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6752-B
Österreichische Nationalbibliothek -
+Z260120001
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Nach Conſtantinopel
Und
3 r u g g a.
Ferien-Reiſe eines Preußiſchen Juriſten.
Rerlin, 1855. -
Schneider und Comp.
(Unter den Linden 19.) C
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F
Nach Conſtantinopel
B r u s s a.
Ferien-Reiſe eines Preußiſchen Juriſten.
Berlin, 1855.
F. Schneider u. Comp.
(Unter den Linden 19.)
Deutsch-Türkische Wirtschaftszentrale
Berlin E //
Inhalt.
1. Der Entſchluß. Wien. Trieſt. . . . . . . . . . . . . . 1
2. Die Seefahrt. Ancona. Molfetto. Brindiſi. . . . . . 16
3. Corfu. . . . . . . . . . . - - - - - - - - - - - - - - - - 29
4. Zante. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . - - 43
5. Athen. Syra. Die Dardanellen. . . . . . . . . . . . . 68
6. Konſtantinopel. Die Anſicht der Stadt. Die tanzen-
den Derwiſche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
7. Die Straßen Konſtantinopels. Ritt um die Thore. . 131
8. Die Promenade von Pera. . . . . . . . . . . . . . . . 147
9. Ein türkiſches Bad. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
10. Die Fahrt auf dem Bosporus. . . . . . . . . . . . . . 154
11. Die Moſcheen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
12. Das neue Serail. . . . . . . . . . . . . . . • • • • • 174
13. Türkiſche Kaffee- und Speiſehäuſer. . . . . . . . . . . . 184
14. Die Ciſterne der 1001 Säulen. Der Atmeidan. . . . 193
15. Die hohe Pforte. Die Feuerwache. . . . . . . . . . . . 19S
16. Die preußiſche Geſandtſchaft in Konſtantinopel. . . . . 205
17. Skutari. Der große türkiſche Kirchhof. . . . . . . . . . 210
18. Das Dampfſchiff. Deutſche Abenteurer. . . . . . . . . 214
19. Der Sultan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
20. Die türkiſchen Frauen an den himmliſchen Waſſern. . 225
. Das Leben in Pera. Auswanderung dahin. . . . . . . 232
25.
26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
. Die Reiſe nach Bruſſa. . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
23.
24.
Bruſſa. Aali Paſcha. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
Die Beſteigung des Olymp. . . . . . . . . . . . . . . . 256
Der Beſuch bei Abd-el-Kader. . . . . . . . . . . . . . . 277
Rückreiſe nach Konſtantinopel. . 284
Bujuktere. Das Schwarze Meer. . . . . . . . . . . . . 290
Die Bazars. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Der Sclavenmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
Eine Verlegenheit. Die Gaſthöfe in Pera. . . . . . . 313
Das Dampfboot. Smyrna. . . . . . . . . . . . . . . . 322
Charakter der Türken und ihre Zukunft. . . . . . . . . 332
Die Rückkehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
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I.
Der Entſchluß. Wien. Trieſt.
„Laſſen Sie uns die diesjährigen Ferien zu einer Reiſe
nach Neapel benutzen, hinwärts über Marſeille und rück-
wärts über Genua“, ſchrieb mir im Juni d. J. mein alter
Freund, der RA. M**, mit dem ich im vorigen Jahre
eine Reiſe durch die franzöſiſche Schweiz gemacht hatte.
„Iſt dies Ihr Ernſt? antwortete ich ihm, bedenken
Sie wie wir voriges Jahr über Ihre Kollegen aus Berlin
geſpottet haben, die dieſelbe Reiſe machten. Drittehalb
Wochen auf der Reiſe, um eine Woche in Neapel zu
ſein, und dann, wenn man kaum zur Beſinnung gekom-
men iſt, wieder davon eilen zu müſſen; iſt dies nicht
lächerlich? – Und dann! ſollen wir Rom und Florenz
gar nicht ſehen? und dann! wird die Hitze in Neapel im
Juli und Auguſt nicht unerträglich ſein? Und dann! u. ſ. w.“
Aber der Vorſchlag mußte gut ſein; er pochte, wie
der Geiſt im Hamlet, überall wo ich ſtand und ſaß. Nach
acht Tagen ſchrieb ich an M*: Quälen Sie ſich nicht
mit Widerlegung meiner Bedenken. Ich bin bereit, mit-
zureiſen; aber da die Cholera in Marſeille ſein ſoll und
man deshalb uns in Neapel vielleicht nicht landen läßt,
1
– 2 –
ſo laſſen Sie uns den Hinweg über Wien und Trieſt
nehmen. Bereiten Sie ſich tüchtig vor und ſtudiren Sie
fleißig alle Reiſebücher, dafür will ich Ihnen folgen wie
ein Kind. In Lundenburg treffen wir uns; und noch
eine Bedingung: keinen Reiſekoffer, keine Hutſchachtel;
nur einen Nachtſack von höchſtens zwanzig Pfund Gewicht.
Ich ſchrieb nun ſchleunig nach Paß und Napoleons
und erlangte auch vier Tage vor der Abreiſe das unent-
behrliche neueſte Berliner Coursbuch. Im Durchblättern
deſſelben ſtieß ich auf das Verzeichniß der Dampfſchiff-
fahrten des Trieſter Lloyd nach Griechenland und Kon-
ſtantinopel. Nach Konſtantinopel! Dies war ein alter ge-
heimer Wunſch meines Herzens. Wäre es nicht möglich, kam
mir der Gedanke, in 6 Wochen dieſe Länder zu ſehen? Ein
flüchtige Berechnung zeigte mir die Möglichkeit. Ich eilte
zum Schreibtiſch, um mir den Paß auch auf Konſtan-
tinopel zu erbitten, und um meinem Freunde das gleiche
zu empfehlen. In einer halben Stunde kam der Eilzug
und nahm beide Briefe mit. Der Paß mit dem Viſum
des türkiſchen Geſandten kam auch richtig an, aber keine
Antwort von M*. Ich mußte Abſchied nehmen, abreiſen
ohne mein Reiſeziel zu kennen. In Lundenburg war ich
kaum ausgeſtiegen, da rollte der Zug von Brünn heran
und mein alter Freund, pünktlich wie immer, reichte mir
die Hand. Drei Wochen auf der Anklagebank im Steuer-
verweigerungs-Prozeß hatten die Farbe ſeiner Haare
bleichen können, aber nicht die Farbe ſeiner Geſinnung;
ehrlich und feſt ſchüttelte er mir die Hand, und mit dem
Händedruck ſagten wir uns ſchweigend, was in unſeren
Herzen ſich regte. –
– Wer iſt Ihre hübſche Nachbarin? fragte ich ihn, als
ich zu ihm ins Coupee geſtiegen war.
– 3 –
– Eine Wienerin, die mit der älteren Dame gegenüber
zwei Monate in Paris geweſen iſt, und jetzt zurückkehrt.
– Haben Sie meinen letzten Brief erhalten?– Ja. –
Was meinen Sie zu Konſtantinopel?
Er ſchüttelte den Kopf und ich fuhr fort: Gewiß, es
läßt ſich in 6 Wochen ausführen. Heute iſt Freitag,
nächſten Dienſtag Nachmittag 4 Uhr geht ein Dampfſchiff
von Trieſt und iſt in acht Tagen in Athen. Wir be-
rühren auf der Reiſe Ancona, Malfetto, Brindiſi, Corfu,
Zante, Patras, fahren mit einem Omnibus über die
Landenge von Korinth und können an allen dieſen Orten
ausſteigen und uns umſehen. In Athen und Griechen-
land bleiben wir 8 Tage, dann fahren wir mit einem
andern Dampfſchiff in 4 Tagen nach Konſtantinopel und
können auf dem Wege Syra, Smyrna, Tenedos, die
Ebene von Troja, die Dardanellen und Galipoli mit
dem franzöſiſchen Lager beſuchen, denn an allen dieſen
Orten hält das Dampfſchiff mehrere Stunden an. Für
Konſtantinopel und die Umgegend haben wir dann vier-
zehn Tage; wir können auch in 18 Stunden von dort
nach Varna und die dortigen alliirten Flotten und Heere
ſehen. Rückwärts gehen wir mit einer Karavane durch
Klein-Aſien nach Smyrna und von dort fährt uns das
Dampfſchiff in 6 Tagen nach Trieſt zurück, und 4 Tage darauf
können Sie ſchon wieder in T. für ihre Clienten plaidiren.
– Dies iſt alles ſehr ſchön, erwiederte er; aber ich habe
ja keinen Paß nach Konſtantinopel!
– Das wird ſich in Wien machen laſſen; ich ſchicke
meinen Paß mit, und der Geſandte wird uns Beide ſchon
nach Konſtantinopel viſiren.
– Aber wir ſind ja ohne alle Vorbereitung, ohne alle
Vorſtudien zu dieſer Reiſe!
– Nun, ſo reiſen wir einmal ohne deutſche Gründ-
1*
– 4 –
lichkeit; die Eindrücke werden um ſo reiner und objek-
tiver ſein. Auch müſſen wir ja in Wien die neueſten
Reiſehandbücher nach der Türkei im Ueberfluß finden; wir
ſuchen das Beſte aus und ſtudiren fleißig auf der See.
– Aber werden wir Geld genug haben?
– Sie haben ja einen Kreditbrief auf Rothſchild in
Wien; der wird uns ſchon weiter helfen.
– Aber kein Menſch zu Hauſ' weiß, daß wir nach der
Türkei wollen; bedenken Sie die Unruhe und Sorgen
daheim, die Gefahren und Piraten da draußen.
– Denken Sie lieber an Ihre hübſche Nachbarin und
nehmen Sie ſich ein Muſter an ihr. Paris war gewiß
für dieſe gefährlicher, als Konſtantinopel für uns.
Wir brachen ab; ein guter Gedanke, hoffte ich, wird
ſich ſchon ſelbſt Bahn brechen. Wir kamen glücklich nach
Wien und plauderten den Abend bei Sperl und in Stier-
beck's Kaffeehaus, ohne weiter an unſere Reiſepläne zu
denken. Aber den andern Morgen machten wir Ernſt.
Die Viſa's nach Konſtantinopel wurden glücklich erlangt.
Rothſchild zahlte den Kreditbrief; aber weiteren Kredit
wollte er nicht bewilligen. Nach Büchern und Auskunft
über Konſtantinopel forſchten wir lange vergeblich. Kein
Menſch war in Konſtantinopel geweſen; Niemand konnte
uns einen ſolchen zuweiſen. In den Buchläden war
nichts zu finden, als der bekannte rothe engliſche Murray,
ein Band für die Türkei und ein Band für Griechenland
von 1853 und ein deutſches Handbuch für Reiſende im
Orient von 1846. Eine Vergleichung deſſelben mit Murray
zeigte, daß es wenig mehr als Ueberſetzung davon war.
Nehmen wir es, ſagte M*; wenn es auch ſchon
9 Jahr alt iſt. Im Orient ändert ſich nichts.
Den feſten Entſchluß verſchoben wir nach Trieſt und
fuhren des Nachmittags nach Fünfhaus zu dem Tages-
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Theater. Eine niedliche Poſſe: „Wo ſteckt der Teufel?“
wurde von der Geſellſchaft des Theaters an der Wien
vortrefflich geſpielt; höchſt wohlthuend für uns Klein-
ſtädter war es, daß ſelbſt die Nebenrollen gut beſetzt
waren. Das Grün der gemalten Bäume verlief ſich in
das friſche Grün der natürlichen und bildete mit dem
blauen Himmelsgewölbe über uns den ſchönſten Theater-
ſaal, erfüllt von reiner balſamiſcher Sommerluft. In
der Rolle eines Wiener Stutzers erkannten wir einen
alten Bekannten; in dem Zwiſchenakte ſuchten wir ihn
hinter den Kuliſſen auf und fanden ihn mit der übrigen
Geſellſchaft ausgeſtreckt in dem friſchen Grün der Wieſe.
Erfreut, uns wieder zu ſehen, kamen wir überein, nach
dem Theater den Abend gemeinſam in Sperl's Garten
zu verleben, wo für heute Illumination und Muſik der
Srauß'ſchen Kapelle angekündigt war.
In einem Omnibus fuhren wir nach Wien zurück.
Ich kam neben einer jungen Dame zu ſitzen, in ſchwarzer
Seide gekleidet, die mir bald näher rückte. Ich hielt es
für ſchicklich und artig, ein Geſpräch einzuleiten. Wie
hat Ihnen das heutige Stück gefallen?
– O! allerliebſt. Dabei ſah ſie mich mit ihren hellen,
grauen runden Augen fragend an.
Pauſe. Sie rückte wieder etwas näher. Wie alt
ſind Sie, mein Kind? gewiß erſt 18 Jahr?
– O nein, ſchon 21 – und dabei derſelbe fragende
Blick wie vorher, nur etwas deutlicher.
Abermals Pauſe. Sie rückte wieder etwas näher.
Es thut mir herzlich leid, liebes Fräulein, aber ich bin
nicht allein. -
– Iſt Ihre Frau mit im Wagen?
– Nein, ich bin aber in Geſellſchaft mit den zwei
Herren dort auf dem erſten Sitz.
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– Wie danke ich Ihnen für dieſe Offenheit, ſagte
ſie. Ach! ſie wird uns ſo ſelten zu Theil! -
Damit waren unſere beiderſeitigen Poſitionen befeſtigt;
ſie ſchwatzte weiter und da ich mich nicht entſchließen
konnte, den Moralprediger zu machen, ſo erzählte ſie mir
mit Wiener Offenheit und Natürlichkeit, daß ihre Mutter
ſehr ſtrenge ſei und daß ſie ihren Leichtſinn der Mutter
ſorgfältig verbergen müßte. Ihr ganzes Weſen war mehr
Paſſion als Profeſſion und als der Wagen am Stephans-
thurm anhielt und wir uns trennten, gab ich ihr unwill-
führlich die Hand zum Abſchiede.
– Wie iſt es Ihnen gegangen, lieber G*, ſagte ich, als
wir den Omnibus, der uns zurückgebracht, verlaſſen hatten;
wir haben uns nicht wieder geſehen, ſeit Sie als wohl-
beſtalltes Mitglied der Königsſtadt in Berlin eines Abends
in T. eine Geſellſchaft bei mir durch Ihr mimiſches Ta-
lent ſo gut unterhielten. Was macht Ihre Schweſter?
– 1848 ging es mir ſchlecht, ich verlor mein Engage-
ment und meine freien politiſchen Anſichten trennten mich ſo
vollſtändig von meiner Schweſter, daß ſie mir auf meine
Briefe nicht mehr antwortete. Ein Zufall verſchaffte mir
endlich das Engagement hier und hier befinde ich mich
wohl. Ich habe 120 Guldeu monatliche Gage und jeden
Abend, wo ich ſpiele, auch wenn es nur drei Worte ſind,
fünf Gulden Spielhonorar.
Die heutige Vorſtellung war allerliebſt. Aber wie
kommt es, daß wir auch nicht eine einzige politiſche An-
ſpielung auf die großen Fragen des Tages gehört haben?
– Die ſtrengſten Strafen verpönen jede politiſche An-
ſpielung und Improviſation. Es geht ſo weit, daß bei
der Generalprobe ſtets ein Polizei-Kommiſſär gegenwärtig
iſt und die Vorſtellung darf von dieſer Probe nicht blos
in keinem Worte abweichen, auch der Ton, der Accent,
– 7 –
mit dem ſich ſo manches ſagen ließe, muß genau derſelbe
bleiben, wenn man nicht riskiren will, entlaſſen zu werden.
– Aber wie können Sie dies aushalten?
– O, in Wien iſt ein ſchönes Leben, mit keiner Stadt
in der Welt möcht' ich es vertauſchen.
– Iſt es wahr, daß der Kaiſer ſeit ſeiner Verwun-
dung bei dem Attentat leidend ſein ſoll?
– Durchaus nicht. Der Kaiſer iſt ein vortrefflicher
Mann und alle Welt verehrt ihn. Auch der Herzog von
Braunſchweig lebt viel hier. Er macht ein Haus, giebt
oft theatraliſche Vorſtellungen, und ich habe die Ehre, ſie
zu arrangiren.
– Aber weshalb ſchreiben Sie dies nicht alles Ihrer
Frau Schweſter? ſie würde ſich ſofort mit Ihnen wieder
verſöhnen. Weshalb heirathen Sie nicht? -
Ich wäre ein Thor; jeden Tag erhalte ich Billets-doux
aus allen Ständen, in allen Sprachen, in allen Farben.
– Sehn Sie, ſagte M*, die Korruption der jetzigen
Frauen!
– Nein, nein, rief ich, das glaub ich nicht; höchſtens
einzelne Ausnahmen, die dann die Eitelkeit der Männer
ins hundertfache vergrößert. Und mit ſteigendem Eifer
begann ich eben meine Anſicht weiter zu vertheidigen, als
die Gartenmuſik unſerer Unterhaltung ein Ende machte.
Wir traten bei Sperl ein. Die laue Abendluft, die
bunten Laternen in den grünen Bäumen, die Muſik der
Strauß'ſchen Kapelle, die Backhähnel auf den reinlichen
Tiſchen – alles ſtimmte die Wiener Herzen zur Freude,
und die Sorge, in dem Getümmel noch einen Platz und
Eſſen zu erlangen, ließ uns unſer Thema vergeſſen.
Hunderte von Männern und Frauen luſtwandelten an
uns vorüber. Ich ſpähte ſorgfältig nach Blicken für
unſern Glücklichen, die jene Billets-doux beſtätigt hätten,
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aber vergeblich. Wie freute ich mich innerlich deſſen und
gern wäre ich noch länger geblieben, wenn die verzweifelten
Potpourris mit ihren zerfahrnen Gedanken, zerſchnittenen
Melodien und haarſträubenden Kontraſten mich nicht
davon getrieben hätten.
Zwölf Stunden ſpäter waren wir am Sömmering.
Es war der letzte Tag, an welchem die Reiſenden mit
der Poſt befördert wurden; am nächſten Tage ſollte die
Eiſenbahn über den Sömmering eröffnet werden. Wir
hatten ſo doppelt zu leiden, einmal die ſtaubige Fahrt
im engen Wagen auf der Chauſſee, von der man über-
dies nur wenig von den Bauten der Eiſenbahn ſehen
kann, und dann überall, wo wir hinkamen, Verwirrung,
nichts zu eſſen, keine Bedienung; denn Niemand hatte
dieſen letzten Wagenzug erwartet und alles bereitete ſich
ſchon für den neuen Fahrplan vor. So ging es bis
Laybach; kaum daß man in Gratz ein Stück Brod und
Fleiſch zur Stillung des Hungers erhaſchen konnte. Hinter
Gratz wurde es dunkel und wir verſchliefen glücklich die
Mühen der Reiſe; als wir um 4 Uhr früh erwachten,
waren wir bei Laybach. Hier hört die Eiſenbahn auf
und man fährt die letzten 16 Meilen bis Trieſt mit der
Poſt. Wir hofften in der Krain ſchöne Landſchaften zu
finden und ſuchten deshalb in das Kabriolet zu kommen.
Trotzdem daß wir es ſchon belegt fanden, verhalf uns
doch ein Gulden an den Kondukteur zu dieſen Sitzen,
indem der Kondukteur als ein Stück Obrigkeit nunmehr mit
vielen Gründen aus den Reglements und Inſtruktionen dem
Unterthanenverſtand der früheren Herren bewies, daß ſie
kein Vorrecht hätten; aber meine Herren, ſagte er zu uns
ſich wendend, wenn in der nächſten Station ein Paſſagier
hinzukommt, ſo muß einer von Ihnen Platz machen.
Richtig; in Ober-Laybach, der erſten Station, ſtand
– 9 –
ein neuer Paſſagier, ſeiner Kleidung nach ein katholiſcher
Geiſtlicher, mit fahlem Geſicht voll finniger Ausſchläge,
vorſtehenden Backenknochen, ohne Bart und mit ſo trüben
Augen, daß ich ihn Anfangs für blind hielt. Mit
Schaudern ſetzte ich mich neben ihn in die Beichaiſe.
– Wie kommt es, daß Sie in dem kleinen Dorfe
einſteigen? fragte ich ihn.
– Ich habe in Laybach, erwiderte er, heute früh die
Meſſe in der Domkirche geleſen und darüber die Zeit
zur Poſt verſäumt, ſo daß mich der Gaſtwirth mit ſeinem
Geſchirr hat nachfahren laſſen.
– Sie ſind fremd nnd leſen doch hier die Meſſe?
– Ich bin Mitglied der Geſellſchaft de propaganda
fide in Rom; ich komme jetzt von London und bin auf
einer Rundreiſe zu Miſſionszwecken begriffen. Die Meſſe
leſe ich ſo oft es mir möglich iſt, nicht ſowohl der Ge-
meinde wegen, obwohl dieſe heute zahlreich verſammelt
war, ſondern weſentlich meiner ſelbſt willen. Ich bedarf
dieſes wunderthätigen Sakraments zu meiner eigenen
Stärkung, zu meiner eigenen Heiligung.
– Sie ſind kein Deutſcher, nach dem Accent Ihrer
Sprache zu ſchließen?
– Nein; ich bin von Geburt ein Ruſſe, Sohn eines
höhern Beamten, in der griechiſchen Religion erzogen.
In meinem 17ten Jahre ging ich nach Berlin, wo ich
Jura und die Hegelſche Philoſophie ſtudirt, Ihren Schel-
ling und Andere gehört habe. Später ging ich nach
England; dort gerieth ich in religiöſe Zweifel, wurde
Katholik, nahm die Weihen und fand ſo endlich die Ruhe
der Seele, die ich geſucht hatte. Seitdem habe ich im
Dienſte meines Ordens mich in allen Ländern Europas
aufgehalten. Die letzten zwei Jahre war ich in London
bei dem Biſchofe Wiſeman. Einer der Hauptzwecke meiner
– 10 –
jetzigen Reiſe iſt die Sammlung von Beiträgen für die
katholiſche Kirche, welche jetzt in London erbaut werden
ſoll. Bereits iſt der Grund und Boden dafür im Mittel-
punkt der Stadt erworben und nach den reichlichen Zeich-
nungen, die ich geſammelt, werden die Koſten des Ge-
bäudes bald geſichert ſein. Es wird eine katholiſche Kirche
für die Gläubigen aller Nationen der Erde. In allen
Sprachen wird man täglich die Meſſe leſen und predigen.
Auch eine Schule ſoll ſpäter damit verbunden werden.
Der widerwärtige Eindruck, den die erſte Erſcheinung
meines Reiſegefährten auf mich gemacht hatte, fing bei
dieſen Mittheilungen an zu weichen.
Später holte mein Begleiter ein katholiſches Gebet-
buch hervor, fing an darin mit ſcheinbar tiefer Andacht
zu leſen und zu lispeln.
Dies machte mich ſtutzig. Ein geſcheidter Mann kann
unmöglich hundert- und tauſendmal, Jahr aus Jahr ein,
daſſelbe Gebet leſen und dabei die Andacht ſich erhalten.
Die Pferde wurden gewechſelt, er fing wieder die Unter-
haltung an. Da ich geduldig zuhörte, ſo wurde er un-
genirter, glaubte mir zu imponiren und mit ſteigender
Selbſtgefälligkeit begann er wieder von ſeinen wichtigen
Aufträgen zu ſprechen. Er zeigte mir ſeine Empfehlungs-
briefe, unter andern den lateiniſchen des Generals des
Franziskaner-Ordens zu Rom.
– Sechs Tauſend Ordenshäuſer, ſagte er, die dieſer
Orden in allen Welttheilen beſitzt, ſtehen mir damit offen;
überall, wo ich hinkomme, werde ich in dieſen Häuſern
unentgeltlich aufgenommen und bewirthet. In Wien habe
ich Audienzen bei dem Miniſter Grafen Buol gehabt;
eben ſo bei dem ruſſiſchen Geſandten Gortſchakow; wir
haben viel über den ruſſiſchen Krieg geſprochen; in Karls-
bad war ich bei dem Fürſten Woronzof; in Prag bei
– 11 –
dem Kardinal Fürſtbiſchof; hier in Laybach habe ich bei
dem Biſchof gewohnt.
Er fuhr fort in Aufzählung ſeiner Audienzen und
hohen Verbindungen; ich ließ ihn erzählen. Der erſte
Schlüſſel zu dem Eharakter meines Gefährten war ge-
funden; er hieß: Eitelkeit und Hoffahrt.
– Aber werden Sie nicht in England auf große
Schwierigkeiten ſtoßen, wenn Sie mitten in London mit
ſolchem Pomp eine katholiſche Kirche errichten wollen?
– Dieſe Schwierigkeiten werden mit jedem Jahre ge-
ringer. An jedem Tage treten Hunderte aus allen Stän-
den in London zur katholiſchen Religion über Die
Puſeyiſten ſind ja nur der Uebergang zum Katholicismus.
In 50 Jahr iſt ganz England katholiſch und kehrt unter
die Macht des Papſtes zurück. -
Ich ſchwieg. Ich vermochte nun den Gehorſam und
die Opferbereitwilligkeit dieſes Miſſionairs zu verſtehen.
In Adlerberg aß die ganze Geſellſchaft zu Mittag.
Das Geſpräch kam auf England und der Miſſionair,
vielleicht durch mein Schweigen ermuthigt, ſtellte auch da
mit Dreiſtigkeit die Behauptung auf, daß in 50 Jahren
ganz England katholiſch ſein werde. Mein Freund hatte
nicht die Selbſtverleugnung wie ich, er opponirte und
viele mit ihm erklärten ſolchen Religionswechſel für zwei-
deutig; von hundert ſolchen Fällen wären neunundneunzig
durch zeitlichen Vortheil oder halben Wahnſinn herbeigeführt.
Mit einer vortrefflichen Sophiſtik berief ſich dagegen
der Miſſionair auf den freien und offenen Charakter der
engliſchen Nation, der ſolchen Motiven nicht zugänglich
ſei; wolle man von ſolchen Motiven ſprechen, ſo wären
ſie eher bei den Deutſchen zu ſuchen, als dieſe, durch
Luther verführt, von der wahren Kirche abgefallen wären.
Dies war ſelbſt einem katholiſchen Arzt aus Adler-
– 12 –
berg, der mit uns aß, zu viel. Ein allgemeiner Sturm
brach gegen den Miſſionair los, und mit Mühe konnte die
Geſellſchaft ſich in den Regeln des Anſtandes erhalten.
M* ſprach laut von Renegaten, von ihrer Sucht, die
eigene Schmach durch fremde Schmach zu verhüllen. Zu
meiner Verwunderung blieb der Miſſionair ruhig und ge-
duldig und als der Zufall uns alle drei im nächſten Wa-
gen zuſammenbrachte, erkundigte ſich der Miſionair ſehr
angelegentlich bei mir nach den Verhältniſſen meines Freun-
des, verſuchte wiederholt, ein Geſpräch mit ihm anzuknüpfen,
und bot ihm ſein Reiſehandbuch zur Lectüre an, als jene
Verſuche an der erbitterten Schweigſamkeit meines Freun-
des ſcheiterten. -
Dieſes Beiſpiel chriſtlicher Demuth widerte mich an;
ich ſuchte durch die Fenſter nach Zerſtreuung, aber ver-
geblich. Die letzten Stunden vor Trieſt führt der Weg
durch eine Hochebene, deren dürre Kalkformation keine
Vegetation aufkommen läßt; nur in einzelnen Vertiefun-
gen, wo das Waſſer ſich ſammeln kann, ſieht man Bäume
und Gras; ſonſt nichts als Kalkgerölle, ſoweit das Auge
reicht, keine Spur von Italien. Endlich erreichten wir
die Säule an dem ſteilen Abfalle des Gebirges nach Trieſt
hinunter; das weiße Trieſt mit ſeinen Landhäuſern, ſei-
nen Schiffen und rechts das Meer lag zu unſern Füßen.
Die Straße zieht ſich in vielfachen Windungen den Berg
hinab und zeigt das ſchöne Bild bald links bald rechts
in wachſenden Dimenſionen. An der Poſt empfing uns
der Lohndiener vom Hotel Metternich oder Hötel de ville
und führte uns zu dieſem ſchönen Gaſthof am Hafen.
Unſer Miſſionair war verſchwunden; aber bei meiner Rück-
kehr von Conſtantinopel fand ich auf dem Schiff ein
Blatt vom Oſſervatore Trieſtino mit dem folgenden Ar-
tikel aus Rom:
– 13 –
„Se. Heiligkeit der Papſt hat mit Wohlgefallen einen
Vortrag entgegengenommen, der ihm über die Erbauung
einer katholiſchen Kirche in London erſtattet worden iſt.
Der fromme Vater L* bemerkte während ſeines mehr-
jährigen Aufenthaltes in London mit betrübtem Gemüth,
wie die rechtgläubigen Chriſten aller Nationen in dieſer
großen Stadt alles kirchlichen Troſtes entbehren. Muthig
und gottvertrauend faßte er den Plan zum Bau einer
katholiſchen Kirche in dem Mittelpunkt Londons, und durch
die thätige Hülfe einer großen Zahl frommer Katholiken
gelangte er vor ſeinem Tode ſo weit, die Bauſtelle dazu
erkaufen zu können. Inmitten ſeiner Thätigkeit ereilte
ihn vor zwei Jahren der Tod. Der Plan iſt aber von
Sr. Eminenz dem Cardinal Wiſeman aufgenommen wor-
den, und gegenwärtig ſind zwei fromme und eifrige Väter
der Congregatio de propaganda fide von London ausge-
ſandt worden, um bei allen katholiſchen Chriſten der Erde
Beiträge zu dem Aufbau dieſes Gotteshauſes zu ſammeln,
das in dem Mittelpunkt des Landes errichtet werden ſoll,
deſſen Volk ſich bisher ſo hartnäckig feindlich gegen die
allein ſeligmachende Kirche erwieſen hat. Der fromme
Pater Maria Stephano v. Dj. hat die Miſſion für Frank-
reich, Italien und Deutſchland erhalten. Der heilige Va-
ter hat dem frommen Unternehmen ſeinen Segen ertheilet
und die Abgeſandten mit Vollmachten und Empfehlungs-
ſchreiben verſehen laſſen.“
Nach den Aeußerungen des Miſſionairs ſteht ſeine
Ankunft in Preußen binnen kurzem zu erwarten.
Nach 36ſtündiger Fahrt gab ein Meer-Waſſerbad in
den Marmorbädern unſeres Gaſthofes den müden Glie-
dern wieder Biegſamkeit, und der warme Abend lockte uns
ins Freie. Keine Stelle zwiſchen Deutſchland und Italien
bietet einen ſo ſchroffen klimatiſchen Contraſt, wie Trieſt.
– 14 –
Eine halbe Stunde davor auf den Bergen hüllten wir
uns bei Tage in die Mäntel, und in der Stadt mußten
wir die Nacht der Hitze wegen ſchon bei offenen Fenſtern
ſchlafen. Das Café Tomaſi ward bald unſer Lieblings-
aufenthalt. Hart am Hafen hat man von jedem Stuhl
vor ſich die Ausſicht auf die Hunderte von Schiffen, das
Meer, die Alpen und hinter ſich das Gewühl der kauf-
männiſchen Welt an der Börſe und den zahlreichen Bü-
reaus des Lloyd. Um 9 Uhr Abends beginnt die Mili-
tairmuſik, und die Bevölkerung Trieſts aus allen Ständen
genießt da bis Mitternacht der Abendkühle und Seeluft.
Der nächſte Morgen ſah uns wieder wandernd hier-
und dorthin, und nach Auskunft über Konſtantinopel for-
ſchend. Aber auch hier vergeblich. Weder bei dem Ban-
quier, noch bei Lloyd, noch im Gaſthof war ein Menſch
aufzufinden, der dieſe Reiſe gemacht. Aber der Gedanke
ſaß bereits zu feſt; Vorwärts! riefen wir Beide, eilten
zum Lloyd und zahlten 263 Gulden 10 Kreuzer für zwei
Billets erſter Klaſſe nach Konſtantinopel, ſchrieben nach
Berlin um neue Creditbriefe nach Konſtantinopel, gaben
den Unſrigen Nachricht von dem Entſchluß, packten unſere
Sachen und fanden dann, daß wir noch drei Stunden
übrig hatten bis zur Abfahrt. Mein Freund, mit ſeinen
mühſamen und reichen Studien für Italien im Kopfe,
wollte davon wenigſtens noch für Trieſt profitiren; Kir-
chen, Kabinette, Statuen ſollten beſichtigt werden. Ich,
der Gehorſam nur für Italien, aber nicht für die Reiſe
nach dem Orient verſprochen hatte, opponirte, bat ihn die
ſchönen Sachen für mich mit zu beſehen, und ſprang in
eine Gondel, um mich ins offene Meer rudern zu laſſen.
Obgleich mitten im Continent geboren und erzogen,
hat das Meer, wo es mich erreicht, eine unwiderſtehliche
Gewalt über mich; drei Jahre waren es, daß ich bei der
– 15 –
Ueberfahrt von Dover nach Calais es das letzte Mal ge-
ſehen; es hatte mich damals ſo heftig geſchüttelt, daß ich,
ſeekrank, in der Kajütte nicht merkte, wie wir ſechs Stunden
vor dem Hafen von Calais hin und her geſchleudert wur-
den, ohne den Eingang gewinnen zu können.
Dennoch war ich glücklich, mich wieder vom Meere
getragen zu wiſſen. Der Schiffer führte mich zu dem
Leuchtthurm. Er leuchtet in der Nacht mit 30 Lampen
immer 4 Sekunden, die fünfte verlöſchen die Lampen für
die Schiffer. Ein Blechſchirm von 2 Ellen Breite, der,
wenn er vor den Lampen ſteht, ſie verdeckt, bewirkt dies
periodiſche Verlöſchen, indem er mittelſt eines Uhrwerks
des Nachts im Kreis um die brennenden Lampen bewegt
wird. Auf dem Rückwege ſah ich eine öſterreichiſche
Kriegsbrig mit vollen Segeln in die offene See fahren.
Bald hielt ſie indeſſen an, entfaltete alle Wimpel und
ſalutirte uit 30 Kanonenſchüſſen eine Barke, in welcher
der zum Admiral ernannte öſterreichiſche General von
Wimpfen in Geſellſchaft von Herren und Damen aus
Trieſt einen Ausflug nach der adriatiſchen Küſte machte.
Orcheſtermuſik von ſeinem Boot antwortete den Salut-
ſchüſſen. Wie kommt es, fragte ich meinen Schiffer, daß
die Segel dieſer ſchönen reinlichen Brig ſo ſchmutzig braun
ausſehen, während die der Kauffahrer ſo weiß glänzen?
„Die Segel aller Kriegsſchiffe,“ antwortete er, „haben
dieſe Farbe; ſie fangen kein Feuer.“ Wahrſcheinlich ſind
ſie mit einer Subſtanz getränkt, welche ihnen dieſe Eigen-
ſchaft und dieſe Farbe giebt. -
„“.*-*."..".."-"-V-.-.-.v----------
II.
Die Seefahrt. Ancona. Molfetto. Brindiſi.
-
Noch vor 4 Uhr Nachmittags waren wir auf unſerm
Dampfſchiffe, das den für uns bedeutungsvollen Namen:
„L'Oriente“ führte. „Wo ſind Ihre Effekten?“ fragte der
Cameriere, nachdem er unſere Billets und Nachtſäcke in
Empfang genommen hatte. – „ Sie halten ſie in der
Hand.“ – Verwundert, bald uns, bald die leichten Reiſe-
ſäcke betrachtend, führte er uns hinab in die Kajüte und
wies jedem ein Schlafzimmerchen an. Obgleich für zwei Mann
eingerichtet, blieben wir doch glücklicher Weiſe jeder allein
und konnten das andere Bett zu Kleiderſchrank und Wäſch-
kommode uns einrichten. Das Bett beſtand aus einem
Brettverſchlag, mit einer leichten Matratze von Roßhaar-
tuch, einem baumwollenen Bettuch und einer gleichen
etwas dichteren Bettdecke. Das Bettuch verſchob ſich bei
der geringſten Bewegung und dann lag man auf dem
harten, ſtachelnden Roßhaarzeug. Aufrichten konnte man
ſich nicht, ohne anzuſtoßen. Eine runde Luke mit einem
Fenſter, verſchließbar, ließ Luft und Licht herein. Das
Bett ließ nur noch ſo viel Raum, daß man zwiſchen dem
Waſchtiſch und einem Stuhl gerade ſtehen konnte. Alles
– 17 –
Bewegliche war im Uebrigen befeſtigt. Mittelſt eines
Hahnes konnte man in das unbewegliche Waſchbecken
Waſſer aus - und einlaſſen. Für acht Tage ſollte dies
unſere Heimath ſein. Die Thüren führten in die große
Kajüte, die als Speiſe- und Geſellſchaftszimmer diente.
Für die Damen gab es daneben beſondere Kabinette mit
einem kleinen gemeinſamen Zimmer. Indeſſen warteten
wir vergeblich auf Herren und Damen. Anſtatt der
Touriſten aus England, Frankreich und Deutſchland, die
wir zu finden und mit denen wir gemeinſchaftliche Reiſe-
pläne zu verabreden hofften, ſammelten ſich auf dem Ver-
deck nach und nach an 80 Kaufleute und Commis, die
zur Meſſe nach Sinigaglia wollten. Sie gingen mit dem
Schiffe bis Ancona und hatten dann noch 3 Meilen zu
Lande nach dieſem berühmten Meßort.
Es hatte längſt 4 Uhr von den Thürmen Trieſt's ge-
ſchlagen; ungeduldig warteten wir auf das Zeichen zur
Abfahrt. Selbſt der Anblick Trieſt's mit ſeinen Villen
hinter ſich und den Juliſchen Alpen über ſich, konnte uns
nicht mehr zufrieden ſtellen. – Endlich kam das Boot
des „Lloyd“; ſechs Ruderer trieben es ſchnell durch die
Wellen; es brachte die Poſt und die letzten Depeſchen.
Nun begann das eintönige Raſſeln der Winde, mit der
der Anker gehoben ward; alles, was nicht zu den Reiſen-
den gehörte, nahm Abſchied, fuhr in den Gondeln zurück
und antwortete mit flatternden Tüchern den Abſchieds-
grüßen vom Schiffe. – Wir hatten Niemand zu grüßen
und Niemand winkte uns. – Endlich rauſchten die Räder.
Trieſt wurde trüber und trüber; ſeine Berge kleiner und
kleiner. Es verſchwand der letzte Streifen von Deutſch-
land, dem Lande, das alles in ſich barg, was uns
theuer iſt und an die Erde feſſelt. Niemand der Unſrigen
wußte noch, daß wir für acht Tage uns dem gewaltigen
2
– 18 –
Meere anvertraut hatten auf einem leichten gebrechlichen
Fahrzeuge; eine Unachtſamkeit des Steuermanns, eine
verborgene Klippe, ein Verſehen des Maſchiniſten konnte
es jede Minute zertrümmern und uns die Rückkehr für
Aber noch war unſer Gemüth unempfänglich für der-
gleichen weiche Empfindungen. Mit unerſättlicher Wiß-
begierde, der vorherrſchenden Leidenſchaft im Anfange jeder
Reiſe, beobachteten wir die Küſten Iſtrien's, denen wir
entlang fuhren; wo die Augen nicht zureichten, wurden
die Ferngläſer herbeigeholt; von jeder Stadt, jedem Berge
wurde der Name auf der Karte geſucht oder bei der
Schiffsmannſchaft erfragt, bis endlich die einbrechende
Dunkelheit unſeren Studien ein Ende machte. Nun wurde
es ſtiller auf dem Verdeck; die Kaufleute vertrauten der
warmen Luft des adriatiſchen Meeres und blieben auf
dem Verdeck. Man ſuchte einen Winkel, einen Lehnſtuhl,
eine Bank; dies genügte für die Nacht. Die Frauen
legten ſich an die Bruſt ihrer Männer, ließen ſich in
deren Mäntel mit einhüllen und trotzten ſo der Nacht-
luft. Hell funkelten die Sterne. Wenn ich über mich
ſah, war alles ſo völlig daſſelbe wie in der Heimath;
dieſelben Sternbilder, dieſelben Schlingungen der Milch-
ſtraße, dieſelbe Stellung des glänzenden Jupiter, wie von
dem Fenſter der Wohnſtube zu Hauſe, und wenn ich
neben mich ſah, alles ſo fremd, ſo gänzlich verändert.
Mein Freund mahnte zu Bett. Mit dem ſtolzen Bewußt-
ſein, die einzigen Paſſagiere für Konſtantinopel zu ſein,
ſchauten wir auf die ſchlafende Geſellſchaft, die ja nur
bis Ancona wollte; ein Kaufmann aus Cephalonia, der
dahin zurückkehrte, galt uns einigermaßen als unſeres
Gleichen; mit ihm ſtiegen wir in die Kajüte hinab und
krochen mit Hülfe von Stühlen und Hafen in unſere
– 19 –
Betten. – Aber das Meer, das alles gleich machende
Element, bereitete ſchon die Strafe unſeres Uebermuthes.
Der Wind wuchs während der Nacht und beim Erwachen
am Morgen ſchwankte das Schiff ſo heftig, daß aus dem
Bette ſteigen, Waſchen und Anziehen zu einem Kunſtſtück
wurde; nur ein Arm konnte dazu benutzt werden, mit
dem andern mußte man ſich ſtets am Bett oder an der
Thürklinke feſthalten. Die Vorboten der Seekrankheit ſtellten
ſich ein. Mit Mühe erreichten wir das Verdeck. Die krampf-
haften und erſchöpften Geſichter der Paſſagiere dort erhöhten
unſere Uebelkeit. Ich ſuchte einen Sitz und hielt mich am
Bordgeländer feſt; aber eine Sturzwelle, die durch alle
Kleider drang, verjagte mich; ich retirirte mit ſchlotternden
Schritten nach der Mitte des Verdecks und gewann einen
andern Sitz am Eingang der Kajüte. Hier hielt ich ge-
duldig aus, bis die Natur in der bekannteu Weiſe ſich
half. Inmittelſt waren wir in dem Hafen von Ancona
angelangt und mit dem Aufhören des Schwankens des
Schiffes war auch die Seekrankheit gehoben. Ein Glas
Limonade that das Uebrige. Ich überzeugte mich von
neuem, daß es kein beſſeres Mittel für die Seekrankheit
giebt, als tüchtiges Brechen. Alle Präſervative ſind nutz-
los. Vieles Eſſen, wenig eſſen, gar nichts eſſen, keines
ſchützt. Das Uebel iſt eine Affektion der Unterleibsnerven,
die nach dem Brechen als der natürlichen Kriſis verlangt.
Bei dieſem Verlauf wirkt die Seekrankheit ſtärkend und
wohlthätig auf das allgemeine Befinden und iſt ſo viel
werth als eine halbe Kur im Seebade. Alles, was da-
gegen die Kriſis verzögert oder unterdrückt, iſt durchaus
nachtheilig. Man ſollte ſich deshalb auch erſt nachher
auf dem Verdeck ausgeſtreckt hinlegen, eine Poſition, in
der man allerdings die Uebelkeiten am wenigſten empfindet.
Im Hafen waren wir bald von zahlreichen Booten
2 -
– 20 –
umringt und Alles eilte an das Land. Ich und mein
Freund waren ſchon auf der Treppe, als der Capitain
uns zurief, daß unſere Päſſe kein Viſa des päpſtlichen
Eonſuls von Trieſt hätten, wir könnten deshalb nicht an
das Land. Unmöglich, riefen wir; wir haben ja noch in
Trieſt 6 Gulden für Paß-Viſa's zur Seereiſe bezahlen
müſſen. Ueberzeugen Sie ſich, ſagte der Capitain. Er
hatte Recht; wir hatten engliſche, griechiſche Viſa's, die
man in Trieſt für nothwendig erklärt hatte und die ſpäter
ſich als ganz überflüſſig herausſtellten; die nothwendigen
dagegen fehlten.
So blieben wir auf das Schiff gebannt; betrübt
ſtanden wir auf dem Verdeck und ſchauten nach der Stadt,
die Haus über Haus an den Höhen ſich hinaufzieht, mit
der Hauptkirche des heiligen Cyriakus auf dem höchſten
Punkt; links unten neue Feſtungsbauten und daneben der
17. Jahrhundert alte Triumphbogen Trajan's, von ſeiner
Frau ihm zu Ehren errichtet. Wir bemühten uns, mit-
telſt des Fernrohrs die Einzelheiten dieſes Monuments
zu entziffern, als ein Schiffer, der unſere Noth zu er-
rathen ſchien, aus dem Boot uns zurief, ob wir nicht an
das Land wollten. – Wie gern, antworteten wir, aber
wir können der Päſſe wegen nicht.– Schreiben Sie nur
Ihre Namen auf einen Zettel, rief er; ich werde Ihnen
die Erlaubniß verſchaffen. Der Capitain ſchüttelte un-
gläubig den Kopf, aber wir ließen uns nicht irren und
gaben ihm unſere Namen mit dem Zuſatz Prussiani.
Länger als eine Stunde warteten wir vergeblich auf
ſeine Rückkunft. Der Cameriere läutete ſchon zum Früh-
ſtück, da erkannten wir in einem ſich nähernden Boote
die ſchlanke Geſtalt unſers Schiffers. Er hatte ſich an
den preußiſchen Conſul in Ancona, einen Herrn Stiener,
gewendet und dieſer hatte mit großer Gefälligkeit ſofort
– 21 –
einige Zeilen an den außerordentlichen päpſtlichen Kom-
miſſarius Herrn Amici gerichtet und um die Erlaubniß
für uns, an das Land zu ſteigen, nachgeſucht. Herr
Amici hatte ſie auf dieſe Verwendung ertheilt, der Schiffer
brachte ſie uns und aus Dankbarkeit nahmen wir ihn
zum Cicerone für die Stadt.
Ancona mit ſeinen Erinnerungen aus der römiſchen
Kaiſerzeit, noch jetzt eine der größten Städte des Kirchen-
ſtaats und ſo ſüdlich wie Florenz gelegen, ſpannte unſere
Erwartungen. Wir warteten das Frühſtück nicht ab und
eilten mit unſerem Schiffer davon. Er führte uns durch
die Hauptſtraßen, zeigte uns die Börſe mit Freskogemälden,
verſchiedene Kirchen und zuletzt waren wir auf der Höhe,
wo ſonſt ein alter Tempel der Venus ſtand, an deſſen
Stelle jetzt die Cyriaks-Kirche erbaut iſt. Säulen und
manch andere Zierrath aus jenem Venus-Tempel ſchmücken
noch jetzt die chriſtliche Kirche. Der ſchöne Punkt paßt
offenbar beſſer zu einem Tempel der Religion der Natur
und des Genuſſes, als zu einer Kirche der Religion der
Entſagung und der Verleugnung des Irdiſchen. Wir
ſtiegen zu dem Triumphbogen Trajan's hinab. Das
Poſtament iſt verbaut, die Säulen und der Bogen, alles
von Marmor, ſo wie die Inſchriften, ſind noch gut er-
halten. Das Ganze iſt aber unbedeutend und zu klein,
um in der unmittelbaren Nähe des Meeres und der ſteilen
Anhöhen zu imponiren. Es läßt ſo kalt, wie die modernen
Monumente zu Ehren für Kaiſer und Könige.
Nach zweiſtündiger Wanderung fühlten wir uns höchſt
unbehaglich; die Stadt bot nichts Originelles, weder an
Gebäuden, noch an Menſchen, Trachten und Sitten. Wir
fanden Alles wie zu Hauſe bei uns, nur mehr Schmutz
und mehr Hitze. Wir ſehnten uns nach Kühlung und
beſchloſſen, einen Vorräth von Limonien und Zucker mit
– 22 –
auf das Schiff zu nehmen. Unſer Cicerone ſollte uns
in einen Obſtladen führen; ſtatt deſſen führte er uns in
die Werkſtatt eines Schuhflickers, und wir wollten ihn
eben ausſchelten, als der Schuhflicker hinter einem Vor-
rath von Leder einen Korb mit grünen Limonien hervor-
holte und unſer Cicerone uns verſicherte, dies wären die
beſten in ganz Ancona. Aus Dankbarkeit glaubten wir
es ihm, kauften und kehrten beladen nach dem Schiff
zurück, das uns um 4 Uhr Nachmittags davon trug.
Es ging nach Molfetta, einer kleinen Stadt an der Küſte
von Apulien, im Königreich Neapel. Es war ein langer
Weg dahin, über 50 deutſche Meilen, und als wir am
andern Morgen auf das Verdeck kamen, waren wir erſt
am Vorgebirge Gargano und hatten noch immer ein gut
Stück Weges. Bald breitete ſich die Ebene von Apulien
vor uns aus, und an der Küſte glänzten der Reihe nach
die Städte Borletta, Trani, Molfetta, Bari. Ein junger
Italiener aus letzterem Orte, der Jura ſtudirt hatte und
jetzt mit unſerem Schiffe von einer Vergnügungsreiſe nach
Trieſt zurückkehrte, ſah mit ſchwerem Herzen ſeine Hei-
math wieder. Er klagte bitter über die Oede und Leere
des Lebens in dieſen Städten; man lebt, klagte er, nur
den ſinnlichen Bedürfniſſen und Genüſſen; eine geiſtige
Bewegung kennnt man weder in der Geſellſchaft, noch in
der Kunſt oder Wiſſenſchaft, noch in der Politik; Buch-
händler, Bibliotheken giebt es in Bari nicht, obgleich die
Hauptſtadt der Provinz; an Zeitungen iſt alles verboten
bis auf die offizielle Zeitung von Neapel, die die aus-
wärtige Politik beinahe ganz ignorirt. Obgleich die Lloyd-
Dampfſchiffe eine regelmäßige wöchentliche Verbindung
mit Trieſt hin und her erhalten, ſo darf doch die Poſt
damit nicht beſorgt werden, alle Korreſpondenz von Bari
und ganz Apulien geht über Neapel, Rom, Florenz, Bo-
– 23 –
logna, Venedig nach Trieſt und braucht dazu 14 Tage,
während die Ueberfahrt zur See in 42 Stunden gemacht
wird. – Es fiel mir auf, daß man den Code Napoléon
und die übrigen franzöſiſchen Geſetzbücher in dem Königreich
Neapel ſeit ihrer Einführung durch die Franzoſen hat fort-
beſtehen laſſen, wie dieſer angehende Advokat uns verſicherte.
Dieſe düſteren Schilderungen konnten uns indeß nicht
abhalten, in Molfetta ans Land zu gehen, als wir Don-
nerſtag 11 Uhr Vormittags dort vor Anker gingen. Mol-
fetta liegt ſo ſüdlich wie Neapel; wir waren noch nie bis
zu ſo ſüdlicher Breite gekommen, und hofften durch Vege-
tation und ſüdliche Natur für das entſchädigt zu werden,
was wir an geiſtiger Bewegung vermiſſen würden. Durch
die Verwendung unſeres neuen Bekannten erhielten wir
hier mit weniger Schwierigkeiten die Erlaubniß, ans Land
zu gehen. Obgleich unſere Päſſe von dem neapolitaniſchen
Geſandten in Berlin viſirt waren, erhielten wir dennoch
einen Polizeidiener zur Begleitung, der uns keinen Schritt
verlaſſen durfte. Wir benutzten ihn gleichzeitig als Füh-
rer. Dies Amt war nicht ſchwierig; der Ort beſteht aus
einer Reihe enger, ſchlecht gepflaſterter Straßen, eine
ſchmutziger als die andere. Die Häuſer tragen überall
die Zeichen des Verfalls; zerbrochene Fenſterrahmen, feh-
lende Jalouſien, eingebrochene Dächer, eine durch den
Staub erzeugte allgemeine Schmutzdecke; kein Haus iſt
überſtrichen, die meiſten nicht einmal mit Kalk überzogen.
Am Hafen trieb ſich ein Haufe feiernder Arbeiter herum
ſonſt waren nur Kinder zu ſehen; ein ganzes Hemde war
bei ihnen ein ſeltener Luxus, viele hatten nichts, als ein
leichtes Kattunbeinkleid, und ein dicker Junge von 8 Jah-
ren lief ganz ungenirt mit einem blauen Frack als ein-
zigem Kleidungsſtück herum, ohne daß irgend jemand von
Erwachſenen oder Kindern Anſtoß genommen hätte. Die
– 24 –
wohlhabendere Klaſſe hielt Sieſta. Wir hielten trotz der
Hitze lange aus, liefen Straßen auf, Straßen ab, in der
Hoffnung, endlich etwas zu finden, was über die Proſa
einer deutſchen kleinen Stadt hinausgehen würde. Aber
vergeblich. M* ſchlug endlich vor, einen Barbier auf-
zuſuchen, der uns raſiren ſollte. Dies rief in mir die
Scenen wach aus Figaro's Hochzeit und aus dem Bar-
bier von Sevilla. Hier, ſo ſüdlich wie Sevilla, hoffte ich,
wird der Barbier auch ein Mann wie dort ſein, voll Le-
ben, Feuer, Poeſie, Intrigue. Ich willigte ein, und unſer
Polizeidiener erhielt die Weiſung, uns zu dem beſten Bar-
bier der Stadt zu führen. – Es giebt nur einen, wir
ſind hier nahe bei, erwiderte er. – Wir traten in den
Laden; der Herr Barbier ſchlief, wie ſeine Kunden. Nach
langem Rufen und Pochen trat ein Mann mit ordinairem
Geſicht heraus, den Schlaf in den Augen; keine Frage
vermochte ihm mehr als drei Worte zu entlocken. Fi-
garo! Figaro! rief ich verzweifelt, lebſt du denn nur in
der Phantaſie Mozarts und Roſſini's? – Einſeifen, Meſ-
ſer abziehn, raſiren, alles war auf's Haar, wie in Deutſch-
land, nur widerwärtiger durch Unreinlichkeit. Hätte ich
nicht des Meſſers wegen ſchweigen müſſen, ich hätte laut mit
Nicolai Italien bis zu ſeiner ſüdlichſten Spitze verwünſcht.
– Aber einen Vorzug hat Italien doch, ſagte M*,
man kann im kleinſten Ort Sorbett und Eis bekommen;
laſſen Sie uns in ein Café gehen. Subito! hieß es dort,
als wir Eis beſtellten. Wir ſetzten uns in das Zimmer
der Signori; aber auch da waren die Stühle defect, das
Sopha nur von Holz, ohne Kiſſen; Subito! erklang es
abermals, als wir nach einer halben Stunde erinnerten.
Endlich fiel uns ein, daß man in Italien vor 4 Uhr kein
Eis bekommen kann; das Subito hieß alſo hier: Nach
drei Stunden. -
Wir ſtanden eben auf, um fortzugehen, als ein Lärm
in der Nebenſtraße mit Blitzesſchnelle Hunderte von Män-
nern und Frauen aus allen Häuſern herbeilaufen machte;
man lief mit Stöcken, ein Handwerker kam mit einer lan-
gen Flinte geſtürzt. Eben hatte man uns erzählt, daß
Molfetta in der letzten Revolution eine hervorragende
Rolle geſpielt; ſollte eine neue Revolution heranziehen?
Nein, es war nur eine häusliche Scene; ein Mann hatte
ſeine Frau, eine Obſtverkäuferin, geprügelt; da aber das
Ehepaar ſelbſt ſchnell von Thätlichkeiten abließ, ſo blieb
auch das Publicum, was bereits in zwei Parteien getheilt,
ſich anſchickte, zu cooperiren, in Frieden.
Wir ſuchten durch das Gedränge einen Ausweg nach
dem Boot, zahlten unſerem Begleiter für ſeine milde po-
lizeiliche Aufſicht drei Zwanziger, und fühlten uns erſt
wieder wohl, als wir auf dem reinlichen Deck unſeres
Schiffes angelangt waren. Am Mittagstiſch fanden wir
den öſterreichiſchen Conſul von Molfetta. Die Scenen
des Ortes erfüllten unſere Phantaſie noch ſo lebhaft, daß
wir erſtaunten, in ihm einen liebenswürdigen, gebildeten
Mann zu finden. Nach dem Deſert gingen wir auf das
Verdeck; Alles drängte ſich da um das Fernrohr, indeß
konnten wir auch ohnedem bemerken, daß es ſich um einen
Platz im Meere handelte, wo die Frauen Molfetta's ſich
badeten. Zu ihrer Ehre muß ich ihnen nachſagen, daß,
obgleich ſie ſich wegen der Entfernung nicht beobachtet
glaubten, ſie dennoch mit großer Decenz ſich benahmen.
Sie waren aus der ärmeren Klaſſe. Ein Theil wuſch
Wäſche, während der andere ſich ſelbſt wuſch. Beide ſchie-
nen der Wäſche gleich nöthig zu bedürfen, aber keine ging
ohne Hemde in das Waſſer. -
Mit Sonnenuntergang verließen wir Molfetta. Wir
waren nun ſchon ſo an die Bewegung des Schiffes, an
– 26 –
das Knarren der Balken, das Zittern des Bodens bei den
Kolbenbewegungen der Maſchine gewöhnt, daß wir am
andern Morgen aufwachten, weil das Schiff ſtill ſtand.
Wir waren im Hafen von Brindiſi.
Hier ſtand das alte Brunduſium der Römer, von dem
aus ihre Feldherrn mit ihren Heeren nach Griechenland
und Aſien überſchifften, um die Welt zu erobern, und von
dem ihre Staatsmänner und Gelehrten nach Athen über-
ſchifften, um von Griechenlands Philoſophie und Kunſt
erobert zu werden. Alle großen Männer in Roms größ-
ter Zeit hatten die Stelle durchſchifft, wo wir hielten.
Von Brunduſium hatte Cicero, der vermeintlich große
Staatsmann, auf der Flucht vor Cäſar mehrere der kläg-
lichſten und kleinmüthigſten Briefe an ſeinen Freund At-
ticus geſchrieben, die zu ſeinem Unglück noch jetzt exiſtiren.
Bald will er ſich darin das Leben nehmen, ohne den
Muth dazu zu finden. Bald quält er den Atticus mit
den kleinlichſten Aufträgen und kriechenden Interceſſionen
zu ſeinen Gunſten bei den Machthabern in Rom.
Hier war es, wo der Kampf zwiſchen Cäſar und Pom-
pejus begann, zwiſchen Despotismus und einer noch ſchlim-
meren Adelsherrſchaft, die ſich hinter den Männern der
Republik verſteckt. Pompejus hatte die Stadt und den
Hafen inne; Cäſar wollte ihm den Hafen, vor dem wir
jetzt lagen, verſperren. „Da, wo der Eingang zum Hafen
am engſten war“, erzählt Cäſar ſelbſt in ſeinen Commen-
tarien, „ließ er von beiden Seiten des Landes einen Stein-
und Erddamm aufwerfen, weil das Meer hier ſeicht war.
Weiterhin, als bei der zunehmenden Tiefe des Waſſers
der Damm ſich nicht mehr halten konnte, ließ er an das
Ende jedes Dammes zwei Flöße von 30 Fuß ins Ge-
viert anlegen und mit 4 Ankern befeſtigen, daß die Wel-
len und Strömungen ſie nicht fortführen könnten. Nach-
– 27 –
dem dies geſchehen, verband er mit denſelben andere Flöße
gleicher Größe, und alle dieſe bedeckte er mit Schutt und
Erde, um ſie für die Vertheidigung leichter zugänglich zu
machen. Von vorn und beiden Seiten ſchützte er ſie durch
Faſchinen und Bohlen, und auf das je vierte Floß errich-
tete er zwei Stockwerk hohe Thürme, um ſie beſſer gegen
den Andrang der Schiffe und gegen Feuer vertheidigen zu
können. Pompejus dagegen ließ große Transportſchiffe
zurecht machen, die er mit dreiſtöckigen Thürmen verſah
und mit Wurf-Maſchinen und allen Arten von Geſchoſſen
anfüllte; damit fuhr er gegen die Werke von Cäſar an,
um ſie zu durchbrechen und in Verwirrung zu bringen.
So wurde täglich von beiden Seiten aus der Ferne mit
Schleudern, Pfeilen und andern Geſchoſſen gekämpft.“
Cäſar wurde zwar, noch ehe er mit ſeinen Werken
fertig war, durch die von Griechenland rückkehrende Flotte
des Pompejus geſtört, erreichte indeß dennoch ſeinen fein
berechneten Zweck, den Pompejus aus Italien und ſomit
aus dem Herzen des Reiches und dem Mittelpunkt der
Staatsgewalt zu entfernen. Der conſervative Pompejus
war es, der hier zuerſt das Syſtem der Barrikaden in An-
wendung brachte, um ſeinen Rückzug zu decken; vicos
plateasque inaedificat. - -
Wie ſchwerfällig und mühſam erſcheint dieſe Krieg-
führung im Vergleich mit den Flotten, Heeren und Zer-
ſtörungsmitteln der Gegenwart; und wie großartig waren
dennoch die Reſultate Cäſars in Vergleich zu dem, was
bis heute die zwei ſchönſten Flotten der Welt im ſchwar-
zen Meere mit den Kerntruppen Englands und Frankreichs
erreicht haben?
Von Cäſar's Dämmen konnten wir zwar über dem Waſ-
ſer nichts mehr ausfindig machen; aber unter dem Waſſer
wirken ſie noch jetzt jedenfalls zur Verſchlämmung des Ha-
– 28 –
fens. Später, im Mittelalter, wurde der Hafen wieder-
holentlich von dem Herzog von Tarent und von den Ve-
netianern durch Verſenkung von ſteinbeladenen Schiffen
verdämmt, und jetzt iſt es den Menſchen endlich gelungen,
einen der ſchönſten Kriegshäfen Italiens in einen kaum
noch für Kauffahrer brauchbaren Zufluchtsort zu verwan-
deln. Im Jahre 1843 erbot ſich eine engliſche Geſell-
ſchaft, den Hafen zu reinigen und herzuſtellen, die Regie-
rung in Neapel iſt aber nicht darauf eingegangen. Die
Stadt iſt jetzt unbedeutend, bewahrt von ihrer früheren
Größe keine Spur; nur einige unbedeutende Feſtungswerke
konnten wir erkennen, die Gegend iſt flach und ohne feſ-
ſelnde Punkte. Unſere Wißbegierde für Italien war durch
Ancona und Molfetta geſtillt, wir hatten keine Sehnſucht
nach einem dritten Verſuche und waren froh, als der Ca-
pitain nach einem kurzen Aufenthalt Italien den Rücken
wandte.
Es ging nun quer über das Adriatiſche Meer nach
Corfu. Das Meer iſt hier ſo ſchmal, daß wir die Küſte
Italiens noch nicht verloren hatten, als die mächtigen Ge-
birge Albanien's, des alten Epirus, ſich auf der andern
Seite erhoben. Wir ſuchten eifrig nach dem Schnee, wo-
mit ihre Gipfel nach unſerem Handbuche bedeckt ſein ſoll-
ten; die Beſchreibung galt offenbar nur für Reiſende im
Frühjahr. Jetzt im Juli zeigte die obere Hälfte dieſer
maleriſchen Gebirge nur nackte Felſen; auf der anderen
Hälfte erkannten wir etwas Baumwuchs und Geſtrüpp,
von Wohnungen, von Dörfern oder gar Städten war aber
keine Spur zu entdecken. Es waren die erſten Vorboten
von der Oede des jetzigen Griechenlands.
Die Schiffsgeſellſchaft war inmittelſt ſehr zuſammen-
geſchmolzen. Täglich wurde um 10 Uhr ein Frühſtück
mit drei warmen Schüſſeln und um 4 Uhr ein Mittags-
eſſen von ſechs Schüſſeln ſervirt; die Gäſte beſtanden aber
nur aus uns, dem Griechen aus Cephalonia und dem
Capitain.
– Wie heißt dieſe öde Inſel hier? fragte ich unſern
Cephalonier. -
– Fano, erwiderte er; es iſt die erſte von Griechen-
land, die wir ſehen; ſie liegt nur wenige Meilen vor Corfu,
und wird nur von einigen Fiſchern bewohnt. Sie iſt
die Inſel, wohin die engliſchen Gouverneure die ihnen
mißliebigen Journaliſten in die Verbannung ſchicken.
– Wie, haben Sie denn keine Preßfreiheit?
– Allerdings, aber meinen Sie, daß dieſe den Gou-
verneur darin hindern könnte? erwiderte der Grieche mit
einem ſo feinen Lächeln, daß ich ſeine Worte für eine An-
ſpielung auf die Preßfreiheit Preußens genommen hätte,
wenn er von Preußen mehr wie den Namen gekannt hätte.
– Sie haben aber doch auf den joniſchen Inſeln eine
Volksvertretung, ein Parlament! -
– O ja; ich ſelbſt bin Deputirter geweſen und kenne
dies. Ganz kürzlich erſt waren die Abgeordneten aus den
neueſten Wahlen nach Corfu zuſammengekommen; da ſie
aber mit mißliebigen Discuſſionen begannen, ſo hat ſie der
Lord-Ober-Commiſſar noch vor dem erſten Beſchluſſe wie-
der nach Hauſe geſchickt.
– Weshalb beſchweren Sie ſich nicht bei dem Parla-
ment in England?
– Wir haben kein Recht dazu; wir gehören nicht zu den
Colonien Englands; wir ſind nach den Verträgen von
1815 ein ſelbſtändiger Staat, über den England nur das
Schutzrecht ausübt. Dieſer Schutz iſt es, der uns ſchutz-
los macht. Das Parlament von England nimmt keine
Beſchwerde von uns an, zahlt aber dem Gouverneur
5000 Pfund Sterling jährlich und giebt ihm drei eng-
liſche Regimenter. Das größte Uebel iſt der Wechſel der
Gouverneure; alle drei Jahre kommt ein neuer. Der
frühere hat kaum Zeit gehabt, das Land, ſeine Bedürf-
– 31 –
niſſe, den Charakter ſeiner Bewohner kennen zu lernen,
ſo muß er ſeinen Platz verlaſſen. Den neuen umgiebt
ein Heer von gewiſſenloſen Abenteurern und Stellen-
jägern, die ſich, wie überall, auch unter uns finden, und
durch Schmeichelei und Verrath den Gouverneur in ihrem
Intereſſe zu leiten ſuchen. Die Grundeigenthümer, über-
haupt der beſſere Theil der Bevölkerung hält ſich zurück;
ſo erzeugt ſich Mißtrauen und eine fortwährende Span-
nung zwiſchen dem Lande und ſeiner Schutzmacht, die die
Executive in eine Parteiſtellung bringt, wo ſie eher an
die Erhaltung ihrer Macht, als an die Bedürfniſſe des
Landes denkt. Seit drei Jahren kommt zu dieſer politi-
ſchen Plage die Naturplage der Traubenkrankheit hinzu.
Das Hauptprodukt der Inſeln beſteht in den Korinthen
oder kleinen Roſinen, wie Sie in Deutſchland ſagen;
zwei Drittel der Erndte geht ſeitdem durch die Krankheit
verloren und der Wohlſtand der Inſeln iſt auf das tiefſte
erſchüttert.
Wir waren inmittelſt Korfu näher gekommen. Der
4000 Fuß hohe Berg St. Salvador hob ſich in ſcharfen
Kanten aus dem Abendroth; die Gebirge Albaniens er-
glänzten in dem Lila, was im Süden nach dem Unter-
gang der Sonne die Luft durchdringt.
– Welche ſchönen Wälder, rief ich, die ſich von der
Küſte bis hoch hinauf in die Berge ziehen!
– Das ſind alles Oliven, ſagte der Grieche; eine Erndte
davon iſt ſchon beendet; jetzt tragen ſie die zweite Frucht,
die noch in dieſem Jahre geſammelt wird.
Die Küſte Albaniens nähert ſich der von Korfu ſo
ſehr, daß das Meer nur die Breite eines Fluſſes behält
und erſt in der Bai von Korfu wird die Fläche wieder
größer und durch den Schutz der kleinen vorliegenden
Inſel Vido zu einem der beſten Häfen der Welt. Es
– 32 –
war ſchon dunkel als wir einliefen. Von der nahen
Küſte leuchteten uns hunderte von Lichtern entgegen.
– Die lange Reihe erleuchteter Fenſter, welche Sie hier
rechts ſehen, ſagte der Grieche, ſind die Kaſerne für die
engliſchen Truppen; die Lichter, welche ſich links pyrami-
denartig in die Höhe ziehen und zuletzt mit den Sternen
vermiſchen, führen zu dem Palaſt des Lord-Ober-Commiſ-
ſar; die blauen und rothen Lichter hier unten gehören zu
den Dampfſchiffen, die aus Griechenland und Alexan-
drien angekommen ſind.
– Was giebt es Neues? rief unſer Capitain dem Boot
mit den Hafenbeamten entgegen, welches allemal zuerſt
dem anlangenden Schiffe ſich nähert und vor deſſen Re-
viſion Niemand das Schiff verlaſſen darf.
– Die Cholera iſt in Athen, rief eine Stimme aus der
Dunkelheit herauf. -
Das Wort: Cholera, war wie ein elektriſcher Schlag;
unwillkührlich fuhr es mir durch die Glieder. Aber ich hatte
in Deutſchland ſo oft und ſo lange in Städten gewohnt, wo
die Cholera herrſchte, ich war ſchon ſo gewöhnt, ſie als
eine Krankheit wie jede andere zu betrachten, wegen der
man das Land mit keinen polizeilichen Schutzmaßregeln
peinigt, daß ich über die Schönheit der Nacht und die
Geheimniſſe Corcyra's, die uns morgen erſchloſſen werden
ſollten, bald die Cholera aus den Gedanken verlor. –
Wir ahnten nicht, welche peinigende Verfolgerin ſie für
uns auf der ganzen Reiſe werden ſollte.
Früh 6 Uhr waren wir ſchon am Land. England
erkannten wir wenigſtens daran, daß kein Menſch uns
mit den Päſſen quälte. Ein Lohndiener verſprach, uns
bis Nachmittags 4 Uhr alle Herrlichkeiten der Inſel zu
zeigen.
Hier endlich hatten wir, was wir ſo ſehnlich und lange
– 33 –
geſucht, ſüdliche Natur und ſüdliche Menſchen. Die Stra-
ßen waren ſchon belebt; die Hitze nöthigt, die Geſchäfte
früh zu beſorgen. Die europäiſche Tracht war in der
Minderheit. Die griechiſche Tracht mit weiten, unten ge-
bundenen Beinkleidern, weitem Rock und rothem Feß mit
langer blauer Quaſte war die vorherrſchende; aber am
meiſten wurde das Getümmel gehoben durch die maleriſche
Tracht der Albaneſen. Stolze, hohe Geſtalten, tragen ſie
vom Gürtel bis zu dem Knie einen weiten faltenreichen
Weiberrock von blendend weißem Kattun, eine rothe oder
blaue Weſte und Jacke mit aufgeſchlitzten, hängenden Aer-
meln, geſtickt und reich verziert. Beides verbindet ein
um die Hüften gewundener Shawl; der Hals und die
Füße ſind bloß; letztere decken nur geſtickte Kamaſchen
und Schuhe von derſelben Farbe, wie die Weſte, und den
Kopf der rothe Feß. Dieſer Anzug ſchmiegt ſich jeder
Wendung und Bewegung des Körpers an, ohne die Wel-
lenlinien der Glieder zu verdecken. Alle Bewegungen die-
ſer Albaneſen waren voll Würde und Selbſtbewußtſein,
gleichviel ob ſie als Laſtträger ſich anſtrengten, oder als
reiche Kaufleute ſich im Café die Taſſe und die Pfeife
reichen ließen. Zwiſchen durch eilten ſchnellen Schrittes
Engländer in weißen Battiſtbeinkleidern und Rock; ge-
ſetzter wandelten einzelne Trieſtiner Kaufleute, die trotz
der Hitze den monotonen ſchwarzen Frack, ſchwarze Bein-
kleider und ſchwarzen Hut nicht aufgegeben hatten.
So bunt wie das Menſchengewühl waren auch die
Erzeugniſſe der Inſel. Wir wurden durch die Fleiſch-
und Fiſchhallen geführt, große ſteinerne, im Viereck ge-
baute Gallerien mit einem offenen Hof und Springbrunnen
nach innen. Alles war im höchſten Grade ſauber und
friſch; die Fiſche waren nach Gattungen geſondert und
präſentirten ſich in allen Farben und Geſtalten, von der
3
– 34 –
Kugel bis zum Faden und formloſer Gallert. Die engen
Straßen waren durch die Obſt- und Gemüſe-Niederlagen
halb geſperrt. Neben unſern vaterländiſchen Sorten ſahen
wir 3 Fuß lange, fadenartige Gurken, eine andere blaue
Sorte; Waſſermelonen von der Größe unſerer Kürbiſſe
mit lilablauem Fleiſch, Artiſchocken, Mandeln in grüner
Schale, Pfirſichen, Aprikoſen, Limonien ſo groß wie Me-
lonen, auch hier und da ſchon Weintrauben. Ich ver-
mißte die Orangen (Apfelſinen). Die Zeit derſelben iſt
eigentlich vorüber, ſagte der Führer; indeß werde ich
Ihnen einige beſtellen. Bei unſerer Rückkehr fanden wir
denn auch vortreffliche; ſie waren eben gepflückt, hatten
noch die Stiele mit den friſchen Blättern und waren voll
Saft und Süßigkeit. Wir wanderten durch die Straßen
bergauf nach der Spianata, einem freien großen Platze mit
einer berühmten Ausſicht nach dem Meere und den Küſten
Albaniens. Das Gebüſch in den Parkanlagen beſtand
aus Geranien, die ſo hoch wuchſen, wie in Deutſchland
das Unterholz der Wälder. Hier und da ſtanden Oleander-
büſche in der Größe unſerer Pflaumenbäume, über und
über mit purpurrothen Blüthen bedeckt. Gegen 8 Uhr
brannte die Sonne ſchon ſo, daß wir Zuflucht in einem
Café ſuchten. Während des Frühſtücks ging der Führer,
einen Wagen zu einer Fahrt in das Innere der Inſel
zu beſorgen. Nach einer Stunde ſaßen wir in einem
leichten Korbwagen mit zwei Sitzen und vier bronzenen
Säulen, welche über uns ein weißes Tuch ſtatt Sonnen-
ſchirm ausgeſpannt hielten. Zwei vortreffliche braune
Ponies brachten uns zur Villa des Gouverneurs; leider
wurde uns der Eintritt verwehrt und aus einem Miß-
verſtändniſ verſäumten wir, eindringlichere Mittel anzu-
wenden. Wir fuhren nun auf einer vortrefflichen Chauſſee
einen Bergrücken entlang, der links bis hoch hinauf mit
– 35 –
Oliven bedeckt war und rechts nach dem Thale in Gärten
mit Landhäuſern auslief. Wir bewunderten an den Oliven
die alten Stämme, die auf Hunderte von Jahren deuteten.
Wenn ein Baum nicht recht tragen will, werden die Aeſte
abgehauen und aus dem Stamme ſchlagen dann neue
Zweige: die Stämme waren oft ſo knorrig und von Alter
zerriſſen und geſpalten, daß wir in ihnen Zeitgenoſſen der
alten Griechen zu finden meinten. Der Wald ertönte von
einem ununterbrochenen Gezirpe der Cikaden; er war ſo
laut, daß es die Unterhaltung erſchwerte, und ſo eintönig
und gedankenleer, wie das fahle Graugrün der Oliven,
in deren Blättern ſie hauſten. In den Gärten links ſahen
wir Feigen-, Limonien-, Orangen- und Mandelbäume mit
Blüthen und Früchten. Einzelne Orangenbäume trugen
ſo voll, daß oft vier große rothe Orangen an einem
dünnen Zweige ſo dicht ſaßen, wie bei uns die Haſelnüſſe.
Mein Freund nahm ein Buch aus der Taſche und las:
. „Außer dem Hofe liegt ein Garten, nahe der Pforte.
Allda ſtreben die Bäume mit laubichtem Wipfel gen Himmel,
Voll balſamiſcher Birnen, Granaten und grüner Oliven,
Oder voll ſüßer Feigen und röthlich gefärbter Orangen.
Dieſe tragen beſtändig und mangeln des lieblichen Obſtes
Weder im Sommer noch Winter; vom linden Weſte gefächelt
Blühen die Knospen dort, hier zeitigen ſchwellende Früchte:
Birnen reifen auf Birnen, auf Aepfel röthen ſich Aepfel,
Trauben auf Trauben erdunkeln und Feigen ſchrumpfen auf
Feigen.
Hier ſtehen die Herling in Reihen, - -
Dort erblüh'n ſie erſt, dort bräunen ſich leiſe die Beeren. .
An dem Ende des Gartens ſind immerduftende Beete,
Voll balſamiſcher Kräuter und tauſendfarbiger Blumen“
– Von wem iſt dieſe treffende Beſchreibung der
Gärten, an denen wir hinfahren? fragte ich.
Z?
– 36 –
– Von Homer, antwortete M*. Es iſt ſeine Be-
ſchreibung des Gartens des Königs Alkinoos, der vor
3000 Jahren in Corfu herrſchte, als Odyſſeus ſchiffbrüchig
an dieſe Küſten verſchlagen wurde. Hier, in dem alten
Scheria des Homer, war es, wo die ſchöne Nauſikaa,
Tochter des Königs, mit ihren Freundinnen nach dem
Fluſſe fuhr, ihre Kleider zu waſchen; hier wurde Odyſſeus
von dem Geſchrei der ſpielenden Mädchen erweckt, erhielt
Kleidung und Nahrung von des hohen Alkinoos Tochter,
„einer Unſterblichen gleich an Wuchs und reizender Bil-
dung“; hier wurde er feſtlich aufgenommen, bewirthet,
von 50 Jünglingen dann zu Schiffe nach Ithaka gebracht.
„Und“, las er weiter,
Als er ſolches vernommen, der Erderſchütt'rer Poſeidon,
Ging er gen Scheria hin, dem Lande der ſtolzen Phäaken.
Allda harrt er; und von Ithaka heim kam das ſchnelle
Meerdurchgleitende Schiff. Da nahte ſich Poſeidaon,
Schlug es mit flacher Hand, und ſiehe! plötzlich verſteinert,
Wurzelt es feſt am Boden des Meeres. Drauf ging er von
- dannen. –
– Hier ſehen Sie das verſteinerte Schiff des Ulyſſes,
rief unſer Führer, der den Namen Odyſſeus herausgehört
hatte. Wir hielten an dem höchſten Punkte der Straße,
dem Paß von Pataleone; vor uns das Meer und einen
Felſen darin, nahe der Küſte, welcher noch jetzt in dem
Munde des Volkes den Namen „Ulyſſes Segel“ führt.
Rechts unter uns hatte das Thal ſich verbreitet und war
zu einem Meeresarm geworden, in dem Fiſcher ihre Netze
aufgeſtellt hatten. Kühn und ſteil aufſteigende Gebirge
begrenzten die andere Seite des Buſens.
Wir ſtiegen aus, um uns an der Ausſicht und dem
Duft der Kräuter zu laben. Jede Diſtel, jedes Unkraut
– 37 –
wurde mit Sorgfalt betrachtet; ſelbſt dieſe hauchten Wohl-
geruch aus.
Wir kehrten nach der Stadt zurück, um uns dann
links zu wenden. Durch Weingärten, die bald mit Aloe-
ſtauden, bald mit hohen Cactus umzäunt waren, fuhren
wir in einem flacheren Lande; auch abgemähte Weizen-
felder zeigten ſich. Nach einer halben Stunde waren wir
am Potamos, wie unſer Führer ſich ausdrückte; mit wich-
tiger Miene zeigte er uns das Flüßchen, das von Wein-
geländern und Maulbeerbäumen beinah verdeckt, langſam
dahinfloß. Erſt ſpäter, nach längerem Aufenthalte im
Oriente, verſtanden wir ſein Wort, die Bedeutung und
Seltenheit, und deshalb die Merkwürdigkeit eines Fluſſes
im Orient.
– Giebt es noch einen andern Fluß auf der Inſel?
– Nein, antwortete der Führer. -
-– Dann iſt dies der Strom, wo Ulyſſes ſich rettete.
„Hier fand er bequem“, las mein Freund,
– zum Landen das Ufer,
Niedrig und felſenleer und vor dem Winde geſichert.
Und er erkannte den ſtrömenden Gott und betet im Herzen.
Da hemmte der Gott die rollenden Fluthen
Und verbreitete Stille vor ihm und rettet ihn freundlich
An das ſeichte Geſtade.
– Unzweifelhaft ſtehn wir an dieſem Strom, rief ich;
die Beſchreibung paßt genau.
– Auch die Entfernung von der Stadt ſtimmt damit,
ſagte M** und las:
„Und ein neues erſann die lilienarmige Jungfrau:
Lud auf den zierlichen Wagen die wohlgefalteten Kleider,
Spannte davor die Mäuler mit ſtarken Hufen, beſtieg ihn,
Und ermunterte dann Odyſſeus, rief ihm und ſagte:
„Fremdling, mache dich auf, in die Stadt zu gehen! Ich
- will dich
– 38 –
Führen zu meines Vaters, des weiſen Helden, Palaſte,
Wo du auch ſehen wirſt die edelſten aller Phäaken.
Thu' nur, was ich dir ſage. Du ſcheinſt mir nicht unver-
ſtändig.
Siehe, ſo lang der Weg durch Felder und Saaten dahingeht,
Folge mit meinen Mägden den Mäulerbeſpannten Wagen
Hurtig zu Fuße nach, wie ich im Wagen euch führe.
Aber ſobald wir die Stadt erreichen, welche die hohe
Mauer umringt, (– an jegliſcher Seit' iſt ein trefflicher Hafen
Und die Einfahrt ſchmal –)
Siehe, da mied' ich gern die böſen Geſchwätze, daß Niemand
Uns nachhöhnte; man iſt ſehr übermüthig im Volke!“
– Nach alledem kann die Entfernung des Fluſſes,
ſagte M*, nicht zu bedeutend geweſen ſein; was wir in
einer halben Stunde auf ſchöner Chauſſee mit raſchen
Pferden zurückgelegt haben, dazu wird Nauſikaa mit ihren
Maulthieren und zu Fuß gehenden Begleiterinnen mehr
wie eine Stunde gebraucht haben. -
– Sie haben Recht, erwiederte ich, wenn man auch
nicht annehmen kann, daß die Stadt der alten Phäaken
genau an der Stelle des jetzigen Corfu geſtanden hat.
Homer hat ihre Lage für den, der an Ort und Stelle iſt,
ſo bezeichnet, daß man nicht irren kann; ſie lag offenbar
etwas höher in das Land hinein, wo jetzt noch die alten
venetianiſchen Feſtungswerke ſtehn; dort bildet das Meer
auch von der andern Seite einen guten Hafen und die
enge Einfahrt haben wir ja ſchon geſtern bemerkt. –
Aber die Sonne brennt ſchon heiß; wie wäre es, wenn
wir ein Bad nähmen?
– Laſſen Sie uns im Fluſſe baden, rief M*, wie
Odyſſeus; hören Sie, wie lieblich ſein Bad war!
„Und Nauſikaa rief den ſchöngelockten Geſpielen:
Dirnen, ſteht mir doch ſtill! Wo flieht ihr hin vor dem Manne?
– 39 –
Kommt denn, ihr Dirnen, und gebt dem Mann zu eſſen und
trinken;
Und dann badet ihn unten im Fluß, wo Schutz vor dem
- Winde iſt.
Alſo ſprach ſie; da ſtanden ſie ſtill und riefen einander;
Führten Odyſſeus hinab zum ſchattigen Ufer des Stromes,
Wie es Nauſikaa hieß, des hohen Alkinoos Tochter;
Legten ihm einen Mantel und Leibrock hin zur Bedeckung,
Gaben ihm auch geſchmeidiges Oel in goldener Flaſche
Und geboten ihm jetzt, in den Wellen des Fluſſes zu baden.
Und zu den Jungfrauen ſprach der göttergleiche Odyſſeus:
Tretet ein wenig bei Seir, ihr Mädchen, ich würde mich
ſchämen
Nackend zu ſtehen, in Gegenwart ſchönlockiger Jungfrau'n.
Alſo ſprach er: ſie gingen bei Seit' und ſagten's der Fürſtin.
Und nun wuſch in dem Strom der edle Dulder das Meerſalz,
Welches den Rücken ihm und die breiten Schultern bedeckte.
Rieb ſich dann von dem Haupte den Schaum der wüſten
Gewäſſer. -
Und nachdem er gebadet und ſich mit Oele geſalbet,
Zog er die Kleider an, die Geſchenke der blühenden Jungfrau.
– Allen Reſpekt vor Odyſſeus und Homer, rief ich;
aber ich, Eingeborner des Binnenlandes, ich lobe mir
das Seebad. Am Hafen werden wir, wie der Führer
ſagt, ein bequemes Badehaus finden; freilich werden uns
dort fehlen „die ſchöngelockten Geſpielen, der reiche Mantel
und Leibrock, das geſchmeidige Oel in goldener Flaſche“;
aber noch ſind wir ja am Anfange unſerer Irrfahrten,
noch haben wir kein Recht zu den Genüſſen des „herr-
lichen Dulders Odyſſeus“.
Verſunken in die Schönheit der Natur und in die
Schönheit Homeriſcher Schilderungen, kehrten wir nach
der Stadt zurück. Unſer Wagen brachte uns bis zu dem
Bad. Hurtig warf ich die Kleider ab und ſprang in die
– 40 –
blaue Fluth. Gekühlt und geſchaukelt von den ſteigenden
und ſinkenden Wellen, genoß ich der ſinnlichen Ruhe des
Südens. Die harte Rinde nordiſch-abſtrakter Gedanken
ſchmolz zuſammen in weiche, farbige Bilder, die in ſanfter,
regelloſer Folge ſich ablöſten; alle Muskeln ruhten in dem
weichen, hebenden Lager des Waſſers, und während keine
ſich ſpannte, fühlte ich die ruhende Kraft in allen, und
das elaſtiſche Band, mit dem ſie der Seele verknüpft waren.
Denn hier bemerkte ich zuerſt, was die Kälte und der
Wellenſchlag der Nordſee mich nie hatte verſuchen laſſen,
daß ich keiner Bewegung bedurfte, um mich ſchwimmend
zu erhalten. Im dem lauen, kryſtallenen Waſſer legte ich
mich auf den Rücken, die Arme zurückgeſchlagen, den Kopf
bis zum Mund, Naſe und Augen im Waſſer und die
Bruſt vom Athen ausgedehnt, vergaß ich der Bewegung
des Schwimmens, blieb ruhig liegen und mit Verwunde-
rung fand ich, daß ich nicht ſank. Die Wellen hoben und
ſenkten mich leiſe, aber Mund und Geſicht blieben über
dem Waſſer und der Körper behielt die wagerechte Lage.
Später, in Syra, Smyrna, auch in Trieſt, verſuchte ich
daſſelbe mit demſelben Erfolge. Ich zählte einmal fünf
Minuten in dieſer regungsloſen Lage, ohne zu ſinken, und
dieſer Zeitraum genügt, um nöthigenfalls für Stunden
deſſelben ſicher zu ſein. Ich war um ſo mehr überraſcht,
als ich wohl überall gehört und geleſen hatte, daß das
Schwimmen in Seewaſſer leichter ſei, aber niemals, daß
gewiſſe Stellungen jede Bewegung überflüſſig machen.
Wahrſcheinlich half die Ausdehnung der Bruſt durch das
volle und tiefe Athemholen; auch das Ausſtoßen des
Athems bewirkte ich dabei ſo, daß ein Theil der Luft in
den Lungen zurückblieb und die Bruſt ausgedehnt erhielt.
Alles dies iſt durchaus nicht ſchwierig. Der unbe-
holfenſte Schwimmer kann es getroſt verſuchen und ſich
– 41 –
damit einen ſeltenen, eigenthümlichen Genuß verſchaffen.
Alle unſere gewöhnlichen Zuſtände ſind damit nicht zu
vergleichen; im Gehen, im Stehen, im Sitzen, ſelbſt im
Liegen, überall muß die natürliche Laſt des Körpers durch
Muskeln getragen werden oder es wird wenigſtens ein
Theil des Körpers von der Laſt des andern Theils ge-
drückt und gepreßt; ein Theil iſt allemal in ſeiner Frei-
heit gehemmt; aber in jener Lage auf dem Meere ruhend,
iſt die Empfindung der Schwere völlig verſchwunden; in-
dem das Waſſer, wie auf dem Lande die Luft, uns überall
gleichmäßig ſanft umfängt, wird kein Glied gedrückt, jede
Muskel iſt frei, und mit der Schwere verſchwindet das
Bewußtſein von Oben und Unten.
Wie oft hatte ich die Fiſche in ihrem dichtern Elemente
bedauert; ihr Daſein ſchien mir auf der Leiter des Ge-
nuſſes tief unten zu ſtehen: jetzt erkannte ich meinen
Irrthum. - -
Eingetaucht in das joniſche Meer, hörte ich plötzlich
vaterländiſche Laute. Ein Schiffsarzt und zwei See-
kadetten von einer öſterreichiſchen Fregatte ſchwammen
neben mir. Der eine war aus Wien. Die Fregatte
kam aus Preveſa und dem Meerbuſen von Arta und hatte
mitgeholfen in Abſperrung der Küſte, um den griechiſchen
Inſurgenten den Zuzug und die friſche Munition abzu-
ſchneiden. Es ſchien uns ſchon eine Ewigkeit, daß wir
kein deutſches Wort gehört. Die Kadetten waren prächtige
Geſtalten und es war eine Freude, ſie von dem Sprung-
brett, kopfüber, ein Rad ſchlagend in das blaue Meer ſich
ſtürzen zu ſehen. Nach kurzer Begrüßung nahmen wir
Abſchied. Unſere Zeit drängte; noch mehr unſere Magen.
– Es war doch eine beſſere Zeit, hob M* an, als
der gaſtfreie Alkinoos noch hier herrſchte und als die Göttin
Athene ſelbſt dem Odyſſeus den Weg zum Hauſe zeigte,
– 42 –
wo das reichliche Frühſtück ſeiner wartete. Unſer Mentor
führt uns einen endloſen Weg zum Gaſthaus.
– Jede Zeit hat ihre Götter, antwortete ich. Wir
haben die unſrigen in der Taſche. Klirren Sie mit den
blanken Napoleons und Sie werden die Gaſtfreundſchaft der
Heroenzeit finden. -
Das engliſche Hotel täuſchte uns nicht. Gleichwie in
des Alkinoos Palaſt nahmen wir Platz.
Und die ehrbare Schaffnerin kam und tiſchte das Brod auf
Und der Gerichte viel aus ihrem geſammelten Vorrath,
Und es aßen und tranken – die matten Juriſten aus
Deutſchland.
- IV.
3 a n t e.
Um 4 Uhr lichtete unſer Schiff die Anker. Wir rie-
fen dem ſchönen Corfu, der Perle des joniſchen Meeres,
das letzte Lebewohl zu. Nauſikaa nannte es das Ende
der Welt (Odyssee VI. 205), ſelbſt der kluge Homer ver-
legt es fern von erfinderiſchen Menſchen (Odyssee VI. 8).
Uns, den Barbaren des Nordens, war es der Anfang der
Welt, der Welt, wo die Natur mit dem ſanften Zauber
des Südens uns umfängt, Seele in Körper, Körper in Seele
gießt, und jedem Genuß die Einheit gewährt. Hier iſt die
Kälte gewichen, die im Norden Seele und Körper ſtarr
auseinander hält, und jede Empfindung mit dem Gift der
Entzweiung vergällt. -
Unſere Geſellſchaft hatte ſich um einen jungen Mann
vermehrt, der mit ſeinen blauen Augen und blondem Haar
ſein Vaterland an der Stirn trug. Er war erſt ſiebzehn
Jahr alt; ſeine Eltern hatten ihn mit vierzehn Jahren
von England nach Boulogne in die Penſion geſandt; von
dort war er nach zwei Jahren, um Kaufmann zu werden,
nach Gibraltar und Malta gegangen; jetzt war er Com-
mis in einem Handlungshauſe in Patras und kehrte da-
– 44 –
hin von Corfu zurück, wo er Geſchäfte ſeines Hauſes be-
ſorgt hatte. Er ſprach geläufig franzöſiſch und italieniſch
und hoffte binnen Kurzem auch mit dem Neugriechiſchen
ſo weit zu ſein.
Ich freute mich ſeiner Selbſtſtändigkeit in ſo frühen
Jahren, ſeiner Mäßigkeit und Beſcheidenheit. Er blieb
auch heiter und ruhig, als er hörte, daß die Cholera in
Patras ſein ſolle. Mitten in einem fremden Lande, mit
fremden Sitten, fremdem Klima, war er zufrieden und
verlangte nicht nach ſeiner Heimath, obgleich noch ein
Kind nach deutſchen Begriffen. Nur in ſolchen Charak-
teren verſteht man, wie England es gelingen konnte, Ko-
lonien in jedem Welttheile, in jedem Klima zu gründen,
die mit unverwüſtlicher Kraft zu mächtigen Staaten em-
porſtreben.
Unſer Grieche aus Cephalonien kam, um Abſchied zu
nehmen. Das Schiff ſollte in der Nacht, während wir
ſchlafen würden, dort landen. Er war ein nüchterner,
praktiſcher Mann, der ſeine Familie liebte, ſeine Wein-
gärten baute, und ſeine Handelsgeſchäfte und Reiſen be-
trieb, alles mit demſelben Gleichmuth; nichts von deutſcher
Gemüthlichkeit und Sentimentalität. Nach einer zweimo-
natlichen Abweſenheit und langer Seereiſe ſollte er Haus
und Hof, Weib und Kind in dieſer Nacht wiederſehen;
aber unſere Theilnahme war größer als ſeine eigene Em-
pfindung. Er hatte nicht einmal den Tag ſeiner Ankunft
gemeldet. Dieſer Grieche war keine Ausnahme. Wir
fanden weiter hin überall dieſelbe Beſtimmtheit in jeder
Lage des Lebens, die den Geiſt in der Gegenwart hält
und frei von dem Widerſtreit weicher Gefühle, die auf
Vergangenheit und Zukunft ſich ſtützen. Deshalb hat der
Orient keine Mattherzigkeit, kein Heimweh, keine üble
Laune; jede Lage, ſchmerzlich oder freudig, wird genom-
– 45 –
men als ſeiend,. nicht angekränkelt von der Bläſſe des
Gedankens.
Unſer Abſchied war dennoch herzlich. Obgleich in der
Politik verſchiedenen Richtungen zugewandt, obgleich er
ein Freund und wir die bitteren Feinde Rußlands, war
im Grunde unſer Ziel ſich gleich. Er wollte Einheit im
Staat und Selbſtſtändigkeit für ſeine Landsleute, die
Griechen, die zerſtreut, zertheilt, allerlei fremden Regierun-
gen unterthan ſind; wir wollten daſſelbe für Deutſchland.
Der Capitän hatte von Corfu einen Lootſen mitge-
nommen. Sie ſprachen von der Cholera, die man an
den Küſten des mittelländiſchen Meeres kaum weniger als
die Peſt fürchtet.
– Meine Herren, ſagte der Capitän, ſich zu uns wen-
dend, nach Allem, was ich höre, iſt die Cholera ſehr
heftig unter den franzöſiſchen Truppen im Piräus. Athen
iſt noch frei und ſoll durch einen Cordon davon abge-
ſperrt ſein. Sie wollen, wie ich weiß, von Athen ſpäter
nach Conſtantinopel; aber ſelbſt wenn es Ihnen unter
dieſen Umſtänden glückt, nach Athen zu kommen, ſo wird
doch kein Lloydſchiff Sie wieder auf- und nach Conſtan-
tinopel mitnehmen, um ſich nicht der Anſteckung oder den
Hemmniſſen der Quarantainen auszuſetzen.
– Aber was ſollen wir anfangen?
– Mein Rath iſt, fuhr er fort, daß Sie in Zante,
wo wir morgen früh anlegen, ausſteigen, und dort das
Schiff abwarten, das geſtern in Trieſt für Conſtantino-
pel abgegangen iſt, und nächſten Dienſtag in Zante an-
legt. - Sie fahren dann, ohne im Piräus auszuſteigen,
mit dieſem direct nach Conſtantinopel. Da Sie dort
einige Wochen ſich aufhalten wollen, ſo wird inmittelſt
jedenfalls eine Einrichtung getroffen werden, daß Sie
auf der Rückreiſe in Griechenland landen und dort das
– 46 –
hinwärts Verſäumte nachholen können. Ihre Billette gel-
ten auf zwei Monate, und Sie können darauf nach Be-
lieben an jedem Haltepunkt ausſteigen und mit einem
andern Schiffe der Geſellſchaft weiter fahren.
Hier war nicht viel zu überlegen; es war uns pein-
lich, ſo nahe ſchon bei Griechenland, nicht hin zu können;
unſer Reiſeplan war ſo wohl überlegt, daß wir mit ſchwe-
rem Herzen uns zu einer Aenderung entſchloſſen, deren
Folgen ſich noch gar nicht überſehen ließen. Verwöhnt
durch die Sicherheit, mit der wir bisher auf unſeren Rei-
ſen in Deutſchland, Frankreich, England unſern jedesma-
ligen Reiſeplan ausgeführt hatten, ſtießen wir hier zuerſt
auf die Schwierigkeiten und Hemmniſſe einer Reiſe nach
dem Orient. Wo wir im Norden höchſtens Stunden
geopfert hatten, da mußten wir hier ſchon Tage, vielleicht
auch Wochen warten, um weiter zu kommen. Bisher hat-
ten wir nur Geld als die Hauptbedingung zum Reiſen
gekannt, jetzt empfanden wir zum erſtenmale, daß für den
Orient noch eine zweite, Geduld, nothwendig iſt – Geduld
in ſtarkem Maße, und der Fortgang der Reiſe hielt uns
darin noch manche fühlbare Lection.
Aber noch waren wir ungeberdig. Aergerlich, verſtimmt,
verbrachte ich die Nacht beinahe ſchlaflos. Früh am Sonn-
tag Morgen waren wir im Hafen von Zante; die Inſel
mit ihren ſchroffen Gebirgen in der Ferne, mit der lang
an der Küſte ſich hinziehenden, in der Morgenſonne er-
glänzenden Stadt und mit den Olivenhainen und Wein-
gärten dahinter, lag, alle ihre Reize entfaltend, unverhüllt
vor uns, als wäre ſie ihres ſtolzen Beinamens: Fiore
di Levante, Blume des Morgenlandes, ſich bewußt;
aber um unſer Herz war eine Rinde gelegt; wir ſahen
die Schönheit, aber wir fühlten, wir empfanden
ſie nicht.
– 47 –
– Wären wir doch wenigſtens in Corfu geblieben!
hob M* mürriſch an. Hier ſind wir ja verlaſſen, ver-
loren, abgeſchnitten von aller Welt.
– Dafür ſind wir noch zwei Grad ſüdlicher als in
Corfu, erwiderte ich, mich zuſammennehmend, ſo ſüdlich,
wie Meſſina. Wenn uns in den drei Tagen unſerer Ver-
bannung hier die Genüſſe der civiliſirten Welt fehlen, ſo
laſſen Sie uns der Natur leben; wir wollen mit dieſen
Inſulanern ihr Leben, ihre Entbehrungen, ihre einfachen
Genüſſe theilen, und wenn es ſein muß, mit ihnen uns
langweilen! Nichts macht Erlebniſſe ſo feſt, als Lange-
weile. -
Es iſt ſchon ein Troſt, Andere in gleicher Lage tröſten
zu müſſen. Eine Barke führte uns nach dem Land, aber
nicht an die freie Straße, ſondern in das Quarantaine-
haus! Eine große gelbe Flagge, das Zeichen der Peſt
und Cholera, wehte von ſeinem Dache; am Eingange la-
gen noch die langen Zangen, mit denen die Briefe des
letzten Schiffes von Athen in Empfang genommen wor-
den waren; die einzelnen, mit Latten ausgeſchlagenen Zim-
mer waren kahl und leer, als wären die Inhaber ſchon
ſämmtlich ausgeſtorben. Will man hier uns einſperren!
riefen wir entſetzt. – Nein; Ihre Päſſe, Ihr Geſund-
heitszuſtand werden nur unterſucht, dann ſind Sie frei.
– Dies war denn auch bald abgemacht; aber wir ath-
meten erſt wieder frei, als Herr Nicola uns in Empfang
nahm und in ſeine Wohnung führte. Obgleich eine Stadt
von 16.000 Einwohnern, hat Zante keinen Gaſthof. Der
Handel wird von Corfu aus betrieben; Touriſten kommen
nicht. Für Einzelne vom Schickſal Verſchlagene hält Ni-
cola Eondopri möblirte Zimmer. Er führte uns in ein
ſolches. Nachdem wir uns dort aus den Händen des
Barkenführers und der Packträger mit drei Zwanzigern
– 48 –
losgekauft hatten, wünſchte Herr Nicola uns einen guten
Morgen und ließ uns allein.
