--- title: Z260120001 author: source: publication-date: layout: narrative --- NAIONALBIBLIOTHEK N WIEN 6752-B Österreichische Nationalbibliothek - +Z260120001 – - --- --- - C - d Nach Conſtantinopel Und 3 r u g g a. Ferien-Reiſe eines Preußiſchen Juriſten. Rerlin, 1855. - Schneider und Comp. (Unter den Linden 19.) C D F Nach Conſtantinopel B r u s s a. Ferien-Reiſe eines Preußiſchen Juriſten. Berlin, 1855. F. Schneider u. Comp. (Unter den Linden 19.) Deutsch-Türkische Wirtschaftszentrale Berlin E // Inhalt. 1. Der Entſchluß. Wien. Trieſt. . . . . . . . . . . . . . 1 2. Die Seefahrt. Ancona. Molfetto. Brindiſi. . . . . . 16 3. Corfu. . . . . . . . . . . - - - - - - - - - - - - - - - - 29 4. Zante. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . - - 43 5. Athen. Syra. Die Dardanellen. . . . . . . . . . . . . 68 6. Konſtantinopel. Die Anſicht der Stadt. Die tanzen- den Derwiſche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 7. Die Straßen Konſtantinopels. Ritt um die Thore. . 131 8. Die Promenade von Pera. . . . . . . . . . . . . . . . 147 9. Ein türkiſches Bad. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 10. Die Fahrt auf dem Bosporus. . . . . . . . . . . . . . 154 11. Die Moſcheen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 12. Das neue Serail. . . . . . . . . . . . . . . • • • • • 174 13. Türkiſche Kaffee- und Speiſehäuſer. . . . . . . . . . . . 184 14. Die Ciſterne der 1001 Säulen. Der Atmeidan. . . . 193 15. Die hohe Pforte. Die Feuerwache. . . . . . . . . . . . 19S 16. Die preußiſche Geſandtſchaft in Konſtantinopel. . . . . 205 17. Skutari. Der große türkiſche Kirchhof. . . . . . . . . . 210 18. Das Dampfſchiff. Deutſche Abenteurer. . . . . . . . . 214 19. Der Sultan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 20. Die türkiſchen Frauen an den himmliſchen Waſſern. . 225 . Das Leben in Pera. Auswanderung dahin. . . . . . . 232 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. . Die Reiſe nach Bruſſa. . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 23. 24. Bruſſa. Aali Paſcha. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Die Beſteigung des Olymp. . . . . . . . . . . . . . . . 256 Der Beſuch bei Abd-el-Kader. . . . . . . . . . . . . . . 277 Rückreiſe nach Konſtantinopel. . 284 Bujuktere. Das Schwarze Meer. . . . . . . . . . . . . 290 Die Bazars. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Der Sclavenmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Eine Verlegenheit. Die Gaſthöfe in Pera. . . . . . . 313 Das Dampfboot. Smyrna. . . . . . . . . . . . . . . . 322 Charakter der Türken und ihre Zukunft. . . . . . . . . 332 Die Rückkehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 -„“>--“ „“ - - - - - - - - - I. Der Entſchluß. Wien. Trieſt. „Laſſen Sie uns die diesjährigen Ferien zu einer Reiſe nach Neapel benutzen, hinwärts über Marſeille und rück- wärts über Genua“, ſchrieb mir im Juni d. J. mein alter Freund, der RA. M**, mit dem ich im vorigen Jahre eine Reiſe durch die franzöſiſche Schweiz gemacht hatte. „Iſt dies Ihr Ernſt? antwortete ich ihm, bedenken Sie wie wir voriges Jahr über Ihre Kollegen aus Berlin geſpottet haben, die dieſelbe Reiſe machten. Drittehalb Wochen auf der Reiſe, um eine Woche in Neapel zu ſein, und dann, wenn man kaum zur Beſinnung gekom- men iſt, wieder davon eilen zu müſſen; iſt dies nicht lächerlich? – Und dann! ſollen wir Rom und Florenz gar nicht ſehen? und dann! wird die Hitze in Neapel im Juli und Auguſt nicht unerträglich ſein? Und dann! u. ſ. w.“ Aber der Vorſchlag mußte gut ſein; er pochte, wie der Geiſt im Hamlet, überall wo ich ſtand und ſaß. Nach acht Tagen ſchrieb ich an M*: Quälen Sie ſich nicht mit Widerlegung meiner Bedenken. Ich bin bereit, mit- zureiſen; aber da die Cholera in Marſeille ſein ſoll und man deshalb uns in Neapel vielleicht nicht landen läßt, 1 – 2 – ſo laſſen Sie uns den Hinweg über Wien und Trieſt nehmen. Bereiten Sie ſich tüchtig vor und ſtudiren Sie fleißig alle Reiſebücher, dafür will ich Ihnen folgen wie ein Kind. In Lundenburg treffen wir uns; und noch eine Bedingung: keinen Reiſekoffer, keine Hutſchachtel; nur einen Nachtſack von höchſtens zwanzig Pfund Gewicht. Ich ſchrieb nun ſchleunig nach Paß und Napoleons und erlangte auch vier Tage vor der Abreiſe das unent- behrliche neueſte Berliner Coursbuch. Im Durchblättern deſſelben ſtieß ich auf das Verzeichniß der Dampfſchiff- fahrten des Trieſter Lloyd nach Griechenland und Kon- ſtantinopel. Nach Konſtantinopel! Dies war ein alter ge- heimer Wunſch meines Herzens. Wäre es nicht möglich, kam mir der Gedanke, in 6 Wochen dieſe Länder zu ſehen? Ein flüchtige Berechnung zeigte mir die Möglichkeit. Ich eilte zum Schreibtiſch, um mir den Paß auch auf Konſtan- tinopel zu erbitten, und um meinem Freunde das gleiche zu empfehlen. In einer halben Stunde kam der Eilzug und nahm beide Briefe mit. Der Paß mit dem Viſum des türkiſchen Geſandten kam auch richtig an, aber keine Antwort von M*. Ich mußte Abſchied nehmen, abreiſen ohne mein Reiſeziel zu kennen. In Lundenburg war ich kaum ausgeſtiegen, da rollte der Zug von Brünn heran und mein alter Freund, pünktlich wie immer, reichte mir die Hand. Drei Wochen auf der Anklagebank im Steuer- verweigerungs-Prozeß hatten die Farbe ſeiner Haare bleichen können, aber nicht die Farbe ſeiner Geſinnung; ehrlich und feſt ſchüttelte er mir die Hand, und mit dem Händedruck ſagten wir uns ſchweigend, was in unſeren Herzen ſich regte. – – Wer iſt Ihre hübſche Nachbarin? fragte ich ihn, als ich zu ihm ins Coupee geſtiegen war. – 3 – – Eine Wienerin, die mit der älteren Dame gegenüber zwei Monate in Paris geweſen iſt, und jetzt zurückkehrt. – Haben Sie meinen letzten Brief erhalten?– Ja. – Was meinen Sie zu Konſtantinopel? Er ſchüttelte den Kopf und ich fuhr fort: Gewiß, es läßt ſich in 6 Wochen ausführen. Heute iſt Freitag, nächſten Dienſtag Nachmittag 4 Uhr geht ein Dampfſchiff von Trieſt und iſt in acht Tagen in Athen. Wir be- rühren auf der Reiſe Ancona, Malfetto, Brindiſi, Corfu, Zante, Patras, fahren mit einem Omnibus über die Landenge von Korinth und können an allen dieſen Orten ausſteigen und uns umſehen. In Athen und Griechen- land bleiben wir 8 Tage, dann fahren wir mit einem andern Dampfſchiff in 4 Tagen nach Konſtantinopel und können auf dem Wege Syra, Smyrna, Tenedos, die Ebene von Troja, die Dardanellen und Galipoli mit dem franzöſiſchen Lager beſuchen, denn an allen dieſen Orten hält das Dampfſchiff mehrere Stunden an. Für Konſtantinopel und die Umgegend haben wir dann vier- zehn Tage; wir können auch in 18 Stunden von dort nach Varna und die dortigen alliirten Flotten und Heere ſehen. Rückwärts gehen wir mit einer Karavane durch Klein-Aſien nach Smyrna und von dort fährt uns das Dampfſchiff in 6 Tagen nach Trieſt zurück, und 4 Tage darauf können Sie ſchon wieder in T. für ihre Clienten plaidiren. – Dies iſt alles ſehr ſchön, erwiederte er; aber ich habe ja keinen Paß nach Konſtantinopel! – Das wird ſich in Wien machen laſſen; ich ſchicke meinen Paß mit, und der Geſandte wird uns Beide ſchon nach Konſtantinopel viſiren. – Aber wir ſind ja ohne alle Vorbereitung, ohne alle Vorſtudien zu dieſer Reiſe! – Nun, ſo reiſen wir einmal ohne deutſche Gründ- 1* – 4 – lichkeit; die Eindrücke werden um ſo reiner und objek- tiver ſein. Auch müſſen wir ja in Wien die neueſten Reiſehandbücher nach der Türkei im Ueberfluß finden; wir ſuchen das Beſte aus und ſtudiren fleißig auf der See. – Aber werden wir Geld genug haben? – Sie haben ja einen Kreditbrief auf Rothſchild in Wien; der wird uns ſchon weiter helfen. – Aber kein Menſch zu Hauſ' weiß, daß wir nach der Türkei wollen; bedenken Sie die Unruhe und Sorgen daheim, die Gefahren und Piraten da draußen. – Denken Sie lieber an Ihre hübſche Nachbarin und nehmen Sie ſich ein Muſter an ihr. Paris war gewiß für dieſe gefährlicher, als Konſtantinopel für uns. Wir brachen ab; ein guter Gedanke, hoffte ich, wird ſich ſchon ſelbſt Bahn brechen. Wir kamen glücklich nach Wien und plauderten den Abend bei Sperl und in Stier- beck's Kaffeehaus, ohne weiter an unſere Reiſepläne zu denken. Aber den andern Morgen machten wir Ernſt. Die Viſa's nach Konſtantinopel wurden glücklich erlangt. Rothſchild zahlte den Kreditbrief; aber weiteren Kredit wollte er nicht bewilligen. Nach Büchern und Auskunft über Konſtantinopel forſchten wir lange vergeblich. Kein Menſch war in Konſtantinopel geweſen; Niemand konnte uns einen ſolchen zuweiſen. In den Buchläden war nichts zu finden, als der bekannte rothe engliſche Murray, ein Band für die Türkei und ein Band für Griechenland von 1853 und ein deutſches Handbuch für Reiſende im Orient von 1846. Eine Vergleichung deſſelben mit Murray zeigte, daß es wenig mehr als Ueberſetzung davon war. Nehmen wir es, ſagte M*; wenn es auch ſchon 9 Jahr alt iſt. Im Orient ändert ſich nichts. Den feſten Entſchluß verſchoben wir nach Trieſt und fuhren des Nachmittags nach Fünfhaus zu dem Tages- – 5 – Theater. Eine niedliche Poſſe: „Wo ſteckt der Teufel?“ wurde von der Geſellſchaft des Theaters an der Wien vortrefflich geſpielt; höchſt wohlthuend für uns Klein- ſtädter war es, daß ſelbſt die Nebenrollen gut beſetzt waren. Das Grün der gemalten Bäume verlief ſich in das friſche Grün der natürlichen und bildete mit dem blauen Himmelsgewölbe über uns den ſchönſten Theater- ſaal, erfüllt von reiner balſamiſcher Sommerluft. In der Rolle eines Wiener Stutzers erkannten wir einen alten Bekannten; in dem Zwiſchenakte ſuchten wir ihn hinter den Kuliſſen auf und fanden ihn mit der übrigen Geſellſchaft ausgeſtreckt in dem friſchen Grün der Wieſe. Erfreut, uns wieder zu ſehen, kamen wir überein, nach dem Theater den Abend gemeinſam in Sperl's Garten zu verleben, wo für heute Illumination und Muſik der Srauß'ſchen Kapelle angekündigt war. In einem Omnibus fuhren wir nach Wien zurück. Ich kam neben einer jungen Dame zu ſitzen, in ſchwarzer Seide gekleidet, die mir bald näher rückte. Ich hielt es für ſchicklich und artig, ein Geſpräch einzuleiten. Wie hat Ihnen das heutige Stück gefallen? – O! allerliebſt. Dabei ſah ſie mich mit ihren hellen, grauen runden Augen fragend an. Pauſe. Sie rückte wieder etwas näher. Wie alt ſind Sie, mein Kind? gewiß erſt 18 Jahr? – O nein, ſchon 21 – und dabei derſelbe fragende Blick wie vorher, nur etwas deutlicher. Abermals Pauſe. Sie rückte wieder etwas näher. Es thut mir herzlich leid, liebes Fräulein, aber ich bin nicht allein. - – Iſt Ihre Frau mit im Wagen? – Nein, ich bin aber in Geſellſchaft mit den zwei Herren dort auf dem erſten Sitz. – 6 – – Wie danke ich Ihnen für dieſe Offenheit, ſagte ſie. Ach! ſie wird uns ſo ſelten zu Theil! - Damit waren unſere beiderſeitigen Poſitionen befeſtigt; ſie ſchwatzte weiter und da ich mich nicht entſchließen konnte, den Moralprediger zu machen, ſo erzählte ſie mir mit Wiener Offenheit und Natürlichkeit, daß ihre Mutter ſehr ſtrenge ſei und daß ſie ihren Leichtſinn der Mutter ſorgfältig verbergen müßte. Ihr ganzes Weſen war mehr Paſſion als Profeſſion und als der Wagen am Stephans- thurm anhielt und wir uns trennten, gab ich ihr unwill- führlich die Hand zum Abſchiede. – Wie iſt es Ihnen gegangen, lieber G*, ſagte ich, als wir den Omnibus, der uns zurückgebracht, verlaſſen hatten; wir haben uns nicht wieder geſehen, ſeit Sie als wohl- beſtalltes Mitglied der Königsſtadt in Berlin eines Abends in T. eine Geſellſchaft bei mir durch Ihr mimiſches Ta- lent ſo gut unterhielten. Was macht Ihre Schweſter? – 1848 ging es mir ſchlecht, ich verlor mein Engage- ment und meine freien politiſchen Anſichten trennten mich ſo vollſtändig von meiner Schweſter, daß ſie mir auf meine Briefe nicht mehr antwortete. Ein Zufall verſchaffte mir endlich das Engagement hier und hier befinde ich mich wohl. Ich habe 120 Guldeu monatliche Gage und jeden Abend, wo ich ſpiele, auch wenn es nur drei Worte ſind, fünf Gulden Spielhonorar. Die heutige Vorſtellung war allerliebſt. Aber wie kommt es, daß wir auch nicht eine einzige politiſche An- ſpielung auf die großen Fragen des Tages gehört haben? – Die ſtrengſten Strafen verpönen jede politiſche An- ſpielung und Improviſation. Es geht ſo weit, daß bei der Generalprobe ſtets ein Polizei-Kommiſſär gegenwärtig iſt und die Vorſtellung darf von dieſer Probe nicht blos in keinem Worte abweichen, auch der Ton, der Accent, – 7 – mit dem ſich ſo manches ſagen ließe, muß genau derſelbe bleiben, wenn man nicht riskiren will, entlaſſen zu werden. – Aber wie können Sie dies aushalten? – O, in Wien iſt ein ſchönes Leben, mit keiner Stadt in der Welt möcht' ich es vertauſchen. – Iſt es wahr, daß der Kaiſer ſeit ſeiner Verwun- dung bei dem Attentat leidend ſein ſoll? – Durchaus nicht. Der Kaiſer iſt ein vortrefflicher Mann und alle Welt verehrt ihn. Auch der Herzog von Braunſchweig lebt viel hier. Er macht ein Haus, giebt oft theatraliſche Vorſtellungen, und ich habe die Ehre, ſie zu arrangiren. – Aber weshalb ſchreiben Sie dies nicht alles Ihrer Frau Schweſter? ſie würde ſich ſofort mit Ihnen wieder verſöhnen. Weshalb heirathen Sie nicht? - Ich wäre ein Thor; jeden Tag erhalte ich Billets-doux aus allen Ständen, in allen Sprachen, in allen Farben. – Sehn Sie, ſagte M*, die Korruption der jetzigen Frauen! – Nein, nein, rief ich, das glaub ich nicht; höchſtens einzelne Ausnahmen, die dann die Eitelkeit der Männer ins hundertfache vergrößert. Und mit ſteigendem Eifer begann ich eben meine Anſicht weiter zu vertheidigen, als die Gartenmuſik unſerer Unterhaltung ein Ende machte. Wir traten bei Sperl ein. Die laue Abendluft, die bunten Laternen in den grünen Bäumen, die Muſik der Strauß'ſchen Kapelle, die Backhähnel auf den reinlichen Tiſchen – alles ſtimmte die Wiener Herzen zur Freude, und die Sorge, in dem Getümmel noch einen Platz und Eſſen zu erlangen, ließ uns unſer Thema vergeſſen. Hunderte von Männern und Frauen luſtwandelten an uns vorüber. Ich ſpähte ſorgfältig nach Blicken für unſern Glücklichen, die jene Billets-doux beſtätigt hätten, – 8 – aber vergeblich. Wie freute ich mich innerlich deſſen und gern wäre ich noch länger geblieben, wenn die verzweifelten Potpourris mit ihren zerfahrnen Gedanken, zerſchnittenen Melodien und haarſträubenden Kontraſten mich nicht davon getrieben hätten. Zwölf Stunden ſpäter waren wir am Sömmering. Es war der letzte Tag, an welchem die Reiſenden mit der Poſt befördert wurden; am nächſten Tage ſollte die Eiſenbahn über den Sömmering eröffnet werden. Wir hatten ſo doppelt zu leiden, einmal die ſtaubige Fahrt im engen Wagen auf der Chauſſee, von der man über- dies nur wenig von den Bauten der Eiſenbahn ſehen kann, und dann überall, wo wir hinkamen, Verwirrung, nichts zu eſſen, keine Bedienung; denn Niemand hatte dieſen letzten Wagenzug erwartet und alles bereitete ſich ſchon für den neuen Fahrplan vor. So ging es bis Laybach; kaum daß man in Gratz ein Stück Brod und Fleiſch zur Stillung des Hungers erhaſchen konnte. Hinter Gratz wurde es dunkel und wir verſchliefen glücklich die Mühen der Reiſe; als wir um 4 Uhr früh erwachten, waren wir bei Laybach. Hier hört die Eiſenbahn auf und man fährt die letzten 16 Meilen bis Trieſt mit der Poſt. Wir hofften in der Krain ſchöne Landſchaften zu finden und ſuchten deshalb in das Kabriolet zu kommen. Trotzdem daß wir es ſchon belegt fanden, verhalf uns doch ein Gulden an den Kondukteur zu dieſen Sitzen, indem der Kondukteur als ein Stück Obrigkeit nunmehr mit vielen Gründen aus den Reglements und Inſtruktionen dem Unterthanenverſtand der früheren Herren bewies, daß ſie kein Vorrecht hätten; aber meine Herren, ſagte er zu uns ſich wendend, wenn in der nächſten Station ein Paſſagier hinzukommt, ſo muß einer von Ihnen Platz machen. Richtig; in Ober-Laybach, der erſten Station, ſtand – 9 – ein neuer Paſſagier, ſeiner Kleidung nach ein katholiſcher Geiſtlicher, mit fahlem Geſicht voll finniger Ausſchläge, vorſtehenden Backenknochen, ohne Bart und mit ſo trüben Augen, daß ich ihn Anfangs für blind hielt. Mit Schaudern ſetzte ich mich neben ihn in die Beichaiſe. – Wie kommt es, daß Sie in dem kleinen Dorfe einſteigen? fragte ich ihn. – Ich habe in Laybach, erwiderte er, heute früh die Meſſe in der Domkirche geleſen und darüber die Zeit zur Poſt verſäumt, ſo daß mich der Gaſtwirth mit ſeinem Geſchirr hat nachfahren laſſen. – Sie ſind fremd nnd leſen doch hier die Meſſe? – Ich bin Mitglied der Geſellſchaft de propaganda fide in Rom; ich komme jetzt von London und bin auf einer Rundreiſe zu Miſſionszwecken begriffen. Die Meſſe leſe ich ſo oft es mir möglich iſt, nicht ſowohl der Ge- meinde wegen, obwohl dieſe heute zahlreich verſammelt war, ſondern weſentlich meiner ſelbſt willen. Ich bedarf dieſes wunderthätigen Sakraments zu meiner eigenen Stärkung, zu meiner eigenen Heiligung. – Sie ſind kein Deutſcher, nach dem Accent Ihrer Sprache zu ſchließen? – Nein; ich bin von Geburt ein Ruſſe, Sohn eines höhern Beamten, in der griechiſchen Religion erzogen. In meinem 17ten Jahre ging ich nach Berlin, wo ich Jura und die Hegelſche Philoſophie ſtudirt, Ihren Schel- ling und Andere gehört habe. Später ging ich nach England; dort gerieth ich in religiöſe Zweifel, wurde Katholik, nahm die Weihen und fand ſo endlich die Ruhe der Seele, die ich geſucht hatte. Seitdem habe ich im Dienſte meines Ordens mich in allen Ländern Europas aufgehalten. Die letzten zwei Jahre war ich in London bei dem Biſchofe Wiſeman. Einer der Hauptzwecke meiner – 10 – jetzigen Reiſe iſt die Sammlung von Beiträgen für die katholiſche Kirche, welche jetzt in London erbaut werden ſoll. Bereits iſt der Grund und Boden dafür im Mittel- punkt der Stadt erworben und nach den reichlichen Zeich- nungen, die ich geſammelt, werden die Koſten des Ge- bäudes bald geſichert ſein. Es wird eine katholiſche Kirche für die Gläubigen aller Nationen der Erde. In allen Sprachen wird man täglich die Meſſe leſen und predigen. Auch eine Schule ſoll ſpäter damit verbunden werden. Der widerwärtige Eindruck, den die erſte Erſcheinung meines Reiſegefährten auf mich gemacht hatte, fing bei dieſen Mittheilungen an zu weichen. Später holte mein Begleiter ein katholiſches Gebet- buch hervor, fing an darin mit ſcheinbar tiefer Andacht zu leſen und zu lispeln. Dies machte mich ſtutzig. Ein geſcheidter Mann kann unmöglich hundert- und tauſendmal, Jahr aus Jahr ein, daſſelbe Gebet leſen und dabei die Andacht ſich erhalten. Die Pferde wurden gewechſelt, er fing wieder die Unter- haltung an. Da ich geduldig zuhörte, ſo wurde er un- genirter, glaubte mir zu imponiren und mit ſteigender Selbſtgefälligkeit begann er wieder von ſeinen wichtigen Aufträgen zu ſprechen. Er zeigte mir ſeine Empfehlungs- briefe, unter andern den lateiniſchen des Generals des Franziskaner-Ordens zu Rom. – Sechs Tauſend Ordenshäuſer, ſagte er, die dieſer Orden in allen Welttheilen beſitzt, ſtehen mir damit offen; überall, wo ich hinkomme, werde ich in dieſen Häuſern unentgeltlich aufgenommen und bewirthet. In Wien habe ich Audienzen bei dem Miniſter Grafen Buol gehabt; eben ſo bei dem ruſſiſchen Geſandten Gortſchakow; wir haben viel über den ruſſiſchen Krieg geſprochen; in Karls- bad war ich bei dem Fürſten Woronzof; in Prag bei – 11 – dem Kardinal Fürſtbiſchof; hier in Laybach habe ich bei dem Biſchof gewohnt. Er fuhr fort in Aufzählung ſeiner Audienzen und hohen Verbindungen; ich ließ ihn erzählen. Der erſte Schlüſſel zu dem Eharakter meines Gefährten war ge- funden; er hieß: Eitelkeit und Hoffahrt. – Aber werden Sie nicht in England auf große Schwierigkeiten ſtoßen, wenn Sie mitten in London mit ſolchem Pomp eine katholiſche Kirche errichten wollen? – Dieſe Schwierigkeiten werden mit jedem Jahre ge- ringer. An jedem Tage treten Hunderte aus allen Stän- den in London zur katholiſchen Religion über Die Puſeyiſten ſind ja nur der Uebergang zum Katholicismus. In 50 Jahr iſt ganz England katholiſch und kehrt unter die Macht des Papſtes zurück. - Ich ſchwieg. Ich vermochte nun den Gehorſam und die Opferbereitwilligkeit dieſes Miſſionairs zu verſtehen. In Adlerberg aß die ganze Geſellſchaft zu Mittag. Das Geſpräch kam auf England und der Miſſionair, vielleicht durch mein Schweigen ermuthigt, ſtellte auch da mit Dreiſtigkeit die Behauptung auf, daß in 50 Jahren ganz England katholiſch ſein werde. Mein Freund hatte nicht die Selbſtverleugnung wie ich, er opponirte und viele mit ihm erklärten ſolchen Religionswechſel für zwei- deutig; von hundert ſolchen Fällen wären neunundneunzig durch zeitlichen Vortheil oder halben Wahnſinn herbeigeführt. Mit einer vortrefflichen Sophiſtik berief ſich dagegen der Miſſionair auf den freien und offenen Charakter der engliſchen Nation, der ſolchen Motiven nicht zugänglich ſei; wolle man von ſolchen Motiven ſprechen, ſo wären ſie eher bei den Deutſchen zu ſuchen, als dieſe, durch Luther verführt, von der wahren Kirche abgefallen wären. Dies war ſelbſt einem katholiſchen Arzt aus Adler- – 12 – berg, der mit uns aß, zu viel. Ein allgemeiner Sturm brach gegen den Miſſionair los, und mit Mühe konnte die Geſellſchaft ſich in den Regeln des Anſtandes erhalten. M* ſprach laut von Renegaten, von ihrer Sucht, die eigene Schmach durch fremde Schmach zu verhüllen. Zu meiner Verwunderung blieb der Miſſionair ruhig und ge- duldig und als der Zufall uns alle drei im nächſten Wa- gen zuſammenbrachte, erkundigte ſich der Miſionair ſehr angelegentlich bei mir nach den Verhältniſſen meines Freun- des, verſuchte wiederholt, ein Geſpräch mit ihm anzuknüpfen, und bot ihm ſein Reiſehandbuch zur Lectüre an, als jene Verſuche an der erbitterten Schweigſamkeit meines Freun- des ſcheiterten. - Dieſes Beiſpiel chriſtlicher Demuth widerte mich an; ich ſuchte durch die Fenſter nach Zerſtreuung, aber ver- geblich. Die letzten Stunden vor Trieſt führt der Weg durch eine Hochebene, deren dürre Kalkformation keine Vegetation aufkommen läßt; nur in einzelnen Vertiefun- gen, wo das Waſſer ſich ſammeln kann, ſieht man Bäume und Gras; ſonſt nichts als Kalkgerölle, ſoweit das Auge reicht, keine Spur von Italien. Endlich erreichten wir die Säule an dem ſteilen Abfalle des Gebirges nach Trieſt hinunter; das weiße Trieſt mit ſeinen Landhäuſern, ſei- nen Schiffen und rechts das Meer lag zu unſern Füßen. Die Straße zieht ſich in vielfachen Windungen den Berg hinab und zeigt das ſchöne Bild bald links bald rechts in wachſenden Dimenſionen. An der Poſt empfing uns der Lohndiener vom Hotel Metternich oder Hötel de ville und führte uns zu dieſem ſchönen Gaſthof am Hafen. Unſer Miſſionair war verſchwunden; aber bei meiner Rück- kehr von Conſtantinopel fand ich auf dem Schiff ein Blatt vom Oſſervatore Trieſtino mit dem folgenden Ar- tikel aus Rom: – 13 – „Se. Heiligkeit der Papſt hat mit Wohlgefallen einen Vortrag entgegengenommen, der ihm über die Erbauung einer katholiſchen Kirche in London erſtattet worden iſt. Der fromme Vater L* bemerkte während ſeines mehr- jährigen Aufenthaltes in London mit betrübtem Gemüth, wie die rechtgläubigen Chriſten aller Nationen in dieſer großen Stadt alles kirchlichen Troſtes entbehren. Muthig und gottvertrauend faßte er den Plan zum Bau einer katholiſchen Kirche in dem Mittelpunkt Londons, und durch die thätige Hülfe einer großen Zahl frommer Katholiken gelangte er vor ſeinem Tode ſo weit, die Bauſtelle dazu erkaufen zu können. Inmitten ſeiner Thätigkeit ereilte ihn vor zwei Jahren der Tod. Der Plan iſt aber von Sr. Eminenz dem Cardinal Wiſeman aufgenommen wor- den, und gegenwärtig ſind zwei fromme und eifrige Väter der Congregatio de propaganda fide von London ausge- ſandt worden, um bei allen katholiſchen Chriſten der Erde Beiträge zu dem Aufbau dieſes Gotteshauſes zu ſammeln, das in dem Mittelpunkt des Landes errichtet werden ſoll, deſſen Volk ſich bisher ſo hartnäckig feindlich gegen die allein ſeligmachende Kirche erwieſen hat. Der fromme Pater Maria Stephano v. Dj. hat die Miſſion für Frank- reich, Italien und Deutſchland erhalten. Der heilige Va- ter hat dem frommen Unternehmen ſeinen Segen ertheilet und die Abgeſandten mit Vollmachten und Empfehlungs- ſchreiben verſehen laſſen.“ Nach den Aeußerungen des Miſſionairs ſteht ſeine Ankunft in Preußen binnen kurzem zu erwarten. Nach 36ſtündiger Fahrt gab ein Meer-Waſſerbad in den Marmorbädern unſeres Gaſthofes den müden Glie- dern wieder Biegſamkeit, und der warme Abend lockte uns ins Freie. Keine Stelle zwiſchen Deutſchland und Italien bietet einen ſo ſchroffen klimatiſchen Contraſt, wie Trieſt. – 14 – Eine halbe Stunde davor auf den Bergen hüllten wir uns bei Tage in die Mäntel, und in der Stadt mußten wir die Nacht der Hitze wegen ſchon bei offenen Fenſtern ſchlafen. Das Café Tomaſi ward bald unſer Lieblings- aufenthalt. Hart am Hafen hat man von jedem Stuhl vor ſich die Ausſicht auf die Hunderte von Schiffen, das Meer, die Alpen und hinter ſich das Gewühl der kauf- männiſchen Welt an der Börſe und den zahlreichen Bü- reaus des Lloyd. Um 9 Uhr Abends beginnt die Mili- tairmuſik, und die Bevölkerung Trieſts aus allen Ständen genießt da bis Mitternacht der Abendkühle und Seeluft. Der nächſte Morgen ſah uns wieder wandernd hier- und dorthin, und nach Auskunft über Konſtantinopel for- ſchend. Aber auch hier vergeblich. Weder bei dem Ban- quier, noch bei Lloyd, noch im Gaſthof war ein Menſch aufzufinden, der dieſe Reiſe gemacht. Aber der Gedanke ſaß bereits zu feſt; Vorwärts! riefen wir Beide, eilten zum Lloyd und zahlten 263 Gulden 10 Kreuzer für zwei Billets erſter Klaſſe nach Konſtantinopel, ſchrieben nach Berlin um neue Creditbriefe nach Konſtantinopel, gaben den Unſrigen Nachricht von dem Entſchluß, packten unſere Sachen und fanden dann, daß wir noch drei Stunden übrig hatten bis zur Abfahrt. Mein Freund, mit ſeinen mühſamen und reichen Studien für Italien im Kopfe, wollte davon wenigſtens noch für Trieſt profitiren; Kir- chen, Kabinette, Statuen ſollten beſichtigt werden. Ich, der Gehorſam nur für Italien, aber nicht für die Reiſe nach dem Orient verſprochen hatte, opponirte, bat ihn die ſchönen Sachen für mich mit zu beſehen, und ſprang in eine Gondel, um mich ins offene Meer rudern zu laſſen. Obgleich mitten im Continent geboren und erzogen, hat das Meer, wo es mich erreicht, eine unwiderſtehliche Gewalt über mich; drei Jahre waren es, daß ich bei der – 15 – Ueberfahrt von Dover nach Calais es das letzte Mal ge- ſehen; es hatte mich damals ſo heftig geſchüttelt, daß ich, ſeekrank, in der Kajütte nicht merkte, wie wir ſechs Stunden vor dem Hafen von Calais hin und her geſchleudert wur- den, ohne den Eingang gewinnen zu können. Dennoch war ich glücklich, mich wieder vom Meere getragen zu wiſſen. Der Schiffer führte mich zu dem Leuchtthurm. Er leuchtet in der Nacht mit 30 Lampen immer 4 Sekunden, die fünfte verlöſchen die Lampen für die Schiffer. Ein Blechſchirm von 2 Ellen Breite, der, wenn er vor den Lampen ſteht, ſie verdeckt, bewirkt dies periodiſche Verlöſchen, indem er mittelſt eines Uhrwerks des Nachts im Kreis um die brennenden Lampen bewegt wird. Auf dem Rückwege ſah ich eine öſterreichiſche Kriegsbrig mit vollen Segeln in die offene See fahren. Bald hielt ſie indeſſen an, entfaltete alle Wimpel und ſalutirte uit 30 Kanonenſchüſſen eine Barke, in welcher der zum Admiral ernannte öſterreichiſche General von Wimpfen in Geſellſchaft von Herren und Damen aus Trieſt einen Ausflug nach der adriatiſchen Küſte machte. Orcheſtermuſik von ſeinem Boot antwortete den Salut- ſchüſſen. Wie kommt es, fragte ich meinen Schiffer, daß die Segel dieſer ſchönen reinlichen Brig ſo ſchmutzig braun ausſehen, während die der Kauffahrer ſo weiß glänzen? „Die Segel aller Kriegsſchiffe,“ antwortete er, „haben dieſe Farbe; ſie fangen kein Feuer.“ Wahrſcheinlich ſind ſie mit einer Subſtanz getränkt, welche ihnen dieſe Eigen- ſchaft und dieſe Farbe giebt. - „“.*-*."..".."-"-V-.-.-.v---------- II. Die Seefahrt. Ancona. Molfetto. Brindiſi. - Noch vor 4 Uhr Nachmittags waren wir auf unſerm Dampfſchiffe, das den für uns bedeutungsvollen Namen: „L'Oriente“ führte. „Wo ſind Ihre Effekten?“ fragte der Cameriere, nachdem er unſere Billets und Nachtſäcke in Empfang genommen hatte. – „ Sie halten ſie in der Hand.“ – Verwundert, bald uns, bald die leichten Reiſe- ſäcke betrachtend, führte er uns hinab in die Kajüte und wies jedem ein Schlafzimmerchen an. Obgleich für zwei Mann eingerichtet, blieben wir doch glücklicher Weiſe jeder allein und konnten das andere Bett zu Kleiderſchrank und Wäſch- kommode uns einrichten. Das Bett beſtand aus einem Brettverſchlag, mit einer leichten Matratze von Roßhaar- tuch, einem baumwollenen Bettuch und einer gleichen etwas dichteren Bettdecke. Das Bettuch verſchob ſich bei der geringſten Bewegung und dann lag man auf dem harten, ſtachelnden Roßhaarzeug. Aufrichten konnte man ſich nicht, ohne anzuſtoßen. Eine runde Luke mit einem Fenſter, verſchließbar, ließ Luft und Licht herein. Das Bett ließ nur noch ſo viel Raum, daß man zwiſchen dem Waſchtiſch und einem Stuhl gerade ſtehen konnte. Alles – 17 – Bewegliche war im Uebrigen befeſtigt. Mittelſt eines Hahnes konnte man in das unbewegliche Waſchbecken Waſſer aus - und einlaſſen. Für acht Tage ſollte dies unſere Heimath ſein. Die Thüren führten in die große Kajüte, die als Speiſe- und Geſellſchaftszimmer diente. Für die Damen gab es daneben beſondere Kabinette mit einem kleinen gemeinſamen Zimmer. Indeſſen warteten wir vergeblich auf Herren und Damen. Anſtatt der Touriſten aus England, Frankreich und Deutſchland, die wir zu finden und mit denen wir gemeinſchaftliche Reiſe- pläne zu verabreden hofften, ſammelten ſich auf dem Ver- deck nach und nach an 80 Kaufleute und Commis, die zur Meſſe nach Sinigaglia wollten. Sie gingen mit dem Schiffe bis Ancona und hatten dann noch 3 Meilen zu Lande nach dieſem berühmten Meßort. Es hatte längſt 4 Uhr von den Thürmen Trieſt's ge- ſchlagen; ungeduldig warteten wir auf das Zeichen zur Abfahrt. Selbſt der Anblick Trieſt's mit ſeinen Villen hinter ſich und den Juliſchen Alpen über ſich, konnte uns nicht mehr zufrieden ſtellen. – Endlich kam das Boot des „Lloyd“; ſechs Ruderer trieben es ſchnell durch die Wellen; es brachte die Poſt und die letzten Depeſchen. Nun begann das eintönige Raſſeln der Winde, mit der der Anker gehoben ward; alles, was nicht zu den Reiſen- den gehörte, nahm Abſchied, fuhr in den Gondeln zurück und antwortete mit flatternden Tüchern den Abſchieds- grüßen vom Schiffe. – Wir hatten Niemand zu grüßen und Niemand winkte uns. – Endlich rauſchten die Räder. Trieſt wurde trüber und trüber; ſeine Berge kleiner und kleiner. Es verſchwand der letzte Streifen von Deutſch- land, dem Lande, das alles in ſich barg, was uns theuer iſt und an die Erde feſſelt. Niemand der Unſrigen wußte noch, daß wir für acht Tage uns dem gewaltigen 2 – 18 – Meere anvertraut hatten auf einem leichten gebrechlichen Fahrzeuge; eine Unachtſamkeit des Steuermanns, eine verborgene Klippe, ein Verſehen des Maſchiniſten konnte es jede Minute zertrümmern und uns die Rückkehr für Aber noch war unſer Gemüth unempfänglich für der- gleichen weiche Empfindungen. Mit unerſättlicher Wiß- begierde, der vorherrſchenden Leidenſchaft im Anfange jeder Reiſe, beobachteten wir die Küſten Iſtrien's, denen wir entlang fuhren; wo die Augen nicht zureichten, wurden die Ferngläſer herbeigeholt; von jeder Stadt, jedem Berge wurde der Name auf der Karte geſucht oder bei der Schiffsmannſchaft erfragt, bis endlich die einbrechende Dunkelheit unſeren Studien ein Ende machte. Nun wurde es ſtiller auf dem Verdeck; die Kaufleute vertrauten der warmen Luft des adriatiſchen Meeres und blieben auf dem Verdeck. Man ſuchte einen Winkel, einen Lehnſtuhl, eine Bank; dies genügte für die Nacht. Die Frauen legten ſich an die Bruſt ihrer Männer, ließen ſich in deren Mäntel mit einhüllen und trotzten ſo der Nacht- luft. Hell funkelten die Sterne. Wenn ich über mich ſah, war alles ſo völlig daſſelbe wie in der Heimath; dieſelben Sternbilder, dieſelben Schlingungen der Milch- ſtraße, dieſelbe Stellung des glänzenden Jupiter, wie von dem Fenſter der Wohnſtube zu Hauſe, und wenn ich neben mich ſah, alles ſo fremd, ſo gänzlich verändert. Mein Freund mahnte zu Bett. Mit dem ſtolzen Bewußt- ſein, die einzigen Paſſagiere für Konſtantinopel zu ſein, ſchauten wir auf die ſchlafende Geſellſchaft, die ja nur bis Ancona wollte; ein Kaufmann aus Cephalonia, der dahin zurückkehrte, galt uns einigermaßen als unſeres Gleichen; mit ihm ſtiegen wir in die Kajüte hinab und krochen mit Hülfe von Stühlen und Hafen in unſere – 19 – Betten. – Aber das Meer, das alles gleich machende Element, bereitete ſchon die Strafe unſeres Uebermuthes. Der Wind wuchs während der Nacht und beim Erwachen am Morgen ſchwankte das Schiff ſo heftig, daß aus dem Bette ſteigen, Waſchen und Anziehen zu einem Kunſtſtück wurde; nur ein Arm konnte dazu benutzt werden, mit dem andern mußte man ſich ſtets am Bett oder an der Thürklinke feſthalten. Die Vorboten der Seekrankheit ſtellten ſich ein. Mit Mühe erreichten wir das Verdeck. Die krampf- haften und erſchöpften Geſichter der Paſſagiere dort erhöhten unſere Uebelkeit. Ich ſuchte einen Sitz und hielt mich am Bordgeländer feſt; aber eine Sturzwelle, die durch alle Kleider drang, verjagte mich; ich retirirte mit ſchlotternden Schritten nach der Mitte des Verdecks und gewann einen andern Sitz am Eingang der Kajüte. Hier hielt ich ge- duldig aus, bis die Natur in der bekannteu Weiſe ſich half. Inmittelſt waren wir in dem Hafen von Ancona angelangt und mit dem Aufhören des Schwankens des Schiffes war auch die Seekrankheit gehoben. Ein Glas Limonade that das Uebrige. Ich überzeugte mich von neuem, daß es kein beſſeres Mittel für die Seekrankheit giebt, als tüchtiges Brechen. Alle Präſervative ſind nutz- los. Vieles Eſſen, wenig eſſen, gar nichts eſſen, keines ſchützt. Das Uebel iſt eine Affektion der Unterleibsnerven, die nach dem Brechen als der natürlichen Kriſis verlangt. Bei dieſem Verlauf wirkt die Seekrankheit ſtärkend und wohlthätig auf das allgemeine Befinden und iſt ſo viel werth als eine halbe Kur im Seebade. Alles, was da- gegen die Kriſis verzögert oder unterdrückt, iſt durchaus nachtheilig. Man ſollte ſich deshalb auch erſt nachher auf dem Verdeck ausgeſtreckt hinlegen, eine Poſition, in der man allerdings die Uebelkeiten am wenigſten empfindet. Im Hafen waren wir bald von zahlreichen Booten 2 - – 20 – umringt und Alles eilte an das Land. Ich und mein Freund waren ſchon auf der Treppe, als der Capitain uns zurief, daß unſere Päſſe kein Viſa des päpſtlichen Eonſuls von Trieſt hätten, wir könnten deshalb nicht an das Land. Unmöglich, riefen wir; wir haben ja noch in Trieſt 6 Gulden für Paß-Viſa's zur Seereiſe bezahlen müſſen. Ueberzeugen Sie ſich, ſagte der Capitain. Er hatte Recht; wir hatten engliſche, griechiſche Viſa's, die man in Trieſt für nothwendig erklärt hatte und die ſpäter ſich als ganz überflüſſig herausſtellten; die nothwendigen dagegen fehlten. So blieben wir auf das Schiff gebannt; betrübt ſtanden wir auf dem Verdeck und ſchauten nach der Stadt, die Haus über Haus an den Höhen ſich hinaufzieht, mit der Hauptkirche des heiligen Cyriakus auf dem höchſten Punkt; links unten neue Feſtungsbauten und daneben der 17. Jahrhundert alte Triumphbogen Trajan's, von ſeiner Frau ihm zu Ehren errichtet. Wir bemühten uns, mit- telſt des Fernrohrs die Einzelheiten dieſes Monuments zu entziffern, als ein Schiffer, der unſere Noth zu er- rathen ſchien, aus dem Boot uns zurief, ob wir nicht an das Land wollten. – Wie gern, antworteten wir, aber wir können der Päſſe wegen nicht.– Schreiben Sie nur Ihre Namen auf einen Zettel, rief er; ich werde Ihnen die Erlaubniß verſchaffen. Der Capitain ſchüttelte un- gläubig den Kopf, aber wir ließen uns nicht irren und gaben ihm unſere Namen mit dem Zuſatz Prussiani. Länger als eine Stunde warteten wir vergeblich auf ſeine Rückkunft. Der Cameriere läutete ſchon zum Früh- ſtück, da erkannten wir in einem ſich nähernden Boote die ſchlanke Geſtalt unſers Schiffers. Er hatte ſich an den preußiſchen Conſul in Ancona, einen Herrn Stiener, gewendet und dieſer hatte mit großer Gefälligkeit ſofort – 21 – einige Zeilen an den außerordentlichen päpſtlichen Kom- miſſarius Herrn Amici gerichtet und um die Erlaubniß für uns, an das Land zu ſteigen, nachgeſucht. Herr Amici hatte ſie auf dieſe Verwendung ertheilt, der Schiffer brachte ſie uns und aus Dankbarkeit nahmen wir ihn zum Cicerone für die Stadt. Ancona mit ſeinen Erinnerungen aus der römiſchen Kaiſerzeit, noch jetzt eine der größten Städte des Kirchen- ſtaats und ſo ſüdlich wie Florenz gelegen, ſpannte unſere Erwartungen. Wir warteten das Frühſtück nicht ab und eilten mit unſerem Schiffer davon. Er führte uns durch die Hauptſtraßen, zeigte uns die Börſe mit Freskogemälden, verſchiedene Kirchen und zuletzt waren wir auf der Höhe, wo ſonſt ein alter Tempel der Venus ſtand, an deſſen Stelle jetzt die Cyriaks-Kirche erbaut iſt. Säulen und manch andere Zierrath aus jenem Venus-Tempel ſchmücken noch jetzt die chriſtliche Kirche. Der ſchöne Punkt paßt offenbar beſſer zu einem Tempel der Religion der Natur und des Genuſſes, als zu einer Kirche der Religion der Entſagung und der Verleugnung des Irdiſchen. Wir ſtiegen zu dem Triumphbogen Trajan's hinab. Das Poſtament iſt verbaut, die Säulen und der Bogen, alles von Marmor, ſo wie die Inſchriften, ſind noch gut er- halten. Das Ganze iſt aber unbedeutend und zu klein, um in der unmittelbaren Nähe des Meeres und der ſteilen Anhöhen zu imponiren. Es läßt ſo kalt, wie die modernen Monumente zu Ehren für Kaiſer und Könige. Nach zweiſtündiger Wanderung fühlten wir uns höchſt unbehaglich; die Stadt bot nichts Originelles, weder an Gebäuden, noch an Menſchen, Trachten und Sitten. Wir fanden Alles wie zu Hauſe bei uns, nur mehr Schmutz und mehr Hitze. Wir ſehnten uns nach Kühlung und beſchloſſen, einen Vorräth von Limonien und Zucker mit – 22 – auf das Schiff zu nehmen. Unſer Cicerone ſollte uns in einen Obſtladen führen; ſtatt deſſen führte er uns in die Werkſtatt eines Schuhflickers, und wir wollten ihn eben ausſchelten, als der Schuhflicker hinter einem Vor- rath von Leder einen Korb mit grünen Limonien hervor- holte und unſer Cicerone uns verſicherte, dies wären die beſten in ganz Ancona. Aus Dankbarkeit glaubten wir es ihm, kauften und kehrten beladen nach dem Schiff zurück, das uns um 4 Uhr Nachmittags davon trug. Es ging nach Molfetta, einer kleinen Stadt an der Küſte von Apulien, im Königreich Neapel. Es war ein langer Weg dahin, über 50 deutſche Meilen, und als wir am andern Morgen auf das Verdeck kamen, waren wir erſt am Vorgebirge Gargano und hatten noch immer ein gut Stück Weges. Bald breitete ſich die Ebene von Apulien vor uns aus, und an der Küſte glänzten der Reihe nach die Städte Borletta, Trani, Molfetta, Bari. Ein junger Italiener aus letzterem Orte, der Jura ſtudirt hatte und jetzt mit unſerem Schiffe von einer Vergnügungsreiſe nach Trieſt zurückkehrte, ſah mit ſchwerem Herzen ſeine Hei- math wieder. Er klagte bitter über die Oede und Leere des Lebens in dieſen Städten; man lebt, klagte er, nur den ſinnlichen Bedürfniſſen und Genüſſen; eine geiſtige Bewegung kennnt man weder in der Geſellſchaft, noch in der Kunſt oder Wiſſenſchaft, noch in der Politik; Buch- händler, Bibliotheken giebt es in Bari nicht, obgleich die Hauptſtadt der Provinz; an Zeitungen iſt alles verboten bis auf die offizielle Zeitung von Neapel, die die aus- wärtige Politik beinahe ganz ignorirt. Obgleich die Lloyd- Dampfſchiffe eine regelmäßige wöchentliche Verbindung mit Trieſt hin und her erhalten, ſo darf doch die Poſt damit nicht beſorgt werden, alle Korreſpondenz von Bari und ganz Apulien geht über Neapel, Rom, Florenz, Bo- – 23 – logna, Venedig nach Trieſt und braucht dazu 14 Tage, während die Ueberfahrt zur See in 42 Stunden gemacht wird. – Es fiel mir auf, daß man den Code Napoléon und die übrigen franzöſiſchen Geſetzbücher in dem Königreich Neapel ſeit ihrer Einführung durch die Franzoſen hat fort- beſtehen laſſen, wie dieſer angehende Advokat uns verſicherte. Dieſe düſteren Schilderungen konnten uns indeß nicht abhalten, in Molfetta ans Land zu gehen, als wir Don- nerſtag 11 Uhr Vormittags dort vor Anker gingen. Mol- fetta liegt ſo ſüdlich wie Neapel; wir waren noch nie bis zu ſo ſüdlicher Breite gekommen, und hofften durch Vege- tation und ſüdliche Natur für das entſchädigt zu werden, was wir an geiſtiger Bewegung vermiſſen würden. Durch die Verwendung unſeres neuen Bekannten erhielten wir hier mit weniger Schwierigkeiten die Erlaubniß, ans Land zu gehen. Obgleich unſere Päſſe von dem neapolitaniſchen Geſandten in Berlin viſirt waren, erhielten wir dennoch einen Polizeidiener zur Begleitung, der uns keinen Schritt verlaſſen durfte. Wir benutzten ihn gleichzeitig als Füh- rer. Dies Amt war nicht ſchwierig; der Ort beſteht aus einer Reihe enger, ſchlecht gepflaſterter Straßen, eine ſchmutziger als die andere. Die Häuſer tragen überall die Zeichen des Verfalls; zerbrochene Fenſterrahmen, feh- lende Jalouſien, eingebrochene Dächer, eine durch den Staub erzeugte allgemeine Schmutzdecke; kein Haus iſt überſtrichen, die meiſten nicht einmal mit Kalk überzogen. Am Hafen trieb ſich ein Haufe feiernder Arbeiter herum ſonſt waren nur Kinder zu ſehen; ein ganzes Hemde war bei ihnen ein ſeltener Luxus, viele hatten nichts, als ein leichtes Kattunbeinkleid, und ein dicker Junge von 8 Jah- ren lief ganz ungenirt mit einem blauen Frack als ein- zigem Kleidungsſtück herum, ohne daß irgend jemand von Erwachſenen oder Kindern Anſtoß genommen hätte. Die – 24 – wohlhabendere Klaſſe hielt Sieſta. Wir hielten trotz der Hitze lange aus, liefen Straßen auf, Straßen ab, in der Hoffnung, endlich etwas zu finden, was über die Proſa einer deutſchen kleinen Stadt hinausgehen würde. Aber vergeblich. M* ſchlug endlich vor, einen Barbier auf- zuſuchen, der uns raſiren ſollte. Dies rief in mir die Scenen wach aus Figaro's Hochzeit und aus dem Bar- bier von Sevilla. Hier, ſo ſüdlich wie Sevilla, hoffte ich, wird der Barbier auch ein Mann wie dort ſein, voll Le- ben, Feuer, Poeſie, Intrigue. Ich willigte ein, und unſer Polizeidiener erhielt die Weiſung, uns zu dem beſten Bar- bier der Stadt zu führen. – Es giebt nur einen, wir ſind hier nahe bei, erwiderte er. – Wir traten in den Laden; der Herr Barbier ſchlief, wie ſeine Kunden. Nach langem Rufen und Pochen trat ein Mann mit ordinairem Geſicht heraus, den Schlaf in den Augen; keine Frage vermochte ihm mehr als drei Worte zu entlocken. Fi- garo! Figaro! rief ich verzweifelt, lebſt du denn nur in der Phantaſie Mozarts und Roſſini's? – Einſeifen, Meſ- ſer abziehn, raſiren, alles war auf's Haar, wie in Deutſch- land, nur widerwärtiger durch Unreinlichkeit. Hätte ich nicht des Meſſers wegen ſchweigen müſſen, ich hätte laut mit Nicolai Italien bis zu ſeiner ſüdlichſten Spitze verwünſcht. – Aber einen Vorzug hat Italien doch, ſagte M*, man kann im kleinſten Ort Sorbett und Eis bekommen; laſſen Sie uns in ein Café gehen. Subito! hieß es dort, als wir Eis beſtellten. Wir ſetzten uns in das Zimmer der Signori; aber auch da waren die Stühle defect, das Sopha nur von Holz, ohne Kiſſen; Subito! erklang es abermals, als wir nach einer halben Stunde erinnerten. Endlich fiel uns ein, daß man in Italien vor 4 Uhr kein Eis bekommen kann; das Subito hieß alſo hier: Nach drei Stunden. - Wir ſtanden eben auf, um fortzugehen, als ein Lärm in der Nebenſtraße mit Blitzesſchnelle Hunderte von Män- nern und Frauen aus allen Häuſern herbeilaufen machte; man lief mit Stöcken, ein Handwerker kam mit einer lan- gen Flinte geſtürzt. Eben hatte man uns erzählt, daß Molfetta in der letzten Revolution eine hervorragende Rolle geſpielt; ſollte eine neue Revolution heranziehen? Nein, es war nur eine häusliche Scene; ein Mann hatte ſeine Frau, eine Obſtverkäuferin, geprügelt; da aber das Ehepaar ſelbſt ſchnell von Thätlichkeiten abließ, ſo blieb auch das Publicum, was bereits in zwei Parteien getheilt, ſich anſchickte, zu cooperiren, in Frieden. Wir ſuchten durch das Gedränge einen Ausweg nach dem Boot, zahlten unſerem Begleiter für ſeine milde po- lizeiliche Aufſicht drei Zwanziger, und fühlten uns erſt wieder wohl, als wir auf dem reinlichen Deck unſeres Schiffes angelangt waren. Am Mittagstiſch fanden wir den öſterreichiſchen Conſul von Molfetta. Die Scenen des Ortes erfüllten unſere Phantaſie noch ſo lebhaft, daß wir erſtaunten, in ihm einen liebenswürdigen, gebildeten Mann zu finden. Nach dem Deſert gingen wir auf das Verdeck; Alles drängte ſich da um das Fernrohr, indeß konnten wir auch ohnedem bemerken, daß es ſich um einen Platz im Meere handelte, wo die Frauen Molfetta's ſich badeten. Zu ihrer Ehre muß ich ihnen nachſagen, daß, obgleich ſie ſich wegen der Entfernung nicht beobachtet glaubten, ſie dennoch mit großer Decenz ſich benahmen. Sie waren aus der ärmeren Klaſſe. Ein Theil wuſch Wäſche, während der andere ſich ſelbſt wuſch. Beide ſchie- nen der Wäſche gleich nöthig zu bedürfen, aber keine ging ohne Hemde in das Waſſer. - Mit Sonnenuntergang verließen wir Molfetta. Wir waren nun ſchon ſo an die Bewegung des Schiffes, an – 26 – das Knarren der Balken, das Zittern des Bodens bei den Kolbenbewegungen der Maſchine gewöhnt, daß wir am andern Morgen aufwachten, weil das Schiff ſtill ſtand. Wir waren im Hafen von Brindiſi. Hier ſtand das alte Brunduſium der Römer, von dem aus ihre Feldherrn mit ihren Heeren nach Griechenland und Aſien überſchifften, um die Welt zu erobern, und von dem ihre Staatsmänner und Gelehrten nach Athen über- ſchifften, um von Griechenlands Philoſophie und Kunſt erobert zu werden. Alle großen Männer in Roms größ- ter Zeit hatten die Stelle durchſchifft, wo wir hielten. Von Brunduſium hatte Cicero, der vermeintlich große Staatsmann, auf der Flucht vor Cäſar mehrere der kläg- lichſten und kleinmüthigſten Briefe an ſeinen Freund At- ticus geſchrieben, die zu ſeinem Unglück noch jetzt exiſtiren. Bald will er ſich darin das Leben nehmen, ohne den Muth dazu zu finden. Bald quält er den Atticus mit den kleinlichſten Aufträgen und kriechenden Interceſſionen zu ſeinen Gunſten bei den Machthabern in Rom. Hier war es, wo der Kampf zwiſchen Cäſar und Pom- pejus begann, zwiſchen Despotismus und einer noch ſchlim- meren Adelsherrſchaft, die ſich hinter den Männern der Republik verſteckt. Pompejus hatte die Stadt und den Hafen inne; Cäſar wollte ihm den Hafen, vor dem wir jetzt lagen, verſperren. „Da, wo der Eingang zum Hafen am engſten war“, erzählt Cäſar ſelbſt in ſeinen Commen- tarien, „ließ er von beiden Seiten des Landes einen Stein- und Erddamm aufwerfen, weil das Meer hier ſeicht war. Weiterhin, als bei der zunehmenden Tiefe des Waſſers der Damm ſich nicht mehr halten konnte, ließ er an das Ende jedes Dammes zwei Flöße von 30 Fuß ins Ge- viert anlegen und mit 4 Ankern befeſtigen, daß die Wel- len und Strömungen ſie nicht fortführen könnten. Nach- – 27 – dem dies geſchehen, verband er mit denſelben andere Flöße gleicher Größe, und alle dieſe bedeckte er mit Schutt und Erde, um ſie für die Vertheidigung leichter zugänglich zu machen. Von vorn und beiden Seiten ſchützte er ſie durch Faſchinen und Bohlen, und auf das je vierte Floß errich- tete er zwei Stockwerk hohe Thürme, um ſie beſſer gegen den Andrang der Schiffe und gegen Feuer vertheidigen zu können. Pompejus dagegen ließ große Transportſchiffe zurecht machen, die er mit dreiſtöckigen Thürmen verſah und mit Wurf-Maſchinen und allen Arten von Geſchoſſen anfüllte; damit fuhr er gegen die Werke von Cäſar an, um ſie zu durchbrechen und in Verwirrung zu bringen. So wurde täglich von beiden Seiten aus der Ferne mit Schleudern, Pfeilen und andern Geſchoſſen gekämpft.“ Cäſar wurde zwar, noch ehe er mit ſeinen Werken fertig war, durch die von Griechenland rückkehrende Flotte des Pompejus geſtört, erreichte indeß dennoch ſeinen fein berechneten Zweck, den Pompejus aus Italien und ſomit aus dem Herzen des Reiches und dem Mittelpunkt der Staatsgewalt zu entfernen. Der conſervative Pompejus war es, der hier zuerſt das Syſtem der Barrikaden in An- wendung brachte, um ſeinen Rückzug zu decken; vicos plateasque inaedificat. - - Wie ſchwerfällig und mühſam erſcheint dieſe Krieg- führung im Vergleich mit den Flotten, Heeren und Zer- ſtörungsmitteln der Gegenwart; und wie großartig waren dennoch die Reſultate Cäſars in Vergleich zu dem, was bis heute die zwei ſchönſten Flotten der Welt im ſchwar- zen Meere mit den Kerntruppen Englands und Frankreichs erreicht haben? Von Cäſar's Dämmen konnten wir zwar über dem Waſ- ſer nichts mehr ausfindig machen; aber unter dem Waſſer wirken ſie noch jetzt jedenfalls zur Verſchlämmung des Ha- – 28 – fens. Später, im Mittelalter, wurde der Hafen wieder- holentlich von dem Herzog von Tarent und von den Ve- netianern durch Verſenkung von ſteinbeladenen Schiffen verdämmt, und jetzt iſt es den Menſchen endlich gelungen, einen der ſchönſten Kriegshäfen Italiens in einen kaum noch für Kauffahrer brauchbaren Zufluchtsort zu verwan- deln. Im Jahre 1843 erbot ſich eine engliſche Geſell- ſchaft, den Hafen zu reinigen und herzuſtellen, die Regie- rung in Neapel iſt aber nicht darauf eingegangen. Die Stadt iſt jetzt unbedeutend, bewahrt von ihrer früheren Größe keine Spur; nur einige unbedeutende Feſtungswerke konnten wir erkennen, die Gegend iſt flach und ohne feſ- ſelnde Punkte. Unſere Wißbegierde für Italien war durch Ancona und Molfetta geſtillt, wir hatten keine Sehnſucht nach einem dritten Verſuche und waren froh, als der Ca- pitain nach einem kurzen Aufenthalt Italien den Rücken wandte. Es ging nun quer über das Adriatiſche Meer nach Corfu. Das Meer iſt hier ſo ſchmal, daß wir die Küſte Italiens noch nicht verloren hatten, als die mächtigen Ge- birge Albanien's, des alten Epirus, ſich auf der andern Seite erhoben. Wir ſuchten eifrig nach dem Schnee, wo- mit ihre Gipfel nach unſerem Handbuche bedeckt ſein ſoll- ten; die Beſchreibung galt offenbar nur für Reiſende im Frühjahr. Jetzt im Juli zeigte die obere Hälfte dieſer maleriſchen Gebirge nur nackte Felſen; auf der anderen Hälfte erkannten wir etwas Baumwuchs und Geſtrüpp, von Wohnungen, von Dörfern oder gar Städten war aber keine Spur zu entdecken. Es waren die erſten Vorboten von der Oede des jetzigen Griechenlands. Die Schiffsgeſellſchaft war inmittelſt ſehr zuſammen- geſchmolzen. Täglich wurde um 10 Uhr ein Frühſtück mit drei warmen Schüſſeln und um 4 Uhr ein Mittags- eſſen von ſechs Schüſſeln ſervirt; die Gäſte beſtanden aber nur aus uns, dem Griechen aus Cephalonia und dem Capitain. – Wie heißt dieſe öde Inſel hier? fragte ich unſern Cephalonier. - – Fano, erwiderte er; es iſt die erſte von Griechen- land, die wir ſehen; ſie liegt nur wenige Meilen vor Corfu, und wird nur von einigen Fiſchern bewohnt. Sie iſt die Inſel, wohin die engliſchen Gouverneure die ihnen mißliebigen Journaliſten in die Verbannung ſchicken. – Wie, haben Sie denn keine Preßfreiheit? – Allerdings, aber meinen Sie, daß dieſe den Gou- verneur darin hindern könnte? erwiderte der Grieche mit einem ſo feinen Lächeln, daß ich ſeine Worte für eine An- ſpielung auf die Preßfreiheit Preußens genommen hätte, wenn er von Preußen mehr wie den Namen gekannt hätte. – Sie haben aber doch auf den joniſchen Inſeln eine Volksvertretung, ein Parlament! - – O ja; ich ſelbſt bin Deputirter geweſen und kenne dies. Ganz kürzlich erſt waren die Abgeordneten aus den neueſten Wahlen nach Corfu zuſammengekommen; da ſie aber mit mißliebigen Discuſſionen begannen, ſo hat ſie der Lord-Ober-Commiſſar noch vor dem erſten Beſchluſſe wie- der nach Hauſe geſchickt. – Weshalb beſchweren Sie ſich nicht bei dem Parla- ment in England? – Wir haben kein Recht dazu; wir gehören nicht zu den Colonien Englands; wir ſind nach den Verträgen von 1815 ein ſelbſtändiger Staat, über den England nur das Schutzrecht ausübt. Dieſer Schutz iſt es, der uns ſchutz- los macht. Das Parlament von England nimmt keine Beſchwerde von uns an, zahlt aber dem Gouverneur 5000 Pfund Sterling jährlich und giebt ihm drei eng- liſche Regimenter. Das größte Uebel iſt der Wechſel der Gouverneure; alle drei Jahre kommt ein neuer. Der frühere hat kaum Zeit gehabt, das Land, ſeine Bedürf- – 31 – niſſe, den Charakter ſeiner Bewohner kennen zu lernen, ſo muß er ſeinen Platz verlaſſen. Den neuen umgiebt ein Heer von gewiſſenloſen Abenteurern und Stellen- jägern, die ſich, wie überall, auch unter uns finden, und durch Schmeichelei und Verrath den Gouverneur in ihrem Intereſſe zu leiten ſuchen. Die Grundeigenthümer, über- haupt der beſſere Theil der Bevölkerung hält ſich zurück; ſo erzeugt ſich Mißtrauen und eine fortwährende Span- nung zwiſchen dem Lande und ſeiner Schutzmacht, die die Executive in eine Parteiſtellung bringt, wo ſie eher an die Erhaltung ihrer Macht, als an die Bedürfniſſe des Landes denkt. Seit drei Jahren kommt zu dieſer politi- ſchen Plage die Naturplage der Traubenkrankheit hinzu. Das Hauptprodukt der Inſeln beſteht in den Korinthen oder kleinen Roſinen, wie Sie in Deutſchland ſagen; zwei Drittel der Erndte geht ſeitdem durch die Krankheit verloren und der Wohlſtand der Inſeln iſt auf das tiefſte erſchüttert. Wir waren inmittelſt Korfu näher gekommen. Der 4000 Fuß hohe Berg St. Salvador hob ſich in ſcharfen Kanten aus dem Abendroth; die Gebirge Albaniens er- glänzten in dem Lila, was im Süden nach dem Unter- gang der Sonne die Luft durchdringt. – Welche ſchönen Wälder, rief ich, die ſich von der Küſte bis hoch hinauf in die Berge ziehen! – Das ſind alles Oliven, ſagte der Grieche; eine Erndte davon iſt ſchon beendet; jetzt tragen ſie die zweite Frucht, die noch in dieſem Jahre geſammelt wird. Die Küſte Albaniens nähert ſich der von Korfu ſo ſehr, daß das Meer nur die Breite eines Fluſſes behält und erſt in der Bai von Korfu wird die Fläche wieder größer und durch den Schutz der kleinen vorliegenden Inſel Vido zu einem der beſten Häfen der Welt. Es – 32 – war ſchon dunkel als wir einliefen. Von der nahen Küſte leuchteten uns hunderte von Lichtern entgegen. – Die lange Reihe erleuchteter Fenſter, welche Sie hier rechts ſehen, ſagte der Grieche, ſind die Kaſerne für die engliſchen Truppen; die Lichter, welche ſich links pyrami- denartig in die Höhe ziehen und zuletzt mit den Sternen vermiſchen, führen zu dem Palaſt des Lord-Ober-Commiſ- ſar; die blauen und rothen Lichter hier unten gehören zu den Dampfſchiffen, die aus Griechenland und Alexan- drien angekommen ſind. – Was giebt es Neues? rief unſer Capitain dem Boot mit den Hafenbeamten entgegen, welches allemal zuerſt dem anlangenden Schiffe ſich nähert und vor deſſen Re- viſion Niemand das Schiff verlaſſen darf. – Die Cholera iſt in Athen, rief eine Stimme aus der Dunkelheit herauf. - Das Wort: Cholera, war wie ein elektriſcher Schlag; unwillkührlich fuhr es mir durch die Glieder. Aber ich hatte in Deutſchland ſo oft und ſo lange in Städten gewohnt, wo die Cholera herrſchte, ich war ſchon ſo gewöhnt, ſie als eine Krankheit wie jede andere zu betrachten, wegen der man das Land mit keinen polizeilichen Schutzmaßregeln peinigt, daß ich über die Schönheit der Nacht und die Geheimniſſe Corcyra's, die uns morgen erſchloſſen werden ſollten, bald die Cholera aus den Gedanken verlor. – Wir ahnten nicht, welche peinigende Verfolgerin ſie für uns auf der ganzen Reiſe werden ſollte. Früh 6 Uhr waren wir ſchon am Land. England erkannten wir wenigſtens daran, daß kein Menſch uns mit den Päſſen quälte. Ein Lohndiener verſprach, uns bis Nachmittags 4 Uhr alle Herrlichkeiten der Inſel zu zeigen. Hier endlich hatten wir, was wir ſo ſehnlich und lange – 33 – geſucht, ſüdliche Natur und ſüdliche Menſchen. Die Stra- ßen waren ſchon belebt; die Hitze nöthigt, die Geſchäfte früh zu beſorgen. Die europäiſche Tracht war in der Minderheit. Die griechiſche Tracht mit weiten, unten ge- bundenen Beinkleidern, weitem Rock und rothem Feß mit langer blauer Quaſte war die vorherrſchende; aber am meiſten wurde das Getümmel gehoben durch die maleriſche Tracht der Albaneſen. Stolze, hohe Geſtalten, tragen ſie vom Gürtel bis zu dem Knie einen weiten faltenreichen Weiberrock von blendend weißem Kattun, eine rothe oder blaue Weſte und Jacke mit aufgeſchlitzten, hängenden Aer- meln, geſtickt und reich verziert. Beides verbindet ein um die Hüften gewundener Shawl; der Hals und die Füße ſind bloß; letztere decken nur geſtickte Kamaſchen und Schuhe von derſelben Farbe, wie die Weſte, und den Kopf der rothe Feß. Dieſer Anzug ſchmiegt ſich jeder Wendung und Bewegung des Körpers an, ohne die Wel- lenlinien der Glieder zu verdecken. Alle Bewegungen die- ſer Albaneſen waren voll Würde und Selbſtbewußtſein, gleichviel ob ſie als Laſtträger ſich anſtrengten, oder als reiche Kaufleute ſich im Café die Taſſe und die Pfeife reichen ließen. Zwiſchen durch eilten ſchnellen Schrittes Engländer in weißen Battiſtbeinkleidern und Rock; ge- ſetzter wandelten einzelne Trieſtiner Kaufleute, die trotz der Hitze den monotonen ſchwarzen Frack, ſchwarze Bein- kleider und ſchwarzen Hut nicht aufgegeben hatten. So bunt wie das Menſchengewühl waren auch die Erzeugniſſe der Inſel. Wir wurden durch die Fleiſch- und Fiſchhallen geführt, große ſteinerne, im Viereck ge- baute Gallerien mit einem offenen Hof und Springbrunnen nach innen. Alles war im höchſten Grade ſauber und friſch; die Fiſche waren nach Gattungen geſondert und präſentirten ſich in allen Farben und Geſtalten, von der 3 – 34 – Kugel bis zum Faden und formloſer Gallert. Die engen Straßen waren durch die Obſt- und Gemüſe-Niederlagen halb geſperrt. Neben unſern vaterländiſchen Sorten ſahen wir 3 Fuß lange, fadenartige Gurken, eine andere blaue Sorte; Waſſermelonen von der Größe unſerer Kürbiſſe mit lilablauem Fleiſch, Artiſchocken, Mandeln in grüner Schale, Pfirſichen, Aprikoſen, Limonien ſo groß wie Me- lonen, auch hier und da ſchon Weintrauben. Ich ver- mißte die Orangen (Apfelſinen). Die Zeit derſelben iſt eigentlich vorüber, ſagte der Führer; indeß werde ich Ihnen einige beſtellen. Bei unſerer Rückkehr fanden wir denn auch vortreffliche; ſie waren eben gepflückt, hatten noch die Stiele mit den friſchen Blättern und waren voll Saft und Süßigkeit. Wir wanderten durch die Straßen bergauf nach der Spianata, einem freien großen Platze mit einer berühmten Ausſicht nach dem Meere und den Küſten Albaniens. Das Gebüſch in den Parkanlagen beſtand aus Geranien, die ſo hoch wuchſen, wie in Deutſchland das Unterholz der Wälder. Hier und da ſtanden Oleander- büſche in der Größe unſerer Pflaumenbäume, über und über mit purpurrothen Blüthen bedeckt. Gegen 8 Uhr brannte die Sonne ſchon ſo, daß wir Zuflucht in einem Café ſuchten. Während des Frühſtücks ging der Führer, einen Wagen zu einer Fahrt in das Innere der Inſel zu beſorgen. Nach einer Stunde ſaßen wir in einem leichten Korbwagen mit zwei Sitzen und vier bronzenen Säulen, welche über uns ein weißes Tuch ſtatt Sonnen- ſchirm ausgeſpannt hielten. Zwei vortreffliche braune Ponies brachten uns zur Villa des Gouverneurs; leider wurde uns der Eintritt verwehrt und aus einem Miß- verſtändniſ verſäumten wir, eindringlichere Mittel anzu- wenden. Wir fuhren nun auf einer vortrefflichen Chauſſee einen Bergrücken entlang, der links bis hoch hinauf mit – 35 – Oliven bedeckt war und rechts nach dem Thale in Gärten mit Landhäuſern auslief. Wir bewunderten an den Oliven die alten Stämme, die auf Hunderte von Jahren deuteten. Wenn ein Baum nicht recht tragen will, werden die Aeſte abgehauen und aus dem Stamme ſchlagen dann neue Zweige: die Stämme waren oft ſo knorrig und von Alter zerriſſen und geſpalten, daß wir in ihnen Zeitgenoſſen der alten Griechen zu finden meinten. Der Wald ertönte von einem ununterbrochenen Gezirpe der Cikaden; er war ſo laut, daß es die Unterhaltung erſchwerte, und ſo eintönig und gedankenleer, wie das fahle Graugrün der Oliven, in deren Blättern ſie hauſten. In den Gärten links ſahen wir Feigen-, Limonien-, Orangen- und Mandelbäume mit Blüthen und Früchten. Einzelne Orangenbäume trugen ſo voll, daß oft vier große rothe Orangen an einem dünnen Zweige ſo dicht ſaßen, wie bei uns die Haſelnüſſe. Mein Freund nahm ein Buch aus der Taſche und las: . „Außer dem Hofe liegt ein Garten, nahe der Pforte. Allda ſtreben die Bäume mit laubichtem Wipfel gen Himmel, Voll balſamiſcher Birnen, Granaten und grüner Oliven, Oder voll ſüßer Feigen und röthlich gefärbter Orangen. Dieſe tragen beſtändig und mangeln des lieblichen Obſtes Weder im Sommer noch Winter; vom linden Weſte gefächelt Blühen die Knospen dort, hier zeitigen ſchwellende Früchte: Birnen reifen auf Birnen, auf Aepfel röthen ſich Aepfel, Trauben auf Trauben erdunkeln und Feigen ſchrumpfen auf Feigen. Hier ſtehen die Herling in Reihen, - - Dort erblüh'n ſie erſt, dort bräunen ſich leiſe die Beeren. . An dem Ende des Gartens ſind immerduftende Beete, Voll balſamiſcher Kräuter und tauſendfarbiger Blumen“ – Von wem iſt dieſe treffende Beſchreibung der Gärten, an denen wir hinfahren? fragte ich. Z? – 36 – – Von Homer, antwortete M*. Es iſt ſeine Be- ſchreibung des Gartens des Königs Alkinoos, der vor 3000 Jahren in Corfu herrſchte, als Odyſſeus ſchiffbrüchig an dieſe Küſten verſchlagen wurde. Hier, in dem alten Scheria des Homer, war es, wo die ſchöne Nauſikaa, Tochter des Königs, mit ihren Freundinnen nach dem Fluſſe fuhr, ihre Kleider zu waſchen; hier wurde Odyſſeus von dem Geſchrei der ſpielenden Mädchen erweckt, erhielt Kleidung und Nahrung von des hohen Alkinoos Tochter, „einer Unſterblichen gleich an Wuchs und reizender Bil- dung“; hier wurde er feſtlich aufgenommen, bewirthet, von 50 Jünglingen dann zu Schiffe nach Ithaka gebracht. „Und“, las er weiter, Als er ſolches vernommen, der Erderſchütt'rer Poſeidon, Ging er gen Scheria hin, dem Lande der ſtolzen Phäaken. Allda harrt er; und von Ithaka heim kam das ſchnelle Meerdurchgleitende Schiff. Da nahte ſich Poſeidaon, Schlug es mit flacher Hand, und ſiehe! plötzlich verſteinert, Wurzelt es feſt am Boden des Meeres. Drauf ging er von - dannen. – – Hier ſehen Sie das verſteinerte Schiff des Ulyſſes, rief unſer Führer, der den Namen Odyſſeus herausgehört hatte. Wir hielten an dem höchſten Punkte der Straße, dem Paß von Pataleone; vor uns das Meer und einen Felſen darin, nahe der Küſte, welcher noch jetzt in dem Munde des Volkes den Namen „Ulyſſes Segel“ führt. Rechts unter uns hatte das Thal ſich verbreitet und war zu einem Meeresarm geworden, in dem Fiſcher ihre Netze aufgeſtellt hatten. Kühn und ſteil aufſteigende Gebirge begrenzten die andere Seite des Buſens. Wir ſtiegen aus, um uns an der Ausſicht und dem Duft der Kräuter zu laben. Jede Diſtel, jedes Unkraut – 37 – wurde mit Sorgfalt betrachtet; ſelbſt dieſe hauchten Wohl- geruch aus. Wir kehrten nach der Stadt zurück, um uns dann links zu wenden. Durch Weingärten, die bald mit Aloe- ſtauden, bald mit hohen Cactus umzäunt waren, fuhren wir in einem flacheren Lande; auch abgemähte Weizen- felder zeigten ſich. Nach einer halben Stunde waren wir am Potamos, wie unſer Führer ſich ausdrückte; mit wich- tiger Miene zeigte er uns das Flüßchen, das von Wein- geländern und Maulbeerbäumen beinah verdeckt, langſam dahinfloß. Erſt ſpäter, nach längerem Aufenthalte im Oriente, verſtanden wir ſein Wort, die Bedeutung und Seltenheit, und deshalb die Merkwürdigkeit eines Fluſſes im Orient. – Giebt es noch einen andern Fluß auf der Inſel? – Nein, antwortete der Führer. - -– Dann iſt dies der Strom, wo Ulyſſes ſich rettete. „Hier fand er bequem“, las mein Freund, – zum Landen das Ufer, Niedrig und felſenleer und vor dem Winde geſichert. Und er erkannte den ſtrömenden Gott und betet im Herzen. Da hemmte der Gott die rollenden Fluthen Und verbreitete Stille vor ihm und rettet ihn freundlich An das ſeichte Geſtade. – Unzweifelhaft ſtehn wir an dieſem Strom, rief ich; die Beſchreibung paßt genau. – Auch die Entfernung von der Stadt ſtimmt damit, ſagte M** und las: „Und ein neues erſann die lilienarmige Jungfrau: Lud auf den zierlichen Wagen die wohlgefalteten Kleider, Spannte davor die Mäuler mit ſtarken Hufen, beſtieg ihn, Und ermunterte dann Odyſſeus, rief ihm und ſagte: „Fremdling, mache dich auf, in die Stadt zu gehen! Ich - will dich – 38 – Führen zu meines Vaters, des weiſen Helden, Palaſte, Wo du auch ſehen wirſt die edelſten aller Phäaken. Thu' nur, was ich dir ſage. Du ſcheinſt mir nicht unver- ſtändig. Siehe, ſo lang der Weg durch Felder und Saaten dahingeht, Folge mit meinen Mägden den Mäulerbeſpannten Wagen Hurtig zu Fuße nach, wie ich im Wagen euch führe. Aber ſobald wir die Stadt erreichen, welche die hohe Mauer umringt, (– an jegliſcher Seit' iſt ein trefflicher Hafen Und die Einfahrt ſchmal –) Siehe, da mied' ich gern die böſen Geſchwätze, daß Niemand Uns nachhöhnte; man iſt ſehr übermüthig im Volke!“ – Nach alledem kann die Entfernung des Fluſſes, ſagte M*, nicht zu bedeutend geweſen ſein; was wir in einer halben Stunde auf ſchöner Chauſſee mit raſchen Pferden zurückgelegt haben, dazu wird Nauſikaa mit ihren Maulthieren und zu Fuß gehenden Begleiterinnen mehr wie eine Stunde gebraucht haben. - – Sie haben Recht, erwiederte ich, wenn man auch nicht annehmen kann, daß die Stadt der alten Phäaken genau an der Stelle des jetzigen Corfu geſtanden hat. Homer hat ihre Lage für den, der an Ort und Stelle iſt, ſo bezeichnet, daß man nicht irren kann; ſie lag offenbar etwas höher in das Land hinein, wo jetzt noch die alten venetianiſchen Feſtungswerke ſtehn; dort bildet das Meer auch von der andern Seite einen guten Hafen und die enge Einfahrt haben wir ja ſchon geſtern bemerkt. – Aber die Sonne brennt ſchon heiß; wie wäre es, wenn wir ein Bad nähmen? – Laſſen Sie uns im Fluſſe baden, rief M*, wie Odyſſeus; hören Sie, wie lieblich ſein Bad war! „Und Nauſikaa rief den ſchöngelockten Geſpielen: Dirnen, ſteht mir doch ſtill! Wo flieht ihr hin vor dem Manne? – 39 – Kommt denn, ihr Dirnen, und gebt dem Mann zu eſſen und trinken; Und dann badet ihn unten im Fluß, wo Schutz vor dem - Winde iſt. Alſo ſprach ſie; da ſtanden ſie ſtill und riefen einander; Führten Odyſſeus hinab zum ſchattigen Ufer des Stromes, Wie es Nauſikaa hieß, des hohen Alkinoos Tochter; Legten ihm einen Mantel und Leibrock hin zur Bedeckung, Gaben ihm auch geſchmeidiges Oel in goldener Flaſche Und geboten ihm jetzt, in den Wellen des Fluſſes zu baden. Und zu den Jungfrauen ſprach der göttergleiche Odyſſeus: Tretet ein wenig bei Seir, ihr Mädchen, ich würde mich ſchämen Nackend zu ſtehen, in Gegenwart ſchönlockiger Jungfrau'n. Alſo ſprach er: ſie gingen bei Seit' und ſagten's der Fürſtin. Und nun wuſch in dem Strom der edle Dulder das Meerſalz, Welches den Rücken ihm und die breiten Schultern bedeckte. Rieb ſich dann von dem Haupte den Schaum der wüſten Gewäſſer. - Und nachdem er gebadet und ſich mit Oele geſalbet, Zog er die Kleider an, die Geſchenke der blühenden Jungfrau. – Allen Reſpekt vor Odyſſeus und Homer, rief ich; aber ich, Eingeborner des Binnenlandes, ich lobe mir das Seebad. Am Hafen werden wir, wie der Führer ſagt, ein bequemes Badehaus finden; freilich werden uns dort fehlen „die ſchöngelockten Geſpielen, der reiche Mantel und Leibrock, das geſchmeidige Oel in goldener Flaſche“; aber noch ſind wir ja am Anfange unſerer Irrfahrten, noch haben wir kein Recht zu den Genüſſen des „herr- lichen Dulders Odyſſeus“. Verſunken in die Schönheit der Natur und in die Schönheit Homeriſcher Schilderungen, kehrten wir nach der Stadt zurück. Unſer Wagen brachte uns bis zu dem Bad. Hurtig warf ich die Kleider ab und ſprang in die – 40 – blaue Fluth. Gekühlt und geſchaukelt von den ſteigenden und ſinkenden Wellen, genoß ich der ſinnlichen Ruhe des Südens. Die harte Rinde nordiſch-abſtrakter Gedanken ſchmolz zuſammen in weiche, farbige Bilder, die in ſanfter, regelloſer Folge ſich ablöſten; alle Muskeln ruhten in dem weichen, hebenden Lager des Waſſers, und während keine ſich ſpannte, fühlte ich die ruhende Kraft in allen, und das elaſtiſche Band, mit dem ſie der Seele verknüpft waren. Denn hier bemerkte ich zuerſt, was die Kälte und der Wellenſchlag der Nordſee mich nie hatte verſuchen laſſen, daß ich keiner Bewegung bedurfte, um mich ſchwimmend zu erhalten. Im dem lauen, kryſtallenen Waſſer legte ich mich auf den Rücken, die Arme zurückgeſchlagen, den Kopf bis zum Mund, Naſe und Augen im Waſſer und die Bruſt vom Athen ausgedehnt, vergaß ich der Bewegung des Schwimmens, blieb ruhig liegen und mit Verwunde- rung fand ich, daß ich nicht ſank. Die Wellen hoben und ſenkten mich leiſe, aber Mund und Geſicht blieben über dem Waſſer und der Körper behielt die wagerechte Lage. Später, in Syra, Smyrna, auch in Trieſt, verſuchte ich daſſelbe mit demſelben Erfolge. Ich zählte einmal fünf Minuten in dieſer regungsloſen Lage, ohne zu ſinken, und dieſer Zeitraum genügt, um nöthigenfalls für Stunden deſſelben ſicher zu ſein. Ich war um ſo mehr überraſcht, als ich wohl überall gehört und geleſen hatte, daß das Schwimmen in Seewaſſer leichter ſei, aber niemals, daß gewiſſe Stellungen jede Bewegung überflüſſig machen. Wahrſcheinlich half die Ausdehnung der Bruſt durch das volle und tiefe Athemholen; auch das Ausſtoßen des Athems bewirkte ich dabei ſo, daß ein Theil der Luft in den Lungen zurückblieb und die Bruſt ausgedehnt erhielt. Alles dies iſt durchaus nicht ſchwierig. Der unbe- holfenſte Schwimmer kann es getroſt verſuchen und ſich – 41 – damit einen ſeltenen, eigenthümlichen Genuß verſchaffen. Alle unſere gewöhnlichen Zuſtände ſind damit nicht zu vergleichen; im Gehen, im Stehen, im Sitzen, ſelbſt im Liegen, überall muß die natürliche Laſt des Körpers durch Muskeln getragen werden oder es wird wenigſtens ein Theil des Körpers von der Laſt des andern Theils ge- drückt und gepreßt; ein Theil iſt allemal in ſeiner Frei- heit gehemmt; aber in jener Lage auf dem Meere ruhend, iſt die Empfindung der Schwere völlig verſchwunden; in- dem das Waſſer, wie auf dem Lande die Luft, uns überall gleichmäßig ſanft umfängt, wird kein Glied gedrückt, jede Muskel iſt frei, und mit der Schwere verſchwindet das Bewußtſein von Oben und Unten. Wie oft hatte ich die Fiſche in ihrem dichtern Elemente bedauert; ihr Daſein ſchien mir auf der Leiter des Ge- nuſſes tief unten zu ſtehen: jetzt erkannte ich meinen Irrthum. - - Eingetaucht in das joniſche Meer, hörte ich plötzlich vaterländiſche Laute. Ein Schiffsarzt und zwei See- kadetten von einer öſterreichiſchen Fregatte ſchwammen neben mir. Der eine war aus Wien. Die Fregatte kam aus Preveſa und dem Meerbuſen von Arta und hatte mitgeholfen in Abſperrung der Küſte, um den griechiſchen Inſurgenten den Zuzug und die friſche Munition abzu- ſchneiden. Es ſchien uns ſchon eine Ewigkeit, daß wir kein deutſches Wort gehört. Die Kadetten waren prächtige Geſtalten und es war eine Freude, ſie von dem Sprung- brett, kopfüber, ein Rad ſchlagend in das blaue Meer ſich ſtürzen zu ſehen. Nach kurzer Begrüßung nahmen wir Abſchied. Unſere Zeit drängte; noch mehr unſere Magen. – Es war doch eine beſſere Zeit, hob M* an, als der gaſtfreie Alkinoos noch hier herrſchte und als die Göttin Athene ſelbſt dem Odyſſeus den Weg zum Hauſe zeigte, – 42 – wo das reichliche Frühſtück ſeiner wartete. Unſer Mentor führt uns einen endloſen Weg zum Gaſthaus. – Jede Zeit hat ihre Götter, antwortete ich. Wir haben die unſrigen in der Taſche. Klirren Sie mit den blanken Napoleons und Sie werden die Gaſtfreundſchaft der Heroenzeit finden. - Das engliſche Hotel täuſchte uns nicht. Gleichwie in des Alkinoos Palaſt nahmen wir Platz. Und die ehrbare Schaffnerin kam und tiſchte das Brod auf Und der Gerichte viel aus ihrem geſammelten Vorrath, Und es aßen und tranken – die matten Juriſten aus Deutſchland. - IV. 3 a n t e. Um 4 Uhr lichtete unſer Schiff die Anker. Wir rie- fen dem ſchönen Corfu, der Perle des joniſchen Meeres, das letzte Lebewohl zu. Nauſikaa nannte es das Ende der Welt (Odyssee VI. 205), ſelbſt der kluge Homer ver- legt es fern von erfinderiſchen Menſchen (Odyssee VI. 8). Uns, den Barbaren des Nordens, war es der Anfang der Welt, der Welt, wo die Natur mit dem ſanften Zauber des Südens uns umfängt, Seele in Körper, Körper in Seele gießt, und jedem Genuß die Einheit gewährt. Hier iſt die Kälte gewichen, die im Norden Seele und Körper ſtarr auseinander hält, und jede Empfindung mit dem Gift der Entzweiung vergällt. - Unſere Geſellſchaft hatte ſich um einen jungen Mann vermehrt, der mit ſeinen blauen Augen und blondem Haar ſein Vaterland an der Stirn trug. Er war erſt ſiebzehn Jahr alt; ſeine Eltern hatten ihn mit vierzehn Jahren von England nach Boulogne in die Penſion geſandt; von dort war er nach zwei Jahren, um Kaufmann zu werden, nach Gibraltar und Malta gegangen; jetzt war er Com- mis in einem Handlungshauſe in Patras und kehrte da- – 44 – hin von Corfu zurück, wo er Geſchäfte ſeines Hauſes be- ſorgt hatte. Er ſprach geläufig franzöſiſch und italieniſch und hoffte binnen Kurzem auch mit dem Neugriechiſchen ſo weit zu ſein. Ich freute mich ſeiner Selbſtſtändigkeit in ſo frühen Jahren, ſeiner Mäßigkeit und Beſcheidenheit. Er blieb auch heiter und ruhig, als er hörte, daß die Cholera in Patras ſein ſolle. Mitten in einem fremden Lande, mit fremden Sitten, fremdem Klima, war er zufrieden und verlangte nicht nach ſeiner Heimath, obgleich noch ein Kind nach deutſchen Begriffen. Nur in ſolchen Charak- teren verſteht man, wie England es gelingen konnte, Ko- lonien in jedem Welttheile, in jedem Klima zu gründen, die mit unverwüſtlicher Kraft zu mächtigen Staaten em- porſtreben. Unſer Grieche aus Cephalonien kam, um Abſchied zu nehmen. Das Schiff ſollte in der Nacht, während wir ſchlafen würden, dort landen. Er war ein nüchterner, praktiſcher Mann, der ſeine Familie liebte, ſeine Wein- gärten baute, und ſeine Handelsgeſchäfte und Reiſen be- trieb, alles mit demſelben Gleichmuth; nichts von deutſcher Gemüthlichkeit und Sentimentalität. Nach einer zweimo- natlichen Abweſenheit und langer Seereiſe ſollte er Haus und Hof, Weib und Kind in dieſer Nacht wiederſehen; aber unſere Theilnahme war größer als ſeine eigene Em- pfindung. Er hatte nicht einmal den Tag ſeiner Ankunft gemeldet. Dieſer Grieche war keine Ausnahme. Wir fanden weiter hin überall dieſelbe Beſtimmtheit in jeder Lage des Lebens, die den Geiſt in der Gegenwart hält und frei von dem Widerſtreit weicher Gefühle, die auf Vergangenheit und Zukunft ſich ſtützen. Deshalb hat der Orient keine Mattherzigkeit, kein Heimweh, keine üble Laune; jede Lage, ſchmerzlich oder freudig, wird genom- – 45 – men als ſeiend,. nicht angekränkelt von der Bläſſe des Gedankens. Unſer Abſchied war dennoch herzlich. Obgleich in der Politik verſchiedenen Richtungen zugewandt, obgleich er ein Freund und wir die bitteren Feinde Rußlands, war im Grunde unſer Ziel ſich gleich. Er wollte Einheit im Staat und Selbſtſtändigkeit für ſeine Landsleute, die Griechen, die zerſtreut, zertheilt, allerlei fremden Regierun- gen unterthan ſind; wir wollten daſſelbe für Deutſchland. Der Capitän hatte von Corfu einen Lootſen mitge- nommen. Sie ſprachen von der Cholera, die man an den Küſten des mittelländiſchen Meeres kaum weniger als die Peſt fürchtet. – Meine Herren, ſagte der Capitän, ſich zu uns wen- dend, nach Allem, was ich höre, iſt die Cholera ſehr heftig unter den franzöſiſchen Truppen im Piräus. Athen iſt noch frei und ſoll durch einen Cordon davon abge- ſperrt ſein. Sie wollen, wie ich weiß, von Athen ſpäter nach Conſtantinopel; aber ſelbſt wenn es Ihnen unter dieſen Umſtänden glückt, nach Athen zu kommen, ſo wird doch kein Lloydſchiff Sie wieder auf- und nach Conſtan- tinopel mitnehmen, um ſich nicht der Anſteckung oder den Hemmniſſen der Quarantainen auszuſetzen. – Aber was ſollen wir anfangen? – Mein Rath iſt, fuhr er fort, daß Sie in Zante, wo wir morgen früh anlegen, ausſteigen, und dort das Schiff abwarten, das geſtern in Trieſt für Conſtantino- pel abgegangen iſt, und nächſten Dienſtag in Zante an- legt. - Sie fahren dann, ohne im Piräus auszuſteigen, mit dieſem direct nach Conſtantinopel. Da Sie dort einige Wochen ſich aufhalten wollen, ſo wird inmittelſt jedenfalls eine Einrichtung getroffen werden, daß Sie auf der Rückreiſe in Griechenland landen und dort das – 46 – hinwärts Verſäumte nachholen können. Ihre Billette gel- ten auf zwei Monate, und Sie können darauf nach Be- lieben an jedem Haltepunkt ausſteigen und mit einem andern Schiffe der Geſellſchaft weiter fahren. Hier war nicht viel zu überlegen; es war uns pein- lich, ſo nahe ſchon bei Griechenland, nicht hin zu können; unſer Reiſeplan war ſo wohl überlegt, daß wir mit ſchwe- rem Herzen uns zu einer Aenderung entſchloſſen, deren Folgen ſich noch gar nicht überſehen ließen. Verwöhnt durch die Sicherheit, mit der wir bisher auf unſeren Rei- ſen in Deutſchland, Frankreich, England unſern jedesma- ligen Reiſeplan ausgeführt hatten, ſtießen wir hier zuerſt auf die Schwierigkeiten und Hemmniſſe einer Reiſe nach dem Orient. Wo wir im Norden höchſtens Stunden geopfert hatten, da mußten wir hier ſchon Tage, vielleicht auch Wochen warten, um weiter zu kommen. Bisher hat- ten wir nur Geld als die Hauptbedingung zum Reiſen gekannt, jetzt empfanden wir zum erſtenmale, daß für den Orient noch eine zweite, Geduld, nothwendig iſt – Geduld in ſtarkem Maße, und der Fortgang der Reiſe hielt uns darin noch manche fühlbare Lection. Aber noch waren wir ungeberdig. Aergerlich, verſtimmt, verbrachte ich die Nacht beinahe ſchlaflos. Früh am Sonn- tag Morgen waren wir im Hafen von Zante; die Inſel mit ihren ſchroffen Gebirgen in der Ferne, mit der lang an der Küſte ſich hinziehenden, in der Morgenſonne er- glänzenden Stadt und mit den Olivenhainen und Wein- gärten dahinter, lag, alle ihre Reize entfaltend, unverhüllt vor uns, als wäre ſie ihres ſtolzen Beinamens: Fiore di Levante, Blume des Morgenlandes, ſich bewußt; aber um unſer Herz war eine Rinde gelegt; wir ſahen die Schönheit, aber wir fühlten, wir empfanden ſie nicht. – 47 – – Wären wir doch wenigſtens in Corfu geblieben! hob M* mürriſch an. Hier ſind wir ja verlaſſen, ver- loren, abgeſchnitten von aller Welt. – Dafür ſind wir noch zwei Grad ſüdlicher als in Corfu, erwiderte ich, mich zuſammennehmend, ſo ſüdlich, wie Meſſina. Wenn uns in den drei Tagen unſerer Ver- bannung hier die Genüſſe der civiliſirten Welt fehlen, ſo laſſen Sie uns der Natur leben; wir wollen mit dieſen Inſulanern ihr Leben, ihre Entbehrungen, ihre einfachen Genüſſe theilen, und wenn es ſein muß, mit ihnen uns langweilen! Nichts macht Erlebniſſe ſo feſt, als Lange- weile. - Es iſt ſchon ein Troſt, Andere in gleicher Lage tröſten zu müſſen. Eine Barke führte uns nach dem Land, aber nicht an die freie Straße, ſondern in das Quarantaine- haus! Eine große gelbe Flagge, das Zeichen der Peſt und Cholera, wehte von ſeinem Dache; am Eingange la- gen noch die langen Zangen, mit denen die Briefe des letzten Schiffes von Athen in Empfang genommen wor- den waren; die einzelnen, mit Latten ausgeſchlagenen Zim- mer waren kahl und leer, als wären die Inhaber ſchon ſämmtlich ausgeſtorben. Will man hier uns einſperren! riefen wir entſetzt. – Nein; Ihre Päſſe, Ihr Geſund- heitszuſtand werden nur unterſucht, dann ſind Sie frei. – Dies war denn auch bald abgemacht; aber wir ath- meten erſt wieder frei, als Herr Nicola uns in Empfang nahm und in ſeine Wohnung führte. Obgleich eine Stadt von 16.000 Einwohnern, hat Zante keinen Gaſthof. Der Handel wird von Corfu aus betrieben; Touriſten kommen nicht. Für Einzelne vom Schickſal Verſchlagene hält Ni- cola Eondopri möblirte Zimmer. Er führte uns in ein ſolches. Nachdem wir uns dort aus den Händen des Barkenführers und der Packträger mit drei Zwanzigern – 48 – losgekauft hatten, wünſchte Herr Nicola uns einen guten Morgen und ließ uns allein. Es war ein großes Zimmer, die Wände weiß und kahl, die Decke mit dem vorſtehenden Gebälke himmelblau – ein Sopha, drei Stühle, ein Tiſch, ein großes Bett mit eiſerner Bettſtelle bildeten das