen intereſſanten Mann lernt' ich am armeniſchen Biſchof kennen. Er gefiel ſich beſonders in dem Gedanken der friedlichen Vereinigung aller chriſtlichen Parteien. Dieſer Zug iſt allerdings ſo natürlich, lebt man mitten unter den muhamedaniſchen Gegnern des Kreuzes, aber doch iſt er ſo ſelten. Denn die ſchroffe Abgeſchloſſenheit der chriſtlichen Confeſſionen von einander tritt gerade im Oriente aufs Unangenehmſte hervor. Ich dachte daran mir für einen Autographenfreund im Vaterlande ein paar Zeilen vom Biſchofe zu erbitten; er hatte aber eine ſelt- ſame Furcht vor aller Oeffentlichkeit ſeiner Meinungen; ſelbſt ein Bibelſpruch, den er ſchreiben könnte, ſchien ihm verfänglich. Unter ſeinen Manuſcripten hielt er beſonders einige einem neueren Manuſcript beigebundene Blätter für ſehr alt; er war aber nicht im Stande ein einziges Wort davon zu leſen, da der Schriftcharakter derſelben ein ganz ungebräuchlicher war *. * Unter den armeniſchen Fragmenten die ich aus dem gelobten Lande mitgebracht habe befinden ſich mehrere Pergamentblätter die mit demſelben uralten Schriftcharakter belegt ſind. 77 Als wir ins griechiſche Kloſter der Sinaiten zu Cairo kamen, waren ſämmtliche Brüder in der Kapelle. Wir traten alſo gleichfalls zum Gottesdienſte ein. Kerzenlicht gab's in Fülle; der Geſang, woraus mir das von Mehre- ren nach einander abgeſungene „ho tu paradoru thanatos“ im Gedächtniß geblieben, war ſo lächerlich mißklingend daß ſich die Chorknaben nur mit Gewalt des lauten La- chens erwehren konnten. Wie betrübt verläßt man eine ſolche Andacht. Das Kyrie eleiſon, unzählige Mal wie- derholt, umrahmte die ganze Ceremonie. Nach dem Schluſſe derſelben wurde uns etwas von den eben geweihten Broden gebracht; außerdem präſentirte man uns noch vor dem Kaffee Honig und Waſſer. Man kann in Paris einen ganzen Tag Beſuche machen ehe man zu ſo viel Magenfreuden kömmt als in Cairo bei jedem Schritte in ein Haus. Stehende Gewohnheit iſt der Kaffee und die Pfeife. Sehr häufig aber, namentlich bei Griechen, wurde mir vorher noch Honig oder ein ſehr ſüßes Compot aufgetragen. Auch das ſteht bei den Orien- talen und den Kennern ihrer Sitte feſt daß vor dem Kaffee und der Pfeife nie eine Hauptſache, etwa gar die Angelegen- heit um deren willen man gekommen, ins Geſpräch gefaßt wird. Die Geſchäfte gewinnen dadurch eine gewiſſe Be- haglichkeit; man iſt gar nicht mehr der volle Fremdling, ſitzt man da mit der Pfeife im Munde, die Taſſe in der Hand. Als ich nun endlich nach den Manuſcripten fragte, ſagten ſie mir daß ſie ſelber gar keine beſäßen, wohl aber würd' ich deren viele und gute auf dem Sinai finden. Ihre eigene Bibliothek enthalte nur Druckwerke, dieſe aber ſeien zu meiner Dispoſition. Ich bat den vor meinen Augen ſtehenden Wandſchrank mit Büchern zu öffnen. Eine halbe Stunde mochte vergangen ſein ehe der Schlüſſel dazu gefunden und die Oeffnung bewerkſtelligt war. Die Bibliotheken in dieſen Klöſtern ſind reine Zierrathen; ſie vertreten dort die Stelle welche bei uns die Nipptiſchchen der Frauen einnehmen. Ich nahm einige Bücher hervor und fand – lauter Chirographa. Verwundert ſagt ichs ihnen; aber mit noch mehr Verwunderung hörten ſie's und beſchauten ſich's. Chirographon? Chirographon? fragten ſie und ſchienen faſt einiges Mißtrauen zu hegen. Eine alte Handſchrift war ihnen eine völlige Neuigkeit; nur kannten ſie dergleichen recht wohl par renommée. Denn kaum hatten ſie durch mich ihren Reichthum an Manuſcripten erfahren, ſo träumten ſie auch von dem unſchätzbaren Werthe derſelben. Ich unterſuchte nach die- ſem Bücherſchranke noch einen andern in einer Kapelle des Kloſters, der mir eine noch weit reichere Ausbeute bot. Ich bin ſeitdem ſchon wieder in dieſem Kloſter gewe- ſen; man hat mir aufs Freundlichſte ein Studirzimmer eingeräumt. Der weitere Verlauf dieſer Studien gehört nicht hierher. Ich hatte aber mit meinen Funden in dieſer 79 Bibliothek die erſte fröhliche Genugthuung gewonnen gegen die ungläubigen Abmahnungen von meiner Reiſe, von der man, wenigſtens im Vaterlande, nach ſo vielen Vorgän- gern nichts Neues erwarten wollte. Ein Mann meines Fachs von weitklingendem Namen iſt allerdings vor zwanzig Jahren in dieſem Kloſter geweſen; ſein Bericht davon lautet mit kahlen Worten, „es enthalte keine Handſchriften von literäriſchem Intereſſe.“ Der griechiſche Patriarch von Alerandrien und ſeine vermauerte Bibliothek. Von mehreren Seiten kam mir das Gerücht zu von einem manuſcriptlichen Schatze, der vor zwanzig Jahren aus Antiochien nach Cairo gelangt ſein ſollte. Eine ganze Bibliothek ſollte es ſein, nach Cairo als Pfand gegeben und befindlich in dem unmittelbaren Beſitze des Patriar- chen. Kein der Sache kundiges Auge hatte je dieſe Ma- nuſcripte geſehen; um ſo mehr erzählte man ſich Wunder- dinge davon. Bald trat der unglaubliche Zuſatz zum Ge- rüchte daß dieſe Bibliothek vermauert ſei. Der öſter- reichiſche Generalconſul verſuchte aufs Gütigſte mich zur Enthüllung des Geheimniſſes zu führen. Fürs Geeig- netſte hielt er es, das Anliegen direkt an den Patriarchen zu bringen, von dem er perſönlich ſehr wohl gekannt war. Wir fuhren deshalb des Sonntags in Begleitung eines 80 gebornen Griechen nach Altcairo, wo der Patriarch reſidirt wenn er von Alexandrien abweſend iſt. Nachdem uns eine bejahrte Haushälterin deſſelben vor- läufig beſtens empfangen, auch mit Kaffee und Pfeife bewir- thet hatte, erſchien der Patriarch in einem Hauskleide, das vornehm genug wär um ſeinen hohen Rang zu verrathen. Der Pabſt Gregor XVI. ging viel einfacher, als er mich in einer Privataudienz empfing. Der Patriarch, der jetzt in ſeinem ein und neunzigſten Lebensjahre ſteht, hat viele Würde in ſeinem Aeußeren; ſein auf die Bruſt herabfal- lender weißer Bart kleidet ihn ſehr gut; ſeine Statur überſteigt das gewöhnliche Maß. Wir wechſelten einige freundliche Worte. Unter Anderem ſagt ich ihm, daß der erſte Geiſtliche meines Vaterlandes eben ſo wie er ein Wunder in ſeiner Erſcheinung ſei, indem er den Angriffen des höchſten Alters eine unnehmbare, ſturmesfreudige Fe- ſtung entgegen halte. Schnell rückten wir der Sache näher. Der General- conſul ſagte ihm, daß ich ein tüchtiger Helleniſt ſei, obſchon ich nie in Griechenland geweſen. Darauf ließ der Pa- triarch ein gedrucktes griechiſches Buch in folio bringen, ich glaube, es war ein Band Chryſoſtomus, und erſuchte mich drin zu leſen. Ich ſtand in der Meinung, er wünſche zu hören wie wir ungriechiſche Griechen das Griechiſche ausſprechen, und las ein paar Zeilen nach meiner Leipziger Ausſprache vor. Dies Eramen hatt' ich aber zu meinem 81 Beſtürzen überaus ſchlecht beſtanden; man kann es unbe- denklich für einen Repuls ausgeben. Der Patriarch ent- gegnete nämlich auf dieſe Probevorleſung, ich hätte es noch nicht eben weit im Leſen gebracht. Wir mengten in unſere eilige Berichtigung einige Heiterkeit; aber das Unglück war nicht gut zu machen. Ich ſprach einiges Griechiſche mit, aber das geringſte Verſehen in der neu- griechiſchen Ausſprache oder auch eine Accentverletzung – ich hatte mich in den letzten Jahren gewöhnt das Grie- chiſche nach der Quantität zu betonen – rügte er hart zur Beſtätigung ſeines Urtheils. Es ſchien als habe der Patriarch das feine Ohr einer Pariſer Salondame. Nun war es freilich ſchwer ihm begreiflich zu machen, daß meine manuſcriptlichen Studien von irgend einem Belange ſein könnten. Mein Coder Ephrämi Syri reſcriptus ver- klang wie ein gutmüthiges Mährchen. Als er davon hörte, fiel er ſogleich ein, wie ich denn das Geſchriebene leſen könnte da ich nicht einmal mit dem Gedruckten aus- käme. Der Conſul wurde verſtimmt und ſagte ihm, er möge das ganz auf ſich beruhen laſſen; unſer großes Anliegen ſei nur, zur Einſicht ſeiner verborgenen Bibliothek zu ge- langen. Als er wiſſen wollte was wir darin ſo begierig ſuchten, theilten wir ihm mit daß ich mirs zur Aufgabe gemacht habe die alten Urkunden des Neuteſtamentlichen Originaltertes mit eigenen Augen einzuſehen, um aus 1. 82 deren Zuſammenſtellung einen Tert zu ſchöpfen der dem Buchſtaben, wie er aus der Hand der Apoſtel gekommen, ſo nahe als möglich träte. Aber, verſetzte er, wir haben ja doch alles was wir brauchen; wir haben die Evange- liſten, wir haben die Apoſtel"; was fehlt uns noch? Der Begriff der Kritik mochte zum erſten Male in ſeinen ein- undneunzig Jahren an ſeine Ohren klingen. Auf unſere Erläuterungen war er bedenklich und mißtrauiſch. Endlich machte er auch geltend, daß die Bibliothek vermauert und nur mit großen Koſten zu öffnen ſei. Dagegen erklärten wir uns freudig bereit die Koſten der Oeffnung zu tragen. Demohngeachtet nahm er nicht mehr als einen gewiſſen Schein von Zuſtimmung an. Wir verließen ihn bald. Daß ich ihm die Hand nicht geküßt hatte, was meine beiden Begleiter thaten, mochte mich nicht eben in ſeine Gunſt geſetzt haben. Ich erinnerte mich bei dieſer Gele- genheit und bei mancher andern, wo ich dieſen Reſpekts- beweis von Geiſtlichen gegen Biſchöfe darbringen ſah, an jenes edle Wort das der Patriarch von Conſtantinopel einſt einem jungen Geiſtlichen zugerufen, der ihm die Hand küſſen wollte: „Wir brauchen Prediger, keine Schauſpie- ler.“ Das Bedürfniß ſcheint ſich geändert zu haben; auch an der Tiber gibts kein Echo von jenem Patriarchenwort. Vom Patriarchen gingen wir zu Soliman Paſcha. * tö eiayyétov waróv dröoroov. 83 Soliman Paſcha iſt von Geburt Franzoſe und hat ſich durch die Organiſation der Armee Mehemed Ali's große Verdienſte um Egypten erworben. Wie ſehr Mehemed Ali ſeine Verdienſte anzuerkennen wußte, beweiſt der fürſt- liche Rang womit er denſelben bekleidet hat. Freilich iſt er ums Evangelium ärmer geworden; er hat ſich an den Koran verkauft; wohl mag er ſich damit für ſein Gewiſſen manche Stunde des Fluchs erkauft haben. Bei ihm hatt' ich es mit keinem alten Palimpſeſten, auch mit keinem Griechiſch zu thun. Er wußte kaum daß ich aus Sachſen war, ſo hatte er eine angelegentliche Frage auf dem Herzen. Kennen Sie, fragte er mich, zwei Apothekerstöchter in M... .. ? Ich war freilich nicht ſo glücklich ſo liebe Bekanntſchaften in M . . . . . zu beſitzen; aber Soliman Paſcha erzählte mir nun mit einer liebens- würdigen Ausführlichkeit, wie er unter Napoleon in Sach- ſen geweſen und zu M... .. im Hauſe eines Apothekers kleine unſchuldige Abenteuer gehabt. Das läßt ſich freilich keine eigentliche alte Liebe nennen; aber doch gehört's zu den unverwelklichen Vergißmeinnicht der alten Liebe. Ein Mann, noch dazu von franzöſiſchem Blut und Militair, der dreißig Jahre in der vollen Praris der orientaliſchen Sitte verlebt hat, denkt noch mit einer herzlichen Behag- lichkeit an zwei Apothekerstöchter an der Elbe, denen er kurz vor der Leipziger Völkerſchaft mehr oder weniger ſeine Galanterien dargebracht. 6 2: _84_ Noch einen anderen Franzoſen traf ich in Cairo der unter Napoleon in Sachſen geweſen, und zwar als Regi- mentsarzt. Er hatte, wie alle ſeine Freunde wußten, die ſchwache Seite von nichts lieber als von Sachſen zu ſprechen, und war ſehr vergnügt als wir uns eines Abends bei Clot Bey unter den Granaten ſeines Gartens zuſam- men fanden, wo er mit vollem Rechte ſeinen Sympathien für Sachſen ein lebendiges Wort gönnen durfte. Auf unſerem Heimwege nach Cairo erzählte mir mein Begleiter von einem vor mehreren Jahren in Alerandrien aus dem Mauerſchutte ausgegrabenen Schatze, einer alten griechiſchen Kirche, deren Wände eine Art Palimpſeſt enthielten. Es befanden ſich nämlich darauf Malereien, deren eine über die andere ausgeführt war, zugleich mit griechiſchen Inſchriften. Der öſterreichiſche Generalconſul hatte ſo viel daraus erſchloſſen, daß die urſprünglichen Malereien, Darſtellungen aus dem Leben der Heiligen, erſt übertüncht und verdrängt, dann wieder durch ähnliche erſetzt worden waren. Eine tiefere Unterſuchung wurde ihm verkümmert; bei der Rückkehr von einem kurzen Aus- fluge nach Cairo fand er ſämmtliche Reſte zerſtört. Gewiß darf man zur Erklärung dieſes Palimpſeſten an die Zeit und den Verlauf des Bilderſturms denken, der hiernach auch zu Alexandrien getobt haben muß. Aber ich kehre zur vermauerten Bibliothek des Pa- iriarchen zurück. Wir zogen mehrere angeſehene Griechen 85 von Einfluß in unſer Intereſſe; demohngeachtet wollte nichts gelingen. Denn als eine neue Feindin ſtellte ſich uns eine dogmatiſche Beſchränktheit mit ihren Vorurtheilen gegenüber, die hinter meinen kritiſchen Arbeiten über den heiligen Tert ich weiß nicht welche Gefahr für den ſtatus quo des griechiſchen Kirchenglaubens witterte. Endlich ſchlug ſich ein deutſcher Arzt ins Mittel, ein Mann deſſen Name mir ſchon längſt ungemein theuer ge- worden. Er benutzte für meine Angelegenheit ſein haus- ärztliches Verhältniß zum Prokurator des Patriarchen, wobei noch die demſelben eröffnete Ausſicht von einiger Mitwirkung war, daß ich nach meiner Rückkehr auf euro- päiſchen Boden dieſer unzugänglichen vermauerten Pa- triarchalbibliothek gar wohl einen üblen Denkſtein errichten würde. Der Prokurator verſprach die Bibliothek für mich öffnen zu laſſen. Freilich war ich bei dem Acte ſelber nicht perſönlich zugegen, und die Zahl der mir daraus zur freien Unterſuchung geſtellten Manuſcripte war ſehr gering, wäh- rend der übrige Gehalt der Bibliothek angeblich aus meh- reren tauſend gedruckten Büchern beſtehen ſollte. Ich bin in der Vermuthung geblieben daß man nicht ganz auf- richtig geweſen; übrigens haben mir auch jene wenigen Handſchriften ſehr willkommene Reſultate geliefert". Ich * Ich gebe anderwärts nähere Auskunft darüber. Man ſehe die Wiener Jahrbücher, Jahrgang 1845. Band 2. ff. 86 brachte deshalb einen ganzen Tag im Hauſe des gelehrten Sekretärs des Procurators zu. Dieſer Sekretär war ſeit Kurzem Ehemann; er hatte eine ſehr jugendliche Frau. Ihre Haupttheilnahme an meinem Beſuche beſtand in nichts Beſſerem als daß ſie mir eine Pfeife nach der andern, die ſie ſelbſt anrauchte, ſowie den Kaffee präſentirte, und bei Tiſche mich und ihren Gemahl bediente, ohne die Tafelfreuden ſelbſt in unſerer Geſellſchaft zu theilen. Die deutſchen Frauen werden ſchwerlich die Frau des Sekretärs beneiden. Die Pyramiden. Am 16. April bin ich bei den Pyramiden geweſen. Um unvergeßliche Stunden bin ich reicher geworden. Tageweit ſchimmert dem entzückten Auge die Königin der Pyramiden; eine Stunde auf ihrem Gipfel verlebt, die ſchimmert getreu der Erinnerung nach in die fernſte Ferne. Noch vor Sonnenaufgang wars als ich mit meinem Ali über den Schutt Babylons an den Nil ritt. An ſei- nen beiden Ufern fanden wir den Markt ſchon im vollen Leben; bei Gizeh lagen zu unſeren Füßen große aufge- ſchichtete Haufen von Bohnen, Hirſe, Linſen. Wir ritten durch eine fröhliche Landſchaft, reich an Palmen und Aka- 87 zien. Viele Getraidefelder waren in der Ernte begriffen; andere ſtanden noch in weiten Strecken, hoch und prächtig. Leicht hatten wir den Kanal überſchritten; er war faſt waſſerleer. Bald hatten wir anſtatt des lachenden Grüns den Sand der Wüſte unter uns. So ritten wir in freu- diger Haſt dem winkenden Ziele näher und näher. Jetzt eilten uns von allen Seiten Geſtalten entgegen, verwandte, bekannte wie es ſchien, und doch hatten wir ſie niemals geſehen. Es waren die Beduinen der Umgegend, Leute von kräftigem Schlage, von der Sonne ſtark gebräunt, in den dunklen Augen ein ſchönes Feuer. Obſchon ich es meinem Dragoman eingeſchärft hatte mir nicht mehr als zwei dieſer zuvorkommenden Pyramidenführer aufzubürden, ſo waren doch alle die kamen ganz unabweislich und wandelten ohne Bedenken mit uns fort. Während unſeres vierſtündigen Weges gewannen die Pyramiden nichts an impoſantem Effekt; faſt ſchien es gar als ob ſie dem Kreiſe der Gewöhnlichkeit näher rückten. Als wir aber nach Ueberſteigung der Felſenbaſis, deren beträchtlichſter Theil im Sande verſteckt liegt, am Fuße der größten unter ihnen ſtanden: da hatte dieſes Gebirg, ge- ſchaffen von Menſchenhand, eine unvergleichliche Gewalt, Horaz durfte nicht hier ſtehen als er ſein nil admirari ſchrieb. Ich weiß nicht wie's kam, ein Gedanke riß mich in dieſem Augenblicke fort an den Rhein zum Straßburger 88 Münſter. Es mochte eine Verwandtſchaft der begeiſterten Stimmung ſein, die ich wie hier ſo einſt dort gehabt in der Anſchauung von Erwin's wundervollem Bau, zugleich Deutſchlands Obelisk und Deutſchlands Pyramide. Dort war es bei ſinkendem Abend als ich unerſättlich hinaufſtarrte zu der wolkenhohen Spitze. Sie erſchien mir wie das Gebet der deutſchen Nation, in herrliche ewige Form gegoſſen, klar und offen wie das deutſche Auge, kühn und entſchieden wie das deutſche Herz. Die Begei- ſterung die kurz zuvor ſo viel tapfere Schwerter, ſo viel theures Blut die Fluthen hinüber gen Jeruſalem getragen hatte zum Kampfe fürs verlorene Grab: die war plötzlich wie durchklungen worden von einem Engelwort; fürs irdiſche ſuchte ſie das himmliſche Jeruſalem; fürs leere Erdengrab den ewig Lebendigen droben. Dort, im An- ſchaun jenes Denkmals des begeiſtrungsvollen chriſt- lichen Glaubens, dort wars ein religiöſer Schauer der mich in der tiefſten Seele faßte und in dem Auge die Thräne weckte. Hier ſtand ich wie getroffen vom Blitzſtrahl des Ge- nius; hier ſtaunt' ich an dies uralte Geheimniß. Seit Jahrtauſenden haben es die Forſcher geſehen in dem blen- denden Lichte der Mittagsſonne; aber der tiefſinnige Sohn Egyptens hat es gehüllt in ſeiner Weisheit nächtlichen Schleier. Wie ein rieſiger Gedanke iſts, geboren in einer großen Zeit aus dem Haupte eines allmächtigen Herr- 89 ſchers; wie ein Triumphfeſt menſchlichen Willens, menſch- licher Kunſt über das Reich des Todes und der Vergäng- lichkeit. Hier fühlt' ich das Auge nicht feucht von Rüh- rung; in ſtumme Bewundrung war ich feſtgebannt; es war als ſäh’ ich vor mir den menſchlichen Geiſt mit him- melumſpannenden Flügeln des Cherubs. Andere Gedanken mochten meine Beduinen haben; ſie betrachten ihre Pyramiden als theure Großväter, die es nicht verlernen können den lockeren Enkeln eine Münze der Fröhlichkeit in die Taſche zu ſtecken. Das könnte man ihnen wohl nachſehen; denn ſie allein theilen mit den Pyramiden ihr weites ödes Vaterland; ſie hangen beide mit gleicher Treue am Sande der Wüſte. Aber was ſie zu einer ſehr unangenehmen Geſellſchaft macht, das iſt ihr Backſchiſchjubel – ich meine den Jubel nach Backſchiſch – der mitten im beſten Momente nur mit halbgeſchloſſenem Auge ſchlummert. So hängen ſie ſich, trotz ihrer Behen- digkeit, wie Bleigewichte an die Schwingen der geiſtigen Betrachtung. Wir hatten vor uns die zweihundert und ſechs terraſ- ſenförmig über einandergelegten Quadern von weißgrauem feinem Kalkſtein“, deren manche über drei Fuß Höhe haben. Wir ſtiegen ohne Säumen hinauf; vier Beduinen, zwei vor mir und zwei hinter mir, ließen ſichs nicht nehmen *v. Schubert nennt ihn Nummulitenkalk. _90_ mir behilflich zu ſein. Die Werkſtücke ſind allerdings zu groß um ſie, zumal in europäiſcher Kleidung, mit Leichtig- keit zu überſteigen. Zwei Mal raſteten wir unterwegs, obſchon ich keine außerordentliche Ermüdung ſpürte. Nach einigen zwanzig Minuten hatten wir die Plattform erreicht, nahe an fünfhundert Fuß über dem Felſengrunde der Py- ramide. Auf dieſer Plattform, einer Quadratfläche, findet eine Geſellſchaft von zwanzig Perſonen bequem Raum. Wahrſcheinlich hatte die Pyramide urſprünglich keine Platt- form ſondern lief in ihre Spitze aus; doch macht ſich da- gegen die Vermuthung geltend, es habe auf dieſer Pyra- mide, wie auf ähnlichen Monumenten Oberegyptens, an- fangs ein Koloß geſeſſen“. Auch war ihr ganzer Stu- fenbau früher von einem geglätteten marmorartigen Stein überkleidet. So hat die Cheopspyramide noch Herodot geſehen, und die zweite, die nach Cephren benannte, trägt noch heute an ihrer oberſten Spitze die Reſte eines ſolchen glänzenden Ueberzugs. Da ſtand ich denn auf dem Gipfel der größten Pyra- mide und durchmaß mit meinem Auge einen weiten Um- kreis von dieſer merkwürdigen, wundervollen Egyptus. Welch eine Ausſicht hatt' ich nach allen Seiten. Im Nord- oſten lag die Kalifenſtadt mit ihren alten Mamelucken- * Schon Wansleb (im Jahre 1673) behauptete, man ſähe auf der Plattform noch die Höhlen in denen der Koloß befeſtigt ge- weſen. 91 ſchlöſſern, mit ihren ſchlanken Minarets, mit ihren Pal- menkronen; mit ihrer Citadelle die eben ſo prächtig iſt als mächtig. Sie lehnt ſich an den Mokattam, der wie ein Greis mit ſeinem weißen Scheitel darüberſchaut. Nach Oſten wie nach Weſten ſtarrte mich an die grenzenloſe Wüſte mit ihrer Nacktheit, mit ihrem blendenden Sande; nur da und dort zogen ſich Strecken kargen Geſträuchs wie Wolkenſchatten hin. Nach Norden ruhte das Auge mit Erquickung aus auf dem glücklichen Nilthal, mit ſei- nem dunklen Grün, mit ſeiner Bäume Pracht, mit ſeinen goldreichen Feldern. In ſeiner Mitte hat es den heiligen Nil, den Alles ernährenden, den Spender des Lebens. Wie ein Lieblingskind Gottes ſchlägt es ſein dankbares Auge zum Himmel auf. Eingeſchloſſen ringsum vom ſtarren Wüſtenſaume, liegt es da wie ein fröhliches Ge- denkemein von einem fernen lieben Freunde. Im Süden endlich ruhen die Ruinen von Memphis; ſie ſchlummern Todten gleich; die Wüſte hat ſie eingeſargt. Daneben trauert das Mumienfeld, ein wahres Schlachtfeld des Todes. Aber noch ragen drüber empor, gleichwie ſtarke treue Brüder, gerüſtet gegen jeglichen Trotz, die Pyrami- den von Abuſir, von Sakkara, von Daſchur. Wie Kinder der Schmerzen mögen ſie ſelber geboren worden ſein, dieſe Pyramiden, geboren unter den Händen eines bedrückten Volkes; ſeine Thränen hangen dran und ſeine Seufzer. Aber ein adlerkühner Gedanke blitzte auf 92 in einer Menſchenbruſt; er wollte unter den Wechſeln der Schickſale ein ewiges Denkmal bauen. Da gewann das Geſtein der Wildniß die herrliche Form; da thürmte ſich aufs Gebirg, von Gott gebaut, ein zweites Gebirg. Wohl ſtammt es von der Menſchen Hand, und iſt doch dem menſchlichen Auge ein Wunder, Was haben ſie geſehen, dieſe Pyramiden, im Laufe der Jahrtauſende. In ihrem Umkreiſe ſchweben der großen Pharaonen Geiſter; ſollten ſie auch ihre Leiber nicht bergen in ihrem Innern. Sie haben Joſeph und ſeine Brüder geſehen; ſie ſind Zeugen geworden vom Auszuge insge- lobte Land und Zeugen vom Strafgerichte am verſtockten Pharao. Die tiefe Weisheit Egyptens haben ſie geſehen, ſeine Kunſt, ſein Glück, ſeine Macht; aber ſie ſahen auch ſeine Sonne untergehen. Herodot, der Vater der Geſchichte, ſaß zu ihren Füßen, Und Alexander der Welteroberer. Kaum leuchtete die Fackel des Chriſtenthums über dieſe Städte, über dieſe Wüſten: da fand es auch die auf- opferungsvolle Begeiſterung der Eremiten, da fand es auch die ſiegesfreudige Wiſſenſchaft der Alerandriniſchen Väter. Trotz dem wich bald das Kreuz des Erlöſers dem Halbmonde des Propheten. Ein neues Memphis ſtand auf; es prangte die Kalifenſtadt am Mokattam, dem Islam ein heiliges Centrum. 93 Bald darauf kämpfte die Barbarei mit der Cultur. Und endlich folgten aufs lange ſchöne Feſt die Schauer einer trüben Nacht. Aber wieder ein Lichtſtrahl ſchien eh das letzte Jahrhun- dert ſchied. Du haut de ces pyramides quarante siècles vous contemplent, ſo rief Bonaparte ſeinem Heere zu; da mußte es ſiegen. Folgte nicht der Unſtern von Abukir, ſo hatte vielleicht Egypten ſeine Wiedergeburt dem großen Sohne der franzöſiſchen Revolution zu danken. So hab' ich mich recht in der Betrachtung der Gegen- wart und der Vergangenheit ergangen, als ich auf dem Gipfel der Pyramide ſtand. Noch heute freu' ich mich daß ich den herrlichen Moment mit voller Seele genoſſen. Was hilft's auch, klingt die Glocke den Feſtlaut, wenn das Herz fehlt wo er wiederklingt. Als ich herabſtieg, hatt ich wieder die hilfreiche Hand- leiſtung meiner vier Beduinen. Ich fand das Hinabſteigen nicht nur beſchwerlicher als das Hinaufſteigen ſondern an manchen Stellen faſt gar gefährlich. Glücklich auf dem Grundfelſen angekommen, beſuchte ich das Innere der Pyramide. Bekanntlich führt dazu einer der unan- genehmſten und ſchwierigſten Wege. Ich glaub' es dem verehrten von Schubert “ vollkommen, daß er lieber das Aeußere der Pyramide drei Mal und eben ſo oft den tief- * Vergl. ſeiner Reiſe 2. Band S. 200. 94 ſten Bergſchacht im Vaterlande habe beſteigen mögen, als dieſen Weg noch einmal wiederholen. Die beiden ſchrägen, engen, niederen Gänge, von denen der eine hinabwärts der andere aufwärts führte, waren mir, obſchon ſie keine andere als eine ſehr gezwungene Haltung des Körpers zuließen, noch erträglicher als eine Strecke Wegs, wo ich auf ſchmalen Mauervorſprüngen zu beiden Seiten etwa die Hälfte des Fußes ſetzte und auf dieſe Weiſe emporſtieg". * Schon der Pater Sicard (zu Anfang des 18. Jahrh.) hat von den Wegen im Innern der Pyramide mit einiger Genauigkeit berichtet. Ich nehme die nachſtehenden Angaben deſſelben aus Paulus Samm- lung der merkwürdigſten Reiſen in den Orient 4. Th. S. 341. 342. „Man geht durch einen Kanal hinein, der abhängig iſt und 85 Fuß in der Länge und 3 Fuß 6 Zoll in der Breite hat. Bei dieſem Kanal findet man einen anderen der aufwärts geht. Er iſt 96 Schuh lang und 3 Schuh 4 Zoll hoch und breit. Am Ausgang dieſes zweiten Kanals iſt rechts ein eingetrockneter Brunnen. Er läuft bergab, und iſt am Ende mit Sand verſchüttet. Von dieſem Brunnen läuft ein ebener Gang, 113 Schuh lang und 3 Schuh im Quadrat breit, der mit einem Zimmer endigt welches 18 Fuß in der Länge, 16 in der Breite hat, und bis zum Anfange der nach Art eines Eſelsrücken gebrochenen Wölbung 21 Schuh hoch iſt. Gegenwärtig iſt in dieſem Zimmer weder Grab noch Leichnam. Beides iſt ſchon vor mehreren Jahrhunderten weggenom- men worden.“ „Man geht auf dem nämlichen Wege zurück bis auf die Höhe des zweiten Kanals; von da ſteigt man über ein 136 Fuß langes Glacis, auf jeder Seite iſt eine Bank, jede mit 28 Oeffnungen; das Glacis iſt 6 Schuh breit, und bis zum Grund der eſelsrückenförmigen Wölbung 24 Schuh hoch. Am hohen Ende des Glacis iſt ein ebner Platz, und dem Boden deſſelben gleich läuft ein mit Granit bekleideter Kanal, 21 95 Nach ſehr alten Nachrichten und zwar denen Makrizi's, Maſudi's, auch Abdallatifs, wurde dieſe Oeffnung in die Pyramide unter Mamun, Sohn des berühmten Harun al Raſchid, bewerkſtelligt, nachdem man denſelben von dem Plane abgewendet hatte, eine der Pyramiden aus Neu- gierde zu zerſtören. Doch iſt Silveſtre de Sacy aus gu- tem Grunde zu der Annahme geneigt geweſen, daß Ma- mun die Oeffnung ſchon vorfand und vielleicht nur weiter verfolgte. Uebrigens war das Reſultat wenig lohnend. Wir ge- langten wohl in eine weite Kammer, genannt die Kammer der Königin, die unſere vier Fackeln ſpärlich erleuchteten; auch ſahen wir darin einen leeren Sarkophag; aber wir blieben ohne jeden großartigen Eindruck. Nur das Be- wußtſein hatten wir, im Herzen des angeſtaunten Welt- wunders zu ſein. Die Beduinen wollten mich noch höher zu einer andern Kammer oder noch zu zwei anderen füh- ren; doch zog ich vor, den aufgeſtörten großen Fleder- mäuſen das Terrain zu räumen. Schuh lang, 3 Schuh 8 Zoll breit, und 3 Schuh 4 Zoll hoch. Von dieſem Kanal geht man in den zum Begräbniß beſtimmten Saal. Die- ſer iſt 32 Fuß lang, 16 breit und eben ſo hoch. Das Pflaſter, die Decke und Mauern ſind mit Granit bekleidet. Auf dem Boden, 4 Schuh 4 Zoll von der Mauer weg, ſteht der Sarg. Er iſt von Granit, aus einem Stück gehauen und ohne Deckel. Er iſt 7 Schuhlang, 3 Schuh breit, einen halben Schuh dick und 3 Schuh hoch. Wenn man darauf ſchlägt, klingt es wie eine Glocke.“ 96 Deſſen darf man aber wohl gewiß ſein, daß das In- nere dieſer ſo wie der anderen Pyramiden noch intereſſante Geheimniſſe verbirgt. Wenn man auch immer die Be- ſtätigung finden wird daß ſie ihrer Hauptbeſtimmung nach als königliche Gräber erbaut worden ſind, ſo wird ſich dabei doch noch manche Beſonderheit des Baues und auch die Rückſicht auf ſekundäre Zwecke ergeben. Den großen Kanalbauten in der Tiefe, die ſchon Herodot und Plinius angeben, wird man gewiß immer noch mehr Klar- heit abgewinnen. Die zwei anſehnlichſten Nachbarpyramiden, die des Cephren oder des Senſuphis und die des Mykerinos oder des Moſcheris, begnügt' ich mich beſcheiden von außen und von unten zu genießen, wenn gleich einer der Beduinen ſehr bereitwillig war vor unſeren Augen die zweite, gegen vierhundert Fuß hohe, die des Cephren, zu erklettern. An Material unterſcheiden ſich die beiden letzteren nicht weſentlich von der erſten; denn ein Irrthum war's daß man früher glaubte, die dritte Pyramide ſei aus dem prächtigen ſchwarzröthlichen Granit erbaut woraus nur ihre Ueberkleidung beſtand. Die Koſtbarkeit dieſer Ueber- kleidung war ſehr verführeriſch; doch fällt ihre gewaltſame Wegnahme erſt in die letzten Jahrhunderte; noch jetzt lie- gen Ueberbleibſel davon am Fuße der Pyramide, während bei der zweiten ein Reſt des ehemaligen farbigen Marmor- 97 überzugs noch heute wohl erhalten herab vom Gipfel ſchimmert. Uebrigens ſind bekanntlich mehrere der anderen Pyramiden Egyptens aus Back- und Ziegelſteinen erbaut, und unter den kleineren von Daſchur iſt auch eine aus Zie- geln derſelben Art errichtet wie ſie die Israeliten nach dem ausdrücklichen Berichte der Bücher Moſis gefertigt haben, Dieſe Ziegeln beſtehen nämlich aus Erde oder vielmehr aus Nilſchlamm, der mit kleingehacktem Stroh zu feſterem Halt vermiſcht und an der Sonne gehärtet iſt. Die zwei erſteren Pyramiden, in geringer Entfernung von einander und mit gleichen Seitenflächen dem Auge entgegentretend, ſcheinen von gleicher Größe zu ſein. Daher konnten auch die arabiſchen Dichter, „in der Trunkenheit ihrer Begeiſterung,“ wie Abdallatif ſehr richtig hinzuſetzt, beide „ein Zwillingspaar gewölbter Brüſte“ nennen, die ſich über dem Buſen Egyptens erheben. Bekanntlich iſt man auch in das Innere der zweiten Pyramide eingedrungen, und ſchon das erſte neuere Un- ternehmen der Art durch Belzoni 1816 war nicht ohne Ausbeute. Der große von ihm in einem Zimmer aufge- fundene Sarg enthielt Gebeine eines Apis. Er traf auch eine Inſchrift, welche einen früheren Beſuch daſelbſt durch einen Kalifen bezeugte. Die dritte trägt auf einer ihrer vier Seiten Spuren einer roh zerſtörenden Hand an ſich. Abdallatif war Augenzeuge davon wie im Jahre 1196 der Kalif Osman I. 7 98 Ben Juſſuf „auf thörichten Rath“ mit außerordentlichen Kräften die Zertrümmerung der Pyramide unternommen. Er erzählt daß von dem Krachen der herabſtürzenden Fel- ſenſtücke die Berge bebten und die Erde dröhnte. Dennoch mußte es nach acht Monaten ſchwerer Koſten und un- ſäglicher Arbeit beim mißlungenen ſchwachen Verſuche bleiben. Unter den kleineren thurmhohen Pyramiden waren mir die Trümmern derjenigen am intereſſanteſten, die des Cheops königliche Tochter vom Gelde ihrer Liebhaber er- baut haben ſoll. Ich dachte dabei: Was läßt ſich wohl heutzutage mit ſolchen Liebesopfern bauen. Dieſe gewiß vorſündfluthliche Galanterie ſetzt voraus vorſündfluthliche Liebesnetze, auch dergleichen Liebespfeile. Welche Phan- taſie mag ihre Bilder coloſſal genug davon ſchaffen. Im- mer iſt Herodots Nachricht ein ſchöner Beitrag zur ver- lorenen Rieſenchronik der Vorzeit. Ob Herodot Recht hat die Königin der Pyramiden dem Cheops zuzuſchreiben, oder Manetho der ſie dem Pharao Suphis zuſchreibt: darüber ſind die Forſcher noch nicht einig, obſchon man in einer neuerdings aufgefunde- nen inneren Kammer den Namen des Letzteren in Hiero- glyphen entziffert hat. Immer nimmt ſichs vortrefflich aus alle drei größeren Pyramiden, ſo wie es Herodot thut, als Familienſtücke zu betrachten, da Cephren des Cheops Bruder und Mykerinos des Cheops Sohn geweſen. 99 ". Dazu tritt dann noch die zerſtörte Liebhaberpyramide von der Tochter des Cheops. Eine gar intereſſante Nachricht danken wir Herodot über die Baukoſten der Cheopspyramide, die ſich auf dem platten Marmorüberzuge zu ſeiner Zeit noch aufgezeichnet vorfanden. Darnach haben hunderttauſend Menſchen wäh- rend eines Zeitraumes von dreißig Jahren die Pyramide zur Ausführung gebracht und dabei für ſechzehnhundert Talente (etwa anderthalb Millionen Thaler) Zwiebeln, Knoblauch und Rettig verzehrt. Bis auf welches Alterthum die Erbauung derſelben zurückgeht, ob aufs dritte Jahrtauſend vor Chriſtus, ob aufs vierte oder auf ein noch früheres: darüber werden wohl baldigſt Bunſen und Lepſius die giltigſten Auf- ſchlüſſe darbieten. Auch die Hieroglyphen auf den Pyramiden, von denen Abdallatif angibt, obſchon wahrſcheinlich nicht ohne orien- taliſche Hyperbel, daß allein die der beiden größten zehn- tauſend Blätter füllen würden, während ſie ſpäter ſo oft überſehen worden ſind, auch dieſe Hieroglyphen werden gewiß durch den letztgenannten neueſten Forſcher der ge- lehrten Welt vollkommen vermittelt werden. Wenn auch naiv doch natürlich genug war es, daß fromme Pilgrime ſehr frühzeitig in den Pyramiden die Getraidekammern Joſephs wiedererkannten. Gregor von Tours im ſechsten Jahrhundert erklärte ſogar aus dieſer 7. 100 Beſtimmung die Art des Baues. Er ſagt nämlich, ſie ſeien oben ſo eng gebaut damit nur durch eine kleine Oeffnung der Waizen hineingeworfen würde, während ſie unten Unermeß- liches in ſich faßten. Dazu kam der frommen Anſchauung noch die Wiſſenſchaft ſelber, wie es ſchien, zu Hilfe. Denn das griechiſche Wortpyros, welches Waizen oder Getraide bezeichnet, findet ſich in dem Namen der Pyramide wieder. Noch einer Ueberraſchung muß ich gedenken die ich nahe beim Eingange in die Cheopspyramide hatte. Dort prangt nämlich in Farbenſchmuck die Hieroglypheninſchrift wodurch Lepſius mit ſeiner Erpedition unlängſt den Ge- burtstag des Königs Friedrich Wilhelm IV. gefeiert hat, Das iſt ein ſinniger Ausdruck eines feſtlichen Gedankens. Das deutſche Vaterland darf eben ſo ſtolz ſein als ſich innig freuen, wenn die Erwartungen von den Reſultaten der preußiſchen Erpedition in Erfüllung gehen, wenn ſo- mit das überraſchendſte und klarſte Licht über die geheim- nißvolle Vorwelt am Nil aus der Liberalität eines deut- ſchen Fürſten, aus dem Scharfſinne beharrlicher deutſcher Forſcher gewonnen werden wird. Dann wird auch dieſe Inſchrift von den ſpäteſten Jahrhunderten noch mit dank- barem Auge geſehen werden. Nachdem ich die Pyramide in einer Viertelſtunde um- gangen hatte, ſtaunt ich den ungeheueren Sphinr an, den die Sandwüſte faſt gänzlich bis auf den Kopf in ihren gierigen Rachen gefaßt hat. Dieſe geniale Schöpfung 101 ſchließt würdig die Gruppe dieſer Bauwunder; nur darf man ihr nicht zu nahe treten, weil dann die Verſtümme- lungen, beſonders die fehlende Naſe, ſtören. Es läßt ſich jetzt nicht mehr gut mit Abdallatif davon ſagen: „Er ſcheint zu lächeln und Einem freundlich zuzuwinken.“ Doch begreift man trotz aller Verunſtaltungen noch heute die Bewunderung, die ſelbſt Denon, jener competenteſte der Kritiker, dem Sphinr gezollt hat, und zwar beſonders dem graziöſen, ſanften Geſammtausdrucke des Kopfes, ſowie der lebensvollen Weichheit und Lieblichkeit des Mundes. Ab- dallatif konnte gar wohl auf die Frage, was das Wun- derbarſte geweſen von allem, was er geſehen, immer die Antwort geben: Abu 'lhäul's Geſicht“. Und auch Denon ſagt, daß zur Zeit einer ſolchen Schöpfung die Kunſt auf einer hohen Stufe der Vollendung geſtanden haben müſſe, und daß man Unrecht gehabt habe immer nur den groß- artigen Umfang dieſes Monuments anzuſtaunen, da die vollendete Ausführung deſſelben noch anſtaunungswürdi- ger ſei. Der Kopf dieſes aus einem einzigen Felſen ausgehaue- nen Rieſen hat ungefähr zwanzig Fuß Länge. Nach Pli- nius liegt in ihm der König Amaſis begraben, während er nach dem in den hieroglyphiſchen Zeichen daran gele- ſenen Namen ſeinen Erbauer, den Pharao Thothmes IV., * So nennen die Araber dieſen Sphinx. Abu 'lhäul heißt der Staunenswerthe, eigentlich Vater des Staunens. 102 aus dem funfzehnten Jahrhundert vor Chriſtus, abbildlich darſtellen ſoll. Daß er in der That unterirdiſch mit den Pyramiden in Verbindung geſtanden und von den Prie- ſtern, die von dort aus in ſeinen Kopf gelangten, zu Ora- keln benutzt worden iſt, werden künftige Unterſuchungen noch klarer darthun. Wohl würde man den Verſuch der franzöſiſchen Erpe- dition, dieſen großen Todten aus ſeinem Sandgrabe zu erlöſen, längſt erneuert haben, müßte man nicht fürch- ten daß die Wüſte ihren Raub unerbittlich zurückfordern würde. - Ich hatte mir den Beſuch der ſüdlichen Pyramiden- gruppe ſowie der Ruinen von Memphis für eine beſondere Wanderung aufgehoben. Drum kehrte ich in gerader Rich- tung nach Cairo zurück. Mein Dragoman, der ſo oft bei den Pyramiden geweſen, führte mich auf dem Heim- wege in Unkunde des richtigen Weges durch ein hohes Waizenfeld; er entſchuldigte ſich damit daß faſt alljähr- lich durch die Nilüberſchwemmungen die Wege ſich ver- änderten. Aber den Abſchied von den Beduinen, meinen Pyra- midenführern, hab' ich vergeſſen. Ich bezahlte ihrer fünf. Kaum waren ſie von uns gegangen, ſo ſahen wir wie ſie ſich zum Spiele zuſammenſetzten. Mein Dragoman ſagte mir daß ſie die Gewohnheit hätten ſo zu ſpielen daß die ſämmtlichen Trinkgelder einem einzigen zufallen. 103 Bei guter Stunde des Nachmittags war ich wieder in meiner Caſa Pini. Am Tage darauf fühlte ich in den untern Ertremitäten eine außerordentliche Ermüdung. Ich glaube daß nichts dazu mehr gewirkt hatte als die zuvor- kommende Hilfeleiſtung meiner Beduinen, durch die ich mich zu ganz unnöthiger Beſchleunigung hatte verführen laſſen. Mein Dragoman, der langſamer und ohne Bei- hilfe hinterdrein gegangen war, hatte keine ähnlichen Fol- gen davon. Am Tage vor meiner Nilreiſe nach Terraneh hatt' ich ein kleines Abenteuer. Ich wollte Herrn v. L. beſuchen; ſeine kleine ausgewachſene verſchmitzte Schwägerin machte ſich den Scherz mich in Abweſenheit des Herrn v. L. zu ſeiner Frau zu führen, die in ihrem Zimmer von acht orien- taliſchen und zwar wohl lauter levantiniſchen Frauen umringt ſaß. Herr v. L. hatte mir früher erzählt, daß er ſelber nicht in das Zimmer ſeiner Frau treten dürfe wenn dieſe den Harem eines Paſcha oder eines anderen Großen bei ſich ſieht. Ich war daher nicht wenig überraſcht als ich in dieſen Kreis eintrat, und wurde es noch mehr als bei meinem Eintritte dieſe Frauen ſämmtlich vom Divan, worauf ſie mit untergeſchlagenen Beinen ſaßen, haſtig herunter traten um mich ſtehend zu begrüßen. 