Es war ein großes Zimmer, die Wände weiß und
kahl, die Decke mit dem vorſtehenden Gebälke himmelblau
– ein Sopha, drei Stühle, ein Tiſch, ein großes Bett
mit eiſerner Bettſtelle bildeten das Meublement. Zwei
Fenſter, völlig offen, führten auf eine dunkle Gaſſe, ſo
eng, daß man dem Nachbar gegenüber die Hand reichen
konnte. Von der Straße tönte ein wüſtes unverſtänd-
liches Schreien von Verkäufern, die ihre Waare ausboten.
Dies alles war nicht geeignet, unſre gedrückten Lebens-
geiſter wieder aufzurichten. Die drei Tage, die wir hier
aushalten ſollten, erſchienen uns als eine Ewigkeit. Wäre
es wenigſtens Abend geweſen! die Nacht vor ſich, mit
ſtärkendem Schlaf iſt ein ſolcher Zuſtand eher zu ertragen,
aber es war ein heißer Morgen, erſt 8 Uhr. Ich holte
Goethe's Briefe aus Italien hervor, die M* für die
beabſichtigte Reiſe dahin mit eingepackt hatte; ich gerieth
aber in den zweiten Theil, auf die Briefe ſeiner Rückkehr;
dies machte die Sache nur ſchlimmer. Ich warf mich
auf das Bett, aber ſtatt des Schlafs kamen peinigende
Gedanken.
Pläne zur Umkehr fingen ſich leiſe an zu regen. Wenn
die Cholera jetzt ſchon im Piräus, in Gallipoli iſt, ſag-
ten wir uns innerlich, ſo iſt es ſicher, daß ſie auch nach
Conſtantinopel kommt. In dieſer Stadt mit einer Mil-
lion Einwohner, ohne mediciniſche Vorkehrungen, ohne
Reinlichkeit, mit brennendem Klima wird ſie mit der größ-
ten Heftigkeit ausbrechen. Alles, was fort kann, wird
fliehen, und grade dann wollen wir hin? Wird nicht die
ſtete Vorſicht die ſtrenge Diät uns im beſten Falle allen
Genuß verbittern? Griechenland, die eine Hälfte unſerer
Reiſe, iſt uns ſchon verſperrt, wer ſteht uns dafür, daß
– 49 –
man uns nicht auch von Conſtantinopel abſperrt, oder
daß kein Schiff uns zurückführt, oder daß man in Trieſt
uns mit wochenlangen Quarantainen aufhält? Wie un-
ſicher iſt da jede Berechnung der Rückkunft, und wenn
wir den Urlaub überſchreiten, vielleicht wochenlang über-
ſchreiten müſſen, welche bedenklichen Folgen für uns, über
die das Schwert des Disciplinargeſetzes ſchon ſo ſtets
an einem Haare hängt. Welche Angſt, welche Verwirrung
wird es daheim bei Frau und Kindern geben, wenn ſie
aus den Zeitungen erſehen, daß die Cholera überall da
wüthet, wo ſie uns vermuthen müſſen! Kann ein pflicht-
getreuer preußiſcher Beamter, kann ein ſorgſamer, ver-
ſtändiger Hausvater da noch ſchwanken? Iſt es nicht
Pflicht, unter ſolchen Umſtänden den Reiſeplan aufzuge-
ben und umzukehren? noch iſt ja Italien zu bereiſen und
der Zeitverluſt nicht bedeutend!
Noch rückte keiner von uns mit ſolcher Sprache heraus,
aber auf den Mienen eines jeden war ſie deutlich zu leſen.
– Nein! rief ich aufſpringend, ich will mich wenig-
ſtens wahren gegen ſolche verſtändige Feigheit, ſo lange
ich kann. Laſſen Sie uns ausgehen, in dieſen vier blei-
chen Wänden halte ich es nicht aus!
Nicola führte uns nach der Piazza und zu einem
ſchattigen Café. Die Geſellſchaft war nicht die beſte;
aber in der freien Luft, Menſchen gegenüber, kam uns
wieder der Muth. – Vorwärts! iſt die Looſung auf Rei-
ſen, rief M*; vorwärts! ſecundirte ich. Es bleibt da-
bei, wir reiſen nach Conſtantinopel trotz Cholera, trotz
Quarantainen, trotz Urlaubsüberſchreitung, trotz Discipli-
nargeſetz und Obertribunal!
– Giebt es kein beſſeres Café? fragte ich Nicola.
– Nein, aber hier ſchief über iſt das Caſino der
Signori. Der Agent von Lloyd wird Sie einzuführen
4
– 50 –
gern bereit ſein. Und dieſer gefällige Herr kam wie ge-
rufen. Die Einzeichnung unſrer Namen in das Geſell-
ſchaftsbuch gab uns das Recht, ſo oft zu kommen, als
wir wollten. Es war ein geräumiges Haus mit hohen
luftigen Zimmern; Thür und Fenſter, alles offen, und
Stühle und Sophas ſo geſtellt, daß man in ſtarkem Zug-
wind ſaß, in jenem Klima die erſte und unſchädliche Be-
dingung des Wohlbehagens. Neben Spiel-, Billard-,
Converſationszimmern gab es auch einen Leſe-Salon, wo
wir „Gagliani's Meſſenger“, eine engliſche illuſtrirte Zei-
tung, den „Oſſervatore Trieſtino“ und, eine griechiſche
Zeitung aus Athen fanden. Man empfing uns mit Ar-
tigkeit. Obgleich Prussiani in Zante eine große Selten-
heit waren, plagte man uns nicht mit Neugierde. Wir
waren bald heimiſch; am andern Morgen tranken wir
ſchon früh 6 Uhr unſern Kaffee dort, auf der Piazza, im
Schatten des Hauſes in zahlreicher Geſellſchaft. Darunter
war auch der katholiſche Geiſtliche des Ortes, der von
Preußen wenigſtens ſo viel wußte, daß eine Stadt Bres-
lau mit Namen darin liege, wo der Biſchof Diepenbrock
geſtorben ſei. Als es läutete, ging er vom Caffeetiſch
direkt in die katholiſche Kirche daneben zum Meſſeleſen.
Unter andern wurden wir auch dem jungen Grafen Mer-
cati vorgeſtellt, dem reichſten Grundbeſitzer der Inſel.
– Sie ſind leider, ſagte er uns, zu einer ungünſtigen
Jahreszeit gekommen. Die Zeit vom Juli bis September
iſt unſer Winter, Sie ſehen, auf den Feldern, auf den
Höhen iſt alles gelb und vertrocknet. Vom Mai ab
regnet es ſechs Monate im Jahr gar nicht; der Himmel
iſt dann ununterbrochen rein. Auch die Stadt iſt jetzt
verlaſſen. Alle Familien fliehen die Hitze derſelben und
leben in ihren Landhäuſern. In vier Wochen beginnt
die Weinleſe; Fremde müſſen entweder zu dieſer Zeit
– 51 –
kommen, oder im März und April, wo die ganze Inſel
bis zu den Spitzen der Berge ein grünender, blühender
und duftender Garten iſt. Kaum daß wir jetzt mit Mühe
unſere Hausgärten friſch gegen die Gluth der Sonne er-
halten; aber da ich höre, daß Sie daran Intereſſe haben,
ſo ſeien Sie für heute meine Gäſte.
Wir hatten bereits dem öſterreichiſchen Conſul für den
Nachmittag zugeſagt und konnten leider die Einladung
nicht annehmen. Die Unterhaltung ging bald auf die
Politik über. Alle waren neugierig zu hören, was Preußen
in dem Kriege für eine Partei ergreifen werde, und ver-
langten von uns ausführliche Auskunft.
Hier, 500 Stunden – von Haus, galt es, die Partei-
leidenſchaft zu unterdrücken und die Ehre des Vaterlandes
zu vertheidigen. Die Aufgabe ward uns an ſich nicht
leicht, indeß der Zufall kam uns zu Hülfe.
– Ich habe die Stellung Rußlands in dem gegen-
wärtigen Kriege, ſagte ich, von Anfang an für überaus
günſtig gehalten; dieſer Krieg der Regierungen gegen
Rußland iſt im letzten Grunde unnatürlich; überdem hat
jeder rein militäriſche Krieg gegen Rußland, ſo wie
es ſich in der Defenſive hält, außerordentliche Schwierig-
keiten. Ich fürchte deshalb, er wird zu Rußlands Vor-
theil ausſchlagen und Rußland wird mächtiger daraus
hervorgehen, als je. ."
Was ich hier mit ſchwerem Herzen ausſprach, wurde
von der Geſellſchaft mit großem Jubel aufgenommen;
ſie waren alle Ruſſenfreunde und ich fand die leidenſchaft-
lichſte Parteinahme für Rußland hier, wie ſpäter überall,
bei allen Griechen ohne Ausnahme. Dieſe Sympa-
thie ruht auf den ſtärkſten Gefühlen, auf Religion und
Patriotismus. Rußland iſt den Griechen der Meſſias,
von dem ſie mit blindem Vertrauen die Herſtellung des
4*
– 52 –
griechiſchen Reiches erwarten. Dieſer Glaube muß ſeit
Generationen mit allen Mitteln, die Rußland zu Gebote
ſtanden, genährt worden ſein; er iſt zum Inſtinkt gewor-
den, und Vernunftgründen unzugänglich. Deshalb ſind
die bekannten engliſchen Enthüllungen der ruſſiſchen Po-
litik durch Abdruck der Depeſchen des engliſchen Geſandten
Seymour für die Griechen ohne alle Wirkung geblieben. Auch
die Theilnahme für die griechiſche Inſurrektion war überall
lebhaft und allgemein, trotzdem, daß dieſe damals bei-
nahe niedergeſchlagen war.
– Seien Sie vorſichtig, warnte uns der katholiſche
Geiſtliche, als wir in ſeinem Garten allein waren. Hier
iſt alles ruſſiſch. – Aber wie ſtellt ſich die engliſche
Regierung zu dieſer Geſinnung? – Die wenigen Offi-
ziere, die hier ſind, leben für ſich und iſolirt. Die Civil-
verwaltung, Juſtiz, Steuererhebung iſt von England
ganz in den Händen der Eingeborenen gelaſſen worden;
ſie haben alle Stellen inne; ſo ſind Konflikte vermieden.
Im Uebrigen kümmert ſich England wenig darum.
Für den erſten Nachmittag hatte Freund Nicola eine
Spazierfahrt vorgeſchlagen. Wir fuhren in ſeiner Be-
gleitung durch den ſchönſten Theil der Inſel. Die Ebene
bildet ſtundenweit nach allen Richtungen ein großes Wein-
land, geſchmückt mit dem lebhaften dichten Grün der
Reben, das ſelbſt der brennenden Juli-Sonne widerſteht.
Die Aloen, welche den Zaun gegen die Landſtraße bildeten,
waren oft in Blüthenſtengel aufgeſchoſſen, an 20 Fuß
hoch mit einer Krone, gleich der eines jungen Baumes.
Hie und da zog ſich ein Olivenhain durch die Weinfelder.
Auf der Straße war viel Leben, aber kein Wagen; alles
wurde auf Eſeln transportirt und neben der Laſt ſaßen
oft noch zwei erwachſene Perſonen auf dieſen kleinen ge-
duldigen Thieren. Wie ſo vieles andere, zeigt ſich auch
– 53 –
das Princip des Kontinents, vor allem auf fahrbare,
gute Wege zu halten, hier unpraktiſch. Gute Straßen
ſind hier nur ein Luxusartikel für die wenigen Reichen,
die einen Wagen haben. Für den Verkehr des Landes
genügt noch, wie vor 3000 Jahren, ein Saumpfad für
Eſel, und er wird genügen, ſo lange Wein und Oliven
das Produkt dieſer Inſel bleiben werden, und daran iſt
keine Aenderung abzuſehen. Glücklicherweiſe giebt es vielleicht
kein Land, wo die Straßen billiger zu unterhalten ſind.
Wir gelangten an den Fuß des Gebirges, welches
ſich hinter den Weinländern erhebt. Wir fuhren bergauf,
mußten aber bald ausſteigen und den immer ſteiler werden-
den Weg nach dem Dorfe zu Fuß zurücklegen.
Nicola führte uns zu einer Villa, deren Beſitzer ab-
weſend war. Hier, von dem Garten aus, lag, indem wir
uns umdrehten, die Inſel in all ihrer Herrlichkeit vor
uns. Was wir einzeln berührt oder durchfahren hatten,
das Meer, die Stadt, die Weingärten, die Olivenhaine,
die Berge, war nun zu einem harmoniſchen Bilde ver-
einigt, das uns um ſo reicher erſchien, als wir mit ſeinen
Einzelheiten bekannt waren. Jenſeit des Meeres, das
wie ein blaues, glattes Band die Inſel umgürtete, lag
in voller Klarheit der 6000 Fuß hohe Monte nero von
Cephalonia, in gewaltigen Maſſen aus dem Meere
emporſteigend. Ithaka, das Reich des Odyſſeus, wurde
von ihm verdeckt, aber rechts von ihm lagen die Gebirge
Livadiens und Moreas ausgebreitet, von Miſſolunghi
bis hinunter nach Navarin. Die ſcharfen kühnen Linien
dieſer ſteilen Bergreihen waren bis über 20 deutſche
Meilen hinaus ſichtbar; die Luft war ſo rein, daß auch
in der weiteſten Ferne keine Linie im Nebel verſchwamm.
War das Auge erſchöpft von der Schönheit und dem
Reichthume dieſes Bildes, und wendeten wir uns um, ſo
– 54 –
wähnten wir uns in ein großes Treibhaus verſetzt. Alles
war die ſüdlichſte Vegetation. Neben den Citronen- und
Orangenbäumen ſchoß hie und da eine Fächerpalme empor
oder eine Banane mit mannsdickem Rohr, an 50 Fuß
hoch, mit ellenlanger Frucht, die aus dem Stammrohr
hervorbrach. So verſchwenderiſch wirthſchaftet hier die
Natur, daß ſie ſolche Stämme mit der Reife der Frucht
vertrocknen läßt und wegwirft; freilich ſchafft ſie hier
ſpielend in einem Jahre, was ſie im Norden mühſam
kaum in einem Menſchenalter vollbringt. Am Garten-
portal ſtanden zwei hohe ſchlanke Bäume, in Geſtalt
unſerer Birken und mit einzelnen grünen Beeren bedeckt.
– Das ſind Pfefferbäume, ſagte M*. – Ich wollte
es nicht glauben, bis der beißende Pfeffergeſchmack dieſer
noch grünen Beeren mich belehrte. -
Leider waren wir beide nicht Botaniker genug, um all
die Schätze um uns verſtehen und würdigen zu können.
Eine Truppe Kinder und Weiber hatte ſich um uns Fremd-
linge geſammelt. Sie brachten uns, auf ein Geldſtück
rechnend, reife Trauben von der Uva passa, die die kleinen
Roſinen liefert. Es waren ſchlanke zierliche Trauben mit
dichten, erbſengroßen Beeren. Wir zählten über 300
Beeren an einer Traube. Sie waren von einer friſchen
würzigen Süße. Bei der Weinleſe werden ſie auf einer
Tenne im Weinfelde getrocknet, abgebeert und in Fäſſer
gepackt; damit iſt die kleine Roſine fertig.
Der Kreis um uns wurde immer größer; aber wir
ſahen nur bleiche Geſichter und ärmliche Kleidung unter
den Weibern und Kindern, im grellen Kontraſt zu der
Kraft und Fülle der uns umgebenden Natur. Wir traten
in ein an die ſteile Bergwand angebautes Bauerhaus.
Die Thür führte unmittelbar in einen großen von Rauch
geſchwärzten Raum ohne Fenſter; es war das alte Atrium,
– 55 –
die Küche und der allgemeine Aufenthalt bei Tage. In
zwei Kammern daneben ſtanden ärmliche Betten; an
Hausrath war nur das allernothdürftigſte und roheſte zu
ſehen. Von Männern war Niemand anweſend; ſie ſind
in der Zeit der reifenden Trauben ſämmtlich in den
Weinfeldern zur Arbeit und zur Wache. Die Exiſtenz
von Hohen und Niedrigen dreht ſich hier um die Uva passa.
Nach allem, was ich hörte und ſah, ſind die ſozialen
Verhältniſſe hier noch wie im Alterthume. Das Eigen-
thum des Bodens iſt in den Händen des Adels; der
Bauer liefert die Arbeit für die Hälfte oder ein Drittheil
der Ernte. Es iſt aber nicht das dingliche Metayer-
Syſtem, wie in der Lombardei und dem ſüdlichen Frank-
reich, ſondern ein viel beweglicheres Lohnverhältniß. Iſt
die Weinernte gut, ſo geht es auch dem Bauer gut. Er
lebt dann luſtig, verſchwendet in Putz und denkt nicht an
das Sparen. Seit 3 Jahren hat die Traubenkrankheit
den Bauer völlig verarmen gemacht; auch die Signori
gerathen in Schulden, da ſie den Luxus der früheren
guten Zeit nicht laſſen können. -
Die modernen Ideen über den Gegenſatz zwiſchen
Arbeit und Grundeigenthum ſind nicht zu dieſen Inſeln
gedrungen; ich fand nichts von der feindſeligen Spannung
zwiſchen Arbeitern und Beſitzern, obgleich die Gegenſätze
zwiſchen Reichthum und Armuth hier und im Orient
größer oder wenigſtens offener nnd unvermittelter ſind,
als im nördlichen Europa. Neben der Bedürfnißloſigkeit
der ärmern Klaſſe iſt es der Mangel an Reflexion, den
ich ſchon angedeutet, aus dem dieſe Ruhe hervorgeht.
Ich glaube, daß in den 3000 Jahren ſeit Homer, auf
dieſen Inſeln ſich wenig geändert hat. Die Phäakiſchen
Fürſten, welche bei dem Könige Alkinoos Tag für Tag
ſchmauſen, dem blinden Demodokos im Geſang und
– 56 –
Harfenſpiel zuhören und „wenn ihre Herzen das gleich
vertheilte Gaſtmahl“
„Und die Harfe gelabt, des feſtlichen Mahles Geſpielin“,
dann
„eilen, verfolgt von großem Getümmel des Volkes
Auf den Markt, zu ſchauen die Spiele der Kämpfer“ –
was ſind ſie in dieſem Dolce far niente anderes, als
die Signori von heute, die von der Villa zum Kaffee,
von dem Kaffee zum Kaſino und von dem Kaſino zur
Villa ſchlendern? Selbſt die Religion hat nur die Namen
gewechſelt. Das abſtrakte Dogma hat kein Leben im
Volke und was man ihm in ſeinen homeriſchen Göttern
der Ober- und Unterwelt genommen, das hat es ſich
wiedergeſchaffen in der Mutter Gottes, dem Teufel und
den zahlreichen Heiligen, deren jedem die Pflege und der
Schutz eines beſonderen Intereſſes zugewieſen iſt. Auch
der antike Schönheitsſinn der Griechen iſt nicht unterge-
gangen. Nirgends an den Wegen trifft man jene ab-
ſchreckenden Bilder des gekreuzigten Chriſtus, womit in
den katholiſchen Ländern des Nordens in Kapellen und
an Kreuzen jeder Hügel, jeder Kreuzweg beſetzt iſt. Hier
und da iſt in den Straßen eine kleine griechiſche Kirche
erbaut, immer mit zwei Thürmchen geſchmückt. Der Bau-
ſtyl iſt ohne die antike Einfachheit, aber ſie beleben und
bereichern die Landſchaft. -
Als wir nach der Stadt zurückkamen, war es 8 Uhr ſchon
dunkel. Die Promenade am Hafen war dicht mit Spazir-
gängern angefüllt. Wir wunderten uns über die geringe
Eitelkeit der Mädchen und Frauen, die ihren Sonntags-
ſtaat in dieſer Finſterniß unmöglich zeigen konnten. Das
Leben der Frauen iſt aber hier weniger öffentlich als in
Europa. Alle Geſchäfte des Gewerbes und der Haus-
– 57 –
haltung ſind ſchon in orientaliſcher Weiſe in den Händen
der Männer. Obſt, Gemüſe, Fleiſch wird nur von Männern
verkauft, und nur Männer gehen aus, für die häusliche
Wirthſchaft einzukaufen. Die Frauen halten ſich des Tages
im Haus; erſt in der Duukelheit kommen ſie, meiſt ſchwarz
gekleidet, Tag für Tag am Hafen auf- und abzuwandeln
und der kühlen Seeluft ſich zu erfreuen. Wir wurden auf
der Promenade viel von alten, ſchwarzen Frauen geplagt,
die in uus unverſtändlichem Griechiſch immer und immer
wieder uns anredeten. Wir hielten ſie lange Zeit für
Bettlerinnen, bis wir ſpäter zu errathen glaubten, daß ſie
die ausgeſandten Geſchäftsführerinnen ihrer hübſchern und
jüngern Freundinnen zu Hauſe wären. Es war ſo dun-
kel geworden, daß ſelbſt die beiden Freunde ſich verloren.
Am andern Morgen hielt ich es für Pflicht der Ar-
tigkeit, der jungen Frau unſeres Nicola, unſerer Wirthin,
einen Beſuch abzuſtatten. Sie ſaß in ihrem einfachen
Zimmer mit Nähen beſchäftigt, während ihre Mutter,
neben ihr ſtehend, an der Spindel den Faden ſpann;
Herr Nicola war wie gewöhnlich ſchon ausgegangen. Ich
begann mit einem Compliment über unſere gute Bewir-
thung; ſie verſtand aber leider kein Italieniſch und ſprach
nur Griechiſch, ebenſo die Mutter, bis auf einzelne Worte.
Durch Pantomimen wußte ich mein Compliment nicht
auszudrücken; unbeholfen und ſtumm wieder umzukehren
mochte ich auch nicht. Sie ſah mich lachend an. Ich ver-
ſuchte alſo nochmals die Unterhaltung.
– Figlio di lei? frug ich ſie, auf einen ſtämmigen
Burſchen von 12 Jahren zeigend, der uns bedient hatte.
Zuerſt ſtutzte die Frau; nachdem aber die Mutter ihr nach-
geholfen hatte, antwortete ſie lachend: Figlio di? mit
dem Zeigefinger nach ihrem Leibe zeigend; no! no!
Ich war erſtaunt über die Verſtändlichkeit dieſer Pan-
– 58 –
tomime und hätte gern dieſe Exercitien weiter fortgeſetzt;
aber Herr Nicola meldete ſich und meinte, es wäre Zeit,
znm öſterreichiſchen Conſul zu gehen, um unſere Päſſe
viſiren zu laſſen.
Wir trafen in Herrn Moretti einen liebenswürdigen,
gefälligen alten Herrn. Jedem wußte er eine Artigkeit
zu ſagen; mir wollte er nicht glauben, daß ich ſchon
51 Jahr alt wäre; non li mostra, ſagte er mit höflichem
Ernſt; bei M** entſchuldigte er ſich wegen ſeines lang-
ſamen Schreibens damit, daß er dieſen Winter auf dem
Balle des engliſchen Gouverneurs den Arm gebrochen.
Auf ſeinem Arbeitstiſche lag ein deutſches Buch aufge-
ſchlagen. Er verſtehe zwar kein Deutſch, meinte er, aber
wenn uns das intereſſire, würden wir darin ſeiner mit
Lob erwähnt finden. Natürlich erbaten wir uns ſolch ein
intereſſantes Werk zur Lektüre und Herr Morette erbot
ſich für den Nachmittag, uns nach dem Kaſtell zu führen.
Das Buch war uns ein willkommener Zeitvertreib für
die heißen Stunden des Tages. Es war die Reiſe-
beſchreibung eines proteſtantiſchen Predigers aus M.; er
hatte 1846 dieſe Inſeln beſucht. Schon die erſten Seiten
ſagten uns, daß wir es mit einem Manne der ſtreng-
frommen und pietiſtiſchen Schule zu thun hatten. Jeder
Schnupfen, jeder Durchfall, der den kränkelnden Mann
auf dem Wege nach Trieſt betroffen hatte, war eine
Schickung Gottes; daß er von dem märkiſchen Sande nach
den joniſchen Inſeln gekommen, war nicht die That ſeines
verſtändigen Freundes in Trieſt, der den Hypochondriſten
halb mit Gewalt auf das Dampfſchiff gebracht hatte,
ſondern die unſichtbare Hand der Vorſehung. In dieſem
Style ging es lange fort. Aber in dem weitern Fortgange
des Buches begann ſichtlich eine Umwandlung; die frommen
Reflexionen, die Verleugnung des eigenen Selbſt wurden
– 59 –
ſeltener; nach dem Ende zu, in Zante, war der Autor zu
einem kräftigen, einfachen Naturmenſchen umgewandelt.
Natur und Menſchen waren ihm nicht mehr ein Marionetten-
Theater, deſſen Fäden von der Alles wiſſenden, Alles
leitenden Vorſehung gezogen würden; die Erde war ihm
kein Jammerthal mehr zur Buße unſerer Sünden. - Die
düſtern Dogmen, der Glaube an die myſteriöſe Vergebung
der Sünden durch das Blut Chriſti hatte dem heitern
Wiſſen, dem entſchloſſenen Handeln Platz gemacht. –
Schönes Zante, rief ich, wir neigen uns tiefer vor dir!
Selbſt die Seele eines Pietiſten haſt du zu heilen ver-
mocht, das Glück des Daſeins ihm zuückgegeben.
Und das Alles, ohne ihm die naive Unſchuld ſeines
Herzens zu nehmen; denn eingeführt in die Familie des
Comte N*, erzählte er, traf er eines Abends nur die
junge Gräfin in der Villa. Sie klagt mit ſüdlicher
Offenheit, über die Kinderloſigkeit ihrer fünfjährigen Ehe
und bittet fragend um ſeinen Rath. Der fromme Mann
verſteht die Frage auch nur in frommer Weiſe. Er
ſpricht von Ergebung, von Vertrauen, von den unerforſch-
lichen Rathſchlüſſen des Himmels und belegt dies mit
zahlreichen Stellen aus der Bibel. Die junge Gräfin
horcht lange auf den Mann, wenn auch nicht auf den
Prediger und als ſie endlich abgekühlt und getäuſcht ſich
erhebt, empfiehlt unſer Autor ſich in der frommen Ueber-
zeugung, ihrem Herzen den Troſt gewährt zu haben, nach
dem ſie verlangt hatte.
Der Spaziergang mit Herrn Conſul Moretti war
wohlthuend. Trotz alles Proteſtirens beſtand er darauf,
daß die Unterhaltung franzöſiſch geführt werde, und wir
waren um ſo mehr genöthiget, dieſe vermeintliche Artig-
keit uns gefallen zu laſſen, als wir bemerkten, daß es
dem alten Herrn Freude machte, ſich in dieſer hier ſchon
– 60 –
ſeltenen Sprache zu hören. Er hatte ſeit ſeiner Kindheit
auf der Inſel gelebt und konnte als Kaufmann und Be-
amter uns zuverläſſige Auskunft über ſie und ihre Be-
wohner ertheilen. Was davon erwähnt worden iſt, beruht
hauptſächlich auf ſeinen Angaben. Er führte uns den
ſteilen Berg bei der Stadt hinan zu dem Kaſtell, welches
die Stadt und den Hafen mit ſeinen Geſchützen beherrſcht
und eine kleine engliſche Garniſon hat. Als wir durch das
Thor eintreten wollten, rief uns die Schildwache von
einem hohen Erdwalle darüber herab, daß der Eintritt
nicht erlaubt ſei. Herr Moretti hatte indeſ die Erlaub-
niß des Gouverneurs beſorgt und die zwei Zeilen wurden
dem Soldaten aus der Ferne gezeigt und erklärt. – All
right! rief er, und die Sache war abgemacht.
– Da haben Sie wieder ein Stück freies England,
ſagte M*; bei uns hätte der Unteroffizier den Zettel
beſichtiget und, da das Siegel fehlt, uns ſchwerlich paſſiren
laſſen. Der Bureaukratie iſt jeder zunächſt verdächtig,
dem Selfgovernement ein ehrlicher Mann.
Mit gleicher Humanität ließ man uns auf Wällen
und in Gräben herumſteigen. Die Ausſicht von dem
höchſten Punkt gab die geſtrige Landſchaft von der ent-
gegengeſetzten Seite.
– Sonderbar, ſagte M**, nachdem wir lange ge-
ſchaut; wir haben doch manche ſchöne Landſchaft in Deutſch-
land; dieſe iſt auch nur ſchön und doch ſo verſchieden;
worin liegt dies? Ich möchte es in der Verbindung des
Meeres mit dem Lande ſuchen. Sehen Sie dieſe blaue
Fluth, die ſich hier in das Land hineinſchmiegt, dort von
dem Lande zurückgedrängt wird, als wären beide eifer-
ſüchtig auf jeden Zollbreit Bodens. Das Meer mit ſeiner
ewig wogenden Fläche, mit ſeiner Ausdehnung in das
Grenzenloſe bildet den ergänzenden Gegenſatz zu der
d
– 61 –
bunten, aber ſtarren und beſchränkten Scenerie des Landes,
der uns in Deutſchland fehlt. -
– Sie haben Recht, ſagte ich; wir haben zwar auch
Seelandſchaften an der Oſtſee und Nordſee, aber ſie ſind
nur graues Waſſer zu grauem Sand. Dennoch möchte
ich das Eigenthümliche der hier vor uns liegenden Land-
ſchaft mehr aus der Geſtalt ihrer Gebirge ableiten. Sie
kennen den Brocken, den Inſelsberg, die Schneekoppe, den
Speſſart, die Rheiniſchen Gebirge. Mich hat bei ihrem
Anblick immer ein Gefühl des Kraftloſen, Mühſamen
überkommen. Zehn und zwanzig Meilen lang quälen
dieſe deutſchen Gebirge ſich ab, um in die Höhe zu kom-
men; ſchwächlich und jämmerlich fangen ſie mit Hügeln
an, die dann nur nach und nach ſich mühſam höher
ſchleppen, bis endlich ein Gipfel erreicht wird, deſſen
platter, zuſammengebrochener Geſtalt man es anſieht, daß
die hebende Kraft ſchon am Erlöſchen war. Was noch
an kräftigen Linien in der Urzeit vielleicht vorhanden war,
das hat die Rauheit des Klimas zerſtört; der gewaltige
Granit iſt in Gries und Erde verwittert und wiederholt
ſo nur die flachen, geſtaltloſen Linien des aufgeſchwemmten
Landes. Sehen Sie dagegen hier dieſe kühnen ſchroffen
Geſtalten, die uns von nah und fern entgegentreten; man
fühlt, die Natur in ihrer ſüdlichen Kraft hat ſie mit
einem Schwunge aus dem Meere hoch gehoben, höher
als die höchſten deutſchen Berge. Die blühende Ebene
iſt hart neben ihnen, und ſchmiegt ſich an ſie, wie das
Kind an den Vater. Die Milde des Klimas hat hier
die ſcharf beſtimmte Geſtalt bewahrt; jeder Berg iſt hier
individuell, in ſeinen ſcharfen Kanten von der blauen Luft
nur ſo weit gemildert, daß die blühende Ebene darunter
mit ihm ſich zu einem künſtleriſchen Ganzen verbinden kann.
– Vergeſſen Sie das Kolorit nicht, bemerkte Herr
– 62 –
Moretti. Die wenigen Deutſchen, die hierher kamen, waren
überraſcht von der Tiefe und dem Glanze der Farben,
mit dem hier Alles übergoſſen iſt. Gewöhnt an den
Nebel, mit dem auch im Sommer bei Ihnen die Luft er-
füllt ſein ſoll, waren ſie geblendet von der Fülle des
Lichts, das hier vom Himmel ſtrömt und den Inhalt der
Landſchaft verdoppelt.
Um der Schönheit der Farben ganz inne zu werden,
ſagte ich, müſſen Sie die Landſchaft mit ſchief gehaltenem
Kopfe betrachten, in der Weiſe, daß die wagrechte Stellung
der Augen eine lothrechte werde.
Man erſtaunte über die wunderbare Wirkung dieſer
einfachen Bewegung. Die Häuſer des Mittelgrundes, die
Berge des Hintergrundes werden kleiner, Alles rückt zu-
ſammen, die Farben werden tiefer, und man hat den rein
ſinnlichen Eindruck eines Gemäldes.
Nachdem man ſich lange deſſen erfreut, verlangte man
nach der Erklärung.
Ich habe ſchon oft, antwortete ich, bei Profeſſoren nach
dem Grunde dieſes ſo einfachen und ſchönen Experiments
gefragt. Man hat es von dem Andrang des Blutes nach
den Augen, von der Störung des Sehnerven in ſeinem
Fortgange zum Gehirn abzuleiten geſucht. Bei der be-
wußten Klarheit des Bildes haben mich dieſe Erklärungen
nicht zufrieden geſtellt. Ich möchte die Wirkung daher lei-
ten, daß die Verſtandesſchlüſſe, welche bekanntlich ſich mit
der einfachen Sinneswahrnehmung uns unbewußt verbin-
den, durch die veränderte ungewohnte Stellung der Augen
gehemmt ſind. Der erwachſene Menſch, durch die Erfah-
rung belehrt, legt die in dem ſinnlichen Bilde auf einer
Fläche liegenden Gegenſtände, je nach ihrer Größe und
dem Farbenton in die wahren Entſernungen auseinan-
der. Die Kenntniß der wahren Größe läßt auch die
ſcheinbare größer erſcheinen. Dieſe zur andern Natur
gewordenen Schlüſſe ſetzen aber die natürliche Lage der
Augen voraus; wird dieſe aufgehoben, ſo verſchwinden
jene, es bleibt die reine Sinneswahrnehmung übrig, das
Bild auf einer Fläche, wie auf der Leinwand des Malers,
wo wir die Tiefe der Farben, die Kleinheit der fernen Ge-
genſtände deſto mehr bemerken, je mehr die Kenntniß der
Urſache beſeitigt iſt. -
Wir traten aus dem Kaſtell. Ein Bauer, der den Eon-
ſul kannte, überreichte jedem von uns einen Blumenſtrauß;
ſein Garten war nur ein einfacher Gemüſegarten, die Blu-
men waren wild aufgewachſen; ihre Formen waren nicht
auffallend, aber ſie verbreiteten einen Wohlgeruch, der für
den ganzen Spaziergang aushielt.
An unſerer Wohnung nahmen wir von Herrn Moretti
Abſchied. Er war zugleich Oeſtreichiſcher und Türkiſcher
Conſul. Wir wünſchten ihm von Herzen, daß die Politik
nie die friedliche Vereinigung beider Aemter in ſeiner Per-
ſon ſtören möge. -
Zu Hauſe fanden wir die Wäſche bereits gewaſchen,
getrocknet, geglättet, die wir vor 6 Stunden erſt zur Rei-
nigung an Nicola übergeben hatten.
– Welch herrliches Land, rief M*, für waſchende
Hausfrauen und untreue Ehemänner.
– Laſſen wir die Zweideutigkeiten, ſagte ich; helfen Sie
lieber, als guter Hausvater, mir überlegen, wie wir einen von
dieſen irdenen Krügen mit fortbringen können. Ich habe
wohl von Oſtindien geleſen, daß man dort das Waſſer in
ſolchen Gefäßen kühl erhält. Sie laſſen das Waſſer durch
ihre Wände gelinde durchſickern, und erzeugen, der Luft
ausgeſetzt, ſo eine Verdunſtung, und damit eine Kälte,
welche das Waſſer tief unter die Lufttemperatur herab-
bringf. Aber in Zante hätte ich ſie nicht erwartet zu finden.
– 64 –
– Sie ſind, ſagte M*, in ihrer einfachen antiken
Geſtalt zugleich eine Zierde des Zimmers. Ich begreife
nicht, daß man ſie nicht längſt in Deutſchland eingeführt
hat. Selbſt da, wo man immer friſches Brunnenwaſſer
haben kann, würde ich ſie vorziehn. Wie ſelten iſt Brun-
nenwaſſer rein von Kalk- oder Eiſen-Beſtandtheilen, die
für ächte Waſſertrinker nichts taugen. In dieſe Krüge
kann man jedes reine weiche Fluß- oder Röhrenwaſſer
füllen; an das offene Fenſter geſtellt, hat es nach einer
Stunde die Friſche und Kühle des Brunnenwaſſers.
Leider waren unſere Reiſetaſchen nicht für den Trans-
port ſolcher zerbrechlichen Gefäße geeignet. Nicola trö-
ſtete uns; jeder Töpfer, meinte er, werde bei uns ſie
machen, wenn man ihm die Form angebe, und der
Töpfer die Glaſur weglaſſe und dem Topfe nur die halbe
Hitze gebe. -
Um Mitternacht wurden wir geweckt. Das Dampf-
ſchiff war in Sicht. Auf dem Caſtell iſt in dem Thurm
eine Wache, welche auf die nahenden Schiffe Acht hat.
Bei Nacht hat jedes Schiff auf der Spitze des Vorder-
maſtes eine Laterne; die Dampfſchiffe ſind an einem zwei-
ten, rothen Lichte erkenntlich, was an dem Räderkaſten
angebracht iſt. Vom Caſtell giebt ein Lichtzeichen der
Stadt die Mittheilung.
Unſer braver Nicola begleitete uns auch jetzt bis zu
dem Boot. - Wir ſchieden als herzliche Freunde. Seine
Zimmer waren reinlich, ſeine Preiſe mäßig, und er ſtets
bereit, mit uns zu wandern und zu fahren, ohne für die-
ſen Dienſt als Cicerone irgend eine Belohnung zu ver-
langen. -
In der Nacht hatten wir das Gebiet der Ioniſchen
Inſeln erreicht; in der Nacht ſchieden wir von ihnen. Man
pflegt ein Bild in einen dunkeln Rahmen einzufaſſen, um
– 65 –
ſeine Schönheit zu heben, und eine Scheidewand zwiſchen
ihm und der Proſa der Wand zu ziehn; ſo war das Bild,
was wir von dieſen ſchönen Inſeln mit uns nahmen, auf
beiden Seiten von der dunkeln Nacht eingefaßt, damit es
reiner in der Seele blieb, und ein Labſal für die Proſa
der Heimath.
Mit Unrecht ſind dieſe herrlichen Inſeln von den Reiſe-
luſtigen Deutſchlands vernachläſſiget. An der Schwelle
des Orients gelegen, gewähren ſie ſchon einen reichen
Blick in die Sitten und Trachten, in die Natur und das
Leben des Orients, und noch zu Europa gehörig, ſind ſie
frei geblieben von der Barbarei, die auf dem Orient ſeit
Jahrhunderten laſtet. Hier bedarf es noch nicht der Re-
ſignation, die der Orient verlangt, wenn er ſeine Schätze
dem Europäer aufſchließen ſoll. Selbſt für den, der Ita-
lien kennt, bleiben dieſe Inſeln originell in Natur und
Menſchen.
Und all dieſe Herrlichkeit iſt leicht zu erreichen. Nach
Trieſt gelangt man von allen Punkten Deutſchlands in
zwei bis drei Tagen. Von Trieſt fährt jede Woche zwei-
mal ein Dampfſchiff nach Corfu; einmal mit dem Um-
wege über Italien, den wir gemacht, das andere Mal
direkt in 52 Stunden. Die Seereiſe iſt gerade lang genug,
um alles Eigenthümliche einer ſolchen kennen zu lernen,
und kurz genug, um nicht in Eintönigkeit und Langeweile
überzugehn. Die übrigen Inſeln, wo das Dampfſchiff
nicht anlegt, kann man mit Ruderbooten leicht erreichen.
Die Koſten ſind geringer als die einer Reiſe nach der
Schweiz. Die Ueberfahrt von Trieſt nach Corfu koſtet,
erſter Platz 622 Gulden, zweiter Platz 50 Gulden, hin-
wärts in Banknoten, rückwärts in Silber. Für das Bett
zahlt man noch zwei Gulden, und für die ſehr gute Be-
köſtigung, einſchließlich Weins, in der erſten Kajüte täg-
5
– 66 –
lich 3 Gulden, in der zweiten Kajüte 2 Gulden in Silber.
Die zweite Kajüte iſt auf dem Vorderdeck, ſonſt in Be-
quemlichkeit und Koſt kaum von der erſten unterſchieden.
Die Paſſagiere des zweiten Platzes haben zwar kein Recht,
das Hinterdeck, den angenehmſten Aufenthalt zu betreten,
aber anſtändige Paſſagiere werden dennoch von den Schiffs-
Capitainen auch hier gern zugelaſſen. Die Hotels in
Corfu haben die gewöhnlichen Preiſe; in Zante zahlten
wir unſerem Nicolai für Stube und Koſt der Mann den
Tag ungefähr anderthalb Thaler. Vierzehn Tage ge-
nügen, um Corfu, Zante, Cephalonia und Ithaka mit
all ihren Schönheiten und Merkwürdigkeiten kennen
zu lernen.
Vor Allem können dieſe ſchönen Inſeln den Reiſenden
empfohlen werden, die ſich endlich aus dem ewigen Einer-
lei der europäiſchen Gaſthöfe herausſehnen. Die ſchnellen
Verbindungsmittel haben Europa bereits ſo egaliſirt, daß,
wenn man früh im Gaſthofe aufwacht, man ſich beſinnen
muß, ob man in England, Frankreich oder Deutſchland iſt.
Weder die Einrichtung des Hauſes, noch das Eſſen, noch
die Lebensweiſe, noch die Sprache im Gaſthofe giebt
einen Anhalt.
Dieſe Inſeln ſind bis jetzt von dem Zuge der Tou-
riſten noch verſchont geblieben; in antiker Einfachheit hat
ſich bei den meiſten die Sitte der alten Gaſtfreunde er-
halten. Man zahlt wohl eine kleine Entſchädigung, aber
man iſt, wie in alter griechiſcher Zeit, mitten unter ihren
Bewohnern, man lebt in ihrer Sitte, man denkt in ihrer
Weiſe, man lacht, man weint mit ihnen und iſt glücklich
ſchon in dem Gedanken, hier mehr wie eine Waare zu
ſein, an deren Verwahrung und Verſendung Geld zu
verdienen iſt. -
– 67 –
Wer die Jagd liebt, mag ſein Gewehr mitbringen;
die Jagd iſt durchaus frei für Jedermann; von Corfu
aus kann man mit einem Schiffernachen leicht zur alba-
niſchen Küſte überſetzen, wo die Jagd in den Bergen und
Klüften mannigfaltig und lohnend iſt und von den engli-
fchen Offizieren der Garniſon fleißig geübt wird.
V.
Athen. Syra. Die Dardanellen.
Alles ſchlief, als wir das Schiff betraten. Man wies
uns Schlafzimmer an, ſie waren aber ſo heiß, daß ich
mich auf die Polſter im Salon legte. Ich war eben am
Einſchlafen, als ich ein Krabbeln an der Achſel fühlte;
als ich mich aufrichtete, ſprang eine Maus aus meinem
Rockärmel. Dies trieb mich doch in das Kabinet.
Am Morgen erregte zunächſt das Schiff, „l'Egytto“
mit Namen, unſere Aufmerkſamkeit. Es war größer und
prächtiger als der „Oriente.“ Wir brauchten 100 Schritt
von einem Ende zu dem andern und das Hinterdeck maß
30 Schritt in der Länge, 17 in der Breite, und hatte
den Umfang eines großen Ballſaals. Die Schlafzimmer
waren geräumiger; jedes hatte einen Stuhl, einen Klapp-
tiſch, eine Leuchte für den, der die Einſamkeit ſuchte. Der
Salon war wie die Kabinette durchgehends mit polirtem
Cedernholz getäfelt, und die Thürfelder mit feinen, leb-
haften Gemälden von Konſtantinopel und ſeinen Sehens-
würdigkeiten ausgelegt. Auf den Tiſchen fanden wir die
neueſten Blätter des „Oſſervatore Trieſtino“ der „Allge-
gemeinen“ und mehrerer Wiener Zeitungen. Ein Wand-
ſchrank enthielt eine für die Linie des Schiffs paſſend
gewählte Bibliothek; außer Karten und allgemeinen Werken
fanden wir Prokeſch Erinnerungen aus dem Orient, das
Werk von Lamartine und eine vollſtändige deutſche Ueber-
ſetzung des Pauſanias. Auf dem Verdeck gab es neben
den bekannten Feldſtühlen eine vortreffliche Art Lehnſtühle;
ſie waren nur von Holzlatten und ſchlugen ſich nöthigen-
falls flach wie ein Brett zuſammen; dennoch ſaß man auf
ihnen in der höchſten Bequemlichkeit.
Gleicher Luxus herrſchte bei Tiſch. Früh trank jeder
Kaffee oder Thee nach Gefallen im Salon oder auf dem
Verdeck; um 10 Uhr läutete es zum gemeinſchaftlichen
Frühſtück mit drei warmen Gerichten; meiſt eine Eierſpeiſe,
Seefiſch und ein Braten, dazu ein feiner Bordeaux und
ein reiches Deſert von friſchen und getrockneten Süd-
früchten, mit Kaffee und Thee. Um 4 Uhr ſetzte man
ſich zum Mittagseſſen; es beſtand regelmäßig aus Suppe
und fünf warmen Gerichten. Außer Bordeaux wurde
zum Deſert Xereswein, Portwein, Malaga und andere
ſüdliche Weine präſentirt. Um 9 Uhr Abends wurde der
Thee mit Brot, Butter und Zwieback ſervirt. Indem
das Schiff mindeſtens jeden zweiten Tag landete, war es
möglich, alle Speiſen friſch zu geben.
Wir hatten des Guten hierin bald genug. Der Körper
bedarf in dieſem Klima nicht die Hälfte deſſen, was man
in Deutſchland ißt, und durch die Hitze iſt das Blut ſo
erregt, daß der Tiſchwein nur mit Waſſer gemiſcht ge-
trunken werden ſollte.
Die Geſellſchaft, welche wir fanden, war klein aber
intereſſant. Zur Rechten des Kapitän ſaß bei Tiſch ein
Mann, noch jung, blond, mit klugen hellen Augen. Er
wurde uns als der Marquis di R. aus Turin vorge-
ſtellt; Major und dienſtthuender Kammerherr bei dem
– 70 –
Herzog von Genua, den er auf deſſen Reiſen in Eng-
land und Frankreich begleitet hatte, war er jetzt von dem
König von Sardinien abgeſandt, um über Konſtantinopel
in das türkiſche Lager zu Omer Paſcha ſich zu begeben,
und, deſſen Generalſtab attachirt, den Feldzug mitzu-
machen. Er trug einen Rock und ein Beinkleid von roher
ungefärbter Seide und einen Strohhut, war einfach und
anſpruchlos, und wir Preußen hatten Mühe, mit ihm die
Vorſtellung eines Stabsoffiziers zu verbinden.
Zur Linken des Kapitän ſaß Herr M., hanſeatiſcher
Conſul in Smyrna. An dem bairiſchen Accent, mit dem
er das Italieniſche, ſonſt ſehr geläufig, ſprach, erkannten
wir in ihm den Landsmann. Er war in ſeiner Jugend
lange Jahre Geſchäftsführer eines Handlungshauſes in
Livorno geweſen und hatte für daſſelbe alle Länder Europas
bis hinauf nach Norwegen, ſowie Griechenland und Klein-
aſien bereiſt. Später war er zum Bankdirektor in Mün-
chen ernannt worden, und der verſtorbene König von
Baiern hatte ihn dem Grafen Armansperg beigeben
wollen, als dieſer nach Griechenland ging. Herr M.
hatte gedankt. Die Vorliebe für den Orient, die er auf
ſeinen Reiſen gefaßt, hatte ihn ſelbſt ſeinen bequemen,
einträglichen Poſten in München aufgeben laſſen; er war
nach Smyrna gegangen, wo er nun ſeit 15 Jahren als
Kaufmann etablirt war und zuletzt noch eine Griechin
geheirathet hatte. Jetzt kam er von einer Geſchäftsreiſe
aus Deutſchland zurück. Er war ein höchſt unterrichteter
und praktiſcher Mann; er hatte wohl ſeine Vorurtheile,
er liebte, die Regierungsthätigkeit herabzuſetzen und lächer-
lich zu machen, was von dem einſeitigen Standpunkte
eines Kaufmanns oder andern Standes gar leicht iſt;
aber ſeine gleichmäßig genaue Kenntniß Deutſchlands und
des Orients blieb für uns eine unerſchöpfliche Fundgrube.
Uns gegenüber ſaß ein ſchlanker Tiſchgenoſſe, den wir
nach ſeinem Schweigen und ſeinem guten Appetite für
einen Engländer hielten. Wir hatten Recht, aber thaten
ihm dennoch Unrecht. Er war engliſcher Offizier, mit
ſeinem Regiment im März nach Malta gekommen und
hatte jetzt zwei Monat Urlaub genommen. Er wollte
über Konſtantinopel nach Varna, dort ſeine Kameraden
beſuchen, wo möglich ein Stück Feldzug mitmachen, und
dann über Adrianopel zurückkehren. Da er nur engliſch
ſprach, ſo konnte er an der italieniſch geführten Unter-
haltung bei Tiſch keinen Theil nehmen; in ſeiner Sprache
war er unterhaltend. Er war ein leidenſchaftlicher Jäger
und lachte mich aus, als ich ihn frug, ob er in England
vorigen Winter viel Haſen geſchoſſen habe.
In England, antwortete er, ſchießt man weder die
Haſen noch die Füchſe; ein Engländer wäre unglücklich
darüber. Sie werden, die Jäger zu Pferde, mit Hunden
gehetzt. In den meiſten Grafſchaften bilden die Eigen-
thümer und Pächter Geſellſchaften, die auf gemeinſchaft-
liche Koſten dieſe Jagdhunde dreſſiren laſſen und erhalten.
Das Vergnügen an dieſer Jagd beſteht in dem ſchnellen
Reiten, in dem Ueberſpringen der Hecken und Schlag-
bäume, in der Gefahr, kurz in der Aufregung, der Ge-
wandtheit, der Ausdauer, welche dieſe Art zu jagen er-
fordert. Ich kann nicht begreifen, welche Freude man
daran finden kann, aus einem bequemen Verſteck einen
Haſen gemächlich mit der Flinte zu erlegen!
Die Geſellſchaft ward öfters durch Paſſagiere der
zweiten Kajüte vergrößert. Eine junge Trieſtinerin war
auf der Reiſe zu ihrem Manne nach Konſtantinopel. Es
war eine ſchlanke Brünette, mit lebhaften, hinter langen
Wimpern verſteckten Augen. Man hätte ſie hübſch nennen
können, wäre ihr Mund nicht zu groß geweſen. Sie war
– 72 –
ſeit 11 Monaten verheirathet; 3 Monat nach der Hoch-
zeit war ihr Mann, Maſchinenmeiſter bei der Lloyd-Ge-
ſellſchaft, von Trieſt nach Konſtantinopel in ein gleiches
Etabliſſement der Geſellſchaft verſetzt worden; jetzt folgte
ſie ihm nach. Sie ſprach wenig; auf die meiſten Fragen
folgte die Antwort: non so, aber ſie ſpach dass mit
einer ſo feinen Schärfe zwiſchen den tönenden o's, daß
ich manche unnütze Frage that, nur um die Muſik des
„non so“ wieder zu hören. -
Auch ein junger Mann von guter Haltung kam viel
auf's Hinterdeck. M* hatte bald ermittelt, daß es ein
preußiſcher Lieutenant ſei, ein Herr von B., der ſeinen
Abſchied genommen, um nach Konſtantinopel zu gehen
und in türkiſche Dienſte zu treten. Da hier, 300 Meilen
vom Vaterlande, die Furcht ihn nicht mehr von uns zu-
rücktrieb, ſo wurden wir bald bekannt. Wir fanden, daß
ſeine Mutter in derſelben Provinz mit mir wohnte und
daß er voriges Jahr auf einer Reiſe in der ſächſiſchen
Schweiz ſich in ein hübſches Mädchen aus meinem Wohn-
ort verliebt hatte. Ich erzählte ihm, daß ſie jetzt verlobt ſei;
er war ſichtlich betroffen. Wir waren nun gute Freunde.
Ich war noch in die Zeitungen vertieft, als M*
mich auf das Verdeck rief, um Navarin zu ſehen. Wir
fuhren nahe am Hafen vorbei, über dem noch jetzt die
Stadt, aber kümmerlich, ſich erhebt; wir ſahen den Platz,
wo vor 27 Jahren die blutige Seeſchlacht ſtattfand. Der
Kapitän meinte, Ibrahim Paſcha habe einen großen Fehler
begangen, die Schlacht im Hafen anzunehmen; ſeine Schiffe
hätten ſo gedrängt geſtanden, daß ſie ſich ſelbſt im Kampfe
gehemmt hätten.
Wir ſahen ein Schiff im Hafen, ohne Segel und die
Mannſchaft dennoch beſchäftigt. Es ſondirt den Boden,
ſagte der Kapitän, wo die verſunkenen türkiſchen Schiffe
– 73 –
liegen. Das Admiralſchiff iſt damals mit der ganzen
Kriegskaſſe und andern Koſtbarkeiten verſunken. Eine
Geſellſchaft hat ſich jetzt erboten, durch Taucher und
Maſchinen die Kanonen und alles Werthvolle wieder herauf-
zuheben. Mit jenem Schiff fangen die Vorbereitungen an.
– Wem gehören wohl die heraufgeholten Schätze?
frug mich M* ſcherzend.
– Das wäre eine prächtige Aufgabe für das dritte
Examen, erwiederte ich. Die Regierung Aegyptens kann
ſie fordern als alte Eigenthümerin. Die Regierungen
von Frankreich, England und Rußland nach dem Recht
der Beute im Kriege. Die Regierung von Griechenland
als Eigenthümerin des Hafens und Grund und Bodens,
und der, der ſie heraufholt, aus dem Rechte des Finders.
– Und welches Geſetz ſoll zur Anwendung kommen?
ſagte M*; das ägyptiſche, oder das franzöſiſche, oder
das engliſche, oder das ruſſiſche, oder das griechiſche?
– Still! rief ich, laſſen Sie uns die Blößen unſeres
Gewerbes nicht aufdecken. -
Gegen Abend umfuhren wir den ſüdlichſten Punkt
unſerer Reiſe, das Kap Malea, im 36. Grade nördlicher
Breite. An dem ſteilen, in die See fallenden Abhange
des Gebirges lebt ein Einſiedler in einer kleinen Felſen-
höhle. Vom Lande aus hat man keinen Zugang zu ihm;
ſeine Nahrung wird ihm von den Bewohnern der Küſte
auf Nachen gebracht; vom Meere führt ein ſchmaler,
ſteiler Fußpfad zu ſeiner Höhle. Wir kamen dem Lande
ſo nahe, daß wir den Eremiten in ſeiner braunen Kutte
erkennen konnten; er kroch am Bergabhange herum, wie
es ſchien, um Beeren zu ſuchen. Wir ſchwenkten unſere
Hüte ihm zum Gruß und er antwortete mit ſeinem
flatternden Tuche und ſandte uns ſeinen Segen.
Nach Sonnenuntergang wird das Segeltuch, was
– 74 –
gegen die Sonnenſtrahlen ausgeſpannt iſt, vom Hinter-
deck eingezogen; man genießt dann des freien Anblicks
des Himmels, der ſich bald mit Sternen ſchmückt. Ich
freute mich, die bekannten Sternbilder wieder zu finden.
Aber ich ſuchte lange vergeblich nach dem Polarſtern.
Gewöhnt von der Heimath, ihn hoch am Himmel zu
finden, ſuchte ich auch jetzt dort und ich hatte Mühe,
durch die anderen Sternbilder mich endlich zu überzeugen,
daß es der Stern war, der um ein Driltheil ſeiner Höhe
geſunken war. So zeigte mir auch der Himmel, wie weit
ich meine Stelle auf der Erde verrückt hatte.
Die einzelnen Sternbilder waren weit reicher mit
Sternen ausgefüllt, als in Deutſchland, und an vielen
erkannte ich nun erſt die Aehnlichkeit, welche dazu geführt,
hnen den Namen zu geben, der im Norden willkürlich
erſcheint. War der Polarſtern geſunken, ſo hatten ſich
dafür die ſüdlichen Sternbilder gehoben. Der Schütze
und der Steinbock, die zu Hauſe ärmlich, kaum aus dem
Nebel des Horizonts ſich heben, glänzten hier mit dem
Reichthume zahlreicher Sterne zweiter und dritter Klaſſe.
Selbſt von dem ſüdlichen Sternbild des Altars wurden
Sterne ſichtbar, die wir in Deutſchland nie ſehen. Die
Milchſtraße hatte hier überall einen leuchtenden Schein;
aber am glänzendſten zeigte ſie ſich in der Nähe des An-
tares und Schützen. Sie theilt ſich da in zwei Ströme
und der Glanz des linken Stromes war hier ſo ſtark
und feurig roth, daß ich es entſchieden für den Wieder-
ſchein eines Feuers erklärt haben würde, wenn wir auf
dem Lande geweſen wären. -
Als ich endlich vom Himmel nieder, um mich ſah,
war ich ziemlich allein; alles ſchien ſich zur Ruhe begeben
zu haben. Der Wind wehte heftiger und ich ſuchte nach
einem Sitz. An der Wand der Kajütentreppe fand ich
die ſchlanke Trieſtinerin noch munter. Sie ſaß auf einem
Seſſel und neben ihr ſtand ein anderer leer.
– Wird wohl der Wind noch heftiger werden? frug
ich; mich zu ihr ſetzend.
– Non so. –
– Ihr Mann in Konſtantinopel wird ſich gewiß ſor-
gen, wenn er Sie jetzt auf dem Meere weiß?
– Non so. –
– Sollte er ſich wohl freuen, Sie ſo rüſtig und
ſchlank wieder zu ſehen?
– Non so. –
Der Wind wurde wirklich heftiger; das Schiffſchau-
kelte, ſelbſt die Stühle ſchwankten. Unwillkürlich ſuchte
die Hand nach einem Halt bei dem Nachbar, während
die Dunkelheit nicht immer den rechten Weg erkennen
ließ, und in dem Beſtreben das Gleichgewicht zu erhalten,
näherten ſich die Köpfe. Offenbar hatte meine Nachbarin
bei dem Schwanken des Schiffes ſo viel mit ſich ſelbſt
zu thun, daß ſie nicht auf Alles Acht haben konnte.
Aber plötzlich erhob ſie ſich und wünſchte mir felice
notte. Ehe ich aufſtand, war ſie in der Dunkelheit ver-
ſchwunden. –
Welche Rolle iſt die wahre? rief ich nachſinnend. Sollte
das Schiff wirklich ſo heftig geſchwankt haben? – Oder ſollte
das felice notte hier eine andere, als die gewöhnliche
triviale Bedeutung haben? Wie ſagt Marinelli? – Oder
hat die George Sand recht? Indiana pardonna tout; elle
faillit tout accorder. Mais Raimond se perdit lui-
mème par trop de précipitation. – Oder war es
Eigenſinn? – Denn das Schickliche und Unſchickliche
gleicht dem Blau und Roth des Abendhimmels; es giebt
keine natürliche Grenze zwiſchen beiden. Die Sitte hat
eine Linie gezogen und ſie muß geachtet werden; aber
– 76 –
ſonderbar, viele der Frauen ziehen ihre eigene Linie, die
eine mehr nach dem Blau, die andere mehr nach dem
Roth; man müht ſich vergeblich, einen vernünftigen Grund
für dieſe Aenderung zu finden. Und dennoch wird dieſe
eigne Grenzlinie mit derſelben Entſchiedenheit feſtgehalten
und vertheidigt, wie es der ſtrengſte Moraliſt nur von
der ſeinigen verlangen kann. Sei es Laune, ſei es
Empfindung, ſei es Coquetterie, ſei es Furcht, man hält
die Linie feſt, taub gegen alle Gründe, und lehrt dem
vergeßlichen Philoſophen praktiſch den Hegel'ſchen Satz,
daß continuirliche Größen zugleich auch diskret ſind.
Ich ſah wieder nach den Sternen. Sie kamen mir
ſehr nüchtern vor; ich ärgerte mich über den Jupiter, daß
er Nacht für Nacht mit der Jungfrau in Oppoſition
ſtehen könne; ſein Glanz war mir zu hell und ich ſuchte
eine dunklere Ruheſtelle.
Als am andern Morgen Herr von B. auf das Ver-
deck kam, eilte ich ihm entgegen. - -
– Entſchuldigen Sie meine Schweigſamkeit von geſtern
Abend, rief ich ihm zu Aber heute wollen wir das Ver-
ſäumte nachholen. Erzählen Sie mir, wie ſind Sie zu
dem Entſchluß gekommen, in türkiſche Dienſte zu treten?
Wo ſtanden Sie zuletzt in Garniſon?
– Ich hatte die letzten Jahre meine Garniſon in Sp.
Es war ein ſonderbares Leben dort. Wer von den Kame-
raden es irgend möglich machen konnte, ſetzte ſich des Nach-
mittags in den Waggon und fuhr auf der Eiſenbahn nach
Berlin. In 20 Minuten war man dort. Man ging zu
Kranzler, zu Kroll, in das Theater, zu Kameraden und
Abends 11 Uhr fuhr man wieder nach Hauſe. Man hatte
mehr Bekannte in Berlin als in S.; die Offiziere hatten
untereinander wenig Verkehr und mit den Familien in S.
gar keinen Umgang. Für den, der Vermögen hatte, war
– 77 –
dies ausführbar; ich konnte es nicht. Ich bat deshalb um
meine Verſetzung und wurde auch in dieſem Jahre nach
A. in der Mark verſetzt. Dort war ich nicht der einzige,
der auf den Gedanken kam, ſein Glück in fremdem Mili-
tärdienſt zu verſuchen. Ich bat um Urlaub, reiſte nach
Berlin und ließ mich bei dem rufſiſchen Geſandten melden.
Ich erklärte dem Geſandten, daß ich käme, Sr. Majeſtät
dem Kaiſer meine Dienſte in dem Kriege gegen die Türken
anzubieten. Der Geſandte hörte mich freundlich an und
holte ein Druckblatt hervor, was er mir überreichte. Es
ſind die Vedingungen, ſagte er, die von meinem Gouver-
nement neuerlich feſtgeſtellt ſind und unter denen Ihr
Wunſch nur erfüllt werden kann. Leſen Sie ſie zu Hauſe
durch und bringen Sie mir morgen Antwort.
– Es waren fünf Bedingungen, die, ſo viel ich mich
entſinne, ohngefähr dahin lauteten. Erſtens: muß der
Offizier ſeinen Abſchied aus der preußiſchen Armee bei-
bringen und die ausdrückliche Erlaubniß Sr. Majeſtät
des Königs von Preußen zu dem Eintritte in ruſſiſche
Dienſte. Zweitens muß der Offizier allen ſeinen Rechten
als prenßiſcher Unterthan entſagen, die Entlaſſung aus
dem Unterthanenverhältniß beibringen und den Eid als
ruſſiſcher Unterthan leiſten. Drittens darf er keine Be-
dingungen ſtellen über die Art ſeiner Verwendung und
des Grades ſeiner Anſtellung. Die ruſſiſche Regierung
behält ſich allein vor, welchem Armeekorps ſie ihn zu-
theilen will. Viertens muß er verſprechen, niemals um
die Erlaubniß zur Rückkehr nach Preußen oder um die
Entlaſſung aus dem ruſſiſchen Unterthanenverhältniß ein-
zukommen. Fünftens endlich muß er ein Vermögen von,
ich glaube, fünftauſend Silberrubel nachweiſen, deſſen
Revenuen er neben ſeinem Gehalt zu ſeinem ſtandesmäßi-
gen Unterhalt mit verwenden kann.
– 78 –
Am andern Tage ließ ich mich bei dem Geſandten
wieder melden und erklärte ihm, daß ich vollkommen be-
reit ſei, die vier erſten Bedingungen zu erfüllen; aber die
Erfüllung der fünften ſei mir bei meinen Vermögensver-
hältniſſen unmöglich.
Dann bedaure ich, ſagte er, Ihren Wunſch nicht er-
füllen zu können. Dieſe Bedingungen beruhen auf den
ausdrücklichen Befehlen Sr. Majeſtät des Kaiſers und es
kann daher keine Ausnahme von Einzelnen geſtattet werden.
Ich dankte dem Geſandten, bedauerte in den ruſſiſchen
Dienſt nicht eintreten zu können, ging die Treppe hinab,
uahm auf der Straße eine Droſchke und fuhr zu dem
türkiſchen Geſandten. – Wie? unterbrach ich ihn, von
dem ruſſiſchen zu dem türkiſchen Geſandten? – Ja, fuhr
Lieutenant v. B. fort; ich traf ihn und erklärte ihm durch
den Dollmetſcher, daß ich käme dem Sultan meinen
Dienſt in dem Kriege gegen die Ruſſen anzubieten. Der
Geſandte dankte mir für das Intereſſe, welches ich für
die Türkei bewieſe und meinte, meine Anſtellung werde
in Konſtantinopel gewiß keine Schwierigkeit haben, ich
ſolle nur hinreiſen.
Ich kehrte nach A. zurück, kam um meinen Abſchied
ein und erhielt ihn mit dem Recht auf Wiedereintritt in
den preußiſchen Dienſt. Ich ſchrieb nun meiner Mutter;
in B. nahm ich von ihr Abſchied, reiſte über Wien nach
Trieſt, wo ich den vergangenen Freitag auf dieſem Schiffe
nach Konſtantinopel mich eingeſchifft habe.
– Aber haben Sie keine ſchriftliche Zuſicherung
von dem türkiſchen Geſandten erhalten? Hat er Ihnen
nicht wenigſtens Empfehlungsbriefe mitgegeben? – Nein.
– Haben Sie auch keine Empfehlungen an unſern
Geſandten in Konſtantinopel? – Nein. – Dieſe hätte
ich doch für nothwendig gehalten. Wie ſteht es mit der
– 79 –
Sprache? Haben Sie ſchon brav türkiſch gelernt? –
Nein. – Aber mein Gott, wie wollen Sie fortkommen;
verſtehn Sie italieniſch? – Nein, außer deutſch ſpreche
ich nur ein paar Worte franzöſiſch, bin indeſ ſehr aus
der Uebung gekommen. – So viel ich weiß, ſind es vor-
züglich Artillerie-Offiziere, die man wünſcht; haben Sie
das Artillerie-Exerzitium durchgemacht? – Nein, ich kenne
nur den Dienſt bei der Infanterie. – Welchen Plan
haben Sie nun, wenn Sie nach Konſtantinopel kommen? –
Ich melde mich bei dem preußiſchen Geſandten und ſtelle
mich dieſem zur Dispoſition. – Aber wenn nun dieſer
Ihnen keine Weiſung geben kann? – Dann melde ich
mich bei dem türkiſchen Kriegsminiſter und ſtelle mich
dieſem zur Dispoſition. – Nun rief ich aufſtehend, Gott
bewahre Ihnen Ihre Zuverſicht.
Dieſe Mittheilungen beſchäftigten mich lebhaft. Als
ich den Konſul M. allein ſprechen konnte, frug ich ihn,
welche Ausſichten wohl ein preußiſcher Infanterie-Offizier
in Konſtantinopel habe?
Gar keine, antwortete er mir kopfſchüttelnd. Die
Artillerie iſt die einzige Truppe, wo man fremde Offiziere
zuläßt; für die Infanterie werden grundſätzlich keine an-
genommen. Ueberdem hat die türkiſche Infanterie das
franzöſiſche Exerzierreglement. Schon deshalb iſt ein
preußiſcher Infanterie-Offizier unbrauchbar. Noch mehr,
wenn er kein türkiſch verſteht. Sollte es ihm dennoch
durch Protektion oder Empfehlung gelingen, eine Aus-
nahme hiervon zu erlangen, ſo kömmt er doch ſicherlich
nicht zur Armee von Omer Paſcha. Man ſchickt ihn
dann nach irgend einem Winkel in Bulgarien, wo er
Rekruten einzuexerzieren erhält. In ſolcher Lage iſt er
von Gott und der Welt verlaſſen; er iſt der einzige ge-
bildete Menſch unter einer Umgebung und Beſchäftigung
– 80 –
mit rohem Geſindel, deſſen Sprache er nicht verſteht und
das ihn mit Verachtung als Chriſtenhund betrachtet.
Ich konnte mich nicht entſchließen, dem v. B. dieſe
Nachrichten mitzutheilen; er konnte jetzt nicht umkehren;
nach Konſtantinopel mußte er fahren und war er ſo weit,
ſo mußte er auch ſein Heil verſuchen. Solche Nachrichten
hätten nur ſeinen guten Muth gebrochen, den er, wenn
ſie begründet waren, um ſo nothwendiger bedurfte. Leider
ſollte die Folge lehren, daß der Konſul M. die Verhält-
niſſe richtig beurtheilt hatte.
Am Mittwoch früh, den neunten Tag nach unſerer
Abreiſe von Trieſt, warf unſer Schiff Anker im Angeſicht
von Athen. Aus Furcht vor der Cholera hielt ſich der
Kapitän möglichſt fern und blieb außerhalb des Hafens
Piräus. Kein Paſſagier wurde an das Land gelaſſen,
keiner vom Lande aufgenommen. Nicht einmal Lebensmittel
wurden eingenommen; der Verkehr beſchränkte ſich auf den
Austauſch der Poſtſachen. Man verfuhr dabei höchſt
feierlich. Am Eingang des Hafens hebt ſich ein kleiner
platter Fels einige Fuß über das Waſſer. Dorthin fuhr
der Kapitän mit den Briefen und Packeten in ſeinem
Boot, was an der Seite des Schiffes aufgehangen iſt,
und zu ſolchen Zwecken in das Waſſer gelaſſen wird.
Am Felſen wurden Briefe und Packete ausgeladen, man
entfernte ſich wieder ein Stück und nun kam der Poſt-
beamte vom Piräus, ſtieg auf den Felſen; man begrüßte
ſich aus der Ferne; er zählte die Sachen, nahm ſie in
Empfang und legte dafür die nieder, die das Schiff auf-
nehmen ſollte. Nachdem er abgefahren, landete wieder
der Kapitän, zählte, lud ſie ein und kam ſo unangeſteckt
auf unſer Schiff zurück.
Wir, die wir die Nutzloſigkeit ſolcher Maßregeln aus
den Erfahrungen des Jahres 1831 in Preußen kannten,
– 81 –
konnten uns des Lächelns nicht enthalten. Es war aber
mehr ein Lachen vor Aerger, daß wir, nach einer Reiſe
von 300 Meilen im Hafen von Athen eingeſperrt ſaßen,
wie im Gefängniß.
Die ganze Küſte von Attika lag ausgebreitet vor uns.
Am Hafen entlang zog ſich in neuen, weißen Gebäuden
die moderne Stadt des Piräus. Sie iſt erſt ſeit zwanzig
Jahren gebaut. Rechts dahinter hob ſich der Hymettus,
links, noch größer und mächtiger, der Pentelikon. Beide
in den kühnen Linien, die alle Gebirge Griechenlands
auszeichnen. Andere ſteile, zackige Berge ſchloſſen ſich
dem Pentelikon an. Alle waren kahl; die Oberfläche
nichts als nackter Kalk-Felſen. Der Landſchaft gab dies
einen ernſten, ſtolzen Charakter, als wäre ſie ſich bewußt,
die Wiege der menſchlichen Kultur zu ſein. Athen war
durch die hinter dem Piräus anſteigenden Höhen verdeckt;
nur die Akropolis ragte deutlich hervor. Sie bildete den
Mittelpunkt der Landſchaft, gleich dem Diamant in ſeiner
Einfaſſung. Der ſie bildende Felſen glich in Geſtalt dem
Lilienſtein bei Dresden; nur etwas kleiner und niedriger.
Auf der Fläche oben ſtanden vordem die berühmteſten
Bauwerke des Alterthums. Bis Hadrian waren ſie noch
alle wohl erhalten; auch die Völkerwanderung hatte ihnen
wenig geſchadet; das Meiſte haben die frommen Ritter
in den Kreuzzügen zerſtört und die ſpätern Kämpfe Ve-
nedigs mit den Türken. Jetzt ſind nur noch Ruinen vor-
handen, aber von dem ſchönſten Gebäude, dem Parthenon,
iſt der ſchönſte Theil, die Vorderfront erhalten und ſie
zeigte ſich uns in voller Klarheit, von der Sonne be-
leuchtet. Wir konnten jede einzelne Säule deutlich er-
kennen, obgleich zwei Meilen weit, und ſelbſt in dieſer
Entfernung durchdrang uns der Zauber der edlen ein-
fachen Maaße und Verhältniſſe. Das Parthenon, ein
6
„– 82 –
Tempel der Minerva, ward von Perikles 444 Jahr vor
Chriſtus gebaut. Links zog ſich das Bett des Cephiſſus
hin und wir ſahen einen Theil vom Olivenhain der
Akademie, wo Plato gelehrt hatte. Mitten unter dieſen
Erinnerungen und Ruinen des Alterthums erhoben ſich
vor uns die weißen Zelte des franzöſiſchen Lagers. Die
Höhen, unmittelbar am Meer, rechts vom Hafen, waren
davon bedeckt. Eine Linie einzelner Poſten zog ſich in
weitem Umkreiſe von der Küſte um das Lager herum;
es waren engliſche Soldaten, mit ihren rothen Röcken
und hohen Mützen, welche in der heißen Gluth der Mit-
tagsſonne hier Wache ſtanden und den Kordon um das
Lager bildeten, wo die Cholera hauſte. Einzelne fran-
zöſiſche Offiziere kletterten an den Felſen der Küſte und
des Hafens; man ſah ihnen die Langeweile an, von der
ſie gedrückt waren. Ueber das Meer hinweg lag uns zur
Linken ganz nahe die Inſel Salamis. Wir konnten tief
hineinſehn in die Meerenge, welche ſie mit dem Feſtlande
bildet, und ſelbſt als Laien begriffen wir es nicht, wie
Xerxes ſich mit ſeiner Flotte von 2000 Segeln in dieſes
Gewirr von Felſen und Meer hatte verlocken laſſen können.
Rechts lag etwas ferner und blaſſer die Inſel Aegina.
Den Rahmen für das Ganze geben die Gebirge des Pelo-
pones, welche ſich in feinem Blau bis hinter uns aus-
dehnten.
Wir waren noch eifrig beſchäftigt, zu den aus der
Schulzeit uns bekannten Namen und Erinnerungen die
Stellen und Gegenſtände zu ſuchen, als der Konſul M.
zu uns trat. -
– Wie weit iſt es doch vom Piräus nach Athen?
frug ich. -
– Eine Meile, antwortete er. Dieſe Straße und die
über die Landenge von Korinth ſind noch heute die ein-
– 83 –
zigen Chauſſeen im Königreich Griechenland, die einzigen
fahrbaren Wege.
– Wie iſt dies möglich? rief M*; das Reich beſteht
ja ſchon ſeit 20 Jahren. Was hat man mit den 60 Mil-
lionen Franken gemacht, die unter Garantie der drei Schutz-
mächte geborgt worden ſind?
– Dies iſt ſchwer zu ſagen. Das meiſte davon hat
wohl die Unzahl von Beamten, die vollſtändige Bureau-
kratie, verzehrt, mit der man nach bairiſchem Muſter 1832
das Land beglückte. Auch die Bauten in Athen, nament-
lich der Palaſt des Königs, haben viel gekoſtet.
– Straßen wären wohl nöthiger geweſen, meinte
M***.
– Aber ich ſollte glauben, unterbrach ich, daß wenig-
ſtens das Verhalten des Königs den neueſten Vorgängen
gegenüber, ſeine geheime Unterſtützung der Inſurrektion
ihn bei den Griechen ſehr beliebt gemacht haben müßten.
Die Mächte mögen ſich dem entgegenſtellen, aber ſie thun
Unrecht, dem König daraus einen Vorwurf zu machen.
Es iſt ein Unglück für das Land, daß er keine Kinder
hat; das Land würde dann um ſo feſter zu ihm ſtehen,
– Glauben Sie dies nicht. Zwei unüberſteigliche
Scheidewände trennen ihn für immer von den Griechen
in deren Meinung: die Religion, "er iſt katholiſch, und
die Nationalität. Der König mag thun was er will, er
wird nie Wurzel im Lande faſſen. Wenn die Griechen
ihn noch lieber als einen andern ertragen, ſo iſt es gerade
deshalb, weil er keine Kinder hat, weil ſie ſomit die
Ausſicht haben, um ſo eher der fremden Dynaſtie ledig
zu werden.
– In Deutſchland meint man, daß die Königin einen
großen Einfluß auf die Regierung habe, und daß ſie ſich
zu Rußland neige
6*
– 84 –
– Ueber die Fähigkeiten des Königs, fuhr M. fort,
will ich nicht urtheilen; es herrſchen darüber verſchiedene
Anſichten im Lande. Man ſagt, er höre ſchwer, er ſehe
ſchlecht, und auch ſeine geiſtigen Fähigkeiten ſollen nie
hervorragend geweſen ſein. Es iſt deshalb Platz genug
zu fremdem Einfluß. Aber dennoch täuſcht man ſich über
den Einfluß der Königin. Sie liebt es, die Königin zu
ſein; aber das Feld ihres Ehrgeizes, ihrer Thätigkeit
bleibt der Hof mit ſeiner Etiquette und ſeinen perſön-
lichen Fragen und allem, was ſonſt dahin gehört. Die
Regierung, wenn man überhaupt von einer ſolchen noch
ſprechen kann, ruht in den Händen der Parteien, ſowohl
der inneren als derer, welche ſich um die drei Schutz-
mächte und deren rivaliſirende Intereſſen ſchaaren; die
gerade vorherrſchende beſtimmt den Gang.
– Ich bin erſtaunt über die Oede des Landes hier
vor uns; außer dem Olivenhain ſieht man keinen Baum,
keinen Strauch, kein Ackerfeld, keinen Grashalm und nur
da oben, links vom Pentelikon, zeigt ſich ein Dorf.
– Es gehört all die Leidenſchaft eines Alterthümlers
dazu, ſagte M*, um ſich in Griechenland länger als
24 Stunden wohl zu fühlen. Seien Sie froh, daß die
Cholera Sie hindert hineinzukommen. Die Hitze iſt über
alle Beſchreibung drückend. Neun Monat im Jahre regnet
es gar nicht; die andern drei Monate auch nur wenig,
einen Tag um den andern. Einzelne Stellen im Innern
abgerechnet, iſt ganz Griechenland ſo, wie Sie es hier vor
ſich ſehen. Ich glaube ſogar, daß es auch in den hoch-
gerühmten alten Zeiten nicht viel beſſer geweſen iſt. -
– Es herrſchen darüber, ſagte M*, unter den Ge-
lehrten zwei entgegengeſetzte Anſichten. Die eine ver-
theidigt Ihre Meinung, die andere will aus dem alten
Griechenland ein grünendes, blühendes Paradies machen,
was nur die Barbarei des Mittelalters zerſtört habe.
– 85 –
– Hier an Ort und Stelle, bemerkte ich, möchte ich
glauben, daß die letzte Anſicht auf einer Täuſchung be-
ruht. Auf die Schilderungen der alten Griechen ſelbſt
iſt wenig zu geben; ſie kannten in dieſer Beziehung wenig
Beſſeres. Ihre Welt waren die Küſten und heißen Länder,
welche das mittelländiſche Meer umſchließen. Dieſe leiden
ſämmtlich an einer ähnlichen Dürre. Die nördlicheren
Länder Europas, wo das friſche Grün der Laubwälder,
der Wieſen vom Frühjahr bis zum Herbſte uns erfreut,
waren ihnen in der klaſſiſchen Zeit beinahe unbekannt.
Man ſchiebt die Schuld auf die Verwüſtungen der Wälder;
aber dieſe dürren Kalkberge ſind ihrer Subſtanz nach un-
fähig, durch Verwitterung einen Boden für Pflanzen zu
erzeugen, die weit nördlichere Hochebene der Krain vor
Trieſt liefert den Beweis. Ueberdem ſchlagen Oliven-
bäume, auch wenn ſie völlig abgehauen ſind, immer wieder
aus, wie wir in Corfu geſehen haben. Und wo wäre die
Erde hingekommen, die ſie getragen hätte? Die Regen-
güſſe ſind nicht ſo heftig, ſie in das Thal zu ſchwemmen,
und ſelbſt dann müßten wir ſie im Thale finden, aber
dieſes leidet an derſelben Dürftigkeit.
– Die Kultur des Landes, bemerkte der Konſul M.,
wenn wir dabei an die von Deutſchland denken, hat an
dem Klima und an dem Boden große Schwierigkeiten.
Aber der Charakter der Bevölkerung iſt vielleicht noch
hinderlicher. Der Grieche in den mittleren und niederen
Klaſſen iſt von einer Genügſamkeit, die wir Nordländer
kaum für möglich halten. Er lebt das ganze Jahr von
Zwiebeln und von in ihrem eigenen Oel eingemachten
unreifen Oliven. Sie können tagelang in Griechenland
reiſen und finden kein Brod oder Fleiſch. Was die Moral
für den Privatmann als eine Tugend erklärt, iſt für die
Nation ein Unglück; es fehlt der Hebel, ihre Kraft in
– 86 –
Bewegung zu ſetzen. Ackerbau iſt überhaupt nicht die
Leidenſchaft der Griechen: ſie intereſſiren ſich nur für
Handel und Schiffahrt; deshalb ſind die ödeſten Inſeln
noch die reichſten und bevölkertſten Theile des Landes, ſo
bald ſie nur einen guten Hafen bieten.
– Wie ſteht es denn mit der geiſtigen Entwickelung?
frug M*. Wie geht es mit der Univerſität?
– Ein Faktum möge Ihnen für viele genügen. Man
hat mit großen Koſten eine Sternwarte gebaut; der
Kaiſer von Rußland hat koſtbare Inſtrumente dazu ge-
ſchenkt. Der Himmel gewährt das ganze Jahr hindurch
heiteres Wetter und reine Luft. Dennoch aber ſteht die
Sternwarte leer, weil man keinen Aſtronomen findet, davon
Gebrauch zu machen, und keine Fonds, ihn zu bezahlen.
– Iſt es wohl gegründet, was man vielfach hört,
daß der König bei der jetzigen Lage den Willen habe,
die Krone niederzulegen?
– Ich glaube nicht, erwiderte M. Abgeſehen davon,
daß man in Baiern und anderswo alles thun wird, einen
ſolchen Schritt zu hintertreiben, halte ich ihn auch nach
den Andeutungen über den Charakter des Königlichen
Paares nicht für wahrſcheinlich.
Wir ſchauten noch lange nach dem Landſtrich, wo
Gegenwart und Vergangenheit ſo grelle Kontraſte bilde-
ten, bis endlich Nachmittags die Anker gelichtet wurden
und die Reiſe nach Syra ging. -
Syra iſt eine kleine Inſel auf dem Wege nach
Smyrna, 30 Meilen vom Piräus und gehört zum König-
reich Griechenland. In der griechiſchen Revolution hielt
ſich die Bevölkerung ruhig, die Inſel blieb deshalb von
den Verheerungen verſchont, welche anderwärts von den
Türken ausgeübt wurden; es flüchteten viele reiche Griechen
dahin und dies legte in Verbindung mit einem trefflichen
Hafen den Grund zu dem Reichthum der Stadt gleichen
Namens, die jetzt die erſte Handelsſtadt Griechenlands iſt.
Wir kamen ſchon den andern Tag 5 Uhr früh dort
an. Da die Cholera dort nicht herrſchte, hatten wir, in
der Semannsſprache „freie Pratika.“ Wir unterließen
nicht, ſie zu benutzen und Herr v. B. bot ſich uns zum
Begleiter an. -
Schon vom Schiffe aus war die Anſicht originell.
Man denke ſich einen Zuckerhut, noch in das weißgraue
Papier der Fabrik geſchlagen und dies Papier nur an
der Vorderſeite pyramidenförmig halb ausgeſchnitten, ſo
daß der weiße Zucker durchglänzt, ſo hat man, wenn man
ſich dies tauſend Mal vergrößert, den Anblick von Syra
Ein 1500 Fuß hoher Steinkegel erhebt ſich aus dem
Meere, kahl, grau, ohne die Spur einer Vegetation und
daran iſt an der Hafenſeite der Stadt Haus über Haus
pyramidenförmig in die Höhe gebaut. Die Häuſer ſind
alle weiß angeſtrichen, ſind völlig ohne Dach, und auf
der Spitze thront der Dom der katholiſchen Kirche. Der
obere, ältere Stadttheil iſt katholiſcher, der untere, neuere,
griechiſcher Religion. Der tiefblaue Himmel bildet den
Hintergrund, von dem ſich dieſer weißgraue koloſſale Fels-
kegel mit ſeiner blendenden Häuſerpyramide ablöſt. Links
ſetzen ſich niedere, aber gleich kahle Höhen fort, welche
den Schutz des Hafens bilden. Das Ganze iſt ein Bild
der Gewalt des Menſchen, wie er ohne die vermittelnde
Hülfe der Baum- und Pflanzenwelt, unmittelbar auf das
rohe unorganiſche Geſtein ſich wirft und ſelbſt dieſes
ſeinem Willen unterthan macht.
– Der Hafen war mit mehreren Hunderten von
Schiffen angefüllt; eines lag dicht neben dem andern.
Wir freuten uns dieſer Fülle; welch blühender Handel!
riefen wir. – Nein, das Gegentheil, ſagte der Kapitän.
– 88 –
Dieſe Menge iſt ein Zeichen des ſtockenden Handels; der
größte Theil derſelben liegt unbefrachtet im Hafen. Es
iſt die Folge der griechiſchen Inſurektion. Die türkiſche
Regierung hat, wie Sie wiſſen, die Zulaſſung der
griechiſchen Marine in türkiſchen Gewäſſern und Häfen
unterſagt.
Während unſeres Geſprächs tönte ein lautes Zanken
und Schreien um unſer Schiff. Es waren die griechiſchen
Schiffer mit ihren kleinen Booten; ſchlanke, halb nackte
Geſtalten, die mit einander um den Preis kämpften, wer
ſo glücklich ſein würde, uns ans Land führen zu können.
Noch während wir die Schiffstreppe am Außenbord herab-
ſtiegen, zog uns der eine bei dem Arme, der andere bei
dem Fuße, der dritte bei dem Rockſchooße, um uns, ſei
es auch köpflings oder rücklings in ſein Boot zu erhaſchen.
Es erforderte Gewandtheit und Dreiſtigkeit, durch das
Gewühl von Köpfen, Armen, Rudern und Booten ſprin-
gend, alle drei in daſſelbe Boot zu gelangen. -
An der Hand eines Führers durchwanderten wir die
engen aber reinlichen Straßen am Hafen. Das Menſchen-
gewühl war groß. Die maleriſchen bunten griechiſchen
und albaneſiſchen Trachten bildeten die Mehrzahl; hier
und da zeigte ſich auch ſchon ein Turban mit dem ernſten,
bärtigen Geſichte darunter; die europäiſche Tracht ſah
man ſelten; auch da war das düſtere Schwarz den
helleren Farben gewichen. Die Inſel gehört nach Natur
und Menſchen zu dem Orient; nur die Pedanterie der
Geographen und die Willkühr der Politik hat ſie zu einem
Theil von Europa gemacht.
Wir ſtiegen die ſteilen Straßen hinauf an einer Kirche
vorüber, die von Grund aus neu gebaut wurde. Nur
Marmor wurde dazu verwendet. Sie zeugte von dem
Reichthume der Bewohner, aber nicht von ihrem Geſchmack.
– 89 –
Von mittlerer Größe, ohne beſtimmten Bauſtyl, war ſie
mit Zierrathen überladen; ſie hatte weder das Impoſante
unſerer großen Kirchen in Deutſchland, noch das edel
Einfache der altgriechiſchen Tempel.
Wir gelangten zu einer Anhöhe rechts von der Stadt
mit griechiſchen Windmühlen. Sie gleichen den hollän-
diſchen, ſind nur niedriger, weil ihr Platz ſchon hoch ge-
nug liegt. Statt Holzflügel haben ſie zehn Segelſtangen
um die Mühlwelle, an denen ſchmale Segel ſchief aus-
geſpannt werden; vom Winde aufgetrieben, drehen ſie
ſich wie Flügel. Das Segel kann mehr oder weniger
eingezogen werden, je nach der Stärke des Windes.
– Die Griechen ſind ſelbſt auf dem Lande Seeleute,
ſagte M**.
– Ja, erwiederte ich, und deshalb auf der See
doppelt gewandt. Wie hätten ſie ſonſt dieſen ſchönen
Weizen aus Odeſſa bei der ruſſiſchen Grenzſperre heraus-
bringen können, den wir hier in dieſen Mühlen finden.
Der Weg, den wir gingen, zog ſich im Zickzack die
Küſte entlang, war ein wenig geebnet und führte dann
leicht anſteigend, zur Stadt zurück. Es war dies die
Promenade der reichen und ſchönen Welt von Syra.
Fahren kann man nicht, zum Reiten hatte man nur Eſel,
deshalb geht man zu Fuß. Aber kein Baum giebt
Schatten, kein Strauch, keine Blume unterbricht das kahle
graue Steinfeld, was ſich links und rechts ausdehnt. Man
hat auf dieſer Inſel nur Luft, Stein und Meer.
Einmal auf der halben Höhe der Stadt kam uns der
Wunſch, den Gipfel der Stadtpyramide zu beſteigen. Der
Führer wurde nach Eſeln geſendet und wir warteten
ſeiner in einem Kaffee. Hier wurden uns die erſten Nar-
gileh dargereicht, die türkiſchen Waſſertabakspfeifen. Eine
Urne von Glas iſt bis an den ſchlanken langen Hals
– 90 –
mit Waſſer gefüllt. Ein Pfropfen von Meſſing, mit
Leinen umwunden, ſchließt ſie luftdicht und iſt von zwei
dünnen Meſſingröhren durchbohrt, wovon die längere
einige Zoll tief in das Waſſer hineinreicht und außer-
halb des Pfropfens ſich ausweitet, um den Pfeifenkopf
aufzunehmen, der, umwickelt, ebenfalls luftdicht und loth-
recht darauf aufgeſetzt wird. Das zweite Rohr reicht in
der Urne nur in die Luft des Halſes und endet außer-
halb in eine Weitung, in welche das Pfeifenrohr luftdicht
eingedreht wird. Das Rohr iſt ein langer, biegſamer
Schlauch, der in eine dicke, kurze Pfeifenſpitze ausläuft.
Der Diener ſtellt die Urne mit Pfeife vor den Gaſt; der
Kopf iſt mit Tabak leicht gefüllt, und eine brennende
Kohle darauf gelegt. Indem der Rauchende mit der
Spitze im Munde die Luft einzieht, entſteht in der Urne
oberhalb des Waſſers ein luftleerer Raum. Die Luft
von außen dringt deshalb ein, hat aber nur den Weg
durch den Pfeifenkopf und die Röhre, welche in das
Waſſer reicht; von da ſteigt ſie mit einer Menge Waſſer-
blaſen in den obern Theil der Urne. Der Rauch des
Tabaks wird von dieſer eindringenden Luft mit fortge-
riſſen, durch das Waſſer geführt und erfüllt zuletzt den
waſſerfreien Theil der Urne. Die Einziehung dieſes
Rauches durch das Rohr bildet den Genuß. Von Zeit
zu Zeit, wenn dieſer Rauch erſchöpft iſt, wird das Manöver
wiederholt und der Hals der Urne wieder mit Rauch ge-
füllt. Der Tabak, deſſen man ſich zum Nargileh bedient,
iſt nicht der gewöhnliche; es iſt eine eigenthümliche
ſtärker-narkotiſche Pflanze; vor dem Rauchen wird er im
Waſſer ausgedrückt und naß aufgelegt.
Meine Freunde, als Sachverſtändige, fanden die neue
Weiſe zu rauchen ſchmackhaft. Als die Eſel kamen, ging
es den Berg hinauf. Es gehörte die Ausdauer und
– 91 –
Sicherheit dieſer Thiere dazu, um die ſteilen Gaſſen in
die Höhe zu klettern, die oft treppenartig, in rohen, un-
gleichen Felsſtufen anſtiegen. Aus den Häuſern und
Thüren ſahen ärmliche Inwohner; ein ſichtliches Zeichen,
wie aller Quell des Reichthums für die Inſel nur die
Tiefe, die See iſt. Bald folgt uns ein Haufen Mädchen
und Knaben, die mit forſchenden Blicken nach einer Dienſt-
leiſtung ſuchten, um einige Lephtas zu gewinnen. Ein
ſchlanker, gewandter Junge, mit klugen Augen überholte
ſie alle. Es gelang ihm bald, mir die Zügel meines
Eſels unter dem Vorwande abzunehmen, das Thier zu
führen, obgleich die enge Gaſſe keinen Abweg geſtattete.
Bald nöthigte er mir auch meinen Stock ab, obgleich ich
deſſen für die Antreibung des Eſels nöthig bedurfte. Als
wir ſpäter abſtiegen, war er bei jeder Felſenſpalte, bei
jedem Abhang hinten und vorn, links und rechts, um mir
die Hand zu reichen, obgleich ich allein weit bequemer
gegangen wäre. Dabei hatte er einen fortwährenden
Vertheidigungskrieg gegen ſeine Nebenbuhler beiderlei Ge-
ſchlechts zu führen, die mit eiferſüchtiger Schnelle über-
all zwiſchen ihm und mir ſich eindrängten. Mit aller
Beſcheidenheit nahm er mir nach und nach meine ganze
Baarſchaft an kleiner Münze ab; nach jedem Dienſt that
er, als wolle er gehen, bat mit ſeinem lebendigen Auge
und wenn er den Lohn erwiſcht hatte, ſtand er bald an
der anderen Seite, mit neuen Dienſten bereit.
Die Ausſicht von dem Dome lohnte unſere Mühe.
Die Stadt, ſich ausdehnend zu einem breiten Quai, der
Quai ſich ausdehnend zu dem weiten Hafen mit ſeinen
hölzernen Häuſern, der Hafen ſich ausdehnend zu dem
blauen Meer, lag eines hinter dem anderen zu unſern
Füßen. Indem die Landſchaft alles Grün's entbehrte,
erinnerte ſie uns an die gelben und blauen Anſichten, die
– 92 –
man in Deutſchland ſich damit verſchafft, daß man die
Landſchaft durch ein in das Fenſter eingezogenes farbiges
Glas betrachtet.
Rechts hinter uns ſahen wir in eine tiefe Bergſchlucht.
Frauen mit irdenen Krügen voll Waſſer auf den Rücken
kamen mühſam den ſteilen Fußpfad herauf. Sie kamen
von der berühmten Quelle, wo ſonſt die Nymphen der
Inſel ſich verſammelten. - - - -
Wir ritten den Pfad hinab; das Thal zieht ſich immer
näher zuſammen, bis es, zu einer Schlucht ſich verengernd,
mit einer Felſenbrücke überbaut iſt, auf der man zur
Felſenwand gegenüber gelangt. Hier brach das klare
Quellwaſſer, ſorgfältig in mehrere Röhren gefaßt, aus
der Felswand hervor. Der Platz davor war geebnet
und in den Felſen waren Abſätze eingehauen, um die
Krüge hinaufſtellen und dann leichter auf die Achſel nehmen
zu können; auch kleine Felsſtücke waren hingerollt, als
Sitze zum Ruhen. Eine Reihe Frauen und Mädchen,
in ſchwarzen Röcken und Miedern, barfuß, Arm und
Hals unbedeckt, ſtanden bei ihren irdenen Krügen und
warteten auf andere, die das Waſſer auffingen und andere,
die ihre Laſt aufnahmen, um dann zu gehen. Leicht an
den Felſen angebaut war eine Wohnung für den Wächter
der Quelle, der Tag und Nacht das Heiligthum zu wahren
hat. Das ſtets fließende Waſſer hatte hier den dürren
Stein beſiegt und daneben einen kleinen Garten geſchaffen,
der voll blühender Citronen- und Orangenbäume, mit
dem Duft dieſer Blüthen, der Geranien und Meliſſe den
Platz an der Quelle erfüllte.
Man muß die Dürre und die Sonnengluth des Orients
ertragen haben, um den Zauber ſolcher Stelle ganz zu
empfinden. Mit Ehrfurcht traten wir näher. Wir be-
griffen, wie der friſche, lebendige Quell als wohlthuende
– 93 –
Gottheit verehrt, wie der kühle Raum zum Sammelplatz
der Najaden erhoben werden konnte. Wir baten die
Frauen um einen Trunk und ſie neigten ihre Krüge, uns
zu laben. Unſere Eſel wurden von den dienſtfertigen
Kindern getränkt. Die einfachen Thätigkeiten des Lebens
umhüllte hier ein dichteriſcher Hauch. An ſolchen Brunnen
iſt es, wo im Orient die Liebe beginnt, die Freundſchaft
plaudert, das Alter ſich ausruht. An ſolchem Brunnen,
„außen vor der Stadt,“ war es, wo der Knecht Abrahams
lagerte:
„Um die Zeit, wenn die Weiber pflegten herauszugehen
und Waſſer zu ſchöpfen. Und es kam heraus Rebecca und
trug einen Krug auf ihrer Achſel. Und ſie war eine ſehr
ſchöne Dirne von Angeſicht; noch eine Jungfrau und kein
Mann hatte ſie erkannt. Die ſtieg hinab zum Brunnen und
füllte den Krug und ſtieg herauf. Da lief ihr der Knecht
entgegen und ſprach: Laß mich ein wenig Waſſer aus Deinem
Kruge trinken. Und ſie ſprach: Trinkt, mein Herr, und eilend
ließ ſie den Krug hernieder auf ihre Hand und gab ihm zu
trinken. Der Mann aber nahm eine goldene Spange und
zween Armringe an ihre Hände und ſprach: Meine Tochter,
wem gehörſt Du an? Haben wir auch Raum in Deines
Vaters Hauſe zu herbergen? Sie ſprach zu ihm: Ich bin
Bethuels Tochter; es iſt auch viel Stroh und Futter bei uns
und Raum genug zu herbergen. Und die Dirne lief und
ſagte Alles an in ihrer Mutter Hauſe. Und als der Knecht
Abrahams kam und fragte: Seid Ihr nun Die, ſo an
meinem Herrn Freundſchaft und Treue beweiſen wollt, ſo
ſagt mir's! Da antwortete Laban, der Bruder Rebecca's
und Bethuel: Das kommt von dem Herrn. Da iſt Rebecca
vor Dir; nimm ſie und ziehe hin, daß ſie Deines Herrn
Sohnes Weib ſei. Des andern Morgens aber ſtand der
Knecht auf und ſprach: Laſſet mich zu meinem Herrn ziehn.
Da ſprachen jene: Laſſet uns die Dirne rufen und fragen,
– 94 –
was ſie dazu ſaget. Und ſie riefen Rebecca und ſprachen zu
ihr: Willſt Du mit dieſem Manne ziehn? Sie antwortete:
Ja; ich will mit ihm.“
Wir ſahen nach der Quelle, nach den Frauen, die
uns zu trinken gereicht, nach den Krügen, die ſie auf der
Achſel davon trugen, nach den Kindern, die unſere Thiere
getränkt, und hatten Mühe zu glauben, daß 4000 Jahre
ſeit Rebecca's Zeit verfloſſen ſeien.
Das Menſchengewühl in der Stadt, die ſpekulirenden
Mienen der an der Börſe wandelnden Kaufleute brachten
uns in die Gegenwart zurück. Wir durchritten auf unſern
Eſeln noch einen Theil der Stadt. Viele Häuſer hatten
bei dem milden Klima keine Fenſter, ſondern nur Oeffnun-
gen, die am Tage durch Läden gegen die Sonne ſich
ſchließen und in der Nacht dem kühlenden Zugwind ſich
öffnen. In den Hauptſtraßen war der untere Stock der
Häuſer nach der Straße zu völlig offen; hier arbeiten alle
Handwerker beinahe in freier Luft, nur durch einen nie-
drigen Verſchlag von der Straße getrennt. Selbſt das
Brot wurde auf offener Straße geknetet und gebacken.
Der Ofen öffnete ſich nach der Straße, der Bäcker ſchob
von der Straße aus die Brote in den Ofen und im Vor-
übergehen ſahen wir dieſe im glühenden Ofen.
Als meine Freunde nach dem Schiffe zurückfuhren,
ließ ich mich durch ein Boot nach der offenen See zum
Bade fahren. „Man handle vorher mit dem Schiffer,“
heißt es in jedem Reiſebuche und iſt die Warnung jedes
Mitreiſenden. Alſo geſchah es auch von mir und nach
langem Reden wurden wir einig; ich ſollte für die Fahrt
zum Bade und dann zu dem Dampfboot den zwei Schif-
fern zwei Zwanziger zahlen. Zwanziger iſt eine Münze,
die durch den ganzen Orient Geltung hat. Ich war mit
dem Führer Pedro abgefahren, als die Schiffer uns einem
– 95 –
andern Boot übergaben, ohne daß ich darum mich küm-
merte, da bei dergleichen Leuten einer oft in das Geſchäft
des andern eintritt. Sie fuhren mich gut; als ich aber
zum Dampfboot kam und die zwei Zwanziger zahlte, ver-
langten ſie das Doppelte. Ich berief mich auf das Ab-
kommen. – Iſt nicht mit uns geſchloſſen, war die Ant-
wort. – Solche Einrede war juriſtiſch unwiderleglich.
Ich zahlte meine vier Zwanziger, nicht ohne innerlich zu
lachen, daß der gelehrte Juriſt trotz aller Cautelen ſich
von den einfachen Schiffern hatte überliſten laſſen.