Meublement. Zwei Fenſter, völlig offen, führten auf eine dunkle Gaſſe, ſo eng, daß man dem Nachbar gegenüber die Hand reichen konnte. Von der Straße tönte ein wüſtes unverſtänd- liches Schreien von Verkäufern, die ihre Waare ausboten. Dies alles war nicht geeignet, unſre gedrückten Lebens- geiſter wieder aufzurichten. Die drei Tage, die wir hier aushalten ſollten, erſchienen uns als eine Ewigkeit. Wäre es wenigſtens Abend geweſen! die Nacht vor ſich, mit ſtärkendem Schlaf iſt ein ſolcher Zuſtand eher zu ertragen, aber es war ein heißer Morgen, erſt 8 Uhr. Ich holte Goethe's Briefe aus Italien hervor, die M* für die beabſichtigte Reiſe dahin mit eingepackt hatte; ich gerieth aber in den zweiten Theil, auf die Briefe ſeiner Rückkehr; dies machte die Sache nur ſchlimmer. Ich warf mich auf das Bett, aber ſtatt des Schlafs kamen peinigende Gedanken. Pläne zur Umkehr fingen ſich leiſe an zu regen. Wenn die Cholera jetzt ſchon im Piräus, in Gallipoli iſt, ſag- ten wir uns innerlich, ſo iſt es ſicher, daß ſie auch nach Conſtantinopel kommt. In dieſer Stadt mit einer Mil- lion Einwohner, ohne mediciniſche Vorkehrungen, ohne Reinlichkeit, mit brennendem Klima wird ſie mit der größ- ten Heftigkeit ausbrechen. Alles, was fort kann, wird fliehen, und grade dann wollen wir hin? Wird nicht die ſtete Vorſicht die ſtrenge Diät uns im beſten Falle allen Genuß verbittern? Griechenland, die eine Hälfte unſerer Reiſe, iſt uns ſchon verſperrt, wer ſteht uns dafür, daß – 49 – man uns nicht auch von Conſtantinopel abſperrt, oder daß kein Schiff uns zurückführt, oder daß man in Trieſt uns mit wochenlangen Quarantainen aufhält? Wie un- ſicher iſt da jede Berechnung der Rückkunft, und wenn wir den Urlaub überſchreiten, vielleicht wochenlang über- ſchreiten müſſen, welche bedenklichen Folgen für uns, über die das Schwert des Disciplinargeſetzes ſchon ſo ſtets an einem Haare hängt. Welche Angſt, welche Verwirrung wird es daheim bei Frau und Kindern geben, wenn ſie aus den Zeitungen erſehen, daß die Cholera überall da wüthet, wo ſie uns vermuthen müſſen! Kann ein pflicht- getreuer preußiſcher Beamter, kann ein ſorgſamer, ver- ſtändiger Hausvater da noch ſchwanken? Iſt es nicht Pflicht, unter ſolchen Umſtänden den Reiſeplan aufzuge- ben und umzukehren? noch iſt ja Italien zu bereiſen und der Zeitverluſt nicht bedeutend! Noch rückte keiner von uns mit ſolcher Sprache heraus, aber auf den Mienen eines jeden war ſie deutlich zu leſen. – Nein! rief ich aufſpringend, ich will mich wenig- ſtens wahren gegen ſolche verſtändige Feigheit, ſo lange ich kann. Laſſen Sie uns ausgehen, in dieſen vier blei- chen Wänden halte ich es nicht aus! Nicola führte uns nach der Piazza und zu einem ſchattigen Café. Die Geſellſchaft war nicht die beſte; aber in der freien Luft, Menſchen gegenüber, kam uns wieder der Muth. – Vorwärts! iſt die Looſung auf Rei- ſen, rief M*; vorwärts! ſecundirte ich. Es bleibt da- bei, wir reiſen nach Conſtantinopel trotz Cholera, trotz Quarantainen, trotz Urlaubsüberſchreitung, trotz Discipli- nargeſetz und Obertribunal! – Giebt es kein beſſeres Café? fragte ich Nicola. – Nein, aber hier ſchief über iſt das Caſino der Signori. Der Agent von Lloyd wird Sie einzuführen 4 – 50 – gern bereit ſein. Und dieſer gefällige Herr kam wie ge- rufen. Die Einzeichnung unſrer Namen in das Geſell- ſchaftsbuch gab uns das Recht, ſo oft zu kommen, als wir wollten. Es war ein geräumiges Haus mit hohen luftigen Zimmern; Thür und Fenſter, alles offen, und Stühle und Sophas ſo geſtellt, daß man in ſtarkem Zug- wind ſaß, in jenem Klima die erſte und unſchädliche Be- dingung des Wohlbehagens. Neben Spiel-, Billard-, Converſationszimmern gab es auch einen Leſe-Salon, wo wir „Gagliani's Meſſenger“, eine engliſche illuſtrirte Zei- tung, den „Oſſervatore Trieſtino“ und, eine griechiſche Zeitung aus Athen fanden. Man empfing uns mit Ar- tigkeit. Obgleich Prussiani in Zante eine große Selten- heit waren, plagte man uns nicht mit Neugierde. Wir waren bald heimiſch; am andern Morgen tranken wir ſchon früh 6 Uhr unſern Kaffee dort, auf der Piazza, im Schatten des Hauſes in zahlreicher Geſellſchaft. Darunter war auch der katholiſche Geiſtliche des Ortes, der von Preußen wenigſtens ſo viel wußte, daß eine Stadt Bres- lau mit Namen darin liege, wo der Biſchof Diepenbrock geſtorben ſei. Als es läutete, ging er vom Caffeetiſch direkt in die katholiſche Kirche daneben zum Meſſeleſen. Unter andern wurden wir auch dem jungen Grafen Mer- cati vorgeſtellt, dem reichſten Grundbeſitzer der Inſel. – Sie ſind leider, ſagte er uns, zu einer ungünſtigen Jahreszeit gekommen. Die Zeit vom Juli bis September iſt unſer Winter, Sie ſehen, auf den Feldern, auf den Höhen iſt alles gelb und vertrocknet. Vom Mai ab regnet es ſechs Monate im Jahr gar nicht; der Himmel iſt dann ununterbrochen rein. Auch die Stadt iſt jetzt verlaſſen. Alle Familien fliehen die Hitze derſelben und leben in ihren Landhäuſern. In vier Wochen beginnt die Weinleſe; Fremde müſſen entweder zu dieſer Zeit – 51 – kommen, oder im März und April, wo die ganze Inſel bis zu den Spitzen der Berge ein grünender, blühender und duftender Garten iſt. Kaum daß wir jetzt mit Mühe unſere Hausgärten friſch gegen die Gluth der Sonne er- halten; aber da ich höre, daß Sie daran Intereſſe haben, ſo ſeien Sie für heute meine Gäſte. Wir hatten bereits dem öſterreichiſchen Conſul für den Nachmittag zugeſagt und konnten leider die Einladung nicht annehmen. Die Unterhaltung ging bald auf die Politik über. Alle waren neugierig zu hören, was Preußen in dem Kriege für eine Partei ergreifen werde, und ver- langten von uns ausführliche Auskunft. Hier, 500 Stunden – von Haus, galt es, die Partei- leidenſchaft zu unterdrücken und die Ehre des Vaterlandes zu vertheidigen. Die Aufgabe ward uns an ſich nicht leicht, indeß der Zufall kam uns zu Hülfe. – Ich habe die Stellung Rußlands in dem gegen- wärtigen Kriege, ſagte ich, von Anfang an für überaus günſtig gehalten; dieſer Krieg der Regierungen gegen Rußland iſt im letzten Grunde unnatürlich; überdem hat jeder rein militäriſche Krieg gegen Rußland, ſo wie es ſich in der Defenſive hält, außerordentliche Schwierig- keiten. Ich fürchte deshalb, er wird zu Rußlands Vor- theil ausſchlagen und Rußland wird mächtiger daraus hervorgehen, als je. ." Was ich hier mit ſchwerem Herzen ausſprach, wurde von der Geſellſchaft mit großem Jubel aufgenommen; ſie waren alle Ruſſenfreunde und ich fand die leidenſchaft- lichſte Parteinahme für Rußland hier, wie ſpäter überall, bei allen Griechen ohne Ausnahme. Dieſe Sympa- thie ruht auf den ſtärkſten Gefühlen, auf Religion und Patriotismus. Rußland iſt den Griechen der Meſſias, von dem ſie mit blindem Vertrauen die Herſtellung des 4* – 52 – griechiſchen Reiches erwarten. Dieſer Glaube muß ſeit Generationen mit allen Mitteln, die Rußland zu Gebote ſtanden, genährt worden ſein; er iſt zum Inſtinkt gewor- den, und Vernunftgründen unzugänglich. Deshalb ſind die bekannten engliſchen Enthüllungen der ruſſiſchen Po- litik durch Abdruck der Depeſchen des engliſchen Geſandten Seymour für die Griechen ohne alle Wirkung geblieben. Auch die Theilnahme für die griechiſche Inſurrektion war überall lebhaft und allgemein, trotzdem, daß dieſe damals bei- nahe niedergeſchlagen war. – Seien Sie vorſichtig, warnte uns der katholiſche Geiſtliche, als wir in ſeinem Garten allein waren. Hier iſt alles ruſſiſch. – Aber wie ſtellt ſich die engliſche Regierung zu dieſer Geſinnung? – Die wenigen Offi- ziere, die hier ſind, leben für ſich und iſolirt. Die Civil- verwaltung, Juſtiz, Steuererhebung iſt von England ganz in den Händen der Eingeborenen gelaſſen worden; ſie haben alle Stellen inne; ſo ſind Konflikte vermieden. Im Uebrigen kümmert ſich England wenig darum. Für den erſten Nachmittag hatte Freund Nicola eine Spazierfahrt vorgeſchlagen. Wir fuhren in ſeiner Be- gleitung durch den ſchönſten Theil der Inſel. Die Ebene bildet ſtundenweit nach allen Richtungen ein großes Wein- land, geſchmückt mit dem lebhaften dichten Grün der Reben, das ſelbſt der brennenden Juli-Sonne widerſteht. Die Aloen, welche den Zaun gegen die Landſtraße bildeten, waren oft in Blüthenſtengel aufgeſchoſſen, an 20 Fuß hoch mit einer Krone, gleich der eines jungen Baumes. Hie und da zog ſich ein Olivenhain durch die Weinfelder. Auf der Straße war viel Leben, aber kein Wagen; alles wurde auf Eſeln transportirt und neben der Laſt ſaßen oft noch zwei erwachſene Perſonen auf dieſen kleinen ge- duldigen Thieren. Wie ſo vieles andere, zeigt ſich auch – 53 – das Princip des Kontinents, vor allem auf fahrbare, gute Wege zu halten, hier unpraktiſch. Gute Straßen ſind hier nur ein Luxusartikel für die wenigen Reichen, die einen Wagen haben. Für den Verkehr des Landes genügt noch, wie vor 3000 Jahren, ein Saumpfad für Eſel, und er wird genügen, ſo lange Wein und Oliven das Produkt dieſer Inſel bleiben werden, und daran iſt keine Aenderung abzuſehen. Glücklicherweiſe giebt es vielleicht kein Land, wo die Straßen billiger zu unterhalten ſind. Wir gelangten an den Fuß des Gebirges, welches ſich hinter den Weinländern erhebt. Wir fuhren bergauf, mußten aber bald ausſteigen und den immer ſteiler werden- den Weg nach dem Dorfe zu Fuß zurücklegen. Nicola führte uns zu einer Villa, deren Beſitzer ab- weſend war. Hier, von dem Garten aus, lag, indem wir uns umdrehten, die Inſel in all ihrer Herrlichkeit vor uns. Was wir einzeln berührt oder durchfahren hatten, das Meer, die Stadt, die Weingärten, die Olivenhaine, die Berge, war nun zu einem harmoniſchen Bilde ver- einigt, das uns um ſo reicher erſchien, als wir mit ſeinen Einzelheiten bekannt waren. Jenſeit des Meeres, das wie ein blaues, glattes Band die Inſel umgürtete, lag in voller Klarheit der 6000 Fuß hohe Monte nero von Cephalonia, in gewaltigen Maſſen aus dem Meere emporſteigend. Ithaka, das Reich des Odyſſeus, wurde von ihm verdeckt, aber rechts von ihm lagen die Gebirge Livadiens und Moreas ausgebreitet, von Miſſolunghi bis hinunter nach Navarin. Die ſcharfen kühnen Linien dieſer ſteilen Bergreihen waren bis über 20 deutſche Meilen hinaus ſichtbar; die Luft war ſo rein, daß auch in der weiteſten Ferne keine Linie im Nebel verſchwamm. War das Auge erſchöpft von der Schönheit und dem Reichthume dieſes Bildes, und wendeten wir uns um, ſo – 54 – wähnten wir uns in ein großes Treibhaus verſetzt. Alles war die ſüdlichſte Vegetation. Neben den Citronen- und Orangenbäumen ſchoß hie und da eine Fächerpalme empor oder eine Banane mit mannsdickem Rohr, an 50 Fuß hoch, mit ellenlanger Frucht, die aus dem Stammrohr hervorbrach. So verſchwenderiſch wirthſchaftet hier die Natur, daß ſie ſolche Stämme mit der Reife der Frucht vertrocknen läßt und wegwirft; freilich ſchafft ſie hier ſpielend in einem Jahre, was ſie im Norden mühſam kaum in einem Menſchenalter vollbringt. Am Garten- portal ſtanden zwei hohe ſchlanke Bäume, in Geſtalt unſerer Birken und mit einzelnen grünen Beeren bedeckt. – Das ſind Pfefferbäume, ſagte M*. – Ich wollte es nicht glauben, bis der beißende Pfeffergeſchmack dieſer noch grünen Beeren mich belehrte. - Leider waren wir beide nicht Botaniker genug, um all die Schätze um uns verſtehen und würdigen zu können. Eine Truppe Kinder und Weiber hatte ſich um uns Fremd- linge geſammelt. Sie brachten uns, auf ein Geldſtück rechnend, reife Trauben von der Uva passa, die die kleinen Roſinen liefert. Es waren ſchlanke zierliche Trauben mit dichten, erbſengroßen Beeren. Wir zählten über 300 Beeren an einer Traube. Sie waren von einer friſchen würzigen Süße. Bei der Weinleſe werden ſie auf einer Tenne im Weinfelde getrocknet, abgebeert und in Fäſſer gepackt; damit iſt die kleine Roſine fertig. Der Kreis um uns wurde immer größer; aber wir ſahen nur bleiche Geſichter und ärmliche Kleidung unter den Weibern und Kindern, im grellen Kontraſt zu der Kraft und Fülle der uns umgebenden Natur. Wir traten in ein an die ſteile Bergwand angebautes Bauerhaus. Die Thür führte unmittelbar in einen großen von Rauch geſchwärzten Raum ohne Fenſter; es war das alte Atrium, – 55 – die Küche und der allgemeine Aufenthalt bei Tage. In zwei Kammern daneben ſtanden ärmliche Betten; an Hausrath war nur das allernothdürftigſte und roheſte zu ſehen. Von Männern war Niemand anweſend; ſie ſind in der Zeit der reifenden Trauben ſämmtlich in den Weinfeldern zur Arbeit und zur Wache. Die Exiſtenz von Hohen und Niedrigen dreht ſich hier um die Uva passa. Nach allem, was ich hörte und ſah, ſind die ſozialen Verhältniſſe hier noch wie im Alterthume. Das Eigen- thum des Bodens iſt in den Händen des Adels; der Bauer liefert die Arbeit für die Hälfte oder ein Drittheil der Ernte. Es iſt aber nicht das dingliche Metayer- Syſtem, wie in der Lombardei und dem ſüdlichen Frank- reich, ſondern ein viel beweglicheres Lohnverhältniß. Iſt die Weinernte gut, ſo geht es auch dem Bauer gut. Er lebt dann luſtig, verſchwendet in Putz und denkt nicht an das Sparen. Seit 3 Jahren hat die Traubenkrankheit den Bauer völlig verarmen gemacht; auch die Signori gerathen in Schulden, da ſie den Luxus der früheren guten Zeit nicht laſſen können. - Die modernen Ideen über den Gegenſatz zwiſchen Arbeit und Grundeigenthum ſind nicht zu dieſen Inſeln gedrungen; ich fand nichts von der feindſeligen Spannung zwiſchen Arbeitern und Beſitzern, obgleich die Gegenſätze zwiſchen Reichthum und Armuth hier und im Orient größer oder wenigſtens offener nnd unvermittelter ſind, als im nördlichen Europa. Neben der Bedürfnißloſigkeit der ärmern Klaſſe iſt es der Mangel an Reflexion, den ich ſchon angedeutet, aus dem dieſe Ruhe hervorgeht. Ich glaube, daß in den 3000 Jahren ſeit Homer, auf dieſen Inſeln ſich wenig geändert hat. Die Phäakiſchen Fürſten, welche bei dem Könige Alkinoos Tag für Tag ſchmauſen, dem blinden Demodokos im Geſang und – 56 – Harfenſpiel zuhören und „wenn ihre Herzen das gleich vertheilte Gaſtmahl“ „Und die Harfe gelabt, des feſtlichen Mahles Geſpielin“, dann „eilen, verfolgt von großem Getümmel des Volkes Auf den Markt, zu ſchauen die Spiele der Kämpfer“ – was ſind ſie in dieſem Dolce far niente anderes, als die Signori von heute, die von der Villa zum Kaffee, von dem Kaffee zum Kaſino und von dem Kaſino zur Villa ſchlendern? Selbſt die Religion hat nur die Namen gewechſelt. Das abſtrakte Dogma hat kein Leben im Volke und was man ihm in ſeinen homeriſchen Göttern der Ober- und Unterwelt genommen, das hat es ſich wiedergeſchaffen in der Mutter Gottes, dem Teufel und den zahlreichen Heiligen, deren jedem die Pflege und der Schutz eines beſonderen Intereſſes zugewieſen iſt. Auch der antike Schönheitsſinn der Griechen iſt nicht unterge- gangen. Nirgends an den Wegen trifft man jene ab- ſchreckenden Bilder des gekreuzigten Chriſtus, womit in den katholiſchen Ländern des Nordens in Kapellen und an Kreuzen jeder Hügel, jeder Kreuzweg beſetzt iſt. Hier und da iſt in den Straßen eine kleine griechiſche Kirche erbaut, immer mit zwei Thürmchen geſchmückt. Der Bau- ſtyl iſt ohne die antike Einfachheit, aber ſie beleben und bereichern die Landſchaft. - Als wir nach der Stadt zurückkamen, war es 8 Uhr ſchon dunkel. Die Promenade am Hafen war dicht mit Spazir- gängern angefüllt. Wir wunderten uns über die geringe Eitelkeit der Mädchen und Frauen, die ihren Sonntags- ſtaat in dieſer Finſterniß unmöglich zeigen konnten. Das Leben der Frauen iſt aber hier weniger öffentlich als in Europa. Alle Geſchäfte des Gewerbes und der Haus- – 57 – haltung ſind ſchon in orientaliſcher Weiſe in den Händen der Männer. Obſt, Gemüſe, Fleiſch wird nur von Männern verkauft, und nur Männer gehen aus, für die häusliche Wirthſchaft einzukaufen. Die Frauen halten ſich des Tages im Haus; erſt in der Duukelheit kommen ſie, meiſt ſchwarz gekleidet, Tag für Tag am Hafen auf- und abzuwandeln und der kühlen Seeluft ſich zu erfreuen. Wir wurden auf der Promenade viel von alten, ſchwarzen Frauen geplagt, die in uus unverſtändlichem Griechiſch immer und immer wieder uns anredeten. Wir hielten ſie lange Zeit für Bettlerinnen, bis wir ſpäter zu errathen glaubten, daß ſie die ausgeſandten Geſchäftsführerinnen ihrer hübſchern und jüngern Freundinnen zu Hauſe wären. Es war ſo dun- kel geworden, daß ſelbſt die beiden Freunde ſich verloren. Am andern Morgen hielt ich es für Pflicht der Ar- tigkeit, der jungen Frau unſeres Nicola, unſerer Wirthin, einen Beſuch abzuſtatten. Sie ſaß in ihrem einfachen Zimmer mit Nähen beſchäftigt, während ihre Mutter, neben ihr ſtehend, an der Spindel den Faden ſpann; Herr Nicola war wie gewöhnlich ſchon ausgegangen. Ich begann mit einem Compliment über unſere gute Bewir- thung; ſie verſtand aber leider kein Italieniſch und ſprach nur Griechiſch, ebenſo die Mutter, bis auf einzelne Worte. Durch Pantomimen wußte ich mein Compliment nicht auszudrücken; unbeholfen und ſtumm wieder umzukehren mochte ich auch nicht. Sie ſah mich lachend an. Ich ver- ſuchte alſo nochmals die Unterhaltung. – Figlio di lei? frug ich ſie, auf einen ſtämmigen Burſchen von 12 Jahren zeigend, der uns bedient hatte. Zuerſt ſtutzte die Frau; nachdem aber die Mutter ihr nach- geholfen hatte, antwortete ſie lachend: Figlio di? mit dem Zeigefinger nach ihrem Leibe zeigend; no! no! Ich war erſtaunt über die Verſtändlichkeit dieſer Pan- – 58 – tomime und hätte gern dieſe Exercitien weiter fortgeſetzt; aber Herr Nicola meldete ſich und meinte, es wäre Zeit, znm öſterreichiſchen Conſul zu gehen, um unſere Päſſe viſiren zu laſſen. Wir trafen in Herrn Moretti einen liebenswürdigen, gefälligen alten Herrn. Jedem wußte er eine Artigkeit zu ſagen; mir wollte er nicht glauben, daß ich ſchon 51 Jahr alt wäre; non li mostra, ſagte er mit höflichem Ernſt; bei M** entſchuldigte er ſich wegen ſeines lang- ſamen Schreibens damit, daß er dieſen Winter auf dem Balle des engliſchen Gouverneurs den Arm gebrochen. Auf ſeinem Arbeitstiſche lag ein deutſches Buch aufge- ſchlagen. Er verſtehe zwar kein Deutſch, meinte er, aber wenn uns das intereſſire, würden wir darin ſeiner mit Lob erwähnt finden. Natürlich erbaten wir uns ſolch ein intereſſantes Werk zur Lektüre und Herr Morette erbot ſich für den Nachmittag, uns nach dem Kaſtell zu führen. Das Buch war uns ein willkommener Zeitvertreib für die heißen Stunden des Tages. Es war die Reiſe- beſchreibung eines proteſtantiſchen Predigers aus M.; er hatte 1846 dieſe Inſeln beſucht. Schon die erſten Seiten ſagten uns, daß wir es mit einem Manne der ſtreng- frommen und pietiſtiſchen Schule zu thun hatten. Jeder Schnupfen, jeder Durchfall, der den kränkelnden Mann auf dem Wege nach Trieſt betroffen hatte, war eine Schickung Gottes; daß er von dem märkiſchen Sande nach den joniſchen Inſeln gekommen, war nicht die That ſeines verſtändigen Freundes in Trieſt, der den Hypochondriſten halb mit Gewalt auf das Dampfſchiff gebracht hatte, ſondern die unſichtbare Hand der Vorſehung. In dieſem Style ging es lange fort. Aber in dem weitern Fortgange des Buches begann ſichtlich eine Umwandlung; die frommen Reflexionen, die Verleugnung des eigenen Selbſt wurden – 59 – ſeltener; nach dem Ende zu, in Zante, war der Autor zu einem kräftigen, einfachen Naturmenſchen umgewandelt. Natur und Menſchen waren ihm nicht mehr ein Marionetten- Theater, deſſen Fäden von der Alles wiſſenden, Alles leitenden Vorſehung gezogen würden; die Erde war ihm kein Jammerthal mehr zur Buße unſerer Sünden. - Die düſtern Dogmen, der Glaube an die myſteriöſe Vergebung der Sünden durch das Blut Chriſti hatte dem heitern Wiſſen, dem entſchloſſenen Handeln Platz gemacht. – Schönes Zante, rief ich, wir neigen uns tiefer vor dir! Selbſt die Seele eines Pietiſten haſt du zu heilen ver- mocht, das Glück des Daſeins ihm zuückgegeben. Und das Alles, ohne ihm die naive Unſchuld ſeines Herzens zu nehmen; denn eingeführt in die Familie des Comte N*, erzählte er, traf er eines Abends nur die junge Gräfin in der Villa. Sie klagt mit ſüdlicher Offenheit, über die Kinderloſigkeit ihrer fünfjährigen Ehe und bittet fragend um ſeinen Rath. Der fromme Mann verſteht die Frage auch nur in frommer Weiſe. Er ſpricht von Ergebung, von Vertrauen, von den unerforſch- lichen Rathſchlüſſen des Himmels und belegt dies mit zahlreichen Stellen aus der Bibel. Die junge Gräfin horcht lange auf den Mann, wenn auch nicht auf den Prediger und als ſie endlich abgekühlt und getäuſcht ſich erhebt, empfiehlt unſer Autor ſich in der frommen Ueber- zeugung, ihrem Herzen den Troſt gewährt zu haben, nach dem ſie verlangt hatte. Der Spaziergang mit Herrn Conſul Moretti war wohlthuend. Trotz alles Proteſtirens beſtand er darauf, daß die Unterhaltung franzöſiſch geführt werde, und wir waren um ſo mehr genöthiget, dieſe vermeintliche Artig- keit uns gefallen zu laſſen, als wir bemerkten, daß es dem alten Herrn Freude machte, ſich in dieſer hier ſchon – 60 – ſeltenen Sprache zu hören. Er hatte ſeit ſeiner Kindheit auf der Inſel gelebt und konnte als Kaufmann und Be- amter uns zuverläſſige Auskunft über ſie und ihre Be- wohner ertheilen. Was davon erwähnt worden iſt, beruht hauptſächlich auf ſeinen Angaben. Er führte uns den ſteilen Berg bei der Stadt hinan zu dem Kaſtell, welches die Stadt und den Hafen mit ſeinen Geſchützen beherrſcht und eine kleine engliſche Garniſon hat. Als wir durch das Thor eintreten wollten, rief uns die Schildwache von einem hohen Erdwalle darüber herab, daß der Eintritt nicht erlaubt ſei. Herr Moretti hatte indeſ die Erlaub- niß des Gouverneurs beſorgt und die zwei Zeilen wurden dem Soldaten aus der Ferne gezeigt und erklärt. – All right! rief er, und die Sache war abgemacht. – Da haben Sie wieder ein Stück freies England, ſagte M*; bei uns hätte der Unteroffizier den Zettel beſichtiget und, da das Siegel fehlt, uns ſchwerlich paſſiren laſſen. Der Bureaukratie iſt jeder zunächſt verdächtig, dem Selfgovernement ein ehrlicher Mann. Mit gleicher Humanität ließ man uns auf Wällen und in Gräben herumſteigen. Die Ausſicht von dem höchſten Punkt gab die geſtrige Landſchaft von der ent- gegengeſetzten Seite. – Sonderbar, ſagte M**, nachdem wir lange ge- ſchaut; wir haben doch manche ſchöne Landſchaft in Deutſch- land; dieſe iſt auch nur ſchön und doch ſo verſchieden; worin liegt dies? Ich möchte es in der Verbindung des Meeres mit dem Lande ſuchen. Sehen Sie dieſe blaue Fluth, die ſich hier in das Land hineinſchmiegt, dort von dem Lande zurückgedrängt wird, als wären beide eifer- ſüchtig auf jeden Zollbreit Bodens. Das Meer mit ſeiner ewig wogenden Fläche, mit ſeiner Ausdehnung in das Grenzenloſe bildet den ergänzenden Gegenſatz zu der d – 61 – bunten, aber ſtarren und beſchränkten Scenerie des Landes, der uns in Deutſchland fehlt. - – Sie haben Recht, ſagte ich; wir haben zwar auch Seelandſchaften an der Oſtſee und Nordſee, aber ſie ſind nur graues Waſſer zu grauem Sand. Dennoch möchte ich das Eigenthümliche der hier vor uns liegenden Land- ſchaft mehr aus der Geſtalt ihrer Gebirge ableiten. Sie kennen den Brocken, den Inſelsberg, die Schneekoppe, den Speſſart, die Rheiniſchen Gebirge. Mich hat bei ihrem Anblick immer ein Gefühl des Kraftloſen, Mühſamen überkommen. Zehn und zwanzig Meilen lang quälen dieſe deutſchen Gebirge ſich ab, um in die Höhe zu kom- men; ſchwächlich und jämmerlich fangen ſie mit Hügeln an, die dann nur nach und nach ſich mühſam höher ſchleppen, bis endlich ein Gipfel erreicht wird, deſſen platter, zuſammengebrochener Geſtalt man es anſieht, daß die hebende Kraft ſchon am Erlöſchen war. Was noch an kräftigen Linien in der Urzeit vielleicht vorhanden war, das hat die Rauheit des Klimas zerſtört; der gewaltige Granit iſt in Gries und Erde verwittert und wiederholt ſo nur die flachen, geſtaltloſen Linien des aufgeſchwemmten Landes. Sehen Sie dagegen hier dieſe kühnen ſchroffen Geſtalten, die uns von nah und fern entgegentreten; man fühlt, die Natur in ihrer ſüdlichen Kraft hat ſie mit einem Schwunge aus dem Meere hoch gehoben, höher als die höchſten deutſchen Berge. Die blühende Ebene iſt hart neben ihnen, und ſchmiegt ſich an ſie, wie das Kind an den Vater. Die Milde des Klimas hat hier die ſcharf beſtimmte Geſtalt bewahrt; jeder Berg iſt hier individuell, in ſeinen ſcharfen Kanten von der blauen Luft nur ſo weit gemildert, daß die blühende Ebene darunter mit ihm ſich zu einem künſtleriſchen Ganzen verbinden kann. – Vergeſſen Sie das Kolorit nicht, bemerkte Herr – 62 – Moretti. Die wenigen Deutſchen, die hierher kamen, waren überraſcht von der Tiefe und dem Glanze der Farben, mit dem hier Alles übergoſſen iſt. Gewöhnt an den Nebel, mit dem auch im Sommer bei Ihnen die Luft er- füllt ſein ſoll, waren ſie geblendet von der Fülle des Lichts, das hier vom Himmel ſtrömt und den Inhalt der Landſchaft verdoppelt. Um der Schönheit der Farben ganz inne zu werden, ſagte ich, müſſen Sie die Landſchaft mit ſchief gehaltenem Kopfe betrachten, in der Weiſe, daß die wagrechte Stellung der Augen eine lothrechte werde. Man erſtaunte über die wunderbare Wirkung dieſer einfachen Bewegung. Die Häuſer des Mittelgrundes, die Berge des Hintergrundes werden kleiner, Alles rückt zu- ſammen, die Farben werden tiefer, und man hat den rein ſinnlichen Eindruck eines Gemäldes. Nachdem man ſich lange deſſen erfreut, verlangte man nach der Erklärung. Ich habe ſchon oft, antwortete ich, bei Profeſſoren nach dem Grunde dieſes ſo einfachen und ſchönen Experiments gefragt. Man hat es von dem Andrang des Blutes nach den Augen, von der Störung des Sehnerven in ſeinem Fortgange zum Gehirn abzuleiten geſucht. Bei der be- wußten Klarheit des Bildes haben mich dieſe Erklärungen nicht zufrieden geſtellt. Ich möchte die Wirkung daher lei- ten, daß die Verſtandesſchlüſſe, welche bekanntlich ſich mit der einfachen Sinneswahrnehmung uns unbewußt verbin- den, durch die veränderte ungewohnte Stellung der Augen gehemmt ſind. Der erwachſene Menſch, durch die Erfah- rung belehrt, legt die in dem ſinnlichen Bilde auf einer Fläche liegenden Gegenſtände, je nach ihrer Größe und dem Farbenton in die wahren Entſernungen auseinan- der. Die Kenntniß der wahren Größe läßt auch die ſcheinbare größer erſcheinen. Dieſe zur andern Natur gewordenen Schlüſſe ſetzen aber die natürliche Lage der Augen voraus; wird dieſe aufgehoben, ſo verſchwinden jene, es bleibt die reine Sinneswahrnehmung übrig, das Bild auf einer Fläche, wie auf der Leinwand des Malers, wo wir die Tiefe der Farben, die Kleinheit der fernen Ge- genſtände deſto mehr bemerken, je mehr die Kenntniß der Urſache beſeitigt iſt. - Wir traten aus dem Kaſtell. Ein Bauer, der den Eon- ſul kannte, überreichte jedem von uns einen Blumenſtrauß; ſein Garten war nur ein einfacher Gemüſegarten, die Blu- men waren wild aufgewachſen; ihre Formen waren nicht auffallend, aber ſie verbreiteten einen Wohlgeruch, der für den ganzen Spaziergang aushielt. An unſerer Wohnung nahmen wir von Herrn Moretti Abſchied. Er war zugleich Oeſtreichiſcher und Türkiſcher Conſul. Wir wünſchten ihm von Herzen, daß die Politik nie die friedliche Vereinigung beider Aemter in ſeiner Per- ſon ſtören möge. - Zu Hauſe fanden wir die Wäſche bereits gewaſchen, getrocknet, geglättet, die wir vor 6 Stunden erſt zur Rei- nigung an Nicola übergeben hatten. – Welch herrliches Land, rief M*, für waſchende Hausfrauen und untreue Ehemänner. – Laſſen wir die Zweideutigkeiten, ſagte ich; helfen Sie lieber, als guter Hausvater, mir überlegen, wie wir einen von dieſen irdenen Krügen mit fortbringen können. Ich habe wohl von Oſtindien geleſen, daß man dort das Waſſer in ſolchen Gefäßen kühl erhält. Sie laſſen das Waſſer durch ihre Wände gelinde durchſickern, und erzeugen, der Luft ausgeſetzt, ſo eine Verdunſtung, und damit eine Kälte, welche das Waſſer tief unter die Lufttemperatur herab- bringf. Aber in Zante hätte ich ſie nicht erwartet zu finden. – 64 – – Sie ſind, ſagte M*, in ihrer einfachen antiken Geſtalt zugleich eine Zierde des Zimmers. Ich begreife nicht, daß man ſie nicht längſt in Deutſchland eingeführt hat. Selbſt da, wo man immer friſches Brunnenwaſſer haben kann, würde ich ſie vorziehn. Wie ſelten iſt Brun- nenwaſſer rein von Kalk- oder Eiſen-Beſtandtheilen, die für ächte Waſſertrinker nichts taugen. In dieſe Krüge kann man jedes reine weiche Fluß- oder Röhrenwaſſer füllen; an das offene Fenſter geſtellt, hat es nach einer Stunde die Friſche und Kühle des Brunnenwaſſers. Leider waren unſere Reiſetaſchen nicht für den Trans- port ſolcher zerbrechlichen Gefäße geeignet. Nicola trö- ſtete uns; jeder Töpfer, meinte er, werde bei uns ſie machen, wenn man ihm die Form angebe, und der Töpfer die Glaſur weglaſſe und dem Topfe nur die halbe Hitze gebe. - Um Mitternacht wurden wir geweckt. Das Dampf- ſchiff war in Sicht. Auf dem Caſtell iſt in dem Thurm eine Wache, welche auf die nahenden Schiffe Acht hat. Bei Nacht hat jedes Schiff auf der Spitze des Vorder- maſtes eine Laterne; die Dampfſchiffe ſind an einem zwei- ten, rothen Lichte erkenntlich, was an dem Räderkaſten angebracht iſt. Vom Caſtell giebt ein Lichtzeichen der Stadt die Mittheilung. Unſer braver Nicola begleitete uns auch jetzt bis zu dem Boot. - Wir ſchieden als herzliche Freunde. Seine Zimmer waren reinlich, ſeine Preiſe mäßig, und er ſtets bereit, mit uns zu wandern und zu fahren, ohne für die- ſen Dienſt als Cicerone irgend eine Belohnung zu ver- langen. - In der Nacht hatten wir das Gebiet der Ioniſchen Inſeln erreicht; in der Nacht ſchieden wir von ihnen. Man pflegt ein Bild in einen dunkeln Rahmen einzufaſſen, um – 65 – ſeine Schönheit zu heben, und eine Scheidewand zwiſchen ihm und der Proſa der Wand zu ziehn; ſo war das Bild, was wir von dieſen ſchönen Inſeln mit uns nahmen, auf beiden Seiten von der dunkeln Nacht eingefaßt, damit es reiner in der Seele blieb, und ein Labſal für die Proſa der Heimath. Mit Unrecht ſind dieſe herrlichen Inſeln von den Reiſe- luſtigen Deutſchlands vernachläſſiget. An der Schwelle des Orients gelegen, gewähren ſie ſchon einen reichen Blick in die Sitten und Trachten, in die Natur und das Leben des Orients, und noch zu Europa gehörig, ſind ſie frei geblieben von der Barbarei, die auf dem Orient ſeit Jahrhunderten laſtet. Hier bedarf es noch nicht der Re- ſignation, die der Orient verlangt, wenn er ſeine Schätze dem Europäer aufſchließen ſoll. Selbſt für den, der Ita- lien kennt, bleiben dieſe Inſeln originell in Natur und Menſchen. Und all dieſe Herrlichkeit iſt leicht zu erreichen. Nach Trieſt gelangt man von allen Punkten Deutſchlands in zwei bis drei Tagen. Von Trieſt fährt jede Woche zwei- mal ein Dampfſchiff nach Corfu; einmal mit dem Um- wege über Italien, den wir gemacht, das andere Mal direkt in 52 Stunden. Die Seereiſe iſt gerade lang genug, um alles Eigenthümliche einer ſolchen kennen zu lernen, und kurz genug, um nicht in Eintönigkeit und Langeweile überzugehn. Die übrigen Inſeln, wo das Dampfſchiff nicht anlegt, kann man mit Ruderbooten leicht erreichen. Die Koſten ſind geringer als die einer Reiſe nach der Schweiz. Die Ueberfahrt von Trieſt nach Corfu koſtet, erſter Platz 622 Gulden, zweiter Platz 50 Gulden, hin- wärts in Banknoten, rückwärts in Silber. Für das Bett zahlt man noch zwei Gulden, und für die ſehr gute Be- köſtigung, einſchließlich Weins, in der erſten Kajüte täg- 5 – 66 – lich 3 Gulden, in der zweiten Kajüte 2 Gulden in Silber. Die zweite Kajüte iſt auf dem Vorderdeck, ſonſt in Be- quemlichkeit und Koſt kaum von der erſten unterſchieden. Die Paſſagiere des zweiten Platzes haben zwar kein Recht, das Hinterdeck, den angenehmſten Aufenthalt zu betreten, aber anſtändige Paſſagiere werden dennoch von den Schiffs- Capitainen auch hier gern zugelaſſen. Die Hotels in Corfu haben die gewöhnlichen Preiſe; in Zante zahlten wir unſerem Nicolai für Stube und Koſt der Mann den Tag ungefähr anderthalb Thaler. Vierzehn Tage ge- nügen, um Corfu, Zante, Cephalonia und Ithaka mit all ihren Schönheiten und Merkwürdigkeiten kennen zu lernen. Vor Allem können dieſe ſchönen Inſeln den Reiſenden empfohlen werden, die ſich endlich aus dem ewigen Einer- lei der europäiſchen Gaſthöfe herausſehnen. Die ſchnellen Verbindungsmittel haben Europa bereits ſo egaliſirt, daß, wenn man früh im Gaſthofe aufwacht, man ſich beſinnen muß, ob man in England, Frankreich oder Deutſchland iſt. Weder die Einrichtung des Hauſes, noch das Eſſen, noch die Lebensweiſe, noch die Sprache im Gaſthofe giebt einen Anhalt. Dieſe Inſeln ſind bis jetzt von dem Zuge der Tou- riſten noch verſchont geblieben; in antiker Einfachheit hat ſich bei den meiſten die Sitte der alten Gaſtfreunde er- halten. Man zahlt wohl eine kleine Entſchädigung, aber man iſt, wie in alter griechiſcher Zeit, mitten unter ihren Bewohnern, man lebt in ihrer Sitte, man denkt in ihrer Weiſe, man lacht, man weint mit ihnen und iſt glücklich ſchon in dem Gedanken, hier mehr wie eine Waare zu ſein, an deren Verwahrung und Verſendung Geld zu verdienen iſt. - – 67 – Wer die Jagd liebt, mag ſein Gewehr mitbringen; die Jagd iſt durchaus frei für Jedermann; von Corfu aus kann man mit einem Schiffernachen leicht zur alba- niſchen Küſte überſetzen, wo die Jagd in den Bergen und Klüften mannigfaltig und lohnend iſt und von den engli- fchen Offizieren der Garniſon fleißig geübt wird. V. Athen. Syra. Die Dardanellen. Alles ſchlief, als wir das Schiff betraten. Man wies uns Schlafzimmer an, ſie waren aber ſo heiß, daß ich mich auf die Polſter im Salon legte. Ich war eben am Einſchlafen, als ich ein Krabbeln an der Achſel fühlte; als ich mich aufrichtete, ſprang eine Maus aus meinem Rockärmel. Dies trieb mich doch in das Kabinet. Am Morgen erregte zunächſt das Schiff, „l'Egytto“ mit Namen, unſere Aufmerkſamkeit. Es war größer und prächtiger als der „Oriente.“ Wir brauchten 100 Schritt von einem Ende zu dem andern und das Hinterdeck maß 30 Schritt in der Länge, 17 in der Breite, und hatte den Umfang eines großen Ballſaals. Die Schlafzimmer waren geräumiger; jedes hatte einen Stuhl, einen Klapp- tiſch, eine Leuchte für den, der die Einſamkeit ſuchte. Der Salon war wie die Kabinette durchgehends mit polirtem Cedernholz getäfelt, und die Thürfelder mit feinen, leb- haften Gemälden von Konſtantinopel und ſeinen Sehens- würdigkeiten ausgelegt. Auf den Tiſchen fanden wir die neueſten Blätter des „Oſſervatore Trieſtino“ der „Allge- gemeinen“ und mehrerer Wiener Zeitungen. Ein Wand- ſchrank enthielt eine für die Linie des Schiffs paſſend gewählte Bibliothek; außer Karten und allgemeinen Werken fanden wir Prokeſch Erinnerungen aus dem Orient, das Werk von Lamartine und eine vollſtändige deutſche Ueber- ſetzung des Pauſanias. Auf dem Verdeck gab es neben den bekannten Feldſtühlen eine vortreffliche Art Lehnſtühle; ſie waren nur von Holzlatten und ſchlugen ſich nöthigen- falls flach wie ein Brett zuſammen; dennoch ſaß man auf ihnen in der höchſten Bequemlichkeit. Gleicher Luxus herrſchte bei Tiſch. Früh trank jeder Kaffee oder Thee nach Gefallen im Salon oder auf dem Verdeck; um 10 Uhr läutete es zum gemeinſchaftlichen Frühſtück mit drei warmen Gerichten; meiſt eine Eierſpeiſe, Seefiſch und ein Braten, dazu ein feiner Bordeaux und ein reiches Deſert von friſchen und getrockneten Süd- früchten, mit Kaffee und Thee. Um 4 Uhr ſetzte man ſich zum Mittagseſſen; es beſtand regelmäßig aus Suppe und fünf warmen Gerichten. Außer Bordeaux wurde zum Deſert Xereswein, Portwein, Malaga und andere ſüdliche Weine präſentirt. Um 9 Uhr Abends wurde der Thee mit Brot, Butter und Zwieback ſervirt. Indem das Schiff mindeſtens jeden zweiten Tag landete, war es möglich, alle Speiſen friſch zu geben. Wir hatten des Guten hierin bald genug. Der Körper bedarf in dieſem Klima nicht die Hälfte deſſen, was man in Deutſchland ißt, und durch die Hitze iſt das Blut ſo erregt, daß der Tiſchwein nur mit Waſſer gemiſcht ge- trunken werden ſollte. Die Geſellſchaft, welche wir fanden, war klein aber intereſſant. Zur Rechten des Kapitän ſaß bei Tiſch ein Mann, noch jung, blond, mit klugen hellen Augen. Er wurde uns als der Marquis di R. aus Turin vorge- ſtellt; Major und dienſtthuender Kammerherr bei dem – 70 – Herzog von Genua, den er auf deſſen Reiſen in Eng- land und Frankreich begleitet hatte, war er jetzt von dem König von Sardinien abgeſandt, um über Konſtantinopel in das türkiſche Lager zu Omer Paſcha ſich zu begeben, und, deſſen Generalſtab attachirt, den Feldzug mitzu- machen. Er trug einen Rock und ein Beinkleid von roher ungefärbter Seide und einen Strohhut, war einfach und anſpruchlos, und wir Preußen hatten Mühe, mit ihm die Vorſtellung eines Stabsoffiziers zu verbinden. Zur Linken des Kapitän ſaß Herr M., hanſeatiſcher Conſul in Smyrna. An dem bairiſchen Accent, mit dem er das Italieniſche, ſonſt ſehr geläufig, ſprach, erkannten wir in ihm den Landsmann. Er war in ſeiner Jugend lange Jahre Geſchäftsführer eines Handlungshauſes in Livorno geweſen und hatte für daſſelbe alle Länder Europas bis hinauf nach Norwegen, ſowie Griechenland und Klein- aſien bereiſt. Später war er zum Bankdirektor in Mün- chen ernannt worden, und der verſtorbene König von Baiern hatte ihn dem Grafen Armansperg beigeben wollen, als dieſer nach Griechenland ging. Herr M. hatte gedankt. Die Vorliebe für den Orient, die er auf ſeinen Reiſen gefaßt, hatte ihn ſelbſt ſeinen bequemen, einträglichen Poſten in München aufgeben laſſen; er war nach Smyrna gegangen, wo er nun ſeit 15 Jahren als Kaufmann etablirt war und zuletzt noch eine Griechin geheirathet hatte. Jetzt kam er von einer Geſchäftsreiſe aus Deutſchland zurück. Er war ein höchſt unterrichteter und praktiſcher Mann; er hatte wohl ſeine Vorurtheile, er liebte, die Regierungsthätigkeit herabzuſetzen und lächer- lich zu machen, was von dem einſeitigen Standpunkte eines Kaufmanns oder andern Standes gar leicht iſt; aber ſeine gleichmäßig genaue Kenntniß Deutſchlands und des Orients blieb für uns eine unerſchöpfliche Fundgrube. Uns gegenüber ſaß ein ſchlanker Tiſchgenoſſe, den wir nach ſeinem Schweigen und ſeinem guten Appetite für einen Engländer hielten. Wir hatten Recht, aber thaten ihm dennoch Unrecht. Er war engliſcher Offizier, mit ſeinem Regiment im März nach Malta gekommen und hatte jetzt zwei Monat Urlaub genommen. Er wollte über Konſtantinopel nach Varna, dort ſeine Kameraden beſuchen, wo möglich ein Stück Feldzug mitmachen, und dann über Adrianopel zurückkehren. Da er nur engliſch ſprach, ſo konnte er an der italieniſch geführten Unter- haltung bei Tiſch keinen Theil nehmen; in ſeiner Sprache war er unterhaltend. Er war ein leidenſchaftlicher Jäger und lachte mich aus, als ich ihn frug, ob er in England vorigen Winter viel Haſen geſchoſſen habe. In England, antwortete er, ſchießt man weder die Haſen noch die Füchſe; ein Engländer wäre unglücklich darüber. Sie werden, die Jäger zu Pferde, mit Hunden gehetzt. In den meiſten Grafſchaften bilden die Eigen- thümer und Pächter Geſellſchaften, die auf gemeinſchaft- liche Koſten dieſe Jagdhunde dreſſiren laſſen und erhalten. Das Vergnügen an dieſer Jagd beſteht in dem ſchnellen Reiten, in dem Ueberſpringen der Hecken und Schlag- bäume, in der Gefahr, kurz in der Aufregung, der Ge- wandtheit, der Ausdauer, welche dieſe Art zu jagen er- fordert. Ich kann nicht begreifen, welche Freude man daran finden kann, aus einem bequemen Verſteck einen Haſen gemächlich mit der Flinte zu erlegen! Die Geſellſchaft ward öfters durch Paſſagiere der zweiten Kajüte vergrößert. Eine junge Trieſtinerin war auf der Reiſe zu ihrem Manne nach Konſtantinopel. Es war eine ſchlanke Brünette, mit lebhaften, hinter langen Wimpern verſteckten Augen. Man hätte ſie hübſch nennen können, wäre ihr Mund nicht zu groß geweſen. Sie war – 72 – ſeit 11 Monaten verheirathet; 3 Monat nach der Hoch- zeit war ihr Mann, Maſchinenmeiſter bei der Lloyd-Ge- ſellſchaft, von Trieſt nach Konſtantinopel in ein gleiches Etabliſſement der Geſellſchaft verſetzt worden; jetzt folgte ſie ihm nach. Sie ſprach wenig; auf die meiſten Fragen folgte die Antwort: non so, aber ſie ſpach dass mit einer ſo feinen Schärfe zwiſchen den tönenden o's, daß ich manche unnütze Frage that, nur um die Muſik des „non so“ wieder zu hören. - Auch ein junger Mann von guter Haltung kam viel auf's Hinterdeck. M* hatte bald ermittelt, daß es ein preußiſcher Lieutenant ſei, ein Herr von B., der ſeinen Abſchied genommen, um nach Konſtantinopel zu gehen und in türkiſche Dienſte zu treten. Da hier, 300 Meilen vom Vaterlande, die Furcht ihn nicht mehr von uns zu- rücktrieb, ſo wurden wir bald bekannt. Wir fanden, daß ſeine Mutter in derſelben Provinz mit mir wohnte und daß er voriges Jahr auf einer Reiſe in der ſächſiſchen Schweiz ſich in ein hübſches Mädchen aus meinem Wohn- ort verliebt hatte. Ich erzählte ihm, daß ſie jetzt verlobt ſei; er war ſichtlich betroffen. Wir waren nun gute Freunde. Ich war noch in die Zeitungen vertieft, als M* mich auf das Verdeck rief, um Navarin zu ſehen. Wir fuhren nahe am Hafen vorbei, über dem noch jetzt die Stadt, aber kümmerlich, ſich erhebt; wir ſahen den Platz, wo vor 27 Jahren die blutige Seeſchlacht ſtattfand. Der Kapitän meinte, Ibrahim Paſcha habe einen großen Fehler begangen, die Schlacht im Hafen anzunehmen; ſeine Schiffe hätten ſo gedrängt geſtanden, daß ſie ſich ſelbſt im Kampfe gehemmt hätten. Wir ſahen ein Schiff im Hafen, ohne Segel und die Mannſchaft dennoch beſchäftigt. Es ſondirt den Boden, ſagte der Kapitän, wo die verſunkenen türkiſchen Schiffe – 73 – liegen. Das Admiralſchiff iſt damals mit der ganzen Kriegskaſſe und andern Koſtbarkeiten verſunken. Eine Geſellſchaft hat ſich jetzt erboten, durch Taucher und Maſchinen die Kanonen und alles Werthvolle wieder herauf- zuheben. Mit jenem Schiff fangen die Vorbereitungen an. – Wem gehören wohl die heraufgeholten Schätze? frug mich M* ſcherzend. – Das wäre eine prächtige Aufgabe für das dritte Examen, erwiederte ich. Die Regierung Aegyptens kann ſie fordern als alte Eigenthümerin. Die Regierungen von Frankreich, England und Rußland nach dem Recht der Beute im Kriege. Die Regierung von Griechenland als Eigenthümerin des Hafens und Grund und Bodens, und der, der ſie heraufholt, aus dem Rechte des Finders. – Und welches Geſetz ſoll zur Anwendung kommen? ſagte M*; das ägyptiſche, oder das franzöſiſche, oder das engliſche, oder das ruſſiſche, oder das griechiſche? – Still! rief ich, laſſen Sie uns die Blößen unſeres Gewerbes nicht aufdecken. - Gegen Abend umfuhren wir den ſüdlichſten Punkt unſerer Reiſe, das Kap Malea, im 36. Grade nördlicher Breite. An dem ſteilen, in die See fallenden Abhange des Gebirges lebt ein Einſiedler in einer kleinen Felſen- höhle. Vom Lande aus hat man keinen Zugang zu ihm; ſeine Nahrung wird ihm von den Bewohnern der Küſte auf Nachen gebracht; vom Meere führt ein ſchmaler, ſteiler Fußpfad zu ſeiner Höhle. Wir kamen dem Lande ſo nahe, daß wir den Eremiten in ſeiner braunen Kutte erkennen konnten; er kroch am Bergabhange herum, wie es ſchien, um Beeren zu ſuchen. Wir ſchwenkten unſere Hüte ihm zum Gruß und er antwortete mit ſeinem flatternden Tuche und ſandte uns ſeinen Segen. Nach Sonnenuntergang wird das Segeltuch, was – 74 – gegen die Sonnenſtrahlen ausgeſpannt iſt, vom Hinter- deck eingezogen; man genießt dann des freien Anblicks des Himmels, der ſich bald mit Sternen ſchmückt. Ich freute mich, die bekannten Sternbilder wieder zu finden. Aber ich ſuchte lange vergeblich nach dem Polarſtern. Gewöhnt von der Heimath, ihn hoch am Himmel zu finden, ſuchte ich auch jetzt dort und ich hatte Mühe, durch die anderen Sternbilder mich endlich zu überzeugen, daß es der Stern war, der um ein Driltheil ſeiner Höhe geſunken war. So zeigte mir auch der Himmel, wie weit ich meine Stelle auf der Erde verrückt hatte. Die einzelnen Sternbilder waren weit reicher mit Sternen ausgefüllt, als in Deutſchland, und an vielen erkannte ich nun erſt die Aehnlichkeit, welche dazu geführt, hnen den Namen zu geben, der im Norden willkürlich erſcheint. War der Polarſtern geſunken, ſo hatten ſich dafür die ſüdlichen Sternbilder gehoben. Der Schütze und der Steinbock, die zu Hauſe ärmlich, kaum aus dem Nebel des Horizonts ſich heben, glänzten hier mit dem Reichthume zahlreicher Sterne zweiter und dritter Klaſſe. Selbſt von dem ſüdlichen Sternbild des Altars wurden Sterne ſichtbar, die wir in Deutſchland nie ſehen. Die Milchſtraße hatte hier überall einen leuchtenden Schein; aber am glänzendſten zeigte ſie ſich in der Nähe des An- tares und Schützen. Sie theilt ſich da in zwei Ströme und der Glanz des linken Stromes war hier ſo ſtark und feurig roth, daß ich es entſchieden für den Wieder- ſchein eines Feuers erklärt haben würde, wenn wir auf dem Lande geweſen wären. - Als ich endlich vom Himmel nieder, um mich ſah, war ich ziemlich allein; alles ſchien ſich zur Ruhe begeben zu haben. Der Wind wehte heftiger und ich ſuchte nach einem Sitz. An der Wand der Kajütentreppe fand ich die ſchlanke Trieſtinerin noch munter. Sie ſaß auf einem Seſſel und neben ihr ſtand ein anderer leer. – Wird wohl der Wind noch heftiger werden? frug ich; mich zu ihr ſetzend. – Non so. – – Ihr Mann in Konſtantinopel wird ſich gewiß ſor- gen, wenn er Sie jetzt auf dem Meere weiß? – Non so. – – Sollte er ſich wohl freuen, Sie ſo rüſtig und ſchlank wieder zu ſehen? – Non so. – Der Wind wurde wirklich heftiger; das Schiffſchau- kelte, ſelbſt die Stühle ſchwankten. Unwillkürlich ſuchte die Hand nach einem Halt bei dem Nachbar, während die Dunkelheit nicht immer den rechten Weg erkennen ließ, und in dem Beſtreben das Gleichgewicht zu erhalten, näherten ſich die Köpfe. Offenbar hatte meine Nachbarin bei dem Schwanken des Schiffes ſo viel mit ſich ſelbſt zu thun, daß ſie nicht auf Alles Acht haben konnte. Aber plötzlich erhob ſie ſich und wünſchte mir felice notte. Ehe ich aufſtand, war ſie in der Dunkelheit ver- ſchwunden. – Welche Rolle iſt die wahre? rief ich nachſinnend. Sollte das Schiff wirklich ſo heftig geſchwankt haben? – Oder ſollte das felice notte hier eine andere, als die gewöhnliche triviale Bedeutung haben? Wie ſagt Marinelli? – Oder hat die George Sand recht? Indiana pardonna tout; elle faillit tout accorder. Mais Raimond se perdit lui- mème par trop de précipitation. – Oder war es Eigenſinn? – Denn das Schickliche und Unſchickliche gleicht dem Blau und Roth des Abendhimmels; es giebt keine natürliche Grenze zwiſchen beiden. Die Sitte hat eine Linie gezogen und ſie muß geachtet werden; aber – 76 – ſonderbar, viele der Frauen ziehen ihre eigene Linie, die eine mehr nach dem Blau, die andere mehr nach dem Roth; man müht ſich vergeblich, einen vernünftigen Grund für dieſe Aenderung zu finden. Und dennoch wird dieſe eigne Grenzlinie mit derſelben Entſchiedenheit feſtgehalten und vertheidigt, wie es der ſtrengſte Moraliſt nur von der ſeinigen verlangen kann. Sei es Laune, ſei es Empfindung, ſei es Coquetterie, ſei es Furcht, man hält die Linie feſt, taub gegen alle Gründe, und lehrt dem vergeßlichen Philoſophen praktiſch den Hegel'ſchen Satz, daß continuirliche Größen zugleich auch diskret ſind. Ich ſah wieder nach den Sternen. Sie kamen mir ſehr nüchtern vor; ich ärgerte mich über den Jupiter, daß er Nacht für Nacht mit der Jungfrau in Oppoſition ſtehen könne; ſein Glanz war mir zu hell und ich ſuchte eine dunklere Ruheſtelle. Als am andern Morgen Herr von B. auf das Ver- deck kam, eilte ich ihm entgegen. - - – Entſchuldigen Sie meine Schweigſamkeit von geſtern Abend, rief ich ihm zu Aber heute wollen wir das Ver- ſäumte nachholen. Erzählen Sie mir, wie ſind Sie zu dem Entſchluß gekommen, in türkiſche Dienſte zu treten? Wo ſtanden Sie zuletzt in Garniſon? – Ich hatte die letzten Jahre meine Garniſon in Sp. Es war ein ſonderbares Leben dort. Wer von den Kame- raden es irgend möglich machen konnte, ſetzte ſich des Nach- mittags in den Waggon und fuhr auf der Eiſenbahn nach Berlin. In 20 Minuten war man dort. Man ging zu Kranzler, zu Kroll, in das Theater, zu Kameraden und Abends 11 Uhr fuhr man wieder nach Hauſe. Man hatte mehr Bekannte in Berlin als in S.; die Offiziere hatten untereinander wenig Verkehr und mit den Familien in S. gar keinen Umgang. Für den, der Vermögen hatte, war – 77 – dies ausführbar; ich konnte es nicht. Ich bat deshalb um meine Verſetzung und wurde auch in dieſem Jahre nach A. in der Mark verſetzt. Dort war ich nicht der einzige, der auf den Gedanken kam, ſein Glück in fremdem Mili- tärdienſt zu verſuchen. Ich bat um Urlaub, reiſte nach Berlin und ließ mich bei dem rufſiſchen Geſandten melden. Ich erklärte dem Geſandten, daß ich käme, Sr. Majeſtät dem Kaiſer meine Dienſte in dem Kriege gegen die Türken anzubieten. Der Geſandte hörte mich freundlich an und holte ein Druckblatt hervor, was er mir überreichte. Es ſind die Vedingungen, ſagte er, die von meinem Gouver- nement neuerlich feſtgeſtellt ſind und unter denen Ihr Wunſch nur erfüllt werden kann. Leſen Sie ſie zu Hauſe durch und bringen Sie mir morgen Antwort. – Es waren fünf Bedingungen, die, ſo viel ich mich entſinne, ohngefähr dahin lauteten. Erſtens: muß der Offizier ſeinen Abſchied aus der preußiſchen Armee bei- bringen und die ausdrückliche Erlaubniß Sr. Majeſtät des Königs von Preußen zu dem Eintritte in ruſſiſche Dienſte. Zweitens muß der Offizier allen ſeinen Rechten als prenßiſcher Unterthan entſagen, die Entlaſſung aus dem Unterthanenverhältniß beibringen und den Eid als ruſſiſcher Unterthan leiſten. Drittens darf er keine Be- dingungen ſtellen über die Art ſeiner Verwendung und des Grades ſeiner Anſtellung. Die ruſſiſche Regierung behält ſich allein vor, welchem Armeekorps ſie ihn zu- theilen will. Viertens muß er verſprechen, niemals um die Erlaubniß zur Rückkehr nach Preußen oder um die Entlaſſung aus dem ruſſiſchen Unterthanenverhältniß ein- zukommen. Fünftens endlich muß er ein Vermögen von, ich glaube, fünftauſend Silberrubel nachweiſen, deſſen Revenuen er neben ſeinem Gehalt zu ſeinem ſtandesmäßi- gen Unterhalt mit verwenden kann. – 78 – Am andern Tage ließ ich mich bei dem Geſandten wieder melden und erklärte ihm, daß ich vollkommen be- reit ſei, die vier erſten Bedingungen zu erfüllen; aber die Erfüllung der fünften ſei mir bei meinen Vermögensver- hältniſſen unmöglich. Dann bedaure ich, ſagte er, Ihren Wunſch nicht er- füllen zu können. Dieſe Bedingungen beruhen auf den ausdrücklichen Befehlen Sr. Majeſtät des Kaiſers und es kann daher keine Ausnahme von Einzelnen geſtattet werden. Ich dankte dem Geſandten, bedauerte in den ruſſiſchen Dienſt nicht eintreten zu können, ging die Treppe hinab, uahm auf der Straße eine Droſchke und fuhr zu dem türkiſchen Geſandten. – Wie? unterbrach ich ihn, von dem ruſſiſchen zu dem türkiſchen Geſandten? – Ja, fuhr Lieutenant v. B. fort; ich traf ihn und erklärte ihm durch den Dollmetſcher, daß ich käme dem Sultan meinen Dienſt in dem Kriege gegen die Ruſſen anzubieten. Der Geſandte dankte mir für das Intereſſe, welches ich für die Türkei bewieſe und meinte, meine Anſtellung werde in Konſtantinopel gewiß keine Schwierigkeit haben, ich ſolle nur hinreiſen. Ich kehrte nach A. zurück, kam um meinen Abſchied ein und erhielt ihn mit dem Recht auf Wiedereintritt in den preußiſchen Dienſt. Ich ſchrieb nun meiner Mutter; in B. nahm ich von ihr Abſchied, reiſte über Wien nach Trieſt, wo ich den vergangenen Freitag auf dieſem Schiffe nach Konſtantinopel mich eingeſchifft habe. – Aber haben Sie keine ſchriftliche Zuſicherung von dem türkiſchen Geſandten erhalten? Hat er Ihnen nicht wenigſtens Empfehlungsbriefe mitgegeben? – Nein. – Haben Sie auch keine Empfehlungen an unſern Geſandten in Konſtantinopel? – Nein. – Dieſe hätte ich doch für nothwendig gehalten. Wie ſteht es mit der – 79 – Sprache? Haben Sie ſchon brav türkiſch gelernt? – Nein. – Aber mein Gott, wie wollen Sie fortkommen; verſtehn Sie italieniſch? – Nein, außer deutſch ſpreche ich nur ein paar Worte franzöſiſch, bin indeſ ſehr aus der Uebung gekommen. – So viel ich weiß, ſind es vor- züglich Artillerie-Offiziere, die man wünſcht; haben Sie das Artillerie-Exerzitium durchgemacht? – Nein, ich kenne nur den Dienſt bei der Infanterie. – Welchen Plan haben Sie nun, wenn Sie nach Konſtantinopel kommen? – Ich melde mich bei dem preußiſchen Geſandten und ſtelle mich dieſem zur Dispoſition. – Aber wenn nun dieſer Ihnen keine Weiſung geben kann? – Dann melde ich mich bei dem türkiſchen Kriegsminiſter und ſtelle mich dieſem zur Dispoſition. – Nun rief ich aufſtehend, Gott bewahre Ihnen Ihre Zuverſicht. Dieſe Mittheilungen beſchäftigten mich lebhaft. Als ich den Konſul M. allein ſprechen konnte, frug ich ihn, welche Ausſichten wohl ein preußiſcher Infanterie-Offizier in Konſtantinopel habe? Gar keine, antwortete er mir kopfſchüttelnd. Die Artillerie iſt die einzige Truppe, wo man fremde Offiziere zuläßt; für die Infanterie werden grundſätzlich keine an- genommen. Ueberdem hat die türkiſche Infanterie das franzöſiſche Exerzierreglement. Schon deshalb iſt ein preußiſcher Infanterie-Offizier unbrauchbar. Noch mehr, wenn er kein türkiſch verſteht. Sollte es ihm dennoch durch Protektion oder Empfehlung gelingen, eine Aus- nahme hiervon zu erlangen, ſo kömmt er doch ſicherlich nicht zur Armee von Omer Paſcha. Man ſchickt ihn dann nach irgend einem Winkel in Bulgarien, wo er Rekruten einzuexerzieren erhält. In ſolcher Lage iſt er von Gott und der Welt verlaſſen; er iſt der einzige ge- bildete Menſch unter einer Umgebung und Beſchäftigung – 80 – mit rohem Geſindel, deſſen Sprache er nicht verſteht und das ihn mit Verachtung als Chriſtenhund betrachtet. Ich konnte mich nicht entſchließen, dem v. B. dieſe Nachrichten mitzutheilen; er konnte jetzt nicht umkehren; nach Konſtantinopel mußte er fahren und war er ſo weit, ſo mußte er auch ſein Heil verſuchen. Solche Nachrichten hätten nur ſeinen guten Muth gebrochen, den er, wenn ſie begründet waren, um ſo nothwendiger bedurfte. Leider ſollte die Folge lehren, daß der Konſul M. die Verhält- niſſe richtig beurtheilt hatte. Am Mittwoch früh, den neunten Tag nach unſerer Abreiſe von Trieſt, warf unſer Schiff Anker im Angeſicht von Athen. Aus Furcht vor der Cholera hielt ſich der Kapitän möglichſt fern und blieb außerhalb des Hafens Piräus. Kein Paſſagier wurde an das Land gelaſſen, keiner vom Lande aufgenommen. Nicht einmal Lebensmittel wurden eingenommen; der Verkehr beſchränkte ſich auf den Austauſch der Poſtſachen. Man verfuhr dabei höchſt feierlich. Am Eingang des Hafens hebt ſich ein kleiner platter Fels einige Fuß über das Waſſer. Dorthin fuhr der Kapitän mit den Briefen und Packeten in ſeinem Boot, was an der Seite des Schiffes aufgehangen iſt, und zu ſolchen Zwecken in das Waſſer gelaſſen wird. Am Felſen wurden Briefe und Packete ausgeladen, man entfernte ſich wieder ein Stück und nun kam der Poſt- beamte vom Piräus, ſtieg auf den Felſen; man begrüßte ſich aus der Ferne; er zählte die Sachen, nahm ſie in Empfang und legte dafür die nieder, die das Schiff auf- nehmen ſollte. Nachdem er abgefahren, landete wieder der Kapitän, zählte, lud ſie ein und kam ſo unangeſteckt auf unſer Schiff zurück. Wir, die wir die Nutzloſigkeit ſolcher Maßregeln aus den Erfahrungen des Jahres 1831 in Preußen kannten, – 81 – konnten uns des Lächelns nicht enthalten. Es war aber mehr ein Lachen vor Aerger, daß wir, nach einer Reiſe von 300 Meilen im Hafen von Athen eingeſperrt ſaßen, wie im Gefängniß. Die ganze Küſte von Attika lag ausgebreitet vor uns. Am Hafen entlang zog ſich in neuen, weißen Gebäuden die moderne Stadt des Piräus. Sie iſt erſt ſeit zwanzig Jahren gebaut. Rechts dahinter hob ſich der Hymettus, links, noch größer und mächtiger, der Pentelikon. Beide in den kühnen Linien, die alle Gebirge Griechenlands auszeichnen. Andere ſteile, zackige Berge ſchloſſen ſich dem Pentelikon an. Alle waren kahl; die Oberfläche nichts als nackter Kalk-Felſen. Der Landſchaft gab dies einen ernſten, ſtolzen Charakter, als wäre ſie ſich bewußt, die Wiege der menſchlichen Kultur zu ſein. Athen war durch die hinter dem Piräus anſteigenden Höhen verdeckt; nur die Akropolis ragte deutlich hervor. Sie bildete den Mittelpunkt der Landſchaft, gleich dem Diamant in ſeiner Einfaſſung. Der ſie bildende Felſen glich in Geſtalt dem Lilienſtein bei Dresden; nur etwas kleiner und niedriger. Auf der Fläche oben ſtanden vordem die berühmteſten Bauwerke des Alterthums. Bis Hadrian waren ſie noch alle wohl erhalten; auch die Völkerwanderung hatte ihnen wenig geſchadet; das Meiſte haben die frommen Ritter in den Kreuzzügen zerſtört und die ſpätern Kämpfe Ve- nedigs mit den Türken. Jetzt ſind nur noch Ruinen vor- handen, aber von dem ſchönſten Gebäude, dem Parthenon, iſt der ſchönſte Theil, die Vorderfront erhalten und ſie zeigte ſich uns in voller Klarheit, von der Sonne be- leuchtet. Wir konnten jede einzelne Säule deutlich er- kennen, obgleich zwei Meilen weit, und ſelbſt in dieſer Entfernung durchdrang uns der Zauber der edlen ein- fachen Maaße und Verhältniſſe. Das Parthenon, ein 6 „– 82 – Tempel der Minerva, ward von Perikles 444 Jahr vor Chriſtus gebaut. Links zog ſich das Bett des Cephiſſus hin und wir ſahen einen Theil vom Olivenhain der Akademie, wo Plato gelehrt hatte. Mitten unter dieſen Erinnerungen und Ruinen des Alterthums erhoben ſich vor uns die weißen Zelte des franzöſiſchen Lagers. Die Höhen, unmittelbar am Meer, rechts vom Hafen, waren davon bedeckt. Eine Linie einzelner Poſten zog ſich in weitem Umkreiſe von der Küſte um das Lager herum; es waren engliſche Soldaten, mit ihren rothen Röcken und hohen Mützen, welche in der heißen Gluth der Mit- tagsſonne hier Wache ſtanden und den Kordon um das Lager bildeten, wo die Cholera hauſte. Einzelne fran- zöſiſche Offiziere kletterten an den Felſen der Küſte und des Hafens; man ſah ihnen die Langeweile an, von der ſie gedrückt waren. Ueber das Meer hinweg lag uns zur Linken ganz nahe die Inſel Salamis. Wir konnten tief hineinſehn in die Meerenge, welche ſie mit dem Feſtlande bildet, und ſelbſt als Laien begriffen wir es nicht, wie Xerxes ſich mit ſeiner Flotte von 2000 Segeln in dieſes Gewirr von Felſen und Meer hatte verlocken laſſen können. Rechts lag etwas ferner und blaſſer die Inſel Aegina. Den Rahmen für das Ganze geben die Gebirge des Pelo- pones, welche ſich in feinem Blau bis hinter uns aus- dehnten. Wir waren noch eifrig beſchäftigt, zu den aus der Schulzeit uns bekannten Namen und Erinnerungen die Stellen und Gegenſtände zu ſuchen, als der Konſul M. zu uns trat. - – Wie weit iſt es doch vom Piräus nach Athen? frug ich. - – Eine Meile, antwortete er. Dieſe Straße und die über die Landenge von Korinth ſind noch heute die ein- – 83 – zigen Chauſſeen im Königreich Griechenland, die einzigen fahrbaren Wege. – Wie iſt dies möglich? rief M*; das Reich beſteht ja ſchon ſeit 20 Jahren. Was hat man mit den 60 Mil- lionen Franken gemacht, die unter Garantie der drei Schutz- mächte geborgt worden ſind? – Dies iſt ſchwer zu ſagen. Das meiſte davon hat wohl die Unzahl von Beamten, die vollſtändige Bureau- kratie, verzehrt, mit der man nach bairiſchem Muſter 1832 das Land beglückte. Auch die Bauten in Athen, nament- lich der Palaſt des Königs, haben viel gekoſtet. – Straßen wären wohl nöthiger geweſen, meinte M***. – Aber ich ſollte glauben, unterbrach ich, daß wenig- ſtens das Verhalten des Königs den neueſten Vorgängen gegenüber, ſeine geheime Unterſtützung der Inſurrektion ihn bei den Griechen ſehr beliebt gemacht haben müßten. Die Mächte mögen ſich dem entgegenſtellen, aber ſie thun Unrecht, dem König daraus einen Vorwurf zu machen. Es iſt ein Unglück für das Land, daß er keine Kinder hat; das Land würde dann um ſo feſter zu ihm ſtehen, – Glauben Sie dies nicht. Zwei unüberſteigliche Scheidewände trennen ihn für immer von den Griechen in deren Meinung: die Religion, "er iſt katholiſch, und die Nationalität. Der König mag thun was er will, er wird nie Wurzel im Lande faſſen. Wenn die Griechen ihn noch lieber als einen andern ertragen, ſo iſt es gerade deshalb, weil er keine Kinder hat, weil ſie ſomit die Ausſicht haben, um ſo eher der fremden Dynaſtie ledig zu werden. – In Deutſchland meint man, daß die Königin einen großen Einfluß auf die Regierung habe, und daß ſie ſich zu Rußland neige 6* – 84 – – Ueber die Fähigkeiten des Königs, fuhr M. fort, will ich nicht urtheilen; es herrſchen darüber verſchiedene Anſichten im Lande. Man ſagt, er höre ſchwer, er ſehe ſchlecht, und auch ſeine geiſtigen Fähigkeiten ſollen nie hervorragend geweſen ſein. Es iſt deshalb Platz genug zu fremdem Einfluß. Aber dennoch täuſcht man ſich über den Einfluß der Königin. Sie liebt es, die Königin zu ſein; aber das Feld ihres Ehrgeizes, ihrer Thätigkeit bleibt der Hof mit ſeiner Etiquette und ſeinen perſön- lichen Fragen und allem, was ſonſt dahin gehört. Die Regierung, wenn man überhaupt von einer ſolchen noch ſprechen kann, ruht in den Händen der Parteien, ſowohl der inneren als derer, welche ſich um die drei Schutz- mächte und deren rivaliſirende Intereſſen ſchaaren; die gerade vorherrſchende beſtimmt den Gang. – Ich bin erſtaunt über die Oede des Landes hier vor uns; außer dem Olivenhain ſieht man keinen Baum, keinen Strauch, kein Ackerfeld, keinen Grashalm und nur da oben, links vom Pentelikon, zeigt ſich ein Dorf. – Es gehört all die Leidenſchaft eines Alterthümlers dazu, ſagte M*, um ſich in Griechenland länger als 24 Stunden wohl zu fühlen. Seien Sie froh, daß die Cholera Sie hindert hineinzukommen. Die Hitze iſt über alle Beſchreibung drückend. Neun Monat im Jahre regnet es gar nicht; die andern drei Monate auch nur wenig, einen Tag um den andern. Einzelne Stellen im Innern abgerechnet, iſt ganz Griechenland ſo, wie Sie es hier vor ſich ſehen. Ich glaube ſogar, daß es auch in den hoch- gerühmten alten Zeiten nicht viel beſſer geweſen iſt. - – Es herrſchen darüber, ſagte M*, unter den Ge- lehrten zwei entgegengeſetzte Anſichten. Die eine ver- theidigt Ihre Meinung, die andere will aus dem alten Griechenland ein grünendes, blühendes Paradies machen, was nur die Barbarei des Mittelalters zerſtört habe. – 85 – – Hier an Ort und Stelle, bemerkte ich, möchte ich glauben, daß die letzte Anſicht auf einer Täuſchung be- ruht. Auf die Schilderungen der alten Griechen ſelbſt iſt wenig zu geben; ſie kannten in dieſer Beziehung wenig Beſſeres. Ihre Welt waren die Küſten und heißen Länder, welche das mittelländiſche Meer umſchließen. Dieſe leiden ſämmtlich an einer ähnlichen Dürre. Die nördlicheren Länder Europas, wo das friſche Grün der Laubwälder, der Wieſen vom Frühjahr bis zum Herbſte uns erfreut, waren ihnen in der klaſſiſchen Zeit beinahe unbekannt. Man ſchiebt die Schuld auf die Verwüſtungen der Wälder; aber dieſe dürren Kalkberge ſind ihrer Subſtanz nach un- fähig, durch Verwitterung einen Boden für Pflanzen zu erzeugen, die weit nördlichere Hochebene der Krain vor Trieſt liefert den Beweis. Ueberdem ſchlagen Oliven- bäume, auch wenn ſie völlig abgehauen ſind, immer wieder aus, wie wir in Corfu geſehen haben. Und wo wäre die Erde hingekommen, die ſie getragen hätte? Die Regen- güſſe ſind nicht ſo heftig, ſie in das Thal zu ſchwemmen, und ſelbſt dann müßten wir ſie im Thale finden, aber dieſes leidet an derſelben Dürftigkeit. – Die Kultur des Landes, bemerkte der Konſul M., wenn wir dabei an die von Deutſchland denken, hat an dem Klima und an dem Boden große Schwierigkeiten. Aber der Charakter der Bevölkerung iſt vielleicht noch hinderlicher. Der Grieche in den mittleren und niederen Klaſſen iſt von einer Genügſamkeit, die wir Nordländer kaum für möglich halten. Er lebt das ganze Jahr von Zwiebeln und von in ihrem eigenen Oel eingemachten unreifen Oliven. Sie können tagelang in Griechenland reiſen und finden kein Brod oder Fleiſch. Was die Moral für den Privatmann als eine Tugend erklärt, iſt für die Nation ein Unglück; es fehlt der Hebel, ihre Kraft in – 86 – Bewegung zu ſetzen. Ackerbau iſt überhaupt nicht die Leidenſchaft der Griechen: ſie intereſſiren ſich nur für Handel und Schiffahrt; deshalb ſind die ödeſten Inſeln noch die reichſten und bevölkertſten Theile des Landes, ſo bald ſie nur einen guten Hafen bieten. – Wie ſteht es denn mit der geiſtigen Entwickelung? frug M*. Wie geht es mit der Univerſität? – Ein Faktum möge Ihnen für viele genügen. Man hat mit großen Koſten eine Sternwarte gebaut; der Kaiſer von Rußland hat koſtbare Inſtrumente dazu ge- ſchenkt. Der Himmel gewährt das ganze Jahr hindurch heiteres Wetter und reine Luft. Dennoch aber ſteht die Sternwarte leer, weil man keinen Aſtronomen findet, davon Gebrauch zu machen, und keine Fonds, ihn zu bezahlen. – Iſt es wohl gegründet, was man vielfach hört, daß der König bei der jetzigen Lage den Willen habe, die Krone niederzulegen? – Ich glaube nicht, erwiderte M. Abgeſehen davon, daß man in Baiern und anderswo alles thun wird, einen ſolchen Schritt zu hintertreiben, halte ich ihn auch nach den Andeutungen über den Charakter des Königlichen Paares nicht für wahrſcheinlich. Wir ſchauten noch lange nach dem Landſtrich, wo Gegenwart und Vergangenheit ſo grelle Kontraſte bilde- ten, bis endlich Nachmittags die Anker gelichtet wurden und die Reiſe nach Syra ging. - Syra iſt eine kleine Inſel auf dem Wege nach Smyrna, 30 Meilen vom Piräus und gehört zum König- reich Griechenland. In der griechiſchen Revolution hielt ſich die Bevölkerung ruhig, die Inſel blieb deshalb von den Verheerungen verſchont, welche anderwärts von den Türken ausgeübt wurden; es flüchteten viele reiche Griechen dahin und dies legte in Verbindung mit einem trefflichen Hafen den Grund zu dem Reichthum der Stadt gleichen Namens, die jetzt die erſte Handelsſtadt Griechenlands iſt. Wir kamen ſchon den andern Tag 5 Uhr früh dort an. Da die Cholera dort nicht herrſchte, hatten wir, in der Semannsſprache „freie Pratika.“ Wir unterließen nicht, ſie zu benutzen und Herr v. B. bot ſich uns zum Begleiter an. - Schon vom Schiffe aus war die Anſicht originell. Man denke ſich einen Zuckerhut, noch in das weißgraue Papier der Fabrik geſchlagen und dies Papier nur an der Vorderſeite pyramidenförmig halb ausgeſchnitten, ſo daß der weiße Zucker durchglänzt, ſo hat man, wenn man ſich dies tauſend Mal vergrößert, den Anblick von Syra Ein 1500 Fuß hoher Steinkegel erhebt ſich aus dem Meere, kahl, grau, ohne die Spur einer Vegetation und daran iſt an der Hafenſeite der Stadt Haus über Haus pyramidenförmig in die Höhe gebaut. Die Häuſer ſind alle weiß angeſtrichen, ſind völlig ohne Dach, und auf der Spitze thront der Dom der katholiſchen Kirche. Der obere, ältere Stadttheil iſt katholiſcher, der untere, neuere, griechiſcher Religion. Der tiefblaue Himmel bildet den Hintergrund, von dem ſich dieſer weißgraue koloſſale Fels- kegel mit ſeiner blendenden Häuſerpyramide ablöſt. Links ſetzen ſich niedere, aber gleich kahle Höhen fort, welche den Schutz des Hafens bilden. Das Ganze iſt ein Bild der Gewalt des Menſchen, wie er ohne die vermittelnde Hülfe der Baum- und Pflanzenwelt, unmittelbar auf das rohe unorganiſche Geſtein ſich wirft und ſelbſt dieſes ſeinem Willen unterthan macht. – Der Hafen war mit mehreren Hunderten von Schiffen angefüllt; eines lag dicht neben dem andern. Wir freuten uns dieſer Fülle; welch blühender Handel! riefen wir. – Nein, das Gegentheil, ſagte der Kapitän. – 88 – Dieſe Menge iſt ein Zeichen des ſtockenden Handels; der größte Theil derſelben liegt unbefrachtet im Hafen. Es iſt die Folge der griechiſchen Inſurektion. Die türkiſche Regierung hat, wie Sie wiſſen, die Zulaſſung der griechiſchen Marine in türkiſchen Gewäſſern und Häfen unterſagt. Während unſeres Geſprächs tönte ein lautes Zanken und Schreien um unſer Schiff. Es waren die griechiſchen Schiffer mit ihren kleinen Booten; ſchlanke, halb nackte Geſtalten, die mit einander um den Preis kämpften, wer ſo glücklich ſein würde, uns ans Land führen zu können. Noch während wir die Schiffstreppe am Außenbord herab- ſtiegen, zog uns der eine bei dem Arme, der andere bei dem Fuße, der dritte bei dem Rockſchooße, um uns, ſei es auch köpflings oder rücklings in ſein Boot zu erhaſchen. Es erforderte Gewandtheit und Dreiſtigkeit, durch das Gewühl von Köpfen, Armen, Rudern und Booten ſprin- gend, alle drei in daſſelbe Boot zu gelangen. - An der Hand eines Führers durchwanderten wir die engen aber reinlichen Straßen am Hafen. Das Menſchen- gewühl war groß. Die maleriſchen bunten griechiſchen und albaneſiſchen Trachten bildeten die Mehrzahl; hier und da zeigte ſich auch ſchon ein Turban mit dem ernſten, bärtigen Geſichte darunter; die europäiſche Tracht ſah man ſelten; auch da war das düſtere Schwarz den helleren Farben gewichen. Die Inſel gehört nach Natur und Menſchen zu dem Orient; nur die Pedanterie der Geographen und die Willkühr der Politik hat ſie zu einem Theil von Europa gemacht. Wir ſtiegen die ſteilen Straßen hinauf an einer Kirche vorüber, die von Grund aus neu gebaut wurde. Nur Marmor wurde dazu verwendet. Sie zeugte von dem Reichthume der Bewohner, aber nicht von ihrem Geſchmack. – 89 – Von mittlerer Größe, ohne beſtimmten Bauſtyl, war ſie mit Zierrathen überladen; ſie hatte weder das Impoſante unſerer großen Kirchen in Deutſchland, noch das edel Einfache der altgriechiſchen Tempel. Wir gelangten zu einer Anhöhe rechts von der Stadt mit griechiſchen Windmühlen. Sie gleichen den hollän- diſchen, ſind nur niedriger, weil ihr Platz ſchon hoch ge- nug liegt. Statt Holzflügel haben ſie zehn Segelſtangen um die Mühlwelle, an denen ſchmale Segel ſchief aus- geſpannt werden; vom Winde aufgetrieben, drehen ſie ſich wie Flügel. Das Segel kann mehr oder weniger eingezogen werden, je nach der Stärke des Windes. – Die Griechen ſind ſelbſt auf dem Lande Seeleute, ſagte M**. – Ja, erwiederte ich, und deshalb auf der See doppelt gewandt. Wie hätten ſie ſonſt dieſen ſchönen Weizen aus Odeſſa bei der ruſſiſchen Grenzſperre heraus- bringen können, den wir hier in dieſen Mühlen finden. Der Weg, den wir gingen, zog ſich im Zickzack die Küſte entlang, war ein wenig geebnet und führte dann leicht anſteigend, zur Stadt zurück. Es war dies die Promenade der reichen und ſchönen Welt von Syra. Fahren kann man nicht, zum Reiten hatte man nur Eſel, deshalb geht man zu Fuß. Aber kein Baum giebt Schatten, kein Strauch, keine Blume unterbricht das kahle graue Steinfeld, was ſich links und rechts ausdehnt. Man hat auf dieſer Inſel nur Luft, Stein und Meer. Einmal auf der halben Höhe der Stadt kam uns der Wunſch, den Gipfel der Stadtpyramide zu beſteigen. Der Führer wurde nach Eſeln geſendet und wir warteten ſeiner in einem Kaffee. Hier wurden uns die erſten Nar- gileh dargereicht, die türkiſchen Waſſertabakspfeifen. Eine Urne von Glas iſt bis an den ſchlanken langen Hals – 90 – mit Waſſer gefüllt. Ein Pfropfen von Meſſing, mit Leinen umwunden, ſchließt ſie luftdicht und iſt von zwei dünnen Meſſingröhren durchbohrt, wovon die längere einige Zoll tief in das Waſſer hineinreicht und außer- halb des Pfropfens ſich ausweitet, um den Pfeifenkopf aufzunehmen, der, umwickelt, ebenfalls luftdicht und loth- recht darauf aufgeſetzt wird. Das zweite Rohr reicht in der Urne nur in die Luft des Halſes und endet außer- halb in eine Weitung, in welche das Pfeifenrohr luftdicht eingedreht wird. Das Rohr iſt ein langer, biegſamer Schlauch, der in eine dicke, kurze Pfeifenſpitze ausläuft. Der Diener ſtellt die Urne mit Pfeife vor den Gaſt; der Kopf iſt mit Tabak leicht gefüllt, und eine brennende Kohle darauf gelegt. Indem der Rauchende mit der Spitze im Munde die Luft einzieht, entſteht in der Urne oberhalb des Waſſers ein luftleerer Raum. Die Luft von außen dringt deshalb ein, hat aber nur den Weg durch den Pfeifenkopf und die Röhre, welche in das Waſſer reicht; von da ſteigt ſie mit einer Menge Waſſer- blaſen in den obern Theil der Urne. Der Rauch des Tabaks wird von dieſer eindringenden Luft mit fortge- riſſen, durch das Waſſer geführt und erfüllt zuletzt den waſſerfreien Theil der Urne. Die Einziehung dieſes Rauches durch das Rohr bildet den Genuß. Von Zeit zu Zeit, wenn dieſer Rauch erſchöpft iſt, wird das Manöver wiederholt und der Hals der Urne wieder mit Rauch ge- füllt. Der Tabak, deſſen man ſich zum Nargileh bedient, iſt nicht der gewöhnliche; es iſt eine eigenthümliche ſtärker-narkotiſche Pflanze; vor dem Rauchen wird er im Waſſer ausgedrückt und naß aufgelegt. Meine Freunde, als Sachverſtändige, fanden die neue Weiſe zu rauchen ſchmackhaft. Als die Eſel kamen, ging es den Berg hinauf. Es gehörte die Ausdauer und – 91 – Sicherheit dieſer Thiere dazu, um die ſteilen Gaſſen in die Höhe zu klettern, die oft treppenartig, in rohen, un- gleichen Felsſtufen anſtiegen. Aus den Häuſern und Thüren ſahen ärmliche Inwohner; ein ſichtliches Zeichen, wie aller Quell des Reichthums für die Inſel nur die Tiefe, die See iſt. Bald folgt uns ein Haufen Mädchen und Knaben, die mit forſchenden Blicken nach einer Dienſt- leiſtung ſuchten, um einige Lephtas zu gewinnen. Ein ſchlanker, gewandter Junge, mit klugen Augen überholte ſie alle. Es gelang ihm bald, mir die Zügel meines Eſels unter dem Vorwande abzunehmen, das Thier zu führen, obgleich die enge Gaſſe keinen Abweg geſtattete. Bald nöthigte er mir auch meinen Stock ab, obgleich ich deſſen für die Antreibung des Eſels nöthig bedurfte. Als wir ſpäter abſtiegen, war er bei jeder Felſenſpalte, bei jedem Abhang hinten und vorn, links und rechts, um mir die Hand zu reichen, obgleich ich allein weit bequemer gegangen wäre. Dabei hatte er einen fortwährenden Vertheidigungskrieg gegen ſeine Nebenbuhler beiderlei Ge- ſchlechts zu führen, die mit eiferſüchtiger Schnelle über- all zwiſchen ihm und mir ſich eindrängten. Mit aller Beſcheidenheit nahm er mir nach und nach meine ganze Baarſchaft an kleiner Münze ab; nach jedem Dienſt that er, als wolle er gehen, bat mit ſeinem lebendigen Auge und wenn er den Lohn erwiſcht hatte, ſtand er bald an der anderen Seite, mit neuen Dienſten bereit. Die Ausſicht von dem Dome lohnte unſere Mühe. Die Stadt, ſich ausdehnend zu einem breiten Quai, der Quai ſich ausdehnend zu dem weiten Hafen mit ſeinen hölzernen Häuſern, der Hafen ſich ausdehnend zu dem blauen Meer, lag eines hinter dem anderen zu unſern Füßen. Indem die Landſchaft alles Grün's entbehrte, erinnerte ſie uns an die gelben und blauen Anſichten, die – 92 – man in Deutſchland ſich damit verſchafft, daß man die Landſchaft durch ein in das Fenſter eingezogenes farbiges Glas betrachtet. Rechts hinter uns ſahen wir in eine tiefe Bergſchlucht. Frauen mit irdenen Krügen voll Waſſer auf den Rücken kamen mühſam den ſteilen Fußpfad herauf. Sie kamen von der berühmten Quelle, wo ſonſt die Nymphen der Inſel ſich verſammelten. - - - - Wir ritten den Pfad hinab; das Thal zieht ſich immer näher zuſammen, bis es, zu einer Schlucht ſich verengernd, mit einer Felſenbrücke überbaut iſt, auf der man zur Felſenwand gegenüber gelangt. Hier brach das klare Quellwaſſer, ſorgfältig in mehrere Röhren gefaßt, aus der Felswand hervor. Der Platz davor war geebnet und in den Felſen waren Abſätze eingehauen, um die Krüge hinaufſtellen und dann leichter auf die Achſel nehmen zu können; auch kleine Felsſtücke waren hingerollt, als Sitze zum Ruhen. Eine Reihe Frauen und Mädchen, in ſchwarzen Röcken und Miedern, barfuß, Arm und Hals unbedeckt, ſtanden bei ihren irdenen Krügen und warteten auf andere, die das Waſſer auffingen und andere, die ihre Laſt aufnahmen, um dann zu gehen. Leicht an den Felſen angebaut war eine Wohnung für den Wächter der Quelle, der Tag und Nacht das Heiligthum zu wahren hat. Das ſtets fließende Waſſer hatte hier den dürren Stein beſiegt und daneben einen kleinen Garten geſchaffen, der voll blühender Citronen- und Orangenbäume, mit dem Duft dieſer Blüthen, der Geranien und Meliſſe den Platz an der Quelle erfüllte. Man muß die Dürre und die Sonnengluth des Orients ertragen haben, um den Zauber ſolcher Stelle ganz zu empfinden. Mit Ehrfurcht traten wir näher. Wir be- griffen, wie der friſche, lebendige Quell als wohlthuende – 93 – Gottheit verehrt, wie der kühle Raum zum Sammelplatz der Najaden erhoben werden konnte. Wir baten die Frauen um einen Trunk und ſie neigten ihre Krüge, uns zu laben. Unſere Eſel wurden von den dienſtfertigen Kindern getränkt. Die einfachen Thätigkeiten des Lebens umhüllte hier ein dichteriſcher Hauch. An ſolchen Brunnen iſt es, wo im Orient die Liebe beginnt, die Freundſchaft plaudert, das Alter ſich ausruht. An ſolchem Brunnen, „außen vor der Stadt,“ war es, wo der Knecht Abrahams lagerte: „Um die Zeit, wenn die Weiber pflegten herauszugehen und Waſſer zu ſchöpfen. Und es kam heraus Rebecca und trug einen Krug auf ihrer Achſel. Und ſie war eine ſehr ſchöne Dirne von Angeſicht; noch eine Jungfrau und kein Mann hatte ſie erkannt. Die ſtieg hinab zum Brunnen und füllte den Krug und ſtieg herauf. Da lief ihr der Knecht entgegen und ſprach: Laß mich ein wenig Waſſer aus Deinem Kruge trinken. Und ſie ſprach: Trinkt, mein Herr, und eilend ließ ſie den Krug hernieder auf ihre Hand und gab ihm zu trinken. Der Mann aber nahm eine goldene Spange und zween Armringe an ihre Hände und ſprach: Meine Tochter, wem gehörſt Du an? Haben wir auch Raum in Deines Vaters Hauſe zu herbergen? Sie ſprach zu ihm: Ich bin Bethuels Tochter; es iſt auch viel Stroh und Futter bei uns und Raum genug zu herbergen. Und die Dirne lief und ſagte Alles an in ihrer Mutter Hauſe. Und als der Knecht Abrahams kam und fragte: Seid Ihr nun Die, ſo an meinem Herrn Freundſchaft und Treue beweiſen wollt, ſo ſagt mir's! Da antwortete Laban, der Bruder Rebecca's und Bethuel: Das kommt von dem Herrn. Da iſt Rebecca vor Dir; nimm ſie und ziehe hin, daß ſie Deines Herrn Sohnes Weib ſei. Des andern Morgens aber ſtand der Knecht auf und ſprach: Laſſet mich zu meinem Herrn ziehn. Da ſprachen jene: Laſſet uns die Dirne rufen und fragen, – 94 – was ſie dazu ſaget. Und ſie riefen Rebecca und ſprachen zu ihr: Willſt Du mit dieſem Manne ziehn? Sie antwortete: Ja; ich will mit ihm.