Z59409506

- Annotations   ·   No Other Contributors   ·   Out of copyright

Osterreichische Nationalbibliothek Z06, S68-B Alt- 677 (Gross-Hofinger, A. J.) Empfindsame Reise eines expatrirten Schwärmers durch Teutschland, Böhmen. Oesterreich, Italien, Ungarn, die Türkei, etc. in die Elisäischen Felder. Herausg. von s. Erben. Leipzig 1836. Halb- [vdb d. der Zeit. Selten. - Fehlt bei Hayn-Bibt. Germ. Eroica. Interessante und phantastische scha- - - ungen der Zeit, untermischt mit „Rhapsodien aus dem Tollhause- - - - - z - - - - - - - - - - - - Empfindsame Reise expatrirten Schwärmers durch Teutschland, Böhmen, Oesterreich, Italien, Ungarn, die Türkei c. i in die elifälischen Felder. pibliothek | von " Herausgegeben V O 11 L e i p z i g, A. Fest "sche Verlagshandlung. * - - 1 S 3 (5. So -, - - --- -, - - - o rw or t. Man liest so viele erdichtete Geschichten mit erdichteten Empfindungen, findet sie interessant und erbaulich, und glaubt daraus Bildung des Gemüthes und Geistesadel zu schöpfen. Sollten nicht die wahrhaften Empfindungen eines Unglücklichen, der seine Gedanken aufzeichnete, seinem Fühlen Worte gab, um sich das Herz zu erleichtern, nicht um die Neugierde der Roman- leser damit zu füttern; der fein Unglück nicht er- dichtete, nur manchmal fich in's Unglück dichtete, kurz der fich in dem seltenen Fall befand, weder sich noch Andere zu belügen, sollten, frage ich, diese wahrhaften Empfindungen eines Selbstkenners nicht lehrreicher feyn als die gelogenen Geschichten WI und gelogenen Empfindungen unserer Roman- schreiber? Oder wäre es wirklich gleichgültig, ob Wahrheit und Empfindung, oder Phantasie und ihr Aftergefühl die Farben mischen zu Seelen- gemälden, sollte wirklich nur das Talent eines Dichters dazu gehören, sollte es hinreichen, daß ein verständiger Mann von Gemüth fremde Herzen in verschiedenen Lebensstürmen beobachte, um der Natur ihre Gestalten abzulauschen? Glaublicher scheint es mir, daß man aus den Partikeln zweier Leichname, deren Personen an verschiedenen Krankheiten gestorben sind, einen gefunden lebendigen Leib zusammensetzen könne. So wenig man in einem abgehauenen Glied das Leben gefangen halten kann, so wenig man das Leben aus dem Lebendigen ins Todte über- … tragen kann, fo wenig kann man einer erdichteten Geschichte den Geist der Wahrheit einathmen; diese Betrachtung veranlaßte mich zur Heraus- gabe dieses Tagebuchs. Von dem darin ent- haltenen Lebensgemälden wird man wenigstens nicht sagen können: so ist's im Leben nicht, so denkt und fühlt man nicht. - - - - - - - - - VII r Den Mangel an Zusammenhang muß man entschuldigen, denn man hat um diesen Preis Wahrheit. Möge es keinem Recensenten ein- fallen, dieses Tagebuch aus künstlerischem Ge- fichtspunkt zu beurtheilen, denn ein Verfaffer wollte, weder einen Roman noch sonst ein Kunstwerk verfertigen, überhaupt nichts von feinem Tage- buch öffentlich werden laffen. Der Heraus- geber aber glaubt gerechtfertigt zu feyn, wenn man – unter Vielem, das vielleicht der gute Ge- fchmack nicht ganz billigen kann – gleich viel Interessantes und Belehrendes findet. Der Herausgeber hat sich vergeblich bemüht, den zerriffenen Tageblättern eine schulgerechte Form zu geben. Er konnte dieß nicht, ohne fich an der Wahrheit und Originalität des ihm Ueber- lieferten arg zu versündigen. Indeffen glaubt er mit gutem Grund versichern zu können, daß ein guter Theil der hier erzählten interessanten Scenen fich nur in der Phantafie ihres Ver- faffers ereignet haben. Man muß das vorliegende Buch daher, theils als ein Tagebuch, theils als Skizzenbuch eines Künstlers betrachten. Der VIII Verfaffer liebte es im Leben, fich in prosaischen Lagen poetische zu fingieren, und in prosaischem Unglück fich daffelbe wenigstens als außer- ordentlich und fantastisch vorzustellen. Dieser „poetische Hang ging oft in entschiedene Selbst- täuschung über, wobei der Verfaffer wunderbarer Weise die Macht hatte, sich davon loszureißen. Er starb in Folge seiner Gemüthskrankheit “ eines gewaltsamen freiwilligen Todes. Berlin, im März 1835. D. H. - 1. Die Weissagung. L. eb e n s ja h r 15. In wühender Freude tobte ich an den Küsten von Dalmatien; das Meer wollte ich umarmen, und den Him- mel und die fernen Inselberge und die Menschen alle, - - alle, alle! Nimmer ruht' ich, als wenn ich Mädchen küßte, und Feuer trank aus der leuchtenden Augennacht der moralischen Engel. Der Himmel lachte über mir und die Erde blühte unter mir. Mein Auge glänzte wie ein blauer Sommertag und meine Wange glühte wie das Morgenroth, meine Stimme war Flötenton und Schlach- tenruf. … Ich war ein Knabe! So kam ich nach Dub- rovnik, der alten gestorbenen Republik Ragufa. Vom Molo herab fah ich über die Fläche und das Meer, und dachte Kampf und Schlacht. Wilde Moslims fah ich im Geiste heranstürmen auf flüchtigen Roffen der Wüste, - 92 Säbel blitzten aus dem hoch aufwirbelnden Staube und „Allah!“ brüllte es aus tausend Kehlen durch das Ge- töfe flüchtiger Hufe und verwirrtes Waffengeklirr. Ich fand da auf der Spitze des Forts und freute mich des Kampfes. Auf mein Wort donnerten hundert Feuer- fchlünde, und der Molo spie Flamme und Vernichtung. Ein Haufen von Mann und Eisen stürzte herab wie ein Wettersturm in die Saat fo unter die Söhne Allah's. .. Sie stoben aus einander wie Spreu und „Sieg!“ riefen die kühnen Männer, „Sieg!“ donnerten die Kanonen, aber ich fand da, jauchzte unter Zähneknirschen, und zer- drückte eine Thräne wilder Lust, denn Sieg war Kampfes Ende, So schwärmte ich auf der Feste Ragusa’s, träumte von Sarazenen-, Griechen- und Römerschlachten, denn mein Blut war stürmisch, träumte von fernen schönern Gestaden, denn mein Herz fehnte sich ins Weite und mein Blick zitterte hin mit der Schnelligkeit des Gedankens über Welle und Spiegel weit hin, wo der Himmel fich ver- mählt mit feinem Ebenbild dem glatten Meer, gen Grie- chenland hin, nach Süden und Osten, wo die Sonne auf glüht wie eine Braut am Hochzeitsmorgen. Auf dem Bazar feilschten Juden und Türken, Mor- lacken und Montenegriner, Soldaten und Pöbel, die Pracht des Orients kramte sich aus, die Tücke des Moslims, Betrügerei der Söhne Israels, die Wuth, lüsterne Hab- gier und Leidenschaft des Morlacken. Ich sah das Trei- ben und lachte. - - 35 „Zehn Ducaten!“ rief ich, und wog das blitzende Gold in der Hand, „zehn Ducaten dem, der mir etwas bietet, das mir gefällt!“ Juden und Türken drängten sich um mich her und sahen gierig hinauf nach der hocherhobenen Hand. Ein wühender Lärm brauste um mich her, Faustschläge, Flüche Und Schimpfwörter regnete es unter den um den Vorzug streitenden Parteien. Juden boten mir Juwelen, Türken zeigten mir, indem sie alles um sich wegstießen, reiches, Seidenzeug und kostbare Shawls. „Fort mit dem Plunder,“ rief ich, und wollte er- ficken vor Lachen. „Nichts von alle dem gefällt mir.“ Schon wollte ich aus dem Haufen mich heraus- drängen und zurückziehen, für meine ausgelaffene Laune neuen Stoff zu fuchen, da trat plötzlich eine hohe gebie- terische Gestalt aus den Muselmännern hervor, und hob einen reich verzierten türkischen Säbel empor. „Haffan Elah“ murmelten die Gläubigen und ihre Ehrfurcht machte ihm Platz. Ich aber griff neugierig nach dem Schwert, die schöne Scheide zu besehen. Haffan Elah wehrte mich ab, fein Auge funkelte als er die blanke Damaszenerklinge herausriß. Als sie im Sonnenschein aufblitzte über mein Haupt, da pochte mir das Herz, meine Wangen glühten vor Begierde nach dem kostbarsten Ding in der Welt, wie es mir fähien. „Ich kaufe den Säbel,“ schrie ich, stellte mich auf die Zehenspitzen und sprang an dem langen Türken empor, 4 um ihm das Kleinod zu entreißen. Der Grausame lächelte spöttisch über meine fruchtlosen Bemühungen und schien mich necken zu wollen. - Die unbefriedigte Begierde machte mich wüthend. Ein Zufall oder die Nachgiebigkeit. Haffans machte, daß ich den Säbel endlich erhaschte. Um mich für den Spott des Türken und das Gelächter der Umstehenden zu rächen, hieb ich mit dem Säbel auf die fich herandrängenden Turbane ein. Ein elektrischer Schlag lähmte mir die Hand und die Klinge fiel zu Boden. Die Wache eilte herbei, und der wüthende Haufen wollte mich nieder- reißen und binden, um mich dann den Soldaten zu über- liefern. Aber der großmüthige Muselmann wehrte feine rachlustigen Genoffen ab und führte mich mit raschen Schritten vom Bazar hinweg, durch die Porta Punta zum Hafen. Erstaunt, beschämt und betäubt wie ich war, konnte ich mich ihm nicht widersetzen. Seine Gestalt war ehrfurcht-gebietend, ein silberweißer Bart umfloß fein schönes Gesicht, aus feinem großen Auge sprühte Geist und edles Feuer. Er fähien mir ehrwürdig und geheim- nißvoll; mein Herz wallte auf, dachte ich des Edelmuthes, mit dem er mich rettete, mich, der ihm Uebles zufügen gewollt. Ehrfurcht stritt sich mit Mißtrauen, und der Reiz des Wunderbaren siegte. Schweigend kamen wir im Hafen an – es war wenig Leben da. Der Greis führte mich hinab zur Brandung, die sich in kreiselnden Wellen brach und einen -- W 5 kleinen fonderbar gebauten Kahn an der Kette hin und her wiegte. Haffan winkte mir, einzutreten, denn das Meer war ruhig. Er folgte mir nach, stieß vom Ufer und steuerte kühn hinaus aus dem Hafen. Ich wollte sprechen, aber er legte den Finger an den Mund und schwieg Pfeilschnell trieb das Fahrzeug in die hohe See, und ich, das Wagnis nicht faffend, freute mich furchtlos der raschen Bewegung. Endlich ließ er die Ruder los und der Kahn trieb, vom frischen Landwind in die Seite gefaßt, immer höher und höher. Da erhob sich Haffan Elah und fagte fanft, wie bittend: „„fprich, wackerer Knabe 1““. „Wer bist Du?“ - „Ich bin Haffan Elah und kenne Dich, Lindor.““ „Du bist der Sohn des Unglücks und die Büche des Glücks Deines Stammes.““ „Ich habe Dich nie gesehen.“ „„Du fahft nicht, denn Du hat keine Erkenntniß, ich aber sehe, denn ich habe Erkenntniß, sie leuchtet mir durch Wetter und in der Nacht, reicht in die Entfernung des Raums und der Zeit.“ „Ich verstehe Dich nicht, aber ich bin Dir Dank schuldig und will nicht äumen, Dir ihn zu entrichten. Verzeihe mir!“ Haffan sah mich mild an. „„Ich war so wie Du,“ sagte er, „, und kenne Dein kindisches Gemüth. Möchtest Du in Deinem Alter (5 - -- so werden, wie ich, wenn Du als Mann so gelitten, wie ich.““ „Werde ich denn leiden, Haffan? Nein, nein, ich werde nicht leiden und traurig sein, fo lange die Welt blüht und der Himmel lacht, so lange es Mädchen giebt zu küffen und Freunde zur That, so lange ich liebe und lebe. Nein, Haffan, ich werde nicht unglücklich fein!“ . - Haffan lächelte und fah an den gluthrochen Saum des Horizonts. „Kann es nicht stürmen hier, meinst Du nicht, Lindor?““ - " „Nein,“ rief ich vorschnell, mit Doppelsinn und muthwilliger Zuversicht, „es kann nicht“. - Haffan schwieg und streckte die Hand hinaus aus K* dem weiten Gewande nach Süden hin, wo Nebel spielten. - „„Lindor,“ sagte er endlich, nach einer langen Pause, „Du botest zehn Ducaten für ein Ding, was Dir gefiel. Willst Du den Säbel nicht kaufen?““ „Ich kaufe den Säbel,“ rief ich schnell entschloffen, und gab ihm leichtfertig das Gold. Er nahm es gleichgültig an, gürtete mir den Säbel um die Lenden und warf das Gold ins Meer. „Was machst Du da?“ rief ich überrascht, „die Fische freffen das nicht.“ 7 Haffan schwieg, nahm seine vorige ruhige Stellung wieder an und sah erwartungsvoll nach Süden. Die Nebel waren aufgestiegen und verdichteten sich, höher ging die See, frischer der Wind, und der Kahn fchwankte und flog von Welle auf Welle. Es war hohe Zeit zurückzu- kehren, aber um nicht furchtsam zu erscheinen, wagte ich es nicht, Haffan daran zu erinnern. Das kühne Spiel auf den Wellen gefiel mir, und auch Haffan, der ruhig betrachtend dastand und noch immer das Ruder nicht er- griff, schien sich daran zu ergötzen. Der Wind ward Sturm, der Nebel Wolke, die Welle Berg. Noch immer stand der Greis unbeweglich da, während dem ich Mühe hatte, mich fitzend und an die Wände klammernd im Kahn zu erhalten. Plötzlich wurde es Nacht vor meinen Blicken und ich taumelte betäubt nieder. Schatten fchwebten an mir vorüber, in Nebel und Nacht – ich hörte, fühlte nicht, ich sah nur. Das Meer rauchte, Blitze zuckten durch den Dampf und beleuchteten todte Delphine, die auf dem Schaume trieben. Auf den fchwarzen schäumenden Bergen des Meeres aber fähritt eine gespenstige Gestalt einher und fah mir starr in die Augen. Geisterbleich, wie der Mond, leuchtete ein leichenstarres Gesicht durch die brausenden Wolken. Es glich wie der Sturm der Nacht, so dem Antlitz, das ich im Sarge kennen gelernt, dem Antlitz meines Vaters! Entsetzt fährie ich auf, da donnerte Haffans Stimme und betäubte den Sturm. - „Das bist Du, ehe die Sonne Dich fünftausend Mal begrüßt!““ – Brüllende Donner, Meeresgebrause, heulender Sturm und Tod umnachtete mich. - Auf dem Strande von Liffa grüßte ich den lachen- den Himmel wieder. , - - - : - - - - - - L e b e n s j a h r - 24. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - „Er lebt, liebte – und starb. - … Da sitze ich, den Kopf in der Hand und denke – an Nichts. Der Spiegel gegenüber zeigt mir mein stei- nernes Gesicht, und ich starre es an und denke – Nichts, Der Sturm pfeift durch das öde Kloster in schaurigen Orgeltönen, das ist der Accord zu meiner Stimmung, Aber die Zeit ist lang, fürchterlich lang, und die Stun, den haben ein zähes Leben für den Unglücklichen, wäh-, rend sie an dem Glücklichen vorübereilen und sterben wie Schatten vom Sturm gejagt. Ich muß etwas thun, die Zeit zu tödten, das ist klar, denn Keiner geht müffig, selbst der Müßiggänger nicht, denn er träumt und gähnt – ich kann nicht träumen, will nicht träumen. – Lese ich? Nein, ich finde keine Weisheit für mich in den Büchern der Menschen, ich mag nichts wissen von ihrem Glück und Unglück, denn ich bin zu Ende mit beiden, bin todt. Die Sekunden, zu zählen und abzu- tödten wie Fliegen, ist zu einförmig, also was beginne ich? Ich schreibe Briefen. Wenn ich Langeweile hatte 10 in meinem Leben, war dieß meine Zuflucht; ich schrieb Briefe an Bekannte und Unbekannte, und fandte Zeichen meines Lebens in alle Weltgegenden. Jetzt ist es freilich anders, ich habe weder Freunde noch Bekannte, nicht einmal im Ideale; allein es thut nichts zur Sache, ich schreibe Brief. , , - - - - - - - Vor Allem gebe ich dir zu wissen, mein lieber Freund im Monde, daß ich gestorben bin. Das - Leben hat mich angewidert, mein Herz zerfleischt und meinen Verstand verrückt, Höffnung und Sehnsucht er- stickt, alle Wünsche und allen Trieb vernichtet, das Leben hat mich getödtet. Langsam war das Sterben, aber vollkommen, es regt und bewegt sich nichts mehr in mir, als der ewig lebende Gedanke. Könnte ich auch ihn morden, auf daß er nie wieder auftünde, mir wäre wohl. Er ist meine einzige Qual und meine letzte, und ich bin verflucht, sie zu ertragen in Ewigkeit. "Ewigkeit Was ist Ewigkeit. Ich weiß es nicht und Niemand weiß es, aber ein Schrecken liegt in dem Wort, der das Gehirn zerreißt. Denken, ewig denken, nie aufhören zu denken, das ist entsetzlich. Alle Leiden bringt der Ge- danke zurück, tausend und abermal täusend Mal, und selbst die Freuden der Vergangenheit werden durch den Gedanken zur unnennbaren Qual. Was werde ich dir schreiben, die Freund ohne Dasein, du glückliches Nichts, das ich gerne sein möchte. "Meine Gedanken, wie sie mich überfallen, wie Meuchelmörder, alle? Nein, nur - V. 11 den billionsten Theil von dem, was der Geist in feinem ewigen Raume wälzt. O über den armseligen Wurm, der „fich nicht einmal vernichten kann, unauslöschliche Hölle des Denkens. Schmeichelnd und seufzend beschleicht uns die Erinnerung, daß wir sie weinend umarmen wie den Trost, aber plötzlich stößt sie uns den Dolch in die Brust und verschwindet. - - Laura, Laura, warum denke ich Dein noch? Der atlantische Ozean wogt zwischen uns, und von Albions Küste sehe ich Dich noch herüberschauen in Wehmuth. So standest Du einst vor mir und trocknetest meine Thränen. In wilder Bewegung fähritt ich auf und ab im Saale; mein Gesicht war bleich, das fühlte ich an der eisigen Kälte, die es überströmte, mein Althem war stürmisch und blind mein Auge. Einen wohlgeschliffenen Dolch trug ich bei mir und den Entschluß, mir ein Ende zu machen. „Mein Gott, was ist Ihnen, Vicomte?“ riefst Du, und eiltest erschrocken mir in ein Nebenge- mach nach, wo wir allein waren. Du zittertest am ganzen Leibe und ich war niedergestürzt und verhüllte mein Ge- ficht. In bebender Besorgniß nahtest Du Dich mir und Dein Athem wehte mich an, die Sprache war Dir ver- gangen, aber ich verstano Dich. Meine wilde Erstärrüng wich und ein Thränenstrom machte mir Luft. Da trocknetest Du meine naffen Wangen und lispeltest süß, warm, mit hingebender Liebe" und kindlichem Ver- trauen: „Weine nicht, Lindoro, weine nicht.“ - 192 Dein Kuß bebte auf meinen Lippen, und weggefluthet, weggeweint und weggeküßt war die Verzweiflung. O, warum, warum Laura, ließest Du mich nicht sterben. Laß die Todten ruhn, zitternde Seele, sie ist todt, todt, ja todt; lüge nicht und schweige, schreiende Stimme, in mir, die von ihrem Leben spricht; sie ist todt, Alles ist todt! - * - „… - - - * - Den größten Theil meiner Zeit bringe ich finnend zu. Nichts regt mich da an, die äußere Welt ist todt für mich, und die innere bewegt sich unordentlich, unklar und qualvoll. Die Gedanken reihen sich an einander ohne Zusammenhang und Verwandtschaft, alle Richtung, ist mir zuwider, … Ich kann nicht sprechen, nicht schrei- ben, nicht denken. Jede unterbrechende Verrichtung ist nur halb, mitten in der Bewegung stehe ich, still und finne. Ich ergreife die Feder und lege sie wieder hin, vergeffend, was ich thun wollte; ich ergreife die Laute, klimpere einige nichtssagende Töne hervor und laffe, fie finnend wieder fallen. Ich sehe auf die Uhr, ein Mal, zwei Mal und öfter, und nie weiß ich, wo der Zeiger steht, Herz und Verstand rührt sich nicht, und doch Pein und Qual. Wohin führt dieß tagelange Sinnen? Vielleicht, zum Wahnsinn. Es gleicht dem Warten, und oft ist, mir's, als ob etwas kommen müßte. Aber es kommt, nichts als Nacht und Tag, Tag und Nacht, Woher 43 entspringt aber diese Apathie der Seele? Das Räthel ist leicht zu lösen. Meine Empfindung hat mich hinauf geriffen in eine Höhe, aus der ich nicht wieder herab- kommen kann, als im vernichtenden Sturz. Ein Men- fchenleben gehörte dazu, um langsam den Weg in die Tiefe zu gehn, und habe ich noch ein ganzes Menschen- leben vor mir? Nun schwebe ich zwischen Himmel und Erde, der Himmel hat mich ausgestoßen, die Erde will mich nicht empfangen. - - - - - - Der Prior des Klosters kam heute in meine Zelle. „„Schwacher Mann,““ sagte er im Tone mit- leidsvollen Vorwurfs zu mir, ,,wer wird sich das Leben fo verbittern?“ „Ich verbittere mir das Leben nicht, das Leben ver- bittert mich.“ - - - - - - „Werft Euch in die Arme der Religion, sie ist eine milde Trösterin, grübelt nicht, und genießt die Be- ruhigung des Glaubens mit frommer Hingebung.“ Religion, ja sie tröstet, und der Glaube hilft vor Verzweiflung. Impft mir ihn ein und ich will euch kniend danken. Die Zeit des Wahns ist bei mir vorbei, und der Wahn macht uns allein glücklich. Jeder Mensch belügt sich selbst, er denkt nicht, was er glaubt, aber er hält am Wahne fest, weil er ihn glücklich macht. Ich bin nicht mehr unter den Glücklichen. – – – . . . . . . . . . - - - - - - - - - - - - - - - - - " . . . - - - - - - - - - - - - " . .) - MA Was ist Unglück? Ein plötzliches Ereigniß, das dir dein Befizthum raubt, ein Machtspruch des Schick fals, der den Mann deiner Freundschaft, das Weib deines Herzens aus der Reihe der Lebenden streicht? Nein, das ist nicht Unglück. Kein Verlust ist so groß, der die Kraft des Willens, die Hoffnung eines gesunden Herzens nicht zu ersetzen vermöchte, kein Mensch ist dir so theuer, daß der Schmerz über feinen Verlust nicht in Freuden des Lebens, im raschen Strome, der Zeit unterginge. Was ist dann Unglück? - Unverfchuldetes Leiden, wenn man Liebe fäet und Haß erntet, wenn man in hoher Tugendbegeisterung alle Hoffnungen, alle Träume einer glühenden Phantasie, alle Blüthen der Zukunft, alle Labung des lechzenden Herzens, alle Gewährung der für- menden Begierde, allen Genuß und alles Leben, alle Luft und alle Freude, Alles, was des Menschen inneres Leben ausmacht, wenn man dieß Alles wagt für eine hohe schöne Idee und Alles verliert, verkannt und miß- deutet wird, nicht verstanden und verhöhnt von den Thier- menschen, die nur niedere Intereffen an das Leben feffeln, verlaffen, ungeliebt und ungetröstet von dem, was man rein und ewig liebt, ungeachtet und kalt bedauert, gleich einem vom Wahn Ergriffenen, hilflos und einsam in der Wüste einer empfindungsleeren Welt steht, wenn man die Quellen deiner Thatkraft vergiftet, „wenn man die höchste Begeisterung, die Erhebung des Willens zur übermenschlichen Entsagung, Leidenschaft des Wahnsinns 15 schimpft, den Segen deiner That in Fluch verwandelt, wenn du nichts davon trägt aus dem ungeheuern Kampf, als den armseligen Sold der Tugend, das Bewußtsein, wenn du allein steht in der Welt, allein, allein, wo Niemand dich liebt, kein Herz an deinem Schicksal hängt, wenn du für das Elend, das du dir erkämpft, keine Thräne hoffen darf, wenn du vergeffen und ent- fremdet wirst, und das Ende, der Tod deine einzige Hoffnung – das ist Unglück, schweres grenzenloses Unglück! Keine Ruhe, keine Ruhe, findest du dann, bis zerworfen in Staub der elende Leib, bis dein Herz verblutet, dein Gehirn zerfloffen und der Fluch deines Elends in Vernichtung endet. Keine Freude kehrt wieder ein in dir, und das Leben um dich giebt dir nur qual- volle Erinnerung. Der erste Blick des Tages findet dich wach in Jammer, in thränenlosem Himbrüten, in Ver- zweiflung über dein Wiedererwachen, in angstvoller Er- wartung der Pein des Tages. Leer und schleichend, mit entsetzlicher Langsamkeit geht die Zeit ungenoffen an dir vorüber, denn du hast kein Tagewerk, als die Pflicht zu leben, und den endlosen Schmerz zu tragen mit Schwei- gen. Wenn es Morgen ist, feufzest du nach dem fernen Mittag, wenn es Mittag ist, graut - dir vor der noch übrigen langen Hälfte des Tages, wenn es Nacht ist endlich, dann schließt Ermattung die vertrockneten bren- nenden Augen, und der Gedanke, daß ein neuer Tag anbrechen wird mit neuem Elend, verkümmert die Zwi- 416 fchenräume deiner Lethargie. Bange Träume martern deinen Geist noch im Schlafe, und jede Nacht bringt denselben Traum, jeder Tag dieselbe Qual. Unter Men- fchen wandelst du wie ein Fremdling umher, ungeliebt und ungehaßt, geflohen und vermieden von dem Lebens- frohen. Der Gram zieht Furchen in deine Stirne, die Zunge hat das Sprechen verlernt, der Mund das Lächeln der Luft, das Auge erstarrt und erblindet, der Geist ist träge und stumpf. Keine Empfindung belebt dein todtes Herz, als dein endloser ungeheurer Schmerz. So reiht sich Tag an Tag, Mond an Mond, Jahr an Jahr, bis die Zeit dich verknöchert, der Schmerz dir theuer ge- worden, bis das Blut erkaltet und die Maschine still steht am Tag der Erlösung. - - - - - - - - - - , . . . ] - - - - - - - " - - - - - - - - . . . - - - - - - - - - - - - - - - . . ." - - - - - - - - - - - - . . . - - - - - - - - - - - - - - - - - 1. - - - 17 R e i f e. Er ist e r T ag. Es schlug 2 Uhr, als ich langsam über den Thomas- kirchhof fchlich. Monate waren vorüber gegangen und ich war noch nicht gesund, kränker als je. Gedankenlos stolperte ich über das schleche Pflaster hin und wollte nach Hause. Der eben gefüllte Magen braute tiefe Gei- fesnacht – ich lachte wüthend auf. Da wollte es das Schicksal, daß die finglustigen Thomasschüler sich, einer alten üblen Angewohnheit gemäß, mit frommen Gesängen erbauten und dazu die Orgel spielen ließen. Von Kind heit an stimmte der Ton einer Orgel mich zur Schwer- muth, jetzt brachte er mich zur Raserei. Ich fand still und ärgerte mich. Gerne wär' ich hineingegangen in die Kirche und hätte das heulende Instrument in tausend Stücke zerschlagen, da aber dieß unvernünftig und, was mehr ist, unthunlich gewesen wäre, so begnügte ich mich, unter einem nicht sehr menschenfreundlichen Selbstgespräch meinen Stock so gewaltig an die Erde zu stoßen, daß er zerbrach, und die Leute mich ansahen, wie einen Ver- 2 18 rückten. In demselben Augenblick verkündete ein lustiger Postillion die Ankunft eines Reisenden mit gräulichen Mißtönen, die er mit fichtbarer Anstrengung feinem Post- horn abzwang. Bis jetzt war ich still gestanden und hatte nicht Verstand genug, einzusehen, daß ich nicht ewig hier stehen bleiben könne, aber auch nicht Willenskraft genug, um mich in Bewegung zu setzen. Das Posthorn weckte mich, ich wendete rasch um und lief auf die Post, um einen Platz auf dem Eilwagen zu bestellen. - „Herr, die nächste Post geht erst morgen früh, und selbst auf dieser ist kein Platz mehr vorhanden.“ „Ich muß aber fort,“ eiferte ich, „und wenn alle andere Reisende zurückbleiben müßten.“ Der Postbeamte fah mich groß an, und mochte wohl denken, ein wichtiges Geschäft bestimme mich zu solcher Eile, oder ein bedeutendes Falliment wäre ausge- brochen und ich dabei interessiert, denn hier sieht man jeden honetten Menschen für einen Kaufmann, und jeden fhoflen Kerl für einen Privatgelehrten an. „„Nun, nun,“ sagte er fein lächelnd, „ich will sehen, was zu thun ist; ich werde wohl noch ein Plätzchen finden für Sie.“ - Und wirklich, er fands! Ich zahlte, und am näch- sten Morgen 6 Uhr saß ich wohl eingepackt zwischen zwei feisten Herren knurrend in dem Postwagen. Die Pferde liefen leidlich rasch und brachten uns um 5 Uhr Abends richtig nach Dresden. Wer mit mir 19 im Wagen gesessen haben mochte, was gesprochen wurde, und was sich ereignet hat, um uns her – ich weiß es nicht, denn ich sah, hörte, fühlte und sprach nicht in eilf Stunden. - - In Dresden angekommen, stahl ich mich weg mit meinen sieben Sachen unter dem Arm von dem Post- hause, um nicht meinen Paß abgeben zu dürfen und dadurch aufgehalten zu werden, verschlang im nächsten Gasthofe einige esbare Substanzen, um nicht zu ver- hungern. Dann nahm ich neuerdings Pferde und fuhr sieben Meilen weiter. - - . Der Tag war angefüllt mit banger Erinnerung, dumpfer Selbstbetäubung, Apathie ohne Leid und Freude. Mein Vaterland und Laura war mein einziger Ge- danke von Farbe. Der Himmel glich am Morgen einem Bluthemde, am Abend einem Leichentuche. Zwanzig Meilen gingen ungesehen vorüber: . . . . - - Z w e i t e r T a g- - (Das Polenzthal. Die sächsische Schweiz. Alte und neue Wehen. Schandau. Das Elbthal. Die Grenze. Erinne- rungen. Gelobt sei Jesus Christus. Leben und Schicksale einer alten Frau. Tetschen. Das Frohnleichnamsfest. Ein alter Kapitain. Teplitz) Nach kurzem Schlaf weckte mich ein heftiges Rüt- teln. Der Wagen war angespannt und schleppte mich nun auf einem erbärmlichen Wege durch die sächsische - 2 * 920 Schweiz. Wir waren kaum eine halbe Stunde gefahren, fo ermahnte mich der Kutscher, in der Voraussetzung, daß ich in diese Berge kam, um die Natur zu bewun- dern und über jeden Felsblock in Extase zu gerathen, die merkwürdigen Punkte, die fich uns hier darstellten, ins Auge zu faffen. Nach der Versicherung dieses Man- mes giebt es in der weiten Welt nichts schöneres und herrlicheres mehr, als die fächsische Schweiz! Wenn ich also hiermit die Reize dieser Gegend der reiselustigen Welt empfehle, fo stützt sich diese Lobpreisung lediglich auf die Aussage des Mannes, der mir unter andern schwor, daß er nie in seinem Leben gelogen habe. Ich felbst nahm mir nicht die Mühe, aus dem Mantel herauszusehen, um mich einem eigenen Urtheil zu befähigen. Aber avrog spa, es muß also wahr sein! Als jedoch mein geschwätzi- ger Cicerone anhielt, und mich ernstlich beorderte, aus- zusteigen und 30 Schritt seitwärts zu gehen, um eine der größten Merkwürdigkeiten der sächsischen Schweiz, das tiefe Polenzthal, zu besehen, mußte ich wohl nothge- drungen, obgleich mit großem Verdruß, meinen bequemen Sitz verlaffen und feinem Befehl gehorchen. Ja, fürwahr! schön ist dieses Thal. Felsenmauern schließen es ein, Nadelholz bedeckt hier und da spärlich die Wände, in der Tiefe murmelt ein Bach, und eine Eule ruft herauf ihren wehmüthigen Klageton. Einsam ist es hier, schön und wüst und traurig. Ein Grabmahl fehlte in der düsteren Tiefe und ich fehle unten mit 92 meinem Schmerz. Hab' ich denn noch Wehmuth im Herzen, daß ich dort unten fühlen und weinen könnte! Laura, Laura! ist verloschen Alle Liebe, Bleibt nun trübe, Ewig trübe deine Stirne, Ewig lieblos deine Sprache Und der höhnische Blick, Und die stolze Kälte, Ewig hin mein Glück! Was verbrach ich, Liebe, Liebe, Deine Thränen Wollt' ich trocknen, Und vom Schicksal bat ich All dein Unglück Nur für mich. Und zum Tod, Rief ich vermeffen: „Willst du Opfer, - Willst du Laura, Brich das Herz mir, Nimmer ihr.“ Und den Schmerz beschwor ich, Daß er wüth" im eignen Herzen, Dich verschonend; doppelt tragend Wollt' ich gerne, gerne Untergehn. Mächte wacht' ich, Hundert Mächte, Weinend, finnend, Dir zu betten, - Daß du schliefest - - - 22 - Einstens sanfter Lächeln könntest Einst im Traume! und das Sinnen brachte Wahnsinn, und der Gram fraß sich ins Herz mir und befruchtet mit dem Tode, Als mein Opfer mir gelungen.“ Laura, Laura, wie vergiltst du - Meine Liebe, ewige Liebe? Haß und Hohn Mein Lohn! A Laura, bete, Himmel hören und erleuchten Deine trübe trübe Seele! „O, wie heilsam ist der Tod Laura Laura! ich möchte sterben. Ein Schritt noch, und ich taumele in die Tiefe, bin am Ende. Warum hab' ich Pflichten und darf nicht.“ - - - „Albernes Gewinsel“ grollte eine Stimme, „Hast mir doch versprochen vor zwei Jahren, du wolltest dich nicht mehr verlieben und bist doch wieder immer der alte Narr. Julie war auch ein gutes Kind, als ihr der Tod den Hals brach. Kennst du noch das Stückchen –“ hier trällerte er es, und ich fang leise und seufzend, wie damals, als sie am Flügel saß: - Wallend in Liebesgluth Stürmisch wogt auf mein Blut – O, hätte ich nimmer ins Aug' dir gesehn! - - - - - Finde nicht Ruhe mehr, Athme fo tief und schwer, Kann in dem süßen Weh'n Doch nicht vergehn. Sterne gehn auf und ab, Leuchten auf manches Grab, Unter dem Sternenblick Liegt auch mein Glück. Könnt' ich mit ihnen ziehn, Die dort am Himmel glühn, Zöge durch Nacht und Graus Mit dir nach – Haus! Hin, wo die Seele wohnt, Wo uns're Liebe thront, Wo keine Wolke nicht, - Wo nur das Licht. Weine, o weine nicht, Wenn mir das Herz auch bricht; Leben ist Macht und Schaum, N Tod ist ein Traum. Mörder, welche Erinnerung rufst du in mir wach! O, fie war fo schön, fo warm und froh und wehmüthig, meine erste Liebe. Julie, Julie, konntest du sterben mit deinem reichen Leben, mit deinem glühenden Herzen. Als ich das erste Mal mein Vaterland verließ, da schriebst du mir das letzte Zeichen deines Lebens, deiner Liebe. Meine Antwort ward dir versiegelt in den Sarg gelegt. Auf deinem Herzen vermoderte das Papier. Ich schrieb: „Süße Taube!“ „Deinen, in , Thränen gebadeten Brief erhielt ich heute, und eile, Dich zu trösten? – Nein, mir fehlt 92 A4 Telbst aller Trost seit meinem Abschiede von Dir. Mei- nen Schmerz möchte ich ausgießen in Deine Brust, aber er würde Dich tödten, an den Wurzeln Deines Le- bens nagen, wie er die meinigen zerfrißt. – Halb wachend, halb träumend wurde ich aus meinem lieben Oesterreich herausgeschleppt, und nur der Gedanke: Nun hast du dein Vaterland verloren! gebar ein schmerzli- ches Interesse für mich. Kein Zeuge war da, der mei- nen Schmerz belauschte, und ich bog mich weinend in eine Ecke des Wagens, oder fah fehnsüchtig zurück nach den heimathlichen Bergen, wo mein Glück begraben lag. Dort im Süden, in dem himmelschönen Lande, wo die Freude fich in Luft und Erde und in lachenden Gesichtern malt, dort glänzt dein Stern, den Nebel nun verbergen, dort welken nun die Blüthen, die du zu pflücken versäumtest! So feufzte ich und wollte vergehn in Kummer, die Thränen trockneten auf den Wangen, und eine Angst, die meine Brust erdrückte, war der Wech- fel meiner Qual. Vaterland! Vaterland! oder ist es das Land nicht, wo ich lebte und liebte zwanzig Jahre, wo ich eine Welt fand an Deiner Brust, einen Sternen- himmel in Deinem Auge und die Seligkeit aller Elifien alter und neuer Mythologie in Deiner Umarmung. Frei bin ich geboren in einem mir selbst fremden Lande, das ich nimmer lieben werde, unfrei ward ich erzogen unter Sklaven, aber mir find die Feffeln lieb geworden, denn fie waren von den Rosenketten Deiner Liebe geflochten. -. " 925 Kehre zurück, rufen mir Freunde zu, in dein wahres Vaterland, lerne deine Sprache, die du als Kind nicht gestammelt, verläugne das Blut nicht, das in dei- nen Adern wallt, das Blut eines freien Mannes, der für die Freiheit starb! Aber ich kann mein Vaterland nicht wechseln wie ein abgetragenes Kleid, und wär' es ein Panzer, der mit feinem ehrnen Gewicht mich erdrückt, ich kann ihn nicht von mir legen, die Liebe nicht lenken mit logischen Schlüffen und die Herzen nicht vergeffen, die dort im Süden an mir hangen. – –“ Warum taucht die Vergangenheit in mir auf, und steigert die Qualen der Gegenwart, Ich glaubte sie längst todt, und hoffte, sie würde nicht wieder auferstehen mit ihren Unglücksbildern und schwarzen Träumen; muß ich immer von Neuem verlieren in der Erinnerung die bei- den Schätze, an denen mein Denken und Empfinden hing, die der Gedanke mit der Inbrunst umarmte, wie das Kind die Mutter – Vaterland und Liebe, Liebe und Vaterland! - In Schandau angekommen, fuchte ich einen Führer, der mich durch das Elbthal über die Grenze brächte, und war so glücklich, ein altes Weib zu finden, die sich erbot, gegen eine Belohnung von 8 Groschen mir den Weg zu weisen und meine fieben Sachen zu tragen. Es war ein trüber, regendrohender, stiller, kalter, unfreundlicher Morgen, als ich mit pochendem Herzen den Weg nach 26 Böhmen antrat. Das Elbthal ist ein Thor des Böhmer- landes. Finstere Bergkuppen schließen es ein und wer- den von der Elbe auseinander gedrängt. Die Bergreihe links gleicht einer in Trümmer zerfallenden Mauer. Un- geheuere Felsblöcke hängen drohend auf unsicherem Grund und stürzen hier zuweilen hinab in den Strom. Zur Warnung der Wanderer findet man Tafeln aufgehängt mit der Ueberschrift: „allhier drohet Gefahr.“ Lächelnd ging ich an diesen Gefahren vorüber und fah in die Wellen der Elbe, die hier aus Böhmen heraustritt. . Was so ein Strom für ein Demagog ist! Geht über alle Grenzen, kümmert sich wenig um Zollhäuser, und die Beamten fehen ihm zu, wie er die tausend Fische fortschleppt und das schöne Waffer, als ob gar nichts daran gelegen wäre. Man sagt, die Könige können Alles –. Wie können sie dulden, daß so ein Goldstrom aus dem Lande geht, ohne Auswanderungsgebühren zu bezahlen, ohne Paß und Legitimation in die blaue Welt hinein; als ob es gar keine Könige gäbe. Aber das Waffer ist zoll- und zwangsfrei, daher mag es wohl kommen, daß die Schriften fo vieler aufgeblasener deutschen Gelehrten des Auslandes so gut fortkommen in Oesterreich. - „Hier ist die Grenze,“ sagte meine Führerin, indem fie auf einen elenden Bach hinwies, der aus dem Ge- birge der Elbe zukam. Die Grenze! wiederholte ich feufzend. Gott zum - 97 Gruß, mein Vaterland; denn bin ich auch hier nur in einem erheiratheten Lande fremder Zunge, so ist mir doch wohler hier und freundlicher zu Muthe, als eine Stunde nördlicher. Zwar komme ich in traurigem Ge- fchäfte, wie ein Sohn, der seinem Vaterhause den letzten Gruß bringt zwar komme ich in Thränen, um zu schei- den in Thränen, bringe wenig Hoffnung und großen Schmerz, aber dein Himmel wird mich erquicken und fählen zur letzten Trennung, deine Wärme wird mich laben und die Eisrinde aufhauen, die mein Empfinden umschließt. An deiner Kraft will ich fäugen, an deiner Schönheit mich erfrischen und ermuthigen zum Leben in der Wüste. Da draußen ist kein Herz warm und keine Liebe, dort gilt und leuchtet nur das kalte Licht und tödtender Nordsturm zerstreut die reizenden Nebel der Phantasie. Dort spielen ihre Farben nicht auf gaukeln- den Idealen, dort kleidet sich das Leben und die Natur in winterliches Grau. Des Südens Gluth ist dort ver- weht und nichts erwärmt den kalten schneeathmenden Himmelsstrich. - Ich komme wieder zu dir, mein trautes Vaterland, will erwarmen an deiner Brust und mir das trübe Auge klar sehen an deiner Schöne. Ich komme wieder mit zerknirschtem reuigem Ge- müth, wie der verlorne Sohn zum Vater, und bringe dir mein Nichts zurück. Ich habe Alles versplittert und verschwendet, was du mir gegeben, all' meinen Herzensreichthum, all' meine Liebe und Wärme, und / 928 flehe neues Gut von dir zu befferer Verwendung, denn du bist ja unerschöpflich, unerschöpflich an alle dem, was mich beglückt. Vaterland, Vaterland, welche Süßigkeit, welch ein Zauber liegt in dem Wort. Die Kraft wird zum Unge- heueren gesteigert, wo dieses Wort Anklang findet in einer treuen Brust. Was könnte ich Alles vollbringen für dich, was Alles opfern, dulden, tragen, um dich! Und doch wie klein, wie erbämlich ist mein Wirkungs- kreis für dich; meine Kraft muß ich zersplittern in Tand, und was ich thue, frommt dir nicht. O, warum bin ich so klein, daß du mich nicht fiehst, warum fo ohn- mächtig, daß ich dich nicht schützen kann mit meiner Brust, warum so niedrig, daß ich nicht hinaufrage zu dir, dein Haupt nicht wahren kann mit meinem Schild, dein Recht nicht vertheidigen mit meinem Schwert! Ich bin kein Wurm, der dein Mark zerfrißt, kein Igel, der an deinem Herzen faugt, kein häßliches Infekt, das fich von deinen Säften nährt, ich habe nichts von dir und suche mein Brot zusammen auf fremdem Boden, wie ein treuer Bettlerhund, der die Wunden feines Herrn leckt, und zu den Füßen hungernd fich hinlagert und froh wird der Liebkosung feiner abgezehrten Hand. Ich kann nichts thun für dich, mein Vaterland als – bellen. „Gelobt sei Jesus Christus!“ grüßte ein vorüber- gehendes züchtiges Mägdlein, und wandelte weiter mit 929 ihrem freundlichen Madonna-Gesicht zur Kirche, denn es war Sonntag. In Ewigkeit, Amen! rief ich erschüttert, fah zum Himmel und betete, der Himmel aber weinte. : „Ach Gott, Ihr feid fo traurig, lieber Herr,“ fing das alte Mütterchen an, die mein Gepäck trug, „gewiß und wahrhaftig, es ist Euch gewiß auch schon manches Unglück widerfahren.“ „Ja wohl, Mutter, manches schwere, - schwere Unglück.“ - - - * - - - " „Nun, nun, tröstet Euch, junger Herr, es giebt wohl noch Unglücklichere, als Ihr seid.“ „Wohl schwerlich.“ . „Ihr habt doch keinen Mangel, feid jung und ein vornehmer Herr. Glaubt mir, die Armuth ist bitter.“ „Nicht so bitter, wenn man froh ist dabei, nicht fo bitter, als ein verbittertes Herz. Du hast wohl auch schon Manches gelitten, liebe Alte?“ - „Ach ja! ich habe ja Kinder, und Kinder bringen Noth. Ja, wenn sie noch jung und klein find, da hat man feine Freude daran und leidet gerne Noth, wenn man sie gesund und froh erhält. Aber, wenn sie einmal erwachsen, find, da machen fiel einem die Haare grau vor Kummer. Seht, lieber Herr, da habe ich zwei Töchter, die eine hat einen Lumpen zum Mann, die andere ist verrückt geworden. Auch sie war verheirathet, und hatte daffelbe Unglück, ein liederliches Tuch zum Mann zu be- 30 - kommen. Anfangs ja, da war er brav und fleißig, ver- diente viel Geld und half uns Allen aus der Noth. Aber da kam er unter die Schwärzer (Schmuggler) und von der Stunde an wurde er nichts nützig. Da fing er an zu spielen, faufen und huren, ünd ließ fein Weib und die armen Würmer, eine Kinder, in Noth, Elend und Kummer zurück, während dem er oft vierzehn Tage lang sich mit schlechtem Gesindel herumtrieb und seinen Ver- dienst liederlichen Dirnen anhing. Endlich kam er elend und fieg mit einer schändlichen Krankheit behaftet nach Hause, und ließ sich von meiner Tochter pflegen. Wir wendeten auch Alles an, damit er wieder gesund würde, aber es war zu spät. Das Gift stieg ihm zum Gehirn und machte ihn verrückt. Da wurde er auf den Sonnen- stein gebracht. Vierzehn Tage später fing auch meine Tochter an irre zu reden, und hat zur Stunde noch ihre gesunde Vernunft nicht wieder erhalten; nun muß ich fie und ihre Kinder ernähren, und habe doch selbst nicht genug zu leben. Da muß ich nun arbeiten in meinen alten Tagen für meine Kinder, statt daß es ümgekehrt wäre.“ . . . . . „Armes, armes Weib!“ - - - - Sie setzte sich erschöpft auf einen Stein am Wege und ruhte ein wenig. Und du schämst dich nicht, junger Bursche, rief ich mir zu, dir deinen Mantel tragen zu laffen von dem alten gebrechlichen Weibe? Bist du auch krank und un- 31 - glücklicher als die, so hast du doch noch immer mehr Kraft und kannst deinen Mantel selbst tragen. Ich packte auch sofort den Mantel auf meine Schulter und was sonst noch von Gewicht war. - - - - - - - - - „Das kann ich schon noch erschleppen,“ sagte die Alte lächelnd, und wollte meinen Mantel wieder haben. „Laß das, Alte,“ erwiederte ich; „mich friert un- bändig. // . . - - „It’s weit bis auf den Sonnenstein,“ fragte ich beiläufig die Alte.“ „Ach nein, aber der Weg ist schlecht dahin.“ - Ja wohl, der Weg ist fchlecht dahin – wie in den Himmel. Sonnenstein! welch ein paffender Name für den Aufenthalt von Aufgeklärten oder sind '' darin nicht aufgeklärt und liberal? Sie haben - alle Schranken des Lebens durchbrochen, alle Schranken der Sitte und Konvenienz, alle Schranken endlich der Vernunft – ganz wie unsere Liberalen! Ein Verrückter und ein Liberaler unserer Zeit ist eins und daffelbe. In der Aufklärung sind sie eben so weit, denn nichts ist ihnen fremdartiger, als Gesetz und Regel, ihr Geist waltet frei, und entbunden, denkt nicht erst in Sylogismen und hat keine Richtung. Schade, daß die Anstalt so klein ist für die großen Geister unseres Jahrhunderts, die größte Stadt der Welt würde daraus entstehen, wollte man alle hier sie unterbringen. - - - - Unter heftigen Regengüssen, ganz durchnäßt, kamen 32 - wir in Tetschen an. Ich befand mich plötzlich in einer äußerst düsteren Stimmung. Die Ursache davon lag nahe: alle Glocken der kleinen Stadt waren in Bewegung. Die Glocke ist des Teufels musika- lisches Instrument, fagen die Türken, und ich unter- schreibe es, denn nichts kann mich teuflischer stimmen, als der Ton einer Glocke. Das Glockengeläute ist für mich teuflische Musik, alle Bosheit rührt es in mir auf, und allen Haß, den das Leben in mir seit einem Jahrzehend angehäuft. Wäre ich in einer Schlacht und hörte Glockentöne, ich würde morden um mich her mit der Grausamkeit eines Kannibalen, kein Mitleid würde in mir wach, und das Gestöhn wehrloser Verwundeter könnte mich nicht rühren zum Erbarmen, die herzlose Raserei wilder Mordlust nicht vernichten in mir. Das ist Idiofinkrafie, sagen die Aerzte, und muß irgendeine Veranlassung haben, denn der Glockenton ist kein Miß- ton, und was Tausende zur feierlichen Andacht stimmt, kann nicht. Einen zur Wuth reizen, ohne besonderen Grund. Wohl weiß ich einen folchen. Als ich noch ein Knabe war und meinen Vater im Sarge kennen lernte, als ich eine erstarrten Züge mit fierem Auge betrachtete, um die Aehnlichkeit mit mir herauszu den, und dachte, der Mann da, diese Leiche mit dem bleichen Gesicht und dem erloschenen Auge, mit dem halbgeöffne- ten athemlosen Munde ist, wa dein ater? Da tönten alle Glocken und schrieen '' „die Leiche, - * _ -, - - 53 die du nie fahft als file lebte, ist dein Vater.“ Und sie warfen das Leichentuch über fein Gesicht und fchloffen den Sarg zu, warfen ein schwarzes Tuch darüber und vier schwarze Männer mit bleichen Gesichtern hoben ihn auf und trugen ihn langsam, langsam fort, hinaus auf den Leichenacker, hinab ins Grab, und die Glocken, wohl zwanzig an der Zahl, heulten fort und fort: „das war dein Vater!“ Seitdem, ja seitdem, kann ich keine Glocke hören. Fort fort, schwarze Erinnerung Wir waren zur Stelle und ich gab dem armen unglücklichen Weibe einen Thaler. Sie wollte zwei Tha- ler haben und meinte, so ein guter Herr müßte wohl auch - generös feyn; acht Groschen hatte ich bedungen, wegen h s Unglücks gab ich ihr dreimal so viel, darum wollte sie nun sechsmal so viel haben! Ich gab ihr das Geld- und lachte; möchten sie dich glücklich machen die paar Thaler Unglück, machst du auch unverschämt? - „ Befehlen Sie Bier oder Wein?“ fragte der - „Was haben Sie für Wein?“ - „Eemsecker – Oesterreicher!“ - - - „Halt, Oesterreicher?“, „Ja, Oesterreicher!“, Er brachte mir ein Seidel Oesterreicher. - - Das Wort hat mir so wohl, aber der Wein that - mir fo weh, als der Wein wohl, denn es war „elender Krätzer. Nein, er war excellent, pfui, schäme dich, - - - 3 34 Oesterreicher! die Erzeugniffe deines Vaterlandes zu schimpfen. Bist du nicht ein Stockpatriot. – Ein Pa- triot aber muß Alles loben im Vaterland, vorzüglich aber das Schlechte. Laffen dich die hohen Beispiele des eng lischen und französischen Patriotismus ganz ungerührt? Wir find die stärkste Seemacht, sagen die Engländer, weil fie kein Land haben; wir haben das schönste Land, sagen die Franzosen, weil sie von den Engländern zur See ge- pantscht werden; wir sind die klügsten Leute, sagen die Deutschen, weil sie kein Land und kein Volk haben; wir haben den gefündesten Wein, könnten wir Oester- reicher sagen, weil wir keinen guten haben. Ein alter Kapitain speiste mit mir. „Wir sind hier glücklich“ sagte er, „haben Alles, leben billig und sind zufrieden, wenn auch nich gescheut _.444/ - „Ja wohl.“ - „Bei Ihnen in Sachsen –“ - “- „Entschuldigen Sie, ich bin kein Sachse, Gott sei Dank, denn da müßte ich am Konstitutionstage illumi- niren, und das thue ich ungern, denn es hilft doch nichts, und wenn ich 100 Lichter ansteckte, ich würde die Kon- stitution doch nicht ausnehmen.“ - „Ja bei Ihnen in Sachsen, da ist es freili schöner, da sind die Leute so aufgeklärt – ““ . . . „Das weiß Gott!“ - ZH Der Kellner kam herein und verstand nicht, was ich haben wollte. . " - - - " „„Nerozomim jenetz “ sagte er. „Er ist ein Franzofe,“ sagte der Kapitain spöttelnd und sich brütend, daß er deutsch sprach. „Ann je ein fanaly“ scherzte der Böhm, den er sich fit wie ein Fachah, als ob ein Fakt ist, als sie Merkwürdig, kein Jude will ein Jude sein und kein Böhme ein Böhmel. Beide schämen sich ihrer Herkunft und verleugnen sie, so oft es hunlich, ist. Kein Böhme will von seinem Vaterlande etwas wissen, wenn er einmal deutsch spricht. Böhmenvolk, du bist nicht mehr und doch behaupten. Viele, ein Volk könne nicht untergehn! Möchten wir die Zeiten nicht erleben, wo die Polen es den Böhmen nachthun werden, und, “ : " sich verleugnend, ausrufen: wir sind Ruffen - Nachdem ich die Bürgermiliz von Tetschen, welche - ausgerückt war zur Feier des Frohnleichnamsfestes, mit denselben Augen bewundert und betrachtet hatte, wie die sächsischen Kommunalgarden, trennte ich mich von diesem ergötzlichen Schauspiele und fuhr ab, Abends langt ich in Teplitz an. . . . . . .: - . . . . . . . - - - - –– : ... bild: - in : 3 % 56 Die (Neue Reisegesellschaft. Ein Kaufmann aus Hamburg. Ein Arzt aus Königsberg und ein Fabrikant chemischer Waa- ren. Die Cholera - Revolution in Königsberg. Urtheil über Börne und Heine. Ankunft in Prag. Der Pfarrer. Das Cölibat. Wehmüthiges Gardinengespräch.) Als ich des Morgens mir die Augen rieb , sie weit aufeiß und mich in der Stube umsah, entdeckte ich ein schläfriges Gesicht an der Thür, indem ich sogleich den Frevler erkannte, der mich aus meinem tiefen Schlaf erweckt. Es war ein Prager Lohnkutscher, der mir vor stellte, ich könnte das Geld für die Extrapost wohl er- fparen, und eben so schnell nach Prag kommen in feinem Fuhrwerk, wobei er noch bemerken zu müffen glaubte, daß ich sehr gute Gesellschaft antreffen würde, Unver- fchämter Kerl, dachte ich, kann ich wohl in bessere Gesell- fchaft gerathen, als wenn ich allein fahre. Dennoch ent- schloß ich mich, feinen Antrag anzunehmen, wenn nicht etwa Weiber mit ihren unzertrennlichen Gefährden, rie- figen Putzschachteln und Apothekergerüchen, von der Partie wären. Der Kutscher versicherte mich, daß meine Reisegefährten alle männlichen Geschlechts seien, wenn fie auch, vermöge ihrer ungewöhnlichen Staubmäntel, von Weitem betrachtet, alten Weibern nicht unähnlich seien. Er könne aber schwören, daß sie außer dieser be- meldeten Aehnlichkeit nichts Weibisches an sich hätten, und schon durch ihre Einsilbigkeit ihre Mannheit genüglich / tt er T a g. 37 darthäten, wenn er auch nicht Gelegenheit gefunden haben würde, sie heute Morgens bei einem Aktus zu überraschen, der alle Geschlechtszweifel niederschlug. Es waren daher keineswegs Menschen, die sich bloß anstellten, als ob sie Männer wären, sondern wirkliche, mit unzweifelhaften und kräftigen Zeugungsgliedmaßen versehene Männer. Ich war deshalb zufrieden und freute mich absonderlich über die Nachricht, daß meine neuen Reisegefährten nicht von dem Laster der Schwatzhaftigkeit ergriffen wären. Als ich am Kutschschlag ankam, saßen sie schon im Wagen, und hatten sehr vernünftig die besten Plätze eingenommen. Im Fond bläherte sich ein dicker Kaufmann aus Hamburg und ein dünner Doctor aus Königsberg, neben mir kam zu sitzen ein hypochondrischer Apothekergeselle, Chemiker, oder was er war, den die Säurendünste und Gase feiner Laborate gänzlich petrificirt zu haben schienen. Es war eine charmante Gesellschaft, die mich durch kein unver- nünftiges Geschwätz in meinem brütenden Gedankenschlaf aufstörte, vielmehr selbst schlaftrunken sich mit stummen Gähnen und Gliederrenken unterhielt. Erst nachdem uns auf der nächsten Station ein kräftiges Frühstück gestärkt und unsere Gedanken einigermaßen aufgeregt hatte, glaub- ten wir es an der Zeit, mit der Bewunderung des lang- weiligen Millichauer Berges ein eben so langweiliges Ge- spräch zu eröffnen. Ich sprach mit Jedem einzeln über sein Fach. Mit dem Apotheker zergliederte ich sehr ge- lehrt die chemischen Bestandtheile des Tabaks, mit dem - 58 Kaufmann fprach, ich über den Tabakshandel, und den Arzt befragte ich über die Wirksamkeit des Tabakrauchens als Präservativ gegen die Cholera, Alle zusammen, ver- sicherten mich aber, daß der österrreichische Tahak ganz außerordentlich schlecht wäre. Sie geriethen bei dieser Behauptung, die ich natürlich aufs Eifrigste bestritt, so sehr außer sich, daß der Chemiker schrie, es sei pures pestilentisches, Miasma, was aus der Entzündung des österreichischen Tabaks entstünde, der Doktor seine Pfeife zerschmiß und einen schrecklichen Eidschwur that, fich in Pesterreich das Tabakrauchen abzugewöhnen, und der Kaufmann, der Vernünftigste vor Allen, mir köstliche Hamburger Cigarren, die er mit Hilfe eines Douqeurs, wodurch er das Herz der Zollbeamten erweichte, glücklich über die Grenze gebracht hatte, um mir darzuthun, daß sich der Apaldo a Tabak, hinsichtlich feines Geruchs- und Geschmacks, dagegen verhielte wie Stiefelwichse zu Rosenöl. Zwar machte ich großwüthig Gebrauch von seinem Aner hiatenzzrmangelte aber dennoch nicht, ihn mit schlagenden Beweisgründen die Ueberzeugung beizubringen, daß die Pesterreicher fehr guten Tabak haben könnten. Laffen Sie den Tabak aufhören, ein Monopol der Regierung zu sinfo können Sie es leichte erleben, daß Ihre Geruchs- nervenz nicht weiter von den scheußlichen Beizen der jetzigen Tabaksfabriken belästigt werden. Zudem gedeiht in Ungarn einfo vorzügliches, feines Blatt, als irgend wo in Amerika, aber die Juden, welchen man die Tabaks- - - - 39 lieferungen übertragen hat, kaufen die schlechtesten Blätter im Lande zusammen und überliefern sie den Fabriken, welche dann gewiß nicht verabsäumen, durch schlechte Beizung den Tabak vollends zu verderben. Der Kauf mann meinte aber, wir sprächen von dem, was ist, und nicht von dem, was sein könnte und fein sollte, und ich wußte mir nicht anders mehr zu helfen, um mich mit Ruhm für mein Vaterland aus der Affaire zu ziehen, als indem ich mit übertäubender Stentorstimme schrie: „kurz und gut, Herr, Sie haben Unrecht, eben so unrecht über den österreichischen Tabak zu schimpfen, als ich Recht haber Ihren Gigarrenvorrath zu schmälern,“ und somit nahm ich ihm eine Cigarre nach der andern ab und verblies fie. Er ist 0 es „Advocemi Choleral“, sagte ich zu dem Arzt. „Sie haben ja auch eine Revolution in Königsberg ge- habt, weil die Leute glaubten, sie würden von Ihren Collegen vergiftet?“ „Ja wohl, und zwar war unsere Revolution eben so dumm als alle übrige; die polnische nicht ausgenommen. Es ist überhaupt in unserer Zeit nichts ungewöhnliches, daß sich die Menschen gegen alle gesunde Vernunft auflehnen uud Leben und Blut daran setzen, ihre Dummheit geltend zu machen. Die Veran- laffung zu dem Tumult in Königsberg beruhete auf einem eben so thörigten Irrthum und einer eben so großen Unwissenheit des Pöbels, als die Volksbewegungen im übrigen Deutschland.“ - A0 - - „Man hat öfters behauptet, daß dieser Aufstand einen politischen Grund gehabt, allein dieß ist so unfinnig, als wenn man glaubt, die Schneidergesellen in Berlin, die Studenten in Leipzig und die Gardisten in München haben die Vereinigung Deutschlands beabsichtigt, indem sie den Leuten die Fenster einwarfen und die Häuser der Polizeibeamten demolirten. Der Hergang der Sache in Königsberg war folgender: Die junge Frau eines Schnei- ders erkrankte plötzlich an der Cholera und starb, obgleich sich einer unserer Aerzte entsetzlich abgemüht hatte, fie zu heilen. Der trostlose Gemahl dieser Unglücklichen wollte nun in dem unvernünftigen Uebermaaß feines Schmerzes ebenfalls sterben und legte sich zu dem Ende zu der Leiche, um, wie er hoffte, angesteckt zu werden und die Cholera zu bekommen, Seine Bemühungen blieben jedoch fruchtlos und er überlebte seine Thorheit. Nun, glaubte der Pöbel, sei es thatsächlich bewiesen, daß die Krankheit nicht ansteckend, und daher fchloffen sie mit unglaublichem Scharfsinn, daßfie Folge einer Ver- giftung der Aerzte sei. Müffiges Lumpengesindel verbrei- tete allenthalben diesen Wahn, versammelte sich auf den Straßen, trieb allerlei Unfug und wollte den Söhnen des Hypokrates zu Leibe. Die Behörden fahen sich dadurch gezwungen, um den Haufen auseinander zu jagen, Ge- walt mit Gewalt abzuwehren. Der Offizier, welcher die zur Wiederherstellung der Ruhe beorderten Soldaten be- fehligte, hatte jedoch den strengsten Befehl, nicht ohne - - A Noth Blut zu vergießen. Er wurde jedoch mit einem Steinregen begrüßt, und ein betrunkenes Weib hatte fo- gar die Frechheit, aus dem Pöbelhaufen hervorzutreten, ihre Posteriora zu entblößen und der zum Schuß fertigen Mannschaft folchergestalt einen Zielpunkt anzuweisen. Der Offizier, menschlicherweise indigniert, ließ sich aber das nicht zwei Mal fagen, commandierte Feuer und zehn Kugeln durchbohrten die partie honteuse der schamlosen Poiffarde. Dieß war der tragikomische Schlußpunkt der Königs- berger Revolution, denn Niemand wollte ein werthes Hintertheil weiteren Gefahren preis geben. Wir können nun mit vielem Stolz sagen, die Zeit geht bei uns vor- wärts, denn wir haben eine Revolution gehabt. Aber Sie, meine verehrten Herren Oesterreicher, fcheinen an diesen großartigen Bewegungen nicht den mindesten Antheil zu nehmen.“ „Hm!“ bemerkte ich, „Hm!“ und noch ein Mal Hm! auf diese fonderbare Frage. Wäre ich ein Zeitungs- schreiber und liebte mein Brod, fo müßte ich mit einem Libel antworten, oder wäre ich ein Dichter und liebte meinen Ruhm, so müßte ich den baaren politischen Un- finn, den nur Handwerksbursche in den Schenken frei und ohne Unterschweif heraussagen dürfen, in schöne Reime bringen. Auf diese Weise haben neuerlich ein Dutzend schlechter Poeten und sonstiger Flachköpfe ihr Glück und miserable Lieder gemacht. Ich meinerseits bin weit ent- fernt, in solche Lieder mit einzustimmen, und lobe es viel- A12 - - mehr als fehr "ernünftig, wenn ein Volk in dem am meinen Völkerrausche, statt sich tollkühn einer taumeln Bewegung zu überlaffen, die nur in Sümpfe und Kloa führen kann, ruhig steht, beffer noch sitzen bleibt, phlegmatisch zu betrachten, wie z. betrunkenen Kamera bei ihrem totalen Mangel an Consistenz und Gleichgewi ihre geraden Glieder riskieren, z, Eines schickt fich nicht für Alle. -- - Sehe Jeder, wie ers treibe, Und wer steht, daß er nicht fallen ,,Apropos, Herr Reise-Compagnon, ich habe Ihn mit "gnügen abgemeier, daß Sie fo ein Stück v Gelehrten und sugleich Oest eine Meinung haben v. ichen Dichtern par exemple Heir Börne, Harring, Maltig, Menzel u. f. w.“ O- ww3ch glaube, "ein Herr, daß alle die Leute, Me ze, der kein Dichte, " und einen besondern Beruf ha ausgenommen, alle „ Geld schreiben." ist kein klares Urtheil.“ von Doch, mein Perr, es ist Alles damit gefag Betrachten wir diese "enschen als Kaufleute, so sind wir, daß ihre Waaren Größtentheils zu den Luxusartikel gezählt werden „g “- woraus wiederum folgt, daß UNON f - : " ihre Handelsartikel an Mann z r A o f effend als möglich anzukündigen, um - - 43 durch das Wesen, das fiel von sich selbst machen, Käufer anzulocken. Ich kann es keineswegs tadeln, daß sie von der Zeit ihren Profit nehmen, aber ich kann eben so wenig zugeben, daß man ihre Aussprüche für Orakel des Zeitgeistes annimmt, und fo sehr mich der Witz dieser Schriftsteller anzieht und amüsiert, so wenig achtungswerth erscheinen mir die Beweggründe zu ihrem Lehren. Zudem stehen viele, ja vielleicht die meisten dieser Freiheitsapostel, welche Sie eben hier angeführt haben, fammt jenen, welche Sie nicht angeführt haben, in solchen bürgerlichen Verhält- niffen, welche fiel in der Achtung ihrer nächsten Umgebung eben so tief stellen, als ihre übel angewendeten Talente fie hoch stellen, hoch sogar über viele sogenannte Heroen der deutschen Literatur. Der fähigste und genialischste unter allen ist Börne. Ich glaube, daß dieser Mann allein mehr Verstand besitzt als alle übrigen zusammenge- nommen. Aber zu behaupten, daß Börne Vaterlandsliebe befize, fällt mir nicht ein, obgleich dieses Paradoxon bei der Wuth, mit der Börne über alles Deutsche herfällt, für mich sehr viel Anziehendes hätte. Börnes Geist ist auf der Leiche feines Gemüths erstanden und fein Ge- müth scheint zu Grunde gegangen in einen Kampf mit feindseligen Principien. Sein Hohn, der kühn über Alles herfällt, was in dem Haufen groß und schön ist, so wie fein bitterer Humor, ist ein Sohn des Unglücks, und trägt eine Hahnenfeder auf dem Hut. Es scheinen ihn in schon früh schöne Ideale zertrümmert und manches Spiel- . . . . Ä1 - zeug feines frischen Herzens entriffen worden zu fein. Ein Sturm scheint feinen Himmel in ewige Nacht ver- wandelt zu haben, ein Sturm, der vielleicht ein kleines Gemüth vernichtet haben würde, aber fein geistiges Leben nicht ganz zerstören konnte. Jeder kleine Geist geht in folchem Kampf zu Grunde, während größere nur die Farbe der Empfindung verlieren. Der Stolz, der unzertrennliche Gefährte aller Größe, hat ihn aufgerichtet und steht nun allein da in feiner kahlen Höhe. Die farbige Brille der Liebe, die uns Alles in Rosenschimmer zeigt, ist zerbrochen und das Auge fieht nun klar die Welt in ihrer nackten Erbärmlichkeit. Wenn der menschliche Geist so ganz und gar entkleidet wird, wie es bei Börne geschehen sein mußte, durch Mißgeschick und Seelenkampf, wenn man ihm end- lich nichts zu schaffen giebt, daß er sein Leben verwende und fich neue Kleider erarbeite, so ist nichts natürlicher, als daß er zu zerstören sucht und fein menschenfeindliches Werk da beginnt, wo ihm etwas Großes zunächst im Wege steht. Börne hat keine Meinun g, sondern nur eine Gesinnung, die freilich schlimm genug ist. Er weiß ihr jedoch mit so viel Verstand das Wort zu reden, daß man oft glauben sollte, feine Gesinnung sei ein Re- fultat eines Denkens und Forschens, während eine adop- tierten Meinungen Kinder feiner von üblen Verhältniffen erzeugten Gesinnung find. Abgesehen von der Ver- werflichkeit einer politischen Dogmen, wird er durch feinen Einfluß nützen durch Erregung einer freieren Gei- - - 45 stesbewegung in Deutschland. Laß die Philister immer schreien über Form- und Richtungslosigkeit, des Mem- fchen Geist läßt sich nicht einzwängen und infibuliren, und ich freue mich, wo ich ihn so entbunden finde und noch mehr, wie in Börnes Schriften. Der Geist ist die unbändigte Kraft. Sie durchbricht alle Schranken, und verfolgt, wie das Feuer des Vulkans die Berge hin- durch, die Richtung ihres ersten Anstoßes, ihrer Entzün- dung, und dringt ein Phänomen durch die Nacht, alle Hindernisse weit von sich schleudernd. Keine Bannformel der zaubernden Phantasie, keine Anstandsregel der Con- venienz, keine Formenlehrer fähränkt ihn ein. Die aufge- stellten Schönheitsregeln eines Aristoteles und die philo- sophischen Denksysteme eines Kant erweisen sich eben so ohnmächtig, als ob man zu der Feuersäule des Vesuv fagte: „Flamme, zertheile dich in effectvollem regelmäßigen Funkenregen, nimm, die Farben des Regenbogens an, schleudere den Rauch von dir, daß du rein werdet, und wenn du aufhörst zu leuchten, fo platze mit Donner und Blitz! Hypokrenen könntet ihr noch ein Flußbett graben und ihren Lauf lenken, nimmer aber zügeln den Funken der Gottheit in uns, minder noch als ihr gebieten könnt der glühenden Lava heftiger Leidenschaften und Empfin- dungen. Aber bei der philistermäßigen Trägheit und Unbeholfenheit unsers Jahrtausends predigt man tauben Ohren, den Geist kastriert man schon in der Kindheit in Schulen und Akademien, und macht ihn unfähig zur 46 Zeugung, daß er ein desto besseres Lastthier werde, und all' dem Bombast von Kunst-, Schönheits- und Denk- regeln, den der Unsinn von tausend Poeten und Philo- fophen zusammengehäuft, fortschleppe durch die Jahrhun- derte. Wir fingen und leiern nach Virgil, Homer, Aeschylus und Aristoteles, wir denken nach neuern Ge- fetzen eines Fichte, Kant, Schelling, Krug, aber Nie- manden ist es eingefallen noch bisher, sich gehen zu laffen und den millionenmal consumierten und verdauten Quark nicht wieder zu kauen. - Börne hat zwar manche Ungerechtigkeit verübt, man- ches Achtungswerthe und Große ungebührlich verhöhnt, manches Edle, Heilige profaniert und in den Kothge- zogen, doch gehören feine Tiraden gegen Deutschland nicht unter jene Hauptsünden, welche Rüge und Wider- spruch verdienen. Sehr zu mißbilligen ist es jedoch, daß er als ein Mann, der doch über die Gewöhnlichkeit hin- ausragt, di... ... finnige Chimäre der deutschen Burschen- fchaftler, die Vereinigung der deutschen Männer aufgreift, und die Existenz eines Deutschlands auch nur in der Idee annimmt. Es giebt wohl ein deutsches Land, ja - fogar mehrere, aber keineswegs ein Deutschland, welches nie existierte, nicht existieren kann und wird. Wenn ich sage, ich bin ein Deutscher, so heißt das, ich spreche deutsch und nicht ein Jota mehr; das, was man ge- wöhnlich unter Deutschland versteht, ist nichts als eine Gesellschaft gänzlich verschiedener Völker, die mit einander / - A47 nichts gemein haben, als ihre Sprache und Grobheit. Mit eben dem Rechte, ja sogar mit größerem, könnte man ein Slavenland annehmen, wenn man alle jene Völker gleicher Zunge eines heißen wollte. Eben so wenig als die Slaven in Oesterreich, Deutschland, Ruß- land, haben die Deutschen einen gemeinschaftlichen National- charakter, Nationalkraft, Nationalwillen, Nationalfitten und Nationaltracht. Wo alle diese Nationaleigenschaften fehlen, da fehlt auch die Nation, und dies ist der Fall Deutschlands. Schon die geographische Lage der deutschen Länder ist ein Beleg zu dieser Behauptung, und die Geographen wissen sich beim Entwurf einer Charte von Deutschland nicht zu rathen, nicht zu helfen, und find gezwungen, slavische Länder mit zu Deutschland zu rech- nen. Der Nationalhaß, der die Deutschen unter fich entzweit seit Jahrhunderten, ist ein anderer nicht min- der triftiger Grund zu der Behauptung, es giebt kein Deutschland. Desomehr Anlagen haben die Deutschen, gute Oesterreicher, Preußen und Baiern zu werden, nur ist es ein großer Uebelstand, daß es so viele kleine Für- fenthümer giebt, deren Einwohner sich unmöglich zu den felbstständigen Völker rechnen können; man kann daher kühn sagen, aus Deutschland wird nichts, bis die großen Staaten die kleinen aufreffen, wie die Hayfische die Sardellen. Dann werden wir sagen, wir find Oester- reicher, Preußen, Baiern c. und nichts schlimmeres, thun, als was wir bisher gethan, nämlich der Preuße wird den 48 Oesterreicher haffen und umgekehrt. Oder sollte man im Ernst hoffen, daß Völker sich vereinigen werden, die seit mehr als einem Jahrtausend einander feindlich gegen- über gestanden in hundert blutigen Kriegen? Gleich und gleich gesellt sich gern, sagte der Teufel einst zu einem Mönch, vereinige sich also was zusammen paßt, denn die Vereinigung Aller ist unmöglich. - - - - - - - Daß Börne fein Vaterland haßt, ist eine wider- finnige Behauptung. Börne ist ein Jude, und die Ju- den haben kein und lieben kein Vaterland. Wie kann in einem Volke, das über alle Theile der Welt zer- freut ist, das überall mit Verachtung behandelt, das überall unter den Pöbel gestellt wird, das nirgends bür- gerliche Rechte genießt, oder doch nicht in jenem Um- fange, wie alle übrigen, wie kann in einem fo zertrete- nen und vernichteten Volk Vaterlandsliebe und Patriotis- mus erwachen. - - - - - - Heine ist Börne’s Brudergeist, aber Heine's Ta- lent ist schöner, Börne’s größer. Heine würde einer un- ferer angenehmsten Dichter sein, wenn das Leben ihn nicht verbittert und der Witz nicht die Oberherrschaft ge- wonnen hätte über die Phantasie. Sein Buch der Lie- der ist die Geschichte feiner Seele, Blumen wollte er pflücken, aber Dornen zerrissen ihm die Hand und das Herz. Das Schöne wollte er umarmen, aber es stieß ihn zurück, wie eine spröde Schöne die Zudringlichkeit, eines Liebe glühenden, Seladons. In seinen Schriften, A49 athmet die Sehnsucht noch einen verlornen Himmel und die Wehmuth eines verletzten Gemüths kämpft mit einem unbändigen Witz, der noch die letzten Blüthen einer entnervten Phantasie in wilder Laune zerpflückt. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, unglück- liche Liebe habe diesen beiden Geistern ihre jetzige Rich- tung gegeben. In Heine ging dadurch ein lyrisches- Talent zu Grunde, in Börne verwandelte sie einen schaf fenden Geist in einen zerstörenden um. Heine war Dichter, Börne geboren zur That. - Auch Oesterreich hat in neuerer Zeit eine politischen Dichter und unter ihnen den Matador aller teutschen – den Dichter der Spaziergänge eines wiener Poeten. Die Ge- fähichte dieser Gedichte ist sehr geheimnißvoll, obgleich Jeder- mann glaubt, Auersperg fei der Verfaffer. Ein junger Mann von bescheidenem Aeußern kam in der Meffe zu Herrn Campe, überreichte ihm ein Manuscript zur An- ficht und entfernte sich, als ihm der Bescheid ward, man werde gelegentlich die Gedichte durchsehen. Geschäfte hinderten Herrn Campe lange daran; auch schien ihm die Sache zu geringfügig und kaum des Lesens werth. Monate vergingen und noch immerlag das Manuscriptbeschei- den unter andern Schriften, die auf den gnädigen Richterblick des Verlegers harrten. Endlich einmal geschah es, daß zu Frommen und Nutzen Oesterreichs Herrn Campe die Langeweile plagte. Mit fehnsüchtigem Auge, unter häu- figem Gähnen suchte er unter den staubigen Papieren und 4 50 stieß auf die Spaziergänge. Mit dem Vorsatz, einige Strophen zu lesen und das Büchelchen dann wieder bei Seite zu legen, nahm er es auf in Gnaden und las. Auf der ersten Seite, versichert Herr Campe, habe er ausgerufen: „der Mann versifiziert gut!“ Bei der zweiten: „Der Mann hat Verstand!“ Bei der dritten: „Der Mann hat Talent!“ Bei der vierten: „Das Buch drucke ich und wenn ich nicht auf die Kosten kommen follte.“ Nach folchen Exklamationen übergab Herr Campe die Spaziergänge an Herrn von Maltitz zur Ansicht. Herr von Maltitz kam in einigen Tagen zurück, fäbelte in der Luft herum, daß Herrn Campe bange ward und rief: „Freund, fo was kann ich felbst nicht „machen!