104 Ich erfuhr ſpäter daß dieſe Artigkeit eine allgemeine Re- gel iſt. Ich nenne es Artigkeit; ſie hängt aber mit der großen Ehrerbietung zuſammen, mit der nach Geſetz und Gewohnheit die Frau dem Manne im Oriente be- gegnet. Unter dieſen Frauen befanden ſich mehrere gar hübſche Geſichter. Durch die reiche Fülle ihrer Formen erinnerten ſie an die geprieſene Rebekka, deren bedeutungsvoller Name nach dem Geſchmacke der Orientalen noch heute einen vor- züglichen Liebreiz bezeichnet. Meine Nachbarin verſtand ein wenig Italiäniſch. Ich drückte ihr meine Verwunde- rung aus daß mich die Damen unverſchleiert empfingen. Sie entgegnete, vor uns Franken hätten ſie ſich nicht zu fürchten; uns hielten ſie für gute Kinder. Ich wußte nicht ob dies Compliment in der That ſchmeichelhaft war. Aber ſehen Sie, fuhr ſie fort, Eine hat ſich doch verſchleiert; ſie iſt aber auch die Häßlichſte. Und ſie hatte Recht. Mit welchem Lurus waren dieſe Damen geſchmückt. Brillanten trugen ſie alle; davon gefiel mir beſonders ein Halbmond der von einer ſchönen Stirne glänzte. Dieje- nige die ihn trug beeilte ſich ihn abzunehmen, damit ich ihn aufs Genauſte bewundern könnte. So tragen alſo die Muhamedanerinnen ihren Halb- mond wie die chriſtlichen Frauen ihr Kreuz, wie ehedem die Jüdinnen ihr goldnes Krönlein in der Form der Stadt Jeruſalem. Und ſo hat ſich überall der eitle Frauenſchmuck 105 zum Träger des bedeutungsvollſten religiöſen Symbols gemacht. - Keine Kleinigkeit waren die langen breitgeflochtenen Zöpfe dieſer Frauen. Tauſend und noch mehr Goldſtück- chen hingen an einem jeden. Wenn der Seis, galant wie es das Bedürfniß gebietet, um die Dame auf ſeinem Eſel den Arm legt, iſts kein Wunder daß er begehrlich auf die Kehrſeite ſeiner Reiterin ſchielt. Einer von denſelben Frauen die ich hier auf ihrem Abſchiedsbeſuche bei Frau v. L. ſah wurde in der That beim Ritte nach Hauſe der Zopf um einige Goldſtückchen geſchmälert. Dabei ſind dieſe Zöpfe nicht immer von falſchen oder künſtlichen Haa- ren. Es iſt bekannt daß die Orientalinnen die beſonderſte Pflege auf ihre langen ſchönen Haare verwenden. Ich berufe mich dafür zum Ueberfluſſe noch auf ein vollgiltiges Zeugniß, auf das der Lady Montague, die, wie ſie ver- ſichert, nirgends ſchönere Haarköpfe geſehen hat als im Morgenlande. Ich habe, ſagt ſie ausdrücklich, bei einer Dame hundert und zehn lange Locken gezählt, die alle natürlich waren. Die Lady ſetzt noch hinzu daß über- haupt alle Arten der Schönheit im Oriente allgemeiner ſeien. Darüber möchten die Urtheile verſchieden aus- fallen. Uebrigens ſieht man aus dieſem reichen Schmucke, in den ſich die Schönen und Unſchönen des Orients kleiden, daß das Elend worin ſie ſchmachten wenigſtens ein glän- 106 zendes iſt. Denn als ein Elend möchten doch wohl die Frauen des emancipationsluſtigen Deutſchlands das ſociale Verhältniß der hieſigen Frauen charakteriſiren – ich ſpreche jetzt beſonders von den Haremsfrauen – bei ihrer ge- fängnißartigen Abgeſchloſſenheit vom öffentlichen Leben, von der geiſtigen Cultur, ja ſelbſt vom Lichte der Sonne. Nichts aber mag eine reichere Quelle des Unglücks für dieſelben ſein als der Zwang, mit anderen Frauen den Beſitz des Gatten zu theilen. Daher bietet auch die Frau Alles auf um keine Nebenbuhlerin zu erhalten. Stammt ſie aus einer vornehmeren Familie als ihr Gatte, ſo bin- det ſie denſelben durch die Furcht vor der Rache ihrer An- gehörigen. Man darf übrigens nicht glauben, daß zwei oder mehrere Frauen eines Harems zuſammen zu wohnen pflegen; ſo weit geht nicht leicht jemals die Eintracht. Selbſt Leute der geringeren Claſſe ſuchen – wenn ſie, was nicht eben immer der Fall iſt, mehr als eine Frau haben – die Trennung der Gemächer zu ermöglichen. Bei dem Allen beſitzen die Frauen im Oriente vielleicht noch eine größere Gewalt über ihre Männer als die unſri- gen. Man weiß wie feſt der Orientale am Genuſſe hängt; wie er ſeine liebſten Stunden im häuslichen Heiligthume, dieſem unantaſtbaren Aſile, vertändelt und verträumt; wie er den Glanz ſeines Hauſes in keinem Stücke mehr ſucht als in der Herrlichkeit ſeines Harems und in dem Schmucke ſeiner Frauen. Auch haben die Frauen hier gewiſſe Rechte 107 an den Ehemann, die anderwärts wenigſtens nicht auf eine ähnliche offizielle Weiſe geltend gemacht werden. Jetzt gerade beſitzen die ehelichen Klägerinnen ihren Hauptan- walt an der Tochter Mehemed Alis, der Wittwe jenes berüchtigten Defterdars, den ganz kürzlich als Gouverneur vom Sennaar der eigne Schwiegervater vergiften ließ". Während der Muhamedaner bedenklich zweifelt, ob er auch der Frau eine vernünftige Seele ſo gut wie ſich ſelber zu- ſchreiben ſoll, ſcheint er indeſſen um ſo mehr die Rechte ihrer leiblichen Erſcheinung hochzuachten. Daher kömmts * Von dieſem merkwürdigen Manne, Mohammed Bey, gewöhnlich als Defterdar bezeichnet, hört' ich Vieles erzählen. Er hatte in Cairo zur gewöhnlichen Geſellſchaft in ſeinem Zimmer auf ſeinem Divan einen Löwen und eine Tigerin, beide ohne alle Feſſel. Er ſelber ſoll in ſeiner Geſichtsbildung eine auffällige Aehnlichkeit mit einem Tiger ge- habt haben. Auch ſeine Beſuche empfing er in dieſer unheimlichen Ge- ſellſchaft, wobei es natürlich zu mehr als einem Abenteuer kam. Seine herzloſe Grauſamkeit gegen eine ſeiner ſchwarzen Frauen, die er als ſie einen geringfügigen Auftrag vergeſſen hatte auf der Stelle mit dem Piſtol das er im Gürtel trug niederſchoß, zog ihm einſt einen gefährlichen Aufſtand ſeiner ſchwarzen Leibgarde zu. Sie wollten ſich ſeiner ſogleich bemächtigen; er entſprang aber in ein Seitengemach, von wo aus er hinein in den Garten um Hilfe ſchrie. Ibrahim Paſcha half ihm mit einem Bataillon Soldaten aus der Klemme. Nicht einer der Garden ergab ſich eher als bis er durchbohrt war. Ein Beiſpiel von ſeiner Rechtspflege muß ich erzählen. Eine Milch- frau verklagte einen Soldaten, der es leugnete ein Glas Milch von ihr getrunken zu haben. Der Defterdar fragte wann der Soldat die Milch getrunken habe, und als er hörte: vor wenig Minuten, ließ er ihm auf der Stelle den Leib aufſchneiden. Die Milch fand ſich; die Frau erhielt ihre Bezahlung. Das heißt, ein Exempel ſtatuiren. - 108 wohl auch daß er bei Entlaſſung ſeines Harems, wie ſie kürzlich Mehemed Ali vornahm, keineswegs verlangt daß ſie unverheirathet bleiben. Ein Gegenſatz zu unſern Sit- ten iſts daß es für ſehr ehrenvoll galt, eine Frau aus dem Harem Mehemed Ali's heimzuführen. Das war Ehren- ſache der Großen ſeines Hofes. Uebrigens würde jeder Orientale der Frau von Staël dieſelbe Antwort wie Napoleon gegeben haben, als ſie ihn fragte welche Frau ihm die erſte der Welt zu ſein dünke. Na- poleon nannte bekanntlich diejenige die am öfterſten Mutter würde. Wie es im Morgenlande vor vier Jahrtauſenden war, zur Zeit der häßlichen Lea und der ſchönen Rahel, ſo iſts noch heute. Die ſchöne Rahel ohne „Erbauung,“ iſt unglücklich und neidiſch über die Mutter Lea, trotz ihres „blöden Geſichtes.“ Dazu erfreuen ſich die orientaliſchen Mütter, und zwar am allermeiſten die der Beduinen und der Fellahs, eines beneidenswerthen Privilegiums daran daß ſie die an Eva ergangene fluchbeſchwerte Verheißung an ſich ohne Erfüllung zu laſſen pflegen. Sie wiſſen daher auch nichts vom europäiſchen Wochenbette. Daß eine Frau mit dem neugebornen Kindlein im Arme der Karavane ſich wieder anſchließt, von der ſie wenige Stunden vorher mit leerem Arme ſeitwärts trat: das iſt nichts Außerordentliches. Morier erzählt von einer Ar- beiterin im Weinberge, die das neugeborne Kind auf dem Rücken zur Beſcherung nach Hauſe trug. Uebri- 109 gens wäre dem jetzigen entvölkerten Egypten nichts wün- ſchenswerther als die Erneuerung jenes Talents wornach Ariſtoteles von einer Egyptierin erzählte, daß ſie vier Mal fünf Kinder geboren. Die koptiſchen Klöſter der libyſchen Wüſte. Am achtzehnten April des Nachmittags um Vier ritt ich mit meinem Ali nach Bulak; die öſterreichiſche Flagge wehte mir von einer großen Nilbarke entgegen, die bereits den Generalconſul und ſeine Familie ſammt Dienerſchaft aufgenommen hatte um ſie nach Alerandrien überzuſiedeln. Auch ich eilte auf die Barke um eine Strecke Wegs mit- zumachen; ich wollte nach Terraneh und von Terraneh aus zu den koptiſchen Klöſtern der libyſchen Wüſte. Unſere Fahrt war angenehm; zwei Mal ſtiegen wir ans Ufer: da gab's die Turteltaube, den Wiedehopf und anderes Geflügel in Menge; wir ſchoſſen ſchnell eine reiche Ausbeute für unſere Küche. Am Zwanzigſten früh ſchied ich von der lieben Familie, nachdem der Generalconſul mich und mein Vorhaben noch aufs Nachdrücklichſte dem Verwalter von Terraneh empfohlen hatte. Das herr- ſchaftliche Gebäude von Terraneh gehört dem Italiäner Cibara, der das Monopol des Natron vom Vizekönig an ſich gebracht hat. Es prangt am Saume dieſes unan- ſehnlichen Dorfes wie eine zauberhafte Schöpfung. Nach- dem ich mich in den duftenden Gärten die es umgeben 111 genug ergangen hatte, badete ich im Nil; fand aber daß man in ſeinem weichen Grunde leicht haften bleibt. Des Nachmittags um Fünf trat ich mit einer ſtarken Caravane den Ritt nach der Niederlaſſung bei den Na- tronſeen, nach Caſtello Cibara an. Das war meine erſte Wüſtenreiſe; das Enſemble war ſeltſam genug. Dreißig Kamele, einige zwanzig Büffel, eine ſtarke Bedeckung be- waffneter Araber, größtentheils auf Eſeln, dabei auch mehrere Frauen und Kinder: ſo zogen wir aus. Ich ſel- ber war bewaffnet mit doppelter Brille, deren eine mit ihren vier blauen Gläſern mein Auge gegen den gefähr- lichen Widerſtrahl der Sonne im Sande ſchützte, und hatte den Kopf geſchmückt mit großem Strohhute, von dem herab ein grüner Schleier wehte: ſo mag ich wohl auch ſelbſt eine ſeltſame Figur in der ſeltſamen Geſellſchaft ge- ſpielt haben. Ueber den Kanal trug mich ein ſtarker Ara- ber auf ſeinen Schultern; auf dem weiten Stoppelfelde daneben ſammelte ſich die Karavane. Die Sonne ſank als wir aufbrachen; ſehr bald darauf ritten wir über die unabſehliche in der Abendſonne bleichrothe Sandſtrecke der libyſchen Wüſte. Die Nacht war wunderſchön; die Sterne, ſo ſchien's mir, leuchteten hier mit noch hellerem Lichte als im euro- päiſchen Norden; die Temperatur war angenehm kühl. Meinmuthiger Eſel, der vor allen ſeinen Genoſſen durch ſeine ſtattlichere Haltung ſowie durch ſein prächtiges Zaum- 112 und Sattelwerk hervorglänzte, trug mich oft an den Kopf der Karavane; aber meine beſorgten Wächter ereilten mich mit bittendem Vorwurfe; ich blieb dann in der vollen Ge- ſellſchaft. Nur nahm ich mich vor der Begegnung mit der Büffelheerde in Acht, die wiederholt in einen feurigen Tact verfiel. Dagegen hielten ſich die Kamele wie ehr- bare Philiſter. Bald nach Mitternacht gönnte ſich die Karavane eine kurze Raſt, ſie kam mir ſehr erwünſcht; denn die Unge- wohnte Strapaze hatte mich unbeſchreiblich ſchläfrig ge- macht. Da lagerten wir uns bei einer Strecke grünenden Strauchwerks, woran unſere Thiere ſich laben ſollten, während ihre Wächter ſich um ein Feuer zu einer Taſſe Kaffee gruppirten. Zwei Stunden mocht' ich, gehüllt in meine wollene Decke, geſchlummert haben, als ich zum Aufbruche geweckt ward; nach einer Taſſe Kaffee beſtieg ich mein wackeres Thier wieder. Nachdem der Morgen gegraut, ſahen wir in der Ferne zu unſerer Linken mitten in der Wüſte ein hohes ſteiner- nes Mauerwerk und noch weiter ein zweites: es waren zwei von den koptiſchen Klöſtern; bald blitzte uns auch einer der Natronſeen mit ſeinem dunklen Rothblau entge- gen, eine Schaar Flamingos ſtieg aus ſeinem Schilfe auf; zur Rechten zeigte ſich das Caſtello Cibara; hinter dem Allen aber zog das niedere libyſche Gebirg einen hochröth- lichen Saum. Früh um Neun waren wir am Ziele. Da 113 fand ich mitten in der Wüſte einen gaſtlichen Raum. Ein Italiäner, der als Pharmaceut die Bearbeitung des Na- tron leitet, bewohnt das Herrnhaus oder vielmehr das Caſtell, wovon man ſich freilich keinen hohen Begriff ma- chen darf; wir betrachteten uns, die zwei einzigen Euro- päer unter dieſen Söhnen der Wildniß, wie brüderliche Ver- wandte. Dies Caſtell geht auf eine alte Conſtruktion zurück, genannt Kaſſr, und iſt zum Theil aus Natron ge- baut. Durch Cibara hat das Caſtell ſelbſt weſentlich ge- wonnen, und die Bauten um daſſelbe danken ihm größten- theils ihre Entſtehung. Des Nachmittags machten wir einen Ausflug zu den Natronfeldern und Natronſeen. Welch eine wunderbare Erſcheinung. Mitten in dieſer nur ſelten von Gräſern und Sträuchern unterbrochenen Sandwüſte giebt es mehrere lange Strecken wo das Natron wie kryſtalliſirte Früchte aus der Erde wächſt. Man glaubt ein waldiges Feld voll Moos, Kräuter und Sträucher von einem ſtarken Reif überfallen zu ſehen. Denkt man ſich dieſen winterlichen Anblick unter der egyptiſchen Sonnengluth, ſo wird man begreifen wie ſeltſam er überraſcht. Dieſes Natron auf der Sandfläche wird durch das Austreten der Natronſeen erzeugt. Da das Waſſer bald mehr bald weniger Salz- theile zurückläßt, ſo ſind auch die genannten Bildungen bald mehr blendend weiß bald mehr mit der Sandfarbe vermiſcht. Die Natronſeen ſelbſt, ich glaube ſechs an der I. 8 114 Zahl, in einem weiten Thale zwiſchen zwei Reihen niede- rer Sandhügel gelegen, boten, namentlich die drei die wir beſuchten, durch ihr dunkles Blau und Roth einen ſchönen Contraſt mit dem bleichen Sande dar. Aus dieſen wenig tiefen Seen bricht man das Natron als eine ſtarke Kry- ſtallkruſte in großen viereckigen Tafeln ab, die von Farbe bald ſchmuzig weiß, bald fleiſchfarben, bald dunkelröthlich ſind. Die Fellahs ſtehen bei dieſer Arbeit ganz nackt im Waſſer, mit eiſernen Stangen verſehen. Da ſich das Ab- gebrochene ſchnell wieder erzeugt, ſo iſt dieſer Reichthum unerſchöpflich. Auch wird allerdings von hier aus faſt ganz Europa mit Natron verſorgt, was ſchon ſeit Jahr- hunderten geſchehen mag; wenigſtens erzählt ſchon Sicard zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, daß damals alljähr- lich ſechs und dreißig tauſend Centner Natron für den Großherrn gebrochen wurden, die demſelben ſechs und dreißig Beutel eintrugen. An dem einen See lag die durch mehrere hundert Fel- lahs in der letzten Woche gewonnene Ausbeute in großen Schichten vor; mein Begleiter hatte Urſache mit der Lei- ſtung des einen Dorfes unzufrieden zu ſein. Der Scheik des Dorfes ſtand vor uns. Er tadelte denſelben ſcharf, und um ſeinen Worten mehr Nachdruck zu geben, zog er ihm ſeine Peitſche aus Elephantenhaut ein paar Mal über den nackten Rücken. Der Scheik ſprang ſo ſchnell wie eine Gazelle in den See, und nahm die weiteren In- 115 ſtruktionen par distance auf. Aber mit einem ſo barba- riſchen Lehrſyſteme glaubte es gegen dieſe Fellahs ſelbſt dieſer Italiäner, der ſonſt von milden Sitten war, halten zu müſſen. Von den Seen werden die Natrontafeln, nach einer bereits an den Ufern ſelbſt vorgenommenen Reinigung, nach dem Caſtell gebracht, wo es durch verſchiedene Vor- richtungen zu blendend weißem Pulver wird. In dieſer Geſtalt geht es in großen Transporten nach Terraneh ab. Merkwürdig iſt was mir mein Begleiter (Varſi iſt ſein Name) von dem guten Waſſer dieſer Wüſtengegend erzählte. Er hat an mehreren Stellen nur wenig in die Tiefe graben laſſen und faſt überall Trinkwaſſer gefunden, doch ſo daß es da und dort eine mineraliſche Eigenthüm- lichkeit und zwar nach verſchiedenen Graden hatte. Da- mals eben wollte er eine Sendung von ſechſerlei Waſſer an Mehemed Ali machen; ich koſtete eins davon, das ein herrliches Trinkwaſſer war. Dieſe Erſcheinung mag wohl mit dem Umſtande zuſammenhängen daß der Nil früher einen Abfluß durch die libyſche Wüſte genommen hatte. Oder wenn dieſer Nilabfluß durch die Wüſte, worauf doch wohl auch der arabiſchen Geographen ſogenannter Bahr bela ma (Fluß ohne Waſſer) in dieſem Striche der Wüſte zu- rückweiſt, nicht außer allem Zweifel ſtehen ſollte, ſo würde er durch die genannte Erſcheinung eine Beſtätigung ge- winnen. 8 k 116 In der kleinen Naturalienſammlung des Herrn Varſi fiel mir beſonders ein ſchöner Queber auf, wovon nach Paris erſt durch Leon de Laborde Eremplare gebracht worden ſind, während einige Jahre früher Ehrenberg und Rüppell Eremplare davon nach Berlin und nach Frank- furt vermittelt hatten. Derjenige den ich hier ſah traf ziemlich genau mit der farbigen Darſtellung in Leon de Laborde's Reiſewerk zuſammen. Wahrſcheinlich ſtammt aber keins der Eremplare in Berlin, in Frankfurt, in Paris, aus der Makariuswüſte oder überhaupt aus der libyſchen Wüſte. Laborde giebt an, er ſei in der Halb- inſel des Sinai häufig. Arabiſche Schriftſteller ſetzten ihn zwiſchen Katze und Wieſel; aber das Schwänzchen, das ihm Bochart in ſeinem Hierozoikon nach denſelben arabi- ſchen Autoren geben wollte, das trägt er nur auf dem Papier*. Am zweiundzwanzigſten April in aller Frühe unter- nahm ich von Caſtello aus meine Wanderung zu den * So beſchreibt ihn Laborde: Cesanimaux, vifs dans leurs mou- vements, cherchaient à mordre lorsqu'on les saisissait; leur poil est brun-jaunâtre, pálit et alonge chez les vieux; leur forme parla vivacité des yeux, la tête près des épaules, la croupe rentrée et privée de queue, se rapproche du cochon d'Inde. Leurs jambes sont d'égale hauteur, mais la disposition de leurs pieds est particulière; aulieu d'ongles ou de griffes ils ont trois doigts devant et quatre derrière, et marchent comme les lapins sur la longueur de la jambe. Siehe Voyage de l'Arabie pétrée etc. Paris 1830. Seite 47. 117 nachbarlichen koptiſchen Klöſtern. Außer meinem Drago- man und dem Sekretär des Caſtells, einem gebornen Kopten, Namens Malem Saad, hatt' ich noch acht be- waffnete Natronswächter mit mir. Eine ſo ſtarke militäri- ſche Bedeckung hielt man der umherſtreifenden Beduinen halber für nöthig; doch ſahen wir deren nirgends, und von Vierfüßlern begegneten uns nur mehrere graziöſe Gazellen und ein Wildſchwein mit ſeinen Jungen. Dagegen erzählt Sicard, daß er alle Morgen im Sande auch Spuren von Bären, Hyänen und Wölfen geſehen. Zu Anfang un- ſerer Wanderung ſahen wir mehrmals Flamingos, Enten und andere Waſſervögel aus den Seen aufſteigen; ſie waren aber ſchwer zu ſchießen. Der genannten koptiſchen Klöſter ſind vier, in einer Entfernung von wenig Stunden von einander. Kloſter- ruinen und mehr noch Kloſterſchutt ſah ich in der ganzen Umgegend in Menge. Man erzählte mir daß gegen drei- hundert koptiſcher Klöſter vor Zeiten in dieſer Wüſte ge- ſtanden haben, was Wahrſcheinlichkeit durch die hiſtoriſche Thatſache gewinnt, daß Kaiſer Valens gegen das Ende des vierten Jahrhunderts fünftauſend Mönche aus dieſem Wüſtenſtriche zu Soldaten ausheben ließ. Dem Pater Sicard erzählte ſein Begleiter, der Superior des Maka- riuskloſters, daß man ehemals in dieſer Wüſte von Scete und auf dem Gebirge von Nitrien eben ſo viele Klöſter zählte als Tage im Jahre. Und Ueberreſte von funfzig 118 Klöſtern will Sicard auf einer einzigen Strecke ſelbſt un- terſchieden haben. Von Außen ſowie auch im Innern ſehen dieſe Klöſter einander ſehr ähnlich. Bald mehr in der Form des Qua- drats bald mehr in der des Parallelograms liegen ſie da, von ziemlich hohen und gegen hundert Schritte langen Mauern umſchloſſen. Aus der Mitte dieſer Mauern ſpitzen einige Palmen hervor; denn jedes Kloſter hat in ſeinem Umkreiſe einen kleinen Garten. Auch hat jedes Kloſter einen Thurm mit einem Glöcklein, der um ein weniges über die Mauer emporſteigt. Der Eingang, eine eiſenfeſte Pforte, iſt ſo niedrig daß auch die Eſel auf denen wir ritten nur ohne Sattel hineinkriechen konnten. Dazu liegt noch an jeder dieſer Pforten ein großer wie ein Mühl- ſtein zugerichteter Block Sandſtein, um damit im Falle feind- licher Angriffe den Eingang noch ſicherer zu verwahren. Innerhalb der Mauern ſieht man nichts als altes zum Theil verfallenes Gemäuer, worin die Wohnungen der Mönche ſind. Der oben genannte Thurm iſt immer durch eine in Ketten hängende Zugbrücke in eine gewiſſe Iſolirung vom Körper des Kloſters gebracht, um ſelbſt noch gegen die ins Kloſter eingedrungenen Feinde ein Aſil zu bieten. Uebrigens be- herrſcht der Thurm gerade den Eingang zum Kloſter. Im Thurme ſelber iſt, außer einer Kapelle, einem Brunnen, einer Mühle, einem Backofen und einer Vorrathskammer – 119 alles was ein längerer Abſchluß im Thurme gegen den“ Feind erheiſcht – auch die Kammer der Bibliothek. Die Kirchen oder Kapellen, deren jedes drei und noch mehr hat, ſind wohl anſehnlicher als die Zellen, doch bleibt auch ihnen der Charakter einer ärmlichen Einfachheit. Hie und da blickt aus dem Mauerwerk bei Zellen- und Kapelleneingängen, ein Stück Marmorſäule, ein Stück Fries oder dergleichen hervor. So hat man aus Trüm- mern vergangener Pracht und Größe die dürftige Gegen- wart erbaut. Zum erſten Kloſter das wir beſuchten machten wir etwa acht Stunden Wegs. Wir wurden ſehr freundlich empfangen, da mein Kopte recht wohl von den Brüdern gekannt war. Salam oder Salamalek wechſelten wir ge- gen einander aus, indem wir dabei die Hand auf Bruſt und Stirne führten. Dies Kloſter trägt vorzugsweiſe den Namen des heiligen Makarius. Ich ſage vorzugsweiſe, weil dieſer ganze Wüſtenſtrich die Makariuswüſte und alle vier Klöſter die des Abu Makar genannt werden. Der Brüder trafen wir funfzehn; während einſt Sicard nur zwei Mönche und zwei weltliche Diakonen vorfand. Ihre Geſichter waren alle bleich, mehrere krankhaft gelblich. An den Augen litten die meiſten; der Vorſteher war gänzlich blind. Die Zellen ſind finſtere, faſt wie in Stein gehauene Kammern und Kämmerchen zur ebenen Erde, ohne Fen- ſter; nur durch die Thüre fällt das Licht hinein. 120 Eine dieſer Zellen war mein Gaſtzimmer. Nachdem es finſter geworden, hatt' ich in einem Winkel ein Lämp- chen brennen. Ich ſaß zu ebner Erde; zu meiner Rechten ſaß mein koptiſcher Sekretär mit weißem Turban, in ſei- nem ſeidenen Gürtel ein Paar Piſtolen und ſein Schreib- zeug, Krieg und Frieden; zu meiner Linken ſaß mein klein- äugiger Dragoman gehüllt in ſein langes weißes Hemd, be- deckt mit dem rothen Tarbuſch. An beide ſchloſſen ſich an zum Kranze ſechs koptiſche Kloſterbrüder in ihren dunklen Gewändern nebſt dunklem Turban, langen Bärten, lei- denden Zügen. Unſere Pfeifen gingen von Hand zu Hand. Die Kloſterkoſt iſt mehr als mager. Fleiſch ißt man an ſehr wenigen Tagen des Jahres; den größten Theil des Jahres genießt man nichts als Brod, getaucht in eine Brühe von ſehr üblem Geſchmack, Linſen, Zwiebeln und Leinöl. Außerdem trinkt man Kaffee und raucht die Pfeife. Ich hatte ſehr wohlgethan mich mit einigen Hühnern, mit Reiß und einiger Beikoſt auf dieſem Ausfluge zu verſehen. Schon vor Sonnenaufgang erklang das Glöcklein das zur Meſſe läutete. Sie dauerte über drei Stunden. Die Vorleſungen aus den bibliſchen Lectionen waren theils koptiſch theils arabiſch. Was geſungen wurde, kam mir ſehr mißtönend vor. Das Kyrie eleiſon und das Halle- lujah wiederholten ſich öfters. Die Andacht fand ich äußerſt mangelhaft. Man ſprach dem Vortragenden mitten im 121 Acte ins Ohr und empfing auch ſeine Entgegnung. Der eine fing ein falſches Stück an, der andere verbeſſerte ihn: in Heiterkeit nahm man das Rechte vor. Der mich begleitende Kopte hingegen war voll Ernſt und Ehrerbietung. Er fiel vor allen Heiligenbildern, nachdem er geleſen oder erkannt wer es war, nicht blos aufs Knie ſondern ſo zur Erde daß er mit der Stirne den Boden berührte. Beim Eintritt in die Kirche übte er die- ſelbe Ceremonie. Während des Gottesdienſtes ſelbſt blieb er in der angemeſſenſten Haltung; auch las er ſelbſt Et- Waß Vor. Sehr eigenthümlich war mir die Euchariſtie. Statt des Weines bediente man ſich eines dicken Traubenſaftes, den ich anfangs für Oel gehalten. Der fungirende Prie- ſter nahm denſelben erſt mit dem Löffel aus einem gläſer- nen Kelche, genoß ihn theils ſelbſt theils gab er davon dem ihm gegenüberſtehenden Diakonus; dann ſtrich er mit den bloßen Fingern das Gebliebene heraus und leckte es ab, goß demohngeachtet noch Waſſer in den Kelch und aus dem Kelche in den gläſernen Kelchunterſatz; drauf trank er's mit dem Diakonus aus. Endlich berührte er mit ſeinen vom letzten Reſte gefeuchteten Händen alle übrigen Brüder an Stirn und Wangen. An dieſer letzten Ceremonie nahm ich ſelbſt Theil. Ich ſtand nämlich bei der ganzen Feier mit den Mön- chen außerhalb des Heiligthums, Heikal genannt, innen 122 am Gitter des Hauptkirchenraums, geſtützt wie alle zu meinen Seiten auf einen hölzernen Stab mit einem gleich ſtarken, ungekrümmten Handgriffe. Man nennt dieſen Stab den Makariusſtab; ich ſah auch immer den heiligen Makarius mit dieſem Stabe bildlich dargeſtellt. Was mich an der ganzen Meßfeier, wo das Räuchern, namentlich das vor den einzelnen Heiligenbildern, das Handküſſen beim fungirenden Prieſter, das Handauflegen und das Circuliren mit dem Madonnenbilde vorherrſchend iſt, hätte erbauen können, das iſt ſchwer zu ſagen. Manche Hergänge ſahen altegyptiſch aus; einen düſtern Anſtrich hatte das Ganze, wozu die Räumlichkeit ſelber das Ihrige that. Nur Eine Anſchauung hatte etwas Ergreifendes für mich. Jener erblindete Kloſterälteſte mit ſeinem nar- benvollen aber würdigen Geſicht, ſeinem langen weißen Barte, das Haupt bedeckt mit blauſchwarzem Turban, ge- hüllt in eine Kutte von derſelben Farbe, barfuß ſowie alle andern: dieſer Greis wandelte, indem er ſeine Metall- ſchellen von einem melancholiſch grellen Tone zuſammen- ſchlug und ein jauchzendes Hallelujah ſang, drei Mal um den Altar herum. Er ſah aus wie ein Todter, geſtiegen aus der Gruft, der noch träumte von den dunklen Bildern die er geſehen im heiligen Jenſeits. In der Anlage der Kirche fielen mir zwei Beſonder- heiten auf. Die eine iſt der Ofen hinter der Sakriſtei, beſtimmt zu den geſäuerten und bei jeder Meſſe friſchen 123 Abendmahlsbroden. Dieſe Brode ſind rund wie ein klei- ner Kuchen, gerade ſo groß wie eine hohle Hand, nicht allzu weiß, oben mit vielen Kreuzen bedruckt. Eins davon wird auf dem Altare ſelbſt genoſſen, die andern werden nach der Meſſe unter die Brüder vertheilt; auch ich erhielt das meinige. Die andere Beſonderheit iſt ein viereckiges ſteinernes Baſſin im Vordergrund der Kirche, das zu einer eigenthümlichen heiligen Badeceremonie be- ſtimmt iſt. Unter den bildlichen Darſtellungen in allen vier Klö- ſtern waren die hauptſächlichſten die vom heil. Makarius und vom heil. Georg. In dem dritten, demjenigen das den Namen der Syrer oder der Jungfrau der Syrer trägt, iſt der heilige Ephräm in hohen Ehren. Auch wurde mir ein Tamarindenbaum gezeigt der aus dem Stabe Ephräms, als er denſelben beim Eingang in die Kapelle außen ins Erdreich hineingeſteckt hatte, wunderbar erwachſen ſein ſoll“. Im zweiten war der heilige Ambeſchun als Patron dargeſtellt. Im vierten war außer dem heiligen Georg auch der heilige Theodor zu Pferd mit dem erlegten Dra- chen unter ſich. Des Kloſters Name iſt el Baramus“. * Vergleiche unten Seite 131. - ** Ruſſegger erwähnt bei ſeiner Reiſe zu den Natronſeen nur zwei dieſer Klöſter, und nennt das eine Labiat, das andere U-Serian; während Andreoſſy in ſeinen Mém. sur l'Egypte das eine el Bara- mus, das andere Amba-Bichay nennt. Andreoſſy's Angabe folgt auch Ritter in ſeiner Erdkunde. Dieſes Amba-Bichay fällt offenbar mit 124 Doch ich muß auch davon reden was mein Hauptziel bei dieſen Kloſterwanderungen war, von den Bibliotheken. Wo die Bibliothek in jedem der Klöſter befindlich iſt, hab' ich bereits angegeben, nämlich in einer Thurmkammer zu der man durch die Kettenbrücke gelangt. Wohl kein Raum im Kloſter iſt vor dem Beſuche der Kloſterbrüder ſicherer als dieſer. Hier erblickt man, ich rede beſonders vom erſten Kloſter, die Manuſcripte unter und über einander: auf dem Boden ſowie in großen Körben liegen unter Staub- maſſen unzählige Fragmente von alten zerriſſenen und verſtörten Manuſcripten. Nirgends ſah ich etwas Griechi- ſches: alles iſt koptiſch und arabiſch; im dritten Kloſter ſah ich auch einiges Syriſche; auch ein paar Blätter Ae- thiopiſches fand ich. Bei weitem die meiſten dieſer Ma- nuſcripte enthalten Liturgiſches, viele Bibliſches. Aus dem vierten der Klöſter haben Engländer ganz neuerdings eine überaus wichtige Erwerbung von mehreren hundert Manu- ſcripten fürs brittiſche Muſeum gemacht, und zwar mit ſehr Ambeſchun zuſammen, ſowie auch das weiter unten, Seite 131, ange- geführte Amba Biſchoi. Sicard dagegen gibt genaue Nachricht von denſelben vier Klöſtern die ich beſuchte. Das zweite Kloſter nennt er Amba Biſchoi (da er franzöſiſch ſchrieb, ſchrieb er Bichoi; ſowie An- dreoſſy Bichay) oder das des heil. Abiſay. Vom vierten, Elbara- mus, gibt er an daß es nach den beiden Schülern des Abts Moſe des Aethiopiers, Marimus und Timotheus, ſeinen Namen erhalten habe. Elbaramus oder Piromaus ſei nämlich ein verdorbenes Wort für el Romaus, was Griechen bedeute. Siehe Paulus Sammlung Theil V. Seite 15 ff. 125 beſcheidenem Aufwande. So Bedeutendes enthalten aller- dings die noch übrigen Klöſter nicht; doch der Mühe Loh- nendes gewiß noch vieles. Die Mönche ſelbſt verſtehen davon äußerſt wenig. Des Koptiſchen iſt wohl kein ein- ziger unter ihnen mächtig; ſie leſen nur mechaniſch was in ihren Kirchenlektionen ſteht. Das Arabiſche älterer Manuſcripte leſen nur wenige. Ueberhaupt iſt es ſchwer zu ſagen, was dieſe Mönche noch außer ihrem kirchlichen Gebrauche wiſſen. Deſſenungeachtet iſt es bei ihrem Miß- trauen ſehr ſchwer, dieſelben, trotz der ſie umgebenden Aermlichkeit, zur Veräußerung der Manuſcripte zu bewe- gen. Wohl mag dabei das Verbot ihres Patriarchen imponiren. Einen ſehr glücklichen Fund that ich meines Theils an einer Menge im Staub vergrabener und ſchon halbzerſtörter koptiſcher Pergamentblätter, wohl größten- theils aus dem ſiebenten und ſechſten Jahrhunderte. Dieſe gönnte man mir ohne Widerſpruch; nur büßte ich für den in drückender Hitze aufgewühlten Staub mit mehrtägigen Halsbeſchwerden. Im zweiten Kloſter ſind nur noch vier Brüder. Der Kloſterälteſte war ein Greis von hundert und zwanzig Jahren. Erblindet iſt er ſeit längerer Zeit; in ſeiner engen dunklen Kammer hält er ſich an einen Querbalken, und ſingt oder betet laut Tag und Nacht; nur eine Stunde ſchläft er. Dieſer Lebensabend hat einen ſchönen Zug. So tief hängt alſo dieſem Greiſe, der vier Menſchenalter 126 geſehen, ins enge Thal der Erde herein der Himmel mit ſeinen heiligen Ampeln daß ſein von der Welt ſchon ge- ſchiedenes Auge nur noch Gott ſieht, daß ſeine Lippe nur noch betet. Ich beſuchte ihn ſogleich in ſeiner Kammer als mich das ununterbrochene laute Gebet aufmerkſam ge- macht hatte. Als ich Abſchied vom Kloſter nahm, kam er an ſeinem Stabe heraus; er ſprach mit vollem Verſtande, wie's mir ſchien. Die Segensworte von dieſen greiſen Lippen haben mich herzlich ergriffen. Im dritten Kloſter, genannt das der Syrer oder der Jungfrau der Syrer, ſind über vierzig Brüder. Das iſt von allen das ſchmuckeſte und reichſte. Deshalb dankte man auch am wenigſten für das nach meinem Bedünken doch gute Geſchenk, das ich nach der Sitte beim Abſchiede zurückließ. Meine ſtarke Bedeckung, zu der hier noch drei andere Ritter zu Eſel geſtoßen waren, die mich von der Kloſtermauer herab mit Freudenſchüſſen empfingen, hatte allzu hohe Erwartungen erregt. Dazu iſt man an die Beſuche und an das Gold der Engländer gewöhnt. Eine Madonna in der Grottenkapelle dieſes Kloſters gilt für das Produkt des Evangeliſten Lucas. Sie iſt, ſowie ich deren mehrere in Egypten ſah, von dunkelbraunem Teint. Mit demſelben Rechte wird man ſie wohl im Lande der Mohren zu einer Mohrin machen. Wenn, wie es aller- dings den Schein hat, nach dieſem Bilde dem Kloſter ſeine beſondere Benennung nach der Jungfrau gegeben worden 127 iſt, ſo muß es allerdings von einem alten Künſtler ſtam- men. Keinem meiner Araber wurde erlaubt den Fuß in dieſe Grotte zu ſetzen. Conſultirt wurd' ich in dieſem Kloſter für alle mög- lichen Leibesnöthe, deren manche ſchon mehrere Jahre alt waren. Es that mir leid daß ich nicht wenigſtens meine kleine Apotheke bei mir hatte. So gab ich nur homöopa- thiſche Rathſchläge und adreſſirte fürs Weitere an meinen Freund im Caſtello. Im vierten Kloſter, el Baramus genannt, traf ich zwanzig Mönche. Hier waren die Zellen am ſchwärzeſten und am engſten. Der Aelteſte hatte einen ſonderlichen Gebrauch. So oft nämlich unſere Unterhaltung – er ſaß neben mir in der Zelle – eine kleine Pauſe machte, ſo ſervirte er als Einſchiebegericht ſchnell wieder jene erſte Begrüßungsformel: Salam, Salam, mit dem Handcere- moniel. Wornach ich überall umſonſt fragte, das waren ſchrift- liche Nachrichten über die Geſchichte des Kloſters. Davon kannte man kein Blatt. So lebt man ſorglos in den Tag hinein. Was iſt auch für eine ſolche Eriſtenz Vergangen- heit und Zukunft. Freilich will jedes dieſer Klöſter, fragt man wie alt es iſt, ſeinen Urſprung anderthalbtauſend Jahre zurückreichen laſſen. Das möchte wohl mehr von denjenigen gelten auf deren Trümmern ſie erbaut ſind; die ge- genwärtigen Conſtruktionen ſind meines Erachtens jünger. 128 Von Augenkranken ward ich in allen Klöſtern um Rath und Hilfe angeſprochen; mehrere gingen ſicher der Erblindung entgegen. Gibt es irgend eine Lebensweiſe die geradezu zur Erblindung führt, ſo iſt es gewiß die dieſer Mönche. Ihre Klöſter liegen mitten im blendenden Sande unter der augenfeindlichen egyptiſchen Sonne. Ihre Zellen ſind dunkle Kammern, des Abends nur von einem Kerzchen oder Lämpchen erleuchtet. Die Koſt des Leinöls, die ſie täglich haben, ſoll an ſich ſchon Augenübel erzeugen. Tabakrauchen ſie faſt ſämmtlich und in reich- lichem Maße. In den düſteren Kapellen endlich, mit ſtets brennenden Lampen und Lichtern und dem unaufhörlich dampfenden Räucherwerk, bringen ſie den größten Theil des Tages und der Nacht zu. So iſt der ganze Zuſtand dieſer koptiſchen Kloſterbrü- der eine gewiß widernatürliche und unbibliſche Pönitenz. Da ſchleicht der Geiſt des Chriſtenthums umher wie ein düſterer Dämon; mit Gift verſetzt er den Freudetrank des Lebens. Der Weg den er zum Jenſeits zeigt iſt ein ſon- nenloſer Schacht; da ſtirbt ſichs mit Leib und Seele jede Stunde näher und näher der letzten Sterbeſtunde. Und doch ſpannt ſich der Himmel über unſern Häuptern aus mit ſeinem heiteren Blau. Wie manche Freudenthräne vergoſſen fromme Augen die ſich erhoben zu ihm, verſenkt in ein heiliges Anſchaun. Fragſt du wo der Weg iſt der dahin führt? Haſt du keine andere Stimme die zu dir 129 ſprechen mag, ſo frage die Lerche wie ſie ſchwirrt durch die Lüfte, jubelnd ihren Gottespreis. In der Nacht vom Fünfundzwanzigſten auf den Sechs- undzwanzigſten ritt ich unter trefflicher Bedeckung von Ca- ſtello zurück nach Terraneh. Der liebreichen Aufnahme in der Wüſte bewahr' ich ein dankinniges Gedächtniß. Am Sechsundzwanzigſten des Nachmittags fuhr eine von etwa dreißig Frauen und Kindern beſetzte Barke nach Cairo vor Terraneh vorbei. Ich beſtieg mit meinem Dragoman die noch frei gebliebene Cajüte. Dieſe Geſellſchaft war ergötzlich genug. Am Siebenundzwanzigſten ſchon eilten wir wieder durch die Thore von Cairo. Ich ſehe ſeitdem jedem mir begeg- nenden Kopten doppelt ſcharf ins Auge. Wenige von den hieſigen ſehen ſo krank und ſo ärmlich aus wie die Kloſter- brüder der libyſchen Wüſte, wohl aber eben ſo verſteckt und mißtrauiſch. Es mögen deren in der Hauptſtadt gegen zehn- tauſend und in ganz Egypten vielleicht hundertfunfzigtau- ſend leben. Man iſt geneigt ſie für die eigentlichen Ab- kömmlinge der alten Egyptier zu halten. Ihr chriſtlicher Lehrbegriff hat ſeine größte Beſonderheit darin daß ſie Anhänger der Lehre des Eutyches und Dioskurus ſind, die man gewöhnlich mit dem Namen der Jacobiten oder Monophyſiten belegt. So lautet ihr Glaubensbekenntniß das ſie vor der Communion ablegen, wie es nämlich aus Egypten der Jeſuit du Bernat an den Jeſuiten Fluriau berichtet hat: y I. 9 130 „Ich glaube, ich glaube, ich glaube, und bekenne bis auf meinen letzten Augenblick, daß dies der lebendige Leib iſt welchen dein einziger Sohn, du, unſer Herr und unſer Gott, unſer Erlöſer Jeſus Chriſtus, von unſerer lieben Frau, der reinen und unbefleckten Mutter Gottes empfan- gen hat. Er hat ihn mit ſeiner Göttlichkeit ohne Vermi- ſchung und ohne Veränderung vereinigt. Er bekannte großmüthig vor Pontius Pilatus, und gab ihn freiwillig für uns an den heiligen Baum des Kreuzes. Ich glaube daß die Gottheit ſich keinen Augenblick von der Menſch- heit getrennt hat. Er gibt ſich zum Heil der Welt, zur Vergebung der Sünden und zum ewigen Leben für den der ihn empfängt. Ich glaube dies wahrhaftig. Amen.“* Sie ſtehen unter ihrem eigenen in Cairo reſidirenden Patriarchen. Was ich in kirchlich-ſocialer Beziehung bei ihnen hervorheben hörte, iſt die überaus große Leichtigkeit mit der ſie das Eheband löſen. Ihre Uebung der Be- ſchneidung iſt wohl mehr eine Eigenthümlichkeit in ihrer Auffaſſung des hiſtoriſchen Eintritts des Heilands in die Welt als eine gezwungene Accommodation an die muha- medaniſchen Herren ihrer Heimath. Doch kann ihnen dieſe Sitte wohl auch von ihren alten Vorfahren über- kommen ſein“. * S. Paulus Sammlung 4. Theil S. 276. 277. **Siehe unten Seite 150. 131 Anhangsweiſe theil' ich noch mit, daß Johann Mi- chael Wandsleb aus Erfurt auf ſeiner Reiſe nach Egypten im Jahre 1663 auch einen Ausflug zu den kop- tiſchen Klöſtern der libyſchen Wüſte unternahm, obſchon es ihm nicht gelang, durch die ihn umlagernden Gefahren zum Ziele zu dringen. Paulus theilt in ſeiner „Samm- lung der merkwürdigſten Reiſen in den Orient“ Wands- leb's Reiſebeſchreibung mit". Darin berichtet der Reiſende von dieſen Klöſtern unter Anderem Folgendes: „Aus einem alten arabiſchen Manuſcript ſah ich, daß ehemals ſieben berühmte Klöſter in der Wüſte eriſtirt hät- ten: 1. Das Kloſter zum heiligen Macarius. 2. Das zum heiligen Johann dem Kleinen. 3. Amba Biſchoi. 4. Zum heiligen Marimus und Timotheus. 5. Amba Moyſe mit dem Beinamen der Schwarze. 6. Amba Kema und 7. das zur heiligen Jungfrau der Syrer. Außer dieſen ſieben Klöſtern ſollen ſich noch dreihundert Häuſer für Eremiten da gefunden haben. Von allen dieſen Klö- ſtern aber kann man nur noch zwei als beträchtlich anfüh- ren; nämlich das Kloſter der Syrer und das zum Amba Biſchoi.“ „In dem Kloſter der Syrer ſieht man einen Baum der aus dem Stabe des heiligen Ephraim wunderbarlich gewachſen iſt. Dieſer Heilige hatte ihn, als er einen Geiſt- * Siehe Theil III. Seite 255.256. 9 »k 132 lichen daſelbſt beſuchte, vor der Thüre ſtehen laſſen; im Augenblick ſchlug er Wurzel, und Blätter und Blüthen ſproßten hervor. Man ſagt daß man in ganz Egypten dieſe Baumart nicht finde.“ - „Zwiſchen den Klöſtern zum heil. Macarius und Amba Biſchoi, und von da noch weiter vorwärts in die Wüſte hinein iſt eine lange Reihe kleiner Erdhügel, die immer um einen Schritt von einander entfernt liegen und einen Weg bezeichnen. Dieſe, ſagen die Geiſtlichen, hätten die Engel gemacht, damit die Eremiten des Sonntags wenn ſie die Meſſe hören wollten, den Weg zur Kirche finden könnten, da ſie wahrſcheinlich ſich oft verirrt hätten. Des- wegen nenne man dieſen Weg noch bis auf dieſen Tag den Engelsweg.“* - * Auch Sicard erzählt a. a. O. von dieſem „Engelswege.“ -- Memphis und Heliopolis. Memphis und Heliopolis: zwei Namen die wie Schat- ten rieſiger Gebirge aus der Vergangenheit zu uns her- überſchauen. Viel mehr als ihre Namen iſt uns nicht geblieben von beiden Sitzen der egyptiſchen Pracht und Kunſt, der egyptiſchen Gottesfurcht und Weisheit. Wenige ihres Gleichen mag der Erdkreis getragen haben; jetzt ſind ſie zu einem Trauerliede von der Hinfälligkeit alles Irdi- ſchen geworden. War es nicht die wahre Königin unter den Städten der Erde, unter den vergangenen und unter den zukünfti- gen, dieſes Memphis, das die Pyramiden ſeine Kinder nannte? Schon um Jahrtauſende haben die Mutter über- lebt die Kinder, die wie unbeſiegbare Helden aus den Schlachten aller Zeiten hervorgegangen ſind. Sie hüten getreu das Grab deren die ſie geboren und gepflegt; ſie erzählen, wenn auch in dunklen Zungen, den wandelnden Geſchlechtern von ihren Werken, von ihren Schickſalen. Kehrte Abraham zurück aus der Gruft, der würde mit den Pyramiden von den Wundern zeugen können die einſt hier ſein leibliches Auge geſehen. 134 Auf dem großen Sandfeldeformloſer Ruinen, wo ehedem Memphis drei und drei Viertel geographiſche Meilen" mit ſeinem Umfange einnahm, ſtehen jetzt neben einem Aka- zienwäldchen ein paar dürftige Hütten, die den Namen Mitrahenny tragen. Sie bilden mit der Erinnerung an die von demſelben Boden geſchwundene Größe und Herr- lichkeit einen bitteren Contraſt, deſſen Eindrucke man ſich umſonſt zu entziehen ſucht. Um den Contraſt noch leben- diger zu machen, liegt nahe bei dem Dörflein, gleichwie ein geſtrandeter Wallfiſch, einer von jenen Koloſſen die den winzigen Menſchen zum fabelhaften Rieſen umſchaf- fen. Er iſt vierzig Fuß lang. Man zählt ihn mit großer Wahrſcheinlichkeit zu den ſechs Koloſſen in denen einſt Pharao Rameſes II. ſich, ſeine Gemahlin und ſeine vier Söhne vor dem Tempel des Phtha darſtellen ließ. Dem- nach mocht' ich hier auf dem Schutthaufen jenes berühm- ten Tempelbauwerks ſtehen, das dem Phtha, dem ewigen im Urfeuer wohnenden weltſchöpferiſchen Geiſte, Egyp- tens myſtiſcher Glaube errichtet hatte. Hier auch war's alſo wo der ſchwarze Stier, mit ſeinem weißen Stempel auf der Stirn, unter den prachtvollen Säulenhallen, den Propyläen, ſeinen Umgang hielt, vor den Augen der ſchweigend harrenden Menge. Freilich reicht ſelbſt die Zerſtörung von Memphis ins * Nach Diodor von Sizilien. 135 hohe Alterthum hinauf, und ſchon Strabo erzählt, wie er hier unter den Prachtwerken der Baukunſt den Tempel des Serapis nebſt ſeinen Sphinren zerſtört und unter dem Sande begraben gefunden; aber noch im dreizehnten Jahr- hundert war Abd-allatif von großen Eindrücken überwäl- tigt, als er unter ihren Ruinen, eine halbe Tagereiſe weit, umherwandelte. „Die beredteſte Zunge,“ ſchreibt er, „möchte umſonſt dieſe anſtaunungswürdigen Ruinen zu ſchildern verſuchen. Je mehr man ſie betrachtet, um ſo höher ſteigt die Bewunderung. Jeder Blick verſetzt in neues Entzücken.“ Abd-allatif ſah noch jenes ſogenannte grüne Haus, neun Ellen hoch, acht Ellen lang, ſieben Ellen breit, ein einziger Granitſtein, bedeckt mit myſteriöſen Schriftzügen und mit den ebenſo myſteriöſen Bildern von der Sonne und den Geſtirnen, von Menſchen und Thieren. Und dies „wunderbare“ Haus war das in der Vereinſamung erhaltene Herz eines mächtigen Tempels, vielleicht eben jenes Tempels der dem Phtha geweiht geweſen. Abd-allatif fand ferner die Idole noch in großer Menge vorhanden. Er beſchreibt eins derſelben, gearbeitet aus einem einzigen Stein, überzogen mit rothem Firniß, über dreißig Ellen hoch. Auch zwei gegen einander aufgerichtete koloſſale Löwen hielten ſein Auge gefeſſelt. Was er, der Arzt, am meiſten an allen dieſen rieſen- haften Schöpfungen bewunderte, das war die Richtigkeit 136 aller Leibesproportionen, beurtheilt nach den kleinen Mu- ſtern die die lebendige Natur an die Hand gibt. Hat man ſich nun auch ſeit der Zeit Abd-allatifs an den Ruinen von Memphis namentlich deshalb vielfach vergriffen weil man ſie als Material zu neuen Bauten in Cairo verwendete, wozu der an Memphitiſchen Monu- menten vorzugsweiſe benutzte herrliche Granit von Syene ganz beſonders einlud: ſo bleibt es mir doch wahrſchein- lich, daß der tiefe Wüſtenſand auf dem ehemaligen Stadt- gebiete gar Manches in ſich verſchlungen hält, das noch heute, tritt's nur wieder durch hilfreiche Menſchenhand ans Licht der Sonne, die europäiſchen Forſcher mit Stau- nen und Bewunderung erfüllen wird. Als ich weiter im Akazienwalde nach Sakkara fortging, konnte ich der Begierde nicht widerſtehen mehrere der hohen Schutthaufen zu beſteigen und das Auge durch den ganzen Bezirk der nahen Pyramiden ſchweifen zu laſſen. Neun- zehn größere, mit Einrechnung der drei von Gizeh, waren es die ſich vor meinen Blicken gruppirten. Da drängte ſich mir noch heute der Gedanke auf, daß hier vor Zeiten ein Geſchlecht gewaltet haben möchte zu dem das gegen- wärtige hinaufſchaut wie zum Vater, zum helmumflat- terten Hektor, Aſtyanar, das ſpielende Kind. Verwun- derlich findet man's auf dem Schauplatze ihrer Erinne- rungen keineswegs, daß die Egyptier ihre Vorzeit mit Rieſen bevölkert glauben. 