Die Schiffsgeſellſchaft hatte bei meiner Rückkehr ein
anderes Ausſehen angenommen. Das europäiſche Element
war ganz in den Hintergrund gedrängt; griechiſche, ar-
meniſche, albaneſiſche Trachten füllten den zweiten und
dritten Platz; ſelbſt einen Theil des Hinterdecks hatten
ſie in Beſchlag genommen. Es waren Reiſende für
Smyrna, Gallipoli, Konſtantinopel. Wir ſelbſt fühlten
uns fremd in den alten bekannten Räumen.
Als wir den Hafen von Syra Nachmittags verließen,
führten dieſe neuen Eindrücke auch die Unterhaltung bei
dem Mittagstiſch auf den Orient, ſeine Gegenwart und
Zukunft. Die Geſellſchaft war ſchon von früher in zwei
Parteien geſchieden. Der Marquis di R., M** und
ich verfochten die Türken, der Konſul M., der Kapitän
und ſeine zwei Lieutenants waren Gegner der Türken.
Der engliſche Offizier allein blieb in ſtummer Neutrali-
tät. Es fiel mir auf, daß die Vertheidiger der Türken
aus den Perſonen beſtanden, die am weiteſten von ihnen
wohnten und im Grunde am wenigſten davon verſtanden,
während die Gegner Leute waren, die ſeit Jahren unter
den Türken lebten und mit ihnen verkehrten. Ich hatte
ſchon früher eine ähnliche Erfahrung gemacht bei den Deut-
ſchen, als Vertheidiger und als Gegner der Polen.
– 96 –
– Aber der Hattiſcheriff von Gülhane, rief der Mar-
quis di R., und die ſpätern damit zuſammenhängenden
Geſetze ſind Thatſachen für den Fortſchritt der Türkei,
die nicht weggeleugnet werden können!
– Noch ſind dieſe Geſetze nicht ausgeführt, erwiederte
der Konſul M., und ich halte ſie durch die Türken für
unausführbar. In Konſtantinopel allerdings hat man
mit einer Nachahmung des europäiſchen gouvernementalen
Centralſyſtems begonnen, aber man muß in den Pro-
vinzen wohnen, man muß die Türken und ihre Paſcha's
in Aſien kennen, um zu wiſſen, wie wenig ſolche Ver-
ſuche in Konſtantinopel ſagen wollen und wie gering ihre
Wirkung für das Land iſt. In den Provinzen fehlt noch
Alles dazu. Die Organiſation, die Mittel, die Beamten,
um dergleichen allgemeine Grundſätze und Beſtimmungen
in das Leben überzuführen. Die Türken ſind überhaupt
dazu noch nicht reif. Nur wenig Türken können leſen
und ſchreiben; es fehlt an einem geregelten Finanzſyſtem,
durch welches allein die bedeutenden Koſten ſolcher euro-
päiſchen Regierungsweiſe beſchafft werden können; es fehlt
den Türken die Regſamkeit, die ausdauernde, regelmäßige
Thätigkeit, ohne welche das europäiſche Regierungsſyſtem
unausführbar iſt. Man ſtatuirt gegen den Schuldigen
wohl einmal ein Exempel; aber in hundert andern Fällen
kümmert man ſich nicht darum. Corruption, Indolenz,
Ingoranz bei der Nation und vor Allem bei den Be-
amten bleiben ein unüberſteigliches Hinderniß für die Re-
gierung in Konſtantinopel, ſelbſt wenn da nicht ähnliche
Hemmniſſe im Wege ſtänden. Nehmen ſie dazu die
innige Verbindung, in der in der Türkei die Religion mit
dem Recht und der Sitte ſteht, die Unmöglichkeit, in der
Familie, in der Gemeinde europäiſche Sitte und Recht -
einzuführen, ohne gegen die wichtigſten Vorſchriften des
Koran zu verſtoßen, und Sie werden es erklärlich finden,
was man alle Tage in Smyrna ſehen kann, daß all'
dieſe Verſuche zur Reſtauration des Staates nur dahin
führen, die alte Energie und Naturkraft der Nation zu
zerſtören, ohne neue Elemente zu einer lebensvollen Ge-
ſtaltung an deren Stelle zu ſetzen.
Dieſe Aeußerungen machten einen lebhaften Eindruck
auf die Geſellſchaft; wir waren zwar nicht überzeugt, aber
wir konnten ſie auch nicht ohne weiteres verwerfen; ſie
kamen von einem unterrichteten Manne, der 17 Jahr
unter den Türken gelebt hätte. Wir wurden um ſo ge-
ſpannter, die Zuſtände in der Türkei mit eigenen Augen
zu ſehen. -
Am andern Morgen war viel Lärm auf dem Schiffe.
Bei Reviſion der Billete hatten ſich ſechs Paſſagiere des
dritten Platzes gefunden, die heimlich in Syra ſich auf
das Schiff geſchlichen hatten, und weder Billets, noch
Paß, noch Geld oder Effekten beſaßen. Es waren Griechen,
und es ermittelte ſich, daß ſie früher in Smyrna gewohnt
hatten. Von dort waren ſie bei Ausbruch der griechiſchen
Inſurrektion im Frühjahre nach Griechenland gegangen
und hatten an den Gefechten in der Nähe von Arta
Theilgenommen. Nach Unterdrückung des Aufſtandes
durch die Weſtmächte waren ſie genöthigt worden, zurück-
zukehren. Bis Syra waren ſie gekommen; von dort
hatten ſie in ihrer Noth verſucht, heimlich mit unſerm
Schiffe nach Smyrna zurückzugelangen.
Der Kapitän rief die Offiziere zu ſich, und es ward
eine Art Kriegsrath gehalten. Man holte dann die
Schuldigen auf das Hinterdeck; dort mußten ſie ſich der
Reihe nach aufſtellen und es ward ihnen eröffnet, daß,
wenn ſie das Billet nicht zahlten, ſie nach dem Reglement
-
- 7
mit nach Konſtantinopel transportirt und dort an die
Türkiſche Regierung abgeliefert werden würden.
Ich bewunderte die orientaliſche Reſignation, mit der
dieſer Ausſpruch von ihnen aufgenommen wurde. Ge-
fängniß, vielleicht härtere Strafen drohten ihnen dort;
in Deutſchland hätte es ein Kriechen- und Bitten, ein
Heulen und Weinen gegeben; hier kam kein Wort der
Bitte oder der Klage aus dem Munde dieſer Unglück-
lichen. Sie hoben nur dann und wann ihre klugen Augen
nach ihren Landsleuten auf dem Deck.
Dieſe ließen ſie auch nicht im Stich. Es wurde vor-
geſchlagen, das Fahrgeld für ſie durch eine Kollekte unter
den Paſſagieren zu beſchaffen. Obgleich dies an 40 Thlr.
betrug, kam es doch bald zuſammen; mehrere Griechen,
deren Ausſehen nicht auf Reichthum ſchließen ließ, gaben
Dukaten, der Marquis, der Konſul gab und auch wir
ſteuerten gern unſern Beitrag in Erinnerung an die poli-
tiſchen Flüchtlinge des Vaterlandes.
Der Weg von Syra nach Smyrna führt zwiſchen den
Inſeln Andros und Tinos hindurch. In dieſer Meer-
enge zwiſchen den hohen Gebirgen der Inſeln weht, wie
in einer Gebirgsſchlucht, fortwährend ein heftiger Wind,
und die Alten haben den Sitz des Aeolus hierher verlegt.
Auch unſer Schiff empfand ſeine Macht; die Geſellſchaft
war aber ſchon ſo an die See gewöhnt, daß dies heftige
Schwanken des Schiffes nur zu dem Scherz benutzt wurde,
wer am beſten im Gehen die gerade Linie der Deckbalken
einhalten könne. Hier beſiegte uns alle der Lieutenant
aus Malta, ſelbſt der Capitain hatte Noth, ihm gleich
zu kommen. Der Wind war uns günſtig, er half dem
Dampfe und ſo waren wir am andern Morgen ſchon an
dem Golf von Smyrna, 40 Meilen von Syra. Eine
öſterreichiſche Fregatte fuhr mit vollen Segeln vor uns
– 99 –
vorbei, zur Uebung der Mannſchaft. Seit dem Vorfall
mit Koſta im vorigen Jahre iſt die öſterreichiſche Schiffs-
ſtation bei Smyrna verſtärkt worden.
Schon in Syra hatten wir erfahren, daß die Cholera
in Smyrna ſei; wir hatten daher daſſelbe Schickſal, wie
vor Athen; wir lagen bis Abends im Hafen, ohne das
Schiff verlaſſen zu dürfen. Die Lage von Smyrna iſt
eine der ſchönſten des Orients. Rings um den Meer-
buſen, der 3 Meilen lang und 1 Meile breit iſt, heben
ſich hohe Gebirge, vom Meere ab leiſe anſteigend, dann
nach der Spitze zu in ſteilen Abſätzen. Vom Meere, dieſe
Anhöhen hinauf, iſt die Stadt gebaut; 12,000 Häuſer, in
denen 150,000 Menſchen wohnen, heben ſich, wie in einem
Amphitheater, eines über das andere; man könnte jedes
einzelne zählen. Rechts liegt die Türkenſtadt mit ihren
Moſcheen und Minarets; über ſich den Kirchhof als
Cypreſſenwald; links liegt die Frankenſtadt mit den
vielfachen ſteinernen Häuſern der Geſchäftigkeit und Wohn-
lichkeit; dazwiſchen liegen die Viertel für die Armenier
und Juden. Die Stadt umfließt ein Strom, der ihre
Gärten grün erhält, und hinter dem Grün der Wein-
geländer und Maulbeerbäume heben ſich die blauen Berge,
die nach dem Innern des Landes zeigen. Die Straße
nach Könſtantinopel windet ſich durch zwei Bergkegel, die
in Form und gegenſeitiger Aehnlichkeit das größere Zwil-
lingspaar der Prudelberge bei Erdmannsdorf darſtellen.
Ueber der Stadt, auf einem breiten Berggipfel rechts,
ſtehen die langen Mauern und halb verfallenen Thürme
eines Kaſtells, das ſonſt die Stadt beſchützte. Die Land-
ſchaft war friſcher und grüner als die, welche wir die
letzten Tage geſehen hatten, ein Zeichen, daß wir nicht
mehr kleine Inſeln, ſondern das mächtige Feſtland von
Aſien vor uns hatten. -
7
– 100 –
Wir trennten uns hier von dem Konſul M. Seine
Familie war in Folge der Cholera auf das Land gezogen,
aber zwei Knaben kamen mit dem Boot, den Vater zu
empfangen. Er verſprach, im kommenden Jahre mit
ſeiner Frau, der er Deutſchland zeigen wolle, uns zu be-
ſuchen. Er hat einen bedeutenden Kommiſſionshandel.
Der deutſchen Fabrikation ſteht im Orient noch ein weites,
wenig bebautes Feld offen; eine der größten Schwierig-
keiten iſt, einen tüchtigen und dabei rechtlichen Agenten
an Ort und Stelle zu finden, dem der Verkauf der Waare
mit Sicherheit übergeben werden kann. Herr M. kann
in dieſer Hinſicht mit Zuverläſſigkeit empfohlen werden.
Die Expedition der National-Zeitung iſt in dem Beſitz
ſeiner vollſtändigen Adreſſe.
Ein Grieche, der von Syra mitgefahren war, um von
Smyrna das Lloyddampfſchiff nach Alexandrien zu be-
nutzen, kam durch die Cholera in Smyrna in große Ver-
legenheit. An das Land durfte er nicht, ſonſt nahm ihn
das Lloydſchiff nicht auf; unſer Schiff mußte er verlaſſen,
wenn er jenes Schiff nicht ganz verfehlen ſollte. In
dieſer Noth blieb ihm nichts übrig, als ein kleines Boot
aus dem Hafen zu miethen und in dieſem zwei Tage und
zwei Nächte bis zur Ankunft des nach Alexandrien gehen-
den Schiffes auf dem Meere herumzuſchwimmen. Der
Capitain gab ihm einige Lebensmittel und mit dieſen,
ſeinem Koffer und Mantel ſtieg er in das Boot, ſetzte ſich
und erwartete gelaſſen ſeine Erlöſung.
Wir ſelbſt waren ſo ſtreng von Smyrna abgeſondert,
daß der Capitain nicht einmal Cigarren von Smyrna
auf dem Schiffe zuließ. Die Hitze wurde gegen Mittag
ſehr drückend, der Wind war völlig erloſchen, das Meer
war ſpiegelglatt. Anſtatt der tiefen blauen Farbe, lag es
bleich und grau da, wie eine Bleiplatte. Wir flüchteten
– 101 –
uns in die Kajüte und waren froh, als gegen halb ſechs
Uhr die Anker gehoben wurden. Mit dem Rauſchen der
Schiffsruder regte ſich wieder die Luft und das Meer be-
gann wieder ſich zu kräuſeln.
Die Küſten verſchwanden zuletzt in der Dunkelheit, aber
einzelne Feuer, die hie und da in der Höhe aufleuchteten,
zeigten uns, daß wir ihnen noch nahe waren und daß ſie
von Menſchen bewohnt würden. Die Sonne war rein
untergegangen und der klare Sternhimmel des Südens
war über uns ausgebreitet. Die feine Sichel des Mondes
am Abendhimmel war noch nicht im Stande, den Reich-
thum der Sternbilder auszubleichen. Schon am Abend
des vorigen Tages hatte ich um 7 Uhr den Mond als
einen ſo feinen Strich am Himmel bemerkt, wie früher
noch nie. Es fiel mir ein, daß der berühmte Danziger
Aſtronom des 17ten Jahrhunderts, Hevel, in ſeiner Sele-
nographie oder Beſchreibung des Mondes erzählt hat, er
habe nie früher als 40 Stunden nach der Zuſammen-
kunft mit der Sonne die Mondſichel ſehen können. Ich
war neugierig, wie viel Stunden hier ſeit dem Moment
des Neumondes verfloſſen ſein möchten. Ein Berliner
Kalender ergab, daß Neumond am Dienſtag 4 Uhr 24 Mi-
nuten früh geweſen war; alſo für die Küſte von Klein-
aſien bei einem Längenunterſchied von 14 Grad um 5 Uhr
20 Minnten früh. Hiernach hatten wir mit bloßen Augen
den Mond 61 Stunden 40 Minuten nach ſeiner Kon-
junktion geſehen, alſo nur 21 Stunden ſpäter als Hevel
mit ſeinen beſten Fernröhren in Danzig. Dies war ein
deutlicher Beweis von der ſüdlichen Klarheit der Luft
ſelbſt in der Nähe des Horizontes.
Die Einſamkeit, die ſonſt Abends auf unſerem Schiffe
geherrſcht hatte, war verſchwunden. Das ganze Vorder-
deck, ſelbſt ein großer Theil des Hinterdecks, war mit
– 102 –
Matratzen und Decken belegt, auf denen die Paſſagiere
des dritten Platzes die Nacht zubrachten. Die Damen-
kajüte des erſten Platzes blieb dagegen leer und die Kam-
merfrau, welche zur Bedienung ſolcher Damen jedem
Schiffe der Geſellſchaft beigegeben iſt, klagte mir ihre
Noth über den Verluſt der Trinkgelder. Sie war eine
Wittwe aus Trieſt, war an einen Kaufmann dort ver-
heiräthet geweſen, der Bankerott gemacht, verſtorben war
und ſie hülflos mit zwei Kindern zurückgelaſſen hatte.
Unter ſolchen Umſtänden war ſie froh, noch dieſen Poſten
zu erhalten, wo ſie monatlich 15 Gulden in Banknoten
Gehalt bekam und freie Station, ausgenommen in Trieſt
von der Rückkehr bis zur Wiederabreiſe. Sie war mir
ein ſchlagendes Beiſpiel, wie leicht der Menſch ſich an an-
ſcheinend unangenehme Lagen gewöhnt und zuletzt darin
wohl fühlt. Seit 12 Jahren fuhr ſie Winter und Som-
mer von Trieſt nach Konſtantinopel und von Trieſt nach
Alexandrien und zurück. Sie kennt Alexandrien, Kon-
ſtantinopel, Smyrna beſſer, als die nächſten Ortſchaften
hinter Trieſt. Während bei der Ankunft in Konſtanti-
nopel oder Alexandrien Paſſagiere und Schiffsmannſchaft
froh waren, wenn ſie das Schiff verlaſſen konnten, blieb
ſie in der Regel die ganze Zeit bis zur Wiederabfahrt
ruhig auf dem Schiffe und bei ihrer Rückkehr nach Trieſt
bedauerte ſie nichts ſo ſehr, als das Schiff verlaſſen und
an das Land gehen zu müſſen.
In der Nacht legte das Schiff bei der Inſel Mete-
lino, dem alten Lesbos, an, und als wir früh auf das
Verdeck kamen, ſahen wir die erſten Türken. Sie kamen
aus dem Innern Kleinaſiens, gehörten zu den nomadi-
ſtrenden Stämmen und gingen als Rekruten zur Armee
nach Bulgarien. Ein anderer Türke, mit weißer Turban-
binde, weißen, kurzen, weiten Hoſen, ohne Strümpfe, aber
– 103 –
mit rothen Schuhen und langem Mantel, ſollte ein Molla
ſein, mit welchem Titel man eine Art Richter, die zugleich
geiſtliche Verrichtungen haben, bezeichnet.
Am andern Morgen kamen wir zur Inſel Tenedos.
Sie blieb uns links, und rechts lag die Ebene von Troja.
Die Inſel Tenedos war es, wohin die griechiſche Flotte
nach Aufſtellung des hölzernen Pferdes, ſich von der tro-
janiſchen Küſte zurückzog und vor den Trojanern verbarg.
Dieſe Erzählung erſcheint an Ort und Stelle unwahr-
ſcheinlich, denn die Küſte des alten Troja liegt nur eine
Meile entfernt und der Hafen von Tenedos iſt gerade
nach dem Feſtlande zu offen, ſo daß die Trojaner die Schiffe
dort von der Küſte des Feſtlandes aus leicht entdecken
konnten. Wenn die Erzählung wahr ſein ſoll, ſo muß
die Flotte der Griechen wenigſtens nach der andern Seite
der Inſel ſich gewendet haben. Dies iſt indeß unwahr-
ſcheinlich, weil die Griechen ſich dann zu weit vom Kampf-
platze entfernt hätten; ich möchte daher dieſe Erzählung
für Erdichtung nehmen. Homer erwähnt dieſes Verſtecks
in Tenedos nirgends; nur Virgil ſpricht davon, offenbar
ohne Ortskenntniß.
Die Ebene von Troja lag niedrig und flach uns zur
Rechten. Das Idagebirge hob ſich in bläulicher Färbung
dahinter, aber weder die Ebene noch dieſes Gebirge boten
etwas Beſonderes oder einen eigenthümlichen Reiz. Ohne
den Zauber der Homeriſchen Geſänge würden ſie zu den
unbedeutendſten Punkten der aſiatiſchen Küſte gehören.
Von Troja iſt bekanntlich ſchon zu Strabo's Zeiten keine
Spur mehr zu finden geweſen und wir ſehen nur einige
haushohe Hügel, welche uns als die Grabhügel des
Achilles und des Ajax genannt wurden. Bei einzelnen
ſollen Ausgrabungen verſucht und einzelne Stücke von
Waffen und Geräthen gefunden worden ſein. Wir ver-
– 104 –
ſuchten vergeblich, uns in antiquariſche Begeiſterung zu
verſetzen und uns ſchon durch die Nähe der trojaniſchen
Küſte und den Anblick dieſer Grabhügel beglückt zu fühlen.
Die Sonne ſchien zu hell; das klare Tageslicht und unſere
Neugriechen und Türken auf dem Schiff ließen die Ge-
ſtalten der alten trojaniſchen Helden nicht aufkommen.
Dennoch wären wir gern an der Küſte ausgeſtiegen, um
den Boden zu betreten, wo Agamemnon und Achilles ge-
wandelt, aber das Schiff hielt nur in dem Hafen von
Tenedos an, und auch da nur ſo kurze Zeit, daß es un-
möglich war, die Küſte von Troja zu beſuchen. Wer dar-
auf beſtehen will, muß das Schiff in Tenedos verlaſſen,
in einem Kahn ſich nach der Küſte überfahren laſſen, und
acht Tage aushalten, bis das nächſte Dampfſchiff in Te-
nedos ihn wieder aufnehmen kann.
In Tenedos ſtiegen zwei neue Paſſagiere auf das
Schiff. Beide trugen die leichte europäiſche Kleidung der
Fußreiſenden, der ältere mit ſchwarzem Rock. Große, in
Teppiche und Leinwand gewickelte Ballen, an denen überall
ſcharfe Kanten hervorragten, wurden von ihnen mitge-
bracht und deren Verladung im Schiffe ſorgfältig über-
wacht. – Das ſind deutſche Profeſſoren, die auf Anti-
quitäten ausgeweſen ſind, ſagte M**. – Er hatte zur
Hälfte Recht. Die Herren waren Preußen, und wir machten
in ihnen die angenehme Bekanntſchaft des Predigers S.
und des Vicekanzlers B. von der preußiſchen Geſandt-
ſchaft in Konſtantinopel. Beide hatten gemeinſchaftlich
einen vierzehntägigen Urlaub zu einer Reiſe nach den vor
den Dardanellen liegenden Inſeln Samothraki, Imbro
und Tenedos benutzt. Die erſteren zwei Inſeln waren
ſeit 15 Jahren von keinem Europäer beſucht worden und
ſie hatten intereſſante und noch unbekannte Ueberreſte des
Alterthums entdeckt. Was von Inſchriften und ſonſt fort-
– 105 –
ſchaffbar geweſen, war von ihnen in jenen Ballen zu
weiteren Studien mitgenommen worden. Beide hatten ein
großes Intereſſe für das Alterthum und von ihren Samm-
lungen und Entdeckungen ſind ſchon Mittheilungen in die
öffentlichen Blätter von Deutſchland gelangt. Wir freuten
uns, die für ſolche Studien ſo günſtigen Stellungen bei
der preußiſchen Geſandtſchaft in Konſtantinopel gerade
durch ſolche Männer ausgefüllt zu ſehen. -
Wir waren nun am Eingang der Dardanellen,
des alten Helleſpont. Konſtantinopel, Dardanellen, Bos-
porus waren Namen, die von Kindheit in uns eng ver-
bunden waren; wir glaubten uns ſchon am Ziele der
Reiſe; den nächſten Morgen ſollten wir wirklich in Kon-
ſtantinopel landen. Das Herz ſchlug uns hoch. In den
Zeiten, wo wir Kinder waren, lag Konſtantinopel, die
Wunderſtadt, noch unerreichbar am Ende der Welt; nur
wenigen Großen war es vergönnt, ſie zu erreichen. Noch-
in unſerer Studentenzeit gehörten Jahre und große Mittel
dazu, um ſich auf dieſe Reiſe vorzubereiten uud ſie glück-
lich zu vollbringen; die Donau war unfahrbar; die See-
fahrt dauerte 6 Wochen und länger, bei der Rückkehr war
eine Quarantaine von 40 Tagen auszuhalten; Peſt, Janit-
ſcharen, Chriſtenhaß machten den Aufenthalt in Konſtan-
tinopel lebensgefährlich. Jetzt war die Reiſe zu einer
Luſtreiſe von wenigen Wochen geworden, die preußiſche
aktenbeſtaubte Juriſten zu ihrer Erholung mit den Er-
ſparniſſen ihres Gehalts unternahmen.
Die Dardanellen ſind ein 10 Meilen langer Meeres-
ſtrom, der die Waſſer des ſchwarzen, des Marmora-
Meeres dem mittelländiſchen Meer zuführt; - die Breite
beträgt meiſt eine Meile, an einzelnen Stellen nur die
Hälfte. Jedem Vorſprung an der einen Küſte entſpricht
eine Einbiegung an der andern; dieſe Form zeigt, daß
– 106 –
ehedem Aſien und Europa an dieſer Stelle verbunden
waren und daß bei dem Erkalten der Erdrinde ein tiefer
Spalt beide Erdtheile auseinandergeriſſen hat, den dann
die Waſſer erfüllt und zu ihrer Straße gewählt haben.
Die Ufer an beiden Seiten erheben ſich raſch zu Höhen
von 800 bis 1000 Fuß; grünes, dichtes Buſchwerk gab
ihnen ein friſches Anſehn; die graue, verſengte Oberfläche
der griechiſchen Inſeln war verſchwunden.
Wir gelangten bald zu der engſten Stelle des Stroms,
die durch die berühmten Dardanellenſchlöſſer vertheidigt
wird. Wir erwarteten mächtige Thürme, hohe Mauern
mit Schießſcharten zu finden; ſtatt deſſen hatten wir Mühe
die Feſtungswerke aus dem Grau und Grün des Bodens
herauszufinden. Gleich einer Schlange lagen dieſe Werke
am Boden verſteckt, und die Feuerſchlünde, kaum ſichtbar
über dem Niveau des Meeres, lauerten, um ſo aus der
Tiefe deſto ſicherer ihre Geſchoſſe zu ſenden. Große Haufen
von Kugeln waren aufgethürmt; auch die großen ſteiner-
nen Kugeln, die aus Rieſenkanonen geſchoſſen werden,
konnten wir erkennen.
Man ſagt, dieſe engſte Stelle der Dardanellen habe
früher mehr nach Konſtantinopel zu ſich befunden. Unſere
neuen Bekannten, die genau orientirt waren, zeigten uns
hier die Stelle, wo Xerxes die Brücke ſchlagen ließ, auf
der ſein Heer von Aſien nach Europa zog, wo dann bei-
nahe zweihundert Jahre ſpäter die Armee Alexander des
Großen unter Parmenio von Europa nach Aſien über-
ging, und wo anderthalbtauſend Jahre ſpäter endlich die
Türken unter Soliman zuerſt aus Aſien nach Europa
überſchifften; drei der größten Umwälzungen in der menſch-
lichen Geſchichte hatten ſo an dieſer Stelle ihren erſten
entſcheidenden Schritt gethan.
Nahe dabei zeigte man uns die Stelle, wo Leander
– 107 –
von der aſiatiſchen Küſte in der Nacht zur Hero nach
Seſtos auf der europäiſchen Küſte ſchwamm. Die Strö-
mung iſt hier ſo ſtark und der Meeresarm noch ſo breit,
daß wir die Kraft Leander's bewundern mußten. Auch
Byron ſchwamm 1810 herüber.
Gegen Mittag warf das Dampfboot vor Gallipoli
Anker; auch hier hielt die Cholera uns in ehrerbietiger
Entfernung. Die weißen Zelte des franzöſiſchen Lagers
glänzten von den Höhen über der Stadt; hier und da
ſtanden größere, grüne, wahrſcheinlich Zelte der Ofſiziere.
Von der ſchönen Stadt, wie die Griechen ſie nannten,
Kalipolis, war nichts zu ſehn. Ein unregelmäßiger Haufen
dunkelbrauner Häuſer zog ſich die Anhöhe hinauf, ohne
einen intereſſanten Punkt für das Auge.
Gegen Abend kamen wir in das Marmora-Meer, das
in einer Breite von 10 Meilen, 30 Meilen lang ſich bis
nach Konſtantinopel hinzieht, wo es in die Meerenge des
Bosporus übergeht. Die Küſten von Aſien und Europa
blieben noch lange ſichtbar. Das Meer glich einer leb-
haften Landſtraße. Schiffe mit vollen Segeln kamen links
und rechts uns entgegen; andere lagen vor Anker und
warteten des Umſchlags des Windes, um nach Konſtan-
tinopel zu gelangen. Eine franzöſiſche Fregatte hatte Eile
und ließ ſich durch ein Dampfboot nach der türkiſchen
Hauptſtabt ſchleppen. -
Die Kühle des Abends, der unterhaltende Anblick der
Schiffe hielt die Geſellſchaft lange auf dem Verdeck. Man
plauderte und aus dem größern Kreiſe ſonderten ſich
kleinere Gruppen ab. Der Geſandtſchaftsprediger zeigte
mir die fernen Kuppeln einer Moſchee an der europäiſchen
Küſte. – Sonderbar, rief ich, nicht blos Völker, auch
Religionen haben an dieſer Stelle eine der andern weichen
müſſen. – Wie, rief er, die chriſtliche Religion iſt Ihnen
– 108 –
auch nur eine, nicht die Religion? Sie iſt keine Art,
neben der andern; Gottes Sohn ſelbſt hat ſie ver-
kündet; ſeine Wunder, vor allen ſeine Auferſtehung von
dem Tode ſind uns die Bürgſchaft dafür und für dieſe
Wunder iſt ſo volle hiſtoriſche Gewißheit vorhanden, wie
für jedes große Ereigniß der Weltgeſchichte. – Er
mußte mir meinen Zweifel wohl angeſehen haben, ſo ſehr
hielt er dies Thema feſt. – Ich ſchwieg lange, auf den
Zeitpunkt wartend, wo ſich in artiger Weiſe dem Ge-
ſpräch eine andere Wendung geben ließe; aber da er
mein Schweigen znletzt für Zuſtimmung zu nehmen ſchien,
konnte ich die Erwiederung nicht zurückhalten.
– Laſſen wir dieſe Beweiſe für die Wahrheit der
Wunder, ſagte ich; ſie ſind hundertmal von der Wiſſenſchaft
widerlegt worden und hundertmal hat man ſie wieder hervor-
geholt und Gläubige dafür gefunden. Ich ſuche die Stütze
der Religionen in der menſchlichen Natur ſelbſt. Neben
dem Bedürfniß nach Selbſtbeſtimmung liegt ebenſo tief
in ihr das Bedürfniß nach Autorität. Je ſchwächer in
dem Einzelnen die geiſtige Kraft und ihre Entwickelung
iſt, deſto überwiegender iſt das Bedürfniß nach Autorität.
Und wer der Stütze bedarf, der fragt nicht, woher ſie
komme. Dies Bedürfniß nach Autorität hat ſelbſt tüchtige
Köpfe, denen der ſaure Weg der Selbſtbeſtimmung zu
lang wurde, in den Schooß der katholiſchen Kirche über-
geführt, die als tiefe Menſchenkennerin dieſem Bedürfniß
am konſequenteſten Genüge thut.
– Autorität! rief mein Nachbar. Wie können Sie
dies Wort für die Religion der Liebe anwenden, für die
Religion, die den Menſchen durch das Blut Chriſti mit
Gott wieder verſöhnt hat.
– Dies Dogma, erwiederte ich, gilt mir vor Allem als
Autorität; ich ſuche vergeblich es mit der reineren Moral
– 109 –
des Chriſtenthums ſelbſt zu vereinigen. Aber laſſen Sie
uns von uns ſelbſt abſehen und die Fragen objektiver
nehmen. Scheint Ihnen nicht in der Geſchichte neben
dem Fortſchritt von der Unwiſſenheit zu wiſſenſchaftlicher
Erkenntniß der Natur ein anderer Fortſchritt von der
Religion zu dem größeren oder geringeren Unglauben
parallel zu gehn? Nehmen Sie jenen Fortſchritt indivi-
duell, ſo finden Sie die großen Denker und Naturforſcher
aller Jahrhunderte im Unglauben gegenüber der ſie um-
gebenden Religion; nehmen Sie jenen Fortſchritt für die
Völker, ſo finden Sie mit der fortſchreitenden Verbreitung
der Naturwiſſenſchaft eine ſteigende Abnahme des Reli-
gionsinhalts. Was iſt die Unterſcheidung von Weſent-
lichem und Unweſentlichem, die die moderne Zeit in den
Religionsinhalt eingeführt hat, anders als eine Ver-
deckung jener Abnahme des Inhalts? Was iſt die Klage
Hegel's, daß die Aufklärung den Inhalt der Religion
verflüchtiget habe, anders, als jener Satz, und Hegel's
- Verſuch, dieſem verlaſſenen Inhalt durch Unterſchiebung
philoſophiſcher Begriffe neues Leben zu geben, iſt, wie
Sie wiſſen, von Geiſtlichen und von Laien mit gleichem
Widerwillen zurückgeſtoßen worden. Sollte dies nicht
auf ein Geſetz hindeuten, das man ſich noch nicht klar
machen will, und ſcheinen Ihnen danach die Regierungen
Europas nicht eine Danaidenarbeit zu treiben, indem ſie
Naturerkenntniß und Religion zugleich fördern?
– Sie folgern aus vereinzelten Erſcheinungen zu
viel, erwiederte er. Sie haben Recht, daß der Unglaube
in der Gegenwart eine große Ausbreitung gewonnen hat,
aber ähnliche Zuſtände ſind auch früher ſchon da ge-
weſen; es hat z. B. Zeiten gegeben, wo der Glaube an
Unſterblichkeit ſelbſt von den Maſſen aufgegeben war.
– Dennoch ſcheint mir der Unglaube der Gegenwart
– 110 –
von dem früherer Zeiten weſentlich verſchieden. Waren
es früher Zeiten der Unwiſſenheit, Zeiten großer Noth,
Zeiten der Auflöſung aller bürgerlichen Ordnung, wo
dergleichen Anſichten auch in den Maſſen Eingang fanden,
ſo erſcheint der Unglaube der Gegenwart ſonderbarer
Weiſe im Gefolge der verbeſſerten Erziehung, der ſich
immer weiter ausbreitenden Kenntniß der Natur, der
Grundſätze, die aus ihnen ausſtrömend, gleichſam die
Luft der Gegenwart erfüllen und ſich ſelbſt denen mit-
theilen, die ſolche Kenntniß nicht zu ihrem unmittelbaren
Geſchäft machen. Und über die große Ausdehnung dieſes
ſogenannten Unglaubens darf man ſich durch die piquirte
Kirchlichkeit, wie man ſie jetzt in Deutſchland und Frank-
reich findet, nicht täuſchen laſſen. Die Speculation ver-
ſchont jetzt keinen Gegenſtand; man macht in Religion,
wie man in Actien gemacht hat.
– Der Zuſtand iſt trübe genug, erwiederte S. und
Ihre Schilderung mag nicht übertrieben ſein. Aber dies
große Unglück, dieſe ſchwere Prüfung wird überwunden
werden, ſo ſicher, wie die Kirche deren ſchon manche über-
wunden hat, aus denen ſie ſtets größer und mächtiger hervor
gegangen iſt. Laſſen Sie die Tage des Unglücks kommen
und wir werden ſehen, wie dieſe Abtrünnigen haltlos und
hülflos in den Schooß der Kirche zurückkehren werden.
– Es iſt ſonderbar, ſagte ich, daß man in der Reli-
gion das Unglück zum Prüfſtein der Wahrheit erhoben
hat, daß hier die von heftigen Empfindungen hin und
her geworfene Seele fähiger ſein ſoll das Richtige zu er-
kennen, als der Geiſt in dem ruhigen Gleichgewicht ſeiner
Kräfte. Sie haben übrigens vollkommen Recht, daß der
Glaube an eine alles leitende, liebende Vorſehung und
an die Unſterblichkeit des Individuums, dem Menſchen
im Unglück einen großen Troſt gewährt, während die
– 111 –
kalte Ueberzeugung von der Nothwendigkeit und der Ge-
ſetzmäßigkeit der einmal vorhandenen Kräfte, von der Ver-
gänglichkeit alles Individuellen in dem Herzen eine Un-
ruhe läßt, die nur von einer langen Disziplin des Ver-
ſtandes gebändigt werden kann. Aber iſt das Angenehme,
das Troſt gewährende deshalb das Wahre?
Alle dieſe Sätze dienten indeſ nur dazu, den Eifer
meines Nachbars noch mehr anzuſpornen. Mit ſteigender
Wärme ſprach er für ſeine Ueberzeugungen und ich muß
zu ſeiner Ehre ihm nachſagen, daß es mit ſo viel Fein-
heit, Kenntniß und Liebenswürdigkeit geſchah, wie ich es
von den Vertheidigern der orthodoxen Satzungen der
Kirche noch nicht gehört hatte. Er nannte mich ein Mal
über das andere einen argen Sünder; er verſicherte mir,
daß ich mit ſolchen Anſichten eine ſehr ſchwere Sünde
auf mich lüde; aber er ſprach dies mit ſo viel ernſter
Artigkeit, mit ſo tiefer Ueberzeugung, daß ich ihm nicht
böſe ſein konnte.
Ich gewahrte meinen Fehler, auf dergleichen Geſpräche
eingegangen zu ſein, und ſchwieg. Auch hatte ich ſo viel-
fach gehört, wie die Beſſerung verſtockter Seelen oft plötz-
lich durch eine Erleuchtung des Geiſtes erfolge, daß ich
es für Pflicht hielt, den Weg, den die Gnade vielleicht
durch dieſen Mann für mein Heil erwählt haben möchte,
nicht eigenſinnig zu verſperren. Ich hätte ſicherlich noch
lange ſeinen Ausführungen mein Ohr geliehen, wenn
nicht zuletzt die Freunde mit Gewalt uns vom Hinterdeck
geholt und zu dem Theetiſch geführt hätten. –
– Wie kann man ſo unvorſichtig ſein, ſagte M*,
als wir allein waren, durch ſolche Expectorationen einen
Mann von ſich abzuſchrecken, der uns für unſern Auf-
enthalt in Konſtantinopel ſo nützliche Dienſte leiſten
könnte!
– 112 –
– Sie haben Recht, erwiederte ich, ich habe unklug
gehandelt, wie ſchon manchmal.
Und in der That ſchien es, als wenn dieſe Unterhal-
tung das Intereſſe des Mannes für uns erkaltet hätte.
Wir wechſelten Karten und wir unterließen nicht, ihm in
Conſtantinopel unſern Beſuch zu machen. Er empfing
uns höflich, aber ſein Benehmen blieb kühl und es ſchien
mir, als könne er es nicht mehr über ſich gewinnen, uns
die kleinen Dienſtleiſtungen und Gefälligkeiten anzubieten,
zu denen man in ſolcher Entfernung vom Vaterlande für
ſeine Landsleute ſo gerne bereit iſt.
Am andern Morgen war ſchon in früher Stunde
alles in Bewegung. Binnen Kurzem ſollten wir in
Konſtantinopel ſein. Jeder packte ſeine Sachen, räumte
ſein Kabinet, bezahlte die Rechnung. Man erkundigte ſich
nach den beſten Gaſthöfen, man berathſchlagte in welcher
Weiſe der Aufenthalt in Konſtantinopel am zweckmäßigſten
zu benutzen ſei. Auch hier zeigte es ſich, wie die Menſchen,
anſtatt hülfreich zuzureden, es lieben, die Schwierigkeiten
zu übertreiben; in den Gaſthöfen, hieß es, wird kein
Unterkommen zu finden ſein; alles ſei von franzöſiſchen
und engliſchen Offizieren eingenommen und die Preiſe
ſeien in das Fabelhafte geſtiegen. Unſer engliſcher Offi-
zier wollte bei Miſeri im Hotel d'Angleterre einkehren;
der Marquis di R. wollte auf einer ſardiniſchen Fregatte,
welche in dem Hafen von Konſtantinopel ihren Standort
hatte, Wohnung nehmen; dem Herrn v. B. war ein
Gaſthof, „Zum mittelländiſchen Meere,“ am Hafen als
billig und gut empfohlen worden; uns rieth man drin-
gend davon ab, da die niedrige Lage ihn ungeſund und
ſchmutzig mache und empfahl uns das Hotel d'Europe
oder Hotel de Byzance.
– 113 –
Mitten in dieſer Unruhe, in dieſem Durcheinander
hatte das Schiff die ſieben Thürme, den Anfang von
Konſtantinopel erreicht. Aber ein neidiſcher Vorhang von
halb Nebel, halb Regen, die Ueberbleibſel eines geſtrigen
Gewitters, verhüllte uns die Stadt. Das Schiff rauſchte
an den Mauern vorüber und bald waren wir im Hafen.
VI.
Konſtantinopel. Die Anſicht der Stadt.
Die tanzenden Derwiſche.
Das Boot mit dem türkiſchen Geſundheitsbeamten
kam; nach kurzer Unterſuchung hieß es „freie Pratika.“
Schlanke ſpitzige Boote ſchwirrten um das Schiff und das
Deck füllte ſich mit Leuten, die uns in allen Sprachen
dieſen Gaſthof, jenes Hôtel garni anprieſen. Bei Nie-
mand war Raths zu erholen; die Paſſagiere liefen durch-
einander, der Capitain und ſeine Leute waren mit den
Papieren und der Ladung beſchäftigt; ein Commiſſionair
ſah ſo ehrlich und ſo unehrlich aus, wie der andere; ſo
führte uns halb der Zufall in die Hände eines Griechen,
der uns zu dem Hötel d'Europe brachte. Wir erhielten
eine freundliche Stube mit zwei Betten; für Wohnung,
Koſt und Bedienung hatten wir zuſammen täglich 272 Fr.
oder 7 Thlr. 10 Sgr. zu zahlen. Der Grieche, der uns
geführt, wurde uns von dem Wirth als Dragoman
empfohlen. Als ſolcher übernahm er das vereinigte Amt
eines Bedienten, Führers und Dollmetſchers und wir
zahlten ihm dafür täglich 6 Franken oder 1 Thlr. 18 Sgr.
Er hieß Themiſtokli Theodoro, war Sohn eines griechi-
ſchen herabgekommenen Kaufmanns, hatte eine gute Er-
– 115 –
ziehung genoſſen und ſprach und ſchrieb ziemlich geläufig
franzöſiſch, italieniſch, griechiſch und türkiſch.
Die nothwendigſten Bedingungen unſerer Exiſtenz in
Konſtantinopel waren ſo geregelt, und nach dem Früh-
ſtück übergaben wir uns dem Theodoro. Das Wetter
hatte ſich aufgeklärt; die Luft war nach dem Regen durch-
ſichtig und rein geworden; wir ſtiegen in ein Kaik, fuhren
zum Hafen hinaus, und Konſtantinopel lag vor und rings
UM UN 8.
Die Erhabenheit, den Reichthum, die Schönheit dieſes
Anblicks zu faſſen, ſich zu eigen zu machen, iſt nicht das
Werk der erſten Stunde, ſelbſt wenn ſie mit Aufmerkſam-
keit und Ruhe dazu verwendet wird. Die Größe und
Tiefe dieſer Rundſchau dringt nur nach und nach in die
Seele. Wie ein reicher, tiefer Charakter nur durch langen
Umgang gefaßt und verſtanden werden kann, ſo verlangt
dieſer große Punkt der Welt wiederholte Rückkehr zu ihm
und erſt nach Wochen und Monaten erſchließt er ſeine
Fülle und ſeine Eigenthümlichkeit. Das Bild, was die
Seele ſo gewinnt, iſt dann tief in ihr eingeprägt; es
leuchtet, es flammt noch, wenn man längſt nach dem
Norden zurückgekehrt iſt, und gleich dem Bilde eines ge-
liebten Verſtorbenen bricht es oft plötzlich in der Seele
hervor, mitten in dem Dunkel der Nacht, in dem Geſchwirr
des Geſchwätzes einer großen Geſellſchaft, in der Einſam-
keit eines Spazierganges durch die flachen Felder der
Heimath.
Zwei Meeresarme, das goldene Horn und der Bos-
porus, begegnen ſich, gleich zwei Rieſenſtrömen, im rechten
Winkel und ergießen ſich vereint ſofort in das weite Becken
des Marmora-Meeres. Schnell aufſteigende Höhen von
800 bis 1000 Fuß bilden die Ufer dieſer Gewäſſer; durch
ſie ſind ſie in drei Landſtriche getheilt, die, gleich Vor-
8*
– 116 –
gebirgen, mit ihren nach dem Meere zu abfallenden Spitzen
nur durch die breite Waſſerfläche geſchieden ſind, welche
zwiſchen ihnen in tiefblauer Farbe ſich ausdehnt. Auf
dieſen drei Vorgebirgen, vom Meere aufſteigend, liegt
ringsum Konſtantinopel. -
Auf dem Landſtrich zwiſchen dem Marmora-Meer und
dem goldenen Horn ſteht die Hauptſtadt, Stambul, die
Türkenſtadt. Die am Meere hier ſanfter ſich hebende weite
Erdfläche iſt dicht mit rothbraunen Häuſern bedeckt. Man
verfolgt ſie tief hinein, längs dem goldenen Horn, aber
man findet kein Ende; man ſieht zu ihnen auf bis nach
den höchſten Punkten des Bergrückens, aber man trifft
keine leere Stelle; nach links und rechts, nach oben und
unten nichts als ein Meer von Häuſern. Sie bilden ein
regelloſes Gemiſch und Gewirr; man ſieht keine Züge
von Straßen, die es abtheilten und geſtalteten. Ein Haus
gleicht dem andern; einſtöckig, rothbraun angeſtrichen und
mit flachem Dach von rothbraunen Ziegeln, bilden ſie
den gleichförmig dunkeln Untergrund, aus dem die mannig-
faltigen Werke vergangener Jahrhunderte und der Jetzt-
zeit ſich glänzend hervorheben. Indem der Boden mit
der Entfernung ſich hebt, heben ſich auch dieſe Maſſen
von Häuſern; der ganze Hintergrund iſt klar und die
fernſten Häuſergruppen zeigen ſich über die vorderen her-
über, ſo deutlich wie dieſe. -
Wie Felſen aus einem dunkeln Wald, heben ſich aus
dieſen Häuſermaſſen die Moſcheen. Große Rundbaue, an
die ſich von allen vier Seiten halbe Rundbaue und an
dieſe nochmals kleinere halbe Rundbaue anſchließen, ragen
ſie hoch über die Häuſer empor, mehr durch die rieſigen
Maſſen, als durch die Ausführung ihrer Theile imponi-
rend. Ueber dem Hauptbau wölbt ſich eine Rieſenkuppel;
an dieſe fügen ſich die mittleren, an dieſe die kleinen in
– 117 –
zahlreichen Wölbungen; alles iſt mit Blei gedeckt und
die ſymmetriſch verbundenen Kuppeln leuchten als ein
Ganzes in ihrem bleigrauem Schimmer hoch über den
braunrothen Dächern der Häuſer.
Zahllos ſcheint die Menge ſolcher Moſcheen; in der
Tiefe, auf der Höhe, weit hinauf dem Waſſer entlang,
überall ragen dieſe metallenen Dome empor. Als die
gewaltigſten liegen nach der Höhe zu die Aja Sophia,
die Achmed, die Suleimannia, die Bajazed. Mit ihren
gigantiſchen Maſſen bilden ſie Mittelpunkte, von denen
angezogen, das Geringere zu einzelnen Gruppen ſich ver-
bindet und das Chaos geſtaltet. Neben jeder Moſchee
"heben ſich ihre Minarets; ſchlanke, glatte, ſpitz zulaufende
Thürme mit einfachen Geſimſen von blendend weißer
Farbe, gleichen ſie genau Rieſenwachskerzen auf Rieſen-
leuchtern, die nur der Nacht warten, um mit ihrem Wunder-
feuer die Wunderſtadt zu beleuchten. Jede Moſchee hat
mindeſtens zwei, die meiſten vier, die Achmed-Moſchee
allein ſechs ſolche Minarets, die die hohen Kuppeln noch
hoch überragen. War die Menge der Moſcheen groß, ſo
iſt es die der Minarets noch mehr, und durch die ganze
Stadt bunt und regellos zerſtreut, erſetzen ſie in Zierlich-
keit und Schlankheit, was den maſſigen Bauen der Mo-
ſcheen fehlt. -
Zwiſchendurch in der Häuſermenge zeigen ſich andere
Bleidächer mit regelmäßigen Reihen kleinerer Kuppeln;
zwei große Stellen der Stadt ſind von ſolchen Blei-
dächern eingenommen. Es ſind die großen Bazars oder
richtiger: Beſeſtan, die, jeder ſelbſt eine kleine Stadt mit
bedeckten Straßen und Plätzen, die Waaren des Orients
und Occidents zum Kauf anbieten. - -
Eine andere Art von metallenen Kuppeln unterſcheidet
ſich durch kleine runde Oeffnungen, mit denen die Wöl-
– 118 –
bung in ſymmetriſchen Reihen durchbrochen iſt; dieſe
Oeffnungen ſind mit Glas ausgeſetzt. Es ſind Gebäude
für die türkiſchen Bäder.
Das Auge, verwöhnt durch die Anſichten europäiſcher
Städte, ſucht nach Thürmen; man findet nur einen, in
der Mitte des Häuſermeers, der ſelbſt die Minarets noch
hoch überragt. Man glaubt die gewaltige Dicke ſeiner
weißen Mauern zu erkennen. Der runde Thurm ſteht
allein, erhebt ſich hoch und endet in einen gewölbten
laternenartigen Aufſatz, in dem der Feuerwächter ohne
Unterlaß im Kreiſe umhergeht und das in der Stadt
etwa entſtehende Feuer durch Zeichen bekannt macht. In
den ſchweren geſchlängelten Verzierungen, in dem Mangel
jedes Bogens, jeder Spitze, mit Ausnahme der höchſten,
zeigt dieſer Thurm eine rein türkiſche Bauart, die das
Auge feſthält. Es iſt der Thurm des Seraskiers.
Links davon liegt ein Gebäude mit langer, doppelter
Front und großen Flügeln. Dreiſtöckig, mit großen Fen-
ſtern, hell angeſtrichen, iſt es ein europäiſcher Palaſt von
rieſigen Dimenſionen, im grellen Gegenſatz zu den orien-
taliſchen Umgebungen. Es iſt die hohe Pforte, der neue
Palaſt für die Verſammlungen der Miniſter, für die Bu-
reaus aller ihrer Beamten und für eine große Zahl an-
derer Behörden. -
Sieht man länger hin, ſo erkennt man in dem Ge-
wirr der Häuſer auch hier und da kleinere Gebäude mit
zierlichen, halb chineſiſch geſchwungenen, vorſtehenden Dä-
chern und den bunteſten Farben. Dies ſind die öffent-
lichen Brunnen, von den Sultanen zum Andenken ihres
Namens in allen Theilen Konſtantinopels erbaut.
Dem Waſſer entlang ziehen ſich dicke graue, verfallene
Mauern. An einzelnen ſchwarzen Wölbungen erkennt man
die Thore; aber eine dichte Reihe von Häuſern hat ſich
– 119 –
ſpäter zwiſchen ſie und das Waſſer gedrängt und den
Mauern und Thoren die Bedeutung genommen. Es ſind
die von Konſtantin dem Großen vor 1500 Jahren er-
bauten Stadtmauern.
Die breite Spitze des Landes ſenkt ſich langſam zum
Meere und dringt weit hinein in das Waſſer, als wollte
es, ſeinen Lauf hemmen. Dieſer Theil zeigt, völlig ab-
weichend von jenem Häuſermeer, nur vereinzelte Gebäude
von ſeltſamer Form und Bauart. In hellern, grauen
Farben, mit zahlreichen, die gerade Linie unterbrechenden
Vorbauten, aber meiſt einſtöckig, ragen ſie aus einem
Laubwald hervor, der dieſe breite Landzunge bedeckt.
Schlanke Cypreſſen, breite Platanen bilden hie und da
maleriſche Gruppen, wo der Wald zu offenen Plätzen ſich
lichtet. Dahinter erheben ſich Reihen von Kuppeln und
Schornſteinen, mit Blei gedeckt. Es ſind die Küchen des
Sultans und das Ganze iſt der Serail, in ſich ſelbſt
einen Stadttheil bildend und von einer hohen Mauer
umzogen, die aber an vielen Orten verfallen oder von
Pavillons und Kiosks durchbrochen iſt. Jetzt iſt der
Serail von den Sultanen verlaſſen; nur die von ihnen
verlaſſenen Frauen des Harems bewohnen dieſe Paläſte.
Eine ſchöne, feſte Schiffbrücke, mit zwiefachem Bogen
zur Durchfahrt der Boote führt von Stambul zu dem
zweiten Landſtrich, der vom goldenen Horn und dem
Bosporus eingeſchloſſen iſt. Hier hebt die Küſte ſich höher
und ſteiler. Die Häuſer liegen auch hier in zahlloſer
Menge; aber man erkennt doch einzelne Züge von Straßen
und die Häuſer ſind höher, heller und verrathen eine feſtere
Bauart. Dies ſind die fränkiſchen Stadttheile Galata
und Pera, jede für ſich eine Stadt von 60,000 Ein-
wohnern. Galata liegt am Waſſer und enthält die
Comtoire der Kaufleute, der Bankiers, die Börſe, die
– 120 –
Magazine und die Bureaus aller kaufmänniſchen Geſell-
ſchaften. Von den Genueſern vor 500 Jahren gebaut,
iſt es noch von hohen Feſtungsmauern und tiefen Gräben
im mittelalterlichen, europäiſchen Styl umgeben. Ein
hoher dunkler Thurm mit grünem Kupferdach ragt hier
über die Häuſer hervor, als Gegenſtück zu dem Thurm
des Seraskiers jenſeits. Pera iſt der ausſchließlich von
Europäern bewohnte Stadttheil, und einzelne vorſtechende
Paläſte verrathen, daß hier die europäiſchen Geſandten
reſidiren. Ein mächtiges Gebäude, von gelblicher Stein-
farbe, mehrere Stock hoch, mit langer Front, die an beiden
Seiten in thurmartigen Vorbauen endet, überragt auf der
Höhe alle anderen, es gleicht einer Feſtung, und die untern
Fenſter ſind ſtark vergittert. Es iſt das jetzt verlaſſene
Palais der ruſſiſchen Geſandtſchaft, von wo Menſchikoff
in Reitſtiefeln und Oberrock ausging zur Konferenz mit
Redſchid Paſcha. Man ſagt, daß es auch im Innern
feſtungsartig gebaut ſei, zum Angriff, wie zur Ver-
theidigung.
Links von Pera, nach dem goldenen Horn hinab, unter-
bricht ein großer dunkler Cypreſſenwald die Maſſe der
Häuſer; durch die Bäume hindurch erkennt man an offenen
Stellen die graue Erde mit zahlloſen aufrechten Steinen;
es iſt der große und kleine Begräbnißplatz.
Zu beiden Seiten von Pera und Galata beginnen
wieder die braunen Häuſer der türkiſchen Stadttheile, die
ſie umgeben. Hier und in Stambul ſind die Häuſermaſſen
ſtellenweiſe durch weite wüſte Plätze unterbrochen, wo man
ſtatt der braunen Dächer nur verfallene Mauern, halb
grau, halb ſchwarz herauserkennt. Es ſind die Brand-
ſtätten von Feuersbrünſten, von 10, 20 und mehr Jahren
her. Nur nach und nach bebauet man ſolche Stellen
wieder; bis dahin bleibt alles in dem Durcheinander ver-
– 121 –
fallener, verbrannter Mauern, wie am Morgen nach dem
Brande.
Jenſeits zwiſchen dem Bosporus und dem Marmora-
Meer hebt ſich der dritte Landſtrich, der die Rundſchau
ſchließt. Hier liegt Skutari mit ſeinen 200.000 Ein-
wohnern, der aſiatiſche Theil von Konſtantinopel. In
ſeinen Häuſern, Moſcheen, Minarets wiederholt es den
Anblick von Stambul; aber indem es nicht ſo grenzenlos
ſich ausdehnt, iſt es links eingefaßt von grünen Höhen,
die in hohe Bergkuppen ſich trennen, und rechts liegt auf
der hier ſteil abfallenden Küſte die ungeheure Front einer
neuen Kaſerne mit ihren weiß und roth angeſtrichenen
Mauern. Weiter zurück ragen aus jeder Lücke die hohen
Gipfel der Cypreſſen hervor, die in einem dichten, meilen-
langen Walde Skutari von der Landſeite umgeben und
den großen Begräbnißplatz bilden, wohin ſelbſt der Türke
aus Stambul ſich gern begraben läßt, um in aſiatiſcher
Erde, ſeiner wahren Heimath, zu ruhen. -
Zwiſchen dieſen drei Städten breitet ſich der helle
Spiegel der Gewäſſer aus, der ſie trennt und vereint.
Damit fügen ſich zwiſchen dieſe drei Vorgebirge, über-
deckt mit Häuſern, Moſcheen, Minarets und Paläſten, drei
See- und Gebirgslandſchaften ein, die den Kreis der Rund-
ſchau ſchließen und den Zauber des Ganzen vollenden.
Zwiſchen Skutari und Stambul hindurch ſieht man in
das weite Becken des Marmora-Meeres. Links heben ſich
in ſanften Linien die Prinzeninſeln daraus empor; ob-
gleich vier Stunden entfernt, läßt die Klarheit der Luft
jedes Haus an ihren Küſten und die griechiſchen Klöſter
auf ihren Höhen deutlich erkennen. Rechts von ihnen
zieht ſich das Meer in endloſe Ferne, am Horizont zeigen
ſich nur einzelne Schiffe, die kommen oder gehen.
Aber zwiſchen Stambul und Galata, auf der blanen
– 122 –
Fläche des goldenen Hornes, erhebt ſich eine andere,
ſchwimmende Stadt mit zahlloſen Maſten und Raaen.
Das goldene Horn, in der doppelten Breite des Rheins
bei Köln, iſt der berühmte Hafen Konſtantinopels, einer
der ſchönſten Häfen der Welt, in dem alle Flotten Raum
haben und in dem große Linienſchiffe bis dicht. an die
Häuſer anfahren können. Erſt weit hinauf verwandelt
ſich dieſer Meeresarm in das Flußbett eines Süßwaſſer-
ſtroms, der ſeine vom Balkangebirge kommenden grünen
Waſſer dem Meere zuführt. Der Rand der Küſte iſt von
den langen dichten Reihen von Handelsſchiffen aller Na-
tionen verdeckt; Tauſende von Menſchen ſteigen in ihnen
auf und ab und laden die Ballen, die Fäſſer, die Haufen
von Früchten aus, mit denen Konſtantinopel verſorgt wird.
Weiter ab liegen vor ihren Ankern die Dampfſchiffe aus
Alexandrien, Trieſt, Marſeille, Southampton, und weiter
zurück heben ſich noch größere Koloſſe, Linien- und Schrau-
ben-Kriegsſchiffe von den vereinigten Flotten, aus Varna
angelangt. Zwiſchen den ſchwarzen Wänden dieſer ruhen-
den Schiffe fahren in ſteter Bewegung die weiß und
rothen kleineren Dampfboote, welche die Verbindung zwi-
ſchen Skutari, Stambul und Pera unterhalten, und die
großen Dampfſchiffe, welche Fregatten an einem langen
Tau hinter ſich nach dem ſchwarzen Meere ſchleppen.
Neben den Schiffen des Hafens wimmelt es von den
ſchlanken türkiſchen Booten, die gleich Ameiſen in geſchäf-
tiger Eil zwiſchen den Lücken der großen Fahrzeuge hin-
durch gleiten und von ihrem, am Boden kauernden
Paſſagier nur den gelben Strohhut oder den rothen Tur-
ban ſehen laſſen. -
Folgt man den Dampfbooten, ſo trifft das Auge auf
die dritte Waſſerfläche, die lieblichſte von allen. Als
breiter, blauer, leicht gekräuſelter Strom kommt hier der
– 123 –
Bosporus dem Beſchauer entgegen; weder überfüllt wie
das goldene Horn, noch leer wie das Marmorabecken,
gleicht er einer lebendigen Landſtraße, die ſich zwiſchen
zwei bewachſenen Anhöhen hinzieht und auf der, ſtatt
Wagen, Schiffe aller Größe geräuſchlos dahinſchwimmen.
Eben treibt der friſche Nordwind einen Dreimaſter mit
vollen Segeln der Stadt zu; und dort zieht ein Dampf-
ſchiff, unſcheinbar, mit niedrigen Maſten, eine gewaltige
Fregatte nach Varna zu. Die ſchwarzen Streifen, welche
ſich über den Strom nach den Bergen ziehen, verrathen,
daß noch andere, nicht mehr ſichtbare Dampfſchiffe, ihnen
vorauseilen.
Das iſt die Rundſchau von Konſtantinopel vom Meere
aus. Was hier mühſam hintereinander aufgezählt worden
iſt, das erfaßt das Auge dort mit einem Blick. Man
wendet ſich von den Städten zu den Waſſern, von den
Waſſern zu den Häfen. Man müht ſich, herauszufinden,
welcher Theil der ſchönere ſei, und vergißt, daß die größte
Schönheit aus der harmoniſchen Verbindung dieſer kon-
traſtirenden Theile hervorgeht. Ueber dem Ganzen iſt das
tiefblaue Himmelsgewölbe ausgeſpannt und die ſüdliche
Sonne gießt ſo viel Maſſen von Licht herab, daß alle
Farben tiefer leuchten, alle Umriſſe ſchärfer ſich abzeichnen
und ſelbſt das Kleinſte deutlich hervortritt.
– Wunderbar! rief ich, wir ſchaukeln hier auf dem
Meere und doch können wir mit Recht ſagen, daß wir
uns im Mittelpunkte von Konſtantinopel befinden, nach
allen Seiten heben ſich die Stadttheile vor uns empor;
– Ja, bemerkte M**, und ſo wenig wir wiſſen, ob
wir auf dieſem Punkt in Aſien oder in Europa ſind, ſo
wenig weiß man, ob dieſe Stadt zu Europa oder Aſien
gehört. -
Das Boot wurde von der Strömung des Bosporus
– 124 –
bald abwärts getrieben, bald führten die Ruderſchläge des
Schiffers es wieder nach aufwärts. Dieſe auf- und ab-
gehende Bewegung, während wir ſelbſt, ruhend, ſie nicht
empfanden, gab auch der Anſicht einen leichten Wechſel.
Indem wir abwärts trieben, verſchwand mehr der land-
ſchaftliche Beſtandtheil; die Seite von Stambul, die lang
am Marmorameere ſich hinzieht, mit dem Schloß der
ſieben Thürme, dem ehemaligen Gefängniß europäiſcher
Geſandten, wurde ſichtbar; bewegten wir uns aufwärts,
ſo nahm der Bosporus an Breite und Bedeutung zu;
die grünen Berge mit den Pavillons des Sultans hoben
ſich höher und die Küſte an beiden Seiten entfaltete eine
fortlaufende Reihe von Paläſten, unter denen der neue
Marmorpalaſt, den der jetzige Sultan mehr oberwärts
Tophane erbauet, durch ſeine lange, in blendender Weiße
flimmernde Front hervortrat.
– Meine Herren, bemerkte endlich Theodoro, heute,
Sonntags, tanzen die Derwiſche; wenn Sie ſie ſehen
wollen, ſo iſt es Zeit, daß wir aufbrechen.
– Ich habe nur von Derwiſchen in Syrien und
Aegypten geleſen, ſagte ich. – Nein, bemerkte M*,
die Derwiſche ſind überhaupt geiſtliche Brüderſchaften,
nach Art der chriſtlichen Mönche; doch iſt ihr Leben nicht
ſo abgeſchieden; viele ſind verheirathet und treiben bürger-
liche Gewerbe. – Theodoro bemerkte, daß es ſolcher
Derwiſche ſowohl auf der Seite von Pera als in Sku-
tari gebe. -
– Wir landeten am Arſenal und ſtiegen einen tür-
kiſchen Stadttheil hinter Pera in die Höhe. Durch einen
engen Gang zwiſchen Mauern gelangten wir in einen
umſchloſſenen Hof, der rechts von einem großen runden
Gebäude begrenzt war. Wir ſtiegen hier die ſteinerne
Vortreppe in die Höhe und trafen vor dem Thor einen
– 125 –
Mann neben einer langen Reihe von Pantoffeln und
Schuhen aller Farben. – Sie müſſen Ihre Stiefeln hier
ausziehen, bemerkte Theodoro; wir thaten es und wollten
in ein Paar der Pantoffeln fahren, die wir zu dem Zweck
hingeſtellt glaubten. Man bedeutete uns, daß ſie den be-
reits eingetretenen Gläubigen gehörten, und ſo traten
wir in Strümpfen, den weißen Filzhut auf dem Kopfe,
in das Heiligthum.
Es war ein lichter runder Saal. Ein niedriger Holz-
verſchlag lief im Kreiſe herum und theilte ihn in eine
Gallerie nach der Wand hin und in einen größeren Kreis
nach der Mitte. Die Gallerie war mit Strohmatten be-
deckt; der innere Kreis war parquettirt und glatt gebohnt.
In der Gallerie ſtanden, knieten und ſaßen einzelne Tür-
ken, und wir, obwohl nicht ohne Scheu, ſtellten uns unter
ſie. Der Kreis in der Mitte war bereits mit Derwiſchen
angefüllt; die meiſten knieten und beugten dabei in ſchau-
kelnder Bewegung den Oberkörper zur Erde, ſo daß das
Geſicht den Boden berührte, ſtets in der Richtung nach
Mekka; andere blieben in dieſer Stellung längere Zeit
liegen. Sie trugen lange weite Mäntel von hellen Far-
ben, lila, hellbraun, roſa, blau, die ihnen bis zu den
Füßen reichten; barfuß, den Hals bloß, hatten ſie auf
dem Kopfe dicke Filzmützen, genau von der Geſtalt und
Farbe unſerer irdenen Blumentöpfe. Es waren kräftige
Geſtalten im reifen Mannesalter, nur einzelne ſchienen
jünger. Einer, von ihnen abgeſondert, trug ſtatt der
Filzkappe einen grünen Turban; ein ſchwarzer Bart um-
gab ſein volles, blaſſes Geſicht mit großen dunkeln Augen.
Er ſchien der Vorſteher zu ſein, und Theodoro verſicherte,
daß er ein Abkomme des Propheten Mahomed ſei. Ein
ältlicher, gebückter Mann mit weißem Bart ſtand ihm in
ſeinem Amte bei, erhielt aber nicht die Zeichen von Ehr-
– 126 –
furcht, wie jener jüngere. Es fanden ſich nach und nach
noch mehr Derwiſche ein und das Knieen und Beten
wurde vertauſcht mit einem feierlichen Umgange längs
der Gallerie. Dann folgte ein Geſang, der von drei
Inſtrumenten auf einer Art Emporkirche, einer Hoboe,
einer Geige und einer Pauke begleitet wurde. Der Ge-
ſang war ohne Rhythmus, auch kehrte ſtets dieſelbe ein-
fache Melodie wieder; dennoch lag in dieſer Muſik der
Charakter der Klage, der Wehmuth, des Inſichgehens,
und die Harmonie bewegte ſich, wenn auch unbeſtimmt,
in weichen Akkorden.
Nach dem Geſang folgte eine Art freier Vortrag des
Vorſtehers im grünen Turban, von dem wir ſo wenig,
wie von dem Geſange etwas verſtanden; dann folgte
wieder der feierliche Umzug und wir waren ſchon im Be-
griff, nachdem wir dieſe einfachen Weiſen lange betrachtet,
uns zu entfernen, als auf einmal die Muſik jener drei
unſichtbaren Inſtrumente einen bewegtern, lautern Charak-
ter annahm, die Pauke ſchlug ſtärker und die Derwiſche
warfen auf den Wink ihres Vorſtehers ihre Mäntel ab.
Sie waren nun alle in weißwollene Weiberröcke gekleidet,
die mit kurzen Aermeln an den Oberkörper anlagen, aber
von den Hüften abwärts ein faltenreiches Gewand bil-
deten, das bis zu den bloßen Knöcheln reichte. Sie ſtanden
ringsherum im Kreiſe hintereinander, und mit dem Ab-
werfen der Mäntel begannen ſie kreiſelartig ſich zu drehen.
Obgleich die Drehungen ziemlich ſchnell gingen, ſo ver-
änderten ſie doch wenig ihren Ort; nur langſam voll-
führten ſie, wie die Trabanten eines Planeten, neben
dieſem Drehen um ſich ſelbſt auch noch ein Drehen an
dem Rande des Kreiſes herum. Der weiße, faltenreiche
Rock wurde von der Luft ballonartig aufgetrieben. Die
Arme wurden wagerecht weit ausgeſtreckt, der Kopf ſchief,
– 127 –
ein wenig verdreht gehalten. So war der ganze Um-
kreis des inneren Raumes mit weißen drehenden Der-
wiſchen gleich umgekehrten Kreiſeln ausgefüllt, während
in der Mitte der Vorſteher mit dem älteren Gehülfen
langſam in entgegengeſetzter Richtung herumwandelte.
Dies Drehen mit der immer lärmender werdenden Muſik
dauerte an 10 Minuten. Keiner von den Tänzern ver-
lor das Gleichgewicht, keiner ſtieß an den andern, ob-
gleich ſie einander nahe ſtanden, nur an den Geſichts-
zügen erkannte man die ſteigende Aufregung und eine be-
ginnende Betäubung. Neben der Muſik hörte man nur
das Rutſchen der bloßen Füße auf dem gewichſten Boden.
Auf das Zeichen des Vorſtehers hörte plötzlich das Drehen
auf; jeder blieb wie angewurzelt an ſeiner Stelle, ohne
zu ſchwanken; ſie begannen einen neuen Umgang, der eben
ſo plötzlich wieder in ein Drehen überging, aber ſchneller
und wilder. So wechſelte Gehen und tanzendes Drehen
dreimal, dann nahmen die Tänzer ihre Mäntel wieder
auf, hüllten ſich in ſie, begrüßten den Vorſteher, knieten
nach Mekka hin nieder, und küßten die Erde. Damit
ſchloß dieſer Gottesdienſt und die Derwiſche gingen wie
andere vernünftige Menſchen geſetzt nach Hauſe.
Wir ſelbſt waren vom Zuſehen drehend geworden und
hatten Mühe, uns zu beſinnen, daß wir in keinem Irren-
hauſe geweſen. Anderthalb Stunden waren im Anſehen
dieſes anſteckenden Taumels verfloſſen.
– Welche Mannigfaltigkeit in der Verehrung der Gott-
heit! rief ich; bei uns ſammelt man mit Gewalt ſeine
Gedanken, um die Myſterien der Religion, die der Prediger
verkündet, zu verſtehen; hier dreht man ſich, um alle Ge-
danken zu verlieren und damit in der Gottheit aufzugehn.
– Man kann nicht beſtreiten, ſagte M*, daß der
Zweck, die Entäußerung vom Irdiſchen, auf beide Weiſen
erreicht werden kann.
– 128 –
– Die Fertigkeit dieſer Leute im Drehen, bemerkte ich,
iſt bewunderungswürdig; ich habe es im Stillen mit
der Uhr verglichen und gefunden, daß ſie 50 Umdrehungen
in einer Minute machten; da ſie nun dreimal 10 Minuten
lang getanzt haben, ſo ergiebt dies 1500 Umdrehungen
für den kurzen Zeitraum von 40 Minuten. Ich glaube
nicht, daß ein Uneingeweihter ſich mehr als 50 Mal im
Kreiſe drehen kann, ohne beſinnungslos hinzufallen.
– Dennoch, ſagte M**, ſcheint eine Art Sinnengenuß
damit verbunden zu ſein; in den Geſichtern entwickelt
ſich ein Zug von Raſerei, und man weiß nicht, ob man
dieſe Ceremonie zu den ascetiſchen rechnen ſoll, denen
doch dieſer Orden der Derwiſche ſeine Entſtehung verdankt.
– Es giebt, bemerkte Theodoro, außer dieſen tanzen-
den Derwiſchen auch brüllende Derwiſche (qui hurlent);
dieſe letzten können Sie jeden Donnerſtag in Skutari hören.
Wir nahmen uns vor, auch dieſe zu beſuchen, kamen
aber da leider zu ſpät. Mehrere Reiſende ſchreiben auch
von Derwiſchen, die als Gottesverehrung glühende Kugeln
anfaſſen, Meſſer verſchlucken; Niemand in Konſtantinopel
konnte uns aber dergleichen nachweiſen. -
Als wir Abends in unſer Hotel zurückkamen, trafen
wir nur eine kleine Geſellſchaft am Mittagstiſch. Neben
mir ſaß ein ältlicher Herr mit grauem Backenbart und
rother Militärjacke. Er war geſprächig und ſtellte ſich
mir als Mr. A), Regimentsarzt vom 28. engliſchen In-
fanterie-Regiment vor. Er war eben mit ſeiner Frau,
die neben ihm ſaß, aus dem Lager von Varna gekom-
men. Er hatte mit dem Regiment 25 Jahre in Indien
geſtanden, war dann nach England zurückgekehrt und hatte
im Frühjahr ſich mit dem Regiment nach Gallipoli und
ſpäter nach Varna eingeſchifft. Er hatte mit ſeiner Frau
acht Wochen im Lager in Varna zugebracht; ſeine Frau
– 129 –
hatte ein eigenes Zelt eingeräumt bekommen. Beide
klagten vorzüglich über das Waſſer in Varna; es wäre
ſo ſchlecht geweſen, daß ſie es nicht einmal zum Thee
hättee verwenden können. Im Uebrigen hatte die Frau
alle Strapazen des Lagerlebens muthig ertragen; der
Herr Gemahl aber hatte bei ſeinem vorgerückten Alter
bedenkliche Anfälle von Gicht bekommen, die ihn beſtimmt
hatten, ſeinen Abſchied nachzuſuchen. Er war jetzt mit
ſeiner Frau auf dem Heimwege nach England.
Ihnen gegenüber ſaß ein junger Mann in Civilkleidern,
der auch nur engliſch ſprach. Er war ein Verwandter
des Dr. A). und hatte zu der Schiffsmannſchaft des bei
Odeſſa geſtrandeten „Tiger“ gehört. Auf ſein Ehren-
wort, in dieſem Kriege nicht mehr gegen Rußland zu
dienen, war er frei gegeben worden und ging ebenfalls
nach England.
Neben der Frau Dr. A). ſaß ein Herr, der ſich außer-
ordentlich lebhaft mit ihr unterhielt, aber dabei keines
von den vielen Gerichten ungenoſſen vorübergehen ließ.
Die ſpäteren Tage ſahen wir ihn nicht mehr, und auf
unſere Frage ſagte der Kellner, daß er unwohl ſei. Er
iſt, fügte er hinzu, ein Korreſpondent der „Times“ und
er ſendet mit jedem Schiffe Berichte nach England. Er
wohnt ſchon ſeit einigen Monaten bei uns, ohne daß er
ausgeht. Er iſt in der Regel mehrere Tage in der Woche
krank; er leidet am Magen und es ſcheint, daß der Herr,
ſo wie er aufſtehen kann, zu viel ißt und ſich damit
wieder verdirbt. -
Ich traf ihn ſpäter in leidendem Zuſtande auf einem
Lehnſeſſel im Geſellſchaftszimmer. Er war für einen
Engländer ungewöhnlich geſprächig und erzählte mir
unter Anderm, daß er das vorige Jahr in der Wallachei
geweſen und dort auch den preußiſchen Konſul M. in
- 9
– 130 –
Bukareſt in Geſellſchaft der ruſſiſchen Offiziere oft ge-
ſehen und geſprochen habe. -
Es war mir ganz intereſſant, einen ſolchen Korreſpon-
denten in Natura zu ſehen und nach den Mittheilungen
des Kellners über ſein häusliches Leben wurde mir nun
erſt die fahle Allgemeinheit ſo mancher dieſer Zeitungs-
artikel verſtändlich.
------------------------------------
VII.
Die Straßen Konſtantinopels. - Ritt um die Thore.
Man hatte uns vor Allem einen Ritt um die Thore
von Konſtantinopel empfohlen, als den ſchnellſten Weg,
uns zu orientiren. Wir fuhren deshalb am anderen
Morgen nach Stambul über. Am Landungsplatze ſtanden
eine Anzahl türkiſcher Pferdevermiether mit ihren geſat-
telten und gezäumten Pferden an der Hand. Die Mieths-
pferde Konſtantinopels ſind ein kleiner Schlag, inländiſche
Zucht, meiſt Hengſte und von großer Ausdauer. Die
beſſeren Pferde waren ſämmtlich für die franzöſiſche Ka-
vallerie aufgekauft worden. Deshalb waren das, was
wir ſahen, meiſt alte Thiere; aber dennoch war es ſelten,
daß ſie einen Fehltritt thaten und einzelne anſtrengende
Proben überzeugten uns, daß dieſe abgetriebenen und
ſchlecht genährten Pferde mehr leiſteten, als man in
Deutſchland ſelbſt kräftigen Pferden zumuthet. Zaum
und Sattelzeug war durchaus liederlich und halb zerriſſen.
Ein Beſtandtheil, auf den dagegen mit mehr Sorgfalt
von ihren Herren gehalten wurde, waren Halsbänder von
bunten Glasperlen, die ihnen als Amulette gegen den
böſen Blick um den Hals gehangen werden, und die oft
9
– 132 –
noch mit ſeidenen Schnüren und Quaſten verziert ſind.
Die Sättel ſind jetzt in Konſtantinopel meiſt in engliſcher
Form; türkiſche Sättel fanden wir nur in Aſien. Die
Pferde ſind ſtark beſchlagen, aber die Eiſen ſind ohne
Stollen, ganz glatt. Es ſcheint dies in Folge des ſchlech-
ten Pflaſters zu geſchehen, auf dem die Pferde fortwäh-
rend gehen müſſen; ſie rutſchen zwar deshalb leicht und
die ſteilen Straßen bergab glaubt man nicht mit geſun-
den Gliedern herabzukommen; aber man bemerkt bald,
daß dies Rutſchen und Glitſchen der Pferde die ſteilen
Straßen herab ſie mehr gegen das Fallen ſchützt, als
wenn ſie mit den Stollen in den Löchern und Ritzen
hängen blieben.
Wir mietheten drei Pferde für uns und Theodoro
für vier Thaler; ein Burſche des Pferdevermiethers lief
auf dem ganzen Wege zu Fuß neben uns her. Wir
hatten erſt einen langen Weg durch die Straßen Stam-
buls zurückzulegen, ehe wir an die Thore gelangten.
Die Straßen und das Leben in ihnen iſt das, was
zuerſt die Aufmerkſamkeit des Reiſenden in Anſpruch
nimmt. Sie gleichen ſich einander in Konſtantinopel
mehr, als in irgend einer europäiſchen Stadt. Sie ſind
alle krumm, enge, ſchmutzig und überaus ſchlecht gepflaſtert.
Der Rinnſtein geht in der Mitte und die Seiten ſind
abſchüſſig; die Pferde ruſchten oft ab in die Goſſe in
der Mitte und ſpritzen den Koth nach allen Seiten. Das
Pflaſter iſt aus großen ungleichen eckigen Steinen gelegt
und die dadurch unvermeidlichen Lücken ſind an vielen
Stellen zu großen Löchern ausgetreten. So lange die
Straße wagrecht führt, iſt dies noch erträglich, aber die
Mehrzahl der Straßen geht bergauf und bergab, oft ſteil,
und dann iſt nicht blos das Reiten, ſondern auch das
Gehen eine Aufgabe, die gute Beine nnd ſtete Aufmerk-
– 133 –
ſamkeit erfordert. In ganz Konſtantinopel giebt es keine
Wagen, weder für Fracht noch für Perſonen. Die große
Mehrzahl aller Stände und Nationen geht zu Fuß; nur
Fremde und höhere Beamte, die nach ihren Bureau's
reiten, ſieht man hin und wieder zu Pferde; alle Waaren
und Laſten, die man in Europa auf Wagen fortſchafft,
werden hier entweder von einer eignen Klaſſe Leute, den
Hamals, Laſtträgern, getragen, oder auf Pferde geladen.
So haben wir volle Fäſſer von 6 Oxhoft durch Menſchen
forttragen ſehen; es tragen 10–16 Mann an ſolch einem
Faß; vermittelſt langer Stangen wird die Laſt kunſtge-
recht auf die einzelnen vertheilt. Auf Pferden ſchafft
man ebenſo alles mögliche fort; ſelbſt kleingemachtes
Brennholz oder Ziegelſteine, und zwar blos mittelſt Stricke,
durch die man dieſe Steine untereinander zuſammenbindet
und dann auf beiden Seiten des Pferdes anhängt.
Wagen ſind nur in Gebrauch als Kutſchen zum Spa-
zirenfahren der Frauen aus den Harems der reichen
Türken. Dieſes Fehlen der Wagen und die Seltenheit
der Reiter kommt den Fußgängern weſentlich zu ſtatten.
Man leidet deshalb wenig von dem Staub und iſt nie
Sorge, umgefahren zu werden.
So einförmig wie die Straßen ſelbſt, ſind auch die
Häuſer zu beiden Seiten. Der untere Theil derſelben,
8–10 Fuß hoch, iſt von Bruchſteinen aufgebaut, aber
ohne berappt und angeſtrichen zu ſein. Darauf ruht der
obere Bau, aus Holz, ein bis zwei Stock enthaltend.
Sehr oft iſt er nicht gleichlaufend mit den unteren Mauern
aufgeſetzt, ſondern in ſchiefen Abſätzen, ſo daß mehrere
Ecken des Holzbaues an zwei Fuß über die Steinmauer
hervortreten. Die Türken haben eine leidenſchaftliche
Vorliebe für Altane und Vorbaue, und wo dieſe nicht
ausführbar ſind, ſuchen ſie ſich durch ſolche eckige Vor-
– 134 –
ſprünge zu helfen. In dieſen hölzernen Stockwerken fehlt
es nicht an Fenſtern; in den beſſeren Häuſern iſt die
Wand eine fortlaufende Fenſterreihe; aber dieſe Fenſter
ſind durch Holzgitter von außen ſo dicht verſchloſſen, daß
man kaum von dem Glaſe etwas erkennen kann. Ein
Theil des Hauſes hat die obere Hälfte der Fenſter noch
frei, der andere Theil iſt aber völlig vergittert und die
Gitter ſind hier noch dichter; dies iſt die Wohnung der
Frau, die von der des Mannes ſtreng getrennt iſt. Die
Häuſer haben alle einen rothbraunen Anſtrich, der von
dem aufliegenden ſchweren Dach von Hohlziegeln wenig
abſticht. Eine über Alles liegende dichte Staubdecke ver-
wiſcht die letzten Unterſchiede. Nie ſieht ein Menſch aus
dieſen Häuſern heraus; die Fenſter ſcheinen gar nicht
zum Oeffnen eingerichtet. In der Größe ſind die Häuſer
wenig verſchieden; ſie ſind ſo klein, daß gewöhnlich nur
eine Familie darin wohnt. Es giebt allerdings auch
Stadttheile mit großen Häuſern, den Wohnungen der
Reichen und hohen Beamten; allein die Straßen leiden
durch ſolche Wohnungen noch mehr; dieſe großen Häuſer
ſind in geräumige Höfe gerückt und der Straße entlang
läuft nur eine hohe, beſtaubte Mauer, die von den da-
hinter liegenden beſſern Gebäuden nichts erkennen läßt.
Ein davon abweichendes, freundlicheres Ausſehen bieten
nur die wichtigeren Verbindungsſtraßen des Verkehrs.
Sie ſind zwar weder gerader, noch breiter, noch beſſer
gepflaſtert, aber das untere Stock der Häuſer iſt hier zu
Läden und Werkſtätten umgewandelt, welche nach der
Straße zu völlig offen ſind und in denen die Bewohner
ihre Gewerbe, gleichſam auf offener Straße treiben; hier
iſt die todte, ſchmutzige Steinmauer durch ausgeſtellte
Waaren und thätige Menſchen verdrängt.
In grellem Gegenſatz zu dieſen vergitterten Häuſern
– 135 –
und unwegſamen Pflaſter ſteht das Gewühl, das dieſe
Straßen erfüllt. In den Straßen Konſtantinopels iſt
ein Treiben der Menſchen, was nach Verhältniß der
Breite dieſer Straßen noch das Treiben auf den Straßen
Londons übertrifft.
Die Mehrzahl gehört zu den Männern der arbeiten-
den Klaſſe. Es ſind die Laſtträger, die hunderterlei
Verkäufer von Früchten, Gemüſen, Zuckerwerk, friſchem
Waſſer; die Einkäufer für den Hausbedarf, die Pferde-
vermiether, die Handelsleute aus Cirkaſſien, Perſien, die
Araber, die Armenier, die Griechen, die Juden. Zwiſchen-
durch kommt ein Beamter auf ſeinem Pferde, gefolgt von
zwei Dienern. Der eine hält ſich hinten am Sattel und
trägt die ſchwarze Mappe mit den Schriften; der andere
folgt daneben mit einem langen Schlauch von blauem
Tuch, in dem die Pfeife ſteckt. Auch Soldaten trifft mau;
in ihren weißen Hoſen, blauem Rock und weißem Leder-
zeug würde man ſie für preußiſche Soldaten halten, wenn
ſie nicht den rothen Feß mit der blauen Quaſte trügen.
In dem Gewühl ſieht man auch Frauen; meiſt ſind es
zwei bis drei, die wohl noch ein Kind an der Hand führen.
Ein weißer Schleier, der um Kopf und Hals gewunden
iſt, läßt nur die Augen und die Naſenwurzel frei; und
ein langer einfarbiger Mantel ohne Schnitt verhüllt die
Geſtalt, ſo daß man nicht erkennt, ob man einem Mädchen
von 16 oder einer Frau von 60 Jahren begegnet. Ohne
Strümpfe, tragen ſie weite gelbe Halbſtiefeln und gelbe
Pantoffeln darüber. Wenn man einer Frau mit Schuh-
werk von anderer als gelber Farbe begegnet, ſo iſt dies
das Zeichen, daß es keine Türkin, ſondern eine Jüdin
oder eine Armenierin iſt. Alle Männer weichen den
Frauen aus, und Niemand als etwa ein Europäer ſieht
ihnen in das Geſicht.
– 136 –
Trotz des Gewühls bewegt ſich der Einzelne gemeſſenen
Schrittes; von dem Rennen der Fußgänger europäiſcher
Hauptſtädte iſt nichts zu ſehen. Aber die bunten Trachten
dieſer Menge heben ſich lebhaft aus dem grauen Unter-
grnnd der Straßen und Häuſer. Alles kleidet ſich in
leicht kattunene Stoffe von lichten, blendenden Farben;
die Männer tragen weite kurze Beinkleider, rothe Schuhe,
ſonſt barfuß bis zu dem Knie; eine gelbe, rothe, bunte
Jacke mit bloßen Armen; auf dem Kopf den rothen Feß
mit der blauen Quaſte oder den Turban. Die Mäntel
der Frauen ſind einfarbig, aber lila, gelb, ziegelroth, blau.
Ein großer Theil dieſer Menge zeigt ſtatt des weißen,
das glänzend ſchwarze Geſicht der Neger, mit breitem
vorſtehendem Backenknochen. Unter allen Klaſſen findet
man dieſe Neger, die meiſt als Sklaven in ihrer Jugend
nach Konſtantinopel kommen; aber am meiſten überraſcht
es, wenn man aus dem weißen Frauenſchleier plötzlich die
fettglänzende ſchwarze Haut einer Negerin, mit ſtechenden
ſchwarzen Augen im weißen Augenring hervorgucken ſieht.
Das Gewühl wird oft zum Gedränge durch die
Pferde, welche, eins hinter dem andern, Balken die Straße
entlang ſchleppen oder Fäſſer an der Seite tragen und
denen auszuweichen kaum noch ein Platz bleibt. In den
Straßen am Waſſer begegnet man auch Zügen von Ka-
meelen, die mit einem Reiter auf kleinem Pferde voran,
vom Lande Kalk und anderes Material auf ihren hohlen
Rücken herein bringen und mit ihrem Kopfe auf hohem,
geſchwungenem Halſe hoch über die Fußgänger hinwegragen.
Aber auch Thiere in ihrer vollen Freiheit machen
ſich neben den Menſchen geltend. Die Hunde Konſtan-
tinopels ſind weltbekannt, man weiß, daß ſie herrenlos
zu Tauſenden auf den Straßen leben und an Stelle der
Polizei für die Reinigung der Straßen ſorgen, indem ſie
– 137 –
den Abfall der Küchen und Fleiſchläden verzehren. Sie
ſind alle von einer Race, haben die Geſtalt und Größe
unſerer Schäferhunde, ſind von braungelber Farbe und
gleichen in Vielem ihrem Vetter, dem Wolfe. Sie leben
Tag und Nacht, Winter und Sommer auf den Straßen,
halten ſich truppweiſe zuſammen und weichen nicht aus
gewiſſen Straßen, gleich ihrem Reviere; ſie leiden aber
auch hierin keinen fremden Hund und wenn irgend ein
ſolcher Unglücklicher ſich dahin verirrt, ſo fällt die Meute
über ihn her und man hört weithin das Gebell und Ge-
heul, womit er vertrieben wird. Die Einwohner begegnen
ihnen freundlich; der Türke ſchlägt ſie nie und wenn ein
Trupp von ihnen mitten in der Straße liegt, ſo weicht
er ihnen aus, um ſie nicht zu ſtören; er wirft auch für
die Hündinnen einen Lappen in einen Straßenwinkel, wo
ſie das Lager für ihre Jungen zurecht machen können.
Die Hunde ſind daher höchſt gutmüthig und beißen Nie-
mand; ſelbſt der Fremde hat nichts von ihnen zu fürch-
ten und nur des Abends in der Dunkelheit muß man ſich
vorſehen, nicht auf einen in der Straße ſchlafenden Hund
zu treten. Ihre Zahl muß für Konſtantinopel viele Tau-
ſend betragen; denn in der Straße vom Landungsplatze
in Topchane bis zum Hotel d'Europe habe ich allein
27 Stück gezählt. Dennoch hört man in Conſtantinopel
nie etwas von tollen Hunden; man kennt hier weder
Maulkörbe für Menſchen noch für Hunde; bei Letztern
wahrſcheinlich in Folge ihrer halbwilden Lebensweiſe und
der gleichen Zahl beider Geſchlechter.
Neben den Hunden helfen in Reinigung der Straßen
die Geier und andere Raubvögel. Wenn ſie auch nicht
zu Tauſenden über Konſtantinopel ſchweben, wie Schubert
poetiſch ſagt, ſo ſieht man ſie doch oft vertraulich mit
den Hunden am Aas in den Straßen zehren, ohne daß
– 138 –
ſie durch die Vorübergehenden ſich ſtören laſſen, und auf
den Haufen Unrath in der Nähe des Waſſers ſitzen ſie
in großer Anzahl.
Hin und wieder begegnet man auch Kühen von großer
ſtarker Zucht, die man auch für wild halten möchte, ſo
herrenlos laufen ſie in den Straßen herum und freſſen
den Abfall der Gemüſe und Waſſermelonen. Ihre Eigen-
thümer kommen indeſ früh und Abends, ſie zu melken.
Indem wir auf unſern Pferden ſaßen und Theodoro
voranritt, hatten wir vollkommene Muße dieſe bunte
Mannigfaltigkeit in den Straßen zu betrachten. Trotz
des Gedränges und der Enge der Straßen empfanden
wir in Vergleich zu den großen Städten Europas eine
gewiſſe Behaglichkeit; das Ohr iſt nicht durch das Ge-
töſe der Wagen betäubt, und man hat nicht nöthig, fort-
während gegen Wagen und Pferde auf ſeiner Hut zu ſein.
Wir ritten die Waſſerſeite entlang, wo nach der Ver-
ſicherung unſeres Führers Mauern und Thore ſein ſollten;
wir konnten aber wenig davon bemerken; ſie waren durch
Häuſer verbaut. Nach einer halben Stunde hob ſich die
Straße, und indem wir uns links wendeten, gelangten
wir durch ein winkliches Thor und ſahen uns bald im
Freien.
Die Umgebungen der großen europäiſchen Städte hat
die Civiliſation lieblicher gemacht als dieſe ſelbſt; blühende
Gärten, zierliche Landhäuſer, vortreffliche Wege, dunkle
Alleen, keine Stelle Land, die nicht mit der höchſten Sorge
verſchönert oder nutzbar gemacht iſt. Wir ſagten uns
wohl, daß wir hier nicht alles ſo finden würden, aber
dennoch hatten wir ſolchen Gegenſatz nicht erwartet. Un-
mittelbar hinter dem Thore, aus dem wir ritten, hörte
das Leben auf. Ein öder, wüſter Lehmboden zog ſich vor
uns hin; theilweiſe mit Raſen bedeckt, theilweiſe nackter
– 139 –
Lehm, große Stellen mit Diſteln bewachſen, von Waſſer-
riſſen durchſchnitten, zeigte er keine Spur einer menſch-
lichen Wohnung, einer thätigen Hand. Eine Art von
Straße zog ſich auf dieſem Boden die Stadt entlang,
aber die ſeltenen und von einander entfernten Geleiſe
zeigten, daß, wie auf unſeren Haiden, die wenigen Fuhr-
werke ſich jedes ſeinen eigenen Weg durch Waſſerriſſe und
Löcher geſucht hatte. -
Wir ritten an den Mauern hin, die uns links blieben.
Sie hatten ein ehrwürdiges Anſehen. Aus großen grauen
Steinen mit Zwiſchenlagen von Ziegeln aufgeführt, mit
Zinnen und Schießſcharten verſehen, von zahlreichen vier-
eckigen Thürmen beſchützt, erinnerten ſie uns an die Ruinen
der mittelalterlichen Burgen in Deutſchland; aber ſie ſind
weit koloſſaler und, obgleich verlaſſen wie jene Ruinen,
hat doch ihre außerordentliche Dicke der Gewalt der Men-
ſchen und der Zeit beſſer widerſtanden. Ueberall wachſen
Feigenbäume und Weinreben an ihnen in die Höhe und
Schlingpflanzen hängen herab und mildern die Härte des
Steins.
Neben dieſen Mauern, in dieſer Oede kam ein Ernſt
über uns, den wir mit dem leichten Wohlbehagen euro-
päiſcher Gärten nicht hätten vertauſchen mögen. Wir
meinten, daß ſolche moderne Kultur hier eine Entweihung
des Bodens ſein würde, und daß ſeine düſtere Trauer
und Oede allein den Gräueln entſpreche, die hier, wie
nirgends, geſchehen ſind ſeit dem Beginne der Geſchichte.
Vierundzwanzig Belagerungen haben dieſe Mauern aus-
gehalten, von Alcibiades bis Muhamed II., die Griechen,
die Römer, die Gothen, die Kreuzfahrer, die Türken haben
unter ihnen und auf ihnen gekämpft; die Sieger haben
Tauſende und Tauſende bei ihnen hingeſchlachtet und viel-
leicht iſt kein Fleck, wo der Huf unſerer Pferde hintritt,
– 140 –
der nicht von dem Blute der Kämpfenden, der Gemor-
deten getränkt worden iſt. Wer möchte da dieſen Boden
mit Pavillons, mit Schaukeln und Blumenbeeten über-
tüncht ſehen?
Indem wir den Weg längs den Mauern weiter ver-
folgten, überſchritten wir die große Straße nach Adria-
nopel und andere, ohne daß die Umgegend ſich änderte.
Mehrere türkiſche Kirchhöfe blieben uns rechts; auch dieſe
hatten, ein wüſtes, verfallenes Anſehen; zahlloſe Leichen-
ſteine und alte Cypreſſen ſagten, daß ſchon viele Gene-
rationen hier ruhten; indem der Wind die eigenthümlich
trockenen Aeſte dieſer Cypreſſen ſchüttelte, gab es ein Ge-
klapper, als wenn die Gerippe in den Gräbern ſich regten.
Und dennoch war es heller Tag; die Sonne ſchien
heiß und wir waren froh, als Theodoro uns zu einem
Kaffeehauſe brachte, wo wir abſteigen und in dem Schatten
der Platanen ruhen konnten.
Wir waren an der Kirche des heiligen Jrnerius, der
älteſten der noch vorhandenen griechiſchen Kirchen in
Konſtantinopel und von der Gemahlin Juſtinians gebaut.
Unſer Führer beſtand darauf, daß wir ſie beſehen mußten.
Sie iſt ein Bauwerk mäßiger Größe, weder ſchön noch
impoſant; im Innern ſehr mit Teppichen und goldenen
Schnörkeleien überladen, daneben zeigte man uns den Be-
gräbnißplatz der griechiſchen Patriarchen, wo auf ſchönen
marmornen Grabſteinen ihr Name und ihre Heiligkeit zu
leſen waren. In einer Niſche bei der Kirche, zu der man
auf mehreren Stufen unter die Erde ſteigen muß, be-
findet ſich ein Quell, in dem nach einer griechiſchen Le-
gende geröſtete Fiſche herumſchwimmen. Wir ſahen aller-
dings fingerlange Fiſche darin, die aber ſchwerlich in der
Bratpfanne gelegen hatten; ſie ſchwammen ganz wohlge-
muth herum. Dennoch laſſen ſich die Griechen in ihrem
– 141 –
Glauben nicht irre machen. Nach „Hammer's Konſtan-
tinopel“ waren es anfänglich Goldfiſche, die hier zur
Zeit der griechiſchen Kaiſer aufbewahrt wurden; die
Leidenſchaft für Wunder hat ſpäter geröſtete Fiſche dar-
aus gemacht. -
Ehe wir das Ende der Mauer nach dem Mormora-
meere zu erreichten, führte man uns noch in das griechiſche
Hospital. Mit wahrer Hospitalität wurden wir empfangen,
in ein Zimmer mit Divans geführt, und mit Kaffee be-
wirthet, bis der erſte Arzt eintrat und uns auf unſere
Fragen bereitwillig Beſcheid gab. Da der Staat in
der Türkei die Sorge für hülfloſe Kranke nicht zu ſeinen
Pflichten rechnet, ſo haben ſich ſeit lange dieſe Privat-
Aſſoziationen gebildet, und zwar nach dem hier natür-
lichen Princip der Nationalitäten. Es giebt griechiſche,
armeniſche, jüdiſche, lateiniſche Hospitäler. Das griechiſche,
in dem wir waren, beſtand aus einem doppelten Viereck
von langen Gebäuden und wird an Größe der Charité
in Berlin wenig nachgeben. Es hat durch Teſtamente,
Geſchenke und freie Beiträge über große Mittel zu ver-
fügen und die Einrichtung ſchien uns Laien vortrefflich.
Für die Geneſenden waren Gärten vorhanden; die Säle
waren höchſt reinlich und nach den verſchiedenen Krank-
heiten ſo wie nach Geſchlechtern geordnet. Für ſyphili-
tiſche Frauen war der Saal größer, als wir geglaubt
hatten. Der alte Mann, der uns herumführte, frug, ob
er uns auch die Irren und Wahnſinnigen zeigen ſollte.
Seit dem Beſuche bei den Derwiſchen und dem Gewühle
in den Straßen der Stadt drehte ſich jedoch unſer eigner
Kopf noch ſo, daß wir der Gefahr anſteckender Beiſpiele
uns nicht weiter ausſetzen mochten und uns dankend
empfahlen.
Wir erreichten nun bald das berüchtigte Schloß der
– 142 –
ſieben Thürme, eine Art Citadelle an der Seeſeite der
Stadt. Es zeichnet ſich äußerlich nur durch die hier
dichter ſtehenden und ſtarken Thürme vor den andern
Theilen der Feſtungsmauer aus, es iſt eben ſo verfallen
wie dieſe. In alten Zeiten hat man in einem der Thürme
die Gefangenen in den ſogenannten Blutbrunnen geſtürzt,
ein rundes gemauertes Loch, das in die Tiefe führt.
Später wurde das Schloß zum Staatsgefängniß benutzt
und bei ausbrechenden Kriegen wurden die europäiſchen
Geſandten bis zum vorigen Jahrhundert hier eingeſperrt.
Ein ſolches Recht könnte auch in Friedenszeiten nicht
ſchaden; meinte M*, wenn der Rathgeber zu viel
werden. – Wir hatten keine Luſt das Innere zu ſehen
und eilten auf unſern muntern Pferden in das Freie.
Um die Umgegend kennen zu lernen, nahmen wir
einen weiten Umweg. Der Boden hebt und ſenkt ſich
hier in gefälligen Linien; wir fanden einige Gärten und
weiterhin einen größern Strich abgemähter Weizenfelder,
wo man auf einer Tenne im Freien den Weizen durch
Ochſen und Kühe austreten und auswalzen ließ. In
einer Einzäunung ſtand eine größere Heerde Kühe, und
eine hölzerne Bude ſchien den Arbeitern als Wohnung
zu dienen. Dies iſt eine der Meiereien des Sultans, ſagte
Theodoro; es giebt deren noch einige hier in der Nähe.
Alle Spur einer ſolchen Meierei verſchwindet, ſo wie das
Getreide ausgewalzt und gereinigt iſt. Menſchen und
Vieh ziehen dann fort. Zum Frühjahr wird der Boden
einmal mit einem rohen Pfluge umgeriſſen und beſäet.
Dies genügt, ohne Düngung, um bei der fruchtbaren
Erdart und dem milden Klima eine gute Erndte zu ge-
winnen. Wahrſcheinlich läßt man den Boden von Zeit
zu Zeit brach liegen. Dies iſt die Stufe, auf der wir
die Landwirthſchaft unmittelbar bei der Hauptſtadt und
Unter den Auſpizien des Sultans antrafen.