“ was ihm aufs Wort geglaubt wurde; denn Herr v. Maltitz ist nach dem Urtheile Aller, die ihn kennen, ein glaubwürdi- ger Mann. Das Buch wurde gedruckt und erlebte mehrere Auflagen hinter einander. Nachdem ich ihnen das Bücher- fatum der Spaziergänge, wie auch die seltsamen Bewe- gungen eines Buchhändlergemüths von der besten Sorte vor Augen gestellt, darf ich es wagen, einer andern Flug- schrift ähnlicher Tendenz, „des Reichs der Finsterniß, 51 von H. Normann,“ welche gleiche Celebrität erlangt hat. Der Mann scheint bei einer sehr heftigen Empfin- dung weniger Enthusiast und Schwärmer zu sein als sein Vorgänger. Seine Verse, noch mehr aber seine Prosa beschäftigen sich mit den einzelnen Erscheinungen im öster- reichischen Staatsleben, welche ihm als Uebelstände sich darstellen. Er zeigt daher mehr praktische Einsicht als phantastische Anschauungsweise, und glüht für keine Idee, die man nie im Leben verwirklicht gesehen hat Und fcheint mehr dem Glücke als der Freiheit zu huldigen. Der Götzendienst der Freiheitsmänner, welche ein goldenes Kalb anbeten, von dem sie nicht zehren können, hat ihn nicht hingeriffen zum politischen Aberglauben und fo dürfte er bei nüchternem Fortleben und Fortdenken bald überzeugt werden, daß er sich im Irrthum befinde und Uebel der Welt für Uebel eines einzelnen Staates gehalten habe. Eine andere interessante Erscheinung der Neuzeit Oesterreichs ist der schnell bekannt gewordene Dichter Ni- kolaus Lenau (recte Nikolaus Niembsch von Strich lenau). Dieser reich begabte Schriftsteller ist zwar in feiner Buhlschaft mit der modernen Göttin Freiheit nicht so weit gegangen, sich wie A. Grün und H. Normann zu kompromittieren; allein er versäumt selten eine Gelegen- heit ihr einen wohlwollenden Seitenblick zuzuwerfen. Auch er hat, wie seine Vorgänger, eine Enttäuschung erfahren müffen, hinsichtlich der allgemein grafierenden Ideale von dem glückseligen Zustande der freien Amerikaner Seine - 32 poetische Seele hat sich einen Winter lang in Pittsburg gelangweilt und war vielleicht nie weniger fern von feinem Vaterland als damals. Er hat uns atlantische Bilder herübergebracht und fiel dem schönen Cyklus feiner vater- ländischen angereiht. - In der poetischen Schilderei hat es ihm keiner zu- vorgethan, denn er hat das außerordentliche Talent unter den landschaftlichen und Lebenserfcheinungen, jene festzu- halten, welche das Gemüth ergreifen. Er schreibt die Natur. nicht ab, wie Mathiffon, sondern feffelt ihre schön- ften und flüchtigsten Gestalten. Unter allen jetzt lebenden Dichtern hat er am meisten inneren Fond in feinem lebensfrischen noch unverbitterten Herzen. Er scheint mir ein beneidenswerth glücklicher Mensch, obwohl alle feine Dichtungen nur Wehmuthhauchen, ja sogar eben deshalb, weil alles Weh in feiner Brust sich in schöne Gefühle auflöst. Er hat ja auch das beste Loos der Dichter, ein harmlos unbewegtes Leben. Nachdem sich meine ehrenwerthen Reisegefährten fatt- fam verwundert hatten über Oesterreichs plötzliche Frucht- barkeit an ausgezeichneten Talenten, wollten Sie Aus- kunft haben über das seltsame Phänomen, daß ein Staat von 33 Millionen Einwohnern doch im Allgemeinen we- nig große und berühmte Schriftsteller aufzuweisen habe. Da ich fomit meine Gesellschaft dazu gebracht hatte mein Steckenpferd zu reiten, fo versäumte ich nicht es nun selbst "'n und wacker zu tummeln. - 53 „Dieses Phänomen,“ fagte ich, „oder vielmehr diese - sonderbare Erscheinung von Nichts hat viele verschiedene Ursachen. Eine der wesentlichsten ist wohl die bestehende Staatseinrichtung, vermöge welcher die große Zahl wissen- fchaftlich gebildeter Männer in öffentlichen Aemtern bestellt ist. Das Trachten eines jeden Studierenden in Oester- reich geht dahin, baldigst ein Amt zu erwerben, wodurch feine Existenz auf immer gesichert wird. Da nun der österreichische Staat bei einer gegenwärtigen Organisation fehr viele Beamte braucht, so wird dadurch den meisten fähigen Köpfen eine freie Ausübung der Künste und Ge- lehrsamkeit unmöglich gemacht. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß auch viele begabte Männer neben ihren Berufsgeschäften im Dienst des Staates, auch Wiffen- fchaft und Kunst betrieben haben, allein dieß geschieht nur ausnahmsweise und Sie werden bei genauer Prüfung der Sache finden, daß Deutschland die große Anzahl feiner Schriftsteller meist der fehlerhaften Organisation feiner kleinen Staaten zu danken hat, in welchem viele ausge- zeichnete Talente müffig bleiben. Die österreichische Re- gierung scheint überdieß die richtige Maxime Maleherbes zu haben, „daß ein guter Dichter dem Staate nicht nütz- licher sei, als ein guter Kegelspieler.“ In der That wäre es lächerlich, wenn ein Staat darauf ausginge, recht viele Poeten zu haben. Staatsbeamte aber verlieren bei Pflicht- eifer und Fleiß bald die Luft sich um einen Platz auf dem Parnaß zu bewerben. Wer aber nicht im Staate 54 beamtet ist, hat den geistlichen Stand erwählt, welcher in katholischen Ländern bekanntlich sehr wenige Dichter erzeugt, da 'ne so leichtfertige Beschäftigung, wie das Dichten und Aussprechen erotischer Empfindungen, mit ven "hodoxen Grundsätzen nicht verträglich ist. Auch stehen die bestehenden Censurvorschriften der Dichtkunst hin'" Wege, denn diese will sich bekanntlich durch kein "en, als die Gesetze der Aesthetik einschränken 1affen. Was übrigens nügliche Wiffenschaften betrifft, so hat Desterreichs Literatur genug Vorzügliches aufzuweisen.“ Meine Reisegesellschaft hörte bis hierher mit der größten Aufmerksamkeit mir zu, ohne mich zu unterbre- chen. Ich glaube, sie hätten es aus Bequemlichkeit noch länger gethan, wenn uns nicht der gräuliche Husten des Kutschers unterbrochen hätte; der arme Mann hatte sich auf der Straße in Staub und Wind die Lungensucht geholt und versicherte uns, er habe seit sechs Jahren den Huften. Der Doctor aus Königsberg ließ ihn bei sei- nem tröstlichen Glauben, meinte aber gegen uns: in drei Monaten wird er wohl noch den letzten Rest feiner Lunge herausgehustet haben. Herrliche Erfindung des Todes, die Lungensucht. Der damit Behaftete hustet das ganze Organ langsam weg und hofft bis auf den letzten Augen- blick. Warum kann man nicht auch das Herz so aus dem Leibe hufen? – Ich glaube, daran könnte. Niemand sterben; denn kein Herz zu haben ist ein großes Glück. In Leitmeritz begegnete uns kein Unfall, obwohl die 55 Stadt eine Festung ist. Am ersten Thore trat ein be- trunkener Korporal an den Wagen und bat um unsere Namen. Ich fagte ihm den ersten besten, der mir in den Sinn kam: – Doctor Sonntag aus Upsala. Der Korpo- ral meinte, es wäre ein außerordentlicher Fall in dieser Fe- fung, daß der Sonntag am Montag hier durchpafire; es wäre ihm lieber, fagte er, wenn es umgekehrt wäre, denn am Sonntag habe er keinen Dienst. Ich fragte ihn, ob er feinen Witz Saphir abgelauert habe? O! lächelte er superklug, Sie belieben zu spaßen und glauben, ich wisse nicht, daß Saphir ein Stein ist, der doch unmöglich wiz zig fein könne. Ganz recht, ein Stein, erwiderte ich, aber kein Edelstein. Dabei fuhren wir rasch davon; aber der Korporal rief uns noch ein Mal zurück. Was giebts? Hören Sie, Herr Doctor Sonntag, rief er – und mir stieg das Blut in die Wangen, denn ich glaubte mich verra- then – der Saphir ist ein Edelstein- o, ich weiß das noch aus dem Regimentserziehungshause. Zugestanden. – Am andern Thore kam wieder ein Korporal mit demselben Anlie- gen. „Doctor Montag aus Upsala.“– „Glückliche Reife!“ Noch am hellen Tage fahen wir die Thürme von Prag. Ich stieg aus und ging zu Fuße in die Stadt; denn am Thore muß man die Päffe abgeben, und ich hatte keine Lust, die Neugierde der Polizeibeamten zu be- friedigen. Mein Schnurrbart machte mich unkenntlich, und fo ging ich an mehreren Bekannten vorüber, ohne erkannt zu werden. Im Gasthof zum – fand ich mei- 56 nen alten ehrlichen Martin, der seitdem als Lohnbedienter - hier fervierte. Er allein kannte mich noch und weinte vor Freuden, als er mich fah. Ja, hier ist. Alles anders, als dort drüben – hier giebt es noch warme Herzen. Meine Reisegefährten kamen bald nach, und der Chemiker trat leise und schüchtern in meine Stube. „Wie gefällt es Ihnen hier?“ fragte ich vergnügt. „Ach! schlecht, sehr schlecht. Mir ist ganz un- heimlich zu Muthe in dem wilden Lärmen; die Leute fchreien ja hier, als wenn sie befeffen wären. Alles ist wie im Aufruhr, und man kann ja kaum denken in dem Getümmel.“ „Ja, das Land der Schlafmützen ist hier nicht mehr. Die Menschen haben hier schon Blut und freuen sich ihres Lebens. Laffen Sie den ersten Eindruck vorüber- gehen, und der Lärmen wird ihnen lieb werden. Sie werden sich nicht wieder zurücksehnen in ihr grabesstilles Norden. Sie werden hier Menschen finden, Freunde, und darüber die Klötze in Ihrem Vaterlande vergeffen.“ Ich drückte ihm dabei herzlich die Hand. Er schwieg und fähien es seltsam zu finden, daß ich meine Meinung fo rund heraussagte, ohne gerade boshaft zu fein. Die Nordteutschen find nur grob aus Bosheit, wenn sie belei- digen, fich rächen wollen. Man pochte an die Thüre. Ein Mann in schlich- tem Oberrock, mit dem Abzeichen geistlicher Würde, trat höflich grüßend herein. Es wären, fagte er, im Hause H7 alle Stuben besetzt, und er denke in-der meinigen unter- kunft zu finden. Er habe den alten Martin gefragt, welcher Passagier wohl zu solcher Gefälligkeit bereit sein würde, und die Weisung hierher erhalten. Ich stellte ihm freie Wahl zwischen zwei Betten, welche in der Stube standen, und empfahl mich, um parterre mein Abendmahl einzunehmen, ehe sich andere Gäste einfänden. Im Dunkel der Abendstunden aber strich ich durch die Straßen von Prag, um eine lang entbehrte Promenade auf der Brücke zu unternehmen. Unbeschreiblich war der Eindruck, den dieß Riesenwerk eines entfernten Jahrhunderts jetzt auf mich hervorbrachte. Die Sonne war untergegangen und ein düsteres Zwielicht beleuchtete den Himmel. Ungeheure Gespenster standen die kolossalen Statuen der Märtyrer auf beiden Seiten der Brück, ihren Schatten in die Fluchen der still strömenden Moldau hinabsenkend. Jenseits rag- ten die Thürme des Hradschins empor. Eine dunkle Menschenmaffe wogte hinüber und herüber; aber keiner VIT unter ihnen, der den feierlichen Eindruck mit em- pfand. Die Statuen der Gekreuzigten und Gemarterten fähienen sich zu beleben, zu regen, und ich vernahm ihr - Gestöhn. Am Fuße einer Säule, auf deren Piedestal sich eine seltsam verrenkte gefeffelte Gestalt erhob, blieb ich fe- hen und fah in den murmelnden Strom. Diese Männer alle, welche hier der Fanatismus in Bildwerken verewigt hat, haben geblutet und gelitten für ihren Glauben. Unser Jahr- hundert noch billigt und bewundert ihre Opfer. Für die HB Freiheit ihrer Meinungen find fie, gestorben, und ihr Wahn hat fest gewurzelt in den Herzen ihrer Zeitgenoffen. Wer aber find die, welche das Andenken dieser Helden der Religion verehren, die ihnen ewige Lichter anzünden und dort ihr Abendgebet lispeln vor den Standbildern? unduld fa- me, Fanatiker, wie jene Heiden, welche die heiligen Chri- ften verfolgt, gemartert, in Oel gesotten und ver- brannt haben, welche ein ganzes Leben lang nachbeten und glauben, was ihnen ein Katechet gelehrt, welche alle Jene der ewigen Verdammniß verfallen glauben, die nun thun, was jene Heiligen thaten, ihrer innersten Ueberzeu- gung folgen, ihren Glauben, die Freiheit ihrer Meinun- mungen verfechten. Reißt jene Denkmäler der ersten Licht- periode nieder, ihr Fürsten der Erde, vernichtet das An- denken jener Märtyrer; denn es wäre nicht gut für euch, wären unsere Helden so begeistert für ihren Glauben – für die Wahrheit, Freiheit des Glaubens. Jene Männer haben gelehrt durch That und Schrift, man folle der heiligen Wahrheit. Alles opfern, man solle gegen den Irrthum ankämpfen, wo man ihn findet, man solle rast- los wirken für Wahrheit und Recht, aber man soll It- rende nicht verdammen, wie man jetzt und in allen Zei- ten Märtyrer der Wahrheit verdammt. Kämen den Mächtigen der Erde nicht feile Mönche zu Hülfe, welche die Wahrheiten des Christenthums deuteln und Gehor- fam, blinden Gehorsam als die erste Menschenpflicht pre- digen – die Lehre des Christenthums würde heilsamer - 59 wirken für das Wohlsein der Völker. Nach euren Doctri- nen ist der Gründer jener Lehre, vor dessen Kreuz ihr selbst in den Staub sinkt, ein Rebell. Der Hei- land im neunzehnten Jahrhundert würde daffelbe Märty- rerthum vollbringen wie unter den Juden. - Eine elegant gekleidete Dirne ging an mir vorüber und sah mich frech an. Ich grüßte sie, und ohne Um- stände blieb sie stehen. Gleichgültig sah ich ihr ins Ge- ficht – aber bei der reinsten Liebe, an der ihr Lebens- wandel Verrath beging, fie war schön. Aus einem alten Instinkt, jedem Abenteuer zu folgen, brach ich die Be- gegnung nicht ab und begleitete sie in ihre Wohnung. Als wir dort angelangt waren, verriegelte sie die Thüre und schien von mir zu erwarten, was sie unter solchen Umständen zu erwarten berechtigt war; aber ich machte mir es auf einem Sopha bequem, lud fiel ein, Platz zu nehmen und hub folgendermaßen an: : „Ich gestehe Dir, mein Engel, daß Du mir gefällt; daß ich weder an Deinem Gesicht, noch irgendwo anders etwas auszusetzen finde; daß ich in jeder andern Stim- mung Dir jene Huldigungen darbringen würde, die Du von mir erwartet. Ich suchte jedoch bei Dir nichts an-, deres, als Zeitvertreib für eine Stunde, ohne von Dei- - nem stillschweigenden Anerbieten Gebrauch machen zu wol- len. Wenn Du daher Lust hat, diese Frist mit mir zu verplaudern und dagegen eine Erkenntlichkeit anzunehmen, so foll es mir Vergnügen machen, Etwas von den Um- 60 ständen zu erfahren, welche Dich bewogen haben, ein werde zu ergreifen, welches die allgemeine Meinung schändlich bezeichnet. - - - - - - „Sie wollen mir doch keine Sittenpredigt halten fragte das Mädchen lachend, „in diesem Falle müßte sowohl für die Ehre Ihres Besuchs, als auch für I Erkenntlichkeit danken, „Du irrst, mein Kind. Es gab für mich eine lan schöne Jugendzeit, da ich eben so wenig tugendhaft w wie Du; da ich an jedem Blumenkelche machte, und wiß, meine Gute, wärest Du mir damals begegnet, hättest keine Ursache gehabt, Dich über meine Tugend beklagen. In jener Zeit hatte ich noch nicht von je Gift getrunken, welches man Liebe heißt, damals meine Liebe Genuß. Das Schicksal hat mir aber r lange jene glückselige Leerheit des Herzes gegönnt, wahre Liebe hat mich zur Tugend geführt. Ich vert mich ihrer führenden Hand; denn wie ich sie kenne, ich gewiß, sie entführt mich aus diesem Jammert zur Ruhe – ins Tollhaus, oder ins Grab. Der eine schöne Sache um die Tugend, wenn man im Ka mit feindlichen Mächten das Bewußtsein rettet: „du w gerecht!“ wenn man hundert Nächte in Gram und T nen über sein verlornes Lebensglück durchwacht und in jeder Secunde der Qual zurufen kann: du warst recht!“ wenn die Seelenleiden den Körper angegriffen ben, wenn es im Gehirn wühlt und man bei j 61 Stich denken kann: „du warst gerecht!“ und doch – die Märtyrerkrone. Ich habe Dir nun erzählt, wie ich zur Tugend gekommen bfn , und gewiß, ich habe Dir keine Nachahmung empfohlen. Ich wünschte nun von Dir zu- hören, mein Kind, wie Du zum Laster gekommen bist.“ Ich sah ihr ins Gesicht – sie weinte. „Sie sind unglücklich, mein Herr,“ schluchzte sie; „mein tiefes Bedauern –“ -- - „Wirklich? – Laß Dir keine trübe Stunde machen von mir, Mädchen – ich will gehen.“ „Nein – bleiben Sie, wenn Sie anders die Gesel- schaft mit einem feilen Mädchen bei verschloffener Thüre nicht – verachten!“ „Verachten, ich Dich? – Nein, ich verachte Niemand. Nichts als den dämonischen Zufall mit einer boshaften Tücke und welthistorischen Dummheit.“ - „Bleiben Sie also, mein Herr! – Sie wollten von mir wissen, wie ich zum Laster gekommen bin? Auf demselben Wege, mein Herr, wie Sie zur Tugend, – auf dem Wege des Unglücks. Sie haben die Laster ver- lassen, um fich verzweifelnd der Tugend – dem Verderben – in den Schooß zu stürzen; ich, mein Herr, bin aus den Armen der Tugend in den Sumpf des Lasters gestürzt worden, um dort mein besseres Ich zu ersticken. In un- ferm Schicksale liegt nichts Ungewöhnliches – erbärmliche Alltäglichkeit. Alle Männer verderben fo, wie Sie – alle Weiber fo, wie ich.“ G2 „Armes, armes Weib, wenn Du nicht lügt“ „Weiber lügen nicht, wenn sie weinen.“ „Darf ich Dich um Deine Lebensgeschichte bitten?“ „Soweit es mir erlaubt ist, ja. Der Name meines Va ters bleibe im Grabe bei seinen Gebeinen – genug für Sie, er war von vielen Tausenden gekannt und mit Ehrfurcht ausgesprochen. Nach feinem Tode führte mein Mißgeschick einen Abenteurer zu mir, der sich falschen Namen und falschen Rang andichtete. Es gelang ihm, mich zu ver- führen und zur Flucht aus dem Hause meiner Mutter zu bewegen. Erst in England erfuhr ich feinen wahren Stand und Namen – der Graf P., wie er sich nannte, war Niemand anders, als der Director einer Kunstreiter- gesellschaft. Er hatte mich in Schmach und Elend ge- stürzt; aber ich liebte ihn und blieb seine Konkubine, da er Katholik, verheirathet und von seiner Frau getrennt war; aber der treulose Verräther wollte mit meiner Schön- heit einen Handel treiben. Ich entfloh und dachte mit Sehnsucht an meine Heimath. Ein Edelmann bot sich mir an, mich dahin zurückzubringen, unter einer Bedin- gung, die Sie errathen können. Ich folgte ihm, und so sank ich tiefer und tiefer, bis zur Gemeinheit einer Gaffenphryne.“ Das ist meine ganze Geschichte.“ Ein Strom von Thränen unterbrach sie. "Ich er- griff im uebermaaß des Mitgefühls ihre Hand und drückte fie an meine Lippen. Ein schöner Ring fiel mir auf. Erschrocken erkannte ich das Wappen. – 63 - Woher dieser Ring, Johanne?“ fragte ich. - - „Er war mein eigen, so lange ich ebe“ - Seltsame Laune des Schicksals der boshafteste Ple- lebäer könnte über einen Hochadeligen, keinen schimpf licheren Schwur ausstoßen als den: „dein Fleisch und Blut verkaufe sich in der Person einer Straßenhure zu gemeiner Buhlschaft.“ Dieser Fluch war hier in Er- füllung gegangen, Ich verließ die Arme, ohne mich er- heitert zu haben, aber sie schien durch mein Mitgefühl getröstet. Ist das Weib nicht schlechter als der Mann? Jene - bringt die Tugend aus dem Hause in die Welt, diesem wird das Laster schon in früher Jugend eingeimpft und er badet sich im Schlamm der Sünde rein von ihrem Wesen unglaublich und wahr! - Als ich mit pochendem Herzen und finsterm Gehirn nach Hause kam, schlief der ehrwürdige Pater schon. Ich trat mit dem Licht zum Bette und beleuchtete ein Ge- ficht. Die scharfen Leidenszüge an der Stirne und Wange bürgten mit, daß er Unglück kannte und darum Unglück- liche nicht verdammen würde. Seine gefalteten Hände ver- riechen, daß er betend eingeschlummert sei.– Gottesfurcht und Vertrauen auf den Himmel waren mir willkommen, hier zu finden. Ich weckte ihn. . „Wollen Sie meine Beichte hören, Hochwürden?“ 64 „Treiben Sie unzeitigen Scherz mit einem in Eh- ren ergrauten Diener Gottes?“ „Nein, Hochwürden aber Ihr Beruf und Ihre Ehr- würdigkeit ermuntern mich, mir Ihren Rath zu erbitten. Sie sehen einen Mann vor sich, der Alles verloren hat, was ihn beglückte, und der nur lebt, um für fremdes Glück zu forgen. Mich in meinem Werke durch einen kleinen Dienst zu unterstützen, fordere ich Sie auf. Die Sache ist dringend, und ich muß morgen mit dem Frühesten weiter. Darum ver- zeihen Sie, wenn ich Ihnen eine Stunde der Ruhe raube.“ Ich gab ihm nun Aufträge für Johannen und Auf fehluß über das, was ihm räthfelhaft erschien. Ueberrascht von den Seltsamkeiten, die heute Abend auf ihn ein- stürmten, forschte er mit dem Intereffe der Menschenliebe mich aus. Ich fand ihm willig Rede, und wir setzten unser Gespräch noch lange fort, als ich schon im Bette lag. Ein würdiger Priester hat mir immer Ehrfurcht und Trost eingeflößt. Ich verabscheue den Fanatismus, aber ich ehre vor Allen den Unglücklichen, Entsagenden, der ein warmes Herz unter dem Priestergewande verbirgt, der sich mit frommen Glauben aufopfert um seinen heiligen Beruf. Ein folcher Mann war Pater Eduard. Er sprach sich mißbilligend aus über die hoffnungslose Stimmung meines Gemüths, das ich ihm öffnete. - „Nach Allem, was Sie mir anvertraut ha- ben, junger Mann,“ sprach er mit ruhiger Würde, „find Sie unglücklich, auf eine seltene Weise un- - - glücklich. Ihr Geschick hat Ihren Frieden zerstört, Ihr Gottvertrauen erschüttert und Ihnen eine schwere Prü- fung auferlegt. Sie find irre geworden an der Religion, Sie läugnen ihre Lehren und ich verzeihe Ihnen im Mai men Gottes, denn Sie glauben an Recht und Unrecht, an Tugend und Laster, an einen Gott. Ich will Sie nicht bekehren, Sie nicht ermahnen, unbedingt und blind zu glau- ben wie ich es gewiß und mit heiliger Absicht thun würde, bei einem unaufgeklärten Mann aus niederem Stande, deffen Glauben durch das Laster, nicht durch seine Ver- nunft erschüttert worden ist. Bleiben Sie bei der Moral, die Ihnen die Vernunft gelehrt hat, aber hüten Sie sich vor der schrecklichsten Verirrung des menschlichen Gel- stes, vor dem Indifferentismus. Sie stehen auf dem Scheidewege. Ein Schritt vorwärts führt Sie der Tu- gend, dem Himmel der Gerechtigkeit, dem innern Frie- den, oder dem Zwiespalt, dem Verderben des Lasters zu. In Ihrem Gemüth bekämpfen sich nun zwei starke Extreme: hohe Tugendbegeisterung und teuflische Verhöh- nung der Gottheit, der Gerechtigkeit, der Tugend. Laffen Sie die letztere nicht siegen. Sie find auf dem - Wege, ein schlechter Mensch zu werden, oder ein gerechter, der von einem Jahrhundert mit Ehrfurcht genannt zu werden verdiente. Folgen Sie der edeln Leidenschaft nach dem Ruhme der Tugend, und Sie werden nie fallen „Ihre - eilungen erwähnten viel schweres un- - - 5 66 glück, das Tausende an Ihrer Stelle erdrückt haben würde; Verluste, die selten ein Mensch so groß ist, wie Sie – nicht zu bedauern. Indem Sie sich fo über die Vorurtheile von Millionen lachend hinweggesetzt haben, stehen Sie höher als die Mehrzahl Ihrer Zeitgenoffen – aber Sie stürzen tiefer, als diese, und wissen sich nicht auf Ihrer Höhe zu behaupten. Sie haben unermeßliches Eigenthum, Sie haben einen großen, durch das Getüm- mel der Jahrhunderte dringenden Namen mit all' feinem Glanze verloren, und dieser Verlust hat Ihnen keine trübe Stunde gemacht. Sie fanden lächelnd im Sturme und freuten sich Ihrer Größe. Ihr ganzes Unglück also ist das der Liebe. Hunderte würden Sie verdammen, Sie einen Thoren, einen Schwächling fchelten, aber ich kenne das eiserne Gewicht hoffnungsloser Liebe, und ehre die Schwäche oder Uebermacht eines heftig fühlenden Herzens. Die Liebe ist kein Wahn, aber die stürmische, mit Aeonen spielende Liebe ist keine Empfindung für Aeo- nen. Der Sturm geht vorüber, und es steht in Ihrer Macht, sich zu beschützen vor feinen Zerstörungen. Bald, armer Mann, ist der Rausch vorbei und Sie bedauern feine Folgen. Noch steht es in Ihrer Macht, das gewal- tige Gefühl mit gewaltiger Vernunft zu bekämpfen, aber unwiderruflich ist das Geschehen. Darum opfern Sie nicht das ganze Leben der Leidenschaft. Laffen Sie die Ermah- mung eines greisen Mannes nicht verfliegen in den Wind, und bedenken Sie Ihre Pflicht, Ihren Gott. Unter die- – 67 fer Bedingung übe ich meine Priestergewalt der Lösung. Absolvo te!“ - - Nicht ohne Wirkung war die Ermahnung des Prie- sters. Ich fühlte mich beruhigt und fand wieder Thrä- . nen, die ich im Kiffen erstickte. Lange währte unfre Un- terredung noch, und als ich soviel Ruhe fand, um mein Gemüth fremdem Interesse aufzuschließen, fragte ich den Priester, ob er in einem Stande glücklich fei. „Ich bin es,“ sagte er gefaßt, „nachdem ich einen schwe- ren Kampf bestanden habe mit der Natur, Leidenschaft und Pflicht. Auch ich habe geliebt, und unglücklicher, denn Sie. Wie die meisten, – ja fast alle meiner Amtsgenoffen, wählte ich den Priesterrock, weil ich zu arm war, mich einem andern glücklichern Berufe hinzugeben. Leichtfer- tig legte ich mir das Joch des Cölibats auf, denn erst, als ich die Weihe empfangen und auf das schönste Le- bensglück verzichtet hatte, schlich sich die Liebe in meine Brust. Meine Geliebte war ein Beichtkind meiner Ge- meinde. Ich fah alle Monate in ihr reines Herz und erquickte es mit Worten der Salbung, während das meinige fast verging in dem Kampfe mit der Unmög- lichkeit.“ - „Am nächtlichen Lager, in meinen Träumen tauchte ihr Bild wieder auf, und bei der heiligen Wand- lung erschien es mir auf der Hostie. Unerträglich war meine Qual, mein Körper erlag dem Seelenkampfe und ich erkrankte. Mathilde schickte mir erquickende Kran- - / 5 * 68 - kenkost und manchen Beweis der kindlichen Sorgfalt ihres arglosen Herzens. Ich genaß wiederum, um von Neuem zu unterliegen. So litt ich drei Jahre, als Mathilde hei- rathete und fich von mir kopulieren ließ. Zitternd ging ich ans Werk, aber mein Gebet war verwirrtes Gemur- mel. Endlich aber stärkte mich der Geist des Höchsten. Mit Festigkeit und beredtsamer Ermahnung fügte ich die Hände der Liebenden in einander. Als es geschehen und sie vereinigt waren bis zum Tode, eilte ich in die Sakri- stei und sank dort ohnmächtig nieder. Am nächsten Mor- gen aber kam ich beim Consistorium ein um eine an dere Pfarre, indem ich einen verderblichen Einfluß der Luft auf mich vor schützt. Dem Erzbischof aber gestand ich in einem besondern Privatschreiben die wahre Ursache meiner Bitte, und erhieltfreundliche Gewährung. Seitdem habe ich bekämpft und vergeffen.“ : , „Fluchwürdiges Cölibat“ eiferte ich. „Wohl war es ein fluchwürdiger Gedanke der Väter im Concil, uns Priester zu der zeitlichen Hölle der Ehe- ofigkeit zu verdammen, die menschliche Natur zu verläug- *en und unnatürliche schändliche Laster hervorzurufen durch, diesen unsinnigen Ausspruch. Es ist Gotteslästerung, Eingriff in seine Fügung, dem Menschen jenen Theil sei- **estimmung zu entreißen aus schnöden und laster- Haften Rücksichten. Mag ihnen Gott den Frevel verzei- "" das unsägliche Eind, mit dem sie ihre Nachkom- Armen und Amtsgenoffen belasteten.“ - – –------ - - - - 69 _ _ _- - - - - - - - - - - - - - - - - --- - - - Giebt es aber kein Mittel, das Unrecht gut zu machen? Könnten die Regierungen nicht aus eigenem Belie- ben ein so barbarisches Gesetz in ihren Ländern vernichten? - „Nein, die Regierungen können hierin nichts thun. Von jeher waren die Mächtigen der Erde schwach, wenn fie gegen die öffentliche Meinung ankämpften. Aufhebung des Cölibats würde ein neues Schisma verursachen, allein wir leben nicht mehr in der Zeit der Kirchenspaltungen. Die Christenheit ist leider nicht mehr so stark im Glau- ben wie ehedem, und bei schwachem Glauben entsteht kein Schisma. Was würde also daraus entstehen? Nicht mehr und nicht weniger als allgemein Verfall des Chri- fenthums in den katholischen Ländern. Das heilige Re- ligionsinstitut erhält sich nur noch durch die Ehrwürdigkeit seines Alters und durch Umwandelbarkeit. Laffen Sie es der Menge erst merken, daß es Verbesserungen fähig ist, daß es Gebrechen hat, so wird sie bald durch die kleine Lücke zu entdecken meinen, daß der ganze Baum hohl ist. Zuerst würde man aufhören den Priester zu achten, dann die Religion selbst. Man muß es der Zeit überlaffen, diesem Uebelstand abzuhelfen. Wenn Menschen Hand anlegen, fo wiffen sie immer nicht, was fie vollbringen werden. Mancher will sich befreien und verwickelt sich nur desto mehr in feine Feffeln. Regierungen aber müffen am - wenigsten fo Gewagtes unternehmen.“ - „Sie können Recht haben, aber ich finde Ihr Raisonnnement traurig.“ - - „Ueberdieß würden die Orthodoxen Gründe genug finden, das Cölibat zu vertheidigen. Sie würden sagen, aus der Priesterehe entstünden viele neue Laster. Der Eigennutz, die Habsucht, der Geiz gewänne neuen Zu- 70 wachs durch die Sorge für Weib und Kind, der Egois- mus würde mehr Opfer erheischen, weil das Indivi- duum Familie mehr bedarf, als das Haupt derselben allein. Häusliche Verhältniffe würden auf den Priester mehr Einfluß haben als fein Berufseifer, und ein böses Weib würde manchen trefflichen Mann zum Filz und oft zu etwas Schlimmeren machen. Man würde das Bei- spiel der protestantischen Pastoren anführen und beweisen, daß ihr Exempel felten erbaulich fei für ihre Gemeinde.“ „Was würden Sie aber zu einem katholischen Priester fagen, der das Cölibat äußerlich beobachtete und insge- heim dem Weibe nachginge? „Ich würde zu ihm sagen, was ich zu andern Sün- dern sage, „du bist ein großer Sünder, aber Gottes Barm- herzigkeit ist unendlich. Die Natur ist deine Fürsprecherin und die Schöpfer des Cölibatgesetzes trägen die Hälfte deiner Schuld. Bitte Gott, daß er deine Lüste mäßige, bete zehn Paternoster und fei gereinigt.“ „Allein was würde das Consistorium von Ihnen urtheilen?“ - „Ehre der Wahrheit. Das Consistorium ist in solchen Fällen nicht mehr so unerbittlich und grausam streng wie ehe- dem. Es vergißt nicht, daß der Priester durch die Weihe nicht von aller menschlichen Leidenschaft frei wird. Uebrigens wird ein Weiser täglich gelinder, wenn die Verbrechen zunehmen; denn in diesem Fall, weiß man, liegt die Schuld nicht allein auf den Personen der Verbrecher. Es ist nur nothwendig, daß öffentlicher Skandal vermieden werde. Wenn ich einen Co- legen fehe, der in großer Vertraulichkeit mit feiner Haushäl- terin lebt, ohne die Dehors zu verletzen, fo denke ich, er ist ein schwacher Mensch und fegne ihn. Wer wollte diese Menschen 71 - verdammen? Das Gelübde der Keuschheit ist als ein ma- .“ turwidriges ungültig, die Erfüllung desselben ist Verbre- chen, langsamer Selbstmord.“ Noch lange eiferte der würdige Mann gegen das Cölibat und schlief endlich ein. - V. i e r t e r T a g. (Tagebuch. Abschied vom Pfarrer. Ein Kuß, um den mich Niemand beneiden wird. Der schwedische Major. Die " falsche Gräfin Wrisberg. Knechtschaft in Böhmen. Ber- nadotte. Der Kronprinz. Kollin. Die schöne Jüdin.) Die Nacht war kurz, der Morgen brach bald heran und mit ihm meine Trennungsstunde. Centnerlast lag auf meiner Brust, ich athmete tief und fähwer bei dem Gedanken Trennung, Trennung von Vielen, was mir lieb geworden war in den Mauern der alten Praga. - Warum muß ich auch lieben, warm und innig - lieben, um tausend Mal wieder zu verlieren, was ich liebe. Trübes finnend setzte ich mich auf im Bette und seufzte. Ein stärkeres Echo vom Bette des Pfarrers her überzeugte mich, daß der arme Mann nicht schlief. Milzstechen, vielleicht aufgeregt durch unser lebhaftes Gardinengespräch, plagte ihn und reihete eine neue schlaf *=72 Tsofe Macht zu den hunderten, die er schon <Sobald er bemerkte, daß ich Anstalten macht = Eleiden, verlies auch er ächzend das Sch -- zz O bedeutete mir, daß er nur deshalb so lan s=E> Lieben war, um mich nicht im Schlaf ScH» machte ihm Vorwürfe hierüber und sagt -- Ich bin nicht so krank wie Sie, bin - fe- Sie und nicht so ehrwürdig. Warum - f<H> - da ich mich selbst nicht schone, warum atz meines Lebens willen. Es ist nicht f ca LS eine Stunde des Ihrigen. Könnte ich Se-Taundheit und Freude kaufen, ich gäbe --> voürde mir selbst dabei wohl thun.“ Lächelnd ergriff er meine Hand: -- , Sprechen Sie nicht so, sagte - - - - >as Leben ist ein hohes Gut, und das <S Ee- reicht denken hinzuwerfen für einen Bei ------- Sen kann. Tausend Träne, noch, armes tut». Du bist wieder frisch und froh, zur Seit - wie die vom Sturm Ein Sonnenschein. - T-Ste er gerührt hinzu „Ach Gott E>>ffe und fürchte „ S>Tann, leben Sie gebeugte Blume Der Segen des He - und wandte sich ab das Hoffen ist mit chts mehr – ich im Wie 9'cklich, glücklicher als " Segen hos, „. feine Hän --- -- 75 mir die Haare von der Stirne, fah mir in's thränend Auge und küßte mich. - „Lebe wohl, guter Junge, ich werde meiner alten Marthe erzählen von Dir.“ - „Reichen Kindersegen! Herr Pfarrer“ lachte ich, drückte ihm warm die Hand, und stürmte hinaus. An der Thüre empfing mich der alte ehrliche Martin, der, so oft ich nach Prag kam, es fich nicht nehmen ließ, meine kleinen Aufträge zu verrichten. Er stellte mir einen neuen Reisegefährten vor und nahm Abschied von mir. Weinend küßte er mir die Hände und fiel mir im Uebermaaß fei- ner Empfindung um den Hals. „Glück und Segen, junger Herr! – Herr Professor, wollte ich fagen,““ fetzte er seine fit zehn Jahren gewohnte Anrede ehrerbietig verbeffernd hinzu. „Glück und Segen über Euch alle, um deine Mauern, alte Praga!“ schluchzte ich, und fuhr ab. Was tobt du in mir, wildes Blut, und jagt mir wieder schwarze Melancholie in das Gehirn? Es geht: ja Alles vorüber, Alles, Alles hin, hin! Ruhig, ruhig, krankes Herz. Meine Reisegefährten blieben lange stumm und UN- bemerkt vor mir. Der eine war ein schwedischer Oberst, der andere – täuschen mich meine Augen nicht, nein, es ist nicht möglich, und doch – ein verkleide tes 74 Frauenzimmer. Eine üppige runde Gestalt, ein weiches weibisches Gesicht, an dem keine Spur von Bart zu entdecken war, endlich ein scheinbar hochwallender Busen versteckt hinter einem faltigen Staubhemde, be- färkte mich in meiner Vermuthung. Sie rauchte Tabak! Weiber, Weiber, was thut ihr alles, um euch zu verstellen! Was konnte sie zu einer solchen Mummerei bewogen haben? War sie die Frau oder Ge- liebte des schon betagten Offiziers, der sie vielleicht, in- dem er ihr folchen unnatürlichen Zwang auferlegte, vor Angriffen auf ihre Treue, und fein Haupt vor einer Hörnerkrone bewahren wollte? Ich fing ein unzüchtiges Gespräch an. Beschämt schlug fiel die Augen nieder, wurde roth, gab mir aber lachend derben Bescheid – in einer rauhen weithallen den Baßft imme! Noch wurde ich nicht enttäuscht, auch dieß konnte Ver- stellung ein und lange anhaltende Uebung, vielleicht auch andere Behelfe ihrer Stimme, diesen barbarischen Ton gegeben haben. So viel war aber gewiß, daß eine weit wichtigere Ursache, als die Eifersucht eines mißtrauischen Genmahls, fie zu dieser schwierigen Kunst veranlaßt haben mußte. Die berüchtigte von Steckbriefen verfolgte Gräfin von Wrisberg fiel mir ein. Sie war es! Ich fing von braunschweigischen Angelegenheiten an zu sprechen – fie gerieth in augenscheinliche Verlegenheit, ihre Stimme zitterte, stockte – alle Zweifel waren beseitigt. Diese Entdeckung brachte mich in nicht geringe Verlegenheit. - - - 75 Sie konnte errathen, entdeckt und ich als ihr Reisegesel- fchafter leicht verdächtig werden. Zudem lag alles daran, meinen eignen wahren Stand und Namen geheim zu halten. Mein Entschluß war gefaßt, mich auf der näch- ften Poststation von fo gefährlicher Gesellschaft zu trennen. Uebrigens gelobte ich mir, meine Entdeckung für mich zu behalten, denn was kümmern mich die Angelegenheiten der Fürsten! Entweder war fie eine Verbrecherin gegen das Volk und die Sache der Menschheit, oder gegen die gef eb mäßige Regierung. In beiden Fällen war fie mir gleichgültig, denn mein Interesse am Allgemeinen war mit der kühnen Begeisterung für das Recht gestorben, meine politische Farbe verschwunden in der allgemeinen Farblosigkeit meines Wesens. Sie erregte nur als ein neuerdings mir vorkommendes Exemplar jener wahn- finnigen Weiber, die über die von der Natur ihnen an- gewiesene Sphäre frevelnd hinausstreben, ein geringes Intereffe, und dieß gebar Haß und Verachtung. Glück- licherweise löste sich der Irrthum und ich wurde durch einen mühsam mit der Lorgnette entdeckten hellblonden Bart von der wirklichen Mannheit meines Herma- phroditen überzeugt. Meine Vermuthungen und Be- merkungen verschwanden als flüchtige Gespenster einer geistertehenden Hypochondrie. Die Mittheilung meines lächerlichen Verdachtes gab uns bald Stoff und Veran- laffung zu einer heiteren, unser Mittagsmahl würzenden Conversation und gegenseitiger Annäherung, 76 Dem schwedischen Major, der bisher stumm geblieben war, wurde dadurch die Zunge gelöst. Er befragte mich sogleich mit einer Haft, als hätte er schon längst Ge- legenheit gewünscht, eine Bemerkung anzubringen, wie ich es mir hätte gefallen laffen können, daß der alte Martin meine Hand mit Küffen bedeckte. Er könne, setzte er hinzu, ein Volk, welches so knechtische Sitten habe, nicht anders als geringschätzen, und es mißfiele ihm selbst bei den höhern Ständen, daß fiel solche begünstige und dulde, befremde ihn aber aufs äußerste, bei einem Manne, defen unbefangener und aufgeklärter Sinn fich ihm fo unverkennbar kund gegeben. - - Ich antwortete ihm hierauf mit dem Sprüchwort: „ländlich, fittlich! Ein Kuß auf die Hand ist nichts ge- ringeres, als ein Kuß auf den Mund oder die Schulter, eine gleichbedeutungslose Ceremonie, wie ein Händedruck und andere Formen gegenseitiger Begrüßungen. In Eng- land ist es unanständig, wenn sich Männer küfen. Würde es wohl deshalb jemanden vom festen Lande ein- fallen, die fich fo Begrüßenden für Sodomiten zu halten, wie dieß in England bei solchen Fällen geschieht? Sie begehen einen nicht geringeren Irrthum, wenn sie den Handkuß der Herzlichkeit eines alten treuen Dieners für ein Wahrzeichen knechticher niedriger Gesinnung halten, als wenn sie die Umarmung zweier Freunde - einem ekel- haften viehischen Triebe zuschrieben.“ ,,Dennoch will es mich bedünken,““ erwiderte - - - - - - - - - - 77 der Major, „, „daß ich dieß Mal keine Trugbeobachtung gemacht habe, da noch viele andere Dinge als Wahrzei- chen des Knechtssinns der Böhmen auffallend hervor- treten. Können Sie mich aber eines Befferen belehren und mir beweisen, daß das Volk sich hier nicht in einer äußerst bedrückten Stimmung befinde, können Sie mir durch Darstellung der hier waltenden Verhältniffe unumstößlich darthun, daß die knechtischen Sitten hier " zu Lande nicht zugleich mit einer knechtischen Gefin- nung verbunden find, fo werden Sie sich ein Verdienst um die Ehre Ihres Vaterlandes erwerben, wenn Sie ein Vorurtheil in mir vernichten, das schon tief in mir ge- wurzelt hat.“ „Ehe ich Ihnen hierüber Aufklärung gebe, muß ich feierlicht dagegen protestieren, daß Sie Böhmen mein Vaterland nennen. Ich erkenne nur jenen kleinen Land- strich, in welchem die Bewohner gleicher Zunge auch gleiche Abstammung haben, in deren Mitte ich geboren und erzogen worden, und von dessen Erzeugniffen mein thierischer Bestandtheil sich groß gefeffen hat, ich erkenne nur dieses kleine Land, fage ich, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß es den eitlen Fürsten der Welt öfters beigekommen ist, Länder und Völker zu verheirathen, zu verkaufen und testamentarisch, gleich todten Effecten, zu vermachen, als mein einziges liebes Vaterland an, oder wenn Sie dieß kleinlich finden, so nenne ich die Welt mein Vaterland. Was aber den Knechtsinn der Böhmen 73 betrifft, und viele andere unlöbliche Eigenschaften dieses flavischen Volks, so bin ich weit entfernt, obwohl ich Volk und Land liebe und meine goldne Zeit hier verlebt habe, ihnen denselben streitig zu machen. An und für sich ist ein knechtischer Sinn, Tücke und Verschloffenheit allen slavischen Völkern charakteristisch, aber bei den Böhmen gewiß nicht mehr so stark hervortretend, als bei ihren übrigen Stammgenoffen, die ihre Nationalität verloren haben. Für unterjochtes Land, als welches wir Böhmen betrachten müffen, ob gleich es durch ein sehr friedfertiges Manövre, die Verheirathung Ferdinand I, an das Haus Oesterreich gelangt ist, hat es noch immer genug Stolz aufbewahrt aus der Zeit seiner ehemaligen Selbstständigkeit. Schon zu Zeiten der Reformation haben die österreichischen Fürsten den Böhmen, welche große Anhänger der neuen geläuterten Religionslehre waren, durch eindringende Mittel, durch Wort und That so eifrig Gehorsam gepredigt, daß sie wohl endlich nach langem und vielfältigem Widerstand, und nachdem sie sich oft hierin höchst ungelehrig gebehrdet hatten, Fortschritte machen mußten in der Kunst des Gehorchens.“ „Es gab nicht immer Maximiliane II., die ihnen frei zu athmen gestatteten und es duldeten, daß sie ihre einheimischen Sitten, Sprache und Denkart, Heimaths- liebe und Religionsmeinungen, bei jeder Gelegenheit frei und ungehindert bethätigten, ohne daß man sie für Ver- schwörer, Rebellen und Ketzer hielt. Auch wirkten nicht - 79 alle Nachfolger Maximilians II, durch Verbesserung der Gesetze, Befreiung des Geistes und Beförderung der Kultur für das Wohl des Landes fo entschieden, daß "eine fo milde Duldsamkeit bei dem harten und störrischen Sinn der an eine eiserne Herrschaft gewöhnten Czechen gedeihlich und gefahrlos gewesen wäre.“ „Die Souveraine trachteten daher nicht mit Unrecht fie zu belehren, daß es am klügsten sei, wenn der Ohn- mächtige, Entwaffnete, sich einem höheren Willen blind- lings unterwirft und in christlicher Demuth auf die Selbstständigkeit eines Ichs verzichtet. Da diese Lehre ihnen in jedem Zeitraum der Geschichte so oft wieder holt und eingebläut worden ist, so kann es uns nicht wundern, daß sie darin bedeutende Fortschritte gemacht haben und nun endlich kriechen wie die Hunde. Kaiser Joseph II, der humanste Regent über Oesterreich seit Karl dem Großen bis auf feine Zeit, dachte seinerseits eben fo wenig daran als feine Vorfahren, die so herrlich blühen- den Principe des Gehorchens in Abnahme zu bringen, obwohl er durch Erhebung des Bürgerstandes, der Be- förderung des Landbaues und der Industrie für das innere Wohl des Landes thätigt besorgt war *). Das *) Durch die Josephinischen Anstalten wurde die Bevölkerung in Böhmen in 10 Jahren um eine halbe Million ver- mehrt. Unter derselben Regierung erhielt Böhmen 78 neue Landschulen 198, neue Landlehrer und einen Zuwachs von - - 16000 Knaben und Mädchen als Schuljugend. Die Ar- B0 find kürzlich, vielleicht einseitig die historischen Motive und Ursachen jener gedrückten Stimmung, die Sie allenthalben in Böhmen finden werden.“ Der Gegenstand des Gesprächs dehnte sich nun über alle Völker Europa"s aus und der schwedische Major er- mangelte seinerseits nicht, als grellen Kontrast das stolze Selbstgefühl, die Freimüthigkeit und eine Unzahl von andern glänzenden Eigenschaften seiner lieben Landsleute gehörig ans Licht zu stellen, erhob aber dagegen eine klägliche Jeremiade über die äußere Armseligkeit feines Vaterlandes. Mit der Wärme eines eifrigen Patrioten schilderte er mir die patriarchalische Eintracht der schwe- beitsschulen wurden vermehrt, der Landmann erhoben, die Aufklärung befördert, der Gewerbsfleiß unterstützt. Prag allein gewann 10 Arbeitsschulen, das Königreich gegen 100, wo Spinnen, Stricken, und Klöppeln die armen Kinder beschäftigte und belohnte. Zu den großen Fabriksanla- gen für Leinwand, Tuch und Baumwollenzeug, Glas- waaren und Eisenstoffe, kam der Seidenbau durch Amond, das Färben durch Profyl und durch den hoch- verdienten Probst Ferdinand Kindermann von Schulstein die Baumpflanzung und die Bienenzucht. Wohlstand und Thätigkeit wurde über das ganze Land verbreitet. Die Leibeigenschaft wurde aufgehoben, und Joseph erklärte: „da wir in Erwägung gezogen haben, daß die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Ein- führung einer gemäßigten, nach dem Beispiele unferer österreichischen Erblande eingerichte- ten Unterthänigkeit auf die Verbesserung der Landeskultur und Industrie den nützlich- ften Einfluß habe, auch das Vernunft und Men- - - - - - - - - - - Z dischen Völkerfamilie, die genügsam und zufrieden in einem rauhen, von der Natur äußerst stiefmütterlich be- handelten Lande ihr trauliches und prunkloses Stillleben hinbringt, unbemerkt und unbeneidet vom übrigen Europa. „Ich begreife das,“ fagte ich lächelnd, „und finde es natürlich, daß der Mensch unter einem kalten Him- melstriche, in einer reiz- und schmucklosen Natur, sich feinem Mitbruder nähert, um dessen thierische Wärme zu genießen. Mir geht es oft so an kalten Wintertagen; man lebt dann fo ganz in und mit feinen Nächsten, schüttet, wie man zu fagen pflegt, fein Herz aus, er- zählt, bedauert und belacht Schicksale und Abenteuer, fchenliebe für diese Aenderung das Wort fpree chen, so haben wir uns veranlaßt gefunden, von nun an die Leibeigenfchaft auch in den flavischen Ländern gänzlich aufzuheben und statt der felben eine gemäßigte Unterthänig- keit einzuführen,“ und doch waren die Böhmen, ja vielleicht eben deshalb, weil er die na tonal- herkömm- liche Leibeigenschaft aufhob und gar zu menschen- freundliche Gefinnungen aussprach und bethätigte, mit Josephs Regierungsmaximen unzufrieden. Was wollt ihr Böhmen denn mit eurer nutz - und fruchtlosen Natio- nalität mitten im Herzen Deutschlands und im immer- währenden Verkehr mit Deutschen, in einer Zeit, wo die Ausdrücke: Slave und Sclave, gleichbedeutend ge- worden find? Wahrlich, eure barbarische Sprache ist nicht zu theuer verkauft für Wohlstand und Volksbildung, und - dafür, daß ihr mit Deutschland gleichen Schritt halten." könnt! - s 6 - Z92 und wiegt sich mit Mährchen in einen familiären Schlaf. Aber der erste Sonnenschein ruft den Südländer ab aus dem traulichen Kreise und entfernt ihn wieder von den Menschen. Mir felbst war oft fo fonderbar und men- schenfeindlich zu Muthe, wenn ich auf einer hohen Alpe stand, in der Natur las – und ihre Länder und Meere, Wolken und Sterne umfaffenden Schriftzügen – als wäre das ganze Menschenvolk ein heilloses Lumpengefinde.“ Der schwedische Major ließ sich durchaus auf kein anderes Kapitel als den Zustand und das Schicksal feines Vaterlandes ein, und kaum war diese Saite in feinem Ideenleben berührt, so faßte er diesen für jeden echten Patrioten wichtigsten Gegenstand mit einer Gluth auf, die ich jedem Deutschen zur Ehre seines Vaterlandes wünschte. Genau bekannt mit den politischen Verhält- niffen der neuen Welt und allem Anscheine nach in feinem Vaterlande nicht ohne Einfluß und politischer Wirksamkeit, entwarf er nun in kühnen Zügen ein um- faffendes Gemälde des fchwedischen Staates und feiner äußeren und inneren Verhältniffe. Ich kann nur einen flüchtigen Schatten wieder geben, und zeichne nur jene Lineamente getreu nach, welche auf die neueste Gestalt der Dinge und den jetzt herrschenden Volksgeist in Schwe- den Bezug haben: „Seit dem Sturze unseres alten Herrschergeschlechts, durch den Kampf der Parteien und die Uneinigkeit der Königsfamilie, haben wir vielfältig Ursache gehabt, mit - - - - - - - - 83 der neuen Regierung unzufrieden zu sein und die un- felige Parteiwuth zu verwünschen, die uns in allen Zeiten zu großen Torheiten verleitet und viel Unglück über das Land gebracht hat. Sie fagen, Bernadotte habe die Ci- vilisation Schwedens erhoben, Kultur im Lande verbreitet und das Leben veredelt. Sie sagen ferner, und Europa glaubt es mit Ihnen, die Finanzen hätten sich unter der neuen Regierung arrangiert, die Bevölkerung vermehrt, der Handel eine neue Ausdehnung gewonnen – kurz Schweden erfreue sich unter Karl XIV. einer Wiederge- burt, die von der Nation dankar anerkannt, und einzig und allein der Weisheit des jetzigen Regenten zugeschrie- ben werde. Wir Schweden, und unsere Brüder, die Nor- weger, denken – die Anhänger einer fehr niedergedrückten Partei, deren einzelne Mitglieder meistens in des Königs Solde stehen – hierüber anders, und können wir einer Seits nicht läugnen, daß unser Vaterland in der neuesten Zeit einigen Aufschwung erhalten habe, fo werden wir darum nie zugeben, dieß für ein Werk des Königs an zuerkennen und ihm dafür eine Lobrede zu halten, die eher dem selbstständigen Wirken der Nation, als einem mit ihren Intereffen so oft in feindlicher Opposition stehen- den Regenten gebührt. Wir stellen dadurch nicht in Abrede, daß Bernadotte einigen Antheil an dem Vor- wärtschreiten unseres Staates habe und perfönlich viele lobenswerthe Eigenschaften, die auch einen Regenten zieren, besitze, allein wir haben es leider spät genug erfah- - 6 * - 84 ren, das ein guter General und trefflicher Mensch nicht immer zugleich ein guter Regent ist. Er hat die wahren Bedürfniffe der Nation nie erkannt, und durch unpaffende Neuerungen im Geiste feines Vaterlandes mehr Unheil gestiftet, als genützt. Wenn Sie es Veredlung des Lebens nennen, daß er französische Unfitte auf unseren Boden verpflanzte, das Volk mit einem überflüffigen, in unserem Lande lächerlichen Luxus bekannt gemacht hat, fo haben Sie allerdings recht, allein ich bitte Sie zu erwägen, ob die Nachtheile, die hierdurch entstanden, mit den geringen und überdieß sehr problematischen Vortheilen in einem richtigen Verhältniß stehen, ob eine an einfache und schlichte Lebensweise gewöhnte Nation nicht durch eine so plötzliche Vermehrung feiner Bedürfniffe – fystema- tisch demoralisiert wird – und ob es endlich dem Wohlstande ersprießlich fein kann, daß unsere foliden Handelsartikel Eifen und Holz, der einzige Reichthum des Landes, für Quincaillerie, moderne Luxuswaaren und albernes werthloses Spielzeug verschleudert werden. Wenn Schweden bei alle dem nicht mehr gelitten hat durch feinen Regenten, so lag es lediglich daran, daß ihm immer die Hände gebunden waren von feinem Volke und vielen Patrioten, welche Schweden besser kannten als ein Fremdling, und mit offener Stirne sich gegen unver- ständige Verfügungen auflehnten. Noch ist das Wort und die Kraft der Nation frei, obgleich bei dem Könige die Absicht nicht zu verkennen ist, diese nach und nach “ . 35 zu unterdrücken. Das Verhältniß zwischen dem Volke und dem Fürsten ist keineswegs mehr so herzlich wie vordem, und die Liebe desselben hat in dem Grade abge- nommen, in welchem der Regent sich demselben ent- fremdet hat. Sein Betragen hat nur zu oft den An- fchein zunehmender Kälte gegen das Wohl des Landes und forgfältiger Bedachtnahme auf seinen eigenen Vor- theil. Seine sehr einträglichen Geldspekulationen, fein lukrativer Branntweinhandel, welcher nicht wenig beiträgt zur Demoralisierung des Volkes *), und die ungemein große Gleichgültigkeit, mit der er es duldet, daß man feine verwahrlosten Güter wegen wiederholter Verab- fäumung der Steuerentrichtung auspfändet, bezeichnet die allgemeine Stimme mit harten Ausdrücken des Unwillens, und veranlaßt vielleicht einen großen Theil der Nation, ihm feine Achtung zu entziehen. Die er- wachte Unzufriedenheit greift immer mehr um sich, und man scheut sich nicht, öffentlich die Aufzählung einer Thaten, wodurch er sich den ewigen Dank Skandinaviens erworben zu haben glaubt, als eine leere Ruhmredigkeit *) Der König hat nämlich alle seine Güter verpachtet und läßt sich den Pachtzins in Branntwein entrichten. Die Spekulation ist gut berechnet, denn der Branntwein ist ein guter Handelsartikel in Schweden und fein reißender Absatz um so einträglicher, als der König damit einen ge- waltsamen Alleinhandel treibt. - - 86 zu bezeichnen und bestreiten“). Zur Erbitterung wird das wachsende Mißvergnügen endlich gesteigert durch die innige Freundschaft des Regenten mit Rußland, dessen Einfluß sich immer mehr offenbart und Schweden in eine demüthige Stellung versetzt, welche den Stolz der - *) Auf dem Reichstage 1830 ließ der König unter anderen folgende ruhmredige Phrafen vernehmen: „Meine Administration hat die skandinavische Halbinsel dem Leiden der bürgerlichen Zwietracht und deren verderb- lichen Folgen entzogen. Ich habe die Lockungen des Ehr- geizes und der Waffengewalt bemeistert. Ich habe beide zu Bundesgenoffen der Majestät des Gesetzes gemacht. Ich bin mehr Vermittler als Monarch (aber gewiß nicht durch seine Schuld), mehr Richter als Souverain gewesen. Ich habe die legislativen Prärogative wieder aufzurichten ge- strebt, ohne den moralischen Hebel des Königthums aus den Augen zu verlieren (Heart, heart! Wie reimt sich das mit dem Geiste einer neuesten Versuche?) Mit einem Worte, ich habe der Einigkeit und der Wohlfahrt beider Königreiche Alles geopfert. – Ich habe mich bemüht, den aufkeimenden Generationen die Eigenschaften zu verleihen, ohne welche der Bürger eine Energie einbüßt. Diese Eigen- fchaften find Wahrheit und Gerechtigkeit. Damit versehen, wird Skandinavien feine Unabhängigkeit bewahren. Aus der gesetzlichen Autorität, mit welcher die Regierenden be- kleidet find, entspringt das Heil der Völker und der Ruhm ihres Namens. Nachdem ich ihre politischen Rechte ficher gestellt, waren alle meine Bestrebungen auf die Aufrecht- haltung des Grundgesetzes gerichtet. Ich habe daffelbe unverletzt bewahrt. Friede und Ruhe waren das Ziel mei- ner Sorgfalt. Zur Befestigung dieser hohen Güter habe ich den Thron in die Mitte der Nation gestellt und den- selben Ihrer Obhut vertraut. Beschützt unter der Eintracht Aegide, können wir hinfür unser Gesetzbuch vervollkommen.“ 87 Nation beleidigt. Diese Meinung hat sich bei allen Ge- legenheiten fehr energisch geoffenbaret. Der König, aber überhörte oder ignorirte alle die lauten Wahrzeichen des schwedischen Nationalhaffes gegen Rußland. Solche Ge- legenheiten waren die Taufe des jüngsten Prinzen, der dem russischen Kaiser zu Ehren den Namen Nikolaus erhielt, und die Reise des Kronprinzen Oskar zu Ni- kolaus, um demselben Glück zu wünschen zu der glor- reichen Beendigung des Krieges. Bei der ersten Vers anlassung wagten es die Studenten, in einer Straße von Stockholm eine Puppe mit dem Namen „Nikolai“ aufzuhängen. Seitdem nannte man nun den Prinzen August. Bei der zweiten Anregung des Volksunwillens entstand ein lautes Murren, denn man hatte es schon ungern gesehen, daß ein Gesandter in der Absicht nach Petersburg geschickt wurde, und äußerte nun die unvers - holenste Mißbilligung, als der Prinz, vom Petersbur- ger Hofe eingeladen, doch felbst zu kommen, Anstalten machte zur Reise, und sie wirklich antrat. Die Verbrüderung der russischen und schwedischen Politik war dadurch außer allen Zweifel gesetzt, und durch die uns freundliche Aufnahme des Schreibens von Ludwig Phi- lipp nach feiner Thronbesteigung bethätigt. Erst nachdem Rußland sich über die neuen Verhältniffe in Frankreich definitiv erklärt hatte, ließ auch Schweden die dreifarbige Flagge in die Häfen anlaufen. Seitdem handelt Kart Johann fortwährend unter der Vormundschaft des rußig TEGIE Tchen Kabinets, und wird deshalb von den Schweden nicht mit Unrecht „ein ruffifcher Statthalter über Skandinavien genannt, Er befreundet sich täglich mehr mit den Regierungsmaximen des Ostens und sucht diese, wiewohl vergeblich, vielleicht aus Dankbar- keit gegen Rußland, welches ihm Norwegens Krone ver- fchafft hatte, in Ausübung zu bringen. Die Stimme des Volks in Schweden, auf dem Reichstage und auf Norwegens Storthing laut geworden, noch deutlicher in den Journalen und Flugschriften des Obristlieutenants Hjerta und anderwärts ausgesprochen, änderte nichts in feinen Gesinnungen und veranlaßte ihn nur zur Verfol- gung der kühnen Schriftsteller, die aber vom Gesetz in Schutz genommen wurden gegen die Anmaßungen des Königs. Gleicher Mißton herrscht im Norwegen, wo er durch den bloßen Versuch, den Erbadel einzuführen, die Ge- müther gewaltig verstimmt hatte. Norwegen hatte von jeher eine Abneigung gegen das Nachbarland Schweden gehegt, und sich jederzeit empfindlich gesträubt, sich unter fein Uebergewicht zu beugen. Jetzt aber richtete sich diese Antipathie hauptsächlich gegen das Haupt der Regierung, welche es fogar gewagt hatte, feine alte ehrenvete Konti- "tion, die feinen Bürgern die vollkommenste gesetzliche Freiheit fichert, anzutasten, indem sie dem Storthing schläge Zur Abänderung einiger Paragraphen machte. Natürlich wurden solche Zumuthungen mit großer Stim- 39 menmehrheit verworfen, und der König hatte nichts er- reicht, als die Befestigung der alten Feindseligkeit und des Mißtrauens in die guten Absichten der Regierung. Die fes erstreckt sich auch auf Oskar, den Thronfolger, und die beiden Königreiche hegen keine glänzenden Hoffnungen für die bessere Gestaltung der Zukunft. Schon die Art der Erziehung des Kronprinzen und feine französischen Sitten finden wenig Beifall bei uns an alten Vorur- theilen klebenden Nordländern, und wir können uns nicht überzeugen, daß seine Virtuosität auf dem Flügel und feine Fertigkeit im Lithographiren ihn hinreichend befähigt zur einstigen Handhabung der Staatsgewalt. Wir fürchten nur zu sehr, daß auch unter feiner Regierung die Aeußerung eines berühmten Diplomaten noch nicht zur Lüge und ferner unanwendbar werden wird: „Schweden muß nothwendig das reichste „Land in Europa fein, da es fchon „fo lange an feinem Ruin arbeitet und „noch nicht damit zu Stande gekom- - „men ist.“ Die royalistische Partei in Schweden, wenn man anders die vom Könige besoldeten Spione und feine er- kauften Lobredner fo nennen will, geben sich zwar alle Mühe, die Verfügungen und verhaßten Maximen der Re- gierung zu vertheidigen und dem Volke einzuprägen, daß der König nur das Wohl seiner Unterthanen mit der größten Un- eigenützigkeit, ja sogar mit Aufopferung, zu befördern strebe. - - 90 Man kann am Ende die kaufmännische Spekulation und die wenig verhehlte Schmuggelei des königlichen Kauf- manns mit ausländischen Waaren und Fabri- caten für eine Unterstützung der inländischen Industrie erklären, und der Haft, mit der er seine Geldmittel in ausländische Banken unterzubringen sucht, die edel- ften Motive unterlegen. Das letzte Manövre beweißt nur zu deutlich, daß Karl Johann felbst nicht an die unerschütterliche Festigkeit eines Thrones glaubt, und sich für alle Fälle zu fichern sucht. Seine Besorgniffe find nicht ohne Grund. Denn wenn auch die Schweden zu gutmüthig und phlegmatisch find, gewaltsame Mittel zur Aenderung ihrer Lage zu ergreifen, ohne vorher aufs Aeußerste gebracht zu sein, so haben doch wiederholte An- zeigen vorhandener Conspirationen darauf hingewiesen, daß die Geduld des Volkes nicht unerschöpflich sei und die Vermuthung des Regenten nicht grundlos.“ - „Sie sehen hieraus, daß wir Schweden eher Grundha- ben, uns in die Zeit der alten Anglinger“) zurück- zuwünschen, als über die unfrige in Enthusiasmus zu gerathen.“ - Der patriotische Schwede hatte sich heiser demonstrirt bei Durchführung feiner Behauptung, und war fo erschöpft, daß er kurz nach seinen letzten Worten ermattet einschlief. *) Die Ynglinger, welche sich für Abkömmlinge Odins hiel- ten, regierten um das Jahr 1068. ". 91 Schlummernd schon grollte er „suffischer Statt- halter – Branntweinhändler – Franzofe – guter General – fchlechter König.“ Kurz vor Kollin wachte er noch ein Mal auf und er- zählte bei gelegentlicher Erinnerung mit munterer Laune eine Anekdote aus dem Kriegsleben. Ein preußischer Vor- posten habe nämlich einem schwedischen gegenüber gestan- den. Beide machten betrübte Gesichter und fahen sich schweigend, finnend an. „Guter Freund Schwede, fagte endlich der Preuße, hast du keenen Schnapps niche?“ - „Ne, aber ich möchte wohl einen.“ „Na so hole man eenen!“ „Ja ich darf doch nicht meinen Posten.“ „Weeßt de was? ich will für dich stehen.“ „Na dann ist's gut – ich hole Schnapps.“ Als der gute Schwede wieder zurück kam, begeg- nete ihm ein Unteroffizier, der ihn barsch fragte: „warum er seinen Posten verlaffen habe.“ - „Damit hat’s gute Wege,“ sagte der Schwede, „der Prüße hat für mich gestanden.“ Mittlerweile holperte der Wagen über das greuliche - Straßenpflaster der schmutzigen Judenstadt Kollin. Die Aufmerksamkeit des Schweden war bald von einer schö- nen Jüdin gefeffelt, auf die er auch sogleich Jagd machte. „Für einen Ducaten läßt fie. Ihnen ihr Gemahl auf 99 eine Nacht,“ sagte unser Kutscher, aber der karge Schwede fähien nicht Lust zu haben, Genüffe mit Gold zu bezahlen. Als der Schwede müde war, die Spröde mit Complimen- ten zu belagern, trat ich an das Parterrefenster, aus welchem sie sich mit halbem Leibe herausbog. In der That es war eine echt griechische Schönheit. Die Reize der orientalischen Raffe waren an ihr verschwendet, regel- mäßige Gesichtszüge, blendend zarte Haut, schwarzes üppiges Haar, feurig große Augen, und ein mäßiger, zitternder Busen. Ich grüßte sie höflich mit einer Artig- keit und machte ihr eine scherzhafte Liebeserklärung. Reisende Liebe? fragte sie lächelnd. „Ja, Madame – ich wünschte aber, Sie reisten mit ihr.“ - Wenn mein Mannes zufrieden wäre, warum nicht.“ Dabei zeigte sie auf einen rothhaarigen häßlichen Kerl. „Bist du's zufrieden, Jude?“ fagte ich. „Warum nicht, erwiederte er grinsend, wollen fe mer fe abkafen?“ „Solche Schätze sind nicht zu bezahlen, endigte ich, indem ich, die Schöne freundlich grüßend, ging. Lächelnd dankte sie und ich dehnte mich zwei Stunden später im Bette. - - F ü n ft e r T. a. g. (Böhmische Küche. Dieberei. Die Böhminnen. Die Ver- faffungen. Iglau. Aus dem militärischen Leben. Ein Engländer. England und Nordteuschland. Matrosenpreffe. Weiberverkauf. Norwegens beste Konstitution.) Des Morgens um 4 Uhr trat der Kutscher in un- fere Stube, um seine Passagiere zu wecken. Grämlich bequemte ich mich zum Wachen. Beim Frühstück mußte ich eine lange Tirade des schwedischen Majors anhören über die Unreinlichkeit meiner „Landsleute“ der Böhmen. Ich protestierte gegen die Landsmannschaft in dem Augen- blicke um so heftiger, als ich eben beim Bezahlen der Zeche bemerkt, daß 4 Goldstücke – Friedrichsdor – daraus verschwunden waren. Als ich den Vorfall bekannt macht, versicherte mir der Gastwirth, „er sei ein ehrlicher Mann,“ der Hausknecht betheuerte, „er fei ein ehrlicher Mann,“ und das Stubenmädchen schrie schwörend und fluchend, „sie sei ein ehrliches Mädchen, und Gott soll sie auf der Stelle trafen, wenn sie gestohlen hätte,“ obgleich mir der Hausknecht kurz zuvor manche verdächtige Dinge ins Ohr gemunkelt hatte, unter andern, daß die Donna in der Nacht einen meiner Gefährten besucht habe. Wie mir bei so vieler Ehrlichkeit dennoch 4 Friedrichsdorge- fohlen werden konnten, war mir unbegreiflich. Der Diebsinn der Böhmen ist eine große psychologische Merk- würdigkeit, und gewiß, Gall hätte ihn nicht besser fudi- 94 ren können, als an böhmischen Schädeln. So lange ich lebe, find viele diebische Industrieritter mit meinem Eigen- thum in Berührung gekommen, aber zwei Dritttheile wa- ren Böhmen oder Slowaken, und in dieser Anzahl wie- der zwei Dritttheile Weiber. Sie find gewandter und listiger im Stehlen, als die Männer, geduldiger und vor- sichtiger. Kein Hinderniß, keine Gefahr fchreckt sie ab, denn in Fällen der Noth verschwören sie ihre Seligkeit, um fich von allem Verdacht zu befreien. In den böhm- fchen Zuchthäusern befindet sich immer eine große Anzahl Weiber. Ueberhaupt lieben fiel alle Arten unehrlicher In- dustrie, so z. B. hat man in Wien bemerkt, daß ein großer Theil der dortigen gemeinen Gaffenphrynen, der sogenannten Linergrabenschnepfen, aus Böhmen eingewan- dert fei. - - Wir berührten bei dieser Gelegenheit alle unrühmli- chen Eigenschaften der Böhmen, worunter ihre Unrein- lichkeit oben an steht. Man kann felten in Böhmen eine Suppe effen, ohne Haare darin zu finden, kein Glas Milch trinken, ohne darin die Spuren der ekelhaften, schmutzigen Hände, welche sie gemolken, zu finden. Den- noch find sie als vortreffliche Köchinnen weit und breit berühmt, und verdienen diese Anerkennung. An körper- lichen Reizen besitzen sie nicht viel Einladendes. Grobe, plumpe Physignomien, hochrothes Inkarnat, ungeheure unförmliche Brüste, überhaupt übergroße Korpulenz und vor allen Dingen ihre Unreinlichkeit machen sie Jedem, V - - - 95 der nicht eben mit Allem zufrieden ist, ekelhaft. Schöne Ausnahmen giebt es freilich, namentlich unter ganz jun- gen Mädchen. Ihre Keuschheit betreffend erzählt man sich nichts Gutes. Die übergroße Zahl der unehelichen Geburten giebt Zeugniß davon. Unser heutiges Mittagsbrot war kein Mahl für Götter, denn wir mußten in einem elenden Dorfe ein- sprechen. Indeffen würzte ein interessantes Gespräch über die Verfaffungen Europa"s die kargen Biffen. Der schwe- dische Major meinte, Norwegen habe die beste Constitu- tion in Europa. Ohne auf ein patriotisches Thema wei- ter einzugehen, fragte ich ihn, wie eine beste Conti- tution organisiert sein müffe, und welche Regierungsform er vorziehe. „Wir finden in der Natur“, sagte er, „allenthalben einen gewissen Trieb, der die mannichfachen Bedürfniffe für verschiedene Zustände, Kreaturen und Gemeinschaften unverkennbar anzeigt, und sich dieselben mit Gewalt er- ringt. So dürstet der Kranke stets nach der ihm nützlich- ften Arznei und sein Verlangen deutet dem Arzt die . nöthigen Hülfsmittel an – ja man hat. Beispiele, daß schwangere Frauen, welche fich übel befanden, fogleich ge- nasen, wenn sie dasjenige erhielten, wonach fiel ein un- widerstehliches Verlangen fühlten. Verzeihen Sie mir, mein Herr, wenn ich die Völker mit schwangeren Frauen -- vergleiche, denn es giebt kaum eine größere Aehnlichkeit in der Natur, als zwischen ihren närrischen Gelüsten - - - - 9G und Launen. Ich glaube, daß diejenige Verfaffung und Regierungsform die beste und angemessenste sein wird, welche dem Verlangen des Volks am meisten entspricht, seine Neigungen und Temperamenter am meisten begün- ftigt. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, finde ich alle bestehenden Regierungsformen gut, und die am be- sten, welche dem Volke am angemeffensten find. So ist der türkische Despotismus gut für die Türken, deren heißes Blut und wilde Leidenschaften, verbunden mit eini gen Vorzügen vor der Maffe, Einzelne unter ihnen zu unumschränkten Herrschern, die träge und fchläfrige Mehrzahl aber zu Sklaven macht.“ - - „Ich bin nicht einverstanden“, erwiderte ich, „mit Ihrer sonderbaren Ansicht, daß den Leidenschaften des Volks schlechterdings immer gefröhnt und bloß der physische Zustand des Menschen berücksichtigt werden müsse. Das ganze Menschengeschlecht muß nothwendigerweise einen ge- meinschaftlichen Zweck haben, und um diesem näher zu kommen, müffen die Regierungen einer gemeinschaftlichen Tendenz folgen – fie heißt Emancipation, Befreiung, Aufklärung. - Wohl haben Sie recht, zu behaupten, die Verfaffungen sollen den Bedürfniffen, den Neigungen und dem Grade der Aufklärung des Volkes angemeffen sein, aber es muß ihnen nicht ausschließli ch gehul- digt und die moralische Tendenz jeder Verfassung auf- recht erhalten werden. Jede Regierung ist daher wohl verpflichtet, manche Vorurteile und Schwächen des Volks - - - - - . - - - - - 97 zu schonen und tolerieren, aber fiel darf sie nicht befördern, sondern muß fiel durch zweckmäßige und vorsichtige Maß- regeln zu entfernen, zu vernichten suchen. Nicht der un- umschränkte Volkswille, nicht die despotische Willkür eines Einzelnen soll das Gesetz fein, sondern die Tugend, die Wahrheit. Jede Verfassung, welche auf diese Prinzipien basiert ist, wird das Volk beglücken, wenn sie anders in ihren Wegen kluge Mäßigung beobachtet. Hieraus ergeben sich die Pflichten der Regenten und die der Volksvertreter. Diejenige Verfaffung wird daher die beste sein, welche beide fo beschränkt, daß fie von ihren Pflichten nicht ab- weichen, das Allgemeine nicht ihren individuellen Intereffen opfern können. Dabei scheint es mir ziemlich gleichgültig, ob sich die Autorität des Staates in einer Person oder in der Idee konzentriere, ob die Regierungsform republi- kanisch oder monarchisch genannt werde.“ Wie ein unaufhaltsamer Strom ergos sich die Ant- wort des Majors über mich Armen, denn Politik mit ihren Verzweigungen war ein Steckenpferd, aber nicht das meinige. „Mein Gott, wie kann man sich so ereifern,“ brach ich endlich aus, „bei einem Gegenstande, der in dem - gegenwärtigen Augenblicke tausend Federn beschäftigt, der in jeder Zeitung, für sechs Pfennige das Blatt, abge- kanzelt wird. Fiat- Herr Major, für einen Thaler - - - 7 9Z können wir billig genug Alles, was für und wider unsere Behauptungen sich fagen läßt, weit bequemer lesen, als besprechen. Laffen Sie uns von etwas Anderem sprechen, denn die Politik ist nicht unsere Sache: Wir haben beide das Handwerk nicht gelernt und gebrauchen nur die leidige Vernunft. Ein französischer Ring mit seinem fchlechten Golde rettete mich vor der Fortsetzung des un- feligen Kapitels. - „Bei Gott“ sagte der Schwede, „bei den Franzosen ist doch nichts folid und echt.“ Concedo. Beinahe wären wir auf das verhaßte Thema zurück- gekommen, denn der Preuße, der bisher stumm zuhörte, rief plötzlich aus mit einem Pathos und einem emphati- fchen Tone, als ob er von der Tarantel gestochen wäre: „die beste Konstitution läg in Preußen fix und fertig.