137 Das große Mumienfeld von Sakkara läßt keine Ver- gleichung zu. Da liegen in weiter Zerſtreuung umher Schädel, Hände, Füße und andere Gebeine von den Mumien, die Jahrtauſende hindurch ungeſtört in ihren unterirdiſchen Kammern geruht hatten. Fragt man ſich, woher dieſe Zerſtörung der einſt ſo ſorgſam gepflegten Leichname ſtammt, ſo glaubt man allerdings eher an leichengierige Schakals denken zu müſſen als an erwerbluſtige Beduinen und gar an europäiſche Alterthumsforſcher. Immer ſtimmt es eigenthümlich zum Nachdenken, be- trachtet man die gewiſſenhafte, die ſinnreiche Acht, mit der die alten Egyptier diejenigen behandelten die aus dem lebendigen Kreiſe der Ihrigen, entgegen dem Tage der einſtigen Auferſtehung, geſchieden waren. Wie ſchön ſind dieſe Felſenkammern bemalt, in deren Niſchen die Mumien ruhten; wie regelmäßig ſind ſie an einander gebaut; wie vollkommen waren ihre Bewohner geordnet Und dieſe Mumien ſelber, die leere Bruſt ausgefüllt mit den Symbo- len ihrer Gottheiten, ausgeſtattet mit inhaltsvollen Schrift- rollen, belegt mit koſtbarem Schmucke, durch ihr unver- wesliches Gewand beſtimmt zu einer unabſehlichen Dauer: die gaben nothwendig dem Tode den Charakter eines leich- ten aber bedeutungsvollen Schlummers. Da war das Licht des Tages nicht erloſchen, es war nur verdunkelt; die Bande der Herzen wurden nicht gelöſt, ſie wurden nur gelockert; die Wohnſtätten über der Erde und die Wohn- 138 ſtätten darunter waren durch keine ſchauerliche Scheide- wand getrennt wie ſie, trotz unſeres chriſtlichen Bewußt- ſeins, unſere Begriffe von Grab und Leiche gezogen haben. Darum nahmen dieſe Egyptier auch bei ihren Feſtgelagen Mumien unter die Genoſſen der Feier auf. Dieſe ſchöne Vertrautheit mit den Todten mußte über die lachende Freude ein Gewand des Ernſtes werfen; ſie mußte aber auch die Nachtſeite des Lebens wie mit den Purpurſtreifen des Morgenhimmels verklären. Von der Region der menſchlichen Mumien kamen wir zu einer anderen von großer Ausdehnung, wo ſich Mu- mien von heilig gehaltenen Thieren, beſonders VON PeT- ſchiedenen Ibisgattungen und andern Vögeln vorfinden, und zwar gleichfalls in tiefen, künſtlich angelegten Kam- mern oder vielmehr in breiten, langen Gängen, die in den Felſen gehauen ſind. Man gelangt hinunter wie in einen Schacht oder Brunnen. Die Zahl der hier in ihren irdenen Krügen mit irdenen Deckeln verwahrten und in den unterirdiſchen Gemächern in langen Reihen auf- geſchichteten Thiermumien mag, trotz der ſchon ſeit langer Zeit geübten Plünderungen, immer noch außerordentlich groß ſein. Mit Memphis hab' ich Heliopolis zuſammengeſtellt. Sein egyptiſcher Name On klingt uns aus den Erinne- rungen an Joſeph, jenen Liebling Gottes, entgegen. 139 Pharao gab dem Joſeph, ſo erzählt Moſes", ein Weib, Asnath, die Tochter des Prieſters zu On, Potiphera. Zu Joſephs Zeit mochte die Sonnenſtadt in ihrer vollſten Pracht blühen. Sie war Hauptſitz der egyptiſchen Prie- ſter und ihrer Weisheit. Neben ihren Opferdienſten be- trieben dieſe Prieſter beſonders Philoſophie und Aſtro- nomie. Noch zur Zeit des großen Klagepropheten von Israel erſcheint Heliopolis als der Mittelpunkt des egyptiſchen Göttercultus; denn in ſeiner Prophezeiung ruft er aus: „Er ſoll (Nebukadnezar) die Bildſäulen zu Beth Schemes (das iſt eben Sonnenhaus, Sonnenſtadt) zertrümmern und die Götzentempel in Egypten verbrennen.“ Das düſtere Prophetenwort hat ſich bald erfüllt; was Nebukad- nezar geſchont hatte, das hat Cambyſes unter die Füße ſeiner Zerſtörungswuth getreten. Mit ſeinem maßloſen Eifer gegen die religiöſen Denkmale ſchien er mehr die Götter Egyptens als ſeine menſchlichen Bewohner zu be- kriegen. Dennoch kam auch noch Plato nach Heliopolis, um die gebliebenen Ruinen zu ſehen, zu befragen, zu bewun- dern. Einige Jahrhunderte ſpäter ward noch Strabo das Haus gezeigt wo der „Göttliche“ gewohnt hatte. * 1 Moſes 41, 45. * Jeremias 43, 13. 140 Unter jenen Bildſäulen des Jeremias ſind namentlich die Obelisken zu verſtehen. Dieſe Obelisken mögen in großer Zahl zu Heliopolis geſtanden haben. Strabo fand deren noch viele vor un erzählt, daß zwei derſelben und zwar von denen des Sonnentempels, die Seſoſtris hatte errichten laſſen, unter dem Kaiſer Auguſtus nach Rom gebracht worden ſeien. Aber ſogar Abd-allatif im drei- zehnten Jahrhundert ſpricht noch von der Großartigkeit der Ruinen die er hier geſehen. Er ſagt dabei unter An- derem, daß da nicht leicht ein Stein geſehen würde der nicht mit verſchiedenen jener ſinnreichen Zeichen und Fi- guren belegt wäre. Gewiß ruht daher auch hier noch mancher intereſſante Reſt der Ruinen unterm Schutte ver- graben. Aber noch heute ſteht wenigſtens Ein Zeuge von den vergangenen großen Tagen der Sonnenſtadt; wie durch eine Wunderhand iſt er allen den Stürmen dreier Jahr- tauſende entronnen. Ein hoher Obelisk von rothem Granit hält noch heute zum Himmel gerichtet ſein ungebeugtes Haupt. Alle ſeine vier Seiten ſind bedeckt mit Hiero- glyphen. Herrlich iſt es daß ſich dieſer Obelisk in den Berech- nungen Wilkinſons als der Zeitgenoſſe Joſephs und ſogar als Denkmal deſſelben Pharao ausweiſt der den gottbe- ſeelten Träumerjüngling zum Pfleger des Landes ſetzte. Alle ſeine brüderlichen Genoſſen ſind geſtorben, ſind ge- 141 ſchieden, mit den Göttern ſelber deren eitlem Dienſte ſie geweiht waren: er allein ward ausgezeichnet unter ihnen wie einſt Joſeph unter ſeinen Brüdern in ſeines Vaters Haus. Der Lenker der Schickſale hat ihm den Stempel der Weihe aufgedrückt; der Gott Abrahams, Iſaaks und Jacobs hat über ihn gehalten ſeinen ſtarken Arm. Wie ein Kündiger des Heils das kommen ſoll aus Israel ſteht er da, der ehrwürdige Greis; aber unverſtanden klingt ſein Seher- wort zu den Kindern ſeiner Heimath. Sehr nahe von dem Obelisken liegt das Dorf Ma- taryeh, ähnlich jenem Mitrahenny beim umgeſtürzten Koloß auf den Ruinen von Memphis. Es bot mir noch zwei Merkwürdigkeiten dar: eine uralte Sykomore und den ſogenannten Sonnenquell. Dem harmloſen Glauben geben beide Antwort auf die Weiſſa- gung des Obelisken; denn ſie künden ihm von dem Heile das gekommen iſt aus Israel. Unter der Sykomore ſoll nämlich das Kindlein Jeſus mit ſeinen Eltern auf der Flucht nach Egypten geruht haben; oder vielmehr, wie die Sage genauer berichtet, der Baum ſoll, ich weiß nicht ob mit ſeinen herabgeſenkten dichten Zweigen oder mit ſeinem geöffneten Stamme, die heilige Familie vor den Augen der vorübereilenden Verfolger verborgen haben. Dieſe Sykomore ſteht in einem freundlichen Orangengarten; ſie wird fort und fort ſehr hoch verehrt, und iſt mit vielen Kleiderlappen behangen, die eben ſo wohl von muhame- 142 daniſchen als von chriſtlichen Pilgern ſtammen. Könnte man ſich nur dieſe Lappen zu Lichtern umdenken, ſo ſtände ſie da wie ein wahrer ſchöner Chriſtbaum. Uebrigens macht dieſe Sykomore in der That den Ein- druck eines hohen Alters; ihr Stamm iſt von außeror- dentlichem Umfange. Ich zweifle daher daß der große däniſche Reiſende des vorigen Jahrhunderts Recht hatte, indem er dieſelbe kaum zweihundert Jahre wollte hinauf- reichen laſſen. Zur Sykomore gehört noch Ajin Schemeſch oder der Sonnenquell. Fromme Pilgrime nennen ihn lieber den Quell der Jungfrau. Er ſoll nämlich, nach der Sage, durch ein Wunder plötzlich hervorgeſprudelt ſein als das Kind Jeſus von heißem Durſte gepeinigt ward“. Der Trappiſt Geramb findet es, gegenüber dem Philoſophen der darüber etwa lachen wollte, ſehr natürlich, daß Gott für ſeinen Sohn, für Joſeph, für Maria daſſelbe gethan hat was er früher durch Moſes am Horeb für ein mur- rendes und undankbares Volk gethan hatte. Dieſer Quell hat der ganzen Ortſchaft ehedem ſeinen Namen mitgetheilt; Abd-allatif bezeichnet ganz Heliopolis durch Ajin Schemeſch. Wohl mag er mit ſeinem Waſſer, das von einer ganz ausnehmenden Güte iſt und ſogar für * Die apokryphiſche Literatur der Evangelien handelt eben ſowohl von dieſer wunderbaren Quelle als auch von dem verehrungswürdigen Sykomorusbaume. 143 heilkräftig gehalten wird, zum alten Sonnentempel in ge- wiſſer Beziehung geſtanden haben. Von Neuem iſt in der jüngſten Zeit Heliopolis be- rühmt geworden durch die Schlacht, die zu Anfang dieſes Jahrhunderts Kleber mit dem franzöſiſchen Heere gegen eine außerordentliche Uebermacht des Großveziers lieferte und gewann. Es iſt dieſelbe Schlacht in deren Folge den tapferen Elſaſſer der meuchelmörderiſche Dolch des fanati- ſchen Suleyman traf, der ſeine That mit unglaublicher Kaltblütigkeit, nach abgebrannter Hand, geſpießt auf dem Pfahle büßte. Erpedition nach Altcairo. Das Hauptziel dieſer Erpedition war eine angeblich in räthſelhaftes Dunkel gehüllte Inſchrift in einem kopti- ſchen Kloſter. Wilkinſon, ſo wurde mir erzählt, hatte nicht einmal die Sprache in der ſie verfaßt mit Gewißheit er- mittelt. Fragmente einer Kopie, freilich von der Hand einer Frau, und zwar einer Engländerin, wurden mir vorgezeigt; ſie verriethen einen griechiſchen Typus. Ich war zu Eſel, Lieder zu Pferd, Bonomi zu Ka- mel: ſo traten wir, unter Begleitung einiger Araber, am neunten Mai des Nachmittags unſere Wanderung nach Altcairo an. Als wir dort angekommen, ließen wir un- ſere Thiere an der Mauer halten und gingen zu Fuß durch mehrere enge Gaſſen zum koptiſchen Kloſter. Die Inſchrift befand ſich in einem Winkel des Kloſters, in einem engen faſt viereckigen Gemach. Wir errichteten ein eben ſo künſtliches als gefährliches Geſtell, um zur In- ſchrift hinaufzuſteigen. Es ward mir nicht eben ſchwer ſie zu entziffern. Sie war in griechiſchen erhabenen Cha- rakteren auf hartem Holze verfaßt, lief durch mehrere Zei- len, und ſprach einen frommen Lobſpruch aus. Wahr- 145 ſcheinlich knüpfte ſie ſich an eine beſtimmte feierliche That- ſache an, etwa an die Einweihung des Kloſters, da ſie am Ende die Namen des Abbas, des Diakonos, und des Oikonomos mit einem Datum nach der Diokletianiſchen Zeitrechnung enthielt. Uebrigens hatte ſich Wilkinſon, wie ich ſpäter in ſeinen Mittheilungen darüber las, kei- neswegs bis zur Verwechſelung der Sprache verirrt. Nachdem wir von der Inſchrift ſowie von den bild- lichen Darſtellungen die ſie umgaben beſtmöglichſt Kopie genommen hatten, beſuchten wir ein anderes koptiſches Kloſter, das im Beſitze einer Grotte iſt, welche, wie man glaubt, Joſeph und Maria mit dem Kindlein auf ihrer Flucht nach Egypten beherbergt hat. Dies alte Kloſter, benannt nach dem heil. Sergius, iſt von einer ſehr feſten Bauart; in ſeinem Innern iſt es vollkommen koptiſch durch ſeine Einfachheit und Dürftigkeit; ſeinen einzigen Reich- thum, ſeinen einzigen Schmuck bilden ſeine Erinnerungen. Aus dem Kirchlein ſtiegen wir, zur Rechten des Altars, eine Treppe hinab und gelangten ſo zur Grotte, in der wir wegen der feuchten Wände nur eine flüchtige Umſchau hielten. Sie iſt durch mehrere niedere Säulen geſtützt und enthält ein Taufbecken und einen Altar. Aus der größeren Grotte traten wir noch in eine kleine beſondere Felsvertiefung, der ein Gemälde auf Holz zur Abtrennung vom größeren Raume dient, worauf die Flucht ins Land des Nils mit den Pyramiden dargeſtellt iſt. Der fromme I. 10 146 Glaube weiß ſogar, daß gerade hier die heilige Familie geſeſſen hat. Auf einer Treppe die zur Linken des Altars führte ſtiegen wir ins Kirchlein wieder zurück. Dieſe bei- den Treppen ſind nicht ohne eigenthümliche Beſtimmung. Auf der einen nämlich ſteigen die Kopten, auf der andern die Griechen in die Grotte hinab; denn auch die Letzteren üben kirchliche Ceremonien in dieſem geheiligten Raume. Daß man gerade in Egypten, dem Heimathslande der Einſiedler, chriſtliche Erinnerungen gern an Grotten angeknüpft hat, iſt leicht begreiflich. Ueberzählt man aber die ſämmtlichen Grotten, die aus der heiligen Geſchichte mit weihevoller Bedeutung hervorgegangen ſind, ſo ſtellt ſich ein wahrer chriſtlicher Grottencultus heraus. In der Nähe dieſes Kloſters beſuchten wir die große Moſchee Amrus. Sie beſteht aus einem faſt amphithea- traliſchen, oben völlig offenen Raume, umgeben von mehr- fachen überwölbten Säulenreihen. Man ſagte mir daß dieſer Säulen, nach der Zahl der Tage des Jahres, drei- hundert fünf und ſechzig ſind. Doch wären ihrer auch hundert weniger, wie ich anderwärts angegeben fand, ſo macht man ſich doch leicht eine Vorſtellung von dem groß- artigen Eindrucke dieſer Gallerien. Inmitten des Hofraums, beim marmornen Waſchbaſ- ſin, befindet ſich ein ſtattlich überbautes Häuschen, das man nicht unpaſſend mit der berühmten Mühle zu Pots- dam zuſammengeſtellt hat. Eine arme Jüdin hat es 147 nämlich jenem Amru, deſſen Arm mit Eroberungen ſo vertraut war wie ein Kind mit ſeinen Spielen, durchaus nicht abtreten wollen. Dies Judenhäuschen, ſo gut wie die Potsdamer Mühle, verdient ihr Plätzchen in der Welt- geſchichte. Uebrigens verläugnet der Orientale nicht leicht einen gewiſſen poetiſchen oder abenteuerlichen Zug. Von dem- ſelben Amru, der bekanntlich Egypten eroberte, iſt Altcairo und zwar unter dem Namen Foſtat angelegt worden; wozu eine auf der Stange ſeines Zeltes niſtende Taube Veranlaſſung gab. Er ließ die Zeltſtange nicht umreißen, ſondern baute an der Stelle ſein Foſtat (Zelt) auf. Die große Amru-Moſchee iſt im Laufe der Jahrhun- derte vielfach verfallen. Da aber der Glaube herrſcht daß der Verfall dieſer Moſchee ominös für die Herrſchaft des Propheten iſt, eine Glaubensſorgniß der man ſich, wie's mir ſchien, gerade jetzt gerne hingibt, ſo hat Mehemed Ali die Wiederherſtellung derſelben unternommen. Doch wird auch ſchon in ihrem gegenwärtigen Zuſtande bei großen Feierlichkeiten von ihr Gebrauch gemacht. Noch bei zwei Merkwürdigkeiten dieſer Moſchee ver- weilten wir. An einer der Säulen nämlich hat Amru ein Wunder ſeines gewaltigen Armes verſucht; er hat ſie mit ſeinem Säbel mitten entzweiſpalten wollen. Dies iſt ihm zwar nicht gelungen, aber noch heute ſieht man wie tief ſeine Damascener Klinge eingedrungen. Dann aber gibt's 10* 148 nahe beim Eingange ein Säulenpaar, durch das jeder ehrliche Mann ſich ſoll durchwinden können. Wir ver- anlaßten einen unſerer Araber, der eben nicht an Mager- keit litt, ſeine Ehrlichkeit auf die Probe zu ſtellen. Wir ſahen bald daß es ihm nicht recht gelingen möchte, und riefen ihn unter fröhlichem Gelächter der Zuſchauer vom Unternehmen zurück. Nachdem mir noch die herrlichen Portalverzierungen in Arabesken bewundert hatten, die mir ſchon früher von Herrn Beaumont in der vortrefflichen Sammlung ſeiner Kunſtſtudien vorgezeigt worden waren, ritten wir nach Hauſe. Unterwegs, in einer Cairiner Straße, ſah ich einen bejahrten Mann mit ſehr ſtarkem Bart- und Haar- wuchs, der völlig nackt ging. Er wurde mir als ein be- rühmter Heiliger bezeichnet. Am Vormittag dieſer Ercurſion beſuchte ich in Herrn Lieder's freundlicher Begleitung die ausgezeichnete Samm- lung egyptiſcher Alterthümer des Herrn Abbott. Herr Abbott iſt ein eben ſo gelehrter als liebenswürdiger Eng- länder; hohe Verdienſte um die Wiſſenſchaft des egypti- ſchen Alterthums erwirbt er ſich namentlich durch ſeine Theilnahme an der egyptian literary association, deren Sekretär er iſt. Dieſe egyptiſche Geſellſchaft ſowie ihre 149 Rivalin, von gleichem Namen und gleicher Tendenz und ebenfalls in Cairo, beweiſen daß die in Egypten anſäſſi- gen Franken ihren Beruf fühlen, den Welttheil, in dem die Gelehrſamkeit wie in keinem anderen eine Art Ge- meingut iſt, im Angeſichte der von ihren Landsleuten traurig verlaſſenen Pyramiden würdig zu repräſentiren. Jene andere egyptiſche Geſellſchaft, die ich andeutete, bietet dem reiſenden Fremdling durch ihre aufs Zweckmäßigſte ausgewählte Bibliothek einen koſtbaren Schatz dar. Der Sekretär derſelben, Herr Walmaß, errichtet jetzt eben auch eine europäiſche Druckerei, der man den beſten Erfolg wünſchen darf und muß. Wollt ich alles ſchildern was ich Intereſſantes in der Antiquitätenſammlung des Herrn Abbott ſah, ſo hätte ich eine ſchwere Aufgabe. Für das größte ſeiner Kleinodien hält er ſelbſt einen goldenen erſt unlängſt aufgefundenen Ring, der ſich als der Siegelring des großen Seſoſtris ausweiſen ſoll. Er erzählte uns daß ihm zweitauſend Pfund dafür geboten worden ſeien. Auch einen ehernen Helm hielt er ſehr hoch; er ſoll in ein hohes Alterthum hinaufreichen und auf einen berühmten Namen zurück- gehen. Ebenſo wie im Pompejaniſchen Cabinete zu Neapel ſah ich hier mancherlei uraltes Backwerk und andere Köſt- lichkeiten aus den häuslichen Vorrathskammern; ſowie ein ganzes Wagenrad, verſchiedene Theile von einer alten 150 Art des Ackerpflugs, und ähnliche Geräthſchaften. Auch an Papyrusbündeln – dieſe Bezeichnung ſcheint mir hier richtiger als die der Papyrusrolle – ſowie an alten mit koptiſcher Schrift beſchriebenen Scherben fehlte es nicht. Eine beſondere Merkwürdigkeit zeigte uns Herr Abbott an einem feinen Goldblättchen in Pyramidenform, der- gleichen man auf weiblichen Mumien gefunden hat und nach ihrer eigenthümlichen Beſtimmung auch nur auf ſol- chen hat finden können. Schon Abd-allatif hat von ſol- chen Goldblättern Erwähnung gethan, ſowie von anderen ähnlichen, die Stirn, Naſe und Augen bei Mumien be- decken. Zur beſonderen Merkwürdigkeit iſt dasjenige das ich meine wohl dadurch erſt geworden daß ein gelehrter Engländer in allem Ernſte die Meinung daran geknüpft und ausführlich erörtert hat, die Pyramide ſelber ſei ein ſolches Goldblättchen im Großen und ſtehe zur Bedeutung deſſelben in der genaueſten Beziehung. Ich möchte wohl dieſe ſeltſame Pyramidentheorie näher kennen lernen; nur iſts Schade daß ſich davon in guter Geſellſchaft nicht gut offen ſprechen läßt. - Unter den Amuleten, Scarabäen und dergleichen fan- den ſich auch viele Eremplare vom Symbole der Fort- pflanzung, wie es die Egyptierinnen, ſo gut wie die Frauen anderer Nationen, ehedem als Schmuck oder Talisman um den Hals zu tragen pflegten. Daraus ergab ſich die Beſtätigung der doch immer noch ſtreitig gebliebenen 151 Anſicht, daß die Beſchneidung bei den alten Egyptiern ſehr üblich, obſchon nicht allgemein herrſchend geweſen ſein mag. Wie's mir auf dem Bücherbazar in Cairo ging, muß ich noch erzählen. Ein junger türkiſch gekleideter Ruſſe vom Ruſſiſchen Conſulate hatte mir mitgetheilt, daß er auf dieſem Bazare vortreffliche Einkäufe an arabiſchen Manuſcripten gemacht. Ich begleitete ihn auf dem näch- ſten Beſuche. Doch meine Speculation mißlang gänzlich. Während ich ſonſt gefunden daß mein fränkiſcher Rock und Hut eine Autorität war, für die der Orientale allen Reſpekt hegte, war hier mein Gewand ein Aergerniß oder vielmehr ein Verräther. Wir waren kaum durch eine enge Pforte in dieſen Bazar eingetreten und hatten an mehreren Kaufläden die ausgelegten Handſchriften be- ſchaut, ſo erhoben ſich in der gedrängten Menge, in der wir ſtanden, feindliche Bemerkungen, beſonders der Ruf: Macht die Bude zu! Macht die Bude zu! Mein Be- gleiter wurde ängſtlich und winkte mir zu ſchnellem Rück- zuge. Der Muhamedaner verfährt mit ſeinem Koran ganz anders als der Chriſt mit der Bibel. Bekanntlich ſtreuen unſere Miſſionäre die letztere in Ueberfluß aus. Der 152 Muhamedaner hingegen hält's für eine Sünde, an einen Chriſten einen Koran zu verkaufen. Natürlich läßt ſich immer leicht dazu in kluger Zurückhaltung gelangen, aber ein öffentlicher Handel der Art möchte zu einem öffent- lichen Aergerniſſe führen. Reiſe zum S in a i. Von Cairo bis Suez. Ich hatte Cairo und ſeine Umgegend über einen Monat genoſſen und für meine beſonderen Zwecke emſig genützt: wie drängte michs nun nach dem Sinai. Die Temperatur war freilich nicht die günſtigſte; wir hatten einige Tage drückender Hitze, viel angreifender noch als der Neapoli- taniſche Scirocco im Juli, ſo wie ich ihn im vorigen Jahre erfahren hatte. Man nannte dies in Cairo die Tempe- ratur des Chamſin. Am zehnten Mai ging ich gegen drei Uhr aus. Als ich aus meiner engen kühlen Straße in den großen Garten, der daran ſtößt, getreten war, drückte michs ſo erſtickend daß ich in der Gewißheit umkehrte, es könne eben erſt voller Mittag ſein. Aber keine Säumniß konnte förderlich ſein; die Tage glühten unaufhaltſam dem Sommer entgegen. Ich hielt es nun einmal entſchieden mit dem Prädeſtinationsglauben, und zwar vielleicht noch mehr mit dem türkiſchen als mit dem chriſtlichen. Am Elften waren Beduinen nach Cairo gekommen die mich nach dem Sinai führen wollten. Ich traf ſie mit 154 mehreren Kamelen vor dem öſterreichiſchen Conſulate ge- lagert; auf dem Conſulate ſchritten wir zum Contracte. Ich hatte gute Rathgeber; drum nahm ich mich in Acht zu viel zu bewilligen. Wir waren ſchon einig; drei Ka- mele ſollten jedes mit hundert vierzig Piaſter bezahlt wer- den; das vierte für den Scheik, den Führer der Karavane, ſollte unberechnet bleiben. Da wurden die Beduinen un- ter ſich uneins; ſie waren mit der Summe nicht zufrieden. Ich glaubte, wir würden am ſicherſten fertig, ſtellten wir ihnen die Alternative, entweder fortzugehen oder das Ge- bot anzunehmen. Aber ich irrte mich. Sofort brachen ſie auf und zogen mit ihren Kamelen heimwärts. Der Con- ſularkawaß holte ſie zurück. Ich verſtand mich nun zu vierhundert achtzig Piaſter für vier Kamele. Der requi- rirte Cairiner Notar verzeichnete den Contract auf einen langen Papierſtreifen, der auf ſeiner Hand ruhte, indem er vor uns ſtand. Ich unterſchrieb mich; der Scheik drückte als Unterſchrift ſein mit Tinte gefeuchtetes Petſchaft darauf. Am Zwölften des Vormittags wollt' ich abreiſen; aber erſt in der Mittagsſtunde langten die Kamele vor der Caſa Pini an. Mein braver Ali hatte zu thun genug bis alles Reiſe- und Küchengeräth ſowie aller Mundvorrath in Be- reitſchaft war. Um drei Uhr Nachmittags wanderten die Kamele mit ihren Laſten fort. Ich befand mich zum Ab- ſchiede noch in einer lieben freundlichen Begleitung, wozu 155 ich auch zwei Araber und einen Kopten rechne, die mir manche Dienſte geleiſtet hatten und nun noch mit einigen Freunden ſowie auch dem Conſularkawaß zu Eſel das Geleit mir gaben. Aber der Abſchied von Cairo fiel mir nicht ſchwer; nach wenig Wochen hofft ich in ſeine Thore wieder einzuziehen, reich geworden an unvergeßlichen Er- innerungen. Das Wetter war angenehm. Wir hatten etwa eine halbe Stunde Wegs außerm Thore zu Kamel gemacht, ſo hielten wir in der Nähe einiger anſehnlichen Grabſtät- ten; meine Beduinen hatten noch Beſorgungen. Wie war ich überraſcht mich auf dem „Schiffe der Wüſte“ ſo behaglich zu fühlen. Ich hatte in Reiſebeſchreibungen geleſen, daß die Bewegungen des Kamels Aehnlichkeit hätten mit dem Schaukeln der Schiffe und daher faſt gar eine Art Seekrankheit hervorbrächten. Aber ich ſaß ſo ſicher und ſo faſt ganz nach meinem Wunſche. Wir gingen übrigens einen Weg der ein wenig ſüd- lich lag von der gewöhnlichen Karavanenſtraße nach Suez. Die letztere iſt ſeit einigen Jahren um ſo mehr firirt, weil ſie die engliſche Poſt- und Transportſtraße geworden, mit ſieben Stationsbauten für dieſen Zweck verſehen und auch mit einer Linie von Telegraphenthürmchen ausgeſtattet wor- den iſt. Unſer Weg im Süden ſollte näher ſein; er führte uns aber, was wohl der Hauptgrund ſeiner Wahl war, zunächſt zum Heimathsdorfe meiner Beduinen. Wir 156 kamen bei demſelben kurz nach Einbruch der Dunkel- heit an. Dies Dorf machte in dieſem Augenblick einen ich möchte ſagen Zigeunereffekt. Mitten in der Oede der Wüſte und in der Stille der Nacht bereitete ſich eine Menge ſchwarzer, kunſtlos hingeworfener Zelte vor unſern Blicken aus. Vor den meiſten derſelben loderte ein Feuer; um das Feuer herum lagen oder ſtanden die Beduinen, von ihrem einfachen, ſchmuzigweißen Hemde überhangen. Als wir näher und näher heranritten, malten ſich dieſe Figu- ren ganz grotesk im Schimmer des Feuers ab. Bald vernahmen wir auch die vierfüßige Bewohnerſchaft des Dorfes; Kamele brüllten, Heerden blökten, Hunde bellten. Empfangen wurden wir aber von den Herzueilenden aufs Freundlichſte. Ich ließ jetzt zum erſten Male mein Zelt aufſchlagen. Ich freute mich kindiſch über den Aufbau dieſes kleinen Beduinenhauſes; es war das erſte Haus das ich mein eigen nannte. Der Beduinenſtamm, bei dem ich weilte und dem meine drei Führer angehörten, hat ſich erſt ſeit zwei Jahren hier in der Nähe des Mokattam niederge- laſſen. Er wohnte früher zwiſchen Gaza und Jeruſalem. Nachdem er aber einen Nachbarſtamm glücklich bekriegt und ihm mehrere hundert Kamele als Kriegsbeute wegge- führt hatte, war es gerathen dieſe Ueberſiedelung vorzu- nehmen. Uebrigens machten mir dieſe Söhne der Wüſte 157 einen ſo guten Eindruck, daß ich mich mit dem vollen Ge- fühle der Sicherheit unterm Zelte zur Ruhe legte, Am Dreizehnten nach Sonnenaufgang war Alles mun- ter. Unſere Beduinen brachten mir gute Milch. Nachdem ich eine Taſſe Thee und meine Führer ihren Kaffee ge- trunken hatten, brachen wir auf. Unſer Weg durch dieſes Wüſtenfeld war ganz überſäet mit dunkeln Feuerſteinen, unter denen mir auch häufig rother Jaspis und andere ähnliche Steinarten von ſchö- ner Farbe ins Auge fielen. Auch lagen mehrmals größere und kleinere Stücke verſteinerter Palmenſtämme auf unſe- rem Wege; ich erkannte ſie ſogleich daran daß ſie genau daſſelbe Ausſehen hatten wie der ſogenannte verſteinerte Wald, einige Stunden von Cairo, von dem ich viele Stücken mit nach Haus gebracht. Zu unſerer Rechten hatten wir vom Mokattam her einen allmählig immer tiefer abfallenden Bergzug; zur Linken begrenzten das Auge Sandhügel an Sandhügel. Zwiſchen Zehn und Elf lagerten wir uns, um Mittag zu halten. Meine Führer wählten dazu eine von grünen Sträuchern bewachſene Strecke; es ſtanden beſonders hohe ſchönfarbige Diſteln darauf. Zu meiner Verwunderung verſchlangen unſere Kamele dieſe Diſteln, deren Stacheln mir vom bloßen Sehen wehe thaten, aufs Wohlgemutheſte. Was für eine glückliche Conſtitution mag ſo ein Kamel- maul haben. 158 Nachdem ich mein Huhn verzehrt und ein wenig ge- ſchlummert hatte, trat ich heraus aus dem Zelte, mit dem Auge ſchweifend über die weite Sandfläche. Alles war ſtill um mich, der Dragoman und die Beduinen ſchliefen; in der weiten Ferne weideten die Kamele. Nur ein Paar Gril- len ſummten und ein Wüſtenvögelchen klagte mit einem melancholiſchen Laute wie der Weidenzeiſig im Voigt- lande. Da fühlt ichs zum erſten Male mit aller Leben- digkeit daß ich in der Wüſte war. Durch nichts in der Welt verliert man ſich ſo ſehr in ſein tiefſtes Innere wie durch die Wüſte. Aber jetzt herrſchte vor Allem Ein Gedanke in meiner Seele. Ich hatte kurz vorher unterm Zelte in den Büchern Moſis geleſen; nun war ich ſelber da wo Moſes gewan- delt mit ſeinen Brüderſchaaren. Wie ichs einſt las als Kind unter meiner Mutter Augen, hätt' ichs gedacht daß ichs heute hier wieder leſen würde. So rief mich die Bibel ſchnell in meine Heimath. Die klagende Stimme des klei- nen Vogels klang ohnedem wie lauter Heimweh. O die Lieben der Heimath! Nicht eben mocht' ich ihre grünen Berge und ihre feſten Häuſer tauſchen um mein kleines weißes Zelt in der öden Sandebene; aber ich ſagte mir: Hätteſt du doch ein Auge hier in das du deine Freude hinein- lächeln könnteſt, und ein Herz das du feurig herzen könn- teſt, und zwei Lippen mit denen du ſingen könnteſt ein jubelndes Lied. 159 Um vier Uhr weckt' ich meine Beduinen. Schnell wurden die Kamele herangeholt; die hatten ſich indeſſen ganz heimgefunden; ſo weit ſich nur das Grün blicken ließ, waren ſie umhergeſchweift. Ich ſtellte mich vor eins dieſer Thiere, wie es ſchon auf den Knieen lag um ſeine Ladung zu empfangen. Kaum ſtand ich mit meinem Stroh- hute, umflattert von einem grünen Schleier, vor ſeinen Augen, ſo ſprang es auf und galoppirte davon. So ſcheu hatte dieſes große Thier von ſo phlegmatiſchem Weſen mein Strohhut gemacht; der Scheik ſagte mir, es habe noch nie einen Strohhut geſehen. Dagegen wunderte ich mich, daß unſere Kamele ſich nie entſetzten wenn wir auf dem Wege Knochen und Gerippe von gefallenen Kamelen trafen. Freilich mögen ſie an dieſen Anblick gewöhnt ſein; wir hatten von Cairo bis Suez, namentlich nachdem wir auf die Hauptcaravanenſtraße gekommen, an dieſen zahlreichen, mit ihrem Weiß ſchon aus der Ferne glän- zenden Gerippen wahre Wegweiſer. Kurz vor Sonnenuntergang kamen wir ganz dicht bei einer Maſſe coloſſaler dunkelfarbiger Steine vorbei, die einen mehr als ernſten, einen ſchauerlichen Effekt machten. Es waren wohl urgebirgliche Reſte. Heute ritten wir lange in die Nacht hinein; es wurde ziemlich dunkel. Wir ritten auf weiter Ebene hin; hatten aber zu unſerer Rech- ten einen langen niederen Gebirgszug, den ein viel höhe- rer braunfarbiger Berg, der Dſchebel Gharbun, überragte. 160 Plötzlich ſeh' ich ganz nahe von uns zur Rechten unter niederem Geſträuche einen Wanderer, der noch ſchwärzer war als unſere Nacht; es war ein großes Zingale. Ich hatte um ſo weniger Freude an dieſer Begegnung da mir mein Dragoman ſagte, daß die Zingalen in dieſer Wüſte bisweilen ſogar angriffen. Als wir hielten um Nachtquartier zu machen, ließ ich das Zelt nicht erſt aufſchlagen; ich ließ zwiſchen dem läng- lichen Vorrathskorbe aus Palmenblättern und dem Reiſe- koffer meine wollene Decke nebſt Lammfell und Schlafpelz ausbreiten, und legte mich hinein. Zur Seite hatte ich meine friſchgeladene Doppelflinte. Um mich herum ſchlie- fen mein Ali und die Beduinen. Die Kamele durften mit zuſammengebundenen Vorderfüßen in die Nähe zur Weide hüpfen. Ich mochte eine Stunde geſchlafen haben, ſo wacht ich auf. Ich vergeſſe den Augenblick nicht; zum zweiten Male hatt' ich das volle Bewußtſein der Wüſte. Da lag ich mitten in der ſchauerlichen Einöde, deren menſchen- feindliche Bewohner jetzt ihre Beute ſuchen mochten. Um mich war Alles todt; nur die Täubchen flatterten in ihrem Käfig; in der Ferne brüllten die Kamele. Ueber mir hatt ich den nächtlichen Himmel, herrlich geſtirnt; der Kanopus blitzte mit ſeinem Feuerauge hernieder. Hat man in dieſer Lage nicht den feſten Glauben an ſeinen guten Engel, ſo mag ſichs ſchwer wieder einſchlafen. Aber 161 da lernt man die Hingabe wenn man ſie noch nicht hat. Es war mir als reichten die Vaterarme von den Sternen herab, die mich auf meinen Wanderungen immer ſo treu gehalten; ich ſchloß getroſt das Auge wieder. Am Vierzehnten hatten wir beſtändig gegen Südoſt zu unſerer Rechten den ſchroffen Ataka vor Augen; er hatte ein röthliches, nur wenig ins Braune fallendes Ausſehen. Gegen Mittag ſahen wir, als wir uns der Hauptcaravanenſtraße zuwendeten, in einiger Entfernung vor uns eine von den ſieben engliſchen Haltſtätten und einen Telegraphenthurm, der mich gar ſeltſam überraſchte als er mit ſeiner Spitze hinter Sandhügeln hervorwuchs. Als wir des Abends bei dem weißen Stationshauſe vor- beizogen, geriethen unſere Kamele in ſcheue Aufregung. Dies Haus mochte ihnen hier mitten in ihrer harmloſen Heimath, wo das Gefühl einer unbegrenzten Freiheit herrſcht, wie ein uſurpirender Fremdling vorkommen. Der- gleichen Abenteuer haben nicht viel Angenehmes. Zum Glücke ging ich eben zu Fuß den Kamelen voraus, und das mit dem Küchenkafaßbelaſtete Kamel wurde am Zaume geführt; die drei andern ſprangen wirr rechts und links. Die wenigen Geräthſchaften meiner Beduinen gin- gen beim Fall in Stücken. Doch gelang's ihnen bald die Thiere zu beſchwichtigen. Wir übernachteten heute nahe bei Adſcherud, jenem Fort mit einem tiefgegrabenen Bit- terwaſſerbrunnen, das die Mekkapilgrime mit freundlicher I. 11 162 Sorgfalt empfängt. Doch ſahen wir vom Fort weniger als wir hörten; denn die Hunde bellten laut. Am Funfzehnten früh nach zwei Stunden Wegs kamen wir bei Bir Suez an. Dort hat man zwei Brunnen mit einem ſteinernen Quadratbau und vier Thürmen umgeben. Wir trafen eine reichliche arabiſche Geſellſchaft. Deshalb kamen unſere Kamele nicht allzu ſchnell zur Tränkung. Dies Waſſer iſt nämlich nur für Kamele trinkbar, doch wird es in Suez auch zu wirthſchaftlichen Zwecken ver- wandt; es iſt ſtark mit Salztheilen vermiſcht. Seit Cairo war es das erſte Waſſer das wir antrafen; wir hatten für unſern Bedarf zwei große Schläuche abgeklärten Nil- waſſers mitgenommen, die anfangs ziemlich eine volle Kamelladung ausmachten. Jetzt hatten wir ſchon deutlich vor unſern Augen Suez und den Spiegel des rothen Meeres. Bis an die Mee- resküſte zog ſich im Süden der röthlichbraune Ataka hin, während wir überm Meere drüben eine andere lange Berg- kette, gleichfalls von einem röthlichen Dunkel, von Norden nach Süden ſich ziehen ſahen. Sie wurde mir Toraha genannt. Zwiſchen Acht und Neun hielten wir vor dem Thore von Suez. Anſtatt in eins der beiden europäiſchen Hotels zu gehen, zog ich es vor der Gewohnheit der Wüſte getreu zu bleiben. Ich ließ ein wenig nördlich vom Thore dicht beim Meere unter einem hohen Hügel von Sand und Schutt mein Zelt aufſchlagen. Su e z. Suez ſelbſt nimmt ſich beſcheiden aus; es kam mir, nach europäiſchem Maßſtabe, wie ein großes Dorf vor. Doch ſtehen beſonders am Ufer des Meeres auf dem Quai mehrere ſehr ſtattliche Häuſer, die ſich abſpiegeln in der blauen Fluth. Die Schiffe die hier lagen waren ſtark an Zahl, doch größtentheils klein. Die zwiſchen Indien und Suez laufenden Dampfſchiffe legen ſich wegen der Untie- fen bei der Stadt in gehöriger Entfernung nach Süden vor Anker. Das Innere der Stadt iſt, beim Mangel aller Vegetation, voll einer öden Traurigkeit. Sogar an Waſſer iſt man arm; dasjenige das von der Oſtſeite des Meeres geholt wird iſt wohl beſſer als das Waſſer von Bir Suez, doch iſt's nicht ganz frei von ſalzigem Geſchmacke. Nach einem erquickenden Bade im Meere, wobei mir nur der Boden mit ſeinen vielen Korallen und Muſcheln unbequem war, machte ich einen Beſuch beim Conſul für Frankreich und Oeſterreich. Obſchon er ein geborner Grieche iſt, ſo verſtand er doch kein Wort griechiſch. Während ich bei ihm ſaß, trat ein Mann von mitt- leren Jahren, in gewöhnlicher Kleidung, ins Zimmer 11 164 herein, ſetzte ſich unbefangen nach orientaliſcher Art auf den Boden und begann eine Mittheilung. Darauf hän- digte ihm der Sohn des Conſuls eine Münze ein. Der Fremdling fuhr aber in ſeiner Mittheilung fort, und er- hielt eine zweite Münze. Darauf ſtand er auf und empfahl ſich. Jetzt erfuhr ich, daß es ein türkiſcher Bettler war, der ausgeſagt hatte, er ſei auf ſeiner Reiſe nach Suez ge- kommen und habe ihm, dem berühmten, reichen Conſul, durchaus einen Beſuch machen müſſen. Darauf hatte er die erſte Münze empfangen. Allein ſie dünkte ihm gering; drum fügte er hinzu, daß er ſich damit nichts Rechtes kaufen könne, was doch gegen die Würde des Conſuls ſei. Darauf hatte er den Zuſchuß erhalten. Das alles war ſo anſtändig und ſo freundlich abgethan worden daß mir kein Gedanke an einen Bettler gekommen war. Herr Coſta und ſein Sohn waren mehrmals wochen- lang zu ihrer Erholung im Kloſter auf dem Sinai ge- weſen. Sie wußten mir vom Reichthume der Bibliothek daſelbſt, wenn auch ohne nähere Kenntniß, zu erzählen. Ich wollte jetzt Herrn Manoli, Agenten der oſtindi- ſchen Compagnie und Lieferanten des Sinai, beſuchen; man ſagte mir aber, er ſei eben in ſeinem Harem, und da ſei keine Störung oder auch nur Anmeldung möglich. Es iſt alſo hier faſt wie bei der italiäniſchen Prinzeſſin, wann ſie inamorata iſt, wenigſtens nach der Schilderung der Frau von Staël. Ich kam nun einige Stunden ſpäter 165 und fand in Herrn Manoli einen feinen und gebildeten Araber, der ſogar engliſch ſprach. Er hatte in einem Zimmer ein Bildniß von Rüppell und ſprach von dieſem großen Forſcher mit der größten Hochachtung. Rüppell mochte wohl der einzige Deutſche ſein der am arabiſchen Meerbuſen bildlich repräſentirt war. Sowohl Manoli als Coſta boten mir aufs Zuvorkommendſte ihre Empfeh- lungen ans ſinaitiſche Kloſter an; ich hatte Urſache ſie von beiden Seiten anzunehmen. Als ich zu meinem Zelte zurückkehrte, traf ich eine Menge dunkelbrauner Beduinen vor demſelben verſam- melt. Sie ſagten mir daß ſie die wahren Sinaiführer ſeien, daß ſie am Sinai ſelbſt ihre eigene Niederlaſſung hätten und von jedem Weg und Steg der Wüſte die ge- naueſte Kenntniß beſäßen; darum möchte ich meine Be- gleiter entlaſſen und ſie an deren Statt annehmen; bezah- len ſollte ich bei dem Tauſche nicht das Geringſte mehr über das Ausgemachte. Ich wußte nun freilich daß ſich aus ſolchen Händeln für andere Reiſende die größten Ge- fahren ergeben hatten, da ein Stamm gegen den andern ſeine vermeintlichen Rechte mit den Waffen zu verfechten bereit iſt. Ich fragte meine Beduinen, ob ſie in der That volles Recht hätten mich zu führen; ſie betheuerten mir's. Ich erklärte nun jenen, daß ich meinen Beduinen mein Wort gegeben habe und daß mir mein Wort eine uner- läßliche Verpflichtung gelte. Sie verließen mich darauf. 166 Als ich aber des Nachmittags zum zweiten Male aufs Conſulat kam, fand ich ſie vor demſelben gelagert; ſie hatten ihr Anliegen vor den Conſul gebracht. Der Conſul trug mir die Sache vor. Ich fragte, von wem die Ent- ſcheidung abhange. Er entgegnete daß ſie von mir ab- hange. Darauf wiederholt ich dem Conſul meine ſchon früher den Beduinen gegebene Erklärung, und er ſelber ſchickte ſie abweiſend fort. Der Verlauf dieſes Rechtshandels machte auf meine Beduinen einen ſolchen Eindruck daß ſie mir ſchwuren, mit ihrem Leben für mich einzuſtehen. Und daß es Leute waren die es ernſt meinten, die es auch, obſchon ſie nur drei waren, mit jedem Dutzend Feinden aufgenommen hät- ten: davon bekam ich ſpäter einen thatſächlichen Beweis. In geringer Entfernung von meinem Zelte nach Nor- den hin fand ich viel Schutthaufen und Spuren der frü- her hier geſtandenen Städte. Ich ging nicht weit genug in der genannten Richtung fort um mich mit eigenen Au- gen von der Richtigkeit der Aufſchlüſſe zu überzeugen, die mir Linant de Bellefonds von der ehemaligen Ausdeh- nung dieſes Armes des rothen Meers gegeben hatte. Das aber ſieht man dem Terrän leicht an daß der Triebſand der Wüſte ſeine Angriffe auf ihn gemacht hat. Die Spuren eines alten Canals ſind ebenfalls jetzt noch ſichtlich. Doch hat ſich Karl von Raumer bei der Unterſuchung über die Grenzen des Meeres zur Zeit des 167 Israelitiſchen Durchgangs mit Ungrund auf dieſelben be- rufen um darzuthun, daß die damalige Ausdehnung von der heutigen unweſentlich verſchieden geweſen. Dieſer Canal nämlich reicht auf keine andere Zeit als auf die der Kalifen zurück. Des Abends hatten wir einen ſchön geſtirnten Him- mel; ich beſtieg die Spitze des Hügels, woran mein Zelt ſtand, und genoß von da einen herrlichen Blick aufs Meer. Da wars alſo wo ſich einſt des Herrn ſtarker Arm offen- barte. Die Waſſer rauſchten; ſie erzählen noch immer die alte heilige Mähr. Ueber die Angelegenheit des Durchſtichs der Meer- enge ließ ich mir mehrmals von dem der Sache treff- lichſt kundigen Linant de Bellefonds mittheilen. Be- kanntlich iſt er von Mehemed Ali mit derſelben vorzugs- weiſe beauftragt und hat jahrelang das Terrän ſtudirt. Die Beſorgniſſe wegen der Ungleichheit des Niveaus der beiden Meere möchten wohl nicht allzu ernſt ſein dürfen. Ptolemäus unterbrach einſt den bis zu den Bitterſeen ge- führten Canal zum Nil aus Sorge für das trinkbare Nil- waſſer. Daß die Ausführung keine für unſere an große Bauunternehmungen gewöhnte Zeit gar außerordentlichen Kräfte und Opfer in Anſpruch nimmt, hat Linant de Belle- fonds klar genug dargethan. Und daß die Reſultate des Durchſtichs von ganz unabſehlicher Bedeutung für den europäiſchen Handel und von der Art ſein werden, daß die 168 Koſten deſſelben, dagegen gehalten, ſehr gering erſcheinen müſſen: das leuchtet wohl einem Jeden ein. Warum er aber immer noch nicht ins Werk genom- men und im Gegentheile durch die neueſten Poſtanſtalten zwiſchen Cairo und Suez vertagt wird, das beantwortet der Staat am beſten deſſen Intereſſe es am meiſten dabei gilt. England kann ohne große Benachtheiligung ſeines Intereſſes mit keiner anderen Nation die Vortheile des Durchſtichs theilen. Fände aber jetzt der Durchſtich ſtatt, wie wollte England die Vortheile deſſelben für ſich allein in Anſpruch nehmen? Wem wäre es unbekannt, worauf das Auge der engliſchen Politik in Egypten abzielt? Die Verwickelung der Verhältniſſe wird zur rechten Zeit nicht fehlen, wo die Hand ergreifen wird was das Auge längſt firirt hat. Mit Einem Worte: Bevor Egypten engliſch iſt, wird England mehr als irgend eine Macht den Durch- ſtich hintertreiben; ſobald es engliſch iſt, geſchieht er im erſten Augenblicke, und das Jahrhundert wird ſich mit vollem Rechte der großen That bewußt fühlen. Aber die großen Ereigniſſe des Orients mit Ungeduld wecken wol- len, daß hieße ſich am Herzen der heutigen Politik der Großmächte vergreifen. Und Mehemed Ali wird den gro- ßen Bau um ſo weniger beſchleunigen, weil er Freund und Feind nicht noch lüſterner nach ſeinem Lande machen mag. Dazu kömmt daß die beabſichtigte Nildämmung alle ſeine Kräfte in Anſpruch nehmen muß und für ſein Land 169 ſelbſt ungleich erſprießlicher iſt als der Durchſtich der Meerenge. Am nächſten Morgen ließ ich in aller Frühe meine Kamele mit den Beduinen und dem Dragoman etwa zehn Minuten nördlich von Suez durchs Meer ziehen; denn wir hatten vollkommenen Ebbeſtand. Das Waſſer reichte den Kamelen nirgends bis an die Schenkel; eine Strecke in der Mitte lag ganz trocken; nach einer guten Viertel- ſtunde ungefähr waren ſie an der öſtlichen Seite des Meers angekommen". Der Umweg der zur Zeit der Fluth um den äußerſten Meeresarm gemacht werden muß be- trägt, wie man mir angab, mehrere Stunden. Ich ſelbſt hatte die Einladung des jungen Herrn Coſta angenom- men, mit ihm in ſeiner Barke nach Ajin Muſa überzufah- ren, wo er ein ländliches Gut angelegt hatte. Doch mußten wir zu unſerem Aufbruche die Rückkehr der Fluth * Niebuhr hat genau die jetzige Breite des Meeres bei Suez gemeſſen; wobei nur zu bemerken iſt, daß die nächſte nördliche Strecke von Suez bei weitem breiter iſt als diejenige die Suez gerade gegenüber liegt. Doch nähert ſich die Breite des Meeres, im Norden von Suez, eben da wo die Araber zur Ebbezeit ihren Weg durch daſſelbe einzu- ſchlagen pflegen, wieder jener Breite bei Suez ſelbſt. So lautet Nie- buhrs Berechnung: „Ich ſtellte das Aſtrolabium am Ufer an der Oſt- ſeite des Meers auf, und fand den Winkel zwiſchen meiner Grundlinie von 83 doppelten Schritten und der Südoſtecke der Stadt, in dem erſten Standpunkte 76" 5 und in dem zweiten 97" 52“. Die Breite dieſes Arms des rothen Meers iſt alſo 757 doppelte Schritte oder ungefähr 3450 Fuß.