“ Wir ſahen nach der Quelle, nach den Frauen, die uns zu trinken gereicht, nach den Krügen, die ſie auf der Achſel davon trugen, nach den Kindern, die unſere Thiere getränkt, und hatten Mühe zu glauben, daß 4000 Jahre ſeit Rebecca's Zeit verfloſſen ſeien. Das Menſchengewühl in der Stadt, die ſpekulirenden Mienen der an der Börſe wandelnden Kaufleute brachten uns in die Gegenwart zurück. Wir durchritten auf unſern Eſeln noch einen Theil der Stadt. Viele Häuſer hatten bei dem milden Klima keine Fenſter, ſondern nur Oeffnun- gen, die am Tage durch Läden gegen die Sonne ſich ſchließen und in der Nacht dem kühlenden Zugwind ſich öffnen. In den Hauptſtraßen war der untere Stock der Häuſer nach der Straße zu völlig offen; hier arbeiten alle Handwerker beinahe in freier Luft, nur durch einen nie- drigen Verſchlag von der Straße getrennt. Selbſt das Brot wurde auf offener Straße geknetet und gebacken. Der Ofen öffnete ſich nach der Straße, der Bäcker ſchob von der Straße aus die Brote in den Ofen und im Vor- übergehen ſahen wir dieſe im glühenden Ofen. Als meine Freunde nach dem Schiffe zurückfuhren, ließ ich mich durch ein Boot nach der offenen See zum Bade fahren. „Man handle vorher mit dem Schiffer,“ heißt es in jedem Reiſebuche und iſt die Warnung jedes Mitreiſenden. Alſo geſchah es auch von mir und nach langem Reden wurden wir einig; ich ſollte für die Fahrt zum Bade und dann zu dem Dampfboot den zwei Schif- fern zwei Zwanziger zahlen. Zwanziger iſt eine Münze, die durch den ganzen Orient Geltung hat. Ich war mit dem Führer Pedro abgefahren, als die Schiffer uns einem – 95 – andern Boot übergaben, ohne daß ich darum mich küm- merte, da bei dergleichen Leuten einer oft in das Geſchäft des andern eintritt. Sie fuhren mich gut; als ich aber zum Dampfboot kam und die zwei Zwanziger zahlte, ver- langten ſie das Doppelte. Ich berief mich auf das Ab- kommen. – Iſt nicht mit uns geſchloſſen, war die Ant- wort. – Solche Einrede war juriſtiſch unwiderleglich. Ich zahlte meine vier Zwanziger, nicht ohne innerlich zu lachen, daß der gelehrte Juriſt trotz aller Cautelen ſich von den einfachen Schiffern hatte überliſten laſſen. Die Schiffsgeſellſchaft hatte bei meiner Rückkehr ein anderes Ausſehen angenommen. Das europäiſche Element war ganz in den Hintergrund gedrängt; griechiſche, ar- meniſche, albaneſiſche Trachten füllten den zweiten und dritten Platz; ſelbſt einen Theil des Hinterdecks hatten ſie in Beſchlag genommen. Es waren Reiſende für Smyrna, Gallipoli, Konſtantinopel. Wir ſelbſt fühlten uns fremd in den alten bekannten Räumen. Als wir den Hafen von Syra Nachmittags verließen, führten dieſe neuen Eindrücke auch die Unterhaltung bei dem Mittagstiſch auf den Orient, ſeine Gegenwart und Zukunft. Die Geſellſchaft war ſchon von früher in zwei Parteien geſchieden. Der Marquis di R., M** und ich verfochten die Türken, der Konſul M., der Kapitän und ſeine zwei Lieutenants waren Gegner der Türken. Der engliſche Offizier allein blieb in ſtummer Neutrali- tät. Es fiel mir auf, daß die Vertheidiger der Türken aus den Perſonen beſtanden, die am weiteſten von ihnen wohnten und im Grunde am wenigſten davon verſtanden, während die Gegner Leute waren, die ſeit Jahren unter den Türken lebten und mit ihnen verkehrten. Ich hatte ſchon früher eine ähnliche Erfahrung gemacht bei den Deut- ſchen, als Vertheidiger und als Gegner der Polen. – 96 – – Aber der Hattiſcheriff von Gülhane, rief der Mar- quis di R., und die ſpätern damit zuſammenhängenden Geſetze ſind Thatſachen für den Fortſchritt der Türkei, die nicht weggeleugnet werden können! – Noch ſind dieſe Geſetze nicht ausgeführt, erwiederte der Konſul M., und ich halte ſie durch die Türken für unausführbar. In Konſtantinopel allerdings hat man mit einer Nachahmung des europäiſchen gouvernementalen Centralſyſtems begonnen, aber man muß in den Pro- vinzen wohnen, man muß die Türken und ihre Paſcha's in Aſien kennen, um zu wiſſen, wie wenig ſolche Ver- ſuche in Konſtantinopel ſagen wollen und wie gering ihre Wirkung für das Land iſt. In den Provinzen fehlt noch Alles dazu. Die Organiſation, die Mittel, die Beamten, um dergleichen allgemeine Grundſätze und Beſtimmungen in das Leben überzuführen. Die Türken ſind überhaupt dazu noch nicht reif. Nur wenig Türken können leſen und ſchreiben; es fehlt an einem geregelten Finanzſyſtem, durch welches allein die bedeutenden Koſten ſolcher euro- päiſchen Regierungsweiſe beſchafft werden können; es fehlt den Türken die Regſamkeit, die ausdauernde, regelmäßige Thätigkeit, ohne welche das europäiſche Regierungsſyſtem unausführbar iſt. Man ſtatuirt gegen den Schuldigen wohl einmal ein Exempel; aber in hundert andern Fällen kümmert man ſich nicht darum. Corruption, Indolenz, Ingoranz bei der Nation und vor Allem bei den Be- amten bleiben ein unüberſteigliches Hinderniß für die Re- gierung in Konſtantinopel, ſelbſt wenn da nicht ähnliche Hemmniſſe im Wege ſtänden. Nehmen ſie dazu die innige Verbindung, in der in der Türkei die Religion mit dem Recht und der Sitte ſteht, die Unmöglichkeit, in der Familie, in der Gemeinde europäiſche Sitte und Recht - einzuführen, ohne gegen die wichtigſten Vorſchriften des Koran zu verſtoßen, und Sie werden es erklärlich finden, was man alle Tage in Smyrna ſehen kann, daß all' dieſe Verſuche zur Reſtauration des Staates nur dahin führen, die alte Energie und Naturkraft der Nation zu zerſtören, ohne neue Elemente zu einer lebensvollen Ge- ſtaltung an deren Stelle zu ſetzen. Dieſe Aeußerungen machten einen lebhaften Eindruck auf die Geſellſchaft; wir waren zwar nicht überzeugt, aber wir konnten ſie auch nicht ohne weiteres verwerfen; ſie kamen von einem unterrichteten Manne, der 17 Jahr unter den Türken gelebt hätte. Wir wurden um ſo ge- ſpannter, die Zuſtände in der Türkei mit eigenen Augen zu ſehen. - Am andern Morgen war viel Lärm auf dem Schiffe. Bei Reviſion der Billete hatten ſich ſechs Paſſagiere des dritten Platzes gefunden, die heimlich in Syra ſich auf das Schiff geſchlichen hatten, und weder Billets, noch Paß, noch Geld oder Effekten beſaßen. Es waren Griechen, und es ermittelte ſich, daß ſie früher in Smyrna gewohnt hatten. Von dort waren ſie bei Ausbruch der griechiſchen Inſurrektion im Frühjahre nach Griechenland gegangen und hatten an den Gefechten in der Nähe von Arta Theilgenommen. Nach Unterdrückung des Aufſtandes durch die Weſtmächte waren ſie genöthigt worden, zurück- zukehren. Bis Syra waren ſie gekommen; von dort hatten ſie in ihrer Noth verſucht, heimlich mit unſerm Schiffe nach Smyrna zurückzugelangen. Der Kapitän rief die Offiziere zu ſich, und es ward eine Art Kriegsrath gehalten. Man holte dann die Schuldigen auf das Hinterdeck; dort mußten ſie ſich der Reihe nach aufſtellen und es ward ihnen eröffnet, daß, wenn ſie das Billet nicht zahlten, ſie nach dem Reglement - - 7 mit nach Konſtantinopel transportirt und dort an die Türkiſche Regierung abgeliefert werden würden. Ich bewunderte die orientaliſche Reſignation, mit der dieſer Ausſpruch von ihnen aufgenommen wurde. Ge- fängniß, vielleicht härtere Strafen drohten ihnen dort; in Deutſchland hätte es ein Kriechen- und Bitten, ein Heulen und Weinen gegeben; hier kam kein Wort der Bitte oder der Klage aus dem Munde dieſer Unglück- lichen. Sie hoben nur dann und wann ihre klugen Augen nach ihren Landsleuten auf dem Deck. Dieſe ließen ſie auch nicht im Stich. Es wurde vor- geſchlagen, das Fahrgeld für ſie durch eine Kollekte unter den Paſſagieren zu beſchaffen. Obgleich dies an 40 Thlr. betrug, kam es doch bald zuſammen; mehrere Griechen, deren Ausſehen nicht auf Reichthum ſchließen ließ, gaben Dukaten, der Marquis, der Konſul gab und auch wir ſteuerten gern unſern Beitrag in Erinnerung an die poli- tiſchen Flüchtlinge des Vaterlandes. Der Weg von Syra nach Smyrna führt zwiſchen den Inſeln Andros und Tinos hindurch. In dieſer Meer- enge zwiſchen den hohen Gebirgen der Inſeln weht, wie in einer Gebirgsſchlucht, fortwährend ein heftiger Wind, und die Alten haben den Sitz des Aeolus hierher verlegt. Auch unſer Schiff empfand ſeine Macht; die Geſellſchaft war aber ſchon ſo an die See gewöhnt, daß dies heftige Schwanken des Schiffes nur zu dem Scherz benutzt wurde, wer am beſten im Gehen die gerade Linie der Deckbalken einhalten könne. Hier beſiegte uns alle der Lieutenant aus Malta, ſelbſt der Capitain hatte Noth, ihm gleich zu kommen. Der Wind war uns günſtig, er half dem Dampfe und ſo waren wir am andern Morgen ſchon an dem Golf von Smyrna, 40 Meilen von Syra. Eine öſterreichiſche Fregatte fuhr mit vollen Segeln vor uns – 99 – vorbei, zur Uebung der Mannſchaft. Seit dem Vorfall mit Koſta im vorigen Jahre iſt die öſterreichiſche Schiffs- ſtation bei Smyrna verſtärkt worden. Schon in Syra hatten wir erfahren, daß die Cholera in Smyrna ſei; wir hatten daher daſſelbe Schickſal, wie vor Athen; wir lagen bis Abends im Hafen, ohne das Schiff verlaſſen zu dürfen. Die Lage von Smyrna iſt eine der ſchönſten des Orients. Rings um den Meer- buſen, der 3 Meilen lang und 1 Meile breit iſt, heben ſich hohe Gebirge, vom Meere ab leiſe anſteigend, dann nach der Spitze zu in ſteilen Abſätzen. Vom Meere, dieſe Anhöhen hinauf, iſt die Stadt gebaut; 12,000 Häuſer, in denen 150,000 Menſchen wohnen, heben ſich, wie in einem Amphitheater, eines über das andere; man könnte jedes einzelne zählen. Rechts liegt die Türkenſtadt mit ihren Moſcheen und Minarets; über ſich den Kirchhof als Cypreſſenwald; links liegt die Frankenſtadt mit den vielfachen ſteinernen Häuſern der Geſchäftigkeit und Wohn- lichkeit; dazwiſchen liegen die Viertel für die Armenier und Juden. Die Stadt umfließt ein Strom, der ihre Gärten grün erhält, und hinter dem Grün der Wein- geländer und Maulbeerbäume heben ſich die blauen Berge, die nach dem Innern des Landes zeigen. Die Straße nach Könſtantinopel windet ſich durch zwei Bergkegel, die in Form und gegenſeitiger Aehnlichkeit das größere Zwil- lingspaar der Prudelberge bei Erdmannsdorf darſtellen. Ueber der Stadt, auf einem breiten Berggipfel rechts, ſtehen die langen Mauern und halb verfallenen Thürme eines Kaſtells, das ſonſt die Stadt beſchützte. Die Land- ſchaft war friſcher und grüner als die, welche wir die letzten Tage geſehen hatten, ein Zeichen, daß wir nicht mehr kleine Inſeln, ſondern das mächtige Feſtland von Aſien vor uns hatten. - 7 – 100 – Wir trennten uns hier von dem Konſul M. Seine Familie war in Folge der Cholera auf das Land gezogen, aber zwei Knaben kamen mit dem Boot, den Vater zu empfangen. Er verſprach, im kommenden Jahre mit ſeiner Frau, der er Deutſchland zeigen wolle, uns zu be- ſuchen. Er hat einen bedeutenden Kommiſſionshandel. Der deutſchen Fabrikation ſteht im Orient noch ein weites, wenig bebautes Feld offen; eine der größten Schwierig- keiten iſt, einen tüchtigen und dabei rechtlichen Agenten an Ort und Stelle zu finden, dem der Verkauf der Waare mit Sicherheit übergeben werden kann. Herr M. kann in dieſer Hinſicht mit Zuverläſſigkeit empfohlen werden. Die Expedition der National-Zeitung iſt in dem Beſitz ſeiner vollſtändigen Adreſſe. Ein Grieche, der von Syra mitgefahren war, um von Smyrna das Lloyddampfſchiff nach Alexandrien zu be- nutzen, kam durch die Cholera in Smyrna in große Ver- legenheit. An das Land durfte er nicht, ſonſt nahm ihn das Lloydſchiff nicht auf; unſer Schiff mußte er verlaſſen, wenn er jenes Schiff nicht ganz verfehlen ſollte. In dieſer Noth blieb ihm nichts übrig, als ein kleines Boot aus dem Hafen zu miethen und in dieſem zwei Tage und zwei Nächte bis zur Ankunft des nach Alexandrien gehen- den Schiffes auf dem Meere herumzuſchwimmen. Der Capitain gab ihm einige Lebensmittel und mit dieſen, ſeinem Koffer und Mantel ſtieg er in das Boot, ſetzte ſich und erwartete gelaſſen ſeine Erlöſung. Wir ſelbſt waren ſo ſtreng von Smyrna abgeſondert, daß der Capitain nicht einmal Cigarren von Smyrna auf dem Schiffe zuließ. Die Hitze wurde gegen Mittag ſehr drückend, der Wind war völlig erloſchen, das Meer war ſpiegelglatt. Anſtatt der tiefen blauen Farbe, lag es bleich und grau da, wie eine Bleiplatte. Wir flüchteten – 101 – uns in die Kajüte und waren froh, als gegen halb ſechs Uhr die Anker gehoben wurden. Mit dem Rauſchen der Schiffsruder regte ſich wieder die Luft und das Meer be- gann wieder ſich zu kräuſeln. Die Küſten verſchwanden zuletzt in der Dunkelheit, aber einzelne Feuer, die hie und da in der Höhe aufleuchteten, zeigten uns, daß wir ihnen noch nahe waren und daß ſie von Menſchen bewohnt würden. Die Sonne war rein untergegangen und der klare Sternhimmel des Südens war über uns ausgebreitet. Die feine Sichel des Mondes am Abendhimmel war noch nicht im Stande, den Reich- thum der Sternbilder auszubleichen. Schon am Abend des vorigen Tages hatte ich um 7 Uhr den Mond als einen ſo feinen Strich am Himmel bemerkt, wie früher noch nie. Es fiel mir ein, daß der berühmte Danziger Aſtronom des 17ten Jahrhunderts, Hevel, in ſeiner Sele- nographie oder Beſchreibung des Mondes erzählt hat, er habe nie früher als 40 Stunden nach der Zuſammen- kunft mit der Sonne die Mondſichel ſehen können. Ich war neugierig, wie viel Stunden hier ſeit dem Moment des Neumondes verfloſſen ſein möchten. Ein Berliner Kalender ergab, daß Neumond am Dienſtag 4 Uhr 24 Mi- nuten früh geweſen war; alſo für die Küſte von Klein- aſien bei einem Längenunterſchied von 14 Grad um 5 Uhr 20 Minnten früh. Hiernach hatten wir mit bloßen Augen den Mond 61 Stunden 40 Minuten nach ſeiner Kon- junktion geſehen, alſo nur 21 Stunden ſpäter als Hevel mit ſeinen beſten Fernröhren in Danzig. Dies war ein deutlicher Beweis von der ſüdlichen Klarheit der Luft ſelbſt in der Nähe des Horizontes. Die Einſamkeit, die ſonſt Abends auf unſerem Schiffe geherrſcht hatte, war verſchwunden. Das ganze Vorder- deck, ſelbſt ein großer Theil des Hinterdecks, war mit – 102 – Matratzen und Decken belegt, auf denen die Paſſagiere des dritten Platzes die Nacht zubrachten. Die Damen- kajüte des erſten Platzes blieb dagegen leer und die Kam- merfrau, welche zur Bedienung ſolcher Damen jedem Schiffe der Geſellſchaft beigegeben iſt, klagte mir ihre Noth über den Verluſt der Trinkgelder. Sie war eine Wittwe aus Trieſt, war an einen Kaufmann dort ver- heiräthet geweſen, der Bankerott gemacht, verſtorben war und ſie hülflos mit zwei Kindern zurückgelaſſen hatte. Unter ſolchen Umſtänden war ſie froh, noch dieſen Poſten zu erhalten, wo ſie monatlich 15 Gulden in Banknoten Gehalt bekam und freie Station, ausgenommen in Trieſt von der Rückkehr bis zur Wiederabreiſe. Sie war mir ein ſchlagendes Beiſpiel, wie leicht der Menſch ſich an an- ſcheinend unangenehme Lagen gewöhnt und zuletzt darin wohl fühlt. Seit 12 Jahren fuhr ſie Winter und Som- mer von Trieſt nach Konſtantinopel und von Trieſt nach Alexandrien und zurück. Sie kennt Alexandrien, Kon- ſtantinopel, Smyrna beſſer, als die nächſten Ortſchaften hinter Trieſt. Während bei der Ankunft in Konſtanti- nopel oder Alexandrien Paſſagiere und Schiffsmannſchaft froh waren, wenn ſie das Schiff verlaſſen konnten, blieb ſie in der Regel die ganze Zeit bis zur Wiederabfahrt ruhig auf dem Schiffe und bei ihrer Rückkehr nach Trieſt bedauerte ſie nichts ſo ſehr, als das Schiff verlaſſen und an das Land gehen zu müſſen. In der Nacht legte das Schiff bei der Inſel Mete- lino, dem alten Lesbos, an, und als wir früh auf das Verdeck kamen, ſahen wir die erſten Türken. Sie kamen aus dem Innern Kleinaſiens, gehörten zu den nomadi- ſtrenden Stämmen und gingen als Rekruten zur Armee nach Bulgarien. Ein anderer Türke, mit weißer Turban- binde, weißen, kurzen, weiten Hoſen, ohne Strümpfe, aber – 103 – mit rothen Schuhen und langem Mantel, ſollte ein Molla ſein, mit welchem Titel man eine Art Richter, die zugleich geiſtliche Verrichtungen haben, bezeichnet. Am andern Morgen kamen wir zur Inſel Tenedos. Sie blieb uns links, und rechts lag die Ebene von Troja. Die Inſel Tenedos war es, wohin die griechiſche Flotte nach Aufſtellung des hölzernen Pferdes, ſich von der tro- janiſchen Küſte zurückzog und vor den Trojanern verbarg. Dieſe Erzählung erſcheint an Ort und Stelle unwahr- ſcheinlich, denn die Küſte des alten Troja liegt nur eine Meile entfernt und der Hafen von Tenedos iſt gerade nach dem Feſtlande zu offen, ſo daß die Trojaner die Schiffe dort von der Küſte des Feſtlandes aus leicht entdecken konnten. Wenn die Erzählung wahr ſein ſoll, ſo muß die Flotte der Griechen wenigſtens nach der andern Seite der Inſel ſich gewendet haben. Dies iſt indeß unwahr- ſcheinlich, weil die Griechen ſich dann zu weit vom Kampf- platze entfernt hätten; ich möchte daher dieſe Erzählung für Erdichtung nehmen. Homer erwähnt dieſes Verſtecks in Tenedos nirgends; nur Virgil ſpricht davon, offenbar ohne Ortskenntniß. Die Ebene von Troja lag niedrig und flach uns zur Rechten. Das Idagebirge hob ſich in bläulicher Färbung dahinter, aber weder die Ebene noch dieſes Gebirge boten etwas Beſonderes oder einen eigenthümlichen Reiz. Ohne den Zauber der Homeriſchen Geſänge würden ſie zu den unbedeutendſten Punkten der aſiatiſchen Küſte gehören. Von Troja iſt bekanntlich ſchon zu Strabo's Zeiten keine Spur mehr zu finden geweſen und wir ſehen nur einige haushohe Hügel, welche uns als die Grabhügel des Achilles und des Ajax genannt wurden. Bei einzelnen ſollen Ausgrabungen verſucht und einzelne Stücke von Waffen und Geräthen gefunden worden ſein. Wir ver- – 104 – ſuchten vergeblich, uns in antiquariſche Begeiſterung zu verſetzen und uns ſchon durch die Nähe der trojaniſchen Küſte und den Anblick dieſer Grabhügel beglückt zu fühlen. Die Sonne ſchien zu hell; das klare Tageslicht und unſere Neugriechen und Türken auf dem Schiff ließen die Ge- ſtalten der alten trojaniſchen Helden nicht aufkommen. Dennoch wären wir gern an der Küſte ausgeſtiegen, um den Boden zu betreten, wo Agamemnon und Achilles ge- wandelt, aber das Schiff hielt nur in dem Hafen von Tenedos an, und auch da nur ſo kurze Zeit, daß es un- möglich war, die Küſte von Troja zu beſuchen. Wer dar- auf beſtehen will, muß das Schiff in Tenedos verlaſſen, in einem Kahn ſich nach der Küſte überfahren laſſen, und acht Tage aushalten, bis das nächſte Dampfſchiff in Te- nedos ihn wieder aufnehmen kann. In Tenedos ſtiegen zwei neue Paſſagiere auf das Schiff. Beide trugen die leichte europäiſche Kleidung der Fußreiſenden, der ältere mit ſchwarzem Rock. Große, in Teppiche und Leinwand gewickelte Ballen, an denen überall ſcharfe Kanten hervorragten, wurden von ihnen mitge- bracht und deren Verladung im Schiffe ſorgfältig über- wacht. – Das ſind deutſche Profeſſoren, die auf Anti- quitäten ausgeweſen ſind, ſagte M**. – Er hatte zur Hälfte Recht. Die Herren waren Preußen, und wir machten in ihnen die angenehme Bekanntſchaft des Predigers S. und des Vicekanzlers B. von der preußiſchen Geſandt- ſchaft in Konſtantinopel. Beide hatten gemeinſchaftlich einen vierzehntägigen Urlaub zu einer Reiſe nach den vor den Dardanellen liegenden Inſeln Samothraki, Imbro und Tenedos benutzt. Die erſteren zwei Inſeln waren ſeit 15 Jahren von keinem Europäer beſucht worden und ſie hatten intereſſante und noch unbekannte Ueberreſte des Alterthums entdeckt. Was von Inſchriften und ſonſt fort- – 105 – ſchaffbar geweſen, war von ihnen in jenen Ballen zu weiteren Studien mitgenommen worden. Beide hatten ein großes Intereſſe für das Alterthum und von ihren Samm- lungen und Entdeckungen ſind ſchon Mittheilungen in die öffentlichen Blätter von Deutſchland gelangt. Wir freuten uns, die für ſolche Studien ſo günſtigen Stellungen bei der preußiſchen Geſandtſchaft in Konſtantinopel gerade durch ſolche Männer ausgefüllt zu ſehen. - Wir waren nun am Eingang der Dardanellen, des alten Helleſpont. Konſtantinopel, Dardanellen, Bos- porus waren Namen, die von Kindheit in uns eng ver- bunden waren; wir glaubten uns ſchon am Ziele der Reiſe; den nächſten Morgen ſollten wir wirklich in Kon- ſtantinopel landen. Das Herz ſchlug uns hoch. In den Zeiten, wo wir Kinder waren, lag Konſtantinopel, die Wunderſtadt, noch unerreichbar am Ende der Welt; nur wenigen Großen war es vergönnt, ſie zu erreichen. Noch- in unſerer Studentenzeit gehörten Jahre und große Mittel dazu, um ſich auf dieſe Reiſe vorzubereiten uud ſie glück- lich zu vollbringen; die Donau war unfahrbar; die See- fahrt dauerte 6 Wochen und länger, bei der Rückkehr war eine Quarantaine von 40 Tagen auszuhalten; Peſt, Janit- ſcharen, Chriſtenhaß machten den Aufenthalt in Konſtan- tinopel lebensgefährlich. Jetzt war die Reiſe zu einer Luſtreiſe von wenigen Wochen geworden, die preußiſche aktenbeſtaubte Juriſten zu ihrer Erholung mit den Er- ſparniſſen ihres Gehalts unternahmen. Die Dardanellen ſind ein 10 Meilen langer Meeres- ſtrom, der die Waſſer des ſchwarzen, des Marmora- Meeres dem mittelländiſchen Meer zuführt; - die Breite beträgt meiſt eine Meile, an einzelnen Stellen nur die Hälfte. Jedem Vorſprung an der einen Küſte entſpricht eine Einbiegung an der andern; dieſe Form zeigt, daß – 106 – ehedem Aſien und Europa an dieſer Stelle verbunden waren und daß bei dem Erkalten der Erdrinde ein tiefer Spalt beide Erdtheile auseinandergeriſſen hat, den dann die Waſſer erfüllt und zu ihrer Straße gewählt haben. Die Ufer an beiden Seiten erheben ſich raſch zu Höhen von 800 bis 1000 Fuß; grünes, dichtes Buſchwerk gab ihnen ein friſches Anſehn; die graue, verſengte Oberfläche der griechiſchen Inſeln war verſchwunden. Wir gelangten bald zu der engſten Stelle des Stroms, die durch die berühmten Dardanellenſchlöſſer vertheidigt wird. Wir erwarteten mächtige Thürme, hohe Mauern mit Schießſcharten zu finden; ſtatt deſſen hatten wir Mühe die Feſtungswerke aus dem Grau und Grün des Bodens herauszufinden. Gleich einer Schlange lagen dieſe Werke am Boden verſteckt, und die Feuerſchlünde, kaum ſichtbar über dem Niveau des Meeres, lauerten, um ſo aus der Tiefe deſto ſicherer ihre Geſchoſſe zu ſenden. Große Haufen von Kugeln waren aufgethürmt; auch die großen ſteiner- nen Kugeln, die aus Rieſenkanonen geſchoſſen werden, konnten wir erkennen. Man ſagt, dieſe engſte Stelle der Dardanellen habe früher mehr nach Konſtantinopel zu ſich befunden. Unſere neuen Bekannten, die genau orientirt waren, zeigten uns hier die Stelle, wo Xerxes die Brücke ſchlagen ließ, auf der ſein Heer von Aſien nach Europa zog, wo dann bei- nahe zweihundert Jahre ſpäter die Armee Alexander des Großen unter Parmenio von Europa nach Aſien über- ging, und wo anderthalbtauſend Jahre ſpäter endlich die Türken unter Soliman zuerſt aus Aſien nach Europa überſchifften; drei der größten Umwälzungen in der menſch- lichen Geſchichte hatten ſo an dieſer Stelle ihren erſten entſcheidenden Schritt gethan. Nahe dabei zeigte man uns die Stelle, wo Leander – 107 – von der aſiatiſchen Küſte in der Nacht zur Hero nach Seſtos auf der europäiſchen Küſte ſchwamm. Die Strö- mung iſt hier ſo ſtark und der Meeresarm noch ſo breit, daß wir die Kraft Leander's bewundern mußten. Auch Byron ſchwamm 1810 herüber. Gegen Mittag warf das Dampfboot vor Gallipoli Anker; auch hier hielt die Cholera uns in ehrerbietiger Entfernung. Die weißen Zelte des franzöſiſchen Lagers glänzten von den Höhen über der Stadt; hier und da ſtanden größere, grüne, wahrſcheinlich Zelte der Ofſiziere. Von der ſchönen Stadt, wie die Griechen ſie nannten, Kalipolis, war nichts zu ſehn. Ein unregelmäßiger Haufen dunkelbrauner Häuſer zog ſich die Anhöhe hinauf, ohne einen intereſſanten Punkt für das Auge. Gegen Abend kamen wir in das Marmora-Meer, das in einer Breite von 10 Meilen, 30 Meilen lang ſich bis nach Konſtantinopel hinzieht, wo es in die Meerenge des Bosporus übergeht. Die Küſten von Aſien und Europa blieben noch lange ſichtbar. Das Meer glich einer leb- haften Landſtraße. Schiffe mit vollen Segeln kamen links und rechts uns entgegen; andere lagen vor Anker und warteten des Umſchlags des Windes, um nach Konſtan- tinopel zu gelangen. Eine franzöſiſche Fregatte hatte Eile und ließ ſich durch ein Dampfboot nach der türkiſchen Hauptſtabt ſchleppen. - Die Kühle des Abends, der unterhaltende Anblick der Schiffe hielt die Geſellſchaft lange auf dem Verdeck. Man plauderte und aus dem größern Kreiſe ſonderten ſich kleinere Gruppen ab. Der Geſandtſchaftsprediger zeigte mir die fernen Kuppeln einer Moſchee an der europäiſchen Küſte. – Sonderbar, rief ich, nicht blos Völker, auch Religionen haben an dieſer Stelle eine der andern weichen müſſen. – Wie, rief er, die chriſtliche Religion iſt Ihnen – 108 – auch nur eine, nicht die Religion? Sie iſt keine Art, neben der andern; Gottes Sohn ſelbſt hat ſie ver- kündet; ſeine Wunder, vor allen ſeine Auferſtehung von dem Tode ſind uns die Bürgſchaft dafür und für dieſe Wunder iſt ſo volle hiſtoriſche Gewißheit vorhanden, wie für jedes große Ereigniß der Weltgeſchichte. – Er mußte mir meinen Zweifel wohl angeſehen haben, ſo ſehr hielt er dies Thema feſt. – Ich ſchwieg lange, auf den Zeitpunkt wartend, wo ſich in artiger Weiſe dem Ge- ſpräch eine andere Wendung geben ließe; aber da er mein Schweigen znletzt für Zuſtimmung zu nehmen ſchien, konnte ich die Erwiederung nicht zurückhalten. – Laſſen wir dieſe Beweiſe für die Wahrheit der Wunder, ſagte ich; ſie ſind hundertmal von der Wiſſenſchaft widerlegt worden und hundertmal hat man ſie wieder hervor- geholt und Gläubige dafür gefunden. Ich ſuche die Stütze der Religionen in der menſchlichen Natur ſelbſt. Neben dem Bedürfniß nach Selbſtbeſtimmung liegt ebenſo tief in ihr das Bedürfniß nach Autorität. Je ſchwächer in dem Einzelnen die geiſtige Kraft und ihre Entwickelung iſt, deſto überwiegender iſt das Bedürfniß nach Autorität. Und wer der Stütze bedarf, der fragt nicht, woher ſie komme. Dies Bedürfniß nach Autorität hat ſelbſt tüchtige Köpfe, denen der ſaure Weg der Selbſtbeſtimmung zu lang wurde, in den Schooß der katholiſchen Kirche über- geführt, die als tiefe Menſchenkennerin dieſem Bedürfniß am konſequenteſten Genüge thut. – Autorität! rief mein Nachbar. Wie können Sie dies Wort für die Religion der Liebe anwenden, für die Religion, die den Menſchen durch das Blut Chriſti mit Gott wieder verſöhnt hat. – Dies Dogma, erwiederte ich, gilt mir vor Allem als Autorität; ich ſuche vergeblich es mit der reineren Moral – 109 – des Chriſtenthums ſelbſt zu vereinigen. Aber laſſen Sie uns von uns ſelbſt abſehen und die Fragen objektiver nehmen. Scheint Ihnen nicht in der Geſchichte neben dem Fortſchritt von der Unwiſſenheit zu wiſſenſchaftlicher Erkenntniß der Natur ein anderer Fortſchritt von der Religion zu dem größeren oder geringeren Unglauben parallel zu gehn? Nehmen Sie jenen Fortſchritt indivi- duell, ſo finden Sie die großen Denker und Naturforſcher aller Jahrhunderte im Unglauben gegenüber der ſie um- gebenden Religion; nehmen Sie jenen Fortſchritt für die Völker, ſo finden Sie mit der fortſchreitenden Verbreitung der Naturwiſſenſchaft eine ſteigende Abnahme des Reli- gionsinhalts. Was iſt die Unterſcheidung von Weſent- lichem und Unweſentlichem, die die moderne Zeit in den Religionsinhalt eingeführt hat, anders als eine Ver- deckung jener Abnahme des Inhalts? Was iſt die Klage Hegel's, daß die Aufklärung den Inhalt der Religion verflüchtiget habe, anders, als jener Satz, und Hegel's - Verſuch, dieſem verlaſſenen Inhalt durch Unterſchiebung philoſophiſcher Begriffe neues Leben zu geben, iſt, wie Sie wiſſen, von Geiſtlichen und von Laien mit gleichem Widerwillen zurückgeſtoßen worden. Sollte dies nicht auf ein Geſetz hindeuten, das man ſich noch nicht klar machen will, und ſcheinen Ihnen danach die Regierungen Europas nicht eine Danaidenarbeit zu treiben, indem ſie Naturerkenntniß und Religion zugleich fördern? – Sie folgern aus vereinzelten Erſcheinungen zu viel, erwiederte er. Sie haben Recht, daß der Unglaube in der Gegenwart eine große Ausbreitung gewonnen hat, aber ähnliche Zuſtände ſind auch früher ſchon da ge- weſen; es hat z. B. Zeiten gegeben, wo der Glaube an Unſterblichkeit ſelbſt von den Maſſen aufgegeben war. – Dennoch ſcheint mir der Unglaube der Gegenwart – 110 – von dem früherer Zeiten weſentlich verſchieden. Waren es früher Zeiten der Unwiſſenheit, Zeiten großer Noth, Zeiten der Auflöſung aller bürgerlichen Ordnung, wo dergleichen Anſichten auch in den Maſſen Eingang fanden, ſo erſcheint der Unglaube der Gegenwart ſonderbarer Weiſe im Gefolge der verbeſſerten Erziehung, der ſich immer weiter ausbreitenden Kenntniß der Natur, der Grundſätze, die aus ihnen ausſtrömend, gleichſam die Luft der Gegenwart erfüllen und ſich ſelbſt denen mit- theilen, die ſolche Kenntniß nicht zu ihrem unmittelbaren Geſchäft machen. Und über die große Ausdehnung dieſes ſogenannten Unglaubens darf man ſich durch die piquirte Kirchlichkeit, wie man ſie jetzt in Deutſchland und Frank- reich findet, nicht täuſchen laſſen. Die Speculation ver- ſchont jetzt keinen Gegenſtand; man macht in Religion, wie man in Actien gemacht hat. – Der Zuſtand iſt trübe genug, erwiederte S. und Ihre Schilderung mag nicht übertrieben ſein. Aber dies große Unglück, dieſe ſchwere Prüfung wird überwunden werden, ſo ſicher, wie die Kirche deren ſchon manche über- wunden hat, aus denen ſie ſtets größer und mächtiger hervor gegangen iſt. Laſſen Sie die Tage des Unglücks kommen und wir werden ſehen, wie dieſe Abtrünnigen haltlos und hülflos in den Schooß der Kirche zurückkehren werden. – Es iſt ſonderbar, ſagte ich, daß man in der Reli- gion das Unglück zum Prüfſtein der Wahrheit erhoben hat, daß hier die von heftigen Empfindungen hin und her geworfene Seele fähiger ſein ſoll das Richtige zu er- kennen, als der Geiſt in dem ruhigen Gleichgewicht ſeiner Kräfte. Sie haben übrigens vollkommen Recht, daß der Glaube an eine alles leitende, liebende Vorſehung und an die Unſterblichkeit des Individuums, dem Menſchen im Unglück einen großen Troſt gewährt, während die – 111 – kalte Ueberzeugung von der Nothwendigkeit und der Ge- ſetzmäßigkeit der einmal vorhandenen Kräfte, von der Ver- gänglichkeit alles Individuellen in dem Herzen eine Un- ruhe läßt, die nur von einer langen Disziplin des Ver- ſtandes gebändigt werden kann. Aber iſt das Angenehme, das Troſt gewährende deshalb das Wahre? Alle dieſe Sätze dienten indeſ nur dazu, den Eifer meines Nachbars noch mehr anzuſpornen. Mit ſteigender Wärme ſprach er für ſeine Ueberzeugungen und ich muß zu ſeiner Ehre ihm nachſagen, daß es mit ſo viel Fein- heit, Kenntniß und Liebenswürdigkeit geſchah, wie ich es von den Vertheidigern der orthodoxen Satzungen der Kirche noch nicht gehört hatte. Er nannte mich ein Mal über das andere einen argen Sünder; er verſicherte mir, daß ich mit ſolchen Anſichten eine ſehr ſchwere Sünde auf mich lüde; aber er ſprach dies mit ſo viel ernſter Artigkeit, mit ſo tiefer Ueberzeugung, daß ich ihm nicht böſe ſein konnte. Ich gewahrte meinen Fehler, auf dergleichen Geſpräche eingegangen zu ſein, und ſchwieg. Auch hatte ich ſo viel- fach gehört, wie die Beſſerung verſtockter Seelen oft plötz- lich durch eine Erleuchtung des Geiſtes erfolge, daß ich es für Pflicht hielt, den Weg, den die Gnade vielleicht durch dieſen Mann für mein Heil erwählt haben möchte, nicht eigenſinnig zu verſperren. Ich hätte ſicherlich noch lange ſeinen Ausführungen mein Ohr geliehen, wenn nicht zuletzt die Freunde mit Gewalt uns vom Hinterdeck geholt und zu dem Theetiſch geführt hätten. – – Wie kann man ſo unvorſichtig ſein, ſagte M*, als wir allein waren, durch ſolche Expectorationen einen Mann von ſich abzuſchrecken, der uns für unſern Auf- enthalt in Konſtantinopel ſo nützliche Dienſte leiſten könnte! – 112 – – Sie haben Recht, erwiederte ich, ich habe unklug gehandelt, wie ſchon manchmal. Und in der That ſchien es, als wenn dieſe Unterhal- tung das Intereſſe des Mannes für uns erkaltet hätte. Wir wechſelten Karten und wir unterließen nicht, ihm in Conſtantinopel unſern Beſuch zu machen. Er empfing uns höflich, aber ſein Benehmen blieb kühl und es ſchien mir, als könne er es nicht mehr über ſich gewinnen, uns die kleinen Dienſtleiſtungen und Gefälligkeiten anzubieten, zu denen man in ſolcher Entfernung vom Vaterlande für ſeine Landsleute ſo gerne bereit iſt. Am andern Morgen war ſchon in früher Stunde alles in Bewegung. Binnen Kurzem ſollten wir in Konſtantinopel ſein. Jeder packte ſeine Sachen, räumte ſein Kabinet, bezahlte die Rechnung. Man erkundigte ſich nach den beſten Gaſthöfen, man berathſchlagte in welcher Weiſe der Aufenthalt in Konſtantinopel am zweckmäßigſten zu benutzen ſei. Auch hier zeigte es ſich, wie die Menſchen, anſtatt hülfreich zuzureden, es lieben, die Schwierigkeiten zu übertreiben; in den Gaſthöfen, hieß es, wird kein Unterkommen zu finden ſein; alles ſei von franzöſiſchen und engliſchen Offizieren eingenommen und die Preiſe ſeien in das Fabelhafte geſtiegen. Unſer engliſcher Offi- zier wollte bei Miſeri im Hotel d'Angleterre einkehren; der Marquis di R. wollte auf einer ſardiniſchen Fregatte, welche in dem Hafen von Konſtantinopel ihren Standort hatte, Wohnung nehmen; dem Herrn v. B. war ein Gaſthof, „Zum mittelländiſchen Meere,“ am Hafen als billig und gut empfohlen worden; uns rieth man drin- gend davon ab, da die niedrige Lage ihn ungeſund und ſchmutzig mache und empfahl uns das Hotel d'Europe oder Hotel de Byzance. – 113 – Mitten in dieſer Unruhe, in dieſem Durcheinander hatte das Schiff die ſieben Thürme, den Anfang von Konſtantinopel erreicht. Aber ein neidiſcher Vorhang von halb Nebel, halb Regen, die Ueberbleibſel eines geſtrigen Gewitters, verhüllte uns die Stadt. Das Schiff rauſchte an den Mauern vorüber und bald waren wir im Hafen. VI. Konſtantinopel. Die Anſicht der Stadt. Die tanzenden Derwiſche. Das Boot mit dem türkiſchen Geſundheitsbeamten kam; nach kurzer Unterſuchung hieß es „freie Pratika.“ Schlanke ſpitzige Boote ſchwirrten um das Schiff und das Deck füllte ſich mit Leuten, die uns in allen Sprachen dieſen Gaſthof, jenes Hôtel garni anprieſen. Bei Nie- mand war Raths zu erholen; die Paſſagiere liefen durch- einander, der Capitain und ſeine Leute waren mit den Papieren und der Ladung beſchäftigt; ein Commiſſionair ſah ſo ehrlich und ſo unehrlich aus, wie der andere; ſo führte uns halb der Zufall in die Hände eines Griechen, der uns zu dem Hötel d'Europe brachte. Wir erhielten eine freundliche Stube mit zwei Betten; für Wohnung, Koſt und Bedienung hatten wir zuſammen täglich 272 Fr. oder 7 Thlr. 10 Sgr. zu zahlen. Der Grieche, der uns geführt, wurde uns von dem Wirth als Dragoman empfohlen. Als ſolcher übernahm er das vereinigte Amt eines Bedienten, Führers und Dollmetſchers und wir zahlten ihm dafür täglich 6 Franken oder 1 Thlr. 18 Sgr. Er hieß Themiſtokli Theodoro, war Sohn eines griechi- ſchen herabgekommenen Kaufmanns, hatte eine gute Er- – 115 – ziehung genoſſen und ſprach und ſchrieb ziemlich geläufig franzöſiſch, italieniſch, griechiſch und türkiſch. Die nothwendigſten Bedingungen unſerer Exiſtenz in Konſtantinopel waren ſo geregelt, und nach dem Früh- ſtück übergaben wir uns dem Theodoro. Das Wetter hatte ſich aufgeklärt; die Luft war nach dem Regen durch- ſichtig und rein geworden; wir ſtiegen in ein Kaik, fuhren zum Hafen hinaus, und Konſtantinopel lag vor und rings UM UN 8. Die Erhabenheit, den Reichthum, die Schönheit dieſes Anblicks zu faſſen, ſich zu eigen zu machen, iſt nicht das Werk der erſten Stunde, ſelbſt wenn ſie mit Aufmerkſam- keit und Ruhe dazu verwendet wird. Die Größe und Tiefe dieſer Rundſchau dringt nur nach und nach in die Seele. Wie ein reicher, tiefer Charakter nur durch langen Umgang gefaßt und verſtanden werden kann, ſo verlangt dieſer große Punkt der Welt wiederholte Rückkehr zu ihm und erſt nach Wochen und Monaten erſchließt er ſeine Fülle und ſeine Eigenthümlichkeit. Das Bild, was die Seele ſo gewinnt, iſt dann tief in ihr eingeprägt; es leuchtet, es flammt noch, wenn man längſt nach dem Norden zurückgekehrt iſt, und gleich dem Bilde eines ge- liebten Verſtorbenen bricht es oft plötzlich in der Seele hervor, mitten in dem Dunkel der Nacht, in dem Geſchwirr des Geſchwätzes einer großen Geſellſchaft, in der Einſam- keit eines Spazierganges durch die flachen Felder der Heimath. Zwei Meeresarme, das goldene Horn und der Bos- porus, begegnen ſich, gleich zwei Rieſenſtrömen, im rechten Winkel und ergießen ſich vereint ſofort in das weite Becken des Marmora-Meeres. Schnell aufſteigende Höhen von 800 bis 1000 Fuß bilden die Ufer dieſer Gewäſſer; durch ſie ſind ſie in drei Landſtriche getheilt, die, gleich Vor- 8* – 116 – gebirgen, mit ihren nach dem Meere zu abfallenden Spitzen nur durch die breite Waſſerfläche geſchieden ſind, welche zwiſchen ihnen in tiefblauer Farbe ſich ausdehnt. Auf dieſen drei Vorgebirgen, vom Meere aufſteigend, liegt ringsum Konſtantinopel. - Auf dem Landſtrich zwiſchen dem Marmora-Meer und dem goldenen Horn ſteht die Hauptſtadt, Stambul, die Türkenſtadt. Die am Meere hier ſanfter ſich hebende weite Erdfläche iſt dicht mit rothbraunen Häuſern bedeckt. Man verfolgt ſie tief hinein, längs dem goldenen Horn, aber man findet kein Ende; man ſieht zu ihnen auf bis nach den höchſten Punkten des Bergrückens, aber man trifft keine leere Stelle; nach links und rechts, nach oben und unten nichts als ein Meer von Häuſern. Sie bilden ein regelloſes Gemiſch und Gewirr; man ſieht keine Züge von Straßen, die es abtheilten und geſtalteten. Ein Haus gleicht dem andern; einſtöckig, rothbraun angeſtrichen und mit flachem Dach von rothbraunen Ziegeln, bilden ſie den gleichförmig dunkeln Untergrund, aus dem die mannig- faltigen Werke vergangener Jahrhunderte und der Jetzt- zeit ſich glänzend hervorheben. Indem der Boden mit der Entfernung ſich hebt, heben ſich auch dieſe Maſſen von Häuſern; der ganze Hintergrund iſt klar und die fernſten Häuſergruppen zeigen ſich über die vorderen her- über, ſo deutlich wie dieſe. - Wie Felſen aus einem dunkeln Wald, heben ſich aus dieſen Häuſermaſſen die Moſcheen. Große Rundbaue, an die ſich von allen vier Seiten halbe Rundbaue und an dieſe nochmals kleinere halbe Rundbaue anſchließen, ragen ſie hoch über die Häuſer empor, mehr durch die rieſigen Maſſen, als durch die Ausführung ihrer Theile imponi- rend. Ueber dem Hauptbau wölbt ſich eine Rieſenkuppel; an dieſe fügen ſich die mittleren, an dieſe die kleinen in – 117 – zahlreichen Wölbungen; alles iſt mit Blei gedeckt und die ſymmetriſch verbundenen Kuppeln leuchten als ein Ganzes in ihrem bleigrauem Schimmer hoch über den braunrothen Dächern der Häuſer. Zahllos ſcheint die Menge ſolcher Moſcheen; in der Tiefe, auf der Höhe, weit hinauf dem Waſſer entlang, überall ragen dieſe metallenen Dome empor. Als die gewaltigſten liegen nach der Höhe zu die Aja Sophia, die Achmed, die Suleimannia, die Bajazed. Mit ihren gigantiſchen Maſſen bilden ſie Mittelpunkte, von denen angezogen, das Geringere zu einzelnen Gruppen ſich ver- bindet und das Chaos geſtaltet. Neben jeder Moſchee "heben ſich ihre Minarets; ſchlanke, glatte, ſpitz zulaufende Thürme mit einfachen Geſimſen von blendend weißer Farbe, gleichen ſie genau Rieſenwachskerzen auf Rieſen- leuchtern, die nur der Nacht warten, um mit ihrem Wunder- feuer die Wunderſtadt zu beleuchten. Jede Moſchee hat mindeſtens zwei, die meiſten vier, die Achmed-Moſchee allein ſechs ſolche Minarets, die die hohen Kuppeln noch hoch überragen. War die Menge der Moſcheen groß, ſo iſt es die der Minarets noch mehr, und durch die ganze Stadt bunt und regellos zerſtreut, erſetzen ſie in Zierlich- keit und Schlankheit, was den maſſigen Bauen der Mo- ſcheen fehlt. - Zwiſchendurch in der Häuſermenge zeigen ſich andere Bleidächer mit regelmäßigen Reihen kleinerer Kuppeln; zwei große Stellen der Stadt ſind von ſolchen Blei- dächern eingenommen. Es ſind die großen Bazars oder richtiger: Beſeſtan, die, jeder ſelbſt eine kleine Stadt mit bedeckten Straßen und Plätzen, die Waaren des Orients und Occidents zum Kauf anbieten. - - Eine andere Art von metallenen Kuppeln unterſcheidet ſich durch kleine runde Oeffnungen, mit denen die Wöl- – 118 – bung in ſymmetriſchen Reihen durchbrochen iſt; dieſe Oeffnungen ſind mit Glas ausgeſetzt. Es ſind Gebäude für die türkiſchen Bäder. Das Auge, verwöhnt durch die Anſichten europäiſcher Städte, ſucht nach Thürmen; man findet nur einen, in der Mitte des Häuſermeers, der ſelbſt die Minarets noch hoch überragt. Man glaubt die gewaltige Dicke ſeiner weißen Mauern zu erkennen. Der runde Thurm ſteht allein, erhebt ſich hoch und endet in einen gewölbten laternenartigen Aufſatz, in dem der Feuerwächter ohne Unterlaß im Kreiſe umhergeht und das in der Stadt etwa entſtehende Feuer durch Zeichen bekannt macht. In den ſchweren geſchlängelten Verzierungen, in dem Mangel jedes Bogens, jeder Spitze, mit Ausnahme der höchſten, zeigt dieſer Thurm eine rein türkiſche Bauart, die das Auge feſthält. Es iſt der Thurm des Seraskiers. Links davon liegt ein Gebäude mit langer, doppelter Front und großen Flügeln. Dreiſtöckig, mit großen Fen- ſtern, hell angeſtrichen, iſt es ein europäiſcher Palaſt von rieſigen Dimenſionen, im grellen Gegenſatz zu den orien- taliſchen Umgebungen. Es iſt die hohe Pforte, der neue Palaſt für die Verſammlungen der Miniſter, für die Bu- reaus aller ihrer Beamten und für eine große Zahl an- derer Behörden. - Sieht man länger hin, ſo erkennt man in dem Ge- wirr der Häuſer auch hier und da kleinere Gebäude mit zierlichen, halb chineſiſch geſchwungenen, vorſtehenden Dä- chern und den bunteſten Farben. Dies ſind die öffent- lichen Brunnen, von den Sultanen zum Andenken ihres Namens in allen Theilen Konſtantinopels erbaut. Dem Waſſer entlang ziehen ſich dicke graue, verfallene Mauern. An einzelnen ſchwarzen Wölbungen erkennt man die Thore; aber eine dichte Reihe von Häuſern hat ſich – 119 – ſpäter zwiſchen ſie und das Waſſer gedrängt und den Mauern und Thoren die Bedeutung genommen. Es ſind die von Konſtantin dem Großen vor 1500 Jahren er- bauten Stadtmauern. Die breite Spitze des Landes ſenkt ſich langſam zum Meere und dringt weit hinein in das Waſſer, als wollte es, ſeinen Lauf hemmen. Dieſer Theil zeigt, völlig ab- weichend von jenem Häuſermeer, nur vereinzelte Gebäude von ſeltſamer Form und Bauart. In hellern, grauen Farben, mit zahlreichen, die gerade Linie unterbrechenden Vorbauten, aber meiſt einſtöckig, ragen ſie aus einem Laubwald hervor, der dieſe breite Landzunge bedeckt. Schlanke Cypreſſen, breite Platanen bilden hie und da maleriſche Gruppen, wo der Wald zu offenen Plätzen ſich lichtet. Dahinter erheben ſich Reihen von Kuppeln und Schornſteinen, mit Blei gedeckt. Es ſind die Küchen des Sultans und das Ganze iſt der Serail, in ſich ſelbſt einen Stadttheil bildend und von einer hohen Mauer umzogen, die aber an vielen Orten verfallen oder von Pavillons und Kiosks durchbrochen iſt. Jetzt iſt der Serail von den Sultanen verlaſſen; nur die von ihnen verlaſſenen Frauen des Harems bewohnen dieſe Paläſte. Eine ſchöne, feſte Schiffbrücke, mit zwiefachem Bogen zur Durchfahrt der Boote führt von Stambul zu dem zweiten Landſtrich, der vom goldenen Horn und dem Bosporus eingeſchloſſen iſt. Hier hebt die Küſte ſich höher und ſteiler. Die Häuſer liegen auch hier in zahlloſer Menge; aber man erkennt doch einzelne Züge von Straßen und die Häuſer ſind höher, heller und verrathen eine feſtere Bauart. Dies ſind die fränkiſchen Stadttheile Galata und Pera, jede für ſich eine Stadt von 60,000 Ein- wohnern. Galata liegt am Waſſer und enthält die Comtoire der Kaufleute, der Bankiers, die Börſe, die – 120 – Magazine und die Bureaus aller kaufmänniſchen Geſell- ſchaften. Von den Genueſern vor 500 Jahren gebaut, iſt es noch von hohen Feſtungsmauern und tiefen Gräben im mittelalterlichen, europäiſchen Styl umgeben. Ein hoher dunkler Thurm mit grünem Kupferdach ragt hier über die Häuſer hervor, als Gegenſtück zu dem Thurm des Seraskiers jenſeits. Pera iſt der ausſchließlich von Europäern bewohnte Stadttheil, und einzelne vorſtechende Paläſte verrathen, daß hier die europäiſchen Geſandten reſidiren. Ein mächtiges Gebäude, von gelblicher Stein- farbe, mehrere Stock hoch, mit langer Front, die an beiden Seiten in thurmartigen Vorbauen endet, überragt auf der Höhe alle anderen, es gleicht einer Feſtung, und die untern Fenſter ſind ſtark vergittert. Es iſt das jetzt verlaſſene Palais der ruſſiſchen Geſandtſchaft, von wo Menſchikoff in Reitſtiefeln und Oberrock ausging zur Konferenz mit Redſchid Paſcha. Man ſagt, daß es auch im Innern feſtungsartig gebaut ſei, zum Angriff, wie zur Ver- theidigung. Links von Pera, nach dem goldenen Horn hinab, unter- bricht ein großer dunkler Cypreſſenwald die Maſſe der Häuſer; durch die Bäume hindurch erkennt man an offenen Stellen die graue Erde mit zahlloſen aufrechten Steinen; es iſt der große und kleine Begräbnißplatz. Zu beiden Seiten von Pera und Galata beginnen wieder die braunen Häuſer der türkiſchen Stadttheile, die ſie umgeben. Hier und in Stambul ſind die Häuſermaſſen ſtellenweiſe durch weite wüſte Plätze unterbrochen, wo man ſtatt der braunen Dächer nur verfallene Mauern, halb grau, halb ſchwarz herauserkennt. Es ſind die Brand- ſtätten von Feuersbrünſten, von 10, 20 und mehr Jahren her. Nur nach und nach bebauet man ſolche Stellen wieder; bis dahin bleibt alles in dem Durcheinander ver- – 121 – fallener, verbrannter Mauern, wie am Morgen nach dem Brande. Jenſeits zwiſchen dem Bosporus und dem Marmora- Meer hebt ſich der dritte Landſtrich, der die Rundſchau ſchließt. Hier liegt Skutari mit ſeinen 200.000 Ein- wohnern, der aſiatiſche Theil von Konſtantinopel. In ſeinen Häuſern, Moſcheen, Minarets wiederholt es den Anblick von Stambul; aber indem es nicht ſo grenzenlos ſich ausdehnt, iſt es links eingefaßt von grünen Höhen, die in hohe Bergkuppen ſich trennen, und rechts liegt auf der hier ſteil abfallenden Küſte die ungeheure Front einer neuen Kaſerne mit ihren weiß und roth angeſtrichenen Mauern. Weiter zurück ragen aus jeder Lücke die hohen Gipfel der Cypreſſen hervor, die in einem dichten, meilen- langen Walde Skutari von der Landſeite umgeben und den großen Begräbnißplatz bilden, wohin ſelbſt der Türke aus Stambul ſich gern begraben läßt, um in aſiatiſcher Erde, ſeiner wahren Heimath, zu ruhen. - Zwiſchen dieſen drei Städten breitet ſich der helle Spiegel der Gewäſſer aus, der ſie trennt und vereint. Damit fügen ſich zwiſchen dieſe drei Vorgebirge, über- deckt mit Häuſern, Moſcheen, Minarets und Paläſten, drei See- und Gebirgslandſchaften ein, die den Kreis der Rund- ſchau ſchließen und den Zauber des Ganzen vollenden. Zwiſchen Skutari und Stambul hindurch ſieht man in das weite Becken des Marmora-Meeres. Links heben ſich in ſanften Linien die Prinzeninſeln daraus empor; ob- gleich vier Stunden entfernt, läßt die Klarheit der Luft jedes Haus an ihren Küſten und die griechiſchen Klöſter auf ihren Höhen deutlich erkennen. Rechts von ihnen zieht ſich das Meer in endloſe Ferne, am Horizont zeigen ſich nur einzelne Schiffe, die kommen oder gehen. Aber zwiſchen Stambul und Galata, auf der blanen – 122 – Fläche des goldenen Hornes, erhebt ſich eine andere, ſchwimmende Stadt mit zahlloſen Maſten und Raaen. Das goldene Horn, in der doppelten Breite des Rheins bei Köln, iſt der berühmte Hafen Konſtantinopels, einer der ſchönſten Häfen der Welt, in dem alle Flotten Raum haben und in dem große Linienſchiffe bis dicht. an die Häuſer anfahren können. Erſt weit hinauf verwandelt ſich dieſer Meeresarm in das Flußbett eines Süßwaſſer- ſtroms, der ſeine vom Balkangebirge kommenden grünen Waſſer dem Meere zuführt. Der Rand der Küſte iſt von den langen dichten Reihen von Handelsſchiffen aller Na- tionen verdeckt; Tauſende von Menſchen ſteigen in ihnen auf und ab und laden die Ballen, die Fäſſer, die Haufen von Früchten aus, mit denen Konſtantinopel verſorgt wird. Weiter ab liegen vor ihren Ankern die Dampfſchiffe aus Alexandrien, Trieſt, Marſeille, Southampton, und weiter zurück heben ſich noch größere Koloſſe, Linien- und Schrau- ben-Kriegsſchiffe von den vereinigten Flotten, aus Varna angelangt. Zwiſchen den ſchwarzen Wänden dieſer ruhen- den Schiffe fahren in ſteter Bewegung die weiß und rothen kleineren Dampfboote, welche die Verbindung zwi- ſchen Skutari, Stambul und Pera unterhalten, und die großen Dampfſchiffe, welche Fregatten an einem langen Tau hinter ſich nach dem ſchwarzen Meere ſchleppen. Neben den Schiffen des Hafens wimmelt es von den ſchlanken türkiſchen Booten, die gleich Ameiſen in geſchäf- tiger Eil zwiſchen den Lücken der großen Fahrzeuge hin- durch gleiten und von ihrem, am Boden kauernden Paſſagier nur den gelben Strohhut oder den rothen Tur- ban ſehen laſſen. - Folgt man den Dampfbooten, ſo trifft das Auge auf die dritte Waſſerfläche, die lieblichſte von allen. Als breiter, blauer, leicht gekräuſelter Strom kommt hier der – 123 – Bosporus dem Beſchauer entgegen; weder überfüllt wie das goldene Horn, noch leer wie das Marmorabecken, gleicht er einer lebendigen Landſtraße, die ſich zwiſchen zwei bewachſenen Anhöhen hinzieht und auf der, ſtatt Wagen, Schiffe aller Größe geräuſchlos dahinſchwimmen. Eben treibt der friſche Nordwind einen Dreimaſter mit vollen Segeln der Stadt zu; und dort zieht ein Dampf- ſchiff, unſcheinbar, mit niedrigen Maſten, eine gewaltige Fregatte nach Varna zu. Die ſchwarzen Streifen, welche ſich über den Strom nach den Bergen ziehen, verrathen, daß noch andere, nicht mehr ſichtbare Dampfſchiffe, ihnen vorauseilen. Das iſt die Rundſchau von Konſtantinopel vom Meere aus. Was hier mühſam hintereinander aufgezählt worden iſt, das erfaßt das Auge dort mit einem Blick. Man wendet ſich von den Städten zu den Waſſern, von den Waſſern zu den Häfen. Man müht ſich, herauszufinden, welcher Theil der ſchönere ſei, und vergißt, daß die größte Schönheit aus der harmoniſchen Verbindung dieſer kon- traſtirenden Theile hervorgeht. Ueber dem Ganzen iſt das tiefblaue Himmelsgewölbe ausgeſpannt und die ſüdliche Sonne gießt ſo viel Maſſen von Licht herab, daß alle Farben tiefer leuchten, alle Umriſſe ſchärfer ſich abzeichnen und ſelbſt das Kleinſte deutlich hervortritt. – Wunderbar! rief ich, wir ſchaukeln hier auf dem Meere und doch können wir mit Recht ſagen, daß wir uns im Mittelpunkte von Konſtantinopel befinden, nach allen Seiten heben ſich die Stadttheile vor uns empor; – Ja, bemerkte M**, und ſo wenig wir wiſſen, ob wir auf dieſem Punkt in Aſien oder in Europa ſind, ſo wenig weiß man, ob dieſe Stadt zu Europa oder Aſien gehört. - Das Boot wurde von der Strömung des Bosporus – 124 – bald abwärts getrieben, bald führten die Ruderſchläge des Schiffers es wieder nach aufwärts. Dieſe auf- und ab- gehende Bewegung, während wir ſelbſt, ruhend, ſie nicht empfanden, gab auch der Anſicht einen leichten Wechſel. Indem wir abwärts trieben, verſchwand mehr der land- ſchaftliche Beſtandtheil; die Seite von Stambul, die lang am Marmorameere ſich hinzieht, mit dem Schloß der ſieben Thürme, dem ehemaligen Gefängniß europäiſcher Geſandten, wurde ſichtbar; bewegten wir uns aufwärts, ſo nahm der Bosporus an Breite und Bedeutung zu; die grünen Berge mit den Pavillons des Sultans hoben ſich höher und die Küſte an beiden Seiten entfaltete eine fortlaufende Reihe von Paläſten, unter denen der neue Marmorpalaſt, den der jetzige Sultan mehr oberwärts Tophane erbauet, durch ſeine lange, in blendender Weiße flimmernde Front hervortrat. – Meine Herren, bemerkte endlich Theodoro, heute, Sonntags, tanzen die Derwiſche; wenn Sie ſie ſehen wollen, ſo iſt es Zeit, daß wir aufbrechen. – Ich habe nur von Derwiſchen in Syrien und Aegypten geleſen, ſagte ich. – Nein, bemerkte M*, die Derwiſche ſind überhaupt geiſtliche Brüderſchaften, nach Art der chriſtlichen Mönche; doch iſt ihr Leben nicht ſo abgeſchieden; viele ſind verheirathet und treiben bürger- liche Gewerbe. – Theodoro bemerkte, daß es ſolcher Derwiſche ſowohl auf der Seite von Pera als in Sku- tari gebe. - – Wir landeten am Arſenal und ſtiegen einen tür- kiſchen Stadttheil hinter Pera in die Höhe. Durch einen engen Gang zwiſchen Mauern gelangten wir in einen umſchloſſenen Hof, der rechts von einem großen runden Gebäude begrenzt war. Wir ſtiegen hier die ſteinerne Vortreppe in die Höhe und trafen vor dem Thor einen – 125 – Mann neben einer langen Reihe von Pantoffeln und Schuhen aller Farben. – Sie müſſen Ihre Stiefeln hier ausziehen, bemerkte Theodoro; wir thaten es und wollten in ein Paar der Pantoffeln fahren, die wir zu dem Zweck hingeſtellt glaubten. Man bedeutete uns, daß ſie den be- reits eingetretenen Gläubigen gehörten, und ſo traten wir in Strümpfen, den weißen Filzhut auf dem Kopfe, in das Heiligthum. Es war ein lichter runder Saal. Ein niedriger Holz- verſchlag lief im Kreiſe herum und theilte ihn in eine Gallerie nach der Wand hin und in einen größeren Kreis nach der Mitte. Die Gallerie war mit Strohmatten be- deckt; der innere Kreis war parquettirt und glatt gebohnt. In der Gallerie ſtanden, knieten und ſaßen einzelne Tür- ken, und wir, obwohl nicht ohne Scheu, ſtellten uns unter ſie. Der Kreis in der Mitte war bereits mit Derwiſchen angefüllt; die meiſten knieten und beugten dabei in ſchau- kelnder Bewegung den Oberkörper zur Erde, ſo daß das Geſicht den Boden berührte, ſtets in der Richtung nach Mekka; andere blieben in dieſer Stellung längere Zeit liegen. Sie trugen lange weite Mäntel von hellen Far- ben, lila, hellbraun, roſa, blau, die ihnen bis zu den Füßen reichten; barfuß, den Hals bloß, hatten ſie auf dem Kopfe dicke Filzmützen, genau von der Geſtalt und Farbe unſerer irdenen Blumentöpfe. Es waren kräftige Geſtalten im reifen Mannesalter, nur einzelne ſchienen jünger. Einer, von ihnen abgeſondert, trug ſtatt der Filzkappe einen grünen Turban; ein ſchwarzer Bart um- gab ſein volles, blaſſes Geſicht mit großen dunkeln Augen. Er ſchien der Vorſteher zu ſein, und Theodoro verſicherte, daß er ein Abkomme des Propheten Mahomed ſei. Ein ältlicher, gebückter Mann mit weißem Bart ſtand ihm in ſeinem Amte bei, erhielt aber nicht die Zeichen von Ehr- – 126 – furcht, wie jener jüngere. Es fanden ſich nach und nach noch mehr Derwiſche ein und das Knieen und Beten wurde vertauſcht mit einem feierlichen Umgange längs der Gallerie. Dann folgte ein Geſang, der von drei Inſtrumenten auf einer Art Emporkirche, einer Hoboe, einer Geige und einer Pauke begleitet wurde. Der Ge- ſang war ohne Rhythmus, auch kehrte ſtets dieſelbe ein- fache Melodie wieder; dennoch lag in dieſer Muſik der Charakter der Klage, der Wehmuth, des Inſichgehens, und die Harmonie bewegte ſich, wenn auch unbeſtimmt, in weichen Akkorden. Nach dem Geſang folgte eine Art freier Vortrag des Vorſtehers im grünen Turban, von dem wir ſo wenig, wie von dem Geſange etwas verſtanden; dann folgte wieder der feierliche Umzug und wir waren ſchon im Be- griff, nachdem wir dieſe einfachen Weiſen lange betrachtet, uns zu entfernen, als auf einmal die Muſik jener drei unſichtbaren Inſtrumente einen bewegtern, lautern Charak- ter annahm, die Pauke ſchlug ſtärker und die Derwiſche warfen auf den Wink ihres Vorſtehers ihre Mäntel ab. Sie waren nun alle in weißwollene Weiberröcke gekleidet, die mit kurzen Aermeln an den Oberkörper anlagen, aber von den Hüften abwärts ein faltenreiches Gewand bil- deten, das bis zu den bloßen Knöcheln reichte. Sie ſtanden ringsherum im Kreiſe hintereinander, und mit dem Ab- werfen der Mäntel begannen ſie kreiſelartig ſich zu drehen. Obgleich die Drehungen ziemlich ſchnell gingen, ſo ver- änderten ſie doch wenig ihren Ort; nur langſam voll- führten ſie, wie die Trabanten eines Planeten, neben dieſem Drehen um ſich ſelbſt auch noch ein Drehen an dem Rande des Kreiſes herum. Der weiße, faltenreiche Rock wurde von der Luft ballonartig aufgetrieben. Die Arme wurden wagerecht weit ausgeſtreckt, der Kopf ſchief, – 127 – ein wenig verdreht gehalten. So war der ganze Um- kreis des inneren Raumes mit weißen drehenden Der- wiſchen gleich umgekehrten Kreiſeln ausgefüllt, während in der Mitte der Vorſteher mit dem älteren Gehülfen langſam in entgegengeſetzter Richtung herumwandelte. Dies Drehen mit der immer lärmender werdenden Muſik dauerte an 10 Minuten. Keiner von den Tänzern ver- lor das Gleichgewicht, keiner ſtieß an den andern, ob- gleich ſie einander nahe ſtanden, nur an den Geſichts- zügen erkannte man die ſteigende Aufregung und eine be- ginnende Betäubung. Neben der Muſik hörte man nur das Rutſchen der bloßen Füße auf dem gewichſten Boden. Auf das Zeichen des Vorſtehers hörte plötzlich das Drehen auf; jeder blieb wie angewurzelt an ſeiner Stelle, ohne zu ſchwanken; ſie begannen einen neuen Umgang, der eben ſo plötzlich wieder in ein Drehen überging, aber ſchneller und wilder. So wechſelte Gehen und tanzendes Drehen dreimal, dann nahmen die Tänzer ihre Mäntel wieder auf, hüllten ſich in ſie, begrüßten den Vorſteher, knieten nach Mekka hin nieder, und küßten die Erde. Damit ſchloß dieſer Gottesdienſt und die Derwiſche gingen wie andere vernünftige Menſchen geſetzt nach Hauſe. Wir ſelbſt waren vom Zuſehen drehend geworden und hatten Mühe, uns zu beſinnen, daß wir in keinem Irren- hauſe geweſen. Anderthalb Stunden waren im Anſehen dieſes anſteckenden Taumels verfloſſen. – Welche Mannigfaltigkeit in der Verehrung der Gott- heit! rief ich; bei uns ſammelt man mit Gewalt ſeine Gedanken, um die Myſterien der Religion, die der Prediger verkündet, zu verſtehen; hier dreht man ſich, um alle Ge- danken zu verlieren und damit in der Gottheit aufzugehn. – Man kann nicht beſtreiten, ſagte M*, daß der Zweck, die Entäußerung vom Irdiſchen, auf beide Weiſen erreicht werden kann. – 128 – – Die Fertigkeit dieſer Leute im Drehen, bemerkte ich, iſt bewunderungswürdig; ich habe es im Stillen mit der Uhr verglichen und gefunden, daß ſie 50 Umdrehungen in einer Minute machten; da ſie nun dreimal 10 Minuten lang getanzt haben, ſo ergiebt dies 1500 Umdrehungen für den kurzen Zeitraum von 40 Minuten. Ich glaube nicht, daß ein Uneingeweihter ſich mehr als 50 Mal im Kreiſe drehen kann, ohne beſinnungslos hinzufallen. – Dennoch, ſagte M**, ſcheint eine Art Sinnengenuß damit verbunden zu ſein; in den Geſichtern entwickelt ſich ein Zug von Raſerei, und man weiß nicht, ob man dieſe Ceremonie zu den ascetiſchen rechnen ſoll, denen doch dieſer Orden der Derwiſche ſeine Entſtehung verdankt. – Es giebt, bemerkte Theodoro, außer dieſen tanzen- den Derwiſchen auch brüllende Derwiſche (qui hurlent); dieſe letzten können Sie jeden Donnerſtag in Skutari hören. Wir nahmen uns vor, auch dieſe zu beſuchen, kamen aber da leider zu ſpät. Mehrere Reiſende ſchreiben auch von Derwiſchen, die als Gottesverehrung glühende Kugeln anfaſſen, Meſſer verſchlucken; Niemand in Konſtantinopel konnte uns aber dergleichen nachweiſen. - Als wir Abends in unſer Hotel zurückkamen, trafen wir nur eine kleine Geſellſchaft am Mittagstiſch. Neben mir ſaß ein ältlicher Herr mit grauem Backenbart und rother Militärjacke. Er war geſprächig und ſtellte ſich mir als Mr. A), Regimentsarzt vom 28. engliſchen In- fanterie-Regiment vor. Er war eben mit ſeiner Frau, die neben ihm ſaß, aus dem Lager von Varna gekom- men. Er hatte mit dem Regiment 25 Jahre in Indien geſtanden, war dann nach England zurückgekehrt und hatte im Frühjahr ſich mit dem Regiment nach Gallipoli und ſpäter nach Varna eingeſchifft. Er hatte mit ſeiner Frau acht Wochen im Lager in Varna zugebracht; ſeine Frau – 129 – hatte ein eigenes Zelt eingeräumt bekommen. Beide klagten vorzüglich über das Waſſer in Varna; es wäre ſo ſchlecht geweſen, daß ſie es nicht einmal zum Thee hättee verwenden können. Im Uebrigen hatte die Frau alle Strapazen des Lagerlebens muthig ertragen; der Herr Gemahl aber hatte bei ſeinem vorgerückten Alter bedenkliche Anfälle von Gicht bekommen, die ihn beſtimmt hatten, ſeinen Abſchied nachzuſuchen. Er war jetzt mit ſeiner Frau auf dem Heimwege nach England. Ihnen gegenüber ſaß ein junger Mann in Civilkleidern, der auch nur engliſch ſprach. Er war ein Verwandter des Dr. A). und hatte zu der Schiffsmannſchaft des bei Odeſſa geſtrandeten „Tiger“ gehört. Auf ſein Ehren- wort, in dieſem Kriege nicht mehr gegen Rußland zu dienen, war er frei gegeben worden und ging ebenfalls nach England. Neben der Frau Dr. A). ſaß ein Herr, der ſich außer- ordentlich lebhaft mit ihr unterhielt, aber dabei keines von den vielen Gerichten ungenoſſen vorübergehen ließ. Die ſpäteren Tage ſahen wir ihn nicht mehr, und auf unſere Frage ſagte der Kellner, daß er unwohl ſei. Er iſt, fügte er hinzu, ein Korreſpondent der „Times“ und er ſendet mit jedem Schiffe Berichte nach England. Er wohnt ſchon ſeit einigen Monaten bei uns, ohne daß er ausgeht. Er iſt in der Regel mehrere Tage in der Woche krank; er leidet am Magen und es ſcheint, daß der Herr, ſo wie er aufſtehen kann, zu viel ißt und ſich damit wieder verdirbt. - Ich traf ihn ſpäter in leidendem Zuſtande auf einem Lehnſeſſel im Geſellſchaftszimmer. Er war für einen Engländer ungewöhnlich geſprächig und erzählte mir unter Anderm, daß er das vorige Jahr in der Wallachei geweſen und dort auch den preußiſchen Konſul M. in - 9 – 130 – Bukareſt in Geſellſchaft der ruſſiſchen Offiziere oft ge- ſehen und geſprochen habe. - Es war mir ganz intereſſant, einen ſolchen Korreſpon- denten in Natura zu ſehen und nach den Mittheilungen des Kellners über ſein häusliches Leben wurde mir nun erſt die fahle Allgemeinheit ſo mancher dieſer Zeitungs- artikel verſtändlich. ------------------------------------ VII. Die Straßen Konſtantinopels. - Ritt um die Thore. Man hatte uns vor Allem einen Ritt um die Thore von Konſtantinopel empfohlen, als den ſchnellſten Weg, uns zu orientiren. Wir fuhren deshalb am anderen Morgen nach Stambul über. Am Landungsplatze ſtanden eine Anzahl türkiſcher Pferdevermiether mit ihren geſat- telten und gezäumten Pferden an der Hand. Die Mieths- pferde Konſtantinopels ſind ein kleiner Schlag, inländiſche Zucht, meiſt Hengſte und von großer Ausdauer. Die beſſeren Pferde waren ſämmtlich für die franzöſiſche Ka- vallerie aufgekauft worden. Deshalb waren das, was wir ſahen, meiſt alte Thiere; aber dennoch war es ſelten, daß ſie einen Fehltritt thaten und einzelne anſtrengende Proben überzeugten uns, daß dieſe abgetriebenen und ſchlecht genährten Pferde mehr leiſteten, als man in Deutſchland ſelbſt kräftigen Pferden zumuthet. Zaum und Sattelzeug war durchaus liederlich und halb zerriſſen. Ein Beſtandtheil, auf den dagegen mit mehr Sorgfalt von ihren Herren gehalten wurde, waren Halsbänder von bunten Glasperlen, die ihnen als Amulette gegen den böſen Blick um den Hals gehangen werden, und die oft 9 – 132 – noch mit ſeidenen Schnüren und Quaſten verziert ſind. Die Sättel ſind jetzt in Konſtantinopel meiſt in engliſcher Form; türkiſche Sättel fanden wir nur in Aſien. Die Pferde ſind ſtark beſchlagen, aber die Eiſen ſind ohne Stollen, ganz glatt. Es ſcheint dies in Folge des ſchlech- ten Pflaſters zu geſchehen, auf dem die Pferde fortwäh- rend gehen müſſen; ſie rutſchen zwar deshalb leicht und die ſteilen Straßen bergab glaubt man nicht mit geſun- den Gliedern herabzukommen; aber man bemerkt bald, daß dies Rutſchen und Glitſchen der Pferde die ſteilen Straßen herab ſie mehr gegen das Fallen ſchützt, als wenn ſie mit den Stollen in den Löchern und Ritzen hängen blieben. Wir mietheten drei Pferde für uns und Theodoro für vier Thaler; ein Burſche des Pferdevermiethers lief auf dem ganzen Wege zu Fuß neben uns her. Wir hatten erſt einen langen Weg durch die Straßen Stam- buls zurückzulegen, ehe wir an die Thore gelangten. Die Straßen und das Leben in ihnen iſt das, was zuerſt die Aufmerkſamkeit des Reiſenden in Anſpruch nimmt. Sie gleichen ſich einander in Konſtantinopel mehr, als in irgend einer europäiſchen Stadt. Sie ſind alle krumm, enge, ſchmutzig und überaus ſchlecht gepflaſtert. Der Rinnſtein geht in der Mitte und die Seiten ſind abſchüſſig; die Pferde ruſchten oft ab in die Goſſe in der Mitte und ſpritzen den Koth nach allen Seiten. Das Pflaſter iſt aus großen ungleichen eckigen Steinen gelegt und die dadurch unvermeidlichen Lücken ſind an vielen Stellen zu großen Löchern ausgetreten. So lange die Straße wagrecht führt, iſt dies noch erträglich, aber die Mehrzahl der Straßen geht bergauf und bergab, oft ſteil, und dann iſt nicht blos das Reiten, ſondern auch das Gehen eine Aufgabe, die gute Beine nnd ſtete Aufmerk- – 133 – ſamkeit erfordert. In ganz Konſtantinopel giebt es keine Wagen, weder für Fracht noch für Perſonen. Die große Mehrzahl aller Stände und Nationen geht zu Fuß; nur Fremde und höhere Beamte, die nach ihren Bureau's reiten, ſieht man hin und wieder zu Pferde; alle Waaren und Laſten, die man in Europa auf Wagen fortſchafft, werden hier entweder von einer eignen Klaſſe Leute, den Hamals, Laſtträgern, getragen, oder auf Pferde geladen. So haben wir volle Fäſſer von 6 Oxhoft durch Menſchen forttragen ſehen; es tragen 10–16 Mann an ſolch einem Faß; vermittelſt langer Stangen wird die Laſt kunſtge- recht auf die einzelnen vertheilt. Auf Pferden ſchafft man ebenſo alles mögliche fort; ſelbſt kleingemachtes Brennholz oder Ziegelſteine, und zwar blos mittelſt Stricke, durch die man dieſe Steine untereinander zuſammenbindet und dann auf beiden Seiten des Pferdes anhängt. Wagen ſind nur in Gebrauch als Kutſchen zum Spa- zirenfahren der Frauen aus den Harems der reichen Türken. Dieſes Fehlen der Wagen und die Seltenheit der Reiter kommt den Fußgängern weſentlich zu ſtatten. Man leidet deshalb wenig von dem Staub und iſt nie Sorge, umgefahren zu werden. So einförmig wie die Straßen ſelbſt, ſind auch die Häuſer zu beiden Seiten. Der untere Theil derſelben, 8–10 Fuß hoch, iſt von Bruchſteinen aufgebaut, aber ohne berappt und angeſtrichen zu ſein. Darauf ruht der obere Bau, aus Holz, ein bis zwei Stock enthaltend. Sehr oft iſt er nicht gleichlaufend mit den unteren Mauern aufgeſetzt, ſondern in ſchiefen Abſätzen, ſo daß mehrere Ecken des Holzbaues an zwei Fuß über die Steinmauer hervortreten. Die Türken haben eine leidenſchaftliche Vorliebe für Altane und Vorbaue, und wo dieſe nicht ausführbar ſind, ſuchen ſie ſich durch ſolche eckige Vor- – 134 – ſprünge zu helfen. In dieſen hölzernen Stockwerken fehlt es nicht an Fenſtern; in den beſſeren Häuſern iſt die Wand eine fortlaufende Fenſterreihe; aber dieſe Fenſter ſind durch Holzgitter von außen ſo dicht verſchloſſen, daß man kaum von dem Glaſe etwas erkennen kann. Ein Theil des Hauſes hat die obere Hälfte der Fenſter noch frei, der andere Theil iſt aber völlig vergittert und die Gitter ſind hier noch dichter; dies iſt die Wohnung der Frau, die von der des Mannes ſtreng getrennt iſt. Die Häuſer haben alle einen rothbraunen Anſtrich, der von dem aufliegenden ſchweren Dach von Hohlziegeln wenig abſticht. Eine über Alles liegende dichte Staubdecke ver- wiſcht die letzten Unterſchiede. Nie ſieht ein Menſch aus dieſen Häuſern heraus; die Fenſter ſcheinen gar nicht zum Oeffnen eingerichtet. In der Größe ſind die Häuſer wenig verſchieden; ſie ſind ſo klein, daß gewöhnlich nur eine Familie darin wohnt. Es giebt allerdings auch Stadttheile mit großen Häuſern, den Wohnungen der Reichen und hohen Beamten; allein die Straßen leiden durch ſolche Wohnungen noch mehr; dieſe großen Häuſer ſind in geräumige Höfe gerückt und der Straße entlang läuft nur eine hohe, beſtaubte Mauer, die von den da- hinter liegenden beſſern Gebäuden nichts erkennen läßt. Ein davon abweichendes, freundlicheres Ausſehen bieten nur die wichtigeren Verbindungsſtraßen des Verkehrs. Sie ſind zwar weder gerader, noch breiter, noch beſſer gepflaſtert, aber das untere Stock der Häuſer iſt hier zu Läden und Werkſtätten umgewandelt, welche nach der Straße zu völlig offen ſind und in denen die Bewohner ihre Gewerbe, gleichſam auf offener Straße treiben; hier iſt die todte, ſchmutzige Steinmauer durch ausgeſtellte Waaren und thätige Menſchen verdrängt. In grellem Gegenſatz zu dieſen vergitterten Häuſern – 135 – und unwegſamen Pflaſter ſteht das Gewühl, das dieſe Straßen erfüllt. In den Straßen Konſtantinopels iſt ein Treiben der Menſchen, was nach Verhältniß der Breite dieſer Straßen noch das Treiben auf den Straßen Londons übertrifft. Die Mehrzahl gehört zu den Männern der arbeiten- den Klaſſe. Es ſind die Laſtträger, die hunderterlei Verkäufer von Früchten, Gemüſen, Zuckerwerk, friſchem Waſſer; die Einkäufer für den Hausbedarf, die Pferde- vermiether, die Handelsleute aus Cirkaſſien, Perſien, die Araber, die Armenier, die Griechen, die Juden. Zwiſchen- durch kommt ein Beamter auf ſeinem Pferde, gefolgt von zwei Dienern. Der eine hält ſich hinten am Sattel und trägt die ſchwarze Mappe mit den Schriften; der andere folgt daneben mit einem langen Schlauch von blauem Tuch, in dem die Pfeife ſteckt. Auch Soldaten trifft mau; in ihren weißen Hoſen, blauem Rock und weißem Leder- zeug würde man ſie für preußiſche Soldaten halten, wenn ſie nicht den rothen Feß mit der blauen Quaſte trügen. In dem Gewühl ſieht man auch Frauen; meiſt ſind es zwei bis drei, die wohl noch ein Kind an der Hand führen. Ein weißer Schleier, der um Kopf und Hals gewunden iſt, läßt nur die Augen und die Naſenwurzel frei; und ein langer einfarbiger Mantel ohne Schnitt verhüllt die Geſtalt, ſo daß man nicht erkennt, ob man einem Mädchen von 16 oder einer Frau von 60 Jahren begegnet. Ohne Strümpfe, tragen ſie weite gelbe Halbſtiefeln und gelbe Pantoffeln darüber. Wenn man einer Frau mit Schuh- werk von anderer als gelber Farbe begegnet, ſo iſt dies das Zeichen, daß es keine Türkin, ſondern eine Jüdin oder eine Armenierin iſt. Alle Männer weichen den Frauen aus, und Niemand als etwa ein Europäer ſieht ihnen in das Geſicht. – 136 – Trotz des Gewühls bewegt ſich der Einzelne gemeſſenen Schrittes; von dem Rennen der Fußgänger europäiſcher Hauptſtädte iſt nichts zu ſehen. Aber die bunten Trachten dieſer Menge heben ſich lebhaft aus dem grauen Unter- grnnd der Straßen und Häuſer. Alles kleidet ſich in leicht kattunene Stoffe von lichten, blendenden Farben; die Männer tragen weite kurze Beinkleider, rothe Schuhe, ſonſt barfuß bis zu dem Knie; eine gelbe, rothe, bunte Jacke mit bloßen Armen; auf dem Kopf den rothen Feß mit der blauen Quaſte oder den Turban. Die Mäntel der Frauen ſind einfarbig, aber lila, gelb, ziegelroth, blau. Ein großer Theil dieſer Menge zeigt ſtatt des weißen, das glänzend ſchwarze Geſicht der Neger, mit breitem vorſtehendem Backenknochen. Unter allen Klaſſen findet man dieſe Neger, die meiſt als Sklaven in ihrer Jugend nach Konſtantinopel kommen; aber am meiſten überraſcht es, wenn man aus dem weißen Frauenſchleier plötzlich die fettglänzende ſchwarze Haut einer Negerin, mit ſtechenden ſchwarzen Augen im weißen Augenring hervorgucken ſieht. Das Gewühl wird oft zum Gedränge durch die Pferde, welche, eins hinter dem andern, Balken die Straße entlang ſchleppen oder Fäſſer an der Seite tragen und denen auszuweichen kaum noch ein Platz bleibt. In den Straßen am Waſſer begegnet man auch Zügen von Ka- meelen, die mit einem Reiter auf kleinem Pferde voran, vom Lande Kalk und anderes Material auf ihren hohlen Rücken herein bringen und mit ihrem Kopfe auf hohem, geſchwungenem Halſe hoch über die Fußgänger hinwegragen. Aber auch Thiere in ihrer vollen Freiheit machen ſich neben den Menſchen geltend. Die Hunde Konſtan- tinopels ſind weltbekannt, man weiß, daß ſie herrenlos zu Tauſenden auf den Straßen leben und an Stelle der Polizei für die Reinigung der Straßen ſorgen, indem ſie – 137 – den Abfall der Küchen und Fleiſchläden verzehren. Sie ſind alle von einer Race, haben die Geſtalt und Größe unſerer Schäferhunde, ſind von braungelber Farbe und gleichen in Vielem ihrem Vetter, dem Wolfe. Sie leben Tag und Nacht, Winter und Sommer auf den Straßen, halten ſich truppweiſe zuſammen und weichen nicht aus gewiſſen Straßen, gleich ihrem Reviere; ſie leiden aber auch hierin keinen fremden Hund und wenn irgend ein ſolcher Unglücklicher ſich dahin verirrt, ſo fällt die Meute über ihn her und man hört weithin das Gebell und Ge- heul, womit er vertrieben wird. Die Einwohner begegnen ihnen freundlich; der Türke ſchlägt ſie nie und wenn ein Trupp von ihnen mitten in der Straße liegt, ſo weicht er ihnen aus, um ſie nicht zu ſtören; er wirft auch für die Hündinnen einen Lappen in einen Straßenwinkel, wo ſie das Lager für ihre Jungen zurecht machen können. Die Hunde ſind daher höchſt gutmüthig und beißen Nie- mand; ſelbſt der Fremde hat nichts von ihnen zu fürch- ten und nur des Abends in der Dunkelheit muß man ſich vorſehen, nicht auf einen in der Straße ſchlafenden Hund zu treten. Ihre Zahl muß für Konſtantinopel viele Tau- ſend betragen; denn in der Straße vom Landungsplatze in Topchane bis zum Hotel d'Europe habe ich allein 27 Stück gezählt. Dennoch hört man in Conſtantinopel nie etwas von tollen Hunden; man kennt hier weder Maulkörbe für Menſchen noch für Hunde; bei Letztern wahrſcheinlich in Folge ihrer halbwilden Lebensweiſe und der gleichen Zahl beider Geſchlechter. Neben den Hunden helfen in Reinigung der Straßen die Geier und andere Raubvögel. Wenn ſie auch nicht zu Tauſenden über Konſtantinopel ſchweben, wie Schubert poetiſch ſagt, ſo ſieht man ſie doch oft vertraulich mit den Hunden am Aas in den Straßen zehren, ohne daß – 138 – ſie durch die Vorübergehenden ſich ſtören laſſen, und auf den Haufen Unrath in der Nähe des Waſſers ſitzen ſie in großer Anzahl. Hin und wieder begegnet man auch Kühen von großer ſtarker Zucht, die man auch für wild halten möchte, ſo herrenlos laufen ſie in den Straßen herum und freſſen den Abfall der Gemüſe und Waſſermelonen. Ihre Eigen- thümer kommen indeſ früh und Abends, ſie zu melken. Indem wir auf unſern Pferden ſaßen und Theodoro voranritt, hatten wir vollkommene Muße dieſe bunte Mannigfaltigkeit in den Straßen zu betrachten. Trotz des Gedränges und der Enge der Straßen empfanden wir in Vergleich zu den großen Städten Europas eine gewiſſe Behaglichkeit; das Ohr iſt nicht durch das Ge- töſe der Wagen betäubt, und man hat nicht nöthig, fort- während gegen Wagen und Pferde auf ſeiner Hut zu ſein. Wir ritten die Waſſerſeite entlang, wo nach der Ver- ſicherung unſeres Führers Mauern und Thore ſein ſollten; wir konnten aber wenig davon bemerken; ſie waren durch Häuſer verbaut. Nach einer halben Stunde hob ſich die Straße, und indem wir uns links wendeten, gelangten wir durch ein winkliches Thor und ſahen uns bald im Freien. Die Umgebungen der großen europäiſchen Städte hat die Civiliſation lieblicher gemacht als dieſe ſelbſt; blühende Gärten, zierliche Landhäuſer, vortreffliche Wege, dunkle Alleen, keine Stelle Land, die nicht mit der höchſten Sorge verſchönert oder nutzbar gemacht iſt. Wir ſagten uns wohl, daß wir hier nicht alles ſo finden würden, aber dennoch hatten wir ſolchen Gegenſatz nicht erwartet. Un- mittelbar hinter dem Thore, aus dem wir ritten, hörte das Leben auf. Ein öder, wüſter Lehmboden zog ſich vor uns hin; theilweiſe mit Raſen bedeckt, theilweiſe nackter – 139 – Lehm, große Stellen mit Diſteln bewachſen, von Waſſer- riſſen durchſchnitten, zeigte er keine Spur einer menſch- lichen Wohnung, einer thätigen Hand. Eine Art von Straße zog ſich auf dieſem Boden die Stadt entlang, aber die ſeltenen und von einander entfernten Geleiſe zeigten, daß, wie auf unſeren Haiden, die wenigen Fuhr- werke ſich jedes ſeinen eigenen Weg durch Waſſerriſſe und Löcher geſucht hatte. - Wir ritten an den Mauern hin, die uns links blieben. Sie hatten ein ehrwürdiges Anſehen. Aus großen grauen Steinen mit Zwiſchenlagen von Ziegeln aufgeführt, mit Zinnen und Schießſcharten verſehen, von zahlreichen vier- eckigen Thürmen beſchützt, erinnerten ſie uns an die Ruinen der mittelalterlichen Burgen in Deutſchland; aber ſie ſind weit koloſſaler und, obgleich verlaſſen wie jene Ruinen, hat doch ihre außerordentliche Dicke der Gewalt der Men- ſchen und der Zeit beſſer widerſtanden. Ueberall wachſen Feigenbäume und Weinreben an ihnen in die Höhe und Schlingpflanzen hängen herab und mildern die Härte des Steins. Neben dieſen Mauern, in dieſer Oede kam ein Ernſt über uns, den wir mit dem leichten Wohlbehagen euro- päiſcher Gärten nicht hätten vertauſchen mögen. Wir meinten, daß ſolche moderne Kultur hier eine Entweihung des Bodens ſein würde, und daß ſeine düſtere Trauer und Oede allein den Gräueln entſpreche, die hier, wie nirgends, geſchehen ſind ſeit dem Beginne der Geſchichte. Vierundzwanzig Belagerungen haben dieſe Mauern aus- gehalten, von Alcibiades bis Muhamed II., die Griechen, die Römer, die Gothen, die Kreuzfahrer, die Türken haben unter ihnen und auf ihnen gekämpft; die Sieger haben Tauſende und Tauſende bei ihnen hingeſchlachtet und viel- leicht iſt kein Fleck, wo der Huf unſerer Pferde hintritt, – 140 – der nicht von dem Blute der Kämpfenden, der Gemor- deten getränkt worden iſt. Wer möchte da dieſen Boden mit Pavillons, mit Schaukeln und Blumenbeeten über- tüncht ſehen? Indem wir den Weg längs den Mauern weiter ver- folgten, überſchritten wir die große Straße nach Adria- nopel und andere, ohne daß die Umgegend ſich änderte. Mehrere türkiſche Kirchhöfe blieben uns rechts; auch dieſe hatten, ein wüſtes, verfallenes Anſehen; zahlloſe Leichen- ſteine und alte Cypreſſen ſagten, daß ſchon viele Gene- rationen hier ruhten; indem der Wind die eigenthümlich trockenen Aeſte dieſer Cypreſſen ſchüttelte, gab es ein Ge- klapper, als wenn die Gerippe in den Gräbern ſich regten. Und dennoch war es heller Tag; die Sonne ſchien heiß und wir waren froh, als Theodoro uns zu einem Kaffeehauſe brachte, wo wir abſteigen und in dem Schatten der Platanen ruhen konnten. Wir waren an der Kirche des heiligen Jrnerius, der älteſten der noch vorhandenen griechiſchen Kirchen in Konſtantinopel und von der Gemahlin Juſtinians gebaut. Unſer Führer beſtand darauf, daß wir ſie beſehen mußten. Sie iſt ein Bauwerk mäßiger Größe, weder ſchön noch impoſant; im Innern ſehr mit Teppichen und goldenen Schnörkeleien überladen, daneben zeigte man uns den Be- gräbnißplatz der griechiſchen Patriarchen, wo auf ſchönen marmornen Grabſteinen ihr Name und ihre Heiligkeit zu leſen waren. In einer Niſche bei der Kirche, zu der man auf mehreren Stufen unter die Erde ſteigen muß, be- findet ſich ein Quell, in dem nach einer griechiſchen Le- gende geröſtete Fiſche herumſchwimmen. Wir ſahen aller- dings fingerlange Fiſche darin, die aber ſchwerlich in der Bratpfanne gelegen hatten; ſie ſchwammen ganz wohlge- muth herum. Dennoch laſſen ſich die Griechen in ihrem – 141 – Glauben nicht irre machen. Nach „Hammer's Konſtan- tinopel“ waren es anfänglich Goldfiſche, die hier zur Zeit der griechiſchen Kaiſer aufbewahrt wurden; die Leidenſchaft für Wunder hat ſpäter geröſtete Fiſche dar- aus gemacht. - Ehe wir das Ende der Mauer nach dem Mormora- meere zu erreichten, führte man uns noch in das griechiſche Hospital. Mit wahrer Hospitalität wurden wir empfangen, in ein Zimmer mit Divans geführt, und mit Kaffee be- wirthet, bis der erſte Arzt eintrat und uns auf unſere Fragen bereitwillig Beſcheid gab. Da der Staat in der Türkei die Sorge für hülfloſe Kranke nicht zu ſeinen Pflichten rechnet, ſo haben ſich ſeit lange dieſe Privat- Aſſoziationen gebildet, und zwar nach dem hier natür- lichen Princip der Nationalitäten. Es giebt griechiſche, armeniſche, jüdiſche, lateiniſche Hospitäler. Das griechiſche, in dem wir waren, beſtand aus einem doppelten Viereck von langen Gebäuden und wird an Größe der Charité in Berlin wenig nachgeben. Es hat durch Teſtamente, Geſchenke und freie Beiträge über große Mittel zu ver- fügen und die Einrichtung ſchien uns Laien vortrefflich. Für die Geneſenden waren Gärten vorhanden; die Säle waren höchſt reinlich und nach den verſchiedenen Krank- heiten ſo wie nach Geſchlechtern geordnet. Für ſyphili- tiſche Frauen war der Saal größer, als wir geglaubt hatten. Der alte Mann, der uns herumführte, frug, ob er uns auch die Irren und Wahnſinnigen zeigen ſollte. Seit dem Beſuche bei den Derwiſchen und dem Gewühle in den Straßen der Stadt drehte ſich jedoch unſer eigner Kopf noch ſo, daß wir der Gefahr anſteckender Beiſpiele uns nicht weiter ausſetzen mochten und uns dankend empfahlen. Wir erreichten nun bald das berüchtigte Schloß der – 142 – ſieben Thürme, eine Art Citadelle an der Seeſeite der Stadt. Es zeichnet ſich äußerlich nur durch die hier dichter ſtehenden und ſtarken Thürme vor den andern Theilen der Feſtungsmauer aus, es iſt eben ſo verfallen wie dieſe. In alten Zeiten hat man in einem der Thürme die Gefangenen in den ſogenannten Blutbrunnen geſtürzt, ein rundes gemauertes Loch, das in die Tiefe führt. Später wurde das Schloß zum Staatsgefängniß benutzt und bei ausbrechenden Kriegen wurden die europäiſchen Geſandten bis zum vorigen Jahrhundert hier eingeſperrt. Ein ſolches Recht könnte auch in Friedenszeiten nicht ſchaden; meinte M*, wenn der Rathgeber zu viel werden. – Wir hatten keine Luſt das Innere zu ſehen und eilten auf unſern muntern Pferden in das Freie. Um die Umgegend kennen zu lernen, nahmen wir einen weiten Umweg. Der Boden hebt und ſenkt ſich hier in gefälligen Linien; wir fanden einige Gärten und weiterhin einen größern Strich abgemähter Weizenfelder, wo man auf einer Tenne im Freien den Weizen durch Ochſen und Kühe austreten und auswalzen ließ. In einer Einzäunung ſtand eine größere Heerde Kühe, und eine hölzerne Bude ſchien den Arbeitern als Wohnung zu dienen. Dies iſt eine der Meiereien des Sultans, ſagte Theodoro; es giebt deren noch einige hier in der Nähe. Alle Spur einer ſolchen Meierei verſchwindet, ſo wie das Getreide ausgewalzt und gereinigt iſt. Menſchen und Vieh ziehen dann fort. Zum Frühjahr wird der Boden einmal mit einem rohen Pfluge umgeriſſen und beſäet. Dies genügt, ohne Düngung, um bei der fruchtbaren Erdart und dem milden Klima eine gute Erndte zu ge- winnen. Wahrſcheinlich läßt man den Boden von Zeit zu Zeit brach liegen. Dies iſt die Stufe, auf der wir die Landwirthſchaft unmittelbar bei der Hauptſtadt und Unter den Auſpizien des Sultans antrafen. – 143 – Der Feldbau war uns in dieſer Weiſe nicht hinder- lich, quer durch, den gradeſten Weg nach Daud Paſcha zu wählen, wo eine der großen