– 143 –
Der Feldbau war uns in dieſer Weiſe nicht hinder-
lich, quer durch, den gradeſten Weg nach Daud Paſcha
zu wählen, wo eine der großen Kaſernen ſteht, die ſeit
Vernichtung der Janitſcharen von den Sultanen gebaut
worden ſind. Sie hatte in ihrem äußern Anſehen große
Aehnlichkeit mit den Kaſernen um Berlin; wir fanden ſie
nur größer und zwei Thürme zierten in der Mitte die
beiden Hauptgebäude. Die rothbraune Farbe, die Leiden-
ſchaft der Türken, war auch hier zur Ausſchmückung der
Mauern viel benutzt. Die Kaſerne liegt auf einer Hoch-
ebene und vom Bosporus geſehen ragt ſie mit ihren
langen Gebäuden noch über Konſtantinopel hervor. Wir
trafen in ihrer Nähe auf zwei Lager, ein türkiſches und
ein franzöſiſches. Die franzöſiſchen Soldaten wanderten
zerſtreut umher und ſchienen an Langeweile zu leiden;
am lebendigſten war es noch bei einem aus Zelten im-
proviſirten Kaffeehauſe, wo die Türken für die blanken
Frankenſtücke ihre Alliirten mit Kaffee bedienten.
– Da, wo Sie dieſe Lager ſehen, ſagte Theodoro,
verſammelten ſich ſonſt, wenn es Krieg mit Europa gab,
die türkiſchen Heere; hier wurde die Fahne des Propheten
aufgepflanzt und bis hierher begleitete ſie der Sultan.
Wir wandten uns nun, nach der Stadt zurück, und
kamen nach einem mühſamen Ritt durch eine Gegend,
die von Schluchten und Waſſerriſſen durchſchnitten war,
nach der lieblichen Vorſtadt Ejub, die hier das Ende von
Stambul bildet. Sie liegt in einem ſteil abfallenden
Seitenthale des goldenen Horns und hat ihren Namen
von Hiob, einem Gefährten des Propheten Mohamed,
welcher bei einer Belagerung Konſtantinopels im ſiebenten
Jahrhundert hier fiel. Bei der letzten Belagerung 1453
war der Muth der belagernden Türken ſchon ſehr ge-
ſunken. Man ließ deshalb den geiſtlichen Rath Moha-
– 144 –
meds II., den Scheich Ak-Shemſeddin mittelſt einer Vi-
ſion die verlorene Grabſtätte Ejubs wiederfinden und
dies begeiſterte die Türken ſo, daß die Eroberung bald
folgte. Noch in demſelben Jahre ließ Mohamed II. das
Grabmal und die Moſchee von Ejub bauen, die noch jetzt
durch ihre Lage und Bauart eine der ſchönſten Konſtan-
tinopels iſt. Wohlgepflegte Gärten, über deren Mauern
wir von unſern Pferden aus herrliche Baumgruppen von
Platanen, Terebinthen und Weingeländer voll reifender
Trauben erblickten, beſtätigen, was der Führer uns ſagte,
daß Ejub der Lieblingsaufenthalt der Türken ſei und daß
der Moslim es für ein beſonderes Glück halte, dort be-
graben zu werden.
Auf das Zureden von Theodoro nahmen wir, ob-
gleich ſchon ziemlich erſchöpft von dem ungewohnten Ritt,
den Weg links, das goldene Horn hinauf, um mittelſt
dieſes Umweges die Anhöhe von Pera von der Rückſeite
zu erreichen. Hinter Ejub trat wieder plötzlich die frühere
Oede ein. Wir folgten den Waſſern, die hier ſich ſchon
aus einem blauen Meeresarm in einen trüben grünlichen
Fluß verwandelt hatten. Das Thal war weit und der
Fluß floß träge in mehreren bald ſich trennenden, bald
ſich vereinenden Armen; in dem Schilfe ſtanden Ochſen,
von ſchwarzer Farbe, großem Bau und langen, völlig
rückwärts gebogenen Hörnern. Am Ufer zogen ſich ohne
Ende fahle, niedrige Gebäude hin, die Ziegeleien Konſtanti-
nopels, wo die Ziegel zu ſeinen Bauten geformt und ge-
brannt werden. Weiter hinauf verloren ſich zuletzt auch
dieſe Spuren menſchlicher Thätigkeit; das Thal wurde
enger, ſpaltete ſich in mehrere Gründe, aus deren jedem
ein fließendes Waſſer hervorkam und wir ſahen uns in
einer Einöde, die von hohen, aber ſanft aufſteigenden
Bergen bekränzt, anmuthig und lieblich uns umgab, ob-
– 145 –
gleich wir nur eine Stunde von der Hauptſtadt des tür-
kiſchen Reiches entfernt waren.
Eine Brücke führte uns endlich auf das jenſeitige
Ufer. Hinter einem vorſpringenden Bergabhange begeg-
neten uns wieder die erſten lebenden Weſen, eine Reihe
Kameele, die mit ihrem Führer auf einem Kreuzweg von
der Hauptſtadt zurückkamen. Wir ritten über die Höhe
und glaubten ſchon Pera erreicht zu haben, als der Weg
ſich wieder ſenkte und wir uns in dem berühmten Thale
der ſüßen Waſſer von Europa befanden. Es iſt dies
ein Lieblingsvergnügungsort der Türken und Griechen;
jeden Sonntag füllt er ſich mit Spaziergängern, die hier im
Freien an der Luft und dem Grün der Bäume ſich er-
freuen. Es iſt ein Thal mit einem breiten Raſengrund,
von einem der in das goldene Horn mündenden Flüſſe
durchſtrömt. Die Gegend erinnerte uns an Richmond
bei London. So wie dort die Themſe nach kurzem Wege
aus einem ungeheuren Hafen in ein beſcheidenes Flüßchen
ſich verwandelt, ſo auch hier. Das Thal hier iſt aber
anziehender durch ſeine Stille und Abgeſchiedenhett, und
durch die weit mächtigeren und mannigfaltigeren Baum-
gruppen der ſüdlichen Vegetation; ſchlanke Bäume trugen
ſchon weitreichende Kronen und Platanen von mehreren
Fuß Durchmeſſer hatten noch am Stamme die glatte,
reine Rinde jugendlicher Bäume. Nichts unterbrach hier
das ruhige Walten der Natur; keine Reihen weißer Tiſche
und Stühle, kein Orcheſterplatz, keine Schaukeln, keine
mit Sand beſtreuten Wege, kein Klappern von Gläſern
und Tellern, nichts von dem in Europa unvermeidlichen
Zubehör großſtädtiſchen Naturgenuſſes. Ein einziges un-
bedeutendes Kaffeehaus lehnte, kaum bemerkbar, an einer
Platanengruppe; ein Pavillon des Sultans, nicht weit
davon, war ſo ſtill, wie das Thal; alle Thüren waren
10
– 146 –
verſchloſſen und kein Kaſtellan verjagte den neugierigen
Beſchauer.
Am Ende dieſes lieblichen Thalgrundes lag ein tür-
kiſches Dorf, wo wir die Pferde tränken ließen. Man
bewirthete uns mit Joggurd in kleinen Schüſſeln, einer
Lieblingsſpeiſe der Türken, die aus Milch und Bierhefen
bereitet wird. Eine Geſellſchaft junger Mädchen ging an
uns vorbei, in den bunteſten Farben gekleidet; weite gelbe
oder weiße Pantalons und bunte Oberkleider; ein Shawl
loſe um die Hüften gewunden; alle ohne den verhüllen-
den Schleier uud entſtellenden Mantel der Türkinnen.
Unſer Führer ſagte, es wären Töchter armeniſcher Fami-
lien, die während des Sommers hier wohnten. Wir
waren neugierig, hübſche Aſiatinnen zu ſehen, folgten
ihnen und ſuchten durch Pantomime eine Unterhaltung
zu beginnen. Sie ſchienen über ihre europäiſchen Ver-
ehrer anfänglich verwundert; dann lachten ſie über die
ihnen unverſtändlichen Zeichen, und als ich endlich einem
niedlichen bloßen Fuße, der auf einem abſcheulichen Holz-
pantoffel lief, zu nahe kam, hob der ganze Trupp Mäd-
chen die Hände drohend in die Höhe und wir ſchieden
unverſtanden und vergeſſen.
Auf der Anhöhe erreichten wir endlich gegen 4 Uhr
Nachmittags Pera; eine lange breite Straße mit großen
öffentlichen Gebäuden, alle im modernen europäiſchen
Styl, führte uns in engere krumme Gaſſen und dieſe zu-
letzt zu unſerem Gaſthofe, wo bereits der Burſche wartete,
um die Pferde und einen Lohn für ſeine Ausdauer in
Empfang zu nehmen. Wir waren von früh 7 Uhr bis
4 Uhr Nachmittags, zwei kurze Pauſen ausgenommen,
nicht von den Pferden gekommen und hatten bald im
Schritt, bald im Galopp ganz Konſtantinopel von der
europäiſchen Seite zweimal umritten.
- - - - - - - - -“---------------------
vIII.
Die Promenade von Pera.
Am Mittagstiſch erzählten wir unſere Schickſale und
daß wir morgen zur Stärkung der ungelenk gewordenen
Glieder ein türkiſches Bad nehmen wollten. Der Dr. A).
mit Frau war in ächt engliſcher Weiſe nicht aus dem
Gaſthofe gekommen; indeß, von unſerer Unruhe angeſteckt,
erbot er ſich für den folgenden Morgen zum Begleiter
bei dem Bade. Wir redeten Beiden zu, mit uns zur
Promenade der petits champs des morts zu gehen, wo
die ſchöne Welt von Pera jeden Abend ſich ergeht. Nach-
dem Herr Dr. A). die Frau Dr. A). fragend angeſehen,
wurde ja geſagt; Frau Dr. A). ließ ſich Hut und Man-
tille holen und halb neun Uhr Abends rückten wir aus;
der Dr. A). in ſeiner rothen Militärjacke, ich in einem
gelben Nankingrocke, M* reiſemäßig grau, Frau A).
in blauſeidenem Kleide mit großem runden Strohhute.
M* war ſo freundlich, Herrn Dr. A). zu führen, und
ich bot Frau A). meinen Arm.
Es war keine geringe Aufgabe, hier eine Dame zu
führen. Die enge Straße ging anfangs ſteil in die
Höhe und ſenkte ſich dann eben ſo ſchnell; das Mond-
licht konnte nicht in die engen Straßen dringen, und
10
– 148 –
wenn man in dem dunkeln Schatten der Häuſer die lich-
teren Stellen des Pflaſters ſuchte, trat der Fuß unver-
muthet auf eine weiche Maſſe, und ein Hund ſprang
beißend aus ſeinem Lager.
Die Promenade war ein langer, ungepflaſterter, holpri-
ger Weg, theilweiſe noch durch Baumaterial verengt, mit
einer Reihe hoher Häuſer zur Rechten und einem großen
türkiſchen Kirchhof zur Linken, über deſſen Cypreſſen und
Leichenſteine hinweg man bei dem ſteil abfallenden Boden
am Tage einen hübſchen Blick auf das goldene Horn
hatte; aber dieſen Abend ſah man nur einzelne Lichter
in der Tiefe und fahle Leichenſteine zwiſchen ſchwarzen
ſtarren Baumpyramiden. Dies war der Weg, wo täglich
von 8–11 Uhr Abends alles was von Europäern und
Griechen nicht reich genug iſt, um am Bosporus eine
Sommerwohnung zu beziehen, ſich ergeht, ſich ſieht und
ſich ſehen läßt; denn hier zeigt ſich das ſchöne Geſchlecht
in europäiſcher Sitte unverhüllt; kein Türke, keine Türkin,
kein orientaliſches Koſtüm ſtört die rein europäiſche Ge-
ſellſchaft.
Man wandelt, wenn der Mond nicht ſcheint, in ziem-
licher Dunkelheit; nur im Mittelpunkt ſind bei einem
Konditor einige Laternen angebracht, und ein Orcheſter
von Wiener Muſikern ſpielt die neueſten Tänze und
Potpourris von Deutſchland auf. Hier ſind, ſo weit es
die enge Straße erlaubt, Tiſche und Stühle aufgeſtellt;
man raucht, ißt Eis, trinkt Limonade, plaudert und horcht
der Muſik. Der Konditor zahlt der Muſikgeſellſchaft
10,000 Piaſter (500 Thlr.) monatlich, ſoll aber dabei
gut ſpekulirt haben. Der ſchöne Sternhimmel, der links
über dem Kirchhof ruht, und die kühle Luft nach der
Hitze des Tages laſſen bald das Sonderbare der Um-
gebung und das Dürftige an großſtädtiſcher Bequemlich-
– 149 –
keit vergeſſen. Der größte Reiz dieſer Promenade liegt
aber in ihrem Gegenſatz zu der Türkenſtadt, von der ſie
umgeben iſt. Wenn man vom Morgen bis Abend tür-
kiſches Leben, türkiſche Sitte, türkiſche Trachten und tür-
kiſchen Schmutz und nichts anderes bis zur Sättigung
geſehen hat, freut man ſich, die letzte Stunde des Tages,
wie durch einen. Zauber wieder in ſein Vaterland ver-
ſetzt, in abendländiſcher Weiſe zu beſchließen. Nichts als
höchſtens der Wirrwarr der Sprachen erinnert hier daran,
daß man in Konſtantinopel iſt.
Wir ſuchten uns einen Platz in der Nähe der Muſik.
Das Geſpräch führte von dem ſchönen Abend auf ſchöne
Natur, von ſchöner Natur auf Indien, und Herr Dr. A).
erzählte uns, daß vier Söhne von ihm in Ceylon wohnten,
als Beamte und als Pflanzer. Eine Tochter wäre in
England geblieben und von ihm nach Braunſchweig in
eine deutſche Penſion gebracht worden. Nach einem Jahre
hätte er ſie nach England zurückgeholt, aber das Mäd-
chen habe ſolches Heimweh nach Deutſchland bekommen,
daß nichts in England ihr mehr gefallen habe. Er habe
ſich daher entſchloſſen, ſie nach Ceylon zu ihren Brüdern
zu ſenden, und gegenwärtig ſei ſie auf der Hinreiſe und
er hoffe ſie in Malta zu treffen und von ihr Abſchied zu
nehmen. – Reiſt ſie denn ganz allein? frug ich. – Ja,
warum nicht? – Haben Sie noch mehr Kinder in Eng-
land, die Sie bei Ihrer Rückkehr dahin finden? – Nein.
– Aber wie iſt es Ihnen möglich, alle Ihre Kinder ſo
weit von ſich zu trennen; die einzige Tochter nach Indien
zu ſchicken, während Sie nach England gehn? – Herr
Dr. A). ſchwieg auf die Frage und ſah ſeine Frau an.
Ich verſtand den Blick, es war ſeine zweite Frau. Es
wurde mir ſehr ſchwer, ſie wieder nach Hauſe zu führen.
---
IX.
Ein türkiſches Bad.
Den andern Morgen erhielt Theodoro den Auftrag,
uns in das beſte und ſchönſte Bad von Stambul zu brin-
gen. Vor einem hohen Rundbau blieb er ſtehen, und
als wir durch die mit ſchweren Teppichen verhangene
Thür eintraten, ſtanden wir in einem runden hohen Saal
mit Säulen geziert, der aus hundert ſymmetriſch geord-
neten runden Oeffnungen der Kuppel ein mildes Licht
erhielt. Wände und Fußboden waren von Marmor, an
der Wand lief ringsum ein Divan. Eine Gallerie in
der Höhe, zu der eine Treppe führte, hatte gleiche Ein-
richtung. Die Luft war weit wärmer, als im Freien,
aber nicht heiß. Einzelne Männer ruhten auf dem Divan
in Decken gehüllt, andere ſaßen nackt bis auf eine Schürze
an den Hüften. Türkiſche Knaben mit geſchornem Kopfe
und nackt bis auf eine Schürze, empfingen uns, führten
uns die Treppe hinauf und halfen uns auskleiden. Ein
Aufſeher nahm Geldbeutel, Uhren, Ringe ungezählt in
Empfang und verſchloß ſie in einen leichten Schrank.
Völlig entkleidet wurde uns eine gleiche blaue Schürze
umgebunden, Holzſandalen mit Lederriemen an die Füße
geſchoben und dann wurden wir die Treppe hinab in
– 151 –
einen zweiten kleineren Marmorſaal geführt, wo die Tem-
peratur heißer war. Der Fußboden war nach der Mitte
zu abſatzartig erhöht; hier ließ man uns auf die warmen
Marmorplatten niederſetzen und jeder Wärter begann
ſeinen Gaſt, im eigentlichen Sinn des Wortes, durchzu-
kneten. Vom Halſe ab bis zur Wade wurden alle Mus-
keln und Sehnen, langſam fortrückend von der Hand des
Knaben gedrückt, gezogen, geſchoben, gepreßt und wieder
gedrückt. Der Schweiß tritt hervor; man legt ſich lang
auf den warmen Stein; der Knabe legt ſich über und
ſetzt, ungeſtört durch die Bewegungen und Zuckungen
ſeines Gaſtes, ſeine Thätigkeit fort; von unten wendet
er ſich dann nach oben zurück. Wünſcht man noch ſtärker
zu ſchwitzen, ſo wird man in einen dritten, den kleinſten
Saal geführt, der ebenſo eingerichtet iſt, aber eine ſo
heiße Temperatur hat, daß der Boden unter den Sohlen
brennt und der Schweiß ausſtrömt, trotzdem, daß man
ſich regungslos auf dem Marmor ausſtreckt. Nach dem
Kneten und Schwitzen folgt die Wäſche. In dem zweiten
Saal ſind ringsum Marmorbecken in der Wand ange-
bracht, die durch zwei verſchließbare Hähne mit kaltem
und heißem Waſſer gefüllt werden können. Das über-
laufende Waſſer wird von einem großen Becken aufge-
fangen und fällt cascadenartig zuletzt auf den geneigten
Boden, von wo es durch Röhren abgeleitet wird. Neben
dem Becken iſt ein Marmorſitz und hier ſchüttet der
Knabe mit einem kupfernen Becken reichliche Fluthen lauen
Waſſers über Kopf und Schultern des ſitzenden Gaſtes,
nimmt dann einen härnen Lappen von gröbſter Art, ſeift
ihn tüchtig ein und wäſcht dann den Badenden mit der-
ſelben Derbheit, wie bei der früheren Behandlung. Die
Schuppen der Oberhaupt werden ſo ſtark abgerieben, daß
ſie ſich zuſammen rollen; immer von Neuem wird geſeift
– 152 –
und gewaſchen, ohne auf das Zucken und Schreien des
Gaſtes Rückſicht zu nehmen. Endlich wird man wieder
übergoſſen, daß ſtrömend das Waſſer von den Schultern
herabläuft, dann getrocknet, in leinene und wollene Decken
gehüllt, in den erſten Saal zurückgeführt und auf den
Divan gelegt. Nachdem man mit weichen Kiſſen ſich ein
bequemes Lager bereitet, beginnt das Durchdrücken und
Biegen der Muskeln nochmals. Dann bringt der Wärter
die türkiſche Pfeife, auch ein Glas Limonade und man
ruht und raucht ſo lange, bis der Körper ſich langſam
abgekühlt und an die friſchere Temperatur gewöhnt hat.
Dann hilft der Diener ankleiden, man erhält Geld und
Uhr gewiſſenhaft zurück und das Bad iſt beendet.
Man ſieht, das türkiſche Bad iſt kein Bad in unſerm
Sinne; am meiſten ähnelt es noch dem ruſſiſchen Bade,
indeß fehlt ihm die mit dichten Waſſerdämpfen angefüllte
Schwitzſtube und die plötzlichen Abwechſelungen zwiſchen
Schwitzen und Tauchen in eiskaltes Waſſer. Das tür-
kifche Bad iſt weit milder und vermeidet dieſe Sprünge
von Hitze zur Kälte. Die Hitze wird auch nicht durch
Dämpfe bewirkt, ſondern durch warme Kupferröhren,
welche unter den Fußboden hinlaufen. Der Aufenthalt
in dieſen hohen, mild erleuchteten Sälen hat nicht das
drückende jener Schwitzkaſten, und der polirte Marmor,
aus dem alles, Fußboden, Sitze, Becken, beſteht, giebt
die wohlthuende Empfindung großer Reinlichkeit. Eigen-
thümlich iſt dem türkiſchen Bad das Drücken und Ziehen
aller Glieder; es iſt der wichtigſte Beſtandtheil des Bades.
Jede Muskel, jede Sehne verlangt zu ihrer Geſundheit
eine zeitweiſe Uebung; die Einſeitigkeit in den Beſchäftigun-
gen der Menſchen kann das nicht bewirken. Bei Dieſem
bleiben die Arme, bei Jenem die Beine ohne Bewegung; die-
ſem Mangel kommt das türkiſche Bad zu Hülfe. Hierauf
– 153 –
beruht auch die wohlthuende Empfindung nach dem Bade.
Es iſt nicht blos das Gefühl der Reinheit der Haut, der
Abkühlung, was man nachher angenehm empfindet; es
iſt hauptſächlich das deutliche Gefühl des Gleichgewichts
in allen Gliedern, der elaſtiſchen Kraft aller Muskeln,
das Vollgefühl ſeiner ganzen ſinnlichen Exiſtenz, was
noch lange nach dem Bade den Badenden erfüllt.
Der Preis iſt billig; wir zahlten, Trinkgelder einge-
ſchloſſen, ohngefähr 10 Piaſter, das iſt 15 ſgr., die Per-
ſon. Bei den hohen Preiſen des Holzes in Konſtanti-
nopel und da jeder Badende einen Wärter eine Stunde
lang ununterbrochen in Anſpruch nimmt, iſt dieſer billige
Preis nur dadurch möglich, daß die Gebäude von den
Sultanen gebaut und umſonſt gegeben werden.
„-A.-. -------------------->"-"
X.
Die Fahrt auf dem Bosporus.
Wir brachten Herrn Dr. A). wohlbehalten ſeiner Ge-
mahlin zurück. Der übrige Theil des Tages ſollte zu
einer Fahrt auf dem Bosporus benutzt werden, und wir
nahmen uns vor, damit gleich unſeren Beſuch bei dem
preußiſchen Geſandten Herrn v. W., zu verbinden. Dieſer
kommt während des Sommers nur zweimal die Woche
nach Konſtantinopel und wohnt in ſeiner Sommerwohnung
in Arnaud Koi am Ufer des Bosporus.
„Der Bosporus iſt der ſchönſte Punkt in der Welt“,
ſagte uns bei dem Frühſtück ein Engländer, der alle
Länder der Erde geſehen hatte. „Sie werden überraſcht
ſein. Sie finden Konſtantinopel und Pera jetzt von den
Reichen verlaſſen. Der Sultan, die Paſcha's, die arme-
niſchen Banquiers, die europäiſchen Geſandten, die grie-
chiſchen Großhändler, jeder hat ſeinen Palaſt oder ſein Land-
haus am Ufer des Bosporus, verlebt dort den Sommer
und kommt nur zu den Geſchäften auf einige Stunden
nach Konſtantinopel. Dampfboote gehen viermal täglich
zu verſchiedenen Stunden hin und her, und ich würde
Ihnen rathen, eines derſelben zu Ihrem Ausfluge zu
benutzen.“
– 155 –
Wir zogen jedoch ein türkiſches Boot mit zwei Rude-
rern vor. Dieſe Boote, Kaik's auf türkiſch, erſetzen, ſo
weit das Waſſer reicht, für Konſtantinopel die Droſchken
und Omnibus. Man ſchätzt ihre Zahl auf 80,000. Sie
vermitteln vorzüglich den Uebergang über das goldene
Horn zwiſchen Stambul und Pera und die Ueberfahrt
zwiſchen dieſen und Skutari. Aber ſie werden auch zu
weiteren Luſtfahrten, das goldene Horn und den Bospo-
rus hinauf, gebraucht. Man hat deren zu einem und zu
zwei Ruderern. In Geſtalt unterſcheiden ſie ſich ſehr von
allen Booten, die in Europa gebräuchlich ſind; am meiſten
ähneln ſie den Gondeln Venedigs; ſie ſind aber noch
kleiner und ohne Dach. Das Kaik iſt ein langer, ſehr
ſchmaler Kahn mit flachem Boden, ſteilem Bord und ohne
Steuerruder, ſo daß Vorder- und Hintertheil gleich ſpitz
zulaufen. Der Schiffer ſitzt auf einem Querbrett ziem-
lich in der Mitte und bewegt den Kahn mit zwei durch
Riemen an dem Bord befeſtigten langen ſchmalen Rudern
beliebig vor- und rückwärts; bewegt er nur ein Ruder,
ſo geht der Kahn ſeitwärts. Ein Reiter kann ſein Pferd
nicht mehr in der Gewalt haben, als der Schiffer ſein Kaik.
Der Paſſagier ſitzt bei der Fahrt in dem hinteren
Theile des Bootes unmittelbar auf dem Boden, der des-
halb mit Teppichen und Kiſſen belegt iſt; die Spitze des
Bootes iſt verſchlagen und gewährt dem Fahrenden eine
Rücklehne. Zwei Perſonen können bequem neben ein-
ander ſitzen; ſie ragen nur mit den Köpfen über dem Bord
heraus und man hat im AnfangeMühe, ſich an dieſen nie-
drigen Standpunkt zu gewöhnen, man glaubt ſtets, des-
halb weniger zu ſehen. Die Schiffer beſtehen ſtreng
auf dieſem tiefen Sitz, der zwar der türkiſchen Weiſe zu
ſitzen ganz entſpricht, aber für den Europäer manches
Unbequeme hat. Das Boot iſt von dem leichteſten
– 156 –
Linden- oder Buchenholz gebaut; die Planken haben nur
ein viertel Zoll Stärke; bei jeder Bewegung ändert ſich
der Schwerpunkt und nur ein ſo tiefes Sitzen ſchützt des-
halb gegen das Umſchlagen des Bootes. Auch das Ein-
ſteigen erfordert beſondere Aufmerkſamkeit. Im Innern
ſind die Kaiks mit Schnitzwerk verziert und lakirt. Man
glaubt auf einer Nußſchale oder Schachtel, der Leichtig-
keit nach, zu ſchwimmen. Sie werden mit außerordent-
licher Gewandtheit und Schnelligkeit regiert. An den
Landungsplätzen drängen ſich oft an hundert Kaiks dicht
zuſammen, der Knäuel entwirrt ſich aber ſtets mit Leich-
tigkeit. Ein Ruderer fährt ſchneller als ein Fußgänger
geht; zwei Ruderer legen die Meile in einer Stunde
zurück. Es giebt auch größere Kaik's, zu drei, vier und
mehr Ruderern; ſie verlieren aber dann ihren Charakter;
während jene kleinen die Boote aller andern Nationen
in Schnelligkeit und zierlicher Beweglichkeit übertreffen,
ſtehen die größern den europäiſchen Fahrzeugen nach.
Die Führer der Kaiks ſind mit wenig Ausnahmen
Türken und ein höchſt kräftiger Schlag Menſchen. Sie
rudern, wenn es verlangt wird, den ganzen Bosporus
hinauf, einer ſteten Strömung entgegen, bei brennender
Sonnenhitze, ohne auszuruhen, und der letzte Ruderſchlag
iſt ſo kräftig wie der erſte. Es ſind hohe, gut gewachſene
Geſtalten, mit ernſten, ausdrucksvollen Zügen. Sie
ſprechen wenig, ſingen nicht, aber zeigen einen ſteten, un-
verdroſſenen Gleichmuth der Seele. Ihr Anzug beſteht
in weiten, faltenreichen, bis an die Knie reichenden und
dort gebundenen weißen Hoſen und einer dünnen bunten
Kattun-Jacke. Waden, Füße, Hals, Arme und ein großer
Theil der Bruſt iſt blos und von der Sonne kräftig
braun gefärbt. Die jüngeren tragen den Feß, nur die
älteren Schiffer haben noch ihren Turban, unter dem
– 157 –
dann ein ehrwürdiges Geſicht mit grauem Barte zum
Vorſchein kommt.
Man muß mit ihnen für die größeren Fahrten vor-
her handeln; nur für die Ueberfahrt über das goldene
Horn giebt es Taxen; die Preiſe ſind aber billiger, als
die Preiſe für Miethswagen in den europäiſchen Städten.
Für eine Fahrt von 12 Uhr bis Abends 8 Uhr in einem
Kaik mit zwei Ruderern haben wir ſelten mehr als einen
Thaler bezahlt. Iſt der Vertrag geſchloſſen, ſo wird er
von den Türken treu gehalten; man iſt gegen jede weitere
Uebervortheilung ſicher und wird nie wegen eines beſon-
deren Trinkgeldes geplagt.
Unſer Kaik brachte uns bald aus dem Gewühl der
Handels- und Dampfſchiffe heraus in die freien, blauen
Wäſſer des Bosporus. Aſien und Europa haben offen-
bar auch hier in vorgeſchichtlichen Zeiten ein Land ge-
bildet, die Fläche war durch das Aufſteigen der glühen-
den Granitunterlage zu einem gebirgigen Lande ge-
hoben worden, und als der Granit durch die ſpätere Ab-
kühlung und Zuſammenziehung barſt und zuſammenbrach,
brach auch die obere Decke mit durch und der Riß ward
von der Strömung des ſchwarzen Meeres ausgefällt.
Jeder Bucht auf der einen Seite entſpricht noch heute
ein Vorgebirge auf der andern. Die Waſſerfluth gleicht
einem majeſtätiſchen Strome von der Breite einer halben
Stunde; wo Buchten ſich in das Land biegen, wird die
Fläche noch breiter.
Man kann den Bosporus mit dem berühmten Rhein-
thale von Bingen nach Kobleuz vergleichen; aber ſo viel
als die Waſſer des Bosporus den Rhein an Breite und
Geſtalt übertreffen, um ſo viel übertrifft auch dieſer den
Rhein in allen andern Beziehungen, und iſt dieſes Rhein-
thal ſchon als eine der ſchönſten Stellen der Erde er-
– 158 –
kannt worden, ſo mag man davon einen Maaßſtab neh-
men für die Schönheit des Bosporus.
Die Waſſer des Rheins ſind oft trübe, bald zu klein,
bald zu groß: der Bosporus fließt in einem ewig klaren
und blauen Strom, den kein Gewitter, keine Thauwaſſer
heben oder trüben; die Ufer des Rheins ſind reich an
lieblichen Dörfern und Städten: die des Bosporus bil-
den eine fortlaufende Reihe von Paläſten, hinter denen
Pavillons, Moſcheen, Minarets und zahlreiche türkiſche
Dörfer emporſteigen; ſteile, grün bewaldete Höhen mit
den Ruinen mittelalterlicher Burgen heben ſich zu beiden
Seiten des Rheins, aber die Berge, die den Bosporus
einfaſſen, ſind höher, mannigfacher durchbrochen und ge-
ſchmückt mit den ſchönſten Kioks des Sultans auf ihren
Spitzen. Rieſige Platanen und Terebinthen ſchmücken
den Wald, und wo dieſer ſich lichtet, bildet der Rhodo-
dendron, der hier zu hohen Büſchen emporwächſt, mit
ſeinen Blüthen eine dichte Roſendecke über weite Flächen
der Anhöhen.
Während die Sagen und Burgen des Rheins keine
tauſend Jahre umfaſſen, war der Bosporus ſchon vor
Anfang menſchlicher Geſchichte die Furth, wo die von
der Juno verfolgte Jo in eine Kuh verwandelt, hinüber-
ſchwamm; der Rhein hat ſeinen Loreleyfelſen, aber am
Bosporus liegen die Felſeninſeln der Sympleiaden,
welche vor dem Argonautenzuge ſtets aneinaderprellten
und alles zerſchmetterten, was dazwiſchen kam, bis Jaſon
eine Taube hindurchfliegen ließ, die blos die Spitze ihres
Schwanzes verlor. In der Mitte des Bosporus ſchlug
vor beinahe dritthalb tauſend Jahren der Perſerkönig
Darius die Brücke, auf der er ſein Heer zu dem Feld-
zuge gegen die Scythen überführte; hier, auf dem 1200 Fuß
hohen Rieſenberge ruhte Herkules, auf dieſem Berge ſaß
– 159 –
nach türkiſcher Sage, Joſua, während er ſeine Füße im
Bosporus wuſch, und in dem 30 Fuß langen Steingrabe
auf der Höhe hat nur einer ſeiner Füße Raum zur Be-
ſtattung gefunden. Hier am Bosporus liegen die jetzt
zerfallenden Schlöſſer Rumili und Anadoli Hiſſar, welche
Mahomed II. nach Eroberung Konſtantinopels erbauen
ließ und deren hohe Mauern und gewaltige Thürme alle
deutſchen Burgen an Großartigkeit der Ruinen übertreffen.
Auf dem Rhein iſt ein reges Begegnen von Dampf-
booten und Kähnen; aber den Bosporus durchſchneiden
die größten Linien- und Schraubenſchiffe der Welt; große
Dreimaſter kommen mit vollen, ihre Maſten verhüllenden
Segeln und Dampfſchiffe mit doppelten Feuereſſen brauſen
ihnen entgegen. Handelsſchiffe ſchwimmen dazwiſchen,
und Kaiks kreuzen überall durch, behend und zierlich, von
einem Palaſt, von einem Ufer zum andern. Die Rhein-
fahrt hat wohl ſchöne heitere Tage, aber drei Viertel des
Jahres hüllt Regen und Nebel, Berg und Thal in eine
geſtaltloſe Maſſe; über den Bosporus breitet ſich ſtets
der klarſte, tiefblaue Himmel aus, und wenn das ſchwarze
Meer Sturmwolken und Gewitter ſendet, ſo zerrinnen ſie
hier in einen leiſen Sprühregen, der nach wenig Minuten
dem blendenden Sonnenſchein weicht und die Luft noch
wärmer als vorher zurückläßt. Täglich hebt ſich gegen
10 Uhr Morgens der Nordwind und kühlt die Hitze des
Tages, bis die Sonne in den Fluthen des Marmora-
meeres niedergeſunken iſt. Zahlreiche Flüßchen ſtrömen
von Europa und von Aſien in die Buchten des Bosporus
und bilden kleinere Seitenthäler, die das Innere des
Landes öffnen; links heben ſich in Europa die Vorberge
des Balkan; man ſieht die weißen in doppelten Reihen
über einander ſtehenden Bogen der Waſſerleitung, die
Pera mit Waſſer verſorgt; rechts ſind es die abfallenden
– 160 –
Höhen des bithyniſchen Olympos, deſſen mit ewigem
Schnee bedeckte Wände wie ſilberne Streifen am blauen
Himmel glänzen.
In vollen Zügen genießt man die Schönheit dieſer
paradieſiſchen Gegend; ſanft gleitet der Kaik vorwärts
und neue Paläſte, neue Thäler, neue Berge treten hervor.
Kaum vermag das Auge alles zu faſſen, und man be-
neidet jene Glücklichen, welche in den ſtillen Buchten am
Geſtade des blauen Stromes wohnen und im ruhigen
Daſein all' dieſe Herrlichkeit ruhig genießen; welche in
der Gleichmäßigkeit einer beſtimmten Beſchäftigung, nach
der Arbeit des Tages, nach dem Verkehr mit der Wiſſen-
ſchaft, nach den Studien in der Kunſt auf die Terraſſe
vor ihrem Zimmer treten und täglich mit neuem Sinn
den Zauber dieſer Gefilde empfinden.
Unſere Ruderer führten uns nahe an dem neuen
Marmorpalaſt des Sultans vorüber. Ein Flügel, ſo
wie der innere Bau iſt noch nicht ganz vollendet. Der
Sultan betreibt den Bau mit Leidenſchaft; wöchentlich
kommt er zweimal hin, um den Fortſchritt zu prüfen.
Wir konnten nur die Front nach dem Bosporus ſehen;
ſie iſt im türkiſchen Geſchmack mit vielen Zierrathen be-
laden; die Säule iſt nur wenig benutzt und die Bildſäule
nach türkiſcher Sitte ganz ausgeſchloſſen. Dennoch macht
das Gebäude einen großartigen Eindruck; der glänzende
Marmor, der grüne Hintergrund, die Höhe des Mittel-
gebäudes, die doppelten langen Flügel auf beiden Seiten
vereinigen ſich zu einem Ganzen, das gefällt, ohne daß
man es loben kann.
Der Sultan wohnte zu dieſer Zeit weiter aufwärts
in einem Palaſt, welchen ſein Vater gebaut hatte. Er
beſtand, wie alle andern, nur aus einem Erdgeſchoß und
zwei niedrigen Stockwerken, alles von Holz und einfach.
– 161 –
Die Thüren öffneten ſich unmittelbar nach dem Bospo-
rus; kaum eine Stufe trennt ſie vom Waſſer. Wir ſahen
nur an einer Seite einige Mann Wache; alle andern
Zugänge waren unbeſchützt.
Später kamen wir an den Palaſt des jetzigen Vice-
königs von Aegypten, Said Paſcha, vorbei. Er iſt ein
Muſter türkiſchen Geſchmacks. Das Erdgeſchoß iſt un-
ſcheinbar und läuft nahe an dem Ufer hin, ſo daß nur
wenig Platz zum Gehen bleibt. Das erſte Stockwerk iſt
durch ſechs erkerartige Vorbauten auffallend, die auf oval
ſich vorbeugenden Balken des Erdgeſchoſſes aufgeſetzt
ſind. Im zweiten Stock gehen dieſe Vorbauten abermals
vor, indem ſie auf in gleicher Weiſe vorſpringenden Balken
des erſten Stockes aufgeſetzt ſind. Der Palaſt beſteht ſo
aus 6 überragenden Pavillons mit 6 gerade aufgehenden
Rückbauten gleicher Breite dahinter. Alle Wände nach
vorn und nach der Seite ſind mit Fenſtern durchbrochen,
aber all' dieſe Fenſter ſind mit dichtem, kreuzweis ge-
flochtenem Gitterwerk verſetzt. Das Dach iſt flach und
die Verzierungen ſind einfache Arabesken.
Baron v. W., den preußiſchen Geſandten, trafen wir
nicht zu Hauſe; wir ließen unſere Karten zurück und be-
nutzten die noch übrige Zeit zur Beſteigung einer vor-
tretenden Höhe auf dem aſiatiſchen Ufer, um dort den
Untergang der Sonne abzuwarten. Ein Pavillon des
Sultans zierte auch dieſe Höhe; aber kein Menſch war
in der Nähe und das Unkraut, was durch die Ritzen der
Quadern wucherte, zeigte, daß der Sultan lange nicht
hier geweſen ſein mochte. Dieſer hohe Punkt gewährte
neben dem Blick auf den Bosporus eine Ausſicht mehrere
Meilen hinein in das Land. Es war hier das erſte Mal,
daß wir den Fuß auf aſiatiſchen Boden ſetzten. Aſien,
für uns ſeit den erſten Schuljahren das Land der Wun-
11
– 162 –
der, die Wiege der Kultur, müßte, glaubten wir, ganz
anders ausſehen, als das proſaiſche Europa. Aber das
Hier und das Jetzt ſind die Zerſtörer der Poeſie. Wir
fanden drüben alles, wie hüben. Eine einſame Gegend
voll Berge und Gründe zog ſich in das Land; erſt wo
das Hier wieder aufhörte, begann in der Ferne der
mächtige Olymp mit ſeinen Schneefeldern ſich zu zeigen,
auf dem Homer die Götter hauſen ließ, als Troja be-
lagert wurde. Die Farbenpracht der untergehenden Sonne
vergoldete alle dieſe Höhen; der Wind legte ſich und der
glatte Spiegel des Bosporus unter uns ſtrahlte im gol-
denen Abendſchein. – Theodoro mahnte endlich an den
Aufbruch und unſere Schiffer, jetzt mit dem Strome
ſchiffend, brachten uns noch vor der Dunkelheit nach Kon-
ſtantinopel zurück.
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XI.
Die Moſcheen.
Wir waren nun ſchon drei Tage in Konſtantinopel
und hatten weder das Serail noch die Moſcheen geſehen.
In unſerm Handbuche ſtand, daß kein Chriſt eine Moſchee
oder das Serail betreten dürfe, ohne einen Ferman oder
Paß des Sultan und ohne Begleitung eines Kavaß
d. i. eines türkiſchen Polizeidieners, der den Chriſten gegen
die Mißhandlungen der orthodoxen Türken zu ſchützen
habe. Ein Ferman koſte 1200 Piaſter d. i. 60 Thaler.
Schon auf dem Dampfſchiff hatten wir deshalb mit dem
engliſchen Offizier beſprochen, daß jeder dem andern Nach-
richt geben ſolle, ſo wie ein ſolcher Ferman erlangt ſein
werde. Wenn nämlich eine Anzahl Fremder ſich geſam-
melt hat, pflegt ein Kellner oder Lohndiener eines frän-
kiſchen Hotels einen ſolchen Ferman auf eigene Rechnung
zu löſen, und da auf einen ſolchen Ferman ſo viel
Fremde, als da ſind, mitgehen können, ſo wird dies zur
Spekulation gemacht; der Lohndiener erhebt von jedem
einen erheblichen Beitrag und behält einen guten Gewinn
für ſich übrig. -
Als wir am Mittagstiſch ſaßen, erkundigten wir uns
bei dem Kellner, ob keine Nachricht wegen eines Ferman
11*
– 164 –
aus dem Hotel d'Angleterre eingegangen ſei. Auf ſein:
Nein, bemerkte der Korreſpondent der „Times“, der heute
wieder bei Tiſch war, daß ſeit dem Beginn des jetzigen
Krieges dieſe Schwierigkeiten ſich gemindert hätten. Jeder
engliſche oder franzöſiſche Offizier könne getroſt in die
Moſcheen eintreten, kein Türke werde ſich ihm entgegen-
ſtellen. Unter ſeinem Schutze könnten auch Civiliſten mit-
gehen; ja ſelbſt Europäer ohne Uniform allein würden
keine Schwierigkeiten mehr finden, man müſſe nur den
Türken das Wort: Inglesi oder Francesi entgegenrufen;
dies ſei das Einzige, was ſie verſtänden und reſpektirten.
Dieſe Mittheilung war uns willkommen. Da Herr
Dr. A). in der rothen Jacke neben mir ſaß, ſo fragte ich
ihn, ob er nicht, ſo wie in die Bäder, auch in die Moſcheen
uns begleiten wolle. Die Gicht ſchien aber dem alten
Herrn das Steigen ſehr ſchwer zu machen; er entſchul-
digte ſich und ſo beſchloſſen wir, den Verſuch morgen allein
zu machen. Theodoro erhielt Auftrag, für neue Pan-
toffeln zu ſorgen, um nicht wieder in Strümpfen wandern
zu müſſen. - -
Die Aja Sophia, die ehemalige, von dem Kaiſer
Juſtinian im Jahre 540 erbaute Sophienkirche, iſt, ſeit-
dem Mohamed II. 1453 am Tage der Eroberung Konſtan-
tinopels zu Pferde vor ihren Haupt-Altar ritt und ſie zur
Moſchee einweihte, die erſte Moſchee des türkiſchen Reiches
geworden und das Muſter, nach welchem alle ſpätern ge-
baut worden ſind. Sie liegt auf der Höhe ohnweit des
Serails und nach ihr richteten wir am andern Morgen
zuerſt unſere Schritte.
Von Außen iſt dieſer berühmte Tempel ein häßlicher,
formloſer Steinkoloß; dicke unförmliche Strebepfeiler haben
in türkiſcher Zeit angebaut werden müſſen, um die Ge-
wölbemauern zu ſtützen; nur die flache Kuppel mit dem
vergoldeten 50 Fuß langen Halbmond auf der Spitze
– 165 –
läßt ein großes Bauwerk ahnen. Man tritt in einen
Vorhof, den ein Säulengang mit kleinen Kuppeln um-
giebt, und in deſſen Mitte ein Springbrunnen zum Rei-
nigen der Füße vor dem Eintritte in die Moſchee dient.
Zwiſchengebäude ſtören aber auch hier Symmetrie und
Zuſammenhang. Wir fanden endlich eine Seitenthür
offen; ein Wächter ward durch ein Trinkgeld beſchwich-
tigt, wir zogen die Stiefeln aus und traten mit den
Pantoffeln einige Schritte vorſichtig in das Heiligthum.
Wir hatten indeſ kaum einen Blick nach der hohen Kuppel
gethan, ſo kamen mehrere Knaben, die eine Art Dienſt
in der Moſchee zu haben ſchienen, und wieſen uns mit
drohender Geberde die Thür. Theodoro war aus Furcht
bei den Stiefeln im Vorhofe geblieben. Wir riefen ihnen
den Zauberſpruch: Inglesi Francesi entgegen; vergeb-
lich; wir holten Sechs Piaſterſtücke aus der Taſche und
riefen bakschisch (Trinkgeld); vergeblich. Schon ſam-
melte ſich eine größere Zahl; betende Türken wurden
aufmerkſam und wir mußten aus dem Heiligthum zurück-
treten, deſſen nur einen Augenblick geſehene Pracht unſer
Verlangen verdoppelte. -
Wir berathſchlagten, was zu thun; wir wandten uns
nach einer andern Seite, und da auch hier gleiche Schwie-
rigkeiten drohten, ſo wollten wir ſchon davongehen, als
wir zwei engliſche Seeoffiziere in Uniform an der Außen-
thür bemerkten, die gar nicht zu wiſſen ſchienen, vor
welchem Wunderwerke - ſie ſtanden. Ich wandte mich an
ſie und fragte, ob ſie nicht die Moſchee im Innern be-
ſehen wollten. Sie hatten noch eine Stunde Zeit, traten
auf mein Zureden ein und wir mit ihnen. Unter ihrem
Schutze half die Zauberformel: Inglesi und wir hatten
nun volle Muße, die Moſchee zu beſehen. -
Der Gedanke des Baues iſt einfach. Ein hoher kreisrunder
– 166 –
Dom in der Mitte. Die Mauern, welche ſeine Gewölbetragen,
ſind nach allen vier Seiten in hohen Bogen durchbrochen,
ſo daß ſie mehr vier mächtigen Pfeilern gleichen. Nach
zwei entgegenſtehenden Seiten ſchließen ſich halbe Dome
an dieſe durchbrochenen Bogen an, als bildeten dieſe Bogen
ihren Durchſchnitt. Dieſe Halbdome theilen ſich wieder
jeder in drei kleinere Halbdome, die alle nach dem Haupt-
dom offen ſind. An den beiden andern Seiten gehen
die Seitenmauern des Hauptdomes tiefer herab und der
Bogen öffnet ſich in eine Gallerie. Das Innere iſt bei-
nahe leer zu nennen. Eine Gallerie für den Sultan und
eine andere für den Gebetausrufer, ſo wie eine kleine
Kanzel werden in dem ſonſt durch nichts beengten Raume
kaum bemerkt. In der Höhe ſind Gallerien, aber hinter
den durchbrochenen Mauern, ſo daß ſie das Ebenmaaß
der Wölbungen nicht ſtören. Das Hauptgewölbe, ſo wie
ein großer Theil der Seitengewölbe ſind mit Moſaik aus-
gelegt, welches haupſächlich aus dick vergoldeten Glas-
würfeln beſteht. An den Rändern der Gewölbe bilden
ſie mit bunten Steinen vermiſcht arabeskenartige Ver-
zierungen; ſonſt giebt ihre gleichmäßige, glänzende Farbe
den Gewölben den Schein, als wären ſie aus maſſivem
Golde erbaut.
Indem wir nach der Mitte uns wandten, erlangten
wir den vollen Anblick der Höhe und Weite dieſes Baues;
269 Fuß iſt er im Innern lang und 143 Fuß breit;
der Hauptdom iſt 180 Fuß hoch und die Wölbung des-
ſelben hat 115 Fuß im Durchmeſſer; ihre Höhe iſt flach,
ſie hebt ſich um den ſechſten Theil ihres Durchmeſſers.
Man muß ſich dieſe Maaße an bekannten Gebäuden oder
Plätzen verſinnlichen, um das Koloſſale, was ſie aus-
drücken, zu verſtehen. Die innere Grundfläche enthält
38,467 Quadrat-Fuß, alſo Raum für ohngefähr dreißig
Tauſend Menſchen.
– 167 –
Der Anblick des Rieſenbaues im Ganzen bleibt das
Erhabenſte des Genuſſes; die weitere Betrachtung des
Einzelnen, der Säulen, der Gallerien, der Nebendome iſt
intereſſant, aber bleibt Kurioſitätenkrämerei jenem Anblick
des ganzen Werkes gegenüber.
Die Moſchee verkörpert die Idee des Erhabenen wie
die deutſchen Dome, aber nicht mit dem Zuſatz des ge-
heimnißvollen, überirdiſchen, was in dem düſtern Zwie-
licht jener gothiſchen, langen Schiffe mit Säulen ent-
halten iſt, deren Kapitäler ſich in endloſen Schwingen
des Gewölbes verlaufen. Dieſer Bau mit dem vollen
Licht des Tages, was aus den zahlreichen Fenſtern unter
den Kuppeln eindringt, mit ſeiner einfachen Grundform
des Kreisbogens iſt das Sinnbild des rein Erhabenen,
ohne Beimiſchung einer andern Empfindung. Dome
wölben ſich hier neben Domen, aber alles bleibt klar;
alle Verhältniſſe ſind trotz ihrer Größe verſtändlich. Man
fühlt ſich klein in dieſem weiten Raume, aber nicht ver-
nichtet. Der Kreisbogen giebt das Erhabene, aber nicht
das Unendliche. All' ſeine Größe, ſeine Höhe legt der
Tempel erfaßbar mit einem Blick dar; indem er nichts
verbirgt, ruft er kein Ahnen wach. Kein Allerheiligſtes,
keine düſtern Kreuzgänge, die die Seele mit Schauer und
Bangen füllen; nein, in dieſem Tempel der Gottheit iſt
es nur das klare, heitre Wiſſen der Größe und Schön-
heit, was die Seele bewegt.
Dieſem Gefühle entſpricht auch die völlige Schmuck-
loſigkeit der Räume. Es giebt keine Bilder; es giebt
keine Altäre; es giebt keine Bildſäulen, kein Schnitzwerk,
keine Kreuze, keine Sitze. Die Wände ſind einfach weiß
gehalten und an ihnen und an den vier Hauptpfeilern
ſieht man nur hie und da blaue windungsreiche Züge türki-
ſcher Schrift; Sprüche aus dem Koran. Von den Gewölben
– 168 –
hängen einfache Glaslampen herab, welche durch dünne
Drähte zu Kronleuchtern verbunden ſind.
Dem entſprechend bewegt ſich der Gottesdienſt. Er
beſteht hauptſächlich aus ſtillen Gebeten, die der Türke
knieend verrichtet, mit dem Geſicht am Boden und nach
Mekka gewendet. Mitunter werden von der Kanzel
Sprüche aus dem Koran laut ausgerufen und von den
Gläubigen nachgeſprochen. -
Gebäude und Gottesdienſt ſind ſo das Symbol des
unvermittelten Herantretens des Menſchen zur Gottheit.
Dieſe Unmittelbarkeit, dieſe Einfachheit ward von uns,
in der chriſtlichen Religion auferzogenen, lebhaft empfunden.
Wie ganz anders in der chriſtlichen Kirche! Welche
Menge von Mittelsperſonen, die da zwiſchen Gott und
den Menſchen ſtehen. Von der einen Seite der Sohn,
der Geiſt, die Mutter Gottes, die Engel, die Heiligen,
von der anderen der Pfarrer, das Conſiſtorium, der
Biſchof, der Papſt. Und welche Menge von vermitteln-
den Gedanken, die zwiſchen das Ich und das Abſolute
ſich eindrängen. Was ſind unſere Predigten, die die
Brücke zwiſchen Beiden bauen wollen? Selbſt die beſten, wie
oft ſind ſie nur eine matte Verbreitung der Kernſprüche der
Bibel, oder vergebliche Verſuche die Myſterien der Reli-
gion vor dem widerſtrebenden Verſtande zu rechtfertigen,
oder eine Moral voll Abſtraktionen und einſeitiger Grund-
ſätze, bei denen der einfachſte Tagelöhner, ſo wie er die
Kirchthüre hinter ſich zumacht, fühlt, daß er ſie nicht be-
folgen kann in der Fülle der auf ihn einſtürmenden
Wirklichkeit, in dem täglichen Kampfe der Intereſſen
der Geſellſchaft. -
Es geſellte ſich bald ein Türke zu uns, der ſich erbot
uns in die obern Gallerien zu führen. Indem man dort
den goldenen Gewölben näher iſt, erkennt man erſt ihre
– 169 –
wahre Größe und die ſichere Leichtigkeit, mit der die flache
Kuppel über die Pfeiler geſpannt iſt. An dieſen Pfeilern
ſind noch Erzengel in muſiviſcher Arbeit aus der chriſt-
lichen Zeit zu ſehen. Das Geſicht derſelben iſt jedoch
von den Türken mit einem goldenen Stern bedeckt worden,
ſo daß man Mühe hat, herauszufinden, was die menſch-
liche Geſtaltung um dieſe Sterne zu bedeuten hat. Es
ſind über hundert antike Säulen in dieſer Moſchee, welche
ſchon Juſtinian aus den Tempeln aller Religionen zum
Schmuck ſeines Lieblingsbaues herbeigeholt hat. Wir
ſahen 24 koloſſale Säulen von ägyptiſchem Granit, acht
Porphyrſäulen mit Füßen und Geſimſen von weißem
Marmor aus dem Sonnentempel zu Rom geholt, und
vier ſchöne grüne Serpentinſäulen, die früher in dem
Tempel der Diana zu Epheſus geſtanden haben. Aus
dem Moſaik des Gewölbes fallen einzelne Steine aus;
dieſe werden von den Türken geſammelt und unſer Türke
bot uns dergleichen zum Kauf an, welche Kurioſität mit
Eifer von uns erworben wurde. Solche Steine ſind
viereckig und nicht größer als eine in dieſe Form gedrückte
Erbſe. Hiernach mag man die Mühe abmeſſen, welche
es gekoſtet, dieſe Rieſen-Gewölbe mit ſolchem Moſaik zu
bekleiden. Hier und da findet man noch Spuren von
Kreuzen in erhabener Arbeit an den Thüren und Steinen;
wo es möglich geweſen, iſt dies Symbol wie die Engels-
geſichter, von den Türken vertilgt worden.
Von der Aja Sophia wendeten wir uns zur Achmed-
Moſchee, welche nicht weit davon entfernt iſt. Unſere
engliſchen Offiziere verließen uns zwar, aber wir ließen
uns dadurch nicht abhalten. Da wir hier zu keiner
Stunde des Gebets kamen, ſo reichten 10 Piaſter hin,
uns den Eingang zu verſchaffen und mit Muße uns
darin umzuſehen.
– 170 –
Die Achmed-Moſchee iſt nicht völlig ſo groß als die
Aja Sophia, aber der Gedanke jener iſt hier zierlicher und
vollſtändiger ausgeführt. Es iſt ein rein türkiſches Werk,
vom Sultan Achmed um 1600, gebaut. Hier ſind die
Stützen, welche das Gewölbe der großen Mittelkuppel
tragen, aus ſchwerfälligen Pfeilern in kannelirte Säulen
umgewandelt und die Halbkuppeln, welche ſich dort nur
an zwei Seiten der Hauptkuppel anſchließen, ſind hier
nach allen vier Seiten angefügt und ſpalten ſich nach allen
vier Seiten jede in drei kleinere halbrunde Kuppeln.
Das Gewölbe des Ganzen iſt ſo ein Netz von 17 me-
tallenen Domen, die perſpektiviſch abfallen und alle 17
außer von den Randmauern nur von jenen vier Säulen
getragen werden. Der Eindruck, den dieſe freien weiten
Räume mit gleichſam in den Lüften ſchwebenden Gewölben,
hervorbringen, iſt vortrefflich. Klarheit, Beſtimmtheit,
Heiterkeit herrſcht in dieſem großen, ſchmuckloſen Tempel,
und man fühlt, daß die chriſtliche Verleugnung des Ir-
diſchen kein Dogma des Islam geworden iſt. Die zier-
lichen, weißen Minartes, welche hier allein zu ſechs die
Moſchee umgeben, ſtimmen genau mit dem Charakter des
Tempels und bilden von Außen einen unentbehrlichen
Beſtandtheil des Beiwerkes.
An einem der ſpätern Tage waren wir auch ſo glück-
lich, die Suleimannia ſehen zu können. Sie gilt für das
ſchönſte Gebäude Konſtantinopels und ward von dem
großen Sultan Suleiman in der höchſten Blüthe und
Macht des türkiſchen Reiches um 1550 gebaut. Sie iſt
im Ganzen eine ziemlich genaue Nachahmung der Aja
Sophia, aber ſymmetriſcher gehalten, da ſie innerhalb
ſechs Jahren vollendet wurde und keine Religion zu
wechſeln hatte. Das Gewölbe der Mittelkuppel ſteht an
Größe und Schönheit dem der Aja Sophia nicht nach;
– 171 –
aber der aus der chriſtlichen Zeit ſtammende Luxus der
Verzierungen fehlt hier. Die Wände und Gewölbe ſind
einfach hell angeſtrichen und nur einzelne dunklere Streifen
unterbrechen mitunter die helle Grundfläche. Das Ge-
wölbe der Mittelkuppel ruht hier in noch leichterer Art,
wie bei der Achmed-Moſchee, -auf vier koloſſalen aber
ſchlanken Säulen von rothem Granit. Sie waren vor-
mals die vier ſchönſten und höchſten des chriſtlichen Kon-
ſtantinopel und trugen damals die Reiterſtatue von
Juſtinian. Ueber dieſen Säulen ſind vier blaue Schilder
angebracht, auf denen in ſchöner türkiſcher Schrift der
Spruch des Koran ſteht: „Ich habe mein Geſicht zu ihm
gewendet, der Himmel und Erde ernähret.“
In der Suleimannia ſahen wir auf einer geräumigen
obern Gallerie einen großen Haufen von Koffern und
bunten Holzkiſten aufgeſchichtet. In dieſen Koffern ſind
die Koſtbarkeiten und das Geld der wohlhabenden Türken
verſchloſſen, die dieſe Schätze hier gegen Feuer und Dieb-
ſtahl ſicherer verwahrt halten, als in ihren Wohnungen.
Es fiel uns auf, daß dieſe Kiſten ſo völlig frei, unver-
hüllt und durcheinander ſtanden auf einer Gallerie, die
wie es ſchien, nicht einmal verſchloſſen war. Welcher
Abſtich gegen die Kirchendiebſtähle und Einbrüche in den
chriſtlichen Ländern!
Die Suleimannia hat auch einzelne bunte Glasfenſter,
nach Art unſerer Dome; ſie thun jedoch hier bei der
Menge der Fenſter der Helligkeit keinen Abbruch. Sie
können nach türkiſcher Sitte keine menſchlichen Figuren
darſtellen; Blumen und die wiederkehrenden Buchſtaben
von „Allah“ bilden den Inhalt. Der Boden aller
Moſcheen iſt mit Strohmatten bedeckt; man ſieht aber
an den Seiten große Ballen Teppiche aufgeſtapelt, womit
zu hohen Feſten der Boden belegt wird. Eigenthümlich
– 172 –
ſind auch die großen Leuchter und Wachskerzen, welche
an ſolchen Tagen angezündet werden. Wir ſahen Kerzen
von der Größe und Stärke einer vier und zwanzigpfün-
digen Kanone und dem entſprechend die Leuchter. Bei
den meiſten Moſcheen ſind an einer Seite die Grabmäler
der Sultane angebracht, welche die Moſchee erbaut haben,
mit ihren Brüdern, Söhnen u. ſ. w. Die größten ſind
die des Sultans Suleiman bei der Suleimannia. Es
ſind niedrige, achteckige Gebäude mit vorſtehendem Dache.
Die Wände ſind durchbrochen und mit breiten Eiſengittern
verſetzt, durch die man die Gräber erkennt. Es ſind ko-
loſſale Särge in der Form der unſrigen; die Pracht be-
ſteht lediglich in den reichen türkiſchen Shwals und Tep-
pichen, mit denen ſie gänzlich bedeckt ſind. Am Kopfende
iſt ein Turban auf den Sarg aufgeſetzt. Dieſe Turbane
ſind angeblich die, welche der Sultan bei ſeinem Leben
getragen hat, und wir ſahen ſpäter in Bruſſa bei einem
ſolchen Grabmal drei Schachteln mit verſchiedenen Tur-
banen, welche nach der Wichtigkeit der einzelnen Tage
gewechſelt und dem Grabe aufgeſetzt wurden.
Die Moſcheen haben nach Art unſerer Klöſter einen
reichen Beſitz an liegenden Gründen und andern Ein-
künften, und aus dieſen werden eine Menge Anſtalten
unterhalten, die in Europa unmittelbar vom Staat aus-
gehen: Armenküchen, Krankenhäuſer, Irrenhäuſer, Elemen-
tar- und höhere Schulen, Bibliotheken. Die Armen-
küchen der Moſcheen in Konſtantinopel ſollen täglich an
30,000 Arme mit warmen Speiſen verſorgen. Trotzdem
fanden wir weder in den Moſcheen noch in dem ganzen
öffentlichen Leben der Bevölkerung eine Spur jener unter-
würfigen Ceremonien, mit denen in den katholiſchen Län-
dern Europa's der Laie den Prieſtern ſeine Verehrung
beweiſt. Jenes kriechende Küſſen der Hände, des Rock-
– 173 –
ſchoßes, jene ſklaviſchen bis zum Knieen gehenden Reſpekts-
bezeugungen, wie ſie namentlich in den öſtlichen Gegenden
Deutſchlands noch überall in Uebung ſind, ſieht man hier
auch in keinem andern Surrogate. In der Moſchee
empfängt der türkiſche Prieſter bei dem Gottes-
dienſt durchaus keine Ehrfurchtsbezeugung, und auf den
Straßen haben wir während unſeres zweiwöchentlichen
Aufenthalts auch nicht einmal eine derartige Ceremonie
bemerkt, aus der man auf die Gegenwart eines Prieſters
oder eines Ulema hätte ſchließen können. Auf den Gang
der Regierung mögen die hohen geiſtlichen Würdenträger
in der Türkei einen Einfluß üben; aber das Volk genießt
in dieſer Beziehung eine Unabhängigkeit und Freiheit,
die man in katholiſchen und ſelbſt in proteſtantiſchen Län-
dern nicht kennt.
XII.
Das neue Serail.
Unſere Erfahrungen in den Moſcheen hatten unſern
Muth erhöht; wir hofften nun auch in das Serail in
gleicher Weiſe ohne Ferman zu gelangen; indeß zeigte
ſich hier, daß die Toleranz der Türken in Bezug auf
Frauen noch nicht ſo weit vorgeſchritten war, als in Be-
zug auf Religion.
Es giebt ein altes Serail, ein unbedeutendes Ge-
bäude, mehr in der Mitte der Stadt; wenn man in
Europa vom Serail des Sultan ſpricht, ſo verſteht man
darunter nur das neue Serail, was die Spitze der Land-
zunge einnimmt, auf der Stambul gebaut iſt. Dieſe
Spitze iſt aber ein großer Flächenraum. Der kaiſerliche
Palaſt in Wien, die Hofburg iſt eine große Anhäufung
von Gebäuden, aber ſie verſchwindet im Vergleich zu dem
Raume der ganzen inneren Stadt Wien; das neue Serail
in Konſtantinopel iſt aber ſo groß als die ganze innere
Stadt Wien. Es iſt ringsum mit eigenen ſtarken Mauern
umgeben, die, wo ſie die Stadtgrenze bilden, zugleich die
Stadtmauern ſind, und zerfällt in drei Höfe. Zwei
davon bilden eigentlich ausgedehnte Gärten, beinah im
Geſchmack engliſcher Parks; in dieſen Gärten bis hinab
– 175 –
zu dem Meere ſind die einzelnen Paläſte, Kioks, Moſcheen,
Springbrunnen regellos zu verſchiedenen Zeiten erbaut
worden; nur der dritte innere Hof iſt dichter bebaut, hier
befinden ſich der Audienzſaal für die fremden Geſandten,
Moſcheen, Bäder, Springbrunnen, der Schatz, die Biblio-
thek, der Harem, wo die Frauen wohnen, und der Prinzen-
kerker, wo früher die Nachfolger des regierenden Sultans
eingeſperrt gehalten wurden. In dieſen dritten Hof ge-
langt man auch mittelſt eines Fermans nicht; dagegen
bildet ein Theil des erſten Hofes einen für jedermann
offenen Zugang, der als Straße zur hohen Pforte be-
nutzt wird. -
Als wir durch den Haupteingang, das Thor der kaiſer-
lichen Pforte, in den erſten Hof eingetreten waren, der
weit eher einem ſchönen Garten mit Raſen und präch-
tigen Baumgruppen als einem Palaſt gleicht, ſchickten
wir unſern Theodoro nach dem Thore, das in den zweiten
Hof führt. Mit Geld verſehen, ſollte er ſein Heil bei
der Wache verſuchen. Wir beſahen inmittelſt in der Ecke
den großen Mörſer, in dem ſonſt die in Ungnade gefallenen
Mufti's und Ulema's zerſtampft worden ſein ſollen.
Theodoro kam bald mit ſchlechten Nachrichten zurück.
Er habe gebeten, Geld geboten, allein die Soldaten hätten
erklärt, daß ſie es nicht wagen könnten, uns einzulaſſen,
ſie würden ſich harter Beſtrafung ausſetzen. Da wir die
griechiſche Furcht des Theodoro vor den Türken bereits
kennen gelernt hatten, ſo ließen wir uns damit nicht ab-
ſchrecken, ſondern begleiteten ihn ſelbſt nochmals zur
Wache. Nach längeren ſehr ruhig geführten Verhand-
lungen hatten zwanzig Piaſter endlich den Erfolg, daß
man uns erlaubte, in dieſen zweiten Hof mit Begleitung
eines Soldaten einzutreten. Durch dieſes Thor darf nur
der Sultan reiten, alle fremden Geſandten müſſen vor-
– 176 –
her abſteigen und zu Fuß durchgehen. Auch mußten ſie
ſonſt eine halbe Stunde nach türkiſchem Ceremoniell hier
warten, ehe ſie weiter gehen durften. Wir als unbe-
deutende Perſonen, wurden ohne ſolche Feierlichkeit durch-
gelaſſen.
Auch dieſer Hof iſt noch gartenartig bepflanzt. Links
ſahen wir den Palaſt, wo ſonſt der Divan oder Reichs-
rath gehalten wurde, und wo in einem zweiten Saale
Rechtshändel entſchieden wurden, denen die fremden Ge-
ſandten, ehe ſie zur Audienz gelangten, beiwohnen mußten.
Rechts erhoben ſich unförmliche, mit Bleikuppeln und
kleinen Röhren verſehene Gebäude; es waren die neun
Küchen, Speiſekammern und Konditoreien für den Sultan
und das Hofgeſinde; die Küchen folgen genau der Rang-
ordnung.
Vor uns lag das Thor der Glückſeligkeit, welches in
die Allerhöchſten Geheimniſſe des dritten Hofes führt,
und wo nach den Erzählungen der wenigen Glücklichen,
die hier eingedrungen ſind, außer den Paläſten mit zahl-
reichen Sälen auch der große Harem, der Winteraufent-
halt der Frauen des Sultans ſich befindet. Der kleine
Harem, der Frühlings- und Herbſtharem, liegt an der
Waſſerſeite; dicke Cypreſſen ſchützen ihn gegen die neu-
gierigen Blicke der Europäer in Galata. Man hatte
uns viel von ſeinen Herrlichkeiten erzählt; ein Tanzſaal
enthält neben vielen Spiegeln zwei Achatplatten, 7 Fuß
hoch und 2 Fuß breit jede, ſo ſchön polirt, daß ſie eben-
falls als Spiegel dienen; der Badeſaal des Sultan von
rothem Marmor hat eine Einfaſſung von 35 Säulen;
der Harem der Odalisken, Kammerfrauen, (von Oda, die
Kammer,) 300 Schritt lang, in welchem ſo viel Skla-
vinnen wohnen, als Tage im Jahre ſind; jede hat einen
roth und weiß angeſtrichenen Kaſten zu ihrer Garderobe
– 177 –
und auf den Sophas an den Wänden müſſen immer je
15 beiſammen ſchlafen; zwei Stiegen, die in dieſen Saal
führen, ſind durch Fallthüren mit ſchweren Gewichten
und ſtarken Riegeln verſperrt.
Von all dieſen intereſſanten Dingen ward uns nichts
zu ſehen verſtattet; unſer türkiſcher Soldat wies uns mit
einer Miene, die keinen Scherz verſtand, links, und ſo
kamen wir wieder näher dem Meere, wo mannigfache
Kioks das Grün der Bäume unterbrachen, aber mit der
Mauer uns die Ausſicht auf das Meer verſperrten.
Wir kamen an mehreren, aber verſchloſſenen Thoren vor-
bei; das nächſte war das Hofthor, welches blos geöffnet
wird, um die Leichname der im Serail Hingerichteten,
ins Meer zu werfen; ſpäter gelangten wir zu dem Henkers-
ſpringbrunnen und dem Haus der Pein, von dem die in
Ungnade gefallenen Großveſire ſich ſofort ohne Abſchied
von den Ihrigen an den Ort ihrer Verbannung ein-
ſchiffen mußten. -
Alle dieſe Thore und Gebäude ſahen ſo einfach und
verſtändig aus; der grüne Raſen, die Platanengruppen
mit ihrem üppigen Laub, waren ſo natürlich und un-
ſchuldig, daß all dieſe Gräuel vergangener Zeit uns wie
Mährchen erſchienen, nur erfunden, um Chriſtenkinder in
den Schlaf zu ſchrecken.
Gegen das Ende hebt ſich der Boden; wir gelangten
durch das Hauptthor in den erſten Hof zurück, zu dem
von hohen Platanen beſchatteten Springbrunnen Abla's,
in deſſen Nähe die Münze und das Zeughaus ſich be-
finden. Wir ſetzten uns unter die Platanen, entließen
unſern türkiſchen Wächter und ſandten Theodoro zum
Münzdirektor, um uns dort Eintritt zu verſchaffen.
Das iſt alſo das Serail, rief ich, jenes Wunderſchloß,
das man in Europa mit heimlichem Grauen ſich ausmalt,
12
– 178 –
als maaßlos in ſeinen Rieſenpaläſten, als geſchmückt mit
allen Schätzen des Orients, als die üppige Wohnung der
ſchönſten Cirkaſſierinnen, als bewacht von hunderten von
Janitſcharen und ſchwarzen Eunuchen. Wir ſind beinah
mitten hindurchgegangen, und jene Wunder, die die Phan-
taſie im Abendlande aufgebaut, ſie ſind hier zuſammenge-
ſunken zu einem engliſchen, etwas vernachläſſigten Park,
mit hübſchen Baumgruppen und bunt durch einander ge-
würfelten großen und kleinen Häuſern, von ſonderbaren
Formen zwar, aber ſo, daß ſie in Europa ſchwerlich für
Paläſte gelten würden.
– Ja, ſagte M*; aber das Innere, was wir nicht ge-
ſehen haben; da ſtecken die wunderbaren Dinge, die koſt-
baren Schätze, über die wir erſtaunen würden!
– Wir würden da ſehen, es iſt wahr, den ſchwarz-kame-
lottnen Mantel des Propheten, welcher am 15. des Mo-
nats Ramaſan von allen Hof- und Staatsbeamten ge-
küßt werden muß, und in einer ſilbernen Kiſte, 78,000
Drachmen ſchwer, aufbewahrt wird; wir würden ſehen
den Thron Mahmud's I., mit einer Silberplatte 7 Ellen
in das Gevierte; aber denken Sie an den ſilbernen Thron
im Schloß zu Berlin, denken Sie an den Fackeltanz, wel-
chen die Miniſter dort bei Verheirathung der Prinzeſſinnen
tanzen; waren wir ſo entzückt darüber? und ich meine
es würde hier nicht viel anders ſein.
Dennoch würden dieſe Beſchwichtigungsmittel wenig
geholfen haben, wenn wir nicht Tages vorher bei der
Fahrt auf dem Bosporus den großherrlichen Palaſt genau
von innen und von außen geſehen hätten, in welchem
Prinz Napoleon bei ſeiner Ankunft in Konſtantinopel in
dieſem Frühjahr gewohnt hatte. Es iſt dies der Palaſt
Dolmabagdſche, zu deutſch: Bohnengarten, der erſte Pa-
laſt des Sultans von Konſtantinopel den Bosporus auf-
– 179 –
wärts, am linken Ufer. Da der Palaſt jetzt völlig unbe-
wohnt iſt, ſo erlangten wir durch ein Trinkgeld von dem
Kaſtellan den Eintritt. Das Aeußere gleicht genau den
Paläſten des Serail und den übrigen ältern des Sultans.
Nur die Außenmauern des Erdgeſchoſſes ſind von Stein,
alles übrige von Holz und grünlich angeſtrichen. Das
Hauptgebäude hat zwei Stock über dem Erdgeſchoß, und
dieſelben erkerartigen Vorbaue in der Hauptfront, wie alle
türkiſchen Paläſte. Wir landeten an der ſchmalen, nie-
drigen Terraſſe der Waſſerſeite, mußten aber von der
Rückſeite durch einen gut gepflaſterten Vorhof eintreten.
Die Thür des Erdgeſchoſſes führte unmittelbar in
einen Saal, der die ganze Länge des Gebäudes einnahm,
mit ſchwarz und weißen Marmorplatten gepflaſtert war,
und ſein Licht aus großen Fenſtern von der Landſeite er-
hielt. Er war ohne alle Verzierung, einfach lichtgraue
Wände; ebenſo fehlten alle Möbel darin. In der Mitte
führten zwei bequeme Treppen in das erſte Stock, was
einen Saal gleicher Größe über dem untern enthielt, der
hier aber ſich nach beiden Seiten in Seitenzimmer öffnete,
die durch die erkerartigen Ausbaue des erſten Stocks über
das Erdgeſchoß gewonnen waren. Dadurch hatten dieſe
geräumigen Zimmer Fenſter und Licht nach drei Seiten
und eine vortreffliche Ausſicht nach dem Bosporus gerade-
aus, auf- und abwärts, wobei freilich die Seitenausſicht
durch die gleichen erkerartigen Vorbaue auf beiden Seiten
etwas beſchränkt wurde. Nach dieſem Plane wiederholte
ſich auch das zweite und letzte Stock; ein langer Saal
mit anſtoßenden Zimmern. Der Zugang zu den Zim-
mern ſtand überall offen, es fehlten die Thüren, ſchwere
Vorhänge vertraten dieſelben, waren aber zurückgeſchlagen.
Der Palaſt enthielt 82 Zimmer. Der Boden der beiden
Stockwerke war mit Strohmatten belegt; indeß zeigten zu-
12*
– 180 –
ſammengerollte Teppichballen, daß während Prinz Napo-
leons Aufenthalt der Boden mit Teppicheu bedeckt gewe-
ſen war. Auch die obern Säle waren leer, ohne Möbeln,
ohne Verzierungen, ohne Spiegel.
In den Zimmern liefen an den Wänden breite Di-
van's ohne Unterbrechung herum; hier und da ſtand ein
hoher Kaſten von polirtem Ceder- oder Mahagoniholz,
der in der einfachſten Weiſe den Zweck unſrer Kommoden
und Sekretaire zu vertreten ſchien; auch ſahen wir in den
Zimmern einige hübſche Spiegel. Die großen Fenſter,
immer 12, vier auf jeder Seite, waren ohne Vorhänge, aber
mit Rouleaux und Jalouſien verſehen. Die Wände hat-
ten in dem erſten Stock durch alle Zimmer hindurch eine
gelbliche, in dem zweiten Stock eine in das roſa ſpielende
lichte Farbe. Sie waren ohne Verzierungen; dagegen
waren die Decken mit Arabesken reich ausgemalt. Im
Uebrigen ſah man nichts von dem Reichthum, mit dem
europäiſche Paläſte im Innern ausgeſchmückt zu ſein pfle-
gen. Es fehlten die Bildſäulen, die Gemälde, die Vaſen,
die Blumen, die Uhren, die Harfe, der Flügel, die Bib-
liothek, das Billard, die Sekretaire, Schreibtiſche, die
Bedürfniſſe der Toilette. Nur die letzteren waren in dem
Badezimmer im zweiten Stock vertreten, in dem Marmor-
becken mit reich verzierten Zuflüſſen von kaltem und war-
mem Waſſer ſich befanden. Durch eiſerne heizbare Röh-
ren konnte die Temperatur hier beliebig erhöht werden.
In dieſem Zimmer fanden wir größern Luxus von Ver-
goldungen und Zierrathen von Marmor.
Im Gegenſatz zu dieſer Leere und Einfachheit der
Räume ſtanden einzelne Möbel von Pariſer Façon, Spie-
gel, Sekretaire, Bettſtellen, Oefen und Kamine, von denen
der Kaſtellan eingeſtand, daß ſie erſt hergebracht worden,
als der Palaſt für den Prinz Napoleon eingerichtet wor-
– 181 –
den ſei. Die Türken haben in ihren Wohnungen weder
Oefen noch Kamine; bei arger Kälte benutzt man nur
kleine eiſerne, mit Kohlen gefüllte, verdeckte Pfannen, die
neben die Perſon oder unter deren Füße geſtellt werden.
Dieſe Leere, dieſer Mangel an Ausfüllung oder Ver-
zierung der Säle und Zimmer erinnerte uns an die ähn-
liche Leere der Moſcheen; allein dieſe Leere, die wir bei
den Moſcheen, als ein Sinnbild des Unendlichen, Höch-
ſten, und bei den koloſſalen Räumen ihrer Dome als der
Idee des Ganzen entſprechend fanden, war hier, in der
Wohnung der Menſchen eine wirkliche Leere. Sie ſchien
uns ein Zeichen der halben Barbarei, in der dieſes Land
noch bis zu den höchſten Klaſſen ſich befindet. Als die
türkiſchen Barbaren Konſtantinopel erobert hatten, fanden
ſie die Paläſte, aber die Kriegswuth hatte ihren Inhalt
zerſtört; der Türke behielt die leeren Räume, vermochte
aber nicht, ſie wieder auszufüllen. Nur den Genuß der
Sinne kennend, und wie Barbaren im Golde nur das
Gold ſchätzend, waren Badezimmer, Divans, kühlende
Säle, eine plumpe Anhäufung von Gold und Edelſteinen
alles, was ſie vermochten; ſonſt blieben die Räume leer,
wie ihr Kopf. Dem gedankenloſen Träumer auf dem
Divan, die Dämpfe des berauſchenden Nargileh einzie-
hend, entſprechen dieſe leeren, weiten Räume, in denen
kein Gegenſtand der Kunſt, keine Verzierung das Auge
feſſeln und die Seele aus dem trägen Auseinander zu
einer beſtimmten Vorſtellung erwecken könnte. Die Ver-
ſicherungen des Kaſtellans und unſeres Theodoro, daß
die übrigen Paläſte des Sultans und der Großen in der
Hauptſache ebenſo beſchaffen wären, ſchienen uns daher
ſehr glaublich, und indem wir uns dies heute, unter den
Platanen des Serails, zurückriefen, tröſteten wir uns
leichter, ſeine Paläſte nicht geſehen zu haben.
– 182 –
Theodoro brachte uns die Erlaubniß, die großherr-
liche Münze zu ſehen. In langen Gebäuden links ſind
die Schmelzöfen, wo das Gold und Silber gereinigt, die
Barren erhitzt werden; rechts ſind zunächſt die Walzma-
ſchinen, in denen die Gold- und Silberklumpen zn ſchma-
len Blechen von der Stärke der Münzen ausgedehnt und
ſodann die runden Stücke durch ein Druckwerk ausgeſchnit-
ten werden. Dann folgen daneben die Prägemaſchinen,
wo, wie in europäiſchen Münzſtätten, mit einem Druck
das Gepräge oben, unten und am Rand eingedrückt und
ſofort jedes fertige Stück von der Maſchine ſelbſt fortge-
ſchoben wird, um ein neues zu prägen.
Unter den türkiſchen Geſichtern in den Sälen war eins
mit hellerer Farbe und germaniſchen Zügen. Auf meine
Frage, ob er ein Engländer ſei, rief er: I should think
so! und erzählte mir, daß das ganze Werk in England
gefertigt und von ihm hier aufgeſtellt worden, wo er noch
die Oberaufſicht führe. Während unſerer Anweſenheit
wurden Goldſtücke zu 100 Piaſter, ohngefähr 5 Thlr. im
Werthe, geprägt, auf der einen Seite mit der hübſch ge-
ſchlungenen Chiffre des Sultans, die das europäiſche Wap-
pen oder Bruſtbild vertritt, und mit der Werthangabe auf
der andern. Seit vier Wochen wurden, wie der Engländer
uns erzählte, in drei Abſätzen täglich 30.000 ſolcher Gold-
ſtücke geprägt und es ſollte noch eine Zeitlang ſo fort-
gehen. Dies ſchienen uns gute Ausſichten für Omer
Paſcha. In dem Saale mit den Walzwerken lag ein
Haufen röthlicher ſtarker Bleche; ich hielt ſie für Kupfer
und freute mich, daß man die ſo ſehr fehlenden Kupfer-
münzen vermehren wolle; der Engländer lachte mich aber
aus; es waren Bleche des reinſten Goldes, die nur durch
das Feuer und Walzen einen röthlichen Schein angenom-
men hatten. Wir glaubten in Kalifornien zu ſein. Seit
– 183 –
Jahr und Tag führt der Sultan dieſen erſchöpfenden
Krieg, und hier lag noch Gold in Bergen aufgehäuft.
Wir hatten ſpäter mehrfach Gelegenheit uns zu überzeu-
gen, daß in der Türkei vielleicht noch mehr Vorrath an
Gold und Silber, als in dem reichen England vorhan-
den iſt. Die Türken, wie alle barbariſche Völker, kennen
keinen andern Reichthum, als edle Metalle und Edelſteine,
und die ungeheure Beute an ſolchen aus den früheren
Zeiten ihrer Siege hat ſich unbenutzt, aber auch unver-
mindert erhalten. So erzählte uns ſpäter ein belgiſcher
Ingenieur, im Dienſt des Ali Paſcha, daß dieſer allein
10,000 Pfund an Silberzeug beſitze, die aber ſtets in
Kiſten und Koffern verpackt ſeien.
Wir erkundigten uns bei dem Engländer nach den
Arbeitern. Es ſind alles Türken, die hier europäiſche
Fabrikarbeit in derſelben Regelmäßigkeit und Ausdauer
wie bei uns ausführen müſſen. Er gab ihnen ein gutes
Zeugniß, ſie wären nicht allein ausdauernd und kräftig,
ſondern zeigten auch Geſchick zu den ſchwierigen Verrich-
tungen. Das, was wir ſahen, beſtätigte ſein Urtheil.
Ohnweit der Münze befindet ſich eine Art Rüſtkammer
in einer ehemaligen griechiſchen Kirche. Wir hofften dort
alte türkiſche Waffen und, ſo wie in unſern Rüſtkammern,
ausgeſtopfte Janitſcharen und Paſcha's in voller Rüſtung
zu ſehen; indeß fanden wir in dem Theil, den allein man
uns öffnete, nur einen großen Vorrath moderner, euro-
päiſcher Waffen, namentlich Kavallerie-Säbel und Flin-
ten, die in eben ſolchen Figuren zuſammengeſtellt waren,
wie in dem Zeughauſe in Berlin.
«„"»“. „". "-"-"-"v".."-"-"v".".."-"."
XIII.
Türkiſche Kaffee- und Speiſehäuſer.
Die weite Entfernung von Pera und von unſerem Hotel
nöthigte uns, an dieſem Tage das europäiſche Frühſtück
aufzugeben und in Stambul auf türkiſch zu eſſen und
zu trinken.
Die Kaffeehäuſer bilden in Konſtantinopel, ſo wie in
allen großen und kleinen Orten der Türkei, den Mtitel-
punkt deſſen, was man hier öffentliches Leben nennen
kann. Alle andern Vereinigungspunkte europäiſcher Städte
fehlen. Es giebt für den Türken kein Theater, keine
Konzerte, keine Leſekabinette, keine Schauſtellungen, keine
Vereine zur gemeinſamen Ausübung der Kunſt, keine Ver-
ſammlungen zur Verhandlung wiſſenſchaftlicher Fragen,
keine Börſe, keine politiſchen Verſammlungen. Der Türke
konzentrirt alle ſeine Genüſſe in ſeinem Hauſe und auch
da werden ſie dem Auge jedes Zuſchauers entzogen. Hohe
Mauern umgeben die Gärten, dichte Gitter verſchließen
die Fenſter und die Hausthür iſt ſtets verriegelt. Nie-
mand als die Hausgenoſſen erlangen den Eintritt. Geht
der Türke aus ſeinem Hauſe, ſo geſchieht es nur ent-
weder als Beamter, um in ſeine Dienſtſtube ſich zu be-
geben, oder als Kaufmann oder Handwerker, um in den
– 185 –
Chan oder Bazar zu ſeinem Geſchäft zu gehen, oder um
die nöthigen Einkäufe für die Hauswirthſchaft zu beſorgen.
Ein regelmäßiges tägliches Ausgehen zum Vergnügen
kennt der Türke nicht; Beſuche bei Freunden ſollen eben-
falls ſehr ſelten ſein. Der Theil des Lebens, der, nach
gethaner Arbeit, den Genuß enthält, würde daher in der
Türkei völlig in den Geheimniſſen des Hauſes einge-
ſchloſſen bleiben, wenn nicht die Kaffeehäuſer die Sitte
der Iſolirung durchbrochen und ein Stück öffentliches
Leben gerettet hätten. -
Kaffeehäuſer giebt es in allen Straßen Stambuls, in
allen Stadttheilen; ihre Zahl muß viele Tauſende er-
reichen. Ihre Einrichtung iſt, trotzdem daß dergleichen
für alle Stände, für Arme und Reiche, für Fremde und
Einheimiſche beſtehen, überall mit geringen Maaßgaben
dieſelbe. In Allen giebt es zunächſt ein Hauptzimmer,
welches ſich in dem unteren Stock des Hauſes befindet,
der aber dann ſo hoch iſt, daß die Wohnung darüber
wegfällt. Dieſes Zimmer hat nach der Straße zu keine
Wand, und iſt es ein Eckhaus, ſo hat es nach beiden
Seiten keine Wand; nur ein niedriges Holzgeländer
ſcheidet es von der Straße mit einer breiten Oeffnung
zum Eintritt. Der Fußboden iſt gegen die Straße er-
höht und an den Holzwänden dieſes Zimmers läuft
ringsum ein breiter Divan, mit Polſterkiſſen, auf welchem
die Gäſte mit untergeſchlagenen Beinen Platz nehmen.
Außerdem hat man noch eine Zahl ſehr niedriger ein-
facher Rohrſeſſel, die theils zum Sitzen benutzt werden,
theils um die Füße darauf zu ſtellen. Ein Theil des
Zimmers iſt durch eine Art Schenktiſch abgetheilt; hier
wird der Kaffee bereitet. Ein Becken mit Holzkohlen
dient das Waſſer kochend zu machen. Das Waſſer wird
mit Zucker ſüß gemacht, ehe es kocht; dann wird der
– 186 –
ſehr fein gemahlene Kaffee in das Waſſer geſchüttet und
aufgekocht, und ſo wie dies geſchehen, wird er in die
Taſſen gegoſſen und dem Gaſte überbracht. Für jeden
ankommenden Gaſt wird der Kaffee neu bereitet.
Die Taſſen ſind außerordentlich klein, kaum daß man
ein Hühnerei hineinſtellen kann; eine Untertaſſe giebt es
nicht; ſtatt deſſen dient ein Gefäß von Meſſing oder
Silber, genau in der Form unſerer Eierbecher, in welches
die Taſſe geſtellt wird. Der Becher hat indeß nur einen
ſehr kleinen Fuß, ſo daß man ihn ſammt der Taſſe in
der Hand behalten muß, bis man ausgetrunken hat und
ihn dem Aufwärter zurückgiebt. Der Kaffee iſt ſtark und
von einem vortrefflichen Geſchmack. In den beſten Kaffee-
häuſern Konſtantinopels und in den Kaffeeſtuben der
elendeſten Dörfer iſt er gleich gut. Die halbe Taſſe iſt
von dem feinen Kaffeeſatz erfüllt und man muß vorſich-
tig trinken, um bei der ohnehin kleinen Taſſe nicht dieſen
Satz mit zu verſchlucken.
Die Diener ſind alles Türken, die barfuß bis ans
Knie, kurze, weite Hoſen und eine bunte Jacke tragen.
Der Hals iſt blos, der Kopf bis auf einen kleinen Theil
geſchoren und von dem rothen Feß bedeckt. Es ſind auf-
merkſame flinke Burſchen, die mit Freundlichkeit und Gut-
müthigkeit von früh bis Abend alle Gäſte ohne Unter-
ſchied mit gleicher Bereitwilligkeit bedienen.
Neben dem Kaffee iſt die zweite unumgängliche Be-
dingung der Exiſtenz im Kaffeehauſe die Pfeife. Es giebt
deren zwei Arten. Das Nargileh, oder die Waſſertabacks-
pfeife, die bereits bei Syra beſchrieben worden iſt, und
die gewöhnliche türkiſche Pfeife, die aus einem langen
Rohre von Roſen- oder Weichſelholz mit kleinem, rothem,
thönernem Kopfe beſteht und in einer kulbigen, kurzen
Spitze endet, die bei Reichen von Bernſtein iſt.
– 187 –
Ohne zu fragen bringt der Diener ſofort mit dem
Kaffee die Pfeife. Er ſieht es mit ſchnellem Blicke ſeinem
Gaſte an, ob er den berauſchenden Nargileh oder die ein-
fache Pfeife liebt, und ſelten irrt er ſich in dem Geſchmack
ſeines Gaſtes. Mit der Vertraulichkeit, die in der Türkei
durchgehend zwiſchen Herrn und Diener beſteht, hat er
die Pfeife ſchon angezündet und bringt ſie, ſelbſt rauchend,
bis zu der Stelle, wo er mit Geſchick und Anmuth die
Spitze aus dem Munde nehmen und dem Gaſt über-
reichen kann. -
Damit ſind alle Wünſche des Gaſtes befriedigt. Zei-
tungen, Landkarten, Bücher, Anzeigeblätter giebt es nicht.
Man ſitzt auf dem Divan, mit weichen Kiſſen im Rücken,
mit einem Schemel für die Füße, die bunte Glasurne
neben ſich auf dem Boden, aus der der ſchlangenartig
ſich windende Schlauch von hellem Leder nach vielen
Krümmungen den Mund des Gaſtes erreicht und ihm die
durch Waſſer gekühlten Dämpfe zuführt, die Kaffeetaſſe
mit ſilbernem Becher in der Hand und vor ſich den halb-
nakten, braungebrannten Diener, der mit freundlicher
Gelaſſenheit den Zeitpunkt abwartet, wo die Taſſe ge-
trunken und ihm zurückgegeben wird. Alle Stände, alle
Nationen, jedes Alter, ſind bunt gemiſcht; reiche Mäntel
mit geſtickten Turbans neben der dürftigen gelben Kattun-
jacke und dem rothen Feß. Türken, Griechen, Perſer,
Araber, Cirkaſſier, auch wohl ein Europäer ſitzen gemüth-
lich und verträglich zuſammen. Selten hört man ein
Wort wechſeln zwiſchen den Gäſten; der gemeinſame
Genuß des Tabacks und Kaffees bildet allein das ge-
meinſame Band. In dieſer ſchweigenden Ruhe ſcheinen
die leicht gekräuſelten Wölkchen des Tabacksdampfes, leiſe
Von einem Gaſt zu dem andern ziehend, die luftigen
Träger der Gedanken zu ſein; man verſteht ſich ohne zu
– 188 –
ſprechen. So wie jene Wölkchen bald zerfließen, ſo die
beſtimmten Gedanken; ein unbeſtimmtes Sinnen und
Träumen tritt an ihre Stelle; halb wachend, halb träu-
mend verfließen die Stunden. Allein regſam und in
ſteter Bewegung ſind die Diener, welche in dieſe ſchwei-
gende Geſellſchaft kommen und gehen, die Pfeifen zu
holen, den Kaffee zu bringen, eine neue Kohle auf den
Taback zu legen, und jeden Wunſch der Gäſte zu erfüllen.
Wo die Straße und der Raum es irgend geſtatten,
wird an das Hauptzimmer ein zweites, noch luftigeres,
im Freien aufgeführt. Gleich einer Sommerlaube ſchützt
ein Holzdach gegen die Strahlen der Sonne; die Wände
ſind ein leichtes dünnes Gitterwerk, mit grünenden Ge-
wächſen durchzogen; ringsum laufen die Divans und in
der Mitte treibt ein Springbrunnen ſein kühlendes Waſſer
in die Höhe. Von Zeit zu Zeit kommt der Aufwärter,
fängt das Waſſer auf und überſchüttet damit den Fuß-
boden zur Kühlung. Myrten, Roſen, Oleander, Citronen-
bäumchen in voller Blüthe umgeben den Waſſerſtrahl
und nähren ſich von den glänzenden Tropfen, die er
leichtſinnig verſpritzt. Wo der Strahl ſtärker iſt, wird
er in Becken aufgefangen und von Becken zu Becken kas-
kadenartig herabfallend, verbreitet er leichten kühlenden
Dunſt durch das Gemach und füllt mit ſeinem ſteten Ge-
murmel die träumende Stille der Geſellſchaft. Unmittel-
bar daneben wogt das Gewühl der Laſtträger mit ſchwe-
ren Ballen, der Pferde, die lange Holzbalken ſchleppen,
der Verkäufer von Waſſermelonen und der rothen und
blauen Mäntel von Frauen, die mit verhülltem Geſicht und
ſchleppenden gelben Pantoffeln ſich mühſam hindurchwinden.
In den reichern Kaffeehäuſern ſind die Wände und
Decken mit ſchönem Schnitzwerk verziert, das Zimmer
dehnt ſich weiter aus, iſt mit Säulen verziert, hat da
– 189 –
und dort, oder nach dem Garten zu noch kleinere Plätze,
wo man, wenn die Stille in dem Hauptzimmer nicht
ſtill genug, ſich zurückziehen, auf lange Polſter ſich hinſtrecken
und der Muße genießen kann, ohne daß irgend ein Auf-
wärter es wagen würde, den Gaſt durch geldgierige
Fragen zu ſtören. Die Preiſe des Kaffees ſind äußerſt
billig. Für einen halben Piaſter, d. i. 9 Silberpfennige,
erhält man eine Taſſe Kaffee; Pfeife und Taback wird
ſtets umſonſt gereicht.
In dieſer Weiſe wird ein großer Theil des Tages
von den Türken in den Kaffeehäuſern verbracht. Der
Schiffer, der Laſtträger, wenn er ſeine Arbeit gethan,
geht in das Kaffeehaus, trinkt ſeinen Kaffee und raucht
ſeinen Nargileh, wie der reiche Türke und Perſer neben
ihm. Wer gemächlicher leben kann, verbringt den größten
Theil des Tages darin. Mitunter kommt ein arabiſcher
Mährchenerzähler mit drei Begleitern, wovon zwei Man-
dolinen, der dritte eine Art Flöte führen. Sie ſtellen ſich
in die Mitte des Zimmers, die Türken ringsum auf den
Divans; der Sänger beginnt ſeinen Geſang, erzählt halb
parlando Mährchen aus der Kalifenzeit, und ſeine Be-
gleiter folgen ihm mit dem Geſchwirr und Gequieke ihrer
Inſtrumente. Die Zuſchauer haben ſchon hundertmal
dieſe Mährchen gehört, die Begleitung der Inſtrumente
hat weder Rhythmus noch Harmonie, aber die Geſellſchaft
hört ſo aufmerkſam zu, wie das erſtemal, und ſchlürft
die Bilder des Mährchens, die Töne der Muſik mit dem
Dampf der Pfeife träumend hinunter.
Wir gaben uns öfter Mühe, zu erfahren, ob nicht
mindeſtens die Ereigniſſe des jetzigen Krieges von den
Gäſten beſprochen würden; aber wir haben in den zwei
Wochen unſeres Aufenthaltes nichts dergleichen bemerkt.
Nur in einem Dorfe am Ende des Bosporus fragte ein
einzigesmal ein Türke in einem Kaffeehauſe unſern Theo-
doro, ob die Verbündeten nach Sebaſtopol abgefahren
ſeien. Im Allgemeinen fanden wir in der Bevölkerung
eine Ruhe und Gelaſſenheit, als wenn der tiefſte Friede
herrſchte. Es ſoll damit die Theilnahme, ein gewiſſer
Patriotismus nicht abgeläugnet werden; Haß gegen die
Ruſſen, freundliche Geſinnung für Engländer und Fran-
zoſen ließen ſich öfters erkennen; aber jene brennende
Neugierde, mit der man in Europa nach Neuigkeiten
ſchnappt, jene haſtige Ungeduld, mit der man jeden Tag
Schlachten und Erſtürmungen verlangt, iſt in der Türkei
nicht vorhanden, trotzdem daß es ſich diesmal um ihren
eigenen Heerd handelt. Gelaſſen und vertrauensvoll
wartet er, bis der Zufall ihm Nachrichten zuführt. Er
iſt mit den großen Hauptzügen der Ereigniſſe zufrieden
geſtellt; nach dem Einzelnen, nach beſtimmten Zahlen,
nach den Plänen, wie man weiter vorgehen werde, ver-
langt ihn nicht. In antiker Weiſe nimmt er die Ge-
ſchichte, nimmt er ſeine Helden nur nach den entſcheiden-
den Hauptzügen; dieſe großen Thaten füllen ſein Herz
aus; die Neugierde für das kleinliche Detail der Zwiſchen-
zeiten hat keinen Platz darin.
Dagegen werden die Kaffeehäuſer zu Handelsgeſchäften
benutzt und vertreten inſofern die Börſen in Europa.
Die Cirkaſſier verhandeln in ihrem Kaffeehauſe zu
Tophane ihre weißen Mädchen; auf dem ſchwarzen
Sklavenmarkt in Stambul ſitzen die Sklavenhändler in
den Kaffeehäuſern und erwarten die Käufer, die Perſer
ſchließen dort ihre Verkäufe im Großen ab. Die Ruhe
und das Schweigen der Geſellſchaft wird indeſſen durch
ſolche einzelne Zwiſchenfälle ſelten geſtört.
In den Handbüchern wird erwähnt, daß es beſondere
Kaffeehäuſer und beſondere Bäder für beſondere Stände
– 191 –
und Beſchäftigungen gebe; ſo ſoll es deren geben für
Geſetzgelehrte, für fromme, andächtige Männer, für
Sternkundige, für Dichter, für Pferdeliebhaber, für Poſſen-
reißer, für Lügner. Wir haben nirgends etwas der Art
gefunden, wenn es auch möglich ſein mag, daß die In-
ſchriften an den Bädern dies andeuten.
Da wir bei dieſen anſtrengenden Wegen mit bloßem
Kaffee nicht auskommen konnten, in den Kaffeehäuſern
aber durchaus nichts weiter zu haben iſt, ſo hießen wir
den Theodoro, uns in ein türkiſches Speiſehaus zu führen.
Es geſchah und wir genoſſen von den türkiſchen Gerich-
ten. Eigentliche Speiſehäuſer im europäiſchen Sinne
giebt es nicht; man könnte ſie eher Garküchen nennen.
Das untere Stock eines Hauſes iſt in ähnlicher Weiſe,
wie bei den Kaffeehäuſern, nach der Straße hin völlig
offen, ſo daß man unmittelbar eintreten kann. Ein langer
Tiſch macht die Scheidewand; auf dieſem ſtehen in ſchwar-
zen, blechernen Schüſſeln die verſchiedenen Gerichte, dam-
pfend über Kohlenpfannen, dahinter ſtehen nun zwei tür-
kiſche Köche in dem oft beſchriebenen halbnakten Anzug,
welche von den Schüſſeln an die Vorübergehenden ver-
kaufen und daneben in Oefen hinter ſich neue Speiſen
bereiten.
Die großen Schüſſeln ſind mit Fleiſch oder mit Ge-
müſen angefüllt. Braten in unſerem Sinne hat man
nicht. Das Fleiſch wird nur gedämpft; am liebſten wird
es in kleinen Stücken, ragoutartig gekocht, gegeſſen. Es
mag dies mit der türkiſchen Sitte, ohne Gabel und
Meſſer zu eſſen, zuſammenhängen; die Stücken können
auf dieſe Weiſe ohne Weiteres zum Mund geführt werden.
An Gemüſen ſahen wir wenig heimathliche; nur Bohnen
fanden wir; ſonſt eine ziemliche Zahl uns unbekannter.
In einer Schüſſel ſtand eine Art lilafarbiger Gurken;
– 192 –
in einer andern viereckige gerippte, kleine grüne Stengel;
in einer dritten kochten die gelben Stengel des türkiſchen
Weizens, die mit Leidenſchaft und in großer Menge in
der Art verzehrt werden, daß man aus dem gekochten
Stengel mit den Zähnen die einzelnen Körner ausbeißt.
Der Geſchmack davon ähnelt unſern grünen Erbſen.
Ein Hauptgericht iſt der Pillaw, der in keiner Garküche
und in keinem Hauſe fehlen darf. Es iſt Reis mit klei-
nen Stücken Rindsfett zuſammen gekocht, ſo daß der
Reis noch etwas hart bleibt; das Ganze ſtark gepfeffert,
wovon es eine röthliche Farbe annimmt.