“ 170 abwarten, und mit der Fluth zugleich auf einen günſtigen Wind rechnen. Unterdeſſen machte ich in Begleitung Herrn Coſta's dem Statthalter von Suez meine Aufwartung. Wir trafen ihn, einen ſtarken kräftigen Mann, der früher viele Kriegs- dienſte gethan, unter dem Eingangsgewölbe ſeines Pala- ſtes. Wir ſetzten uns ſogleich zu ihm. Ich übergab ihm das Empfehlungsſchreiben, das mir vom Gouverneur von Cairo für meine Sinaireiſe ausgeſtellt worden war. Der Statthalter empfing es mit der üblichen Reſpektbezeigung, konnte es aber nicht leſen. Es wurde ſein Sekretär ge- rufen, der es ihm vorlas und ſodann ein paar Worte darunter ſchrieb, die ausſagten, daß es der Statthalter von Suez geſehen. Von den Anerbietungen ſeines Schutzes und von allen anderen lag keine Veranlaſſung vor Ge- brauch zu machen. Um Neun unternahmen wir unſere Ueberfahrt nach Ajin Muſa. Es fiel mir dabei eine große Untiefe in der Mitte des Waſſerarmes ſowie eine andere auf, die wie eine leicht bedeckte Landzunge von Oſten herüberreichte. Unſere Barke mußte ſich ängſtlich vor aller Annäherung hüten und durfte nicht den geraden Weg einſchlagen. Un- terwegs erzählte mir Chalil, des Conſuls Dragoman, von den Dienſten die er Alphonſe de Lamartine auf ſeiner Reiſe geleiſtet. Nahe an zwei Stunden blieben wir auf dem Waſſer, obſchon der Wind nicht eben ungünſtig war. 171- Als wir Ajin Muſa uns gegenüber im Auge hatten, ſtand dort wie eine kleine ſchimmernde Pyramide. Es war aber nichts anders als mein Zelt, das mein Ali bereits aufge- ſchlagen hatte. Dieſes kleine weiße Haus ſah hier ganz ſtolz und impoſant von ſeiner Höhe ins ſchöne dunkel- blaue Meer hinab. Doch war die optiſche Täuſchung kurz, die ich übrigens mit der Niebuhrs zuſammenhalten möchte, als er, eben auch in der Nähe von Suez, einen Araber auf ſeinem Kamele ſah der höher als eine Kirche in der freien Luft zu reiten ſchien*. Die ganze Umgegend von Ajin Muſa oder den Mo- ſisquellen enthält viel Schutthügel; gewiß ruhen auch hier manche Ruinen alter Bauten. Unter der franzöſi- ſchen Erpedition entdeckte bekanntlich der General Bona- parte ſelber den großen Canal durch den das Waſſer dieſer Quellen, acht an Zahl, bis ans Ufer des Meers geleitet wurde. Dieſer Canal brachte wahrſcheinlich den Venezianern Waſſervorräthe für ihre Flotten, die ſie gegen die Portugieſen ausſandten, als dieſe den Weg nach In- dien ums Cap der guten Hoffnung entdeckt hatten. Das Waſſer iſt übrigens beſſer als alles andere der Umgegend, obſchon es weder vom Milch- oder Salpetergeſchmack noch auch von einer leichten mediziniſchen Wirkung ganz frei iſt. Einzelne Palmen ſtehen da, und zwar in ihrer * S. Niebuhr's Reiſebeſchreibung: 1. Band, S. 253. 172 vollen Wildheit, bewachſen mit dichten Zweigen vom Fuß bis zum Scheitel. Mehrere uralte Baumſtämme machten ſonderliche Figuren. Eine der größten der Moſisquellen wird von der Gartenanlage Herrn Coſta's umſchloſſen. Dieſes freundliche Gut mit ſeinem friſchen Grün, mit ſeinen üppig gedeihenden Anpflanzungen von Gemüſen und Fruchtbäumen, mitten aus der öden Sandſtrecke her- vorgerufen, nimmt ſich aus wie das fröhliche Auge der Wüſte. Man ſieht daran recht gut daß der Boden hier der Hand der Cultur mit herrlichem Lohne dankt. Schon haben ſich auch Engländer zu Anlagen, ähnlich der des Herrn Coſta, eingefunden. Ich möchte aber dieſen An- lagen eine noch viel reichere Zukunft vorausſagen. Die Benennung dieſer Quellen nach Moſes dürfte ſich freilich nur mit Unſicherheit aufs hohe Alterthum zu- rückführen laſſen. Da jedoch hier der große Führer Is- raels nach ſeinem Durchgange durchs Meer faſt ohne allen Zweifel raſtete, ſo hatten ſpätere Generationen, mögen es Muhamedaner oder Chriſten geweſen ſein, vielleicht am wahrſcheinlichſten die erſten Wallfahrer nach dem Sinai, vollkommen Recht, gerade an dieſe erquickenden Quellen den Namen des Moſes zu knüpfen. Peter Belon, der gerade vor dreihundert Jahren hier war, führt allerdings an daß dieſe Quellen, deren er zwölf zählte, jene bekann- ten bitteren Quellen des Moſes ſein ſollten. Allein theils iſt dazu das Waſſer nicht bitter genug, theils ſtimmt 173 damit die Lage nicht überein; was man auch längſt ein- geſehen. Als ich allein unter einem alten Palmbaume bei einer der Quellen ſaß, überließ ich mich der Erinnerung an die große Stunde der Vorzeit. Ich las das Lied das Moſes mit den Kindern Israel bei denſelben Quellen dem Herrn einſt angeſtimmt hat, einſt, nach der wunderbaren Erret- tung aus den Fluthen und aus der Feinde Hand: „Ich will dem Herrn ſingen; denn er hat eine herrliche That gethan; Roß und Wagen hat er ins Meer geſtürzt.“ Das Lied vergißt ſich nimmer, hat man's hier geleſen. Ich ſah Mirjam, die Prophetin, ihre Pauke in der Hand; ſammt den Frauen mit Pauken am Reigen. „Laßt uns dem Herrn ſingen,“ ſo klang's mir entgegen „denn er hat eine herrliche That gethan; Mann und Roß hat er ins Meer geſtürzt.“ Ich kann nicht umhin gerade hier einen Haltpunkt für meine Wanderungen zu wählen, um das Reſultat von meinen Studien über den Durchgang der Israeliten durchs rothe Meer niederzulegen. Doch werde ich zu vermeiden ſuchen was meine Mittheilung zu einer ſtreng- wiſſenſchaftlichen Abhandlung ſtempeln könnte; um ſo mehr da ich eine ſolche demnächſt zu veröffentlichen ge- denke. Zug der Israeliten durchs rothe Meer. Moſis Erzählung vom Wunder des Herrn am Volke Israel, bei ſeinem Auszuge aus der egyptiſchen Knecht- ſchaft ins gelobte Land, iſt neuerdings dadurch feindlich angegriffen worden daß man aus der Anſchauung des Schauplatzes ſelbſt anſtatt des göttlichen Retterarms die einfachſte Gunſt der Umſtände zu folgern geneigt ward. Alles Weitere maß man der poetiſch vergrößernden Sage bei. Sehr begreiflich riefen dieſe Angriffe Gegner hervor, die um den Glauben der Väter einen neuen Wall auf- warfen. Vielleicht iſt man aber auf den zwei entgegen- geſetzten Seiten in Irrthum verfallen. Hier hat man das Wunder geradezu natürlich, dort hat man es allzu wun- derbar gemacht. Dagegen ſcheint mir daß die rechte Prü- fung der Sache mit der Wiſſenſchaft auch den Glauben beim vollen Rechte beläßt. - Vor Allem gilts die genaue Verfolgung der bibliſchen Erzählung, und zwar vom Auszuge bis zum Durchgange. Die Kinder Israel zogen von Raemſes aus gen Suchoth, ſo heißts ausdrücklich 1 Moſ. 12, 37. Wo lag Raemſes? Ich glaube da wo wir Heliopolis wiſſen. Statt deſſen 175 hat man vor Kurzem an Heroopolis gedacht“. Ich ſage: vor Kurzem; doch hat man damit eigentlich nur den Faden wieder aufgenommen den ſchon Dü Bois-Aimé für dieſe Angelegenheit 1810 gezogen hatte“. Das bedarf einer Widerlegung. Weniges wird dazu hinreichend ſein. Erſtens dient die Stelle, die zum Beweis genommen worden daß Heroopolis mit Raemſes zuſammenfällt, zum entſcheidendſten Beweiſe daß beide nicht zuſammenfallen kön- nen. Es heißt nämlich 1 Moſ. 46, 28.: „Und Jacob ſandte Juda vor ſich hin zu Joſeph, auf daß er ihm entgegen käme gen Goſen.“ Hier haben die griechiſchen Ueberſetzer für „Goſen“ geſetzt „Heroopolis im Lande Raemſes.“ Das „Land Raemſes“ iſt gleichbedeutend mit dem „Lande Goſen.“ Das iſt klar aus 1 Moſ. 47, 11, wo der hebräiſche Tert ſelber „Raemſes“ für „Goſen“ ſetzt. Heißt es aber nun 1 Moſ. 46, 28. beſtimmt „Heroopolis im Lande Raemſes,“ ſo kann das nimmermehr eben ſoviel heißen als „Raemſes im Lande Raemſes.“ Der Name der Stadt Raemſes, ſagt Hengſtenberg, war außer Ge- brauch gekommen. Das wird entſchieden widerlegt durch 2 Moſ. 1, 11., weil hier der Name der Stadt Raemſes auch bei den griechiſchen Ueberſetzern ruhig ſtehen geblie- ben iſt. * Vergl. Hengſtenberg: Die Bücher Moſe's und Aegypten. 1841. * Vergl. Description de l'Egypte, tome VIII. p. 111. ff. Zweitens kann Heroopolis nicht Raemſes und als ſolches der Ausgangspunkt der Israeliten geweſen ſein weil der Weg von Heroopolis aus, deſſen Lage man ja genau kennt, zu irgend einer Durchgangsſtelle durchs rothe Meer ganz unbegreiflich iſt. Von Heroopolis aus mußte vielmehr das nördliche Ende des Meerbuſens, das ja ſelbſt der Meerbuſen von Heroopolis genannt ward weil es faſt daran ſtieß, ſofort umgangen werden. Man darf nicht einwenden daß wir von dem Wege, den Moſes nehmen mußte, gar nichts wiſſen können. Moſes hatte ſeinen beſtimmten Plan oder vielmehr die ausdrückliche göttliche Weiſung, über den Sinai nach Ca- naan zu ziehen. Um dies zu bewerkſtelligen durfte er unmöglich einen widerſinnigen Weg einſchlagen. Wider- ſinnig wär's aber, von Heroopolis aus anders als auf die Oſtſeite des Meeres zu gehen. Allerdings hatte Moſes beim Pharao zur Täuſchung vorgegeben, die Israeliten gingen nur zu einem Opferfeſte in die Wüſte. Allein die Wüſte war ſo gut öſtlich als weſtlich vom Meerbuſen. Und will man an Beſorgniſſe denken die Moſes vor Ausfällen der egyptiſchen Grenzbe- ſatzungen habe hegen können, ſo iſt darauf zu erwidern daß ja Heroopolis ſelbſt eine Grenzfeſte war und demnach Beſatzung haben mußte. Ueberdieß hatten die wunder- baren Schickungen Gottes gewiß auf alle Egyptier noch mehr Eindruck gemacht als auf den halsſtarrigen Pharao; 177 drum mochte auch Niemand ſonſt als dem Pharao das Verlangen ankommen die Auswanderer zurückzuzwingen. Allen Verfolgungen aber konnte Moſes nicht ſicherer ent- gehen als wenn er ſich ſofort an die Oſtſeite des Meeres zog, was in ſehr wenigen Stunden thunlich war. Wäre übrigens die Furcht vor ſolchen egyptiſchen Grenzbeſatzun- gen wirklich in Betracht gekommen, ſo wäre im Tert da- - von eben ſo gut Erwähnung geſchehen wie von der Furcht vor dem Streite mit den Philiſtäern; denn jene Furcht hätte noch weit näher liegen müſſen. Nur Etwas hat einigen Schein für ſich; es iſt die Berufung dü Bois-Aimés auf 2 Moſ. 13, 18.: „Darum führte er das Volk um auf die Straße durch die Wüſte am Schilfmeer. Dü Bois-Aimé ſagt, nur wenn man aus dem Thale Sebabyar, wo eben auch Heroopolis lag, den Auszug ſtattfinden laſſe, ſei es begreiflich wie die Is- raeliten ſofort drei Tage am Schilfmeer hin ihren Weg nehmen konnten. Allein das letztere ſagt die Stelle kei- neswegs aus. Der Weg durch die Wüſte am Schilfmeer iſt dem Wege durchs Land der Philiſtäer, nahe am mittel- ländiſchen Meere, entgegengeſetzt; er bezieht ſich nicht eben auf die drei erſten Tage. Die angezogene Stelle ſteht beim Antritte des Wegs und betrifft die ganze Richtung deſſel- ben. Auch heißt es nicht „der Weg am Schilfmeer,“ ſon- dern „der Weg durch die Wüſte am Schilfmeer.“ Der direkte Weg von Heliopolis nach Canaan durchs Land I. 12 178 der Philiſtäer wäre nach Belbeis und nach dem See Menzaleh hinauf nach Peluſium und Gaza gegangen, wie ich ihn ſelbſt gemacht. Auf dieſem Wege trafen die Israeliten noch cultivirtes Land; dafür zogen ſie der gött- lichen Weiſung gemäß durch die Wüſte am Schilfmeer, durch welche der Weg nach dem Sinai führte. Noch ein Uebelſtand bei der Annahme des Auszugs von Heroopolis liegt darin daß Moſes in der Nähe von der königlichen Reſidenz zu denken iſt, da er noch in der Nacht der letzten Plage zum Pharao gerufen wird. Mem- phis liegt aber viel zu fern von Heroopolis, und Zoan, das allerdings wenigſtens viel näher als Memphis iſt, dürfte ſich ſchwerlich als Reſidenz halten laſſen. Endlich möchte die 2 Moſ. 14, 2. anbefohlene „Wen- dung“ des Zuges bei der Annahme des Aufbruchs von Heroopolis gar nicht gut möglich ſein. Nach meiner Anſicht alſo zogen die Israeliten von Heliopolis aus. Damit harmonirt Joſephus in ſo fern als er in Heliopolis die Israeliten überhaupt ſtationirt ſein läßt und von da aus ihren Zug über Beſſatin lenkt. Damit ergibt ſich ferner eine angemeſſene Entfernung in der Moſes vom Pharao zu Memphis war. Endlich ſtimmt „Heliopolis“ vortrefflich zu „Raemſes.“ Das beweiſt der alte arabiſche Ueberſetzer Saadias, der Raemſes geradezu durch Heliopolis wiedergiebt. Dafür läßt ſich ſodann doch wohl auch Jablonsky's Etymologie aus dem Koptiſchen 179 wenigſtens „anführen.“ Endlich aber ſpricht dafür gerade das woraus man den Widerſpruch zu folgern gewohnt iſt, nämlich die griechiſche Ueberſetzung von 2 Moſ. 1, 11. Für „Raemſes“ hat dieſe nämlich nach dem üblichen Terte „Raemſes und On, was Heliopolis iſt.“ Den Zuſatz „und On, was Heliopolis iſt,“ halt ich für eine nähere Beſtimmung zu Raemſes. Richtiger hat daher die koſtbare Handſchrift des ſechſten Jahrhunderts zu Mailand nicht „und On“ ſondern „oder auch On;“ während zwei arabi- ſche Ueberſetzungen „und On“ und „was Heliopolis iſt“ als zwei verſchiedene Zuſätze hinſtellen. Auch wär's in der That verwunderlich, wie der griechiſche Ueberſetzer faſt anderthalb tauſend Jahre hinterdrein noch eine förmlich neue Thatſache zum alten Terte hinzugebracht hätte; wo- gegen es ganz in ſeinem Geſchmacke iſt, wenn er den fremd- artigen koptiſchen Namen Raemſes zuerſt mit dem bekann- teren egyptiſchen Namen On und zugleich mit dem entſpre- chenden griechiſchen Heliopolis verdeutlicht hat. Von Heliopolis nun will man mit beſonderer Vor- liebe den Zug durch Beſſatin gehen laſſen. Der Haupt- grund dafür iſt daß Joſephus dieſe Richtung nennt. Al- lein beſaß Joſephus dafür zu ſeiner Zeit eine andere Au- torität als eine vielleicht vage Ueberlieferung? Wo die Israeliten gewohnt hatten, das konnte und mußte viel leichter und treuer im Gedächtniß des Volkes bleiben als der Weg den Moſes durch die Wüſte einſchlug. 12* 180 Die weitere Folge des Zuges hat beſonders Sicard im Süden der Gebirgskette des Mokattam nachzuweiſen verſucht; in Gendeli fand er Suchoth, Etham in der Ebene von Ramlie, Pihahiroth in Thuärek, und ließ den Durch- gang durchs Meer ziemlich Ajin Muſa gegenüber von Südweſt nach Nordoſt ſtattfinden, eben da wo ihn die jetzige Tradition, vielleicht den Moſisquellen zu Gefallen, annehmen will. Das Meer iſt daſelbſt fünf bis ſechs Stunden breit. - Es iſt nicht zu leugnen daß ſich für dieſen Weg Man- ches ſagen läßt; aber gewiß noch mehr dagegen. Ich er- wähne nur erſtens daß Sicard, zur Kürzung des Wegs von drei Tagereiſen, den Auszug von Beſſatin beginnen läßt, indem er in Beſſatin Raemſes wieder erkennt. Das ſcheint mir ganz unſtatthaft; denn, ohne auf Weiteres einzugehen, Beſſatin liegt doch außerhalb der Grenzen des Landes Goſen. Ferner bleibt der Weg immer noch ſehr lang. Sicard machte dieſe ſiebenundzwanzig franzöſiſche Meilen wohl ſelber in drei Tagen; aber für jenes Heer von zwei Millionen war die Aufgabe bei weitem ſchwerer, und ſie war wohl gar unlöslich, nimmt man den Weg von mehreren Stunden von Heliopolis bis Beſſatin noch hinzu. Karl v. Raumer iſt daher neulichſt darauf ver- fallen, daß im Moſaiſchen Berichte gar keine Tagereiſen zu verſtehen ſeien. Dies iſt aber gewiß irrthümlich; Ta- gereiſen müſſen eben ſo gut hier als ſpäter verſtanden 181 werden (vom ſpäteren Verlaufe nimmt Raumer ſeinen Beweis her); keineswegs iſt aber bei dieſen Tagereiſen die Raſt auf eine Nacht oder überhaupt auf eine beſtimmte Kürze beſchränkt. - Ferner iſt die Breite des Meeres von fünf bis ſechs Stunden, die für das Heer der Israeliten wenigſtens acht bis neun Stunden Wegs werden mußten, ſchwerlich ver- einbar mit Moſis Zeitangabe für die verhängnißvolle Nacht. Endlich hat man Unrecht auf die Tradition für die genannte Stelle großes Gewicht zu legen, da ſich zugleich eine andere Tradition noch ein paar Tagereiſen ſüdlicher feſtgeſetzt hat, bei dem ſogenannten Hamam Pharaun, wodurch das Wunder noch wunderbarer würde, während die hiſtoriſche Prüfung auf Abſurdität geriethe. Ziehen aber nun die Israeliten von Heliopolis aus, nicht über Beſſatin, ſo beträgt die Entfernung in gerader Linie bis ans Meer gegen zwanzig Stunden. Doch nehm' ich an daß Moſes mit klarem Auge und entſchiedenem Plane ans Nordende des Meerbuſens ſeinen Zug lenkte Erſt am zweiten Reiſetage befinden ſie ſich „vorn an der Wüſte,“ in Etham; denn der Anfang des Wegs berührte noch das fruchtbare Land Goſen. Uebrigens entbehrt bekanntlich ſowohl Suchoth als auch Etham aller be- ſtimmten Färbung; wenn nicht etwa zu berückſichtigen iſt daß gerade um Suez, öſtlich und weſtlich vom Meere, die Wüſte den Namen Etham führt. 182 Von der zweiten Station Etham aus erfolgt die gött- lich anbefohlene Wendung des Zugs, wobei ſogleich des nacheilenden Pharao's Erwähnung geſchieht. Des letz- tern Umſtandes halber mochte Moſes, in gewiſſer Hinſicht gezwungen, an die Möglichkeit eines Durchgangs durchs Meer auf den beiden ihm wohlbekannten Furthen im Norden und Süden von Suez denken; während Pharao ſo weit als möglich von Norden heranrückte, um den Auswanderern den einzigen Ausweg abzuſchneiden. Moſes ging gegen Pihahiroth und lagerte ſich ans Meer, gegenüber Baalzephon. Baalzephon mag, wie man eben auch gewöhnlich annimmt, mit der Lage von Suez ziemlich zuſammenfallen. Pihahiroth oder Hahiroth iſt das heutige Adſcheruth. Die weitere Beſtimmung der Lagerung „zwiſchen Migdol und dem Meere“ rechtfertigt ſich ganz, ſobald man unter Migdol den Berg Ataka ver- ſteht, wogegen ſich in keiner Beziehung etwas Erhebliches wird einwenden laſſen. Berg und Meer werden ſehr paſ- ſend zuſammengeſtellt, während noch die Stadt Baalzephon dazu genannt iſt. Dagegen iſt es mir völlig unbegreiflich wie Hengſten- berg vermuthen kann, Migdol bezeichne die Grenzfeſte dieſes Namens in der Nähe von Peluſium. Ein einziger Blick auf die Karte lehrt, daß ſich zwei Punkte in einer Entfernung von drei Tagereiſen nicht als Grenzpunkte für eine Lagerſtätte angeben laſſen. Jenes Migdol nahe 183 am mittelländiſchen Meer liegt außer allem Nerus. Uebri- gens war daſſelbe den Israeliten von Heroopolis aus – wie Hengſtenberg will – die beiden erſten Tage viel näher als den dritten, worauf ſich doch die fragliche La- gerung bezieht. Jetzt aber befanden ſich die Israeliten in der That in der mißlichſten Stellung von der Welt. Rechts von ſich hatten ſie den Berg Ataka, der von Suez aus geſehen kaum einen Streifen zwiſchen ſich und dem Meere frei zu laſſen ſcheint; vor ſich das Meer; hinter ſich und neben ſich das Heer Pharao's. Denen gegenüber die das Wunder gern noch in ihre eigenen Vergrößerungsgläſer faſſen – bisweilen wohl im Eifer für Gott aber mit Unverſtand – iſts nun freilich gefährlich, Ebbe und Fluth in Betracht zu ziehen. Allein der Tert ſelber führt uns entſchieden darauf. „Durch einen ſtarken Oſtwind,“ heißt es, „ließ der Herr das Meer hinwegfahren die ganze Nacht.“ Der Nordoſtwind iſts noch heute der die Ebbe verſtärkt; dazu fällt noch heute, wie ich ſelbſt zwei Mal geſehen und benutzt habe, die Eb- bezeit in die frühſten Morgenſtunden. Das rothe Meer hat bei Suez, wie ich ſchon angege- ben habe, zwei Furthen, eine nördlich, eine ſüdlich; zur Ebbezeit werden beide noch heute von den Arabern durch- gangen. Damals aber hatte das Meer bekanntlich eine viel weitere Ausdehnung nach Norden als jetzt; es reichte 184 ja, man vergleiche nur die Karten von dü Bois-Aimé und von Laborde, nahe bis ans Thal Sebabyar; weshalb auch von einem leichten Umgehen des Meeres, wovon Raumer ſpricht, gar keine Rede ſein kann. Waren nun auch die Furthen, wie es ſehr glaublich iſt, ſchon damals vorhan- den, ſo mußte doch der Durchgang von längerer Ausdeh- nung als heute ſein, und damit die ganze Thatſache viel außerordentlicher ſich geſtalten als es heute den Schein hat. In der Nacht zogen die Israeliten glücklich durchs Meer; um die Morgenwache ſchon waren ſie am Ufer und die Egyptier inmitten der Waſſermauern. Dies alles iſt nur bei Suez möglich. Der ſechsſtündige Weg dagegen bei Ajin Muſa, der für die Israeliten immer noch um ein Beträchtliches länger werden mußte und der durch den ſtärkſten Oſtwind nicht blos gelegt werden kann – hätte Moſes von einem abſoluten Wunder ſprechen wollen, ſo hätte er ſich gar nicht auf den Oſtwind bezogen – dieſer Weg dagegen, ſag' ich, nimmt dem Vorgange jegliches Band mit der ſonſtigen göttlichen Ordnung der Dinge. Als die impoſantere Seite des Wunders ſtellt ſich nun allerdings nicht ſowohl der ſichere Durchzug Israels, als vielmehr der Untergang des Pharaoniſchen Heeres heraus, obſchon man ſich umſonſt ängſtlich nach dem nöthigen Waſſer dazu umgeſehen hat; denn man dachte dabei nicht an die ſeit damals veränderte Ausdehnung des Meeres. Ent- ſcheidet man ſich aber vollends für die ſüdliche Furth, was 185 kaum bedenklich iſt, ſo kann man heute noch etwas Aehn- liches erleben. Nach alle dem erſcheint mir bei jenem Ereigniſſe nach ſeinen beiden Hauptſeiten der wunderbare Retterarm des Herrn für ſein Volk in unzweifelhaftem Lichte. Daß er ſich aber die Kräfte der Natur, wenn auch immer in der beſonderſten Weiſe, dienſtbar machte, das ſagen wir dem heiligen Terte ſelber nach. Ueber den Tert hinausgehen, das iſt, meines Bedünkens, weniger fromm als leichtfertig und eigenwillig. - „Der Herr hat eine herrliche That gethan.“ „Der Herr wird König ſein immer und ewig.“ Dieſe Feſtworte des erwählten Knechtes Gottes werden, ſo lange es in der Welt Geſchichte und Glauben gibt, den Zug der Is- raeliten durchs rothe Meer getreu und unwandelbar um- ſchweben. Von Ajin Muſa nach dem Sinai. Am ſechzehnten Mai des Nachmittags brach ich von Ajin Muſa auf. Wir nahmen im Oſten zum treuen Be- gleiter auf die nächſten Wanderungen mit den röthlichen Toraha, deſſen ſüdliche Spitze, der Dſchebel Sadr, weithin ihren weißlichen Schimmer warf; während wir im Weſten anfangs noch die über den Spiegel des Meeres hervor- ſtarrende Stirn des Ataka, bald aber den Dſchebel Kuaib hatten. Als der Abend herniederſank, hüllte ſich der Kuaib in dunkelblaue Düfte, die ſich zauberiſch um ſeine röth- lichen Felſen ſchmiegten. Wir zogen jetzt wieder durch eine Sandebene die mit Feuerſteinen beſtreut war; das Meer war dem Auge entſchwunden. Aber es zog mich mit Gewalt zu ihm hin; noch dieſen Abend mußten mich meine Führer dicht an ſeine Ufer führen. Kaum waren wir dort zu unſerem Nachtlager angekommen, ſo eilt ich mit der Laterne an die rauſchenden Fluthen; meine Sehn- ſucht war zu groß die ſchönen Conchilien ſelber am Strande zu ſammeln. Ich hatte, als ich zurückkehrte, alle Ta- ſchen voll. 187 Am andern Morgen zogen wir ſtundenlang am Strande hin, der von der zurücktretenden Fluth noch feucht war. Jetzt erſt ſah ich vollkommen dieſen Reichthum, dieſe Pracht. Die Conchilien des rothen Meers verdienen ihren Ruhm; an keinem andern Meeresufer gibt's einen ſolchen Schaugenuß. Meine Beduinen ſuchten anſtatt der Muſcheln die von der Ebbe etwa blosgelegten Fiſch- chen auf. Gegen Mittag befanden wir uns im Wadi Sadr, der ſich faſt gar wie ein kleiner Wald ausnimmt durch die Menge ſeiner Tamariskenbäume, ſeines hohen Geſträuchs und Buſchwerks. Auch ſah ich darin mehrere junge Ha- ſen. Ich ließ den Wadi hindurch nach Weſten wieder ans Meer ziehen. Hier hielt ich meine Haupternte in den Con- chilien. Beſonders ſammelte ich eine kleine weiß und grau geſprenkelte Art, welche die egyptiſchen Mütter ihren Kind- lein um den Hals hängen als Talismane gegen den böſen Blick. Als ich darauf am Ufer ſchlief, träumte ich von einem ſchönen Auge in der Ferne. Sieh, ſagt' ich der die es trug, gegen den böſen Blick hab' ich den Talisman gefunden; aber wo wäre Rettung vor deinem himmelſchönen Blick. Uebrigens iſt es den Egyptierinnen voller Ernſt mit dem Glauben an den böſen Blick; ich hab' es ſelber zu meinem Verdruſſe wiederholt erfahren, daß mir die Müt- ter ihre Kinder verdeckten wenn ich ſie freundlich beſchauen wollte. Eine gleiche Furcht haben ſie vor dem ſogenannten 188 Beſchreien. Sind wir freilich von ſo viel böſen Genien umringt wie die Egyptier glauben, dann iſt keine Vorſicht übertrieben. Nun in der Wüſte, wo die ſichtbaren Dä- monen der ſocialen Cultur fehlen, hat der Glaube an un- ſichtbare mehr Recht als anderswo. Am Achtzehnten des Vormittags zogen wir lange zwiſchen weißlichen Kalkfelſen hin. Nach einigen Stun- den Wegs kamen wir bei einem Wachthauſe vorbei; es ſchien verwaiſt zu ſtehen. Gleich dahinter war nach der Ausſage meiner Begleiter die Howaraquelle mit bitte- rem aber doch zur Noth trinkbarem Waſſer. Bekanntlich iſt man ſehr geneigt in dieſer Quelle jenes Marah der Schrift wieder zu erkennen, wo Moſes durch „einen Baum den ihm der Herr wies“ das Waſſer ſüß machte. Die Entfernung von „drei Tagereiſen“ ſtimmt recht wohl mit dieſer Lage überein. Natürlich ſind die drei ununterbro- chenen Tagereiſen nur ſo zu verſtehen daß es während der- ſelben zu keiner eigentlichen längeren Lagerung kam. Auch nach der Verſüßung des Waſſers hat man ſich umgeſehen; namentlich fand Burckhardt, daß die Beeren des Gurkud, der reichlichſt an der Quelle wächſt, dazu gedient haben mögen. Doch kennen wenigſtens jetzt die Beduinen keinen ähnlichen Gebrauch davon. Uebrigens wurde mir in Cairo mitgetheilt, daß ſich als das Marah der Schrift vielmehr eine im Oſten von Howara gelegene Quelle ausweiſe, deren Waſſer von einer weit entſchiedenern Bitterkeit ſein 189 ſoll. Vielleicht erhalten wir bald weiteren Aufſchluß darüber. ) Die Hitze ſtieg gegen Mittag zu einer faſt unerträg- lichen Höhe; ich hatte nie etwas Aehnliches erfahren. Sicher mochten wir dreißig bis fünfunddreißig Grad im Schatten haben. Und was das Gefühl dieſer Hitze noch ſteigert, das iſt die Vorſicht gegen den Sonnenſtich. Ich habe nicht leicht in einem heißen Sommer in Deutſchland den Kopf ſo warm gehalten wie in der arabiſchen Wüſte. Außerdem trug ich noch ſeidene Tücher über dem Geſichte. Das hatte mir ein Freund in Cairo zur Pflicht gemacht, der von einer Sinaireiſe um dieſelbe Sommerzeit eine völlige Metamorphoſe ſeines Geſichts nach Hauſe gebracht hatte. Wohl eine Stunde zogen wir ſchon im Garandel- thale ehe wir zum Quellbaſſin mit dem zum Meere eilen- den Bächlein kamen. Das iſt eine herrliche Oaſe; ſie ruht da wo wir raſteten, verſchloſſen wie ein Kleinod, zwiſchen Wänden von Kalkfelſen. Wir wadeten lange im Schilf- graſe, ſo hoch wie wir ſelber; Tamarisken und niedere Palmen zogen ſich wie eine Guirlande von Oſten nach Weſten. An der Bergwand vor unſeren Augen ſpielten viele Schwalben und kleine Raubvögel; unter den Bäu- men ſchwärmten Turteltauben. So ſehr auch die Sonnen- gluth bis in dies ſchöne Thal herein brannte, ſo daß eine Erfriſchung ſchwer war und ſelbſt das Waſſer der Quelle wie gewärmt ſchmeckte, ſo war doch der Gedanke überwäl- 190 tigend daß wir im bibliſchen Elim waren, in jenem Elim mit „den zwölf Waſſerbrunnen und den ſiebenzig Pal- menbäumen.“ Von jeher hatte mich dieſes Elim gefeſſelt; ich hatte mir ſo gern die Kinder Israel, nach der erſchö- pfenden Wanderung durch die öde Sandſteppe, unter die- ſen Palmen bei den fröhlichen Quellen gedacht. Drum ruht' ich heute auch recht lang und glücklich in dem ge- ſegneten Thale. Nur drängten gegen Abend wider Ge- wohnheit die Beduinen zum Aufbruch; ſie fürchteten für die Kamele von den ſtechenden Inſekten. Bald nach unſerem Abſchiede zogen wir eine beträcht- liche Anhöhe hinab; dann waren wir zu beiden Seiten umgeben von weißlich grauen Kalkfelſen, die ſich im We- ſten oft zu grotesken Formen geſtalteten. Ein heftiger Wind erhob ſich. Nach zwei Stunden Wegs fehlte mir der Strohhut, den ich an die Flinte gebunden hatte. Der Verluſt war unerſetzlich. Slen und Attajö und Ali liefen ſogleich zurück. Ich legte mich indeſſen in der Dunkelheit mit dem Scheik und den vier Kamelen hin in den Sand. Wir machten uns hier, ſo gut es ging, gegenſeitige Freundſchaftsbezeugungen; ich rauchte aus ſeinem Tchybuck. Die Späher kamen zurück, aber ohne den Hut. Auf ihren Wunſch macht' ich ſofort Halt, da ſie des Fundes für den nächſten Morgen völlig gewiß ſein wollten. Al- lerdings hatten ſie ſelber vorher ihren gemeinſchaftlichen blauen Leinwandmantel verloren und nach einem Rückwege 191 von vielen Stunden wiedergefunden. Und in der That war auch mein Hut des Morgens um Acht gefunden. Am Neunzehnten hatten wir die Wirkungen des Ga- randelwaſſers, deſſen weicher Milchgeſchmack mir ſogleich verdächtig geweſen. Die Erfahrung von den Moſisquellen hatte uns hier nicht klug machen können. Zu Mittag hielten wir an einem mächtigen Felsblock, vereinzelt in- mitten der Ebene, wie ein verlorner Sohn vom Dſchebel Pharaun, der aus nordweſtlicher Ferne drohend auf uns niederſah. Des Nachts nahmen plötzlich unſere Kamele eine ſcheue Miene an; Attajö lief unerſchrocken nach der Rich- tung ihres bedenklichen Auges; es war nichts als ein in der Irre gelaſſenes Kamel. Später hatten wir die Muſik eines ſtarken Wolfgeheules. Am Zwanzigſten früh um Acht trafen wir auf eine kleine Zeltniederlaſſung. Im Boden waren mehrere Waſ- ſerlöcher, aber ihr Inhalt war ſehr gering. Ein Mägd- lein tränkte ihre Lämmer davon; ſie hatte Urſache uns die Theilung des Vorraths zu mißgönnen. Der Wadi hieß El Bada (Regenwaſſer). Meine Beduinen holten nun aus der Ferne Waſſer von einer Quelle, genannt El Malha (bitter); ſie ließen mich aber dadurch in die Mittagsſonne fallen, ſo daß ich zu ihrem großen geſellſchaftlichen Ver- gnügen bis zum Abend beim Dorfe bleiben mußte. Als wir aufbrachen, mußte ich für meine außerordentliche Er- . 192 ſchöpfung von der andauernden Gluth einige Tropfen Naphtha nehmen. Jetzt gingen wir durch ſehr ſteinigte und bergigte Wege, die oft ſogar gefährlich wurden; aber das Kamel hat einen ſicheren Tritt. Als wir Nachtlager machten, waren wir von Bergfelſen eingeſchloſſen, doch fanden un- ſere Kamele grüne Sträucher zur Weide. Am Einundzwanzigſten gelangten wir in das wild- romantiſche Naſſebthal. Was für eine Pracht haben hier die Maſſen von Sandſtein und Urgebirg. Wie zu trotzenden Bollwerken lagen ſie gethürmt zu unſerer Rech- ten und Linken; oft liefen ſie pyramidenförmig aus und hatten ſeltſame Bildungen, gleich als wären's Trümmern von einer Stadt jener egyptiſchen Rieſen. Das Spiel der Farben dieſer Felſen war reizend. Bald ſchien es als wären ſie von einem grauen Nebel umſchleiert; bald trugen ſie ein lichtes oder dunkles Roth mit Schieferadern; bald endlich hatten ſie einen grünlichen Schimmer über einer grauweißen Decke. Unſer Weg ſchlängelte ſich beſtändig; man ſah nie mehr als einige hundert Schritte weit vor ſich. Zu Mittag wehte der Wind wieder heiß; doch hatt' ich mich glücklich erholt von der geſtrigen Erſchöpfung. Zwei meiner Beduinen holten Waſſer von einer Quelle die ſie mir Om Nagla nannten. Mein Dragoman über- ſetzte es matre degli arberi, und ſagte mir, es ſtänden zwei Dattelbäume um die Quelle. 193 Als wir weiter ritten, „im beſtändigen Anſchaun der Felsmaſſen die uns umragten, konnte ich mich des Ge- dankens nicht erwehren daß wir durch ein verlaſſenes Strombett zogen. Die Felſen hatten viele Waſſeraushöh- lungen, auch lagen auf unſerem Wege oft Haufen von kleinem Flußgeſtein. Nun wenigſtens mögen alljährlich durch dieſes Thal die winterlichen Regengüſſe ſtürzen. Schon vier und ein halb Uhr verließen wir unſere Halt- ſtätte, um noch bei vollem Sonnenlichte den Wadi Me- katteb zu erreichen. Als ſich das Naſſebthal zum Thale Mokatteb erweiterte, traten wir wie in ein prächtiges Theater; uns gegenüber hatten wir das majeſtätiſche Feirangebirge. Ich eilte zu den merkwürdigen Felſen, von deren Inſchriften das Thal ſeinen Namen trägt. Einen ſeltſamen Eindruck machen dieſe unverſtändlichen Denkmale. Ich wandelte lang unter ihnen ſtumm umher; wie ein vergeſſener Traum ſchwebte mir vor den Augen. Da haben alſo Menſchen gewandelt deren Zunge heute kein Ohr verſteht; ſie haben hier mitten in der ſtillen Wüſte Schmerzen und Freuden gehabt, und zu Erinne- rungsboten dieſe ſteinernen Tafeln der Natur geweiht. Waren es Söhne der Wildniß die hier hauſten, wie in einem glücklich gefundenen Aſile? Waren es Gefangene die hier, entriſſen einem fernen Heimathsboden, über ihr armes Leben trauerten? Waren es fromme Wan- I. 13 194 derer aus entlegenen Zonen, die das Herz getrieben zum Sinai, zum heiligen Berge? Ich hätte rufen mögen: Steht auf, ihr Schläfer! Steht auf und erzählt ſelber von euren dunklen, fernen Tagen. Warum wiegt ihr uns in unge- wiſſe Träumereien? Schon ſeit dem ſechſten Jahrhunderte ſind dieſe In- ſchriften und die anderen ähnlichen der ſinaitiſchen Halb- inſel geſehen worden, ohne daß ſich ein ſicherer Fingerzeig zu ihrer Deutung gefunden hätte. Der bekannte Cosmas Indicopleuſtes iſt der erſte der davon erzählt. Dies macht nothwendig geneigt, ihren Urſprung in ein hohes Alter- thum hinaufzurücken. Dagegen ſpricht aber daß ſich da und dort unter den Inſchriften chriſtliche Kreuze finden, ſowie daß die griechiſchen Inſchriften, die mitten unter den fremdartigen Schriftzeichen ſtehen, von einzelnen Buch- ſtaben namentlich vom Omega genau diejenige Form haben die erſt in der chriſtlichen Zeit auf Steinen vor- kömmt. So viel ich weiß, hat man hierauf noch nicht geachtet. Zu meiner Verwunderung fand ich übrigens daß Leon de Laborde mehrere griechiſche Wörter, die gerade etwas Beſonderes enthalten, aufs Auffälligſte in ſeiner Copie verunſtaltet hat“. Das flößt wenig Vertrauen für * xaxovyevos rovro und orgartorys sygawa hab' ich vom Felſen geleſen; Leon de Laborde hat dafür xaxor yeos ovyo; und orgºtto- t n; *y«ua veröffentlicht. 195 die anderen Charaktere ein; zum Glücke ſind ſie jedoch bereits von Grey genauer kopirt worden. Wäre mein Landsmann Beer in dieſem Augenblicke an meinem Platze geweſen – leider hat ihn das Geſchick ſo früh ſeinen ernſten Studien entriſſen – der wäre wohl auf Tage an dieſe ſeine Lieblinge gefeſſelt geblieben; er würde auch mehr als irgend Jemand ihren Geheimniſſen Klarheit abgewonnen haben. Nach Beers Meinung haben dieſe Schriftzüge, ſowie die der Inſchriften auf dem Serbal und am Sinai, einige Verwandtſchaft mit den palmyreni- ſchen, und ſtehen mitten inne zwiſchen dem ſyriſchen Es- trangelo und dem Kufiſchen; während er im Dialekte, worin ſie verfaßt ſind, aramäiſche und arabiſche Beſtand- theile gefunden hat. Zu Verfaſſern möchte er mit Ouatre- mère die Nabathäer machen, die im vierten Jahrhundert nach Chriſtus das peträiſche Arabien bewohnten; doch denkt er zugleich an Wallfahrten als Veranlaſſungen zu den Inſchriften. Ich würde mir, wären nicht kundigere Sprecher da, die Bemerkung erlauben daß mir an dieſer Felſenſchrift eine Verwandtſchaft mit dem Samaritaniſchen aufgefal- len iſt. Mit dem Gedanken an Pilgrime ſtimmt das Wenige zuſammen was Beer glaubt entziffert zu haben. Darnach ſteht häufig zu Anfang: Friede! Heil! oder, ſo wie es auch in den unzweifelhaften griechiſchen Ueberreſten heißt: 13* 196 In Andenken bleibe u. ſ. w. Auch ſollen ſich öfters die Bezeichnungen „Pilger“ und „Prieſter“ darin finden. Doch machen ſich gegen fromme Wallfahrer, wenigſtens als ausſchließliche Urheber, die wiederholten Darſtellungen von kleinen Kämpfen, wie zwiſchen zwei Bogenſchützen, und von bewaffneten Kriegern geltend, ſo wie auch die oben im Originalterte angegebene griechiſche Inſchrift, wo ein Soldat und zwar ganz ſoldatenmäßig ſpricht. Außerdem aber iſt es mir unglaublich, daß diejenigen von denen die Inſchriften ſtammen gerade Bewohner die- ſer Gegenden, wie die Nabathäer, geweſen ſeien. Viel wahrſcheinlicher waren es Fremdlinge aus Egypten oder aus Aſien, die von Suez aus durch dieſe Wüſtenſtriche zogen. Ein deutſcher Gelehrter in Cairo hat mir die Meinung mitgetheilt, daß die Schriftzüge dem Baktriſchen am näch- ſten ſtehen und von Gefangenen, worunter vielleicht auch Chriſten, ſtammen möchten die hier in Steinbrüchen ge- arbeitet. Er wollte wiſſen daß ſich auch in Oberegypten, z. B. in den Steinbrüchen von Aswan, ähnliche Inſchrif- ten vorfinden. Als wir das merkwürdige Thal verließen, erzählte mir mein Dragoman von dem nahgelegenen Sarbut el kadem, das viel großartiger iſt als das Thal Mokatteb. Eine wunderbare Oaſe ſinnreicher redender Monumente, liegt es zwiſchen den nackten Felſen, in der lautloſen Wüſte. Am meiſten mag es den Eindruck eines Gottesackers machen 197 durch die vielen wie über Gräber aufgerichteten Denk- ſteine, reichlich belegt mit Hieroglyphen. Aber dazu kom- men noch in der Mitte dieſer Steine Tempelbauten, die jetzt zerſtört liegen, ſowie zahlreiche umgeſtürzte Säulen. Das dürfte weniger zum Gottesacker paſſen. Und wie geſchah es, möchte man fragen, gerade hier in der einſa- men Wüſte eine ſo koſtbare Gräberſtätte zu errichten? Auch hat man bis dieſen Augenblick noch nichts von Mu- mien aufgefunden, die doch nothwendig vorhanden ſein müßten. Deshalb gefällt mir ausnehmend was der Lord Prudhoe vermuthet, nämlich daß dies Sarbut ein alter egyptiſcher Wallfahrtsort geweſen, deſſen Urſprung freilich, trotz der ſo ſchön erhaltenen Hieroglyphen, mehr als ein Jahrtauſend vor Chriſtus zurückreichen müßte. Um Mitternacht hielten wir neben einem Häuschen worin Körner fürs Bedürfniß der Pilgerfahrten nach Mekka von der Regierung niedergelegt ſind. Des Mor- gens zeigte mir mein Dragoman und die Beduinen eine Tigerſpur, die dicht bei unſerem Nachtlager dem Sande eingedrückt war. Sie verſicherten mir daß ſich in dieſen Gebirgen jetzt noch Tiger und Tigerarten aufhalten. Am Zweiundzwanzigſten hatten wir einen herrlichen Tag; wir kamen in das reizende Feiranthal. Zu An- fange deſſelben ſah ich zu meiner Linken noch eine Felſen- wand die reichlich mit den Inſchriften des Mokattebthales 198 bedeckt war. Bald darauf trugen die hohen Felſen, nament- lich die zur Linken, viele Spuren alter Conſtruktionen; ſie ſahen zum Theil aus wie die Felſenwohnungen zu Siloam; wahrſcheinlich waren es alte Grabhöhlen. Je näher wir dem Dorfe ritten, deſto ſchöner ward das Thal: baumhohe Tamariskenſträucher, durchdrungen von Honiggeruch oder vielmehr vom Geruche des Manna, Feigen, Mandeln, Granaten, Orangen, Oliven und verſchiedene der gewöhn- lichen Fruchtbäume Deutſchland's hatten wir um uns; viele Tauben und kleine Vögel umſchwärmten ſie. Prächtige Schmetterlinge ſah ich; ſtolze Königskerzen blühten und erinnerten mich an die freundlichen Hügel der Heimath; Waſſerbäche, hell und klar rauſchten laut durch die grüne Flur. Vor Allem aber gaben dem Thale ſeinen Charakter die großen prangenden Dattelpalmen, die hier ſehr reich- lich gedeihen. Beim Dorfe ſelbſt bilden ſie einen dichten Wald. Neben den lebensfriſchen und zur Höhe ragenden lagen lebensmüde, durch die Ebene lang hingeſtreckt. Es kam mir bei dem Anblicke die Erinnerung an jene egyptiſchen Rieſen. So lagen dieſe Palmbäume da: wie rieſige Krieger, gefallen auf dem Schlachtfelde. Außer jenen Felſengräbern hat das Feiranthal noch viele Ruinen, obſchon ſie von keiner beſonderen Schönheit ſind. Ich zweifle nicht daß hier ſchon zur Zeit des Zugs der Israeliten Niederlaſſungen vorhanden waren; wahr- ſcheinlich beziehen ſich die Namen die den Stationen des 199 Heeres vor Raphidim gegeben werden, Daphka und Alus, auf dieſe Gegend. Hier mußten die Kinder Israel eine fröhliche Labung finden. Aus dem Anfange des ſiebenten chriſtlichen Jahrhunderts wiſſen wir daß der Monothelet, Theodorus Biſchof von Feiran war; ſowie auf dem Concil zu Conſtantinopel im ſechſten Jahrhundert „ein Presbyter und Legat der heiligen Kirche zu Pharan“, mit Namen Theonas vorkömmt. - Auch unſere Kamele waren glücklich im Feiranthale. Die jungen Tamarisken müſſen die größte Delikateſſe für ihre Mägen ſein; ſie langten unerſättlich mit ihren langen Hälſen rechts und links. Im Palmenwalde ſchlug ich mein Zelt auf. Die hie- ſigen Beduinen waren hübſch und freundlich. Als ich im Zelte lag, bekam ich viele Kinder zum Beſuche; doch hiel- ten ſie ſich in reſpektvoller Entfernung. Aber intereſſant war ihnen alles was ſie bei mir ſahen; ſie langten mit ihren Fingerchen unter's Zelt, um meine Schuhe und meinen Hut zu betaſten. Ich gab ihnen eine Handvoll der kleinen dürren Früchte die im Thale wachſen, den Kirſchen ähnlich, von Farbe gelbröthlich; dennoch blieben ſie zu meinem Verwundern recht artig; keines erlaubte ſich den „Backſchiſch“ auf die Lippen zu bringen. Kurz nachdem wir das Thal verlaſſen hatten, umga- ben uns zu beiden Seiten hohe graue Felſen, durchzogen von vielen kupferfarbigen und oft ſchönzackigen Adern. 