Kaſernen ſteht, die ſeit Vernichtung der Janitſcharen von den Sultanen gebaut worden ſind. Sie hatte in ihrem äußern Anſehen große Aehnlichkeit mit den Kaſernen um Berlin; wir fanden ſie nur größer und zwei Thürme zierten in der Mitte die beiden Hauptgebäude. Die rothbraune Farbe, die Leiden- ſchaft der Türken, war auch hier zur Ausſchmückung der Mauern viel benutzt. Die Kaſerne liegt auf einer Hoch- ebene und vom Bosporus geſehen ragt ſie mit ihren langen Gebäuden noch über Konſtantinopel hervor. Wir trafen in ihrer Nähe auf zwei Lager, ein türkiſches und ein franzöſiſches. Die franzöſiſchen Soldaten wanderten zerſtreut umher und ſchienen an Langeweile zu leiden; am lebendigſten war es noch bei einem aus Zelten im- proviſirten Kaffeehauſe, wo die Türken für die blanken Frankenſtücke ihre Alliirten mit Kaffee bedienten. – Da, wo Sie dieſe Lager ſehen, ſagte Theodoro, verſammelten ſich ſonſt, wenn es Krieg mit Europa gab, die türkiſchen Heere; hier wurde die Fahne des Propheten aufgepflanzt und bis hierher begleitete ſie der Sultan. Wir wandten uns nun, nach der Stadt zurück, und kamen nach einem mühſamen Ritt durch eine Gegend, die von Schluchten und Waſſerriſſen durchſchnitten war, nach der lieblichen Vorſtadt Ejub, die hier das Ende von Stambul bildet. Sie liegt in einem ſteil abfallenden Seitenthale des goldenen Horns und hat ihren Namen von Hiob, einem Gefährten des Propheten Mohamed, welcher bei einer Belagerung Konſtantinopels im ſiebenten Jahrhundert hier fiel. Bei der letzten Belagerung 1453 war der Muth der belagernden Türken ſchon ſehr ge- ſunken. Man ließ deshalb den geiſtlichen Rath Moha- – 144 – meds II., den Scheich Ak-Shemſeddin mittelſt einer Vi- ſion die verlorene Grabſtätte Ejubs wiederfinden und dies begeiſterte die Türken ſo, daß die Eroberung bald folgte. Noch in demſelben Jahre ließ Mohamed II. das Grabmal und die Moſchee von Ejub bauen, die noch jetzt durch ihre Lage und Bauart eine der ſchönſten Konſtan- tinopels iſt. Wohlgepflegte Gärten, über deren Mauern wir von unſern Pferden aus herrliche Baumgruppen von Platanen, Terebinthen und Weingeländer voll reifender Trauben erblickten, beſtätigen, was der Führer uns ſagte, daß Ejub der Lieblingsaufenthalt der Türken ſei und daß der Moslim es für ein beſonderes Glück halte, dort be- graben zu werden. Auf das Zureden von Theodoro nahmen wir, ob- gleich ſchon ziemlich erſchöpft von dem ungewohnten Ritt, den Weg links, das goldene Horn hinauf, um mittelſt dieſes Umweges die Anhöhe von Pera von der Rückſeite zu erreichen. Hinter Ejub trat wieder plötzlich die frühere Oede ein. Wir folgten den Waſſern, die hier ſich ſchon aus einem blauen Meeresarm in einen trüben grünlichen Fluß verwandelt hatten. Das Thal war weit und der Fluß floß träge in mehreren bald ſich trennenden, bald ſich vereinenden Armen; in dem Schilfe ſtanden Ochſen, von ſchwarzer Farbe, großem Bau und langen, völlig rückwärts gebogenen Hörnern. Am Ufer zogen ſich ohne Ende fahle, niedrige Gebäude hin, die Ziegeleien Konſtanti- nopels, wo die Ziegel zu ſeinen Bauten geformt und ge- brannt werden. Weiter hinauf verloren ſich zuletzt auch dieſe Spuren menſchlicher Thätigkeit; das Thal wurde enger, ſpaltete ſich in mehrere Gründe, aus deren jedem ein fließendes Waſſer hervorkam und wir ſahen uns in einer Einöde, die von hohen, aber ſanft aufſteigenden Bergen bekränzt, anmuthig und lieblich uns umgab, ob- – 145 – gleich wir nur eine Stunde von der Hauptſtadt des tür- kiſchen Reiches entfernt waren. Eine Brücke führte uns endlich auf das jenſeitige Ufer. Hinter einem vorſpringenden Bergabhange begeg- neten uns wieder die erſten lebenden Weſen, eine Reihe Kameele, die mit ihrem Führer auf einem Kreuzweg von der Hauptſtadt zurückkamen. Wir ritten über die Höhe und glaubten ſchon Pera erreicht zu haben, als der Weg ſich wieder ſenkte und wir uns in dem berühmten Thale der ſüßen Waſſer von Europa befanden. Es iſt dies ein Lieblingsvergnügungsort der Türken und Griechen; jeden Sonntag füllt er ſich mit Spaziergängern, die hier im Freien an der Luft und dem Grün der Bäume ſich er- freuen. Es iſt ein Thal mit einem breiten Raſengrund, von einem der in das goldene Horn mündenden Flüſſe durchſtrömt. Die Gegend erinnerte uns an Richmond bei London. So wie dort die Themſe nach kurzem Wege aus einem ungeheuren Hafen in ein beſcheidenes Flüßchen ſich verwandelt, ſo auch hier. Das Thal hier iſt aber anziehender durch ſeine Stille und Abgeſchiedenhett, und durch die weit mächtigeren und mannigfaltigeren Baum- gruppen der ſüdlichen Vegetation; ſchlanke Bäume trugen ſchon weitreichende Kronen und Platanen von mehreren Fuß Durchmeſſer hatten noch am Stamme die glatte, reine Rinde jugendlicher Bäume. Nichts unterbrach hier das ruhige Walten der Natur; keine Reihen weißer Tiſche und Stühle, kein Orcheſterplatz, keine Schaukeln, keine mit Sand beſtreuten Wege, kein Klappern von Gläſern und Tellern, nichts von dem in Europa unvermeidlichen Zubehör großſtädtiſchen Naturgenuſſes. Ein einziges un- bedeutendes Kaffeehaus lehnte, kaum bemerkbar, an einer Platanengruppe; ein Pavillon des Sultans, nicht weit davon, war ſo ſtill, wie das Thal; alle Thüren waren 10 – 146 – verſchloſſen und kein Kaſtellan verjagte den neugierigen Beſchauer. Am Ende dieſes lieblichen Thalgrundes lag ein tür- kiſches Dorf, wo wir die Pferde tränken ließen. Man bewirthete uns mit Joggurd in kleinen Schüſſeln, einer Lieblingsſpeiſe der Türken, die aus Milch und Bierhefen bereitet wird. Eine Geſellſchaft junger Mädchen ging an uns vorbei, in den bunteſten Farben gekleidet; weite gelbe oder weiße Pantalons und bunte Oberkleider; ein Shawl loſe um die Hüften gewunden; alle ohne den verhüllen- den Schleier uud entſtellenden Mantel der Türkinnen. Unſer Führer ſagte, es wären Töchter armeniſcher Fami- lien, die während des Sommers hier wohnten. Wir waren neugierig, hübſche Aſiatinnen zu ſehen, folgten ihnen und ſuchten durch Pantomime eine Unterhaltung zu beginnen. Sie ſchienen über ihre europäiſchen Ver- ehrer anfänglich verwundert; dann lachten ſie über die ihnen unverſtändlichen Zeichen, und als ich endlich einem niedlichen bloßen Fuße, der auf einem abſcheulichen Holz- pantoffel lief, zu nahe kam, hob der ganze Trupp Mäd- chen die Hände drohend in die Höhe und wir ſchieden unverſtanden und vergeſſen. Auf der Anhöhe erreichten wir endlich gegen 4 Uhr Nachmittags Pera; eine lange breite Straße mit großen öffentlichen Gebäuden, alle im modernen europäiſchen Styl, führte uns in engere krumme Gaſſen und dieſe zu- letzt zu unſerem Gaſthofe, wo bereits der Burſche wartete, um die Pferde und einen Lohn für ſeine Ausdauer in Empfang zu nehmen. Wir waren von früh 7 Uhr bis 4 Uhr Nachmittags, zwei kurze Pauſen ausgenommen, nicht von den Pferden gekommen und hatten bald im Schritt, bald im Galopp ganz Konſtantinopel von der europäiſchen Seite zweimal umritten. - - - - - - - - -“--------------------- vIII. Die Promenade von Pera. Am Mittagstiſch erzählten wir unſere Schickſale und daß wir morgen zur Stärkung der ungelenk gewordenen Glieder ein türkiſches Bad nehmen wollten. Der Dr. A). mit Frau war in ächt engliſcher Weiſe nicht aus dem Gaſthofe gekommen; indeß, von unſerer Unruhe angeſteckt, erbot er ſich für den folgenden Morgen zum Begleiter bei dem Bade. Wir redeten Beiden zu, mit uns zur Promenade der petits champs des morts zu gehen, wo die ſchöne Welt von Pera jeden Abend ſich ergeht. Nach- dem Herr Dr. A). die Frau Dr. A). fragend angeſehen, wurde ja geſagt; Frau Dr. A). ließ ſich Hut und Man- tille holen und halb neun Uhr Abends rückten wir aus; der Dr. A). in ſeiner rothen Militärjacke, ich in einem gelben Nankingrocke, M* reiſemäßig grau, Frau A). in blauſeidenem Kleide mit großem runden Strohhute. M* war ſo freundlich, Herrn Dr. A). zu führen, und ich bot Frau A). meinen Arm. Es war keine geringe Aufgabe, hier eine Dame zu führen. Die enge Straße ging anfangs ſteil in die Höhe und ſenkte ſich dann eben ſo ſchnell; das Mond- licht konnte nicht in die engen Straßen dringen, und 10 – 148 – wenn man in dem dunkeln Schatten der Häuſer die lich- teren Stellen des Pflaſters ſuchte, trat der Fuß unver- muthet auf eine weiche Maſſe, und ein Hund ſprang beißend aus ſeinem Lager. Die Promenade war ein langer, ungepflaſterter, holpri- ger Weg, theilweiſe noch durch Baumaterial verengt, mit einer Reihe hoher Häuſer zur Rechten und einem großen türkiſchen Kirchhof zur Linken, über deſſen Cypreſſen und Leichenſteine hinweg man bei dem ſteil abfallenden Boden am Tage einen hübſchen Blick auf das goldene Horn hatte; aber dieſen Abend ſah man nur einzelne Lichter in der Tiefe und fahle Leichenſteine zwiſchen ſchwarzen ſtarren Baumpyramiden. Dies war der Weg, wo täglich von 8–11 Uhr Abends alles was von Europäern und Griechen nicht reich genug iſt, um am Bosporus eine Sommerwohnung zu beziehen, ſich ergeht, ſich ſieht und ſich ſehen läßt; denn hier zeigt ſich das ſchöne Geſchlecht in europäiſcher Sitte unverhüllt; kein Türke, keine Türkin, kein orientaliſches Koſtüm ſtört die rein europäiſche Ge- ſellſchaft. Man wandelt, wenn der Mond nicht ſcheint, in ziem- licher Dunkelheit; nur im Mittelpunkt ſind bei einem Konditor einige Laternen angebracht, und ein Orcheſter von Wiener Muſikern ſpielt die neueſten Tänze und Potpourris von Deutſchland auf. Hier ſind, ſo weit es die enge Straße erlaubt, Tiſche und Stühle aufgeſtellt; man raucht, ißt Eis, trinkt Limonade, plaudert und horcht der Muſik. Der Konditor zahlt der Muſikgeſellſchaft 10,000 Piaſter (500 Thlr.) monatlich, ſoll aber dabei gut ſpekulirt haben. Der ſchöne Sternhimmel, der links über dem Kirchhof ruht, und die kühle Luft nach der Hitze des Tages laſſen bald das Sonderbare der Um- gebung und das Dürftige an großſtädtiſcher Bequemlich- – 149 – keit vergeſſen. Der größte Reiz dieſer Promenade liegt aber in ihrem Gegenſatz zu der Türkenſtadt, von der ſie umgeben iſt. Wenn man vom Morgen bis Abend tür- kiſches Leben, türkiſche Sitte, türkiſche Trachten und tür- kiſchen Schmutz und nichts anderes bis zur Sättigung geſehen hat, freut man ſich, die letzte Stunde des Tages, wie durch einen. Zauber wieder in ſein Vaterland ver- ſetzt, in abendländiſcher Weiſe zu beſchließen. Nichts als höchſtens der Wirrwarr der Sprachen erinnert hier daran, daß man in Konſtantinopel iſt. Wir ſuchten uns einen Platz in der Nähe der Muſik. Das Geſpräch führte von dem ſchönen Abend auf ſchöne Natur, von ſchöner Natur auf Indien, und Herr Dr. A). erzählte uns, daß vier Söhne von ihm in Ceylon wohnten, als Beamte und als Pflanzer. Eine Tochter wäre in England geblieben und von ihm nach Braunſchweig in eine deutſche Penſion gebracht worden. Nach einem Jahre hätte er ſie nach England zurückgeholt, aber das Mäd- chen habe ſolches Heimweh nach Deutſchland bekommen, daß nichts in England ihr mehr gefallen habe. Er habe ſich daher entſchloſſen, ſie nach Ceylon zu ihren Brüdern zu ſenden, und gegenwärtig ſei ſie auf der Hinreiſe und er hoffe ſie in Malta zu treffen und von ihr Abſchied zu nehmen. – Reiſt ſie denn ganz allein? frug ich. – Ja, warum nicht? – Haben Sie noch mehr Kinder in Eng- land, die Sie bei Ihrer Rückkehr dahin finden? – Nein. – Aber wie iſt es Ihnen möglich, alle Ihre Kinder ſo weit von ſich zu trennen; die einzige Tochter nach Indien zu ſchicken, während Sie nach England gehn? – Herr Dr. A). ſchwieg auf die Frage und ſah ſeine Frau an. Ich verſtand den Blick, es war ſeine zweite Frau. Es wurde mir ſehr ſchwer, ſie wieder nach Hauſe zu führen. --- IX. Ein türkiſches Bad. Den andern Morgen erhielt Theodoro den Auftrag, uns in das beſte und ſchönſte Bad von Stambul zu brin- gen. Vor einem hohen Rundbau blieb er ſtehen, und als wir durch die mit ſchweren Teppichen verhangene Thür eintraten, ſtanden wir in einem runden hohen Saal mit Säulen geziert, der aus hundert ſymmetriſch geord- neten runden Oeffnungen der Kuppel ein mildes Licht erhielt. Wände und Fußboden waren von Marmor, an der Wand lief ringsum ein Divan. Eine Gallerie in der Höhe, zu der eine Treppe führte, hatte gleiche Ein- richtung. Die Luft war weit wärmer, als im Freien, aber nicht heiß. Einzelne Männer ruhten auf dem Divan in Decken gehüllt, andere ſaßen nackt bis auf eine Schürze an den Hüften. Türkiſche Knaben mit geſchornem Kopfe und nackt bis auf eine Schürze, empfingen uns, führten uns die Treppe hinauf und halfen uns auskleiden. Ein Aufſeher nahm Geldbeutel, Uhren, Ringe ungezählt in Empfang und verſchloß ſie in einen leichten Schrank. Völlig entkleidet wurde uns eine gleiche blaue Schürze umgebunden, Holzſandalen mit Lederriemen an die Füße geſchoben und dann wurden wir die Treppe hinab in – 151 – einen zweiten kleineren Marmorſaal geführt, wo die Tem- peratur heißer war. Der Fußboden war nach der Mitte zu abſatzartig erhöht; hier ließ man uns auf die warmen Marmorplatten niederſetzen und jeder Wärter begann ſeinen Gaſt, im eigentlichen Sinn des Wortes, durchzu- kneten. Vom Halſe ab bis zur Wade wurden alle Mus- keln und Sehnen, langſam fortrückend von der Hand des Knaben gedrückt, gezogen, geſchoben, gepreßt und wieder gedrückt. Der Schweiß tritt hervor; man legt ſich lang auf den warmen Stein; der Knabe legt ſich über und ſetzt, ungeſtört durch die Bewegungen und Zuckungen ſeines Gaſtes, ſeine Thätigkeit fort; von unten wendet er ſich dann nach oben zurück. Wünſcht man noch ſtärker zu ſchwitzen, ſo wird man in einen dritten, den kleinſten Saal geführt, der ebenſo eingerichtet iſt, aber eine ſo heiße Temperatur hat, daß der Boden unter den Sohlen brennt und der Schweiß ausſtrömt, trotzdem, daß man ſich regungslos auf dem Marmor ausſtreckt. Nach dem Kneten und Schwitzen folgt die Wäſche. In dem zweiten Saal ſind ringsum Marmorbecken in der Wand ange- bracht, die durch zwei verſchließbare Hähne mit kaltem und heißem Waſſer gefüllt werden können. Das über- laufende Waſſer wird von einem großen Becken aufge- fangen und fällt cascadenartig zuletzt auf den geneigten Boden, von wo es durch Röhren abgeleitet wird. Neben dem Becken iſt ein Marmorſitz und hier ſchüttet der Knabe mit einem kupfernen Becken reichliche Fluthen lauen Waſſers über Kopf und Schultern des ſitzenden Gaſtes, nimmt dann einen härnen Lappen von gröbſter Art, ſeift ihn tüchtig ein und wäſcht dann den Badenden mit der- ſelben Derbheit, wie bei der früheren Behandlung. Die Schuppen der Oberhaupt werden ſo ſtark abgerieben, daß ſie ſich zuſammen rollen; immer von Neuem wird geſeift – 152 – und gewaſchen, ohne auf das Zucken und Schreien des Gaſtes Rückſicht zu nehmen. Endlich wird man wieder übergoſſen, daß ſtrömend das Waſſer von den Schultern herabläuft, dann getrocknet, in leinene und wollene Decken gehüllt, in den erſten Saal zurückgeführt und auf den Divan gelegt. Nachdem man mit weichen Kiſſen ſich ein bequemes Lager bereitet, beginnt das Durchdrücken und Biegen der Muskeln nochmals. Dann bringt der Wärter die türkiſche Pfeife, auch ein Glas Limonade und man ruht und raucht ſo lange, bis der Körper ſich langſam abgekühlt und an die friſchere Temperatur gewöhnt hat. Dann hilft der Diener ankleiden, man erhält Geld und Uhr gewiſſenhaft zurück und das Bad iſt beendet. Man ſieht, das türkiſche Bad iſt kein Bad in unſerm Sinne; am meiſten ähnelt es noch dem ruſſiſchen Bade, indeß fehlt ihm die mit dichten Waſſerdämpfen angefüllte Schwitzſtube und die plötzlichen Abwechſelungen zwiſchen Schwitzen und Tauchen in eiskaltes Waſſer. Das tür- kifche Bad iſt weit milder und vermeidet dieſe Sprünge von Hitze zur Kälte. Die Hitze wird auch nicht durch Dämpfe bewirkt, ſondern durch warme Kupferröhren, welche unter den Fußboden hinlaufen. Der Aufenthalt in dieſen hohen, mild erleuchteten Sälen hat nicht das drückende jener Schwitzkaſten, und der polirte Marmor, aus dem alles, Fußboden, Sitze, Becken, beſteht, giebt die wohlthuende Empfindung großer Reinlichkeit. Eigen- thümlich iſt dem türkiſchen Bad das Drücken und Ziehen aller Glieder; es iſt der wichtigſte Beſtandtheil des Bades. Jede Muskel, jede Sehne verlangt zu ihrer Geſundheit eine zeitweiſe Uebung; die Einſeitigkeit in den Beſchäftigun- gen der Menſchen kann das nicht bewirken. Bei Dieſem bleiben die Arme, bei Jenem die Beine ohne Bewegung; die- ſem Mangel kommt das türkiſche Bad zu Hülfe. Hierauf – 153 – beruht auch die wohlthuende Empfindung nach dem Bade. Es iſt nicht blos das Gefühl der Reinheit der Haut, der Abkühlung, was man nachher angenehm empfindet; es iſt hauptſächlich das deutliche Gefühl des Gleichgewichts in allen Gliedern, der elaſtiſchen Kraft aller Muskeln, das Vollgefühl ſeiner ganzen ſinnlichen Exiſtenz, was noch lange nach dem Bade den Badenden erfüllt. Der Preis iſt billig; wir zahlten, Trinkgelder einge- ſchloſſen, ohngefähr 10 Piaſter, das iſt 15 ſgr., die Per- ſon. Bei den hohen Preiſen des Holzes in Konſtanti- nopel und da jeder Badende einen Wärter eine Stunde lang ununterbrochen in Anſpruch nimmt, iſt dieſer billige Preis nur dadurch möglich, daß die Gebäude von den Sultanen gebaut und umſonſt gegeben werden. „-A.-. -------------------->"-" X. Die Fahrt auf dem Bosporus. Wir brachten Herrn Dr. A). wohlbehalten ſeiner Ge- mahlin zurück. Der übrige Theil des Tages ſollte zu einer Fahrt auf dem Bosporus benutzt werden, und wir nahmen uns vor, damit gleich unſeren Beſuch bei dem preußiſchen Geſandten Herrn v. W., zu verbinden. Dieſer kommt während des Sommers nur zweimal die Woche nach Konſtantinopel und wohnt in ſeiner Sommerwohnung in Arnaud Koi am Ufer des Bosporus. „Der Bosporus iſt der ſchönſte Punkt in der Welt“, ſagte uns bei dem Frühſtück ein Engländer, der alle Länder der Erde geſehen hatte. „Sie werden überraſcht ſein. Sie finden Konſtantinopel und Pera jetzt von den Reichen verlaſſen. Der Sultan, die Paſcha's, die arme- niſchen Banquiers, die europäiſchen Geſandten, die grie- chiſchen Großhändler, jeder hat ſeinen Palaſt oder ſein Land- haus am Ufer des Bosporus, verlebt dort den Sommer und kommt nur zu den Geſchäften auf einige Stunden nach Konſtantinopel. Dampfboote gehen viermal täglich zu verſchiedenen Stunden hin und her, und ich würde Ihnen rathen, eines derſelben zu Ihrem Ausfluge zu benutzen.“ – 155 – Wir zogen jedoch ein türkiſches Boot mit zwei Rude- rern vor. Dieſe Boote, Kaik's auf türkiſch, erſetzen, ſo weit das Waſſer reicht, für Konſtantinopel die Droſchken und Omnibus. Man ſchätzt ihre Zahl auf 80,000. Sie vermitteln vorzüglich den Uebergang über das goldene Horn zwiſchen Stambul und Pera und die Ueberfahrt zwiſchen dieſen und Skutari. Aber ſie werden auch zu weiteren Luſtfahrten, das goldene Horn und den Bospo- rus hinauf, gebraucht. Man hat deren zu einem und zu zwei Ruderern. In Geſtalt unterſcheiden ſie ſich ſehr von allen Booten, die in Europa gebräuchlich ſind; am meiſten ähneln ſie den Gondeln Venedigs; ſie ſind aber noch kleiner und ohne Dach. Das Kaik iſt ein langer, ſehr ſchmaler Kahn mit flachem Boden, ſteilem Bord und ohne Steuerruder, ſo daß Vorder- und Hintertheil gleich ſpitz zulaufen. Der Schiffer ſitzt auf einem Querbrett ziem- lich in der Mitte und bewegt den Kahn mit zwei durch Riemen an dem Bord befeſtigten langen ſchmalen Rudern beliebig vor- und rückwärts; bewegt er nur ein Ruder, ſo geht der Kahn ſeitwärts. Ein Reiter kann ſein Pferd nicht mehr in der Gewalt haben, als der Schiffer ſein Kaik. Der Paſſagier ſitzt bei der Fahrt in dem hinteren Theile des Bootes unmittelbar auf dem Boden, der des- halb mit Teppichen und Kiſſen belegt iſt; die Spitze des Bootes iſt verſchlagen und gewährt dem Fahrenden eine Rücklehne. Zwei Perſonen können bequem neben ein- ander ſitzen; ſie ragen nur mit den Köpfen über dem Bord heraus und man hat im AnfangeMühe, ſich an dieſen nie- drigen Standpunkt zu gewöhnen, man glaubt ſtets, des- halb weniger zu ſehen. Die Schiffer beſtehen ſtreng auf dieſem tiefen Sitz, der zwar der türkiſchen Weiſe zu ſitzen ganz entſpricht, aber für den Europäer manches Unbequeme hat. Das Boot iſt von dem leichteſten – 156 – Linden- oder Buchenholz gebaut; die Planken haben nur ein viertel Zoll Stärke; bei jeder Bewegung ändert ſich der Schwerpunkt und nur ein ſo tiefes Sitzen ſchützt des- halb gegen das Umſchlagen des Bootes. Auch das Ein- ſteigen erfordert beſondere Aufmerkſamkeit. Im Innern ſind die Kaiks mit Schnitzwerk verziert und lakirt. Man glaubt auf einer Nußſchale oder Schachtel, der Leichtig- keit nach, zu ſchwimmen. Sie werden mit außerordent- licher Gewandtheit und Schnelligkeit regiert. An den Landungsplätzen drängen ſich oft an hundert Kaiks dicht zuſammen, der Knäuel entwirrt ſich aber ſtets mit Leich- tigkeit. Ein Ruderer fährt ſchneller als ein Fußgänger geht; zwei Ruderer legen die Meile in einer Stunde zurück. Es giebt auch größere Kaik's, zu drei, vier und mehr Ruderern; ſie verlieren aber dann ihren Charakter; während jene kleinen die Boote aller andern Nationen in Schnelligkeit und zierlicher Beweglichkeit übertreffen, ſtehen die größern den europäiſchen Fahrzeugen nach. Die Führer der Kaiks ſind mit wenig Ausnahmen Türken und ein höchſt kräftiger Schlag Menſchen. Sie rudern, wenn es verlangt wird, den ganzen Bosporus hinauf, einer ſteten Strömung entgegen, bei brennender Sonnenhitze, ohne auszuruhen, und der letzte Ruderſchlag iſt ſo kräftig wie der erſte. Es ſind hohe, gut gewachſene Geſtalten, mit ernſten, ausdrucksvollen Zügen. Sie ſprechen wenig, ſingen nicht, aber zeigen einen ſteten, un- verdroſſenen Gleichmuth der Seele. Ihr Anzug beſteht in weiten, faltenreichen, bis an die Knie reichenden und dort gebundenen weißen Hoſen und einer dünnen bunten Kattun-Jacke. Waden, Füße, Hals, Arme und ein großer Theil der Bruſt iſt blos und von der Sonne kräftig braun gefärbt. Die jüngeren tragen den Feß, nur die älteren Schiffer haben noch ihren Turban, unter dem – 157 – dann ein ehrwürdiges Geſicht mit grauem Barte zum Vorſchein kommt. Man muß mit ihnen für die größeren Fahrten vor- her handeln; nur für die Ueberfahrt über das goldene Horn giebt es Taxen; die Preiſe ſind aber billiger, als die Preiſe für Miethswagen in den europäiſchen Städten. Für eine Fahrt von 12 Uhr bis Abends 8 Uhr in einem Kaik mit zwei Ruderern haben wir ſelten mehr als einen Thaler bezahlt. Iſt der Vertrag geſchloſſen, ſo wird er von den Türken treu gehalten; man iſt gegen jede weitere Uebervortheilung ſicher und wird nie wegen eines beſon- deren Trinkgeldes geplagt. Unſer Kaik brachte uns bald aus dem Gewühl der Handels- und Dampfſchiffe heraus in die freien, blauen Wäſſer des Bosporus. Aſien und Europa haben offen- bar auch hier in vorgeſchichtlichen Zeiten ein Land ge- bildet, die Fläche war durch das Aufſteigen der glühen- den Granitunterlage zu einem gebirgigen Lande ge- hoben worden, und als der Granit durch die ſpätere Ab- kühlung und Zuſammenziehung barſt und zuſammenbrach, brach auch die obere Decke mit durch und der Riß ward von der Strömung des ſchwarzen Meeres ausgefällt. Jeder Bucht auf der einen Seite entſpricht noch heute ein Vorgebirge auf der andern. Die Waſſerfluth gleicht einem majeſtätiſchen Strome von der Breite einer halben Stunde; wo Buchten ſich in das Land biegen, wird die Fläche noch breiter. Man kann den Bosporus mit dem berühmten Rhein- thale von Bingen nach Kobleuz vergleichen; aber ſo viel als die Waſſer des Bosporus den Rhein an Breite und Geſtalt übertreffen, um ſo viel übertrifft auch dieſer den Rhein in allen andern Beziehungen, und iſt dieſes Rhein- thal ſchon als eine der ſchönſten Stellen der Erde er- – 158 – kannt worden, ſo mag man davon einen Maaßſtab neh- men für die Schönheit des Bosporus. Die Waſſer des Rheins ſind oft trübe, bald zu klein, bald zu groß: der Bosporus fließt in einem ewig klaren und blauen Strom, den kein Gewitter, keine Thauwaſſer heben oder trüben; die Ufer des Rheins ſind reich an lieblichen Dörfern und Städten: die des Bosporus bil- den eine fortlaufende Reihe von Paläſten, hinter denen Pavillons, Moſcheen, Minarets und zahlreiche türkiſche Dörfer emporſteigen; ſteile, grün bewaldete Höhen mit den Ruinen mittelalterlicher Burgen heben ſich zu beiden Seiten des Rheins, aber die Berge, die den Bosporus einfaſſen, ſind höher, mannigfacher durchbrochen und ge- ſchmückt mit den ſchönſten Kioks des Sultans auf ihren Spitzen. Rieſige Platanen und Terebinthen ſchmücken den Wald, und wo dieſer ſich lichtet, bildet der Rhodo- dendron, der hier zu hohen Büſchen emporwächſt, mit ſeinen Blüthen eine dichte Roſendecke über weite Flächen der Anhöhen. Während die Sagen und Burgen des Rheins keine tauſend Jahre umfaſſen, war der Bosporus ſchon vor Anfang menſchlicher Geſchichte die Furth, wo die von der Juno verfolgte Jo in eine Kuh verwandelt, hinüber- ſchwamm; der Rhein hat ſeinen Loreleyfelſen, aber am Bosporus liegen die Felſeninſeln der Sympleiaden, welche vor dem Argonautenzuge ſtets aneinaderprellten und alles zerſchmetterten, was dazwiſchen kam, bis Jaſon eine Taube hindurchfliegen ließ, die blos die Spitze ihres Schwanzes verlor. In der Mitte des Bosporus ſchlug vor beinahe dritthalb tauſend Jahren der Perſerkönig Darius die Brücke, auf der er ſein Heer zu dem Feld- zuge gegen die Scythen überführte; hier, auf dem 1200 Fuß hohen Rieſenberge ruhte Herkules, auf dieſem Berge ſaß – 159 – nach türkiſcher Sage, Joſua, während er ſeine Füße im Bosporus wuſch, und in dem 30 Fuß langen Steingrabe auf der Höhe hat nur einer ſeiner Füße Raum zur Be- ſtattung gefunden. Hier am Bosporus liegen die jetzt zerfallenden Schlöſſer Rumili und Anadoli Hiſſar, welche Mahomed II. nach Eroberung Konſtantinopels erbauen ließ und deren hohe Mauern und gewaltige Thürme alle deutſchen Burgen an Großartigkeit der Ruinen übertreffen. Auf dem Rhein iſt ein reges Begegnen von Dampf- booten und Kähnen; aber den Bosporus durchſchneiden die größten Linien- und Schraubenſchiffe der Welt; große Dreimaſter kommen mit vollen, ihre Maſten verhüllenden Segeln und Dampfſchiffe mit doppelten Feuereſſen brauſen ihnen entgegen. Handelsſchiffe ſchwimmen dazwiſchen, und Kaiks kreuzen überall durch, behend und zierlich, von einem Palaſt, von einem Ufer zum andern. Die Rhein- fahrt hat wohl ſchöne heitere Tage, aber drei Viertel des Jahres hüllt Regen und Nebel, Berg und Thal in eine geſtaltloſe Maſſe; über den Bosporus breitet ſich ſtets der klarſte, tiefblaue Himmel aus, und wenn das ſchwarze Meer Sturmwolken und Gewitter ſendet, ſo zerrinnen ſie hier in einen leiſen Sprühregen, der nach wenig Minuten dem blendenden Sonnenſchein weicht und die Luft noch wärmer als vorher zurückläßt. Täglich hebt ſich gegen 10 Uhr Morgens der Nordwind und kühlt die Hitze des Tages, bis die Sonne in den Fluthen des Marmora- meeres niedergeſunken iſt. Zahlreiche Flüßchen ſtrömen von Europa und von Aſien in die Buchten des Bosporus und bilden kleinere Seitenthäler, die das Innere des Landes öffnen; links heben ſich in Europa die Vorberge des Balkan; man ſieht die weißen in doppelten Reihen über einander ſtehenden Bogen der Waſſerleitung, die Pera mit Waſſer verſorgt; rechts ſind es die abfallenden – 160 – Höhen des bithyniſchen Olympos, deſſen mit ewigem Schnee bedeckte Wände wie ſilberne Streifen am blauen Himmel glänzen. In vollen Zügen genießt man die Schönheit dieſer paradieſiſchen Gegend; ſanft gleitet der Kaik vorwärts und neue Paläſte, neue Thäler, neue Berge treten hervor. Kaum vermag das Auge alles zu faſſen, und man be- neidet jene Glücklichen, welche in den ſtillen Buchten am Geſtade des blauen Stromes wohnen und im ruhigen Daſein all' dieſe Herrlichkeit ruhig genießen; welche in der Gleichmäßigkeit einer beſtimmten Beſchäftigung, nach der Arbeit des Tages, nach dem Verkehr mit der Wiſſen- ſchaft, nach den Studien in der Kunſt auf die Terraſſe vor ihrem Zimmer treten und täglich mit neuem Sinn den Zauber dieſer Gefilde empfinden. Unſere Ruderer führten uns nahe an dem neuen Marmorpalaſt des Sultans vorüber. Ein Flügel, ſo wie der innere Bau iſt noch nicht ganz vollendet. Der Sultan betreibt den Bau mit Leidenſchaft; wöchentlich kommt er zweimal hin, um den Fortſchritt zu prüfen. Wir konnten nur die Front nach dem Bosporus ſehen; ſie iſt im türkiſchen Geſchmack mit vielen Zierrathen be- laden; die Säule iſt nur wenig benutzt und die Bildſäule nach türkiſcher Sitte ganz ausgeſchloſſen. Dennoch macht das Gebäude einen großartigen Eindruck; der glänzende Marmor, der grüne Hintergrund, die Höhe des Mittel- gebäudes, die doppelten langen Flügel auf beiden Seiten vereinigen ſich zu einem Ganzen, das gefällt, ohne daß man es loben kann. Der Sultan wohnte zu dieſer Zeit weiter aufwärts in einem Palaſt, welchen ſein Vater gebaut hatte. Er beſtand, wie alle andern, nur aus einem Erdgeſchoß und zwei niedrigen Stockwerken, alles von Holz und einfach. – 161 – Die Thüren öffneten ſich unmittelbar nach dem Bospo- rus; kaum eine Stufe trennt ſie vom Waſſer. Wir ſahen nur an einer Seite einige Mann Wache; alle andern Zugänge waren unbeſchützt. Später kamen wir an den Palaſt des jetzigen Vice- königs von Aegypten, Said Paſcha, vorbei. Er iſt ein Muſter türkiſchen Geſchmacks. Das Erdgeſchoß iſt un- ſcheinbar und läuft nahe an dem Ufer hin, ſo daß nur wenig Platz zum Gehen bleibt. Das erſte Stockwerk iſt durch ſechs erkerartige Vorbauten auffallend, die auf oval ſich vorbeugenden Balken des Erdgeſchoſſes aufgeſetzt ſind. Im zweiten Stock gehen dieſe Vorbauten abermals vor, indem ſie auf in gleicher Weiſe vorſpringenden Balken des erſten Stockes aufgeſetzt ſind. Der Palaſt beſteht ſo aus 6 überragenden Pavillons mit 6 gerade aufgehenden Rückbauten gleicher Breite dahinter. Alle Wände nach vorn und nach der Seite ſind mit Fenſtern durchbrochen, aber all' dieſe Fenſter ſind mit dichtem, kreuzweis ge- flochtenem Gitterwerk verſetzt. Das Dach iſt flach und die Verzierungen ſind einfache Arabesken. Baron v. W., den preußiſchen Geſandten, trafen wir nicht zu Hauſe; wir ließen unſere Karten zurück und be- nutzten die noch übrige Zeit zur Beſteigung einer vor- tretenden Höhe auf dem aſiatiſchen Ufer, um dort den Untergang der Sonne abzuwarten. Ein Pavillon des Sultans zierte auch dieſe Höhe; aber kein Menſch war in der Nähe und das Unkraut, was durch die Ritzen der Quadern wucherte, zeigte, daß der Sultan lange nicht hier geweſen ſein mochte. Dieſer hohe Punkt gewährte neben dem Blick auf den Bosporus eine Ausſicht mehrere Meilen hinein in das Land. Es war hier das erſte Mal, daß wir den Fuß auf aſiatiſchen Boden ſetzten. Aſien, für uns ſeit den erſten Schuljahren das Land der Wun- 11 – 162 – der, die Wiege der Kultur, müßte, glaubten wir, ganz anders ausſehen, als das proſaiſche Europa. Aber das Hier und das Jetzt ſind die Zerſtörer der Poeſie. Wir fanden drüben alles, wie hüben. Eine einſame Gegend voll Berge und Gründe zog ſich in das Land; erſt wo das Hier wieder aufhörte, begann in der Ferne der mächtige Olymp mit ſeinen Schneefeldern ſich zu zeigen, auf dem Homer die Götter hauſen ließ, als Troja be- lagert wurde. Die Farbenpracht der untergehenden Sonne vergoldete alle dieſe Höhen; der Wind legte ſich und der glatte Spiegel des Bosporus unter uns ſtrahlte im gol- denen Abendſchein. – Theodoro mahnte endlich an den Aufbruch und unſere Schiffer, jetzt mit dem Strome ſchiffend, brachten uns noch vor der Dunkelheit nach Kon- ſtantinopel zurück. ...v.."..".."-"-.."..“---------------- XI. Die Moſcheen. Wir waren nun ſchon drei Tage in Konſtantinopel und hatten weder das Serail noch die Moſcheen geſehen. In unſerm Handbuche ſtand, daß kein Chriſt eine Moſchee oder das Serail betreten dürfe, ohne einen Ferman oder Paß des Sultan und ohne Begleitung eines Kavaß d. i. eines türkiſchen Polizeidieners, der den Chriſten gegen die Mißhandlungen der orthodoxen Türken zu ſchützen habe. Ein Ferman koſte 1200 Piaſter d. i. 60 Thaler. Schon auf dem Dampfſchiff hatten wir deshalb mit dem engliſchen Offizier beſprochen, daß jeder dem andern Nach- richt geben ſolle, ſo wie ein ſolcher Ferman erlangt ſein werde. Wenn nämlich eine Anzahl Fremder ſich geſam- melt hat, pflegt ein Kellner oder Lohndiener eines frän- kiſchen Hotels einen ſolchen Ferman auf eigene Rechnung zu löſen, und da auf einen ſolchen Ferman ſo viel Fremde, als da ſind, mitgehen können, ſo wird dies zur Spekulation gemacht; der Lohndiener erhebt von jedem einen erheblichen Beitrag und behält einen guten Gewinn für ſich übrig. - Als wir am Mittagstiſch ſaßen, erkundigten wir uns bei dem Kellner, ob keine Nachricht wegen eines Ferman 11* – 164 – aus dem Hotel d'Angleterre eingegangen ſei. Auf ſein: Nein, bemerkte der Korreſpondent der „Times“, der heute wieder bei Tiſch war, daß ſeit dem Beginn des jetzigen Krieges dieſe Schwierigkeiten ſich gemindert hätten. Jeder engliſche oder franzöſiſche Offizier könne getroſt in die Moſcheen eintreten, kein Türke werde ſich ihm entgegen- ſtellen. Unter ſeinem Schutze könnten auch Civiliſten mit- gehen; ja ſelbſt Europäer ohne Uniform allein würden keine Schwierigkeiten mehr finden, man müſſe nur den Türken das Wort: Inglesi oder Francesi entgegenrufen; dies ſei das Einzige, was ſie verſtänden und reſpektirten. Dieſe Mittheilung war uns willkommen. Da Herr Dr. A). in der rothen Jacke neben mir ſaß, ſo fragte ich ihn, ob er nicht, ſo wie in die Bäder, auch in die Moſcheen uns begleiten wolle. Die Gicht ſchien aber dem alten Herrn das Steigen ſehr ſchwer zu machen; er entſchul- digte ſich und ſo beſchloſſen wir, den Verſuch morgen allein zu machen. Theodoro erhielt Auftrag, für neue Pan- toffeln zu ſorgen, um nicht wieder in Strümpfen wandern zu müſſen. - - Die Aja Sophia, die ehemalige, von dem Kaiſer Juſtinian im Jahre 540 erbaute Sophienkirche, iſt, ſeit- dem Mohamed II. 1453 am Tage der Eroberung Konſtan- tinopels zu Pferde vor ihren Haupt-Altar ritt und ſie zur Moſchee einweihte, die erſte Moſchee des türkiſchen Reiches geworden und das Muſter, nach welchem alle ſpätern ge- baut worden ſind. Sie liegt auf der Höhe ohnweit des Serails und nach ihr richteten wir am andern Morgen zuerſt unſere Schritte. Von Außen iſt dieſer berühmte Tempel ein häßlicher, formloſer Steinkoloß; dicke unförmliche Strebepfeiler haben in türkiſcher Zeit angebaut werden müſſen, um die Ge- wölbemauern zu ſtützen; nur die flache Kuppel mit dem vergoldeten 50 Fuß langen Halbmond auf der Spitze – 165 – läßt ein großes Bauwerk ahnen. Man tritt in einen Vorhof, den ein Säulengang mit kleinen Kuppeln um- giebt, und in deſſen Mitte ein Springbrunnen zum Rei- nigen der Füße vor dem Eintritte in die Moſchee dient. Zwiſchengebäude ſtören aber auch hier Symmetrie und Zuſammenhang. Wir fanden endlich eine Seitenthür offen; ein Wächter ward durch ein Trinkgeld beſchwich- tigt, wir zogen die Stiefeln aus und traten mit den Pantoffeln einige Schritte vorſichtig in das Heiligthum. Wir hatten indeſ kaum einen Blick nach der hohen Kuppel gethan, ſo kamen mehrere Knaben, die eine Art Dienſt in der Moſchee zu haben ſchienen, und wieſen uns mit drohender Geberde die Thür. Theodoro war aus Furcht bei den Stiefeln im Vorhofe geblieben. Wir riefen ihnen den Zauberſpruch: Inglesi Francesi entgegen; vergeb- lich; wir holten Sechs Piaſterſtücke aus der Taſche und riefen bakschisch (Trinkgeld); vergeblich. Schon ſam- melte ſich eine größere Zahl; betende Türken wurden aufmerkſam und wir mußten aus dem Heiligthum zurück- treten, deſſen nur einen Augenblick geſehene Pracht unſer Verlangen verdoppelte. - Wir berathſchlagten, was zu thun; wir wandten uns nach einer andern Seite, und da auch hier gleiche Schwie- rigkeiten drohten, ſo wollten wir ſchon davongehen, als wir zwei engliſche Seeoffiziere in Uniform an der Außen- thür bemerkten, die gar nicht zu wiſſen ſchienen, vor welchem Wunderwerke - ſie ſtanden. Ich wandte mich an ſie und fragte, ob ſie nicht die Moſchee im Innern be- ſehen wollten. Sie hatten noch eine Stunde Zeit, traten auf mein Zureden ein und wir mit ihnen. Unter ihrem Schutze half die Zauberformel: Inglesi und wir hatten nun volle Muße, die Moſchee zu beſehen. - Der Gedanke des Baues iſt einfach. Ein hoher kreisrunder – 166 – Dom in der Mitte. Die Mauern, welche ſeine Gewölbetragen, ſind nach allen vier Seiten in hohen Bogen durchbrochen, ſo daß ſie mehr vier mächtigen Pfeilern gleichen. Nach zwei entgegenſtehenden Seiten ſchließen ſich halbe Dome an dieſe durchbrochenen Bogen an, als bildeten dieſe Bogen ihren Durchſchnitt. Dieſe Halbdome theilen ſich wieder jeder in drei kleinere Halbdome, die alle nach dem Haupt- dom offen ſind. An den beiden andern Seiten gehen die Seitenmauern des Hauptdomes tiefer herab und der Bogen öffnet ſich in eine Gallerie. Das Innere iſt bei- nahe leer zu nennen. Eine Gallerie für den Sultan und eine andere für den Gebetausrufer, ſo wie eine kleine Kanzel werden in dem ſonſt durch nichts beengten Raume kaum bemerkt. In der Höhe ſind Gallerien, aber hinter den durchbrochenen Mauern, ſo daß ſie das Ebenmaaß der Wölbungen nicht ſtören. Das Hauptgewölbe, ſo wie ein großer Theil der Seitengewölbe ſind mit Moſaik aus- gelegt, welches haupſächlich aus dick vergoldeten Glas- würfeln beſteht. An den Rändern der Gewölbe bilden ſie mit bunten Steinen vermiſcht arabeskenartige Ver- zierungen; ſonſt giebt ihre gleichmäßige, glänzende Farbe den Gewölben den Schein, als wären ſie aus maſſivem Golde erbaut. Indem wir nach der Mitte uns wandten, erlangten wir den vollen Anblick der Höhe und Weite dieſes Baues; 269 Fuß iſt er im Innern lang und 143 Fuß breit; der Hauptdom iſt 180 Fuß hoch und die Wölbung des- ſelben hat 115 Fuß im Durchmeſſer; ihre Höhe iſt flach, ſie hebt ſich um den ſechſten Theil ihres Durchmeſſers. Man muß ſich dieſe Maaße an bekannten Gebäuden oder Plätzen verſinnlichen, um das Koloſſale, was ſie aus- drücken, zu verſtehen. Die innere Grundfläche enthält 38,467 Quadrat-Fuß, alſo Raum für ohngefähr dreißig Tauſend Menſchen. – 167 – Der Anblick des Rieſenbaues im Ganzen bleibt das Erhabenſte des Genuſſes; die weitere Betrachtung des Einzelnen, der Säulen, der Gallerien, der Nebendome iſt intereſſant, aber bleibt Kurioſitätenkrämerei jenem Anblick des ganzen Werkes gegenüber. Die Moſchee verkörpert die Idee des Erhabenen wie die deutſchen Dome, aber nicht mit dem Zuſatz des ge- heimnißvollen, überirdiſchen, was in dem düſtern Zwie- licht jener gothiſchen, langen Schiffe mit Säulen ent- halten iſt, deren Kapitäler ſich in endloſen Schwingen des Gewölbes verlaufen. Dieſer Bau mit dem vollen Licht des Tages, was aus den zahlreichen Fenſtern unter den Kuppeln eindringt, mit ſeiner einfachen Grundform des Kreisbogens iſt das Sinnbild des rein Erhabenen, ohne Beimiſchung einer andern Empfindung. Dome wölben ſich hier neben Domen, aber alles bleibt klar; alle Verhältniſſe ſind trotz ihrer Größe verſtändlich. Man fühlt ſich klein in dieſem weiten Raume, aber nicht ver- nichtet. Der Kreisbogen giebt das Erhabene, aber nicht das Unendliche. All' ſeine Größe, ſeine Höhe legt der Tempel erfaßbar mit einem Blick dar; indem er nichts verbirgt, ruft er kein Ahnen wach. Kein Allerheiligſtes, keine düſtern Kreuzgänge, die die Seele mit Schauer und Bangen füllen; nein, in dieſem Tempel der Gottheit iſt es nur das klare, heitre Wiſſen der Größe und Schön- heit, was die Seele bewegt. Dieſem Gefühle entſpricht auch die völlige Schmuck- loſigkeit der Räume. Es giebt keine Bilder; es giebt keine Altäre; es giebt keine Bildſäulen, kein Schnitzwerk, keine Kreuze, keine Sitze. Die Wände ſind einfach weiß gehalten und an ihnen und an den vier Hauptpfeilern ſieht man nur hie und da blaue windungsreiche Züge türki- ſcher Schrift; Sprüche aus dem Koran. Von den Gewölben – 168 – hängen einfache Glaslampen herab, welche durch dünne Drähte zu Kronleuchtern verbunden ſind. Dem entſprechend bewegt ſich der Gottesdienſt. Er beſteht hauptſächlich aus ſtillen Gebeten, die der Türke knieend verrichtet, mit dem Geſicht am Boden und nach Mekka gewendet. Mitunter werden von der Kanzel Sprüche aus dem Koran laut ausgerufen und von den Gläubigen nachgeſprochen. - Gebäude und Gottesdienſt ſind ſo das Symbol des unvermittelten Herantretens des Menſchen zur Gottheit. Dieſe Unmittelbarkeit, dieſe Einfachheit ward von uns, in der chriſtlichen Religion auferzogenen, lebhaft empfunden. Wie ganz anders in der chriſtlichen Kirche! Welche Menge von Mittelsperſonen, die da zwiſchen Gott und den Menſchen ſtehen. Von der einen Seite der Sohn, der Geiſt, die Mutter Gottes, die Engel, die Heiligen, von der anderen der Pfarrer, das Conſiſtorium, der Biſchof, der Papſt. Und welche Menge von vermitteln- den Gedanken, die zwiſchen das Ich und das Abſolute ſich eindrängen. Was ſind unſere Predigten, die die Brücke zwiſchen Beiden bauen wollen? Selbſt die beſten, wie oft ſind ſie nur eine matte Verbreitung der Kernſprüche der Bibel, oder vergebliche Verſuche die Myſterien der Reli- gion vor dem widerſtrebenden Verſtande zu rechtfertigen, oder eine Moral voll Abſtraktionen und einſeitiger Grund- ſätze, bei denen der einfachſte Tagelöhner, ſo wie er die Kirchthüre hinter ſich zumacht, fühlt, daß er ſie nicht be- folgen kann in der Fülle der auf ihn einſtürmenden Wirklichkeit, in dem täglichen Kampfe der Intereſſen der Geſellſchaft. - Es geſellte ſich bald ein Türke zu uns, der ſich erbot uns in die obern Gallerien zu führen. Indem man dort den goldenen Gewölben näher iſt, erkennt man erſt ihre – 169 – wahre Größe und die ſichere Leichtigkeit, mit der die flache Kuppel über die Pfeiler geſpannt iſt. An dieſen Pfeilern ſind noch Erzengel in muſiviſcher Arbeit aus der chriſt- lichen Zeit zu ſehen. Das Geſicht derſelben iſt jedoch von den Türken mit einem goldenen Stern bedeckt worden, ſo daß man Mühe hat, herauszufinden, was die menſch- liche Geſtaltung um dieſe Sterne zu bedeuten hat. Es ſind über hundert antike Säulen in dieſer Moſchee, welche ſchon Juſtinian aus den Tempeln aller Religionen zum Schmuck ſeines Lieblingsbaues herbeigeholt hat. Wir ſahen 24 koloſſale Säulen von ägyptiſchem Granit, acht Porphyrſäulen mit Füßen und Geſimſen von weißem Marmor aus dem Sonnentempel zu Rom geholt, und vier ſchöne grüne Serpentinſäulen, die früher in dem Tempel der Diana zu Epheſus geſtanden haben. Aus dem Moſaik des Gewölbes fallen einzelne Steine aus; dieſe werden von den Türken geſammelt und unſer Türke bot uns dergleichen zum Kauf an, welche Kurioſität mit Eifer von uns erworben wurde. Solche Steine ſind viereckig und nicht größer als eine in dieſe Form gedrückte Erbſe. Hiernach mag man die Mühe abmeſſen, welche es gekoſtet, dieſe Rieſen-Gewölbe mit ſolchem Moſaik zu bekleiden. Hier und da findet man noch Spuren von Kreuzen in erhabener Arbeit an den Thüren und Steinen; wo es möglich geweſen, iſt dies Symbol wie die Engels- geſichter, von den Türken vertilgt worden. Von der Aja Sophia wendeten wir uns zur Achmed- Moſchee, welche nicht weit davon entfernt iſt. Unſere engliſchen Offiziere verließen uns zwar, aber wir ließen uns dadurch nicht abhalten. Da wir hier zu keiner Stunde des Gebets kamen, ſo reichten 10 Piaſter hin, uns den Eingang zu verſchaffen und mit Muße uns darin umzuſehen. – 170 – Die Achmed-Moſchee iſt nicht völlig ſo groß als die Aja Sophia, aber der Gedanke jener iſt hier zierlicher und vollſtändiger ausgeführt. Es iſt ein rein türkiſches Werk, vom Sultan Achmed um 1600, gebaut. Hier ſind die Stützen, welche das Gewölbe der großen Mittelkuppel tragen, aus ſchwerfälligen Pfeilern in kannelirte Säulen umgewandelt und die Halbkuppeln, welche ſich dort nur an zwei Seiten der Hauptkuppel anſchließen, ſind hier nach allen vier Seiten angefügt und ſpalten ſich nach allen vier Seiten jede in drei kleinere halbrunde Kuppeln. Das Gewölbe des Ganzen iſt ſo ein Netz von 17 me- tallenen Domen, die perſpektiviſch abfallen und alle 17 außer von den Randmauern nur von jenen vier Säulen getragen werden. Der Eindruck, den dieſe freien weiten Räume mit gleichſam in den Lüften ſchwebenden Gewölben, hervorbringen, iſt vortrefflich. Klarheit, Beſtimmtheit, Heiterkeit herrſcht in dieſem großen, ſchmuckloſen Tempel, und man fühlt, daß die chriſtliche Verleugnung des Ir- diſchen kein Dogma des Islam geworden iſt. Die zier- lichen, weißen Minartes, welche hier allein zu ſechs die Moſchee umgeben, ſtimmen genau mit dem Charakter des Tempels und bilden von Außen einen unentbehrlichen Beſtandtheil des Beiwerkes. An einem der ſpätern Tage waren wir auch ſo glück- lich, die Suleimannia ſehen zu können. Sie gilt für das ſchönſte Gebäude Konſtantinopels und ward von dem großen Sultan Suleiman in der höchſten Blüthe und Macht des türkiſchen Reiches um 1550 gebaut. Sie iſt im Ganzen eine ziemlich genaue Nachahmung der Aja Sophia, aber ſymmetriſcher gehalten, da ſie innerhalb ſechs Jahren vollendet wurde und keine Religion zu wechſeln hatte. Das Gewölbe der Mittelkuppel ſteht an Größe und Schönheit dem der Aja Sophia nicht nach; – 171 – aber der aus der chriſtlichen Zeit ſtammende Luxus der Verzierungen fehlt hier. Die Wände und Gewölbe ſind einfach hell angeſtrichen und nur einzelne dunklere Streifen unterbrechen mitunter die helle Grundfläche. Das Ge- wölbe der Mittelkuppel ruht hier in noch leichterer Art, wie bei der Achmed-Moſchee, -auf vier koloſſalen aber ſchlanken Säulen von rothem Granit. Sie waren vor- mals die vier ſchönſten und höchſten des chriſtlichen Kon- ſtantinopel und trugen damals die Reiterſtatue von Juſtinian. Ueber dieſen Säulen ſind vier blaue Schilder angebracht, auf denen in ſchöner türkiſcher Schrift der Spruch des Koran ſteht: „Ich habe mein Geſicht zu ihm gewendet, der Himmel und Erde ernähret.“ In der Suleimannia ſahen wir auf einer geräumigen obern Gallerie einen großen Haufen von Koffern und bunten Holzkiſten aufgeſchichtet. In dieſen Koffern ſind die Koſtbarkeiten und das Geld der wohlhabenden Türken verſchloſſen, die dieſe Schätze hier gegen Feuer und Dieb- ſtahl ſicherer verwahrt halten, als in ihren Wohnungen. Es fiel uns auf, daß dieſe Kiſten ſo völlig frei, unver- hüllt und durcheinander ſtanden auf einer Gallerie, die wie es ſchien, nicht einmal verſchloſſen war. Welcher Abſtich gegen die Kirchendiebſtähle und Einbrüche in den chriſtlichen Ländern! Die Suleimannia hat auch einzelne bunte Glasfenſter, nach Art unſerer Dome; ſie thun jedoch hier bei der Menge der Fenſter der Helligkeit keinen Abbruch. Sie können nach türkiſcher Sitte keine menſchlichen Figuren darſtellen; Blumen und die wiederkehrenden Buchſtaben von „Allah“ bilden den Inhalt. Der Boden aller Moſcheen iſt mit Strohmatten bedeckt; man ſieht aber an den Seiten große Ballen Teppiche aufgeſtapelt, womit zu hohen Feſten der Boden belegt wird. Eigenthümlich – 172 – ſind auch die großen Leuchter und Wachskerzen, welche an ſolchen Tagen angezündet werden. Wir ſahen Kerzen von der Größe und Stärke einer vier und zwanzigpfün- digen Kanone und dem entſprechend die Leuchter. Bei den meiſten Moſcheen ſind an einer Seite die Grabmäler der Sultane angebracht, welche die Moſchee erbaut haben, mit ihren Brüdern, Söhnen u. ſ. w. Die größten ſind die des Sultans Suleiman bei der Suleimannia. Es ſind niedrige, achteckige Gebäude mit vorſtehendem Dache. Die Wände ſind durchbrochen und mit breiten Eiſengittern verſetzt, durch die man die Gräber erkennt. Es ſind ko- loſſale Särge in der Form der unſrigen; die Pracht be- ſteht lediglich in den reichen türkiſchen Shwals und Tep- pichen, mit denen ſie gänzlich bedeckt ſind. Am Kopfende iſt ein Turban auf den Sarg aufgeſetzt. Dieſe Turbane ſind angeblich die, welche der Sultan bei ſeinem Leben getragen hat, und wir ſahen ſpäter in Bruſſa bei einem ſolchen Grabmal drei Schachteln mit verſchiedenen Tur- banen, welche nach der Wichtigkeit der einzelnen Tage gewechſelt und dem Grabe aufgeſetzt wurden. Die Moſcheen haben nach Art unſerer Klöſter einen reichen Beſitz an liegenden Gründen und andern Ein- künften, und aus dieſen werden eine Menge Anſtalten unterhalten, die in Europa unmittelbar vom Staat aus- gehen: Armenküchen, Krankenhäuſer, Irrenhäuſer, Elemen- tar- und höhere Schulen, Bibliotheken. Die Armen- küchen der Moſcheen in Konſtantinopel ſollen täglich an 30,000 Arme mit warmen Speiſen verſorgen. Trotzdem fanden wir weder in den Moſcheen noch in dem ganzen öffentlichen Leben der Bevölkerung eine Spur jener unter- würfigen Ceremonien, mit denen in den katholiſchen Län- dern Europa's der Laie den Prieſtern ſeine Verehrung beweiſt. Jenes kriechende Küſſen der Hände, des Rock- – 173 – ſchoßes, jene ſklaviſchen bis zum Knieen gehenden Reſpekts- bezeugungen, wie ſie namentlich in den öſtlichen Gegenden Deutſchlands noch überall in Uebung ſind, ſieht man hier auch in keinem andern Surrogate. In der Moſchee empfängt der türkiſche Prieſter bei dem Gottes- dienſt durchaus keine Ehrfurchtsbezeugung, und auf den Straßen haben wir während unſeres zweiwöchentlichen Aufenthalts auch nicht einmal eine derartige Ceremonie bemerkt, aus der man auf die Gegenwart eines Prieſters oder eines Ulema hätte ſchließen können. Auf den Gang der Regierung mögen die hohen geiſtlichen Würdenträger in der Türkei einen Einfluß üben; aber das Volk genießt in dieſer Beziehung eine Unabhängigkeit und Freiheit, die man in katholiſchen und ſelbſt in proteſtantiſchen Län- dern nicht kennt. XII. Das neue Serail. Unſere Erfahrungen in den Moſcheen hatten unſern Muth erhöht; wir hofften nun auch in das Serail in gleicher Weiſe ohne Ferman zu gelangen; indeß zeigte ſich hier, daß die Toleranz der Türken in Bezug auf Frauen noch nicht ſo weit vorgeſchritten war, als in Be- zug auf Religion. Es giebt ein altes Serail, ein unbedeutendes Ge- bäude, mehr in der Mitte der Stadt; wenn man in Europa vom Serail des Sultan ſpricht, ſo verſteht man darunter nur das neue Serail, was die Spitze der Land- zunge einnimmt, auf der Stambul gebaut iſt. Dieſe Spitze iſt aber ein großer Flächenraum. Der kaiſerliche Palaſt in Wien, die Hofburg iſt eine große Anhäufung von Gebäuden, aber ſie verſchwindet im Vergleich zu dem Raume der ganzen inneren Stadt Wien; das neue Serail in Konſtantinopel iſt aber ſo groß als die ganze innere Stadt Wien. Es iſt ringsum mit eigenen ſtarken Mauern umgeben, die, wo ſie die Stadtgrenze bilden, zugleich die Stadtmauern ſind, und zerfällt in drei Höfe. Zwei davon bilden eigentlich ausgedehnte Gärten, beinah im Geſchmack engliſcher Parks; in dieſen Gärten bis hinab – 175 – zu dem Meere ſind die einzelnen Paläſte, Kioks, Moſcheen, Springbrunnen regellos zu verſchiedenen Zeiten erbaut worden; nur der dritte innere Hof iſt dichter bebaut, hier befinden ſich der Audienzſaal für die fremden Geſandten, Moſcheen, Bäder, Springbrunnen, der Schatz, die Biblio- thek, der Harem, wo die Frauen wohnen, und der Prinzen- kerker, wo früher die Nachfolger des regierenden Sultans eingeſperrt gehalten wurden. In dieſen dritten Hof ge- langt man auch mittelſt eines Fermans nicht; dagegen bildet ein Theil des erſten Hofes einen für jedermann offenen Zugang, der als Straße zur hohen Pforte be- nutzt wird. - Als wir durch den Haupteingang, das Thor der kaiſer- lichen Pforte, in den erſten Hof eingetreten waren, der weit eher einem ſchönen Garten mit Raſen und präch- tigen Baumgruppen als einem Palaſt gleicht, ſchickten wir unſern Theodoro nach dem Thore, das in den zweiten Hof führt. Mit Geld verſehen, ſollte er ſein Heil bei der Wache verſuchen. Wir beſahen inmittelſt in der Ecke den großen Mörſer, in dem ſonſt die in Ungnade gefallenen Mufti's und Ulema's zerſtampft worden ſein ſollen. Theodoro kam bald mit ſchlechten Nachrichten zurück. Er habe gebeten, Geld geboten, allein die Soldaten hätten erklärt, daß ſie es nicht wagen könnten, uns einzulaſſen, ſie würden ſich harter Beſtrafung ausſetzen. Da wir die griechiſche Furcht des Theodoro vor den Türken bereits kennen gelernt hatten, ſo ließen wir uns damit nicht ab- ſchrecken, ſondern begleiteten ihn ſelbſt nochmals zur Wache. Nach längeren ſehr ruhig geführten Verhand- lungen hatten zwanzig Piaſter endlich den Erfolg, daß man uns erlaubte, in dieſen zweiten Hof mit Begleitung eines Soldaten einzutreten. Durch dieſes Thor darf nur der Sultan reiten, alle fremden Geſandten müſſen vor- – 176 – her abſteigen und zu Fuß durchgehen. Auch mußten ſie ſonſt eine halbe Stunde nach türkiſchem Ceremoniell hier warten, ehe ſie weiter gehen durften. Wir als unbe- deutende Perſonen, wurden ohne ſolche Feierlichkeit durch- gelaſſen. Auch dieſer Hof iſt noch gartenartig bepflanzt. Links ſahen wir den Palaſt, wo ſonſt der Divan oder Reichs- rath gehalten wurde, und wo in einem zweiten Saale Rechtshändel entſchieden wurden, denen die fremden Ge- ſandten, ehe ſie zur Audienz gelangten, beiwohnen mußten. Rechts erhoben ſich unförmliche, mit Bleikuppeln und kleinen Röhren verſehene Gebäude; es waren die neun Küchen, Speiſekammern und Konditoreien für den Sultan und das Hofgeſinde; die Küchen folgen genau der Rang- ordnung. Vor uns lag das Thor der Glückſeligkeit, welches in die Allerhöchſten Geheimniſſe des dritten Hofes führt, und wo nach den Erzählungen der wenigen Glücklichen, die hier eingedrungen ſind, außer den Paläſten mit zahl- reichen Sälen auch der große Harem, der Winteraufent- halt der Frauen des Sultans ſich befindet. Der kleine Harem, der Frühlings- und Herbſtharem, liegt an der Waſſerſeite; dicke Cypreſſen ſchützen ihn gegen die neu- gierigen Blicke der Europäer in Galata. Man hatte uns viel von ſeinen Herrlichkeiten erzählt; ein Tanzſaal enthält neben vielen Spiegeln zwei Achatplatten, 7 Fuß hoch und 2 Fuß breit jede, ſo ſchön polirt, daß ſie eben- falls als Spiegel dienen; der Badeſaal des Sultan von rothem Marmor hat eine Einfaſſung von 35 Säulen; der Harem der Odalisken, Kammerfrauen, (von Oda, die Kammer,) 300 Schritt lang, in welchem ſo viel Skla- vinnen wohnen, als Tage im Jahre ſind; jede hat einen roth und weiß angeſtrichenen Kaſten zu ihrer Garderobe – 177 – und auf den Sophas an den Wänden müſſen immer je 15 beiſammen ſchlafen; zwei Stiegen, die in dieſen Saal führen, ſind durch Fallthüren mit ſchweren Gewichten und ſtarken Riegeln verſperrt. Von all dieſen intereſſanten Dingen ward uns nichts zu ſehen verſtattet; unſer türkiſcher Soldat wies uns mit einer Miene, die keinen Scherz verſtand, links, und ſo kamen wir wieder näher dem Meere, wo mannigfache Kioks das Grün der Bäume unterbrachen, aber mit der Mauer uns die Ausſicht auf das Meer verſperrten. Wir kamen an mehreren, aber verſchloſſenen Thoren vor- bei; das nächſte war das Hofthor, welches blos geöffnet wird, um die Leichname der im Serail Hingerichteten, ins Meer zu werfen; ſpäter gelangten wir zu dem Henkers- ſpringbrunnen und dem Haus der Pein, von dem die in Ungnade gefallenen Großveſire ſich ſofort ohne Abſchied von den Ihrigen an den Ort ihrer Verbannung ein- ſchiffen mußten. - Alle dieſe Thore und Gebäude ſahen ſo einfach und verſtändig aus; der grüne Raſen, die Platanengruppen mit ihrem üppigen Laub, waren ſo natürlich und un- ſchuldig, daß all dieſe Gräuel vergangener Zeit uns wie Mährchen erſchienen, nur erfunden, um Chriſtenkinder in den Schlaf zu ſchrecken. Gegen das Ende hebt ſich der Boden; wir gelangten durch das Hauptthor in den erſten Hof zurück, zu dem von hohen Platanen beſchatteten Springbrunnen Abla's, in deſſen Nähe die Münze und das Zeughaus ſich be- finden. Wir ſetzten uns unter die Platanen, entließen unſern türkiſchen Wächter und ſandten Theodoro zum Münzdirektor, um uns dort Eintritt zu verſchaffen. Das iſt alſo das Serail, rief ich, jenes Wunderſchloß, das man in Europa mit heimlichem Grauen ſich ausmalt, 12 – 178 – als maaßlos in ſeinen Rieſenpaläſten, als geſchmückt mit allen Schätzen des Orients, als die üppige Wohnung der ſchönſten Cirkaſſierinnen, als bewacht von hunderten von Janitſcharen und ſchwarzen Eunuchen. Wir ſind beinah mitten hindurchgegangen, und jene Wunder, die die Phan- taſie im Abendlande aufgebaut, ſie ſind hier zuſammenge- ſunken zu einem engliſchen, etwas vernachläſſigten Park, mit hübſchen Baumgruppen und bunt durch einander ge- würfelten großen und kleinen Häuſern, von ſonderbaren Formen zwar, aber ſo, daß ſie in Europa ſchwerlich für Paläſte gelten würden. – Ja, ſagte M*; aber das Innere, was wir nicht ge- ſehen haben; da ſtecken die wunderbaren Dinge, die koſt- baren Schätze, über die wir erſtaunen würden! – Wir würden da ſehen, es iſt wahr, den ſchwarz-kame- lottnen Mantel des Propheten, welcher am 15. des Mo- nats Ramaſan von allen Hof- und Staatsbeamten ge- küßt werden muß, und in einer ſilbernen Kiſte, 78,000 Drachmen ſchwer, aufbewahrt wird; wir würden ſehen den Thron Mahmud's I., mit einer Silberplatte 7 Ellen in das Gevierte; aber denken Sie an den ſilbernen Thron im Schloß zu Berlin, denken Sie an den Fackeltanz, wel- chen die Miniſter dort bei Verheirathung der Prinzeſſinnen tanzen; waren wir ſo entzückt darüber? und ich meine es würde hier nicht viel anders ſein. Dennoch würden dieſe Beſchwichtigungsmittel wenig geholfen haben, wenn wir nicht Tages vorher bei der Fahrt auf dem Bosporus den großherrlichen Palaſt genau von innen und von außen geſehen hätten, in welchem Prinz Napoleon bei ſeiner Ankunft in Konſtantinopel in dieſem Frühjahr gewohnt hatte. Es iſt dies der Palaſt Dolmabagdſche, zu deutſch: Bohnengarten, der erſte Pa- laſt des Sultans von Konſtantinopel den Bosporus auf- – 179 – wärts, am linken Ufer. Da der Palaſt jetzt völlig unbe- wohnt iſt, ſo erlangten wir durch ein Trinkgeld von dem Kaſtellan den Eintritt. Das Aeußere gleicht genau den Paläſten des Serail und den übrigen ältern des Sultans. Nur die Außenmauern des Erdgeſchoſſes ſind von Stein, alles übrige von Holz und grünlich angeſtrichen. Das Hauptgebäude hat zwei Stock über dem Erdgeſchoß, und dieſelben erkerartigen Vorbaue in der Hauptfront, wie alle türkiſchen Paläſte. Wir landeten an der ſchmalen, nie- drigen Terraſſe der Waſſerſeite, mußten aber von der Rückſeite durch einen gut gepflaſterten Vorhof eintreten. Die Thür des Erdgeſchoſſes führte unmittelbar in einen Saal, der die ganze Länge des Gebäudes einnahm, mit ſchwarz und weißen Marmorplatten gepflaſtert war, und ſein Licht aus großen Fenſtern von der Landſeite er- hielt. Er war ohne alle Verzierung, einfach lichtgraue Wände; ebenſo fehlten alle Möbel darin. In der Mitte führten zwei bequeme Treppen in das erſte Stock, was einen Saal gleicher Größe über dem untern enthielt, der hier aber ſich nach beiden Seiten in Seitenzimmer öffnete, die durch die erkerartigen Ausbaue des erſten Stocks über das Erdgeſchoß gewonnen waren. Dadurch hatten dieſe geräumigen Zimmer Fenſter und Licht nach drei Seiten und eine vortreffliche Ausſicht nach dem Bosporus gerade- aus, auf- und abwärts, wobei freilich die Seitenausſicht durch die gleichen erkerartigen Vorbaue auf beiden Seiten etwas beſchränkt wurde. Nach dieſem Plane wiederholte ſich auch das zweite und letzte Stock; ein langer Saal mit anſtoßenden Zimmern. Der Zugang zu den Zim- mern ſtand überall offen, es fehlten die Thüren, ſchwere Vorhänge vertraten dieſelben, waren aber zurückgeſchlagen. Der Palaſt enthielt 82 Zimmer. Der Boden der beiden Stockwerke war mit Strohmatten belegt; indeß zeigten zu- 12* – 180 – ſammengerollte Teppichballen, daß während Prinz Napo- leons Aufenthalt der Boden mit Teppicheu bedeckt gewe- ſen war. Auch die obern Säle waren leer, ohne Möbeln, ohne Verzierungen, ohne Spiegel. In den Zimmern liefen an den Wänden breite Di- van's ohne Unterbrechung herum; hier und da ſtand ein hoher Kaſten von polirtem Ceder- oder Mahagoniholz, der in der einfachſten Weiſe den Zweck unſrer Kommoden und Sekretaire zu vertreten ſchien; auch ſahen wir in den Zimmern einige hübſche Spiegel. Die großen Fenſter, immer 12, vier auf jeder Seite, waren ohne Vorhänge, aber mit Rouleaux und Jalouſien verſehen. Die Wände hat- ten in dem erſten Stock durch alle Zimmer hindurch eine gelbliche, in dem zweiten Stock eine in das roſa ſpielende lichte Farbe. Sie waren ohne Verzierungen; dagegen waren die Decken mit Arabesken reich ausgemalt. Im Uebrigen ſah man nichts von dem Reichthum, mit dem europäiſche Paläſte im Innern ausgeſchmückt zu ſein pfle- gen. Es fehlten die Bildſäulen, die Gemälde, die Vaſen, die Blumen, die Uhren, die Harfe, der Flügel, die Bib- liothek, das Billard, die Sekretaire, Schreibtiſche, die Bedürfniſſe der Toilette. Nur die letzteren waren in dem Badezimmer im zweiten Stock vertreten, in dem Marmor- becken mit reich verzierten Zuflüſſen von kaltem und war- mem Waſſer ſich befanden. Durch eiſerne heizbare Röh- ren konnte die Temperatur hier beliebig erhöht werden. In dieſem Zimmer fanden wir größern Luxus von Ver- goldungen und Zierrathen von Marmor. Im Gegenſatz zu dieſer Leere und Einfachheit der Räume ſtanden einzelne Möbel von Pariſer Façon, Spie- gel, Sekretaire, Bettſtellen, Oefen und Kamine, von denen der Kaſtellan eingeſtand, daß ſie erſt hergebracht worden, als der Palaſt für den Prinz Napoleon eingerichtet wor- – 181 – den ſei. Die Türken haben in ihren Wohnungen weder Oefen noch Kamine; bei arger Kälte benutzt man nur kleine eiſerne, mit Kohlen gefüllte, verdeckte Pfannen, die neben die Perſon oder unter deren Füße geſtellt werden. Dieſe Leere, dieſer Mangel an Ausfüllung oder Ver- zierung der Säle und Zimmer erinnerte uns an die ähn- liche Leere der Moſcheen; allein dieſe Leere, die wir bei den Moſcheen, als ein Sinnbild des Unendlichen, Höch- ſten, und bei den koloſſalen Räumen ihrer Dome als der Idee des Ganzen entſprechend fanden, war hier, in der Wohnung der Menſchen eine wirkliche Leere. Sie ſchien uns ein Zeichen der halben Barbarei, in der dieſes Land noch bis zu den höchſten Klaſſen ſich befindet. Als die türkiſchen Barbaren Konſtantinopel erobert hatten, fanden ſie die Paläſte, aber die Kriegswuth hatte ihren Inhalt zerſtört; der Türke behielt die leeren Räume, vermochte aber nicht, ſie wieder auszufüllen. Nur den Genuß der Sinne kennend, und wie Barbaren im Golde nur das Gold ſchätzend, waren Badezimmer, Divans, kühlende Säle, eine plumpe Anhäufung von Gold und Edelſteinen alles, was ſie vermochten; ſonſt blieben die Räume leer, wie ihr Kopf. Dem gedankenloſen Träumer auf dem Divan, die Dämpfe des berauſchenden Nargileh einzie- hend, entſprechen dieſe leeren, weiten Räume, in denen kein Gegenſtand der Kunſt, keine Verzierung das Auge feſſeln und die Seele aus dem trägen Auseinander zu einer beſtimmten Vorſtellung erwecken könnte. Die Ver- ſicherungen des Kaſtellans und unſeres Theodoro, daß die übrigen Paläſte des Sultans und der Großen in der Hauptſache ebenſo beſchaffen wären, ſchienen uns daher ſehr glaublich, und indem wir uns dies heute, unter den Platanen des Serails, zurückriefen, tröſteten wir uns leichter, ſeine Paläſte nicht geſehen zu haben. – 182 – Theodoro brachte uns die Erlaubniß, die großherr- liche Münze zu ſehen. In langen Gebäuden links ſind die Schmelzöfen, wo das Gold und Silber gereinigt, die Barren erhitzt werden; rechts ſind zunächſt die Walzma- ſchinen, in denen die Gold- und Silberklumpen zn ſchma- len Blechen von der Stärke der Münzen ausgedehnt und ſodann die runden Stücke durch ein Druckwerk ausgeſchnit- ten werden. Dann folgen daneben die Prägemaſchinen, wo, wie in europäiſchen Münzſtätten, mit einem Druck das Gepräge oben, unten und am Rand eingedrückt und ſofort jedes fertige Stück von der Maſchine ſelbſt fortge- ſchoben wird, um ein neues zu prägen. Unter den türkiſchen Geſichtern in den Sälen war eins mit hellerer Farbe und germaniſchen Zügen. Auf meine Frage, ob er ein Engländer ſei, rief er: I should think so! und erzählte mir, daß das ganze Werk in England gefertigt und von ihm hier aufgeſtellt worden, wo er noch die Oberaufſicht führe. Während unſerer Anweſenheit wurden Goldſtücke zu 100 Piaſter, ohngefähr 5 Thlr. im Werthe, geprägt, auf der einen Seite mit der hübſch ge- ſchlungenen Chiffre des Sultans, die das europäiſche Wap- pen oder Bruſtbild vertritt, und mit der Werthangabe auf der andern. Seit vier Wochen wurden, wie der Engländer uns erzählte, in drei Abſätzen täglich 30.000 ſolcher Gold- ſtücke geprägt und es ſollte noch eine Zeitlang ſo fort- gehen. Dies ſchienen uns gute Ausſichten für Omer Paſcha. In dem Saale mit den Walzwerken lag ein Haufen röthlicher ſtarker Bleche; ich hielt ſie für Kupfer und freute mich, daß man die ſo ſehr fehlenden Kupfer- münzen vermehren wolle; der Engländer lachte mich aber aus; es waren Bleche des reinſten Goldes, die nur durch das Feuer und Walzen einen röthlichen Schein angenom- men hatten. Wir glaubten in Kalifornien zu ſein. Seit – 183 – Jahr und Tag führt der Sultan dieſen erſchöpfenden Krieg, und hier lag noch Gold in Bergen aufgehäuft. Wir hatten ſpäter mehrfach Gelegenheit uns zu überzeu- gen, daß in der Türkei vielleicht noch mehr Vorrath an Gold und Silber, als in dem reichen England vorhan- den iſt. Die Türken, wie alle barbariſche Völker, kennen keinen andern Reichthum, als edle Metalle und Edelſteine, und die ungeheure Beute an ſolchen aus den früheren Zeiten ihrer Siege hat ſich unbenutzt, aber auch unver- mindert erhalten. So erzählte uns ſpäter ein belgiſcher Ingenieur, im Dienſt des Ali Paſcha, daß dieſer allein 10,000 Pfund an Silberzeug beſitze, die aber ſtets in Kiſten und Koffern verpackt ſeien. Wir erkundigten uns bei dem Engländer nach den Arbeitern. Es ſind alles Türken, die hier europäiſche Fabrikarbeit in derſelben Regelmäßigkeit und Ausdauer wie bei uns ausführen müſſen. Er gab ihnen ein gutes Zeugniß, ſie wären nicht allein ausdauernd und kräftig, ſondern zeigten auch Geſchick zu den ſchwierigen Verrich- tungen. Das, was wir ſahen, beſtätigte ſein Urtheil. Ohnweit der Münze befindet ſich eine Art Rüſtkammer in einer ehemaligen griechiſchen Kirche. Wir hofften dort alte türkiſche Waffen und, ſo wie in unſern Rüſtkammern, ausgeſtopfte Janitſcharen und Paſcha's in voller Rüſtung zu ſehen; indeß fanden wir in dem Theil, den allein man uns öffnete, nur einen großen Vorrath moderner, euro- päiſcher Waffen, namentlich Kavallerie-Säbel und Flin- ten, die in eben ſolchen Figuren zuſammengeſtellt waren, wie in dem Zeughauſe in Berlin. «„"»“. „". "-"-"-"v".."-"-"v".".."-"." XIII. Türkiſche Kaffee- und Speiſehäuſer. Die weite Entfernung von Pera und von unſerem Hotel nöthigte uns, an dieſem Tage das europäiſche Frühſtück aufzugeben und in Stambul auf türkiſch zu eſſen und zu trinken. Die Kaffeehäuſer bilden in Konſtantinopel, ſo wie in allen großen und kleinen Orten der Türkei, den Mtitel- punkt deſſen, was man hier öffentliches Leben nennen kann. Alle andern Vereinigungspunkte europäiſcher Städte fehlen. Es giebt für den Türken kein Theater, keine Konzerte, keine Leſekabinette, keine Schauſtellungen, keine Vereine zur gemeinſamen Ausübung der Kunſt, keine Ver- ſammlungen zur Verhandlung wiſſenſchaftlicher Fragen, keine Börſe, keine politiſchen Verſammlungen. Der Türke konzentrirt alle ſeine Genüſſe in ſeinem Hauſe und auch da werden ſie dem Auge jedes Zuſchauers entzogen. Hohe Mauern umgeben die Gärten, dichte Gitter verſchließen die Fenſter und die Hausthür iſt ſtets verriegelt. Nie- mand als die Hausgenoſſen erlangen den Eintritt. Geht der Türke aus ſeinem Hauſe, ſo geſchieht es nur ent- weder als Beamter, um in ſeine Dienſtſtube ſich zu be- geben, oder als Kaufmann oder Handwerker, um in den – 185 – Chan oder Bazar zu ſeinem Geſchäft zu gehen, oder um die nöthigen Einkäufe für die Hauswirthſchaft zu beſorgen. Ein regelmäßiges tägliches Ausgehen zum Vergnügen kennt der Türke nicht; Beſuche bei Freunden ſollen eben- falls ſehr ſelten ſein. Der Theil des Lebens, der, nach gethaner Arbeit, den Genuß enthält, würde daher in der Türkei völlig in den Geheimniſſen des Hauſes einge- ſchloſſen bleiben, wenn nicht die Kaffeehäuſer die Sitte der Iſolirung durchbrochen und ein Stück öffentliches Leben gerettet hätten. - Kaffeehäuſer giebt es in allen Straßen Stambuls, in allen Stadttheilen; ihre Zahl muß viele Tauſende er- reichen. Ihre Einrichtung iſt, trotzdem daß dergleichen für alle Stände, für Arme und Reiche, für Fremde und Einheimiſche beſtehen, überall mit geringen Maaßgaben dieſelbe. In Allen giebt es zunächſt ein Hauptzimmer, welches ſich in dem unteren Stock des Hauſes befindet, der aber dann ſo hoch iſt, daß die Wohnung darüber wegfällt. Dieſes Zimmer hat nach der Straße zu keine Wand, und iſt es ein Eckhaus, ſo hat es nach beiden Seiten keine Wand; nur ein niedriges Holzgeländer ſcheidet es von der Straße mit einer breiten Oeffnung zum Eintritt. Der Fußboden iſt gegen die Straße er- höht und an den Holzwänden dieſes Zimmers läuft ringsum ein breiter Divan, mit Polſterkiſſen, auf welchem die Gäſte mit untergeſchlagenen Beinen Platz nehmen. Außerdem hat man noch eine Zahl ſehr niedriger ein- facher Rohrſeſſel, die theils zum Sitzen benutzt werden, theils um die Füße darauf zu ſtellen. Ein Theil des Zimmers iſt durch eine Art Schenktiſch abgetheilt; hier wird der Kaffee bereitet. Ein Becken mit Holzkohlen dient das Waſſer kochend zu machen. Das Waſſer wird mit Zucker ſüß gemacht, ehe es kocht; dann wird der – 186 – ſehr fein gemahlene Kaffee in das Waſſer geſchüttet und aufgekocht, und ſo wie dies geſchehen, wird er in die Taſſen gegoſſen und dem Gaſte überbracht. Für jeden ankommenden Gaſt wird der Kaffee neu bereitet. Die Taſſen ſind außerordentlich klein, kaum daß man ein Hühnerei hineinſtellen kann; eine Untertaſſe giebt es nicht; ſtatt deſſen dient ein Gefäß von Meſſing oder Silber, genau in der Form unſerer Eierbecher, in welches die Taſſe geſtellt wird. Der Becher hat indeß nur einen ſehr kleinen Fuß, ſo daß man ihn ſammt der Taſſe in der Hand behalten muß, bis man ausgetrunken hat und ihn dem Aufwärter zurückgiebt. Der Kaffee iſt ſtark und von einem vortrefflichen Geſchmack. In den beſten Kaffee- häuſern Konſtantinopels und in den Kaffeeſtuben der elendeſten Dörfer iſt er gleich gut. Die halbe Taſſe iſt von dem feinen Kaffeeſatz erfüllt und man muß vorſich- tig trinken, um bei der ohnehin kleinen Taſſe nicht dieſen Satz mit zu verſchlucken. Die Diener ſind alles Türken, die barfuß bis ans Knie, kurze, weite Hoſen und eine bunte Jacke tragen. Der Hals iſt blos, der Kopf bis auf einen kleinen Theil geſchoren und von dem rothen Feß bedeckt. Es ſind auf- merkſame flinke Burſchen, die mit Freundlichkeit und Gut- müthigkeit von früh bis Abend alle Gäſte ohne Unter- ſchied mit gleicher Bereitwilligkeit bedienen. Neben dem Kaffee iſt die zweite unumgängliche Be- dingung der Exiſtenz im Kaffeehauſe die Pfeife. Es giebt deren zwei Arten. Das Nargileh, oder die Waſſertabacks- pfeife, die bereits bei Syra beſchrieben worden iſt, und die gewöhnliche türkiſche Pfeife, die aus einem langen Rohre von Roſen- oder Weichſelholz mit kleinem, rothem, thönernem Kopfe beſteht und in einer kulbigen, kurzen Spitze endet, die bei Reichen von Bernſtein iſt. – 187 – Ohne zu fragen bringt der Diener ſofort mit dem Kaffee die Pfeife. Er ſieht es mit ſchnellem Blicke ſeinem Gaſte an, ob er den berauſchenden Nargileh oder die ein- fache Pfeife liebt, und ſelten irrt er ſich in dem Geſchmack ſeines Gaſtes. Mit der Vertraulichkeit, die in der Türkei durchgehend zwiſchen Herrn und Diener beſteht, hat er die Pfeife ſchon angezündet und bringt ſie, ſelbſt rauchend, bis zu der Stelle, wo er mit Geſchick und Anmuth die Spitze aus dem Munde nehmen und dem Gaſt über- reichen kann. - Damit ſind alle Wünſche des Gaſtes befriedigt. Zei- tungen, Landkarten, Bücher, Anzeigeblätter giebt es nicht. Man ſitzt auf dem Divan, mit weichen Kiſſen im Rücken, mit einem Schemel für die Füße, die bunte Glasurne neben ſich auf dem Boden, aus der der ſchlangenartig ſich windende Schlauch von hellem Leder nach vielen Krümmungen den Mund des Gaſtes erreicht und ihm die durch Waſſer gekühlten Dämpfe zuführt, die Kaffeetaſſe mit ſilbernem Becher in der Hand und vor ſich den halb- nakten, braungebrannten Diener, der mit freundlicher Gelaſſenheit den Zeitpunkt abwartet, wo die Taſſe ge- trunken und ihm zurückgegeben wird. Alle Stände, alle Nationen, jedes Alter, ſind bunt gemiſcht; reiche Mäntel mit geſtickten Turbans neben der dürftigen gelben Kattun- jacke und dem rothen Feß. Türken, Griechen, Perſer, Araber, Cirkaſſier, auch wohl ein Europäer ſitzen gemüth- lich und verträglich zuſammen. Selten hört man ein Wort wechſeln zwiſchen den Gäſten; der gemeinſame Genuß des Tabacks und Kaffees bildet allein das ge- meinſame Band. In dieſer ſchweigenden Ruhe ſcheinen die leicht gekräuſelten Wölkchen des Tabacksdampfes, leiſe Von einem Gaſt zu dem andern ziehend, die luftigen Träger der Gedanken zu ſein; man verſteht ſich ohne zu – 188 – ſprechen. So wie jene Wölkchen bald zerfließen, ſo die beſtimmten Gedanken; ein unbeſtimmtes Sinnen und Träumen tritt an ihre Stelle; halb wachend, halb träu- mend verfließen die Stunden. Allein regſam und in ſteter Bewegung ſind die Diener, welche in dieſe ſchwei- gende Geſellſchaft kommen und gehen, die Pfeifen zu holen, den Kaffee zu bringen, eine neue Kohle auf den Taback zu legen, und jeden Wunſch der Gäſte zu erfüllen. Wo die Straße und der Raum es irgend geſtatten, wird an das Hauptzimmer ein zweites, noch luftigeres, im Freien aufgeführt. Gleich einer Sommerlaube ſchützt ein Holzdach gegen die Strahlen der Sonne; die Wände ſind ein leichtes dünnes Gitterwerk, mit grünenden Ge- wächſen durchzogen; ringsum laufen die Divans und in der Mitte treibt ein Springbrunnen ſein kühlendes Waſſer in die Höhe. Von Zeit zu Zeit kommt der Aufwärter, fängt das Waſſer auf und überſchüttet damit den Fuß- boden zur Kühlung. Myrten, Roſen, Oleander, Citronen- bäumchen in voller Blüthe umgeben den Waſſerſtrahl und nähren ſich von den glänzenden Tropfen, die er leichtſinnig verſpritzt. Wo der Strahl ſtärker iſt, wird er in Becken aufgefangen und von Becken zu Becken kas- kadenartig herabfallend, verbreitet er leichten kühlenden Dunſt durch das Gemach und füllt mit ſeinem ſteten Ge- murmel die träumende Stille der Geſellſchaft. Unmittel- bar daneben wogt das Gewühl der Laſtträger mit ſchwe- ren Ballen, der Pferde, die lange Holzbalken ſchleppen, der Verkäufer von Waſſermelonen und der rothen und blauen Mäntel von Frauen, die mit verhülltem Geſicht und ſchleppenden gelben Pantoffeln ſich mühſam hindurchwinden. In den reichern Kaffeehäuſern ſind die Wände und Decken mit ſchönem Schnitzwerk verziert, das Zimmer dehnt ſich weiter aus, iſt mit Säulen verziert, hat da – 189 – und dort, oder nach dem Garten zu noch kleinere Plätze, wo man, wenn die Stille in dem Hauptzimmer nicht ſtill genug, ſich zurückziehen, auf lange Polſter ſich hinſtrecken und der Muße genießen kann, ohne daß irgend ein Auf- wärter es wagen würde, den Gaſt durch geldgierige Fragen zu ſtören. Die Preiſe des Kaffees ſind äußerſt billig. Für einen halben Piaſter, d. i. 9 Silberpfennige, erhält man eine Taſſe Kaffee; Pfeife und Taback wird ſtets umſonſt gereicht. In dieſer Weiſe wird ein großer Theil des Tages von den Türken in den Kaffeehäuſern verbracht. Der Schiffer, der Laſtträger, wenn er ſeine Arbeit gethan, geht in das Kaffeehaus, trinkt ſeinen Kaffee und raucht ſeinen Nargileh, wie der reiche Türke und Perſer neben ihm. Wer gemächlicher leben kann, verbringt den größten Theil des Tages darin. Mitunter kommt ein arabiſcher Mährchenerzähler mit drei Begleitern, wovon zwei Man- dolinen, der dritte eine Art Flöte führen. Sie ſtellen ſich in die Mitte des Zimmers, die Türken ringsum auf den Divans; der Sänger beginnt ſeinen Geſang, erzählt halb parlando Mährchen aus der Kalifenzeit, und ſeine Be- gleiter folgen ihm mit dem Geſchwirr und Gequieke ihrer Inſtrumente. Die Zuſchauer haben ſchon hundertmal dieſe Mährchen gehört, die Begleitung der Inſtrumente hat weder Rhythmus noch Harmonie, aber die Geſellſchaft hört ſo aufmerkſam zu, wie das erſtemal, und ſchlürft die Bilder des Mährchens, die Töne der Muſik mit dem Dampf der Pfeife träumend hinunter. Wir gaben uns öfter Mühe, zu erfahren, ob nicht mindeſtens die Ereigniſſe des jetzigen Krieges von den Gäſten beſprochen würden; aber wir haben in den zwei Wochen unſeres Aufenthaltes nichts dergleichen bemerkt. Nur in einem Dorfe am Ende des Bosporus fragte ein einzigesmal ein Türke in einem Kaffeehauſe unſern Theo- doro, ob die Verbündeten nach Sebaſtopol abgefahren ſeien. Im Allgemeinen fanden wir in der Bevölkerung eine Ruhe und Gelaſſenheit, als wenn der tiefſte Friede herrſchte. Es ſoll damit die Theilnahme, ein gewiſſer Patriotismus nicht abgeläugnet werden; Haß gegen die Ruſſen, freundliche Geſinnung für Engländer und Fran- zoſen ließen ſich öfters erkennen; aber jene brennende Neugierde, mit der man in Europa nach Neuigkeiten ſchnappt, jene haſtige Ungeduld, mit der man jeden Tag Schlachten und Erſtürmungen verlangt, iſt in der Türkei nicht vorhanden, trotzdem daß es ſich diesmal um ihren eigenen Heerd handelt. Gelaſſen und vertrauensvoll wartet er, bis der Zufall ihm Nachrichten zuführt. Er iſt mit den großen Hauptzügen der Ereigniſſe zufrieden geſtellt; nach dem Einzelnen, nach beſtimmten Zahlen, nach den Plänen, wie man weiter vorgehen werde, ver- langt ihn nicht. In antiker Weiſe nimmt er die Ge- ſchichte, nimmt er ſeine Helden nur nach den entſcheiden- den Hauptzügen; dieſe großen Thaten füllen ſein Herz aus; die Neugierde für das kleinliche Detail der Zwiſchen- zeiten hat keinen Platz darin. Dagegen werden die Kaffeehäuſer zu Handelsgeſchäften benutzt und vertreten inſofern die Börſen in Europa. Die Cirkaſſier verhandeln in ihrem Kaffeehauſe zu Tophane ihre weißen Mädchen; auf dem ſchwarzen Sklavenmarkt in Stambul ſitzen die Sklavenhändler in den Kaffeehäuſern und erwarten die Käufer, die Perſer ſchließen dort ihre Verkäufe im Großen ab. Die Ruhe und das Schweigen der Geſellſchaft wird indeſſen durch ſolche einzelne Zwiſchenfälle ſelten geſtört. In den Handbüchern wird erwähnt, daß es beſondere Kaffeehäuſer und beſondere Bäder für beſondere Stände – 191 – und Beſchäftigungen gebe; ſo ſoll es deren geben für Geſetzgelehrte, für fromme, andächtige Männer, für Sternkundige, für Dichter, für Pferdeliebhaber, für Poſſen- reißer, für Lügner. Wir haben nirgends etwas der Art gefunden, wenn es auch möglich ſein mag, daß die In- ſchriften an den Bädern dies andeuten. Da wir bei dieſen anſtrengenden Wegen mit bloßem Kaffee nicht auskommen konnten, in den Kaffeehäuſern aber durchaus nichts weiter zu haben iſt, ſo hießen wir den Theodoro, uns in ein türkiſches Speiſehaus zu führen. Es geſchah und wir genoſſen von den türkiſchen Gerich- ten. Eigentliche Speiſehäuſer im europäiſchen Sinne giebt es nicht; man könnte ſie eher Garküchen nennen. Das untere Stock eines Hauſes iſt in ähnlicher Weiſe, wie bei den Kaffeehäuſern, nach der Straße hin völlig offen, ſo daß man unmittelbar eintreten kann. Ein langer Tiſch macht die Scheidewand; auf dieſem ſtehen in ſchwar- zen, blechernen Schüſſeln die verſchiedenen Gerichte, dam- pfend über Kohlenpfannen, dahinter ſtehen nun zwei tür- kiſche Köche in dem oft beſchriebenen halbnakten Anzug, welche von den Schüſſeln an die Vorübergehenden ver- kaufen und daneben in Oefen hinter ſich neue Speiſen bereiten. Die großen Schüſſeln ſind mit Fleiſch oder mit Ge- müſen angefüllt. Braten in unſerem Sinne hat man nicht. Das Fleiſch wird nur gedämpft; am liebſten wird es in kleinen Stücken, ragoutartig gekocht, gegeſſen. Es mag dies mit der türkiſchen Sitte, ohne Gabel und Meſſer zu eſſen, zuſammenhängen; die Stücken können auf dieſe Weiſe ohne Weiteres zum Mund geführt werden. An Gemüſen ſahen wir wenig heimathliche; nur Bohnen fanden wir; ſonſt eine ziemliche Zahl uns unbekannter. In einer Schüſſel ſtand eine Art lilafarbiger Gurken; – 192 – in einer andern viereckige gerippte, kleine grüne Stengel; in einer dritten kochten die gelben Stengel des türkiſchen Weizens, die mit Leidenſchaft und in großer Menge in der Art verzehrt werden, daß man aus dem gekochten Stengel mit den Zähnen die einzelnen Körner ausbeißt. Der Geſchmack davon ähnelt unſern grünen Erbſen. Ein Hauptgericht iſt der Pillaw, der in keiner Garküche und in keinem Hauſe fehlen darf. Es iſt Reis mit klei- nen Stücken Rindsfett zuſammen gekocht, ſo daß der Reis noch etwas hart bleibt; das Ganze ſtark gepfeffert, wovon es eine röthliche Farbe annimmt. Die Gäſte melden ſich, wie bei andern Kaufläden, kaufen ihre Portion und nehmen ſie in eine Hand, die ſtatt Tellers dient, von der die andere es in den Mund führt, während ſie auf der Straße ſtehen. Selten tritt ein Türke in die Küche ſelbſt ein und ſetzt ſich auf einen Seſſel, um von einem Teller zu eſſen. Wir wählten aber dennoch dieſen Weg, baten uns auch Löffeln und Gabeln aus, die nur mit Schwierigkeit, als etwas Ungewöhn- liches, zu erhalten waren. Die Gerichte konnte man nicht unſchmackhaft nennen; das Fleiſch war ſaftig und in der Brühe geſotten; die Gemüſe hatten einen milden, halb ſäuerlichen Geſchmack. Aber dennoch koſtete es mir große Ueberwindung, mich zum Eſſen zu entſchließen, wegen der Unſauberkeit des Zimmers, der Tiſche, der Schüſſeln und wegen des Dampfes der verſchiedenen Gerichte, die um uns rauchten. Nur die Pflicht eines gewiſſenhaften Reiſenden und das Beiſpiel meines tapfern Freundes konnten mich beſtimmen. z.