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Nationalbibliothek
Z06, S68-B
Alt-
677 (Gross-Hofinger, A. J.) Empfindsame Reise eines expatrirten Schwärmers
durch Teutschland, Böhmen. Oesterreich, Italien, Ungarn, die Türkei, etc.
in die Elisäischen Felder. Herausg. von s. Erben. Leipzig 1836. Halb-
[vdb d. der Zeit. Selten. -
Fehlt bei Hayn-Bibt. Germ. Eroica. Interessante und phantastische scha-
- - ungen der Zeit, untermischt mit „Rhapsodien aus dem Tollhause-
- - - - z - - -
- - - - - - - - -
Empfindsame Reise
expatrirten Schwärmers
durch
Teutschland, Böhmen, Oesterreich, Italien,
Ungarn, die Türkei c.
i in
die elifälischen Felder.
pibliothek |
von
" Herausgegeben
V O 11
L e i p z i g,
A. Fest "sche Verlagshandlung. *
- - 1 S 3 (5.
So -, - - --- -, - - -
o rw or t.
Man liest so viele erdichtete Geschichten mit
erdichteten Empfindungen, findet sie interessant
und erbaulich, und glaubt daraus Bildung des
Gemüthes und Geistesadel zu schöpfen.
Sollten nicht die wahrhaften Empfindungen
eines Unglücklichen, der seine Gedanken aufzeichnete,
seinem Fühlen Worte gab, um sich das Herz zu
erleichtern, nicht um die Neugierde der Roman-
leser damit zu füttern; der fein Unglück nicht er-
dichtete, nur manchmal fich in's Unglück dichtete,
kurz der fich in dem seltenen Fall befand, weder
sich noch Andere zu belügen, sollten, frage ich,
diese wahrhaften Empfindungen eines Selbstkenners
nicht lehrreicher feyn als die gelogenen Geschichten
WI
und gelogenen Empfindungen unserer Roman-
schreiber? Oder wäre es wirklich gleichgültig,
ob Wahrheit und Empfindung, oder Phantasie
und ihr Aftergefühl die Farben mischen zu Seelen-
gemälden, sollte wirklich nur das Talent eines
Dichters dazu gehören, sollte es hinreichen, daß
ein verständiger Mann von Gemüth fremde
Herzen in verschiedenen Lebensstürmen beobachte,
um der Natur ihre Gestalten abzulauschen?
Glaublicher scheint es mir, daß man aus den
Partikeln zweier Leichname, deren Personen an
verschiedenen Krankheiten gestorben sind, einen
gefunden lebendigen Leib zusammensetzen könne.
So wenig man in einem abgehauenen Glied
das Leben gefangen halten kann, so wenig man
das Leben aus dem Lebendigen ins Todte über- …
tragen kann, fo wenig kann man einer erdichteten
Geschichte den Geist der Wahrheit einathmen;
diese Betrachtung veranlaßte mich zur Heraus-
gabe dieses Tagebuchs. Von dem darin ent-
haltenen Lebensgemälden wird man wenigstens
nicht sagen können: so ist's im Leben nicht, so
denkt und fühlt man nicht. - -
- - - - -
- -
VII
r
Den Mangel an Zusammenhang muß man
entschuldigen, denn man hat um diesen Preis
Wahrheit. Möge es keinem Recensenten ein-
fallen, dieses Tagebuch aus künstlerischem Ge-
fichtspunkt zu beurtheilen, denn ein Verfaffer wollte,
weder einen Roman noch sonst ein Kunstwerk
verfertigen, überhaupt nichts von feinem Tage-
buch öffentlich werden laffen. Der Heraus-
geber aber glaubt gerechtfertigt zu feyn, wenn
man – unter Vielem, das vielleicht der gute Ge-
fchmack nicht ganz billigen kann – gleich viel
Interessantes und Belehrendes findet.
Der Herausgeber hat sich vergeblich bemüht,
den zerriffenen Tageblättern eine schulgerechte
Form zu geben. Er konnte dieß nicht, ohne fich
an der Wahrheit und Originalität des ihm Ueber-
lieferten arg zu versündigen. Indeffen glaubt er
mit gutem Grund versichern zu können, daß ein
guter Theil der hier erzählten interessanten
Scenen fich nur in der Phantafie ihres Ver-
faffers ereignet haben. Man muß das vorliegende
Buch daher, theils als ein Tagebuch, theils als
Skizzenbuch eines Künstlers betrachten. Der
VIII
Verfaffer liebte es im Leben, fich in prosaischen
Lagen poetische zu fingieren, und in prosaischem
Unglück fich daffelbe wenigstens als außer-
ordentlich und fantastisch vorzustellen. Dieser
„poetische Hang ging oft in entschiedene Selbst-
täuschung über, wobei der Verfaffer wunderbarer
Weise die Macht hatte, sich davon loszureißen.
Er starb in Folge seiner Gemüthskrankheit “
eines gewaltsamen freiwilligen Todes.
Berlin, im März 1835.
D. H.
-
1.
Die Weissagung.
L. eb e n s ja h r 15.
In wühender Freude tobte ich an den Küsten von
Dalmatien; das Meer wollte ich umarmen, und den Him-
mel und die fernen Inselberge und die Menschen alle,
- -
alle, alle! Nimmer ruht' ich, als wenn ich Mädchen
küßte, und Feuer trank aus der leuchtenden Augennacht
der moralischen Engel. Der Himmel lachte über mir
und die Erde blühte unter mir. Mein Auge glänzte wie
ein blauer Sommertag und meine Wange glühte wie das
Morgenroth, meine Stimme war Flötenton und Schlach-
tenruf. … Ich war ein Knabe! So kam ich nach Dub-
rovnik, der alten gestorbenen Republik Ragufa. Vom
Molo herab fah ich über die Fläche und das Meer, und
dachte Kampf und Schlacht. Wilde Moslims fah ich im
Geiste heranstürmen auf flüchtigen Roffen der Wüste,
-
92
Säbel blitzten aus dem hoch aufwirbelnden Staube und
„Allah!“ brüllte es aus tausend Kehlen durch das Ge-
töfe flüchtiger Hufe und verwirrtes Waffengeklirr. Ich
fand da auf der Spitze des Forts und freute mich des
Kampfes. Auf mein Wort donnerten hundert Feuer-
fchlünde, und der Molo spie Flamme und Vernichtung.
Ein Haufen von Mann und Eisen stürzte herab wie ein
Wettersturm in die Saat fo unter die Söhne Allah's.
.. Sie stoben aus einander wie Spreu und „Sieg!“ riefen
die kühnen Männer, „Sieg!“ donnerten die Kanonen,
aber ich fand da, jauchzte unter Zähneknirschen, und zer-
drückte eine Thräne wilder Lust, denn Sieg war Kampfes
Ende, So schwärmte ich auf der Feste Ragusa’s, träumte
von Sarazenen-, Griechen- und Römerschlachten, denn
mein Blut war stürmisch, träumte von fernen schönern
Gestaden, denn mein Herz fehnte sich ins Weite und mein
Blick zitterte hin mit der Schnelligkeit des Gedankens über
Welle und Spiegel weit hin, wo der Himmel fich ver-
mählt mit feinem Ebenbild dem glatten Meer, gen Grie-
chenland hin, nach Süden und Osten, wo die Sonne auf
glüht wie eine Braut am Hochzeitsmorgen.
Auf dem Bazar feilschten Juden und Türken, Mor-
lacken und Montenegriner, Soldaten und Pöbel, die Pracht
des Orients kramte sich aus, die Tücke des Moslims,
Betrügerei der Söhne Israels, die Wuth, lüsterne Hab-
gier und Leidenschaft des Morlacken. Ich sah das Trei-
ben und lachte.
- -
35
„Zehn Ducaten!“ rief ich, und wog das blitzende
Gold in der Hand, „zehn Ducaten dem, der mir
etwas bietet, das mir gefällt!“
Juden und Türken drängten sich um mich her und
sahen gierig hinauf nach der hocherhobenen Hand. Ein
wühender Lärm brauste um mich her, Faustschläge, Flüche
Und Schimpfwörter regnete es unter den um den Vorzug
streitenden Parteien. Juden boten mir Juwelen, Türken
zeigten mir, indem sie alles um sich wegstießen, reiches,
Seidenzeug und kostbare Shawls.
„Fort mit dem Plunder,“ rief ich, und wollte er-
ficken vor Lachen. „Nichts von alle dem gefällt mir.“
Schon wollte ich aus dem Haufen mich heraus-
drängen und zurückziehen, für meine ausgelaffene Laune
neuen Stoff zu fuchen, da trat plötzlich eine hohe gebie-
terische Gestalt aus den Muselmännern hervor, und hob
einen reich verzierten türkischen Säbel empor. „Haffan
Elah“ murmelten die Gläubigen und ihre Ehrfurcht machte
ihm Platz. Ich aber griff neugierig nach dem Schwert,
die schöne Scheide zu besehen. Haffan Elah wehrte mich
ab, fein Auge funkelte als er die blanke Damaszenerklinge
herausriß. Als sie im Sonnenschein aufblitzte über mein
Haupt, da pochte mir das Herz, meine Wangen glühten
vor Begierde nach dem kostbarsten Ding in der Welt,
wie es mir fähien.
„Ich kaufe den Säbel,“ schrie ich, stellte mich auf
die Zehenspitzen und sprang an dem langen Türken empor,
4
um ihm das Kleinod zu entreißen. Der Grausame lächelte
spöttisch über meine fruchtlosen Bemühungen und schien
mich necken zu wollen. -
Die unbefriedigte Begierde machte mich wüthend.
Ein Zufall oder die Nachgiebigkeit. Haffans machte, daß
ich den Säbel endlich erhaschte. Um mich für den Spott
des Türken und das Gelächter der Umstehenden zu rächen,
hieb ich mit dem Säbel auf die fich herandrängenden
Turbane ein. Ein elektrischer Schlag lähmte mir die
Hand und die Klinge fiel zu Boden. Die Wache eilte
herbei, und der wüthende Haufen wollte mich nieder-
reißen und binden, um mich dann den Soldaten zu über-
liefern. Aber der großmüthige Muselmann wehrte feine
rachlustigen Genoffen ab und führte mich mit raschen
Schritten vom Bazar hinweg, durch die Porta Punta
zum Hafen. Erstaunt, beschämt und betäubt wie ich war,
konnte ich mich ihm nicht widersetzen. Seine Gestalt
war ehrfurcht-gebietend, ein silberweißer Bart umfloß fein
schönes Gesicht, aus feinem großen Auge sprühte Geist
und edles Feuer. Er fähien mir ehrwürdig und geheim-
nißvoll; mein Herz wallte auf, dachte ich des Edelmuthes,
mit dem er mich rettete, mich, der ihm Uebles zufügen
gewollt. Ehrfurcht stritt sich mit Mißtrauen, und der
Reiz des Wunderbaren siegte.
Schweigend kamen wir im Hafen an – es war
wenig Leben da. Der Greis führte mich hinab zur
Brandung, die sich in kreiselnden Wellen brach und einen
--
W 5
kleinen fonderbar gebauten Kahn an der Kette hin und
her wiegte. Haffan winkte mir, einzutreten, denn das
Meer war ruhig. Er folgte mir nach, stieß vom Ufer
und steuerte kühn hinaus aus dem Hafen. Ich wollte
sprechen, aber er legte den Finger an den Mund und
schwieg Pfeilschnell trieb das Fahrzeug in die hohe See,
und ich, das Wagnis nicht faffend, freute mich furchtlos
der raschen Bewegung. Endlich ließ er die Ruder los
und der Kahn trieb, vom frischen Landwind in die Seite
gefaßt, immer höher und höher. Da erhob sich Haffan
Elah und fagte fanft, wie bittend: „„fprich, wackerer
Knabe 1““.
„Wer bist Du?“ -
„Ich bin Haffan Elah und kenne Dich, Lindor.““
„Du bist der Sohn des Unglücks und die Büche
des Glücks Deines Stammes.““
„Ich habe Dich nie gesehen.“
„„Du fahft nicht, denn Du hat keine Erkenntniß,
ich aber sehe, denn ich habe Erkenntniß, sie leuchtet mir
durch Wetter und in der Nacht, reicht in die Entfernung
des Raums und der Zeit.“
„Ich verstehe Dich nicht, aber ich bin Dir Dank
schuldig und will nicht äumen, Dir ihn zu entrichten.
Verzeihe mir!“
Haffan sah mich mild an.
„„Ich war so wie Du,“ sagte er, „, und kenne
Dein kindisches Gemüth. Möchtest Du in Deinem Alter
(5
- --
so werden, wie ich, wenn Du als Mann so gelitten,
wie ich.““
„Werde ich denn leiden, Haffan? Nein, nein, ich
werde nicht leiden und traurig sein, fo lange die Welt
blüht und der Himmel lacht, so lange es Mädchen giebt
zu küffen und Freunde zur That, so lange ich liebe und
lebe. Nein, Haffan, ich werde nicht unglücklich fein!“ .
- Haffan lächelte und fah an den gluthrochen Saum
des Horizonts.
„Kann es nicht stürmen hier, meinst Du nicht,
Lindor?““ -
" „Nein,“ rief ich vorschnell, mit Doppelsinn und
muthwilliger Zuversicht, „es kann nicht“. -
Haffan schwieg und streckte die Hand hinaus aus
K* dem weiten Gewande nach Süden hin, wo Nebel spielten.
- „„Lindor,“ sagte er endlich, nach einer langen
Pause, „Du botest zehn Ducaten für ein Ding, was
Dir gefiel. Willst Du den Säbel nicht kaufen?““
„Ich kaufe den Säbel,“ rief ich schnell entschloffen,
und gab ihm leichtfertig das Gold.
Er nahm es gleichgültig an, gürtete mir den Säbel
um die Lenden und warf das Gold ins Meer.
„Was machst Du da?“ rief ich überrascht, „die
Fische freffen das nicht.“
7
Haffan schwieg, nahm seine vorige ruhige Stellung
wieder an und sah erwartungsvoll nach Süden. Die Nebel
waren aufgestiegen und verdichteten sich, höher ging die
See, frischer der Wind, und der Kahn fchwankte und
flog von Welle auf Welle. Es war hohe Zeit zurückzu-
kehren, aber um nicht furchtsam zu erscheinen, wagte ich
es nicht, Haffan daran zu erinnern. Das kühne Spiel
auf den Wellen gefiel mir, und auch Haffan, der ruhig
betrachtend dastand und noch immer das Ruder nicht er-
griff, schien sich daran zu ergötzen.
Der Wind ward Sturm, der Nebel Wolke, die
Welle Berg. Noch immer stand der Greis unbeweglich
da, während dem ich Mühe hatte, mich fitzend und an
die Wände klammernd im Kahn zu erhalten. Plötzlich
wurde es Nacht vor meinen Blicken und ich taumelte
betäubt nieder. Schatten fchwebten an mir vorüber, in
Nebel und Nacht – ich hörte, fühlte nicht, ich sah nur.
Das Meer rauchte, Blitze zuckten durch den Dampf und
beleuchteten todte Delphine, die auf dem Schaume trieben.
Auf den fchwarzen schäumenden Bergen des Meeres aber
fähritt eine gespenstige Gestalt einher und fah mir starr
in die Augen. Geisterbleich, wie der Mond, leuchtete ein
leichenstarres Gesicht durch die brausenden Wolken. Es
glich wie der Sturm der Nacht, so dem Antlitz, das ich
im Sarge kennen gelernt, dem Antlitz meines Vaters!
Entsetzt fährie ich auf, da donnerte Haffans Stimme und
betäubte den Sturm.
-
„Das bist Du, ehe die Sonne Dich fünftausend
Mal begrüßt!““ –
Brüllende Donner, Meeresgebrause, heulender Sturm
und Tod umnachtete mich. -
Auf dem Strande von Liffa grüßte ich den lachen-
den Himmel wieder.
, - -
- : -
-
-
- -
- L e b e n s j a h r - 24.
- - - - - - - - - - -
- - - - - - - - - - - - - - -
- -
- - - - „Er lebt, liebte – und starb. -
… Da sitze ich, den Kopf in der Hand und denke –
an Nichts. Der Spiegel gegenüber zeigt mir mein stei-
nernes Gesicht, und ich starre es an und denke – Nichts,
Der Sturm pfeift durch das öde Kloster in schaurigen
Orgeltönen, das ist der Accord zu meiner Stimmung,
Aber die Zeit ist lang, fürchterlich lang, und die Stun,
den haben ein zähes Leben für den Unglücklichen, wäh-,
rend sie an dem Glücklichen vorübereilen und sterben
wie Schatten vom Sturm gejagt. Ich muß etwas thun,
die Zeit zu tödten, das ist klar, denn Keiner geht müffig,
selbst der Müßiggänger nicht, denn er träumt und
gähnt – ich kann nicht träumen, will nicht träumen. –
Lese ich? Nein, ich finde keine Weisheit für mich in
den Büchern der Menschen, ich mag nichts wissen von
ihrem Glück und Unglück, denn ich bin zu Ende mit
beiden, bin todt. Die Sekunden, zu zählen und abzu-
tödten wie Fliegen, ist zu einförmig, also was beginne
ich? Ich schreibe Briefen. Wenn ich Langeweile hatte
10
in meinem Leben, war dieß meine Zuflucht; ich schrieb
Briefe an Bekannte und Unbekannte, und fandte Zeichen
meines Lebens in alle Weltgegenden. Jetzt ist es freilich
anders, ich habe weder Freunde noch Bekannte, nicht
einmal im Ideale; allein es thut nichts zur Sache, ich
schreibe Brief. , , - - - - - - -
Vor Allem gebe ich dir zu wissen, mein lieber
Freund im Monde, daß ich gestorben bin. Das
- Leben hat mich angewidert, mein Herz zerfleischt und
meinen Verstand verrückt, Höffnung und Sehnsucht er-
stickt, alle Wünsche und allen Trieb vernichtet, das Leben
hat mich getödtet. Langsam war das Sterben, aber
vollkommen, es regt und bewegt sich nichts mehr in mir,
als der ewig lebende Gedanke. Könnte ich auch ihn
morden, auf daß er nie wieder auftünde, mir wäre
wohl. Er ist meine einzige Qual und meine letzte, und
ich bin verflucht, sie zu ertragen in Ewigkeit. "Ewigkeit
Was ist Ewigkeit. Ich weiß es nicht und Niemand
weiß es, aber ein Schrecken liegt in dem Wort, der das
Gehirn zerreißt. Denken, ewig denken, nie aufhören zu
denken, das ist entsetzlich. Alle Leiden bringt der Ge-
danke zurück, tausend und abermal täusend Mal, und
selbst die Freuden der Vergangenheit werden durch den
Gedanken zur unnennbaren Qual. Was werde ich dir
schreiben, die Freund ohne Dasein, du glückliches Nichts,
das ich gerne sein möchte. "Meine Gedanken, wie sie
mich überfallen, wie Meuchelmörder, alle? Nein, nur
-
V.
11
den billionsten Theil von dem, was der Geist in feinem
ewigen Raume wälzt. O über den armseligen Wurm,
der „fich nicht einmal vernichten kann, unauslöschliche
Hölle des Denkens. Schmeichelnd und seufzend beschleicht
uns die Erinnerung, daß wir sie weinend umarmen wie
den Trost, aber plötzlich stößt sie uns den Dolch in die
Brust und verschwindet. - -
Laura, Laura, warum denke ich Dein noch? Der
atlantische Ozean wogt zwischen uns, und von Albions
Küste sehe ich Dich noch herüberschauen in Wehmuth.
So standest Du einst vor mir und trocknetest meine
Thränen. In wilder Bewegung fähritt ich auf und ab
im Saale; mein Gesicht war bleich, das fühlte ich an
der eisigen Kälte, die es überströmte, mein Althem war
stürmisch und blind mein Auge. Einen wohlgeschliffenen
Dolch trug ich bei mir und den Entschluß, mir ein Ende
zu machen. „Mein Gott, was ist Ihnen, Vicomte?“
riefst Du, und eiltest erschrocken mir in ein Nebenge-
mach nach, wo wir allein waren. Du zittertest am ganzen
Leibe und ich war niedergestürzt und verhüllte mein Ge-
ficht. In bebender Besorgniß nahtest Du Dich mir und
Dein Athem wehte mich an, die Sprache war Dir ver-
gangen, aber ich verstano Dich. Meine wilde Erstärrüng
wich und ein Thränenstrom machte mir Luft. Da
trocknetest Du meine naffen Wangen und lispeltest süß,
warm, mit hingebender Liebe" und kindlichem Ver-
trauen: „Weine nicht, Lindoro, weine nicht.“
-
192
Dein Kuß bebte auf meinen Lippen, und weggefluthet,
weggeweint und weggeküßt war die Verzweiflung. O,
warum, warum Laura, ließest Du mich nicht sterben.
Laß die Todten ruhn, zitternde Seele, sie ist todt,
todt, ja todt; lüge nicht und schweige, schreiende Stimme,
in mir, die von ihrem Leben spricht; sie ist todt, Alles
ist todt! - * -
„… - - - * -
Den größten Theil meiner Zeit bringe ich finnend
zu. Nichts regt mich da an, die äußere Welt ist todt
für mich, und die innere bewegt sich unordentlich, unklar
und qualvoll. Die Gedanken reihen sich an einander
ohne Zusammenhang und Verwandtschaft, alle Richtung,
ist mir zuwider, … Ich kann nicht sprechen, nicht schrei-
ben, nicht denken. Jede unterbrechende Verrichtung ist
nur halb, mitten in der Bewegung stehe ich, still und
finne. Ich ergreife die Feder und lege sie wieder hin,
vergeffend, was ich thun wollte; ich ergreife die Laute,
klimpere einige nichtssagende Töne hervor und laffe, fie
finnend wieder fallen. Ich sehe auf die Uhr, ein Mal, zwei
Mal und öfter, und nie weiß ich, wo der Zeiger steht,
Herz und Verstand rührt sich nicht, und doch Pein und
Qual. Wohin führt dieß tagelange Sinnen? Vielleicht,
zum Wahnsinn. Es gleicht dem Warten, und oft ist,
mir's, als ob etwas kommen müßte. Aber es kommt,
nichts als Nacht und Tag, Tag und Nacht, Woher
43
entspringt aber diese Apathie der Seele? Das Räthel
ist leicht zu lösen. Meine Empfindung hat mich hinauf
geriffen in eine Höhe, aus der ich nicht wieder herab-
kommen kann, als im vernichtenden Sturz. Ein Men-
fchenleben gehörte dazu, um langsam den Weg in die
Tiefe zu gehn, und habe ich noch ein ganzes Menschen-
leben vor mir? Nun schwebe ich zwischen Himmel und
Erde, der Himmel hat mich ausgestoßen, die Erde will
mich nicht empfangen. - - - - - -
Der Prior des Klosters kam heute in meine Zelle.
„„Schwacher Mann,““ sagte er im Tone mit-
leidsvollen Vorwurfs zu mir, ,,wer wird sich das Leben
fo verbittern?“
„Ich verbittere mir das Leben nicht, das Leben ver-
bittert mich.“ - - - - - -
„Werft Euch in die Arme der Religion, sie ist
eine milde Trösterin, grübelt nicht, und genießt die Be-
ruhigung des Glaubens mit frommer Hingebung.“
Religion, ja sie tröstet, und der Glaube hilft vor
Verzweiflung. Impft mir ihn ein und ich will euch
kniend danken. Die Zeit des Wahns ist bei mir vorbei,
und der Wahn macht uns allein glücklich. Jeder Mensch
belügt sich selbst, er denkt nicht, was er glaubt, aber er
hält am Wahne fest, weil er ihn glücklich macht. Ich
bin nicht mehr unter den Glücklichen. – – –
. . . . . . . . . - - -
- - - - - - - - -
- - - - - " . . . - - - - -
- - - - - - - " . .) -
MA
Was ist Unglück? Ein plötzliches Ereigniß, das
dir dein Befizthum raubt, ein Machtspruch des Schick
fals, der den Mann deiner Freundschaft, das Weib
deines Herzens aus der Reihe der Lebenden streicht? Nein,
das ist nicht Unglück. Kein Verlust ist so groß, der die
Kraft des Willens, die Hoffnung eines gesunden Herzens
nicht zu ersetzen vermöchte, kein Mensch ist dir so theuer,
daß der Schmerz über feinen Verlust nicht in Freuden
des Lebens, im raschen Strome, der Zeit unterginge.
Was ist dann Unglück? - Unverfchuldetes Leiden,
wenn man Liebe fäet und Haß erntet, wenn man in
hoher Tugendbegeisterung alle Hoffnungen, alle Träume
einer glühenden Phantasie, alle Blüthen der Zukunft, alle
Labung des lechzenden Herzens, alle Gewährung der für-
menden Begierde, allen Genuß und alles Leben, alle Luft
und alle Freude, Alles, was des Menschen inneres Leben
ausmacht, wenn man dieß Alles wagt für eine hohe
schöne Idee und Alles verliert, verkannt und miß-
deutet wird, nicht verstanden und verhöhnt von den Thier-
menschen, die nur niedere Intereffen an das Leben feffeln,
verlaffen, ungeliebt und ungetröstet von dem, was man
rein und ewig liebt, ungeachtet und kalt bedauert, gleich
einem vom Wahn Ergriffenen, hilflos und einsam in
der Wüste einer empfindungsleeren Welt steht, wenn
man die Quellen deiner Thatkraft vergiftet, „wenn man
die höchste Begeisterung, die Erhebung des Willens zur
übermenschlichen Entsagung, Leidenschaft des Wahnsinns
15
schimpft, den Segen deiner That in Fluch verwandelt,
wenn du nichts davon trägt aus dem ungeheuern Kampf,
als den armseligen Sold der Tugend, das Bewußtsein,
wenn du allein steht in der Welt, allein, allein,
wo Niemand dich liebt, kein Herz an deinem Schicksal
hängt, wenn du für das Elend, das du dir erkämpft,
keine Thräne hoffen darf, wenn du vergeffen und ent-
fremdet wirst, und das Ende, der Tod deine einzige
Hoffnung – das ist Unglück, schweres grenzenloses
Unglück! Keine Ruhe, keine Ruhe, findest du dann,
bis zerworfen in Staub der elende Leib, bis dein Herz
verblutet, dein Gehirn zerfloffen und der Fluch deines
Elends in Vernichtung endet. Keine Freude kehrt wieder
ein in dir, und das Leben um dich giebt dir nur qual-
volle Erinnerung. Der erste Blick des Tages findet dich
wach in Jammer, in thränenlosem Himbrüten, in Ver-
zweiflung über dein Wiedererwachen, in angstvoller Er-
wartung der Pein des Tages. Leer und schleichend, mit
entsetzlicher Langsamkeit geht die Zeit ungenoffen an dir
vorüber, denn du hast kein Tagewerk, als die Pflicht zu
leben, und den endlosen Schmerz zu tragen mit Schwei-
gen. Wenn es Morgen ist, feufzest du nach dem fernen
Mittag, wenn es Mittag ist, graut - dir vor der noch
übrigen langen Hälfte des Tages, wenn es Nacht ist
endlich, dann schließt Ermattung die vertrockneten bren-
nenden Augen, und der Gedanke, daß ein neuer Tag
anbrechen wird mit neuem Elend, verkümmert die Zwi-
416
fchenräume deiner Lethargie. Bange Träume martern
deinen Geist noch im Schlafe, und jede Nacht bringt
denselben Traum, jeder Tag dieselbe Qual. Unter Men-
fchen wandelst du wie ein Fremdling umher, ungeliebt
und ungehaßt, geflohen und vermieden von dem Lebens-
frohen. Der Gram zieht Furchen in deine Stirne, die
Zunge hat das Sprechen verlernt, der Mund das Lächeln
der Luft, das Auge erstarrt und erblindet, der Geist ist
träge und stumpf. Keine Empfindung belebt dein todtes
Herz, als dein endloser ungeheurer Schmerz. So reiht
sich Tag an Tag, Mond an Mond, Jahr an Jahr,
bis die Zeit dich verknöchert, der Schmerz dir theuer ge-
worden, bis das Blut erkaltet und die Maschine still
steht am Tag der Erlösung. - - - - -
- - -
- - ,
. . . ] - - - - - - - " - - -
- - - - -
. . .
- - - - - - - - - -
- - - - - . . ." - - - - - - - - - - -
-
. . . - - - - - - - - - - - - - - - - - 1. - - -
17
R e i f e.
Er ist e r T ag.
Es schlug 2 Uhr, als ich langsam über den Thomas-
kirchhof fchlich. Monate waren vorüber gegangen und
ich war noch nicht gesund, kränker als je. Gedankenlos
stolperte ich über das schleche Pflaster hin und wollte
nach Hause. Der eben gefüllte Magen braute tiefe Gei-
fesnacht – ich lachte wüthend auf. Da wollte es das
Schicksal, daß die finglustigen Thomasschüler sich, einer
alten üblen Angewohnheit gemäß, mit frommen Gesängen
erbauten und dazu die Orgel spielen ließen. Von Kind
heit an stimmte der Ton einer Orgel mich zur Schwer-
muth, jetzt brachte er mich zur Raserei. Ich fand still
und ärgerte mich. Gerne wär' ich hineingegangen in die
Kirche und hätte das heulende Instrument in tausend
Stücke zerschlagen, da aber dieß unvernünftig und, was
mehr ist, unthunlich gewesen wäre, so begnügte ich mich,
unter einem nicht sehr menschenfreundlichen Selbstgespräch
meinen Stock so gewaltig an die Erde zu stoßen, daß
er zerbrach, und die Leute mich ansahen, wie einen Ver-
2
18
rückten. In demselben Augenblick verkündete ein lustiger
Postillion die Ankunft eines Reisenden mit gräulichen
Mißtönen, die er mit fichtbarer Anstrengung feinem Post-
horn abzwang. Bis jetzt war ich still gestanden und
hatte nicht Verstand genug, einzusehen, daß ich nicht ewig
hier stehen bleiben könne, aber auch nicht Willenskraft
genug, um mich in Bewegung zu setzen. Das Posthorn
weckte mich, ich wendete rasch um und lief auf die Post,
um einen Platz auf dem Eilwagen zu bestellen. -
„Herr, die nächste Post geht erst morgen früh,
und selbst auf dieser ist kein Platz mehr vorhanden.“
„Ich muß aber fort,“ eiferte ich, „und wenn alle
andere Reisende zurückbleiben müßten.“
Der Postbeamte fah mich groß an, und mochte
wohl denken, ein wichtiges Geschäft bestimme mich zu
solcher Eile, oder ein bedeutendes Falliment wäre ausge-
brochen und ich dabei interessiert, denn hier sieht man
jeden honetten Menschen für einen Kaufmann, und jeden
fhoflen Kerl für einen Privatgelehrten an.
„„Nun, nun,“ sagte er fein lächelnd, „ich
will sehen, was zu thun ist; ich werde wohl noch ein
Plätzchen finden für Sie.“
- Und wirklich, er fands! Ich zahlte, und am näch-
sten Morgen 6 Uhr saß ich wohl eingepackt zwischen
zwei feisten Herren knurrend in dem Postwagen.
Die Pferde liefen leidlich rasch und brachten uns
um 5 Uhr Abends richtig nach Dresden. Wer mit mir
19
im Wagen gesessen haben mochte, was gesprochen wurde,
und was sich ereignet hat, um uns her – ich weiß es
nicht, denn ich sah, hörte, fühlte und sprach nicht in
eilf Stunden. - -
In Dresden angekommen, stahl ich mich weg mit
meinen sieben Sachen unter dem Arm von dem Post-
hause, um nicht meinen Paß abgeben zu dürfen und
dadurch aufgehalten zu werden, verschlang im nächsten
Gasthofe einige esbare Substanzen, um nicht zu ver-
hungern. Dann nahm ich neuerdings Pferde und fuhr
sieben Meilen weiter. - -
. Der Tag war angefüllt mit banger Erinnerung,
dumpfer Selbstbetäubung, Apathie ohne Leid und Freude.
Mein Vaterland und Laura war mein einziger Ge-
danke von Farbe. Der Himmel glich am Morgen einem
Bluthemde, am Abend einem Leichentuche. Zwanzig
Meilen gingen ungesehen vorüber: .
. . . - -
Z w e i t e r T a g- -
(Das Polenzthal. Die sächsische Schweiz. Alte und neue
Wehen. Schandau. Das Elbthal. Die Grenze. Erinne-
rungen. Gelobt sei Jesus Christus. Leben und Schicksale
einer alten Frau. Tetschen. Das Frohnleichnamsfest. Ein
alter Kapitain. Teplitz)
Nach kurzem Schlaf weckte mich ein heftiges Rüt-
teln. Der Wagen war angespannt und schleppte mich
nun auf einem erbärmlichen Wege durch die sächsische
- 2 *
920
Schweiz. Wir waren kaum eine halbe Stunde gefahren,
fo ermahnte mich der Kutscher, in der Voraussetzung,
daß ich in diese Berge kam, um die Natur zu bewun-
dern und über jeden Felsblock in Extase zu gerathen,
die merkwürdigen Punkte, die fich uns hier darstellten,
ins Auge zu faffen. Nach der Versicherung dieses Man-
mes giebt es in der weiten Welt nichts schöneres und
herrlicheres mehr, als die fächsische Schweiz! Wenn ich
also hiermit die Reize dieser Gegend der reiselustigen Welt
empfehle, fo stützt sich diese Lobpreisung lediglich auf die
Aussage des Mannes, der mir unter andern schwor, daß
er nie in seinem Leben gelogen habe. Ich felbst nahm
mir nicht die Mühe, aus dem Mantel herauszusehen, um
mich einem eigenen Urtheil zu befähigen. Aber avrog
spa, es muß also wahr sein! Als jedoch mein geschwätzi-
ger Cicerone anhielt, und mich ernstlich beorderte, aus-
zusteigen und 30 Schritt seitwärts zu gehen, um eine
der größten Merkwürdigkeiten der sächsischen Schweiz, das
tiefe Polenzthal, zu besehen, mußte ich wohl nothge-
drungen, obgleich mit großem Verdruß, meinen bequemen
Sitz verlaffen und feinem Befehl gehorchen.
Ja, fürwahr! schön ist dieses Thal. Felsenmauern
schließen es ein, Nadelholz bedeckt hier und da spärlich
die Wände, in der Tiefe murmelt ein Bach, und eine
Eule ruft herauf ihren wehmüthigen Klageton. Einsam
ist es hier, schön und wüst und traurig. Ein Grabmahl
fehlte in der düsteren Tiefe und ich fehle unten mit
92
meinem Schmerz. Hab' ich denn noch Wehmuth im
Herzen, daß ich dort unten fühlen und weinen könnte!
Laura, Laura! ist verloschen
Alle Liebe,
Bleibt nun trübe,
Ewig trübe deine Stirne,
Ewig lieblos deine Sprache
Und der höhnische Blick,
Und die stolze Kälte,
Ewig hin mein Glück!
Was verbrach ich,
Liebe, Liebe,
Deine Thränen
Wollt' ich trocknen,
Und vom Schicksal bat ich
All dein Unglück
Nur für mich.
Und zum Tod,
Rief ich vermeffen:
„Willst du Opfer, -
Willst du Laura,
Brich das Herz mir,
Nimmer ihr.“
Und den Schmerz beschwor ich,
Daß er wüth" im eignen Herzen,
Dich verschonend; doppelt tragend
Wollt' ich gerne, gerne
Untergehn.
Mächte wacht' ich,
Hundert Mächte,
Weinend, finnend,
Dir zu betten, -
Daß du schliefest - - -
22 -
Einstens sanfter
Lächeln könntest
Einst im Traume!
und das Sinnen brachte Wahnsinn,
und der Gram fraß sich ins Herz mir
und befruchtet mit dem Tode,
Als mein Opfer mir gelungen.“
Laura, Laura, wie vergiltst du -
Meine Liebe, ewige Liebe?
Haß und Hohn
Mein Lohn! A
Laura, bete,
Himmel hören und erleuchten
Deine trübe trübe
Seele!
„O, wie heilsam ist der Tod Laura Laura! ich
möchte sterben. Ein Schritt noch, und ich taumele in
die Tiefe, bin am Ende. Warum hab' ich Pflichten und
darf nicht.“ - - -
„Albernes Gewinsel“ grollte eine Stimme,
„Hast mir doch versprochen vor zwei Jahren, du wolltest
dich nicht mehr verlieben und bist doch wieder immer
der alte Narr. Julie war auch ein gutes Kind, als ihr
der Tod den Hals brach. Kennst du noch das
Stückchen –“ hier trällerte er es, und ich fang leise
und seufzend, wie damals, als sie am Flügel saß: -
Wallend in Liebesgluth
Stürmisch wogt auf mein Blut –
O, hätte ich nimmer ins
Aug' dir gesehn! - - - -
-
Finde nicht Ruhe mehr,
Athme fo tief und schwer,
Kann in dem süßen Weh'n
Doch nicht vergehn.
Sterne gehn auf und ab,
Leuchten auf manches Grab,
Unter dem Sternenblick
Liegt auch mein Glück.
Könnt' ich mit ihnen ziehn,
Die dort am Himmel glühn,
Zöge durch Nacht und Graus
Mit dir nach – Haus!
Hin, wo die Seele wohnt,
Wo uns're Liebe thront,
Wo keine Wolke nicht, -
Wo nur das Licht.
Weine, o weine nicht,
Wenn mir das Herz auch bricht;
Leben ist Macht und Schaum, N
Tod ist ein Traum.
Mörder, welche Erinnerung rufst du in mir wach!
O, fie war fo schön, fo warm und froh und wehmüthig,
meine erste Liebe. Julie, Julie, konntest du sterben mit
deinem reichen Leben, mit deinem glühenden Herzen. Als
ich das erste Mal mein Vaterland verließ, da schriebst du
mir das letzte Zeichen deines Lebens, deiner Liebe. Meine
Antwort ward dir versiegelt in den Sarg gelegt. Auf
deinem Herzen vermoderte das Papier. Ich schrieb:
„Süße Taube!“
„Deinen, in , Thränen gebadeten Brief erhielt ich
heute, und eile, Dich zu trösten? – Nein, mir fehlt
92 A4
Telbst aller Trost seit meinem Abschiede von Dir. Mei-
nen Schmerz möchte ich ausgießen in Deine Brust,
aber er würde Dich tödten, an den Wurzeln Deines Le-
bens nagen, wie er die meinigen zerfrißt. – Halb
wachend, halb träumend wurde ich aus meinem lieben
Oesterreich herausgeschleppt, und nur der Gedanke: Nun
hast du dein Vaterland verloren! gebar ein schmerzli-
ches Interesse für mich. Kein Zeuge war da, der mei-
nen Schmerz belauschte, und ich bog mich weinend in
eine Ecke des Wagens, oder fah fehnsüchtig zurück nach
den heimathlichen Bergen, wo mein Glück begraben lag.
Dort im Süden, in dem himmelschönen Lande, wo
die Freude fich in Luft und Erde und in lachenden
Gesichtern malt, dort glänzt dein Stern, den Nebel
nun verbergen, dort welken nun die Blüthen, die du zu
pflücken versäumtest! So feufzte ich und wollte vergehn
in Kummer, die Thränen trockneten auf den Wangen,
und eine Angst, die meine Brust erdrückte, war der Wech-
fel meiner Qual. Vaterland! Vaterland! oder ist es das
Land nicht, wo ich lebte und liebte zwanzig Jahre, wo
ich eine Welt fand an Deiner Brust, einen Sternen-
himmel in Deinem Auge und die Seligkeit aller Elifien
alter und neuer Mythologie in Deiner Umarmung. Frei
bin ich geboren in einem mir selbst fremden Lande, das
ich nimmer lieben werde, unfrei ward ich erzogen unter
Sklaven, aber mir find die Feffeln lieb geworden, denn
fie waren von den Rosenketten Deiner Liebe geflochten.
-.
" 925
Kehre zurück, rufen mir Freunde zu, in dein wahres
Vaterland, lerne deine Sprache, die du als Kind nicht
gestammelt, verläugne das Blut nicht, das in dei-
nen Adern wallt, das Blut eines freien Mannes, der
für die Freiheit starb! Aber ich kann mein Vaterland
nicht wechseln wie ein abgetragenes Kleid, und wär' es
ein Panzer, der mit feinem ehrnen Gewicht mich erdrückt,
ich kann ihn nicht von mir legen, die Liebe nicht lenken
mit logischen Schlüffen und die Herzen nicht vergeffen,
die dort im Süden an mir hangen. – –“
Warum taucht die Vergangenheit in mir auf, und
steigert die Qualen der Gegenwart, Ich glaubte sie längst
todt, und hoffte, sie würde nicht wieder auferstehen mit
ihren Unglücksbildern und schwarzen Träumen; muß ich
immer von Neuem verlieren in der Erinnerung die bei-
den Schätze, an denen mein Denken und Empfinden
hing, die der Gedanke mit der Inbrunst umarmte, wie
das Kind die Mutter – Vaterland und Liebe, Liebe
und Vaterland! -
In Schandau angekommen, fuchte ich einen Führer,
der mich durch das Elbthal über die Grenze brächte, und
war so glücklich, ein altes Weib zu finden, die sich erbot,
gegen eine Belohnung von 8 Groschen mir den Weg zu
weisen und meine fieben Sachen zu tragen. Es war
ein trüber, regendrohender, stiller, kalter, unfreundlicher
Morgen, als ich mit pochendem Herzen den Weg nach
26
Böhmen antrat. Das Elbthal ist ein Thor des Böhmer-
landes. Finstere Bergkuppen schließen es ein und wer-
den von der Elbe auseinander gedrängt. Die Bergreihe
links gleicht einer in Trümmer zerfallenden Mauer. Un-
geheuere Felsblöcke hängen drohend auf unsicherem Grund
und stürzen hier zuweilen hinab in den Strom. Zur
Warnung der Wanderer findet man Tafeln aufgehängt
mit der Ueberschrift: „allhier drohet Gefahr.“ Lächelnd
ging ich an diesen Gefahren vorüber und fah in die
Wellen der Elbe, die hier aus Böhmen heraustritt. .
Was so ein Strom für ein Demagog ist! Geht über
alle Grenzen, kümmert sich wenig um Zollhäuser, und
die Beamten fehen ihm zu, wie er die tausend Fische
fortschleppt und das schöne Waffer, als ob gar nichts
daran gelegen wäre. Man sagt, die Könige können
Alles –. Wie können sie dulden, daß so ein Goldstrom
aus dem Lande geht, ohne Auswanderungsgebühren zu
bezahlen, ohne Paß und Legitimation in die blaue
Welt hinein; als ob es gar keine Könige gäbe. Aber
das Waffer ist zoll- und zwangsfrei, daher mag es
wohl kommen, daß die Schriften fo vieler aufgeblasener
deutschen Gelehrten des Auslandes so gut fortkommen
in Oesterreich. -
„Hier ist die Grenze,“ sagte meine Führerin, indem
fie auf einen elenden Bach hinwies, der aus dem Ge-
birge der Elbe zukam.
Die Grenze! wiederholte ich feufzend. Gott zum
-
97
Gruß, mein Vaterland; denn bin ich auch hier nur in
einem erheiratheten Lande fremder Zunge, so ist mir
doch wohler hier und freundlicher zu Muthe, als eine
Stunde nördlicher. Zwar komme ich in traurigem Ge-
fchäfte, wie ein Sohn, der seinem Vaterhause den letzten
Gruß bringt zwar komme ich in Thränen, um zu schei-
den in Thränen, bringe wenig Hoffnung und großen
Schmerz, aber dein Himmel wird mich erquicken und
fählen zur letzten Trennung, deine Wärme wird mich
laben und die Eisrinde aufhauen, die mein Empfinden
umschließt. An deiner Kraft will ich fäugen, an deiner
Schönheit mich erfrischen und ermuthigen zum Leben in
der Wüste. Da draußen ist kein Herz warm und keine
Liebe, dort gilt und leuchtet nur das kalte Licht und
tödtender Nordsturm zerstreut die reizenden Nebel der
Phantasie. Dort spielen ihre Farben nicht auf gaukeln-
den Idealen, dort kleidet sich das Leben und die Natur
in winterliches Grau. Des Südens Gluth ist dort ver-
weht und nichts erwärmt den kalten schneeathmenden
Himmelsstrich. - Ich komme wieder zu dir, mein trautes
Vaterland, will erwarmen an deiner Brust und mir
das trübe Auge klar sehen an deiner Schöne.
Ich komme wieder mit zerknirschtem reuigem Ge-
müth, wie der verlorne Sohn zum Vater, und bringe
dir mein Nichts zurück. Ich habe Alles versplittert
und verschwendet, was du mir gegeben, all' meinen
Herzensreichthum, all' meine Liebe und Wärme, und
/
928
flehe neues Gut von dir zu befferer Verwendung, denn
du bist ja unerschöpflich, unerschöpflich an alle dem,
was mich beglückt.
Vaterland, Vaterland, welche Süßigkeit, welch ein
Zauber liegt in dem Wort. Die Kraft wird zum Unge-
heueren gesteigert, wo dieses Wort Anklang findet in
einer treuen Brust. Was könnte ich Alles vollbringen
für dich, was Alles opfern, dulden, tragen, um dich!
Und doch wie klein, wie erbämlich ist mein Wirkungs-
kreis für dich; meine Kraft muß ich zersplittern in Tand,
und was ich thue, frommt dir nicht. O, warum bin
ich so klein, daß du mich nicht fiehst, warum fo ohn-
mächtig, daß ich dich nicht schützen kann mit meiner Brust,
warum so niedrig, daß ich nicht hinaufrage zu dir, dein
Haupt nicht wahren kann mit meinem Schild, dein
Recht nicht vertheidigen mit meinem Schwert! Ich bin
kein Wurm, der dein Mark zerfrißt, kein Igel, der an
deinem Herzen faugt, kein häßliches Infekt, das fich von
deinen Säften nährt, ich habe nichts von dir und suche
mein Brot zusammen auf fremdem Boden, wie ein
treuer Bettlerhund, der die Wunden feines Herrn leckt,
und zu den Füßen hungernd fich hinlagert und froh wird
der Liebkosung feiner abgezehrten Hand. Ich kann nichts
thun für dich, mein Vaterland als – bellen.
„Gelobt sei Jesus Christus!“ grüßte ein vorüber-
gehendes züchtiges Mägdlein, und wandelte weiter mit
929
ihrem freundlichen Madonna-Gesicht zur Kirche, denn es
war Sonntag.
In Ewigkeit, Amen! rief ich erschüttert, fah zum
Himmel und betete, der Himmel aber weinte.
: „Ach Gott, Ihr feid fo traurig, lieber Herr,“ fing
das alte Mütterchen an, die mein Gepäck trug, „gewiß
und wahrhaftig, es ist Euch gewiß auch schon manches
Unglück widerfahren.“
„Ja wohl, Mutter, manches schwere, - schwere
Unglück.“ - - - * - - -
" „Nun, nun, tröstet Euch, junger Herr, es giebt
wohl noch Unglücklichere, als Ihr seid.“
„Wohl schwerlich.“ .
„Ihr habt doch keinen Mangel, feid jung und ein
vornehmer Herr. Glaubt mir, die Armuth ist bitter.“
„Nicht so bitter, wenn man froh ist dabei, nicht
fo bitter, als ein verbittertes Herz. Du hast wohl auch
schon Manches gelitten, liebe Alte?“ -
„Ach ja! ich habe ja Kinder, und Kinder bringen
Noth. Ja, wenn sie noch jung und klein find, da hat
man feine Freude daran und leidet gerne Noth, wenn
man sie gesund und froh erhält. Aber, wenn sie einmal
erwachsen, find, da machen fiel einem die Haare grau vor
Kummer. Seht, lieber Herr, da habe ich zwei Töchter,
die eine hat einen Lumpen zum Mann, die andere ist
verrückt geworden. Auch sie war verheirathet, und hatte
daffelbe Unglück, ein liederliches Tuch zum Mann zu be-
30
- kommen. Anfangs ja, da war er brav und fleißig, ver-
diente viel Geld und half uns Allen aus der Noth. Aber
da kam er unter die Schwärzer (Schmuggler) und von
der Stunde an wurde er nichts nützig. Da fing er an
zu spielen, faufen und huren, ünd ließ fein Weib und
die armen Würmer, eine Kinder, in Noth, Elend und
Kummer zurück, während dem er oft vierzehn Tage lang
sich mit schlechtem Gesindel herumtrieb und seinen Ver-
dienst liederlichen Dirnen anhing. Endlich kam er elend
und fieg mit einer schändlichen Krankheit behaftet nach
Hause, und ließ sich von meiner Tochter pflegen. Wir
wendeten auch Alles an, damit er wieder gesund würde,
aber es war zu spät. Das Gift stieg ihm zum Gehirn
und machte ihn verrückt. Da wurde er auf den Sonnen-
stein gebracht. Vierzehn Tage später fing auch meine
Tochter an irre zu reden, und hat zur Stunde noch ihre
gesunde Vernunft nicht wieder erhalten; nun muß ich fie
und ihre Kinder ernähren, und habe doch selbst nicht
genug zu leben. Da muß ich nun arbeiten in meinen
alten Tagen für meine Kinder, statt daß es ümgekehrt
wäre.“ . . . . .
„Armes, armes Weib!“ - - - -
Sie setzte sich erschöpft auf einen Stein am Wege
und ruhte ein wenig.
Und du schämst dich nicht, junger Bursche, rief ich
mir zu, dir deinen Mantel tragen zu laffen von dem
alten gebrechlichen Weibe? Bist du auch krank und un-
31
-
glücklicher als die, so hast du doch noch immer mehr
Kraft und kannst deinen Mantel selbst tragen. Ich
packte auch sofort den Mantel auf meine Schulter und
was sonst noch von Gewicht war. - - - - - - - - -
„Das kann ich schon noch erschleppen,“ sagte
die Alte lächelnd, und wollte meinen Mantel wieder haben.
„Laß das, Alte,“ erwiederte ich; „mich friert un-
bändig. // . . - -
„It’s weit bis auf den Sonnenstein,“ fragte ich
beiläufig die Alte.“
„Ach nein, aber der Weg ist schlecht dahin.“ -
Ja wohl, der Weg ist fchlecht dahin –
wie in den Himmel. Sonnenstein! welch ein paffender
Name für den Aufenthalt von Aufgeklärten oder sind
'' darin nicht aufgeklärt und liberal? Sie haben -
alle Schranken des Lebens durchbrochen, alle Schranken
der Sitte und Konvenienz, alle Schranken endlich der
Vernunft – ganz wie unsere Liberalen! Ein Verrückter
und ein Liberaler unserer Zeit ist eins und daffelbe. In
der Aufklärung sind sie eben so weit, denn nichts ist
ihnen fremdartiger, als Gesetz und Regel, ihr Geist waltet
frei, und entbunden, denkt nicht erst in Sylogismen und
hat keine Richtung. Schade, daß die Anstalt so klein
ist für die großen Geister unseres Jahrhunderts, die
größte Stadt der Welt würde daraus entstehen, wollte
man alle hier sie unterbringen. - - - -
Unter heftigen Regengüssen, ganz durchnäßt, kamen
32
-
wir in Tetschen an. Ich befand mich plötzlich in einer
äußerst düsteren Stimmung. Die Ursache davon lag
nahe: alle Glocken der kleinen Stadt waren
in Bewegung. Die Glocke ist des Teufels musika-
lisches Instrument, fagen die Türken, und ich unter-
schreibe es, denn nichts kann mich teuflischer stimmen,
als der Ton einer Glocke. Das Glockengeläute ist für
mich teuflische Musik, alle Bosheit rührt es in mir
auf, und allen Haß, den das Leben in mir seit einem
Jahrzehend angehäuft. Wäre ich in einer Schlacht und
hörte Glockentöne, ich würde morden um mich her mit
der Grausamkeit eines Kannibalen, kein Mitleid würde
in mir wach, und das Gestöhn wehrloser Verwundeter
könnte mich nicht rühren zum Erbarmen, die herzlose
Raserei wilder Mordlust nicht vernichten in mir. Das
ist Idiofinkrafie, sagen die Aerzte, und muß irgendeine
Veranlassung haben, denn der Glockenton ist kein Miß-
ton, und was Tausende zur feierlichen Andacht stimmt,
kann nicht. Einen zur Wuth reizen, ohne besonderen
Grund. Wohl weiß ich einen folchen. Als ich noch
ein Knabe war und meinen Vater im Sarge kennen
lernte, als ich eine erstarrten Züge mit fierem Auge
betrachtete, um die Aehnlichkeit mit mir herauszu den,
und dachte, der Mann da, diese Leiche mit dem bleichen
Gesicht und dem erloschenen Auge, mit dem halbgeöffne-
ten athemlosen Munde ist, wa dein ater? Da
tönten alle Glocken und schrieen '' „die Leiche,
- * _
-,
- - 53
die du nie fahft als file lebte, ist dein Vater.“
Und sie warfen das Leichentuch über fein Gesicht und
fchloffen den Sarg zu, warfen ein schwarzes Tuch darüber
und vier schwarze Männer mit bleichen Gesichtern hoben
ihn auf und trugen ihn langsam, langsam fort, hinaus
auf den Leichenacker, hinab ins Grab, und die Glocken,
wohl zwanzig an der Zahl, heulten fort und fort: „das
war dein Vater!“ Seitdem, ja seitdem, kann ich
keine Glocke hören. Fort fort, schwarze Erinnerung
Wir waren zur Stelle und ich gab dem armen
unglücklichen Weibe einen Thaler. Sie wollte zwei Tha-
ler haben und meinte, so ein guter Herr müßte wohl
auch - generös feyn; acht Groschen hatte ich bedungen,
wegen h s Unglücks gab ich ihr dreimal so viel, darum
wollte sie nun sechsmal so viel haben! Ich gab ihr das
Geld- und lachte; möchten sie dich glücklich machen die
paar Thaler Unglück, machst du auch unverschämt?
- „ Befehlen Sie Bier oder Wein?“ fragte der
-
„Was haben Sie für Wein?“
- „Eemsecker – Oesterreicher!“ - - -
„Halt, Oesterreicher?“, „Ja, Oesterreicher!“,
Er brachte mir ein Seidel Oesterreicher. - -
Das Wort hat mir so wohl, aber der Wein that
- mir fo weh, als der Wein wohl, denn es war „elender
Krätzer. Nein, er war excellent, pfui, schäme dich,
- - -
3
34
Oesterreicher! die Erzeugniffe deines Vaterlandes zu
schimpfen. Bist du nicht ein Stockpatriot. – Ein Pa-
triot aber muß Alles loben im Vaterland, vorzüglich aber
das Schlechte. Laffen dich die hohen Beispiele des eng
lischen und französischen Patriotismus ganz ungerührt?
Wir find die stärkste Seemacht, sagen die Engländer, weil
fie kein Land haben; wir haben das schönste Land, sagen
die Franzosen, weil sie von den Engländern zur See ge-
pantscht werden; wir sind die klügsten Leute, sagen die
Deutschen, weil sie kein Land und kein Volk haben;
wir haben den gefündesten Wein, könnten wir Oester-
reicher sagen, weil wir keinen guten haben.
Ein alter Kapitain speiste mit mir.
„Wir sind hier glücklich“ sagte er, „haben
Alles, leben billig und sind zufrieden, wenn auch nich
gescheut _.444/ -
„Ja wohl.“ -
„Bei Ihnen in Sachsen –“ - “-
„Entschuldigen Sie, ich bin kein Sachse, Gott sei
Dank, denn da müßte ich am Konstitutionstage illumi-
niren, und das thue ich ungern, denn es hilft doch nichts,
und wenn ich 100 Lichter ansteckte, ich würde die Kon-
stitution doch nicht ausnehmen.“ -
„Ja bei Ihnen in Sachsen, da ist es freili
schöner, da sind die Leute so aufgeklärt – ““ . . .
„Das weiß Gott!“ -
ZH
Der Kellner kam herein und verstand nicht, was ich
haben wollte. . " - - -
" „„Nerozomim jenetz “ sagte er.
„Er ist ein Franzofe,“ sagte der Kapitain
spöttelnd und sich brütend, daß er deutsch sprach.
„Ann je ein fanaly“ scherzte der Böhm,
den er sich fit wie ein Fachah, als ob ein
Fakt ist, als sie
Merkwürdig, kein Jude will ein Jude sein und
kein Böhme ein Böhmel. Beide schämen sich ihrer
Herkunft und verleugnen sie, so oft es hunlich, ist.
Kein Böhme will von seinem Vaterlande etwas wissen,
wenn er einmal deutsch spricht. Böhmenvolk, du bist
nicht mehr und doch behaupten. Viele, ein Volk könne
nicht untergehn! Möchten wir die Zeiten nicht erleben,
wo die Polen es den Böhmen nachthun werden, und,
“ : "
sich verleugnend, ausrufen: wir sind Ruffen -
Nachdem ich die Bürgermiliz von Tetschen, welche -
ausgerückt war zur Feier des Frohnleichnamsfestes, mit
denselben Augen bewundert und betrachtet hatte, wie
die sächsischen Kommunalgarden, trennte ich mich von
diesem ergötzlichen Schauspiele und fuhr ab, Abends langt
ich in Teplitz an. . . . . . .: - . . . . . . .
- - - - ––
: ... bild: - in
:
3 %
56
Die
(Neue Reisegesellschaft. Ein Kaufmann aus Hamburg. Ein
Arzt aus Königsberg und ein Fabrikant chemischer Waa-
ren. Die Cholera - Revolution in Königsberg. Urtheil
über Börne und Heine. Ankunft in Prag. Der Pfarrer.
Das Cölibat. Wehmüthiges Gardinengespräch.)
Als ich des Morgens mir die Augen rieb , sie weit
aufeiß und mich in der Stube umsah, entdeckte ich ein
schläfriges Gesicht an der Thür, indem ich sogleich den
Frevler erkannte, der mich aus meinem tiefen Schlaf
erweckt. Es war ein Prager Lohnkutscher, der mir vor
stellte, ich könnte das Geld für die Extrapost wohl er-
fparen, und eben so schnell nach Prag kommen in feinem
Fuhrwerk, wobei er noch bemerken zu müffen glaubte,
daß ich sehr gute Gesellschaft antreffen würde, Unver-
fchämter Kerl, dachte ich, kann ich wohl in bessere Gesell-
fchaft gerathen, als wenn ich allein fahre. Dennoch ent-
schloß ich mich, feinen Antrag anzunehmen, wenn nicht
etwa Weiber mit ihren unzertrennlichen Gefährden, rie-
figen Putzschachteln und Apothekergerüchen, von der
Partie wären. Der Kutscher versicherte mich, daß meine
Reisegefährten alle männlichen Geschlechts seien, wenn
fie auch, vermöge ihrer ungewöhnlichen Staubmäntel,
von Weitem betrachtet, alten Weibern nicht unähnlich
seien. Er könne aber schwören, daß sie außer dieser be-
meldeten Aehnlichkeit nichts Weibisches an sich hätten,
und schon durch ihre Einsilbigkeit ihre Mannheit genüglich
/
tt er T a g.
37
darthäten, wenn er auch nicht Gelegenheit gefunden haben
würde, sie heute Morgens bei einem Aktus zu überraschen,
der alle Geschlechtszweifel niederschlug. Es waren daher
keineswegs Menschen, die sich bloß anstellten, als ob sie
Männer wären, sondern wirkliche, mit unzweifelhaften und
kräftigen Zeugungsgliedmaßen versehene Männer. Ich
war deshalb zufrieden und freute mich absonderlich über
die Nachricht, daß meine neuen Reisegefährten nicht von
dem Laster der Schwatzhaftigkeit ergriffen wären. Als ich
am Kutschschlag ankam, saßen sie schon im Wagen, und
hatten sehr vernünftig die besten Plätze eingenommen.
Im Fond bläherte sich ein dicker Kaufmann aus Hamburg
und ein dünner Doctor aus Königsberg, neben mir kam
zu sitzen ein hypochondrischer Apothekergeselle, Chemiker,
oder was er war, den die Säurendünste und Gase feiner
Laborate gänzlich petrificirt zu haben schienen. Es war
eine charmante Gesellschaft, die mich durch kein unver-
nünftiges Geschwätz in meinem brütenden Gedankenschlaf
aufstörte, vielmehr selbst schlaftrunken sich mit stummen
Gähnen und Gliederrenken unterhielt. Erst nachdem uns
auf der nächsten Station ein kräftiges Frühstück gestärkt
und unsere Gedanken einigermaßen aufgeregt hatte, glaub-
ten wir es an der Zeit, mit der Bewunderung des lang-
weiligen Millichauer Berges ein eben so langweiliges Ge-
spräch zu eröffnen. Ich sprach mit Jedem einzeln über
sein Fach. Mit dem Apotheker zergliederte ich sehr ge-
lehrt die chemischen Bestandtheile des Tabaks, mit dem
-
58
Kaufmann fprach, ich über den Tabakshandel, und den
Arzt befragte ich über die Wirksamkeit des Tabakrauchens
als Präservativ gegen die Cholera, Alle zusammen, ver-
sicherten mich aber, daß der österrreichische Tahak ganz
außerordentlich schlecht wäre. Sie geriethen bei dieser
Behauptung, die ich natürlich aufs Eifrigste bestritt, so
sehr außer sich, daß der Chemiker schrie, es sei pures
pestilentisches, Miasma, was aus der Entzündung des
österreichischen Tabaks entstünde, der Doktor seine Pfeife
zerschmiß und einen schrecklichen Eidschwur that, fich in
Pesterreich das Tabakrauchen abzugewöhnen, und der
Kaufmann, der Vernünftigste vor Allen, mir köstliche
Hamburger Cigarren, die er mit Hilfe eines Douqeurs,
wodurch er das Herz der Zollbeamten erweichte, glücklich
über die Grenze gebracht hatte, um mir darzuthun, daß
sich der Apaldo a Tabak, hinsichtlich feines Geruchs- und
Geschmacks, dagegen verhielte wie Stiefelwichse zu Rosenöl.
Zwar machte ich großwüthig Gebrauch von seinem Aner
hiatenzzrmangelte aber dennoch nicht, ihn mit schlagenden
Beweisgründen die Ueberzeugung beizubringen, daß die
Pesterreicher fehr guten Tabak haben könnten. Laffen
Sie den Tabak aufhören, ein Monopol der Regierung zu
sinfo können Sie es leichte erleben, daß Ihre Geruchs-
nervenz nicht weiter von den scheußlichen Beizen der
jetzigen Tabaksfabriken belästigt werden. Zudem gedeiht
in Ungarn einfo vorzügliches, feines Blatt, als irgend
wo in Amerika, aber die Juden, welchen man die Tabaks-
- -
- 39
lieferungen übertragen hat, kaufen die schlechtesten Blätter
im Lande zusammen und überliefern sie den Fabriken,
welche dann gewiß nicht verabsäumen, durch schlechte
Beizung den Tabak vollends zu verderben. Der Kauf
mann meinte aber, wir sprächen von dem, was ist, und
nicht von dem, was sein könnte und fein sollte, und ich
wußte mir nicht anders mehr zu helfen, um mich mit
Ruhm für mein Vaterland aus der Affaire zu ziehen, als
indem ich mit übertäubender Stentorstimme schrie: „kurz
und gut, Herr, Sie haben Unrecht, eben so unrecht über
den österreichischen Tabak zu schimpfen, als ich Recht
haber Ihren Gigarrenvorrath zu schmälern,“ und somit
nahm ich ihm eine Cigarre nach der andern ab und
verblies fie. Er ist 0 es
„Advocemi Choleral“, sagte ich zu dem Arzt.
„Sie haben ja auch eine Revolution in Königsberg ge-
habt, weil die Leute glaubten, sie würden von Ihren
Collegen vergiftet?“ „Ja wohl, und zwar war unsere
Revolution eben so dumm als alle übrige; die polnische
nicht ausgenommen. Es ist überhaupt in unserer Zeit
nichts ungewöhnliches, daß sich die Menschen gegen alle
gesunde Vernunft auflehnen uud Leben und Blut daran
setzen, ihre Dummheit geltend zu machen. Die Veran-
laffung zu dem Tumult in Königsberg beruhete auf
einem eben so thörigten Irrthum und einer eben so
großen Unwissenheit des Pöbels, als die Volksbewegungen
im übrigen Deutschland.“ -
A0 - -
„Man hat öfters behauptet, daß dieser Aufstand
einen politischen Grund gehabt, allein dieß ist so unfinnig,
als wenn man glaubt, die Schneidergesellen in Berlin,
die Studenten in Leipzig und die Gardisten in München
haben die Vereinigung Deutschlands beabsichtigt, indem
sie den Leuten die Fenster einwarfen und die Häuser der
Polizeibeamten demolirten. Der Hergang der Sache in
Königsberg war folgender: Die junge Frau eines Schnei-
ders erkrankte plötzlich an der Cholera und starb, obgleich
sich einer unserer Aerzte entsetzlich abgemüht hatte, fie
zu heilen. Der trostlose Gemahl dieser Unglücklichen
wollte nun in dem unvernünftigen Uebermaaß feines
Schmerzes ebenfalls sterben und legte sich zu dem Ende
zu der Leiche, um, wie er hoffte, angesteckt zu werden
und die Cholera zu bekommen, Seine Bemühungen
blieben jedoch fruchtlos und er überlebte seine Thorheit.
Nun, glaubte der Pöbel, sei es thatsächlich bewiesen,
daß die Krankheit nicht ansteckend, und daher fchloffen
sie mit unglaublichem Scharfsinn, daßfie Folge einer Ver-
giftung der Aerzte sei. Müffiges Lumpengesindel verbrei-
tete allenthalben diesen Wahn, versammelte sich auf den
Straßen, trieb allerlei Unfug und wollte den Söhnen des
Hypokrates zu Leibe. Die Behörden fahen sich dadurch
gezwungen, um den Haufen auseinander zu jagen, Ge-
walt mit Gewalt abzuwehren. Der Offizier, welcher die
zur Wiederherstellung der Ruhe beorderten Soldaten be-
fehligte, hatte jedoch den strengsten Befehl, nicht ohne
- -
A
Noth Blut zu vergießen. Er wurde jedoch mit einem
Steinregen begrüßt, und ein betrunkenes Weib hatte fo-
gar die Frechheit, aus dem Pöbelhaufen hervorzutreten,
ihre Posteriora zu entblößen und der zum Schuß fertigen
Mannschaft folchergestalt einen Zielpunkt anzuweisen. Der
Offizier, menschlicherweise indigniert, ließ sich aber das nicht
zwei Mal fagen, commandierte Feuer und zehn Kugeln
durchbohrten die partie honteuse der schamlosen Poiffarde.
Dieß war der tragikomische Schlußpunkt der Königs-
berger Revolution, denn Niemand wollte ein werthes
Hintertheil weiteren Gefahren preis geben. Wir können
nun mit vielem Stolz sagen, die Zeit geht bei uns vor-
wärts, denn wir haben eine Revolution gehabt. Aber
Sie, meine verehrten Herren Oesterreicher, fcheinen an
diesen großartigen Bewegungen nicht den mindesten Antheil
zu nehmen.“
„Hm!“ bemerkte ich, „Hm!“ und noch ein Mal
Hm! auf diese fonderbare Frage. Wäre ich ein Zeitungs-
schreiber und liebte mein Brod, fo müßte ich mit einem
Libel antworten, oder wäre ich ein Dichter und liebte
meinen Ruhm, so müßte ich den baaren politischen Un-
finn, den nur Handwerksbursche in den Schenken frei
und ohne Unterschweif heraussagen dürfen, in schöne Reime
bringen. Auf diese Weise haben neuerlich ein Dutzend
schlechter Poeten und sonstiger Flachköpfe ihr Glück und
miserable Lieder gemacht. Ich meinerseits bin weit ent-
fernt, in solche Lieder mit einzustimmen, und lobe es viel-
A12
- -
mehr als fehr "ernünftig, wenn ein Volk in dem am
meinen Völkerrausche, statt sich tollkühn einer taumeln
Bewegung zu überlaffen, die nur in Sümpfe und Kloa
führen kann, ruhig steht, beffer noch sitzen bleibt,
phlegmatisch zu betrachten, wie z. betrunkenen Kamera
bei ihrem totalen Mangel an Consistenz und Gleichgewi
ihre geraden Glieder riskieren,
z, Eines schickt fich nicht für Alle.
-- - Sehe Jeder, wie ers treibe,
Und wer steht, daß er nicht fallen
,,Apropos, Herr Reise-Compagnon, ich habe Ihn
mit "gnügen abgemeier, daß Sie fo ein Stück v
Gelehrten und sugleich Oest
eine Meinung haben v.
ichen Dichtern par exemple Heir
Börne, Harring, Maltig, Menzel u. f. w.“
O-
ww3ch glaube, "ein Herr, daß alle die Leute, Me
ze, der kein Dichte, " und einen besondern Beruf ha
ausgenommen, alle „ Geld schreiben."
ist kein klares Urtheil.“
von Doch, mein Perr, es ist Alles damit gefag
Betrachten wir diese "enschen als Kaufleute, so sind
wir, daß ihre Waaren Größtentheils zu den Luxusartikel
gezählt werden „g “- woraus wiederum folgt, daß
UNON f -
: " ihre Handelsartikel an Mann z
r A o f effend als möglich anzukündigen, um
- - 43
durch das Wesen, das fiel von sich selbst machen, Käufer
anzulocken. Ich kann es keineswegs tadeln, daß sie von
der Zeit ihren Profit nehmen, aber ich kann eben so
wenig zugeben, daß man ihre Aussprüche für Orakel des
Zeitgeistes annimmt, und fo sehr mich der Witz dieser
Schriftsteller anzieht und amüsiert, so wenig achtungswerth
erscheinen mir die Beweggründe zu ihrem Lehren. Zudem
stehen viele, ja vielleicht die meisten dieser Freiheitsapostel,
welche Sie eben hier angeführt haben, fammt jenen, welche
Sie nicht angeführt haben, in solchen bürgerlichen Verhält-
niffen, welche fiel in der Achtung ihrer nächsten Umgebung
eben so tief stellen, als ihre übel angewendeten Talente
fie hoch stellen, hoch sogar über viele sogenannte Heroen
der deutschen Literatur. Der fähigste und genialischste
unter allen ist Börne. Ich glaube, daß dieser Mann
allein mehr Verstand besitzt als alle übrigen zusammenge-
nommen. Aber zu behaupten, daß Börne Vaterlandsliebe
befize, fällt mir nicht ein, obgleich dieses Paradoxon bei
der Wuth, mit der Börne über alles Deutsche herfällt,
für mich sehr viel Anziehendes hätte. Börnes Geist ist
auf der Leiche feines Gemüths erstanden und fein Ge-
müth scheint zu Grunde gegangen in einen Kampf mit
feindseligen Principien. Sein Hohn, der kühn über Alles
herfällt, was in dem Haufen groß und schön ist, so wie
fein bitterer Humor, ist ein Sohn des Unglücks, und
trägt eine Hahnenfeder auf dem Hut. Es scheinen ihn in
schon früh schöne Ideale zertrümmert und manches Spiel-
. . . .
Ä1 -
zeug feines frischen Herzens entriffen worden zu fein.