200 Davor lagen Ruinen, die ſich wie einzeln ſtarrende Lehm- felſenwände ausnahmen. Auf unſerem Wege hatten wir immer noch viel grünes Geſträuch, beſonders Tamarisken; auf dem Boden lag eine Maſſe kleinen ſchimmernden Ge- ſteins, roth, grau und weißlich geſprenkelt. Wir hatten in dem Augenblicke den Untergang der Sonne; er hob noch den ſchwärmeriſchen Effekt der Landſchaft. Aus altem Gemäuer, woran wir vorüberritten, ſchauten zwei mächtig große Eidechſen hervor, die eine ſchieferfarbig, die andere lehmfarbig. Gegen Mitternacht umheulten uns die Wölfe; es war faſt ſchauerlich ſich da zur Ruhe zu legen. Doch meine Beduinen hatten Muth; ich hatte Vertrauen: ſo ruhten wir Beide in Frieden. Am Dreiundzwanzigſten früh brachen wir auf, kurz nachdem uns der erſte Strahl begrüßt, und erreichten nach anderthalb Stunden das Scheikthal mit den berühmten Mannatamarisken oder, wie ſie mir dort genannt wurden, den Darfabäumen. Das Feiranthal beſitzt zwar dieſelbe Tamariske und noch in viel größerer Menge als das Scheikthal; auch waren, wie ich ſchon geſagt, die Tamaris- kenſtrecken deſſelben ganz durchdrungen vom eigenthüm- lichen Geruche des Manna: dennoch wurde mir allgemein verſichert, daß das Manna ſelbſt ausſchließlich von den Tamarisken des Scheikthales geſammelt wird. Ich freute mich ſehr, daß ich zu Anfange der Zeit ins Thal gekom- 201 men wo die Bildung des Manna ſtattfindet; man nimmt nämlich die Monate Juni und Juli dafür an. Ich wan- derte begierig von Strauch zu Strauch, um zu dem Ge- ruche auch Etwas fürs Auge zu entdecken. Wie glücklich war ich als ich bald bei einem der höchſten und breiteſten Sträucher an vielen Zweigen wie glänzende Perlen, wie verdickte Thautropfen hängen ſah. Ich brach die ſchönſten davon; denn ich überzeugte mich daß ich in der That das Manna, begriffen in ſeiner Bildung, in Händen hatte. Dieſe dicklichte Maſſe war klebrig und hatte ſehr ſtark den- ſelben Geruch der den ganzen Strauch umgab. Ich koſtete davon; es ſchmeckte, ſo weit meine Analogie reicht, dem Honig am ähnlichſten. An vielen andern Sträuchern fand ich kleine Anſätze an den Zweigen, die den beſchrie- benen in der Ferne gliechen; in der Nähe fand ich daß es runde dichte Gewebe waren, wie man ſie an andern Sträu- chern als Inſektenverpuppungen antrifft. Die abgebrochenen Zweige mit den Mannaperlen ver- wahrte ich in einer blechernen Büchſe; ſie haben ſich ſehr gut erhalten. Nach einigen heißen Wochen waren aller- dings die Tropfen wie geſchmolzen und aus dem weißlichen Schimmer war eine dunkelbräunliche Färbung geworden. Aber noch dieſen Augenblick wo ich ſchreibe tragen die heimgebrachten Zweige dieſe bräunliche Mannamaſſe an ſich, fühlen ſich klebrig an und haben noch den vollen Geruch den ſie im Scheikthale hatten. 202 Meine Beduinen erzählten mir, daß in drei Jahren kein Manna gekommen ſei, daß aber für dies Jahr eine reiche Ernte in Ausſicht ſtehe. Im Monat Juli ſammeln es die Beduinen und auch Mönche des St. Katharinen- kloſters in kleine lederne Schläuche, größtentheils vom Boden weg, wohin es ſich in heißen Tagen von den Zwei- gen abtropft. Da es ſich nicht in allzu großer Menge erzeugt, ſo wird es ziemlich theuer verkauft, am liebſten an die Sinai- und Mekkapilgrime. Doch genießen es bis- weilen die Beduinen wohl auch ſelber, ſo daß ſie's wie den Honig aufs Brod ſtreichen. Ueber die eigenthümliche Bildung dieſes Manna hat Ehrenberg, nachdem er zur Sommerzeit ſelber im Scheik- thale geweſen, den gründlichſten Aufſchluß gegeben. Nach ihm iſts ein kleines Inſekt, das er coccus manniparus nennt, das durch ſeinen Stich das Ausſchwitzen des Manna aus den Tamariskenzweigen bewirkt. Von dieſem Coccus konnt' ich allerdings nichts entdecken; nur wieſen, wenn ich nicht irre, jene kleinen weißen Gewebe auf ſeine Eriſtenz hin. Dafür umſchwärmten dieſe Tamarisken eine große ſchöne Art Bienen, die es faſt gefährlich mach- ten ſich zu nahen. Hat es mit Ehrenberg's Theorie volle Richtigkeit, ſo glaub' ich daß die Tamarisken des Feiran- thales dieſelbe Fähigkeit zur Produktion des Manna be- ſitzen, daß ihnen aber zur wirklichen Produktion jener hilf- reiche Coccus fehlt, der ſich freilich, wie's ſcheint, leicht 203 genug zu ihnen verpflanzen ließe. Was Ehrenberg's Un- terſuchung noch beſtätigt, iſt der Umſtand daß auch das mediziniſche Manna Calabriens und Siziliens in den Sommermonaten aus Eſchbäumen durch den Stich einer Cicade hervorgelockt wird. Was nun aber dieſem Manna des Scheikthales ein ſo großes Intereſſe verleiht, das iſt bekanntlich die Erinne- rung an jenes Himmelsbrod, das die Israeliten in der Wüſte genoſſen. Was man auch immer gegen die Zu- ſammenſtellung des einen mit dem andern ſagen mag: das ſteht mir feſt, daß das jetzige Manna des Scheikthales eine beſondere, eine nahe Beziehung zum bibliſchen Manna hat. Denn dieſe Gegend trifft zuſammen mit der Gegend wo die Israeliten das Manna zuerſt erhielten. Das zweite Buch Moſis ſetzt dieſelbe nämlich vor Raphidim, und Raphidim iſt nirgends anders als zwiſchen dem Scheikthale und dem Sinai. Ueberraſchend iſt es auch daß die bibliſche Beſchreibung des Manna, „es habe einen Geſchmack wie Semmel mit Honig“ 2 Moſ. 16, 31, ſo- wie „es ſei geſchmolzen wenn die Sonne heiß ſchien“ 2 Moſ. 16, 21. vollkommen auf das jetzige Manna paßt, obſchon das in Perſien von einer morgenländiſchen Ei- chenart und in Meſopotamien vom Gavanſtrauche herab- träufelnde Manna noch genauer mit dem „weißen Korian- derſamen“ harmonirt. Freilich ergeben ſich daneben der Verſchiedenheiten genug: das bibliſche Manna fiel des 204 Nachts vom Himmel und lag des Morgens wie Thau auf den Feldern; am Sabbathe fiel es nicht, am Tage vorher fiel es doppelt; nach kurzer Aufbewahrung wuchſen Würmer darin. Dazu war es geeignet, ein Heer von zwei Millionen vierzig Jahre lang zu ernähren. Der Angabe des Herabfallens halber hat man ſich erinnert daß Ariſtoteles erzählt, es falle bisweilen beim Aufgange großer Geſtirne Honig aus der Luft, was Pli- nius noch weiter ausführt, indem er dieſen Honig beim Aufgange der Plejaden fallen läßt, ſo daß das Laub der Bäume und die Kleider der Reiſenden davon klebrig werden. Damit hielt man die Erzählung der Mönche zu Tor von Honigſpuren zuſammen, die ſich oft des Mor- gens auf dem Dache ihres Kloſters finden ſollen. End- lich berichtet unlängſt Wellſted daß er von einem jüdi- ſchen Rabbi gehört habe, in der Wüſte von Damaskus falle in der That jetzt noch ein Manna aus freiem Himmel. Dadurch ſcheint freilich das Tamariskenmanna am Sinai in ſeinem Ruhme geſchmälert zu werden, um ſo mehr da ſich doch beim Manna der Israeliten vom Wun- der nicht abſehen läßt. Bleibt aber das Wunder nicht in ſeinem wahren Charakter, wenn man ſich das heutige Manna durch die waltende Gnade bis zum ehemaligen der Israeliten nach jeder Seite hin potenzirt denkt? Wär's nicht allzu künſtlich, ſo würde ich ſagen daß der von Ta- 205 mariskenwäldern aufſteigende Dunſt recht wohl wieder als Thau zur Erde fallen könne. Wenigſtens möchte dieſer Gedanke eben ſo zuläſſig ſein als jener andere, wornach das jetzige Manna als eine ſchwache Nachwirkung vom bibliſchen Himmelsbrode erſcheint. Nahe an zwei Stunden mochte es ſein daß ich von den Mannatamarisken geſchieden, da hatte ich einen An- blick der leicht der impoſanteſte in meinem Leben war. Wir ritten eine ſanft ſich erhebende Anhöhe hinan; zu beiden Seiten drängten ſich näher und näher die Felſen zuſammen. Plötzlich ſtehen wir vor zwei koloſſalen glatten Granitwänden, die ſenkrecht in die Lüfte ſteigen: ein maje- ſtätiſcher Bau! Wie verſteinerte Palmen ſind's die zuſam- mengeſchmolzen, braun, grau und röthlich; wilde Streifen von dunkelblauer Stahlfarbe ziehen ſich herunter, als hätte der Blitz daran ſeine Feuerbahnen durchlaufen. Das iſt ein Portal wie zum Throne des Herrſchers der Herrſcher. Ich war ſtumm und erſchüttert. Hier iſt heiliges Land, das fühlt' ich; hier haben die Engel Gottes gewaltet, um das ſterbliche Auge zu feſſeln für einen großen Zweck. Wir ritten durchs Portal; wir ritten aufwärts wie über unſichtbare Stufen; die Felſenmauern erweiterten ſich; wir ſtanden in einem fröhlich bewachſenen weiten Raume, amphitheatraliſch geſchloſſen und nur von einzelnen wie zu Areopagen gebildeten Felsblöcken unterbrochen. 206 Mitten unter dieſen Eindrücken war es mir als hört' ich Glockenklänge aus der Ferne; das vollendete den feſt- lichen Moment. Seit Monaten hatt' ich keine Glocken gehört; da brachen ſie plötzlich wie verhaltene ſüße Schmer- zen los. Als ich darauf meinen Dragoman fragte, ant- wortete er mir, faſt im Spotte: Hier gibt's keine Glocken. Dennoch waren wir hier in der That jenem merkwürdigen Dſchebel Nakus oder Glockenberg nahe, der durch die glo- ckenverwandten Töne, die er, wandelt ein Fuß über ſeinen lockern Sand, von ſich gibt, zu dem Glauben geführt hat, es ruhe ein verſchüttetes Kloſter unter ihm. Als wir herausgetreten aus dem amphitheatraliſchen Raume, nahm der Weg wieder den früheren großartigen Charakter an; es war eine wahre Triumphſtraße; gerade vor meinen Augen ſtanden, den Wolken vertraut, hehr und ernſt, Gipfelpunkte des Sinai. In der Mittagsſtunde träumt' ich vom Gärtlein mei- nes Vaterhauſes; Geſpielen der Kindheit ſaßen um mich; ich erzählte ihnen, ſo wie es ehemals geſchehen. Als ich das Auge geöffnet, zog ein Schwarm der kleinen Vögel, die einſt oft im Herbſte meine ganze Luſt geweſen, übers Zelt hinweg. Grüße der Heimath waren's aus frühen fröhlichen Jahren. So wachte im Angeſicht des Sinai meine Kindheit auf. Es war ſchön hier wieder ein Kind zu ſein. Da iſts ja auch geweſen, einſt in der kindlichen Phantaſie, wo ich ihn zuerſt geſehen, den Sinai, den Berg 207 Gottes. Dieſen Augenblick ſchien mir's als hätt ich ſie wieder, jene kindliche Seele, die das Leben, ach, ſo tief in ſeinen Sturm begräbt. Als ich es zum erſten Male las, wie der Herr, um ſein Geſetz in ſeines Knechtes Hand zu geben, herabfuhr mit Feuer auf den Berg daß der Berg bebte, da mochte ich im religiöſen Schauer einen der erſten Momente des Bewußtſeins haben von Gottes Nähe und Größe und heiliger Hoheit. Glücklich die Seele die die- ſen Momenten zu wahren weiß ein feſtliches Echo. Aber ſchnell wurd' ich entriſſen dem Kreiſe meines Sin- nens und Denkens. Mehrere Züge von Beduinen der Sinai- wüſte, Männer mit Frauen und Kindern, auf ſtattlich ge- ſchmückten Dromedaren, begleitet von Lämmerheerden und belebt durch einen weithin ſchallenden Freudenruf, kamen bei uns vorbeigezogen. Einige Scheiks ſetzten ſich zu meinen Führern, und der berühmte Fremdenführer, der Scheik Tuäleb, trat zu mir ins Zelt und lud mich zum heutigen großen Feſte, dem Feſte des Propheten Salech ein. Dies Feſt wurde bei dem Grabdenkmale des Propheten gefeiert, das von meiner Lagerſtätte etwa eine Stunde und vom St. Catharinenkloſter gegen zwei Stunden entfernt war. Ich entgegnete dem Scheik daß ich dem Feſte nicht beiwohnen könne, da ich heute noch im Kloſter ankommen müſſe; doch verſprach ich im Vorübergehen einen Augenblick zu halten. Als ich aber auf das feſtliche Zeltgelage zu ritt, zogen mir die Scheiks, ihr gemeinſames Oberhaupt an 208 der Spitze, auf dreißig Schritte entgegen, um mich von Neuem förmlich zum Feſte einzuladen. Ich war über- raſcht durch dieſe in aller Freundlichkeit zudringliche An- ſprache; die Beduinen ſchienen einen wahren Werth auf meinen Feſtbeſuch zu legen. Als ich eben noch mit der gewünſchten Antwort zögerte, wurde ich plötzlich aus dieſen fremdartigen Geſichtern heraus in der Zunge angeredet die man an der Seine ſpricht. Ich hielt es faſt für eine akuſtiſche Täuſchung; aber ſchnell trat leibhaftig vor mich ein Männlein, in türkiſcher Kleidung, mit kleinen geröthe- ten Augen, von einem zarten weißen Teint, keinem Er- zeugniſſe dieſer heißen Sandſteppe. Es war in der That ein Franzoſe von Geburt, der eine eigenthümliche Carriere gemacht. Vom Apotheker in Lyon iſt er nämlich zum Charakter eines Kamelarztes der Beduinen bis in dieſe Wüſte vorgerückt. Jetzt eben kehrte er von den Hedſchas oder vielmehr von ihren Kamelen zurück; ſein von ſeiner glücklichen Praris gefüllter Beutel lief vierfüßig neben ihm her; er beſtand nämlich aus einer anſehnlichen Heerde Ziegen und Lämmer. Ich entſchloß mich beim Salechfeſte zu bleiben; meine Führer waren glücklich darüber, obſchon ſie nicht gewagt hatten eine Bitte deshalb auszuſprechen. Mit der Schaar die mir entgegengekommen zog ich in das große gemein- ſchaftliche Zelt; ich ließ meine wollene Decke und mein Tigerfell ausbreiten, und faßte drauf inmitten der Häupt- 209 linge Platz. Dies Zelt, worin im Kreiſe vierzig bis funf- zig ſaßen, war nur von zwei Seiten völlig geſchloſſen. Nach Norden bot es die Ausſicht auf die Heerden, auf die Dromedare und Kamele, auf die Bagage; nach Süden hatte es in der Mit ein Feuer lodern, woran aufs Thä- tigſte Kaffee gekocht wurde; vierzig Schritte dahinter ſtand auf einem felſigen Hügel das friſch übertünchte“ Grabmal des Propheten. Beim Feuer und Kaffee ſaß, als Gene- ralwirth, der Fürſt oder Oberſte der Häuptlinge. Seine Erſcheinung war würdig und angenehm. Er war einer der größten in der Zahl, von männlich kräftigen Zügen, braunen Augen, dunklem Barte. Auf dem Haupte hatte er einen weißen Turban, aus deſſen Mitte der rothe Fes hervorſah; an den Füßen hatte er keine Bekleidung; haupt- ſächlich aber trug er ein ungewöhnlich langes weißes * Dies Grabmal und einzelne andere, die ich in der Wüſte traf, machten mir die Beziehung recht anſchaulich die des Heilands Ausdruck hatte, als er den Phariſäern zurief: Ihr ſeid wie übertünchte Gräber, die hübſch von Außen ſcheinen, aber inwendig ſind ſie voll Todtenge- beine. Bis heute noch hat man im Oriente die Sitte, die Grabmäler bisweilen von Neuem zu übertünchen, ſo daß ſie namentlich in der Wüſte weithin ſchimmern; obſchon häufig ihre ganze Pracht in nichts beſteht als in einem Steine, der unter mehreren andern, die auf dem Graberuhen, in die Höhe gerichtet iſt. Es mögen wohl dabei die Mu- hamedaner einen ähnlichen Zweck im Auge haben wie einſt die Juden hatten, die deshalb auf die Uebertünchung der Gräber ſo ſehr bedacht waren, damit ſich die Prieſter, die Naſiräer und auch die zum Paſcha- feſte ziehenden Pilgrime vor der verunreinigenden Nähe derſelben ver- wahren konnten. 14 210 Hemd von leichtem wollenen Stoffe. Dieſe Tracht erin- nerte mich an das Camaldulenſer Gewand, das der Papſt Gregor XVI. bei meiner Aufwartung trug. So nahe be- rühren ſich ferne Gegenſätze; der Fürſt der kriegeriſchen Beduinenhorden am Sinai und der heilige Vater zu Rom in ſeinem Vatican kleiden ſich, wie es den Schein hat, nach derſelben Mode. An unſer großes Zelt reihten ſich mehrere kleinere an, die von allen Seiten verſchloſſen waren; ſelbſt der Ein- gang war mit Teppichen verhangen. In dieſen Zelten weilten die Frauen und Kinder. Gleich hinter mir ſtieß das erſte dieſer Zelte ans unſrige; dadurch machte ich eine Bekanntſchaft der unſchuldigſten Art, dos-à-dos und mit ſtummen Lippen. Ich lehnte mich nämlich an und be- merkte bald, daß meine Lehne von weichem, unſicherem Stoffe war. Doch ſchien es mir meine Nachbarin, von der mich nur die Zeltleinwand trennte, durchaus nicht übel zu deuten, daß ich von der harmlos gewonnenen Poſition unbedenklich Gebrauch machte. So ſaß ich denn, der ſchlichte deutſche Wandersmann, mitten unter dieſen braunen Kindern der arabiſchen Wüſte, kriegeriſch genug in ihrem Waffenſchmucke. Sollte ich an Schiller's Taucher denken: „Da hing ich und war's mir mit Grauſeſ bewußt,“ „Von der menſchlichen Hilfe ſo weit,“ „Unter Larven die einzige fühlende Bruſt?“ Frei- lich war ich der vollen Gewalt dieſer wilden und mächti- 211 gen Horden preisgegeben, die lange Zeit ſelbſt dem Hel- denarme Mehemed Ali's trotzig entgegnet haben, und die auch jetzt mehr durch ſeine Klugheit für ihn gewonnen als durch ſeine Macht von ihm bezwungen worden ſind. Aber ich hatte ein ganz anderes Gefühl. Es ſprach mir aus den Zügen dieſer Leute ein ſo ehrenhafter Charakter, ſolch eine offene Biederkeit entgegen, daß ich in ihrer Umgebung wie zwiſchen heimathlichen Mauern ſaß. Im Anfang waren natürlicher Weiſe Aller Augen auf den fremden Gaſt gerichtet; diejenigen dieſer Beduinen die ſich nicht gerade mit der Führung der Reiſenden befaſſen ſehen äußerſt ſelten einen europäiſchen Reiſenden. Ich meines Theils verſäumte nicht, ihnen als berühmten Krie- gern meine Komplimente zu machen über ein ſo friedlich ſchönes Feſt. Eine Taſſe Kaffee und noch eine zweite wurde mir präſentirt, ſowie allen die im Kreiſe ſaßen. Dazu dampften die Pfeifen. Aber bald erhob ſich mir gegenüber ein lebhafter Wortwechſel. Meine Führer wa- ren nämlich mit zwei Genoſſen jenes von ihnen bekriegten Stammes aus der Umgegend von Jeruſalem zuſammen- getroffen; Slen, einer meiner Führer, hatte bei der Fehde eine beſondere Tapferkeit entwickelt; zwei der Feinde wa- ren von ſeiner Hand gefallen. Doch hier befanden ſich beide Theile unter dem unverletzlichen Schutze der Gaſt- freundſchaft und keiner hatte vom andern im Ernſte zu fürchten, 14* 212 Nach einer kleinen Stunde kam's zum feſtlichen Um- gange ums Denkmal des Propheten. Da waren die Frauen voran, aufs Sittſamſte gekleidet und aufs Uner- baulichſte verhüllt. Unter jener mehrmals erwähnten Muſik, welche die orientaliſchen Frauen in ihrem eigenen Munde zu bewerkſtelligen wiſſen, ging der Zug den Hügel hinauf, ums Grabmal herum und endlich in daſſelbe hin- ein, wo die Frauen einige Minuten zu beten ſchienen. Junge Burſche führten beim Zuge die Opferlämmer, denen noch oben auf dem Hügel ein paar Haare von der Stirne geſchnitten und die Stirne ſelbſt blutig geritzt wurde. Darauf folgte das allgemeine Abſchlachten dieſer funfzig bis ſechzig Lämmer, deren eigentliche Opferung vermittelſt der Zähne und Mägen geſchieht. Sie wurden ſodann an den Zelten aufgehangen, ihres Felles entledigt und mit den großen Meſſern, die zugleich als Waffen wie kurze Schwerter dienten, in einige Stücke zerhauen. Während die Mahlzeit am Feuer bereitet wurde, er- öffnete ſich ein Wettrennen auf Dromedaren. Das war ein anziehendes Schauſpiel. Immer vier oder ſechs Ritter ſprengten auf dieſen herrlichen, mit Gehängen von Perlmut- ter und ſchönen Teppichen geſchmückten Thieren vor den Zel- ten vorbei. Die Frauen, die wieder hinter den Zeltvorhängen ſaßen, erhoben bei jedem neuen Ritterzuge ihre jauchzende Muſik. Das Dromedar, in ſeiner das flüchtigſte Roß über- flügelnden Schnelligkeit, erkennt man hier kaum als Bru- 213 der vom Kamele, wenn's mit ſeinen gemeſſenen Schritten, wie ins abgründliche Nachdenken der deutſchen Eſel ver- loren, durch die ſandige Wüſte ſchreitet. Noch während der letzten Wettrennen erhob ſich ein Sturm, der von den nahen Bergen herab mit wilder Muſik durch unſer Thal ſtürzte. Dadurch wurde beſonders die Erwartung auf den Tanz der Frauen geſtört, der des Abends auf die Mahl- zeit folgen ſollte. Jetzt wurde zur Mahlzeit geſchritten. Alles Fleiſch war gekocht worden; ich hatte es abgelehnt mir ein Stück nach meinem Geſchmacke zubereiten zu laſſen, da ich ohne- dem nur zur Geſellſchaft mitaß. Alle lagen im Kreiſe herum; immer vier bis ſechs gruppirten ſich wieder zu einem kleinen Zirkel und hatten in ihrer Mitte ein ausge- breitetes Lammfell. In einer großen hölzernen Mulde wurde das Fleiſch aufgetragen und aufs Fell geſchüttet. Natürlich gab's keine Meſſer und Gabeln. Jeder nahm ſich mit den Werkzeugen die ihm die Natur angeſchaffen ſeinen Theil; ich that ſoviel wie möglich daſſelbe. Nach dem Fleiſche kam noch ein Bilav, zuſammengeknetet aus Gerſtenmehl und gewiß von ſehr wenig Zuthaten behel- ligt. Ich leiſtete Verzicht darauf. Getrunken wurde bei der Mahlzeit ein Krug vortrefflichen Waſſers. Somit hab' ich die ganze Magenerquickung dieſer kleinen Fürſten der Wüſte bei ihrem großen Salechfeſte geſchildert; das Podagra läßt ſich von dergleichen Schmäuſen ſchwerlich heimtragen. 214 Nach der Mahlzeit wuchs der Sturm zu noch größerer Heftigkeit. Nur mit Mühe ließ ſich das Zelt vor dem Einſturze ſichern. Das Feuer blies uns allen Dampf und Aſche in die Augen. Auch große Regentropfen fielen. Unter dieſen Umſtänden ſchwand alle Hoffnung, die Be- duinenfrauen noch tanzen zu ſehen; man begreift wie leid es mir that. Ich unterhielt mich noch einige Minuten mit dem oberſten Häuptling. Sein unerſchütterlicher Hu- mor gefiel mir und ſein entſchiedener Glaube. Er war fern davon, ſich über den Sturm zu beklagen; „Gott hat's geſchickt, drum muß es gut ſein,“ ſagte er, und in ſeinen Augen ſtand geſchrieben: Ich glaube was ich ſage. Neben der Ueberzeugung von der göttlichen Vorſehung herrſchte beſonders noch in ſeinem religiöſen Geſichtskreiſe das Bewußtſein von der Pflicht der Gaſtfreundſchaft. Als ich von Mehemed Ali mit ihm ſprach, war er voll großer Hochachtung für denſelben. Von unſerem Treiben überm Mittelmeere drüben wußte er faſt nichts. Unter dem Namen der Franken ſind bei ihm, wie bei ſo vielen Orientalen, alle Europäer brüderlich verſchmolzen; nur der Ruſſe ſchien ſich aus dem großen Geſchlechte mit be- ſonderer Farbe losgerungen zu haben. Es war noch nicht ſpät als ich mich zur Ruhe legte. Mein Dragoman baute mir eine ſeltſame Wohnung für die Nacht. Er breitete zwiſchen Küchenkafaß und Reiſe- koffer das Zelttuch aus; ich kroch darunter. Rings um 215 mich lagen die Beduinen mit Frauen und Kindern, mit Dromedaren und Kamelen, mit Lämmern und Ziegen. Ich werde ſchwerlich eine ähnliche Feſtnacht erleben. Ich benutze dieſe nächtliche Ruhe um einige nähere Nachrichten über meine Gaſtfreunde zu geben". Sie ge- hören zu den Stämmen der Tawarah, wie ſich die Be- duinen des Sinai oder des Dſchebel et Tur insgeſammt nennen, und zwar zu dem Hauptſtamme der Sawalihah, deren Großahnen nach der Einnahme Egyptens durch die Helden des Halbmonds von der egyptiſchen Grenze in dieſe Gegenden eingewandert ſein ſollen. Einer der drei Zweige von den Sawalihah, und zwar gerade derjenige deſſen Beziehungen zum St. Katharinenkloſter weit ferner oder gar feindlicher ſind als die der beiden anderen, die Karraſchy, zählt in ſich jenen jetzigen Hauptſcheik oder das gemeinſame Oberhaupt für alle Stämme der Tawarah. Derſelbe führt, gleichwie jener verehrte Scheik oder, wozu er wohl erſt ſpäter geworden, Prophet, den Namen Salech. Unter den Beduinen gelten die Tawarah für arm; freilich mögen ſie zwiſchen den kahlen Bergen vom Sinai bis nach Akaba keine Schätze gewinnen; obſchon ſie fürs Ge- leite der Sinaipilger ein gewiſſes Vorrecht behaupten. Ihre Seelenzahl beläuft ſich nach Burckhardts und Rüp- pell's Schätzungen auf vier bis ſechs tauſend. Ihre Praris * Vergl. Robinſon's Paläſtina Th. 1. S. 219. ff. 216 des Muhamedanismus mag eine ſehr lockere und eigen- willige ſein. Zu den Kriegen, die ſie häufig gegen andere Beduinenſtämme führen, kommen auch bisweilen blutige Kämpfe in ihrer eigenen Mitte. Nur wenn ſie eine Ver- mittelung beim Paſcha von Egypten ſuchen, miſcht ſich dieſer in ihre Händel. Sehr früh am Morgen des vierundzwanzigſten Mai weckte mich ein ungewohntes Concert. Die Kamele brüll- ten ihr Morgenlied, und zwar größtentheils in einem un- vergleichlich tiefen Baſſe; einige dazwiſchen meckernde Zie- gen nahmen ſich wie hüpfende Diskantiſten aus. Nachdem ich von den verſammelten Scheiks aufs Freundlichſte Abſchied genommen, ritt ich meinem Reiſe- ziele in Eile näher. Der Morgen war angenehm kühl. Der Unterſchied der Temperatur, den ich ſchon ſeit den beiden letzten Tagen geſpürt hatte, fiel mir heute beſonders auf; freilich liegt das Scheikthal, wo wir jetzt waren, um mehrere tauſend Fuß höher als das Garandelthal, wo die Hitze unerträglich geweſen. Das Kloſter ſah ich nicht eher als bis wir in ſeine nächſte Nähe gekommen waren; es liegt in einem langen aber engen Thale zwiſchen dem Berge des heil. Epiſtemius, auch Dſchebel ed Deir ge- nannt, und dem Horeb. Aber aufs Lieblichſte kündigt ſichs an durch ſeinen herrlichen Garten, der mit ſeinen Cypreſſen, Granaten, Orangen aus den grauen ſteinernen Mauern gar freundlich hervorſchaut. Das Kloſter ſelbſt 217 nimmt ſich durch ſeine gegen vierzig Fuß hohen Mauern wie eine kleine Feſtung aus; der Mangel eines eigent- lichen Eingangs verſtärkt dieſen Eindruck noch. Dreißig Fuß hoch iſt die Thüröffnung, zu der man durch ein Seil hinaufgewunden wird. Mehrere Beduinen hielten ſchon vor mir unter der Thüre; ſie ließen es nicht daran fehlen meine Ankunft durch Geſchrei und durchs Abfeuern ihrer Ge- wehre zu verkünden. Aber eh’ ich die Seilwanderung an- trat, fragte man mich nach meinen Briefen. Ich übergab die beiden Briefe aus Suez, die ſofort hinaufgezogen wur- den. Da aber der Prior wußte daß ich aus Cairo kam – ich war ihm von dort ſchon angemeldet worden – ſo glaubte er daß ich nothwendig vom Mutterkloſter daſelbſt eine Empfehlung mitbringen müßte. Niebuhr erhielt bekannt- lich in Ermangelung eines ſolchen Empfehlungsbriefes keinen Eingang. Ich entgegnete daß ich allerdings vom Kloſter in Cairo, wo ich aufs Beſte gekannt ſei, ein Schrei- ben erhalten habe; es ſei mir aber unter anderen Papieren zu meinem Unglücke liegen geblieben, weshalb ich mich eben der Briefe aus Suez bediene. Nebenbei ſei's geſagt daß ich aus gutem Grunde jene Empfehlung zurückgelaſ- ſen, da ſie bei aller Liebenswürdigkeit einen Zug vom Uriasbriefe hatte. Meine Auskunft mochte nicht ganz be- friedigen; doch ſtand man nicht länger an, mich ins Seil zu faſſen und ins heitere Aſil zu ſich aufzunehmen. Der Sinai und ſein Kloſter. Wie überraſchend iſts, mitten in der öden, von Sand und Fels ſtarrenden Wüſte plötzlich zwiſchen dieſen gaſt- lichen Mauern zu weilen, in dieſen ordnungsvollen, zier- lichen Anlagen und Gemächern, umgeben von ernſten Männern, mit langen Bärten, in ſchwarzen Talaren. Der jetzige Superior des Kloſters, der leider trotz der Feinheit ſeiner Züge die ausgeprägteſte Falſchheit im Blicke trägt, begleitete mich ſogleich in ein geräumiges Zimmer, ge- ſchmückt mit ringsum laufendem Divan und bunten Tep- pichen. Dies Zimmer wurde mir als Salon angewieſen, ein anderes daneben war meine Schlafſtube, ein drittes mein Speiſe- und Arbeitszimmer. Außerdem führte mir der Superior als gewöhnlichen Begleiter während meines Aufenthalts im Kloſter einen jungen Mann zu, der nichts auf dem Leibe trug als ein kurzes härenes, braun und grau geſtreiftes Gewand. Ich begriff bald daß ichs mit einem halben Narren zu thun hatte; denn bei der erſten Unterhaltung fragte er mich, ob ich ſchon Reiſen in Sonn' und Mond gemacht. Dieſer „Signor Pietro“ iſt ein gebor- ner Grieche, von guter Familie; er ſpricht außerdem Ita- liäniſch und Franzöſiſch, auch ein wenig Engliſch, Deutſch, 219 Arabiſch. Vor einigen Jahren iſt er von ſeinen Verwand- ten zur Verwahrung ins Kloſter gebracht worden; täglich harrt er umſonſt ihres Beſuches. Trotz ſeiner verrückten Einfälle iſt er ohne Zweifel der witzigſte und geiſtreichſte Menſch im Kloſter. Sein Umgang war mir intereſſant, obſchon er mir bisweilen läſtig wurde. Gleich neben mir wohnte der mit der Aufwartung der Fremden betraute Bruder, Gregorios, ein freundlicher würdiger Greis mit einem ſtattlichen weißen Barte. Vor vierzig Jahren war er Befehlshaber von tauſend Mame- lucken; aus dem blutigen Kriegslärme hat er ſich, wie ein Rhodiſcher Johannisritter, zu dieſem beſcheidenen Dienſte ins ſtille Kloſter zurückgezogen. Den Kriegsmann merkte man ihm noch an wenn er Gewehre ſah; faſt täg- lich ſchoß er mit meiner Doppelflinte und traf genau, un- ter dem Donner des Echo's, den zum Ziele erwählten Ziegel auf der Kloſtermauer. Doch hatte er auch ſogar ſo viel wiſſenſchaftlichen Sinn, daß er ſich meines Eifers für die griechiſchen Manuſcripte freute. Von meinen Fenſtern hatte ich übers Kloſter hinweg die Ausſicht auf den Horeb; da lag er völlig nackt in ſei- nem grauen Granit vor mir, voll einer abſchreckenden Schroffheit. Doch winkten von den Höhen herab einige einzeln ſtehende Kreuze; dem frommen Drange der Ein- ſiedler war nichts zu ſchroff, nichts zu abſchreckend. Trat ich zur Thüre meines Zimmers hinaus, ſo hatt' ich unter 220 mir den Hofraum mit einem Brunnen in der Mitte, um- rankt von grünen Weinreben. Zwiſchen Vier und Fünf des Morgens, wenn das Glöcklein ſchon erklungen, ſah ich immer beim Brunnen den würdigen Bruder Kyrillos. Noch immer ſteht mir dieſer Brunnen mit ſeinen Reben und dem guten Kyrillos vor Augen. Mit dieſem Manne, vierzig bis funfzig Jahre alt, hab' ich mich herzlich befreundet. Urſprünglich iſt er auf dem Berge Athos heimiſch geweſen; vor kurzer Zeit aber wurde er, ich weiß nicht aus welchem Ungehorſam gegen den Patriarchen, mit Gewalt nach dem Sinai gebracht. Hier iſt er Bibliothekar. Ich hab' ihn als einen biedern, un- terrichteten, ernſten, wohlwollenden Mann ſchätzen gelernt. In den letzten Tagen meines Aufenthalts im Kloſter über- raſchte er mich ſo oft ich ihn ſah mit einem netten neu- griechiſchen Gedichte, das er auf ein ſchmuckes Blatt ge- ſchrieben und zu meiner Ehre verfaßt hatte. Aus der Bibliothek gab er mir alle Manuſcripte die ich wünſchte in mein Zimmer. Als ich mich wegen der Störung an- klagte die ich dadurch in die Ordnung der Bücher brachte, beruhigte er mich damit, daß er ſich doch meines Beſuches fröhlich erinnern könnte wenn er die entnommenen Ma- nuſcripte wieder in ihre vorige Ordnung fügte. Freilich mag er ſelten genug auf ähnliche Weiſe geſtört werden; kaum wird Jemand im Kloſter außer ihm an die ſo reiche Bibliothek denken. 221 Im Ganzen traf ich achtzehn Brüder im Kloſter, von denen faſt ein jeder ein beſtimmtes Amt hat. Am meiſten merkt man dem Oikonomos ſeinen Poſten an; denn er iſt von einer vollkommenen Wohlbeleibtheit. Ich weiß nicht ob man die Lebensweiſe dieſer Mönche, vom Orden des heil. Baſilius, ſtreng nennen kann. Die Charakteriſtik Rudolph's von Suchem im vierzehnten Jahrhundert führt leicht in Irrthum; er ſagt: „Sie trinken nicht Wein denn in den hohen Feſten, eſſen nimmer kein Fleiſch, ſondern erhalten ſich mit Kräutern, Erbſen, Bohnen und Linſen, welches ſie ihnen mit Waſſer, Salz und Eſſig zubereiten; ſie eſſen bei einander in einem Refektorio ohn' ein Tiſch- tuch.“ Es ſind hierbei die Fiſche vergeſſen, die bei der Nähe des Meeres nie fehlen, ferner der Reis, den ich nir- gends ſchöner als hier geſehen, die Datteln und Mandeln, der Kaffee und vieles Andere. Für den Wein beſonders hat man ſich durch den vortrefflichen Dattelbranntwein zu entſchädigen gewußt, wovon ein jeder eine tüchtige Portion allwöchentlich auf ſeine Zelle bezieht. Das Brod des Kloſters iſt ſo ſchön, daß es kaum im Oriente ſeines Gleichen hat. Spuren des Mangels hab' ich keinem ein- zigen der Brüder angeſehen. Die Zahl der Kapellen überſteigt um vier die Zahl der Mönche; vor Zeiten iſt das Verhältniß ein ſehr verſchie- denes geweſen. Troilo im ſiebzehnten Jahrhundert traf ſiebenzig Mönche an. Außer den zweiundzwanzig Kapellen 222 hat das Kloſter eine Hauptkirche, reich an Pracht. Zwei Reihen von Granitſäulen tragen das Gewölbe, das auf blaugemaltem Grunde mit Sternen überſäet iſt. Der Boden iſt mit ſchwarzem und weißem Marmor belegt. Viele Lampen und Leuchter prangen in Gold und Silber. Unzählige Bilder bedecken die Wände; aber geſchmack- voller und ſchöner als dieſe alle iſt die alte Moſaik am Gewölbe des Rundtheils, wo die aufs Koſtbarſte ver- wahrten Reliquien der heil. Catharina ruhen. Dieſe Mo- ſaik ſtellt zu beiden Seiten Moſes dar, links vor dem brennenden Buſche, rechts mit den Geſetzestafeln, und enthält in der Hauptgruppe die Scene der Verklärung Chriſti mit Moſes, Elias und den drei Jüngern. In den beiden Ecken über der Gruppe befinden ſich auf zwei Me- daillons Juſtinian und Theodora. Beide gelten, und zwar mit Grund, für die Stifter des jetzigen Kloſters, wenngleich ſchon vorher, namentlich im vierten Jahrhun- derte, der Sinai von vielen Anachoreten bebaut und be- wohnt geweſen, die, wie der egyptiſche Mönch Ammonios erzählt, nur von Datteln, Beeren und ähnlichen Früchten lebten, und von den Sarazenen viel zu leiden hatten. Die geſchilderte Moſaik, wahrſcheinlich aus der Zeit der Stiftung ſelbſt, beweiſt daß das Kloſter urſprünglich der Verklärung gewidmet geweſen, weshalb auch noch heute manche Reiſende an dieſer Bezeichnung feſthalten. Allein jetzt hat offenbar die Verehrung der heil. Catharina, 223 die nach Euſebius im Jahre 307 nach dem Sinai floh, von wo die Engel ihren Leib nach ihrem Märtyrerthume auf den Gipfel des Catharinenbergs getragen haben ſol- len, nicht nur mit ihrem Räucherwerk und Kerzendampf die Verklärungsſcene, gerade über dem Reliquienſchreine, in düſtere Schatten geſtellt, ſondern auch die Benennung des Kloſters uſurpirt. Denn ſogar die Abendmahlsbrode des Kloſters, wie ich deren ſelbſt eins beſitze, ſind mit der „hagia katherine“ beſchrieben. Die letzte Beſonderheit der Kirche hab' ich noch nicht genannt: das iſt die Kapelle des brennenden Buſches. Sie ſoll eben da errichtet ſein wo der Herr ſeinem Knechte in den Flammen erſchien. Man geſtattet dem Pilger nicht dieſe Kapelle mit beſchuhten Füßen zu betreten. „Tritt nicht herzu,“ heißt es ja, „ziehe deine Schuhe aus von deinen Füßen; denn der Ort wo du ſteheſt iſt ein heiliges Land.“ Iſts auch immer nur der fromme Glaube, der ſo genau die weihevolle Stelle wieder gefunden hat; doch wem käme hier nicht ins Herz, ins Herz und auf die Lippen das Gebet: „Herr, durchglühe auch mich mit deinem Feuer- eifer für dein heiliges Wort, wie du einſt durchglüht haſt deinen Knecht Moſes.“ Ueberraſchender Weiſe beſitzt das Kloſter in ſeinen Mauern neben ſeinen Kirchen und Kapellen auch eine Moſchee. Sie ſah jetzt ziemlich verödet aus. Man erzählt daß durch Erbauung dieſer Moſchee das Kloſter ſeiner 224 Zerſtörung entgangen ſei, als Mahomet der Prophet den Sinai beſuchte. Gedient hat ſie wohl beſonders für die muhamedaniſchen Leibeigenen des Kloſters, deren mehrere die niederen Dienſte im Kloſter verrichten. Außerdem mag ſie bei Beſuchen von Männern wie Ibrahim Paſcha noch heute in Gebrauch kommen. Aus dem Kloſter eil' ich jetzt in den Garten. Der Weg zu ihm iſt ſchauerlich; etwa vierzig Schritte weit führt er durch einen engen niederen in den Fels gehauenen unterirdiſchen Gang. Um ſo herrlicher iſt der auf meh- reren Terraſſen angelegte Garten. Da prangt Alles, da blüht und duftet Alles. Das friſcheſte Waſſer läuft durch ſeine Gräben. Die dunklen hoch aufſtrebenden Cypreſſen ſtehen unter den ſilberfarbigen Oliven; neben den Man- deln und Feigen, den Orangen und Citronen gedeihen auch Aepfel und Birnen. Vor Allem aber feſſelten mein Auge die vollbuſchigen Granaten mit dem feurigen Roth ihrer Blüthenkronen. Ich brach davon Erinnerungszei- chen für meine fernen Lieben. Der Pfingſtmorgen auf dem Sinai. Am ſechsundzwanzigſten Mai war der Sonntag der Pfingſten. Wohl nie in meinem Leben mag ich ſo glück- lich erwacht ſein zum Pfingſtfeſte. Nur einmal weiß ich daß mein Herz gar innig ihm entgegenſchlug; da fiel der Ge- burtstag einer ſeligen Frau, die ich unausſprechlich geliebt, 225 zuſammen mit dem Pfingſtſonntage. Ich dachte, als ich dieſen Morgen erwachte, mit ganzer Seele an die Ver- klärte. Von welcher Freude würde ihr mütterliches Auge glänzen, wüßte ſie mich heute an dieſem heiligen Orte. Es war mir im Augenblick als wüßt ich ſie noch getreu- lich walten zu Hauſe am väterlichen Herde. Ich dachte mir unſer Wiederſehn. Da rollte mir ein heißer Strom über die Wangen. Gott kann einen Sterblichen nicht ſo glücklich machen, ſagt ich mir. Der Moment hätte meines Lebens letzter werden müſſen. Das Kloſterglöcklein war's das mich geweckt hatte mit ſeinem feierlichen Klange. Sonſt hört' ich keinen Laut in dieſer Sabbathsruhe. So mag es im Herzen eines ſelig verklärten Menſchen ſein, um den eingeſchlummert ſchweigt der geräuſchvolle Werkeltag des Lebens. Wohl uns, wenn wir Augenblicke aus der Hand der Gnade nehmen, wo's auch ſo iſt in unſerem Herzen. Den Gipfel des Sinai wollt ich heute beſteigen; wie freut' ich mich darauf. So lange war's mir wie ein him- melhohes Ziel erſchienen, zu dem hinauf meine Hand nicht reichen könne. Jetzt ſah ich's vor mir glänzen, wohl ſchön wie der Himmel, aber ſo freundlich nahe wie die Kirche meinem Vaterhauſe. Mein Ali ſtand ſehr früh zum Aufbruche bereit; er hatte ſein Scharlachkoller, geſtickt mit Gold und Silber, angelegt; die Sonne des Feſtes leuchtete ihm aus den I. 15 226 freundlichen Zügen. Signor Pietro gefiel ſich ſehr wohl in unſeren Waffen. Mohammed trug die Proviſion. In dieſer Begleitung wanderte ich durch den Garten hinaus an den Fuß des Horeb. Bald begannen wir ſteil aufzuſteigen. Zwiſchen zwei in eine Kluft abfallenden Abhängen führt der Weg auf- wärts, über viele Felſentrümmern mit Reſten von einge- hauenen Stufen, die auf die Zeit der Helena zurückgehen ſollen. Geſträuch, Gräſer und Blumen wachſen nur ſpär- lich. Nahe an tauſend Fuß über dem Kloſter raſteten wir bei der klaren Quelle des heil. Sangarius. Nachdem wir kurz darnach bei zwei kleinen Kapellen vorüber waren, ſah ich überraſcht in der Höhe vor mir den Weg von einem ſteinernen Bogen mit einem Kreuze überragt, und gleich darauf von einem zweiten, zu dem wir zwiſchen ſchroff hervortretenden Felſen aufſtiegen. Eben waren meine Ge- danken noch verloren in jene frühen Zeiten, wo ſo viele fromme Einſiedler auf dieſem Berge in treuer Herzinnig- keit dem Herrn gelebt und geſtorben: da ſtanden wir auf der Oaſe des Horeb, die zwiſchen die grauen Granit- felſen, wie zur Verſöhnung mit ihrem ernſten Ausdrucke einen fröhlichen Kranz hinbreitet. In der Mitte, neben einem Baſſin friſchen Quellwaſſers, erhebt ſich einſam eine Cypreſſe. Welch lieblichere Erſcheinung ließe ſich denken als dieſe Cypreſſe mit ihrem dunklen unverwelklichen Grün, mit ihrem hohen ungebeugten Scheitel, den Fuß auf dem 227 Horeb, den Blick auf den Gipfel des Sinai. Wie der jüngſte prophetiſche Bote, dem vertraut iſt worden ein himmliſches Wort von einer glücklichen heiligen Zukunft, ſo ſteht ſie da. Nahe davon iſt die verlaſſene Kapelle des Propheten Elias, der einſt hier weilte als er vor dem Zorne Ahabs und der Iſebel geflohen. „Gehe heraus,“ ſo ſprach hier der Engel zu ihm, „gehe heraus und tritt auf den Berg vor den Herrn.