“ Der Major öffnete schon den Mund zur Widerlegung, besann sich aber, fah den preußischen Patrioten mitleidig an und schwieg. Dann trällerte er ein schwedisches Lied- chen und der Wagen raffelte über das Pflaster von Iglau. , Ich stieg aus und wandelte mit dem Major Straße auf, Straße ab, um die Stadt zum zwanzigsten Male zu besehen. Ich führte den Major zu ihrer größten, durch Anekdotenzüge welthistorisch gewordenen Merkwürdigkeit, einem alten Stadtthore, über welchem einst ein Igel ab- gebildet war mit der Devise: Subumbra alarum tuarum. * - 99 Die Sache verhält sich so: Ueber jenem Thore war vor Zeiten das Bild des österreichischen Adlers mit der paffen- den Unterschrift abgebildet. Witterung und andere Un- fälle hatten aber die Malerei beschädigt und der hohe Rath der Stadt Iglau befand eine Reparatur unerläß- lich. Gelegentlich veranlaßte sie der spießbürgerliche Pa- triotismus, anstatt des Adlers das Wappen der Stadt, einen Igel, hinmalen zu laffen. Unglücklicherweise ver- standen die Herren kein Latein und ließen die ganz unbe- fchädigte Unterschrift unter dem Igel stehen. In der Mitte des gessen Platzes steht die Haupt- wache. „Gewehr, raus“ rief die Schildwach bei dem Uhr- schlag Sieben. - „Angetreten! Richt euch! Gewehr beim Fuß“ kommandierte ein junger Kadet. -, „Knieet nieder zum Gebet!!!“ , Die Mannschaft kniete nieder, die Trommel ertönte in einzelnen Schlägen durch die tiefe Stille, während die - Soldaten salutierend die Hand an den Czako legten. Sie beteten auf Kommando zu dem Einzigen, der es allein - wußte, daß keiner von ihnen an ihn dachte. Nicht län- ger als 2 Minuten, bis der Tambour ausgeschlagen hatte, durften sie beten, dann hieß es wieder: „Auf vom Gebet! Abgetreten!“ 100 - - „Mein Gott, welche Lächerlichkeit!“ rief der Major. „Warum lachen Sie aber nicht.“ „Weil diese Szene für mich zugleich etwas Empö- rendes hat. Ich bin nicht so glücklich, über derlei Lächer- lichkeiten lachen zu können.“ „Und doch könnten Sie dadurch glücklich werden, denn bei Gott, wenn man über alle Lächerlichkeiten in der Welt lachen könnte, man machte nie ein trauriges Gesicht.“ Beim Abendessen leistete uns ein interessanter Aben- teurer Gesellschaft, der sich ebenfalls auf der Reise befand. Ich erschrack, als ich, statt dessen, eine abgezehrt, gespenstige Gestalt, an der die Kleider schlotterten, hereintreten fah. Er grüßte uns, weinerlich lächelnd, und seufzte, als ich ihn um den Zweck einer Reise höflich befragte. Die Auskunft, die er uns hierauf sehr bereitwillig gab, riß den Major hin zur unwillkürlichen Aeußerung seiner Theil- nahme. Er rief einmal über das andere aus: „Armer Mann, armer Mann!“ Er erzählte uns bei einer Flasche Wein alle feine Schicksale, die ich der Aufzeichnung würdig halte, weil sie psychologisch merkwürdig sind. „Sie müffen wiffen,“ erzählte der Unglücklich, „daß ich nie Lust hatte, meine geringen Talente in die Schulform 10 einzuzwängen, daß ich die Wiffenschaften nur nach Laune betrieb, und mir so zwar einen großen Fond von Kennt- niffen erwarb, die mir aber zu nichts nützlich waren, weil ich nie, wie ich sollte, darauf ausging, durch Studium Brod zu erwerben. Ich verließ im Jahre 1800 die Universität, ohne einen bestimmten Lebensplan gefaßt zu haben. In dem Augenblicke, als meine Unschlüffigkeit und die Besorgniffe meines Vaters hierüber aufs Höchste gestiegen waren, schrieb die Regierung eine neue Kon- skription aus, und ich wurde als Bürgerlicher gefordert, mich zu meinem Regimente zu stellen. Obwohl ich mich nun hätte loskaufen können von der Militärpflicht, zog ich es doch in meiner Lage vor, Militärdienste zu neh- men. Zudem versprach mir der Feldmarschallieutenant * thätige Verwendung. So kam ich mit fröhlichen Aus- fichten zu meinem Regiment und wurde von dem Ob- risten mit Auszeichnung empfangen. Anfangs ging es gut, denn ich hatte hinreichende Mittel, um in Gesell- fchaft der Offiziere und meiner Kameraden anständig er- scheinen zu können, und galt überdieß als ein Günstling einer hohen Person. Leider aber starb diese, mein Vater machte bankrott, so daß ich nur noch eine geringe Unter- stützung von einer Tante genoß, und ich sah mich nun plötzlich als ein unrettbares Opfer der militärischen Dis- ciplin verloren. Unglücklicherweise kam ich zu einer Kom- pagnie, welche von einem Hauptmanne, der im Regiment als ein roher, ungebildeter Mensch hinreichend bekannt 1092 und verhaßt war, befehligt wurde. So lange ich re war und mich der Freundschaft des Feldmarschallieutena rühmen konnte, behandelte er mich mit Schonung u Auszeichnung, aber kaum hatten sich die Umstände get dert, so war er auch gegen mich, wie gegen Andere, t felbe soldatische Tirann. Er eröffnete mir beim Rapp daß nur das Exerzieren den vollkommenen Soldaten a mache, daß er auf alle meine Kenntniffe –. Da er Erfahrung gebracht hatte, daß ich mich viel mit Büch beschäftige, ließ er mir meine kleine Bibliothek wegnehm und beorderte mich, „um einen guten Soldaten aus 1 Zu machen“ zu den härtesten Dienstleistungen. Es t ihm jedoch nicht genug, daß mein Körper unter fei Despotie litt, er wollte auch mein Gemüth, wie er ja - abhärten,“ und mir militärischen Geist einimpfen. dem Ende beorderte er mich zu allen Exekutionen, “ften zu einer auf Leben und Tod, dem zehnmal Auf- und Ab-Gaffenlaufen durch 300 Mann. Da wider Willen des Hauptmanns auf Regimentsbefehl Un offizier geworden war, verwandelte sich feine Strenge "Perfolgung, und weil er wußte, wie sehr ich die barbari Straf der Spießruthen verabscheute, benutzte er jede Geleg mich zum Zeugen derselben zumachen. Eines Tages wo er zur Ausstehung dieser Exekution verurth len. - Der Unglückliche hatte mich bedient und ich kam * als einen guten braven Burschen. Die Strenge - - 103 Hauptmanns hatte ihn zu dem rasenden Entschluß gebracht, zum dritten Mal zu desertieren. Der Hauptmann, der : genau wußte, daß ich den Unglücklichen aufs Tiefste bedauerte, gab mir Befehl, mit einem anderen Unteroffizier die Gaffe zu schließen. Umsonst waren meine Vorstellungen und Bitten dagegen – ich mußte dem Befehl gehorchen. Das Zeichen zum Ausrücken wurde mit der Trommel gegeben und 150 Mann stellten sich in dem Hofraume der Kaserne auf. Der Profes vertheilte an die Mann- fchaft Ruthen, die Gewehre wurden beim Fuß genommen, und an beiden Gaffenenden die Tambours aufgestellt. Der Major ritt auf und ab und musterte die Mannschaft, welche bewegungslos und traurig den unglücklichen Kame- raden erwarteten, den fie zerfleischen sollten. Hinter den Fronten patroullirten wachsame Unteroffiziere mit gehobenen Stöcken, um diejenigen zu züchtigen, welche nicht emsig genug zuschlagen, oder die Ruhe am Daumen umbiegen würden. Todtenstille herrschte in dem Raume und nur die Stimmen der rapportierenden Unteroffiziere unterbrachen fie. Es handelte sich darum, einen Menschen, der kein Verbrechen begangen hatte, als daß er einen Eid, zu dem er gezwungen wurde, brach, und die Freiheit liebte, vielleicht zu Tode zu peitschen. Man kann sich keinen Begriff machen von der Bangigkeit, welche mich bei dem Gedanken, ergriff. Noch ein Mal versuchte ich es, den mir nahe stehenden Hauptmann zU bewegen, daß er mich von der - gemeinsamen Dienstpflicht nur diesmal suspendite. „Das AOA - SMaul gehalten in der Fronte“ schrie er mir barsch zu „und mich wandelte es an wie Ingrimm. Ich zuckt „unwillkürlich mit dem Bajonette auf dem Gewehre und murmelte einige Worte vor mich hin. Ich hätte den SBarbaren niederstoßen können. Nach einer langen Paus hörte man Kettengeraffel – der Delinquent wurde herbei geführt. Dicht neben mir wurde er entfeffelt. Man la ihm noch ein Mal das Urtheil vor, dann entblößte mal feinen Oberleib, gab ihm eine Kugel zwischen die Zähne legte ihm die Hände kreuzweise über die Brust und stie ihn in die Gaffe. Jetzt erst fah mich der Unglücklich und schien mir etwas zuzurufen, was ich nicht verstehen konnte, da die Trommeln bereits gerührt und die Gaff geschloffen wurde. Die Trommeln wirbelten, und hoch erhobe zitterten die Ruthen, des Laufenden gewärtig, um dan zischend auf den Rücken des Märtirers niederzufahren Anfangs lief er unter lautem Geschrei, welches manchma durch die vier lärmenden Trommeln durchklang, die Gaff auf und ab, und hielt selten eine kurze Frist, aber all der Rücken anfing, anzuschwellen blau und roth, mäßigt er seine Schritte und ging langsam, tief Athem holend die Gaffe entlang. Noch ein Paar Mal ging er de furchtbaren Weg, und schon drangen helle Blutstropfe aus der Haut. Der gegeißelte Heiland fiel mir dabei ein So oft er sich mir näherte, pochte mir das Herz, um ieder Streich traf mich mit. Eine volle Stund verging und die Exekution hatte noch kein Ende. Scho „“ 105 war die Gaffe mit Blutspuren bezeichnet, da wurden die Ruthen zum dritten Male gewechselt, während dem man dem Delinquenten eine kurze Ruhe gönnte. Bald aber fingen die Trommeln wieder an zu lärmen und langsam, lautlos, begann der Elende wieder feine Schmerzenswan- derung. Bisher hatte ich so viel möglich mich zu zerstreuen gesucht, denn diese Spannung des Mitgefühls war auf die Länge nicht auszuhalten. Man wird selbst leidend dabei, und je höher das Mitleid steigt, desto näher ist der Augenblick gänzlicher Abspannung, Stumpfheit. Plötzlich aber erregte ein Umstand meine Aufmerksamkeit von Neuem. An beiden Seiten der Straße sind nämlich jedes Mal zwei Tambours aufgestellt, welche abwechselnd Reveil fchlagen, um das Geschrei des Sträflings zu übertäuben. Sobald derselbe von einem Ende ausgeht, trommeln die dort aufgestellten Tambours fo lange, bis er ungefähr die Mitte der Gaffe erreicht hat, wo dann die am entgegen- gesetzten Ende befindlichen Tambours anfangen. Dießmal dauerte das Trommeln am anderen Ende ungewöhnlich lange, ich sah daher in die Gaffe, um die Veranlassung dieser Verzögerung zu erforschen. Der Unglückliche war - niedergestürzt erhob sich langsam wieder und wankte wie ein Gespenst, unsicheren Schrittes, einher. Sein Gesicht war todtenbleich, von Blutstropfen entstellt, und vollkommen ohne Ausdruck. Die sogenannte Holzmütze, welche er zur Verwahrung des Kopfs trug, war so mit Blut gefärbt, daß es schien, s hätte man ihm die Haut über den 106 Kopf gezogen. Die Augen waren gläsern und fier auf mich gerichtet. Immer näher taumelte die Schreckensgestalt und endlich schlugen die Tambours neben mir an. Als er bei unseren Bajonetten angekommen war, fank er neuerdings nieder. Sein Rücken war zerfleischt bis auf die Rippen, und das Blut strömte unaufhaltsam aus den geöffneten Adern, Haut und Fleisch hingen zerriffen, von gestocktem Blut bedeckt, herab, und der ganze Rücken rauchte buchstäblich – es war ein gräßlicher Anblick. „Ach Kadet,“ stöhnte der Unglückliche, „ich sterbe, ich kann nicht mehr laufen.“ Umsonst waren die Vorstellungen, welche man ihm machte, er konnte fich nicht aufrichten, und so wurde dann der schreckliche Befehl zum Marsch gegeben. Der Sterbende wurde auf eine Bank geschleppt, dort angebunden und die Mannschaft defilierte an ihm vorüber. Schon war der Rücken des Unglücklichen braun- schwarz und der Arzt erklärte, daß er für das Leben des Delinquenten fürchte – aber unerbittlich war das Gesetz und der Wille des Obristen. Ich konnte den Anblick nicht länger ertragen und meldete mich unwohl. Wirklich war ich es, und wurde abgelöst von meinem Posten, und von einigen Kameraden nach der Stube geführt. Eine - Stunde später trug man den Leichnam des Delinquenten ins Spital. … - - - „Das ist das dritte Menschenleben, “ sagte einer unserer ältesten Kadeten, „welches der Hauptmann auf seinem Gewiffen hat.“ Wir baten alle um näheren Aufschluß - - / 107 und er erzählte uns von dem Ungeheuer eine Menge Grausamkeiten, unter diesen zwei Begebenheiten, welche ihn im ganzen Regiment verhaßt gemacht haben. Sie find so traurig-interessant, daß ich sie Ihnen nicht vor - enthalten kann. - - - - Ein junger Edelmann, der sich in den letzten Kriegen fehr ausgezeichnet hatte, wurde eben darum und wegen feines Stolzes dem Hauptmanne so verhaßt, daß er ihn überall zu kränken bemüht war. Den geringsten Dienst- fehler bestrafte er mit der größten Härte, füllte die Kon- duitenliste mit den schlechtesten Berichten an und hinderte fo den jungen Mann an seinem Forkommen. Dennoch gelang es einen Freunden, ihm das Offizierpatent auszu- wirken, und vom nächsten Regimentsbefehl erwartete man die Kunde von seinem Avancement. Das Regiment war aber auf dem Marsche und der Hauptmann fann auf Rache. Die Gelegenheit dazu führte er selbst gewaltsam herbei, indem er während des Marsches vom Pferde stieg und den Kadeten rief, sein Pferd zu halten. Natürlich wei- gerte sich dieser, aber der Hauptmann bestand auf Gehor- fam, und schlug, um diesen zu erzwingen, den Kadeten - mit der flachen Klinge auf die Brust. Im Innersten empört, machte dieser eine Bewegung zur Widersetzung und riß den Säbel halb aus der Scheide, aber in demselben Augenblicke stieß ihm der Barbar feinen Degen in die Brust. Der Obrist, der von dem Vorfall augenblicklich unterrichtet wurde, ließ dem Unmenschen augenblicklich - 4103 den Degen abnehmen und ihn verhaften, aber die Freunde des hochadeligen Mörders wußten ihn bald wieder zu be- freien, und die Klagen der gekränkten Familie des E- mordeten wurden unterdrückt. - - - Wenige Jahre später hatte ein anderer Kadet aus einer polnischen Familie das Unglück, dem gefürchteten „Hauptmanne zu mißfallen. In wenigen Monaten brachte es ein Feind dahin, daß er wegen Subordinationsvergehen, 1 vegen Trunkenheit, der er fich aus Verzweiflung ergeben hatte, zum Gemeinen degradiert wurde. Aber die Rache des Wütherichs war noch nicht gesättigt, er gab sich alle erdenkliche Mühe, den Unglücklichen zu einem Verbrechen zu bringen, welches ihm jetzt – da er die Prärogative eines Kadeten verloren hatte – eine entehrende Strafe zu ziehen mußte. Die Geduld des Verfolgten war nicht unerschöpflich, ein neues Subordinationsvergehen und eine der Desertion gleich geachtete Entfernung von der Kaserne stellte ihn vor ein Kriegsgericht, welches ihn zur Strafe des Gaffenlaufens verurtheilte. Das ganze Regiment trauerte über diesen Spruch und alle Kadeten des Regi- m ents besuchten den Verzweifelnden im Stockhause, UN- ihn Muth und Trost zu dem bevorstehenden, schrecklichen Morgen einzusprechen. Einige feiner besten Freunde, hochherzige und ehrgeizige Jünglinge, welche die Schande", ihres Freundes nicht ertragen konnten, gaben ihm Gele- genheit und Waffen zum Selbstmorde, aber der religiöse Pole wies sie meist zurück und versichert, die Exekution - - 409 würde nicht statt finden, aber er wolle nicht Hand an fein Leben legen.“ Der gefürchtete Morgen brach an und 300 Mann standen versammelt im Hofraume der Kaserne. Der Hauptmann schien sehr glücklich über diesen Erfolg seiner Bemühungen und erwartete mit Schaden- freude die Herbeiführung des Opfers feiner Bosheit. Der Pole ward in Begleitung des Profoten und Auditors zur Gaffe geführt und hörte mit vieler Entschloffenheit ein Urtheil. Dann machte man Anstalten, ihn zu entkleiden und in die Gaffe zu führen, aber lächelnd widersetzte sich der Jüngling, trat zum Hauptmann und gab ihm eine Ohrfeige. Alles gerieth in Verwirrung durch diese Kühn- heit, die Gaffe wurde aufgelöst und der Delinquent fogleich wieder abgeführt. Das Gesetz sprach über diese That Standrecht binnen 24 Stunden, und am nächsten Morgen durchbohrten 6 Kugeln Herz und Gehirn des Polen.“ r - „ Die Erzählung dieser Schreckensszenen aus dem Leben des Hauptmanns erbitterte mich gegen denselben fo, daß ich mich einige Male hinreißen ließ, gegen meine Kameraden oft bittere Aeußerungen über den Kom- pagnie - Kommandanten auszustoßen. Da aber man oft von feinen besten Kameraden verrathen wird, so konnte meine Stimmung gegen den Hauptmann ihm nicht lange verschwiegen bleiben. Bisher hatte ich noch keine militä- rische Strafe erduldet, aber kaum acht Tage nach der furchtbaren Exekution lag ich das erste Mal kurz geschloffen 4MGP in Ketten auf der Pritsche, weil ich in Zerstreuung ein sycat verabsäumt hatte, den Hauptmann zu salutiren. Sierzehn Tage später bekam ich mit demselben Kameraden, der mich verrathen hatte, einen Streit. Er war mein sorgesetzter, nach streng militärischen Gesetzen war ich ihm Gehorsam schuldig. Darauf sich stützend machte der kleine Tirann seine Gewalt auf die empörendste Weise geltend und verwies mir einige Fehler beim Exerzieren mit groben, unfreundlichen Worten. Nach den Uebungen stellte ich ahn über sein Betragen zur Rede, gerieth mit ihm in Wortwechsel, der mich soweit brachte, den Säbel gegen den Elenden zu ziehen und ihn zum Zweikampf aufzu- fordern. Statt sich zu vertheidigen rief er die Wache und ließ mich arretieren. Ich wurde des Subordinationsver- brechens angeklagt, vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Gemeinen degradiert. Mein heftiges Temperament verleitete mich zur Rache, und kaum war ich frei, so suchte ich meinen Feind auf und mißhandelte ihn. Man brachte mich abermals nach dem Stockhause, wo ich bald von einem Arzt untersucht wurde. Ich wußte die Bedeutung dieser erniedrigenden Visite, welcher in der Regel die Verurtheilung zU einer körperlichen Strafe nachfolgt, und war entschloffen, mir ein Ende zu machen. In der Nacht versuchte ich es mit einem Stilet, mir die Adern zu öffnen, wurde aber von meinen Mitgefangenen – gemeinen Dieben – (NN meinem Vorhaben verhindert. Des letzten Trostes beraubt überließ ich mich der Raserei. Indessen waren meine 111 gewisse Uebel die vom wenigen Freunde im Regimente thätig, mich von der be- vorstehenden Schmach zu retten. Der Auditor zögerte absichtlich mit den Verhören, und zeitlich genug kam der, von einem Freunde meines Vaters ausgewirkte General- kommando-Befehl, mich aus meiner Haft zu entlaffen und in ein Jäger-Bataillon zu versetzen. Dieselbe Will- kür, welche mich gestürzt hatte, rettete mich wieder, aber die furchtbare Aufregung meines Gemüths hatte meine Gesundheit angegriffen und noch immer fühle ich die Folgen jener entsetzlichen Lage. Meine Aussichten waren indessen schlecht, denn an ein Fortkommen war nicht zu denken, da ich kriegsrechtlich behandelt worden war. -Eben fo wenig Aussicht hatte ich, aus dem Militär entlaffen zu werden vor Ablauf der 14jährigen Kapitulationszeit, oder vor dem Eintreten gänzlicher Untauglichkeit zu wei- teren Militärdienstleistungen. Meine einzige Hoffnung be- ruhte auf den Wechselfällen des Krieges, in welchem ich wenigstens einen ehrenvollen Tod finden konnte. Ein Zurückgesetzter wird im Militär bald als ein mauvais sujet betrachtet; so auch ich. Ich wurde bald die Ziel- scheibe des Spottes meiner Kameraden, und die Offiziere fanden Vergnügen daran mich ohne Noth zu quälen.“ „Ich gestehe, bemerkte der Major, daß ich einen humaneren Geist in den teutschen Herren vermuthet habe. Giebt es denn keine Gesetze, die den Uebermuth der Vor- gesetzten einschränken?“ „Wohl gibt es solche aber sie werden nicht befolgt, und können vielleicht auch nicht befolgt werden. Es gibt - - vom Militärstand unzertrennlich sind, und darunter gehört die Despotie der Vorgesetzten. Gesetze, welche sie einschränken sollen, können nichts helfen, weil 449 - sie mit dem Gebot blinden Gehorsams im Widerspruche stehen, und weil gegen den Vorgesetzten keine Klage durch- geführt werden kann. Was hilft z. B. die humane Ver- ordnung der Regierung, welche alle willkürliche Mißhand- lung der Rekruten beim Exerzieren verbietet? Nichts, als daß der Offizier wie zufällig auf die Seite sieht, wenn der abrichtende Unteroffizier Fehler und Ungeschicklichkeiten mit Kolbenstößen bestraft. Klagt der Gemeine über Mißhandlung, so erhält er nie Recht, denn die Autorität feines Vorgesetzten darf nach dem militärischen Herkommen nicht herabgewürdigt werden. Zudem darf der Vorgesetzte nur leugnen, und der Gemeine wird noch bestraft wegen unstatthafter Beschwerde, denn die Aussage des Oberen ist allein gültig“ Nach dieser kleinen Abschweifung baten wir den Um- glücklichen feine betrübte Geschichte fortzusetzen. „Sie können leicht ermeffen, daß ich unter solchen - Umständen mich höchst unglücklich fühlen mußte. Meine besten Kameraden vermieden meinen Umgang um ihre Konduitliste rein zu erhalten. Der Mensch bedarf der Gesellschaft, und wenn er die bessere von Menschen glei- cher Bildung entbehren muß, fo schließt er sich an folche an, welche unter ihm stehen. Ich fing an die Gesellschaft - der Gemeinen nicht mehr von mir zu weisen, und ihr Umgang veränderte bald meinen Charakter. Ich nahm " ihre Neigungen und sogar ihre Denkweise an, ich betäubte meinen Kummer durch unmäßiges Trinken und wurde im Punkt der Ehre weniger empfindlich. So sank ich immer tiefer als der Krieg mir plötzlich Aussichten eröffnete. Es wurden viele Offizierstellen vakant und da ich mich in einer - mpagnie einst durch verzweifelte Bravour hervorhat, so 113 , - sie beide zum Hause hinaus, Meine Frau flüchtete sich zu . ihren Eltern und der Bürgermeister brachte es dahin, daß ich gab man mir auf dem Schlachtfelde das goldene Porte- d'épée. Allein dieses Glück kam zu spät für mich, mein - - bisheriges Unglück, schlechte Gesellschaft und das Kriegsleben hatten mich verwildert. Meine Leidenschaft zum Trinken und Spielen konnte ich nicht mehr beherrschen. In einer Spielbank zu Aachen gewann ich in einer Nacht, da mich Trunkenheit kühn gemacht, über 60000 Franken, und war fo unklug im Besitz dieserSumme meinen Abschied zu neh- men, um im Civilleben mit Ruhe und Muße meinen Reich- thum zu verzehren. - - In meiner Vaterstadt angekommen machte ich ein großes Haus, verheiratete mich mit der Tochter des Bürgermeisters, kaufte ein großes Kaufmannsgeschäft und lebte einige Monate in großer Glückseligkeit, Ich hatte dem Spiel entsagt und war auf dem Punkt ein ordent- licher Mensch zu werden, als sich die Eifersucht in mein Herz schlich und wieder die alte Gemüthsstimmung mit sich brachte. Einer meiner Freunde verführte meine Frau, aber ich konnte nicht Gewißheit darüber erlangen. Ich suchte Zerstreuung und griff wieder zu meinen alten Sorgenbrechern, der Flasche und dem Spiel. Das Glück wandte sich von mir ab, ich verlor ungeheure Summen. Ich sah meinen Ruin voraus und wollte mir noch zu rechter Zeit Einhalt thun, als ich mein Weib beim thatsächlichen Ehebruch ertappte. In der Wuth miß- handelte ich die Treulose, verwundete den Verführer und warf 14 wegen Mordversuchs arretiert wurde. Es war jedoch nicht eine Absicht, mich dieses Verbrechens zu überweisen, allein“ be- nutzte die Zeit, während ich im Gefängniß lag, einen Konkurs meiner Gläubiger zu eröffnen, mit Hilfe der Gesetze das Dop- pelte des Heirathsgutes meiner Frau an sich zu nehmen, und mich als einen Verschwender und Taugenichts erklären zu laffen. Als ich entlaffen wurde, ließ er mir einige Gulden verabreichen, mit der Weisung, es wäre gut, wenn ich die weite Welt fuchte. - - - - Von Schaam, Wuth, Verzweiflung gefoltert, verlief ich meine Vaterstadt, und um nicht Hunger zu sterben, nahm ich neuerdings Militärdienste. Ich ließ mich als Gemeine affentiren. Gewohnt zu befehlen, und in Ueberfluß zu leben spielte ich als gemeiner Musketier eine erbärmliche Rolle Je trank viel Branntwein, um mein Gedächtniß zu Grunde z richten. Stolz und Trunkenheit verleiteten mich zu Subo dinations-Verbrechen. Man verurtheilte mich zum Gaffer laufen und gab mir dann den Laufpaß, von welchem ich gegen wärtig so umfaffenden Gebrauch mache, daß ich bald a Handlungsreifender, bald als Polizeispion und Diebsfänge das ganze Land ohne Unterlaß durchziehe. Das ist mei ganze Geschichte. Sein Auge glänzte in Thränen, d "einige auch. Es gibt nur eine Quelle im Leben, unversiegbar ist – das Auge. Thränen sind die eins dürmliche bauerquickung welche der Himmel einem dür : Wozu diese Grausamkeit der Todverzögerung tren, verglühen zu Asche. Eine säuselnde Wind 115 welle zerstreut sie dann und befruchtet damit schmachtende Blumen. - - Der Abend verging in Trägheit. In der Gaststube war ein Engländer angekommen. Er flegelte sich, ohne zu grüßen, an einen Tisch und blieb allein in der Stube. Der Schwede war nicht mittheilsam und ich noch minder. So störte nichts die leise zwitschernde Lerche, in einem finsteren Bauer an der Wand, als schwach klirrende Gläser und Teller. Dennoch war reiches Gedankenleben in der Stube – der Schwede dachte sichtbar an die Uebel der Welt, der Engländer an ein Beefsteak, ich – an die Lerche, die Lerche an den freien blauen Himmel. Gute Nacht Lerche! Matrosenpreffe! Weiberverkauf englische Freiheit wie reimt sich das zusammen. Wahrhaftig, wenn die Freiheit eines Volkes darin bestehen soll, daß nur einzelne Stände frei sind, dann ist nirgends mehr Freiheit als in den östlichen Monarchieen, wo der König die Freiheit repräsentiert. Wo es andere Unterschiede giebt, als die der Bildung, und wo irgend ein Mensch mit Stricken einge- fangen und mit Schiffeilen geprügelt werden kann, wo die Personen nicht unverletzlich find, selbst bei Verbre- chern, da ist keine wahre Freiheit. Eine Justiz ferner, - die noch nicht zur Einsicht gekommen ist, daß das Tor desurtheil, wo es nicht eine Nothwehr der Gesellschaft gegen Bösewichter, ein Verbrechen ist, eine Justiz, welche 8 - „- - - - --- 116 das Menschenleben nicht höher achtet als fünf Pfun “he so in allen Dingen, bei ihrem Richterspruch üb Leben und Tod eine lumpige Dreierrechnung führt um "*"röße eines Verbrechens mit dem elendeten Maßst mißt, kann sich nicht wähnen aus der höchsten europäisch Intelligenz entsprungen zu sein. Seid ihr stolz auf eure Konstitution, auf die Wei heit eurer gesetzgebenden Herren von so und so viel Ei künften, so zu sagen von 2000 Pf, jährlichem Verstand Arme, arme Weltumsegler Vernünftiger waren t Wilden in Amerika, welche den Stärksten und Tapferst aus ihrer Mitte zum Häuptling wählten und sich sein Gesetzen unterwarfen. Dort gebietet die Kraft, hier d dumme augenlose Mammon, zufälliger Reichthum. B euch entscheidet die von äußern Einflüffen zufällig b stimmte Mehrzahl. Ein einziger gewandter Kopf dirigiert fi „Welche halten Sie für die beste Konstitution, He Majorl“ - „Die norwegische, welche dem Bauer gestattet, i eigener Person ein Recht zu vertheidigen.“ „Wo ist die größte menschenmögliche Freiheit?“ „In jenem Lande, wo nicht die rohe Gewalt ph fischer Gesetze, wo nur die allbesiegende Kraft des Geist die Waffe der Willkühr ist.“ - - „und dieses Land ist?“ „Die Welt!“ -– 17 Sech ist er T a g. (Aufbruch. Der neue Passagier. Eigennützige Höflichkeit, Bildwitz. Die Wolfsjagd, Znaim. Nächtliche Reise. Das mondsüchtige Pferd. Ein Roman. Kontemplation) Wir brachen zeitlich auf – noch hatte man nicht Reveil geschlagen, die Fenster waren noch überall von Vorhängen verschloffen und der Posten vor der Haupt- wache schritt so pathetisch auf dem langen Brett, daß seine Schritte an allen Ecken des ungeheueren Iglauer Marktplatzes hörbar waren. Plötzlich blieb er stehen und horchte auf die schlagende Uhr, rief mit einer Mars- stimme durch die Stille: „Ohglie-ßt“ (Abgelöst) fehlug an"s Gewehr und erwartete die Ablösung. Das war das Signal, auf welches einiges Erwachen folgte; aus den Fenstern gukte hier und da eine Schlafmütze über ein schlaftrunkenes gähnendes Gesicht gezogen, die frische Morgenluft begrüßend, während an anderen Fen- stern Gestalten mit Zahnbürsten bemerkbar wurden, die sich den Mund ausspühlten und auf die Straße spuckten. - Aus der Wachstube trat fluchend der Wachkommandant 118 - - mit der gähnenden und fich reckenden Mannschaft, um - der Tambour fing an Reveil zu schlagen. Da rumpel unsere fchwerfällige, stark bepackte Kutsche über das holprig Pflaster und lockte manches Dämchen im Hemde an Fenster, von wo bald manch' neugieriges Mädchen dur den gelüpften Vorhang, manche Matrone durch eine offen Scheibe auf uns herunter fah. Bei einem Wirthshau in der Vorstadt nahmen wir einen neuen Paffagier a und da wir ausgestiegen waren, um abzuwarten bis d Mann sein Gepäcke aufgeladen hatte, kam ich um me nen guten Platz am Kutschfenster. Vergeblich machte i dem neuen Gate begreiflich, daß ihm die Ehre des zuer Einsteigens gebühre, daß er sonst nothwendig ans Fenst zu fzen käme, was ihm bei einem starken Husten je macht heilig sein könnte; der Mann ließ sich von fein “gennützigen Höflichkeit nicht abbringen und versichert, tr feines Hustens eine starke Natur zu haben, welche Gefahren des Luftzuges in vielen Militärstrapazen glü " überwunden habe. Es lag in seiner zudringlich Höflichkeit fo etwas Bestimmtes, als wäre er insgehei beordert mich zu escortiren, und so fügte ich mich n *räßlichem Gesicht in die Nothwendigkeit. - - Verdammte Höflichkeit dachte ich, ist sie ni ' fftematischer Betrug, welcher den Betrogen die Der höfliche Mann schützt sie nur vor, u '' Porgenluft am Fenster genießen zu könn r daran weniger Genuß zu finden scheint als 4119 der kleinen Schnapsflasche, die er eben hervorzieht, um einen tüchtigen Schluck zu thun. Und doch hat mich diese vertrocknete Häringsseele um meine Morgenluft be- stohlen. Wenn ich ihn genau betrachte mit feinem blat- ternarbigen, hektischen Gesicht, mit feiner heiteren Stimme und feinen erloschenen Augen, fo scheint es mir, als ob ihm die Morgenluft eben so wenig tauge als der Ro- foglio. Armer, armer Mann, es scheint doch, als ob er mir einen Dienst habe erweisen wollen; – wie gefährli kann ihm diese Aufopferung werden. - - „Mein Herr, ich besorge ernstlich, die Morgenluft kann Ihnen übel bekommen und wünsche nicht die Ur- fache an vermehrtem Uebelbefinden zu sein. Setzen Sie sich an meinen warmen Platz.“ „O nein – ich danke gehorsamst! wenn Sie aber lieber meinen Platz einnehmen, fo steht er Ihnen zu Befehl.“ - Wieder entwaffnet. Ich schlug ein Anerbieten aU3 und ward freundlicher gestimmt gegen den Höflichen. Hügel auf – Hügel ab rollte der Wagen und – hier ist die Stelle, wo ich vor einem Jahre die Todes- angst eines Menschen fah. Ich fuhr mit der Eilpost und ein medizinischer Engländer war mein einziger Reisegefährte. Die Luft im Innern des Wagens be- hagte mir nicht und ich setzte mich ins Kabriolet zu dem Kondukteur. Der Wagen war im schnellsten Laufe bergab, da suchte der Postillon das Handpferd näher an - 120 sich zu ziehen, die Stange schlug an eine großen Cour- rierstiefeln und schleuderte ihn vom Pferde; er stürzte mitten zwischen die Pferde und schien verloren. Geistes- gegenwart rettete den Armen; er hatte sich im Sturze an die Stange geklammert und die Hufe wichen ihm aus, die Pferde hielten mit vieler Mühe den Wagen" auf und im nächsten Augenblicke saß er wieder im Sattel. „Das hätte dem armen Teufel das Leben kosten können,“ sagte lakonisch der Kondukteur; ich zerdrückte eine Thräne im Auge. Der Schreck hatte mich nicht ergriffen, denn diesen war ich gewohnt, aber die Rührung, die stille Freude über die wunderbare Rettung. Giebt es wohl , auch beschützende – nicht blos zerstörende feindliche Mächte? Aus langer Weile fragte ich den Offizier – denn das war der neue Gast – um den Zweck seiner Reife. Ich gähnte dabei und hoffte nichts Interessanteres zu hörren, als daß er eine Muhme oder einen alten Vater und dergleichen besuchen wolle, aber das Schicksal ver- gönnt mir nicht die bequeme Alltäglichkeit. Wo ich mein Auge erhebe, trifft mein Blick auf einen Uebelstand, der mein Herz verletzt, wo ich mein Ohr öffne, empfängt es Klagelaute unglücklicher Menschen. Wenn es Allen“ fo geht, so ist es ausgemacht, daß man nur glücklich fein kann, wenn man Anderer Elend nicht mit empfindet. „Ich bin meiner Pension verlustig geworden,“ fagte der Paffagier, „und will nach Wien, um sie wieder zu erlangen, denn ich kann ohne ihr von dem kleinen Er- - 121 werb, den ich habe, nicht leben. Man hat erfahren, daß ich mir durch Zeichnen etwas zu verdienen und meine Lage zu verbeffern suche, und nach den bestehenden Ge- fetzen deshalb meine Pension eingezogen.“ - Der arme Mann fagte nicht viel mehr, als daß er Vater sei. Er klagte nicht, murrte nicht, aber in feinem Gesicht war der unendliche innere Schmerz ausgesprochen. Traurige Weltordnung! Der Jugend strömen alle Quellen des Glücks zu und dem bedürftigen Alter versiegen fie. Man lebt nur, um unglücklich zu werden und zu sterben. Ist doch das ganze Weltleben ein ewiges Sterben, Jedes Leben ist das Grab von tausend Leben. Welch ein trauriges Bild gewährt die Gesellschaft! Einer lebt auf Kosten des Anderen, keine Freude blüht dem Einen, ohne daß ein Anderer sie mit unsäglichem Schmerz bezahlte. Wenn der Eine ißt, muß der Andere hungern und so abwechslungsweise theilen sie fich in die Genüffe des Lebens, und ihr eignes Leben ist ein ewiger Krieg um Brod. Immer und ewig würfeln die Menschen um Leben und Tod wie verurtheilte Delinquenten, welche sich zusammen aus Gnade mit einem Leben behelfen - können. Und was ist dieses Leben für den Gewinnenden! Ein ewiger Hader mit feines Gleichen, Rauben oder Be- raubt werden. - - Jeder Schritt auf unserer kreaturenreichen Erde zer- tritt kleinere Existenzen, jeder Athemzug verschlingt un- zählige Leben. Der Schritt der Zeit zertritt Generationen, 122 ihr Athemzug verlöscht Millionen Lebensflammen, aber fie gehen alle wieder auf in dem Alles verzehrenden Welt- leben. Trostlos ist diese Wahrheit, denn sie zeugt von der tiefen Subordination des Menschen in der höhern Weltordnung, sie verhöhnt unsere Tugenden und Groß- thaten, erniedrigt unser Dasein. In dem kleinen Städtchen B“ aßen wir unser Mittagsbrod in Gesellschaft eines Grafen und eines Ba- rons, die in der Nähe begütert waren. Der Wiener Patois in der Konversation der Fremden that mir wohl, wie einem Schweizer der Kuhreigen. Sie sprachen von dem Landleben, von der Jagd und dergleichen, den dabei erlebten Abentheuern und ich wurde dadurch frisch aufge- regt, denn die Jagd war meine Lieblingsbeschäftigung von jeher. Ich dachte an die schöne Zeit, wo der Augenblick mir so viele Genüffe bot als jetzt ein Jahr, an das herr- liche Waldleben, an rauschende und knarrende Tannen, den angenehmen Harzduft des Nadelholzes, die erwar- tungsvolle Stille auf dem Anstande, das ferne Anschlagen der Hunde, die Stimmen der Treiber und die gellenden Schüff, welche durch die heilige Stille des Waldes weit- hin halten. Ich hätte gern die Szenen alle ausgemalt, welche in meinem Gedächtniffe auftauchten und mein Auge daran gelabt. Der Jüngere der Fremden erzählte viel von seinen Jagden und manche interessante Ge- fchichte darunter. Er theilte sie der Reihe nach mit, wie sie sich auf feinen Reisen ereignet hatten und 1923 --- erzählte bei einem trefflichen Wildbraten folgende Jagd- historien: - - „Es war im Jahre 1826, als ich mit dem Grafen P– mehrere seiner Güter im südlichen Ungarn bereiste. Mein junger tollkühner Freund liebte eben so wenig als ich profane Gesellschaft und fo kam es, daß wir alle un- sere Reifen allein auf einer leichten Jagddroschke, mit vier jungen wilden Pferden bespannt, unternahmen. Die Som- merszeit verging unter "mannichfacher Belustigung, aber wir waren noch nicht gesättigt und liebten auch die mit Schnee bedeckte freie Puszte mehr als die warme Stube. Eines Tages erhielt der Graf einen Brief von dem Ver- walter eines fünf Stunden von unserem Aufenthaltsorte entfernten Gutes, worin ihn dieser bat, so bald als mög- lich eine Wolfsjagd in der Gegend anzustellen, denn die Wölfe wären diesmal sehr zahlreich vorhanden und beun- ruhigten die Gegend. Ein Detachement Husaren wäre kürzlich von ihnen angefallen und bald aufgerieben wor- den, und ein großer Wolf habe erst gestern feiner Frau in der Küche einen sehr unwillkommenen Besuch abge- stattet, und obgleich fiel mit dem Schreck davon gekom- NEN, wäre, fo hätte er doch in Folge dieses Ereigniffes die Frühgeburt eines todten Knaben zu beklagen. Der Graf war bald entschloffen, und nach dem Mittagseffen bestiegen wir mit vier Doppelgewehren bewaffnet die Droschke und jagten im Galopp davon. An die benach- barten Edelleute waren bereits durch den Verwalter Ein- - - - – -‘ - 1924 - ladungen ergangen und es fand zu erwarten, daß viele Jäger eintreffen würden. Es war grimmig kalt und die Pferde rauchten, doch war der Himmel ziemlich rein, aber wir fuhren nicht lange, so erhob sich ein fo dichtes Schneegestöber, daß wir weder die Richtung unseres We- ges erkennen, noch die Pferde gehörig lenken konnten. Mein Freund ließ ihnen daher freien Zügel, theilte mir aber die Besorgniß mit, daß wir uns leicht verirren könn- ten, wenn die Pferde uns nicht auf die richtige Spur helfen würden. Leider war fein Bedenken gerecht, denn nach fünf Stunden waren wir noch nicht am Ziele und sahen keine Spur einer menschlichen Wohnung, keine Spur einer Fährte. Das Schneegestöber hörte auf, aber die Nacht brach herein, ehe wir uns zurecht gefunden hat, ten; die Pferde trabten langsamer über die endlose Puszte, denn der Schnee war tief und weich. Noch zwei Stun- den vergingen ohne Trost und an die Stelle des Tages war eine mond- und fchneehelle Nacht getreten; die Pferde fanden ermattet still und fäharrten den Schnee auf, Mein Freund band die Zügel an die Laterne, klopfte feine Pfeife aus und fah mich lächelnd an. „Hast Du Furcht, Karl?“ fragte er, indem er das Pfeifenrohr reinigte. - - - - - „Nein, Adolph,“ sagte ich, den Pelz lüftend, „aber Langeweile.“ - „Davon werden wir befreit werden,“ erwiderte er räthfelhaft lächelnd. - 125 Mechanisch griffen wir nach unserem Mundvorrathe und fingen an zu effen, während die Pferde begierig in den Schnee bissen und das spärlich vorgeworfene Heu fraßen. Es war schauerlich öde um uns her und nichts zu entdecken als Schnee und Nebelgrau, durch welches rothes Mondenlicht fähien. „Wir werden morgen große Kälte haben,“ sagte der Graf. - - „Und die Wolfsjagd?“ „Werden wir auf keinen Fall versäumen.“ Ich nahm mir nicht die Mühe, über das seltsame Betragen meines Freundes nachzudenken. Er war sehr schweigsam, mehr um seine Pferde besorgt, als um uns. Eifrig an einem Stück geräucherter Rindszunge kauend, machte er sich über die Gewehre, reinigte und prüfte fie. Dann sah er wieder nach allen Gegenden, schüttelte den Kopf und schwieg. Ich meinerseits dachte an nichts, sondern ließ es mir gut schmecken, denn ich kannte die Gefahr nicht, auf einer ungarischen schneebedeckten Haide, vielleicht viele Meilen von jeder menschlichen Wohnung entfernt, sich verirrt zu haben. Als ich gesättigt war, fopfte ich mir eine Pfeife mit dem trefflichen Kraut von Janoshazar und pfiff ein Liedchen. P. gebot mir Stille und fähien zu horchen. Nach einer Weile stellte er sich ruhig an den Wagenschlag und fagte leise wie fcherzend: „Schade, daß wir nicht an Heilige glauben!“ „Warum?“ 1926 „Wir könnten sie nun anrufen.“ „Ich dächte wir wären noch nicht in der Lage, denn in der Regel denken die Menschen nur in der äußersten Noth an höhere Mächte!“ „Hörst Du denn nichts?“ „Hunde heulen – ein Dorf ist in der Nähe.“ „Du lügst – fünf Meilen in der Runde athmet kein Mensch, wir sind auf der großen Puszte“ – „Das ist noch kein Unglück, obwohl ich nicht daran glaube, denn Hunde –“ „Sind nicht weit von Menschen – aber – Wölfel“ e „Für die haben wir Waffen.“ P. antwortete nicht, aber es schien, als ob er nicht viel von unserer Vertheidigungsfähigkeit hielte, denn die nahen Wölfe schienen fehr zahlreich vorhanden. Nach einiger Rat wendeten wir um und versuchten die Pferde weiter zu bringen auf dem entgegengesetzten Wege, aber die armen Thiere zitterten und fanken bis über die Knie in Schnee. Der Schlitten bewegte sich nur langsam vorwärts in der entgegengesetzten Richtung, aber die Spur war vom Winde verweht. Fortwährend trieben vom Sturme aufgeregte Schneewolken um uns herum und wir fanden keinen Punkt am Horizont, den wir im Auge behaltend verfolgen konnten. Immer mehr näherte sich das verwünschte Wolfsgeheul, von allen Seiten schien es heranzukommen. - 4127 „Lindor,“ sagte P., „unser Homagium“) ist auf einen Pfennig gefallen und Lloyd würde unser Leben nicht affe- kuriren. Es ist zwei gegen eins zu wetten, daß wir ent- weder von Wölfen gefreffen werden oder verhungern, denn ehe der Schnee schmilzt, werden wir uns schwerlich zurecht finden. Die ausgehungerten Bestien scheinen unseren Wind zu haben.“ - --- Anfänglich hatte die Vorstellung etwas Reizendes für mich, eine Jagd ohne ängstliche Vorkehrungen und erstliche Sicherung - vor aller Gefahr, ohne das feige Gefühl der Ueberlegenheit und Sieggewißheit, aber ich hatte nicht Zeit mir unsere Lage phantastisch auszumalen, denn schon hörten wir hinter uns einen Wolf traben und lechzend unserer Spur folgen. Ich legte die Gewehre bereit und P. lenkte die Pferde, ermahnte mich aber nicht eher zu schießen, bis die Gefahr größer wäre. Mit kluger Berechnung suchte er eine kleine Anhöhe zu erreichen, wo der Schnee minder tief zu liegen schien und beffer fortzukommen wäre; aber kaum waren wir hinan gekom- men, als plötzlich das Handpferd wild emporsprang, die Stränge zerriß und so gewaltig mit den Hinterbeinen ausschlug, daß das Vordertheil des Schlittens zertrüm- mert wurde. Ein Wolf, der uns versteckt nahe gekom- - men war, hatte es erfaßt. Der Schlitten stürzte um, die Stränge und das Geschirr riffen los, und in wilden *) Homagium, Menschenwerth. Die ungarische Konstitution fetzt den Menschenwerth eines Edelmanns auf 200 Fl, fest. 128 Sprüngen eilte das Pferd mit dem Wolf hinweg. D Sattelpferd war glücklicherweise niedergestürzt und unv. letzt, wir selbst waren unbeschädigt, obgleich außer Stani dem Pferde zu Hilfe zu kommen. Das Aufspring des Liegenden hatte den Schlitten wieder emporgeriff und im Nu waren wir wieder an unseren Plätzen, u wurden von dem Sattelpferd mit einer fürchterlich Schnelligkeit fortgeriffen, bis es in einem Graben zusamme brach. Unser Geschrei hatte die Wölfe der ganzen Umgegen herbeigelockt, und kurz nach dem Sturz des zweiten Pferd sahen wir uns von sechs oder acht solchen Bestien umgebe Wir sprangen vom Schlitten, warfen die Gewehre herau und auf vier Schüffe wurden drei Wölfe erlegt. D übrigen ergriffen die Flucht oder warfen sich auf d Pferd, das sich mittlerweile emporgerafft hatte und im den Trümmern des Schlittens ausgeriffen war. Ein ei: ziger war zurückgeblieben und hatte sich auf P. gestür der sich jedoch so glücklich mit einem Hirschfänger ve theidigte, daß ich nur noch eine Flinte auf dem Kop des Wolfs zerschlagen durfte, um ihn gänzlich zu tödte Aber P.s linke Hand, mit welcher er den Wolf an d Kehle hielt, war am Gelenke fürchterlich zerfleischt. To tenstille folgte auf die furchtbare Szene. So lange um unsere Füße tragen wollten, liefen wir, schwer belast von unseren Pelzen und Flinten. P. konnte bald nic mehr fort, und wir mußten uns in einen Graben lege um den Anbruch des Tages zu erwarten. / , 4129 „Meine armen Pferde!“ jammerte P., und war über deren Verlust nicht zu beruhigen, obgleich sie uns das Leben gerettet hatten. Seine Wunde schmerzte ihn heftig, aber heftiger noch der Gram um seine Pferde. Wir lagerten uns an einer schneefreien Stelle auf die Pelze und erwarteten den Anbruch des Tages. Ich brauche Ihnen nicht zu schildern, unter welchen Leiden die lange Nacht verging, in einer grimmig kalten Winter- macht unter freiem Himmel und rings umgeben von Ge- fahr. Unserem Pelzwerk allein hatten wir es zu danken, daß wir mit erfrorenen Füßen davonkamen, und unseren Pferden, daß wir nicht von Wölfen gefreffen wurden. Am folgenden Tage fand man nur noch ihre Gerippe, Eingeweide, Schweife und Ohren. Als die Sonne wie der am Himmel erschien, hörten wir bellende Wolfshunde, Menschen stimmen und Pfeifen, und als wir uns umwen- deten, fanden wir uns kaum eine Viertelstunde von Ps. Edelfilze entfernt. Man brach dort eben zur Jagd auf und natürlich trafen wir bald zusammen. Unser Schlitten war bald gefunden nebst den zerriffenen Pferden, und als wir der Spur des Schlittens folgten, fand es sich, daß wir mindestens drei Stunden lang im Kreise und hin und her gefahren fein mußten.“ Die übrigen Jagdgeschichten behalte ich für mich; aber daß sie interessant waren, kann man mir glauben, wenn ich versichere, daß uns die Zeit, welche unser Kut- fcher brauchte, um seine Pferde abzufüttern, ohne Lange- 9 130 weile verging – gewiß ein merkwürdiger Umstand auf einer Reise mit einem Landkutscher. Wir trennten uns wie alte Bekannte und schüttelten uns die Hände. Nur , der schwedische Major fand an unserer Unterhaltung keinen Geschmack, denn er hielt die Jagd für eine Barbarei. " Unsere Weiterreise bot nichts Interessanteres als schläf- rige Gesichter nach der Mahlzeit, und ein kleines Dorf, wo die Cdolera herrschte. In den Krankenhäusern waren die Vorhänge vor die Fenster gezogen, und die Menschen, welche uns begegneten, sahen traurig aus. Mir wurde schlimm zu Muthe, wenn ich dachte, das Rollen unseres Wagens vermehrt vielleicht die Schmerzen eines Sterben- den, und aus den geöffneten Fenster dringt vielleicht die tödtliche Pestluft. Eine frisch wehende Luft und der hei- tere Himmel verlöschte bald den widrigen Eindruck. In dem freundlichen Städtchen Znaim fah ich zum ersten Male wieder echt österreichische biedere Phisiognomien mit dem eigenthümlichen Ausdrucke der fröhlichen Offenheit. Die blühenden lachenden Mädchengesichter lockten sogar unsern Schweden zu neugierigen fast koketten Blicken, wäs fich bei einem grauen Soldaten ziemlich burlesk ausnahm. Es ward ihm auch dafür das Glück zu Theil, von einer kindischen Dirne, die des Weges kam und den alten voll- gepackten Rumpelkasten, in dem wir wie in einem Käfig saßen, mit der originell österreichischen Laune belächelte, ausgelacht zu werden. Der gute Schwede nahm ihre Fröhlichkeit nicht übel und sandte ihr dafür eine große - / –==-E s 131 Anzahl ziemlich gut gerathener Kußhände. Darüber wollte sich nun die Muthwillige vollends tod lachen. Vor der Thüre einer Barbierstube stand ein reinlich gekleidetes hübsches junges Weibchen mit einem kleinen Engel im Arme – ich freute mich über sie, denn sie war mir nicht unbekannt. Sie war die Tochter des reichen Wein- händlers “, und ward in Wien von vielen heirathsüch- tigen Galans umschwärmt. Unter ihnen war der dicke gute H. mit feiner schwerfälligen Liebe, einen soliden Grundsätzen und gutem Herzen. Er machte kein Glück bei seiner Donna, denn sie liebte mehr als alle soliden Grundsätze einen jungen Barbiergesellen, der die feste Burg, -ihr Herz, ohne Sturm erobert hatte und mit ihr davon gelaufen war. Die Eltern machten gute Miene à mauvais jeu und fegneten das Paar et ego benedico. Sie ist glücklich, daß sagt mir ihr feliges Lächeln, und brav, das beweist die Sorgfalt um ihr Kind. Die Gute ahnte wohl nicht, daß der blaffe fremde Herr, der so neugierig mit seiner bestaubten Mütze und Perücke zum Wagenfenster heraussieht, ihren Lebensroman auswendig gelernt hat. - Znaim, eine noch mährische Stadt, obgleich ganz von österreichischer Sitte durchdrungen, hatte sich nicht geändert, seit ich es nicht sah. Der Zeitgeist hat hier nichts aufgebaut und nichts ruinirt. Der steinerne St. Johann von Nepomuk mit seinen hilfreichen Engeln, die gleich Fanghunden an seinem Leichname hängen, war - 9 ht 132 aber neu angestrichen und Christus vor der Stadt neuer- dings gekreuzigt. - - Eine kleine Strecke außerhalb Znaim beginnt der erste Weinbau an der Grenze von Oesterreich. Hoch über den freundlichen Weinpflanzungen kreiste ein Geyer in der Luft und kam immer tiefer herab zu einer Beute. Herr- lich war das Thier anzuschauen in dichter Nähe mit seinen ausgebreiteten schönen Flügeln, feinen regelmäßigen Bau und Kopf in den Lüften schwimmend, die Brust badend im Sonnenschein. Eine Viertelstunde lang ließ ich das schöne Thier nicht aus den Augen und freute mich feiner ästhetischen Bewegung, bis eine Wendung der Straße mich zu andern Betrachtungen zwang. Abends blieb der Lohnkutscher mit den Passagieren in einem schlechten Wirthshause in Haida, wo zwar hüb- fche Wirthstöchter, aber desto häßlichere Stuben und Betten nebst einigen zerbrochenen Fensterscheiben fich vorfanden. Die Nacht war schön und mondhell, der Weg gut, meine Zeit kostbar, daher war ich bald entschloffen mit neuer Gelegenheit weiter zu fahren. Gegen Zusicherung guter Bezahlung ließ der Wirth anspannen, und nachdem ich zwei Stunden auf ein mageres Abendeffen hatte warten müffen, nahm ich von meinen Reisegefährten Abschied und fuhr weiter. - Eingehüllt in meinem Mantel und angeweht VON kühler Nachtluft freute ich mich wieder meiner Einfam- keit und der stillen Nacht, ja ich freute mich sogar, daß /133 der Wirth mir nur ein Pferd hatte einspannen laffen, - denn so waren der guten Dinge drei: Ich, der Kutscher und das Pferd. Mein Kutscher, ein junger Bursche, V(RV fehr schweigsam und ich dankte ihm dafür. Er antwortete mir nicht ein Mal mit Worten als ich bemerkte, das Pferd wäre mondfüchtig oder mondkollerisch in der Fuhrmannssprache. Ununterbrochen hielt es den Kopf hoch empor und heftete die Augen auf das herrlich prangende Gestirn, und konnte sich eben so wenig von diesem An- blick trennen, als ich. Das einzige Mißliche bei dieser poetischen Verwandtschaft zwischen uns war, daß der Wagen aller Augenblicke in Gefahr war umzuwerfen. „Verflixter Sternguker“ oder „M –stvieh von einem Studenten“ *), waren die einzigen bescheidenen Flüche des Jungen, so oft er absteigen und das Pferd wieder auf die rechte Spur bringen mußte. Ich achtete weder auf das Pferd noch eine Seitensprünge und überließ mich schweigend in Träumereien meiner Phantasie. Die Nacht ist der Tag des Geistes. Er taucht aus dem Nachtdunkel herauf und beleuchtet die Welt der Ideen, wie die Sonne die Thäler und Berge unseres Planeten. Mir war so wohl wie nimmermehr am Tage. Wie reizend bist du wollutathmende Nacht! Schöner ist der nackte Sonnen- *) Die österreichischen Fuhrleute pflegen von kolerischen Pferden zu fagen: „es hat nur einen Fehler, daß es ein Student ist.“ Der Fehler ist aber in den Augen – – – bei Pferden und Menschen gleich groß. 135A1 gott, aber reizender bist du in deiner geheimnißvollen halbverrathenden Hülle, reizend wie ein glühendes in schwarzen Flor verhülltes Weib im matten schwärmerischen Lichtschein einer rothglühenden Lampe. Deine Stimme ist süßes himmlisches Gelispel, verstohlene Küffe, laut pochende Herzen, dein Athem find Seufzer, deine Genüffe hinsterbende Wollust. Berauscht von deinem Zauber finke ich in deinen Schooß und vergehe, Laue Lüfte umwehen mich durch dunkle Zweige rauschend; fchlafende Blumen athmen Duft und schweigende Schatten eilen vorbei. Dunkles Laub hüpft vom Winde gejagt rauschend über die mondhelle Bahn und die Gräber ächzen: . „Laura, wachst du? Hängt dein in Thränen glänzendes Auge an den keuschen Strahlen Dianens?“ - „O nein, es überfließt und schließt sich in gesättigter Wollust – sie denkt nicht dein!“ „Entweiche grauses Gespenst 14 „Mit deinem Leben. Kennst du mich nicht, armer Knabe, und das graue Auge im Onix? Auf der Höhe von Dubrownik schritt ich über starre Meereswogen und feitdem schlief ich in deinem Herzen; aber es ist kein Platz für mich mehr darin. Die Stunde der Erlösung hat geschla- gen und fortan bin ich dein Begleiter. Horch –“ Die Glocke schlug zwölf - - „Heute vor fünf und zwanzig Jahren ging dein Stern auf am Horizont des Lebens. – – Ich muß dir eine Geschichte erzählen, Lindor.“ - - - - - - - 4135 Der Mond trat aus dem Gewölk und beleuchtete eine wildbewegte Szene. Hundet Karoffen mit schimmern- den Laternen, zwei-, vier- und sechsspännig, jagten in aufwirbelndem Staub der Residenz zu, die magisch be- leuchtet vom Mondlichte mit ihrem schwarzen gespenstigen Dom und dem Alles überragenden mit tausend Spitzen und Bogen, gothischen Verzierungen, hoch in die Nacht des Himmels ich erregenden St. ******thurme, fich vor dem Blick ausbreitete. Vorreitende Fackelträger eilten den sechsspännigen Wagen voran und in den Zwischen- räumen drängten sich lärmvoll kleine Abtheilungen von Husaren und anderen Reitern in buntem Gewirr, Unbe- kümmert um Alles um ihn her sprengte ein Offizier (wie es schien), auf einem flüchtigen polnischen Roß durch das Gedränge. Nichts hinderte den Galopp feines Pferdes, denn gewandt schlüpfte Reiter und Roß durch sekunden- lang offene Zwischenräume und eilte den schönen Land- häusern zu, welche das Dorf H. in der Nähe der Residenzstadt zieren. Gleichen Schritt hielt mit dem Reiter ein Jokei, der zehn Schritte hinter seinem Herrn folgte und ihn sorgsam im Auge behielt. Endlich verließ der Offizier das Getümmel der Heerstraße, wo spähende Blicke streifender Patrouillen dem schnellen Reiter nach- sendeten und kopfschüttelnd weiter ritten. „Habt ihr ihn gesehen,“ fragte ein Wachtmeister feine Leute. „Ja,“ war die Antwort, „er ist's.“ „Seltsam!“ murmelte der alte Reiter in den Bart und heftig gespornt eilten 136 die Lanzenknechte von dannen. Auf dem hart gebahnten Seitenpfade, den der Offizier nun eingeschlagen hatte, gab es kein Hinderniß, keinen neugierigen Blick, und freier ausgreifend in muthiger Kraft, eilten die wilden Roffe über die Wiesenflur. Aus dem wiegenden Gallop wurde ein leichter Karriere, aber der heftiger athmende, immer nach einem Punkte sehende Reiter hinderte das Pferd nicht und hielt die Zügel nur leicht zur Lenkung. End- lich kam man an eine hohe Gartenmauer, die fich lang hinzog. Maulbeerbäume rauschten jenseis derselben und der frische Abendwind streute Blüthen auf die eilenden Reiter. Plötzlich an einem kleinen Pförtchen rief der Offizier halbleife Basta, und das fliehende Roß prallte zusammen und stand wie eine Mauer. Horchend am Fenster eines Pavillons, kaum athmend vor Erwartung, vor jedem Windstoß erbebend, lehnte sich Mathilde hinaus und feufzte. Im Innern faß Louise nachdenkend mit trüben Blick und fandte manchen bedeut- famen Blick nach ihrer Schwester. Seufzer entrangen sich ihr und unruhig sprang fiel einige Male auf und rief ihrer Schwester. „Stille, stille,“ rief ihr das leiden- schaftliche Weib zu, „um Gotteswillen, Louise , sei stille“ Kopfschüttelnd, halb unwillig, halb traurig, fetzte diese fich nieder um zu schweigen. „Mein Gott, was soll daraus werden!“ seufzte sie und eine Thräne schwesterlicher Be- kümmerniß drängte sich langsam aus dem Auge. Endlich hörte man fernes Pferdegetrappel und laut auf weinte - - - - - - 137 Mathilde vor stürmischer Freude. „Er ist's, er ist’s!“ schrie fiel und stürmte auf Louisen ein; „nun geh", Gute,“ bat fie, „und beschütze uns mit deiner Wachsamkeit.“ „Therese,“ fagte diese, „ist an der Thüre und plau- dert mit den Nachbarn auf der Bank. Sie wird uns sogleich benachrichtigen, wenn Jemand kommen sollte, was heute nicht zu befürchten ist. Ich bleibe Mathilde“, setzte fie schüchtern hinzu, „denn mich will es bedünken, Du bedarft meines Schutzes hier.“ „Bei dem Blute Christi beschwöre ich dich, laß" mich allein mit ihm – schnell geh" und komme erst wie- der, wenn ich Dich rufe!“ „Schwester, gute, liebe Schwester,“ antwortete diese, „was willst Du thun, muß ich die Jungfrau dich mahnen an deine Pflicht, Gattin, Mutter?“ „Ich will nichts thun, Louise, ich schwöre es Dir bei dem dreieinigen Gott, ich werde meine Pflicht nicht vergeffen – vertraue mir Schwester; nun geh, Louise.“ Sie stürzte zu ihren Füßen. „Geh, Schwester, um Gotteswillen, geh'.“ „Ich bleibe, Mathilde – ich muß – noch ein Mal, Schwester, was hast Du vor mit dem fremden Manne, die Unschuld scheut keine Zeugen – bedenke theure Schwe- ster deine Pflicht. Laß” ab von dem Verführer und bleibe was du warst bisher, ein gutes treues Weib“ 138 „Ich ablaffen von ihm,“ lachte Mathilde durch Thränen, „ich ablaffen von ihm, von der Seele meines Herzens; nein, Mathilde, eher laß' ich von Dir, von meinem Gemahl, von meinen Kindern, von Gott. Magst Du mich verdammen, mag mich Gott verdammen, ich laffe nicht ab von ihm. Noch ein Mal, Louise, geh', geh' schnell, Du kennst mich, wenn Du mein Leben liebst; – dieser Dolch, Louise, reicht bis zu meinem Herzen. Louise, Schwester, geh' oder ich stoße mir den Stahl in die Brust.“ - Erschreckt sprang Louise auf „Gut denn, Unglückliche, ich gehe und laffe Dich allein; aber bedenke deinen Schwur beim dreieinigen Gott“ rief fie, die Finger erhebend und entfernte sich. Es wurde wieder ruhig in Mathildens Brust. Die kühle Abendluft trocknete ihre glühende Stirne. Indeffen war der Reiter vom Pferde gesprungen und hatte eilig einen weiten Oberrock angezogen über die Uniform. Rasch öffnete er mit einem Schlüffel das Pförtchen und eilte durch rauschende Bäume, an duften- den Blumen vorüber nach dem Pavillon. Hier öffnete sich eine Thüre und herein fehlüpfte der Offizier feinen Säbel an sich haltend, daß die stählerne Scheide nicht klirre. - - - Bebend empfing ihn Mathilde – ein leichter Schauer zitterte durch ihre Glieder, ein Wahrzeichen ihrer aufs - 4", Aeußerte bewegten Nerven. Ein stummer Kuß mit krampfhafter Anpreßung begrüßte den Geliebten. „Wo “ Du fo lange, theurer Julius?“ - „Man usterte das Heer. Wie lange kann ich bei Dir weilen, Mathilde?“ „So lange Du Lust hast!“ „Dann bleibe ich so lange ich lebe.“ „Schmeichler!“ Zahllose Küffe, feurige Umarmungen unterbrachen das Gespräch. Müde von dem Ritt - sank er auf die Ottomane und zog die Sträubende zu fich auf den Schooß, erstickte sie mit Küffen. Unter den süßen Tän- deleien der Liebe entspann sich zwischen Beiden folgendes Gespräch: - - - / Theurer Mann,“ sagte Mathilde, die leidenschaft- liche Zudringlichkeit abwehrend, „Du weißt, wie ich Dich liebe, wie ich mich Dir hingab, überwältigt von den Schmeichelworten deiner Liebe, Dir, einem Fremden, von dem ich nichts weiß als den Namen Julius. Für fo viel Liebe bist Du mir einen Beweis der deinigen schuldig. Ich bin Weib, Julius. Wäre ich Jungfrau, ich würde mich Dir vermählen in hingebender Liebe; aber wie schwach ich auch bin und wie fark meine Liebe, den Schwur am Altare werde ich nie vergessen. Kaum kann ich jetzt noch mein Gewissen beruhigen – darum beschwöre ich Dich, achte die Schranken, die mich von Dir trennen.“ 440 Bei diesen Worten zog sie den durchsichtigen Pettinee über den Busen, setzte sich neben den Offizier auf die Ottomane, und verbarg ihr Gesicht an seinem Busen. Schmachtend sah der Fremde auf die hinfließende Gestalt, spielte mit den braunen Locken und schwieg eine Weile. - - „Mathilde,“ hub er endlich an, „ich bin gekom men, um von Dir Abschied zu nehmen!“ - - - Weinend warf sich Mathilde an seine Brust. „Ich werde Dich spät oder nie wieder sehen,“ fuhr er wehmüthig fort, „Du wirst mich vergessen, Ma- thilde –“ - - „Nie, nie!“ „Aber ich werde ewig Dein gedenken. Das Ge- schick hat mich verdammt zur, Entbehrung des größten Menschenglücks, des größten Genuffes und öde und traurig ist mein ganzes Leben. Hätte ich Dich nie gesehen, Ma- thilde, mir wäre in Zukunft wohler. Ich würde die Blumen mit räuberischen Händen zerpflücken und weiter ziehen von Ort zu Ort, von Schlacht zu Schlacht. Seit ich Dich gesehen, Mathilde, habe ich entsagt. Ich werde schwerlich wieder in eines Weibes Armen ruhen; ich werde das Glück der Liebe in diesem Leben nie wieder genießen; ich werde nie Gatte, Vater werden.“ - - „Armer, armer Mann!“ „Ich ziehe fort von hier und vielleicht in der nächsten Schlacht falle ich und bin betrogen um den schönsten Le- 441 bensgenuß. Mein letzter Seufzer wird deinen Namen nennen, Grausame! Mathilde – nein, Du liebst mich nicht!“ - - „Julius, mein thuerer Julius, wie ungerecht bist Du. Du zweifelt an meiner Liebe; wohlan, ich bin bereit. Dir Alles zu opfern, was mir theuer war, meine Ehre, mein Gewissen, mein Vaterland. Gieb das blu- tige Handwerk auf und flieh" mit mir weit von hier – werde mein Gemahl und ich – verlaffe meine Kin- der, meine Mutter, meinen Gemahl, folge Dir, dessen Namen und Geschlecht mir unbekannt ist. Ermeffe dar- aus ob ich Dich liebe.“ „Verzeihung!“ flehte Julius. „Was Du begehrest von mir, geliebtes Weib, ist unendlich mehr, denn Du opfert, mehr als je der Liebe eines Weibes geopfert wurde – ich bin bereit deinen Wunsch zu erfüllen, aber meine Menschenpflicht gebeut mir Dir die Größe des Verbrechens darzustellen, das Du mit mir begehen willst. Ich ent- fage dem blutigen Handwerk, wie Du es nennt, Du befiehlt und ich entfliehe mit Dir nach Amerika; aber man wird mich verfluchen und die Geschichte wird meinen Namen mit Schmach bedecken. Du klagt mich nicht zu kennen; wohlan – – Mathilde sank bebend nieder. - Lächelnd hob der Fremde das reizende Weib vom Teppich auf und drückte sie an feine Brust. Heftig pochte das Herz unter dem wogenden Bufen. Der Schleier 142 zwar von ihrem Nacken gefallen und purpurn glühten ihre Wangen. „Willst Du mein Opfer?“ fragte der Fremde. „Nein – dein Leben gehört nicht mir,“ erwie- derte Mathilde mit Begeisterung – „aber ich, ich bin dein, dein – ewig dein, wenn Du auch fern bist von mir in tosender Schlacht, kämpfend für dein heiliges Recht; unein Gebet wird sich für Dich und die Deinigen erheben, deren Hoffnung Du bist. Nimm mich hin, Geliebter, – dein Andenken wird mir die Gewissensfolter des Meineides versüßen!“ - - „Deine Sünde, geliebtes Weit, fällt auf mein Haupt Meine Rechnung mit dem Himmel steht gut – ich werde - das Glück und die Gebete vieler Menschen in die Waag- schale legen für die Liebe eines Weibes.“ - - - Eitelkeit und Leidenschaft hatten Mathilden besiegt – fie fank wollutathmend glühend ihm in die Arme. Halb zerriffen fanken die Gewänder von den verborgenen Reizen, und – – – – – – – – – – – – –. Nachtigallen schlugen draußen in den ge- spenstig winkenden Zweigen; Grillen zirpten munter im hohen Grafe – Küffe feufzten aus dem Tempel Aphrodi- tens. Diana verhüllte keusch ihr Gesicht in Wolken – und drinnen brannte nur eine düstere Lampe, ihren rothen matten Schein auf die Ottomane werfend. Wehende / - - 445 Lüftchen schlüpften durch die Jalousien und fächelten den Glühenden Kühlung. Außen aber fand horchend die keusche Jungfrau Louise und lehnte die Wange an die kühlen, feuchten Fachfenster, um zu sehen, was innen vorging. Züchtig erröthend, und wiederum blaß vor Schreck, wandte sie sich ab und verhüllte ihre thränen- feuchten Augen. Noch ein Mal blickte sie schüchtern hin, und es wogten in der unentweihten Brust Kränkung der , Schwesterliebe, Schmerz und geheime Sinnlichkeit. Dann eilte sie hinweg, wie der Nebel über die Wiesen, und warf sich in Thränen gebadete Kiffen.“ „Im Vertrauen, Lindor, – Louise hat mir die Historie erzählt, aber schweige lieber, trauriger Knabe, denn kein sterblicher Mensch kennt fie.“ Als er geendigt hatte, fing er an zu lachen und bewegte sich dabei so heftig in dem kleinen Wagen, daß ich fürchtete, ich werde ihm Platz machen und auf die Straße fallen müffen. Der „Student“ machte einen gewaltigen Sprung als wollte er nach dem Monde schnap- pen und der Wagen rollte über einen Schutthaufen. „Warum lachst Du, Ungethüm?“ „Nun und warum follte ich nicht. Habe ich nicht lange genug in Deinem Herzen geschlafen – glaube mir, es sieht verdammt langweilig darin aus. Habe ich Dir endlich nicht die ganze Geschichte mit dem möglichsten Ernte erzählt und eine Farbenpracht verschwendet bei der /14 Schilderung, die kaum einen Romanschreiber Unehre ma- chen würde, und was die üppigen Szenen betrifft – hat je Clauren so frivol ein Rendevous erzählt? Du hat alle Ursache zufrieden zu fein mit mir, und kannst es mir wohl vergönnen, wenn ich lache. – Glaube mir, Lindor, das Weinen und Grollen macht trübe Augen. Balle die Faust nicht so, als wolltest Du mit dem lieben Gott Raufhändel anfangen – er fürchtet den Grimm einer Mücke nicht. Wozu hast Du Lachmuskeln im Gesichte, wozu ein Zwerchfell – wozu endlich Deine enorme Weisheit, als zum Lachen. Lache doch – und Du wirst glücklich sein.“ . . . - - „Schweig Teufel –“ - , - - Als ich ein Knabe war, da dachte ich an David und sank in einer mondhellen Nacht, als Wolken wie Geister am Fenster vorüberzogen und mein wacher Geist sich freute, daß kein profanes Leben sich regte als die heilige, gottvolle Natur, berauscht von dem leisen Athem ihres Lebens, hin auf meine Kniee und meine Augen glänzten in Flammen und Thränenthau: Gieb mir Weisheit mein Gott und laffe mich nicht vergehen in Alltäglichkeit! betete ich laut und inbrünstig, als hätte ich meine See- ligkeit für jetzt und immer erfleht. Die tückischen Mächte aber winkten gewährend und so ward ich weise, so weise, daß ich nicht verstand, was die Menschen lehrten, daß ich nichts fah als ein nebliches Nichts, wo die Menschen 145 der Heiligkeit und Gottheit in einem Phantom ihr Opfer brachten, daß der farbige Schleier, der die Welt in para- diesischem Lichte malt, vor meinen Augen sank wie ein beseligender Traum und ich nichts sah als den Tod in allen Masken des Lebens, ekelhaftes Werden aus übel- riechender Verwesung, Trug und Täuschung, unglück und Jammer, daß ich es richtig erforscht, wie der Mensch nicht lebt einem Selbstzwecke der freien Macht, daß ein tyrannisches Gesetz die Natur beherrscht und des Menschen kräftiger Geist nur wirkt wie der Dampf in einer Dampf maschine. So weise ward ich, daß ich wußte, die Liebe ist nur ein schöner Wahn, daß ich wußte, die menschliche Tugend ist kein von Gott geborner Begriff, ein hölzernes Kruzifix, an dem der Wahn krampfhaft sich festhält in der: Trostlosigkeit der Weltordnung, so weise ward ich, daß ich keinen Gefallen fand an dem Spielzeug der Men- schen, daß ich mich nicht erbauen konnte, wenn sie beteten, daß ich nicht bewundern konnte ihre Größen, daß der größte Mensch seines und aller Jahrhunderte mir nichts schien als ein armseliger Wurm, daß keine menschliche That von mir bewundert wurde und die Geschichte der Herren der Welt mir nichts war als ein kindisches Mähr- chen, als eine Schaam erregende Rückerrinnerung an be- gangene Kindereien, daß die Völker ich geringschätzte wie hörichte hilflose Kinder, daß ich in der Geschichte der Jahrtausende nichts fand als den grausamen Verstand des eisernen Naturgesetzes. Und um daß ich nicht ver- 10 1A6 - gehe in Alltäglichkeit, gaben mir die höhnischen Mächte eine Empfindung, so stark wie die Schwungkraft der Planeten, und einen drei Spannen langen Arm, eine Em- pfindung, die hinaus strebt in den ewigen Weltraum, zu- sammengepreßt in eine atomische Endlichkeit, in eine elende Menschenbrust mit einigen zwanzig Rippen. Eine Empfindung, die meinen Körper erdrückt, die mich martert im Schmerz, wie keine Menschen erdenkliche Qual, die mich martert in der Freude, denn sie springt hinaus mit wilder dämonischer Kraft über die wohlthätigen Schranken menschlichen Empfindens. Hätte ich einen Todfeind, der meine Ehre beschmutzt, mein Weib verführt und mein Kind ermordet, der meinen Namen mit Schmach besudelt hätte, ich würde ihm nicht diese Folter der Empfindung wünschen, nicht jenen Gram, der alle Fibern des Gehirns zerreißt und das Herz erdrückt wie Ersticken, nicht jenen Zorn, der in allen Adern rast, der aus dem brennenden Auge sprüht, der keine Waffe findet menschlicher Erfin- dung oder Ermeffung, die der Vernichtung eines Gedan- kens entspräche, nicht diese Wuth, die wie ein elektrischer Schlag nach fruchtloser kurzer Bewegung den Körper nie- derwirft, nicht diese Liebe, die kein irdisches Weib erfaßt, die in der Umarmung tödtet, nicht diese Freude, die wüthet und zerstört wie ein rasender Orkan bei fonnen- hellem Himmel. Ich bin ein Pessimist, sagen die Leute – o nein, die Welt ist schön und wohlgemacht, aber ich bin das einzige mißgeschaffene Ungethüm in ihr, ein 447 Fluch der Natur – Gott oder Teufel war der Schöpfung Gedanke, aber zwischen Himmel und Hölle blieb er auf die Erde gebannt als Mensch.