Die Gäſte melden ſich, wie bei andern Kaufläden,
kaufen ihre Portion und nehmen ſie in eine Hand, die
ſtatt Tellers dient, von der die andere es in den Mund
führt, während ſie auf der Straße ſtehen. Selten tritt
ein Türke in die Küche ſelbſt ein und ſetzt ſich auf einen
Seſſel, um von einem Teller zu eſſen. Wir wählten aber
dennoch dieſen Weg, baten uns auch Löffeln und Gabeln
aus, die nur mit Schwierigkeit, als etwas Ungewöhn-
liches, zu erhalten waren.
Die Gerichte konnte man nicht unſchmackhaft nennen;
das Fleiſch war ſaftig und in der Brühe geſotten; die
Gemüſe hatten einen milden, halb ſäuerlichen Geſchmack.
Aber dennoch koſtete es mir große Ueberwindung, mich
zum Eſſen zu entſchließen, wegen der Unſauberkeit des
Zimmers, der Tiſche, der Schüſſeln und wegen des
Dampfes der verſchiedenen Gerichte, die um uns rauchten.
Nur die Pflicht eines gewiſſenhaften Reiſenden und das
Beiſpiel meines tapfern Freundes konnten mich beſtimmen.
z.“vvv.-.-vvvv“.vvvvvvv.
XIV.
Die Ciſterne der 1001 Säulen. Der Altmeidan.
Wir ſetzten den Nachmittag unſere Wanderungen trotz
der Hitze fort. Mitten in der Hauptſtadt eines großen
Reiches und beſchäftigt, deren Wunderwerke zu ſehen,
hatten wir nach unſerer Meinung die Beſchwerden einer
Wanderung durch eine Wüſte zu ertragen; Hunger, Hitze,
Staub, Erſchöpfung und das Labyrinth von endloſen
krummen Gaſſen, in denen der rechte Weg ſo ſchwer wie
in der wegloſen Wüſte zu finden war.
Um uns eine Erholung bei der Gluth der hochſtehen-
den Sonne zu verſchaffen, führte uns Theodoro in die
Ciſterne der 1001 Säulen. Nicht weit von der Aja So-
phia verliert ſich die Straße in ein Gewirr von Häuſer-
ruinen; graue, zerfallene Wände mit Erdhaufen dazwi-
ſchen, auf denen hier und da ein Feigenbaum emporge-
wachſen, – da hindurch gelangten wir an ein Loch in
der Erde, was in die Tiefe führte. Hier müſſen Sie
hinabſteigen, ſagte Theodoro. Mit Mühe fanden wir die
von Schmutz überdeckten, zerbrochenen Stufen und ſahen
uns zuletzt in einem weiten, dunklen Raum; die durch
einzelne zufällige Löcher in der Decke grell einfallenden
Sonnenſtrahlen gaben nur ſo viel Licht, daß wir ein Ge-
13
– 194 –
menge von Säulen erkennen konnten, die uns nach allen
Seiten umgaben, und dazwiſchen ein Bewegen von menſch-
lichen Geſtalten, die regelmäßig hinter den Säulen ver-
ſchwanden und wieder erſchienen. Wir wollten auf dem
ungleichen Boden weitertappen, als wir uns in feinen
Fäden, wie in einem Spinnennetz, umfangen fühlten.
Stimmen riefen uns Halt zu. Das Auge, an die Dun-
kelheit ſich gewöhnend, ließ uns nun erkennen, daß der
ganze Raum, ſo weit wir ſehen konnten, von Seiden-
ſpinnern eingenommen war, die an ihren Rädern ſaßen,
während die Fäden, wie bei den Seilern, lang ausge-
ſpannt, ſich drehten und von Knaben geleitet wurden.
Wir ſuchten einen Weg hindurch und gelangten ſo in die
Mitte des Raumes, wo wir nach allen Richtungen einen
Wald von ſchlanken, in Reihen regelmäßig ſich kreuzenden
Säulen vor uns ſahen, welche eine flache, an 30 Fuß
hohe Decke trugen. Der Boden war von Unrath bedeckt;
an einzelnen Stellen waren aber die Quaderſteine noch
ſichtbar, die ihn früher gebildet hatten.
Wir ſuchten die Säulen zu zählen, und berechneten
deren über 300. Wir konnten damit den Namen Ciſterne
der 100 Säulen nicht vereinigen; wir glaubten falſch ge-
rechnet zu haben und zählten und rechneten nochmals.
Aber es blieb dabei, und das Räthſel löſte ſich. Wir gelang-
ten zu einer Deffnung, die in ein zweites Stockwerk führte,
unter dem erſten. Hier war alles noch dunkler und noch
mehr verſchüttet, aber wir konnten wenigſtens erkennen,
daß dieſe ſchlanken Marmorſäulen ſich hier ebenſo, wie
oben, wiederholten. Unſer Führer verſicherte, daß unter
dieſem zweiten Stockwerk noch ein drittes in gleicher Art
ſich befände, welches zwar völlig verſchüttet ſei, aber bei
Grabung eines Brunnens ſich gefunden habe. Damit
waren die 1001 Säulen in Richtigkeit.
– 195 –
Es war dies die große Ciſterne, die unter Konſtantin
dem Großen im vierten Jahrhundert von dem Senator
Philoxenos erbaut wurde. Sie faßte 1,037,939 Kubikfuß
Waſſer; und konnte den Waſſerbedarf von ganz Konſtan-
tinopel in ſeiner blühendſten Zeit auf vier Tage decken.
Sie iſt ſchon vor der Eroberung durch die Türken ver-
fallen geweſen. -
Der Anblick der Ciſterne in dem obern, von Schlag-
lichtern erleuchteten Stockwerk wurde, je länger wir blie-
ben, deſto eigenthümlicher. Reihen ſchlanker, weißer Mar-
morſäulen hoben ſich wie Geiſter aus dem dunklen Bo-
den und drängten mit ihren Köpfen gegen die Decke, als
wollten ſie mit Gewalt hinaus aus dieſer finſtern, feuch-
ten Gruft. Eine Beleuchtung mit rothem oder blauem
bengaliſchen Feuer, wie ſie in den Bergwerken von Wie-
litzka gebräuchlich iſt, müßte hier von wunderbarer Wir-
kung ſein. Wie unbedeutend erſchienen uns gegen dies
Rieſenwerk die unterirdiſchen Kirchen unter den Domen
in Deutſchland. -
Ein treues Seitenſtück vergangener Pracht war der
nicht weit davon entfernte Platz Atmeidan, früher unter
den grichiſchen Kaiſern das Hippodrom, der berühmteſte
Platz Konſtantinopels. Hier wurden die Pferderennen ge-
halten, hier ſtanden die ſchönſten Paläſte der Kaiſer und
Senatoren; die herrlichſten Statuen Griechenlands wa-
ren hierhergeholt und aufgeſtellt; hier auf dem Thurm
des Hyppodroms ſtanden die vier ehernen Pferde, die
jetzt in Venedig, über dem Eingange der Marcuskirche,
aufgeſtellt ſind; hier begannen die Palaſtrevolutionen des
griechiſchen Kaiſerthums und hier iſt das Blut der be-
ſiegten Parteien oft in Strömen gefloſſen. -
Wir fanden von dieſem Allen nichts als einen wüſten
Platz, ohngefähr 100 Schritt lang und 45 Schritt breit,
13*
– 196 –
von elenden Häuſern und den ſchlechteſten Kaffeeſtuben
umgeben; drei Monumente aus jener glänzenden Zeit
waren das einzige, was von ſeiner Herrlichkeit noch Zeug-
niß ablegen konnte. Ein Obelisk von polirtem, röthlichem
Marmor aus Aegypten. Dieſer ſchöne Spitzſtein iſt 61
Fuß hoch, aus einem Stück, viereckig in einer ſtumpfen
Spitze endend, und mit Hieroglyphen bedeckt, die noch
heute vollkommen deutlich und leſerlich ſind. Sie beſtehen
in Figuren von Vögeln, vierfüßigen Thieren, Dreiecken
und ähnlichen Zeichen, die unter einander geſtellt, alle
vier Seiten der Säule bedecken. Dieſer ungeheure Stein
ruht auf ſeinen vier Ecken auf vier ehernen Würfeln, ſo
leicht und luftig, daß man zwiſchen durch ſehen und grei-
fen kann. Der Sockel iſt von Marmor und beſagt in
noch heute lesbarer Schrift, daß ein Erdbeben dieſen Mo-
nolith umgeworfen, Theodoſius ihn aber hat wieder auf-
richten laſſen. Das Grandioſe, Unvergängliche ägypti-
ſcher Werke trat in dieſem Obelisken lebendig hervor,
alle Pracht um ihn herum iſt verſunken, Feuer, Erdbeben
Krieg, Revolutionen haben alle Herrlichkeit, die ihn ver-
dunkeln wollte, in Schutt verwandelt: er allein hat allem
getrotzt, hat alles überlebt und ſteht heute noch ſo glatt,
ſo unverletzt, wie er vor Tauſenden von Jahren aus den
Granitbergen des Nilthales ausgemeißelt worden iſt.
Dreißig Schritte hinter ihm hebt ein dreifaches eher-
nes Schlangengewinde unmittelbar aus der ſchmutzigen
Erde 12 Fuß hoch ſich räthſelhaft empor. Das Poſta-
ment iſt tief in den Trümmern, die dieſen Platz bedecken,
verſchüttet. Von dem dreifachen Schlangenkopf hieb Mo-
hamed II. bei ſeinem Einzug nach der Eroberung Kon-
ſtantinopels den einen Kopf im Vorbeireiten mit der
Streitaxt herunter; bie beiden andern ſind im achtzehnten
Jahrhundert davon gekommen. Dieſe Schlangenſäule ſoll
– 197 –
ehemals den Dreifuß des Orakels zu Delphi getragen
haben. Mit Ehrfurcht betaſteten wir das bläuliche, blanke
Erz der Schlangenleiber; ein metallener Klang ließ ſich
hören; wir lauſchten dem Orakel, das vielleicht die Zu-
kunft Konſtantinopels uns weiſſagte, aber die Prieſter
fehlten, uns Laien dieſe Töne zu deuten.
Jenſeit hebt ſich eine dritte Säule, noch höher als der
Obelisk, von viereckiger aber rauher Oberfläche. Kon-
ſtantin Porphyrogenor hatte ſie mit vergoldeten Kupfer-
platten ſo prächtig hergeſtellt, daß ſie gleich dem Koloß
zu Rhodus für ein Weltwunder angeſehen wurde. Die
Platten ſind längſt abgeriſſen; die hohe Säule, wie ge-
ſchunden, bietet einen traurigen Anblick; ſie iſt der arm
gewordene Praſſer, gegenüber dem noch heute unverſehr-
ten Obelisken, dem Symbol der ewig ſchaffenden Arbeit
des Volkes.
„r-„“„r„"v-v.--*."„“ „"-Vºv"V"V"-"-A
XV.
Die hohe Pforte. Die Feuerwache.
Während unſerer wiederholten Verſuche, in die Mo-
ſcheen und das Serail zu gelangen, hatte man uns auch
einigemale nach dem Palaſt der hohen Pforte gewieſen,
um dort einen Erlaubnißſchein zu erlangen. Wir folgten
gern dem Theodoro dahin. Wir hofften ein Stück tür-
kiſchen Geſchäftsganges und Büreaudienſtes zu ſehen.
Nachdem wir zu Hauſe die Rolle des Vorgeſetzten bis
zum Ueberdruß geſpielt, gefiel es uns, einmal zu tauſchen
und als Bittſteller dem geſtrengen Paſcha gegenüber zu
erſcheinen.
Das Gebäude iſt von außerordentlicher Größe; ſeine
Front hat die dreifache Länge einer Seite des Berliner
Schloſſes; daran ſchließen ſich Flügel und ein eben ſo
großes Hintergebäude. Wir hatten nicht geglaubt, daß
die Regierung des Staates auch in der Türkei ſo viel
Platz braucht. In den Vorhallen mußten, wie in den
Moſcheen, die Stiefeln abgelegt werden. Eine große Zahl
Bittſteller, ſelbſt türkiſche Frauen darunter, befanden ſich
in den langen Gängen; aber alles ging barfuß oder in
Strümpfen auf dem mit Strohmatten belegten Fußboden.
Die Thüren waren, zur Beförderung der Zugluft, nur
– 199 –
mit Teppichen verhangen. Alles wartete geduldig. Eine
Zahl Türken ſtand vor den Thüren in dem neuen Be-
amtenanzug, weiße Pantalons, einen langen, dunklen
Tuchrock mit ſteifem, kurzen Kragen und einer Reihe
Knöpfe, den rothen Feß auf dem Kopfe. Sie ſchienen
die Kaſtellane, Botenmeiſter und Boten zu ſein. Sie be-
nahmen ſich höflich und dienſtbereit. Da wir lange
warten mußten, räumten ſie uns ihre Stühle, ohne dabei
eine Ahnung von unſerem Stande zu haben. Hin und
wieder kam ein höherer Beamter, in demſelben Anzuge
und von jenen Dienern nur dadurch unterſchieden, daß
ihm ſelbſt ein Diener folgte, der die Pfeife in blauem
Futteral, und ein anderer, der einen Tuchbeutel mit
Schriften trug. Akten giebt es in der Türkei nicht; alles
ſind loſe Blätter. Sehr vieles wird mündlich abgemacht;
auch bei den Bittſtellern ſahen wir nirgend Schriften in
der Hand, während in Europa die Schrift zur Haupt-
ſache, die Perſon zur Nebenſache geworden iſt. Die
Paſcha's und Muskir's ließen lange auf ſich warten.
Sonſt ging alles ſehr gemüthlich. Diener trugen koloſſale
Flaſchen mit Limonade und Kirſchſorbett in die Bureau's
und auf unſer Verlangen füllten dieſe Diener bereitwillig
auch für uns zwei Gläſer. Endlich kam der Rath des
Paſcha's, von dem Theodoro die Erlaubniß zu erlangen
hoffte. Wir wurden in ſein Zimmer geführt. Ein
Schreibpult war das einzige, was an ſeine Beſtimmung
erinnerte, ſonſt hatte es alle häusliche Bequemlichkeit der
Türkei und nichts von einem Geſchäftszimmer; ein Divan,
der rings an den Wänden herum lief, Teppiche, leere
Wände, und keine Spur von Akten und Schriften. Der
Beamte ſaß auf ſeinem Divan. Ein Diener brachte ihm
eben die lange Pfeife und der Dollmetſcher trug ihm
unſer Anliegen vor. Zu unſerer Legitimation übergaben
wir unſere Viſitenkarten. Er beſchied uns artig, daß eine
Empfehlung unſeres Geſandten nöthig ſei, um die ge-
wünſchte Erlaubniß zu erhalten. Beim Herausgehen
kamen wir an dem Saale vorbei, wo die Miniſter ihre
gemeinſamen Verſammlungen halten; ein ſchön polirter,
ovaler Tiſch und rothſammetne bequeme Seſſel zeichneten
allein den Ort aus, wo die Schickſale der Türkei und
mittelbar ganz Europas entſchieden werden. Wir
ſchieden mit dem Wunſche, daß es der Türkei gelingen
möge, ſich noch lange von dem Wuſt von Schreiberei
frei zu halten, der auf Europa drückt, und der aus dem
Regieren der modernen Staaten die Lebendigkeit und das
Gefühl vertrieben hat, was die Leitung der antiken und
mittelalterlichen Staaten erfüllte und ihre Geſchichte ſo
anziehend macht. Ein Glück, daß in der Türkei noch
Wenige leſen und noch Wenigere ſchreiben können, und
daß die türkiſche Schrift mit ihren Haken und langge-
zogenen Windungen der europäiſchen Schreibfertigkeit ein
Hemmniß entgegen hält. -
Der Tag neigte ſich zu Ende. Luft und Himmel
waren ſo klar, daß wir unſre Müdigkeit überwanden, um
noch die Anſicht von Konſtantinopel von dem Thurm des
Seraskiers bei untergehender Sonne zu genießen.
Das Seraskierat iſt das türkiſche Kriegsminiſterium.
Es liegt in der Mitte von Stambul und hat große Höfe
nach Art unſerer Kaſernen, in denen Platz für die Re-
vuen mehrerer Regimenter iſt. Hier hat erſt kürzlich der
Sultan die tuneſiſchen Hülfstruppen Revue paſſiren laſſen.
Der Thurm daran hat indeſ einen friedlichen Zweck,
nicht Feuer zu geben, ſondern Feuer zu verhindern. Auf
ihm befindet ſich die Feuerwache. Wir hatten unten eine
Karte gegen eine Kleinigkeit an Geld zu löſen und ſtiegen
damit die ſchöne gewundene Treppe im Innern in die
– 201 –
Höhe. Ziemlich nahe der Spitze befindet ſich eine Gallerie;
die Mauer iſt laternenartig durchbrochen und mit Fenſtern
verſetzt. Hier iſt die Wohnung des Feuerwächters, der
mit ſeinen Gehülfen Tag und Nacht ohne Unterbrechung
die Runde dieſen Fenſtern entlang zu machen hat, um
zu ſehen ob ein Feuer in der Stadt ſich zeigt. Solche
Feuer ſind nicht ſo häufig, als man in Europa glaubt. In
den vierzehn Tagen unſers Aufenthalts war nicht einmal
Feuer in Konſtantinopel. So wie wir dieſe Leute be-
grüßt hatten, bereiteten ſie Kaffee und bewirtheten uns
damit, ohne irgend etwas zu nehmen. Sie waren ebenſo
gutmüthig als gaſtfrei; auf jede Frage nach fernen Gegen-
ſtänden gaben ſie Auskunft und als im Eifer, einzelne
Punkte durch das Fernrohr zu unterſuchen, wir uns mit
dem Fernrohre in den Weg legten, den die Wache im
Thurm herum zu gehen hatte, ließen ſie ſich das ruhig
gefallen, und ſtiegen, ohne unwillig zu werden, lange
Zeit in ihren Rundgängen über uns hinweg.
Wir waren über die Klarheit der Ausſicht überraſcht.
Ich hatte London von der Paulskirche an einem heitern
Maitage geſehen; aber hinter wenig Straßen verloren
die Häuſer und Thürme die Deutlichkeit und ſchon eine
Viertelſtunde ab, verſchwand alles in Kohlendampf und
Nebel. Ich hatte auch Paris von dem Mont-Martre
geſehen; die Ausſicht war klarer, aber dennoch verſchwand
ein großer Theil der Stadt in Undeutlichkeit. Hier ſtand
ich, wie auf der Paulskirche in London, mitten in einer
Stadt, beinah ſo ausgedehnt, wie jene. Aber welcher
Unterſchied! die letzten Häuſer der äußerſten Vorſtädte
die Moſcheen und Minarets von Skutari und Tophane
und Ejub waren ſo klar und beſtimmt, wie die nächſten
kein Rauch, kein Nebel trübte die vollkommene Durchſich-
ſichtigkeit der Luft. Die ſieben Hügel, auf denen Kon-
– 202 –
ſtantinopel wie Rom erbaut iſt, treten hier erkennbar her-
vor; aber Höhen und Tiefen, alles war mit einem Meer
von Häuſern übergoſſen. Selbſt die Moſcheen mit ihren
Minarets lagen jetzt tief unter uns und die Symmetrie
dieſer großen und kleinen Dome wurde verſtändlich. Im
Hafen überſahen wir mit einem Blicke die zahlloſe Menge
der Schiffe aller Größen, aller Nationen. Ich hatte
öfters den Hafen von London geſehen; er gilt als einer
der größten und ſchiffreichſten der Welt; aber ich fand
ihn zu dieſer Zeit weit von dem Hafen in Konſtantinopel
übertroffen, nicht allein in der Zahl, ſondern auch in
der Mannigfaltigkeit der Form der Handelsſchiffe, in
dem Gewirr der zahlloſen Kaiks und vor allem in den
Koloſſen von Linienſchiffen, Fregatten und Rieſendampf-
ſchiffen der türkiſchen Flotte und einzelner Abtheilungen
der vereinigten Flotten von England und Frankreich.
Allerdings mag Konſtantinopel, ſo lange die Welt ſteht
noch nicht ſeinen Hafen ſo gefüllt geſehen haben, wie in
dieſer Zeit. Die türkiſche Flotte war noch nicht abge-
ſegelt, und behufs des Transportes der nachziehenden
Regimenter, des Proviantes, der Munition befanden ſich
ſtets zehn und mehr Kriegsſchiffe und ebenſoviel große
Dampfſchiffe im Hafen. Indem wir von der Höhe des
Thurmes hinab ſahen, trat die Menge dieſer Kähne und
Schiffe deutlich hervor; jedes war in all ſeinen Umriſſen
ſeinem Bord, ſeinen Maſten erkennbar und von dem
Knäuel dieſer Schiffe, wo er am Ausfluß des goldenen
Horns am dichteſten war, zogen ſich breite Maſſen, dünner
und dünner werdend links des goldenen Horns und
gradeaus den Bosporus hinauf. Drei glatte Schiff-
brücken mit weiß und ſchwarzem Geländer durchſchnitten
dieſe ſchwarzen Schiffsreihen auf dem goldenen Horn
und führten ein buntes Gewühl von Fußgängern quer-
– 203 –
durch hinüber nach Pera. Nach Skutari hin hob ſich
der Leanderthurm einſam auf einem Felſen aus dem
Meere, das Gegenſtück zu dem Mäuſethurm im Rhein.
Aber während Konſtantinopel vom Hafen aus ge-
ſehen, wie eine kokette Frau, überall nur ſich darſtellt
und nur Anfänge der Gebirgslandſchaft verſtohlen neben
ſich durchblicken läßt, iſt es vom Thurm des Seraskiers
aus geſehen zwar der in der Mitte ſtrahlende Diamant,
aber in einer Einfaſſung mild leuchtender Perlen. Die
Abhänge des Balkan, die wellenförmigen Landſchaften
Aſiens breiten ſich, mit einzelnen Spitzen dazwiſchen,
bis an die Mauern der Stadt, und laſſen den Blick über
eine reiche wechſelnde Landſchaft ſtreifen. Das Marmo-
rameer zeigt ſich von hier oben in ſeiner ganzen Aus-
dehnung; weit hinter den Prinzeninſeln dehnt es ſeinen
Spiegel noch aus, bis die Küſte von Aſien ihm die
Grenze ſetzt. Aber auch da iſt noch kein Ende. Hier in
der Entfernung von 12 deutſchen Meilen beginnen die
Vorgebirge des bithyniſchen Olympos; man kann noch
deutlich in der blauen Mauer, die ſich hier am Horizont
aufthürmt, die Linien der einzelnen hintereinander an-
ſteigenden Gebirgszüge erkennen, bis über alle hinaus
der letzte Kamm mit dem Olymposgipfel ſich emporhebt.
Große, weiße, glänzende Flächen, wie wir ſie ſeit den
Berner Alpen nicht wieder geſehen hatten, ließen uns
die Felder des ewigen Schnees erkennen, über die der
Gipfel des kahlen Olymp noch hoch hinausgeht.
Ich konnte lange nicht glauben, daß der Olymp ſechs-
zehn deutſche Meilen von uns entfernt ſei, bis die Karte
es beſtätigte. Die Umriſſe und Schattirungen waren ſo
beſtimmt, wie in Deutſchland bei Entfernungen des vier-
ten Theiles. Welche Reize mußte dieſes Gebirge in ſich
enthalten! Südlicher wie Neapel, eine Höhe, die, nach dem
– 204 –
Schnee zu urtheilen, die des Aetna überſteigt, welcher
Reichthum von Pflanzen und Bäumen mußte hier aus
den üppigen Wäſſern des Gebirges emporſprießen, und
welche Abwechslung der Zonen, von dem Süden Aſiens
bis zu dem Norden, wo die Kälte das Moos nicht mehr
gedeihen läßt!
Wir empfanden bald die Wirkung dieſes Zaubers.
Einmüthig ward beſchloſſen, dieſen Schatz nicht unge-
hoben zu laſſen, nach Bruſſa zu reiſen und den Olymp
zu beſteigen. Berauſcht von dieſem Gedanken nahmen
wir Abſchied von unſerm gaſtfreien, gutmüthigen Wirthe.
Am Fuße des Thurmes kamen wir bei einer türkiſchen
Wache vorbei. Ein Neger, die Hände mit einer Kette
gefeſſelt, ſtand vor der Thür. Auf Erkundigen hörten
wir, daß er eine Strafe abbüße für einen Dolchſtich, den
er im Streit einem andern gegeben hatte. Die Strafe
ſchien ihn wenig zu drücken. Er bat uns mit der Dreiſtig-
keit ſeiner Race um ein Geſchenk. Wir ließen ihn fragen,
wie alt er wäre. Als Antwort ſperrte er ſeinen Rieſen-
mund auf und zeigte zwei Reihen elfenbeinerner Zähne.
Es war ein ſcheußlicher Anblick. Das ſchwarze glän-
zende Geſicht mit dicken, vorſtehenden Backenknochen,
ſtruppiges Wollhaar, ſchwarze Kreiſe in dem milchweißen
Auge und dieſer breite, blutrothe Rachen mit dem Ge-
biß eines Tigers. Wir verſtanden die Pantomime nicht,
bis uns von den Umſtehenden erklärt wurde, daß der
Neger weder ſein Vaterland, noch ſeine Eltern, noch ſein
Alter kenne, und daß er, um das letztere uns beurtheilen
zu laſſen, ſeine Zähne gewieſen habe. Seine Bewegungen
waren heftig, gewaltſam, ſeine Mienen wild. Wir gaben
ihm gern ein paar Piaſter, froh dieſem ächten Sohn
Aethiopiens nur in Ketten begegnet zu ſein.
XVI.
Die Preußiſche Geſandtſchaft in Konſtantinopel.
Die Reiſe nach Bruſſa beſchäftigte uns lebhaft. An
der Mittagstafel ſuchten wir Erkundigungen einzuziehen.
Wir hörten, daß wöchentlich ein Dampfſchiff von Kon-
ſtantinopel nach Mudania an der Aſiatiſchen Küſte fährt,
von wo man dann den Weg nach Bruſſa, 5 Meilen, zu
Pferde machen kann. Dieſes Dampfſchiff geht Dienſtag
ab und Donnerſtag früh ſchon wieder zurück; ein Zeit-
raum, der für unſere Zwecke viel zu kurz war. Auch
Segelſchiffe, hieß es, gingen öfters nach Mudania, allein
bei Windſtille oder widrigem Winde dauere dann die
Seefahrt mehr als 24 Stunden, obgleich die Entfernung
nur 11 Meilen betrage. Ein alter Diener des Hotels
rieth uns endlich einen größern Kaik mit 4 Ruderern zu
miethen, die ſelbſt bei ungünſtigem Winde die Ueberfahrt
in 12 Stunden vollenden könnten. Dieſer Vorſchlag
ſchien uns der beſte; wir beſchloſſen Sonntag früh in
dieſer Art von Konſtantinopel abzureiſen und den folgen-
den Donnerſtag mit dem Dampfſchiffe zurückzukehren.
Wir hatten auf dieſe Weiſe drei volle Tage für Bruſſa
und den Olymp. Theodoro erhielt den Auftrag, für
ſolch einen Kaik zu ſorgen. Indeß waren die Schwierig-
– 206 –
keiten der Reiſe damit nicht alle überwunden. Wir er-
fuhren nun zum erſten Male, daß die Cholera auch in Kon-
ſtantinopel ausgebrochen ſei, und daß zu dieſer Reiſe
nicht allein ein türkiſcher Paß, ſondern auch ein Atteſt
der Quarantaineanſtalt über unſere Geſundheit nothwen-
dig ſei; alles dies könne aber nur auf Vorzeigung unſerer
Päſſe mit dem Viſa der preußiſchen Geſandtſchaft in
Konſtantinopel erlangt werden. -
Am andern Morgen mußte uns Theodoro dahin
führen. Das Hotel der Geſandtſchaft liegt am Ende
des beſchriebenen Spazierganges am kleinen Kirchhofe.
Es iſt ein gemiethetes Haus; die innere Einrichtung iſt
indeß geräumig und elegant; doch für große Repräſen-
tation und luxuriöſe Feſte wohl kaum zureichend. Gegen
die Geſandtſchaftshotels von Frankreich, Oeſterreich und
Rußland ſticht es ſehr ab. Jene ſind wahre Paläſte mit
geräumigen Höfen, Nebengebäuden und Gärten; das
preußiſche iſt nur die elegante Wohnung eines Privat-
Unannes. -
Die Bureaus der preußiſchen Geſandtſchaft ſind des-
halb auch getrennt, mehrere Straßen von dem Hotel
entfernt, in einem kleinen Privathauſe miethsweiſe unter-
gebracht. Hier hatten wir uns wegen der Päſſe zu mel-
den und trafen Herrn Vicekanzler B, der uns die Viſa's
ſchnell beſorgte. Die Geſchäfte der Geſandtſchaft ſind in
Konſtantinopel umfangreicher, als anderswo, weil die
türkiſche Regierung ſich um die in Konſtantinopel befind-
lichen Fremden gar nicht kümmert, ſelbſt wenn ſie dort
ſich niedergelaſſen haben und kaufmänniſche Geſchäfte
treiben. Alle Prozeſſe und andern Rechtsangelegenheiten,
alle polizeilichen Maßregeln gehören vor die Geſandt-
ſchaft der betreffenden Nation. Ebenſo wird ein großer
Theil der Korreſpondenz zwiſchen den Preußen in Kon-
– 207 –
ſtantinopel und dem Vaterlande durch die Geſandſchaft
beſorgt, da es in Konſtantinopel keine türkiſche Poſt giebt.
Unter der Geſandtſchaft ſtehen auch die religiöſen, Armen-
und Krankenanſtalten für preußiſche, in Konſtantinopel
ſich aufhaltende, Staatsbürger. Die Geſandtſchaft iſt
daher ein kleiner Staat für ſich.
Der Geſandte hat jetzt zwei Attache's, einen Herrn
v. E. und Grafen v. R.; der letztere war erſt kürzlich
aus Waſhington dahin verſetzt worden. Für die laufen-
den Geſchäfte des Paßweſens, der Juſtiz u. ſ. w. ſorgt
der Kanzler T. und in deſſen Abweſenheit der Vicekanz-
ler B. Das übrige Perſonal beſteht aus Schreibern,
Dienern und einigen türkiſchen Polizeiſoldaten.
Zu dem vielen Wunderbaren in Konſtantinopel kam
hier noch hinzu, daß unſere juriſtiſchen Kenntniſſe in An-
ſpruch genommen wurden. Herr B. erzählte uns von
einem Prozeſſe, der ihm viel Noth mache. Ein Gläubiger
habe ſeinen Schuldner bei ihm auf Rückzahlung eines
Darlehns verklagt; der Schuldner habe den Schuldſchein
anerkannt, wende aber ein, daß der Gläubiger ihm gegen
gewiſſe ihm erwieſene Dienſte mündlich die Zinſen er-
laſſen, auch Friſten für Rückzahlung des Kapitals be-
willigt habe. Er habe darüber Zeugen vorgeſchlagen.
Die Sache ſcheine ihm verwickelt und er bäte deshalb
um unſere Anſicht. Nach ſeiner Meinung würde er den
Verklagten einen Eid über die Wahrheit dieſer Angaben
ſchwören laſſen und davon die Entſcheidung abhängig
machen. Es freute uns, ſolchen Abnormitäten durch Mit-
theilung unſerer Anſicht zuvorzukommen; Herr B. trat
uns bei, daß dies ſpätere Abkommen, weil es nicht ſchrift-
lich abgefaßt, ohne Einfluß ſei und entſchloß ſich, den
Schuldner ſofort zu verurtheilen.
Herr Vicekanzler B. iſt in der Archäologie ein ſehr
– 208 –
kenntnißreicher Mann, und gewiß auch ſonſt ein tüchtiger
Beamter; er hat aber wenig Jura ſtudirt, hat auch nach
dem was wir hörten, nie bei einem preußiſchen Gerichts-
hof praktiſch gearbeitet. Die juriſtiſche Bibliothek in dem
Bureau beſtand aus dem Allgemeinen Landrecht und die
Juſtiz ward anſcheinend noch ganz nach den Beſtimmun-
gen gehandhabt, wie ſie von Suarez vor 60 Jahren
darin niedergelegt worden ſind, ohne von den Revolu-
tionen und Kontre-Revolutionen, die über das Landrecht
ſtärker wie über Frankreich hinweggegangen ſind, Notiz
zu nehmen.
Dem Geſandten, Herrn Baron v. W., ſind wir großen
Dank ſchuldig geworden. Da Bruſſa das Exil Abd-el-
Kaders iſt, ſo lag es uns daran, bei unſerem Ausfluge
dahin, dieſen arabiſchen Helden zu ſehen. Wir wandten
uns deshalb ſchriftlich an Herrn v. W., und baten ihn
um eine Empfehlung an den Gouverneur, der in Bruſſa
reſidirt. Wir erhielten ſchnell das erbetene Schreiben an
Ali Paſcha. „Sie werden“, bemerkte der Geſandte, „in
ihm einen in hohem Grade ausgezeichneten Mann finden,
wie ich ſeines Gleichen manchen europäiſchen Kabinetten
wünſchen möchte. Auch Abd-el-Kader iſt eine in hohem
Grade intereſſante und edle Perſönlichkeit; nur wird die
Unterhaltung mit ihm, da er keiner europäiſchen Sprache
mächtig iſt, nicht das Intereſſe bieten, wie die mit Ali
Paſcha, der in viel genauerer Weiſe, als man es erwarten
ſollte, die inneren Zuſtände Preußens kennt.“
-.“ „"-".".."..".."-.-.-.-.-.“-..".."..".."-
XVII.
Skutari. Der große türkiſche Kirchhof.
Wir fuhren nach dem Frühſtück nach Skutari über und
nahmen dort Pferde, um die Stadt zu ſehen, den Berg
Burgurlu zu beſteigen und den großen berühmten Kirchhof
zu beſuchen.
Skutari, auf der aſiatiſchen Seite des Boſporus bele-
gen, iſt reinlicher und freundlicher als Stambul; es ſchienen
uns viele Beamte und reichere Türken hier zu wohnen,
während in Stambul mehr Handwerk und kaufmänniſcher
Verkehr iſt. Die Straße hebt ſich ſchon in der Stadt,
und hinter den letzten Häuſern und Gärten ſahen wir den
grünen, ſich ſanft hebenden Burgurlu deutlich vor uns.
Wir ritten die große Straße, die von Conſtantinopel hier
noch ungetheilt nach Smyrna, Syrien, Bagdad und nach
Perſien führt, die Straße, auf der jährlich große Kara-
vanen mit Tauſenden von Kameelen ankommen, und auf
der alle türkiſchen Heere in den Kriegen mit den Perſern und
neuerlich mit dem Vizekönig von Aegypten ausgezogen ſind.
Sie war ein wenig beſſer, wie die um Conſtantinopel, aber
dennoch kaum ſo gut, wie bei uns der Weg von einem
Dorfe zu dem andern. Wir trafen einige mit Ochſen be-
ſpannte Wagen. Man konnte ſie ſchon von fern hören,
14
– 210 –
ehe man ſie noch ſah. Die Achſen der Räder ließen ein
ununterbrochenes Knarren und Pfeifen hören, weil die Tür-
ken ſie nicht ſchmieren. Auch befand ſich an den ganzen
Wagen kein Stück Eiſen; die Dauben der Räder waren
ſo loſe an einander gefügt, daß man die Hand zwiſchen
einzelne legen konnte. An einen Querbalken, der an die
Deichſel befeſtigt war, waren die Ochſen angebunden und
ſchoben ſo den Wagen vorwärts.
Die Ausſicht vom Burgulu war vortrefflich. Conſtan-
tinopel bildete nicht mehr den Alles beherrſchenden Mit-
telpunkt. Kleinaſien mit ſeinen grünen Bergreihen und
Thälern breitete ſich vor uns aus; wir ſahen das Thal
und die Ruinen des alten Chalcedon jenſeit Skutari, wo
vor 1400 Jahren 600 Biſchöfe den Hauptſatz der chriſt-
lichen Dogmatik beſchloſſen hatten, daß in Chriſtus eine
göttliche und eine menſchliche Natur vereinigt ſeien, beide
ohne Vermiſchung und Verwandlung, aber beide auch ohne
Trennung und Abſonderung. Jetzt wird dort das nütz-
lichere Geſchäft getrieben, die in der Krimm verwundeten
Engländer zu pflegen. Der Olymp hob ſich wie ein fer-
ner Zauberer mit ſeinen Silberſchildern; wir erkannten
ſeine Macht und nickten ihm gehorſam zu, daß wir kom-
men würden.
Auf dem Rückweg wendeten wir uns links von Sku-
tari in eine Thalſchlucht, die ſchon die dunkeln Cypreſſen
in der Ferne ſehen ließ, mit denen der Kirchhof von
Skutari beginnt. Er umgiebt die Hälfte der Stadt, iſt
größer als dieſe ſelbſt. Sein Umfang beträgt gegen zwei
Meilen. Er gleicht genau allen übrigen Kirchhöfen, die
wir in der Türkei geſehen haben. Ein weites, grünes
Blachfeld iſt mit Cypreſſen waldartig beſtanden. Zwiſchen
den Bäumen ſtehen zahllos, regellos, dicht die Leichenſteine,
einer wie der andere aus weißgrünem Marmor, drei bis
– 211 –
vier Fuß hoch, ein Fuß breit und zwei Zoll ſtark. So,
ſchief in die Erde geſteckt, wie die Stäbe mit dem Namen
der danebenſtehenden Blume, bedecken ſie beinah das ganze
grüne Feld, was ſich unter den Cypreſſen ohne Ende hin-
zieht. Die Gräber haben keine ſargartige Erhöhung der
Erde, wie in Deutſchland; der Boden iſt flach, wie bei
einem Felde, und die einzelnen Gräber ſind nicht erkenn-
bar; die Leichenſteine ſtehen ſo dicht, daß man glauben
ſollte, mehrere ſind in ein Grab gelegt worden. Die Hälfte
der Leichenſteine endigt oben in einem Turban; dies ſind
die Steine der Männer. Die meiſten ſind mit Inſchriften
bedeckt. Im Allgemeinen iſt ein Leichenſtein wie der an-
dere; nur ſelten trifft man auf goldene Verzierungen, aber
die Grundform bleibt auch da dieſelbe. Ebenſo wenig findet
man eingehegte Gräber oder Grabgewölbe für einzelne
Familien. In wahrer demokratiſcher Gleichheit liegt Hoch
und Niedrig, Reich und Arm unter der grauen Erde neben
einander, und die Steine für Beide ſind ſo gleich, wie die
Aſche unter ihnen, zu der ſie geworden ſind. Auch die Cy-
preſſen ſtehen regellos durcheinander, bald dichter, bald
lichter; halb gebahnte, halb verlaſſene Fußwege und Fahr-
wege ziehen ſich krumm durch die Bäume hin, eine Bahn
ſich ſuchend, wo die Bäume eine Lichtung gelaſſen haben.
Hie und da hat ein Waſſerriß den Boden durchbrochen,
und einzelne Leichenſteine hängen, dem Umſturze nahe, an
ſeinen Rändern. Dies iſt der größte und geſuchteſte Kirch-
hof der Türkei.
Wir ritten ungehindert quer durch. Jeder ließ ſeinem
Pferde die Zügel. Indem dieſe ſich zwiſchen den Leichen-
ſteinen und Baumſtämmen mühſam den Weg ſuchten, ka-
men wir auseinander, und ich ſah mich endlich einſam in
dem Dunkel der Cypreſſen, auf allen Seiten von den grauen
Steinen mit Turbanen umgeben. Der Abend kam heran,
14 *
– 212 –
und die Schatten wurden länger. Mein Pferd blieb ſtehen,
da jeder Weg verſchwunden war. Je mehr ich auf dieſes
wilde Gewirr von Steinen ſah, deſto mehr ſchien mit dem
Abendwind ein Weben um mich zu beginnen. Ich glaubte
die Leiber der Abgeſchiedenen zu ſehen, halb aus der Erde
ſich emporwindend, halb unter der Erde von Geiſtern feſt-
gehalten. Die Geſtalten bogen und reckten ſich, die Tur-
bane ſchwankten, aber die Arme waren ihnen gebunden, und
die Cypreſſen ſtanden ſtarr und ſteif, ohne den Jammern-
den einen Zweig zu bieten, an dem ſie, ſich anklammernd,
zur freundlichen Oberwelt hätten zurückkehren können.
Welch tiefes Gefühl, die Cypreſſe zu dem Baum des
Leichenfeldes zu machen! Kein anderer Baum, kein Ge-
büſch, keine Blume drängte ſich dazwiſchen. Nach rechts,
nach links, nach allen Seiten nichts als dieſe ſtarren, dun-
keln Pyramiden, auf denen kein grünes Blatt ſprießt, und
von denen kein gelbes Blatt abfällt; immer ſich gleich,
ſtemmen ſie ſich ſelbſt gegen die Bewegung der Luft, und
ſtatt des melodiſchen Rauſchens der Laubwälder hört man das
Klappern ihrer Aeſte, als würden Todtengerippe geſchüttelt.
Man nennt die Türken Barbaren; aber hier bewun-
derte ich ihr tiefes Gefühl für Natur, ihren Inſtinkt, mit
dem ſie dieſe weite Stätte rein gehalten hatten von dem
Miſchmaſch von Säulen, Kreuzen, Thränenkrügen, Git-
tern, Blumenbeeten, bunten Kieswegen und grünen Bän-
ken europäiſcher Kirchhöfe.
Als wir uns wieder zuſammengefunden hatten, waren
wir in der Nähe der Stadt. Die Kühle des Abends hatte
die Frauen mit ihren Kindern und Sclavinnen herausge-
lockt. In ruhiger Genügſamkeit ſaßen ſie auf den Abhän-
gen, welche die tiefere Straße, die durch den Kirchhof
führte, gebildet hatte, und ſahen denen zu, die auf der
Straße vorbeigingen. Wir hatten hier die erſte Gelegen-
heit, einige junge Türkinnen zu ſehen, als der Schleier
– 213 –
etwas gelüftet wurde. Es lag in allen Geſichtern eine
große gemeinſame Aehnlichkeit. Den türkiſchen Typus ſchien
uns am meiſten ein Mädchen von ungefähr 16 Jahren zu
haben, die, indem ſie zwei rothen engliſchen Soldaten voll
Neugierde mit den Augen folgte, vergaß, daß ſie den Schleier
hatte fallen laſſen. Es war ein volles breitovales Ge-
ſicht, eine freie breite Stirn, dunkelbraune brennende Augen
mit fein geſchwungenen Augenbraunen und langen dunkeln
Wimpern, ein etwas großer Mund mit fleiſchigen Lippen,
ein weiches rundes Kinn. Die Wangen hatten kein Roth,
eine geſunde, kräftige Bläſſe deckt gleichmäßig das ganze
Geſicht; man würde ſie von der Sonne ein wenig gebräunt
gehalten haben, wenn nicht bei dem dichten Schleier und
ihrem Leben im Harem dies unmöglich geweſen wäre. Der
Kopf war mit dunkelm kaſtanienbraunen Haar bedeckt, was
weder geflochten, noch gelockt, völlig ohne Ordnung nach
dem Rücken herabhing, und hier von dem Oberkleid ver-
deckt wurde. Mit ihren ſchönen, braunen, großen Augen
folgte ſie den zwei Soldaten, die dies verdienten, bis ſie
plötzlich inne wurde, daß wir ſie beobachteten, und den
Schleier ſchnell über ſich wegzog.
Dafür folgten wir nun den rothen Soldaten. Theo-
doro hatte großes Bedenken, in die türkiſche Kaſerne zu
reiten, aber die Engländer ließen uns ohne alle Umſtände
hindurch; ſie hätten uns in ihrem inſulariſchen Selbſtver-
trauen alle Geheimniſſe ihres Lagers gezeigt, wenn wir
gewollt hätten. Die Schildwachen gaben höfliche Auskunft
und ſpielten keine groben Kriegshelden gegen wißbegierige
Reiſende. Es war die große Kaſerne von Skutari, die
man ſchon weithin vom Marmorameere aus ſieht. Sie
iſt ſo groß, daß ſie mehrere Regimenter faſſen kann; ſeit
der Ankunft der Verbündeten iſt ſie den Engländern ein-
geräumt worden und noch jetzt von ihnen beſetzt.
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XVIII.
Das Dampfſchiff. Deutſche Abenteurer.
Auf dem Rückwege benutzten wir das, zwiſchen Sku-
tari und Konſtantinopel fahrende Dampfſchiff. Dampf-
ſchiffe und ſpäter Eiſenbahnen ſind Erfindungen, die
für die Civiliſation der Türkei, für die Gleichberechtigung
ihrer chriſtlichen Unterthanen mehr leiſten werden, als
diplomatiſche Noten und Protokolle, als das Tanſimat
von Gülhane und die jetzt ernannte Commiſſion zur Aus-
führung deſſelben. Ehe die Sitten, die Häuslichkeit der
Türken ſich nicht geändert und ſich denen der chriſtlichen
Rajahs genähert haben, wird keine blos von oben kom-
mende Verordnung Wurzel faſſen. Die Errichtung
des Lloyd in Trieſt mit ſeinen Dampfbootlinien nach
dem Orient hat mehr zur Löſung der orientaliſchen Frage
gethan, als alle Protokolle und Geſetze bisher.
Die Dampfſchiffe machen die ſtagnirende Bevölkerung
beweglich; wo ſonſt kaum einzelne ſich einer Karavane
anſchloſſen, da ſieht man jetzt die Verdecke der Dampf-
ſchiffe zwiſchen, Konſtantinopel, Trapezunt, Smyrna, Alex-
andrien, Salonichi mit türkiſchen Männern und Frauen
bedeckt. Dieſer lebhafte Küſtenverkehr bringt auch das
Binnenland in Bewegung. Auf dem Dampfſchiffe, mit
– 215 –
dem wir nach Trieſt zurückfuhren, waren viele Türken,
die nach Damaskus und weiter in das Innere von Syrien
gingen. Das Dampfboot verlangt Regelmäßigkeit, Pünkt-
lichkeit in ſeiner Leitung; Pünktlichkeit für die, welche es
benutzen wollen. Iſt das Phlegma, die Unordnung der
Türken an einem Punkte gebrochen, ſo drängen die daraus
entſpringenden Vortheile immer weiter; ſchon hat man
ſich zu Maſchinen auch für andere Zwecke entſchloſſen;
man baut Fabriken und es bildet ſich eine Bevölkerung,
die an regelmäßige pünktliche Thätigkeit gewöhnt wird.
Die barbariſche Abſperrung der Frauen iſt auf Dampf-
ſchiffen nicht mehr ausführbar; man hat die beſtehende
Sitte gewaltſam auf das Boot übertragen, aber die Na-
tur der Sache iſt dagegen. Auf den im Bosporus und
nach Skutari fahrenden Dampfſchiffen iſt das Hinterdeck
für die türkiſchen Frauen beſtimmt; ein Holzgeländer
ſperrt ſie von den Männern ab; aber das Ein- und Aus-
ſteigen, das Gedränge zu den Schiffen, das Gemiſch von
Chriſten und Türken, die hier ſtundenlang dicht zuſam-
mengepreßt ſind, vor allem der Umſtand, daß auch noth-
gedrungen die chriſtlichen Frauen mit den Türkinnen zu-
ſammen abgeſperrt werden, unterwühlen tagtäglich dieſe
Barbarei. Die Türkinnen ſehen eine neue Welt; ſie
kommen auf dem Deck in Verkehr mit europäiſchen Frauen;
ſie ſehen, wie frei und doch wie anſtändig dieſe ſich be-
nehmen. Alles dies wiederholt ſich täglich, ſtündlich.
Und man wollte leugnen, daß das Dampfboot der alleinige
wahre Regenerator der Türkei ſei?
Es gewährte uns großes Vergnügen, als wir am
Landungsplatz ſtanden, zu ſehen, wie bemüht die Männer,
die Eunuchen, waren, die Frauen vor der Berührung,
vor den Blicken der einſteigenden Männer, der Europäer,
der engliſchen Soldaten zu ſchützen, und wie die dam-
– 216 –
pfende Natur des Bootes ihnen ſtets neue Hinderniſſe
entgegenſtellte. Erſt wurden die Frauen ſämmtlich auf das
Hinterdeck geſperrt, dann erſt durften die Männer ein-
ſteigen; aber es kam ein Nachzügler und man konnte die
Regel nicht innehalten. Am meiſten empörte uns ein
Haufen perſiſcher Frauen, die von einem Perſer gleich
einer Heerde Schafe in das Schiff getrieben wurden.
Ihr Anzug beſtand buchſtäblich aus einem blauleinenen
Sack, der ihnen über den Kopf geſtülpt war und bis zu
den Füßen reichte, wo nur die gelben Pantoffeln ſichtbar
waren. An der Stelle des Geſichtes war ein handbreites
viereckiges Loch in den Sack geſchnitten, aber dies war
wieder mit weißen Tuchſtreifen gitterartig vernäht. Man
ſah nichts, als zwei Augen, die aus dem dunklen Käfig
durch das weiße Gitter hindurchleuchteten. -
Bei Tiſche, in unſerm Hotel, hatte die Geſellſchaft
ſich ſehr vergrößert. Mehrere franzöſiſche Offiziere der
Chaſſeurs d'Afrique und mehrere Militairbeamte hatten
neben uns, dem Dr. A). und Frau A). Platz genommen.
Die Offiziere der afrikaniſchen Jäger waren prächtige
Muſter eines krieggewohnten, kühnen, abgehärteten Sol-
daten. Dunkelbraun gebrannte Geſichter mit langem
ſchwarzem Bart, nervige Glieder voll elaſtiſcher Bewe-
gung, Ruhe und Ernſt in den Mienen und wenig Worte.
Auch Frau A). ſchien Gefallen an ihnen zu finden. Sie
erzählte ihnen von ihrem Lagerleben in Varna und von
den kleinen Leiden in Konſtantinopel. Sie zeigte ſich ſehr
frei von engliſcher Pruderie; da ihr das Wort fehlte, ſo
frug ſie mich ganz ungenirt, was flees auf franzöſiſch
hieße. Wir verabredeten, gemeinſchaftlich am morgenden
Tage den Sultan zu ſehen. Der Freitag iſt der türki-
ſche Sonntag. An dieſem Tage kommt regelmäßig der
Sultan aus ſeinem Palaſt am Bosporus nach Konſtan-
– 217 –
tinopel zum Beſuche einer Moſchee. Welche Moſchee er
beſuchen wird, iſt nie vorher bekannt; erſt eine halbe
Stunde vor ſeiner Ankunft kann man es am Landungs-
platz erfahren. Theodoro wurde hiernach angewieſen und
wir benutzten wie gewöhnlich den Abend nach dem Eſſen
zu einem Spaziergange auf die Promenade in Pera.
Dieſe gemeinſame Sitte führt dort die Bekannten
leicht zuſammen. Wir trafen dieſen Abend unſere Schiffs-
gefährten, den Marquis di R. und den Lieutenant v. B.
Erſterer trug ſeine kleidſame ſardiniſche Majorsuniform,
ſo daß wir ihn bald nicht wieder erkannt hätten. Er war
in Begleitung mehrerer ſardiniſcher Marineoffiziere von
der im Hafen liegenden ſardiniſchen Fregatte und erzählte
uns von der Audienz, die er bei dem Sultan gehabt
hatte. Er war erſtaunt über das bleiche, erſchöpfte Aus-
ſehen des Sultans, über ſein energieloſes ſchlaffes Weſen
und wir wurden um ſo geſpannter, morgen den Sultan
mit eigenen Augen zu ſehen.
Herr v. B. war in Begleitung eines Herrn, der ſich
Baron nannte und Obriſt außer Dienſt ſein wollte. Er
hatte ihn erſt hier kennen gelernt. Wir frugen begierig,
wie es ihm gegangen und ob er ſchon in die türkiſche
Armee aufgenommen ſei. Mit trauriger Miene erzählte
er, daß er zunächſt bei dem preußiſchen Geſandten gewe-
ſen ſei. Sein zur Dispoſitionſtellen wäre hier völlig
verunglückt. Der Geſandte hätte ihn an die türkiſchen
Behörden verwieſen und bemerkt, daß er ſeinerſeits gar
nichts für ihn thun könne. Zufällig ſei dieſen Tag noch
der preußiſche ehemalige Hauptmann Kuczkowski, der In-
ſtructeur der türkiſchen Artillerie, in Konſtantinopel ge-
weſen. Er habe ihn getroffen, allein K, voller Eile vor
ſeiner Abreiſe zu Omer Paſcha, habe ihm nichts Anderes
rathen können, als, wenn alles fehlſchlüge, geradenweges
– 218 –
zu Omer Paſcha nach Schumla zu reiſen und ſich dort
zur Dispoſition zu ſtellen. Vor Allem wolle er aber nun
bei dem Seraskier, dem türkiſchen Kriegsminiſter, ſich
melden. Er habe ſchon wiederholte Verſuche dazu ge-
macht, aber bisher vergeblich. Um ſolche Audienz zu er-
langen, müſſe man ſich an den Dragoman des Miniſters
wenden; dieſe, Griechen, thäten aber nichts, ehe ſie nicht
ein reichliches Douceur erhalten hätten. Dies erlaube
ſeine Kaſſe nicht, und ſo ſei er noch nicht dazu gelangt.
Wir bewunderten die Ruhe, mit der er uns ſeine Lage
ſchilderte, die uns verzweifelt ſchien. Wir riethen ihm,
nochmals zu dem preußiſchen Geſandten zu gehen, und
von dieſem wenigſtens ein Schreiben an den Seraskier ſich
zu verſchaffen.
Er hatte noch wenig von Conſtantinopel geſehen. Er
erzählte uns von ſeinem Gaſthof, der allerdings billiger war
als der unſrige, aber ſo voll Unreinlichkeit, daß er Inſecten-
pulver in den ſtärkſten Doſen hatte aufwenden müſſen, um
nur ſchlafen zu können. Er klagte bitter über das Geſindel
von Abenteurern, welches ſich in Conſtantinopel herum-
trieb und wie Kletten jedem Fremden ſich anhänge. Jeder
dieſer Leute, ſagte er uns leiſe, iſt mindeſtens Baron und
hat als Major oder Obriſt in einer europäiſchen Armee
geſtanden. Obgleich ſie mir anſehen mußten, daß bei mir
wenig zu holen ſein werde, habe ich ſie dennoch nicht
los werden können, und mehreremale blieb mir nichts übrig,
als einen Kaik zu nehmen, und in das Meer zu fahren,
um endlich allein zu ſein.
Das Ausſehen und die Unterhaltung ſeines Begleiters
gab die lebendige Beſtätigung deſſen; das Treiben dieſer
Leute mußte nothwendig ſehr arg ſein, da ſie ſelbſt von
dieſem argloſen Menſchen erkannt worden waren. Das
kalte, zurückhaltende Benehmen, was man in Pera allge-
– 219 –
meinden ankommenden Fremden gegenüber beobachtet, und
unter dem wir ſchon ſelbſt zu leiden gehabt hatten, wurde
uns nun erklärlich. Seit einigen Jahren hat ſich auch die
Zahl deutſcher Abenteurer in Pera ſehr vermehrt; man
hört auf der Straße oft deutſche Worte. Es war uns
ſchmerzlich, daß auch hier, wie in Nordamerika und Lon-
don, die deutſche Emigration durch eine Maſſe Geſindel
entehrt wird, das über den deutſchen Namen eine Schmach
bringt, die Generationen braver Männer ſpäter nicht wie-
der wegwiſchen können; a shabby dutch iſt noch heute
der Beiname der Deutſchen in Amerika.
----------------------------------
XIX.
D er S ult an.
Am andern Morgen bei dem Frühſtück meldete Theo-
doro, daß der Sultan in dem Hafen der Kanonengießerei
in Topchane landen und von da in die anſtoßende Moſchee
Mahmud II. gehen werde. Frau Dr. A). war unwohl;
ſo konnten wir ungehindert uns aufmachen. Wir fanden
keine Schwierigkeit, in den Hof der Gießerei einzutreten,
obgleich die türkiſche Bevölkerung abgehalten und ſo der
Hof völlig frei erhalten wurde. Im Hofe ſtand ein Ba-
taillon türkiſche Infanterie aufmarſchirt. Die Uniform war
genau wie die preußiſche, mit Ausnahme des Feß ſtatt
des Helms. Uns ſchien eins ſo wenig hübſch wie das
andere. Am Strande ſtanden 12 ſechsunddreißigpfündige
Kanonen mit Bedienung. Einige Miniſter und Paſcha's,
die den Sultan erwarteten, und ein Paar Engländer waren
mit uns die einzigen frei herumwandelnden Perſonen. Links
vor uns auf dem Meere lag die ſardiniſche Fregatte,
welche zur Feier des Tages flaggte und mehr als 300
Wimpel aller Farben von den Maſten und Raaen wehen
ließ. Bald ertönte ein ferner Kanonendonner, das Zeichen
der Abfahrt des Sultans aus ſeinem Pallaſt. Nach wenig
Minuten zeigten ſich auf dem Bosporus drei glänzende
– 221 –
weiße und reich vergoldete Kaiks, mit rothſammtnen Bal-
dachins; jeder mit 12 Ruderern bemannt, die das Boot
pfeilſchnell dahin gleiten ließen. Im vorderſten Boot war
der Sultan, in den beiden andern folgten ihm einige Mi-
niſter. So wie die Boote der ſardiniſchen Fregatte vorbei-
fuhren, ertönten die Salutſchüſſe aus ihren ſchweren Ge-
ſchützen, die mit donnerndem Echo von den Höhen von
Pera und Skutari zurückprallten. Als die glänzenden
Boote ſich dem Ufer nahten, begann das Schießen der
Sechsunddreißigpfünder im Hofe. Der Donner dieſer
großen Geſchütze, die fortdauernden Salutſchüſſe der Fre-
gatte und der rollende Wiederhall von den Höhen miſchte
ſich mit dem einfallenden Parademarſch, der Regiments-
muſik im Hofe und mit dem lauten Vivatrufen der Sol-
daten und der Bevölkerung vor den Gittern des Hofes.
Es war ein mächtiger, erhebender Moment. Das goldene
Boot ſtieß an das Land; zwei Bootführer ſprangen her-
aus, zogen es an purpurſeidenen Tauen feſt an die Quadern
des Ufers, und der Sultan erhob ſich von ſeinem pur-
purnen Kiſſen, unter dem mit Diamanten und Gold ge-
ſtickten Baldachin, und ſchritt, von einem Diener unter-
ſtützt, heraus an das Ufer. -
Es war eine große Geſtalt. Er trug ſchwarze glanz-
lederne Stiefeln, weiße europäiſche Pantalons, darüber
einen bis über die Knie reichenden indigoblauen zuge-
knöpften Tuchrock mit ſteifem Kragen und das rothe Feß
mit der blauſeidenen Quaſte. Ueber den Rock hing ihm
ein offener Tuchmantel von derſelben Farbe mit offenen
Aermeln. Vorn, wo der Kragen des Rockes ſich ſchloß,
befand ſich eine mit Diamanten reich beſetzte Spange, die
wahrſcheinlich einen Orden vorſtellte. Sonſt war ſeine
Kleidung ohne allen Schmuck und ohne Stickerei.
Er zeigte ein volles, fleiſchiges, aber blaſſes Geſicht.
– 222 –
Der erſte Eindruck war der des Schlaffen, Theilnahm-
loſen, Erſchöpften. Bei längerem Sehen konnte man
einen Zug von Gutmüthigkeit nicht verkennen; aber dies
blieb auch der einzige Charakterzug; alles andere innere
Leben war aus dieſem weichen erſchlafften Geſichte ver-
ſchwunden. Große, dunkelbraune Augen und eine breite
offene Stirn hätten mit Leichtigkeit dieſe Züge beſeelen
können; aber kein lebendiger Blick leuchtete aus ihnen her-
vor; die Augen auf die Erde geheftet, wandelte er mit
einem langſamen, aber doch nicht feierlichen Schritt, eher
ſchleichend und mühſam, ein wenig nach vorn gebückt,
durch den Hof nach der Moſchee. Dem Bataillon, welches
präſentirte, wendete er nicht einen Blick zu, und den rol-
lenden Donner der Geſchütze, der den Boden beben machte,
ſchien er nicht zu hören.
Hinter ihm folgten die Miniſter und andere hohe
Beamte ehrfurchtsvoll nach der Moſchee. Man zeigte uns
Redſchid Paſcha, die Seele des türkiſchen Kabinets und
den Leiter der Regierung in der jetzigen Kriſis. Er iſt
ein ſehr korpulenter, ein wenig unterſetzter Herr, dem das
Gehen bei der brennenden Sonnengluth ziemlich ſchwer
wurde. Wir hätten in dieſer unſcheinbaren Geſtalt den
großen Mann nicht vermuthet. Die Miniſter waren wie
der Sultan gekleidet; nur trugen ſie keinen Mantel, da-
gegen militairiſche Epaulets und Säbel, was der ſonſt
einfachen bürgerlichen Kleidung ein komiſches Anſehen gab.
Während der Sultan in der Moſchee betete, bewun-
derten wir die vollendet ſchönen Geſtalten ſeiner Ruderer.
Sie hätten ohne Ausnahme zu Modellen des Mars dienen
können; und dennoch war in jedem einzelnen ein ſo unter-
ſchiedener, eigenthümlicher Charakter ausgeprägt, daß die
Zwölf eben ſo gut von dem Maler zu den zwölf Apoſteln
beim Abendmahl hätten copirt werden können; wir glaubten
– 223 –
bei mehr als einem eine täuſchende Aehnlichkeit mit ein-
zelnen Apoſteln in dem Gemälde von Leonardo da Vinci
zu erkennen.
Ihr Anzug konnte nicht kleidſamer ſein. Barfuß bis
zum Knie, trugen ſie nur ein weites Hemde von einer Art
rohen, aber ziemlich weißen Battiſt, was unter dem Gürtel
zu weiten Hoſen auslief, die unter dem Knie gebunden
waren; die Aermel waren in griechiſcher Weiſe offen und
zurückgeſchlagen. Der Battiſt hatte damaſtartige Streifen,
die mit anderen durchbrochenen abwechſelten. Dies machte
die Kleidung zugleich glänzend und luftig, und die ge-
ſunde kräftig braune Farbe des Körpers war dadurch mehr
gehoben als verdeckt. Den Kopfbedeckte ein Feß, genau
wie der des Sultans.
Ihr Weſen entſprach dieſer leichten, lichten Kleidung.
Sobald der Sultan in die Moſchee getreten war, ſprangen
ſie aus dem Boot und zerſtreuten ſich in dem Hofe; der
eine ſetzte ſich auf eine Kanone, der andere ging an das
Gitter, mit Bekannten zu ſprechen. Da das Gebet lange
währte, ſo wendeten wir uns nach den ruſſiſchen Kanonen
mit grünen Lafetten, welche als die Siegeszeichen von
Oltenizza und Siliſtria hier aufgeſtellt waren. Mehrere
franzöſiſche Artilleriſten, die mit ihren Batterien die Nacht
vorher zu Schiff angekommen waren, beſahen die Stücke
mit ſachverſtändigen Mienen. Sie kamen von Lille und
hatten 40 Tage von dort bis Marſeille marſchirt.
Die Offiziere der Chaſſeurs d'Afrique in ihren rothen
Krapphoſen und blauen Huſarenſpencern, unſere Tiſchge-
noſſen, fanden ſich auch ein und wir ſtellten uns mit ih-
nen wieder nahe dem Boote des Sultans, ſo daß er zwei
Schritte vor uns vorbeigehen mußte. Mit großer Nach-
ſicht ließ man dies zu. Es gab überhaupt keinen einzi-
gen Polizeidiener oder Gensdarmen und Niemand hin-
derte uns, einen Platz zu wählen, wo wir wollten.
– 224 –
Nach drei Viertelſtunden kam der Sultan aus der
Moſchee zurück. Derſelbe langſam ſchleichende, gebückte
Gang. Wir ſuchten nochmals irgend ein Lebenszeichen
in ſeinen Mienen zu finden, aber vergeblich. Er wäre
ohne nach uns zu ſehen, wieder eingeſtiegen, hätte nicht
die Uniform der afrikaniſchen Jäger ſeine Aufmerkſamkeit
erregt. Er richtete einen matten Blick nach ihnen, mit
einem kaum bemerkbaren freundlichen Lächeln; im Uebri-
gen ließ er alle Grüße des Civil und der Offiziere un-
beachtet. Erſt jetzt bemerkten wir, daß ſein Gang genau
dem des Vorgeſetzten der Derwiſche glich, den wir im Kloſter
geſehen hatten, und wir wurden zweifelhaft, ob dieſe Weiſe
nicht vielleicht zu der prieſterlichen, von dem Propheten
ererbten Würde des Sultans gehöre. Er ſtieg in ſeine
Gondel zurück, ſetzte ſich in die ſammetnen Kiſſen und
unter dem neu beginnenden Donner der Kanonen ent-
ſchwand der Beherrſcher des Orients unſeren Blicken.
Abdul-Meſchid iſt 31 Jahre alt und regiert ſeit 15
Jahren.
XX.
Die türkiſchen Frauen an den himmliſchen Waſſern.
Wenn man am Sonntag der Türken, unſerm Freitag,
mit einem Kaik den Bosporus aufwärts fährt, ſo kommt
man nach einer Stunde an die Mündung eines grün-
lichen Fluſſes an der aſiatiſchen Seite, der aus den Thälern
Aſiens ſo langſam herabfließt, daß man leicht mit dem
Kaik gegen ſeinen Strom fahren kann. Die Ufer ſind
dicht mit Weiden, Pappeln und Platanen bewachſen und
auf dem Waſſer blühen Waſſerlilien. Man empfindet
lebhaft den Unterſchied gegen den breiten, mächtigen,
blauen Strom des Bosporus; es iſt die tiefe Einſamkeit
eines entlegenen Landſitzes gegen das Wogen und Treiben
der Hauptſtadt.
Weiter hinauf öffnen ſich die dicht bewachſenen Ufer.
Das Buſchwerk verwandelt ſich in einzelne Baumgruppen
und eine grüne Wieſe breitet ſich zur Rechten weit aus
bis zu dem Bosporus zurück. Ein Bergrücken ſchließt ſie
von der dritten Seite. Dieſe Stelle nennen die Türken
das Thal der himmliſchen Waſſer; die Europäer nennen
es die ſüßen Waſſer von Aſien. Es wird jeden Freitag
von den Frauen und Kindern der Türken beſucht. Die
Männer, Brüder und Vettern bleiben nach türkiſcher Sitte
* 15
– 226 –
zurück. Unſer Theodoro frug uns, nachdem die letzten
Donner der Kanonen verhallt waren, ob wir den Nach-
mittag dort zubringen wollten, und ſein Vorſchlag wurde
freudig angenommen.
Wir fanden bei dem Verlaſſen des Kaik die Wieſe von
einer bunten Menge dicht bedeckt. Ein großer Theil der
Frauen lagerte mit Kindern und Sklavinnen auf dem
Graſe; andere wandelten im Schatten der Platanen; an-
dere fuhren in offenen Wagen langſam herum; andere
kauften Maiskolben, Zuckerzeug, friſches Waſſer; andere
horchten auf die Erzählungen des Arabers und die be-
gleitende Muſik. Die bunteſten Farben glänzten aus den
Gruppen, und aus den weißen Schleiern ſchaute bald das
braune Auge einer Türkin heraus, bald glänzte die ſchwarze
Haut einer Sklavin hervor. Männer waren nirgends zu
ſehen; nur einzelne Verkäufer von Waſſer, Zuckerwerk,
Eis, ſtanden mit ihren Waaren unter den Frauen, und
Eunuchen bewachten die Wagen; aber in dem Gewühl
der Frauen waren ſie kaum zu merken. Uns ſelbſt war
es peinlich, die türkiſche Sitte zu verletzen und die Frauen
mit unſeren Blicken zu beläſtigen.
Wir trafen auf einen Mährchenerzähler mit ſeinen auf
Mandoline und Flöte muſizirenden Begleitern. Die Gruppe
war von drei Seiten dicht mit Frauen und Kindern um-
geben, auf der vierten hielt ein Wagen mit vier türkiſchen
Frauen; auch ſie wollten ſehen und hören, und hatten
vorſichtig die ſchwarzen Vorhänge zurückgebogen. Alles
horchte mit Aufmerkſamkeit, ſelbſt die Kinder ſaßen ſtill,
obgleich das Mährchen kein Ende nahm. Wir wollten
näher treten, aber ein ſchwarzer Eunuche, der den Wagen
bewachte, wies uns grob zurück. Er bewachte den Wa-
gen mit eiferſüchtiger Strenge. Während er auf der einen
Seite ſtand, öffneten ſich allerdings die Vorhänge auf der
– 227 –
andern und hübſche Augen ſahen hervor; aber da ſie inne
wurden, daß wir nach ihnen und nicht nach dem Araber
ſahen, wurden ſchnell die Vorhänge zugezogen. War's
Furcht? war's Scheu? wir konnten es nicht errathen.
Ein anderer Wagen kam; wir mnßten Platz machen.
Das ſind die Frauen aus dem Harem eines Paſcha, ſagte
Theodoro. Sehen Sie die brillantene Broche, welche der
Knabe bei ihnen an der Bruſt trägt; ſie enthält die Chiffre
des Sultans und iſt ein Geſchenk deſſelben. Die Frauen
hatten reiche Brillantringe an den Fingern und die Nä-
gel waren mit einer Beize braun gefärbt. Sie waren
verhüllt und in die entſtellenden Mäntel gewickelt, wie
alle. Sie ſaßen in einem modernen Reiſewagen mit zwei
vortrefflichen Pferden.
Unter einer breiten Platane hielt im Schatten ein an-
deres Fuhrwerk; es kam nicht aus der Hauptſtadt, und
zeigte noch rein die türkiſche Sitte. Auf hohe Räder war
noch höher ein langer Fahrkaſten mit niedrigen Rändern
aufgeſetzt. Räder, Kaſten, Ränder waren kunſtvoll aus-
geſchnitten, blau angeſtrichen und reich vergoldet. Dar-
über auf vier vergoldeten Stangen ein Holzdach gleicher
Art, von dem rothſeidene Vorhänge herabhingen. Sitze
gab es nicht, nur Kiſſen auf dem Boden. Eine ſtarke,
vergoldete Deichſel endete in einem Joche und daran wa-
ren zwei weiße Büffel geſpannt, die Halsbänder von gro-
ßen bunten Glasperlen trugen und am Kopf einen langen,
rückwärts gebogenen Stab, von dem dicke ſeidene Purpur-
ſchnüre mit Quaſten- auf den Rücken der Thiere herab-
fielen. In den Wagen konnte man nur mittelſt einer
hohen Leiter gelangen, die während des Fahrens wie eine
Zugbrücke von den Frauen aufgezogen wurde. Die Fahrt
ging langſam; ein alter Türke mit Turban führte die
Büffel, und der Wagen, mit kauernden Frauen und Kin-
15 .
– 228 –
dern vollgefüllt, wand ſich mit Stoßen und Knarren über
die Furchen und Steine des Weges.
Zwiſchen den Sklavinnen und den Frauen und Kin-
dern herrſcht die größte Vertraulichkeit; man konnte weder
am Anzug, noch an dem Eſſen, noch an der Unterhaltung
und dem Benehmen erkennen, wer Sklavin, wer Herrin
war; nur die ſchwarze Farbe gab den Anhalt. Die Skla-
vinnen hatten Mäntel von demſelben Stoff, Schleier,
gelbe Stiefeln, Schuhe, wie jene, lagerten mitten im
Kreiſe und verzehrten Eis und Zuckerwerk, wie jene.
Die Zuckerbäcker wandelten auf und ab, den breiten
Korb mit Zuckerwerk auf den Kopf, den leicht geflochtenen
Tiſch in der Hand. So wie ſich Käufer meldeten, wurde
der Korb auf den Tiſch geſetzt und vom Inhalt verkauft.
Sie hatten viel Zuſpruch; die Türkinnen ſcheinen mit
Leidenſchaft dieſe ſüßen Sachen zu verzehren. Ein Ge-
menge von Mehl, Zucker und Gallert, was ſich wie Leim
zog und uns fade ſchmeckte, wurde hauptſächlich gekauft.
Aber die beſten Geſchäfte machen die Garköche mit Keſſeln
voll kochender Maiskolben. Ganze Reihen Frauen ſaßen
auf dem Boden mit den gelben Kolben am Munde, aus
denen ſie die einzelnen Körner ausbiſſen. Am widerwär-
tigſten war dies, wenn ein dickes ſchwarzes Geſicht mit
Gier an ſolchen gelben Kolben nagte. -
Selbſt während des Eſſens wurde der Schleier nicht
abgelegt; nur der untere den Mund bedeckende Theil ward
herabgeſchoben. Aber auch dann war die andere Hand
mit dem Schnupftuch ſtets bereit, das Geſicht während
des Eſſens zu verdecken. Gab es an dem Anzug einer
Türkin etwas in Ordnung zu bringen, ſo ſtellten ſich drei
andere um ſie herum, und bildeten mit ihren ausgebrei-
teten Mänteln ein ſo wohl verwahrtes Kabinet, daß kein
Blick das Innere erſpähte. - - -
– 229 –
Andere Zerſtreuungen, als jene Sänger und Spieler,
als Eſſen und Trinken, bemerkten wir nicht; keine Spiele,
weder im Laufen noch im Sitzen. Alles war auf den
Boden gelagert, oder wandelte langſam hin; der blaue
Himmel und die friſche Luft ſchien ihnen zu genügen.
Selbſt die Familien blieben geſondert. Es herrſchte die-
ſelbe beſchauliche Ruhe, wie in den Kaffeehäuſern. Selbſt
die Kinder hielten ſich ruhig bei der Mutter und den
Sklavinnen.
Die Erziehung der türkiſchen Frauen wird bis in die
- höchſten Stände völlig vernachläſſigt. Die Mädchen ge-
hen in die Schulen, aber ſie bringen es nicht über das
Leſen und dies wird ſchnell wieder vergeſſen, da es weder
Romane noch Liebesbriefe in der Türkei giebt. Sie blei-
ben von der Kindheit ab bei den Müttern im Harem.
Wochenlang verlaſſen die Frauen nicht das Haus, und
wenn ſie ausgehn, ſo ſind ſie tief verhüllt; Niemand ſieht,
Niemand redet ſie an. Nach einem leeren Gaffen kehren
ſie in den Harem zurück, wo dichte Gitter jede Ausſicht
auf die Straßen verſperren. Im Hauſe ſehen ſie nur
den Mann, der in der Regel des Morgens gegen 8 Uhr
die Frau beſucht und bis gegen 11 Uhr in dem Harem
bleibt; dann kehrt er den ganzen Tag nicht zurück. Was
beginnt die arme Frau in dieſer Einſamkeit? frugen wir
öfters, und ſelbſt Türken von Bildung und Gelehrſamkeit
hatten Mühe, eine Antwort darauf zu geben. Unterrich-
ten ſie ihre Kinder? Nein; ſie wiſſen ſelbſt nichts. –
Beſorgen ſie die Wirthſchaft? Nein; das iſt das Ge-
ſchäft der Sklaven. – Leſen ſie, muſiziren ſie, zeichnen
ſie? Nein; ſie haben nichts zu leſen, und für Kunſt ſind
ſie zu träge und ohne Sinn. – Putzen ſie ſich? Nein;
für wen? auf der Straße ſind ſie in Schleier und den
Mantel gehüllt; im Harem tragen ſie Beinkleider und
– 230 –
Spencer, aber alles muß weich, bequem, weit ſein. Der
Mann iſt der Einzige, der ſie ſieht, und er liebt weniger
den Anzug, als weiche, fleiſchige Glieder. – Aber, mein
Gott, was treiben ſie denn? Sie ruhen auf den Divans,
ſie trinken zehnmal des Tages Kaffee, naſchen Zuckerwerk,
ſchlafen, ſpielen mit den Kindern, ſchwatzen mit den Skla-
vinnen und beſuchen ſich, um wieder gemeinſam zu ſitzen,
zu eſſen und zu ſchlafen.
Aber dennoch iſt es ein Irrthum, ſagte uns ſpäter ein
reicher, vornehmer Türke, wenn ſie glauben, daß die Frau
nicht von dem Manne geachtet würde. Sie haben recht,
wir verlieben uns nicht, wie die Europäer. Als mein
Sohn erwachſen war, wünſchte ich keine Verbindung für
ihn aus den mir befreundeten türkiſchen Familien. Ich
kaufte deshalb ein junges, eben aus. Cirkaſſien angekom-
menes Mädchen für 12,000 Piaſter und ließ ſie im Leſen,
in Muſik, im Tanzen unterrichten. Nach zwei Jahren
hatte ſie alles gut gelernt, und ich ſagte meinem Sohn,
der ſie bis dahin nicht geſehen hatte, daß ich das Mäd-
chen ihm zur Frau geben wolle. Er nahm ſie; natürlich
ließ ich ſie vorher frei, und ſie leben beide zufrieden mit
einander. - - -
Wie viel Frauen haben Sie denn? frug ich dieſen
liebenswürdigen Mann, der längere Zeit in Paris und
Wien geweſen war. Nur eine, erwiderte er lächelnd.
Sie hegen in dieſem Punkte ſehr falſche Vorſtellungen
über uns in der Türkei. Wir haben nach dem Koran
zwar das Recht vier Frauen zu nehmen, aber es wird
davon beinah nie Gebrauch gemacht. Ich lebe mit meiner
Frau glücklicher, als mancher Ehemann in Deutſchland.
Es iſt richtig, daß das Geſetz uns eine größere Freiheit
verſtattet und daß die Frau ſich nicht beſchweren darf,
wenn der Mann für Augenblicke ſie über die Sklavin im
– 231 –
Hauſe vergißt. Aber iſt denn bei Ihnen dies in der
Wirklichkeit viel anders? – -
Wir wanderten lange unter den Frauen an den himm-
liſchen Waſſern herum. Dieſes ruhige, anſpruchsloſe Ge-
nießen der Natur gefiel uns an ihnen. Es war da kein
Neid, kein Aerger, daß die eine beſſer gekleidet wäre als
die andere; kein Spähen und Beobachten, was die Nach-
barin thun, was ſie ſprechen, wen ſie anſehen werde; kein
Zieren, kein Affektiren. Alles war einfache, unmittelbare
Natur; es war freilich keine Tugend, aber wozu auch
immer und ewig dieſe innere Pein, die die Verſuchuug
mit Zittern neben ſich fühlt. Uns war wohler unter
dieſen halbwilden Töchtern der Natur und ihre ſchleppen-
den Mäntel gefielen uns zuletzt beſſer als die geſchnürte
Koketterie des Weſtens, ihr Nagen an den Maiskolben
behagte uns beſſer als das Eſſen mit Glacée-Handſchuhen
zu Hauſe. Wir hätten ſie ſicherlich noch viel liebens-
würdiger gefunden, wenn wir uns hätten unter ſie lagern
und mit ihnen ſchwatzen können; wir hätten den neu-
gierigen Mienen ſchon erzählen wollen und die Geſchichten
hätten ihnen beſſer gefallen ſollen, als die jenes quäkenden
Arabers.
Welche Freude muß es ſein, dieſen noch friſchen Kin-
dern der Barbarei leiſe und vorſichtig die Genüſſe der
Kultur zu bieten! Von der ganzen ſchwierigen orientali-
ſchen Frage ſchien uns dieſer Theil der leichteſte und beſtc.
Welche Luſt, dieſe abſcheulichen formloſen Mäntel her-
unterzunehmen, dieſe heißen Schleier zu öffnen; dieſe
friſchen, weichen Geſichter in die duftende Luft zu tauchen
und ſie fühlen zu laſſen, welche Luſt es iſt, andern zu
gefallen !
– Seien Sie vorſichtig, ſagte Theodoro. Sie ſehen,
wir ſind die einzigen Männer, die nicht hierher gehören.
– 232 –
Man hat uns nachſichtig wandern laſſen; Sie haben die
Frauen mit ihren Blicken in Verlegenheit gebracht; aber
Sie kennen die Eunuchen nicht; es ſind Barbaren.
Er hatte nicht Unrecht. Wir nahmen ſtillen Abſchied
von den himmliſchen Waſſern und ihren irdiſchen Töchtern.
Kaik neben Kaik hielt am Bosporus, um die Frauen Kon-
ſtantinopels wieder heim zu führen; und da wir nicht mit
ihnen fahren durften, ſo lobten wir uns die Einſamkeit
und die Treue deutſcher Männer.
„". "„“„“ „„“„r. "V“./"-"v"."/". "V"V"-A
i-- -
nºti
XXI.
Das Leben in Pera. Auswanderung dahin.
Schon zu der griechiſchen Kaiſer Zeiten hatten die
Genueſer Stambul gegenüber Fuß gefaßt und Galata
gebaut. Sie ließen ſich durch die Türken nicht austreiben,
und jetzt wohnen in Pera und Galata an hunderttauſend
Europäer, die, unabhängig von der türkiſchen Regierung,
und ihren Geſandten untergeordnet, eine europäiſche Stadt
mitten unter den Türken bilden. Es gehört die Toleranz
und Gutmüthigkeit dieſes verſchrieenen Volkes dazu, um
dieſe Krämer, dieſe Wechsler, dieſe Handwerker, dieſe
Diplomaten neben ſich zu ertragen, um mitten in dem
Herzen des Reichs eine Bevölkerung ſich einniſten zu laſſen,
die in der Arbeit und in dem Vergnügen, in dem Hauſe
und auf der Straße das gerade Gegentheil der Türken,
der Herren des Landes, iſt.
Wie leben dieſe Franzoſen, dieſe Engländer, dieſe
Deutſchen, dieſe Ruſſen und Polen in Pera? Muß eine
Stadt mit den Genüſſen der Civiliſation in dieſem Klima,
in dieſer Lage nicht ein Paradies ſein?
Wir fanden nur Kaufleute, die hier blieben, weil ſie
Geld verdienten, Beamte, die nur hier blieben, weil ſie
nicht fort konnten, und Abenteurer, die nur hier blieben,
– 234 –
weil es der einzige Ort war, wo man ſie bleiben ließ.
Im Grunde ſehnte ſich jeder hinweg. Der Kaufmann
wollte nur erſt noch einige Spekulationen vollenden, der
Beamte das Avancement abwarten, und der Reiſende
wollte nur noch dieſe und jene Merkwürdigkeit beſehen.
Dann wollte alles wieder in die Heimath.
Pera iſt nur der verunglückte Verſuch einer europäi-
ſchen Stadt. Niemand hält es recht für ſeine Heimath;
im Sommer zieht man nach dem Bosporus; da iſt denn
nichts Rechtes zu Stande gekommen. Die Häuſer ähneln
den europäiſchen, aber die Palläſte ausgenommen, ſind ſie
von Holz gebaut, gegen die Kälte im Winter ſchlecht ver-
wahrt und das Meublement ſehr dürftig. Die Miethen
ſind ſehr hoch; der Geſandtſchaftsprediger S. gab für
zwei Zimmer und ein Kabinet 4800 Piaſter jährlich, d. i.
240 Thaler. Die Straßen ſind ſo unwegſam, wie in
Stambul; ja ſchlimmer, da ſie ſteiler ſind. Man kann
deshalb nicht fahren, und reiten nur mit Schwierigkeit.
Laternen giebt es nicht; die Straßen haben keine Namen,
die Häuſer keine Nummern, gerade wie in Stambul. Als
wir nach einem Banquier fragten, gab man uns die
Adreſſe: H. Sonnenfeldt in Galata. Aber Galata hat
100 Straßen und 60.000 Bewohner, wo ſollen wir H. Son-
nenfeldt da herausfinden? Fragen Sie nur, war die Ant-
wort, wir können keine nähere Bezeichnung geben.
Die Straßen werden nicht gekehrt und die Hunde
Konſtantinopels, weniger tolerant wie ihre Herren, haben
auch in Pera von ihnen Beſitz genommen. Das Aus-
gehen iſt deshalb ſchon im Sommer eine peinliche An-
ſtrengung; und im Winter ſoll der Schmutz es unmöglich
machen. Die Straßen bieten wenig von dem, was ſie in
Europa ſo unterhaltend macht. Einige größere haben in
dem Erdgeſchoß Magazine und Gewölbe; man ſucht den
– 235 –
Glanz und Geſchmack der europäiſchen Magazine im Auf-
putz der Fenſter und Gewölbe nachzuahmen, aber es fehlt der
Reichthum der Stoffe und das Geſchick der Diener. Was man
an Waaren kauft, iſt alles europäiſche Fabrikarbeit und über-
aus theuer; dennoch kommt nur das ſchlechtere und ver-
altete hierher. Wer es vermag, kauft nichts hier, ſondern
läßt ſich alles direkt aus London, Paris, Berlin kommen.
Es giebt einige Konditoreien; aber auch ſie ſind eine
dürftige Nachahmung der Konditoreien Berlins, der Kaffee-
häuſer von Wien und Paris. Da man auf den Straßen
keine Equipagen ſieht, da auch keine Dame zu Fuß ſich
entſchließt, ihren eleganten Anzug zu zeigen, ſo bieten
dieſe krummen, dunkeln, engen, heißen Wege nur ein
Gehen und Kommen von Leuten, die zu viel Geſchäfte,
und von Abenteurern, die zu wenig Geſchäfte haben.
Frauen gehen nur nothgedrungen aus, und wir ſind in
den Straßen von Pera nicht einer einzigen elegant ge-
kleideten Dame der höheren Stände begegnet. Am Abend
hat man als Erholung nichts als die Promade in Pera,
die wir ſchon kannten, und einen jardin des mille fleurs,
der weniger ſtaubig wie jene Promenade iſt, aber nicht ſo
beſucht, und in dem in den letzten Tagen unſers Aufent-
halts eine Seiltänzertruppe ganz Pera amüſirte, die in
Deutſchland ſich kaum in der kleinſten Stadt hätte ſehen
laſſen können. Nun hat Pera allerdings auch den Bos-
porus; aber wer in Pera wohnt und am Bosporus ſich
erholen will, muß ſchon in der Nachmittagshitze von zu
Hauſe aufbrechen, lange Straßen durchwandern, einen
ſteilen Berg, ſo hoch, wie der Hradſchin in Prag, voll
des ſchlechteſten Pflaſters hinunterſteigen und dann gelangt
er erſt an die See. Derſelbe mühſame Weg wiederholt
ſich bei der Rückkehr, und wenn man kühl und erquickt
aus dem Schiff geſtiegen iſt, kommt man dennoch erſchöpft
– 236 –
und in Schweiß gebadet nach Hauſe. Alle ſonſtige Um-
gebung Pera's iſt öde und ohne Schatten.
Der Genuß in Wiſſenſchaft und Kunſt ſteckt in Pera
noch in den roheſten Anfängen. Es giebt zwei Buchhand-
lungen; ſie halten aber nur engliſche und franzöſiſche Ro-
mane und Reiſeliteratur. Wiſſenſchaftliche Werke müſſen
beſonders beſtellt und verſchrieben werden, und dieſe Koſten
erhöhen die Bücherpreiſe, wie uns der Prediger S. ver-
ſicherte, um die Hälfte. Wiſſenſchaftliche Journale, na-
mentlich deutſche, ſind gar nicht zu haben, und ſelbſt an
politiſchen Zeitungen findet man neben den engliſchen und
franzöſiſchen nur die Augsburger Allgemeine.
Wir lebten in Conſtantinopel unbekannter mit den
Ereigniſſen auf dem Kriegsſchauplatz als zu Hauſe. Das
Journal de Conſtantinople, was die türkiſche Regierung
drucken läßt, erſcheint ohne beſtimmte Tage nur 4 bis
6 Mal den Monat. Dabei ſind ſeine Nachrichten unzu-
verläſſig und höchſt parteiiſch. Es druckt hauptſächlich
engliſche und franzöſiſche Artikel nach, und die eigenen Ar-
tikel beſtehen nur in Hofnachrichten, in trockenen Anzeigen
der angekommenen und abgegangenen Schiffe und ausge-
zeichneter Perſonen, und in ſehr lückenhaften und dürftigen
Nachrichten vom Kriegsſchauplatz. Die europäiſchen Blätter
kommen nur wöchentlich einmal mit den Dampfſchiffen aus
Trieſt und Marſeille. Wer mithin nicht mit einer Ge-
ſandtſchaft in näherer Verbindung ſteht, iſt oft vier und
fünf Tage lang ohne die mindeſte politiſche Neuigkeit.
Den Winter giebt es in Pera ein Theater, das uns
aber nicht mittelmäßig genug beſchrieben werden konnte.
Concerte giebt es gar nicht; große Virtuoſen gehn eher
nach Amerika als nach Conſtantinopel; auch würde die
europäiſche Bevölkerung allein ihnen keine glänzenden Ein-
nahmen gewähren, und die Türken kommen nicht.
– 237 –
So bleibt das geſellige Leben auf die Familien be-
ſchränkt. Man ſucht ſich da in vaterländiſcher Weiſe zu
erfreuen; indeß iſt die deutſche gebildete Bevölkerung doch
noch viel zu dünn, um für den Umgang Auswahl und
Intereſſantes zu bieten. Die Schwierigkeiten des Aus-
gehns im Winter ſind auch hier ſehr hemmend. Man
treibt jetzt viel Muſik, und die deutſchen Muſikalienhändler
könnten jetzt gute Geſchäfte hier machen; aber der Man-
gel an guten Inſtrumenten und Lehrern iſt hinderlich. Wie
genügſam man ſelbſt in den höhern Kreiſen mit geſelligem
Vergnügen iſt, zeigten die Whiſtparthien, die die Beamten
der preußiſchen Geſandtſchaft ein bis zweimal wöchentlich
ſpielten. Sie bilden für alle Theilnehmer die Hoffnung
und den Glanzpunkt der ganzen Woche.
Der Vizekanzler B. war mit großen Hoffnungen nach
Conſtantinopel gekommen, aber ſie waren ſämmtlich ge-
täuſcht; das erſte Halbjahr hat er in der tiefſten Nieder-
geſchlagenheit verlebt, und ſeitdem beſchränkt er ſich, im
Mangel aller Hilfsmittel für tiefere Studien, auf bloßes
Sammeln von Antiquitäten. Die wiſſenſchaftliche Verar-
beitung eines ſchon reichen Materials muß er verſchieben,
bis er wieder auf deutſchem Boden ſein wird.
Einen beſſern Eindruck als Pera macht Galata. Es
iſt die Stadt des europäiſchen Handels, und am Tage ſind
ſeine Gaſſen voll des regſten Treibens. Man ſieht den
Kaufleuten an, daß in Conſtantinopel leicht Geld zu ver-
dienen iſt. Es bleibt auffallend, daß in Deutſchland Nie-
mand daran denkt, nach Conſtantinopel ſtatt nach Amerika
auszuwandern. Es erklärt ſich nur aus der dunkeln Vor-
ſtellung von türkiſcher Barbarei und türkiſchem Chriſten-
haß, die man noch von den Kinderjahren her mit ſich trägt,
aus der großen Unkenntniß hieſiger Zuſtände, die ſelbſt
unter den gebildeten Klaſſen in Deutſchland herrſcht. Ein
– 238 –
geſchickter Handwerker findet in Pera leichter ein Brot,
als in Nordamerika oder Auſtralien. Die Reiſe nach Con-
ſtantinopel iſt kürzer, ſicherer und billiger. Mit Ausnahme
der Wohnung iſt in Conſtantinopel das Leben außeror-
dentlich billig. Fleiſch und Brot koſtet nur die Hälfte von
dem in Berlin; Früchte, wie Waſſermelonen und Gemüſe,
ſind noch billiger. Dabei bedarf man in dieſem heißen
Klima nur der Hälfte deſſen, was man in Deutſchland ißt,
ohne von Kräften zu kommen. Die türkiſchen Kaikführer,
die Laſtträger, die der Mann oft 300 Pfund bergauf bergab
tragen, eſſen den ganzen Tag nichts als ein Stück Brot
und eine Waſſermelone.
Die Preiſe der Handwerksarbeiten ſind weit höher, als
in Berlin, und ein geſchickter Arbeiter iſt in allen ſtädtiſchen
Beſchäftigungen ſtets ſicher, Arbeit und Abſatz zu finden.
Dabei hat er keine Schererei mit Innungen und Polizei.
Es herrſcht volle Gewerbefreiheit, und Conceſſionen kennt
man nicht. Wer heute kommt, kann morgen einen Laden
aufthun oder eine Werkſtatt beginnen; und dies Alles, ohne
ſich erſt in neue, ungewohnte Verhältniſſe finden zu müſ-
ſen, in Pera iſt Alles europäiſch, und er braucht das ganze
Jahr nicht nach Stambul zu gehen, wenn er ſich vor den
Türken fürchtet. Ja ſelbſt, was die Freiheit anlangt, ſo
findet der Handwerker nach dem Begriff, den ſeit 1848
der Bauer und kleine Bürger ſich davon gebildet, in Con-
ſtantinopel deren mehr als in den Vereinigten Staaten
von Amerika, denn dort zahlt er zwar wenig Abgaben,
aber in Pera zahlt er gar keine.
Auch für den Kaufmann bietet Conſtantinopel Gele-
genheit, wie wenige Städte, und nach unſerer Anſicht wird
ſich nach dem Ende des Krieges ein Handel hierher für
Deutſchland entwickeln, von dem man jetzt kaum eine
Ahnung hat. Alle Stoffe, die die Türken tragen, ſind euro-
– 239 –
päiſche Fabrikate, und zwar die ſchlechteſten Sorten. Wir
haben nie ſo ſchlechten Kattun geſehen, als die engliſchen
Sorten, die hier von den Arbeitern und Frauen, ſelbſt der
wohlhabenden Klaſſe zu Beinkleidern und Jacken getragen
werden. Der Verbrauch in Merino's und Thibet's muß
ungeheuer ſein; denn die reichſte wie die ärmſte Frau muß
einen ſolchen weiten unförmlichen Mantel zum Ausgehen
haben; auch davon ſahen wir nur ordinaire Stoffe. Da-
bei bedarf es zur Fertigung dieſer Stoffe gar keiner
Kenntniß des türkiſchen Geſchmacks; alle dieſe Mäntel
ſind ohne Muſter, einfarbig, und jede Farbe von ſchwarz
bis zum Hellgelb wird getragen. Es ſcheint unzweifel-
haft, daß die deutſchen Fabriken hier concurriren können.
Die Frachten hierher ſind ſelbſt auf den Lloyd-Dampf-
ſchiffen billig; der Centner Waare von Venedig bis Kon-
ſtantinopel zahlt 3 Gulden Silber Fracht, ein Satz, der
ſelbſt bei ordinairen Stoffen die Elle nur um einen bis
zwei Pfennige vertheuern kann. Man muß freilich ver-
meiden, den Commiſſionairs in Pera in die Hände zu
fallen. Dieſe nehmen enorme Proviſionen und ſind nicht
zuverläſſig. Aber bei der ſchnellen und billigen Verbin-
dung zwiſchen Trieſt und Konſtantinopel iſt es leicht und
nicht koſtſpielig, einen eigenen zuverläſſigen Commis nach
Konſtantinopel zu ſenden, der dort nicht mehr Gehalt
braucht, wie in Berlin, und der das Geſchäft unmittelbar
für den Herrn leiten kann.
In dieſer Weiſe betreibt ein Schweizer Haus ein be-
deutendes Manufakturwaaren-Geſchäft in Konſtantinopel,
und ein Theilnehmer der Handlung reiſt nur alle zwei
Jahre einmal dahin, um alles in voller Ordnung zu er-
halten. Nach ſeinen perſönlichen Mittheilungen hat der
Abſatz ſelbſt während des Krieges nicht gelitten; der
Handel iſt im Gegentheil ſolider geworden, indem jetzt
nur gegen baare Zahlung an die Detailliſten verkauft
wird. Dies Haus macht ein großes Geſchäft in dem
einzigen Artikel von bunten baumwollenen Shawls, die
zu Turbanen in Aſien verbraucht werden.
Dieſe Andeutungen, als das Reſultat der Beobachtun-
gen eines nur vierzehntägigen Aufenthalts in Konſtanti-
nopel, können natürlich auf Vollſtändigkeit und auf un-
bedingte Zuverläſſigkeit im Einzelnen keinen Anſpruch
machen. Aber vielleicht genügen ſie, um die Aufmerkſam-
keit zu erregen. Die Abſatzwege, welche für den deutſchen
Handwerker und Kaufmann hier offen ſtehen, ſind noch
viel zu wenig gekannt, und für Deutſchlands Verkehr in
dieſer Richtung liegt eine Zukunft, die nicht großartig
genug gedacht werden kann. Für den, der ſich dafür
intereſſirt, iſt die Redaktion der National-Zeitung in Beſitz
der Adreſſen von Männern in Konſtantinopel geſetzt, die
vollſtändige und zuverläſſige Auskunft über jede Detail-
frage zu ertheilen bereit ſind. -
"vvvvvv.".."-"v"vv"v"v".^.^v^v^v
XXII.
Die Reiſe nach Bruſſa.
Theodoro brachte uns Sonnabend Abend die Nach-
richt, daß die türkiſchen Päſſe zur Reiſe beſorgt ſeien und
ein Kaik mit drei Ruderern für 140 Piaſter (7 Thaler)
nach Mudania gemiethet ſei. Die Schiffer wollten bei
gutem Wind die 11 Meilen in 6 Stunden zurücklegen,
bei Windſtille in 16 Stunden. Theodoro erhielt den Auf-
trag, für Wein, Kaffee, Zucker und eine Kochmaſchine zu
ſorgen; im Gaſthof wurden Eier, Fleiſch und Brot beſtellt.
Am andern Morgen 5 Uhr holten die Schiffer das Ge-
päck, und wir folgten ihnen mit Theodoro eiligen Schrittes
den ſteilen Berg hinab nach dem Hafen. Ehe wir ab-
fahren durften, mußten wir uns noch in dem türkiſchen
Quarantaine-Amt als geſund vorſtellen. Der türkiſche Ge-
ſundheitsbeamte ſchlief noch; mit halbgeöffneten Augen kam
er endlich heraus und atteſtirte aus einer Entfernung von
50 Schritt auf Grund eines Sechspiaſterſtücks, daß die
Cholera mit uns nichts zu ſchaffen habe.
Wir hatten bald die Spitze des Serails hinter uns
und ſchwammen auf der weiten Fläche des Marmora-
Meeres. Es war ein herrlicher Morgen. Ein leiſer
Wind kräuſelte die Fläche, zu ſchwach für das Segel.
16
– 242 –
Konſtantinopel, von der Morgenſonne glänzend beleuchtet,
lag in ſeiner vollen Pracht vor uns. Es hob ſich in
ſeiner weiten Ausdehnung von dem Schloß der ſieben
Thürme bis zu Tophane vom Meere die Anhöhen hin-
auf, und ſelbſt ſeine braunen Dächer fackelten heute von
der Fülle des ausgegoſſenen Lichts. Am Ufer zogen ſich
die alten Mauern der Stadt hin; Tauſende von griechi-
ſchen Säulenköpfen und Schaften ragten aus den ver-
fallenen Mauern hervor; aus Ruinen erbaut, ſinken ſie
jetzt wieder zu Ruinen. Die kräftigen Ruderſchläge trieben
den Kaik ſchnell davon; aber die Anſicht der Stadt behielt
noch in der Ferne von Meilen eine unglaubliche Klar-
heit. Man vergaß, daß man ſchon weit entfernt war;
man glaubte ihr noch ſo nahe zu ſein, wie vorhin; nur
ein mächtiger Zauberer ſchien leiſe die Maaße und Ent-
fernungen zuſammengezogen zu haben, um die Einheit des
Bildes zu erhöhen.
Unſer Kaik war ein gebrechliches Fahrzeug. Wenig
größer als jene Nußſchalen im Hafen, ſchwankte er bei
jeder Beweguug; wir mußten am Boden ſitzen, ſo türkiſch
gelaſſen, als möglich. Nur in dieſem Klima iſt es mög-
lich, in ſolch einem offenen Kahne eine Fahrt über das
11 Meilen breite und 30 Meilen lange Marmorameer
zu wagen. Man muß ſicher ſein gegen übermäßigen
Wind und gegen Gewitter. Nur in dieſem Klima konnten
wir auf vier Tage im voraus ſolch eine Fahrt beſtimmen
und auf ſechs Tage im voraus die Beſteigung des Olymps
feſtſetzen und dabei des guten Wetters ſo ſicher ſein, als
wenn in Deutſchland um 2 Uhr ein Spaziergang für
3 Uhr verabredet wird.
Erſt auf ſolch einem Fahrzeuge wird man der Ver-
traute des Meeres. Auf dem Koloß eines hochbordigen
Dampfſchiffes erkennt man das Meer nur, wenn es in
– 243 –
Leidenſchaft geräth; ſein ruhiges Athmen, ſeine Milde
bleibt unempfunden; zu viel vom feſten Land iſt zwiſchen
Meer und Menſch noch eingeſchoben. Aber in einem
Kaik, deſſen Schachtelwände nur einen Fuß über den
Meeresſpiegel ſich heben, da empfindet man den leiſeſten
Pulsſchlag dieſes allmächtigen aber auch allgütigen Weſens.