“ Und ſiehe, heißt es, der Herr ging vorüber, und ein großer ſtarker Wind, der die Berge zerriß, der die Felſen zerbrach, ging her vor dem Herrn. Ja, hier iſt der Herr vorüber gegangen, ſo rief, wie Geramb, meine Seele aus auf dieſer geweihten Stätte; dieſe zerriſſenen Berge, dieſe zerbrochenen Felſen, die geben noch heute Kunde von den Schritten des Herrn. Von hier ſtiegen wir neunhundert Fuß höher, über wild aufgethürmte nackte Felsmaſſen, zur Spitze des Sinai. Als ich vor Jahren auf dem Rigi ſtand, da lagerte ſich eine unvergeßliche Scene um Aug' und Seele. Im Norden ruhte das tiefe weite Thal mit all ſeinen Seen, worüber der Morgen ſeinen duftigen Schleier geworfen. Im Süden ſtanden die Schweizer Gebirge, ihre Gipfel bedeckt mit dem ewigen Schnee. Der Tag wachte auf; hinter lichtblauen Wölkchen blitzte ſein erſter Strahl her- vor. Wunderbare, roſigſchimmernde Streifen durchzogen den blendenden Schnee; es war mir als ſäh’ ich Gedanken 15* 228 der Engel, die an die jungfräuliche Erde ſtreiften. Ein Mägdlein brachte Alpenroſen; ein Hirtenknabe ſpielte auf der Schalmei. Du glücklicher Schweizer; deine Sehnſucht verſteh ich; deine Thräne hat ein heiliges Recht. Mein eigenes Auge weinte ſich entzückt hinein ins Auge der Schweiz. Ein paar Jahre ſpäter erſtieg ich den Veſuv. Die Dämmerung herrſchte noch um uns als wir am Krater ſaßen. Aus dreifachem Munde ſtrömte der Feuerregen aus; fürchterliches Krachen umtobte ihn; der ganze Berg rauchte. Die Stunde des Aufgangs war da, aber das Auge des Tages verbarg ſich hinter Gewitterwolken. Die nachbarliche Gebirgsgruppe hüllte ſich in ein ſeltſames Blau, als dampfte ein Brand aus ihren Eingeweiden. Unheimlichen Schauers, wie vor einer unglücksſchwange- ren Zukunft, war ich voll. Jetzt ſtand ich auf dem Sinai. Der Sturmwind brauſte mit Macht. Graue, wildgezackte Granitmaſſen umragten mich; weiße Wolken lagerten zwiſchen den ſchroffen Spitzen; drauf glänzte die Sonne des Pfingſtmorgens. Nahe unter dem öden Felſengipfel erhob ſich von der Oaſe des Horeb die prächtige Cypreſſe mit ihrem dunklen Grün. Hier hatt' ich nicht das Entzücken vom Rigi, nicht die unheim- lichen Schauer des Veſuvs: beten, voll Inbrunſt beten mußt ich hier. Es war mir als wäre Gott hier näher als an irgend einem Orte der Welt. Seine Hoheit, ſeine 229 ehrfurchtgebietende Majeſtät, und ſeine Liebe, ſeine Milde, gefaßt in ein einziges herrliches Bild: ſo war mir der Sinai. Wie ein Königsſtuhl den Gott ſich auf Erden gebaut, unwandelbar ſeit dem Tage der Schöpfung, den derſelbe Finger gebaut der das geiſtdurchbebte Meer ge- ſchaffen, der den unendlichen Himmel gewölbt: ſo iſt der Sinai. Wie eine heilige Veſte iſt er, entrückt aus den Märkten der Welt, fern von den Wohnungen der Men- ſchen, zwiſchen Wüſte und Meer einſam bis zu den Wol- ken gethürmt. Nach dem Rigi weint zurück das Auge des Schwei- zers, wie von ſeinem Münſter am Rheine ſehnſüchtig der Elſaſſer träumt: zum Sinai ſtreben die Herzen der Völker der Erde zuſammen. Zu ihm flüchten wie zu einer ewigen Stiftshütte die Söhne Israels; zu ihm drängt es den Chriſten vom eiſigen Norden Europens, aus Afrika's ſen- genden Gluthen; zu ihm wallfahrten getreu die Verehrer des Propheten. Auf ſeinem Gipfel denkt ſichs unwillkürlich an jenen großen ſchönen Tag, wo geſchlichtet ruhen wird der Völker unerſättliche Fehde, wo ſich alle Kinder der Erde brüderlich zuſammenfinden werden zu dem einzigen Fels des Heils, wo aus Tempel und Moſchee, aus Syna- goge und Kirche ein einiges ewiges Hallelujah ſchallen wird. Hätt' ich einſt als Kind geträumt von einer Stunde der Zukunft, heilig über alle anderen Stunden und wie 230 emporgehoben aus den Werkeltagen in die Region der Verklärung: von dieſer Stunde des Pfingſtfeſtes auf der Höhe des Sinai mußte ich träumen. Und dürft' ich einen Wunſch ins Wort faſſen für alle die meine Wanderungen mit Liebe begleitet, der Wunſch wäre es: Möchtet Ihr alle ſelber eine Stunde des Pfingſtmorgens auf dem Gipfel des Sinai verleben. Doch nicht ich allein feierte heute Pfingſten auf die- ſem hohen Standpunkte; der Prior des Catharinenkloſters mit noch zwei anderen Brüdern war ſchon vor mir daſelbſt angekommen; ſie feierten in der kleinen chriſtlichen Kapelle, die auf der nördlichen Spitze ſteht, eine Meſſe. Dieſer Kapelle gegenüber, auf der ſüdlichen Bergſpitze, ſteht eine kleine Moſchee, mit einem Brunnen herrlichen Waſſers daneben. Darin mochten gleichfalls religiöſe Feierlich- keiten geübt werden als am nächſten Donnerſtage die Be- duinen, die um den Sinai wohnen, mit Frauen und Kin- dern hinauf wallfahrteten. Einen Stein gleich hinter der Kapelle bezeichnet man als den Sitz des Mannes Gottes, als er der Geſetzgebung pflegte. Lange ſaß ich darauf; ich war ſo den Augen mei- ner Begleiter entzogen und beſchrieb hier, meinen eigenen Gedanken hingegeben, ein paar Blätter frommer Begrü- ßung an mein Vaterhaus. Wie innig hängt, wer allein reiſt wie ich, in feſtlichen Momenten an den Lieben in der Ferne, die er im Herzen trägt. 231 Die Ausſicht die ich vom Gipfel des Sinai hatte berührte ſich nicht mit dem Wüſtenpanorama von zweihundert Mei- len, wie es Schubert gehabt und beſchrieben hat. Ich ſah das rothe Meer nicht mit ſeiner afrikaniſchen Küſte; nicht die Gebirge von Akaba; auch nicht bis nach Suez. Aber die nahe Umgebung war mir großartig und gewaltig genug, Im Süden, in geringer Entfernung von uns, thronte der Catharinenberg, noch über tauſend Fuß höher als der Sinai. Er ſah ſchwarzröthlich aus und war nur ſpärlich da und dort mit niederem Grün bewachſen“. Im Weſten hatten wir das Gebirg Humr; zwiſchen ihm und dem weſtlichen Abhange des Horeb liegt das Kloſter der vierzig Märtyrer (El Erbain) im Boſtanthale. Nach Norden ſchweifte das Auge am weiteſten, und zwar vom * So beſchreibt Rüppell den Catharinenberg, den er jedoch lie- ber mit dem Namen des Horeb benennt. „Dieſe Gebirgsmaſſe iſt von derjenigen des Sinai ganz verſchieden, und beſtehet aus wagerechten Lagern von röthlichem Feldſpathgeſtein, in welchem kleine ſechsſeitige doppelte Ouarzpyramiden porphyrartig eingewachſen ſind; beige- miſchter Glimmer iſt nirgends ſichtbar, und nur ſparſam zerſtreut zei- gen ſich kleine röthliche Feldſpathfryſtalle in der Felsmaſſe. In den Felsritzen hat ſich allenthalben eine ſpärliche Vegetation entwickelt.“ Vergl. ſeine Reiſe in Abyſſinien. 1. B. S. 121. Gleich vorher be- ſchreibt er ſo den Sinai: „Der ganze Berg beſteht aus verticalen Schichten eines feinkörnigen, grauen Granits, der ausgleichen Thei- len von Feldſpath und Quarz und ſehr wenigem beigemiſchtem Glim- mer zuſammengeſetzt iſt; überallſproßt zwiſchen den Felsſtücken niede- res Geſträuch hervor. Der Gipfel des Berges iſt eine iſolirte Kuppe mit einer ſchmalen abgeplatteten Stelle.“ S, Seite 117. 232 Horeb zu unſeren Füßen hinweg nordweſtlich zum Aarons- gebirge, hinter dem der Serbal liegt, und nordöſtlich zum Berge des heil. Epiſtemius, der auch der Kloſterberg heißt. Zwiſchen beiden ziehen ſich lange Wüſtenſtriche hin, die wieder von Gebirgszügen umſchloſſen werden. Im Oſten endlich, ganz nahe unter uns, hatten wir den Wadi Se- baye, der wie ein abgeſchloſſenes Aſil zwiſchen ſteinernen Bergmauern ruht. Nordweſtlich, da wo der Weg aus ihm nach dem Kloſter läuft, wird der Wadi vom Hutberge begrenzt, dem Berge worauf Moſes die Heerden Jethro's ſeines Schwiegervaters gehütet haben ſoll. Dieſen Wadi Sebaye hält man, und zwar nicht ohne Grund, für die Lagerſtätte der Kinder Israel während der Moſaiſchen Geſetzgebung. Er iſt von großem Um- fange und wie geſchaffen zu ſolch einem Feſtacte. Auch giebt er eine vortreffliche Erklärung für den Ausdruck deſſen ſich Moſes bedient: „Wer den Berg anrührt.“ Im Wadi Sebaye nämlich läßt ſich im eigentlichen Sinne der Berg anrühren, da er ſo ſchroff aufſteigt daß man ihn vom Fuße bis zum Scheitel wie eine abge- ſchloſſene Perſönlichkeit vor Augen hat. Eben ſo ver- hält ſichs mit den Worten: „Und das Volk trat unten an den Berg.“ Selten ſteht man ſo eigentlich unten am Berge, mit dem Blicke bis auf den mehrere tauſend Fuß hohen Gipfel, wie im Wadi Sebaye am Fuße des Sinai. 233 Das Beſteigen des Berges iſt direkt aus dem Wadi faſt unmöglich; was gleichfalls nach Moſes Wunſch und Plan ſein mußte, und wodurch „das Gehege um den Berg“ um ſo voller ſeiner heiligenden Beſtimmung ent- ſprach. Der Weg den Moſes auf den Gipfel nahm könnte wohl mit demſelben Wege zuſammenfallen, der noch heute die Pilgrime aus dem Kloſter hinaufführt. Moſes ging dann zuerſt durch den Engpaß von Südoſt nach Nordweſt, und dann von Norden nach Weſten. Die ganze Wanderung wurde ſo von keinem Auge, auch nicht aus der Ferne, begleitet. Sehr unbequem war ſie freilich dieſe ſchroffen, zerriſſenen Felſen hindurch; man hat ſich jetzt gar ſehr der Reſte von jenem oben erwähnten Stufen- bau zu freuen. Deshalb darf man noch an einen zweiten Weg – ein dritter wird nicht möglich ſein – für Moſes denken; es iſt der aus dem Boſtanthale beim Kloſter der Vierzig vorbei. Dadurch wird ziemlich die dem Wadi Sebaye entgegengeſetzte Seite des Gebirgs betroffen. Soll ich aber auch ſagen was die Annahme dieſes Wadi als der großen Lagerſtätte behelligt? Es iſt der enge mißliche Weg den die Israeliten, als ſie aus dem Scheikthale kamen, zu ihm gehen mußten. Und zugleich ſcheinen die Worte: „Moſes führte das Volk aus dem Lager Gott entgegen, und ſie traten unten an den Berg“, noch auf eine beträchtliche Räumlichkeit zwiſchen dem Berge und dem Lager hinzuweiſen. Dafür hat allerdings 234 der Wadi Sebaye, ſo viel man auch von der angegebenen Stärke des Heers Israel abziehen mag, durchaus keinen Raum. Als ich durch jenes impoſante Portal der ſenkrechten Granitwände mehrere Stunden vor dem Catharinenkloſter in die weite und nur durch vereinzelte Felsblöcke unter- brochene Ebene eingetreten war, ſo faßte mich der Gedanke, daß gerade hier der Schau- und Ruheplatz Israels bei ſeinem heiligen Feſte geweſen ſein möchte. Doch treten auch hieraus manche Schwierigkeiten hervor. Dagegen bot mir der Wadi Rahah, als ich das Kloſter der Vierzig beſuchte, neben der ergreifendſten Ueberraſchung durch die majeſtätiſche Herrlichkeit der ſchroffen Abhänge des Horeb nach Norden alles dar was geneigt macht hier die Lage- rung der Israeliten anzunehmen. Denn auch hier läßt ſich der Berg anrühren; auch hier läßt ſichs unten an den Berg treten, und er ſelber läßt ſich in ein Gehege faſſen. Hier war vollkommen Spielraum für zwei volle Millio- nen, da es doch gut iſt die Zahl ſtreng zu nehmen, und hier konnte Moſes in der That „das Volk aus dem Lager Gott entgegen zum Berge führen.“ * Daß man bei dieſer Anſicht mit dem Sinai den Horeb vertauſchen möchte, hat keine wahre Schwierigkeit. Noch heute ſteht die Bezeichnung der beiden Gipfel der Gebirgs- * Doch ſ. weiter unten. 235 gruppe nicht feſt; ſo hat Ruſſegger im Fremdenbuche des Catharinenkloſters den Sinai als Horeb, den Horeb als Sinai benannt. Und bekanntlich ſtehen in den heiligen Urkunden ſelber beide Namen, Horeb und Sinai, für den Berg der Geſetzgebung“. Uebrigens fand nach Moſis Beſchreibung der Act der * Ich erinnere mich daß Rüppell, als ich mich 1843 in Mailand ſeines lehrreichen Umgangs freute, unbedingt den jetzigen Horeb für den Berg des Moſes hielt, und zwar namentlich deshalb weil beim Sinai die rechte Lagerungsebene fehle. Auch ſeh' ich daß Robinſon, der ſogleich bei ſeiner Ankunft am Sinai durch den Wadi Rahahzog, von dieſem Terrän aufs Entſchiedenſte den Eindruck gewann, daß hier einſt Israel gelagert geweſen. So lautet ſeine Beſchreibung: „Beim Fortſchreiten erweiterte ſich das Thal immer mehr, ſtieg allmälig und war voll von Geſträuch und Kräuterbüſcheln, auf beiden Seiten von hohen Granitgebirgen mit wilden zerſplitterten Spitzen, tauſend Fuß hoch, eingeſchloſſen, während die breite Felswand des Horeb ſich gerade vor uns erhob. Sowohl mein Gefährte als ich brachen unwillkührlich in die Worte aus: Hier iſt Platz genug für ein großes Lager! Sobald wir oben auf der Höhe oder der Waſſerſcheide waren, lag eine ſchöne breite Ebne vor uns, die ſich allmälig nach Südſüdoſt abdachte und von rauhen, ehrwürdigen Bergen von dunklem Granit eingeſchloſſen war: wilde, nackte, geſpaltene Spitzen und Kämme von unbeſchreib- licher Erhabenheit. Etwa eine halbe Stunde weit nach hinten ſchloß die kühne, hehre Wand des Horeb, die ſenkrecht in drohender Majeſtät ſich zu einer Höhe von 1200 bis 1500 Fuß erhebt, das Ganze. Es war eine herrliche erhabne Umgebung, ganz unerwartet und wie wir ähn- liches nie vorher geſehen.“ – – „Als wir weiter gingen, erhob ſich der Horeb wie eine Mauer vor uns. Man kann ganz nahe an den Fuß deſſelben herantreten und den Berg anrühren.“ – – „Indem wir ſo über die Ehne ſchritten, wurden wir davon ſehr ergriffen, daß wir hier ſo unerwarteter Weiſe einen Fleck fanden, der ſo ganz zu der bibliſchen Erzählung von der Geſetzgebung paßt.“ 236 göttlichen Offenbarung unter Donnern und Blitzen ſtatt, während eine dichte Wolke ſich auf den Berg niederließ. Schon ein gewöhnliches Gewitter muß hier eine Erſchei- nung ſein deren Großartigkeit alle Darſtellung übertrifft. Ich habe – wenn man anders Zwerg und Rieſe ver- gleichen darf – nie ein Echo von ſo nachhaltigem und ſo erſchütterndem Eindrucke gehört als das der Ge- wehre, die ich auf dem Sinai abſchießen ließ. Das erklärt ſich aus der Form und Gruppirung dieſes ganzen Ge- birgszuges, aus der Zerriſſenheit ſeiner vielen Höhepunkte, aus den hohen wilden Zacken, in die er wie geſpalten iſt. Es iſt mir ein bezeichnendes Bild dafür gekommen; ich weiß nicht ob aus Erinnerung an die Anſchauungsweiſe des Trappiſten Geramb. Es iſt nämlich als hätte das Weltmeer thurmhoch ſeine ſturmgepeitſchten Wogen ge- worfen. Mitten im Sturme beſchwor das Meer ein all- mächtiges Zauberwort: die gebäumten Wogen ſtehn ver- ſteinert. Ein Gewitter, das ſeine ſchweren Wolken nieder- ſenkte auf dieſe Gottesburg, das noch dazu durchdrungen war von wunderbarer Tendenz, was mußte das für ein ergreifendes, ein über alle Erfahrung weit hinausliegen- des Schauſpiel für das Volk Israel ſein, das aus Egyp- tens Ebenen kam, da wo ſelbſt der Regen nur ſelten fällt und ein Gewitter nicht leicht jemals ſeine Entladung findet. Ich bin weit entfernt dem Wunder ſeine Glorie ab- ſtreifen zu wollen; aber an dem natürlichen Faden, den 237 uns Moſes gegeben mit eigener Hand, zieht er uns auch ſelber mit eigener Hand zur Anſchauung des Wunders zu ſich hinauf. Je näher der Mittag kam, deſto heller traten vor mich die Umgebungen des Sinai; die leichten Wolkennebel hatte der brauſende Sturm zertheilt; die Sonne warf einen ver- klärenden Schimmer darüber. Die Scene war wunderbar ſchön; meine Gedanken ergaben ſich dran wie Gefangene. Jetzt gerade fiel mir der Abſchied von der heiligen Stätte doppelt ſchwer. Ich begriff in dem Augenblicke recht wohl das fromme Gemüth der Einſiedler, die einſt ihre ſchwär- meriſche Begeiſterung fürs ganze Leben an den Sinai gefeſſelt hat. Als wir die oberſte Granitkuppe herabſtiegen, zeigte mir mein Dragoman, etwa fünfhundert Fuß unter der Höhe, den Fußtritt des Dromedars, das der Prophet auf dem Sinai geritten. Man erkennt mitten im Felſen genau die treuen Umriſſe dieſes Fußtritts. Das iſt doch nichts anderes als eine Satyre, als eine Ironie auf den chriſt- lichen Reliquiencultus. Es kömmt mir vor als ob durch manchen Zug der Koran ſich zur Bibel verhält wie zum Genie ſein Affe; dazu paßt vortrefflich dieſer vielverehrte Fußtritt vom Dromedare Mahomets. Uebrigens giebt es außer dem ſinaitiſchen noch drei andere, nämlich zu Da- maskus, zu Cairo und zu Mekka. Im Fremdenbuche des Kloſters hat dieſe muhameda- 238 niſche Reliquie eine eigenthümliche ſchriftſtelleriſche Bear- beitung gefunden. Zuerſt ſchrieb ein Engländer nieder, daß er unter allen heiligen Erinnerungszeichen - in den Ländern wo poſitiver Glaube herrſche doch nichts ange- troffen habe was dieſe Krone aller Reliquien überträfe e. Ein zweiter Engländer erboste ſich über ſeinen Landsmann und apoſtrophirte ihn: 0thou stupid fellow. Ein dritter, und zwar der berühmte Miſſionär Joſeph Wolff, vergaß im frommen Eifer ſich und die liberale Nation der er an- gehört; denn er dekretirte dem Dromedarspasquillanten „3times 40 bastinadoes.“ Ein vierter endlich betrübte ſich über alle drei Schriftſteller; er vermahnte durch eitirte Bibelſtellen zum Frieden und zur Artigkeit. Einem fünf- ten iſts nun noch vorbehalten, die ſämmtlichen Fechthiebe dieſer frommen und unfrommen Ritter zu ſich in die Taſche zu ſtecken, um dadurch die Nachwelt der Pilgrime von dem ganzen Aergerniſſe zu erlöſen. Auf der Oaſe des Horeb brachten wir noch eine Weile zu. Am großen vollen Quellbaſſin, das nach dem Pro- pheten Elias benannt wird, ſchwärmten Gebirgsrebhühner. Unter der ehrwürdigen Cypreſſe ſaß ich lange; hier ſah ich zum letzten Male hinauf zum nachbarlichen hohen Sinai. Nahe an tauſend Fuß tiefer wurden wir durch zwei Freudenſchüſſe überraſcht; es war eine Bewillkommnung, die uns aus einer Grotte die zu einem fröhlichen Feſt- - 239 mahle verſammelten Kloſterbrüder entgegenbrachten. Ich fand dieſen Kreis faſt gemüthlich; ſelbſt der Prior war von einer Liebenswürdigkeit die ich ihm nicht zugetraut hätte. Der materielle Lurus beſtand in geſalzenen Fiſchen, in rothen und weißen Eiern, in Bohnen, in Dattelbrannt- wein und in einem delikaten Weine, der vom Sinai ſel- ber ſtammt und mit dem Cyperwein einige Aehnlichkeit hat. Auch die Pfeife fehlte nicht. Ein beſonderer Freund- ſchaftsaustauſch beſtand darin, mit den Eiern zuſammen- zuſtoßen. Die Brüder tranken mit mir von der Sinairebe aufs Wohl alles deſſen was ich liebe in der fernen Hei- math. Ich ſagte ihnen, das ſeien der Himmel, die Berge und die Herzen. Ob ſie's ahnen mögen, die Freunde in der Heimath, ſo ſagt' ich zu mir im Stillen, daß ich heute hier ſo feſtlich ihrer gedenke. Am Eingange unſerer Grotte ſaß ein hochbetagter aber noch munterer Sänger, geboren am Sinai, einer der Leib- eigenen des Kloſters. Es war ſo ein „Alter vom Berge.“ Er mußte uns ein paar Lieder ſingen, was unſer Feſtge- lage erbaulich hob. Nur war zu meinem Bedauern mein lieber Kyrillos nicht mit auf dem Berge; den traf ich wenn auch nicht bei ſeinen Büchern, doch in den engen Mauern ſeiner Zelle, die er mit lauter ſinnreichen Sprü- chen beſchrieben hat. 240 Ich unterhielt mich mit Kyrillos über die Geſchichte des Kloſters, in deren Studium er freilich bei ſeiner kurzen Anweſenheit am Sinai nicht tief eingedrungen iſt. Ein altes Dokument des Kloſters ſoll vom Propheten Mahomet ſtammen; das Original ſoll ſeit Selim I. zu Anfange des ſechzehnten Jahrhunderts ins Serail nach Conſtantinopel gelangt, aber eine Copie davon, durch Selim beſtätigt, dem Kloſter verblieben ſein. Kyrillos hatte ſie weder ge- ſehen, noch glaubte er mehr davon als ich. Schon früher hat man in Deutſchland den Tert des Documents ver- öffentlicht, der meines Erachtens unmöglich aus Maho- mets Feder oder Kopfe gefloſſen. Die Verordnungen darin für die Pflege und Unterſtützung der Prieſter, der Biſchöfe und Anderer, ſowie die Privilegien verſchiedener Art für den chriſtlichen Cultus verrathen mehr den Stil der römi- ſchen Curie als ein Schreiben des Propheten. Auf eine andere handſchriftliche Merkwürdigkeit des Sinai war ich ſehr geſpannt; es ſoll ein Evangelienbuch ſein das aus dem Hauſe des Kaiſers Theodoſius kömmt. Kyrillos hatte es, trotz ſeiner Eigenſchaft als Bibliothekar, nicht geſehen; aber ein anderer Kloſterbruder und Signor Pietro wußten mir davon eine genaue Beſchreibung zu machen. Darnach ſowie nach den früheren Mittheilungen, die ich darüber in Cairo erhalten, mag die Handſchrift allerdings zu, den tauſendjährigen gehören. Aber alle meine Schritte, freundlich und unfreundlich, waren um- 241 ſonſt; die Auskunft lautete, das Manuſcript ſei in der erz- biſchöflichen Kapelle, deren gegenwärtiger Verweſer erſt ſeit kurzem im Dienſte war, unauffindbar. Bei meiner Rückkehr nach Cairo verſicherte mir der dortige Biſchof, es ſei vor einigen Jahren zum Erzbiſchofe nach Conſtantinopel zum Behuf einer Abſchrift geſendet worden. Allein auch in Conſtantinopel fand ich keine Spur davon. Das war von allen Seiten jene graeca fides. So offen ich aber auch den Kloſterbrüdern die Lüge vorwarf, ſie nahmen ſie unbedenklich hin. Der Prior iſt aus Creta gebürtig; das berühmte Wort des Apoſtel Paulus über die Cretenſer ſcheint er noch heute wahr zu machen. Ich glaube nun daß das Manuſcript, wofür ſchon vor meh- reren Jahren Lord Prudhoe zweihundertfunfzig Pfund geboten hat, die man nicht angenommen weil man über deren Vertheilung nicht einig geworden, in der That nach England verkauft worden iſt. Zur Schande des Kloſters meint man es nicht ſagen zu dürfen. Iſt es aber unter Englands Himmel, ſo wünſche ich der chriſtlichen Literatur Glück zu dem neuen Schatze. Denn daß es nun recht bald dem Leben der chriſtlichen Kirche vermittelt werden möchte, das iſt ein Wunſch deſſen Erfüllung von Män- nern der Wiſſenſchaft gewiß ſchon betrieben wird. Von einem anderen intereſſanten Documente iſt mir erzählt worden; es ſoll die Urkunde der Stiftung des Klo- ſters durch Juſtinian ſein. Unmöglich wäre ihre Eriſtenz I. 16 242 nicht. Zu meiner Ueberraſchung fand ich in meinen eige- nen heimgebrachten griechiſchen Manuſcripten einen Auf- ſatz mit der Ueberſchrift: „Goldene Bulle, die der berühmte Kaiſer Juſtinian dem Abte des Kloſters des heiligen Berges Sinai gegeben.“ Das kann recht wohl aus einem uralten Original gefloſſen ſein, obſchon es ſich keineswegs eine Stiftungsurkunde nennen läßt. Ich werde mit deſſen öffentlicher Mittheilung nicht zögern. Doch meine eigent- lichen handſchriftlichen Arbeiten im Kloſter gehören nicht hieher. Nur erwähn' ich noch daß ich in einem neugrie- chiſchen Manuſcripte aſtrologiſche, naturhiſtoriſche, medi- ziniſche und ähnliche Studien beſonderer Art niedergelegt fand. Beim Artikel „über den Adler“ wird angeführt daß ſein Herz, gekocht und heimlich der Frau unter ihre Speiſen gebracht, dem Manne ihre ganze Freundſchaft und Liebe zuwende. Andere Geheimniſſe will ich unverrathen laſſen. Als der alte Mameluckenoberſt Gregorios die Note im Manuſcripte geleſen, wo es als ein „ſataniſches Buch“ bezeichnet wird, „voll von böſen, gottloſen, ſeelenverderb- lichen Sätzen,“ „ein Buch das nur deshalb nicht nach Verdienſt verbrannt worden damit diejenigen die es leſen vor den Menſchen mit dergleichen Zauberkünſten ſich hüten könnten,“ machte er eine ſehr bedenkliche Miene dazu; doch ließ er's in meinen Händen. Mit meiner Küche im Kloſter kam ich in Verlegenheit; es gab keine Hühner, und mit den Fiſchen war man ſehr 243 karg. Deshalb brachten mir die Beduinen ein fettes Lamm. Da ich aber ihre Forderung zu hoch fand, that ich ihnen mein Gebot und erklärte, daß ich bei jedem anderen Preiſe auf den Kauf verzichte. Nachdem ſie vom Morgen bis zum Nachmittag Anſtand genommen hatten, gingen ſie auf den Handel ein. Ich meines Theils wußte wohl daß ihnen der Aberglaube verbietet, ein feilgebotenes Lamm wieder nach Hauſe zu führen. Von meinen Wanderungen in die Thäler ums Kloſter nur wenige Worte. Mein beſtändiger Begleiter dabei war Signor Pietro mit den trüben Geiſtesaugen. Der Spaziergang nach dem Boſtanthale, dem Thale der Gärten, hat des Anziehenden ſehr viel. Pietro ſagte mir, daß er immer die große Ebene Rahah als das bibli- ſche Raphidim habe bezeichnen hören. Damit hängt natür- lich der wunderbare Moſisfels zuſammen, nahe am Klo- ſter der vierzig Märtyrer, in dem engen Arme den der Wadi von Südweſt nach Nordoſt ausſtreckt. Merkwürdig genug iſt dieſer vereinzelte mächtige Block röthlichen Gra- nits. Von oben bis unten durchzieht ihn eine Ader, die wie durchbrochen oder wie durchritzt ausſieht. Wahr- ſcheinlich haben ſich dieſe Mundlöchern ähnliche Spalten einſt beim Sturz vom benachbarten Berge gerade durch das weichere Korn der Ader gebildet. Kein Wunder iſts daß ihn der Mönchsglaube ſo feſt hält als den Felſen aus dem Moſis Stab den Trank fürs murrende Jörael hervorlockte. 16* 244 Raphidim aber, obſchon es allerdings in großer Nähe vom Sinai geſucht werden muß, läßt ſich nicht an den Fuß des Horeb ſelbſt ſetzen. Die Israeliten kamen ſehr wahrſcheinlich deſſelben Wegs wie ich zum Sinai, nämlich durch Feiran und durchs Scheikthal. Auf dieſem Wege alſo muß Raphidim liegen. Ich glaube, keine Oertlichkeit wird dazu entſprechender ſein als die große „amphitheatra- liſche, nur durch einzelne Felsblöcke unterbrochene Ebene,“ die ich gleich nach dem erhabenen Granitportale getroffen und oben angegeben habe. Dieſe Ebene läßt ſich unbe- denklich für den Schauplatz der Schlacht gegen Amalek betrachten; wobei „des Hügels Spitze,“ worauf Moſes bei der Schlacht mit der emporgehaltenen Hand geſtanden, in keine Verlegenheit bringen kann. Der vereinzelte Fels- hügel, unter dem ich dort am dreiundzwanzigſten Mai Mittag hielt, beherrſcht vollkommen die Ebene und kann des Moſes feierlicher Standpunkt geweſen ſein. Von da bis zum Sinai iſt gerade noch eine kleine Tagereiſe, wie ſie fürs Heer der Israeliten paßte. Da wo der angeſtaunte Granitblock liegt kann man noch weniger als anderswo an den eingetretenen Waſſer- mangel glauben. Schon die fröhlichen Gärten in ſeiner Nähe zeugen dagegen. Das ſinaitiſche Gebirg beſitzt einen auffallenden Reichthum an herrlichen Quellen; ſonſt hätte es wohl auch einſt die zahlreichen Einſiedler weniger zu feſſeln gewußt. 245 Bei den beſchriebenen Felſen hatt' ich die Erneuerung der Eindrücke vom Wadi Mokatteb. Sie ſtimmen aber gerade hier vortrefflich zu der Erinnerungsfeier an die großen Tage Israels. Wie, wenn ſich gar der wahre Kern dieſer Inſchriften auf dieſelben Tage zurück bezöge und das dem Scheine nach Störende ſpäterer Zuſatz wäre? Wenigſtens iſt bei ihrer Zurückführung aufs vierte Jahr- hundert ihre große Räthſelhaftigkeit um ſo überraſchender weil ſie ſich an dieſer Stätte von Einſiedeleien und Klö- ſtern aus noch früherer Zeit befinden, durch die doch eine aufklärende Tradition ſo leicht konnte erhalten werden. Von dem Grabe der verſchlungenen Rotte Korah, das gleichfalls der Bibel zum Trotze hieher verſetzt wor- den iſt, hielt ſelbſt mein Pietro nichts. Aber zwei andere Merkwürdigkeiten zeigte er mir mit vollem Ernſte: den Fels worauf Moſes, als er herab vom heiligen Berge kam, die Tafeln des Geſetzes zerſchlagen, und die Form für den Guß des goldenen Kalbes. Wenn es gleich in mein Fach einſchlug, ſo mochte ich doch mit den Beduinen nicht concurriren, die noch heute nach dem koſtbaren Funde der Tafelreſte um den Felſen herum graben ſollen. Uebri- gens hat derſelbe doch eins für ſich: Moſes konnte nämlich, ſtieg er vom Horeb oder vom Sinai herab, gerade hier einen guten Ueberblick über das frevelhafte Beginnen gewinnen. Zu der ſteinernen Kalbsform hatt' ich daſſelbe Zutraun wie zum Fußtritte des Prophetendromedars. Ich konnte 246 mich nicht entſchließen mit dem Auge des Forſchers dieſe lächerliche Reliquie zu prüfen, für die ſich mehr als ein begeiſterter Sprecher unter den europäiſchen Reiſenden gefunden hat. Dafür ergötzt' ich mich in den Gärten des Thales unter den prächtigen grünen Bäumen, den Sykomoren, den Granaten, den Cypreſſen; dafür wurd' ich nicht müde mich dem Eindrucke hinzugeben den die Geſtalten des fel- ſigen Berges mit ihrer melancholiſchen Wildheit, mit ihrer düſteren Erhabenheit, mit ihrer ernſten Majeſtät ſo gewalt- ſam machen. Gleich der erſte der Gärten, den wir vom Kloſter her links trafen, war gänzlich verlaſſen, bis auf einen jungen Beduinen, einen Leibeigenen des Kloſters, den Pfleger und Wächter des Gartens, den wir mit ſeiner ſehr jugend- lichen Frau, die ſich eilig unſern Blicken entzog, unter einem traulichen Laubzelte trafen. Ich hätt' ihn beſingen mögen, dieſen Beduinen in ſeinem Paradieſe; faſt hätt' ich ihn um ſein Loos beneidet. Welch eine glückliche Ein- ſamkeit hat er hier, mit dem „Raum in kleiner Hütte für ein glücklich liebend Paar.“ In Cairo erzählte mir Linant, daß er einen dieſer Gärten im Boſtanthale eigenthümlich beſitze und dort häufig im Sommer einen kurzen Aufent- halt nehme. Nach ſolchen Erholungsreiſen, klingt's auch gefährlich daß der Weg durch die Wüſte führt, könnte man wohl Verlangen tragen. 247 Der Beſuch des Wadi Sebaye vertiefte mich ganz in die bibliſchen Forſchungen. Da liegt der Sinai wie ein ungeheurer Bau unendlicher Kräfte, wie ein Tempelwerk aus längſt verklungener Vorzeit, zu dem ſich die Pyrami- den verhalten wie kindliche Nachbildungen. Sein Gipfel ſtarrt herunter wie eine drohende Rieſengeſtalt; aber ſei- nen harten Ausdruck mildernd ſchmiegen ſich um ſein Haupt wie ſpielende Kindlein die Kapelle und die Mo- ſchee. Freilich iſt der Raum ohne allen Zweifel zu klein für ein Heereslager von zwei Millionen; aber immer bleibt noch die Auskunft übrig, das Lager ſelber in die weite Ebene zu verlegen, da wo der Wadi Rahah und der Wadi Scheik gerade vor dem Eingange zum Kloſterthale zuſammentreffen, und anzunehmen, daß Moſes zum Feſte der Geſetzgebung die Kinder Israel „aus dem Lager“ ins Thal Sebaye „Gott entgegenführte.“ Abſchied vom Sinai. Gegen das Ende der Pfingſtwoche rüſtete ich mich zum Abſchiede vom Kloſter. Hatt' ich auch manchen Miß- fallen an den Mönchen und an ihren Gewohnheiten ge- funden – wie ſchrecklich klang mir's daß ſie in dieſe weihe- volle Einſamkeit ſogar eine Art Herausforderung auf den Stock eingeführt haben; ſo beleidigt etwa ein Rusfleck auf einem Madonnenbilde – ſo dacht' ich doch als ich Schuberts Worte vom ſechsten März 1837 im Fremden- buche las: „ich werde ſo lang ich lebe dieſer Tage mit Freude und Dankbarkeit gedenken,“ ich dachte daß die Worte aus meiner eigenen Seele ſtammen. Ich bedurfte neuer Führer für meinen Rückweg nach Cairo; zwei Scheiks kamen deshalb in den Kloſtergarten. Ich wollte nicht umſonſt von jenem Franzoſen, dem Ka- melarzte, erfahren haben, daß er für ein Kamel vom Sinai bis nach Cairo ſiebenzig Piaſter zahlte, während ich für meine Herreiſe hundertzwanzig bewilligt hatte. Ich bot daher jetzt auf die Forderung der Scheiks von hundert- funfzig nicht mehr als neunzig, mit ausdrücklicher Beru- fung auf den Kamelarzt. Ei, ſagten ſie mir, wenn ich 249 ihr Kamelarzt ſein wollte wie der Lyoner Apotheker, ſo wollten ſie mich gleichfalls für ſiebenzig führen. Da ich mich ſo plötzlich im Wechſel des Berufs nicht verſuchen mochte, ſo hob ſich unſere Conferenz auf. Zwei Tage ſpäter contrahirte ich mit Scheik Huſſein Erhebi. Auch er verlangte hundertfunfzig Piaſter, be- gnügte ſich jedoch mit hundertzwanzig, unter der Bedin- gung, daß der engliſche Conſul nachweiſen könnte, be- reits im laufenden Jahre ſei derſelbe Preis für dieſelbe Reiſe gezahlt worden. Da ich dazu ſelber den Beweis lieferte – was ich voraus ſagte – ſo ging ich den Con- trakt unbedenklich ein. Uebrigens benahm ſich bei unſerer Ankunft in Cairo der Scheik, der Bruder des Contrahen- ten, aufs Vortheilhafteſte. Nachdem der engliſche Conſul meinen früheren Contrakt mit Zuziehung ſeines Dragomans geprüft und richtig befunden hatte, gab er dahin ſeine Meinung ab, meine Führer möchten ſich mit hundertzwan- zig Piaſter zufrieden ſtellen. Das Geſammthonorar ging aber in elf Theile, denn zu elf Beduinen war allmählig mein Geleit angewachſen und die Vertheilung war unter- wegs ſtets nach hundertfunfzig Piaſter berechnet worden. Demohngeachtet geſtattete ſich der Scheik auf des Conſuls Auskunft keine andere Entgegnung als das reſpektvolle Zeichen unbedingter Zuſtimmung. Für die Erkenntlichkeit der beherbergten Pilgrime hat das Kloſter eine unbeſtrittene Vorliebe. Signor Pietro 250 kömmt dem Geſchmacke der Brüder freundlich zu Hilfe. Ich fragte ihn um Rath wegen meines Geſchenks ans Kloſter. Ich würde, ſagte er, für jeden Tag hundert Pia- ſter bezahlen. Dann folgt ich meinem eigenen Rathe. Uebrigens gilt das Kloſter für ſehr reich und iſt es auch. Außer den ihm zugehörigen Stiftungen in der Ferne und den reichlichen Geſchenken der Pilgrime, insbeſondere der griechiſchen Chriſten, hat es viele Beſitzungen an einträg- lichen Gärten und Olivenpflanzungen und Dattelwäldern in Feiran, in Tor und anderwärts, die es den Händen ſeiner leibeigenen Diener anvertraut. Dieſe Leibeigenen des Kloſters, die Dſchebelijeh ge- nannt, machen eine beſondere Klaſſe von Bewohnern der ſinaitiſchen Halbinſel aus, und zählen wohl über tauſend Seelen. Sie ſind Beduinen und ſind auch keine; denn ſie werden von den eigentlichen Beduinen nicht für voll angeſehen. Ihren Urſprung leitet man von den zweihun- dert Wallachen und den zweihundert Egyptiern ab, die durch den Kaiſer Juſtinian dem Kloſter bei der Stiftung als leibeigene Diener ſollen beigegeben worden ſein. Trotz dem daß ſie durch die Einfälle der Araber zu Muhameda- nern geworden, ſind ſie doch in ihrer dienſtlichen Stellung zum Kloſter verblieben. Nur einige und zwar neugetaufte Chriſten befinden ſich in der Zahl; ihre Erſcheinung beim Pfingſtgottesdienſte in der Kloſterkirche hatte mich durch ihre Beduinentracht ganz überraſcht. Diejenigen die in 251 der Nähe des Kloſters wohnen erhalten jede Woche mehr- mals Gaben vom Kloſter, beſonders Körbe voll Brod, das von geringerer Güte iſt als das Brod des Kloſters. Gleich den erſten Tag meines Aufenthalts im Kloſter hört' ich am ſpäten Nachmittage ein gewaltiges Rufen und Schreien. Das waren die vor dem Kloſter verſam- melten Dſchebelijeh, Männer, Frauen und Kinder, die ihre Ankunft und ihr rechtskräftiges Anliegen durch dieſe ohrenzerreißende Muſik anmelden müſſen. Robinſon er- zählt mit welcher Ehrfurcht ein alter Bergführer, Namens Aid – die Dſchebelijeh haben das Privilegium des Ge- leits auf den Sinai, den Horeb, den Catharinenberg – dem ehrwürdigen Prior des Kloſters begegnete als er ihn eines Abends zu El Erbain antraf. Aid kniete nieder und küßte dem Prior, der die Schuhe ausgezogen, die nackte Fußzehe, und war ganz glücklich den verehrten Patriar- chen außerhalb der Kloſtermauern zu treffen. Was das Verhältniß der eigentlichen Beduinen zum Kloſter betrifft, ſo iſts in der Hauptſache ein friedliches, obſchon man ſeine Dauer niemals verbürgen kann. Da- für iſt aber auch das Kloſter zur Vertheidigung gerüſtet; ſogar eine kleine Kanone beſitzt es, und eine beſtens aus- geſtattete Rüſtkammer. Regelmäßig beſorgen die Beduinen durch ihre Kamele die häufigen Transporte zwiſchen Cairo und dem Sinai, wofür ſie das Kloſter zu honoriren weiß, Außerdem begegnen die Beduinen den Kloſterbrüdern mit 252 einer wahren Hochſchätzung; auch glauben ſie an manche heilige Geheimniſſe, in deren Beſitz das Kloſter ſei. Des- halb wenden ſie z. B. bei andauernder Trockenheit ihre Bitte an die Mönche, ſie möchten mit ihren unfehlbaren Gebeten den Regen vom Himmel herabflehen. In der Frühe des erſten Juni verließ ich das Kloſter, Mit Freundlichkeit hatte man meinen Reiſevorrath bedacht. Darunter befand ſich auch jenes eigenthümliche Dattel- brod des Sinai, ohne Zweifel die ſchmackhafteſte aller Kloſterarbeiten. Es wird aus Datteln und Mandeln des Feiranthales bereitet, feſt zuſammengepreßt und in zuge- nähte lederne Säcke gefaßt, ſo daß es unſerer Magenwurſt von innen und außen ähnlich ſieht. Unter meinen Ge- gengeſchenken ans Kloſter waren beſonders zwei Brillen willkommen. Als ich am Fuße des Kloſters angelangt war, fand ich einige zwanzig Beduinen mit ihren Kamelen, die ſämmtlich am Geleite Theil haben wollten. Ich ſah ihre Schwerter gezogen und wurde ſehr unzufrieden; doch wur- den ſie bald einig. Anſtatt der vier Kamele, die ich brauchte und bezahlte, geleiteten mich elf, worüber ſie ſich unter einander verſtändigten. Rückkehr vom Sinai nach Cairo. Als wir den erſten Mittag unter den Darfabäumen im weſtlichen Theile des Scheikthales gehalten hatten und zum neuen Aufbruche ſchritten, zerbrach dem Scheik Huſſein beim Aufſteigen der Sattelknopf. Das war keine Kleinig- keit. Er kam und bat mich inſtändig, für ihn ſeinen Bru- der als Führer der Caravane mitzunehmen; denn außer dieſem böſen Vorzeichen mit dem Sattelknopfe ſei ihm ſchon von ſeinen Frauen aus einem Spiele vorhergeſagt wor- den, daß ihm dieſe Reiſe Unheil bringen würde. Ich er- innerte mich dabei an jenen alten griechiſchen Philoſophen, der, als er ſich beim Fallen den Fuß verrenkt hatte, dieſem Rufe in die mütterliche Erde zurückzukehren folgte, und mußte darum meinen Huſſein ſehr philoſophiſch finden. Ich fragte ihn: Iſt aber dein Bruder auch brav? Er antwortete: Mein Bruder iſt braver als ich. So ließ ich denn ſeiner Kümmerniß Recht widerfahren, und ihn zu ſeinen Frauen nach Hauſe gehen. Dieſe Beduinen hatten ſo ſehr wie meine erſten Führer die vollkommenſte Einfachheit in ihrer Lebensweiſe. 254 Früh tranken ſie Kaffee; zu Mittag buken ſie friſches Brod aus Mehl in der Form kleiner runder Kuchen, das ſchon fertig war nachdem es einige Stunden in der heißen Aſche gelegen; Kaffee tranken ſie gleichfalls dazu; des Abends nahe an Mitternacht wiederholte ſich das Mittagsmahl. Unterwegs rauchten ſie gern eine Pfeife; auch ſah ich ſie mehrmals Kamelmilch trinken. Nur ausnahmsweiſe er- hielten ſie etwas von meiner Küche, die eben auch nicht à la parisienne war. Bald gewöhnten ſie ſich meinen Wünſchen unbedingt Folge zu leiſten. Ich weiß nicht ob ich es ſagen ſoll: Mein Verkehr mit den Beduinen gehört zu meinen ange- nehmſten Reiſeerinnerungen. Dieſe Kinder der Wüſte leben in vielen Stücken ſo edel und ehrſam, daß ſie die Menſchen der europäiſchen Cultur beſchämen. Ich muß einige Züge ihrer Sitte anführen. Sehr ſtreng wird bei ihnen der Familienreſpekt gehal- ten; der Vater, das Haupt des Hauſes, iſt immer verehrt und bedient von ſeinen Frauen und Kindern. Auch die Mütter werden von den Kindern ſehr hoch geachtet: eine freundliche Erſcheinung, die der ſonſtigen Zurückſetzung der Frauen mildernd gegenüber tritt. Die Frauen ſind auch gegen fremde Männer ſehr ehr- erbietig, ſowie Niebuhr erzählt daß eine Frau, die ihm in der Wüſte am Sinai begegnete, vom Kamel ſtieg und entfernt vom Wege zu Fuß ging, bis ſeine Caravane «G 255 vorüber war. Ich erhielt bei ſolchen Begegnungen wenig- ſtens abgewendete Geſichter, allerdings eine unwillkom- mene Ehrenbezeugung. Wer gedächte aber bei dieſen heu- tigen Frauenſitten nicht an Moſis Erzählung von der Braut Rebekka: „Und Rebekka hub ihre Augen auf und ſahe Iſaak; da fiel ſie vom Kamel.“ Natürlich aus Re- ſpekt. Ich will dabei nicht an die Verſchiedenheit der Sitte bei unſeren Bräuten erinnern. Die Mädchenehre wird nicht leicht bei den Beduinen verletzt; die Verletzung büßt die Schuldige mit dem Tode. Dabei kommen freilich die frühen Heirathen zu Statten. Dagegen werden weniger ſtreng und ſogar mit einer ge- wiſſen Freundſchaftlichkeit die ſeltenen Ausnahmen bei Frauen behandelt. Die Ehrlichkeit halten die Beduinen heilig. Im Naſ- ſebthale ſah ich mehrere Gewänder an den Bäumen hän- gen; anderwärts trafen wir einzelne und auch Heerden Kamele, die ohne Wächter weideten. Mein Dragoman ſagte mir daß die Beduinen dergleichen unbeſorgt auf län- gere Zeit thun; denn keiner beſtehle den andern. Rechts- händel in ihrer Mitte ſchlichten ſie auf eine einfache Weiſe durch gewählte Schiedsrichter. - Als ein Beweis großer Innigkeit fiel mir auf, daß ſie ſich einander bei Begegnungen vielmals küßten. Auch mit den verbindlichen Handceremonien waren ſie nicht karg. 256 Die Beduinen leben ſo frei, ſo unabhängig, daß ſie nimmermehr mit dem zwangsvollen Leben eines deutſchen Hofmanns tauſchen würden. Ihre Wüſte mit ihren Ka- melen lieben ſie über Alles; ſie befinden ſich unwohl, ſind ſie genöthigt wenn auch nur auf kurze Zeit zwiſchen den engen Mauern der Stadt zu verweilen. Bei dem allen ſind ſie immer zum Kriege gerüſtet; ihre Waffen begleiten ſie getreu. So hoch ſie, wie die Orientalen überhaupt, die Pflicht der Gaſtfreundſchaft achten, ſo nachdrücklich üben ſie die Blutrache. Was mir den Verkehr mit den Beduinen noch inter- eſſanter machte, das war die Erinnerung an die alten Patriarchen, von deren Leben ſich unverkennbar noch heute manche Züge erhalten haben. Auch herrſcht noch heute jene Abneigung der Städter und auch der Ackerbau treiben- den Fellahs gegen das Hirtenvolk, welche Moſes bei der Ankunft der Familie Jacobs im Lande Goſen erwähnt: „Denn was Viehhirten ſind, das iſt den Egyptiern ein Gräuel.