“ - „O wie schön sprichst Du, Lindor, wahrhaftig wie Young in feinen Nachtgedanken – Deine Philosophie ist nicht übel, neu und pikant, aber traurig, und das ist schlimm. Wirf allen fentimentalen Plunder aus Deinem Herzen und alle Gedanken aus dem Kopf, dann hilft Dir ein Schluck Wein von Deiner Trübseligkeit. Glaube mir, Du bist nicht der erste, der leidet in der Welt, aber der erste, der nicht zu Vernunft kommen will. Sieh, Lindor, hier hast Du eine Fliege, die Dir immer um den Kopf fummte – ich habe sie gefangen – was thut ein vernünftiger Mensch, um die Qual los zu werden? – Er schlägt sie todt.“ - - - „Dein Gleichniß ist schlecht – mich quält die Welt.“ * - - - - - „Gut, so schlage sie todt“ - „Du bist fehr aufgeräumt – ich danke Dir – doch hier find wir in – Hollabrunn.“ „Holla, aufgemacht, ihr faulen Schlingel“ Nach einer halben Stunde kam der Hausknecht und der Wagen fuhr in den Hof - - : - >. 148 Sie b e n t er T. ag (Ein poetischer Morgen. Ein Lustspiel und Trauerspiel. Klosterneuburg. Ankunft in Wien.) - - Nach zwei Stunden eines peinvollen Halbschlafes mit bösen Träumen und Gaukelbildern kam der Wirth im Schlafrocke zu mir und benachrichtigte mich: „ich könne mit dem Gesellschaftswagen nach Korneuburg fahren und zwar sogleich, weil mir schon um schnelle Beförderung zu thun wäre.“ - - - . . „Ich fahre nicht in Gesellschaft,“ antwortete ich mürrisch. Der Wirth ging, nachdem er mich eine Minute zweifelhaft angestaunt hatte. Nach zehn Minuten kam er wieder. „Sie können ohne Gefellfchaft fellschaftswagen fahren.“ „Gut.“ Ich zahlte nun 3 oder 4 Gulden und fuhr ganz allein in einem für zehn Personen geräumigen Wagen fort. Heute noch bist du in den Mauern Wiens, - dachte ich, und mir pochte das Herz, aber die Aufregung that mir weh, denn die gestrige Fahrt, die Ankunft mei- nes Gefährten und Mangel an Ruhe hatten meine Kräfte erschöpft. Frost schüttelte meine Glieder und meine Au- gen brannten mir; die Wände und Bedeckung des Wa- - gens raubten mir alle Aussicht, auch fand ich keine Lust - - - - - - - - auf dem Ge- MA9 in mir, mich um Aeußeres zu bekümmern. Wie bekämpfe ich die peinliche Aufregung der Ungeduld und Erwartung? Mache den Entwurf eines Trauer- oder Lustspiels, eines epischen Gedichtes oder dergleichen, das hilft für Aufregung und Langeweile.“ Es sei: - Hochlöbliches Collegium Unwiffende und gelehrten Leute, Verstockt und liberal und dumm, Ich will euch fetzen nun ins Breite, Was sich begeben hier und da, In Rußland, Deutschland, Gallia. Doch sei mir keiner so naseweis, - - Was ich im Schweiß meines Angesichts Gereimt euch hab nach meiner Weis", Zu tadeln, gleich eines dummen Wichtes Gar hochgelahrte Fafelei, - Politische Alfanzerei! Doch die Manier eines politischen Lehrgedichts ist schlecht gewählt. Was fang ich an? Es gab eine Zeit, wo ich zu Allem Talent und Lust verspürte, wenn ich eine Geige hörte, wollte ich ein Tonkünstler werden, wenn ich ein Buch las, wollte ich schriftstellern, wenn ich Waf- fen sah, wollte ich Soldat werden. Was ist aber aus mir geworden? Ein Tonkünstler ohne Kunst, ein Soldat ohne Waffen, ein Staatsmann ohne Wirksamkeit, ein Gelehrter ohne Gelehrsamkeit - - - 50 Des ewig wandernden Juden Reise durch das heutige Europa ist ein schönes Thema. Mache einen Plan. O- nein! Ich fange mit dem ersten Gefange an: Er ist er Gefang. Brausenden Wettern gleich brummt's in den Klüften des Sinai – Also schnarcht Ahasver, der ewig wandelnde Jude, Fest, beharrlich, verstockt wie er war, als er Christum beleidigt, Und es weckte ihn nicht mit Rosenfingern Aurora, Auch die Bröcklein Gesteins nicht, die ein Kobold grim- - mig ihm hinwarf Auf die weithin ragende Nase mit dampfenden Nüstern, Nicht der winselnde Spitz, der, von düsterer Ahnung ergriffen, Wedelnden Schwanzes umherlief, den Juden forgsam beschnüffelnd. Plötzlich aber erscholl eine Stimme, wie brüllende Ochsen: „Hebe dich weg von hier mit Sturmeseile, du - Saufaus! „Hin nach Europa zieh, wo ein großer Narrenspektakel „Jetzo schon wild anhebt auf vielen blutigen Fluren. „Denn es machen Bankrott viel hoch erhab'ne Fürsten, - - „Welche die Völker regieren mit Blut aussaugender Milde, - - - 51 . Doch halt ein – du wirst fad und grob. Der Gegenstand von dieser Seite gefaßt, interessiert dich nicht. Versuche dich in Zwischenszenen. Die Ankunft des Juden an der österreichischen Grenze: Also unendlich tief versunken in weiser Betrachtung, Zog er finnend dahin, vom traurigen Spitze begleitet, Welcher wie Ahasver fein Haupt zur Erde gesenkt, - Eingezogenen Schweifs dicht hinter dem Weisen einher- fchlich. Als ihn aber erfaßt im Schmerz ein hoher Gedanke, Richtet das Haupt er empor zu den sternumkränzten Wolken. Aber, o Himmel! da stieß er sich mächtig die Nas" an den Schlagbaum. Das geht auch nicht. – Wien! Heute in Wien! Mein Herz schlägt dir bang entgegen. Fort Ungeduld Mache ein Liebesgedicht, Kopfhänger. Aber ich habe keine Liebe mehr in mir, kein Fünkchen Liebe oder nichts als Liebe. Laura! welche Tyrannei Uebst du über mich, den Sklaven? Laura Laura! gib mich frei, - Lös" den Bann der Zauberei, Die mit Banden mich umstrickt, Die auf ewig mich gebunden, - 152 Seit ich dir ins Aug' geblickt, - Seit ich deine Hand gedrückt. - - - - - Bist mein Gott und meine Welt, Hat den Willen mir entwunden, Wenn ich bete, denk' ich dich! Wenn ich träume, träum' ich dich! Ein Gedanke nur umflicht - - All' mein Denken und Empfinden – Meine Sonne – du! mein Licht, „ . . . Das ich lebend miffe nicht. - Wie ein folgsam frommes Kind Lausch' ich deiner Wünsche, Winke, - - Weinte mir die Augen blind, Wärst du hold mir nicht gesinnt. „ Ford're Opfer ab von mir, Ford're launisch Blut und Leben, - , « Freudig geb' ich beides dir, - - - Lächelst du im Tode mir. - Das wäre fertig, aber wie ledern! Man hat mich oft treuherzig gefragt, warum ich so wenig in Versen schreibe und warum meine Verse so gedankenleer find? Das will ich euch sagen. Weil ich die Versmacherei nicht achte und weil ich nicht so langsam denke und em- pfinde, daß ich Zeit hätte Verse zu schneidern. Ein Ge- 153 fang, Sonnett, auch etwa Humoristisches, Satyrisches mag hingehen, aber lyrische Poesie in Versen ist Pegasus im Joche. Was versteht ihr überhaupt unter Poesie, wenn nicht die Versemacherei? Denn Poesie ist höhere Lebensempfindung, phantastische Weltanschauung. „Höre, Lindor, mit kritischen Vorlesungen machst du kein Glück bei deutschen Professoren. Versuche dich im Dramatischen“ - Wenn nur der Wagen nicht o stieße – ich sitze sehr schlecht. - - - - - - Das ist eine gute Situation zu einem Lustspiele. Ich wüßte einen guten Stoff aus dem Leben. Mein Freund B. trug neulich dem Vater zweier schöner Töchter, die sich insgeheim mit feinen Neffen versprochen hatten, eine Wette um hohes Geld an, er wolle die züchtigen Töchterlein mit ihrer Einwilligung aus seinem Hause entführen. Gelänge ihm dieß, fo folle er frei über ihre Hand disponiren können, wo nicht, fo zahle er eine be- trächtliche Summe. Die Wette wurde bei einer Flasche Wein angenommen, denn der Vater hatte eine hohe Meinung von der Tugend feiner Töchter. Die Entfüh- rung gelang natürlich mit Hilfe der Geliebten, aber die Wette wurde nicht gehalten; das thut aber nichts zur Sache. Ich prelle den Alten und mache die jungen Leute glücklich in meinem Lustspiele. Der Vorhang geht auf – die Vorstellung beginnt. Der Winter sei der geprellte Vater und Major Krips der Protektor der Liebenden. 154 Erster Aufzug Erste Szen «. (Gaststube.) P e r fon en: Major Krips. Gastwirth Winter. Major (lesend). „Wer, im Besitz von schönen Töchtern, Auf ihre Tugend gar zu viel vertraut, Dem biete ich hiermit die Wette an: - Daß ich dem Vater seine spröden Kinder, So viel er deren hat, in dreißig Tagen Ohn" Trug und List aus feinem Haus entführ; Das Wagstück gelte zwanzigtausend Pfund, - Gewinn ich fie, so bleibt mir doch das Recht, Den Mädchen ganz nach meiner eignen Wahl Zu kuppeln allen einen Ehgemahl.“ Doch diese Exposition wäre zu rasch. Man muß den Zuschauer anfangs langweilen und feine ganze Auf- merksamkeit auf das Ende wenden. Auch wäre eine vor- läufige Charakterentwicklung nicht überflüssig. Also noch ein Mal. - – 155 - Er ist er Aufzug. Erste Szene. (Garten.) P e r f.o n en: Die Mama. - - Die eine Verliebte. (Die eine Verliebte fitzt auf einer Gartenbank und liest sehr auf merksam. Sie hat es wohl bemerkt, daß fich Mama nähert, aber fie will mit ihr Komödie spielen, wie alle Töchter, und fcheint daher ihre Mutter nicht zu bemerken. Von Zeit zu Zeit trocknet sie sich Thränen, die nicht fließen, und gebährdet fich im höchsten Grade gerührt durch den Inhalt des Buches, obgleich dies noch keinem Schriftsteller in ihrer Hand gelungen war, Endlich spricht fie:) Ach! Mama, Da sitzt sie nun, das Kind, und starret in den Sand Und thut sentimental, das Buch in ihrer Hand, Ich wett' 's ist ein Roman, der ihr den Kopf verrückt, In dem durch den Papa ein Liebesplan mißglückt. Und doch – sie dauert mich, sie war so froh und munter, Nun hänget sie den Kopf, es finkt kein Tag hinunter, Daß sie nicht feufzt und weint, den lieben Gott verklagt. Therese - - - - 156 - - Die Tochter. Mutter, Sie? (Käßt ihr die Hand.) Recht guten - Morgen, Sie haben sich so früh schon in die Luft gewagt? Mama. Ja wohl, es ist so kalt! mich weckten Muttersorgen. Doch komm' ich Dir vielleicht zur ungelegenen Zeit Und wenn ich etwa gar Dich in der Andacht störe, (Zeigt auf das Buch.) - So bin ich jederzeit zu gehen stets bereit. Die Tochter. Sie scherzen, dieses Buch enthält nur eine Mähre Von eines Vaters Kind, das seine Grausamkeit Zum schlimmen Ehebund und acht zum Selbstmord zwang. Mama (reißt ihr das Buch aus den Händen). Wie? was? so tolles Zeug, wie kam's in Deine Hände? Wenn nun der Vater gar das Büchlein bei Dir fände? O über den schleppenden Alexandriner, und doch paßt kein anderer Vers für weibliche Conversation. Aber warum fängst du auch mit den weiblichen Charakteren an, ihre Schilderung ist schwer, denn sie sind nur conse- quent und von Entschiedenheit im Wankelmuthe. Lindor, Lindor, du kennst das Theaterpublikum nicht – es will nur Engel auf dem Theater in weiblicher Gestalt und, - - 157 Teufel nur in männlicher. Mit einem einzigen guten Mann in Gestalt eines Liebhabers reichst du aus im Luft- spiele, denn der Zuschauer denkt sich an die Stelle dieses Einzigen und haßt alle übrigen Männer, wie ein geiler Hund alle Männchen beißt, aber nicht genug mit einem einzigen englischen Mädchen, denn der Zuschauer will wenigstens drei zur Befriedigung der Augen und Herzen. Darum fange noch ein Mal an, mein Freund, und mache deine Heldinnen zu lauter Engeln. Schildere die eine als zurückhaltend, ernst, streng in ihren Grundsätzen, voll kindlichem Gehorsam. Der Kampf mit den Ver- führungskünsten ihres Geliebten gibt dann eine interes- fante Partie. Die andere stelle dem geneigten Publikum als ein munteres, frohes Mädchen vor, mit ausgelaffener Laune, weiblichen Schwächen, aber einem guten Herzen. Beide mache so liebenswürdig, als du kannst, und ver- stehst du es, durch ein Paar schmachtende Szenen die Sinnlichkeit des Zuschauers zu erregen, durch einige Poffen - feine erhabenen Lachmuskeln zu irritieren und die alten garstigen Eltern recht arg zu prellen – dann, Lindor, ist dein Glück als Lustspieldichter gemacht und alle The- aterdirektionen in Deutschland enden dir Geld, bis auf die, welche dir das Honorar fchuldig bleiben. - - - - - - Sehr gut, mein Lehrmeister, ich werde nicht er- mangeln, die betrügerischen Theaterdirektoren durchzuprü- geln. Also noch ein Mal: - - Er ist er Aufzug Erste Szene. (NB. Es wird nämlich angenommen, und das Publikum hiervon durch den Souffleur in Kenntniß gesetzt, daß der alte Papa feine Töchter an ein Paar alte fchuftige Junggesellen verhei- rathen will, wovon der eine dick ist, der andere dünn, der eine dumm, der andre Bramarbas, beide aber geckenhaft verliebt und reich.) (Wohnzimmer in Winters Hause) Die andere Verliebte (allein, am Stickrahmen). „. . Drei Monat schon verliebt! – kaum glaublich ist's, Und noch kein zärtlich Wort, kein Rendezvous, Nur Seufzer, Augensprach, Guitarregeklimper, "s ist zum Verzweifeln mit verliebten Männern! Der eine ist zu rasch, verwegen, kühn, Der andre langweilt uns mit Sentimenten, Der glaubt, wir find von Wachs – der meint, von Stein, Der hängt den Kopf und weint, der lacht und stürmt Und wähnt, in Flammen müßten wir vergehn. Einbilderich Geschlecht, der Schöpfung Herr, Gemodelt wird er erst in unserer schwachen Hand, Wir bilden ihn, und meißeln und polieren Aus einem Klotz den zärtlichsten Gemahl, 59 Das weichste Kind zum eifenfesten Mann. Und dennoch lieben wir, was uns verdrießt, Und was uns reizt, ist ihre größte Schwäche. (Nach einer kleinen Pause hebt sie an, über ihren Vater zu klagen, und über die Fruchtlosigkeit ihrer Einwürfe gegen die Verheie rathung mit dem alten Bräutigam:) Sag' ich: Papa! er hinkt auf einem Fuß, So steht er um so fester auf dem andern. - - Beklag' ich mich – ach, schielte er doch nicht! – - Da heißt es: Gut, er fieht nach allen Seiten. - - . Sag' ich: der Mann ist ja bereits ergraut, Meint er: gewiß, vor sechs und vierzig Jahren, Gab's schönre Haare nicht, als eine waren. - Wer hilft mir da? mein feufzender Galan? Entführt der Schüchterne mich nicht, Nun, gut – dann – dann (mit Pathos) entführ" - ich ihn. - Doch horch! (man hört eine Guitarre) da haben wir's, schon - wieder klingt Die leidige Guitarre, statt daß Adonis Sich selber präsentierte – - - - - (Ein Apfel mit einem Billet fliegt zum Fenster herein.) Ein Apfel, und so ein Liebesbrief darin - Sieh da! wie zärtlich, schmeichelnd, und galant, (Küßt des Blatt.) – “ - Der süße Schwärmer. - … - - - 160 - --- Emilie (tritt auf, und Julie verbirgt das Papier) . - - Schwester, weißt Du schon – mit 5 : . - - - Julie. - - - - - - i Daß Du heirathen mußt, und ich dazu, " . . . » Du machst Dein Glück, und ich – ich geh' davon. - … : Emilie (spöttisch)- , .. ::: - - - Mein Glück? Ja wohl! Ein abgezehrter Geizhals Wirbt nun um meine Hand. Mit sechszehn Jahren - An einen Funfziger vermählt, der schon - - - - - Mehr todt, als lebend ist, bald mich verwittibt, läßt. , Kann man ein größer Glück sich denken? – Schwester, Ich trag' es nicht, mir kostet es das Leben. - - - (Wirft sich in einen Stuhl) : - - - - - - - - - - - Julie, Gronisch). - - - - - > - 1: " . . ------ ------ -- " - - - - - - - - - - - Et, eilt mein Kind, Du ilmmt das zu genau, - - Der Mann, wahrhaftig, ist so übel nicht, / Als mein Stück Bräutigam von dritthalb Centnern, Es ist ein feiner Mann, der Herr Major, Hat guten Ton, und ist dazu ein Held, " . . ." Zudem hast Du Grundsätze in der Liebe, :: . . >> Wie in der „Heirath aus Vernunft,“ ein Stück, Das Dir gefiel – - - - - - - - - - Emilie (heftig). - - Und das der größte Marr Geschrieben. - - - - 16 - Julie. - - Wie? Der größte Narr? sagst Du? Wie anders klingt dies Wort, als Deine Lehre Vom kindlichen Gehorsam? puncto Liebe. Ei, ei! Herr Lustspieldichter, das heißt man aus der Rolle gefallen. Das setzte deine Heldin in ein schlechtes Licht, wenn sie ihren kindlichen Gehorsam fchon im ersten Akte aufgäbe. Mehr Charakterstärke, mein Herr, wenn fie auch dem Weibe nicht natürlich ist. Versuche es mit den Männern. Schildere den Charakter eines Bräutigams in einem ergötzlichen Monologe. - – A. k. t. - – Szene. Magister Plump (tritt vor den Spiegel). Fürwahrl Natur, du hast ein Meisterstück An mir vollbracht! Doch hab' ich auch Verdienst An deiner Arbeit, jene runde Fülle (Auf den Bauch klopfend) Des Schmerbauchs und das Roth der vollen Backen, Mein Werk ist es, Natur! Mit Bienenfleiß Hab' ich von Kindheit auf mich wohl gemästet, Gehegt mich und gepflegt, wie feine Schweine Der Nachbar Klaus! und manches Opfer hat Mein Leib gekostet; oft, wenn ich als Kind Vom Heerd die halb gebrat'nen, Gänse fraß, 11 162 Da gab es Püffe! meine fel'ge Mutter, Gott tröste fiel die hat mir oft gesagt: Wenn du so fortfährt, Kilian, so wirst - Du wie ein Mastochs dick, der Welt zum Ekel! Das feuerte mich an, und von der Stunde Bemüht ich mich, zu bilden mein Talent. So hab' ich's endlich nun, nach manchem Drangsal, So herrlich weit gebracht. Dick wär' nicht schön, sagt man – Gott's Donnerwetter! So'n Windhund, so’ne dürre Krötenseele, Wie Major Krips – (taumelt und stößt an den Major) (verblüfft) ei, guten Morgen, Herr Major! Major Krips. Ihr spracht von mir? Plump. - Mein – ja – doch nur Mit dem geziemenden Respekt. - Major. Ihr nanntet Mich einen Windhund, eine Krötenseele? Plump. Behüte! Das war nur auf mich gemünzt, Sie sehen ja, Herr Major, daß ich so mager. -, Nicht übel – die epikurische Philosophie einer ge- meinen Seele spricht sich in dem Monologe ganz gut aus, 163 die Attrappe mit dem Major ist gut gerathen. Es er, übrigt nur noch, den Bramarbas durch den hinkenden Major zu charakterisieren. Das geht mit drei Worten: – S. z e n e. Major Krips (im Gespräch mit Winter). Die vielen ausgestand'nen Kriegsstrapazen, - Die lähmten mir mein linkes Heldenbein – Der junge Krips (unterbricht ihn). Papa! ich meinte stets, das Zipperlein – - Major Krips. Stil, Naseweis – (besinnt sich) wo blieb ich doch nur N stehen – Krips. Beim linken Heldenbein. Major Krips. Ganz recht, mein Sohn. Ach, ach – der Humor geht mir aus – die Pferde wollen nicht fort und – Wien ist so nahe. Schon sehe ich die Thürme von Korneuburg, obwohl ich noch eine Stunde davon entfernt bin. Die schnurgerade Straße täuscht das Auge im Ermeffen der Entfernung. So geht es Allen, die den geraden Weg gehen, das Ziel fcheint ihnen stets nahe, und auf dem Wege sterben fie vor Langerweile – und faffen sie das Ziel genau in die 11 * 164 - Augen, so ist es das Ende der Wanderung – der Tod. Den erreichen wir aber auf allen Wegen, darum gehe jeder krumme Wege, über Thäler und Berge. Mache ein Trauerspiel, Lindor. Ich selbst bin ein fertiges – mit der Müllnerschen Schicksalsidee, selbst Dichter, Held, Schauspieler und Schauplatz. Weißt du keine größere Tragödie als die deines Herzens? - - O ja – mein Vaterland- Zeit der Unterjochung durch die Römer. Die Freiheit wurde theuer an sie ver- kauft, die norischen Männer kämpften wie Löwen, und selbst Weiber führten das Schwert gegen die Unter- drücker, ermordeten ihre Kinder, damit sie nicht Sklaven würden. Frankreich hat eine Jungfrau von Orleans, die für einen schwachen Fürsten kämpfte, Norikum, Oesterreich hunderte von Jungfrauen, welche mit heiligem Eifer für die Freiheit des Vaterlandes kämpften und farben. Laffen wir eine hervortreten, als Heldin, aus den Reihen ihrer Schwestern. Sie ist keine spröde Schöne, wie Jo- hanna d'Arc, ja sie liebt, aber sie opfert ihre Liebe dem Vaterlande. Wie Johannen offenbart sich ihr der Geist des Schicksals in einem Traume. Er spricht zu ihr streng und mild: Dein Gebet Kann dir frommen, Haft gefleht, Bin gekommen. - Tod und Leben Kann ich geben, - : Retten in der Noth: - - - Schmach und Leben, - Ruhm und Tod Strebst du nach des Glückes Lüften, Suchst du eine Blumenflur, - Findst du in des Lebens Wüsten Eine einzige Quelle nur. Hell und lockend wird sie blinken, Doch nie Ruhe wirst du trinken, Immer Qual nur, armes Herz! Laben wird sie dich auf Stunden, Heilen deine blutigen Wunden, Zu verlängern deinen Schmerz, - Tropfen wird sie karg einst spenden, Und die Pein wird dann erst enden, … … Wenn die Quelle nimmer fließt, Wenn versiegt des Lebens Born, - Wenn gesühnt des Himmels Zorn, Walhalla dich wieder grüßt. Aber dich vor Schmach zu retten, Kann ich dich zum Tode betten, Wähle zwischen Tod und Schmach . . . . .“ - - - 166 - - Aus dem Blutkampf der Kohorte Führ' ich durch des Todes Pforte, Jungfrau, dich in's Brautgemach! Aber auch einen Herrmann hat mein Trauerspiel – einen Heldenjüngling, der in glühender Vaterlandsliebe verwundet, von einer, Höhe hinabsieht, auf die rauchende“ Schlacht, wo seine Liebe kämpft: Wie fie, das Weib, mit glühendem Gesicht Einherstürzt, Tod verbreitend im Gewühle – Von diesen Weibern. Eine ist fürwahr Mehr werth, als hundert eurer besten Mannen! Aber das Häuflein der Noriker wird immer kleiner, das Schlachtenglück ist bei den römischen Legionen. In Todesangst rafft fich der Jüngling noch ein Mal auf und betet zu seinem Götzen für das verblutende Vaterland: Hilf, Bel unser Banner sinkt im Kampf, Sind alle Himmel taub! ist keine Rettung mehr, Giebt's keine Opfer mehr, dich zu versöhnen, Kein Blut, das deiner werth am Altar raucht. Ein großer Gedanke ist der letzte des Sterbenden. Verzweifelnd ruft er dem Gotte zu: Mein Glück und meinen Stolz, den heim'schen Heerd, Mein Leben werf' ich hin, dir Schreckensgott, Mein Opfer nimmt nimm fiel fürs Vaterland (Er stirbt.) 167 Doch da bin ich mit meinem Trauerspiele auch zu Ende. Voll von dem Gedanken, mit dem Entwurf ein- zelner Szenen beschäftigt, habe ich meine Jagdtasche von dem Wagen genommen, einem Träger übergeben und stehe nun nach einem kurzen Wege durch die Auen des Isthers am Ufer des Stromes. Hier ist der Schauplatz meines Trauerspiels. Gegenüber, dort wo die Zinnen von Klosterneuburg mit ihren riesigen Kronen empor- streben, baute die Tyrannei auf den Brandstätten der norischen Hütten römische Kastelle und nannte das Land Noricum ripenfe! Hier, in den wild bewegten Fluthen, die ein heftiger Wind schlägt, ertranken Römer und No- riker – in diesen Auen ächzten die Sterbenden. Und seitdem find achtzehn Jahrhunderte vorübergestürmt. Auf einem großen Kahne fuhr ich, in Gesellschaft eines Paters, einer Obstfrau und eines Schweinhirten, über die Donau hinüber nach Klosterneuburg, der Wind ging heftig und wir wurden weit stromabwärts getrieben. Endlich langten wir am Ufer an. Klosterneuburg ist eine kleine, aber historisch merkwürdige Stadt. Es war das römische Citium und wurde später als Nivenburg von Rudolph von Habsburg und Mathias Korvin belagert. Das reiche Kloster stiftete der heilige Leopold, der hier mit seiner Gemahlin Agnes begraben liegt. Obwohl MUN Agnese eben so heilig war, als Leopold, so wurde doch nur Leopold heilig gesprochen von Innocenz VIII. Die schönsten Weingebirge in der Umgegend gehören s 163 em Kloster, weshalb es in den früheren Zeiten „beim innenden Zapfen“ genannt wurde. Der Stiftskeller hat bei den Weinschmeckern eine große Celebrität, denn »ie Chorherren verkaufen darin den herrlichen milden Weidlinger und andere treffliche Weine. Viele treff iche Männer und ausgezeichnete Gelehrte sind in dieses Stift eingegangen, aber es scheint, daß die Zeiten seines Flors vorbei find. Der prächtige Palast, den sich die Chorherren hier erbauten, erinnert an die Geschichte des vorigen Jahrhunderts. Anfangs war gute Zeit und die Herren gedachten sich ein solides Wohnhaus zu bauen, das eben fo dauerhaft und schön wäre als eine kaiserliche Burg. Aber während sie bauten, kam plötzlich Dürre in ihre Hoffnungen und das Schloß konnte nicht feinen natürlichen Wachsthum erreichen. Da steht es nun, eine Mißgeburt der Zeit – ein halbes Ding wie das jüngste Kind feiner alten Mutter. Ein Wiener Fiakre brachte mich in einem leichten Bastard mit flüchtigen ungarischen Roffen bespannt bald nach Wien. An der Linie trat ein Polizeioffiziant an den Wagenschlag und fragte: - „Woher? „Von der Jagd“ - Ein anderer kam: „Nichts Mauthbares?“ „Nein.“ - 169 Damit war es abgethan. Da hier keine Haupt- straße hereinführt, so macht man es kurz, und der Reisende, der in der Nähe ein Wiener Fuhrwerk miethet und sich anstellt als käme er vom Lande, kann, ohne um feinen Paß gefragt zu werden, sich hineinschmuggeln. Ich war wieder in den geliebten Mauern. Jede - Straße, jedes Haus, jedes Schild und jeder Bier- und Weinzeiger grüßte mich als einen alten Bekannten. Um nicht erkannt zu werden, hatte ich eine schwarze Brille aufgesetzt – unter den dreimalhunderttausend Physiogno- mien waren mir viele bekannt geblieben. Von meinen Gefühlen nichts. Ich weinte, lachte, athmete heftig. Mein Kopf fing mich an zu schmerzen. - „Hier – hier ist das Haus, wohin ich meine Lieben beschieden hatte. Halt, halt Kutscher!“ Am Thorwege empfing mich ein Bruder stumm, blaß, mit trähnenden Augen, steinernem Gesicht. Ich stürzte die Treppe hinauf, an der offenen Thüre fan- den, weinten sie, vier mir theure Menschen umklammer- ten mich. - - - - „Gott zum Gruß Gott zum Gruß!“ - „Ruhe Lieber – ruhe – ach Gott nur vier und zwanzig Stunden – Fassung! Mutter!“ „Fort meine Lieben, kommt, hier find wir nicht allein und frei, die Häuser sind Ketten, fort hinaus auf das Land!“ - - 170 Schweigend eilten wir die Treppe herunter, sie stie- gen in den Wagen. „Wohin euer Gnaden?“ fragte der Fiakre. „Nach W– fort.“ , ... … Der Wagenschlag wurde zugeschlagen. Zwanzig Stunden im engen Kreise folgten hierauf - A cht e r Tag. (Alte Liebe rostet. – Ein Besuch im Tollhause.) „Meine Theure! wie seltsam hat sich das Verhält- miß zwischen uns gestaltet. Als Kinder waren wir ver- liebt, als Erwachsene find wir nur Freunde!“. So redete ich am folgenden Morgen die schöne L. an und küßte ihr galant die Hand. Mit den frischen modischen Kleidern zog ich höfische Maniern an, und gefiel mir darin im Verkehr mit Damen. Die L. war ein schönes Weib geworden, und die noble Erziehung welche sie und ich genoffen hatten, war nicht ohne Erfolg geblieben bei ihr wie bei mir, denn das Weib hat nicht die Kraft, die Eindrücke der Jugend zu verwischen. Sie war daher ganz und gar feine Sitte und und zarte empfindsame Seele, aber das stürmische Gefühl eines heißen Her- zens war bezwungen – ich weiß nicht zu ihrem Vor- theit oder Nachtheil. Sie war schöner wie Laura und fand größeres Wohlgefallen vor meinem ästhetischen Auge, aber ich hätte sie nicht so lieben können wie Laura. Als 171 Kinder hatten wir uns herzlich geliebt und sogar schwärme- rich, denn wir lafen Petrarca mit einander und seuften, spielten Romeo und Giulietta und weinten, aber als fie älter ward wurde sie kälter – ich wärmer, und so fan- den wir bald daß wir nicht für einander taugten. Die Gouvernante hat sie ganz und gar für mich verdorben. - „Lindor“ sagte sie, „ich liebe Sie immer noch als Bruder, und es würde mich schmerzen wenn Sie nicht mein Gefühl erwiederten.“ - - - A/ Gewiß meine füße Blutsfreundin, ich liebe. Sie mehr als eine Schwester, aber weniger als eine Geliebte.“ „Dann bin ich zufrieden. - Mehr Liebe von Ihnen lieber Vetter, würde ich nicht ertragen können, und ich fürchte, zu Ihrem Unglück kein Weib. Sie fordern von Ihrer Geliebten gleiche Empfindung, aber ein Weib wäre rafend, liebte es so wie Sie.“ „Halten Sie mich für einen Othello in der Liebe?“ „Ja Vetter, fast noch für Etwas mehr.“ - „Dann thun Sie mir unrecht, denn ich bin nicht eifersüchtig, ich würde mein Weib nicht ermorden.“ , „Das nicht, aber sie wegen eines übel gedeuteten Blicks verlaffen was eben so schlimm ist.“ - „Sie können recht haben aber wir verstehen uns nicht.“ - So seltsam diese Erklärungen waren zwischen Per- fonen, welche einst für einander bestimmt gewesen; so hatten sie doch keine Bitterkeit für uns. Ich fand, daß 472 ich in dieser Nähe weniger litt von dem Aufgähren mei- ner Empfindungen. Die fanfte Milde und Ruhe in Ausdrucksweise und Gebährde wirkte beschwichtigend auf mein Gemüth, aber eben darum konnte ich sie nicht lie- ben, Ihr Vater, von dem sie ihren Charakter geerbt hatte, kam zu unserem tête à tête. „Ach Lindor,“ sagte er und runzelte besorgt die Stirn, „warum find Sie nicht bei uns geblieben.“ „Sie wissen warum, lieber Onkel, ich konnte nicht.“ “ „Konnten nicht? tolles Blut! man kann Alles, was man will. Doch genug, es ist einmal geschehen und unabänderlich. Das Uebrige wird sich bei Ihnen mit den zunehmenden Jahren finden.“ - „Nie!“ „Doch doch, mein Sohn, nur Geduld. Die Jahre find gewaltige Lehrmeister.“ Ich weiß nicht, was mich bei diesen Menschen so beruhigte. Eine innere Stimme gab ihm Recht und mein Herz fühlte sich zu ihm gezogen. Mir war unbeschreiblich behaglich in dieser Gesellschaft zu Muthe. Ich glaube, wäre ich immer unter solchen Menschen, ich würde ruhig. Der Wagen fuhr vor und ich nahm flüchtigen Ab- - fähied, um bald wieder zurückzukehren. \ 175 Mit meiner Einlaßkarte meldete ich mich bei dem Direktor des Lazareths und wurde sogleich in den Garten geführt, wo die Kranken alle versammelt waren, um sich im Freien zu ergehen. Vergebens suchte ich den G.; er war nicht hier. Da ich unter dem Vorwande gekommen war, als Fremder bie Anstalt zu besehen, so konnte ich nur im Allgemeinen fragen, ob alle Kranken hier im Garten wären. Man sagte mir: Ja. Indeffen hatte mich die Luft angewandelt, mit den Narren eine Konver- fation anzufangen, und ich sah es daher nicht ungern, als fich einer mir näherte, etwas vor sich hin murmelte und fich dann anschickte, in das Haus zu gehen, denn die Zeit der Freiheit war vorbei. Ich folgte den Kranken in das Konversationszimmer und hier entwickelten sich fol- gende Szenen. „Wer ist der Mann hier?“ fragte der Verrückte. „Die Leute nennen mich einen Gelehrten; aber ich fage Euch, daß ich nicht allein auf der Welt bin, um Bücher zu machen und gelehrten Trödel; und somit haltet mich für was Ihr wollt.“ „Was? ein Gelehrter, ein Büchermacher? Wahr- haftig, sehet Ihr mir nicht so vernünftig aus, daß ich vermuthen kann, es ist noch einiges Gehirn in Euerm Schädel, so schmiß ich Euch zur Thüre hinaus, daß Ihr Hals und Beine brächet. Wenn ich nur das Wort höre, Schriftsteller, Gelehrter, so fährt mir die Galle durch alle Glieder, und ich möchte einen Wanzentod erfinden für \- 4174 daß Geschmeiß. Elendes, feiges, schuftiges Gesindel; zu - dumm, zu nichtig, zu erbärmlich zur lebendigen That; feißt an todten Buchstaben, wie der Käfer am Aase und spielt mit dem Geist Affencomödie für ein paar lumpige Groschen und läßt ihn tanzen wie einen abgerichteten Hund zur Ergötzlichkeit des hohen Publikums. Der Beste unter Euch und hätte er einen brüllenden Namen, der von einem Meer zum andern hallt, dessen Echo durch drei Jahrhunderte fortbellte, der Beste und Berühmteste unter Euch ist nicht werth, daß man ihm einen Stein an den Hals bindet und in der nächsten Cloake ersäuft, wie einen räudigen Mops. Faselt von Unsterblichkeit das fade Volk und lebt und schafft doch nichts, was einer That gleich sähe, als wurmstichige Bücher mit den häßlichen Exere- menten ihres kreuzlahmen zeugungsunfähigen Verstandes. Wirken muß der Mensch und schaffen mit lebendiger Kraft für sich und das, was ihm gehört, für seine Umgebung, für seine Zeit, für sein Land, und der es nicht thut, nicht thun kann, der in geschäftiger Thatlosigkeit auf Chi- mären und Ideen reitet, hat keinen Antheil an dem Leben der Menschheit und ihrem Wachsthume, der treibt Sodomiterei mit feinem Geist, ist ein Verrückter, oder ein Dummkopf, oder ein Schuf. Wahrhaftig, ein Strumpfwirker hat mehr Antheil an der Weltgeschichte und ihrem Gange; er macht doch Strümpfe für feine Zeit- genoffen, und wollte ich einen schlechten Witz machen, so könnte ich fagen, er wirkt doch für die Grund- - - - – - - - - - - - - - - - ------- - 475 pfeiler der Menschheit. Eure Thätigkeit ist zwar auch gewissermaaßen eine Strumpfwirksamkeit, aber fie frommt. Niemanden, macht die Leute höchstens verrückt und dümmer, als sie auf die Welt gekommen sind. Meine Zeit gehört mir an, mein Raum und mein Jahrhun- dert, was darüber ist, bekümmert nur Narren; für mich, meine Kinder und meine Zeitgenoffen muß ich arbeiten und meine Kraft verwenden bis auf den letzten Funken, meine Hände muß ich brauchen, meine Füße und meinen Kopf, meine Augen, Ohren, alles Sinneswerkzeuge und Zeugungs-Gliedmaßen, will ich ganz feyn und leben in der Welt. Die Natur hat uns nicht Hände gegeben, daß wir sie in die Tasche stecken, nicht Beine, damit wir sie über den Stuhl herabhängen laffen und das Auge nicht, damit wir es zuschließen wie die Störche, wenn fie einen Frosch verzehrt haben, und uns von inwendig beschauen, wie die wahnsinnigen Kerle, die Philosophen, sagen. Heda, Leute! fchmeißt mir den Lumpenhund da zum Fenster hinaus, er ist ein Gelehrter!“ Der arme Mensch hatte sich ganz erschöpft durch feine Ausfälle ob die schuldlosen Kreaturen. In dem Zustande seiner Aufregung zu beweisen, daß ich kein Ge- lehrter sei, war unmöglich; denn hätte ich mich auch noch so dumm und unwissend gestellt, er würde gewiß gesagt haben, schmeißt ihn hinaus, er stellt sich nur so an, als ob er ein vernünftiger Mensch wäre, er ist aber ganz gewiß ein Gelehrter, denn er ist ein Dummkopf, 176 ein Ignorant, ein Hund! Ich entfernte mich daher so schnell als möglich von dem wahnsinnigen Censor und ging zu einem Mann über, welcher sich einbildete, die Welt fei zu Grunde gegangen und er habe fie überlebt mit noch einigen würdigen Freunden, worunter er die übrigen Narren im Hospital verstand. Er lebte im Jahre 1840, zählte jeden Monat 45 Tage und schien fehr ver- gnügt zu fein über das Ende der Welt. Der Mann war ein Astronom und beschäftigte fich, so lange er noch bei Sinnen war, mit dem Beweis, daß die Weltkörper nichts anders wären als herumfliegende Vögel, die sich gegenseitig begatten und fortpflanzen, einander auffäßen und von fich gäben, selbst aber eigentlich nur in dem Magen eines großen Vogels befindlich wären, welchen er Gott nannte. Der Enke'sche Komet vom Jahre 1834 war seiner Ansicht nach nichts anderes, als ein solcher Weltvogel, der sich unserer Erde in der Absicht nahete, mit ihr Unzucht zu treiben. Während des coitus, der, wie er glaubte, nun schon vor sechs Jahren vor sich ges gangen war, fagte er, habe unsere Erde, wie es manch mal schwachnervigen Weibern zu geschehen pflegt, derma- ßen heftige Krämpfe bekommen, daß sie des Todes ver- blich. In der Inbrunst, womit der Komet die arme Erde umarmte, sei es nun durchaus unvermeidlich gewe- fen, daß er die ganze Menschheit erdrückte und daher nichts davon übrig geblieben wäre, als die Wenigkeit feiner eignen Person und feiner andern wirklichen Freunde 177 - Narrenhause, welche das Glück gehabt hätten und Geistesgegenwart genug, fich in einer großen Arche auf dem Samenfluß des Kometen einzuschiffen und so zu retten. Manchmal änderte er aber seine Aussage und behauptete, die Erde wäre von dem feurigen Kometen verbrannt, zerquetscht und vernichtet worden und die See- len der Menschen und folglich auch die einige in einen andern Planeten gewandert. ueberhaupt änderte er seine dießfälligen Ansichten fehr häufig. Mir erzählte er folgendes. - D a s E. n d e d e r W. e il t. Phantafie eines Verrückten. - „Es sind nun gerade 6 Jahre her, seit die Welt zu Grunde ging. Ich fand auf dem Gipfel des Schnee- berges, von dem man, wie Sie wissen, ein gutes Stück dieses Jammerthales übersieht, um dem Spektakel mit anzusehen. Zwei Tage vorher war schon in der ganzen Stadt kein Fiacker zu bekommen, da Jedermann, der , nicht nothwendige Geschäfte zu verrichten hatte, feinen letzten Heller daran wendete, dem großen Schauspiele bei- zuwohnen und nebenbei, wie es bei dergleichen Excursio- nen gewöhnlich der Fall ist, sich gütlich zu thun. Daher kam es, daß das k. k. Versatzamt in den letzten Tagen - 78 dergestalt bestürmt wurde, daß man sich endlich genötid fah, die gewöhnliche Procedur, welche wegen ungemein großen Andrangs der Liederlichen und Armen eine ziem- liche Weile erheischt – abzukürzen und den Leuten auf ihre Gesichter Geld zu leihen, um nur die Anstalt nicht in Mißkredit zu bringen und das Gesindel fchnell abzu- fertigen. Ja, das Unerhörte geschah, und die Anstalt begnügte sich sogar Papiergeld für Gebühren anzunehmen, und die mitleidigen Unterhändler zwischen dem Amte und dem sich herandrängenden Volk, die sonst ihre Protektion und Verwendung fich theuer bezahlen laffen, begnügten sich diesmal mit einigen Groschen Kupfergeld. So lange Wien steht, hat weder eine Affenkomödie noch ein Feuer- werk, weder die Ankunft der Giraffe noch die Abreise Don Miguels mit der schönen Henriette, so großes Aufsehen gemacht, als die pompöse Ankündigung vom Ende der Welt, welche am 24. Juli 1834 Abends um 8 Uhr abgehalten werden sollte. Der fchreckliche Augenblick war herangerückt, aber die löblichen Behörden waren gefaßt darauf und hatten alle mögliche Maßregeln ergriffen, allenfallsigen Unglücks- fällen vorzubeugen, denn bei der Ueberschwemmung der Leopoldstadt hat man gefunden, daß derlei Elementarer- eigniffe ganz und gar polizeiwidrig und unangemeldet zu kommen pflegen. So war es z. B. allen zu Hause bleiben- den Einwohnern der Stadt, welche wegen Gicht oder sonsti- gen Beschwerden nicht aus dem Bette durften, bei Strafe - --- hgm ung eine it ultur alt mit ab fall men, Und tion le - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - * - 179 von 10 fl. W. W. verboten, zwischen 8 und 3 uhr aus dem Hause zu gehen. Nicht genug! Die Feuerpiquets wurden sogar verdoppelt und alle Spritzen von 3 Meilen im Umkreise zusammengeführt, ja sogar die Magistrats- spritze, welche bei vorkommenden Gefahren gewöhnlich die letzte zu fein pflegt, in gehörigen Stand gesetzt, denn die Gelehrten hatten geweissagt, es würden Flammen aus der Erde steigen, wodurch leicht ein Unglück fich hätte zutragen können. Die Gelehrten hatten ebenfalls gesagt, es wäre auch eine große Ueberschwemmung zu besorgen, – darum sah man an jedem Hause Kähne angekettet, welche gerade groß genug waren, daß 20 Personen darin mit der größten Bequemlichkeit hätten zu Grunde gehen und ertrinken können. Man kann es dabei keineswegs den Behörden zur Last legen, daß nicht so viel Kähne aufgebracht werden konnten, als nothwendig gewesen wären, die ganze Bevölkerung zu ersäufen. Denn man war wegen Mangel an Fahrzeugen genöthigt, die übrigen Menschen bei vorkommender Waffergefahr ihrem Schicksale im Trocknen zu überlaffen. Nachdem man sich solchergestalt für alle Möglichkeiten und unmöglich, keiten vorgesehen hatte, wurde der angehende Spektakel durch einen Signalschuß angekündigt. Doch ich bemerkte so eben zu meinem großen Leidwesen, daß eine Fliege auf Eurer Nase sitzt und Euch, ohne daß Ihr es wißt, gar fehr molettiert. Thut mir den Gefallen und haltet ein wenig still, ich will das unverschämte Beet sogleich – - 12 * 41430 hier schlug er mich plötzlich so heftig ins Gesicht, daß ich betäubt zurücktaumelte und die lebhafteste Vorstellung bekam von dem Eindruck des Signalschuffes auf die Be- völkerung der Stadt. „Macht Euch keine Mühe,“ fuhr er sodann fort, als ob er meinen Dank abwehren wollte, „wir find ja einer dem andern solche kleinen Gefälligkeiten schuldig, denn in der Bibel steht, wie ihr wißt: Du sollst deinen Nächsten lieben. Doch, wo sind wir denn stehen geblie- ben – die vermaledeite Fliege, mein Gedächtniß wird auch schon schwach – ja, fo, bei der Auferstehung der Todten, ganz recht, bei der Auferstehung der Todten. – Die größten Tollheiten in der allgemeinen Verwirrung begingen die Todten; und wie wurde es mir klar und offenbar, was einst ein großer Philosoph behauptete, daß nämlich die Todten lauter verrückte Leute find, ein weiter Satz, der leicht zu erweisen ist, da die Todten ihr todtes Leben schon mit einer Thorheit, mit dem Sterben an- fangen. Wer das für Unsinn hält, dem sprechen wir geradezu den Verstand ab, widrigenfalls er bei einer ge- ringen Kenntniß der Logica aus dem apodiktisch wahren - Vordersatz: Es giebt viele todte Lebendige, gar artige Dinge zu folgern verstände. Viele Herren ohne Na- fen und ausgedörrte Gelehrte mit großen Nafen werden die Wahrheit dieses Satzes nicht bezweifeln. Giebt es nun viele todte Lebendige, fo folgt hieraus, daß es auch lebendige Todte geben muß, indem ein todter - - 181 Lebendiger eigentlich keinen andern Charakter besitzt, als den eines lebendigen Todten. Das Traurigste bei der ersten Thorheit der Todten, das Sterben, ist die unum- stößliche Wahrheit des Satzes: Ein Narr macht zehn; denn daraus geht der schreckliche Umstand hervor, daß wir auf der Welt in dem gegenwärtigen Augenblicke schon mehr Todte haben als Lebendige. Wer die Arithmetik studiert hat, wird mit Hülfe der goldnen Kettenregel es leicht herausbringen, daß jeder dieser zehn von neuem er- schaffenen Narren wieder zehn machen müffe, so daß also durch einen Narren gleich in der zweiten Progression 1oo entstehen, welche wieder Rekruten fammeln und end- lich die ganze Welt zum Narren machen. Auf diese Weise hat diese tolle Angewohnheit des Sterbens überhand genommen und folglich war Adam der allergrößte Narr, weil er durch sein eignes unvernünftiges Exempel das Sterben im Menschengeschlechte eingeführt hat. – Doch ich kehre zu meinem Thema zurück und erzähle Ihnen, wie die Verwirrung unter den Todten entstanden und was diese Menschen für Thorheiten begingen beim Unter- gange der Welt. Nachdem nämlich die Todtenposaune die Langschläfer aus ihrer Ruh geweckt, hörte man plötz- lich ein Gepolter in den fämmtlichen Leichenhäusern – – doch ich bemerke, mein Liebwerthester,“ unterbrach er sich, wieder, „daß Ihr den Respekt vor mir so weit treibt, und es nicht einmal wagt, Euch niederzulaffen. Setzt Euch nur, ich erlaube es Euch, bitte, setzt Euch! Zwar 1892 feid Ihr, wenn ich Euch recht betrachte, ein Kerl, ich habe aber auch gar keinen Stolz von Eurem Stande. Setzt Euch nur drei bier –“. Dabei nahm er einen Nachttopf, den Rand gefüllt war, wendete ihn um, daß im ganzen Zimmer herum rann, setzte ihn a und meinte, das wäre ein ganz paffender Si - Wenigkeit. Die anwesenden Narren lachten - „Wie es nun aber spekulative Köpfe - der Astronom fort, „die alle Gelegenheiten b “ zu gewinnen, so sah man auch hier Kop Händler, die auf allen Kirchhöfen die Knock Hatten, und hier öffentlich zum Verkauf aus ich habe vergeffen, Euch zu sagen, daß vie "ºrf verloren hatten und sich dadurch in S-Serlegenheit verfetzt fahen. Was war mal Paß Juden "uf den Gedanken kamen, ein -S-Töpfen zu "reiben. Das war nun den re Ske oft schon während ihres ruhmvollen Lebe - erLoren oder wohl gar nie einen gehabt hat - nicht, “º fo fah man derlei Leute, dene erlei war, was sie für einen Kopf trugen - - "hrscheinliche Weise keine schlechtere Waar “: "subandeln erhalten hätten, mit f Tehene "en. Da hatte mancher im Le CNNr. statt des eigenen hochgeborner - 183 das Haupt eines weisen Mannes auf sich sitzen und es hätte gewaltige Aergerniß gegeben, wenn nur nicht diese Kopfleiherei und Kopfhändlerei ein so alltägliches Geschäft wäre. Die Gelehrten kamen freilich dabei übel weg, denn ihre Köpfe waren meistens schon vergeben und verkauft in Museen, Antiquarien u. f. w., und es blieb den ar- men. Geprellten nichts übrig, als sich des Kopfes eines resp. Mäcenaten, wie eines Chapeaubas, als eines Dinges, das zu nichts nütz ist, zu bedienen. Einer dieser un- glücklichen todten Gelehrten war ganz untröstlich und fchwor bei allen Schafsköpfen, die ihm statt des einigen zur Auswahl gestellt waren, ein armdickes Buch über die Mißbräuche mit Köpfen zu schreiben. Der arme Mann war ein sogenanntes Weltlicht, mußte aber verhungern, weil seine Landsleute auf seinen Tod warteten, um sich dann feines Namens zu rühmen. Kaum war er aber begraben, als der Todtengräber ihm unbarmherzig den Kopf vom Rumpfe trennte, und an die Engländer um eine Summe verkaufte, deren Zehentheil genügt hätte, den armen Mathematikus auf zehn Jahre lang zu füttern. – Hier ist der Kopf des Pater Abraham a Sancta-Clara, schrie einer der Kopfhändler, der Kopf Till Eulenspiegels, des Pfaffen von Kahlenberg, Neidharts Fuchs, die Köpfe der Engländer Swift und Sterne, der Franzosen Voltaire und Rouffeau, die wohlfeilten unter allen, und einiger anderer Personen, die in ihrem Leben gewußt haben, daß sie nichts wissen. Ich versichere euch, - 134 "A lieben Leute, daß diese paar Köpfe mehr werth find, als alle die übrigen Millionen, Millionen Köpfe, welche sich heute hier versammeln werden, Und doch mache ich euch die billigsten Preise und schlage die englischen Köpfe für die englische, die französischen für die französische und die deutschen für die österreichische Staatsschuld los.“ „Zu mir kommt! rief ein. Anderer, ich habe die Köpfe - der berühmtesten Dichter aller Zeiten, und ihr werdet finden, daß ihr billiger bei mir kauft, als bei meinem Nachbar mit feinem Waarenlager von Judenköpfen. Den Homer und die sieben Weisen Griechenlands überlaffe ich euch, wenn ihr mich baar bezahlt, für 2 Thaler, und gebe euch noch obendrein den Aeschylus in Kauf. Den Horaz follt ihr für 8 Groschen haben." den Virgil für 4 Gr. Ich will euch aber alle beide schenken, wenn ihr mir 100 - - Thaler gebt für den Ovid, Die französischen Dichter alle, außer Voltaire und Rouffau, welcher ich nicht habe habhaft werden können, verkaufe ich, wie Cigarren, 100 Stück zu einem Thaler, und besorge überdies noch die Verpackung gratis. Von italienischen Dichtern habe - ich nur einen kleinen Vorrath, den ich Stück für Stück mit achtzehn Pfennigen ablaffen will, wenn ihr mich nur vom Petrarka befreit. Die deutschen Dichter früherer Zeiten will ich euch ganz umsonst in Kisten wohl verpackt mit ihrem Strohgehirn ins Haus bringen, wenn ihr mir nur den Gefallen thut und Göthe, Wieland, Schiller, - 4 - 185 Klopstock uf w. zusammen mit 5 Thlr. bezahlt, die ihr auch schuldig bleiben könnt.“ . . . . . . . . . . . „Zu mir kommt, ihr Leute! schrie ein Dritter, ich habe alle Philosophen zusammengebracht, ich weiß nicht, was ich anfangen soll mit dem Gesindel, wenn ihr - v. mir nicht davon helf; gebt mir nur einen einzigen Narrenkopf dafür und ihr sollt den ganzen Plunder haben.“ - - - , „Plötzlich aber trat ein Mann hervor aus der Menge und schrie: ich bin der einzige Mensch, der in seinem Leben nie den Kopf verloren hat, kauft mir ihn ab, denn ich brauche ihn ohnehin nicht, und habe erfahren, daß nichts überflüffiger ist in der Welt, als ein Kopf, Der Mann aber war ich selbst! Und siehe da, die Leute traten zusammen, verabredeten sich und beschloffen, wegen des großen Kaufpreises diesen Kopf mit einander zu kaufen. Jeder gab sein ganzes Vermögen und bald war das Geld beisammen und mein Kopf verkauft.“ „,Ich aber ließ das Geld auf Wagen weg- fahren, kaufte mir den Palast, den ihr hier feht, und halte mir nun für geringes Geld diese Leute hier, meine Hofnarren, die ihre Köpfe nun für mich ab- nutzen, und mir übrigens noch manchen - Spaß machen.“ - „Der Spaßhafteste unter . allen ist der Mann da, – hier zeigte er auf den Director des Irrenhau- 136 - - fes – der sich etabliert, der einzige vernünftige Mensch im Hause zu sein. Glücklicherweise ist er nicht bösartig und ich kann ihm sogar zuweilen erlauben, unter die Leute zu gehen, die ihn schon alle kennen, und wohl wiffen, daß er ein Narr ist, aber sich davon gegen ihn nichts merken laffen.“ Hierauf entfernte er sich lachend und überließ mich einem andern Narren, der mit geheimnißvoller Miene auf mich zu kam, einige Worte flüsterte und mit vieler - Behendigkeit ein Manuscript in meine Tasche prakticirte. Es enthielt folgende Rhapsodien, die ich mit vieler Mühe in einige Ordnung brachte. - Wi h a p s o d i e n (aus d e m T o l l h a u f e. - - 189 Der Menschenfeind. - 1. Die Ruhe. Es fliehet aus des Thals bewegten Gründen In wilder Eile hinan einst Celadis, Und sucht im Wetterrauch, in grauen Schlünden Der Ruh’ Asyl, das ihm kein Weiler wies – Obgleich ein Weiser ihm es angerathen Eh" er betrat die rauhe Lebensbahn – Doch lohnt den Suchenden kein glücklich. Finden Er mochte Wald durchirren, Flüff" durchwaten, Belohnt ward nicht ein unglücksel'ger Wahn, Er konnte nicht die süße Ruh” ergründen. Und immer höher stürmt er keck, verwegen – Hier ladet ihn ein stilles Alpenthal; Durchschnitten war's von dem geschwätzigem Lauf, Des Eisbachs, der von Fels zu Felsen ohne Zahl Hinabbraust in erglänzenden Cascaden; Hier hört man froher Hirten heitere Sänge, Der Heerden Brüllen und der Glocken Klänge; Erzürnt rief Celadis: „in diesem Thal, Wo sich dem Leben tausend Töne entladen, Hier ist die Grenze nicht von meiner Qual!“ Drum klimmt er rastlos auf der Alpe Höh', Wo keines Lebens Zeichen seiner harrt, Wo tief begraben in dem ewigen Schnee 190 Das stille Pflanzenleben selbst erstarrt, Von wo die Geme scheu, erschreckt entflieht, Wo selbst der Adler nicht mehr wagt zu nisten, Und Stürme rings den harten Fels verwüsten, Wo feine Stirn" ein feucht Gewölk" umzieht, Der Mord verwehet seines Fußes Spur Von morschem Stein und eisbedeckter Flur. Mit wilder Freud" grüßt Celadis die Oede Und jetzt erlustigt sich auf starres Eis: „Hier“ ruft er „hört kein Ohr mehr meine Rede, Hier widert nicht profane Sangesweis" - Von ecklem Athen meine Seele an, Hiert störet mich kein lärmendes Gewühl, Kein Menschenfuß entweihet meine Bahn, Verstummt ist hier des Lebens zwecklos Spiel, Hier finde ich, was ich längst im Kampf erzielt, Hier thront die Ruh, ein kaltes Felsenbild“ - - - - - „Hier rührt des Menschen unstillbare Klage Nicht ihres eigen. Busens ehr'nes Herz, Hier greift kein hochvermeffenes Gewage Ihr ernstes Haupt, gerichtet himmelwärts, Der Sturm ist ihr harmonisches Getön", Die Stimme der Natur, die zu ihr spricht, Vertraulich kost mit ihr der kalte Föhn ihren schneegen Busen küßt das Licht, " sich Farben, süße Düfte und Töne " ihre gottentprome Schöne“ A 191 - „Hier wohnt sie einfam fern vom Eckelleben . . ." Der staubgebor'nen Jammerkreaturen, - Die aufgestachelt von gemeinen Lüften - Mit ihrer Kraft nur Niedriges erstreben; Mit ihrem Hauch verpesten schöne Fluren Und frevelnd sich der Gottabstammung brüsten; Nicht schreckt sie hier des Donners Wuthgebrülle, Denn in der Wolken blitzerhellter Hülle Verwechselt sie – indeß tief. Thürme wanken – Mit dem Naturgott heimliche Gedanken.“ - - - „Doch wie der Leu – den keine Macht erschreckt, Die drohend ihm in's kühne Auge sieht – Den Hahns Gekräh aus ernstem Sinne weckt, Den widerwärtgen Tönen rasch entflieht, Also – verletzt der Ruhe Majestät Ein Laut des Lebens aus des Thales Grunde, Erbebt die Brust vom Ird'schen angeweht, Dem Hauch aus dem unheil'gen Menschenmunde – Enteilet sie, die Fernen aufzufinden, Wo sie kein sterblich Auge kann ergründen.“ - - - - - \ IL - - Men fchenhaß. - " „O Thal wie bist du nun so schön, Da meine Blicke Menschen nicht erspähn, Vermengt sind sie unsichtbar in dem Staub, - - - TA 4D2 Der Winzigen Städte sind wie Ameishaufen Sorin sie wimmelnd auf und wieder laufen und während ihre Werke des Windes Raub Im nächsten Wetter sind, mit stolzem Trauen Sich rühmen, für die Ewigkeit zu bauen. D glücklich der, dem niedren Pfuhl entrücket Aus lichter Höh' auf sein Gewühle blicket“ - „Die Menschen haffe ich und tief verachten Muß ich die blinden Sinnenknecht, - Die blöden Blicks Erhabenes, oft verlachten und das, was eklen Ursprungs, nichtig, schlecht Anbeten, feiern, räuchern und besingen, Altäre bau'n für mod’rig Heiligenbein, Für Ochsen, Zwiebel, Fische und Gedanken Durch Mohnsaft sich in sieben Himmel schwingen, Und Sterne fahn hat sie berauscht der Wein Indeß sie schweren Hauptes auf Erden wanken.“ - - - - - - - - - - III. - - - - - Die Denker. Es lenkt ein Irrwisch nur ihr Trachten, Schalten, : können sie, nicht fehn und gehn, er Wahn sie auch durch enge Falten "fgewandes auswärts spähn - / - - 193 - - Und nur ein Sonnenstäubchen von dem Licht erblicken, So dient es nur, die Sinne zu berücken, Den blendet es, den Andern es entzückt, Der schreit: Gehorcht, ich habe Gott erblickt! Und unter Tausenden gibt es nicht. Einen Dem, was es ist, das Lichtlein wird erscheinen.“ „Wahn ist ihr Denken, Treiben und Empfinden: Der will im Grashalm feinen Gott ergründen, Weil er sich Ursach mancher Wirkung sieht, - - - Er auch aus Allem eine Wurzel zieht, Und nennt die Ursach von dem All Herr Gott; Ein Andrer treibt mit allen Göttern Spott - Und schwört, Materie sei der Wesen Wesen, - - - - Ein Dritter heißet Gott den Geist des Bösen, Und so zu Göttern, Mächten ohne Schranken Macht. Jeder seine eigenen Gedanken.“ - - - - - - - - - - - - - - - e IV, Der Held. „Ich wanderte aus fernem Ost hin nach dem Westen," Von Nord nach Süd, und von den Klügsten, Besten - - - - - - - Lernt ich die Tugend und die Weisheit nicht; Denn jener nannte gut, was widerspricht Der menschlichen Vernunft, der pries als weise, - - - - - 13 - 194 Was mein Gemüth als Gräuelthat entsetzt, und auf dem Schmerzenswege meiner Reise Ward bald mein Geist und bald mein Herz verletzt. Ich fand im Glauben und im Wiffen Zweifel, In Höllen Engel und in – Himmeln Teufel.“ „Auf meinem Weg in einem kalten Land Jch einen König kampfgerüstet fand, Er war als weise und gerecht bekannt, Ein Held von Niemand übermannt. Der weise König streng befahl den Schaaren, Ein hölzern Götzenbild zu bringen den Barbaren Und ernstlich anzubieten zur Verehrung und eigener Glückseligkeits-Vermehrung. Das fremde Volk erstaunt und spricht mit Spott: „Behaltet euren, wir behalten unsern Gott!“ " . Darob entbrennt der weise König mächtig, Gebeut dem Heer in Stahl gerüstet prächtig Zu predigen mit Lanze, Schwert und Spieß Den Glauben an ein Paradies, Das Bild zu pflanzen in die fremde Erde Und hinzutreiben eine fromme Heerde, Und blutger Streit war zwischen Heer und Horden, und lange währte das Schlachten und das Morden Warum, o König, sonst gerecht und mild, "st du so grausam um ein hölzern Bild?“ - - - - 195 : W. Der Vater des Vaterlands „Und weiter wandert' ich durch das Gewimmel Von Land zu Land, zu Völkern, hin und her, Bis ich einst traf im Volksgetümmel Umrast von Wüthgen, ohne Schutz und Wehr, In schweren Fesseln einen würd"gen Greis; Mißhandelt ward er schnöde von den Einen, Beschimpft" verhönt von Andern jeder Weis", Er trug's ohn“ Grollen, ohne Weinen, Verachtend feiger Mörder thöricht Wüthen, Als könnte er, und wollte nicht gebieten.“ „Was hat, o sprecht, der greise Mann verbrochen, Wodurch des heiligen Volkes Grimm erregt, Der Gottes Willen drohend ausgesprochen, Zum Tod ihn führt? so fragte ich tief bewegt, Da trat ein stiller Mann mir ernst entgegen Und fragt mich, ob ich wohl ein Fremdling wär" Auf diesem Erdenrund, der toll verwegen - Gewagt sich aus dem Monde her? * .. , Die Menschen fragen nicht nach Schuld, Verbrechen, Wenn sie am Weisen eigene Dummheit rächen.“ " * - - - - - - „Der Mann, den hier du geh'n sieht in den Tod, Er hat gemildert dieses Volkes Noth, - 13“ 196 Hat es gelehrt zu feffeln die Tyrannen, Und giftigen Wahn aus feinem Hirn zu bannen, Auf eigener Kräfte Grund ohne Stütze stehen Und ohne Gängelband auf eigenen Füßen gehn, Sein weiser Geist hat ihm geleuchtet vor Mit heil'gem Licht ein strahlend Meteor, Manch Götzenbild zerstört, manch' Haupt gerettet, Den Lügengeist in tiefe Nacht gekettet.“ „Doch weil die Macht des Bösen ihn bezwang, Und weil ein feindlich Loos ihn niederrang, So dankt man ihm des Volks Befreiung Mit Schimpf und Schmach, Vermaledeiung, Denn gnädig ist man nur gen Sünd' und Glück, Doch nie verzeihet man dem Mißgeschick.“ So sprach der fremde Mann und ich entfloh In stille Hütten, wo man von Nationen Nicht Gräuel hört, im kleinen Leben froh Vermeint? ich wird die Tugend wohnen.“ • VI. Die Freunde. - Ich fah zwei 9 reich wie Sie sich - Freunde siehn am Wasserfall, - My er war ihrer Worte Schwall, "en ich bei keuschen Mondeslicht 1497 Zu brechen sich die Treu, im Leben nicht, Doch kaum geschloffen war der ew'ge Bund, Da stürzet. Einer in den naffen Schlund; „Ach!“ schrie er „komm, geliebter Freund, und rette Mich aus des Waldstroms grauenvollem Bette!“ „Gefährlich ist“ sprach Jener. „Hilf in Noth, Fahr wohl, ich war dir treu bis in den Tod.“ - VII. Lieb” und Treue. „Hört unsern Schwur ihr Fluren, Sträucher, Bäche, O Rose du und du o Lilie weiß.“ So rief ein Liebespaar, „der Himmel räche Den Meineid, wenn wir, jetzt von Liebe heiß, Dereinst erkalten oder treulos werden!“ Jetzt da vorbei die ersten Wehbeschwerden Spricht Daphne spöttisch zu Amyne; „Mein Schatz, in einem Jahrzeugst du vier Söhne –“ - „und du“ erwiedert er mit lachendem Gehöhne „Hast vier der Väter für ein einzig Kind.“ VIII. - Die Dichter, „Es ging die Sonne eben prangend auf, Die Räume rings mit goldenem Licht begießend, 198 Da sah ich junge Herrn in schnellem Lauf Die Höh" ersteigen, höflich sie begrüßend: „Willkommen fey uns frohen Musensöhnen, Aurora füß!“ – rief einer von den Gecken und nahm ein Perspektiv, der Schönen Verborgene Reiz" durch ein verfinsternd Glas Zu schaun – „o Morgenroth –“ hier blieb er stecken Und setzte sinnend sich aufs feuchte Gras.“ „Sprich Dogobert,“ sprach er zu den Kam'raden, „Wie faff ich meiner großen Seele Schwung In Form der Oden oder der Balladen, In Jamben oder Hexameter sprung?“ Indeß, so sprach der Versler fad Gelichter, Gewahrt" von Fern ich einen ächten Dichter, Es war ein Bauernknabº in schlechter Tracht, Der tief ergriffen von der hehren Pracht Doch nimmermehr es wagt" zu preisen fie, Indem er hinfinkt auf die ngkten Knie.“ „Sein braun Gesicht ergänzt von innerer Luft, Sein Auge überschwimmt, die Lippe bebt, Die Zung" ist stumm, doch voll die Brust, Sein Arm gen jenes Luftmeer strebt, - - - Er weiß nicht, was er tief empfind’t zu fagen, - Er möchte wohl einen Ritt ins Blaue wagen Auf einen Sonnenstrahl, er weiß es nicht, 199 - - Warum ihn freut der Sonne farbig Licht; Er möchte fliegen, kann nicht und als Christ Spricht er fein: „Vater unser, der du bist –“ IX. WZeltlauf „So fand ins Leben ich verwebt den falschen Schein, Mit Tapferkeit sah ich sich Mörder brüsten Und Narren aus der Häupter leeren Wüsten Im Weisheitskleid den Unsinn uns verleihn, Einfältige als Himmelskandidaten Und kalte Versler, deren Geist mißrathen, Die Wirklichkeit mit eitlem Tand verzieren, Mit hochgeschmückter Rede kokettiren, Doch ächte Tugend, Weisheit, Poesie, Sie fucht? ich ohne Rast und fand sie nie. X. Der Sturm, „---- Noch klagte Celadis, da kam zur Höhe Auf mächtiger Schwing, mit wildem Sang geflogen Der finstere Sturm, und jagt die Luft in Wogen Und ächzet übers Thal ein drohend Weh. 200 Erst wiegt er sich, bald regt sich fein Gefieder Und wie er dehnt im Flug die starren Glieder, Erbebt der Berg; von seiner Brust den Wald, Streut in die Luft des Riesen Althem bald, Unmuthig schüttelt er die dunkle Mähne Und hauchet Wolken durch die eigen Zähne, Des Sturmes Braut entsteigt dem tiefen Grunde Ein Hochgewitter aus des Berges Schlunde Und Grausen ist ihr Fuß, ihr Haupt voll Pracht, Ihr Haar mit Licht umkränzt, ihr Kleid die Nacht, Und so den Felsenklüften sie enttaucht, - Geheimer Flammen voll, von Dampf umraucht Und strecket aus durch nebliches Gewand Nach dem Ersehnten ihre Schreckenshand; An ihrer heißen Brust will sich erwarmen Der Sturm, und greift sie wit ehr'nen Armen, Und wie er hinbraust durch der Lüfte Meer Geleiten ihn im Tanz die Schnellgeburten Von feiner Liebe, luftig und umgurten Die Berge rings mit einem Schreckensheer, Die Blitze schießen wild auf Thürme, Bäume, Auf Tristen, Wäffer, Donner schreckt die Räume Lauwinen tanzen hin in wildem Sprung, Hinreißend Fels und Wald mit mächtigem Schwung, Und während sie ihr lustig Fest begehen, Sie alles Leben auf dem Weg" verwehen. - - 201 Und Celadis ertrug die Schrecken alle, Doch war ein Geist erschreckt, sein Leib erbebt Und Schmerz berührt sein Haupt beim Wetterschalle, Er war ringsum von Tod und Graun umschwebt. Der Sturm spielt Ball mit seinem schwachen Leib, - Die Blitze drohen ihn, gleich dürrem Reis, zu zünden – Er zittert, ächzet, fürchtet, gleich dem Weib, Und kann die Fassung nimmer wieder finden; Halbtodt umschlingt den Fels er mit den Armen Und schreit, indeß das Wetter brüllt, Erbarmen! XI. Die Erfcheinung. Urplötzlich nun zerreißt mit starken Krallen Der Sturm der Wolken dichtgeschloffene Falten Und schleudert sie in flüchtigen Gestalten Vier Winden hin, die sie nun überfallen Auf sein Gebot; Lauwinen stürzen in den Staub - Und ruhen kalt auf ihrem todten Raub; Der Himmel wirft die dunkle Trauerhülle Von sich und badet in der eigenen Klarheit – Und in des Sonnenglanzes Strahlenfülle Erscheint dem Celadis der Gott der Wahrheit. Es war kein Gott mit einer Strahlenkrone Mit bärtgem lichtumfloffenen Angesicht Und seine Stimme klang in keinem Tone, 202 - Gestalt von ihm sah irdische Sehkraft nicht. Es nahm ihn wahr der Seele rein Empfinden Und ihre Augen, welche nie erblinden, Und was er sprach, nicht Red der Menschen war, Doch faßte Celadis sie schnell und klar; Und will man deuten geistige Gewahrung Bedeutete wohl dieß die Offenbarung: „Vermeffner Thor, nicht Hilf verdienest dm, Dir ward, was du erstrebt, einsame Ruh, Entfernet von Geschöpfen deines Gleichen, Wo dir kein Menschenarm kann Beistand reichen; Willst du mit Göttern auf den Höhen wohnen, Muß die Natur der Götter in dir wohnen und tadelst du die menschliche Natur, Erwirbst du bittere Selbstverachtung nur – Verlaffen jede Kreatur verschmachtet, Die ihrem Element zu fliehen trachtet.“ „Nur Eitelkeit ist deiner Seele Leiden Des Weisen Ruh ist nicht die Einsamkeit, Er duldet froh, was er nicht kann vermeiden Und fügt sich Allem mit Bescheidenheit, Du tadelst deiner Brüder kleine Schwächen Und leidet selbst an ihren Hauptgebrechen, Nothwendig sind sie dir und dem Geschlecht Nothwendig ist, was schlimm erscheint und recht; Der Wahn selbst ist den Menschen ein Bedürfniß Und wahnlos ist nur inneres Zerwürfniß.“ „Was klagest du den Menschen bitter an? Es geht die Kraft die vorgeschriebene Bahn, Abweichen kann sie nicht und was sie auch vollbringt, Es ist im Weltgesetze fest bedingt. Was tadelst du den Stein, von deinen Händen Entschleudert, daß den Bogen'er beschreibt, Er folget Kräften, die ihn weit entsenden Und dem Gesetz, das niederwärts ihn treibt: So auch der Mensch, er handelt nach Gesetzen, Die keine Menschenweisheit kann verletzen.“ Ein jedes Ding, das sich in Raum einhüllet Die eigene Bestimmung stets erfüllet, Genuß erwerben soll die thier'sche Kraft Und wecken muß sie stets die Leidenschaft, Verstand ist euch geworden, fie zu leiten Und wie auch Neigungen sich widerstreiten, Es einet sie ein unsichtbares Band. Wenn du dich stärker dünkelt an Verstand, So magst, zum Heil dir, fremde Thorheit nützen, Sie wird das Glück, und dich dein Geist beschützen, „Nicht regeln nach moralischen Systemen Läßt sich des Menschen Thun, und nicht bezähmen Die Leidenschaft – was man so stolz bezweckt – Und jede Lehr- ist todt, die sie nicht weckt; Bekämpft als Bös", was auf euch Unheil ladet, Doch fluchet nicht dem Bösen, weil es schadet, 204 Die Tugend ist die Leidenschaft der Liebe Und Laster sind des Haffes finstre Triebe. Vermeßt euch nicht der beiden Streit zu schlichten, Denn Gott nur kann ihn lenken, enden, richten.“ „Drum weil nichts gut und bös' ist absolut, So thuet immer, was euch scheinet gut, Nach unten sieht, nicht größer auf dem Berg Bist du, von eitlem Trotz befangener Zwerg, Glückseligkeit erforsch in engen Schranken, Denn nimmer reichen deine Zwerggedanken Weit jenseits deiner Sphäre und stets im Kreis Dein Forschen geht mit unverwändtem Blick Nach eines Zirkels unfehlbarer Weis“, Von einem Punkte aus auf ihn zurück.“ Ist Haß dir noth – so haffe deine Feinde, Doch nimmermehr dein eigenes Geschlecht, Die Lieb" gebährt das Glück der Erddemeinde Und wer sie haßt, der haßt sein Glück und Recht. Das Fischlein in des klaren Baches Grund Erfreut das Licht, das durch die Wäffer dringt, Doch flieht es eitel aus der Wellen Bund Der Sonne Gluth, den Lebensgeist verschlingt; Drum laß das unerreichbar Ferne glimmen, Und haffe nicht die mit im Bächlein schwimmen.“ Des Vaters Leiche. Ich weiß nicht, wie alt ich gewesen bin in der Zeit, als sich in unserer Familie eine geheimniß- volle Szene ereignete. Nur so viel ist mir erinnerlich – und ich mag mich nicht auf mehr befinnen – daß ich fchon ein ziemlich erwachsener Knabe war und eine Husarenkleidung trug. Bisher hatte ich einen kalten lustigen Mann, der fehr viele Späße machte, feine Bediente gewöhnlich fähimpfte, wenn er übler Laune war, einen Mann, mit dem meine Mutter in ziemlich gutem Einvernehmen stand, obgleich sie nicht wie andere Weiber mit ihm in einem Gemach schlief, Vater nennen müffen. Er war mir jedoch nicht fo lieb wie meine Mutter, oder vielmehr ich liebte ihn gar nicht, denn Mama klagte gar oft bitterlich über feine Lieblosigkeit und ermunterte mich nie zu kindl- cher Zärtlichkeit gegen ihn. Er fähien auch Niemand zu lieben, sprach übel von allen Leuten, haderte stets mit feinen Verwandten und sprach von der Freund- fchaft wie von einem argen Vorurtheil. Was mich am meisten wunderte, war, daß sich feine väter- liche Gewalt nicht über mich erstreckte, meine Mutter allein strafte und belohnte mich, je nachdem ich Lohn oder Strafe verdiente. Meine Brüder, die von ih- rem Vater oft arg mißhandelt wurden, haßten mich deshalb und machten mich zum Stichblatt ihres Muth- 206 willens. Sie verscherzten dadurch jedoch einen guten Theil der mütterlichen Liebe und ich blieb stets ihr Liebling. - Eines Tags kam ein Soldat ins Haus und brachte einen Brief an meine Mutter. Für die kin- dische Neugierde ist die Ankunft eines Briefs, beson- ders aus weiter Ferne, ein freudiges Ereigniß. Nach- dem ich mich daher an der Uniform. des bärtigen Un- teroffiziers fatt gesehen, und mit feinem Säbel gespielt hatte, lief ich jauchzend zu meiner Mutter und über- gab ihr das Schreiben. Sie erbrach hastig des Siegel und erbleichte. Ich zitterte vor Neugierde, aber ich wagte es nicht, meine Mutter zu fragen, was in dem Briefe geschrieben stehe. Als fiel bis zu Ende gelesen, hatte, bekam sie eine Uebelkeit, und ich mußte ihr das kristallene Flakon mit dem beliebten Eau de Cologne bringen, womit ich mich felbst so gern besprengte. Dann riß sie ihre Kleider auf, um sich Luft zu machen, athmete tief auf und fagte: „Herr! Dein Wille ge- fchehe!“ Hierauf warf sie einen andächtigen Blick auf das Bild des Erlösers und befahl mir, sie allein zu laffen. Ich gestehe, daß ich gerne hätte wissen mögen, was in dem Briefe stand, aber ich gehorchte, um dicht an der Thüre stehen zu bleiben und zu lau- fchen. Hier hörte ich, wie meine Mutter leise schluchzte, und betete; das überwand meine Neugierde und ich ich mußte weinen, ohne zu wissen warum. Es währte 207 nicht lange, da kam sie heraus, blaß, doch ruhig, mit verweinten, noch schwimmenden Augen, küßte mich und rief den Boten ins Vorzimmer, wo sie ihm ein Glas Wein geben ließ und mancherlei mit ihm sprach, was ich vergeffen habe, da ich keinen Zusammenhang in feinen Reden finden konnte. Endlich entfernte er fich und meine Mntter ließ Postpferde bestellen. Ich fragte, ob ich mit ihr fahren dürfte; fie besann sich eine Weile und sagte dann mit heftig bewegter Stim- me ja. Ich mußte mich anders kleiden und ein schwar- zes Kleid anziehen, nebst weißer Wäsche! - „Du wirst Deinen Vater fehen“ sagte die Mut- ter und weinte. „Liebe Mama,“ sagte ich „den fehe ich ja alle Tage.“ - „Nicht den, meine ich,“ erwiederte fie, „sondern deinen wahren Vater!