Ein Sturm scheint feinen Himmel in ewige Nacht ver-
wandelt zu haben, ein Sturm, der vielleicht ein kleines
Gemüth vernichtet haben würde, aber fein geistiges Leben
nicht ganz zerstören konnte. Jeder kleine Geist geht in
folchem Kampf zu Grunde, während größere nur die Farbe
der Empfindung verlieren. Der Stolz, der unzertrennliche
Gefährte aller Größe, hat ihn aufgerichtet und steht nun
allein da in feiner kahlen Höhe. Die farbige Brille der
Liebe, die uns Alles in Rosenschimmer zeigt, ist zerbrochen
und das Auge fieht nun klar die Welt in ihrer nackten
Erbärmlichkeit. Wenn der menschliche Geist so ganz und
gar entkleidet wird, wie es bei Börne geschehen sein mußte,
durch Mißgeschick und Seelenkampf, wenn man ihm end-
lich nichts zu schaffen giebt, daß er sein Leben verwende
und fich neue Kleider erarbeite, so ist nichts natürlicher,
als daß er zu zerstören sucht und fein menschenfeindliches
Werk da beginnt, wo ihm etwas Großes zunächst im
Wege steht. Börne hat keine Meinun g, sondern nur
eine Gesinnung, die freilich schlimm genug ist. Er
weiß ihr jedoch mit so viel Verstand das Wort zu reden,
daß man oft glauben sollte, feine Gesinnung sei ein Re-
fultat eines Denkens und Forschens, während eine adop-
tierten Meinungen Kinder feiner von üblen Verhältniffen
erzeugten Gesinnung find. Abgesehen von der Ver-
werflichkeit einer politischen Dogmen, wird er durch
feinen Einfluß nützen durch Erregung einer freieren Gei-
-
- 45
stesbewegung in Deutschland. Laß die Philister immer
schreien über Form- und Richtungslosigkeit, des Mem-
fchen Geist läßt sich nicht einzwängen und infibuliren,
und ich freue mich, wo ich ihn so entbunden finde und
noch mehr, wie in Börnes Schriften. Der Geist ist
die unbändigte Kraft. Sie durchbricht alle Schranken,
und verfolgt, wie das Feuer des Vulkans die Berge hin-
durch, die Richtung ihres ersten Anstoßes, ihrer Entzün-
dung, und dringt ein Phänomen durch die Nacht, alle
Hindernisse weit von sich schleudernd. Keine Bannformel
der zaubernden Phantasie, keine Anstandsregel der Con-
venienz, keine Formenlehrer fähränkt ihn ein. Die aufge-
stellten Schönheitsregeln eines Aristoteles und die philo-
sophischen Denksysteme eines Kant erweisen sich eben so
ohnmächtig, als ob man zu der Feuersäule des Vesuv
fagte: „Flamme, zertheile dich in effectvollem regelmäßigen
Funkenregen, nimm, die Farben des Regenbogens an,
schleudere den Rauch von dir, daß du rein werdet, und
wenn du aufhörst zu leuchten, fo platze mit Donner und
Blitz! Hypokrenen könntet ihr noch ein Flußbett graben
und ihren Lauf lenken, nimmer aber zügeln den Funken
der Gottheit in uns, minder noch als ihr gebieten könnt
der glühenden Lava heftiger Leidenschaften und Empfin-
dungen. Aber bei der philistermäßigen Trägheit und
Unbeholfenheit unsers Jahrtausends predigt man tauben
Ohren, den Geist kastriert man schon in der Kindheit in
Schulen und Akademien, und macht ihn unfähig zur
46
Zeugung, daß er ein desto besseres Lastthier werde, und
all' dem Bombast von Kunst-, Schönheits- und Denk-
regeln, den der Unsinn von tausend Poeten und Philo-
fophen zusammengehäuft, fortschleppe durch die Jahrhun-
derte. Wir fingen und leiern nach Virgil, Homer,
Aeschylus und Aristoteles, wir denken nach neuern Ge-
fetzen eines Fichte, Kant, Schelling, Krug, aber Nie-
manden ist es eingefallen noch bisher, sich gehen zu laffen
und den millionenmal consumierten und verdauten Quark
nicht wieder zu kauen. -
Börne hat zwar manche Ungerechtigkeit verübt, man-
ches Achtungswerthe und Große ungebührlich verhöhnt,
manches Edle, Heilige profaniert und in den Kothge-
zogen, doch gehören feine Tiraden gegen Deutschland
nicht unter jene Hauptsünden, welche Rüge und Wider-
spruch verdienen. Sehr zu mißbilligen ist es jedoch, daß
er als ein Mann, der doch über die Gewöhnlichkeit hin-
ausragt, di... ... finnige Chimäre der deutschen Burschen-
fchaftler, die Vereinigung der deutschen Männer aufgreift,
und die Existenz eines Deutschlands auch nur in der
Idee annimmt. Es giebt wohl ein deutsches Land, ja -
fogar mehrere, aber keineswegs ein Deutschland, welches
nie existierte, nicht existieren kann und wird. Wenn ich
sage, ich bin ein Deutscher, so heißt das, ich spreche
deutsch und nicht ein Jota mehr; das, was man ge-
wöhnlich unter Deutschland versteht, ist nichts als eine
Gesellschaft gänzlich verschiedener Völker, die mit einander
/
- A47
nichts gemein haben, als ihre Sprache und Grobheit.
Mit eben dem Rechte, ja sogar mit größerem, könnte
man ein Slavenland annehmen, wenn man alle jene
Völker gleicher Zunge eines heißen wollte. Eben so
wenig als die Slaven in Oesterreich, Deutschland, Ruß-
land, haben die Deutschen einen gemeinschaftlichen National-
charakter, Nationalkraft, Nationalwillen, Nationalfitten
und Nationaltracht. Wo alle diese Nationaleigenschaften
fehlen, da fehlt auch die Nation, und dies ist der Fall
Deutschlands. Schon die geographische Lage der deutschen
Länder ist ein Beleg zu dieser Behauptung, und die
Geographen wissen sich beim Entwurf einer Charte von
Deutschland nicht zu rathen, nicht zu helfen, und find
gezwungen, slavische Länder mit zu Deutschland zu rech-
nen. Der Nationalhaß, der die Deutschen unter fich
entzweit seit Jahrhunderten, ist ein anderer nicht min-
der triftiger Grund zu der Behauptung, es giebt kein
Deutschland. Desomehr Anlagen haben die Deutschen,
gute Oesterreicher, Preußen und Baiern zu werden, nur
ist es ein großer Uebelstand, daß es so viele kleine Für-
fenthümer giebt, deren Einwohner sich unmöglich zu den
felbstständigen Völker rechnen können; man kann daher
kühn sagen, aus Deutschland wird nichts, bis die
großen Staaten die kleinen aufreffen, wie die Hayfische
die Sardellen. Dann werden wir sagen, wir find Oester-
reicher, Preußen, Baiern c. und nichts schlimmeres, thun,
als was wir bisher gethan, nämlich der Preuße wird den
48
Oesterreicher haffen und umgekehrt. Oder sollte man im
Ernst hoffen, daß Völker sich vereinigen werden, die seit
mehr als einem Jahrtausend einander feindlich gegen-
über gestanden in hundert blutigen Kriegen? Gleich und
gleich gesellt sich gern, sagte der Teufel einst zu einem
Mönch, vereinige sich also was zusammen paßt, denn
die Vereinigung Aller ist unmöglich. - - - - - - -
Daß Börne fein Vaterland haßt, ist eine wider-
finnige Behauptung. Börne ist ein Jude, und die Ju-
den haben kein und lieben kein Vaterland. Wie kann
in einem Volke, das über alle Theile der Welt zer-
freut ist, das überall mit Verachtung behandelt, das
überall unter den Pöbel gestellt wird, das nirgends bür-
gerliche Rechte genießt, oder doch nicht in jenem Um-
fange, wie alle übrigen, wie kann in einem fo zertrete-
nen und vernichteten Volk Vaterlandsliebe und Patriotis-
mus erwachen. - - - - - -
Heine ist Börne’s Brudergeist, aber Heine's Ta-
lent ist schöner, Börne’s größer. Heine würde einer un-
ferer angenehmsten Dichter sein, wenn das Leben ihn
nicht verbittert und der Witz nicht die Oberherrschaft ge-
wonnen hätte über die Phantasie. Sein Buch der Lie-
der ist die Geschichte feiner Seele, Blumen wollte er
pflücken, aber Dornen zerrissen ihm die Hand und das
Herz. Das Schöne wollte er umarmen, aber es stieß
ihn zurück, wie eine spröde Schöne die Zudringlichkeit,
eines Liebe glühenden, Seladons. In seinen Schriften,
A49
athmet die Sehnsucht noch einen verlornen Himmel
und die Wehmuth eines verletzten Gemüths kämpft
mit einem unbändigen Witz, der noch die letzten Blüthen
einer entnervten Phantasie in wilder Laune zerpflückt.
Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, unglück-
liche Liebe habe diesen beiden Geistern ihre jetzige Rich-
tung gegeben. In Heine ging dadurch ein lyrisches-
Talent zu Grunde, in Börne verwandelte sie einen schaf
fenden Geist in einen zerstörenden um. Heine war
Dichter, Börne geboren zur That. -
Auch Oesterreich hat in neuerer Zeit eine politischen
Dichter und unter ihnen den Matador aller teutschen – den
Dichter der Spaziergänge eines wiener Poeten. Die Ge-
fähichte dieser Gedichte ist sehr geheimnißvoll, obgleich Jeder-
mann glaubt, Auersperg fei der Verfaffer. Ein junger
Mann von bescheidenem Aeußern kam in der Meffe zu
Herrn Campe, überreichte ihm ein Manuscript zur An-
ficht und entfernte sich, als ihm der Bescheid ward,
man werde gelegentlich die Gedichte durchsehen. Geschäfte
hinderten Herrn Campe lange daran; auch schien ihm
die Sache zu geringfügig und kaum des Lesens werth.
Monate vergingen und noch immerlag das Manuscriptbeschei-
den unter andern Schriften, die auf den gnädigen Richterblick
des Verlegers harrten. Endlich einmal geschah es, daß
zu Frommen und Nutzen Oesterreichs Herrn Campe die
Langeweile plagte. Mit fehnsüchtigem Auge, unter häu-
figem Gähnen suchte er unter den staubigen Papieren und
4
50
stieß auf die Spaziergänge. Mit dem Vorsatz, einige
Strophen zu lesen und das Büchelchen dann wieder bei
Seite zu legen, nahm er es auf in Gnaden und las.
Auf der ersten Seite, versichert Herr Campe, habe er
ausgerufen: „der Mann versifiziert gut!“
Bei der zweiten:
„Der Mann hat Verstand!“
Bei der dritten:
„Der Mann hat Talent!“
Bei der vierten:
„Das Buch drucke ich und wenn ich nicht
auf die Kosten kommen follte.“
Nach folchen Exklamationen übergab Herr Campe
die Spaziergänge an Herrn von Maltitz zur Ansicht.
Herr von Maltitz kam in einigen Tagen zurück, fäbelte
in der Luft herum, daß Herrn Campe bange ward
und rief:
„Freund, fo was kann ich felbst nicht
„machen!“
was ihm aufs Wort geglaubt wurde; denn Herr v. Maltitz
ist nach dem Urtheile Aller, die ihn kennen, ein glaubwürdi-
ger Mann. Das Buch wurde gedruckt und erlebte mehrere
Auflagen hinter einander. Nachdem ich ihnen das Bücher-
fatum der Spaziergänge, wie auch die seltsamen Bewe-
gungen eines Buchhändlergemüths von der besten Sorte
vor Augen gestellt, darf ich es wagen, einer andern Flug-
schrift ähnlicher Tendenz, „des Reichs der Finsterniß,
51
von H. Normann,“ welche gleiche Celebrität erlangt
hat. Der Mann scheint bei einer sehr heftigen Empfin-
dung weniger Enthusiast und Schwärmer zu sein als sein
Vorgänger. Seine Verse, noch mehr aber seine Prosa
beschäftigen sich mit den einzelnen Erscheinungen im öster-
reichischen Staatsleben, welche ihm als Uebelstände sich
darstellen. Er zeigt daher mehr praktische Einsicht als
phantastische Anschauungsweise, und glüht für keine Idee,
die man nie im Leben verwirklicht gesehen hat Und fcheint
mehr dem Glücke als der Freiheit zu huldigen. Der
Götzendienst der Freiheitsmänner, welche ein goldenes Kalb
anbeten, von dem sie nicht zehren können, hat ihn nicht
hingeriffen zum politischen Aberglauben und fo dürfte er
bei nüchternem Fortleben und Fortdenken bald überzeugt
werden, daß er sich im Irrthum befinde und Uebel der
Welt für Uebel eines einzelnen Staates gehalten habe.
Eine andere interessante Erscheinung der Neuzeit
Oesterreichs ist der schnell bekannt gewordene Dichter Ni-
kolaus Lenau (recte Nikolaus Niembsch von Strich
lenau). Dieser reich begabte Schriftsteller ist zwar in
feiner Buhlschaft mit der modernen Göttin Freiheit nicht
so weit gegangen, sich wie A. Grün und H. Normann
zu kompromittieren; allein er versäumt selten eine Gelegen-
heit ihr einen wohlwollenden Seitenblick zuzuwerfen. Auch
er hat, wie seine Vorgänger, eine Enttäuschung erfahren
müffen, hinsichtlich der allgemein grafierenden Ideale von
dem glückseligen Zustande der freien Amerikaner Seine
-
32
poetische Seele hat sich einen Winter lang in Pittsburg
gelangweilt und war vielleicht nie weniger fern von feinem
Vaterland als damals. Er hat uns atlantische Bilder
herübergebracht und fiel dem schönen Cyklus feiner vater-
ländischen angereiht. -
In der poetischen Schilderei hat es ihm keiner zu-
vorgethan, denn er hat das außerordentliche Talent unter
den landschaftlichen und Lebenserfcheinungen, jene festzu-
halten, welche das Gemüth ergreifen. Er schreibt die
Natur. nicht ab, wie Mathiffon, sondern feffelt ihre schön-
ften und flüchtigsten Gestalten. Unter allen jetzt lebenden
Dichtern hat er am meisten inneren Fond in feinem
lebensfrischen noch unverbitterten Herzen. Er scheint mir
ein beneidenswerth glücklicher Mensch, obwohl alle feine
Dichtungen nur Wehmuthhauchen, ja sogar eben deshalb,
weil alles Weh in feiner Brust sich in schöne Gefühle
auflöst. Er hat ja auch das beste Loos der Dichter, ein
harmlos unbewegtes Leben.
Nachdem sich meine ehrenwerthen Reisegefährten fatt-
fam verwundert hatten über Oesterreichs plötzliche Frucht-
barkeit an ausgezeichneten Talenten, wollten Sie Aus-
kunft haben über das seltsame Phänomen, daß ein Staat
von 33 Millionen Einwohnern doch im Allgemeinen we-
nig große und berühmte Schriftsteller aufzuweisen habe.
Da ich fomit meine Gesellschaft dazu gebracht hatte mein
Steckenpferd zu reiten, fo versäumte ich nicht es nun selbst
"'n und wacker zu tummeln. -
53
„Dieses Phänomen,“ fagte ich, „oder vielmehr diese -
sonderbare Erscheinung von Nichts hat viele verschiedene
Ursachen. Eine der wesentlichsten ist wohl die bestehende
Staatseinrichtung, vermöge welcher die große Zahl wissen-
fchaftlich gebildeter Männer in öffentlichen Aemtern bestellt
ist. Das Trachten eines jeden Studierenden in Oester-
reich geht dahin, baldigst ein Amt zu erwerben, wodurch
feine Existenz auf immer gesichert wird. Da nun der
österreichische Staat bei einer gegenwärtigen Organisation
fehr viele Beamte braucht, so wird dadurch den meisten
fähigen Köpfen eine freie Ausübung der Künste und Ge-
lehrsamkeit unmöglich gemacht. Es ist zwar nicht zu
leugnen, daß auch viele begabte Männer neben ihren
Berufsgeschäften im Dienst des Staates, auch Wiffen-
fchaft und Kunst betrieben haben, allein dieß geschieht nur
ausnahmsweise und Sie werden bei genauer Prüfung der
Sache finden, daß Deutschland die große Anzahl feiner
Schriftsteller meist der fehlerhaften Organisation feiner
kleinen Staaten zu danken hat, in welchem viele ausge-
zeichnete Talente müffig bleiben. Die österreichische Re-
gierung scheint überdieß die richtige Maxime Maleherbes
zu haben, „daß ein guter Dichter dem Staate nicht nütz-
licher sei, als ein guter Kegelspieler.“ In der That wäre
es lächerlich, wenn ein Staat darauf ausginge, recht viele
Poeten zu haben. Staatsbeamte aber verlieren bei Pflicht-
eifer und Fleiß bald die Luft sich um einen Platz auf
dem Parnaß zu bewerben. Wer aber nicht im Staate
54
beamtet ist, hat den geistlichen Stand erwählt, welcher
in katholischen Ländern bekanntlich sehr wenige Dichter
erzeugt, da 'ne so leichtfertige Beschäftigung, wie das
Dichten und Aussprechen erotischer Empfindungen, mit
ven "hodoxen Grundsätzen nicht verträglich ist. Auch
stehen die bestehenden Censurvorschriften der Dichtkunst
hin'" Wege, denn diese will sich bekanntlich durch
kein "en, als die Gesetze der Aesthetik einschränken
1affen. Was übrigens nügliche Wiffenschaften betrifft, so
hat Desterreichs Literatur genug Vorzügliches aufzuweisen.“
Meine Reisegesellschaft hörte bis hierher mit der
größten Aufmerksamkeit mir zu, ohne mich zu unterbre-
chen. Ich glaube, sie hätten es aus Bequemlichkeit noch
länger gethan, wenn uns nicht der gräuliche Husten des
Kutschers unterbrochen hätte; der arme Mann hatte sich
auf der Straße in Staub und Wind die Lungensucht
geholt und versicherte uns, er habe seit sechs Jahren den
Huften. Der Doctor aus Königsberg ließ ihn bei sei-
nem tröstlichen Glauben, meinte aber gegen uns: in drei
Monaten wird er wohl noch den letzten Rest feiner Lunge
herausgehustet haben. Herrliche Erfindung des Todes,
die Lungensucht. Der damit Behaftete hustet das ganze
Organ langsam weg und hofft bis auf den letzten Augen-
blick. Warum kann man nicht auch das Herz so aus
dem Leibe hufen? – Ich glaube, daran könnte. Niemand
sterben; denn kein Herz zu haben ist ein großes Glück.
In Leitmeritz begegnete uns kein Unfall, obwohl die
55
Stadt eine Festung ist. Am ersten Thore trat ein be-
trunkener Korporal an den Wagen und bat um unsere
Namen. Ich fagte ihm den ersten besten, der mir in den
Sinn kam: – Doctor Sonntag aus Upsala. Der Korpo-
ral meinte, es wäre ein außerordentlicher Fall in dieser Fe-
fung, daß der Sonntag am Montag hier durchpafire; es
wäre ihm lieber, fagte er, wenn es umgekehrt wäre, denn
am Sonntag habe er keinen Dienst. Ich fragte ihn, ob
er feinen Witz Saphir abgelauert habe? O! lächelte er
superklug, Sie belieben zu spaßen und glauben, ich wisse
nicht, daß Saphir ein Stein ist, der doch unmöglich wiz
zig fein könne. Ganz recht, ein Stein, erwiderte ich,
aber kein Edelstein. Dabei fuhren wir rasch davon; aber
der Korporal rief uns noch ein Mal zurück. Was giebts?
Hören Sie, Herr Doctor Sonntag, rief er – und mir
stieg das Blut in die Wangen, denn ich glaubte mich verra-
then – der Saphir ist ein Edelstein- o, ich weiß das noch
aus dem Regimentserziehungshause. Zugestanden. – Am
andern Thore kam wieder ein Korporal mit demselben Anlie-
gen. „Doctor Montag aus Upsala.“– „Glückliche Reife!“
Noch am hellen Tage fahen wir die Thürme von
Prag. Ich stieg aus und ging zu Fuße in die Stadt;
denn am Thore muß man die Päffe abgeben, und ich
hatte keine Lust, die Neugierde der Polizeibeamten zu be-
friedigen. Mein Schnurrbart machte mich unkenntlich,
und fo ging ich an mehreren Bekannten vorüber, ohne
erkannt zu werden. Im Gasthof zum – fand ich mei-
56
nen alten ehrlichen Martin, der seitdem als Lohnbedienter -
hier fervierte. Er allein kannte mich noch und weinte vor
Freuden, als er mich fah. Ja, hier ist. Alles anders, als
dort drüben – hier giebt es noch warme Herzen.
Meine Reisegefährten kamen bald nach, und der
Chemiker trat leise und schüchtern in meine Stube.
„Wie gefällt es Ihnen hier?“ fragte ich vergnügt.
„Ach! schlecht, sehr schlecht. Mir ist ganz un-
heimlich zu Muthe in dem wilden Lärmen; die Leute
fchreien ja hier, als wenn sie befeffen wären. Alles ist
wie im Aufruhr, und man kann ja kaum denken in
dem Getümmel.“
„Ja, das Land der Schlafmützen ist hier nicht mehr.
Die Menschen haben hier schon Blut und freuen sich
ihres Lebens. Laffen Sie den ersten Eindruck vorüber-
gehen, und der Lärmen wird ihnen lieb werden. Sie
werden sich nicht wieder zurücksehnen in ihr grabesstilles
Norden. Sie werden hier Menschen finden, Freunde,
und darüber die Klötze in Ihrem Vaterlande vergeffen.“
Ich drückte ihm dabei herzlich die Hand. Er schwieg
und fähien es seltsam zu finden, daß ich meine Meinung
fo rund heraussagte, ohne gerade boshaft zu fein. Die
Nordteutschen find nur grob aus Bosheit, wenn sie belei-
digen, fich rächen wollen.
Man pochte an die Thüre. Ein Mann in schlich-
tem Oberrock, mit dem Abzeichen geistlicher Würde, trat
höflich grüßend herein. Es wären, fagte er, im Hause
H7
alle Stuben besetzt, und er denke in-der meinigen unter-
kunft zu finden. Er habe den alten Martin gefragt,
welcher Passagier wohl zu solcher Gefälligkeit bereit sein
würde, und die Weisung hierher erhalten. Ich stellte ihm
freie Wahl zwischen zwei Betten, welche in der Stube
standen, und empfahl mich, um parterre mein Abendmahl
einzunehmen, ehe sich andere Gäste einfänden. Im
Dunkel der Abendstunden aber strich ich durch die Straßen
von Prag, um eine lang entbehrte Promenade auf der
Brücke zu unternehmen. Unbeschreiblich war der Eindruck,
den dieß Riesenwerk eines entfernten Jahrhunderts jetzt
auf mich hervorbrachte. Die Sonne war untergegangen und
ein düsteres Zwielicht beleuchtete den Himmel. Ungeheure
Gespenster standen die kolossalen Statuen der Märtyrer auf
beiden Seiten der Brück, ihren Schatten in die Fluchen
der still strömenden Moldau hinabsenkend. Jenseits rag-
ten die Thürme des Hradschins empor. Eine dunkle
Menschenmaffe wogte hinüber und herüber; aber keiner
VIT unter ihnen, der den feierlichen Eindruck mit em-
pfand. Die Statuen der Gekreuzigten und Gemarterten
fähienen sich zu beleben, zu regen, und ich vernahm ihr
- Gestöhn. Am Fuße einer Säule, auf deren Piedestal sich
eine seltsam verrenkte gefeffelte Gestalt erhob, blieb ich fe-
hen und fah in den murmelnden Strom. Diese Männer
alle, welche hier der Fanatismus in Bildwerken verewigt hat,
haben geblutet und gelitten für ihren Glauben. Unser Jahr-
hundert noch billigt und bewundert ihre Opfer. Für die
HB
Freiheit ihrer Meinungen find fie, gestorben, und ihr Wahn
hat fest gewurzelt in den Herzen ihrer Zeitgenoffen. Wer
aber find die, welche das Andenken dieser Helden der Religion
verehren, die ihnen ewige Lichter anzünden und dort ihr
Abendgebet lispeln vor den Standbildern? unduld fa-
me, Fanatiker, wie jene Heiden, welche die heiligen Chri-
ften verfolgt, gemartert, in Oel gesotten und ver-
brannt haben, welche ein ganzes Leben lang nachbeten
und glauben, was ihnen ein Katechet gelehrt, welche alle
Jene der ewigen Verdammniß verfallen glauben, die nun
thun, was jene Heiligen thaten, ihrer innersten Ueberzeu-
gung folgen, ihren Glauben, die Freiheit ihrer Meinun-
mungen verfechten. Reißt jene Denkmäler der ersten Licht-
periode nieder, ihr Fürsten der Erde, vernichtet das An-
denken jener Märtyrer; denn es wäre nicht gut für euch,
wären unsere Helden so begeistert für ihren Glauben –
für die Wahrheit, Freiheit des Glaubens. Jene
Männer haben gelehrt durch That und Schrift, man folle
der heiligen Wahrheit. Alles opfern, man solle gegen den
Irrthum ankämpfen, wo man ihn findet, man solle rast-
los wirken für Wahrheit und Recht, aber man soll It-
rende nicht verdammen, wie man jetzt und in allen Zei-
ten Märtyrer der Wahrheit verdammt. Kämen den
Mächtigen der Erde nicht feile Mönche zu Hülfe, welche
die Wahrheiten des Christenthums deuteln und Gehor-
fam, blinden Gehorsam als die erste Menschenpflicht pre-
digen – die Lehre des Christenthums würde heilsamer
- 59
wirken für das Wohlsein der Völker. Nach euren Doctri-
nen ist der Gründer jener Lehre, vor dessen Kreuz ihr
selbst in den Staub sinkt, ein Rebell. Der Hei-
land im neunzehnten Jahrhundert würde daffelbe Märty-
rerthum vollbringen wie unter den Juden.
- Eine elegant gekleidete Dirne ging an mir vorüber
und sah mich frech an. Ich grüßte sie, und ohne Um-
stände blieb sie stehen. Gleichgültig sah ich ihr ins Ge-
ficht – aber bei der reinsten Liebe, an der ihr Lebens-
wandel Verrath beging, fie war schön. Aus einem alten
Instinkt, jedem Abenteuer zu folgen, brach ich die Be-
gegnung nicht ab und begleitete sie in ihre Wohnung.
Als wir dort angelangt waren, verriegelte sie die Thüre
und schien von mir zu erwarten, was sie unter solchen
Umständen zu erwarten berechtigt war; aber ich machte
mir es auf einem Sopha bequem, lud fiel ein, Platz zu
nehmen und hub folgendermaßen an: :
„Ich gestehe Dir, mein Engel, daß Du mir gefällt;
daß ich weder an Deinem Gesicht, noch irgendwo anders
etwas auszusetzen finde; daß ich in jeder andern Stim-
mung Dir jene Huldigungen darbringen würde, die Du
von mir erwartet. Ich suchte jedoch bei Dir nichts an-,
deres, als Zeitvertreib für eine Stunde, ohne von Dei-
- nem stillschweigenden Anerbieten Gebrauch machen zu wol-
len. Wenn Du daher Lust hat, diese Frist mit mir zu
verplaudern und dagegen eine Erkenntlichkeit anzunehmen,
so foll es mir Vergnügen machen, Etwas von den Um-
60
ständen zu erfahren, welche Dich bewogen haben, ein
werde zu ergreifen, welches die allgemeine Meinung
schändlich bezeichnet. - - - - - -
„Sie wollen mir doch keine Sittenpredigt halten
fragte das Mädchen lachend, „in diesem Falle müßte
sowohl für die Ehre Ihres Besuchs, als auch für I
Erkenntlichkeit danken,
„Du irrst, mein Kind. Es gab für mich eine lan
schöne Jugendzeit, da ich eben so wenig tugendhaft w
wie Du; da ich an jedem Blumenkelche machte, und
wiß, meine Gute, wärest Du mir damals begegnet,
hättest keine Ursache gehabt, Dich über meine Tugend
beklagen. In jener Zeit hatte ich noch nicht von je
Gift getrunken, welches man Liebe heißt, damals
meine Liebe Genuß. Das Schicksal hat mir aber r
lange jene glückselige Leerheit des Herzes gegönnt,
wahre Liebe hat mich zur Tugend geführt. Ich vert
mich ihrer führenden Hand; denn wie ich sie kenne,
ich gewiß, sie entführt mich aus diesem Jammert
zur Ruhe – ins Tollhaus, oder ins Grab. Der
eine schöne Sache um die Tugend, wenn man im Ka
mit feindlichen Mächten das Bewußtsein rettet: „du w
gerecht!“ wenn man hundert Nächte in Gram und T
nen über sein verlornes Lebensglück durchwacht und
in jeder Secunde der Qual zurufen kann: du warst
recht!“ wenn die Seelenleiden den Körper angegriffen
ben, wenn es im Gehirn wühlt und man bei j
61
Stich denken kann: „du warst gerecht!“ und doch – die
Märtyrerkrone. Ich habe Dir nun erzählt, wie ich zur
Tugend gekommen bfn , und gewiß, ich habe Dir keine
Nachahmung empfohlen. Ich wünschte nun von Dir zu-
hören, mein Kind, wie Du zum Laster gekommen bist.“
Ich sah ihr ins Gesicht – sie weinte.
„Sie sind unglücklich, mein Herr,“ schluchzte sie;
„mein tiefes Bedauern –“ -- -
„Wirklich? – Laß Dir keine trübe Stunde machen
von mir, Mädchen – ich will gehen.“
„Nein – bleiben Sie, wenn Sie anders die Gesel-
schaft mit einem feilen Mädchen bei verschloffener Thüre
nicht – verachten!“
„Verachten, ich Dich? – Nein, ich verachte Niemand.
Nichts als den dämonischen Zufall mit einer boshaften
Tücke und welthistorischen Dummheit.“ -
„Bleiben Sie also, mein Herr! – Sie wollten von
mir wissen, wie ich zum Laster gekommen bin? Auf
demselben Wege, mein Herr, wie Sie zur Tugend, –
auf dem Wege des Unglücks. Sie haben die Laster ver-
lassen, um fich verzweifelnd der Tugend – dem Verderben
– in den Schooß zu stürzen; ich, mein Herr, bin aus
den Armen der Tugend in den Sumpf des Lasters gestürzt
worden, um dort mein besseres Ich zu ersticken. In un-
ferm Schicksale liegt nichts Ungewöhnliches – erbärmliche
Alltäglichkeit. Alle Männer verderben fo, wie Sie – alle
Weiber fo, wie ich.“
G2
„Armes, armes Weib, wenn Du nicht lügt“
„Weiber lügen nicht, wenn sie weinen.“
„Darf ich Dich um Deine Lebensgeschichte bitten?“
„Soweit es mir erlaubt ist, ja. Der Name meines Va
ters bleibe im Grabe bei seinen Gebeinen – genug für Sie,
er war von vielen Tausenden gekannt und mit Ehrfurcht
ausgesprochen. Nach feinem Tode führte mein Mißgeschick
einen Abenteurer zu mir, der sich falschen Namen und
falschen Rang andichtete. Es gelang ihm, mich zu ver-
führen und zur Flucht aus dem Hause meiner Mutter zu
bewegen. Erst in England erfuhr ich feinen wahren
Stand und Namen – der Graf P., wie er sich nannte,
war Niemand anders, als der Director einer Kunstreiter-
gesellschaft. Er hatte mich in Schmach und Elend ge-
stürzt; aber ich liebte ihn und blieb seine Konkubine, da
er Katholik, verheirathet und von seiner Frau getrennt
war; aber der treulose Verräther wollte mit meiner Schön-
heit einen Handel treiben. Ich entfloh und dachte mit
Sehnsucht an meine Heimath. Ein Edelmann bot sich
mir an, mich dahin zurückzubringen, unter einer Bedin-
gung, die Sie errathen können. Ich folgte ihm, und
so sank ich tiefer und tiefer, bis zur Gemeinheit einer
Gaffenphryne.“ Das ist meine ganze Geschichte.“
Ein Strom von Thränen unterbrach sie. "Ich er-
griff im uebermaaß des Mitgefühls ihre Hand und drückte
fie an meine Lippen. Ein schöner Ring fiel mir auf.
Erschrocken erkannte ich das Wappen. –
63
- Woher dieser Ring, Johanne?“ fragte ich.
-
- „Er war mein eigen, so lange ich ebe“ -
Seltsame Laune des Schicksals der boshafteste Ple-
lebäer könnte über einen Hochadeligen, keinen schimpf
licheren Schwur ausstoßen als den: „dein Fleisch und
Blut verkaufe sich in der Person einer Straßenhure zu
gemeiner Buhlschaft.“ Dieser Fluch war hier in Er-
füllung gegangen, Ich verließ die Arme, ohne mich er-
heitert zu haben, aber sie schien durch mein Mitgefühl
getröstet.
Ist das Weib nicht schlechter als der Mann? Jene
- bringt die Tugend aus dem Hause in die Welt, diesem
wird das Laster schon in früher Jugend eingeimpft und
er badet sich im Schlamm der Sünde rein von ihrem
Wesen unglaublich und wahr! -
Als ich mit pochendem Herzen und finsterm Gehirn
nach Hause kam, schlief der ehrwürdige Pater schon. Ich
trat mit dem Licht zum Bette und beleuchtete ein Ge-
ficht. Die scharfen Leidenszüge an der Stirne und Wange
bürgten mit, daß er Unglück kannte und darum Unglück-
liche nicht verdammen würde. Seine gefalteten Hände ver-
riechen, daß er betend eingeschlummert sei.– Gottesfurcht
und Vertrauen auf den Himmel waren mir willkommen,
hier zu finden. Ich weckte ihn.
. „Wollen Sie meine Beichte hören, Hochwürden?“
64
„Treiben Sie unzeitigen Scherz mit einem in Eh-
ren ergrauten Diener Gottes?“
„Nein, Hochwürden aber Ihr Beruf und Ihre Ehr-
würdigkeit ermuntern mich, mir Ihren Rath zu erbitten.
Sie sehen einen Mann vor sich, der Alles verloren hat, was
ihn beglückte, und der nur lebt, um für fremdes Glück zu
forgen. Mich in meinem Werke durch einen kleinen Dienst zu
unterstützen, fordere ich Sie auf. Die Sache ist dringend,
und ich muß morgen mit dem Frühesten weiter. Darum ver-
zeihen Sie, wenn ich Ihnen eine Stunde der Ruhe raube.“
Ich gab ihm nun Aufträge für Johannen und Auf
fehluß über das, was ihm räthfelhaft erschien. Ueberrascht
von den Seltsamkeiten, die heute Abend auf ihn ein-
stürmten, forschte er mit dem Intereffe der Menschenliebe
mich aus. Ich fand ihm willig Rede, und wir setzten
unser Gespräch noch lange fort, als ich schon im Bette
lag. Ein würdiger Priester hat mir immer Ehrfurcht
und Trost eingeflößt. Ich verabscheue den Fanatismus,
aber ich ehre vor Allen den Unglücklichen, Entsagenden,
der ein warmes Herz unter dem Priestergewande verbirgt,
der sich mit frommen Glauben aufopfert um seinen
heiligen Beruf. Ein folcher Mann war Pater Eduard.
Er sprach sich mißbilligend aus über die hoffnungslose
Stimmung meines Gemüths, das ich ihm öffnete. -
„Nach Allem, was Sie mir anvertraut ha-
ben, junger Mann,“ sprach er mit ruhiger Würde,
„find Sie unglücklich, auf eine seltene Weise un-
- -
glücklich. Ihr Geschick hat Ihren Frieden zerstört, Ihr
Gottvertrauen erschüttert und Ihnen eine schwere Prü-
fung auferlegt. Sie find irre geworden an der Religion,
Sie läugnen ihre Lehren und ich verzeihe Ihnen im Mai
men Gottes, denn Sie glauben an Recht und Unrecht,
an Tugend und Laster, an einen Gott. Ich will Sie nicht
bekehren, Sie nicht ermahnen, unbedingt und blind zu glau-
ben wie ich es gewiß und mit heiliger Absicht thun würde,
bei einem unaufgeklärten Mann aus niederem Stande,
deffen Glauben durch das Laster, nicht durch seine Ver-
nunft erschüttert worden ist. Bleiben Sie bei der Moral,
die Ihnen die Vernunft gelehrt hat, aber hüten Sie
sich vor der schrecklichsten Verirrung des menschlichen Gel-
stes, vor dem Indifferentismus. Sie stehen auf dem
Scheidewege. Ein Schritt vorwärts führt Sie der Tu-
gend, dem Himmel der Gerechtigkeit, dem innern Frie-
den, oder dem Zwiespalt, dem Verderben des Lasters
zu. In Ihrem Gemüth bekämpfen sich nun zwei starke
Extreme: hohe Tugendbegeisterung und teuflische Verhöh-
nung der Gottheit, der Gerechtigkeit, der Tugend.
Laffen Sie die letztere nicht siegen. Sie find auf dem
- Wege, ein schlechter Mensch zu werden, oder ein gerechter,
der von einem Jahrhundert mit Ehrfurcht genannt zu
werden verdiente. Folgen Sie der edeln Leidenschaft nach
dem Ruhme der Tugend, und Sie werden nie fallen
„Ihre - eilungen erwähnten viel schweres un-
- -
5
66
glück, das Tausende an Ihrer Stelle erdrückt haben würde;
Verluste, die selten ein Mensch so groß ist, wie Sie –
nicht zu bedauern. Indem Sie sich fo über die
Vorurtheile von Millionen lachend hinweggesetzt haben,
stehen Sie höher als die Mehrzahl Ihrer Zeitgenoffen –
aber Sie stürzen tiefer, als diese, und wissen sich nicht
auf Ihrer Höhe zu behaupten. Sie haben unermeßliches
Eigenthum, Sie haben einen großen, durch das Getüm-
mel der Jahrhunderte dringenden Namen mit all' feinem
Glanze verloren, und dieser Verlust hat Ihnen keine
trübe Stunde gemacht. Sie fanden lächelnd im Sturme
und freuten sich Ihrer Größe. Ihr ganzes Unglück also
ist das der Liebe. Hunderte würden Sie verdammen,
Sie einen Thoren, einen Schwächling fchelten, aber ich
kenne das eiserne Gewicht hoffnungsloser Liebe, und ehre
die Schwäche oder Uebermacht eines heftig fühlenden
Herzens. Die Liebe ist kein Wahn, aber die stürmische,
mit Aeonen spielende Liebe ist keine Empfindung für Aeo-
nen. Der Sturm geht vorüber, und es steht in Ihrer
Macht, sich zu beschützen vor feinen Zerstörungen. Bald,
armer Mann, ist der Rausch vorbei und Sie bedauern
feine Folgen. Noch steht es in Ihrer Macht, das gewal-
tige Gefühl mit gewaltiger Vernunft zu bekämpfen, aber
unwiderruflich ist das Geschehen. Darum opfern Sie nicht
das ganze Leben der Leidenschaft. Laffen Sie die Ermah-
mung eines greisen Mannes nicht verfliegen in den Wind,
und bedenken Sie Ihre Pflicht, Ihren Gott. Unter die-
– 67
fer Bedingung übe ich meine Priestergewalt der Lösung.
Absolvo te!“ -
- Nicht ohne Wirkung war die Ermahnung des Prie-
sters. Ich fühlte mich beruhigt und fand wieder Thrä-
. nen, die ich im Kiffen erstickte. Lange währte unfre Un-
terredung noch, und als ich soviel Ruhe fand, um mein
Gemüth fremdem Interesse aufzuschließen, fragte ich den
Priester, ob er in einem Stande glücklich fei.
„Ich bin es,“ sagte er gefaßt, „nachdem ich einen schwe-
ren Kampf bestanden habe mit der Natur, Leidenschaft
und Pflicht. Auch ich habe geliebt, und unglücklicher, denn
Sie. Wie die meisten, – ja fast alle meiner Amtsgenoffen,
wählte ich den Priesterrock, weil ich zu arm war, mich
einem andern glücklichern Berufe hinzugeben. Leichtfer-
tig legte ich mir das Joch des Cölibats auf, denn erst,
als ich die Weihe empfangen und auf das schönste Le-
bensglück verzichtet hatte, schlich sich die Liebe in meine
Brust. Meine Geliebte war ein Beichtkind meiner Ge-
meinde. Ich fah alle Monate in ihr reines Herz und
erquickte es mit Worten der Salbung, während das
meinige fast verging in dem Kampfe mit der Unmög-
lichkeit.“ -
„Am nächtlichen Lager, in meinen Träumen tauchte
ihr Bild wieder auf, und bei der heiligen Wand-
lung erschien es mir auf der Hostie. Unerträglich war
meine Qual, mein Körper erlag dem Seelenkampfe und
ich erkrankte. Mathilde schickte mir erquickende Kran- -
/
5 *
68 -
kenkost und manchen Beweis der kindlichen Sorgfalt ihres
arglosen Herzens. Ich genaß wiederum, um von Neuem
zu unterliegen. So litt ich drei Jahre, als Mathilde hei-
rathete und fich von mir kopulieren ließ. Zitternd ging
ich ans Werk, aber mein Gebet war verwirrtes Gemur-
mel. Endlich aber stärkte mich der Geist des Höchsten.
Mit Festigkeit und beredtsamer Ermahnung fügte ich die
Hände der Liebenden in einander. Als es geschehen und
sie vereinigt waren bis zum Tode, eilte ich in die Sakri-
stei und sank dort ohnmächtig nieder. Am nächsten Mor-
gen aber kam ich beim Consistorium ein um eine an
dere Pfarre, indem ich einen verderblichen Einfluß der
Luft auf mich vor schützt. Dem Erzbischof aber gestand
ich in einem besondern Privatschreiben die wahre Ursache
meiner Bitte, und erhieltfreundliche Gewährung. Seitdem
habe ich bekämpft und vergeffen.“ : ,
„Fluchwürdiges Cölibat“ eiferte ich.
„Wohl war es ein fluchwürdiger Gedanke der
Väter im Concil, uns Priester zu der zeitlichen Hölle der Ehe-
ofigkeit zu verdammen, die menschliche Natur zu verläug-
*en und unnatürliche schändliche Laster hervorzurufen durch,
diesen unsinnigen Ausspruch. Es ist Gotteslästerung,
Eingriff in seine Fügung, dem Menschen jenen Theil sei-
**estimmung zu entreißen aus schnöden und laster-
Haften Rücksichten. Mag ihnen Gott den Frevel verzei-
"" das unsägliche Eind, mit dem sie ihre Nachkom-
Armen und Amtsgenoffen belasteten.“
-
– –------ - -
-
- 69
_ _ _- - - - - - - - - - - - - - - - -
--- - - -
Giebt es aber kein Mittel, das Unrecht gut zu
machen? Könnten die Regierungen nicht aus eigenem Belie-
ben ein so barbarisches Gesetz in ihren Ländern vernichten?
- „Nein, die Regierungen können hierin nichts thun.
Von jeher waren die Mächtigen der Erde schwach, wenn
fie gegen die öffentliche Meinung ankämpften. Aufhebung
des Cölibats würde ein neues Schisma verursachen, allein
wir leben nicht mehr in der Zeit der Kirchenspaltungen.
Die Christenheit ist leider nicht mehr so stark im Glau-
ben wie ehedem, und bei schwachem Glauben entsteht kein
Schisma. Was würde also daraus entstehen? Nicht
mehr und nicht weniger als allgemein Verfall des Chri-
fenthums in den katholischen Ländern. Das heilige Re-
ligionsinstitut erhält sich nur noch durch die Ehrwürdigkeit
seines Alters und durch Umwandelbarkeit. Laffen Sie es
der Menge erst merken, daß es Verbesserungen fähig ist,
daß es Gebrechen hat, so wird sie bald durch die kleine
Lücke zu entdecken meinen, daß der ganze Baum hohl ist.
Zuerst würde man aufhören den Priester zu achten, dann
die Religion selbst. Man muß es der Zeit überlaffen, diesem
Uebelstand abzuhelfen. Wenn Menschen Hand anlegen,
fo wiffen sie immer nicht, was fie vollbringen werden.
Mancher will sich befreien und verwickelt sich nur desto
mehr in feine Feffeln. Regierungen aber müffen am
- wenigsten fo Gewagtes unternehmen.“ -
„Sie können Recht haben, aber ich finde Ihr
Raisonnnement traurig.“ - -
„Ueberdieß würden die Orthodoxen Gründe genug
finden, das Cölibat zu vertheidigen. Sie würden sagen,
aus der Priesterehe entstünden viele neue Laster. Der
Eigennutz, die Habsucht, der Geiz gewänne neuen Zu-
70
wachs durch die Sorge für Weib und Kind, der Egois-
mus würde mehr Opfer erheischen, weil das Indivi-
duum Familie mehr bedarf, als das Haupt derselben
allein. Häusliche Verhältniffe würden auf den Priester
mehr Einfluß haben als fein Berufseifer, und ein böses
Weib würde manchen trefflichen Mann zum Filz und oft
zu etwas Schlimmeren machen. Man würde das Bei-
spiel der protestantischen Pastoren anführen und beweisen,
daß ihr Exempel felten erbaulich fei für ihre Gemeinde.“
„Was würden Sie aber zu einem katholischen Priester
fagen, der das Cölibat äußerlich beobachtete und insge-
heim dem Weibe nachginge?
„Ich würde zu ihm sagen, was ich zu andern Sün-
dern sage, „du bist ein großer Sünder, aber Gottes Barm-
herzigkeit ist unendlich. Die Natur ist deine Fürsprecherin
und die Schöpfer des Cölibatgesetzes trägen die Hälfte deiner
Schuld. Bitte Gott, daß er deine Lüste mäßige, bete zehn
Paternoster und fei gereinigt.“
„Allein was würde das Consistorium von Ihnen
urtheilen?“ -
„Ehre der Wahrheit. Das Consistorium ist in solchen
Fällen nicht mehr so unerbittlich und grausam streng wie ehe-
dem. Es vergißt nicht, daß der Priester durch die Weihe nicht
von aller menschlichen Leidenschaft frei wird. Uebrigens wird
ein Weiser täglich gelinder, wenn die Verbrechen zunehmen;
denn in diesem Fall, weiß man, liegt die Schuld nicht allein
auf den Personen der Verbrecher. Es ist nur nothwendig,
daß öffentlicher Skandal vermieden werde. Wenn ich einen Co-
legen fehe, der in großer Vertraulichkeit mit feiner Haushäl-
terin lebt, ohne die Dehors zu verletzen, fo denke ich, er ist ein
schwacher Mensch und fegne ihn. Wer wollte diese Menschen
71
- verdammen? Das Gelübde der Keuschheit ist als ein ma- .“
turwidriges ungültig, die Erfüllung desselben ist Verbre-
chen, langsamer Selbstmord.“
Noch lange eiferte der würdige Mann gegen das
Cölibat und schlief endlich ein.
-
V. i e r t e r T a g.
(Tagebuch. Abschied vom Pfarrer. Ein Kuß, um den mich
Niemand beneiden wird. Der schwedische Major. Die "
falsche Gräfin Wrisberg. Knechtschaft in Böhmen. Ber-
nadotte. Der Kronprinz. Kollin. Die schöne Jüdin.)
Die Nacht war kurz, der Morgen brach bald heran
und mit ihm meine Trennungsstunde. Centnerlast lag
auf meiner Brust, ich athmete tief und fähwer bei dem
Gedanken Trennung, Trennung von Vielen, was mir
lieb geworden war in den Mauern der alten Praga.
- Warum muß ich auch lieben, warm und innig
- lieben, um tausend Mal wieder zu verlieren, was ich
liebe. Trübes finnend setzte ich mich auf im Bette und
seufzte. Ein stärkeres Echo vom Bette des Pfarrers
her überzeugte mich, daß der arme Mann nicht schlief.
Milzstechen, vielleicht aufgeregt durch unser lebhaftes
Gardinengespräch, plagte ihn und reihete eine neue schlaf
*=72
Tsofe Macht zu den hunderten, die er schon
<Sobald er bemerkte, daß ich Anstalten macht
= Eleiden, verlies auch er ächzend das Sch
-- zz O bedeutete mir, daß er nur deshalb so lan
s=E> Lieben war, um mich nicht im Schlaf
ScH» machte ihm Vorwürfe hierüber und sagt
-- Ich bin nicht so krank wie Sie, bin
- fe- Sie und nicht so ehrwürdig. Warum
- f<H> - da ich mich selbst nicht schone, warum
atz meines Lebens willen. Es ist nicht f
ca LS eine Stunde des Ihrigen. Könnte ich
Se-Taundheit und Freude kaufen, ich gäbe
--> voürde mir selbst dabei wohl thun.“
Lächelnd ergriff er meine Hand:
-- , Sprechen Sie nicht so, sagte
- - - - >as Leben ist ein hohes Gut, und das
<S Ee- reicht denken hinzuwerfen für einen Bei
------- Sen kann. Tausend Träne, noch, armes
tut». Du bist wieder frisch und froh, zur
Seit - wie die vom Sturm
Ein Sonnenschein. -
T-Ste er gerührt hinzu
„Ach Gott
E>>ffe und fürchte „
S>Tann, leben Sie
gebeugte Blume
Der Segen des He
- und wandte sich ab
das Hoffen ist mit
chts mehr – ich im
Wie 9'cklich, glücklicher als
" Segen hos, „. feine Hän
--- --
75
mir die Haare von der Stirne, fah mir in's thränend
Auge und küßte mich.
- „Lebe wohl, guter Junge, ich werde meiner alten
Marthe erzählen von Dir.“ -
„Reichen Kindersegen! Herr Pfarrer“ lachte ich,
drückte ihm warm die Hand, und stürmte hinaus.
An der Thüre empfing mich der alte ehrliche Martin, der,
so oft ich nach Prag kam, es fich nicht nehmen ließ, meine
kleinen Aufträge zu verrichten. Er stellte mir einen neuen
Reisegefährten vor und nahm Abschied von mir. Weinend
küßte er mir die Hände und fiel mir im Uebermaaß fei-
ner Empfindung um den Hals.
„Glück und Segen, junger Herr! – Herr
Professor, wollte ich fagen,““ fetzte er seine fit zehn
Jahren gewohnte Anrede ehrerbietig verbeffernd hinzu.
„Glück und Segen über Euch alle, um deine
Mauern, alte Praga!“ schluchzte ich, und fuhr ab.
Was tobt du in mir, wildes Blut, und jagt mir
wieder schwarze Melancholie in das Gehirn? Es geht: ja
Alles vorüber, Alles, Alles hin, hin! Ruhig, ruhig,
krankes Herz.
Meine Reisegefährten blieben lange stumm und UN-
bemerkt vor mir. Der eine war ein schwedischer Oberst,
der andere – täuschen mich meine Augen nicht, nein,
es ist nicht möglich, und doch – ein verkleide tes
74
Frauenzimmer. Eine üppige runde Gestalt, ein
weiches weibisches Gesicht, an dem keine Spur von Bart
zu entdecken war, endlich ein scheinbar hochwallender
Busen versteckt hinter einem faltigen Staubhemde, be-
färkte mich in meiner Vermuthung. Sie rauchte
Tabak! Weiber, Weiber, was thut ihr alles, um
euch zu verstellen! Was konnte sie zu einer solchen
Mummerei bewogen haben? War sie die Frau oder Ge-
liebte des schon betagten Offiziers, der sie vielleicht, in-
dem er ihr folchen unnatürlichen Zwang auferlegte, vor
Angriffen auf ihre Treue, und fein Haupt vor einer
Hörnerkrone bewahren wollte? Ich fing ein unzüchtiges
Gespräch an. Beschämt schlug fiel die Augen nieder,
wurde roth, gab mir aber lachend derben Bescheid –
in einer rauhen weithallen den Baßft imme!
Noch wurde ich nicht enttäuscht, auch dieß konnte Ver-
stellung ein und lange anhaltende Uebung, vielleicht auch
andere Behelfe ihrer Stimme, diesen barbarischen Ton
gegeben haben. So viel war aber gewiß, daß eine weit
wichtigere Ursache, als die Eifersucht eines mißtrauischen
Genmahls, fie zu dieser schwierigen Kunst veranlaßt haben
mußte. Die berüchtigte von Steckbriefen verfolgte Gräfin
von Wrisberg fiel mir ein. Sie war es! Ich fing
von braunschweigischen Angelegenheiten an zu sprechen –
fie gerieth in augenscheinliche Verlegenheit, ihre Stimme
zitterte, stockte – alle Zweifel waren beseitigt. Diese
Entdeckung brachte mich in nicht geringe Verlegenheit.
- - - 75
Sie konnte errathen, entdeckt und ich als ihr Reisegesel-
fchafter leicht verdächtig werden. Zudem lag alles daran,
meinen eignen wahren Stand und Namen geheim zu
halten. Mein Entschluß war gefaßt, mich auf der näch-
ften Poststation von fo gefährlicher Gesellschaft zu trennen.
Uebrigens gelobte ich mir, meine Entdeckung für mich zu
behalten, denn was kümmern mich die Angelegenheiten
der Fürsten! Entweder war fie eine Verbrecherin gegen
das Volk und die Sache der Menschheit, oder gegen die
gef eb mäßige Regierung. In beiden Fällen war fie
mir gleichgültig, denn mein Interesse am Allgemeinen
war mit der kühnen Begeisterung für das Recht gestorben,
meine politische Farbe verschwunden in der allgemeinen
Farblosigkeit meines Wesens. Sie erregte nur als ein
neuerdings mir vorkommendes Exemplar jener wahn-
finnigen Weiber, die über die von der Natur ihnen an-
gewiesene Sphäre frevelnd hinausstreben, ein geringes
Intereffe, und dieß gebar Haß und Verachtung. Glück-
licherweise löste sich der Irrthum und ich wurde durch
einen mühsam mit der Lorgnette entdeckten hellblonden
Bart von der wirklichen Mannheit meines Herma-
phroditen überzeugt. Meine Vermuthungen und Be-
merkungen verschwanden als flüchtige Gespenster einer
geistertehenden Hypochondrie. Die Mittheilung meines
lächerlichen Verdachtes gab uns bald Stoff und Veran-
laffung zu einer heiteren, unser Mittagsmahl würzenden
Conversation und gegenseitiger Annäherung,
76
Dem schwedischen Major, der bisher stumm geblieben
war, wurde dadurch die Zunge gelöst. Er befragte mich
sogleich mit einer Haft, als hätte er schon längst Ge-
legenheit gewünscht, eine Bemerkung anzubringen, wie
ich es mir hätte gefallen laffen können, daß der alte
Martin meine Hand mit Küffen bedeckte. Er könne,
setzte er hinzu, ein Volk, welches so knechtische Sitten
habe, nicht anders als geringschätzen, und es mißfiele ihm
selbst bei den höhern Ständen, daß fiel solche begünstige
und dulde, befremde ihn aber aufs äußerste, bei einem
Manne, defen unbefangener und aufgeklärter Sinn fich
ihm fo unverkennbar kund gegeben. - -
Ich antwortete ihm hierauf mit dem Sprüchwort:
„ländlich, fittlich! Ein Kuß auf die Hand ist nichts ge-
ringeres, als ein Kuß auf den Mund oder die Schulter,
eine gleichbedeutungslose Ceremonie, wie ein Händedruck
und andere Formen gegenseitiger Begrüßungen. In Eng-
land ist es unanständig, wenn sich Männer küfen.
Würde es wohl deshalb jemanden vom festen Lande ein-
fallen, die fich fo Begrüßenden für Sodomiten zu halten,
wie dieß in England bei solchen Fällen geschieht? Sie
begehen einen nicht geringeren Irrthum, wenn sie den
Handkuß der Herzlichkeit eines alten treuen Dieners für
ein Wahrzeichen knechticher niedriger Gesinnung halten,
als wenn sie die Umarmung zweier Freunde - einem ekel-
haften viehischen Triebe zuschrieben.“
,,Dennoch will es mich bedünken,““ erwiderte
- - - - - - - - - -
77
der Major, „, „daß ich dieß Mal keine Trugbeobachtung
gemacht habe, da noch viele andere Dinge als Wahrzei-
chen des Knechtssinns der Böhmen auffallend hervor-
treten. Können Sie mich aber eines Befferen belehren
und mir beweisen, daß das Volk sich hier nicht in
einer äußerst bedrückten Stimmung befinde, können Sie
mir durch Darstellung der hier waltenden Verhältniffe
unumstößlich darthun, daß die knechtischen Sitten hier "
zu Lande nicht zugleich mit einer knechtischen Gefin-
nung verbunden find, fo werden Sie sich ein Verdienst
um die Ehre Ihres Vaterlandes erwerben, wenn Sie ein
Vorurtheil in mir vernichten, das schon tief in mir ge-
wurzelt hat.“
„Ehe ich Ihnen hierüber Aufklärung gebe, muß
ich feierlicht dagegen protestieren, daß Sie Böhmen mein
Vaterland nennen. Ich erkenne nur jenen kleinen Land-
strich, in welchem die Bewohner gleicher Zunge auch
gleiche Abstammung haben, in deren Mitte ich geboren
und erzogen worden, und von dessen Erzeugniffen mein
thierischer Bestandtheil sich groß gefeffen hat, ich erkenne
nur dieses kleine Land, fage ich, ohne Rücksicht darauf
zu nehmen, daß es den eitlen Fürsten der Welt öfters
beigekommen ist, Länder und Völker zu verheirathen, zu
verkaufen und testamentarisch, gleich todten Effecten, zu
vermachen, als mein einziges liebes Vaterland an, oder
wenn Sie dieß kleinlich finden, so nenne ich die Welt
mein Vaterland. Was aber den Knechtsinn der Böhmen
73
betrifft, und viele andere unlöbliche Eigenschaften dieses
flavischen Volks, so bin ich weit entfernt, obwohl ich
Volk und Land liebe und meine goldne Zeit hier verlebt
habe, ihnen denselben streitig zu machen. An und für
sich ist ein knechtischer Sinn, Tücke und Verschloffenheit
allen slavischen Völkern charakteristisch, aber bei den
Böhmen gewiß nicht mehr so stark hervortretend, als
bei ihren übrigen Stammgenoffen, die ihre Nationalität
verloren haben. Für unterjochtes Land, als welches wir
Böhmen betrachten müffen, ob gleich es durch ein sehr
friedfertiges Manövre, die Verheirathung Ferdinand I, an
das Haus Oesterreich gelangt ist, hat es noch immer
genug Stolz aufbewahrt aus der Zeit seiner ehemaligen
Selbstständigkeit. Schon zu Zeiten der Reformation
haben die österreichischen Fürsten den Böhmen, welche
große Anhänger der neuen geläuterten Religionslehre waren,
durch eindringende Mittel, durch Wort und That so eifrig
Gehorsam gepredigt, daß sie wohl endlich nach langem
und vielfältigem Widerstand, und nachdem sie sich oft
hierin höchst ungelehrig gebehrdet hatten, Fortschritte
machen mußten in der Kunst des Gehorchens.“
„Es gab nicht immer Maximiliane II., die ihnen
frei zu athmen gestatteten und es duldeten, daß sie ihre
einheimischen Sitten, Sprache und Denkart, Heimaths-
liebe und Religionsmeinungen, bei jeder Gelegenheit frei
und ungehindert bethätigten, ohne daß man sie für Ver-
schwörer, Rebellen und Ketzer hielt. Auch wirkten nicht -
79
alle Nachfolger Maximilians II, durch Verbesserung der
Gesetze, Befreiung des Geistes und Beförderung der
Kultur für das Wohl des Landes fo entschieden, daß
"eine fo milde Duldsamkeit bei dem harten und störrischen
Sinn der an eine eiserne Herrschaft gewöhnten Czechen
gedeihlich und gefahrlos gewesen wäre.“
„Die Souveraine trachteten daher nicht mit Unrecht
fie zu belehren, daß es am klügsten sei, wenn der Ohn-
mächtige, Entwaffnete, sich einem höheren Willen blind-
lings unterwirft und in christlicher Demuth auf die
Selbstständigkeit eines Ichs verzichtet. Da diese Lehre
ihnen in jedem Zeitraum der Geschichte so oft wieder
holt und eingebläut worden ist, so kann es uns nicht
wundern, daß sie darin bedeutende Fortschritte gemacht
haben und nun endlich kriechen wie die Hunde. Kaiser
Joseph II, der humanste Regent über Oesterreich seit Karl
dem Großen bis auf feine Zeit, dachte seinerseits eben
fo wenig daran als feine Vorfahren, die so herrlich blühen-
den Principe des Gehorchens in Abnahme zu bringen,
obwohl er durch Erhebung des Bürgerstandes, der Be-
förderung des Landbaues und der Industrie für das
innere Wohl des Landes thätigt besorgt war *). Das
*) Durch die Josephinischen Anstalten wurde die Bevölkerung
in Böhmen in 10 Jahren um eine halbe Million ver-
mehrt. Unter derselben Regierung erhielt Böhmen 78 neue
Landschulen 198, neue Landlehrer und einen Zuwachs von
- - 16000 Knaben und Mädchen als Schuljugend. Die Ar-
B0
find kürzlich, vielleicht einseitig die historischen Motive
und Ursachen jener gedrückten Stimmung, die Sie
allenthalben in Böhmen finden werden.“
Der Gegenstand des Gesprächs dehnte sich nun über
alle Völker Europa"s aus und der schwedische Major er-
mangelte seinerseits nicht, als grellen Kontrast das stolze
Selbstgefühl, die Freimüthigkeit und eine Unzahl von
andern glänzenden Eigenschaften seiner lieben Landsleute
gehörig ans Licht zu stellen, erhob aber dagegen eine
klägliche Jeremiade über die äußere Armseligkeit feines
Vaterlandes. Mit der Wärme eines eifrigen Patrioten
schilderte er mir die patriarchalische Eintracht der schwe-
beitsschulen wurden vermehrt, der Landmann erhoben, die
Aufklärung befördert, der Gewerbsfleiß unterstützt. Prag
allein gewann 10 Arbeitsschulen, das Königreich gegen 100,
wo Spinnen, Stricken, und Klöppeln die armen Kinder
beschäftigte und belohnte. Zu den großen Fabriksanla-
gen für Leinwand, Tuch und Baumwollenzeug, Glas-
waaren und Eisenstoffe, kam der Seidenbau durch
Amond, das Färben durch Profyl und durch den hoch-
verdienten Probst Ferdinand Kindermann von Schulstein
die Baumpflanzung und die Bienenzucht. Wohlstand und
Thätigkeit wurde über das ganze Land verbreitet. Die
Leibeigenschaft wurde aufgehoben, und Joseph erklärte:
„da wir in Erwägung gezogen haben, daß die
Aufhebung der Leibeigenschaft und die Ein-
führung einer gemäßigten, nach dem Beispiele
unferer österreichischen Erblande eingerichte-
ten Unterthänigkeit auf die Verbesserung
der Landeskultur und Industrie den nützlich-
ften Einfluß habe, auch das Vernunft und Men-
- - - - - - - -
- - Z
dischen Völkerfamilie, die genügsam und zufrieden in
einem rauhen, von der Natur äußerst stiefmütterlich be-
handelten Lande ihr trauliches und prunkloses Stillleben
hinbringt, unbemerkt und unbeneidet vom übrigen Europa.
„Ich begreife das,“ fagte ich lächelnd, „und finde
es natürlich, daß der Mensch unter einem kalten Him-
melstriche, in einer reiz- und schmucklosen Natur,
sich feinem Mitbruder nähert, um dessen thierische Wärme
zu genießen. Mir geht es oft so an kalten Wintertagen;
man lebt dann fo ganz in und mit feinen Nächsten,
schüttet, wie man zu fagen pflegt, fein Herz aus, er-
zählt, bedauert und belacht Schicksale und Abenteuer,
fchenliebe für diese Aenderung das Wort fpree
chen, so haben wir uns veranlaßt gefunden,
von nun an die Leibeigenfchaft auch in den
flavischen Ländern gänzlich aufzuheben und
statt der felben eine gemäßigte Unterthänig-
keit einzuführen,“ und doch waren die Böhmen, ja
vielleicht eben deshalb, weil er die na tonal- herkömm-
liche Leibeigenschaft aufhob und gar zu menschen-
freundliche Gefinnungen aussprach und bethätigte, mit
Josephs Regierungsmaximen unzufrieden. Was wollt ihr
Böhmen denn mit eurer nutz - und fruchtlosen Natio-
nalität mitten im Herzen Deutschlands und im immer-
währenden Verkehr mit Deutschen, in einer Zeit, wo
die Ausdrücke: Slave und Sclave, gleichbedeutend ge-
worden find? Wahrlich, eure barbarische Sprache ist nicht
zu theuer verkauft für Wohlstand und Volksbildung, und
- dafür, daß ihr mit Deutschland gleichen Schritt halten."
könnt! -
s 6
-
Z92
und wiegt sich mit Mährchen in einen familiären Schlaf.
Aber der erste Sonnenschein ruft den Südländer ab aus
dem traulichen Kreise und entfernt ihn wieder von den
Menschen. Mir felbst war oft fo fonderbar und men-
schenfeindlich zu Muthe, wenn ich auf einer hohen Alpe
stand, in der Natur las – und ihre Länder und Meere,
Wolken und Sterne umfaffenden Schriftzügen – als
wäre das ganze Menschenvolk ein heilloses Lumpengefinde.“
Der schwedische Major ließ sich durchaus auf kein
anderes Kapitel als den Zustand und das Schicksal feines
Vaterlandes ein, und kaum war diese Saite in feinem
Ideenleben berührt, so faßte er diesen für jeden echten
Patrioten wichtigsten Gegenstand mit einer Gluth auf,
die ich jedem Deutschen zur Ehre seines Vaterlandes
wünschte. Genau bekannt mit den politischen Verhält-
niffen der neuen Welt und allem Anscheine nach in
feinem Vaterlande nicht ohne Einfluß und politischer
Wirksamkeit, entwarf er nun in kühnen Zügen ein um-
faffendes Gemälde des fchwedischen Staates und feiner
äußeren und inneren Verhältniffe. Ich kann nur einen
flüchtigen Schatten wieder geben, und zeichne nur jene
Lineamente getreu nach, welche auf die neueste Gestalt
der Dinge und den jetzt herrschenden Volksgeist in Schwe-
den Bezug haben:
„Seit dem Sturze unseres alten Herrschergeschlechts,
durch den Kampf der Parteien und die Uneinigkeit der
Königsfamilie, haben wir vielfältig Ursache gehabt, mit
- - - - - - - -
83
der neuen Regierung unzufrieden zu sein und die un-
felige Parteiwuth zu verwünschen, die uns in allen Zeiten
zu großen Torheiten verleitet und viel Unglück über das
Land gebracht hat. Sie fagen, Bernadotte habe die Ci-
vilisation Schwedens erhoben, Kultur im Lande verbreitet
und das Leben veredelt. Sie sagen ferner, und Europa
glaubt es mit Ihnen, die Finanzen hätten sich unter
der neuen Regierung arrangiert, die Bevölkerung vermehrt,
der Handel eine neue Ausdehnung gewonnen – kurz
Schweden erfreue sich unter Karl XIV. einer Wiederge-
burt, die von der Nation dankar anerkannt, und einzig
und allein der Weisheit des jetzigen Regenten zugeschrie-
ben werde. Wir Schweden, und unsere Brüder, die Nor-
weger, denken – die Anhänger einer fehr niedergedrückten
Partei, deren einzelne Mitglieder meistens in des Königs
Solde stehen – hierüber anders, und können wir einer
Seits nicht läugnen, daß unser Vaterland in der neuesten
Zeit einigen Aufschwung erhalten habe, fo werden wir
darum nie zugeben, dieß für ein Werk des Königs an
zuerkennen und ihm dafür eine Lobrede zu halten, die
eher dem selbstständigen Wirken der Nation, als einem
mit ihren Intereffen so oft in feindlicher Opposition stehen-
den Regenten gebührt. Wir stellen dadurch nicht in
Abrede, daß Bernadotte einigen Antheil an dem Vor-
wärtschreiten unseres Staates habe und perfönlich
viele lobenswerthe Eigenschaften, die auch einen Regenten
zieren, besitze, allein wir haben es leider spät genug erfah-
- 6 * -
84
ren, das ein guter General und trefflicher Mensch nicht
immer zugleich ein guter Regent ist. Er hat die wahren
Bedürfniffe der Nation nie erkannt, und durch unpaffende
Neuerungen im Geiste feines Vaterlandes mehr Unheil
gestiftet, als genützt. Wenn Sie es Veredlung des Lebens
nennen, daß er französische Unfitte auf unseren Boden
verpflanzte, das Volk mit einem überflüffigen, in unserem
Lande lächerlichen Luxus bekannt gemacht hat, fo haben
Sie allerdings recht, allein ich bitte Sie zu erwägen, ob
die Nachtheile, die hierdurch entstanden, mit den geringen
und überdieß sehr problematischen Vortheilen in einem
richtigen Verhältniß stehen, ob eine an einfache und
schlichte Lebensweise gewöhnte Nation nicht durch eine so
plötzliche Vermehrung feiner Bedürfniffe – fystema-
tisch demoralisiert wird – und ob es endlich dem
Wohlstande ersprießlich fein kann, daß unsere foliden
Handelsartikel Eifen und Holz, der einzige Reichthum
des Landes, für Quincaillerie, moderne Luxuswaaren und
albernes werthloses Spielzeug verschleudert werden. Wenn
Schweden bei alle dem nicht mehr gelitten hat durch
feinen Regenten, so lag es lediglich daran, daß ihm
immer die Hände gebunden waren von feinem Volke und
vielen Patrioten, welche Schweden besser kannten als ein
Fremdling, und mit offener Stirne sich gegen unver-
ständige Verfügungen auflehnten. Noch ist das Wort
und die Kraft der Nation frei, obgleich bei dem Könige
die Absicht nicht zu verkennen ist, diese nach und nach
“ .
35
zu unterdrücken. Das Verhältniß zwischen dem Volke
und dem Fürsten ist keineswegs mehr so herzlich wie
vordem, und die Liebe desselben hat in dem Grade abge-
nommen, in welchem der Regent sich demselben ent-
fremdet hat. Sein Betragen hat nur zu oft den An-
fchein zunehmender Kälte gegen das Wohl des Landes
und forgfältiger Bedachtnahme auf seinen eigenen Vor-
theil. Seine sehr einträglichen Geldspekulationen, fein
lukrativer Branntweinhandel, welcher nicht wenig beiträgt
zur Demoralisierung des Volkes *), und die ungemein
große Gleichgültigkeit, mit der er es duldet, daß man
feine verwahrlosten Güter wegen wiederholter Verab-
fäumung der Steuerentrichtung auspfändet, bezeichnet
die allgemeine Stimme mit harten Ausdrücken des
Unwillens, und veranlaßt vielleicht einen großen Theil
der Nation, ihm feine Achtung zu entziehen. Die er-
wachte Unzufriedenheit greift immer mehr um sich, und
man scheut sich nicht, öffentlich die Aufzählung einer
Thaten, wodurch er sich den ewigen Dank Skandinaviens
erworben zu haben glaubt, als eine leere Ruhmredigkeit
*) Der König hat nämlich alle seine Güter verpachtet und
läßt sich den Pachtzins in Branntwein entrichten. Die
Spekulation ist gut berechnet, denn der Branntwein ist ein
guter Handelsartikel in Schweden und fein reißender
Absatz um so einträglicher, als der König damit einen ge-
waltsamen Alleinhandel treibt. -
-
86
zu bezeichnen und bestreiten“). Zur Erbitterung wird
das wachsende Mißvergnügen endlich gesteigert durch die
innige Freundschaft des Regenten mit Rußland, dessen
Einfluß sich immer mehr offenbart und Schweden in
eine demüthige Stellung versetzt, welche den Stolz der
-
*) Auf dem Reichstage 1830 ließ der König unter anderen
folgende ruhmredige Phrafen vernehmen:
„Meine Administration hat die skandinavische Halbinsel
dem Leiden der bürgerlichen Zwietracht und deren verderb-
lichen Folgen entzogen. Ich habe die Lockungen des Ehr-
geizes und der Waffengewalt bemeistert. Ich habe beide
zu Bundesgenoffen der Majestät des Gesetzes gemacht. Ich
bin mehr Vermittler als Monarch (aber gewiß nicht durch
seine Schuld), mehr Richter als Souverain gewesen. Ich
habe die legislativen Prärogative wieder aufzurichten ge-
strebt, ohne den moralischen Hebel des Königthums aus
den Augen zu verlieren (Heart, heart! Wie reimt sich
das mit dem Geiste einer neuesten Versuche?) Mit einem
Worte, ich habe der Einigkeit und der Wohlfahrt beider
Königreiche Alles geopfert. – Ich habe mich bemüht, den
aufkeimenden Generationen die Eigenschaften zu verleihen,
ohne welche der Bürger eine Energie einbüßt. Diese Eigen-
fchaften find Wahrheit und Gerechtigkeit. Damit versehen,
wird Skandinavien feine Unabhängigkeit bewahren. Aus
der gesetzlichen Autorität, mit welcher die Regierenden be-
kleidet find, entspringt das Heil der Völker und der Ruhm
ihres Namens. Nachdem ich ihre politischen Rechte ficher
gestellt, waren alle meine Bestrebungen auf die Aufrecht-
haltung des Grundgesetzes gerichtet. Ich habe daffelbe
unverletzt bewahrt. Friede und Ruhe waren das Ziel mei-
ner Sorgfalt. Zur Befestigung dieser hohen Güter habe
ich den Thron in die Mitte der Nation gestellt und den-
selben Ihrer Obhut vertraut. Beschützt unter der Eintracht
Aegide, können wir hinfür unser Gesetzbuch vervollkommen.“
87
Nation beleidigt. Diese Meinung hat sich bei allen Ge-
legenheiten fehr energisch geoffenbaret. Der König, aber
überhörte oder ignorirte alle die lauten Wahrzeichen des
schwedischen Nationalhaffes gegen Rußland. Solche Ge-
legenheiten waren die Taufe des jüngsten Prinzen, der
dem russischen Kaiser zu Ehren den Namen Nikolaus
erhielt, und die Reise des Kronprinzen Oskar zu Ni-
kolaus, um demselben Glück zu wünschen zu der glor-
reichen Beendigung des Krieges. Bei der ersten Vers
anlassung wagten es die Studenten, in einer Straße
von Stockholm eine Puppe mit dem Namen „Nikolai“
aufzuhängen. Seitdem nannte man nun den Prinzen
August. Bei der zweiten Anregung des Volksunwillens
entstand ein lautes Murren, denn man hatte es schon
ungern gesehen, daß ein Gesandter in der Absicht nach
Petersburg geschickt wurde, und äußerte nun die unvers
- holenste Mißbilligung, als der Prinz, vom Petersbur-
ger Hofe eingeladen, doch felbst zu kommen,
Anstalten machte zur Reise, und sie wirklich antrat. Die
Verbrüderung der russischen und schwedischen Politik war
dadurch außer allen Zweifel gesetzt, und durch die uns
freundliche Aufnahme des Schreibens von Ludwig Phi-
lipp nach feiner Thronbesteigung bethätigt. Erst nachdem
Rußland sich über die neuen Verhältniffe in Frankreich
definitiv erklärt hatte, ließ auch Schweden die dreifarbige
Flagge in die Häfen anlaufen. Seitdem handelt Kart
Johann fortwährend unter der Vormundschaft des rußig
TEGIE
Tchen Kabinets, und wird deshalb von den Schweden
nicht mit Unrecht „ein ruffifcher Statthalter über
Skandinavien genannt, Er befreundet sich täglich
mehr mit den Regierungsmaximen des Ostens und
sucht diese, wiewohl vergeblich, vielleicht aus Dankbar-
keit gegen Rußland, welches ihm Norwegens Krone ver-
fchafft hatte, in Ausübung zu bringen. Die Stimme
des Volks in Schweden, auf dem Reichstage und auf
Norwegens Storthing laut geworden, noch deutlicher in
den Journalen und Flugschriften des Obristlieutenants
Hjerta und anderwärts ausgesprochen, änderte nichts in
feinen Gesinnungen und veranlaßte ihn nur zur Verfol-
gung der kühnen Schriftsteller, die aber vom Gesetz in
Schutz genommen wurden gegen die Anmaßungen des
Königs.