Bei der tiefſten Windſtille fühlt man da noch, wie es
innerlich ſich regt und wie es athmet in glatten, flachen,
langſam ſich hebenden Wellen. Von jedem beginnenden
Windhauch ſieht man das kräuſelnde Bild auf der em-
pfindlichen Fläche; die eintauchenden Ruder zeigen die
volle Durſichtigkeit des reinen Elements. Von ihren
kräftigen Schlägen fühlt man den Ruck; die ſprühenden
Tropfen kühlen das heiße Geſicht und der Duft des
Meeres öffnet langverſchloſſene Poren der Lungen; in
tiefen Zügen hebt ſich mit neuer Kraft die Bruſt. Freudig
ſieht man die leichten Kräuſel ſich in ſanfte Wellen heben;
die bleiche Fläche wandelt ſich mit dem ſteigenden Wind
in langgeſtreckte, blaue Höhen und Tiefen; ein weißer
Schaum ziert die Spitzen der Wellen. Drohend kommt
die einzelne gegen das dünne offene Fahrzeug herange-
zogen; wie eine blaue Wand verdeckt ſie dem Kahne unten
im Thale den Himmel; aber plötzlich iſt der drohende
Hügel verſchwunden, der Kahn ſchwebt lachend auf ſeiner
Spitze und eine Unendlichkeit von tanzenden Hügeln und
glatten Thälern wogt ſpielend um ihn herum bis in die
Fernen des Geſichtskreiſes. Der Schiffer holt das Segel;
während er bindet und zieht iſt der Kahn das Spiel der
muthwilligen Wellen; ſie jagen ſich, ſie ſchaukeln und
rütteln ihn, als führten ſie ihn reißend davon und dennoch
kommt er nicht von der Stelle. Aber jetzt entfaltet ſich
das Segel; klug zieht der Steuermann das Ende ſtraff
gegen den ſchief einfallenden Wind; hohnlachend durch-
16*
– 244 –
fliegt nun der Kahn Hügel und Thal und ſchneidet
ſtrafend in ihre weichen Rücken ſeine ſcharfe Spur. Eine
lange Wunde öffnet ſich hinter ihm; aber die unzerſtör-
bare Macht des Meeres hat in der Ferne ſchon die blut-
loſe Wunde geheilt; keine Spur von der Berührung iſt
geblieben; in jungfräulicher Reinheit bewegt ſich wieder
das leichte Spiel der Wellen. Eingehüllt in ihren elaſtiſchen
Flaum fühlt man kein Stoßen und Steuern, wie in jenen
Koloſſen; man ſchaukelt nur, wie fröhliche Kinder, aber
man ſchwindelt nicht. -
Die kahlen Felſen der kleinſten der Prinzeninſeln
hatten wir ſchon hinter uns. Wir ſteuerten einem Vor-
gebirge zu, was den graden Weg nach Mudania ver-
ſperrte. Nach ſo viel Staub in den Straßen Konſtanti-
nopels athmeten wir mit Wonne die reine, feuchte See-
luft. Theodoro holte den Kaffeekeſſel herbei und bereitete
mit kunſtfertiger Hand den vortrefflichen Trank. Die
Vorräthe wurden ausgepackt; die Eier gekocht, der Braten
geſchnitten, die Weinflaſche geöffnet und in griechiſchem
Wein feierten wir die Schönheit des Morgens.
Den Schiffern rieſelte der Schweiß von der Stirn.
Schon vier Stunden hatten ſie ohne Pauſe gerudert.
Zwei waren junge kräftige Männer, Griechen; ihnen ge-
hörte der Kahn. Dennoch ordneten ſie ſich dem dritten
älteren unter, der, als endlich ein leiſer Wind ſich erhob,
das Segel zu ſpannen gebot. Aber der Wind hatte keine
Kraft; bald hing das Segel ſchlaff und von neuem griffen
ſie unverdroſſen zn den Rudern. Als führe das Vorge-
birge gleich uns, wollte es nicht näher kommen. Wir
begriffen nicht, wie wir noch Stunde über Stunde fahren
konnten, da wir doch ſchon jeden Stein am Ufer zu er-
kennen glaubten.
„Die Schiffer wollen am Vorgebirge anlegen,“ ſagte
– 245 –
Theodoro; „dort iſt eine Quelle; es ſoll Waſſer einge-
nommen werden.“ Wir fügten uns gern. An einem
flachen Kiesufer wurde gelandet und der Kahn nach antiker
Heroenart, ans Land gezogen. Die Küſte hob ſich zu
einem ſteilen Abhange; die Schiffer verloren ſich in die
Schlucht zur Quelle. Uns blickten die Kieſel unter dem
Waſſer ſo lockend an, daß die Kleider abgeworfen und ge-
badet wurde. Am Ufer war das Waſſer ſo warm, daß
man erſt ab vom Ufer, in der Tiefe die Kühlung fand.
Die Schläuche waren bald mit Waſſer gefüllt; ein
neuer Wind trieb uns um die Spitze und die Küſte Aſiens
mit dem Olymposgebirge lag vor uns. Jetzt hatte dieſer
Wunderberg ſich ſchon gewandelt: die ſanften blauen
Linien waren verſchwunden, wie ein hohes Rieſenſchloß
mit vollen Zinnen und Thürmen erhob er ſich nun.
Um 5 Uhr Nachmittags waren wir in Mudania. Es
war ein heißer Tag; 11 Stunden lang hatten wir den
brennenden Sonnenſchein ertragen. Mudania ſteht auf
den Karten Kleinaſiens mit großen Buchſtaben eingetragen;
es iſt aber dennoch nur ein elendes Dorf, deſſen einziges
Verdienſt iſt, mit ſeinen Häuſern halb im Meere zu
ſtehen; die Altane ſchweben über dem Waſſer.
Auf ſolchem Altane ſuchten wir die Kühle des Schattens.
Zwei Brüder von antiker griechiſcher Schönheit, die
Eigner des Kaffeehauſes, bedienten uns. Bald kamen unſere
drei Ruderer, nahmen neben uns Platz, und in orien-
taliſch ſicherem Vertrauen auf die Gaſtfreiheit ihrer Herren
genoſſen ſie, was das Haus zu bieten vermochte. Alt und
Jung ſammelten ſich, aber wir hörten keine Frage an die
von der Hauptſtadt kommenden Schiffer; Niemand ver-
langte nach Neuigkeiten und unſere Schiffer ſaßen ſchweig-
ſam, als hätten ſie ihr Dorf nicht verlaſſen.
Um 6 Uhr waren vier Pferde geſattelt; Mäntel, Reiſe-
– 246 –
taſchen und Vorrath wurden thurmhoch auf das geduldige
Pferd des Knechts gepackt und oben auf kletterte er ſelbſt,
als ſtiege er in den Thurm eines Elephanten. Ein
Schimmelhengſt mit Amulet und türkiſchem Sattel ward
mir zu Theil. Wir durchritten prächtige Weingärten mit
Maulbeerbäumen, und auf ſchmalen Richtwegen näherten
wir uns einem kahlen Gebirgskamm. Hinter dieſem war
ſchon die Nacht gekommen; ein ſteiniger ſteiler Pfad führte
hinab; wir ſahen nur undeutlich tiefe Schluchten neben
und vor uns, zwiſchen denen die Pferde ſich hindurch-
winden mußten. Wir ſchauten nach den Sternen und
ließen die Pferde den Weg ſich ſelbſt ſuchen. Nach drei
Stunden einſamen Weges hörten wir das Rauſchen eines
Fluſſes. Wir ſuchten in der Dunkelheit nach einer Brücke,
aber die Pferde ſpotteten unſerer civiliſirten Sitten und
führten uns quer durch eine Furth ſicheren Schritts zum
jenſeitigen Ufer. -
Hier wurde geraſtet. Wenn ich ſeitdem an Aſien denke,
ſo iſt es nicht Smyrna, nicht der Olymp, nicht Skutari,
ſondern dieſe Stelle, die mir vor die Seele tritt. Es war
eine Nacht, wie man ſie nur in Aſien hat. Die Luft
trocken und warm, der Himmel ſchwarzer Sammet; der
Mond ging eben auf, aber die Sterne glänzten noch in
voller Pracht bis zu dem Saum des Geſichtskreiſes. Ein
Zelt ſtand hart am Fluß, in dem ein Türke Land und
Straße zu bewachen und zu ſchützen hatte.
Wir ſtiegen ab und ließen die Pferde ungefeſſelt, nach
abgenommenen Zäumen, im Graſe weiden. Der Türke
breitete eine Strohmatte auf den Boden und dort, er-
ſchöpft von dem Kauern im Kaik, von dem Reiten auf
den harten Sätteln, lagerten wir, Arme und Beine und
Kopf ausgeſtreckt, ſo weit die Muskeln reichen wollten,
den rauſchenden Fluß neben uns, den Sternenhimmel über
– 247 –
uns. In ſolchen Nächten liegt der Zauber des Reiſens
im Orient. Man ſpricht nicht, man denkt auch wenig,
aber man fühlt, daß man lebt, daß Geſundheit in allen
Adern ſtrömt, und daß die Nerven ſich langſam wieder
ſpannen zu neuer Kraft für den morgenden Tag. Tiefe
Ruhe lag um uns und in uns. Der Türke brachte gaſt-
frei den Kaffee, Diener und Knecht lagerten neben uns,
und von der Wieſe her hörten wir das Graſen der Pferde.
Mit offener Bruſt empfingen wir den Nachtwind, er kühlte
aber erkältete nicht.
Es war erſt die Hälfte des fünf Meilen langen We-
ges, aber die Nacht war ſo ſchön, daß wir den Zeitlauf
nicht bemerkten. Ueber Höhen und Wieſen ging es wei-
ter, und gegen Mitternacht ſahen wir die ſteilen Abhänge,
an denen Bruſſa liegt, dunkel vor uns. Das Rauſchen
der Waldbäche, die wir zu durchreiten hatten, die hohen
Bäume mit den üppigſten Kronen waren die Anzeichen
des nahenden Hochgebirges. Einzelne Häuſer kamen aus
dem dunkeln Dickicht zum Vorſchein, die Straße hob ſich
ſteil, ein ſchlechtes Pflaſter begann, und wir hielten vor
der Locanda des Giuſeppe, der uns ſchon in Conſtantino-
pel empfohlen worden war.
Es war ein Italiener, aber von der beſten Art. Mit
Handel und Gaſtwirthſchaft hatte er ſich ſchon ein hübſches
Vermögen erworben. Sein Gaſthof hatte Das, was mir
das liebſte iſt, nicht merken zu laſſen, daß man im Gaſt-
hof iſt. Keine numerirten Zimmer, keine Marqueure,
kein Rennen und läſtiges Bedienen: einen gemüthlichen
Wirth, mit dem man ißt, was er hat, und eine hübſche
Wirthin, die Einen pflegt, wie ihr Kind. Man gab uns
reinliche Betten, öffnete die Fenſter hinter den wehenden
Vorhängen, und in der Kühlung ſchliefen wir bis ſpät in
den Morgen.
-wºv--.-.-.-."»----------------
XXLII.
Bruſſa. Aaly Paſcha.
Wir ſchlugen die Vorhänge zurück. Das Zimmer lag
nach Mitternacht, ſo daß die Gegend all die Fülle des
Lichts auf uns zurückwarf, die die Sonne hinter uns über
ſie ausgoß. Obgleich ſchon ſehr verwöhnt, waren wir
dennoch über die Schönheit der Landſchaft überraſcht. Der
Gaſthof lag hoch, und wir wohnten im zweiten Stock.
Das weite Thal vor uns war ein breiter meilenlanger
Weingarten mit glänzendem Grün, dahinter ſchloß eine
hohe Bergwand die Ausſicht; links erkannten wir die Hö-
hen und Flächen, über die wir von Mudania gekommen
waren; aber rechts lag die Krone des Ganzen, Bruſſa
mit ſeinen 8000 Häuſern und 700 Minarets mitten in
dem üppigſten Grün der Weinreben und Maulbeerbäume,
als wäre die große Stadt in einen Garten gebaut. Noch
weiter rechts ſtieg eine ſteile Bergwand in die Höhe, und
auf einem Vorſprung nahe bei uns lagen die Ruinen eines
alten Kaſtells, deſſen Mauern in den Felſen verliefen. Eine
Pappel vor uns im Thale gab Zeugniß von der Frucht-
barkeit dieſes Landes, wenn das Waſſer ihm zu Hülfe
kommt. Wir waren einen ſteilen Abhang hinangeritten
– 249 –
und wohnten hoch im Hauſe, aber die Krone dieſer Pappel
ragte noch immer über uns hinaus.
Bruſſa war vor der Eroberung Conſtantinopels die
Reſidenz der Sultane. Daher noch ſein Reichthum an
Moſcheen und Grabmälern. Aber es hat ſich auch ſpäter
zu erhalten gewußt; hier wird die feinſte Seide gezogen,
und die Seidenwaaren Bruſſas ſind die geſuchteſten in
Conſtantinopel. Wir ſahen in dem Bazar Kleider von dem
feinſten Mousselin de soie, für die man nur 8 bis 9 Tha-
ler forderte. Wir kauften aus Patriotismus von einem
Oeſtreicher, der hierher verſchlagen worden war, rohſeidene
Tücher, die bei den ſachverſtändigen Frauen der Heimath
großen Beifall gefunden haben. Die Stadt, obgleich
60,000 Menſchen drin wohnen, bietet nichts Eigenthüm-
liches; es wäre denn der vortreffliche Sorbet, den man
auf allen Straßen feilbietet.
Auf einem bretternen Tiſch ſteht ein großer Keſſel mit
Waſſer und ausgepreßtem Roſinenſaft. Ein Brettdach
ſchützt vor der Sonne und darunter hängt über dem Keſſel
an einen Haken ein großer Klumpen Eis, vom Olymp
in der Nacht geholt. Sowie ein Kunde ſich meldet, kratzt
der Verkäufer Schnee und Eis von dem Klumpen in das
Glas, füllt es mit dem Saft aus dem Keſſel und ſpritzt
einen Tropfen Roſenwaſſer dazu. Der Geſchmack iſt für
den Anfang nicht ausgezeichnet; aber mit jedem Glaſe
mehr lernt man dies Getränk ſchätzen; es iſt labend, küh-
lend und geſund; ſelbſt vom Gehen erhitzt, kann man es
trinken; das Oel der Smyrnaer Roſinen nimmt dem
Waſſer die ſchädliche Kraft.
Unſer Dragoman, den wir mit dem Briefe des Ge-
ſandten zu dem Gouverneur geſchickt hatten, kam erſt ſpät
mit der Nachricht zurück, daß Aaly Paſcha um 8 Uhr in
den Harem gehe und vor 11 Uhr weder Briefe noch Per-
– 250 –
ſonen annehme. Er habe deshalb warten müſſen. Um
1 Uhr würde der Paſcha uns empfangen. Wir waren
zur beſtimmten Stunde dort. Ein Trupp von 300 tür-
kiſchen Rekruten kam mit uns vor ſein Palais gezogen.
Es waren alles kräftige abgehärtete Menſchen; eine leichte
baumwollene Jacke und Hoſen, ein Turban und ein Beutel
mit einem Stück Brot, war Alles, was ſie auf dem Marſch
gehabt hatten. Wir ſahen keine finſteren, traurigen Mie-
nen, wie bei unſeren Rekruten ehe ſie eingekleidet ſind.
Nur Einer trug beide Arme vor ſich in den Klotz ge-
ſchloſſen.
Aaly Paſcha, früher türkiſcher Geſandter in London,
jetzt Gouverneur einer der wichtigſten Provinzen Klein-
Aſiens, war der erſte vornehme Türke, den wir kennen
lernen ſollten. Im Vorſaale ſtanden viele Bittſteller, und
eine Menge von Dienern. Als wir kamen, trat Alles
ehrerbietig zurück; die Diener führten uns in ein Cabinet,
wo Aaly Paſcha uns empfing und in ein größeres Zimmer
führte, das in türkiſcher Weiſe viel Fenſtern, einen Divan
ringsum, und ſtatt Teppiche Strohmatten auf dem Bo-
den hatte. Zwei Stühle von Mahagoni bildeten das ein-
zige Meublement. Die Wände waren mit Kalkfarbe an-
geſtrichen, der Divan mit gewöhnlichem Kattun überzogen.
Der Paſcha ſprang behend auf den Divan und ſchlug
die Beine unter; wir konnten ihm darin nicht folgen und
nahmen in der weniger behenden europäiſchen Weiſe Platz.
Da er ſchwieg, mußten wir beginnen. – Wir wünſchten
die Merkwürdigkeiten dieſer Stadt zu ſehen. – Mit Ver-
gnügen werde ich Ihnen einen Kavaß (Polizeidiener) mit-
geben, in deſſen Begleitung Ihnen alles offen ſteht. –
Für heute danken wir, wir wollen noch heute Abend nach
dem Olymp, aber morgen werden wir um einen ſolchen
bitten. – Sie werden es auf dem Olymp ſehr kalt fin-
– 251 –
den; es iſt nichts als Fels oben, nicht einmal Gras.
wächſt da. Am Tage iſt es heiß, die Nacht ſehr kalt;
in den Felſenſchluchten liegt ewiger Schnee. – Wiſſen
Sie, wie hoch der Olymp iſt? – Nein; aber in einem
großen Buche, das ich beſitze, wird es ſtehen. – Die
Gegend um Bruſa iſt ſehr ſchön. – Ja, dabei ſehr
fruchtbar.
Wir hielten inne; vielleicht, hofften wir, wird der
Paſcha das Geſpräch nach einem intereſſanteren Stoffe
wenden. Da er ſchwieg, ſo begannen wir von Neuem:
Wir ſtören doch nicht; wir haben eben vor der Thüre
Leute aufmarſchiren ſehen; Sie wollen vielleicht die Revue
abnehmen? – Nein; es ſind Rekruten; es iſt ſchon ab-
gemacht. Dabei rutſchte er auf dem Divan nach dem
Fenſter, winkte hinunter; und von unten erhob ſich ein
lautes Geſchrei. – Was bedeutet dies, Excellenz? –
Ich habe den Leuten gewinkt, daß ſie abgefertigt ſeien;
ſie bringen jetzt dem Sultan ein Lebehoch. Wir haben
in der Türkei jetzt ganz Ihr preußiſches Militair-Syſtem.
Die Männer von dem 20ſten bis 30ſten Jahr ſind dienſt-
pflichtig; die Rekruten werden durch das Loos aus ihnen
gewählt und haben eine fünfjährige Dienſtzeit; dann ge-
hören ſie achtzehn Jahre zur Landwehr und müſſen jedes
Jahr einen Monat Dienſt thun. – – Einer dieſer Re-
kruten iſt an den Händen geſchloſſen, was bedeutet dies?
– Es wird ein Deſerteur ſein; ſie kommen weit aus dem
Innern des Landes. – Die Türkei ſcheint uns noch eine
große Zukunft zu haben, nach dem wenigen ſchon, was
wir geſehen haben. – Die Leute bei uns ſind gut; man
ſollte uns nur Ruhe laſſen. Welcher Unterſchied
war vor 15 Jahren gegen jetzt; wenn ſie vor 15 Jahren
gekommen wären, wie ganz anders würden ſie Alles noch
gefunden haben. – Dies war ein Grund, weshalb wir
– 252 –
wenigſtens jetzt gekommen ſind, wir fürchteten, wenn wir
noch zehn Jahr länger warteten, dann gar nichts mehr
von der alten Türkei zu finden. – Ja ja! rief er lachend,
es iſt ſchon Alles europäiſirt. –
Da er ſchwieg, ſo mußten wir den Faden wieder auf-
nehmen. – Sind Ew. Excellenz ſchon lange in Bruſſa?
– Drei Monat erſt. – Sie waren früher Geſandter in
Paris? – Nein, in London, drei Jahre. – Dann ſprechen
Sie vielleicht lieber engliſch? – Nein, ich verſtehe es nur
ein wenig im Leſen; das Sprechen iſt zu ſchwer. – Seit
drei Wochen ſind wir ohne alle politiſchen Nachrichten,
Ew. Excellenz wiſſen vielleicht etwas vom Kriegsſchauplatze?
– Es iſt wohl nichts paſſirt; ich habe nichts erfahren.
Man glaubt, die vereinigte Flotte wird noch etwas unter-
nehmen. Aber was wird Deutſchland thun? – Wir
können zunächſt nur von Preußen ſprechen. Wir glauben
nicht, daß Preußen je ernſtlich Krieg gegen Rußland füh-
ren wird; aber es iſt möglich, daß man den Intereſſen
des Landes ſo weit nachgiebt, um indirect den Alliirten
zu helfen. Die ſtets vorherrſchende Tendenz wird eben
bleiben, den Frieden zu vermitteln, und das energiſche
Handeln der Andern auf beiden Seiten zu hemmen. –
Aber was glauben Sie von Oeſterreich? – Die Inter-
eſſen dieſes Landes ſind dringender und werden zu einem
kräftigen Handeln treiben. – – Wir wünſchen, den Für-
ſten Abd-el-Kader zu ſehen. Wie befindet er ſich hier? –
Er hat ſich ein Landgut bei der Stadt gekauft, was er
ſelbſt bewirthſchaftet. Er hat 100 Araber aus Afrika mit
ſich. Er iſt ſehr gottesfürchtig, fromm und betet des Ta-
ges viel. Ich werde ſorgen, daß Ihr Wunſch erfüllt
wird. Schicken Sie nur auf Ihrer Rückkehr vom Olymp
wieder zu mir. Soll ich Ihnen vielleicht für Ihre Be-
ſteigung des Olymp einen Kavaß mitgeben? – Wir dan-
– 253 –
ken, wir ſind unſrer vier, das wird wohl genügen. Sehen
Sie Abd-el-Kader zuweilen? – Ja, er kommt mitunter
zu mir; gegenwärtig iſt er in der Stadt. –
Bald nach unſerem Eintreten kamen drei Diener mit
Kaffee in Porzellan mit ſilbernen Unterſchalen und mit
langen Pfeifen. Sie präſentirten uns, dann dem Paſcha.
Die Pfeifen wurden mit einem beſonderen Ceremoniel
überreicht. Jeder Diener hatte die Pfeife ſelbſt angeraucht,
ſo wie er dem Gaſt gegenüber ſtand, nahm er die Pfeife
aus dem Mund, maß mit den Augen die Entfernung,
ſtellte danach zuerſt den Kopf der Pfeife auf den Boden,
dann ſchwenkte er die Pfeife, und ſo genau hatte Jeder
gemeſſen, daß die Spitze, ohne uns zu rühren, gerade in
den Mund uns reichte. Die Bernſteinſpitze war reich mit
Brillanten beſetzt, und ſo wie wir ſie in den Mund ge-
nommen, ſchoben die Diener vorſichtig einen vergoldeten
Teller unter die Köpfe zum Schutz gegen die Funken, und
entfernten ſich wieder mit feierlichem Schritte.
Nach einer halben Stunde empfahlen wir uns; der
Paſcha ſprang vom Divan und begleitete uns höflich bis
an die Thür. Er war noch ein junger Mann von kaum
mittlerer Größe. Das Geſicht war blaß und zeigte, wie
bei allen vornehmeren Türken, die Spuren körperlicher
Erſchöpfung. In ſeinem Weſen lag viel Verlegenes; keine
Spur von dem, was man ſich in Europa unter einem
türkiſchen Paſcha vorſtellt. Er ſprach das Franzöſiſche
nur gebrochen, und es ſchien uns, als wenn ſein Aufent-
halt in Europa gerade nur hingereicht, das türkiſche We-
ſen in ihm zu zerſtören, ohne das Weſen feinerer euro-
päiſcher Bildung an deſſen Stelle zu ſetzen. Wir waren
ihm verpflichtet für ſeine große Artigkeit, allein wir hatten
mehr geſucht, wir hatten gehofft, er werde die Gelegenheit
benutzen, tiefer in Fragen einzugehen und Nachrichten zu
– 254 –
ſammeln, die die Türkei ſo ſehr intereſſiren. Statt deſſen
ließ er uns den Faden der Unterhaltung, und jeder Stoff,
den wir hervorholten, war bei ſeiner Weiſe zu antworten
bald erſchöpft. Unwillkürlich erinnerte uns ſein Weſen an
den Sultan, und es ward uns ſchwer, das Urtheil des
Geſandten in Conſtantinopel über ihn mit dem Erlebten
zu vereinigen.
Bruſſa iſt ein lebhafter Ort und treibt einen ſtarken
Handel mit Seide, Weizen, Oel und Wein. Die Wein-
trauben fingen eben an reif zu werden. Die Stadt war
ſo ſchmutzig wie Conſtantinopel, ſie hat auch ihre Hunde
wie dort, aber Aaly Paſcha hat ſeit ſeiner Ankunft den
Hauseigenthümern bei Strafe der Baſtonade das Kehren
der Straßen anbefohlen, dies hatte wenigſtens gegen das
Schlimmſte ſchon geholfen. Wir trafen hier viel Juden,
die ihr beſonderes Viertel haben. Aus der Umgegend
kamen Waſſermelonen und Trauben, in großen Körben
auf Pferde geladen, in die Stadt; auf ſolchem Pferde
ſitzen neben ſeiner Laſt noch der Treiber mit ſeinem Jun-
gen, auch begegneten wir mehreren türkiſchen Weibern zu
Pferde, mit dem Mantel und Schleier, wie immer, nach
Art der Männer reitend, da ſie Hoſen tragen. In ihren
Körben am Ende ſtecken zwei Kinder, und ein drittes hal-
ten ſie vor ſich.
In unſerm Gaſthof fanden wir bei Tiſch einen Eng-
länder mit ſeiner Frau. Er war ein engliſcher höherer
Militairbeamter, der, wie wir ſpäter erfuhren, den Auf-
trag hatte, die Küſten Kleinaſiens im Auftrage ſeines Lan-
des militäriſch zu unterſuchen, namentlich einen paſſenden
Ort zu einem großen Hoſpital für die Reconvalescenten
der engliſchen Armee zu ermitteln. Er lebte bereits drei
Wochen in Bruſſa und hatte geologiſche und meteorolo-
giſche Beobachtungen zu ſeinen Zwecken angeſtellt. Er
hatte die Lage und die Luft von Bruſſa vorzüglich dafür
– 255 –
geeignet gefunden und wollte in wenig Tagen nach den
Prinzeninſeln, um da ſeine Unterſuchungen fortzuſetzen.
Er hatte das Frühjahr in Syrien zugebracht, ſeine Frau
hatte ihn überall begleitet.
Ich richtete, nachdem er mich vorgeſtellt hatte, einige
Worte an ſeine Frau, bekam aber nur kurze, einſilbige
Antworten. – Wie haben Sie Ihre Zeit hier zugebracht,
drei Wochen lang mitten unter den Türken? – Wir ſind
viel ſpazieren gegangen, ſagte er. – Aber damit muß man
bei dieſer glühenden Hitze ſchon um 9 Uhr Morgens ſchlie-
ßen, und vor Abends 6 Uhr kann man den Fuß nicht
wieder aus dem Hauſe ſetzen. Sie haben vielleicht Bücher
mit ſich. – Nein, ſagte ſie. – Ich bitte um Verzeihung;
eins habe ich heute früh geſehen, und nach den Spitzen,
die als Leſezeichen hineingelegt waren, muß es Ihnen ge-
hört haben; die Bibel. – Ju, Sie haben Recht. – Sie
ſchreiben vielleicht? – Nein. – Sie ſingen, Sie muſi-
ciren? – Nein. – Sie unterhalten ſich mit dem Wirth
und ſeiner Frau? es ſind freundliche, geſellige Leute. –
Nein; ich ſpreche kein Italieniſch, nur Engliſch, das ver-
ſteht hier Niemand. – Leider, bemerkte der Mann, haben
wir auch unſere Spaziergänge ſehr beſchränken müſſen.
Wenn wir in die Nähe von Knaben kamen, warfen dieſe
oft mit Steinen nach uns; obgleich erwachſene Türken in
der Nähe waren, ſo ließen ſie es dennoch zu. Mehrmals
ſtanden die Knaben auf den Höhen und warfen mit Stei-
nen wie eine Fauſt groß. – Er hatte kaum ausgeſprochen,
als durch das offene Fenſter ein Stein in unſer Eßzim-
mer geflogen kam. Wir riefen den Giuſeppe, und er machte
ſich auf die Jagd nach einem Haufen türkiſcher Jungen,
ohne einen erwiſchen zu können. Bei näherer Unterſuchung
fand ſich indeß, daß der fragliche Stein nur ein großer
Pfirſichkern war. -
v----------------------------------
XXIV.
Die Beſteigung des Olymp.
Nach Tiſch, 4 Uhr, wollten wir uns aufmachen nach
dem Olymp. Der Wirth war mit unſerm Dragoman
nach Pferden gegangen, aber wir warteten noch auf ihn,
als es ſchon 5 Uhr ſchlug.
Der Olymp iſt die höchſte Spitze eines Gebirges, das
in paralleler Richtung mit dem Bosporus und den Dar-
danellen ſtreicht, und wahrſcheinlich derſelben Granithebung
ſeinen Urſprung verdankt, deren ſpäteres theilweiſes Zu-
ſammenbrechen den Bosporus und die Dardanellen geſchaf-
fen hat. Das ſchleſiſche Rieſengebirge ähnelt im Kleinen
dem Olymp. So wie dort zieht ſich das Olymposgebirge
in einem langen wagerechten Kamm fort, von dem Sei-
tenthäler abfallen, und auf dem die höchſte Spitze, wie
bei der Rieſenkoppe, als koloſſaler Hügel aufgeſetzt iſt.
Andere niedere Gebirgskämme laufen wie dort parallel
mit dem Hauptkamm und durchziehn den ganzen nördlichen
Theil Kleinaſiens. Nächſt den Gebirgen des Kaukaſus iſt
das Olymposgebirge das höchſte in Kleinaſien. Obgleich
unter dem 40ſten Breitegrade, alſo ſüdlicher wie Neapel
– 257 –
gelegen, hat es ausgedehnte Felder ewigen Schnees und
die hohen Kegel ragen noch an 2000 Fuß über dieſe Schnee-
linien hinaus. Die Höhe der Spitzen muß deshalb be-
deutend ſein. Wir konnten nirgends eine beſtimmte Aus-
kunft über die Höhe des Olymp erlangen. Die untere
Gränze des ewigen Schnees iſt beim Aetna 9000 Fuß.
Der Aetna liegt zwar zwei Grad ſüdlicher als der Olymp,
allein jener iſt vom Meere umgeben, dieſer von dem hei-
ßen Continent Aſiens; deshalb mag die Schneegränze für
beide dieſelbe ſein. Die Schneefelder ziehen ſich bei dem
Olymp an 1000 Fuß hoch, und darüber geht der kahle
Steinkegel noch an 2000 Fuß hinaus. Dies giebt eine
Höhe von 12000 Fuß. Als wir zurückkamen, verſicherte
uns ein belgiſcher Ingenieur im Dienſte des früheren
Großveziers Ali Paſcha, daß die Höhe Bruſſa's und des
Olymp kürzlich trigonometriſch gemeſſen worden ſei, ſie
habe für Bruſſa 550 Meter und für den Olymp 4400
Meter über das Marmorameer ergeben. Dies wäre eine
Höhe von 13,500 Fuß für den Olymp, alſo nur 200 Fuß
niedriger als das Finſteranhorn, die höchſte Spitze der
Berner Alpen, und um 1300 Fuß niedriger als der
Montblanc, aber 400 Fuß höher wie die Jungfrau. Uns
ſchien dieſe Angabe zu hoch, aber eine Höhe von 11 bis
12,000 Fuß mag richtig ſein. Von Conſtantinopel, 15
Meilen fern, zeigt ſich der Olymp ſo hoch als die Berner
Hochalpen vom Uetli bei Zürich, der nur 12 Meilen
fern iſt. -
Das Hochgebirge iſt völlig unbewohnt. Im Sommer
halten ſich einige Schaafhirten mit ihren Heerden auf dem
Kamme auf. Wegen des ſtarken Bedarfs an Schnee und
Eis giebt es aber einen betretenen Weg nach den Schnee-
feldern. Auch ſagte man uns, daß auf der Höhe des
Kammes wir eine ſteinerne Hütte finden würden, in der
17
– 258 –
man Schutz vor dem Winde fände und einige Stunden
der Nacht ſchlafen könnte. Unſer Plan war, dieſen Abend
bis nach dieſer Hütte zu reiten und den Morgen zeitig
von dort aufzubrechen, um die Sonne auf dem Gipfel
aufgehn zu ſehen. -
Wir hörten endlich das Getrappel der vier Pferde.
Mit Mühe hatte der Wirth ſie erlangen können, die beſ-
ſern waren alle nach Mudania gegangen, wo morgen
das Dampfſchiff von Conſtantinopel landete. So blieben
für uns nur vier erbärmliche Thiere, die den Tag über
ſchon gelaufen waren, und nun uns in der Nacht dieſe
ſteilen Berge hinauftragen ſollten. Aber hier half kein
Zögern. Wir wählten die beſten für uns, das ſchlechteſte
ward mit den Mänteln, Teppichen und Mundvorrath ſo
bepackt, daß wir ſelbſt den Nachtſack zurücklaſſen mußten.
Der Gouverneur hatte uns zur Vorſicht noch einen Ka-
vaß mitgeſandt, und die Karavane zog davon.
Voran Muſtapha, ein alter türkiſcher Pferdeknecht, als
Führer und Leiter des Packpferdes. Hinter ihm der
Kavaß in der alttürkiſchen Kleidung der niedern Stände.
Einen Turban, ein baumwollenes Hemd, was in weite
kurze Hoſen auslief, darüber einen rothen Spenſer mit
offenen Aermeln und rothe Schuhe ohne Strümpfe. In
einem als Gürtel umgewundenen Shawl ſtaken zwei ge-
ladene Piſtolen, ein Tabaksbeutel und ein kurzer dolch-
artiger Säbel in ſchwarzer, mit Silber beſchlagener Scheide.
Er ging zu Fuß, ohne Stock, die Hände ſtets auf dem
Rücken und darin ſeine lange türkiſche Pfeife haltend.
Wir ſchätzten ihn 60 Jahr alt. Ihm folgten wir und
den Schluß machte Theodoro, alle drei zu Pferde.
Der Weg zog ſich hinter der Stadt durch die Cypreſſen
eines langen Kirchhofes. Endlich hatten wir die Stadt
hinter uns und der Pfad hob ſich nun ſchnell eine über-
– 259 –
aus ſteile Bergwand hinan. Obgleich im Zickzack ſich
windend, war dieſer Weg doch ſo ſteil, daß wir oft an
den Mähnen unſerer Pferde uns halten mußten, um
nicht hinten herunter zu rutſchen. Wir bewunderten das
Geſchick der Pferde, dieſen ſteilen Pfad hinanzuklettern.
Mehrmals waren wir im Begriff abzuſteigen; wir hielten
es nicht für möglich, daß die Pferde uns hinaufbringen
würden; aber der Kavaß winkte gelaſſen, wir ſollten ſitzen
bleiben, und die Sonne brannte ſelbſt nach 6 Uhr in
dieſen Steinwänden noch ſo heiß, daß ein Fall der Pferde
uns erträglicher erſchien, als das eigene Hinanklettern in
der Gluth. Der Weg war betreten, aber er beſtand nur
in einem ſchmalen Saumpfad, der bald mit kleinem Ge-
röll ausgefüllt, den Pferden den feſten Tritt unmöglich
machte, bald treppenartig über die Felsſtücke hinaufging, wo
die Pferde mit ihren glatten Eiſen nicht aus dem Rut-
ſchen kamen. Kurz, der Weg nach dem Rigi iſt an ſeinen
ſchlechteſten Stellen glattes Parkett gegen den auf dem
Olymp. -
Wir verſuchten anfänglich, die Pferde am Zügel zu
leiten, allein es zeigte ſich dies bald als eine nur hinder-
liche Zugabe für dieſe Thiere. Sie kannten den Weg
beſſer als wir und benutzten, ſich ſelbſt überlaſſen, jeden
Abſatz, jeden leiſer anſteigenden Abweg, mit mehr Geſchick,
als wir es ihnen hätten zeigen können. Sehr zufrieden
mit dieſer Theilung der Arbeit, übernahmen wir dafür
das Schauen in die Ferne. Das große Bruſſa mit ſeinen
Moſcheen und Minarets und Gärten lag bei der Steile
der Bergwand, die wir hinaufkrochen, ſenkrecht unter uns;
wir hätten in die Moſcheen durch ihre Kuppeln ſehen
können, wenn ſie offen geweſen.
Nach zweiſtündigem Steigen hatten wir die Höhe dieſer
furchtbaren Bergwand erreicht; wir kamen auf einen weichen
17
– 260 –
Raſen, der ſich langſam hob und von Hunderten von
Quellen berieſelt wurde. Hier änderte ſich der Pflanzen-
wuchs. Im Thale bei Bruſſa herrſchten der Maulbeer-
baum, der Weinſtock, die Cypreſſe, der Feigenbaum. Wo
die Steinwand ein Plätzchen gelaſſen, hatte der letztere
uns begleitet, aber immer ſpärlicher. Hier auf dem erſten
Plateau ſahen wir die heimathlichen Wälder wieder,
mächtige Eichen und Buchen.
Die Sonne war ſchon untergegangen und das dichte
Laub des Waldes, was uns umgab, machte die Dämme-
rung dunkler. Hatten wir auch Anfangs uns dicht bei-
ſammen gehalten, ſo weiß man doch, wie auf ſolchen
langen ſchaurigen Wegen die Geſellſchaft ſich ſpäter zer-
ſtreut. Das eine Pferd geht ſchneller; man hält an, um
den Anblick der Landſchaft ruhiger zu genießen; ein Zweig
bleibt in den Kleidern hängen und man ſucht ſich mit
möglichſt wenig Schaden los zu machen. Oft ſchien in
dem düſtern Zwielicht der Weg ſich zu theilen; der Führer
war ſchon voraus; man ſtockte und horchte, von wo das
Getrampel der vorderen Pferde ſchallte. Bald ſahen wir
nur noch das nächſte. Wir banden die Hüte feſt, damit
die Baumzweige, durch die wir uns oft bückend winden
mußten, ſie uns nicht vom Kopfe riſſen. Es ſchien uns,
als ritten wir hart an einem furchtbaren Abgrund zur
Rechten, deſſen Tiefe gar nicht zu ermeſſen war. Gleich
dem Rieſengrund an der Schneekoppe, oder der Marien-
wand beim Rhonegletſcher fiel die Bergwand ſteil ab in
eine grenzenloſe Tiefe; doch deckte ein leichtes Strauch-
werk den Abhang. Wenn der Weg ſich bog, ragte der
Kopf des Pferdes ſchon über den Abhang; unwillkürlich
ſuchten wir in der Dunkelheit nach dem Zügel, um es
vom Abgrund abzulenken. Als hätten die Pferde uns
peinigen wollen, wählten ſie immer den äußerſten Rand;
– 261 –
ſie ſahen freilich beſſer als wir, daß da der Weg noch
am beſten war. Baumwurzeln zogen ſich quer über den
Weg; mit abgemeſſenem, taktartigem Schritt ſetzten die Pferde
die Beine in die ausgetretenen Löcher dazwiſchen und
brachten ihre beſorgten Reiter auch glücklich hinüber.
Der Kavaß begann ſeine vortrefflichen Eigenſchaften,
ſeine Ausdauer, ſeine Gelenkigkeit, ſeine Dienſtfertigkeit
zu entwickeln. Wer ſich zu weit zurück glaubte, wer über
den Weg zweifelhaft war, fing an zu rufen. Der dunkle
Wald tönte von den deutſchen und türkiſchen Zurufen
und Antworten und wo dies nicht ausreichte, eilte der
Kavaß zurück, dem Verirrten zur Hülfe.
Gegen 9 Uhr fing es an lichter zu werden. Der
Mond mußte im Aufgehen ſein. Wir ſtiegen vom Abend
aus in die Höhe; ſo blieb uns ſeine Scheibe von den
ſchwarzen Bergmaſſen vor uns verdeckt; aber ein matter
Schein, von dem feinen Dunſt der Luft zurückgeworfen,
half uns, den Weg zu finden.
In einer Lichtung, wo der Pfad von neuem ſteiler ſich
heben wollte, machte der Führer Halt. Die erſchöpften
Pferde ſollten eine halbe Stunde ruhen. Wir ſtiegen ab
und halfen die braven Thiere pflegen und tränken; Futter
mußten ſie ſich ſelbſt ſuchen. Wir glaubten, im Vater-
lande zu ſein. Deutſche Eichen, deutſche Buchen und ein
deutſcher kühler Abend. Wir mußten nach unſerer Mei-
nung ſchon 4000 Fuß von Bruſſa abgeſtiegen ſein. Der
Kavaß ſetzte ſich auf ſeine Füße und zündete ſich ſeine
Pfeife an. Der Führer ſah nach dem Gepäck; wir legten
uns an eine Eiche und ſchauten in das Dunkel des Wal-
des, was von tauſend Johanniswürmchen flimmend durch-
flogen und durchkrochen wurde. Der Jupiter, der, ſeit ich
das Schiff verlaſſen, wieder meine Gunſt erworben hatte,
leuchtete, als wolle er den Mond uns erſetzen.
– 262 –
Die Minuten der Ruhe waren ſchnell verfloſſen, aber
dennoch merkten wir an dieſen ſtählernen Thieren, die
uns trugen, daß die Ruhe ihnen friſche Kraft gegeben.
Sie war nöthig; es ging von neuem ſteil, beinahe ſteiler,
wie früher, eine Wand in die Höhe. Das Laubholz ver-
lor ſich; ſchwarze Tannen und Fichten drängten ſich da-
zwiſchen und bald merkten wir an dem glatten, mit Na-
deln beſtreuten Boden, daß wir die Region des Nadel-
holzes erreicht hatten.
– Noch eine halbe Stunde, ſagte Theodoro, und wir
ſind auf dem Kamm des Hochgebirges. Aber, wie Mu-
ſtapha mir erzählte, ſoll die Steinhütte, der Platz für
unſer Nachtlager, zerſtört ſein. Wir finden dort keinen
Schutz mehr. Er meint, daß wir auf der Höhe im Walde
einen Platz uns ſuchen, wo wir, gegen den Wind geſchützt,
unſer Lager aufſchlagen können. – Der Kavaß, um Rath
befragt, trat bei.
Nach 10 Uhr waren wir auf der Hochebene; der Weg
wurde nun beinahe eben; der Mond leuchtete nun mit
einem blendenden, beinahe brennenden Schein vom ſchwarzen
Gewölbe des Himmels, aber ein heftiger Nordwind blies
unbarmherzig auf uns ein. Der Wald wurde dünner
und gewährte nur noch wenig Schutz. Die Hochebene
war mit ungeheuren Felsblöcken überſäet, zwiſchen denen
wir die immer mehr ſich verlierenden Spuren eines Fuß-
weges verfolgten. -
Noch war von dem Olymp nichts zu ſehen. Vorberge,
die ſich von dem Kamm vor uns hoben, deckten ihn. Wir
frugen nach dem Wald, wo wir raſten wollten, denn wo
wir ritten, wurden die Bäume immer dünner. Muſtapha
ſchien ſelbſt nicht ſicher hierüber; es war keine feſte Ant-
wort von ihm zu erlangen. Die Steinfläche breitete ſich
nach allen Seiten aus; nur der bleiche Nebel in der Ferne
– 263 –
deutete an, daß ſie weiterhin plötzlich nach der Tiefe ab-
fallen und bei Tage eine unbegrenzte Ausſicht in das Tief-
land gewähren müſſe.
Das Rauſchen eines Stromes, dem wir uns näherten,
ſchien dem Führer wieder Sicherheit zu geben. Wir
mußten ihm folgen die ſteilen Abhänge des Ufers hinab
und durch das mit Felsblöcken beſäete Bett des Stromes
an das jenſeitige Ufer. Hier wollte er ſich rechts wenden
nach einer Waldung, die in der Höhe dunkel zu liegen
ſchien. Plötzlich als wir um einen Felsblock herum kamen,
loderte an tauſend Schritt von uns nach jenem Walde zu
ein mächtiges Feuer auf und Männer ſchienen davor zu
ſtehen und zu gehen. Selbſt unſere Türken wußten nicht,
wer das ſein könne. Ein Weg führte nicht zu dieſem
Feuer und die Hirten konnten nicht in ſo großer Zahl
beiſammen ſein, auch hörte man kein Hundegebell, wären
es Schäfer geweſen. Unſer Theodoro erklärte die Geſell-
ſchaft ſofort für eine Räuberbande; uns ſchien dies aber
lächerlich, denn wen ſollten ſie in dieſer Felſenöde be-
rauben wollen? und für das flache Land hätten ſie be-
quemere Nachtlager im Walde an der Tiefe gehabt.
Unſer Kavaß hatte denn auch kein Bedenken, ſammt
und ſonders die Richtung nach dem Feuer zu nehmen.
Es geſchah aber durchaus nicht mit militairiſcher Vorſicht.
Anſtatt in geſchloſſener Reihe entgegenzurücken, trieb das
Felsbett des Waldbaches, durch den wir zurück mußten,
die Pferde auseinander; jedes ſuchte ſich die wenigſt ge-
fährliche Furth und über die Gefahr des Weges vergaßen
wir die Gefahr am Feuer.
Und es waren auch gutmüthige Türken. Um ein hoch-
loderndes Feuer, was mit hundertjährigen vom Winde
umgeworfenen Baumſtämmen genährt wurde, lagen eine
Reihe kräftige Geſtalten, in weiße wollene Mäntel gehüllt.
– 264 –
Andere lagen in einem Zelt, was neben dem Feuer auf-
geſchlagen war. Gegenüber war eine Laube von Tannen-
zweigen errichtet; auch da ſchienen welche zu liegen. Es
waren ihrer Zwölf, angeblich aus Bruſſa; was ſie eigent-
lich trieben, weiß ich bis heute nicht beſtimmt. Nach
unſeres Dragomanes Angaben lagerten ſie ſeit 8 Tagen
ſchon hier, um die friſche Luft des Gebirges zu genießen.
Allein dies ſchien uns für die Türken doch zu poetiſch und
Theodoro war hier nicht zuverläſſig, da er die hieſige
Sprache ſchlecht verſtand und dann ſtets bereit war, die
Lücken aus ſeiner Phantaſie zu erſetzen. Die im Zelt
ſchienen die Höheren zu ſein, während ihre Diener um
das Feuer herum lagen.
Ohne zu fragen, denn wir waren zu erſchöpft, nahmen
wir von dem Feuer Beſitz; Theodoro mußte Eier und
Kaffee kochen. Der Platz ſchien uns aber ſchlecht gewählt.
Die Bäume ſtanden viel zu dünn, um gegen den kalten
Wind zu ſchützen, der immer heftiger blies, das Feuer hoch
auflodern machte und die brennenden Funken weit gegen die
Felſentrieb. Da die Türken uns zwar nicht wehrten, aber auch
keinen Platz machten, ſo drängten wir uns zwiſchen ſie,
um hinter aufgeſchichtetem Strauchholz etwas Schutz zu
finden. Sie ſahen verwundert uns kochen, auspacken,
Teppiche breiten und uns zwiſchen ſie legen; aber keine
Frage kam über ihre Lippen, und da wir ihnen immer
näher rückten, ſo räumten ſie uns endlich halb gutmüthig,
halb mürriſch den Platz. Kaffee, Eier, Wein, Fleiſch,
Brot, alles wurde haſtig durcheinander verzehrt, denn
die Mitternacht war ſchon nahe und wir brauchten Schlaf.
Unſer Kavaß nahm heimlich im Schatten einen Schluck
aus der Weinflaſche; im Lichte des Feuers trank er Kaffee
und rauchte ſeine Pfeife.
Wir hätten gern die Türken aus dem Zelte verdrängt;
– 265 –
denn der Wind blies zu kalt; legte man ſich dem Feuer
nahe, ſo platzten die glühenden Funken auf dem Leibe,
man konnte im ſüßeſten Schlafe verbrennen; legte man
ſich fern, ſo fror man und war ohne Schutz gegen den
Wind. Wir verſuchten einigemale in das Zelt zu dringen,
und indem wir den ſchlafenden Türken auf die Beine
traten, hofften wir ſie zu ermuntern und zur Gaſtfreund-
ſchaft anzuregen. Aber ſie ertrugen mit ſtoiſcher Ruhe
unſere Frechheit und regten ſich nicht. Mein Freund
kehrte zur alten Stelle zurück. Er hüllte ſich in ſeinem
Mantel, zog die dichte Kapuze über den Kopf und legte
ſich mit heroiſchem Vertrauen ans Feuer, den Kopf auf
ein Reißbündel, einen Haufen Tannenzweige dahinter,
als Schutz gegen den Wind. Mir ſchien die Tannen-
laube einladender; war ſie kein Zelt, ſo war es doch ein
Obdach. Leider trieb der Wind den Qualm und Rauch
des Feuers grade hinein. Indeß, Niemand kümmerte ſich
mehr um das Feuer, die Brände glimmten nur noch; und
ich kroch, in zwei Röcke, einen Mantel und einen Teppich
gewickelt in die Laube. Ich fühlte wohl auch hier, daß
ich auf Menſchen trat, indeß fand ich bald zwiſchen zwei
Türken noch ein freies Plätzchen und hatte da den Vor-
theil, durch meine Nachbaren beſſer gegen den Nachtwind
gedeckt zu ſein. Theodoro hatte ſich hinter ein Buſch-
werk verkrochen; der Pferdeknecht war verſchwunden; nur
der eiſenfeſte Kavaß ſaß noch allein, unerſchütterlich,
unveränderlich ſeine Pfeife rauchend am Feuer. Ich
ſah ihn, als ich ſchon lag, durch die Lücken der Zweige
meiner Laube. Keine Miene verzog er; kein Glied dehnte
er, unbeweglich ſaß er noch mit Piſtolen und Säbel im
Gürtel, als die Augen mir zufielen. -
Aber der Schlaf währte nicht lange. Die immer
empfindlicher werdende Kälte und die Ungeduld weckten
– 266 –
mich ſchon gegen zwei Uhr. Das Feuer war bis auf
einige Kohlen erloſchen, ſelbſt der Kavaß war verſchwun-
den. Alles war ſtill; nur der Wind pfiff und dazwiſchen
dehnten ſich die tiefen Athemzüge der Schlafenden ringsum.
Ich konnte trotz der Stille nicht wieder einſchlafen; des-
halb ſchien es mir recht, die Andern zu wecken. M**
war gleich bei der Hand; mit Mühe wurde Theodoro auf
das Pferd gebracht; der Kavaß ſchritt fern voraus, ſo
ſicher, ſo kräftig, ſo unverändert wie geſtern beim Aus-
marſch; ohne Stock, die Hände wieder mit der Pfeife ge-
müthlich auf dem Rücken. Von dieſen Türken und ihrem gaſt-
lichen Feuer zogen wir heute fort ohne Abſchied, wie wir
geſtern kamen, ohne Gruß. Hätten wir türkiſch gekonnt, wir
hätten den Einzelnen, die unſern Abzug bemerkten, ge-
dankt; aber Theodoro, der einzige, der unſern Dank ver-
mitteln konnte, war voll Schlafes und unfähig.
Es war noch tiefe Nacht; aber der Mond ſtand jetzt
hoch am Himmel und leuchtete wie eine Winterſonne;
nur die Venus, als Morgenſtern der Sonne vorauseilend,
ließ ſich nicht verdrängen. Nicht ſo plump, wie der
rundbäckige Geſelle, ſtrahlte ſie mit feiner Sichel in feu-
rigem blendenden Lichte.
Der Weg führte langſam aufwärts über öde mit Ge-
röll und Felſen bedeckte Flächen; die Bäume waren ganz
verſchwunden; niedriges Geſtrüpp ähnlich dem Knieholze
des Rieſengebirges kam hier und da hervor, aber auch
dies verſchwand, als wir den Granit verloren, und nun
auf ein graues Geſtein kamen, was wir ſpäter als Mar-
mor erkannten. Gegen 4 Uhr kam der Gipfel des Olymps
zum Vorſchein; er zeigte ſich als ein glatt anſteigender,
auf dem Kamm aufſtehender Hügel. Im Oſten fing der
Himmel ſchon an ſich zu röthen; ein blendender Schein in
weiter Ferne nach Oſten verrieth das Meer; und noch
waren wir nicht am Fuße des letzten Kegels.
– 267 –
Muſtapha führte uns grade auf den Gipfel zu; aber
der Weg wurde nach und nach von Höhen auf beiden
Seiten umſchloſſen, die die Mitte zu einem weiten Thal
umbildeten. Hier zeigt ſich üppiger Graswuchs und ganze
Felder der ſchwefelgelben Blüthen einer uns unbekannten
Pflanze glänzten in außerordentlicher Größe. Hundege-
bell, was immer ſtärker wurde, zeigte die Nähe der Hirten
an. Wir kamen an eine mit Moos ausgeſtopfte Stroh-
hütte vorbei, die ein prächtiges Nachtlager für uns abge-
geben hätte. Muſtapha entſchuldigte ſich, er habe nicht
geglaubt, die Hirten heute auf dieſer Seite des Gebirges
zu finden. An dem Berge kletterten die Schaafe und der
Kavaß beſtellte bei dem Herrn der Heerde in der Hütte
ein Frühſtück ſür den Rückweg.
Die Sonne mochte eben aufgehen, als unſer Thal
ſich in einen Keſſel endigte, deſſen vordere Wand von dem
Fuße des höchſten Kegels gebildet wurde. Hier erklärte
uns der Knecht, daß der Weg für die Pferde ein Ende
habe; der Reſt müſſe zu Fuß gemacht werden. Die Er-
ſteigung ſchien nicht ſo ſchwierig; der Kavaß erbot ſich,
uns auch da zu führen, während Muſtapha bei den
Pferden im Thale blieb. Die Schneefelder lagen uns
zur Seite, theilweiſe ſchon tiefer als wir. Der ganze
letzte Kegel war mit Felsgeröll dick überſäet, Abgründe
zeigten ſich nicht und das Aufſteigen ſchien nirgends durch
Felswände gehindert. So ſchritten wir muthig drauf
los, nachdem wir Alles, was uns beſchwerte, zurückge-
laſſen und nur die Mäntel dem Theodoro zum Mit-
nehmen übergeben hatten. Der Berg hob ſich indeſ ſteiler
als wir geglaubt hatten; das Geröll war bald ſo los
daß wir nicht ſicher fußen konnten, bald ſo maſſig, daß
wir mühſam mit Händen und Beinen es erklimmen
mußten. Nach einer halben Stunde hatten wir die Höhe
– 268 –
eines ſeitwärts abfallenden Kammes erreicht. Aber, als
wir nach der Spitze ſahen, war ſie wieder verſchwunden.
Wir fanden hier zwei Hirten, die ſchwerlich den Sommer
über die Ebene betreten hatten. Ihre Kleidung beſtand
nur aus Schaaffellen. Um die Füße waren Felle ge-
wickelt; die Beine waren mit Fellen ſtatt Hoſen umwickelt;
ein Fell diente als Jacke und der Kopf war turbanartig
mit einem Streifen Schaaffell umwunden: kein Hemde,
kein Stück Kattun hatte Theil an ihnen. Wie Wilde
ſtierten ſie uns an; der Kavaß hielt ſie in Reſpekt; ja
der eine entſchloß ſich auf Zureden, uns den Weg zu
zeigen. Ich hatte meinen Stock geſtern ſchon im Anfang
ungeduldig an meinem Pferde zerſchlagen und vermißte
jetzt bitterlich dieſe Hülfe. Der Hirte hatte einen ſolchen,
aus einem Baumaſt roh ausgeſchnitten; dennoch wollte er
mir ihn nicht leihen, bis der Kavaß an ſeinen Säbel faßte.
Nach einer Stunde mühſamen aber ungefährlichen
Kletterns gelangten wir auf den Gipfel. Bis dahin hatte
die Maſſe des Berges uns gegen den Wind geſchützt,
deſſen Sauſen wir hörten. Aber oben angelangt wurden
wir mit orkanartiger Gewalt von ihm gefaßt; es war
nicht möglich ſich ſtehend zu erhalten; wir krochen, halb
ſtürzend, in ein Steinloch, was wahrſcheinlich zu dieſem
Zwecke ausgehöhlt und mit einem Wall von Steinen ver-
ſehen war. Ein Schluck von der Neige unſeres Bruſſaer
Weins gab uns neue Kräfte und mit angebundenen Hüten
krochen wir vorſichtig zu dem Steinwall und hinter ihn
lehnend, blickten wir um uns.
Wir ſtanden wirklich auf dem höchſten Punkte. Nach
Norden fiel der Bergkegel, auf dem wir ſtanden, in einem
ſteilen Abgrund ab, aus dem ein weites Schnee- und
Eisfeld auslief. Darüber hinaus traf der Blick ſofort
auf das breite Thal, in dem Bruſſa liegen mußte. Neue
– 269 –
Bergrücken hoben und ſenkten ſich weiter hin, bis in der
Ferne der glänzende Spiegel des Marmorameeres das
wilde Wogen der Berge wie ein breiter Silberrahmen
umſchloß.
Dorthin muß Konſtantinopel liegen, rief ich. Wir
erkannten deutlich mit bloßem Auge die größern der
Prinzeninſeln; wir hatten alſo genau die Richtuug, aber
Konſtantinopel ſuchten wir vergebens. Wir holten das
Glas heraus, aber auch damit blieb das Suchen vergeb-
lich. Unſer Hirt in den Schaffellen hatte uns bis dahin
mit ſtummer Gleichgültigkeit zugeſehen; aber mit dem
Fernglas erwachte ſeine Neugierde; Stambul, nickte er
uns zu, und verlangte das Glas, um durchzuſehen.
Wir konnten nicht aus ihm herausbringen, ob er es ſehe
oder nicht. Von Konſtantinopel hatten wir den Kegel
auf dem wir ſtanden täglich geſehen; hier wollte die
Wunderſtadt nicht erſcheinen. Offenbar war der Bau
ihrer Häuſermaſſen nicht abſtechend genug, und ihre weißen
Minarets waren für eine Entfernung von 15 Meilen zu
dünn, um noch erkannt zu werden.
Das Marmorameer bot von dieſer Wolkenhöhe einen
glänzenden Anblick. Die Küſten Europas grade aus
konnten wir noch erkennen, aber links zog der glänzende
Spiegel ſich in eine endloſe Ferne. Die Klarheit der
Luft, wie ſie auf den Bergen Deutſchlands und der
Schweiz unbekannt iſt, gab der ungeheuren Landſchaft
eine Kräftigkeit und Lebendigkeit, die den Bergausſichten
jener Länder völlig abgeht. In einer Entfernung von
20 Meilen hoben ſich, wie Spinnenfäden, die Linien des
Ida bei Troja. Näher lag vor ihm der See Apollonia,
ſelbſt ein kleines Meer an Ausdehnung. Die Höhen,
über die wir von Mudania mühſam geklettert, waren
kaum zu finden, ſo waren ſie geſunken und kaum von den
niederen Flächen zu unterſcheiden.
– 270 –
Wenn wir uns drehten, ſo lag halb Kleinaſien vor
uns; Gebirge und Thäler zogen ſich endlos fort; die
Rücken der Berge waren grün, aber weniger von Wal-
dungen, als niederem Geſtrüpp. Einzelne Durchbrüche
ließen auf Flüſſe ſchließen, die da hindurch, uns unſicht-
bar, in den Thälern ſich ſchlängelten. Die Anſicht hier war
einförmig; aber dieſes Wogen, wie ein Meer von Ge-
birgen, über dem wir noch hinausſtanden, hatte einen
eigenen Reiz.
Bruſſa war leider durch den Kamm, auf dem wir
hergekommen, verdeckt und der Anſicht fehlte weſentlich
der Menſch und ſeine Werke. Es war nur die Natur,
nichts als ſie, die uns umgab; vergeblich ſuchten wir nach
einer Spur der menſchlichen Hand. Keine gleichlaufen-
den Linien und Farbentinten deuteten auf Felder und
Anbau des Bodens; kein Haus, kein Dorf, kein Thurm
war ſichtbar; in dem ungeheuren Kreis von 40 Meilen
Durchmeſſer den wir überſahen, ſchien nie ein Menſch
gelebt zu haben. -
Erſt mittelſt des Glaſes war es uns möglich, einzelne
Dorfſchaften zu entdecken, die dünn zerſtreut auf dem
grauen Boden lagen und mit ihren braunen Dächern
kaum abſtachen.
Je länger wir unſere Blicke über dieſe Höhen und
Tiefen ſchweifen ließen, deſto klarer trat der Grundzug des
Ganzen hervor. Er war der einer ernſten Melancholie;
nichts von nordländiſcher Sentimentalität, nichts von
geheimnißvollen Nebeln; die Gegend lag im blendenden
Sonnenſchein offen, ausgebreitet bis auf ihre innerſten
Falten vor uns da; aber es fehlte das ſaftige Grün
unſeres Nordens; von Weingärten war hier oben nichts
mehr zu erkennen; Berge und Thäler hatten ein Grün,
aber der heiße Strahl des Südens hatte jetzt im Auguſt
– 271 –
allen Boden grau gebrannt und die dünn zerſtreuten Wald-
ſträucher verloren ſich in dieſe grüngrau, was die vor-
herrſchende Farbe des Ganzen war. Vielleicht war es
auch die Oede vom menſchlichen Sein, was zunächſt dieſe
Empfindung in uns weckte. Dem Hochgebirge fehlte die
Runenſchrift der Felsnadeln und Gletſcher deutſcher Ge-
birge, das Brauſen und Toben der Waſſerfälle und Ge-
birgsſtröme; ſein Gedanke war ohne Zeichen, ſeine Empfin-
dung ohne Laut; ein tiefes Schweigen herrſchte in ſeinen
grauen, regungsloſen Zügen.
Die Neugierde trieb uns aus unſerm Schutzwinkel;
wir lernten zuletzt ſtehn und einige Schritte gehn trotz
des wüthenden Orkans, der über den Kegel hinbrauſte,
als wollte er ihn mit ſich von dannen reißen. Es war
ein heißer, drückend ſchwüler Tag in der Ebene, wie wir
ſpäter hörten; hier oben ſchien die Sonne noch blenden-
der, aber der raſende Wind machte alle ihre Kraft zu
nichte. Wir hüllten uns in die Mäntel; vorſichtig knöpf-
ten und banden wir ſie zu, um dem Sturm keine Hand-
habe zu laſſen. -
Die Oberfläche des Kegels beſtand aus Steinge-
trümmer, wie auf der Schneekoppe; aber ſtatt des Granits
dort, war es hier Marmor. Die Außenſeite der Blöcke
war ſtumpf und grau verwittert; aber wir ſchlugen einzelne
Stücke ab und die glänzenden weißen Kryſtalle des
Bruches zeigten den Marmor, ſo ſchön, wie den beſten
des Bildhauers. Das ſind die Trümmer von Jupiters
Thron riefen wir, die Trümmer der Götterpaläſte, die
hier herzogen, während ihre Lieblinge um Troja kämpften.
Das göttlich ſcharfe Auge des Jupiter konnte noch von
hier das Lager der Griechen, die Burg der Trojaner er-
kennen und von hier ſandte er ſeine Blitze und Donner.
Ihre Wohnungen ſind mit ihnen in Trümmern geſunken.
– 272 –
Aber wir verehren ſie noch in dieſen Trümmern. Und
emſig ſchlugen wir uns, ſo gut es ging, die ſchönſten
Stücke des glänzenden Marmors los und nahmen ſie mit,
als Andenken des Tages. - -
Der Hirt und der Kavaß waren verſchwunden, als
wir zu unſerm Steinloch zurückkamen. Der Kavaß war
vorausgegangen, da die Pfeife hier oben nicht hatte
brennen wollen. Mit Klettern und Springen und Rut-
ſchen ging es wieder hinab in die Tiefe. Wir ſahen tief
unten den Keſſel, wo wir die Pferde verlaſſen hatten;
wie Ameiſen krochen ſie auf dem Grün, und mancher
Sprung, mancher ſtrauchelnde Schritt mußte abwärts
gethan werden, ehe wir ſie wieder erreichten. Sie hatten
ſich erholt und brachten uns bald in die Hütte des
Schäfers, wo der Kavaß das Frühſtück beſtellt hatte.
Sie lag an einem Bach, der auf dem Gebirgskamm
ſo ruhig ſpielend wie in der Ebene dahinfloß; und die
Reinheit und der vortreffliche Geſchmack ſeines Waſſers
zeigte, daß er eben aus dem Himmel geboren, noch keine
Berührung mit dem Boden der Thäler gehabt hatte. An
hundert Schaafe waren in einen Verſchlag eingetrieben,
und wurden von Knechten gemolken. Der Herr, ein alter,
ernſter Türke von hoher Geſtalt, ſaß, als wir kamen, am
Feuer in der Hütte und bereitete den Kaffee. Dieſer war
für uns. Für den Kavaß und Muſtapha brachten die
Knechte friſch gemolkene Milch, die der Herr ans Feuer
ſetzte. Dann miſchte er Schaafkäſe, Mehl von Mais und
Zucker und Salz damit, und nachdem er es kochend lange
gerührt, wurde das Gericht in einer Holzſchüſſel in die
Mitte der Hütte auf den Boden geſtellt, und der Kavaß
und Muſtapha ſammt den Knechten ſetzten ſich auf ihre
Beine ringsum auf den Boden und begannen das Mahl.
Teller, Gabeln, Meſſer gab es nicht; ſie brachen Brot-
– 273 –
ſtücke ab, hoben mit dieſen den heißen Brei aus der Schüſ-
ſel und ſchluckten dann Brotlöffel und Brei zugleich hin-
unter. Als das Brot ausging, wurden die Hände be-
nutzt. Wir koſteten und fanden das Mahl vortrefflich.
Es war der Geſchmack unſeres Milchbreis, aber durch den
Schafkäſe hatte er einen kräftigen ſäuerlichen Geſchmack
erhalten. Für den Kavaß und Muſtapha war dies das
Erſte, was ſie ſeit unſerm Ausmarſch von Bruſſa aßen.
Der Kavaß hatte mit einer ſtählernen Ausdauer den gan-
zen Weg ohne Stock herauf und herab gemacht; die Hände
mit der Pfeife auf dem Rücken, war er den kahlen Kegel
herauf und herab geſtiegen, wo wir Stock und Hände
brauchten, um fortzukommen, und ſeine letzten Schritte
waren noch ſo elaſtiſch wie die erſten.
Wir wären gern noch länger bei dieſem ehrlichen Hir-
ten geblieben, aber die Hütte ohne Schornſtein war vol-
ler Rauch, und draußen brannte die Sonne ſchon heiß,
und es gab keinen Schatten. – Auf unſerem nächtlichen
Wege ging es nun wieder heimwärts. Der helle Son-
nenſchein erhöhte das Kahle und Oede dieſes Gebirgs-
kammes. Wir ſahen jetzt bei Tage deutlich, wo der Mar.
mor aufhörte und der Granit und Gneis begann, der
uns bis zu dem letzten Abſatz des Gebirges begleitete-
Das Marmorlager war bei der Erhebung des Gebirges
von dem glühenden Granit mit gehoben worden und hatte
ſich auf der wagerechten Stelle des Kammes als Kegel
und als Decke erhalten; aber wo der Kamm ſich zu ſen-
ken begann, nach Weſten, trat der Granit hervor, und der
Kalk war in die Tiefe geſtürzt.
Die Felſen und Bergkuppen des Kammes boten we-
nig maleriſche Formen; nichts von den Nadeln des Mont-
blancgebirges, auch keine Spur von Gletſchern, die Schnee-
felder verliefen plötzlich in Raſen mit blühenden Kräutern,
18
– 274 –
für die Eisbildung war offenbar das Klima nicht kalt und
die Schluchten der Waſſer nicht tief genug.
Den alten Weg verfolgend, gelangten wir gegen Mit-
tag an einen Punkt, wo plötzlich ganz Bruſſa mit ſeinen
Minarets und Gärten in einer Tiefe von 5000 Fuß ſteil
unter uns lag: Das Bild hatte volle Klarheit, aber wir
ſtanden ſo hoch, daß die Minarets wie die feinſten Elfen-
beinnadeln über zahlloſen Häuschen hervorragten, die wie
braune Blätter zwiſchen grüne geſtreut waren. Im Hinab-
ſehn ſchwindelte uns ſelbſt, obgleich der Abhang durch
ſein Buſchwerk keine Gefahr drohte. Dieſe Klarheit und
dabei dieſe Kleinheit des Bildes war für uns etwas nie
Geſehenes. Man hat etwas Aehnliches, wenn man eine
Stadt von einem Thurm mit einem verkehrten Fernglaſe
beſieht. Dieſelbe ſcharfe Deutlichkeit der feinſten Umriſſe und
dieſelbe Lebendigkeit der Farben trotz der ungeheuren Höhe.
Das tiefe, finſtere Thal war uns nun zur Linken, und
bei dem hellen Sonnenſchein konnten wir heute bis in ſeine
letzte Gründe ſehen, aber ſeine ſteilen, wenn auch bewachſe-
nen Wände machten uns auch heute ſchwindeln und ſchau-
dern. Es kamen einige wirklich gefährliche Stellen, wo
die Bergwaſſer das Geſtrüpp weggewaſchen, und der nackte
Waſſerriß in eine ſenkrechte ſchauerliche Tiefe abfiel. Un-
ſere Pferde betraten zu unſerm Schrecken dieſe glatten
abſchüſſigen Stellen mit derſelben Gemüthsruhe wie die
andern, nnd hier wagten wir gar nicht, auch nur leiſe den
Zügel zu rühren, wo ein Tritt um einen Zoll weiter links
ohne Rettung Pferd und Reiter in die Tiefe geſtürzt hätte.
Auf der letzten Fläche wurde ihnen eine kurze Raſt
gegönnt. Hier war ſchon wieder menſchlich Leben. Die
Quelle war in einen langen Trog geleitet, und eine aus-
gehöhlte Melone lag daneben als Trinkgefäß. Wir tran-
ken aus ihr auf das Wohl des Türken, der ſorglich ſie
– 275 –
hingelegt hatte. Der letzte Abhang war das härteſte für
die Pferde, aber von Stunde zu Stunde wurden ſie kräfti-
ger, und als wir endlich um 5 Uhr bei afrikaniſcher Hitze
die Stadt erreichten, ſchienen ſie uns munterer als geſtern
beim Ausritt. Ihre Reiter hatten nicht ſolche Naturen;
halb todt hoben wir uns mühſam aus dem Sattel und
ſtiegen lahm und ſteif die Treppe hinauf, wo Giuſeppe
und ſeine Frau uns in den luftigen Saal führten, und
mit Eis von des Olympos Höhen und mit Wein von
ſeinen Thälern erfriſchten.
Wir hatten 23 Stunden in der Beſteigung zugebracht,
17 Stunden davon zu Pferde, und 3 Stunden zu Fuß zur
Erkletterung des letzten Kegels. Der Wirth war ſehr ver-
wundert, als wir erzählten, welchen ſteilen, mühſamen
Weg wir noch zu Fuß nach der Spitze hatten machen
müſſen. Wir hörten, daß Muſtapha uns falſch geführt
hatte; er hätte rechts den Höhen zu ſich halten ſollen, die
uns zuletzt keſſelartig einſchloſſen. Aergerlich, wollten wir
ihm deshalb einen Theil des Lohnes für die Pferde kür-
zen. Er weigerte ſich aber hartnäckig, den geringern Lohn
anzunehmen und ging ruhig ohne Geld mit den Pferden
davon. – Sie dürfen ihm nichts abziehn, ſagte uns ſpä-
ter der Wirth, denn Sie allein tragen die Schuld! –
Wie ſo? – Sie hatten den Kavaß bei ſich; als der Knecht
ſich weigerte, Sie weiter zu führen, hätten Sie ihm vom
Kavaß ſo lange die Baſtonade geben laſſen ſollen, bis er
Sie den rechten Weg geführt hätte. – Gegen ſolche Gründe
wußten wir nichts einzuwenden und zahlten ruhig den be-
dungenen Preis ohne Abzug. -
Bei Tiſch machten wir die Bekanntſchaft des ſchon
erwähnten belgiſchen Ingenieurs. Er lebte ſchon 6 Mo-
nat in Bruſſa, und Ali Paſcha hatte ihn jetzt mit der
Errichtung einer Dampfmaſchine und einer hydrauliſchen
«- 18* -
– 276 –
Preſſe beauftragt, die zur Olivenölfabrikation benutzt wer-
den ſollte. Das Gebäude ſtand ſchon fertig da und ſah
wie ein Flüchtling aus, mit ſeinen weißen vier Stockho-
hen Mauern unter den hölzernen, einſtöckigen, braunen
Häuſern der Türken. Er hatte den ſtrengen Befehl von
Ali Paſcha, bei Errichtung dieſer Maſchinen nur Türken
zu benutzen. Er beſchrieb die großen Schwierigkeiten, den
Zeitverluſt, den dies verurſache, aber dieſer Grundſatz Ali
Paſcha's zeigte, daß er wußte, wo die Regeneration der
Türkei beginnen muß. Er opferte Tauſende von Thalern,
um das Land vor den Fremden zu ſchützen, und es auf
eignen Füßen ſtehen zu lehren. Ali Paſcha war als cir-
caſſiſcher Sclave nach der Türkei gekommen; in dieſem
wahrhaft demokratiſchen Lande, wo es keinen Adel, nicht
einmal Familiennamen giebt, hatte er die höchſten Stufen
erreicht, und ein ungeheures Vermögen erworben. Ehe
er Großvezier wurde, war er Gouverneur in Bruſſage-
weſen. Er beſaß hier ausgedehnten Grundbeſitz und be-
förderte mit großer Ausdauer die Errichtung von Maſchi-
nen und Fabriken. Jetzt iſt er Vorſitzender der Commiſſion
zur Ausführung des Tanſimat von Gülhane.
Bruſſa hatte auf der Seite unſeres Gaſthofs ſchon ein
europäiſches Anſehn. Einer Thalſchlucht entlang, in der ein
Bergwaſſer ſtrömt, folgten reinliche weiße Häuſer eines
auf das andere. Es waren alles kleine Fabriken für
Spinnerei und Weberei der Seide.
Der Ingenieur war mit dem Dampfſchiffe von Con-
ſtantinopel gekommen und brachte als neueſte Neuigkeit mit,
daß die Franzoſen bei einer Recognoscirung von Varna
aus von Koſacken in Ueberzahl überfallen worden und
große Verluſte gehabt hätten. Eine ſolche Nachricht lief
damals durch die Zeitungen und wir knüpften die beſten
Hoffnungen daran.
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---------------“.“-"-". "..“-------Y-"."
XXV.
Der Beſuch bei Abd-el-Kader.
Am andern Morgen war mein unermüdlicher Freund
ſchon in der Morgenkühle auf den Weg nach den be-
rühmten Schwefelbädern von Bruſſa. Sie ſind theils
heiß, theils kalt; auch eiſenhaltig. Sie waren ſchon zu
der Römer Zeit berühmt. Hannibal, der hier bei dem
König von Bithynien Zuflucht vor den Römern fand,
hatte in ihnen gebadet. Später war hier Plinius eine
Zeit lang Gouverneur. Heute war, wie zu jenen Zeiten,
Bruſſa wieder das Exil eines berühmten afrikaniſchen
Feldherrn. -
Abd-el-Kader zeigte ſchon als Knabe ungewöhnliche
Geiſtesgaben und ſtudirte auf der hohen Schule zu Fez.
Sein Stammbaum geht bis zu den Kalifen hinauf.
Sein Vater war ein heiliger Marabut und hat auf den
Sohn tiefe Religioſität vererbt. Seit 1832 hat dieſer 14
Jahre lang gegen die Franzoſen in Algier für die Frei-
heit und Selbſtſtändigkeit ſeine Nation, der Araber, ge-
kämpft. Am 3. Juli 1833 erſtürmte er das den Fran-
zoſen unterworfene Arzew. Im Dezember und Januar
1834 lieferte er dem General Desmichels blutige Gefechte
und zwang ihn zum Rückzug. Am 28. Juni 1835 wurde
– 278 –
das franzöſiſche Heer unter Trezel an der Macta von ihm
mit 20.000 Reitern angegriffen und es erlitt eine ſchmäh-
liche Niederlage. Am 25. April 1836 ſchlug er den Ge-
neral d'Arlonges an der Tafna. Allgemein ward er als
Sultan der arabiſchen Nation anerkannt. Erſt Bu-
geaud brach durch die energiſchen Anſtrengungen Frank-
reichs ſeine Macht. Abd-el-Kader war dann 5 Jahre
Staatsgefangener in Frankreich, bis Louis Napoleon ihm
die Freiheit gab, mit der Bedingung, in Bruſſa zu wohnen.
Ich hatte am Morgen den Theodoro direct zu Abd-
el-Kader geſandt, um ſich zu erkundigen, ob der Gouver-
neur wegen der Audienz Schritte gethan. Er kam mit
der Nachricht, daß Abd-el-Kader jetzt in ſeinem Harem
ſei und Niemand annehme. Wir erhielten indeß bald
einige Zeilen von dem Gouverneur, wonach Abd-el-Kader
uns um 1 Uhr erwartete.
Wir hatten eine endloſe Folge von krummen, wink-
lichen Gaſſen zu durchwandern, ehe der Führer vor einer
Thür ſtill ſtand, die uns in einen geräumigen Hof führte,
in dem mehrere Araber in ihren weiten Mänteln an einem
Springbrunnen ſich die Füße wuſchen. Eine freie Treppe
führte in einen Vorſaal eines geräumigen, hölzernen, ein-
ſtöckigen Hauſes, das in der Mitte des Hofes ſtand. Hier
empfing uns der Dollmetſcher des Fürſten mit den Wor-
ten, daß leider der erſte Dragoman Abd-el-Kaders, der
franzöſiſch ſpreche, nach Conſtantinopel gereiſt ſei; er ſelbſt
ſpreche nur türkiſch und arabiſch. Er führte uns in ein
geräumiges Zimmer, deſſen Wände und Decke von Holz
getäfelt waren. Eine große Zahl Fenſter war mit wei-
ßen Vorhängen verhangen; rings an den Wänden lief
ein mit buntem Kattun überzogener Divan. Im Zimmer
ſtand ein runder Tiſch und der Boden war mit Stroh-
matten belegt.
– 279 –
Der Dollmetſcher entſchuldigte den Fürſten, er ſei noch
mit dem Gebet beſchäftigt. Wir hörten einen feierlichen
Geſang in der Nähe. Zwei Diener brachten Kaffee und
Pfeifen. Wir benutzten die Zeit, um uns zu orientiren.
Nach des Dollmetſchers Mittheilungen war Abd-el-Kader
jetzt 40 Jahr alt und von guter Geſundheit. Er erhält
von Frankreich 10.000 Franken monatliche Penſion, was
indeß bei ſeinem Gefolge von 100 Arabern, die er unter-
halten muß, kaum ausreicht. Es wird jetzt ein Palaſt
für ihn in Bruſſa gebaut. Er liebt es, Gäſte bei ſich
zu ſehen.
Wir hatten kaum eine Viertelſtunde geſeſſen, als Abd-
el-Kadel hereintrat. Alle Diener, und wir mit ihnen,
ſtanden ehrerbietig auf. Er war von mittlerer Größe.
Sein Körperbau, ſeine Glieder waren fein; aber ſeine Be-
wegungen hatten dieſelbe anmuthige elaſtiſche Leichtigkeit,
die wir an den ächtarabiſchen Pferden bewundern. Er
trug einen weiten, togaähnlichen, blauen Mantel von
dünnem Wollenzeuge, darunter ein rothes Unterkleid und
ein weißes Hemd. Ohne Schuhe oder Strümpfe, waren
die Füße bis zu dem Knie bloß, nur der Oberkörper war,
während er ſaß, von dem blauen anmuthig ſich faltenden
und ſchmiegenden Mantel verhüllt. Auf dem Kopfe trug
er einen weißen Turban mit blauer Binde.
Sein Geſicht war Seele durch und durch. Ein ſchma-
les Oval, nur ſo viel Fleiſch, um die Linien zu mildern,
leuchtete aus ihm der kühne, kräftige Geiſt, der den Kör-
per nicht abzehrt, aber ſchlank und fein erhält, als bieg-
ſamer, elaſtiſcher Diener ſeines Herrn. Ein feines Kinn,
ein kleiner Mund, eine reine Naſe, eine hohe freie Stirn,
aber vor allen zwei dunkle große Augen, die Feuer, Sanft-
muth und Klugheit vereinten. Ein ſchwarzer Bart, aber
nicht zu dicht, hob die geiſtigen Theile des Geſichts.
– 280 –
Er grüßte uns freundlich und ohne Feierlichkeit; ging
ſchnell zu dem Divan, ſetzte ſich und zog die bloßen Füße
nach ſich hinauf, die ihm während der Unterhaltung als
Spielwerk für ſeine Hände dienten, wie man bei uns mit
der Doſe ſpielt. Seine Füße verdienten dieſe Ehre. Sie
waren ſo rein, wie ſeine Hände und ſeine ganze Geſtalt,
ſowie die Zehen, die nie von einem Schuh gedrückt worden
waren, hatten die feine fingerartige Entwickelung, die man
in Europa nicht kennt.
Er ſah uns klug und freundlich an, aber ſchwieg.
Einem Orientalen gegenüber, der noch jetzt ſeinem Volke
ein heiliger Marabut iſt, mußten wir dem entſprechend
beginnen. Leider hatte die Unterhaltung ihre beſonderen
Schwierigkeiten. Abd-el-Kader verſteht nur arabiſch; ſein
Dollmetſcher verſtand nur arabiſch und türkiſch; unſer
Theodoro verſtand nur türkiſch und franzöſiſch; ſo mußte
jedes Wort zwiſchen ihm und uns den ſchleppenden Weg
durch zwei Dollmetſcher gehen, und wir waren zu der
einfachſten Ausdrucksweiſe unſerer Gedanken genöthiget,
wenn ſie nicht bis zum Unkenntlichen entſtellt zu ihm ge-
langen ſollten.
Wir ſind, begannen wir, ausdrücklich den weiten Weg
hierher gekommen, um den Helden des afrikaniſchen Krie-
ges zu ſehen. – Er verneigte ſich freundlich und ſchwieg.
– In unſerm Lande herrſcht die lebendigſte Theilnahme
für Sie. – Ich freue mich, dies zu hören. Wer ſind
Sie? – Wir ſind Preußen. – Von welchem Stande?
– Wir ſind Rechtsgelehrte. – Wie weit iſt Preußen?
– Man muß drei Wochen reiſen, ehe man dies Land
erreicht. – Pauſe. – Wir haben Sie bewundert, daß
Sie ſo lange gegen die Franzoſen gekämpft! – Es war
meine Pflicht, mein Vaterland zu vertheidigen; ich würde
es noch länger gekonnt haben, wenn ich mehr Geld ge-
– 281 –
habt hätte. – Pauſe. – Wir ſtören Sie doch nicht? –
O nein; ich freue mich, Fremde zu ſehen, der Tag iſt ja
ſo lang. – Sind ſchon Preußen bei Ihnen geweſen? –
Nein. – Wie hat es Ihnen in Frankreich gefallen? –
Ich war dort wie in einem Gefängniß, nur während ich
in Paris war, genoß ich etwas mehr Freiheit. – Ein
alter Araber, der mit Abd-el-Kader in das Zimmer ge-
treten war und an der Thür mit den übrigen Dienern
ſtand, nickte bejahend zu dieſer Rede und ſprach ein paar
Worte mit hinein. – Haben Sie ſchon gehört von dem
Scharmützel zwiſchen den Chaſſeurs d'Afrique und den
Koſaken bei Varna? – Nein; war es eine regelmäßige
Schlacht? – Nein; nur ein Gefecht, ein Ueberfall;
10,000 Koſaken gegen 1000 Franzoſen, Chaſſeurs d'Afrique
hauptſächlich. – Hat der Marſchall Arnaud kommandirt? –
Nein, ein Obriſt. – Etwan Juſſuff? – Ja, Juſſuff; die
Franzoſen ſollen 200 Todte und 300 Verwundete gehabt
haben. – Ein ironiſches, halb ſchadenfrohes Lächeln zog
ſich über das Geſicht von Abd-el-Kader; er ſah bedeu-
tungsvoll nach ſeinem alten Diener und auch dieſer zeigte
daſſelbe ironiſche Lächeln. Ich verſtand dies nicht, bis
mein Freund mir ſpäter ſagte, daß Juſſuff ein arabiſcher
Renegat ſei, der deshalb von den Arabern tödtlich gehaßt
werde. 1836 war überdem Abd-el-Kader von ihm bei
dem Zuge gegen Tlemezen vollſtändig geſchlagen worden
– Wie lange wird der Krieg dauern? begann Abd-
el-Kader. – Wir glauben, daß er kaum begonnen hat;
daß er noch mehrere Jahre dauern wird und in größerem
Maaßſtabe. – Wo wird Rußland das Geld dazu her-
nehmen? – Es borgt; es nimmt das Geld aus den
Kaſſen ſeiner Unterthanen. – Abd-el-Kader lächelte und
fuhr fort: wie ſoll Rußland im Stande ſein, ſich gegen
ſo viele Mächte zu vertheidigen? – Rußland iſt ſtark
– 282 –
und noch ſtärker, wenn es in ſeinem Lande angegriffen
wird. – Was wird Preußen thun? – Dies iſt noch
ungewiß. Indeß hat man jetzt die fehlenden Pferde für
die Armee gekauft. – Wie ſtark iſt die Preußiſche Armee?
Hundert Tauſend Mann im Frieden; 500,000 Mann im
Kriege, mit der Landwehr. – Wie viele Kriegsſchiffe
hat Preußen? – Gar keine; es fängt damit erſt an.
– Man will Sebaſtopol angreifen; iſt es ſchwer zu
nehmen? – Man ſagt, von der Seeſeite iſt es unnehm-
bar, vorzüglich wegen des engen Fahrwaſſers. – Aber
von der Landſeite? – Hier ſoll der Angriff leichter ſein;
deshalb ſchiffte man auch Landungs-Truppen ein. – Wie
viel hat Rußland Truppen dort? – Vierzig Tauſend.
– Kann es nicht ſchnell noch mehr ſenden? – Nein;
die Entfernungen ſind zu groß. Für wen nehmen Sie
in dieſem Kriege Parthei? – Anfangs verſtand Abd-el-
Kader die Frage nicht; nach deutlicherer Faſſung ſagte
er: Für den, auf deſſen Seite das Recht iſt. – Es
heißt, man wolle Sebaſtopol am 15. Auguſt angreifen,
weil dies der Namenstag Napoleons ſei. – Abd-el-
Kader lächelte wieder mit ſeinen klugen Augen und frug:
Wie viel Tage ſind bis dahin noch? – Sechs Tage. –
Ich begriff dieſe letzte Frage nicht, bis mir M***
bemerkte, daß die Araber unſere Zeitrechnung nicht haben.
Wir nahmen Abſchied. Er reichte uns die Hand. Alle
Diener und die Dollmetſcher erhoben ſich ehrerbietig und
wir verließen den Saal.
Die Unterhaltung iſt hier ziemlich wortgetreu wieder
gegeben, wie ich ſie noch an demſelben Tage mir in der
Brieftaſche vermerkt hatte. Indem ich jetzt dieſe Notizen,
gleichſam als unbetheiligter Dritter, durchleſe, erſcheinen
ſie mir trotz ihres unbedeutenden Inhalts, bezeichnend für
dieſen großen Mann, der, wie Hannibal, 12 Jahre lang
– 283 –
den Kampf der Verzweiflung gegen die Uebermacht eines
Volkes führte, das ihn weniger durch ſeine Soldaten und
Feldherrn, als durch die Naturgewalt ſeiner Kanonen
und Dampfſchiffe beſiegt hat. Seine Fragen ſind ein-
fach, naiv, aber klug und treffend. Man glaubte in das
Alterthum verſetzt zu ſein, wo es keine Poſten, keine
Zeitungen gab und wo ein Reiſender, den der Zufall
herbeiführte, dem horchenden Gaſtfreunde von den gro-
ßen Begebenheiten der Welt, die er geſehen und ge-
hört, erzählen muß. Genau wie hier Abd-el-Kader,
ſagten die Geſandten des Königs der Indier in der Cy-
ropädie von Xenophon, zu dem König der Meder: der
König der Indier ſendet uns zu fragen, weshalb der
Krieg zwiſchen den Medern und Aſſyriern entſtanden iſt,
mit dem Auftrage, euch zu ſagen, daß der König der
Indier auf das Recht ſieht und demjenigen zu Hülfe
kommen wird, dem Unrecht geſchieht.
"A-". "V"-"M"-.-.-."v"v"."»." „"-
XXVI.
Rückreiſe nach Konſtantinopel.
Die wenigen Stunden, die uns für Bruſſa noch blie-
ben, brauchten wir zur Beſichtigung der Grabmäler von
mehreren der größten Sultane der Türkei. Sie bildeten
kleinere Moſcheen in ſich. Am beſten gefiel uns das
Grabmal Amurad's. Es war mit keinem Stein bedeckt;
die Kuppel war über dem Grabe offen. Amurad hatte
ausdrücklich ſein Grab ſo verlangt, daß der Regen des
Himmels hineinfallen könne. Am Grabe ſtanden zwei
Rieſenplatanen, die Zeugniß von der Naturkraft dieſes
Landes gaben. Der Stamm der einen, welchen wir
maaßen, hatte 24 Ellen im Umfange.
Bei Tiſch hörten wir, daß auch der Engländer mit
ſeiner Frau nach Mudania wollte. Es kam aber zu
keiner gemeinſchaftlichen Reiſe. Trotz der Hitze, die ſelbſt
der Wirth für ſo ungewöhnlich erklärte, daß er ein Ge-
witter prophezeite, brachen ſie ſchon um 4 Uhr auf. Wir
folgten ihnen erſt nach Untergang der Sonne, auf den
eigenen Pferden unſeres Wirths. Wir nahmen herzlichen
Abſchied von ihm und ſeiner Frau und verſprachen ihm,
das Hotel d'Olympe in Bruſſa allen unſeren Freunden
in Deutſchland zur Einkehr zu empfehlen. Unterweges
– 285 –
bemerkten wir bald, daß unſer Führer mit dem Packpferd
kein Türke war; aber wir ſtaunten, als er hier in Aſien
mit uns deutſch zu reden begann. Er war ein Pole und
hatte ſchon unter Napoleon I. den Feldzug nach Ruß-
land mitgemacht. Später hatte er bei der polniſchen
Garde zu Pferde in Warſchau geſtanden und den polniſchen
Revolutionskrieg von 1830 und 1831 mitgemacht; dann
war er nach Frankreich ausgewandert, und von dort nach
Afrika unter die Fremdenlegion gekommen. Von da war
er 1835 nach Spanien gegangen, hatte mehrere Jahre
gegen die Carliſten gefochten; dann war er nach Afrika zu-
rückgekehrt. 1848 war er deſertirt und hatte in der italie-
niſchen Revolutions-Armee gedient. Nach Beſiegung
Italiens war er nach Konſtantinopel gegangen und hatte
ſeitdem mehrere engliſche Familien auf ihren Reiſen be-
gleitet. Er war erſt vor Kurzem von Smyrna auf dem
Landwege nach Bruſſa gekommen. Jetzt, ſagte er, will
ich nach Konſtantinopel und zu der Armee des Omer
Paſcha. Ich kann es hier nicht aushalten; ich habe mein
ganzes Leben im Kriege zugebracht; ich tauge für weiter
nichts als für den Krieg.
Dies ſprach er mit dem Tone tiefer ſlaviſcher Me-
lancholie. Während er, in der Dunkelheit vor uns her-
reitend, uns ſeine Geſchichte erzählte, glaubte ich die Moll-
akkorde der polniſchen Lieder zu hören. Er war ein
Menſch von Stahl; er kannte keine Gefahr, keine Müdig-
keit. Er hatte einen wunderbaren Ortsſinn. Unſeren
Weg hatte er erſt ein einziges Mal gemacht, vor längerer
Zeit; dennoch fand er nicht blos die Straßen, ſondern
auch die Richtwege durch Gärten und Gründe mit einer
Leichtigkeit und Sicherheit, die uns in Erſtaunen ſetzte.
Es war keine Niedergeſchlagenheit, keine Verzweiflung,
die aus ihm ſprach; es war der freie Sinn des im
– 286 –
Kriege ergrauten Soldaten, nur wenig gemildert durch
den Schmerz, daß all ſein Kämpfen nicht dem Vater-
lande gelte.
Der Wirth hatte ein Gewitter prophezeit; die Pro-
phezeihung traf aber nur zur Hälfte ein. Von Zeit zu
Zeit erglänzte der dunkle aber wolkenloſe Himmel von
einem Wetterleuchten, was den ganzen Horizont vor uns
durchzuckte. Es waren feurige Blitze ohne Wolken und
Donner. Der Wind erhob ſich und gegen Mitternacht,
als wir uns dem Meere näherten, hörten wir das Toben
der Brandung. Der Weg führte uns bald an die flache,
ſandige Küſte; der Mond war nun aufgegangen und die
Spitzen der Wellen glänzten im Wiederſchein. Der
Wind ſtand ſchief gegen die Küſte; die Wellen ſo wie ſie
heranrollten, brachen ſich nicht in gleichzeitigen Stößen,
ſondern ſchief von dem Sande durchſchnitten, rollten ſie
ſich auf und die weiße Brandung ſchlug wie ein weißes
Geſpenſt an uns vorüber. Unſer Weg, der ſich in dem
feuchten Flugſande der Küſte hart am Meere hinzog,
ward von den Wellen überſpült; bald wadeten die Pferde
bis an die Knie im Waſſer, wenn die Welle ſich darüber
hinſtürzte, bald gingen ſie in dem Sande, der nur noch
von dem ziſchenden, verſchwindenden Schaume der Bran-
dung bedeckt war.
Nach der Gluth des Tages war dies gefahrloſe Toben
des Meeres eine Labung; wir entblößten Kopf und Bruſt,
um in dem feuchten Dunſt des gepeitſchten Waſſers zu
baden. Unſer Pole ritt, wie ein Soldat, mit zugeknöpftem
Mantel, unbekümmert um Hitze oder Kälte, gleichgültig
gegen die Ueppigkeit der Weingärten links und gegen die
Majeſtät des donnernden Meeres rechts. Theodoro
mußte ihm ein doppeltes Trinkgeld zahlen und wir gaben
ihm zum Abſchiede die Hand, ſtolz auf den Druck der
– 287 –
Seinigen, die den Säbel in ſo mancher Schlacht für die
Freiheit geführt hatte.
Im Kaffee in Mudania war trotz der Mitternacht
reges Leben; es wimmelte von Griechen und Türken, die
anf das Dampfſchiff warteten. An Schlaf war ohner-
achtet unſerer Müdigkeit nicht zu denken; ein ewiger
Lärm, eine drückende Hitze, der Geruch der Oellampen
und unter uns das Toben der Brandung machten alle
Verſuche dazu fruchtlos. Wir tröſteten uns mit dem
Dampfſchiff, auf dem wir uns erholen wollten in Rein-
lichkeit, Bequemlichkeit und ſchmackhaftem Frühſtück. Um
vier Uhr wurde es ſignaliſirt und wir eilten in einem
Boote ihm entgegen, da es bei der unruhigen See dem
Ufer ſich nicht nähern konnte. Wir kletterten eilig die
Treppe in die Höhe. Aber auf dem Verdeck war kaum
noch Platz zu finden. Jene 300 Rekruten, denen wir in
Bruſſa begegnet waren, fuhren zu unſerm Schrecken da-
mit nach Konſtantinopel und daneben eine große Zahl
türkiſcher Frauen. Der Zuwachs in Mudania vergrößerte
noch das Gedränge und zuletzt war im buchſtäblichen
Sinne keine Stelle auf dem Verdeck, wo man noch treten
konnte. Aus der Kajüte trieb uns die ſtickende Hitze zu-
rück. Selbſt die Brücke, wo der Kapitain kommandirte,
war von Paſſagieren beſetzt.
Indeß, ſtehn konnte ich nicht mehr, ich kletterte alſo
nach dem einzigen Fleck im Schiffe, der noch frei war.
Dies war die Decke des Radkaſtens. Sie war aller-
dings abſchüſſig nicht allein in der Richtung des Rades,
ſondern auch nach der Seite des Meeres zu; aber ich
hatte keine Wahl und da ich meinen Arm um ein eiſer-
nes Geländer nach innen zu legen konnte, ſo ſchien mir
dies ſicher genug, um ſelbſt im Schlafe nicht abzurutſchen.
Die Sache lief auch glücklich ab; auch nach dem Auf-
– 288 –
wachen hielt ich hier regungslos aus, bis die Unruhe
auf dem Schiffe mir ſagte, daß Konſtantinopel ſichtbar
werde. Dem Zauber dieſer Anſicht konnte ich auch dies-
mal nicht widerſtehn; ich vergaß Hitze und Müdigkeit,
das Stoßen und Drängen der türkiſchen Rekruten, um
die Pracht der Anſicht zu genießen. Sie ſchien mir nach
viertägiger Abweſenheit, wie ein aufblühendes Mädchen,
in Reiz und Schönheit zugenommen zu haben.
Ueber die Rekruten kam ein eigener Paroxismus.
Nachdem einer dem anderen Stambul gezeigt, nachdem
unſere Ferngläſer von Hand zu Hand gegangen waren,
um das Innerſte der heiligen Stadt zu erſpähen, fing
plötzlich einer unter Hurrahrufen an, ſeine Kattunjacke
auszuziehen und in das Meer zu werfen. Das Rufen
ward allgemein und einer nach dem Andern warf ſeine
Jacke in das Meer. Bald ſchwammen über hundert bunte
Jacken links und rechts. Ein kälterer Beobachter, der
nur die Rekruten geſehen, hätte vielleicht dies damit er-
klärt, daß die Jacken ſämmtlich abgetragen und zerriſſen
waren, daß ſie nun die Ausſicht hatten, gute Uniformen
an deren Stelle zu erhalten; aber wenn er den Blick
nach dem leuchtenden Konſtantinopel gewendet, würde er
haben eingeſtehen müſſen, daß der letzte Grund in dem
Zauber lag, den der magiſche Anblick auf dieſe einfachen
Söhne der Wüſte ausübte. Die Begeiſterung ſucht dann
nach einem Ausdruck. Das Opfer iſt von jeher dieſer
Ausdruck geweſen. Und da dieſe armen Kinder des Lan-
des nichts hatten, als ihre dürftige Kleidung, ſo opferten
ſie dieſe, wie der König ſeine Hekatomben.
Der Rekrut, den wir am Montag mit in den Holz-
klotz geſchloſſenen Händen begegnet hatten, war jetzt frei.
Ich erkannte ihn an ſeiner rieſigen Geſtalt und den ern-
ſten braunen Zügen ſeines finſtern Geſichts leicht wieder.
– 289 –
Vielleicht hatte er einen alten Vater zu Hauſe, oder hülf-
loſe Kinder, die ihn zu dem Verſuch der Flucht getrieben
hatten. Aber heute hatte er wie die Andern, Vater,
Kinder, Heimath über den Anblick des heiligen Konſtan-
tinopels vergeſſen und brachte, gleich den Andern, ſeine
braune Jacke, vielleicht die einzige, zum Opfer.
A----------------------------------
19
XXVII.
Bujuktere. Das ſchwarze Meer.
Die Zeit unſeres Aufenthalts in Konſtantinopel ging
zu Ende. Wir hatten nur noch drei Tage übrig. Zwei
ſollten davon zu einem Ausfluge benutzt werden, nach
Bujuktere, dem ſchwarzen Meere und die Waſſerleitungen
von Bagdad. Der letzte ward zu Einkäufen und Reiſe-
vorbereitungen beſtimmt.
Der Morgen nach unſerer Rückkehr von Bruſſa ſah
uns daher ſchon 6 Uhr früh wieder in einem zweirudrigen
Kaik, den Bosporus aufwärts ſteuernd. Bei Tiſch war
den Abend vorher viel von einem neuen franzöſiſchen
Schiffe geſprochen worden, was aus Frankreich ange-
kommen ſei und im Hafen liege. Wir hatten dies längſt
vergeſſen, als wir am Morgen in geringer Entfernung
von der Stadt ein prachtvolles Linienſchiff liegen ſahen.
Das Hintertheil trug mit Rieſenbuchſtaben den Namen
Napoleon. Es war kein Zweifel, daß es das be-
rühmte Linienſchiff war, was ſein Neffe hatte bauen
laſſen, und was im verfloſſenen Jahre ſelbſt die Bewun-
derung der Engländer erregt hatte.
Unſere Schiffer mußten uns hinfahren. Unſer Kaik
kroch wie eine Ameiſe an dieſen Elephanten heran; zwei
– 291 –
armsdicke Ankerketten hielten den Rieſen gefeſſelt. Drei
Reihen von Schießſcharten liefen den haushohen ſchwarzen
Mauern entlang, die ſich aus dem Waſſer emporhoben,
und in jeder Reihe ſtarrten die ſchwarzen Mündungen
von 16 großen Kanonen aus ihnen heraus. Trotz der
Strömung und des Wellenſchlages lag das Schiff
regungslos, wie ein Fels im Meere.