“ Hierauf ging fie, um fich anzukleiden, und ich begriff nun, daß der kalte lustige Mann nicht mein Vater fey. Auch hatte ich schon recht hübsche Geschich- ten von geraubten Prinzen gelesen, welche mich über- zeugten, ich müffe fürstlicher Abkunft seyn. Bei all der Trauer, in die ich meine Mutter versetzt fah, konnte ich doch nicht umhin, den Reiz des Wunder- baren nachzugeben und mich an dem Gedanken zu la- ben, der mir so Mzlich ein behagliches Gefühl mei- 208 ner Würde verursachte. Ich freute mich daher fehr ? darauf, meinen königlichen Vater kennen zu lernen, und putzte mich so gut ich konnte. Etwas überrascht wurde ich jedoch, als meine Mutter endlich erschien in einem schwarzen Trauer- - kleide, bis an's Kinn in dunklen Flor gehüllt, aus welchem das bleiche mütterliche Antlitz recht gespenstig herausah. Als sie mir vollends ein Florband um den Arm band und mir schwarze Handschuhe anzog, da verschwand der Stolz des geheimen Prinzen und es wurde mir recht wehmüthig um's Herz. Wir fie- gen nun zu meinem Trost in eine Postkutsche, und der lustige Pseudopapa fah uns fortfahren und sagte kein Wort. Der Ausdruck feines Gesichts schien mir weniger boshaft als sonst, ein edles Gefühl schien feinen Humor überwältigt zu haben. Die frische freie Luft that mir recht wohl und färbte die Wangen mei- ner Mutter mit blaffem Roth. Der Postillon wollte ein lustiges Stücklein blafen, aber meine Mutter ver- bat sich das. Sie sprach nichts und trocknete sich von Zeit zu Zeit die Thränen ab. Einmal doch fragte sie mich, nachdem sie mich lange finnend be- trachtet hatte, ob ich furchtsam fey? Ich antwortete etwas beleidigt nein, aber ich muß gestehen, daß ich mich etwas fürchtete, als sie mich so feltsam fragte. Nach einer langen Fahrt auf einer mir unbe- kannten Straße fing meine Mutter plötzlich laut und 209 heftig zu weinen an. Ich klammerte mich ängstlich an sie und fah forschend umher, die Veranlaffung dieses plötzlichen Ausbruchs ihrer Schmerzen zu ent- decken. Da gewahrte ich vor mir ein ungeheures Gebäude mit fchwarzen Wänden, ganz aus Quader- steinen gebaut, mit vielen kleinen Thürmchen und einem großen vergitterten Thor, zu welchem eine Zugbrücke führte. Es war umringt von einem tiefen Graben, und an den Thoren fanden zwei Soldaten mit langen Musketen und Bajonetten. Der Postillon stieß in’s Horn, die Zugbrücke raffelte herab und der Wagen polterte hinüber, an den Wachen vorbei un- ter das finstere Thor, defen hohe in Spitzbogen zusammenstoßende Wände von Feuchtigkeit trofen. Durch dieses lange finstere Gewölbe, in welchem un- fer Wagen nur ein dumpfes Geräusch verursachte, fuhren wir in einen gepflasterten Hof unter lautem Geraffel der Räder. Noch hielten wir nicht an, als eine helle klagende Glocke in einzelnen Schlägen zu tönen begann. Nach einigen Sekunden ließ sich eine zweite Glocke in tieferen Tönen vernehmen, dann eine dritte und endlich ein vollständiges Geläute, das durch die dumpfen langsamen Schläge der größten und tiefgestimmten Glocke etwas feierliches erhielt. So mögen sich die Klagetöne einer unglücklichen Fa- milie, vom Diskant des weinenden Kindes bis zum tiefen heiseren Baß des Greifen vermischen, zu einem 14 210 wilden, Gott anklagenden Konzert, wie jene Glocken- töne, die noch jetzt nach zwanzig Jahren alle Nerven erschütternd in meinen Ohren klingen. Während dieses Geläutes, defen Tonverwirrung durch das Weinen meiner Mutter, das Geraffel des Wagens, das Schnauben der Pferde, die gedehnten Töne eines fernen Kirchengesanges und die einer Orgel vermehrt wurde, hielt der Wagen an; einige Soldaten eilten herbei, um uns zu bedienen, unter ihnen ein alter ergrauter Offizier, der mit ernster Miene meine Mutter und mich aus dem Wagen hob und fortführte. Während er mit meiner Mutter fran- zösisch sprach, besah ich mir das Gebäude von innen. Es war von allen Seiten verschloffen, ich gewahrte nirgends einen offenen Ausgang. Die vielen Fenster waren ungewöhnlich klein, stark vergittert, in den unteren Stockwerken auch mit Bretterverschlägen ver- fehen, deren Bestimmung ich nicht begreifen konnte. Hier und da sah ich an den Fenstern bleiche Männer in Hemden oder grauen Wämfern stehen und unsere Equipage mit finsterer Neugierde betrachten. Alles belehrte mich, daß ich mich in einem großen Gefäng- niß befände, eine Ueberzeugung, die mir nicht wenig Bangigkeit verursachte. Ich überdachte schnell alle meine Handlungen, um zu erfahren, ob ich etwa durch eine derselben Einsperrung in diesen Mauern verdient hätte, beruhigte mich aber fogleich, als ich mich bis 211 auf ein Geringes schuldlos fand, denn Kinder haben ein lebhaftes Rechtsgefühl und können sich nicht vor- stellen, daß man Unrecht leiden könne. „Beliebt es Ihnen nicht, erst fich zu fammeln und auszuruhen, gnädige Frau?“ fragte der alte Offizier, als wir an der Thüre eines kleinen Gebäudes anka- men, das mitten im Hofe stand und fein eigenes Thürmchen hatte. „Nein, Herr General,“ erwiederte meine Mutter, „keine Schonung – ich will sogleich meine Pflicht thun.“ - „So erlauben Sie doch, daß ich Ihren Kleinen indeffen zu meinen Kindern fende – fein zartes Alter – “ Als der General fo sprach, hörte die Mama zu weinen auf, und fragte mich mit einigem Stolz in einem Ton, als ob sie der Antwort gewiß wäre: „Lindor, fürchtest du dich vor Todten?“ „Nein, Mama,“ antwortete ich muthig, denn ich hatte ja noch keine Todten gesehen, wußte nicht, wie abschreckend ein Mensch aussieht, wenn ihm die Seele entflohen. Ich hatte keine Zeit, über diese abermals feltsame Frage nachzudenken, denn im nächsten Augenblicke traten wir in die Kapelle ein. In der Sakristei em- pfing uns mit schweigsamem Gruße ein Priester im Chorhemd, mit der Stola angethan, ein Brevier in der Hand. Einige alte Invaliden und Weiber fan- 14 * 212 den da mit Rosenkränzen und plapperten leise Gebete herab, während ihre Augen die vornehme Dame mu- ferten. Die Orgel im Innern verstummte, und es wurde so still mit einem Male, daß man die Pater- noterperlen der Rosenkränze fallen hörte. Meine Mutter sah ich nie so bewegt, sie fandte fragende Blicke umher, und ihr Bufen wogte heftig auf und nieder. Der Geistliche winkte mit der Hand nach einer Thüre, welche halb offen stand und ins Innere der Kapelle führte. Mama riß sie rasch auf, blieb plötz- lich stehen, stieß einen Schrei aus und stürzte hinaus. Ich folgte zögernd, und duldete es, daß der alte Ge- neral mich bei der Hand ergriff. Der alte Ehrenmann folgte meiner Mutter mit den Augen, und eine Thräne fahl sich schnell aus denselben und verbarg sich in "dem zuckenden Schnurbart. Eine geräumige lichte Halle mit glattem Marmorboden, vergoldeten Engeln auf hohen Piedestalen, zahlreichen Heiligenbildern und einem einfachen, fast ärmlichen Altare, nahm uns auf In der Mitte derselben stand eine Bahre, worauf im Sarg, unter feinen Linnen, eine Leiche lag. Man fah unter dem feinen Gewebe, das sie bedeckte, ein stark vortretendes Gesichts-Profil, die starren gefalteten Hände und Zehspitzen hervorragen. Am Haupte des Todten fand regungslos eine Schildwache mit blan- kem Säbel, und dicht an der Bahre lag meine Mut- ter auf den Knien. Ihre Schultern zuckten, und auf - - - - - - 213 den spiegelglatten Marmortafeln fah man ihre Thrä- nen reichlich hinträufeln. Dabei war es so still, daß man nur ihr Schluchzen vernahm. Wir standen eine Weile regungslos, und ich hielt den Athem, bis meine Mutter sich erhob und mich, den Zögernden, näher zum Sarg führte. Als ich mit pochendem Herzen ganz dicht an dem Bretterbette stand, zog sie leise und vorsichtig den Schleier von des Todten Gesicht und fagte zu mir flüsternd: „Sieh dir ihn genau an – es ist dein Va- ter!“ – Vater, Vater, – das Wort betonte sie so feltfam, – mich überlief ein eisiger Schauer – das mein Vater – eine Leiche? – ich konnte es nicht faffen. Wohl betrachtete ich ihn genau, diese halb of- fenen Augen, die spitzige Nase, den halb geöffneten Mund, die grauen Lippen, das emporragende Kinn und die gräßlich hohlen Wangen, diese eingefallenen Züge, die etwas vom Lachen an sich hatten, vom La- chen, wie es der Verzweiflung, dem Hungertod, eigen feyn mag. Nichts entging meinen forschenden Blicken, von dem spärlichen Haupthaare an bis zu den blauen Nägeln an den Händen und Füßen, kein Fältchen im Gesicht, kein Haar vom Barte, keine Linie von den Zügen. Ich fuchte die Aehnlichkeit zwischen mir und dem Todten aufzufinden, und fand sie leicht in der stark gebogenen Nase, der eingezogenen Unterlippe, dem spitzigen Kinn. Und dennoch schien es mir un- 214 glaublich, und ich fagte mir es unanfhörlich vor: dein Vater, dein Vater, dein Vater! Meine Mutter warf sich auf den Leichnam und bedeckte den kalten offenen Mund mit ihren Küffen, die Leute kamen herein und weinten, der Priester kam, fegnete ein, und feine Stimme stockte vor Rührung im Sprechen, der alte General stand von fern und hielt sein Taschen- tuch in der Hand, die Schildwache selbst wandte sich hinweg, um seine Augen mit dem Aermel zu wi- fchen – nur ich der Sohn des Verstorbenen, fein Fleisch und Blut, nur ich stand da mit trockenen Au- gen und konnte alles das bemerken! Ich schämte mich, daß ich nicht weinte, ich wußte nicht, ob meine Gefühle der traurigen Szene angemeffen waren, und machte mir Vorwürfe, daß meine Gedanken nicht aus- fchließend auf einen Punkt gerichtet waren, wie die der Anwesenden. Mir entgieng keine ihrer Bewe- gungen, aber immer wieder kehrten meine Blicke zur Leiche zurück, und prägten ihr Bild tief in meine Seele ein. - Endlich war bie Ceremonie beendigt und es trat ein Mann in schwarzem Kleid herzu und er breitete mit Hülfe eines Gefährten die Laken über den Tod- ten. Da geschah es durch die Ungeschicklichkeit des Letztern, daß sich das Haupt der Leiche regte. „Was ist das,“ fragte der Gehilfe erbleichend, als sich das Gesicht der Todten ihm plötzlich zuwendete. / 215 „Nichts,“ flüsterte der Andere, „der Doktor hat ihm den Kopf abgeschnitten – zugegriffen – den Deckel zu!“ - Und so geschah es. Während ich noch einen letz- ten Blick des Entsetzens auf das abgeschnittene Haupt warf, hoben die Todtengräber den Deckel em- por und verschloßen den Sarg. Mit einigen Ham- merschlägen war er fest, ein darüber gebreitetes Tuch verdeckte ihn. Nachdem man ein Kruzifix darauf fest - genagelt, traten acht Männer hervor und hoben den Sarg in die Höhe. Langsam setzten sie sich in Be- wegung, da fingen die vier Glocken wieder an ZU heulen und die Leidtragenden beteten laut und ge- dankenlos ihre Litaneien; unterstützt von dem Gene- ral wankte meine Mutter dem Sarge nach, ich selbst wich nicht von ihrer Seite und beobachtete. Alles, was um mich her vorgieng. Wenig Personen folgten dem Leichenzug, denn in diesem Hause gab es kein müffi- ges Volk zur Vermehrung des Schaugepränges. Es gieng durch zwei Thore hinaus ins Freie – keine Zuschauer begegneten uns auf dem Felde – ein Schwarm Krähen floh vor uns auf, und ein aufge- schreckter Haase flog queer Feldein. Der Weg, den den wir betraten, war eng und holperich, aber kurz. Bald langten wir auf einem kleinen Gottesacker an, wo kaum fünfzig Kreuze standen; am offenen Grabe wurde der Sarg niedergelaffen und nachdem der Prie- 216 fer noch eine kurze Rede gehalten, fenkte man ihn hinab in die Grube. Man wies mich an, eine Hand voll (Erde “ – ich gehorchte und fährack zusammen, als ich die Steine auf die Bretter kollern hörte. Meine Mutter weinte viel und mußte zurück fast getragen werden, Aller Augen waren roth, nur die meinigen nicht. Ich hatte von Anfang bis zu Ende des Begräbnisses nicht eine Thräne vergoffen, nicht einen Seufzer ausgestoßen, aber alle, selbst die kleinsten Umstände bei diesem Schauspiel, blieben mir unvergeßlich; ich höre das Weinen meiner Mutter, die Stimme des Priesters, die Gebete der Leidtragenden, fo oft ich daran denke, und ich kann feitdem keine Glocke hören, ohne mich in den tiefsten Schooß der Erde zu wünschen, um ihren schrecklich mahnenden Töne zu entfliehen. Des Jünglings Liebe. Cousine Isabelle war eine reizende Brünette mit edlen Zügen, glühenden Augen, vollendeten Formen. Der Reiz ihres Wesens zog mich an, ich fehnte mich unaufhörlich nach ihr, und wenn ich sie fah, getraute ich mir nicht mit ihr zu sprechen, und zog mich wohl gar in einen Winkel zurück, von wo ich sie ungestört betrachten konnte. Ich war ungefähr fechzehn Jahre alt, und glaubte folglich, es fey für mich fähicklich, eine 217 Geliebte zu suchen für die Sehnsucht meines Herzens. Ich fah viele Frauenzimmer und mehrere interessierten mich fo lebhaft, daß ich jedesmal, so oft ich die eine oder die andere fah, mich ernstlich fragte, ob sie wohl die Auserwählte meines Herzens fey? Isabellen fah ich fehr oft, daher mochte es kommen, daß ich bald völlig überzeugt wurde, meine Liebe zu ihr fey so heiß wie vulkanisches Feuer, denn ich gefiel mir damals in graffen Hyperbeln. Zwar kann ich nicht sagen, daß durch meine „Leidenschaft“ mein Appetit geschwächt oder mein Schlaf gestört worden fey, oder daß ich darüber meine Lieblingsspiele, das Billiard, die Reitbahn und Schwimmschule ganz und gar ver- geffen hätte, wohl aber dachte ich gar oft an sie und wenn sie am Flügel phantasierte, stand ich oft still in einer Ecke und weinte. Die Eigenthümlichkeit meiner Gemüthsart, stilles finniges Hinbrüten, machte mich nicht geschickt zum Umgang mit dem Frauenzimmer, und dennoch fuchte ich stets Ifabellen. Sie wurde durch meine Anhänglichkeit fichtbar gelangweilt, fie gähnte häufig, wenn sie mit mir allein war, und ich zweifelte, aber verzweifelte nicht, daß sie meine Liebe erwiedern werde. Da ich bereits durch die weisen Ro- manenschriftsteller belehret war, daß die Schönheit je- dem Helden in der Liebe unentbehrlich fey, daß auf ihr der Eindruck beruhe, über dem auch selbst dem unschönen Frauenzimmer nicht hold gesinnt war, fo 218 fähien mir eine bleiche Gesichtsfarbe als das Haupthin- derniß meiner amorosen Progreffen. Isabelle war von vielen jungen Herren umschwärmt. Die Zudringlichkeit dieser Herren war mir ein großes Aergerniß, denn ich glaubte, als Vetter Isabellens, vor- zugsweise das Recht zu besitzen, länger als sonst fähick- lich wäre, im Hause zu verweilen. Da sich jedoch diese Herren mit fehr gewöhnlichen Dingen beschäftigten, von alltäglichen Sachen schwatzten, Guitarre spielten, ganz unbefangen tanzten, fangen, lachten, fo schien mir ihr Thun bloß gesellig. „Diese Windbeutel,“ fagte ich zu mir selbst, „find dir nicht gefährlich.“ Einer von ihnen, Herr von Monte, beehrte mich mit feinem Wohlwollen. Wenn Isabelle nicht zugegen war, sprach er nur mit mir, lobte meine schlechten Verfe, meine fhönen Talente, mein warmes ganz zur Freundschaft geschaffenes Gemüth und vor allen Din- gen meine fill bescheidene Zurückgezogenheit. Er fähien an mir fo recht feinen Mann gefunden zu ha- ben. Zuweilen gieng er mit mir spazieren und be- wunderte mit mir den blauen Himmel und die grünen Berge. Mein Gemüth thaute auf in solchem Momente und ich klagte ihm mit Thränen meinen Liebesjam- mer. Schöne Seelen finden sich – er erwiederte mein Vertrauen durch ein ähnliches Geständniß, welches Ifabellens Schwester, die auf dem Lande lebte, betraf Er erklärte mir, wie feine Aufmerksamkeit für Isabel- 219 len nur ihrer Schwester gelte, und wie er durch ihre Verwendung mit dem Gegenstand feiner Sehnsucht in Verbindung zu kommen hoffe. Da er nur selten Gelegenheit fand, Isabellen zu sprechen und folglich die beabsichtigte Verbindung sehr schwierig war, so rührte mich das unaussprechlich. Ich erbot mich zum Liebesboten, zur Beförderung feiner Briefe an Ifa- belle, welche versprochen hatte, fiel ihrer Schwester zu- zustellen. Herr von Monte fiel mir um den Hals, versprach mir ewige Freundschaft und ich mußte ihn Du nennen, obwohl er um vier Jahre älter war als ich. Der gute Mensch hatte auch Isabellens Mitleid erregt, fiel dankte mir fehr für meine Vermittlung. Im Grunde war ich felbst etwas eigennützig bei die- fem Liebesdienst, denn so oft Monte schrieb – und das geschah fehr oft – hatte ich das Vergnügen, mit Ifabellen eine geraume Zeit allein zu plaudern. So blieb es gegen fechs Monate und ich machte unglaubliche Fortschritte in der Gunst meiner Ange- beteten. Täglich zeigten sich die Symptome ihrer Gegen- liebe deutlicher, sie sprang freudig auf, wenn sie mich kommen sah und eilte mir entgegen. Wenn ich ging, drückte sie mir warm die Hand, und ich wagte es einige Male fie zu küssen, worauf ich regelmäßig ein kleines Wonnefieber bekam. Isabelle war font fehr fröhlich, nun ward fiel schweigsam und schwer- müthig Minutenlang sah sie mir ins Gesicht und 220 Wehmuth blickte aus ihren Augen, wenn sie mich so wohlgefällig betrachtete. Das brachte mich vollends aus der Faffung; ich versäumte meine Reit- und Schwimmstunden, und beschäftigte mich nur mit der Korrespondenz meines Freundes, welche mir fo viele füße Stunden verschaffte. Indeffen nahm die Schwer- muth meiner Geliebten zu, ihre Wangen bleichten, ihre Augen wurden hohl. Ich wurde ernstlich be- forgt, und ich erinnere mich, Nächte gehabt zu haben, ohne Schlaf und voll Kummers. Eines Morgens, ich fäß eben in meinem Studier- zimmer und arbeitete an der Uebersetzung einiger Son- netten Petrarcas für meine Laura, pochte Jemand ganz leise an meine Thür. Ich rufe herein, die Thüre öffnete sich und zitternd tritt Isabella in das Gemach. Sie war fehr blaß, ihre Augen roth, ihr Anzug in Unordnung. Ich bewillkommte sie mit einem Aus- ruf des Staunens; sie bittet um Stillschweigen und verriegelt die Thüre. Erschöpft wirft sie sich in einen Stuhl, und ein Strom von Thränen bevorwortet ihre Eröffnung. Meine Augen werden naß, ich be- fchwöre fie, mir zu fagen, was das zu bedeuten habe. „Ach lieber Cousin“ spricht sie endlich fehluchzend, haben Sie Mitleid mit einer Unglücklichen, mit einer Verworfenen. Sie sind so jung, schon edel und groß- müthig, ihrem Herzen allein wage ich es, mich zu ver- trauen. Retten Sie mich vor Schande, ich würde " Entehrung nicht überleben!“ - 221 „Aber um Gotteswillen Isabella, was ist vorge- fallen?“ Nach einer langen Pause fährt sie fort: „Hören Sie mich, aber verdammen Sie mich nicht. Ich habe gefehlt, ich bin unglücklich – o Gott ich bringe es nicht übers Herz, es auszusprechen – Monte – “ „Sprechen Sie was ist’s mit Monte – hat er fich mit ihrer Schwester entzweit, hat der Pappa etwas erfahren oder –?“ „Nein, nein, Monte war nicht meiner Schwester, sondern mein Geliebter, er hat mich zum unglücklich- ften Geschöpf gemacht – ich bin – fchwanger.“ Schwanger! Ich kann nicht sagen, wie mir zu Muthe war, als ich dieses Wort aus ihrem Munde vernahm: Schwanger! Sie konnte nicht einmal fagen gefegnet, denn ihr Zustand war nicht gesegnet. Ich konnte ihr nicht zürnen, aber der Reiz, der sonst auf ihrem Wesen lag, war plötzlich verschwunden, fie fähien mir nicht mehr schön, ich bemerkte, daß ihre Haut braun, ihre Hand dürr war. Diese verunrei- nigte Person hatte ich angebetet, ich hatte es kaum gewagt, ihre Fingerspitzen mit meinen Lippen zu be- rühren, während sie von der gemeinen Liebe eines Betrügers besudelt, während sie von ihm fchwanger war. Diese Enttäuschung war grausam, aber fie machte mich nicht unglücklich. Die Liebe wird am besten auf solche Weise geheilt. \ 222 Lange konnte ich kein Wort erwidern, fah fie stumm an und musterte ihre Gestalt. Was sollte ich auch dazu sagen, wenn nicht, was geht das mich an? Sie kam dieser Frage zuvor und erzählte mir unter Thränen, wie fie ihren Zustand nicht länger verber- gen könne, wie sie für das Leben ihres Kindes be- forgt fey, und wie Monte ihre Briefe, worin sie ihre Noth klagte, unbeantwortet gelaffen habe. Sie for- derte von mir Hülfe zur Flucht, ich sollte Monte ihr zurückführen. Ich machte ihr keinen Vorwurf, denn ich hatte kein Recht auf ihre Liebe, fie wußte ja viel- leicht nicht einmal, daß ich sie liebte. Ich versprach ihr Alles, was Sie verlangte; fie ging und drückte meine Hand an ihr Herz im Uebermaß des Dankge- fühls. Noch vor einigen Stunden hätte mich es glück- lich gemacht, jetzt fühlte ich nichts dabei als Mitleid, das bekanntlich mit Verachtung verwandt ist. Ich hielt mein Versprechen, ich machte Monte wenig Vorwürfe; es handelte sich um Geld, ich ver- schaffte ihm welches. Das that ich mit Freuden, und ich fühlte mich glücklich, meiner Cousine helfen zu kön- nen, aber als es des andern Tags ruchbar wurde, Isabella fey mit Monte entflohen, als meine Freunde, welche von meiner Liebe wußten, mir die Sache lachend erzählten, da schloß ich mich in mein Zimmer ein und weinte bitterlich.“ --- 223 Halb heiter, halb verdrießlich verließ ich mit die- fem närrischen Fund das kleine Tollhaus, um in das große der Welt zurückzukehren. Einen unglücklichen gemüthskranken Freund, den ich hier gesucht hatte, konnte ich weder in dieser, noch in einer andern Ir- ren-Anstalt auffinden; – denn der Arme war bereits von aller Narrheit genesen und – gestorben. Ich konnte es mir unmöglich versagen, meine ehemalige Wohnung zu besuchen. Meine Hausfrau hielt meine Stube wie ein Heiligthum – noch stand Alles in derselben Ordnung, wie ich es verließ. In dem wohlverschloffenen Bücherschrank, verhüllt von einem grünseidenen Vorhang, fanden meine heiligen Bücher, die Mancher die Bibliothek eines Demago- gen genannt haben würde: die Encyclopädie, d'Alembert, Rouffau, Voltaire, Thomas Paine, Loke, Spinoza, Bahrdt, Marmontelic, und meine Lieblinge Sterne und Hogarth, der melancholische Young, der empfindungs- reiche Byron, Moore, die Maler Scott, Cooper u. A. - Viele englische Namen prangten auf goldenen Bücher- titeln, weniger Franzosen, noch weniger Deutsche. Ich that einen tiefen Blick in das Buch meines Herzens. An den Wänden hingen treffliche Kopien von Salvator 224 - Rosa. Warum so wenig Deutsches in der Stube? Außer Goethes Faust, Blumauers Werken und Lichten- bergs Kommentar zu Hogarth findet sich hier nichts Deutsches, als die Gypsbüsten von Goethe, Schiller, Wieland, Klopstock c., ein deutscher Kachelofen und eine schlechte Muskete. An einer Seitenwand hän- gen türkische Pistolen, Damascener Klingen, ein un- gerischer Czackan mit stählerner Axt, ein runder Sen- nenhut und eine Jagdtasche. Unter diesen Gegen- fänden ein Gläserkasten mit Fossilien, Bergwerkstufen, eine Gemshorntabakspfeife. Daneben lehnt ein Reise- stock mit eingeschnittenen Bergnamen aus den nori- fchen Alpen und Karpathen. - Alles paßt herrlich zusammen, bis auf die deut- fchen Dichterköpfe. Da stehen sie in einer Reihe auf- gestellt, wie hölzerne Grenadiere, mit ihren bekränz- ten Schädeln. Auf die welken Lorbeerkränze thun fie fich viel zu Gute, sie sind ihnen mehr, als Krone und Diadem. O über eure weibische, kindische Eitel- keit! So ein Bild in Wolken, ein Kranz auf der Stirne, eine Lyra auf der Brust, so apotheosiert zu werden von einem verrückten Kupferstecher, das ist das höchste Ziel eurer Wünsche, darum fingt ihr euch die Kehlen heiser und die Köpfe wüst, dafür fabricirt ihr alle Gattungen Verfe, dafür besingt ihr manchen hochgebornen Schafskopf, dafür – – herunter mit euch Wichten. Da liegen die Scherben. Die Köpfe 225 waren hohl. Fast gebe ich dem Narren recht. Ihr waret alle Verbrecher. Ihr habt alle geschmeichelt, gelogen, große Herren besungen und Heldengedichte gemacht. Kein Mensch verdient besungen, vergöttert zu werden. Wäre ich ein Held oder Kaiser, ich würde solche Gedichte mit Stockstreichen belohnen laffen. Ich begreife nicht, wie es so viele wahrhaft achtungswerthe Männer geben konnte, die Schmeichelei ertragen, ja sogar Wohlgefallen daran finden mochten. Ein jedes Schmeichelwort verletzt mich, macht mich bitter und treibt mir die Galle ins Gehirn. Es gibt nur eine Schmeichelei, die ich dulde, die schmeichelnde Liebkosung der Liebe. Auch der freimüthige deutsche Hutten konnte schmeicheln! Ich verzeihe es ihm, denn er war ein Mensch, schwach wie ich, vom Augenblick beherrscht, wie ich und Jeder. Ich achte ihn darum nicht minder, aber wäre ich der Erzbischof Albert von Mainz gewesen, auf den er ein Lobgedicht fähmiedete, ich hätte es ihm nie verziehen. - Fast gebe ich dem Narren Recht. Es gibt nichts Lächerlicheres in der Gesellschaft, als einen Poeten von Profession, der nichts als Verfe macht, und - das Ausschreien feiner kleinen Empfindungen beim Anblick einer schönen Gegend, oder auch einer schönen That in der Geschichte, oder wenn des Lan- desfürsten Ehegemahlin entbunden wird und der hohe Namenstag im Kalender steht, für feinen, ja über- - 415 226 - haupt für den größten und schönsten Beruf hält. Mit Unrecht beklagen sich diese Leute, daß man sie Hun- gers sterben läßt, denn wer der Welt nicht thatkräftig nützt, verdient nicht ihre Genüffe. Ich kann nicht, ohne mich zu ärgern, an die Menge Poeten in Nord- deutschland denken, welche für ein Honorar von 10 Tha- ler pr. Bogen ihre bezahlten Gefühle zu Papier brin- gen. Ich möchte kein solcher Handwerksdichter feyn. Es gibt kein ärgerlicheres Geschäft, als das Schreiben. Wie viel der Worte braucht es, um einen einzigen Gedanken auszudrücken, wie unendlich mehr, ihn ver- fändlich zu machen dem trägen Leser, der Alles ge- kaut genießen will, wie viel Zeit, das Wort zu schrei- ben, leserlich zu schreiben, Und wie viel Gedanken gehen vorüber über diese wichtige Beschäftigung mit dem Zeichnen. Man bleibt ewig unter fich selbst wegen dieser Erbärmlichkeit, und verliert am Ende, im Gefühle feiner Ohnmacht und der unendlichen Langenweile, die das Zeichnen des todten Buchstaben, die Construktion der Rede macht, alle Lust und allen Muth zu sprechen und zu schreiben. Dieses ewige Wiederkäuen, Zurück- rufen, Festhalten der flüchtigen Gedanken in einer zUr Verzweiflung führenden Fülle, Farbenpracht und Mannigfaltigkeit, kostet wahrhaft übermenschliche Ge- - duld. Wozu braucht man auch fo viele Gedanken, der Mensch hat so viel störende, hemmende, drückende thierische Natur – warum ist er nicht ganz Vieh, er 227 - - wäre glücklicher. D'rum mahne ich euch, ihr Brüder, im heiligen Geiste, thut so wenig als möglich – beffer gar nichts; denkt nicht und dichtet nicht, und ihr sollt Wunder erleben von Glückseligkeit. Der Körper bleibt doch immer euer Tyrann, wozu ihn erzürmen in eu- rer Ohnmacht. Es ist schön, rührend schön, eine schöne Empfindung, ein schöner Gedanke, aber nichts gleicht der Luft des Labetrunks eines Dürstenden, nichts der Wonne des Einschlafens nach körperlicher Sättigung eines glücklichen Menschenthieres. Nur eins ist Hochgenuß für Seele und Leib, Schwelgerei des ungetheilten ganzen Menschen in fei- Ner Gott-Entzückung, Schwelgerei der ganzen physischen und psychischen Genußkraft – die Liebe. Wie das zugeht, weiß Keiner, daß es so ist, weiß Jeder. Wie lächerlich, wie unfruchtbar ist das Leben ei- nes Dichters, der nach feinen Gedanken haféht, um sie festzuhalten und zu verkaufen! Wie viel Zeit stiehlt ihm der Schlaf, und hat ihn die Morgensonne geweckt, fo vergehen die herrlichsten Momente, während dem er seinen Leichnam wäscht, reinigt und bekleidet. Das Frühstück dazu, Pfeifenstopfen und tausend kleine Ge- fchäfte, über die man rasend werden möchte. Endlich sitzt er und will den Strom ausfließen laffen, der in so reicher Fülle am Morgen entquoll, da wirkt der Kaffee, und die schönsten Ideen verrauchen auf dem Nachtstuhle. So geht es fort den ganzen Tag, und 15 % 228 am Ende hat er nichts gethan, oder so viel als nichts, oder noch weniger als das. Wäre ich ein Dichter von Profession, es gäbe nichts Schlimmeres für mich, als das Urtheil, nicht wegen des Lobes und Tadels, sondern überhaupt weil es sich ausspricht. Wenn ich gemalt habe in empfin- dungsreichen Stunden, und den Pinsel getaucht in mein Herzblut, und den Farbenthau hingegoffen in Thränen, und dann einen lesen sah, was ich geschrie- ben, mit Heiterkeit und Bewunderung, wenn er dann ausruft wie in künstlerischer Begeisterung: „O wie fchön!“ da werde ich nüchtern und es läuft mir kalt über den Rücken. Mein Gott, wie fchön! – da be- greift man, daß man Perlen für Säue gestreut. Ist's nicht daffelbe, als wenn man einem Weinenden zurief: „Mein Gott! wie schön weinen Sie, herrliche Thrä- nen, und dieser tragische Anstand!“ Zum Teufel mit diesen ästhetischen Bärennaturen; – Weiber, nur Weiber zollen dem Dichter den verdienten Tribut – stumme Thränen und Mitgefühl. Sie weinen mit uns und freuen sich, wenn wir froh sind, während der kunst- verständige Recensent ausruft: „O wie schön, wie klaf= fisch!“ Darum trage. Jeder feine Poesie ins Leben über. Des Abends kehrte ich wieder zu meiner lieben Schwester L. zurück. Außer meinen Lieben fand ich hier viele lang vermißte Freunde aus der Schule der modernen Aristokratie, die mich und mein Wirken nicht billigten, aber liebten. 224) „Warum, mein junger Freund, haben Sie uns verlaffen auf immer und Ihr Vaterland? Haben Sie die Lebens-Verhältniffe im Auslande beffer, die Men- fchen glücklicher, das Land fhöner gefunden?“ „Nein, aber mehr Vernünftelei und weniger Sinnlichkeit.“ - „Und dabei die Menschen glücklicher?“ „Nein.“ v Was hatten Sie also für eine Ursache, den Bo- den zu verlaffen, auf dem Sie so viel genoffen, so schön gelebt haben, wo sie weder eigenes, noch frem- des Elend zu beklagen haben?“ „Gerne gestehe ich es – Schwärmerei und Trüb- finn waren die Ursachen meiner Verirrung – ich habe Uebel der Welt für Uebel der Gesellschafts-Organisation gehalten und bin stolz darauf, daß meine Narrheit von mir als solche erkannt ist. Das ändert jedoch wenig in der Sache – die Narrheit selbst ist durch Erkenntniß noch nicht geheilt. Was kümmerts mich, ob gewisse Uebel in der menschlichen Natur oder im Staate ihren Sitz haben – ihr Vorhandensein und das Elend An- derer macht auch mich unglücklich.“ „Sie übertreiben und sehen. Alles schwarz. Fra- gen Sie das Volk. Es klagt über viele Steuern, wie überall, es klagt über Beamte, wie überall, – liebt aber feinen Zustand, fein Land und feinen Für- fen, wie nicht überall, und dort am wenigsten, wo 230 Sie herkommen. Wenn Sie dieß Elend nennen, dann find Sie ungerecht, denn das Volk fühlt sich nicht elend.“ - „Wohl gesprochen, aber nicht genug tröstlich, denn es macht mich nicht glücklich, wenn Andere es nicht auf meine Weise sind. Ich aber fürchtete nichts fo fehr, als der Sclave von gewifen kleinen Tyrannen – dis minorum gentium – zu werden.“ „Ein Sclave follten Sie nicht feyn. Männer wie Sie werden Gebieter durch ihre Kraft und Vor- züge. Sie brauchten nur klug zu feyn, um an Ihren Platz zu gelangen, und die kleinen Tyrannen, über die Sie klagen, würden keine Macht gehabt haben über Sie. Setzen wir den Fall, es wäre. Alles übel, - was Sie für solches halten, waren Sie nicht als Mann und Bürger verpflichtet, den unbeugsamen Stolz eines jugendlich aufbrausenden Gemüths zu be- kämpfen, um in eine Stellung zu gelangen, in wel- cher es Ihnen möglich gewesen wäre, gegen diese Uebel kräftig zu wirken und zugleich mit Ihrem Ge- wiffen. Ihren Ehrgeiz zu befriedigen? Glauben Sie mir, hier ist das Land oder nirgends, wo die Kraft des Einzelnen noch gilt, wo sie einen weiten Spiel- raum hat, und durch nichts gehindert ist.“ „Sie sagen eine Wahrheit, aber ein Mensch wie ich, der unglücklich genug ist, Leidenschaften und Nei- gungen zu haben, welche die Menschen närrisch nen- - - - 231 nen, weil sie außergewöhnlich sind, kann nichts Tröst- liches darin finden.“ - - Doch nichts mehr davon. Keine langweiligere Reminiscenz, als die an Streitigkeiten ohne Erfolg. Es ist ein unwiderleglicher Beweis, daß wir keinen Maßstab für die Wahrheiten haben, da man fast Niemand von feiner Ueberzeugung abbringen kann, außer einen Schwächling oder Narren. Ein Jeder bleibt daher ein Narr oder ein Weiser sein Leben lang, wenn er nur einmal über die biegsamen Schuljahre hinaus ist. - A ch t e r T a g. Heute erhielt ich Briefe, welche mich bestimmten, meine Reise fortzusetzen. Das Herz wurde mir nicht fo.fchwer als fonst, denn übermäßige Spannung macht jede Sehne schlaff. In großer Apathie machte ich Anstalt zur neuen Wanderung. - Ehe ich aber ging, machte ich mir das Ver- gnügen einer Spazierfahrt nach ***. Es begegnete mir auf dieser Fahrt nichts Besonderes. Der Herr von ZF. und der Herr von Z. fuhren eben in die Stadt. Hinter ihnen kam noch ein würdiger Mann gefahren, das dritte Blatt in dem ehrenwerthen Tri- folio. Der Kutscher mußte anhalten, denn der Be- - -- - 232 diente nahm eben feiner Gnaden das Uringlas ab und leerte es aus. Der alte Herr aber faß im Wagen und guckte mich mit dem Kopfe zitternd an. Mein Gesicht mit der schwarzen Brille mochte ihm eben fo mißfallen, als mir das feinige mit feinen wol- luftmatten Augen und dem Gepräg der Ausschweifung und ihrer Folgen. Und dieser Mann war vielleicht trotz feiner Hinfälligkeit ein gewaltiger Herr! Ein Betteljunge verfolgte meinen Wagen, denn an dem Sr. Gnaden hatte er nichts bekommen, und bat um „einen einzigen Keuzer!“ Wahrhaftig das ist billig, ein einziger Kreuzer für so viel Kaprio- len und Bocksprünge. Aber was gibt's Alles zu verwundern, wie viele Menschen thun noch mehr Bocksprünge und krumme Wege für weniger als einen Kreuzer, für ein Kreuz ohne E(h)r. Schade um das Wortspiel, es läßt sich nicht zu Pa- pier bringen. - Nachdem ich in * * * eine Flasche Wein ge- leert hatte, fuhr ich wieder nach Hause, wo mich be- reits die Extrapost erwartete. Den Abschied von den Freunden – doch still davon. Man bekommt die Gemüthsbewegungen zum Ueberdruß, und lächelt am Ende, wo Andere sich die Haare ausraufen und die Brust zerschlagen. Der Schmerz ist ein wüthendes Thier, aber Klugheit und Kraft bezähmen es, und 233 fchützen das Herz und das Leben vor feinen zerflei- schenden Zähnen. Aber ganz verläugnen läßt sich nicht eine wilde Natur, die Hyäne erwacht oft aus ihrem trügerischen Schlaf. Wenn das Herz aber todt ist, dann spielt sie mit dem Leichnam, wie die Katze mit einer todten Maus. M. a i l a n d. In Mailand fand ich nichts verändert. Der alte Dom fand noch immer an der alten Stelle und die Mailänder schimpften noch immer wie zuvor je- den Oesterreicher ein porco tedesco. Freilich dürfen fie ihren Haß nicht laut werden laffen, denn die Ka- nonen auf dem Kastell stehen bereit, auf Ungebürli- ches nachdrücklich zu antworten. Seit Napoleon ha- ben sie stets ihren Rachen offen, und sie halten wirk- lich lose Mäuler in Zaum; – nicht mehr als billig. Bei meiner Ankunft, traf ich einen alten Bekannten aus Wien, der sich mir mit jedweglicher Bereitwil- ligkeit zum Cicerone anbot, und fo mußte ich noth- gedrungen alle Merkwürdigkeiten von Mailand fehen. Vor einigen Jahren hatte ich dieß verabsäumt, aus Trägheit, und weil ich hoffe, bald wieder nach dem neuen Athen zu kommen, und jetzt war ich eben nicht 234 aufgelegt, mich darum zu bekümmern ; allein ich mußte der Nothwendigkeit weichen. Mailand ist die schönste und größte Stadt nach Wien, die ich auf meinen Reifen gesehen habe, und verdient wohl in meinem Tagebuch beschrieben zu werden. Ihre Lage ist zwar nicht nach meinem Ge- fchmack, denn sie breitet sich in der Mitte einer wei- ten Ebene aus, welche vom Tessin und der Adda bewäffert wird, lehnt sich an keinen Berg und ge- währt keinen erhabenen Prospekt wie Prag, das kleine Salzburg, Gräz, Roveredo, allein ihre Ausdeh- nung und der herrliche Dom geben ihr einen Cha- rafter der Großartigkeit, den die Natur der nächsten Umgebung versagt hat. Die Stadt hat einen Umfang von drei Meilen, und beherbergt 150.000 Menschen. Die Geschichte derselben ist sehr alt, denn schon in den Zeiten des Tarquinius wurde sie von den Gal- liern gegründet, und ward später die Hauptstadt des cisalpinischen Galliens, in welcher mehrere Kaiser des Occidents residierten. Die Ostgothen zerstörten sie im fechsten Jahrhundert, und Friedrich Barbaroffa im Jahr 1162. Durch diese und der späteren Kriegs- fcenen gieng jede Spur des Alterthums in Mailand zu Grunde, bis auf eine Reihe antiker Säulen. Jetzt ist Mailand eine der prächtigsten Städte Europas, und hat eine Menge der herrlichsten Paläste. Na- mentlich für den Morländer, der an die hölzernen 237 f würdigen aufgehäuft für meine Erinnerung und meine Feder, die fich nicht in mosaischen Darstellun- gen gefällt. An der Mauer nächst der Façade des Doms haben die mailänder Astronomen mit vieler Sorgfalt 1786 eine Meridianlinie gezogen. Man weiß es also mit der größten Genauigkeit, wo man steht. Solche Bestimmungen im ewigen Raum ka- men wir manchmal lächerlich vor. – Wie mein Rei- - febuch versichert, beobachtet man in der mailänder Kirche den ambrosianischen Ritus, welcher unter an- deren eigenthümlichen Ceremonien auch das Taufen durch Untertauchen vorschreibt, wie es in den ältesten Zeiten des Christenthums gebräuchlich war. Ueber solche Abweichungen haben sich die Kirchenväter ge- stritten, mit dem größten Ernst, als hinge das Wohl der ganzen Welt davon ab; ja es wurden sogar Kriege geführt mit der größten Erbitterung und Blut- gier um ähnliche Fragen. Der Wahn ist des Men- fchen unzertrennlicher Gefährte in allen Zeiten. Heute fah ich auch in dem Kloster Santa Maria delle grazie das berühmte Gemälde von Leonardo de Vinci, welches von Morphen durch den Grabsti- chel verewigt wurde, und zwar noch zur rechten Zeit, denn von dem Gemälde felbst ist nicht mehr so viel vor- handen, als nothwendig ist, wohlgefällige Anschauung, viel weniger aber Bewunderung zu erregen. Man thut fehr unrecht daran, daß man solche Reliquien 238 alter Kunst nicht restaurieren läßt, denn sie hören, so vernachläßigt oder vielmehr unberührt, auf, Kunst- werke zu seyn, und werden elende Knochenreliquien zu Grunde gegangener Kunstbildungen. Ein Stück- chen Leinwand, welches Leonardo in der Hand gehabt hat, kann mich aber so wenig interessieren, als die Schenkel- und Armknochen des heiligen Borromäus in der Gruftkapelle des Doms. Auffallend ist in Mailand die große Menge wiffenschaftlicher und Kunst-Anstalten, und das rege Leben in jedem Gebiete des Wiffens, wo keine libera- len und materialistischen Ideen sich entwickeln kön- nen. Jammerschade ist es, daß die österreichischen Cen- furgesetze alle philosophische Polemik hindert – Europa könnte und würde nach allen Richtungen hin mit auf dem Herde des Katholicismus gebrauten Materialismus versehen werden. Es find mir in meinem ganzen Leben noch nirgends so viele Freigei- ster begegnet, als in Italien, vorzüglich in Mai- land. Ein starker Geist lernt hier unmittelbar aus dem katholischen Katechismus die fkeptische Philoso- phie, und wenn er erst die übrigen Religionsbücher durchgegangen hat, so ist er bald Atheist. Das geht nicht so schnell bei den Protestanten, welche über den Mythos eine Vernunftbrühe machen, um derenwillen die Meisten das unverdauliche Gericht felbst mit ver- fchlingen. - 239 Ich habe nirgends so viele Menschen gefunden, welche des Tages zehn Mal versichern: „es gibt kei- nen Gott!“ als in Mailand. Selbst in den niedrig- sten Ständen bemerkt man einen gewaltigen Anflug diabolischer Freigeisterei, und es gibt kaum einen ge- meinen Kerl in Mailand oder Neapel, der nicht we- nigstens ein Mal in feinem Leben Gott in den tief- fen Abgrund der Hölle verdammt hätte. Man hört nirgends mehr gotteslästerliche Reden als in Italien, und wird nirgends in der Welt die Kirchen so eckel- haft und unverschämt verunreinigt finden als in Italien. - V Die berühmte Ambrosianische Bibliothek in Mailand besteht aus 40.000 Bänden und 15.000 Manuscripten, und wurde von dem Neffen des hei- ligen Borromäus, dem Kardinal Federico Barromäo gestiftet. Ein hier befindliches Manuscript auf ägyp- tischen Papirus soll, wie man mich versicherte, und wie Mabillon behauptet, 1100 Jahre alt seyn. Un- ter den übrigen Merkwürdigkeiten zeigt man hier Kartons der raphaelischen Schule, Schriften und Zeich- nungen von Leonardo da Vinci, und einen Virgil, auf defen Einband Petrarca eigenhändig die Liebes- geschichte seiner Laura aufgezeichnet hat. Ich liebe Petrarca, aber ich muß jedes Mal lachen über die heilige Scheu und Ehrfurcht, mit welcher Fremde und Einheimische die Ueberbleibsel desselben betrachten und - 240 berühren. Es gibt gläubige Christen, die vor dem Altar des Gekreuzigten bei weitem weniger Ehrfurcht empfinden, als bei dem heiligen Grabe Petrarcas. Dieses ist zu Arqua, wohin alle Empfindler und Dichterfreunde pilgern, um fich einst dieser Wallfahrt rühmen zu können. Vor vierzehn Tagen bin ich auch dort ge- wesen, habe mich aber schrecklich abgemüht, einige Be- geisterung in dem Momente zu erkünsteln, um nicht von den Leuten in meiner Umgebung für einen ro- hen Barbaren gehalten zu werden. Ich wüßte nicht, was fo erstaunlich Ehrwürdiges daran wäre, wenn man feine Empfindungen in schöne Worte bringen kann. Der Lorbeer ist leicht zu erkämpfen, wenn man ein angebornes Talent hat für die Kunst, aber es fcheint mir ein kleiner Lebenszweck, ihn zu erringen. Ich liebe Petrarca, ja, aber ich bin weit entfernt, ihn zu verehren. Wie fanatisch aber die Italiener diesen Mann vergöttern, erhellt aus folgender tragischen Thatsache. Im Jahre 1630 gelüftete es einen Edelmann aus Rovigo nach einem Arm Petrarca's. Der Sage nach verleitete er zwei Einwohner von Arqua, den Sarkophag zu erbrechen, und den armen Dichter, der felbst im Grabe keine Ruhe hat, um einen Arm zu fpolieren. Die Knochendiebe wurden bald entdeckt und – horribile dictu ! – hingerichtet; – aber nichts desto weniger muß sich Petrarca jetzt mit einem 241 Arm behelfen, denn der andere wurde nicht wieder aufgefunden. Es ist entsetzliche Barbarei, der Unver- letzlichkeit eines Leichnams zwei Men fchen leben zu opfern; aber ich glaube, ohne diese barbarische Strenge wäre der ganze Landsitz mit Haus und Grab des Dichters von englischen und italienischen Narren in alle vier Winde verschleppt worden. Es ist sehr zu verwundern, daß man sich noch nicht an Petrarca's Katzenmumie vergriffen hat, welche in Arqua über der Thüre eines Wohnzimmers sitzt, als ob sie ihren Herrn erwartete. Freilich die 500 Jahre, die seitdem verstrichen sind, haben sie mager gemacht. Nicht so geschont wurde Petrarca"s Schrank. Die Kuriositä- tenkrämer haben sich so viele Stückchen davon geholt, daß nicht viel mehr als ein Stückchen davon übrig W- geblieben wäre, hätte man nicht ein eisernes Gitter angebracht, welches zwischen der Reliquie und den diebischen Händen der Verehrer Petrarca's steht. Größer als die ambrosianische ist die k. k. Bibliothek in dem palazzo delle scienze e delle arte, sonst Palast Brera genannt, welche 100.000 Bände besitzt. Es befinden sich hier auch Künstlerschulen für Struktur, Malerei, Architektur u. f. w. Besonders merkwürdig ist das an den besten und schönsten Instrumenten über- reiche Observatorium. Die Gemäldesammlung besitzt die schönsten Werke von Leonardo da Vinci, Genale, - Salajno, C. de Sesto, G. Ferrari, B. Luino, Bellini, 16 242 Montegna, Squarcione, Titian, Palma, Paolo Vero- nefe, und außer diesen die berühmte Vermählung Mariens von Raphael, St. Peter und Paul von Guido Reni, den Amorettentanz von Albani, die Ehebrecherin von Carracci, die Samaritin von Do- menichino. Die besten Antiken sind in Gipsabgüssen vorhanden, und viele Original-Arbeiten von dem weichlichen Canova, dem kräftigen Thorwaldsen, dem Buonarotti unserer Zeit, Acquisti, Marchesi, Pacitti, u. v. a. - - Mailand ist auch durch die Erinnerung an viele berühmte Männer für Jeden merkwürdig, der sie ach- tet. Virgil lebte hier feinen Studien; Valerius Ma- ximus, Virginius Rufus und Salvius Julianus ge- hören Mailand an. In neuerer Zeit find die Mai- länder Namen Carifani, Alciati, P. Lechi, P. Porta, Beccaria, Frisi, Parini, Verri, Agnesi, Appiani, Bofi in der literarischen Welt bekannt geworden. Wenn daher Mailand, gestützt auf feine alten und neuen Celebritäten, sich das neue Athen heißt, so ist dieß bei weitem nicht so arrogant, als wenn sich Mün- chen anmaßt, als solches zu gelten, da es doch nichts besitzt und besaß, was diesen Titel rechtfertigte, als die neuen Kunstanstalten, die Glypto- und Pynako-, wenn man nicht auch die vielen dort erscheinenden Scharteken und den journalistischen Schofel zu den athenienfischen Merkwürdigkeiten rechnen will. , 243 Merkwürdiger aber als alle die Kuriositäten von Mailand, welche mir mein Cicerone zeigte, war und bleibt für mich der eigenthümliche Charakter und das Leben des Mailänders. In jedem Lande, wo die Na- tionalität der Einwohner noch lebendig ist, findet man mehr oder minder Pöbel, in welchem man einzig und allein den ächten unverfälschten National-Charakter mit allen Tugenden und Lastern studieren kann. Während im Norden die größten Städte, wie z. B. Berlin, fast gar keinen Pöbel haben, fondern lauter gebildete Menschen, hat in Italien fast jedes Dorf fei- nen Pöbel. Am zahlreichsten ist er in Rom, Neapel und Mailand vorhanden, aber der Mailänder Pöbel zeichnet sich vor allen übrigen aus. Der Mailänder ist das im Vergleich mit dem Römer, Neapolitaner und Venetianer, was der Berliner ist im Vergleich mit dem Wiener. Der Mailänder ist roh, unhöflich, hart, boshaft, wild, hinterlistig, spöttisch, schadenfroh, rachsüch- tig. Wenn er ein Gemüth hat, so ist es ein seltsames Gemisch von Gift und Liebe, von eisiger Kälte und blitzendem Feuer. Er hat daher für einen Südländer manche Eigenheit des Nordländers, vereinigt mit einem heftigen Temperament. Der Meuchelmord war in frühe- ren Zeiten hier fo recht zu Hause, und konnte weder von Napoleon, noch von der österreichischen Regie- rung gänzlich ausgerottet werden, denn kein Italiener haßt fo glühend und lange, keiner so unversöhnlich - 16 % - A 44 and rachsüchtig, als der Mailänder. Die österreich- Fel» ein Beamten und Militärs sind daher nicht gerne in Speailand, denn sie sehen nur zu oft die giftigen Blicke cans lächelnden Gesichtern hervorschießen und fühlen nicht - ganz felten die Dolche der Mailänder. Gleich anfangs, Furz nach der Besetzung der Lombardei durch die De- terreicher, zeigte sich der Haß der Mailänder auf eine so furchtbare Weise in unzähligen Meuchelmorden and Vergiftungen, daß sich die Italiener nicht wun- Dern können, wenn die Oesterreicher sie wie giftige S»unde behandeln und es ihnen hart fühlen lassen, Daß sie nicht nur Herren sind im Lande durch ihre Bahl, sondern vielmehr durch ihren teutschen Cha- arakter. Aber die Mailänder sind wie Schlangen, man tritt sie nicht, ohne daß sie stechen. Besonders charakteristisch ist der Mailänder Sucht, S2 Illes zu bespötteln und alle Ereigniffe und Gegen- tände, welche ihn beschäftigen, halb humoristisch, halb fatirisch zu betrachten. Diese Sucht zeigt sich auch in Den eigenthümlichen Volksdichtungen der Mailänder, FO e 11 Bofinaden, wovon ich mir bereits eine kleine Samm- lang angelegt habe, und die ich heute mit einigen Ge- legenheits-Bofinaden vermehrte. Die ersten schickte mit rein Freund Halirsch aus Verona mit folgendem Brief z»en ich nun als eine Reliquie von dem früh Verstor- E> einen aufbewahre. 245 Verona, am 24. Febr. 1832. Ihren Brief, mein Werthester, vom 10. v. M. aus * datiert, habe ich richtig erhalten, und ließ es mir sogleich angelegen seyn, den ausgesprochenen Wunsch hinsichtlich der Aufbringung lombardischer Volkslieder zu erfüllen, da es sich hier um ein vaterländisches Un- ternehmen von einem Landsmanne handelt. Das mit- folgende Pack Poesieen wird ihnen beweisen, daß mir dieß auch theilweise gelungen fei, und wird Ihnen um fo willkommener seyn, als diese Lieder bereits gedruckt sind, daher ohne viel Mühe dem Ganzen einverleibt werden können*). Ich setze voraus, daß Sie der Sprache fo mächtig find, um auch den, nicht gar schweren, Mai- länder Dialekt verstehen, und da, wo es noth thut, übersetzen zu können. Dieß find die einzigen Muster der lombardischen, hauptsächlich in Mailand gang und gäben Volkspoesie, welche sich, wie Sie sehen werden, gewöhnlich über Vorfälle des Tages und des Lebens ausspricht, und wovon ich Ihnen daher auch nur die neuesten auswählte. Diese Gattung ganz eigenthümli- cher Volksdichtungen heißt Bofinade, welche Be- nennung, wie man mir sagte, wahrscheinlich von dem Erfinder, Namens Bofino, herrühren dürfte. Solche Dichtungen werden in den Straßen der Stadt und auch In dieser Zeit frommer Wünsche war ich nämlich Willens, eine Sammlung österreichischer Volkslieder herauszugeben, und fammelte Material in allen Provinzen. 246 auf den Landstraßen nicht gefungen, sondern blos rythmisch deklamiert, was ich oft genug auf der piazza del Duomo und an andern Orten gehört habe, und was an die Neapolitanischen Improvisatoren erinnert. Eigentliche lombardische Volkslieder giebt es nicht, denn jene, welche vom Volke hie und da, auch ohne bestimmte Melodie, eintönig gesungen werden, find ausschließend nicht lombardischen Ursprunges, sondern rühren aus andern Theilen Italiens, meistens aus den füdlichen, weniger aus den venetianischen her; doch hat fie die Tradition in lombardischen Dialekt umgegoffen, wie das z. B. mit den Stanzen Taffos der Fall ist, die man beinahe in jeder Stadt anders vernimmt. Sollte ich jedoch späterhin vielleicht dennoch irgend einen echt lombardischen Liedertext habhaft werden können, so will ich Ihnen selben, fammt dem Melodieenfatze, mit Ver- gnügen zukommen laffen. Fürs Erste und im Drange der Zeit wird Ihnen inzwischen die Beilage genügen, die jedenfalls eigenthümlich und charakteristisch ist. - Wie fiel das Schicksal nach dem – – – – – – gebracht hat, wäre ich neugierig zu erfahren! Inzwischen, für literarische Thätigkeit ist jedes nord- deutsche Nest beffer, als unsere Wiener Residenz! – Was mich anbelangt, so bin ich, wie Ihnen die Adreffe dieses Schreibens fchon fagen wird, nicht mehr in Mai- land, das ich Anfangs dieses Jahrs nach einem acht- monatlichen fehr angenehmen Aufenthalt verließ, um, V 247 über Florenz nach Rom, und endlich von da hieher zu reisen, wo ich nun, bis auf einen kleinen, nächste Woche vorzunehmenden, Ausflug zum Carneval nach Venedig, wahrscheinlich bis Ende des Frühjahrs bleiben, dann aber durch Tirol und Baiern im Sommer nach Wien zurückkehren werde. Riefen mich nicht fehr wichtige Familienverhältniffe dahin, so sollte mich nicht sobald etwas von Italien trennen, dem ich das genußreichste Jahr meines Lebens verdanke, und das ich täglich lie- ber gewinne. Meine Ansichten und Empfindungen darüber werden Sie wohl hie und dort schon gelesen haben, und diese dürften sich bald zu einem Ganzen bilden, das aber weit entfernt feyn wird, in irgend eine Gattung der Hunderte von italienischen Reisebeschrei- bungen zu schlagen, sondern feinen eigenen Weg ein- schlagen soll. Auch fonst hatte ich Muße und Aufre- gung genug, um theils Stoffe zu sammeln, theils man- ches Gesammelte auszuarbeiten, und wie mein Aufent- halt im Süden auf meine physische, fo war er auch auf meine geistige Existenz von dem wohlthätigten Ein- drucke. Sowohl mit meinen auswärtigen, als mit meinen vaterländischen Freunden stehe ich in fortwährender Verbindung, und erfahre daher auch in literarischer Hinsicht so ziemlich alles Neue und Merkwürdige. Für Ihre Bereitwilligkeit, mir in dieser Beziehung gefällig zu feyn, danke ich Ihnen recht fehr, und nehme dieselbe 248 vor Allem für meine „Erinnerungen an den Schnee- berg“ in Anspruch, die ich gerne im Publikum recht fehr verbreiten möchte. Können Sie durch eine aus- führlichere Anzeige in einem gelesenen Blatte etwas dafür thun, so werden Sie mich sehr verbinden. Eben fo würde es mir, – – – – – – – – –, lieb feyn, wenn Sie mir eine oder die andere von gutem Eredit für künftigen Verlag gewinnen könnten, aber nicht blos für den Verlag eines einzelnen Werkes, denn dazu fehlte es mir nicht an Anträgen, fondern für Alles, was ich produziere. Ich hatte in dieser Art eine Verbindung mit dem Leipziger Focke abgeschlof- fen. Wüßten Sie mir also hierowegen behülflich zu feyn, so würden Sie mich fehr verbinden, und ich könnte einem neuen Verleger fogleich einige, fchon cen- furirte, Manuscripte darbieten, worunter Eines: Die Venus der Medic eer, eine Novelle, auf Grund und Boden der Handlung entstanden, gewiß zu dem Besten gehört, was ich noch produzierte. Schreiben Sie mir hierowegen gefälligst, jedoch nach Wien (– – – – –), da ich noch nicht entschieden weiß, wie lange ich noch hier bleiben werde, – von dort aus aber regelmäßig von Woche zu Woche Zu- fendungen erhalte. - Vielleicht besuche ich Sie schon im nächsten Herbste; wenigstens habe ich bis dahin eine Reise nach Nord- 244) deutschland mit A* * * verabredet, die jedenfalls, wenn auch nicht heuer, doch künftiges Jahr gewiß zu Stande kommt. - Indem ich Ihrem neuen Lebensplane eine glück- liche Richtung und eine günstige Fahrt wünsche, bleibe ich mit aufrichtiger Freundschaft - Ihr ergebener Halirfch. In diesem Schreiben wo noch keine Spur der Vorahnung seines nahen Todes zu finden ist, waren mehrere Bofinaden eingeschloffen, worunter die nachste- henden Proben des Mailänder Volkswitzes und bar- barischen Dialektes. Noeuva Bosinaa. Su Ja caccia in sta stagion Che fa i donn d' ogni strazion Per desirugà poeu in conseguenza Dei scimes e pures la somenza Stem donca attent, senti polid Che per on moment speri fav rid. Dialog tra Barlafuse, Tecola e Marfori. T. Ma cara le che la mee scusa La mia sciura Barlafusa Se parli insci comé sessia: - - 250 Dov’ ala imparaa la polizia Se tutt' i di nun sem a questa Da scorlà già i socc e la vesta Denanz all' usc della mia ca? Se no la sa 'l tratt se va impara! Che l’è mo on tocc d' una vergogna Me credela fors ona carogna Ch' abbia d’ avè sto pregiudizi Da rezevv i so immondizi Come se chi ’l fuss el condutt Del comun, del loeugh pù Brutt ‘? 11. Si; che tra lee e là sciora Luisa Ora i soco, ora la camìsa, Ùra i coyert, ora i lenzoeu, Ora i colzon di so fioeu, Butten giò pures a niada Che mi son mezza tormentada. E mi no sco pù squas dov’ andà Per toll; ghe pures da mazza! In poc parol ghe foó memoria Che se la seguita st' istoria Da scorlà pures tutt i di Mandi dessora me mari A cîappala per quel zuff E (Ic-?1511611 tant fin che L' è staff. x ' 251 III.‘ B. Basta v' ess ona Zabetta Per_v' egh ona lengua marcadetta; Se la g’ ha i pures per la cà Cosse me stala mi' a seccà? Chi voeur tegni la stanza netta No se ten i can con la cagnetta, I gatt, i conilii e la gaina, I puvion, la puresina, E tant olter hesti el g’ hé Pesc che in 1’ arca de Moè. Chi no voeùx‘ pures in ca, ne in lett Se scova de spess, e se ten nett, E quand han mangiaa, no la se stracca ‘Da dac de bev di bon seg d'acqua. N. T. Ho da senti da lee anca goes!: Da mincionam appress al rest? NQ la me staga chi a sconfond, Perché mi adess ghe poss respbnd Che alla mattina ben a bonora La cerca in ni pagp e Zoll; e sora Come ha cuntaa queschi dessot La impis de pures el haslott E per att de polizia V La ven su la lobbia a buttaì via, 252 E a spantegan per soa bontaa Hoon poo» per tutt el vesinaa,‘ El disi a ralf e pian e fort, La nega on poo se mi 3’ hoo tori? V' e B. Per quest ossa voeurela mo di? Quel che fa i olter,. foo anca mi. T. E mi m‘ hala forsi giudicaa Per la serVascia del vesinaa, Ona donna come sessia D’ ess tutt el di a scovà via Tutt quant i pures so de lee Che se pò mesurai con el quartee? Pures tant impertinent Tant rabbiaa, tent insolent, Che no me lassen sta quiet Gnanch alla noc’c quand sont in lett, Se sei marcaditt se fa besogn * Me fan perd dersina el sogn. VI. B. E se fa quel che foo mi Col dagh la caccia tutt el di; Se va cercai inscì a taston' Se strengen assalt eci pizzigon ’Se van dcnt per i calcett Storgee el col, fen on sguazzelt; Se i sentii su per i fianch, E che ne possev fa de mane, Per la fessa (l’ona 'part Se strengen su, se tran a quart; Se van poea in quai sit pusse sconduu Sott ai ong se fan in duu. Se sa giustizia in sul moment, A sti baroni impertinent. I VII. T’ Besognaravv che fusa mi quella Come l' è lee- ona gran porscella; Che cott e! di la va a taston Dent per el stomegh a tanfugnon, Su per el venter e adree al coll, Listes ä' on cavall de quii (le noll No la quieta on sol moment Con quii son man e foeura e :jene A (lagh con gust propri de frisa. E per i socc e la camisa Che per tant magg che glie trappana La par ona vesta d’ indiana, E con sti bei meret e virtù Trattam de Lazzer come vù? 254 VIII. B. 0h si hoo minga mi guardaa Che ani i brasc tmc quant seguaa Come ona carta marmorada? ' E tant in ca, com' anch in strada A fa certi smorfi con la bocca, A davv di pugn dent per la socca, A moeuv i gamb, fregà i garon Come se patissev in convulvzion, A fregà 'l sedes fina sui banch, A rhgattà fina sui fianch, A fa tognon anch collz scienna 'Per el torment e per la penna, Per castigà, per moeuvv querella A tutta la razza puresella. IX. T. Quest' cl suzzed per ess vesin A di carog da dà a ciocchin: Infatt besogna confessà Che se me metti a Iavorà, Se voo a na quaiv’ccnversazion, Non doss avè on moment be bon, Ch’ el suzzed ma ben de spess Da mett i man dent per i fess, E intant che vun s'e dà la fuga El ghe n'è des ch’el sang me suga, Intant che rughi sott ai sell Quindes ghe n” & a sbusam la pell, Sº en ciappi duu per la colzetta Des corren su la mantiretta. X. B. Confessee donca e dem reson Ch' el ghe n” em tutt ona porzion E massem i donn in temp d' estaa I han portaa in creditaa. T. Vel disi anch mo ciar e patent Che tutt qui donn ch'è sporscellent, Che tegnen la ca com' ona stalla, Quest é proverbi che no falla Che adree ai carogn ghe va i moscon, Echi ha’l sang guast ghe ven i bugnon. Basta a mudas e tegnis nett De bon camis e de colzett, E sta lontan propri de vera Da chi ha adoss la puresera, / XI. B. E vu andee a comprá on casin Lá al Foppon del Gentilin. T. Al Gentilin ghe va la su Di carogn compagn de vu? B. Chino voeur pures sta lontan De qui che dorma cont i can. " 256 T. Che no voeur pures e sta nett Staga lontan de stizabett. B. I zabett infin di fin Hin qui che fa i ciacer coi vesin. T. Con certi trappcl besogna fai, E anch se besogna bastonai. B. Se bastona di vost, Di pettegol e di rost. XII. T. Feniroo mi tutt sti bordi; Ve strapparoo qui poch cavi Onc d' oliasc de quel de nos Gris, der usc e lendenos. B. Proeuva on poo brutta sgualdrina Nassuda d’ on trucc, d ona pedina, Che con sti man chi se rebecca, Te foo del coeur una busecca. T. Ma cossa serven sti ball? Werda on poo se hoo coeur de fall Cossa serven tant reson Te strasci adess quel brutt mellon. La prende pei capelli XIII. B. Ajut! a na donna de sta sort Se g” ha da fa sta sort d' intort? 257 T. Te impararee per l'º avegni A conoss cossa son mi. B. T” hoo conossuu per ona donna La pü trista e bolgironna, Per el fior di bagass e disposett Se a mi a sto segu perdi el respett. T. Se t'ho strascinaa ades la perrucca G'hoo coeur de rompett anch la zucca E. consciat ceme s” é ditt Comè el boccaa di poveritt. XIV. M. Alto là violter bagass Coss” el sto rumer e sto fracass? B. Tutt el motivv della quistion L é per i pures de stagion. T. L'º & perché sta brutta stria Je scorliss giö tut in ca mia. M. E per sti inezi e sti difett. Avi de perdevv el respett? i me car donn via fe pas Sº el fatt di pures ve dispias Perdonnevv, e in avegni Soffri i pures e tasi lá. - - - 17 258 Na bosinada noeuva noventa De canta fort de tutt la senta Dove sentiran el bel tenor Zora i Barch che [va a Vapor. L’ è ne composizion de Feiìerich (le-Simon. In tutt sti secol che passaa Da che ’l mond l' è sta creaa Se veduu de quii talent De fa stà incantaa la gent Che coi moderna so invenziou Sin faa disting per talenton. St’ invenzionche lor han faa E che de tutt in staa lodaal A chi gli ha portaa dell' utel E a chi portaa han gran desutel. E de già ch’ cm da descor Bifflettend sui Tessitor Con quella macchina Sgiacchar,’ Che una voeulta s' un telar Lavoraven in cinq o ses E passaven almanc duu mes, Senza mai podè feni Quel lavora che in duu di 259 Adess vun soll per veritaa El 1" ha bel e terminaa. Sicché denca me capi Qui olter duu, e con qui tri Cossa mai avaran faa ? - Dopo quest che hau inventaa, S” hin trovaa in quel cuntee De dové cor innanz e indree Per cercà de lavorá Senza mai prden trová, E fina al segn hin arrivaa D andà cercà la caritaa Milla d' olter invenzion - Han traa la gent in d' on canton A piang el barber so destin Che a vedes insci meschin Saveven pu che mestee fä Per cercà de vivatà; - Na per no seccà la gent Parlaroo del me argoment E. cominciaroo a descor Sui battei che va a Vapor. St” invenzion l” è di Ingles, Ma i noster sciori milaues 17 % 260 Premuros per la sua gent Han pensaa in (1’ on moment De uniss in tra lor scior A fal andà sul Lagh Maggior, E stì nost sciori de Milan, Con quel bel coeur che gh’ han in man, Ai spes e fadigh no han guardaa Per portàuutel alla zittaa. ‘ E (le fatt sto gran barcon Colla pu gran soddisfazion L’ è staa approvaa dai Milanes E de tutt i 01131- pajes, Comè (13 Sest a Magaclin 1 Ch’ hin squas tu_tt mercant de vin Che con na ciocca de (lanee Lor van a ca, vegnen inclree; St’ invenzion in fin di facc La portaa a lor on gran vantacc. W' Lor Sparmissen in tel paccià Perché s’ han minga (le fermà Come ghera ai temp passaa . __; _ Che per dò nott staven fermaa; Se poeu fan on capital Se succecl on tempora], Perché ghe quii pront a. respond Che nissun andcrà al fond E in qualunque occasion El gh’ è la defessa (li cannon. _ L’ è cinquanta brazz de lunghezza E 1' è squas duu pian d’ altezza, Dent in mezz ghe un caldaron Con semper sott un gran fogon, ' Che se fa bui in sto caldar On cert grass particolar, Che lé poeu quel tal Vapor Che se sent insci descor; In sta barca ghè poeu dent Tutt i comocl per la gent. El ghè (li sal, di gabinet, Ghé fin dent di stanz de let, Ghè ostarii, mercant dc vin Per quii che voe_ur fa on inarenélin, E chi voeur 'poeu bev eI té Ghè fin la sala del Caffè, É! Pienna de Spec e lavorin " E tant’ olter mobel fin: Quel che se pò desidera In fin di facc ghè denter là. Riguard poeu ai regolament Resta incantaa tutta la gent, * 262 Che ai artiquei che ghé su De quistion en succed pu; Sto hatel che va a Vapor La mattina pei ses or El se ne va infallantement, Caregaa de tanta gent E guardee se noi fa prest? Ai dodes or lé giamò a Sest. Trii quart (1' ora dopo mezdi Dan el segn de reparti, Con na campana che gan la, Che per trè voeult la fan sonà; All’ ultem segn poeu finalmenl; Cori impressa tutta la gent, E on barchiroeu 1’ è là specciai Cont‘ on barchett per poeu menai Denter tutt in stò batell Ch’ ci fa stupor doma vedel. , Ìî . Fin la riva el gb' è ven no Che l' è tant grand che no se po, E sto viag al la fa insci De Giovedì fin Lunedì E1 va poeu a Arona al Martedì, El torna indree poeu al Mercoledì; Tutt i paes ch’ el passa via 263 El da on segn lontan mezz mia, Per mett all" erta e fa vegni I forestee che han da parti. Per el vintinoeuv de Lui, Avvesev vist che battibui, Lá tutti donn cont el so om Hin cors tutt al lagh de Com; Per vedé el gran feston Che lor han faa in st” occasion Evedé quel gran sussor Per i batti che va a Vapor, Tutt in frotta corriven là A vedei a lassá andà. I comasch minga incantaa, El Lagh Maggior han immitaa, Egan giongiuu insemma a quest La diligenza che va a Sest, Che tra i post d’ omen e donn El tegnerá pü d' on vint person, Per tiralla no ghè guai Gh" han taccaa sott quatter cavai, E'appenna a Sest chin arrivaa Ghé el battel già preparaa. 264 El mes d' agost del vintises, I Monsciasch coi Milanes, Pien d' ingegn e d' esperienza Han faa fa na diligenza, Che la cor innanz, indree A tir de quatter anca lee. Trenta sold hin poch danee, Ma van là e vegnen indree, E se quaidun se ferma là On vint soldin han da pagà Ghè poeu tant de quella gent Che gh" han on certo sentiment, Che lé giust comé el Vapor Che voeuren fa el viaggiator Che col comod de st" invenzion El pon fa senza passion. Evviva donca sti bei talent, Che per fa utel alla gent, On quai di han d'inventà Che tut la gent ha da volá. 265 Es war dieß der letzte Brief und die letzte Sen- dung an mich aus dem Süden, denn wenige Monate später starb Halirsch plötzlich an den Folgen einer Erkältung, und gab so feinen Landsleuten Gelegen- heit, feinen Verlust zu bedauern. Im Leben wurde er wenig geachtet, und man kann sagen, daß die Bitterkeit, welche ihm eigenthümlich war, keine andere Quelle hatte, als feinen fo oft und hart gekränkten Dichter stolz. Eine volle Brust weiß nie, wie wenig sich der Leser um fremde Empfindungen kümmert; darum ist die lyrische Poesie stets undankbar für den lebenden, mit uns die Erbärmlichkeiten des irdischen Daseins theilenden Dichter, den wir täglich fehen, wie er feine Pfeife raucht, und feinen Kaffee schlürft, den wir stets vor Augen haben mit feinem alltäglichen Körper, mit feinen kleinen Schwachheiten und dem komischen Contraste, in welchem der kleine unansehn- liche Körper mit dem riesigen Stolz der Seele steht. Der lyrische Dichter muß von uns weit entfernt feyn durch Zeit und Raum, es muß keine Spur eines profanen Lebens mehr vorhanden seyn, wenn die Strahlen feines Geistes uns erleuchten, wenn wir feine Größe bewundern sollen. Halirsch theilte das harte Geschick der lyrischen Dichter, und empfand es um fo schmerzlicher, da die Wirksamkeit eines schönen Ta- lents von keinem Eclat begleitet war und feine Selbst- liebe ihn vielen verhaßt machte. Er war wie ein eigenfin- 266 niges Kind, das etwas gehätschelt und geschmeichelt feyn wollte, und weil dieß nicht geschah, blieb er mürrisch und verdrießlich, schneidend und bitter. Doch Friede seiner Asche. Meine Achtung jedem füh- lenden Herzen. Während der sterbende Halirsch unter Südens gluthwehendem Himmel ein erbittertes Ge- müth mit Süßigkeit und Wärme befruchtete, wäh- rend er im Tode noch ein reiches Leben entfaltete, nährte ich im Norden mit Bitterkeit und Galle mein elendes Leben ohne Frucht und Genuß. Der Reihe nach schrieb ich an meine Freunde im Süden drei mürrische Briefe aus und über Nordteutschland, die mir hier im Süden vorkommen wie böse Träume. Ich fand fiel hier und anderswo forgsam aufbewahrt, und bemächtigte mich des vergelbten Papiers, wie der Reliquien eines Verstorbenen, A u s Nord - Teutschland Dresden, den 18. Okt. 18**. Es ist so kalt hier in Dresden, lieber Freund, wie in einem Mausoleum, fo ernst und kalt, als ob man hier das Leben zu Grabe getragen hätte, und nur wandelnde Geister, eine Stadt voll gespenstiger Gestal- ten an ein verstorbenes Jahrtausend mahnten. Mir ist, als wären die Leute hier alle schon einmal gestor- ben und nun wieder zum Leben erwacht, um für ihre 267 Thorheiten im Leben zu büßen. Das Lachen ist mir hier vergangen, und ich schäme mich deffen als einer läppischen Kinderei. Der hier herrschende Geist hat feinen eisigen Mantel über mich geworfen und mir beben alle Glieder – vor ernster Besonnenheit und kalter Ruhe. Mich dürstet nach Politik und Juris- prudenz, nach einem Hofrathstitel und zehntausend Thalern Gehalt. Französische Weine trinkt man hier und faselt von der Contagiosität der Cholera, man gießt Feuer in die Adern, und kalt und weiß bleiben die Marmor-Gesichter. Auf der Straße reden die Leute fast nichts, alle Stunden stolpert ein einspänni- ger Miethkarren über das Pflaster, schön kahl ausge- kehrte Straßen, prächtige Gebäude – Brüder! es ist zum Verzweifeln hier. Heute Abend war ich im Schauspielhaufe. Klein, zusammengedrängt ist das Profcenium, wie in einem anatomischen Hörsaale, ohne Neugierde, fehr ruhig ist das Publikum und fährecklich gebildet, kein Nachbar spricht mit dem an- dern, wenn er nicht einen Centner Salz mit ihm ge- speist, und wagt es Jemand, auf der oberen Galerie zu sprechen, so vernimmt man die Phrase Wort für Wort auf dem Paterre. Man gab das Epigramm, der Vorhang ging auf und zu, die Schauspieler gingen aus und ein, und zweimal während der ganzen langen Vorstellung des Luftfpieles – zweimal lächelte das Publikum. Dafür zahlt man 12 Groschen. 