Gleicher Mißton herrscht im Norwegen, wo er durch
den bloßen Versuch, den Erbadel einzuführen, die Ge-
müther gewaltig verstimmt hatte. Norwegen hatte von
jeher eine Abneigung gegen das Nachbarland Schweden
gehegt, und sich jederzeit empfindlich gesträubt, sich unter
fein Uebergewicht zu beugen. Jetzt aber richtete sich diese
Antipathie hauptsächlich gegen das Haupt der Regierung,
welche es fogar gewagt hatte, feine alte ehrenvete Konti-
"tion, die feinen Bürgern die vollkommenste gesetzliche
Freiheit fichert, anzutasten, indem sie dem Storthing
schläge Zur Abänderung einiger Paragraphen machte.
Natürlich wurden solche Zumuthungen mit großer Stim-
39
menmehrheit verworfen, und der König hatte nichts er-
reicht, als die Befestigung der alten Feindseligkeit und des
Mißtrauens in die guten Absichten der Regierung. Die
fes erstreckt sich auch auf Oskar, den Thronfolger, und
die beiden Königreiche hegen keine glänzenden Hoffnungen
für die bessere Gestaltung der Zukunft. Schon die Art
der Erziehung des Kronprinzen und feine französischen
Sitten finden wenig Beifall bei uns an alten Vorur-
theilen klebenden Nordländern, und wir können uns nicht
überzeugen, daß seine Virtuosität auf dem Flügel und
feine Fertigkeit im Lithographiren ihn hinreichend befähigt
zur einstigen Handhabung der Staatsgewalt. Wir
fürchten nur zu sehr, daß auch unter feiner Regierung die
Aeußerung eines berühmten Diplomaten noch nicht zur
Lüge und ferner unanwendbar werden wird:
„Schweden muß nothwendig das reichste
„Land in Europa fein, da es fchon
„fo lange an feinem Ruin arbeitet und
„noch nicht damit zu Stande gekom-
- „men ist.“
Die royalistische Partei in Schweden, wenn man
anders die vom Könige besoldeten Spione und feine er-
kauften Lobredner fo nennen will, geben sich zwar alle
Mühe, die Verfügungen und verhaßten Maximen der Re-
gierung zu vertheidigen und dem Volke einzuprägen, daß der
König nur das Wohl seiner Unterthanen mit der größten Un-
eigenützigkeit, ja sogar mit Aufopferung, zu befördern strebe.
- -
90
Man kann am Ende die kaufmännische Spekulation und
die wenig verhehlte Schmuggelei des königlichen Kauf-
manns mit ausländischen Waaren und Fabri-
caten für eine Unterstützung der inländischen Industrie
erklären, und der Haft, mit der er seine Geldmittel in
ausländische Banken unterzubringen sucht, die edel-
ften Motive unterlegen. Das letzte Manövre beweißt
nur zu deutlich, daß Karl Johann felbst nicht an die
unerschütterliche Festigkeit eines Thrones glaubt, und sich
für alle Fälle zu fichern sucht. Seine Besorgniffe find
nicht ohne Grund. Denn wenn auch die Schweden zu
gutmüthig und phlegmatisch find, gewaltsame Mittel zur
Aenderung ihrer Lage zu ergreifen, ohne vorher aufs
Aeußerste gebracht zu sein, so haben doch wiederholte An-
zeigen vorhandener Conspirationen darauf hingewiesen, daß
die Geduld des Volkes nicht unerschöpflich sei und die
Vermuthung des Regenten nicht grundlos.“ -
„Sie sehen hieraus, daß wir Schweden eher Grundha-
ben, uns in die Zeit der alten Anglinger“) zurück-
zuwünschen, als über die unfrige in Enthusiasmus zu
gerathen.“ -
Der patriotische Schwede hatte sich heiser demonstrirt
bei Durchführung feiner Behauptung, und war fo erschöpft,
daß er kurz nach seinen letzten Worten ermattet einschlief.
*) Die Ynglinger, welche sich für Abkömmlinge Odins hiel-
ten, regierten um das Jahr 1068. ".
91
Schlummernd schon grollte er „suffischer Statt-
halter – Branntweinhändler – Franzofe –
guter General – fchlechter König.“ Kurz
vor Kollin wachte er noch ein Mal auf und er-
zählte bei gelegentlicher Erinnerung mit munterer Laune
eine Anekdote aus dem Kriegsleben. Ein preußischer Vor-
posten habe nämlich einem schwedischen gegenüber gestan-
den. Beide machten betrübte Gesichter und fahen sich
schweigend, finnend an.
„Guter Freund Schwede, fagte endlich der Preuße,
hast du keenen Schnapps niche?“ -
„Ne, aber ich möchte wohl einen.“
„Na so hole man eenen!“
„Ja ich darf doch nicht meinen Posten.“
„Weeßt de was? ich will für dich stehen.“
„Na dann ist's gut – ich hole Schnapps.“
Als der gute Schwede wieder zurück kam, begeg-
nete ihm ein Unteroffizier, der ihn barsch fragte: „warum
er seinen Posten verlaffen habe.“ -
„Damit hat’s gute Wege,“ sagte der Schwede,
„der Prüße hat für mich gestanden.“
Mittlerweile holperte der Wagen über das greuliche -
Straßenpflaster der schmutzigen Judenstadt Kollin. Die
Aufmerksamkeit des Schweden war bald von einer schö-
nen Jüdin gefeffelt, auf die er auch sogleich Jagd machte.
„Für einen Ducaten läßt fie. Ihnen ihr Gemahl auf
99
eine Nacht,“ sagte unser Kutscher, aber der karge Schwede
fähien nicht Lust zu haben, Genüffe mit Gold zu bezahlen.
Als der Schwede müde war, die Spröde mit Complimen-
ten zu belagern, trat ich an das Parterrefenster, aus
welchem sie sich mit halbem Leibe herausbog. In der
That es war eine echt griechische Schönheit. Die Reize
der orientalischen Raffe waren an ihr verschwendet, regel-
mäßige Gesichtszüge, blendend zarte Haut, schwarzes
üppiges Haar, feurig große Augen, und ein mäßiger,
zitternder Busen. Ich grüßte sie höflich mit einer Artig-
keit und machte ihr eine scherzhafte Liebeserklärung.
Reisende Liebe? fragte sie lächelnd.
„Ja, Madame – ich wünschte aber, Sie reisten
mit ihr.“ -
Wenn mein Mannes zufrieden wäre, warum nicht.“
Dabei zeigte sie auf einen rothhaarigen häßlichen Kerl.
„Bist du's zufrieden, Jude?“ fagte ich.
„Warum nicht, erwiederte er grinsend, wollen fe
mer fe abkafen?“
„Solche Schätze sind nicht zu bezahlen, endigte ich,
indem ich, die Schöne freundlich grüßend, ging. Lächelnd
dankte sie und ich dehnte mich zwei Stunden später im
Bette. -
-
F ü n ft e r T. a. g.
(Böhmische Küche. Dieberei. Die Böhminnen. Die Ver-
faffungen. Iglau. Aus dem militärischen Leben. Ein
Engländer. England und Nordteuschland. Matrosenpreffe.
Weiberverkauf. Norwegens beste Konstitution.)
Des Morgens um 4 Uhr trat der Kutscher in un-
fere Stube, um seine Passagiere zu wecken. Grämlich
bequemte ich mich zum Wachen. Beim Frühstück mußte
ich eine lange Tirade des schwedischen Majors anhören
über die Unreinlichkeit meiner „Landsleute“ der Böhmen.
Ich protestierte gegen die Landsmannschaft in dem Augen-
blicke um so heftiger, als ich eben beim Bezahlen der
Zeche bemerkt, daß 4 Goldstücke – Friedrichsdor – daraus
verschwunden waren. Als ich den Vorfall bekannt macht,
versicherte mir der Gastwirth, „er sei ein ehrlicher Mann,“
der Hausknecht betheuerte, „er fei ein ehrlicher Mann,“
und das Stubenmädchen schrie schwörend und fluchend,
„sie sei ein ehrliches Mädchen, und Gott soll sie auf
der Stelle trafen, wenn sie gestohlen hätte,“ obgleich mir
der Hausknecht kurz zuvor manche verdächtige Dinge ins
Ohr gemunkelt hatte, unter andern, daß die Donna in
der Nacht einen meiner Gefährten besucht habe. Wie
mir bei so vieler Ehrlichkeit dennoch 4 Friedrichsdorge-
fohlen werden konnten, war mir unbegreiflich. Der
Diebsinn der Böhmen ist eine große psychologische Merk-
würdigkeit, und gewiß, Gall hätte ihn nicht besser fudi-
94
ren können, als an böhmischen Schädeln. So lange ich
lebe, find viele diebische Industrieritter mit meinem Eigen-
thum in Berührung gekommen, aber zwei Dritttheile wa-
ren Böhmen oder Slowaken, und in dieser Anzahl wie-
der zwei Dritttheile Weiber. Sie find gewandter und
listiger im Stehlen, als die Männer, geduldiger und vor-
sichtiger. Kein Hinderniß, keine Gefahr fchreckt sie ab,
denn in Fällen der Noth verschwören sie ihre Seligkeit,
um fich von allem Verdacht zu befreien. In den böhm-
fchen Zuchthäusern befindet sich immer eine große Anzahl
Weiber. Ueberhaupt lieben fiel alle Arten unehrlicher In-
dustrie, so z. B. hat man in Wien bemerkt, daß ein
großer Theil der dortigen gemeinen Gaffenphrynen, der
sogenannten Linergrabenschnepfen, aus Böhmen eingewan-
dert fei. - -
Wir berührten bei dieser Gelegenheit alle unrühmli-
chen Eigenschaften der Böhmen, worunter ihre Unrein-
lichkeit oben an steht. Man kann felten in Böhmen eine
Suppe effen, ohne Haare darin zu finden, kein Glas
Milch trinken, ohne darin die Spuren der ekelhaften,
schmutzigen Hände, welche sie gemolken, zu finden. Den-
noch find sie als vortreffliche Köchinnen weit und breit
berühmt, und verdienen diese Anerkennung. An körper-
lichen Reizen besitzen sie nicht viel Einladendes. Grobe,
plumpe Physignomien, hochrothes Inkarnat, ungeheure
unförmliche Brüste, überhaupt übergroße Korpulenz und
vor allen Dingen ihre Unreinlichkeit machen sie Jedem,
V
-
-
- 95
der nicht eben mit Allem zufrieden ist, ekelhaft. Schöne
Ausnahmen giebt es freilich, namentlich unter ganz jun-
gen Mädchen. Ihre Keuschheit betreffend erzählt man
sich nichts Gutes. Die übergroße Zahl der unehelichen
Geburten giebt Zeugniß davon.
Unser heutiges Mittagsbrot war kein Mahl für
Götter, denn wir mußten in einem elenden Dorfe ein-
sprechen. Indeffen würzte ein interessantes Gespräch über
die Verfaffungen Europa"s die kargen Biffen. Der schwe-
dische Major meinte, Norwegen habe die beste Constitu-
tion in Europa. Ohne auf ein patriotisches Thema wei-
ter einzugehen, fragte ich ihn, wie eine beste Conti-
tution organisiert sein müffe, und welche Regierungsform
er vorziehe.
„Wir finden in der Natur“, sagte er, „allenthalben
einen gewissen Trieb, der die mannichfachen Bedürfniffe
für verschiedene Zustände, Kreaturen und Gemeinschaften
unverkennbar anzeigt, und sich dieselben mit Gewalt er-
ringt. So dürstet der Kranke stets nach der ihm nützlich-
ften Arznei und sein Verlangen deutet dem Arzt die .
nöthigen Hülfsmittel an – ja man hat. Beispiele, daß
schwangere Frauen, welche fich übel befanden, fogleich ge-
nasen, wenn sie dasjenige erhielten, wonach fiel ein un-
widerstehliches Verlangen fühlten. Verzeihen Sie mir,
mein Herr, wenn ich die Völker mit schwangeren Frauen
-- vergleiche, denn es giebt kaum eine größere Aehnlichkeit
in der Natur, als zwischen ihren närrischen Gelüsten -
- - -
9G
und Launen. Ich glaube, daß diejenige Verfaffung und
Regierungsform die beste und angemessenste sein wird,
welche dem Verlangen des Volks am meisten entspricht,
seine Neigungen und Temperamenter am meisten begün-
ftigt. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, finde ich
alle bestehenden Regierungsformen gut, und die am be-
sten, welche dem Volke am angemeffensten find. So ist
der türkische Despotismus gut für die Türken, deren
heißes Blut und wilde Leidenschaften, verbunden mit eini
gen Vorzügen vor der Maffe, Einzelne unter ihnen
zu unumschränkten Herrschern, die träge und fchläfrige
Mehrzahl aber zu Sklaven macht.“ - -
„Ich bin nicht einverstanden“, erwiderte ich, „mit
Ihrer sonderbaren Ansicht, daß den Leidenschaften des Volks
schlechterdings immer gefröhnt und bloß der physische
Zustand des Menschen berücksichtigt werden müsse. Das
ganze Menschengeschlecht muß nothwendigerweise einen ge-
meinschaftlichen Zweck haben, und um diesem näher zu
kommen, müffen die Regierungen einer gemeinschaftlichen
Tendenz folgen – fie heißt Emancipation, Befreiung,
Aufklärung. - Wohl haben Sie recht, zu behaupten, die
Verfaffungen sollen den Bedürfniffen, den Neigungen
und dem Grade der Aufklärung des Volkes angemeffen
sein, aber es muß ihnen nicht ausschließli ch gehul-
digt und die moralische Tendenz jeder Verfassung auf-
recht erhalten werden. Jede Regierung ist daher wohl
verpflichtet, manche Vorurteile und Schwächen des Volks
- -
- -
-
. - -
- - -
97
zu schonen und tolerieren, aber fiel darf sie nicht befördern,
sondern muß fiel durch zweckmäßige und vorsichtige Maß-
regeln zu entfernen, zu vernichten suchen. Nicht der un-
umschränkte Volkswille, nicht die despotische Willkür eines
Einzelnen soll das Gesetz fein, sondern die Tugend, die
Wahrheit. Jede Verfassung, welche auf diese Prinzipien
basiert ist, wird das Volk beglücken, wenn sie anders in
ihren Wegen kluge Mäßigung beobachtet. Hieraus ergeben
sich die Pflichten der Regenten und die der Volksvertreter.
Diejenige Verfaffung wird daher die beste sein, welche
beide fo beschränkt, daß fie von ihren Pflichten nicht ab-
weichen, das Allgemeine nicht ihren individuellen Intereffen
opfern können. Dabei scheint es mir ziemlich gleichgültig,
ob sich die Autorität des Staates in einer Person oder
in der Idee konzentriere, ob die Regierungsform republi-
kanisch oder monarchisch genannt werde.“
Wie ein unaufhaltsamer Strom ergos sich die Ant-
wort des Majors über mich Armen, denn Politik mit
ihren Verzweigungen war ein Steckenpferd, aber nicht
das meinige.
„Mein Gott, wie kann man sich so ereifern,“ brach
ich endlich aus, „bei einem Gegenstande, der in dem
- gegenwärtigen Augenblicke tausend Federn beschäftigt, der
in jeder Zeitung, für sechs Pfennige das Blatt, abge-
kanzelt wird. Fiat- Herr Major, für einen Thaler
- - - 7
9Z
können wir billig genug Alles, was für und wider unsere
Behauptungen sich fagen läßt, weit bequemer lesen, als
besprechen. Laffen Sie uns von etwas Anderem sprechen,
denn die Politik ist nicht unsere Sache: Wir haben
beide das Handwerk nicht gelernt und gebrauchen nur die
leidige Vernunft. Ein französischer Ring mit seinem
fchlechten Golde rettete mich vor der Fortsetzung des un-
feligen Kapitels. -
„Bei Gott“ sagte der Schwede, „bei den Franzosen
ist doch nichts folid und echt.“ Concedo.
Beinahe wären wir auf das verhaßte Thema zurück-
gekommen, denn der Preuße, der bisher stumm zuhörte,
rief plötzlich aus mit einem Pathos und einem emphati-
fchen Tone, als ob er von der Tarantel gestochen wäre:
„die beste Konstitution läg in Preußen fix und fertig.“
Der Major öffnete schon den Mund zur Widerlegung,
besann sich aber, fah den preußischen Patrioten mitleidig
an und schwieg. Dann trällerte er ein schwedisches Lied-
chen und der Wagen raffelte über das Pflaster von Iglau.
,
Ich stieg aus und wandelte mit dem Major Straße
auf, Straße ab, um die Stadt zum zwanzigsten Male
zu besehen. Ich führte den Major zu ihrer größten, durch
Anekdotenzüge welthistorisch gewordenen Merkwürdigkeit,
einem alten Stadtthore, über welchem einst ein Igel ab-
gebildet war mit der Devise: Subumbra alarum tuarum. * -
99
Die Sache verhält sich so: Ueber jenem Thore war vor
Zeiten das Bild des österreichischen Adlers mit der paffen-
den Unterschrift abgebildet. Witterung und andere Un-
fälle hatten aber die Malerei beschädigt und der hohe
Rath der Stadt Iglau befand eine Reparatur unerläß-
lich. Gelegentlich veranlaßte sie der spießbürgerliche Pa-
triotismus, anstatt des Adlers das Wappen der Stadt,
einen Igel, hinmalen zu laffen. Unglücklicherweise ver-
standen die Herren kein Latein und ließen die ganz unbe-
fchädigte Unterschrift unter dem Igel stehen.
In der Mitte des gessen Platzes steht die Haupt-
wache.
„Gewehr, raus“ rief die Schildwach bei dem Uhr-
schlag Sieben. -
„Angetreten! Richt euch! Gewehr beim Fuß“
kommandierte ein junger Kadet.
-,
„Knieet nieder zum Gebet!!!“
, Die Mannschaft kniete nieder, die Trommel ertönte
in einzelnen Schlägen durch die tiefe Stille, während die
- Soldaten salutierend die Hand an den Czako legten. Sie
beteten auf Kommando zu dem Einzigen, der es allein
- wußte, daß keiner von ihnen an ihn dachte. Nicht län-
ger als 2 Minuten, bis der Tambour ausgeschlagen hatte,
durften sie beten, dann hieß es wieder:
„Auf vom Gebet! Abgetreten!“
100 - -
„Mein Gott, welche Lächerlichkeit!“ rief der
Major.
„Warum lachen Sie aber nicht.“
„Weil diese Szene für mich zugleich etwas Empö-
rendes hat. Ich bin nicht so glücklich, über derlei Lächer-
lichkeiten lachen zu können.“
„Und doch könnten Sie dadurch glücklich werden,
denn bei Gott, wenn man über alle Lächerlichkeiten in
der Welt lachen könnte, man machte nie ein trauriges
Gesicht.“
Beim Abendessen leistete uns ein interessanter Aben-
teurer Gesellschaft, der sich ebenfalls auf der Reise befand.
Ich erschrack, als ich, statt dessen, eine abgezehrt, gespenstige
Gestalt, an der die Kleider schlotterten, hereintreten fah.
Er grüßte uns, weinerlich lächelnd, und seufzte, als ich
ihn um den Zweck einer Reise höflich befragte. Die
Auskunft, die er uns hierauf sehr bereitwillig gab, riß
den Major hin zur unwillkürlichen Aeußerung seiner Theil-
nahme. Er rief einmal über das andere aus: „Armer
Mann, armer Mann!“ Er erzählte uns bei einer Flasche
Wein alle feine Schicksale, die ich der Aufzeichnung
würdig halte, weil sie psychologisch merkwürdig sind.
„Sie müffen wiffen,“ erzählte der Unglücklich, „daß
ich nie Lust hatte, meine geringen Talente in die Schulform
10
einzuzwängen, daß ich die Wiffenschaften nur nach Laune
betrieb, und mir so zwar einen großen Fond von Kennt-
niffen erwarb, die mir aber zu nichts nützlich waren, weil
ich nie, wie ich sollte, darauf ausging, durch Studium
Brod zu erwerben. Ich verließ im Jahre 1800 die
Universität, ohne einen bestimmten Lebensplan gefaßt zu
haben. In dem Augenblicke, als meine Unschlüffigkeit
und die Besorgniffe meines Vaters hierüber aufs Höchste
gestiegen waren, schrieb die Regierung eine neue Kon-
skription aus, und ich wurde als Bürgerlicher gefordert,
mich zu meinem Regimente zu stellen. Obwohl ich mich
nun hätte loskaufen können von der Militärpflicht, zog
ich es doch in meiner Lage vor, Militärdienste zu neh-
men. Zudem versprach mir der Feldmarschallieutenant *
thätige Verwendung. So kam ich mit fröhlichen Aus-
fichten zu meinem Regiment und wurde von dem Ob-
risten mit Auszeichnung empfangen. Anfangs ging es
gut, denn ich hatte hinreichende Mittel, um in Gesell-
fchaft der Offiziere und meiner Kameraden anständig er-
scheinen zu können, und galt überdieß als ein Günstling
einer hohen Person. Leider aber starb diese, mein Vater
machte bankrott, so daß ich nur noch eine geringe Unter-
stützung von einer Tante genoß, und ich sah mich nun
plötzlich als ein unrettbares Opfer der militärischen Dis-
ciplin verloren. Unglücklicherweise kam ich zu einer Kom-
pagnie, welche von einem Hauptmanne, der im Regiment
als ein roher, ungebildeter Mensch hinreichend bekannt
1092
und verhaßt war, befehligt wurde. So lange ich re
war und mich der Freundschaft des Feldmarschallieutena
rühmen konnte, behandelte er mich mit Schonung u
Auszeichnung, aber kaum hatten sich die Umstände get
dert, so war er auch gegen mich, wie gegen Andere, t
felbe soldatische Tirann. Er eröffnete mir beim Rapp
daß nur das Exerzieren den vollkommenen Soldaten a
mache, daß er auf alle meine Kenntniffe –. Da er
Erfahrung gebracht hatte, daß ich mich viel mit Büch
beschäftige, ließ er mir meine kleine Bibliothek wegnehm
und beorderte mich, „um einen guten Soldaten aus 1
Zu machen“ zu den härtesten Dienstleistungen. Es t
ihm jedoch nicht genug, daß mein Körper unter fei
Despotie litt, er wollte auch mein Gemüth, wie er ja
- abhärten,“ und mir militärischen Geist einimpfen.
dem Ende beorderte er mich zu allen Exekutionen,
“ften zu einer auf Leben und Tod, dem zehnmal
Auf- und Ab-Gaffenlaufen durch 300 Mann. Da
wider Willen des Hauptmanns auf Regimentsbefehl Un
offizier geworden war, verwandelte sich feine Strenge
"Perfolgung, und weil er wußte, wie sehr ich die barbari
Straf der Spießruthen verabscheute, benutzte er jede Geleg
mich zum Zeugen derselben zumachen. Eines Tages
wo er zur Ausstehung dieser Exekution verurth
len. - Der Unglückliche hatte mich bedient und ich kam
* als einen guten braven Burschen. Die Strenge
-
- 103
Hauptmanns hatte ihn zu dem rasenden Entschluß gebracht,
zum dritten Mal zu desertieren. Der Hauptmann, der :
genau wußte, daß ich den Unglücklichen aufs Tiefste
bedauerte, gab mir Befehl, mit einem anderen Unteroffizier
die Gaffe zu schließen. Umsonst waren meine Vorstellungen
und Bitten dagegen – ich mußte dem Befehl gehorchen.
Das Zeichen zum Ausrücken wurde mit der Trommel
gegeben und 150 Mann stellten sich in dem Hofraume
der Kaserne auf. Der Profes vertheilte an die Mann-
fchaft Ruthen, die Gewehre wurden beim Fuß genommen,
und an beiden Gaffenenden die Tambours aufgestellt. Der
Major ritt auf und ab und musterte die Mannschaft,
welche bewegungslos und traurig den unglücklichen Kame-
raden erwarteten, den fie zerfleischen sollten. Hinter den
Fronten patroullirten wachsame Unteroffiziere mit gehobenen
Stöcken, um diejenigen zu züchtigen, welche nicht emsig
genug zuschlagen, oder die Ruhe am Daumen umbiegen
würden. Todtenstille herrschte in dem Raume und nur
die Stimmen der rapportierenden Unteroffiziere unterbrachen
fie. Es handelte sich darum, einen Menschen, der kein
Verbrechen begangen hatte, als daß er einen Eid, zu dem
er gezwungen wurde, brach, und die Freiheit liebte, vielleicht
zu Tode zu peitschen. Man kann sich keinen Begriff
machen von der Bangigkeit, welche mich bei dem Gedanken,
ergriff. Noch ein Mal versuchte ich es, den mir nahe
stehenden Hauptmann zU bewegen, daß er mich von der
- gemeinsamen Dienstpflicht nur diesmal suspendite. „Das
AOA -
SMaul gehalten in der Fronte“ schrie er mir barsch zu
„und mich wandelte es an wie Ingrimm. Ich zuckt
„unwillkürlich mit dem Bajonette auf dem Gewehre und
murmelte einige Worte vor mich hin. Ich hätte den
SBarbaren niederstoßen können. Nach einer langen Paus
hörte man Kettengeraffel – der Delinquent wurde herbei
geführt. Dicht neben mir wurde er entfeffelt. Man la
ihm noch ein Mal das Urtheil vor, dann entblößte mal
feinen Oberleib, gab ihm eine Kugel zwischen die Zähne
legte ihm die Hände kreuzweise über die Brust und stie
ihn in die Gaffe. Jetzt erst fah mich der Unglücklich
und schien mir etwas zuzurufen, was ich nicht verstehen
konnte, da die Trommeln bereits gerührt und die Gaff
geschloffen wurde. Die Trommeln wirbelten, und hoch erhobe
zitterten die Ruthen, des Laufenden gewärtig, um dan
zischend auf den Rücken des Märtirers niederzufahren
Anfangs lief er unter lautem Geschrei, welches manchma
durch die vier lärmenden Trommeln durchklang, die Gaff
auf und ab, und hielt selten eine kurze Frist, aber all
der Rücken anfing, anzuschwellen blau und roth, mäßigt
er seine Schritte und ging langsam, tief Athem holend
die Gaffe entlang. Noch ein Paar Mal ging er de
furchtbaren Weg, und schon drangen helle Blutstropfe
aus der Haut. Der gegeißelte Heiland fiel mir dabei ein
So oft er sich mir näherte, pochte mir das Herz, um
ieder Streich traf mich mit. Eine volle Stund
verging und die Exekution hatte noch kein Ende. Scho
„“
105
war die Gaffe mit Blutspuren bezeichnet, da wurden die
Ruthen zum dritten Male gewechselt, während dem man
dem Delinquenten eine kurze Ruhe gönnte. Bald aber
fingen die Trommeln wieder an zu lärmen und langsam,
lautlos, begann der Elende wieder feine Schmerzenswan-
derung. Bisher hatte ich so viel möglich mich zu zerstreuen
gesucht, denn diese Spannung des Mitgefühls war auf
die Länge nicht auszuhalten. Man wird selbst leidend
dabei, und je höher das Mitleid steigt, desto näher ist
der Augenblick gänzlicher Abspannung, Stumpfheit. Plötzlich
aber erregte ein Umstand meine Aufmerksamkeit von Neuem.
An beiden Seiten der Straße sind nämlich jedes Mal
zwei Tambours aufgestellt, welche abwechselnd Reveil
fchlagen, um das Geschrei des Sträflings zu übertäuben.
Sobald derselbe von einem Ende ausgeht, trommeln die
dort aufgestellten Tambours fo lange, bis er ungefähr die
Mitte der Gaffe erreicht hat, wo dann die am entgegen-
gesetzten Ende befindlichen Tambours anfangen. Dießmal
dauerte das Trommeln am anderen Ende ungewöhnlich
lange, ich sah daher in die Gaffe, um die Veranlassung
dieser Verzögerung zu erforschen. Der Unglückliche war
- niedergestürzt erhob sich langsam wieder und wankte wie
ein Gespenst, unsicheren Schrittes, einher. Sein Gesicht
war todtenbleich, von Blutstropfen entstellt, und vollkommen
ohne Ausdruck. Die sogenannte Holzmütze, welche er zur
Verwahrung des Kopfs trug, war so mit Blut gefärbt,
daß es schien, s hätte man ihm die Haut über den
106
Kopf gezogen. Die Augen waren gläsern und fier auf
mich gerichtet. Immer näher taumelte die Schreckensgestalt
und endlich schlugen die Tambours neben mir an. Als
er bei unseren Bajonetten angekommen war, fank er
neuerdings nieder. Sein Rücken war zerfleischt bis auf
die Rippen, und das Blut strömte unaufhaltsam aus
den geöffneten Adern, Haut und Fleisch hingen zerriffen,
von gestocktem Blut bedeckt, herab, und der ganze Rücken
rauchte buchstäblich – es war ein gräßlicher Anblick.
„Ach Kadet,“ stöhnte der Unglückliche, „ich sterbe, ich
kann nicht mehr laufen.“ Umsonst waren die Vorstellungen,
welche man ihm machte, er konnte fich nicht aufrichten,
und so wurde dann der schreckliche Befehl zum Marsch
gegeben. Der Sterbende wurde auf eine Bank geschleppt,
dort angebunden und die Mannschaft defilierte an ihm
vorüber. Schon war der Rücken des Unglücklichen braun-
schwarz und der Arzt erklärte, daß er für das Leben des
Delinquenten fürchte – aber unerbittlich war das Gesetz
und der Wille des Obristen. Ich konnte den Anblick
nicht länger ertragen und meldete mich unwohl. Wirklich
war ich es, und wurde abgelöst von meinem Posten, und
von einigen Kameraden nach der Stube geführt. Eine -
Stunde später trug man den Leichnam des Delinquenten
ins Spital. … - - -
„Das ist das dritte Menschenleben, “ sagte einer unserer
ältesten Kadeten, „welches der Hauptmann auf seinem
Gewiffen hat.“ Wir baten alle um näheren Aufschluß
- -
/
107
und er erzählte uns von dem Ungeheuer eine Menge
Grausamkeiten, unter diesen zwei Begebenheiten, welche
ihn im ganzen Regiment verhaßt gemacht haben. Sie
find so traurig-interessant, daß ich sie Ihnen nicht vor
-
enthalten kann. - - - -
Ein junger Edelmann, der sich in den letzten Kriegen
fehr ausgezeichnet hatte, wurde eben darum und wegen
feines Stolzes dem Hauptmanne so verhaßt, daß er ihn
überall zu kränken bemüht war. Den geringsten Dienst-
fehler bestrafte er mit der größten Härte, füllte die Kon-
duitenliste mit den schlechtesten Berichten an und hinderte
fo den jungen Mann an seinem Forkommen. Dennoch
gelang es einen Freunden, ihm das Offizierpatent auszu-
wirken, und vom nächsten Regimentsbefehl erwartete man
die Kunde von seinem Avancement. Das Regiment war
aber auf dem Marsche und der Hauptmann fann auf Rache.
Die Gelegenheit dazu führte er selbst gewaltsam herbei,
indem er während des Marsches vom Pferde stieg und
den Kadeten rief, sein Pferd zu halten. Natürlich wei-
gerte sich dieser, aber der Hauptmann bestand auf Gehor-
fam, und schlug, um diesen zu erzwingen, den Kadeten -
mit der flachen Klinge auf die Brust. Im Innersten
empört, machte dieser eine Bewegung zur Widersetzung und
riß den Säbel halb aus der Scheide, aber in demselben
Augenblicke stieß ihm der Barbar feinen Degen in die
Brust. Der Obrist, der von dem Vorfall augenblicklich
unterrichtet wurde, ließ dem Unmenschen augenblicklich
-
4103
den Degen abnehmen und ihn verhaften, aber die Freunde
des hochadeligen Mörders wußten ihn bald wieder zu be-
freien, und die Klagen der gekränkten Familie des E-
mordeten wurden unterdrückt. - - -
Wenige Jahre später hatte ein anderer Kadet aus
einer polnischen Familie das Unglück, dem gefürchteten
„Hauptmanne zu mißfallen. In wenigen Monaten brachte
es ein Feind dahin, daß er wegen Subordinationsvergehen,
1 vegen Trunkenheit, der er fich aus Verzweiflung ergeben
hatte, zum Gemeinen degradiert wurde. Aber die Rache
des Wütherichs war noch nicht gesättigt, er gab sich alle
erdenkliche Mühe, den Unglücklichen zu einem Verbrechen
zu bringen, welches ihm jetzt – da er die Prärogative
eines Kadeten verloren hatte – eine entehrende Strafe
zu ziehen mußte. Die Geduld des Verfolgten war nicht
unerschöpflich, ein neues Subordinationsvergehen und eine
der Desertion gleich geachtete Entfernung von der Kaserne
stellte ihn vor ein Kriegsgericht, welches ihn zur Strafe
des Gaffenlaufens verurtheilte. Das ganze Regiment
trauerte über diesen Spruch und alle Kadeten des Regi-
m ents besuchten den Verzweifelnden im Stockhause, UN-
ihn Muth und Trost zu dem bevorstehenden, schrecklichen
Morgen einzusprechen. Einige feiner besten Freunde,
hochherzige und ehrgeizige Jünglinge, welche die Schande",
ihres Freundes nicht ertragen konnten, gaben ihm Gele-
genheit und Waffen zum Selbstmorde, aber der religiöse
Pole wies sie meist zurück und versichert, die Exekution
- -
409
würde nicht statt finden, aber er wolle nicht Hand an
fein Leben legen.“ Der gefürchtete Morgen brach an
und 300 Mann standen versammelt im Hofraume der
Kaserne. Der Hauptmann schien sehr glücklich über diesen
Erfolg seiner Bemühungen und erwartete mit Schaden-
freude die Herbeiführung des Opfers feiner Bosheit. Der
Pole ward in Begleitung des Profoten und Auditors zur
Gaffe geführt und hörte mit vieler Entschloffenheit ein
Urtheil. Dann machte man Anstalten, ihn zu entkleiden
und in die Gaffe zu führen, aber lächelnd widersetzte sich
der Jüngling, trat zum Hauptmann und gab ihm eine
Ohrfeige. Alles gerieth in Verwirrung durch diese Kühn-
heit, die Gaffe wurde aufgelöst und der Delinquent
fogleich wieder abgeführt. Das Gesetz sprach über diese
That Standrecht binnen 24 Stunden, und am
nächsten Morgen durchbohrten 6 Kugeln Herz und Gehirn
des Polen.“ r - „
Die Erzählung dieser Schreckensszenen aus dem
Leben des Hauptmanns erbitterte mich gegen denselben
fo, daß ich mich einige Male hinreißen ließ, gegen meine
Kameraden oft bittere Aeußerungen über den Kom-
pagnie - Kommandanten auszustoßen. Da aber man oft
von feinen besten Kameraden verrathen wird, so konnte
meine Stimmung gegen den Hauptmann ihm nicht lange
verschwiegen bleiben. Bisher hatte ich noch keine militä-
rische Strafe erduldet, aber kaum acht Tage nach der
furchtbaren Exekution lag ich das erste Mal kurz geschloffen
4MGP
in Ketten auf der Pritsche, weil ich in Zerstreuung ein
sycat verabsäumt hatte, den Hauptmann zu salutiren.
Sierzehn Tage später bekam ich mit demselben Kameraden,
der mich verrathen hatte, einen Streit. Er war mein
sorgesetzter, nach streng militärischen Gesetzen war ich ihm
Gehorsam schuldig. Darauf sich stützend machte der kleine
Tirann seine Gewalt auf die empörendste Weise geltend
und verwies mir einige Fehler beim Exerzieren mit groben,
unfreundlichen Worten. Nach den Uebungen stellte ich
ahn über sein Betragen zur Rede, gerieth mit ihm in
Wortwechsel, der mich soweit brachte, den Säbel gegen
den Elenden zu ziehen und ihn zum Zweikampf aufzu-
fordern. Statt sich zu vertheidigen rief er die Wache und
ließ mich arretieren. Ich wurde des Subordinationsver-
brechens angeklagt, vor ein Kriegsgericht gestellt und zum
Gemeinen degradiert. Mein heftiges Temperament verleitete
mich zur Rache, und kaum war ich frei, so suchte ich
meinen Feind auf und mißhandelte ihn. Man brachte
mich abermals nach dem Stockhause, wo ich bald von einem
Arzt untersucht wurde. Ich wußte die Bedeutung dieser
erniedrigenden Visite, welcher in der Regel die Verurtheilung
zU einer körperlichen Strafe nachfolgt, und war entschloffen,
mir ein Ende zu machen. In der Nacht versuchte ich
es mit einem Stilet, mir die Adern zu öffnen, wurde
aber von meinen Mitgefangenen – gemeinen Dieben – (NN
meinem Vorhaben verhindert. Des letzten Trostes beraubt
überließ ich mich der Raserei. Indessen waren meine
111
gewisse Uebel die vom
wenigen Freunde im Regimente thätig, mich von der be-
vorstehenden Schmach zu retten. Der Auditor zögerte
absichtlich mit den Verhören, und zeitlich genug kam der,
von einem Freunde meines Vaters ausgewirkte General-
kommando-Befehl, mich aus meiner Haft zu entlaffen
und in ein Jäger-Bataillon zu versetzen. Dieselbe Will-
kür, welche mich gestürzt hatte, rettete mich wieder, aber
die furchtbare Aufregung meines Gemüths hatte meine
Gesundheit angegriffen und noch immer fühle ich die
Folgen jener entsetzlichen Lage. Meine Aussichten waren
indessen schlecht, denn an ein Fortkommen war nicht zu
denken, da ich kriegsrechtlich behandelt worden war. -Eben
fo wenig Aussicht hatte ich, aus dem Militär entlaffen
zu werden vor Ablauf der 14jährigen Kapitulationszeit,
oder vor dem Eintreten gänzlicher Untauglichkeit zu wei-
teren Militärdienstleistungen. Meine einzige Hoffnung be-
ruhte auf den Wechselfällen des Krieges, in welchem ich
wenigstens einen ehrenvollen Tod finden konnte. Ein
Zurückgesetzter wird im Militär bald als ein mauvais
sujet betrachtet; so auch ich. Ich wurde bald die Ziel-
scheibe des Spottes meiner Kameraden, und die Offiziere
fanden Vergnügen daran mich ohne Noth zu quälen.“
„Ich gestehe, bemerkte der Major, daß ich einen
humaneren Geist in den teutschen Herren vermuthet habe.
Giebt es denn keine Gesetze, die den Uebermuth der Vor-
gesetzten einschränken?“
„Wohl gibt es solche aber sie werden nicht befolgt,
und können vielleicht auch nicht befolgt werden. Es gibt
- - vom Militärstand unzertrennlich sind, und
darunter gehört die Despotie der Vorgesetzten. Gesetze,
welche sie einschränken sollen, können nichts helfen, weil
449 -
sie mit dem Gebot blinden Gehorsams im Widerspruche
stehen, und weil gegen den Vorgesetzten keine Klage durch-
geführt werden kann. Was hilft z. B. die humane Ver-
ordnung der Regierung, welche alle willkürliche Mißhand-
lung der Rekruten beim Exerzieren verbietet? Nichts, als
daß der Offizier wie zufällig auf die Seite sieht, wenn
der abrichtende Unteroffizier Fehler und Ungeschicklichkeiten
mit Kolbenstößen bestraft. Klagt der Gemeine über
Mißhandlung, so erhält er nie Recht, denn die Autorität
feines Vorgesetzten darf nach dem militärischen Herkommen
nicht herabgewürdigt werden. Zudem darf der Vorgesetzte
nur leugnen, und der Gemeine wird noch bestraft wegen
unstatthafter Beschwerde, denn die Aussage des Oberen
ist allein gültig“
Nach dieser kleinen Abschweifung baten wir den Um-
glücklichen feine betrübte Geschichte fortzusetzen.
„Sie können leicht ermeffen, daß ich unter solchen -
Umständen mich höchst unglücklich fühlen mußte. Meine
besten Kameraden vermieden meinen Umgang um ihre
Konduitliste rein zu erhalten. Der Mensch bedarf der
Gesellschaft, und wenn er die bessere von Menschen glei-
cher Bildung entbehren muß, fo schließt er sich an folche
an, welche unter ihm stehen. Ich fing an die Gesellschaft -
der Gemeinen nicht mehr von mir zu weisen, und ihr
Umgang veränderte bald meinen Charakter. Ich nahm "
ihre Neigungen und sogar ihre Denkweise an, ich betäubte
meinen Kummer durch unmäßiges Trinken und wurde im
Punkt der Ehre weniger empfindlich. So sank ich immer
tiefer als der Krieg mir plötzlich Aussichten eröffnete. Es
wurden viele Offizierstellen vakant und da ich mich in einer -
mpagnie einst durch verzweifelte Bravour hervorhat, so
113
,
- sie beide zum Hause hinaus, Meine Frau flüchtete sich zu
. ihren Eltern und der Bürgermeister brachte es dahin, daß ich
gab man mir auf dem Schlachtfelde das goldene Porte-
d'épée. Allein dieses Glück kam zu spät für mich, mein
-
- bisheriges Unglück, schlechte Gesellschaft und das Kriegsleben
hatten mich verwildert. Meine Leidenschaft zum Trinken
und Spielen konnte ich nicht mehr beherrschen. In einer
Spielbank zu Aachen gewann ich in einer Nacht, da mich
Trunkenheit kühn gemacht, über 60000 Franken, und war
fo unklug im Besitz dieserSumme meinen Abschied zu neh-
men, um im Civilleben mit Ruhe und Muße meinen Reich-
thum zu verzehren. - -
In meiner Vaterstadt angekommen machte ich ein
großes Haus, verheiratete mich mit der Tochter des
Bürgermeisters, kaufte ein großes Kaufmannsgeschäft und
lebte einige Monate in großer Glückseligkeit, Ich hatte
dem Spiel entsagt und war auf dem Punkt ein ordent-
licher Mensch zu werden, als sich die Eifersucht in mein Herz
schlich und wieder die alte Gemüthsstimmung mit sich brachte.
Einer meiner Freunde verführte meine Frau, aber ich konnte
nicht Gewißheit darüber erlangen. Ich suchte Zerstreuung
und griff wieder zu meinen alten Sorgenbrechern, der Flasche
und dem Spiel. Das Glück wandte sich von mir ab, ich verlor
ungeheure Summen. Ich sah meinen Ruin voraus und wollte
mir noch zu rechter Zeit Einhalt thun, als ich mein Weib
beim thatsächlichen Ehebruch ertappte. In der Wuth miß-
handelte ich die Treulose, verwundete den Verführer und warf
14
wegen Mordversuchs arretiert wurde. Es war jedoch nicht eine
Absicht, mich dieses Verbrechens zu überweisen, allein“ be-
nutzte die Zeit, während ich im Gefängniß lag, einen Konkurs
meiner Gläubiger zu eröffnen, mit Hilfe der Gesetze das Dop-
pelte des Heirathsgutes meiner Frau an sich zu nehmen,
und mich als einen Verschwender und Taugenichts erklären
zu laffen. Als ich entlaffen wurde, ließ er mir einige Gulden
verabreichen, mit der Weisung, es wäre gut, wenn ich die
weite Welt fuchte. - - - -
Von Schaam, Wuth, Verzweiflung gefoltert, verlief
ich meine Vaterstadt, und um nicht Hunger zu sterben, nahm
ich neuerdings Militärdienste. Ich ließ mich als Gemeine
affentiren. Gewohnt zu befehlen, und in Ueberfluß zu leben
spielte ich als gemeiner Musketier eine erbärmliche Rolle Je
trank viel Branntwein, um mein Gedächtniß zu Grunde z
richten. Stolz und Trunkenheit verleiteten mich zu Subo
dinations-Verbrechen. Man verurtheilte mich zum Gaffer
laufen und gab mir dann den Laufpaß, von welchem ich gegen
wärtig so umfaffenden Gebrauch mache, daß ich bald a
Handlungsreifender, bald als Polizeispion und Diebsfänge
das ganze Land ohne Unterlaß durchziehe. Das ist mei
ganze Geschichte. Sein Auge glänzte in Thränen, d
"einige auch. Es gibt nur eine Quelle im Leben,
unversiegbar ist – das Auge. Thränen sind die eins
dürmliche bauerquickung welche der Himmel einem dür
: Wozu diese Grausamkeit der Todverzögerung
tren, verglühen zu Asche. Eine säuselnde Wind
115
welle zerstreut sie dann und befruchtet damit schmachtende
Blumen. - -
Der Abend verging in Trägheit. In der Gaststube
war ein Engländer angekommen. Er flegelte sich, ohne zu
grüßen, an einen Tisch und blieb allein in der Stube.
Der Schwede war nicht mittheilsam und ich noch minder.
So störte nichts die leise zwitschernde Lerche, in einem
finsteren Bauer an der Wand, als schwach klirrende
Gläser und Teller. Dennoch war reiches Gedankenleben
in der Stube – der Schwede dachte sichtbar an die
Uebel der Welt, der Engländer an ein Beefsteak, ich –
an die Lerche, die Lerche an den freien blauen Himmel.
Gute Nacht Lerche!
Matrosenpreffe! Weiberverkauf englische Freiheit
wie reimt sich das zusammen. Wahrhaftig, wenn die
Freiheit eines Volkes darin bestehen soll, daß nur einzelne
Stände frei sind, dann ist nirgends mehr Freiheit als in
den östlichen Monarchieen, wo der König die Freiheit
repräsentiert. Wo es andere Unterschiede giebt, als die der
Bildung, und wo irgend ein Mensch mit Stricken einge-
fangen und mit Schiffeilen geprügelt werden kann, wo
die Personen nicht unverletzlich find, selbst bei Verbre-
chern, da ist keine wahre Freiheit. Eine Justiz ferner,
- die noch nicht zur Einsicht gekommen ist, daß das Tor
desurtheil, wo es nicht eine Nothwehr der Gesellschaft
gegen Bösewichter, ein Verbrechen ist, eine Justiz, welche
8
- „-
- - - ---
116
das Menschenleben nicht höher achtet als fünf Pfun
“he so in allen Dingen, bei ihrem Richterspruch üb
Leben und Tod eine lumpige Dreierrechnung führt um
"*"röße eines Verbrechens mit dem elendeten Maßst
mißt, kann sich nicht wähnen aus der höchsten europäisch
Intelligenz entsprungen zu sein.
Seid ihr stolz auf eure Konstitution, auf die Wei
heit eurer gesetzgebenden Herren von so und so viel Ei
künften, so zu sagen von 2000 Pf, jährlichem Verstand
Arme, arme Weltumsegler Vernünftiger waren t
Wilden in Amerika, welche den Stärksten und Tapferst
aus ihrer Mitte zum Häuptling wählten und sich sein
Gesetzen unterwarfen. Dort gebietet die Kraft, hier d
dumme augenlose Mammon, zufälliger Reichthum. B
euch entscheidet die von äußern Einflüffen zufällig b
stimmte Mehrzahl. Ein einziger gewandter Kopf dirigiert fi
„Welche halten Sie für die beste Konstitution, He
Majorl“ -
„Die norwegische, welche dem Bauer gestattet, i
eigener Person ein Recht zu vertheidigen.“
„Wo ist die größte menschenmögliche Freiheit?“
„In jenem Lande, wo nicht die rohe Gewalt ph
fischer Gesetze, wo nur die allbesiegende Kraft des Geist
die Waffe der Willkühr ist.“ - -
„und dieses Land ist?“
„Die Welt!“
-–
17
Sech ist er T a g.
(Aufbruch. Der neue Passagier. Eigennützige Höflichkeit,
Bildwitz. Die Wolfsjagd, Znaim. Nächtliche Reise.
Das mondsüchtige Pferd. Ein Roman. Kontemplation)
Wir brachen zeitlich auf – noch hatte man nicht
Reveil geschlagen, die Fenster waren noch überall von
Vorhängen verschloffen und der Posten vor der Haupt-
wache schritt so pathetisch auf dem langen Brett, daß
seine Schritte an allen Ecken des ungeheueren Iglauer
Marktplatzes hörbar waren. Plötzlich blieb er stehen und
horchte auf die schlagende Uhr, rief mit einer Mars-
stimme durch die Stille:
„Ohglie-ßt“ (Abgelöst)
fehlug an"s Gewehr und erwartete die Ablösung. Das
war das Signal, auf welches einiges Erwachen folgte;
aus den Fenstern gukte hier und da eine Schlafmütze
über ein schlaftrunkenes gähnendes Gesicht gezogen, die
frische Morgenluft begrüßend, während an anderen Fen-
stern Gestalten mit Zahnbürsten bemerkbar wurden, die sich
den Mund ausspühlten und auf die Straße spuckten. -
Aus der Wachstube trat fluchend der Wachkommandant
118
- -
mit der gähnenden und fich reckenden Mannschaft, um
- der Tambour fing an Reveil zu schlagen. Da rumpel
unsere fchwerfällige, stark bepackte Kutsche über das holprig
Pflaster und lockte manches Dämchen im Hemde an
Fenster, von wo bald manch' neugieriges Mädchen dur
den gelüpften Vorhang, manche Matrone durch eine offen
Scheibe auf uns herunter fah. Bei einem Wirthshau
in der Vorstadt nahmen wir einen neuen Paffagier a
und da wir ausgestiegen waren, um abzuwarten bis d
Mann sein Gepäcke aufgeladen hatte, kam ich um me
nen guten Platz am Kutschfenster. Vergeblich machte i
dem neuen Gate begreiflich, daß ihm die Ehre des zuer
Einsteigens gebühre, daß er sonst nothwendig ans Fenst
zu fzen käme, was ihm bei einem starken Husten je
macht heilig sein könnte; der Mann ließ sich von fein
“gennützigen Höflichkeit nicht abbringen und versichert, tr
feines Hustens eine starke Natur zu haben, welche
Gefahren des Luftzuges in vielen Militärstrapazen glü
" überwunden habe. Es lag in seiner zudringlich
Höflichkeit fo etwas Bestimmtes, als wäre er insgehei
beordert mich zu escortiren, und so fügte ich mich n
*räßlichem Gesicht in die Nothwendigkeit. - -
Verdammte Höflichkeit dachte ich, ist sie ni
' fftematischer Betrug, welcher den Betrogen
die Der höfliche Mann schützt sie nur vor, u
'' Porgenluft am Fenster genießen zu könn
r daran weniger Genuß zu finden scheint als
4119
der kleinen Schnapsflasche, die er eben hervorzieht, um
einen tüchtigen Schluck zu thun. Und doch hat mich
diese vertrocknete Häringsseele um meine Morgenluft be-
stohlen. Wenn ich ihn genau betrachte mit feinem blat-
ternarbigen, hektischen Gesicht, mit feiner heiteren Stimme
und feinen erloschenen Augen, fo scheint es mir, als ob
ihm die Morgenluft eben so wenig tauge als der Ro-
foglio. Armer, armer Mann, es scheint doch, als ob er
mir einen Dienst habe erweisen wollen; – wie gefährli
kann ihm diese Aufopferung werden. - -
„Mein Herr, ich besorge ernstlich, die Morgenluft
kann Ihnen übel bekommen und wünsche nicht die Ur-
fache an vermehrtem Uebelbefinden zu sein. Setzen Sie
sich an meinen warmen Platz.“
„O nein – ich danke gehorsamst! wenn Sie aber
lieber meinen Platz einnehmen, fo steht er Ihnen zu
Befehl.“ -
Wieder entwaffnet. Ich schlug ein Anerbieten aU3
und ward freundlicher gestimmt gegen den Höflichen.
Hügel auf – Hügel ab rollte der Wagen und –
hier ist die Stelle, wo ich vor einem Jahre die Todes-
angst eines Menschen fah. Ich fuhr mit der Eilpost
und ein medizinischer Engländer war mein einziger
Reisegefährte. Die Luft im Innern des Wagens be-
hagte mir nicht und ich setzte mich ins Kabriolet zu
dem Kondukteur. Der Wagen war im schnellsten Laufe
bergab, da suchte der Postillon das Handpferd näher an
-
120
sich zu ziehen, die Stange schlug an eine großen Cour-
rierstiefeln und schleuderte ihn vom Pferde; er stürzte
mitten zwischen die Pferde und schien verloren. Geistes-
gegenwart rettete den Armen; er hatte sich im Sturze
an die Stange geklammert und die Hufe wichen ihm
aus, die Pferde hielten mit vieler Mühe den Wagen" auf
und im nächsten Augenblicke saß er wieder im Sattel.
„Das hätte dem armen Teufel das Leben kosten
können,“ sagte lakonisch der Kondukteur; ich zerdrückte
eine Thräne im Auge. Der Schreck hatte mich nicht
ergriffen, denn diesen war ich gewohnt, aber die Rührung,
die stille Freude über die wunderbare Rettung. Giebt es wohl
, auch beschützende – nicht blos zerstörende feindliche Mächte?
Aus langer Weile fragte ich den Offizier – denn
das war der neue Gast – um den Zweck seiner Reife.
Ich gähnte dabei und hoffte nichts Interessanteres zu
hörren, als daß er eine Muhme oder einen alten Vater
und dergleichen besuchen wolle, aber das Schicksal ver-
gönnt mir nicht die bequeme Alltäglichkeit. Wo ich mein
Auge erhebe, trifft mein Blick auf einen Uebelstand, der
mein Herz verletzt, wo ich mein Ohr öffne, empfängt es
Klagelaute unglücklicher Menschen. Wenn es Allen“ fo
geht, so ist es ausgemacht, daß man nur glücklich fein
kann, wenn man Anderer Elend nicht mit empfindet.
„Ich bin meiner Pension verlustig geworden,“ fagte
der Paffagier, „und will nach Wien, um sie wieder zu
erlangen, denn ich kann ohne ihr von dem kleinen Er-
- 121
werb, den ich habe, nicht leben. Man hat erfahren, daß
ich mir durch Zeichnen etwas zu verdienen und meine
Lage zu verbeffern suche, und nach den bestehenden Ge-
fetzen deshalb meine Pension eingezogen.“ -
Der arme Mann fagte nicht viel mehr, als daß er
Vater sei. Er klagte nicht, murrte nicht, aber in feinem
Gesicht war der unendliche innere Schmerz ausgesprochen.
Traurige Weltordnung! Der Jugend strömen alle Quellen
des Glücks zu und dem bedürftigen Alter versiegen fie.
Man lebt nur, um unglücklich zu werden und zu sterben.
Ist doch das ganze Weltleben ein ewiges Sterben,
Jedes Leben ist das Grab von tausend Leben.
Welch ein trauriges Bild gewährt die Gesellschaft!
Einer lebt auf Kosten des Anderen, keine Freude blüht
dem Einen, ohne daß ein Anderer sie mit unsäglichem
Schmerz bezahlte. Wenn der Eine ißt, muß der Andere
hungern und so abwechslungsweise theilen sie fich in die
Genüffe des Lebens, und ihr eignes Leben ist ein ewiger
Krieg um Brod. Immer und ewig würfeln die Menschen
um Leben und Tod wie verurtheilte Delinquenten, welche
sich zusammen aus Gnade mit einem Leben behelfen -
können. Und was ist dieses Leben für den Gewinnenden!
Ein ewiger Hader mit feines Gleichen, Rauben oder Be-
raubt werden. - -
Jeder Schritt auf unserer kreaturenreichen Erde zer-
tritt kleinere Existenzen, jeder Athemzug verschlingt un-
zählige Leben. Der Schritt der Zeit zertritt Generationen,
122
ihr Athemzug verlöscht Millionen Lebensflammen, aber fie
gehen alle wieder auf in dem Alles verzehrenden Welt-
leben. Trostlos ist diese Wahrheit, denn sie zeugt von
der tiefen Subordination des Menschen in der höhern
Weltordnung, sie verhöhnt unsere Tugenden und Groß-
thaten, erniedrigt unser Dasein.
In dem kleinen Städtchen B“ aßen wir unser
Mittagsbrod in Gesellschaft eines Grafen und eines Ba-
rons, die in der Nähe begütert waren. Der Wiener
Patois in der Konversation der Fremden that mir wohl,
wie einem Schweizer der Kuhreigen. Sie sprachen von
dem Landleben, von der Jagd und dergleichen, den dabei
erlebten Abentheuern und ich wurde dadurch frisch aufge-
regt, denn die Jagd war meine Lieblingsbeschäftigung von
jeher. Ich dachte an die schöne Zeit, wo der Augenblick
mir so viele Genüffe bot als jetzt ein Jahr, an das herr-
liche Waldleben, an rauschende und knarrende Tannen,
den angenehmen Harzduft des Nadelholzes, die erwar-
tungsvolle Stille auf dem Anstande, das ferne Anschlagen
der Hunde, die Stimmen der Treiber und die gellenden
Schüff, welche durch die heilige Stille des Waldes weit-
hin halten. Ich hätte gern die Szenen alle ausgemalt,
welche in meinem Gedächtniffe auftauchten und mein
Auge daran gelabt. Der Jüngere der Fremden erzählte
viel von seinen Jagden und manche interessante Ge-
fchichte darunter. Er theilte sie der Reihe nach mit,
wie sie sich auf feinen Reisen ereignet hatten und
1923
---
erzählte bei einem trefflichen Wildbraten folgende Jagd-
historien: - -
„Es war im Jahre 1826, als ich mit dem Grafen
P– mehrere seiner Güter im südlichen Ungarn bereiste.
Mein junger tollkühner Freund liebte eben so wenig als
ich profane Gesellschaft und fo kam es, daß wir alle un-
sere Reifen allein auf einer leichten Jagddroschke, mit vier
jungen wilden Pferden bespannt, unternahmen. Die Som-
merszeit verging unter "mannichfacher Belustigung, aber
wir waren noch nicht gesättigt und liebten auch die mit
Schnee bedeckte freie Puszte mehr als die warme Stube.
Eines Tages erhielt der Graf einen Brief von dem Ver-
walter eines fünf Stunden von unserem Aufenthaltsorte
entfernten Gutes, worin ihn dieser bat, so bald als mög-
lich eine Wolfsjagd in der Gegend anzustellen, denn die
Wölfe wären diesmal sehr zahlreich vorhanden und beun-
ruhigten die Gegend. Ein Detachement Husaren wäre
kürzlich von ihnen angefallen und bald aufgerieben wor-
den, und ein großer Wolf habe erst gestern feiner Frau
in der Küche einen sehr unwillkommenen Besuch abge-
stattet, und obgleich fiel mit dem Schreck davon gekom-
NEN, wäre, fo hätte er doch in Folge dieses Ereigniffes
die Frühgeburt eines todten Knaben zu beklagen. Der
Graf war bald entschloffen, und nach dem Mittagseffen
bestiegen wir mit vier Doppelgewehren bewaffnet die
Droschke und jagten im Galopp davon. An die benach-
barten Edelleute waren bereits durch den Verwalter Ein-
-
- -
–
-‘ -
1924 -
ladungen ergangen und es fand zu erwarten, daß viele
Jäger eintreffen würden. Es war grimmig kalt und die
Pferde rauchten, doch war der Himmel ziemlich rein,
aber wir fuhren nicht lange, so erhob sich ein fo dichtes
Schneegestöber, daß wir weder die Richtung unseres We-
ges erkennen, noch die Pferde gehörig lenken konnten.
Mein Freund ließ ihnen daher freien Zügel, theilte mir
aber die Besorgniß mit, daß wir uns leicht verirren könn-
ten, wenn die Pferde uns nicht auf die richtige Spur
helfen würden. Leider war fein Bedenken gerecht, denn
nach fünf Stunden waren wir noch nicht am Ziele und
sahen keine Spur einer menschlichen Wohnung, keine
Spur einer Fährte. Das Schneegestöber hörte auf, aber
die Nacht brach herein, ehe wir uns zurecht gefunden hat,
ten; die Pferde trabten langsamer über die endlose Puszte,
denn der Schnee war tief und weich. Noch zwei Stun-
den vergingen ohne Trost und an die Stelle des Tages
war eine mond- und fchneehelle Nacht getreten; die Pferde
fanden ermattet still und fäharrten den Schnee auf,
Mein Freund band die Zügel an die Laterne, klopfte
feine Pfeife aus und fah mich lächelnd an.
„Hast Du Furcht, Karl?“ fragte er, indem er
das Pfeifenrohr reinigte. - - - - -
„Nein, Adolph,“ sagte ich, den Pelz lüftend, „aber
Langeweile.“ -
„Davon werden wir befreit werden,“ erwiderte er
räthfelhaft lächelnd.
-
125
Mechanisch griffen wir nach unserem Mundvorrathe
und fingen an zu effen, während die Pferde begierig in
den Schnee bissen und das spärlich vorgeworfene Heu
fraßen. Es war schauerlich öde um uns her und nichts
zu entdecken als Schnee und Nebelgrau, durch welches
rothes Mondenlicht fähien.
„Wir werden morgen große Kälte haben,“ sagte der
Graf. - -
„Und die Wolfsjagd?“
„Werden wir auf keinen Fall versäumen.“
Ich nahm mir nicht die Mühe, über das seltsame
Betragen meines Freundes nachzudenken. Er war sehr
schweigsam, mehr um seine Pferde besorgt, als um uns.
Eifrig an einem Stück geräucherter Rindszunge kauend,
machte er sich über die Gewehre, reinigte und prüfte fie.
Dann sah er wieder nach allen Gegenden, schüttelte den
Kopf und schwieg. Ich meinerseits dachte an nichts,
sondern ließ es mir gut schmecken, denn ich kannte die
Gefahr nicht, auf einer ungarischen schneebedeckten Haide,
vielleicht viele Meilen von jeder menschlichen Wohnung
entfernt, sich verirrt zu haben. Als ich gesättigt war,
fopfte ich mir eine Pfeife mit dem trefflichen Kraut von
Janoshazar und pfiff ein Liedchen. P. gebot mir Stille
und fähien zu horchen. Nach einer Weile stellte er sich
ruhig an den Wagenschlag und fagte leise wie fcherzend:
„Schade, daß wir nicht an Heilige glauben!“
„Warum?“
1926
„Wir könnten sie nun anrufen.“
„Ich dächte wir wären noch nicht in der Lage, denn
in der Regel denken die Menschen nur in der äußersten
Noth an höhere Mächte!“
„Hörst Du denn nichts?“
„Hunde heulen – ein Dorf ist in der Nähe.“
„Du lügst – fünf Meilen in der Runde athmet
kein Mensch, wir sind auf der großen Puszte“ –
„Das ist noch kein Unglück, obwohl ich nicht daran
glaube, denn Hunde –“
„Sind nicht weit von Menschen – aber –
Wölfel“ e
„Für die haben wir Waffen.“
P. antwortete nicht, aber es schien, als ob er nicht
viel von unserer Vertheidigungsfähigkeit hielte, denn die
nahen Wölfe schienen fehr zahlreich vorhanden. Nach
einiger Rat wendeten wir um und versuchten die Pferde
weiter zu bringen auf dem entgegengesetzten Wege, aber
die armen Thiere zitterten und fanken bis über die Knie
in Schnee. Der Schlitten bewegte sich nur langsam
vorwärts in der entgegengesetzten Richtung, aber die Spur
war vom Winde verweht. Fortwährend trieben vom
Sturme aufgeregte Schneewolken um uns herum und
wir fanden keinen Punkt am Horizont, den wir im Auge
behaltend verfolgen konnten. Immer mehr näherte sich
das verwünschte Wolfsgeheul, von allen Seiten schien
es heranzukommen. -
4127
„Lindor,“ sagte P., „unser Homagium“) ist auf einen
Pfennig gefallen und Lloyd würde unser Leben nicht affe-
kuriren. Es ist zwei gegen eins zu wetten, daß wir ent-
weder von Wölfen gefreffen werden oder verhungern, denn
ehe der Schnee schmilzt, werden wir uns schwerlich zurecht
finden. Die ausgehungerten Bestien scheinen unseren Wind
zu haben.“ - ---
Anfänglich hatte die Vorstellung etwas Reizendes
für mich, eine Jagd ohne ängstliche Vorkehrungen und
erstliche Sicherung - vor aller Gefahr, ohne das feige
Gefühl der Ueberlegenheit und Sieggewißheit, aber ich
hatte nicht Zeit mir unsere Lage phantastisch auszumalen,
denn schon hörten wir hinter uns einen Wolf traben und
lechzend unserer Spur folgen. Ich legte die Gewehre
bereit und P. lenkte die Pferde, ermahnte mich aber
nicht eher zu schießen, bis die Gefahr größer wäre. Mit
kluger Berechnung suchte er eine kleine Anhöhe zu erreichen,
wo der Schnee minder tief zu liegen schien und beffer
fortzukommen wäre; aber kaum waren wir hinan gekom-
men, als plötzlich das Handpferd wild emporsprang, die
Stränge zerriß und so gewaltig mit den Hinterbeinen
ausschlug, daß das Vordertheil des Schlittens zertrüm-
mert wurde. Ein Wolf, der uns versteckt nahe gekom- -
men war, hatte es erfaßt. Der Schlitten stürzte um,
die Stränge und das Geschirr riffen los, und in wilden
*) Homagium, Menschenwerth. Die ungarische Konstitution
fetzt den Menschenwerth eines Edelmanns auf 200 Fl, fest.
128
Sprüngen eilte das Pferd mit dem Wolf hinweg. D
Sattelpferd war glücklicherweise niedergestürzt und unv.
letzt, wir selbst waren unbeschädigt, obgleich außer Stani
dem Pferde zu Hilfe zu kommen. Das Aufspring
des Liegenden hatte den Schlitten wieder emporgeriff
und im Nu waren wir wieder an unseren Plätzen, u
wurden von dem Sattelpferd mit einer fürchterlich
Schnelligkeit fortgeriffen, bis es in einem Graben zusamme
brach. Unser Geschrei hatte die Wölfe der ganzen Umgegen
herbeigelockt, und kurz nach dem Sturz des zweiten Pferd
sahen wir uns von sechs oder acht solchen Bestien umgebe
Wir sprangen vom Schlitten, warfen die Gewehre herau
und auf vier Schüffe wurden drei Wölfe erlegt. D
übrigen ergriffen die Flucht oder warfen sich auf d
Pferd, das sich mittlerweile emporgerafft hatte und im
den Trümmern des Schlittens ausgeriffen war. Ein ei:
ziger war zurückgeblieben und hatte sich auf P. gestür
der sich jedoch so glücklich mit einem Hirschfänger ve
theidigte, daß ich nur noch eine Flinte auf dem Kop
des Wolfs zerschlagen durfte, um ihn gänzlich zu tödte
Aber P.s linke Hand, mit welcher er den Wolf an d
Kehle hielt, war am Gelenke fürchterlich zerfleischt. To
tenstille folgte auf die furchtbare Szene. So lange um
unsere Füße tragen wollten, liefen wir, schwer belast
von unseren Pelzen und Flinten. P. konnte bald nic
mehr fort, und wir mußten uns in einen Graben lege
um den Anbruch des Tages zu erwarten.
/ , 4129
„Meine armen Pferde!“ jammerte P., und war
über deren Verlust nicht zu beruhigen, obgleich sie uns
das Leben gerettet hatten. Seine Wunde schmerzte ihn
heftig, aber heftiger noch der Gram um seine Pferde.
Wir lagerten uns an einer schneefreien Stelle auf die
Pelze und erwarteten den Anbruch des Tages. Ich
brauche Ihnen nicht zu schildern, unter welchen Leiden
die lange Nacht verging, in einer grimmig kalten Winter-
macht unter freiem Himmel und rings umgeben von Ge-
fahr. Unserem Pelzwerk allein hatten wir es zu danken,
daß wir mit erfrorenen Füßen davonkamen, und unseren
Pferden, daß wir nicht von Wölfen gefreffen wurden.
Am folgenden Tage fand man nur noch ihre Gerippe,
Eingeweide, Schweife und Ohren. Als die Sonne wie
der am Himmel erschien, hörten wir bellende Wolfshunde,
Menschen stimmen und Pfeifen, und als wir uns umwen-
deten, fanden wir uns kaum eine Viertelstunde von Ps.
Edelfilze entfernt. Man brach dort eben zur Jagd auf
und natürlich trafen wir bald zusammen. Unser Schlitten
war bald gefunden nebst den zerriffenen Pferden, und als
wir der Spur des Schlittens folgten, fand es sich, daß
wir mindestens drei Stunden lang im Kreise und hin
und her gefahren fein mußten.“
Die übrigen Jagdgeschichten behalte ich für mich;
aber daß sie interessant waren, kann man mir glauben,
wenn ich versichere, daß uns die Zeit, welche unser Kut-
fcher brauchte, um seine Pferde abzufüttern, ohne Lange-
9
130
weile verging – gewiß ein merkwürdiger Umstand auf
einer Reise mit einem Landkutscher. Wir trennten uns
wie alte Bekannte und schüttelten uns die Hände. Nur ,
der schwedische Major fand an unserer Unterhaltung keinen
Geschmack, denn er hielt die Jagd für eine Barbarei. "
Unsere Weiterreise bot nichts Interessanteres als schläf-
rige Gesichter nach der Mahlzeit, und ein kleines Dorf,
wo die Cdolera herrschte. In den Krankenhäusern waren
die Vorhänge vor die Fenster gezogen, und die Menschen,
welche uns begegneten, sahen traurig aus. Mir wurde
schlimm zu Muthe, wenn ich dachte, das Rollen unseres
Wagens vermehrt vielleicht die Schmerzen eines Sterben-
den, und aus den geöffneten Fenster dringt vielleicht die
tödtliche Pestluft. Eine frisch wehende Luft und der hei-
tere Himmel verlöschte bald den widrigen Eindruck. In
dem freundlichen Städtchen Znaim fah ich zum ersten
Male wieder echt österreichische biedere Phisiognomien mit
dem eigenthümlichen Ausdrucke der fröhlichen Offenheit.
Die blühenden lachenden Mädchengesichter lockten sogar
unsern Schweden zu neugierigen fast koketten Blicken, wäs
fich bei einem grauen Soldaten ziemlich burlesk ausnahm.
Es ward ihm auch dafür das Glück zu Theil, von einer
kindischen Dirne, die des Weges kam und den alten voll-
gepackten Rumpelkasten, in dem wir wie in einem Käfig
saßen, mit der originell österreichischen Laune belächelte,
ausgelacht zu werden. Der gute Schwede nahm ihre
Fröhlichkeit nicht übel und sandte ihr dafür eine große
-
/
–==-E
s 131
Anzahl ziemlich gut gerathener Kußhände. Darüber wollte
sich nun die Muthwillige vollends tod lachen. Vor der
Thüre einer Barbierstube stand ein reinlich gekleidetes
hübsches junges Weibchen mit einem kleinen Engel im
Arme – ich freute mich über sie, denn sie war mir
nicht unbekannt. Sie war die Tochter des reichen Wein-
händlers “, und ward in Wien von vielen heirathsüch-
tigen Galans umschwärmt. Unter ihnen war der dicke
gute H. mit feiner schwerfälligen Liebe, einen soliden
Grundsätzen und gutem Herzen. Er machte kein Glück
bei seiner Donna, denn sie liebte mehr als alle soliden
Grundsätze einen jungen Barbiergesellen, der die feste
Burg, -ihr Herz, ohne Sturm erobert hatte und mit ihr
davon gelaufen war. Die Eltern machten gute Miene
à mauvais jeu und fegneten das Paar et ego benedico.