“vvv.-.-vvvv“.vvvvvvv. XIV. Die Ciſterne der 1001 Säulen. Der Altmeidan. Wir ſetzten den Nachmittag unſere Wanderungen trotz der Hitze fort. Mitten in der Hauptſtadt eines großen Reiches und beſchäftigt, deren Wunderwerke zu ſehen, hatten wir nach unſerer Meinung die Beſchwerden einer Wanderung durch eine Wüſte zu ertragen; Hunger, Hitze, Staub, Erſchöpfung und das Labyrinth von endloſen krummen Gaſſen, in denen der rechte Weg ſo ſchwer wie in der wegloſen Wüſte zu finden war. Um uns eine Erholung bei der Gluth der hochſtehen- den Sonne zu verſchaffen, führte uns Theodoro in die Ciſterne der 1001 Säulen. Nicht weit von der Aja So- phia verliert ſich die Straße in ein Gewirr von Häuſer- ruinen; graue, zerfallene Wände mit Erdhaufen dazwi- ſchen, auf denen hier und da ein Feigenbaum emporge- wachſen, – da hindurch gelangten wir an ein Loch in der Erde, was in die Tiefe führte. Hier müſſen Sie hinabſteigen, ſagte Theodoro. Mit Mühe fanden wir die von Schmutz überdeckten, zerbrochenen Stufen und ſahen uns zuletzt in einem weiten, dunklen Raum; die durch einzelne zufällige Löcher in der Decke grell einfallenden Sonnenſtrahlen gaben nur ſo viel Licht, daß wir ein Ge- 13 – 194 – menge von Säulen erkennen konnten, die uns nach allen Seiten umgaben, und dazwiſchen ein Bewegen von menſch- lichen Geſtalten, die regelmäßig hinter den Säulen ver- ſchwanden und wieder erſchienen. Wir wollten auf dem ungleichen Boden weitertappen, als wir uns in feinen Fäden, wie in einem Spinnennetz, umfangen fühlten. Stimmen riefen uns Halt zu. Das Auge, an die Dun- kelheit ſich gewöhnend, ließ uns nun erkennen, daß der ganze Raum, ſo weit wir ſehen konnten, von Seiden- ſpinnern eingenommen war, die an ihren Rädern ſaßen, während die Fäden, wie bei den Seilern, lang ausge- ſpannt, ſich drehten und von Knaben geleitet wurden. Wir ſuchten einen Weg hindurch und gelangten ſo in die Mitte des Raumes, wo wir nach allen Richtungen einen Wald von ſchlanken, in Reihen regelmäßig ſich kreuzenden Säulen vor uns ſahen, welche eine flache, an 30 Fuß hohe Decke trugen. Der Boden war von Unrath bedeckt; an einzelnen Stellen waren aber die Quaderſteine noch ſichtbar, die ihn früher gebildet hatten. Wir ſuchten die Säulen zu zählen, und berechneten deren über 300. Wir konnten damit den Namen Ciſterne der 100 Säulen nicht vereinigen; wir glaubten falſch ge- rechnet zu haben und zählten und rechneten nochmals. Aber es blieb dabei, und das Räthſel löſte ſich. Wir gelang- ten zu einer Deffnung, die in ein zweites Stockwerk führte, unter dem erſten. Hier war alles noch dunkler und noch mehr verſchüttet, aber wir konnten wenigſtens erkennen, daß dieſe ſchlanken Marmorſäulen ſich hier ebenſo, wie oben, wiederholten. Unſer Führer verſicherte, daß unter dieſem zweiten Stockwerk noch ein drittes in gleicher Art ſich befände, welches zwar völlig verſchüttet ſei, aber bei Grabung eines Brunnens ſich gefunden habe. Damit waren die 1001 Säulen in Richtigkeit. – 195 – Es war dies die große Ciſterne, die unter Konſtantin dem Großen im vierten Jahrhundert von dem Senator Philoxenos erbaut wurde. Sie faßte 1,037,939 Kubikfuß Waſſer; und konnte den Waſſerbedarf von ganz Konſtan- tinopel in ſeiner blühendſten Zeit auf vier Tage decken. Sie iſt ſchon vor der Eroberung durch die Türken ver- fallen geweſen. - Der Anblick der Ciſterne in dem obern, von Schlag- lichtern erleuchteten Stockwerk wurde, je länger wir blie- ben, deſto eigenthümlicher. Reihen ſchlanker, weißer Mar- morſäulen hoben ſich wie Geiſter aus dem dunklen Bo- den und drängten mit ihren Köpfen gegen die Decke, als wollten ſie mit Gewalt hinaus aus dieſer finſtern, feuch- ten Gruft. Eine Beleuchtung mit rothem oder blauem bengaliſchen Feuer, wie ſie in den Bergwerken von Wie- litzka gebräuchlich iſt, müßte hier von wunderbarer Wir- kung ſein. Wie unbedeutend erſchienen uns gegen dies Rieſenwerk die unterirdiſchen Kirchen unter den Domen in Deutſchland. - Ein treues Seitenſtück vergangener Pracht war der nicht weit davon entfernte Platz Atmeidan, früher unter den grichiſchen Kaiſern das Hippodrom, der berühmteſte Platz Konſtantinopels. Hier wurden die Pferderennen ge- halten, hier ſtanden die ſchönſten Paläſte der Kaiſer und Senatoren; die herrlichſten Statuen Griechenlands wa- ren hierhergeholt und aufgeſtellt; hier auf dem Thurm des Hyppodroms ſtanden die vier ehernen Pferde, die jetzt in Venedig, über dem Eingange der Marcuskirche, aufgeſtellt ſind; hier begannen die Palaſtrevolutionen des griechiſchen Kaiſerthums und hier iſt das Blut der be- ſiegten Parteien oft in Strömen gefloſſen. - Wir fanden von dieſem Allen nichts als einen wüſten Platz, ohngefähr 100 Schritt lang und 45 Schritt breit, 13* – 196 – von elenden Häuſern und den ſchlechteſten Kaffeeſtuben umgeben; drei Monumente aus jener glänzenden Zeit waren das einzige, was von ſeiner Herrlichkeit noch Zeug- niß ablegen konnte. Ein Obelisk von polirtem, röthlichem Marmor aus Aegypten. Dieſer ſchöne Spitzſtein iſt 61 Fuß hoch, aus einem Stück, viereckig in einer ſtumpfen Spitze endend, und mit Hieroglyphen bedeckt, die noch heute vollkommen deutlich und leſerlich ſind. Sie beſtehen in Figuren von Vögeln, vierfüßigen Thieren, Dreiecken und ähnlichen Zeichen, die unter einander geſtellt, alle vier Seiten der Säule bedecken. Dieſer ungeheure Stein ruht auf ſeinen vier Ecken auf vier ehernen Würfeln, ſo leicht und luftig, daß man zwiſchen durch ſehen und grei- fen kann. Der Sockel iſt von Marmor und beſagt in noch heute lesbarer Schrift, daß ein Erdbeben dieſen Mo- nolith umgeworfen, Theodoſius ihn aber hat wieder auf- richten laſſen. Das Grandioſe, Unvergängliche ägypti- ſcher Werke trat in dieſem Obelisken lebendig hervor, alle Pracht um ihn herum iſt verſunken, Feuer, Erdbeben Krieg, Revolutionen haben alle Herrlichkeit, die ihn ver- dunkeln wollte, in Schutt verwandelt: er allein hat allem getrotzt, hat alles überlebt und ſteht heute noch ſo glatt, ſo unverletzt, wie er vor Tauſenden von Jahren aus den Granitbergen des Nilthales ausgemeißelt worden iſt. Dreißig Schritte hinter ihm hebt ein dreifaches eher- nes Schlangengewinde unmittelbar aus der ſchmutzigen Erde 12 Fuß hoch ſich räthſelhaft empor. Das Poſta- ment iſt tief in den Trümmern, die dieſen Platz bedecken, verſchüttet. Von dem dreifachen Schlangenkopf hieb Mo- hamed II. bei ſeinem Einzug nach der Eroberung Kon- ſtantinopels den einen Kopf im Vorbeireiten mit der Streitaxt herunter; bie beiden andern ſind im achtzehnten Jahrhundert davon gekommen. Dieſe Schlangenſäule ſoll – 197 – ehemals den Dreifuß des Orakels zu Delphi getragen haben. Mit Ehrfurcht betaſteten wir das bläuliche, blanke Erz der Schlangenleiber; ein metallener Klang ließ ſich hören; wir lauſchten dem Orakel, das vielleicht die Zu- kunft Konſtantinopels uns weiſſagte, aber die Prieſter fehlten, uns Laien dieſe Töne zu deuten. Jenſeit hebt ſich eine dritte Säule, noch höher als der Obelisk, von viereckiger aber rauher Oberfläche. Kon- ſtantin Porphyrogenor hatte ſie mit vergoldeten Kupfer- platten ſo prächtig hergeſtellt, daß ſie gleich dem Koloß zu Rhodus für ein Weltwunder angeſehen wurde. Die Platten ſind längſt abgeriſſen; die hohe Säule, wie ge- ſchunden, bietet einen traurigen Anblick; ſie iſt der arm gewordene Praſſer, gegenüber dem noch heute unverſehr- ten Obelisken, dem Symbol der ewig ſchaffenden Arbeit des Volkes. „r-„“„r„"v-v.--*."„“ „"-Vºv"V"V"-"-A XV. Die hohe Pforte. Die Feuerwache. Während unſerer wiederholten Verſuche, in die Mo- ſcheen und das Serail zu gelangen, hatte man uns auch einigemale nach dem Palaſt der hohen Pforte gewieſen, um dort einen Erlaubnißſchein zu erlangen. Wir folgten gern dem Theodoro dahin. Wir hofften ein Stück tür- kiſchen Geſchäftsganges und Büreaudienſtes zu ſehen. Nachdem wir zu Hauſe die Rolle des Vorgeſetzten bis zum Ueberdruß geſpielt, gefiel es uns, einmal zu tauſchen und als Bittſteller dem geſtrengen Paſcha gegenüber zu erſcheinen. Das Gebäude iſt von außerordentlicher Größe; ſeine Front hat die dreifache Länge einer Seite des Berliner Schloſſes; daran ſchließen ſich Flügel und ein eben ſo großes Hintergebäude. Wir hatten nicht geglaubt, daß die Regierung des Staates auch in der Türkei ſo viel Platz braucht. In den Vorhallen mußten, wie in den Moſcheen, die Stiefeln abgelegt werden. Eine große Zahl Bittſteller, ſelbſt türkiſche Frauen darunter, befanden ſich in den langen Gängen; aber alles ging barfuß oder in Strümpfen auf dem mit Strohmatten belegten Fußboden. Die Thüren waren, zur Beförderung der Zugluft, nur – 199 – mit Teppichen verhangen. Alles wartete geduldig. Eine Zahl Türken ſtand vor den Thüren in dem neuen Be- amtenanzug, weiße Pantalons, einen langen, dunklen Tuchrock mit ſteifem, kurzen Kragen und einer Reihe Knöpfe, den rothen Feß auf dem Kopfe. Sie ſchienen die Kaſtellane, Botenmeiſter und Boten zu ſein. Sie be- nahmen ſich höflich und dienſtbereit. Da wir lange warten mußten, räumten ſie uns ihre Stühle, ohne dabei eine Ahnung von unſerem Stande zu haben. Hin und wieder kam ein höherer Beamter, in demſelben Anzuge und von jenen Dienern nur dadurch unterſchieden, daß ihm ſelbſt ein Diener folgte, der die Pfeife in blauem Futteral, und ein anderer, der einen Tuchbeutel mit Schriften trug. Akten giebt es in der Türkei nicht; alles ſind loſe Blätter. Sehr vieles wird mündlich abgemacht; auch bei den Bittſtellern ſahen wir nirgend Schriften in der Hand, während in Europa die Schrift zur Haupt- ſache, die Perſon zur Nebenſache geworden iſt. Die Paſcha's und Muskir's ließen lange auf ſich warten. Sonſt ging alles ſehr gemüthlich. Diener trugen koloſſale Flaſchen mit Limonade und Kirſchſorbett in die Bureau's und auf unſer Verlangen füllten dieſe Diener bereitwillig auch für uns zwei Gläſer. Endlich kam der Rath des Paſcha's, von dem Theodoro die Erlaubniß zu erlangen hoffte. Wir wurden in ſein Zimmer geführt. Ein Schreibpult war das einzige, was an ſeine Beſtimmung erinnerte, ſonſt hatte es alle häusliche Bequemlichkeit der Türkei und nichts von einem Geſchäftszimmer; ein Divan, der rings an den Wänden herum lief, Teppiche, leere Wände, und keine Spur von Akten und Schriften. Der Beamte ſaß auf ſeinem Divan. Ein Diener brachte ihm eben die lange Pfeife und der Dollmetſcher trug ihm unſer Anliegen vor. Zu unſerer Legitimation übergaben wir unſere Viſitenkarten. Er beſchied uns artig, daß eine Empfehlung unſeres Geſandten nöthig ſei, um die ge- wünſchte Erlaubniß zu erhalten. Beim Herausgehen kamen wir an dem Saale vorbei, wo die Miniſter ihre gemeinſamen Verſammlungen halten; ein ſchön polirter, ovaler Tiſch und rothſammetne bequeme Seſſel zeichneten allein den Ort aus, wo die Schickſale der Türkei und mittelbar ganz Europas entſchieden werden. Wir ſchieden mit dem Wunſche, daß es der Türkei gelingen möge, ſich noch lange von dem Wuſt von Schreiberei frei zu halten, der auf Europa drückt, und der aus dem Regieren der modernen Staaten die Lebendigkeit und das Gefühl vertrieben hat, was die Leitung der antiken und mittelalterlichen Staaten erfüllte und ihre Geſchichte ſo anziehend macht. Ein Glück, daß in der Türkei noch Wenige leſen und noch Wenigere ſchreiben können, und daß die türkiſche Schrift mit ihren Haken und langge- zogenen Windungen der europäiſchen Schreibfertigkeit ein Hemmniß entgegen hält. - Der Tag neigte ſich zu Ende. Luft und Himmel waren ſo klar, daß wir unſre Müdigkeit überwanden, um noch die Anſicht von Konſtantinopel von dem Thurm des Seraskiers bei untergehender Sonne zu genießen. Das Seraskierat iſt das türkiſche Kriegsminiſterium. Es liegt in der Mitte von Stambul und hat große Höfe nach Art unſerer Kaſernen, in denen Platz für die Re- vuen mehrerer Regimenter iſt. Hier hat erſt kürzlich der Sultan die tuneſiſchen Hülfstruppen Revue paſſiren laſſen. Der Thurm daran hat indeſ einen friedlichen Zweck, nicht Feuer zu geben, ſondern Feuer zu verhindern. Auf ihm befindet ſich die Feuerwache. Wir hatten unten eine Karte gegen eine Kleinigkeit an Geld zu löſen und ſtiegen damit die ſchöne gewundene Treppe im Innern in die – 201 – Höhe. Ziemlich nahe der Spitze befindet ſich eine Gallerie; die Mauer iſt laternenartig durchbrochen und mit Fenſtern verſetzt. Hier iſt die Wohnung des Feuerwächters, der mit ſeinen Gehülfen Tag und Nacht ohne Unterbrechung die Runde dieſen Fenſtern entlang zu machen hat, um zu ſehen ob ein Feuer in der Stadt ſich zeigt. Solche Feuer ſind nicht ſo häufig, als man in Europa glaubt. In den vierzehn Tagen unſers Aufenthalts war nicht einmal Feuer in Konſtantinopel. So wie wir dieſe Leute be- grüßt hatten, bereiteten ſie Kaffee und bewirtheten uns damit, ohne irgend etwas zu nehmen. Sie waren ebenſo gutmüthig als gaſtfrei; auf jede Frage nach fernen Gegen- ſtänden gaben ſie Auskunft und als im Eifer, einzelne Punkte durch das Fernrohr zu unterſuchen, wir uns mit dem Fernrohre in den Weg legten, den die Wache im Thurm herum zu gehen hatte, ließen ſie ſich das ruhig gefallen, und ſtiegen, ohne unwillig zu werden, lange Zeit in ihren Rundgängen über uns hinweg. Wir waren über die Klarheit der Ausſicht überraſcht. Ich hatte London von der Paulskirche an einem heitern Maitage geſehen; aber hinter wenig Straßen verloren die Häuſer und Thürme die Deutlichkeit und ſchon eine Viertelſtunde ab, verſchwand alles in Kohlendampf und Nebel. Ich hatte auch Paris von dem Mont-Martre geſehen; die Ausſicht war klarer, aber dennoch verſchwand ein großer Theil der Stadt in Undeutlichkeit. Hier ſtand ich, wie auf der Paulskirche in London, mitten in einer Stadt, beinah ſo ausgedehnt, wie jene. Aber welcher Unterſchied! die letzten Häuſer der äußerſten Vorſtädte die Moſcheen und Minarets von Skutari und Tophane und Ejub waren ſo klar und beſtimmt, wie die nächſten kein Rauch, kein Nebel trübte die vollkommene Durchſich- ſichtigkeit der Luft. Die ſieben Hügel, auf denen Kon- – 202 – ſtantinopel wie Rom erbaut iſt, treten hier erkennbar her- vor; aber Höhen und Tiefen, alles war mit einem Meer von Häuſern übergoſſen. Selbſt die Moſcheen mit ihren Minarets lagen jetzt tief unter uns und die Symmetrie dieſer großen und kleinen Dome wurde verſtändlich. Im Hafen überſahen wir mit einem Blicke die zahlloſe Menge der Schiffe aller Größen, aller Nationen. Ich hatte öfters den Hafen von London geſehen; er gilt als einer der größten und ſchiffreichſten der Welt; aber ich fand ihn zu dieſer Zeit weit von dem Hafen in Konſtantinopel übertroffen, nicht allein in der Zahl, ſondern auch in der Mannigfaltigkeit der Form der Handelsſchiffe, in dem Gewirr der zahlloſen Kaiks und vor allem in den Koloſſen von Linienſchiffen, Fregatten und Rieſendampf- ſchiffen der türkiſchen Flotte und einzelner Abtheilungen der vereinigten Flotten von England und Frankreich. Allerdings mag Konſtantinopel, ſo lange die Welt ſteht noch nicht ſeinen Hafen ſo gefüllt geſehen haben, wie in dieſer Zeit. Die türkiſche Flotte war noch nicht abge- ſegelt, und behufs des Transportes der nachziehenden Regimenter, des Proviantes, der Munition befanden ſich ſtets zehn und mehr Kriegsſchiffe und ebenſoviel große Dampfſchiffe im Hafen. Indem wir von der Höhe des Thurmes hinab ſahen, trat die Menge dieſer Kähne und Schiffe deutlich hervor; jedes war in all ſeinen Umriſſen ſeinem Bord, ſeinen Maſten erkennbar und von dem Knäuel dieſer Schiffe, wo er am Ausfluß des goldenen Horns am dichteſten war, zogen ſich breite Maſſen, dünner und dünner werdend links des goldenen Horns und gradeaus den Bosporus hinauf. Drei glatte Schiff- brücken mit weiß und ſchwarzem Geländer durchſchnitten dieſe ſchwarzen Schiffsreihen auf dem goldenen Horn und führten ein buntes Gewühl von Fußgängern quer- – 203 – durch hinüber nach Pera. Nach Skutari hin hob ſich der Leanderthurm einſam auf einem Felſen aus dem Meere, das Gegenſtück zu dem Mäuſethurm im Rhein. Aber während Konſtantinopel vom Hafen aus ge- ſehen, wie eine kokette Frau, überall nur ſich darſtellt und nur Anfänge der Gebirgslandſchaft verſtohlen neben ſich durchblicken läßt, iſt es vom Thurm des Seraskiers aus geſehen zwar der in der Mitte ſtrahlende Diamant, aber in einer Einfaſſung mild leuchtender Perlen. Die Abhänge des Balkan, die wellenförmigen Landſchaften Aſiens breiten ſich, mit einzelnen Spitzen dazwiſchen, bis an die Mauern der Stadt, und laſſen den Blick über eine reiche wechſelnde Landſchaft ſtreifen. Das Marmo- rameer zeigt ſich von hier oben in ſeiner ganzen Aus- dehnung; weit hinter den Prinzeninſeln dehnt es ſeinen Spiegel noch aus, bis die Küſte von Aſien ihm die Grenze ſetzt. Aber auch da iſt noch kein Ende. Hier in der Entfernung von 12 deutſchen Meilen beginnen die Vorgebirge des bithyniſchen Olympos; man kann noch deutlich in der blauen Mauer, die ſich hier am Horizont aufthürmt, die Linien der einzelnen hintereinander an- ſteigenden Gebirgszüge erkennen, bis über alle hinaus der letzte Kamm mit dem Olymposgipfel ſich emporhebt. Große, weiße, glänzende Flächen, wie wir ſie ſeit den Berner Alpen nicht wieder geſehen hatten, ließen uns die Felder des ewigen Schnees erkennen, über die der Gipfel des kahlen Olymp noch hoch hinausgeht. Ich konnte lange nicht glauben, daß der Olymp ſechs- zehn deutſche Meilen von uns entfernt ſei, bis die Karte es beſtätigte. Die Umriſſe und Schattirungen waren ſo beſtimmt, wie in Deutſchland bei Entfernungen des vier- ten Theiles. Welche Reize mußte dieſes Gebirge in ſich enthalten! Südlicher wie Neapel, eine Höhe, die, nach dem – 204 – Schnee zu urtheilen, die des Aetna überſteigt, welcher Reichthum von Pflanzen und Bäumen mußte hier aus den üppigen Wäſſern des Gebirges emporſprießen, und welche Abwechslung der Zonen, von dem Süden Aſiens bis zu dem Norden, wo die Kälte das Moos nicht mehr gedeihen läßt! Wir empfanden bald die Wirkung dieſes Zaubers. Einmüthig ward beſchloſſen, dieſen Schatz nicht unge- hoben zu laſſen, nach Bruſſa zu reiſen und den Olymp zu beſteigen. Berauſcht von dieſem Gedanken nahmen wir Abſchied von unſerm gaſtfreien, gutmüthigen Wirthe. Am Fuße des Thurmes kamen wir bei einer türkiſchen Wache vorbei. Ein Neger, die Hände mit einer Kette gefeſſelt, ſtand vor der Thür. Auf Erkundigen hörten wir, daß er eine Strafe abbüße für einen Dolchſtich, den er im Streit einem andern gegeben hatte. Die Strafe ſchien ihn wenig zu drücken. Er bat uns mit der Dreiſtig- keit ſeiner Race um ein Geſchenk. Wir ließen ihn fragen, wie alt er wäre. Als Antwort ſperrte er ſeinen Rieſen- mund auf und zeigte zwei Reihen elfenbeinerner Zähne. Es war ein ſcheußlicher Anblick. Das ſchwarze glän- zende Geſicht mit dicken, vorſtehenden Backenknochen, ſtruppiges Wollhaar, ſchwarze Kreiſe in dem milchweißen Auge und dieſer breite, blutrothe Rachen mit dem Ge- biß eines Tigers. Wir verſtanden die Pantomime nicht, bis uns von den Umſtehenden erklärt wurde, daß der Neger weder ſein Vaterland, noch ſeine Eltern, noch ſein Alter kenne, und daß er, um das letztere uns beurtheilen zu laſſen, ſeine Zähne gewieſen habe. Seine Bewegungen waren heftig, gewaltſam, ſeine Mienen wild. Wir gaben ihm gern ein paar Piaſter, froh dieſem ächten Sohn Aethiopiens nur in Ketten begegnet zu ſein. XVI. Die Preußiſche Geſandtſchaft in Konſtantinopel. Die Reiſe nach Bruſſa beſchäftigte uns lebhaft. An der Mittagstafel ſuchten wir Erkundigungen einzuziehen. Wir hörten, daß wöchentlich ein Dampfſchiff von Kon- ſtantinopel nach Mudania an der Aſiatiſchen Küſte fährt, von wo man dann den Weg nach Bruſſa, 5 Meilen, zu Pferde machen kann. Dieſes Dampfſchiff geht Dienſtag ab und Donnerſtag früh ſchon wieder zurück; ein Zeit- raum, der für unſere Zwecke viel zu kurz war. Auch Segelſchiffe, hieß es, gingen öfters nach Mudania, allein bei Windſtille oder widrigem Winde dauere dann die Seefahrt mehr als 24 Stunden, obgleich die Entfernung nur 11 Meilen betrage. Ein alter Diener des Hotels rieth uns endlich einen größern Kaik mit 4 Ruderern zu miethen, die ſelbſt bei ungünſtigem Winde die Ueberfahrt in 12 Stunden vollenden könnten. Dieſer Vorſchlag ſchien uns der beſte; wir beſchloſſen Sonntag früh in dieſer Art von Konſtantinopel abzureiſen und den folgen- den Donnerſtag mit dem Dampfſchiffe zurückzukehren. Wir hatten auf dieſe Weiſe drei volle Tage für Bruſſa und den Olymp. Theodoro erhielt den Auftrag, für ſolch einen Kaik zu ſorgen. Indeß waren die Schwierig- – 206 – keiten der Reiſe damit nicht alle überwunden. Wir er- fuhren nun zum erſten Male, daß die Cholera auch in Kon- ſtantinopel ausgebrochen ſei, und daß zu dieſer Reiſe nicht allein ein türkiſcher Paß, ſondern auch ein Atteſt der Quarantaineanſtalt über unſere Geſundheit nothwen- dig ſei; alles dies könne aber nur auf Vorzeigung unſerer Päſſe mit dem Viſa der preußiſchen Geſandtſchaft in Konſtantinopel erlangt werden. - Am andern Morgen mußte uns Theodoro dahin führen. Das Hotel der Geſandtſchaft liegt am Ende des beſchriebenen Spazierganges am kleinen Kirchhofe. Es iſt ein gemiethetes Haus; die innere Einrichtung iſt indeß geräumig und elegant; doch für große Repräſen- tation und luxuriöſe Feſte wohl kaum zureichend. Gegen die Geſandtſchaftshotels von Frankreich, Oeſterreich und Rußland ſticht es ſehr ab. Jene ſind wahre Paläſte mit geräumigen Höfen, Nebengebäuden und Gärten; das preußiſche iſt nur die elegante Wohnung eines Privat- Unannes. - Die Bureaus der preußiſchen Geſandtſchaft ſind des- halb auch getrennt, mehrere Straßen von dem Hotel entfernt, in einem kleinen Privathauſe miethsweiſe unter- gebracht. Hier hatten wir uns wegen der Päſſe zu mel- den und trafen Herrn Vicekanzler B, der uns die Viſa's ſchnell beſorgte. Die Geſchäfte der Geſandtſchaft ſind in Konſtantinopel umfangreicher, als anderswo, weil die türkiſche Regierung ſich um die in Konſtantinopel befind- lichen Fremden gar nicht kümmert, ſelbſt wenn ſie dort ſich niedergelaſſen haben und kaufmänniſche Geſchäfte treiben. Alle Prozeſſe und andern Rechtsangelegenheiten, alle polizeilichen Maßregeln gehören vor die Geſandt- ſchaft der betreffenden Nation. Ebenſo wird ein großer Theil der Korreſpondenz zwiſchen den Preußen in Kon- – 207 – ſtantinopel und dem Vaterlande durch die Geſandſchaft beſorgt, da es in Konſtantinopel keine türkiſche Poſt giebt. Unter der Geſandtſchaft ſtehen auch die religiöſen, Armen- und Krankenanſtalten für preußiſche, in Konſtantinopel ſich aufhaltende, Staatsbürger. Die Geſandtſchaft iſt daher ein kleiner Staat für ſich. Der Geſandte hat jetzt zwei Attache's, einen Herrn v. E. und Grafen v. R.; der letztere war erſt kürzlich aus Waſhington dahin verſetzt worden. Für die laufen- den Geſchäfte des Paßweſens, der Juſtiz u. ſ. w. ſorgt der Kanzler T. und in deſſen Abweſenheit der Vicekanz- ler B. Das übrige Perſonal beſteht aus Schreibern, Dienern und einigen türkiſchen Polizeiſoldaten. Zu dem vielen Wunderbaren in Konſtantinopel kam hier noch hinzu, daß unſere juriſtiſchen Kenntniſſe in An- ſpruch genommen wurden. Herr B. erzählte uns von einem Prozeſſe, der ihm viel Noth mache. Ein Gläubiger habe ſeinen Schuldner bei ihm auf Rückzahlung eines Darlehns verklagt; der Schuldner habe den Schuldſchein anerkannt, wende aber ein, daß der Gläubiger ihm gegen gewiſſe ihm erwieſene Dienſte mündlich die Zinſen er- laſſen, auch Friſten für Rückzahlung des Kapitals be- willigt habe. Er habe darüber Zeugen vorgeſchlagen. Die Sache ſcheine ihm verwickelt und er bäte deshalb um unſere Anſicht. Nach ſeiner Meinung würde er den Verklagten einen Eid über die Wahrheit dieſer Angaben ſchwören laſſen und davon die Entſcheidung abhängig machen. Es freute uns, ſolchen Abnormitäten durch Mit- theilung unſerer Anſicht zuvorzukommen; Herr B. trat uns bei, daß dies ſpätere Abkommen, weil es nicht ſchrift- lich abgefaßt, ohne Einfluß ſei und entſchloß ſich, den Schuldner ſofort zu verurtheilen. Herr Vicekanzler B. iſt in der Archäologie ein ſehr – 208 – kenntnißreicher Mann, und gewiß auch ſonſt ein tüchtiger Beamter; er hat aber wenig Jura ſtudirt, hat auch nach dem was wir hörten, nie bei einem preußiſchen Gerichts- hof praktiſch gearbeitet. Die juriſtiſche Bibliothek in dem Bureau beſtand aus dem Allgemeinen Landrecht und die Juſtiz ward anſcheinend noch ganz nach den Beſtimmun- gen gehandhabt, wie ſie von Suarez vor 60 Jahren darin niedergelegt worden ſind, ohne von den Revolu- tionen und Kontre-Revolutionen, die über das Landrecht ſtärker wie über Frankreich hinweggegangen ſind, Notiz zu nehmen. Dem Geſandten, Herrn Baron v. W., ſind wir großen Dank ſchuldig geworden. Da Bruſſa das Exil Abd-el- Kaders iſt, ſo lag es uns daran, bei unſerem Ausfluge dahin, dieſen arabiſchen Helden zu ſehen. Wir wandten uns deshalb ſchriftlich an Herrn v. W., und baten ihn um eine Empfehlung an den Gouverneur, der in Bruſſa reſidirt. Wir erhielten ſchnell das erbetene Schreiben an Ali Paſcha. „Sie werden“, bemerkte der Geſandte, „in ihm einen in hohem Grade ausgezeichneten Mann finden, wie ich ſeines Gleichen manchen europäiſchen Kabinetten wünſchen möchte. Auch Abd-el-Kader iſt eine in hohem Grade intereſſante und edle Perſönlichkeit; nur wird die Unterhaltung mit ihm, da er keiner europäiſchen Sprache mächtig iſt, nicht das Intereſſe bieten, wie die mit Ali Paſcha, der in viel genauerer Weiſe, als man es erwarten ſollte, die inneren Zuſtände Preußens kennt.“ -.“ „"-".".."..".."-.-.-.-.-.“-..".."..".."- XVII. Skutari. Der große türkiſche Kirchhof. Wir fuhren nach dem Frühſtück nach Skutari über und nahmen dort Pferde, um die Stadt zu ſehen, den Berg Burgurlu zu beſteigen und den großen berühmten Kirchhof zu beſuchen. Skutari, auf der aſiatiſchen Seite des Boſporus bele- gen, iſt reinlicher und freundlicher als Stambul; es ſchienen uns viele Beamte und reichere Türken hier zu wohnen, während in Stambul mehr Handwerk und kaufmänniſcher Verkehr iſt. Die Straße hebt ſich ſchon in der Stadt, und hinter den letzten Häuſern und Gärten ſahen wir den grünen, ſich ſanft hebenden Burgurlu deutlich vor uns. Wir ritten die große Straße, die von Conſtantinopel hier noch ungetheilt nach Smyrna, Syrien, Bagdad und nach Perſien führt, die Straße, auf der jährlich große Kara- vanen mit Tauſenden von Kameelen ankommen, und auf der alle türkiſchen Heere in den Kriegen mit den Perſern und neuerlich mit dem Vizekönig von Aegypten ausgezogen ſind. Sie war ein wenig beſſer, wie die um Conſtantinopel, aber dennoch kaum ſo gut, wie bei uns der Weg von einem Dorfe zu dem andern. Wir trafen einige mit Ochſen be- ſpannte Wagen. Man konnte ſie ſchon von fern hören, 14 – 210 – ehe man ſie noch ſah. Die Achſen der Räder ließen ein ununterbrochenes Knarren und Pfeifen hören, weil die Tür- ken ſie nicht ſchmieren. Auch befand ſich an den ganzen Wagen kein Stück Eiſen; die Dauben der Räder waren ſo loſe an einander gefügt, daß man die Hand zwiſchen einzelne legen konnte. An einen Querbalken, der an die Deichſel befeſtigt war, waren die Ochſen angebunden und ſchoben ſo den Wagen vorwärts. Die Ausſicht vom Burgulu war vortrefflich. Conſtan- tinopel bildete nicht mehr den Alles beherrſchenden Mit- telpunkt. Kleinaſien mit ſeinen grünen Bergreihen und Thälern breitete ſich vor uns aus; wir ſahen das Thal und die Ruinen des alten Chalcedon jenſeit Skutari, wo vor 1400 Jahren 600 Biſchöfe den Hauptſatz der chriſt- lichen Dogmatik beſchloſſen hatten, daß in Chriſtus eine göttliche und eine menſchliche Natur vereinigt ſeien, beide ohne Vermiſchung und Verwandlung, aber beide auch ohne Trennung und Abſonderung. Jetzt wird dort das nütz- lichere Geſchäft getrieben, die in der Krimm verwundeten Engländer zu pflegen. Der Olymp hob ſich wie ein fer- ner Zauberer mit ſeinen Silberſchildern; wir erkannten ſeine Macht und nickten ihm gehorſam zu, daß wir kom- men würden. Auf dem Rückweg wendeten wir uns links von Sku- tari in eine Thalſchlucht, die ſchon die dunkeln Cypreſſen in der Ferne ſehen ließ, mit denen der Kirchhof von Skutari beginnt. Er umgiebt die Hälfte der Stadt, iſt größer als dieſe ſelbſt. Sein Umfang beträgt gegen zwei Meilen. Er gleicht genau allen übrigen Kirchhöfen, die wir in der Türkei geſehen haben. Ein weites, grünes Blachfeld iſt mit Cypreſſen waldartig beſtanden. Zwiſchen den Bäumen ſtehen zahllos, regellos, dicht die Leichenſteine, einer wie der andere aus weißgrünem Marmor, drei bis – 211 – vier Fuß hoch, ein Fuß breit und zwei Zoll ſtark. So, ſchief in die Erde geſteckt, wie die Stäbe mit dem Namen der danebenſtehenden Blume, bedecken ſie beinah das ganze grüne Feld, was ſich unter den Cypreſſen ohne Ende hin- zieht. Die Gräber haben keine ſargartige Erhöhung der Erde, wie in Deutſchland; der Boden iſt flach, wie bei einem Felde, und die einzelnen Gräber ſind nicht erkenn- bar; die Leichenſteine ſtehen ſo dicht, daß man glauben ſollte, mehrere ſind in ein Grab gelegt worden. Die Hälfte der Leichenſteine endigt oben in einem Turban; dies ſind die Steine der Männer. Die meiſten ſind mit Inſchriften bedeckt. Im Allgemeinen iſt ein Leichenſtein wie der an- dere; nur ſelten trifft man auf goldene Verzierungen, aber die Grundform bleibt auch da dieſelbe. Ebenſo wenig findet man eingehegte Gräber oder Grabgewölbe für einzelne Familien. In wahrer demokratiſcher Gleichheit liegt Hoch und Niedrig, Reich und Arm unter der grauen Erde neben einander, und die Steine für Beide ſind ſo gleich, wie die Aſche unter ihnen, zu der ſie geworden ſind. Auch die Cy- preſſen ſtehen regellos durcheinander, bald dichter, bald lichter; halb gebahnte, halb verlaſſene Fußwege und Fahr- wege ziehen ſich krumm durch die Bäume hin, eine Bahn ſich ſuchend, wo die Bäume eine Lichtung gelaſſen haben. Hie und da hat ein Waſſerriß den Boden durchbrochen, und einzelne Leichenſteine hängen, dem Umſturze nahe, an ſeinen Rändern. Dies iſt der größte und geſuchteſte Kirch- hof der Türkei. Wir ritten ungehindert quer durch. Jeder ließ ſeinem Pferde die Zügel. Indem dieſe ſich zwiſchen den Leichen- ſteinen und Baumſtämmen mühſam den Weg ſuchten, ka- men wir auseinander, und ich ſah mich endlich einſam in dem Dunkel der Cypreſſen, auf allen Seiten von den grauen Steinen mit Turbanen umgeben. Der Abend kam heran, 14 * – 212 – und die Schatten wurden länger. Mein Pferd blieb ſtehen, da jeder Weg verſchwunden war. Je mehr ich auf dieſes wilde Gewirr von Steinen ſah, deſto mehr ſchien mit dem Abendwind ein Weben um mich zu beginnen. Ich glaubte die Leiber der Abgeſchiedenen zu ſehen, halb aus der Erde ſich emporwindend, halb unter der Erde von Geiſtern feſt- gehalten. Die Geſtalten bogen und reckten ſich, die Tur- bane ſchwankten, aber die Arme waren ihnen gebunden, und die Cypreſſen ſtanden ſtarr und ſteif, ohne den Jammern- den einen Zweig zu bieten, an dem ſie, ſich anklammernd, zur freundlichen Oberwelt hätten zurückkehren können. Welch tiefes Gefühl, die Cypreſſe zu dem Baum des Leichenfeldes zu machen! Kein anderer Baum, kein Ge- büſch, keine Blume drängte ſich dazwiſchen. Nach rechts, nach links, nach allen Seiten nichts als dieſe ſtarren, dun- keln Pyramiden, auf denen kein grünes Blatt ſprießt, und von denen kein gelbes Blatt abfällt; immer ſich gleich, ſtemmen ſie ſich ſelbſt gegen die Bewegung der Luft, und ſtatt des melodiſchen Rauſchens der Laubwälder hört man das Klappern ihrer Aeſte, als würden Todtengerippe geſchüttelt. Man nennt die Türken Barbaren; aber hier bewun- derte ich ihr tiefes Gefühl für Natur, ihren Inſtinkt, mit dem ſie dieſe weite Stätte rein gehalten hatten von dem Miſchmaſch von Säulen, Kreuzen, Thränenkrügen, Git- tern, Blumenbeeten, bunten Kieswegen und grünen Bän- ken europäiſcher Kirchhöfe. Als wir uns wieder zuſammengefunden hatten, waren wir in der Nähe der Stadt. Die Kühle des Abends hatte die Frauen mit ihren Kindern und Sclavinnen herausge- lockt. In ruhiger Genügſamkeit ſaßen ſie auf den Abhän- gen, welche die tiefere Straße, die durch den Kirchhof führte, gebildet hatte, und ſahen denen zu, die auf der Straße vorbeigingen. Wir hatten hier die erſte Gelegen- heit, einige junge Türkinnen zu ſehen, als der Schleier – 213 – etwas gelüftet wurde. Es lag in allen Geſichtern eine große gemeinſame Aehnlichkeit. Den türkiſchen Typus ſchien uns am meiſten ein Mädchen von ungefähr 16 Jahren zu haben, die, indem ſie zwei rothen engliſchen Soldaten voll Neugierde mit den Augen folgte, vergaß, daß ſie den Schleier hatte fallen laſſen. Es war ein volles breitovales Ge- ſicht, eine freie breite Stirn, dunkelbraune brennende Augen mit fein geſchwungenen Augenbraunen und langen dunkeln Wimpern, ein etwas großer Mund mit fleiſchigen Lippen, ein weiches rundes Kinn. Die Wangen hatten kein Roth, eine geſunde, kräftige Bläſſe deckt gleichmäßig das ganze Geſicht; man würde ſie von der Sonne ein wenig gebräunt gehalten haben, wenn nicht bei dem dichten Schleier und ihrem Leben im Harem dies unmöglich geweſen wäre. Der Kopf war mit dunkelm kaſtanienbraunen Haar bedeckt, was weder geflochten, noch gelockt, völlig ohne Ordnung nach dem Rücken herabhing, und hier von dem Oberkleid ver- deckt wurde. Mit ihren ſchönen, braunen, großen Augen folgte ſie den zwei Soldaten, die dies verdienten, bis ſie plötzlich inne wurde, daß wir ſie beobachteten, und den Schleier ſchnell über ſich wegzog. Dafür folgten wir nun den rothen Soldaten. Theo- doro hatte großes Bedenken, in die türkiſche Kaſerne zu reiten, aber die Engländer ließen uns ohne alle Umſtände hindurch; ſie hätten uns in ihrem inſulariſchen Selbſtver- trauen alle Geheimniſſe ihres Lagers gezeigt, wenn wir gewollt hätten. Die Schildwachen gaben höfliche Auskunft und ſpielten keine groben Kriegshelden gegen wißbegierige Reiſende. Es war die große Kaſerne von Skutari, die man ſchon weithin vom Marmorameere aus ſieht. Sie iſt ſo groß, daß ſie mehrere Regimenter faſſen kann; ſeit der Ankunft der Verbündeten iſt ſie den Engländern ein- geräumt worden und noch jetzt von ihnen beſetzt. „“-"„“ „" "„“.“„"„“„"-".“„“-„“.“„“.“„" XVIII. Das Dampfſchiff. Deutſche Abenteurer. Auf dem Rückwege benutzten wir das, zwiſchen Sku- tari und Konſtantinopel fahrende Dampfſchiff. Dampf- ſchiffe und ſpäter Eiſenbahnen ſind Erfindungen, die für die Civiliſation der Türkei, für die Gleichberechtigung ihrer chriſtlichen Unterthanen mehr leiſten werden, als diplomatiſche Noten und Protokolle, als das Tanſimat von Gülhane und die jetzt ernannte Commiſſion zur Aus- führung deſſelben. Ehe die Sitten, die Häuslichkeit der Türken ſich nicht geändert und ſich denen der chriſtlichen Rajahs genähert haben, wird keine blos von oben kom- mende Verordnung Wurzel faſſen. Die Errichtung des Lloyd in Trieſt mit ſeinen Dampfbootlinien nach dem Orient hat mehr zur Löſung der orientaliſchen Frage gethan, als alle Protokolle und Geſetze bisher. Die Dampfſchiffe machen die ſtagnirende Bevölkerung beweglich; wo ſonſt kaum einzelne ſich einer Karavane anſchloſſen, da ſieht man jetzt die Verdecke der Dampf- ſchiffe zwiſchen, Konſtantinopel, Trapezunt, Smyrna, Alex- andrien, Salonichi mit türkiſchen Männern und Frauen bedeckt. Dieſer lebhafte Küſtenverkehr bringt auch das Binnenland in Bewegung. Auf dem Dampfſchiffe, mit – 215 – dem wir nach Trieſt zurückfuhren, waren viele Türken, die nach Damaskus und weiter in das Innere von Syrien gingen. Das Dampfboot verlangt Regelmäßigkeit, Pünkt- lichkeit in ſeiner Leitung; Pünktlichkeit für die, welche es benutzen wollen. Iſt das Phlegma, die Unordnung der Türken an einem Punkte gebrochen, ſo drängen die daraus entſpringenden Vortheile immer weiter; ſchon hat man ſich zu Maſchinen auch für andere Zwecke entſchloſſen; man baut Fabriken und es bildet ſich eine Bevölkerung, die an regelmäßige pünktliche Thätigkeit gewöhnt wird. Die barbariſche Abſperrung der Frauen iſt auf Dampf- ſchiffen nicht mehr ausführbar; man hat die beſtehende Sitte gewaltſam auf das Boot übertragen, aber die Na- tur der Sache iſt dagegen. Auf den im Bosporus und nach Skutari fahrenden Dampfſchiffen iſt das Hinterdeck für die türkiſchen Frauen beſtimmt; ein Holzgeländer ſperrt ſie von den Männern ab; aber das Ein- und Aus- ſteigen, das Gedränge zu den Schiffen, das Gemiſch von Chriſten und Türken, die hier ſtundenlang dicht zuſam- mengepreßt ſind, vor allem der Umſtand, daß auch noth- gedrungen die chriſtlichen Frauen mit den Türkinnen zu- ſammen abgeſperrt werden, unterwühlen tagtäglich dieſe Barbarei. Die Türkinnen ſehen eine neue Welt; ſie kommen auf dem Deck in Verkehr mit europäiſchen Frauen; ſie ſehen, wie frei und doch wie anſtändig dieſe ſich be- nehmen. Alles dies wiederholt ſich täglich, ſtündlich. Und man wollte leugnen, daß das Dampfboot der alleinige wahre Regenerator der Türkei ſei? Es gewährte uns großes Vergnügen, als wir am Landungsplatz ſtanden, zu ſehen, wie bemüht die Männer, die Eunuchen, waren, die Frauen vor der Berührung, vor den Blicken der einſteigenden Männer, der Europäer, der engliſchen Soldaten zu ſchützen, und wie die dam- – 216 – pfende Natur des Bootes ihnen ſtets neue Hinderniſſe entgegenſtellte. Erſt wurden die Frauen ſämmtlich auf das Hinterdeck geſperrt, dann erſt durften die Männer ein- ſteigen; aber es kam ein Nachzügler und man konnte die Regel nicht innehalten. Am meiſten empörte uns ein Haufen perſiſcher Frauen, die von einem Perſer gleich einer Heerde Schafe in das Schiff getrieben wurden. Ihr Anzug beſtand buchſtäblich aus einem blauleinenen Sack, der ihnen über den Kopf geſtülpt war und bis zu den Füßen reichte, wo nur die gelben Pantoffeln ſichtbar waren. An der Stelle des Geſichtes war ein handbreites viereckiges Loch in den Sack geſchnitten, aber dies war wieder mit weißen Tuchſtreifen gitterartig vernäht. Man ſah nichts, als zwei Augen, die aus dem dunklen Käfig durch das weiße Gitter hindurchleuchteten. - Bei Tiſche, in unſerm Hotel, hatte die Geſellſchaft ſich ſehr vergrößert. Mehrere franzöſiſche Offiziere der Chaſſeurs d'Afrique und mehrere Militairbeamte hatten neben uns, dem Dr. A). und Frau A). Platz genommen. Die Offiziere der afrikaniſchen Jäger waren prächtige Muſter eines krieggewohnten, kühnen, abgehärteten Sol- daten. Dunkelbraun gebrannte Geſichter mit langem ſchwarzem Bart, nervige Glieder voll elaſtiſcher Bewe- gung, Ruhe und Ernſt in den Mienen und wenig Worte. Auch Frau A). ſchien Gefallen an ihnen zu finden. Sie erzählte ihnen von ihrem Lagerleben in Varna und von den kleinen Leiden in Konſtantinopel. Sie zeigte ſich ſehr frei von engliſcher Pruderie; da ihr das Wort fehlte, ſo frug ſie mich ganz ungenirt, was flees auf franzöſiſch hieße. Wir verabredeten, gemeinſchaftlich am morgenden Tage den Sultan zu ſehen. Der Freitag iſt der türki- ſche Sonntag. An dieſem Tage kommt regelmäßig der Sultan aus ſeinem Palaſt am Bosporus nach Konſtan- – 217 – tinopel zum Beſuche einer Moſchee. Welche Moſchee er beſuchen wird, iſt nie vorher bekannt; erſt eine halbe Stunde vor ſeiner Ankunft kann man es am Landungs- platz erfahren. Theodoro wurde hiernach angewieſen und wir benutzten wie gewöhnlich den Abend nach dem Eſſen zu einem Spaziergange auf die Promenade in Pera. Dieſe gemeinſame Sitte führt dort die Bekannten leicht zuſammen. Wir trafen dieſen Abend unſere Schiffs- gefährten, den Marquis di R. und den Lieutenant v. B. Erſterer trug ſeine kleidſame ſardiniſche Majorsuniform, ſo daß wir ihn bald nicht wieder erkannt hätten. Er war in Begleitung mehrerer ſardiniſcher Marineoffiziere von der im Hafen liegenden ſardiniſchen Fregatte und erzählte uns von der Audienz, die er bei dem Sultan gehabt hatte. Er war erſtaunt über das bleiche, erſchöpfte Aus- ſehen des Sultans, über ſein energieloſes ſchlaffes Weſen und wir wurden um ſo geſpannter, morgen den Sultan mit eigenen Augen zu ſehen. Herr v. B. war in Begleitung eines Herrn, der ſich Baron nannte und Obriſt außer Dienſt ſein wollte. Er hatte ihn erſt hier kennen gelernt. Wir frugen begierig, wie es ihm gegangen und ob er ſchon in die türkiſche Armee aufgenommen ſei. Mit trauriger Miene erzählte er, daß er zunächſt bei dem preußiſchen Geſandten gewe- ſen ſei. Sein zur Dispoſitionſtellen wäre hier völlig verunglückt. Der Geſandte hätte ihn an die türkiſchen Behörden verwieſen und bemerkt, daß er ſeinerſeits gar nichts für ihn thun könne. Zufällig ſei dieſen Tag noch der preußiſche ehemalige Hauptmann Kuczkowski, der In- ſtructeur der türkiſchen Artillerie, in Konſtantinopel ge- weſen. Er habe ihn getroffen, allein K, voller Eile vor ſeiner Abreiſe zu Omer Paſcha, habe ihm nichts Anderes rathen können, als, wenn alles fehlſchlüge, geradenweges – 218 – zu Omer Paſcha nach Schumla zu reiſen und ſich dort zur Dispoſition zu ſtellen. Vor Allem wolle er aber nun bei dem Seraskier, dem türkiſchen Kriegsminiſter, ſich melden. Er habe ſchon wiederholte Verſuche dazu ge- macht, aber bisher vergeblich. Um ſolche Audienz zu er- langen, müſſe man ſich an den Dragoman des Miniſters wenden; dieſe, Griechen, thäten aber nichts, ehe ſie nicht ein reichliches Douceur erhalten hätten. Dies erlaube ſeine Kaſſe nicht, und ſo ſei er noch nicht dazu gelangt. Wir bewunderten die Ruhe, mit der er uns ſeine Lage ſchilderte, die uns verzweifelt ſchien. Wir riethen ihm, nochmals zu dem preußiſchen Geſandten zu gehen, und von dieſem wenigſtens ein Schreiben an den Seraskier ſich zu verſchaffen. Er hatte noch wenig von Conſtantinopel geſehen. Er erzählte uns von ſeinem Gaſthof, der allerdings billiger war als der unſrige, aber ſo voll Unreinlichkeit, daß er Inſecten- pulver in den ſtärkſten Doſen hatte aufwenden müſſen, um nur ſchlafen zu können. Er klagte bitter über das Geſindel von Abenteurern, welches ſich in Conſtantinopel herum- trieb und wie Kletten jedem Fremden ſich anhänge. Jeder dieſer Leute, ſagte er uns leiſe, iſt mindeſtens Baron und hat als Major oder Obriſt in einer europäiſchen Armee geſtanden. Obgleich ſie mir anſehen mußten, daß bei mir wenig zu holen ſein werde, habe ich ſie dennoch nicht los werden können, und mehreremale blieb mir nichts übrig, als einen Kaik zu nehmen, und in das Meer zu fahren, um endlich allein zu ſein. Das Ausſehen und die Unterhaltung ſeines Begleiters gab die lebendige Beſtätigung deſſen; das Treiben dieſer Leute mußte nothwendig ſehr arg ſein, da ſie ſelbſt von dieſem argloſen Menſchen erkannt worden waren. Das kalte, zurückhaltende Benehmen, was man in Pera allge- – 219 – meinden ankommenden Fremden gegenüber beobachtet, und unter dem wir ſchon ſelbſt zu leiden gehabt hatten, wurde uns nun erklärlich. Seit einigen Jahren hat ſich auch die Zahl deutſcher Abenteurer in Pera ſehr vermehrt; man hört auf der Straße oft deutſche Worte. Es war uns ſchmerzlich, daß auch hier, wie in Nordamerika und Lon- don, die deutſche Emigration durch eine Maſſe Geſindel entehrt wird, das über den deutſchen Namen eine Schmach bringt, die Generationen braver Männer ſpäter nicht wie- der wegwiſchen können; a shabby dutch iſt noch heute der Beiname der Deutſchen in Amerika. ---------------------------------- XIX. D er S ult an. Am andern Morgen bei dem Frühſtück meldete Theo- doro, daß der Sultan in dem Hafen der Kanonengießerei in Topchane landen und von da in die anſtoßende Moſchee Mahmud II. gehen werde. Frau Dr. A). war unwohl; ſo konnten wir ungehindert uns aufmachen. Wir fanden keine Schwierigkeit, in den Hof der Gießerei einzutreten, obgleich die türkiſche Bevölkerung abgehalten und ſo der Hof völlig frei erhalten wurde. Im Hofe ſtand ein Ba- taillon türkiſche Infanterie aufmarſchirt. Die Uniform war genau wie die preußiſche, mit Ausnahme des Feß ſtatt des Helms. Uns ſchien eins ſo wenig hübſch wie das andere. Am Strande ſtanden 12 ſechsunddreißigpfündige Kanonen mit Bedienung. Einige Miniſter und Paſcha's, die den Sultan erwarteten, und ein Paar Engländer waren mit uns die einzigen frei herumwandelnden Perſonen. Links vor uns auf dem Meere lag die ſardiniſche Fregatte, welche zur Feier des Tages flaggte und mehr als 300 Wimpel aller Farben von den Maſten und Raaen wehen ließ. Bald ertönte ein ferner Kanonendonner, das Zeichen der Abfahrt des Sultans aus ſeinem Pallaſt. Nach wenig Minuten zeigten ſich auf dem Bosporus drei glänzende – 221 – weiße und reich vergoldete Kaiks, mit rothſammtnen Bal- dachins; jeder mit 12 Ruderern bemannt, die das Boot pfeilſchnell dahin gleiten ließen. Im vorderſten Boot war der Sultan, in den beiden andern folgten ihm einige Mi- niſter. So wie die Boote der ſardiniſchen Fregatte vorbei- fuhren, ertönten die Salutſchüſſe aus ihren ſchweren Ge- ſchützen, die mit donnerndem Echo von den Höhen von Pera und Skutari zurückprallten. Als die glänzenden Boote ſich dem Ufer nahten, begann das Schießen der Sechsunddreißigpfünder im Hofe. Der Donner dieſer großen Geſchütze, die fortdauernden Salutſchüſſe der Fre- gatte und der rollende Wiederhall von den Höhen miſchte ſich mit dem einfallenden Parademarſch, der Regiments- muſik im Hofe und mit dem lauten Vivatrufen der Sol- daten und der Bevölkerung vor den Gittern des Hofes. Es war ein mächtiger, erhebender Moment. Das goldene Boot ſtieß an das Land; zwei Bootführer ſprangen her- aus, zogen es an purpurſeidenen Tauen feſt an die Quadern des Ufers, und der Sultan erhob ſich von ſeinem pur- purnen Kiſſen, unter dem mit Diamanten und Gold ge- ſtickten Baldachin, und ſchritt, von einem Diener unter- ſtützt, heraus an das Ufer. - Es war eine große Geſtalt. Er trug ſchwarze glanz- lederne Stiefeln, weiße europäiſche Pantalons, darüber einen bis über die Knie reichenden indigoblauen zuge- knöpften Tuchrock mit ſteifem Kragen und das rothe Feß mit der blauſeidenen Quaſte. Ueber den Rock hing ihm ein offener Tuchmantel von derſelben Farbe mit offenen Aermeln. Vorn, wo der Kragen des Rockes ſich ſchloß, befand ſich eine mit Diamanten reich beſetzte Spange, die wahrſcheinlich einen Orden vorſtellte. Sonſt war ſeine Kleidung ohne allen Schmuck und ohne Stickerei. Er zeigte ein volles, fleiſchiges, aber blaſſes Geſicht. – 222 – Der erſte Eindruck war der des Schlaffen, Theilnahm- loſen, Erſchöpften. Bei längerem Sehen konnte man einen Zug von Gutmüthigkeit nicht verkennen; aber dies blieb auch der einzige Charakterzug; alles andere innere Leben war aus dieſem weichen erſchlafften Geſichte ver- ſchwunden. Große, dunkelbraune Augen und eine breite offene Stirn hätten mit Leichtigkeit dieſe Züge beſeelen können; aber kein lebendiger Blick leuchtete aus ihnen her- vor; die Augen auf die Erde geheftet, wandelte er mit einem langſamen, aber doch nicht feierlichen Schritt, eher ſchleichend und mühſam, ein wenig nach vorn gebückt, durch den Hof nach der Moſchee. Dem Bataillon, welches präſentirte, wendete er nicht einen Blick zu, und den rol- lenden Donner der Geſchütze, der den Boden beben machte, ſchien er nicht zu hören. Hinter ihm folgten die Miniſter und andere hohe Beamte ehrfurchtsvoll nach der Moſchee. Man zeigte uns Redſchid Paſcha, die Seele des türkiſchen Kabinets und den Leiter der Regierung in der jetzigen Kriſis. Er iſt ein ſehr korpulenter, ein wenig unterſetzter Herr, dem das Gehen bei der brennenden Sonnengluth ziemlich ſchwer wurde. Wir hätten in dieſer unſcheinbaren Geſtalt den großen Mann nicht vermuthet. Die Miniſter waren wie der Sultan gekleidet; nur trugen ſie keinen Mantel, da- gegen militairiſche Epaulets und Säbel, was der ſonſt einfachen bürgerlichen Kleidung ein komiſches Anſehen gab. Während der Sultan in der Moſchee betete, bewun- derten wir die vollendet ſchönen Geſtalten ſeiner Ruderer. Sie hätten ohne Ausnahme zu Modellen des Mars dienen können; und dennoch war in jedem einzelnen ein ſo unter- ſchiedener, eigenthümlicher Charakter ausgeprägt, daß die Zwölf eben ſo gut von dem Maler zu den zwölf Apoſteln beim Abendmahl hätten copirt werden können; wir glaubten – 223 – bei mehr als einem eine täuſchende Aehnlichkeit mit ein- zelnen Apoſteln in dem Gemälde von Leonardo da Vinci zu erkennen. Ihr Anzug konnte nicht kleidſamer ſein. Barfuß bis zum Knie, trugen ſie nur ein weites Hemde von einer Art rohen, aber ziemlich weißen Battiſt, was unter dem Gürtel zu weiten Hoſen auslief, die unter dem Knie gebunden waren; die Aermel waren in griechiſcher Weiſe offen und zurückgeſchlagen. Der Battiſt hatte damaſtartige Streifen, die mit anderen durchbrochenen abwechſelten. Dies machte die Kleidung zugleich glänzend und luftig, und die ge- ſunde kräftig braune Farbe des Körpers war dadurch mehr gehoben als verdeckt. Den Kopfbedeckte ein Feß, genau wie der des Sultans. Ihr Weſen entſprach dieſer leichten, lichten Kleidung. Sobald der Sultan in die Moſchee getreten war, ſprangen ſie aus dem Boot und zerſtreuten ſich in dem Hofe; der eine ſetzte ſich auf eine Kanone, der andere ging an das Gitter, mit Bekannten zu ſprechen. Da das Gebet lange währte, ſo wendeten wir uns nach den ruſſiſchen Kanonen mit grünen Lafetten, welche als die Siegeszeichen von Oltenizza und Siliſtria hier aufgeſtellt waren. Mehrere franzöſiſche Artilleriſten, die mit ihren Batterien die Nacht vorher zu Schiff angekommen waren, beſahen die Stücke mit ſachverſtändigen Mienen. Sie kamen von Lille und hatten 40 Tage von dort bis Marſeille marſchirt. Die Offiziere der Chaſſeurs d'Afrique in ihren rothen Krapphoſen und blauen Huſarenſpencern, unſere Tiſchge- noſſen, fanden ſich auch ein und wir ſtellten uns mit ih- nen wieder nahe dem Boote des Sultans, ſo daß er zwei Schritte vor uns vorbeigehen mußte. Mit großer Nach- ſicht ließ man dies zu. Es gab überhaupt keinen einzi- gen Polizeidiener oder Gensdarmen und Niemand hin- derte uns, einen Platz zu wählen, wo wir wollten. – 224 – Nach drei Viertelſtunden kam der Sultan aus der Moſchee zurück. Derſelbe langſam ſchleichende, gebückte Gang. Wir ſuchten nochmals irgend ein Lebenszeichen in ſeinen Mienen zu finden, aber vergeblich. Er wäre ohne nach uns zu ſehen, wieder eingeſtiegen, hätte nicht die Uniform der afrikaniſchen Jäger ſeine Aufmerkſamkeit erregt. Er richtete einen matten Blick nach ihnen, mit einem kaum bemerkbaren freundlichen Lächeln; im Uebri- gen ließ er alle Grüße des Civil und der Offiziere un- beachtet. Erſt jetzt bemerkten wir, daß ſein Gang genau dem des Vorgeſetzten der Derwiſche glich, den wir im Kloſter geſehen hatten, und wir wurden zweifelhaft, ob dieſe Weiſe nicht vielleicht zu der prieſterlichen, von dem Propheten ererbten Würde des Sultans gehöre. Er ſtieg in ſeine Gondel zurück, ſetzte ſich in die ſammetnen Kiſſen und unter dem neu beginnenden Donner der Kanonen ent- ſchwand der Beherrſcher des Orients unſeren Blicken. Abdul-Meſchid iſt 31 Jahre alt und regiert ſeit 15 Jahren. XX. Die türkiſchen Frauen an den himmliſchen Waſſern. Wenn man am Sonntag der Türken, unſerm Freitag, mit einem Kaik den Bosporus aufwärts fährt, ſo kommt man nach einer Stunde an die Mündung eines grün- lichen Fluſſes an der aſiatiſchen Seite, der aus den Thälern Aſiens ſo langſam herabfließt, daß man leicht mit dem Kaik gegen ſeinen Strom fahren kann. Die Ufer ſind dicht mit Weiden, Pappeln und Platanen bewachſen und auf dem Waſſer blühen Waſſerlilien. Man empfindet lebhaft den Unterſchied gegen den breiten, mächtigen, blauen Strom des Bosporus; es iſt die tiefe Einſamkeit eines entlegenen Landſitzes gegen das Wogen und Treiben der Hauptſtadt. Weiter hinauf öffnen ſich die dicht bewachſenen Ufer. Das Buſchwerk verwandelt ſich in einzelne Baumgruppen und eine grüne Wieſe breitet ſich zur Rechten weit aus bis zu dem Bosporus zurück. Ein Bergrücken ſchließt ſie von der dritten Seite. Dieſe Stelle nennen die Türken das Thal der himmliſchen Waſſer; die Europäer nennen es die ſüßen Waſſer von Aſien. Es wird jeden Freitag von den Frauen und Kindern der Türken beſucht. Die Männer, Brüder und Vettern bleiben nach türkiſcher Sitte * 15 – 226 – zurück. Unſer Theodoro frug uns, nachdem die letzten Donner der Kanonen verhallt waren, ob wir den Nach- mittag dort zubringen wollten, und ſein Vorſchlag wurde freudig angenommen. Wir fanden bei dem Verlaſſen des Kaik die Wieſe von einer bunten Menge dicht bedeckt. Ein großer Theil der Frauen lagerte mit Kindern und Sklavinnen auf dem Graſe; andere wandelten im Schatten der Platanen; an- dere fuhren in offenen Wagen langſam herum; andere kauften Maiskolben, Zuckerzeug, friſches Waſſer; andere horchten auf die Erzählungen des Arabers und die be- gleitende Muſik. Die bunteſten Farben glänzten aus den Gruppen, und aus den weißen Schleiern ſchaute bald das braune Auge einer Türkin heraus, bald glänzte die ſchwarze Haut einer Sklavin hervor. Männer waren nirgends zu ſehen; nur einzelne Verkäufer von Waſſer, Zuckerwerk, Eis, ſtanden mit ihren Waaren unter den Frauen, und Eunuchen bewachten die Wagen; aber in dem Gewühl der Frauen waren ſie kaum zu merken. Uns ſelbſt war es peinlich, die türkiſche Sitte zu verletzen und die Frauen mit unſeren Blicken zu beläſtigen. Wir trafen auf einen Mährchenerzähler mit ſeinen auf Mandoline und Flöte muſizirenden Begleitern. Die Gruppe war von drei Seiten dicht mit Frauen und Kindern um- geben, auf der vierten hielt ein Wagen mit vier türkiſchen Frauen; auch ſie wollten ſehen und hören, und hatten vorſichtig die ſchwarzen Vorhänge zurückgebogen. Alles horchte mit Aufmerkſamkeit, ſelbſt die Kinder ſaßen ſtill, obgleich das Mährchen kein Ende nahm. Wir wollten näher treten, aber ein ſchwarzer Eunuche, der den Wagen bewachte, wies uns grob zurück. Er bewachte den Wa- gen mit eiferſüchtiger Strenge. Während er auf der einen Seite ſtand, öffneten ſich allerdings die Vorhänge auf der – 227 – andern und hübſche Augen ſahen hervor; aber da ſie inne wurden, daß wir nach ihnen und nicht nach dem Araber ſahen, wurden ſchnell die Vorhänge zugezogen. War's Furcht? war's Scheu? wir konnten es nicht errathen. Ein anderer Wagen kam; wir mnßten Platz machen. Das ſind die Frauen aus dem Harem eines Paſcha, ſagte Theodoro. Sehen Sie die brillantene Broche, welche der Knabe bei ihnen an der Bruſt trägt; ſie enthält die Chiffre des Sultans und iſt ein Geſchenk deſſelben. Die Frauen hatten reiche Brillantringe an den Fingern und die Nä- gel waren mit einer Beize braun gefärbt. Sie waren verhüllt und in die entſtellenden Mäntel gewickelt, wie alle. Sie ſaßen in einem modernen Reiſewagen mit zwei vortrefflichen Pferden. Unter einer breiten Platane hielt im Schatten ein an- deres Fuhrwerk; es kam nicht aus der Hauptſtadt, und zeigte noch rein die türkiſche Sitte. Auf hohe Räder war noch höher ein langer Fahrkaſten mit niedrigen Rändern aufgeſetzt. Räder, Kaſten, Ränder waren kunſtvoll aus- geſchnitten, blau angeſtrichen und reich vergoldet. Dar- über auf vier vergoldeten Stangen ein Holzdach gleicher Art, von dem rothſeidene Vorhänge herabhingen. Sitze gab es nicht, nur Kiſſen auf dem Boden. Eine ſtarke, vergoldete Deichſel endete in einem Joche und daran wa- ren zwei weiße Büffel geſpannt, die Halsbänder von gro- ßen bunten Glasperlen trugen und am Kopf einen langen, rückwärts gebogenen Stab, von dem dicke ſeidene Purpur- ſchnüre mit Quaſten- auf den Rücken der Thiere herab- fielen. In den Wagen konnte man nur mittelſt einer hohen Leiter gelangen, die während des Fahrens wie eine Zugbrücke von den Frauen aufgezogen wurde. Die Fahrt ging langſam; ein alter Türke mit Turban führte die Büffel, und der Wagen, mit kauernden Frauen und Kin- 15 . – 228 – dern vollgefüllt, wand ſich mit Stoßen und Knarren über die Furchen und Steine des Weges. Zwiſchen den Sklavinnen und den Frauen und Kin- dern herrſcht die größte Vertraulichkeit; man konnte weder am Anzug, noch an dem Eſſen, noch an der Unterhaltung und dem Benehmen erkennen, wer Sklavin, wer Herrin war; nur die ſchwarze Farbe gab den Anhalt. Die Skla- vinnen hatten Mäntel von demſelben Stoff, Schleier, gelbe Stiefeln, Schuhe, wie jene, lagerten mitten im Kreiſe und verzehrten Eis und Zuckerwerk, wie jene. Die Zuckerbäcker wandelten auf und ab, den breiten Korb mit Zuckerwerk auf den Kopf, den leicht geflochtenen Tiſch in der Hand. So wie ſich Käufer meldeten, wurde der Korb auf den Tiſch geſetzt und vom Inhalt verkauft. Sie hatten viel Zuſpruch; die Türkinnen ſcheinen mit Leidenſchaft dieſe ſüßen Sachen zu verzehren. Ein Ge- menge von Mehl, Zucker und Gallert, was ſich wie Leim zog und uns fade ſchmeckte, wurde hauptſächlich gekauft. Aber die beſten Geſchäfte machen die Garköche mit Keſſeln voll kochender Maiskolben. Ganze Reihen Frauen ſaßen auf dem Boden mit den gelben Kolben am Munde, aus denen ſie die einzelnen Körner ausbiſſen. Am widerwär- tigſten war dies, wenn ein dickes ſchwarzes Geſicht mit Gier an ſolchen gelben Kolben nagte. - Selbſt während des Eſſens wurde der Schleier nicht abgelegt; nur der untere den Mund bedeckende Theil ward herabgeſchoben. Aber auch dann war die andere Hand mit dem Schnupftuch ſtets bereit, das Geſicht während des Eſſens zu verdecken. Gab es an dem Anzug einer Türkin etwas in Ordnung zu bringen, ſo ſtellten ſich drei andere um ſie herum, und bildeten mit ihren ausgebrei- teten Mänteln ein ſo wohl verwahrtes Kabinet, daß kein Blick das Innere erſpähte. - - - – 229 – Andere Zerſtreuungen, als jene Sänger und Spieler, als Eſſen und Trinken, bemerkten wir nicht; keine Spiele, weder im Laufen noch im Sitzen. Alles war auf den Boden gelagert, oder wandelte langſam hin; der blaue Himmel und die friſche Luft ſchien ihnen zu genügen. Selbſt die Familien blieben geſondert. Es herrſchte die- ſelbe beſchauliche Ruhe, wie in den Kaffeehäuſern. Selbſt die Kinder hielten ſich ruhig bei der Mutter und den Sklavinnen. Die Erziehung der türkiſchen Frauen wird bis in die - höchſten Stände völlig vernachläſſigt. Die Mädchen ge- hen in die Schulen, aber ſie bringen es nicht über das Leſen und dies wird ſchnell wieder vergeſſen, da es weder Romane noch Liebesbriefe in der Türkei giebt. Sie blei- ben von der Kindheit ab bei den Müttern im Harem. Wochenlang verlaſſen die Frauen nicht das Haus, und wenn ſie ausgehn, ſo ſind ſie tief verhüllt; Niemand ſieht, Niemand redet ſie an. Nach einem leeren Gaffen kehren ſie in den Harem zurück, wo dichte Gitter jede Ausſicht auf die Straßen verſperren. Im Hauſe ſehen ſie nur den Mann, der in der Regel des Morgens gegen 8 Uhr die Frau beſucht und bis gegen 11 Uhr in dem Harem bleibt; dann kehrt er den ganzen Tag nicht zurück. Was beginnt die arme Frau in dieſer Einſamkeit? frugen wir öfters, und ſelbſt Türken von Bildung und Gelehrſamkeit hatten Mühe, eine Antwort darauf zu geben. Unterrich- ten ſie ihre Kinder? Nein; ſie wiſſen ſelbſt nichts. – Beſorgen ſie die Wirthſchaft? Nein; das iſt das Ge- ſchäft der Sklaven. – Leſen ſie, muſiziren ſie, zeichnen ſie? Nein; ſie haben nichts zu leſen, und für Kunſt ſind ſie zu träge und ohne Sinn. – Putzen ſie ſich? Nein; für wen? auf der Straße ſind ſie in Schleier und den Mantel gehüllt; im Harem tragen ſie Beinkleider und – 230 – Spencer, aber alles muß weich, bequem, weit ſein. Der Mann iſt der Einzige, der ſie ſieht, und er liebt weniger den Anzug, als weiche, fleiſchige Glieder. – Aber, mein Gott, was treiben ſie denn? Sie ruhen auf den Divans, ſie trinken zehnmal des Tages Kaffee, naſchen Zuckerwerk, ſchlafen, ſpielen mit den Kindern, ſchwatzen mit den Skla- vinnen und beſuchen ſich, um wieder gemeinſam zu ſitzen, zu eſſen und zu ſchlafen. Aber dennoch iſt es ein Irrthum, ſagte uns ſpäter ein reicher, vornehmer Türke, wenn ſie glauben, daß die Frau nicht von dem Manne geachtet würde. Sie haben recht, wir verlieben uns nicht, wie die Europäer. Als mein Sohn erwachſen war, wünſchte ich keine Verbindung für ihn aus den mir befreundeten türkiſchen Familien. Ich kaufte deshalb ein junges, eben aus. Cirkaſſien angekom- menes Mädchen für 12,000 Piaſter und ließ ſie im Leſen, in Muſik, im Tanzen unterrichten. Nach zwei Jahren hatte ſie alles gut gelernt, und ich ſagte meinem Sohn, der ſie bis dahin nicht geſehen hatte, daß ich das Mäd- chen ihm zur Frau geben wolle. Er nahm ſie; natürlich ließ ich ſie vorher frei, und ſie leben beide zufrieden mit einander. - - - Wie viel Frauen haben Sie denn? frug ich dieſen liebenswürdigen Mann, der längere Zeit in Paris und Wien geweſen war. Nur eine, erwiderte er lächelnd. Sie hegen in dieſem Punkte ſehr falſche Vorſtellungen über uns in der Türkei. Wir haben nach dem Koran zwar das Recht vier Frauen zu nehmen, aber es wird davon beinah nie Gebrauch gemacht. Ich lebe mit meiner Frau glücklicher, als mancher Ehemann in Deutſchland. Es iſt richtig, daß das Geſetz uns eine größere Freiheit verſtattet und daß die Frau ſich nicht beſchweren darf, wenn der Mann für Augenblicke ſie über die Sklavin im – 231 – Hauſe vergißt. Aber iſt denn bei Ihnen dies in der Wirklichkeit viel anders? – - Wir wanderten lange unter den Frauen an den himm- liſchen Waſſern herum. Dieſes ruhige, anſpruchsloſe Ge- nießen der Natur gefiel uns an ihnen. Es war da kein Neid, kein Aerger, daß die eine beſſer gekleidet wäre als die andere; kein Spähen und Beobachten, was die Nach- barin thun, was ſie ſprechen, wen ſie anſehen werde; kein Zieren, kein Affektiren. Alles war einfache, unmittelbare Natur; es war freilich keine Tugend, aber wozu auch immer und ewig dieſe innere Pein, die die Verſuchuug mit Zittern neben ſich fühlt. Uns war wohler unter dieſen halbwilden Töchtern der Natur und ihre ſchleppen- den Mäntel gefielen uns zuletzt beſſer als die geſchnürte Koketterie des Weſtens, ihr Nagen an den Maiskolben behagte uns beſſer als das Eſſen mit Glacée-Handſchuhen zu Hauſe. Wir hätten ſie ſicherlich noch viel liebens- würdiger gefunden, wenn wir uns hätten unter ſie lagern und mit ihnen ſchwatzen können; wir hätten den neu- gierigen Mienen ſchon erzählen wollen und die Geſchichten hätten ihnen beſſer gefallen ſollen, als die jenes quäkenden Arabers. Welche Freude muß es ſein, dieſen noch friſchen Kin- dern der Barbarei leiſe und vorſichtig die Genüſſe der Kultur zu bieten! Von der ganzen ſchwierigen orientali- ſchen Frage ſchien uns dieſer Theil der leichteſte und beſtc. Welche Luſt, dieſe abſcheulichen formloſen Mäntel her- unterzunehmen, dieſe heißen Schleier zu öffnen; dieſe friſchen, weichen Geſichter in die duftende Luft zu tauchen und ſie fühlen zu laſſen, welche Luſt es iſt, andern zu gefallen ! – Seien Sie vorſichtig, ſagte Theodoro. Sie ſehen, wir ſind die einzigen Männer, die nicht hierher gehören. – 232 – Man hat uns nachſichtig wandern laſſen; Sie haben die Frauen mit ihren Blicken in Verlegenheit gebracht; aber Sie kennen die Eunuchen nicht; es ſind Barbaren. Er hatte nicht Unrecht. Wir nahmen ſtillen Abſchied von den himmliſchen Waſſern und ihren irdiſchen Töchtern. Kaik neben Kaik hielt am Bosporus, um die Frauen Kon- ſtantinopels wieder heim zu führen; und da wir nicht mit ihnen fahren durften, ſo lobten wir uns die Einſamkeit und die Treue deutſcher Männer. „". "„“„“ „„“„r. "V“./"-"v"."/". "V"V"-A i-- - nºti XXI. Das Leben in Pera. Auswanderung dahin. Schon zu der griechiſchen Kaiſer Zeiten hatten die Genueſer Stambul gegenüber Fuß gefaßt und Galata gebaut. Sie ließen ſich durch die Türken nicht austreiben, und jetzt wohnen in Pera und Galata an hunderttauſend Europäer, die, unabhängig von der türkiſchen Regierung, und ihren Geſandten untergeordnet, eine europäiſche Stadt mitten unter den Türken bilden. Es gehört die Toleranz und Gutmüthigkeit dieſes verſchrieenen Volkes dazu, um dieſe Krämer, dieſe Wechsler, dieſe Handwerker, dieſe Diplomaten neben ſich zu ertragen, um mitten in dem Herzen des Reichs eine Bevölkerung ſich einniſten zu laſſen, die in der Arbeit und in dem Vergnügen, in dem Hauſe und auf der Straße das gerade Gegentheil der Türken, der Herren des Landes, iſt. Wie leben dieſe Franzoſen, dieſe Engländer, dieſe Deutſchen, dieſe Ruſſen und Polen in Pera? Muß eine Stadt mit den Genüſſen der Civiliſation in dieſem Klima, in dieſer Lage nicht ein Paradies ſein? Wir fanden nur Kaufleute, die hier blieben, weil ſie Geld verdienten, Beamte, die nur hier blieben, weil ſie nicht fort konnten, und Abenteurer, die nur hier blieben, – 234 – weil es der einzige Ort war, wo man ſie bleiben ließ. Im Grunde ſehnte ſich jeder hinweg. Der Kaufmann wollte nur erſt noch einige Spekulationen vollenden, der Beamte das Avancement abwarten, und der Reiſende wollte nur noch dieſe und jene Merkwürdigkeit beſehen. Dann wollte alles wieder in die Heimath. Pera iſt nur der verunglückte Verſuch einer europäi- ſchen Stadt. Niemand hält es recht für ſeine Heimath; im Sommer zieht man nach dem Bosporus; da iſt denn nichts Rechtes zu Stande gekommen. Die Häuſer ähneln den europäiſchen, aber die Palläſte ausgenommen, ſind ſie von Holz gebaut, gegen die Kälte im Winter ſchlecht ver- wahrt und das Meublement ſehr dürftig. Die Miethen ſind ſehr hoch; der Geſandtſchaftsprediger S. gab für zwei Zimmer und ein Kabinet 4800 Piaſter jährlich, d. i. 240 Thaler. Die Straßen ſind ſo unwegſam, wie in Stambul; ja ſchlimmer, da ſie ſteiler ſind. Man kann deshalb nicht fahren, und reiten nur mit Schwierigkeit. Laternen giebt es nicht; die Straßen haben keine Namen, die Häuſer keine Nummern, gerade wie in Stambul. Als wir nach einem Banquier fragten, gab man uns die Adreſſe: H. Sonnenfeldt in Galata. Aber Galata hat 100 Straßen und 60.000 Bewohner, wo ſollen wir H. Son- nenfeldt da herausfinden? Fragen Sie nur, war die Ant- wort, wir können keine nähere Bezeichnung geben. Die Straßen werden nicht gekehrt und die Hunde Konſtantinopels, weniger tolerant wie ihre Herren, haben auch in Pera von ihnen Beſitz genommen. Das Aus- gehen iſt deshalb ſchon im Sommer eine peinliche An- ſtrengung; und im Winter ſoll der Schmutz es unmöglich machen. Die Straßen bieten wenig von dem, was ſie in Europa ſo unterhaltend macht. Einige größere haben in dem Erdgeſchoß Magazine und Gewölbe; man ſucht den – 235 – Glanz und Geſchmack der europäiſchen Magazine im Auf- putz der Fenſter und Gewölbe nachzuahmen, aber es fehlt der Reichthum der Stoffe und das Geſchick der Diener. Was man an Waaren kauft, iſt alles europäiſche Fabrikarbeit und über- aus theuer; dennoch kommt nur das ſchlechtere und ver- altete hierher. Wer es vermag, kauft nichts hier, ſondern läßt ſich alles direkt aus London, Paris, Berlin kommen. Es giebt einige Konditoreien; aber auch ſie ſind eine dürftige Nachahmung der Konditoreien Berlins, der Kaffee- häuſer von Wien und Paris. Da man auf den Straßen keine Equipagen ſieht, da auch keine Dame zu Fuß ſich entſchließt, ihren eleganten Anzug zu zeigen, ſo bieten dieſe krummen, dunkeln, engen, heißen Wege nur ein Gehen und Kommen von Leuten, die zu viel Geſchäfte, und von Abenteurern, die zu wenig Geſchäfte haben. Frauen gehen nur nothgedrungen aus, und wir ſind in den Straßen von Pera nicht einer einzigen elegant ge- kleideten Dame der höheren Stände begegnet. Am Abend hat man als Erholung nichts als die Promade in Pera, die wir ſchon kannten, und einen jardin des mille fleurs, der weniger ſtaubig wie jene Promenade iſt, aber nicht ſo beſucht, und in dem in den letzten Tagen unſers Aufent- halts eine Seiltänzertruppe ganz Pera amüſirte, die in Deutſchland ſich kaum in der kleinſten Stadt hätte ſehen laſſen können. Nun hat Pera allerdings auch den Bos- porus; aber wer in Pera wohnt und am Bosporus ſich erholen will, muß ſchon in der Nachmittagshitze von zu Hauſe aufbrechen, lange Straßen durchwandern, einen ſteilen Berg, ſo hoch, wie der Hradſchin in Prag, voll des ſchlechteſten Pflaſters hinunterſteigen und dann gelangt er erſt an die See. Derſelbe mühſame Weg wiederholt ſich bei der Rückkehr, und wenn man kühl und erquickt aus dem Schiff geſtiegen iſt, kommt man dennoch erſchöpft – 236 – und in Schweiß gebadet nach Hauſe. Alle ſonſtige Um- gebung Pera's iſt öde und ohne Schatten. Der Genuß in Wiſſenſchaft und Kunſt ſteckt in Pera noch in den roheſten Anfängen. Es giebt zwei Buchhand- lungen; ſie halten aber nur engliſche und franzöſiſche Ro- mane und Reiſeliteratur. Wiſſenſchaftliche Werke müſſen beſonders beſtellt und verſchrieben werden, und dieſe Koſten erhöhen die Bücherpreiſe, wie uns der Prediger S. ver- ſicherte, um die Hälfte. Wiſſenſchaftliche Journale, na- mentlich deutſche, ſind gar nicht zu haben, und ſelbſt an politiſchen Zeitungen findet man neben den engliſchen und franzöſiſchen nur die Augsburger Allgemeine. Wir lebten in Conſtantinopel unbekannter mit den Ereigniſſen auf dem Kriegsſchauplatz als zu Hauſe. Das Journal de Conſtantinople, was die türkiſche Regierung drucken läßt, erſcheint ohne beſtimmte Tage nur 4 bis 6 Mal den Monat. Dabei ſind ſeine Nachrichten unzu- verläſſig und höchſt parteiiſch. Es druckt hauptſächlich engliſche und franzöſiſche Artikel nach, und die eigenen Ar- tikel beſtehen nur in Hofnachrichten, in trockenen Anzeigen der angekommenen und abgegangenen Schiffe und ausge- zeichneter Perſonen, und in ſehr lückenhaften und dürftigen Nachrichten vom Kriegsſchauplatz. Die europäiſchen Blätter kommen nur wöchentlich einmal mit den Dampfſchiffen aus Trieſt und Marſeille. Wer mithin nicht mit einer Ge- ſandtſchaft in näherer Verbindung ſteht, iſt oft vier und fünf Tage lang ohne die mindeſte politiſche Neuigkeit. Den Winter giebt es in Pera ein Theater, das uns aber nicht mittelmäßig genug beſchrieben werden konnte. Concerte giebt es gar nicht; große Virtuoſen gehn eher nach Amerika als nach Conſtantinopel; auch würde die europäiſche Bevölkerung allein ihnen keine glänzenden Ein- nahmen gewähren, und die Türken kommen nicht. – 237 – So bleibt das geſellige Leben auf die Familien be- ſchränkt. Man ſucht ſich da in vaterländiſcher Weiſe zu erfreuen; indeß iſt die deutſche gebildete Bevölkerung doch noch viel zu dünn, um für den Umgang Auswahl und Intereſſantes zu bieten. Die Schwierigkeiten des Aus- gehns im Winter ſind auch hier ſehr hemmend. Man treibt jetzt viel Muſik, und die deutſchen Muſikalienhändler könnten jetzt gute Geſchäfte hier machen; aber der Man- gel an guten Inſtrumenten und Lehrern iſt hinderlich. Wie genügſam man ſelbſt in den höhern Kreiſen mit geſelligem Vergnügen iſt, zeigten die Whiſtparthien, die die Beamten der preußiſchen Geſandtſchaft ein bis zweimal wöchentlich ſpielten. Sie bilden für alle Theilnehmer die Hoffnung und den Glanzpunkt der ganzen Woche. Der Vizekanzler B. war mit großen Hoffnungen nach Conſtantinopel gekommen, aber ſie waren ſämmtlich ge- täuſcht; das erſte Halbjahr hat er in der tiefſten Nieder- geſchlagenheit verlebt, und ſeitdem beſchränkt er ſich, im Mangel aller Hilfsmittel für tiefere Studien, auf bloßes Sammeln von Antiquitäten. Die wiſſenſchaftliche Verar- beitung eines ſchon reichen Materials muß er verſchieben, bis er wieder auf deutſchem Boden ſein wird. Einen beſſern Eindruck als Pera macht Galata. Es iſt die Stadt des europäiſchen Handels, und am Tage ſind ſeine Gaſſen voll des regſten Treibens. Man ſieht den Kaufleuten an, daß in Conſtantinopel leicht Geld zu ver- dienen iſt. Es bleibt auffallend, daß in Deutſchland Nie- mand daran denkt, nach Conſtantinopel ſtatt nach Amerika auszuwandern. Es erklärt ſich nur aus der dunkeln Vor- ſtellung von türkiſcher Barbarei und türkiſchem Chriſten- haß, die man noch von den Kinderjahren her mit ſich trägt, aus der großen Unkenntniß hieſiger Zuſtände, die ſelbſt unter den gebildeten Klaſſen in Deutſchland herrſcht. Ein – 238 – geſchickter Handwerker findet in Pera leichter ein Brot, als in Nordamerika oder Auſtralien. Die Reiſe nach Con- ſtantinopel iſt kürzer, ſicherer und billiger. Mit Ausnahme der Wohnung iſt in Conſtantinopel das Leben außeror- dentlich billig. Fleiſch und Brot koſtet nur die Hälfte von dem in Berlin; Früchte, wie Waſſermelonen und Gemüſe, ſind noch billiger. Dabei bedarf man in dieſem heißen Klima nur der Hälfte deſſen, was man in Deutſchland ißt, ohne von Kräften zu kommen. Die türkiſchen Kaikführer, die Laſtträger, die der Mann oft 300 Pfund bergauf bergab tragen, eſſen den ganzen Tag nichts als ein Stück Brot und eine Waſſermelone. Die Preiſe der Handwerksarbeiten ſind weit höher, als in Berlin, und ein geſchickter Arbeiter iſt in allen ſtädtiſchen Beſchäftigungen ſtets ſicher, Arbeit und Abſatz zu finden. Dabei hat er keine Schererei mit Innungen und Polizei. Es herrſcht volle Gewerbefreiheit, und Conceſſionen kennt man nicht. Wer heute kommt, kann morgen einen Laden aufthun oder eine Werkſtatt beginnen; und dies Alles, ohne ſich erſt in neue, ungewohnte Verhältniſſe finden zu müſ- ſen, in Pera iſt Alles europäiſch, und er braucht das ganze Jahr nicht nach Stambul zu gehen, wenn er ſich vor den Türken fürchtet. Ja ſelbſt, was die Freiheit anlangt, ſo findet der Handwerker nach dem Begriff, den ſeit 1848 der Bauer und kleine Bürger ſich davon gebildet, in Con- ſtantinopel deren mehr als in den Vereinigten Staaten von Amerika, denn dort zahlt er zwar wenig Abgaben, aber in Pera zahlt er gar keine. Auch für den Kaufmann bietet Conſtantinopel Gele- genheit, wie wenige Städte, und nach unſerer Anſicht wird ſich nach dem Ende des Krieges ein Handel hierher für Deutſchland entwickeln, von dem man jetzt kaum eine Ahnung hat. Alle Stoffe, die die Türken tragen, ſind euro- – 239 – päiſche Fabrikate, und zwar die ſchlechteſten Sorten. Wir haben nie ſo ſchlechten Kattun geſehen, als die engliſchen Sorten, die hier von den Arbeitern und Frauen, ſelbſt der wohlhabenden Klaſſe zu Beinkleidern und Jacken getragen werden. Der Verbrauch in Merino's und Thibet's muß ungeheuer ſein; denn die reichſte wie die ärmſte Frau muß einen ſolchen weiten unförmlichen Mantel zum Ausgehen haben; auch davon ſahen wir nur ordinaire Stoffe. Da- bei bedarf es zur Fertigung dieſer Stoffe gar keiner Kenntniß des türkiſchen Geſchmacks; alle dieſe Mäntel ſind ohne Muſter, einfarbig, und jede Farbe von ſchwarz bis zum Hellgelb wird getragen. Es ſcheint unzweifel- haft, daß die deutſchen Fabriken hier concurriren können. Die Frachten hierher ſind ſelbſt auf den Lloyd-Dampf- ſchiffen billig; der Centner Waare von Venedig bis Kon- ſtantinopel zahlt 3 Gulden Silber Fracht, ein Satz, der ſelbſt bei ordinairen Stoffen die Elle nur um einen bis zwei Pfennige vertheuern kann. Man muß freilich ver- meiden, den Commiſſionairs in Pera in die Hände zu fallen. Dieſe nehmen enorme Proviſionen und ſind nicht zuverläſſig. Aber bei der ſchnellen und billigen Verbin- dung zwiſchen Trieſt und Konſtantinopel iſt es leicht und nicht koſtſpielig, einen eigenen zuverläſſigen Commis nach Konſtantinopel zu ſenden, der dort nicht mehr Gehalt braucht, wie in Berlin, und der das Geſchäft unmittelbar für den Herrn leiten kann. In dieſer Weiſe betreibt ein Schweizer Haus ein be- deutendes Manufakturwaaren-Geſchäft in Konſtantinopel, und ein Theilnehmer der Handlung reiſt nur alle zwei Jahre einmal dahin, um alles in voller Ordnung zu er- halten. Nach ſeinen perſönlichen Mittheilungen hat der Abſatz ſelbſt während des Krieges nicht gelitten; der Handel iſt im Gegentheil ſolider geworden, indem jetzt nur gegen baare Zahlung an die Detailliſten verkauft wird. Dies Haus macht ein großes Geſchäft in dem einzigen Artikel von bunten baumwollenen Shawls, die zu Turbanen in Aſien verbraucht werden. Dieſe Andeutungen, als das Reſultat der Beobachtun- gen eines nur vierzehntägigen Aufenthalts in Konſtanti- nopel, können natürlich auf Vollſtändigkeit und auf un- bedingte Zuverläſſigkeit im Einzelnen keinen Anſpruch machen. Aber vielleicht genügen ſie, um die Aufmerkſam- keit zu erregen. Die Abſatzwege, welche für den deutſchen Handwerker und Kaufmann hier offen ſtehen, ſind noch viel zu wenig gekannt, und für Deutſchlands Verkehr in dieſer Richtung liegt eine Zukunft, die nicht großartig genug gedacht werden kann. Für den, der ſich dafür intereſſirt, iſt die Redaktion der National-Zeitung in Beſitz der Adreſſen von Männern in Konſtantinopel geſetzt, die vollſtändige und zuverläſſige Auskunft über jede Detail- frage zu ertheilen bereit ſind. - "vvvvvv.".."-"v"vv"v"v".^.^v^v^v XXII. Die Reiſe nach Bruſſa. Theodoro brachte uns Sonnabend Abend die Nach- richt, daß die türkiſchen Päſſe zur Reiſe beſorgt ſeien und ein Kaik mit drei Ruderern für 140 Piaſter (7 Thaler) nach Mudania gemiethet ſei. Die Schiffer wollten bei gutem Wind die 11 Meilen in 6 Stunden zurücklegen, bei Windſtille in 16 Stunden. Theodoro erhielt den Auf- trag, für Wein, Kaffee, Zucker und eine Kochmaſchine zu ſorgen; im Gaſthof wurden Eier, Fleiſch und Brot beſtellt. Am andern Morgen 5 Uhr holten die Schiffer das Ge- päck, und wir folgten ihnen mit Theodoro eiligen Schrittes den ſteilen Berg hinab nach dem Hafen. Ehe wir ab- fahren durften, mußten wir uns noch in dem türkiſchen Quarantaine-Amt als geſund vorſtellen. Der türkiſche Ge- ſundheitsbeamte ſchlief noch; mit halbgeöffneten Augen kam er endlich heraus und atteſtirte aus einer Entfernung von 50 Schritt auf Grund eines Sechspiaſterſtücks, daß die Cholera mit uns nichts zu ſchaffen habe. Wir hatten bald die Spitze des Serails hinter uns und ſchwammen auf der weiten Fläche des Marmora- Meeres. Es war ein herrlicher Morgen. Ein leiſer Wind kräuſelte die Fläche, zu ſchwach für das Segel. 