“ Ein Gedanke, eine Hoffnung drängte ſich mir wieder- holt auf, als wir mit einander durch die Wüſte dahin- - zogen: Dieſe Beduinen werden leicht zu einem einfachen, lauteren Chriſtenthume bekehrt werden. Daß ohnehin ihre Ausübung des Muhamedanismus ſehr larer Art iſt, hab' ich ſchon erwähnt. Die Achtung, die ſie vor den europäiſchen Reiſenden haben, muß das Werk der Bekeh- 257 rung vorzüglich fördern. Ich wünſche von Herzen, daß recht bald die proteſtantiſchen Miſſionsanſtalten meinen Gedanken theilen mögen, dann wird auch meine Hoffnung bald erfüllt ſein. Neben den Beduinen hat mich das Kamel viel be- ſchäftigt. Ich glaube daß ihm die modernen Phyſiologen unter ihren vielen Phyſiologien noch keinen Platz gegönnt haben; demohngeachtet bietet es ihnen den dankbarſten Stoff. Ich ſelbſt will keineswegs einen Verſuch machen; nur hervorheben will ich daß es in der Welt keine ver- fehlten Carrieren geben würde, wäre Jedermann ſo ſehr an ſeinem Platze wie das Kamel in der Wüſte. Allbe- kannt iſt ſein Talent, der Tränkung viele Tage entbehren zu können, wobei jedoch die frühe Gewöhnung in Betracht kömmt; beim häufigen Waſſermangel in der Wüſte iſt ein anderes Thier gar nicht im Stande lange Strecken aus- zudauern. Seine Nahrung findet das Kamel auch in der ſandigen, unfruchtbaren Wüſte faſt überall; denn es be- gnügt ſich mit allerhand Kräutern, Laubwerk und Sträu- chern die keine Tagereiſe weit gänzlich fehlen und die zum Theil, wie die hartſtachlichen Diſteln, nur für den feſten Knorpelbau ſeines Mauls tauglich ſind. Selbſt aber auf den Fall des wirklichen Mangels iſt das Kamel ſehr eigen- thümlicher Weiſe gerüſtet; dann zehrt es nämlich, wie aus einer nachhaltigen Proviſionstaſche, von ſeinem eigenen I. 17 258 Höcker, der bei fetten Kamelen am vollſten, bei magern am ſchmalſten und kleinſten iſt. Der lange Hals dient ihm vortrefflich, um ohne Stö- rung ſeines Gangs und ſeines Reiters von beiden Seiten des Wegs wegzuraffen was ſich nur irgend Köſtliches findet. Auch dient er dem Beduinen um ſich über denſel- ben ſofort auf den Rücken des Thiers zu ſchwingen. Der Gang des Kamels durch die Wüſte iſt leiſe wie auf Socken; auf wenige Schritte hört man faſt nichts von einer Caravane von hundert Kamelen. Sein Fuß iſt unten mit einer weichen und doch rauhen Haut belegt; deshalb geht es am liebſten auf dem harten Kiesſande der Wüſte, und ſchreitet über gefährliche Felſen, wenn ſie nur nicht allzu glatt ſind, ſo ſicher wie ein Maulthier. Die Laſten die es zu tragen vermag ſind nicht gleich; ich ſah Ladungen von faſt tauſend Pfund. Da es zu hoch iſt um ſtehend beladen zu werden, ſo hat es harte Kniegelenke, auf die es leicht niederfällt, und die allmählig um ſo unempfindlicher werden da es auf ſeinen Knien zu ruhen und auch zu freſſen pflegt. Die Milch der Kamele ſchmeckt angenehm und iſt nahr- haft. Das Fleiſch derſelben – namentlich von gefallenen, weil es zum Abſchlachten der anderen nicht leicht kömmt – wird gleichfalls von den Beduinen genoſſen. Von der Geduld iſt das Kamel ein Muſterbild; es wird nicht leicht böſe zum Ausreißen; aber in der Wüſte 259 möchte ſich auch ein entflohenes Thier ſchwer wiederfin- den laſſen. So liefert das Kamel wohl noch einen beſſern Tert zu einer Predigt über die göttliche Vorſehung als jener Hund den ein Jeſuit mit auf die Kanzel brachte, zur Predigt über die Spürtalente des Jeſuitenordens. Oder wenig- ſtens begreift man nun, daß die Geburt eines Kamels zu einem Freudenfeſte der Familie wie die Geburt eines Kin- des wird; denn mit den Worten: Es iſt uns ein neues Kind geboren, wird es ſogar bei ſeinem Erſcheinen in der Welt begrüßt. Auch begreift man, wie der Zuruf: Du biſt mein Kamel, oder: O du mein Kamel, der Ausdruck zärtlicher Neigung ſein kann, womit namentlich die Frau ihren Gatten regalirt. Zu den Bekanntſchaften von Intereſſe, die ich in der Wüſte machte, gehören die Heuſchrecken. Sie waren zwar keineswegs zu einer egyptiſchen Landplage ange- wachſen, was für einen Kritiker und Ausleger der Bibel eine allzu ſchmeichelhafte Erfahrung geweſen wäre; auch zogen ſie mir nicht, wie es anderen Reiſenden begegnete, als ein geſchloſſenes Armeekorps entgegen, das für alle Länderſtrecken die es angriff traurige Verwüſtung, leere Brandſtellen zurückließ; ſie lagen nur in zahlreichen klei- nen Schwärmen auf den Sträuchern der Wüſte und flat- terten, wenn wir uns annäherten, wie leichte Wolken vor 17 * 260 unſeren Augen vorüber. Diejenigen die ich in der arabi- ſchen Wüſte nahe beim rothen Meere ſah waren wahr- ſcheinlich von derſelben Gattung, die Shaw und Morier beſchrieben haben. Sie waren an den Schenkeln und am Körper, der gegen drei Zoll Länge hatte, glänzend gelb, und hatten braungefleckte Flügel. Dagegen traf ich in Paläſtina und Syrien eine Art, die um ein weniges klei- ner und von Farbe grau und lichtroth war. Mit dem unteren Flügel verbreiteten ſie, wenn ſie flogen, einen röth- lichen Schimmer. Sie ließen ſich nicht eben leicht haſchen; ſie waren kräftig und gewandt. Ganz kürzlich erſt hat Egypten wieder von einer Heu- ſchreckenplage zu leiden gehabt. Mehemed Ali ſetzte auf jeden Korb den man mit dieſen Thierchen gefüllt ein- brachte einen kleinen Preis aus: das half dem Uebel vor- trefflich ab. Doch wußte ſich der ſchlaue Fürſt für ſeine Ausgabe zu entſchädigen; denn er ließ ſich, wie mir er- zählt wurde, hinterdrein ſein Geld zurückzahlen. Uebrigens haben die Beſuche der Heuſchrecken doch auch eine freundliche Seite; ſie werden nämlich von vielen Orientalen, z. B. von den Arabern und den Perſern, mit Appetit gegeſſen. Ihre Zubereitung iſt eine mannigfaltige. Sie werden ſowohl friſch als geſalzen oder auch, und das iſt das üblichſte, geröſtet genoſſen. Die geröſteten werden bald mit Salz und Gewürz ſchmackhaft gemacht, bald mit Reiß und Datteln vermiſcht. Ihr Geſchmack wird ver- 261 ſchieden angegeben; dem der Seekrebſe ſcheint er am ver- wandteſten zu ſein. Trotz dem kann man's den Bauern nicht verdenken, wenn ſie einer auf den Flügeln des Oſtwindes, den bei Erzählung der egyptiſchen Heuſchreckenplage auch Moſes anführt, heranziehenden Caravane dieſer kriegeriſchen Gäſte mit Geſchrei und Lärm entgegentreten, wodurch es ihnen bisweilen gelingt die Niederlaſſung derſelben von ihren Gärten, Feldern und Fluren abzuwenden. Auch halten ſie es für ein Verbrechen ſich an dem ſchönen gold- gelben Vogel, Samarmar, zu vergreifen, der mit noch größerem Appetite als der Araber die Heuſchrecken ver- zehrt. Die ſicherſten und ſtärkſten Vertilger derſelben ſchickt aber der Herr noch heute wie zu Pharao's Zeit durch ſeine Winde, welche die läſtigen Schwärmer ins Meer, beſonders – der Süd- und Südoſtwind – in die mittel- ländiſchen Fluthen treiben. Im Schwimmen gelten die Heuſchrecken für keine Helden. Die gefährlichſten Begegnungen in der Wüſte ſind aber unſtreitig die Schlangen. Auch dieſe ſind mir wie- derholt geworden. Auf dem Rückwege von Suez nach Cairo erhoben meine Beduinen zwei Mal ihr Angſtge- ſchrei: „eine Schlange,“ „eine Schlange.“ Mein Drago- man ſäumte nicht vom Kamel zu ſpringen und die beiden Schüſſe ſeiner Doppelflinte auf die Wellen des geſchmei- digen Thiers abzudrücken, während die Führer eilig die 262 Kamele aus der Nähe drängten. Dieſe beiden Schlangen waren keine Elle lang, gelten aber für die gefährlichſten und giftigſten. Es waren ſogenannte gehörnte Schlan- gen, Ceraſten, die bekanntlich ihren Namen von ihren zwei kleinen auf dem Kopfe hervorragenden Fühlhörnern haben. Wenn dieſe Fühlhörner allein aus dem Sande hervor- ſpitzen, ſo verlocken ſie die Vögel, die ſie für Würmer halten; aber ſchnell umſchlingt ſie der giftige Verführer. Die Schlangenſpuren die ich im Sande geſehen ſind ganz unzählig; weite Sandſtriche waren davon wie durchadert. Unter meinen Kamelen befand ſich eins mit einer Wunde von einem Schlangenbiß, die noch alle Tage blutete. Die Beduinen ſorgten ſich nicht ängſtlich darum; ſie ſagten mir aber daß auch das Kamel in der Regel von einem vollen Schlangenbiſſe ſehr bald ſtirbt. Da es ſo leicht iſt, von dieſen Thieren, beſonders während der Nacht auf dem preisgegebenen Lager im Sande, gebiſſen zu wer- den, ſo hatt' ich mich von meinem Arzte in Cairo genau über die nöthigen Maßregeln für dieſen Fall unterrichten laſſen. Fürs einzige ſichere Mittel hielt er das ſchleunige Ausſaugen der Wunde, was für den ſelber der die Hilfe leiſtet nur dann Gefahr bringt, wenn er an den Lippen oder im Munde eine wunde Stelle hat. Erſt nach dem Ausſaugen hat noch das Ammoniacum ſeine wohlthätige Wirkung. 263 Von meinem Rückwege nach Suez halt ich eine Wen- dung der Erwähnung werth, die wir am Abende des drit- ten Tages vom Wadi Taibe zum Wadi Garandel nahmen. Wir umgingen nämlich das hohe felſige Gebirge, das vor dem heißen Pharaobade liegt, im Weſten und zwar trotz der herrſchenden Ebbe eine Strecke lang ſo dicht beim Meere, daß von zwei neben einander gehenden Kamelen das eine im Waſſer waden mußte. Ich hatte meinen Führern, die bis auf den Mondſchein warten wollten, die angebliche Gefahr des Wegs nicht geglaubt; aber ich ſah jetzt daß es in der That Vorſicht galt. Der Umſtand, daß das Meer hier ſo nahe ans Gebirg herranreicht, iſt wichtig um die Unmöglichkeit der Annahme darzuthun, daß hier die Israeliten am Schilfmeer hingezogen ſeien. Am vierten Tage als wir kurz vor Mittag ins Ga- randelthal, öſtlich von der Ouelle, ankamen, erfuhr ich die heißeſte Temperatur meiner Reiſe. Bevor wir hielten, war's mir als hielt ich das Geſicht einem lodernden Ka- minfeuer entgegen. Den nackten Fuß auf den Sand zu ſetzen, war unmöglich. Wir zogen erſt nach Sonnenun- tergang weiter; demohngeachtet hatt' ich die Kleider kaum angelegt, ſo waren ſie bei der fortdauernden Schwüle durchfeuchtet. Den Tag darauf des Nachmittags, als ich vom Wadi Sadr aufbrechen wollte, erlebte ich ein ſchreckliches Schau- ſpiel. Es iſt mir koſtbar geworden, da ich's glücklich über- 264 ſtanden. Es war das Schauſpiel des berüchtigten Chamſin. So gefährlich wie der geweckte Leu, ſo verderblich wie der Zahn des Tigers iſt die Begegnung mit dieſem Schreck- niſſe der Wüſte. Es war nach fünf Uhr; ich wollte eben das Zelt ab- brechen laſſen, damit ich noch vor Mitternacht nach Ajin Muſa käme, um den folgenden Morgen die Ebbe zum Durchgange durchs Meer zu benutzen: da riß ein plötz- licher Windſtoß das Zelt und mit ihm mich ſelber nieder. Als ich mich herausgearbeitet hatte, ſah ich bereits kaum noch wenige Schritte weit; aber bald war ich in den dich- ten hochröthlichen Sandſtaub wie in eine Wolke einge- hüllt. Es fehlte wenig daß die drückend heiße Luft er- ſtickend wurde; dazu herrſchte ein Getöſe um uns und über uns, gewaltiger und wilder als das Meer wenn es im Sturme toſt; es erinnerte mich am lebhafteſten an die donnerbegleiteten Ausbrüche des Veſuvs. Dies Getöſe war um ſo ſeltſamer da es doch weit und breit an allen Bauten und Wäldern fehlte; nur vom Meere waren wir nicht gar fern. Die Beduinen hatten eiligſt die Kamele in die Enge zuſammengeführt, damit ſie vor Ueberraſchung nicht aus- reißen möchten; wir ſelber lagerten uns dicht unter einem zwar niedrigen doch buſchigen Sandhügel, der uns zum Heile war; ich ließ mich noch überdecken ſo ſehr es mög- lich war. Der Zuſtand durfte nicht lange andauern, 265 ſollte er mich nicht im Reiſekleid und in ſo guter Geſell- ſchaft, aus dem Wadi Sadr ins Thal des Todes hinüber ſpielen. Ich war eingeſchlummert; gegen Acht ſagte mir mein Dragoman, daß die Gefahr vorüber und der Sturm ſehr ſchwach geworden ſei; doch könne man nur vielleicht nach Aufgang des Mondes an den Aufbruch denken. Ich ſchlief wieder ein und erwachte nach Mitternacht. Da ſtand ein Viertel der Mondſcheibe rein und klar über mir. Wie aus einem ſchweren Traume athmete ich auf. Mit heißer Dankbarkeit hing mein Auge an dem heiteren nächtlichen Himmel. Aber mein guter Stern, dacht ich, hat mich nicht umſonſt geweckt; ich wollte drum ſogleich aufbrechen um meinen früheren Vorſatz noch auszuführen. Meinen Beduinen war es freilich eben ſo unglaublich als unbehaglich. Und unbehaglich war's auch mir ſelber; denn ich merkte jetzt daß mir der Sandſtaub in den Augen und in den Ohren, im Munde und im Halſe lag; daß er mir in die Aermel und überall hin gedrungen war. Doch nach einer halben Stunde ritten wir, die kühle Nacht hindurch die leider bald ſehr feucht wurde, ohne Ruh und Raſt den Moſisquellen zu. Als ich in Suez mit dem Generalconſul Coſta von - meinem Abenteuer ſprach, nannte auch er die Gefahr ſehr groß die ich überſtanden. Er erzählte mir, daß erſt vor vier Jahren ein junger Schweizer, ſeinen Abmahnungen 266 zum Trotze, nach Cairo aufgebrochen ſei als ſich eben der Chamſin erhob; aber wenig Stunden darauf ſeine Un- überlegtheit mit dem Tode gebüßt habe. Außerdem er- zählte man mir von ganzen und ſtarken Caravanen, die eine Ueberraſchung durch den Chamſin mitten in der ſchutz- loſen Wüſte im Sande begraben hat. Darnach darf ich allerdings keinem Reiſenden rathen meinem Beiſpiele zu folgen, und die Zeit des Chamſin von Mitte April bis Mitte Juni zu einer Wüſtenreiſe zu wählen. Als wir einen Tag weit hinter Suez waren, kehrten auch meine erſten drei Führer zurück; aber ſie kamen wie aus der Schlacht, beladen mit reichlicher Beute. Der Stamm von Tor (am Geſtade des rothen Meeres), zu dem auch jene Beduinen gehörten die in Suez bei meiner Durchreiſe ſo nachdrücklich das Recht der Führung gegen meine Begleiter beanſpruchten, hatte ſchon lange unfreund- liche Geſinnungen gegen die paläſtinenſer Einwanderer am Mokattam geäußert. Dafür hatten dieſe jetzt Rache ge- nommen. Meine drei Führer waren, in Vereinigung mit ſiebzehn ihrer Stammgenoſſen, auf die Kamelheerden der Beduinen von Tor gefallen und hatten ſie als Beute weggeführt. Dreihundert Verfolger waren aufgebrochen; im Dorfe El Bada* waren ſogar einige davon mit mei- nem Attajö zuſammengetroffen und hatten ihn, natürlich * S. Seite 191. 267 ohne ihn zu kennen, nach der Spur der Raubhelden ge- fragt. Demohngeachtet waren dieſe ihnen unerreichbar geblieben. Es läßt ſich kaum begreifen wie zwanzig Be- duinen eine Heerde von vierhundert Kamelen dieſe Wüſte und Felſen hindurch ſo ſicher vor den Augen der dreihun- dert Nachſpäher entführen konnten. Nunmehr waren ſie ge- borgen; ihre Heimath lag nur noch eine Tagereiſe entfernt. Als dieſer prächtige Zug von vierhundert Kamelen, von denen viele ſo ſchönes und vollbuſchiges Haar trugen daß ſie noch ungebraucht zu ſein ſchienen, bei uns vor- überkam, und meine Beduinen den Zuſammenhang be- griffen, ſo geriethen ſie in nicht geringe Beſorgniß. Schnell trieben ſie ihre eigenen elf Thiere zuſammen. Aber meine alten Führer kamen um mich einen Augenblick im Zelte zu beſuchen, und ihr Scheik aß Brod mit meinen Beglei- tern, das dieſe in aller Eile aufs Zuvorkommenſte buken. Das flößte ihnen Muth ein; ich erfuhr, daß es ein ſtren- ges Geſetz der Beduinen iſt, den als Freund zu betrachten mit dem man Brod gegeſſen. Dennoch wachten ſie des Nachts bei fortwährend unterhaltenem Feuer, wozu ich ihnen einen tüchtigen Kaffee geſchenkt hatte. Ich meines Theils ſchlief ruhig; denn ich war an meinen alten Füh- rern meiner Freunde gewiß, und freute mich daß ich dieſe tapferen Leute in meinem Dienſte gehabt. Dieſer Raub- zug war nun freilich ein überraſchendes Nachſpiel zum großen friedlichen Salechfeſte 268 Später erfuhr ich in Conſtantinopel, daß die Bedui- nen von Tor die Vermittlung Mehemed Ali's nachge- ſucht hatten, wornach ſie unter gewiſſen Bedingungen faſt ihre ſämmtlichen Kamele zurückerhalten mußten. Reiſe nach Jeruſalem. Am einundzwanzigſten Juni des Nachmittags um Fünf nahm ich von Neuem und zwar vielleicht auf immer Abſchied von Cairo. Jeruſalem war mein Ziel. Ich be- daure daß ich nicht vom Sinai aus ſogleich über Akaba Petra und Hebron dahin gegangen bin; ich hatte aber für meine Rückkehr nach Cairo neben anderen Gründen auch den gehabt, zum Behufe meiner handſchriftlichen Forſchun- gen die koptiſchen Klöſter bei Damiette zu bereiſen. Ich gab dieſen Plan jetzt auf, da meine Erwartungen von jenen Klöſtern herabgeſtimmt wurden und weder der Beſuch von Damiette, dem eigentlichen Herde der Peſt, noch der Weg zu Waſſer von dort auf einem türkiſchen Küſten- ſchiffe etwas Anziehendes beſaß. An meine Abreiſe von Cairo knüpfte ſich ein Aben- teuer. Faſt eine Stunde hatt' ich das Thor im Rücken, als plötzlich mehrere arabiſche Reiter anſprengten, in kei- ner andern Abſicht als um mich anzuhalten. Ich ritt allein meiner Caravane voraus und empfing die unver- ſtändlichen, doch zugleich recht wohl verſtändlichen De- monſtrationen dieſer Cavalleriſten aufs Unfreundlichſte. 270 Als ich die Erklärung darüber erhalten hatte, ſah ich auch ſchon hinter mir ein Geſchwader von vielen Reitern zu Eſel und einen Schwarm Fußgänger über Hals und Kopf heranrücken. Der Sekretär des öſterreichiſchen Conſulats ritt daraus hervor und ſagte mir, daß ein angeſehener Italiäner, Namens ––, dieſen Morgen eine Summe von zehn tauſend Gulden anſtatt zu einem Banquier in ſeine eigene Taſche befördert, und daß man erzählt hatte, derſelbe habe ſich meiner Caravane nach Syrien ange- ſchloſſen. Wahrſcheinlich hatte man meinen Dragoman, der trotz ſeiner orientaliſchen Tracht den Franken verrieth, mit jenem Flüchtlinge verwechſelt. Er machte mir nun eine genaue Beſchreibung deſſelben und gab mir die Voll- macht, im Falle der Begegnung mich ſofort ſeiner zu be- mächtigen. Die getäuſchte Erpedition kehrte zurück; von der Vollmacht konnt' ich keinen Gebrauch machen. Als wir an den Brunnen zu Mataryeh kamen, beſah ich noch einmal den alten ehrwürdigen Sykomorusbaum woran ſich jene Sage knüpft, daß er die heilige Familie auf der Flucht nach Egypten wunderbar beſchützt habe. Mit dem ſchönen Waſſer des berühmten Sonnenquells ließ ich meine Schläuche füllen. - Am nächſten Nachmittage erfuhr ich wie ſchlecht die Wahl meiner Führer ausgefallen war. Wir hielten vor Kanka; ich wollte noch mehrere Stunden Wegs machen; aber meine Führer zwangen mich zu halten, indem ſie mir 271 ihre unbeſiegbare Furcht vor den Räubern hinter Kanka vorhielten. Sie hatten dafür den Beweis, daß erſt vor wenigen Tagen einem Straßenräuber zu Kanka der Kopf war abgeſchlagen worden. Im Grunde aber, abgeſehen von ihrer wirklichen Furchtſamkeit, wünſchten ſie ſich einer uns nachrückenden Caravane anzuſchließen, die aus vier- zig Kamelen beſtand und ihnen befreundet war. Dieſe arabiſche Geſellſchaft, welcher Frauen und Kinder die Be- quemlichkeit zur Pflicht machten, war mir durchaus unbe- haglich; ich beſtand vom nächſten Morgen an auf unſere Trennung. Meine jetzigen Führer waren übrigens keine Beduinen; im Gegentheil ſprachen ſie verächtlich von den Beduinen die uns begegneten und die ſie „Araber“ nann- ten. Zwei von ihnen waren in El Ariſch anſäſſig; der dritte war ein ſchwarzer Sclave. Aber auch von meinem Dragoman muß ich eine Nach- richt geben. Ich hatte ſchon meinen braven Ali aus Gizeh für die Reiſe nach Syrien gewonnen, als mir mehrere Freunde an deſſen Statt einen Landsmann anempfahlen, der ohne Mittel war um, wie er wünſchte, nach Jeruſa- lem zu reiſen. Er war aus den preußiſchen Oſtſeepro- vinzen gebürtig und war ein Schneider, hatte ſich in Con- ſtantinopel und in Cairo jahrelang aufgehalten und ſprach das Arabiſche vollkommen. Man erzählte mir, daß die vielen galanten Abenteuer des hübſchen jungen Deutſchen ſeine Abreiſe aus der alten Kalifenſtadt wünſchenswerth 272 machten. Da er – ein wahrer homme à tout faire – zugleich in den Künſten der Küche bewandert war und auch die nöthige Energie für die Caravane zu haben ſchien, ſo ließ ich mich, trotz der nöthigen Vorſicht gegen derglei- chen Landsleute in ſolchen Ländern, zum Tauſche bewegen und nahm den „ſchönen Friedrich“ in meine Dienſte. Daß er zur Nadel ſtatt zur Fahne geſchworen, ſah ihm Niemand an als er neben mir auf ſeinem Kamele ritt, vom Kopfe bis zum Fuße türkiſch gekleidet, geſchmückt mit einem blinkenden Schleppſäbel, ein Paar Piſtolen im Gürtel. Ich hatte ſeine Wahl nicht zu bereuen, obſchon es ihm mit dem Commando der Führer nicht recht gelang. Dafür wußte er mir Tauſenderlei zu erzählen; auch er- fuhr ich durch ihn daß die deutſchen Wanderer ſeines Standes und anderer ähnlichen im fernen Auslande eine Art Coalition bilden, deren Nachdruck ich nimmermehr geahnt hätte. Leider hört ich von ihm zu ſpät daß die Cairiner Eſeltreiber vor den „groben Deutſchen“ einen beſonderen Reſpekt hegen; ſoviel ich mich erinnere, haben ſie mir die Nationalität nicht angeſehen. Eine Anekdote, die darauf gewirkt haben mag, erlaub' ich mir mitzutheilen. Ein Deutſcher, von der Profeſſion meines Dragomans, hatte den Sonntag allzu naß gefeiert – eine der ſchlech- ten Vorarbeiten fürs chriſtliche Miſſionsgeſchäft. Er ritt von Bulak nach Cairo heim, und machte ſich in den Stra- ßen mit gezogenem Säbel Platz. Alles wich ihm aus – 273 im Oriente gilt jeder was er de facto iſt – bis auf einen Seis, der mit einem ebenſo guten Gewiſſen wie ſein grauer Vierfüßler ruhig ſeines Weges zog. Aber der voltigirende Reiter geräth an den Eſel und ſchlägt ihm die Naſe ab. Der Seis klagt, er will Erſatz für ſein Thier; der Schnei- der ſowie der Eſel ohne Naſe werden geſetzt. Allein bei den üblichen Provokationen der Franken auf ihre Conſuln zog ſich die Sache in die Länge, während der geſetzte Eſel trotz der fehlenden Naſe den beſten Appetit entwickelte. Das Endreſultat war: Man bedeutete den Seis, man werde ſein Thier fortſchicken wenn er es nicht zurückneh- men wolle; der deutſche Held aber behielt nicht nur, ge- gen die Sitte der orientaliſchen Rechtspflege, ſeine eigene Naſe, ſondern erhielt auch von Seiten ſeines Conſulats noch eine darzu. Die erſten vier Tage unſerer Wanderung zogen wir durch belebte fruchtbare Gegenden; waren wir doch größ- tentheils im Lande Goſen, jenem Kleinode Egyptens. Wir kamen an herrliche Wälder von Dattelpalmen; einer überraſchte mich beſonders, da er ringsum von Sand um- geben war. Das beweiſt wie ſehr in dieſem geſegneten Egypten ſogar dem Anſcheine nach wüſte Sandſtriche der Cultur fähig ſind, ſobald ſich nur das Waſſer vermitteln läßt. Unter den Feldfrüchten bemerkt' ich eine große Pflege der Kürbiſſe und Waſſermelonen. Als wir das letzte I. 18 274 Aermchen vom Nile trafen, unterließen meine Führer nicht mir's anzukündigen; ſie ſelber tranken noch aufs Herzhafteſte. Drei Tage vor der egyptiſchen Grenzveſte El Ariſch zogen wir beſtändig durch tiefen weichen Sand, der unſer Zelt nirgends feſte Wurzel faſſen ließ. Er hatte hier eine Menge Thäler und Berge von eigenthümlicher Geſtalt gebildet; nicht leicht wars, da hindurch die rechte Richtung zu tref- fen. Nach hereingebrochenem Dunkel dienten uns immer die Geſtirne zu Wegweiſern; bisweilen ſahen wir nicht die geringſte Spur, und ohne die Lichter von oben konnte man ſich völlig verlieren. Einmal verirrten wir uns ſel- ber; wir ſtanden an Abgründen, die ſich bei dem bodenloſen Sande ſehr bedenklich anſahen; doch der ſchwarze Sclave wußte uns herauszuhelfen, wofür ich ihm die Entſchei- dung in allen zweifelhaften Fällen übertrug. Unſern Waſſerbedarf entnahmen wir mehrmals bei den Ueberbleibſeln von den Poſtſtationen, die Ibrahim Paſcha als Herr von Syrien zum Verkehre mit Egypten eingerichtet hatte. Doch war das Waſſer niemals von einem Beigeſchmacke nach Salz oder Salpeter frei. Am beſten ſchmeckte es unſeren Kamelen, die bei weitem weni- ger als die Kamele der Beduinen der Tränkung entbehren konnten. Einen täuſchenden Erſatz für helles ſchönes Waſſer bot uns das wiederholte Schauſpiel des Serab oder der berühmten Luftſpiegelung. Mein Dragoman war damit nicht unbekannt; aber einmal meinte er doch, jetzt 275 müßten wir einen See treffen. Wir ſahen in der That ſo deutlich die vom Winde gekräuſelten und in der Sonne ſchimmernden Wellen, daß ein Unkundiger getäuſcht wer- den mußte. Auch auf einen egyptiſchen Wachtpoſten, noch fern von der Grenze, ſtießen wir; er war beſetzt mit albane- ſiſchen Soldaten, die mir ſogleich in meinem Zelte ihren Beſuch machten und der Sicherheit halber ihre eigenen Pfeifen mitbrachten. Sie waren bei einem Tamarisken- walde ſtationirt, worin wir mehrere Gazellen aufjagten aber umſonſt zu ſchießen verſuchten. Sieht man dieſe Thiere, die wie mit einer mädchenhaften Sittſamkeit ange- than ſind und doch ſo graziöſe Formen zeigen in ihren flüchtigen Sprüngen über die weite Wüſte, ſo begreift man die Vorliebe der orientaliſchen Dichter für ſie. Auch ihre lieblichen feurigen Augen, wie ſie immer eine ſchöne Geliebte des Orients haben muß, hab' ich ſtudirt; in Cairo hält man nämlich zahme Gazellen die ſich in den Höfen unter den Pfauen, Störchen und Hühnern zu gefallen ſcheinen. Bekanntlich hat man den Namen „Gazelle“ anch zu einem Mädchennamen gemacht; „Tabitha“ iſt ihre Bezeichnung im Syriſchen, eben ſo wie jene fromme Frau zu Joppe hieß, welche Petrus wieder ins Leben zurückrief. Von Intereſſe war für mich auch ein einzelner Reiter zu Dromedar, dem wir begegneten. Es war die Poſt des 18* 276 franzöſiſchen Conſuls zu Jeruſalem, die gewöhnlich in fünf bis ſechs Tagen auf dem flüchtigen Renner den lan- gen Weg von Cairo nach Jeruſalem zurücklegt. Leider iſt derſelbe Reiter, den wir trafen, wahrſcheinlich den feind- lichen Beduinen hinter Gaza in die Hände gefallen; denn bei meiner Ankunft und ſelbſt während meines Aufent- halts in Jeruſalem war er noch nicht eingetroffen. Der Conſul erzählte mir, daß es nicht der erſte war den er vergeblich erwartete, obſchon er ſeit einiger Zeit mit einem Beduinenſcheik der Umgegend ſelber über die Poſtbeſor- gung übereingekommen war. Ehe wir nach El Ariſch kamen, begegneten uns ver- ſchiedene kleine arabiſche Caravanen. An jede hatten meine Führer die Frage: Wie geht's? Was giebt's Neues? Von allen lautete die Antwort: Krieg! Krieg! Am Morgen des achtundzwanzigſten Juni waren wir in El Ariſch, dem alten Rhinocolura. Meine Führer leg- ten ſogar ihre Sandalen an um die gehörige Figur vor ihren Freunden zu ſpielen. Ich ließ mein Zelt in einiger Entfernung von der Mauer unter Palmen aufſchlagen, und ging ſogleich in die Stadt um mich über den Stand der Dinge zu unterrichten. Der einzige Europäer daſelbſt war ein Grieche, Namens Riſo, Adjutant und einziger Reſt der Sanitätsbehörde. Vom Arzte ſelber, einem jun- gen Italiäner, war nichts als eine ſchwarze Frau mit ihrer Sclavin übrig geblieben; er hatte Bankerott gemacht 277 und war nach Alerandrien gegangen. Mit dem Kriegs- lärme hatte es nach der Auskunft des Adjutanten folgende Bewandtniß. Am ſechzehnten April waren die Beduinen- ſtämme von Suerke und Aſasme egyptiſcher Seits gegen die Stämme von Telja und Sarbim türkiſcher Seits aus Blutrache zu Felde gezogen. Am fünfundzwanzigſten Mai hatten ſie ihre feindſeligen Begegnungen erneuert. Seit- dem hatten ſich jene erſteren, die egyptiſchen Beduinen, einige Tauſend an der Zahl, zu ihrem größeren Schutze in die nächſte Nähe von El Ariſch gezogen; ihre Zelte ſtanden jetzt an der öſtlichen Seite dieſer feſten und mit hundertfunfzig Mann Soldaten beſetzten Stadt. Was die Sicherheit der Straße betraf, ſo war natürlich der Ver- kehr der Beduinen ſelber im höchſten Grade bedroht, und auch manche Behelligung der ſonſtigen Reiſenden war vorgekommen. Doch alle Behelligungen der Franken be- ſchränkten ſich auf Erpreſſungen eines Tributs, der bald höher bald niedriger geſtellt worden war. Etwa vierzehn Tage vor mir war ein Engländer nach El Ariſch gekom- men, der von ſeiner glücklichen Ankunft in Gaza an den Adjutanten ſchriftliche Nachricht gegeben hatte. Drei Mo- nate früher waren einem ruſſiſchen Oberſten tauſend Tha- ler und mehrere Effekten kurz vor ſeiner Ankunft in El Ariſch über Nachts geſtohlen worden. Dadurch hatte man eben jenen Engländer, der gleichfalls viel Geld bei ſich führte, zu bewegen gewußt acht Tage in El Ariſch liegen 278 zu bleiben, um vorherige Erkundigungen von Gaza ein- zuziehen. Aus dem allen erſah ich jedoch keine wirkliche Gefahr, und war ſie vorhanden, ſo ließ ſich keine baldige Beſeitigung derſelben abſehen; daher war ich durchaus nicht geneigt dem Wunſche meiner Führer nachzugeben, wornach ich die Ankunft jener andern arabiſchen Carava- nen, mit den vierzig Kamelen, den Frauen und Kindern, abwarten ſollte. Begreiflich dagegen war's mir daß mei- nen Führern, von denen Muſtapha zwei Frauen und Mohammed eine Frau nebſt Familie in El Ariſch hatte, jeder Verzug lieb und koſtbar war. Allein trotz meiner ernſten und beharrlichen Drohungen, die der Adjutant kräftig unterſtützte, während vom Gouverneur, wie er mir geſchildert wurde, weder Hilfe noch militäriſches Geleite zu erzielen war, ſah ich mich genöthigt, meinen Führern zu Willen zu ſein. Daß ich ihnen darauf die gebührende Antwort nicht ſchuldig blieb, werd' ich nachher erzählen. Ich ſuchte mich nun vier Tage lang in dieſer wilden kriegeriſchen Umgebung ſo gut als möglich zu vergnügen. Das Meer, zu dem der Weg durch einen herrlichen Wald führte, war kaum eine Stunde weit entfernt. An ſeinem Ufer ſah ich unzählige jener kleinen Meerkrebſe, von denen ich unter Anderem in Belon's Reiſe von 1555 geleſen hatte. Er ſchreibt davon, daß ſie nicht viel größer als eine Kaſtanie ſeien und ſchneller als ein Menſch laufen; daß ſie, was das Sonderbarſte ſei, des Tags auf dem 279 trockenen Lande die heftige Sonnenhitze aushalten und des Nachts ins Waſſer gehen. Es iſt des Ariſtoteles „laufen- der Krebs,“ der auch, ſeiner Schnelligkeit halber, der Läu- fer oder Dromon heißt. Nach ihrer Erſcheinung möchte man ſie zwiſchen Spinne und Krebs mitten inne ſtellen. Die das abſchüſſige Ufer überfluthende Woge brachte ſie immer mit; aber nur mit ſchnellem Fuß und behender Hand ließ ſich einer ertappen. Der große Brunnen in El Ariſch hatte die Beſonder- heit, daß er in ſeinem recht guten Waſſer Blutegel enthielt. Ich ſah während meines Aufenthalts ein Kamel und einen Araber, denen der Mund von einem halbverſchluckten Blutegel blutete. Man darf deshalb das Waſſer nur fil- trirt trinken. Gefährlicher als hierdurch wurd' ich eines Abends überraſcht, als ich ſchon auf dem Nachtlager im Zelte lag. Eine junge Schlange, nicht länger als acht bis zehn Zoll, kroch dicht neben mir. Mein Dragoman ſchlug mit ſeinem Säbel darnach; aber jedes Stück blieb lebendig, bis viele kleine Reſte daraus geworden waren. Auch mit den Soldaten in Ariſch, die alle beritten waren, und noch mehr mit ihren ſchönen Pferden macht' ich Bekanntſchaft. Ich war keineswegs an den Galopp dieſer wie auf beſtändiger Flucht begriffenen Thiere ge- wöhnt; doch konnt' ich mich leicht damit befreunden. Die Abende boten mir immer ein herrliches Schau- ſpiel. Da ſaß ich auf dem höchſten der weißen Grabſteine 280 des Gottesackers, der auf einem hohen felſigen Hügel lag. Ich hatte im Weſten den ſchimmernden Silberſpiegel des mittelländiſchen Meeres, im Oſten das große Beduinen- lager, gegen hundert ſchwarze und weiße Zelte mit lodern- den Feuern; vor mir erhob ſich aus dem Sande heraus die kleine Feſtung mit ihren Mauern und Palmbäumen; hin- ter mir grenzte das bleiche Sandfeld an den Horizont. Ueber dem allen glänzte der prächtigſte Vollmond; der dunkelnde Himmel war wie mit einem blauen Schleier überwoben. - Aber auch der gaſtfreundlichen Galanterie in El Ariſch muß ich gedenken. Sie beſtand darin daß mir am Abende meiner Ankunft von ſchöner Hand ein Feſtgericht über- ſchickt wurde: eine vortreffliche Suppe mit gekochtem Huhn, ein Paar gebratener Tauben und ein Reisbilav. Mein Dragoman wußte daß dies eine Sitte war, die man gegen willkommene Fremde beobachtet. Es wurde mir zu be- ſonderer Würze noch geſagt, daß dieſe Köſtlichkeiten aus den eigenen Händen der Hausfrau der erſten Familie zu Ariſch kämen. Ich darf nicht erſt verſichern, daß darnach das Gericht gut ſchmecken mußte. Leider muß ich aber fürchten, daß mein Andenken bei den gaſtlichen Ariſchern nicht eben in Segen geblieben. Denn als ich in Jeruſalem angekommen war, berichtete ich ſogleich dem franzöſiſchen Conſul das Benehmen mei- mer Führer, die bereits Alles vergeſſen glaubten. Er be- 281 ſtätigte mich in der Abſicht, ihnen für alle Widerſetzlich- keiten auf dem Wege, zu denen auch ein boshafter Auf- tritt gegen meinen Dragoman gehörte, der ohne mein Ein- ſchreiten mit ſeinem Säbel ſofort Gerechtigkeit geübt hätte, die verdiente Strafe auszuwirken. Freilich waren ſie dar- über der Verwunderung voll, und als ihre demüthigen Abbitten nichts halfen, beklagten ſie ſich beim Paſcha von Jeruſalem, der ſich deshalb auch wenigſtens im Kloſter nach mir erkundigen ließ. Allein ich hatte mein Schreiben ans franzöſiſche Conſulat in Cairo bereits ausgefertigt; dem Schreiben legte ich die noch rückſtändigen drei Napo- leonsd'or bei, eventualiter für die Armen in Cairo; denn wahrſcheinlich wurden ſie meinen Führern bei ihrer Rück- kehr in anderen Münzſorten ausgezahlt. Ich bin überzeugt daß von einem ſolchen Verfahren die europäiſchen Reiſenden weſentlichen Gewinn ziehen werden. Zu leiden haben von den Kamel- und Pferdetrei- bern dieſer Gegenden gewiß faſt alle; nur läßt gewöhnlich der frohe Augenblick der Ankunft die Aergerniſſe der Reiſe vergeſſen. Dadurch werden dieſe eigenwilligen, trägen und betrügeriſchen Menſchen in ihrer launenhaften Hartnäckig- keit gegen uns beſtärkt. Was aber wiederholte Beweiſe thatſächlicher Strenge zur Verbeſſerung der Sitten wirken würden, das läßt ſich aus Ibrahim Paſcha's Verfahren im Großen abnehmen. Uebrigens iſt die Unſicherheit, die in der That mit der 282 ſyriſch-türkiſchen Grenze für die aus Egypten kommenden Reiſenden beginnt, eines von jenen unerquicklichen Reſul- taten der Rückgabe Syriens an den Sultan. Unter Ibrahim Paſcha, ſo verſicherte man mir aller Orten in Syrien, hätte man ein Kind mit Geld beladen auf Wan- derungen ſchicken können. Ich ſollte glauben, es wäre eine billige und überaus dankenswerthe Rückſicht der Groß- mächte bei ihren freundſchaftlichen, ſiegreichen Schritten in Syrien geweſen, für die dortigen Reiſenden, die ja immer unter ihrem gemeinſchaftlichen Schutze ſtehen, von der Pforte die gehörigen Garantien oder wenigſtens ſte- hende Militärgeleite auszuwirken. Doch ich kehre zu meiner Reiſe zurück. Am Nachmit- tage des zweiten Juli reiſten wir von El Ariſch endlich ab, und zwar in Begleitung der großen arabiſchen Cara- vane. Am Dritten hatten wir eine der angedeuteten übli- chen Tributsbehelligungen. Ich hatte mich aber nicht darin geirrt, daß ich allein vortheilhafter gegangen wäre als in dieſer Geſellſchaft; denn man verlangte anfangs – gewiß auf beſonderes Anſtiften – von mir allein ge- rade daſſelbe was man von der geſammten zweiten Cara- vane verlangte. Ich wußte die gehörige Antwort darauf und zahlte endlich eine ſehr mäßige Summe. Am Vierten wiederholte ſich die Tributsforderung. Es ſah ſich an- fangs ganz gefährlich an, als die eiligen Ritter zu Pferde mit ihren langen Spießen die Caravane umzingelten 283 und zum Halte nöthigten. Am Ende ging Alles fried- lich ab. - Aber einer ſchönen Ueberraſchung muß ich gedenken; ſie wurde mir als wir Paläſtina betraten. Die öden wüſten Sandſtrecken hatten eben angefangen einzelne Spu- ren der Vegetation zu tragen. Wie ein Zerrbild von Vegetation hatten wir einen hügeligen Strich mit ſtrau- chigem Waldboden paſſirt, wo ich auf einen einzigen Blick Tauſende von wimmelnden Ratten und Mäuſen, und zwar mehr weiß als grau, geſehen. Das drängte mir natürlich die Erinnerung an die Plage der Philiſtäer auf, als ſie den Israeliten die Bundeslade geraubt hatten; nur von den „fünf goldenen Mäuſen“ merkte ich keine Spur. Aber da plötzlich bei Khan Munes knüpfte ſich, wie an die Schatten des Todes des Lebens junger Tag, an den Saum der Wüſte das Gefilde von Gaza mit ſeinem fröhlichen Reichthume. Wie eine zauberhafte Täu- ſchung war's; wie ein freudiges Nebelbild das aus der farbloſen Leinwand ſchnell hervortritt. Da dehnte ſich ein weiter Wieſenplan vor uns aus, mit Feldern die das Gold der Ernte geboten und noch überſäet waren von blumigen Stauden, mit Tabaksfluren in ihrer farbigen Blüthenpracht, mit üppigen Melonenpflanzungen, mit Hecken des wuchern- den Feigencactus, mit Oliven und Granaten, mit Syko- moren und Feigenbäumen. Es war der Eindruck des ge- lobten Landes; es war ein feſtlicher Gruß den es bot. 284 So begrüßt ich denn jenes kleine und doch ſo merk- würdige Küſtenland am Mittelmeere und an der arabi- ſchen Wüſte, zwiſchen dem röthlichen Gebirge von Edom und dem ſchneeigen Libanon. Welches Land käme ihm gleich in der Welt an großen Ereigniſſen die es geſehen. Soll ich's mit einem Worte ſagen, wie es erſcheint in der Geſchichte? Wie der heilige Schauplatz für die Schlachten des Geiſtes, für die Kämpfe der Religion erſcheint es. Und ſo erſcheint es von Abraham's grauen Zeiten an bis zu den Pforten der Zukunft. Dort beſtand der reine Got- tesglaube ſeine früheſten Prüfungen gegen die Canaaniter, gegen die Philiſtäer, gegen die Phönizier. Dort ſpaltete ſich der Jehovahdienſt zwiſchen dem Tempel und dem Garizim. Dort erwuchs das Heil vom Kreuze, umfloſſen von viel theuerem Blute; dort fand die Kirche ihre heiße- ſten Kampfesſtunden. Dort erſtarkte das Prophetenthum von Mekka; dort begegneten ſich Halbmond und Kreuz Jahrhunderte lang in begeiſterungsvoller Fehde. Dort ſehen wir noch heute wie in keinem anderen Lande Chriſt und Jude, Türk und Heide, unter den wuchernden Spal- tungen am eigenen Herd, fanatiſch ſeinen Gott umklam- mern; dort wird auch für eine neue Zeit das große Wort erklingen, die heilige Kraft erſtehn. Am vierten Juli zog ich glücklich in die alte Haupt- ſtadt der Philiſtäer, in Gaza ein. Der Empfang der mir wurde wäre der Philiſter werth geweſen. Ich wurde in 285 die traurige Quarantäne einquartirt, ich der ich aus dem geſunden Egypten kam und zwei Wochen lang Sand und Wind der Wüſte zur Erfriſchung genoſſen hatte. Der franzöſiſche Quarantänearzt nahm meinen Brief nur durch die Feuerzange über der Räucherpfanne in Empfang. Ich bat mich ſo weit als möglich von dem arabiſchen Geſindel zu ſondern, von dem übrigens mehrere klüglicher Weiſe um die Quarantäne herumgezogen waren, ſo daß jetzt ein Türke ſeine zwei gefangenen Reiſegefährten, und zwar ſeine beiden Frauen, mit vorſichtiger Beobachtung der vor- geſchriebenen Entfernung beſuchte. Ich hatte aber ein ſchlechtes Loos erwählt. Der mir gewordene Raum hatte früher verſchiedenen Beſtien ge- dient, wovon in der Nacht allerlei Erinnerungen zu Tage kamen. Ich kündigte am frühen Morgen dem Arzte an daß ich Beſchwerde führen würde, da man in einer ſolchen Quarantäne weit leichter krank als geſund werden könne. Der Arzt entgegnete mir, er habe ſich ſelber längſt aber vergeblich deshalb beſchwert. Ich wurde nun mit meinem Zelte für den nächſten Tag und die nächſte Nacht aufs Dach des Stallgebäudes Ibrahim Paſcha's verpflanzt, wo ich zur Sicherheit noch zwei Wächter halten mußte. Hiermit hatt' ich dieſe Carricatur von Quarantäne überſtanden; ich gewann freien Spielraum mich in dem uralten Gaza zu ergehen, während meine Kamele ihre Quarantäne noch auf der Weide hielten. Uralt nenne ich 286 Gaza; denn es iſt eine der Städte deren Namen aus der früheſten Vorzeit zu uns herüber klingen. Canaan, Noah's Enkel, und ſein Geſchlecht, ſo heißt's im zehnten Kapitel der Geneſis, hatte das Gebiet von Zidon durch Gerar bis Gaza inne. Gaza war ſodann nicht nur die Hauptſtadt der Philiſter, ſondern auch ihr größtes Bollwerk. Vor Gaza's Mauern fanden Joſuas Eroberungsſchritte ihre Hemmung, und noch ſpäter war das Verhältniß der Stadt zu Israel öfter herriſch als dienend; während ſie gegen Egypten als der wahre Grenzwächter des gelobten Landes galt. Auch Alexander der Große mußte mit ſeinen ſiegge- wohnten Schaaren fünf ganze Monate um Gaza's Be- ſitznahme ſtreiten. Darnach unterlag es wiederholt un- glücklichen Schickſalen; es ſank in Trümmern; es erſtand aus Trümmern. Frühzeitig faßte das Chriſtenthum feſten Fuß in Gaza. Die demohngeachtet noch gebliebenen Götzentempel erfuh- ren ihre Zerſtörung erſt zu Anfang des fünften Jahrhun- derts, wo ſich an ihrer Statt die prächtige Kirche der Kaiſerin Eudoria erhob. Noch heute ſtehen Mauern und Säulen dieſes Kirchenbaues; nur iſt daraus ſeit der Mitte des ſiebenten Jahrhunderts eine Moſchee geworden. In den Kreuzzügen erlebte Gaza manche heiße Stunde des Kampfes; vorzüglich waren es die Tempelherren, die hier gegen die Sarazenen Stand hielten. Heutzutage iſt Gaza eine betriebſame Stadt, deren 287 Einwohnerzahl, gegen ſechzehntauſend Seelen, der von Jeruſalem ziemlich gleich ſteht. Sie hat keine Thore mehr, und liegt nicht ſowohl auf der runden Anhöhe, worauf die alte Stadt geſtanden, als in der breiten Ebene, welche dieſe Anhöhe nach Norden und Oſten umgibt. Spuren früherer Bauwerke hat man an den vielen Stücken von Marmor und Granit, die da und dort in der Stadt zer- ſtreut liegen. Auch von den feſten zwölf Thoren des Al- terthums laſſen ſich noch Reſte rund um die genannte Anhöhe erkennen. Was aber vor allem Anderen Gaza berühmt gemacht hat, das ſind die abenteuerlichen Großthaten Simſon's, deren Schauplatz es war. Dort hub er das Thor aus und trug es auf die „Höhe des Berges vor Hebron.