Sie ist glücklich, daß sagt mir ihr feliges Lächeln, und
brav, das beweist die Sorgfalt um ihr Kind. Die Gute
ahnte wohl nicht, daß der blaffe fremde Herr, der so
neugierig mit seiner bestaubten Mütze und Perücke zum
Wagenfenster heraussieht, ihren Lebensroman auswendig
gelernt hat. -
Znaim, eine noch mährische Stadt, obgleich ganz
von österreichischer Sitte durchdrungen, hatte sich nicht
geändert, seit ich es nicht sah. Der Zeitgeist hat hier
nichts aufgebaut und nichts ruinirt. Der steinerne St.
Johann von Nepomuk mit seinen hilfreichen Engeln, die
gleich Fanghunden an seinem Leichname hängen, war
- 9 ht
132
aber neu angestrichen und Christus vor der Stadt neuer-
dings gekreuzigt. - -
Eine kleine Strecke außerhalb Znaim beginnt der
erste Weinbau an der Grenze von Oesterreich. Hoch über
den freundlichen Weinpflanzungen kreiste ein Geyer in der
Luft und kam immer tiefer herab zu einer Beute. Herr-
lich war das Thier anzuschauen in dichter Nähe mit seinen
ausgebreiteten schönen Flügeln, feinen regelmäßigen Bau
und Kopf in den Lüften schwimmend, die Brust badend
im Sonnenschein. Eine Viertelstunde lang ließ ich das
schöne Thier nicht aus den Augen und freute mich feiner
ästhetischen Bewegung, bis eine Wendung der Straße
mich zu andern Betrachtungen zwang.
Abends blieb der Lohnkutscher mit den Passagieren
in einem schlechten Wirthshause in Haida, wo zwar hüb-
fche Wirthstöchter, aber desto häßlichere Stuben und Betten
nebst einigen zerbrochenen Fensterscheiben fich vorfanden.
Die Nacht war schön und mondhell, der Weg gut, meine
Zeit kostbar, daher war ich bald entschloffen mit neuer
Gelegenheit weiter zu fahren. Gegen Zusicherung guter
Bezahlung ließ der Wirth anspannen, und nachdem ich
zwei Stunden auf ein mageres Abendeffen hatte warten
müffen, nahm ich von meinen Reisegefährten Abschied
und fuhr weiter. -
Eingehüllt in meinem Mantel und angeweht VON
kühler Nachtluft freute ich mich wieder meiner Einfam-
keit und der stillen Nacht, ja ich freute mich sogar, daß
/133
der Wirth mir nur ein Pferd hatte einspannen laffen,
- denn so waren der guten Dinge drei: Ich, der Kutscher
und das Pferd. Mein Kutscher, ein junger Bursche, V(RV
fehr schweigsam und ich dankte ihm dafür. Er antwortete
mir nicht ein Mal mit Worten als ich bemerkte, das
Pferd wäre mondfüchtig oder mondkollerisch in der
Fuhrmannssprache. Ununterbrochen hielt es den Kopf hoch
empor und heftete die Augen auf das herrlich prangende
Gestirn, und konnte sich eben so wenig von diesem An-
blick trennen, als ich. Das einzige Mißliche bei dieser
poetischen Verwandtschaft zwischen uns war, daß der
Wagen aller Augenblicke in Gefahr war umzuwerfen.
„Verflixter Sternguker“ oder „M –stvieh von einem
Studenten“ *), waren die einzigen bescheidenen Flüche
des Jungen, so oft er absteigen und das Pferd wieder auf
die rechte Spur bringen mußte. Ich achtete weder auf
das Pferd noch eine Seitensprünge und überließ mich
schweigend in Träumereien meiner Phantasie. Die Nacht
ist der Tag des Geistes. Er taucht aus dem Nachtdunkel
herauf und beleuchtet die Welt der Ideen, wie die Sonne
die Thäler und Berge unseres Planeten. Mir war so
wohl wie nimmermehr am Tage. Wie reizend bist du
wollutathmende Nacht! Schöner ist der nackte Sonnen-
*) Die österreichischen Fuhrleute pflegen von kolerischen Pferden
zu fagen: „es hat nur einen Fehler, daß es ein Student
ist.“ Der Fehler ist aber in den Augen – – –
bei Pferden und Menschen gleich groß.
135A1
gott, aber reizender bist du in deiner geheimnißvollen
halbverrathenden Hülle, reizend wie ein glühendes in
schwarzen Flor verhülltes Weib im matten schwärmerischen
Lichtschein einer rothglühenden Lampe. Deine Stimme
ist süßes himmlisches Gelispel, verstohlene Küffe, laut
pochende Herzen, dein Athem find Seufzer, deine Genüffe
hinsterbende Wollust. Berauscht von deinem Zauber finke
ich in deinen Schooß und vergehe, Laue Lüfte umwehen
mich durch dunkle Zweige rauschend; fchlafende Blumen
athmen Duft und schweigende Schatten eilen vorbei.
Dunkles Laub hüpft vom Winde gejagt rauschend über
die mondhelle Bahn und die Gräber ächzen: . „Laura,
wachst du? Hängt dein in Thränen glänzendes Auge an
den keuschen Strahlen Dianens?“ -
„O nein, es überfließt und schließt sich in gesättigter
Wollust – sie denkt nicht dein!“
„Entweiche grauses Gespenst 14
„Mit deinem Leben. Kennst du mich nicht, armer
Knabe, und das graue Auge im Onix? Auf der Höhe
von Dubrownik schritt ich über starre Meereswogen und
feitdem schlief ich in deinem Herzen; aber es ist kein Platz für
mich mehr darin. Die Stunde der Erlösung hat geschla-
gen und fortan bin ich dein Begleiter. Horch –“
Die Glocke schlug zwölf - -
„Heute vor fünf und zwanzig Jahren ging dein
Stern auf am Horizont des Lebens. – – Ich muß
dir eine Geschichte erzählen, Lindor.“ -
- - -
- - - 4135
Der Mond trat aus dem Gewölk und beleuchtete
eine wildbewegte Szene. Hundet Karoffen mit schimmern-
den Laternen, zwei-, vier- und sechsspännig, jagten in
aufwirbelndem Staub der Residenz zu, die magisch be-
leuchtet vom Mondlichte mit ihrem schwarzen gespenstigen
Dom und dem Alles überragenden mit tausend Spitzen
und Bogen, gothischen Verzierungen, hoch in die Nacht
des Himmels ich erregenden St. ******thurme, fich
vor dem Blick ausbreitete. Vorreitende Fackelträger eilten
den sechsspännigen Wagen voran und in den Zwischen-
räumen drängten sich lärmvoll kleine Abtheilungen von
Husaren und anderen Reitern in buntem Gewirr, Unbe-
kümmert um Alles um ihn her sprengte ein Offizier (wie
es schien), auf einem flüchtigen polnischen Roß durch das
Gedränge. Nichts hinderte den Galopp feines Pferdes,
denn gewandt schlüpfte Reiter und Roß durch sekunden-
lang offene Zwischenräume und eilte den schönen Land-
häusern zu, welche das Dorf H. in der Nähe der
Residenzstadt zieren. Gleichen Schritt hielt mit dem
Reiter ein Jokei, der zehn Schritte hinter seinem Herrn
folgte und ihn sorgsam im Auge behielt. Endlich verließ
der Offizier das Getümmel der Heerstraße, wo spähende
Blicke streifender Patrouillen dem schnellen Reiter nach-
sendeten und kopfschüttelnd weiter ritten. „Habt ihr ihn
gesehen,“ fragte ein Wachtmeister feine Leute. „Ja,“
war die Antwort, „er ist's.“ „Seltsam!“ murmelte
der alte Reiter in den Bart und heftig gespornt eilten
136
die Lanzenknechte von dannen. Auf dem hart gebahnten
Seitenpfade, den der Offizier nun eingeschlagen hatte,
gab es kein Hinderniß, keinen neugierigen Blick, und
freier ausgreifend in muthiger Kraft, eilten die wilden Roffe
über die Wiesenflur. Aus dem wiegenden Gallop wurde
ein leichter Karriere, aber der heftiger athmende, immer
nach einem Punkte sehende Reiter hinderte das Pferd
nicht und hielt die Zügel nur leicht zur Lenkung. End-
lich kam man an eine hohe Gartenmauer, die fich lang
hinzog. Maulbeerbäume rauschten jenseis derselben und
der frische Abendwind streute Blüthen auf die eilenden
Reiter. Plötzlich an einem kleinen Pförtchen rief der
Offizier halbleife Basta, und das fliehende Roß prallte
zusammen und stand wie eine Mauer.
Horchend am Fenster eines Pavillons, kaum athmend
vor Erwartung, vor jedem Windstoß erbebend, lehnte sich
Mathilde hinaus und feufzte. Im Innern faß Louise
nachdenkend mit trüben Blick und fandte manchen bedeut-
famen Blick nach ihrer Schwester. Seufzer entrangen
sich ihr und unruhig sprang fiel einige Male auf und rief
ihrer Schwester. „Stille, stille,“ rief ihr das leiden-
schaftliche Weib zu, „um Gotteswillen, Louise , sei stille“
Kopfschüttelnd, halb unwillig, halb traurig, fetzte diese fich
nieder um zu schweigen. „Mein Gott, was soll daraus
werden!“ seufzte sie und eine Thräne schwesterlicher Be-
kümmerniß drängte sich langsam aus dem Auge. Endlich
hörte man fernes Pferdegetrappel und laut auf weinte
- -
- -
- -
137
Mathilde vor stürmischer Freude. „Er ist's, er ist’s!“
schrie fiel und stürmte auf Louisen ein; „nun geh", Gute,“
bat fie, „und beschütze uns mit deiner Wachsamkeit.“
„Therese,“ fagte diese, „ist an der Thüre und plau-
dert mit den Nachbarn auf der Bank. Sie wird uns
sogleich benachrichtigen, wenn Jemand kommen sollte, was
heute nicht zu befürchten ist. Ich bleibe Mathilde“, setzte
fie schüchtern hinzu, „denn mich will es bedünken, Du
bedarft meines Schutzes hier.“
„Bei dem Blute Christi beschwöre ich dich, laß"
mich allein mit ihm – schnell geh" und komme erst wie-
der, wenn ich Dich rufe!“
„Schwester, gute, liebe Schwester,“ antwortete
diese, „was willst Du thun, muß ich die Jungfrau dich
mahnen an deine Pflicht, Gattin, Mutter?“
„Ich will nichts thun, Louise, ich schwöre es Dir
bei dem dreieinigen Gott, ich werde meine Pflicht nicht
vergeffen – vertraue mir Schwester; nun geh, Louise.“
Sie stürzte zu ihren Füßen. „Geh, Schwester, um
Gotteswillen, geh'.“
„Ich bleibe, Mathilde – ich muß – noch ein Mal,
Schwester, was hast Du vor mit dem fremden Manne,
die Unschuld scheut keine Zeugen – bedenke theure Schwe-
ster deine Pflicht. Laß” ab von dem Verführer und bleibe
was du warst bisher, ein gutes treues Weib“
138
„Ich ablaffen von ihm,“ lachte Mathilde durch
Thränen, „ich ablaffen von ihm, von der Seele meines
Herzens; nein, Mathilde, eher laß' ich von Dir, von
meinem Gemahl, von meinen Kindern, von Gott. Magst
Du mich verdammen, mag mich Gott verdammen, ich
laffe nicht ab von ihm. Noch ein Mal, Louise, geh',
geh' schnell, Du kennst mich, wenn Du mein Leben
liebst; – dieser Dolch, Louise, reicht bis zu meinem
Herzen. Louise, Schwester, geh' oder ich stoße mir den
Stahl in die Brust.“ -
Erschreckt sprang Louise auf
„Gut denn, Unglückliche, ich gehe und laffe Dich
allein; aber bedenke deinen Schwur beim dreieinigen Gott“
rief fie, die Finger erhebend und entfernte sich.
Es wurde wieder ruhig in Mathildens Brust. Die
kühle Abendluft trocknete ihre glühende Stirne.
Indeffen war der Reiter vom Pferde gesprungen
und hatte eilig einen weiten Oberrock angezogen über die
Uniform. Rasch öffnete er mit einem Schlüffel das
Pförtchen und eilte durch rauschende Bäume, an duften-
den Blumen vorüber nach dem Pavillon. Hier öffnete
sich eine Thüre und herein fehlüpfte der Offizier feinen
Säbel an sich haltend, daß die stählerne Scheide nicht
klirre. - - -
Bebend empfing ihn Mathilde – ein leichter Schauer
zitterte durch ihre Glieder, ein Wahrzeichen ihrer aufs
- 4",
Aeußerte bewegten Nerven. Ein stummer Kuß mit
krampfhafter Anpreßung begrüßte den Geliebten.
„Wo “ Du fo lange, theurer Julius?“ -
„Man usterte das Heer. Wie lange kann ich
bei Dir weilen, Mathilde?“
„So lange Du Lust hast!“
„Dann bleibe ich so lange ich lebe.“
„Schmeichler!“
Zahllose Küffe, feurige Umarmungen unterbrachen
das Gespräch. Müde von dem Ritt - sank er auf die
Ottomane und zog die Sträubende zu fich auf den
Schooß, erstickte sie mit Küffen. Unter den süßen Tän-
deleien der Liebe entspann sich zwischen Beiden folgendes
Gespräch: - - -
/ Theurer Mann,“ sagte Mathilde, die leidenschaft-
liche Zudringlichkeit abwehrend, „Du weißt, wie ich Dich
liebe, wie ich mich Dir hingab, überwältigt von den
Schmeichelworten deiner Liebe, Dir, einem Fremden, von
dem ich nichts weiß als den Namen Julius. Für fo
viel Liebe bist Du mir einen Beweis der deinigen schuldig.
Ich bin Weib, Julius. Wäre ich Jungfrau, ich würde
mich Dir vermählen in hingebender Liebe; aber wie schwach
ich auch bin und wie fark meine Liebe, den Schwur am
Altare werde ich nie vergessen. Kaum kann ich jetzt noch
mein Gewissen beruhigen – darum beschwöre ich Dich,
achte die Schranken, die mich von Dir trennen.“
440
Bei diesen Worten zog sie den durchsichtigen Pettinee
über den Busen, setzte sich neben den Offizier auf die
Ottomane, und verbarg ihr Gesicht an seinem Busen.
Schmachtend sah der Fremde auf die hinfließende Gestalt,
spielte mit den braunen Locken und schwieg eine Weile. -
- „Mathilde,“ hub er endlich an, „ich bin gekom
men, um von Dir Abschied zu nehmen!“ - - -
Weinend warf sich Mathilde an seine Brust.
„Ich werde Dich spät oder nie wieder sehen,“ fuhr
er wehmüthig fort, „Du wirst mich vergessen, Ma-
thilde –“ - -
„Nie, nie!“
„Aber ich werde ewig Dein gedenken. Das Ge-
schick hat mich verdammt zur, Entbehrung des größten
Menschenglücks, des größten Genuffes und öde und traurig
ist mein ganzes Leben. Hätte ich Dich nie gesehen, Ma-
thilde, mir wäre in Zukunft wohler. Ich würde die
Blumen mit räuberischen Händen zerpflücken und weiter
ziehen von Ort zu Ort, von Schlacht zu Schlacht. Seit
ich Dich gesehen, Mathilde, habe ich entsagt. Ich werde
schwerlich wieder in eines Weibes Armen ruhen; ich werde
das Glück der Liebe in diesem Leben nie wieder genießen;
ich werde nie Gatte, Vater werden.“ - -
„Armer, armer Mann!“
„Ich ziehe fort von hier und vielleicht in der nächsten
Schlacht falle ich und bin betrogen um den schönsten Le-
441
bensgenuß. Mein letzter Seufzer wird deinen Namen
nennen, Grausame! Mathilde – nein, Du liebst mich
nicht!“ - -
„Julius, mein thuerer Julius, wie ungerecht bist
Du. Du zweifelt an meiner Liebe; wohlan, ich bin
bereit. Dir Alles zu opfern, was mir theuer war, meine
Ehre, mein Gewissen, mein Vaterland. Gieb das blu-
tige Handwerk auf und flieh" mit mir weit von hier
– werde mein Gemahl und ich – verlaffe meine Kin-
der, meine Mutter, meinen Gemahl, folge Dir, dessen
Namen und Geschlecht mir unbekannt ist. Ermeffe dar-
aus ob ich Dich liebe.“
„Verzeihung!“ flehte Julius. „Was Du begehrest
von mir, geliebtes Weib, ist unendlich mehr, denn Du
opfert, mehr als je der Liebe eines Weibes geopfert wurde
– ich bin bereit deinen Wunsch zu erfüllen, aber meine
Menschenpflicht gebeut mir Dir die Größe des Verbrechens
darzustellen, das Du mit mir begehen willst. Ich ent-
fage dem blutigen Handwerk, wie Du es nennt, Du
befiehlt und ich entfliehe mit Dir nach Amerika; aber
man wird mich verfluchen und die Geschichte wird meinen
Namen mit Schmach bedecken. Du klagt mich nicht zu
kennen; wohlan – –
Mathilde sank bebend nieder. -
Lächelnd hob der Fremde das reizende Weib vom
Teppich auf und drückte sie an feine Brust. Heftig pochte
das Herz unter dem wogenden Bufen. Der Schleier
142
zwar von ihrem Nacken gefallen und purpurn glühten ihre
Wangen.
„Willst Du mein Opfer?“ fragte der Fremde.
„Nein – dein Leben gehört nicht mir,“ erwie-
derte Mathilde mit Begeisterung – „aber ich, ich bin
dein, dein – ewig dein, wenn Du auch fern bist von mir
in tosender Schlacht, kämpfend für dein heiliges Recht;
unein Gebet wird sich für Dich und die Deinigen erheben,
deren Hoffnung Du bist. Nimm mich hin, Geliebter, –
dein Andenken wird mir die Gewissensfolter des Meineides
versüßen!“ - -
„Deine Sünde, geliebtes Weit, fällt auf mein Haupt
Meine Rechnung mit dem Himmel steht gut – ich werde -
das Glück und die Gebete vieler Menschen in die Waag-
schale legen für die Liebe eines Weibes.“ - -
- Eitelkeit und Leidenschaft hatten Mathilden besiegt –
fie fank wollutathmend glühend ihm in die Arme. Halb
zerriffen fanken die Gewänder von den verborgenen Reizen,
und – – – – – – – – – –
– – –. Nachtigallen schlugen draußen in den ge-
spenstig winkenden Zweigen; Grillen zirpten munter im
hohen Grafe – Küffe feufzten aus dem Tempel Aphrodi-
tens. Diana verhüllte keusch ihr Gesicht in Wolken –
und drinnen brannte nur eine düstere Lampe, ihren rothen
matten Schein auf die Ottomane werfend. Wehende
/
-
- 445
Lüftchen schlüpften durch die Jalousien und fächelten den
Glühenden Kühlung. Außen aber fand horchend die
keusche Jungfrau Louise und lehnte die Wange an die
kühlen, feuchten Fachfenster, um zu sehen, was innen
vorging. Züchtig erröthend, und wiederum blaß vor
Schreck, wandte sie sich ab und verhüllte ihre thränen-
feuchten Augen. Noch ein Mal blickte sie schüchtern hin,
und es wogten in der unentweihten Brust Kränkung der ,
Schwesterliebe, Schmerz und geheime Sinnlichkeit. Dann
eilte sie hinweg, wie der Nebel über die Wiesen, und
warf sich in Thränen gebadete Kiffen.“
„Im Vertrauen, Lindor, – Louise hat mir die
Historie erzählt, aber schweige lieber, trauriger Knabe,
denn kein sterblicher Mensch kennt fie.“
Als er geendigt hatte, fing er an zu lachen und
bewegte sich dabei so heftig in dem kleinen Wagen, daß
ich fürchtete, ich werde ihm Platz machen und auf die
Straße fallen müffen. Der „Student“ machte einen
gewaltigen Sprung als wollte er nach dem Monde schnap-
pen und der Wagen rollte über einen Schutthaufen.
„Warum lachst Du, Ungethüm?“
„Nun und warum follte ich nicht. Habe ich nicht
lange genug in Deinem Herzen geschlafen – glaube mir,
es sieht verdammt langweilig darin aus. Habe ich Dir
endlich nicht die ganze Geschichte mit dem möglichsten
Ernte erzählt und eine Farbenpracht verschwendet bei der
/14
Schilderung, die kaum einen Romanschreiber Unehre ma-
chen würde, und was die üppigen Szenen betrifft –
hat je Clauren so frivol ein Rendevous erzählt? Du
hat alle Ursache zufrieden zu fein mit mir, und kannst
es mir wohl vergönnen, wenn ich lache. – Glaube mir,
Lindor, das Weinen und Grollen macht trübe Augen.
Balle die Faust nicht so, als wolltest Du mit dem lieben
Gott Raufhändel anfangen – er fürchtet den Grimm
einer Mücke nicht. Wozu hast Du Lachmuskeln im
Gesichte, wozu ein Zwerchfell – wozu endlich Deine
enorme Weisheit, als zum Lachen. Lache doch – und
Du wirst glücklich sein.“ . . . - -
„Schweig Teufel –“ - , - -
Als ich ein Knabe war, da dachte ich an David
und sank in einer mondhellen Nacht, als Wolken wie
Geister am Fenster vorüberzogen und mein wacher Geist
sich freute, daß kein profanes Leben sich regte als die
heilige, gottvolle Natur, berauscht von dem leisen Athem
ihres Lebens, hin auf meine Kniee und meine Augen
glänzten in Flammen und Thränenthau:
Gieb mir Weisheit mein Gott und laffe
mich nicht vergehen in Alltäglichkeit!
betete ich laut und inbrünstig, als hätte ich meine See-
ligkeit für jetzt und immer erfleht. Die tückischen Mächte
aber winkten gewährend und so ward ich weise, so weise,
daß ich nicht verstand, was die Menschen lehrten, daß
ich nichts fah als ein nebliches Nichts, wo die Menschen
145
der Heiligkeit und Gottheit in einem Phantom ihr Opfer
brachten, daß der farbige Schleier, der die Welt in para-
diesischem Lichte malt, vor meinen Augen sank wie ein
beseligender Traum und ich nichts sah als den Tod in
allen Masken des Lebens, ekelhaftes Werden aus übel-
riechender Verwesung, Trug und Täuschung, unglück
und Jammer, daß ich es richtig erforscht, wie der Mensch
nicht lebt einem Selbstzwecke der freien Macht, daß ein
tyrannisches Gesetz die Natur beherrscht und des Menschen
kräftiger Geist nur wirkt wie der Dampf in einer Dampf
maschine. So weise ward ich, daß ich wußte, die Liebe
ist nur ein schöner Wahn, daß ich wußte, die menschliche
Tugend ist kein von Gott geborner Begriff, ein hölzernes
Kruzifix, an dem der Wahn krampfhaft sich festhält in
der: Trostlosigkeit der Weltordnung, so weise ward ich,
daß ich keinen Gefallen fand an dem Spielzeug der Men-
schen, daß ich mich nicht erbauen konnte, wenn sie beteten,
daß ich nicht bewundern konnte ihre Größen, daß der
größte Mensch seines und aller Jahrhunderte mir nichts
schien als ein armseliger Wurm, daß keine menschliche
That von mir bewundert wurde und die Geschichte der
Herren der Welt mir nichts war als ein kindisches Mähr-
chen, als eine Schaam erregende Rückerrinnerung an be-
gangene Kindereien, daß die Völker ich geringschätzte wie
hörichte hilflose Kinder, daß ich in der Geschichte der
Jahrtausende nichts fand als den grausamen Verstand
des eisernen Naturgesetzes. Und um daß ich nicht ver-
10
1A6 -
gehe in Alltäglichkeit, gaben mir die höhnischen Mächte
eine Empfindung, so stark wie die Schwungkraft der
Planeten, und einen drei Spannen langen Arm, eine Em-
pfindung, die hinaus strebt in den ewigen Weltraum, zu-
sammengepreßt in eine atomische Endlichkeit, in eine
elende Menschenbrust mit einigen zwanzig Rippen. Eine
Empfindung, die meinen Körper erdrückt, die mich martert
im Schmerz, wie keine Menschen erdenkliche Qual, die
mich martert in der Freude, denn sie springt hinaus mit
wilder dämonischer Kraft über die wohlthätigen Schranken
menschlichen Empfindens. Hätte ich einen Todfeind, der
meine Ehre beschmutzt, mein Weib verführt und mein
Kind ermordet, der meinen Namen mit Schmach besudelt
hätte, ich würde ihm nicht diese Folter der Empfindung
wünschen, nicht jenen Gram, der alle Fibern des Gehirns
zerreißt und das Herz erdrückt wie Ersticken, nicht jenen
Zorn, der in allen Adern rast, der aus dem brennenden
Auge sprüht, der keine Waffe findet menschlicher Erfin-
dung oder Ermeffung, die der Vernichtung eines Gedan-
kens entspräche, nicht diese Wuth, die wie ein elektrischer
Schlag nach fruchtloser kurzer Bewegung den Körper nie-
derwirft, nicht diese Liebe, die kein irdisches Weib erfaßt,
die in der Umarmung tödtet, nicht diese Freude, die
wüthet und zerstört wie ein rasender Orkan bei fonnen-
hellem Himmel. Ich bin ein Pessimist, sagen die Leute
– o nein, die Welt ist schön und wohlgemacht, aber
ich bin das einzige mißgeschaffene Ungethüm in ihr, ein
447
Fluch der Natur – Gott oder Teufel war der Schöpfung
Gedanke, aber zwischen Himmel und Hölle blieb er auf
die Erde gebannt als Mensch.“ -
„O wie schön sprichst Du, Lindor, wahrhaftig wie
Young in feinen Nachtgedanken – Deine Philosophie ist
nicht übel, neu und pikant, aber traurig, und das ist
schlimm. Wirf allen fentimentalen Plunder aus Deinem
Herzen und alle Gedanken aus dem Kopf, dann hilft
Dir ein Schluck Wein von Deiner Trübseligkeit. Glaube
mir, Du bist nicht der erste, der leidet in der Welt,
aber der erste, der nicht zu Vernunft kommen will. Sieh,
Lindor, hier hast Du eine Fliege, die Dir immer um
den Kopf fummte – ich habe sie gefangen – was thut
ein vernünftiger Mensch, um die Qual los zu werden? –
Er schlägt sie todt.“ - - -
„Dein Gleichniß ist schlecht – mich quält die
Welt.“ * - - - - -
„Gut, so schlage sie todt“
- „Du bist fehr aufgeräumt – ich danke Dir –
doch hier find wir in – Hollabrunn.“
„Holla, aufgemacht, ihr faulen Schlingel“
Nach einer halben Stunde kam der Hausknecht und
der Wagen fuhr in den Hof
- - : -
>.
148
Sie b e n t er T. ag
(Ein poetischer Morgen. Ein Lustspiel und Trauerspiel.
Klosterneuburg. Ankunft in Wien.) -
- Nach zwei Stunden eines peinvollen Halbschlafes
mit bösen Träumen und Gaukelbildern kam der Wirth
im Schlafrocke zu mir und benachrichtigte mich: „ich
könne mit dem Gesellschaftswagen nach Korneuburg fahren
und zwar sogleich, weil mir schon um schnelle Beförderung
zu thun wäre.“ - - -
. . „Ich fahre nicht in Gesellschaft,“ antwortete ich
mürrisch.
Der Wirth ging, nachdem er mich eine Minute
zweifelhaft angestaunt hatte. Nach zehn Minuten kam
er wieder.
„Sie können ohne Gefellfchaft
fellschaftswagen fahren.“
„Gut.“ Ich zahlte nun 3 oder 4 Gulden und
fuhr ganz allein in einem für zehn Personen geräumigen
Wagen fort. Heute noch bist du in den Mauern Wiens,
- dachte ich, und mir pochte das Herz, aber die Aufregung
that mir weh, denn die gestrige Fahrt, die Ankunft mei-
nes Gefährten und Mangel an Ruhe hatten meine Kräfte
erschöpft. Frost schüttelte meine Glieder und meine Au-
gen brannten mir; die Wände und Bedeckung des Wa-
- gens raubten mir alle Aussicht, auch fand ich keine Lust
- -
- - - -
-
-
auf dem Ge-
MA9
in mir, mich um Aeußeres zu bekümmern. Wie bekämpfe
ich die peinliche Aufregung der Ungeduld und Erwartung?
Mache den Entwurf eines Trauer- oder Lustspiels,
eines epischen Gedichtes oder dergleichen, das hilft für
Aufregung und Langeweile.“ Es sei: -
Hochlöbliches Collegium
Unwiffende und gelehrten Leute,
Verstockt und liberal und dumm,
Ich will euch fetzen nun ins Breite,
Was sich begeben hier und da,
In Rußland, Deutschland, Gallia.
Doch sei mir keiner so naseweis, - -
Was ich im Schweiß meines Angesichts
Gereimt euch hab nach meiner Weis",
Zu tadeln, gleich eines dummen Wichtes
Gar hochgelahrte Fafelei,
- Politische Alfanzerei!
Doch die Manier eines politischen Lehrgedichts ist
schlecht gewählt. Was fang ich an? Es gab eine Zeit,
wo ich zu Allem Talent und Lust verspürte, wenn ich
eine Geige hörte, wollte ich ein Tonkünstler werden, wenn
ich ein Buch las, wollte ich schriftstellern, wenn ich Waf-
fen sah, wollte ich Soldat werden. Was ist aber aus
mir geworden? Ein Tonkünstler ohne Kunst, ein Soldat
ohne Waffen, ein Staatsmann ohne Wirksamkeit, ein
Gelehrter ohne Gelehrsamkeit - -
-
50
Des ewig wandernden Juden Reise durch das heutige
Europa ist ein schönes Thema. Mache einen Plan. O-
nein! Ich fange mit dem ersten Gefange an:
Er ist er Gefang.
Brausenden Wettern gleich brummt's in den Klüften
des Sinai –
Also schnarcht Ahasver, der ewig wandelnde Jude,
Fest, beharrlich, verstockt wie er war, als er Christum
beleidigt,
Und es weckte ihn nicht mit Rosenfingern Aurora,
Auch die Bröcklein Gesteins nicht, die ein Kobold grim-
- mig ihm hinwarf
Auf die weithin ragende Nase mit dampfenden Nüstern,
Nicht der winselnde Spitz, der, von düsterer Ahnung
ergriffen,
Wedelnden Schwanzes umherlief, den Juden forgsam
beschnüffelnd.
Plötzlich aber erscholl eine Stimme, wie brüllende Ochsen:
„Hebe dich weg von hier mit Sturmeseile, du
- Saufaus!
„Hin nach Europa zieh, wo ein großer Narrenspektakel
„Jetzo schon wild anhebt auf vielen blutigen Fluren.
„Denn es machen Bankrott viel hoch erhab'ne Fürsten,
- -
„Welche die Völker regieren mit Blut aussaugender
Milde,
- - - 51 .
Doch halt ein – du wirst fad und grob. Der
Gegenstand von dieser Seite gefaßt, interessiert dich nicht.
Versuche dich in Zwischenszenen. Die Ankunft des Juden
an der österreichischen Grenze:
Also unendlich tief versunken in weiser Betrachtung,
Zog er finnend dahin, vom traurigen Spitze begleitet,
Welcher wie Ahasver fein Haupt zur Erde gesenkt, -
Eingezogenen Schweifs dicht hinter dem Weisen einher-
fchlich.
Als ihn aber erfaßt im Schmerz ein hoher Gedanke,
Richtet das Haupt er empor zu den sternumkränzten
Wolken.
Aber, o Himmel! da stieß er sich mächtig die Nas" an
den Schlagbaum.
Das geht auch nicht. – Wien! Heute in Wien!
Mein Herz schlägt dir bang entgegen. Fort Ungeduld
Mache ein Liebesgedicht, Kopfhänger. Aber ich habe
keine Liebe mehr in mir, kein Fünkchen Liebe oder nichts
als Liebe.
Laura! welche Tyrannei
Uebst du über mich, den Sklaven?
Laura Laura! gib mich frei, -
Lös" den Bann der Zauberei,
Die mit Banden mich umstrickt,
Die auf ewig mich gebunden,
-
152
Seit ich dir ins Aug' geblickt, -
Seit ich deine Hand gedrückt. - - - - -
Bist mein Gott und meine Welt,
Hat den Willen mir entwunden,
Wenn ich bete, denk' ich dich!
Wenn ich träume, träum' ich dich!
Ein Gedanke nur umflicht - -
All' mein Denken und Empfinden –
Meine Sonne – du! mein Licht,
„ . . . Das ich lebend miffe nicht.
- Wie ein folgsam frommes Kind
Lausch' ich deiner Wünsche, Winke,
- - Weinte mir die Augen blind,
Wärst du hold mir nicht gesinnt. „
Ford're Opfer ab von mir,
Ford're launisch Blut und Leben, - ,
« Freudig geb' ich beides dir, - - -
Lächelst du im Tode mir. -
Das wäre fertig, aber wie ledern! Man hat mich
oft treuherzig gefragt, warum ich so wenig in Versen
schreibe und warum meine Verse so gedankenleer find?
Das will ich euch sagen. Weil ich die Versmacherei
nicht achte und weil ich nicht so langsam denke und em-
pfinde, daß ich Zeit hätte Verse zu schneidern. Ein Ge-
153
fang, Sonnett, auch etwa Humoristisches, Satyrisches
mag hingehen, aber lyrische Poesie in Versen ist Pegasus
im Joche. Was versteht ihr überhaupt unter Poesie,
wenn nicht die Versemacherei? Denn Poesie ist höhere
Lebensempfindung, phantastische Weltanschauung.
„Höre, Lindor, mit kritischen Vorlesungen machst du
kein Glück bei deutschen Professoren. Versuche dich im
Dramatischen“ -
Wenn nur der Wagen nicht o stieße – ich sitze
sehr schlecht. - - - - - -
Das ist eine gute Situation zu einem Lustspiele.
Ich wüßte einen guten Stoff aus dem Leben. Mein
Freund B. trug neulich dem Vater zweier schöner Töchter,
die sich insgeheim mit feinen Neffen versprochen hatten,
eine Wette um hohes Geld an, er wolle die züchtigen
Töchterlein mit ihrer Einwilligung aus seinem Hause
entführen. Gelänge ihm dieß, fo folle er frei über ihre
Hand disponiren können, wo nicht, fo zahle er eine be-
trächtliche Summe. Die Wette wurde bei einer Flasche
Wein angenommen, denn der Vater hatte eine hohe
Meinung von der Tugend feiner Töchter. Die Entfüh-
rung gelang natürlich mit Hilfe der Geliebten, aber die
Wette wurde nicht gehalten; das thut aber nichts zur
Sache. Ich prelle den Alten und mache die jungen Leute
glücklich in meinem Lustspiele. Der Vorhang geht auf
– die Vorstellung beginnt. Der Winter sei der geprellte
Vater und Major Krips der Protektor der Liebenden.
154
Erster Aufzug
Erste Szen «.
(Gaststube.)
P e r fon en:
Major Krips.
Gastwirth Winter.
Major (lesend).
„Wer, im Besitz von schönen Töchtern,
Auf ihre Tugend gar zu viel vertraut,
Dem biete ich hiermit die Wette an:
- Daß ich dem Vater seine spröden Kinder,
So viel er deren hat, in dreißig Tagen
Ohn" Trug und List aus feinem Haus entführ;
Das Wagstück gelte zwanzigtausend Pfund, -
Gewinn ich fie, so bleibt mir doch das Recht,
Den Mädchen ganz nach meiner eignen Wahl
Zu kuppeln allen einen Ehgemahl.“
Doch diese Exposition wäre zu rasch. Man muß
den Zuschauer anfangs langweilen und feine ganze Auf-
merksamkeit auf das Ende wenden. Auch wäre eine vor-
läufige Charakterentwicklung nicht überflüssig. Also noch
ein Mal. -
–
155
-
Er ist er Aufzug.
Erste Szene.
(Garten.)
P e r f.o n en:
Die Mama. - -
Die eine Verliebte.
(Die eine Verliebte fitzt auf einer Gartenbank und liest sehr auf
merksam. Sie hat es wohl bemerkt, daß fich Mama nähert,
aber fie will mit ihr Komödie spielen, wie alle Töchter, und
fcheint daher ihre Mutter nicht zu bemerken. Von Zeit zu
Zeit trocknet sie sich Thränen, die nicht fließen, und gebährdet
fich im höchsten Grade gerührt durch den Inhalt des Buches,
obgleich dies noch keinem Schriftsteller in ihrer Hand gelungen
war, Endlich spricht fie:)
Ach!
Mama,
Da sitzt sie nun, das Kind, und starret in den Sand
Und thut sentimental, das Buch in ihrer Hand,
Ich wett' 's ist ein Roman, der ihr den Kopf verrückt,
In dem durch den Papa ein Liebesplan mißglückt.
Und doch – sie dauert mich, sie war so froh und munter,
Nun hänget sie den Kopf, es finkt kein Tag hinunter,
Daß sie nicht feufzt und weint, den lieben Gott verklagt.
Therese -
- -
-
156 - -
Die Tochter.
Mutter, Sie? (Käßt ihr die Hand.) Recht guten
- Morgen,
Sie haben sich so früh schon in die Luft gewagt?
Mama.
Ja wohl, es ist so kalt! mich weckten Muttersorgen.
Doch komm' ich Dir vielleicht zur ungelegenen Zeit
Und wenn ich etwa gar Dich in der Andacht störe,
(Zeigt auf das Buch.) -
So bin ich jederzeit zu gehen stets bereit.
Die Tochter.
Sie scherzen, dieses Buch enthält nur eine Mähre
Von eines Vaters Kind, das seine Grausamkeit
Zum schlimmen Ehebund und acht zum Selbstmord
zwang.
Mama (reißt ihr das Buch aus den Händen).
Wie? was? so tolles Zeug, wie kam's in Deine Hände?
Wenn nun der Vater gar das Büchlein bei Dir fände?
O über den schleppenden Alexandriner, und doch
paßt kein anderer Vers für weibliche Conversation. Aber
warum fängst du auch mit den weiblichen Charakteren
an, ihre Schilderung ist schwer, denn sie sind nur conse-
quent und von Entschiedenheit im Wankelmuthe. Lindor,
Lindor, du kennst das Theaterpublikum nicht – es will
nur Engel auf dem Theater in weiblicher Gestalt und,
- -
157
Teufel nur in männlicher. Mit einem einzigen guten
Mann in Gestalt eines Liebhabers reichst du aus im Luft-
spiele, denn der Zuschauer denkt sich an die Stelle dieses
Einzigen und haßt alle übrigen Männer, wie ein geiler
Hund alle Männchen beißt, aber nicht genug mit einem
einzigen englischen Mädchen, denn der Zuschauer will
wenigstens drei zur Befriedigung der Augen und Herzen.
Darum fange noch ein Mal an, mein Freund, und
mache deine Heldinnen zu lauter Engeln. Schildere die
eine als zurückhaltend, ernst, streng in ihren Grundsätzen,
voll kindlichem Gehorsam. Der Kampf mit den Ver-
führungskünsten ihres Geliebten gibt dann eine interes-
fante Partie. Die andere stelle dem geneigten Publikum
als ein munteres, frohes Mädchen vor, mit ausgelaffener
Laune, weiblichen Schwächen, aber einem guten Herzen.
Beide mache so liebenswürdig, als du kannst, und ver-
stehst du es, durch ein Paar schmachtende Szenen die
Sinnlichkeit des Zuschauers zu erregen, durch einige Poffen -
feine erhabenen Lachmuskeln zu irritieren und die alten
garstigen Eltern recht arg zu prellen – dann, Lindor,
ist dein Glück als Lustspieldichter gemacht und alle The-
aterdirektionen in Deutschland enden dir Geld, bis auf
die, welche dir das Honorar fchuldig bleiben. -
- - - - -
Sehr gut, mein Lehrmeister, ich werde nicht er-
mangeln, die betrügerischen Theaterdirektoren durchzuprü-
geln. Also noch ein Mal:
-
-
Er ist er Aufzug
Erste Szene.
(NB. Es wird nämlich angenommen, und das Publikum hiervon
durch den Souffleur in Kenntniß gesetzt, daß der alte Papa
feine Töchter an ein Paar alte fchuftige Junggesellen verhei-
rathen will, wovon der eine dick ist, der andere dünn, der
eine dumm, der andre Bramarbas, beide aber geckenhaft
verliebt und reich.)
(Wohnzimmer in Winters Hause)
Die andere Verliebte (allein, am Stickrahmen).
„. . Drei Monat schon verliebt! – kaum glaublich ist's,
Und noch kein zärtlich Wort, kein Rendezvous,
Nur Seufzer, Augensprach, Guitarregeklimper,
"s ist zum Verzweifeln mit verliebten Männern!
Der eine ist zu rasch, verwegen, kühn,
Der andre langweilt uns mit Sentimenten,
Der glaubt, wir find von Wachs – der meint, von
Stein,
Der hängt den Kopf und weint, der lacht und stürmt
Und wähnt, in Flammen müßten wir vergehn.
Einbilderich Geschlecht, der Schöpfung Herr,
Gemodelt wird er erst in unserer schwachen Hand,
Wir bilden ihn, und meißeln und polieren
Aus einem Klotz den zärtlichsten Gemahl,
59
Das weichste Kind zum eifenfesten Mann.
Und dennoch lieben wir, was uns verdrießt,
Und was uns reizt, ist ihre größte Schwäche.
(Nach einer kleinen Pause hebt sie an, über ihren Vater zu klagen,
und über die Fruchtlosigkeit ihrer Einwürfe gegen die Verheie
rathung mit dem alten Bräutigam:)
Sag' ich: Papa! er hinkt auf einem Fuß,
So steht er um so fester auf dem andern. - -
Beklag' ich mich – ach, schielte er doch nicht! – -
Da heißt es: Gut, er fieht nach allen Seiten. - - .
Sag' ich: der Mann ist ja bereits ergraut,
Meint er: gewiß, vor sechs und vierzig Jahren,
Gab's schönre Haare nicht, als eine waren. -
Wer hilft mir da? mein feufzender Galan?
Entführt der Schüchterne mich nicht,
Nun, gut – dann – dann (mit Pathos) entführ"
- ich ihn. -
Doch horch! (man hört eine Guitarre) da haben wir's, schon
- wieder klingt
Die leidige Guitarre, statt daß Adonis
Sich selber präsentierte – - - - -
(Ein Apfel mit einem Billet fliegt zum Fenster herein.)
Ein Apfel, und so ein Liebesbrief darin -
Sieh da! wie zärtlich, schmeichelnd, und galant,
(Küßt des Blatt.) – “ -
Der süße Schwärmer. - … - - -
160
- ---
Emilie (tritt auf, und Julie verbirgt das Papier) . -
- Schwester, weißt Du schon – mit 5 : .
- - - Julie. - - - - - - i
Daß Du heirathen mußt, und ich dazu, " . . . »
Du machst Dein Glück, und ich – ich geh' davon.
-
… : Emilie (spöttisch)- , .. ::: - - -
Mein Glück? Ja wohl! Ein abgezehrter Geizhals
Wirbt nun um meine Hand. Mit sechszehn Jahren -
An einen Funfziger vermählt, der schon - - - - -
Mehr todt, als lebend ist, bald mich verwittibt, läßt. ,
Kann man ein größer Glück sich denken? – Schwester,
Ich trag' es nicht, mir kostet es das Leben. - - -
(Wirft sich in einen Stuhl) : - - - - - - - - -
- - Julie, Gronisch). - - - - - >
- 1: " . . ------ ------ -- " - - - - - - - - - - -
Et, eilt mein Kind, Du ilmmt das zu genau, - -
Der Mann, wahrhaftig, ist so übel nicht, /
Als mein Stück Bräutigam von dritthalb Centnern,
Es ist ein feiner Mann, der Herr Major,
Hat guten Ton, und ist dazu ein Held, " . . ."
Zudem hast Du Grundsätze in der Liebe, :: . . >>
Wie in der „Heirath aus Vernunft,“ ein Stück,
Das Dir gefiel –
- - - -
- - - - -
Emilie (heftig). -
- Und das der größte Marr
Geschrieben.
- - - -
16
- Julie. -
- Wie? Der größte Narr? sagst Du?
Wie anders klingt dies Wort, als Deine Lehre
Vom kindlichen Gehorsam? puncto Liebe.
Ei, ei! Herr Lustspieldichter, das heißt man aus der
Rolle gefallen. Das setzte deine Heldin in ein schlechtes
Licht, wenn sie ihren kindlichen Gehorsam fchon im ersten
Akte aufgäbe. Mehr Charakterstärke, mein Herr, wenn
fie auch dem Weibe nicht natürlich ist. Versuche es mit
den Männern. Schildere den Charakter eines Bräutigams
in einem ergötzlichen Monologe.
- – A. k. t.
- – Szene.
Magister Plump (tritt vor den Spiegel).
Fürwahrl Natur, du hast ein Meisterstück
An mir vollbracht! Doch hab' ich auch Verdienst
An deiner Arbeit, jene runde Fülle
(Auf den Bauch klopfend)
Des Schmerbauchs und das Roth der vollen Backen,
Mein Werk ist es, Natur! Mit Bienenfleiß
Hab' ich von Kindheit auf mich wohl gemästet,
Gehegt mich und gepflegt, wie feine Schweine
Der Nachbar Klaus! und manches Opfer hat
Mein Leib gekostet; oft, wenn ich als Kind
Vom Heerd die halb gebrat'nen, Gänse fraß,
11
162
Da gab es Püffe! meine fel'ge Mutter,
Gott tröste fiel die hat mir oft gesagt:
Wenn du so fortfährt, Kilian, so wirst -
Du wie ein Mastochs dick, der Welt zum Ekel!
Das feuerte mich an, und von der Stunde
Bemüht ich mich, zu bilden mein Talent.
So hab' ich's endlich nun, nach manchem Drangsal,
So herrlich weit gebracht.
Dick wär' nicht schön, sagt man – Gott's Donnerwetter!
So'n Windhund, so’ne dürre Krötenseele,
Wie Major Krips – (taumelt und stößt an den Major)
(verblüfft) ei, guten Morgen, Herr
Major!
Major Krips.
Ihr spracht von mir?
Plump. -
Mein – ja – doch nur
Mit dem geziemenden Respekt.
-
Major.
Ihr nanntet
Mich einen Windhund, eine Krötenseele?
Plump.
Behüte! Das war nur auf mich gemünzt,
Sie sehen ja, Herr Major, daß ich so mager. -,
Nicht übel – die epikurische Philosophie einer ge-
meinen Seele spricht sich in dem Monologe ganz gut aus,
163
die Attrappe mit dem Major ist gut gerathen. Es er,
übrigt nur noch, den Bramarbas durch den hinkenden
Major zu charakterisieren. Das geht mit drei Worten:
– S. z e n e.
Major Krips (im Gespräch mit Winter).
Die vielen ausgestand'nen Kriegsstrapazen, -
Die lähmten mir mein linkes Heldenbein –
Der junge Krips (unterbricht ihn).
Papa! ich meinte stets, das Zipperlein –
- Major Krips.
Stil, Naseweis – (besinnt sich) wo blieb ich doch nur
N stehen –
Krips.
Beim linken Heldenbein.
Major Krips.
Ganz recht, mein Sohn.
Ach, ach – der Humor geht mir aus – die
Pferde wollen nicht fort und – Wien ist so nahe.
Schon sehe ich die Thürme von Korneuburg, obwohl ich
noch eine Stunde davon entfernt bin. Die schnurgerade
Straße täuscht das Auge im Ermeffen der Entfernung.
So geht es Allen, die den geraden Weg gehen, das Ziel
fcheint ihnen stets nahe, und auf dem Wege sterben fie
vor Langerweile – und faffen sie das Ziel genau in die
11 *
164 -
Augen, so ist es das Ende der Wanderung – der Tod.
Den erreichen wir aber auf allen Wegen, darum gehe
jeder krumme Wege, über Thäler und Berge.
Mache ein Trauerspiel, Lindor.
Ich selbst bin ein fertiges – mit der Müllnerschen
Schicksalsidee, selbst Dichter, Held, Schauspieler und
Schauplatz.
Weißt du keine größere Tragödie als die deines
Herzens? - -
O ja – mein Vaterland- Zeit der Unterjochung
durch die Römer. Die Freiheit wurde theuer an sie ver-
kauft, die norischen Männer kämpften wie Löwen, und
selbst Weiber führten das Schwert gegen die Unter-
drücker, ermordeten ihre Kinder, damit sie nicht Sklaven
würden. Frankreich hat eine Jungfrau von Orleans, die
für einen schwachen Fürsten kämpfte, Norikum, Oesterreich
hunderte von Jungfrauen, welche mit heiligem Eifer
für die Freiheit des Vaterlandes kämpften und farben.
Laffen wir eine hervortreten, als Heldin, aus den Reihen
ihrer Schwestern. Sie ist keine spröde Schöne, wie Jo-
hanna d'Arc, ja sie liebt, aber sie opfert ihre Liebe
dem Vaterlande. Wie Johannen offenbart sich ihr der
Geist des Schicksals in einem Traume. Er spricht zu
ihr streng und mild:
Dein Gebet
Kann dir frommen,
Haft gefleht,
Bin gekommen. -
Tod und Leben
Kann ich geben, - :
Retten in der Noth: - - -
Schmach und Leben, -
Ruhm und Tod
Strebst du nach des Glückes Lüften,
Suchst du eine Blumenflur, -
Findst du in des Lebens Wüsten
Eine einzige Quelle nur.
Hell und lockend wird sie blinken,
Doch nie Ruhe wirst du trinken,
Immer Qual nur, armes Herz!
Laben wird sie dich auf Stunden,
Heilen deine blutigen Wunden,
Zu verlängern deinen Schmerz, -
Tropfen wird sie karg einst spenden,
Und die Pein wird dann erst enden, … …
Wenn die Quelle nimmer fließt,
Wenn versiegt des Lebens Born, -
Wenn gesühnt des Himmels Zorn,
Walhalla dich wieder grüßt.
Aber dich vor Schmach zu retten,
Kann ich dich zum Tode betten,
Wähle zwischen Tod und Schmach
. . . . .“
- - -
166
- -
Aus dem Blutkampf der Kohorte
Führ' ich durch des Todes Pforte,
Jungfrau, dich in's Brautgemach!
Aber auch einen Herrmann hat mein Trauerspiel –
einen Heldenjüngling, der in glühender Vaterlandsliebe
verwundet, von einer, Höhe hinabsieht, auf die rauchende“
Schlacht, wo seine Liebe kämpft:
Wie fie, das Weib, mit glühendem Gesicht
Einherstürzt, Tod verbreitend im Gewühle –
Von diesen Weibern. Eine ist fürwahr
Mehr werth, als hundert eurer besten Mannen!
Aber das Häuflein der Noriker wird immer kleiner,
das Schlachtenglück ist bei den römischen Legionen. In
Todesangst rafft fich der Jüngling noch ein Mal auf und
betet zu seinem Götzen für das verblutende Vaterland:
Hilf, Bel unser Banner sinkt im Kampf,
Sind alle Himmel taub! ist keine Rettung mehr,
Giebt's keine Opfer mehr, dich zu versöhnen,
Kein Blut, das deiner werth am Altar raucht.
Ein großer Gedanke ist der letzte des Sterbenden.
Verzweifelnd ruft er dem Gotte zu:
Mein Glück und meinen Stolz, den heim'schen Heerd,
Mein Leben werf' ich hin, dir Schreckensgott,
Mein Opfer nimmt nimm fiel fürs Vaterland
(Er stirbt.)
167
Doch da bin ich mit meinem Trauerspiele auch zu
Ende. Voll von dem Gedanken, mit dem Entwurf ein-
zelner Szenen beschäftigt, habe ich meine Jagdtasche von
dem Wagen genommen, einem Träger übergeben und
stehe nun nach einem kurzen Wege durch die Auen des
Isthers am Ufer des Stromes. Hier ist der Schauplatz
meines Trauerspiels. Gegenüber, dort wo die Zinnen
von Klosterneuburg mit ihren riesigen Kronen empor-
streben, baute die Tyrannei auf den Brandstätten der
norischen Hütten römische Kastelle und nannte das Land
Noricum ripenfe! Hier, in den wild bewegten Fluthen,
die ein heftiger Wind schlägt, ertranken Römer und No-
riker – in diesen Auen ächzten die Sterbenden. Und
seitdem find achtzehn Jahrhunderte vorübergestürmt.
Auf einem großen Kahne fuhr ich, in Gesellschaft
eines Paters, einer Obstfrau und eines Schweinhirten,
über die Donau hinüber nach Klosterneuburg, der Wind
ging heftig und wir wurden weit stromabwärts getrieben.
Endlich langten wir am Ufer an. Klosterneuburg ist eine
kleine, aber historisch merkwürdige Stadt. Es war das
römische Citium und wurde später als Nivenburg von
Rudolph von Habsburg und Mathias Korvin belagert.
Das reiche Kloster stiftete der heilige Leopold, der hier
mit seiner Gemahlin Agnes begraben liegt. Obwohl
MUN Agnese eben so heilig war, als Leopold, so wurde
doch nur Leopold heilig gesprochen von Innocenz VIII.
Die schönsten Weingebirge in der Umgegend gehören
s
163
em Kloster, weshalb es in den früheren Zeiten „beim
innenden Zapfen“ genannt wurde. Der Stiftskeller
hat bei den Weinschmeckern eine große Celebrität, denn
»ie Chorherren verkaufen darin den herrlichen milden
Weidlinger und andere treffliche Weine. Viele treff
iche Männer und ausgezeichnete Gelehrte sind in dieses
Stift eingegangen, aber es scheint, daß die Zeiten
seines Flors vorbei find. Der prächtige Palast, den sich
die Chorherren hier erbauten, erinnert an die Geschichte
des vorigen Jahrhunderts. Anfangs war gute Zeit und
die Herren gedachten sich ein solides Wohnhaus zu bauen,
das eben fo dauerhaft und schön wäre als eine kaiserliche
Burg. Aber während sie bauten, kam plötzlich Dürre in
ihre Hoffnungen und das Schloß konnte nicht feinen
natürlichen Wachsthum erreichen. Da steht es nun, eine
Mißgeburt der Zeit – ein halbes Ding wie das jüngste
Kind feiner alten Mutter.
Ein Wiener Fiakre brachte mich in einem leichten
Bastard mit flüchtigen ungarischen Roffen bespannt bald
nach Wien. An der Linie trat ein Polizeioffiziant an
den Wagenschlag und fragte: -
„Woher?
„Von der Jagd“ -
Ein anderer kam:
„Nichts Mauthbares?“
„Nein.“ -
169
Damit war es abgethan. Da hier keine Haupt-
straße hereinführt, so macht man es kurz, und der
Reisende, der in der Nähe ein Wiener Fuhrwerk miethet
und sich anstellt als käme er vom Lande, kann, ohne um
feinen Paß gefragt zu werden, sich hineinschmuggeln.
Ich war wieder in den geliebten Mauern. Jede -
Straße, jedes Haus, jedes Schild und jeder Bier- und
Weinzeiger grüßte mich als einen alten Bekannten. Um
nicht erkannt zu werden, hatte ich eine schwarze Brille
aufgesetzt – unter den dreimalhunderttausend Physiogno-
mien waren mir viele bekannt geblieben. Von meinen
Gefühlen nichts. Ich weinte, lachte, athmete heftig.
Mein Kopf fing mich an zu schmerzen. -
„Hier – hier ist das Haus, wohin ich meine
Lieben beschieden hatte. Halt, halt Kutscher!“
Am Thorwege empfing mich ein Bruder stumm,
blaß, mit trähnenden Augen, steinernem Gesicht. Ich
stürzte die Treppe hinauf, an der offenen Thüre fan-
den, weinten sie, vier mir theure Menschen umklammer-
ten mich. - - - -
„Gott zum Gruß Gott zum Gruß!“ -
„Ruhe Lieber – ruhe – ach Gott nur vier und
zwanzig Stunden – Fassung! Mutter!“
„Fort meine Lieben, kommt, hier find wir nicht
allein und frei, die Häuser sind Ketten, fort hinaus auf
das Land!“ - -
170
Schweigend eilten wir die Treppe herunter, sie stie-
gen in den Wagen.
„Wohin euer Gnaden?“ fragte der Fiakre.
„Nach W– fort.“ , ... …
Der Wagenschlag wurde zugeschlagen.
Zwanzig Stunden im engen Kreise folgten hierauf
-
A cht e r Tag.
(Alte Liebe rostet. – Ein Besuch im Tollhause.)
„Meine Theure! wie seltsam hat sich das Verhält-
miß zwischen uns gestaltet. Als Kinder waren wir ver-
liebt, als Erwachsene find wir nur Freunde!“. So
redete ich am folgenden Morgen die schöne L. an und
küßte ihr galant die Hand. Mit den frischen modischen
Kleidern zog ich höfische Maniern an, und gefiel mir
darin im Verkehr mit Damen. Die L. war ein schönes
Weib geworden, und die noble Erziehung welche sie und
ich genoffen hatten, war nicht ohne Erfolg geblieben bei
ihr wie bei mir, denn das Weib hat nicht die Kraft,
die Eindrücke der Jugend zu verwischen. Sie war daher
ganz und gar feine Sitte und und zarte empfindsame
Seele, aber das stürmische Gefühl eines heißen Her-
zens war bezwungen – ich weiß nicht zu ihrem Vor-
theit oder Nachtheil. Sie war schöner wie Laura und
fand größeres Wohlgefallen vor meinem ästhetischen Auge,
aber ich hätte sie nicht so lieben können wie Laura. Als
171
Kinder hatten wir uns herzlich geliebt und sogar schwärme-
rich, denn wir lafen Petrarca mit einander und seuften,
spielten Romeo und Giulietta und weinten, aber als fie
älter ward wurde sie kälter – ich wärmer, und so fan-
den wir bald daß wir nicht für einander taugten. Die
Gouvernante hat sie ganz und gar für mich verdorben. -
„Lindor“ sagte sie, „ich liebe Sie immer noch als
Bruder, und es würde mich schmerzen wenn Sie nicht
mein Gefühl erwiederten.“ - - -
A/ Gewiß meine füße Blutsfreundin, ich liebe. Sie
mehr als eine Schwester, aber weniger als eine Geliebte.“
„Dann bin ich zufrieden. - Mehr Liebe von
Ihnen lieber Vetter, würde ich nicht ertragen können,
und ich fürchte, zu Ihrem Unglück kein Weib. Sie
fordern von Ihrer Geliebten gleiche Empfindung, aber
ein Weib wäre rafend, liebte es so wie Sie.“
„Halten Sie mich für einen Othello in der Liebe?“
„Ja Vetter, fast noch für Etwas mehr.“ -
„Dann thun Sie mir unrecht, denn ich bin nicht
eifersüchtig, ich würde mein Weib nicht ermorden.“ ,
„Das nicht, aber sie wegen eines übel gedeuteten
Blicks verlaffen was eben so schlimm ist.“ -
„Sie können recht haben aber wir verstehen uns
nicht.“ -
So seltsam diese Erklärungen waren zwischen Per-
fonen, welche einst für einander bestimmt gewesen; so
hatten sie doch keine Bitterkeit für uns. Ich fand, daß
472
ich in dieser Nähe weniger litt von dem Aufgähren mei-
ner Empfindungen. Die fanfte Milde und Ruhe in
Ausdrucksweise und Gebährde wirkte beschwichtigend auf
mein Gemüth, aber eben darum konnte ich sie nicht lie-
ben, Ihr Vater, von dem sie ihren Charakter geerbt
hatte, kam zu unserem tête à tête.
„Ach Lindor,“ sagte er und runzelte besorgt die
Stirn, „warum find Sie nicht bei uns geblieben.“
„Sie wissen warum, lieber Onkel, ich konnte
nicht.“
“ „Konnten nicht? tolles Blut! man kann Alles,
was man will. Doch genug, es ist einmal geschehen und
unabänderlich. Das Uebrige wird sich bei Ihnen mit
den zunehmenden Jahren finden.“ -
„Nie!“
„Doch doch, mein Sohn, nur Geduld. Die Jahre
find gewaltige Lehrmeister.“
Ich weiß nicht, was mich bei diesen Menschen
so beruhigte. Eine innere Stimme gab ihm Recht
und mein Herz fühlte sich zu ihm gezogen. Mir war
unbeschreiblich behaglich in dieser Gesellschaft zu Muthe.
Ich glaube, wäre ich immer unter solchen Menschen, ich
würde ruhig.
Der Wagen fuhr vor und ich nahm flüchtigen Ab- -
fähied, um bald wieder zurückzukehren.
\
175
Mit meiner Einlaßkarte meldete ich mich bei dem
Direktor des Lazareths und wurde sogleich in den Garten
geführt, wo die Kranken alle versammelt waren, um sich
im Freien zu ergehen. Vergebens suchte ich den G.; er
war nicht hier. Da ich unter dem Vorwande gekommen
war, als Fremder bie Anstalt zu besehen, so konnte ich
nur im Allgemeinen fragen, ob alle Kranken hier im
Garten wären. Man sagte mir: Ja. Indeffen hatte
mich die Luft angewandelt, mit den Narren eine Konver-
fation anzufangen, und ich sah es daher nicht ungern, als
fich einer mir näherte, etwas vor sich hin murmelte und
fich dann anschickte, in das Haus zu gehen, denn die
Zeit der Freiheit war vorbei. Ich folgte den Kranken in
das Konversationszimmer und hier entwickelten sich fol-
gende Szenen.
„Wer ist der Mann hier?“ fragte der Verrückte.
„Die Leute nennen mich einen Gelehrten; aber ich
fage Euch, daß ich nicht allein auf der Welt bin, um
Bücher zu machen und gelehrten Trödel; und somit haltet
mich für was Ihr wollt.“
„Was? ein Gelehrter, ein Büchermacher? Wahr-
haftig, sehet Ihr mir nicht so vernünftig aus, daß ich
vermuthen kann, es ist noch einiges Gehirn in Euerm
Schädel, so schmiß ich Euch zur Thüre hinaus, daß Ihr
Hals und Beine brächet. Wenn ich nur das Wort höre,
Schriftsteller, Gelehrter, so fährt mir die Galle durch
alle Glieder, und ich möchte einen Wanzentod erfinden für
\-
4174
daß Geschmeiß. Elendes, feiges, schuftiges Gesindel; zu -
dumm, zu nichtig, zu erbärmlich zur lebendigen That;
feißt an todten Buchstaben, wie der Käfer am Aase und
spielt mit dem Geist Affencomödie für ein paar lumpige
Groschen und läßt ihn tanzen wie einen abgerichteten Hund
zur Ergötzlichkeit des hohen Publikums. Der Beste unter
Euch und hätte er einen brüllenden Namen, der von
einem Meer zum andern hallt, dessen Echo durch drei
Jahrhunderte fortbellte, der Beste und Berühmteste unter
Euch ist nicht werth, daß man ihm einen Stein an den
Hals bindet und in der nächsten Cloake ersäuft, wie einen
räudigen Mops. Faselt von Unsterblichkeit das fade Volk
und lebt und schafft doch nichts, was einer That gleich
sähe, als wurmstichige Bücher mit den häßlichen Exere-
menten ihres kreuzlahmen zeugungsunfähigen Verstandes.
Wirken muß der Mensch und schaffen mit lebendiger Kraft
für sich und das, was ihm gehört, für seine Umgebung,
für seine Zeit, für sein Land, und der es nicht thut,
nicht thun kann, der in geschäftiger Thatlosigkeit auf Chi-
mären und Ideen reitet, hat keinen Antheil an dem
Leben der Menschheit und ihrem Wachsthume, der
treibt Sodomiterei mit feinem Geist, ist ein Verrückter,
oder ein Dummkopf, oder ein Schuf. Wahrhaftig, ein
Strumpfwirker hat mehr Antheil an der Weltgeschichte
und ihrem Gange; er macht doch Strümpfe für feine Zeit-
genoffen, und wollte ich einen schlechten Witz machen, so
könnte ich fagen, er wirkt doch für die Grund-
-
- -
– - - - -
- - - - - - - ------- -
475
pfeiler der Menschheit. Eure Thätigkeit ist zwar
auch gewissermaaßen eine Strumpfwirksamkeit, aber fie
frommt. Niemanden, macht die Leute höchstens verrückt
und dümmer, als sie auf die Welt gekommen sind. Meine
Zeit gehört mir an, mein Raum und mein Jahrhun-
dert, was darüber ist, bekümmert nur Narren; für mich,
meine Kinder und meine Zeitgenoffen muß ich arbeiten
und meine Kraft verwenden bis auf den letzten Funken,
meine Hände muß ich brauchen, meine Füße und meinen
Kopf, meine Augen, Ohren, alles Sinneswerkzeuge und
Zeugungs-Gliedmaßen, will ich ganz feyn und leben
in der Welt. Die Natur hat uns nicht Hände gegeben,
daß wir sie in die Tasche stecken, nicht Beine, damit
wir sie über den Stuhl herabhängen laffen und das Auge
nicht, damit wir es zuschließen wie die Störche, wenn
fie einen Frosch verzehrt haben, und uns von inwendig
beschauen, wie die wahnsinnigen Kerle, die Philosophen,
sagen. Heda, Leute! fchmeißt mir den Lumpenhund da
zum Fenster hinaus, er ist ein Gelehrter!“
Der arme Mensch hatte sich ganz erschöpft durch
feine Ausfälle ob die schuldlosen Kreaturen. In dem
Zustande seiner Aufregung zu beweisen, daß ich kein Ge-
lehrter sei, war unmöglich; denn hätte ich mich auch
noch so dumm und unwissend gestellt, er würde gewiß
gesagt haben, schmeißt ihn hinaus, er stellt sich nur so
an, als ob er ein vernünftiger Mensch wäre, er ist aber
ganz gewiß ein Gelehrter, denn er ist ein Dummkopf,
176
ein Ignorant, ein Hund! Ich entfernte mich daher so
schnell als möglich von dem wahnsinnigen Censor und
ging zu einem Mann über, welcher sich einbildete, die
Welt fei zu Grunde gegangen und er habe fie überlebt
mit noch einigen würdigen Freunden, worunter er die
übrigen Narren im Hospital verstand. Er lebte im Jahre
1840, zählte jeden Monat 45 Tage und schien fehr ver-
gnügt zu fein über das Ende der Welt. Der Mann
war ein Astronom und beschäftigte fich, so lange er noch
bei Sinnen war, mit dem Beweis, daß die Weltkörper
nichts anders wären als herumfliegende Vögel, die sich
gegenseitig begatten und fortpflanzen, einander auffäßen
und von fich gäben, selbst aber eigentlich nur in dem
Magen eines großen Vogels befindlich wären, welchen er
Gott nannte. Der Enke'sche Komet vom Jahre 1834
war seiner Ansicht nach nichts anderes, als ein solcher
Weltvogel, der sich unserer Erde in der Absicht nahete,
mit ihr Unzucht zu treiben. Während des coitus, der,
wie er glaubte, nun schon vor sechs Jahren vor sich ges
gangen war, fagte er, habe unsere Erde, wie es manch
mal schwachnervigen Weibern zu geschehen pflegt, derma-
ßen heftige Krämpfe bekommen, daß sie des Todes ver-
blich. In der Inbrunst, womit der Komet die arme
Erde umarmte, sei es nun durchaus unvermeidlich gewe-
fen, daß er die ganze Menschheit erdrückte und daher
nichts davon übrig geblieben wäre, als die Wenigkeit
feiner eignen Person und feiner andern wirklichen Freunde
177
-
Narrenhause, welche das Glück gehabt hätten und
Geistesgegenwart genug, fich in einer großen Arche auf
dem Samenfluß des Kometen einzuschiffen und so zu
retten. Manchmal änderte er aber seine Aussage und
behauptete, die Erde wäre von dem feurigen Kometen
verbrannt, zerquetscht und vernichtet worden und die See-
len der Menschen und folglich auch die einige in einen
andern Planeten gewandert. ueberhaupt änderte er seine
dießfälligen Ansichten fehr häufig. Mir erzählte er
folgendes. -
D a s E. n d e d e r W. e il t.
Phantafie eines Verrückten.
-
„Es sind nun gerade 6 Jahre her, seit die Welt
zu Grunde ging. Ich fand auf dem Gipfel des Schnee-
berges, von dem man, wie Sie wissen, ein gutes Stück
dieses Jammerthales übersieht, um dem Spektakel mit
anzusehen. Zwei Tage vorher war schon in der ganzen
Stadt kein Fiacker zu bekommen, da Jedermann, der ,
nicht nothwendige Geschäfte zu verrichten hatte, feinen
letzten Heller daran wendete, dem großen Schauspiele bei-
zuwohnen und nebenbei, wie es bei dergleichen Excursio-
nen gewöhnlich der Fall ist, sich gütlich zu thun. Daher
kam es, daß das k. k. Versatzamt in den letzten Tagen
-
78
dergestalt bestürmt wurde, daß man sich endlich genötid
fah, die gewöhnliche Procedur, welche wegen ungemein
großen Andrangs der Liederlichen und Armen eine ziem-
liche Weile erheischt – abzukürzen und den Leuten auf
ihre Gesichter Geld zu leihen, um nur die Anstalt nicht
in Mißkredit zu bringen und das Gesindel fchnell abzu-
fertigen. Ja, das Unerhörte geschah, und die Anstalt
begnügte sich sogar Papiergeld für Gebühren anzunehmen,
und die mitleidigen Unterhändler zwischen dem Amte und
dem sich herandrängenden Volk, die sonst ihre Protektion
und Verwendung fich theuer bezahlen laffen, begnügten
sich diesmal mit einigen Groschen Kupfergeld. So lange
Wien steht, hat weder eine Affenkomödie noch ein Feuer-
werk, weder die Ankunft der Giraffe noch die Abreise Don
Miguels mit der schönen Henriette, so großes Aufsehen
gemacht, als die pompöse Ankündigung vom Ende der Welt,
welche am 24. Juli 1834 Abends um 8 Uhr abgehalten
werden sollte. Der fchreckliche Augenblick war herangerückt,
aber die löblichen Behörden waren gefaßt darauf und hatten
alle mögliche Maßregeln ergriffen, allenfallsigen Unglücks-
fällen vorzubeugen, denn bei der Ueberschwemmung der
Leopoldstadt hat man gefunden, daß derlei Elementarer-
eigniffe ganz und gar polizeiwidrig und unangemeldet zu
kommen pflegen. So war es z. B. allen zu Hause bleiben-
den Einwohnern der Stadt, welche wegen Gicht oder sonsti-
gen Beschwerden nicht aus dem Bette durften, bei Strafe
-
---
hgm
ung
eine it
ultur
alt mit
ab
fall
men,
Und
tion
le
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
- - -
* - 179
von 10 fl. W. W. verboten, zwischen 8 und 3 uhr aus
dem Hause zu gehen. Nicht genug! Die Feuerpiquets
wurden sogar verdoppelt und alle Spritzen von 3 Meilen
im Umkreise zusammengeführt, ja sogar die Magistrats-
spritze, welche bei vorkommenden Gefahren gewöhnlich die
letzte zu fein pflegt, in gehörigen Stand gesetzt, denn
die Gelehrten hatten geweissagt, es würden Flammen
aus der Erde steigen, wodurch leicht ein Unglück fich
hätte zutragen können. Die Gelehrten hatten ebenfalls
gesagt, es wäre auch eine große Ueberschwemmung zu
besorgen, – darum sah man an jedem Hause Kähne
angekettet, welche gerade groß genug waren, daß 20
Personen darin mit der größten Bequemlichkeit hätten zu
Grunde gehen und ertrinken können. Man kann es
dabei keineswegs den Behörden zur Last legen, daß nicht
so viel Kähne aufgebracht werden konnten, als nothwendig
gewesen wären, die ganze Bevölkerung zu ersäufen. Denn
man war wegen Mangel an Fahrzeugen genöthigt, die
übrigen Menschen bei vorkommender Waffergefahr ihrem
Schicksale im Trocknen zu überlaffen. Nachdem man
sich solchergestalt für alle Möglichkeiten und unmöglich,
keiten vorgesehen hatte, wurde der angehende Spektakel
durch einen Signalschuß angekündigt. Doch ich bemerkte
so eben zu meinem großen Leidwesen, daß eine Fliege
auf Eurer Nase sitzt und Euch, ohne daß Ihr es wißt,
gar fehr molettiert. Thut mir den Gefallen und haltet
ein wenig still, ich will das unverschämte Beet sogleich –
- 12 *
41430
hier schlug er mich plötzlich so heftig ins Gesicht, daß
ich betäubt zurücktaumelte und die lebhafteste Vorstellung
bekam von dem Eindruck des Signalschuffes auf die Be-
völkerung der Stadt.