Hoch oben erblickten wir eine Schildwache; wir riefen
ihr zu, ob es erlaubt ſei, aufzuſteigen. Nein, rief er,
vor 10 Uhr nicht. Indeſ wir machten unſere Eigen-
ſchaft als Fremde geltend. Der Franzoſe war ſo ge-
fällig, den Offizier fragen zu laſſen, und bald kam die
Erlaubniß. Eine Treppe von drei Stockwerk führte uns
auf das Oberdeck. Als wir eintraten, glaubten wir auf
das feſte Land zu kommen, ſo feſt war der Boden unter
uns. Der Bord war über Mannshoch und darüber
waren noch die Hängematten ſymmetriſch aufgebaut.
Man war dadurch wie abgeſchloſſen in einer kleinen
Welt für ſich.
Der Offizier wies uns freundlich an einen Seekadet,
der uns herumführen und alles erklären werde. Es war
ein Pariſer Kind von 15 Jahren, aber geſetzt und orien-
tirt auf ſeinem Schiffe, wie ein Mann. Das Schiff
hatte 96 Kanonen und 940 Mann Beſatzung. Alle
waren, als wir ankamen, ſchon in voller Regſamkeit.
Auf dem Hinterdeck ging der Admiral Duprat im ein-
fachen blauen Marinefrack mit einem franzöſiſchen Infan-
teriſten im Leinwandrock im eifrigen Geſpräch auf und
ab. Der Kapitain ſtand am Geländer und gab Befehle.
Auf dem breiten aus dicken Balken beſtehenden Deck
ſtanden den zwei Seiten entlang die ſchwarzen 32pfündi-
gen Kanonen, deren Mündungen wir von unten geſehen
hatten. Jede war mit ſtarken Tauen loſe umſchlungen,
19*
– 292 –
um bei dem Schuß das zu weite Zurückprallen zu hindern.
In der Mitte lagen Reihen von Kugeln aufgeſchichtet.
Dieſelbe Aufſtellung wiederholte ſich in dem zweiten und
in dem unterſten Deck. In der Mitte jeder Bordſeite
ſtanden ſtatt Kanonen, jedesmal zwei Paixhans, die acht-
zigpfündige Kugeln ſchoſſen. Unſer Kadett machte uns
noch auf mit Eiſen beſchlagene Hohlkugeln mit einer be-
ſondern Füllung aufmerkſam, deren Inhalt ein Geheim-
niß war, und auf die er mehr Werth legte, als auf jene
achtzigpfündigen Eiſenkugeln, die ſchon beim Rollen das
Deck donnern machten.
Der Speiſeſaal im zweiten Deck für die Offiziere war
höchſt einfach, ein langer runder Tiſch, gewöhnliche Stühle
und ein breiter Spiegel war das ganze Möblement. Die
Verpflegung der Leute iſt ſehr reichlich. Früh erhalten
ſie, wie der Kadett uns ſagte, Thee oder Kaffee mit Rum
und Zwieback; um 12 Uhr zum zweiten Frühſtück Suppe,
Gemüſe, Brot. Um 7 Uhr zu Mittag, erhalten ſie Suppe,
Gemüſe, Fleiſch und Wein. Auf dem Schiffe war eine
eigne Bäckerei, die jeden Tag friſches Brot lieferte.
Um 8 Uhr erklang, während wir im unterſten Deck
herumkrochen, plötzlich eine vollſtändige Militärmuſik. Es
wurde die Flagge aufgezogen, welche, wie die Fahne bei
der Infanterie, bei dem Aufziehen und bei dem Ein-
ziehen jeden Tag dieſe Ehrenbezeugung erhält. Das
Schiff war zugleich vollſtändiges Segelſchiff und Schrauben-
dampfer. Die untern Stücke der Maſten hatten 5 Fuß
im Durchmeſſer und waren aus mehreren ſtarken Stämmen
zuſammengeſetzt. Die Maſchine hatte 950 Pferdekräfte.
Intereſſant war das vor dem Steuerruder angebrachte
Modell der großen eiſernen Schraube, die die Bewegung
bewirkte. Dies Modell, genau im kleinen gearbeitet, wie
die große Schraube, bewegt ſich auch bei dem Gange des
– 293 –
Schiffes, genau wie die große und läßt die Schnelligkeit
der Umdrehungen und ſomit die Bewegung des Schiffes
erkennen. Die Schraube glich genau den vier Flügeln
einer Windmühle, nur ein wenig ſchiefer geſtellt. Die
mechaniſche Wirkung iſt auch genau dieſelbe. Bei der
Windmühle bewirkt die Bewegung der Luft das Drehen
der Flügel; hier bewirkt das Drehen der Flügel die Be-
wegung des Waſſers, welche, da das Schiff nicht feſt ſteht,
wie die Mühle, das letztere vorwärts treiben muß.
Wir wurden von den Offizieren und der Mannſchaft
überall mit großer Artigkeit behandelt. Die Mannſchaft
hatte ein ſehr vergnügtes Ausſehn, und wir bemerkten,
obgleich das Schiff nicht von Frankreich, ſondern von
Varna kam, keine Spur von Cholera. Die Uniform der
Marineſoldaten war ſehr kleidſam. Eine blaue Jacke,
weiße Pantalons, bloßer Hals mit zurückgeſchlagenem
Hemdskragen und ein breitkrämpiger Strohhut mit einem
in langen Enden flatternden Band, auf dem rings an dem
Hut mit großen Buchſtaben: Napoleon zu leſen ſtand.
Wir dankten unſerem Cadett, und neigten uns, als wir im
Kaik zurückgekehrt, vor dem koloſſalen Bruſtbild Napoleon I.
mit dem goldnen Lorbeerkranz an dem Vordertheil vorbei-
fuhren; er meinte die Revolution zu bekämpfen, und er
war es, der ſie aus Frankreich nach ganz Europa brachte.
Die Türken ſtanden mit den Verbündeten, überall wo
ſie ſich begegneten, auf dem freundlichſten Fuße; nicht die
disciplinirten Beamten, deren giebt es glücklicherweiſe noch
wenig, ſondern das Volk. Wir wurden von einem Dampfer
überholt, der eine engliſche Fregatte von 72 Kanonen nach
Varna zog. Unſere Ruderer winkten den Engländern auf
der Fregatte, und bereitwillig warfen dieſe ein Tau her-
unter, das, an unſern Kaik gebunden, dieſen mit Dampfes-
– 294 –
ſchnelle mit fortriß in den Sprudel und in die Wirbel,
die die Fregatte hinter ſich ließ.
Bei Bujuktere ließen wir halten. Die Bai von Bu-
juktere iſt die ſchönſte des ſchönen Bosporus. Sie kann
große Flotten beherbergen; jetzt lagen nur zwei kleine
ſchmächtige Dampfboote wie Zwillinge darin, es waren
zwei Boote des Trieſter Lloyd, zu den Donaufahrten be-
ſtimmt, aber durch die ruſſiſche Blokade des Stromes jetzt
ohne Beſchäftigung. Bujuktere iſt das Dorf, wo die euro-
päiſchen Geſandten im Sommer wohnen. Es hat auch
vortreffliche Hotels. Wir frühſtückten in dem Hotel: Le
Croissant, wo wir in der Wirthin eine muntere Wienerin
- und unter den Gäſten die Eigenthümerin unſers Gaſthofes
in Conſtantinopel kennen lernten. Sie war eine Griechin
und kam, um bei dem öſtreichiſchen Geſandten die Unter-
ſtützung in ihrer Entſchädigungsangelegenheit gegen die
Pforte nachzuſuchen, die ſich noch aus der Griechiſchen
Revolution herſchrieb. Sie hatte damals in Salonichi
gelebt und hatte durch die Plünderung der Türken ihr
großes Vermögen verloren. Auch den General Klapka
trafen wir, der bei dem franzöſiſchen und engliſchen Ge-
ſandten ſeine Zulaſſung in den türkiſchen Dienſt betrieb.
Er kehrte unverrichteter Sache mit nachdenklicher Miene
zurück. Es war ein ſchöner Mann, ſelbſt in dem ſchwar-
zen Frack und Hute.
Wir beſtellten Quartier bei unſerer Wienerin für die
Nacht und fuhren mit dem Kaik weiter gen Rußland, dem
ſchwarzen Meere zu. Als fürchteten die Leute dieſe Nähe,
hört die Reihe der Paläſte, Landhäuſer, Dörfer und Mi-
narets hinter Bujuktere mehr und mehr auf. An deren
Stelle treten die Thürme und Wälle der alten türkiſchen
Schlöſſer auf der Höhe und die neuen Batterien in der
Tiefe; das Leben und der Friede verſchwindet. Die Oede
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und die Feſten des Krieges beginnen. Auch die Ufer
wechſeln. Die lieblichen Gärten, die grünen, ſanft auf-
ſteigenden Berge weichen kahlen, felſigen, ſteilen Ufern.
Endlich öffnet ſich der Bosporus. Die Ufer weichen
plötzlich nach beiden Seiten in rechten Winkeln zurück, und
das ſchwarze Meer liegt ausgebreitet, grenzenlos da. Es
iſt ein plötzlicher Uebergang von dem reizenden Fluß in
das Meer in all ſeiner Majeſtät. Die Wogen, die plötz-
lich breit und mächtig uns entgegenkamen, ſagten uns
dies, und wir wandten uns links nach dem Dorfe, wo
der Leuchtthurm ſtand. Die Schiffe legten an, und wir
beſtiegen den Thurm. Er gab uns eine weite Ausſicht
in das Meer, deſſen Zukunft groß über alle Vorſtellun-
gen ſein wird, wenn Rußlands Despotie an dieſer Seite
gebrochen wird, wenn der Reichthum der Länder, die ſeine
Küſten bilden, der ſchönſten Länder der Welt, durch freien
Handel mit dem Abendlande ſeinen Abfluß findet. Dann
wird dies Meer nicht mehr das ſchwarze heißen, dann
wird es ſeinen alten Namen wieder annehmen, Pontus
euxinus, gaſtfreies Meer.
Wir zählten auf einmal 16 Schiffe, nah und fern,
kommend und gehend, alle auf dem Wege zwiſchen Varna
und Conſtantinopel. An den Felſen des Ufers lag ein
Haufen ſchwerer, langer Ketten; es waren die Ankerketten,
die einzigen Ueberbleibſel eines im Frühjahr hier geſtran-
deten Schiffes. Nahebei heben ſich die Sympleiaden, die
dem Argonautenzuge ſo gefährlichen Klippen. Wir konn-
ten deutlich auf der größten einen weißen Säulenſchaft
erkennen, der ſich von dem grauen Felsboden abzeichnete.
Er heißt die Säule des Pompejus; es iſt indeß mehr
Fußgeſtell, vielleicht auch nur ein Altar aus der Römerzeit.
Auf dem Rückwege beſtiegen wir den Rieſenberg, den
höchſten Punkt an den Ufern des Bosporus, mit einer
– 296 –
weiten Ausſicht über das ſchwarze Meer, über die Küſten-
ſtriche Europas und Aſiens. Der Berg war vom Fuß
bis zur Spitze bewachſen mit Rhododendron, Eriken und
Gebüſch von Stacheleichen, und eingehüllt in den dichten
Wohlgeruch, der aus dieſen Blumen und Sträuchen empor-
ſtieg. Auf der Höhe fanden wir eine zahlreiche Geſell-
ſchaft von Türken. Der Berg iſt ein Lieblingspunkt der
Türken. Eine Moſchee zierte den Gipfel und daneben
lag das Grab des Rieſen Joſua, bei den Griechen der
Ruheſitz des Herkules. Das Grab iſt ſorgfältig gehalten,
mit Quaderſteinen eingefaßt und mit Geſträuchen bepflanzt.
Dieſe Geſträuche waren über und über mit weißen und
bunten Lappen behangen; wir begriffen dies nicht, bis
der Wächter uns erklärte, daß dies Grab die wunder-
thätige Kraft beſitze, Fieber zu heilen, wenn der Kranke ein
Stück von ſeiner Kleidung mit eigner Hand hier hinhängt.
Auch türkiſche Frauen mit Kindern waren auf dem Berge;
aber völlig abgeſondert und durch dichtes Gebüſch von
den Männern getrennt, und ſelbſt wir mußten, als wir
durch das Gebüſch traten, auf das Geſchrei der Frauen,
uns diesmal in die türkiſche Sitte fügen.
An der Mitte des Berges, wo er ſattelartig mit einem
andern ſich verband, war dagegen europäiſches Leben.
Seit zwei Tagen war das 20. engliſche Infanterie-Regiment
angekommen und hatte hier ein Lager bezogen. Es war
ein reizender Punkt, wie geſchaffen zum Schutz gegen die
Cholera. Die weißen Zelte ſtanden gruppenweiſe auf
dem grünen, ſanft ſich hebenden Berghang und die rothen
Engländer dazwiſchen waren geſchäftig im Putzen der
Waffen, Hacken des Holzes, Waſchen und Kochen. In
jedem Zelte lagen 16 Mann; das Regiment hatte 1040
Mann. Auch hier war ſchon reger freundlicher Verkehr
zwiſchen Türken und Engländern, obgleich keiner den an-
– 297 –
dern verſtand. Ein Türke brachte ein großes Blechgefäß
mit Milch; der Engländer wollte nicht blos die Milch,
ſondern auch den Blechtopf kaufen; aber er war nicht im
Stande, dies dem Türken begreiflich zu machen, und als
wir ihnen mit Theodoro zu Hülfe kamen, ſchüttelte der
Türke den Kopf und wollte ſeinen alten Blechtopf ſelbſt
um eine blanke ſilberne halbe Krone nicht hergeben.
Auf derſelben Stelle, wo jetzt die engliſchen Zelte
ſtanden, war 21 Jahre früher das Lager der 16,000 Mann
Ruſſen, welche dem Sultan gegen den Vicekönig von
Egypten zu Hülfe kamen. Das Thal heißt Chunkar-
Iskeleſſi ( Landungsplatz des Kaiſers). Hier wurde da-
mals der berüchtigte Vertrag geſchloſſen, worin die Türkei
verſprach, fremden Kriegsſchiffen das Einlaufen in die
Dardanellen zu verſagen, und Rußland dagegen der Türkei
treue Hülfe zuſagte in allen ferneren Kriegen.
Der ſchöne Tag ward durch einen gleich ſchönen Abend
geſchloſſen. Die Kapelle, welche in Pera des Abends auf
der Promenade ſpielt, kommt jeden Freitag nach Bujuktere
und ſpielt auf einer Terraſſe hart am Bosporus. Wir
fanden eine zahlreiche Geſellſchaft von Griechen und Eu-
ropäern dort, aber nicht einen einzigen Türken.
Für den andern Morgen hatten wir Pferde beſtellt,
um Belgrad zu beſuchen. Belgrad iſt ein Dorf, zwei
Stunden von Bujukdere, mitten in dem ſchönſten Eichen-
und Buchenwald gelegen. Nie berührt eine Axt einen
Baum dieſes Waldes, er iſt gefeiet; in ihm befinden ſich
die großen Waſſerbehälter, welche durch Leitungen Kon-
ſtantinopel mit Waſſer verſorgen, und um die Quellen
nie verſiegen zu machen, darf kein Baum geſchlagen werden.
Mehrere dieſer Aquadukte rühren noch von Juſtinian und
andern griechiſchen Kaiſern her. Leider kamen unſere Pferde
ſo ſpät, daß wie dieſen Ausflug aufgeben mußten. Das
– 298 –
Thal von Bujuktere nach Belgrad iſt aber ſo lieblich, daß
wir einen Theil davon zu Fuß durchwanderten.
An ſeinem Eingange ſteht die Rieſenplatane, unter der
Gottfried von Bouillon im Jahre 1096 mit dem Heere
der Kreuzfahrer geraſtet haben ſoll. Aus der Eutfernung
glaubt man ſieben große Platanen zu ſehen; kommt man
aber näher, ſo zeigt ſich, daß ſie nur Zweige eines Stam-
mes ſind, der noch heute friſch und geſund iſt. Gegen
Abend, wenn die Schatten ſich verlängern, haben aller-
dings Tauſende in ſeinem Schatten Platz.
Schon hier zeigten ſich die Doppelbögen der von
Sultan Mahmud I. 1732 erbauten Waſſerleitung, welche
Pera mit Waſſer verſorgt. Zwei Reihen weißer Gewölbe,
eine über der andern, traten im Hintergrunde glänzend
aus dem dichten Grün des Thales hervor. Je mehr wir
uns ihnen näherten, deſto majeſtätiſcher hoben ſie ſich,
an Feſtigkeit und Größe mit den Bauten der Römer ſich
meſſend. Wir kletterten den Thalrand an ihren Seiten
in die Höhe und gelangten auf das obere Stock. Der
Waſſerſtrom war mit Quadern verdeckt; hier und da war
indeß in orientaliſcher Pietät eine Oeffnung angebracht
mit einer Trinkſchaale für Durſtige.
Der Waſſerbehälter oder Bend auf türkiſch, aus dem
dieſe Leitung ihr Waſſer erhält, war nur eine halbe
Stunde weiter, hinter einem griechiſchen Dorfe. Eine
ſtarke, maſſive, breite Mauer war gleich einem Damm
quer durch ein enges tiefes Thal geführt; die Quellen
des Thales bildeten ſo vor dieſer 60 Fuß hohen Mauer
einen tiefen See, der ſich lang in dem engen Thal hin-
aufzog.
Die Ausſicht von der Mitte der Mauer in dieſes
Thal war überaus lieblich. Die Landſchaft war aus den
eiufachſten Elementen gebildet. Steil abfallende Thal-
– 299 –
ränder mit Eichengebüſch dicht bewachſen; ein glatter
Waſſerſpiegel unter ihnen; der blaue Himmel über ihnen.
Die braungrünen Zweige tauchten unten in das grünliche
Waſſer, oben in den blauen Himmel. Die vollkommenſte
Ruhe lag über dem Ganzen; die Waſſer regten ſich nicht;
die Blätter zitterten kaum. Nur unter uns hörten wir
das dumpfe Rauſchen des Waſſerſtromes, der in die Lei-
tung abfloß.
Dieſe Bends ſind ein Lieblingsaufenthalt der Türken.
Sultan Mahmud II., der grauſame Vernichter der Janit-
ſcharen, beſuchte allwöchentlich den von ihm in Belgrad
1815 angelegten Bend und feierte noch drei Wochen vor
ſeinem Tode hier ein ländliches Feſt. Die Schönheit
dieſer Bends entſpricht dem Charakter der Türken. Dieſe
tiefe Stille, dieſe Einfachheit der Mittel, dieſe Einſamkeit
harmonirt mit dem ſinnenden, träumenden Schweigen, dem
ſich der Türke überläßt, ſobald er nicht zum Handeln ge-
nöthigt iſt.
Mit dem Dampfboot kehrten wir nach Konſtantinopel
zurück. Eine große Zahl türkiſcher Beamten, die auf
ihren Landſitzen leben, fahren regelmäßig damit in ihre
Büreaus nach Stambul und kehren um 4 Uhr damit
nach Hauſe zurück. Noch hat die Türkei keine ſo langen
Dienſtſtunden wie das geſchäftige Europa. Vor 10 Uhr
iſt kein Subaltern in ſeinem Büreau und um 4 Uhr ſind
alle bereits geſchloſſen. Die höhern Beamten kommen erſt
gegen 12 Uhr. Redſchid Paſcha fuhr mit demſelben Boote
nach Stambul. Für ihn und ſeine Begleitung war ein
Platz hinter der Kajüte mit bequemen Lehnſtühlen vor-
behalten; im Uebrigen war das Boot zum Erdrücken voll
und alle Nationen waren hier auf das friedlichſte an ein-
ander gepreßt. -
XXVIII.
D ie Baz a r s.
Es iſt nicht leicht, in Konſtantinopel Gegenſtände zu
finden, die ſich zu kleinen Geſchenken oder Andenken
eignen. Was irgend zur Fabrikation im Großen paßt,
wird in Europa gefertigt und eingeführt; die ächt tür-
kiſchen Artikel nehmen mit jedem Jahre ab. Die tür-
kiſchen und perſiſchen Shawls ſind jetzt ſelbſt in Kon-
ſtantinopel eine Seltenheit und von Wiener und Pariſer
Fabrikaten verdrängt. Bei den Armeniern in Konſtanti-
nopel findet man Goldſchmuck von einem eigenthümlichen
Geſchmack. Wir ſahen Ketten und Armbänder, durchaus
maſſiv gearbeitet, die durch ihre einfachen aber ſchweren
Formen noch den orientaliſchen Charakter an ſich trugen;
ſie waren aber theuer; ein gutes Armband war nicht
unter 40 Napoleons zu haben.
Ein Hauptartikel für Reiſende iſt der türkiſche
Taback – der beſte kommt aus Rumelien. Er hat eine
gelbe Farbe, keine oder wenig Beitze und iſt ſehr fein
geſchnitten. Man kauft ihn in offenen Buden in den
Straßen. Wir mußten für die beſte Art ungefähr zwan-
zig Silbergroſchen das Pfund bezahlen. Der Taback zu
dem Nargileh iſt davon verſchieden; er hat eine grau-
– 301 –
-
braune Farbe, iſt gröber geſchnitten und ſoll von einer
andern Pflanze kommen. Vor dem Rauchen muß dieſer
in Waſſer getaucht und in einem Tuche ausgepreßt wer-
den; er wird dann feucht aufgelegt und geraucht.
Tabacks pfeifen. Die Türken rauchen noch jetzt
aus langen Pfeifen; indeß wird der türkiſche gelbe Taback
in Pera auch als Cigarre geraucht. Es giebt Buden,
wo man kleine Bücher von einer feinen Art Papier ohne
Leim verkauft; aus ſolchem Buche wird ein Blatt aus-
geriſſen, darin etwas Taback gewickelt und als Cigarre
geraucht. Eigentliche Cigarren haben wir in Konſtanti-
nopel nicht geſehen. Mit den Pfeifen wird bei den Tür-
ken großer Luxus getrieben. Das Rohr iſt von Weichſel-
holz, von Roſenholz, von Cedernholz und andern feinen,
wohlriechenden Arten, die ſehr theuer ſind. Die Spitzen
ſind von Bernſtein, der in Konſtantinopel das Doppelte
gegen Deutſchland koſtet. Eigenthümlicher ſind die Nar-
gileh. Wir kauften ein Rohr dazu, von gelbem Leder
mit Silberfäden, gut gewunden, ſechs Ellen lang, für
1!4 Thaler. Die dazu gehörenden Meſſingröhren kauft
man für ohngefähr 1 Thaler. Die Glasurnen dazu
kommen ſämmtlich aus den Glasfabriken Böhmens.
Man kauft ſie deshalb in Deutſchland weit billiger; indeß
ſind ſie da ſchwer zu haben; in Wien war keine zu fin-
den; zur Noth kann jede Waſſerflaſche dazu benutzt werden.
Gold- und Silberſtickereien. Sie beſtehen aus
Beuteln, Mützen, kleinen Shawls u. ſ. w. Die Sticke-
reien, die man in Damaskus kauft, ſind weit ſchöner,
als die in Konſtantinopel. Sie beſtehen aus einem Ge-
webe von Seide, mit Gold- oder Silberfäden vermiſcht,
in das Zierathen in perſiſchem und türkiſchem Geſchmack
eingewirkt ſind. Man kauft einen Beutel mit der Namens-
Chiffer des Sultans für drei und einen halben Thaler,
– 302 –
der auch für Damen in Deutſchland ein paſſendes und
originelles Geſchenk iſt.
Roſenöl wird in beſonderen Buden verkauft. Es
giebt davon beſſere und ſchlechtere Sorten. Das beſte
kommt aus der Umgegend von Adrianopel. In ſolchen
Buden ſind zugleich die dazu nöthigen Flacons zu haben.
Man bezahlt für ein ſolches Flacon, mit Roſenöl der
beſten Qualität gefüllt, ohngefähr einen halben Thaler;
es gehen aber nur einige Tropfen in ein ſolches Flacon.
Der Geruch iſt ſehr ſtark; er wird erſt angenehm, wenn
er ſich der Wäſche und den Kleidungsſtücken mitgetheilt hat.
Wir kauften ſpäter auch in Smyrna Roſenöl, was beſſer
war, als das beſte in Konſtantinopel.
Wohlriechende Perlen und Paſtillen kauft man
ſehr billig, die Perlen ſind von einem wohlriechenden
Holz gefertiget, ſehr fein gearbeitet, auf ein Goldſchnur
aufgereiht und mit Kreuzen vom ſelben Holze und Gold-
quaſten, verziert. Solche Schnur, die von Damen auch
als Armband mitunter getragen werden kann, koſtet ein
bis zwei Thaler. Die Paſtillen werden zum Räuchern
der Zimmer benutzt. Man legt ſie auch auf die Pfeifen-
köpfe bei dem Rauchen.
Geſtickte Pantoffeln gehören ebenfalls zu den
eigenthümlichen Waaren Konſtantinopels. In den Ba-
zars ſind ganze Straßen nur von Buden mit Pantoffeln
gebildet. Die gelben Pantoffeln für die türkiſchen Frauen
haben ſtarke Sohlen, und eine nach oben krumm ge-
bogene Spitze. Das Oberleder iſt aber ſehr kurz, ſo daß
die Frauen beim Gehen ſtets in Gefahr ſind, ſie zu ver-
lieren. Daher ſchreibt ſich der ſchleppende ungraziöſe
Gang der türkiſchen Frauen. Ein leichtes behendes Heben
der Füße iſt ihnen unmöglich; ſie würden das Schuh-
werk verlieren; ſie ſchleifen die Füße einwärts gekehrt,
– 303 –
auf dem Boden hin. Wahrſcheinlich haben die meiſten
auch krumme Beine, als Folge ihrer Art zu ſitzen; alles
dies zuſammen macht den Anblick einer türkiſchen Frau
in den Straßen Konſtantinopels zu dem häßlichſten, was
man ſich vorſtellen kann. Die Pantoffeln für die Frauen
des Serail haben überdem nach beiden Seiten aufwärts
gebogene Sohlen. Hübſcher ſiud die geſtickten Pantoffeln
von der in Europa gebräuchlichen Form. Sie ſind von
rothem, violettem und anderem Sammet, mit bunten
Sohlen; ſowohl der Sammet als das innere der Sohle
iſt in Gold fein geſtickt. Ein Paar Pantoffeln dieſer
Art koſtet zwei Thaler.
Türkiſche Kaffeetaſſen von Porzellan mit Unter-
ſetzen von Silber eignen ſich ihrer Eigenthümlichkeit wegen,
ebenfalls zum Ankauf. Das Porzellan iſt mitunter ſtark
vergoldet oder verſilbert; die Unterſetzer hat man von
feiner Filigranarbeit. Für 3 Thaler kann man Beides
ſehr hübſch kaufen.
Auch türkiſche Tintenfäſſer ſind eigenthümlich. Da
in der Türkei nur der Gelehrte ſchreiben kann, ſo giebt
es in Konſtantinopel eine beſondere Schreiberzunft, die
gleich andern Handwerkern ihre offenen Buden an den
Straßen haben. Wer etwas zu ſchreiben hat, wendet
ſich an ſolchen Mann; dann müſſen ſie auch empfangene
Schriften dem Beſitzer vorleſen und erklären. Man er-
kennt dieſe Schreiber auf der Straße an dem Tintenfaß,
was ſie im Gürtel ſtecken haben. Es beſteht aus einem
kurzen Pennal von Meſſing für die Feder, an welches
ſich das Tintefaß ſeitwärts anſchließt, was durch einen
Schieber von Meſſing verſchließbar iſt. Das ganze ähnelt
einer Piſtole, von Meſſing.
Höchſt läſtig wird der Mangel an kleiner Münze in
Konſtantinopel. Wir haben nur ſelten ein türkiſches
– 304 –
Gold- oder Silberſtück im Verkehr geſehen. Statt deren
kurſirt ein türkiſches Papiergeld in Zehn- und Zwanzig-
piaſter-Stücken, in dem Werthe von halben und ganzen
Thalern. Dies Papiergeld iſt größer, wie das in Deutſch-
land übliche, von der Form eines Oktavblattes, von
grauem oder gelblichem Papiere und durch eine Reihe
von Verzierungen und mehrere trockene Stempel gegen
Nachmachung ziemlich geſchützt. Für den Fremden, der
kein türkiſch verſteht, haben ſie den Uebelſtand, daß die
Zehnpiaſter-Noten von den Zwanzigpiaſter-Noten nicht
zu unterſcheiden ſind. Neben dieſem Papiergelde giebt
es nur noch Kupfermünzen; halbe, ganze und doppelte
Piaſter. Dieſe Kupfermünzen ſind aber ſo ſelten, daß
man ſie bei dem Wechsler mit zwanzig Prozent Verluſt
kaufen muß. Auf einen Napoleon erhielten wir in Pa-
pier 110 Piaſter; wenn wir aber Kupfermünze verlangten,
ſo erhielten wir nur 90 Piaſter. Nebenbei kurſiren öſter-
reichiſche Zwanziger, franzöſiſche Franken, engliſche Schil-
linge und ruſſiſche Kopekenſtücke, alle zu einem feſten
Kurs in Piaſtern. Iſt man indeſ nicht mit reichlicher
Kupfermünze verſehen, ſo hat man bei jeder Bezahlung
eines Kaikführers oder eines kleinen Einkaufes Schwierig-
keiten und Verluſte, weil Niemand auf größere Münzen
herausgeben kann. Mehrere Conditoreien in Pera haben
deshalb Piaſtermarken für den Verkehr mit ihren Gäſten
eingeführt. Der immenſe Verkehr der Hauptſtadt in
kleinen Ausgaben leidet unſäglich durch dieſen Mangel
an Scheidemünzen. Das Papiergeld hat noch die Eigen-
thümlichkeit, daß es wohl in der Hauptſtadt aber nicht
in allen Provinzen Cours hat. In Smyrna wird im
Verkehr kein türkiſches Papiergeld angenommen.
Im Allgemeinen fanden wir die Preiſe der Waaren
in Konſtantinopel hoch, und die Qualität mangelhaft.
– 305 –
Die Bereitung der Handwerkswaaren ſteht noch auf den
niedrigſten Stufen; alle Fortſchritte, die, ſelbſt abgeſehen
von Maſchinen und Fabriken, in Europa für die Hand-
werker gemacht worden ſind durch Einführung beſſerer
und zweckmäßigerer Werkzeuge und Verfahrungsweiſen,
ſind in Konſtantinopel noch völlig unbekannt; der Schuh-
macher, der Drechsler, der Goldarbeiter, der Schmidt ar-
beitet heute noch ſo wie vor 400 Jahren. In Folge der
Neigung der Türken zum Sitzen, werden viele Thätig-
keiten im Sitzen abgemacht, die man in dieſer Stellung
bei uns für unausführbar halten würde, und die Füße
werden dabei mehr benutzt, als in Europa. Der Drechs-
ler, der Horndreher dreht das Rad mit der Hand und
hält das zu bearbeitende Stück Holz oder Horn mit den
Zehen während des Drechſelns, was natürlich nur im
Sitzen ausführbar iſt. Der Tiſchler, der Faßbinder und
Stellmacher arbeitet im Sitzen; er dreht und wendet den
Gegenſtand um ſich herum, während bei uns der Arbeiter
ſich um dieſen dreht und wendet.
Was man in Europa Bazar nennt, heißt in Stam-
bul Beſeſtan; es giebt einen großen und kleineren Be-
ſeſtan. Sie ſind beide Stadtviertel in ſich, ſo groß, daß
man ſich leicht in ihnen verirren kann. Sie beſtehen
aus einer Menge ſich kreuzender Straßen, die eben ſo
krumm und ſchlecht gepflaſtert ſind, wie die übrigen, die
aber überwölbt ſind und ſo Gallerien bilden, deren Ge-
wölbe mit Fenſtern durchbrochen ſind und an deren beiden
Seiten ſich die Buden der Verkäufer mit ihren Waaren
befinden. Sämmtliche Verkäufer einer Waarengattung
haben ihre Buden nebeneinander; ſo giebt es darin
Straßen, wo man nichts ſieht, als Gold- und Silberar-
beiten, andere mit nichts als Schuhwerk, andere mit nichts
als Schnittwaaren, andere mit nichts als Sämereien und
- 20
– 306 –
Colonialwaaren. Die Buden und Gewölbe ſind ohne
Eleganz; hinten iſt die Niederlage der Waaren, vorn auf
einem breiten, die Länge der Bude einnehmenden Tiſche
ſind die Waaren zum Verkauf aufgeſtellt, wie auf unſern
Jahrmärkten. Eine große Zahl Handwerker arbeitet auf
dieſen Tiſchen ſitzend. Die Beſeſtan ſind für den Handel
lange nicht hell genug; man befindet ſich überall in einem
Zwielicht, wie in dem Hintergrunde unſerer großen Ge-
wölbe. Neben den Fußgängern paſſiren auch Reiter und
Wagen mit türkiſchen Frauen die Beſeſtan, was die
Schwierigkeiten vermehrt. Alles dies zuſammen macht
durchaus nicht den Eindruck des Glanzes, des Luxus und
der Eleganz, den man von dieſen Bazars in Europa zu
haben pflegt. Selbſt die Waaren ſind nicht in ſolcher
Fülle und ſolchen ausgezeichneten Stoffen ausgeſtellt, wie
in den großen Städten Europas. - -
Die Beſeſtan werden um 6 Uhr Abends geſchloſſen;
große Thore mit mächtigen Schlöſſern verſchließen dann
den Eingang und ſelbſt die Eigenthümer der Waaren
werden nach dieſer Zeit nicht mehr eingelaſſen. Deshalb
laſſen aber dieſe alle ihre Waaren auch des Nachts ſo
offen liegen und ſtehn, wie am Tage, ſelbſt die Silber-
und Goldwaaren. In dieſen Beſeſtan ſind nicht bloß
die Türken Verkäufer; auch die Armenier, Juden und
Griechen haben hier ihre Verkaufsſtellen, völlig unter-
miſcht mit jenen. Es iſt deshalb, wenn man keinen zu-
verläſſigen Dragoman hat, nicht leicht, ſicher zu ſein, daß
man von einem Türken kauft. Am leichteſten iſt es noch
des Sonntags, wo die Griechen und Armenier ihre
Buden geſchloſſen halten, die der Türken aber offen ſind,
weil der Freitag bei ihnen der Tag der Ruhe iſt. Die
Rechtlichkeit und Einfachheit der Türken als Verkäufer
hat übrigens ſich gemindert; wir fanden, daß ſie die
– 307 –
Vorbeigehenden anrufen, zum Einkauf auffordern und
daß ſie bei dem Handel vorſchlagen; nur noch nicht in
der argen Weiſe, wie die Juden und Griechen.
Neben dem Beſeſtan ſind noch alle belebteren Straßen
Conſtantinopels auf beiden Seiten mit fortlaufenden Rei-
hen von Verkaufsſtellen beſetzt. Alle Handwerker arbeiten
hier in dem Erdgeſchoß der Häuſer, welches als Werkſtatt
und Verkaufsladen dient, und nach der Straße zu völlig
offen iſt. Auch hier wohnen die Handwerker einer Gat-
tung beiſammen. Endlich giebt es auch Verkaufsſtellen
in den Vorhöfen der Moſcheen, und dieſe heißen in Stam-
bul die Bazars. * -
Die auswärtigen Kaufleute, namentlich die Großhänd-
ler, halten mit ihren Waaren nicht in den Bazars und
Beſeſtan feil, ſondern in den ſogenannten Khans. Dies
ſind große ſteinerne Gebäude, meiſt Vierecke, die einen Hof
einſchließen und aus mehreren Stockwerken beſtehn. Sie
enthalten nichts als leere Zimmer. Kommt ein Kaufmann
aus Perſien, aus Arabien, aus Aegypten, ſo bezieht er
mit ſeiner Waare ein ſolches Zimmer und hat für ſeine
Verpflegung und Bedienung allein zu ſorgen. Er zahlt
dafür eine ſehr unbedeutende Miethe. Die Khans theilen
ſich nach Nationen; es giebt deren für die Perſer, für
die Cirkaſſier, für die Kaufleute aus Meſopotamien u. ſ. w.
20?
XXIX.
Der S cla v en markt.
Wir hatten ſchon öfters unſern Dragoman aufgefor-
dert, uns nach dem Sclavenmarkt in Conſtantinopel zu
führen. Er hatte wiederholt es unter dem Vorgeben ab-
gelehnt, daß dieſer Markt nicht mehr exiſtire. Dies war
als abgemacht angenommen, als wir den vorletzten Tag
unſeres Aufenthalts bei dem Durchſtreifen Stambuls in
eine freiere Straße gelangten, welche meinem Freunde große
Aehnlichkeit mit dem Bilde des Sclavenmarktes zu haben
ſchien, was er gelegentlich geſehen hatte. Unſer Dragoman
wurde nochmals zur Rede geſtellt, und nachdem er ſich
erkundigt, ergab es ſich, daß wir wirklich an dem geſuch-
ten Orte uns befanden. Es war ein länglicher freier Platz,
an der einen Seite mit beſſeren Kaffeehäuſern beſetzt, an
der andern liefen Bretterbuden hin, ähnlich den Werkſtät-
ten der Handwerker. Der innere Raum war aber abge-
theilt und der hintere Theil durch einen höheren Bretter-
verſchlag den Augen der Vorübergehenden etwas entzogen.
Vor jeder dieſer Buden ſaß ein Araber in türkiſcher Klei-
dung mit den braunen Teint und den feinen Zügen ſei-
ner Nation. Dies war der Sclavenhändler. Die Sclaven,
alles Schwarze und nur weibliche Sclaven, befanden ſich
– 309 –
in dem hintern Verſchlage zu acht bis zwölf Stück. Das
Ganze ähnelte den Verkaufsſtellen für Schafe und Schweine
auf europäiſchen Viehmärkten, wo die Thiere auch in Hor-
den oder Verſchläge abgeſperrt ſind.
Wir erhielten leicht die Erlaubniß, näher zu treten und
die Sclavinnen in ihren Ställen zu betrachten. Sie wa-
ren. Alle guten Muths und heitern Sinnes. Es waren
ächte Negergeſtalten, kräftige, oft rieſige Figuren, mit krau-
ſen, ſchwarzen Wollhaaren, breitem Geſicht, vorſtehenden
Backenknochen und großem Mund; die Backen durch meh-
rere Schnitte aufgeſchlitzt und vernarbt. Ihre Kleidung
war die gewöhnliche türkiſcher Frauen, ein Mantel und
ein Schleier. Sobald ſie unſer anſichtig wurden, ſtreckten
einzelne die Hände aus zu einem Geſchenk, Andere ver-
ſteckten die Geſichter oder lachten. Der größere Theil dieſer
Sclavinnen war bereits als Mädchen von zehn bis zwölf
Jahren nach Conſtantinopel gekommen, und hatte ſchon
mehrere türkiſche Herrn gehabt. Einzelne ſchienen indeß
friſche Waare aus Aethiopien zu ſein. Aethiopien, Abeſ-
ſinien, Darfur ſind die Länder, welche in unerſchöpflicher
Weiſe die ganze Türkei mit ſchwarzen Sclaven und Scla-
vinnen verſorgen. Ihre Zahl fanden wir überall bedeu-
tend; ſie mögen den zehnten Theil der Bevölkerung der
Städte bilden.
Das Verhältniß derſelben zur Herrſchaft iſt weit beſſer
als das der Dienſtboten in Europa, nur der Name iſt
abſchreckend. Die Sclaven bilden in allen wohlhaben-
deren türkiſchen Familien die Dienerſchaft; ſie haben aber
wenig zu thun, weil viel Sclaven gehalten werden, und
weil eine türkiſche Wirthſchaft wenig Arbeit verlangt. Da-
bei iſt ihre Kleidung und Koſt wenig von der der Herr-
ſchaft unterſchieden, und ihre Behandlung iſt ſo mild, als
wären ſie Kinder des Hauſes. In ihrem Benehmen iſt
– 310 –
keine Spur von ſclaviſchen Manieren zu bemerken, es
giebt keinen Handkuß, kein Folgen in abgemeſſener Ent-
fernung, kein im bloßen Kopfe ſtehen, nichts von all dem
ehrerbietigen Ceremoniell, was die Sitte in Europa dem
Dienſtboten auflegt. Wir ſahen die Sclaven mit ihrer
Herrſchaft zwar nur auf den Straßen, an den Vergnü-
gungsorten und auf Reiſen, aber da herrſchte ſtets ein
voller Communismus, und man konnte nur an der Ge-
ſichtsfarbe die Herrin von der Dienerin unterſcheiden.
Daraus erklärte ſich die vergnügte Stimmung dieſer
Sclavinnen bei dem Sclavenhändler. Die Idee des Rechts,
der Freiheit war bei ihnen noch nicht zur Entwickelung ge-
kommen, und der materielle Zuſtand war beſſer, als ſie
ihn in der Heimath gehabt hatten, und als ſie allein mit
der Freiheit ihn ſich verſchaffen konnten. Das heitere
Weſen dieſer Sclavinnen auf dem Markte erinnerte uns
unwillkürlich an den Mägdemarkt in Richmond. Es findet
deshalb auch keine Feſſelung oder Bewachung dieſer Scla-
ven ſtatt. Wir fragten den einen Sclavenhändler nach
dem Preis einer Sclavin, die das Alter von zwanzig
Jahren zu haben ſchien. Er verlangte 3500 Piaſter, d. i.
175 Thlr. Auf unſere Bemerkung, daß dieſer Preis ſehr
hoch ſei, zeigte er nach einem kleinen ſechs Wochen alten
Kinde, welches, in Kattun eingewickelt, in einem Winkel
lag, und ſagte, ſie ſei die Mutter des Kindes, und er
könne ſie nur mit dem Kinde verkaufen. In einem an-
dern Stalle war nur ein einziges junges Mädchen von
ſechszehn Jahren. Sie war ganz allein, ſelbſt der Scla-
venhändler war in das Kaffeehaus gegangen. Sie winkte
uns, und als wir ſtill ſtanden, rief ſie uns zu, ſie zu kau-
fen. Für 1500 Piaſter, d. i. 75 Thlr., ſei ſie käuflich.
Es war eine kleinere, feine Geſtalt mit angenehmeren Zü-
gen als gewöhnlich. Wir hießen ſie aufſtehn, dies that
– 311 –
ſie, auch mußte ſie die Hände zeigen, als wir ſie jedoch
baten, den Schleier zurückzuſchlagen, wendete ſie ſich ver-
ſchämt zurück. In einer benachbarten Verkaufsſtelle wurde
von einer Türkin eben eine Sclavin gekauft; ſie mußte
die Hände aufmachen, ſich herumdrehen und den Mund
öffnen, die Zähne zeigen und die Zunge herausſtrecken.
Alles Mittel, die Geſundheit der Sclavin zu beurtheilen.
Eine andere Sclavin war von einem Türken gebracht und
an den Sclavenhändler verkauft. Es kommt vor, daß
eine ſolche nur wenige Stunden bei dem Händler bleibt,
und dann wieder einem neuen Herrn folgt.
Nebenan war eine Moſchee, wo gebetet, vielleicht auch
dem Allah für einen guten Sclavenhandel gedankt wurde.
In den Kaffeehäuſern der andern Seite befanden ſich die
männlichen Sclaven. Deren Zahl war nicht ſo groß, und
es waren Alles ſolche, die ſchon längere Zeit in der Tür-
kei in der Sclaverei gelebt hatten. Sie waren ſo vergnügt,
ſo frei wie ihre Gefährtinnen auf der andern Seite.
An Europäer werden keine Sclaven verkauft, doch kann
man ſich deren leicht durch die Vermittlung eines Türken
verſchaffen. Wir hatten keine Gelegenheit zu erfahren, ob
die Europäer in Pera davon ſtatt Dienſtboten Gebrauch
machen. Wahrſcheinlich nicht, da die Sclaven nur tür-
kiſch verſtehen und die europäiſche Sitte und Art der Haus-
haltung nicht kennen. Indeß fanden wir bei einer Grie-
chin, die meublirte Zimmer vermiethete, eine alte Magd,
die wirklich Sclavin war.
Die weißen Sclavinnen kommen nur aus Circaſſien.
Sie werden weit höher geſchätzt und werden vielfach den
Söhnen zur Frau gegeben. Für ſie exiſtirt jetzt kein Scla-
venmarkt. Die circaſſiſchen Händler haben ihr Kaffeehaus
in Tophane, und nahebei in ihren Wohnungen ſind die
circaſſiſchen Mädchen eingeſchloſſen. Verlangt ein Türke
– 312 –
eine ſolche zu kaufen, ſo werden ſie ihm zur Anſicht ins
Haus gebracht. Wir fanden vollkommen wahr, daß dieſe
Mädchen noch jetzt ihren Transport und Verkauf nach
Conſtantinopel als ein Glück betrachten. So wie in Europa
junge Mädchen von ihren Eltern in Bäder oder in große
Städte gebracht werden, um eine gute Partie zu finden,
ſo ungefähr wird von allen Betheiligten dieſer Transport
der circaſſiſchen Mädchen nach Conſtantinopel betrachtet.
"..".."..".."-"-"..“-". "----------
XXX.
-
Eine Verlegenheit. Die Gaſthöfe in Pera.
Jeden Montag Nachmittags 4 Uhr geht ein Lloyd-
Dampfſchiff von Conſtantinopel nach Trieſt ab. Unſer
Plan war, ein ſolches zu benutzen, damit aber nur bis
Athen zu fahren, dann acht Tage in Athen und Griechen-
land zu bleiben und mit dem acht Tage ſpäter folgenden
Schiffe nach Trieſt abzureiſen. Zur Ausführung dieſes
Plans gehörte aber, daß wir ohne Quarantaine in Grie-
chenland zugelaſſen wurden. Nachdem indeß während un-
ſeres Aufenthalts in Conſtantinopel die Cholera daſelbſt
ausgebrochen war, wurde es ſehr zweifelhaft, ob dies ge-
ſchehen werde. Wir erkundigten uns wiederholt hierüber
in dem Büreau der Lloydgeſellſchaft, indeß war hier keine
Auskunft zu erlangen, und irgendwo anders noch weni-
ger. Es blieb uns nur übrig, auf gut Glück abzureiſen,
und vor Athen ſelbſt die beſtimmteren Nachrichten ein-
zuziehn.
Die Abreiſe ſollte jedoch nicht ohne einige Schwierig-
keiten vor ſich gehn. Unſere Kaſſe war ſehr zuſammenge-
ſchmolzen, und ſelbſt wenn wir Griechenland nicht berühren
ſollten, ſchien der Beſtand nicht mehr zureichend, um die
Koſten der Rückreiſe zu decken. Ohne volle Bezahlung
– 314 –
des Billets kamen wkt aber nicht auf das Dampfſchiff.
Die Creditbriefe, um die wir bei unſerer Abreiſe von
Trieſt nach Berlin geſchrieben hatten, waren noch am
Sonnabend in Conſtantinopel nicht angekommen, das reiche
griechiſche Banquierhaus Stephano Flori, an das ſie ad-
dreſſirt werden ſollten, wollte trotz aller Nachfrage keine
erhalten haben. Da wir durchaus keine Adreſſen für
Conſtantinopel hatten, ſo waren wir in Verlegenheit, wie
wir aus dieſer großen Stadt, wo Niemand uns kannte,
wieder herauskommen ſollten.
Dieſe Schwierigkeiten ſchienen durch einen anderen un-
angenehmen Zufall ſich zu ſteigern. Ich hatte vor unſerer
Abreiſe nach Bruſſa dem Buchhalter in unſerem Hötel
d'Europe einen Beutel mit 60 Stück Napoleons und
30 öſterreichiſchen Banknoten zur Aufbewahrung übergeben,
um nicht genöthigt zu ſein, dieſe Summe ſtets bei mir zu
tragen. Ich hatte einen Empfangsſchein darüber erhalten.
Als ich am Sonnabend Abend in das Hotel kam und
mein Geld zurückforderte, ſchien der Buchhalter ſichtlich
verlegen, und brachte nach einigem Zögern die Entſchul-
digung, daß er mir den Beutel heute nicht zurückgeben
könne, weil die Wirthin des Hotels den Schlüſſel zu dem
Koffer, in dem der Beutel verſchloſſen worden, mit nach
Therapia genommen habe, wo ſie im Sommer ſich auf-
halte. Es ſchien mir dies ziemlich ſonderbar, indeß be-
gnügte ich mich damit, da der Buchhalter mir verſprach,
am andern Tag das Geld zuzuſtellen, und einen Boten
nach Therapia zur Abholung des Schlüſſels zu ſenden.
Am folgenden Tag, Sonntag, konnte ich erſt gegen
Abend in das Hotel kommen. Wir hatten ein Privat-
quartier bezogen und waren den Tag über in Stambul
geweſen. Als ich Abends eintrat, war der Buchhalter nicht
zu finden, und der Oberkellner ſagte mir endlich, daß er
– 315 –
des Morgens nach Therapia gereiſt ſei, und erſt den an-
dern Tag zurückkehren werde. Auf meine Vorſtellung, daß
ich mein Geld haben müſſe, da ich ſchon morgen Mittag
abreiſen wolle, und noch mancherlei vorher zu bezahlen
habe, wollte er anfänglich den Schloſſer holen laſſen, um
den Koffer zu öffnen. Allein bald darauf beſann er ſich
anders und erklärte mir, ich müſſe mich bis morgen ge-
dulden, da in dem Koffer ſich auch die Pretioſen der Frau
des Maitre d'Hôtel befänden, und er deshalb allein ſich
nicht getraue, den Koffer zu öffnen. Ich wollte mich hier-
bei nicht beruhigen. Ich wußte überdem, daß die Eigen-
thümerin des Gaſthofes eine Wittwe war, denn ich hatte
ſie in Bujukdere kennen gelernt, und auf meinen Vorhalt
wollte der Kellner einen Unterſchied zwiſchen propriétaire
und Maitresse d'Hôtel machen. Auf meine Drohung,
die Sache öffentlich zu machen, erwiederte er ſehr ruhig,
daß ich allein die Schuld trage, ich hätte ſollen das Geld
ihm und nicht dem Buchhalter anvertrauen. Der Maitre
d'Hôtel ſollte nicht zu Hauſe ſein. Alles dies ſchien wirk-
lich geeignet, einigen Verdacht zu erregen; der Buchhalter,
der geſtern ſo verlegen war, und mir ſo feſt verſprochen
hatte, heute das Geld zu geben, war ſchon ſeit Morgens
abweſend; wie leicht war hier eine Unterſchlagung und
Flucht möglich. Mein Freund rieth mir, als alle Unter-
handlungen zu nichts führten, dem Oberkellner einen Na-
poleon zu verſprechen, wenn er noch dieſen Abend das
Geld gebe. Indeſ konnte ich mich nicht dazu entſchließen,
und ich entfernte mich endlich, nachdem der Kellner mir
beſtimmt verſprochen hatte, morgen das Geld mir zu ver-
ſchaffen, und ſollte es mit Hülfe eines Schloſſers ſein.
Wir waren ſo am letzten Abend nicht allein ohne Cre-
ditbriefe, ſondern auch ohne das Geld, was wir ſelbſt mitge-
bracht und für die Rückreiſe zurückgelegt hatten. Wenn
– 316 –
wir auch für die Angelegenheit im Gaſthofe die Hülfe des
Geſandten in Anſpruch nehmen konnten, ſo war doch die
Zeit zu kurz, und wir liefen im günſtigſten Falle Ge-
fahr, noch eine Woche länger in Conſtantinopel bleiben
und alle weiteren Pläne aufgeben zu müſſen.
Am andern Morgen meldete ich mich von Neuem. Dies-
mal war auch der Kellner ausgegangen, angeblich nach dem
Dampfſchiff, und der Buchhalter war immer noch nicht
zurück. Der angebliche Maitre d'Hôtel kam zwar die
Treppe einmal herab, allein er verſchwand bald wieder,
nachdem er mich gebeten, nur noch ein wenig Geduld zu
haben. Es kam bald dieſer, bald jener Diener durch das
Zimmer, allein, wie in großen Gaſthöfen dies der Fall
iſt, Niemand konnte mir Beſcheid geben, Jeder kümmerte
ſich nur um ſeine Geſchäfte. Nach einer Viertelſtunde
vergeblichen Wartens und Erinnerns war ich eben im
Begriff, nach der Geſandtſchaft zu gehen, als endlich der
Maitre d'Hôtel wirklich mit dem Schloſſergeſellen ankam,
in einem Zimmer eine große Truhe unter einem Bette
vorholte und den Geſellen ſie öffnen hieß. Nach einigen
vergeblichen Verſuchen gelang es, und meine Börſe mit
den Napoleons fand ſich richtig vor.
Der Herr bat ſehr, die Nachläſſigkeit zu entſchuldigen,
und mehr war es denn auch nicht geweſen. – Es kam
nun darauf an, uns das noch ſonſt nöthige Geld zu ver-
ſchaffen. Wir wandten uns an den Vizekanzler B. und
hofften, auf einen Wechſel an die Seehandlung in Berlin
Geld in der Geſandtſchaft erheben zu können. Dies wollte
indeß nicht gehen, und Herr B. gab uns zuletzt einige
Zeilen an einen dortigen Kaufmann, H. Sonnenfeld aus
Leipzig, womit wir uns als preußiſche Beamte legitimiren
konnten. H. Sonnenfeld war auf Vorzeigung dieſer Zei-
len ſofort bereit, einen Wechſel von uns zu honoriren,
– 317 –
und wir erlangten auf dieſe Weiſe noch vierzig Na-
poleons.
Am Sonntag Abend mietheten wir einen Kaik zur Fahrt
das goldene Horn hinauf in die ſüßen Waſſer von Europa.
Es war ſchon ein beginnender Abſchied von Conſtantinopel.
Wir fanden das Wetter vortrefflich, Theodoro meinte je-
doch, wir würden wenig Geſellſchaft dort finden, weil der
Wind zu heftig ſei. In Conſtantinopel wirkt ein Wind,
den wir in Deutſchland kaum beachten, ebenſo wie bei
uns ein Regen. Man bleibt dann des ſchlechten Wetters
wegen zu Hauſe. Wir fanden denn auch wirklich Niemand
in dieſem reizenden Thale, als eine Geſellſchaft Englän-
der, die in eilender Haſt den grünen Grund mit ſeinen
breiten Bäumen durchliefen und dann wieder zu Pferde
ſtiegen und davon ritten. Dieſe Stille und Einſamkeit
war uns willkommen. Schon ein Aufenthalt von wenig
Wochen in Conſtantinopel genügt, um von dem Hauptzug
des türkiſchen Charakters, der beſchaulichen Ruhe und
Schweigſamkeit berührt zu werden.
Es war der letzte Abend unſeres Aufenthalts in dieſer
Stadt, die ſo viel Großes geſehen, und die in der Zu-
kunft ſicher noch Größeres ſehen wird. Sie wird den
Mittelpunkt des größten Kampfes bilden für die völlige
Umwandlung, die unaufhaltſam und ſchon mitten in die-
ſem Kampfe vom Norden und Weſten Europas über die
Türkei und Aſien kommen wird.
Wir hatten 14 glückliche Tage hier verlebt, voller An-
ſtrengungen aber auch voll reichlicher Belohnung. Vor
Allem erfüllte uns in dieſer Zeit das tiefe beglückende Ge-
fühl der vollen perſönlichen Freiheit. Niemand, auch im
Gaſthofe nicht, hatte uns nach unſeren Namen gefragt,
kein Polizeidiener hatte uns beläſtigt, keine Controlle über
Fremde war zu bemerken, Niemand fragte, wo, wie
– 318 –
lange wir bleiben wollten, was wir wollten. Mitten
in dem Gemiſch aller Nationen konnte man thun und
laſſen, was man wollte, jeder bewegte ſich in derſelben
Freiheit, kein Conſtabler an den Ecken, kein Schließen der
öffentlichen Lokale zur Polizeiſtunde, keine Soldaten, kein
Trommeln und Pfeifen, der friedlichſte und freiſte Verkehr
überall, und dennoch eine perſönliche Sicherheit, wie ſie
in keiner großen Stadt Europas mit allen Hülfsmitteln und
mit den neueſten Erfindungen der Polizeizufinden iſt. Es war
nicht zu leugnen, die Straßen waren ſchmutzig, des Nachts
finſter, die Hunde beläſtigten, die Häuſer hatten keine
Nummern, die Straßen keine Namen, aber wie gern ertrug
man dieſe kleinen Unbequemlichkeiten für das wohlthuende
Gefühl, aus der Vormundſchaft und Fürſorge europäiſcher
Polizei entlaſſen zu ſein, für das Bewußtſein, auf eige-
nen Füßen zu ſtehen, ſich allein ſchützen und vertheidigen,
ſich allein helfen zu müſſen, aber auch frei zu ſein nach
allen Richtungen. -
Nirgends horchte ein Spion auf die Unterhaltung an
öffentlichen Orten, und die Politik, der Zuſtand der Türkei,
die Perſon des Sultans, die Verhältniſſe Europas, die
Schwächen der leitenden Perſonen wurden in der freiſten
Weiſe beſprochen, Niemand kümmerte ſich dabei, wer der
Nachbar ſei, der zuhörte, Niemand hatte einen Denum-
cianten zu fürchten. Mit ſtolzem Selbſtgefühl läßt hier
der Staat Jedem die freiſte Aeußerung, läßt die Revolu-
tionaire und Flüchtlinge aller Länder Europas bei ſich
einkehren, mit orientaliſcher Ruhe und Hospitalität em-
pfängt er ſie und reicht ihnen, was ſeine Mittel bieten,
ohne nach einem Dank oder nur nach dem Namen zu
fragen. Mit ſtolzer Ruhe bewegt ſich der Türke, er ſpricht
wenig, aber wenn er ſpricht, ſo ſpricht er, wie er denkt
und wie er fühlt. Welche Feigheit dagegen jetzt in den
– 319 –
Staaten des continentalen Europas! Welche Angſt auch
in der kleinſten Geſellſchaft, um mit einer Silbe eine An-
ſicht zu verrathen, die der Regierung nicht genehm wäre;
welches bleiche Schweigen, ſobald ein freieres Wort über
Politik von einem Unvorſichtigen geſprochen wird, welche
ängſtliche Sorgfalt, alle Berührung mit Männern zu
vermeiden, die 1848 für die Rechte des Volkes aufge-
treten ſind.
Wir zogen tief den Hut vor einem alten Türken, der
uns den Kaffee gebracht hatte, er verſtand uns nicht, und
wir kehrten in den Kaik zurück und ließen das letzte Mal uns
ſchaukeln auf den gaſtlichen Wellen des ſchönſten der Meere.
Am Montag früh wurde Alles zur Abreiſe bereitet.
Wir hatten ſeit drei Tagen eine Privatwohnung bezogen,
weil wir im Gaſthof bei unſerer Rückkehr von Bujuktere
kein Unterkommen fanden. Das Hôtel d'Europe, in dem
wir gewohnt hatten, kann jedem Reiſenden empfohlen wer-
den. Sein Hauptvorzug iſt ſeine Lage. Alle andern Ho-
tels in Pera liegen weit höher und entfernter vom Hafen.
Der Hafen bildet aber den Ausgangspunkt für jeden Tag,
mag man nun nach Stambul oder Scutari überſetzen oder
den Bosporus hinauffahren. Das Hötel d'Europe liegt
nur auf der Hälfte des Berges nach Pera hinauf, man
erſpart alſo jeden Morgen ein ermüdendes Herabſteigen
und jeden Abend ein noch läſtigeres Hinaufſteigen, was
bei dem heißen Klima erheblich iſt. Dieſe Lage gewährt
außerdem von allen Fenſtern der Hauptfront des Gaſt-
hofs eine der ſchönſten Ausſichten der Welt. Wenn wir
in unſerm Zimmer von dem Buche aufblickten, ſahen wir
durch das offene Fenſter den Hafen, das Meer, Scutari,
die Prinzeninſeln und das Gebirge des Olymp bis hinauf
zu ſeinen glänzenden Schneefeldern, Alles wie ein Bild,
von dem Rahmen des Fenſters eingefaßt.
– 320 –
In der Wohnung, der Koſt und Bedienung ſtehen ſich
alle Hotels erſter Klaſſe in Pera gleich. Die Stuben ſind
reinlich gehalten, die Bettſtellen von Eiſen, Matratzen
mit einer leichten baumwollenen Decke bilden das Bett,
die Meubel ſind einfach und europäiſch, die Bedienung iſt
gut. Man kann in allen dieſen Hotels nicht anders woh-
nen, als gegen einen beſtimmten täglichen Preis, der im
Ganzen für Wohnung, Licht, Bedienung und Koſt gerech-
net wird, dieſer Satz muß bezahlt werden, gleichviel ob
man zu dem Eſſen kommt oder nicht. Früh erhält man
dafür Kaffee mit Zwieback, um 10 Uhr giebt es ein Früh-
ſtück mit Wein und mehreren warmen Schüſſeln, und um
7 Uhr Abends ißt man ſehr luxuriös zu Mittag, 6–8 Schüſſeln
und Deſert. Die Küche iſt franzöſiſch oder engliſch. Man
erhält vortreffliche Fiſche, gute Braten und feine Gemüſe.
Der Wein in unſerm Hotel war aber ſchlecht, es war ein
ſchwarzer griechiſcher Wein, der ſo ſüßlich war, daß man
ihn nur mit Waſſer trinken konnte. Will man andere
Weine trinken, ſo muß man ſie beſonders bezahlen; ſie
ſind ſehr theuer. Selbſt große Reinlichkeit kann in dieſen
Gaſthöfen nicht gegen läſtige Inſecten ſchützen. Bei den
vielen Hunden Conſtantinopels wird man die Flöhe nicht
los, man bringt ſie von der Straße mit in den Gaſthof.
Des Abends und des Nachts ſummen eine kleine Art
Mücken in den Stuben, die trotz ihrer Kleinheit ſehr em-
pfindliche Stiche machen, welche anſchwellen und Tage lang
vorhalten. Man muß, ſo wie ein Licht in die Stube
kommt, die Fenſter ſchließen, indeß hilft dies nicht voll-
ſtändig, und wir hatten viel davon zu leiden. Andere
Inſecten haben wir nicht bemerkt.
Die Preiſe der Gaſthöfe waren vor dem Kriege für
die Größe der Stadt ſehr billig. Man bezahlte für Woh-
nung, Bedienung und die Koſt mit Wein in der beſchrie-
– 321 –
benen Art den Tag ungefähr 2 Thlr. 10 Sgr. Seit dem
Kriege ſind die Preiſe um 1–1"2 Thlr. geſtiegen. Deſſen-
ungeachtet läßt ſich noch jetzt ſehr billig in Conſtantinopel
leben. Es giebt auch am Hafen in Galata billigere Gaſthöfe,
in dieſe einzukehren, iſt indeſ ſehr bedenklich, da ſie eine
ungeſunde Lage haben und ſehr ſchmutzig ſein ſollen. Da-
gegen giebt es eine große Anzahl Häuſer, wo meublirte
Zimmer auf den Tag oder die Woche vermiethet werden.
Wir bezahlten für zwei gute ſolche Zimmer den Tag fünf
Franken oder 1 Thlr. 10 Sgr. In ſolchen Wohnungen
kann man ſich den Kaffee ſelbſt kochen, und des Mittags
und Abends findet man einen ziemlich guten Tiſch in den
Speiſehäuſern in Pera und Galata, wo man nach der
Karte ganz in europäiſcher Weiſe ißt. Wir haben zu zwei
nie mehr als einen halben Thaler für ein Mittagseſſen
bezahlt. Am beſten iſt der Phönix in Galata, wo vor-
züglich Kaufleute eſſen. Hier erhält man ſtets gut und
friſch zubereitete Gerichte in großer Auswahl, man findet
außerdem ein ſehr ſchönes Lokal zu ebener Erde, wo man
Kaffee und Eis erhalten und Zeitungen leſen kann. Ein
Fremder kann in Conſtantinopel in dieſer Weiſe ſehr gut
wohnen und eſſen für 1 Thlr. bis 1 Thlr. 10 Sgr. täg-
lich. Zu empfehlen als Privatquartiere ſind die Kaffee
Singliani in Pera; wir wohnten hier in dem Hauſe Nr. 6
bei einer Maria Verona und fanden da eine reinliche
Wohnung und eine freundliche Wirthin, mit einer alten
circaſſiſchen Sklavin in Beinkleidern, die aber ſo häßlich
war, daß ſie ſelbſt in ihrer Jugend ihrem Vaterlande
keine Ehre gemacht haben konnte. -
---------------------------------------
21
XXXI.
Das Dampfboot. Smyrna.
Am Montage Nachmittags halb vier Uhr landeten
wir mit unſerem kleinen Kaik an der Treppe des Dampf-
bootes, das in dem Hafen lag und uns nach der Heimath
zurückbringen ſollte. Wir fanden die bunteſte Geſellſchaft;
das ganze Verdeck war mit Türken, Griechen und Euro-
päern angefüllt; mit Reiſenden und deren Freunden, die
zum Abſchiede ſie bis auf das Schiff begleiteten. Der
größere Theil des für die Reiſenden der erſten Klaſſe
beſtimmten Hinterdecks war abgeſchlagen zum Aufenthalt
für türkiſche und griechiſche Frauen des dritten Platzes.
Jede Familie hatte ihre Kinder, Sclaven und ihr Gepäck
und ihren Mundvorrath neben ſich. Kiſten, Kaſten, Waſſer-
melonen, Brode, lederne Schläuche mit Wein, Ballen
mit Waaren, alles lag und ſtand in bunter Unordnung
durcheinander; von dem Geländer waren Leinen nach dem
Bord gezogen, Teppiche darüber gehangen und darin
ſtaken die kleinen Kinder, deren Geſchrei durch wiegendes
Bewegen der Leinen beſchwichtiget wurde.
Wir fanden den preußiſchen Geſandten, Baron v. W.
mit dem Legationsrath E. und Vicekanzler B. auf dem
Verdeck. Sie waren gekommen, dem neu ernannten tür-
– 323 –
kiſchen Geſandten für den Hof zu Berlin, Kemal Effendi
das Geleit zu geben. Dieſer Geſandte mit ſeinem Per-
ſonal an Legationsräthen, Dolmetſcher und Bedienung
war ſchon am Bord und Herr v. W. hatte die Güte uns
dieſen Herrn vorzuſtellen, mit denen wir bis Trieſt die
Seereiſe zu machen hatten.
Auch der Lieutenant v. B. fand ſich ein, um von uns
Abſchied zu nehmen. Er brachte mir einen Brief zur Be-
ſorgung an ſeine Mutter. Noch bis da war er in ſeiner
Angelegenheit keinen Schritt weiter gekommen; noch hatte
er keine Audienz bei dem türkiſchen Miniſter erlangen
können. Zum Unglück hatte er vor wenigen Tagen einen
Anfall von der Cholera gehabt und hatte zwei Tage in
ſeinem ſchlechten ſchmutzigen Gaſthofe in Hülfsloſigkeit
gelegen. Seine gute Natur hatte ihn die Krankheit ſchnell
überwinden laſſen, aber ſein Muth und ſeine ſorgloſe
Zuverſicht ſchienen heute endlich erſchüttert. Ich konnte
nicht ohne tiefes Mitgefühl ihm in die Augen ſehen.
Während wir frohen Sinnes, geſättiget von dem Orient
und ſeinem Weſen, freudig die Anker lichten hörten, und
die Maſchine dampfen, die uns zur Heimath zurückführen
ſollte, blieb Herr v. B. beinah hülflos und verlaſſen in
dieſer fremden großen Stadt; ſeine Mittel gingen zu
Ende; noch hatte er nicht die mindeſte Ausſicht und ſelbſt
die Rückkehr mochte ihm nach wenig Wochen unmöglich
werden. Wie gern hätten wir ihn wieder als Gefährten
zur Rückreiſe geſehen. Welcher Kontraſt zwiſchen ſeinem
ſorgloſen, maſchinenmäßig fortgehenden Leben als preußi-
ſcher Lieutenant in ſeiner Garniſon und zwiſchen ſeiner
gegenwärtigen Lage in einem elenden Gaſthofe in Kon-
ſtantinopel, auf ſich allein und ſeine Kaſſe angewieſen
und dennoch durch ſeine frühere Stellung nur gewöhnt,
Order zu pariren, ſich zur Dispoſition zu ſtellen und
21*
– 324 –
nur die breit getretene Straße des Lebens ſorglos nach-
zutreten.
Wir ſuchten ihn zur Energie und Thätigkeit anzu-
regen; wir fragten, ob er keine Connexionen in Berlin
habe, und erboten uns, alles irgend mögliche zu thun,
um ihm Empfehlungen zu verſchaffen. Vor allem be-
nutzte ich die Gegenwart des preußiſchen Geſandten, um
ihn für Herrn v. B. zu intereſſiren. – „Es iſt unmög-
lich“, ſagte Herr v. W., „Herrn v. B. jetzt in der tür-
kiſchen Armee zu placiren. Es fehlen ihm alle Bedin-
gungen dazu und ich habe ihm bereits bei ſeinem erſten
Beſuche dies geradezu erklärt. Er kann nicht beſſer thun,
als ſo bald als möglich nach Hauſe zurückkehren. Es iſt
nicht der erſte traurige Fall der Art und ich habe bei
dem preußiſchen Gouvernement ſchon den Wunſch aus-
geſprochen, alle junge Militairs vor dergleichen Unter-
nehmen zu warnen. Der Einfluß Preußens in der Tür-
kei könnte außerordentlich ſein; die glänzende Vertheidi-
gung von Siliſtria hat die preußiſche Artillerie zu einem
Anſehen in der Türkei erhoben, was für alle Intereſſen
des Vaterlandes vortrefflich benutzt werden könnte. Aber
die wahrſcheinlich auf höhern Gründen beruhende Haltung
des preußiſchen Gouvernements in dem gegenwärtigen
Kriege hat die Sympathien für Preußen hier erſtickt und
ich habe mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Unter
ſolchen Umſtänden iſt auch für preußiſche Offiziere, na-
mentlich Infanterie-Offiziere jetzt nicht die mindeſte Aus-
ſicht in der türkiſchen Armee. -
Während der Unterhaltung kamen die erſten Nach-
richten für die Geſandten, daß die Ruſſen auf ihrem Rück-
zuge Buckareſt geräumt hatten. Sie theilten ſie ſofort
der Geſellſchaft mit und eine freudige Aufregung herrſchte
ebenſo unter dem türkiſchen, wie unter dem europäiſchen
– 325 –
Theile derſelben. Tages vorher waren mehrere türkiſche
Regimenter nach Varna abgefahren, um bei dem An-
griffe gegen Sebaſtopol Hülfe zu leiſten und man über-
ließ ſich den freudigſten Erwartungen. Die Herren der
türkiſchen Geſandſchaft rechneten ſicher darauf bei der
Landung in Trieſt, oder ſpäteſtens in Wien die telegra-
phiſchen Nachrichten von der Einnahme Sebaſtopols zu
finden.
Wir hatten lange auf die öſterreichiſche Poſt zu warten;
die letzten Depeſchen der öſterreichiſchen Geſandtſchaft für
das Schiff wurden noch expedirt. Der Abend war, wie
immer, vollkommen klar und die Zögerung gab uns Gelegen-
heit, das ſchönſte von Konſtantinopel, die Anſicht vom Hafen
aus in Muße noch einmal zu genießen und das majeſtä-
tiſche Ganze und die hervorragenden Einzelheiten uns
tief einzuprägen. Das Gefühl, dieſen Anblick das letzte
Mal für das ganze Leben zu haben, ließ uns geizen mit
dem Genuß; eine Unruhe durchzog ſchon die Empfindung
und wie ein Habſüchtiger rechneten und zählten wir mehr
die vor uns ausgebreiteten Schönheiten; wie ein genauer
aber geſättigter Gaſt ſuchten wir neben dem gegenwär-
tigen Genuß noch ſo viel davon in dem Gedächtniß mit-
zunehmen, als möglich, um in den dürren Tagen der
Heimath noch von der verſchwenderiſchen Pracht zu zehren,
die hier nach allen Richtungen vor uns ausgebreitet war.
Um 6 Uhr kam die Poſt; Freunde und Bekannte
eilten in den ſchlanken Kaiks davon. Der Dampf ziſchte,
die Ruder brauſten und unſere Imperatrice ſchnitt durch
die ſchäumenden Wellen. Das Serail, die Aja Sophia,
das Schloß der ſieben Thürme eilte in flüchtiger Bewe-
gung an uns vorüber und mit der untergehenden Sonne
gingen auch die letzten Spitzen und Kuppeln Konſtanti-
nopels für uns unter. Am andern Morgen waren wir
– 326 –
in Gallipoli, zu Mittag in den Dardanellen; den Nach-
mittag bei Tenedos und der Ebene von Troja; am Abend
paſſirten wir das Cap Bola; ein armes Dorf lag an
ſeinem Felſen angeklammert, und mit unermüdlichem
Fleiße waren die ſteilen Abhänge, wo Erde und Miſt
halten wollten, zu Getreidefeldern umgewandelt.
Vorgebirge haben für den Seefahrer einen beſondern
Reiz; ſie ſind die Meilenzeiger, die auf ferner Fahrt auf-
gerichtet ſind, um den Fortgang ſeiner Reiſe zu meſſen;
ſie ſind die äußerſten Fingerſpitzen des feſten Landes, mit
denen es ängſtlich in das Meer hineingreift, als wollte
es gegen ſeine Gewalt ſich anhalten; ſie ſind die Punkte
des Feſtlandes denen man am nächſten kommt; man ſieht
die Häuſer, die Höfe, man erkennt die Leute; man blickt
in die Gaſſen und das Getriebe des Marktes, man glaubt
ſchon mitten in ihm zu ſtehn, man meint den feſten Boden
ſchon unter ſich zu fühlen; aber in wenig Minuten iſt
die vorſpringende Spitze umſchifft und man ſchaukelt
wieder mitten in den ſchäumenden Wogen des Meeres.
Am andern Morgen waren wir in dem Hafen von
Smyrna. Der Kapitain hatte uns bis dahin keine Ge-
wißheit geben können, ob wir in Smyrna freie Pratika
haben würden. Die Cholera ſollte zwar in Smyrna
ſein, allein es kommt im Orient ſehr häufig vor, daß ein
cholerakranker Ort ſich gegen den andern kranken Ort
abſperrt. Zu unſerer Freude war man diesmal nicht ſo
ſtreng und wir eilten vergnügt an das Land, um das bei
der Herreiſe Verſäumte nachzuholen.
Es war erſt 6 Uhr früh; wir fanden ſchnell einen Führer,
der uns Pferde verſchaffte und zunächſt nach dem Kaſtell
auf den Berg Pagus brachte, an dem die Stadt ange-
baut iſt. Sie gleicht in ihrem türkiſchen Theile genau
den andern Städten des Landes, die wir geſehen hatten.
– 327 –
Moſcheen, Bazars, Straßen, Kaffeehäuſer, Bäder fanden
wir, wenn auch kleiner, wie in Konſtantinopel. Die
Straßen waren lebhafter und die Frauen mehr verſchleiert,
als in Konſtantinopel. Der Stoff der Schleier war
dichter und bei den meiſten Frauen war der Theil des
Geſichts, den in Konſtantinopel der Schleier freiließ, noch
beſonders mit ſchwarzer Gaze verhüllt, ſo daß man in
Wahrheit von dem Geſicht nichts ſah und es räthſelhaft
wurde, wie dieſe Frauen im Stande waren, ihren Weg
zu finden. Die Zahl der Neger war hier verhältniß-
mäßig noch größer, als in Konſtantinopel. Der aſiatiſche
Charakter der Stadt trat vorzüglich in den langen Zügen
von Kameelen hervor, die allerhand Waaren zur Stadt
brachten. Sechs bis acht Kameele waren, wie bei uns
die Pferde der Pferdehändler, eins an das andere gebun-
den; vorweg ritt auf einem kleinen Eſel der ſchwarze
Führer. Manches Kameel hatte ein Junges neben ſich,
aber ſelbſt in dieſem Alter, wo alle Thiere zierlich ſind,
ſchritten dieſe ungeſchickt und ſchwerfällig neben der Mutter
einher. Ein Hauptartikel, den ſie brachten, war gebrannter
Kalk zu den Bauten; dieſer Kalk wird aus dem Marmor
gebrannt, den man von den Säulen und andern Ueber-
reſten des griechiſchen Alterthums entnimmt. Trotz dieſer
Verwüſtung und Zerſtörung findet man noch überall
Stücke von Flieſen, Säulen, griechiſcher und römiſcher
Bauten, die unbeachtet umherliegen. -
Die Ausſicht vom Kaſtell auf der Spitze des Berges
war vortrefflich. Die Stadt, umgürtet von dem Cypreſſen-
haine des Kirchhofes liegt zu den Füßen; dahinter der
Meerbuſen in ſeiner ganzen Ausdehnung, von ſteilen,
zackigen Bergen jenſeit begränzt. In das Land hinein
zogen ſich kreuz und quer Berge neben Bergen, alle ſteil
und in kräftigen Linien anſteigend. Die Anſicht war
– 328 –
ächt ſüdlich und gehörte zu den ſchönſten Kleinaſiens.
Das Kaſtell ſoll römiſchen Urſprungs ſein; die jetzigen
Mauern können aber nur aus den Zeiten der Kreuzzüge
herrühren, wo hier heftige Kämpfe der Ritter von Rhodus
mit den Türken ſtattfanden. Unſer Führer zeigte uns
auch Reſte der Mauern eines römiſchen Theaters und
eines Tempels des Jupiter; ſie waren aber nichts als
formloſe zerfallene Mauerſtücke ohne allen antiquariſchen
Werth.
Die Umgegend, die Kultur des Landes intereſſirte
uns mehr, als dieſe Antiquitäten; der Führer wurde hier-
nach angewieſen und er führte uns in einen Weingarten,
wo die Feigenbäume und die Weinſtöcke mit den üppigſten
und reifſten Früchten beladen waren. Für ein Geldſtück
brachte uns der Beſitzer einen Korb voll von den berühm-
ten Smyrnaer Feigen und Roſinentrauben, die getrocknet
die Delikateſſen aller europäiſchen Tafeln bilden. Beide,
Feigen und Trauben waren auch wirklich ſo vortrefflich,
wie wir ſie nie gefunden hatten. Die Feigen waren voll
des feinſten Aromas und einer angenehmen Süße, und
frei von dem widerlichen Beigeſchmack, den ſie ſelbſt in
Italien haben. Von den Trauben bekamen wir zwei
Sorten; die eine liefert unſere großen Roſinen; die
andere die ſogenannten Sultanroſinen, die keine Kerne
haben und etwas kleiner ſind. Ihre ſtarke Süße wurde
durch viel Saft und einen würzigen Geſchmack gemildert.
In 14 Tagen ſollte die Erndte der Trauben beginnen.
Die Traubenkrankheit war hier von geringer Bedeutung.
Unſer Führer brachte uns von hier in eine Papier-
fabrik, die von Franzoſen angelegt worden war, aber
jetzt in türkiſchen Händen ſich befand. Die Einrichtung
und die Maſchinen waren genau dieſelben, wie in Deutſch-
land für Maſchinenpapier. Bei der Billigkeit der Lumpen
– 329 –
in der Türkei hat man den Plan, das hieſige Papier
nach Europa auszuführen. Die Fabrikanlage war ganz
europäiſch; ein niedliches Wohnhaus nebſt ſorgfältig an-
gelegtem Garten ſchloß ſich an die Werkgebäude. Wir
waren neugierig, einen gut unterhaltenen Garten im
Orient zu ſehen. Aber auch hier fanden wir uns ge-
täuſcht. Die Unterhaltung ſchien nicht ſo ſorgfältig fort-
geführt zu ſein, als die erſte Anlage, trotz dem daß der
Mühlenkanal reichliches fließendes Waſſer darbot. Wir
fanden nur ſchöne Maulbeerbäume und Akazien; an
Blumen nur höchſt unbedeutende Sorten, wie brennende
Liebe, Hahnenkamm, Studentenblumen. Man verſicherte
uns ſpäter, daß in den Landhäuſern bei Smyrna, welche
von den engliſchen und franzöſiſchen Kaufleuten bewohnt
werden, die Gärten mehr bieten ſollen; allein nach allen
unſern Erfahrungen ſucht man im Orient vergeblich nach
Gärten, wie ſie Deutſchland, Holland und England bieten,
Es fehlt dem Garten im Orient der friſche junge Raſen,
die Grundbedingnng aller Gartenſchönheit. Selbſt durch
Bewäſſerung kann dieſer Raſen nicht erzielt werden. Es
fehlt den Gärten im Orient der große Reichthum an
Blumen, die bei uns von dem Anfang des Frühlings
bis in den Winter hinein in ſtetem Wechſel, aber immer
friſch und knospend die Gärten ſchmücken, und die in
Verbindung mit dem Raſen unſre Gärtner zu Malern
des Landes gemacht haben. Die große und viele Monate
andauernde Hitze zerſtört im Orient von April ab alle
feinern Blumen; nur ſolche mit dicken, fetten oder trocknen
Blättern können ſich erhalten, welche die wenigſt ſchönen ſind.
Ebenſo geht es mit dem Gebüſch und die Natur im
Orient iſt ſtarr und ſpröde; ſie iſt gewaltig und kräftig,
und der Menſch vermag ſie weniger zu leiten und nach
ſeinen Launen zu beherrſchen. Der Menſch verlangt auch
– 330 –
im Orient nicht danach; mit einem Baumre, der Schatten
bietet, iſt er zufrieden. -
Als wir weiter ritten, bemerkten wir auf dem Felde
unter einem Baume eine Gruppe brauner Männer, Frauen
und Kinder; über einem Feuer hing ein Keſſel; ein Ka-
meel daneben ſuchte ſich ſeine Nahrung auf dem trocknen
Boden. Dies ſind Zinghe, ſagte der Führer. Ich wen-
dete mein Pferd nach ihnen und bald kam mir ein brau-
nes Zigeunermädchen mit halbwilden Zügen entgegenge-
laufen. Ich ſtreckte ihr die flache Hand hin, daß ſie mir
wahrſagen ſolle; ſie faßte ſie, aber ſtatt einer Prophezei-
hung kam nur Betteln um ein Almoſen zu Tage. Wir
konnten nicht recht dahinter kommen, ob ſie das Wahr-
ſagen nicht verſtanden oder ob ſie uns nur mißverſtanden.
Es verſammelte ſich bald der größte Theil des Haufens
um uns; alle die Hand ausſtreckend und einen Almoſen
verlangend. Ihre Gebehrden waren wild und heftig und
die Geſichter der Weiber und Mädchen wurden dadurch
noch abſchreckender, daß ſie ſich Stücke Eiſendrahtes durch
die Naſe gebohrt hatten, die dann zuſammengebogen, nach
Art von Ohrringen darin feſtſaßen. Bruſt, Hals, Arme
und die Beine bis über die Kniee waren bloß; ein Fetzen
Zeug, der nothdürftig die Stelle des Unterrocks erſetzte,
war die ganze Kleidung der Frauen. Es waren wahre
Originale des Zigeunervolkes, wie ſie in Europa nicht
mehr zu finden ſind. Die Toleranz der Türken läßt ſie
hier noch gewähren und das milde Klima macht es ihnen
möglich, ihre nomadiſche wilde Sitte unverändert ſich zu
erhalten. Wir ſuchten mit einigen Piaſtern den Händen
dieſer unheimlichen Geſellſchaft uns zu entwinden.
Nach der Rückkehr in der Stadt beſuchten wir den
Sklavenmarkt. Er hatte hier aber mehr die Natur einer
Bude angenommen, wie man ſie bei uns auf Meſſen
– 331 –
hat, um wilde Indianer zu zeigen. Wir mußten den
Eintritt in dem Hofe ſchon mit einem Trinkgelde ent-
richten, und obgleich nur ſehr wenig Sklavinnen da waren
und nichts irgend Merkwürdiges zu ſehen war, ſtand doch
eine Negerin von einer herkuliſchen Geſtalt und Kraft
vor der Bude und ließ ſich jeden Blick nach ihren häß-
lichen Gefährtinnen mit ſchweren Piaſtern bezahlen.
Kaum war dieſe befriedigt, ſo ſtreckten ihre Gefährtinnen
in dem Verſchlage die Hände ebenfalls nach einem Bak-
ſchiſch heraus. Dies Alles ſchien uns ſo wenig afrika-
niſch, und ſo ſehr europäiſch, daß wir eilten davonzukommen.
Ein Bad in dem prächtigen Meerbuſen half uns den
Schmutz des Sklavenmarktes abſchütteln. Wir überließen
uns mit Uebermuth dem Spiel der Wellen, bis uns der
Führer zurief, nicht zu weit in den Golf uns zu wagen,
weil Haifiſche ſich darin aufhielten, und die Badenden
wohl anbiſſen.
Gern hätten wir unſeren Reiſegefährten, Conſul M.,
aufgeſucht; aber die Cholera hatte ihn, wie viele andere
Europäer aus der Stadt in die benachbarten Dörfer ver-
trieben, in denen die wohlhabenderen Kaufleute ihre Land-
häuſer haben, einen großen Theil des Jahres wohnen
und nur zu den Geſchäften nach der Stadt kommen.
^v^.-x->-->-------------------------
XXXII.
Charakter der Türken und ihre Zukunft.
Smyrna war unſer letzter Punkt in der Türkei; mit
ihm verließen wir das merkwürdige Land. Wir hatten
die wenigen Wochen unſeres Aufenthalts nach Möglich-
keit zur Kenntniß deſſelben und ſeiner Bewohner benutzt.
Mit dem Abſchied ſuchten wir uns Rechenſchaft zu geben,
und uns ſelbſt klar zu werden über das, was wir gefun-
den hatten. Unſer Urtheil konnte bei der Kürze des Auf-
enthalts auf keine unbedingte Wahrheit Anſpruch machen;
aber wir waren ohne Vorurtheil gekommen; wenngleich
gegen Rußland, waren wir doch weder für noch gegen
die Türken eingenommen, und die Eindrücke, die das Land
auf ſolche Fremden macht, ſind vielleicht nicht ohne Inter-
eſſe und nicht ohne eine gewiſſe Wahrheit.
Die allgemeinſte und vorherrſchendſte Wahrnehmung
bei unſerem Aufenthalt war, daß das türkiſche Volk voll
Lebenskraft und gemeſſener Energie, nichts weniger als
zu den abſterbenden, altersſchwachen Völkern gezählt wer-
den darf. Die ganze Vorſtellung von abſterbenden Völ-
kern, ſo gang und gebe ſie auch iſt, halte ich für falſch;
ſie iſt von dem Leben des Individuums hergenommen
und hat erſt ihre Berechtigung in der Anwendung auf
– 333 –
Völker zu erweiſen. Die Geſchichte lehrt, daß einzelne
Völker mit Gewalt von außen unterdrückt worden ſind;
daß fehlerhafte Inſtitutionen und die Privilegien einzelner
Klaſſen, den Fortſchritt eines Volkes hemmen können; daß
die Thätigkeiten, in denen mehr das ſchaffende als das
reflektirende Element vorherrſcht, in einem Zeitraume
mehr als in einem andern im Volk verfallen können,
ſowohl in Werken der Kunſt, als Bildung neuer
Staats- und Gemeindeformen; – allein ſolche Schwan-
kungen rechtfertigen noch in keinem Falle jene Analogie
vom Abſterben und Altersſchwäche, und die ganze Auf-
faſſung iſt mangelhaft, weil ſie nur das Volk von ſeiner
politiſchen Seite auffaßt, die in dem ganzen Leben des
Volkes nur einen Theil bildet, der durch kräftigeres Auf-
treten in anderen Richtungen einen Erſatz erhalten kann.
Die Italiener, Polen, Griechen geben den Beweis; dieſe
Völker ſind nichts weniger, als altersſchwach.
Wenn die Türkei ſeit dem vorigen Jahrhundert den-
noch unter ſolchen Vorſtellungen aufgefaßt worden iſt, ſo
liegt der Grund nicht in ihrem Rückſchritt, ſondern in dem
größeren Fortſchritt der europäiſchen Staaten, in den
Naturwiſſenſchaften, in ihrer Anwendung für das Leben
und in geſchickterer Entwickelung gewiſſer ſozialer Inſti-
tutionen für die Stärkung der Centralgewalt. Durch die
Entdeckungen in den Naturwiſſenſchaften und die hierauf
gebauten Maſchinen, Fabriken, Verbindungsmittel iſt in den
europäiſchen Staaten die Natur zu einer ſtärkeren Ge-
hülfin in Schaffung des Reichthums gemacht und der
Reichthum dieſer Nationen gegen früher verhundertfacht
worden. Die Ausbildung der ſtehenden Heere mit ihren
taktiſchen und ſtrategiſchen Fertigkeiten, die Entwickelung
eines feſten und regelmäßigen Abgabeſyſtemes, die Schaf-
fung eines Heeres von Polizeibeamten, alles unterſtützt
– 334 –
durch jene Erfindungen und die Naturwiſſenſchaft, durch
Dampfſchiffe, Eiſenbahnen, Telegraphen, beſſere Waffen,
hat die Macht der Regierung noch in ſtärkerem Maaße
vergrößert, als der Nationalreichthum geſtiegen iſt. Dieſe
Fortſchritte begannen genau mit den Zeiten, wo die Türkei
in ihrer Eroberungspolitik in Stillſtand kam; es war
ſehr natürlich, daß dieſe Eroberungspolitik auch ohne Rück-
ſchritt der Türkei, an dieſen neuen Gewalten ſich brechen
mußte; daß mit der ungeheuren Zunahme dieſer Gewal-
ten die Türkei, die hieran nicht Theil nahm, als ein
Reich voll Schwäche und Haltloſigkeit erſcheinen mußte.
Hieraus erklärt ſich das veränderte Verhältniß der Türkei
zu Europa. -
In den inneren Zuſtänden der Türkei, in dem Cha-
rakter, in den Sitten, in den Hülfsquellen und den ge-
werblichen Thätigkeiten hatte keine Umänderung ſtattgefun-
den; aber es genügt vollkommen, daß ſie ſtehen blieben,
während Europa in immer reißenderem Grade vorſchritt,
um die Türkei zu einem ohnmächtigen Staat herabſinken
zu machen, deſſen Exiſtenz zu lange nur von dem guten
Willen ſeiner Nachbaren abhing.
Als die Größe dieſes Fortſchrittes dem Auge der
Türkei ſich endlich aufdrang mit der Gefahr, die hieraus
für ſie erwuchs, war es ein ganz natürlicher Gedanke,
dieſelben Mittel zur Macht auch in der Türkei in Thä-
tigkeit zu ſetzen, und dieſer einfache Gedanke iſt es, der
die türkiſche Regierung ſeit Mahmud II. erfüllt. Die
Janitſcharen wurden vernichtet und ein Heer nach euro-
päiſchem Syſtem mit ungeheuren Anſtrengungen geſchaf-
fen. Verbeſſerungen wurden in der Flotte eingeführt; man
ſuchte nach einer Reform der Steuern; man begann eine
Zahl von Centralbehörden in Conſtautinopel nach dem
Muſter von Europa zu bilden. Man ſorgte für Verbeſ-
– 335 –
ſerung der Communicationsmittel, für Errichtung von
Fabriken, für den beſſeren Unterricht in den Elementar-
ſchulen und für höhere Bildungsanſtalten.
Es iſt ſehr Sitte in Europa, und es war vor dem
Kriege noch mehr Sitte, alle dieſe Unternehmen der tür-
kiſchen Regierung als vergeblich, als verunglückt, als über-
eilt und nutzlos darzuſtellen; man braucht nur das Brock-
hausſche Converſationslexicon nachzuleſen, deſſen Artikel
über die Türkei trotz ihrer liberalen Färbung durch und
durch von dieſer Anſicht erfüllt ſind. Sie geben genau
die bis vor Kurzem herrſchende öffentliche Meinung. Aber
wer einigermaßen mit Staatsgeſchäften vertraut iſt, wer
die Schwierigkeiten einer neuen Organiſation, ſelbſt in
Europa, nur ein wenig kennen gelernt hat, der muß
wenn er nach der Türkei kommt, erſtaunen über die un-
geheuren Fortſchritte, die das Land in den letzten dreißig
Jahren gemacht hat. Ein Bau, der in den europäiſchen
Staaten viertehalb hundert Jahre gebraucht hat, kann
natürlich in der Türkei mit dreißig Jahren nicht vollendet
ſein; die Reformen müſſen viel Uebereiltes, viel Gemachtes
an ſich tragen; ſie können noch auf keiner Baſis in dem
Volke ruhen; ſie können noch nicht in die entfernteren
Theile des Landes eingedrungen ſein, aber dergleichen iſt
bei gewaltſamen Reformen von Oben herab unvermeid-
lich. Es ſind ähnliche Zuſtände, wie ſie in Rußland unter
Peter dem Großen vor anderthalb hundert Jahren be-
gannen; civiliſirten Ländern gegenüber können ſolche zu-
rückgebliebenen Länder nicht den langſamen Weg der
Selbſtentwickelung gehen. Dennoch wird die Türkei in
der Annäherung an europäiſche Cultur und Staatsformen
Rußland noch iu dieſem Jahrhundert überholen.
Für eine tüchtige Armee mit europäiſcher Ausbildung
und Ausrüſtung iſt Ungeheures ſeit 1826, wo die Janit-
– 336 –
ſcharen beſeitigt wurden, geſchehen. Man hat ein regel-
mäßiges Rekrutenſyſtem eingeführt; man hat in Ausbil-
dung der Soldaten viel geleiſtet, wie die Reſultate des
Krieges an der Donau beweiſen; man hat Militairſchulen
errichtet und Kaſernen gebaut, die mit den beſten in Europa
ſich meſſen können. Dieſe Bauten allein, die nach allen
Richtungen um Conſtantinopel zu finden ſind, müſſen viele
Millionen gekoſtet haben.
Die Bildung des Heeres und der Flotte iſt mit rich-
tigem Inſtinkt als die erſte Aufgabe der Regeneration
des Staates erkannt uud darauf ſind bis jetzt die größten
Mittel verwendet worden. Erſt wenn der Staat damit ſich
ſeine Selbſtſtändigkeit nach Außen und ſeine Selbſtſtän-
digkeit nach Innen gegen die übermüthigen Paſcha's wie-
dererrungen haben wird, kann die Reform auf einer feſten
Baſis weiter ſchreiten. Deshalb ſind natürlich alle an-
deren Reformen in der Steuerverwaltung, in der Hebung
der Fabriken und der Schiffahrt, in der Verbreitung des
Unterrichts, in der Gleichberechtigung der verſchiedenen
Nationalitäten und Religionsbekenntniſſe noch in den
erſten Anfängen ſtecken geblieben. Man hat vortreffliche
Grundſätze hierüber bereits ausgeſprochen; man hat von
Oben herab Organe zu ſchaffen geſucht, die dieſe Refor-
men in das Land und in das Leben des Volkes über-
führen ſollen, aber es iſt natürlich, daß hier noch wenig
Fortſchritt erlangt worden iſt; denn was ſind 30 Jahre
für ſolche Reformen, um Leben im Volke ſelbſt zu ge-
winnen und wo hat je ein Land mit ſo viel Feinden von
Außen und Innen ſeit dem Beginne ſeiner Regeneration
zu kämpfen gehabt, als die Türkei. Nur Kurzſichtigkeit,
oder Ungeduld, oder böſer Wille kann dieſe Schwierigkei-
ten überſehen und die Vergeblichkeit all dieſer Reformen
behaupten.
– 337 –
Um über die Fähigkeit der Türkei, als Staat zu neuer
Kraft und Selbſtbeſtimmung zu gelangen, urtheilen zu
können, muß man auf das Volk ſelbſt zurückgehen, auf
ſeine phyſiſchen und geiſtigen Eigenſchaften, auf die Ge-
ſtaltung ſeines Lebens und ſeiner Thätigkeit in den ur-
ſprünglichſten Formen, denen der Familie, des Erwerbes
und der Religion.
Die Türken gehören nach ihrem Aeußern zu den
ſchönſten Abkömmlingen der Kaukaſiſchen Race. Die
Männer ſind beinahe ohne Ausnahme hohe, kräftige,
muskulöſe Geſtalten, vollkommen proportionirt, mit etwas
breitem Oval und großem Kopf mit hoher Stirn, dem
Zeichen eines großen Gehirns. Man bemerkt ſelten ver-
krüppelte oder ſchwächliche Männer; ſelbſt nicht in der
Hauptſtadt. Ueber die Frauen iſt ſchwer zu urtheilen,
aber nach dem Wenigen, was wir erhaſchen konnten, ſind
ſie zwar in Folge ihrer Lebensweiſe weniger kräftig ent-
wickelt, ſie ſind verhältnißmäßig kleiner, ihre Muskeln und
Züge ſind fleiſchig und ſchlaff. Dennoch zeigen ihre
Augen, ihre breite Stirn dieſelben guten Naturanlagen,
und da das Geſchlecht der Männer bis jetzt phyſiſch noch
nicht herabgekommen iſt, ſo beweiſt dies auch eine vor-
treffliche Körperkonſtitution der Frauen, die ſelbſt ihrer
erſchlaffenden Lebensweiſe widerſteht.
In dem Charakter der Türken tritt dem Fremden ſehr
bald der Grundzug entgegen, der durch alle Beziehungen
hindurch geht; es iſt der der Maaß haltenden Kraft,
einer Kraft, weniger leicht erregbar, als bei den europäi-
ſchen Völkern; aber die einmal erweckt, an Intenſität und
Dauer von keinem übertroffen wird. Dieſer Grundzug iſt
einer der höchſten und edelſten, deſſen die menſchliche
Natur fähig iſt, und ſeine erhebenden, veredelnden
Wirkungen dringen wie leuchtende Strahlen in alle
– 338 –
Zuſtände und Thätigkeiten dieſes Volkes, bis auf die
niedrigſten.
So iſt die Mäßigkeit eine der allgemeinſten Tugenden
in der Türkei. Es iſt unglaublich, wie wenig und wie
einfach die mittleren und niederen Klaſſen eſſen. Eine
Waſſermelone und ein Stück Brot bildet für den Sommer
die tägliche Nahrung und als Luxus kennt man nur eine
Pfeife Taback und eine Taſſe Kaffee. Unſere Schiffer,
unſere Pferdeführer, unſere Begleiter auf den Olymp
haben bei dieſer Nahrung die größten körperlichen An-
ſtrengungen Tage lang ertragen. Die 300 Rekruten, die
über hundert Meilen aus Aſien gewandert kamen, waren
bei dieſer Nahrung alle ſo kräftig und munter, als mar-
ſchirten ſie den erſten Tag. Was läßt ſich mit ſolchen
Leuten als Soldaten ausführen!
Damit hängt die Reinlichkeit der Türken zuſammen.
Im Vergleich mit dem ſprichwörtlichen Schmutz ihrer
Städte ſcheint dieſe Eigenſchaft auffallend, aber es bleibt
nichts deſto weniger wahr, daß wir in Europa nirgends
in den untern und mittlern Klaſſen eine Reinlichkeit des
Körpers gefunden haben, wie in der Türkei. Die zahl-
reichen Badehäuſer und die Vorſchriften ihrer Religion
unterſtützen ſie in dieſer ſchönen Tugend, aber ſie iſt nicht
blos eine Folge davon. Der Anzug iſt oft zerriſſen; die
Türken ſind keine Freunde vom Ausbeſſern, weder bei
Kleidern noch bei Gebäuden; ſelbſt die Palläſte des Sul-
tan verfallen, ſo weit das urſprüngliche Material nicht
mehr vorhält; aber dennoch iſt ihre Kleidung nicht mit
dem Schmutz bedeckt, wie man ihn in dem ſüdlichen Eu-
ropa findet. Ihre baumwollenen Hemden und Hoſen
waren immer weiß und ich habe oft ohne Widerwillen
ihre Jacken zum Zudecken und Schutz gegen Wind benutzt.
Eine Folge dieſer Mäßigkeit und Reinlichkeit iſt die
– 339 –
Reinheit der Atmoſphäre, die ſelbſt den niedrigſten Türken
umgiebt. Wir waren in ſteter Berührung mit Schiffern,
Laſtträgern, Pferdeknechten, aber nicht ein einziges Mal
hatten wir unter den widerwärtigen Ausdünſtungen zu
leiden, die in Europa ſo abſchreckend ſind. Die Türken
trinken keinen Branntwein, eſſen wenig Fleiſch; Schweine-
fleiſch, Wein unterſagt ihre Religion und dieſes Verbot
wird noch im Allgemeinen beobachtet. Mit ſolcher Diät,
bei ſtetem Aufenthalt in freier Luft, behält ihr Körper
eine Reinheit in der Ausdünſtung, die man in Europa
ſelbſt in den höchſten Ständen nicht findet. Auch von
dem Umgekehrten, den künſtlichen Wohlgerüchen, hat man
in der Türkei nicht zu leiden.