“ Nahe davon am Bache Sorek gewann er ſeine Delila lieb, die ihm das Geheimniß ſeiner Rieſenkraft entlockte, worauf ihn die Philiſter geblendet nach Gaza führten. Dort endlich ſtand der Dagonstempel, unter deſſen Ruinen er ſich ſelber mit ſeinen Feinden begrub. Daher iſt auch noch heute das Andenken an dieſen verliebten Helden, der zugleich zwanzig Jahre Richter von Israel war, den Ga- zanern ein theueres Kleinod. Den Berg worauf er jenes Thor getragen, im Buche der Richter als Berg vor Hebron bezeichnet, glaubt man in der iſolirten Anhöhe, ſüdöſtlich von der Stadt, wiederzufinden. Dort ſoll auch der chriſt- liche Biſchof gewohnt haben; jetzt ſteht daſelbſt nur ein - 288 Heiligengrabmal. Das ausgehobene Thor ſelber nimmt man in entſprechender Richtung vom Berge an, da wo man auch ein „Grab Simſons“ errichtet hat, obſchon mir ein anderes in der Moſchee, die nach Simſon benannt iſt, gezeigt wurde. Am ſechsten Juli gegen Mittag verließ ich Gaza. Meine Caravane war um einen Gefährten gewachſen. Das war ein Engländer, der Deutſchland in ſeinem Rufe beeinträchtigte, die ſogenannten armen Teufel auf Reiſen zu ſchicken. Er hatte beim Abſchiede von der Quarantäne noch fünf Piaſter (etwa acht Groſchen), außerdem nichts als ein ſehr kleines Bündel mit Wäſche und einigen Bü- chern. Seine Kleidung beſtand in leichten weißen Som- merkleidern. Er war dreißig Jahre alt, kam aus England und ging jetzt über Egypten nach Jeruſalem, um dort oder in Damaskus das Arabiſche zu ſtudiren. Er zeigte mir ein Zeugniß, wodurch er ſich als eine Art Sprachleh- rer auswies. Ich nahm ihn auf einem meiner Kamele nach Jeruſalem mit, nachdem er bis Gaza, auf Koſten engliſcher Gönner in Cairo, mit jener ſtarken arabiſchen Caravane gezogen war. Das Gefild von Gaza, durch das wir zogen, war ſchön und üppig. Beſonders zahlreich ſind die Tabaksfel- der; unter den Bäumen fehlt es auch nicht an Palmen. Wohin ich aber ſah, da traf ich auf große Gehege von Fei- gencactus, die wegen der feinſtachlichen Fruchthülle für 289 keine Hand, die heil bleiben will, antaſtbar ſind. Bald nachdem wir die Stadt verlaſſen ging unſer Weg durch einen langen Olivenwald, wo wir raſteten. Als der Abend hereinbrechen wollte, wachten die alten Sorgniſſe meiner Führer auf. Allerdings hatte ich ſelber in Gaza vom franzöſiſchen Quarantänenarzt einige der Ari- ſcher Erzählungen von den räuberiſchen und mörderiſchen Ueberfällen beſtätigen gehört; aber meine furchtſamen Füh- rer hatten den Glauben bei mir verloren. Faſt wär' ich heute dafür geſtraft worden. Als wir nämlich gegen zehn Uhr in ſchwarzer Nacht ſehr nahe bei einem großen Zelt- lager von Beduinen vorbeizogen, waren wir plötzlich ſo unfern von einem lebhaften Flintenfeuer daß uns einzelne Kugeln um die Köpfe ſauſten. Da fehlte wenig, ich hätte das himmliſche Jeruſalem anſtatt des irdiſchen begrüßt. Unſer Zuſammentreffen mit dieſem feindſeligen Kugel- wechſel war natürlich ein unglücklicher Zufall. Daß aber die Beduinen, die uns hier in ihrer vollen Gewalt hatten, einen gehörigen Tribut beanſpruchen würden, das war mehr als wahrſcheinlich. Meine Führer waren lautlos; das geringſte Geräuſch das die Kamele machten erhöhte ihre Angſt. Ich ſelber nahm meinen mit franzöſiſchen Goldſtücken gefüllten Gürtel in die Hand, um ihn ſogleich in den Sand zu werfen. Wachtfeuer loderten in weiter Strecke; die Hunde bellten. Demohngeachtet ſcheints als ob man uns nicht bemerkt hat. Dafür ſah ich plötzlich, I. 19 290 als wir kaum die Zeltlichter hinter den Hügeln aus den Augen verloren hatten, auf fünfzehn Schritte vom Wege zwei Männer, die platt auf der Erde lagen, aber ſich jetzt aufs Behutſamſte erhoben und in ſcharfer Beobachtung auf uns einige Schritte rückwärts thaten. Ich ſprang vom Kamel, eben ſo mein Dragoman; mit gezogenem Säbel und geſpanntem Hahn auf Flinte und Piſtol, den Blick nach der verdächtigen Stelle gerichtet, zogen wir weiter. Gegen zwei Straßenräuber hätte es Gewalt ge- golten; bei einem Angriffe der Beduinen hingegen, deren Lager gewiß mehrere Tauſend ſtark war, wäre unſere Waf- fenrüſtung lächerlich oder gar gefährlich für uns ſelber geweſen. Zwei Fußgänger, die ſich ſeit einigen Stunden an uns angeſchloſſen hatten, wurden verdächtig zu den Geſellen am Wege zu gehören. Um ſo achtſamer und entſchloſſener hielten wir uns ſelber, und gingen zu Fuß bis Mitternacht, in der bezeichneten Bereitſchaft zum An- griffe. Gewiß war's weniger unſere Anzahl als unſere Entſchloſſenheit, welche dieſe Straßendiebe zurückſchreckte. Obſchon wir bei einem Dorfe hielten, ſo wacht' ich doch abwechſelnd mit meinem Dragoman bis zum Morgenlichte des ſchwer gewonnenen Sonntags. Einen Dankgottes- dienſt feierte ich da im tiefſten Herzen. In Jeruſalem erfuhr ich, daß auch die Beduinen von Bethlehem und die von Gaza aus Blutrache mit einander im Kriege begriffen waren, und daß man deshalb unſern 291 eben zurückgelegten Weg allgemein für unſicher hielt. Der zuletzt ausgebliebene Cairiner Poſtreiter war wahrſchein- lich erſt zwiſchen Gaza und Ramleh in feindliche Hände gefallen. Von der Veranlaſſung dieſer Blutrache erzählten mir zwei fränkiſche Reiſende was ſie mit eigenen Augen kurz vorher in Bethlehem geſehen hatten. Ein Gazaner kam daſelbſt an, indem er hinter ſich am Zaume ein Dro- medar führte, auf welchem ein Leichnam ruhte, gehüllt in ein weißes Tuch. Der Leichengeruch war bereits ſehr ſtark. Die Bevölkerung ſtrömte ſogleich zuſammen; ſchnell waren jammernd die Klageweiber da. Aber aus der Menge kam ein bejahrtes Weib zur Leiche herangeeilt und hob das Leichentuch, ſo daß man auch in der Ferne den ſchrecklich zerſchmetterten Kopf der Leiche ſah. Da riß die Frau in der Wuth des Schmerzes den Schleier vom Geſicht, raufte ſich die Haare aus und ſchlug ſich in lauter Wehklage die entblößten Brüſte blutig. Plötzlich kam ein neuer Act zur Trauerſcene. Durchs Gedränge brach ſich Bahn ein jun- ger rüſtiger Mann; er ſchwang über der Leiche ſeinen Degen und gelobte feierlich, den Erſchoſſenen zu rächen. Als kurz darauf die eigentlichen Begräbnißceremonien ſtatt- fanden, ſchwuren noch viele andere feierlich den Schwur der Rache. Uebrigens war der Getödtete in einem Liebes- handel gefallen. Am ſiebenten Julius raſtete ich zu Mittag vor den Mauern zu Ramleh, in einem großen Olivenhaine vor 19* 292 der Stadt, deſſen Boden aus grobem Sande beſtand, mit nichts als Diſteln bewachſen. Die Stadt lag vor uns in einer Entfernung von wenigen Minuten; von einem Con- ſulatsgebäude flatterte uns eine europäiſche Flagge entge- gen. Fünf Minuten hinter unſerem Lager ſtand eine merk- würdige Ruine mit einem hohen Thurme. Je kürzer mein Beſuch in der Stadt war, um ſo länger war er auf dem Thurme. Freilich ſcheint es als ob die Stadt anziehend genug ſein müßte, da Ramleh für das neuteſtamentliche Arimathia, woher Nicodemus und Joſeph, ſowie für Rama, Samuels Geburtsort, gehalten wird. Liegt doch ſogar das Kloſter der Väter vom heiligen Grabe angeblich eben da wo ſein Haus der nächtliche, heilbegierige Freund des Heilands gehabt. Allein der Zweifel am Rechte der Zu- rückbeziehung Ramleh's auf Chriſti Zeit und Vorzeit hat gewichtige Gründe, wenn auch immer das wahre Arima- thia und Rama in großer Nähe davon geſucht werden muß. Dagegen weiſet ſich Ramleh als eine der früheſten Anlagen aus, welche die Sarazenen im gelobten Lande gemacht. Nur gegen Ein Moment, das der gelehrte Ro- binſon für die Verſchiedenheit von Rama und Ramleh geltend macht, muß ich mich erklären; ich meine dasjenige das er von der etymologiſchen Verſchiedenheit der beiden Namen hernimmt. Ramleh bedeutet „die ſandige“, Rama eine Anhöhe. Allein Ramleh iſt ſandig und liegt zugleich auf einer Anhöhe; recht wohl konnte aus den Trümmern 293 vom alten Rama das neue Ramleh hervorgehen. Die Verwandtſchaft im Wortklange mußte die Hervorhebung des Sandigen um ſo mehr befördern da daſſelbe in der That dieſer Anhöhe einen unterſcheidenden Charakter von der glücklichen Ebene gibt, die ſich an ſie anlehnt; ein Umſtand der wahrſcheinlich nicht ſchon in der älteſten Zeit obgewaltet hat. Aber ich eile zur Ruine mit dem Thurme. Die hiſto- riſche Beurtheilung hat ihre Schwierigkeit. Vermuthlich ſtand hier keine Kirche, etwa ein Denkmal von Helena's Frömmigkeit, wie fromme Mönche wollen, ſondern ein großer prächtiger Moſcheenbau. „Die weiße Moſchee“ zu Ramleh ſchildern arabiſche Schriftſteller als großartig und herrlich; ihren Urſprung führen ſie auf die Gründung von Ramleh zu Anfang des achten Jahrhunderts zurück. Jetzt liegen nur noch wüſte Umriſſe des viereckigen Baues an Mauern und Säulen vor, doch hinreichend um die ge- ſchwundene Pracht zu bezeugen. Von ganz beſonderem Intereſſe iſt das weite unterirdiſche Gewölbe, worin der Muhamedaner die vierzig Gefährten ſeines Propheten, der chriſtliche Mönch ſeine vierzig Märtyrer, die von Se- baſte in Armenien, begraben ſein läßt. Daß es vielmehr, wie Robinſon will, urſprünglich als Niederlage eines Khans gedient habe, iſt mir nicht wahrſcheinlich; auch hätte es als ſolche füglich bis heute fortbeſtehen müſſen, da jetzt noch die großen Caravanenzüge ihren Weg über 294 Ramleh nehmen. Im ſteinernen viereckigen Thurme von beträchtlicher Höhe" fand ich mit Robinſon anſtatt ver- meintlicher Spuren eines chriſtlichen Glockenthurms ſichere Kennzeichen eines türkiſchen Minarets. Aber was ſoll ich von der Ausſicht ſagen, die ich von oben herab mit glücklichem Auge genoß. Im Norden und im Süden breitete unter mir die Ebene von Saron ihren Reichthum aus. Wer ſollte ſie nicht kennen, die berühmte Ebene, deren Schmuck Jeſaias zugleich mit der Herrlich- keit des Libanon preiſt, deren Roſen eine die Geliebte Salomo's „lieblich wie die Hütten Kedar's, wie des Königes Teppiche“, ſich nennt. Der Ernteſegen lag jetzt aufgethürmt auf vielen Fel- dern; andere Früchte ſtanden noch fröhlich; die Fluren waren grün und blumig. Aber umſonſt ſucht' ich nach einem Röslein von Saron; die mochten längſt vor der Juliusgluth verblüht haben. Dennoch ſah ich Ein Rös- lein in dieſem Augenblicke; es war mir ſo theuer wie dem Salomo ſeine gefeierte Roſe von Saron. Es war die an die ich dachte, als ich nach Weſten gar lange hinüber- ſchweifte zu den ſilbernen Fluthen des Mittelmeers und ihnen feurige Grüße zuwinkte für die fernen Länder der Heimath. Dem Meere gegenüber, im Oſten von uns, begrenzten den Blick Judas ſchroffe Gebirge; aber zu * Robinſon gibt die Höhe zu etwa hundertundzwanzig Fuß an. 295 ihren Füßen, näher zu uns heran, lagen auf den Hügeln in weitem Umkreiſe ſtattliche Dörfer, die ſich mit ihren Olivenhainen und ihren Minarets fröhlich darſtellten. Vor allen den andern feſſelte mich das Diospolis der Römer, das bibliſche Lydda, wo einſt Petrus den gichtbrüchigen Aeneas geſund machte. Sie lag dem Scheine nach vor meinen Augen noch näher als ſie's wirklich war, dieſe uralte Stadt der Benjamiten, die in der chriſtlichen Zeit am berühmteſten durch den heiligen Georg geworden. St. Georg ſoll nämlich aus Lydda ſtammen; daher ihm auch frühzeitig daſelbſt ein koſtbares Grabmal und eine pracht- volle Kirche erbaut wurden, wovon noch heute viele und ſchöne Ruinen ſtehen. Als wir gegen Abend noch eine Strecke weiter nach dem geliebten Ziele wanderten, winkte uns Lydda noch lange freundlich von ſeinem Hügel zu. Daß ich von Je- ruſalem träumte, als ich an dieſem Sonntage eingeſchlum- mert war, das darf die Feder nicht erſt ſagen. Ankunft in Jeruſalem. Es graute der Morgen des achten Juli. Ich lagerte mit meinen Kamelen und Arabern unter einem vollbuſchi- gen Olivenbaume im Thal Ajalon. Meine Araber liebten es ſeines friſchen Quellwaſſers halber; ich verſetzte mich in die Zeit Joſua's zurück, der an dieſe Landſchaft die Erinnerung ſeiner glorreichen Kriegsthaten geknüpft. Wer gedächte ſeiner Worte nicht: Sonne, ſteh ſtill zu Gibeon, und Mond, im Thal Ajalon! Latrun, das ſeinen arabi- ſirten Namen der alten Mönchsbezeichnung als domus boni latronis– als Heimathsort jenes begnadigten Schä- chers am Kreuze – verdankt, hängt ſüdweſtlich am Hügel. Ueber Latrun ſchaute noch weſtlicher vom runden Gipfel der Höhe eine Burgruine hernieder. Man konnte keine ſchönere Lage zu einer Wartburg wählen. Gehörte ſie zu dem alten Emmaus (nicht dem neuteſtamentlichen), dem ſpäteren Nikopolis, ſo mag ſie wohl den Makkabäern vor- trefflich gedient haben. - Wir ritten nun die Gebirge von Judäa hinan. Eine Strecke lang machte ſich's maleriſch genug; es fehlte nicht an Baumwuchs und an hohem Strauchwerk. Ich glaubte 297 im Charakter dieſer Strecke etwas Aehnliches von unſerem Odenwalde zu erkennen; breite runde Hügel lagen neben und über einander. Aber bald wurde es öder, felſiger, ſteiler. Nach einem mehrſtündigen mühſamen Ritte hielten wir am Abfalle des Gebirges bei einer impoſanten Ruine, ich glaube einſt Kirche der Templer. Ich beſuchte das Innere, wo noch viele mächtige Säulen ſtehen, auch einige Malereien noch ſichtbar ſind. Sie liegt dicht bei dem ſtattlich aus Steinen gebauten Kuryet el-Enab (Stadt des Weins), worin man mit Robinſon das alte berühmte Kiriath Jearim (Stadt der Wälder) wieder erkennen will, das zu Samuels Zeiten die Bundeslade aus den räu- beriſchen Händen der Philiſter zu ſich holte. Zu un- ſerer Rechten ſahen wir auf ſchöner Bergſpitze thronend Soba, das nach Robinſon mit Samuels Geburtsort Rama und mit dem Arimathia der Evangelien zuſammenfallen ſoll. Wir genoſſen eine Strecke Wegs lang dieſen erhe- benden Anblick. Jetzt ritten wir von einem der höchſten Höhepunkte ſo jäh abwärts, daß wir genöthigt waren abzuſteigen. Wir gelangten in ein fruchtbares enges Thal. Zur Linken von uns präſentirten ſich mehrere Bauwerke, auch eins von hervorſtechender Haltung; es war Kulonieh. Wenige Schritte vor mir lief ein Reh den Rebenhügel hinan. Auf dem Wege lag an einer aus alter zierlicher Steinumfaſ- ſung hervorbrechenden Quelle ein türkiſcher Schimmel, 298 ſeinen letzten Augenblicken nahe. Man hatte dem armen Thiere noch die Mähne und den Schweif abgeſchnitten; reichliches Blut quoll ihm durch die Zähne. Unſere Ka- mele mußten darüber ſteigen. So grauſam konnten es gewiß nur Türken, keine Beduinen oder Araber, ſeinem Tode überlaſſen. Unwillkürlich kam mir der Gedanke, dieſen ſterbenden Renner, wie er ſich noch mehrmals ſchnaubend emporraffte, aber immer vergeblich wieder nie- derſank, als ein Bild von der Gegenwart des türkiſchen Reichs zu nehmen. Nachdem wir eine ſteinerne Brücke über einem rau- ſchenden Waſſer vorüber waren, während wir zu unſerer Rechten einen mit Feigen, mit Oliven und anderen Bäu- men reichlich prangenden Garten bewunderten, bot ſich wieder eine ſehr ſteile, felſige Höhe unſern Blicken dar. Unſere Kamele erklommen ſie erſchöpft; die Sonne brannte heiß; die Mittagsſtunde war nahe. Wie klopfte mir das Herz; bald, bald ſollt ich ſie ſehen, die Stadt Gottes mit ihren heiligen Wohnungen. Freilich hatten wir um uns kein Land das nach Milch und Honig ausſah. Faſt rings umher war's wie in Malta, wo aus dem flach aufliegen- den Erdreich oft genug der nackte Felſen hervorſtarrt. Ich fragte mich: Lagen dieſe Steinmaſſen immer ſo offen da? Sie ſahen zum Theil von Regengüſſen ſehr abgeſpült aus; gewiß waren ſie einſt da und dort von viel reich- licherem Grün überwachſen. Faſt zwei Stunden mochten 299 wir die Brücke im Thal von Kulonieh verlaſſen haben, da ſahen wir im Oſten die kahle, ſandröthliche Gebirgs- kette, das Jordansgebirge, das Pisga der Schrift; zu unſerer Rechten erkannten wir zwiſchen friſchen Bäumen in grüner Landſchaft ein Kloſtergebäude, das Kloſter zum heiligen Kreuze; jetzt erhob vor uns der Oelberg ſein olivenbekränztes Haupt ſammt ſeinen heiligen Bauwerken; im Norden von ihm ſtand ziemlich hoch eine Moſchee, auf dem Grunde des einſtigen Silo. Noch einige Schritte weiter, da ſahen wir Mauern, Thürme und Kuppeln, wir ſahen Jeruſalem. Welch unvergeßlicheren Augenblick hätt' ich je gehabt in meinem Leben! Ich rief es aus vollſtem Herzen dem begeiſterten David nach: Ich freue mich daß ich werde ins Haus des Herrn gehen, daß meine Füße ſtehen werden in deinen Thoren, Jeruſalem! Aber welchen Eindruck, wird man fragen, macht Jeru- ſalem an ſich, als bloße Stadt wie jede andere? Wer möchte darauf genügend antworten. Ein Sohn der ſeiner Mutter in die Arme ſtürzt, die er nie geſehen und doch geliebt ſeit früheſter Kindheit, wollen wir ihn fragen: Wie gefällt dir deine Mutter? Die Pilgrime aus allen Him- melsſtrichen bekennen es heute wie vor Jahrhunderten: ein tiefer, geheimnißvoller Zug von Melancholie ruht über der heiligen Stadt; mit unausſprechlicher Wehmuth füllt ſie Herz und Auge. Die vielen Kuppeln über den platten Dächern geben Jeruſalem ein eigenthümliches Gepräge. Z00 Durch ſeine graue Steinfarbe erinnerte es mich an italiä- niſche Städte und beſonders an Avignon. Seine hohen von mehreren Seiten den Blick begrenzenden Mauern machten mir einen Eindruck wie das Catharinenkloſter des Sinai; gleich als wäre der Feſtungsbau am Fuße des Moſisberges ein Jeruſalem im Kleinen. Das Pilger- oder Jaffathor winkte uns entgegen; zu ſeiner Linken hat es, wie einen treuen ſicheren Wächter, die alte feſte Burg der Stadt, aus deren Hintergrund eine Gruppe freundlich grüner Bäume des armeniſchen Klo- ſtergartens hervorſchaut; zu ſeiner Rechten überraſcht es mit dem erſten Blicke auf die hohen Kuppeln der heiligen Grabeskirche. Links und rechts haben wir Gräber; ſo empfängt uns die heilige Stadt mit treuen Bildern ihres Charakters. Links ſind's die Gräber von Märtyrern des Halbmonds; bald darauf rechts, im Thale Gihon, ein türkiſcher Begräbnißplatz um einen viereckigen Teich herum. Dicht vor dem Pilgerthore hatten wir unſere Sanitäts- beſcheinigung aus der Quarantäne von Gaza abzugeben; unterm Thore ſelbſt ſtiegen wir ab. Es war eben Mittag vorüber. Zudringlich wurden wir in ein neues erſt kürz- lich eingerichtetes italiäniſches Gaſthaus eingeladen; ich zog es aber vor in die Caſa nuova des lateiniſchen Klo- ſters zu gehen, wohin wir links vom Thore durch eine lange enge aber reinliche Straße gelangten. Bald war 301 ich daſelbſt aufs Freundlichſte empfangen; ein großes helles Zimmer des erſten Stockes nahm mich auf, in ein anderes Parterre ließ ich meinen Dragoman mit meinem Gepäcke einquartieren. -- I e r uſ a le m. Wo ſoll ich anfangen, wo aufhören Jeruſalem zu be- ſchreiben? Was erzählen dieſe Steine, dieſe Berge, dieſe Thäler! Nennt man Rom die „ewige Stadt,“ wie will man Jeruſalem heißen? Es iſt als wäre die Menſchheit geboren zu Jeruſalem; die Züge einer trauten, heiligen Heimath ſprechen einem Jeden daraus entgegen. Schon Abraham hat es geſehen. Melchiſedech, der König von Salem, ſegnete den Patriarchen wie er heim- kehrte von ſeinen Heldenthaten. Was Joſua's Schlacht- heer, obſchon es ſiegreich einzog, nicht vermochte, das Jebus durch Vertreibung der Jebuſiter wieder zu Salem, zur Friedensſtadt, zu machen: das gelang David. „Aus Zion bricht an der ſchöne Glanz Gottes,“ ſo durfte ſeine Seele ſingen, und weithin klang das Lied vom heiligen Berge. Salomo's prächtiger Tempelbau vollendete Da- vids Preisgeſang; von nun an beſaß für alle Zeiten die religiöſe Anſchauung ſo ſehr als die politiſche des Volkes Israel in Jeruſalem ihren Mittelpunkt. Leider kam es bald zum Trauern und Klagen; feind- liche Schwerter und Wagen überwältigten die Tochter 303 Zion, bis ſie in Trümmern lag. Aber wie ewig grüne Palmbäume mitten in der öden Wüſte, ſo ſtanden die Propheten mit ihrem allgewaltigen Gotteseifer über den Trümmern: „Mache dich auf, mache dich auf, Zion; ziehe deine Stärke an, ſchmücke dich herrlich, du heilige Stadt Jeruſalem.“ Und nach den vielen Kämpfen, Mühſalen, Verwüſtungen erhob ſich unter den heimgekehrten Gefan- genen aus Babylon eine neue Stadt, ein neuer Tempel. Zerubabel, Esra, Nehemia: ſo heißen die Namen des ed- len Triumvirats, aus deſſen Begeiſterung die neue Schö- pfung ſtammte. Der alte Glanz freilich kehrte niemals wieder. Die Fremdherrſchaft behauptete ihren feſten Fuß; Raub, Plünderung, Schmach und Unterdrückung waren getreu in ihrem Gefolge. Auch Alexander der Große trug ſeinen eiſernen Fuß über den heiligen Boden. Die kurze Freiheit, erkämpft durch die Heldenarme der Makka- bäer, war eine ſchöne Blüthenkrone, entfaltet im Sturme, im Sturme geſchloſſen. Pompejus pflanzte über der er- oberten Stadt die römiſchen Adler auf; Craſſus vergriff ſich mit frecher Habgier an den Schätzen des Heiligthums. Nur Herodes der Große kleidete noch einmal in einen neuen Prachtmantel die Lieblingstochter des Morgenlan- des; ſo war ſie zur rechten Stunde geſchmückt wie eine Braut. Denn da ging es wie ein großer letzter Feſttag auf über Jeruſalem. Nein, ſein letzter war es nicht; aber es war ſein größter. Das Licht kam. 304 Leider hallte umſonſt der Tempel wieder von den ewi- - gen Lebensworten; vom Oelberge erklang das Abſchieds- wort des verſchmähten Retters an die Verlornen: „Jeru- ſalem, du Prophetenmörderin, wie oft hab' ich deine Kin- der verſammeln wollen wie eine Henne verſammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt. Siehe, euer Haus ſoll euch wüſte gelaſſen werden!“ Und es ward wüſte gelaſſen. Titus' Arm ſtreckte ſich wie zum Gericht aus über die Thore der Stadt. Aus einem ein- zigen der Thore trugen die fremden Sieger in den ver- hängnißſchweren Sommertagen des Jahres 71. hundert funfzehn tauſend achthundert achtzig Todte; wie zu einer bitteren Verſpottung der Käufer des Gottesſohnes um dreißig Silberlinge wurden an hundert tauſend Gefan- gene je dreißig für einen Denar feilgeboten; rauchende Schutthaufen blieben der Million Leichen das einzige traurige Denkmal. - Aber das Heil der Völker war ausgegangen von Zion. Mochte die Stadt zertrümmert liegen: über den Schutt- haufen ſtand in unverwelklicher Schöne der ewige Stern. Aelius Hadrian baute umſonſt ſeine Aelia darüber und füllte ſie mit heidniſchen Götzentempeln: Jeruſalem ſtand den chriſtlichen Völkern des Erdkreiſes ins Herz geſchrie- ben. Unter der frommen Helena und dem thatenfreudigen Conſtantin feierte Chriſtus, auf dem Haupte Dornenkranz und Siegerkrone, ſeinen zweiten Einzug in die Gottesſtadt, 305 Allein gleichwie ein Vorbild der ſtreitenden Kirche auf Erden, ſollte ſie, die Vermittlerin des Friedens, den Frieden ſelber nicht finden unter der Sonne. Die falſchen Propheten zogen als blutige Eroberer ein, der Halbmond verdrängte das Kreuz; wenn ſchon ſowohl Israel als auch die Kirche, aller Grauſamkeit der Barbaren ungeachtet, nie ganz gewichen ſind aus den Mauern Jeruſalems. Was aber dem Chriſtenthume der Oſten, ſein Vater- land, verſagte, das hatte es nach einem Jahrtauſend in der Fremde, im Norden gefunden: ganz Europa betete im Namen des Gekreuzigten. Da loderte plötzlich die Flamme einer ſchönen Begeiſterung auf über die Länder des Nor- dens; der Glaube wohnte tief in den Herzen; das Feuer der Jugend floß in den Adern; das Ritterthum mit ſeinem Muthe und ſeiner Kraft brach auf aus ſeinen heimathli- chen Burgen, das Kreuz auf der Bruſt. Jeruſalem galt es; Jeruſalem, das ewig alte, das ewig neue! Und Je- ruſalem ſah noch einmal ſiegreich das Kreuz auf ſeinen Bergen ſtehen; die großen, heiligen Thaten der Vorzeit erwuchſen neu, groß und herrlich, wie die Cedern des Libanon. - Leider verſchlang bald den kurzen Tag eine lange Nacht. Salaheddins Eroberung war dauernder denn die des edlen Gottfried. Seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts behielt der Islam die Stadt Davids im feſten Beſitze. I. - 20 Z06 Aber heilig ſteht ſie dennoch da, fort und fort, wie keine andere Stadt von Menſchenhand. Denn auch den Bekennern Mohammeds heißt ſie el Kuds, die heilige; die Chriſten von Nord und Süd haben in ihr ihre Heilig- thümer und Klöſter und Bethäuſer; die verwaisten Kinder Israels tragen zu ihr ohne Aufhören ihre Klagen, ihre Schmerzen, ihre Thränen. Wer möchte ſie zählen die Thränen alle die geweint worden ſind im Laufe dreier Jahrtauſende auf den Hügeln dieſer Stadt. Wer möchte es ſagen wie viel Blut gefloſſen über die Steine dieſer Stadt. Wie ein großartiges ernſtes Schickſal, wie ein verkörpertes Weltgericht ſteht ſie da. Wenngleich die Welt unterginge – ſo ſang einſt der Sänger, von Gott beſeelt – wenngleich die Berge ſänken mitten ins Meer: ſo ſoll doch die Stadt Gottes fein luſtig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchſten ſind. Und geblieben iſt ſie, trotz allem was ſank und ſtürzte, ruht auch immer eine ſchwere Trauerwolke über ihrem Freudenſcheine. Durchläuft man, wenn auch nur nach meinen ſchwa- chen Andeutungen, die Kette der Ereigniſſe die über Je- ruſalem gekommen ſind, ſo begreift ſich's nur ſchwer wie heute mit unſerem Auge die Localitäten wieder zu erken- nen ſind, an die ſich die großen Erinnerungen anknüpfen. Hat doch das prophetiſche Wort faſt ſeine volle Erfüllung gefunden: Es wird hier kein Stein auf dem andern blei- Z07 ben der nicht zerbrochen würde. Ohne im Geringſten Skeptiker zu ſein, wird man im Voraus mißtrauiſch zwei- feln an gar vielem was der fromme, glückliche Pilger noch in unſern Tagen geſehen haben will. Deſſenungeachtet iſt die Beſonderheit der Lage Jeruſalems von der Art, daß ſie viele Merkzeichen unaustilgbar bewahrt hat; wenn auch ſchon ſehr viele andere ſogenannte heilige Oerter auf einen höchſt grundloſen Grund hin mit ihren Namen be- zeichnet werden. Ich glaube nichts weniger als eine üble Verdächtigung hervorzurufen, wenn ich mich gegen manche der gewöhnlichen Annahmen von heiligen Oertern ohne Rückhalt erkläre. Jeruſalem liegt wie Rom auf Hügeln; es läßt ſich am einfachſten ſagen, daß es von zwei Hügelhöhen, einer im Oſten und einer im Weſten, getragen wird. Beide verbindet ein tiefes Thal, das mit ihnen ſelber von Nor- den nach Süden läuft. Der Zion im Weſten dehnt ſich weit nach Süden aus; was ich ſeine nördliche Hälfte – es iſt freilich eine abgetrennte Hälfte – nennen will, iſt man gewöhnt worden mit dem Namen Akra zu be- zeichnen. Dem Zion liegt gegenüber im Oſten Mor- jah, der Tempelberg, der nach Süden wie einen Vor- ſprung den Hügel Ophla hat und nach Norden den Hü- gel Bezetha oder, wie es wohl richtiger lautet, Akra. Wie Jeruſalem heute liegt, ſo lag's in der Hauptſache 20* 308 ſchon vor den letztgeſchwundenen achtzehnhundert Jahren und noch früher; nur daß des Zions ſüdlichſter Theil jetzt mit der Davidsburg und wenigen andern Bauten außer- halb der Mauer befindlich iſt, während er zur Zeit Da- vids wie zur Zeit Chriſti den hauptſächlichſten Stadtbau trug, und daß im Norden eine weite Strecke jetzt leer und wüſte liegt, welche von der dritten, zu den zwei früheren zehn Jahre nach Chriſtus hinzugekommenen Mauer mit umſchloſſen ward. Die unveränderlichſten Züge der Natur hat Jeruſalem gegen Oſten; da fällt der Morjah ziemlich ſteil ab ins Thal Joſaphat mit dem Kidron, während ihm gegenüber der die Stadt und die Umgegend überragende Oelberg ſich erhebt. Faſt nicht weniger treu mußte ſich das Terrän nach Süden und Weſten bleiben. Im Südoſt erhebt ſich als Nachbar vom Oelberg der Berg des Aergerniſſes, ſo genannt nach dem dort von Salomo geübten Cultus heidniſcher Gottheiten. An ſeinem Fuße liegt, gerade im Angeſichte des Hügels Ophla, der mit dem Morjah ſtreng genommen nur ein Ganzes bildet, das uralte Dorf Si- loam, dicht unter welchem das Thal Joſaphat am eng- ſten wird, bis ſich beim berühmten Brunnen Rogel in ei- nem ſpitzen Winkel ans Thal Joſaphat das Thal Hinnom anſchließt. In das Thal Hinnom fällt der ganze ſüdliche Theil Jeruſalems, das iſt der Berg Zion ab. Eben- daſſelbe bildet im Weſten, mit dem Anfange des Thales Z09 Gihon gleichfalls eine nothwendige Grenze der Stadt, die gerade hier durch den Hippicus, der ins jetzige Caſtell am Jaffathore hineingebaut iſt, einen überaus wichtigen An- haltspunkt für die Wiedererkennung der Stadtgrenzen bie- tet wie ſie zur Zeit Chriſti und auch vor derſelben waren. Nur nach Norden hat das Terrän keine fire Naturgrenze; im Nordweſt liegt abſtufiges Hügelland; den Norden ſel- ber bildet eine andauernde Flachhöhe. Aus dem allen ergibt ſich, daß man noch heute ohne große Mühe den Geſammteindruck von der Lage des alten Jeruſalems empfängt. Vom Oelberg aus hat man ihn am vollkommenſten. Wer möchte je da geſtanden haben ohne die tiefſte Bewegung ſeines Innern. Da ſtand der Herr gewiß oft und ſah zu ſeinen Füßen die heilige Stadt. Wie ſie damals vor ſeinen Blicken die öſtliche Mauer begrenzte, ſo begrenzt ſie dieſelbe genau noch heute. Wo die Moſchee Omars nebſt der el Akſa auf der weiten blan- ken Area entgegentritt, da ragte unzweifelhaft damals em- por der Tempel mit ſeiner Pracht. Vor allem erinnerte ich mich auf meinen Wanderungen über den Oelberg wie der Herr, als er von Jericho her zu ſeinem feſtlichen Einzuge kam, „weinte über die Stadt als er ſie von ferne ſah,“ und wie ihn die Jünger daſelbſt fragten nach der ſchweren Stunde der Zukunft. Natürlich konnte auch dieſe ſo weihevolle Stelle der Tradition nicht entgehen; man nahm einen vorſpringenden Fels dafür an und hatte 310 darauf auch eine Kapelle gegründet, von der jetzt nur noch wenig Spuren übrig ſind. Allein daß die Oertlich- keit durchaus nicht genauer beſtimmt werden kann, wo der Heiland geſeſſen bei ſeiner ergreifenden Prophezeiung, das eben läßt die Erinnerung in ihrer harmloſen Reinheit. Der Oelberg bietet noch einen andern herrlichen Standpunkt; er iſt da wo man auf der nach Oſten ſich neigenden Fläche ſeines Gipfels ſteht, ohne die Ausſicht auf die Stadt zu haben, die durch einige Baulichkeiten benommen iſt.“ Da hat man vor ſich das ſandfarbige Pisga, ernſt und ſchroff; von dort – denn der Berg Nebo gehört zum Gebirge Pisga – ſah einſt Moſes das gelobte Land. Unter dem Gebirge breitet das todte Meer ſeinen Spiegel wie eine blendende Stahlplatte aus; rings- um ſtarrt in ihrer Nacktheit die Wüſte. Nach Nordoſt läßt ſich der Lauf des Jordans am Grün und an den Bäumen ſeines Ufers erkennen. Auch Ruinen glaubt ich zu unterſcheiden, die mein Führer als Jericho bezeich- nete. Nach Südſüdoſt liegt Bethanien; näher zu mir heran ſah ich Baureſte die mir Bethphage genannt wur- den. Wie gern mag der Herr mit ſeinen Jüngern in dieſer Gegend und bei dieſem Anblicke verweilt haben. Ich genoß hier unvergeßliche Stunden. Das todte Meer * Ich muß noch erwähnen daß man von der Höhe des Minarets ne- ben der Moſchee die Ausſicht nach Oſten und nach Weſten, auf Jeruſa- lem und aufstodte Meer, zugleich hat. 311 liegt da wie ein Immortellen-Vergißmeinnicht, wie ein dunkles Blatt aus dem Buche des Weltgerichts. Seit Jahrtauſenden ſieht es das Auge der wandelnden Men- ſchen, der Phantaſie des Beſchauers ſchimmern die Zinnen der verſchlungenen Städte entgegen; aber es ſteigt kein Todter aus der kalten Meeresgruft, und die Zweifel- gedanken der ewig Blinden verlieren ſich im troſtloſen Sande der Wüſte. Im Norden nimmt das todte Meer den Jordan auf; dicht bei ſeinem Einfluſſe taufte Jo- hannes. Hier alſo ſchleuderte er ſeine aufſchreckenden Blitze in die Herzen der verſtockten Phariſäer. Auch den Heiland taufte er hier; noch alljährlich ſtrömt die Schaar der frommen Pilgrime hinzu um das Andenken daran zu feiern. Aber umſonſt fiel die Stimme vom Himmel auf die Häupter der Ungläubigen; und ſo ward das Wort des Heils zur Poſaune des Gerichts. Ich kehre in die Stadt zurück; der Weg führt mich an Gethſemane vorüber. Am Fuße des Oelbergs liegt es, von niederen leicht überſteiglichen Mauern eingefaßt, die im Weſten den Bach Kidron neben ſich haben. Acht Oelbäume ſtehen in ſeinem Umkreiſe; das hohe Alter hat ihren Stamm ausgehöhlt; durch eingelegte Steine ſind ſie gegen den Sturmwind gefeſtigt. Bereichert ſich auch gern der pilgernde Fremdling mit Blättern und einem Zweiglein aus Gethſemane, ſo wachen doch Katholik und Grieche ſorgſam für die Erhaltung dieſer ehrwürdigen 312 Bäume. Eine hervorſtechende Abzeichnung hat dieſer Raum zwar nicht die ihn als Gethſemane legitimirte; aber alles was wir aus den Evangelien wiſſen, harmonirt vollkommen mit der Localität. „Jeſus ging hinaus mit ſeinen Jüngern an den Oelberg und kam an einen Hof, der hieß Gethſemane,“ ſagt Matthäus; und Johannes ſagt: „Jeſus ging hinaus mit ſeinen Jüngern über den Bach Kidron; da war ein Garten, darein ging Jeſus mit ſeinen Jüngern.“ Merkwürdig genug iſt es, daß die genannten acht Oelbäume nachweislich ſchon zur Zeit der Eroberung Jeruſalems durch die Türken geſtanden haben; dennoch ſcheint ihr Beſtehen nicht bis zur Zeit Chriſti ſelbſt hinaufreichen zu können, da Joſephus bezeugt daß Titus bei der Belagerung alle Bäume im Umkreiſe der Stadt bis auf eine Entfernung von hundert Stadien um- hauen ließ. Uebrigens hat ſich gewiß die genaue Kennt- niß der Oertlichkeit von Gethſemane um ſo leichter erhal- ten, da ſie nicht in die Hände eigentlicher Zerſtörung fallen konnte. Die Vereinigung des heutigen Gethſemane mit dem ſogenannten Cönaculum, dem Saale der Einſetzung des Abendmahls, iſt freilich unbequem; aber für die Aechtheit des Cönaculum ſpricht nicht die geringſte Wahrſcheinlich- keit, obſchon es bereits vor Conſtantin nach Cyrills Zeug- niſſe in dieſer Verehrung geſtanden haben kann. Freilich mag man es zu gewiſſen Zeiten recht gut gefunden haben, 313 daß dieſer große Saal gerade über dem Grabe Davids, voll von einer traurigen Oede, der Schauplatz eines Actes geweſen den man in ſchauerliche Opferbegriffe einzukleiden bemüht war. - In den Garten Gethſemane gelangt man noch heute kurz nach Ueberſchreitung der Kidronsbrücke, wenn man ſich rechts wendet; es ſchließen ſich an ſeine Ummauerung nach dem Berge des Aergerniſſes zu andere ähnliche Gar- tenräume an, während links von der Brücke die in den Felſen hinein gehauene und größtentheils unterirdiſche Kirche Maria's ſteht, mit Maria's Grab und Andenken, an die Eltern derſelben, Anna und Joachim, ſowie an Joſeph. Gleich daneben wurde ich mit Lichtern in den Hintergrund einer Felſengrotte geführt, wo Chriſtus ſeinen Kampf des blutigen Schweißes gekämpft haben ſoll. Jede andere Stelle des Oelbergs ſchien mir eher als dieſe der Schauplatz jener heiligen Stunde geweſen zu ſein. Denn wie kann dieſelbe nach dem Berichte der Evangeliſten eine Grotte geweſen ſein? Ich gehe über die Kidronsbrücke in die Stadt zurück. Den kahlen ſteilen Berg hinauf haben wir zur Linken tür- kiſche Gräber, da wo ſo gern die türkiſchen Frauen knieen und ſitzen, nicht blos um zu weinen und zu beten, ſon- dern auch um ſich gegenſeitig gemüthlich auszutauſchen. Nachdem wir durchs Stephansthor in die Stadt einge- treten ſind, liegt faſt unmittelbar zu unſerer Linken der 314 ſogenannte Teich Bethesda, ein großes tiefes länglich rundes Baſſin (nach Robinſons Meſſung dreihundertund- ſechzig engliſche Fuß lang, hundertunddreißig breit, fünf- undſiebenzig tief). Nach Nord und Weſt wird es von Häuſern umgrenzt; im Süden liegt es an der Mauer der Tempelarea; im Oſten dicht an der Stadtmauer. Im Innern liegt viel Schutt aufgehäuft, namentlich in ſeiner nördlichen Hälfte. Darüber grünen hochgewachſene wilde Granatbäume. Robinſons Gründe gegen die Identität dieſer Stelle mit dem bibliſchen Bethesda ſind ſehr ge- wichtvoll, und zwar um ſo mehr, da noch vor wenigen hundert Jahren ein anderer Teich für den bibliſchen ge- halten worden iſt. Robinſon will in derſelben ein Stück vom tiefen Feſtungsgraben der Burg Antonia erkennen. Sehr viel Wahrſcheinlichkeit bleibt aber dafür daß allerdings in der Nähe vom Stephansthore das bibliſche Bethesda geweſen iſt, vielleicht eben da wo Felir Fabri und noch frühere Reiſende es ſahen, nämlich bei der Kirche der heiligen Anna. Was ſo entſchieden den Teich Be- thesda hieher verſetzt, das iſt Folgendes. Das Schafthor, an dem der Teich lag, muß jedenfalls ſo gut wie das heutige Stephansthor ſehr nahe beim Tempel geſtanden haben, da es die Prieſter waren die es unter Nehemias errichteten, ſowie gleich daneben die Männer von Jericho bauten, die doch gewiß da gebaut haben wo der Weg nach Jericho führt. 315 Wie leicht aber wird durch das heutige Bethesda der argloſe Beſchauer zum Glauben verführt! Nicht nur zeigen ſich unten an der ſüdlichen Mauer, die an die Tempelarea anſtößt, kleine runde abgeſpülte Steine, die nothwendig darauf führen, daß im Graben Waſſer gefloſſen; ſondern im Weſten oder faſt Südweſten ſieht man ſogar zwei offene Bogenwölbungen, die zu den fünf Hallen des bibli- ſchen Bethesda ſo gut zu paſſen ſcheinen. Aber weder das Waſſer in einem Feſtungsgraben hat etwas Ueberra- ſchendes, noch die Bogengewölbe welche ſtützend die dar- über errichteten Gebäude tragen. Was die wunderbaren Eigenſchaften des Teiches Be- thesda betrifft, ſo hat neuerdings Robinſon die merkwür- dige Unregelmäßigkeit des Waſſerzufluſſes bei der Quelle der Jungfrau im Thal Joſaphat damit in Verbindung zu bringen geſucht. Die Beobachtung iſt nämlich keines- wegs neu, obſchon ſie oft verabſäumt worden iſt, daß das Waſſer der genannten Quelle, die ſich durch einen unterirdiſchen Canal auch dem Teiche Siloam mittheilt, bisweilen plötzlich auf eine ungewöhnliche Weiſe hervor- ſprudelt und ſichtlich ſteigt. Robinſon fragt nun: Kann nicht dieſe Quelle der Jungfrau Bethesda ſein, da das Schafthor nicht weit von dem Tempel gelegen zu haben ſcheint und die Mauer der alten Stadt wahrſcheinlich die- ſem Thale entlang lief? Mag aber auch dieſe Vermu- thung ſchon dadurch ihre Bedeutung verlieren, daß die 316 alte Mauer ſchwerlich den von Robinſon angedeuteten Gang verfolgte; ſo ſcheint mir doch ein Band zwiſchen dem bibliſchen Bethesda und dieſem intermittirenden Quell- waſſer auffindbar, und zwar um ſo mehr, da von dem letzteren die Quelle unter der großen Moſchee Zuflußer- halten ſoll, wodurch eine Vermittlung deſſelben bis zu dem wahrſcheinlichſten Terrän Bethesda's, ein wenig nördlich vom Stephansthore, nahe genug gelegt wird. Doch ich verſpare mir alle weitern Mittheilungen von Jeruſalem, und eile die via dolorosa hinauf, um nur noch einen Augenblick in der Kirche zum heiligen Grabe zu verweilen. Ich trete von Süden herein, da wo die zwei Haupt- portale ſind, die von der Seite in die Kirche führen. Die hauptſächlichſte Ausdehnung der Kirche geht von Weſten nach Oſten, ſo daß am weſtlichſten unter einer mächtigen Kuppel die Rotunde des heiligen Grabes ſteht, von da nach Oſten in der Mitte des Gebäudes, die große läng- liche Kirche der Griechen, gleichfalls von einer Kuppel überragt, und am öſtlichſten in einem Vierecke die Kapelle der Helena nebſt der Stelle der Kreuzesauffindung. Wir ſtehen nach dem Eintritte in einem länglichen Vorhofe, von welchem gleich rechts Golgatha liegt. Achtzehn Stu- fen führen hinauf; im Hintergrunde, nach Oſten, haben wir den Standpunkt des Kreuzes Chriſti, worunter ſehr merkwürdiger Weiſe und wohl mit übel angebrachtem Ei- 317 fer das Grab Adams, ſowie die Stätte wo Abraham ſei- nen Sohn opfern wollte, gezeigt und verehrt wird. Links vom Eingange treten wir nach Weſten in die Rotunde des heiligen Grabes ein, deſſen Anlage die eines altjüdi- ſchen Grabes iſt, ſo daß aus einem Vorgemache eine nie- drige Thür in den eigentlichen Gräberraum führt. Gerade über dem Eingange zur Grabeskapelle hängt ein Bild von der Auferſtehung, das mit einem öſterreichiſchen Doppel- adler gekrönt iſt, der vielleicht nicht nach Jedermanns Geſchmacke hier angebracht ſein möchte. Im Innerſten der Grabeskapelle liegt eine geſpaltene Platte weißen Marmors über dem für Chriſti Grab gehaltenen Raume. Daneben ſteht ein Altar mit vielen unverlöſchlich bren- nenden Lampen. Außerdem iſt Alles mit Marmor über- kleidet und ſonſt mehrfach verziert. Hinter dem heiligen Grabe zeigt man zwei Gräber als die des Nicodemus und des Joſeph von Arimathia, die man vielleicht mit vollem Rechte jetzt noch als alte jüdiſche Felſengräber an- erkennt. In der Gallerie, die im Norden um die präch- tige Kirche der Griechen herumläuft, treffen wir einzelne Stellen mit Erinnerungen an Thatſachen, die zu des Hei- lands Leiden und Auferſtehung gehören, wie ein Stück der Säule woran Chriſtus gegeiſſelt worden, die Stätte der Looſung ums heilige Gewand. Aus dieſer Gallerie ſteigen wir nach Oſten auf achtundzwanzig Stufen zur Kapelle der Helena hinab, von welcher aus links andere 318 dreizehn Stufen dahin führen wo das Kreuz Chriſti auf- gefunden worden iſt. Manches gibts was ſtört in dieſen heiligen Räumen. Abgeſehen von den türkiſchen Wächtern, die mit ihren Pfeifen und Caffeetaſſen im Vorhofe nach den beiden Portalen liegen; abgeſehen von den leicht ſichtlichen ge- genſeitigen Beeinträchtigungen der Griechen, der Lateiner, der Armenier, der Kopten, wovon gar viel zu klagen iſt: ſtört ſchon die mannigfaltige Pracht der Kapellen, der Kirche und aller der verehrten Stätten gerade da wo man die traurige Schädelſtätte und das Felſengrab im Garten wieder erkennen will. Auch iſt die Identität dieſer Oert- lichkeiten mit den bibliſchen nach mehreren Seiten hin dem Zweifel unterworfen, was ich ſpäter in weitere Unter- ſuchung ziehen werde. Demohngeachtet ſchlägt das Herz des Pilgrims in dieſen geweihten Hallen mit einer In- brunſt, mit einer Rührung, mit einem Schauer, was un- ausſprechlich iſt. Das Gebet, das hier auf die Lippe tritt, das gleicht keinem anderen Gebete. Denn was bei allen obwaltenden Zweifeln der heutigen Grabeskirche als ein unantaſtbares theueres Eigenthum bleibt, das iſt die Verehrung, die ſie ſeit Conſtantin und Helena von den Pilgrimen aller chriſtlichen Völker der Erde genoſſen hat und noch genießt; das iſt die alles aufopfernde Liebe, mit der ſich durch alle Verfolgungen und Bedrückungen der Muhamedaner hindurch die Chriſten Jeruſalems an die- 319 ſelbe feſt angeklammert haben; das iſt die Erinnerung an ſo viel Herzeleid und ſo viel fromme Andacht die ſie im Laufe von anderthalb tauſend Jahren geweckt und geſe- hen hat. Druck von Bernh. Tauchnitz jun.