„Macht Euch keine Mühe,“ fuhr er sodann fort,
als ob er meinen Dank abwehren wollte, „wir find ja
einer dem andern solche kleinen Gefälligkeiten schuldig,
denn in der Bibel steht, wie ihr wißt: Du sollst deinen
Nächsten lieben. Doch, wo sind wir denn stehen geblie-
ben – die vermaledeite Fliege, mein Gedächtniß wird
auch schon schwach – ja, fo, bei der Auferstehung der
Todten, ganz recht, bei der Auferstehung der Todten. –
Die größten Tollheiten in der allgemeinen Verwirrung
begingen die Todten; und wie wurde es mir klar und
offenbar, was einst ein großer Philosoph behauptete, daß
nämlich die Todten lauter verrückte Leute find, ein weiter
Satz, der leicht zu erweisen ist, da die Todten ihr todtes
Leben schon mit einer Thorheit, mit dem Sterben an-
fangen. Wer das für Unsinn hält, dem sprechen wir
geradezu den Verstand ab, widrigenfalls er bei einer ge-
ringen Kenntniß der Logica aus dem apodiktisch wahren
- Vordersatz: Es giebt viele todte Lebendige, gar artige
Dinge zu folgern verstände. Viele Herren ohne Na-
fen und ausgedörrte Gelehrte mit großen Nafen
werden die Wahrheit dieses Satzes nicht bezweifeln. Giebt
es nun viele todte Lebendige, fo folgt hieraus, daß es
auch lebendige Todte geben muß, indem ein todter
- - 181
Lebendiger eigentlich keinen andern Charakter besitzt, als
den eines lebendigen Todten. Das Traurigste bei der
ersten Thorheit der Todten, das Sterben, ist die unum-
stößliche Wahrheit des Satzes: Ein Narr macht zehn;
denn daraus geht der schreckliche Umstand hervor, daß wir
auf der Welt in dem gegenwärtigen Augenblicke schon
mehr Todte haben als Lebendige. Wer die Arithmetik
studiert hat, wird mit Hülfe der goldnen Kettenregel es
leicht herausbringen, daß jeder dieser zehn von neuem er-
schaffenen Narren wieder zehn machen müffe, so daß
also durch einen Narren gleich in der zweiten Progression
1oo entstehen, welche wieder Rekruten fammeln und end-
lich die ganze Welt zum Narren machen. Auf diese
Weise hat diese tolle Angewohnheit des Sterbens überhand
genommen und folglich war Adam der allergrößte Narr,
weil er durch sein eignes unvernünftiges Exempel das
Sterben im Menschengeschlechte eingeführt hat. – Doch
ich kehre zu meinem Thema zurück und erzähle Ihnen,
wie die Verwirrung unter den Todten entstanden und
was diese Menschen für Thorheiten begingen beim Unter-
gange der Welt. Nachdem nämlich die Todtenposaune
die Langschläfer aus ihrer Ruh geweckt, hörte man plötz-
lich ein Gepolter in den fämmtlichen Leichenhäusern – –
doch ich bemerke, mein Liebwerthester,“ unterbrach er sich,
wieder, „daß Ihr den Respekt vor mir so weit treibt,
und es nicht einmal wagt, Euch niederzulaffen. Setzt
Euch nur, ich erlaube es Euch, bitte, setzt Euch! Zwar
1892
feid Ihr, wenn ich Euch recht betrachte, ein
Kerl, ich habe aber auch gar keinen Stolz
von Eurem Stande. Setzt Euch nur drei
bier –“. Dabei nahm er einen Nachttopf,
den Rand gefüllt war, wendete ihn um, daß
im ganzen Zimmer herum rann, setzte ihn a
und meinte, das wäre ein ganz paffender Si
- Wenigkeit. Die anwesenden Narren lachten
- „Wie es nun aber spekulative Köpfe
- der Astronom fort, „die alle Gelegenheiten b
“ zu gewinnen, so sah man auch hier Kop
Händler, die auf allen Kirchhöfen die Knock
Hatten, und hier öffentlich zum Verkauf aus
ich habe vergeffen, Euch zu sagen, daß vie
"ºrf verloren hatten und sich dadurch in
S-Serlegenheit verfetzt fahen. Was war mal
Paß Juden "uf den Gedanken kamen, ein
-S-Töpfen zu "reiben. Das war nun den re
Ske oft schon während ihres ruhmvollen Lebe
- erLoren oder wohl gar nie einen gehabt hat
- nicht, Ҽ fo fah man derlei Leute, dene
erlei war, was sie für einen Kopf trugen
- - "hrscheinliche Weise keine schlechtere Waar
“: "subandeln erhalten hätten, mit f
Tehene "en. Da hatte mancher im Le
CNNr. statt des eigenen hochgeborner
-
183
das Haupt eines weisen Mannes auf sich sitzen und es
hätte gewaltige Aergerniß gegeben, wenn nur nicht diese
Kopfleiherei und Kopfhändlerei ein so alltägliches Geschäft
wäre. Die Gelehrten kamen freilich dabei übel weg, denn
ihre Köpfe waren meistens schon vergeben und verkauft
in Museen, Antiquarien u. f. w., und es blieb den ar-
men. Geprellten nichts übrig, als sich des Kopfes eines
resp. Mäcenaten, wie eines Chapeaubas, als eines Dinges,
das zu nichts nütz ist, zu bedienen. Einer dieser un-
glücklichen todten Gelehrten war ganz untröstlich und
fchwor bei allen Schafsköpfen, die ihm statt des einigen
zur Auswahl gestellt waren, ein armdickes Buch über die
Mißbräuche mit Köpfen zu schreiben. Der arme Mann
war ein sogenanntes Weltlicht, mußte aber verhungern,
weil seine Landsleute auf seinen Tod warteten, um sich
dann feines Namens zu rühmen. Kaum war er aber
begraben, als der Todtengräber ihm unbarmherzig den
Kopf vom Rumpfe trennte, und an die Engländer um
eine Summe verkaufte, deren Zehentheil genügt hätte,
den armen Mathematikus auf zehn Jahre lang zu
füttern. – Hier ist der Kopf des Pater Abraham
a Sancta-Clara, schrie einer der Kopfhändler, der Kopf
Till Eulenspiegels, des Pfaffen von Kahlenberg, Neidharts
Fuchs, die Köpfe der Engländer Swift und Sterne, der
Franzosen Voltaire und Rouffeau, die wohlfeilten unter
allen, und einiger anderer Personen, die in ihrem Leben
gewußt haben, daß sie nichts wissen. Ich versichere euch,
-
134 "A
lieben Leute, daß diese paar Köpfe mehr werth find, als
alle die übrigen Millionen, Millionen Köpfe, welche sich
heute hier versammeln werden, Und doch mache ich euch
die billigsten Preise und schlage die englischen Köpfe für
die englische, die französischen für die französische und die
deutschen für die österreichische Staatsschuld los.“
„Zu mir kommt! rief ein. Anderer, ich habe die Köpfe -
der berühmtesten Dichter aller Zeiten, und ihr werdet finden,
daß ihr billiger bei mir kauft, als bei meinem Nachbar
mit feinem Waarenlager von Judenköpfen. Den Homer
und die sieben Weisen Griechenlands überlaffe ich euch,
wenn ihr mich baar bezahlt, für 2 Thaler, und gebe
euch noch obendrein den Aeschylus in Kauf. Den Horaz
follt ihr für 8 Groschen haben." den Virgil für 4 Gr.
Ich will euch aber alle beide schenken, wenn ihr mir 100
- -
Thaler gebt für den Ovid, Die französischen Dichter
alle, außer Voltaire und Rouffau, welcher ich nicht
habe habhaft werden können, verkaufe ich, wie Cigarren,
100 Stück zu einem Thaler, und besorge überdies noch
die Verpackung gratis. Von italienischen Dichtern habe -
ich nur einen kleinen Vorrath, den ich Stück für Stück
mit achtzehn Pfennigen ablaffen will, wenn ihr mich nur
vom Petrarka befreit. Die deutschen Dichter früherer
Zeiten will ich euch ganz umsonst in Kisten wohl verpackt
mit ihrem Strohgehirn ins Haus bringen, wenn ihr
mir nur den Gefallen thut und Göthe, Wieland, Schiller,
- 4
- 185
Klopstock uf w. zusammen mit 5 Thlr. bezahlt, die
ihr auch schuldig bleiben könnt.“ . . . . . . . .
. . . „Zu mir kommt, ihr Leute! schrie ein Dritter, ich
habe alle Philosophen zusammengebracht, ich weiß nicht,
was ich anfangen soll mit dem Gesindel, wenn ihr
- v.
mir nicht davon helf; gebt mir nur einen einzigen
Narrenkopf dafür und ihr sollt den ganzen Plunder
haben.“ - - - ,
„Plötzlich aber trat ein Mann hervor aus der Menge
und schrie: ich bin der einzige Mensch, der in seinem
Leben nie den Kopf verloren hat, kauft mir ihn ab,
denn ich brauche ihn ohnehin nicht, und habe erfahren,
daß nichts überflüffiger ist in der Welt, als ein Kopf,
Der Mann aber war ich selbst! Und siehe da, die
Leute traten zusammen, verabredeten sich und beschloffen,
wegen des großen Kaufpreises diesen Kopf mit einander
zu kaufen. Jeder gab sein ganzes Vermögen und bald
war das Geld beisammen und mein Kopf verkauft.“
„,Ich aber ließ das Geld auf Wagen weg-
fahren, kaufte mir den Palast, den ihr hier feht, und
halte mir nun für geringes Geld diese Leute hier,
meine Hofnarren, die ihre Köpfe nun für mich ab-
nutzen, und mir übrigens noch manchen - Spaß
machen.“ -
„Der Spaßhafteste unter . allen ist der Mann
da, – hier zeigte er auf den Director des Irrenhau-
136 - -
fes – der sich etabliert, der einzige vernünftige Mensch
im Hause zu sein. Glücklicherweise ist er nicht bösartig
und ich kann ihm sogar zuweilen erlauben, unter die
Leute zu gehen, die ihn schon alle kennen, und wohl
wiffen, daß er ein Narr ist, aber sich davon gegen ihn
nichts merken laffen.“
Hierauf entfernte er sich lachend und überließ mich
einem andern Narren, der mit geheimnißvoller Miene
auf mich zu kam, einige Worte flüsterte und mit vieler
- Behendigkeit ein Manuscript in meine Tasche prakticirte.
Es enthielt folgende Rhapsodien, die ich mit vieler Mühe
in einige Ordnung brachte.
-
Wi h a p s o d i e n
(aus
d e m T o l l h a u f e.
-
- 189
Der Menschenfeind. -
1.
Die Ruhe.
Es fliehet aus des Thals bewegten Gründen
In wilder Eile hinan einst Celadis,
Und sucht im Wetterrauch, in grauen Schlünden
Der Ruh’ Asyl, das ihm kein Weiler wies –
Obgleich ein Weiser ihm es angerathen
Eh" er betrat die rauhe Lebensbahn –
Doch lohnt den Suchenden kein glücklich. Finden
Er mochte Wald durchirren, Flüff" durchwaten,
Belohnt ward nicht ein unglücksel'ger Wahn,
Er konnte nicht die süße Ruh” ergründen.
Und immer höher stürmt er keck, verwegen –
Hier ladet ihn ein stilles Alpenthal;
Durchschnitten war's von dem geschwätzigem Lauf,
Des Eisbachs, der von Fels zu Felsen ohne Zahl
Hinabbraust in erglänzenden Cascaden;
Hier hört man froher Hirten heitere Sänge,
Der Heerden Brüllen und der Glocken Klänge;
Erzürnt rief Celadis: „in diesem Thal,
Wo sich dem Leben tausend Töne entladen,
Hier ist die Grenze nicht von meiner Qual!“
Drum klimmt er rastlos auf der Alpe Höh',
Wo keines Lebens Zeichen seiner harrt,
Wo tief begraben in dem ewigen Schnee
190
Das stille Pflanzenleben selbst erstarrt,
Von wo die Geme scheu, erschreckt entflieht,
Wo selbst der Adler nicht mehr wagt zu nisten,
Und Stürme rings den harten Fels verwüsten,
Wo feine Stirn" ein feucht Gewölk" umzieht,
Der Mord verwehet seines Fußes Spur
Von morschem Stein und eisbedeckter Flur.
Mit wilder Freud" grüßt Celadis die Oede
Und jetzt erlustigt sich auf starres Eis:
„Hier“ ruft er „hört kein Ohr mehr meine Rede,
Hier widert nicht profane Sangesweis" -
Von ecklem Athen meine Seele an,
Hiert störet mich kein lärmendes Gewühl,
Kein Menschenfuß entweihet meine Bahn,
Verstummt ist hier des Lebens zwecklos Spiel,
Hier finde ich, was ich längst im Kampf erzielt,
Hier thront die Ruh, ein kaltes Felsenbild“
- - - - -
„Hier rührt des Menschen unstillbare Klage
Nicht ihres eigen. Busens ehr'nes Herz,
Hier greift kein hochvermeffenes Gewage
Ihr ernstes Haupt, gerichtet himmelwärts,
Der Sturm ist ihr harmonisches Getön",
Die Stimme der Natur, die zu ihr spricht,
Vertraulich kost mit ihr der kalte Föhn
ihren schneegen Busen küßt das Licht,
" sich Farben, süße Düfte und Töne
" ihre gottentprome Schöne“
A
191
-
„Hier wohnt sie einfam fern vom Eckelleben . . ."
Der staubgebor'nen Jammerkreaturen, -
Die aufgestachelt von gemeinen Lüften -
Mit ihrer Kraft nur Niedriges erstreben;
Mit ihrem Hauch verpesten schöne Fluren
Und frevelnd sich der Gottabstammung brüsten;
Nicht schreckt sie hier des Donners Wuthgebrülle,
Denn in der Wolken blitzerhellter Hülle
Verwechselt sie – indeß tief. Thürme wanken –
Mit dem Naturgott heimliche Gedanken.“
- - -
„Doch wie der Leu – den keine Macht erschreckt,
Die drohend ihm in's kühne Auge sieht –
Den Hahns Gekräh aus ernstem Sinne weckt,
Den widerwärtgen Tönen rasch entflieht,
Also – verletzt der Ruhe Majestät
Ein Laut des Lebens aus des Thales Grunde,
Erbebt die Brust vom Ird'schen angeweht,
Dem Hauch aus dem unheil'gen Menschenmunde –
Enteilet sie, die Fernen aufzufinden,
Wo sie kein sterblich Auge kann ergründen.“
- - - - -
\ IL - -
Men fchenhaß. - "
„O Thal wie bist du nun so schön,
Da meine Blicke Menschen nicht erspähn,
Vermengt sind sie unsichtbar in dem Staub, - -
-
TA 4D2
Der Winzigen Städte sind wie Ameishaufen
Sorin sie wimmelnd auf und wieder laufen
und während ihre Werke des Windes Raub
Im nächsten Wetter sind, mit stolzem Trauen
Sich rühmen, für die Ewigkeit zu bauen.
D glücklich der, dem niedren Pfuhl entrücket
Aus lichter Höh' auf sein Gewühle blicket“ -
„Die Menschen haffe ich und tief verachten
Muß ich die blinden Sinnenknecht, -
Die blöden Blicks Erhabenes, oft verlachten
und das, was eklen Ursprungs, nichtig, schlecht
Anbeten, feiern, räuchern und besingen,
Altäre bau'n für mod’rig Heiligenbein,
Für Ochsen, Zwiebel, Fische und Gedanken
Durch Mohnsaft sich in sieben Himmel schwingen,
Und Sterne fahn hat sie berauscht der Wein
Indeß sie schweren Hauptes auf Erden wanken.“
-
- - - - - -
- - - III. - -
- - - Die Denker.
Es lenkt ein Irrwisch nur ihr Trachten, Schalten,
: können sie, nicht fehn und gehn,
er Wahn sie auch durch enge Falten
"fgewandes auswärts spähn -
/
- - 193
- -
Und nur ein Sonnenstäubchen von dem Licht erblicken,
So dient es nur, die Sinne zu berücken,
Den blendet es, den Andern es entzückt,
Der schreit: Gehorcht, ich habe Gott erblickt!
Und unter Tausenden gibt es nicht. Einen
Dem, was es ist, das Lichtlein wird erscheinen.“
„Wahn ist ihr Denken, Treiben und Empfinden:
Der will im Grashalm feinen Gott ergründen,
Weil er sich Ursach mancher Wirkung sieht, - - -
Er auch aus Allem eine Wurzel zieht,
Und nennt die Ursach von dem All Herr Gott;
Ein Andrer treibt mit allen Göttern Spott -
Und schwört, Materie sei der Wesen Wesen, - - - -
Ein Dritter heißet Gott den Geist des Bösen,
Und so zu Göttern, Mächten ohne Schranken
Macht. Jeder seine eigenen Gedanken.“
-
-
- - - - - - - - - -
-
-
-
e
IV,
Der Held.
„Ich wanderte aus fernem Ost hin nach dem Westen,"
Von Nord nach Süd, und von den Klügsten, Besten
-
-
- - -
- -
Lernt ich die Tugend und die Weisheit nicht;
Denn jener nannte gut, was widerspricht
Der menschlichen Vernunft, der pries als weise, - - - -
- 13 -
194
Was mein Gemüth als Gräuelthat entsetzt,
und auf dem Schmerzenswege meiner Reise
Ward bald mein Geist und bald mein Herz verletzt.
Ich fand im Glauben und im Wiffen Zweifel,
In Höllen Engel und in – Himmeln Teufel.“
„Auf meinem Weg in einem kalten Land
Jch einen König kampfgerüstet fand,
Er war als weise und gerecht bekannt,
Ein Held von Niemand übermannt.
Der weise König streng befahl den Schaaren,
Ein hölzern Götzenbild zu bringen den Barbaren
Und ernstlich anzubieten zur Verehrung
und eigener Glückseligkeits-Vermehrung.
Das fremde Volk erstaunt und spricht mit Spott:
„Behaltet euren, wir behalten unsern Gott!“
" .
Darob entbrennt der weise König mächtig,
Gebeut dem Heer in Stahl gerüstet prächtig
Zu predigen mit Lanze, Schwert und Spieß
Den Glauben an ein Paradies,
Das Bild zu pflanzen in die fremde Erde
Und hinzutreiben eine fromme Heerde,
Und blutger Streit war zwischen Heer und Horden,
und lange währte das Schlachten und das Morden
Warum, o König, sonst gerecht und mild,
"st du so grausam um ein hölzern Bild?“
-
-
- -
195
:
W.
Der Vater des Vaterlands
„Und weiter wandert' ich durch das Gewimmel
Von Land zu Land, zu Völkern, hin und her,
Bis ich einst traf im Volksgetümmel
Umrast von Wüthgen, ohne Schutz und Wehr,
In schweren Fesseln einen würd"gen Greis;
Mißhandelt ward er schnöde von den Einen,
Beschimpft" verhönt von Andern jeder Weis",
Er trug's ohn“ Grollen, ohne Weinen,
Verachtend feiger Mörder thöricht Wüthen,
Als könnte er, und wollte nicht gebieten.“
„Was hat, o sprecht, der greise Mann verbrochen,
Wodurch des heiligen Volkes Grimm erregt,
Der Gottes Willen drohend ausgesprochen,
Zum Tod ihn führt? so fragte ich tief bewegt,
Da trat ein stiller Mann mir ernst entgegen
Und fragt mich, ob ich wohl ein Fremdling wär"
Auf diesem Erdenrund, der toll verwegen -
Gewagt sich aus dem Monde her? * .. ,
Die Menschen fragen nicht nach Schuld, Verbrechen,
Wenn sie am Weisen eigene Dummheit rächen.“ " *
- -
- - - -
„Der Mann, den hier du geh'n sieht in den Tod,
Er hat gemildert dieses Volkes Noth,
-
13“
196
Hat es gelehrt zu feffeln die Tyrannen,
Und giftigen Wahn aus feinem Hirn zu bannen,
Auf eigener Kräfte Grund ohne Stütze stehen
Und ohne Gängelband auf eigenen Füßen gehn,
Sein weiser Geist hat ihm geleuchtet vor
Mit heil'gem Licht ein strahlend Meteor,
Manch Götzenbild zerstört, manch' Haupt gerettet,
Den Lügengeist in tiefe Nacht gekettet.“
„Doch weil die Macht des Bösen ihn bezwang,
Und weil ein feindlich Loos ihn niederrang,
So dankt man ihm des Volks Befreiung
Mit Schimpf und Schmach, Vermaledeiung,
Denn gnädig ist man nur gen Sünd' und Glück,
Doch nie verzeihet man dem Mißgeschick.“
So sprach der fremde Mann und ich entfloh
In stille Hütten, wo man von Nationen
Nicht Gräuel hört, im kleinen Leben froh
Vermeint? ich wird die Tugend wohnen.“ •
VI.
Die Freunde.
- Ich fah zwei
9 reich wie
Sie sich -
Freunde siehn am Wasserfall, -
My er war ihrer Worte Schwall,
"en ich bei keuschen Mondeslicht
1497
Zu brechen sich die Treu, im Leben nicht,
Doch kaum geschloffen war der ew'ge Bund,
Da stürzet. Einer in den naffen Schlund;
„Ach!“ schrie er „komm, geliebter Freund, und rette
Mich aus des Waldstroms grauenvollem Bette!“
„Gefährlich ist“ sprach Jener. „Hilf in Noth,
Fahr wohl, ich war dir treu bis in den Tod.“
-
VII.
Lieb” und Treue.
„Hört unsern Schwur ihr Fluren, Sträucher, Bäche,
O Rose du und du o Lilie weiß.“
So rief ein Liebespaar, „der Himmel räche
Den Meineid, wenn wir, jetzt von Liebe heiß,
Dereinst erkalten oder treulos werden!“
Jetzt da vorbei die ersten Wehbeschwerden
Spricht Daphne spöttisch zu Amyne;
„Mein Schatz, in einem Jahrzeugst du vier Söhne –“
- „und du“ erwiedert er mit lachendem Gehöhne
„Hast vier der Väter für ein einzig Kind.“
VIII.
- Die Dichter,
„Es ging die Sonne eben prangend auf,
Die Räume rings mit goldenem Licht begießend,
198
Da sah ich junge Herrn in schnellem Lauf
Die Höh" ersteigen, höflich sie begrüßend:
„Willkommen fey uns frohen Musensöhnen,
Aurora füß!“ – rief einer von den Gecken
und nahm ein Perspektiv, der Schönen
Verborgene Reiz" durch ein verfinsternd Glas
Zu schaun – „o Morgenroth –“ hier blieb er stecken
Und setzte sinnend sich aufs feuchte Gras.“
„Sprich Dogobert,“ sprach er zu den Kam'raden,
„Wie faff ich meiner großen Seele Schwung
In Form der Oden oder der Balladen,
In Jamben oder Hexameter sprung?“
Indeß, so sprach der Versler fad Gelichter,
Gewahrt" von Fern ich einen ächten Dichter,
Es war ein Bauernknabº in schlechter Tracht,
Der tief ergriffen von der hehren Pracht
Doch nimmermehr es wagt" zu preisen fie,
Indem er hinfinkt auf die ngkten Knie.“
„Sein braun Gesicht ergänzt von innerer Luft,
Sein Auge überschwimmt, die Lippe bebt,
Die Zung" ist stumm, doch voll die Brust,
Sein Arm gen jenes Luftmeer strebt,
- -
-
Er weiß nicht, was er tief empfind’t zu fagen, -
Er möchte wohl einen Ritt ins Blaue wagen
Auf einen Sonnenstrahl, er weiß es nicht,
199
-
-
Warum ihn freut der Sonne farbig Licht;
Er möchte fliegen, kann nicht und als Christ
Spricht er fein: „Vater unser, der du bist –“
IX.
WZeltlauf
„So fand ins Leben ich verwebt den falschen Schein,
Mit Tapferkeit sah ich sich Mörder brüsten
Und Narren aus der Häupter leeren Wüsten
Im Weisheitskleid den Unsinn uns verleihn,
Einfältige als Himmelskandidaten
Und kalte Versler, deren Geist mißrathen,
Die Wirklichkeit mit eitlem Tand verzieren,
Mit hochgeschmückter Rede kokettiren,
Doch ächte Tugend, Weisheit, Poesie,
Sie fucht? ich ohne Rast und fand sie nie.
X.
Der Sturm,
„----
Noch klagte Celadis, da kam zur Höhe
Auf mächtiger Schwing, mit wildem Sang geflogen
Der finstere Sturm, und jagt die Luft in Wogen
Und ächzet übers Thal ein drohend Weh.
200
Erst wiegt er sich, bald regt sich fein Gefieder
Und wie er dehnt im Flug die starren Glieder,
Erbebt der Berg; von seiner Brust den Wald,
Streut in die Luft des Riesen Althem bald,
Unmuthig schüttelt er die dunkle Mähne
Und hauchet Wolken durch die eigen Zähne,
Des Sturmes Braut entsteigt dem tiefen Grunde
Ein Hochgewitter aus des Berges Schlunde
Und Grausen ist ihr Fuß, ihr Haupt voll Pracht,
Ihr Haar mit Licht umkränzt, ihr Kleid die Nacht,
Und so den Felsenklüften sie enttaucht, -
Geheimer Flammen voll, von Dampf umraucht
Und strecket aus durch nebliches Gewand
Nach dem Ersehnten ihre Schreckenshand;
An ihrer heißen Brust will sich erwarmen
Der Sturm, und greift sie wit ehr'nen Armen,
Und wie er hinbraust durch der Lüfte Meer
Geleiten ihn im Tanz die Schnellgeburten
Von feiner Liebe, luftig und umgurten
Die Berge rings mit einem Schreckensheer,
Die Blitze schießen wild auf Thürme, Bäume,
Auf Tristen, Wäffer, Donner schreckt die Räume
Lauwinen tanzen hin in wildem Sprung,
Hinreißend Fels und Wald mit mächtigem Schwung,
Und während sie ihr lustig Fest begehen,
Sie alles Leben auf dem Weg" verwehen.
- -
201
Und Celadis ertrug die Schrecken alle,
Doch war ein Geist erschreckt, sein Leib erbebt
Und Schmerz berührt sein Haupt beim Wetterschalle,
Er war ringsum von Tod und Graun umschwebt.
Der Sturm spielt Ball mit seinem schwachen Leib, -
Die Blitze drohen ihn, gleich dürrem Reis, zu zünden –
Er zittert, ächzet, fürchtet, gleich dem Weib,
Und kann die Fassung nimmer wieder finden;
Halbtodt umschlingt den Fels er mit den Armen
Und schreit, indeß das Wetter brüllt, Erbarmen!
XI.
Die Erfcheinung.
Urplötzlich nun zerreißt mit starken Krallen
Der Sturm der Wolken dichtgeschloffene Falten
Und schleudert sie in flüchtigen Gestalten
Vier Winden hin, die sie nun überfallen
Auf sein Gebot; Lauwinen stürzen in den Staub
- Und ruhen kalt auf ihrem todten Raub;
Der Himmel wirft die dunkle Trauerhülle
Von sich und badet in der eigenen Klarheit –
Und in des Sonnenglanzes Strahlenfülle
Erscheint dem Celadis der Gott der Wahrheit.
Es war kein Gott mit einer Strahlenkrone
Mit bärtgem lichtumfloffenen Angesicht
Und seine Stimme klang in keinem Tone,
202 -
Gestalt von ihm sah irdische Sehkraft nicht.
Es nahm ihn wahr der Seele rein Empfinden
Und ihre Augen, welche nie erblinden,
Und was er sprach, nicht Red der Menschen war,
Doch faßte Celadis sie schnell und klar;
Und will man deuten geistige Gewahrung
Bedeutete wohl dieß die Offenbarung:
„Vermeffner Thor, nicht Hilf verdienest dm,
Dir ward, was du erstrebt, einsame Ruh,
Entfernet von Geschöpfen deines Gleichen,
Wo dir kein Menschenarm kann Beistand reichen;
Willst du mit Göttern auf den Höhen wohnen,
Muß die Natur der Götter in dir wohnen
und tadelst du die menschliche Natur,
Erwirbst du bittere Selbstverachtung nur –
Verlaffen jede Kreatur verschmachtet,
Die ihrem Element zu fliehen trachtet.“
„Nur Eitelkeit ist deiner Seele Leiden
Des Weisen Ruh ist nicht die Einsamkeit,
Er duldet froh, was er nicht kann vermeiden
Und fügt sich Allem mit Bescheidenheit,
Du tadelst deiner Brüder kleine Schwächen
Und leidet selbst an ihren Hauptgebrechen,
Nothwendig sind sie dir und dem Geschlecht
Nothwendig ist, was schlimm erscheint und recht;
Der Wahn selbst ist den Menschen ein Bedürfniß
Und wahnlos ist nur inneres Zerwürfniß.“
„Was klagest du den Menschen bitter an?
Es geht die Kraft die vorgeschriebene Bahn,
Abweichen kann sie nicht und was sie auch vollbringt,
Es ist im Weltgesetze fest bedingt.
Was tadelst du den Stein, von deinen Händen
Entschleudert, daß den Bogen'er beschreibt,
Er folget Kräften, die ihn weit entsenden
Und dem Gesetz, das niederwärts ihn treibt:
So auch der Mensch, er handelt nach Gesetzen,
Die keine Menschenweisheit kann verletzen.“
Ein jedes Ding, das sich in Raum einhüllet
Die eigene Bestimmung stets erfüllet,
Genuß erwerben soll die thier'sche Kraft
Und wecken muß sie stets die Leidenschaft,
Verstand ist euch geworden, fie zu leiten
Und wie auch Neigungen sich widerstreiten,
Es einet sie ein unsichtbares Band.
Wenn du dich stärker dünkelt an Verstand,
So magst, zum Heil dir, fremde Thorheit nützen,
Sie wird das Glück, und dich dein Geist beschützen,
„Nicht regeln nach moralischen Systemen
Läßt sich des Menschen Thun, und nicht bezähmen
Die Leidenschaft – was man so stolz bezweckt –
Und jede Lehr- ist todt, die sie nicht weckt;
Bekämpft als Bös", was auf euch Unheil ladet,
Doch fluchet nicht dem Bösen, weil es schadet,
204
Die Tugend ist die Leidenschaft der Liebe
Und Laster sind des Haffes finstre Triebe.
Vermeßt euch nicht der beiden Streit zu schlichten,
Denn Gott nur kann ihn lenken, enden, richten.“
„Drum weil nichts gut und bös' ist absolut,
So thuet immer, was euch scheinet gut,
Nach unten sieht, nicht größer auf dem Berg
Bist du, von eitlem Trotz befangener Zwerg,
Glückseligkeit erforsch in engen Schranken,
Denn nimmer reichen deine Zwerggedanken
Weit jenseits deiner Sphäre und stets im Kreis
Dein Forschen geht mit unverwändtem Blick
Nach eines Zirkels unfehlbarer Weis“,
Von einem Punkte aus auf ihn zurück.“
Ist Haß dir noth – so haffe deine Feinde,
Doch nimmermehr dein eigenes Geschlecht,
Die Lieb" gebährt das Glück der Erddemeinde
Und wer sie haßt, der haßt sein Glück und Recht.
Das Fischlein in des klaren Baches Grund
Erfreut das Licht, das durch die Wäffer dringt,
Doch flieht es eitel aus der Wellen Bund
Der Sonne Gluth, den Lebensgeist verschlingt;
Drum laß das unerreichbar Ferne glimmen,
Und haffe nicht die mit im Bächlein schwimmen.“
Des Vaters Leiche.
Ich weiß nicht, wie alt ich gewesen bin in der
Zeit, als sich in unserer Familie eine geheimniß-
volle Szene ereignete. Nur so viel ist mir erinnerlich
– und ich mag mich nicht auf mehr befinnen –
daß ich fchon ein ziemlich erwachsener Knabe war und
eine Husarenkleidung trug. Bisher hatte ich einen
kalten lustigen Mann, der fehr viele Späße machte,
feine Bediente gewöhnlich fähimpfte, wenn er übler
Laune war, einen Mann, mit dem meine Mutter in
ziemlich gutem Einvernehmen stand, obgleich sie nicht
wie andere Weiber mit ihm in einem Gemach schlief,
Vater nennen müffen. Er war mir jedoch nicht fo
lieb wie meine Mutter, oder vielmehr ich liebte ihn
gar nicht, denn Mama klagte gar oft bitterlich über
feine Lieblosigkeit und ermunterte mich nie zu kindl-
cher Zärtlichkeit gegen ihn. Er fähien auch Niemand
zu lieben, sprach übel von allen Leuten, haderte stets
mit feinen Verwandten und sprach von der Freund-
fchaft wie von einem argen Vorurtheil. Was mich
am meisten wunderte, war, daß sich feine väter-
liche Gewalt nicht über mich erstreckte, meine Mutter
allein strafte und belohnte mich, je nachdem ich Lohn
oder Strafe verdiente. Meine Brüder, die von ih-
rem Vater oft arg mißhandelt wurden, haßten mich
deshalb und machten mich zum Stichblatt ihres Muth-
206
willens. Sie verscherzten dadurch jedoch einen guten
Theil der mütterlichen Liebe und ich blieb stets ihr
Liebling. -
Eines Tags kam ein Soldat ins Haus und
brachte einen Brief an meine Mutter. Für die kin-
dische Neugierde ist die Ankunft eines Briefs, beson-
ders aus weiter Ferne, ein freudiges Ereigniß. Nach-
dem ich mich daher an der Uniform. des bärtigen Un-
teroffiziers fatt gesehen, und mit feinem Säbel gespielt
hatte, lief ich jauchzend zu meiner Mutter und über-
gab ihr das Schreiben. Sie erbrach hastig des Siegel
und erbleichte. Ich zitterte vor Neugierde, aber ich
wagte es nicht, meine Mutter zu fragen, was in dem
Briefe geschrieben stehe. Als fiel bis zu Ende gelesen,
hatte, bekam sie eine Uebelkeit, und ich mußte ihr das
kristallene Flakon mit dem beliebten Eau de Cologne
bringen, womit ich mich felbst so gern besprengte.
Dann riß sie ihre Kleider auf, um sich Luft zu machen,
athmete tief auf und fagte: „Herr! Dein Wille ge-
fchehe!“ Hierauf warf sie einen andächtigen Blick
auf das Bild des Erlösers und befahl mir, sie allein
zu laffen. Ich gestehe, daß ich gerne hätte wissen
mögen, was in dem Briefe stand, aber ich gehorchte,
um dicht an der Thüre stehen zu bleiben und zu lau-
fchen. Hier hörte ich, wie meine Mutter leise schluchzte,
und betete; das überwand meine Neugierde und ich
ich mußte weinen, ohne zu wissen warum. Es währte
207
nicht lange, da kam sie heraus, blaß, doch ruhig, mit
verweinten, noch schwimmenden Augen, küßte mich
und rief den Boten ins Vorzimmer, wo sie ihm ein
Glas Wein geben ließ und mancherlei mit ihm sprach,
was ich vergeffen habe, da ich keinen Zusammenhang
in feinen Reden finden konnte. Endlich entfernte er
fich und meine Mntter ließ Postpferde bestellen. Ich
fragte, ob ich mit ihr fahren dürfte; fie besann sich
eine Weile und sagte dann mit heftig bewegter Stim-
me ja. Ich mußte mich anders kleiden und ein schwar-
zes Kleid anziehen, nebst weißer Wäsche! -
„Du wirst Deinen Vater fehen“ sagte die Mut-
ter und weinte.
„Liebe Mama,“ sagte ich „den fehe ich ja alle
Tage.“ -
„Nicht den, meine ich,“ erwiederte fie, „sondern
deinen wahren Vater!“
Hierauf ging fie, um fich anzukleiden, und ich
begriff nun, daß der kalte lustige Mann nicht mein
Vater fey. Auch hatte ich schon recht hübsche Geschich-
ten von geraubten Prinzen gelesen, welche mich über-
zeugten, ich müffe fürstlicher Abkunft seyn. Bei all
der Trauer, in die ich meine Mutter versetzt fah,
konnte ich doch nicht umhin, den Reiz des Wunder-
baren nachzugeben und mich an dem Gedanken zu la-
ben, der mir so Mzlich ein behagliches Gefühl mei-
208
ner Würde verursachte. Ich freute mich daher fehr ?
darauf, meinen königlichen Vater kennen zu lernen,
und putzte mich so gut ich konnte.
Etwas überrascht wurde ich jedoch, als meine
Mutter endlich erschien in einem schwarzen Trauer- -
kleide, bis an's Kinn in dunklen Flor gehüllt, aus
welchem das bleiche mütterliche Antlitz recht gespenstig
herausah. Als sie mir vollends ein Florband um
den Arm band und mir schwarze Handschuhe anzog,
da verschwand der Stolz des geheimen Prinzen und
es wurde mir recht wehmüthig um's Herz. Wir fie-
gen nun zu meinem Trost in eine Postkutsche, und
der lustige Pseudopapa fah uns fortfahren und sagte
kein Wort. Der Ausdruck feines Gesichts schien mir
weniger boshaft als sonst, ein edles Gefühl schien
feinen Humor überwältigt zu haben. Die frische freie
Luft that mir recht wohl und färbte die Wangen mei-
ner Mutter mit blaffem Roth. Der Postillon wollte
ein lustiges Stücklein blafen, aber meine Mutter ver-
bat sich das. Sie sprach nichts und trocknete sich
von Zeit zu Zeit die Thränen ab. Einmal doch
fragte sie mich, nachdem sie mich lange finnend be-
trachtet hatte, ob ich furchtsam fey? Ich antwortete
etwas beleidigt nein, aber ich muß gestehen, daß ich
mich etwas fürchtete, als sie mich so feltsam fragte.
Nach einer langen Fahrt auf einer mir unbe-
kannten Straße fing meine Mutter plötzlich laut und
209
heftig zu weinen an. Ich klammerte mich ängstlich
an sie und fah forschend umher, die Veranlaffung
dieses plötzlichen Ausbruchs ihrer Schmerzen zu ent-
decken. Da gewahrte ich vor mir ein ungeheures
Gebäude mit fchwarzen Wänden, ganz aus Quader-
steinen gebaut, mit vielen kleinen Thürmchen und
einem großen vergitterten Thor, zu welchem eine
Zugbrücke führte. Es war umringt von einem tiefen
Graben, und an den Thoren fanden zwei Soldaten
mit langen Musketen und Bajonetten. Der Postillon
stieß in’s Horn, die Zugbrücke raffelte herab und der
Wagen polterte hinüber, an den Wachen vorbei un-
ter das finstere Thor, defen hohe in Spitzbogen
zusammenstoßende Wände von Feuchtigkeit trofen.
Durch dieses lange finstere Gewölbe, in welchem un-
fer Wagen nur ein dumpfes Geräusch verursachte,
fuhren wir in einen gepflasterten Hof unter lautem
Geraffel der Räder. Noch hielten wir nicht an, als
eine helle klagende Glocke in einzelnen Schlägen zu
tönen begann. Nach einigen Sekunden ließ sich
eine zweite Glocke in tieferen Tönen vernehmen, dann
eine dritte und endlich ein vollständiges Geläute, das
durch die dumpfen langsamen Schläge der größten
und tiefgestimmten Glocke etwas feierliches erhielt.
So mögen sich die Klagetöne einer unglücklichen Fa-
milie, vom Diskant des weinenden Kindes bis zum
tiefen heiseren Baß des Greifen vermischen, zu einem
14
210
wilden, Gott anklagenden Konzert, wie jene Glocken-
töne, die noch jetzt nach zwanzig Jahren alle Nerven
erschütternd in meinen Ohren klingen.
Während dieses Geläutes, defen Tonverwirrung
durch das Weinen meiner Mutter, das Geraffel des
Wagens, das Schnauben der Pferde, die gedehnten
Töne eines fernen Kirchengesanges und die einer
Orgel vermehrt wurde, hielt der Wagen an; einige
Soldaten eilten herbei, um uns zu bedienen, unter
ihnen ein alter ergrauter Offizier, der mit ernster
Miene meine Mutter und mich aus dem Wagen hob
und fortführte. Während er mit meiner Mutter fran-
zösisch sprach, besah ich mir das Gebäude von innen.
Es war von allen Seiten verschloffen, ich gewahrte
nirgends einen offenen Ausgang. Die vielen Fenster
waren ungewöhnlich klein, stark vergittert, in den
unteren Stockwerken auch mit Bretterverschlägen ver-
fehen, deren Bestimmung ich nicht begreifen konnte.
Hier und da sah ich an den Fenstern bleiche Männer
in Hemden oder grauen Wämfern stehen und unsere
Equipage mit finsterer Neugierde betrachten. Alles
belehrte mich, daß ich mich in einem großen Gefäng-
niß befände, eine Ueberzeugung, die mir nicht wenig
Bangigkeit verursachte. Ich überdachte schnell alle
meine Handlungen, um zu erfahren, ob ich etwa durch
eine derselben Einsperrung in diesen Mauern verdient
hätte, beruhigte mich aber fogleich, als ich mich bis
211
auf ein Geringes schuldlos fand, denn Kinder haben
ein lebhaftes Rechtsgefühl und können sich nicht vor-
stellen, daß man Unrecht leiden könne.
„Beliebt es Ihnen nicht, erst fich zu fammeln und
auszuruhen, gnädige Frau?“ fragte der alte Offizier,
als wir an der Thüre eines kleinen Gebäudes anka-
men, das mitten im Hofe stand und fein eigenes
Thürmchen hatte.
„Nein, Herr General,“ erwiederte meine Mutter,
„keine Schonung – ich will sogleich meine Pflicht
thun.“ -
„So erlauben Sie doch, daß ich Ihren Kleinen
indeffen zu meinen Kindern fende – fein zartes
Alter – “
Als der General fo sprach, hörte die Mama zu
weinen auf, und fragte mich mit einigem Stolz in
einem Ton, als ob sie der Antwort gewiß wäre:
„Lindor, fürchtest du dich vor Todten?“ „Nein,
Mama,“ antwortete ich muthig, denn ich hatte ja noch
keine Todten gesehen, wußte nicht, wie abschreckend
ein Mensch aussieht, wenn ihm die Seele entflohen.
Ich hatte keine Zeit, über diese abermals feltsame
Frage nachzudenken, denn im nächsten Augenblicke
traten wir in die Kapelle ein. In der Sakristei em-
pfing uns mit schweigsamem Gruße ein Priester im
Chorhemd, mit der Stola angethan, ein Brevier in
der Hand. Einige alte Invaliden und Weiber fan-
14 *
212
den da mit Rosenkränzen und plapperten leise Gebete
herab, während ihre Augen die vornehme Dame mu-
ferten. Die Orgel im Innern verstummte, und es
wurde so still mit einem Male, daß man die Pater-
noterperlen der Rosenkränze fallen hörte. Meine
Mutter sah ich nie so bewegt, sie fandte fragende
Blicke umher, und ihr Bufen wogte heftig auf und
nieder. Der Geistliche winkte mit der Hand nach einer
Thüre, welche halb offen stand und ins Innere der
Kapelle führte. Mama riß sie rasch auf, blieb plötz-
lich stehen, stieß einen Schrei aus und stürzte hinaus.
Ich folgte zögernd, und duldete es, daß der alte Ge-
neral mich bei der Hand ergriff. Der alte Ehrenmann
folgte meiner Mutter mit den Augen, und eine Thräne
fahl sich schnell aus denselben und verbarg sich in
"dem zuckenden Schnurbart. Eine geräumige lichte
Halle mit glattem Marmorboden, vergoldeten Engeln
auf hohen Piedestalen, zahlreichen Heiligenbildern und
einem einfachen, fast ärmlichen Altare, nahm uns auf
In der Mitte derselben stand eine Bahre, worauf im
Sarg, unter feinen Linnen, eine Leiche lag. Man fah
unter dem feinen Gewebe, das sie bedeckte, ein stark
vortretendes Gesichts-Profil, die starren gefalteten
Hände und Zehspitzen hervorragen. Am Haupte des
Todten fand regungslos eine Schildwache mit blan-
kem Säbel, und dicht an der Bahre lag meine Mut-
ter auf den Knien. Ihre Schultern zuckten, und auf
- - - - - -
213
den spiegelglatten Marmortafeln fah man ihre Thrä-
nen reichlich hinträufeln. Dabei war es so still, daß
man nur ihr Schluchzen vernahm. Wir standen eine
Weile regungslos, und ich hielt den Athem, bis meine
Mutter sich erhob und mich, den Zögernden, näher
zum Sarg führte. Als ich mit pochendem Herzen
ganz dicht an dem Bretterbette stand, zog sie leise
und vorsichtig den Schleier von des Todten Gesicht
und fagte zu mir flüsternd:
„Sieh dir ihn genau an – es ist dein Va-
ter!“ – Vater, Vater, – das Wort betonte sie so
feltfam, – mich überlief ein eisiger Schauer – das
mein Vater – eine Leiche? – ich konnte es nicht
faffen. Wohl betrachtete ich ihn genau, diese halb of-
fenen Augen, die spitzige Nase, den halb geöffneten
Mund, die grauen Lippen, das emporragende Kinn
und die gräßlich hohlen Wangen, diese eingefallenen
Züge, die etwas vom Lachen an sich hatten, vom La-
chen, wie es der Verzweiflung, dem Hungertod, eigen
feyn mag. Nichts entging meinen forschenden Blicken,
von dem spärlichen Haupthaare an bis zu den blauen
Nägeln an den Händen und Füßen, kein Fältchen
im Gesicht, kein Haar vom Barte, keine Linie von
den Zügen. Ich fuchte die Aehnlichkeit zwischen mir
und dem Todten aufzufinden, und fand sie leicht in
der stark gebogenen Nase, der eingezogenen Unterlippe,
dem spitzigen Kinn. Und dennoch schien es mir un-
214
glaublich, und ich fagte mir es unanfhörlich vor: dein
Vater, dein Vater, dein Vater! Meine Mutter warf
sich auf den Leichnam und bedeckte den kalten offenen
Mund mit ihren Küffen, die Leute kamen herein und
weinten, der Priester kam, fegnete ein, und feine
Stimme stockte vor Rührung im Sprechen, der
alte General stand von fern und hielt sein Taschen-
tuch in der Hand, die Schildwache selbst wandte sich
hinweg, um seine Augen mit dem Aermel zu wi-
fchen – nur ich der Sohn des Verstorbenen, fein
Fleisch und Blut, nur ich stand da mit trockenen Au-
gen und konnte alles das bemerken! Ich schämte
mich, daß ich nicht weinte, ich wußte nicht, ob meine
Gefühle der traurigen Szene angemeffen waren, und
machte mir Vorwürfe, daß meine Gedanken nicht aus-
fchließend auf einen Punkt gerichtet waren, wie die
der Anwesenden. Mir entgieng keine ihrer Bewe-
gungen, aber immer wieder kehrten meine Blicke zur
Leiche zurück, und prägten ihr Bild tief in meine
Seele ein. -
Endlich war bie Ceremonie beendigt und es trat
ein Mann in schwarzem Kleid herzu und er breitete
mit Hülfe eines Gefährten die Laken über den Tod-
ten. Da geschah es durch die Ungeschicklichkeit des
Letztern, daß sich das Haupt der Leiche regte.
„Was ist das,“ fragte der Gehilfe erbleichend,
als sich das Gesicht der Todten ihm plötzlich zuwendete.
/
215
„Nichts,“ flüsterte der Andere, „der Doktor hat
ihm den Kopf abgeschnitten – zugegriffen – den
Deckel zu!“ -
Und so geschah es. Während ich noch einen letz-
ten Blick des Entsetzens auf das abgeschnittene
Haupt warf, hoben die Todtengräber den Deckel em-
por und verschloßen den Sarg. Mit einigen Ham-
merschlägen war er fest, ein darüber gebreitetes Tuch
verdeckte ihn. Nachdem man ein Kruzifix darauf fest
- genagelt, traten acht Männer hervor und hoben den
Sarg in die Höhe. Langsam setzten sie sich in Be-
wegung, da fingen die vier Glocken wieder an ZU
heulen und die Leidtragenden beteten laut und ge-
dankenlos ihre Litaneien; unterstützt von dem Gene-
ral wankte meine Mutter dem Sarge nach, ich selbst
wich nicht von ihrer Seite und beobachtete. Alles, was
um mich her vorgieng. Wenig Personen folgten dem
Leichenzug, denn in diesem Hause gab es kein müffi-
ges Volk zur Vermehrung des Schaugepränges. Es
gieng durch zwei Thore hinaus ins Freie – keine
Zuschauer begegneten uns auf dem Felde – ein
Schwarm Krähen floh vor uns auf, und ein aufge-
schreckter Haase flog queer Feldein. Der Weg, den
den wir betraten, war eng und holperich, aber kurz.
Bald langten wir auf einem kleinen Gottesacker an,
wo kaum fünfzig Kreuze standen; am offenen Grabe
wurde der Sarg niedergelaffen und nachdem der Prie-
216
fer noch eine kurze Rede gehalten, fenkte man ihn
hinab in die Grube. Man wies mich an, eine Hand
voll (Erde “ – ich gehorchte und fährack
zusammen, als ich die Steine auf die Bretter kollern
hörte. Meine Mutter weinte viel und mußte zurück
fast getragen werden, Aller Augen waren roth, nur
die meinigen nicht. Ich hatte von Anfang bis zu
Ende des Begräbnisses nicht eine Thräne vergoffen,
nicht einen Seufzer ausgestoßen, aber alle, selbst die
kleinsten Umstände bei diesem Schauspiel, blieben mir
unvergeßlich; ich höre das Weinen meiner Mutter, die
Stimme des Priesters, die Gebete der Leidtragenden,
fo oft ich daran denke, und ich kann feitdem keine
Glocke hören, ohne mich in den tiefsten Schooß der
Erde zu wünschen, um ihren schrecklich mahnenden
Töne zu entfliehen.
Des Jünglings Liebe.
Cousine Isabelle war eine reizende Brünette mit
edlen Zügen, glühenden Augen, vollendeten Formen.
Der Reiz ihres Wesens zog mich an, ich fehnte mich
unaufhörlich nach ihr, und wenn ich sie fah, getraute
ich mir nicht mit ihr zu sprechen, und zog mich wohl
gar in einen Winkel zurück, von wo ich sie ungestört
betrachten konnte. Ich war ungefähr fechzehn Jahre
alt, und glaubte folglich, es fey für mich fähicklich, eine
217
Geliebte zu suchen für die Sehnsucht meines Herzens.
Ich fah viele Frauenzimmer und mehrere interessierten
mich fo lebhaft, daß ich jedesmal, so oft ich die eine
oder die andere fah, mich ernstlich fragte, ob sie wohl
die Auserwählte meines Herzens fey? Isabellen
fah ich fehr oft, daher mochte es kommen, daß ich
bald völlig überzeugt wurde, meine Liebe zu ihr fey
so heiß wie vulkanisches Feuer, denn ich gefiel mir
damals in graffen Hyperbeln. Zwar kann ich nicht
sagen, daß durch meine „Leidenschaft“ mein Appetit
geschwächt oder mein Schlaf gestört worden fey, oder
daß ich darüber meine Lieblingsspiele, das Billiard,
die Reitbahn und Schwimmschule ganz und gar ver-
geffen hätte, wohl aber dachte ich gar oft an sie und
wenn sie am Flügel phantasierte, stand ich oft still in
einer Ecke und weinte. Die Eigenthümlichkeit meiner
Gemüthsart, stilles finniges Hinbrüten, machte mich
nicht geschickt zum Umgang mit dem Frauenzimmer,
und dennoch fuchte ich stets Ifabellen. Sie wurde
durch meine Anhänglichkeit fichtbar gelangweilt, fie
gähnte häufig, wenn sie mit mir allein war, und ich
zweifelte, aber verzweifelte nicht, daß sie meine Liebe
erwiedern werde. Da ich bereits durch die weisen Ro-
manenschriftsteller belehret war, daß die Schönheit je-
dem Helden in der Liebe unentbehrlich fey, daß auf
ihr der Eindruck beruhe, über dem auch selbst dem
unschönen Frauenzimmer nicht hold gesinnt war, fo
218
fähien mir eine bleiche Gesichtsfarbe als das Haupthin-
derniß meiner amorosen Progreffen.
Isabelle war von vielen jungen Herren umschwärmt.
Die Zudringlichkeit dieser Herren war mir ein großes
Aergerniß, denn ich glaubte, als Vetter Isabellens, vor-
zugsweise das Recht zu besitzen, länger als sonst fähick-
lich wäre, im Hause zu verweilen. Da sich jedoch diese
Herren mit fehr gewöhnlichen Dingen beschäftigten,
von alltäglichen Sachen schwatzten, Guitarre spielten,
ganz unbefangen tanzten, fangen, lachten, fo schien
mir ihr Thun bloß gesellig. „Diese Windbeutel,“
fagte ich zu mir selbst, „find dir nicht gefährlich.“
Einer von ihnen, Herr von Monte, beehrte mich mit
feinem Wohlwollen. Wenn Isabelle nicht zugegen
war, sprach er nur mit mir, lobte meine schlechten
Verfe, meine fhönen Talente, mein warmes ganz zur
Freundschaft geschaffenes Gemüth und vor allen Din-
gen meine fill bescheidene Zurückgezogenheit. Er
fähien an mir fo recht feinen Mann gefunden zu ha-
ben. Zuweilen gieng er mit mir spazieren und be-
wunderte mit mir den blauen Himmel und die grünen
Berge. Mein Gemüth thaute auf in solchem Momente
und ich klagte ihm mit Thränen meinen Liebesjam-
mer. Schöne Seelen finden sich – er erwiederte mein
Vertrauen durch ein ähnliches Geständniß, welches
Ifabellens Schwester, die auf dem Lande lebte, betraf
Er erklärte mir, wie feine Aufmerksamkeit für Isabel-
219
len nur ihrer Schwester gelte, und wie er durch ihre
Verwendung mit dem Gegenstand feiner Sehnsucht
in Verbindung zu kommen hoffe. Da er nur selten
Gelegenheit fand, Isabellen zu sprechen und folglich
die beabsichtigte Verbindung sehr schwierig war, so
rührte mich das unaussprechlich. Ich erbot mich zum
Liebesboten, zur Beförderung feiner Briefe an Ifa-
belle, welche versprochen hatte, fiel ihrer Schwester zu-
zustellen. Herr von Monte fiel mir um den Hals,
versprach mir ewige Freundschaft und ich mußte ihn
Du nennen, obwohl er um vier Jahre älter war als
ich. Der gute Mensch hatte auch Isabellens Mitleid
erregt, fiel dankte mir fehr für meine Vermittlung.
Im Grunde war ich felbst etwas eigennützig bei die-
fem Liebesdienst, denn so oft Monte schrieb – und
das geschah fehr oft – hatte ich das Vergnügen, mit
Ifabellen eine geraume Zeit allein zu plaudern.
So blieb es gegen fechs Monate und ich machte
unglaubliche Fortschritte in der Gunst meiner Ange-
beteten. Täglich zeigten sich die Symptome ihrer Gegen-
liebe deutlicher, sie sprang freudig auf, wenn sie
mich kommen sah und eilte mir entgegen. Wenn ich
ging, drückte sie mir warm die Hand, und ich wagte
es einige Male fie zu küssen, worauf ich regelmäßig
ein kleines Wonnefieber bekam. Isabelle war font
fehr fröhlich, nun ward fiel schweigsam und schwer-
müthig Minutenlang sah sie mir ins Gesicht und
220
Wehmuth blickte aus ihren Augen, wenn sie mich so
wohlgefällig betrachtete. Das brachte mich vollends
aus der Faffung; ich versäumte meine Reit- und
Schwimmstunden, und beschäftigte mich nur mit der
Korrespondenz meines Freundes, welche mir fo viele
füße Stunden verschaffte. Indeffen nahm die Schwer-
muth meiner Geliebten zu, ihre Wangen bleichten,
ihre Augen wurden hohl. Ich wurde ernstlich be-
forgt, und ich erinnere mich, Nächte gehabt zu haben,
ohne Schlaf und voll Kummers.
Eines Morgens, ich fäß eben in meinem Studier-
zimmer und arbeitete an der Uebersetzung einiger Son-
netten Petrarcas für meine Laura, pochte Jemand
ganz leise an meine Thür. Ich rufe herein, die Thüre
öffnete sich und zitternd tritt Isabella in das Gemach.
Sie war fehr blaß, ihre Augen roth, ihr Anzug in
Unordnung. Ich bewillkommte sie mit einem Aus-
ruf des Staunens; sie bittet um Stillschweigen und
verriegelt die Thüre. Erschöpft wirft sie sich in einen
Stuhl, und ein Strom von Thränen bevorwortet
ihre Eröffnung. Meine Augen werden naß, ich be-
fchwöre fie, mir zu fagen, was das zu bedeuten habe.
„Ach lieber Cousin“ spricht sie endlich fehluchzend,
haben Sie Mitleid mit einer Unglücklichen, mit einer
Verworfenen. Sie sind so jung, schon edel und groß-
müthig, ihrem Herzen allein wage ich es, mich zu ver-
trauen. Retten Sie mich vor Schande, ich würde
" Entehrung nicht überleben!“ -
221
„Aber um Gotteswillen Isabella, was ist vorge-
fallen?“
Nach einer langen Pause fährt sie fort:
„Hören Sie mich, aber verdammen Sie mich
nicht. Ich habe gefehlt, ich bin unglücklich – o Gott
ich bringe es nicht übers Herz, es auszusprechen –
Monte – “
„Sprechen Sie was ist’s mit Monte – hat er
fich mit ihrer Schwester entzweit, hat der Pappa etwas
erfahren oder –?“
„Nein, nein, Monte war nicht meiner Schwester,
sondern mein Geliebter, er hat mich zum unglücklich-
ften Geschöpf gemacht – ich bin – fchwanger.“
Schwanger! Ich kann nicht sagen, wie mir zu
Muthe war, als ich dieses Wort aus ihrem Munde
vernahm: Schwanger! Sie konnte nicht einmal fagen
gefegnet, denn ihr Zustand war nicht gesegnet.
Ich konnte ihr nicht zürnen, aber der Reiz, der sonst
auf ihrem Wesen lag, war plötzlich verschwunden, fie
fähien mir nicht mehr schön, ich bemerkte, daß ihre
Haut braun, ihre Hand dürr war. Diese verunrei-
nigte Person hatte ich angebetet, ich hatte es kaum
gewagt, ihre Fingerspitzen mit meinen Lippen zu be-
rühren, während sie von der gemeinen Liebe eines
Betrügers besudelt, während sie von ihm fchwanger
war. Diese Enttäuschung war grausam, aber fie
machte mich nicht unglücklich. Die Liebe wird am
besten auf solche Weise geheilt.
\
222
Lange konnte ich kein Wort erwidern, fah fie
stumm an und musterte ihre Gestalt. Was sollte ich
auch dazu sagen, wenn nicht, was geht das mich an?
Sie kam dieser Frage zuvor und erzählte mir unter
Thränen, wie fie ihren Zustand nicht länger verber-
gen könne, wie sie für das Leben ihres Kindes be-
forgt fey, und wie Monte ihre Briefe, worin sie ihre
Noth klagte, unbeantwortet gelaffen habe. Sie for-
derte von mir Hülfe zur Flucht, ich sollte Monte ihr
zurückführen. Ich machte ihr keinen Vorwurf, denn
ich hatte kein Recht auf ihre Liebe, fie wußte ja viel-
leicht nicht einmal, daß ich sie liebte. Ich versprach
ihr Alles, was Sie verlangte; fie ging und drückte
meine Hand an ihr Herz im Uebermaß des Dankge-
fühls. Noch vor einigen Stunden hätte mich es glück-
lich gemacht, jetzt fühlte ich nichts dabei als Mitleid,
das bekanntlich mit Verachtung verwandt ist.
Ich hielt mein Versprechen, ich machte Monte
wenig Vorwürfe; es handelte sich um Geld, ich ver-
schaffte ihm welches. Das that ich mit Freuden, und
ich fühlte mich glücklich, meiner Cousine helfen zu kön-
nen, aber als es des andern Tags ruchbar wurde,
Isabella fey mit Monte entflohen, als meine Freunde,
welche von meiner Liebe wußten, mir die Sache lachend
erzählten, da schloß ich mich in mein Zimmer ein
und weinte bitterlich.“
---
223
Halb heiter, halb verdrießlich verließ ich mit die-
fem närrischen Fund das kleine Tollhaus, um in das
große der Welt zurückzukehren. Einen unglücklichen
gemüthskranken Freund, den ich hier gesucht hatte,
konnte ich weder in dieser, noch in einer andern Ir-
ren-Anstalt auffinden; – denn der Arme war bereits
von aller Narrheit genesen und – gestorben.
Ich konnte es mir unmöglich versagen, meine
ehemalige Wohnung zu besuchen. Meine Hausfrau
hielt meine Stube wie ein Heiligthum – noch stand
Alles in derselben Ordnung, wie ich es verließ. In
dem wohlverschloffenen Bücherschrank, verhüllt von
einem grünseidenen Vorhang, fanden meine heiligen
Bücher, die Mancher die Bibliothek eines Demago-
gen genannt haben würde: die Encyclopädie, d'Alembert,
Rouffau, Voltaire, Thomas Paine, Loke, Spinoza,
Bahrdt, Marmontelic, und meine Lieblinge Sterne und
Hogarth, der melancholische Young, der empfindungs-
reiche Byron, Moore, die Maler Scott, Cooper u. A.
- Viele englische Namen prangten auf goldenen Bücher-
titeln, weniger Franzosen, noch weniger Deutsche. Ich
that einen tiefen Blick in das Buch meines Herzens.
An den Wänden hingen treffliche Kopien von Salvator
224 -
Rosa. Warum so wenig Deutsches in der Stube?
Außer Goethes Faust, Blumauers Werken und Lichten-
bergs Kommentar zu Hogarth findet sich hier nichts
Deutsches, als die Gypsbüsten von Goethe, Schiller,
Wieland, Klopstock c., ein deutscher Kachelofen und
eine schlechte Muskete. An einer Seitenwand hän-
gen türkische Pistolen, Damascener Klingen, ein un-
gerischer Czackan mit stählerner Axt, ein runder Sen-
nenhut und eine Jagdtasche. Unter diesen Gegen-
fänden ein Gläserkasten mit Fossilien, Bergwerkstufen,
eine Gemshorntabakspfeife. Daneben lehnt ein Reise-
stock mit eingeschnittenen Bergnamen aus den nori-
fchen Alpen und Karpathen. -
Alles paßt herrlich zusammen, bis auf die deut-
fchen Dichterköpfe. Da stehen sie in einer Reihe auf-
gestellt, wie hölzerne Grenadiere, mit ihren bekränz-
ten Schädeln. Auf die welken Lorbeerkränze thun
fie fich viel zu Gute, sie sind ihnen mehr, als Krone
und Diadem. O über eure weibische, kindische Eitel-
keit! So ein Bild in Wolken, ein Kranz auf der
Stirne, eine Lyra auf der Brust, so apotheosiert zu
werden von einem verrückten Kupferstecher, das ist
das höchste Ziel eurer Wünsche, darum fingt ihr euch
die Kehlen heiser und die Köpfe wüst, dafür fabricirt
ihr alle Gattungen Verfe, dafür besingt ihr manchen
hochgebornen Schafskopf, dafür – – herunter mit
euch Wichten. Da liegen die Scherben. Die Köpfe
225
waren hohl. Fast gebe ich dem Narren recht. Ihr
waret alle Verbrecher. Ihr habt alle geschmeichelt,
gelogen, große Herren besungen und Heldengedichte
gemacht. Kein Mensch verdient besungen, vergöttert
zu werden. Wäre ich ein Held oder Kaiser, ich würde
solche Gedichte mit Stockstreichen belohnen laffen. Ich
begreife nicht, wie es so viele wahrhaft achtungswerthe
Männer geben konnte, die Schmeichelei ertragen, ja
sogar Wohlgefallen daran finden mochten. Ein jedes
Schmeichelwort verletzt mich, macht mich bitter und
treibt mir die Galle ins Gehirn. Es gibt nur eine
Schmeichelei, die ich dulde, die schmeichelnde Liebkosung
der Liebe. Auch der freimüthige deutsche Hutten
konnte schmeicheln! Ich verzeihe es ihm, denn er war
ein Mensch, schwach wie ich, vom Augenblick beherrscht,
wie ich und Jeder. Ich achte ihn darum nicht
minder, aber wäre ich der Erzbischof Albert von Mainz
gewesen, auf den er ein Lobgedicht fähmiedete, ich hätte
es ihm nie verziehen. -
Fast gebe ich dem Narren Recht. Es gibt
nichts Lächerlicheres in der Gesellschaft, als einen
Poeten von Profession, der nichts als Verfe macht,
und - das Ausschreien feiner kleinen Empfindungen
beim Anblick einer schönen Gegend, oder auch einer
schönen That in der Geschichte, oder wenn des Lan-
desfürsten Ehegemahlin entbunden wird und der hohe
Namenstag im Kalender steht, für feinen, ja über-
- 415
226 -
haupt für den größten und schönsten Beruf hält. Mit
Unrecht beklagen sich diese Leute, daß man sie Hun-
gers sterben läßt, denn wer der Welt nicht thatkräftig
nützt, verdient nicht ihre Genüffe. Ich kann nicht,
ohne mich zu ärgern, an die Menge Poeten in Nord-
deutschland denken, welche für ein Honorar von 10 Tha-
ler pr. Bogen ihre bezahlten Gefühle zu Papier brin-
gen. Ich möchte kein solcher Handwerksdichter feyn.
Es gibt kein ärgerlicheres Geschäft, als das Schreiben.
Wie viel der Worte braucht es, um einen einzigen
Gedanken auszudrücken, wie unendlich mehr, ihn ver-
fändlich zu machen dem trägen Leser, der Alles ge-
kaut genießen will, wie viel Zeit, das Wort zu schrei-
ben, leserlich zu schreiben, Und wie viel Gedanken
gehen vorüber über diese wichtige Beschäftigung mit
dem Zeichnen. Man bleibt ewig unter fich selbst wegen
dieser Erbärmlichkeit, und verliert am Ende, im Gefühle
feiner Ohnmacht und der unendlichen Langenweile, die
das Zeichnen des todten Buchstaben, die Construktion
der Rede macht, alle Lust und allen Muth zu sprechen
und zu schreiben. Dieses ewige Wiederkäuen, Zurück-
rufen, Festhalten der flüchtigen Gedanken in einer
zUr Verzweiflung führenden Fülle, Farbenpracht und
Mannigfaltigkeit, kostet wahrhaft übermenschliche Ge- -
duld. Wozu braucht man auch fo viele Gedanken,
der Mensch hat so viel störende, hemmende, drückende
thierische Natur – warum ist er nicht ganz Vieh, er
227
- -
wäre glücklicher. D'rum mahne ich euch, ihr Brüder,
im heiligen Geiste, thut so wenig als möglich – beffer
gar nichts; denkt nicht und dichtet nicht, und ihr sollt
Wunder erleben von Glückseligkeit. Der Körper bleibt
doch immer euer Tyrann, wozu ihn erzürmen in eu-
rer Ohnmacht. Es ist schön, rührend schön, eine schöne
Empfindung, ein schöner Gedanke, aber nichts gleicht
der Luft des Labetrunks eines Dürstenden, nichts der
Wonne des Einschlafens nach körperlicher Sättigung
eines glücklichen Menschenthieres.
Nur eins ist Hochgenuß für Seele und Leib,
Schwelgerei des ungetheilten ganzen Menschen in fei-
Ner Gott-Entzückung, Schwelgerei der ganzen physischen
und psychischen Genußkraft – die Liebe. Wie das
zugeht, weiß Keiner, daß es so ist, weiß Jeder.
Wie lächerlich, wie unfruchtbar ist das Leben ei-
nes Dichters, der nach feinen Gedanken haféht, um sie
festzuhalten und zu verkaufen! Wie viel Zeit stiehlt
ihm der Schlaf, und hat ihn die Morgensonne geweckt,
fo vergehen die herrlichsten Momente, während dem
er seinen Leichnam wäscht, reinigt und bekleidet. Das
Frühstück dazu, Pfeifenstopfen und tausend kleine Ge-
fchäfte, über die man rasend werden möchte. Endlich
sitzt er und will den Strom ausfließen laffen, der in
so reicher Fülle am Morgen entquoll, da wirkt der
Kaffee, und die schönsten Ideen verrauchen auf dem
Nachtstuhle. So geht es fort den ganzen Tag, und
15 %
228
am Ende hat er nichts gethan, oder so viel als nichts,
oder noch weniger als das.
Wäre ich ein Dichter von Profession, es gäbe
nichts Schlimmeres für mich, als das Urtheil, nicht
wegen des Lobes und Tadels, sondern überhaupt weil
es sich ausspricht. Wenn ich gemalt habe in empfin-
dungsreichen Stunden, und den Pinsel getaucht in
mein Herzblut, und den Farbenthau hingegoffen in
Thränen, und dann einen lesen sah, was ich geschrie-
ben, mit Heiterkeit und Bewunderung, wenn er dann
ausruft wie in künstlerischer Begeisterung: „O wie
fchön!“ da werde ich nüchtern und es läuft mir kalt
über den Rücken. Mein Gott, wie fchön! – da be-
greift man, daß man Perlen für Säue gestreut. Ist's
nicht daffelbe, als wenn man einem Weinenden zurief:
„Mein Gott! wie schön weinen Sie, herrliche Thrä-
nen, und dieser tragische Anstand!“ Zum Teufel mit
diesen ästhetischen Bärennaturen; – Weiber, nur
Weiber zollen dem Dichter den verdienten Tribut –
stumme Thränen und Mitgefühl. Sie weinen mit uns
und freuen sich, wenn wir froh sind, während der kunst-
verständige Recensent ausruft: „O wie schön, wie klaf=
fisch!“ Darum trage. Jeder feine Poesie ins Leben über.
Des Abends kehrte ich wieder zu meiner lieben
Schwester L. zurück. Außer meinen Lieben fand ich
hier viele lang vermißte Freunde aus der Schule der
modernen Aristokratie, die mich und mein Wirken
nicht billigten, aber liebten.
224)
„Warum, mein junger Freund, haben Sie uns
verlaffen auf immer und Ihr Vaterland? Haben Sie
die Lebens-Verhältniffe im Auslande beffer, die Men-
fchen glücklicher, das Land fhöner gefunden?“
„Nein, aber mehr Vernünftelei und weniger
Sinnlichkeit.“ -
„Und dabei die Menschen glücklicher?“
„Nein.“
v Was hatten Sie also für eine Ursache, den Bo-
den zu verlaffen, auf dem Sie so viel genoffen, so
schön gelebt haben, wo sie weder eigenes, noch frem-
des Elend zu beklagen haben?“
„Gerne gestehe ich es – Schwärmerei und Trüb-
finn waren die Ursachen meiner Verirrung – ich habe
Uebel der Welt für Uebel der Gesellschafts-Organisation
gehalten und bin stolz darauf, daß meine Narrheit von
mir als solche erkannt ist. Das ändert jedoch wenig in
der Sache – die Narrheit selbst ist durch Erkenntniß
noch nicht geheilt. Was kümmerts mich, ob gewisse
Uebel in der menschlichen Natur oder im Staate ihren
Sitz haben – ihr Vorhandensein und das Elend An-
derer macht auch mich unglücklich.“
„Sie übertreiben und sehen. Alles schwarz. Fra-
gen Sie das Volk. Es klagt über viele Steuern, wie
überall, es klagt über Beamte, wie überall, –
liebt aber feinen Zustand, fein Land und feinen Für-
fen, wie nicht überall, und dort am wenigsten, wo
230
Sie herkommen. Wenn Sie dieß Elend nennen,
dann find Sie ungerecht, denn das Volk fühlt sich
nicht elend.“ -
„Wohl gesprochen, aber nicht genug tröstlich, denn
es macht mich nicht glücklich, wenn Andere es nicht
auf meine Weise sind. Ich aber fürchtete nichts fo
fehr, als der Sclave von gewifen kleinen Tyrannen
– dis minorum gentium – zu werden.“
„Ein Sclave follten Sie nicht feyn. Männer
wie Sie werden Gebieter durch ihre Kraft und Vor-
züge. Sie brauchten nur klug zu feyn, um an Ihren
Platz zu gelangen, und die kleinen Tyrannen, über
die Sie klagen, würden keine Macht gehabt haben
über Sie. Setzen wir den Fall, es wäre. Alles übel, -
was Sie für solches halten, waren Sie nicht als
Mann und Bürger verpflichtet, den unbeugsamen
Stolz eines jugendlich aufbrausenden Gemüths zu be-
kämpfen, um in eine Stellung zu gelangen, in wel-
cher es Ihnen möglich gewesen wäre, gegen diese
Uebel kräftig zu wirken und zugleich mit Ihrem Ge-
wiffen. Ihren Ehrgeiz zu befriedigen? Glauben Sie
mir, hier ist das Land oder nirgends, wo die Kraft
des Einzelnen noch gilt, wo sie einen weiten Spiel-
raum hat, und durch nichts gehindert ist.“
„Sie sagen eine Wahrheit, aber ein Mensch wie
ich, der unglücklich genug ist, Leidenschaften und Nei-
gungen zu haben, welche die Menschen närrisch nen-
- - - 231
nen, weil sie außergewöhnlich sind, kann nichts Tröst-
liches darin finden.“ - -
Doch nichts mehr davon. Keine langweiligere
Reminiscenz, als die an Streitigkeiten ohne Erfolg.