268 Leipzig, den 20. Oktober. Wenn es überhaupt der Mühe werth ist, von dem Dresdener Theatergebäude zu sprechen, so kann man doch nichts. Rühmlicheres erwähnen, als daß es alt, unansehnlich und unschön gebaut ist. Das Profcenium fcheint aus Pappe, besonders gleicht die mittlere Haupt- loge einem Weihbrunnkeffel; Schönheit ist nirgends zu finden. Von den hier angestellten Mitgliedern des Theaters lernte ich kennen und achten vor Allen Hrn. Pauli, der fchon in Wien 1830 meine und Aller Be= wunderung durch feine Gastrollen auf sich zog, Hrn. Devrient, Werdy, Mad. Werdy, welche ich gestern Abend auch bei Tiek fand, Dem. Herold c. Doch ent- halte ich mich im Ganzen jeden Urtheils, da ich nur zwei Vorstellungen beiwohnte, und daher die Anstalt zu wenig kennen lernte. Pauli ist jedenfalls einer unserer ersten fcenischen Künstler in Teutschland und steht den größten Namen würdig zur Seite. Selten findet man ein so in sich vollendetes Talent, Verstand mit Empfindung gepaart, tiefe Ueberlegung mit inne- rer Kraft, Begeisterung für seine Kunst, mit einer Mäßigung, die nur großen Geistern möglich ist. Nicht minder liebenswürdig als groß in feiner Kunst ist Herr Pauli im geselligen Umgange, feiner Güte verdanke ich die Bekanntschaft mit Vater Tiek. Die- fer würdige Veteran unter Teutschlands Literatoren 2(34) hält täglich Abends in feiner Wohnung dramaturgische Vorlesungen, in welchen man die ausgezeichnetsten Dresdener Literatoren und dramatischen Künstler ver- fammelt findet. Gestern Abend wohnte ich einer der- selben bei. Tieks Aleußere, so wie sein Betragen, ver- räth gleich auf den ersten Anblick den Mann von ungewöhnlichem Scharfsinn, hoher Bildung und Welt- kenntniß. Seine Gestalt ist klein, etwas schief, fein Kopf eine wahre Antike voll Ausdruck und Seele; er ähnelt Thorwaldsen, nur mangeln ihm jene derben, harten Züge, die in Thorwaldsen den Sohn des hohen Nordens verrathen. Ein scharfes prüfendes Auge belebt das interessante Gesicht, Ernst und Nachdenken deutet eine gefurchte Stirne. Wenn er spricht, so spielt ein einnehmendes Lächeln am Munde und macht ihn äußerst liebenswürdig in der Conversation. Er las heute Shakespeares Richard II. Wohlthuend für mich, der hier in Dresden nur Büsten sah und ein- töniges Gespräch hörte, war die Wärme einer De- klamation, das Feuer seiner Begeisterung, die Kraft und lebendige Verwendung einer schönen tonvollen Stimme. Shakespeare's Genius wachte über ihn, so war mir, als ich ihn entflammt von einem herrlichen Stoff sah. Ich sah nichts als ihn, hörte nichts als ihn, und war stets vor, und zwei Stunden nach feiner Vorlesung nur immer an ihn gefeffelt. Die übrige hier anwesende Gesellschaft, meinen Führer ausgenom- 270 men, bemerkte mich eben fo wenig als ich sie, und ich würde mich in dem Zirkel voll ächt fächsischer Steif- heit fehr übel befunden haben, wenn nicht mein In= tereffe an Tiek gehangen hätte. Ich begreife nicht, wie es gemeine Naturen geben kann, welche diese Abend-Unterhaltung Tiek's zur Zielscheibe ihres Spot- tes machen konnten, welche sogar die Unverschämtheit fo weit trieben, über sparsame Bewirthung zu klagen, als ob die gefällige Einladung der Fremden dazu dienen sollte, einem hergelaufenen Lumpenkerl, der durch irgend einen Verstoß in eine honette Gesellschaft gerieth, eine Mahlzeit zu ersparen. Leipzig, im Febr. 18 **. Mein Freund! - Andere Leute werden ohne Zweifel an Sie fährei- ben: „bester, liebwertheiter, theuerster, liebter, schätz= barster, verehrtester, hochzuverehrender, hochgeachteter 2c. Freund,“ ich aber in meiner Einfalt nenne. Sie bloß „mein Freund,“ und das ist genug. Millionfache Lüge und Mißbrauch wird getrieben mit dem inhalts= schweren Wort „Freund“ und der Allerverlaffenste unter den Menschen hat wenigstens 100 Menschen in feiner Umgebung oder in der Entfernung, die er Alle Freunde heißt. Und doch steigen Millionen ins Grab, die ohne Freunde gelebt, geliebt und genoffen haben, 271 die den weiten Landstrich des Lebens durchirrt hatten bis ans Meeresufer der Ewigkeit, ohne je in Drang- fal und Freude, in Hoffnung und Verzweiflung, in Irrthum und Erkenntniß, einem Freund zu begegnen. Wohl begegnet uns oft süße Freundlichkeit und dienst- willige Aufwallung eines kindlich gemüthlichen, aber auch kindlich wankelmüthigen, schnell vom Haß zur Liebe und von Liebe zum Haß übergehenden Charak- ters, aber selten, felten ein Freund von ernster Festig- keit und ewig warmer Liebe. Schmeichelnder Selbst- betrug verdeckt uns aber mit lachenden Gesichtern, voll „Freundlichkeit und Liebe unserer Verlaffenheit und der, welcher oft auf den höchsten Höhen der menschlichen Gesellschaft ganz allein, Niemanden be- freundet und Niemanden ergeben, verlaffen dasteht, und sich von Tausenden umgeben wähnt, die ihr Vlut und Leben freudig opfern, begreift seine Einsamkeit wohl selten oder nie. Lächerliche Vergleichungsstufen der conventionellen Lüge: werther, werthester, lieber, liebster Freund,“ – ein Freund ist einzig, wie eine Geliebte. Seitdem ich die heimathlichen Berge und Sie verlaffen habe, fchrieben wir uns oft, und manch trau- liches Wort warmer Theilnahme und erquickenden Trostes kam mir von Ihnen zu aus der Ferne, aber noch habe ich das Versprechen nicht gelöst, Ihnen auch hierüber Nachricht zu geben, was außer mir ge- 272 schieht und lebt, denn bisher war die Außenwelt ein Schattenspiel für mich, das ungesehen an thränenmat- ten Augen vorüberging. Mein Geist war feitdem erkrankt, gestorben und auferstanden mit neuer Kraft und Mannheit aus dem Grabe meiner Ideale, mein Auge ist licht geworden und schaut nun ruhig um sich her, aber es vermißt die Farbe in der Bilderei um mich her. Es sieht nur Höhen und Tiefen, Klei- nes und Großes, aber die Schönheit zu messen, hat es den Maßstab verloren, darum fyin Sie nicht un- gerecht gegen mich, Freund, wenn ich hart bin, denn was flüssig war, weich und glühend wie Lava, ist erkältet, härter denn Eisen. - Die rohe, lieblose Kraft habe ich noch, aber die Liebe ist los, losgeriffen auf ewig. Als Licht trage ich noch eine kalte Sonne in der Hand, aber die Farbe ist los, losgeriffen auf ewig! Den Muth habe ich noch, aber die Wärme ist hin. Das nordische Geistesklima hat mich verdorben, die Blumen vertrocknet und die Keime erfroren. Ich kam nach Norden und dachte an Offian. Ich kam nach Norden und der Mythos unserer Väter brauste vor meinem Geiste vorüber in hehren Gestal= ten und nächtlichen Wolken; ich kam nach Norden und glaubte, im Winter wird die Liebe warm! Aber es war ein Traum, und als ich erwachte, zitterten mir die Glieder vor Frost. Ich kam nach Norden als eine Flamme aus Süden, und der kalte Nordwind 273 hat mich ausgelöscht; ich kam nach Norden, Freund, und dachte (risum teneatis!) " die Welt ist vollkommen überall – und fand: - wo der Mensch nicht hinkommt mit feiner Qual. Wenn ich an meine Enttäuschung denke, und sehe, wie die Fernen fo fhal werden, wenn sie einmal unser Raum sind, dieselben Fernen, welche uns die Lüge der Phantasie, die frevlerisch mit unserem Herzen spielt, und unseren Wünschen und unserer Sehnsucht und unserem Schmerz, so reizend, fo trügerisch schön und anlockend ausmalt mit muthwilliger Kühnheit und falscher Zuthat, da wird mir fo lustig zu Muthe, daß ich lachen muß über das gewaltige Kind, und al- les Streben mir vergeht nach Ferne. Im Norden nur wohnt nüchterne Mannheit, wahre Wirklichkeit und truglofes Licht; im Süden ist der Mensch ein leichtfertig Kind, aber das Kind ist schöner als der gereifte Mann mit seinen groben Zügen, mit feiner groben versteinerten Kraft. Der Süden ist das Thal, das blühende Thal im Gebirge; der Norden ist die eifige Ferne, die kalt und leblos das Leben überschaut. Der Norden ist der bittere Hohn über das Keimen, Blühen und Sterben der Natur. Der Norden steht, wie feine Temperatur, tausend Klaftern über der Le- benswärme der Erde, zwischen dem Himmel und ihr. Aber ich möchte lieber schlafen, warm gebettet in einem A- , 18 274 Grabe des Thales, als frieren auf diesem Höhenpunkt, ich möchte lieber vergehen in der Hitze der Tiefe, als erstarren zu todtem Eis in der Höhe. In der Ferne dürstet das Herz und die Seele und labt sich, dürstet wieder und labt sich wieder; die Kälte erstickt den Durst und das Leben - und nichts bleibt von feiner Bewegung, als der kalte, eisige Athem. Gebt mir Wärme und ich laffe euch das Licht, laßt mir das Fühlen und ich mife gern das Auge. Der Mensch ist im Norden eine exotische Pflanze, die ausartet und verdirbt in dem feiner Natur widersprechenden Clima. Er hat zuviel viehischen Genußtrieb für die physische Armuth der nordischen Natur, zu viel empfindsames Leben für die Leerheit an Formen und Bedeutung, und zu wenig Geistes-Entbundenheit, um den Reich- thum der Erde zu missen, um die nahe gränzende von allem Irdischen entkleidete psychische Welt zu umfaffen. - - Die natürliche Zone des Menschen, in welcher das Südgewächs feines Körpers und der edle Baum feines Geistes gedeihet, und feine natürliche Größe, Dichtheit und Bewegung erhält, ist der Süden. Mehr als jedes andere Thier ist der Mensch auf seinen Himmelsstrich angewiesen, da ihm die Natur jede Be= kleidung seiner Nacktheit versagt hat. Wäre er für den Norden geboren, so müßte er das Fell eines Bären, die Ausdauer eines Kamehls und das zähe 275 Leben einer Katze mit auf die Welt bringen. Aber er stellt den fremden Himmel und feinem Ungemach die Kunst entgegen, verbirgt sich, wie die füdlichen Pflanzen und Früchte in Treib- und Warmhäuser, nähet sich in Thierfälle und Tücher, und fagt: der Mensch gedeiht in jedem Clima. Ja, er gedeiht wie die Fichte in der Eisregion, verkümmert und gekrümmt, gedeiht wie die Orange im Treibhause, wie ein afri- kanischer Hurd, wenn man ihm eine Pelzjacke anzieht. Er gedeiht, aber er erfriert sich Nase, Ohren, Augen, Hände, Füße, und am Ende das Herz. Man hat also in sofern nicht unrecht, wenn man behauptet, der Mensch gedeiht in allen Zonen, und ist für alle ge- boren und an keinen Himmelsstrich beschränkt, an kein Gesetz der Natur, und wäre auch kein anderer Grund dafür vorhanden, als fein entschiedener Trieb nach Unnatur. Ich halte es für ein großes Unglück und für eine erwiesene Sache, daß die Erde zu klein ist für den Menschen, namentlich jener Himmelstrich, der ihm natürlich ist. In jenem Lande, wo ich mich ge- genwärtig befinde, müßte eigentlich, und von Rechts- wegen, das unbewohnte Land angehen, oder die Men- fchen müßten, wie gesagt, in Bärenfellen auf die Welt kommen. Unbegreiflich ist es mir jedoch, daß schon in uralten Zeiten, nach Strabos fehr erbaulichen Kun- den, hier Menschen gewohnt und sich angeblich, bei der 4 1836 276 Eichelmast, fehr wohl befunden haben. Damals war doch noch kein fo großer Mangel an Raum, und die Leibeskasteiung unserer würdigen Vorfahren nur da- durch zu entschuldigen, daß sie so unwiffend waren, wie jetzt kein Primaner, und nicht wußten, daß es außer ihrem schlechten Lande noch irgend wo andere beffere Gegenden gäbe. Erst spät scheinen sie durch Jason und andere Abenteurer, die vermöge des oben erwähnten Triebes nach unnatürlichen Dingen ihre schönere Heimath verlaffen und fich nach Norden verirrt hatten, belehrt worden zu feyn. Auch scheinen fie von der Zeit an, vielleicht aber zu spät, eingesehen zu haben, daß es wohnlicher feyn muß und beffer in dem reichen blühenden Südland. Die Völkerwande- rung und die Ueberschwemmung des römischen Reichs von nordischen Barbarenhorden scheint hievon Zeug- niß zu geben. Heut zu Tage ist man noch weit auf- geklärter über die Vorzüge des Südens, und zwar fo stark davon überzeugt, daß es keinem Nordländer, außer den Schweden, die noch in einer gewissen Kind- heit leben, namentlich aber keinem Norddeutschen, ein- fällt, sein Vaterland zu lieben, wozu, beiläufig gesagt, auch nicht der mindeste Grund vorhanden wäre. Zwar stellen sich viele unter ihnen noch immer an, als ob sie es thäten, und manche wieder unter diesen Wenigen meinen es sogar in ihrer Unschuld so lange ernstlich damit, bis sie sich mit ihren eigenen Augen, 277 Ohren und fonstigen Gefühls- und Sinneswerkzeugen, vollkommen überzeugt haben, daß es überall beffer ist, wo die Sonne wärmere Strahlen hat. Auch ist fast kein Beispiel vorhanden, daß irgend ein Nordländer, hat er einmal fein Leben und feine Kraft auf südlichen Boden verpflanzt, sich zurückgelehnt, oder gar zurück- gekommen wäre auf den vertrockneten eisstarren Bo- den, wo man seinem Keim durch eitle Gärtnerkünfte zur Entwicklung verhalf. Er vergißt leicht und ohne Thränen den grauen Himmel, wie die drückenden Deckbetten und mit stinkendem Torf erwärmten Men- fchenstallungen feines Vaterlandes, er labt fein trübes Auge an dem lachenden Himmel und der grünen Erdblüthe, schmeckt die füßen Früchte eines reicheren Bodens, trinkt die Wollust des Lebens in vollen Zügen, und wenn er alt wird, fo weiß er kaum noch die Sprache feines Geburtslandes zu stammeln, und doch gibt es Menschen, die anderer Meinung sind, als ich. - - Darf ich Ihnen meine besondere Erfahrungen über das Leben in Norddeutschland, bitterer und süßer Art, mittheilen, muß ich noch einige allgemeine Bemerkun- gen voraussenden, um Sie, das die Hauptsache ist, mit meiner Gemüthsstimmung und daher auch mit dem Gesichtspunkte, aus welchem ich durch meine Brille fehe, bekannt zu machen. Daß hierauf fehr viel ankommt, und die Beleuchtung der Gegenstände 278 in der Färbung unserer Brillen bedingt ist, brauche ich Ihnen, als einem Manne, der eine beffere Einsicht hat, als aus einem gewöhnlichen Dutzend-Verstande, wie man sie allenfalls zur orthographischen Correktur eines Buchs oder zur Ausrechnung einer Dividende gebraucht, entspringt, nicht weiter auseinanderzusetzen und vorzu- käuen. Bei jedem anderen Menschen, ja sogar bei Men- fchengesellschaften, bei einem Publikum oder Publiküm- chen, würde es mein Stolz fchwerlich zulaffen, ein solches Geständniß meinem Urtheil vorauszuschicken, da ich durch die Ueberzeugung von dem Unverstand der größ- -ten Menschenzahl und von der Seichtigkeit der meisten Individuen, die sich zu den großen Geistern zählen, und doch felbst willig Narren unterordnen, die für Millio- nen als die größten Geistes-Autoritäten gelten, zu ei- ner solchen Halsstarrigkeit meiner Meinungen gekommen bin, daß es zu den Seelenwundern gehört, die sich mit mir manchmal ereignen, wenn ich mit Vorbehalt besserer Einsicht, größerer Unbefangenheit, urtheilend abspreche. Zu diesen allgemeinen Bemerkungen ge= hört die des Irrthums, in welchem sich die Nordteur- fchen über ihren eigenen Zustand und die waltenden Lebens- und Bewegungs-Prinzipe befinden; darin ist namentlich begriffen die Anmaßung einer höheren Bildung, eines bedeutsameren Lebens und Wirkens, einer abstrakten Stellung ihrer geistigen Potenzen, in einer gewissen stoisch vornehmen Geringschätzung eines - 279 finnlichen Genußlebens. Diese unsinnige Arroganz herrscht mehr und minder in den Höhen und Tiefen der Gesellschaft, und sie hören in Nordteutschland fo- gar von Taglöhnern, die keinen andern Lebenszweck haben, als Nahrung und körperlichen Genuß zu er- werben, sehr häufig die Südländer beschuldigen, daß fie keine andere Freuden kennen, als die, welche eine gut besetzte Tafel mit Backhändeln, wie sie zu fagen pflegen, um die albernen Sinnesmenschen recht lächer- lich zu machen, ihren unersättlichen Magen und Gau- men gewähren; dabei brüsten sie sich nicht wenig mit ihrer eigenen feinen Bildung, mit ihrer Gelehrsamkeit und hohen Weisheit, welche gegen die Ignoranz und Rohheit der Südteutschen gar zu sehr abfäche. Ueber den österreichischen Kaiserstaat namentlich find sie fo vorzüglich gut unterrichtet, als nur irgend ein Tag- löhner in China es feyn mag. Die Erfahrungen und Forschungen, welche diesen großen Kenntniffen zum Grunde liegen, werden in der Regel, mit einem ge- waltigen Aufwand von Scharfsinn, Witz und Gelehr- famkeit, auf empfindsamen Reifen in die sächsische Schweiz und durch dieselbe in das böhmische Elbthal oder im Riesengebirge gesammelt und mit den kühnen Folgerungen und Erklärungen, welche großen Geistern, wenn sie aus Nichts ein Buch machen, fo eigenthüm- lich ist, nicht selten den langmüthigsten Druckereien und Verleger übergeben, um Europa und die Welt 280 '- aufzuklären, über die 32 Millionen. Hat sich dann einer von seinem Forschungsgeist fo weit hinreißen laffen, daß er Entdeckungsreifen nach Töplitz und Carlsbad machte, dann kann man vollends gewiß feyn, daß Niemand die politische Lage der alten Austria, die inneren Verhältniffe des Staats und Landes, die Sitten und Gebräuche ihrer Nation bef- fer kennt, als er. Was England ist in Europa, das ist der teutsche Morden in Teutschland. Die Freiheit ist dort nur eine kommerziale, welche nichts gemein hat mit dem enthusiastischen Freiheitssinn der Südländer. Dort gebietet der trockene Verstand, hier das Herz. Beide find freiheitsliebende Despoten, aber gewaltiger, edler ist des Herzens feuriger Wille. Der „nordische Geist“ rechnet das Glück der Menschen aus mit Ziffern über Ausfuhr und Einfuhr, Staatsschuld und Einkünfte. Das höchste bürgerliche Glück heißt dort eine Million. Den Mann schätzt man dort nach feinem Geldgewicht, und der Stolz entspringt aus Reichthum. Wir haben die Spitze der Kultur erreicht, fagen die Nordischen, bei uns werden die schönsten Wollenzeuge, Stahlar- beiten c. verfertigt, bei uns ist das meiste Geld, bei uns der lebhafteste Handel. Wer kein Geld hat, der ist ein Schuft, wer nicht mit Strümpfen, oder Tuch, oder Leder handelt, der ist ein Taugenichts, ein Tagedieb. Die Beamten sind die Staatsbuchhalter 281 und Commis. In Leipzig und Hamburg heißen die Reichen vornehme Leute, und der dümmste Buch- händler gilt dort mehr, als der achtungswerthefte edelste Mann ohne Geld. Ein Schiller ist in der öffentlichen Achtung ein Lumpenhund gegen einen dumm stolzen Buchdrucker, und während Niemand vor jenem den Hut ziehen würde, außer feinen näch- ften Bekannten, sieht man täglich vor jenen Men- fchen, welche nur die goldenen Früchte der Kunst und Wiffenschaft erndten, die Menge mit demüthiger Be- grüßung vorbeiziehen. Die Reichen nur vertreten dort das Volk, fiel allein haben Sitz und Stimme bei den Staatsgeschäften, und kommandieren wohl auch hier und da eine großartige Nationalgarde – gleichviel wie dumm, feig und niederträchtig sie auch seien. Alle öffentlichen und Privat-Verhältniffe in England und Nordteutschland ähneln sich. Wenn mich die Nordteutschen haffen, und nicht ganz mit Unrecht behaupten, ich spräche zu hart und unfreundlich über ihre Mängel, so mögen sie nur darin gerechte Vergeltung finden, denn ich habe nichts gethan, als was sie in unserem Vaterlande stets thun; ich habe die Schattenseiten ihres Lebens mit den Licht- feiten des unfrigen verglichen, wie sie die Schattensei- ten des unfrigen mit den Lichtseiten des ihrigen ver- gleichen. Dennoch will ich nicht so sehr ungerecht feyn gegen fie, wie sie gegen uns, und ich weiß und 2S2 bekenne es, in ihrer Wüste manches warme Herz, festere Freundschaft und regsamere Geister gefunden zu haben im Norden. Im traulichen Gespräch faß ich mit meinem Ci- cerone in einem Kaffeehaufe und aß Eis, als mein Gefährte mir einen Mann zeigte, der unter unaufhör- lichem Fluchen und unter dem Gelächter der Umste- henden Billard spielte in Hemdärmeln, und sich in allen Dingen betrug, als ob er allein hier wäre. Mein Cicerone versicherte, der Mann gehöre feines sonderbaren Wesens wegen zu den Merkwürdigkeiten von Mailand. Er sei der größte Grobian in der Stadt, der größte Libertin und Freigeist, und ein fehr witziger Kopf, der stets mit der Polizei Händel habe. Nach Beendigung der Parthie stellte mich mein Ci= cerone dem Wunderthiere vor, bat mich aber, nicht böse zu werden, wenn er etwa unhöflich würde. Bra= marbafino – fo fähimpften ihn die Mailänder, maß mich von Kopf bis zu den Füßen, fah mir lange fchweigend ins Gesicht, und schien durch etwas über- rascht den groben Humor zu bekämpfen, der ihm eben eine Sottise auf die Zunge legte. Ich hatte diese Schonung meinem Cicerone zu verdanken, der unter anderem erwähnte, daß ich lange Zeit in M* * * gelebt habe. Er warf die Queus sogleich bei Seite, 283 faßte mich bei der Hand, und sagte fo höflich als möglich: - - - „Wirklich in M*** waren Sie, in dem lieben Pfaffennest? Wie lange waren Sie dort?“ „Zwei Jahre.“ „Per baco! da müffen Sie ja Guilio Pinto kennen, den empfindsamen Neapolitaner, den thränen- reichen Lustspieldichter?“ „Sehr wohl, wir nannten uns Freunde und wohnten sogar eine Zeitlang beisammen. Wenn ich nicht irre, bekam er Briefe aus Mailand von einem –“ „Pft, still sage ich – wirklich Sie kannten ihn – eorpo della madonna, das ist wirklich ein merk- würdiges Zusammentreffen. – Herr haben Sie Zeit und Lust, mit mir spazieren zu gehen? – Kommen Sie, prego la, kommen Sie.“ Damit nahm er, ohne auf meine Antwort zu warten, feinen Hut, faßte mich am Arme und schleppte mich fort. Mein Cicerone wollte uns nachfolgen, aber Bramarbasino führte ihn scherzend beim Kra- gen zurück in's Kaffeehaus. „Laßt mich doch, Bramarbasino,“ schrie der Arme, „ich will ja nicht mit euch gehen, – so laßt mich doch los.“ Aber in dem Augenblick wich die Thüre des Kaffeehauses, und der Cicerone fiel unter dem platzenden Gelächter der Gäste zur Thüre hinein. 284 Lachend eilte Bramarbasino mit mir davon. Er führte mich unter einem äußerst lebhaften Gespräch, das fich um feinen Bruder Pinto drehte, in ein na- hes Landhaus vor der Stadt, öffnete einen Garten und trat mit mir in eine erhabene Laube, von wo aus man Mailand überfah. „Also Ihr kanntet Pinto,“ sagte er, indem er sich fetzte – „den guten Narren, meinen Bruder, – er ist der einzige Mensch, den ich noch liebe – ich kann ihn nie vergeffen, o erzählt mir doch recht viel von ihm.“ Ich erzählte stundenlang, und fagte ihm, was ich wußte, aber er wollte stets mehr wissen. „Sagte er Euch denn nichts von feinem Bru- der ?“ fragte er. „O ja, er fagte mir, Ihr wäret ein Sprudel- kopf, ein wilder unglücklicher Mensch, der ihm vielen Kummer mache.“ „Der gute Junge, wie er mich liebt, o ich kenne diese Taubenfeele – aber fagt mir, erzählte er Euch nichts von meinem Leben?“ „Nichts, als daß es unglücklich gewesen, daß Ihr wegen eines Duells Euch flüchten mußtet, daß Ihr feitdem nicht zu einem verständigen Lebenswandel zu bewegen feid.“ - - „Da hat er recht, aber das ist nicht Alles. Hört mich, ich will Euch eine Geschichte erzählen, fo gut ich 285 es kann, und wenn ihr dann nicht mit mir einver- standen seid, daß man nach solchen Dingen die Welt haffen muß, fo will ich mich beffern.“ Bramarbasino feufzte tief auf, fchwieg lange fin- nend, rieb sich die Stirne und sah plötzlich so ernst und wehmüthig aus, als ob er nicht Bramarbasino wäre. Von feiner wilden Laune war nicht eine Spur mehr zu entdecken, und es fähien als hätte die Erin- nerung an die Vergangenheit ihn gänzlich umge- wandelt. „Odoardo, Neapels berühmtester Arzt und Ge- lehrter, faß träumend an feinem Schreibtisch vor einem unbeschriebenen Blatt, das feiner Heimath und feinen dort zurückgebliebenen Lieben ein Zeichen feines Lebens und Wirkens bringen sollte. Die Ge- walt der Erinnerung hielt feine Gedanken gefeffelt, und die goldene Zeit feiner Kindheit tauchte im lieb- lichen Rosenschimmer in seinem Bewußtsein auf Thränen perlten über feine bleiche Wange, und fchmerzliche Seufzer entrangen sich seiner Brust. Je- der Hauch des Athens war ein Gruß der Vergan- genheit zugesandt, jedes Lächeln ein Zeichen, daß ihm wieder eines jener zauberischen Bilder vorschwebe, welche eine Sehnsucht nach dem heimischen Glücke er- regten. Aber immer schwermüthiger und düsterer wurde sein Gemüth, fein Auge vertrocknete, und to- desstarr hing ein Blick an einen Punkt geheftet. - 286 „Gebt mir ein Recept, Doctor,“ rief plötzlich eine Stimme. Erschrocken, daß Jemand ihn in sei- ner Einsamkeit belauscht, wandte sich Odoardo um. Ein Weib faß da in grauer fremdartiger Tracht, mit bleichem Gesicht und wilden gräßlichen Zügen. „Gebt mir ein Recept!“ widerholte sie, den Mund zu einem höhnischen Lachen verzerrend; aber Odoardo antwortete nicht, sondern fah fie starr an in fum- mem Erstaunen und keimender Wuth. Endlich brach er los mit einem Sturm zorniger Fragen: „Wie kommt Ihr hieher, wer feid Ihr, wer ließ Euch herein in dieser Stunde, fprecht, oder ich werfe Euch zur Thüre hinaus.“ „Was kümmert's Euch, wie ich hieher komme, gebt mir ein Recept!“ antwortete die Alte gleichgültig. „Ich verlange ja von Euch nur Unbedeutendes, keinen großen Aufwand Eurer Kunst erfordert es, mich zu befriedigen. Ich will ein Recept haben, nicht einem Kranken auf, fondern einem Gefunden hinabzuhelfen,“ fetzte sie hinzu, in ein kreischendes Gelächter ausbre- chend. Odoardo beachtete den Schluß ihrer Rede weni- ger, als den Anfang, und war zornig aufgesprungen. „Was es mich kümmert, wenn sich Gesindel in mein Haus schleicht,“ schrie er wüthend. „Tod und Teufel, bin ich nicht Herr in diesem Haufe ?“ - 287 „Herr im Haufe u lachte die Alte, und wollte ersticken in ihrer fonderbaren Fröhlichkeit; „Euer Weib ist eine Hure, und Ihr seid Herr im Hause, ha, ha, ha, das ist lustig.“ „Teufel!“ raste Odoardo, und stürzte sich auf die hohnlachende Megäre. Auf das ungewöhnliche Geräusch eilte Donna Elvira, Odoardos liebliche Lebensgefährtin, mit ihrer Zofe in Odoardos benachbarte Studierstube. Laut aufschreiend stürzte sie sich zu Odoarden hin, der ohne Lebenszeichen auf den Knieen lag, den Kopf auf den Stuhl gelehnt, wo einer Angabe nach die Alte gefeffen hatte. Die steife Lage seines Körpers und fein ganz entfärbtes Antlitz gaben ihm den Schein eines Todten oder in tiefer Ohnmacht Liegenden. „Heilige Madonna!“ rief Elvira erblaffend, „mein Odoardo – mein Leben, ist todt,“ und über- deckte unter lautem Jammer und Thränenströmen das bleiche Gesicht mit Küffen, während die Zofe hilferu- fend davon eilte. - Odoardo erwachte bald aus einer Ohnmacht, und als er ein Weib mit so vieler Liebe beschäftigt fah, ihn ins Leben zu rufen, als er die Thränen auf sein Gesicht perlen fühlte, und den Freudenschrei vernahm von feiner Elvira , da überwältigte ihn die 288 Liebe und erdrückte das Mißtrauen. Weinend um- armte er sie, und schwieg über den Vorfall, eine plötzliche Unpäßlichkeit vorschützend: - Am nächsten Abend war Ball in Odoardos Hause. Fröhlicher Scherz belebte die Gesellschaft. Neckend verfolgte Odoardo feinen Hausfreund Ro- mano in einer lächerlichen Vermummung, und war selbst fast fröhlich, aber sein Auge hieng an ihr. Ro- mano nahm seinen Scherz übel, und Elvira trat hin- zu und sprach heftig halb im Scherz, halb im Ernft: „Odoardo, Du bist heute recht albern.“ Der Groll rührte sich in ihm, und doch konnte er nichts erwidern, er war tief verwundet, aber er konnte nicht grollen. Heiß und eng ward's in feiner Brust, und ein Thränenstrom überraschte ihn; er floh heftig be- wegt von Argwohn und Liebe auf sein Zimmer. Bald kam ein Bote, fich erkundigend, was ihm zuge- stoßen fei, er schützte eine Unpäßlichkeit vor, verbarg sein Gesicht in die Kiffen feines Lagers und weinte. Des andern Morgens beschloß er fest, fiel heute nicht zu sehen, aber der Zufall führte ihn an der Thüre vorbei, und die Liebe zog ihn hinein. „Guten Morgen,“ sagte er trocken, fich bekämpfend, und dachte nach, ihr Vorwürfe zu machen. Sie blieb ruhig fitzen, und flötete ihn liebreich ansehend, mit einem Ausdruck im Gesicht, der ihm fagte, daß ein Besuch ihr willkommen, daß sie ihn mit Zuversicht 289 erwartet. „Guten Morgen, guten Morgen!“ flötete fie. Er trat näher, fah ihr ins Auge, sie ihm, und er verbefferte wiederholend: „guten Morgen!“ Lä- chelnd bot sie ihm die Hand und drückte sie innig. Warm erkundigte sie sich nach feinem Befinden. Er antwortete: „Gut,“ und weggefluthet war die Bitter- keit von feinem Herzen, denn es gab in Neapel kein vertrauensvolleres kindliches Gemüth, als das Odo- ardo S. -- Vierzehn Tage später kam Odoardo plötzlich in der Nacht nach Hause zu einer ungewöhnlichen Stunde, und fand in seinem Ehebett halb erstickt von feines Freundes Romarino glühenden Kiffen Elvira wol- luststöhnend. Wahnsinn wüthete in Odoardos Gehirn, mit einem chirurgischen Instrument durchstieß er die entblößte Brust Elvirens, und ein Strom von Blut enteilte ihr mit dem Leben. Ihr follt nun wissen, Lindoro, daß ich nicht Pinto, nicht Bramarbasino bin, fondern der Doctor Odo- ardo von Neapel, daß Elvira mein Weib und Ro- mano mein Freund gewesen. Meine Rache war nicht gesättigt – doch Meuchelmord nicht meine Lieblings- weise. Ich forderte Romano zum Zweikampf auf Le- ben und Tod. Nur in Folge meiner Drohung, ihn verfolgen zu wollen wie ein Gespenst, und wenn ich ihn lange genug gequält, ihm den Dolch in den Rü- cken zu stoßen, nahm er meine Ausforderung an. 419 290 In einem Wagen flüchtete ich noch dieselbe Nacht mit meinem Todfeind. Er versuchte oft zu sprechen, aber ich gebot ihm Schweigen. Als der Tag ange= brochen war, stiegen wir aus und gingen in ein Ge- hölz. Ich lud in seiner Gegenwart die Pistolen, ließ ihm die Wahl und den ersten Schuß. In empfindungsloser Kälte erwartete ich die Ku- gel. Er fehlte sonst nie ein Ziel, aber heute zitterte dem Feigen die Hand, und Todesangst überzog ein Gesicht mit Marmorbläffe. Von dem Schuffe hing fein Leben ab, das wußte er. „Faffen Sie sich, Ro- mano,“ rief ich ihm zu, „Ihre Hand zittert, und Sie fehlen, wenn Sie nicht fester zielen.“ Da sah er mich groß an, zielte – und die Kugel pfiff meine Haare berührend an mir vorbei. Die Pistole fiel aus fei- ner Hand, feine Kniee wankten, feige Todesfurcht durchbebte ihn. Er machte eine Bewegung, als wollte er knieend um fein Leben bitten, „Verzeihung!“ fchwebte auf feinen Lippen, aber eifenfest stand mein Entschluß. „Stehe, dreifacher Mörder,“ schrie ich, schwang das Pistöl rasch in die Höhe, drückte ab und er war eine Leiche. Convulsivisch war er in die Höhe gesprungen, als die tödtliche Kugel feine Stirne zer- sprengte, und röchelnd nieder gestürzt. Das zweite Menschenlebenslicht war es, das ich ausblies: ich habe gerichtet für den Oben. Aber warum steht das gräßliche Gespenst an Elviras blutiger Brust so 291 oft vor meiner Seele, und quält mich mit feiner fcheußlichen Fratze, warum leide ich wie ein Mörder, und weiß mich doch gerecht? Die Welt habe ich be- freit von einem Ungeheuer, einen bösen Giftbaum vertilgt aus dem Garten des Herrn, und doch leide ich wie durch Bewußtsein eines Verbrechens. Er hat mich getödtet, ehe ich ihn, hat meine Ehre und Thatkraft meuchlings ermordet, hat das Unglück ge- fäet auf meinen Grund, daß es wuchernd empor- wuchs in heilloser Fruchtbarkeit. Habe ich kein Recht, die Schlange zu tödten, die mich ficht, de- ren Leben Tod verbreitet und Gift? Warum quält du mich, ungerechte Phantasie, mit deinen Zerrbildern, und mußt doch weichen vor dem fiegenden Ausspruch der Vernunft: „Du warst gerecht!“ Könnte es Täu- fchung feyn, was in mir spricht mit unerschütterlicher Ueberzeugung, Täuschung das Recht, welches klar steht ohne Widerspruch und Zweifel unter den Sätzen meiner reifsten Ueberlegung. Wer könnte mich eines Anderen überweisen? Die That, die alleinige That und ihre Quelle gehört dem Menschen an, und das einzig wahre Gericht derselben ist die innere Ueber- zeugung, das klare Wort der Gottheit, vergraben in die tiefste Tiefe des Herzens. Kein menschliches Tri- bunal, mit der Blindheit unseres Erdenwesens, kann wahres göttliches Recht sprechen über die That, kein Geschlecht und kein Jahrhundert. Nur der Zwiespalt 19 % 292 des Herzens, der Kampf des guten und bösen Dä- mons, die innere Zerfallenheit, Unschlüssigkeit, die schwankende Unsicherheit des Bewußtseins gebärt, und rächt die böse That ohne Gewissensklarheit und Ruhe, vollbracht in hinreißender Leidenschaft, die Seele mit Reue befruchtend im Augenblick des Vollbringens. Anders ist es mit der wohlüberlegten, in unzweideu- tigen Gefühlen des Rechts vollbrachten That, die kühne oder listige That eines Gerechten vor sich selbst, und wer von euch Kurzsichtigen wollte sich erkühnen, fie zu richten, in einem Augenblicke das zusammenfas- fen, was zum richtigen Urtheil führen soll, klüger fein und beffer bei kaltem Herzen und nach kurzer Berathung, als der Geist des Verklagten vor dem Tribunale der Menschheit. Könnt ihr es denn faffen, was er Ungeheures gesonnen und gelitten, bekämpft und freigelaffen, könnt ihr nur eine Welle zurückfüh- ren von dem Gedankenmeer, das nur in einer Stunde feines Leidens vorübergewogt; kann er felbst euch in den begriffarmen Worten der Sprache ein Bild ge- ben, und eine Geschichte feiner tausend tausend stillen Thaten vor der lauten weltsprechenden Endthat? Kann er euch selbst die That in feiner millionfachen Verket- tung mit feiner inneren und äußeren Welt wieder geben, wie fie geschah? Einen einzigen Gedanken, wie die Sekunde deren hundert umfaßt, in hundert- fachem Anklang einer neuen Gedankenwelt, einen ein- 293 zigen Gedanken auszudrücken in Schrift, Sprache und Ton, müßt ihr der Zeit den tausenfachen Raum ab- zwingen – wie wollt ihr erst mit der unendlichen Ge- dankenreihe fertig werden, die ihn zur That bestimm- ten? Diese Armuth des Wortes, und diese Enge der Zeit, wo es gilt, Ideen zu versinnlichen, und die Ge- burten der Psyche in finnliche Sichtbarkeit zu brin- gen. Da ist Richten und Urtheil frevelhaftes Hin- übergreifen in die Welt der Geister, thörichtes Meffen einer Größe, die unmeßbar mit der hölzernen Elle eures Schneider verstandes. „Ich kann's Euch nicht fagen, was in mir vorgieng, ich würde in hundert Jahren nicht fertig,“ hört man oft von Menschen, de- nen man eben keinen Reichthum an Ideen zumuthet, und dennoch sprechen sie Wahrheit, keine Hiperbel.“ Bramarbasino fchwieg. „Ihr habt mir da,“ sagte ich, „eine sehr alttäg- liche Geschichte erzählt, die keines blutigen Ausganges werth war, und die Euch keineswegs berechtigt, die Welt zu haffen, weil Euer Weib leichtsinnig und Euer Freund ein Mensch war. Nicht alle Weiber find fo, nicht alle Freunde.“ - „Ihr habt recht, Lindoro,“ antwortete er, nach- dem er lange geschwiegen, „aber Ihr wißt noch nicht Alles. Der Betrug eines Weibes rechtfertigt nicht den Haß des Geschlechts, aber dreier Weiber Treu- lofigkeit ist zu viel für den Glauben an weibliche Tu- \ 294 gend. Nach Elviras Tode heirathete ich noch zwei Mal, und – feht diese Hände hier,“ und in feinen Augen funkelte Wuth, als er eine riesigen Knochen entblöste, „diese Hände hier erwürgten noch zwei treu- lofe Weiber.“ Ich schauderte zurück. „Fürchtet Euch nicht,“ sagte er nun plötzlich kalt und lächelnd, „das war nur eine poetische Redensart, ich habe sie nicht erwürgt. Bramarbasino erwürgt kein Weib mehr, er läßt sie nur laufen. Aber fagt mir, kann man mehr Vertrauen in die Tugend der Weiber haben, als wenn man nach solchen Erfahrun- gen noch zwei Mal heirathet?“ „Gewiß nicht.“ Gestern Abends war ich im Teatro la scala, in der bequemen und geräumigen Loge P–'s. Ich weiß nicht, was man gab, denn das Schauspiel, um defen willen ich mit meinem Cicerone gekommen war, spielte auf den Galerien und im Parterre. Dort machten sich unsere Offiziere in ihren Uniformen breit, und man konnte es den hinter ihnen stehenden Civil- personen leicht anmerken, daß sie über die Gegenwart der Weißröcke eben nicht erfreut waren. Mein Ci- cerone war eine wahre Chronique scandaleuse, und unerschöpflich in Spöttereien über die Damen. Er war nicht minder eingeweiht in die geheimsten Liebes- – 295 intriguen der vornehmen Welt, als in die politischen, denn er gestand mir mit seltener Offenherzigkeit, er werde von den Mailändern unter die Sbirri gezählt. Zwar fuchte er sich von diesem Verdacht zu reinigen, indem er lachte und sich gleichsam über solchen Arg- wohn erhaben anstellte, aber ich kannte den Fuchs, und machte mir mit ihm das Vergnügen, über die Verächtlichkeit eines folchen Amtes zu schimpfen. Halb verlegen, halb unverschämt gab er mir in Allem recht, und behauptete felbst, daß nur ein ausgezeichneter Schurke sich dazu hergeben könne. „Dort in jener Loge,“ sagte er, „befindet sich die Familie des Grafen M., aus welcher ein Mitglied über die Seufzerbrücke, ein anderes nach dem Ge- fängniffe in Brünn wanderte. Demungeachtet wird in ihren Zirkeln fortwährend komplottiert, und wie man in anderen Logen sich mit Stadtklatschereien amüsiert, bespricht man hier fortwährend die Maßre- geln, welche man ergreifen müffe, um die Regierung zu stürzen. Es will ihnen aber mit nichts gelingen, denn die Mailänder wissen wohl, daß es diesen Leu- ten nur um die Herstellung der altitalienischen Aristo- kratie, nicht aber um die Freiheit zu thun ist. Diese Machiavellisten wollen das Volk nur als blindes Werkzeug für ihre ehrgeizigen Absichten gebrauchen, und wenn sie der Zeit wirklich einst nützen folten, 296 fo ist es gewiß nicht ihre Schuld. Rechts von dieser Loge, eine Etage höher, werden sie eine auffallend geputzte Dame bemerken, welche sehr kokettiert. Es ist Donna Priska, die Schwester oder Cousine der hier wegen ihres liederlichen Lebenswandels eben so sehr als wegen ihrer trefflichen Stimme berühmten Sän- gerin ***, welche sich jetzt in V* befindet. Sie können sich eine Vorstellung von dem Ruf dieser Dame machen, wenn Sie hören, daß man sie be- schuldigt, vor einigen Jahren einen deutschen Offi- zier in ihrer Wohnung aus Eifersucht ermordet zu haben. Man konnte ihr jedoch nichts beweisen. Man fand den Unglücklichen erdolcht in einem großen Sack im Kanal, man wußte, daß fein letzter Gang der zu feiner Geliebten war, die ihn durch ein zärtliches Bil= let zu sich einlud; man wußte, daß sie den geheimen Liebschaften des Offiziers nachspüren ließ und entdeckt hatte, daß er einer jungen reizenden Paduanerin nicht abhold war, daß sie ihm deshalb blutige Rache ge- fchworen hatte. Dennoch konnte man sie nicht über- führen und mußte sie freilaffen nach einer langen fruchtlosen Untersuchung. Donna Priska gleicht ihr in keiner Hinsicht, und gilt hier für ein fehr ehrba- res Geschöpf.“ 297 „Sie hat einen fo gewaltigen Vorrath von jung- fräulicher Schamhaftigkeit, und jener lasterscheuen Furchtsamkeit, daß fie. Jedermann zum Eckel wird, und alle Leute sie eine unausstehliche Person fähim- pfen. Wenn ein Mann ihr die Hand reicht, so fährt fie erschrocken zurück, und bebt am ganzen Leibe. Wenn ein Anderer ihre Ohrringe bewundernd, mit feinen Fingern ihr zu nahe kommt, fo schreit sie laut auf, wenn endlich ein Dritter gar so galant ist, ihr beim Ankommen den Schawl vom Nacken zu nehmen, fo glaubt sie nichts Geringeres, als ein Attentat auf ihre Tugend, und fällt sofort pflichtmäßig in Ohn- macht. Man sagt, dieß sei ein Naturfehler, den fie durch die Schuld ihrer Mutter bekam, als diese die Saat der Frucht in der Brautnacht von ihrem Ge- mahl empfing: Das arme Weib bestieg nämlich das Ehebett mit großer Angst und Besorgniß, daß ihr Gimpel von Mann, während dem Coitus den Man- gel der Merkmale unentweihter Jungferschaft ent- decken dürfte. Diese Angst, fagte man, habe auf die Entwickelung des Embrio fo sonderbar eingewirkt, daß sich dadurch späterhin jener Naturfehler in dem Kinde entwickelte. Auf diese Weise meinten die Kaf- feeschwestern, aus deren Munde ich das Factum habe, laffen sich die größten Sonderbarkeiten und organi- fchen Fehler natürlich erklären. Nichts desto weniger fcheint Donna Priska schon wiederholt von einem „“ 298 oder mehreren Canibalen ihrer Unschuld beraubt wor- den zu feyn, und boshafte Leute versichern, daß sie das Unglück habe, bei jeder Ohnmacht, der sie bei Tugendangriffen unterliegt, in die Arme des Barba- ren zu fallen, wodurch es sich denn häufig ereignet, daß solche Bösewichter die unglückliche Lage der Donna benützen, und ihr den heiligsten Schatz, ihre Unschuld, immer von Neuem entwenden.“ Mein Cicerone wollte mir noch Vieles erzählen, aber mich überfiel die Langeweile, und ihrer Zudring- lichkeit zu entfliehen, empfahl ich mich dem Schwätzer und ging nach Hause. „Felice notte Signor Lindoro!“ rief eine ge- waltige Stimme, als ich am Dom vorbeigieng, und eben meinem alten Freunde, dem Mond, meine Fata erzählte. Ja der Mond, per parenthesin gesagt, das ist noch ein Kerl von altem Schrot und Korn, der sieht einem noch frei ins Gesicht, und schwatzt nicht aus der Schule, wenn man ihm einst mehr anvertraut, als man billigerweise einem Menschen anvertrauen sollte. Mir ist noch kein Mensch vorgekommen, der es so gut meinte mit mir, als der Mond, denn er hat mir noch kein Leid zugefügt, mich noch nie hin- ter dem Rücken verlästert, wie andere Freunde, und mich nicht verhöhnt, wenn ich weinte. Darum bin V- 29.) - ich ihm auch so gut, und kann oft Stundenlang ihm ins Gesicht fehen und mit ihm plaudern. Und was das Beste ist, er gibt mir in allen Dingen recht, denn er widerspricht mir niemals. Heute redete ich ihn fo an: „Alter lieber Mond, warum leuchtest du auch Spitzbuben?“ Da fah er mich lächelnd an, fähien und meinte: die Spitzbuben sind doch auch ehrliche Leute! „Ja wohl, wie wir alle, denn es gibt keinen Spitzbuben, der nicht in vielen Dingen ein ehrlicher Mann wäre, und keinen ehrlichen Mann, der nicht in gewissen Dingen ein Spitzbube wäre.“ „In der Türkei leuchte ich,“ fuhr er fort, „eben jetzt einer Mordfcene, und sehe zu, wie man einen Pascha erdroffelt, weil sich der Tropf einbildete, er sei auch so gut ein Mensch als der Sultan und der Pro- phet; in Neapel beleuchte ich eine Entführung – der arme Entführer! – in Paris einem Jesuiten, der Ordonnanzen schmiedet; in England einem Staats- mann, der darüber nachdenkt, wie er Europa am be- ften betrügen kann, zum Wohl seines Vaterlandes; in Teutschland einem Hundsfott von Gelehrten, der für zwei Louis d'or alle Könige herunterreißt, und weiß Gott wie vielen Tagedieben – sämmtlich ehrliche Leute und Spitzbuben. Lieber Freund, wer das so genau nehmen wollte mit den Spitzbuben, da müßte 300 ich mir viel den Kopf zerbrechen, um in dem Men- fchenpack die Spitzbuben von den ehrlichen Leuten zu unterscheiden. Genau besehen, wie ich täglich Gele- genheit habe, es so zu thun, ist einer so schlecht als der andere, und wenn es noch ehrliche Leute gibt, da find es die Narren, die mich so angaffen, wie du, während man ihnen hinter ihrem Rücken das Schnupftuch aus der Tasche stiehlt.“ Der Mond hatte recht, mein Taschentuch war fort. „Lieber Mond, du bist doch im Grund auch ein Schuft mit deiner filbernen Pomade.“ „Felice notte signor Lindoro!“ rief die bemel- dete Stimme, als ich mich eben ärgerte, und in den Taschen wühlte, als müßte ich das Taschentuch doch noch irgend aus einer Ecke ziehen. - „Ei fieh' da, Maestro! wo kommt Ihr her?“ „Geradenwegs aus dem Hurenhaufe in der Strada dei – doch nein, die Straße will ich nicht nennen und dem Hause feine Ehre nicht rauben, – ein gewissenhafter Schriftsteller hat gar manche folcher Ehren zu berücksichtigen, wenn er nicht ein Ehrab= fchneider heißen will. Oder wäre die Ehre manches hohen Herrn, der feinen Verstand und feinen Einfluß für Geld verkauft, und den man nicht nennen darf bei seinem Familiennamen, Herr Schuft beffer, als die Ehre eines Hurenhauses.“ 301 „Wie, Maestro Bramarbasino,“ verwunderte ich mich, „aus so schlechter Gesellschaft kommt Ihr?“ „Was, schlechte Gesellschaft? nicht schlechter als irgend eine menschliche Gesellschaft; Ihr wollt mir doch nicht mit Eurer ehrwürdigen Mönchsfratze eine moralische Kapuzinade halten? Da foll Euch ja der Gukuk – doch ich will mich nicht ärgern, denn im Grunde seid Ihr doch ein gefcheidter Mensch, nur manchmal etwas naseweis, wenn Euch das Morali- firen kommt, wie einem Prediger auf der Kanzel die Nothdurft.“ „Nun, nun, laßt Euch's nicht verdrießen, daß ich noch nicht so weit bin, wie Ihr; wenn ich noch ein Paar Jahre lebe in dieser schäbigen Welt, so gehe ich auch noch unter die Freigeister. Was macht Ihr aber nur in dem verdammten Hause alle Abend, habt Ihr denn so gewaltigen Ueberfluß an Säften, oder freßt Ihr spanische Fliegen zum Abendbrod?“ „Gemach, junger Grobian,– man fieht es Euch doch an der Nase an, daß Ihr ein Deutscher feid,– denn Ihr seid so grob wie ich, der doch seit zehen Jahren die Grobheit studiert – Euch ist sie angebo- ren. Aber in das Haus da geht unter einer nicht immer hin, um feine Testikel zu exerzieren; ich habe meine Geliebte da, und mache bei ihr Krankenbe- fuche.“ „Geliebte?“ – 302 „Geliebte, ja oder Braut, wenn Ihr so wollt.“ „Braut? Ihr werdet doch nicht eine H– hei- rathen?“ - „Ja doch, zum Teufel, heirathen, was ich so hei- rathen zu nennen pflege; – ich werde sie in mein Haus nehmen, sie füttern, und mir mit ihr die schlaf- losen Nächte vertreiben. Ja, Freund, ich kann nicht eher schlafen, bis ich verheirathet bin, dann bringt mich die Langeweile dazu.“ „Ihr seid doch ein verrückter Kerl, eine H– zu heirathen.“ „Und warum nicht? Ist eine H– fählechter als ein anderes Frauenzimmer, Ihr Maulefel? Ihr wollt doch nicht wieder mit der Tugend angestochen kom- men. Daß es Euch nicht noch ein Mal geht mit den tugendhaften Weibsbildern wie meinem Freund An- felmo. Denkt Euch ein Mal die lächerliche Geschichte. Heute komme ich wie gewöhnlich in das Kaffeehaus in den Strada – zerhacke da mein Eis, und lache vor mich hin. Da kommt Anfelmo, der neugierigste Mensch in Mailand, auf mich zu, klopft mich auf die Achsel und fagt: - „Ihr feid ja recht aufgeräumt, – gewiß fällt Euch wieder ein galantes Abenteuer ein, – nun er- zählt doch Eurem besten Freund etwas, ich höre so was für mein Leben gern.“ 303 „Ihr habt gut gerathen,“ sagte ich, „denkt Euch ein Mal den Spaß, da komme ich in ein Haus, wo ich eine verheirathete Frau, ihre Schwester und Toch- ter zugleich zu bedienen habe.“ - „Das gefällt nun meinem alten Biedermann ganz außerordentlich, er will sich todt lachen, und hört nicht auf, mich zu bestürmen, bis ich mich bereit erkläre, ihn in die Straße zu führen, wo die mir so gnädige Familie wohnt. Auf dem Wege wird mir bange für den armen Anselmo, denn er will einige Male ersticken vor Lachen. Endlich kommen wir in die Straße, und Anselmo meint, er würde von dem Ort, wohin ich ihn führen werde, wohl nicht weit nach Hause haben, denn hier fei feine Wohnung.“ „Hier find wir auch schon zur Stelle,“ erwiedere ich, ohne Arges zu denken, – „das Haus dort mit dem Balkon.“ „Was, das Haus mit dem Balkon?“– schrie er. „Ja doch, das Haus mit dem Balkon.“ „Mit den grünen Jalousien?“ v - „Freilich daffelbe, doch was Teufel ficht Euch an, fo oft zu fragen, ist doch nur ein Haus mit einem Balkon in der ganzen Straße.“ „Porco maladetto!“ schrie er nun plötzlich, und faßte mich an der Brust, „b–te anche – avete poi b−to tutta la familia; ich bin der Hausvater von diesem verfluchten H–haus, und – il pil gran asino 304 in Italia.“ Dann fing er an fo gräulich zu fluchen und schimpfen, daß einem gottesfürchtigen Menschen ganz bang werden mußte. Er war fchlechterdings nicht zur Vernunft zu bringen, fo viel ich mir auch Mühe gab, und behauptete fortwährend unter gräßli- chen Schwüren und Fluchen, er wäre il piu gran asino in Italia. Der arme betrogene Ehemann, Va- ter, Schwager! was Teufel wußte ich auch, daß er verheirathet ist.“ - „Seid doch vernünftig, Anselmo,“ beschwichtigte ich ihn, „warum lacht Ihr nicht lieber jetzt, statt vor- her – Ihr feid doch ein erbärmlicher Kerl, daß Ihr nicht lacht. Meine Schuld ist es wahrhaftig nicht, daß Ihr die Geschichte jetzt erfährt, denn Ihr wer- det mir jetzt den Spaß verderben. Hört, Freund An- felmo, laßt mir doch wenigstens Eure Tochter, das ist ein Kernmädel, und hat Temperament; Euer Weib und Eure Schwägerin mögt Ihr dann immer allein behalten, denn "s ist ohnedieß kein gutes Haar daran.“ Glaubt Ihr aber, der Narr war zu beruhi= gen? Denkt Euch, was thut der dumme Hund? Er wüthet, fchäumt und stoßt mich mit einem Stilet in meinen hölzernen Arm, der, Gott sei Dank, in einer Schlacht abgehauen wurde, denn wäre er noch von Fleisch und Bein gewesen, so hätte es einen Crimi- nal-Prozeß gegeben.“ - “- 305 D a l m a t i e n. . . . Wenn es in dem weiten unnatürlich zusammen gefügten Landesgebiete der österreichischen Monarchie noch eine Provinz gibt, wo sich Natur, Menschen und Menschenwohnungen in den Zauber der Vorzeit hüllen, fo ist es Dalmatien. Vermißt man auch hier das Edle und Klassische der römischen und griechischen Antike in den Bauwerken und Menschen, so findet sich hier doch, besonders an manchen der Küsten und im Innern des Landes, die ewig klafische Antike der Natur so wenig verpfuscht durch die profane Spur der Menschen als nicht leicht irgendwo. Schon die Lage dieses Landstri- ches macht ihn höchst interessant und die Mischung der feltsam contrastierenden Nebeneinflüffe, die bizarre Ge- fähichte von Ragusa, verbreitet über dieses Land ein eigenes wunderbar färbendes Licht. Im Norden lehnt es sich an eine Art moderner Civilisation mit eingrei- fender Despotie vermischt, im Osten an die Barbarei der Osmanen, und nach West und Süd fliegt ein leichtes Segel schnell wie der Sturmvogel vom Winde getra- gen, bald das Ziel begrüßend, nach Rom, nach Athen. Und dieses Meer! Es trug römische und griechische Schiffe von den Göttern des Alterthums geleitet, Zevs Blitze und Gewitter peitschten es im Sturm, und aus den empörten schäumenden Wogen tauchte zürnend 20 306 Neptun und rief ein donnerbetäubendes Quos ego! Die Schifffahrt und das Christenthum leuchtete hernieder von der römischen Küste über die Fluchen der Adria. Venezia entstieg dem Meer und fandte prachtvolle Baue in alle Gegenden des wüsten Ozeans. Ragusa that ein Gleiches. Eifersüchtig bekämpften-fich die bei- den Republiken und rangen hier auf dem Meere. Ra- gua fank, um nicht wieder zu erstehen. Gleich hungri- ger Wölfe fielen die Söhne Venedigs und die Barba- ren über die schöne Leiche her, und nun steht nur noch ein moderathmendes Gerippe an der verheerten Küste. Den Namen aber fchenkte die hohnlachende Geschichte einem französischen General. Es war ein in Nacht versinkender Abend, als ein kleines Segel wie ein Gespenst auf der Höhe von Trau erschien. Zerriffene Wolken lagerten auf dem Festlande über der Mauer von Kalkfelsen, welche dicht hinter dem hügeligen Ufer in öder Nackt- heit emporsteigt, und ein geheimnißvolles Zwielicht ergoß sich über die alten Mauern von Trau. Hinter dem Kalkfelsen dachte ich mir das Innere des Landes in Nacht versunken, und fo ist es in Dalmatien. Das Leben drängt sich hier an die Küsten und läßt das innere Land todt und wüste. Dalmatien gleicht einer uralten Ruine, deren äußere Geschoße mit Fenstern und hölzernen Treppen versehen und bewohnt, deren innere Räume aber leer und öde der Zerstörung der Zeit verfallen find. - 307 Trau war einst eine Festung und man sieht noch einige alte Thürme und Mauern davon. Die neuere Strategie hat aber diesen Platz als unhaltbar und von den Höhen der Insel Bua beherrscht aufgegeben. Es war das alte Trajanum, welches, wie uns Strabo er- zählt, von griechischen Kolonisten der Insel Liffa ge- gründet wurde. Von hier aus wanderte ich in das in- nere Land nach den einsamen Wohnplätzen der Morla- ken, dem flavischen Hauptstamme der Bevölkerung. Die Einfachheit ihrer patriarchalischen Sitten, die Originalität ihrer Trachten, Gebräuche und Neigungen zeichnen sie vor den an den Küsten wohnenden Italienern aus. Sie wohnen in zerstreuten Dörfern oder vielmehr in einzelnen Hütten der dalmatischen Gebirge weit entfernt von den Civilisationskolonien an der Küste. Von den spärlichen kunstlos angebauten und geerndte- ten Erträgniffen des steilen Bodens, von Jagd, und zuweilen auch von Beute, ernähren fiel sich unbeküm- mert um die Genüffe ihrer civilisierten Landsleute. Ihre Leidenschaften sind die natürlichen angebornen des Men- fchen, Liebe, Haß und Freundschaft. Wunderbar ist es, aber wahr, daß die Freundschaft unter dieser glühenden Sonne den Charakter der Leidenschaft annimmt, und derselben Opfer, Tollheiten und Großhaten fähig ist wie die Liebe. Während in civilisierten Ländern, kaum die Liebe fo stark ist, sieht man hier Freunde Gut und Blut für einander aufopfern. Zu Forti's Zeiten wur- - - - 20 % 308 den die Freundschaftsbündniffe der Morlacken, wie die Ehe am Fuß des Altars geschloffen und der Priester sprach seinen Segen über die Probatimi (Halbbrüder) und Posestrimi (Halbschwestern). Diese romantische Sitte scheint der feinere Fanatismus der katholischen Religion ausgerottet zu haben, aber die Freundschaft ist noch immer fo innig wie zuvor. Eine Ausartung dieser Freundschaftsbündniffe findet man in den Fratelli giurati in Italien, Raubbrüder, welche sich in Freund- fchaft vereinigen, um zu stehlen und zu morden. In demselben Grade wie die Freundschaft zwischen diesen rohen Söhnen der Merlacka unverbrüchlich und lei- denschaftlich, ist ihre Feindschaft glühend und unver- löschlich. Sie wird, wie uns fchon Forti erzählt, von dem Vater auf den Sohn fortgepflanzt und die Müt- ter lehren fchon den Kindern das Gefühl der Rache gegen die Erbfeinde der Familie, gegen den Mörder eines Blutsverwandten. Ko ne se osveti on se ne posveti! ist Sprichwort und Grundsatz bei ihnen, und heißt verteutscht nichts Geringeres, als: Wer sich nicht rächt, ist nicht gerecht. Unsere Verbildeten in Eu= ropa werden diese greuliche Philosophie gewiß verdam- men, und doch liegt denselben das nämliche rohe Ehr- gefühl zu Grunde, welches in Teutschland, Frankreich und England jedem Ehrenmann gebietet, Beleidigungen mit Blut zu tilgen; ja es liegt noch mehr Verstand darin, denn während wir dem Zufall das Richteramt 309 über uns übertragen und grausam den Unschuldigen und Schuldigen einem gleichen Schicksal bloß stellen, wirft sich hier das Gefühl des Rechts und der Freund- fchaft als alleinigen Richter auf Die Regierung bemüht sich, einige geläutertere Begriffe von Recht und Pflicht unter das Volk ZU bringen, aber vordem war der Unterricht sehr nachläßig betrieben, und die Seelsorge war Männern anvertraut, die fast eben fo unwiffend und roh waren, wie die Schafe ihrer Heerde. Sie unterschieden sich von ihnen durch nichts als eine schwarze Halsbinde, waren übri- gens fo arm und ungebildet, fo abergläubisch und fittenlos, wie die gemeinten Morlacken. Lange Zeit genügte es, einen kleinen Katechismus inne zu haben, um zur Ausübung des Priesteramtes befähig erachtet zu werden; allein in neuerer Zeit wurde Sorge ge- tragen, den Religionsdienst zu verbeffern, doch ist der Erfolg noch klein. - Merkwürdig war es mir in der Gegend von Ko- tar, unter dem 44º der Breite, bei den dortigen Mor- lacken blondes Haar und blaue Augen, kurz alle Spu- ren der flavischen Abkunft unverändert zu finden, wäh- rend wenig südlicher bei Duare und Vergoraz nichts mehr daran erinnert als die Sprache. Räubereien und Diebstähle find jetzt im Innern des Landes bei weitem nicht mehr so häufig als zu Fortis Zeiten, aber noch immer außerordentlich im Vergleich mit den an- - 310 dern Provinzen der Monarchie. Man fagte mir, daß jährlich im Durchschnitte unter 320.000 Einwohner (also nicht mehr als ungefähr in Wien leben) jährlich gegen . 3000 Kriminaluntersuchungen vorfallen. Mord aus Rache ist am häufigsten, und den Gesetzen allein werden jährlich 60 Mordthaten bekannt – ein entsetzliches Verhältniß, wenn man bedenkt, daß in Wien sich jährlich kaum zwei folcher Fällen ereignen. Wenn man alle Tugenden und Laster des Mor- lacken in ein Charaktergemälde zusammenfaßt, so findet man Gastfreundschaft, Großmuth, leidenschaftliche Liebe, Ehrgefühl, Nationalstolz, Tücke, Rachsucht, wilde Hef- tigkeit des Gemüths und Hang zum Nichtsthun in ihm vereinigt. Die Weiber der Morlacken müffen fast alle häuslichen Arbeiten verrichten und werden von den Männern so gering geschätzt, daß man nicht anders als salva venia von ihnen spricht und fiel nicht in der Stube duldet, wenn man Gäste beherbergt. Dem Italiener Forti begegnete es nicht felten, daß man beim Eintritt der Frau oder Tochter sich mit den Worten entschuldigte: Sie verzeihen, mein Weib oder meine Tochter! Wenn ein Hausvater von feiner Ehehälfte mit einer Tochter beschenkt wird, fo hält dieser es für Unglück und Schande, und gibt fie, wenn sie erwachsen find, dem nächst besten Knecht zum Weibe. Daher kommt es auch, daß diese unglücklichen Geschöpfe alle 311 Reize der Weiblichkeit verlieren, in Schmutz und Elend verkümmern, und mehr Eckel erregen als Reiz. Ihre Kleidertracht ist nicht felten malerisch, und gewinnt durch die eigenthümliche Bewaffnnng mit Ku- gelrohren, Pistolen und Hantschars. Sie ist der einzige Luxus, den sie lieben, außer filbernen Knöpfen auf einer fcharlachrothen Weste. Im Sommer ist ihre Kleidung fehr einfach und besteht aus einem Hemd und leinenen Unterhofen. Die Weiber lieben den Flitterstaat, der hier in meffingenen Ringen u. dergl. besteht. Bei all der Barbarei, in welcher die Morlacken versunken sind, findet sich doch in ihren Gesängen eine Spur von Poesie. Die Tonkunst befindet sich auf ihrer tiefsten Stufe. Die Morlacken haben keinen Sinn für Melodie, und ihre einfachen musikalischen Instrumente sind die Gusla, eine Art Geige und der Dudelsack. Für diese find ihre Compositionen, Tänze und Arien berechnet. - - 312 L i ff a. Here lie in closed the remain british seamen, who lost their lives in defense of their king and country. A. D. C. 1815. So ferne von eurer Insel mußtet ihr armen Söhne Bulls vermodern, auf einem kleinen Eiland, rings umbraußt von der See ! This monument was erected by the capitain and officers of the brittish line of battleship Victo- rious in memory of eleven brave Englismen interred near this spot who died of the wounds they recei- ved on the 22 february 1812 in action with the french ship Rivoli of 74 guns on the coast of Ve- nice as a tribute duc of them and the manigal- lant fellows who lost their lives on that day in their country causa? Für das theure Vaterland feyd ihr gefal= len in einem fremden Meere und der honourable Char- les Auson auch, der dort feparat liegt, als ob er nicht für eure Sache gefallen, oder als ob fein Blut allein einen Grabstein werth gewesen wäre, während ihr eurer eilf euch mit einem einzigen behelfen müßt. Für euer Vaterland! es ist kaum glaublich, so viel hundert Mei- lenweit von demselben für dasselbe zu fallen. Zwischen hier und dem Lande der Britten liegt die größere 313 Hälfte von Europa mit ihren Völkern und Staaten, und hier noch ist eure Sache zu erkämpfen. Ich glaube es nicht, daß ihr für euer Vaterland gefallen feid. Die alten Noriker fielen einst für ihr Vaterland auf hei- mischem Boden, aber kein Römer fiel dort für fein Vaterland. Ihr feid gefallen für den Wahn, oder für die Herrsch- und Habsucht, für eine gute Sache, für die Sache der Menschheit könnt ihr gefallen seyn, aber nimmermehr für euer Vaterland. Wackere Krie- ger könnt ihr gewesen feyn, aber auf eurem Grabstein ist nur Lüge, denn die Zeiten der Barbarei find vorbei, wo man über dem kleinen Patriotismus, der an der Scholle haftete, die Sache der Menschheit vergaß. Doch mag die Sache in England nicht ohne Grund feyn. Die Politik dieses Staates ist allerdings fo egoistisch als möglich. Hier kämpften einst die Iffarer für ihr Ba- terland gegen den liburnischen König, und viele Jahrhun- derte später, in dem prosaischen Jahre der Neuzeit 1810, gerechnet von der Geburt des Mannes, der die Menschen einst erlöst hat von dem Jammer ihres Wahns, von dem Fluch ihrer Sterblichkeit, nahmen die Franzosen diese In- fel für ihr Vaterland in Besitz und behielten fie bis 1815. In diesem Jahre des Unheils erkannten die Britten die Wichtigkeit dieses Eilandes für ihr Vater- land und machten es zum Vereinigungs-Punkte aller ihrer Streitkräfte im adriatischen Meere. Es ward durch fie in merkantilischer und militärischer Beziehung das 314 Malta dieses Meeres und zählte 20.000 Einwohner. Im Jahre 1812 versuchten es die Franzofen, diese In- fel wieder für ihr Vaterland zu erobern und lie- ferten zu dem Behuf den Britten am 12. Mai sogar eine Seeschlacht, in deren Folge die Britten fich veran- laßt fühlten, mehrere Forts hier für ihr Vaterland ZU erbauen. Man hieß die drei Defensionsthürme Ro- bertson, Bentink und Wellington. In der Nähe des letzteren ist der Cimerio inglese gelegen, in welchem man die erwähnten Inschrifteu und Monumente findet. Gegenwärtig gibt es in Liffa nichts Merkwürdi- ges mehr, als eine herrliche Aussicht über die Inseln Busi, St. Andreas, Pelagosa, Budihovazh, Scoglio cazza und ansehnlichen Sardellenfang an den Küsten. Auf einer flüchtigen Brazzera fuhr ich nach der Insel Leffina, dem Pharos der Alten, wo ich von einer gräßlichen Neuigkeit begrüßt wurde. Ein Offizier war in der Nacht zuvor von unbekannter Hand ermordet worden. Er war als ein kleiner Tyrann allgemein ver- haßt. Von hier fuhr ich nach Curzola dem Coryra ni- gra der Alten, das sich nach dem Verfall des römischen Reiches den Kaisern des Orients ergeben hatte. Später trieben hier Narentaner Seeräuberei, wurden aber von den Venetianern vertrieben, und feither waren die Ein- wohner der Insel so fromm geworden, daß die Seeräuber ihnen nichts mehr anhaben konnten. Man erzählt sich ein merkwürdiges Amazonenstückchen von ihren Weibern, 315 welche einst (im Jahr 1571) einem gefürchteten Blut- hund, dem Korsaren Uluzzali, so kräftigen Widerstand geleistet haben, daß er sich unverrichteter Sache wieder feiner Wege fcheeren mußte. Dennoch versichert man mir, daß die Einwohner sehr bösartigen Gemüthes seien und alljährlich eine bedeutende Anzahl ihrer Söhne nach den Gefängniffen von Ragusa fenden. Ein fri- fcher Maestral, der mich und meinen halbnackten Schif- fer erquickte wie ein Labetrunk, brachte mich bald nach den Klippen von Meleda, wo in der vulkanischen Höhle Ostrafawitza die Nimpfe Melita gehaust haben foll. Hier empfieng die lüsterne Kaltipo den Helden Uliffes. Viele andere Fabeln und Sagen war ich zu faul mir aufzuzeichnen, denn die Hitze hatte alle meine Kräfte gelähmt. Der frische Seewind war mein einziges Lab- niß, und ich kehrte immer gern wieder zurück in die kühlen Wogen. Auf der nahen Insel Giupana fieng man vor einigen Jahren einen Schakal (canis aureus). R a g u f a. - An einem mürrischen Nachmittag lief ich in den Ha- fen von Gravofa ein. Oede und still ist nun diese Bucht und nur wenig schlechte Fahrzeuge mit zerlump- ten Schiffleuten lagen hier vor Anker, und doch hier war es, wo die Republik ihre glänzende Marine aus- rüstete, wo die hundert Schiffe gezimmert wurden, welche 316 Karl V. vor. Algier den Wellen zur Beute gab. Die Ruffen zerstörten und verbrannten hier Ragusa's See- macht. Man empfieng mich hier mit Nachrichten aus Griechenland. Der Freiheitskampf war längst beendigt, aber die Freiheit nicht erworben. Die türkische Tiran- nei war vernichtet, aber die Elemente der Tirannei, die unglückliche Natur des Menschen, find ewig und unverwüstlich. Die Zeitungen aus Argos lauteten be- trüblich, und aus Norden und Süden, aus Osten und Westen waren nur fchlechte Neuigkeiten angekommen. - Aus Italien meldete man Beunruhigendes, aus Ancona und vom österreichischen Militär-Commando langten Befehle zu Truppenbewegungen an, welche die Beob- achtung der Franzosen in Ancona erheischten. Man de- taschirte Verstärkungen nach den Inseln. Aus Venedig schrieb man, es wüchsen den Menschen dort die Köpfe an wie Kürbisse, und diese feltsame Krankheit fei mit einer unaussprechlichen Hitze im Kopf verbunden. Das ist nicht zu verwundern, wenn in folchen Zeiten den Menschen die Köpfe warm werden. In den nördlichen Provinzen Oesterreichs würgte die Cholera und die Montenegriner bedrohten Ragusa mit der schwarzen Pest. Ueber Griechenland sprach man Verschiedenes und ich dachte mir eben meinen Theil, als man mir folgende Fabel erzählte. 317 Auf der Insel Maketonargozanthokum waren die Thiere unzufrieden mit dem dort herrschenden Regiment eines blutgierigen Schakals. In der That war dieser Schakal ein Kanibal von einem Thier und soll so grau- fam gewesen sein, daß es unter Thieren zum Sprich- worte ward: er ist fo grausam wie ein Mensch, und fo dumm wie der König von Sumpfomanien. Er kannte keinen befferen Zeitvertreib als die Jagd und fraß so viel, daß den Thieren bange wurde, er werde sie alle noch aufzehren. Dabei war er nicht im Geringsten besorgt für das Wohl der Thiere und bekümmerte sich wenig darum, wo sie ihre Nahrung herkriegten. Aber in der ganzen Welt wollen die Thiere erst gemästet fein, ehe sie gefreffen werden, sollen sie mit ihrem Loose zufrieden fein, und also auch in Maketonargozantho- kum. Es verrieth daher gar keine Staatsklugheit von dem Schakal, daß er von dem Wohl seiner Völker nicht ein Mal f prach, viel weniger es beförderte. Die Thiere hatten daher gerechte Ursache, unzufrieden zu feyn. Hätte er es auch nach dem Beispiele so vieler von ihrem Volk angebeteter Potentaten, nur mit einer Silbe gesagt, daß ihm das Wohl feiner Völker am Herzen läge, ohne auch nur das Mindeste dafür zu thun, fo wären wir zufrieden gewesen mit dem gutherzigen Herrn, fagten die Thiere von Maketonargozanthokum. Aber nein, er nahm sich nicht erst die Mühe. Er fand nur von feinem Lager auf, um einige Thiere zu zerflei- 318 fchen und legte sich dann auf die Haut und schlief in einem fort bis ihn wieder hungerte. Das wurde den Thie- ren nun zu bunt und fiel versammelten sich eines Tags auf einem Berg, um das Wohl des Vaterlan- des zu berathen. Alle waren einstimmig, der Schakal müffe getödtet oder verjagt werden. Gesagt, gethan, nach einem blutigen Kampf, worin die Thiere von Makedonargozanthokum von Hülfstruppen unterstützt wurden, gab man dem Schakal eins auf die Nase, daß er heulend davon lief. Das Vaterland war gerettet und die Thiere versammelten sich abermals, um eine NEUL Regierung einzusetzen. „Wir wollen frei und gleich sein!“ schrieen die Thiere, und sie waren frei und gleich. Aber die Wölfe benutzten die Anarchie und zerriffen unter dem Vorwande, die Feinde der Republik auszurotten, ein Schaf um das andere und befanden sich sehr wohl bei der Freiheit und Gleich- heit. Da versammelten sich die Thiere abermals und wollten die Wölfe bestrafen. Aber die Richter, zu welchen sich die Raubthiere und dicken Freunde der Wölfe aufwarfen, sprachen sie frei. Da trat ein Fuchs aus der Versammlung hervor, bestieg die Tribüne und hielt folgende Rede: „Sehr edle und hogelehrte Herren auf den Woll- fäcken! - Sie haben einen blutgierigen Tirannen vertrie- ben und das Vaterland befreit. Ich danke Ihnen 319 dafür im Namen der Füchse und der ganzen Nation und zolle ihren Heldenthaten den größten Beifall. Der Ruhm unseres Namens ist verherrlicht worden und die Geschichte wird mit Verwunderung von un- feren Thaten sprechen. Sie sind begeistert für die Freiheit und ich theile ihre Gesinnungen. Sie wollen die Rechte aller Mitglieder der Gesellschaft gleichstellen und ich verehre ihre edlen Grundsätze. Aber der Ehre dieses Hauses, in welchem die Repräsentanten der Nation versammelt find, auf defen Weisheit die Nation ihre Hoffnungen gebaut, macht es mir zur Pflicht, Sie, edelmögende und fehr gelehrte Her- ren auf den Wollsäcken, auf die ganze Wichtigkeit der heute obschwebenden Frage aufmerksam zu machen und Ihnen meine Erfahrungen mitzutheilen. (heart! heart!) Unser Vaterland befindet sich in einem trau- rigen Zustande. Die Herren Wölfe haben unschuldig gemordet und das Land geplündert. (Murren auf der Bank der Wölfe – man ruft zur Ordnung; denn in einem gesitteten Oberhaus darf die Wahrheit nicht so derb gesagt werden). Wir müffen unsere ganze Weisheit darauf verwenden, dem Uebelstande abzuhel- fen. (Beifall auf der Rechten, Murren auf der Lin- ken). Wir können dieß nicht ohne eine bedeutende Reform unserer gesellschaftlichen Verhältniffe. Unsere Aufgabe ist, einerseits die Ruhe im Lande dauerhaft ZU begründen, andererseits der Willkür Schranken zu 32O fetzen. (Bedeutendes Murren auf der Linken.) Wir müffen eine neue Regierung einsetzen. (Heart, heart, heart! Ein Wolf steht auf und fähilt den Sprecher einen russischen Spion, darauf nimmt der Fuchs wie- der das Wort). Wenn auch der sehr edle Herr auf dem Wolljacke meint, solche Gesinnungen vertrügen sich nicht mit der Freiheit, so kann ich doch versichern, daß dieß recht wohl angeht und daß meiner Meinung nach nirgends weniger Freiheit herrscht, als dort, wo die Willkür frei ist. Die Versammlung, vor der ich spreche, ist zu weise, um nicht von der Wahrheit mei- ner Behauptung durchdrungen zu fein. (Beifall und Murren) Ich finde. Sie für eine Republik gestimmt, aber so sehr ich diese Regierungsform liebe, so wenig kann ich fie, unseren gegenwärtigen Umständen ange- meffen erachten. (Heftige Bewegung auf allen Sei- ten, der linke Flügel ruft Beifall, der rechte murrt.) Meine fehr edlen und hochgelehrten Herren auf den Wollsäcken, ich kann Ihre Gefühle wohlbegreifen, aber ich spreche mit zerriffenem Herzen für das Noth= wendige. Unsere Natur verträgt keine Gleichheit. Sie können nicht voraussetzen, daß Sie im Stande find, die Gesetze der Natur umzustoßen. Betrachten Sie, ich bitte, unsere Gesellschaft: Sie finden hier das gutmüthige Schaf, den dummen halsstarrigen Efel, den blöden Stier, der feine Kraft nicht kennt und nicht gebraucht, den blutdürftigen hungrigen Wolf, - 321 das falsche Krokodil, den klugen Elephanten, den li- istigen Tiger und den großmüthigen starken Löwen auf einem Raum beisammen. Wollen Sie die Rechte aller dieser Thiere gleichstellen, fo müffen sie ihre Natur verändern und ihre Kräfte beliebig vermindern und erhöhen können, wollen Sie Unheil von der Gesellschaft abwenden. Sie werden es aber nie da- hin bringen, daß ein Löwe zu den bescheidenen An- sprüchen des Schafs sich herabwürdige, daß ein Wolf, ein Tiger friedlichen Sinnes werde, daß ein Kroko- dil fanftmüthig ihren Gesetzen folge, und daß ein Fuchs aufhöre, schlau feinen Vortheil zu ersehen. Die Maffe des Volks besteht aus Schafen und Ochsen; find sie denn nicht schon von der Natur darauf ange- wiesen, beherrscht zu werden? Sie haben keine Waf- fen, sich zu widersetzen, und ihre Zähne sind zum Zer- malmen des Grases bestimmt. Warum wollen Sie diese friedlichen und anspruchslosen Thiere aus ihrer Niedrigkeit erheben? Wahrlich, meine Herren auf den Wollsäcken, es wird ihnen nie gelingen, aus ei- nem Ochsen einen denkenden Bürger zu machen; ge- ben Sie ihnen daher unbedingte Blöck- und Brüll- Freiheit, ein Stück Landes zum Abweiden, einen Richter und Bürgermeister, und ein Wochenblatt mit gemeinnützigen Anweisungen und Belehrungen, und sie sind zufrieden. Aus den Wölfen machen Sie Soldaten aus den Affen Edelleute, aus den Bären - - - - 21. - 322 Pfaffen, aus den Eseln Erzbischöfe, aus dem Tiger einen Minister, aus den Füchsen Staatsbeamte und Professoren, und gewiß unser Staat wird der glück- lichste und wohlgeordnetste in Europa feyn. Sie haben dann jedem Mitgliede der Gesellschaft eine fei- nen Kräften und Neigungen angemeffene Wirksam- keit angewiesen, und es kommt dann nur auf eine weife Constitution an, um ihrer Staatskunst die Krone aufzusetzen. (Brüllender Beifall) Nur eine Schwie- rigkeit noch haben wir zu bekämpfen. Ein Oberhaupt ist bei dieser unserer Staats-Ordnung unumgänglich nothwendig, und der fehr gelehrte Herr Wolf auf dem Wollsack hier zu meiner Rechten könnte eher feine Zähne entbehren, als wir einen König. Das Geschlecht der Löwen aber ist ausgestorben. Bei un- ferer Verfaffung, deren Grundzüge ich bei unserer nächsten Sitzung. Ihnen vorzulegen die Ehre haben werde, können wir jedoch füglich einen ächtgebornen Löwen entbehren. Folgen wir dem Beispiel anderer Staaten, und machen wir die Konstitution zu unserem König; wir können uns dann leicht mit einem Wür- denträger behelfen, und um einen folchen zu finden, dürfen wir nur unser Volk mustern, und den Statt- lichten, Dicksten heraussuchen. Wir hängen ihm dann eine Löwenhaut um, und der König ist fertig. Wir brauchen weder auf Geburt noch auf den Stand des Individuums, weder auf seinen Verstand, noch auf / 323 fein Herz zu sehen, denn er hat keine andere Funk- tion zu verrichten, als mit feinem gekrönten Haupte zu nicken, wenn wir Gesetze dictiren.