16 – 242 – Konſtantinopel, von der Morgenſonne glänzend beleuchtet, lag in ſeiner vollen Pracht vor uns. Es hob ſich in ſeiner weiten Ausdehnung von dem Schloß der ſieben Thürme bis zu Tophane vom Meere die Anhöhen hin- auf, und ſelbſt ſeine braunen Dächer fackelten heute von der Fülle des ausgegoſſenen Lichts. Am Ufer zogen ſich die alten Mauern der Stadt hin; Tauſende von griechi- ſchen Säulenköpfen und Schaften ragten aus den ver- fallenen Mauern hervor; aus Ruinen erbaut, ſinken ſie jetzt wieder zu Ruinen. Die kräftigen Ruderſchläge trieben den Kaik ſchnell davon; aber die Anſicht der Stadt behielt noch in der Ferne von Meilen eine unglaubliche Klar- heit. Man vergaß, daß man ſchon weit entfernt war; man glaubte ihr noch ſo nahe zu ſein, wie vorhin; nur ein mächtiger Zauberer ſchien leiſe die Maaße und Ent- fernungen zuſammengezogen zu haben, um die Einheit des Bildes zu erhöhen. Unſer Kaik war ein gebrechliches Fahrzeug. Wenig größer als jene Nußſchalen im Hafen, ſchwankte er bei jeder Beweguug; wir mußten am Boden ſitzen, ſo türkiſch gelaſſen, als möglich. Nur in dieſem Klima iſt es mög- lich, in ſolch einem offenen Kahne eine Fahrt über das 11 Meilen breite und 30 Meilen lange Marmorameer zu wagen. Man muß ſicher ſein gegen übermäßigen Wind und gegen Gewitter. Nur in dieſem Klima konnten wir auf vier Tage im voraus ſolch eine Fahrt beſtimmen und auf ſechs Tage im voraus die Beſteigung des Olymps feſtſetzen und dabei des guten Wetters ſo ſicher ſein, als wenn in Deutſchland um 2 Uhr ein Spaziergang für 3 Uhr verabredet wird. Erſt auf ſolch einem Fahrzeuge wird man der Ver- traute des Meeres. Auf dem Koloß eines hochbordigen Dampfſchiffes erkennt man das Meer nur, wenn es in – 243 – Leidenſchaft geräth; ſein ruhiges Athmen, ſeine Milde bleibt unempfunden; zu viel vom feſten Land iſt zwiſchen Meer und Menſch noch eingeſchoben. Aber in einem Kaik, deſſen Schachtelwände nur einen Fuß über den Meeresſpiegel ſich heben, da empfindet man den leiſeſten Pulsſchlag dieſes allmächtigen aber auch allgütigen Weſens. Bei der tiefſten Windſtille fühlt man da noch, wie es innerlich ſich regt und wie es athmet in glatten, flachen, langſam ſich hebenden Wellen. Von jedem beginnenden Windhauch ſieht man das kräuſelnde Bild auf der em- pfindlichen Fläche; die eintauchenden Ruder zeigen die volle Durſichtigkeit des reinen Elements. Von ihren kräftigen Schlägen fühlt man den Ruck; die ſprühenden Tropfen kühlen das heiße Geſicht und der Duft des Meeres öffnet langverſchloſſene Poren der Lungen; in tiefen Zügen hebt ſich mit neuer Kraft die Bruſt. Freudig ſieht man die leichten Kräuſel ſich in ſanfte Wellen heben; die bleiche Fläche wandelt ſich mit dem ſteigenden Wind in langgeſtreckte, blaue Höhen und Tiefen; ein weißer Schaum ziert die Spitzen der Wellen. Drohend kommt die einzelne gegen das dünne offene Fahrzeug herange- zogen; wie eine blaue Wand verdeckt ſie dem Kahne unten im Thale den Himmel; aber plötzlich iſt der drohende Hügel verſchwunden, der Kahn ſchwebt lachend auf ſeiner Spitze und eine Unendlichkeit von tanzenden Hügeln und glatten Thälern wogt ſpielend um ihn herum bis in die Fernen des Geſichtskreiſes. Der Schiffer holt das Segel; während er bindet und zieht iſt der Kahn das Spiel der muthwilligen Wellen; ſie jagen ſich, ſie ſchaukeln und rütteln ihn, als führten ſie ihn reißend davon und dennoch kommt er nicht von der Stelle. Aber jetzt entfaltet ſich das Segel; klug zieht der Steuermann das Ende ſtraff gegen den ſchief einfallenden Wind; hohnlachend durch- 16* – 244 – fliegt nun der Kahn Hügel und Thal und ſchneidet ſtrafend in ihre weichen Rücken ſeine ſcharfe Spur. Eine lange Wunde öffnet ſich hinter ihm; aber die unzerſtör- bare Macht des Meeres hat in der Ferne ſchon die blut- loſe Wunde geheilt; keine Spur von der Berührung iſt geblieben; in jungfräulicher Reinheit bewegt ſich wieder das leichte Spiel der Wellen. Eingehüllt in ihren elaſtiſchen Flaum fühlt man kein Stoßen und Steuern, wie in jenen Koloſſen; man ſchaukelt nur, wie fröhliche Kinder, aber man ſchwindelt nicht. - Die kahlen Felſen der kleinſten der Prinzeninſeln hatten wir ſchon hinter uns. Wir ſteuerten einem Vor- gebirge zu, was den graden Weg nach Mudania ver- ſperrte. Nach ſo viel Staub in den Straßen Konſtanti- nopels athmeten wir mit Wonne die reine, feuchte See- luft. Theodoro holte den Kaffeekeſſel herbei und bereitete mit kunſtfertiger Hand den vortrefflichen Trank. Die Vorräthe wurden ausgepackt; die Eier gekocht, der Braten geſchnitten, die Weinflaſche geöffnet und in griechiſchem Wein feierten wir die Schönheit des Morgens. Den Schiffern rieſelte der Schweiß von der Stirn. Schon vier Stunden hatten ſie ohne Pauſe gerudert. Zwei waren junge kräftige Männer, Griechen; ihnen ge- hörte der Kahn. Dennoch ordneten ſie ſich dem dritten älteren unter, der, als endlich ein leiſer Wind ſich erhob, das Segel zu ſpannen gebot. Aber der Wind hatte keine Kraft; bald hing das Segel ſchlaff und von neuem griffen ſie unverdroſſen zn den Rudern. Als führe das Vorge- birge gleich uns, wollte es nicht näher kommen. Wir begriffen nicht, wie wir noch Stunde über Stunde fahren konnten, da wir doch ſchon jeden Stein am Ufer zu er- kennen glaubten. „Die Schiffer wollen am Vorgebirge anlegen,“ ſagte – 245 – Theodoro; „dort iſt eine Quelle; es ſoll Waſſer einge- nommen werden.“ Wir fügten uns gern. An einem flachen Kiesufer wurde gelandet und der Kahn nach antiker Heroenart, ans Land gezogen. Die Küſte hob ſich zu einem ſteilen Abhange; die Schiffer verloren ſich in die Schlucht zur Quelle. Uns blickten die Kieſel unter dem Waſſer ſo lockend an, daß die Kleider abgeworfen und ge- badet wurde. Am Ufer war das Waſſer ſo warm, daß man erſt ab vom Ufer, in der Tiefe die Kühlung fand. Die Schläuche waren bald mit Waſſer gefüllt; ein neuer Wind trieb uns um die Spitze und die Küſte Aſiens mit dem Olymposgebirge lag vor uns. Jetzt hatte dieſer Wunderberg ſich ſchon gewandelt: die ſanften blauen Linien waren verſchwunden, wie ein hohes Rieſenſchloß mit vollen Zinnen und Thürmen erhob er ſich nun. Um 5 Uhr Nachmittags waren wir in Mudania. Es war ein heißer Tag; 11 Stunden lang hatten wir den brennenden Sonnenſchein ertragen. Mudania ſteht auf den Karten Kleinaſiens mit großen Buchſtaben eingetragen; es iſt aber dennoch nur ein elendes Dorf, deſſen einziges Verdienſt iſt, mit ſeinen Häuſern halb im Meere zu ſtehen; die Altane ſchweben über dem Waſſer. Auf ſolchem Altane ſuchten wir die Kühle des Schattens. Zwei Brüder von antiker griechiſcher Schönheit, die Eigner des Kaffeehauſes, bedienten uns. Bald kamen unſere drei Ruderer, nahmen neben uns Platz, und in orien- taliſch ſicherem Vertrauen auf die Gaſtfreiheit ihrer Herren genoſſen ſie, was das Haus zu bieten vermochte. Alt und Jung ſammelten ſich, aber wir hörten keine Frage an die von der Hauptſtadt kommenden Schiffer; Niemand ver- langte nach Neuigkeiten und unſere Schiffer ſaßen ſchweig- ſam, als hätten ſie ihr Dorf nicht verlaſſen. Um 6 Uhr waren vier Pferde geſattelt; Mäntel, Reiſe- – 246 – taſchen und Vorrath wurden thurmhoch auf das geduldige Pferd des Knechts gepackt und oben auf kletterte er ſelbſt, als ſtiege er in den Thurm eines Elephanten. Ein Schimmelhengſt mit Amulet und türkiſchem Sattel ward mir zu Theil. Wir durchritten prächtige Weingärten mit Maulbeerbäumen, und auf ſchmalen Richtwegen näherten wir uns einem kahlen Gebirgskamm. Hinter dieſem war ſchon die Nacht gekommen; ein ſteiniger ſteiler Pfad führte hinab; wir ſahen nur undeutlich tiefe Schluchten neben und vor uns, zwiſchen denen die Pferde ſich hindurch- winden mußten. Wir ſchauten nach den Sternen und ließen die Pferde den Weg ſich ſelbſt ſuchen. Nach drei Stunden einſamen Weges hörten wir das Rauſchen eines Fluſſes. Wir ſuchten in der Dunkelheit nach einer Brücke, aber die Pferde ſpotteten unſerer civiliſirten Sitten und führten uns quer durch eine Furth ſicheren Schritts zum jenſeitigen Ufer. - Hier wurde geraſtet. Wenn ich ſeitdem an Aſien denke, ſo iſt es nicht Smyrna, nicht der Olymp, nicht Skutari, ſondern dieſe Stelle, die mir vor die Seele tritt. Es war eine Nacht, wie man ſie nur in Aſien hat. Die Luft trocken und warm, der Himmel ſchwarzer Sammet; der Mond ging eben auf, aber die Sterne glänzten noch in voller Pracht bis zu dem Saum des Geſichtskreiſes. Ein Zelt ſtand hart am Fluß, in dem ein Türke Land und Straße zu bewachen und zu ſchützen hatte. Wir ſtiegen ab und ließen die Pferde ungefeſſelt, nach abgenommenen Zäumen, im Graſe weiden. Der Türke breitete eine Strohmatte auf den Boden und dort, er- ſchöpft von dem Kauern im Kaik, von dem Reiten auf den harten Sätteln, lagerten wir, Arme und Beine und Kopf ausgeſtreckt, ſo weit die Muskeln reichen wollten, den rauſchenden Fluß neben uns, den Sternenhimmel über – 247 – uns. In ſolchen Nächten liegt der Zauber des Reiſens im Orient. Man ſpricht nicht, man denkt auch wenig, aber man fühlt, daß man lebt, daß Geſundheit in allen Adern ſtrömt, und daß die Nerven ſich langſam wieder ſpannen zu neuer Kraft für den morgenden Tag. Tiefe Ruhe lag um uns und in uns. Der Türke brachte gaſt- frei den Kaffee, Diener und Knecht lagerten neben uns, und von der Wieſe her hörten wir das Graſen der Pferde. Mit offener Bruſt empfingen wir den Nachtwind, er kühlte aber erkältete nicht. Es war erſt die Hälfte des fünf Meilen langen We- ges, aber die Nacht war ſo ſchön, daß wir den Zeitlauf nicht bemerkten. Ueber Höhen und Wieſen ging es wei- ter, und gegen Mitternacht ſahen wir die ſteilen Abhänge, an denen Bruſſa liegt, dunkel vor uns. Das Rauſchen der Waldbäche, die wir zu durchreiten hatten, die hohen Bäume mit den üppigſten Kronen waren die Anzeichen des nahenden Hochgebirges. Einzelne Häuſer kamen aus dem dunkeln Dickicht zum Vorſchein, die Straße hob ſich ſteil, ein ſchlechtes Pflaſter begann, und wir hielten vor der Locanda des Giuſeppe, der uns ſchon in Conſtantino- pel empfohlen worden war. Es war ein Italiener, aber von der beſten Art. Mit Handel und Gaſtwirthſchaft hatte er ſich ſchon ein hübſches Vermögen erworben. Sein Gaſthof hatte Das, was mir das liebſte iſt, nicht merken zu laſſen, daß man im Gaſt- hof iſt. Keine numerirten Zimmer, keine Marqueure, kein Rennen und läſtiges Bedienen: einen gemüthlichen Wirth, mit dem man ißt, was er hat, und eine hübſche Wirthin, die Einen pflegt, wie ihr Kind. Man gab uns reinliche Betten, öffnete die Fenſter hinter den wehenden Vorhängen, und in der Kühlung ſchliefen wir bis ſpät in den Morgen. -wºv--.-.-.-."»---------------- XXLII. Bruſſa. Aaly Paſcha. Wir ſchlugen die Vorhänge zurück. Das Zimmer lag nach Mitternacht, ſo daß die Gegend all die Fülle des Lichts auf uns zurückwarf, die die Sonne hinter uns über ſie ausgoß. Obgleich ſchon ſehr verwöhnt, waren wir dennoch über die Schönheit der Landſchaft überraſcht. Der Gaſthof lag hoch, und wir wohnten im zweiten Stock. Das weite Thal vor uns war ein breiter meilenlanger Weingarten mit glänzendem Grün, dahinter ſchloß eine hohe Bergwand die Ausſicht; links erkannten wir die Hö- hen und Flächen, über die wir von Mudania gekommen waren; aber rechts lag die Krone des Ganzen, Bruſſa mit ſeinen 8000 Häuſern und 700 Minarets mitten in dem üppigſten Grün der Weinreben und Maulbeerbäume, als wäre die große Stadt in einen Garten gebaut. Noch weiter rechts ſtieg eine ſteile Bergwand in die Höhe, und auf einem Vorſprung nahe bei uns lagen die Ruinen eines alten Kaſtells, deſſen Mauern in den Felſen verliefen. Eine Pappel vor uns im Thale gab Zeugniß von der Frucht- barkeit dieſes Landes, wenn das Waſſer ihm zu Hülfe kommt. Wir waren einen ſteilen Abhang hinangeritten – 249 – und wohnten hoch im Hauſe, aber die Krone dieſer Pappel ragte noch immer über uns hinaus. Bruſſa war vor der Eroberung Conſtantinopels die Reſidenz der Sultane. Daher noch ſein Reichthum an Moſcheen und Grabmälern. Aber es hat ſich auch ſpäter zu erhalten gewußt; hier wird die feinſte Seide gezogen, und die Seidenwaaren Bruſſas ſind die geſuchteſten in Conſtantinopel. Wir ſahen in dem Bazar Kleider von dem feinſten Mousselin de soie, für die man nur 8 bis 9 Tha- ler forderte. Wir kauften aus Patriotismus von einem Oeſtreicher, der hierher verſchlagen worden war, rohſeidene Tücher, die bei den ſachverſtändigen Frauen der Heimath großen Beifall gefunden haben. Die Stadt, obgleich 60,000 Menſchen drin wohnen, bietet nichts Eigenthüm- liches; es wäre denn der vortreffliche Sorbet, den man auf allen Straßen feilbietet. Auf einem bretternen Tiſch ſteht ein großer Keſſel mit Waſſer und ausgepreßtem Roſinenſaft. Ein Brettdach ſchützt vor der Sonne und darunter hängt über dem Keſſel an einen Haken ein großer Klumpen Eis, vom Olymp in der Nacht geholt. Sowie ein Kunde ſich meldet, kratzt der Verkäufer Schnee und Eis von dem Klumpen in das Glas, füllt es mit dem Saft aus dem Keſſel und ſpritzt einen Tropfen Roſenwaſſer dazu. Der Geſchmack iſt für den Anfang nicht ausgezeichnet; aber mit jedem Glaſe mehr lernt man dies Getränk ſchätzen; es iſt labend, küh- lend und geſund; ſelbſt vom Gehen erhitzt, kann man es trinken; das Oel der Smyrnaer Roſinen nimmt dem Waſſer die ſchädliche Kraft. Unſer Dragoman, den wir mit dem Briefe des Ge- ſandten zu dem Gouverneur geſchickt hatten, kam erſt ſpät mit der Nachricht zurück, daß Aaly Paſcha um 8 Uhr in den Harem gehe und vor 11 Uhr weder Briefe noch Per- – 250 – ſonen annehme. Er habe deshalb warten müſſen. Um 1 Uhr würde der Paſcha uns empfangen. Wir waren zur beſtimmten Stunde dort. Ein Trupp von 300 tür- kiſchen Rekruten kam mit uns vor ſein Palais gezogen. Es waren alles kräftige abgehärtete Menſchen; eine leichte baumwollene Jacke und Hoſen, ein Turban und ein Beutel mit einem Stück Brot, war Alles, was ſie auf dem Marſch gehabt hatten. Wir ſahen keine finſteren, traurigen Mie- nen, wie bei unſeren Rekruten ehe ſie eingekleidet ſind. Nur Einer trug beide Arme vor ſich in den Klotz ge- ſchloſſen. Aaly Paſcha, früher türkiſcher Geſandter in London, jetzt Gouverneur einer der wichtigſten Provinzen Klein- Aſiens, war der erſte vornehme Türke, den wir kennen lernen ſollten. Im Vorſaale ſtanden viele Bittſteller, und eine Menge von Dienern. Als wir kamen, trat Alles ehrerbietig zurück; die Diener führten uns in ein Cabinet, wo Aaly Paſcha uns empfing und in ein größeres Zimmer führte, das in türkiſcher Weiſe viel Fenſtern, einen Divan ringsum, und ſtatt Teppiche Strohmatten auf dem Bo- den hatte. Zwei Stühle von Mahagoni bildeten das ein- zige Meublement. Die Wände waren mit Kalkfarbe an- geſtrichen, der Divan mit gewöhnlichem Kattun überzogen. Der Paſcha ſprang behend auf den Divan und ſchlug die Beine unter; wir konnten ihm darin nicht folgen und nahmen in der weniger behenden europäiſchen Weiſe Platz. Da er ſchwieg, mußten wir beginnen. – Wir wünſchten die Merkwürdigkeiten dieſer Stadt zu ſehen. – Mit Ver- gnügen werde ich Ihnen einen Kavaß (Polizeidiener) mit- geben, in deſſen Begleitung Ihnen alles offen ſteht. – Für heute danken wir, wir wollen noch heute Abend nach dem Olymp, aber morgen werden wir um einen ſolchen bitten. – Sie werden es auf dem Olymp ſehr kalt fin- – 251 – den; es iſt nichts als Fels oben, nicht einmal Gras. wächſt da. Am Tage iſt es heiß, die Nacht ſehr kalt; in den Felſenſchluchten liegt ewiger Schnee. – Wiſſen Sie, wie hoch der Olymp iſt? – Nein; aber in einem großen Buche, das ich beſitze, wird es ſtehen. – Die Gegend um Bruſa iſt ſehr ſchön. – Ja, dabei ſehr fruchtbar. Wir hielten inne; vielleicht, hofften wir, wird der Paſcha das Geſpräch nach einem intereſſanteren Stoffe wenden. Da er ſchwieg, ſo begannen wir von Neuem: Wir ſtören doch nicht; wir haben eben vor der Thüre Leute aufmarſchiren ſehen; Sie wollen vielleicht die Revue abnehmen? – Nein; es ſind Rekruten; es iſt ſchon ab- gemacht. Dabei rutſchte er auf dem Divan nach dem Fenſter, winkte hinunter; und von unten erhob ſich ein lautes Geſchrei. – Was bedeutet dies, Excellenz? – Ich habe den Leuten gewinkt, daß ſie abgefertigt ſeien; ſie bringen jetzt dem Sultan ein Lebehoch. Wir haben in der Türkei jetzt ganz Ihr preußiſches Militair-Syſtem. Die Männer von dem 20ſten bis 30ſten Jahr ſind dienſt- pflichtig; die Rekruten werden durch das Loos aus ihnen gewählt und haben eine fünfjährige Dienſtzeit; dann ge- hören ſie achtzehn Jahre zur Landwehr und müſſen jedes Jahr einen Monat Dienſt thun. – – Einer dieſer Re- kruten iſt an den Händen geſchloſſen, was bedeutet dies? – Es wird ein Deſerteur ſein; ſie kommen weit aus dem Innern des Landes. – Die Türkei ſcheint uns noch eine große Zukunft zu haben, nach dem wenigen ſchon, was wir geſehen haben. – Die Leute bei uns ſind gut; man ſollte uns nur Ruhe laſſen. Welcher Unterſchied war vor 15 Jahren gegen jetzt; wenn ſie vor 15 Jahren gekommen wären, wie ganz anders würden ſie Alles noch gefunden haben. – Dies war ein Grund, weshalb wir – 252 – wenigſtens jetzt gekommen ſind, wir fürchteten, wenn wir noch zehn Jahr länger warteten, dann gar nichts mehr von der alten Türkei zu finden. – Ja ja! rief er lachend, es iſt ſchon Alles europäiſirt. – Da er ſchwieg, ſo mußten wir den Faden wieder auf- nehmen. – Sind Ew. Excellenz ſchon lange in Bruſſa? – Drei Monat erſt. – Sie waren früher Geſandter in Paris? – Nein, in London, drei Jahre. – Dann ſprechen Sie vielleicht lieber engliſch? – Nein, ich verſtehe es nur ein wenig im Leſen; das Sprechen iſt zu ſchwer. – Seit drei Wochen ſind wir ohne alle politiſchen Nachrichten, Ew. Excellenz wiſſen vielleicht etwas vom Kriegsſchauplatze? – Es iſt wohl nichts paſſirt; ich habe nichts erfahren. Man glaubt, die vereinigte Flotte wird noch etwas unter- nehmen. Aber was wird Deutſchland thun? – Wir können zunächſt nur von Preußen ſprechen. Wir glauben nicht, daß Preußen je ernſtlich Krieg gegen Rußland füh- ren wird; aber es iſt möglich, daß man den Intereſſen des Landes ſo weit nachgiebt, um indirect den Alliirten zu helfen. Die ſtets vorherrſchende Tendenz wird eben bleiben, den Frieden zu vermitteln, und das energiſche Handeln der Andern auf beiden Seiten zu hemmen. – Aber was glauben Sie von Oeſterreich? – Die Inter- eſſen dieſes Landes ſind dringender und werden zu einem kräftigen Handeln treiben. – – Wir wünſchen, den Für- ſten Abd-el-Kader zu ſehen. Wie befindet er ſich hier? – Er hat ſich ein Landgut bei der Stadt gekauft, was er ſelbſt bewirthſchaftet. Er hat 100 Araber aus Afrika mit ſich. Er iſt ſehr gottesfürchtig, fromm und betet des Ta- ges viel. Ich werde ſorgen, daß Ihr Wunſch erfüllt wird. Schicken Sie nur auf Ihrer Rückkehr vom Olymp wieder zu mir. Soll ich Ihnen vielleicht für Ihre Be- ſteigung des Olymp einen Kavaß mitgeben? – Wir dan- – 253 – ken, wir ſind unſrer vier, das wird wohl genügen. Sehen Sie Abd-el-Kader zuweilen? – Ja, er kommt mitunter zu mir; gegenwärtig iſt er in der Stadt. – Bald nach unſerem Eintreten kamen drei Diener mit Kaffee in Porzellan mit ſilbernen Unterſchalen und mit langen Pfeifen. Sie präſentirten uns, dann dem Paſcha. Die Pfeifen wurden mit einem beſonderen Ceremoniel überreicht. Jeder Diener hatte die Pfeife ſelbſt angeraucht, ſo wie er dem Gaſt gegenüber ſtand, nahm er die Pfeife aus dem Mund, maß mit den Augen die Entfernung, ſtellte danach zuerſt den Kopf der Pfeife auf den Boden, dann ſchwenkte er die Pfeife, und ſo genau hatte Jeder gemeſſen, daß die Spitze, ohne uns zu rühren, gerade in den Mund uns reichte. Die Bernſteinſpitze war reich mit Brillanten beſetzt, und ſo wie wir ſie in den Mund ge- nommen, ſchoben die Diener vorſichtig einen vergoldeten Teller unter die Köpfe zum Schutz gegen die Funken, und entfernten ſich wieder mit feierlichem Schritte. Nach einer halben Stunde empfahlen wir uns; der Paſcha ſprang vom Divan und begleitete uns höflich bis an die Thür. Er war noch ein junger Mann von kaum mittlerer Größe. Das Geſicht war blaß und zeigte, wie bei allen vornehmeren Türken, die Spuren körperlicher Erſchöpfung. In ſeinem Weſen lag viel Verlegenes; keine Spur von dem, was man ſich in Europa unter einem türkiſchen Paſcha vorſtellt. Er ſprach das Franzöſiſche nur gebrochen, und es ſchien uns, als wenn ſein Aufent- halt in Europa gerade nur hingereicht, das türkiſche We- ſen in ihm zu zerſtören, ohne das Weſen feinerer euro- päiſcher Bildung an deſſen Stelle zu ſetzen. Wir waren ihm verpflichtet für ſeine große Artigkeit, allein wir hatten mehr geſucht, wir hatten gehofft, er werde die Gelegenheit benutzen, tiefer in Fragen einzugehen und Nachrichten zu – 254 – ſammeln, die die Türkei ſo ſehr intereſſiren. Statt deſſen ließ er uns den Faden der Unterhaltung, und jeder Stoff, den wir hervorholten, war bei ſeiner Weiſe zu antworten bald erſchöpft. Unwillkürlich erinnerte uns ſein Weſen an den Sultan, und es ward uns ſchwer, das Urtheil des Geſandten in Conſtantinopel über ihn mit dem Erlebten zu vereinigen. Bruſſa iſt ein lebhafter Ort und treibt einen ſtarken Handel mit Seide, Weizen, Oel und Wein. Die Wein- trauben fingen eben an reif zu werden. Die Stadt war ſo ſchmutzig wie Conſtantinopel, ſie hat auch ihre Hunde wie dort, aber Aaly Paſcha hat ſeit ſeiner Ankunft den Hauseigenthümern bei Strafe der Baſtonade das Kehren der Straßen anbefohlen, dies hatte wenigſtens gegen das Schlimmſte ſchon geholfen. Wir trafen hier viel Juden, die ihr beſonderes Viertel haben. Aus der Umgegend kamen Waſſermelonen und Trauben, in großen Körben auf Pferde geladen, in die Stadt; auf ſolchem Pferde ſitzen neben ſeiner Laſt noch der Treiber mit ſeinem Jun- gen, auch begegneten wir mehreren türkiſchen Weibern zu Pferde, mit dem Mantel und Schleier, wie immer, nach Art der Männer reitend, da ſie Hoſen tragen. In ihren Körben am Ende ſtecken zwei Kinder, und ein drittes hal- ten ſie vor ſich. In unſerm Gaſthof fanden wir bei Tiſch einen Eng- länder mit ſeiner Frau. Er war ein engliſcher höherer Militairbeamter, der, wie wir ſpäter erfuhren, den Auf- trag hatte, die Küſten Kleinaſiens im Auftrage ſeines Lan- des militäriſch zu unterſuchen, namentlich einen paſſenden Ort zu einem großen Hoſpital für die Reconvalescenten der engliſchen Armee zu ermitteln. Er lebte bereits drei Wochen in Bruſſa und hatte geologiſche und meteorolo- giſche Beobachtungen zu ſeinen Zwecken angeſtellt. Er hatte die Lage und die Luft von Bruſſa vorzüglich dafür – 255 – geeignet gefunden und wollte in wenig Tagen nach den Prinzeninſeln, um da ſeine Unterſuchungen fortzuſetzen. Er hatte das Frühjahr in Syrien zugebracht, ſeine Frau hatte ihn überall begleitet. Ich richtete, nachdem er mich vorgeſtellt hatte, einige Worte an ſeine Frau, bekam aber nur kurze, einſilbige Antworten. – Wie haben Sie Ihre Zeit hier zugebracht, drei Wochen lang mitten unter den Türken? – Wir ſind viel ſpazieren gegangen, ſagte er. – Aber damit muß man bei dieſer glühenden Hitze ſchon um 9 Uhr Morgens ſchlie- ßen, und vor Abends 6 Uhr kann man den Fuß nicht wieder aus dem Hauſe ſetzen. Sie haben vielleicht Bücher mit ſich. – Nein, ſagte ſie. – Ich bitte um Verzeihung; eins habe ich heute früh geſehen, und nach den Spitzen, die als Leſezeichen hineingelegt waren, muß es Ihnen ge- hört haben; die Bibel. – Ju, Sie haben Recht. – Sie ſchreiben vielleicht? – Nein. – Sie ſingen, Sie muſi- ciren? – Nein. – Sie unterhalten ſich mit dem Wirth und ſeiner Frau? es ſind freundliche, geſellige Leute. – Nein; ich ſpreche kein Italieniſch, nur Engliſch, das ver- ſteht hier Niemand. – Leider, bemerkte der Mann, haben wir auch unſere Spaziergänge ſehr beſchränken müſſen. Wenn wir in die Nähe von Knaben kamen, warfen dieſe oft mit Steinen nach uns; obgleich erwachſene Türken in der Nähe waren, ſo ließen ſie es dennoch zu. Mehrmals ſtanden die Knaben auf den Höhen und warfen mit Stei- nen wie eine Fauſt groß. – Er hatte kaum ausgeſprochen, als durch das offene Fenſter ein Stein in unſer Eßzim- mer geflogen kam. Wir riefen den Giuſeppe, und er machte ſich auf die Jagd nach einem Haufen türkiſcher Jungen, ohne einen erwiſchen zu können. Bei näherer Unterſuchung fand ſich indeß, daß der fragliche Stein nur ein großer Pfirſichkern war. - v---------------------------------- XXIV. Die Beſteigung des Olymp. Nach Tiſch, 4 Uhr, wollten wir uns aufmachen nach dem Olymp. Der Wirth war mit unſerm Dragoman nach Pferden gegangen, aber wir warteten noch auf ihn, als es ſchon 5 Uhr ſchlug. Der Olymp iſt die höchſte Spitze eines Gebirges, das in paralleler Richtung mit dem Bosporus und den Dar- danellen ſtreicht, und wahrſcheinlich derſelben Granithebung ſeinen Urſprung verdankt, deren ſpäteres theilweiſes Zu- ſammenbrechen den Bosporus und die Dardanellen geſchaf- fen hat. Das ſchleſiſche Rieſengebirge ähnelt im Kleinen dem Olymp. So wie dort zieht ſich das Olymposgebirge in einem langen wagerechten Kamm fort, von dem Sei- tenthäler abfallen, und auf dem die höchſte Spitze, wie bei der Rieſenkoppe, als koloſſaler Hügel aufgeſetzt iſt. Andere niedere Gebirgskämme laufen wie dort parallel mit dem Hauptkamm und durchziehn den ganzen nördlichen Theil Kleinaſiens. Nächſt den Gebirgen des Kaukaſus iſt das Olymposgebirge das höchſte in Kleinaſien. Obgleich unter dem 40ſten Breitegrade, alſo ſüdlicher wie Neapel – 257 – gelegen, hat es ausgedehnte Felder ewigen Schnees und die hohen Kegel ragen noch an 2000 Fuß über dieſe Schnee- linien hinaus. Die Höhe der Spitzen muß deshalb be- deutend ſein. Wir konnten nirgends eine beſtimmte Aus- kunft über die Höhe des Olymp erlangen. Die untere Gränze des ewigen Schnees iſt beim Aetna 9000 Fuß. Der Aetna liegt zwar zwei Grad ſüdlicher als der Olymp, allein jener iſt vom Meere umgeben, dieſer von dem hei- ßen Continent Aſiens; deshalb mag die Schneegränze für beide dieſelbe ſein. Die Schneefelder ziehen ſich bei dem Olymp an 1000 Fuß hoch, und darüber geht der kahle Steinkegel noch an 2000 Fuß hinaus. Dies giebt eine Höhe von 12000 Fuß. Als wir zurückkamen, verſicherte uns ein belgiſcher Ingenieur im Dienſte des früheren Großveziers Ali Paſcha, daß die Höhe Bruſſa's und des Olymp kürzlich trigonometriſch gemeſſen worden ſei, ſie habe für Bruſſa 550 Meter und für den Olymp 4400 Meter über das Marmorameer ergeben. Dies wäre eine Höhe von 13,500 Fuß für den Olymp, alſo nur 200 Fuß niedriger als das Finſteranhorn, die höchſte Spitze der Berner Alpen, und um 1300 Fuß niedriger als der Montblanc, aber 400 Fuß höher wie die Jungfrau. Uns ſchien dieſe Angabe zu hoch, aber eine Höhe von 11 bis 12,000 Fuß mag richtig ſein. Von Conſtantinopel, 15 Meilen fern, zeigt ſich der Olymp ſo hoch als die Berner Hochalpen vom Uetli bei Zürich, der nur 12 Meilen fern iſt. - Das Hochgebirge iſt völlig unbewohnt. Im Sommer halten ſich einige Schaafhirten mit ihren Heerden auf dem Kamme auf. Wegen des ſtarken Bedarfs an Schnee und Eis giebt es aber einen betretenen Weg nach den Schnee- feldern. Auch ſagte man uns, daß auf der Höhe des Kammes wir eine ſteinerne Hütte finden würden, in der 17 – 258 – man Schutz vor dem Winde fände und einige Stunden der Nacht ſchlafen könnte. Unſer Plan war, dieſen Abend bis nach dieſer Hütte zu reiten und den Morgen zeitig von dort aufzubrechen, um die Sonne auf dem Gipfel aufgehn zu ſehen. - Wir hörten endlich das Getrappel der vier Pferde. Mit Mühe hatte der Wirth ſie erlangen können, die beſ- ſern waren alle nach Mudania gegangen, wo morgen das Dampfſchiff von Conſtantinopel landete. So blieben für uns nur vier erbärmliche Thiere, die den Tag über ſchon gelaufen waren, und nun uns in der Nacht dieſe ſteilen Berge hinauftragen ſollten. Aber hier half kein Zögern. Wir wählten die beſten für uns, das ſchlechteſte ward mit den Mänteln, Teppichen und Mundvorrath ſo bepackt, daß wir ſelbſt den Nachtſack zurücklaſſen mußten. Der Gouverneur hatte uns zur Vorſicht noch einen Ka- vaß mitgeſandt, und die Karavane zog davon. Voran Muſtapha, ein alter türkiſcher Pferdeknecht, als Führer und Leiter des Packpferdes. Hinter ihm der Kavaß in der alttürkiſchen Kleidung der niedern Stände. Einen Turban, ein baumwollenes Hemd, was in weite kurze Hoſen auslief, darüber einen rothen Spenſer mit offenen Aermeln und rothe Schuhe ohne Strümpfe. In einem als Gürtel umgewundenen Shawl ſtaken zwei ge- ladene Piſtolen, ein Tabaksbeutel und ein kurzer dolch- artiger Säbel in ſchwarzer, mit Silber beſchlagener Scheide. Er ging zu Fuß, ohne Stock, die Hände ſtets auf dem Rücken und darin ſeine lange türkiſche Pfeife haltend. Wir ſchätzten ihn 60 Jahr alt. Ihm folgten wir und den Schluß machte Theodoro, alle drei zu Pferde. Der Weg zog ſich hinter der Stadt durch die Cypreſſen eines langen Kirchhofes. Endlich hatten wir die Stadt hinter uns und der Pfad hob ſich nun ſchnell eine über- – 259 – aus ſteile Bergwand hinan. Obgleich im Zickzack ſich windend, war dieſer Weg doch ſo ſteil, daß wir oft an den Mähnen unſerer Pferde uns halten mußten, um nicht hinten herunter zu rutſchen. Wir bewunderten das Geſchick der Pferde, dieſen ſteilen Pfad hinanzuklettern. Mehrmals waren wir im Begriff abzuſteigen; wir hielten es nicht für möglich, daß die Pferde uns hinaufbringen würden; aber der Kavaß winkte gelaſſen, wir ſollten ſitzen bleiben, und die Sonne brannte ſelbſt nach 6 Uhr in dieſen Steinwänden noch ſo heiß, daß ein Fall der Pferde uns erträglicher erſchien, als das eigene Hinanklettern in der Gluth. Der Weg war betreten, aber er beſtand nur in einem ſchmalen Saumpfad, der bald mit kleinem Ge- röll ausgefüllt, den Pferden den feſten Tritt unmöglich machte, bald treppenartig über die Felsſtücke hinaufging, wo die Pferde mit ihren glatten Eiſen nicht aus dem Rut- ſchen kamen. Kurz, der Weg nach dem Rigi iſt an ſeinen ſchlechteſten Stellen glattes Parkett gegen den auf dem Olymp. - Wir verſuchten anfänglich, die Pferde am Zügel zu leiten, allein es zeigte ſich dies bald als eine nur hinder- liche Zugabe für dieſe Thiere. Sie kannten den Weg beſſer als wir und benutzten, ſich ſelbſt überlaſſen, jeden Abſatz, jeden leiſer anſteigenden Abweg, mit mehr Geſchick, als wir es ihnen hätten zeigen können. Sehr zufrieden mit dieſer Theilung der Arbeit, übernahmen wir dafür das Schauen in die Ferne. Das große Bruſſa mit ſeinen Moſcheen und Minarets und Gärten lag bei der Steile der Bergwand, die wir hinaufkrochen, ſenkrecht unter uns; wir hätten in die Moſcheen durch ihre Kuppeln ſehen können, wenn ſie offen geweſen. Nach zweiſtündigem Steigen hatten wir die Höhe dieſer furchtbaren Bergwand erreicht; wir kamen auf einen weichen 17 – 260 – Raſen, der ſich langſam hob und von Hunderten von Quellen berieſelt wurde. Hier änderte ſich der Pflanzen- wuchs. Im Thale bei Bruſſa herrſchten der Maulbeer- baum, der Weinſtock, die Cypreſſe, der Feigenbaum. Wo die Steinwand ein Plätzchen gelaſſen, hatte der letztere uns begleitet, aber immer ſpärlicher. Hier auf dem erſten Plateau ſahen wir die heimathlichen Wälder wieder, mächtige Eichen und Buchen. Die Sonne war ſchon untergegangen und das dichte Laub des Waldes, was uns umgab, machte die Dämme- rung dunkler. Hatten wir auch Anfangs uns dicht bei- ſammen gehalten, ſo weiß man doch, wie auf ſolchen langen ſchaurigen Wegen die Geſellſchaft ſich ſpäter zer- ſtreut. Das eine Pferd geht ſchneller; man hält an, um den Anblick der Landſchaft ruhiger zu genießen; ein Zweig bleibt in den Kleidern hängen und man ſucht ſich mit möglichſt wenig Schaden los zu machen. Oft ſchien in dem düſtern Zwielicht der Weg ſich zu theilen; der Führer war ſchon voraus; man ſtockte und horchte, von wo das Getrampel der vorderen Pferde ſchallte. Bald ſahen wir nur noch das nächſte. Wir banden die Hüte feſt, damit die Baumzweige, durch die wir uns oft bückend winden mußten, ſie uns nicht vom Kopfe riſſen. Es ſchien uns, als ritten wir hart an einem furchtbaren Abgrund zur Rechten, deſſen Tiefe gar nicht zu ermeſſen war. Gleich dem Rieſengrund an der Schneekoppe, oder der Marien- wand beim Rhonegletſcher fiel die Bergwand ſteil ab in eine grenzenloſe Tiefe; doch deckte ein leichtes Strauch- werk den Abhang. Wenn der Weg ſich bog, ragte der Kopf des Pferdes ſchon über den Abhang; unwillkürlich ſuchten wir in der Dunkelheit nach dem Zügel, um es vom Abgrund abzulenken. Als hätten die Pferde uns peinigen wollen, wählten ſie immer den äußerſten Rand; – 261 – ſie ſahen freilich beſſer als wir, daß da der Weg noch am beſten war. Baumwurzeln zogen ſich quer über den Weg; mit abgemeſſenem, taktartigem Schritt ſetzten die Pferde die Beine in die ausgetretenen Löcher dazwiſchen und brachten ihre beſorgten Reiter auch glücklich hinüber. Der Kavaß begann ſeine vortrefflichen Eigenſchaften, ſeine Ausdauer, ſeine Gelenkigkeit, ſeine Dienſtfertigkeit zu entwickeln. Wer ſich zu weit zurück glaubte, wer über den Weg zweifelhaft war, fing an zu rufen. Der dunkle Wald tönte von den deutſchen und türkiſchen Zurufen und Antworten und wo dies nicht ausreichte, eilte der Kavaß zurück, dem Verirrten zur Hülfe. Gegen 9 Uhr fing es an lichter zu werden. Der Mond mußte im Aufgehen ſein. Wir ſtiegen vom Abend aus in die Höhe; ſo blieb uns ſeine Scheibe von den ſchwarzen Bergmaſſen vor uns verdeckt; aber ein matter Schein, von dem feinen Dunſt der Luft zurückgeworfen, half uns, den Weg zu finden. In einer Lichtung, wo der Pfad von neuem ſteiler ſich heben wollte, machte der Führer Halt. Die erſchöpften Pferde ſollten eine halbe Stunde ruhen. Wir ſtiegen ab und halfen die braven Thiere pflegen und tränken; Futter mußten ſie ſich ſelbſt ſuchen. Wir glaubten, im Vater- lande zu ſein. Deutſche Eichen, deutſche Buchen und ein deutſcher kühler Abend. Wir mußten nach unſerer Mei- nung ſchon 4000 Fuß von Bruſſa abgeſtiegen ſein. Der Kavaß ſetzte ſich auf ſeine Füße und zündete ſich ſeine Pfeife an. Der Führer ſah nach dem Gepäck; wir legten uns an eine Eiche und ſchauten in das Dunkel des Wal- des, was von tauſend Johanniswürmchen flimmend durch- flogen und durchkrochen wurde. Der Jupiter, der, ſeit ich das Schiff verlaſſen, wieder meine Gunſt erworben hatte, leuchtete, als wolle er den Mond uns erſetzen. – 262 – Die Minuten der Ruhe waren ſchnell verfloſſen, aber dennoch merkten wir an dieſen ſtählernen Thieren, die uns trugen, daß die Ruhe ihnen friſche Kraft gegeben. Sie war nöthig; es ging von neuem ſteil, beinahe ſteiler, wie früher, eine Wand in die Höhe. Das Laubholz ver- lor ſich; ſchwarze Tannen und Fichten drängten ſich da- zwiſchen und bald merkten wir an dem glatten, mit Na- deln beſtreuten Boden, daß wir die Region des Nadel- holzes erreicht hatten. – Noch eine halbe Stunde, ſagte Theodoro, und wir ſind auf dem Kamm des Hochgebirges. Aber, wie Mu- ſtapha mir erzählte, ſoll die Steinhütte, der Platz für unſer Nachtlager, zerſtört ſein. Wir finden dort keinen Schutz mehr. Er meint, daß wir auf der Höhe im Walde einen Platz uns ſuchen, wo wir, gegen den Wind geſchützt, unſer Lager aufſchlagen können. – Der Kavaß, um Rath befragt, trat bei. Nach 10 Uhr waren wir auf der Hochebene; der Weg wurde nun beinahe eben; der Mond leuchtete nun mit einem blendenden, beinahe brennenden Schein vom ſchwarzen Gewölbe des Himmels, aber ein heftiger Nordwind blies unbarmherzig auf uns ein. Der Wald wurde dünner und gewährte nur noch wenig Schutz. Die Hochebene war mit ungeheuren Felsblöcken überſäet, zwiſchen denen wir die immer mehr ſich verlierenden Spuren eines Fuß- weges verfolgten. - Noch war von dem Olymp nichts zu ſehen. Vorberge, die ſich von dem Kamm vor uns hoben, deckten ihn. Wir frugen nach dem Wald, wo wir raſten wollten, denn wo wir ritten, wurden die Bäume immer dünner. Muſtapha ſchien ſelbſt nicht ſicher hierüber; es war keine feſte Ant- wort von ihm zu erlangen. Die Steinfläche breitete ſich nach allen Seiten aus; nur der bleiche Nebel in der Ferne – 263 – deutete an, daß ſie weiterhin plötzlich nach der Tiefe ab- fallen und bei Tage eine unbegrenzte Ausſicht in das Tief- land gewähren müſſe. Das Rauſchen eines Stromes, dem wir uns näherten, ſchien dem Führer wieder Sicherheit zu geben. Wir mußten ihm folgen die ſteilen Abhänge des Ufers hinab und durch das mit Felsblöcken beſäete Bett des Stromes an das jenſeitige Ufer. Hier wollte er ſich rechts wenden nach einer Waldung, die in der Höhe dunkel zu liegen ſchien. Plötzlich als wir um einen Felsblock herum kamen, loderte an tauſend Schritt von uns nach jenem Walde zu ein mächtiges Feuer auf und Männer ſchienen davor zu ſtehen und zu gehen. Selbſt unſere Türken wußten nicht, wer das ſein könne. Ein Weg führte nicht zu dieſem Feuer und die Hirten konnten nicht in ſo großer Zahl beiſammen ſein, auch hörte man kein Hundegebell, wären es Schäfer geweſen. Unſer Theodoro erklärte die Geſell- ſchaft ſofort für eine Räuberbande; uns ſchien dies aber lächerlich, denn wen ſollten ſie in dieſer Felſenöde be- rauben wollen? und für das flache Land hätten ſie be- quemere Nachtlager im Walde an der Tiefe gehabt. Unſer Kavaß hatte denn auch kein Bedenken, ſammt und ſonders die Richtung nach dem Feuer zu nehmen. Es geſchah aber durchaus nicht mit militairiſcher Vorſicht. Anſtatt in geſchloſſener Reihe entgegenzurücken, trieb das Felsbett des Waldbaches, durch den wir zurück mußten, die Pferde auseinander; jedes ſuchte ſich die wenigſt ge- fährliche Furth und über die Gefahr des Weges vergaßen wir die Gefahr am Feuer. Und es waren auch gutmüthige Türken. Um ein hoch- loderndes Feuer, was mit hundertjährigen vom Winde umgeworfenen Baumſtämmen genährt wurde, lagen eine Reihe kräftige Geſtalten, in weiße wollene Mäntel gehüllt. – 264 – Andere lagen in einem Zelt, was neben dem Feuer auf- geſchlagen war. Gegenüber war eine Laube von Tannen- zweigen errichtet; auch da ſchienen welche zu liegen. Es waren ihrer Zwölf, angeblich aus Bruſſa; was ſie eigent- lich trieben, weiß ich bis heute nicht beſtimmt. Nach unſeres Dragomanes Angaben lagerten ſie ſeit 8 Tagen ſchon hier, um die friſche Luft des Gebirges zu genießen. Allein dies ſchien uns für die Türken doch zu poetiſch und Theodoro war hier nicht zuverläſſig, da er die hieſige Sprache ſchlecht verſtand und dann ſtets bereit war, die Lücken aus ſeiner Phantaſie zu erſetzen. Die im Zelt ſchienen die Höheren zu ſein, während ihre Diener um das Feuer herum lagen. Ohne zu fragen, denn wir waren zu erſchöpft, nahmen wir von dem Feuer Beſitz; Theodoro mußte Eier und Kaffee kochen. Der Platz ſchien uns aber ſchlecht gewählt. Die Bäume ſtanden viel zu dünn, um gegen den kalten Wind zu ſchützen, der immer heftiger blies, das Feuer hoch auflodern machte und die brennenden Funken weit gegen die Felſentrieb. Da die Türken uns zwar nicht wehrten, aber auch keinen Platz machten, ſo drängten wir uns zwiſchen ſie, um hinter aufgeſchichtetem Strauchholz etwas Schutz zu finden. Sie ſahen verwundert uns kochen, auspacken, Teppiche breiten und uns zwiſchen ſie legen; aber keine Frage kam über ihre Lippen, und da wir ihnen immer näher rückten, ſo räumten ſie uns endlich halb gutmüthig, halb mürriſch den Platz. Kaffee, Eier, Wein, Fleiſch, Brot, alles wurde haſtig durcheinander verzehrt, denn die Mitternacht war ſchon nahe und wir brauchten Schlaf. Unſer Kavaß nahm heimlich im Schatten einen Schluck aus der Weinflaſche; im Lichte des Feuers trank er Kaffee und rauchte ſeine Pfeife. Wir hätten gern die Türken aus dem Zelte verdrängt; – 265 – denn der Wind blies zu kalt; legte man ſich dem Feuer nahe, ſo platzten die glühenden Funken auf dem Leibe, man konnte im ſüßeſten Schlafe verbrennen; legte man ſich fern, ſo fror man und war ohne Schutz gegen den Wind. Wir verſuchten einigemale in das Zelt zu dringen, und indem wir den ſchlafenden Türken auf die Beine traten, hofften wir ſie zu ermuntern und zur Gaſtfreund- ſchaft anzuregen. Aber ſie ertrugen mit ſtoiſcher Ruhe unſere Frechheit und regten ſich nicht. Mein Freund kehrte zur alten Stelle zurück. Er hüllte ſich in ſeinem Mantel, zog die dichte Kapuze über den Kopf und legte ſich mit heroiſchem Vertrauen ans Feuer, den Kopf auf ein Reißbündel, einen Haufen Tannenzweige dahinter, als Schutz gegen den Wind. Mir ſchien die Tannen- laube einladender; war ſie kein Zelt, ſo war es doch ein Obdach. Leider trieb der Wind den Qualm und Rauch des Feuers grade hinein. Indeß, Niemand kümmerte ſich mehr um das Feuer, die Brände glimmten nur noch; und ich kroch, in zwei Röcke, einen Mantel und einen Teppich gewickelt in die Laube. Ich fühlte wohl auch hier, daß ich auf Menſchen trat, indeß fand ich bald zwiſchen zwei Türken noch ein freies Plätzchen und hatte da den Vor- theil, durch meine Nachbaren beſſer gegen den Nachtwind gedeckt zu ſein. Theodoro hatte ſich hinter ein Buſch- werk verkrochen; der Pferdeknecht war verſchwunden; nur der eiſenfeſte Kavaß ſaß noch allein, unerſchütterlich, unveränderlich ſeine Pfeife rauchend am Feuer. Ich ſah ihn, als ich ſchon lag, durch die Lücken der Zweige meiner Laube. Keine Miene verzog er; kein Glied dehnte er, unbeweglich ſaß er noch mit Piſtolen und Säbel im Gürtel, als die Augen mir zufielen. - Aber der Schlaf währte nicht lange. Die immer empfindlicher werdende Kälte und die Ungeduld weckten – 266 – mich ſchon gegen zwei Uhr. Das Feuer war bis auf einige Kohlen erloſchen, ſelbſt der Kavaß war verſchwun- den. Alles war ſtill; nur der Wind pfiff und dazwiſchen dehnten ſich die tiefen Athemzüge der Schlafenden ringsum. Ich konnte trotz der Stille nicht wieder einſchlafen; des- halb ſchien es mir recht, die Andern zu wecken. M** war gleich bei der Hand; mit Mühe wurde Theodoro auf das Pferd gebracht; der Kavaß ſchritt fern voraus, ſo ſicher, ſo kräftig, ſo unverändert wie geſtern beim Aus- marſch; ohne Stock, die Hände wieder mit der Pfeife ge- müthlich auf dem Rücken. Von dieſen Türken und ihrem gaſt- lichen Feuer zogen wir heute fort ohne Abſchied, wie wir geſtern kamen, ohne Gruß. Hätten wir türkiſch gekonnt, wir hätten den Einzelnen, die unſern Abzug bemerkten, ge- dankt; aber Theodoro, der einzige, der unſern Dank ver- mitteln konnte, war voll Schlafes und unfähig. Es war noch tiefe Nacht; aber der Mond ſtand jetzt hoch am Himmel und leuchtete wie eine Winterſonne; nur die Venus, als Morgenſtern der Sonne vorauseilend, ließ ſich nicht verdrängen. Nicht ſo plump, wie der rundbäckige Geſelle, ſtrahlte ſie mit feiner Sichel in feu- rigem blendenden Lichte. Der Weg führte langſam aufwärts über öde mit Ge- röll und Felſen bedeckte Flächen; die Bäume waren ganz verſchwunden; niedriges Geſtrüpp ähnlich dem Knieholze des Rieſengebirges kam hier und da hervor, aber auch dies verſchwand, als wir den Granit verloren, und nun auf ein graues Geſtein kamen, was wir ſpäter als Mar- mor erkannten. Gegen 4 Uhr kam der Gipfel des Olymps zum Vorſchein; er zeigte ſich als ein glatt anſteigender, auf dem Kamm aufſtehender Hügel. Im Oſten fing der Himmel ſchon an ſich zu röthen; ein blendender Schein in weiter Ferne nach Oſten verrieth das Meer; und noch waren wir nicht am Fuße des letzten Kegels. – 267 – Muſtapha führte uns grade auf den Gipfel zu; aber der Weg wurde nach und nach von Höhen auf beiden Seiten umſchloſſen, die die Mitte zu einem weiten Thal umbildeten. Hier zeigt ſich üppiger Graswuchs und ganze Felder der ſchwefelgelben Blüthen einer uns unbekannten Pflanze glänzten in außerordentlicher Größe. Hundege- bell, was immer ſtärker wurde, zeigte die Nähe der Hirten an. Wir kamen an eine mit Moos ausgeſtopfte Stroh- hütte vorbei, die ein prächtiges Nachtlager für uns abge- geben hätte. Muſtapha entſchuldigte ſich, er habe nicht geglaubt, die Hirten heute auf dieſer Seite des Gebirges zu finden. An dem Berge kletterten die Schaafe und der Kavaß beſtellte bei dem Herrn der Heerde in der Hütte ein Frühſtück ſür den Rückweg. Die Sonne mochte eben aufgehen, als unſer Thal ſich in einen Keſſel endigte, deſſen vordere Wand von dem Fuße des höchſten Kegels gebildet wurde. Hier erklärte uns der Knecht, daß der Weg für die Pferde ein Ende habe; der Reſt müſſe zu Fuß gemacht werden. Die Er- ſteigung ſchien nicht ſo ſchwierig; der Kavaß erbot ſich, uns auch da zu führen, während Muſtapha bei den Pferden im Thale blieb. Die Schneefelder lagen uns zur Seite, theilweiſe ſchon tiefer als wir. Der ganze letzte Kegel war mit Felsgeröll dick überſäet, Abgründe zeigten ſich nicht und das Aufſteigen ſchien nirgends durch Felswände gehindert. So ſchritten wir muthig drauf los, nachdem wir Alles, was uns beſchwerte, zurückge- laſſen und nur die Mäntel dem Theodoro zum Mit- nehmen übergeben hatten. Der Berg hob ſich indeſ ſteiler als wir geglaubt hatten; das Geröll war bald ſo los daß wir nicht ſicher fußen konnten, bald ſo maſſig, daß wir mühſam mit Händen und Beinen es erklimmen mußten. Nach einer halben Stunde hatten wir die Höhe – 268 – eines ſeitwärts abfallenden Kammes erreicht. Aber, als wir nach der Spitze ſahen, war ſie wieder verſchwunden. Wir fanden hier zwei Hirten, die ſchwerlich den Sommer über die Ebene betreten hatten. Ihre Kleidung beſtand nur aus Schaaffellen. Um die Füße waren Felle ge- wickelt; die Beine waren mit Fellen ſtatt Hoſen umwickelt; ein Fell diente als Jacke und der Kopf war turbanartig mit einem Streifen Schaaffell umwunden: kein Hemde, kein Stück Kattun hatte Theil an ihnen. Wie Wilde ſtierten ſie uns an; der Kavaß hielt ſie in Reſpekt; ja der eine entſchloß ſich auf Zureden, uns den Weg zu zeigen. Ich hatte meinen Stock geſtern ſchon im Anfang ungeduldig an meinem Pferde zerſchlagen und vermißte jetzt bitterlich dieſe Hülfe. Der Hirte hatte einen ſolchen, aus einem Baumaſt roh ausgeſchnitten; dennoch wollte er mir ihn nicht leihen, bis der Kavaß an ſeinen Säbel faßte. Nach einer Stunde mühſamen aber ungefährlichen Kletterns gelangten wir auf den Gipfel. Bis dahin hatte die Maſſe des Berges uns gegen den Wind geſchützt, deſſen Sauſen wir hörten. Aber oben angelangt wurden wir mit orkanartiger Gewalt von ihm gefaßt; es war nicht möglich ſich ſtehend zu erhalten; wir krochen, halb ſtürzend, in ein Steinloch, was wahrſcheinlich zu dieſem Zwecke ausgehöhlt und mit einem Wall von Steinen ver- ſehen war. Ein Schluck von der Neige unſeres Bruſſaer Weins gab uns neue Kräfte und mit angebundenen Hüten krochen wir vorſichtig zu dem Steinwall und hinter ihn lehnend, blickten wir um uns. Wir ſtanden wirklich auf dem höchſten Punkte. Nach Norden fiel der Bergkegel, auf dem wir ſtanden, in einem ſteilen Abgrund ab, aus dem ein weites Schnee- und Eisfeld auslief. Darüber hinaus traf der Blick ſofort auf das breite Thal, in dem Bruſſa liegen mußte. Neue – 269 – Bergrücken hoben und ſenkten ſich weiter hin, bis in der Ferne der glänzende Spiegel des Marmorameeres das wilde Wogen der Berge wie ein breiter Silberrahmen umſchloß. Dorthin muß Konſtantinopel liegen, rief ich. Wir erkannten deutlich mit bloßem Auge die größern der Prinzeninſeln; wir hatten alſo genau die Richtuug, aber Konſtantinopel ſuchten wir vergebens. Wir holten das Glas heraus, aber auch damit blieb das Suchen vergeb- lich. Unſer Hirt in den Schaffellen hatte uns bis dahin mit ſtummer Gleichgültigkeit zugeſehen; aber mit dem Fernglas erwachte ſeine Neugierde; Stambul, nickte er uns zu, und verlangte das Glas, um durchzuſehen. Wir konnten nicht aus ihm herausbringen, ob er es ſehe oder nicht. Von Konſtantinopel hatten wir den Kegel auf dem wir ſtanden täglich geſehen; hier wollte die Wunderſtadt nicht erſcheinen. Offenbar war der Bau ihrer Häuſermaſſen nicht abſtechend genug, und ihre weißen Minarets waren für eine Entfernung von 15 Meilen zu dünn, um noch erkannt zu werden. Das Marmorameer bot von dieſer Wolkenhöhe einen glänzenden Anblick. Die Küſten Europas grade aus konnten wir noch erkennen, aber links zog der glänzende Spiegel ſich in eine endloſe Ferne. Die Klarheit der Luft, wie ſie auf den Bergen Deutſchlands und der Schweiz unbekannt iſt, gab der ungeheuren Landſchaft eine Kräftigkeit und Lebendigkeit, die den Bergausſichten jener Länder völlig abgeht. In einer Entfernung von 20 Meilen hoben ſich, wie Spinnenfäden, die Linien des Ida bei Troja. Näher lag vor ihm der See Apollonia, ſelbſt ein kleines Meer an Ausdehnung. Die Höhen, über die wir von Mudania mühſam geklettert, waren kaum zu finden, ſo waren ſie geſunken und kaum von den niederen Flächen zu unterſcheiden. – 270 – Wenn wir uns drehten, ſo lag halb Kleinaſien vor uns; Gebirge und Thäler zogen ſich endlos fort; die Rücken der Berge waren grün, aber weniger von Wal- dungen, als niederem Geſtrüpp. Einzelne Durchbrüche ließen auf Flüſſe ſchließen, die da hindurch, uns unſicht- bar, in den Thälern ſich ſchlängelten. Die Anſicht hier war einförmig; aber dieſes Wogen, wie ein Meer von Ge- birgen, über dem wir noch hinausſtanden, hatte einen eigenen Reiz. Bruſſa war leider durch den Kamm, auf dem wir hergekommen, verdeckt und der Anſicht fehlte weſentlich der Menſch und ſeine Werke. Es war nur die Natur, nichts als ſie, die uns umgab; vergeblich ſuchten wir nach einer Spur der menſchlichen Hand. Keine gleichlaufen- den Linien und Farbentinten deuteten auf Felder und Anbau des Bodens; kein Haus, kein Dorf, kein Thurm war ſichtbar; in dem ungeheuren Kreis von 40 Meilen Durchmeſſer den wir überſahen, ſchien nie ein Menſch gelebt zu haben. - Erſt mittelſt des Glaſes war es uns möglich, einzelne Dorfſchaften zu entdecken, die dünn zerſtreut auf dem grauen Boden lagen und mit ihren braunen Dächern kaum abſtachen. Je länger wir unſere Blicke über dieſe Höhen und Tiefen ſchweifen ließen, deſto klarer trat der Grundzug des Ganzen hervor. Er war der einer ernſten Melancholie; nichts von nordländiſcher Sentimentalität, nichts von geheimnißvollen Nebeln; die Gegend lag im blendenden Sonnenſchein offen, ausgebreitet bis auf ihre innerſten Falten vor uns da; aber es fehlte das ſaftige Grün unſeres Nordens; von Weingärten war hier oben nichts mehr zu erkennen; Berge und Thäler hatten ein Grün, aber der heiße Strahl des Südens hatte jetzt im Auguſt – 271 – allen Boden grau gebrannt und die dünn zerſtreuten Wald- ſträucher verloren ſich in dieſe grüngrau, was die vor- herrſchende Farbe des Ganzen war. Vielleicht war es auch die Oede vom menſchlichen Sein, was zunächſt dieſe Empfindung in uns weckte. Dem Hochgebirge fehlte die Runenſchrift der Felsnadeln und Gletſcher deutſcher Ge- birge, das Brauſen und Toben der Waſſerfälle und Ge- birgsſtröme; ſein Gedanke war ohne Zeichen, ſeine Empfin- dung ohne Laut; ein tiefes Schweigen herrſchte in ſeinen grauen, regungsloſen Zügen. Die Neugierde trieb uns aus unſerm Schutzwinkel; wir lernten zuletzt ſtehn und einige Schritte gehn trotz des wüthenden Orkans, der über den Kegel hinbrauſte, als wollte er ihn mit ſich von dannen reißen. Es war ein heißer, drückend ſchwüler Tag in der Ebene, wie wir ſpäter hörten; hier oben ſchien die Sonne noch blenden- der, aber der raſende Wind machte alle ihre Kraft zu nichte. Wir hüllten uns in die Mäntel; vorſichtig knöpf- ten und banden wir ſie zu, um dem Sturm keine Hand- habe zu laſſen. - Die Oberfläche des Kegels beſtand aus Steinge- trümmer, wie auf der Schneekoppe; aber ſtatt des Granits dort, war es hier Marmor. Die Außenſeite der Blöcke war ſtumpf und grau verwittert; aber wir ſchlugen einzelne Stücke ab und die glänzenden weißen Kryſtalle des Bruches zeigten den Marmor, ſo ſchön, wie den beſten des Bildhauers. Das ſind die Trümmer von Jupiters Thron riefen wir, die Trümmer der Götterpaläſte, die hier herzogen, während ihre Lieblinge um Troja kämpften. Das göttlich ſcharfe Auge des Jupiter konnte noch von hier das Lager der Griechen, die Burg der Trojaner er- kennen und von hier ſandte er ſeine Blitze und Donner. Ihre Wohnungen ſind mit ihnen in Trümmern geſunken. – 272 – Aber wir verehren ſie noch in dieſen Trümmern. Und emſig ſchlugen wir uns, ſo gut es ging, die ſchönſten Stücke des glänzenden Marmors los und nahmen ſie mit, als Andenken des Tages. - - Der Hirt und der Kavaß waren verſchwunden, als wir zu unſerm Steinloch zurückkamen. Der Kavaß war vorausgegangen, da die Pfeife hier oben nicht hatte brennen wollen. Mit Klettern und Springen und Rut- ſchen ging es wieder hinab in die Tiefe. Wir ſahen tief unten den Keſſel, wo wir die Pferde verlaſſen hatten; wie Ameiſen krochen ſie auf dem Grün, und mancher Sprung, mancher ſtrauchelnde Schritt mußte abwärts gethan werden, ehe wir ſie wieder erreichten. Sie hatten ſich erholt und brachten uns bald in die Hütte des Schäfers, wo der Kavaß das Frühſtück beſtellt hatte. Sie lag an einem Bach, der auf dem Gebirgskamm ſo ruhig ſpielend wie in der Ebene dahinfloß; und die Reinheit und der vortreffliche Geſchmack ſeines Waſſers zeigte, daß er eben aus dem Himmel geboren, noch keine Berührung mit dem Boden der Thäler gehabt hatte. An hundert Schaafe waren in einen Verſchlag eingetrieben, und wurden von Knechten gemolken. Der Herr, ein alter, ernſter Türke von hoher Geſtalt, ſaß, als wir kamen, am Feuer in der Hütte und bereitete den Kaffee. Dieſer war für uns. Für den Kavaß und Muſtapha brachten die Knechte friſch gemolkene Milch, die der Herr ans Feuer ſetzte. Dann miſchte er Schaafkäſe, Mehl von Mais und Zucker und Salz damit, und nachdem er es kochend lange gerührt, wurde das Gericht in einer Holzſchüſſel in die Mitte der Hütte auf den Boden geſtellt, und der Kavaß und Muſtapha ſammt den Knechten ſetzten ſich auf ihre Beine ringsum auf den Boden und begannen das Mahl. Teller, Gabeln, Meſſer gab es nicht; ſie brachen Brot- – 273 – ſtücke ab, hoben mit dieſen den heißen Brei aus der Schüſ- ſel und ſchluckten dann Brotlöffel und Brei zugleich hin- unter. Als das Brot ausging, wurden die Hände be- nutzt. Wir koſteten und fanden das Mahl vortrefflich. Es war der Geſchmack unſeres Milchbreis, aber durch den Schafkäſe hatte er einen kräftigen ſäuerlichen Geſchmack erhalten. Für den Kavaß und Muſtapha war dies das Erſte, was ſie ſeit unſerm Ausmarſch von Bruſſa aßen. Der Kavaß hatte mit einer ſtählernen Ausdauer den gan- zen Weg ohne Stock herauf und herab gemacht; die Hände mit der Pfeife auf dem Rücken, war er den kahlen Kegel herauf und herab geſtiegen, wo wir Stock und Hände brauchten, um fortzukommen, und ſeine letzten Schritte waren noch ſo elaſtiſch wie die erſten. Wir wären gern noch länger bei dieſem ehrlichen Hir- ten geblieben, aber die Hütte ohne Schornſtein war vol- ler Rauch, und draußen brannte die Sonne ſchon heiß, und es gab keinen Schatten. – Auf unſerem nächtlichen Wege ging es nun wieder heimwärts. Der helle Son- nenſchein erhöhte das Kahle und Oede dieſes Gebirgs- kammes. Wir ſahen jetzt bei Tage deutlich, wo der Mar. mor aufhörte und der Granit und Gneis begann, der uns bis zu dem letzten Abſatz des Gebirges begleitete- Das Marmorlager war bei der Erhebung des Gebirges von dem glühenden Granit mit gehoben worden und hatte ſich auf der wagerechten Stelle des Kammes als Kegel und als Decke erhalten; aber wo der Kamm ſich zu ſen- ken begann, nach Weſten, trat der Granit hervor, und der Kalk war in die Tiefe geſtürzt. Die Felſen und Bergkuppen des Kammes boten we- nig maleriſche Formen; nichts von den Nadeln des Mont- blancgebirges, auch keine Spur von Gletſchern, die Schnee- felder verliefen plötzlich in Raſen mit blühenden Kräutern, 18 – 274 – für die Eisbildung war offenbar das Klima nicht kalt und die Schluchten der Waſſer nicht tief genug. Den alten Weg verfolgend, gelangten wir gegen Mit- tag an einen Punkt, wo plötzlich ganz Bruſſa mit ſeinen Minarets und Gärten in einer Tiefe von 5000 Fuß ſteil unter uns lag: Das Bild hatte volle Klarheit, aber wir ſtanden ſo hoch, daß die Minarets wie die feinſten Elfen- beinnadeln über zahlloſen Häuschen hervorragten, die wie braune Blätter zwiſchen grüne geſtreut waren. Im Hinab- ſehn ſchwindelte uns ſelbſt, obgleich der Abhang durch ſein Buſchwerk keine Gefahr drohte. Dieſe Klarheit und dabei dieſe Kleinheit des Bildes war für uns etwas nie Geſehenes. Man hat etwas Aehnliches, wenn man eine Stadt von einem Thurm mit einem verkehrten Fernglaſe beſieht. Dieſelbe ſcharfe Deutlichkeit der feinſten Umriſſe und dieſelbe Lebendigkeit der Farben trotz der ungeheuren Höhe. Das tiefe, finſtere Thal war uns nun zur Linken, und bei dem hellen Sonnenſchein konnten wir heute bis in ſeine letzte Gründe ſehen, aber ſeine ſteilen, wenn auch bewachſe- nen Wände machten uns auch heute ſchwindeln und ſchau- dern. Es kamen einige wirklich gefährliche Stellen, wo die Bergwaſſer das Geſtrüpp weggewaſchen, und der nackte Waſſerriß in eine ſenkrechte ſchauerliche Tiefe abfiel. Un- ſere Pferde betraten zu unſerm Schrecken dieſe glatten abſchüſſigen Stellen mit derſelben Gemüthsruhe wie die andern, nnd hier wagten wir gar nicht, auch nur leiſe den Zügel zu rühren, wo ein Tritt um einen Zoll weiter links ohne Rettung Pferd und Reiter in die Tiefe geſtürzt hätte. Auf der letzten Fläche wurde ihnen eine kurze Raſt gegönnt. Hier war ſchon wieder menſchlich Leben. Die Quelle war in einen langen Trog geleitet, und eine aus- gehöhlte Melone lag daneben als Trinkgefäß. Wir tran- ken aus ihr auf das Wohl des Türken, der ſorglich ſie – 275 – hingelegt hatte. Der letzte Abhang war das härteſte für die Pferde, aber von Stunde zu Stunde wurden ſie kräfti- ger, und als wir endlich um 5 Uhr bei afrikaniſcher Hitze die Stadt erreichten, ſchienen ſie uns munterer als geſtern beim Ausritt. Ihre Reiter hatten nicht ſolche Naturen; halb todt hoben wir uns mühſam aus dem Sattel und ſtiegen lahm und ſteif die Treppe hinauf, wo Giuſeppe und ſeine Frau uns in den luftigen Saal führten, und mit Eis von des Olympos Höhen und mit Wein von ſeinen Thälern erfriſchten. Wir hatten 23 Stunden in der Beſteigung zugebracht, 17 Stunden davon zu Pferde, und 3 Stunden zu Fuß zur Erkletterung des letzten Kegels. Der Wirth war ſehr ver- wundert, als wir erzählten, welchen ſteilen, mühſamen Weg wir noch zu Fuß nach der Spitze hatten machen müſſen. Wir hörten, daß Muſtapha uns falſch geführt hatte; er hätte rechts den Höhen zu ſich halten ſollen, die uns zuletzt keſſelartig einſchloſſen. Aergerlich, wollten wir ihm deshalb einen Theil des Lohnes für die Pferde kür- zen. Er weigerte ſich aber hartnäckig, den geringern Lohn anzunehmen und ging ruhig ohne Geld mit den Pferden davon. – Sie dürfen ihm nichts abziehn, ſagte uns ſpä- ter der Wirth, denn Sie allein tragen die Schuld! – Wie ſo? – Sie hatten den Kavaß bei ſich; als der Knecht ſich weigerte, Sie weiter zu führen, hätten Sie ihm vom Kavaß ſo lange die Baſtonade geben laſſen ſollen, bis er Sie den rechten Weg geführt hätte. – Gegen ſolche Gründe wußten wir nichts einzuwenden und zahlten ruhig den be- dungenen Preis ohne Abzug. - Bei Tiſch machten wir die Bekanntſchaft des ſchon erwähnten belgiſchen Ingenieurs. Er lebte ſchon 6 Mo- nat in Bruſſa, und Ali Paſcha hatte ihn jetzt mit der Errichtung einer Dampfmaſchine und einer hydrauliſchen «- 18* - – 276 – Preſſe beauftragt, die zur Olivenölfabrikation benutzt wer- den ſollte. Das Gebäude ſtand ſchon fertig da und ſah wie ein Flüchtling aus, mit ſeinen weißen vier Stockho- hen Mauern unter den hölzernen, einſtöckigen, braunen Häuſern der Türken. Er hatte den ſtrengen Befehl von Ali Paſcha, bei Errichtung dieſer Maſchinen nur Türken zu benutzen. Er beſchrieb die großen Schwierigkeiten, den Zeitverluſt, den dies verurſache, aber dieſer Grundſatz Ali Paſcha's zeigte, daß er wußte, wo die Regeneration der Türkei beginnen muß. Er opferte Tauſende von Thalern, um das Land vor den Fremden zu ſchützen, und es auf eignen Füßen ſtehen zu lehren. Ali Paſcha war als cir- caſſiſcher Sclave nach der Türkei gekommen; in dieſem wahrhaft demokratiſchen Lande, wo es keinen Adel, nicht einmal Familiennamen giebt, hatte er die höchſten Stufen erreicht, und ein ungeheures Vermögen erworben. Ehe er Großvezier wurde, war er Gouverneur in Bruſſage- weſen. Er beſaß hier ausgedehnten Grundbeſitz und be- förderte mit großer Ausdauer die Errichtung von Maſchi- nen und Fabriken. Jetzt iſt er Vorſitzender der Commiſſion zur Ausführung des Tanſimat von Gülhane. Bruſſa hatte auf der Seite unſeres Gaſthofs ſchon ein europäiſches Anſehn. Einer Thalſchlucht entlang, in der ein Bergwaſſer ſtrömt, folgten reinliche weiße Häuſer eines auf das andere. Es waren alles kleine Fabriken für Spinnerei und Weberei der Seide. Der Ingenieur war mit dem Dampfſchiffe von Con- ſtantinopel gekommen und brachte als neueſte Neuigkeit mit, daß die Franzoſen bei einer Recognoscirung von Varna aus von Koſacken in Ueberzahl überfallen worden und große Verluſte gehabt hätten. Eine ſolche Nachricht lief damals durch die Zeitungen und wir knüpften die beſten Hoffnungen daran. d ---------------“.“-"-". "..“-------Y-"." XXV. Der Beſuch bei Abd-el-Kader. Am andern Morgen war mein unermüdlicher Freund ſchon in der Morgenkühle auf den Weg nach den be- rühmten Schwefelbädern von Bruſſa. Sie ſind theils heiß, theils kalt; auch eiſenhaltig. Sie waren ſchon zu der Römer Zeit berühmt. Hannibal, der hier bei dem König von Bithynien Zuflucht vor den Römern fand, hatte in ihnen gebadet. Später war hier Plinius eine Zeit lang Gouverneur. Heute war, wie zu jenen Zeiten, Bruſſa wieder das Exil eines berühmten afrikaniſchen Feldherrn. - Abd-el-Kader zeigte ſchon als Knabe ungewöhnliche Geiſtesgaben und ſtudirte auf der hohen Schule zu Fez. Sein Stammbaum geht bis zu den Kalifen hinauf. Sein Vater war ein heiliger Marabut und hat auf den Sohn tiefe Religioſität vererbt. Seit 1832 hat dieſer 14 Jahre lang gegen die Franzoſen in Algier für die Frei- heit und Selbſtſtändigkeit ſeine Nation, der Araber, ge- kämpft. Am 3. Juli 1833 erſtürmte er das den Fran- zoſen unterworfene Arzew. Im Dezember und Januar 1834 lieferte er dem General Desmichels blutige Gefechte und zwang ihn zum Rückzug. Am 28. Juni 1835 wurde – 278 – das franzöſiſche Heer unter Trezel an der Macta von ihm mit 20.000 Reitern angegriffen und es erlitt eine ſchmäh- liche Niederlage. Am 25. April 1836 ſchlug er den Ge- neral d'Arlonges an der Tafna. Allgemein ward er als Sultan der arabiſchen Nation anerkannt. Erſt Bu- geaud brach durch die energiſchen Anſtrengungen Frank- reichs ſeine Macht. Abd-el-Kader war dann 5 Jahre Staatsgefangener in Frankreich, bis Louis Napoleon ihm die Freiheit gab, mit der Bedingung, in Bruſſa zu wohnen. Ich hatte am Morgen den Theodoro direct zu Abd- el-Kader geſandt, um ſich zu erkundigen, ob der Gouver- neur wegen der Audienz Schritte gethan. Er kam mit der Nachricht, daß Abd-el-Kader jetzt in ſeinem Harem ſei und Niemand annehme. Wir erhielten indeß bald einige Zeilen von dem Gouverneur, wonach Abd-el-Kader uns um 1 Uhr erwartete. Wir hatten eine endloſe Folge von krummen, wink- lichen Gaſſen zu durchwandern, ehe der Führer vor einer Thür ſtill ſtand, die uns in einen geräumigen Hof führte, in dem mehrere Araber in ihren weiten Mänteln an einem Springbrunnen ſich die Füße wuſchen. Eine freie Treppe führte in einen Vorſaal eines geräumigen, hölzernen, ein- ſtöckigen Hauſes, das in der Mitte des Hofes ſtand. Hier empfing uns der Dollmetſcher des Fürſten mit den Wor- ten, daß leider der erſte Dragoman Abd-el-Kaders, der franzöſiſch ſpreche, nach Conſtantinopel gereiſt ſei; er ſelbſt ſpreche nur türkiſch und arabiſch. Er führte uns in ein geräumiges Zimmer, deſſen Wände und Decke von Holz getäfelt waren. Eine große Zahl Fenſter war mit wei- ßen Vorhängen verhangen; rings an den Wänden lief ein mit buntem Kattun überzogener Divan. Im Zimmer ſtand ein runder Tiſch und der Boden war mit Stroh- matten belegt. – 279 – Der Dollmetſcher entſchuldigte den Fürſten, er ſei noch mit dem Gebet beſchäftigt. Wir hörten einen feierlichen Geſang in der Nähe. Zwei Diener brachten Kaffee und Pfeifen. Wir benutzten die Zeit, um uns zu orientiren. Nach des Dollmetſchers Mittheilungen war Abd-el-Kader jetzt 40 Jahr alt und von guter Geſundheit. Er erhält von Frankreich 10.000 Franken monatliche Penſion, was indeß bei ſeinem Gefolge von 100 Arabern, die er unter- halten muß, kaum ausreicht. Es wird jetzt ein Palaſt für ihn in Bruſſa gebaut. Er liebt es, Gäſte bei ſich zu ſehen. Wir hatten kaum eine Viertelſtunde geſeſſen, als Abd- el-Kadel hereintrat. Alle Diener, und wir mit ihnen, ſtanden ehrerbietig auf. Er war von mittlerer Größe. Sein Körperbau, ſeine Glieder waren fein; aber ſeine Be- wegungen hatten dieſelbe anmuthige elaſtiſche Leichtigkeit, die wir an den ächtarabiſchen Pferden bewundern. Er trug einen weiten, togaähnlichen, blauen Mantel von dünnem Wollenzeuge, darunter ein rothes Unterkleid und ein weißes Hemd. Ohne Schuhe oder Strümpfe, waren die Füße bis zu dem Knie bloß, nur der Oberkörper war, während er ſaß, von dem blauen anmuthig ſich faltenden und ſchmiegenden Mantel verhüllt. Auf dem Kopfe trug er einen weißen Turban mit blauer Binde. Sein Geſicht war Seele durch und durch. Ein ſchma- les Oval, nur ſo viel Fleiſch, um die Linien zu mildern, leuchtete aus ihm der kühne, kräftige Geiſt, der den Kör- per nicht abzehrt, aber ſchlank und fein erhält, als bieg- ſamer, elaſtiſcher Diener ſeines Herrn. Ein feines Kinn, ein kleiner Mund, eine reine Naſe, eine hohe freie Stirn, aber vor allen zwei dunkle große Augen, die Feuer, Sanft- muth und Klugheit vereinten. Ein ſchwarzer Bart, aber nicht zu dicht, hob die geiſtigen Theile des Geſichts. – 280 – Er grüßte uns freundlich und ohne Feierlichkeit; ging ſchnell zu dem Divan, ſetzte ſich und zog die bloßen Füße nach ſich hinauf, die ihm während der Unterhaltung als Spielwerk für ſeine Hände dienten, wie man bei uns mit der Doſe ſpielt. Seine Füße verdienten dieſe Ehre. Sie waren ſo rein, wie ſeine Hände und ſeine ganze Geſtalt, ſowie die Zehen, die nie von einem Schuh gedrückt worden waren, hatten die feine fingerartige Entwickelung, die man in Europa nicht kennt. Er ſah uns klug und freundlich an, aber ſchwieg. Einem Orientalen gegenüber, der noch jetzt ſeinem Volke ein heiliger Marabut iſt, mußten wir dem entſprechend beginnen. Leider hatte die Unterhaltung ihre beſonderen Schwierigkeiten. Abd-el-Kader verſteht nur arabiſch; ſein Dollmetſcher verſtand nur arabiſch und türkiſch; unſer Theodoro verſtand nur türkiſch und franzöſiſch; ſo mußte jedes Wort zwiſchen ihm und uns den ſchleppenden Weg durch zwei Dollmetſcher gehen, und wir waren zu der einfachſten Ausdrucksweiſe unſerer Gedanken genöthiget, wenn ſie nicht bis zum Unkenntlichen entſtellt zu ihm ge- langen ſollten. Wir ſind, begannen wir, ausdrücklich den weiten Weg hierher gekommen, um den Helden des afrikaniſchen Krie- ges zu ſehen. – Er verneigte ſich freundlich und ſchwieg. – In unſerm Lande herrſcht die lebendigſte Theilnahme für Sie. – Ich freue mich, dies zu hören. Wer ſind Sie? – Wir ſind Preußen. – Von welchem Stande? – Wir ſind Rechtsgelehrte. – Wie weit iſt Preußen? – Man muß drei Wochen reiſen, ehe man dies Land erreicht. – Pauſe. – Wir haben Sie bewundert, daß Sie ſo lange gegen die Franzoſen gekämpft! – Es war meine Pflicht, mein Vaterland zu vertheidigen; ich würde es noch länger gekonnt haben, wenn ich mehr Geld ge- – 281 – habt hätte. – Pauſe. – Wir ſtören Sie doch nicht? – O nein; ich freue mich, Fremde zu ſehen, der Tag iſt ja ſo lang. – Sind ſchon Preußen bei Ihnen geweſen? – Nein. – Wie hat es Ihnen in Frankreich gefallen? – Ich war dort wie in einem Gefängniß, nur während ich in Paris war, genoß ich etwas mehr Freiheit. – Ein alter Araber, der mit Abd-el-Kader in das Zimmer ge- treten war und an der Thür mit den übrigen Dienern ſtand, nickte bejahend zu dieſer Rede und ſprach ein paar Worte mit hinein. – Haben Sie ſchon gehört von dem Scharmützel zwiſchen den Chaſſeurs d'Afrique und den Koſaken bei Varna? – Nein; war es eine regelmäßige Schlacht? – Nein; nur ein Gefecht, ein Ueberfall; 10,000 Koſaken gegen 1000 Franzoſen, Chaſſeurs d'Afrique hauptſächlich. – Hat der Marſchall Arnaud kommandirt? – Nein, ein Obriſt. – Etwan Juſſuff? – Ja, Juſſuff; die Franzoſen ſollen 200 Todte und 300 Verwundete gehabt haben. – Ein ironiſches, halb ſchadenfrohes Lächeln zog ſich über das Geſicht von Abd-el-Kader; er ſah bedeu- tungsvoll nach ſeinem alten Diener und auch dieſer zeigte daſſelbe ironiſche Lächeln. Ich verſtand dies nicht, bis mein Freund mir ſpäter ſagte, daß Juſſuff ein arabiſcher Renegat ſei, der deshalb von den Arabern tödtlich gehaßt werde. 1836 war überdem Abd-el-Kader von ihm bei dem Zuge gegen Tlemezen vollſtändig geſchlagen worden – Wie lange wird der Krieg dauern? begann Abd- el-Kader. – Wir glauben, daß er kaum begonnen hat; daß er noch mehrere Jahre dauern wird und in größerem Maaßſtabe. – Wo wird Rußland das Geld dazu her- nehmen? – Es borgt; es nimmt das Geld aus den Kaſſen ſeiner Unterthanen. – Abd-el-Kader lächelte und fuhr fort: wie ſoll Rußland im Stande ſein, ſich gegen ſo viele Mächte zu vertheidigen? – Rußland iſt ſtark – 282 – und noch ſtärker, wenn es in ſeinem Lande angegriffen wird. – Was wird Preußen thun? – Dies iſt noch ungewiß. Indeß hat man jetzt die fehlenden Pferde für die Armee gekauft. – Wie ſtark iſt die Preußiſche Armee? Hundert Tauſend Mann im Frieden; 500,000 Mann im Kriege, mit der Landwehr. – Wie viele Kriegsſchiffe hat Preußen? – Gar keine; es fängt damit erſt an. – Man will Sebaſtopol angreifen; iſt es ſchwer zu nehmen? – Man ſagt, von der Seeſeite iſt es unnehm- bar, vorzüglich wegen des engen Fahrwaſſers. – Aber von der Landſeite? – Hier ſoll der Angriff leichter ſein; deshalb ſchiffte man auch Landungs-Truppen ein. – Wie viel hat Rußland Truppen dort? – Vierzig Tauſend. – Kann es nicht ſchnell noch mehr ſenden? – Nein; die Entfernungen ſind zu groß. Für wen nehmen Sie in dieſem Kriege Parthei? – Anfangs verſtand Abd-el- Kader die Frage nicht; nach deutlicherer Faſſung ſagte er: Für den, auf deſſen Seite das Recht iſt. – Es heißt, man wolle Sebaſtopol am 15. Auguſt angreifen, weil dies der Namenstag Napoleons ſei. – Abd-el- Kader lächelte wieder mit ſeinen klugen Augen und frug: Wie viel Tage ſind bis dahin noch? – Sechs Tage. – Ich begriff dieſe letzte Frage nicht, bis mir M*** bemerkte, daß die Araber unſere Zeitrechnung nicht haben. Wir nahmen Abſchied. Er reichte uns die Hand. Alle Diener und die Dollmetſcher erhoben ſich ehrerbietig und wir verließen den Saal. Die Unterhaltung iſt hier ziemlich wortgetreu wieder gegeben, wie ich ſie noch an demſelben Tage mir in der Brieftaſche vermerkt hatte. Indem ich jetzt dieſe Notizen, gleichſam als unbetheiligter Dritter, durchleſe, erſcheinen ſie mir trotz ihres unbedeutenden Inhalts, bezeichnend für dieſen großen Mann, der, wie Hannibal, 12 Jahre lang – 283 – den Kampf der Verzweiflung gegen die Uebermacht eines Volkes führte, das ihn weniger durch ſeine Soldaten und Feldherrn, als durch die Naturgewalt ſeiner Kanonen und Dampfſchiffe beſiegt hat. Seine Fragen ſind ein- fach, naiv, aber klug und treffend. Man glaubte in das Alterthum verſetzt zu ſein, wo es keine Poſten, keine Zeitungen gab und wo ein Reiſender, den der Zufall herbeiführte, dem horchenden Gaſtfreunde von den gro- ßen Begebenheiten der Welt, die er geſehen und ge- hört, erzählen muß. Genau wie hier Abd-el-Kader, ſagten die Geſandten des Königs der Indier in der Cy- ropädie von Xenophon, zu dem König der Meder: der König der Indier ſendet uns zu fragen, weshalb der Krieg zwiſchen den Medern und Aſſyriern entſtanden iſt, mit dem Auftrage, euch zu ſagen, daß der König der Indier auf das Recht ſieht und demjenigen zu Hülfe kommen wird, dem Unrecht geſchieht. "A-". "V"-"M"-.-.-."v"v"."»." „"- XXVI. Rückreiſe nach Konſtantinopel. Die wenigen Stunden, die uns für Bruſſa noch blie- ben, brauchten wir zur Beſichtigung der Grabmäler von mehreren der größten Sultane der Türkei. Sie bildeten kleinere Moſcheen in ſich. Am beſten gefiel uns das Grabmal Amurad's. Es war mit keinem Stein bedeckt; die Kuppel war über dem Grabe offen. Amurad hatte ausdrücklich ſein Grab ſo verlangt, daß der Regen des Himmels hineinfallen könne. Am Grabe ſtanden zwei Rieſenplatanen, die Zeugniß von der Naturkraft dieſes Landes gaben. Der Stamm der einen, welchen wir maaßen, hatte 24 Ellen im Umfange. Bei Tiſch hörten wir, daß auch der Engländer mit ſeiner Frau nach Mudania wollte. Es kam aber zu keiner gemeinſchaftlichen Reiſe. Trotz der Hitze, die ſelbſt der Wirth für ſo ungewöhnlich erklärte, daß er ein Ge- witter prophezeite, brachen ſie ſchon um 4 Uhr auf. Wir folgten ihnen erſt nach Untergang der Sonne, auf den eigenen Pferden unſeres Wirths. Wir nahmen herzlichen Abſchied von ihm und ſeiner Frau und verſprachen ihm, das Hotel d'Olympe in Bruſſa allen unſeren Freunden in Deutſchland zur Einkehr zu empfehlen. Unterweges – 285 – bemerkten wir bald, daß unſer Führer mit dem Packpferd kein Türke war; aber wir ſtaunten, als er hier in Aſien mit uns deutſch zu reden begann. Er war ein Pole und hatte ſchon unter Napoleon I. den Feldzug nach Ruß- land mitgemacht. Später hatte er bei der polniſchen Garde zu Pferde in Warſchau geſtanden und den polniſchen Revolutionskrieg von 1830 und 1831 mitgemacht; dann war er nach Frankreich ausgewandert, und von dort nach Afrika unter die Fremdenlegion gekommen. Von da war er 1835 nach Spanien gegangen, hatte mehrere Jahre gegen die Carliſten gefochten; dann war er nach Afrika zu- rückgekehrt. 