Es ist ein unwiderleglicher Beweis, daß wir keinen
Maßstab für die Wahrheiten haben, da man fast
Niemand von feiner Ueberzeugung abbringen kann,
außer einen Schwächling oder Narren. Ein Jeder bleibt
daher ein Narr oder ein Weiser sein Leben lang, wenn er
nur einmal über die biegsamen Schuljahre hinaus ist.
- A ch t e r T a g.
Heute erhielt ich Briefe, welche mich bestimmten,
meine Reise fortzusetzen. Das Herz wurde mir nicht
fo.fchwer als fonst, denn übermäßige Spannung macht
jede Sehne schlaff. In großer Apathie machte ich
Anstalt zur neuen Wanderung. -
Ehe ich aber ging, machte ich mir das Ver-
gnügen einer Spazierfahrt nach ***. Es begegnete
mir auf dieser Fahrt nichts Besonderes. Der Herr
von ZF. und der Herr von Z. fuhren eben in die
Stadt. Hinter ihnen kam noch ein würdiger Mann
gefahren, das dritte Blatt in dem ehrenwerthen Tri-
folio. Der Kutscher mußte anhalten, denn der Be-
-
-- -
232
diente nahm eben feiner Gnaden das Uringlas ab
und leerte es aus. Der alte Herr aber faß im
Wagen und guckte mich mit dem Kopfe zitternd an.
Mein Gesicht mit der schwarzen Brille mochte ihm
eben fo mißfallen, als mir das feinige mit feinen wol-
luftmatten Augen und dem Gepräg der Ausschweifung
und ihrer Folgen. Und dieser Mann war vielleicht
trotz feiner Hinfälligkeit ein gewaltiger Herr!
Ein Betteljunge verfolgte meinen Wagen, denn
an dem Sr. Gnaden hatte er nichts bekommen, und
bat um „einen einzigen Keuzer!“ Wahrhaftig
das ist billig, ein einziger Kreuzer für so viel Kaprio-
len und Bocksprünge. Aber was gibt's Alles zu
verwundern, wie viele Menschen thun noch mehr
Bocksprünge und krumme Wege für weniger als
einen Kreuzer, für ein Kreuz ohne E(h)r.
Schade um das Wortspiel, es läßt sich nicht zu Pa-
pier bringen. -
Nachdem ich in * * * eine Flasche Wein ge-
leert hatte, fuhr ich wieder nach Hause, wo mich be-
reits die Extrapost erwartete. Den Abschied von den
Freunden – doch still davon. Man bekommt die
Gemüthsbewegungen zum Ueberdruß, und lächelt am
Ende, wo Andere sich die Haare ausraufen und die
Brust zerschlagen. Der Schmerz ist ein wüthendes
Thier, aber Klugheit und Kraft bezähmen es, und
233
fchützen das Herz und das Leben vor feinen zerflei-
schenden Zähnen. Aber ganz verläugnen läßt sich
nicht eine wilde Natur, die Hyäne erwacht oft aus
ihrem trügerischen Schlaf. Wenn das Herz aber todt
ist, dann spielt sie mit dem Leichnam, wie die Katze
mit einer todten Maus.
M. a i l a n d.
In Mailand fand ich nichts verändert. Der
alte Dom fand noch immer an der alten Stelle und
die Mailänder schimpften noch immer wie zuvor je-
den Oesterreicher ein porco tedesco. Freilich dürfen
fie ihren Haß nicht laut werden laffen, denn die Ka-
nonen auf dem Kastell stehen bereit, auf Ungebürli-
ches nachdrücklich zu antworten. Seit Napoleon ha-
ben sie stets ihren Rachen offen, und sie halten wirk-
lich lose Mäuler in Zaum; – nicht mehr als billig.
Bei meiner Ankunft, traf ich einen alten Bekannten
aus Wien, der sich mir mit jedweglicher Bereitwil-
ligkeit zum Cicerone anbot, und fo mußte ich noth-
gedrungen alle Merkwürdigkeiten von Mailand fehen.
Vor einigen Jahren hatte ich dieß verabsäumt, aus
Trägheit, und weil ich hoffe, bald wieder nach dem
neuen Athen zu kommen, und jetzt war ich eben nicht
234
aufgelegt, mich darum zu bekümmern ; allein ich
mußte der Nothwendigkeit weichen.
Mailand ist die schönste und größte Stadt nach
Wien, die ich auf meinen Reifen gesehen habe, und
verdient wohl in meinem Tagebuch beschrieben zu
werden. Ihre Lage ist zwar nicht nach meinem Ge-
fchmack, denn sie breitet sich in der Mitte einer wei-
ten Ebene aus, welche vom Tessin und der Adda
bewäffert wird, lehnt sich an keinen Berg und ge-
währt keinen erhabenen Prospekt wie Prag, das
kleine Salzburg, Gräz, Roveredo, allein ihre Ausdeh-
nung und der herrliche Dom geben ihr einen Cha-
rafter der Großartigkeit, den die Natur der nächsten
Umgebung versagt hat. Die Stadt hat einen Umfang
von drei Meilen, und beherbergt 150.000 Menschen.
Die Geschichte derselben ist sehr alt, denn schon in
den Zeiten des Tarquinius wurde sie von den Gal-
liern gegründet, und ward später die Hauptstadt des
cisalpinischen Galliens, in welcher mehrere Kaiser des
Occidents residierten. Die Ostgothen zerstörten sie im
fechsten Jahrhundert, und Friedrich Barbaroffa im
Jahr 1162. Durch diese und der späteren Kriegs-
fcenen gieng jede Spur des Alterthums in Mailand
zu Grunde, bis auf eine Reihe antiker Säulen. Jetzt
ist Mailand eine der prächtigsten Städte Europas,
und hat eine Menge der herrlichsten Paläste. Na-
mentlich für den Morländer, der an die hölzernen
237
f
würdigen aufgehäuft für meine Erinnerung und
meine Feder, die fich nicht in mosaischen Darstellun-
gen gefällt. An der Mauer nächst der Façade des
Doms haben die mailänder Astronomen mit vieler
Sorgfalt 1786 eine Meridianlinie gezogen. Man
weiß es also mit der größten Genauigkeit, wo man
steht. Solche Bestimmungen im ewigen Raum ka-
men wir manchmal lächerlich vor. – Wie mein Rei- -
febuch versichert, beobachtet man in der mailänder
Kirche den ambrosianischen Ritus, welcher unter an-
deren eigenthümlichen Ceremonien auch das Taufen
durch Untertauchen vorschreibt, wie es in den ältesten
Zeiten des Christenthums gebräuchlich war. Ueber
solche Abweichungen haben sich die Kirchenväter ge-
stritten, mit dem größten Ernst, als hinge das Wohl
der ganzen Welt davon ab; ja es wurden sogar
Kriege geführt mit der größten Erbitterung und Blut-
gier um ähnliche Fragen. Der Wahn ist des Men-
fchen unzertrennlicher Gefährte in allen Zeiten.
Heute fah ich auch in dem Kloster Santa Maria
delle grazie das berühmte Gemälde von Leonardo
de Vinci, welches von Morphen durch den Grabsti-
chel verewigt wurde, und zwar noch zur rechten Zeit,
denn von dem Gemälde felbst ist nicht mehr so viel vor-
handen, als nothwendig ist, wohlgefällige Anschauung,
viel weniger aber Bewunderung zu erregen. Man
thut fehr unrecht daran, daß man solche Reliquien
238
alter Kunst nicht restaurieren läßt, denn sie hören, so
vernachläßigt oder vielmehr unberührt, auf, Kunst-
werke zu seyn, und werden elende Knochenreliquien
zu Grunde gegangener Kunstbildungen. Ein Stück-
chen Leinwand, welches Leonardo in der Hand gehabt
hat, kann mich aber so wenig interessieren, als die
Schenkel- und Armknochen des heiligen Borromäus
in der Gruftkapelle des Doms.
Auffallend ist in Mailand die große Menge
wiffenschaftlicher und Kunst-Anstalten, und das rege
Leben in jedem Gebiete des Wiffens, wo keine libera-
len und materialistischen Ideen sich entwickeln kön-
nen. Jammerschade ist es, daß die österreichischen Cen-
furgesetze alle philosophische Polemik hindert – Europa
könnte und würde nach allen Richtungen hin mit
auf dem Herde des Katholicismus gebrauten
Materialismus versehen werden. Es find mir in
meinem ganzen Leben noch nirgends so viele Freigei-
ster begegnet, als in Italien, vorzüglich in Mai-
land. Ein starker Geist lernt hier unmittelbar aus
dem katholischen Katechismus die fkeptische Philoso-
phie, und wenn er erst die übrigen Religionsbücher
durchgegangen hat, so ist er bald Atheist. Das geht
nicht so schnell bei den Protestanten, welche über den
Mythos eine Vernunftbrühe machen, um derenwillen
die Meisten das unverdauliche Gericht felbst mit ver-
fchlingen. -
239
Ich habe nirgends so viele Menschen gefunden,
welche des Tages zehn Mal versichern: „es gibt kei-
nen Gott!“ als in Mailand. Selbst in den niedrig-
sten Ständen bemerkt man einen gewaltigen Anflug
diabolischer Freigeisterei, und es gibt kaum einen ge-
meinen Kerl in Mailand oder Neapel, der nicht we-
nigstens ein Mal in feinem Leben Gott in den tief-
fen Abgrund der Hölle verdammt hätte. Man hört
nirgends mehr gotteslästerliche Reden als in Italien,
und wird nirgends in der Welt die Kirchen so eckel-
haft und unverschämt verunreinigt finden als in
Italien. - V
Die berühmte Ambrosianische Bibliothek in
Mailand besteht aus 40.000 Bänden und 15.000
Manuscripten, und wurde von dem Neffen des hei-
ligen Borromäus, dem Kardinal Federico Barromäo
gestiftet. Ein hier befindliches Manuscript auf ägyp-
tischen Papirus soll, wie man mich versicherte, und
wie Mabillon behauptet, 1100 Jahre alt seyn. Un-
ter den übrigen Merkwürdigkeiten zeigt man hier
Kartons der raphaelischen Schule, Schriften und Zeich-
nungen von Leonardo da Vinci, und einen Virgil,
auf defen Einband Petrarca eigenhändig die Liebes-
geschichte seiner Laura aufgezeichnet hat. Ich liebe
Petrarca, aber ich muß jedes Mal lachen über die
heilige Scheu und Ehrfurcht, mit welcher Fremde und
Einheimische die Ueberbleibsel desselben betrachten und -
240
berühren. Es gibt gläubige Christen, die vor dem
Altar des Gekreuzigten bei weitem weniger Ehrfurcht
empfinden, als bei dem heiligen Grabe Petrarcas. Dieses
ist zu Arqua, wohin alle Empfindler und Dichterfreunde
pilgern, um fich einst dieser Wallfahrt rühmen zu
können. Vor vierzehn Tagen bin ich auch dort ge-
wesen, habe mich aber schrecklich abgemüht, einige Be-
geisterung in dem Momente zu erkünsteln, um nicht
von den Leuten in meiner Umgebung für einen ro-
hen Barbaren gehalten zu werden. Ich wüßte nicht,
was fo erstaunlich Ehrwürdiges daran wäre, wenn
man feine Empfindungen in schöne Worte bringen
kann. Der Lorbeer ist leicht zu erkämpfen, wenn man
ein angebornes Talent hat für die Kunst, aber es
fcheint mir ein kleiner Lebenszweck, ihn zu erringen.
Ich liebe Petrarca, ja, aber ich bin weit entfernt, ihn
zu verehren. Wie fanatisch aber die Italiener diesen
Mann vergöttern, erhellt aus folgender tragischen
Thatsache.
Im Jahre 1630 gelüftete es einen Edelmann
aus Rovigo nach einem Arm Petrarca's. Der Sage
nach verleitete er zwei Einwohner von Arqua, den
Sarkophag zu erbrechen, und den armen Dichter, der
felbst im Grabe keine Ruhe hat, um einen Arm zu
fpolieren. Die Knochendiebe wurden bald entdeckt
und – horribile dictu ! – hingerichtet; – aber
nichts desto weniger muß sich Petrarca jetzt mit einem
241
Arm behelfen, denn der andere wurde nicht wieder
aufgefunden. Es ist entsetzliche Barbarei, der Unver-
letzlichkeit eines Leichnams zwei Men fchen leben zu
opfern; aber ich glaube, ohne diese barbarische Strenge
wäre der ganze Landsitz mit Haus und Grab des
Dichters von englischen und italienischen Narren in
alle vier Winde verschleppt worden. Es ist sehr zu
verwundern, daß man sich noch nicht an Petrarca's
Katzenmumie vergriffen hat, welche in Arqua über
der Thüre eines Wohnzimmers sitzt, als ob sie ihren
Herrn erwartete. Freilich die 500 Jahre, die seitdem
verstrichen sind, haben sie mager gemacht. Nicht so
geschont wurde Petrarca"s Schrank. Die Kuriositä-
tenkrämer haben sich so viele Stückchen davon geholt,
daß nicht viel mehr als ein Stückchen davon übrig
W- geblieben wäre, hätte man nicht ein eisernes Gitter
angebracht, welches zwischen der Reliquie und den
diebischen Händen der Verehrer Petrarca's steht.
Größer als die ambrosianische ist die k. k. Bibliothek
in dem palazzo delle scienze e delle arte, sonst
Palast Brera genannt, welche 100.000 Bände besitzt.
Es befinden sich hier auch Künstlerschulen für Struktur,
Malerei, Architektur u. f. w. Besonders merkwürdig ist
das an den besten und schönsten Instrumenten über-
reiche Observatorium. Die Gemäldesammlung besitzt
die schönsten Werke von Leonardo da Vinci, Genale, -
Salajno, C. de Sesto, G. Ferrari, B. Luino, Bellini,
16
242
Montegna, Squarcione, Titian, Palma, Paolo Vero-
nefe, und außer diesen die berühmte Vermählung
Mariens von Raphael, St. Peter und Paul von
Guido Reni, den Amorettentanz von Albani, die
Ehebrecherin von Carracci, die Samaritin von Do-
menichino. Die besten Antiken sind in Gipsabgüssen
vorhanden, und viele Original-Arbeiten von dem
weichlichen Canova, dem kräftigen Thorwaldsen, dem
Buonarotti unserer Zeit, Acquisti, Marchesi, Pacitti,
u. v. a. - -
Mailand ist auch durch die Erinnerung an viele
berühmte Männer für Jeden merkwürdig, der sie ach-
tet. Virgil lebte hier feinen Studien; Valerius Ma-
ximus, Virginius Rufus und Salvius Julianus ge-
hören Mailand an. In neuerer Zeit find die Mai-
länder Namen Carifani, Alciati, P. Lechi, P. Porta,
Beccaria, Frisi, Parini, Verri, Agnesi, Appiani, Bofi
in der literarischen Welt bekannt geworden. Wenn
daher Mailand, gestützt auf feine alten und neuen
Celebritäten, sich das neue Athen heißt, so ist dieß
bei weitem nicht so arrogant, als wenn sich Mün-
chen anmaßt, als solches zu gelten, da es doch nichts
besitzt und besaß, was diesen Titel rechtfertigte, als
die neuen Kunstanstalten, die Glypto- und Pynako-,
wenn man nicht auch die vielen dort erscheinenden
Scharteken und den journalistischen Schofel zu den
athenienfischen Merkwürdigkeiten rechnen will.
,
243
Merkwürdiger aber als alle die Kuriositäten von
Mailand, welche mir mein Cicerone zeigte, war und
bleibt für mich der eigenthümliche Charakter und das
Leben des Mailänders. In jedem Lande, wo die Na-
tionalität der Einwohner noch lebendig ist, findet man
mehr oder minder Pöbel, in welchem man einzig und
allein den ächten unverfälschten National-Charakter
mit allen Tugenden und Lastern studieren kann.
Während im Norden die größten Städte, wie z. B.
Berlin, fast gar keinen Pöbel haben, fondern lauter
gebildete Menschen, hat in Italien fast jedes Dorf fei-
nen Pöbel. Am zahlreichsten ist er in Rom, Neapel
und Mailand vorhanden, aber der Mailänder Pöbel
zeichnet sich vor allen übrigen aus. Der Mailänder
ist das im Vergleich mit dem Römer, Neapolitaner
und Venetianer, was der Berliner ist im Vergleich mit
dem Wiener. Der Mailänder ist roh, unhöflich, hart,
boshaft, wild, hinterlistig, spöttisch, schadenfroh, rachsüch-
tig. Wenn er ein Gemüth hat, so ist es ein seltsames
Gemisch von Gift und Liebe, von eisiger Kälte und
blitzendem Feuer. Er hat daher für einen Südländer
manche Eigenheit des Nordländers, vereinigt mit einem
heftigen Temperament. Der Meuchelmord war in frühe-
ren Zeiten hier fo recht zu Hause, und konnte weder
von Napoleon, noch von der österreichischen Regie-
rung gänzlich ausgerottet werden, denn kein Italiener
haßt fo glühend und lange, keiner so unversöhnlich
- 16 %
- A 44
and rachsüchtig, als der Mailänder. Die österreich-
Fel» ein Beamten und Militärs sind daher nicht gerne in
Speailand, denn sie sehen nur zu oft die giftigen Blicke
cans lächelnden Gesichtern hervorschießen und fühlen nicht
- ganz felten die Dolche der Mailänder. Gleich anfangs,
Furz nach der Besetzung der Lombardei durch die De-
terreicher, zeigte sich der Haß der Mailänder auf eine
so furchtbare Weise in unzähligen Meuchelmorden
and Vergiftungen, daß sich die Italiener nicht wun-
Dern können, wenn die Oesterreicher sie wie giftige
S»unde behandeln und es ihnen hart fühlen lassen,
Daß sie nicht nur Herren sind im Lande durch ihre
Bahl, sondern vielmehr durch ihren teutschen Cha-
arakter. Aber die Mailänder sind wie Schlangen, man
tritt sie nicht, ohne daß sie stechen.
Besonders charakteristisch ist der Mailänder Sucht,
S2 Illes zu bespötteln und alle Ereigniffe und Gegen-
tände, welche ihn beschäftigen, halb humoristisch, halb
fatirisch zu betrachten. Diese Sucht zeigt sich auch in
Den eigenthümlichen Volksdichtungen der Mailänder,
FO e 11 Bofinaden, wovon ich mir bereits eine kleine Samm-
lang angelegt habe, und die ich heute mit einigen Ge-
legenheits-Bofinaden vermehrte. Die ersten schickte mit
rein Freund Halirsch aus Verona mit folgendem Brief
z»en ich nun als eine Reliquie von dem früh Verstor-
E> einen aufbewahre.
245
Verona, am 24. Febr. 1832.
Ihren Brief, mein Werthester, vom 10. v. M.
aus * datiert, habe ich richtig erhalten, und ließ es mir
sogleich angelegen seyn, den ausgesprochenen Wunsch
hinsichtlich der Aufbringung lombardischer Volkslieder
zu erfüllen, da es sich hier um ein vaterländisches Un-
ternehmen von einem Landsmanne handelt. Das mit-
folgende Pack Poesieen wird ihnen beweisen, daß mir
dieß auch theilweise gelungen fei, und wird Ihnen um
fo willkommener seyn, als diese Lieder bereits gedruckt
sind, daher ohne viel Mühe dem Ganzen einverleibt
werden können*). Ich setze voraus, daß Sie der Sprache
fo mächtig find, um auch den, nicht gar schweren, Mai-
länder Dialekt verstehen, und da, wo es noth thut,
übersetzen zu können. Dieß find die einzigen Muster
der lombardischen, hauptsächlich in Mailand gang und
gäben Volkspoesie, welche sich, wie Sie sehen werden,
gewöhnlich über Vorfälle des Tages und des Lebens
ausspricht, und wovon ich Ihnen daher auch nur die
neuesten auswählte. Diese Gattung ganz eigenthümli-
cher Volksdichtungen heißt Bofinade, welche Be-
nennung, wie man mir sagte, wahrscheinlich von dem
Erfinder, Namens Bofino, herrühren dürfte. Solche
Dichtungen werden in den Straßen der Stadt und auch
In dieser Zeit frommer Wünsche war ich nämlich Willens, eine
Sammlung österreichischer Volkslieder herauszugeben, und
fammelte Material in allen Provinzen.
246
auf den Landstraßen nicht gefungen, sondern blos
rythmisch deklamiert, was ich oft genug auf der piazza
del Duomo und an andern Orten gehört habe, und
was an die Neapolitanischen Improvisatoren erinnert.
Eigentliche lombardische Volkslieder giebt es
nicht, denn jene, welche vom Volke hie und da, auch
ohne bestimmte Melodie, eintönig gesungen werden, find
ausschließend nicht lombardischen Ursprunges, sondern
rühren aus andern Theilen Italiens, meistens aus den
füdlichen, weniger aus den venetianischen her; doch hat
fie die Tradition in lombardischen Dialekt umgegoffen,
wie das z. B. mit den Stanzen Taffos der Fall ist, die
man beinahe in jeder Stadt anders vernimmt. Sollte
ich jedoch späterhin vielleicht dennoch irgend einen echt
lombardischen Liedertext habhaft werden können, so will
ich Ihnen selben, fammt dem Melodieenfatze, mit Ver-
gnügen zukommen laffen. Fürs Erste und im Drange
der Zeit wird Ihnen inzwischen die Beilage genügen,
die jedenfalls eigenthümlich und charakteristisch ist.
- Wie fiel das Schicksal nach dem – – – –
– – gebracht hat, wäre ich neugierig zu erfahren!
Inzwischen, für literarische Thätigkeit ist jedes nord-
deutsche Nest beffer, als unsere Wiener Residenz! –
Was mich anbelangt, so bin ich, wie Ihnen die Adreffe
dieses Schreibens fchon fagen wird, nicht mehr in Mai-
land, das ich Anfangs dieses Jahrs nach einem acht-
monatlichen fehr angenehmen Aufenthalt verließ, um,
V
247
über Florenz nach Rom, und endlich von da hieher zu
reisen, wo ich nun, bis auf einen kleinen, nächste Woche
vorzunehmenden, Ausflug zum Carneval nach Venedig,
wahrscheinlich bis Ende des Frühjahrs bleiben, dann
aber durch Tirol und Baiern im Sommer nach Wien
zurückkehren werde. Riefen mich nicht fehr wichtige
Familienverhältniffe dahin, so sollte mich nicht sobald
etwas von Italien trennen, dem ich das genußreichste
Jahr meines Lebens verdanke, und das ich täglich lie-
ber gewinne. Meine Ansichten und Empfindungen
darüber werden Sie wohl hie und dort schon gelesen
haben, und diese dürften sich bald zu einem Ganzen
bilden, das aber weit entfernt feyn wird, in irgend eine
Gattung der Hunderte von italienischen Reisebeschrei-
bungen zu schlagen, sondern feinen eigenen Weg ein-
schlagen soll. Auch fonst hatte ich Muße und Aufre-
gung genug, um theils Stoffe zu sammeln, theils man-
ches Gesammelte auszuarbeiten, und wie mein Aufent-
halt im Süden auf meine physische, fo war er auch auf
meine geistige Existenz von dem wohlthätigten Ein-
drucke.
Sowohl mit meinen auswärtigen, als mit meinen
vaterländischen Freunden stehe ich in fortwährender
Verbindung, und erfahre daher auch in literarischer
Hinsicht so ziemlich alles Neue und Merkwürdige. Für
Ihre Bereitwilligkeit, mir in dieser Beziehung gefällig
zu feyn, danke ich Ihnen recht fehr, und nehme dieselbe
248
vor Allem für meine „Erinnerungen an den Schnee-
berg“ in Anspruch, die ich gerne im Publikum recht
fehr verbreiten möchte. Können Sie durch eine aus-
führlichere Anzeige in einem gelesenen Blatte etwas
dafür thun, so werden Sie mich sehr verbinden. Eben
fo würde es mir, – – – – – – – –
–, lieb feyn, wenn Sie mir eine oder die andere von
gutem Eredit für künftigen Verlag gewinnen könnten,
aber nicht blos für den Verlag eines einzelnen Werkes,
denn dazu fehlte es mir nicht an Anträgen, fondern
für Alles, was ich produziere. Ich hatte in dieser Art
eine Verbindung mit dem Leipziger Focke abgeschlof-
fen. Wüßten Sie mir also hierowegen behülflich zu
feyn, so würden Sie mich fehr verbinden, und ich
könnte einem neuen Verleger fogleich einige, fchon cen-
furirte, Manuscripte darbieten, worunter Eines: Die
Venus der Medic eer, eine Novelle, auf Grund
und Boden der Handlung entstanden, gewiß zu dem
Besten gehört, was ich noch produzierte. Schreiben
Sie mir hierowegen gefälligst, jedoch nach Wien
(– – – – –), da ich noch nicht entschieden
weiß, wie lange ich noch hier bleiben werde, – von
dort aus aber regelmäßig von Woche zu Woche Zu-
fendungen erhalte. -
Vielleicht besuche ich Sie schon im nächsten Herbste;
wenigstens habe ich bis dahin eine Reise nach Nord-
244)
deutschland mit A* * * verabredet, die jedenfalls,
wenn auch nicht heuer, doch künftiges Jahr gewiß zu
Stande kommt. -
Indem ich Ihrem neuen Lebensplane eine glück-
liche Richtung und eine günstige Fahrt wünsche, bleibe
ich mit aufrichtiger Freundschaft
- Ihr ergebener
Halirfch.
In diesem Schreiben wo noch keine Spur der
Vorahnung seines nahen Todes zu finden ist, waren
mehrere Bofinaden eingeschloffen, worunter die nachste-
henden Proben des Mailänder Volkswitzes und bar-
barischen Dialektes.
Noeuva Bosinaa.
Su Ja caccia in sta stagion
Che fa i donn d' ogni strazion
Per desirugà poeu in conseguenza
Dei scimes e pures la somenza
Stem donca attent, senti polid
Che per on moment speri fav rid.
Dialog tra Barlafuse, Tecola e Marfori.
T. Ma cara le che la mee scusa
La mia sciura Barlafusa
Se parli insci comé sessia:
- -
250
Dov’ ala imparaa la polizia
Se tutt' i di nun sem a questa
Da scorlà già i socc e la vesta
Denanz all' usc della mia ca?
Se no la sa 'l tratt se va impara!
Che l’è mo on tocc d' una vergogna
Me credela fors ona carogna
Ch' abbia d’ avè sto pregiudizi
Da rezevv i so immondizi
Come se chi ’l fuss el condutt
Del comun, del loeugh pù Brutt ‘?
11.
Si; che tra lee e là sciora Luisa
Ora i soco, ora la camìsa,
Ùra i coyert, ora i lenzoeu,
Ora i colzon di so fioeu,
Butten giò pures a niada
Che mi son mezza tormentada.
E mi no sco pù squas dov’ andà
Per toll; ghe pures da mazza!
In poc parol ghe foó memoria
Che se la seguita st' istoria
Da scorlà pures tutt i di
Mandi dessora me mari
A cîappala per quel zuff
E (Ic-?1511611 tant fin che L' è staff.
x ' 251
III.‘
B. Basta v' ess ona Zabetta
Per_v' egh ona lengua marcadetta;
Se la g’ ha i pures per la cà
Cosse me stala mi' a seccà?
Chi voeur tegni la stanza netta
No se ten i can con la cagnetta,
I gatt, i conilii e la gaina,
I puvion, la puresina,
E tant olter hesti el g’ hé
Pesc che in 1’ arca de Moè.
Chi no voeùx‘ pures in ca, ne in lett
Se scova de spess, e se ten nett,
E quand han mangiaa, no la se stracca
‘Da dac de bev di bon seg d'acqua.
N.
T. Ho da senti da lee anca goes!:
Da mincionam appress al rest?
NQ la me staga chi a sconfond,
Perché mi adess ghe poss respbnd
Che alla mattina ben a bonora
La cerca in ni pagp e Zoll; e sora
Come ha cuntaa queschi dessot
La impis de pures el haslott
E per att de polizia V
La ven su la lobbia a buttaì via,
252
E a spantegan per soa bontaa
Hoon poo» per tutt el vesinaa,‘
El disi a ralf e pian e fort,
La nega on poo se mi 3’ hoo tori?
V' e
B. Per quest ossa voeurela mo di?
Quel che fa i olter,. foo anca mi.
T. E mi m‘ hala forsi giudicaa
Per la serVascia del vesinaa,
Ona donna come sessia
D’ ess tutt el di a scovà via
Tutt quant i pures so de lee
Che se pò mesurai con el quartee?
Pures tant impertinent
Tant rabbiaa, tent insolent,
Che no me lassen sta quiet
Gnanch alla noc’c quand sont in lett,
Se sei marcaditt se fa besogn *
Me fan perd dersina el sogn.
VI.
B. E se fa quel che foo mi
Col dagh la caccia tutt el di;
Se va cercai inscì a taston'
Se strengen assalt eci pizzigon
’Se van dcnt per i calcett
Storgee el col, fen on sguazzelt;
Se i sentii su per i fianch,
E che ne possev fa de mane,
Per la fessa (l’ona 'part
Se strengen su, se tran a quart;
Se van poea in quai sit pusse sconduu
Sott ai ong se fan in duu.
Se sa giustizia in sul moment,
A sti baroni impertinent.
I
VII.
T’ Besognaravv che fusa mi quella
Come l' è lee- ona gran porscella;
Che cott e! di la va a taston
Dent per el stomegh a tanfugnon,
Su per el venter e adree al coll,
Listes ä' on cavall de quii (le noll
No la quieta on sol moment
Con quii son man e foeura e :jene
A (lagh con gust propri de frisa.
E per i socc e la camisa
Che per tant magg che glie trappana
La par ona vesta d’ indiana,
E con sti bei meret e virtù
Trattam de Lazzer come vù?
254
VIII.
B. 0h si hoo minga mi guardaa
Che ani i brasc tmc quant seguaa
Come ona carta marmorada?
' E tant in ca, com' anch in strada
A fa certi smorfi con la bocca,
A davv di pugn dent per la socca,
A moeuv i gamb, fregà i garon
Come se patissev in convulvzion,
A fregà 'l sedes fina sui banch,
A rhgattà fina sui fianch,
A fa tognon anch collz scienna
'Per el torment e per la penna,
Per castigà, per moeuvv querella
A tutta la razza puresella.
IX.
T. Quest' cl suzzed per ess vesin
A di carog da dà a ciocchin:
Infatt besogna confessà
Che se me metti a Iavorà,
Se voo a na quaiv’ccnversazion,
Non doss avè on moment be bon,
Ch’ el suzzed ma ben de spess
Da mett i man dent per i fess,
E intant che vun s'e dà la fuga
El ghe n'è des ch’el sang me suga,
Intant che rughi sott ai sell
Quindes ghe n” & a sbusam la pell,
Sº en ciappi duu per la colzetta
Des corren su la mantiretta.
X.
B. Confessee donca e dem reson
Ch' el ghe n” em tutt ona porzion
E massem i donn in temp d' estaa
I han portaa in creditaa.
T. Vel disi anch mo ciar e patent
Che tutt qui donn ch'è sporscellent,
Che tegnen la ca com' ona stalla,
Quest é proverbi che no falla
Che adree ai carogn ghe va i moscon,
Echi ha’l sang guast ghe ven i bugnon.
Basta a mudas e tegnis nett
De bon camis e de colzett,
E sta lontan propri de vera
Da chi ha adoss la puresera,
/
XI.
B. E vu andee a comprá on casin
Lá al Foppon del Gentilin.
T. Al Gentilin ghe va la su
Di carogn compagn de vu?
B. Chino voeur pures sta lontan
De qui che dorma cont i can. "
256
T. Che no voeur pures e sta nett
Staga lontan de stizabett.
B. I zabett infin di fin
Hin qui che fa i ciacer coi vesin.
T. Con certi trappcl besogna fai,
E anch se besogna bastonai.
B. Se bastona di vost,
Di pettegol e di rost.
XII.
T. Feniroo mi tutt sti bordi;
Ve strapparoo qui poch cavi
Onc d' oliasc de quel de nos
Gris, der usc e lendenos.
B. Proeuva on poo brutta sgualdrina
Nassuda d’ on trucc, d ona pedina,
Che con sti man chi se rebecca,
Te foo del coeur una busecca.
T. Ma cossa serven sti ball?
Werda on poo se hoo coeur de fall
Cossa serven tant reson
Te strasci adess quel brutt mellon.
La prende pei capelli
XIII.
B. Ajut! a na donna de sta sort
Se g” ha da fa sta sort d' intort?
257
T. Te impararee per l'º avegni
A conoss cossa son mi.
B. T” hoo conossuu per ona donna
La pü trista e bolgironna,
Per el fior di bagass e disposett
Se a mi a sto segu perdi el respett.
T. Se t'ho strascinaa ades la perrucca
G'hoo coeur de rompett anch la zucca
E. consciat ceme s” é ditt
Comè el boccaa di poveritt.
XIV.
M. Alto là violter bagass
Coss” el sto rumer e sto fracass?
B. Tutt el motivv della quistion
L é per i pures de stagion.
T. L'º & perché sta brutta stria
Je scorliss giö tut in ca mia.
M. E per sti inezi e sti difett.
Avi de perdevv el respett?
i me car donn via fe pas
Sº el fatt di pures ve dispias
Perdonnevv, e in avegni
Soffri i pures e tasi lá.
- - -
17
258
Na bosinada noeuva noventa
De canta fort de tutt la senta
Dove sentiran el bel tenor
Zora i Barch che [va a Vapor.
L’ è ne composizion
de Feiìerich (le-Simon.
In tutt sti secol che passaa
Da che ’l mond l' è sta creaa
Se veduu de quii talent
De fa stà incantaa la gent
Che coi moderna so invenziou
Sin faa disting per talenton.
St’ invenzionche lor han faa
E che de tutt in staa lodaal
A chi gli ha portaa dell' utel
E a chi portaa han gran desutel.
E de già ch’ cm da descor
Bifflettend sui Tessitor
Con quella macchina Sgiacchar,’
Che una voeulta s' un telar
Lavoraven in cinq o ses
E passaven almanc duu mes,
Senza mai podè feni
Quel lavora che in duu di
259
Adess vun soll per veritaa
El 1" ha bel e terminaa.
Sicché denca me capi
Qui olter duu, e con qui tri
Cossa mai avaran faa ? -
Dopo quest che hau inventaa,
S” hin trovaa in quel cuntee
De dové cor innanz e indree
Per cercà de lavorá
Senza mai prden trová,
E fina al segn hin arrivaa
D andà cercà la caritaa
Milla d' olter invenzion -
Han traa la gent in d' on canton
A piang el barber so destin
Che a vedes insci meschin
Saveven pu che mestee fä
Per cercà de vivatà; -
Na per no seccà la gent
Parlaroo del me argoment
E. cominciaroo a descor
Sui battei che va a Vapor.
St” invenzion l” è di Ingles,
Ma i noster sciori milaues
17 %
260
Premuros per la sua gent
Han pensaa in (1’ on moment
De uniss in tra lor scior
A fal andà sul Lagh Maggior,
E stì nost sciori de Milan,
Con quel bel coeur che gh’ han in man,
Ai spes e fadigh no han guardaa
Per portàuutel alla zittaa.
‘ E (le fatt sto gran barcon
Colla pu gran soddisfazion
L’ è staa approvaa dai Milanes
E de tutt i 01131- pajes,
Comè (13 Sest a Magaclin 1
Ch’ hin squas tu_tt mercant de vin
Che con na ciocca de (lanee
Lor van a ca, vegnen inclree;
St’ invenzion in fin di facc
La portaa a lor on gran vantacc.
W' Lor Sparmissen in tel paccià
Perché s’ han minga (le fermà
Come ghera ai temp passaa . __; _
Che per dò nott staven fermaa;
Se poeu fan on capital
Se succecl on tempora],
Perché ghe quii pront a. respond
Che nissun andcrà al fond
E in qualunque occasion
El gh’ è la defessa (li cannon. _
L’ è cinquanta brazz de lunghezza
E 1' è squas duu pian d’ altezza,
Dent in mezz ghe un caldaron
Con semper sott un gran fogon, '
Che se fa bui in sto caldar
On cert grass particolar,
Che lé poeu quel tal Vapor
Che se sent insci descor;
In sta barca ghè poeu dent
Tutt i comocl per la gent.
El ghè (li sal, di gabinet,
Ghé fin dent di stanz de let,
Ghè ostarii, mercant dc vin
Per quii che voe_ur fa on inarenélin,
E chi voeur 'poeu bev eI té
Ghè fin la sala del Caffè, É!
Pienna de Spec e lavorin "
E tant’ olter mobel fin:
Quel che se pò desidera
In fin di facc ghè denter là.
Riguard poeu ai regolament
Resta incantaa tutta la gent, *
262
Che ai artiquei che ghé su
De quistion en succed pu;
Sto hatel che va a Vapor
La mattina pei ses or
El se ne va infallantement,
Caregaa de tanta gent
E guardee se noi fa prest?
Ai dodes or lé giamò a Sest.
Trii quart (1' ora dopo mezdi
Dan el segn de reparti,
Con na campana che gan la,
Che per trè voeult la fan sonà;
All’ ultem segn poeu finalmenl;
Cori impressa tutta la gent,
E on barchiroeu 1’ è là specciai
Cont‘ on barchett per poeu menai
Denter tutt in stò batell
Ch’ ci fa stupor doma vedel. ,
Ìî .
Fin la riva el gb' è ven no
Che l' è tant grand che no se po,
E sto viag al la fa insci
De Giovedì fin Lunedì
E1 va poeu a Arona al Martedì,
El torna indree poeu al Mercoledì;
Tutt i paes ch’ el passa via
263
El da on segn lontan mezz mia,
Per mett all" erta e fa vegni
I forestee che han da parti.
Per el vintinoeuv de Lui,
Avvesev vist che battibui,
Lá tutti donn cont el so om
Hin cors tutt al lagh de Com;
Per vedé el gran feston
Che lor han faa in st” occasion
Evedé quel gran sussor
Per i batti che va a Vapor,
Tutt in frotta corriven là
A vedei a lassá andà.
I comasch minga incantaa,
El Lagh Maggior han immitaa,
Egan giongiuu insemma a quest
La diligenza che va a Sest,
Che tra i post d’ omen e donn
El tegnerá pü d' on vint person,
Per tiralla no ghè guai
Gh" han taccaa sott quatter cavai,
E'appenna a Sest chin arrivaa
Ghé el battel già preparaa.
264
El mes d' agost del vintises,
I Monsciasch coi Milanes,
Pien d' ingegn e d' esperienza
Han faa fa na diligenza,
Che la cor innanz, indree
A tir de quatter anca lee.
Trenta sold hin poch danee,
Ma van là e vegnen indree,
E se quaidun se ferma là
On vint soldin han da pagà
Ghè poeu tant de quella gent
Che gh" han on certo sentiment,
Che lé giust comé el Vapor
Che voeuren fa el viaggiator
Che col comod de st" invenzion
El pon fa senza passion.
Evviva donca sti bei talent,
Che per fa utel alla gent,
On quai di han d'inventà
Che tut la gent ha da volá.
265
Es war dieß der letzte Brief und die letzte Sen-
dung an mich aus dem Süden, denn wenige Monate
später starb Halirsch plötzlich an den Folgen einer
Erkältung, und gab so feinen Landsleuten Gelegen-
heit, feinen Verlust zu bedauern. Im Leben wurde
er wenig geachtet, und man kann sagen, daß die
Bitterkeit, welche ihm eigenthümlich war, keine andere
Quelle hatte, als feinen fo oft und hart gekränkten
Dichter stolz. Eine volle Brust weiß nie, wie wenig
sich der Leser um fremde Empfindungen kümmert;
darum ist die lyrische Poesie stets undankbar für den
lebenden, mit uns die Erbärmlichkeiten des irdischen
Daseins theilenden Dichter, den wir täglich fehen,
wie er feine Pfeife raucht, und feinen Kaffee schlürft,
den wir stets vor Augen haben mit feinem alltäglichen
Körper, mit feinen kleinen Schwachheiten und dem
komischen Contraste, in welchem der kleine unansehn-
liche Körper mit dem riesigen Stolz der Seele steht.
Der lyrische Dichter muß von uns weit entfernt feyn
durch Zeit und Raum, es muß keine Spur eines
profanen Lebens mehr vorhanden seyn, wenn die
Strahlen feines Geistes uns erleuchten, wenn wir feine
Größe bewundern sollen. Halirsch theilte das harte
Geschick der lyrischen Dichter, und empfand es um fo
schmerzlicher, da die Wirksamkeit eines schönen Ta-
lents von keinem Eclat begleitet war und feine Selbst-
liebe ihn vielen verhaßt machte. Er war wie ein eigenfin-
266
niges Kind, das etwas gehätschelt und geschmeichelt
feyn wollte, und weil dieß nicht geschah, blieb er
mürrisch und verdrießlich, schneidend und bitter.
Doch Friede seiner Asche. Meine Achtung jedem füh-
lenden Herzen. Während der sterbende Halirsch unter
Südens gluthwehendem Himmel ein erbittertes Ge-
müth mit Süßigkeit und Wärme befruchtete, wäh-
rend er im Tode noch ein reiches Leben entfaltete,
nährte ich im Norden mit Bitterkeit und Galle mein
elendes Leben ohne Frucht und Genuß. Der Reihe
nach schrieb ich an meine Freunde im Süden drei
mürrische Briefe aus und über Nordteutschland, die
mir hier im Süden vorkommen wie böse Träume.
Ich fand fiel hier und anderswo forgsam aufbewahrt,
und bemächtigte mich des vergelbten Papiers, wie der
Reliquien eines Verstorbenen,
A u s Nord - Teutschland
Dresden, den 18. Okt. 18**.
Es ist so kalt hier in Dresden, lieber Freund,
wie in einem Mausoleum, fo ernst und kalt, als ob
man hier das Leben zu Grabe getragen hätte, und nur
wandelnde Geister, eine Stadt voll gespenstiger Gestal-
ten an ein verstorbenes Jahrtausend mahnten. Mir
ist, als wären die Leute hier alle schon einmal gestor-
ben und nun wieder zum Leben erwacht, um für ihre
267
Thorheiten im Leben zu büßen. Das Lachen ist mir
hier vergangen, und ich schäme mich deffen als einer
läppischen Kinderei. Der hier herrschende Geist hat
feinen eisigen Mantel über mich geworfen und mir
beben alle Glieder – vor ernster Besonnenheit und
kalter Ruhe. Mich dürstet nach Politik und Juris-
prudenz, nach einem Hofrathstitel und zehntausend
Thalern Gehalt. Französische Weine trinkt man hier
und faselt von der Contagiosität der Cholera, man
gießt Feuer in die Adern, und kalt und weiß bleiben
die Marmor-Gesichter. Auf der Straße reden die
Leute fast nichts, alle Stunden stolpert ein einspänni-
ger Miethkarren über das Pflaster, schön kahl ausge-
kehrte Straßen, prächtige Gebäude – Brüder! es ist
zum Verzweifeln hier. Heute Abend war ich im
Schauspielhaufe. Klein, zusammengedrängt ist das
Profcenium, wie in einem anatomischen Hörsaale,
ohne Neugierde, fehr ruhig ist das Publikum und
fährecklich gebildet, kein Nachbar spricht mit dem an-
dern, wenn er nicht einen Centner Salz mit ihm ge-
speist, und wagt es Jemand, auf der oberen Galerie
zu sprechen, so vernimmt man die Phrase Wort für
Wort auf dem Paterre. Man gab das Epigramm,
der Vorhang ging auf und zu, die Schauspieler gingen
aus und ein, und zweimal während der ganzen langen
Vorstellung des Luftfpieles – zweimal lächelte
das Publikum. Dafür zahlt man 12 Groschen.
268
Leipzig, den 20. Oktober.
Wenn es überhaupt der Mühe werth ist, von dem
Dresdener Theatergebäude zu sprechen, so kann man
doch nichts. Rühmlicheres erwähnen, als daß es alt,
unansehnlich und unschön gebaut ist. Das Profcenium
fcheint aus Pappe, besonders gleicht die mittlere Haupt-
loge einem Weihbrunnkeffel; Schönheit ist nirgends
zu finden. Von den hier angestellten Mitgliedern des
Theaters lernte ich kennen und achten vor Allen Hrn.
Pauli, der fchon in Wien 1830 meine und Aller Be=
wunderung durch feine Gastrollen auf sich zog, Hrn.
Devrient, Werdy, Mad. Werdy, welche ich gestern
Abend auch bei Tiek fand, Dem. Herold c. Doch ent-
halte ich mich im Ganzen jeden Urtheils, da ich nur
zwei Vorstellungen beiwohnte, und daher die Anstalt
zu wenig kennen lernte. Pauli ist jedenfalls einer
unserer ersten fcenischen Künstler in Teutschland und
steht den größten Namen würdig zur Seite. Selten
findet man ein so in sich vollendetes Talent, Verstand
mit Empfindung gepaart, tiefe Ueberlegung mit inne-
rer Kraft, Begeisterung für seine Kunst, mit einer
Mäßigung, die nur großen Geistern möglich ist.
Nicht minder liebenswürdig als groß in feiner Kunst
ist Herr Pauli im geselligen Umgange, feiner Güte
verdanke ich die Bekanntschaft mit Vater Tiek. Die-
fer würdige Veteran unter Teutschlands Literatoren
2(34)
hält täglich Abends in feiner Wohnung dramaturgische
Vorlesungen, in welchen man die ausgezeichnetsten
Dresdener Literatoren und dramatischen Künstler ver-
fammelt findet. Gestern Abend wohnte ich einer der-
selben bei. Tieks Aleußere, so wie sein Betragen, ver-
räth gleich auf den ersten Anblick den Mann von
ungewöhnlichem Scharfsinn, hoher Bildung und Welt-
kenntniß. Seine Gestalt ist klein, etwas schief, fein
Kopf eine wahre Antike voll Ausdruck und Seele;
er ähnelt Thorwaldsen, nur mangeln ihm jene derben,
harten Züge, die in Thorwaldsen den Sohn des hohen
Nordens verrathen. Ein scharfes prüfendes Auge
belebt das interessante Gesicht, Ernst und Nachdenken
deutet eine gefurchte Stirne. Wenn er spricht, so
spielt ein einnehmendes Lächeln am Munde und macht
ihn äußerst liebenswürdig in der Conversation. Er
las heute Shakespeares Richard II. Wohlthuend für
mich, der hier in Dresden nur Büsten sah und ein-
töniges Gespräch hörte, war die Wärme einer De-
klamation, das Feuer seiner Begeisterung, die Kraft
und lebendige Verwendung einer schönen tonvollen
Stimme. Shakespeare's Genius wachte über ihn, so
war mir, als ich ihn entflammt von einem herrlichen
Stoff sah. Ich sah nichts als ihn, hörte nichts als
ihn, und war stets vor, und zwei Stunden nach feiner
Vorlesung nur immer an ihn gefeffelt. Die übrige
hier anwesende Gesellschaft, meinen Führer ausgenom-
270
men, bemerkte mich eben fo wenig als ich sie, und ich
würde mich in dem Zirkel voll ächt fächsischer Steif-
heit fehr übel befunden haben, wenn nicht mein In=
tereffe an Tiek gehangen hätte. Ich begreife nicht,
wie es gemeine Naturen geben kann, welche diese
Abend-Unterhaltung Tiek's zur Zielscheibe ihres Spot-
tes machen konnten, welche sogar die Unverschämtheit
fo weit trieben, über sparsame Bewirthung zu klagen,
als ob die gefällige Einladung der Fremden dazu
dienen sollte, einem hergelaufenen Lumpenkerl, der
durch irgend einen Verstoß in eine honette Gesellschaft
gerieth, eine Mahlzeit zu ersparen.
Leipzig, im Febr. 18 **.
Mein Freund! -
Andere Leute werden ohne Zweifel an Sie fährei-
ben: „bester, liebwertheiter, theuerster, liebter, schätz=
barster, verehrtester, hochzuverehrender, hochgeachteter 2c.
Freund,“ ich aber in meiner Einfalt nenne. Sie bloß
„mein Freund,“ und das ist genug. Millionfache
Lüge und Mißbrauch wird getrieben mit dem inhalts=
schweren Wort „Freund“ und der Allerverlaffenste
unter den Menschen hat wenigstens 100 Menschen in
feiner Umgebung oder in der Entfernung, die er Alle
Freunde heißt. Und doch steigen Millionen ins Grab,
die ohne Freunde gelebt, geliebt und genoffen haben,
271
die den weiten Landstrich des Lebens durchirrt hatten
bis ans Meeresufer der Ewigkeit, ohne je in Drang-
fal und Freude, in Hoffnung und Verzweiflung, in
Irrthum und Erkenntniß, einem Freund zu begegnen.
Wohl begegnet uns oft süße Freundlichkeit und dienst-
willige Aufwallung eines kindlich gemüthlichen, aber
auch kindlich wankelmüthigen, schnell vom Haß zur
Liebe und von Liebe zum Haß übergehenden Charak-
ters, aber selten, felten ein Freund von ernster Festig-
keit und ewig warmer Liebe. Schmeichelnder Selbst-
betrug verdeckt uns aber mit lachenden Gesichtern,
voll „Freundlichkeit und Liebe unserer Verlaffenheit
und der, welcher oft auf den höchsten Höhen der
menschlichen Gesellschaft ganz allein, Niemanden be-
freundet und Niemanden ergeben, verlaffen dasteht,
und sich von Tausenden umgeben wähnt, die ihr Vlut
und Leben freudig opfern, begreift seine Einsamkeit
wohl selten oder nie. Lächerliche Vergleichungsstufen
der conventionellen Lüge: werther, werthester, lieber,
liebster Freund,“ – ein Freund ist einzig, wie eine
Geliebte.
Seitdem ich die heimathlichen Berge und Sie
verlaffen habe, fchrieben wir uns oft, und manch trau-
liches Wort warmer Theilnahme und erquickenden
Trostes kam mir von Ihnen zu aus der Ferne, aber
noch habe ich das Versprechen nicht gelöst, Ihnen
auch hierüber Nachricht zu geben, was außer mir ge-
272
schieht und lebt, denn bisher war die Außenwelt ein
Schattenspiel für mich, das ungesehen an thränenmat-
ten Augen vorüberging. Mein Geist war feitdem
erkrankt, gestorben und auferstanden mit neuer Kraft
und Mannheit aus dem Grabe meiner Ideale, mein
Auge ist licht geworden und schaut nun ruhig um
sich her, aber es vermißt die Farbe in der Bilderei
um mich her. Es sieht nur Höhen und Tiefen, Klei-
nes und Großes, aber die Schönheit zu messen, hat
es den Maßstab verloren, darum fyin Sie nicht un-
gerecht gegen mich, Freund, wenn ich hart bin, denn
was flüssig war, weich und glühend wie Lava, ist
erkältet, härter denn Eisen. - Die rohe, lieblose Kraft
habe ich noch, aber die Liebe ist los, losgeriffen auf
ewig. Als Licht trage ich noch eine kalte Sonne in
der Hand, aber die Farbe ist los, losgeriffen auf ewig!
Den Muth habe ich noch, aber die Wärme ist hin.
Das nordische Geistesklima hat mich verdorben, die
Blumen vertrocknet und die Keime erfroren.
Ich kam nach Norden und dachte an Offian.
Ich kam nach Norden und der Mythos unserer Väter
brauste vor meinem Geiste vorüber in hehren Gestal=
ten und nächtlichen Wolken; ich kam nach Norden
und glaubte, im Winter wird die Liebe warm! Aber
es war ein Traum, und als ich erwachte, zitterten mir
die Glieder vor Frost. Ich kam nach Norden als
eine Flamme aus Süden, und der kalte Nordwind
273
hat mich ausgelöscht; ich kam nach Norden, Freund,
und dachte (risum teneatis!)
" die Welt ist vollkommen überall –
und fand: -
wo der Mensch nicht hinkommt mit feiner Qual.
Wenn ich an meine Enttäuschung denke, und sehe,
wie die Fernen fo fhal werden, wenn sie einmal unser
Raum sind, dieselben Fernen, welche uns die Lüge
der Phantasie, die frevlerisch mit unserem Herzen
spielt, und unseren Wünschen und unserer Sehnsucht
und unserem Schmerz, so reizend, fo trügerisch schön
und anlockend ausmalt mit muthwilliger Kühnheit
und falscher Zuthat, da wird mir fo lustig zu Muthe,
daß ich lachen muß über das gewaltige Kind, und al-
les Streben mir vergeht nach Ferne. Im Norden
nur wohnt nüchterne Mannheit, wahre Wirklichkeit
und truglofes Licht; im Süden ist der Mensch ein
leichtfertig Kind, aber das Kind ist schöner als der
gereifte Mann mit seinen groben Zügen, mit feiner
groben versteinerten Kraft. Der Süden ist das Thal,
das blühende Thal im Gebirge; der Norden ist die
eifige Ferne, die kalt und leblos das Leben überschaut.
Der Norden ist der bittere Hohn über das Keimen,
Blühen und Sterben der Natur. Der Norden steht,
wie feine Temperatur, tausend Klaftern über der Le-
benswärme der Erde, zwischen dem Himmel und ihr.
Aber ich möchte lieber schlafen, warm gebettet in einem
A-
, 18
274
Grabe des Thales, als frieren auf diesem Höhenpunkt,
ich möchte lieber vergehen in der Hitze der Tiefe, als
erstarren zu todtem Eis in der Höhe. In der Ferne
dürstet das Herz und die Seele und labt sich, dürstet
wieder und labt sich wieder; die Kälte erstickt den
Durst und das Leben - und nichts bleibt von feiner
Bewegung, als der kalte, eisige Athem. Gebt mir
Wärme und ich laffe euch das Licht, laßt mir das
Fühlen und ich mife gern das Auge. Der Mensch
ist im Norden eine exotische Pflanze, die ausartet und
verdirbt in dem feiner Natur widersprechenden Clima.
Er hat zuviel viehischen Genußtrieb für die physische
Armuth der nordischen Natur, zu viel empfindsames
Leben für die Leerheit an Formen und Bedeutung,
und zu wenig Geistes-Entbundenheit, um den Reich-
thum der Erde zu missen, um die nahe gränzende
von allem Irdischen entkleidete psychische Welt zu
umfaffen. - -
Die natürliche Zone des Menschen, in welcher
das Südgewächs feines Körpers und der edle Baum
feines Geistes gedeihet, und feine natürliche Größe,
Dichtheit und Bewegung erhält, ist der Süden. Mehr
als jedes andere Thier ist der Mensch auf seinen
Himmelsstrich angewiesen, da ihm die Natur jede Be=
kleidung seiner Nacktheit versagt hat. Wäre er für
den Norden geboren, so müßte er das Fell eines
Bären, die Ausdauer eines Kamehls und das zähe
275
Leben einer Katze mit auf die Welt bringen. Aber
er stellt den fremden Himmel und feinem Ungemach
die Kunst entgegen, verbirgt sich, wie die füdlichen
Pflanzen und Früchte in Treib- und Warmhäuser,
nähet sich in Thierfälle und Tücher, und fagt: der
Mensch gedeiht in jedem Clima. Ja, er gedeiht wie
die Fichte in der Eisregion, verkümmert und gekrümmt,
gedeiht wie die Orange im Treibhause, wie ein afri-
kanischer Hurd, wenn man ihm eine Pelzjacke anzieht.
Er gedeiht, aber er erfriert sich Nase, Ohren, Augen,
Hände, Füße, und am Ende das Herz. Man hat
also in sofern nicht unrecht, wenn man behauptet, der
Mensch gedeiht in allen Zonen, und ist für alle ge-
boren und an keinen Himmelsstrich beschränkt, an
kein Gesetz der Natur, und wäre auch kein anderer
Grund dafür vorhanden, als fein entschiedener Trieb
nach Unnatur.
Ich halte es für ein großes Unglück und für
eine erwiesene Sache, daß die Erde zu klein ist für
den Menschen, namentlich jener Himmelstrich, der
ihm natürlich ist. In jenem Lande, wo ich mich ge-
genwärtig befinde, müßte eigentlich, und von Rechts-
wegen, das unbewohnte Land angehen, oder die Men-
fchen müßten, wie gesagt, in Bärenfellen auf die Welt
kommen. Unbegreiflich ist es mir jedoch, daß schon
in uralten Zeiten, nach Strabos fehr erbaulichen Kun-
den, hier Menschen gewohnt und sich angeblich, bei der
4 1836
276
Eichelmast, fehr wohl befunden haben. Damals war
doch noch kein fo großer Mangel an Raum, und die
Leibeskasteiung unserer würdigen Vorfahren nur da-
durch zu entschuldigen, daß sie so unwiffend waren,
wie jetzt kein Primaner, und nicht wußten, daß es
außer ihrem schlechten Lande noch irgend wo andere
beffere Gegenden gäbe. Erst spät scheinen sie durch
Jason und andere Abenteurer, die vermöge des
oben erwähnten Triebes nach unnatürlichen Dingen
ihre schönere Heimath verlaffen und fich nach Norden
verirrt hatten, belehrt worden zu feyn. Auch scheinen
fie von der Zeit an, vielleicht aber zu spät, eingesehen
zu haben, daß es wohnlicher feyn muß und beffer in
dem reichen blühenden Südland. Die Völkerwande-
rung und die Ueberschwemmung des römischen Reichs
von nordischen Barbarenhorden scheint hievon Zeug-
niß zu geben. Heut zu Tage ist man noch weit auf-
geklärter über die Vorzüge des Südens, und zwar
fo stark davon überzeugt, daß es keinem Nordländer,
außer den Schweden, die noch in einer gewissen Kind-
heit leben, namentlich aber keinem Norddeutschen, ein-
fällt, sein Vaterland zu lieben, wozu, beiläufig gesagt,
auch nicht der mindeste Grund vorhanden wäre.
Zwar stellen sich viele unter ihnen noch immer an,
als ob sie es thäten, und manche wieder unter diesen
Wenigen meinen es sogar in ihrer Unschuld so lange
ernstlich damit, bis sie sich mit ihren eigenen Augen,
277
Ohren und fonstigen Gefühls- und Sinneswerkzeugen,
vollkommen überzeugt haben, daß es überall beffer ist,
wo die Sonne wärmere Strahlen hat. Auch ist fast
kein Beispiel vorhanden, daß irgend ein Nordländer,
hat er einmal fein Leben und feine Kraft auf südlichen
Boden verpflanzt, sich zurückgelehnt, oder gar zurück-
gekommen wäre auf den vertrockneten eisstarren Bo-
den, wo man seinem Keim durch eitle Gärtnerkünfte
zur Entwicklung verhalf. Er vergißt leicht und ohne
Thränen den grauen Himmel, wie die drückenden
Deckbetten und mit stinkendem Torf erwärmten Men-
fchenstallungen feines Vaterlandes, er labt fein trübes
Auge an dem lachenden Himmel und der grünen
Erdblüthe, schmeckt die füßen Früchte eines reicheren
Bodens, trinkt die Wollust des Lebens in vollen
Zügen, und wenn er alt wird, fo weiß er kaum noch
die Sprache feines Geburtslandes zu stammeln, und
doch gibt es Menschen, die anderer Meinung sind,
als ich. - -
Darf ich Ihnen meine besondere Erfahrungen über
das Leben in Norddeutschland, bitterer und süßer Art,
mittheilen, muß ich noch einige allgemeine Bemerkun-
gen voraussenden, um Sie, das die Hauptsache ist,
mit meiner Gemüthsstimmung und daher auch mit
dem Gesichtspunkte, aus welchem ich durch meine
Brille fehe, bekannt zu machen. Daß hierauf fehr
viel ankommt, und die Beleuchtung der Gegenstände
278
in der Färbung unserer Brillen bedingt ist, brauche
ich Ihnen, als einem Manne, der eine beffere Einsicht
hat, als aus einem gewöhnlichen Dutzend-Verstande, wie
man sie allenfalls zur orthographischen Correktur eines
Buchs oder zur Ausrechnung einer Dividende gebraucht,
entspringt, nicht weiter auseinanderzusetzen und vorzu-
käuen. Bei jedem anderen Menschen, ja sogar bei Men-
fchengesellschaften, bei einem Publikum oder Publiküm-
chen, würde es mein Stolz fchwerlich zulaffen, ein solches
Geständniß meinem Urtheil vorauszuschicken, da ich
durch die Ueberzeugung von dem Unverstand der größ-
-ten Menschenzahl und von der Seichtigkeit der meisten
Individuen, die sich zu den großen Geistern zählen, und
doch felbst willig Narren unterordnen, die für Millio-
nen als die größten Geistes-Autoritäten gelten, zu ei-
ner solchen Halsstarrigkeit meiner Meinungen gekommen
bin, daß es zu den Seelenwundern gehört, die sich
mit mir manchmal ereignen, wenn ich mit Vorbehalt
besserer Einsicht, größerer Unbefangenheit, urtheilend
abspreche. Zu diesen allgemeinen Bemerkungen ge=
hört die des Irrthums, in welchem sich die Nordteur-
fchen über ihren eigenen Zustand und die waltenden
Lebens- und Bewegungs-Prinzipe befinden; darin ist
namentlich begriffen die Anmaßung einer höheren
Bildung, eines bedeutsameren Lebens und Wirkens,
einer abstrakten Stellung ihrer geistigen Potenzen, in
einer gewissen stoisch vornehmen Geringschätzung eines
-
279
finnlichen Genußlebens. Diese unsinnige Arroganz
herrscht mehr und minder in den Höhen und Tiefen
der Gesellschaft, und sie hören in Nordteutschland fo-
gar von Taglöhnern, die keinen andern Lebenszweck
haben, als Nahrung und körperlichen Genuß zu er-
werben, sehr häufig die Südländer beschuldigen, daß
fie keine andere Freuden kennen, als die, welche eine
gut besetzte Tafel mit Backhändeln, wie sie zu fagen
pflegen, um die albernen Sinnesmenschen recht lächer-
lich zu machen, ihren unersättlichen Magen und Gau-
men gewähren; dabei brüsten sie sich nicht wenig mit
ihrer eigenen feinen Bildung, mit ihrer Gelehrsamkeit
und hohen Weisheit, welche gegen die Ignoranz und
Rohheit der Südteutschen gar zu sehr abfäche. Ueber
den österreichischen Kaiserstaat namentlich find sie fo
vorzüglich gut unterrichtet, als nur irgend ein Tag-
löhner in China es feyn mag. Die Erfahrungen und
Forschungen, welche diesen großen Kenntniffen zum
Grunde liegen, werden in der Regel, mit einem ge-
waltigen Aufwand von Scharfsinn, Witz und Gelehr-
famkeit, auf empfindsamen Reifen in die sächsische
Schweiz und durch dieselbe in das böhmische Elbthal
oder im Riesengebirge gesammelt und mit den kühnen
Folgerungen und Erklärungen, welche großen Geistern,
wenn sie aus Nichts ein Buch machen, fo eigenthüm-
lich ist, nicht selten den langmüthigsten Druckereien
und Verleger übergeben, um Europa und die Welt
280 '-
aufzuklären, über die 32 Millionen. Hat sich dann
einer von seinem Forschungsgeist fo weit hinreißen
laffen, daß er Entdeckungsreifen nach Töplitz und
Carlsbad machte, dann kann man vollends gewiß
feyn, daß Niemand die politische Lage der alten
Austria, die inneren Verhältniffe des Staats und
Landes, die Sitten und Gebräuche ihrer Nation bef-
fer kennt, als er.
Was England ist in Europa, das ist der teutsche
Morden in Teutschland. Die Freiheit ist dort nur
eine kommerziale, welche nichts gemein hat mit dem
enthusiastischen Freiheitssinn der Südländer. Dort
gebietet der trockene Verstand, hier das Herz. Beide
find freiheitsliebende Despoten, aber gewaltiger, edler
ist des Herzens feuriger Wille. Der „nordische Geist“
rechnet das Glück der Menschen aus mit Ziffern über
Ausfuhr und Einfuhr, Staatsschuld und Einkünfte.
Das höchste bürgerliche Glück heißt dort eine Million.
Den Mann schätzt man dort nach feinem Geldgewicht,
und der Stolz entspringt aus Reichthum. Wir haben
die Spitze der Kultur erreicht, fagen die Nordischen,
bei uns werden die schönsten Wollenzeuge, Stahlar-
beiten c. verfertigt, bei uns ist das meiste Geld, bei
uns der lebhafteste Handel. Wer kein Geld hat, der
ist ein Schuft, wer nicht mit Strümpfen, oder Tuch,
oder Leder handelt, der ist ein Taugenichts, ein
Tagedieb. Die Beamten sind die Staatsbuchhalter
281
und Commis. In Leipzig und Hamburg heißen die
Reichen vornehme Leute, und der dümmste Buch-
händler gilt dort mehr, als der achtungswerthefte
edelste Mann ohne Geld. Ein Schiller ist in der
öffentlichen Achtung ein Lumpenhund gegen einen
dumm stolzen Buchdrucker, und während Niemand
vor jenem den Hut ziehen würde, außer feinen näch-
ften Bekannten, sieht man täglich vor jenen Men-
fchen, welche nur die goldenen Früchte der Kunst und
Wiffenschaft erndten, die Menge mit demüthiger Be-
grüßung vorbeiziehen. Die Reichen nur vertreten
dort das Volk, fiel allein haben Sitz und Stimme
bei den Staatsgeschäften, und kommandieren wohl
auch hier und da eine großartige Nationalgarde –
gleichviel wie dumm, feig und niederträchtig sie auch
seien. Alle öffentlichen und Privat-Verhältniffe in
England und Nordteutschland ähneln sich.
Wenn mich die Nordteutschen haffen, und nicht
ganz mit Unrecht behaupten, ich spräche zu hart und
unfreundlich über ihre Mängel, so mögen sie nur
darin gerechte Vergeltung finden, denn ich habe nichts
gethan, als was sie in unserem Vaterlande stets thun;
ich habe die Schattenseiten ihres Lebens mit den Licht-
feiten des unfrigen verglichen, wie sie die Schattensei-
ten des unfrigen mit den Lichtseiten des ihrigen ver-
gleichen. Dennoch will ich nicht so sehr ungerecht
feyn gegen fie, wie sie gegen uns, und ich weiß und
2S2
bekenne es, in ihrer Wüste manches warme Herz,
festere Freundschaft und regsamere Geister gefunden
zu haben im Norden.
Im traulichen Gespräch faß ich mit meinem Ci-
cerone in einem Kaffeehaufe und aß Eis, als mein
Gefährte mir einen Mann zeigte, der unter unaufhör-
lichem Fluchen und unter dem Gelächter der Umste-
henden Billard spielte in Hemdärmeln, und sich in
allen Dingen betrug, als ob er allein hier wäre.
Mein Cicerone versicherte, der Mann gehöre feines
sonderbaren Wesens wegen zu den Merkwürdigkeiten
von Mailand. Er sei der größte Grobian in der
Stadt, der größte Libertin und Freigeist, und ein fehr
witziger Kopf, der stets mit der Polizei Händel habe.
Nach Beendigung der Parthie stellte mich mein Ci=
cerone dem Wunderthiere vor, bat mich aber, nicht
böse zu werden, wenn er etwa unhöflich würde. Bra=
marbafino – fo fähimpften ihn die Mailänder, maß
mich von Kopf bis zu den Füßen, fah mir lange
fchweigend ins Gesicht, und schien durch etwas über-
rascht den groben Humor zu bekämpfen, der ihm eben
eine Sottise auf die Zunge legte. Ich hatte diese
Schonung meinem Cicerone zu verdanken, der unter
anderem erwähnte, daß ich lange Zeit in M* * *
gelebt habe. Er warf die Queus sogleich bei Seite,
283
faßte mich bei der Hand, und sagte fo höflich als
möglich: - - -
„Wirklich in M*** waren Sie, in dem lieben
Pfaffennest? Wie lange waren Sie dort?“
„Zwei Jahre.“
„Per baco! da müffen Sie ja Guilio Pinto
kennen, den empfindsamen Neapolitaner, den thränen-
reichen Lustspieldichter?“
„Sehr wohl, wir nannten uns Freunde und
wohnten sogar eine Zeitlang beisammen. Wenn ich
nicht irre, bekam er Briefe aus Mailand von einem –“
„Pft, still sage ich – wirklich Sie kannten ihn
– eorpo della madonna, das ist wirklich ein merk-
würdiges Zusammentreffen. – Herr haben Sie Zeit
und Lust, mit mir spazieren zu gehen? – Kommen
Sie, prego la, kommen Sie.“
Damit nahm er, ohne auf meine Antwort zu
warten, feinen Hut, faßte mich am Arme und schleppte
mich fort. Mein Cicerone wollte uns nachfolgen,
aber Bramarbasino führte ihn scherzend beim Kra-
gen zurück in's Kaffeehaus.
„Laßt mich doch, Bramarbasino,“ schrie der Arme,
„ich will ja nicht mit euch gehen, – so laßt mich
doch los.“ Aber in dem Augenblick wich die Thüre
des Kaffeehauses, und der Cicerone fiel unter dem
platzenden Gelächter der Gäste zur Thüre hinein.
284
Lachend eilte Bramarbasino mit mir davon. Er
führte mich unter einem äußerst lebhaften Gespräch,
das fich um feinen Bruder Pinto drehte, in ein na-
hes Landhaus vor der Stadt, öffnete einen Garten
und trat mit mir in eine erhabene Laube, von wo
aus man Mailand überfah.
„Also Ihr kanntet Pinto,“ sagte er, indem er sich
fetzte – „den guten Narren, meinen Bruder, – er
ist der einzige Mensch, den ich noch liebe – ich kann
ihn nie vergeffen, o erzählt mir doch recht viel von
ihm.“
Ich erzählte stundenlang, und fagte ihm, was ich
wußte, aber er wollte stets mehr wissen.
„Sagte er Euch denn nichts von feinem Bru-
der ?“ fragte er.
„O ja, er fagte mir, Ihr wäret ein Sprudel-
kopf, ein wilder unglücklicher Mensch, der ihm vielen
Kummer mache.“
„Der gute Junge, wie er mich liebt, o ich kenne
diese Taubenfeele – aber fagt mir, erzählte er Euch
nichts von meinem Leben?“
„Nichts, als daß es unglücklich gewesen, daß Ihr
wegen eines Duells Euch flüchten mußtet, daß Ihr
feitdem nicht zu einem verständigen Lebenswandel zu
bewegen feid.“
- - „Da hat er recht, aber das ist nicht Alles. Hört
mich, ich will Euch eine Geschichte erzählen, fo gut ich
285
es kann, und wenn ihr dann nicht mit mir einver-
standen seid, daß man nach solchen Dingen die Welt
haffen muß, fo will ich mich beffern.“
Bramarbasino feufzte tief auf, fchwieg lange fin-
nend, rieb sich die Stirne und sah plötzlich so ernst
und wehmüthig aus, als ob er nicht Bramarbasino
wäre. Von feiner wilden Laune war nicht eine Spur
mehr zu entdecken, und es fähien als hätte die Erin-
nerung an die Vergangenheit ihn gänzlich umge-
wandelt.
„Odoardo, Neapels berühmtester Arzt und Ge-
lehrter, faß träumend an feinem Schreibtisch vor
einem unbeschriebenen Blatt, das feiner Heimath
und feinen dort zurückgebliebenen Lieben ein Zeichen
feines Lebens und Wirkens bringen sollte. Die Ge-
walt der Erinnerung hielt feine Gedanken gefeffelt,
und die goldene Zeit feiner Kindheit tauchte im lieb-
lichen Rosenschimmer in seinem Bewußtsein auf
Thränen perlten über feine bleiche Wange, und
fchmerzliche Seufzer entrangen sich seiner Brust. Je-
der Hauch des Athens war ein Gruß der Vergan-
genheit zugesandt, jedes Lächeln ein Zeichen, daß ihm
wieder eines jener zauberischen Bilder vorschwebe,
welche eine Sehnsucht nach dem heimischen Glücke er-
regten. Aber immer schwermüthiger und düsterer
wurde sein Gemüth, fein Auge vertrocknete, und to-
desstarr hing ein Blick an einen Punkt geheftet.