“ - Der Fuchs setzte sich hierauf auf einen Wollsack nieder, während das Haus in stürmischer Bewegung eine halbe Stunde brauste, um sich zu beruhigen. Nachdem dieß endlich doch geschehen war, bestieg ein alter Hammel die Tribüne, um dem Fuchs zu ant- worten. Er war bekannt als ein eingefleischter Ari- stokrat, und das Haus war sehr gespannt darauf, wie er sich über die Vorschläge des Fuchses vernehmen laffen werde. - - - „Obwohl ich,“ sprach er mit vielem Pathos, „in den Gesinnungen des sehr gelehrten Herren auf dem Wollsack, der eben die Tribüne verließ, eine durchaus verwerfliche Richtung bemerke, obwohl ich den revo- lutionären Geist in feiner Rede keinen Augenblick verkenne und lebhaft mißbillige, fo kann ich doch nicht umhin, feiner klugen Mäßigung Gerechtigkeit wieder- fahren zu laffen, und seine Vorschläge im Ganzen zu loben. Nur gegen Eines muß ich mich erheben, und Sie, gelehrte Herren auf den Wollsäcken, vor einem Mißgriff warnen, der unserm Vaterlande das größte Unglück droht, und nicht unwahrscheinlich alle unsere Pläne vernichten würde. Der sehr gelehrte Herr auf dem Wollsack will den Thron einem Plebäer über- laffen, und bedenkt nicht, daß die höchste Staatsge- 324 - walt dadurch in den Augen des Volks profaniert und entkräftet würde, und was mehr ist, alle Höfe da- durch aufs äußerte indigniert würden. Es ist wahr, das Geschlecht der Löwen ist in unserem Lande aus- gestorben, und wenn es uns hierin nicht beffer geht, als anderen Ländern, so können wir uns doch fremd- geborne Löwen verschreiben laffen und in unserem Ei- land eine neue Löwen-Dynastie anlegen.“ „Nein,“ sagte der Fuchs, „das geht nicht an, die Löwen können unser Klima nicht vertragen, der Redner fey unser Herr, denn er kennt und genießt mit Nutzen unsere Gräser.“ Plötzlich entstand ein großer Tumult über diese klimatologischen Bedenklichkeiten. Vom Klima kam man auf die Himmelszeichen zu sprechen, dann auf den neuen Kometen und andere Dinge, welche alle Köpfe so fehr beschäftigten, daß sie nicht weiter an die Noth des Vaterlandes dachten. Seitdem sind sie nicht wieder zusammen gekommen. F. l o r e n z. Herrliche Kunstwerke, aber nichts als Kunst! R o m. Ungeheure Ruine alter Größe, aber ich bin keine Hyäne, die Gräber aufcharrt und am Duft der Lei- chen sich ergötzt. Fort – N e a p e l. Frisches, schönes Leben, reiche Natur, glückseliger Himmel, wonnige Behaglichkeit, heitere Luft und Meer, reiches Blühen, süße Früchte, glühende Mädchen, aber Alles das ist nicht da für den ausgebrannten Vulkan, der matt rauchend über die Landschaft schaut und Verderben brütet. S y r a. k. u s. „ Uebertünchte Gräber wie in Rom. V K. o. n ft a n t i n o p e l. Hier möchte ich leben, wäre ich hier geboren. Leben in wüthender Leidenschaft, mit zügelloser Be- gierde, dann hinfinken auf kühle Gräser und – träu- 326 men und rauchen, neue Kraft fammeln, fiel wieder vergeuden und von der Pest befallen auf der Straße sterben. U n g a r n. Schon in Rabo szem Michaly warnte uns die Wirthin bei Erzählung einer gräßlichen Mordsfene vor dem berüchtigten Forkoschwald, und hier erzählte man uns neuerdings von Räubereien, die fich erst kürzlich darin zugetragen hatten. Vor wenigen Ta- gen war ein armer Jude des Weges gegangen, sich ficher glaubend, weil er nichts hatte, als einige Gro- fchen Kupfergeld. Mitten im Walde wurde er von einem Bauernwagen eingeholt, defen Eigenthümer nach dem Markte fuhr, und den todtmüden Juden einlud, sich aufzusetzen. Während dem er aber auf den Leiterwagen kletterte, um neben dem mitleidigen Mann Platz zu nehmen, brachte ihm dieser einen Schlag mit dem Czakan bei, daß er augenblicklich todt niederstürzte. Hierauf bemächtigte sich der Mörder der kleinen Habe des Ermordeten, und fuhr weiter. Durch Zufall wurde jedoch fein Mord entdeckt, und der Wicht am andern Tage zu Körmend gehenkt. Solche schnelle Proceduren sind in Ungarn nichts 327 Seltenes, veranlassen aber manchen Justizmord. Diese und andere Mittheilungen bestimmten uns zur größ- ten Vorsicht, doch dachten wir an keine Furcht, da wir unsere Caravane hinlänglich bemannt und be- waffnet glaubten. Unser Personal bestand im Gan- zen aus acht Männern und einem halben, denn die Frau des Barons war in so heldenmüthiger Stim- mung, daß sie darauf bestand, mit zu der waffenfähi- gen Mannschaft mitgezählt und bewaffnet zu werden. Wir übergaben ihr daher zwei wohlgeladene Terze- role und einen Dolch zu ihrer und unserer Verthei- digung, wie sie fagte. Außerdem hatten wir noch zwei Paar Pistolen und jeder Mann eine Flinte. Ich selbst war mit einer Doppelflinte und zwei scharf ge- ladenen Pistolen versehen. Unter Lachen und Scher- zen über unsere Rüstung setzten wir uns in die Wa- gen, die Kutscher brachen, ihrer Gewohnheit nach, in greuliche Flüche aus, und fort gings nun in faufen- dem Gallopp. Ich faß auf dem Kutschbock, um die Gegend freier zu überschauen, und die Dame durch mein fortwährendes Tabackrauchen nicht zu belästigen, zum Theil aber auch darum, weil ich am besten be- waffnet war, und man mir am meisten Geistesgegen- wart zutraute, um im Fall eines Angriffes unsere Vertheidigung und nöthigenfalls Flucht zu dirigieren. Die Chaise war mit vier Pferden bespannt, der Pack- wagen hingegen mit fechten. Der ganze Zug mit - 328 den windeschnellen flüchtigen Roffen, gejagt von dem mörderlichen Geschrei der wilden Slovacken in ihren gelben von Schmutz und Fett triefenden Hemden, mit ihren verbrannten bärtigen Gesichtern, und den langen gellenden Peitschen, eingehüllt in Staub- wolken über die menschenleere öde Puszta hinstür- mend, gewährte einen höchst intereffanten Anblick. Lange gings über eine erst in weiter Ferne von dem gefürchteten Forste begrenzte Landfläche hinweg. Niemand begegnete uns, als ungeheure Schafheerden und wilde neugierig sich unserem Zug nähernde Pferde, die, nachdem sie uns mit munteren Capriolen begrüßt hatten, wieder hinweg toben, vor dem Peit- fchengeknall und Geschrei unserer Führer in die Wüste. Kein Wölkchen war am ganzen Horizont, und bald entwickelte sich eine afrikanische Hitze, deren gewöhn- liche Ausdauer den Boden versengt und die Gegend zur Wüste gemacht hatte. Weißer Schaum bedeckte die Pferde, und der aufwirbelnde Staub bedeckte un- fere Kleider, Haare und Bärte mit einem grauen Ueberzug. Die Schnelligkeit allein, mit der wir die Luft durchschnitten, brachte einen schwachen Zug her- vor, der uns kühlte. Wir fehnten uns nach demr schattigen Kühl des Waldes. Endlich, nachdem wir vorher durch niederes Birkengebüsch, die Vorposten des ungeheuren Bakonyierwaldes, gefahren waren, nahmen uns die riesigen Eichen des Urwaldes in ihre - - 329 Schatten auf. Kühle Lüfte rauschten durch die hun- derjährigen Zweige, und trockneten unsere schweiß- triefenden Stirnen. Ernstes Schweigen war rings- umher, und die kräftigen Stimmen unserer schreien- den Slovacken halten tief hinein in die dunkle Tiefe des Forstes. Hie und da schrie ein verstärktes Echo zurück. Mir und uns allen wurde feierlich zu Muthe. Die Andacht der stummen Naturbewunderung be- fchattete uns; nie hatte ich einen solchen Wald ge- fehen. Mit bewunderungswürdiger Regelmäßigkeit fand Stamm vor Stamm in weiten Zwischenräumen auf einem schön geebneten Plan, über dessen Ober- fläche sich mächtige Wurzeln hervordrängten. Wie durch ein coloffales Gitter fahen wir durch die mäch- tigen, erst in der Höhe belaubten Stämme, weit weit hinein, bis sich die Stämme enger und enger an ein- ander drängten, zur undurchdringlichen Finsterniß. Wege kreuzten sich nach allen Seiten hin, und die Führer versicherten mich, daß man, einmal verirrt, sich aus diesem Labyrinth nicht leicht wieder heraus- finden könnte. Schon mancher starb hier vor Hunger, oder wurde den Wölfen zur Beute. Schon zwei Stunden hatten wir in dem groß- altigen Einerlei des Forkosch geathmet, als unsere Führer die Pferde etwas langsamer gehen ließen. Sie benützten den Zwischenraum der Ruhe, ihre kur- zen Tabackspfeifen auszuklopfen, und ersuchten uns, - \ 330 mit abgezogenen Hüten und bittend gefaltenen Hän- den um „droschku Tabak“. Wir gaben ihnen gerne von unserem Vorrath, und ermahnten sie, uns auf- merksam zu machen, wo Gefahr wäre. Wir feien, meinten sie, nicht mehr ferne von dem dichtesten Theile der Waldung, hätten aber nichts zu befürchten als Militairs, da der größte Theil der hier haufen- den Räuber aus Deserteuren bestehen, und felbst bei ihrem elenden Gewerbe noch immer die Uniform re- fpectirten, und es beispiellos wäre, daß Soldaten, welche fiel noch immer als Kameraden betrachten, von ihnen beunruhigt worden wären. Es müßte denn, fetzten sie achselzuckend hinzu, das Anlockende unseres bedeutenden Gepäcks diese Rücksichten aufheben. Die Folge belehrte uns leider, daß die Bemerkungen rich- tig waren. - Schritt vor Schritt, unter flüsterndem Gespräch, bewegte sich der Zug langsam weiter. Die Slovacken hörten auf zu fluchen, ließen die Peitschen ruhen, und bließen wirbelnde Wölkchen von Tabaksrauch durch Mund und Nase, indem sie uns verständigten, daß wir vortreffliches Kraut hätten. Nebenbei erwähnten fie, daß es gut wäre, wenn wir nun so still als mög- lich durch den Wald zögen, um die Neugierde der Freibeuter nicht zu erregen. Zugleich ersuchten sie gutmüthig unsere liebe Baronin, die mittlerweile ih- ren Heldenfinn verloren zu haben schien, durch Mie- 331 nen und abgebrochene teutsche Worte, deren komische meistens unpaffende Anwendung uns viel zu lachen gab, zu beruhigen. Mein Sitznachbar aber nahm in stoischer Ruhe eine handvoll Tabak in den Mund, drängte sie mit dem Finger hinter die linke Backe, daß es aussah wie eine Zahngeschwulst, spuckte durch die Zähne, fetzte sich zurecht, rief dem das zweite Ge- spann leitenden Jungen ein paar Worte zu, und meinte im Vertrauen, er wittere Unrath. Todten- stille folgt hierauf, und als er mir winkte, mein Ge- wehr fertig zu halten, konnte ich es nicht verhindern, daß das Spannen derselben von unserer muthigen Dame gehört und sie dadurch in die größte Angst versetzt wurde. Die Blicke unsers Führers rollten untät" umher, und blieben endlich lange auf einen Punkt geheftet, wo ich den Zipfel eines Schaf- pelzes hinter einer dicken Eiche hervorragen fah. Kaum waren wir dem Orte näher gekommen, als ein Czicosch langsam hervortrat. Es war eine hohe kräftige Gestalt, in einen weiten schmutzigen Schafs- pelz gehüllt, an dessen Rande das unterste Ende ei- nes Kugelrohrs hervorsah. Ein pechschwarzer glän- zender Schnurbart hing auf beiden Seiten des Mun- des herab, und starke finstere Braun zogen sich mond- förmig über die Augen. In demüthiger Stellung näherte er sich der Chaise, zog ehrerbietig den Hut, erbat sich ein Almosen und ließ uns vorbei. Mein 332 flovackischer Nachbar wurde fichtbar unruhig. Plötz- lich aber riß er mir ein Pistol aus der Tasche, brach in einen schreienden Fluch aus, und jagte die Pferde mit einem wilden Halloh in Carrière. Aber in demselben Augenblick stürzte das Sattelpferd von einem Schuß aus dem Walde getroffen, aus den Nüstern Blut spritzend, zur Erde. Der Wagen wurde dadurch aufgehalten, das vordere Gespann riß sich los, und jagte mit dem flovackischen Knaben davon. Es war das Werk einer Secunde, und beide Wagen waren von einem Haufen wohlbewaffneter Räuber umringt. Der Wald dröhnte vor wildem Geschrei und zahllosen Schüffen von beiden Seiten. Rauch und Staub hüllte uns ein, und in gewaltigen Sätzen foben die noch übrigen sieben Pferde, deren Stränge die Räuber abgeschnitten hatten, auseinander. Die Chaise war halb umgestürzt, und die Frau meines Freundes lag leblos im Sand. Der Baron hielt sie für todt. Schäumend und in gräßliche Flüche aus= brechend, stürzte er in blinder Wuth auf die Mörder los, indem er zwei Doppelpistolen zugleich auf fie losbrannte. Ich hatte eine unbegreiflich kalte Befin- nung behalten, und war im Stande, mich gegen den Andrang des Gesindels zu wehren, und die offenbar nur ohnmächtige Frau zu beschützen. Ich zielte gut und fehlte nie, war nicht wenig erstaunt, daß die Räuber nach allen Seiten die Flucht ergriffen, ob- 333 gleich sie ihrer Anzahl nach uns weit überlegen wa- ren. Am Ende ergab es sich, daß sie nur mit zwei Flinten bewaffnet gewesen waren, deren Eigenthümer schwer verwundet am Boden lagen. Wir konnten uns lange nicht erholen vor Schreck und Erstaunen, es war dem Scheine nach in einer Minute fo Vieles und Gräßliches geschehen, daß keiner wußte, was nun anzufangen fei. Mehrere unserer Leute waren den Flüchtlingen nachgelaufen, unsere Kutscher dagegen traten unter wüthendem Geschrei und zahllosen fürch- terlichen Hieben auf den Leibern der Verwundeten, die unter entsetzlichem Jammern, im Blut fehwim- mend, um Erbarmung flehten, unbarmherzig herum. Nur mit Mühe gelang es mir, durch die Vor- stellung, daß die Gefahr noch nicht vorüber sei, die Rasenden von der gänzlichen Ermordung der Räu- ber abzuhalten, indem ich fie vermahnte, die Pferde im Walde aufzusuchen, damit wir so schnell als mög- lich uns vom Schauplatz entfernen könnten. Mittler- weile luden wir unsere Gewehre wieder, und fetzten uns neuerdings in Vertheidigungsstand. Guido hielt unbeweglich und starr feine Emma umschlungen, die Ohnmacht hielt noch immer an; doch hatten wir nun bald die Freude, unsere Bemühung, fiel ins Leben zurückzurufen, glücken zu sehen. Sie schlug die Au- gen wieder auf, und Guido jauchzte laut weinend. Ich beneidete ihn in dem Augenblick, und bedauerte, - - 334 daß sie nicht mein Weib war. Hättet ihr nicht so viel Schlangennatur, Weiber! ich könnte euch wieder gut werden, um dieses Augenblickes willen. Emma war blaß und matt – fie freute sich erst am andern Morgen; aber von diesem Morgen an hatte ich, von Körmend bis Pest, kein langweiligeres Vergnügen, als die Küffe zu zählen, die fie ihrem Mann für feine unsinnige Liebe gab. Mir felbst kollerten ein paar dicke Thränen auf den Schnurrbart – unver- nünftigerweise! – Wäre ich nicht ein Weiberfeind, wahrhaftig, diese Scene hätte mich gerührt. – Thor- heit. – Während dem war es den Slovacken wirk- lich durch Rufen und Flüche gelungen der entsprun- genen Pferde wieder habhaft zu werden, und die Wa- gen wieder soweit in Stand zu stellen, daß die Pferde wieder angespannt werden konnten. Wir hatten kei- nen namhaften Schaden erlitten, und unsere Leute waren mit dicken Beulen und leichten Quetschungen davon gekommen. Eine Kugel war, ohne irgend Je- mand zu beschädigen, durch das Dach der Chaise ge- gangen; Guido hatte sich beim Herausspringen den Fuß verrenkt; ich hatte mir, durch hastiges Laden, an den Kanten des Gewehrlaufes das Fleisch von den Fingerspitzen geriffen, und mein Bedienter war so heftig auf die Nase gefallen, daß sie zu einem Berge anwuchs, und fein geschundenes Gesicht mir unkennt- lich machte. Das Pferd hatte mittlerweile ausgeath- / 335 met. Dieß war der ganze Stand der Todten und Verwundeten auf unserer Seite. In der Eile, in der wir Anstalt machten, den Zug wieder reisefertig zu machen, hatten wir die ver- wundeten Räuber ganz vergeffen; jetzt erinnerte uns- ihr Gestöhn an sie. Einer von ihnen war der er- wähnte Czikosch, der uns um ein Almosen angesprochen hatte, der andere ein junger Bursche von kaum acht- zehn Jahren, mit einem feinen zarten Gesicht, das zwar stark von der Sonne gebräunt, doch vollkom- men fhön zu nennen war. Er war von mir in die Schulter geschoffen und nicht gefährlich verwundet, aber von den Streichen der Slovacken, die sie ihm mit einer zerbrochenen Flinte zukommen ließen, fo jämmerlich zerschlagen, daß er sich nicht aufrecht er- halten konnte. Die ganze Gesellschaft versammelte sich nun um die Halbentseelten, unsere Slovacken hör- ten nicht auf, zu toben und fluchen, und machten ernstlich Miene fortzufahren mit den mörderlichen Prügeln. „Schlagt sie todt,“ riefen die einen, „nein, bin- det fie,“ schrien die andern, „und schleppt sie nach Körmend, damit sie morgen gehenkt werden.“ „Nemes ember vagyok,“ *) knirschte der Czi- kosch höhnisch, und wollte wahrscheinlich damit an- *) Ich bin ein Edelmann. - 335 deuten, daß er nicht gehenkt werden dürfte. Eine riesige Maulschelle von der hölzernen Hand meines Slovacken belehrte ihn, daß die Schurken alle gleich feien vor dem Gesetze. „Wir wollen ihn todt machen,“ fchrieen die vor Wuth schäumenden Bauern, welchen es fehr zu Her- zen gegangen war, daß sie ein Pferd bei dem Kampfe verloren hatten. Der Baron, mittlerweile getröstet durch das wiederkehrende Bewußtsein feiner Frau, belehrte uns nun mit kurzen Worten, was in unserer Lage zu thun fei. „Wir laffen die Hunde liegen,“ sagte er, „und setzen die Reise schleunigt fort, ohne irgend eine An- zeige von dem Vorfall zu machen.“ Ich äußerte Bedenken über den Vorschlag, und bemerkte, daß es unsere Pflicht wäre, die Behörden davon in Kenntniß zu setzen, damit der Räuberbande nachgespürt und die Gegend gereinigt werden könnte. Der Baron lachte mir ins Gesicht. „Ich danke Ihnen,“ fagte er, „für die gute Mei- nung, welche Sie von unserer Justiz haben, muß Sie aber leider belehren, daß eine solche Maßregel ohne den erwünschten Erfolg bleiben würde. Der Eine von den beiden Spitzbuben, die wir in unserer Macht haben, würde zwar ohne Zweifel gehenkt, der Andere aber, als Edelmann, sicherlich am Ende, we- 337 gen Mangel an Beweisen entweder ganz frei gelas- fen oder doch nur sehr gelinde bestraft werden. Da- gegen würden wir uns selbst, mehr aber noch unsere arme Bauern, den äußersten Unannehmlichkeiten aus- fetzen; denn eine gerichtliche Untersuchung geht selbst für die Unschuldigen, wenn diese Bauern sind, nicht ohne Prügel und andere körperliche Mißhandlungen ab. Eine Verfolgung der entsprungenen Räuber würde aber schwerlich angeordnet werden, oder doch ohne Erfolg feyn, denn das Gesindel besteht meistens aus den Schafhirten der Umgebung, die fich nebenbei mit Raub und Mord beschäftigen, und gewöhnlich mit dem übrigen Landvolke, welches sie theils fürchtet, theils unterstützt, im besten Einvernehmen leben, und von dem trägen Arm der Gerechtigkeit daher nichts zu befürchten haben. Uebrigens können Sie überzeugt fein, daß alle diese Schafhirten und fehr viele unter den Bauern des Landes des Galgens würdig sind, und man durchaus nicht zu besorgen hätte, eine Un- gerechtigkeit zu begehen, wenn man sie der Reihe nach, ohne Anklage und Prozeß, aufknüpfte. Die Gerechtigkeit muß daher, um der Bevölkerung keinen Schaden zu thun, sich nur auf jene Verbrecher be- schränken, welche sich auf der That ertappen laffen. Dann werden aber auch fo wenig als möglich Um- stände gemacht, und ohne weiteres Verhör, Beweise und andere dergleichen Formeln, alle Eingebrachten, - 22 338 gleichviel, ob schuldig oder nicht, dem Henker überlie- fert, denn quisque praesumitur malus, und man kann gewiß feyn, daß wenn auch einer darunter an dem vorschwebenden Faktum unschuldig wäre, es ihm doch nicht an gutem Willen dazu gefehlt, und daß er durch frühere unentdeckte Verbrechen die jetzt zufällig über ihn verhängte Strafe verdient habe. Uebrigens wundert- es mich sehr, daß unsere Bauern so wacker mitgeholfen haben, das Gesindel zu vertreiben; denn in der Regel stehen diese Leute wo nicht gar im Ein- verständniß mit den Räubern, doch meistens in fol- chen Verhältniffen, daß sie es nicht wagen dürfen, sich den Schurken zu widersetzen, wenn sie anders nicht Gefahr laufen wollen, Haus und Hof durch Brandstiftung zu verlieren. Viele Eigenthümer sind sogar gezwungen, einen Tribut an Lebensmitteln oder Geld zu entrichten, um ruhig schlafen zu können. Wir können daher nichts Klügeres thun, als die Verwundeten ihrem Schicksale zu überlaffen, den gan- zen Vorfall als ein hier ganz gewöhnliches Ereigniß zu verschweigen, und dem armen Teufel, dem das Pferd erschoffen wurde, daffelbe zu bezahlen. Für die beiden Räuber werden schon ihre Genoffen Sorge tragen, und wenn fie verenden follten, sie ver- fcharren.“ - Wir gaben daher Befehl zum Aufbruch, und nachdem die Slovacken, trotz unserer Einsprüche, den 334) blutrünstigen Gesichtern der beiden Räuber einige Peitschenhiebe hatten angedeihen laffen, und die zer- riffenen Stränge wieder angeknüpft hatten, ging es wieder fort im Galopp. Wir fuhren nicht lange, so holten wir den Knaben mit dem ersten Gespann ein. Die Pferde waren mit ihm durchgegangen, bewegten sich aber, nachdem sie eine halbe Stunde gesprungen waren, nicht mehr vom Fleck, wie er uns versicherte. Mittags langten wir glücklich in Körmend an. P e ist h. Wir waren noch zwei Stunden von Pesth ent- fernt, und kamen noch eine Stunde näher, aber nir- gends war eine Spur zu entdecken, woraus man hätte auf die Nähe der beiden Hauptstädte schließen können. Die wüsten Puszten hatten noch immer kein Ende, und einige menschliche Wohnungen unter der Erde, die wir eine Meile vor Ofen antrafen, ließen uns fürchten, daß die Hauptstädte unfern Erwar- tungen nicht entsprechen werden. In Teteny trafen wir im Wirthshaufe, unter vielen andern Gästen, einen Edelmann von der wohl- habenden Sorte, in Gesellschaft einer eben nicht lieb- reizenden Ehehälfte an. Nach der Landessitte bewill- kommte er uns mit der freundlichsten Bonhomie, de- 22 % 340 ren nur ein ungarischer Edelmann gegen Fremde fähig ist. Er erkundigte sich sogleich nach unsern Na- men, und rümpfte die Nase, als er vernahm, daß ich nicht adelig sei. Von dem Augenblicke an bemerkte ich, daß er mich links liegen ließ, wie man zu fagen pflegt, während dem einige anwesende Offiziere in Uniform, ebenfalls bürgerlicher Abkunft, die Ehre hatten, von ihm ausgezeichnet zu werden, denn das goldene Port- d'Epée gibt den Militärs in Ungarn die Rechte und das Ansehen von Edelleuten. Bei Tische hatte ich noch mehr Gelegenheit, zu bemerken, daß man von mir absichtlich keine Notiz nahm. Der Edelmann hatte nämlich von seinem Gute sehr schöne Melonen mitgebracht, auf die er sich so viel zu Gute that, als ob er sie felbst gemacht hätte. Madame schälte die Früchte, bestreute sie mit Zucker, und präsentierte sie jedem einzelnen Gast, indem sie lächelnd der Gesell- fchaft einige Zahnruinen wies – ein Merkmal ihrer vorzüglichen Gnade. Als die Reihe an mich kam, fchloß fie, zu meinem nicht geringen Vergnügen, die Lippen, und ging an mir vorbei. Guido machte sie auf ihren Fehler aufmerksam, ich aber erlaubte mir zu erwidern, Madame hätte ganz recht gethan, denn ich würde ohnehin von ihrer Güte keinen Gebrauch gemacht haben. Launig gestimmt wie ich war, konnte ich mir jedoch das Vergnügen nicht versagen, "eine kleine Rache zu nehmen an der stolzen Donna und 341 ihrem hochmüthigen Gemahl. Zu dem Behufe holte ich aus unterm Reifekeller eine Flasche köstlichen Ma- laga's, und regalirte die Gesellschaft damit, ohne je- doch das adelige Ehepaar zu berücksichtigen. Die Rache war schrecklich für den Edelmann, und brachte ihn total auffer Faffung. Lange hatte er schon still- fchweigend mit dem braungelben Mecktar kokettiert, und mir flehende Blicke zugeworfen, die zugleich feine Rache und Zerknirschung aussprachen, zugleich um Mitleid und Erbarmen baten. Ich blieb unerschütter- lich, und trieb die Bosheit so weit, die Gesundheit von Madame auszubringen, wobei ich endlich, wie zu- fällig, Gelegenheit nahm, die Leere ihres Glases und ihrer dürstenden Blicke zu bemerken. Freudig strahlte - das Antlitz des Melonen-Mannes, als der herrliche nie gekostete Malaga seinen Gaumen netzte. Sein Adelstolz war entwichen, und in einer Viertelstunde hieß er mich einen besten, feinen einzigen Freund und Bruder, und schwor, indem er mich umarmte, ich fei der beste Kerl von der Welt. Zum Ende meinte er gar, ich verdiente ein Ungar zu sein, weinte fast über mein Schwabenthum, und erlaubte mir zum Ueberfluß, feine Frau zu küssen, ohne Ser- viette. Am Ende wußte ich doch nicht, ob der Edel- mann nicht klüger war, als ich, und fich auf eine äußerst malitiöse Weise zu rächen dachte. 342 Noch grollte ich über den Kuß, als wir über die Pesther Schiffbrücke durch eine wogende Menschen- maffe fuhren. Den ersten Eindruck, den Ungarns Hauptstädte auf mich hervorgebracht, übergehe ich, und werde blos einige Beobachtungen, die ich später machte, hier aufzeichnen. Ich war bereits drei Tage in Peth, und noch wußte ich wenig von den beiden Städten, denn mich hatte in der Zeit wieder jene wunderbare, allen Men- fchen in meiner Umgebung auffallende Gemüthsstim= mung ergriffen, in welcher ich mich um keine Merk- würdigkeiten und keine Menschen bekümmere, in wel= cher ich einst Rom paffirte, ohne die Peterskirche mit einem Auge gesehen zu haben. Viele Fremde, welche mich in dieser Gemüthstimmung kennen lernten, meinten hinter meinem Rücken, ich müßte entweder ein Engländer oder ein Narr feyn; Aerztefagten, ich wäre krank, die Pfaffen betheuerten, mich quälte das Gewiffen, und die Weiber hießen mich einen Sauer- topf. In solcher Gemüthsverfaffung also befand ich mich in Pesch, und fah stundenlang über die Wellen der Donau hinüber, nach den Bergen von Ofen, ohne daran zu denken, daß ich mich in einem frem- den Lande, in einer fremden nie gesehenen Stadt be- finde. Ich hatte mich drei Tage lang in meiner Stube, zwei Treppen hoch, eingefchloffen, und den Tag über gethan, was mir eben einfiel. Das Wich- - 343 tigste von dem, was mittlerweile in der Welt vor- ging, erfuhr ich von meinem Bedienten, der eine Treppe unter mir wohnte, und mit dem ich, vermit- telt eines drei Ellen langen türkischen Pfeiffenrohrs, in Verbindung stand. Am dritten Morgen rauchte ich, wie gewöhnlich, meine Pfeife Kaspalaker zum Fenster hinaus, und als sie zur Asche war, klopfte ich an das Fenster meines Bedienten, eine Treppe hoch, und beorderte ihn, mir die ausgebrannte Pfeife zu füllen, anzubrennen, und die Neuigkeiten des Tages" zu erzählen. „Wenn Sie Neuigkeiten wissen wollen, gnädiger Herr, so brauchen Sie Ihre Augen nur wenig anzu- frengen, um zu sehen, daß mein Kopf verbunden, folglich verwundet ist, und dort unten am Ufer eine Leiche liegt. Die Donau hat sie gestern ausgewor- fen, und wenn die Sonnenhitze anhaltend ist, so wer- den Sie morgen früh, wenn Sie die Fenster öffnen, den Geruch verspüren.“ Wirklich fah ich unten einen hoch aufgeschwolle- nen Leichnam liegen, ohne daß sich irgend Jemand darum bekümmerte. Ein anständig gekleideter Mann ging, am Arm einer Dame, eben vorüber, stieß mit dem Bambusrohr auf die Leiche, als wäre es ein kre- pirter Hund, unterhielt sich lachend mit feiner Dame über den großen Bauch des Ertrunkenen, riß einige ungarische Witze, und zog wieder weiter. Ich be- 344 wunderte die nationale Nervenstärke der Dame, und die nationale Gemüthsrohheit des Mannes, und sagte nichts, als: Gott verdamm – „Wie kann man eine Leiche so lange liegen laf- sen, und warum wird der Vorfall nicht auf der Stelle untersucht?“ „Da hätten die Gerichte viel zu thun,“ sagte mein Bedienter, „wenn sie sich so beeilen wollten, be- sonders jetzt, da Jahrmarkt ist, und die Donau täg= lich Leichname auswirft. Sie müffen wifen, gnädi- ger Herr, daß in einer fo großen Menschenmenge viele hart an einander gerathen, und da ist es nun eine ganz gewöhnliche Art, Streitigkeiten auszuma- chen, daß man den Beleidigten oder Beleidiger, wer nun gerade stärker ist, und mehr Freunde hat, oder einen Ausgeplünderten, damit er den Vorfall nicht weiter erzähle, in die Donau wirft. Die Gerichte thun sehr wohl daran, daß sie derlei Vorfälle nicht streng untersuchen, denn es würde doch zu nichts hel= fen. Uebrigens ist gestern Nachmittags in Ofen ein junger Mensch erschlagen worden, und man fagt, es würde eine strenge Untersuchung eingeleitet werden, aber die Thäter sind mittlerweile entflohen, obgleich der Mord am hellen Tag verübt worden ist. Lie- ber Herr, ich muß Sie bei dieser Gelegenheit erin- nern, daß Sie sich ja in keine solche Händel mischen, oder Jemanden zu Hülfe kommen, der unter Ihren 345 Augen todtgeschlagen wird, denn wenn man Sie auch nicht auf der Stelle umbringt, so bin ich jedoch ge- wiß , daß die Donau in den nächsten Tagen Ihren Leichnam auswürfe. Derlei kleine Raufereien find auf dem Jahrmarkt nichts Seltenes, und könnten Ihnen leicht aufstoßen, wenn Sie ausgehen. Auch will ich Ihnen rathen, jedesmal bei Zeiten nach Hause zu kommen, noch ehe es dunkel wird, denn zehn Schritte von der Schorokscharer Straße ist Ihre Uhr und Ihr Leben fammt der Brieftasche keine Pfeife Taback werth. Ja, wenn man politisch ist mit den Leuten, da kann man sie für Narren halten, wie man will. Sind die Leute dumm! Nein, so was ist mir mein Lebtage nicht vorgekommen! Denken Sie sich einmal, gnädiger Herr, wie ich meine Wire weg- hatte, und nachdem sie mich aus dem einen Wirths- haufe hinausgeschmiffen hatten, ging ich, weil es mir da nun einmal nicht mehr gefiel, in ein anderes. Hier traf ich einen großen Kerl mit einem unsinnigen Schnurrbart, ich glaube ein Haiduk, oder was er war. Mich juckte es, den Kerl zu vexiren, und fing damit an, ihn mit: gnädiger Herr Ungar! anzure- den, und gelegentlich feinen Schnurrbart herauszu- streichen. Glauben Sie, daß der Kerl etwas gemerkt hat ? nicht im Mindesten; vielmehr war er feelenver- gnügt, und lachte mit dem ganzen Gesichte über meine 346 Schmeicheleien; dann ließ er Wein bringen, und der Haiduck hat alles bezahlt.“ „Trivialer Kerl!“ sagte eine ungarische Dame, die aus einem benachbarten Fenster die Apotheose ih- rer Landsleute aus dem Munde eines Bedienten mit angehört, und nun unmuthig das Fenster zugewor- fen hatte. Eine Stunde später bekam ich ein Billet von ihrem Gemahl folgenden Inhalts: - An den Herrn *** „Ihr Bedienter, der infolvente Hund, der niedertrechtige Lunbengerl hat sich untertanten über die edle Matio der Hungarn zu schimbfen, auch nihmt der Gerl nimahls den Huth von Gopf wen er mich oder meine Frau bekegnet. Dahero fake ich Ihnen ein für alle Mal, daß wofern Sie mir keine Satis fafzion geben und den Gerl nidertrechtig durchprigeln lafen, so werde ich – – – – – – – (unleserliche Stellen) Stephan Augustin von –o. Ich antwortete dem Erzürnten, daß ich kein Recht habe, meinen Bedienten über seine Ansichten auf ungarische Weise zur Rede zu stellen, und daß es ihm freistände, feine Händel mit ihm felbst auszu- machen, und Satisfaction von ihm zu verlangen. Mein Bedienter fei ein Mann von Ehre, setzte ich 347 hinzu, und er werde, was er zu thun habe, wenn ein ungarischer Kavalier von ihm Genugthuung fordert. - Wenn ich keinen Anstand nehme, diesen tragiko- mischen Vorfall mitzutheilen, so glaube man nicht, daß ich ein besonderes Gewicht darauf lege, und das Ur- theil meines Jakob als eine Karakteristik der Ungarn hier gelten laffe. Es war das Erste, was mir in Pesch begegnete, und gehört zu jenen Abenteuern, die mir gleich anfangs in Ungarn aufstießen, und mein ohnehin leicht verstimmbares Gemüth außer Harmo- nie brachte. Wir find nun einmal so scharfsinnig und schließen von Einzelheiten auf das Ganze, was Wunder, daß ich nach solchen miserabeln Einzelnhei- ten unmuthig jede weitere Untersuchung verwarf, und von nun an entschloffen war, die Ungarn als ein ro- hes, ungebildetes Volk, und die in ihrem Lande herrschende gesetzliche Ordnung (vielmehr Ordnungs- losigkeit) für die miserabelste in Europa anzusehen. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtete ich von nun an Alles, was mir ferner vorkam, deutete Alles übel, und fand das Gute nur ausnahmsweise, ohne es zu würdigen. - - Der Fremde, der aus dem gebildeten Teutsch- land hieher kommt, der sich nicht einer heiteren poeti- fchen Anschauung überläßt, und dem nüchternen Ver- 348 fand die Beurtheilung aller dieser Begegniffe über- gibt, wird meine Gefühle theilen, und nicht sobald aus seiner Verstimmung herauskommen, nicht so bald als er aus dem Lande wieder entflieht. Und dennoch wird man anderen Sinnes, wenn man Monate oder Jahre im Lande verlebt, und alle feine geheimen Reize erforscht hat. Zuerst verliert sich dann die Ver- stimmung gegen das Volk, denn hat man es erst nä- her kennen gelernt, ist man mehr in fein inneres Le- ben eingedrungen, so lernt man es auch lieben. Man legt feine Tugenden und Vorzüge in die Wagschale, und findet das Gewicht befriedigend. Es ist nicht zu leugnen, man stößt hier auf rohe Sitten, auf Gesetz- losigkeit und schlechte Gesetze, man wird vielfach ver- letzt durch die Anmaßung und durch den National- stolz der Ungarn, man vermißt bei ihnen den stärk- ften Zügel angeborner Leidenschaft, die Civilisation; aber das moralische Gegengewicht aller dieser Uebel ist weit stärker, denn mit der Rohheit ihrer Sitten ist die patriarchalische Einfalt derselben, die gerade Aufrichtigkeit und Biederkeit, mit der verlachten Nationaleitelkeit ist hohes Ehrgefühl und Begeisterung für das Vaterland verbunden, Der Ungar ist eben fo bieder und treuherzig als stolz, eben so offen als zutraulich, eben so warm und innig in der Freund- fchaft und Liebe, als wüthend und unbändig im Feindschaft und Haß. Mit feiner oft lächerlichen An- - 349 hänglichkeit an das alte Herkommen, steht im Rap- port feine eiserne Beharrlichkeit, seine streng und stolz bewahrte Nationalität, seine unerschütterliche Freund- fchaft, seine Treue und Charakterstärke. Wenn man längere Zeit im Lande gelebt, die fremdartigen Kleider abgelegt, und fich gewissermaßen nationalisiert hat, dann verliert sich auch allmählig das Abstoßende im Betragen der Einheimischen, und man tritt in die Gesellschaft. Wer in Ungarn geliebt fein will, muß erst feinen eigenen Nationalstolz ablegen, er muß ungarische Sitten annehmen, ungarische Klei- der, und vor allen Dingen einen Schnurbart tragen. Er muß selbst feinen Stolz darin fuchen, ein Ungar zu sein, und alles Fremdartige vermeiden. Um diesen Preis reicht ihm der Magiare freundlich feine Hand, und begrüßt ihn als Bruder, um diesen Preis er- kauft er sich Lebensgenuß, Achtung und Liebe. Der Edelmann übersieht dann oft den Mangel eines Di- ploms, und verehrt den Seelenadel, er theilt seinen Rang, fein Ansehen, feine Reichthümer mit ihm, la- det ihn in seinen Familienzirkel, betrachtet ihn als ein Mitglied feiner Familie, und läßt ihn ungern wieder von sich. Die Gastfreundschaft des Magyaren ist grenzenlos, und erschöpft nicht selten eine Reich- thümer, denn im Hause eines Magyaren wird der Gast aufs Glänzendste bewirthet. A - - 350 - In demselben Grade, in welchem man die Be- wohner lieb gewinnt, werden auch das Land und feine eigenthümlichen Gesetze dem Fremden theuer. Es ist wahr, das Eigenthum ist wegen des Mangels an ei- ner Polizei in vielen Gegenden unsicher, die Personen sind durch die Gesetze nicht hinlänglich geschützt, aber man ist auch der vielfältigen Plackereien einer stren- gen Sicherheitspflege enthoben, man kann das ganze Land ohne Paß durchreisen, und hat nirgends zu be- sorgen, daß freimüthige Aeußerungen von Spionen belauert werden. Man kann reifen wo und wann man will, ohne von ungeschliffenen Mauthbeamten und Polizeidienern gescheert zu werden. Gestern erlebten wir einen feltsamen Roman. Guido's Kutscher hatte hier eine Geliebte wieder ge- funden, als Frau eines Andern. Der arme Bursch war darüber in Verzweiflung, und ging feit einigen Tagen offenbar mit nichts Gutem um. Er sprach von nichts als feinem Lebensüberdruß, und übergab gestern der Frau Guido's ein Billet an feinen Herrn, der zufällig abwesend war, aber in dem Augenblick kam, als der arme Werther eben unter Schluchzen sich entfernt hatte. Man hatte ihn auf seine Kammer gehen fehen, nachdem er von feinem Kameraden Ab- schied genommen hatte. In dem Billet an Guido - - 351 war ein düsteres Vorhaben deutlich ausgesprochen. Er empfahl darin dem Herrn eine arme Mutter. Guido eilte augenblicklich zu dem Gemüthskranken, und fand den Menschen eben beschäftigt, sich mit der größten Ruhe von der Welt die Gurgel abzuschneiden. „Tod und Teufel, was machst du da?“ schrie er, und riß ihm das Rafirmeffer aus der Hand. „Ich fchneide mir den Hals ab,“ war feine la- konische Antwort. - „Unsinniger, hast du den Verstand verloren?“ „Schreien Sie doch nicht fo, gnädiger Herr, was ist denn dabei, es gibt ja noch Hälse genug. Ich mei- nestheils bin fo vernünftig, als einer im Lande, und will blos aus der Welt, um meinen Verstand nicht erst noch zu verlieren. Geben Sie mir mein Rafirmeffer, und scheren Sie sich Ihrer Wege! Wenn ich fertig bin mit meiner Arbeit, so machen Sie die Anzeige davon an die Polizei, denn die muß es vor allen Dingen wil- fen, wenn sich ein Mensch den Hals abschneidet. Dann schicken Sie meinen Leichnam in das Hochspital, und laf- fen Sie mich seciren, damit man fieht, daß ich eine gesunde Leber hatte und nicht verrückt war im Kopf. Dann laffen Sie die Stube rein machen, und sagen vor allen Dingen Ihrer Frau nichts davon; das arme Ding hat schwache Nerven, und könnte leicht eine Ohnmacht davon haben. Geben Sie mir noch einmal die Hand, dann – fort. Ich will Ihnen was Gutes wünschen – daß - 352 Sie der Teufel bald mir nachbringt, denn Sie taugen doch auch nicht her in die Lumpenwelt; ich will Ih- nen dann wieder in der Hölle die Stiefel putzen. Le- ben Sie wohl! Gott schütze Sie – in’s dreiteufels Namen!“ - Umsonst verschwendete Guido alle feine Bered- famkeit der gutmüthigsten Theilnahme; der arme Kerl bestand auf feinem Halsabschneiden. Endlich schien er nachzugeben, und versprach: „Nun gut, ich will gehen, ich will leben Ihnen zu liebe, aber wie lange, dafür kann ich nicht gut stehen!“ „Nun so versprich mir wenigstens auf heute, daß du dir kein Leid anthun willst, weine dich aus, mor- gen bist du andern Sinnes.“ „Da haben Sie die Hand darauf, – weinen werde ich nicht, ich habe in meinem Leben nicht ge- weint, als vor Wuth.“ Guido will sich beruhigen, und der arme Jack ging in den Stall, pfiff ein Liedchen, und putzte seine Pferde. Wir waren alle fest überzeugt, er habe sich nun eines Beffern besonnen, aber am andern Mor- gen fand man ihn erhenkt an der Stallthüre. Dane- ben fanden mit Kreide geschrieben die Worte: „Ich bin kein schlechter Kerl, Herr Major! ich habe mein Wort gehalden, ich habe mich erst um ein Viertel auf eins aufgehängt. Gott verzeih mirs ! – Der Solimann *) hat sich einen Nagel in den Fuß getreten und ist krump.“ Der Baron ließ den treuen Diener, der felbst in feiner letzten Stunde feine Dienstpflicht nicht vergaß, anständig begraben, und setzte der Mutter desselben einen kleinen Jahrgehalt aus. - M ä h r e n. Wann werde ich zur Ruhe kommen, wie lange leiden und Leiden verursachen? Warum entspringt kein Funke Freude aus dem trüben Herzen. Muttersegen geleitete mich, der Himmel ergoß erquickenden Regen auf die vertrocknete Flur, nur ich dürfte noch immer vergeblich nach Labung des Körpers und der Seele. Der Bleistift geht zu Ende. Wie viel todtes Werk- zeug geht zu Grunde im Gebrauche des schaffenden Geistes. Also auch der Körper, das elende gebrech- liche Fahrzeug auf der stürmischen See des Lebens. Tödtet das Unglück denn alle Todesfurcht? Kaum erinnere ich mich, daß die Cholera um mich herum wüthet und Menschen schlachtet, daß ich täg- *) So hieß ein Pferd des Majors. 23 354 lich, stündlich in Gefahr bin, von ihr gefällt zu wer- den, wie ein morscher Baum. Schönes Bild das! Christus, das Kind, läßt den heiligen Joseph an einer Blume riechen. Unter dem Bilde lümeln sich zerlumpte Kroaten auf einen Tisch, rauchen Taback und trinken Schnaps. Befeh- len Sie Bier? – die Pferde kommen fogleich. O nein – Luft. Wollen sie nicht in meine Stube treten, auf der Flur zieht es. – Hinweg Aeolus, was erzählt du mir mit deiner Wolfsstimme mein Unglück. Fort, hinaus aus dem Gemäuer, wo tau- fend Oeffnungen dir zu Orgelpfeifen dienen. B r e s l a u. Friedrich des Großen Geschmack um Schlesien ist sehr zu entschuldigen, wenn man fein übriges Land kennt. Eine Perle in der Krone Preußens nennt man es! Das Land ist reich und wunderschön, aber preußische Soldaten und Sitten paffen nicht hieher. Wenn etwas unangenehm ist in dem freundlichen Land und an den freundlichen Leuten, so ist es die Vereinigung des Nordischen mit dem Südteutschen, eine arge Mesalliance. Wenn ich ein gemüthliches Schleiermädchen am Arm eines windigen Berliner 355 Junkers fehe, eine aufgestülpte Nase, aufgeworfene große Lippen, blonde Borsthaare, gegenüber von ei- nem blühenden edel geformten Gesicht mit schönen Augen, rohen Lippen, weichen Formen, schönen - Braunen, da bedaure ich die künftige Generation, B e r lin. Schöne Häuser, schöne Straßen, schöne Straßen, schöne Häuser – das ist Alles. Mein Gott, was für ein Volk! Schweigsam zieht eine Schaar von Fuß- gängern und Wagen mit elenden Pferden gen Char- lottenburg. Fahle Gesichter, lange Tabakspfeifen, blonde Köpfe, geschmacklose Tracht, windige Zierben- gel, miserable Reiter, keine Heiterkeit. Wohin? Es ist Sonntag, fie gehen hinaus, um schlechten Kaffee und Schnaps zu trinken, – das nennen die Leute „Vergnügen.“ Das Wort habe ich überall aufge- fchrieben gefunden wie eine verlorne Sache. Das ist ein Berliner „Witz,“ wiewohl ein unwillkürlicher. Alles macht sich hier fo groß und ist so klein – das ganze Preußenthum geht auf Stelzen. Komödianten, Offiziere, Studenten, Referendäre – Alle machen Wind. Die ersten spielen Götter, die zweiten Helden und die Andern große Geister. 356 R ü ck k e h r. Schöne Gegenden ziehen an mir vorüber, aber ich sehe sie nicht. Mich treibt es fort, fort von hier, aus der dumpfen Kerkerluft – nur ein Gedanke lebt in mir – die Ferne. Diese Nacht ist die letzte, dann steige ich über die ehernen Grenzketten. G r e n z e. . Hier dieser Bach mit feinem blumigen Ufer – von jenseits ist keine Rückkehr, von diesseits kein Ent- kommen. – rasch hinüber. Und doch wieder Thrä- nen! Ach es gibt keine Liebe, die fo dauerhaft, als zu dir, mein Vaterland. Dieß Vergißmeinnicht allein entwend' ich dir, mit ihm kaufst du dich wohlfeil los von einem treuen Sohn. Ich küfe deine Erde, mein Vaterland, und meine Thränen thauen auf deine letzten Blumen. Leb' wohl, leb' wohl! ich kann nicht mehr empfindeln, meine Brust ist ausgebrannt wie eine Alarmtange. B – – – Warum soll ich mich grämen um dich, Laura? Ich plumpste hin wie ein Sack, und weinte um dich – es war mir wie Geisterbesuch. Dachtest du mein im Sterben? Die Luft war so schaurig, und die 357 Stube fo einsam. Natürlich, Alle sind im Theater, und es ist verteufelt kalt, kalt wie du, meine Laura. Du denkst meiner nicht mehr? – o nein, das wäre Sünde, mein Andenken ist dir ein Gespenst bösen Gewiffens. Wir wollen uns vergeben, du hast mich geliebt, das ist genug. Ich aber will, will dich nicht mehr lieben, und mein Wollen ist Allmacht im Kreise meines Lebens. Auch eine andere Mutter hat ein schönes Kind. - Franziska, bei Gott, du bist nicht häßlich, und gutherzig wie ein Hühnerhund. Ich liebe dich, Fran- ziska, aber ich werde dich nicht heirathen, denn du bist ein Frauenzimmer, und ich heirathe kein Frauen- zimmer. Du bist eine Grisette, aber im Grunde doch ein Tugendspiegel. Du hast keinen Mord auf deinem Gewiffen, denn du bist nicht grausam. Franziska, ich bin dir gut, denn du macht mir kein Herz weh, und im Grunde ist doch dein Fleisch so gut, als irgend eins, ja noch beffer. Wäre dein Gesicht nicht so rund, deine Lippe und Nase nicht fo aufgestülpt, du wärst ein schönes Weib, denn dein Fuß ist zierlich, dein Bau ebenmäßig, deine Brust rund, deine Haut weich wie Sammt. Und doch, trotz diefen vorzüglichen Ei- genschaften, würde ich mich deinetwegen wohl kaum mit einem Nebenbuhler schießen, ja nicht ein Mal zanken. O Franziska, hätte ich doch von jeher folge- liebt, wie jetzt und dich! 358 Heute ist mein Unglückstag – Freitag. Es ge-, hört viel Dummheit dazu, vor dem Schicksal eines Freitags Furcht zu haben, und doch – gleichsam um meine Weisheit zu foppen, traf mich jedes Leid und Weh, jedes Mißgeschick am Freitag – ja sogar zu meinen eigenen dummen Streichen mußte jedes Mal der Freitag feine Aufwartung machen. Des Morgens kam ein Mann mit Zahnpulver und C–s zu mir, und erkundigte sich um meine Zähne und noch etwas. „Haben Sie gute Zähne?“ fragte er, als ich feinen zweiten Handelsartikel wohl musterte, aber nicht kaufte. - - „Ja,“ fagte ich, „gute Zähne habe ich, wie welt- bekannt, bis auf einen hohlen Zahn, auf dem ich aber noch recht gut beißen kann.“ „Waschen Sie ihn öfters mit Myrthenwaffer,“ rieth der Quacksalber, „und kaufen Sie Hufeland's Zahnpulver von mir.“ „Gut,“ sagte ich, „und kaufte letzteres mit dem Vorsatze, keinen Gebrauch davon zu machen.“ Der Lohndiener fragte mich heute: „Wollen Sie nicht das Museum befehen?“ „Das interessiert mich nicht,“ antwortete ich. „Den botanischen Garten?“ - „Intereffirt mich nicht.“ „Sonstige Merkwürdigkeiten?“ 359 „Ditto, ditto.“ „Mein Gott, was interessiert Sie denn „Nichts!“ Seit sechs Monaten habe ich nicht gelacht, nicht gesungen, und gesungen habe ich sonst alle Tage drei Mal, des Morgens, Mittags und Abends. Schön war mein Gefang zwar kaum, keine Schmeichelei für ein künstlerisches Ohr, aber mein Gesang kam aus voller Brust, aus einem jubelnden Herzen, das die stille Freude nicht faffen konnte. Ach, und nun ist Alles hin! Freude, Gesang, Liebe und Leben. Ach Herr und Gott, kann man nichts gegen dich thun, ist. Alles gerecht, was du thut und verhängt über die hilflosen Menschen? Frevel ist Murren gegen dich, aber warum erstickst du nicht in mir die ver- wegenen Gedanken? Gib mir einen Wahn, der mich tröstet, ein Herz, das mich liebt, und einen gefunden Leib, und ich will in dankbarer Anbetung hinleben in rastloser Wirksamkeit, in Mühe und Nothdurft. Franziska sagt, ich wäre gut. „Wirklich,“ erwiderte ich, „glaubst du das?“ „Wahrhaftig,“ sagte sie, und sah mich aufrichtig, halb gerührt an. - „Ach, Fanny, nicht alle halten mich für gut. Ich bin nicht so dumm wie ein Schaf, nicht so gutmüthig wie eine Taube, darum halten mich die Wölfe für ihres Gleichen.“ 360 Wär' ich gestorben! Ein schöner Rasenhügel mit Blumen, darunter mein Geheimniß und mein müder Leib, darüber meine Lebensgeschichte: Sein Le- ben war eine Nacht mit Frost und Gewittern, mit Sturmgeheul, Eulengekrächze und Gespenstertanz. Wachend irrte er umher vom bösen Wetter gejagt, und am Morgen fank er todtmüde hin, und ent- fchlief S t i m m u n g. „Die Welt!“ sagte Star, und zog die Mund- winkeln hämisch herab, daß die Nase über die Lippen hing, nahm sein Taschentuch, schnaubte sich, stampfte mit den Füßen und machte allerlei Geberden, woraus erhellte, daß ihm der Gegenstand mißfiel. „Laßt mich ungeschoren mit der Welt,“ fchrie er endlich, „und sprecht von was Vernünftigerem, als von diesem Stall für Millionen Heerden von allerlei Bestien, wovon das edelste nichts taugt, – sprecht mir nicht mehr von einer Welt, denn es gibt nur Hölle und Himmel, aber keine Welt.“ Wollen Sie wissen, wer der hipochondrische Mylantrop ist, der also spricht, oder lächeln. Sie schon fuperklug und denken an die Allegorie der Tagesord- nung, Mephistopheles? – Meine Herren, Sie find irre, doch wann wären Sie nicht irre? Heuti- 361 gen Tages ist der Teufel in der Welt so beliebt, daß jeder dumme Schuft Mephisto spielt, blos um für ein Genie ausgeschrien zu werden. Narren affectiren Bosheit und Bösewichter Narrheit, Dummköpfe ma- chen pfiffige Gesichter, und die Gescheidesten ziehen greuliche Fratzen, um nur immer und ewig langwei- lig den Teufel zu travestieren. Es gibt kaum einen Menschen mehr, seit Göthe den Faust schrieb, den es nicht kitzelte wie Anbetung, wenn ihm auf zehn Schritte. Keiner nahe kommt, und ein Jeder fcheu zurückbebt, vor der verschmitzten Physiognomie feinen Nachbar warnend: „hüte dich vor dem Kerl, er ist ein wahrer Mephisto!“ Gefürchtet zu sein ist ein reizender Gedanke für Schafe, daher die be- liebte abgedroschene Rolle. Der Teufel ist ein Ori- ginal, das ist wahr, ein Original, das ein Hafenfuß in der Geisterstunde mit naffem Finger an die Wand malte, das nun tausend Hafenfüße bewundern und fünfhundert kopieren. - Nein, meine Herren, Star ist kein Mephisto- pheles, Star ist ein Mensch wie wir alle, wenn auch etwas klüger und mehr gallsüchtig. Er ist im Orient geboren, und als ihm dort zum ersten Mal die Sonne aufging, haschte er nach den farbigen Strah- len, und weil er sie nicht faffen konnte, wurde er zornig, schlug mit Händen und Füßen um sich, schrie wie befeffen, und ist nun seitdem stets übel zu spre- 362 - chen, auf Welt und Menschen. Kann's ihm auch manchmal nicht sehr verdenken, dem Teufel nur ist die Welt ganz recht. Keineswegs stimme ich aber mit allen feinen Urtheilen überein, vielmehr bin ich fein größter Widersacher, und wenn ich hier feine verkehrten Weltansichten mittheile, so glauben Sie ja nichts anderes, als daß ich suche die Wahrheit des Gegentheils durch den Kontrast recht grell hervorzu- heben. Also schrieb ich, und wollte am Abend nach mei- ner Ankunft im Bade ein Buch anfangen, worin ich die Philosophie meines Gefährten zu entwickeln be- absichtigte, aber kaum war ich zum Schluß des letzten Satzes der Bevorwortung gekommen, als mich ein Eckel vor dem Buchmachen überfiel, den ich nicht überwinden konnte. Pfui, Lindor, ein Buch schrei- ben wollen wie ein hungriger Gelehrter in Leipzig, ein Privatgelehrter, dann geschimpft werden, zu jenem blutlofen Amphibiengeschlecht, häßlichen Amphi- biengeschlecht gezählt werden, welches in stinkenden Stuben lebt und schmutzige Kleider trägt, und keine Handschuhe über den linkischen beschmutzten Fingern, welche Schmach! Nein, eher will ich einen Stall- knecht abgeben, denn ästhetischer ist sein Leben und Wirken. Ein Stallknecht und feine Pferde in der Schwemme, die nackten wilden Pferde, und der kräf- tig bis an die Schenkel entblößte Reiter mit Striegel - 363 und Bürste, geben noch ein Gemälde für einen Ten- nier, ein lebensfrisches Bild. Aber welcher Maler könnte ein vernünftiges Bild machen aus der Stube eines Privatgelehrten, aus aufgeschichteten Büchern und einem Mann im Schlafrock. Zudem was gibt es noch zu fagen über die Welt, was nicht schon ge- fagt wäre. Die Welt ist alt und schlecht geworden, und das Menschengeschlecht ist ein in Sünden ergrauter, ge- brechlicher, krüppelhafter Greis. Seine blühende Ju- gendkraft, das rosige Knabenalter und das Alter der mannhaften That find an ihm vorübergegangen in wüstem Mißbrauch, in entnervendem Laster, in plan- mäßiger Selbsttödtung. O wäre es nicht so ! Wäre Seelengröße und Tugend nicht Kinderspott, Herzens- adel und im Feuer des Unglücks erprobte Aechtheit, Güte, flammende Begeisterung und heldenmüthige Aufopferung nicht Fabel geworden in der Kinderstube der menschlichen Entwürdigung! Stünde die Welt noch in ihrer schroffen Größe da mit ihren grauen Abgründen und sonnigen Höhen, glühten die Sonnen noch an ihrem Himmel, und stürmten schreckenvolle Nächte an der wachenden Kraft vorüber, gäbe es nur Vernichtung und reiches Leben, nur Flamme und Eis, nur Himmel und Hölle. So aber steht die Welt zwi- fchen beiden in ihrer armseligen Flachheit, Trockenheit, mit ihren halbenQualen und ihrem halben Schmerz, A- 364 mit halbem Leben und halbem Tod, ein fades Mit- telding zwischen Größe und Kleinheit, ein Fegefeuer für Alle, eine Wüste für das dürstende Herz, ein kin- dich Schattenspiel für die kleinlichen Wünsche der pygmäisch zusammengeschrumpften Halbthiere, Men- fchen genannt, zur Schmach der größeren Vorzeit. Der Wurm des Todes nagt an dem Baume des Le- bens, des Alls, und der Winter der Zeit hat die Blätter verdorrt und die Blüthen, die Früchte sind zertreten und verfault, und aus dem Moder der Wurzeln kriecht ein häßlich Gewürme hervor, die Luft vergiftend mit dem Hauche eines übelriechenden Le- bens und feiner schmutzigen Vermehrung. ++ ++ ++ Wenn man mit klarem vorurtheilslosen Blick, mit der Selbstständigkeit des Bewußtseins feiner felbst, die hochgestellten schimmernden Sternbilder am geistigen Horizont, die angebeteten Größen der Mil- lionen, die angestaunten mißverstandenen und aus Mißverstehen verehrten Apostel des menschlichen Gei- fes, die größten Heroen der Denk-, Dicht- und That- kunst näher betrachtet, den einzelnen Menschen fieht in feiner alltäglichen Gewöhnlichkeit, nackt und baar jedes phantastischen Ueberzugs, den ihm eine Welt voll Thoren umgeworfen, fo werden die meisten fo- 365 genannten Riesengeister in lächerliche Zwerggestalten zusammenschrumpfen, und in ihre natürliche Kleinheit zusammenstürzen von der Sternenhöhe des Wahns. Was ist das Ziel des Denkens, Dichtens und Wir- kens anders, als Streben nach Wahrheit, nach voll- kommener Anschauung des eigenen Daseins in feinen geheimnißvollen Verhältniffen, geistigen Verbindungen und feiner unerforschlichen Lebens-Fortpflanzung? – Was ist unser Wirken? – vielleicht nichts mehr als ein willenloses Kochen und Gähren der inwoh- nenden Stoffe zur einstigen Klarheit der Form und das Wesen, aus allen Erdenwürmern, die wir uns Herren der Schöpfung schimpfen, und uns in Staub und Elend, in niedriger Gemeinheit und Leer- heit wälzen, keine Ahnung von der ernsten Bedeutung des Alls in uns tragen, als die Vermuthung eines höheren Geistes und die eitle armselige Erhabenheit, den Bauern stolz unserer Gewalt über noch ohnmächtigere Geschöpfe? Was ist das angeblich so beglückende Gefühl unserer Größe, vermöge welchen wir höhere Lebens- bedeutung, Macht und Geisteskraft haben, als der un- ter unseren Füßen wühlende D–ckkäfer, der densel- ben Stoff an sich, in sich, und um sich trägt und be- arbeitet, der uns ausmacht, den wir an uns nur in scheinbar edlerer Form erblicken, die eine mit uns spielende Macht gleich dem Bildner, der eine Idee mit drei Griffen in den Lehm drückt, zum Spielwerk 366 oder zur Verfinnlichung dessen, was er später in Marmor zur ewigen Dauer schafft. Prüfet ohne knechtische und blinde Popanz-Verehrung das ganze erlauchte geistige Adelsgeschlecht unserer fogenannten großen Geister, durchwühlt die geistisprühenden Schrif- ten aller berühmten Autoren, beurtheilt die Großtha- ten aller glänzenden Namen, und aus der Welt voll Finsterniß, Dummheit und Eitelkeit, die sich euch auf- thun wird, in ihren Leben, Wirken und Werken wer- det ihr nicht mehr Weisheit und Wahrheit finden, als drei Worte umfaffen können zur Moth, und wer- det nicht klüger und nicht größer werden, habt ihr alles begierig ausgesogen wie köstliche Himmelsspeise, und euren Hirnkasten angefüllt mit Bombast und Thorheit zur fchnelleren Reife des Wahnsinns oder der Ueberzeugung, daß ihr darum nicht klüger und beffer seid, als der Dümmste unter allen Dummen. Wahrlich die Größe dieser Männer, dieser Abgötter unserer Verehrung, besteht in nichts anderem, als in dem Ungeheuren ihrer Thorheit, der Geist, Witz und Funke aller Poeten, von Homer bis auf den letzten aller Dichter, der einst am jüngsten Gerichte im Na- men des ganzen Geschlechts fingen wird: „Pater pe- cavi“ in glänzendem Spielzeug, und die Welt, in der fie träumten und weinten, ist am Ende nichts als das schöne herrliche mit tausend und tausend Blumen, Sternen, Sonnen, mit Liebe und Traumbild, mit 367 Köstlichkeit und Pracht ausgestattete, von tausend und tausend Urgeistern, Weltgeistern, Erdgeistern, Gott- heiten, Elfen und Zwergen, Hexen und Engeln, Teu- feln, Midgardschlangen ac. bevölkerte Reich des Un- finns. Dieses Reich ist die Sphäre unserer Kraft, das Geburtsland unserer Begriffe, die Quelle unfe- rer Weisheit, der ersehnte Himmel unseres Empfin- dens, die Wiege unseres Herzens, der Thron unseres Verstandes. Wir haben keinen Maßstab als uns felbst, für uns felbst, und die größten unterschiede er- geben sich nur aus ewiger Täuschung, und das Licht unserer Thorheit vergrößert und verkleinert wie Ferne und Nähe, und den optischen Bau des durchsichtigen Raums, durch den wir schauen, und wie uns die Welten am Himmel klein und elend vorkommen, un- ferer Blindheit wie Kerzenlichter und Irrwisch, fo fe- hen wir durch Mikroskope den Panzer eines Flohs für einen Weltkörper an. Schließe ich mit der Betrachtung des Lebens- zwecks. Gibt es ein närrischeres Ding als diesen ? Der Mensch lebt um zu sterben, und glaubt zu ster- ben um zu leben. Manche glauben, ihr Lebenszweck sei edler und voll hoher Bedeutung, aber keiner kann diese Bedeutung enträthfeln, und alle leben nur um zu genießen, und wirken eben darum. Wir sind nur schlechte Maschinen, und erstehen aus dem Staube, wie die Pflanzen, blühen und vertrocknen, je nachdem 368 es Winter oder Sommer ist. Der Glaube und die Weisheit des Menschen hängt von Umständen ab, und vom Klima, und die Philosophie ganzer Natio- nen fußt darauf. Die Türken sind Fatalisten aus natürlicher Trägheit u. f. w. Wer kann da fagen, wer recht hat, welcher Mensch, welches Volk, welches Jahrhundert, welche Jahreszeit mit ihren Einflüffen auf den menschlichen Geist? Es gehört nicht mehr dazu, als daß ein Philosoph ein Mal eine harte Oeff- nung hat, um die Glaubenssysteme eines Jahrhun- derts zu stürzen. >- „Habe ich dir nicht schon oft gesagt, du sollst dir das Denken abgewöhnen, sonst wirst du verrückt.“ Bin ich es noch nicht? – fchon ist keine Ord- nung in meinen Gedanken. „Nein, du hast noch einigen Verstand.“ Verstand, o ja, genug, um verrückt zu werden. Warum kann man seinen Verstand nicht ausge- ben wie eine Münze, ich würde so lange von meinem Reichthum verschwenden, bis ich ein Bettler würde. „Gott sei Dank!“ würde ich dann fagen, wenn ich fertig wäre, „ewiger Dank, daß ich endlich so dumm bin wie eine Gans, und in jedem Dreck einen Ge- nuß finde.“ Denn wie menschenfreundlich könnte ich da sein, wie vielen Leuten aushelfen, denen es ge- bricht – ich werde ordentlich gerührt von dem groß- herzigen Gedanken. Gott! du weißt es, wie fromm 369 ich bin, und wie gerne ich von diesem Reichthum gäbe und mein Geld behielte, welches die Menschen ohnedieß nur unglücklich macht und elend. Ich will mich ja aufopfern, Menschheit, für dich, nehmt ihn hin meinen Verstand, und gebt mir euer Geld, ich will es tragen für euch alle, das Mißgeschick des Reichthums: ohne Verstand. Der Mensch hat bei all seiner Thorheit noch zu viel Geist für diese Welt und ihre unerforschlichen Geheimniffe. Es ist kein Verhältniß zwischen ihm und dem Körper. Der Körper ringt, krümmt sich und zerbricht unter der Last des überwältigenden Geistes. Warum hat der Mensch nicht die Körperkraft des Löwen, daß seine physische Stärke, vereinigt mit der des Geistes, ihn zum Gotte machte? Warum diese elende zerbrechliche Maschine in solchem Mißverhält- niß zu dem ungeheuren bewegenden Princip, warum ewigen Mißklang in diesem Bunde, warum nicht kraftverdoppelnde Einheit? Nistet und nagt denn die Seele an den Wurzeln des Körperlebens, glüht der leicht zur Flamme entfachte Funke unter zerbrennli- chem Staub, den die Flamme frißt, wie trockene Spreu? Warum wüthende Brandung am schwachen Kreidefels? Ist es schon ein großes Unglück, Verstand zu haben, so ist es ein um so größeres, mehr Verstand zu haben, als die Menschenkinder gewöhnlich haben. - 24 370 Es gibt kein drückenderes Gefühl, als das der geistigen Ueberlegenheit über Andere. Wenn man feine eigene Thorheit ermißt, und doch fieht, wie hoch man über den Haufen steht, über Leute, die oft für geistreich gelten, wenn man einer Hunderten fuchen muß, bis man Anklang findet, wenn man tausend Mal in die Wüste ruft, bis ein Echo zurück, da steht man so einsam in der Welt, und wird sich fel- ber gram. Da möchte man oft hinaus, hinaus, die Last der eignen Existenz abschütteln, und verwünscht das gemeine Gewicht, das uns an den Staub feffelt. Woher diese reißende Sehnsucht, die uns von hinnen treibt, fort, fort, und hat man die Welt durchrast, und fich und fiel nicht begriffen, und hat man zwei Menschenalter hinter sich mit tausend Unglück und ei- nem Tropfen Freude vermischt, so ist man noch nicht zur Stelle, will immer, immer fort fort! Wenn ich in den Himmel fchaue, da möchte ich mit den Ster- nen stürmen durch das All, in den ewigen Raum, wo mich nichts hinderte an ewiger und ewiger Be- wegung! Flug, Sturm, Blitz, Gedanke! ihr feid mir zu träge, die Bewegung zu bezeichnen, in der sich meine Kraftgefühle, und aller Raum, den unser Ge- danke faßt, ist mir zu klein, zu eng – es ist nicht möglich, nein, nein, es ist nicht möglich, daß ich auf hören kann, zu fein! Ich fchreie hinaus zu dir und 371 in dich, Wahrheit, Tod, Licht, Zeit, All, Gott! Gib mir Licht, Raum, Ruhe! Die Ewigkeit allein ist’s, was sich denken läßt, alles Endliche, alles Sterben, Aufhören ist unbe- greiflich, undenkbar! Des Menschen Geist ist allmächtig. Will nur, und du bist Gott will nur, und du siehst das Innerste der Erde, kennt das Geheim- niß des Welten-Baues, bringt die Zeit zurück aus ihrem Grabe, und macht Jahrtausende der Zukunft zu Momenten der Gegenwart! Du kannst alles, was wahr ist, aber da beschleicht dich oft die Lüge der Ohnmacht, und du bist ein Wurm. Wenn du nie spielen konntest mit Sternen, wenn du die Erde nie sahest, als Sonnenstaub, das Licht der Sonne nie trankt mit einem Blick, daß es finster wurde auf al- len Welten, dann hänge dich an den nächsten Baum, denn du bist ein Lumpenhund. Denke es, und die Erde zittert, denke, und du erdrückst deinen Stern in der Faust, denke es, und die Weltgeschichte – nicht die armselige Geschichte des Menschen und seiner Erde – nein, die Geschichte der Welt steht ein Geist vor dir! Dein Athem ist Erdbeben, dein Blick ist Allgewalt, ein Donnerruf deine Stimme, und die Sphären brechen zusammen unter deinem Fuß. Fü- gen und Trennen ist Schaffen und Vernichtung, nur du stehst ewig vom Anbeginn und athmet Welten! Raserei, du bist die Gottheit! 24 % 372 Das Heirat hs-Project. Als ich am andern Morgen aus dem Bette stieg, war ich ein ganz anderer Mensch. Der Bade- diener, der mich Punkt drei Uhr zu wecken kam, und der auch heute wegen seiner Pünktlichkeit mit Flüchen empfangen wurde, war höchlich erstaunt, mich in der fröhlichsten Laune bereits angekleidet im Badekostüm zu finden, und hörte nicht auf, mir Lobprüche zu er- theilen über meine Heiterkeit Der arme Kerl, der sich jeden Morgen von einem Griesgram hudeln lagen muß für ein paar Thaler, dauerte mich mit seinem Hinkebein, und ich bat ihn aufrichtig, er möchte es mir nicht übel nehmen, daß ich ihn so oft barsch angelaffen habe. Dann bestellte ich den Wagen Punkt neun, und ging ins Bad. Während der dreiviertel Stunden Siesta machte ich mir einen neuen Lebens- zian. Alle die Narrethei aus dem Kopf zu werfen, und all das garstige Zeug aus meinem Herzen, war mein ernster Entschluß, und als ich aus dem Bade stieg und in meinen Mantel gehüllt die frische Mor- genluft begrüßte, schien mir der Himmel freundlicher als je. Die Weiber haben dich zu Grunde gerichtet, die Weiber müffen dich kuriren, sprach ich mir zu, und kleidete mich an. Du bist noch jung, fuhr ich fort, und bürstete mir die Haare aus, und hat Augen, Augen – wie Laura selbst sagte, die ihr das Herz 373 verrückt hätten. Dein Gesicht ist blaß, aber interes- fant, und wenn du immer ein fröhliches Gesicht mach- test, so – wie jetzt, fo wärest du doch so übel nicht, und könntest noch ein Mal auf verliebte Abenteuer ausgehen. Seelenvergnügt fetzte ich mich in den Wagen, und fuhr davon. Die Schneekoppe grüßte mich, und zog ihre Schlafmütze; die Sonne freute sich über meinen Frohsinn. Lustige Vöglein zwitscherten mir ei- nen fröhlichen Morgengruß, und der leise von der Sonne schon gewärmte Morgenwind murmelte: So recht, guter Junge! Dicht an der Straße auf engem Fußpfad schritt ein freundliches Mägdlein einher, mit hochgeschürztem Röckchen, damit die vom Morgenthau benetzten Grä- fer und Blumen den weißen Saum nicht näßten, und rief mir munter zu: '- „Schön guten Morgen!“ Schön guten Morgen, mein Schatz Weiber, Weiber, wie lange habe ich euch verkannt. Vergebt mir, ich kann, muß euch wieder lieben. Des Lebens schönste freundlichste Begegnung ist ein liebend Weib. Ein Leben ohne Weiber ist ein Leben ohne Liebe, und ohne Liebe ist die beste Hälfte des Menschen todt. Liebe, Liebe, welch' ein schönes heiteres Wort, welch' eine große herrliche Empfindung! 