1848 war er deſertirt und hatte in der italie- niſchen Revolutions-Armee gedient. Nach Beſiegung Italiens war er nach Konſtantinopel gegangen und hatte ſeitdem mehrere engliſche Familien auf ihren Reiſen be- gleitet. Er war erſt vor Kurzem von Smyrna auf dem Landwege nach Bruſſa gekommen. Jetzt, ſagte er, will ich nach Konſtantinopel und zu der Armee des Omer Paſcha. Ich kann es hier nicht aushalten; ich habe mein ganzes Leben im Kriege zugebracht; ich tauge für weiter nichts als für den Krieg. Dies ſprach er mit dem Tone tiefer ſlaviſcher Me- lancholie. Während er, in der Dunkelheit vor uns her- reitend, uns ſeine Geſchichte erzählte, glaubte ich die Moll- akkorde der polniſchen Lieder zu hören. Er war ein Menſch von Stahl; er kannte keine Gefahr, keine Müdig- keit. Er hatte einen wunderbaren Ortsſinn. Unſeren Weg hatte er erſt ein einziges Mal gemacht, vor längerer Zeit; dennoch fand er nicht blos die Straßen, ſondern auch die Richtwege durch Gärten und Gründe mit einer Leichtigkeit und Sicherheit, die uns in Erſtaunen ſetzte. Es war keine Niedergeſchlagenheit, keine Verzweiflung, die aus ihm ſprach; es war der freie Sinn des im – 286 – Kriege ergrauten Soldaten, nur wenig gemildert durch den Schmerz, daß all ſein Kämpfen nicht dem Vater- lande gelte. Der Wirth hatte ein Gewitter prophezeit; die Pro- phezeihung traf aber nur zur Hälfte ein. Von Zeit zu Zeit erglänzte der dunkle aber wolkenloſe Himmel von einem Wetterleuchten, was den ganzen Horizont vor uns durchzuckte. Es waren feurige Blitze ohne Wolken und Donner. Der Wind erhob ſich und gegen Mitternacht, als wir uns dem Meere näherten, hörten wir das Toben der Brandung. Der Weg führte uns bald an die flache, ſandige Küſte; der Mond war nun aufgegangen und die Spitzen der Wellen glänzten im Wiederſchein. Der Wind ſtand ſchief gegen die Küſte; die Wellen ſo wie ſie heranrollten, brachen ſich nicht in gleichzeitigen Stößen, ſondern ſchief von dem Sande durchſchnitten, rollten ſie ſich auf und die weiße Brandung ſchlug wie ein weißes Geſpenſt an uns vorüber. Unſer Weg, der ſich in dem feuchten Flugſande der Küſte hart am Meere hinzog, ward von den Wellen überſpült; bald wadeten die Pferde bis an die Knie im Waſſer, wenn die Welle ſich darüber hinſtürzte, bald gingen ſie in dem Sande, der nur noch von dem ziſchenden, verſchwindenden Schaume der Bran- dung bedeckt war. Nach der Gluth des Tages war dies gefahrloſe Toben des Meeres eine Labung; wir entblößten Kopf und Bruſt, um in dem feuchten Dunſt des gepeitſchten Waſſers zu baden. Unſer Pole ritt, wie ein Soldat, mit zugeknöpftem Mantel, unbekümmert um Hitze oder Kälte, gleichgültig gegen die Ueppigkeit der Weingärten links und gegen die Majeſtät des donnernden Meeres rechts. Theodoro mußte ihm ein doppeltes Trinkgeld zahlen und wir gaben ihm zum Abſchiede die Hand, ſtolz auf den Druck der – 287 – Seinigen, die den Säbel in ſo mancher Schlacht für die Freiheit geführt hatte. Im Kaffee in Mudania war trotz der Mitternacht reges Leben; es wimmelte von Griechen und Türken, die anf das Dampfſchiff warteten. An Schlaf war ohner- achtet unſerer Müdigkeit nicht zu denken; ein ewiger Lärm, eine drückende Hitze, der Geruch der Oellampen und unter uns das Toben der Brandung machten alle Verſuche dazu fruchtlos. Wir tröſteten uns mit dem Dampfſchiff, auf dem wir uns erholen wollten in Rein- lichkeit, Bequemlichkeit und ſchmackhaftem Frühſtück. Um vier Uhr wurde es ſignaliſirt und wir eilten in einem Boote ihm entgegen, da es bei der unruhigen See dem Ufer ſich nicht nähern konnte. Wir kletterten eilig die Treppe in die Höhe. Aber auf dem Verdeck war kaum noch Platz zu finden. Jene 300 Rekruten, denen wir in Bruſſa begegnet waren, fuhren zu unſerm Schrecken da- mit nach Konſtantinopel und daneben eine große Zahl türkiſcher Frauen. Der Zuwachs in Mudania vergrößerte noch das Gedränge und zuletzt war im buchſtäblichen Sinne keine Stelle auf dem Verdeck, wo man noch treten konnte. Aus der Kajüte trieb uns die ſtickende Hitze zu- rück. Selbſt die Brücke, wo der Kapitain kommandirte, war von Paſſagieren beſetzt. Indeß, ſtehn konnte ich nicht mehr, ich kletterte alſo nach dem einzigen Fleck im Schiffe, der noch frei war. Dies war die Decke des Radkaſtens. Sie war aller- dings abſchüſſig nicht allein in der Richtung des Rades, ſondern auch nach der Seite des Meeres zu; aber ich hatte keine Wahl und da ich meinen Arm um ein eiſer- nes Geländer nach innen zu legen konnte, ſo ſchien mir dies ſicher genug, um ſelbſt im Schlafe nicht abzurutſchen. Die Sache lief auch glücklich ab; auch nach dem Auf- – 288 – wachen hielt ich hier regungslos aus, bis die Unruhe auf dem Schiffe mir ſagte, daß Konſtantinopel ſichtbar werde. Dem Zauber dieſer Anſicht konnte ich auch dies- mal nicht widerſtehn; ich vergaß Hitze und Müdigkeit, das Stoßen und Drängen der türkiſchen Rekruten, um die Pracht der Anſicht zu genießen. Sie ſchien mir nach viertägiger Abweſenheit, wie ein aufblühendes Mädchen, in Reiz und Schönheit zugenommen zu haben. Ueber die Rekruten kam ein eigener Paroxismus. Nachdem einer dem anderen Stambul gezeigt, nachdem unſere Ferngläſer von Hand zu Hand gegangen waren, um das Innerſte der heiligen Stadt zu erſpähen, fing plötzlich einer unter Hurrahrufen an, ſeine Kattunjacke auszuziehen und in das Meer zu werfen. Das Rufen ward allgemein und einer nach dem Andern warf ſeine Jacke in das Meer. Bald ſchwammen über hundert bunte Jacken links und rechts. Ein kälterer Beobachter, der nur die Rekruten geſehen, hätte vielleicht dies damit er- klärt, daß die Jacken ſämmtlich abgetragen und zerriſſen waren, daß ſie nun die Ausſicht hatten, gute Uniformen an deren Stelle zu erhalten; aber wenn er den Blick nach dem leuchtenden Konſtantinopel gewendet, würde er haben eingeſtehen müſſen, daß der letzte Grund in dem Zauber lag, den der magiſche Anblick auf dieſe einfachen Söhne der Wüſte ausübte. Die Begeiſterung ſucht dann nach einem Ausdruck. Das Opfer iſt von jeher dieſer Ausdruck geweſen. Und da dieſe armen Kinder des Lan- des nichts hatten, als ihre dürftige Kleidung, ſo opferten ſie dieſe, wie der König ſeine Hekatomben. Der Rekrut, den wir am Montag mit in den Holz- klotz geſchloſſenen Händen begegnet hatten, war jetzt frei. Ich erkannte ihn an ſeiner rieſigen Geſtalt und den ern- ſten braunen Zügen ſeines finſtern Geſichts leicht wieder. – 289 – Vielleicht hatte er einen alten Vater zu Hauſe, oder hülf- loſe Kinder, die ihn zu dem Verſuch der Flucht getrieben hatten. Aber heute hatte er wie die Andern, Vater, Kinder, Heimath über den Anblick des heiligen Konſtan- tinopels vergeſſen und brachte, gleich den Andern, ſeine braune Jacke, vielleicht die einzige, zum Opfer. A---------------------------------- 19 XXVII. Bujuktere. Das ſchwarze Meer. Die Zeit unſeres Aufenthalts in Konſtantinopel ging zu Ende. Wir hatten nur noch drei Tage übrig. Zwei ſollten davon zu einem Ausfluge benutzt werden, nach Bujuktere, dem ſchwarzen Meere und die Waſſerleitungen von Bagdad. Der letzte ward zu Einkäufen und Reiſe- vorbereitungen beſtimmt. Der Morgen nach unſerer Rückkehr von Bruſſa ſah uns daher ſchon 6 Uhr früh wieder in einem zweirudrigen Kaik, den Bosporus aufwärts ſteuernd. Bei Tiſch war den Abend vorher viel von einem neuen franzöſiſchen Schiffe geſprochen worden, was aus Frankreich ange- kommen ſei und im Hafen liege. Wir hatten dies längſt vergeſſen, als wir am Morgen in geringer Entfernung von der Stadt ein prachtvolles Linienſchiff liegen ſahen. Das Hintertheil trug mit Rieſenbuchſtaben den Namen Napoleon. Es war kein Zweifel, daß es das be- rühmte Linienſchiff war, was ſein Neffe hatte bauen laſſen, und was im verfloſſenen Jahre ſelbſt die Bewun- derung der Engländer erregt hatte. Unſere Schiffer mußten uns hinfahren. Unſer Kaik kroch wie eine Ameiſe an dieſen Elephanten heran; zwei – 291 – armsdicke Ankerketten hielten den Rieſen gefeſſelt. Drei Reihen von Schießſcharten liefen den haushohen ſchwarzen Mauern entlang, die ſich aus dem Waſſer emporhoben, und in jeder Reihe ſtarrten die ſchwarzen Mündungen von 16 großen Kanonen aus ihnen heraus. Trotz der Strömung und des Wellenſchlages lag das Schiff regungslos, wie ein Fels im Meere. Hoch oben erblickten wir eine Schildwache; wir riefen ihr zu, ob es erlaubt ſei, aufzuſteigen. Nein, rief er, vor 10 Uhr nicht. Indeſ wir machten unſere Eigen- ſchaft als Fremde geltend. Der Franzoſe war ſo ge- fällig, den Offizier fragen zu laſſen, und bald kam die Erlaubniß. Eine Treppe von drei Stockwerk führte uns auf das Oberdeck. Als wir eintraten, glaubten wir auf das feſte Land zu kommen, ſo feſt war der Boden unter uns. Der Bord war über Mannshoch und darüber waren noch die Hängematten ſymmetriſch aufgebaut. Man war dadurch wie abgeſchloſſen in einer kleinen Welt für ſich. Der Offizier wies uns freundlich an einen Seekadet, der uns herumführen und alles erklären werde. Es war ein Pariſer Kind von 15 Jahren, aber geſetzt und orien- tirt auf ſeinem Schiffe, wie ein Mann. Das Schiff hatte 96 Kanonen und 940 Mann Beſatzung. Alle waren, als wir ankamen, ſchon in voller Regſamkeit. Auf dem Hinterdeck ging der Admiral Duprat im ein- fachen blauen Marinefrack mit einem franzöſiſchen Infan- teriſten im Leinwandrock im eifrigen Geſpräch auf und ab. Der Kapitain ſtand am Geländer und gab Befehle. Auf dem breiten aus dicken Balken beſtehenden Deck ſtanden den zwei Seiten entlang die ſchwarzen 32pfündi- gen Kanonen, deren Mündungen wir von unten geſehen hatten. Jede war mit ſtarken Tauen loſe umſchlungen, 19* – 292 – um bei dem Schuß das zu weite Zurückprallen zu hindern. In der Mitte lagen Reihen von Kugeln aufgeſchichtet. Dieſelbe Aufſtellung wiederholte ſich in dem zweiten und in dem unterſten Deck. In der Mitte jeder Bordſeite ſtanden ſtatt Kanonen, jedesmal zwei Paixhans, die acht- zigpfündige Kugeln ſchoſſen. Unſer Kadett machte uns noch auf mit Eiſen beſchlagene Hohlkugeln mit einer be- ſondern Füllung aufmerkſam, deren Inhalt ein Geheim- niß war, und auf die er mehr Werth legte, als auf jene achtzigpfündigen Eiſenkugeln, die ſchon beim Rollen das Deck donnern machten. Der Speiſeſaal im zweiten Deck für die Offiziere war höchſt einfach, ein langer runder Tiſch, gewöhnliche Stühle und ein breiter Spiegel war das ganze Möblement. Die Verpflegung der Leute iſt ſehr reichlich. Früh erhalten ſie, wie der Kadett uns ſagte, Thee oder Kaffee mit Rum und Zwieback; um 12 Uhr zum zweiten Frühſtück Suppe, Gemüſe, Brot. Um 7 Uhr zu Mittag, erhalten ſie Suppe, Gemüſe, Fleiſch und Wein. Auf dem Schiffe war eine eigne Bäckerei, die jeden Tag friſches Brot lieferte. Um 8 Uhr erklang, während wir im unterſten Deck herumkrochen, plötzlich eine vollſtändige Militärmuſik. Es wurde die Flagge aufgezogen, welche, wie die Fahne bei der Infanterie, bei dem Aufziehen und bei dem Ein- ziehen jeden Tag dieſe Ehrenbezeugung erhält. Das Schiff war zugleich vollſtändiges Segelſchiff und Schrauben- dampfer. Die untern Stücke der Maſten hatten 5 Fuß im Durchmeſſer und waren aus mehreren ſtarken Stämmen zuſammengeſetzt. Die Maſchine hatte 950 Pferdekräfte. Intereſſant war das vor dem Steuerruder angebrachte Modell der großen eiſernen Schraube, die die Bewegung bewirkte. Dies Modell, genau im kleinen gearbeitet, wie die große Schraube, bewegt ſich auch bei dem Gange des – 293 – Schiffes, genau wie die große und läßt die Schnelligkeit der Umdrehungen und ſomit die Bewegung des Schiffes erkennen. Die Schraube glich genau den vier Flügeln einer Windmühle, nur ein wenig ſchiefer geſtellt. Die mechaniſche Wirkung iſt auch genau dieſelbe. Bei der Windmühle bewirkt die Bewegung der Luft das Drehen der Flügel; hier bewirkt das Drehen der Flügel die Be- wegung des Waſſers, welche, da das Schiff nicht feſt ſteht, wie die Mühle, das letztere vorwärts treiben muß. Wir wurden von den Offizieren und der Mannſchaft überall mit großer Artigkeit behandelt. Die Mannſchaft hatte ein ſehr vergnügtes Ausſehn, und wir bemerkten, obgleich das Schiff nicht von Frankreich, ſondern von Varna kam, keine Spur von Cholera. Die Uniform der Marineſoldaten war ſehr kleidſam. Eine blaue Jacke, weiße Pantalons, bloßer Hals mit zurückgeſchlagenem Hemdskragen und ein breitkrämpiger Strohhut mit einem in langen Enden flatternden Band, auf dem rings an dem Hut mit großen Buchſtaben: Napoleon zu leſen ſtand. Wir dankten unſerem Cadett, und neigten uns, als wir im Kaik zurückgekehrt, vor dem koloſſalen Bruſtbild Napoleon I. mit dem goldnen Lorbeerkranz an dem Vordertheil vorbei- fuhren; er meinte die Revolution zu bekämpfen, und er war es, der ſie aus Frankreich nach ganz Europa brachte. Die Türken ſtanden mit den Verbündeten, überall wo ſie ſich begegneten, auf dem freundlichſten Fuße; nicht die disciplinirten Beamten, deren giebt es glücklicherweiſe noch wenig, ſondern das Volk. Wir wurden von einem Dampfer überholt, der eine engliſche Fregatte von 72 Kanonen nach Varna zog. Unſere Ruderer winkten den Engländern auf der Fregatte, und bereitwillig warfen dieſe ein Tau her- unter, das, an unſern Kaik gebunden, dieſen mit Dampfes- – 294 – ſchnelle mit fortriß in den Sprudel und in die Wirbel, die die Fregatte hinter ſich ließ. Bei Bujuktere ließen wir halten. Die Bai von Bu- juktere iſt die ſchönſte des ſchönen Bosporus. Sie kann große Flotten beherbergen; jetzt lagen nur zwei kleine ſchmächtige Dampfboote wie Zwillinge darin, es waren zwei Boote des Trieſter Lloyd, zu den Donaufahrten be- ſtimmt, aber durch die ruſſiſche Blokade des Stromes jetzt ohne Beſchäftigung. Bujuktere iſt das Dorf, wo die euro- päiſchen Geſandten im Sommer wohnen. Es hat auch vortreffliche Hotels. Wir frühſtückten in dem Hotel: Le Croissant, wo wir in der Wirthin eine muntere Wienerin - und unter den Gäſten die Eigenthümerin unſers Gaſthofes in Conſtantinopel kennen lernten. Sie war eine Griechin und kam, um bei dem öſtreichiſchen Geſandten die Unter- ſtützung in ihrer Entſchädigungsangelegenheit gegen die Pforte nachzuſuchen, die ſich noch aus der Griechiſchen Revolution herſchrieb. Sie hatte damals in Salonichi gelebt und hatte durch die Plünderung der Türken ihr großes Vermögen verloren. Auch den General Klapka trafen wir, der bei dem franzöſiſchen und engliſchen Ge- ſandten ſeine Zulaſſung in den türkiſchen Dienſt betrieb. Er kehrte unverrichteter Sache mit nachdenklicher Miene zurück. Es war ein ſchöner Mann, ſelbſt in dem ſchwar- zen Frack und Hute. Wir beſtellten Quartier bei unſerer Wienerin für die Nacht und fuhren mit dem Kaik weiter gen Rußland, dem ſchwarzen Meere zu. Als fürchteten die Leute dieſe Nähe, hört die Reihe der Paläſte, Landhäuſer, Dörfer und Mi- narets hinter Bujuktere mehr und mehr auf. An deren Stelle treten die Thürme und Wälle der alten türkiſchen Schlöſſer auf der Höhe und die neuen Batterien in der Tiefe; das Leben und der Friede verſchwindet. Die Oede – 295 – ke im s: rte res der: hat - :::: Weg: ſºziº ºrs ſº :: s er K (! ( bel Ä. F rº. ... i, M Neſ g . Ce: und die Feſten des Krieges beginnen. Auch die Ufer wechſeln. Die lieblichen Gärten, die grünen, ſanft auf- ſteigenden Berge weichen kahlen, felſigen, ſteilen Ufern. Endlich öffnet ſich der Bosporus. Die Ufer weichen plötzlich nach beiden Seiten in rechten Winkeln zurück, und das ſchwarze Meer liegt ausgebreitet, grenzenlos da. Es iſt ein plötzlicher Uebergang von dem reizenden Fluß in das Meer in all ſeiner Majeſtät. Die Wogen, die plötz- lich breit und mächtig uns entgegenkamen, ſagten uns dies, und wir wandten uns links nach dem Dorfe, wo der Leuchtthurm ſtand. Die Schiffe legten an, und wir beſtiegen den Thurm. Er gab uns eine weite Ausſicht in das Meer, deſſen Zukunft groß über alle Vorſtellun- gen ſein wird, wenn Rußlands Despotie an dieſer Seite gebrochen wird, wenn der Reichthum der Länder, die ſeine Küſten bilden, der ſchönſten Länder der Welt, durch freien Handel mit dem Abendlande ſeinen Abfluß findet. Dann wird dies Meer nicht mehr das ſchwarze heißen, dann wird es ſeinen alten Namen wieder annehmen, Pontus euxinus, gaſtfreies Meer. Wir zählten auf einmal 16 Schiffe, nah und fern, kommend und gehend, alle auf dem Wege zwiſchen Varna und Conſtantinopel. An den Felſen des Ufers lag ein Haufen ſchwerer, langer Ketten; es waren die Ankerketten, die einzigen Ueberbleibſel eines im Frühjahr hier geſtran- deten Schiffes. Nahebei heben ſich die Sympleiaden, die dem Argonautenzuge ſo gefährlichen Klippen. Wir konn- ten deutlich auf der größten einen weißen Säulenſchaft erkennen, der ſich von dem grauen Felsboden abzeichnete. Er heißt die Säule des Pompejus; es iſt indeß mehr Fußgeſtell, vielleicht auch nur ein Altar aus der Römerzeit. Auf dem Rückwege beſtiegen wir den Rieſenberg, den höchſten Punkt an den Ufern des Bosporus, mit einer – 296 – weiten Ausſicht über das ſchwarze Meer, über die Küſten- ſtriche Europas und Aſiens. Der Berg war vom Fuß bis zur Spitze bewachſen mit Rhododendron, Eriken und Gebüſch von Stacheleichen, und eingehüllt in den dichten Wohlgeruch, der aus dieſen Blumen und Sträuchen empor- ſtieg. Auf der Höhe fanden wir eine zahlreiche Geſell- ſchaft von Türken. Der Berg iſt ein Lieblingspunkt der Türken. Eine Moſchee zierte den Gipfel und daneben lag das Grab des Rieſen Joſua, bei den Griechen der Ruheſitz des Herkules. Das Grab iſt ſorgfältig gehalten, mit Quaderſteinen eingefaßt und mit Geſträuchen bepflanzt. Dieſe Geſträuche waren über und über mit weißen und bunten Lappen behangen; wir begriffen dies nicht, bis der Wächter uns erklärte, daß dies Grab die wunder- thätige Kraft beſitze, Fieber zu heilen, wenn der Kranke ein Stück von ſeiner Kleidung mit eigner Hand hier hinhängt. Auch türkiſche Frauen mit Kindern waren auf dem Berge; aber völlig abgeſondert und durch dichtes Gebüſch von den Männern getrennt, und ſelbſt wir mußten, als wir durch das Gebüſch traten, auf das Geſchrei der Frauen, uns diesmal in die türkiſche Sitte fügen. An der Mitte des Berges, wo er ſattelartig mit einem andern ſich verband, war dagegen europäiſches Leben. Seit zwei Tagen war das 20. engliſche Infanterie-Regiment angekommen und hatte hier ein Lager bezogen. Es war ein reizender Punkt, wie geſchaffen zum Schutz gegen die Cholera. Die weißen Zelte ſtanden gruppenweiſe auf dem grünen, ſanft ſich hebenden Berghang und die rothen Engländer dazwiſchen waren geſchäftig im Putzen der Waffen, Hacken des Holzes, Waſchen und Kochen. In jedem Zelte lagen 16 Mann; das Regiment hatte 1040 Mann. Auch hier war ſchon reger freundlicher Verkehr zwiſchen Türken und Engländern, obgleich keiner den an- – 297 – dern verſtand. Ein Türke brachte ein großes Blechgefäß mit Milch; der Engländer wollte nicht blos die Milch, ſondern auch den Blechtopf kaufen; aber er war nicht im Stande, dies dem Türken begreiflich zu machen, und als wir ihnen mit Theodoro zu Hülfe kamen, ſchüttelte der Türke den Kopf und wollte ſeinen alten Blechtopf ſelbſt um eine blanke ſilberne halbe Krone nicht hergeben. Auf derſelben Stelle, wo jetzt die engliſchen Zelte ſtanden, war 21 Jahre früher das Lager der 16,000 Mann Ruſſen, welche dem Sultan gegen den Vicekönig von Egypten zu Hülfe kamen. Das Thal heißt Chunkar- Iskeleſſi ( Landungsplatz des Kaiſers). Hier wurde da- mals der berüchtigte Vertrag geſchloſſen, worin die Türkei verſprach, fremden Kriegsſchiffen das Einlaufen in die Dardanellen zu verſagen, und Rußland dagegen der Türkei treue Hülfe zuſagte in allen ferneren Kriegen. Der ſchöne Tag ward durch einen gleich ſchönen Abend geſchloſſen. Die Kapelle, welche in Pera des Abends auf der Promenade ſpielt, kommt jeden Freitag nach Bujuktere und ſpielt auf einer Terraſſe hart am Bosporus. Wir fanden eine zahlreiche Geſellſchaft von Griechen und Eu- ropäern dort, aber nicht einen einzigen Türken. Für den andern Morgen hatten wir Pferde beſtellt, um Belgrad zu beſuchen. Belgrad iſt ein Dorf, zwei Stunden von Bujukdere, mitten in dem ſchönſten Eichen- und Buchenwald gelegen. Nie berührt eine Axt einen Baum dieſes Waldes, er iſt gefeiet; in ihm befinden ſich die großen Waſſerbehälter, welche durch Leitungen Kon- ſtantinopel mit Waſſer verſorgen, und um die Quellen nie verſiegen zu machen, darf kein Baum geſchlagen werden. Mehrere dieſer Aquadukte rühren noch von Juſtinian und andern griechiſchen Kaiſern her. Leider kamen unſere Pferde ſo ſpät, daß wie dieſen Ausflug aufgeben mußten. Das – 298 – Thal von Bujuktere nach Belgrad iſt aber ſo lieblich, daß wir einen Theil davon zu Fuß durchwanderten. An ſeinem Eingange ſteht die Rieſenplatane, unter der Gottfried von Bouillon im Jahre 1096 mit dem Heere der Kreuzfahrer geraſtet haben ſoll. Aus der Eutfernung glaubt man ſieben große Platanen zu ſehen; kommt man aber näher, ſo zeigt ſich, daß ſie nur Zweige eines Stam- mes ſind, der noch heute friſch und geſund iſt. Gegen Abend, wenn die Schatten ſich verlängern, haben aller- dings Tauſende in ſeinem Schatten Platz. Schon hier zeigten ſich die Doppelbögen der von Sultan Mahmud I. 1732 erbauten Waſſerleitung, welche Pera mit Waſſer verſorgt. Zwei Reihen weißer Gewölbe, eine über der andern, traten im Hintergrunde glänzend aus dem dichten Grün des Thales hervor. Je mehr wir uns ihnen näherten, deſto majeſtätiſcher hoben ſie ſich, an Feſtigkeit und Größe mit den Bauten der Römer ſich meſſend. Wir kletterten den Thalrand an ihren Seiten in die Höhe und gelangten auf das obere Stock. Der Waſſerſtrom war mit Quadern verdeckt; hier und da war indeß in orientaliſcher Pietät eine Oeffnung angebracht mit einer Trinkſchaale für Durſtige. Der Waſſerbehälter oder Bend auf türkiſch, aus dem dieſe Leitung ihr Waſſer erhält, war nur eine halbe Stunde weiter, hinter einem griechiſchen Dorfe. Eine ſtarke, maſſive, breite Mauer war gleich einem Damm quer durch ein enges tiefes Thal geführt; die Quellen des Thales bildeten ſo vor dieſer 60 Fuß hohen Mauer einen tiefen See, der ſich lang in dem engen Thal hin- aufzog. Die Ausſicht von der Mitte der Mauer in dieſes Thal war überaus lieblich. Die Landſchaft war aus den eiufachſten Elementen gebildet. Steil abfallende Thal- – 299 – ränder mit Eichengebüſch dicht bewachſen; ein glatter Waſſerſpiegel unter ihnen; der blaue Himmel über ihnen. Die braungrünen Zweige tauchten unten in das grünliche Waſſer, oben in den blauen Himmel. Die vollkommenſte Ruhe lag über dem Ganzen; die Waſſer regten ſich nicht; die Blätter zitterten kaum. Nur unter uns hörten wir das dumpfe Rauſchen des Waſſerſtromes, der in die Lei- tung abfloß. Dieſe Bends ſind ein Lieblingsaufenthalt der Türken. Sultan Mahmud II., der grauſame Vernichter der Janit- ſcharen, beſuchte allwöchentlich den von ihm in Belgrad 1815 angelegten Bend und feierte noch drei Wochen vor ſeinem Tode hier ein ländliches Feſt. Die Schönheit dieſer Bends entſpricht dem Charakter der Türken. Dieſe tiefe Stille, dieſe Einfachheit der Mittel, dieſe Einſamkeit harmonirt mit dem ſinnenden, träumenden Schweigen, dem ſich der Türke überläßt, ſobald er nicht zum Handeln ge- nöthigt iſt. Mit dem Dampfboot kehrten wir nach Konſtantinopel zurück. Eine große Zahl türkiſcher Beamten, die auf ihren Landſitzen leben, fahren regelmäßig damit in ihre Büreaus nach Stambul und kehren um 4 Uhr damit nach Hauſe zurück. Noch hat die Türkei keine ſo langen Dienſtſtunden wie das geſchäftige Europa. Vor 10 Uhr iſt kein Subaltern in ſeinem Büreau und um 4 Uhr ſind alle bereits geſchloſſen. Die höhern Beamten kommen erſt gegen 12 Uhr. Redſchid Paſcha fuhr mit demſelben Boote nach Stambul. Für ihn und ſeine Begleitung war ein Platz hinter der Kajüte mit bequemen Lehnſtühlen vor- behalten; im Uebrigen war das Boot zum Erdrücken voll und alle Nationen waren hier auf das friedlichſte an ein- ander gepreßt. - XXVIII. D ie Baz a r s. Es iſt nicht leicht, in Konſtantinopel Gegenſtände zu finden, die ſich zu kleinen Geſchenken oder Andenken eignen. Was irgend zur Fabrikation im Großen paßt, wird in Europa gefertigt und eingeführt; die ächt tür- kiſchen Artikel nehmen mit jedem Jahre ab. Die tür- kiſchen und perſiſchen Shawls ſind jetzt ſelbſt in Kon- ſtantinopel eine Seltenheit und von Wiener und Pariſer Fabrikaten verdrängt. Bei den Armeniern in Konſtanti- nopel findet man Goldſchmuck von einem eigenthümlichen Geſchmack. Wir ſahen Ketten und Armbänder, durchaus maſſiv gearbeitet, die durch ihre einfachen aber ſchweren Formen noch den orientaliſchen Charakter an ſich trugen; ſie waren aber theuer; ein gutes Armband war nicht unter 40 Napoleons zu haben. Ein Hauptartikel für Reiſende iſt der türkiſche Taback – der beſte kommt aus Rumelien. Er hat eine gelbe Farbe, keine oder wenig Beitze und iſt ſehr fein geſchnitten. Man kauft ihn in offenen Buden in den Straßen. Wir mußten für die beſte Art ungefähr zwan- zig Silbergroſchen das Pfund bezahlen. Der Taback zu dem Nargileh iſt davon verſchieden; er hat eine grau- – 301 – - braune Farbe, iſt gröber geſchnitten und ſoll von einer andern Pflanze kommen. Vor dem Rauchen muß dieſer in Waſſer getaucht und in einem Tuche ausgepreßt wer- den; er wird dann feucht aufgelegt und geraucht. Tabacks pfeifen. Die Türken rauchen noch jetzt aus langen Pfeifen; indeß wird der türkiſche gelbe Taback in Pera auch als Cigarre geraucht. Es giebt Buden, wo man kleine Bücher von einer feinen Art Papier ohne Leim verkauft; aus ſolchem Buche wird ein Blatt aus- geriſſen, darin etwas Taback gewickelt und als Cigarre geraucht. Eigentliche Cigarren haben wir in Konſtanti- nopel nicht geſehen. Mit den Pfeifen wird bei den Tür- ken großer Luxus getrieben. Das Rohr iſt von Weichſel- holz, von Roſenholz, von Cedernholz und andern feinen, wohlriechenden Arten, die ſehr theuer ſind. Die Spitzen ſind von Bernſtein, der in Konſtantinopel das Doppelte gegen Deutſchland koſtet. Eigenthümlicher ſind die Nar- gileh. Wir kauften ein Rohr dazu, von gelbem Leder mit Silberfäden, gut gewunden, ſechs Ellen lang, für 1!4 Thaler. Die dazu gehörenden Meſſingröhren kauft man für ohngefähr 1 Thaler. Die Glasurnen dazu kommen ſämmtlich aus den Glasfabriken Böhmens. Man kauft ſie deshalb in Deutſchland weit billiger; indeß ſind ſie da ſchwer zu haben; in Wien war keine zu fin- den; zur Noth kann jede Waſſerflaſche dazu benutzt werden. Gold- und Silberſtickereien. Sie beſtehen aus Beuteln, Mützen, kleinen Shawls u. ſ. w. Die Sticke- reien, die man in Damaskus kauft, ſind weit ſchöner, als die in Konſtantinopel. Sie beſtehen aus einem Ge- webe von Seide, mit Gold- oder Silberfäden vermiſcht, in das Zierathen in perſiſchem und türkiſchem Geſchmack eingewirkt ſind. Man kauft einen Beutel mit der Namens- Chiffer des Sultans für drei und einen halben Thaler, – 302 – der auch für Damen in Deutſchland ein paſſendes und originelles Geſchenk iſt. Roſenöl wird in beſonderen Buden verkauft. Es giebt davon beſſere und ſchlechtere Sorten. Das beſte kommt aus der Umgegend von Adrianopel. In ſolchen Buden ſind zugleich die dazu nöthigen Flacons zu haben. Man bezahlt für ein ſolches Flacon, mit Roſenöl der beſten Qualität gefüllt, ohngefähr einen halben Thaler; es gehen aber nur einige Tropfen in ein ſolches Flacon. Der Geruch iſt ſehr ſtark; er wird erſt angenehm, wenn er ſich der Wäſche und den Kleidungsſtücken mitgetheilt hat. Wir kauften ſpäter auch in Smyrna Roſenöl, was beſſer war, als das beſte in Konſtantinopel. Wohlriechende Perlen und Paſtillen kauft man ſehr billig, die Perlen ſind von einem wohlriechenden Holz gefertiget, ſehr fein gearbeitet, auf ein Goldſchnur aufgereiht und mit Kreuzen vom ſelben Holze und Gold- quaſten, verziert. Solche Schnur, die von Damen auch als Armband mitunter getragen werden kann, koſtet ein bis zwei Thaler. Die Paſtillen werden zum Räuchern der Zimmer benutzt. Man legt ſie auch auf die Pfeifen- köpfe bei dem Rauchen. Geſtickte Pantoffeln gehören ebenfalls zu den eigenthümlichen Waaren Konſtantinopels. In den Ba- zars ſind ganze Straßen nur von Buden mit Pantoffeln gebildet. Die gelben Pantoffeln für die türkiſchen Frauen haben ſtarke Sohlen, und eine nach oben krumm ge- bogene Spitze. Das Oberleder iſt aber ſehr kurz, ſo daß die Frauen beim Gehen ſtets in Gefahr ſind, ſie zu ver- lieren. Daher ſchreibt ſich der ſchleppende ungraziöſe Gang der türkiſchen Frauen. Ein leichtes behendes Heben der Füße iſt ihnen unmöglich; ſie würden das Schuh- werk verlieren; ſie ſchleifen die Füße einwärts gekehrt, – 303 – auf dem Boden hin. Wahrſcheinlich haben die meiſten auch krumme Beine, als Folge ihrer Art zu ſitzen; alles dies zuſammen macht den Anblick einer türkiſchen Frau in den Straßen Konſtantinopels zu dem häßlichſten, was man ſich vorſtellen kann. Die Pantoffeln für die Frauen des Serail haben überdem nach beiden Seiten aufwärts gebogene Sohlen. Hübſcher ſiud die geſtickten Pantoffeln von der in Europa gebräuchlichen Form. Sie ſind von rothem, violettem und anderem Sammet, mit bunten Sohlen; ſowohl der Sammet als das innere der Sohle iſt in Gold fein geſtickt. Ein Paar Pantoffeln dieſer Art koſtet zwei Thaler. Türkiſche Kaffeetaſſen von Porzellan mit Unter- ſetzen von Silber eignen ſich ihrer Eigenthümlichkeit wegen, ebenfalls zum Ankauf. Das Porzellan iſt mitunter ſtark vergoldet oder verſilbert; die Unterſetzer hat man von feiner Filigranarbeit. Für 3 Thaler kann man Beides ſehr hübſch kaufen. Auch türkiſche Tintenfäſſer ſind eigenthümlich. Da in der Türkei nur der Gelehrte ſchreiben kann, ſo giebt es in Konſtantinopel eine beſondere Schreiberzunft, die gleich andern Handwerkern ihre offenen Buden an den Straßen haben. Wer etwas zu ſchreiben hat, wendet ſich an ſolchen Mann; dann müſſen ſie auch empfangene Schriften dem Beſitzer vorleſen und erklären. Man er- kennt dieſe Schreiber auf der Straße an dem Tintenfaß, was ſie im Gürtel ſtecken haben. Es beſteht aus einem kurzen Pennal von Meſſing für die Feder, an welches ſich das Tintefaß ſeitwärts anſchließt, was durch einen Schieber von Meſſing verſchließbar iſt. Das ganze ähnelt einer Piſtole, von Meſſing. Höchſt läſtig wird der Mangel an kleiner Münze in Konſtantinopel. Wir haben nur ſelten ein türkiſches – 304 – Gold- oder Silberſtück im Verkehr geſehen. Statt deren kurſirt ein türkiſches Papiergeld in Zehn- und Zwanzig- piaſter-Stücken, in dem Werthe von halben und ganzen Thalern. Dies Papiergeld iſt größer, wie das in Deutſch- land übliche, von der Form eines Oktavblattes, von grauem oder gelblichem Papiere und durch eine Reihe von Verzierungen und mehrere trockene Stempel gegen Nachmachung ziemlich geſchützt. Für den Fremden, der kein türkiſch verſteht, haben ſie den Uebelſtand, daß die Zehnpiaſter-Noten von den Zwanzigpiaſter-Noten nicht zu unterſcheiden ſind. Neben dieſem Papiergelde giebt es nur noch Kupfermünzen; halbe, ganze und doppelte Piaſter. Dieſe Kupfermünzen ſind aber ſo ſelten, daß man ſie bei dem Wechsler mit zwanzig Prozent Verluſt kaufen muß. Auf einen Napoleon erhielten wir in Pa- pier 110 Piaſter; wenn wir aber Kupfermünze verlangten, ſo erhielten wir nur 90 Piaſter. Nebenbei kurſiren öſter- reichiſche Zwanziger, franzöſiſche Franken, engliſche Schil- linge und ruſſiſche Kopekenſtücke, alle zu einem feſten Kurs in Piaſtern. Iſt man indeſ nicht mit reichlicher Kupfermünze verſehen, ſo hat man bei jeder Bezahlung eines Kaikführers oder eines kleinen Einkaufes Schwierig- keiten und Verluſte, weil Niemand auf größere Münzen herausgeben kann. Mehrere Conditoreien in Pera haben deshalb Piaſtermarken für den Verkehr mit ihren Gäſten eingeführt. Der immenſe Verkehr der Hauptſtadt in kleinen Ausgaben leidet unſäglich durch dieſen Mangel an Scheidemünzen. Das Papiergeld hat noch die Eigen- thümlichkeit, daß es wohl in der Hauptſtadt aber nicht in allen Provinzen Cours hat. In Smyrna wird im Verkehr kein türkiſches Papiergeld angenommen. Im Allgemeinen fanden wir die Preiſe der Waaren in Konſtantinopel hoch, und die Qualität mangelhaft. – 305 – Die Bereitung der Handwerkswaaren ſteht noch auf den niedrigſten Stufen; alle Fortſchritte, die, ſelbſt abgeſehen von Maſchinen und Fabriken, in Europa für die Hand- werker gemacht worden ſind durch Einführung beſſerer und zweckmäßigerer Werkzeuge und Verfahrungsweiſen, ſind in Konſtantinopel noch völlig unbekannt; der Schuh- macher, der Drechsler, der Goldarbeiter, der Schmidt ar- beitet heute noch ſo wie vor 400 Jahren. In Folge der Neigung der Türken zum Sitzen, werden viele Thätig- keiten im Sitzen abgemacht, die man in dieſer Stellung bei uns für unausführbar halten würde, und die Füße werden dabei mehr benutzt, als in Europa. Der Drechs- ler, der Horndreher dreht das Rad mit der Hand und hält das zu bearbeitende Stück Holz oder Horn mit den Zehen während des Drechſelns, was natürlich nur im Sitzen ausführbar iſt. Der Tiſchler, der Faßbinder und Stellmacher arbeitet im Sitzen; er dreht und wendet den Gegenſtand um ſich herum, während bei uns der Arbeiter ſich um dieſen dreht und wendet. Was man in Europa Bazar nennt, heißt in Stam- bul Beſeſtan; es giebt einen großen und kleineren Be- ſeſtan. Sie ſind beide Stadtviertel in ſich, ſo groß, daß man ſich leicht in ihnen verirren kann. Sie beſtehen aus einer Menge ſich kreuzender Straßen, die eben ſo krumm und ſchlecht gepflaſtert ſind, wie die übrigen, die aber überwölbt ſind und ſo Gallerien bilden, deren Ge- wölbe mit Fenſtern durchbrochen ſind und an deren beiden Seiten ſich die Buden der Verkäufer mit ihren Waaren befinden. Sämmtliche Verkäufer einer Waarengattung haben ihre Buden nebeneinander; ſo giebt es darin Straßen, wo man nichts ſieht, als Gold- und Silberar- beiten, andere mit nichts als Schuhwerk, andere mit nichts als Schnittwaaren, andere mit nichts als Sämereien und - 20 – 306 – Colonialwaaren. Die Buden und Gewölbe ſind ohne Eleganz; hinten iſt die Niederlage der Waaren, vorn auf einem breiten, die Länge der Bude einnehmenden Tiſche ſind die Waaren zum Verkauf aufgeſtellt, wie auf unſern Jahrmärkten. Eine große Zahl Handwerker arbeitet auf dieſen Tiſchen ſitzend. Die Beſeſtan ſind für den Handel lange nicht hell genug; man befindet ſich überall in einem Zwielicht, wie in dem Hintergrunde unſerer großen Ge- wölbe. Neben den Fußgängern paſſiren auch Reiter und Wagen mit türkiſchen Frauen die Beſeſtan, was die Schwierigkeiten vermehrt. Alles dies zuſammen macht durchaus nicht den Eindruck des Glanzes, des Luxus und der Eleganz, den man von dieſen Bazars in Europa zu haben pflegt. Selbſt die Waaren ſind nicht in ſolcher Fülle und ſolchen ausgezeichneten Stoffen ausgeſtellt, wie in den großen Städten Europas. - - Die Beſeſtan werden um 6 Uhr Abends geſchloſſen; große Thore mit mächtigen Schlöſſern verſchließen dann den Eingang und ſelbſt die Eigenthümer der Waaren werden nach dieſer Zeit nicht mehr eingelaſſen. Deshalb laſſen aber dieſe alle ihre Waaren auch des Nachts ſo offen liegen und ſtehn, wie am Tage, ſelbſt die Silber- und Goldwaaren. In dieſen Beſeſtan ſind nicht bloß die Türken Verkäufer; auch die Armenier, Juden und Griechen haben hier ihre Verkaufsſtellen, völlig unter- miſcht mit jenen. Es iſt deshalb, wenn man keinen zu- verläſſigen Dragoman hat, nicht leicht, ſicher zu ſein, daß man von einem Türken kauft. Am leichteſten iſt es noch des Sonntags, wo die Griechen und Armenier ihre Buden geſchloſſen halten, die der Türken aber offen ſind, weil der Freitag bei ihnen der Tag der Ruhe iſt. Die Rechtlichkeit und Einfachheit der Türken als Verkäufer hat übrigens ſich gemindert; wir fanden, daß ſie die – 307 – Vorbeigehenden anrufen, zum Einkauf auffordern und daß ſie bei dem Handel vorſchlagen; nur noch nicht in der argen Weiſe, wie die Juden und Griechen. Neben dem Beſeſtan ſind noch alle belebteren Straßen Conſtantinopels auf beiden Seiten mit fortlaufenden Rei- hen von Verkaufsſtellen beſetzt. Alle Handwerker arbeiten hier in dem Erdgeſchoß der Häuſer, welches als Werkſtatt und Verkaufsladen dient, und nach der Straße zu völlig offen iſt. Auch hier wohnen die Handwerker einer Gat- tung beiſammen. Endlich giebt es auch Verkaufsſtellen in den Vorhöfen der Moſcheen, und dieſe heißen in Stam- bul die Bazars. * - Die auswärtigen Kaufleute, namentlich die Großhänd- ler, halten mit ihren Waaren nicht in den Bazars und Beſeſtan feil, ſondern in den ſogenannten Khans. Dies ſind große ſteinerne Gebäude, meiſt Vierecke, die einen Hof einſchließen und aus mehreren Stockwerken beſtehn. Sie enthalten nichts als leere Zimmer. Kommt ein Kaufmann aus Perſien, aus Arabien, aus Aegypten, ſo bezieht er mit ſeiner Waare ein ſolches Zimmer und hat für ſeine Verpflegung und Bedienung allein zu ſorgen. Er zahlt dafür eine ſehr unbedeutende Miethe. Die Khans theilen ſich nach Nationen; es giebt deren für die Perſer, für die Cirkaſſier, für die Kaufleute aus Meſopotamien u. ſ. w. 20? XXIX. Der S cla v en markt. Wir hatten ſchon öfters unſern Dragoman aufgefor- dert, uns nach dem Sclavenmarkt in Conſtantinopel zu führen. Er hatte wiederholt es unter dem Vorgeben ab- gelehnt, daß dieſer Markt nicht mehr exiſtire. Dies war als abgemacht angenommen, als wir den vorletzten Tag unſeres Aufenthalts bei dem Durchſtreifen Stambuls in eine freiere Straße gelangten, welche meinem Freunde große Aehnlichkeit mit dem Bilde des Sclavenmarktes zu haben ſchien, was er gelegentlich geſehen hatte. Unſer Dragoman wurde nochmals zur Rede geſtellt, und nachdem er ſich erkundigt, ergab es ſich, daß wir wirklich an dem geſuch- ten Orte uns befanden. Es war ein länglicher freier Platz, an der einen Seite mit beſſeren Kaffeehäuſern beſetzt, an der andern liefen Bretterbuden hin, ähnlich den Werkſtät- ten der Handwerker. Der innere Raum war aber abge- theilt und der hintere Theil durch einen höheren Bretter- verſchlag den Augen der Vorübergehenden etwas entzogen. Vor jeder dieſer Buden ſaß ein Araber in türkiſcher Klei- dung mit den braunen Teint und den feinen Zügen ſei- ner Nation. Dies war der Sclavenhändler. Die Sclaven, alles Schwarze und nur weibliche Sclaven, befanden ſich – 309 – in dem hintern Verſchlage zu acht bis zwölf Stück. Das Ganze ähnelte den Verkaufsſtellen für Schafe und Schweine auf europäiſchen Viehmärkten, wo die Thiere auch in Hor- den oder Verſchläge abgeſperrt ſind. Wir erhielten leicht die Erlaubniß, näher zu treten und die Sclavinnen in ihren Ställen zu betrachten. Sie wa- ren. Alle guten Muths und heitern Sinnes. Es waren ächte Negergeſtalten, kräftige, oft rieſige Figuren, mit krau- ſen, ſchwarzen Wollhaaren, breitem Geſicht, vorſtehenden Backenknochen und großem Mund; die Backen durch meh- rere Schnitte aufgeſchlitzt und vernarbt. Ihre Kleidung war die gewöhnliche türkiſcher Frauen, ein Mantel und ein Schleier. Sobald ſie unſer anſichtig wurden, ſtreckten einzelne die Hände aus zu einem Geſchenk, Andere ver- ſteckten die Geſichter oder lachten. Der größere Theil dieſer Sclavinnen war bereits als Mädchen von zehn bis zwölf Jahren nach Conſtantinopel gekommen, und hatte ſchon mehrere türkiſche Herrn gehabt. Einzelne ſchienen indeß friſche Waare aus Aethiopien zu ſein. Aethiopien, Abeſ- ſinien, Darfur ſind die Länder, welche in unerſchöpflicher Weiſe die ganze Türkei mit ſchwarzen Sclaven und Scla- vinnen verſorgen. Ihre Zahl fanden wir überall bedeu- tend; ſie mögen den zehnten Theil der Bevölkerung der Städte bilden. Das Verhältniß derſelben zur Herrſchaft iſt weit beſſer als das der Dienſtboten in Europa, nur der Name iſt abſchreckend. Die Sclaven bilden in allen wohlhaben- deren türkiſchen Familien die Dienerſchaft; ſie haben aber wenig zu thun, weil viel Sclaven gehalten werden, und weil eine türkiſche Wirthſchaft wenig Arbeit verlangt. Da- bei iſt ihre Kleidung und Koſt wenig von der der Herr- ſchaft unterſchieden, und ihre Behandlung iſt ſo mild, als wären ſie Kinder des Hauſes. In ihrem Benehmen iſt – 310 – keine Spur von ſclaviſchen Manieren zu bemerken, es giebt keinen Handkuß, kein Folgen in abgemeſſener Ent- fernung, kein im bloßen Kopfe ſtehen, nichts von all dem ehrerbietigen Ceremoniell, was die Sitte in Europa dem Dienſtboten auflegt. Wir ſahen die Sclaven mit ihrer Herrſchaft zwar nur auf den Straßen, an den Vergnü- gungsorten und auf Reiſen, aber da herrſchte ſtets ein voller Communismus, und man konnte nur an der Ge- ſichtsfarbe die Herrin von der Dienerin unterſcheiden. Daraus erklärte ſich die vergnügte Stimmung dieſer Sclavinnen bei dem Sclavenhändler. Die Idee des Rechts, der Freiheit war bei ihnen noch nicht zur Entwickelung ge- kommen, und der materielle Zuſtand war beſſer, als ſie ihn in der Heimath gehabt hatten, und als ſie allein mit der Freiheit ihn ſich verſchaffen konnten. Das heitere Weſen dieſer Sclavinnen auf dem Markte erinnerte uns unwillkürlich an den Mägdemarkt in Richmond. Es findet deshalb auch keine Feſſelung oder Bewachung dieſer Scla- ven ſtatt. Wir fragten den einen Sclavenhändler nach dem Preis einer Sclavin, die das Alter von zwanzig Jahren zu haben ſchien. Er verlangte 3500 Piaſter, d. i. 175 Thlr. Auf unſere Bemerkung, daß dieſer Preis ſehr hoch ſei, zeigte er nach einem kleinen ſechs Wochen alten Kinde, welches, in Kattun eingewickelt, in einem Winkel lag, und ſagte, ſie ſei die Mutter des Kindes, und er könne ſie nur mit dem Kinde verkaufen. In einem an- dern Stalle war nur ein einziges junges Mädchen von ſechszehn Jahren. Sie war ganz allein, ſelbſt der Scla- venhändler war in das Kaffeehaus gegangen. Sie winkte uns, und als wir ſtill ſtanden, rief ſie uns zu, ſie zu kau- fen. Für 1500 Piaſter, d. i. 75 Thlr., ſei ſie käuflich. Es war eine kleinere, feine Geſtalt mit angenehmeren Zü- gen als gewöhnlich. Wir hießen ſie aufſtehn, dies that – 311 – ſie, auch mußte ſie die Hände zeigen, als wir ſie jedoch baten, den Schleier zurückzuſchlagen, wendete ſie ſich ver- ſchämt zurück. In einer benachbarten Verkaufsſtelle wurde von einer Türkin eben eine Sclavin gekauft; ſie mußte die Hände aufmachen, ſich herumdrehen und den Mund öffnen, die Zähne zeigen und die Zunge herausſtrecken. Alles Mittel, die Geſundheit der Sclavin zu beurtheilen. Eine andere Sclavin war von einem Türken gebracht und an den Sclavenhändler verkauft. Es kommt vor, daß eine ſolche nur wenige Stunden bei dem Händler bleibt, und dann wieder einem neuen Herrn folgt. Nebenan war eine Moſchee, wo gebetet, vielleicht auch dem Allah für einen guten Sclavenhandel gedankt wurde. In den Kaffeehäuſern der andern Seite befanden ſich die männlichen Sclaven. Deren Zahl war nicht ſo groß, und es waren Alles ſolche, die ſchon längere Zeit in der Tür- kei in der Sclaverei gelebt hatten. Sie waren ſo vergnügt, ſo frei wie ihre Gefährtinnen auf der andern Seite. An Europäer werden keine Sclaven verkauft, doch kann man ſich deren leicht durch die Vermittlung eines Türken verſchaffen. Wir hatten keine Gelegenheit zu erfahren, ob die Europäer in Pera davon ſtatt Dienſtboten Gebrauch machen. Wahrſcheinlich nicht, da die Sclaven nur tür- kiſch verſtehen und die europäiſche Sitte und Art der Haus- haltung nicht kennen. Indeß fanden wir bei einer Grie- chin, die meublirte Zimmer vermiethete, eine alte Magd, die wirklich Sclavin war. Die weißen Sclavinnen kommen nur aus Circaſſien. Sie werden weit höher geſchätzt und werden vielfach den Söhnen zur Frau gegeben. Für ſie exiſtirt jetzt kein Scla- venmarkt. Die circaſſiſchen Händler haben ihr Kaffeehaus in Tophane, und nahebei in ihren Wohnungen ſind die circaſſiſchen Mädchen eingeſchloſſen. Verlangt ein Türke – 312 – eine ſolche zu kaufen, ſo werden ſie ihm zur Anſicht ins Haus gebracht. Wir fanden vollkommen wahr, daß dieſe Mädchen noch jetzt ihren Transport und Verkauf nach Conſtantinopel als ein Glück betrachten. So wie in Europa junge Mädchen von ihren Eltern in Bäder oder in große Städte gebracht werden, um eine gute Partie zu finden, ſo ungefähr wird von allen Betheiligten dieſer Transport der circaſſiſchen Mädchen nach Conſtantinopel betrachtet. "..".."..".."-"-"..“-". "---------- XXX. - Eine Verlegenheit. Die Gaſthöfe in Pera. Jeden Montag Nachmittags 4 Uhr geht ein Lloyd- Dampfſchiff von Conſtantinopel nach Trieſt ab. Unſer Plan war, ein ſolches zu benutzen, damit aber nur bis Athen zu fahren, dann acht Tage in Athen und Griechen- land zu bleiben und mit dem acht Tage ſpäter folgenden Schiffe nach Trieſt abzureiſen. Zur Ausführung dieſes Plans gehörte aber, daß wir ohne Quarantaine in Grie- chenland zugelaſſen wurden. Nachdem indeß während un- ſeres Aufenthalts in Conſtantinopel die Cholera daſelbſt ausgebrochen war, wurde es ſehr zweifelhaft, ob dies ge- ſchehen werde. Wir erkundigten uns wiederholt hierüber in dem Büreau der Lloydgeſellſchaft, indeß war hier keine Auskunft zu erlangen, und irgendwo anders noch weni- ger. Es blieb uns nur übrig, auf gut Glück abzureiſen, und vor Athen ſelbſt die beſtimmteren Nachrichten ein- zuziehn. Die Abreiſe ſollte jedoch nicht ohne einige Schwierig- keiten vor ſich gehn. Unſere Kaſſe war ſehr zuſammenge- ſchmolzen, und ſelbſt wenn wir Griechenland nicht berühren ſollten, ſchien der Beſtand nicht mehr zureichend, um die Koſten der Rückreiſe zu decken. Ohne volle Bezahlung – 314 – des Billets kamen wkt aber nicht auf das Dampfſchiff. Die Creditbriefe, um die wir bei unſerer Abreiſe von Trieſt nach Berlin geſchrieben hatten, waren noch am Sonnabend in Conſtantinopel nicht angekommen, das reiche griechiſche Banquierhaus Stephano Flori, an das ſie ad- dreſſirt werden ſollten, wollte trotz aller Nachfrage keine erhalten haben. Da wir durchaus keine Adreſſen für Conſtantinopel hatten, ſo waren wir in Verlegenheit, wie wir aus dieſer großen Stadt, wo Niemand uns kannte, wieder herauskommen ſollten. Dieſe Schwierigkeiten ſchienen durch einen anderen un- angenehmen Zufall ſich zu ſteigern. Ich hatte vor unſerer Abreiſe nach Bruſſa dem Buchhalter in unſerem Hötel d'Europe einen Beutel mit 60 Stück Napoleons und 30 öſterreichiſchen Banknoten zur Aufbewahrung übergeben, um nicht genöthigt zu ſein, dieſe Summe ſtets bei mir zu tragen. Ich hatte einen Empfangsſchein darüber erhalten. Als ich am Sonnabend Abend in das Hotel kam und mein Geld zurückforderte, ſchien der Buchhalter ſichtlich verlegen, und brachte nach einigem Zögern die Entſchul- digung, daß er mir den Beutel heute nicht zurückgeben könne, weil die Wirthin des Hotels den Schlüſſel zu dem Koffer, in dem der Beutel verſchloſſen worden, mit nach Therapia genommen habe, wo ſie im Sommer ſich auf- halte. Es ſchien mir dies ziemlich ſonderbar, indeß be- gnügte ich mich damit, da der Buchhalter mir verſprach, am andern Tag das Geld zuzuſtellen, und einen Boten nach Therapia zur Abholung des Schlüſſels zu ſenden. Am folgenden Tag, Sonntag, konnte ich erſt gegen Abend in das Hotel kommen. Wir hatten ein Privat- quartier bezogen und waren den Tag über in Stambul geweſen. Als ich Abends eintrat, war der Buchhalter nicht zu finden, und der Oberkellner ſagte mir endlich, daß er – 315 – des Morgens nach Therapia gereiſt ſei, und erſt den an- dern Tag zurückkehren werde. Auf meine Vorſtellung, daß ich mein Geld haben müſſe, da ich ſchon morgen Mittag abreiſen wolle, und noch mancherlei vorher zu bezahlen habe, wollte er anfänglich den Schloſſer holen laſſen, um den Koffer zu öffnen. Allein bald darauf beſann er ſich anders und erklärte mir, ich müſſe mich bis morgen ge- dulden, da in dem Koffer ſich auch die Pretioſen der Frau des Maitre d'Hôtel befänden, und er deshalb allein ſich nicht getraue, den Koffer zu öffnen. Ich wollte mich hier- bei nicht beruhigen. Ich wußte überdem, daß die Eigen- thümerin des Gaſthofes eine Wittwe war, denn ich hatte ſie in Bujukdere kennen gelernt, und auf meinen Vorhalt wollte der Kellner einen Unterſchied zwiſchen propriétaire und Maitresse d'Hôtel machen. Auf meine Drohung, die Sache öffentlich zu machen, erwiederte er ſehr ruhig, daß ich allein die Schuld trage, ich hätte ſollen das Geld ihm und nicht dem Buchhalter anvertrauen. Der Maitre d'Hôtel ſollte nicht zu Hauſe ſein. Alles dies ſchien wirk- lich geeignet, einigen Verdacht zu erregen; der Buchhalter, der geſtern ſo verlegen war, und mir ſo feſt verſprochen hatte, heute das Geld zu geben, war ſchon ſeit Morgens abweſend; wie leicht war hier eine Unterſchlagung und Flucht möglich. Mein Freund rieth mir, als alle Unter- handlungen zu nichts führten, dem Oberkellner einen Na- poleon zu verſprechen, wenn er noch dieſen Abend das Geld gebe. Indeſ konnte ich mich nicht dazu entſchließen, und ich entfernte mich endlich, nachdem der Kellner mir beſtimmt verſprochen hatte, morgen das Geld mir zu ver- ſchaffen, und ſollte es mit Hülfe eines Schloſſers ſein. Wir waren ſo am letzten Abend nicht allein ohne Cre- ditbriefe, ſondern auch ohne das Geld, was wir ſelbſt mitge- bracht und für die Rückreiſe zurückgelegt hatten. Wenn – 316 – wir auch für die Angelegenheit im Gaſthofe die Hülfe des Geſandten in Anſpruch nehmen konnten, ſo war doch die Zeit zu kurz, und wir liefen im günſtigſten Falle Ge- fahr, noch eine Woche länger in Conſtantinopel bleiben und alle weiteren Pläne aufgeben zu müſſen. Am andern Morgen meldete ich mich von Neuem. Dies- mal war auch der Kellner ausgegangen, angeblich nach dem Dampfſchiff, und der Buchhalter war immer noch nicht zurück. Der angebliche Maitre d'Hôtel kam zwar die Treppe einmal herab, allein er verſchwand bald wieder, nachdem er mich gebeten, nur noch ein wenig Geduld zu haben. Es kam bald dieſer, bald jener Diener durch das Zimmer, allein, wie in großen Gaſthöfen dies der Fall iſt, Niemand konnte mir Beſcheid geben, Jeder kümmerte ſich nur um ſeine Geſchäfte. Nach einer Viertelſtunde vergeblichen Wartens und Erinnerns war ich eben im Begriff, nach der Geſandtſchaft zu gehen, als endlich der Maitre d'Hôtel wirklich mit dem Schloſſergeſellen ankam, in einem Zimmer eine große Truhe unter einem Bette vorholte und den Geſellen ſie öffnen hieß. Nach einigen vergeblichen Verſuchen gelang es, und meine Börſe mit den Napoleons fand ſich richtig vor. Der Herr bat ſehr, die Nachläſſigkeit zu entſchuldigen, und mehr war es denn auch nicht geweſen. – Es kam nun darauf an, uns das noch ſonſt nöthige Geld zu ver- ſchaffen. Wir wandten uns an den Vizekanzler B. und hofften, auf einen Wechſel an die Seehandlung in Berlin Geld in der Geſandtſchaft erheben zu können. Dies wollte indeß nicht gehen, und Herr B. gab uns zuletzt einige Zeilen an einen dortigen Kaufmann, H. Sonnenfeld aus Leipzig, womit wir uns als preußiſche Beamte legitimiren konnten. H. Sonnenfeld war auf Vorzeigung dieſer Zei- len ſofort bereit, einen Wechſel von uns zu honoriren, – 317 – und wir erlangten auf dieſe Weiſe noch vierzig Na- poleons. Am Sonntag Abend mietheten wir einen Kaik zur Fahrt das goldene Horn hinauf in die ſüßen Waſſer von Europa. Es war ſchon ein beginnender Abſchied von Conſtantinopel. Wir fanden das Wetter vortrefflich, Theodoro meinte je- doch, wir würden wenig Geſellſchaft dort finden, weil der Wind zu heftig ſei. In Conſtantinopel wirkt ein Wind, den wir in Deutſchland kaum beachten, ebenſo wie bei uns ein Regen. Man bleibt dann des ſchlechten Wetters wegen zu Hauſe. Wir fanden denn auch wirklich Niemand in dieſem reizenden Thale, als eine Geſellſchaft Englän- der, die in eilender Haſt den grünen Grund mit ſeinen breiten Bäumen durchliefen und dann wieder zu Pferde ſtiegen und davon ritten. Dieſe Stille und Einſamkeit war uns willkommen. Schon ein Aufenthalt von wenig Wochen in Conſtantinopel genügt, um von dem Hauptzug des türkiſchen Charakters, der beſchaulichen Ruhe und Schweigſamkeit berührt zu werden. Es war der letzte Abend unſeres Aufenthalts in dieſer Stadt, die ſo viel Großes geſehen, und die in der Zu- kunft ſicher noch Größeres ſehen wird. Sie wird den Mittelpunkt des größten Kampfes bilden für die völlige Umwandlung, die unaufhaltſam und ſchon mitten in die- ſem Kampfe vom Norden und Weſten Europas über die Türkei und Aſien kommen wird. Wir hatten 14 glückliche Tage hier verlebt, voller An- ſtrengungen aber auch voll reichlicher Belohnung. Vor Allem erfüllte uns in dieſer Zeit das tiefe beglückende Ge- fühl der vollen perſönlichen Freiheit. Niemand, auch im Gaſthofe nicht, hatte uns nach unſeren Namen gefragt, kein Polizeidiener hatte uns beläſtigt, keine Controlle über Fremde war zu bemerken, Niemand fragte, wo, wie – 318 – lange wir bleiben wollten, was wir wollten. Mitten in dem Gemiſch aller Nationen konnte man thun und laſſen, was man wollte, jeder bewegte ſich in derſelben Freiheit, kein Conſtabler an den Ecken, kein Schließen der öffentlichen Lokale zur Polizeiſtunde, keine Soldaten, kein Trommeln und Pfeifen, der friedlichſte und freiſte Verkehr überall, und dennoch eine perſönliche Sicherheit, wie ſie in keiner großen Stadt Europas mit allen Hülfsmitteln und mit den neueſten Erfindungen der Polizeizufinden iſt. Es war nicht zu leugnen, die Straßen waren ſchmutzig, des Nachts finſter, die Hunde beläſtigten, die Häuſer hatten keine Nummern, die Straßen keine Namen, aber wie gern ertrug man dieſe kleinen Unbequemlichkeiten für das wohlthuende Gefühl, aus der Vormundſchaft und Fürſorge europäiſcher Polizei entlaſſen zu ſein, für das Bewußtſein, auf eige- nen Füßen zu ſtehen, ſich allein ſchützen und vertheidigen, ſich allein helfen zu müſſen, aber auch frei zu ſein nach allen Richtungen. - Nirgends horchte ein Spion auf die Unterhaltung an öffentlichen Orten, und die Politik, der Zuſtand der Türkei, die Perſon des Sultans, die Verhältniſſe Europas, die Schwächen der leitenden Perſonen wurden in der freiſten Weiſe beſprochen, Niemand kümmerte ſich dabei, wer der Nachbar ſei, der zuhörte, Niemand hatte einen Denum- cianten zu fürchten. Mit ſtolzem Selbſtgefühl läßt hier der Staat Jedem die freiſte Aeußerung, läßt die Revolu- tionaire und Flüchtlinge aller Länder Europas bei ſich einkehren, mit orientaliſcher Ruhe und Hospitalität em- pfängt er ſie und reicht ihnen, was ſeine Mittel bieten, ohne nach einem Dank oder nur nach dem Namen zu fragen. Mit ſtolzer Ruhe bewegt ſich der Türke, er ſpricht wenig, aber wenn er ſpricht, ſo ſpricht er, wie er denkt und wie er fühlt. Welche Feigheit dagegen jetzt in den – 319 – Staaten des continentalen Europas! Welche Angſt auch in der kleinſten Geſellſchaft, um mit einer Silbe eine An- ſicht zu verrathen, die der Regierung nicht genehm wäre; welches bleiche Schweigen, ſobald ein freieres Wort über Politik von einem Unvorſichtigen geſprochen wird, welche ängſtliche Sorgfalt, alle Berührung mit Männern zu vermeiden, die 1848 für die Rechte des Volkes aufge- treten ſind. Wir zogen tief den Hut vor einem alten Türken, der uns den Kaffee gebracht hatte, er verſtand uns nicht, und wir kehrten in den Kaik zurück und ließen das letzte Mal uns ſchaukeln auf den gaſtlichen Wellen des ſchönſten der Meere. Am Montag früh wurde Alles zur Abreiſe bereitet. Wir hatten ſeit drei Tagen eine Privatwohnung bezogen, weil wir im Gaſthof bei unſerer Rückkehr von Bujuktere kein Unterkommen fanden. Das Hôtel d'Europe, in dem wir gewohnt hatten, kann jedem Reiſenden empfohlen wer- den. Sein Hauptvorzug iſt ſeine Lage. Alle andern Ho- tels in Pera liegen weit höher und entfernter vom Hafen. Der Hafen bildet aber den Ausgangspunkt für jeden Tag, mag man nun nach Stambul oder Scutari überſetzen oder den Bosporus hinauffahren. Das Hötel d'Europe liegt nur auf der Hälfte des Berges nach Pera hinauf, man erſpart alſo jeden Morgen ein ermüdendes Herabſteigen und jeden Abend ein noch läſtigeres Hinaufſteigen, was bei dem heißen Klima erheblich iſt. Dieſe Lage gewährt außerdem von allen Fenſtern der Hauptfront des Gaſt- hofs eine der ſchönſten Ausſichten der Welt. Wenn wir in unſerm Zimmer von dem Buche aufblickten, ſahen wir durch das offene Fenſter den Hafen, das Meer, Scutari, die Prinzeninſeln und das Gebirge des Olymp bis hinauf zu ſeinen glänzenden Schneefeldern, Alles wie ein Bild, von dem Rahmen des Fenſters eingefaßt. – 320 – In der Wohnung, der Koſt und Bedienung ſtehen ſich alle Hotels erſter Klaſſe in Pera gleich. Die Stuben ſind reinlich gehalten, die Bettſtellen von Eiſen, Matratzen mit einer leichten baumwollenen Decke bilden das Bett, die Meubel ſind einfach und europäiſch, die Bedienung iſt gut. Man kann in allen dieſen Hotels nicht anders woh- nen, als gegen einen beſtimmten täglichen Preis, der im Ganzen für Wohnung, Licht, Bedienung und Koſt gerech- net wird, dieſer Satz muß bezahlt werden, gleichviel ob man zu dem Eſſen kommt oder nicht. Früh erhält man dafür Kaffee mit Zwieback, um 10 Uhr giebt es ein Früh- ſtück mit Wein und mehreren warmen Schüſſeln, und um 7 Uhr Abends ißt man ſehr luxuriös zu Mittag, 6–8 Schüſſeln und Deſert. Die Küche iſt franzöſiſch oder engliſch. Man erhält vortreffliche Fiſche, gute Braten und feine Gemüſe. Der Wein in unſerm Hotel war aber ſchlecht, es war ein ſchwarzer griechiſcher Wein, der ſo ſüßlich war, daß man ihn nur mit Waſſer trinken konnte. Will man andere Weine trinken, ſo muß man ſie beſonders bezahlen; ſie ſind ſehr theuer. Selbſt große Reinlichkeit kann in dieſen Gaſthöfen nicht gegen läſtige Inſecten ſchützen. Bei den vielen Hunden Conſtantinopels wird man die Flöhe nicht los, man bringt ſie von der Straße mit in den Gaſthof. Des Abends und des Nachts ſummen eine kleine Art Mücken in den Stuben, die trotz ihrer Kleinheit ſehr em- pfindliche Stiche machen, welche anſchwellen und Tage lang vorhalten. Man muß, ſo wie ein Licht in die Stube kommt, die Fenſter ſchließen, indeß hilft dies nicht voll- ſtändig, und wir hatten viel davon zu leiden. Andere Inſecten haben wir nicht bemerkt. Die Preiſe der Gaſthöfe waren vor dem Kriege für die Größe der Stadt ſehr billig. Man bezahlte für Woh- nung, Bedienung und die Koſt mit Wein in der beſchrie- – 321 – benen Art den Tag ungefähr 2 Thlr. 10 Sgr. Seit dem Kriege ſind die Preiſe um 1–1"2 Thlr. geſtiegen. Deſſen- ungeachtet läßt ſich noch jetzt ſehr billig in Conſtantinopel leben. Es giebt auch am Hafen in Galata billigere Gaſthöfe, in dieſe einzukehren, iſt indeſ ſehr bedenklich, da ſie eine ungeſunde Lage haben und ſehr ſchmutzig ſein ſollen. Da- gegen giebt es eine große Anzahl Häuſer, wo meublirte Zimmer auf den Tag oder die Woche vermiethet werden. Wir bezahlten für zwei gute ſolche Zimmer den Tag fünf Franken oder 1 Thlr. 10 Sgr. In ſolchen Wohnungen kann man ſich den Kaffee ſelbſt kochen, und des Mittags und Abends findet man einen ziemlich guten Tiſch in den Speiſehäuſern in Pera und Galata, wo man nach der Karte ganz in europäiſcher Weiſe ißt. Wir haben zu zwei nie mehr als einen halben Thaler für ein Mittagseſſen bezahlt. Am beſten iſt der Phönix in Galata, wo vor- züglich Kaufleute eſſen. Hier erhält man ſtets gut und friſch zubereitete Gerichte in großer Auswahl, man findet außerdem ein ſehr ſchönes Lokal zu ebener Erde, wo man Kaffee und Eis erhalten und Zeitungen leſen kann. Ein Fremder kann in Conſtantinopel in dieſer Weiſe ſehr gut wohnen und eſſen für 1 Thlr. bis 1 Thlr. 10 Sgr. täg- lich. Zu empfehlen als Privatquartiere ſind die Kaffee Singliani in Pera; wir wohnten hier in dem Hauſe Nr. 6 bei einer Maria Verona und fanden da eine reinliche Wohnung und eine freundliche Wirthin, mit einer alten circaſſiſchen Sklavin in Beinkleidern, die aber ſo häßlich war, daß ſie ſelbſt in ihrer Jugend ihrem Vaterlande keine Ehre gemacht haben konnte. - --------------------------------------- 21 XXXI. Das Dampfboot. Smyrna. Am Montage Nachmittags halb vier Uhr landeten wir mit unſerem kleinen Kaik an der Treppe des Dampf- bootes, das in dem Hafen lag und uns nach der Heimath zurückbringen ſollte. Wir fanden die bunteſte Geſellſchaft; das ganze Verdeck war mit Türken, Griechen und Euro- päern angefüllt; mit Reiſenden und deren Freunden, die zum Abſchiede ſie bis auf das Schiff begleiteten. Der größere Theil des für die Reiſenden der erſten Klaſſe beſtimmten Hinterdecks war abgeſchlagen zum Aufenthalt für türkiſche und griechiſche Frauen des dritten Platzes. Jede Familie hatte ihre Kinder, Sclaven und ihr Gepäck und ihren Mundvorrath neben ſich. Kiſten, Kaſten, Waſſer- melonen, Brode, lederne Schläuche mit Wein, Ballen mit Waaren, alles lag und ſtand in bunter Unordnung durcheinander; von dem Geländer waren Leinen nach dem Bord gezogen, Teppiche darüber gehangen und darin ſtaken die kleinen Kinder, deren Geſchrei durch wiegendes Bewegen der Leinen beſchwichtiget wurde. Wir fanden den preußiſchen Geſandten, Baron v. W. mit dem Legationsrath E. und Vicekanzler B. auf dem Verdeck. Sie waren gekommen, dem neu ernannten tür- – 323 – kiſchen Geſandten für den Hof zu Berlin, Kemal Effendi das Geleit zu geben. Dieſer Geſandte mit ſeinem Per- ſonal an Legationsräthen, Dolmetſcher und Bedienung war ſchon am Bord und Herr v. W. hatte die Güte uns dieſen Herrn vorzuſtellen, mit denen wir bis Trieſt die Seereiſe zu machen hatten. Auch der Lieutenant v. B. fand ſich ein, um von uns Abſchied zu nehmen. Er brachte mir einen Brief zur Be- ſorgung an ſeine Mutter. Noch bis da war er in ſeiner Angelegenheit keinen Schritt weiter gekommen; noch hatte er keine Audienz bei dem türkiſchen Miniſter erlangen können. Zum Unglück hatte er vor wenigen Tagen einen Anfall von der Cholera gehabt und hatte zwei Tage in ſeinem ſchlechten ſchmutzigen Gaſthofe in Hülfsloſigkeit gelegen. Seine gute Natur hatte ihn die Krankheit ſchnell überwinden laſſen, aber ſein Muth und ſeine ſorgloſe Zuverſicht ſchienen heute endlich erſchüttert. Ich konnte nicht ohne tiefes Mitgefühl ihm in die Augen ſehen. Während wir frohen Sinnes, geſättiget von dem Orient und ſeinem Weſen, freudig die Anker lichten hörten, und die Maſchine dampfen, die uns zur Heimath zurückführen ſollte, blieb Herr v. B. beinah hülflos und verlaſſen in dieſer fremden großen Stadt; ſeine Mittel gingen zu Ende; noch hatte er nicht die mindeſte Ausſicht und ſelbſt die Rückkehr mochte ihm nach wenig Wochen unmöglich werden. Wie gern hätten wir ihn wieder als Gefährten zur Rückreiſe geſehen. Welcher Kontraſt zwiſchen ſeinem ſorgloſen, maſchinenmäßig fortgehenden Leben als preußi- ſcher Lieutenant in ſeiner Garniſon und zwiſchen ſeiner gegenwärtigen Lage in einem elenden Gaſthofe in Kon- ſtantinopel, auf ſich allein und ſeine Kaſſe angewieſen und dennoch durch ſeine frühere Stellung nur gewöhnt, Order zu pariren, ſich zur Dispoſition zu ſtellen und 21* – 324 – nur die breit getretene Straße des Lebens ſorglos nach- zutreten. Wir ſuchten ihn zur Energie und Thätigkeit anzu- regen; wir fragten, ob er keine Connexionen in Berlin habe, und erboten uns, alles irgend mögliche zu thun, um ihm Empfehlungen zu verſchaffen. Vor allem be- nutzte ich die Gegenwart des preußiſchen Geſandten, um ihn für Herrn v. B. zu intereſſiren. – „Es iſt unmög- lich“, ſagte Herr v. W., „Herrn v. B. jetzt in der tür- kiſchen Armee zu placiren. Es fehlen ihm alle Bedin- gungen dazu und ich habe ihm bereits bei ſeinem erſten Beſuche dies geradezu erklärt. Er kann nicht beſſer thun, als ſo bald als möglich nach Hauſe zurückkehren. Es iſt nicht der erſte traurige Fall der Art und ich habe bei dem preußiſchen Gouvernement ſchon den Wunſch aus- geſprochen, alle junge Militairs vor dergleichen Unter- nehmen zu warnen. Der Einfluß Preußens in der Tür- kei könnte außerordentlich ſein; die glänzende Vertheidi- gung von Siliſtria hat die preußiſche Artillerie zu einem Anſehen in der Türkei erhoben, was für alle Intereſſen des Vaterlandes vortrefflich benutzt werden könnte. Aber die wahrſcheinlich auf höhern Gründen beruhende Haltung des preußiſchen Gouvernements in dem gegenwärtigen Kriege hat die Sympathien für Preußen hier erſtickt und ich habe mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Unter ſolchen Umſtänden iſt auch für preußiſche Offiziere, na- mentlich Infanterie-Offiziere jetzt nicht die mindeſte Aus- ſicht in der türkiſchen Armee. - Während der Unterhaltung kamen die erſten Nach- richten für die Geſandten, daß die Ruſſen auf ihrem Rück- zuge Buckareſt geräumt hatten. Sie theilten ſie ſofort der Geſellſchaft mit und eine freudige Aufregung herrſchte ebenſo unter dem türkiſchen, wie unter dem europäiſchen – 325 – Theile derſelben. Tages vorher waren mehrere türkiſche Regimenter nach Varna abgefahren, um bei dem An- griffe gegen Sebaſtopol Hülfe zu leiſten und man über- ließ ſich den freudigſten Erwartungen. Die Herren der türkiſchen Geſandſchaft rechneten ſicher darauf bei der Landung in Trieſt, oder ſpäteſtens in Wien die telegra- phiſchen Nachrichten von der Einnahme Sebaſtopols zu finden. Wir hatten lange auf die öſterreichiſche Poſt zu warten; die letzten Depeſchen der öſterreichiſchen Geſandtſchaft für das Schiff wurden noch expedirt. Der Abend war, wie immer, vollkommen klar und die Zögerung gab uns Gelegen- heit, das ſchönſte von Konſtantinopel, die Anſicht vom Hafen aus in Muße noch einmal zu genießen und das majeſtä- tiſche Ganze und die hervorragenden Einzelheiten uns tief einzuprägen. Das Gefühl, dieſen Anblick das letzte Mal für das ganze Leben zu haben, ließ uns geizen mit dem Genuß; eine Unruhe durchzog ſchon die Empfindung und wie ein Habſüchtiger rechneten und zählten wir mehr die vor uns ausgebreiteten Schönheiten; wie ein genauer aber geſättigter Gaſt ſuchten wir neben dem gegenwär- tigen Genuß noch ſo viel davon in dem Gedächtniß mit- zunehmen, als möglich, um in den dürren Tagen der Heimath noch von der verſchwenderiſchen Pracht zu zehren, die hier nach allen Richtungen vor uns ausgebreitet war. Um 6 Uhr kam die Poſt; Freunde und Bekannte eilten in den ſchlanken Kaiks davon. Der Dampf ziſchte, die Ruder brauſten und unſere Imperatrice ſchnitt durch die ſchäumenden Wellen. Das Serail, die Aja Sophia, das Schloß der ſieben Thürme eilte in flüchtiger Bewe- gung an uns vorüber und mit der untergehenden Sonne gingen auch die letzten Spitzen und Kuppeln Konſtanti- nopels für uns unter. Am andern Morgen waren wir – 326 – in Gallipoli, zu Mittag in den Dardanellen; den Nach- mittag bei Tenedos und der Ebene von Troja; am Abend paſſirten wir das Cap Bola; ein armes Dorf lag an ſeinem Felſen angeklammert, und mit unermüdlichem Fleiße waren die ſteilen Abhänge, wo Erde und Miſt halten wollten, zu Getreidefeldern umgewandelt. Vorgebirge haben für den Seefahrer einen beſondern Reiz; ſie ſind die Meilenzeiger, die auf ferner Fahrt auf- gerichtet ſind, um den Fortgang ſeiner Reiſe zu meſſen; ſie ſind die äußerſten Fingerſpitzen des feſten Landes, mit denen es ängſtlich in das Meer hineingreift, als wollte es gegen ſeine Gewalt ſich anhalten; ſie ſind die Punkte des Feſtlandes denen man am nächſten kommt; man ſieht die Häuſer, die Höfe, man erkennt die Leute; man blickt in die Gaſſen und das Getriebe des Marktes, man glaubt ſchon mitten in ihm zu ſtehn, man meint den feſten Boden ſchon unter ſich zu fühlen; aber in wenig Minuten iſt die vorſpringende Spitze umſchifft und man ſchaukelt wieder mitten in den ſchäumenden Wogen des Meeres. Am andern Morgen waren wir in dem Hafen von Smyrna. Der Kapitain hatte uns bis dahin keine Ge- wißheit geben können, ob wir in Smyrna freie Pratika haben würden. Die Cholera ſollte zwar in Smyrna ſein, allein es kommt im Orient ſehr häufig vor, daß ein cholerakranker Ort ſich gegen den andern kranken Ort abſperrt. Zu unſerer Freude war man diesmal nicht ſo ſtreng und wir eilten vergnügt an das Land, um das bei der Herreiſe Verſäumte nachzuholen. Es war erſt 6 Uhr früh; wir fanden ſchnell einen Führer, der uns Pferde verſchaffte und zunächſt nach dem Kaſtell auf den Berg Pagus brachte, an dem die Stadt ange- baut iſt. Sie gleicht in ihrem türkiſchen Theile genau den andern Städten des Landes, die wir geſehen hatten. – 327 – Moſcheen, Bazars, Straßen, Kaffeehäuſer, Bäder fanden wir, wenn auch kleiner, wie in Konſtantinopel. Die Straßen waren lebhafter und die Frauen mehr verſchleiert, als in Konſtantinopel. Der Stoff der Schleier war dichter und bei den meiſten Frauen war der Theil des Geſichts, den in Konſtantinopel der Schleier freiließ, noch beſonders mit ſchwarzer Gaze verhüllt, ſo daß man in Wahrheit von dem Geſicht nichts ſah und es räthſelhaft wurde, wie dieſe Frauen im Stande waren, ihren Weg zu finden. Die Zahl der Neger war hier verhältniß- mäßig noch größer, als in Konſtantinopel. Der aſiatiſche Charakter der Stadt trat vorzüglich in den langen Zügen von Kameelen hervor, die allerhand Waaren zur Stadt brachten. Sechs bis acht Kameele waren, wie bei uns die Pferde der Pferdehändler, eins an das andere gebun- den; vorweg ritt auf einem kleinen Eſel der ſchwarze Führer. Manches Kameel hatte ein Junges neben ſich, aber ſelbſt in dieſem Alter, wo alle Thiere zierlich ſind, ſchritten dieſe ungeſchickt und ſchwerfällig neben der Mutter einher. Ein Hauptartikel, den ſie brachten, war gebrannter Kalk zu den Bauten; dieſer Kalk wird aus dem Marmor gebrannt, den man von den Säulen und andern Ueber- reſten des griechiſchen Alterthums entnimmt. Trotz dieſer Verwüſtung und Zerſtörung findet man noch überall Stücke von Flieſen, Säulen, griechiſcher und römiſcher Bauten, die unbeachtet umherliegen. - Die Ausſicht vom Kaſtell auf der Spitze des Berges war vortrefflich. Die Stadt, umgürtet von dem Cypreſſen- haine des Kirchhofes liegt zu den Füßen; dahinter der Meerbuſen in ſeiner ganzen Ausdehnung, von ſteilen, zackigen Bergen jenſeit begränzt. In das Land hinein zogen ſich kreuz und quer Berge neben Bergen, alle ſteil und in kräftigen Linien anſteigend. Die Anſicht war – 328 – ächt ſüdlich und gehörte zu den ſchönſten Kleinaſiens. Das Kaſtell ſoll römiſchen Urſprungs ſein; die jetzigen Mauern können aber nur aus den Zeiten der Kreuzzüge herrühren, wo hier heftige Kämpfe der Ritter von Rhodus mit den Türken ſtattfanden. Unſer Führer zeigte uns auch Reſte der Mauern eines römiſchen Theaters und eines Tempels des Jupiter; ſie waren aber nichts als formloſe zerfallene Mauerſtücke ohne allen antiquariſchen Werth. Die Umgegend, die Kultur des Landes intereſſirte uns mehr, als dieſe Antiquitäten; der Führer wurde hier- nach angewieſen und er führte uns in einen Weingarten, wo die Feigenbäume und die Weinſtöcke mit den üppigſten und reifſten Früchten beladen waren. Für ein Geldſtück brachte uns der Beſitzer einen Korb voll von den berühm- ten Smyrnaer Feigen und Roſinentrauben, die getrocknet die Delikateſſen aller europäiſchen Tafeln bilden. Beide, Feigen und Trauben waren auch wirklich ſo vortrefflich, wie wir ſie nie gefunden hatten. Die Feigen waren voll des feinſten Aromas und einer angenehmen Süße, und frei von dem widerlichen Beigeſchmack, den ſie ſelbſt in Italien haben. Von den Trauben bekamen wir zwei Sorten; die eine liefert unſere großen Roſinen; die andere die ſogenannten Sultanroſinen, die keine Kerne haben und etwas kleiner ſind. Ihre ſtarke Süße wurde durch viel Saft und einen würzigen Geſchmack gemildert. In 14 Tagen ſollte die Erndte der Trauben beginnen. Die Traubenkrankheit war hier von geringer Bedeutung. Unſer Führer brachte uns von hier in eine Papier- fabrik, die von Franzoſen angelegt worden war, aber jetzt in türkiſchen Händen ſich befand. Die Einrichtung und die Maſchinen waren genau dieſelben, wie in Deutſch- land für Maſchinenpapier. Bei der Billigkeit der Lumpen – 329 – in der Türkei hat man den Plan, das hieſige Papier nach Europa auszuführen. Die Fabrikanlage war ganz europäiſch; ein niedliches Wohnhaus nebſt ſorgfältig an- gelegtem Garten ſchloß ſich an die Werkgebäude. Wir waren neugierig, einen gut unterhaltenen Garten im Orient zu ſehen. Aber auch hier fanden wir uns ge- täuſcht. Die Unterhaltung ſchien nicht ſo ſorgfältig fort- geführt zu ſein, als die erſte Anlage, trotz dem daß der Mühlenkanal reichliches fließendes Waſſer darbot. Wir fanden nur ſchöne Maulbeerbäume und Akazien; an Blumen nur höchſt unbedeutende Sorten, wie brennende Liebe, Hahnenkamm, Studentenblumen. Man verſicherte uns ſpäter, daß in den Landhäuſern bei Smyrna, welche von den engliſchen und franzöſiſchen Kaufleuten bewohnt werden, die Gärten mehr bieten ſollen; allein nach allen unſern Erfahrungen ſucht man im Orient vergeblich nach Gärten, wie ſie Deutſchland, Holland und England bieten, Es fehlt dem Garten im Orient der friſche junge Raſen, die Grundbedingnng aller Gartenſchönheit. Selbſt durch Bewäſſerung kann dieſer Raſen nicht erzielt werden. Es fehlt den Gärten im Orient der große Reichthum an Blumen, die bei uns von dem Anfang des Frühlings bis in den Winter hinein in ſtetem Wechſel, aber immer friſch und knospend die Gärten ſchmücken, und die in Verbindung mit dem Raſen unſre Gärtner zu Malern des Landes gemacht haben. Die große und viele Monate andauernde Hitze zerſtört im Orient von April ab alle feinern Blumen; nur ſolche mit dicken, fetten oder trocknen Blättern können ſich erhalten, welche die wenigſt ſchönen ſind. Ebenſo geht es mit dem Gebüſch und die Natur im Orient iſt ſtarr und ſpröde; ſie iſt gewaltig und kräftig, und der Menſch vermag ſie weniger zu leiten und nach ſeinen Launen zu beherrſchen. Der Menſch verlangt auch – 330 – im Orient nicht danach; mit einem Baumre, der Schatten bietet, iſt er zufrieden. - Als wir weiter ritten, bemerkten wir auf dem Felde unter einem Baume eine Gruppe brauner Männer, Frauen und Kinder; über einem Feuer hing ein Keſſel; ein Ka- meel daneben ſuchte ſich ſeine Nahrung auf dem trocknen Boden. Dies ſind Zinghe, ſagte der Führer. Ich wen- dete mein Pferd nach ihnen und bald kam mir ein brau- nes Zigeunermädchen mit halbwilden Zügen entgegenge- laufen. Ich ſtreckte ihr die flache Hand hin, daß ſie mir wahrſagen ſolle; ſie faßte ſie, aber ſtatt einer Prophezei- hung kam nur Betteln um ein Almoſen zu Tage. Wir konnten nicht recht dahinter kommen, ob ſie das Wahr- ſagen nicht verſtanden oder ob ſie uns nur mißverſtanden. Es verſammelte ſich bald der größte Theil des Haufens um uns; alle die Hand ausſtreckend und einen Almoſen verlangend. Ihre Gebehrden waren wild und heftig und die Geſichter der Weiber und Mädchen wurden dadurch noch abſchreckender, daß ſie ſich Stücke Eiſendrahtes durch die Naſe gebohrt hatten, die dann zuſammengebogen, nach Art von Ohrringen darin feſtſaßen. Bruſt, Hals, Arme und die Beine bis über die Kniee waren bloß; ein Fetzen Zeug, der nothdürftig die Stelle des Unterrocks erſetzte, war die ganze Kleidung der Frauen. Es waren wahre Originale des Zigeunervolkes, wie ſie in Europa nicht mehr zu finden ſind. Die Toleranz der Türken läßt ſie hier noch gewähren und das milde Klima macht es ihnen möglich, ihre nomadiſche wilde Sitte unverändert ſich zu erhalten. Wir ſuchten mit einigen Piaſtern den Händen dieſer unheimlichen Geſellſchaft uns zu entwinden. Nach der Rückkehr in der Stadt beſuchten wir den Sklavenmarkt. Er hatte hier aber mehr die Natur einer Bude angenommen, wie man ſie bei uns auf Meſſen – 331 – hat, um wilde Indianer zu zeigen. Wir mußten den Eintritt in dem Hofe ſchon mit einem Trinkgelde ent- richten, und obgleich nur ſehr wenig Sklavinnen da waren und nichts irgend Merkwürdiges zu ſehen war, ſtand doch eine Negerin von einer herkuliſchen Geſtalt und Kraft vor der Bude und ließ ſich jeden Blick nach ihren häß- lichen Gefährtinnen mit ſchweren Piaſtern bezahlen. Kaum war dieſe befriedigt, ſo ſtreckten ihre Gefährtinnen in dem Verſchlage die Hände ebenfalls nach einem Bak- ſchiſch heraus. Dies Alles ſchien uns ſo wenig afrika- niſch, und ſo ſehr europäiſch, daß wir eilten davonzukommen. Ein Bad in dem prächtigen Meerbuſen half uns den Schmutz des Sklavenmarktes abſchütteln. Wir überließen uns mit Uebermuth dem Spiel der Wellen, bis uns der Führer zurief, nicht zu weit in den Golf uns zu wagen, weil Haifiſche ſich darin aufhielten, und die Badenden wohl anbiſſen. Gern hätten wir unſeren Reiſegefährten, Conſul M., aufgeſucht; aber die Cholera hatte ihn, wie viele andere Europäer aus der Stadt in die benachbarten Dörfer ver- trieben, in denen die wohlhabenderen Kaufleute ihre Land- häuſer haben, einen großen Theil des Jahres wohnen und nur zu den Geſchäften nach der Stadt kommen. ^v^.-x->-->------------------------- XXXII. Charakter der Türken und ihre Zukunft. Smyrna war unſer letzter Punkt in der Türkei; mit ihm verließen wir das merkwürdige Land. Wir hatten die wenigen Wochen unſeres Aufenthalts nach Möglich- keit zur Kenntniß deſſelben und ſeiner Bewohner benutzt. Mit dem Abſchied ſuchten wir uns Rechenſchaft zu geben, und uns ſelbſt klar zu werden über das, was wir gefun- den hatten. Unſer Urtheil konnte bei der Kürze des Auf- enthalts auf keine unbedingte Wahrheit Anſpruch machen; aber wir waren ohne Vorurtheil gekommen; wenngleich gegen Rußland, waren wir doch weder für noch gegen die Türken eingenommen, und die Eindrücke, die das Land auf ſolche Fremden macht, ſind vielleicht nicht ohne Inter- eſſe und nicht ohne eine gewiſſe Wahrheit. Die allgemeinſte und vorherrſchendſte Wahrnehmung bei unſerem Aufenthalt war, daß das türkiſche Volk voll Lebenskraft und gemeſſener Energie, nichts weniger als zu den abſterbenden, altersſchwachen Völkern gezählt wer- den darf. Die ganze Vorſtellung von abſterbenden Völ- kern, ſo gang und gebe ſie auch iſt, halte ich für falſch; ſie iſt von dem Leben des Individuums hergenommen und hat erſt ihre Berechtigung in der Anwendung auf – 333 – Völker zu erweiſen. Die Geſchichte lehrt, daß einzelne Völker mit Gewalt von außen unterdrückt worden ſind; daß fehlerhafte Inſtitutionen und die Privilegien einzelner Klaſſen, den Fortſchritt eines Volkes hemmen können; daß die Thätigkeiten, in denen mehr das ſchaffende als das reflektirende Element vorherrſcht, in einem Zeitraume mehr als in einem andern im Volk verfallen können, ſowohl in Werken der Kunſt, als Bildung neuer Staats- und Gemeindeformen; – allein ſolche Schwan- kungen rechtfertigen noch in keinem Falle jene Analogie vom Abſterben und Altersſchwäche, und die ganze Auf- faſſung iſt mangelhaft, weil ſie nur das Volk von ſeiner politiſchen Seite auffaßt, die in dem ganzen Leben des Volkes nur einen Theil bildet, der durch kräftigeres Auf- treten in anderen Richtungen einen Erſatz erhalten kann. Die Italiener, Polen, Griechen geben den Beweis; dieſe Völker ſind nichts weniger, als altersſchwach. Wenn die Türkei ſeit dem vorigen Jahrhundert den- noch unter ſolchen Vorſtellungen aufgefaßt worden iſt, ſo liegt der Grund nicht in ihrem Rückſchritt, ſondern in dem größeren Fortſchritt der europäiſchen Staaten, in den Naturwiſſenſchaften, in ihrer Anwendung für das Leben und in geſchickterer Entwickelung gewiſſer ſozialer Inſti- tutionen für die Stärkung der Centralgewalt. Durch die Entdeckungen in den Naturwiſſenſchaften und die hierauf gebauten Maſchinen, Fabriken, Verbindungsmittel iſt in den europäiſchen Staaten die Natur zu einer ſtärkeren Ge- hülfin in Schaffung des Reichthums gemacht und der Reichthum dieſer Nationen gegen früher verhundertfacht worden. Die Ausbildung der ſtehenden Heere mit ihren taktiſchen und ſtrategiſchen Fertigkeiten, die Entwickelung eines feſten und regelmäßigen Abgabeſyſtemes, die Schaf- fung eines Heeres von Polizeibeamten, alles unterſtützt – 334 – durch jene Erfindungen und die Naturwiſſenſchaft, durch Dampfſchiffe, Eiſenbahnen, Telegraphen, beſſere Waffen, hat die Macht der Regierung noch in ſtärkerem Maaße vergrößert, als der Nationalreichthum geſtiegen iſt. Dieſe Fortſchritte begannen genau mit den Zeiten, wo die Türkei in ihrer Eroberungspolitik in Stillſtand kam; es war ſehr natürlich, daß dieſe Eroberungspolitik auch ohne Rück- ſchritt der Türkei, an dieſen neuen Gewalten ſich brechen mußte; daß mit der ungeheuren Zunahme dieſer Gewal- ten die Türkei, die hieran nicht Theil nahm, als ein Reich voll Schwäche und Haltloſigkeit erſcheinen mußte. Hieraus erklärt ſich das veränderte Verhältniß der Türkei zu Europa. - In den inneren Zuſtänden der Türkei, in dem Cha- rakter, in den Sitten, in den Hülfsquellen und den ge- werblichen Thätigkeiten hatte keine Umänderung ſtattgefun- den; aber es genügt vollkommen, daß ſie ſtehen blieben, während Europa in immer reißenderem Grade vorſchritt, um die Türkei zu einem ohnmächtigen Staat herabſinken zu machen, deſſen Exiſtenz zu lange nur von dem guten Willen ſeiner Nachbaren abhing. Als die Größe dieſes Fortſchrittes dem Auge der Türkei ſich endlich aufdrang mit der Gefahr, die hieraus für ſie erwuchs, war es ein ganz natürlicher Gedanke, dieſelben Mittel zur Macht auch in der Türkei in Thä- tigkeit zu ſetzen, und dieſer einfache Gedanke iſt es, der die türkiſche Regierung ſeit Mahmud II. erfüllt. Die Janitſcharen wurden vernichtet und ein Heer nach euro- päiſchem Syſtem mit ungeheuren Anſtrengungen geſchaf- fen. Verbeſſerungen wurden in der Flotte eingeführt; man ſuchte nach einer Reform der Steuern; man begann eine Zahl von Centralbehörden in Conſtautinopel nach dem Muſter von Europa zu bilden. Man ſorgte für Verbeſ- – 335 – ſerung der Communicationsmittel, für Errichtung von Fabriken, für den beſſeren Unterricht in den Elementar- ſchulen und für höhere Bildungsanſtalten. Es iſt ſehr Sitte in Europa, und es war vor dem Kriege noch mehr Sitte, alle dieſe Unternehmen der tür- kiſchen Regierung als vergeblich, als verunglückt, als über- eilt und nutzlos darzuſtellen; man braucht nur das Brock- hausſche Converſationslexicon nachzuleſen, deſſen Artikel über die Türkei trotz ihrer liberalen Färbung durch und durch von dieſer Anſicht erfüllt ſind. Sie geben genau die bis vor Kurzem herrſchende öffentliche Meinung. Aber wer einigermaßen mit Staatsgeſchäften vertraut iſt, wer die Schwierigkeiten einer neuen Organiſation, ſelbſt in Europa, nur ein wenig kennen gelernt hat, der muß wenn er nach der Türkei kommt, erſtaunen über die un- geheuren Fortſchritte, die das Land in den letzten dreißig Jahren gemacht hat. Ein Bau, der in den europäiſchen Staaten viertehalb hundert Jahre gebraucht hat, kann natürlich in der Türkei mit dreißig Jahren nicht vollendet ſein; die Reformen müſſen viel Uebereiltes, viel Gemachtes an ſich tragen; ſie können noch auf keiner Baſis in dem Volke ruhen; ſie können noch nicht in die entfernteren Theile des Landes eingedrungen ſein, aber dergleichen iſt bei gewaltſamen Reformen von Oben herab unvermeid- lich. Es ſind ähnliche Zuſtände, wie ſie in Rußland unter Peter dem Großen vor anderthalb hundert Jahren be- gannen; civiliſirten Ländern gegenüber können ſolche zu- rückgebliebenen Länder nicht den langſamen Weg der Selbſtentwickelung gehen. Dennoch wird die Türkei in der Annäherung an europäiſche Cultur und Staatsformen Rußland noch iu dieſem Jahrhundert überholen. Für eine tüchtige Armee mit europäiſcher Ausbildung und Ausrüſtung iſt Ungeheures ſeit 1826, wo die Janit- – 336 – ſcharen beſeitigt wurden, geſchehen. Man hat ein regel- mäßiges Rekrutenſyſtem eingeführt; man hat in Ausbil- dung der Soldaten viel geleiſtet, wie die Reſultate des Krieges an der Donau beweiſen; man hat Militairſchulen errichtet und Kaſernen gebaut, die mit den beſten in Europa ſich meſſen können. Dieſe Bauten allein, die nach allen Richtungen um Conſtantinopel zu finden ſind, müſſen viele Millionen gekoſtet haben. Die Bildung des Heeres und der Flotte iſt mit rich- tigem Inſtinkt als die erſte Aufgabe der Regeneration des Staates erkannt uud darauf ſind bis jetzt die größten Mittel verwendet worden. Erſt wenn der Staat damit ſich ſeine Selbſtſtändigkeit nach Außen und ſeine Selbſtſtän- digkeit nach Innen gegen die übermüthigen Paſcha's wie- dererrungen haben wird, kann die Reform auf einer feſten Baſis weiter ſchreiten. Deshalb ſind natürlich alle an- deren Reformen in der Steuerverwaltung, in der Hebung der Fabriken und der Schiffahrt, in der Verbreitung des Unterrichts, in der Gleichberechtigung der verſchiedenen Nationalitäten und Religionsbekenntniſſe noch in den erſten Anfängen ſtecken geblieben. Man hat vortreffliche Grundſätze hierüber bereits ausgeſprochen; man hat von Oben herab Organe zu ſchaffen geſucht, die dieſe Refor- men in das Land und in das Leben des Volkes über- führen ſollen, aber es iſt natürlich, daß hier noch wenig Fortſchritt erlangt worden iſt; denn was ſind 30 Jahre für ſolche Reformen, um Leben im Volke ſelbſt zu ge- winnen und wo hat je ein Land mit ſo viel Feinden von Außen und Innen ſeit dem Beginne ſeiner Regeneration zu kämpfen gehabt, als die Türkei. Nur Kurzſichtigkeit, oder Ungeduld, oder böſer Wille kann dieſe Schwierigkei- ten überſehen und die Vergeblichkeit all dieſer Reformen behaupten. – 337 – Um über die Fähigkeit der Türkei, als Staat zu neuer Kraft und Selbſtbeſtimmung zu gelangen, urtheilen zu können, muß man auf das Volk ſelbſt zurückgehen, auf ſeine phyſiſchen und geiſtigen Eigenſchaften, auf die Ge- ſtaltung ſeines Lebens und ſeiner Thätigkeit in den ur- ſprünglichſten Formen, denen der Familie, des Erwerbes und der Religion. Die Türken gehören nach ihrem Aeußern zu den ſchönſten Abkömmlingen der Kaukaſiſchen Race. Die Männer ſind beinahe ohne Ausnahme hohe, kräftige, muskulöſe Geſtalten, vollkommen proportionirt, mit etwas breitem Oval und großem Kopf mit hoher Stirn, dem Zeichen eines großen Gehirns. Man bemerkt ſelten ver- krüppelte oder ſchwächliche Männer; ſelbſt nicht in der Hauptſtadt. Ueber die Frauen iſt ſchwer zu urtheilen, aber nach dem Wenigen, was wir erhaſchen konnten, ſind ſie zwar in Folge ihrer Lebensweiſe weniger kräftig ent- wickelt, ſie ſind verhältnißmäßig kleiner, ihre Muskeln und Züge ſind fleiſchig und ſchlaff. Dennoch zeigen ihre Augen, ihre breite Stirn dieſelben guten Naturanlagen, und da das Geſchlecht der Männer bis jetzt phyſiſch noch nicht herabgekommen iſt, ſo beweiſt dies auch eine vor- treffliche Körperkonſtitution der Frauen, die ſelbſt ihrer erſchlaffenden Lebensweiſe widerſteht. In dem Charakter der Türken tritt dem Fremden ſehr bald der Grundzug entgegen, der durch alle Beziehungen hindurch geht; es iſt der der Maaß haltenden Kraft, einer Kraft, weniger leicht erregbar, als bei den europäi- ſchen Völkern; aber die einmal erweckt, an Intenſität und Dauer von keinem übertroffen wird. Dieſer Grundzug iſt einer der höchſten und edelſten, deſſen die menſchliche Natur fähig iſt, und ſeine erhebenden, veredelnden Wirkungen dringen wie leuchtende Strahlen in alle – 338 – Zuſtände und Thätigkeiten dieſes Volkes, bis auf die niedrigſten. So iſt die Mäßigkeit eine der allgemeinſten Tugenden in der Türkei. Es iſt unglaublich, wie wenig und wie einfach die mittleren und niederen Klaſſen eſſen. Eine Waſſermelone und ein Stück Brot bildet für den Sommer die tägliche Nahrung und als Luxus kennt man nur eine Pfeife Taback und eine Taſſe Kaffee. Unſere Schiffer, unſere Pferdeführer, unſere Begleiter auf den Olymp haben bei dieſer Nahrung die größten körperlichen An- ſtrengungen Tage lang ertragen. Die 300 Rekruten, die über hundert Meilen aus Aſien gewandert kamen, waren bei dieſer Nahrung alle ſo kräftig und munter, als mar- ſchirten ſie den erſten Tag. Was läßt ſich mit ſolchen Leuten als Soldaten ausführen! Damit hängt die Reinlichkeit der Türken zuſammen. Im Vergleich mit dem ſprichwörtlichen Schmutz ihrer Städte ſcheint dieſe Eigenſchaft auffallend, aber es bleibt nichts deſto weniger wahr, daß wir in Europa nirgends in den untern und mittlern Klaſſen eine Reinlichkeit des Körpers gefunden haben, wie in der Türkei. Die zahl- reichen Badehäuſer und die Vorſchriften ihrer Religion unterſtützen ſie in dieſer ſchönen Tugend, aber ſie iſt nicht blos eine Folge davon. Der Anzug iſt oft zerriſſen; die Türken ſind keine Freunde vom Ausbeſſern, weder bei Kleidern noch bei Gebäuden; ſelbſt die Palläſte des Sul- tan verfallen, ſo weit das urſprüngliche Material nicht mehr vorhält; aber dennoch iſt ihre Kleidung nicht mit dem Schmutz bedeckt, wie man ihn in dem ſüdlichen Eu- ropa findet. Ihre baumwollenen Hemden und Hoſen waren immer weiß und ich habe oft ohne Widerwillen ihre Jacken zum Zudecken und Schutz gegen Wind benutzt. Eine Folge dieſer Mäßigkeit und Reinlichkeit iſt die – 339 – Reinheit der Atmoſphäre, die ſelbſt den niedrigſten Türken umgiebt. Wir waren in ſteter Berührung mit Schiffern, Laſtträgern, Pferdeknechten, aber nicht ein einziges Mal hatten wir unter den widerwärtigen Ausdünſtungen zu leiden, die in Europa ſo abſchreckend ſind. Die Türken trinken keinen Branntwein, eſſen wenig Fleiſch; Schweine- fleiſch, Wein unterſagt ihre Religion und dieſes Verbot wird noch im Allgemeinen beobachtet. Mit ſolcher Diät, bei ſtetem Aufenthalt in freier Luft, behält ihr Körper eine Reinheit in der Ausdünſtung, die man in Europa ſelbſt in den höchſten Ständen nicht findet. Auch von dem Umgekehrten, den künſtlichen Wohlgerüchen, hat man in der Türkei nicht zu leiden. Eine andere, überaus wohlthuende Eigenſchaft des Türken iſt ſeine Dezenz. Wir haben nie eine unanſtän- dige, gemeine Geſtikulation oder andere Handlung bei ihnen bemerkt, und obgleich der Dragoman uns jedes Wort von den aufgeregten Geſprächen auf Straßen, in Schiffen überſetzen mußte, haben wir darin nie ein in- dezentes Wort, eine Anſpielung auf geſchlechtliche Ver- hältniſſe bemerkt, von denen die Unterhaltungen und die Scherze der niedern Klaſſen in Europa ſtrotzen. In Deutſch- land iſt man, wenn man ſingenden Soldaten oder Hand- werksburſchen begegnet, genöthigt, die roheſten Witze und Anſpielungen zu ertragen; der Verkehr beider Geſchlechter auf