-
286
„Gebt mir ein Recept, Doctor,“ rief plötzlich
eine Stimme. Erschrocken, daß Jemand ihn in sei-
ner Einsamkeit belauscht, wandte sich Odoardo um.
Ein Weib faß da in grauer fremdartiger Tracht,
mit bleichem Gesicht und wilden gräßlichen Zügen.
„Gebt mir ein Recept!“ widerholte sie, den Mund
zu einem höhnischen Lachen verzerrend; aber Odoardo
antwortete nicht, sondern fah fie starr an in fum-
mem Erstaunen und keimender Wuth. Endlich brach
er los mit einem Sturm zorniger Fragen:
„Wie kommt Ihr hieher, wer feid Ihr, wer ließ
Euch herein in dieser Stunde, fprecht, oder ich werfe
Euch zur Thüre hinaus.“
„Was kümmert's Euch, wie ich hieher komme,
gebt mir ein Recept!“ antwortete die Alte gleichgültig.
„Ich verlange ja von Euch nur Unbedeutendes, keinen
großen Aufwand Eurer Kunst erfordert es, mich zu
befriedigen. Ich will ein Recept haben, nicht einem
Kranken auf, fondern einem Gefunden hinabzuhelfen,“
fetzte sie hinzu, in ein kreischendes Gelächter ausbre-
chend.
Odoardo beachtete den Schluß ihrer Rede weni-
ger, als den Anfang, und war zornig aufgesprungen.
„Was es mich kümmert, wenn sich Gesindel in
mein Haus schleicht,“ schrie er wüthend. „Tod und
Teufel, bin ich nicht Herr in diesem Haufe ?“
- 287
„Herr im Haufe u lachte die Alte, und wollte
ersticken in ihrer fonderbaren Fröhlichkeit; „Euer
Weib ist eine Hure, und Ihr seid Herr im Hause,
ha, ha, ha, das ist lustig.“
„Teufel!“ raste Odoardo, und stürzte sich auf
die hohnlachende Megäre.
Auf das ungewöhnliche Geräusch eilte Donna
Elvira, Odoardos liebliche Lebensgefährtin, mit ihrer
Zofe in Odoardos benachbarte Studierstube. Laut
aufschreiend stürzte sie sich zu Odoarden hin, der ohne
Lebenszeichen auf den Knieen lag, den Kopf auf den
Stuhl gelehnt, wo einer Angabe nach die Alte
gefeffen hatte. Die steife Lage seines Körpers und
fein ganz entfärbtes Antlitz gaben ihm den Schein
eines Todten oder in tiefer Ohnmacht Liegenden.
„Heilige Madonna!“ rief Elvira erblaffend,
„mein Odoardo – mein Leben, ist todt,“ und über-
deckte unter lautem Jammer und Thränenströmen das
bleiche Gesicht mit Küffen, während die Zofe hilferu-
fend davon eilte. -
Odoardo erwachte bald aus einer Ohnmacht,
und als er ein Weib mit so vieler Liebe beschäftigt
fah, ihn ins Leben zu rufen, als er die Thränen
auf sein Gesicht perlen fühlte, und den Freudenschrei
vernahm von feiner Elvira , da überwältigte ihn die
288
Liebe und erdrückte das Mißtrauen. Weinend um-
armte er sie, und schwieg über den Vorfall, eine
plötzliche Unpäßlichkeit vorschützend:
- Am nächsten Abend war Ball in Odoardos
Hause. Fröhlicher Scherz belebte die Gesellschaft.
Neckend verfolgte Odoardo feinen Hausfreund Ro-
mano in einer lächerlichen Vermummung, und war
selbst fast fröhlich, aber sein Auge hieng an ihr. Ro-
mano nahm seinen Scherz übel, und Elvira trat hin-
zu und sprach heftig halb im Scherz, halb im Ernft:
„Odoardo, Du bist heute recht albern.“ Der
Groll rührte sich in ihm, und doch konnte er nichts
erwidern, er war tief verwundet, aber er konnte nicht
grollen. Heiß und eng ward's in feiner Brust, und
ein Thränenstrom überraschte ihn; er floh heftig be-
wegt von Argwohn und Liebe auf sein Zimmer.
Bald kam ein Bote, fich erkundigend, was ihm zuge-
stoßen fei, er schützte eine Unpäßlichkeit vor, verbarg
sein Gesicht in die Kiffen feines Lagers und weinte.
Des andern Morgens beschloß er fest, fiel heute nicht
zu sehen, aber der Zufall führte ihn an der Thüre
vorbei, und die Liebe zog ihn hinein.
„Guten Morgen,“ sagte er trocken, fich bekämpfend,
und dachte nach, ihr Vorwürfe zu machen. Sie blieb
ruhig fitzen, und flötete ihn liebreich ansehend, mit
einem Ausdruck im Gesicht, der ihm fagte, daß ein
Besuch ihr willkommen, daß sie ihn mit Zuversicht
289
erwartet. „Guten Morgen, guten Morgen!“ flötete
fie. Er trat näher, fah ihr ins Auge, sie ihm, und
er verbefferte wiederholend: „guten Morgen!“ Lä-
chelnd bot sie ihm die Hand und drückte sie innig.
Warm erkundigte sie sich nach feinem Befinden. Er
antwortete: „Gut,“ und weggefluthet war die Bitter-
keit von feinem Herzen, denn es gab in Neapel kein
vertrauensvolleres kindliches Gemüth, als das Odo-
ardo S. --
Vierzehn Tage später kam Odoardo plötzlich in
der Nacht nach Hause zu einer ungewöhnlichen Stunde,
und fand in seinem Ehebett halb erstickt von feines
Freundes Romarino glühenden Kiffen Elvira wol-
luststöhnend. Wahnsinn wüthete in Odoardos Gehirn,
mit einem chirurgischen Instrument durchstieß er die
entblößte Brust Elvirens, und ein Strom von
Blut enteilte ihr mit dem Leben.
Ihr follt nun wissen, Lindoro, daß ich nicht Pinto,
nicht Bramarbasino bin, fondern der Doctor Odo-
ardo von Neapel, daß Elvira mein Weib und Ro-
mano mein Freund gewesen. Meine Rache war nicht
gesättigt – doch Meuchelmord nicht meine Lieblings-
weise. Ich forderte Romano zum Zweikampf auf Le-
ben und Tod. Nur in Folge meiner Drohung, ihn
verfolgen zu wollen wie ein Gespenst, und wenn ich
ihn lange genug gequält, ihm den Dolch in den Rü-
cken zu stoßen, nahm er meine Ausforderung an.
419
290
In einem Wagen flüchtete ich noch dieselbe Nacht
mit meinem Todfeind. Er versuchte oft zu sprechen,
aber ich gebot ihm Schweigen. Als der Tag ange=
brochen war, stiegen wir aus und gingen in ein Ge-
hölz. Ich lud in seiner Gegenwart die Pistolen, ließ
ihm die Wahl und den ersten Schuß.
In empfindungsloser Kälte erwartete ich die Ku-
gel. Er fehlte sonst nie ein Ziel, aber heute zitterte
dem Feigen die Hand, und Todesangst überzog ein
Gesicht mit Marmorbläffe. Von dem Schuffe hing
fein Leben ab, das wußte er. „Faffen Sie sich, Ro-
mano,“ rief ich ihm zu, „Ihre Hand zittert, und Sie
fehlen, wenn Sie nicht fester zielen.“ Da sah er mich
groß an, zielte – und die Kugel pfiff meine Haare
berührend an mir vorbei. Die Pistole fiel aus fei-
ner Hand, feine Kniee wankten, feige Todesfurcht
durchbebte ihn. Er machte eine Bewegung, als wollte
er knieend um fein Leben bitten, „Verzeihung!“
fchwebte auf feinen Lippen, aber eifenfest stand mein
Entschluß. „Stehe, dreifacher Mörder,“ schrie ich,
schwang das Pistöl rasch in die Höhe, drückte ab und
er war eine Leiche. Convulsivisch war er in die Höhe
gesprungen, als die tödtliche Kugel feine Stirne zer-
sprengte, und röchelnd nieder gestürzt. Das zweite
Menschenlebenslicht war es, das ich ausblies: ich
habe gerichtet für den Oben. Aber warum steht
das gräßliche Gespenst an Elviras blutiger Brust so
291
oft vor meiner Seele, und quält mich mit feiner
fcheußlichen Fratze, warum leide ich wie ein Mörder,
und weiß mich doch gerecht? Die Welt habe ich be-
freit von einem Ungeheuer, einen bösen Giftbaum
vertilgt aus dem Garten des Herrn, und doch leide
ich wie durch Bewußtsein eines Verbrechens. Er
hat mich getödtet, ehe ich ihn, hat meine Ehre und
Thatkraft meuchlings ermordet, hat das Unglück ge-
fäet auf meinen Grund, daß es wuchernd empor-
wuchs in heilloser Fruchtbarkeit. Habe ich kein
Recht, die Schlange zu tödten, die mich ficht, de-
ren Leben Tod verbreitet und Gift? Warum quält
du mich, ungerechte Phantasie, mit deinen Zerrbildern,
und mußt doch weichen vor dem fiegenden Ausspruch
der Vernunft: „Du warst gerecht!“ Könnte es Täu-
fchung feyn, was in mir spricht mit unerschütterlicher
Ueberzeugung, Täuschung das Recht, welches klar
steht ohne Widerspruch und Zweifel unter den Sätzen
meiner reifsten Ueberlegung. Wer könnte mich eines
Anderen überweisen? Die That, die alleinige That
und ihre Quelle gehört dem Menschen an, und das
einzig wahre Gericht derselben ist die innere Ueber-
zeugung, das klare Wort der Gottheit, vergraben in
die tiefste Tiefe des Herzens. Kein menschliches Tri-
bunal, mit der Blindheit unseres Erdenwesens, kann
wahres göttliches Recht sprechen über die That, kein
Geschlecht und kein Jahrhundert. Nur der Zwiespalt
19 %
292
des Herzens, der Kampf des guten und bösen Dä-
mons, die innere Zerfallenheit, Unschlüssigkeit, die
schwankende Unsicherheit des Bewußtseins gebärt, und
rächt die böse That ohne Gewissensklarheit und Ruhe,
vollbracht in hinreißender Leidenschaft, die Seele mit
Reue befruchtend im Augenblick des Vollbringens.
Anders ist es mit der wohlüberlegten, in unzweideu-
tigen Gefühlen des Rechts vollbrachten That, die
kühne oder listige That eines Gerechten vor sich selbst,
und wer von euch Kurzsichtigen wollte sich erkühnen,
fie zu richten, in einem Augenblicke das zusammenfas-
fen, was zum richtigen Urtheil führen soll, klüger
fein und beffer bei kaltem Herzen und nach kurzer
Berathung, als der Geist des Verklagten vor dem
Tribunale der Menschheit. Könnt ihr es denn faffen,
was er Ungeheures gesonnen und gelitten, bekämpft
und freigelaffen, könnt ihr nur eine Welle zurückfüh-
ren von dem Gedankenmeer, das nur in einer Stunde
feines Leidens vorübergewogt; kann er felbst euch in
den begriffarmen Worten der Sprache ein Bild ge-
ben, und eine Geschichte feiner tausend tausend stillen
Thaten vor der lauten weltsprechenden Endthat? Kann
er euch selbst die That in feiner millionfachen Verket-
tung mit feiner inneren und äußeren Welt wieder
geben, wie fie geschah? Einen einzigen Gedanken,
wie die Sekunde deren hundert umfaßt, in hundert-
fachem Anklang einer neuen Gedankenwelt, einen ein-
293
zigen Gedanken auszudrücken in Schrift, Sprache und
Ton, müßt ihr der Zeit den tausenfachen Raum ab-
zwingen – wie wollt ihr erst mit der unendlichen Ge-
dankenreihe fertig werden, die ihn zur That bestimm-
ten? Diese Armuth des Wortes, und diese Enge der
Zeit, wo es gilt, Ideen zu versinnlichen, und die Ge-
burten der Psyche in finnliche Sichtbarkeit zu brin-
gen. Da ist Richten und Urtheil frevelhaftes Hin-
übergreifen in die Welt der Geister, thörichtes Meffen
einer Größe, die unmeßbar mit der hölzernen Elle
eures Schneider verstandes. „Ich kann's Euch nicht
fagen, was in mir vorgieng, ich würde in hundert
Jahren nicht fertig,“ hört man oft von Menschen, de-
nen man eben keinen Reichthum an Ideen zumuthet,
und dennoch sprechen sie Wahrheit, keine Hiperbel.“
Bramarbasino fchwieg.
„Ihr habt mir da,“ sagte ich, „eine sehr alttäg-
liche Geschichte erzählt, die keines blutigen Ausganges
werth war, und die Euch keineswegs berechtigt, die
Welt zu haffen, weil Euer Weib leichtsinnig und
Euer Freund ein Mensch war. Nicht alle Weiber
find fo, nicht alle Freunde.“ -
„Ihr habt recht, Lindoro,“ antwortete er, nach-
dem er lange geschwiegen, „aber Ihr wißt noch nicht
Alles. Der Betrug eines Weibes rechtfertigt nicht
den Haß des Geschlechts, aber dreier Weiber Treu-
lofigkeit ist zu viel für den Glauben an weibliche Tu-
\
294
gend. Nach Elviras Tode heirathete ich noch zwei
Mal, und – feht diese Hände hier,“ und in feinen
Augen funkelte Wuth, als er eine riesigen Knochen
entblöste, „diese Hände hier erwürgten noch zwei treu-
lofe Weiber.“
Ich schauderte zurück.
„Fürchtet Euch nicht,“ sagte er nun plötzlich kalt
und lächelnd, „das war nur eine poetische Redensart,
ich habe sie nicht erwürgt. Bramarbasino erwürgt
kein Weib mehr, er läßt sie nur laufen. Aber fagt
mir, kann man mehr Vertrauen in die Tugend der
Weiber haben, als wenn man nach solchen Erfahrun-
gen noch zwei Mal heirathet?“
„Gewiß nicht.“
Gestern Abends war ich im Teatro la scala, in
der bequemen und geräumigen Loge P–'s. Ich weiß
nicht, was man gab, denn das Schauspiel, um defen
willen ich mit meinem Cicerone gekommen war,
spielte auf den Galerien und im Parterre. Dort
machten sich unsere Offiziere in ihren Uniformen breit,
und man konnte es den hinter ihnen stehenden Civil-
personen leicht anmerken, daß sie über die Gegenwart
der Weißröcke eben nicht erfreut waren. Mein Ci-
cerone war eine wahre Chronique scandaleuse, und
unerschöpflich in Spöttereien über die Damen. Er
war nicht minder eingeweiht in die geheimsten Liebes-
–
295
intriguen der vornehmen Welt, als in die politischen,
denn er gestand mir mit seltener Offenherzigkeit, er
werde von den Mailändern unter die Sbirri gezählt.
Zwar fuchte er sich von diesem Verdacht zu reinigen,
indem er lachte und sich gleichsam über solchen Arg-
wohn erhaben anstellte, aber ich kannte den Fuchs,
und machte mir mit ihm das Vergnügen, über die
Verächtlichkeit eines folchen Amtes zu schimpfen. Halb
verlegen, halb unverschämt gab er mir in Allem recht,
und behauptete felbst, daß nur ein ausgezeichneter
Schurke sich dazu hergeben könne.
„Dort in jener Loge,“ sagte er, „befindet sich die
Familie des Grafen M., aus welcher ein Mitglied
über die Seufzerbrücke, ein anderes nach dem Ge-
fängniffe in Brünn wanderte. Demungeachtet wird
in ihren Zirkeln fortwährend komplottiert, und wie
man in anderen Logen sich mit Stadtklatschereien
amüsiert, bespricht man hier fortwährend die Maßre-
geln, welche man ergreifen müffe, um die Regierung
zu stürzen. Es will ihnen aber mit nichts gelingen,
denn die Mailänder wissen wohl, daß es diesen Leu-
ten nur um die Herstellung der altitalienischen Aristo-
kratie, nicht aber um die Freiheit zu thun ist. Diese
Machiavellisten wollen das Volk nur als blindes
Werkzeug für ihre ehrgeizigen Absichten gebrauchen,
und wenn sie der Zeit wirklich einst nützen folten,
296
fo ist es gewiß nicht ihre Schuld. Rechts von dieser
Loge, eine Etage höher, werden sie eine auffallend
geputzte Dame bemerken, welche sehr kokettiert. Es ist
Donna Priska, die Schwester oder Cousine der hier
wegen ihres liederlichen Lebenswandels eben so sehr
als wegen ihrer trefflichen Stimme berühmten Sän-
gerin ***, welche sich jetzt in V* befindet. Sie
können sich eine Vorstellung von dem Ruf dieser
Dame machen, wenn Sie hören, daß man sie be-
schuldigt, vor einigen Jahren einen deutschen Offi-
zier in ihrer Wohnung aus Eifersucht ermordet zu
haben. Man konnte ihr jedoch nichts beweisen. Man
fand den Unglücklichen erdolcht in einem großen Sack
im Kanal, man wußte, daß fein letzter Gang der zu
feiner Geliebten war, die ihn durch ein zärtliches Bil=
let zu sich einlud; man wußte, daß sie den geheimen
Liebschaften des Offiziers nachspüren ließ und entdeckt
hatte, daß er einer jungen reizenden Paduanerin nicht
abhold war, daß sie ihm deshalb blutige Rache ge-
fchworen hatte. Dennoch konnte man sie nicht über-
führen und mußte sie freilaffen nach einer langen
fruchtlosen Untersuchung. Donna Priska gleicht ihr
in keiner Hinsicht, und gilt hier für ein fehr ehrba-
res Geschöpf.“
297
„Sie hat einen fo gewaltigen Vorrath von jung-
fräulicher Schamhaftigkeit, und jener lasterscheuen
Furchtsamkeit, daß fie. Jedermann zum Eckel wird,
und alle Leute sie eine unausstehliche Person fähim-
pfen. Wenn ein Mann ihr die Hand reicht, so fährt
fie erschrocken zurück, und bebt am ganzen Leibe.
Wenn ein Anderer ihre Ohrringe bewundernd, mit
feinen Fingern ihr zu nahe kommt, fo schreit sie laut
auf, wenn endlich ein Dritter gar so galant ist, ihr
beim Ankommen den Schawl vom Nacken zu nehmen,
fo glaubt sie nichts Geringeres, als ein Attentat auf
ihre Tugend, und fällt sofort pflichtmäßig in Ohn-
macht. Man sagt, dieß sei ein Naturfehler, den fie
durch die Schuld ihrer Mutter bekam, als diese die
Saat der Frucht in der Brautnacht von ihrem Ge-
mahl empfing: Das arme Weib bestieg nämlich das
Ehebett mit großer Angst und Besorgniß, daß ihr
Gimpel von Mann, während dem Coitus den Man-
gel der Merkmale unentweihter Jungferschaft ent-
decken dürfte. Diese Angst, fagte man, habe auf die
Entwickelung des Embrio fo sonderbar eingewirkt,
daß sich dadurch späterhin jener Naturfehler in dem
Kinde entwickelte. Auf diese Weise meinten die Kaf-
feeschwestern, aus deren Munde ich das Factum habe,
laffen sich die größten Sonderbarkeiten und organi-
fchen Fehler natürlich erklären. Nichts desto weniger
fcheint Donna Priska schon wiederholt von einem
„“
298
oder mehreren Canibalen ihrer Unschuld beraubt wor-
den zu feyn, und boshafte Leute versichern, daß sie
das Unglück habe, bei jeder Ohnmacht, der sie bei
Tugendangriffen unterliegt, in die Arme des Barba-
ren zu fallen, wodurch es sich denn häufig ereignet,
daß solche Bösewichter die unglückliche Lage der
Donna benützen, und ihr den heiligsten Schatz, ihre
Unschuld, immer von Neuem entwenden.“
Mein Cicerone wollte mir noch Vieles erzählen,
aber mich überfiel die Langeweile, und ihrer Zudring-
lichkeit zu entfliehen, empfahl ich mich dem Schwätzer
und ging nach Hause.
„Felice notte Signor Lindoro!“ rief eine ge-
waltige Stimme, als ich am Dom vorbeigieng, und
eben meinem alten Freunde, dem Mond, meine Fata
erzählte. Ja der Mond, per parenthesin gesagt, das
ist noch ein Kerl von altem Schrot und Korn, der
sieht einem noch frei ins Gesicht, und schwatzt nicht
aus der Schule, wenn man ihm einst mehr anvertraut,
als man billigerweise einem Menschen anvertrauen
sollte. Mir ist noch kein Mensch vorgekommen, der
es so gut meinte mit mir, als der Mond, denn er
hat mir noch kein Leid zugefügt, mich noch nie hin-
ter dem Rücken verlästert, wie andere Freunde, und
mich nicht verhöhnt, wenn ich weinte. Darum bin
V-
29.)
- ich ihm auch so gut, und kann oft Stundenlang ihm
ins Gesicht fehen und mit ihm plaudern. Und was
das Beste ist, er gibt mir in allen Dingen recht,
denn er widerspricht mir niemals. Heute redete ich
ihn fo an:
„Alter lieber Mond, warum leuchtest du auch
Spitzbuben?“
Da fah er mich lächelnd an, fähien und meinte:
die Spitzbuben sind doch auch ehrliche Leute!
„Ja wohl, wie wir alle, denn es gibt keinen
Spitzbuben, der nicht in vielen Dingen ein ehrlicher
Mann wäre, und keinen ehrlichen Mann, der nicht
in gewissen Dingen ein Spitzbube wäre.“
„In der Türkei leuchte ich,“ fuhr er fort, „eben
jetzt einer Mordfcene, und sehe zu, wie man einen
Pascha erdroffelt, weil sich der Tropf einbildete, er sei
auch so gut ein Mensch als der Sultan und der Pro-
phet; in Neapel beleuchte ich eine Entführung – der
arme Entführer! – in Paris einem Jesuiten, der
Ordonnanzen schmiedet; in England einem Staats-
mann, der darüber nachdenkt, wie er Europa am be-
ften betrügen kann, zum Wohl seines Vaterlandes;
in Teutschland einem Hundsfott von Gelehrten, der für
zwei Louis d'or alle Könige herunterreißt, und weiß
Gott wie vielen Tagedieben – sämmtlich ehrliche
Leute und Spitzbuben. Lieber Freund, wer das so
genau nehmen wollte mit den Spitzbuben, da müßte
300
ich mir viel den Kopf zerbrechen, um in dem Men-
fchenpack die Spitzbuben von den ehrlichen Leuten zu
unterscheiden. Genau besehen, wie ich täglich Gele-
genheit habe, es so zu thun, ist einer so schlecht als
der andere, und wenn es noch ehrliche Leute gibt, da
find es die Narren, die mich so angaffen, wie du,
während man ihnen hinter ihrem Rücken das
Schnupftuch aus der Tasche stiehlt.“
Der Mond hatte recht, mein Taschentuch war
fort.
„Lieber Mond, du bist doch im Grund auch ein
Schuft mit deiner filbernen Pomade.“
„Felice notte signor Lindoro!“ rief die bemel-
dete Stimme, als ich mich eben ärgerte, und in den
Taschen wühlte, als müßte ich das Taschentuch doch
noch irgend aus einer Ecke ziehen. -
„Ei fieh' da, Maestro! wo kommt Ihr her?“
„Geradenwegs aus dem Hurenhaufe in der
Strada dei – doch nein, die Straße will ich nicht
nennen und dem Hause feine Ehre nicht rauben, –
ein gewissenhafter Schriftsteller hat gar manche folcher
Ehren zu berücksichtigen, wenn er nicht ein Ehrab=
fchneider heißen will. Oder wäre die Ehre manches
hohen Herrn, der feinen Verstand und feinen Einfluß
für Geld verkauft, und den man nicht nennen darf
bei seinem Familiennamen, Herr Schuft beffer, als
die Ehre eines Hurenhauses.“
301
„Wie, Maestro Bramarbasino,“ verwunderte ich
mich, „aus so schlechter Gesellschaft kommt Ihr?“
„Was, schlechte Gesellschaft? nicht schlechter als
irgend eine menschliche Gesellschaft; Ihr wollt mir
doch nicht mit Eurer ehrwürdigen Mönchsfratze eine
moralische Kapuzinade halten? Da foll Euch ja der
Gukuk – doch ich will mich nicht ärgern, denn im
Grunde seid Ihr doch ein gefcheidter Mensch, nur
manchmal etwas naseweis, wenn Euch das Morali-
firen kommt, wie einem Prediger auf der Kanzel die
Nothdurft.“
„Nun, nun, laßt Euch's nicht verdrießen, daß ich
noch nicht so weit bin, wie Ihr; wenn ich noch ein
Paar Jahre lebe in dieser schäbigen Welt, so gehe ich
auch noch unter die Freigeister. Was macht Ihr
aber nur in dem verdammten Hause alle Abend, habt
Ihr denn so gewaltigen Ueberfluß an Säften, oder
freßt Ihr spanische Fliegen zum Abendbrod?“
„Gemach, junger Grobian,– man fieht es Euch
doch an der Nase an, daß Ihr ein Deutscher feid,–
denn Ihr seid so grob wie ich, der doch seit zehen
Jahren die Grobheit studiert – Euch ist sie angebo-
ren. Aber in das Haus da geht unter einer nicht
immer hin, um feine Testikel zu exerzieren; ich habe
meine Geliebte da, und mache bei ihr Krankenbe-
fuche.“
„Geliebte?“ –
302
„Geliebte, ja oder Braut, wenn Ihr so wollt.“
„Braut? Ihr werdet doch nicht eine H– hei-
rathen?“ -
„Ja doch, zum Teufel, heirathen, was ich so hei-
rathen zu nennen pflege; – ich werde sie in mein
Haus nehmen, sie füttern, und mir mit ihr die schlaf-
losen Nächte vertreiben. Ja, Freund, ich kann nicht
eher schlafen, bis ich verheirathet bin, dann bringt
mich die Langeweile dazu.“
„Ihr seid doch ein verrückter Kerl, eine H– zu
heirathen.“
„Und warum nicht? Ist eine H– fählechter als
ein anderes Frauenzimmer, Ihr Maulefel? Ihr wollt
doch nicht wieder mit der Tugend angestochen kom-
men. Daß es Euch nicht noch ein Mal geht mit den
tugendhaften Weibsbildern wie meinem Freund An-
felmo. Denkt Euch ein Mal die lächerliche Geschichte.
Heute komme ich wie gewöhnlich in das Kaffeehaus
in den Strada – zerhacke da mein Eis, und lache
vor mich hin. Da kommt Anfelmo, der neugierigste
Mensch in Mailand, auf mich zu, klopft mich auf die
Achsel und fagt: -
„Ihr feid ja recht aufgeräumt, – gewiß fällt
Euch wieder ein galantes Abenteuer ein, – nun er-
zählt doch Eurem besten Freund etwas, ich höre so
was für mein Leben gern.“
303
„Ihr habt gut gerathen,“ sagte ich, „denkt Euch
ein Mal den Spaß, da komme ich in ein Haus, wo
ich eine verheirathete Frau, ihre Schwester und Toch-
ter zugleich zu bedienen habe.“ -
„Das gefällt nun meinem alten Biedermann
ganz außerordentlich, er will sich todt lachen, und
hört nicht auf, mich zu bestürmen, bis ich mich bereit
erkläre, ihn in die Straße zu führen, wo die mir so
gnädige Familie wohnt. Auf dem Wege wird mir
bange für den armen Anselmo, denn er will einige
Male ersticken vor Lachen. Endlich kommen wir in
die Straße, und Anselmo meint, er würde von dem
Ort, wohin ich ihn führen werde, wohl nicht weit
nach Hause haben, denn hier fei feine Wohnung.“
„Hier find wir auch schon zur Stelle,“ erwiedere
ich, ohne Arges zu denken, – „das Haus dort mit
dem Balkon.“
„Was, das Haus mit dem Balkon?“– schrie er.
„Ja doch, das Haus mit dem Balkon.“
„Mit den grünen Jalousien?“ v -
„Freilich daffelbe, doch was Teufel ficht Euch an,
fo oft zu fragen, ist doch nur ein Haus mit einem
Balkon in der ganzen Straße.“
„Porco maladetto!“ schrie er nun plötzlich, und
faßte mich an der Brust, „b–te anche – avete poi
b−to tutta la familia; ich bin der Hausvater von
diesem verfluchten H–haus, und – il pil gran asino
304
in Italia.“ Dann fing er an fo gräulich zu fluchen
und schimpfen, daß einem gottesfürchtigen Menschen
ganz bang werden mußte. Er war fchlechterdings
nicht zur Vernunft zu bringen, fo viel ich mir auch
Mühe gab, und behauptete fortwährend unter gräßli-
chen Schwüren und Fluchen, er wäre il piu gran
asino in Italia. Der arme betrogene Ehemann, Va-
ter, Schwager! was Teufel wußte ich auch, daß er
verheirathet ist.“ -
„Seid doch vernünftig, Anselmo,“ beschwichtigte
ich ihn, „warum lacht Ihr nicht lieber jetzt, statt vor-
her – Ihr feid doch ein erbärmlicher Kerl, daß Ihr
nicht lacht. Meine Schuld ist es wahrhaftig nicht,
daß Ihr die Geschichte jetzt erfährt, denn Ihr wer-
det mir jetzt den Spaß verderben. Hört, Freund An-
felmo, laßt mir doch wenigstens Eure Tochter, das
ist ein Kernmädel, und hat Temperament; Euer
Weib und Eure Schwägerin mögt Ihr dann immer
allein behalten, denn "s ist ohnedieß kein gutes Haar
daran.“ Glaubt Ihr aber, der Narr war zu beruhi=
gen? Denkt Euch, was thut der dumme Hund? Er
wüthet, fchäumt und stoßt mich mit einem Stilet in
meinen hölzernen Arm, der, Gott sei Dank, in einer
Schlacht abgehauen wurde, denn wäre er noch von
Fleisch und Bein gewesen, so hätte es einen Crimi-
nal-Prozeß gegeben.“
-
“-
305
D a l m a t i e n.
. . .
Wenn es in dem weiten unnatürlich zusammen
gefügten Landesgebiete der österreichischen Monarchie
noch eine Provinz gibt, wo sich Natur, Menschen und
Menschenwohnungen in den Zauber der Vorzeit hüllen,
fo ist es Dalmatien. Vermißt man auch hier das Edle
und Klassische der römischen und griechischen Antike in
den Bauwerken und Menschen, so findet sich hier doch,
besonders an manchen der Küsten und im Innern des
Landes, die ewig klafische Antike der Natur so wenig
verpfuscht durch die profane Spur der Menschen als
nicht leicht irgendwo. Schon die Lage dieses Landstri-
ches macht ihn höchst interessant und die Mischung der
feltsam contrastierenden Nebeneinflüffe, die bizarre Ge-
fähichte von Ragusa, verbreitet über dieses Land ein
eigenes wunderbar färbendes Licht. Im Norden lehnt
es sich an eine Art moderner Civilisation mit eingrei-
fender Despotie vermischt, im Osten an die Barbarei der
Osmanen, und nach West und Süd fliegt ein leichtes
Segel schnell wie der Sturmvogel vom Winde getra-
gen, bald das Ziel begrüßend, nach Rom, nach Athen.
Und dieses Meer! Es trug römische und griechische
Schiffe von den Göttern des Alterthums geleitet, Zevs
Blitze und Gewitter peitschten es im Sturm, und aus
den empörten schäumenden Wogen tauchte zürnend
20
306
Neptun und rief ein donnerbetäubendes Quos ego!
Die Schifffahrt und das Christenthum leuchtete hernieder
von der römischen Küste über die Fluchen der Adria.
Venezia entstieg dem Meer und fandte prachtvolle
Baue in alle Gegenden des wüsten Ozeans. Ragusa
that ein Gleiches. Eifersüchtig bekämpften-fich die bei-
den Republiken und rangen hier auf dem Meere. Ra-
gua fank, um nicht wieder zu erstehen. Gleich hungri-
ger Wölfe fielen die Söhne Venedigs und die Barba-
ren über die schöne Leiche her, und nun steht nur noch ein
moderathmendes Gerippe an der verheerten Küste. Den
Namen aber fchenkte die hohnlachende Geschichte einem
französischen General. Es war ein in Nacht versinkender
Abend, als ein kleines Segel wie ein Gespenst auf der
Höhe von Trau erschien. Zerriffene Wolken lagerten
auf dem Festlande über der Mauer von Kalkfelsen,
welche dicht hinter dem hügeligen Ufer in öder Nackt-
heit emporsteigt, und ein geheimnißvolles Zwielicht
ergoß sich über die alten Mauern von Trau. Hinter
dem Kalkfelsen dachte ich mir das Innere des Landes
in Nacht versunken, und fo ist es in Dalmatien. Das
Leben drängt sich hier an die Küsten und läßt das
innere Land todt und wüste. Dalmatien gleicht einer
uralten Ruine, deren äußere Geschoße mit Fenstern
und hölzernen Treppen versehen und bewohnt, deren
innere Räume aber leer und öde der Zerstörung der
Zeit verfallen find.
- 307
Trau war einst eine Festung und man sieht noch
einige alte Thürme und Mauern davon. Die neuere
Strategie hat aber diesen Platz als unhaltbar und von
den Höhen der Insel Bua beherrscht aufgegeben. Es
war das alte Trajanum, welches, wie uns Strabo er-
zählt, von griechischen Kolonisten der Insel Liffa ge-
gründet wurde. Von hier aus wanderte ich in das in-
nere Land nach den einsamen Wohnplätzen der Morla-
ken, dem flavischen Hauptstamme der Bevölkerung. Die
Einfachheit ihrer patriarchalischen Sitten, die Originalität
ihrer Trachten, Gebräuche und Neigungen zeichnen sie
vor den an den Küsten wohnenden Italienern aus.
Sie wohnen in zerstreuten Dörfern oder vielmehr
in einzelnen Hütten der dalmatischen Gebirge weit
entfernt von den Civilisationskolonien an der Küste.
Von den spärlichen kunstlos angebauten und geerndte-
ten Erträgniffen des steilen Bodens, von Jagd, und
zuweilen auch von Beute, ernähren fiel sich unbeküm-
mert um die Genüffe ihrer civilisierten Landsleute. Ihre
Leidenschaften sind die natürlichen angebornen des Men-
fchen, Liebe, Haß und Freundschaft. Wunderbar ist es,
aber wahr, daß die Freundschaft unter dieser glühenden
Sonne den Charakter der Leidenschaft annimmt, und
derselben Opfer, Tollheiten und Großhaten fähig ist
wie die Liebe. Während in civilisierten Ländern, kaum
die Liebe fo stark ist, sieht man hier Freunde Gut und
Blut für einander aufopfern. Zu Forti's Zeiten wur-
- - -
20 %
308
den die Freundschaftsbündniffe der Morlacken, wie die
Ehe am Fuß des Altars geschloffen und der Priester
sprach seinen Segen über die Probatimi (Halbbrüder)
und Posestrimi (Halbschwestern). Diese romantische
Sitte scheint der feinere Fanatismus der katholischen
Religion ausgerottet zu haben, aber die Freundschaft
ist noch immer fo innig wie zuvor. Eine Ausartung
dieser Freundschaftsbündniffe findet man in den Fratelli
giurati in Italien, Raubbrüder, welche sich in Freund-
fchaft vereinigen, um zu stehlen und zu morden. In
demselben Grade wie die Freundschaft zwischen diesen
rohen Söhnen der Merlacka unverbrüchlich und lei-
denschaftlich, ist ihre Feindschaft glühend und unver-
löschlich. Sie wird, wie uns fchon Forti erzählt, von
dem Vater auf den Sohn fortgepflanzt und die Müt-
ter lehren fchon den Kindern das Gefühl der Rache
gegen die Erbfeinde der Familie, gegen den Mörder
eines Blutsverwandten. Ko ne se osveti on se ne
posveti! ist Sprichwort und Grundsatz bei ihnen,
und heißt verteutscht nichts Geringeres, als: Wer sich
nicht rächt, ist nicht gerecht. Unsere Verbildeten in Eu=
ropa werden diese greuliche Philosophie gewiß verdam-
men, und doch liegt denselben das nämliche rohe Ehr-
gefühl zu Grunde, welches in Teutschland, Frankreich
und England jedem Ehrenmann gebietet, Beleidigungen
mit Blut zu tilgen; ja es liegt noch mehr Verstand
darin, denn während wir dem Zufall das Richteramt
309
über uns übertragen und grausam den Unschuldigen
und Schuldigen einem gleichen Schicksal bloß stellen,
wirft sich hier das Gefühl des Rechts und der Freund-
fchaft als alleinigen Richter auf
Die Regierung bemüht sich, einige geläutertere
Begriffe von Recht und Pflicht unter das Volk ZU
bringen, aber vordem war der Unterricht sehr nachläßig
betrieben, und die Seelsorge war Männern anvertraut,
die fast eben fo unwiffend und roh waren, wie die
Schafe ihrer Heerde. Sie unterschieden sich von ihnen
durch nichts als eine schwarze Halsbinde, waren übri-
gens fo arm und ungebildet, fo abergläubisch und
fittenlos, wie die gemeinten Morlacken. Lange Zeit
genügte es, einen kleinen Katechismus inne zu haben,
um zur Ausübung des Priesteramtes befähig erachtet
zu werden; allein in neuerer Zeit wurde Sorge ge-
tragen, den Religionsdienst zu verbeffern, doch ist
der Erfolg noch klein. -
Merkwürdig war es mir in der Gegend von Ko-
tar, unter dem 44º der Breite, bei den dortigen Mor-
lacken blondes Haar und blaue Augen, kurz alle Spu-
ren der flavischen Abkunft unverändert zu finden, wäh-
rend wenig südlicher bei Duare und Vergoraz nichts
mehr daran erinnert als die Sprache. Räubereien
und Diebstähle find jetzt im Innern des Landes bei
weitem nicht mehr so häufig als zu Fortis Zeiten, aber
noch immer außerordentlich im Vergleich mit den an-
-
310
dern Provinzen der Monarchie. Man fagte mir, daß
jährlich im Durchschnitte unter 320.000 Einwohner (also
nicht mehr als ungefähr in Wien leben) jährlich gegen .
3000 Kriminaluntersuchungen vorfallen. Mord aus
Rache ist am häufigsten, und den Gesetzen allein werden
jährlich 60 Mordthaten bekannt – ein entsetzliches
Verhältniß, wenn man bedenkt, daß in Wien sich
jährlich kaum zwei folcher Fällen ereignen.
Wenn man alle Tugenden und Laster des Mor-
lacken in ein Charaktergemälde zusammenfaßt, so findet
man Gastfreundschaft, Großmuth, leidenschaftliche Liebe,
Ehrgefühl, Nationalstolz, Tücke, Rachsucht, wilde Hef-
tigkeit des Gemüths und Hang zum Nichtsthun in
ihm vereinigt. Die Weiber der Morlacken müffen fast
alle häuslichen Arbeiten verrichten und werden von
den Männern so gering geschätzt, daß man nicht anders
als salva venia von ihnen spricht und fiel nicht in der
Stube duldet, wenn man Gäste beherbergt. Dem
Italiener Forti begegnete es nicht felten, daß man beim
Eintritt der Frau oder Tochter sich mit den Worten
entschuldigte: Sie verzeihen, mein Weib oder meine
Tochter! Wenn ein Hausvater von feiner Ehehälfte
mit einer Tochter beschenkt wird, fo hält dieser es für
Unglück und Schande, und gibt fie, wenn sie erwachsen
find, dem nächst besten Knecht zum Weibe. Daher
kommt es auch, daß diese unglücklichen Geschöpfe alle
311
Reize der Weiblichkeit verlieren, in Schmutz und Elend
verkümmern, und mehr Eckel erregen als Reiz.
Ihre Kleidertracht ist nicht felten malerisch, und
gewinnt durch die eigenthümliche Bewaffnnng mit Ku-
gelrohren, Pistolen und Hantschars. Sie ist der einzige
Luxus, den sie lieben, außer filbernen Knöpfen auf einer
fcharlachrothen Weste. Im Sommer ist ihre Kleidung
fehr einfach und besteht aus einem Hemd und leinenen
Unterhofen. Die Weiber lieben den Flitterstaat, der
hier in meffingenen Ringen u. dergl. besteht.
Bei all der Barbarei, in welcher die Morlacken
versunken sind, findet sich doch in ihren Gesängen
eine Spur von Poesie. Die Tonkunst befindet sich
auf ihrer tiefsten Stufe. Die Morlacken haben keinen
Sinn für Melodie, und ihre einfachen musikalischen
Instrumente sind die Gusla, eine Art Geige und der
Dudelsack. Für diese find ihre Compositionen, Tänze
und Arien berechnet. - -
312
L i ff a.
Here lie in closed the remain british seamen,
who lost their lives in defense of their
king and country. A. D. C. 1815.
So ferne von eurer Insel mußtet ihr armen
Söhne Bulls vermodern, auf einem kleinen Eiland,
rings umbraußt von der See !
This monument was erected by the capitain
and officers of the brittish line of battleship Victo-
rious in memory of eleven brave Englismen interred
near this spot who died of the wounds they recei-
ved on the 22 february 1812 in action with the
french ship Rivoli of 74 guns on the coast of Ve-
nice as a tribute duc of them and the manigal-
lant fellows who lost their lives on that day in
their country causa?
Für das theure Vaterland feyd ihr gefal=
len in einem fremden Meere und der honourable Char-
les Auson auch, der dort feparat liegt, als ob er nicht
für eure Sache gefallen, oder als ob fein Blut allein
einen Grabstein werth gewesen wäre, während ihr eurer
eilf euch mit einem einzigen behelfen müßt. Für euer
Vaterland! es ist kaum glaublich, so viel hundert Mei-
lenweit von demselben für dasselbe zu fallen. Zwischen
hier und dem Lande der Britten liegt die größere
313
Hälfte von Europa mit ihren Völkern und Staaten,
und hier noch ist eure Sache zu erkämpfen. Ich glaube
es nicht, daß ihr für euer Vaterland gefallen feid. Die
alten Noriker fielen einst für ihr Vaterland auf hei-
mischem Boden, aber kein Römer fiel dort für fein
Vaterland. Ihr feid gefallen für den Wahn, oder
für die Herrsch- und Habsucht, für eine gute Sache,
für die Sache der Menschheit könnt ihr gefallen seyn,
aber nimmermehr für euer Vaterland. Wackere Krie-
ger könnt ihr gewesen feyn, aber auf eurem Grabstein
ist nur Lüge, denn die Zeiten der Barbarei find vorbei,
wo man über dem kleinen Patriotismus, der an der
Scholle haftete, die Sache der Menschheit vergaß. Doch
mag die Sache in England nicht ohne Grund feyn.
Die Politik dieses Staates ist allerdings fo egoistisch
als möglich. Hier kämpften einst die Iffarer für ihr Ba-
terland gegen den liburnischen König, und viele Jahrhun-
derte später, in dem prosaischen Jahre der Neuzeit 1810,
gerechnet von der Geburt des Mannes, der die Menschen
einst erlöst hat von dem Jammer ihres Wahns, von dem
Fluch ihrer Sterblichkeit, nahmen die Franzosen diese In-
fel für ihr Vaterland in Besitz und behielten fie
bis 1815. In diesem Jahre des Unheils erkannten die
Britten die Wichtigkeit dieses Eilandes für ihr Vater-
land und machten es zum Vereinigungs-Punkte aller
ihrer Streitkräfte im adriatischen Meere. Es ward durch
fie in merkantilischer und militärischer Beziehung das
314
Malta dieses Meeres und zählte 20.000 Einwohner.
Im Jahre 1812 versuchten es die Franzofen, diese In-
fel wieder für ihr Vaterland zu erobern und lie-
ferten zu dem Behuf den Britten am 12. Mai sogar
eine Seeschlacht, in deren Folge die Britten fich veran-
laßt fühlten, mehrere Forts hier für ihr Vaterland
ZU erbauen. Man hieß die drei Defensionsthürme Ro-
bertson, Bentink und Wellington. In der Nähe des
letzteren ist der Cimerio inglese gelegen, in welchem
man die erwähnten Inschrifteu und Monumente findet.
Gegenwärtig gibt es in Liffa nichts Merkwürdi-
ges mehr, als eine herrliche Aussicht über die Inseln
Busi, St. Andreas, Pelagosa, Budihovazh, Scoglio
cazza und ansehnlichen Sardellenfang an den Küsten.
Auf einer flüchtigen Brazzera fuhr ich nach der
Insel Leffina, dem Pharos der Alten, wo ich von einer
gräßlichen Neuigkeit begrüßt wurde. Ein Offizier war
in der Nacht zuvor von unbekannter Hand ermordet
worden. Er war als ein kleiner Tyrann allgemein ver-
haßt. Von hier fuhr ich nach Curzola dem Coryra ni-
gra der Alten, das sich nach dem Verfall des römischen
Reiches den Kaisern des Orients ergeben hatte. Später
trieben hier Narentaner Seeräuberei, wurden aber von
den Venetianern vertrieben, und feither waren die Ein-
wohner der Insel so fromm geworden, daß die Seeräuber
ihnen nichts mehr anhaben konnten. Man erzählt sich ein
merkwürdiges Amazonenstückchen von ihren Weibern,
315
welche einst (im Jahr 1571) einem gefürchteten Blut-
hund, dem Korsaren Uluzzali, so kräftigen Widerstand
geleistet haben, daß er sich unverrichteter Sache wieder
feiner Wege fcheeren mußte. Dennoch versichert man
mir, daß die Einwohner sehr bösartigen Gemüthes seien
und alljährlich eine bedeutende Anzahl ihrer Söhne
nach den Gefängniffen von Ragusa fenden. Ein fri-
fcher Maestral, der mich und meinen halbnackten Schif-
fer erquickte wie ein Labetrunk, brachte mich bald nach
den Klippen von Meleda, wo in der vulkanischen Höhle
Ostrafawitza die Nimpfe Melita gehaust haben foll.
Hier empfieng die lüsterne Kaltipo den Helden Uliffes.
Viele andere Fabeln und Sagen war ich zu faul mir
aufzuzeichnen, denn die Hitze hatte alle meine Kräfte
gelähmt. Der frische Seewind war mein einziges Lab-
niß, und ich kehrte immer gern wieder zurück in die
kühlen Wogen. Auf der nahen Insel Giupana fieng
man vor einigen Jahren einen Schakal (canis aureus).
R a g u f a. -
An einem mürrischen Nachmittag lief ich in den Ha-
fen von Gravofa ein. Oede und still ist nun diese
Bucht und nur wenig schlechte Fahrzeuge mit zerlump-
ten Schiffleuten lagen hier vor Anker, und doch hier
war es, wo die Republik ihre glänzende Marine aus-
rüstete, wo die hundert Schiffe gezimmert wurden, welche
316
Karl V. vor. Algier den Wellen zur Beute gab. Die
Ruffen zerstörten und verbrannten hier Ragusa's See-
macht.
Man empfieng mich hier mit Nachrichten aus
Griechenland. Der Freiheitskampf war längst beendigt,
aber die Freiheit nicht erworben. Die türkische Tiran-
nei war vernichtet, aber die Elemente der Tirannei,
die unglückliche Natur des Menschen, find ewig und
unverwüstlich. Die Zeitungen aus Argos lauteten be-
trüblich, und aus Norden und Süden, aus Osten und
Westen waren nur fchlechte Neuigkeiten angekommen. -
Aus Italien meldete man Beunruhigendes, aus Ancona
und vom österreichischen Militär-Commando langten
Befehle zu Truppenbewegungen an, welche die Beob-
achtung der Franzosen in Ancona erheischten. Man de-
taschirte Verstärkungen nach den Inseln. Aus Venedig
schrieb man, es wüchsen den Menschen dort die Köpfe
an wie Kürbisse, und diese feltsame Krankheit fei mit
einer unaussprechlichen Hitze im Kopf verbunden. Das
ist nicht zu verwundern, wenn in folchen Zeiten den
Menschen die Köpfe warm werden. In den nördlichen
Provinzen Oesterreichs würgte die Cholera und die
Montenegriner bedrohten Ragusa mit der schwarzen
Pest. Ueber Griechenland sprach man Verschiedenes
und ich dachte mir eben meinen Theil, als man mir
folgende Fabel erzählte.
317
Auf der Insel Maketonargozanthokum waren die
Thiere unzufrieden mit dem dort herrschenden Regiment
eines blutgierigen Schakals. In der That war dieser
Schakal ein Kanibal von einem Thier und soll so grau-
fam gewesen sein, daß es unter Thieren zum Sprich-
worte ward: er ist fo grausam wie ein Mensch, und
fo dumm wie der König von Sumpfomanien. Er
kannte keinen befferen Zeitvertreib als die Jagd und
fraß so viel, daß den Thieren bange wurde, er werde sie
alle noch aufzehren. Dabei war er nicht im Geringsten
besorgt für das Wohl der Thiere und bekümmerte sich
wenig darum, wo sie ihre Nahrung herkriegten. Aber
in der ganzen Welt wollen die Thiere erst gemästet
fein, ehe sie gefreffen werden, sollen sie mit ihrem Loose
zufrieden fein, und also auch in Maketonargozantho-
kum. Es verrieth daher gar keine Staatsklugheit von
dem Schakal, daß er von dem Wohl seiner Völker nicht
ein Mal f prach, viel weniger es beförderte. Die
Thiere hatten daher gerechte Ursache, unzufrieden zu
feyn. Hätte er es auch nach dem Beispiele so vieler
von ihrem Volk angebeteter Potentaten, nur mit einer
Silbe gesagt, daß ihm das Wohl feiner Völker am
Herzen läge, ohne auch nur das Mindeste dafür zu thun,
fo wären wir zufrieden gewesen mit dem gutherzigen
Herrn, fagten die Thiere von Maketonargozanthokum.
Aber nein, er nahm sich nicht erst die Mühe. Er fand
nur von feinem Lager auf, um einige Thiere zu zerflei-
318
fchen und legte sich dann auf die Haut und schlief in einem
fort bis ihn wieder hungerte. Das wurde den Thie-
ren nun zu bunt und fiel versammelten sich eines
Tags auf einem Berg, um das Wohl des Vaterlan-
des zu berathen. Alle waren einstimmig, der Schakal
müffe getödtet oder verjagt werden. Gesagt, gethan,
nach einem blutigen Kampf, worin die Thiere von
Makedonargozanthokum von Hülfstruppen unterstützt
wurden, gab man dem Schakal eins auf die Nase, daß
er heulend davon lief. Das Vaterland war gerettet
und die Thiere versammelten sich abermals, um eine
NEUL Regierung einzusetzen. „Wir wollen frei und
gleich sein!“ schrieen die Thiere, und sie waren frei
und gleich. Aber die Wölfe benutzten die Anarchie
und zerriffen unter dem Vorwande, die Feinde der
Republik auszurotten, ein Schaf um das andere und
befanden sich sehr wohl bei der Freiheit und Gleich-
heit. Da versammelten sich die Thiere abermals und
wollten die Wölfe bestrafen. Aber die Richter, zu
welchen sich die Raubthiere und dicken Freunde der
Wölfe aufwarfen, sprachen sie frei. Da trat ein Fuchs
aus der Versammlung hervor, bestieg die Tribüne und
hielt folgende Rede:
„Sehr edle und hogelehrte Herren auf den Woll-
fäcken! -
Sie haben einen blutgierigen Tirannen vertrie-
ben und das Vaterland befreit. Ich danke Ihnen
319
dafür im Namen der Füchse und der ganzen Nation
und zolle ihren Heldenthaten den größten Beifall.
Der Ruhm unseres Namens ist verherrlicht worden
und die Geschichte wird mit Verwunderung von un-
feren Thaten sprechen. Sie sind begeistert für die
Freiheit und ich theile ihre Gesinnungen. Sie wollen
die Rechte aller Mitglieder der Gesellschaft gleichstellen
und ich verehre ihre edlen Grundsätze. Aber der
Ehre dieses Hauses, in welchem die Repräsentanten
der Nation versammelt find, auf defen Weisheit
die Nation ihre Hoffnungen gebaut, macht es mir
zur Pflicht, Sie, edelmögende und fehr gelehrte Her-
ren auf den Wollsäcken, auf die ganze Wichtigkeit
der heute obschwebenden Frage aufmerksam zu machen
und Ihnen meine Erfahrungen mitzutheilen. (heart!
heart!) Unser Vaterland befindet sich in einem trau-
rigen Zustande. Die Herren Wölfe haben unschuldig
gemordet und das Land geplündert. (Murren auf
der Bank der Wölfe – man ruft zur Ordnung;
denn in einem gesitteten Oberhaus darf die Wahrheit
nicht so derb gesagt werden). Wir müffen unsere ganze
Weisheit darauf verwenden, dem Uebelstande abzuhel-
fen. (Beifall auf der Rechten, Murren auf der Lin-
ken). Wir können dieß nicht ohne eine bedeutende
Reform unserer gesellschaftlichen Verhältniffe. Unsere
Aufgabe ist, einerseits die Ruhe im Lande dauerhaft
ZU begründen, andererseits der Willkür Schranken zu
32O
fetzen. (Bedeutendes Murren auf der Linken.) Wir
müffen eine neue Regierung einsetzen. (Heart, heart,
heart! Ein Wolf steht auf und fähilt den Sprecher
einen russischen Spion, darauf nimmt der Fuchs wie-
der das Wort). Wenn auch der sehr edle Herr auf
dem Wolljacke meint, solche Gesinnungen vertrügen
sich nicht mit der Freiheit, so kann ich doch versichern,
daß dieß recht wohl angeht und daß meiner Meinung
nach nirgends weniger Freiheit herrscht, als dort, wo
die Willkür frei ist. Die Versammlung, vor der ich
spreche, ist zu weise, um nicht von der Wahrheit mei-
ner Behauptung durchdrungen zu fein. (Beifall und
Murren) Ich finde. Sie für eine Republik gestimmt,
aber so sehr ich diese Regierungsform liebe, so wenig
kann ich fie, unseren gegenwärtigen Umständen ange-
meffen erachten. (Heftige Bewegung auf allen Sei-
ten, der linke Flügel ruft Beifall, der rechte murrt.)
Meine fehr edlen und hochgelehrten Herren auf den
Wollsäcken, ich kann Ihre Gefühle wohlbegreifen,
aber ich spreche mit zerriffenem Herzen für das Noth=
wendige. Unsere Natur verträgt keine Gleichheit.
Sie können nicht voraussetzen, daß Sie im Stande
find, die Gesetze der Natur umzustoßen. Betrachten
Sie, ich bitte, unsere Gesellschaft: Sie finden hier das
gutmüthige Schaf, den dummen halsstarrigen Efel,
den blöden Stier, der feine Kraft nicht kennt und
nicht gebraucht, den blutdürftigen hungrigen Wolf,
-
321
das falsche Krokodil, den klugen Elephanten, den li-
istigen Tiger und den großmüthigen starken Löwen
auf einem Raum beisammen. Wollen Sie die Rechte
aller dieser Thiere gleichstellen, fo müffen sie ihre
Natur verändern und ihre Kräfte beliebig vermindern
und erhöhen können, wollen Sie Unheil von der
Gesellschaft abwenden. Sie werden es aber nie da-
hin bringen, daß ein Löwe zu den bescheidenen An-
sprüchen des Schafs sich herabwürdige, daß ein Wolf,
ein Tiger friedlichen Sinnes werde, daß ein Kroko-
dil fanftmüthig ihren Gesetzen folge, und daß ein
Fuchs aufhöre, schlau feinen Vortheil zu ersehen. Die
Maffe des Volks besteht aus Schafen und Ochsen;
find sie denn nicht schon von der Natur darauf ange-
wiesen, beherrscht zu werden? Sie haben keine Waf-
fen, sich zu widersetzen, und ihre Zähne sind zum Zer-
malmen des Grases bestimmt. Warum wollen Sie
diese friedlichen und anspruchslosen Thiere aus ihrer
Niedrigkeit erheben? Wahrlich, meine Herren auf
den Wollsäcken, es wird ihnen nie gelingen, aus ei-
nem Ochsen einen denkenden Bürger zu machen; ge-
ben Sie ihnen daher unbedingte Blöck- und Brüll-
Freiheit, ein Stück Landes zum Abweiden, einen
Richter und Bürgermeister, und ein Wochenblatt mit
gemeinnützigen Anweisungen und Belehrungen, und
sie sind zufrieden. Aus den Wölfen machen Sie
Soldaten aus den Affen Edelleute, aus den Bären
- - - - 21.
-
322
Pfaffen, aus den Eseln Erzbischöfe, aus dem Tiger
einen Minister, aus den Füchsen Staatsbeamte und
Professoren, und gewiß unser Staat wird der glück-
lichste und wohlgeordnetste in Europa feyn. Sie
haben dann jedem Mitgliede der Gesellschaft eine fei-
nen Kräften und Neigungen angemeffene Wirksam-
keit angewiesen, und es kommt dann nur auf eine
weife Constitution an, um ihrer Staatskunst die Krone
aufzusetzen. (Brüllender Beifall) Nur eine Schwie-
rigkeit noch haben wir zu bekämpfen. Ein Oberhaupt
ist bei dieser unserer Staats-Ordnung unumgänglich
nothwendig, und der fehr gelehrte Herr Wolf auf
dem Wollsack hier zu meiner Rechten könnte eher
feine Zähne entbehren, als wir einen König. Das
Geschlecht der Löwen aber ist ausgestorben. Bei un-
ferer Verfaffung, deren Grundzüge ich bei unserer
nächsten Sitzung. Ihnen vorzulegen die Ehre haben
werde, können wir jedoch füglich einen ächtgebornen
Löwen entbehren. Folgen wir dem Beispiel anderer
Staaten, und machen wir die Konstitution zu unserem
König; wir können uns dann leicht mit einem Wür-
denträger behelfen, und um einen folchen zu finden,
dürfen wir nur unser Volk mustern, und den Statt-
lichten, Dicksten heraussuchen. Wir hängen ihm dann
eine Löwenhaut um, und der König ist fertig. Wir
brauchen weder auf Geburt noch auf den Stand des
Individuums, weder auf seinen Verstand, noch auf
/
323
fein Herz zu sehen, denn er hat keine andere Funk-
tion zu verrichten, als mit feinem gekrönten Haupte
zu nicken, wenn wir Gesetze dictiren.“ -
Der Fuchs setzte sich hierauf auf einen Wollsack
nieder, während das Haus in stürmischer Bewegung
eine halbe Stunde brauste, um sich zu beruhigen.
Nachdem dieß endlich doch geschehen war, bestieg ein
alter Hammel die Tribüne, um dem Fuchs zu ant-
worten. Er war bekannt als ein eingefleischter Ari-
stokrat, und das Haus war sehr gespannt darauf, wie
er sich über die Vorschläge des Fuchses vernehmen
laffen werde. - - -
„Obwohl ich,“ sprach er mit vielem Pathos, „in
den Gesinnungen des sehr gelehrten Herren auf dem
Wollsack, der eben die Tribüne verließ, eine durchaus
verwerfliche Richtung bemerke, obwohl ich den revo-
lutionären Geist in feiner Rede keinen Augenblick
verkenne und lebhaft mißbillige, fo kann ich doch nicht
umhin, feiner klugen Mäßigung Gerechtigkeit wieder-
fahren zu laffen, und seine Vorschläge im Ganzen zu
loben. Nur gegen Eines muß ich mich erheben, und
Sie, gelehrte Herren auf den Wollsäcken, vor einem
Mißgriff warnen, der unserm Vaterlande das größte
Unglück droht, und nicht unwahrscheinlich alle unsere
Pläne vernichten würde. Der sehr gelehrte Herr auf
dem Wollsack will den Thron einem Plebäer über-
laffen, und bedenkt nicht, daß die höchste Staatsge-
324 -
walt dadurch in den Augen des Volks profaniert und
entkräftet würde, und was mehr ist, alle Höfe da-
durch aufs äußerte indigniert würden. Es ist wahr,
das Geschlecht der Löwen ist in unserem Lande aus-
gestorben, und wenn es uns hierin nicht beffer geht,
als anderen Ländern, so können wir uns doch fremd-
geborne Löwen verschreiben laffen und in unserem Ei-
land eine neue Löwen-Dynastie anlegen.“
„Nein,“ sagte der Fuchs, „das geht nicht an,
die Löwen können unser Klima nicht vertragen, der
Redner fey unser Herr, denn er kennt und genießt
mit Nutzen unsere Gräser.“
Plötzlich entstand ein großer Tumult über diese
klimatologischen Bedenklichkeiten. Vom Klima kam
man auf die Himmelszeichen zu sprechen, dann auf
den neuen Kometen und andere Dinge, welche alle
Köpfe so fehr beschäftigten, daß sie nicht weiter an die
Noth des Vaterlandes dachten. Seitdem sind sie nicht
wieder zusammen gekommen.
F. l o r e n z.
Herrliche Kunstwerke, aber nichts als Kunst!
R o m.
Ungeheure Ruine alter Größe, aber ich bin keine
Hyäne, die Gräber aufcharrt und am Duft der Lei-
chen sich ergötzt. Fort –
N e a p e l.
Frisches, schönes Leben, reiche Natur, glückseliger
Himmel, wonnige Behaglichkeit, heitere Luft und Meer,
reiches Blühen, süße Früchte, glühende Mädchen, aber
Alles das ist nicht da für den ausgebrannten Vulkan,
der matt rauchend über die Landschaft schaut und
Verderben brütet.
S y r a. k. u s.
„ Uebertünchte Gräber wie in Rom.
V
K. o. n ft a n t i n o p e l.
Hier möchte ich leben, wäre ich hier geboren.
Leben in wüthender Leidenschaft, mit zügelloser Be-
gierde, dann hinfinken auf kühle Gräser und – träu-
326
men und rauchen, neue Kraft fammeln, fiel wieder
vergeuden und von der Pest befallen auf der Straße
sterben.
U n g a r n.
Schon in Rabo szem Michaly warnte uns die
Wirthin bei Erzählung einer gräßlichen Mordsfene
vor dem berüchtigten Forkoschwald, und hier erzählte
man uns neuerdings von Räubereien, die fich erst
kürzlich darin zugetragen hatten. Vor wenigen Ta-
gen war ein armer Jude des Weges gegangen, sich
ficher glaubend, weil er nichts hatte, als einige Gro-
fchen Kupfergeld. Mitten im Walde wurde er von
einem Bauernwagen eingeholt, defen Eigenthümer
nach dem Markte fuhr, und den todtmüden Juden
einlud, sich aufzusetzen. Während dem er aber auf
den Leiterwagen kletterte, um neben dem mitleidigen
Mann Platz zu nehmen, brachte ihm dieser einen
Schlag mit dem Czakan bei, daß er augenblicklich todt
niederstürzte. Hierauf bemächtigte sich der Mörder
der kleinen Habe des Ermordeten, und fuhr weiter.
Durch Zufall wurde jedoch fein Mord entdeckt, und
der Wicht am andern Tage zu Körmend gehenkt.
Solche schnelle Proceduren sind in Ungarn nichts
327
Seltenes, veranlassen aber manchen Justizmord. Diese
und andere Mittheilungen bestimmten uns zur größ-
ten Vorsicht, doch dachten wir an keine Furcht, da
wir unsere Caravane hinlänglich bemannt und be-
waffnet glaubten. Unser Personal bestand im Gan-
zen aus acht Männern und einem halben, denn die
Frau des Barons war in so heldenmüthiger Stim-
mung, daß sie darauf bestand, mit zu der waffenfähi-
gen Mannschaft mitgezählt und bewaffnet zu werden.
Wir übergaben ihr daher zwei wohlgeladene Terze-
role und einen Dolch zu ihrer und unserer Verthei-
digung, wie sie fagte. Außerdem hatten wir noch
zwei Paar Pistolen und jeder Mann eine Flinte. Ich
selbst war mit einer Doppelflinte und zwei scharf ge-
ladenen Pistolen versehen. Unter Lachen und Scher-
zen über unsere Rüstung setzten wir uns in die Wa-
gen, die Kutscher brachen, ihrer Gewohnheit nach, in
greuliche Flüche aus, und fort gings nun in faufen-
dem Gallopp. Ich faß auf dem Kutschbock, um die
Gegend freier zu überschauen, und die Dame durch
mein fortwährendes Tabackrauchen nicht zu belästigen,
zum Theil aber auch darum, weil ich am besten be-
waffnet war, und man mir am meisten Geistesgegen-
wart zutraute, um im Fall eines Angriffes unsere
Vertheidigung und nöthigenfalls Flucht zu dirigieren.
Die Chaise war mit vier Pferden bespannt, der Pack-
wagen hingegen mit fechten. Der ganze Zug mit
-
328
den windeschnellen flüchtigen Roffen, gejagt von dem
mörderlichen Geschrei der wilden Slovacken in ihren
gelben von Schmutz und Fett triefenden Hemden,
mit ihren verbrannten bärtigen Gesichtern, und den
langen gellenden Peitschen, eingehüllt in Staub-
wolken über die menschenleere öde Puszta hinstür-
mend, gewährte einen höchst intereffanten Anblick.
Lange gings über eine erst in weiter Ferne von
dem gefürchteten Forste begrenzte Landfläche hinweg.
Niemand begegnete uns, als ungeheure Schafheerden
und wilde neugierig sich unserem Zug nähernde
Pferde, die, nachdem sie uns mit munteren Capriolen
begrüßt hatten, wieder hinweg toben, vor dem Peit-
fchengeknall und Geschrei unserer Führer in die Wüste.
Kein Wölkchen war am ganzen Horizont, und bald
entwickelte sich eine afrikanische Hitze, deren gewöhn-
liche Ausdauer den Boden versengt und die Gegend
zur Wüste gemacht hatte. Weißer Schaum bedeckte
die Pferde, und der aufwirbelnde Staub bedeckte un-
fere Kleider, Haare und Bärte mit einem grauen
Ueberzug. Die Schnelligkeit allein, mit der wir die
Luft durchschnitten, brachte einen schwachen Zug her-
vor, der uns kühlte. Wir fehnten uns nach demr
schattigen Kühl des Waldes. Endlich, nachdem wir
vorher durch niederes Birkengebüsch, die Vorposten
des ungeheuren Bakonyierwaldes, gefahren waren,
nahmen uns die riesigen Eichen des Urwaldes in ihre
-
- 329
Schatten auf. Kühle Lüfte rauschten durch die hun-
derjährigen Zweige, und trockneten unsere schweiß-
triefenden Stirnen. Ernstes Schweigen war rings-
umher, und die kräftigen Stimmen unserer schreien-
den Slovacken halten tief hinein in die dunkle Tiefe
des Forstes. Hie und da schrie ein verstärktes Echo
zurück. Mir und uns allen wurde feierlich zu Muthe.
Die Andacht der stummen Naturbewunderung be-
fchattete uns; nie hatte ich einen solchen Wald ge-
fehen. Mit bewunderungswürdiger Regelmäßigkeit
fand Stamm vor Stamm in weiten Zwischenräumen
auf einem schön geebneten Plan, über dessen Ober-
fläche sich mächtige Wurzeln hervordrängten. Wie
durch ein coloffales Gitter fahen wir durch die mäch-
tigen, erst in der Höhe belaubten Stämme, weit weit
hinein, bis sich die Stämme enger und enger an ein-
ander drängten, zur undurchdringlichen Finsterniß.
Wege kreuzten sich nach allen Seiten hin, und die
Führer versicherten mich, daß man, einmal verirrt,
sich aus diesem Labyrinth nicht leicht wieder heraus-
finden könnte. Schon mancher starb hier vor Hunger,
oder wurde den Wölfen zur Beute.
Schon zwei Stunden hatten wir in dem groß-
altigen Einerlei des Forkosch geathmet, als unsere
Führer die Pferde etwas langsamer gehen ließen.
Sie benützten den Zwischenraum der Ruhe, ihre kur-
zen Tabackspfeifen auszuklopfen, und ersuchten uns,
-
\
330
mit abgezogenen Hüten und bittend gefaltenen Hän-
den um „droschku Tabak“. Wir gaben ihnen gerne
von unserem Vorrath, und ermahnten sie, uns auf-
merksam zu machen, wo Gefahr wäre. Wir feien,
meinten sie, nicht mehr ferne von dem dichtesten
Theile der Waldung, hätten aber nichts zu befürchten
als Militairs, da der größte Theil der hier haufen-
den Räuber aus Deserteuren bestehen, und felbst bei
ihrem elenden Gewerbe noch immer die Uniform re-
fpectirten, und es beispiellos wäre, daß Soldaten,
welche fiel noch immer als Kameraden betrachten, von
ihnen beunruhigt worden wären. Es müßte denn,
fetzten sie achselzuckend hinzu, das Anlockende unseres
bedeutenden Gepäcks diese Rücksichten aufheben. Die
Folge belehrte uns leider, daß die Bemerkungen rich-
tig waren. -
Schritt vor Schritt, unter flüsterndem Gespräch,
bewegte sich der Zug langsam weiter. Die Slovacken
hörten auf zu fluchen, ließen die Peitschen ruhen, und
bließen wirbelnde Wölkchen von Tabaksrauch durch
Mund und Nase, indem sie uns verständigten, daß
wir vortreffliches Kraut hätten. Nebenbei erwähnten
fie, daß es gut wäre, wenn wir nun so still als mög-
lich durch den Wald zögen, um die Neugierde der
Freibeuter nicht zu erregen. Zugleich ersuchten sie
gutmüthig unsere liebe Baronin, die mittlerweile ih-
ren Heldenfinn verloren zu haben schien, durch Mie-
331
nen und abgebrochene teutsche Worte, deren komische
meistens unpaffende Anwendung uns viel zu lachen
gab, zu beruhigen. Mein Sitznachbar aber nahm in
stoischer Ruhe eine handvoll Tabak in den Mund,
drängte sie mit dem Finger hinter die linke Backe,
daß es aussah wie eine Zahngeschwulst, spuckte durch
die Zähne, fetzte sich zurecht, rief dem das zweite Ge-
spann leitenden Jungen ein paar Worte zu, und
meinte im Vertrauen, er wittere Unrath. Todten-
stille folgt hierauf, und als er mir winkte, mein Ge-
wehr fertig zu halten, konnte ich es nicht verhindern,
daß das Spannen derselben von unserer muthigen
Dame gehört und sie dadurch in die größte Angst
versetzt wurde. Die Blicke unsers Führers rollten
untät" umher, und blieben endlich lange auf einen
Punkt geheftet, wo ich den Zipfel eines Schaf-
pelzes hinter einer dicken Eiche hervorragen fah.
Kaum waren wir dem Orte näher gekommen, als
ein Czicosch langsam hervortrat. Es war eine hohe
kräftige Gestalt, in einen weiten schmutzigen Schafs-
pelz gehüllt, an dessen Rande das unterste Ende ei-
nes Kugelrohrs hervorsah. Ein pechschwarzer glän-
zender Schnurbart hing auf beiden Seiten des Mun-
des herab, und starke finstere Braun zogen sich mond-
förmig über die Augen. In demüthiger Stellung
näherte er sich der Chaise, zog ehrerbietig den Hut,
erbat sich ein Almosen und ließ uns vorbei. Mein
332
flovackischer Nachbar wurde fichtbar unruhig. Plötz-
lich aber riß er mir ein Pistol aus der Tasche,
brach in einen schreienden Fluch aus, und jagte die
Pferde mit einem wilden Halloh in Carrière. Aber
in demselben Augenblick stürzte das Sattelpferd von
einem Schuß aus dem Walde getroffen, aus den
Nüstern Blut spritzend, zur Erde. Der Wagen wurde
dadurch aufgehalten, das vordere Gespann riß sich
los, und jagte mit dem flovackischen Knaben davon.
Es war das Werk einer Secunde, und beide Wagen
waren von einem Haufen wohlbewaffneter Räuber
umringt. Der Wald dröhnte vor wildem Geschrei
und zahllosen Schüffen von beiden Seiten. Rauch
und Staub hüllte uns ein, und in gewaltigen Sätzen
foben die noch übrigen sieben Pferde, deren Stränge
die Räuber abgeschnitten hatten, auseinander. Die
Chaise war halb umgestürzt, und die Frau meines
Freundes lag leblos im Sand. Der Baron hielt sie
für todt. Schäumend und in gräßliche Flüche aus=
brechend, stürzte er in blinder Wuth auf die Mörder
los, indem er zwei Doppelpistolen zugleich auf fie
losbrannte. Ich hatte eine unbegreiflich kalte Befin-
nung behalten, und war im Stande, mich gegen den
Andrang des Gesindels zu wehren, und die offenbar
nur ohnmächtige Frau zu beschützen. Ich zielte gut
und fehlte nie, war nicht wenig erstaunt, daß die
Räuber nach allen Seiten die Flucht ergriffen, ob-
333
gleich sie ihrer Anzahl nach uns weit überlegen wa-
ren. Am Ende ergab es sich, daß sie nur mit zwei
Flinten bewaffnet gewesen waren, deren Eigenthümer
schwer verwundet am Boden lagen. Wir konnten
uns lange nicht erholen vor Schreck und Erstaunen,
es war dem Scheine nach in einer Minute fo Vieles
und Gräßliches geschehen, daß keiner wußte, was nun
anzufangen fei. Mehrere unserer Leute waren den
Flüchtlingen nachgelaufen, unsere Kutscher dagegen
traten unter wüthendem Geschrei und zahllosen fürch-
terlichen Hieben auf den Leibern der Verwundeten,
die unter entsetzlichem Jammern, im Blut fehwim-
mend, um Erbarmung flehten, unbarmherzig herum.