374 Es ist unbegreiflich, wie wir in der Sprache und im Symbol fo erbärmliche Ausdrücke und Zeichen, meistens kindischen und kindlichen Sinnes für die Liebe aufnehmen und beibehalten können. Es gibt nichts Ernsteres, als die Liebe, und doch treibt man lächer- liches Poffenspiel mit ihr; es gibt nichts. Mächtigeres als die Liebe, und was ist ihr Bild – ein blindes Kind. Die Liebe follte man verfinnlichen als einen Riesen, der die Welt umarmet, der mit Sternen spielt und Sonnen, denn wer ist die Liebe und der Riese, als Gott? Als Zwerg steht der gestrige Mensch unter sich, ist in ihm heute die Liebe erwacht. Sie erhebt ihn über sich felbst, und gibt ihm ungeheure Kraft zur unge- heuren That. Wer wäre so groß und fo herrlich, daß er sich einem Liebenden gleichstellen könnte, wer wäre so tugendhaft, die Tugend eines Liebenden aufzuwiegen, wer so voll hoher göttlicher Gesinnung als der Liebende!? Wirf dich in den Staub, kaltes Gewürm, Menschheit, vor einem Liebenden, die Völ- fer aller Zungen, die Zeit aller Jahrhunderte foll ihn verehren, den göttlich großen Unglücklichen. Liebe ist der Geist des Alls. Unter duftenden Blumenkel- chen wehen Zephire ein flüsterndes: Liebe, im azur- nen Himmel flammt das Himmelsauge: Liebe, und die Donner der Stürme brüllen Liebe über den er- fchreckten Erdball, und in der ewigen Bahn der krei- 375 fenden Weltsphären steht es in Sternenschrift geschrie- ben: Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, allüberall, im Blühen, im Leben, im Tod, in Vernichtung, in Ewigkeit. Die Liebe des Menschen ist das Weib. Wehe dem männlichen Gemüthe, das feiner Liebe eine an- dere Richtung gibt, als diese ihm natürliche, defen Kraft gegen die Gesetze der Natur ankämpft, und sich im Irrthum an die Materie klammert. Die ewige Bewegung des Weltalls zermalmt das Herz, das im Wahnsinn fich vom Herzen trennt, das mit feiner ir- dischen Schwäche nach Ueberirdischem strebt. Die Liebe der Semele ist ihr Tod, die Umarmung des Donner- gottes vernichtet das verwegene Herz. Das Weib ist die lebendige Ergänzung der Vollkommenheit des Menschen. Mit dem Manne vereinigt, wird sie ein Ganzes, und die Mängel aller irdischen Schöpfungen decken sich in der Vereinigung der Liebenden. Die Natur hat den Mann geformt aus Kraft und Größe, das Weib. aus Schönheit und Grazie. Dem Manne gab sie muskulöse Gliedmaßen und Spannkraft, dem Weibe die weichen zarten Wel- lenformen der Schönheit und weiche Hingebung. Dem Manne gab sie ein starkes, trotziges Gemüth, Festig- keit des Willens, glühende Begierde, einen helleren Geist und Muth; dem Weibe mildernde Sanftmuth, kindliche Lenkfamkeit, warme erquickende Liebe ohne zerstörende Blitze, und löste den Geist auf in lauter 376 Empfindung. Der schroffen Kraft des Mannes schmiegt sich ihre Liebe an, wie der Epheu an nacktes rauhes Gestein, warm bedeckend, zart bekleidend mit milderen Gestalten der nackten Felsen rauhe Gewalt. Mit dem Manne vereinigt entwickelt sich erst ihre schönere Natur, und ihre Schwächen werden rei- zend, und ihre Liebe wird stark. Den nimmersatten Begierden des Mannes stellt sie ihr genügsames, von einem Bilde ganz erfülltes Gemüth dar, und wenn der Mann in tobender Luft nach den Sternen feine kühnen Arme ausstreckt, umarmt fiel den einzigen Mann, und ihre Welt ist eine Brust. Was er zer- stört in blinder Wuth, baut sie wieder auf mit ihrer unerschöpflichen Liebe; die Wunden feiner ewigkämpfen- den Sehnsucht heilt sie mit dem Balsam ewig treuer Anhänglichkeit, unaufhörlicher Sorgfalt. Unter diesen heiteren Gedanken besah ich mir die duftenden Thäler, und trank die Wollust des Natur- genuffes. Aber aus den Schluchten Rübezahls rauch- ten kalte Wolken und verhüllten den Tag. Im Sturm verweht waren die lichten Gestalten, und mürrisch legte sich der Himmel auf die warme Erde, die Gluth ertödtend mit feinen kalten Gewändern. Gähnend reckte sich Star, und zog den Mantel über die Schultern, und steckte das Gesicht bis an die Nase in den warmen Pelz. Dann zog er die Augenbrau- nen zusammen, und den Mund spöttisch lächelnd 377 herab, räusperte sich, spuckte weit hinaus in den Sturm und sprach: Wenn du anders die Geduld hat, mich anzu- hören, fo will ich dir beweisen, daß das Weib just das Umgekehrte von allem dem ist, was du mit vie- ler Mühe und großem Aufwand von Gelehrsamkeit und Phantasie demonstriert hast. Du behauptet: das Weib ist fanft, nichts als pures Gefühl und Herz, fo daß ein Paar wirklich nur einen Menschen machte, wovon der Verstand der männlichen Hälfte, das Herz der weiblichen zukäme. Ich aber beweise dir, daß das Weib das grausamste, herzloseste, aber verstän- digte Thier unter allen Bestien ist, und daß man in gewiffen Dingen eher einen Stein zu nußgroßen Thränen rühren kann, als ein Weib zum Erbarmen. Beleidige ein Weib bei der Eitelkeit, und wenn du dich willst rädern laffen vor ihren Augen, so wirst du Gelegenheit haben, zu bemerken, daß ihr das ein unaussprechliches Vergnügen verursachen wird. Erst wenn du kein ganzes Glied mehr am Leibe hat und zerbrochen bist, wie eine eingekerbte Kalbskeule, dann wird sie unfehlbar eine Ohnmacht bekommen, und mit Konvulsionen andeuten, daß es ihr herzlich leid thut um dich. Solltest du das Unglück haben, dereinst eine Ehehälfte zu bekommen, fo wirst du ohne Zwei- fel dich von der angeborenen Herzenshärte des Wei- bes näher zu überzeugen. Du wirst finden, daß Mi- 378 lady Lindor über die Leiden eines Menschen, der sich in den Finger geschnitten, Thränen vergießen kann; du wirst ferner bemerken, daß die Zustände bekommt, wenn du aus der Nase blutet, aber du kannst dich verlaffen darauf, daß fie sich freuen wird, wenn der Gemahl ihrer Schwester, der diese schöner und lie- benswürdiger gefunden, unter den entsetzlichsten Lei- den an der Eholera verendet. Wagst du es endlich gar, wenn auch aufs zarteste und gutmüthigste, kleine Schwächen und Fehler zu rügen, oder auch nur zu behaupten, daß nichts auf Erden vollkommen, folglich auch kein Weib, fo wird sie es je eher je lieber sehen, wenn du lebendig bratet. Dabei ist das Weib ganz und gar unversöhnlich, wenn sie einmal haßt. Da magst du dir die Kniee abschinden, um fiel zu rüh- ren, oder heulen wie Werther, es wird dir nichts nützen; drohe mit Selbstmord, fo wird sie fich alle Mühe geben, dich in deinem Vorsatz zu bestärken, denn es ist gar zu schön, romantisch, und fchmeichelt ihrer Eitelkeit ganz außerordentlich, wenn sie fagen kann: es hat sich ein Mann ihretwegen erschoffen, erhängt, erläuft oder auf was immer für eine Art aus der Welt geschafft, je gräßlicher, desto beffer. Frei- lich vor ihren Augen würde sie es nicht gerne fehen, wenn du das blutige Drama aufführen wolltest, denn da gibt es Mancherlei zu bedenken, als vor allen Dingen die Gefahr, ein neues Kleid mit Blut zu be- 379 fudeln, was sie in ihrem Leben nicht vergeffen könnte, die Zartheit ihrer Nerven, denen durch ein solches Schaufpiel leicht Schaden zugefügt werden könnte, der Stubenboden u. dergl. Willst du dir aber hübsch weit von der angebeteten Dulcinea eine Kugel in den Kopf jagen, oder dich an einen Baum hängen, fo kannst du ihr keinen größeren Gefallen thun, beson- ders wenn du vorher einen offenen Brief hinterlaf- fen willst, mit den Phrafen: „Engel! leb' wohl und glücklich – ich konnte nicht leben ohne dich – verzeih mir, unaussprechlich Geliebte! – bete für mich – in einer Stunde bin ich nicht mehr!“ – und derglei- chen mehr. Das macht Eindruck und rührt die Leute bis zu Thränen. Dann bekommt die Dame ihre Vapeurs, sieht blaß und schwermüthig aus, kokettiert mit dem Mond, und liebt dich hinterdrein: „Guter, unglücklicher Julius“ wird sie feufzen, „Eduard, Mi- chel, Christoph oder wie du heißen magst, – ach – ich liebte dich, aber ich wußte es nicht, – jetzt erst fühle ich die Qualen meiner unglücklichen Liebe – warum mußtest du sterben? – warum muß ich le= ben?“ u. f. w. – Mich eckelt es an, all die roman- tischen Stoßseufzer anzuführen, die bei solchen Gele- genheiten stereotip find, du kannst sie in jedem Ro- man, in allen Variationen finden. Heirathet dann Donna einen Andern aus Verzweiflung, um nicht 380 fizen zu bleiben, so hat der arme Teufel die Hölle auf Erden, denn bei dem geringsten Anlaß wird er es gewiß zehntausend Mal hören müffen, daß der Er- hängte, Erfäufe oder Erschoffene ganz ein anderer Mensch war, als er ist. Glaube mir, Lindor, es gibt eine Seelenwanderung, fonst könnte es keine Krokodile geben. Mich wundert nur, daß es deren fo wenig gibt, da doch so viele Weiberseelen aus den mensch- lichen Leichnamen ausfliegen. Du behauptet ferner: das Weib ist allein treu und fähig, sich einem liebenden Herzen auf ewig hin- zugeben. O du verstockter Dummkopf! Höre, du weißt doch die Geschichte vom Pfaffen vom Kahlen- berg, der einst den ganzen Hafervorrath des österrei- chischen Herzogs davon schleppte, als dieser ihm er- laubt hatte, einen Sack voll zu nehmen – denn er nahm: Eine Plahen ohne Maaß Und machte daraus einen Sack so groß, Den mocht er nicht heben noch tragen, Er legt ihn auf feinen Wagen; aber dieser riesige Sack ist nur eine Schürzentasche gegen den Herzenssack eines Weibes! Wenn nicht wenigstens fünfhundert Männer, wovon jeder so groß und dick fein kann, wie der riesige Bengel, den der alte Fritz in feinen Diensten hatte, hinlänglichen Raum haben in dem Herzen eines Weibes, so will - - - - - - - 381 ich von der Stunde an, in der du mir das Gegen- theil beweifelt, die Weiber unter die Menschen zählen! Das Weib ist unbeständig in der Liebe, unbe- ständig in der Tugend, unbeständig im Verbrechen – daher entsteht alles Unglück. Es gibt kein Weib, das so tugendhaft wäre, daß es nicht fallen könnte; es gibt kein Weib, das so verworfen ist, daß es sich nicht auch eine Zeit lang beffern könnte. Daraus folgt, daß eine wie die andere ist, und alle miteinan- der nichts taugen. Die Weiber sind nur darum da, damit man wieder Männer machen kann, und haben keinen andern Beruf, als den, zu empfangen und zu gebähren. Dazu brauchen und haben sie auch keinen Verstand, woraus sich ergibt, daß ein geistreiches Weib gewiffermaßen ein Hermaphrodit, ein Druckfeh- ler der Natur ist. Wenn du aber dieß nicht glaubt, fo wünsche ich dir, daß du von der nächsten besten Tugendheldin die F–n bekommt, damit du anderen Sinnes werdest. Als ich nach Hause kam, brannte ich mir eine Cigarre an, und hielt folgendes Selbstgespräch: Lindor, lieber Lindor! – hörst du nicht? Nein. - Warum so trotzig? Du bist ein Schuf. Du lügst, ich bin dein guter Geist. Willst mich verführen, mich verderben! Ich meine es gut mit dir, du mußt schlechter werden, um besser werden zu können. Was soll ich nun wieder? Du sollst dich verstellen! Die alte Leier! ich will nicht, ich kann nicht, ich werde nicht. Die Leute fagen: du bist ein grober Schlingel, hast kein Gefühl – Das ist eine Lüge. Sie sagen, du hast Verstand. Das ist wieder erlogen. Aber kein Herz. Ironie! - Was hilft dir dein Bewußtsein, daß du ein her- zensguter Narr bist, nimm lieber Vernunft an, und halte die Leute zum Narren. Du willst heirathen, da muß man feine guten Seiten nach Außen kehren. Wer mich nicht will, wie ich bin, den mag ich nicht. Gut! aber Niemand weiß, wie du bist. Gleichviel. So heirathe lieber gar nicht, du begehst zehn Thor- heiten auf ein Mal. Ich denke nur eine. - 383 Zehn, lieber Lindor, glaube mir. Er ist ein s, du willst heirathen, das ist die Universal-Thorheit; Zweitens, du willst bald heirathen, das ist die zweite Thorheit; Drittens, du willst keine Frau mit Geld, das ist die dritte ; Viertens, du willst eine schöne Frau, das ist die vierte; Fünftens, du willst deine Frau allein haben, das ist die fünfte; Sechstens, du willst dich in deine Braut verlie- ben, das ist die sechste; Siebenten s, du willst eine junge Frau haben, das ist die fiebente, du mußt eine alte nehmen; Achtens, du willst eine gesunde Frau, das ist die achte, sei froh, wenn sie bald stirbt; Neuntens, du willst deiner Frau treu werden; das ist die neunte; Zehntens, du willst als Ehe- krüppel ein Philister werden, das ist die zehnte. Ich will einmal, wenn du mir nicht helfen willst, daß ich auch kann, fo magst du deinen Witz sparen, und ich werde mich ersäufen. - Das wäre am Ende dein einziger vernünftiger Streich, man würde dir die Grabschrift machen: „Er war ein Narr fein Leben lang, und that nur einmal etwas Vernünftiges, indem er sich aus der Welt schaffte.“ Aber gut, ich will dir helfen zu deiner großen Thorheit, denn du allein hat nicht einmal Witz ge- nug, um dumme Streiche zu machen. Versprich mir nur heute Gehorsam, und du kannst mich auf ewig 384 aus deiner langweiligen Gesellschaft verbannen, wenn du das Ziel deiner Narrheit nicht erreicht. Topp! es gilt, was muß ich thun ? Vor allen Dingen mußt du sentimental sein, und mich, als deine vernünftigere Hälfte nie zum Wort kommen laffen. Du weißt, ich spreche immer übel von dir, und doch läßt du in Gesellschaft nur immer mich sprechen. Zu Hause weinst du dann, wie eine H–e. Weine lieber in Gesellschaft, und lache zu Hause. Nimm dir ein Beispiel an dem fa- den Gesindel, das deine Donna umschwärmt, bewun- dere mit abgedroschenen Floskeln die Schönheiten der Natur, laß dich zu Thränen rühren von dem Castra- ten - Gesang des Baron ZF, und brülle nach jeder musikalischen Prodution dein Bravo hinterdrein. Mache allen Damen die Cur, und schmeichle ihnen fo unverschämt als möglich. Kurz, du mußt mit Ge- walt liebenswürdig werden, und sollte es deinen Ver- stand kosten, daran ohnehin nicht viel gelegen. Gut. – Nachmittags ging ich in Gesellschaft. Zwei Stunden lang hatte ich vorher Toilette gemacht, und - geputzte Stiefel angezogen. Meine Haare trofen von Pomade, so daß ich ersticken wollte vor Gestank. In der Hand hielt ich einen mächtigen Blumenstrauß, 385 / von der Größe, wie man sie in Stein gehauen auf die Hausthüren setzt. Kostete mich vier gute Gro- fchen, den Marqueur zu bestimmen, daß er mir alle die Blumen, welche seit vier Tagen auf der Gesell- fchaftstafel paradierten, vermittelt eines zwei Ellen langen Bindfadens zusammen band; ich wollte mit dem Strauß, wenn ich wieder nach Hause käme, den großen Schöps füttern, der sich in unserem Hause her- umtrieb, und alle Leute stieß, die sich meiner Woh- nung näherten. Benützte vor der Hand den gewal- tigen Heubündel, die Wespen und fonstiges Ungezie- fer von mir abzuwehren. Die Taschen aber hatte ich mir vollgesteckt mit einem Pfund Bonbons, Kirschen und anderem Obst, welches ich mir durch meinen Be- dienten, mittelst eines Aufwandes von sechs guten Groschen, zu dem Behufe hatte einkaufen laffen, da- mit die mir allenfalls unterkommenden Kinder in der Gesellschaft abzufüttern, auf daß man mich für einen fcharmanten freundlichen Mann hielte, und die Jun- gen mir bei den Alten das Wort redeten. Also ge- rüstet mit bestechender Liebenswürdigkeit fähritt ich in stolzem Kotturn, auf wohl mit Eisen und Nä- geln beschlagenen Stiefeln, in den Salon. Alsbald mich aber die versammelten Damen mit fo großem Vorrath von Blumen anfichtig geworden waren, stürzten sie unter Lachen und Geschnatter, wovon mir jetzt noch meine Ohren gellen, auf mich 25 386 los, und polierten mich dergestalt, daß mein Project, bezüglich der Fütterung des oben erwähnten Schöp- fes, vereitelt wurde. Wie ich nun dastand mit mei- nen zwei Ellen Bindfaden und den triefenden Blu- menstengeln, welche mir die Damen großmüthig überlaffen hatten, fah er fo ziemlich aus, wie der Schöps ausgesehen haben würde, hätte er gewußt, welches Unglück ihm so eben passiert war. Wie gewöhnlich, wenn ich nicht weiß, was ich mit den Damen anfangen foll, was fich, nebenbei ge- sagt, sehr häufig ereignet, zog ich mich zurück, mengte mich unter die übrigen Männer, denen es eben so ging. Ich näherte mich dem Grafen Y. Ich hatte es nun schon oft versucht, mit dem Mann ein ver- nünftiges Wort zu sprechen. Aber da will ich lieber den türkischen Sultan zur katholischen Religion be- kehren, als den Tropf bewegen, daß er Stich hält. Sobald er mich ansichtig wurde, und meine Annähe- rung bemerkte, zog er sich hinter feinen Nachbar zurück, und wiederholte das Manöver einigemal. Es liegt aber nun einmal in der menschlichen Natur, daß wir das fuchen, was uns entflieht, und so kam es denn, daß ich so erpicht wurde auf den Grafen, und ihn so lange verfolgte, bis er mir nicht mehr entkommen konnte, ohne mich über den Haufen zu rennen. Ich fah ihn gerührt an, er aber schnitt ein Gesicht, wie ich es nur einmal in meinem Leben ge- - 387 fehen habe, an einem Knaben, der in einem natürli- chen Kürbis ähnliche Bonbons und Spielsachen zu fin- den glaubte, wie er an feinem Geburtstag in einem künstlichen erhielt, als ihm die eckelhafte Sauge über die Beinkleider rann. - Sieh nur, der kann dich nun auch schon nicht leiden, rief mein Satan. Warum ? - Ich habe dir fchon so oft gesagt, daß es der Graf Y. ist, aber immer vergiffest du es wieder. So nenne ihn doch einmal: Herr Graf! Herr Graf, Sie ennuiren sich hier. Pst! das war dumm, das kam heraus, als ob er ennuiant ausfähe. Das thut, er wirklich. Hm! hm! brummte der Graf, und ging ab. Mein Gott, wer wird denn so offenherzig sein, du machst dir alle Leute zum Feinde. Laß mich, laß mich. Wenn ich den Leuten nicht recht bin von vorn, fo mögen sie mich von hinten nehmen. - Nein, du mußt die Leute von hinten nehmen, damit sie vorn auf die Nase fallen. Hol euch – dieser und jener. 25 % 388 Ich ging zu den Damen über, um hier mein Glück zu versuchen. Ich hatte mittlerweile Muth und Laune gesammelt, aber mit der Demuth wollte es nicht recht gehen, und mir war, als ob ich auch eben nicht fehr zur Artigkeit gestimmt wäre. Die Grobheit krabelte mir durch den ganzen Leib, und wollte überall heraus, wo nur ein Loch war. Sei nicht blöde, lieber Lindor! Bewahre. - Ich fetzte mich, während alle übrigen Männer fanden. Trotz dem – ich weiß nicht, durch welches Verhängniß und wodurch ich Veranlaffung gegeben hatte, denn bei allen Teufeln schwör' ich's, ich war unschuldig daran – kam es einer Dame bei, etwas zu meinem Lobe zu fagen! Geschwind, Lindor, werde roth! rief ich mir zu. Ich hielt den Athem ein, fenkte mein Haupt, drückte mir auf den Magen, daß mir das Blut in den Kopf stieg, und zeigte mein fchamrothes Gesicht. „ , , Bist du auch wirklich roth? Ja, ich glühe. Ein kleiner Spiegel, den ich stets bei mir trage, um von Zeit zu Zeit darin zu sehen, daß ich noch nicht der Häßlichste bin, unter den Häß- lichten der Erde, überzeugt mich hiervon. Die Toll- ader liegt da, wie ein Strick. - Sag ihr doch etwas Verbindliches – fo unver- schämt als möglich. 389 Mein Fräulein, schrie ich, daß die ganze Gesell- fchaft es hören konnte, Sie find die Königin des Festes! - Plumper Mensch! las ich - auf allen Gesichtern. Jetzt hast du es mit allen übrigen verdorben, wenn die dich nicht mag. Das mußt du wieder gut machen. Nächst Ihnen und den übrigen, flüsterte ich leise zu meiner schönen Nachbarin, um mir wenigstens nur eine Freundin zu erwerben. Diese aber hatte nichts Eiligeres zu thun, als meine Aeußerung der von mir gewählten Königin des Festes zu hinterbringen. Sie treiben Spaß mit mir, sagte diese kalt und schneidend. - Ich stammelte verlegen. Geh' fort, Lindor, du bist hier überflüssig Hol' euch der –. Als ich nach Hause kam, und mit wüthendem Hunger über das Abendbrod, welches ich einmal heute in der besten Gesellschaft mit mir selbst verzehren wollte, herfiel, nachdem ich eine köstliche Rehpastete verschlungen, und eine Flasche Burgunder über mein betrübtes Gemüth gegoffen hatte, erwachte in mir das 390 Gewiffen, und ich ermangelte nicht, in der Zer- knirschung meiner Seele gebührendermaßen Reue und Leid zu erwecken, und mir eine eingreifende Sitten- predigt zu halten. Das wirkte. Ich vergoß Thränen, und erstickte fast an einer riesigen Käseschnitte, die ich in der Zerstreuung in einer heiligen Betrachtung in den Mund gestopft hatte. Ich mußte einhalten mit meiner Herzenskasteiung, bis nichts mehr in der Stube war, was meine Freßbegier hätte anregen können. So machten es von jeher auch die frommen Brüder und Väter in den Klöstern, der Papst auf seinem heiligen und jeder Pfarrer auf einem unheiligen Stuhle. Also auch ich. Lindor, du mußt tanzen lernen. Gott verhüte! Du mußt Knigges Umgang mit Menschen lesen. Habe mich schon vor zehn Jahren damit gelang- weilt. Du mußt Kinderspiele lernen; als da sind: Herr Gevatter, das ungereimte Reimspiel, Fanchon c. Jetzt reißt mir die Geduld. Du gehst doch im- mer mit dem H– in die Welt. Als du noch Kind warst, kamst du dir vor, wie ein Mann, nun du ein Mann bist, wirst du kindisch. Als du gelehrig warst zu den kleinen Künsten der Jugend, da wolltest du nichts lernen, nun deine Glieder steif geworden sind, willst du tanzen. Als 391 du das Leben und deine Kraft genießen solltest, leb- test du wie ein Stoiker, nun du krank bist, willst du ein Epikuräer werden. Kurz du bist ein ewiger Wi- derspruch der Natur, und deine Wünsche entfernen sich von dem, was an der Zeit und möglich ist. Du willst nun körperlich leben, weil du in der goldenen Zeit deines Jünglings- und Knabenalters an Ideen gehangen, und spät genug gefunden hast, daß man keinen Hund von dem Ofen locken kann mit Ideen, weil du nun erst erfahren hat, daß der klügste Mensch es mit Denken und Schwärmen nicht weiter bringen kann, als in's Tollhaus, daß unüberschweng- licher Geistesreichthum den Verstand zum Bettler macht, und der unsterbliche Ruhm eines Gelehrten nicht eines von den tausend das Herz liebenden und das Gemüth wollüstig krabelnden Küffe werth ist, die du versäumt hat. Wenn ich dich oft ermahnte: *- Alles zu wissen Noch viel zu jung; da warst du gleich da mit dem Nachsatz: - - Ein Mädchen zu küssen Noch Zeit genung. Sed fugit interea irreparabile tempus. Was ein Kuß ist, das hast du erst mit 24 Jahren erfah- ren, obwohl du schon lange vorher gewußt, was mehr ist. Nun, du Körpergeizhals und Geistesverschwender, 392 nun hast du dein dickes Aas erspart, und deinen Verstand zu Schanden geritten. Nun lahmt die Mähre, und läßt Lindor im Dreck sitzen. Lindor ! Lindor! ich möchte dich durchprügeln. Hol' dich. Dieser und Jener, mit deinem Geheul, du garstige Nachteule! - Mache nur schnell einen Vers daraus – Ge- heule – Eule, du kannst ihn vielleicht gelegentlich brauchen in einer Schicksals-Tragödie, wo du dich felbst als Ritter von der jämmerlichen Gestalt abkon- terfeien kannst. Probatum est. Bringst du ein Mal eine Tragödie auf die Bretter, mit den gräßlichen Fratzen deiner Phantasie, so läuft Jung und Alt vor dem scheußlichen Spuck. Eheu, warum bin ich geboren! schlage mir doch das Gehirn auseinander, ich bitte, ich beschwöre dich, du Hund! Lindor, du bist ein Narr! Das weiß ich. Aus dir wird nichts! - - Ich glaube es selbst – höchstens ein Hofrath. Gute Nacht, Lindor! Gute Nacht. 393 In der That, Louise gefällt mir. Diese kindische Koketterie, verbunden mit unerschöpflicher Anmuth in allen ihren Bewegungen, dieses schelmische und doch unschuldvolle Lächeln, dieser liebenswürdige Ernst, wenn ein neuer Tanz arrangiert wird, der so ergötz- lich auf ihrer Marmorstirne spielt, diese herrlich ge- formte runde Brust, der weiße, glänzende, wohlge- rundete Nacken, die ganz kleine liebliche Gestalt voll Duft und Zartheit, die harmonische Florkleidung, die zarten Farben, beschämt von einem herrlichen In- carnat, dem schönen Emaille ihrer jungfräulich glü- henden Wangen, die großen feelenvollen Augen, das blonde Haar, der zartgeformte Fuß und die unvergleich- lichen Waden – diese Welt voll Grazie und Schön- heit auf einigen Kubikfuß Raum, ist allerdings nicht übel geeignet, eine liebliche Lebensgefährtin abzugeben. Mein Entschluß ist gefaßt, ich heirathe fie. „Herr von N.,“ sagte ich zu ihrem Vater in der Waffelbude, „Ihre Tochter ist das schönste Mädchen im Lande.“ „Sehr viel Ehre,“ sagte er. Des Nachmittags machte er mit feiner Tochter und Frau eine Parthie ins Gebirge, und ich erman- gelte nicht, ihnen nachzufolgen. Man behandelte mich mit Auszeichnung, aber fobald ich mit der Perle des Landes in einen Dunstkreis gerieth, stockte mir meine ohnehin nicht geläufige Zunge, und ich labte 394 mich in stummer Betrachtung. Bei einer Pfänder- Lotterie gewann ich – o Glück – von der Holden ein wunderschönes Körbchen. Böse Vorbedeutung, aber ich verzweifelte nicht. Ich folgte ihr, wie ihr Schatten, aber ich kam keinen Schritt weiter durch meine stumme Bewerbung. Bei den Gesellschafts- spielen war ich der Plumpste, Theilnahmsloseste, beim Tanz ein unnützes Mitglied der Gesellschaft. Des Abends fang eine ausgeblühte Schönheit mit einem zahnlosen Greis ein Duett zur nicht geringen Belu- stigung der Gesellschaft. Nur ich allein that nichts für den Zeitvertreib der Gäste. „Herr von N“ sagte ich am andern Morgen, haben Sie nichts bemerkt?“ „Nicht das Geringste.“ „Das thut mir leid, ich wünschte ihre Tochter zu heirathen.“ „Das follte mich freuen, einen fo wackeren Schwiegersohn zu bekommen. Machen Sie Ihre passus. Wenn meine Tochter fie haben will, fo ist die Sache abgethan.“ Damit drückte er mir warm die Hand, und ver- ficherte mich feiner Achtung und Freundschaft. Der Biedermann – ich liebte ihn, und er mich, – aber wir konnten uns doch nicht heirathen. Seine Toch- ter aber schien anderen Sinnes. An mir lag es nicht. Mein Betragen in ihrer Nähe drückte es deutlich ge- 395 nug aus: „Ich will dich heirathen.“ Aber sie schien mich nicht zu verstehen, während fiel alle Damen neck- ten mit dem Ritter von der traurigen Gestalt, der ihre Farbe trug. Nachmittags ging es nach dem Wafferfall. Außer mir begleitete die Damen nur ein junger Mann, aber auch der war mir zu viel. Als wir in jene Gegend kamen, wo man nur zu Fuß weiter kann, als ich bemerkte, daß die Mamma fich mit einem alten Ritter, der noch in feinem 57. Jahre mit einem lahmen Bein und grauen Haaren, aber einem treuen biederen Herzen von unglücklicher Liebe phantasierte, unterhielt, und vorausgegangen war mit dem Papa, hielt ich mich und mein Rival an die wandelnde Blume Louise. Mit gebeugtem Haupt fchlich ich hinter den Beiden einher, gleich einem ge- treuen Pudel, denn mein Rival wußte durch allerlei geschickte Manövers stets sich im Besitz des kleinen Raums zu erhalten, der neben der Jungfrau noch übrig blieb. Anfangs duldete ich gutmüthig, dann murmelte ich einige heilsame Flüche, und zog ihn end- lich bei Seite. „Herr,“ sagte ich, „wollen Sie das Mädchen hei- rathen?“ „Gott bewahre.“ „Dann haben Sie die Güte, und räumen mir das Feld, denn ich will Sturm laufen.“ 396 „Wirklich, wirklich,“ sagte der gutmüthige Junge, und rieb sich froh die Hände, „ei, ei, das ist aller- liebt, nun ich gratuliere.“ Damit fcheerte er sich feiner Wege, und ich blieb allein mit der wandelnden Blume; aber ich konnte ihr auf dem langen Wege nichts fagen, als daß heute nicht sonderliches Wetter ist. Am Wafferfall ange- langt, kaufte ich ihr einige kartesische Teufelchen, und einen gläsernen Pudel, als Symbol meiner Liebe und Treue. Auf dem Rückweg aßen wir Forellen mit einander, tranken Kümmel dazu, und fuhren wieder nach Hause. „Nun, mein Freund,“ bewillkommte mich Herr von N. am folgenden Morgen, „wie geht es Ihnen?“ „Wie einem Krebs,“ erwiederte ich, indem ich eine Waffel zerbrach, „ich gehe zurück.“ „Das ist schlimm, lieber Freund, für Ihre und meine Sache. Aufrichtig gesagt, Sie sind zu ernst, zu kalt, und haben zu viele Grillen.“ „Das mag sein, aber ernst und kalt! Wie fchlecht paßt dieser Vorwurf auf mich. Ernst und kalt, kalt und ernst, ist eine gewöhnliche Zusammen- stellung, und doch paffen beide Begriffe weniger zu einander, als Fluth und Lava. Was ist der Ernst? Ernst ist innere Tiefe des Gemüths. Ernst ist der düstere Mantel des Herzens, das gewaltige Schwin- genpaar der Seele. Der dunkle Pfad, der aus der la- 397 chenden Leerheit des niedern Lebens in den lichtvollen Aether der Seelenwelt, in die stürmischen Räume des Empfindens führt. Ernst ist die Nacht, die auf wüthenden Vulkanen liegt, das Wesen der waltenden Lebensgeister, die wahre Farbe des Weltalls in ihrer aufgefaßten höchsten Bedeutung, die Wolke, die den Sturm umfaßt, die nackte Gestalt der Wahrheit, Liebe des Lebens, das finstere Gewand, in das sich der Schmerz und die Freude, die Hoffnung und Furcht, die Seligkeit und Trauer des lebenswarmen gottvol- len Herzens kleidet. D e r My fan t r op. Schon oft hatte ich im Bafin einen Mann be- merkt, der nie lachte bei den schlechten Witzen mehre- rer Badegäste, mit Niemanden sprach, und stets mit dem Badediener zankte. Jeder war froh, wenn er wieder das Bafin verließ, und Einige suchten ihn zu necken. Ich erkundigte mich um den Menschenhafer, und erfuhr, daß er ein Prediger wäre. Man sagte mir, er finde ein besonderes Vergnügen darin, an- dere ihres Vergnügens zu berauben, und ich fand dieses bestätigt, durch ein bittersüßes höhnisches Lä- cheln, als ein Badegast erzählte, wie er sich auf einer 398 Parthie nach den Bergen bei schlechtem Wetter ein hartnäckiges Gichtübel zugezogen habe. Dem Vernehmen nach war er nie fröhlicher, als wenn, wie es oft geschah, schlechtes Wetter eintrat, und die Badegäste dadurch verhindert waren, Luftfahrten zu unternehmen. Ich spähte feine Wohnung aus, und fand, daß derselbe von einem lieblichen Töchterlein begleitet sei, die keinen Schritt aus der Stube kam, und nur vom Fenster aus zusehen konnte, wie fich andere Menschen freuten. Gegenüber wohnte einer meiner Bade-Freunde, und ich benützte den Umstand, von dort das holde Kind zu beobachten. Sie saß am Fenster, und las in einem Taschenbuch mit Gold- schnitt und Kupferstichen, welches ihr wohl ein Nach- bar geliehen haben mochte. Eben betrachtete sie mit Wohlgefallen die kleinen Bilder, als der griesgrämige Papa dazu kam, ihr das Buch aus der Hand riß, und sie damit ins Gesicht schlug. Weinend entfernte sie sich vom Fenster. Sehr gerne, ich gestehe es, hätte ich dem Alten ein Tintenfaß, welches mir zunächst stand, an den Kopf geworfen, aber das ging nicht an. Um nicht noch einmal Zeuge eines so widerli- chen Auftritts zu fein, entfernte ich mich. Mein Weg führte am Hause des Myfantropen vorbei; er lag im Fenster. Knaben spielten Ball auf der Straße, das ärgerte ihn. Ich las deutlich in fei- nem verzerrten Gesicht, daß er ihnen die Freude miß- V 394) gönne, und zu verderben fuchte. Unruhig schob er die Schlafmütze hin und her, und überlegte. Endlich rief er den Knaben zu, mit der Sanftmuth eines Krokodils, fie möchten ihm doch den Ball herauf- werfen, er wolle mit ihnen spielen. „Thut's nicht,“ sagte ich, „der beißt euch, es ist ein Menschenfreffer.“ - Das Affengesicht fletschte die Zähne auf mich, und fing den Ball, den ihm ein munterer Knabe zu- warf. Alsbald fetzte er sich in Positur, holte weit aus, und schmiß den Ball einem Knaben so heftig ins Gesicht, daß dieser aus der Nase blutete. Dann zog er sich keifend zurück. Al – u – u! brach der Knabe in Geheule aus, „Raker“ rief das ganze Korps von Straßenjungen dem Myfantropen zu, der mittlerweile die Fenster zu- geworfen hatte. „Sagt ich euch's nicht, er ist ein Menschenfres- fer?“ ermahnte ich den Knaben besänftigend. „Warum läßt man ihn denn so frei herumlau- fen,“ weinte der Knabe, „ich habe es mir schon lange gedacht, daß er so was von einem wilden Thier fein müffe, denn er fieht dem Urschlo „Ursus slot?“ in der Menagerie gar zu ähnlich, der in Breslau für Geld zu fehen war.“ 400 Verstimmt und auf Rache sinnend ging ich auf die Promenade. Die wandelnden Spaziergänger, das Conzert, und der Anblick, der herrliche bezaubernde Anblick des Gebirges, von hier aus der schönste und heiterte Prospect in der ganzen Umgebung, konnten mich nicht aufheitern. Ich fehnte mich nach Ruhe und Einsamkeit, nach einer Cigarre und Waf- felkuchen. Alles dieß fand ich in der Waffelbude. Aber meine glückselige Einsamkeit währte nicht lange, denn das Conzert mußte eingetretenen Regens hal- ber abgestellt werden, und die überraschten Zuhörer suchten Zuflucht in der Waffelbude. - Ein Mensch mit einer von den Physiognomien, die mir stets zuwider waren, weil sie Hochmuth und Dummheit zugleich aussprechen, trat zu mir hin, nahm Platz, und störte mich in meiner bequemen Gedankenlosigkeit durch ein albernes Geschwätz. Ich antwortete ihm einige Male nicht, und fagte ihm end- lich einige Unhöflichkeit. „Mein Herr!“ rief der Mann plötzlich, „wodurch habe ich Sie beleidigt, habe ich Ihnen eine einzige Grobheit gesagt, die die Ihrige rechtfertigte?“ „Nein, mein füßer Herr!“ antwortete ich, „aber Ihr Geficht ist eine Grobheit, glauben Sie mir, eine wahre Infolenz gegen die Menschheit.“ „Herr, Sie sind, wie ich sehe, ein Menschenfeind, ich will mich nicht weiter einlaffen mit Ihnen.“ 401 „Daran werden Sie sehr wohl thun,“ erwiderte ich, „obgleich ich kein Menschenfeind bin. Vielmehr habe ich die Menschen zum Freffen lieb, daher Sie mich weit eher einen Menschen freffer als einen Menschenfeind nennen könnten. Aber glauben Sie mir, es gibt keine unverdaulichere Speise, als die Menschen, daher kam es auch, daß ich mir den Magen dergestalt verdorben habe, daß ich mich nun vor diesem Gericht sehr in Acht nehmen muß, besonders wenn es so schlecht zubereitet ist, wie ich es vor mir sehe.“ „Herr, Sie suchen Händel, gut! Sie werden ei- nen Gang mit mir machen.“ „Ist wider meine Gewohnheit, mein Verehr- tester.“ „Sie werden sich mit mir schlagen!“ - „Das ist wider meine Grundsätze, ich fchlage mich nicht, denn wer sich selbst schlägt, ist ein Narr, und ich bin seit zwei Stunden ein Philosoph.“ Allein, meine Menschen liebe ließ es nicht da- bei bewenden, und als er immer dringender wurde und gröber, da sagte ich endlich mit vieler Ruhe: „Mein Herr! Sie hielten mich für einen Men- fchenfeind. Um Ihnen zu beweisen, daß ich es nicht bin, und daß ich alle Menschen, folglich auch Sie, liebe, will ich Ihr Gesuch gewähren, und bin bereit, Ihnen eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wogegen - 26 – 402 ich Ihnen, wenn dieß geschehen, erlaube, daffelbe zu thun.“ „Mein Herr, ich sehe wohl, mit wem ich's zu thun habe, der Zieraffe, die N., hat Ihnen den Kopf verrückt.“ „Sie widerrufen den Zieraffen, und nehmen ihn für sich selbst, oder ich nehme ernstlich Ihren Vor- schlag an.“ - „Gut, wir fehen uns Morgen Punkt neun bei Rübezahls. Kanzel.“ - „Bei Rübezahls Kanzel! wie romantisch werde ich sterben für meine spröde Donna. Das wird ein Gerede geben im Bade, und die Damen alle werden - sich ärgern, daß sie nicht der Zankapfel gewesen sind bei dem heroischen Streit.“ Bei Tisch fiel mir der Mylantrop ein, und fein schändlicher Streich von heute Morgen. Ich hatte mir es hinter die Ohren geschrieben, und fest vorge- nommen, ihn bei nächster Gelegenheit für feine Bos- heit zu züchtigen. Aber am nächsten Morgen sollte ich todtgefchoffen werden; die Sache hatte also Eile. „Wo ist Herr F. zu finden?“ fragte ich den Marqueur, und bezahlte meine Zeche. „Er ist nicht mehr hier im Bade, kommt aber morgen wieder. Haben Sie aber etwas Dringendes mit ihm zu sprechen, so finden Sie ihn in H. zwei Stunden von hier.“ 403 „Ich habe keine Geschäfte mit dem Kerl, aber ich muß ihm eine Grobheit sagen. Bestellen Sie Pferde.“ In einer Stunde stand ich vor dem grämlichen Angesicht des Mylantropen. Es war eine erbärm- liche Jammergestalt. Sein Kopf war dick und auf- gedunsen, seine Beine dürr und wackelnd, feine Hände knöchern. Er hustete heftig, und spie wieder einen Theil seiner Lunge aus, während fein Auge überlief, und sein Kopf zitterte. Jeder Körpertheil rief um Erbarmen – ich war erschüttert, und mein Zorn vorbei. - - - „Was wünschen Sie?“ heicherte er, während ich mit verschränkten Armen vor ihm stand, und feinen der Verwesung sich nähernden Körper betrachtete. „Mein Herr,“ sagte ich, mühevoll meine Rüh- rung verbergend, „ich bitte Sie um Verzeihung we- gen der Beleidigung, die ich Ihnen zufügen" wollte. Sie haben heute einem frohen Jungen ein Leid zuge- than, und ich wollte Ihnen sagen, daß dieß elend war von Ihnen, aber ich wußte nicht, daß Sie fo zugerichtet sind. Wenn Sie die Glücklichen haffen, fo verzeiht Ihnen Gott, und ich will ihm nicht zu- wider handeln. Noch ein Mal, verzeihen Sie mir, – aber laffen Sie in Zukunft die Kindlein sich freuen ihres kurzen Glücks, denn Sie selbst wissen ja, wie kurz es ist.“ - - - - 26* 404 „Sonderbarer Mensch!“ hörte ich nur von seiner Erwiderung, denn ich war in zwei Minuten schon wieder in meinem Wagen. Ich verargte dem Un- glücklichen nichts, als daß er fein Menschenhafen nicht damit anfing, fich felbst ein Ende zu machen. D a s D u. e l l. Der Morgen brach an, und mein erster Blick fiel auf ein Billet mit meiner Adreffe. Ich öffnete es, und las: - Mein Herr! Ehe wir uns bei Rübezahls Kanzel einfinden, wünschte ich mit Ihnen zu sprechen. Ich bitte Sie daher, mich um 8 Uhr in Ihrer Wohnung zu erwarten. - - D. Was hatte mir der Mann auch gethan, daß ich ihn so übel anließ? Wenn er den Zieraffen zurück- nimmt, fo mag er sich mit einem andern schießen. Punkt 8 Uhr kam der Mann, der gegen mich nichts verbrochen hatte, als daß mir ein Gesicht mißfiel, und den ich darum todtschießen wollte. ,,Ich lächelte, als er eintrat. " . . . - „Ist Ihre üble Laune vorbei?“ fragte er mich. 405 „Ja, vollkommen, aber den Zieraffen kann ich nicht haften laffen auf Frauenehre.“ - „Und ich nicht die Grobheiten, welche Sie mir gestern fagten.“ „Ja fo, die hatte ich rein vergeffen. Nehmen Sie das nicht übel, ich war übellaunig – aber den Zieraffen, Herr, müffen Sie zurücknehmen. Die Dame ist mir unverletzlich, denn ich liebte fie.“ - - - - - „Dieß allein entschuldigt es, daß Sie sich ihrer fo warm annahmen. Aber fagen Sie mir gefälligst, wenn ich mein Wort zurücknehme, ist sie deshalb minder ein Zieraffe? Wenn wir uns schießen, wird fie sich in Folge nie wieder zieren, und weniger ge- fallsüchtig sein, weniger kokett? Das Duell ist wahr- haftig nicht dazu Sitte geworden, daß sich ein Paar Männer, die aus den Studentenjahren heraus sind, um ein fünfzehnjähriges Mädchen schießen sollen. Bedenken Sie doch den unersetzlichen Verlust, wenn die Welt einen von uns verlieren sollte! Wenn wir auch noch nichts gethan haben bis jetzt für die Welt, fo ist es doch möglich, daß wir noch etwas thun kön- nen. Schöne Mädchen aber werden täglich geboren.“ „Bei Gott, mein Herr, ich hätte Ihnen nicht halb so viel Verstand zugemuthet, aber den Zier- affen müffen Sie zurücknehmen.“ - - „Ich widerrufe, aber sie waren gestern ein Gro, - 14 bian.“ - 406 „Das weiß ich, und bedaure, denn Sie find kein Schafskopf, wofür ich Sie gestern nahm. Laf- fen Sie uns aber immerhin nach Rübezahls Kanzel gehen. Hier an der Stelle, wo ich dem Fräulein von N. so kühn war, zu sagen, daß eben kein son- derliches Wetter fei, schwöre ich es, die Menschen nicht wieder auf den ersten Anschein zu verdammen, zu verachten, zu beleidigen oder zu lieben, und mich nicht zu schießen um ein fünfzehnjähriges Mädchen.“ Die Mar t er kam m er. " Ich war heute ungewöhnlich munter, denn ich befand mich körperlich sehr wohl. So ist es immer. Der Körper ist unser Herr und Gebieter, die Seele ist der Sclave, der Eunuch im Haren des Sultans, - der mit osmanischer Unterwürfigkeit die Wünsche fei- nes Herrn erfüllen, und ihn pflegen soll. Befindet sich der Herr nicht wohl, fahren ihm Blähungen durch die Eingeweide, oder steigen die Dünste eines verdor- benen Magens ihm ins Gehirn, so läßt er das den Diener schwer empfinden. Ist er aber wohl auf und munter, dann hat die Seele ihre Ferien, kann sich frei bewegen, und ihren Herrn sogar ungestraft igno- '', - - 407 Der Referendarius D., mein Gegner, war ein ungemein aufgeweckter Kopf, den man aber erst nä- her kennen mußte, ehe man meiner Meinung ward. Gegen Fremde war er verschloffen, kalt, höflich, aber bei einer Flasche Wein oder sonstiger Aufregung wurde er der interessanteste Mensch von der Welt. Den Damen war er herzlich gut, aber fest entschlof- sen, nie zu heirathen. Von ihrer Sittenreinheit hatte er eben nicht die beste Meinung, und war daher stets bereit, alle Bewegungen und Handlungen derselben auf das Profanste zu komentieren. Er war die leben- dige Badezeitung, und wußte von jeder Dame genau, wer sie war, ob sie Geld und reine Sitten habe, ob sie schon verliebt gewesen, und ob fie fich leicht oder schwer über treulose Anbeter trösten könne. Die In- triguen und Kabalen, welche man im Bade spielen ließ, durchschaute er mit seltenem Scharfblick, und lei- tete sie zum Theil. Hier brachte er einer Verschmach- tenden einen süßen Liebesbrief, und erntete wohl selbst dafür manchen Kuß; dort störte er ein Verhältniß zwischen einer Kokette und einem gefangenen Gimpel, hier berichtigte er die Irrthümer eines Freundes, in- dem er ihm bewies, daß seine Donna nicht einen Heller Mitgift zu erwarten habe; dort schickte er ei- 'nen zudringlichen Tölpel einer stolzen Spröden zu, indem er ihm mit wichtiger Miene halbleise zuflüstert: dort versuchen Sie Ihr Glück, die hat viel Geld, und 408 unter uns gesagt, Sie sind ihr nicht gleichgültig. Er selbst spielte in allen diesen Badegeschichten die Rolle des Zuschauers, und er versicherte mir, nichts in der Welt mache ihm so viel Spaß, wie dieser alljährige Aufenthalt im Bade. Wer konnte mir wohl er- wünschter kommen, als dieser Mann, nachdem ich auf gehört hatte, selbst Komödiant zu fein in dem großen Badelustspiel? Ich überließ mich gänzlich feiner Füh- rung, denn er versprach mir für jede Stunde ein an- deres Vergnügen, . . . . . . . . . . . ." „Herr Lindor, oder wie Sie fonst heißen mögen,“ sagte er Nachmittags 4 Uhr zu mir, als es eben wieder regnete, „stecken Sie Gold bei, Sie müffen heute mit mir in die Marterkammer.“ Marterkammer hieß man nämlich die Spielbank, welche einer löblichen Polizei zum Trotz auf der Gal- lerie existierte. Ich gehorchte, steckte zwei Louis d'or in die Tasche, und nahm mir fest vor, nicht mehr als das zu verlieren. , „Roi – Valet – l'As –“ „ „Attention!“ V Ein junger Mann, ungefähr in den dreißiger Jahren, der mir gleich beim Eintritt auffiel wegen feines blaffen Gesichts und der geheimnißvollen Be- rechnung, die er in seinem Schicksalsbuche anstellte, bog hastig Paroli auf das Aß. Es lag viel Gold bei der - - - - - - - - - - - - . 409 Karte, und der Mann fähien die Hauptrolle zu spie- len unter den Pointeurs. „Das ist der Graf P.,“ flüsterte D., „der leiden- fchaftlichste und unglücklichste Spieler im Bade. Seit feiner Ankunft hier hat er schon eine enorme Summe verspielt. Sehen Sie, wie freundlich und höflich die Banquiers mit ihm sprechen, mit welcher Aufmerksam- keit sie fein Spiel verfolgen, und nur flüchtig über die bescheidenen Thälerchen der andern hinwegsehen. Heute, fcheint es, laffen sie ihn gewinnen, um feinen Hoff- nungen neue Nahrung zu geben. Sobald sie aber bemerken werden, daß er mit feinen hohen Sätzen die Bank bedroht, dann wechseln sie die Plätze, decken auf dem anderen Tisch, und Sie kennen darauf wet- ten, daß der Graf dort wieder Alles verliert, was er gewonnen hat. Manchmal, wenn Sie die Großmuth weit treiben, laffen sie ihn mit 20 Louisdors Ge- winn nach Hause gehen. Der Graf reibt sich dann kindischfroh die Hände, klingert mit dem Golde, kommt den andern Morgen mit der Hälfte wieder, verspielt sie, wird wüthend, läßt sich von den Ban- quiers Vorschuß geben, und hat vielleicht am Abend 60 Louis d'or auf Kredit verloren. Dennoch bringt er hier den ganzen Tag zu, während seine unglück- liche Frau zu Hause oft das Nöthigste entbehrt, und ihr Brod in Thränen ißt. Er hat bereits zwei gol- dene Uhren verspielt, und vier Mal um Geld nach 410 Hause geschrieben, und obgleich er immer bedeutende Summen erhält, hat er doch manchen Abend keinen Heller in der Tasche. Und dennoch, es ist kaum zu glauben, hat dieser Unglückliche das beste Herz. Es vergeht kein Tag, an dem er nicht Thränen über sich vergießt, und seine Frau um Verzeihung bittet. Er ist kein Lebemann, kein Verschwender, und der zärt- lichste Gemahl, aber alle seine Tugenden gehen in dem unseligen Laster auf.“ In der That, ein merkwürdiger Schwächling! Sein Gesicht ist fahl, gealtert, verzerrt, sein Auge ab- gestorben, seine Lippen bebend, blau. Sein Aeußeres vernachläßigt. Der lakonische Ruf des Banquiers ist ihm ein Donner. Bei jedem Laut pocht sein Herz, zittert seine Hand, die das Kartenbüchlein zerknittert, von der Stirne rinnen große Schweißtropfen, die er mit feinem Taschentuche alle Augenblicke trocknet. Mit bebender Stimme ruft er ein attention, fast athemlos vor innerer Bewegung bittet er um das ge- wonnene Geld. Dicht neben ihm sitzt ein Lieutenant – ein gro= fer schlanker Mann, mit starkem Bart, blühenden Gesicht und gewaltiger Stimme. Nicht minder lei- denschaftlich als der Graf, scheint er doch kräftiger, weniger furchtsam, aber eben so dumdreist. Wenn er gewinnt, lacht er vor Freude laut auf, wenn er verliert, flucht er, und gibt den Banquiers nicht 411 undeutlich zu verstehen, daß sie ihn betrügen. Belei- digt legt der Banquier die Karte nieder, denn er ist ein Mann von Ehre, behauptet er. Der Lieutenant lächelt, meint, es ist schon gut, und geht, nachdem er den letzten Thaler verspielt hat, fluchend ab. Noch zwei merkwürdige Menschen entdecke ich unter den Pointeurs, die in großer Anzahl den grü- nen Tisch umgeben, und deren lüsterne Blicke auf die aufgeschichteten Thaler und Louis d'ors gerichtet find. Der eine ist ein grauköpfiger lederner Kerl mit verschmitztem Gesicht, und einem Band im Knopfloch, der weder den Pointeurs, noch viel weniger dem Ban- quieurs angenehm zu sein scheint. Er spielt mit vie- ler Berechnung, und gewinnt fast immer. Der an- dere ist ein dicker kleiner Mann mit Schweinsaugen und roth aufgedunsenem Gesicht, der beim Spiel mehr zu fchlafen scheint, aber fortwährend fetzt, sich aber wenig um den Erfolg des Spiels zu kümmern scheint. - - „Der eine,“ sagte D., „ist ein pensionierter Offi- zier, der die Banquiers eben so listig betrügt, wie fie die Pointeurs, der alle ihre Kniffe zu kennen scheint, und sie für sich benützt. Die Banquiers haffen ihn, aber sie laffen es sich nicht fehr merken, denn er könnte jeden Augenblick ihre Betrügereien entdecfen.“ - - - 412 „Der andere ist ein geheimer Kompagnon der Banquiers, und hat eine bedeutende Summe in der Bank stehen. Er ist nur hier, um die Banquiers zu bewachen, und spielt mit, um es den Pointeurs nicht merken zu laffen, daß er bei der Bank interes- firt ist. Des Abends aber theilt er den Gewinn mit den Betrügern. Um nicht von ihnen bevortheilt zu werden, ißt er und schläft hier, kümmert sich um Nie- manden und spricht kein Wort. Selten wird er un- willig, wenn ein Spieler feinem Spiele folgt.“ „Doch laffen Sie uns die Banquiers selbst mu- fern. In der Mitte führt ein alter Kapitain außer Diensten den Vorsitz. Er genießt aus unbekannten Gründen keine Pension vom König, und lebt nur vom Spiele. Er betreibt es daher wie ein Geschäft, und befindet sich wohl dabei, wie Sie aus seiner Wohlbeleibtheit ersehen. - Phlegmatisch von Natur läßt er sich durch nichts außer Faffung bringen, und duldet Schimpf und Schande mit der größten Gleich- gültigkeit. Am Spieltisch weiß er sich jedoch ein aire zu geben, als hätte er noch Ehrgefühl, wie Sie be- reits bemerkt haben. Ihm zur Rechten sitzt der be- rüchtigte Baron ***. Er ist der verschmitzteste Spie- ler in Teutschland, und macht einen ungeheuren Auf- wand. Außer dem Spielgeschäft betreibt er noch ei- nen geheimen Handel mit Pretiosen, die er meistens von unglücklichen Pointeurs erobert, während feine * - 413 Gemahlin mit dem letzten Rest ihrer Reize speculirt, und um nicht unthätig zu fein, Lotterien für die Da= men arrangiert, worin Shawltücher, Pretiosen u. dgl. ausgespielt werden. Alle Sommer reist das Ehe- paar in den Bädern umher, und genießt im Winter in der Residenz die Früchte dieser Ernte.“ Wir versuchten nun unser Glück. D. verlor, ich aber gewann mit meinem Doppel-Louisdors in kur- zer Zeit eine Tasche voll Thalern. Ich war, ich weiß nicht weßhalb – in den Ruf eines reichen Mannes gekommen, und die Banquiers sahen in mir ein will- kommenes Opfer. Es ist Regel, daß jeder Neuling am Pharotisch gewinnt, also auch ich. Als ich be- reits alle Taschen mit Silber angefüllt hatte, fetzte ich es in Gold um, nahm meine zwei Louisdors bei Seite, und setzte das Uebrige auf eine Karte. Sie gewann, ich bog Poroli, gewann wieder, und strich auf einen Zug 48 Louisd'ors ein. Damit ging ich ab, kaufte beim Goldschmidt die kürzlich durch Ba- ron *** ihm zum Verkauf übergebenen Uhren des Grafen, und kam zum großen Verdruß der Banquiers nicht wieder in die Marterkammer. 41-4 Zerriffen e Blätter. Ich will aufhören zu sein, aber kann ich es? Werde ich vergehen in Nichts? Unmöglich. Werde ich fort- dauern und mich von den Qualen des Lebens be- freien? Möglich aber nicht gewiß. In mir liegt die Ueberzeugung, aber ich bin mir derselben nicht ganz bewußt. Ich erinnere mich an eine gewisse häufig wie- derkehrende merkwürdige Empfindung meiner Kind- heit, die ich nicht beffer bezeichnen kann, als wenn ich sie ein Staunen der Seele über ihre Ver- kleidung nenne. Ich verfiel oft in ein Hinbrüten über meine Existenz, und konnte es nicht faffen, daß ich bestehe, lebe, athme, daß es meine Gestalt ist, welche ich im Spiegel beschaue; daß es meine Hände sind, die ich bewege, daß ich körperlich existiere. Mit dieser Empfindung war ein gewisses dunkles Bewußt- fein ewiger Existenz verbunden, und ich träumte zurück in den Wiegenschlaf meiner Psyche, zurück in die verhüll- ten Räume der Vergangenheit. Ich habe es von jeher geliebt, mich im Spiegel zu beschauen, zu finnen und brüten im Anblick meiner Gestalt, und als Kind noch mehr als jetzt. Diese Augen, diese Stirne mit ihren Brauen, dieser Mund, diese Nase, diese Zähne, sind Theile deines Ichs, sagte ich mir, unglaublich, diese ganze sonderbare Maschine geht nach deinem Willen. 415 Ich besah meinen Arm und hob ihn empor, verwundert daß er meinem Willen gehorcht; ich zog die Brauen zusammen, und staunte über den finstern Blick; ich hauchte an das Spiegelglas, und fah staunend den Thau sich anhängen und verdichten zu Tropfen. Ich versuchte zu sprechen, und meine Stimme klang wie fremder Laut. Ich bin neun Jahre alt, fagte ich mir, und meine Eltern sind länger vorhanden als ich – ich begreife das nicht. Ich bin entstanden, geboren worden vor neun Jahren, und eine Minuten früher war ich nicht. Ich setze nun hinzu: eine Minute früher war ich schon, und zwei Minuten früher nun, Minute an Minute gereiht, Miriaden! Eine Minute kann mich nicht fchaffen, nicht zwei, nicht Miriaden, sondern nur die Ewigkeit. Wie die Form fo wandelbar, ich aber bin gewesen und werde ein von, in Ewigkeit. Es ist ein entsetzlicher Mißgriff, schlimmer als Dumm- heit, die unsterbliche Fortdauer einen Anfang entge- - genzusetzen. „Und den Menschen schuf Gott, und des Menschen Seele wird fortdauern in Ewigkeit.“ Was aber anfängt, fängt nur an aufzuhören, ist eine flüch- tige Wellengestalt, was aber ewig dauert, hat nie an- gefangen. Das Universum ist ein Meer, und die Wel- len sind die wechselnden Gestalten. Sie wogen hin und zerfließen, aber das Meer wogt ewig. Der Mensch ist eine Welle – aber fein Wesen ist das SMeer. 416 Hat jenes Staunen der Seele Niemand empfunden außer mir? Unmöglich ! Vergegenwärtige sich ein jeder die gaukelnden Träumereien des jugend- lich spielenden Geistes, und er wird die Empfindung darunter finden. Geht die Irrgänge der flüchtigen Seele auf und ab, und ihr werdet den staunenden Gedanken finden – ein kleiner kindischer Kobold. Aber in dem großen Nimbus, der ihn umfließt, findet der männliche Geist einen mächtigen Koloß, eine pro- phetische Riesengestalt des Ideals, einen wiffen den Wächter, Pförtner des geheimnisvollen Tempels der Natur, die Ahnung, Ahnung der unerforschlichen ewigen Wahrheit. Warum aber verschwand in uns die Erinnerung an die frühere Existenz, warum das Bewußtsein, die Gewißheit unseres Lebens von jeher? Ist der Fas- fungsraum der Seele für die Anzahl ihrer Vorstel- lungen beschränkt, und müffen die älteren ihr entfall- len, auf immer den Raum zu leeren, für die neue Welt unserer Anschauung? Oder war die Seele in Pflanzenschlaf versunken? Der Schmerz. Warum existiert er? Die religiöse Fabel von Gottes Zorn und Strafe kann hierauf keinen Bezug haben, denn kein Edler bleibt von die- fem Ouälgeist fern. Wohl aber ist er eine Nothwen= 417 digkeit der Natur. Ohne Schmerz würde sich das Leben aufzehren. Der Schmerz ist die Schutzwache des Lebens. Jeder Angriff und jede nahende Gefahr wird durch ihn verkündigt, und der Nachläßige, Leicht- finnige durch ihn gezwungen, fein Leben zu bewahren. Der Schmerz lehrt uns den richtigen Gebrauch un- ferer Kräfte, er lehrt uns gehen, stehen, arbei- ten. Er lehrt uns noch mehr als das, er lehrt uns die ganze Rechtsphilosophie. Stolz! Stolz! Wie erhebt sich mein Gemüth bei dem kurzen kräftigen Schall dieses Wortes, welch' ein Geistesaufschwung liegt in dir, hohes Selbstgefühl, be- geisterndes Bewußtsein eigener Würde, untrügliches Kennzeichen der inneren Kraft und Größe! Fern von den Begriffen des Niedrigen, in einer Welt der Höhe wurzelt gleich einer Ceder des Libanon, die Wolken küffend mit ihrem Wipfel, und den Berg umschlin- gend mit den Aesten feines Stammes, der Stolz. Er ist die Weihe des Hohen, Heiligen, Unantastbaren, er ist die Aegide des Edlen vor dem Kothwurf der Gemeinheit, er ist der eiserne Fuß, der den Kopf der Schlange zertritt, der Blitz, der das Niedrige in den Staub wirft, die eherne Mauer, die zwei Welten trennt, der Funke, der in uns die Kraft des Zor- neS zündet, wenn sich uns das Schlechte naht. 27 418 Die Religiösen sind Gotteslästerer, denn sie lä- stern feine Werke. Sie sprechen von den bösen Lü- sten, Leidenschaften, die man unterdrücken müffe, von den Eingebungen des Satans, und verstehen darun- ter nichts geringeres, als die durch die Weltordnung geheiligten Triebfedern der Natur. Die fleischlichen Begierden sind ein Greuel in ihren Augen, und es gibt nichts Sündlicheres, als die Wollust. Die Pflicht eines guten Christen ist aber die Verleugnung der Natur, die Abtödtung, Quälung des Körpers, welche allein zum Himmelreich führt! Das innere Leben des Menschen ist merkwürdi- ger, als alle Schicksale und Abenteuer, welche einen passiven Menschen herum schleudern. Hier knüpft sich Ereigniß an Ereigniß, und keine Minute ist leer in dem bewegten Seelenleben eine Geweishten der Na- tur. Diese inneren Ereigniffe entscheiden über des Menschen Glück und Elend, und erheben den starken Geist hoch über die äußeren Verhältniffe, die felten im Stande sind, fein inneres Glück oder „Elend zu zerstören. Daher entsteht oft die dem Haufen wunder- bare Erscheinung, daß Einer, der in guten Verhält- niffen geboren und erhalten ist, dennoch unaussprech- lich elend bleibt, während ein Anderer die härtesten 414) - - - - ------- ------ ----------------------- -- Wechsel der Verhältniffe mit stoischem Gleichmuth, ja mit Fröhlichkeit erträgt. Man hat mich oft gefragt, warum ich in die- fem oder jenem Ton, mit einer gewiffen mißfälligen Ausdrucksweise mich vernehmen laffe. Ich habe hierauf niemals geantwortet, und kann es auch jetzt nicht, Weiß es der Baum, warum er aus der Erde wächst ? die Quelle, warum sie aus dem Fels ent- springt? Es ist mir so ein Mal natürlich, und die Grobheit, wie man zu fagen pflegt, angeboren. Ta- deln höre ich manche hinwiederum, daß ich mich nicht um mich selbst, um mein Inneres und Aleußeres be- kümmere. Es ist etwas Wahres an dieser Beschul- digung – ich liebe das Selbstbegaffen nicht, weniger das geistige, und am wenigsten das Modeln und Bilden, Zureiten der armen Seele, welche am Ende nicht weiß, ob sie göttlichen Ursprungs, oder dem Leib von einem Schulmeister eingeprügelt worden ist. Zudem hat der Gedanke, von Niemanden nachgeahmt zu werden, nichts Abschreckendes für mich, vielmehr Tröstliches, denn der schrecklichste der Schrecken wäre es für meine Manen, als ein Schulklassiker meinen Nachkommen zu gelten, und von Gottscheds würdi- gen Nachfolgern mich kommentiert, exzerpirt und chre- stomatisch abgebrüht zu fehen. Schon als Knabe - - 420 liebte ich es nicht, wenn Jemand mir nachging, und wer es that, den schlug ich ins Gesicht. Ich hätte mich lieber auf die Erde gelegt, und die Leute über meine Gedärme spazieren laffen. Wenn die Gedanken auf Krücken einhergehen, fiech und verkrüppelt, mit bunten Fetzen behangen – das nennen die Leute dann eine Blumensprache. Wenn man bei Gebäuden aus dem Mittelalter die kleinen engen Pforten und Thüren sieht, so drängt fich uns der Gedanke auf, daß die hohen Gestalten unserer Vorältern nicht felten sich die Köpfe angesto- ßen haben dürften. So geht es jetzt unseren großen Geistern, sie stoßen überall an, denn der Bau der Zeit ist für Zwerge berechnet. Es gibt nur einen Menschen auf der Welt, und der bin ich; es gibt nur einen großen Mann, und der bin ich; es gibt nur einen Narren, und der bin ich. Wenn mich eine sogenannte große Em- pfindung belebt und erhebt zu den Sternen, eine of- fenbare Täuschung der Nerventhätigkeit, von der der Bauer zu seinem Glücke nichts weiß, wenn ich an 421 großen Gedanken leide, wie z. B. der Plan, die Auf- klärung über alle Völker des Menschengeschlechts zu bringen, eine Leiter zum Mond zu bauen, die Erde bis an ihren Mittelpunkt zu öffnen, um zu sehen, was darin ist, u. dergl, da ist mir keiner gewachsen neben mir, und es drängt mich, Alles um mich her zu verachten. Wenn ich aber in meine Tasche gucke, und nicht begreife, warum sie leer geworden ist, be- denke, wie ich mich vor Diebstahl und Betrug be- wahre, und doch immer wieder betrogen werde, wenn ich die Riesenarbeit, den Wäschzettel zu schreiben, nicht vollenden kann, und immer wieder den Schlüf- fel von der Geldschatulle abzuziehen vergeffe, da beneide ich den nächsten besten Lumpenhund um feinen Ver- stand, und sehe ein, daß ich ein Einfaltspinsel bin. Seit einem Jahre hasche ich nach jedem lumpigen Vergnügen, wie ein Gimpel nach den Fliegen, und freue mich über den glücklichen Erfolg meiner Be- mühungen, wenn ich alle 14 Tage ein Mal lachen kann, während Millionen in der Runde den ganzen Tag den Rachen offen haben, als ob ihnen die ge- bratenen Tauben hineinflögen, vor Lachen und aus- gelaffener Lust. So ein Lachhals Gelbschnabel ist im Stande, mich zu bedauern, und zu sagen: „das ist doch ein recht unglücklicher Mensch, und dabei fo gut und ehrlich, man möchte weinen, wenn man ihn an- sieht.“ Lumpenvolk das! - - - - - 422 s Da wandelt. Einem manchmal die gutmüthige Dummheit an, mich aufheitern zu wollen. Der eine will das mit Witzen bewirken, die er aus allen Welt- gegenden feines unfruchtbaren Vernunftlandes zusam- menkehrt, und dann losläßt auf mich Armen, der an- dere schneidet Grimaffen, zerarbeitet seine Phisiogno- mie in's Scheußliche, und verrenkt die Glieder in al- bernen Bocksprüngen, daß mir bange wird um feine menschliche Gestalt. Ein Dritter zwingt mich zum Kartenspiel, und meint, ein Pharao müßte mir fehr wohl bekommen, ein Vierter läßt feinen Pudel Künste machen, ein Fünfter endlich fagt mir Grobheiten, um mich zu amüsieren. Wenn ich dann, um sie we- gen der Erfolglosigkeit ihrer Arbeiten zu trösten, ein Mal lächle, da jubeln sie auf, und schreien: „Seht, jetzt wird er lustig, Bravo!“ Narren, die! Wenn ich traurig bin, fo könnt ihr euch so dumm und när- rich stellen, als ihr wollt, ich werde nicht lachen, denn das ist ja eben mein Kummer, daß ihr alle Narren feid. - Die ungeheure Last, die auf meinem Gemüth liegt, hebt keine menschliche Macht, als ich felbst; laßt mich erst wollen, und ich schleudre sie hin- weg, wie einen Federball in die Leere, aber dann seht euch vor, wie ihr mich wieder traurig macht. Bin ich ein Mal froh, dann mag die Welt um mich her zerfallen, und alle Millionen der Erde mögen um mich her heulen vor Qual und Elend, in Blut 423 mag mein Fuß baden, und mein Mund Leichenduft athmen, die Sonne mag sich verfinstern, und die Welt sich in Grabeskälte und Grabesnacht verhüllen, und ich werde froh sein, lustig, wie ihr nur fein könnt, wenn ihr euch die Nase begoffen habt, und unerschüt- terlich in meiner Laune. Darum gebt euch keine Mühe, ihr macht aus mir nichts, wenn ich nicht felbst Hand an mich lege. Aber ich bin so gut genug, na- mentlich für euch, die ihr alle nichts taugt. Was soll ich lesen? ich weiß Alles. Es ist eben so viel, als ob ich sagen könnte, ich habe alles gele- fen, und weiß nichts. Also erkennst du keine Größe an, über und neben dir. Doch vielleicht, aber es gibt nichts Großes, das ich nicht verachten könnte, es gibt nichts Kleines, das ich nicht bewundern könnte. Der Maßstab aller Größe liegt in uns, die Sterne schei- nen uns Lampen, und ein Staubkorn eine Welt, je nachdem unsere Brille vergrößert, oder verkleinert. Und in der Brille liegt alles. Ja, es gab ein Mal eine Zeit, wo ich an Großes und Kleines glaubte, da hatte ich mir eine Welt gebaut mit Höhen und Tiefen, und alles war schön und putzig. Aber da kam ein Gewitter, und fchmiß den Plunder über den Haufen, und stürzte die Höhen nieder, und er- hob die Tiefen, und nun liegt. Alles, Alles auf der Erde. Und mit den Füßen trat ich darauf, und Al- 424 les zerbrach in Staub. Da stehe ich nun auf meinem Acker, und lache durch Thränen, ich habe nichts mehr zu zerstören. Ich bin ein Fürst, denn ich fühle edles Blut in mir. Warum habe ich keine Krone, daß ich fie zertrümmern könnte, kein Volk, daß ich es fchlach- ten, kein Jahrhundert, daß ich es morden könnte? Lindor, du bist ein Narr! Des Menschen Brust ist das Haus der Seele. Bei dem Unglücklichen aber ist es eine hinfällige Ruine, wo Sturm durch die öden Gemächer heult, die Eule des Grams nistet in den epheuumrankten Riffen, und graue Gespenster aus dem Reiche der Todten herausteigen, und ihre „Wehe!“ rufen in die wüste Nacht. Diese Welt ist die beste, fagten die Optimisten, und haben für fich recht, denn für solche Leute ist sie allenfalls gut genug. Mir aber kommt unsere beste Welt vor, wie ein alter Leibfchaden des Universums, an dem schon Fäulniß und Krebs frißt. Ueberall Tod, Zerstörung, Vernichtung! Da fagen die Opti- misten, aber aus der Zerstörung geht neues Leben hervor. Nach dieser Theorie ist ein Käselaib, der in Würmern auflebt, das Bild unserer Vollkommenheit, aber es bleibt doch immer ein eckelhaftes Ding, um 425 madigen Käse. Aus den Würmern wird Staub, aus dem Staube blühen Blumen, die Blumen frißt ein wiederkauendes Thier, und gibt sie wieder als Exkre- ment von sich, als Dünger der Frucht. Das ist die Progression der ewigen Umwandlung der Materien, die immer auf dem Wege zum After der Natur be- griffen find, bald stinken, bald duften. Wenn das unfer unwiderrufliches Schicksal ist, dann mache mich bald wieder zur Blume, Meisterin Natur, jetzt bin ich Exkrement.– Lindor, bringe mir die Vollkommen- heit der Welt nicht wieder aufs Tapet, sonst schlage ich dir deinen vollkommenen Schädel entzwei, und zeige dir, daß nichts dahinter ist. Meinen eigenen vollkommenen Leichnam laffe ich jedem Anatomen oder Abdeker für – ich weiß nicht was Geringes, ab. Wäre ich von Holz, ich würfe mich ins Feuer, denn wenn ich erst in die Millionstheile des Rau- ches zerfließe, dann bin ich glücklich. Das Kleine, atomisch Untheilbare ist allein glücklich. Das Aas ist erst vollkommen, wenn es als Miasma in der Luft fchwebt, und schwache Lungen zerfrißt. - Nehmt dem Menschen die Vernunft, und er ist glücklich. - - . .“ ... V- - - - - - : f. - - 28 426 Eine Haut möcht' ich haben wie ein Panther- thier, Muskeln wie ein Löwe, und Lüfte wie eine Sau, dann möchte ich leben neunhundert Jahr, oder neun- taufend. - - - SMIan fegt, daß der Mensch das vollkommenste, verständigste und fhönste unter allen Thieren sei; ich aber will dir beweisen, daß er von alle dem gerade das Gegentheil ist. Um dieß zu demonstrieren, haben wir nichts zu thun, als den Simia homo, wie er in der Naturgeschichte heißt, in feine natürliche Lage auf vier Beine zu stellen, denn daß er auf zweien geht, und seine beiden Vorderfüße verleugnend Hände heißt, ist nichts, als eine grobe Anmaßung. Haben wir das Menschenthier solchergestalt aufgestellt, so fin- den wir bei ihm das umgekehrte Verhältniß, wie bei der Giraffe, und das Haupt tief zur Erde gesenkt, während dem fein Steiß sich gegen den Himmel er- hebt. Betrachten wir ihn von dieser Seite genau, so stellt sich uns der klarste Beweis dar, daß er das unvollkommenste aller Geschöpfe ist, denn es fehlt feiner unanständigen Körperkonstruktion nicht nur alle Simetrie, sondern auch der nothwendige End- punkt feiner wahren Länge, der Schwanz, den der elendete Affe nicht vermißt. Es fehlt ihm daher ganz und gar an diesem nothwendigen Instrument, womit 427 er den häßlichsten Theil seines Körpers, den anus, den kein Thier fo unverschämt zur Schau trägt, wie ein Mensch auf Vieren, bedecken könnte. Daß von Schönheit bei der Erhabenheit feiner Posteriora, bei der offenbaren Mißgestalt feines häßlichen behaarten Kopfes, der, wenn er nur halbwegs auf Schönheit Anspruch machen wollte, unfehlbar in eine spitzige Schnauze ausgehen müßte, bei der unverhältnißmäßi- gen Dicke einer Beine von Schönheit nicht die Rede fein kann, begreift jeder Primaner. Nachdem wir fo unumstößlich dargethan, daß der Mensch das un- vollkommenste und häßlichste aller Thiere fei, wird es uns auch nicht fähwer fallen, zu beweisen, daß er auch das dümmste ist. Es wird uns Niemand wi- dersprechen, und wer es thut, der soll die Franzosen bekommen, daß es die größte Kunst ist, glücklich zu fein. Gibt es aber – ich bitte – ein unglücklicheres Thier, als der Mensch ist? Habt ihr je eine Gans gesehen, die sich über ihr Schicksal beklagt hätte, oder ist es euch je vorgekommen, daß ein Schaf Thränen vergoß? Haben wir nicht vielmehr täglich Gelegen- heit, bei allen Thieren untrügliche Wahrzeichen ihres Wohlbefindens zu bemerken, habt ihr je gesehen, daß sich ein Stier zu Tode gegrämt hätte? 428 Wenn ich sterben soll, so mache es fchnell mit mir, Tod, wirf mir einen Dachziegel an den Kopf, daß ich hinfalle, wie ein erschlagener Stier, und mich nicht mehr rühre, oder laß mich von einem Schlag- fluß gerührt werden, daß ich mitten im Lachen lal- lend hintaumle, und, nach Luft schnappend, wie ein Laubfrosch verende. Nur ziehe mir nicht als Krank- heit durch die Glieder, und morde mich nicht langsam, wie der Borkenkäfer das Mark des Baumes lang- fam zerfrißt, während die Rinde das morsche zer- bröckelte Mark noch lange zusammenhält. Stürme heulten über Gräbern, und die Stimme der Natur war Weheruf und Hohnlachen, denn der Sonnenschein und das Licht, die Wärme des Lebens, das Gemüth lag todt in der Gruft. Ich faß auf meinem Hügel und lachte, erhob mich tollkühn gegen die brüllenden Wetter, und freute mich ihrer Zerstö- rung. Wo ein Blitz zündete, da trank mein Auge der zerstörenden Flamme Licht mit Befriedigung, und wenn der Donner feinen schrecklichen Ruf erhob, da wogte meine Brust hoch auf, und mein Fluch beglei- tete ihn über die erschrockenen betäubten Berge und Thäler. Aber einen Blick fandte ich zu durchblicken- den Sternen, zwischen schwarzem Gewölk, und die Gewitter der Erde schienen mir komödiant und er- - 429 bärmlich, denn die Weltkörper leuchteten über den Blitzen, nichts ahnend von den kleinen Schreckniffen, und der Donner verhallte kaum eine Spanne hoch über dem Rauch der Erde. Dönnern aber möchte ich, daß die Sphären erbebten in ihrem innersten Bau, und den Blitz möcht' ich regieren, der Sonnen zer- trümmert, und die Verkettung der Welträume zer- reißt. Einen Sturm möcht' ich erheben mit meinem Athem, der die Miriaden Sterne zerstäubt wie Spreu, der die Sternlichter und Sonnen verlöschte, daß Al- les versänke in ewige Nacht. Dann, dann, wenn Al- les zerstört und vernichtet, aufgelöst in ein wild stürmisches Chaos, wenn kein Wesen mehr athmet, und das Weltgesetz in Trümmern liegt, dann erst, dachte ich mir, kann das Element des Unfriedens, und Haffes in mir zu Grunde gehen. Mein Geist fand auf der Spitze in schwindelnder Höhe zwischen zwei Abgründen – Wahnsinn und Tod. Da lichtete sich der Wolken Nacht, der Sturm verbrauste, und langsam tauchte ein silberschimmern- der Mondentag aus dem Dunkel empor. Laut feufz- ten die Gräber, und aus der tiefsten Gruft stieg das aus feinem Todtschlaf erwachte Gemüth. Das Ge- wicht des Schicksals wich einem kräftigen Arm, wie der Fels auf dem Grabe Christi, und aus der geöff- neten Erde entschwebte eine gespenstige Gestalt. Bleich wie der leuchtende Mond war ihr Angesicht, strahlende 29 -130 Augen, fät auf die Höhe gebannt, fchwamen in Ernst und Milde, um die durchsichtigen Lippen spielte ein schmerzliches Lächeln. Langsam wandelte fie auf dem blumig duftenden Kirchhof der Empfin- dungen, und weckte die fchlafenden Genien, Ein fin- ferer Riese saß der Haß auf den Gräbern, drohende Flammenblicke auf die Gottgestalt werfend, aber ernst winkte die ernste Gestalt mit ausgeht, Hand, und das Ungethüm stürzte brüllend in den Abgrund. Unter einem blühenden Rosenhügel fchlief die Liebe. Wachº auf fchlafendes Kind Lächelnd schwebte der Engel empor, und umschlang zwei milde Genien: Trost und Hoffnung. Ueberwältigt von ihnen fank der wilde Cyklope Schmerz in das gähnende Grab, - - A - - N a ch w or t. Hier fchließt das feltsame Tagebuch. Das letzte Blatt war von demselben Tage datiert, an welchem der Schreiber freiwillig durch einen Pistolenschuß fein Leben endigte. -