Tanzböden, auf den Erndtefeldern, auf den Tennen der Scheunen, in den Sälen der Fabriken geſtattet Scherze und Handgreiflichkeiten, von denen in der Türkei auch nicht eine Spur zu finden iſt. Das Verhältniß der Frauen zu Männern iſt da noch barbariſch, wenigſtens dem äußern Anſcheine nach; aber dieſe Strenge hat die ſchöne Folge gehabt, daß das Benehmen des Mannes außerhalb des Harems von einer Dezenz iſt, die man bei uns nicht in 22 - – 340 – den höchſten Ständen findet. Gewiſſe unvermeidliche Be- dürfniſſe, deren Erledigung bei uns ſich kein Arbeiter in Gegenwart anderer Männer ſchämt, werden von dem niedrigſten Türken auf eine Weiſe befriediget, daß wir trotz täglichen Verkehrs mit ihnen nie es bemerkt haben. Mit dem Worte Harem verbindet man in Europa die Vorſtellung von ſinnlichen Ausſchweifungen, aber mit Un- recht. Harem iſt der Name für die Wohnung der Frau, die ſelbſt in den untern Klaſſen ſtets getrennt und für ſich beſteht. Geht der Türke in den Harem, ſo heißt dies nur, daß er ſeine Frau beſucht. Nach türkiſchem Begriff leben die Europäer den ganzen Tag im Harem. Es iſt ſchon erwähnt, daß es ſelbſt in den reichen Klaſſen ſelten iſt, daß ein Türke mehr als eine Frau habe. Geſchlechtliche Ausſchweifungen mögen bei den höheren Klaſſen allerdings vorkommen, aber die mittleren und niederen Klaſſen kann dieſer Vorwurf nicht treffen, denn ihre hohen, muskulöſen, kräftigen Geſtalten, ihre Ausdauer in der Arbeit ſind ein unwiderleglicher Beweis dagegen. Der Prediger S. be- ſchuldigte die Türken eines Laſters, was ſchon unter den Griechen und Römern herrſchte. Ich kann darüber nicht urtheilen, aber die Kräftigkeit der Männer und die nicht abnehmende Bevölkerung beweiſen wenigſtens, daß auch dieſe Ausſchweifungen nur Ausnahmen bilden. Auch ſollte der Nordländer ſich hüten, in dieſem zarten Punkte ſeine Begriffe von Sittlichkeit, von den Gränzen zwiſchen Er- laubtem und Unerlaubtem als die abſolut für die ganze Erde gültigen hinzuſtellen. Bei keinem Gegenſtande ſind Moral und Wirklichkeit in Europa mehr einander wider- ſprechend, und dieſer dauernde und allgemeine Gegenſatz von Soll und Iſt kann mit Recht zweifeln laſſen, ob die Sittenlehre in dieſem Punkte ſchon als abgeſchloſſen und vollendet zu erachten iſt. – 341 – Es giebt in Konſtantinopel auch unter den Türken öffentliche Frauen, aber ſie ſind in ihrem Aeußern und Benehmen auf den Straßen kaum von den ehrbaren Frauen zu unterſcheiden. Sie ſind ebenſo in weite Mäntel eingehüllt und verſchleiert; und nur ein geübtes Auge erkennt an dem etwas loſeren und offneren Schleier den Unterſchied; es ſind auch die einzigen Frauen, die der Türke auf der Straße anredet. Aber dies iſt alles, was äußerlich den Unterſchied macht. Abends findet man nie in Stambul ſolche Perſonen auf den Straßen, und den- noch ruht dieſe Decenz nur auf der Sitte; es giebt keine Polizei, die der Moralität nachhülfe. Die Rechtlichkeit des türkiſchen Kaufmanns in der Mitte zwiſchen lügenden und betrügenden Griechen, Ar- meniern und Juden, iſt ſelbſt in Europa bekannt; ſchon den Kindern erzählt man von dem gemeſſenen Schweigen des auf ſeinen Knieen im Bazar ſitzenden Türken, der keinen Vorübergehenden mit Anbieten beläſtiget, keinen Pfennig vorſchlägt und nur ächte, gute Waare verkauft. In dieſem ſchönen Bilde, das mir aus meiner Jugend- zeit noch lebendig war, fand ich allerdings manches idea- liſirt; man wird in den Kaufhallen auch wohl von einem Türken jetzt angerufen; auch der Türke läßt etwas mit ſich handeln, aber der Grundzug davon iſt noch heute wahr, trotz dem, daß der Türke den verderbenden Ein- flüſſen der anderen Nationen und den Verſuchungen eines großſtädtiſchen Lebens nun ſchon ſeit Jahrhunderten aus- geſetzt geweſen iſt. Der in den letzten Jahrzehnten außer- ordentlich geſtiegene Andrang von Europäern in Konſtan- tinopel, ihre Gewohnheit zu handeln, hat den türkiſchen Handwerker und Händler genöthigt, dieſen Sitten ſich zu fügen; aber doch nur wenig, und noch heute kauft man von einem Türken am ſicherſten. – 342 – Auch die Gaſtfreiheit gehört zu den guten Eigenſchaf- ten des Türken. Die Bewirthung iſt einfach; Kaffee und eine Pfeife; aber bei der eigenen Genügſamkeit des Tür- ken iſt dies meiſt alles, was er bieten kann. Selbſt in der Hauptſtadt fanden wir noch einzelne Züge dieſer ſchönen Tugend, die vor der Civiliſation verſchwindet. In den Provinzen wird man in dieſer Weiſe empfangen und bewirthet, ohne daß irgend eine Rede vorher gewech- ſelt wird, und der Türke iſt mit einem unbedeutenden Geſchenk zufriedengeſtellt. Damit hängt ſeine Dienſtfertigkeit zuſammen. Selbſt der Arbeiter hat ein feines Gefühl hierin und eine Auf- merkſamkeit, die überraſcht. Ohne viel zu ſprechen, ſorg- ten unſere Schiffer und unſere Pferdeführer ſtets für jede kleine Bequemlichkeit, die die Reiſe uns leichter machen konnte; ſie breiteten die Teppiche aus, ſie brachten Waſſer, ſie zündeten die Pfeifen an, ſie halfen uns ſteile Berge erklettern, alles mit einer Anſpruchsloſigkeit und Ruhe, als gehörte es zu ihrer eigenen Exiſtenz. Mit welcher Gutmüthigkeit ertrugen die Türken auf dem Olymp un- ſeren läſtigen Beſuch während der Nacht. Sie räumten die beſten Plätze am Feuer uns, den Fremdlingen, den Chriſten, ohne irgend ein Wort zu verlieren, oder einen Dank zu erwarten. In den Kaffeehäuſern wird man mit der feinſten Aufmerkſamkeit bedient; man hat nicht den Lärm und das widrige Geſchwätz und Geſchrei der euro- päiſchen Kellner. Der Diener erkennt in den Zügen ſei- nes Gaſtes, was ihm fehlt, und es reut ihn nicht, zwei- und dreimal zu kommen und anzubieten, weſſen der Gaſt nach ſeiner Meinung bedarf; alles mit Gutmüthigkeit und ohne allen Anſpruch auf ein Trinkgeld. Zu den Tugenden der Türken hat ſich jetzt noch die Toleranz geſellt. Daß er die Störung ſeines Gottes- – 343 – dienſtes in den Moſcheen nicht jedem neugierigen Euro- päer geſtattet, ſcheint ſehr natürlich; das hat mit Tole- ranz nichts zu ſchaffen; aber es giebt kein Land, wo jeder in der Ausübung ſeiner Religion ſo frei iſt, wie hier. In Pera, in der ganzen Türkei ſind alle möglichen chriſt- lichen Confeſſionen, alle Mönche und Nonnen Enropa's zu finden. Die türkiſche Regierung läßt ſie frei gewäh- ren, und in Jeruſalem ſendet ſie ſelbſt Soldaten und Polizei in die chriſtlichen Kirchen, damit die Griechen, Katholiken und Proteſtanten im Streite über das heilige Grab nicht handgemein werden, und am Altare einander blutige Kämpfe liefern. Dieſe Toleranz bezieht ſich nicht blos auf Religion, ſondern auf die ganze Sitte und Gewohnheit zu leben, wie es jedem gefällt; weder die Polizei ſtört ihn, noch der Spott von Straßenbuben oder das Gelächter der Ar- beiter. Die ſonderbarſten Anzüge, die lächerlichſten Be- dürfniſſe, zu denen die Civiliſation in Europa geführt hat, werden nicht blos in Conſtantinopel, ſondern ebenſo in den Provinzen von den Türken zugelaſſen, ohne daß der Fremde durch Lachen, oder nur durch neugierige Blicke ſich geſtört fühlte. Die Türken, Hohe und Niedrige, ſind in dieſer Beziehung wahre Philoſophen, die kaum bemer- ken, wie Jemand ißt, ſich kleidet und ſich dreht. Hiermit hängt die große Sicherheit zuſammen, deren der Fremde in der Türkei genießt. Mitten in dem Ge- wühl Stambuls, unter den Frauen auf den Vergnügungs- orten, wo an ſich kein Mann nach türkiſcher Sitte hin- gehört, mitten in der Nacht, auf einſamen Wegen, in den Gebirgen des Olymp, in den abgelegenſten Dörfern iſt uns nie ein Haar gekrümmt, nie der geringſte Gegenſtand entwendet worden, obgleich wir und der Dragoman ohne alle Waffen waren. Daſſelbe Zeugniß geben ihnen be- – 344 – rühmte Reiſende, wie Fellow, die lange unter den Tür- ken gelebt haben. Die Gräuel, welche die Allgemeine Augsburger Zeitung, als gegen die chriſtliche Bevölkerung in der Türkei verübt, von Zeit zu Zeit erzählt hat, ſind be- reits widerlegt worden; und was daran wahr bleibt, hat offenbar ganz andere Motive, als Intoleranz; die Schuld wird davon meiſtens auf Seiten der Chriſten ſein, die überhaupt im Orient, mit Ausnahme der Griechen, zu der moraliſch am tiefſten ſtehenden Klaſſe gehören. Die Toleranz zeigt ſich ſelbſt gegen die Neger, die in großer Zahl als Handwerker, auch als niedere Beamte in der Türkei vorhanden und aus den freigelaſſenen Skla- ven hervorgegangen ſind. In dem freien Amerika herrſcht in dieſem Punkte eine unüberſteigliche Scheidewand; kein Weißer erkennt den Schwarzen als ebenbürtig, und der geſellige Verkehr iſt völlig geſchieden. In der Türkei ge- nießt ſelbſt dieſer ſchwarze Theil der Bevölkerung volle Gleichheit nicht blos im Recht, ſondern auch in der Sitte und im Umgang. Der Türke iſt fromm in dem beſten Sinne des Worts. Er glaubt noch unbedingt an ſeine Religion und iſt ge- wiſſenhaft in Ausübung der von ihr ihm auferlegten Vor- ſchriften. Das Verbot des Weintrinkens mag mitunter übertreten werden, aber mehr nur in den reicheren Klaſ- ſen, bei den übrigen haben wir es nie bemerkt, obgleich der Wein dort billiger, wie das Bier bei uns iſt. Selbſt der Kavaß auf dem Olymp trank zu ſeiner Stärkung nur einen einzigen Schluck. Unter den Türken herrſcht eine große Verträglichkeit. Die Hunderte von Kaikführern gerathen nie in Thätlich- keiten unter einander, obgleich ſie mit ihrem Erwerb und mit ihren Kaiks einander ſtets durchkreuzen; wir haben nicht eine einzige Prügelei oder nur ein grobes Schimpfen – 345 – während unſeres Aufenthaltes bemerkt. Auf den Dampf- böten waren oft Hunderte von Türken aus den niederen Klaſſen zuſammengedrängt; von Mudania nach Conſtan- tinopel fuhren auf dem Dampfſchiff die 300 Rekruten und noch eine große Zahl anderer Türken; jeder Platz war beſetzt und Jeder war dem Andern in dem Wege; aber während der gegen 6 Stunden dauernden Fahrt bei der brennendſten Sonnenhitze und vielen Unbequemlichkeiten haben wir nicht einen Streit gehört, nicht eine Unver- träglichkeit bemerkt. Auch hier wirkt die Ruhe, der Ernſt, das ſinnende Weſen, was in dem türkiſchen Charakter liegt, vortheil- haft. Unvermeidliche Unbequemlichkeiten und Uebel wer- den mit voller Gelaſſenheit ertragen; die Mäßigkeit, die Gewöhnung an ein einfaches, durch Bequemlichkeiten nicht verweichlichtes Leben hilft den Türken über ſolche Dinge leicht hinweg, die der Europäer tagelang nicht überwinden kann. Man kennt in der Türkei keine Sentimentalität und keine üble Laune. Durch alle Klaſſen der Bevölkerung zieht ſich das Ge- fühl von Stolz und Selbſtändigkeit. Die Ruhe, das Schweigen des Türken iſt nicht die Ruhe der Erſchlaffung, der Faulheit, ſondern die Ruhe, die aus dem Gefühl der eigenen Würde hervorgeht, die Ruhe eines nicht leicht be- weglichen Geiſtes, der für eine Menge von Kleinigkeiten keinen Sinn hat, der mit wenigen einfachen, aber tiefen Ideen erfüllt iſt, die ſein Daſein tragen, ohne daß er, um ſeine Zeit auszufüllen, all jener Hülfsmittel der europäi- ſchen Kultur, der Karten, des Theaters, der Concerte, der Bälle, der Lectüre bedarf. Dieſer Stolz hat den Türken vor jenen kriechenden und unterwürfigen Manieren geſchützt, die in Europa, nament- lich dem öſtlichen Theile, unter den niederen Klaſſen noch – 346 – herrſchen. Dergleichen findet ſich in der Türkei nur dem Sultan gegenüber; in dem bürgerlichen Verkehr, in den Verhältniſſen des Umgangs herrſcht eine Gleichheit der verſchiedenen Stände, die uns in Erſtaunen ſetzte. Es giebt keinen ſchöneren Gruß, als den türkiſchen; man nimmt die Kopfbedeckung nicht ab; man berührt mit der Hand ſeinen Mund und ſeine Stirn bei einer leichten Beugung und graziöſen Bewegung der Hand nach dem zu Grüßenden hin. In den Kaffeehäuſern ſitzen alle Stände bunt durch einander, ohne daß der Reiche in der Nachbarſchaft des Armen den mindeſten Anſtoß nimmt. Ihre Genüſſe ſtehen ſich gleich; beide rauchen denſelben Taback und trinken denſelben Kaffee. Auf den Vergnügungs- plätzen im Freien waren alle Stände auf das ungezwun- genſte gemiſcht und gar nicht zu unterſcheiden. Die Kleidung der reichſten Frau, der ärmſten und der Sklavin waren dieſelbe; alle hatten den einfarbigen Mantel von demſelben Schnitt und den weißen Schleier; nur an den Ringen und Edelſteinen konnte man die Reichere er- kennen. Diener, Sklaven ſitzen mitten unter den Fa- miliengliedern und nehmen mit ihnen gemeinſchaftlich Theil an dem Mahle, an den Genüſſen, die der Platz bietet. Die Diener in dem Palaſt der hohen Pforte tragen die Flaſchen mit Limonade mit derſelben ſtolzen Haltung, wie die höhern Beamten ihre Dokumente; die Be- handlung der Diener war mild und ruhig. Der türkiſche Geſandte, welcher mit uns die Reiſe nach Trieſt machte, behandelte ſein ganzes Perſonal mit einer Liebenswürdig- keit und Gleichheit, als wären die Dollmetſcher, Sekre- taire, Räthe mit dem Geſandten nur ein Verein guter Freunde, die eine gemeinſchaftliche Reiſe unternommen hätten. Er ſprach gegen ſeine Diener nie ein hartes Wort, und er bedurfte ſo wenig der Bedienung, daß – 347 – man den Diener ſelten zu Geſicht bekam. Stolz erfüllt ſelbſt die wenigen Bettler, die wir in Konſtantinopel an- getroffen haben. Es waren nur verkrüppelte Perſonen, die ruhig auf ihrem Platz blieben und nur mit einem leiſen Wort um ein Almoſen baten. Von dem Heere Bettler und Bettelkinder, die man in Deutſchland, in Italien, in Griechenland zu überwinden hat, iſt in der Türkei nichts zu ſehen. Es giebt keinen Geburtsadel, keine Ariſtokratie in der Türkei; die höchſten Stellen des Staats ſind jedem zugänglich. Dieſes Selbſtgefühl ſchützt den Türken auch vor der Putzſucht Europas. Seine Tracht iſt maleriſch; aber es fällt ihm nicht ein, ihre einfachen Beſtandtheile durch einen Flitterſtaat oder beſondern Schnitt zu erhöhen; der Türke kennt keinen Wechſel der Mode. Selbſt die Frauen ſcheinen von dieſer Leidenſchaft frei zu ſein, wenigſtens außer dem Hauſe. Ihre Tracht iſt ſtets dieſelbe und es iſt unmöglich darin durch Putz und Zierrath eine Aus- zeichnung anzubringen. Eine andere gute Eigenſchaft der Türken iſt ihr Sinn für Naturſchönheit und einfachen Naturgenuß. Die ſchönen Punkte am Bosporus werden von den Türken aller Klaſſen viel beſucht. Der Sultan hat an jedem hervorragen- den Ort ſeinen Kiosk und die vielen Fenſter der Zimmer haben den Zweck, der Natur ſo nah, als möglich zu bleiben. Dieſen vielen und ſchönen Tugenden des türkiſchen Volkes ſteht nun allerdings eine körperliche und geiſtige Indolenz gegenüber, die in dem Auge des Europäers als Trägheit erſcheint und in mannigfachen Richtungen ihre nachtheiligen Wirkungen äußert. Zunächſt zeigen ſie ſich in der Erwerbsthätigkeit. Der Ackerbau ſteht auf einer ſehr tiefen Stufe; die oft vorhandenen Gelegenheiten zu Bewäſſerungen ſind nicht benutzt; das Klima macht – 348 – doppelte Erndte im Jahre möglich, aber man macht von dieſer Gunſt des Himmels keinen Gebrauch. Der Wirth in Bruſſa beklagte ſich bitter über dieſe Trägheit, wenn wir ihm Vorwürfe machten, daß Gemüſe und Früchte nicht in der Vollkommenheit vorhanden wären, wie ſie die Lage des Landes möglich mache. Daſſelbe gilt von den Handwerkern. Sie ſtehen alle noch auf einer tiefen Stufe; Werkzeuge und Verfahrungs- art iſt noch roh und die Waaren ſind plump und ver- hältnißmäßig theuer. Man produzirt wenig. An Fa- briken und Benutzung der Maſchinen hat es bis vor kurzem ganz gemangelt; erſt durch Europäer iſt ein An- fang gemacht. Die Kultur der Seide könnte eine Höhe und Ausdehnung erhalten, die Italien und Frankreich überflügelte; denn das Klima iſt vortrefflich und der Maulbeerbaum wächſt in einer Ueppigkeit, die man ſelbſt in Italien nicht kennt; die Bodenrente und der Arbeitslohn ſind niedrig. Aber die produzirte Seide iſt zwar in der Qualität vortrefflich, aber gering in Quantität; und die inländiſchen Zeuge ſind ſchlecht gewebt und noch ſchlechter gefärbt. In der Schiffahrt wird in Folge dieſer Indolenz der Türke von den Griechen übertroffen, ebenſo in Handel und dem Geldweſen. Noch auffallender iſt aber der Mangel der geiſtigen Ausbildung. Es giebt zwar jetzt viele Schulen; wir ſelbſt haben in Konſtantinopel eine Elementarſchule beſucht. Die Schüler kommen aber über das Leſen des Koran nicht hinaus; und nach Ende der Schulzeit wird wahr- ſcheinlich alles vergeſſen, weil die Fortübung fehlt. Es waren in einer engen Stube an 50 Kinder beiſammen bei einem Lehrer. Drei Knaben ſtanden vor ihm und mußten aus einem Buche laut leſen. Es ging dieſes – 349 – ziemlich ſtockend, obgleich die Knaben an 14 Jahre alt waren; dabei wackelten ſie fortwährend mit dem Kopfe und dem Leibe hin und her und ſprachen in einem ſin- genden Tone. Die übrigen Kinder hatten keine Bücher und hörten nur zu. In einem höhern Verſchlage, näher der Decke, waren noch an zwanzig kleinere Kinder wie in einen Hühnerſtall zuſammengeſperrt; nach dem was uns der Dragoman darüber ſagte, war dies eine Art von Kinderbewahranſtalt, während die Eltern auf Arbeit ab- weſend ſind. Indeß ſchien uns dieſes unwahrſcheinlich, da ſelbſt die Frauen der Arbeiter keine regelmäßige Be- ſchäftigung außer dem Hauſe haben. Die geiſtige Bildung der Türken iſt durch alle Klaſſen hindurch gering und es fehlt auch an allen Hülfsmitteln zur Entwickelung. Es giebt keine Zeitung, keine Bücher, die leicht zugänglich wären, keine Vorleſungen, keine öffent- lichen Verhandlungen, keine Ausſtellungen, keine Theater; Anſtalten die in Europa ein ungeheueres geiſtiges Ma- terial täglich unter die Bevölkerung ausſtreuen und eine ſtete Anregung zum Denken unterhalten. Ebenſo fehlt aller Sinn für Kunſt. Die Abbildung lebender Geſchöpfe in Farben und im Stein iſt durch den Koran unterſagt; eine Folge des Kampfes gegen den im Chriſtenthum herrſchenden Bilderdienſt zur Zeit Muha- meds. Der Sinn und die Fähigkeit für Muſik fehlt ebenfalls. Es giebt zwar bei den neuen Regimentern auch eine Militairmuſik nach europäiſchem Muſter; ſie iſt aber noch herzlich ſchlecht und dabei noch unter europäiſcher Leitung. Auch die Baukunſt ſteht niedrig; die Moſcheen ſind nur Nachahmungen der griechiſchen Muſter und die Paläſte des Sultans ſind ein verworrenes Gemiſch aller Bauſtyle. Auch hier fehlen alle Einrichtungen zur Aus- bildung des Kunſtſinnes; es giebt keine Muſeen hier, – 350 – keine Conzerte, keine Werkſtätte von Künſtlern, keine Vor- leſungen über Kunſt. Dieſe Starrheit und Indolenz in geiſtiger und er- werblicher Hinſicht hält die Entwicklung des Volkes auf und ſie macht der Regierung die Reform in der Schnellig- keit, wie dieſe verlangt und wie ſie deſſen in ihrer Noth bedarf, unmöglich. Aber man würde dem türkiſchen Volke Unrecht thun, wenn man annehmen wollte, daß dieſer Fehler unverbeſſerlich ſei, und daß deshalb die Nation keiner Entwicklung im europäiſchen Sinne fähig ſei. Wie ſchon angedeutet, halte ich dieſe Trägheit nicht für Man- gel an Kraft, ſondern nur für eine ſchwerere Erregbar- keit der an ſich vorhandenen Kraft. Man kann Fälle ohne Ende anführen, wo der Türke, wenn es nöthig iſt, mit einer Energie und Ausdauer ar- beitet, die von keiner Nation übertroffen wird. In unſern Ruderern, unſern Pferdeführern, unſern Begleitern auf den Gebirgswegen haben wir ſelbſt eine Menge Beiſpiele hiervon erlebt; jene 300 Rekruten hatten einen Marſch von mehreren Hundert Meilen zurückgelegt, ohne irgend einen Maroden oder Lahmen zu haben; die Laſtträger Konſtantinopels tragen Laſten, wo auf den Mann drei Hundert Pfund kommen, Berg auf, Berg ab über das ſchlechteſte Pflaſter. Die Handwerker in den Straßen Konſtantinopels ſahen wir am Tage ſtets in der Arbeit; der Türke kennt keine Einſtellung der Arbeit am Sonn- tage wie wir; ſofort nach der Stunde des Gebets, am Freitag, beginnt er ſie wieder. Der Krieg an der Donau hat ein glänzendes Beiſpiel für die Ausdauer und den Muth der Türken geliefert. Ebenſo beginnt in der Türkei bereits eine Reihe Staatsmänner und Beamter ſich zu zeigen, welche volle europäiſche Bildung und eine große geiſtige Gewandtheit – 351 – und Thätigkeit ſich angeeignet haben. Reſchid Paſcha iſt ein glänzendes Beiſpiel; der Geſandte Kemal Effendi zeigte ſich uns als ein Mann voll der feinſten europäi- ſchen Bildung; er ſpricht franzöſiſch und gilt als einer der größten Gelehrten in der Türkei; alle Sprachen des Orients ſind ihm geläufig und er kennt ihre Literaturen gründlich. Dieſes ſind genügende Beweiſe, daß der türkiſchen Na- tion an ſich die geiſtige und die körperliche Kraft und Ausdauer nicht abgeht; daß der Mangel nur in dem un- terlaſſenen Gebrauche dieſer Kraft beſteht. Hier wird allerdings das Klima ſtets einen weſentlichen Unterſchied gegen die Nordländer Europas begründen. Man ſieht Aehnliches ſchon in Italien, Spanien und Griechenland. Aber die Lage des Staats und die immer inniger wer- denden Verbindungen des Landes mit Europa ſind mäch- tige Hebel, welche die Kraft der Nation gewaltſam auf- rütteln und ſie damit auf eine Bahn leiten werden, wo ſie ihre Selbſtſtändigkeit wieder gewinnen und den Ge- ſtaltungen ihres Lebens in Staat, Familie, Wiſſenſchaft und Gewerbe neuen Trieb, neue Bewegung einflößen kann. Man kann die Noth des türkiſchen Staats ſeit dem Ende des vorigen Jahrhunderts als ein Glück für das Volk anſehen. Um nicht die Beute ſeiner Nachbarn zu werden, mußte die Regierung endlich zur Energie ſich auf- raffen, mit Gewalt das Volk in die Bahnen treiben, wo ein Widerſtand vorbereitet werden konnte. Dieſe kühnen Entſchlüſſe waren nur die That der wenigen Einſichtigen, welche die Noth und den Punkt der Hülfe erkannten. Sie mußten gewaltſam und von oben beginnen; aber die In- ſtitutionen, die ſie geſchaffen, dehnen ihre Wirkungen immer tiefer in die Bevölkerung, immer weiter in das Land aus. Hervorragend wirkt in dieſer Beziehung das neue – 352 – Militairſyſtem. Für ein Land, das wieder aufgeweckt werden ſoll, giebt es kein tiefer einſchneidendes und wirk- ſameres Mittel. Die Türkei hat ſelbſt in dieſem Punkte vieles vor Rußland voraus. In Rußland iſt der Sol- dat, einmal ausgehoben, Soldat für ſeine Lebenszeit; die zwanzigjährige Dienſtzeit deſſelben, ſein völliges Aus- ſcheiden aus der Familie und ſein Aufenthalt in Garni- ſonen und Lagern, die Hunderte von Meilen entfernt ſind, anderes Klima, andere Sitten haben, nehmen in Rußland dem Militairſyſtem alle reformatoriſche Kraft für die Bevölkerung; es giebt da zwei Stände neben ein- ander, ſtreng geſchieden; das Heer lebt nur von den beſten Kräften des Volkes, erſchöpft die Nation, und giebt dem Lande, was es ernährt, nichts zurück. In der Türkei hat man den weiſeren Weg gewählt, den Soldaten nach 5 Jahren Dienſtzeit in ſeine Heimath zu entlaſſen und ſpäter nach einem Landwehr-Syſtem ihn nur von Zeit zu Zeit zum Dienſt einzuziehn. Alle die guten Eigenſchaften, die der Soldat ſich hat aneignen müſſen, Thätigkeit, Ordnung, Gehorſam, Ausdauer kehren mit ihm in ſein bürgerliches Leben zurück, und werden mit der Zeit auch in dieſes ſie überführen. Wie mächtig dieſer Einfluß iſt, kann man ſchon jetzt deutlich an der Kleidung erkennen. Die alte türkiſche Tracht geht ihrem Ende mit ſchnellem Schritte entgegen; die jüngere Gene- ration kleidet ſich immer mehr in die zweckmäßigere und die Thätigkeit weniger hemmende Tracht des Militairs. Aehnliche Wirkungen wird das neue Beamtenſyſtem zur Folge haben. Die große Sorgfalt für die Verbeſſerung des Unterrichts wird unzweifelhaft ihre Frucht tragen. Der gegenwärtige Geſandte in Berlin, Kemal Effendi, war vor ſeiner jetzigen Stellung mehrere Jahre General- inſpektor des öffentlichen Unterrichts, oder nach unſern – 353 – Begriffen, Unterrichtsminiſter. Seine hohe Bildung und ſein milder Charakter müſſen in dieſer wichtigen Stellung Großes bereits bewirkt haben. Der Fortſchritt hierin braucht allerdings Lebensalter; aber wenn einmal die geiſtige Kraft erſt in den Kindern zur Thätigkeit erweckt ſein wird, iſt zu erwarten, daß ſie dieſes kräftige und tüchtige Volk dauernd erfüllen und zu allem Großen wieder fähig machen wird. Dieſer reformatoriſchen Thätigkeit von oben kommt ein anderes Moment von unten zur Hülfe, was in ſeinen Wirkungen noch weitgreifender iſt und deſſen ſpätere Re- ſultate noch gar nicht ermeſſen werden können. Es iſt die immer mehr ſteigende Verbindung mit Europa; die Zunahme des Handels, die Zunahme regelmäßiger und leichter Verbindungsmittel, die Zunahme einer europäi- ſchen Einwanderung nach der Türkei, die Einführung europäiſcher Fabriken und Maſchinen und endlich die Gegenwart zweier großer Armeen von Frankreich und England im Lande, die wahrſcheinlich viele Jahre nöthig bleiben wird. Auch hier iſt die Türkei gegen Rußland im Vortheil. Während Rußland ſich immer dichter abſperrt, mehr aus Furcht vor den politiſchen Ideen des weſtlichen Europas als vor deſſen Waaren, öffnet die Türkei ihr Land jedem Europäer in der freieſten Weiſe, und der Einwanderer, der Gaſt findet eine Freiheit der Bewegung, der Aeuße- rung des Lebens in der Türkei, von der in Rußland nur das Gegentheil exiſtirt, und das alle Einwanderung dort illuſoriſch macht. Es iſt bereits angedeutet worden, welche ungeheuere reformatoriſche Kraft für Sitte und ſelbſt für die Häus- lichkeit der Türken in der Dampfmaſchine enthalten iſt. Die klaren, überwiegenden Vortheile, welche die neuen 23 – 354 – Werkzeuge, Maſchinen und Methoden in Beſchaffung der Mittel für menſchliche Bedürfniſſe gewähren, haben für alle Länder, die ſich dagegen nicht abſchließen, eine un- widerſtehliche reformatoriſche Gewalt. Die Türkei bei ihren völlig offenen Grenzen kann ſich ihnen nicht ent- ziehn und ſie werden ein neuer Reiz ſein, die ſchlummernde Kraft des Volkes zu wecken. Ueberall, wo bis jetzt die Türken bei Maſchinen verwendet worden ſind, haben ſie für die mechaniſche Arbeit ſich ebenſo ausdauernd und geſchickt bewieſen, wie die Europäer; nur die Intelligenz, das mechaniſche Genie geht ihnen noch ab, und die Ge- nauigkeit und Regelmäßigkeit. Aber es iſt klar, daß dieſe Eigenſchaften nur eine langſamere Folge ſein können und für die unbedingte Unfähigkeit der Türken iſt kein Be- weis vorhanden. Selbſt wenn die Türken zurückbleiben wollten, ſo zwingt die immer ſtärker werdende Einwanderung ſie, ſich aufzuraffen. Noch vor 5 Jahren hat man, wie der Vice- kanzler B. und Prediger S. uns verſicherten, kein deut- ſches Wort auf den Straßen in Pera gehört. Jetzt geht man nicht drei Schritte ohne deutſch zu vernehmen. Pera vergrößert ſich zuſehends; man fängt an, immer höhere Häuſer zu bauen und die Stadt wird bald einen rein euro- päiſchen Anſtrich annehmen. In Smyrna iſt ſchon die Hälfte der Stadt europäiſch. Selbſt in Bruſſa fanden wir Oeſtreicher und Italiener. Die Regierung iſt in ihrer jetzigen Lage zu den größten Conceſſionen ge- nöthigt. Der Europäer genießt einer vollen perſönlichen Sicherheit und Freiheit in der Türkei. Die Fälle des Gegentheils ſind böswillige Erfindungen oder einzelne, meiſt ſelbſt verſchuldete Ausnahmen. Die Dampffahrtlinien mehren ſich mit jedem Jahre; die Fahrpreiſe werden noch tiefer herunter gehn. Bei dem fruchtbaren Boden, dem – 355 – herrlichen Klima, der Ausdehnung der Seeküſten iſt es ſicher, daß die Einwanderung aus Europa in einem un- geheuren Grade zunehmen wird, ſo wie die lächerliche Furcht vor der Türkei verſchwunden ſein wird. Dieſes neue Element iſt in ſeinen Wirkungen für den Orient gar nicht zu berechnen; es enthält im Verein mit jener Umwandlung der gewerblichen Thätigkeit die wahre Löſung der orientaliſchen Frage, die man vergeblich von den Re- gierungen Europas erwartet. Die türkiſche Bevölkerung kann ſich dieſem Einfluſſe nicht entziehn; ſie wird, ſie iſt ſchon jetzt in dieſe europäiſche Entwickelung des Verkehrs und der Sitten hineingeriſſen und bei der Tüchtigkeit des Volkes wird es ſicherlich ſich nicht verdrängen laſſen. Man darf aus dem jetzigen Zuſtande, der ja nur der erſte Anfang iſt, durchaus nicht, wie der Konſul M. in Smyrna und ſo viele ungeduldige Politiker, die Folge ziehn, daß, weil jetzt die Türken überall in den Methoden der gewerblichen Thätigkeit, der Schiffsleitung, des Han- dels, der Taktik noch von den Europäern überflügelt werden und weil jetzt noch kein allgemeiner Wetteifer er- wacht iſt, dieſer Zuſtand für immer bleiben werde. Alle unpartheiiſchen Männer ſind erſtaunt über den Fortſchritt, den nicht nur die Regierung, ſondern auch das Volk nach allen Richtungen macht. Gerade dem ſtets in der Tür- kei lebenden Europäer mag er weniger merklich erſcheinen, weil er ſchrittweiſe und unmerklich, aber ſtätig erfolgt und deshalb der flüchtigen Beobachtung entgeht. Ob nun die Entwickelung der türkiſchen Nation ſich eine Originalität bewahren wird, oder ob ſie nur eine Schablone europäiſcher Formen abgeben wird, das iſt noch ſchwer zu entſcheiden. Das erſtere wäre ſehr zu wünſchen, aber unverkennbar geht die Welt der Einför- migkeit und Gleichheit unaufhaltſam entgegen. Die reiche 23* – 356 – Mannigfaltigkeit der Sitten, Trachten, Lebensweiſe, Staats- formen früherer Zeiten verſchwindet immer mehr. Europa, Amerika, Auſtralien ſind beinah ſchon uniformirt; Aſien wird kaum die Originalität, die Poeſie des Lebens ſich erhalten können. Die Erde wird im Laufe dieſes und des nächſten Jahrhunderts nur das große Haus einer Familie wer- den, in dem die einzelnen Kinder zwar noch individuelle Unterſchiede bewahren, aber in Sitte, Denkweiſe, Bildung und Kenntniß keine merkliche Abwechslung darbieten. Die naive Unſchuld, die Poeſie einer iſolirten Exiſtenz wird verſchwinden. Der menſchliche Geiſt wird in der Größe der Beziehungen, in der unendlich erweiterten Herrſchaft über die Natur, in der tiefern Durchdringung ſeiner ſelbſt, in der ſteigenden Entwickelung der Freiheit und Gleichheit des Individuums, in dem Kampf gegen die Privilegien des Beſitzes und der Geburt, die Entſchä- digung und die Arbeit ſuchen müſſen, deren er zu ſeinem Daſein bedarf. Aber ſelbſt wenn dieſe ſchöne Originalität des türki- ſchen Volkes dem Geiſt der Geſchichte zum Opfer gebracht werden müßte, iſt doch zu erwarten, daß nie in der Türkei ein Despotismus, wie in Rußland, eine Centra- liſation, wie in Frankreich, ſich entwickeln wird. Es iſt überhaupt eine verkehrte, von den Schuljahren mitge- brachte, durch ſchlechte Geſchichtsbücher eingeführte Mei- mung, die Türkei ſei eine Despotie in dem gewöhnlichen Sinne. Es iſt meine feſte Ueberzeugung, daß ſchon jetzt die Türkei in dem Einzelnen mehr Freiheit und Gleich- heit enthält, wie irgend ein europäiſcher Staat. Die Sicherheit der Perſon und des Eigenthums iſt in ſo ho- hem Grade vorhanden, daß wir während unſeres Auf- enthalts nie einen Fall des Gegentheils bemerkt haben. Es mögen von Seiten der Gouverneure der Provinzen – 357 – vielleicht mehr Gewaltthätigkeiten gegen Einzelne vorkom- men, als bei uns; es iſt auch wahr, daß in den entfern- teren Provinzen die Regierung jetzt nicht immer im Stande iſt, einzelne nomadiſirende Stämme in Ordnung zu erhalten und die Einwohner und Reiſenden gegen ihre Angriffe zu ſchützen. Allein Beides wird viel zu viel übertrieben, und der letztere Umſtand iſt überdem nur ein Ausnahmezuſtand, herbeigeführt durch den Kampf um ihre Exiſtenz, den die Regierung jetzt zu führen hat und der ihr unmöglich macht, auf die innere Verwaltung die Kraft und Mittel zu wenden, die jetzt dieſer erſchöpfende Krieg in Anſpruch nimmt. Eine einzige Gewaltthat, die ein Europäer in der Türkei erleidet, macht ſofort die Runde durch alle Zeitungen Europa's. Die Conſuln und Ge- ſandten mengen ſich hinein, ſtören die regelmäßige Thä- tigkeit des Staats, reizen durch ihre Inſolenz das Ge- fühl des Türken und der Vorfall wird nur unter der parteiiſchen, für den Europäer günſtigſten Auffaſſung in Europa bekannt. Bei dieſem Syſtem iſt es zu verwun- dern, daß dergleichen Gewaltthätigkeiten nicht weit häu- ſiger vorkommen; nur die große Gutmüthigkeit und Lang- muth der Türken läßt ſie dies ertragen. In Europa brauchen die Agenten der Regierung aller- dings keine Gewalt, um ihre Habſucht, ihren Willen durch- zuſetzen. Aber die ſanfteren Wege, die man hier geht, lau- fen für den Bedrückten auf Eins hinaus. In kann kei- nen großen Unterſchied darin finden, ob man Einem einen Theil ſeines Vermögens gewaltſam wegnimmt, ob man von einer Karavane ein tüchtiges Geſchenk erpreßt, oder ob man Einem die Conceſſion zu ſeinem Gewerbe nimmt, aus dem Orte verjagt, wo er allein ſein Brot finden kann; ob man mit Beſchlagnahmen, Hausſuchungen, Ar- reſten und den ſämmtlichen Waffen des polizeilichen Ar- – 358 – ſenals Einzelne und Gemeinſchaften ſo lange drückt und preßt, bis ſie ſich den Wünſchen der Gewalthaber fügen. Die Gewalt iſt in Europa nur in ein Syſtem gebracht, und mit dem Mantel der Loyalität behangen; nach meinem Gefühl iſt mir die unverhüllte türkiſche Gewalt lieber; ſie iſt nicht organiſirt, deshalb nur vereinzelt, und man hat in ihr wenigſtens einen offenen Gegner. Abgeſehen von ſolchen Ausnahmefällen, herrſcht in der Türkei die höchſte Sicherheit für Eigenthum und Perſon; höher wie in Europa, weil die Sitte ihre Baſis iſt und weil die Regierung noch nicht ſo im Innern erſchüttert und auf den Parteiſtandpuukt gerathen iſt, wie in mehre- ren Ländern Europa's. Die Gewerbe, der Handel, die Bewegung der Perſon und des Vermögens ſind frei und ohne alle jene Hemmniſſe von Conceſſionen, Legitimatio- nen und Cautionen, welche die Trägheit des Bürgers in Europa den Regierungen unter dem Vorwand der Für- ſorge für ſie in die Hand gegeben hat. Die Abgaben ſind gering. Die Aeußerung der Meinung in der Unterhaltung iſt völlig frei, und es giebt noch keine Spione, Agenten und Denunzianten, die das gegenſeitige Zutrauen und die Offenheit bis in die Familien hinein unterwühlt hätten. Bei ſolchen Zuſtänden und bei der Zähigkeit des Tür- ken und ſeine Abneigung gegen Reglementirerei iſt zu er- warten, daß der Staat bei ſeinem Uebergang zu dem europäiſchen Syſtem und Organismus ſich frei halten wird von dieſen Uebeln, an denen Europa bei der hefti- gen Parteiſtellung, in die die Klaſſen theilweiſe künſtlich gegen einander gehetzt ſind, noch lange leiden wird. - Einige Verhältniſſe, die man gewöhnlich als Gründe gegen die Fähigkeit der Türkei zu einer gedeihlichen Ent- wickelung anführt, verdienen noch einer Erwägung. Es – 359 – ſind das Verhältniß der Frauen, die Sklaverei, die ver- ſchiedenen Nationalitäten, die muhamedaniſche Religion und das Schutzverhältniß zu dem Weſten, in das die Türkei neuerlich gerathen iſt. Nicht blos die Türken, alle barbariſchen Völker haben die Frauen erniedrigt. Aber nach dem Wenigen, was wir beobachten konnten, wendet ſich die Lage der Frauen mit der ſteigenden Civiliſation zum Beſſeren. Die Barbarei iſt nur noch äußerlich. Die Frau kann nicht öffentlich ſich zeigen, iſt von dem Verkehr mit Männern abgeſperrt. Dies iſt ein Mangel für beide Geſchlechter; er wird ſich aber entſchieden mildern, denn die Kleidung der Frauen iſt in Conſtantinopel auf der Straße ſchon weniger dicht und verſchleiert, als in den noch unberührten Provinzen. Das häusliche Leben der Frauen, ihr Verhältniß zu dem Manne iſt dagegen weit beſſer, als man in Europa meint. Monogamie iſt auch in der Türkei die Regel, und es ſcheint oft eine tiefe Liebe zwiſchen Frau, Mann und Kin- dern zu herrſchen. Nach den Mittheilungen des türkiſchen Geſandten war deſſen Frau in liebevoller Stellung zu ihm und ihren Kindern; der Verluſt eines hoffnungsvollen Sohnes von 15 Jahren hatte ſie tief erſchüttert, und die- ſer Verluſt war der Grund, weshalb der Geſandte ſeine Stellung in Conſtantinopel aufgegeben hatte. Der Schmerz über den Tod des geliebten Kindes hatte beide Ehegatten ſo erſchüttert, daß er nur in völliger Entfernung, durch Aufenthalt im fremden Lande eine Linderung zu finden hoffte. Er hatte eine große ſeltene Bibliothek geſammelt, um ſeinem talentvollen Kinde die Schätze der Weisheit ſpäter zu öffnen. Nach dem Tode deſſelben hatte er ſie einem Agenten zum Verkauf übergeben; es war ihm pein- lich, das für ſich zu behalten, was dem Sohne einſt ge- hören ſollte. - – 360 – Man wird ſich bald entſchließen, auch den Frauen eine beſſere geiſtige Ausbildung zu geben, und ſowie dieſe beginnt, iſt auch der feſte Grund zur Gleichberechtigung der Frauen gelegt. - Die Sklaverei in der Türkei erſcheint durchaus als kein Hemmniß in der Reform des Staates. Es iſt ſchon erwähnt, wie die Sklaven nur die Lage unſerer Dienſt- boten haben und wie der freie Schwarze von dem Tür- ken als ſeines Gleichen betrachtet wird. Es fehlen des- halb die Schwierigkeiten, welche in Nordamerika dieſe Frage umgeben. Wenn man ſpäter den friſchen Zuzug verbietet, wird ſich im Laufe der Zeit von ſelbſt die Skla- venbevölkerung in der Nation verlieren und einen Be- ſtandtheil bilden, der weniger Schwierigkeiten bietet, als die übrigen fremden Nationalitäten. Einer der gröbſten Irrthümer der öffentlichen Mei- nung in Europa iſt es, wenn man in der Muhamedani- ſchen Religion ein Hinderniß für die Wiedergeburt der Türkei findet. Wer den Koran kennt und in der Türkei nur einigermaßen ſich umgeſehen hat, muß darüber lä- cheln. Ein erfahrener Mann, den wir in Conſtantinopel trafen, behauptete, daß die religiöſen Ueberzeugungen der gebildeten Klaſſen in Deutſchland der Religion des Koran näher ſtehen, als ihrer eigenen, wie ſie in den Concilien- beſchlüſſen, Bullen und Bekenntnißſchriften niedergelegt und ſeit 1848 mit erneuter Energie als die allein wahre proclamirt wird. – Hier ſind ſeine Beweiſe: - Der Koran ſagt: Es giebt nur einen Gott, einen einigen, einen allmächtigen, allwiſſenden, allbarmherzigen. Mit Nachdruck verwirft er die Lehre von der Dreieinig- keit. Chriſtus iſt ihm ein hochehrwürdiger Prophet, aber nicht Gottes Sohn, nicht Gott ſelbſt. In Sura 3. heißt – 361 – es wörtlich: „ Gott werde allein geprieſen. Er iſt der Schöpfer des Himmels, der Erde. Wie ſollte er einen Sohn haben, da er keine Göttin hat. Alle Dinge hat er erſchaffen; alle Dinge kennt er; kein Geſicht kann ihn ſehen, aber er durchſchaut jedes Geſicht. Der Unerforſch- liche iſt er, und Weiſe iſt er.“ Mit glühender Begeiſterung ſpricht der Koran für die Auferſtehung nach dem Tode, für die Unſterblichkeit. Alle Einwürfe dagegen werden bekämpft. „ Wer wird, fragt ihr, die Gebeine lebendig machen, die ein dünner Staub geworden ſind?“ heißt es wörtlich Sura 36; ant- worte du: Derjenige wird ſie wieder beleben, der ſie das erſtemal erſchaffen hat; der Gott, der die ganze Schöpfung kennt; der Gott, der euch Feuer bereitet aus dem grünen Baum.“ - - Der Koran erkennt alle Propheten und heiligen Män- ner der Bibel an. Ganz beſonders legt er Werth auf Moſes und Chriſtus. Von letzterem wird ſtets mit der höchſten Achtung geſprochen; nur nicht als Gott wird er anerkannt. „Chriſtus“, heißt es in Sura 4, „iſt nicht ſo hoffärtig, daß er ſich weigern ſollte, ein Knecht Gottes zu ſein; die Engel ſind es auch nicht, die doch Gott am näch- ſten ſtehen.“ „Chriſtus“, heißt es in Sura 5, „iſt nichts als ein Geſandter; vor ihm ſind andere Geſandten her- gegangen, und ſeine Mutter war ein gewöhnliches Weib.“ Der Koran erkennt zwar die Wunder, welche die alten Propheten verrichtet haben, an, Muhammed weiſt aber jede Anmuthung, Wunder zu thun, von ſich zurück. „Ihr werdet doch ungläubig bleiben, wenn auch eure Berge in Gärten verwandelt würden.“ „Ihr bleibt doch ungläubig bei den größten Wundern, die Gott alle Tage verrichtet.“ Ebenſo weiſt Muhammed die Prophezeiung kommender Dinge von ſich zurück; dies ſtehe nur bei Gott. Muham- – 362 – med wollte nur als Menſch gelten. „Bin ich denn zu Euch geſandt worden, mehr als ein Menſch?“ ruft er fragend in Sura 17. -- Das Vaterunſer oder alltäglich verleſene Gebet des Koran lautet: „Gelobt ſei Gott, der Herr der Geſchöpfe der Herrſcher am Gerichtstage, das allerbarmherzigſte Weſen. Dich beten wir an. Um Beiſtand flehen wir zu Dir. Lehre uns die wahre Religion, die, welche die al- ten Gläubigen übten, gegen welche Du dich gnädig be- wieſen haſt.“ - Der Koran lehrt das Weltgericht. „Auf den erſten Schall der Poſaune wird alles, was im Himmel und auf Erden iſt, bis auf Wenige, die Gott ausnehmen wird, wie entſeelt niederſtürzen. Auf den zweiten Schall wer- den alle Todten auferſtehen, ihr Schickſal erwarten. Und die Erde wird leuchten von dem Lichte des Herrn und das Buch wird aufgeſchlagen werden, und die Propheten und die Märtyrer werden als Zeugen herbeigeführt werden, und dann wird das wahrhaftige Urtheil, welches Keinem zu viel thun wird, über Alle gefällt werden.“ Sura 22. 39. 70. – Die Sittenlehre des Koran iſt voll der reinſten Grundſätze. Redlichkeit, Treue, Wahrhaftigkeit, Mäßig- keit, Mildthätigkeit werden den Gläubigen anempfohlen; ebenſo die Lehre, ſeinen Feinden zu vergeben. „Forſchet nicht ſo genau nach dem Thun uud Laſſen anderer Men- ſchen und redet von den Abweſenden nichts Böſes. O ihr Menſchen, ich habe euch von einem Manne und einem Weibe erſchaffen und hiernach auch zu Völkern und zu einzelnen Geſellſchaften werden laſſen, damit ihr einander zur Liebe kennen möchtet. In Wahrheit, der Würdigſte unter Euch iſt bei Gott derjenige, der ſich am Tugend- hafteſten beträgt.“ Sura 49. „Sollte ein Götzendiener – 363 – bei dir Schutz ſuchen, ſo verſage ihm denſelben nicht, da- mit er Gelegenheit habe, das Wort Gottes zu hören; und wenn er ſich nicht überzeugen läßt, ſo gieb ihm ein ſiche- res Geleit nach ſeiner Heimath.“ Mildthätigkeit gegen Arme iſt im Koran ſtrenger als in irgend einem anderen Religionsbuche geboten. Der Gottesdienſt iſt in edler Einfachheit angeord- net. Die Grundzüge ſind: Tiefe Verehrung Allah's, mit Einſetzung von Gut und Blut für ſeine Lehre. Ein täg- liches fünfmaliges Gebet. Aber, ſagt der Koran, wenn die öffentliche Andacht geendigt iſt, ſo ſetzt eure Geſchäfte des Verkehrs fort, bewerbt euch dabei um den Segen Gottes.“ Sura 62. Der Cultus in den Moſcheen be- ſteht einfach in Gebet und in Vorleſungen aus dem Ko- ran. „Zur Beförderung der Furcht Gottes iſt im Monat Ramadhan, wo der Koran geoffenbart wurde, das Faſten am Tage vorgeſchrieben. Wallfahrten nach Mecca ſind nicht geboten, ſondern nur empfohlen. Schweinefleiſch, Wein und Glücksſpiele ſind verboten. Dies ſind die Vorſchriften des Koran. Zur vollen Würdigung ſeiner Lehre aber muß man ſich noch ver- gegenwärtigen, was er nicht lehrt. Er lehrt keine Drei- einigkeit, er kennt keine vom heiligen Geiſt erfüllte Kirche; er lehrt keine Vergebung der Sünden durch das Blut Chriſti; er lehrt keine Auferſtehung und Höllenfahrt deſ- ſelben; er ſtellt den Glauben nicht über die Werke, er lehrt keine Verfolgung der Ketzer, er lehrt keine ewige Verdammniß der Ungläubigen. „Es werden die Juden, Chriſten, Sabäer, wenn ſie nur an Gott glauben und an den jüngſten Tag und thun was recht iſt, Belohnung fin- den bei dem Herrn,“ heißt es in Sura 4, und beinah nochmals ſo wörtlich in Sura 5. Die oben ausgeſprochene Anſicht iſt übrigens nicht neu. – 364 – Schon Gibbon ſagt: „Ein philoſophiſcher Deiſt kann der Muhammedaner Volksglaubensbekenntniß unterſchreiben; ein Glaubensbekenntniß, vielleicht für unſere gegenwärti- gen Kräfte zu hoch.“ Man hat in Europa gewöhnlich zwei Argumente, mit der man die Religion des Koran angreift; es iſt die Lehre vom Paradies und der Fatalismus. Das Paradies iſt allerdings ſinnlich geſchildert, indeß liegt darin doch we- nigſtens der Vorzug der Beſtimmtheit jenen vagen Vor- ſtellungen gegenüber, mit denen andere Religionen alles beſtimmte Denken über den Zuſtand des Einzelnen in einer anderen Welt der Gefühlsweiſe und Bildung jedes Ein- zelnen überlaſſen. Die Schwierigkeiten ſind mit ſolcher Unbeſtimmtheit freilich am Leichteſten erledigt. Auch iſt die europäiſche Anſicht hierin übertrieben. Es heißt in Sura 19: „Die Glücklichen ſollen im Paradieſe keine Un- gereimtheiten hören, ſondern nur ſelige Dinge.“ Iſt das nicht daſſelbe, als unſere Lehre: „daß wir Gott ſchauen werden?“ Was den Fatalismus anlangt, ſo bedenkt man nicht, daß die andere Lehre von der Allmacht und Vorſehung Gottes, abſtract aufgefaßt, die menſchliche Freiheit und Thätigkeit ebenſo lähmt, wie jener; ja im Fatalismus iſt ſofort dieſe Folge aufgehoben, wenn er vollſtändig aufge- faßt wird; wo dann das Individuum mit ſeinen Trieben, Kräften und Handeln auch zu den wirkenden Gewalten gehört, ſeine individuelle Thätigkeit mithin gar nicht ge- hemmt, ſondern nur unter den Begriff der Nothwendigkeit gebracht iſt, eine Anſicht, die mit den Fortſchritten der Naturwiſſenſchaften auch in Europa immer größere Bahn ſich bricht. Aber auch in jenem gewöhnlichen Sinne gefaßt, hat der Fatalismus der Türken auf die individuelle Thätig- – 365 – keit ſo wenig hemmenden Einfluß, wie jenes andere Dogma. Die menſchliche Natur kehrt ſich an ſolche Abſtracta nicht. Der Türke arbeitet, um nicht zu hungern; kleidet ſich, um nicht zu frieren; ſchwimmt, um nicht zu ertrinken; wehrt ſich gegen die Ruſſen, um nicht unterjocht zu werden; baut Waſſerleitungen, um nicht zu verdurſten, alles wie der Europäer, trotz des Satzes von den Lilien auf dem Felde, die nicht ſäen u. ſ. w. Wenn, wie oben erwähnt worden, der Türke weniger zur Thätigkeit neigt, wenn ſeine Kraft nicht ſo leicht erregbar iſt, ſo iſt dies eine Folge ſeines Charakters und ſeiner mangelnden geiſtigen Bildung, aber nicht Folge ſeines Glaubens an das Fa- tum; er würde ebenſo träge ſein als Chriſt, wie denn die Chriſten des Orients dazu den Beleg geben. Dann bleibt von dem ganzen verrufenen Fatalismus nichts als die ruhige Ergebung in das Unvermeidliche, und der Gleich- muth bei den kleinen Leiden des menſchlichen Lebens, beides Eigenſchaften, die zu den ſchönſten Tugenden ge- hören. Dieſe Eigenſchaften bleiben Tugenden, mag man dabei die Ereigniſſe als Reſultat einfacher, nach feſten Ge- ſetzen mit Nothwendigkeit wirkender Naturkräfte, oder als die Schickung eines liebenden Vaters, als Züchtigung, zur Buße und Beſſerung betrachten. Uebrigens enthält der Koran nicht einmal dieſen Fa- talismus. „Wenn es Gott gefallen hätte, ſo würde nur eine Religion unter euch herrſchen, allein er leitet in den Irrthümern und in der Wahrheit, wen er will, und ihr ſollt gewiß dereinſt eure Handlungen verant- worten.“ Sura 16, und an vielen anderen Stellen ähn- liche Sätze. Man ſieht, der Koran leidet hier an dem- ſelben Dilemma, wie die Bibel, an dem Widerſpruch zwiſchen der Allmacht und Allwiſſenheit Gottes und der individuellen Freiheit des Menſchen. Die Lehre Luthers – 366 – von der Gnadenwahl giebt dem ärgſten Fatalismus nichts nach. Ein Umſtand von der höchſten Bedeutung iſt hier noch zu erwähnen. Der Koran kennt keinen Prieſterſtand und die muhamedaniſchen Völker ſind kräftig genug ge- weſen, einen ſolchen auch ſpäter nicht aufkommen zu laſ- ſen. Die Ulemas ſind die Geſetzesgelehrten, Juriſten und Prieſter in einer Perſon, aber ſie ſind weit entfernt, die Stellung, die Heiligkeit, den Einfluß, die Macht in An- ſpruch zu nehmen und zu üben, die die Körperſchaft der Prieſter in Europa, in dem gebildeten Europa ſich zu ver- ſchaffen gewußt haben. Auch Mönche in unſerem Sinne giebt es nicht. Die Derwiſche ſind im Vergleich mit un- ſeren Mönchen ſchwache, unbedeutende, ungefährliche Schwärmer. Der Koran verwirft ausdrücklich den Mönchs- ſtand; der Menſch ſoll die erlaubten Genüſſe nicht zurück- weiſen, ſoll die von Gott geſetzten Grenzen nicht enger ziehen. „Wir haben ihnen den Mönchsſtand nicht be- fohlen“, heißt es Sura 57. - Dieſe Bemerkungen dienen vielleicht dazu, die Vorur- theile gegen die muhamedaniſche Religion zu beſeitigen. Man wird auf Grund dieſer wörtlichen Auszüge aus dem Koran wenigſtens zugeben, daß in deſſen Religion kein Hemmniß gegen den Fortſchritt der Nationen enthalten iſt. Die Geſchichte hat dazu ſchon einen glänzenden Be- leg in der klaſſiſchen Zeit der Araber in Spanien ge- liefert. « Die verſchiedenen Nationalitäten in der Türkei, na- mentlich in der europäiſchen, ſind allerdings eine Schwie- rigkeit mehr für die Regierung. Wie dieſe Frage ſich ſpäter löſen wird, iſt noch nicht zu überſehen; aber für die Gegenwart hat ſie noch nicht die Gefahr, wie vielleicht ſpäter. Die Türkei iſt noch auf eine lange Reihe von – 367 – Jahren zu einer Staatsform mit abſoluter Centralgewalt genöthigt. Die Reform des Staates kann nicht von der Maſſe des Volkes ausgehen; ſie bedarf zu ihrer Beſchleu- nigung einer kräftigen und erleuchteten abſoluten Regie- rung, wie ſie jetzt beſteht. Für dieſe Staatsform haben die verſchiedenen Nationalitäten keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Die Gleichſtellung dieſer Nationalitäten hat für dieſe Periode nur privatrechtliche Bedeutung; für das Privatrecht iſt dieſe Gleichberechtigung ſchon vorbe- reitet und ſie wird ſich ohne Erſchütterung des Staates weiter ausbilden laſſen. Erſt wenn die Reform bis zur Theilnahme des Volkes an der Regierung, bis zur Aus- übung politiſcher Rechte vorgeſchritten ſein wird, werden dieſe Nationalitäten Gefahren bieten; bis dahin iſt aber noch eine lange Zeit; vielleicht mildert die immittelſt aus- geführte privatrechtliche Gleichſtellung den Haß und den Gegenſatz dieſer Nationalitäten und macht dann auch eine gemeinſame Ausübung politiſcher Rechte möglich. Für die Gegenwart iſt daher dies Moment ohne ernſte Gefahr. Gegen Verrätherei wird ſich hoffentlich die Türkei zu ſchützen wiſſen. Eine wahre Gefahr droht dem türkiſchen Staate von der Eroberungsluſt ſeiner europäiſchen Nachbaren. Dieſe Gefahr iſt groß, ſie trifft aber nicht die innere Lebens- fähigkeit der Türkei, ſondern nur die Frage, ob ſie gegen die äußere Gewalt übermüthiger Nachbaren in dieſer Zeit ihrer Reform ſich zu erhalten im Stande ſein wird. Die- ſer Zeitraum der Reform iſt lang zu rechnen; er wird mit dieſem Jahrhundert nicht vollendet ſein. Der Schutz, den jetzt die Türkei von Frankreich und England erhält, beruht auf politiſchen Conſtellationen, von denen man nicht wiſſen kann, ob ſie ſo lange vorhalten werden. Die Gefahr iſt alſo hier wahrhaft vorhanden, und es iſt – 368 – ſchwer, hierüber im Voraus zu entſcheiden. Es ſind aber in der Entwickelung Europas wichtige Momente erkenn- bar, welche hoffen laſſen, daß auch dieſe Gefahr an der Türkei vorübergehen wird. Die Gegenſätze zwiſchen Ruß- land und dem übrigen Europa werden mit der ſteigenden Gewerbethätigkeit, dem ſich ausdehnenden Handel und dem Fortſchritt ſeiner Inſtitutionen immer größer werden. Die Uebermacht Rußlands wird von den anderen Staaten immer mehr als ihre größte Gefahr erkannt werden und es iſt zu erwarten, daß man nie auf eine Vereinigung über Theilung der Türkei zwiſchen Rußland und den an- deren großen Staaten Europas eingehen wird. Auch iſt die Theilung beinahe unmöglich, ſelbſt unter Rußland und England allein, wie die verunglückten Offerten von ruſſiſcher Seite beweiſen. Wenn daher auch Rußland un- geſchwächt aus dem jetzigen Kriege hervorgehen ſollte, ſo wird doch die Politik der anderen Staaten entſchieden an den Schutz der Türkei gegen Rußland feſthalten, mögen auch ſonſt die Bündniſſe und Intereſſen der einzelnen Staaten den verſchiedenſten Wechſel erfahren. Ein noch weit größerer Schutz läßt ſich von der ſtei- genden Entwicklung und Verwirklichung der volksthüm- lichen Ideen in Europa erwarten. Dieſe Ideen kennen keine Eroberungspolitik; die Achtung der Nationen und Religionen in ihrer Selbſtſtändigkeit iſt eine ihrer Grund- lehren. Dieſe Ideen, deren Entwicklung in Europa ſtetig fortſchreitet, werden den feſteſten Schutz der Türkei gegen die Uebermacht ihrer Nachbarn bilden und der Türkei die Verfolgung ihrer inneren Reform in voller Freiheit ge- ſtatten. Nur Rußland, das noch am wenigſten von dieſen Ideen berührt iſt, bliebe dann gefährlich. Es iſt aber klar, daß eine volksthümlichere Geſtaltung Europas nicht ohne Herſtellung von Staaten erfolgen kann, die von – 369 – ſelbſt die Uebermacht Rußlands brechen und es von der Jahrhunderte lang verfolgten Bahn der Eroberung zurück- bringen werden. Eine ſolche Geſtaltung Europas wird nicht ohne die heftigſten Kämpfe, innere und äußere, in Europa vor ſich gehen; ſie können lange andauern; ſie können zeitweiſe das Prinzip der Freiheit niederſchlagen; aber es hieße die Macht jener Ideen, die mit Bildung und Beſitz der mittleren und niedern Klaſſen identiſch ſind, verkennen, wenn man den endlichen Sieg der letztern be- zweifeln wollte. So waren unſere Gedanken, als wir von dieſem merk- würdigen Lande ſchieden. Wir waren glücklich, daß unſere Reflexionen zu einem Reſultate führten, das mit unſeren Wünſchen übereinſtimmte. Ohne daß wir es bemerkt, hatte ſich Anhänglichkeit und Liebe zu den Türken in unſer Herz geſchlichen; und mit der Trennung von ihnen empfanden wir lebhafter, welch herrliches Land, welch kerniges Volk, wenn auch mit rauher Schaale, wir geſehen hatten. Lange folgte die hohe Küſte Aſiens dem Laufe unſeres Schiffes, bis wir endlich, Syra zuſteuernd, mit dem Verſchwinden der letzten Gebirge, der Türkei ein letztes Lebewohl zuriefen. 24 XXXIII. D ie Rückkehr. Das Meer wollte uns noch einmal ſeine Gewalt füh- len laſſen. Wir waren auf der Rückreiſe frei von der Seekrankheit geblieben; aber zwiſchen Smyrna und Syra begann in der Nacht ein heftiger Wind, der auch den gan- zen Morgen anhielt. In den Augen der Paſſagiere war er ſtarker Sturm; alles lag und ſaß mit bleichen Geſich- tern umher; auch ich hatte meinen Tribut zu zollen, während mein Freund diesmal wie ein alter Seemann tapfer aushielt. Gegen Mittag erreichten wir Syra. Man ließ uns, obgleich die Cholera darin herrſchte, nicht an das Land; nur eine neuntägige Quarantaine gab das Recht, in eine Stadt einzutreten, in der die Cholera ſchlimmer hauſte, als in Conſtantinopel, wo wir herkamen. Unſer Capitain durfte mit dem Schiff nicht einmal in den Hafen, und wir lagen bis ſpät Abends vor dem Molo, eine Beute der noch hoch gehenden Wellen und der Seekrankheit. An Syra, ſo wie vorher an Smyrna, bemerkten wir nun erſt aus dem weit ſchwächeren Eindruck, den die Stadt mit ihrer von uns bei der Hinreiſeſobewunderten Lage auf uns machte, an welche rieſige Dimenſionen Conſtantinopel uns verwöhnt hatte, die, wie die Schönheit ſeiner Lage, alles andere übertrafen. Schon in Syra trübten ſich unſere Ausſichten für Griechenland Als wir am andern Morgen den Piräus e. – 371 – erreichten, harrten wir lange auf endliche Entſcheidung. Jetzt, wo Athen uns wieder ſo nahe war, wo die Akropo- lis mit ihren Säulen uns wieder entgegen leuchtete, er- wachte lebhaft der Wunſch, unſere letzten acht Tage Griechenland widmen zu können. Wir waren ſelbſt bereit, uns einer Quarantaine von zwei bis drei Tagen zu unter- werfen, wenn uns für dieſes Opfer Griechenland nur vier Tage zu betreten erlaubt würde. Der Capitain fuhr mit unſeren Päſſen ab, um Antwort zu holen. Wir packten ſorglich unſere Sachen, um ſofort mit dem Eintreffen der Erlaubniß das Schiff verlaſſen zu können. Aber unſere Hoffnung ward getäuſcht. Der Capitain kam mit der Nachricht zurück, daß die Regierung eine eilftägige Qua- rantaine verlange, die noch dazu auf der Inſel Aegina abgehalten werden müſſe, weil an der Küſte von Attika die Anſtalt dazu fehle. Der Capitain fügte hinzu, daß wir keine Ausſicht hätten, mit einem Lloyd-Dampfſchiffe von Griechenland zurückkehren zu können. Keines werde bei der Cholera im Piräus Paſſagiere annehmen. Das hieß zweifache Unmöglichkeiten gegen uns auf- thürmen. Noch einmal hatten wir das peinliche Gefühl zu ertragen, im Hafen von Athen zu ſein, und Griechen- land nicht betreten zu dürfen. Das klaſſiſche Land lag klar vor uns; wir konnten jedes Fenſter zählen, jeden Menſchen an der Küſte erkennen; 300 Meilen waren wir gereiſt, um es zu ſehen, und zweimal wurden wir zurückgeſtoßen um Forma- litäten willen, deren Nutzloſigkeit längſt anerkannt iſt. Es war, als ob die Natur unſern Schmerz durch Ent- faltung all ihrer ſüdlichen Schönheit mildern wollte. Die Sonne ging mit einer Pracht unter, die in alle Farben ſich kleidete, von dem glänzenden Gelb durch das Orange, Roth, Purpur und Violett hindurch bis zu dem Sammet- ſchwarz des nächtlichen Himmels. Jede ſchien uns die ſchönſte und jede ward von einer noch ſchöneren gefolgt. - 24* Die Gebirge, die Küſten, das Meer, alles tauchte ſeine Schleier in gleiche Farben und feierte mit uns die Er- habenheit der Stunde. Im Hafen prangten zwei Schiffe, Maſten und Raaen mit flaggenden Wimpeln bedeckt. Von Zeit zu Zeit don- nerten ihre Kanonen. Es waren öſterreichiſche Schiffe, die den Geburtstag ihres Kaiſers feierten. Unſer kosmo- politiſches Schiff wurde damit an ſein Vaterland und ſeine Pflicht erinnert. Der Capitain ließ eiligſt von Wimpeln aufziehn, was das Schiff beſaß. Es kam aber nicht viel zu Stande und die Geſellſchaft kümmerte ſich nicht darum. In Syra, in Athen hatte uns die Cholerafurcht vom Lande abgeſperrt; Gleiches drohte uns in Zante, in Corfu, und die Aengſtlichen unter uns rechneten ſchon auf eine Quarantaine in Trieſt. Dies waren trübe Aus- ſichten. Eine lange Seereiſe wird von Jedermann ge- fürchtet; die beſten Reiſebeſchreibungen handeln dann von Langerweile und Eintönigkeit der Reiſe. Auch über unſer Schiff begannen dieſe Geſtalten mit ihren grauen langen Geſichtern ſich zu lagern. Man rechnete und rechnete, wie viel Tage, wie viel Stunden noch zu überſtehen wären, bis zur Ankunft in Trieſt; die Reiſe erſchien ſchon als eine weiße Tafel, auf der nichts geſchrieben ſtand, und die in dem Leben nicht mehr zählte. Und dennoch bot unſer Boot und unſere Reiſe alles, deſſen der Menſch bedarf für Körper und Geiſt; bot Ge- nüſſe, an die man mit Sehnſucht in der Heimath zurück- denken würde. Die bunteſte Geſellſchaft aus allen Klaſſen und Nationen; vortreffliche Bedienung und Bewirthung; die Freiheit von der Laſt des Amtes, von den Sorgen des Hausſtandes; einen ſtets klaren Himmel und eine reine milde Luft, die zu athmen ſchon Genuß war, die ſchön- ſten Anſichten von Land und Inſeln, und Bergen und Städten in ſtetiger Folge. Und dennoch wurden die Züge – 373 – der Reiſenden mit jedem Tage ſchlaffer, die Geſichter län- ger, die Unterhaltung ſtockender. Ich war empört über dieſe Launen des menſchlichen Herzens, ich ſchalt innerlich über dieſe Stumpfheit und Un- dankbarkeit. Aber ich fühlte, daß trotzdem das Gleiche mir drohte. Uns allen fehlte die Arbeit, die Auſtrengung mit ihrer ſtählenden Rückwirkung auf die Seele. Ich holte meinen Silvio Pellico hervor, das Original und die deutſche Ueberſetzung, und jeden Tag wurden zwei und drei Stunden verwendet zur Rücküberſetzung in das Italiäniſche und Ver- gleichung mit dem Originale. Wenn ich dann von dem Buche aufſah nach dem blauen Meere und den blauen Ge- birgen, waren ſie ſtets mit neuem Zauber umgoſſen. Wenn ich die Martern Silvio's im Gefängniſſe auf dem Spielberg mit Anſtrengung in das Italäniſche überſetzt hatte und dann auf dem Verdeck unter Gottes freiem Himmel auf und ab ging, und Berge und Städte an mir vorüber eilen ſah, dann durchſtrömte alle Adern das Gefühl des freien Da- ſeins, und täglich empfand ich neu die Freuden der Reiſe. Der türkiſche Geſandte gewann unſere Liebe und Ach- tung mit jedem Tage mehr. Sein ganzes Weſen war Be- ſcheidenheit, Milde, Feſtigkeit und rege Empfänglichkeit. Er war ſchon einmal in Europa geweſen und hatte Paris und Wien geſehen. Er gilt in der Türkei für einen der gelehrteſten Männer. Neben den orientaliſchen Sprachen kannte er auch das franzöſiſche; leider war er deſſen nicht ſo mächtig, daß die Unterhaltung ſich frei und leicht hätte bewegen können, und ſeine Ausſprache hatte einen ſo frem- den Accent, daß eine franzöſiſche Familie aus Lyon ſich mehrmals von uns den Sinn ſeiner Rede erklären ließ. Die Verhältniſſe Preußens ſchienen ihm ganz unbekannt. Er wußte nur, daß es gute Artilleriſten in Preußen giebt, und er hatte den Plan, deren noch mehrere ſammt den dazu gehörigen Kanonen nach ſeinem Vaterlande zu ſchaf- – 374 – fen. Es wurde deshalb mit Sorgfalt der nächſte Weg von Berlin nach Conſtantinopel beſprochen. Auch die Er- weiterung des Handels mit Preußen war eine ſeiner Lieb- lingsideen, und preußiſche Kaufleute und Fabrikanten, die irgend die Abſicht haben, ihre Geſchäfte nach der Türkei hin auszudehnen, werden wohlthun, ſich an ihn zu wen- den. Sein Intereſſe, ſein Einfluß und ſeine Kenntniſſe ſichern ihnen die beſte Aufnahme und die zuverläſſigſte Auskunft nnd Unterſtützung. Die politiſche Stellung Preußens nach Außen, ſeine politiſchen Parteien im Innern, die Namen und die Cha- raktere der jetzt einflußreichen Männer, alles dies war ihm völlig unbekannt. Wir verſuchten mehrmals, ihm und ſeinem Legationsrathe darüber Mittheilungen zu machen, denn ein Geſandter ohne ſolche Kenntniſſe ſchien uns un- fähig, ſeinem Vaterlande zu nützen. Aber die Aufgabe war ſchwierig, Männern gegenüber, die politiſche Parteien nur im Sinne verſchiedener Nationalität aufzufaſſen ge- wohnt waren, und für die Prinzipien der Selbſtregierung und Gleichheit gar keine Anſchauung gehabt hatten. Sein erſter Legationsrath A. war der Neffe des Groß- logotheten A. und aus einer der angeſehenſten griechiſchen Familien. Mit reichen Kenntniſſen, namentlich in Spra- chen und feiner Bildung verband er ein gewandtes, lie- benswürdiges Benehmen. Durchdringende Klugheit war in jeder ſeiner Mienen zu leſen, und ſein dunkles Auge war ein klarer Spiegel, in dem aber Jeder nur ſich ſelbſt ſah, wenn er verſuchte, das Innere ſeines Herrn darin zu leſen. Er hatte drei Jahre eine Miſſion der türkiſchen Regierung nach Bagdad und nach Perſien gehabt, um die Unterlagen zur Reform jener Länder zu ſtudiren und der Regierung mitzutheilen. Das Amt des Interpreten hatte ein junger Mann, von Geburt ein Holländer, der aber ſchon in allen Län- – 375 – dern der Welt geweſen war und mit jedem Tiſchgaſte in ſeiner Sprache ſich unterhielt, obgleich das Geſpräch bei Tiſch in ſieben verſchiedenen Sprachen geführt wurde; tür- kiſch, arabiſch, griechiſch, italieniſch, franzöſiſch, engliſch und deutſch. Er hatte auch in Petersburg mehrere Jahre zugebracht. Den Gegenſatz zu dieſen beiden Herren machte der zweite Sekretair der Geſandtſchaft, ein Türke, der an Bil- dung ihnen nicht nachſtand, aber die Treuherzigkeit und Gutmüthigkeit ſelbſt zu ſein ſchien. Er ſprach leider keine uns verſtändliche Sprache, war aber auch Effendi und Gelehrter nach türkiſchen Begriffen. Er ſpielte meiſter- haft Schach und war der einzige, der dem erſten Ma- ſchinenmeiſter unſeres Schiffes, einem Engländer, eine Parthie abgewinnen konnte. Dieſer und der Geſandte waren ſtets in gleich heitrer, ruhiger Stimmung, obgleich der Geſandte ſich wegen der Einrichtung ſeines Hausſtandes und wegen der Schwierig- keiten einer würdigen Repräſentation manche Sorgen machte. Sie waren immer im Salon oder auf dem Ver- deck; immer beſchäftiget. Der Geſandte hatte ein ſo reiches Material für Unterhaltung, daß er auf der ganzen Reiſe fortwährend mit ſeinem Perſonal oder mit den übrigen Paſſagieren ſich unterhielt. Sämmtliche europäi- ſche Reiſende ſtanden ihm weit nach in Regſamkeit, Le- bendigkeit des Geiſtes, ſteter Empfänglichkeit nnd Heiter- keit. Mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit gab er uns Auskunft über ſeine Perſon, ſein Alter, ſeine Kinder, ſeine Frau und deren Alter; und ſeine naive Unbefangen- heit ließ uns Fragen thun, die man hätte unverſchämt ſchelten können, wenn nicht dieſem edelen Manne gegen- über alles ſich veredelt hätte. Eifrige Zuhörer hatte er, außer uns, an einem Kauf- manne aus Lyon mit ſeiner Frau und einem Sohne. Sie hatten vier Wochen zu ihrem Vergnügen in Bujukdere – 376 – am Bosporus gelebt und kehrten jetzt nach Hauſe zurück. Die Frau war eine Genferin und obgleich ſie nicht hübſch war, ſo ſuchte ich gern ihre Nähe wegen des vortrefflichen Franzöſiſch was ſie ſprach. Eine wahre Muſik tönte aus ihrem Munde und ich vergaß oft über die Freude die reinen Laute zu hören, den Sinn ihrer Worte zu faſſen. Der Mann war viel gereiſt und in Geſchäften mehrmals in Amerika geweſen. Er gehörte zu der zahlreichen Klaſſe in Frankreich, die Louis Napoleon als eine Nothwendig- keit annehmen, als den unentbehrlichen Schutz gegen die Gefahren des Sozialismus. Um nach ihrer Meinung Eigenthum und Familie zu retten, ertragen ſie mit Re- ſignation den Verluſt aller Freiheiten. Sie bedenken leider nicht, daß dieſe Zuſtände keine Löſung ſind, daß ſie die Spannung und Feindſeligkeit der Gegenſätze in der Nation nur ſteigern. Sie bedenken nicht, daß ihre Gegner nur momentan niedergedrückt ſind; daß ſie die Ruhe der Arbeiter in den großen Städten jetzt mit noch größeren Opfern erkaufen müſſen, als in den Zeiten der Republik. Jene gewaltſame Bauten, mit denen man die arbeitende Klaſſe in Paris und Lyon beſchäftiget und zufrieden ſtellt, koſten ſeit 1852 ſchon Hunderte von Millionen. Die be- ſitzende Klaſſe, welche ſie hergiebt, bekommt allerdings ein zinstragendes Papier dafür, aber es iſt klar, daß dieſes Syſtem des Borgens ſeinem Ende nahe iſt und daß jede Kriſis ſich nothwendig verderblich auf dieſe Art des Eigen- thums ausdehnen muß. Ein engliſcher Offizier, der in Smyrna auf unſer Boot gekommen war, hatte ein eignes Schickſal zu be- ſtehen. Er war vor kurzem aus England zu einem in Corfu ſtehenden Regiment verſetzt worden. Er hatte den Weg dahin über Malta gewählt. In Malta angekom- men, ſoll er eine Quarantaine von zwei Tagen aushalten; in ſeiner Ungeduld wählt er, um dieſem auszuweichen, – 377 – ein Schiff, was nach Konſtantinopel geht, mit der Ab- ſicht in Syra auszuſteigen und dann mit dem Lloyd- dampfer nach Corfu zu fahren. Aber als er in Syra ankommt, läßt man ihn nicht ausſteigen, wenn er nicht zuvor 7 Tage Quarantaine halten will. Er fährt des- halb, um dem auszuweichen, nach Smyrna. Dort läßt man ihn ans Land, er muß aber 6 Tage auf das Dampf- boot warten. Endlich kommt das unſrige. Er ſteigt ein und hofft nun endlich ungehindert in Corfu landen zu können; allein vor Corfu angekommen, wird ihm, da er mit einem Schiffe gefahren iſt, was von dem cholera- kranken Conſtantinopel kommt, eine Quarantaine von 7 Tagen auferlegt, und nachdem er gleich dem Ulyſſes im mittelländiſchen Meere umhergeirrt, verließ er uns in Corfu, als er in das Quarantaineboot ſtieg, mit einem Geſicht, als ob er in ſein Grab ſteigen ſollte. Ein Schweizer, aus dem Canton Teſſin kehrte mit unſerm Schiffe in ſeine Heimath zurück. Er kam von Odeſſa und hatte lange in Rußland gelebt, war auch in Sebaſto- pol geweſen. Es wurde mit ihm viel politiſirt und ſchon damals erklärte dieſer Schweizer, daß Sebaſtopol von der Landſeite wohl zu nehmen ſei. Dies erhöhte nicht wenig die Hoffnungen der ganzen Reiſegeſellſchaft, in der ſich hinter Corfu kein Ruſſenfreund mehr befand; wir rechneten nun ſicher darauf, in Trieſt ſchon die telegra- phiſche Nachricht von der Einnahme Sebaſtopols zu finden. Der Sohn eines reichen Kaufmannes in Trieſt war zu ſeinem Vergnügen in Syrien, in Damaskus, Beirut und Aleppo geweſen. Er mußte uns viel davon erzählen und wir machten aufmerkſame Vergleiche mit dem was wir im Orient geſehen hatten. Nach Allem war kein großer Unterſchied. Unſer Zweifel über die grünen Wieſen und üppigen Laubwälder des Libanon, wie ſie Lamartine ſchildert, wurden von ihm beſtätiget. Sie exiſtiren nur in – 378 – der Phantaſie des Dichters. Selbſt der Libanon iſt dürr und trocken und der Baumwuchs auf wenige Stellen beſchränkt. Auch ein Landsmann fand ſich auf dem Schiffe, der ſeit 3 Jahren in Smyrna als Muſiklehrer ſich niederge- laſſen hatte und jetzt eine Reiſe nach Arnſtadt, in Thürin- gen, zu ſeinen Eltern machte. Er hatte ſchon ganz die aſiatiſche Natur angenommen, hinter Corfu fing er an zu frieren, wo wir noch große Hitze zu ſpüren meinten. Nach ſeiner Schilderung wird jetzt in Smyrna in den Arme- niſchen und Griechiſchen Familien ſo viel muſizirt, als in Europa. Die neueſten Polka nnd Maſurek hört man dort nach 14 Tagen ſo gut, wie in Wien. Indeſ ſpielen nur die Mädchen. Männer geben ſich nicht damit ab. Für den Handel mit Piano-Fortes und Muſikalien bietet Smyrna ein reiches noch unbenutztes Feld. Man bezahlt ſehr mittelmäßige ſchwache Inſtrumente mit 8000 bis 10,000 Piaſter oder mit 400 bis 500 Thlrn. Bei der gerin- gen Fracht müßte dieſer Handel für Preußen gewinn- bringend ſein. Es iſt aber nöthig, daß die Spielart ſehr leicht ſei, weil bei der Hitze jede ſtärkere körperliche An- ſtrengung geſcheut wird. Auch muß das Holz ſehr trocken genommen werden, weil die trockne heiße Luft in Smyrna ſonſt alles ſpalten und platzen macht. Neben den Erwachſenen hatten wir eine Zahl arme- niſcher Knaben am Bord, die unter Leitung eines katho- liſchen Prieſters von Conſtantinopel nach Venedig ge- ſandt wurden, um in dem dortigen armeniſchen Seminar zu katholiſchen Prieſtern ausgebildet zu werden. Es waren unruhige, lärmende Knaben, mit groben, gemeinen Zügen, die ihrem Führer und unſerm Kapitain viel Noth machten. Sie ſchienen noch keinen Begriff von ihrer Beſtimmung zu haben. - Bis Corfu hatte die Geſellſchaft ein überwiegend orientaliſches Anſehn; dort verließen uns aber alle Griechen. – 379 – Sie wurden ſammt den engliſchen Offizieren auf einen öden Felſen im Meere ausgeſchifft, wo ein Haus aufge- baut war, mit leeren Räumen, zum Dienſt als Quaran- taine. Wer einen Tiſch, einen Stuhl, ein Bett haben wollte, mußte es mit ſchwerem Gelde ſich verſchaffen. Die Sonne brannte wie Feuer auf dieſen dürren ſteini- gen Boden. Es gehörte eine feſte Geſundheit dazu, um nicht erſt in dieſer Quarantaine die Krankheit zu bekom- men, gegen die ſie ſchützen ſollte. Eine einzige Griechin war auch hinter Corfu noch auf dem Schiffe geblieben. Sie war uns ſchon früher auf- gefallen. Jugend und Schönheit lagen bei ihr im Kampfe mit tiefem Kummer; um den Mund hatten ſich ſchon die bittern Züge des Schmerzes gelagert, und die blendende Weiße ihrer Haut begann ſchon zu weichen der gelblichen Farbe nagender Sorge. Von feinem Wuchſe, trug ſie ſtets ein einfaches ſchwarzes Kleid, was trotz einer ge- wiſſen Nachläſſigkeit im Anzuge die edlen Formen ihres Körpers erkennen ließ. Ihre Schönheit übte eine magiſche Wirkung. Sie ſprach beinahe nie; aber wo ſie ſinnend hintrat, glich ſie einer antiken Statue; man blieb ihr fern, aber man empfand den Zauber ihrer Züge und vergaß, daß ſie lebte. Sie war trotz ihrer Jugend ſchon Wittwe. Ein italie- niſcher Arzt, der in der Lombardei 1848 für die Selbſt- ſtändigkeit ſeines Vaterlandes gefochten, war 1849 nach Griechenland geflüchtet. In Lariſſa hatte er ſich nieder- gelaſſen, ſie dort kennen gelernt und geheirathet. Vor Kurzem war er geſtorben und hatte ſie mit drei Kindern in Hülfsloſigkeit zurückgelaſſen. Sie war jetzt mit ihren Kindern auf der Reiſe zu den Verwandten ihres Mannes in Italien. Während der Reiſe wurde eines ihrer Kinder krank; ſie ſelbſt bedurfte der Pflege, aber Tag und Nacht ſorgte ſie für das kranke Kind. Sie ertrug Alles mit – 380 – einem tiefen Schweigen; fragte man, wie es dem Kinde gehe, ſo gab ſie die kürzeſte Antwort; nur ihre Züge ließen den Schmerz leſen, den zu klagen ſie kein Bedürfniß hatte. Am Sonntag Mittag erreichten wir Corfu; von da ging es in gerader Linie nach Trieſt. Hinter Corfu ver- loren wir das erſte Mal das Land aus dem Geſicht. Den folgenden Tag ſahen wir nur Himmel und Waſſer; nur einzelne Schiffe, die uns mit vollen Segeln begegneten, erinnerten uns, daß wir auf der vielbefahrnen Straße nach den Häfen von Trieſt und Venedig uns befanden. Bis dahin hatte der Kapitain nie eine Meſſung vorge- nommen, um ſich zu orientiren. Die Nähe der Küſten hatte für ihn und den Steuermann hingereicht, das Schiff richtig zu leiten. Mit außerordentlicher Sicherheit erkannten ſie ſchon das Land, wo wir mit den Gläſern noch nichts entdecken konnten; jeder Berg, jeder Vorſprung der Küſte, jede Untiefe, jeder verſteckte Fels war ihnen auf der 300 Meilen langen Reiſe genau bekannt. Sie führten das Schiff mit vollkommener Sicherheit durch die ſchmalſten Fahrwaſſer und leiteten es in dunkler Nacht ſo richtig, wie am hellen Tage. Neben den Küſten war nur der Kompaß ein Hülfsmittel zur Innehaltung des richtigen Weges; vor dem großen Rade, womit geſteuert wurde, waren zwei Kompaſſe in meſſingnen Gehäuſen ſchwebend angebracht, die des Nachts beleuchtet waren. Aſtronomiſche Beobachtungen zur Beſtimmung der Länge und Breite werden nach Verſicherung des Capitains nur auf der Linie nach Alexandrien gemacht. Hinter Corfu, als wir für einen vollen Tag das Land aus dem Geſicht verloren, wurde indeſ die Schnelligkeit des Schiffes einmal von dem Capitain gemeſſen. Er hatte auch hierin ſchon durch die Beobachtung des wegtreiben- den Schaumes der Räder ein ſicheres Urtheil. Der Ca- pitain ſchätzte die Schnelligkeit zu 9/2 Seemeilen in der – 381 – Stunde, von denen 4 auf eine geographiſche Meile gehn. Er warf dann das Logbrett aus. Es war ein kleines dreieckiges Brettchen, an das eine dünne Leine befeſtigt war, die von Stelle zu Stelle Knoten hatte. Die Leine war lang und auf einer Winde aufgewunden. So wie das Brettchen in die See geworfen wurde, nahm es nicht mehr an der Bewegung des Schiffes Theil, ſondern blieb in dem nicht fließenden Meere ruhig an derſelben Stelle liegen. Da das Schiff aber fuhr, ſo mußte die Leine ſich abrollen, und die Länge der Leine in einer Minute gab das Maß für die Schnelligkeit der Bewegung. Die Kno- ten in der Leine waren ſo berechnet, daß die Zahl, die davon in einer Minute ablief, mit der Zahl der See- meilen für eine Stunde übereinſtimmte. Damit war die Rechnung erſpart. Die Meſſung ergab nur eine um eine Viertelmeile geringere Bewegung, als der Capitain ge- ſchätzt hatte. Die Dampfboote des Trieſter Lloyd haben ſich bis jetzt als ſehr ſicher bewährt. Seit 1836 beſtehen die Fahrten von Trieſt nach Conſtantinopel, Alexandrien und Griechenland mit einer Menge kleinerer Boote bis in das ſchwarze Meer, und noch iſt nach der Verſicherung des Capitains nicht ein einziges Boot in dieſen achtzehn Jah- ren verunglückt. Im Sommer erſcheinen allerdings dieſe Reiſen im mittelländiſchen Meere ſehr ungefährlich, aber die Fahrten gehen auch regelmäßig den ganzen Winter hindurch, und da iſt nach der Verſicherung Aller die Fahrt durch dieſe engen, überall mit Inſeln angefüllten Meere weit gefährlicher als die Fahrt über den atlantiſchen Ocean nach Amerika. Nach dem, was wir über die Einrichtung der Dampfboote von Marſeille hörten, iſt Jedem zu ra- then, die Reiſe mit den Schiffen des Lloyd zu machen, ſie ſind reinlich, bequem und die Beköſtigung und Bedie- nung beſſer. – 382 – Die ſchönſten Stunden der Seereiſe waren die des Abends. Der ſtete Seewind milderte auch am Tage die Hitze; aber wenn die Sonne ſich dem Meere zuneigte, wurde das Segeltuch von dem Verdeck hinweggenommen, das blaue Gewölbe des Himmels ruhte dann unverhüllt über uns; die Sonne wurde, wenn ihre Trennungsſtunde nahte, milder und weicher; der Wind ſank mit der Sonne und nur in kleinen Ringeln kräuſelte ſich noch das Meer. Alles feierte die Stunde; alle Bewegung in der Natur, alle Unterhaltung in der Geſellſchaft verlor ſich in dem Anſchauen der Feuerkugel, die leiſe und ſtill am Ende des Meeres ſich in die Fluthen tauchte. Mit ihrem Ver- ſinken durchfuhren, gleich einem Nordlicht, gelbe, leuchtende Strahlenkegel den Himmel; das Meer ſpiegelte in ihren Glanz. Dann brach das Roth hindurch; immer ſtärker und tiefer färbte es die abendliche Hälfte des Himmels und des Meeres, bis es erſchöpft in das Violett ver- blaßte und an Zartheit das erſetzte, was es an Glanz verloren. Langſam kam dann von der andern Seite das luftige Grau gezogen, um ſich mit dem zarten Veilchen- blau zu miſchen. Luft und Meer hüllten ſich in grau- violette Schleier, bis die erſten Sterne hindurchbrachen und die kühle ſchwarze Nacht den Nebel vertrieb und den glänzenden Sternhimmel über uns ausſpannte. Die Stille ward dann nur von dem Rauſchen der Schaufel- räder unterbrochen; der weiße Schaum hinter ihnen glänzte ſelbſt in dunkler Nacht wie Silber und das Leuchten des Meeres brach in den Schaumſpitzen hervor und durch- wob den Silberſchleier, den das Schiff hinter ſich herzog, mit goldenen Sternen. Das Verdeck war dann öde, wie Straßen um Mitter- nacht. Nur der Steuermann ſtand unverändert an ſeinem Rade, die Augen nach dem Kompaß gerichtet, mit den Händen die Speichen des Rades haltend und mit dieſen – 383 – das Leben und den Tod unſer Aller. Oft kam die Mitter- nacht herein; und ſelbſt wenn die Augen mir zufielen, mochte ich nicht hinweg vom Deck; noch empfand ich das Athmen der lauen ſüdlichen Nachtluft und ich meinte mit der Seele ſelbſt aus dieſem reinen Aether zu trinken. Am Dienſtag ſahen wir wieder Land; die Inſeln und hinter ihnen die hohen Berge Dalmatiens. Am Abend dieſes Tages ſollten wir in Trieſt ankommen, aber in Corfu hatten wir uns verſpätet; ſo kam die Nacht heran, und erſt als ich früh aufwachte, empfand ich das Still- ſtehen des Schiffes und durch das kleine runde Fenſter meines Kabinets erkannte ich die weißen Häuſer von Trieſt. Wir waren im Hafen. Das Deck war bald von den Paſſagieren bedeckt. Alles erwartete mit Spannung den Sanitätsbeamten, von deſſen Entſcheidung es abhing, ob wir frei ans Land würden können, oder Quarantaine halten müſſen. Er kam, und die ganze Mannſchaft und Reiſegeſellſchaft mußte Mann für Mann an ihm vor- überwandern. Wir wurden gezählt und dieſe Zahl dann mit den Schiffspapieren verglichen, um zu prüfen, ob Niemand geſtorben, ob nicht der Tod eines Paſſagiers verheimlicht werde. Nachdem wir alle vorbeigewandert, blieb eine Perſon zu wenig; der Arzt machte ein bedenk- liches Geſicht; alle Winkel wurden nach Menſchen durch- ſucht; wir boten Hunderte für einen Menſchen. Endlich fand ſich der fehlende; es war das kranke Kind der Grie- chin, was man vergeſſen hatte, und mit aufgeheiterter Miene ſprach der Arzt das Urtheil, daß wir frei ſein ſollten von der Qual der Quarantaine und wohlbefugt, Trieſt's gaſtlichen Boden ſofort zu betreten. Lauter Jubel erſchallte; alle rannten durcheinander und ſchon kamen die Boote, die Seefahrer dem Lande zuzuführen. Wir nahmen herzlichen Abſchied von unſern Gefährten der Reiſe, und waren mit unſeren leichten Reiſetaſchen die erſten am Lande. – 384 – In Trieſt trennte ſich auch M*, mein braver, tapferer Gefährte. Er wollte die für Griechenland be- ſtimmten acht Tage in Venedig und deſſen Nachbarſchaft verleben; ich konnte mich nicht entſchließen, die Eindrücke des Orients durch andere Schönheit verwiſchen zu laſſen. Um 4 Uhr deſſelben Tages nahm ich Abſchied und fuhr mit dem Courierzug nach Wien. Um 6 Uhr Abends am andern Tage war ich in Wien. Nach kurzem Aufent- halt fuhr ich mit der Eiſenbahn nach der Heimath. Ich fand das Coupé, in das ich gerieth, ziemlich beſetzt. Zwei Kaufleute aus Leipzig unterhielten ſich eifrig mit einem Preußen aus Prenzlau, und in der Ecke ſaß ein Berliner Eigenthümer, der mit ſeiner Tochter ſich Wien beſehen - hatte. Ich fühlte mich völlig fremd unter meinen Lands- leuten; alle meine Gedanken waren noch in dem Orient. Aber der trübe Regenhimmel; die in Seen verwandelten Wieſen und Felder; die ſingenden Fragen meiner Nach- barn aus Leipzig und die ſchnarrenden Antworten meines Nachbarn aus der Mark; das triviale Geſchwätz über Betten und Eſſen in den Gaſthöfen; das unaufhörliche Verzehren von Wurſt, Butterbrot, Birnen, Bier, Zucker- waſſer auf allen Stationen – Alles dies ſagte mir ſchmerz- lich, daß ich wieder im Vaterlande war, und daß ein weiter Raum mich wieder trennte von dem blauen Himmel des Südens, von der Muſik der griechiſchen und italieni- ſchen Laute und von den mäßigen, ſchweigſamen Bewoh- nern des Morgenlandes. „ww.Y.“..“.v.".."..".."..“..".."- G. – ----------------------------------------------------------------- In demſelben Verlage iſt erſchienen: Erinnerungen Schottland und England. Ein Beitrag zur Reiſeliteratur über jene Länder und zum praktiſchen Gebrauch für Beſucher derſelben VOI Moritz von Kalkſtein. Preis geh. 1 Thr, geb. 1 Thlr. 10 Sgr. - -3 S- - sº Druck von Eduard Krämie in Berlin - & ------- -- 2.