Eine andere, überaus wohlthuende Eigenſchaft des
Türken iſt ſeine Dezenz. Wir haben nie eine unanſtän-
dige, gemeine Geſtikulation oder andere Handlung bei
ihnen bemerkt, und obgleich der Dragoman uns jedes
Wort von den aufgeregten Geſprächen auf Straßen, in
Schiffen überſetzen mußte, haben wir darin nie ein in-
dezentes Wort, eine Anſpielung auf geſchlechtliche Ver-
hältniſſe bemerkt, von denen die Unterhaltungen und die
Scherze der niedern Klaſſen in Europa ſtrotzen. In Deutſch-
land iſt man, wenn man ſingenden Soldaten oder Hand-
werksburſchen begegnet, genöthigt, die roheſten Witze und
Anſpielungen zu ertragen; der Verkehr beider Geſchlechter
auf Tanzböden, auf den Erndtefeldern, auf den Tennen
der Scheunen, in den Sälen der Fabriken geſtattet Scherze
und Handgreiflichkeiten, von denen in der Türkei auch
nicht eine Spur zu finden iſt. Das Verhältniß der Frauen
zu Männern iſt da noch barbariſch, wenigſtens dem äußern
Anſcheine nach; aber dieſe Strenge hat die ſchöne Folge
gehabt, daß das Benehmen des Mannes außerhalb des
Harems von einer Dezenz iſt, die man bei uns nicht in
22 -
– 340 –
den höchſten Ständen findet. Gewiſſe unvermeidliche Be-
dürfniſſe, deren Erledigung bei uns ſich kein Arbeiter in
Gegenwart anderer Männer ſchämt, werden von dem
niedrigſten Türken auf eine Weiſe befriediget, daß wir
trotz täglichen Verkehrs mit ihnen nie es bemerkt haben.
Mit dem Worte Harem verbindet man in Europa die
Vorſtellung von ſinnlichen Ausſchweifungen, aber mit Un-
recht. Harem iſt der Name für die Wohnung der Frau,
die ſelbſt in den untern Klaſſen ſtets getrennt und für ſich
beſteht. Geht der Türke in den Harem, ſo heißt dies nur,
daß er ſeine Frau beſucht. Nach türkiſchem Begriff leben
die Europäer den ganzen Tag im Harem. Es iſt ſchon
erwähnt, daß es ſelbſt in den reichen Klaſſen ſelten iſt,
daß ein Türke mehr als eine Frau habe. Geſchlechtliche
Ausſchweifungen mögen bei den höheren Klaſſen allerdings
vorkommen, aber die mittleren und niederen Klaſſen kann
dieſer Vorwurf nicht treffen, denn ihre hohen, muskulöſen,
kräftigen Geſtalten, ihre Ausdauer in der Arbeit ſind ein
unwiderleglicher Beweis dagegen. Der Prediger S. be-
ſchuldigte die Türken eines Laſters, was ſchon unter den
Griechen und Römern herrſchte. Ich kann darüber nicht
urtheilen, aber die Kräftigkeit der Männer und die nicht
abnehmende Bevölkerung beweiſen wenigſtens, daß auch
dieſe Ausſchweifungen nur Ausnahmen bilden. Auch ſollte
der Nordländer ſich hüten, in dieſem zarten Punkte ſeine
Begriffe von Sittlichkeit, von den Gränzen zwiſchen Er-
laubtem und Unerlaubtem als die abſolut für die ganze
Erde gültigen hinzuſtellen. Bei keinem Gegenſtande ſind
Moral und Wirklichkeit in Europa mehr einander wider-
ſprechend, und dieſer dauernde und allgemeine Gegenſatz
von Soll und Iſt kann mit Recht zweifeln laſſen, ob die
Sittenlehre in dieſem Punkte ſchon als abgeſchloſſen und
vollendet zu erachten iſt.
– 341 –
Es giebt in Konſtantinopel auch unter den Türken
öffentliche Frauen, aber ſie ſind in ihrem Aeußern und
Benehmen auf den Straßen kaum von den ehrbaren
Frauen zu unterſcheiden. Sie ſind ebenſo in weite Mäntel
eingehüllt und verſchleiert; und nur ein geübtes Auge
erkennt an dem etwas loſeren und offneren Schleier den
Unterſchied; es ſind auch die einzigen Frauen, die der
Türke auf der Straße anredet. Aber dies iſt alles, was
äußerlich den Unterſchied macht. Abends findet man nie
in Stambul ſolche Perſonen auf den Straßen, und den-
noch ruht dieſe Decenz nur auf der Sitte; es giebt keine
Polizei, die der Moralität nachhülfe.
Die Rechtlichkeit des türkiſchen Kaufmanns in der
Mitte zwiſchen lügenden und betrügenden Griechen, Ar-
meniern und Juden, iſt ſelbſt in Europa bekannt; ſchon
den Kindern erzählt man von dem gemeſſenen Schweigen
des auf ſeinen Knieen im Bazar ſitzenden Türken, der
keinen Vorübergehenden mit Anbieten beläſtiget, keinen
Pfennig vorſchlägt und nur ächte, gute Waare verkauft.
In dieſem ſchönen Bilde, das mir aus meiner Jugend-
zeit noch lebendig war, fand ich allerdings manches idea-
liſirt; man wird in den Kaufhallen auch wohl von einem
Türken jetzt angerufen; auch der Türke läßt etwas mit
ſich handeln, aber der Grundzug davon iſt noch heute
wahr, trotz dem, daß der Türke den verderbenden Ein-
flüſſen der anderen Nationen und den Verſuchungen eines
großſtädtiſchen Lebens nun ſchon ſeit Jahrhunderten aus-
geſetzt geweſen iſt. Der in den letzten Jahrzehnten außer-
ordentlich geſtiegene Andrang von Europäern in Konſtan-
tinopel, ihre Gewohnheit zu handeln, hat den türkiſchen
Handwerker und Händler genöthigt, dieſen Sitten ſich zu
fügen; aber doch nur wenig, und noch heute kauft man
von einem Türken am ſicherſten.
– 342 –
Auch die Gaſtfreiheit gehört zu den guten Eigenſchaf-
ten des Türken. Die Bewirthung iſt einfach; Kaffee und
eine Pfeife; aber bei der eigenen Genügſamkeit des Tür-
ken iſt dies meiſt alles, was er bieten kann. Selbſt in
der Hauptſtadt fanden wir noch einzelne Züge dieſer
ſchönen Tugend, die vor der Civiliſation verſchwindet.
In den Provinzen wird man in dieſer Weiſe empfangen
und bewirthet, ohne daß irgend eine Rede vorher gewech-
ſelt wird, und der Türke iſt mit einem unbedeutenden
Geſchenk zufriedengeſtellt.
Damit hängt ſeine Dienſtfertigkeit zuſammen. Selbſt
der Arbeiter hat ein feines Gefühl hierin und eine Auf-
merkſamkeit, die überraſcht. Ohne viel zu ſprechen, ſorg-
ten unſere Schiffer und unſere Pferdeführer ſtets für jede
kleine Bequemlichkeit, die die Reiſe uns leichter machen
konnte; ſie breiteten die Teppiche aus, ſie brachten Waſſer,
ſie zündeten die Pfeifen an, ſie halfen uns ſteile Berge
erklettern, alles mit einer Anſpruchsloſigkeit und Ruhe,
als gehörte es zu ihrer eigenen Exiſtenz. Mit welcher
Gutmüthigkeit ertrugen die Türken auf dem Olymp un-
ſeren läſtigen Beſuch während der Nacht. Sie räumten
die beſten Plätze am Feuer uns, den Fremdlingen, den
Chriſten, ohne irgend ein Wort zu verlieren, oder einen
Dank zu erwarten. In den Kaffeehäuſern wird man mit
der feinſten Aufmerkſamkeit bedient; man hat nicht den
Lärm und das widrige Geſchwätz und Geſchrei der euro-
päiſchen Kellner. Der Diener erkennt in den Zügen ſei-
nes Gaſtes, was ihm fehlt, und es reut ihn nicht, zwei-
und dreimal zu kommen und anzubieten, weſſen der Gaſt
nach ſeiner Meinung bedarf; alles mit Gutmüthigkeit und
ohne allen Anſpruch auf ein Trinkgeld.
Zu den Tugenden der Türken hat ſich jetzt noch die
Toleranz geſellt. Daß er die Störung ſeines Gottes-
– 343 –
dienſtes in den Moſcheen nicht jedem neugierigen Euro-
päer geſtattet, ſcheint ſehr natürlich; das hat mit Tole-
ranz nichts zu ſchaffen; aber es giebt kein Land, wo jeder
in der Ausübung ſeiner Religion ſo frei iſt, wie hier.
In Pera, in der ganzen Türkei ſind alle möglichen chriſt-
lichen Confeſſionen, alle Mönche und Nonnen Enropa's
zu finden. Die türkiſche Regierung läßt ſie frei gewäh-
ren, und in Jeruſalem ſendet ſie ſelbſt Soldaten und
Polizei in die chriſtlichen Kirchen, damit die Griechen,
Katholiken und Proteſtanten im Streite über das heilige
Grab nicht handgemein werden, und am Altare einander
blutige Kämpfe liefern.
Dieſe Toleranz bezieht ſich nicht blos auf Religion,
ſondern auf die ganze Sitte und Gewohnheit zu leben,
wie es jedem gefällt; weder die Polizei ſtört ihn, noch der
Spott von Straßenbuben oder das Gelächter der Ar-
beiter. Die ſonderbarſten Anzüge, die lächerlichſten Be-
dürfniſſe, zu denen die Civiliſation in Europa geführt hat,
werden nicht blos in Conſtantinopel, ſondern ebenſo in
den Provinzen von den Türken zugelaſſen, ohne daß der
Fremde durch Lachen, oder nur durch neugierige Blicke
ſich geſtört fühlte. Die Türken, Hohe und Niedrige, ſind
in dieſer Beziehung wahre Philoſophen, die kaum bemer-
ken, wie Jemand ißt, ſich kleidet und ſich dreht.
Hiermit hängt die große Sicherheit zuſammen, deren
der Fremde in der Türkei genießt. Mitten in dem Ge-
wühl Stambuls, unter den Frauen auf den Vergnügungs-
orten, wo an ſich kein Mann nach türkiſcher Sitte hin-
gehört, mitten in der Nacht, auf einſamen Wegen, in den
Gebirgen des Olymp, in den abgelegenſten Dörfern iſt
uns nie ein Haar gekrümmt, nie der geringſte Gegenſtand
entwendet worden, obgleich wir und der Dragoman ohne
alle Waffen waren. Daſſelbe Zeugniß geben ihnen be-
– 344 –
rühmte Reiſende, wie Fellow, die lange unter den Tür-
ken gelebt haben. Die Gräuel, welche die Allgemeine
Augsburger Zeitung, als gegen die chriſtliche Bevölkerung
in der Türkei verübt, von Zeit zu Zeit erzählt hat, ſind be-
reits widerlegt worden; und was daran wahr bleibt, hat
offenbar ganz andere Motive, als Intoleranz; die Schuld
wird davon meiſtens auf Seiten der Chriſten ſein, die
überhaupt im Orient, mit Ausnahme der Griechen, zu der
moraliſch am tiefſten ſtehenden Klaſſe gehören.
Die Toleranz zeigt ſich ſelbſt gegen die Neger, die in
großer Zahl als Handwerker, auch als niedere Beamte
in der Türkei vorhanden und aus den freigelaſſenen Skla-
ven hervorgegangen ſind. In dem freien Amerika herrſcht
in dieſem Punkte eine unüberſteigliche Scheidewand; kein
Weißer erkennt den Schwarzen als ebenbürtig, und der
geſellige Verkehr iſt völlig geſchieden. In der Türkei ge-
nießt ſelbſt dieſer ſchwarze Theil der Bevölkerung volle
Gleichheit nicht blos im Recht, ſondern auch in der Sitte
und im Umgang.
Der Türke iſt fromm in dem beſten Sinne des Worts.
Er glaubt noch unbedingt an ſeine Religion und iſt ge-
wiſſenhaft in Ausübung der von ihr ihm auferlegten Vor-
ſchriften. Das Verbot des Weintrinkens mag mitunter
übertreten werden, aber mehr nur in den reicheren Klaſ-
ſen, bei den übrigen haben wir es nie bemerkt, obgleich
der Wein dort billiger, wie das Bier bei uns iſt. Selbſt
der Kavaß auf dem Olymp trank zu ſeiner Stärkung nur
einen einzigen Schluck.
Unter den Türken herrſcht eine große Verträglichkeit.
Die Hunderte von Kaikführern gerathen nie in Thätlich-
keiten unter einander, obgleich ſie mit ihrem Erwerb und
mit ihren Kaiks einander ſtets durchkreuzen; wir haben
nicht eine einzige Prügelei oder nur ein grobes Schimpfen
– 345 –
während unſeres Aufenthaltes bemerkt. Auf den Dampf-
böten waren oft Hunderte von Türken aus den niederen
Klaſſen zuſammengedrängt; von Mudania nach Conſtan-
tinopel fuhren auf dem Dampfſchiff die 300 Rekruten und
noch eine große Zahl anderer Türken; jeder Platz war
beſetzt und Jeder war dem Andern in dem Wege; aber
während der gegen 6 Stunden dauernden Fahrt bei der
brennendſten Sonnenhitze und vielen Unbequemlichkeiten
haben wir nicht einen Streit gehört, nicht eine Unver-
träglichkeit bemerkt.
Auch hier wirkt die Ruhe, der Ernſt, das ſinnende
Weſen, was in dem türkiſchen Charakter liegt, vortheil-
haft. Unvermeidliche Unbequemlichkeiten und Uebel wer-
den mit voller Gelaſſenheit ertragen; die Mäßigkeit, die
Gewöhnung an ein einfaches, durch Bequemlichkeiten nicht
verweichlichtes Leben hilft den Türken über ſolche Dinge
leicht hinweg, die der Europäer tagelang nicht überwinden
kann. Man kennt in der Türkei keine Sentimentalität
und keine üble Laune.
Durch alle Klaſſen der Bevölkerung zieht ſich das Ge-
fühl von Stolz und Selbſtändigkeit. Die Ruhe, das
Schweigen des Türken iſt nicht die Ruhe der Erſchlaffung,
der Faulheit, ſondern die Ruhe, die aus dem Gefühl der
eigenen Würde hervorgeht, die Ruhe eines nicht leicht be-
weglichen Geiſtes, der für eine Menge von Kleinigkeiten
keinen Sinn hat, der mit wenigen einfachen, aber tiefen
Ideen erfüllt iſt, die ſein Daſein tragen, ohne daß er, um
ſeine Zeit auszufüllen, all jener Hülfsmittel der europäi-
ſchen Kultur, der Karten, des Theaters, der Concerte, der
Bälle, der Lectüre bedarf.
Dieſer Stolz hat den Türken vor jenen kriechenden und
unterwürfigen Manieren geſchützt, die in Europa, nament-
lich dem öſtlichen Theile, unter den niederen Klaſſen noch
– 346 –
herrſchen. Dergleichen findet ſich in der Türkei nur dem
Sultan gegenüber; in dem bürgerlichen Verkehr, in den
Verhältniſſen des Umgangs herrſcht eine Gleichheit der
verſchiedenen Stände, die uns in Erſtaunen ſetzte. Es
giebt keinen ſchöneren Gruß, als den türkiſchen; man
nimmt die Kopfbedeckung nicht ab; man berührt mit der
Hand ſeinen Mund und ſeine Stirn bei einer leichten
Beugung und graziöſen Bewegung der Hand nach dem
zu Grüßenden hin. In den Kaffeehäuſern ſitzen alle
Stände bunt durch einander, ohne daß der Reiche in der
Nachbarſchaft des Armen den mindeſten Anſtoß nimmt.
Ihre Genüſſe ſtehen ſich gleich; beide rauchen denſelben
Taback und trinken denſelben Kaffee. Auf den Vergnügungs-
plätzen im Freien waren alle Stände auf das ungezwun-
genſte gemiſcht und gar nicht zu unterſcheiden. Die
Kleidung der reichſten Frau, der ärmſten und der Sklavin
waren dieſelbe; alle hatten den einfarbigen Mantel von
demſelben Schnitt und den weißen Schleier; nur an den
Ringen und Edelſteinen konnte man die Reichere er-
kennen. Diener, Sklaven ſitzen mitten unter den Fa-
miliengliedern und nehmen mit ihnen gemeinſchaftlich
Theil an dem Mahle, an den Genüſſen, die der Platz
bietet. Die Diener in dem Palaſt der hohen Pforte
tragen die Flaſchen mit Limonade mit derſelben ſtolzen
Haltung, wie die höhern Beamten ihre Dokumente; die Be-
handlung der Diener war mild und ruhig. Der türkiſche
Geſandte, welcher mit uns die Reiſe nach Trieſt machte,
behandelte ſein ganzes Perſonal mit einer Liebenswürdig-
keit und Gleichheit, als wären die Dollmetſcher, Sekre-
taire, Räthe mit dem Geſandten nur ein Verein guter
Freunde, die eine gemeinſchaftliche Reiſe unternommen
hätten. Er ſprach gegen ſeine Diener nie ein hartes
Wort, und er bedurfte ſo wenig der Bedienung, daß
– 347 –
man den Diener ſelten zu Geſicht bekam. Stolz erfüllt
ſelbſt die wenigen Bettler, die wir in Konſtantinopel an-
getroffen haben. Es waren nur verkrüppelte Perſonen,
die ruhig auf ihrem Platz blieben und nur mit einem
leiſen Wort um ein Almoſen baten. Von dem Heere
Bettler und Bettelkinder, die man in Deutſchland, in
Italien, in Griechenland zu überwinden hat, iſt in der
Türkei nichts zu ſehen. Es giebt keinen Geburtsadel,
keine Ariſtokratie in der Türkei; die höchſten Stellen des
Staats ſind jedem zugänglich.
Dieſes Selbſtgefühl ſchützt den Türken auch vor der
Putzſucht Europas. Seine Tracht iſt maleriſch; aber es
fällt ihm nicht ein, ihre einfachen Beſtandtheile durch einen
Flitterſtaat oder beſondern Schnitt zu erhöhen; der Türke
kennt keinen Wechſel der Mode. Selbſt die Frauen
ſcheinen von dieſer Leidenſchaft frei zu ſein, wenigſtens
außer dem Hauſe. Ihre Tracht iſt ſtets dieſelbe und es
iſt unmöglich darin durch Putz und Zierrath eine Aus-
zeichnung anzubringen.
Eine andere gute Eigenſchaft der Türken iſt ihr Sinn
für Naturſchönheit und einfachen Naturgenuß. Die ſchönen
Punkte am Bosporus werden von den Türken aller
Klaſſen viel beſucht. Der Sultan hat an jedem hervorragen-
den Ort ſeinen Kiosk und die vielen Fenſter der Zimmer
haben den Zweck, der Natur ſo nah, als möglich zu bleiben.
Dieſen vielen und ſchönen Tugenden des türkiſchen
Volkes ſteht nun allerdings eine körperliche und geiſtige
Indolenz gegenüber, die in dem Auge des Europäers als
Trägheit erſcheint und in mannigfachen Richtungen ihre
nachtheiligen Wirkungen äußert. Zunächſt zeigen ſie ſich
in der Erwerbsthätigkeit. Der Ackerbau ſteht auf einer
ſehr tiefen Stufe; die oft vorhandenen Gelegenheiten zu
Bewäſſerungen ſind nicht benutzt; das Klima macht
– 348 –
doppelte Erndte im Jahre möglich, aber man macht von
dieſer Gunſt des Himmels keinen Gebrauch. Der Wirth
in Bruſſa beklagte ſich bitter über dieſe Trägheit, wenn
wir ihm Vorwürfe machten, daß Gemüſe und Früchte
nicht in der Vollkommenheit vorhanden wären, wie ſie
die Lage des Landes möglich mache.
Daſſelbe gilt von den Handwerkern. Sie ſtehen alle
noch auf einer tiefen Stufe; Werkzeuge und Verfahrungs-
art iſt noch roh und die Waaren ſind plump und ver-
hältnißmäßig theuer. Man produzirt wenig. An Fa-
briken und Benutzung der Maſchinen hat es bis vor
kurzem ganz gemangelt; erſt durch Europäer iſt ein An-
fang gemacht. Die Kultur der Seide könnte eine Höhe
und Ausdehnung erhalten, die Italien und Frankreich
überflügelte; denn das Klima iſt vortrefflich und der
Maulbeerbaum wächſt in einer Ueppigkeit, die man ſelbſt in
Italien nicht kennt; die Bodenrente und der Arbeitslohn
ſind niedrig. Aber die produzirte Seide iſt zwar in der
Qualität vortrefflich, aber gering in Quantität; und die
inländiſchen Zeuge ſind ſchlecht gewebt und noch ſchlechter
gefärbt.
In der Schiffahrt wird in Folge dieſer Indolenz der
Türke von den Griechen übertroffen, ebenſo in Handel
und dem Geldweſen.
Noch auffallender iſt aber der Mangel der geiſtigen
Ausbildung. Es giebt zwar jetzt viele Schulen; wir ſelbſt
haben in Konſtantinopel eine Elementarſchule beſucht.
Die Schüler kommen aber über das Leſen des Koran
nicht hinaus; und nach Ende der Schulzeit wird wahr-
ſcheinlich alles vergeſſen, weil die Fortübung fehlt. Es
waren in einer engen Stube an 50 Kinder beiſammen
bei einem Lehrer. Drei Knaben ſtanden vor ihm und
mußten aus einem Buche laut leſen. Es ging dieſes
– 349 –
ziemlich ſtockend, obgleich die Knaben an 14 Jahre alt
waren; dabei wackelten ſie fortwährend mit dem Kopfe
und dem Leibe hin und her und ſprachen in einem ſin-
genden Tone. Die übrigen Kinder hatten keine Bücher
und hörten nur zu. In einem höhern Verſchlage, näher
der Decke, waren noch an zwanzig kleinere Kinder wie in
einen Hühnerſtall zuſammengeſperrt; nach dem was uns
der Dragoman darüber ſagte, war dies eine Art von
Kinderbewahranſtalt, während die Eltern auf Arbeit ab-
weſend ſind. Indeß ſchien uns dieſes unwahrſcheinlich,
da ſelbſt die Frauen der Arbeiter keine regelmäßige Be-
ſchäftigung außer dem Hauſe haben.
Die geiſtige Bildung der Türken iſt durch alle Klaſſen
hindurch gering und es fehlt auch an allen Hülfsmitteln zur
Entwickelung. Es giebt keine Zeitung, keine Bücher, die
leicht zugänglich wären, keine Vorleſungen, keine öffent-
lichen Verhandlungen, keine Ausſtellungen, keine Theater;
Anſtalten die in Europa ein ungeheueres geiſtiges Ma-
terial täglich unter die Bevölkerung ausſtreuen und eine
ſtete Anregung zum Denken unterhalten.
Ebenſo fehlt aller Sinn für Kunſt. Die Abbildung
lebender Geſchöpfe in Farben und im Stein iſt durch
den Koran unterſagt; eine Folge des Kampfes gegen den
im Chriſtenthum herrſchenden Bilderdienſt zur Zeit Muha-
meds. Der Sinn und die Fähigkeit für Muſik fehlt
ebenfalls. Es giebt zwar bei den neuen Regimentern
auch eine Militairmuſik nach europäiſchem Muſter; ſie iſt
aber noch herzlich ſchlecht und dabei noch unter europäiſcher
Leitung. Auch die Baukunſt ſteht niedrig; die Moſcheen
ſind nur Nachahmungen der griechiſchen Muſter und die
Paläſte des Sultans ſind ein verworrenes Gemiſch aller
Bauſtyle. Auch hier fehlen alle Einrichtungen zur Aus-
bildung des Kunſtſinnes; es giebt keine Muſeen hier,
– 350 –
keine Conzerte, keine Werkſtätte von Künſtlern, keine Vor-
leſungen über Kunſt.
Dieſe Starrheit und Indolenz in geiſtiger und er-
werblicher Hinſicht hält die Entwicklung des Volkes auf
und ſie macht der Regierung die Reform in der Schnellig-
keit, wie dieſe verlangt und wie ſie deſſen in ihrer Noth
bedarf, unmöglich. Aber man würde dem türkiſchen Volke
Unrecht thun, wenn man annehmen wollte, daß dieſer
Fehler unverbeſſerlich ſei, und daß deshalb die Nation
keiner Entwicklung im europäiſchen Sinne fähig ſei. Wie
ſchon angedeutet, halte ich dieſe Trägheit nicht für Man-
gel an Kraft, ſondern nur für eine ſchwerere Erregbar-
keit der an ſich vorhandenen Kraft.
Man kann Fälle ohne Ende anführen, wo der Türke,
wenn es nöthig iſt, mit einer Energie und Ausdauer ar-
beitet, die von keiner Nation übertroffen wird. In unſern
Ruderern, unſern Pferdeführern, unſern Begleitern auf
den Gebirgswegen haben wir ſelbſt eine Menge Beiſpiele
hiervon erlebt; jene 300 Rekruten hatten einen Marſch
von mehreren Hundert Meilen zurückgelegt, ohne irgend
einen Maroden oder Lahmen zu haben; die Laſtträger
Konſtantinopels tragen Laſten, wo auf den Mann drei
Hundert Pfund kommen, Berg auf, Berg ab über das
ſchlechteſte Pflaſter. Die Handwerker in den Straßen
Konſtantinopels ſahen wir am Tage ſtets in der Arbeit;
der Türke kennt keine Einſtellung der Arbeit am Sonn-
tage wie wir; ſofort nach der Stunde des Gebets, am
Freitag, beginnt er ſie wieder. Der Krieg an der Donau
hat ein glänzendes Beiſpiel für die Ausdauer und den
Muth der Türken geliefert.
Ebenſo beginnt in der Türkei bereits eine Reihe
Staatsmänner und Beamter ſich zu zeigen, welche volle
europäiſche Bildung und eine große geiſtige Gewandtheit
– 351 –
und Thätigkeit ſich angeeignet haben. Reſchid Paſcha iſt
ein glänzendes Beiſpiel; der Geſandte Kemal Effendi
zeigte ſich uns als ein Mann voll der feinſten europäi-
ſchen Bildung; er ſpricht franzöſiſch und gilt als einer
der größten Gelehrten in der Türkei; alle Sprachen des
Orients ſind ihm geläufig und er kennt ihre Literaturen
gründlich.
Dieſes ſind genügende Beweiſe, daß der türkiſchen Na-
tion an ſich die geiſtige und die körperliche Kraft und
Ausdauer nicht abgeht; daß der Mangel nur in dem un-
terlaſſenen Gebrauche dieſer Kraft beſteht. Hier wird
allerdings das Klima ſtets einen weſentlichen Unterſchied
gegen die Nordländer Europas begründen. Man ſieht
Aehnliches ſchon in Italien, Spanien und Griechenland.
Aber die Lage des Staats und die immer inniger wer-
denden Verbindungen des Landes mit Europa ſind mäch-
tige Hebel, welche die Kraft der Nation gewaltſam auf-
rütteln und ſie damit auf eine Bahn leiten werden, wo
ſie ihre Selbſtſtändigkeit wieder gewinnen und den Ge-
ſtaltungen ihres Lebens in Staat, Familie, Wiſſenſchaft
und Gewerbe neuen Trieb, neue Bewegung einflößen kann.
Man kann die Noth des türkiſchen Staats ſeit dem
Ende des vorigen Jahrhunderts als ein Glück für das
Volk anſehen. Um nicht die Beute ſeiner Nachbarn zu
werden, mußte die Regierung endlich zur Energie ſich auf-
raffen, mit Gewalt das Volk in die Bahnen treiben, wo
ein Widerſtand vorbereitet werden konnte. Dieſe kühnen
Entſchlüſſe waren nur die That der wenigen Einſichtigen,
welche die Noth und den Punkt der Hülfe erkannten. Sie
mußten gewaltſam und von oben beginnen; aber die In-
ſtitutionen, die ſie geſchaffen, dehnen ihre Wirkungen immer
tiefer in die Bevölkerung, immer weiter in das Land
aus. Hervorragend wirkt in dieſer Beziehung das neue
– 352 –
Militairſyſtem. Für ein Land, das wieder aufgeweckt
werden ſoll, giebt es kein tiefer einſchneidendes und wirk-
ſameres Mittel. Die Türkei hat ſelbſt in dieſem Punkte
vieles vor Rußland voraus. In Rußland iſt der Sol-
dat, einmal ausgehoben, Soldat für ſeine Lebenszeit; die
zwanzigjährige Dienſtzeit deſſelben, ſein völliges Aus-
ſcheiden aus der Familie und ſein Aufenthalt in Garni-
ſonen und Lagern, die Hunderte von Meilen entfernt
ſind, anderes Klima, andere Sitten haben, nehmen in
Rußland dem Militairſyſtem alle reformatoriſche Kraft
für die Bevölkerung; es giebt da zwei Stände neben ein-
ander, ſtreng geſchieden; das Heer lebt nur von den beſten
Kräften des Volkes, erſchöpft die Nation, und giebt dem
Lande, was es ernährt, nichts zurück.
In der Türkei hat man den weiſeren Weg gewählt,
den Soldaten nach 5 Jahren Dienſtzeit in ſeine Heimath
zu entlaſſen und ſpäter nach einem Landwehr-Syſtem ihn
nur von Zeit zu Zeit zum Dienſt einzuziehn. Alle die
guten Eigenſchaften, die der Soldat ſich hat aneignen
müſſen, Thätigkeit, Ordnung, Gehorſam, Ausdauer kehren
mit ihm in ſein bürgerliches Leben zurück, und werden
mit der Zeit auch in dieſes ſie überführen. Wie mächtig
dieſer Einfluß iſt, kann man ſchon jetzt deutlich an der
Kleidung erkennen. Die alte türkiſche Tracht geht ihrem
Ende mit ſchnellem Schritte entgegen; die jüngere Gene-
ration kleidet ſich immer mehr in die zweckmäßigere und
die Thätigkeit weniger hemmende Tracht des Militairs.
Aehnliche Wirkungen wird das neue Beamtenſyſtem zur
Folge haben. Die große Sorgfalt für die Verbeſſerung
des Unterrichts wird unzweifelhaft ihre Frucht tragen.
Der gegenwärtige Geſandte in Berlin, Kemal Effendi,
war vor ſeiner jetzigen Stellung mehrere Jahre General-
inſpektor des öffentlichen Unterrichts, oder nach unſern
– 353 –
Begriffen, Unterrichtsminiſter. Seine hohe Bildung und
ſein milder Charakter müſſen in dieſer wichtigen Stellung
Großes bereits bewirkt haben. Der Fortſchritt hierin
braucht allerdings Lebensalter; aber wenn einmal die
geiſtige Kraft erſt in den Kindern zur Thätigkeit erweckt
ſein wird, iſt zu erwarten, daß ſie dieſes kräftige und
tüchtige Volk dauernd erfüllen und zu allem Großen
wieder fähig machen wird.
Dieſer reformatoriſchen Thätigkeit von oben kommt
ein anderes Moment von unten zur Hülfe, was in ſeinen
Wirkungen noch weitgreifender iſt und deſſen ſpätere Re-
ſultate noch gar nicht ermeſſen werden können. Es iſt
die immer mehr ſteigende Verbindung mit Europa; die
Zunahme des Handels, die Zunahme regelmäßiger und
leichter Verbindungsmittel, die Zunahme einer europäi-
ſchen Einwanderung nach der Türkei, die Einführung
europäiſcher Fabriken und Maſchinen und endlich die
Gegenwart zweier großer Armeen von Frankreich und
England im Lande, die wahrſcheinlich viele Jahre nöthig
bleiben wird.
Auch hier iſt die Türkei gegen Rußland im Vortheil.
Während Rußland ſich immer dichter abſperrt, mehr aus
Furcht vor den politiſchen Ideen des weſtlichen Europas
als vor deſſen Waaren, öffnet die Türkei ihr Land jedem
Europäer in der freieſten Weiſe, und der Einwanderer,
der Gaſt findet eine Freiheit der Bewegung, der Aeuße-
rung des Lebens in der Türkei, von der in Rußland nur
das Gegentheil exiſtirt, und das alle Einwanderung dort
illuſoriſch macht.
Es iſt bereits angedeutet worden, welche ungeheuere
reformatoriſche Kraft für Sitte und ſelbſt für die Häus-
lichkeit der Türken in der Dampfmaſchine enthalten iſt.
Die klaren, überwiegenden Vortheile, welche die neuen
23
– 354 –
Werkzeuge, Maſchinen und Methoden in Beſchaffung der
Mittel für menſchliche Bedürfniſſe gewähren, haben für
alle Länder, die ſich dagegen nicht abſchließen, eine un-
widerſtehliche reformatoriſche Gewalt. Die Türkei bei
ihren völlig offenen Grenzen kann ſich ihnen nicht ent-
ziehn und ſie werden ein neuer Reiz ſein, die ſchlummernde
Kraft des Volkes zu wecken. Ueberall, wo bis jetzt die
Türken bei Maſchinen verwendet worden ſind, haben ſie
für die mechaniſche Arbeit ſich ebenſo ausdauernd und
geſchickt bewieſen, wie die Europäer; nur die Intelligenz,
das mechaniſche Genie geht ihnen noch ab, und die Ge-
nauigkeit und Regelmäßigkeit. Aber es iſt klar, daß dieſe
Eigenſchaften nur eine langſamere Folge ſein können und
für die unbedingte Unfähigkeit der Türken iſt kein Be-
weis vorhanden.
Selbſt wenn die Türken zurückbleiben wollten, ſo
zwingt die immer ſtärker werdende Einwanderung ſie, ſich
aufzuraffen. Noch vor 5 Jahren hat man, wie der Vice-
kanzler B. und Prediger S. uns verſicherten, kein deut-
ſches Wort auf den Straßen in Pera gehört. Jetzt geht
man nicht drei Schritte ohne deutſch zu vernehmen. Pera
vergrößert ſich zuſehends; man fängt an, immer höhere
Häuſer zu bauen und die Stadt wird bald einen rein euro-
päiſchen Anſtrich annehmen. In Smyrna iſt ſchon die
Hälfte der Stadt europäiſch. Selbſt in Bruſſa fanden
wir Oeſtreicher und Italiener. Die Regierung iſt in
ihrer jetzigen Lage zu den größten Conceſſionen ge-
nöthigt. Der Europäer genießt einer vollen perſönlichen
Sicherheit und Freiheit in der Türkei. Die Fälle des
Gegentheils ſind böswillige Erfindungen oder einzelne,
meiſt ſelbſt verſchuldete Ausnahmen. Die Dampffahrtlinien
mehren ſich mit jedem Jahre; die Fahrpreiſe werden noch
tiefer herunter gehn. Bei dem fruchtbaren Boden, dem
– 355 –
herrlichen Klima, der Ausdehnung der Seeküſten iſt es
ſicher, daß die Einwanderung aus Europa in einem un-
geheuren Grade zunehmen wird, ſo wie die lächerliche
Furcht vor der Türkei verſchwunden ſein wird. Dieſes
neue Element iſt in ſeinen Wirkungen für den Orient
gar nicht zu berechnen; es enthält im Verein mit jener
Umwandlung der gewerblichen Thätigkeit die wahre Löſung
der orientaliſchen Frage, die man vergeblich von den Re-
gierungen Europas erwartet. Die türkiſche Bevölkerung
kann ſich dieſem Einfluſſe nicht entziehn; ſie wird, ſie iſt
ſchon jetzt in dieſe europäiſche Entwickelung des Verkehrs
und der Sitten hineingeriſſen und bei der Tüchtigkeit des
Volkes wird es ſicherlich ſich nicht verdrängen laſſen.
Man darf aus dem jetzigen Zuſtande, der ja nur der
erſte Anfang iſt, durchaus nicht, wie der Konſul M. in
Smyrna und ſo viele ungeduldige Politiker, die Folge
ziehn, daß, weil jetzt die Türken überall in den Methoden
der gewerblichen Thätigkeit, der Schiffsleitung, des Han-
dels, der Taktik noch von den Europäern überflügelt
werden und weil jetzt noch kein allgemeiner Wetteifer er-
wacht iſt, dieſer Zuſtand für immer bleiben werde. Alle
unpartheiiſchen Männer ſind erſtaunt über den Fortſchritt,
den nicht nur die Regierung, ſondern auch das Volk nach
allen Richtungen macht. Gerade dem ſtets in der Tür-
kei lebenden Europäer mag er weniger merklich erſcheinen,
weil er ſchrittweiſe und unmerklich, aber ſtätig erfolgt und
deshalb der flüchtigen Beobachtung entgeht.
Ob nun die Entwickelung der türkiſchen Nation ſich
eine Originalität bewahren wird, oder ob ſie nur eine
Schablone europäiſcher Formen abgeben wird, das iſt
noch ſchwer zu entſcheiden. Das erſtere wäre ſehr zu
wünſchen, aber unverkennbar geht die Welt der Einför-
migkeit und Gleichheit unaufhaltſam entgegen. Die reiche
23*
– 356 –
Mannigfaltigkeit der Sitten, Trachten, Lebensweiſe, Staats-
formen früherer Zeiten verſchwindet immer mehr. Europa,
Amerika, Auſtralien ſind beinah ſchon uniformirt; Aſien wird
kaum die Originalität, die Poeſie des Lebens ſich erhalten
können. Die Erde wird im Laufe dieſes und des nächſten
Jahrhunderts nur das große Haus einer Familie wer-
den, in dem die einzelnen Kinder zwar noch individuelle
Unterſchiede bewahren, aber in Sitte, Denkweiſe, Bildung
und Kenntniß keine merkliche Abwechslung darbieten.
Die naive Unſchuld, die Poeſie einer iſolirten Exiſtenz
wird verſchwinden. Der menſchliche Geiſt wird in der
Größe der Beziehungen, in der unendlich erweiterten
Herrſchaft über die Natur, in der tiefern Durchdringung
ſeiner ſelbſt, in der ſteigenden Entwickelung der Freiheit
und Gleichheit des Individuums, in dem Kampf gegen
die Privilegien des Beſitzes und der Geburt, die Entſchä-
digung und die Arbeit ſuchen müſſen, deren er zu ſeinem
Daſein bedarf.
Aber ſelbſt wenn dieſe ſchöne Originalität des türki-
ſchen Volkes dem Geiſt der Geſchichte zum Opfer gebracht
werden müßte, iſt doch zu erwarten, daß nie in der
Türkei ein Despotismus, wie in Rußland, eine Centra-
liſation, wie in Frankreich, ſich entwickeln wird. Es iſt
überhaupt eine verkehrte, von den Schuljahren mitge-
brachte, durch ſchlechte Geſchichtsbücher eingeführte Mei-
mung, die Türkei ſei eine Despotie in dem gewöhnlichen
Sinne. Es iſt meine feſte Ueberzeugung, daß ſchon jetzt
die Türkei in dem Einzelnen mehr Freiheit und Gleich-
heit enthält, wie irgend ein europäiſcher Staat. Die
Sicherheit der Perſon und des Eigenthums iſt in ſo ho-
hem Grade vorhanden, daß wir während unſeres Auf-
enthalts nie einen Fall des Gegentheils bemerkt haben.
Es mögen von Seiten der Gouverneure der Provinzen
– 357 –
vielleicht mehr Gewaltthätigkeiten gegen Einzelne vorkom-
men, als bei uns; es iſt auch wahr, daß in den entfern-
teren Provinzen die Regierung jetzt nicht immer im
Stande iſt, einzelne nomadiſirende Stämme in Ordnung
zu erhalten und die Einwohner und Reiſenden gegen ihre
Angriffe zu ſchützen. Allein Beides wird viel zu viel
übertrieben, und der letztere Umſtand iſt überdem nur ein
Ausnahmezuſtand, herbeigeführt durch den Kampf um ihre
Exiſtenz, den die Regierung jetzt zu führen hat und der
ihr unmöglich macht, auf die innere Verwaltung die Kraft
und Mittel zu wenden, die jetzt dieſer erſchöpfende Krieg
in Anſpruch nimmt. Eine einzige Gewaltthat, die ein
Europäer in der Türkei erleidet, macht ſofort die Runde
durch alle Zeitungen Europa's. Die Conſuln und Ge-
ſandten mengen ſich hinein, ſtören die regelmäßige Thä-
tigkeit des Staats, reizen durch ihre Inſolenz das Ge-
fühl des Türken und der Vorfall wird nur unter der
parteiiſchen, für den Europäer günſtigſten Auffaſſung in
Europa bekannt. Bei dieſem Syſtem iſt es zu verwun-
dern, daß dergleichen Gewaltthätigkeiten nicht weit häu-
ſiger vorkommen; nur die große Gutmüthigkeit und Lang-
muth der Türken läßt ſie dies ertragen.
In Europa brauchen die Agenten der Regierung aller-
dings keine Gewalt, um ihre Habſucht, ihren Willen durch-
zuſetzen. Aber die ſanfteren Wege, die man hier geht, lau-
fen für den Bedrückten auf Eins hinaus. In kann kei-
nen großen Unterſchied darin finden, ob man Einem einen
Theil ſeines Vermögens gewaltſam wegnimmt, ob man
von einer Karavane ein tüchtiges Geſchenk erpreßt, oder
ob man Einem die Conceſſion zu ſeinem Gewerbe nimmt,
aus dem Orte verjagt, wo er allein ſein Brot finden
kann; ob man mit Beſchlagnahmen, Hausſuchungen, Ar-
reſten und den ſämmtlichen Waffen des polizeilichen Ar-
– 358 –
ſenals Einzelne und Gemeinſchaften ſo lange drückt und
preßt, bis ſie ſich den Wünſchen der Gewalthaber fügen.
Die Gewalt iſt in Europa nur in ein Syſtem gebracht, und
mit dem Mantel der Loyalität behangen; nach meinem
Gefühl iſt mir die unverhüllte türkiſche Gewalt lieber; ſie
iſt nicht organiſirt, deshalb nur vereinzelt, und man hat
in ihr wenigſtens einen offenen Gegner.
Abgeſehen von ſolchen Ausnahmefällen, herrſcht in der
Türkei die höchſte Sicherheit für Eigenthum und Perſon;
höher wie in Europa, weil die Sitte ihre Baſis iſt und
weil die Regierung noch nicht ſo im Innern erſchüttert
und auf den Parteiſtandpuukt gerathen iſt, wie in mehre-
ren Ländern Europa's. Die Gewerbe, der Handel, die
Bewegung der Perſon und des Vermögens ſind frei und
ohne alle jene Hemmniſſe von Conceſſionen, Legitimatio-
nen und Cautionen, welche die Trägheit des Bürgers in
Europa den Regierungen unter dem Vorwand der Für-
ſorge für ſie in die Hand gegeben hat. Die Abgaben ſind
gering. Die Aeußerung der Meinung in der Unterhaltung
iſt völlig frei, und es giebt noch keine Spione, Agenten
und Denunzianten, die das gegenſeitige Zutrauen und
die Offenheit bis in die Familien hinein unterwühlt
hätten.
Bei ſolchen Zuſtänden und bei der Zähigkeit des Tür-
ken und ſeine Abneigung gegen Reglementirerei iſt zu er-
warten, daß der Staat bei ſeinem Uebergang zu dem
europäiſchen Syſtem und Organismus ſich frei halten
wird von dieſen Uebeln, an denen Europa bei der hefti-
gen Parteiſtellung, in die die Klaſſen theilweiſe künſtlich
gegen einander gehetzt ſind, noch lange leiden wird. -
Einige Verhältniſſe, die man gewöhnlich als Gründe
gegen die Fähigkeit der Türkei zu einer gedeihlichen Ent-
wickelung anführt, verdienen noch einer Erwägung. Es
– 359 –
ſind das Verhältniß der Frauen, die Sklaverei, die ver-
ſchiedenen Nationalitäten, die muhamedaniſche Religion
und das Schutzverhältniß zu dem Weſten, in das die
Türkei neuerlich gerathen iſt.
Nicht blos die Türken, alle barbariſchen Völker haben
die Frauen erniedrigt. Aber nach dem Wenigen, was
wir beobachten konnten, wendet ſich die Lage der Frauen
mit der ſteigenden Civiliſation zum Beſſeren. Die Barbarei
iſt nur noch äußerlich. Die Frau kann nicht öffentlich
ſich zeigen, iſt von dem Verkehr mit Männern abgeſperrt.
Dies iſt ein Mangel für beide Geſchlechter; er wird ſich
aber entſchieden mildern, denn die Kleidung der Frauen
iſt in Conſtantinopel auf der Straße ſchon weniger dicht
und verſchleiert, als in den noch unberührten Provinzen.
Das häusliche Leben der Frauen, ihr Verhältniß zu dem
Manne iſt dagegen weit beſſer, als man in Europa meint.
Monogamie iſt auch in der Türkei die Regel, und es
ſcheint oft eine tiefe Liebe zwiſchen Frau, Mann und Kin-
dern zu herrſchen. Nach den Mittheilungen des türkiſchen
Geſandten war deſſen Frau in liebevoller Stellung zu
ihm und ihren Kindern; der Verluſt eines hoffnungsvollen
Sohnes von 15 Jahren hatte ſie tief erſchüttert, und die-
ſer Verluſt war der Grund, weshalb der Geſandte ſeine
Stellung in Conſtantinopel aufgegeben hatte. Der Schmerz
über den Tod des geliebten Kindes hatte beide Ehegatten
ſo erſchüttert, daß er nur in völliger Entfernung, durch
Aufenthalt im fremden Lande eine Linderung zu finden
hoffte. Er hatte eine große ſeltene Bibliothek geſammelt,
um ſeinem talentvollen Kinde die Schätze der Weisheit
ſpäter zu öffnen. Nach dem Tode deſſelben hatte er ſie
einem Agenten zum Verkauf übergeben; es war ihm pein-
lich, das für ſich zu behalten, was dem Sohne einſt ge-
hören ſollte. -
– 360 –
Man wird ſich bald entſchließen, auch den Frauen
eine beſſere geiſtige Ausbildung zu geben, und ſowie dieſe
beginnt, iſt auch der feſte Grund zur Gleichberechtigung
der Frauen gelegt. -
Die Sklaverei in der Türkei erſcheint durchaus als
kein Hemmniß in der Reform des Staates. Es iſt ſchon
erwähnt, wie die Sklaven nur die Lage unſerer Dienſt-
boten haben und wie der freie Schwarze von dem Tür-
ken als ſeines Gleichen betrachtet wird. Es fehlen des-
halb die Schwierigkeiten, welche in Nordamerika dieſe
Frage umgeben. Wenn man ſpäter den friſchen Zuzug
verbietet, wird ſich im Laufe der Zeit von ſelbſt die Skla-
venbevölkerung in der Nation verlieren und einen Be-
ſtandtheil bilden, der weniger Schwierigkeiten bietet, als
die übrigen fremden Nationalitäten.
Einer der gröbſten Irrthümer der öffentlichen Mei-
nung in Europa iſt es, wenn man in der Muhamedani-
ſchen Religion ein Hinderniß für die Wiedergeburt der
Türkei findet. Wer den Koran kennt und in der Türkei
nur einigermaßen ſich umgeſehen hat, muß darüber lä-
cheln. Ein erfahrener Mann, den wir in Conſtantinopel
trafen, behauptete, daß die religiöſen Ueberzeugungen der
gebildeten Klaſſen in Deutſchland der Religion des Koran
näher ſtehen, als ihrer eigenen, wie ſie in den Concilien-
beſchlüſſen, Bullen und Bekenntnißſchriften niedergelegt und
ſeit 1848 mit erneuter Energie als die allein wahre
proclamirt wird. –
Hier ſind ſeine Beweiſe: -
Der Koran ſagt: Es giebt nur einen Gott, einen
einigen, einen allmächtigen, allwiſſenden, allbarmherzigen.
Mit Nachdruck verwirft er die Lehre von der Dreieinig-
keit. Chriſtus iſt ihm ein hochehrwürdiger Prophet, aber
nicht Gottes Sohn, nicht Gott ſelbſt. In Sura 3. heißt
– 361 –
es wörtlich: „ Gott werde allein geprieſen. Er iſt der
Schöpfer des Himmels, der Erde. Wie ſollte er einen
Sohn haben, da er keine Göttin hat. Alle Dinge hat
er erſchaffen; alle Dinge kennt er; kein Geſicht kann ihn
ſehen, aber er durchſchaut jedes Geſicht. Der Unerforſch-
liche iſt er, und Weiſe iſt er.“
Mit glühender Begeiſterung ſpricht der Koran für die
Auferſtehung nach dem Tode, für die Unſterblichkeit.
Alle Einwürfe dagegen werden bekämpft. „ Wer wird,
fragt ihr, die Gebeine lebendig machen, die ein dünner
Staub geworden ſind?“ heißt es wörtlich Sura 36; ant-
worte du: Derjenige wird ſie wieder beleben, der ſie das
erſtemal erſchaffen hat; der Gott, der die ganze Schöpfung
kennt; der Gott, der euch Feuer bereitet aus dem grünen
Baum.“ - -
Der Koran erkennt alle Propheten und heiligen Män-
ner der Bibel an. Ganz beſonders legt er Werth auf
Moſes und Chriſtus. Von letzterem wird ſtets mit der
höchſten Achtung geſprochen; nur nicht als Gott wird er
anerkannt. „Chriſtus“, heißt es in Sura 4, „iſt nicht ſo
hoffärtig, daß er ſich weigern ſollte, ein Knecht Gottes zu
ſein; die Engel ſind es auch nicht, die doch Gott am näch-
ſten ſtehen.“ „Chriſtus“, heißt es in Sura 5, „iſt nichts
als ein Geſandter; vor ihm ſind andere Geſandten her-
gegangen, und ſeine Mutter war ein gewöhnliches Weib.“
Der Koran erkennt zwar die Wunder, welche die alten
Propheten verrichtet haben, an, Muhammed weiſt aber
jede Anmuthung, Wunder zu thun, von ſich zurück. „Ihr
werdet doch ungläubig bleiben, wenn auch eure Berge in
Gärten verwandelt würden.“ „Ihr bleibt doch ungläubig
bei den größten Wundern, die Gott alle Tage verrichtet.“
Ebenſo weiſt Muhammed die Prophezeiung kommender
Dinge von ſich zurück; dies ſtehe nur bei Gott. Muham-
– 362 –
med wollte nur als Menſch gelten. „Bin ich denn zu
Euch geſandt worden, mehr als ein Menſch?“ ruft er
fragend in Sura 17. --
Das Vaterunſer oder alltäglich verleſene Gebet des
Koran lautet: „Gelobt ſei Gott, der Herr der Geſchöpfe
der Herrſcher am Gerichtstage, das allerbarmherzigſte
Weſen. Dich beten wir an. Um Beiſtand flehen wir zu
Dir. Lehre uns die wahre Religion, die, welche die al-
ten Gläubigen übten, gegen welche Du dich gnädig be-
wieſen haſt.“ -
Der Koran lehrt das Weltgericht. „Auf den erſten
Schall der Poſaune wird alles, was im Himmel und auf
Erden iſt, bis auf Wenige, die Gott ausnehmen wird,
wie entſeelt niederſtürzen. Auf den zweiten Schall wer-
den alle Todten auferſtehen, ihr Schickſal erwarten. Und
die Erde wird leuchten von dem Lichte des Herrn und das
Buch wird aufgeſchlagen werden, und die Propheten und
die Märtyrer werden als Zeugen herbeigeführt werden,
und dann wird das wahrhaftige Urtheil, welches Keinem
zu viel thun wird, über Alle gefällt werden.“ Sura 22.
39. 70. –
Die Sittenlehre des Koran iſt voll der reinſten
Grundſätze. Redlichkeit, Treue, Wahrhaftigkeit, Mäßig-
keit, Mildthätigkeit werden den Gläubigen anempfohlen;
ebenſo die Lehre, ſeinen Feinden zu vergeben. „Forſchet
nicht ſo genau nach dem Thun uud Laſſen anderer Men-
ſchen und redet von den Abweſenden nichts Böſes. O ihr
Menſchen, ich habe euch von einem Manne und einem
Weibe erſchaffen und hiernach auch zu Völkern und zu
einzelnen Geſellſchaften werden laſſen, damit ihr einander
zur Liebe kennen möchtet. In Wahrheit, der Würdigſte
unter Euch iſt bei Gott derjenige, der ſich am Tugend-
hafteſten beträgt.“ Sura 49. „Sollte ein Götzendiener
– 363 –
bei dir Schutz ſuchen, ſo verſage ihm denſelben nicht, da-
mit er Gelegenheit habe, das Wort Gottes zu hören; und
wenn er ſich nicht überzeugen läßt, ſo gieb ihm ein ſiche-
res Geleit nach ſeiner Heimath.“ Mildthätigkeit gegen
Arme iſt im Koran ſtrenger als in irgend einem anderen
Religionsbuche geboten.
Der Gottesdienſt iſt in edler Einfachheit angeord-
net. Die Grundzüge ſind: Tiefe Verehrung Allah's, mit
Einſetzung von Gut und Blut für ſeine Lehre. Ein täg-
liches fünfmaliges Gebet. Aber, ſagt der Koran, wenn
die öffentliche Andacht geendigt iſt, ſo ſetzt eure Geſchäfte
des Verkehrs fort, bewerbt euch dabei um den Segen
Gottes.“ Sura 62. Der Cultus in den Moſcheen be-
ſteht einfach in Gebet und in Vorleſungen aus dem Ko-
ran. „Zur Beförderung der Furcht Gottes iſt im Monat
Ramadhan, wo der Koran geoffenbart wurde, das Faſten
am Tage vorgeſchrieben. Wallfahrten nach Mecca ſind
nicht geboten, ſondern nur empfohlen. Schweinefleiſch,
Wein und Glücksſpiele ſind verboten.
Dies ſind die Vorſchriften des Koran. Zur vollen
Würdigung ſeiner Lehre aber muß man ſich noch ver-
gegenwärtigen, was er nicht lehrt. Er lehrt keine Drei-
einigkeit, er kennt keine vom heiligen Geiſt erfüllte Kirche;
er lehrt keine Vergebung der Sünden durch das Blut
Chriſti; er lehrt keine Auferſtehung und Höllenfahrt deſ-
ſelben; er ſtellt den Glauben nicht über die Werke, er
lehrt keine Verfolgung der Ketzer, er lehrt keine ewige
Verdammniß der Ungläubigen. „Es werden die Juden,
Chriſten, Sabäer, wenn ſie nur an Gott glauben und an
den jüngſten Tag und thun was recht iſt, Belohnung fin-
den bei dem Herrn,“ heißt es in Sura 4, und beinah
nochmals ſo wörtlich in Sura 5.
Die oben ausgeſprochene Anſicht iſt übrigens nicht neu.
– 364 –
Schon Gibbon ſagt: „Ein philoſophiſcher Deiſt kann der
Muhammedaner Volksglaubensbekenntniß unterſchreiben;
ein Glaubensbekenntniß, vielleicht für unſere gegenwärti-
gen Kräfte zu hoch.“
Man hat in Europa gewöhnlich zwei Argumente, mit
der man die Religion des Koran angreift; es iſt die Lehre
vom Paradies und der Fatalismus. Das Paradies iſt
allerdings ſinnlich geſchildert, indeß liegt darin doch we-
nigſtens der Vorzug der Beſtimmtheit jenen vagen Vor-
ſtellungen gegenüber, mit denen andere Religionen alles
beſtimmte Denken über den Zuſtand des Einzelnen in einer
anderen Welt der Gefühlsweiſe und Bildung jedes Ein-
zelnen überlaſſen. Die Schwierigkeiten ſind mit ſolcher
Unbeſtimmtheit freilich am Leichteſten erledigt. Auch iſt
die europäiſche Anſicht hierin übertrieben. Es heißt in
Sura 19: „Die Glücklichen ſollen im Paradieſe keine Un-
gereimtheiten hören, ſondern nur ſelige Dinge.“ Iſt das
nicht daſſelbe, als unſere Lehre: „daß wir Gott ſchauen
werden?“
Was den Fatalismus anlangt, ſo bedenkt man nicht,
daß die andere Lehre von der Allmacht und Vorſehung
Gottes, abſtract aufgefaßt, die menſchliche Freiheit und
Thätigkeit ebenſo lähmt, wie jener; ja im Fatalismus iſt
ſofort dieſe Folge aufgehoben, wenn er vollſtändig aufge-
faßt wird; wo dann das Individuum mit ſeinen Trieben,
Kräften und Handeln auch zu den wirkenden Gewalten
gehört, ſeine individuelle Thätigkeit mithin gar nicht ge-
hemmt, ſondern nur unter den Begriff der Nothwendigkeit
gebracht iſt, eine Anſicht, die mit den Fortſchritten der
Naturwiſſenſchaften auch in Europa immer größere Bahn
ſich bricht.
Aber auch in jenem gewöhnlichen Sinne gefaßt, hat
der Fatalismus der Türken auf die individuelle Thätig-
– 365 –
keit ſo wenig hemmenden Einfluß, wie jenes andere Dogma.
Die menſchliche Natur kehrt ſich an ſolche Abſtracta nicht.
Der Türke arbeitet, um nicht zu hungern; kleidet ſich, um
nicht zu frieren; ſchwimmt, um nicht zu ertrinken; wehrt
ſich gegen die Ruſſen, um nicht unterjocht zu werden;
baut Waſſerleitungen, um nicht zu verdurſten, alles wie
der Europäer, trotz des Satzes von den Lilien auf dem
Felde, die nicht ſäen u. ſ. w. Wenn, wie oben erwähnt
worden, der Türke weniger zur Thätigkeit neigt, wenn
ſeine Kraft nicht ſo leicht erregbar iſt, ſo iſt dies eine
Folge ſeines Charakters und ſeiner mangelnden geiſtigen
Bildung, aber nicht Folge ſeines Glaubens an das Fa-
tum; er würde ebenſo träge ſein als Chriſt, wie denn die
Chriſten des Orients dazu den Beleg geben. Dann bleibt
von dem ganzen verrufenen Fatalismus nichts als die
ruhige Ergebung in das Unvermeidliche, und der Gleich-
muth bei den kleinen Leiden des menſchlichen Lebens,
beides Eigenſchaften, die zu den ſchönſten Tugenden ge-
hören. Dieſe Eigenſchaften bleiben Tugenden, mag man
dabei die Ereigniſſe als Reſultat einfacher, nach feſten Ge-
ſetzen mit Nothwendigkeit wirkender Naturkräfte, oder als
die Schickung eines liebenden Vaters, als Züchtigung, zur
Buße und Beſſerung betrachten.
Uebrigens enthält der Koran nicht einmal dieſen Fa-
talismus. „Wenn es Gott gefallen hätte, ſo würde nur
eine Religion unter euch herrſchen, allein er leitet in den
Irrthümern und in der Wahrheit, wen er will, und ihr
ſollt gewiß dereinſt eure Handlungen verant-
worten.“ Sura 16, und an vielen anderen Stellen ähn-
liche Sätze. Man ſieht, der Koran leidet hier an dem-
ſelben Dilemma, wie die Bibel, an dem Widerſpruch
zwiſchen der Allmacht und Allwiſſenheit Gottes und der
individuellen Freiheit des Menſchen. Die Lehre Luthers
– 366 –
von der Gnadenwahl giebt dem ärgſten Fatalismus
nichts nach.
Ein Umſtand von der höchſten Bedeutung iſt hier
noch zu erwähnen. Der Koran kennt keinen Prieſterſtand
und die muhamedaniſchen Völker ſind kräftig genug ge-
weſen, einen ſolchen auch ſpäter nicht aufkommen zu laſ-
ſen. Die Ulemas ſind die Geſetzesgelehrten, Juriſten und
Prieſter in einer Perſon, aber ſie ſind weit entfernt, die
Stellung, die Heiligkeit, den Einfluß, die Macht in An-
ſpruch zu nehmen und zu üben, die die Körperſchaft der
Prieſter in Europa, in dem gebildeten Europa ſich zu ver-
ſchaffen gewußt haben. Auch Mönche in unſerem Sinne
giebt es nicht. Die Derwiſche ſind im Vergleich mit un-
ſeren Mönchen ſchwache, unbedeutende, ungefährliche
Schwärmer. Der Koran verwirft ausdrücklich den Mönchs-
ſtand; der Menſch ſoll die erlaubten Genüſſe nicht zurück-
weiſen, ſoll die von Gott geſetzten Grenzen nicht enger
ziehen. „Wir haben ihnen den Mönchsſtand nicht be-
fohlen“, heißt es Sura 57. -
Dieſe Bemerkungen dienen vielleicht dazu, die Vorur-
theile gegen die muhamedaniſche Religion zu beſeitigen.
Man wird auf Grund dieſer wörtlichen Auszüge aus dem
Koran wenigſtens zugeben, daß in deſſen Religion kein
Hemmniß gegen den Fortſchritt der Nationen enthalten
iſt. Die Geſchichte hat dazu ſchon einen glänzenden Be-
leg in der klaſſiſchen Zeit der Araber in Spanien ge-
liefert. «
Die verſchiedenen Nationalitäten in der Türkei, na-
mentlich in der europäiſchen, ſind allerdings eine Schwie-
rigkeit mehr für die Regierung. Wie dieſe Frage ſich
ſpäter löſen wird, iſt noch nicht zu überſehen; aber für
die Gegenwart hat ſie noch nicht die Gefahr, wie vielleicht
ſpäter. Die Türkei iſt noch auf eine lange Reihe von
– 367 –
Jahren zu einer Staatsform mit abſoluter Centralgewalt
genöthigt. Die Reform des Staates kann nicht von der
Maſſe des Volkes ausgehen; ſie bedarf zu ihrer Beſchleu-
nigung einer kräftigen und erleuchteten abſoluten Regie-
rung, wie ſie jetzt beſteht. Für dieſe Staatsform haben
die verſchiedenen Nationalitäten keine unüberwindlichen
Schwierigkeiten. Die Gleichſtellung dieſer Nationalitäten
hat für dieſe Periode nur privatrechtliche Bedeutung; für
das Privatrecht iſt dieſe Gleichberechtigung ſchon vorbe-
reitet und ſie wird ſich ohne Erſchütterung des Staates
weiter ausbilden laſſen. Erſt wenn die Reform bis zur
Theilnahme des Volkes an der Regierung, bis zur Aus-
übung politiſcher Rechte vorgeſchritten ſein wird, werden
dieſe Nationalitäten Gefahren bieten; bis dahin iſt aber
noch eine lange Zeit; vielleicht mildert die immittelſt aus-
geführte privatrechtliche Gleichſtellung den Haß und den
Gegenſatz dieſer Nationalitäten und macht dann auch eine
gemeinſame Ausübung politiſcher Rechte möglich. Für
die Gegenwart iſt daher dies Moment ohne ernſte Gefahr.
Gegen Verrätherei wird ſich hoffentlich die Türkei zu
ſchützen wiſſen.
Eine wahre Gefahr droht dem türkiſchen Staate von
der Eroberungsluſt ſeiner europäiſchen Nachbaren. Dieſe
Gefahr iſt groß, ſie trifft aber nicht die innere Lebens-
fähigkeit der Türkei, ſondern nur die Frage, ob ſie gegen
die äußere Gewalt übermüthiger Nachbaren in dieſer Zeit
ihrer Reform ſich zu erhalten im Stande ſein wird. Die-
ſer Zeitraum der Reform iſt lang zu rechnen; er wird
mit dieſem Jahrhundert nicht vollendet ſein. Der Schutz,
den jetzt die Türkei von Frankreich und England erhält,
beruht auf politiſchen Conſtellationen, von denen man
nicht wiſſen kann, ob ſie ſo lange vorhalten werden. Die
Gefahr iſt alſo hier wahrhaft vorhanden, und es iſt
– 368 –
ſchwer, hierüber im Voraus zu entſcheiden. Es ſind aber
in der Entwickelung Europas wichtige Momente erkenn-
bar, welche hoffen laſſen, daß auch dieſe Gefahr an der
Türkei vorübergehen wird. Die Gegenſätze zwiſchen Ruß-
land und dem übrigen Europa werden mit der ſteigenden
Gewerbethätigkeit, dem ſich ausdehnenden Handel und
dem Fortſchritt ſeiner Inſtitutionen immer größer werden.
Die Uebermacht Rußlands wird von den anderen Staaten
immer mehr als ihre größte Gefahr erkannt werden und
es iſt zu erwarten, daß man nie auf eine Vereinigung
über Theilung der Türkei zwiſchen Rußland und den an-
deren großen Staaten Europas eingehen wird. Auch iſt
die Theilung beinahe unmöglich, ſelbſt unter Rußland
und England allein, wie die verunglückten Offerten von
ruſſiſcher Seite beweiſen. Wenn daher auch Rußland un-
geſchwächt aus dem jetzigen Kriege hervorgehen ſollte, ſo
wird doch die Politik der anderen Staaten entſchieden an
den Schutz der Türkei gegen Rußland feſthalten, mögen
auch ſonſt die Bündniſſe und Intereſſen der einzelnen
Staaten den verſchiedenſten Wechſel erfahren.
Ein noch weit größerer Schutz läßt ſich von der ſtei-
genden Entwicklung und Verwirklichung der volksthüm-
lichen Ideen in Europa erwarten. Dieſe Ideen kennen
keine Eroberungspolitik; die Achtung der Nationen und
Religionen in ihrer Selbſtſtändigkeit iſt eine ihrer Grund-
lehren. Dieſe Ideen, deren Entwicklung in Europa ſtetig
fortſchreitet, werden den feſteſten Schutz der Türkei gegen
die Uebermacht ihrer Nachbarn bilden und der Türkei die
Verfolgung ihrer inneren Reform in voller Freiheit ge-
ſtatten. Nur Rußland, das noch am wenigſten von dieſen
Ideen berührt iſt, bliebe dann gefährlich. Es iſt aber
klar, daß eine volksthümlichere Geſtaltung Europas nicht
ohne Herſtellung von Staaten erfolgen kann, die von
– 369 –
ſelbſt die Uebermacht Rußlands brechen und es von der
Jahrhunderte lang verfolgten Bahn der Eroberung zurück-
bringen werden. Eine ſolche Geſtaltung Europas wird
nicht ohne die heftigſten Kämpfe, innere und äußere, in
Europa vor ſich gehen; ſie können lange andauern; ſie
können zeitweiſe das Prinzip der Freiheit niederſchlagen;
aber es hieße die Macht jener Ideen, die mit Bildung
und Beſitz der mittleren und niedern Klaſſen identiſch ſind,
verkennen, wenn man den endlichen Sieg der letztern be-
zweifeln wollte.
So waren unſere Gedanken, als wir von dieſem merk-
würdigen Lande ſchieden. Wir waren glücklich, daß unſere
Reflexionen zu einem Reſultate führten, das mit unſeren
Wünſchen übereinſtimmte. Ohne daß wir es bemerkt,
hatte ſich Anhänglichkeit und Liebe zu den Türken in unſer
Herz geſchlichen; und mit der Trennung von ihnen
empfanden wir lebhafter, welch herrliches Land, welch
kerniges Volk, wenn auch mit rauher Schaale, wir geſehen
hatten. Lange folgte die hohe Küſte Aſiens dem Laufe
unſeres Schiffes, bis wir endlich, Syra zuſteuernd, mit
dem Verſchwinden der letzten Gebirge, der Türkei ein letztes
Lebewohl zuriefen.
24
XXXIII.
D ie Rückkehr.
Das Meer wollte uns noch einmal ſeine Gewalt füh-
len laſſen. Wir waren auf der Rückreiſe frei von der
Seekrankheit geblieben; aber zwiſchen Smyrna und Syra
begann in der Nacht ein heftiger Wind, der auch den gan-
zen Morgen anhielt. In den Augen der Paſſagiere war
er ſtarker Sturm; alles lag und ſaß mit bleichen Geſich-
tern umher; auch ich hatte meinen Tribut zu zollen, während
mein Freund diesmal wie ein alter Seemann tapfer aushielt.
Gegen Mittag erreichten wir Syra. Man ließ uns,
obgleich die Cholera darin herrſchte, nicht an das Land;
nur eine neuntägige Quarantaine gab das Recht, in eine
Stadt einzutreten, in der die Cholera ſchlimmer hauſte,
als in Conſtantinopel, wo wir herkamen. Unſer Capitain
durfte mit dem Schiff nicht einmal in den Hafen, und
wir lagen bis ſpät Abends vor dem Molo, eine Beute der
noch hoch gehenden Wellen und der Seekrankheit. An Syra,
ſo wie vorher an Smyrna, bemerkten wir nun erſt aus dem
weit ſchwächeren Eindruck, den die Stadt mit ihrer von uns
bei der Hinreiſeſobewunderten Lage auf uns machte, an welche
rieſige Dimenſionen Conſtantinopel uns verwöhnt hatte,
die, wie die Schönheit ſeiner Lage, alles andere übertrafen.
Schon in Syra trübten ſich unſere Ausſichten für
Griechenland Als wir am andern Morgen den Piräus
e.
– 371 –
erreichten, harrten wir lange auf endliche Entſcheidung.
Jetzt, wo Athen uns wieder ſo nahe war, wo die Akropo-
lis mit ihren Säulen uns wieder entgegen leuchtete, er-
wachte lebhaft der Wunſch, unſere letzten acht Tage
Griechenland widmen zu können. Wir waren ſelbſt bereit,
uns einer Quarantaine von zwei bis drei Tagen zu unter-
werfen, wenn uns für dieſes Opfer Griechenland nur vier
Tage zu betreten erlaubt würde. Der Capitain fuhr mit
unſeren Päſſen ab, um Antwort zu holen. Wir packten
ſorglich unſere Sachen, um ſofort mit dem Eintreffen der
Erlaubniß das Schiff verlaſſen zu können. Aber unſere
Hoffnung ward getäuſcht. Der Capitain kam mit der
Nachricht zurück, daß die Regierung eine eilftägige Qua-
rantaine verlange, die noch dazu auf der Inſel Aegina
abgehalten werden müſſe, weil an der Küſte von Attika die
Anſtalt dazu fehle. Der Capitain fügte hinzu, daß wir
keine Ausſicht hätten, mit einem Lloyd-Dampfſchiffe
von Griechenland zurückkehren zu können. Keines werde
bei der Cholera im Piräus Paſſagiere annehmen.
Das hieß zweifache Unmöglichkeiten gegen uns auf-
thürmen. Noch einmal hatten wir das peinliche Gefühl
zu ertragen, im Hafen von Athen zu ſein, und Griechen-
land nicht betreten zu dürfen. Das klaſſiſche Land lag klar vor
uns; wir konnten jedes Fenſter zählen, jeden Menſchen an
der Küſte erkennen; 300 Meilen waren wir gereiſt, um es zu
ſehen, und zweimal wurden wir zurückgeſtoßen um Forma-
litäten willen, deren Nutzloſigkeit längſt anerkannt iſt.
Es war, als ob die Natur unſern Schmerz durch Ent-
faltung all ihrer ſüdlichen Schönheit mildern wollte. Die
Sonne ging mit einer Pracht unter, die in alle Farben
ſich kleidete, von dem glänzenden Gelb durch das Orange,
Roth, Purpur und Violett hindurch bis zu dem Sammet-
ſchwarz des nächtlichen Himmels. Jede ſchien uns die
ſchönſte und jede ward von einer noch ſchöneren gefolgt.
- 24*
Die Gebirge, die Küſten, das Meer, alles tauchte ſeine
Schleier in gleiche Farben und feierte mit uns die Er-
habenheit der Stunde.
Im Hafen prangten zwei Schiffe, Maſten und Raaen
mit flaggenden Wimpeln bedeckt. Von Zeit zu Zeit don-
nerten ihre Kanonen. Es waren öſterreichiſche Schiffe,
die den Geburtstag ihres Kaiſers feierten. Unſer kosmo-
politiſches Schiff wurde damit an ſein Vaterland und
ſeine Pflicht erinnert. Der Capitain ließ eiligſt von Wimpeln
aufziehn, was das Schiff beſaß. Es kam aber nicht viel zu
Stande und die Geſellſchaft kümmerte ſich nicht darum.
In Syra, in Athen hatte uns die Cholerafurcht vom
Lande abgeſperrt; Gleiches drohte uns in Zante, in
Corfu, und die Aengſtlichen unter uns rechneten ſchon auf
eine Quarantaine in Trieſt. Dies waren trübe Aus-
ſichten. Eine lange Seereiſe wird von Jedermann ge-
fürchtet; die beſten Reiſebeſchreibungen handeln dann von
Langerweile und Eintönigkeit der Reiſe. Auch über unſer
Schiff begannen dieſe Geſtalten mit ihren grauen langen
Geſichtern ſich zu lagern. Man rechnete und rechnete, wie
viel Tage, wie viel Stunden noch zu überſtehen wären,
bis zur Ankunft in Trieſt; die Reiſe erſchien ſchon als
eine weiße Tafel, auf der nichts geſchrieben ſtand, und
die in dem Leben nicht mehr zählte.
Und dennoch bot unſer Boot und unſere Reiſe alles,
deſſen der Menſch bedarf für Körper und Geiſt; bot Ge-
nüſſe, an die man mit Sehnſucht in der Heimath zurück-
denken würde. Die bunteſte Geſellſchaft aus allen Klaſſen
und Nationen; vortreffliche Bedienung und Bewirthung;
die Freiheit von der Laſt des Amtes, von den Sorgen
des Hausſtandes; einen ſtets klaren Himmel und eine reine
milde Luft, die zu athmen ſchon Genuß war, die ſchön-
ſten Anſichten von Land und Inſeln, und Bergen und
Städten in ſtetiger Folge. Und dennoch wurden die Züge
– 373 –
der Reiſenden mit jedem Tage ſchlaffer, die Geſichter län-
ger, die Unterhaltung ſtockender.
Ich war empört über dieſe Launen des menſchlichen
Herzens, ich ſchalt innerlich über dieſe Stumpfheit und Un-
dankbarkeit. Aber ich fühlte, daß trotzdem das Gleiche
mir drohte. Uns allen fehlte die Arbeit, die Auſtrengung
mit ihrer ſtählenden Rückwirkung auf die Seele. Ich holte
meinen Silvio Pellico hervor, das Original und die deutſche
Ueberſetzung, und jeden Tag wurden zwei und drei Stunden
verwendet zur Rücküberſetzung in das Italiäniſche und Ver-
gleichung mit dem Originale. Wenn ich dann von dem
Buche aufſah nach dem blauen Meere und den blauen Ge-
birgen, waren ſie ſtets mit neuem Zauber umgoſſen. Wenn
ich die Martern Silvio's im Gefängniſſe auf dem Spielberg
mit Anſtrengung in das Italäniſche überſetzt hatte und dann
auf dem Verdeck unter Gottes freiem Himmel auf und ab
ging, und Berge und Städte an mir vorüber eilen ſah,
dann durchſtrömte alle Adern das Gefühl des freien Da-
ſeins, und täglich empfand ich neu die Freuden der Reiſe.
Der türkiſche Geſandte gewann unſere Liebe und Ach-
tung mit jedem Tage mehr. Sein ganzes Weſen war Be-
ſcheidenheit, Milde, Feſtigkeit und rege Empfänglichkeit. Er
war ſchon einmal in Europa geweſen und hatte Paris
und Wien geſehen. Er gilt in der Türkei für einen der
gelehrteſten Männer. Neben den orientaliſchen Sprachen
kannte er auch das franzöſiſche; leider war er deſſen nicht
ſo mächtig, daß die Unterhaltung ſich frei und leicht hätte
bewegen können, und ſeine Ausſprache hatte einen ſo frem-
den Accent, daß eine franzöſiſche Familie aus Lyon ſich
mehrmals von uns den Sinn ſeiner Rede erklären ließ.
Die Verhältniſſe Preußens ſchienen ihm ganz unbekannt.
Er wußte nur, daß es gute Artilleriſten in Preußen giebt,
und er hatte den Plan, deren noch mehrere ſammt den
dazu gehörigen Kanonen nach ſeinem Vaterlande zu ſchaf-
– 374 –
fen. Es wurde deshalb mit Sorgfalt der nächſte Weg
von Berlin nach Conſtantinopel beſprochen. Auch die Er-
weiterung des Handels mit Preußen war eine ſeiner Lieb-
lingsideen, und preußiſche Kaufleute und Fabrikanten, die
irgend die Abſicht haben, ihre Geſchäfte nach der Türkei
hin auszudehnen, werden wohlthun, ſich an ihn zu wen-
den. Sein Intereſſe, ſein Einfluß und ſeine Kenntniſſe
ſichern ihnen die beſte Aufnahme und die zuverläſſigſte
Auskunft nnd Unterſtützung.
Die politiſche Stellung Preußens nach Außen, ſeine
politiſchen Parteien im Innern, die Namen und die Cha-
raktere der jetzt einflußreichen Männer, alles dies war
ihm völlig unbekannt. Wir verſuchten mehrmals, ihm und
ſeinem Legationsrathe darüber Mittheilungen zu machen,
denn ein Geſandter ohne ſolche Kenntniſſe ſchien uns un-
fähig, ſeinem Vaterlande zu nützen. Aber die Aufgabe
war ſchwierig, Männern gegenüber, die politiſche Parteien
nur im Sinne verſchiedener Nationalität aufzufaſſen ge-
wohnt waren, und für die Prinzipien der Selbſtregierung
und Gleichheit gar keine Anſchauung gehabt hatten.
Sein erſter Legationsrath A. war der Neffe des Groß-
logotheten A. und aus einer der angeſehenſten griechiſchen
Familien. Mit reichen Kenntniſſen, namentlich in Spra-
chen und feiner Bildung verband er ein gewandtes, lie-
benswürdiges Benehmen. Durchdringende Klugheit war
in jeder ſeiner Mienen zu leſen, und ſein dunkles Auge
war ein klarer Spiegel, in dem aber Jeder nur ſich ſelbſt
ſah, wenn er verſuchte, das Innere ſeines Herrn darin zu
leſen. Er hatte drei Jahre eine Miſſion der türkiſchen
Regierung nach Bagdad und nach Perſien gehabt, um die
Unterlagen zur Reform jener Länder zu ſtudiren und der
Regierung mitzutheilen.
Das Amt des Interpreten hatte ein junger Mann,
von Geburt ein Holländer, der aber ſchon in allen Län-
– 375 –
dern der Welt geweſen war und mit jedem Tiſchgaſte in
ſeiner Sprache ſich unterhielt, obgleich das Geſpräch bei
Tiſch in ſieben verſchiedenen Sprachen geführt wurde; tür-
kiſch, arabiſch, griechiſch, italieniſch, franzöſiſch, engliſch und
deutſch. Er hatte auch in Petersburg mehrere Jahre zugebracht.
Den Gegenſatz zu dieſen beiden Herren machte der
zweite Sekretair der Geſandtſchaft, ein Türke, der an Bil-
dung ihnen nicht nachſtand, aber die Treuherzigkeit und
Gutmüthigkeit ſelbſt zu ſein ſchien. Er ſprach leider keine
uns verſtändliche Sprache, war aber auch Effendi und
Gelehrter nach türkiſchen Begriffen. Er ſpielte meiſter-
haft Schach und war der einzige, der dem erſten Ma-
ſchinenmeiſter unſeres Schiffes, einem Engländer, eine
Parthie abgewinnen konnte.
Dieſer und der Geſandte waren ſtets in gleich heitrer,
ruhiger Stimmung, obgleich der Geſandte ſich wegen der
Einrichtung ſeines Hausſtandes und wegen der Schwierig-
keiten einer würdigen Repräſentation manche Sorgen
machte. Sie waren immer im Salon oder auf dem Ver-
deck; immer beſchäftiget. Der Geſandte hatte ein ſo
reiches Material für Unterhaltung, daß er auf der ganzen
Reiſe fortwährend mit ſeinem Perſonal oder mit den
übrigen Paſſagieren ſich unterhielt. Sämmtliche europäi-
ſche Reiſende ſtanden ihm weit nach in Regſamkeit, Le-
bendigkeit des Geiſtes, ſteter Empfänglichkeit nnd Heiter-
keit. Mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit gab er uns
Auskunft über ſeine Perſon, ſein Alter, ſeine Kinder,
ſeine Frau und deren Alter; und ſeine naive Unbefangen-
heit ließ uns Fragen thun, die man hätte unverſchämt
ſchelten können, wenn nicht dieſem edelen Manne gegen-
über alles ſich veredelt hätte.
Eifrige Zuhörer hatte er, außer uns, an einem Kauf-
manne aus Lyon mit ſeiner Frau und einem Sohne.
Sie hatten vier Wochen zu ihrem Vergnügen in Bujukdere
– 376 –
am Bosporus gelebt und kehrten jetzt nach Hauſe zurück.
Die Frau war eine Genferin und obgleich ſie nicht hübſch
war, ſo ſuchte ich gern ihre Nähe wegen des vortrefflichen
Franzöſiſch was ſie ſprach. Eine wahre Muſik tönte aus
ihrem Munde und ich vergaß oft über die Freude die
reinen Laute zu hören, den Sinn ihrer Worte zu faſſen.
Der Mann war viel gereiſt und in Geſchäften mehrmals
in Amerika geweſen. Er gehörte zu der zahlreichen Klaſſe
in Frankreich, die Louis Napoleon als eine Nothwendig-
keit annehmen, als den unentbehrlichen Schutz gegen die
Gefahren des Sozialismus. Um nach ihrer Meinung
Eigenthum und Familie zu retten, ertragen ſie mit Re-
ſignation den Verluſt aller Freiheiten. Sie bedenken
leider nicht, daß dieſe Zuſtände keine Löſung ſind, daß ſie
die Spannung und Feindſeligkeit der Gegenſätze in der
Nation nur ſteigern. Sie bedenken nicht, daß ihre Gegner
nur momentan niedergedrückt ſind; daß ſie die Ruhe der
Arbeiter in den großen Städten jetzt mit noch größeren
Opfern erkaufen müſſen, als in den Zeiten der Republik.
Jene gewaltſame Bauten, mit denen man die arbeitende
Klaſſe in Paris und Lyon beſchäftiget und zufrieden ſtellt,
koſten ſeit 1852 ſchon Hunderte von Millionen. Die be-
ſitzende Klaſſe, welche ſie hergiebt, bekommt allerdings ein
zinstragendes Papier dafür, aber es iſt klar, daß dieſes
Syſtem des Borgens ſeinem Ende nahe iſt und daß jede
Kriſis ſich nothwendig verderblich auf dieſe Art des Eigen-
thums ausdehnen muß.
Ein engliſcher Offizier, der in Smyrna auf unſer
Boot gekommen war, hatte ein eignes Schickſal zu be-
ſtehen. Er war vor kurzem aus England zu einem in
Corfu ſtehenden Regiment verſetzt worden. Er hatte den
Weg dahin über Malta gewählt. In Malta angekom-
men, ſoll er eine Quarantaine von zwei Tagen aushalten;
in ſeiner Ungeduld wählt er, um dieſem auszuweichen,
– 377 –
ein Schiff, was nach Konſtantinopel geht, mit der Ab-
ſicht in Syra auszuſteigen und dann mit dem Lloyd-
dampfer nach Corfu zu fahren. Aber als er in Syra
ankommt, läßt man ihn nicht ausſteigen, wenn er nicht
zuvor 7 Tage Quarantaine halten will. Er fährt des-
halb, um dem auszuweichen, nach Smyrna. Dort läßt
man ihn ans Land, er muß aber 6 Tage auf das Dampf-
boot warten. Endlich kommt das unſrige. Er ſteigt ein
und hofft nun endlich ungehindert in Corfu landen zu
können; allein vor Corfu angekommen, wird ihm, da er
mit einem Schiffe gefahren iſt, was von dem cholera-
kranken Conſtantinopel kommt, eine Quarantaine von
7 Tagen auferlegt, und nachdem er gleich dem Ulyſſes im
mittelländiſchen Meere umhergeirrt, verließ er uns in Corfu,
als er in das Quarantaineboot ſtieg, mit einem Geſicht,
als ob er in ſein Grab ſteigen ſollte.
Ein Schweizer, aus dem Canton Teſſin kehrte mit
unſerm Schiffe in ſeine Heimath zurück. Er kam von Odeſſa
und hatte lange in Rußland gelebt, war auch in Sebaſto-
pol geweſen. Es wurde mit ihm viel politiſirt und ſchon
damals erklärte dieſer Schweizer, daß Sebaſtopol von
der Landſeite wohl zu nehmen ſei. Dies erhöhte nicht
wenig die Hoffnungen der ganzen Reiſegeſellſchaft, in der
ſich hinter Corfu kein Ruſſenfreund mehr befand; wir
rechneten nun ſicher darauf, in Trieſt ſchon die telegra-
phiſche Nachricht von der Einnahme Sebaſtopols zu finden.
Der Sohn eines reichen Kaufmannes in Trieſt war
zu ſeinem Vergnügen in Syrien, in Damaskus, Beirut
und Aleppo geweſen. Er mußte uns viel davon erzählen
und wir machten aufmerkſame Vergleiche mit dem was
wir im Orient geſehen hatten. Nach Allem war kein
großer Unterſchied. Unſer Zweifel über die grünen Wieſen
und üppigen Laubwälder des Libanon, wie ſie Lamartine
ſchildert, wurden von ihm beſtätiget. Sie exiſtiren nur in
– 378 –
der Phantaſie des Dichters. Selbſt der Libanon iſt dürr und
trocken und der Baumwuchs auf wenige Stellen beſchränkt.
Auch ein Landsmann fand ſich auf dem Schiffe, der
ſeit 3 Jahren in Smyrna als Muſiklehrer ſich niederge-
laſſen hatte und jetzt eine Reiſe nach Arnſtadt, in Thürin-
gen, zu ſeinen Eltern machte. Er hatte ſchon ganz die
aſiatiſche Natur angenommen, hinter Corfu fing er an zu
frieren, wo wir noch große Hitze zu ſpüren meinten. Nach
ſeiner Schilderung wird jetzt in Smyrna in den Arme-
niſchen und Griechiſchen Familien ſo viel muſizirt, als
in Europa. Die neueſten Polka nnd Maſurek hört man
dort nach 14 Tagen ſo gut, wie in Wien. Indeſ ſpielen
nur die Mädchen. Männer geben ſich nicht damit ab.
Für den Handel mit Piano-Fortes und Muſikalien bietet
Smyrna ein reiches noch unbenutztes Feld. Man bezahlt
ſehr mittelmäßige ſchwache Inſtrumente mit 8000 bis
10,000 Piaſter oder mit 400 bis 500 Thlrn. Bei der gerin-
gen Fracht müßte dieſer Handel für Preußen gewinn-
bringend ſein. Es iſt aber nöthig, daß die Spielart ſehr
leicht ſei, weil bei der Hitze jede ſtärkere körperliche An-
ſtrengung geſcheut wird. Auch muß das Holz ſehr trocken
genommen werden, weil die trockne heiße Luft in Smyrna
ſonſt alles ſpalten und platzen macht.
Neben den Erwachſenen hatten wir eine Zahl arme-
niſcher Knaben am Bord, die unter Leitung eines katho-
liſchen Prieſters von Conſtantinopel nach Venedig ge-
ſandt wurden, um in dem dortigen armeniſchen Seminar
zu katholiſchen Prieſtern ausgebildet zu werden. Es waren
unruhige, lärmende Knaben, mit groben, gemeinen Zügen,
die ihrem Führer und unſerm Kapitain viel Noth machten.
Sie ſchienen noch keinen Begriff von ihrer Beſtimmung
zu haben. -
Bis Corfu hatte die Geſellſchaft ein überwiegend
orientaliſches Anſehn; dort verließen uns aber alle Griechen.
– 379 –
Sie wurden ſammt den engliſchen Offizieren auf einen
öden Felſen im Meere ausgeſchifft, wo ein Haus aufge-
baut war, mit leeren Räumen, zum Dienſt als Quaran-
taine. Wer einen Tiſch, einen Stuhl, ein Bett haben
wollte, mußte es mit ſchwerem Gelde ſich verſchaffen.
Die Sonne brannte wie Feuer auf dieſen dürren ſteini-
gen Boden. Es gehörte eine feſte Geſundheit dazu, um
nicht erſt in dieſer Quarantaine die Krankheit zu bekom-
men, gegen die ſie ſchützen ſollte.
Eine einzige Griechin war auch hinter Corfu noch auf
dem Schiffe geblieben. Sie war uns ſchon früher auf-
gefallen. Jugend und Schönheit lagen bei ihr im Kampfe
mit tiefem Kummer; um den Mund hatten ſich ſchon die
bittern Züge des Schmerzes gelagert, und die blendende
Weiße ihrer Haut begann ſchon zu weichen der gelblichen
Farbe nagender Sorge. Von feinem Wuchſe, trug ſie
ſtets ein einfaches ſchwarzes Kleid, was trotz einer ge-
wiſſen Nachläſſigkeit im Anzuge die edlen Formen ihres
Körpers erkennen ließ. Ihre Schönheit übte eine magiſche
Wirkung. Sie ſprach beinahe nie; aber wo ſie ſinnend
hintrat, glich ſie einer antiken Statue; man blieb ihr fern,
aber man empfand den Zauber ihrer Züge und vergaß,
daß ſie lebte.
Sie war trotz ihrer Jugend ſchon Wittwe. Ein italie-
niſcher Arzt, der in der Lombardei 1848 für die Selbſt-
ſtändigkeit ſeines Vaterlandes gefochten, war 1849 nach
Griechenland geflüchtet. In Lariſſa hatte er ſich nieder-
gelaſſen, ſie dort kennen gelernt und geheirathet. Vor
Kurzem war er geſtorben und hatte ſie mit drei Kindern
in Hülfsloſigkeit zurückgelaſſen. Sie war jetzt mit ihren
Kindern auf der Reiſe zu den Verwandten ihres Mannes
in Italien. Während der Reiſe wurde eines ihrer Kinder
krank; ſie ſelbſt bedurfte der Pflege, aber Tag und Nacht
ſorgte ſie für das kranke Kind. Sie ertrug Alles mit
– 380 –
einem tiefen Schweigen; fragte man, wie es dem Kinde
gehe, ſo gab ſie die kürzeſte Antwort; nur ihre Züge ließen
den Schmerz leſen, den zu klagen ſie kein Bedürfniß hatte.
Am Sonntag Mittag erreichten wir Corfu; von da
ging es in gerader Linie nach Trieſt. Hinter Corfu ver-
loren wir das erſte Mal das Land aus dem Geſicht.
Den folgenden Tag ſahen wir nur Himmel und Waſſer;
nur einzelne Schiffe, die uns mit vollen Segeln begegneten,
erinnerten uns, daß wir auf der vielbefahrnen Straße
nach den Häfen von Trieſt und Venedig uns befanden.
Bis dahin hatte der Kapitain nie eine Meſſung vorge-
nommen, um ſich zu orientiren. Die Nähe der Küſten
hatte für ihn und den Steuermann hingereicht, das Schiff
richtig zu leiten. Mit außerordentlicher Sicherheit erkannten
ſie ſchon das Land, wo wir mit den Gläſern noch nichts
entdecken konnten; jeder Berg, jeder Vorſprung der Küſte,
jede Untiefe, jeder verſteckte Fels war ihnen auf der 300
Meilen langen Reiſe genau bekannt. Sie führten das
Schiff mit vollkommener Sicherheit durch die ſchmalſten
Fahrwaſſer und leiteten es in dunkler Nacht ſo richtig,
wie am hellen Tage. Neben den Küſten war nur der
Kompaß ein Hülfsmittel zur Innehaltung des richtigen
Weges; vor dem großen Rade, womit geſteuert wurde,
waren zwei Kompaſſe in meſſingnen Gehäuſen ſchwebend
angebracht, die des Nachts beleuchtet waren. Aſtronomiſche
Beobachtungen zur Beſtimmung der Länge und Breite
werden nach Verſicherung des Capitains nur auf der Linie
nach Alexandrien gemacht.
Hinter Corfu, als wir für einen vollen Tag das Land
aus dem Geſicht verloren, wurde indeſ die Schnelligkeit
des Schiffes einmal von dem Capitain gemeſſen. Er hatte
auch hierin ſchon durch die Beobachtung des wegtreiben-
den Schaumes der Räder ein ſicheres Urtheil. Der Ca-
pitain ſchätzte die Schnelligkeit zu 9/2 Seemeilen in der
– 381 –
Stunde, von denen 4 auf eine geographiſche Meile gehn.
Er warf dann das Logbrett aus. Es war ein kleines
dreieckiges Brettchen, an das eine dünne Leine befeſtigt
war, die von Stelle zu Stelle Knoten hatte. Die Leine
war lang und auf einer Winde aufgewunden. So wie
das Brettchen in die See geworfen wurde, nahm es nicht
mehr an der Bewegung des Schiffes Theil, ſondern blieb
in dem nicht fließenden Meere ruhig an derſelben Stelle
liegen. Da das Schiff aber fuhr, ſo mußte die Leine ſich
abrollen, und die Länge der Leine in einer Minute gab
das Maß für die Schnelligkeit der Bewegung. Die Kno-
ten in der Leine waren ſo berechnet, daß die Zahl, die
davon in einer Minute ablief, mit der Zahl der See-
meilen für eine Stunde übereinſtimmte. Damit war die
Rechnung erſpart. Die Meſſung ergab nur eine um eine
Viertelmeile geringere Bewegung, als der Capitain ge-
ſchätzt hatte.
Die Dampfboote des Trieſter Lloyd haben ſich bis
jetzt als ſehr ſicher bewährt. Seit 1836 beſtehen die
Fahrten von Trieſt nach Conſtantinopel, Alexandrien und
Griechenland mit einer Menge kleinerer Boote bis in das
ſchwarze Meer, und noch iſt nach der Verſicherung des
Capitains nicht ein einziges Boot in dieſen achtzehn Jah-
ren verunglückt. Im Sommer erſcheinen allerdings dieſe
Reiſen im mittelländiſchen Meere ſehr ungefährlich, aber
die Fahrten gehen auch regelmäßig den ganzen Winter
hindurch, und da iſt nach der Verſicherung Aller die Fahrt
durch dieſe engen, überall mit Inſeln angefüllten Meere
weit gefährlicher als die Fahrt über den atlantiſchen Ocean
nach Amerika. Nach dem, was wir über die Einrichtung
der Dampfboote von Marſeille hörten, iſt Jedem zu ra-
then, die Reiſe mit den Schiffen des Lloyd zu machen,
ſie ſind reinlich, bequem und die Beköſtigung und Bedie-
nung beſſer.
– 382 –
Die ſchönſten Stunden der Seereiſe waren die des
Abends. Der ſtete Seewind milderte auch am Tage die
Hitze; aber wenn die Sonne ſich dem Meere zuneigte,
wurde das Segeltuch von dem Verdeck hinweggenommen,
das blaue Gewölbe des Himmels ruhte dann unverhüllt
über uns; die Sonne wurde, wenn ihre Trennungsſtunde
nahte, milder und weicher; der Wind ſank mit der Sonne
und nur in kleinen Ringeln kräuſelte ſich noch das Meer.
Alles feierte die Stunde; alle Bewegung in der Natur,
alle Unterhaltung in der Geſellſchaft verlor ſich in dem
Anſchauen der Feuerkugel, die leiſe und ſtill am Ende des
Meeres ſich in die Fluthen tauchte. Mit ihrem Ver-
ſinken durchfuhren, gleich einem Nordlicht, gelbe, leuchtende
Strahlenkegel den Himmel; das Meer ſpiegelte in ihren
Glanz. Dann brach das Roth hindurch; immer ſtärker
und tiefer färbte es die abendliche Hälfte des Himmels
und des Meeres, bis es erſchöpft in das Violett ver-
blaßte und an Zartheit das erſetzte, was es an Glanz
verloren. Langſam kam dann von der andern Seite das
luftige Grau gezogen, um ſich mit dem zarten Veilchen-
blau zu miſchen. Luft und Meer hüllten ſich in grau-
violette Schleier, bis die erſten Sterne hindurchbrachen
und die kühle ſchwarze Nacht den Nebel vertrieb und den
glänzenden Sternhimmel über uns ausſpannte. Die
Stille ward dann nur von dem Rauſchen der Schaufel-
räder unterbrochen; der weiße Schaum hinter ihnen glänzte
ſelbſt in dunkler Nacht wie Silber und das Leuchten des
Meeres brach in den Schaumſpitzen hervor und durch-
wob den Silberſchleier, den das Schiff hinter ſich herzog,
mit goldenen Sternen.
Das Verdeck war dann öde, wie Straßen um Mitter-
nacht. Nur der Steuermann ſtand unverändert an ſeinem
Rade, die Augen nach dem Kompaß gerichtet, mit den
Händen die Speichen des Rades haltend und mit dieſen
– 383 –
das Leben und den Tod unſer Aller. Oft kam die Mitter-
nacht herein; und ſelbſt wenn die Augen mir zufielen,
mochte ich nicht hinweg vom Deck; noch empfand ich das
Athmen der lauen ſüdlichen Nachtluft und ich meinte mit
der Seele ſelbſt aus dieſem reinen Aether zu trinken.
Am Dienſtag ſahen wir wieder Land; die Inſeln und
hinter ihnen die hohen Berge Dalmatiens. Am Abend
dieſes Tages ſollten wir in Trieſt ankommen, aber in
Corfu hatten wir uns verſpätet; ſo kam die Nacht heran,
und erſt als ich früh aufwachte, empfand ich das Still-
ſtehen des Schiffes und durch das kleine runde Fenſter
meines Kabinets erkannte ich die weißen Häuſer von Trieſt.
Wir waren im Hafen. Das Deck war bald von den
Paſſagieren bedeckt. Alles erwartete mit Spannung den
Sanitätsbeamten, von deſſen Entſcheidung es abhing, ob
wir frei ans Land würden können, oder Quarantaine
halten müſſen. Er kam, und die ganze Mannſchaft und
Reiſegeſellſchaft mußte Mann für Mann an ihm vor-
überwandern. Wir wurden gezählt und dieſe Zahl dann
mit den Schiffspapieren verglichen, um zu prüfen, ob
Niemand geſtorben, ob nicht der Tod eines Paſſagiers
verheimlicht werde. Nachdem wir alle vorbeigewandert,
blieb eine Perſon zu wenig; der Arzt machte ein bedenk-
liches Geſicht; alle Winkel wurden nach Menſchen durch-
ſucht; wir boten Hunderte für einen Menſchen. Endlich
fand ſich der fehlende; es war das kranke Kind der Grie-
chin, was man vergeſſen hatte, und mit aufgeheiterter
Miene ſprach der Arzt das Urtheil, daß wir frei ſein
ſollten von der Qual der Quarantaine und wohlbefugt,
Trieſt's gaſtlichen Boden ſofort zu betreten. Lauter Jubel
erſchallte; alle rannten durcheinander und ſchon kamen die
Boote, die Seefahrer dem Lande zuzuführen. Wir nahmen
herzlichen Abſchied von unſern Gefährten der Reiſe, und
waren mit unſeren leichten Reiſetaſchen die erſten am Lande.
– 384 –
In Trieſt trennte ſich auch M*, mein braver,
tapferer Gefährte. Er wollte die für Griechenland be-
ſtimmten acht Tage in Venedig und deſſen Nachbarſchaft
verleben; ich konnte mich nicht entſchließen, die Eindrücke
des Orients durch andere Schönheit verwiſchen zu laſſen.
Um 4 Uhr deſſelben Tages nahm ich Abſchied und fuhr
mit dem Courierzug nach Wien. Um 6 Uhr Abends
am andern Tage war ich in Wien. Nach kurzem Aufent-
halt fuhr ich mit der Eiſenbahn nach der Heimath. Ich
fand das Coupé, in das ich gerieth, ziemlich beſetzt. Zwei
Kaufleute aus Leipzig unterhielten ſich eifrig mit einem
Preußen aus Prenzlau, und in der Ecke ſaß ein Berliner
Eigenthümer, der mit ſeiner Tochter ſich Wien beſehen
- hatte. Ich fühlte mich völlig fremd unter meinen Lands-
leuten; alle meine Gedanken waren noch in dem Orient.
Aber der trübe Regenhimmel; die in Seen verwandelten
Wieſen und Felder; die ſingenden Fragen meiner Nach-
barn aus Leipzig und die ſchnarrenden Antworten meines
Nachbarn aus der Mark; das triviale Geſchwätz über
Betten und Eſſen in den Gaſthöfen; das unaufhörliche
Verzehren von Wurſt, Butterbrot, Birnen, Bier, Zucker-
waſſer auf allen Stationen – Alles dies ſagte mir ſchmerz-
lich, daß ich wieder im Vaterlande war, und daß ein
weiter Raum mich wieder trennte von dem blauen Himmel
des Südens, von der Muſik der griechiſchen und italieni-
ſchen Laute und von den mäßigen, ſchweigſamen Bewoh-
nern des Morgenlandes.
„ww.Y.“..“.v.".."..".."..“..".."-
G. –
-----------------------------------------------------------------
In demſelben Verlage iſt erſchienen:
Erinnerungen
Schottland und England.
Ein Beitrag
zur Reiſeliteratur über jene Länder und zum praktiſchen
Gebrauch für Beſucher derſelben
VOI
Moritz von Kalkſtein.
Preis geh. 1 Thr, geb. 1 Thlr. 10 Sgr.
-
-3 S-
-
sº Druck von Eduard Krämie in Berlin - &
------- --
2.