Nur mit Mühe gelang es mir, durch die Vor-
stellung, daß die Gefahr noch nicht vorüber sei, die
Rasenden von der gänzlichen Ermordung der Räu-
ber abzuhalten, indem ich fie vermahnte, die Pferde
im Walde aufzusuchen, damit wir so schnell als mög-
lich uns vom Schauplatz entfernen könnten. Mittler-
weile luden wir unsere Gewehre wieder, und fetzten
uns neuerdings in Vertheidigungsstand. Guido hielt
unbeweglich und starr feine Emma umschlungen, die
Ohnmacht hielt noch immer an; doch hatten wir nun
bald die Freude, unsere Bemühung, fiel ins Leben
zurückzurufen, glücken zu sehen. Sie schlug die Au-
gen wieder auf, und Guido jauchzte laut weinend.
Ich beneidete ihn in dem Augenblick, und bedauerte,
-
-
334
daß sie nicht mein Weib war. Hättet ihr nicht so
viel Schlangennatur, Weiber! ich könnte euch wieder
gut werden, um dieses Augenblickes willen. Emma
war blaß und matt – fie freute sich erst am andern
Morgen; aber von diesem Morgen an hatte ich, von
Körmend bis Pest, kein langweiligeres Vergnügen,
als die Küffe zu zählen, die fie ihrem Mann für
feine unsinnige Liebe gab. Mir felbst kollerten ein
paar dicke Thränen auf den Schnurrbart – unver-
nünftigerweise! – Wäre ich nicht ein Weiberfeind,
wahrhaftig, diese Scene hätte mich gerührt. – Thor-
heit. – Während dem war es den Slovacken wirk-
lich durch Rufen und Flüche gelungen der entsprun-
genen Pferde wieder habhaft zu werden, und die Wa-
gen wieder soweit in Stand zu stellen, daß die Pferde
wieder angespannt werden konnten. Wir hatten kei-
nen namhaften Schaden erlitten, und unsere Leute
waren mit dicken Beulen und leichten Quetschungen
davon gekommen. Eine Kugel war, ohne irgend Je-
mand zu beschädigen, durch das Dach der Chaise ge-
gangen; Guido hatte sich beim Herausspringen den
Fuß verrenkt; ich hatte mir, durch hastiges Laden, an
den Kanten des Gewehrlaufes das Fleisch von den
Fingerspitzen geriffen, und mein Bedienter war so
heftig auf die Nase gefallen, daß sie zu einem Berge
anwuchs, und fein geschundenes Gesicht mir unkennt-
lich machte. Das Pferd hatte mittlerweile ausgeath-
/
335
met. Dieß war der ganze Stand der Todten und
Verwundeten auf unserer Seite.
In der Eile, in der wir Anstalt machten, den
Zug wieder reisefertig zu machen, hatten wir die ver-
wundeten Räuber ganz vergeffen; jetzt erinnerte uns-
ihr Gestöhn an sie. Einer von ihnen war der er-
wähnte Czikosch, der uns um ein Almosen angesprochen
hatte, der andere ein junger Bursche von kaum acht-
zehn Jahren, mit einem feinen zarten Gesicht, das
zwar stark von der Sonne gebräunt, doch vollkom-
men fhön zu nennen war. Er war von mir in die
Schulter geschoffen und nicht gefährlich verwundet,
aber von den Streichen der Slovacken, die sie ihm
mit einer zerbrochenen Flinte zukommen ließen, fo
jämmerlich zerschlagen, daß er sich nicht aufrecht er-
halten konnte. Die ganze Gesellschaft versammelte
sich nun um die Halbentseelten, unsere Slovacken hör-
ten nicht auf, zu toben und fluchen, und machten
ernstlich Miene fortzufahren mit den mörderlichen
Prügeln.
„Schlagt sie todt,“ riefen die einen, „nein, bin-
det fie,“ schrien die andern, „und schleppt sie nach
Körmend, damit sie morgen gehenkt werden.“
„Nemes ember vagyok,“ *) knirschte der Czi-
kosch höhnisch, und wollte wahrscheinlich damit an-
*) Ich bin ein Edelmann.
-
335
deuten, daß er nicht gehenkt werden dürfte. Eine
riesige Maulschelle von der hölzernen Hand meines
Slovacken belehrte ihn, daß die Schurken alle gleich
feien vor dem Gesetze.
„Wir wollen ihn todt machen,“ fchrieen die vor
Wuth schäumenden Bauern, welchen es fehr zu Her-
zen gegangen war, daß sie ein Pferd bei dem Kampfe
verloren hatten.
Der Baron, mittlerweile getröstet durch das
wiederkehrende Bewußtsein feiner Frau, belehrte uns
nun mit kurzen Worten, was in unserer Lage zu
thun fei.
„Wir laffen die Hunde liegen,“ sagte er, „und
setzen die Reise schleunigt fort, ohne irgend eine An-
zeige von dem Vorfall zu machen.“
Ich äußerte Bedenken über den Vorschlag, und
bemerkte, daß es unsere Pflicht wäre, die Behörden
davon in Kenntniß zu setzen, damit der Räuberbande
nachgespürt und die Gegend gereinigt werden könnte.
Der Baron lachte mir ins Gesicht.
„Ich danke Ihnen,“ fagte er, „für die gute Mei-
nung, welche Sie von unserer Justiz haben, muß
Sie aber leider belehren, daß eine solche Maßregel
ohne den erwünschten Erfolg bleiben würde. Der
Eine von den beiden Spitzbuben, die wir in unserer
Macht haben, würde zwar ohne Zweifel gehenkt, der
Andere aber, als Edelmann, sicherlich am Ende, we-
337
gen Mangel an Beweisen entweder ganz frei gelas-
fen oder doch nur sehr gelinde bestraft werden. Da-
gegen würden wir uns selbst, mehr aber noch unsere
arme Bauern, den äußersten Unannehmlichkeiten aus-
fetzen; denn eine gerichtliche Untersuchung geht selbst
für die Unschuldigen, wenn diese Bauern sind, nicht
ohne Prügel und andere körperliche Mißhandlungen
ab. Eine Verfolgung der entsprungenen Räuber
würde aber schwerlich angeordnet werden, oder doch
ohne Erfolg feyn, denn das Gesindel besteht meistens
aus den Schafhirten der Umgebung, die fich nebenbei
mit Raub und Mord beschäftigen, und gewöhnlich
mit dem übrigen Landvolke, welches sie theils fürchtet,
theils unterstützt, im besten Einvernehmen leben, und
von dem trägen Arm der Gerechtigkeit daher nichts zu
befürchten haben. Uebrigens können Sie überzeugt
fein, daß alle diese Schafhirten und fehr viele unter
den Bauern des Landes des Galgens würdig sind,
und man durchaus nicht zu besorgen hätte, eine Un-
gerechtigkeit zu begehen, wenn man sie der Reihe
nach, ohne Anklage und Prozeß, aufknüpfte. Die
Gerechtigkeit muß daher, um der Bevölkerung keinen
Schaden zu thun, sich nur auf jene Verbrecher be-
schränken, welche sich auf der That ertappen laffen.
Dann werden aber auch fo wenig als möglich Um-
stände gemacht, und ohne weiteres Verhör, Beweise
und andere dergleichen Formeln, alle Eingebrachten,
- 22
338
gleichviel, ob schuldig oder nicht, dem Henker überlie-
fert, denn quisque praesumitur malus, und man
kann gewiß feyn, daß wenn auch einer darunter an
dem vorschwebenden Faktum unschuldig wäre, es ihm
doch nicht an gutem Willen dazu gefehlt, und daß er
durch frühere unentdeckte Verbrechen die jetzt zufällig
über ihn verhängte Strafe verdient habe. Uebrigens
wundert- es mich sehr, daß unsere Bauern so wacker
mitgeholfen haben, das Gesindel zu vertreiben; denn
in der Regel stehen diese Leute wo nicht gar im Ein-
verständniß mit den Räubern, doch meistens in fol-
chen Verhältniffen, daß sie es nicht wagen dürfen,
sich den Schurken zu widersetzen, wenn sie anders
nicht Gefahr laufen wollen, Haus und Hof durch
Brandstiftung zu verlieren. Viele Eigenthümer sind
sogar gezwungen, einen Tribut an Lebensmitteln oder
Geld zu entrichten, um ruhig schlafen zu können.
Wir können daher nichts Klügeres thun, als die
Verwundeten ihrem Schicksale zu überlaffen, den gan-
zen Vorfall als ein hier ganz gewöhnliches Ereigniß
zu verschweigen, und dem armen Teufel, dem das
Pferd erschoffen wurde, daffelbe zu bezahlen. Für
die beiden Räuber werden schon ihre Genoffen Sorge
tragen, und wenn fie verenden follten, sie ver-
fcharren.“ -
Wir gaben daher Befehl zum Aufbruch, und
nachdem die Slovacken, trotz unserer Einsprüche, den
334)
blutrünstigen Gesichtern der beiden Räuber einige
Peitschenhiebe hatten angedeihen laffen, und die zer-
riffenen Stränge wieder angeknüpft hatten, ging es
wieder fort im Galopp. Wir fuhren nicht lange, so
holten wir den Knaben mit dem ersten Gespann ein.
Die Pferde waren mit ihm durchgegangen, bewegten
sich aber, nachdem sie eine halbe Stunde gesprungen
waren, nicht mehr vom Fleck, wie er uns versicherte.
Mittags langten wir glücklich in Körmend an.
P e ist h.
Wir waren noch zwei Stunden von Pesth ent-
fernt, und kamen noch eine Stunde näher, aber nir-
gends war eine Spur zu entdecken, woraus man
hätte auf die Nähe der beiden Hauptstädte schließen
können. Die wüsten Puszten hatten noch immer kein
Ende, und einige menschliche Wohnungen unter der
Erde, die wir eine Meile vor Ofen antrafen, ließen
uns fürchten, daß die Hauptstädte unfern Erwar-
tungen nicht entsprechen werden.
In Teteny trafen wir im Wirthshaufe, unter
vielen andern Gästen, einen Edelmann von der wohl-
habenden Sorte, in Gesellschaft einer eben nicht lieb-
reizenden Ehehälfte an. Nach der Landessitte bewill-
kommte er uns mit der freundlichsten Bonhomie, de-
22 %
340
ren nur ein ungarischer Edelmann gegen Fremde
fähig ist. Er erkundigte sich sogleich nach unsern Na-
men, und rümpfte die Nase, als er vernahm, daß ich
nicht adelig sei. Von dem Augenblicke an bemerkte ich,
daß er mich links liegen ließ, wie man zu fagen pflegt,
während dem einige anwesende Offiziere in Uniform,
ebenfalls bürgerlicher Abkunft, die Ehre hatten, von
ihm ausgezeichnet zu werden, denn das goldene Port-
d'Epée gibt den Militärs in Ungarn die Rechte und
das Ansehen von Edelleuten. Bei Tische hatte ich
noch mehr Gelegenheit, zu bemerken, daß man von
mir absichtlich keine Notiz nahm. Der Edelmann
hatte nämlich von seinem Gute sehr schöne Melonen
mitgebracht, auf die er sich so viel zu Gute that, als
ob er sie felbst gemacht hätte. Madame schälte die
Früchte, bestreute sie mit Zucker, und präsentierte sie
jedem einzelnen Gast, indem sie lächelnd der Gesell-
fchaft einige Zahnruinen wies – ein Merkmal ihrer
vorzüglichen Gnade. Als die Reihe an mich kam,
fchloß fie, zu meinem nicht geringen Vergnügen, die
Lippen, und ging an mir vorbei. Guido machte sie
auf ihren Fehler aufmerksam, ich aber erlaubte mir
zu erwidern, Madame hätte ganz recht gethan, denn
ich würde ohnehin von ihrer Güte keinen Gebrauch
gemacht haben. Launig gestimmt wie ich war, konnte
ich mir jedoch das Vergnügen nicht versagen, "eine
kleine Rache zu nehmen an der stolzen Donna und
341
ihrem hochmüthigen Gemahl. Zu dem Behufe holte
ich aus unterm Reifekeller eine Flasche köstlichen Ma-
laga's, und regalirte die Gesellschaft damit, ohne je-
doch das adelige Ehepaar zu berücksichtigen. Die
Rache war schrecklich für den Edelmann, und brachte
ihn total auffer Faffung. Lange hatte er schon still-
fchweigend mit dem braungelben Mecktar kokettiert,
und mir flehende Blicke zugeworfen, die zugleich feine
Rache und Zerknirschung aussprachen, zugleich um
Mitleid und Erbarmen baten. Ich blieb unerschütter-
lich, und trieb die Bosheit so weit, die Gesundheit
von Madame auszubringen, wobei ich endlich, wie zu-
fällig, Gelegenheit nahm, die Leere ihres Glases und
ihrer dürstenden Blicke zu bemerken. Freudig strahlte -
das Antlitz des Melonen-Mannes, als der herrliche
nie gekostete Malaga seinen Gaumen netzte. Sein
Adelstolz war entwichen, und in einer Viertelstunde
hieß er mich einen besten, feinen einzigen Freund
und Bruder, und schwor, indem er mich umarmte,
ich fei der beste Kerl von der Welt. Zum Ende
meinte er gar, ich verdiente ein Ungar zu sein,
weinte fast über mein Schwabenthum, und erlaubte
mir zum Ueberfluß, feine Frau zu küssen, ohne Ser-
viette. Am Ende wußte ich doch nicht, ob der Edel-
mann nicht klüger war, als ich, und fich auf eine
äußerst malitiöse Weise zu rächen dachte.
342
Noch grollte ich über den Kuß, als wir über die
Pesther Schiffbrücke durch eine wogende Menschen-
maffe fuhren. Den ersten Eindruck, den Ungarns
Hauptstädte auf mich hervorgebracht, übergehe ich, und
werde blos einige Beobachtungen, die ich später
machte, hier aufzeichnen.
Ich war bereits drei Tage in Peth, und noch
wußte ich wenig von den beiden Städten, denn mich
hatte in der Zeit wieder jene wunderbare, allen Men-
fchen in meiner Umgebung auffallende Gemüthsstim=
mung ergriffen, in welcher ich mich um keine Merk-
würdigkeiten und keine Menschen bekümmere, in wel=
cher ich einst Rom paffirte, ohne die Peterskirche mit
einem Auge gesehen zu haben. Viele Fremde, welche
mich in dieser Gemüthstimmung kennen lernten,
meinten hinter meinem Rücken, ich müßte entweder
ein Engländer oder ein Narr feyn; Aerztefagten, ich
wäre krank, die Pfaffen betheuerten, mich quälte das
Gewiffen, und die Weiber hießen mich einen Sauer-
topf. In solcher Gemüthsverfaffung also befand ich
mich in Pesch, und fah stundenlang über die Wellen
der Donau hinüber, nach den Bergen von Ofen,
ohne daran zu denken, daß ich mich in einem frem-
den Lande, in einer fremden nie gesehenen Stadt be-
finde. Ich hatte mich drei Tage lang in meiner
Stube, zwei Treppen hoch, eingefchloffen, und den
Tag über gethan, was mir eben einfiel. Das Wich- -
343
tigste von dem, was mittlerweile in der Welt vor-
ging, erfuhr ich von meinem Bedienten, der eine
Treppe unter mir wohnte, und mit dem ich, vermit-
telt eines drei Ellen langen türkischen Pfeiffenrohrs,
in Verbindung stand. Am dritten Morgen rauchte
ich, wie gewöhnlich, meine Pfeife Kaspalaker zum
Fenster hinaus, und als sie zur Asche war, klopfte ich
an das Fenster meines Bedienten, eine Treppe hoch,
und beorderte ihn, mir die ausgebrannte Pfeife zu
füllen, anzubrennen, und die Neuigkeiten des Tages"
zu erzählen.
„Wenn Sie Neuigkeiten wissen wollen, gnädiger
Herr, so brauchen Sie Ihre Augen nur wenig anzu-
frengen, um zu sehen, daß mein Kopf verbunden,
folglich verwundet ist, und dort unten am Ufer eine
Leiche liegt. Die Donau hat sie gestern ausgewor-
fen, und wenn die Sonnenhitze anhaltend ist, so wer-
den Sie morgen früh, wenn Sie die Fenster öffnen,
den Geruch verspüren.“
Wirklich fah ich unten einen hoch aufgeschwolle-
nen Leichnam liegen, ohne daß sich irgend Jemand
darum bekümmerte. Ein anständig gekleideter Mann
ging, am Arm einer Dame, eben vorüber, stieß mit
dem Bambusrohr auf die Leiche, als wäre es ein kre-
pirter Hund, unterhielt sich lachend mit feiner Dame
über den großen Bauch des Ertrunkenen, riß einige
ungarische Witze, und zog wieder weiter. Ich be-
344
wunderte die nationale Nervenstärke der Dame, und
die nationale Gemüthsrohheit des Mannes, und sagte
nichts, als: Gott verdamm –
„Wie kann man eine Leiche so lange liegen laf-
sen, und warum wird der Vorfall nicht auf der
Stelle untersucht?“
„Da hätten die Gerichte viel zu thun,“ sagte
mein Bedienter, „wenn sie sich so beeilen wollten, be-
sonders jetzt, da Jahrmarkt ist, und die Donau täg=
lich Leichname auswirft. Sie müffen wifen, gnädi-
ger Herr, daß in einer fo großen Menschenmenge
viele hart an einander gerathen, und da ist es nun
eine ganz gewöhnliche Art, Streitigkeiten auszuma-
chen, daß man den Beleidigten oder Beleidiger, wer
nun gerade stärker ist, und mehr Freunde hat, oder
einen Ausgeplünderten, damit er den Vorfall nicht
weiter erzähle, in die Donau wirft. Die Gerichte
thun sehr wohl daran, daß sie derlei Vorfälle nicht
streng untersuchen, denn es würde doch zu nichts hel=
fen. Uebrigens ist gestern Nachmittags in Ofen ein
junger Mensch erschlagen worden, und man fagt, es
würde eine strenge Untersuchung eingeleitet werden,
aber die Thäter sind mittlerweile entflohen, obgleich
der Mord am hellen Tag verübt worden ist. Lie-
ber Herr, ich muß Sie bei dieser Gelegenheit erin-
nern, daß Sie sich ja in keine solche Händel mischen,
oder Jemanden zu Hülfe kommen, der unter Ihren
345
Augen todtgeschlagen wird, denn wenn man Sie auch
nicht auf der Stelle umbringt, so bin ich jedoch ge-
wiß , daß die Donau in den nächsten Tagen Ihren
Leichnam auswürfe. Derlei kleine Raufereien find
auf dem Jahrmarkt nichts Seltenes, und könnten
Ihnen leicht aufstoßen, wenn Sie ausgehen. Auch
will ich Ihnen rathen, jedesmal bei Zeiten nach Hause
zu kommen, noch ehe es dunkel wird, denn zehn
Schritte von der Schorokscharer Straße ist Ihre Uhr
und Ihr Leben fammt der Brieftasche keine Pfeife
Taback werth. Ja, wenn man politisch ist mit den
Leuten, da kann man sie für Narren halten, wie
man will. Sind die Leute dumm! Nein, so was ist
mir mein Lebtage nicht vorgekommen! Denken Sie
sich einmal, gnädiger Herr, wie ich meine Wire weg-
hatte, und nachdem sie mich aus dem einen Wirths-
haufe hinausgeschmiffen hatten, ging ich, weil es mir
da nun einmal nicht mehr gefiel, in ein anderes. Hier
traf ich einen großen Kerl mit einem unsinnigen
Schnurrbart, ich glaube ein Haiduk, oder was er
war. Mich juckte es, den Kerl zu vexiren, und fing
damit an, ihn mit: gnädiger Herr Ungar! anzure-
den, und gelegentlich feinen Schnurrbart herauszu-
streichen. Glauben Sie, daß der Kerl etwas gemerkt
hat ? nicht im Mindesten; vielmehr war er feelenver-
gnügt, und lachte mit dem ganzen Gesichte über meine
346
Schmeicheleien; dann ließ er Wein bringen, und der
Haiduck hat alles bezahlt.“
„Trivialer Kerl!“ sagte eine ungarische Dame,
die aus einem benachbarten Fenster die Apotheose ih-
rer Landsleute aus dem Munde eines Bedienten mit
angehört, und nun unmuthig das Fenster zugewor-
fen hatte. Eine Stunde später bekam ich ein Billet
von ihrem Gemahl folgenden Inhalts: -
An den Herrn ***
„Ihr Bedienter, der infolvente Hund, der
niedertrechtige Lunbengerl hat sich untertanten über
die edle Matio der Hungarn zu schimbfen, auch nihmt
der Gerl nimahls den Huth von Gopf wen er mich
oder meine Frau bekegnet. Dahero fake ich Ihnen
ein für alle Mal, daß wofern Sie mir keine Satis
fafzion geben und den Gerl nidertrechtig durchprigeln
lafen, so werde ich – – – – – – –
(unleserliche Stellen)
Stephan Augustin von –o.
Ich antwortete dem Erzürnten, daß ich kein
Recht habe, meinen Bedienten über seine Ansichten
auf ungarische Weise zur Rede zu stellen, und daß
es ihm freistände, feine Händel mit ihm felbst auszu-
machen, und Satisfaction von ihm zu verlangen.
Mein Bedienter fei ein Mann von Ehre, setzte ich
347
hinzu, und er werde, was er zu thun habe, wenn
ein ungarischer Kavalier von ihm Genugthuung
fordert. -
Wenn ich keinen Anstand nehme, diesen tragiko-
mischen Vorfall mitzutheilen, so glaube man nicht, daß
ich ein besonderes Gewicht darauf lege, und das Ur-
theil meines Jakob als eine Karakteristik der Ungarn
hier gelten laffe. Es war das Erste, was mir in
Pesch begegnete, und gehört zu jenen Abenteuern, die
mir gleich anfangs in Ungarn aufstießen, und mein
ohnehin leicht verstimmbares Gemüth außer Harmo-
nie brachte. Wir find nun einmal so scharfsinnig
und schließen von Einzelheiten auf das Ganze, was
Wunder, daß ich nach solchen miserabeln Einzelnhei-
ten unmuthig jede weitere Untersuchung verwarf, und
von nun an entschloffen war, die Ungarn als ein ro-
hes, ungebildetes Volk, und die in ihrem Lande
herrschende gesetzliche Ordnung (vielmehr Ordnungs-
losigkeit) für die miserabelste in Europa anzusehen.
Aus diesem Gesichtspunkte betrachtete ich von nun an
Alles, was mir ferner vorkam, deutete Alles übel,
und fand das Gute nur ausnahmsweise, ohne es zu
würdigen. - -
Der Fremde, der aus dem gebildeten Teutsch-
land hieher kommt, der sich nicht einer heiteren poeti-
fchen Anschauung überläßt, und dem nüchternen Ver-
348
fand die Beurtheilung aller dieser Begegniffe über-
gibt, wird meine Gefühle theilen, und nicht sobald
aus seiner Verstimmung herauskommen, nicht so bald
als er aus dem Lande wieder entflieht. Und dennoch
wird man anderen Sinnes, wenn man Monate oder
Jahre im Lande verlebt, und alle feine geheimen
Reize erforscht hat. Zuerst verliert sich dann die Ver-
stimmung gegen das Volk, denn hat man es erst nä-
her kennen gelernt, ist man mehr in fein inneres Le-
ben eingedrungen, so lernt man es auch lieben. Man
legt feine Tugenden und Vorzüge in die Wagschale,
und findet das Gewicht befriedigend. Es ist nicht zu
leugnen, man stößt hier auf rohe Sitten, auf Gesetz-
losigkeit und schlechte Gesetze, man wird vielfach ver-
letzt durch die Anmaßung und durch den National-
stolz der Ungarn, man vermißt bei ihnen den stärk-
ften Zügel angeborner Leidenschaft, die Civilisation;
aber das moralische Gegengewicht aller dieser Uebel
ist weit stärker, denn mit der Rohheit ihrer Sitten
ist die patriarchalische Einfalt derselben, die gerade
Aufrichtigkeit und Biederkeit, mit der verlachten
Nationaleitelkeit ist hohes Ehrgefühl und Begeisterung
für das Vaterland verbunden, Der Ungar ist eben
fo bieder und treuherzig als stolz, eben so offen als
zutraulich, eben so warm und innig in der Freund-
fchaft und Liebe, als wüthend und unbändig im
Feindschaft und Haß. Mit feiner oft lächerlichen An-
-
349
hänglichkeit an das alte Herkommen, steht im Rap-
port feine eiserne Beharrlichkeit, seine streng und stolz
bewahrte Nationalität, seine unerschütterliche Freund-
fchaft, seine Treue und Charakterstärke.
Wenn man längere Zeit im Lande gelebt, die
fremdartigen Kleider abgelegt, und fich gewissermaßen
nationalisiert hat, dann verliert sich auch allmählig das
Abstoßende im Betragen der Einheimischen, und man
tritt in die Gesellschaft. Wer in Ungarn geliebt fein
will, muß erst feinen eigenen Nationalstolz ablegen,
er muß ungarische Sitten annehmen, ungarische Klei-
der, und vor allen Dingen einen Schnurbart tragen.
Er muß selbst feinen Stolz darin fuchen, ein Ungar
zu sein, und alles Fremdartige vermeiden. Um diesen
Preis reicht ihm der Magiare freundlich feine Hand,
und begrüßt ihn als Bruder, um diesen Preis er-
kauft er sich Lebensgenuß, Achtung und Liebe. Der
Edelmann übersieht dann oft den Mangel eines Di-
ploms, und verehrt den Seelenadel, er theilt seinen
Rang, fein Ansehen, feine Reichthümer mit ihm, la-
det ihn in seinen Familienzirkel, betrachtet ihn als
ein Mitglied feiner Familie, und läßt ihn ungern
wieder von sich. Die Gastfreundschaft des Magyaren
ist grenzenlos, und erschöpft nicht selten eine Reich-
thümer, denn im Hause eines Magyaren wird der
Gast aufs Glänzendste bewirthet.
A
- -
350 -
In demselben Grade, in welchem man die Be-
wohner lieb gewinnt, werden auch das Land und feine
eigenthümlichen Gesetze dem Fremden theuer. Es ist
wahr, das Eigenthum ist wegen des Mangels an ei-
ner Polizei in vielen Gegenden unsicher, die Personen
sind durch die Gesetze nicht hinlänglich geschützt, aber
man ist auch der vielfältigen Plackereien einer stren-
gen Sicherheitspflege enthoben, man kann das ganze
Land ohne Paß durchreisen, und hat nirgends zu be-
sorgen, daß freimüthige Aeußerungen von Spionen
belauert werden. Man kann reifen wo und wann
man will, ohne von ungeschliffenen Mauthbeamten
und Polizeidienern gescheert zu werden.
Gestern erlebten wir einen feltsamen Roman.
Guido's Kutscher hatte hier eine Geliebte wieder ge-
funden, als Frau eines Andern. Der arme Bursch
war darüber in Verzweiflung, und ging feit einigen
Tagen offenbar mit nichts Gutem um. Er sprach
von nichts als feinem Lebensüberdruß, und übergab
gestern der Frau Guido's ein Billet an feinen Herrn,
der zufällig abwesend war, aber in dem Augenblick
kam, als der arme Werther eben unter Schluchzen
sich entfernt hatte. Man hatte ihn auf seine Kammer
gehen fehen, nachdem er von feinem Kameraden Ab-
schied genommen hatte. In dem Billet an Guido
-
- 351
war ein düsteres Vorhaben deutlich ausgesprochen.
Er empfahl darin dem Herrn eine arme Mutter.
Guido eilte augenblicklich zu dem Gemüthskranken,
und fand den Menschen eben beschäftigt, sich mit der
größten Ruhe von der Welt die Gurgel abzuschneiden.
„Tod und Teufel, was machst du da?“ schrie
er, und riß ihm das Rafirmeffer aus der Hand.
„Ich fchneide mir den Hals ab,“ war feine la-
konische Antwort. -
„Unsinniger, hast du den Verstand verloren?“
„Schreien Sie doch nicht fo, gnädiger Herr, was ist
denn dabei, es gibt ja noch Hälse genug. Ich mei-
nestheils bin fo vernünftig, als einer im Lande, und
will blos aus der Welt, um meinen Verstand nicht
erst noch zu verlieren. Geben Sie mir mein Rafirmeffer,
und scheren Sie sich Ihrer Wege! Wenn ich fertig bin
mit meiner Arbeit, so machen Sie die Anzeige davon an
die Polizei, denn die muß es vor allen Dingen wil-
fen, wenn sich ein Mensch den Hals abschneidet. Dann
schicken Sie meinen Leichnam in das Hochspital, und laf-
fen Sie mich seciren, damit man fieht, daß ich eine gesunde
Leber hatte und nicht verrückt war im Kopf. Dann
laffen Sie die Stube rein machen, und sagen vor allen
Dingen Ihrer Frau nichts davon; das arme Ding hat
schwache Nerven, und könnte leicht eine Ohnmacht davon
haben. Geben Sie mir noch einmal die Hand, dann
– fort. Ich will Ihnen was Gutes wünschen – daß
-
352
Sie der Teufel bald mir nachbringt, denn Sie taugen
doch auch nicht her in die Lumpenwelt; ich will Ih-
nen dann wieder in der Hölle die Stiefel putzen. Le-
ben Sie wohl! Gott schütze Sie – in’s dreiteufels
Namen!“ -
Umsonst verschwendete Guido alle feine Bered-
famkeit der gutmüthigsten Theilnahme; der arme Kerl
bestand auf feinem Halsabschneiden. Endlich schien
er nachzugeben, und versprach:
„Nun gut, ich will gehen, ich will leben Ihnen
zu liebe, aber wie lange, dafür kann ich nicht gut
stehen!“
„Nun so versprich mir wenigstens auf heute, daß
du dir kein Leid anthun willst, weine dich aus, mor-
gen bist du andern Sinnes.“
„Da haben Sie die Hand darauf, – weinen
werde ich nicht, ich habe in meinem Leben nicht ge-
weint, als vor Wuth.“
Guido will sich beruhigen, und der arme Jack
ging in den Stall, pfiff ein Liedchen, und putzte seine
Pferde. Wir waren alle fest überzeugt, er habe sich
nun eines Beffern besonnen, aber am andern Mor-
gen fand man ihn erhenkt an der Stallthüre. Dane-
ben fanden mit Kreide geschrieben die Worte:
„Ich bin kein schlechter Kerl, Herr Major! ich
habe mein Wort gehalden, ich habe mich erst um
ein Viertel auf eins aufgehängt. Gott verzeih mirs !
– Der Solimann *) hat sich einen Nagel in den
Fuß getreten und ist krump.“
Der Baron ließ den treuen Diener, der felbst in
feiner letzten Stunde feine Dienstpflicht nicht vergaß,
anständig begraben, und setzte der Mutter desselben
einen kleinen Jahrgehalt aus.
-
M ä h r e n.
Wann werde ich zur Ruhe kommen, wie lange
leiden und Leiden verursachen? Warum entspringt
kein Funke Freude aus dem trüben Herzen. Muttersegen
geleitete mich, der Himmel ergoß erquickenden Regen
auf die vertrocknete Flur, nur ich dürfte noch immer
vergeblich nach Labung des Körpers und der Seele.
Der Bleistift geht zu Ende. Wie viel todtes Werk-
zeug geht zu Grunde im Gebrauche des schaffenden
Geistes. Also auch der Körper, das elende gebrech-
liche Fahrzeug auf der stürmischen See des Lebens.
Tödtet das Unglück denn alle Todesfurcht?
Kaum erinnere ich mich, daß die Cholera um mich
herum wüthet und Menschen schlachtet, daß ich täg-
*) So hieß ein Pferd des Majors.
23
354
lich, stündlich in Gefahr bin, von ihr gefällt zu wer-
den, wie ein morscher Baum.
Schönes Bild das! Christus, das Kind, läßt
den heiligen Joseph an einer Blume riechen. Unter
dem Bilde lümeln sich zerlumpte Kroaten auf einen
Tisch, rauchen Taback und trinken Schnaps. Befeh-
len Sie Bier? – die Pferde kommen fogleich.
O nein – Luft. Wollen sie nicht in meine Stube
treten, auf der Flur zieht es. – Hinweg Aeolus,
was erzählt du mir mit deiner Wolfsstimme mein
Unglück. Fort, hinaus aus dem Gemäuer, wo tau-
fend Oeffnungen dir zu Orgelpfeifen dienen.
B r e s l a u.
Friedrich des Großen Geschmack um Schlesien ist
sehr zu entschuldigen, wenn man fein übriges Land
kennt. Eine Perle in der Krone Preußens nennt
man es! Das Land ist reich und wunderschön, aber
preußische Soldaten und Sitten paffen nicht hieher.
Wenn etwas unangenehm ist in dem freundlichen
Land und an den freundlichen Leuten, so ist es die
Vereinigung des Nordischen mit dem Südteutschen,
eine arge Mesalliance. Wenn ich ein gemüthliches
Schleiermädchen am Arm eines windigen Berliner
355
Junkers fehe, eine aufgestülpte Nase, aufgeworfene
große Lippen, blonde Borsthaare, gegenüber von ei-
nem blühenden edel geformten Gesicht mit schönen
Augen, rohen Lippen, weichen Formen, schönen -
Braunen, da bedaure ich die künftige Generation,
B e r lin.
Schöne Häuser, schöne Straßen, schöne Straßen,
schöne Häuser – das ist Alles. Mein Gott, was für
ein Volk! Schweigsam zieht eine Schaar von Fuß-
gängern und Wagen mit elenden Pferden gen Char-
lottenburg. Fahle Gesichter, lange Tabakspfeifen,
blonde Köpfe, geschmacklose Tracht, windige Zierben-
gel, miserable Reiter, keine Heiterkeit. Wohin? Es
ist Sonntag, fie gehen hinaus, um schlechten Kaffee
und Schnaps zu trinken, – das nennen die Leute
„Vergnügen.“ Das Wort habe ich überall aufge-
fchrieben gefunden wie eine verlorne Sache. Das ist
ein Berliner „Witz,“ wiewohl ein unwillkürlicher.
Alles macht sich hier fo groß und ist so klein – das
ganze Preußenthum geht auf Stelzen. Komödianten,
Offiziere, Studenten, Referendäre – Alle machen
Wind. Die ersten spielen Götter, die zweiten Helden
und die Andern große Geister.
356
R ü ck k e h r.
Schöne Gegenden ziehen an mir vorüber, aber
ich sehe sie nicht. Mich treibt es fort, fort von hier,
aus der dumpfen Kerkerluft – nur ein Gedanke lebt
in mir – die Ferne. Diese Nacht ist die letzte, dann
steige ich über die ehernen Grenzketten.
G r e n z e.
. Hier dieser Bach mit feinem blumigen Ufer –
von jenseits ist keine Rückkehr, von diesseits kein Ent-
kommen. – rasch hinüber. Und doch wieder Thrä-
nen! Ach es gibt keine Liebe, die fo dauerhaft, als
zu dir, mein Vaterland. Dieß Vergißmeinnicht allein
entwend' ich dir, mit ihm kaufst du dich wohlfeil los
von einem treuen Sohn. Ich küfe deine Erde, mein
Vaterland, und meine Thränen thauen auf deine
letzten Blumen. Leb' wohl, leb' wohl! ich kann nicht
mehr empfindeln, meine Brust ist ausgebrannt wie
eine Alarmtange.
B – – –
Warum soll ich mich grämen um dich, Laura?
Ich plumpste hin wie ein Sack, und weinte um dich
– es war mir wie Geisterbesuch. Dachtest du mein
im Sterben? Die Luft war so schaurig, und die
357
Stube fo einsam. Natürlich, Alle sind im Theater,
und es ist verteufelt kalt, kalt wie du, meine Laura.
Du denkst meiner nicht mehr? – o nein, das wäre
Sünde, mein Andenken ist dir ein Gespenst bösen
Gewiffens. Wir wollen uns vergeben, du hast mich
geliebt, das ist genug. Ich aber will, will dich
nicht mehr lieben, und mein Wollen ist Allmacht
im Kreise meines Lebens. Auch eine andere Mutter
hat ein schönes Kind. -
Franziska, bei Gott, du bist nicht häßlich, und
gutherzig wie ein Hühnerhund. Ich liebe dich, Fran-
ziska, aber ich werde dich nicht heirathen, denn du
bist ein Frauenzimmer, und ich heirathe kein Frauen-
zimmer. Du bist eine Grisette, aber im Grunde doch
ein Tugendspiegel. Du hast keinen Mord auf deinem
Gewiffen, denn du bist nicht grausam. Franziska, ich
bin dir gut, denn du macht mir kein Herz weh, und
im Grunde ist doch dein Fleisch so gut, als irgend
eins, ja noch beffer. Wäre dein Gesicht nicht so rund,
deine Lippe und Nase nicht fo aufgestülpt, du wärst
ein schönes Weib, denn dein Fuß ist zierlich, dein
Bau ebenmäßig, deine Brust rund, deine Haut weich
wie Sammt. Und doch, trotz diefen vorzüglichen Ei-
genschaften, würde ich mich deinetwegen wohl kaum
mit einem Nebenbuhler schießen, ja nicht ein Mal
zanken. O Franziska, hätte ich doch von jeher folge-
liebt, wie jetzt und dich!
358
Heute ist mein Unglückstag – Freitag. Es ge-,
hört viel Dummheit dazu, vor dem Schicksal eines
Freitags Furcht zu haben, und doch – gleichsam um
meine Weisheit zu foppen, traf mich jedes Leid und
Weh, jedes Mißgeschick am Freitag – ja sogar zu
meinen eigenen dummen Streichen mußte jedes Mal
der Freitag feine Aufwartung machen.
Des Morgens kam ein Mann mit Zahnpulver
und C–s zu mir, und erkundigte sich um meine
Zähne und noch etwas.
„Haben Sie gute Zähne?“ fragte er, als ich
feinen zweiten Handelsartikel wohl musterte, aber
nicht kaufte. - -
„Ja,“ fagte ich, „gute Zähne habe ich, wie welt-
bekannt, bis auf einen hohlen Zahn, auf dem ich
aber noch recht gut beißen kann.“
„Waschen Sie ihn öfters mit Myrthenwaffer,“
rieth der Quacksalber, „und kaufen Sie Hufeland's
Zahnpulver von mir.“
„Gut,“ sagte ich, „und kaufte letzteres mit dem
Vorsatze, keinen Gebrauch davon zu machen.“
Der Lohndiener fragte mich heute: „Wollen
Sie nicht das Museum befehen?“
„Das interessiert mich nicht,“ antwortete ich.
„Den botanischen Garten?“ -
„Intereffirt mich nicht.“
„Sonstige Merkwürdigkeiten?“
359
„Ditto, ditto.“
„Mein Gott, was interessiert Sie denn
„Nichts!“
Seit sechs Monaten habe ich nicht gelacht, nicht
gesungen, und gesungen habe ich sonst alle Tage drei
Mal, des Morgens, Mittags und Abends. Schön
war mein Gefang zwar kaum, keine Schmeichelei für
ein künstlerisches Ohr, aber mein Gesang kam aus
voller Brust, aus einem jubelnden Herzen, das die
stille Freude nicht faffen konnte. Ach, und nun ist
Alles hin! Freude, Gesang, Liebe und Leben. Ach
Herr und Gott, kann man nichts gegen dich thun,
ist. Alles gerecht, was du thut und verhängt über
die hilflosen Menschen? Frevel ist Murren gegen
dich, aber warum erstickst du nicht in mir die ver-
wegenen Gedanken? Gib mir einen Wahn, der mich
tröstet, ein Herz, das mich liebt, und einen gefunden
Leib, und ich will in dankbarer Anbetung hinleben
in rastloser Wirksamkeit, in Mühe und Nothdurft.
Franziska sagt, ich wäre gut.
„Wirklich,“ erwiderte ich, „glaubst du das?“
„Wahrhaftig,“ sagte sie, und sah mich aufrichtig,
halb gerührt an. -
„Ach, Fanny, nicht alle halten mich für gut. Ich
bin nicht so dumm wie ein Schaf, nicht so gutmüthig
wie eine Taube, darum halten mich die Wölfe für
ihres Gleichen.“
360
Wär' ich gestorben! Ein schöner Rasenhügel
mit Blumen, darunter mein Geheimniß und mein
müder Leib, darüber meine Lebensgeschichte: Sein Le-
ben war eine Nacht mit Frost und Gewittern, mit
Sturmgeheul, Eulengekrächze und Gespenstertanz.
Wachend irrte er umher vom bösen Wetter gejagt,
und am Morgen fank er todtmüde hin, und ent-
fchlief
S t i m m u n g.
„Die Welt!“ sagte Star, und zog die Mund-
winkeln hämisch herab, daß die Nase über die Lippen
hing, nahm sein Taschentuch, schnaubte sich, stampfte
mit den Füßen und machte allerlei Geberden, woraus
erhellte, daß ihm der Gegenstand mißfiel.
„Laßt mich ungeschoren mit der Welt,“ fchrie er
endlich, „und sprecht von was Vernünftigerem, als
von diesem Stall für Millionen Heerden von allerlei
Bestien, wovon das edelste nichts taugt, – sprecht
mir nicht mehr von einer Welt, denn es gibt nur
Hölle und Himmel, aber keine Welt.“
Wollen Sie wissen, wer der hipochondrische
Mylantrop ist, der also spricht, oder lächeln. Sie schon
fuperklug und denken an die Allegorie der Tagesord-
nung, Mephistopheles? – Meine Herren, Sie
find irre, doch wann wären Sie nicht irre? Heuti-
361
gen Tages ist der Teufel in der Welt so beliebt, daß
jeder dumme Schuft Mephisto spielt, blos um für
ein Genie ausgeschrien zu werden. Narren affectiren
Bosheit und Bösewichter Narrheit, Dummköpfe ma-
chen pfiffige Gesichter, und die Gescheidesten ziehen
greuliche Fratzen, um nur immer und ewig langwei-
lig den Teufel zu travestieren. Es gibt kaum einen
Menschen mehr, seit Göthe den Faust schrieb, den es
nicht kitzelte wie Anbetung, wenn ihm auf zehn
Schritte. Keiner nahe kommt, und ein Jeder fcheu
zurückbebt, vor der verschmitzten Physiognomie feinen
Nachbar warnend: „hüte dich vor dem Kerl, er ist
ein wahrer Mephisto!“ Gefürchtet zu sein ist
ein reizender Gedanke für Schafe, daher die be-
liebte abgedroschene Rolle. Der Teufel ist ein Ori-
ginal, das ist wahr, ein Original, das ein Hafenfuß
in der Geisterstunde mit naffem Finger an die Wand
malte, das nun tausend Hafenfüße bewundern und
fünfhundert kopieren. -
Nein, meine Herren, Star ist kein Mephisto-
pheles, Star ist ein Mensch wie wir alle, wenn auch
etwas klüger und mehr gallsüchtig. Er ist im Orient
geboren, und als ihm dort zum ersten Mal die
Sonne aufging, haschte er nach den farbigen Strah-
len, und weil er sie nicht faffen konnte, wurde er
zornig, schlug mit Händen und Füßen um sich, schrie
wie befeffen, und ist nun seitdem stets übel zu spre-
362 -
chen, auf Welt und Menschen. Kann's ihm auch
manchmal nicht sehr verdenken, dem Teufel nur ist
die Welt ganz recht. Keineswegs stimme ich aber
mit allen feinen Urtheilen überein, vielmehr bin ich
fein größter Widersacher, und wenn ich hier feine
verkehrten Weltansichten mittheile, so glauben Sie ja
nichts anderes, als daß ich suche die Wahrheit des
Gegentheils durch den Kontrast recht grell hervorzu-
heben.
Also schrieb ich, und wollte am Abend nach mei-
ner Ankunft im Bade ein Buch anfangen, worin ich
die Philosophie meines Gefährten zu entwickeln be-
absichtigte, aber kaum war ich zum Schluß des letzten
Satzes der Bevorwortung gekommen, als mich ein
Eckel vor dem Buchmachen überfiel, den ich nicht
überwinden konnte. Pfui, Lindor, ein Buch schrei-
ben wollen wie ein hungriger Gelehrter in Leipzig,
ein Privatgelehrter, dann geschimpft werden, zu
jenem blutlofen Amphibiengeschlecht, häßlichen Amphi-
biengeschlecht gezählt werden, welches in stinkenden
Stuben lebt und schmutzige Kleider trägt, und keine
Handschuhe über den linkischen beschmutzten Fingern,
welche Schmach! Nein, eher will ich einen Stall-
knecht abgeben, denn ästhetischer ist sein Leben und
Wirken. Ein Stallknecht und feine Pferde in der
Schwemme, die nackten wilden Pferde, und der kräf-
tig bis an die Schenkel entblößte Reiter mit Striegel
- 363
und Bürste, geben noch ein Gemälde für einen Ten-
nier, ein lebensfrisches Bild. Aber welcher Maler
könnte ein vernünftiges Bild machen aus der Stube
eines Privatgelehrten, aus aufgeschichteten Büchern
und einem Mann im Schlafrock. Zudem was gibt
es noch zu fagen über die Welt, was nicht schon ge-
fagt wäre.
Die Welt ist alt und schlecht geworden, und das
Menschengeschlecht ist ein in Sünden ergrauter, ge-
brechlicher, krüppelhafter Greis. Seine blühende Ju-
gendkraft, das rosige Knabenalter und das Alter der
mannhaften That find an ihm vorübergegangen in
wüstem Mißbrauch, in entnervendem Laster, in plan-
mäßiger Selbsttödtung. O wäre es nicht so ! Wäre
Seelengröße und Tugend nicht Kinderspott, Herzens-
adel und im Feuer des Unglücks erprobte Aechtheit,
Güte, flammende Begeisterung und heldenmüthige
Aufopferung nicht Fabel geworden in der Kinderstube
der menschlichen Entwürdigung! Stünde die Welt
noch in ihrer schroffen Größe da mit ihren grauen
Abgründen und sonnigen Höhen, glühten die Sonnen
noch an ihrem Himmel, und stürmten schreckenvolle
Nächte an der wachenden Kraft vorüber, gäbe es nur
Vernichtung und reiches Leben, nur Flamme und Eis,
nur Himmel und Hölle. So aber steht die Welt zwi-
fchen beiden in ihrer armseligen Flachheit, Trockenheit,
mit ihren halbenQualen und ihrem halben Schmerz,
A-
364
mit halbem Leben und halbem Tod, ein fades Mit-
telding zwischen Größe und Kleinheit, ein Fegefeuer
für Alle, eine Wüste für das dürstende Herz, ein kin-
dich Schattenspiel für die kleinlichen Wünsche der
pygmäisch zusammengeschrumpften Halbthiere, Men-
fchen genannt, zur Schmach der größeren Vorzeit.
Der Wurm des Todes nagt an dem Baume des Le-
bens, des Alls, und der Winter der Zeit hat die
Blätter verdorrt und die Blüthen, die Früchte sind
zertreten und verfault, und aus dem Moder der
Wurzeln kriecht ein häßlich Gewürme hervor, die Luft
vergiftend mit dem Hauche eines übelriechenden Le-
bens und feiner schmutzigen Vermehrung.
++ ++ ++
Wenn man mit klarem vorurtheilslosen Blick,
mit der Selbstständigkeit des Bewußtseins feiner
felbst, die hochgestellten schimmernden Sternbilder am
geistigen Horizont, die angebeteten Größen der Mil-
lionen, die angestaunten mißverstandenen und aus
Mißverstehen verehrten Apostel des menschlichen Gei-
fes, die größten Heroen der Denk-, Dicht- und That-
kunst näher betrachtet, den einzelnen Menschen fieht
in feiner alltäglichen Gewöhnlichkeit, nackt und baar
jedes phantastischen Ueberzugs, den ihm eine Welt
voll Thoren umgeworfen, fo werden die meisten fo-
365
genannten Riesengeister in lächerliche Zwerggestalten
zusammenschrumpfen, und in ihre natürliche Kleinheit
zusammenstürzen von der Sternenhöhe des Wahns.
Was ist das Ziel des Denkens, Dichtens und Wir-
kens anders, als Streben nach Wahrheit, nach voll-
kommener Anschauung des eigenen Daseins in feinen
geheimnißvollen Verhältniffen, geistigen Verbindungen
und feiner unerforschlichen Lebens-Fortpflanzung? –
Was ist unser Wirken? – vielleicht nichts mehr
als ein willenloses Kochen und Gähren der inwoh-
nenden Stoffe zur einstigen Klarheit der Form und
das Wesen, aus allen Erdenwürmern, die wir
uns Herren der Schöpfung schimpfen, und uns in
Staub und Elend, in niedriger Gemeinheit und Leer-
heit wälzen, keine Ahnung von der ernsten Bedeutung
des Alls in uns tragen, als die Vermuthung eines
höheren Geistes und die eitle armselige Erhabenheit, den
Bauern stolz unserer Gewalt über noch ohnmächtigere
Geschöpfe? Was ist das angeblich so beglückende Gefühl
unserer Größe, vermöge welchen wir höhere Lebens-
bedeutung, Macht und Geisteskraft haben, als der un-
ter unseren Füßen wühlende D–ckkäfer, der densel-
ben Stoff an sich, in sich, und um sich trägt und be-
arbeitet, der uns ausmacht, den wir an uns nur in
scheinbar edlerer Form erblicken, die eine mit uns
spielende Macht gleich dem Bildner, der eine Idee
mit drei Griffen in den Lehm drückt, zum Spielwerk
366
oder zur Verfinnlichung dessen, was er später in
Marmor zur ewigen Dauer schafft. Prüfet ohne
knechtische und blinde Popanz-Verehrung das ganze
erlauchte geistige Adelsgeschlecht unserer fogenannten
großen Geister, durchwühlt die geistisprühenden Schrif-
ten aller berühmten Autoren, beurtheilt die Großtha-
ten aller glänzenden Namen, und aus der Welt voll
Finsterniß, Dummheit und Eitelkeit, die sich euch auf-
thun wird, in ihren Leben, Wirken und Werken wer-
det ihr nicht mehr Weisheit und Wahrheit finden,
als drei Worte umfaffen können zur Moth, und wer-
det nicht klüger und nicht größer werden, habt ihr
alles begierig ausgesogen wie köstliche Himmelsspeise,
und euren Hirnkasten angefüllt mit Bombast und
Thorheit zur fchnelleren Reife des Wahnsinns oder
der Ueberzeugung, daß ihr darum nicht klüger und
beffer seid, als der Dümmste unter allen Dummen.
Wahrlich die Größe dieser Männer, dieser Abgötter
unserer Verehrung, besteht in nichts anderem, als in
dem Ungeheuren ihrer Thorheit, der Geist, Witz und
Funke aller Poeten, von Homer bis auf den letzten
aller Dichter, der einst am jüngsten Gerichte im Na-
men des ganzen Geschlechts fingen wird: „Pater pe-
cavi“ in glänzendem Spielzeug, und die Welt, in der
fie träumten und weinten, ist am Ende nichts als
das schöne herrliche mit tausend und tausend Blumen,
Sternen, Sonnen, mit Liebe und Traumbild, mit
367
Köstlichkeit und Pracht ausgestattete, von tausend und
tausend Urgeistern, Weltgeistern, Erdgeistern, Gott-
heiten, Elfen und Zwergen, Hexen und Engeln, Teu-
feln, Midgardschlangen ac. bevölkerte Reich des Un-
finns. Dieses Reich ist die Sphäre unserer Kraft,
das Geburtsland unserer Begriffe, die Quelle unfe-
rer Weisheit, der ersehnte Himmel unseres Empfin-
dens, die Wiege unseres Herzens, der Thron unseres
Verstandes. Wir haben keinen Maßstab als uns
felbst, für uns felbst, und die größten unterschiede er-
geben sich nur aus ewiger Täuschung, und das Licht
unserer Thorheit vergrößert und verkleinert wie Ferne
und Nähe, und den optischen Bau des durchsichtigen
Raums, durch den wir schauen, und wie uns die
Welten am Himmel klein und elend vorkommen, un-
ferer Blindheit wie Kerzenlichter und Irrwisch, fo fe-
hen wir durch Mikroskope den Panzer eines Flohs
für einen Weltkörper an.
Schließe ich mit der Betrachtung des Lebens-
zwecks. Gibt es ein närrischeres Ding als diesen ?
Der Mensch lebt um zu sterben, und glaubt zu ster-
ben um zu leben. Manche glauben, ihr Lebenszweck
sei edler und voll hoher Bedeutung, aber keiner kann
diese Bedeutung enträthfeln, und alle leben nur um
zu genießen, und wirken eben darum. Wir sind nur
schlechte Maschinen, und erstehen aus dem Staube,
wie die Pflanzen, blühen und vertrocknen, je nachdem
368
es Winter oder Sommer ist. Der Glaube und die
Weisheit des Menschen hängt von Umständen ab,
und vom Klima, und die Philosophie ganzer Natio-
nen fußt darauf. Die Türken sind Fatalisten aus
natürlicher Trägheit u. f. w. Wer kann da fagen,
wer recht hat, welcher Mensch, welches Volk, welches
Jahrhundert, welche Jahreszeit mit ihren Einflüffen
auf den menschlichen Geist? Es gehört nicht mehr
dazu, als daß ein Philosoph ein Mal eine harte Oeff-
nung hat, um die Glaubenssysteme eines Jahrhun-
derts zu stürzen. >-
„Habe ich dir nicht schon oft gesagt, du sollst dir
das Denken abgewöhnen, sonst wirst du verrückt.“
Bin ich es noch nicht? – fchon ist keine Ord-
nung in meinen Gedanken.
„Nein, du hast noch einigen Verstand.“
Verstand, o ja, genug, um verrückt zu werden.
Warum kann man seinen Verstand nicht ausge-
ben wie eine Münze, ich würde so lange von meinem
Reichthum verschwenden, bis ich ein Bettler würde.
„Gott sei Dank!“ würde ich dann fagen, wenn ich
fertig wäre, „ewiger Dank, daß ich endlich so dumm
bin wie eine Gans, und in jedem Dreck einen Ge-
nuß finde.“ Denn wie menschenfreundlich könnte ich
da sein, wie vielen Leuten aushelfen, denen es ge-
bricht – ich werde ordentlich gerührt von dem groß-
herzigen Gedanken. Gott! du weißt es, wie fromm
369
ich bin, und wie gerne ich von diesem Reichthum
gäbe und mein Geld behielte, welches die Menschen
ohnedieß nur unglücklich macht und elend. Ich will
mich ja aufopfern, Menschheit, für dich, nehmt ihn
hin meinen Verstand, und gebt mir euer Geld, ich
will es tragen für euch alle, das Mißgeschick des
Reichthums: ohne Verstand.
Der Mensch hat bei all seiner Thorheit noch zu
viel Geist für diese Welt und ihre unerforschlichen
Geheimniffe. Es ist kein Verhältniß zwischen ihm
und dem Körper. Der Körper ringt, krümmt sich
und zerbricht unter der Last des überwältigenden
Geistes. Warum hat der Mensch nicht die Körperkraft
des Löwen, daß seine physische Stärke, vereinigt mit
der des Geistes, ihn zum Gotte machte? Warum diese
elende zerbrechliche Maschine in solchem Mißverhält-
niß zu dem ungeheuren bewegenden Princip, warum
ewigen Mißklang in diesem Bunde, warum nicht
kraftverdoppelnde Einheit? Nistet und nagt denn die
Seele an den Wurzeln des Körperlebens, glüht der
leicht zur Flamme entfachte Funke unter zerbrennli-
chem Staub, den die Flamme frißt, wie trockene
Spreu? Warum wüthende Brandung am schwachen
Kreidefels?
Ist es schon ein großes Unglück, Verstand zu
haben, so ist es ein um so größeres, mehr Verstand
zu haben, als die Menschenkinder gewöhnlich haben.
- 24
370
Es gibt kein drückenderes Gefühl, als das der
geistigen Ueberlegenheit über Andere. Wenn man
feine eigene Thorheit ermißt, und doch fieht, wie hoch
man über den Haufen steht, über Leute, die oft für
geistreich gelten, wenn man einer Hunderten fuchen
muß, bis man Anklang findet, wenn man tausend
Mal in die Wüste ruft, bis ein Echo zurück, da
steht man so einsam in der Welt, und wird sich fel-
ber gram. Da möchte man oft hinaus, hinaus, die
Last der eignen Existenz abschütteln, und verwünscht
das gemeine Gewicht, das uns an den Staub feffelt.
Woher diese reißende Sehnsucht, die uns von hinnen
treibt, fort, fort, und hat man die Welt durchrast,
und fich und fiel nicht begriffen, und hat man zwei
Menschenalter hinter sich mit tausend Unglück und ei-
nem Tropfen Freude vermischt, so ist man noch nicht
zur Stelle, will immer, immer fort fort! Wenn ich
in den Himmel fchaue, da möchte ich mit den Ster-
nen stürmen durch das All, in den ewigen Raum,
wo mich nichts hinderte an ewiger und ewiger Be-
wegung! Flug, Sturm, Blitz, Gedanke! ihr feid mir
zu träge, die Bewegung zu bezeichnen, in der sich
meine Kraftgefühle, und aller Raum, den unser Ge-
danke faßt, ist mir zu klein, zu eng – es ist nicht
möglich, nein, nein, es ist nicht möglich, daß ich auf
hören kann, zu fein! Ich fchreie hinaus zu dir und
371
in dich, Wahrheit, Tod, Licht, Zeit, All, Gott! Gib
mir Licht, Raum, Ruhe!
Die Ewigkeit allein ist’s, was sich denken läßt,
alles Endliche, alles Sterben, Aufhören ist unbe-
greiflich, undenkbar! Des Menschen Geist ist
allmächtig. Will nur, und du bist Gott will nur, und
du siehst das Innerste der Erde, kennt das Geheim-
niß des Welten-Baues, bringt die Zeit zurück aus
ihrem Grabe, und macht Jahrtausende der Zukunft
zu Momenten der Gegenwart! Du kannst alles, was
wahr ist, aber da beschleicht dich oft die Lüge der
Ohnmacht, und du bist ein Wurm. Wenn du nie
spielen konntest mit Sternen, wenn du die Erde nie
sahest, als Sonnenstaub, das Licht der Sonne nie
trankt mit einem Blick, daß es finster wurde auf al-
len Welten, dann hänge dich an den nächsten Baum,
denn du bist ein Lumpenhund. Denke es, und die
Erde zittert, denke, und du erdrückst deinen Stern
in der Faust, denke es, und die Weltgeschichte – nicht
die armselige Geschichte des Menschen und seiner Erde
– nein, die Geschichte der Welt steht ein Geist
vor dir! Dein Athem ist Erdbeben, dein Blick ist
Allgewalt, ein Donnerruf deine Stimme, und die
Sphären brechen zusammen unter deinem Fuß. Fü-
gen und Trennen ist Schaffen und Vernichtung, nur
du stehst ewig vom Anbeginn und athmet Welten!
Raserei, du bist die Gottheit!
24 %
372
Das Heirat hs-Project.
Als ich am andern Morgen aus dem Bette
stieg, war ich ein ganz anderer Mensch. Der Bade-
diener, der mich Punkt drei Uhr zu wecken kam, und
der auch heute wegen seiner Pünktlichkeit mit Flüchen
empfangen wurde, war höchlich erstaunt, mich in der
fröhlichsten Laune bereits angekleidet im Badekostüm
zu finden, und hörte nicht auf, mir Lobprüche zu er-
theilen über meine Heiterkeit Der arme Kerl, der
sich jeden Morgen von einem Griesgram hudeln
lagen muß für ein paar Thaler, dauerte mich mit
seinem Hinkebein, und ich bat ihn aufrichtig, er möchte
es mir nicht übel nehmen, daß ich ihn so oft barsch
angelaffen habe. Dann bestellte ich den Wagen Punkt
neun, und ging ins Bad. Während der dreiviertel
Stunden Siesta machte ich mir einen neuen Lebens-
zian. Alle die Narrethei aus dem Kopf zu werfen,
und all das garstige Zeug aus meinem Herzen, war
mein ernster Entschluß, und als ich aus dem Bade
stieg und in meinen Mantel gehüllt die frische Mor-
genluft begrüßte, schien mir der Himmel freundlicher
als je. Die Weiber haben dich zu Grunde gerichtet,
die Weiber müffen dich kuriren, sprach ich mir zu,
und kleidete mich an. Du bist noch jung, fuhr ich
fort, und bürstete mir die Haare aus, und hat Augen,
Augen – wie Laura selbst sagte, die ihr das Herz
373
verrückt hätten. Dein Gesicht ist blaß, aber interes-
fant, und wenn du immer ein fröhliches Gesicht mach-
test, so – wie jetzt, fo wärest du doch so übel nicht,
und könntest noch ein Mal auf verliebte Abenteuer
ausgehen.
Seelenvergnügt fetzte ich mich in den Wagen,
und fuhr davon. Die Schneekoppe grüßte mich, und
zog ihre Schlafmütze; die Sonne freute sich über
meinen Frohsinn. Lustige Vöglein zwitscherten mir ei-
nen fröhlichen Morgengruß, und der leise von der
Sonne schon gewärmte Morgenwind murmelte: So
recht, guter Junge!
Dicht an der Straße auf engem Fußpfad schritt
ein freundliches Mägdlein einher, mit hochgeschürztem
Röckchen, damit die vom Morgenthau benetzten Grä-
fer und Blumen den weißen Saum nicht näßten,
und rief mir munter zu: '-
„Schön guten Morgen!“
Schön guten Morgen, mein Schatz Weiber,
Weiber, wie lange habe ich euch verkannt. Vergebt
mir, ich kann, muß euch wieder lieben. Des Lebens
schönste freundlichste Begegnung ist ein liebend Weib.
Ein Leben ohne Weiber ist ein Leben ohne Liebe,
und ohne Liebe ist die beste Hälfte des Menschen
todt. Liebe, Liebe, welch' ein schönes heiteres Wort,
welch' eine große herrliche Empfindung!
374
Es ist unbegreiflich, wie wir in der Sprache und
im Symbol fo erbärmliche Ausdrücke und Zeichen,
meistens kindischen und kindlichen Sinnes für die Liebe
aufnehmen und beibehalten können. Es gibt nichts
Ernsteres, als die Liebe, und doch treibt man lächer-
liches Poffenspiel mit ihr; es gibt nichts. Mächtigeres
als die Liebe, und was ist ihr Bild – ein blindes
Kind. Die Liebe follte man verfinnlichen als einen
Riesen, der die Welt umarmet, der mit Sternen
spielt und Sonnen, denn wer ist die Liebe und der
Riese, als Gott?
Als Zwerg steht der gestrige Mensch unter sich,
ist in ihm heute die Liebe erwacht. Sie erhebt ihn über
sich felbst, und gibt ihm ungeheure Kraft zur unge-
heuren That. Wer wäre so groß und fo herrlich,
daß er sich einem Liebenden gleichstellen könnte, wer
wäre so tugendhaft, die Tugend eines Liebenden
aufzuwiegen, wer so voll hoher göttlicher Gesinnung
als der Liebende!? Wirf dich in den Staub, kaltes
Gewürm, Menschheit, vor einem Liebenden, die Völ-
fer aller Zungen, die Zeit aller Jahrhunderte foll
ihn verehren, den göttlich großen Unglücklichen. Liebe
ist der Geist des Alls. Unter duftenden Blumenkel-
chen wehen Zephire ein flüsterndes: Liebe, im azur-
nen Himmel flammt das Himmelsauge: Liebe, und
die Donner der Stürme brüllen Liebe über den er-
fchreckten Erdball, und in der ewigen Bahn der krei-
375
fenden Weltsphären steht es in Sternenschrift geschrie-
ben: Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, allüberall, im Blühen,
im Leben, im Tod, in Vernichtung, in Ewigkeit.
Die Liebe des Menschen ist das Weib. Wehe
dem männlichen Gemüthe, das feiner Liebe eine an-
dere Richtung gibt, als diese ihm natürliche, defen
Kraft gegen die Gesetze der Natur ankämpft, und sich
im Irrthum an die Materie klammert. Die ewige
Bewegung des Weltalls zermalmt das Herz, das im
Wahnsinn fich vom Herzen trennt, das mit feiner ir-
dischen Schwäche nach Ueberirdischem strebt. Die Liebe
der Semele ist ihr Tod, die Umarmung des Donner-
gottes vernichtet das verwegene Herz.
Das Weib ist die lebendige Ergänzung der
Vollkommenheit des Menschen. Mit dem Manne
vereinigt, wird sie ein Ganzes, und die Mängel aller
irdischen Schöpfungen decken sich in der Vereinigung
der Liebenden. Die Natur hat den Mann geformt
aus Kraft und Größe, das Weib. aus Schönheit und
Grazie. Dem Manne gab sie muskulöse Gliedmaßen
und Spannkraft, dem Weibe die weichen zarten Wel-
lenformen der Schönheit und weiche Hingebung. Dem
Manne gab sie ein starkes, trotziges Gemüth, Festig-
keit des Willens, glühende Begierde, einen helleren
Geist und Muth; dem Weibe mildernde Sanftmuth,
kindliche Lenkfamkeit, warme erquickende Liebe ohne
zerstörende Blitze, und löste den Geist auf in lauter
376
Empfindung. Der schroffen Kraft des Mannes
schmiegt sich ihre Liebe an, wie der Epheu an nacktes
rauhes Gestein, warm bedeckend, zart bekleidend mit
milderen Gestalten der nackten Felsen rauhe Gewalt.
Mit dem Manne vereinigt entwickelt sich erst
ihre schönere Natur, und ihre Schwächen werden rei-
zend, und ihre Liebe wird stark. Den nimmersatten
Begierden des Mannes stellt sie ihr genügsames, von
einem Bilde ganz erfülltes Gemüth dar, und wenn
der Mann in tobender Luft nach den Sternen feine
kühnen Arme ausstreckt, umarmt fiel den einzigen
Mann, und ihre Welt ist eine Brust. Was er zer-
stört in blinder Wuth, baut sie wieder auf mit ihrer
unerschöpflichen Liebe; die Wunden feiner ewigkämpfen-
den Sehnsucht heilt sie mit dem Balsam ewig treuer
Anhänglichkeit, unaufhörlicher Sorgfalt.
Unter diesen heiteren Gedanken besah ich mir die
duftenden Thäler, und trank die Wollust des Natur-
genuffes. Aber aus den Schluchten Rübezahls rauch-
ten kalte Wolken und verhüllten den Tag. Im
Sturm verweht waren die lichten Gestalten, und
mürrisch legte sich der Himmel auf die warme Erde,
die Gluth ertödtend mit feinen kalten Gewändern.
Gähnend reckte sich Star, und zog den Mantel über
die Schultern, und steckte das Gesicht bis an die Nase
in den warmen Pelz. Dann zog er die Augenbrau-
nen zusammen, und den Mund spöttisch lächelnd
377
herab, räusperte sich, spuckte weit hinaus in den
Sturm und sprach:
Wenn du anders die Geduld hat, mich anzu-
hören, fo will ich dir beweisen, daß das Weib just
das Umgekehrte von allem dem ist, was du mit vie-
ler Mühe und großem Aufwand von Gelehrsamkeit
und Phantasie demonstriert hast. Du behauptet: das
Weib ist fanft, nichts als pures Gefühl und Herz, fo
daß ein Paar wirklich nur einen Menschen machte,
wovon der Verstand der männlichen Hälfte, das Herz
der weiblichen zukäme. Ich aber beweise dir, daß
das Weib das grausamste, herzloseste, aber verstän-
digte Thier unter allen Bestien ist, und daß man in
gewiffen Dingen eher einen Stein zu nußgroßen
Thränen rühren kann, als ein Weib zum Erbarmen.
Beleidige ein Weib bei der Eitelkeit, und wenn du
dich willst rädern laffen vor ihren Augen, so wirst
du Gelegenheit haben, zu bemerken, daß ihr das ein
unaussprechliches Vergnügen verursachen wird. Erst
wenn du kein ganzes Glied mehr am Leibe hat und
zerbrochen bist, wie eine eingekerbte Kalbskeule, dann
wird sie unfehlbar eine Ohnmacht bekommen, und
mit Konvulsionen andeuten, daß es ihr herzlich leid
thut um dich. Solltest du das Unglück haben, dereinst
eine Ehehälfte zu bekommen, fo wirst du ohne Zwei-
fel dich von der angeborenen Herzenshärte des Wei-
bes näher zu überzeugen. Du wirst finden, daß Mi-
378
lady Lindor über die Leiden eines Menschen, der sich
in den Finger geschnitten, Thränen vergießen kann;
du wirst ferner bemerken, daß die Zustände bekommt,
wenn du aus der Nase blutet, aber du kannst dich
verlaffen darauf, daß fie sich freuen wird, wenn der
Gemahl ihrer Schwester, der diese schöner und lie-
benswürdiger gefunden, unter den entsetzlichsten Lei-
den an der Eholera verendet. Wagst du es endlich
gar, wenn auch aufs zarteste und gutmüthigste, kleine
Schwächen und Fehler zu rügen, oder auch nur zu
behaupten, daß nichts auf Erden vollkommen, folglich
auch kein Weib, fo wird sie es je eher je lieber sehen,
wenn du lebendig bratet. Dabei ist das Weib ganz
und gar unversöhnlich, wenn sie einmal haßt. Da
magst du dir die Kniee abschinden, um fiel zu rüh-
ren, oder heulen wie Werther, es wird dir nichts
nützen; drohe mit Selbstmord, fo wird sie fich alle
Mühe geben, dich in deinem Vorsatz zu bestärken,
denn es ist gar zu schön, romantisch, und fchmeichelt
ihrer Eitelkeit ganz außerordentlich, wenn sie fagen
kann: es hat sich ein Mann ihretwegen erschoffen,
erhängt, erläuft oder auf was immer für eine Art
aus der Welt geschafft, je gräßlicher, desto beffer. Frei-
lich vor ihren Augen würde sie es nicht gerne fehen,
wenn du das blutige Drama aufführen wolltest, denn
da gibt es Mancherlei zu bedenken, als vor allen
Dingen die Gefahr, ein neues Kleid mit Blut zu be-
379
fudeln, was sie in ihrem Leben nicht vergeffen könnte,
die Zartheit ihrer Nerven, denen durch ein solches
Schaufpiel leicht Schaden zugefügt werden könnte,
der Stubenboden u. dergl. Willst du dir aber hübsch
weit von der angebeteten Dulcinea eine Kugel in den
Kopf jagen, oder dich an einen Baum hängen, fo
kannst du ihr keinen größeren Gefallen thun, beson-
ders wenn du vorher einen offenen Brief hinterlaf-
fen willst, mit den Phrafen: „Engel! leb' wohl
und glücklich – ich konnte nicht leben
ohne dich – verzeih mir, unaussprechlich
Geliebte! – bete für mich – in einer
Stunde bin ich nicht mehr!“ – und derglei-
chen mehr. Das macht Eindruck und rührt die Leute
bis zu Thränen. Dann bekommt die Dame ihre
Vapeurs, sieht blaß und schwermüthig aus, kokettiert
mit dem Mond, und liebt dich hinterdrein: „Guter,
unglücklicher Julius“ wird sie feufzen, „Eduard, Mi-
chel, Christoph oder wie du heißen magst, – ach –
ich liebte dich, aber ich wußte es nicht, – jetzt erst
fühle ich die Qualen meiner unglücklichen Liebe –
warum mußtest du sterben? – warum muß ich le=
ben?“ u. f. w. – Mich eckelt es an, all die roman-
tischen Stoßseufzer anzuführen, die bei solchen Gele-
genheiten stereotip find, du kannst sie in jedem Ro-
man, in allen Variationen finden. Heirathet dann
Donna einen Andern aus Verzweiflung, um nicht
380
fizen zu bleiben, so hat der arme Teufel die Hölle
auf Erden, denn bei dem geringsten Anlaß wird er
es gewiß zehntausend Mal hören müffen, daß der Er-
hängte, Erfäufe oder Erschoffene ganz ein anderer
Mensch war, als er ist. Glaube mir, Lindor, es gibt
eine Seelenwanderung, fonst könnte es keine Krokodile
geben. Mich wundert nur, daß es deren fo wenig
gibt, da doch so viele Weiberseelen aus den mensch-
lichen Leichnamen ausfliegen.
Du behauptet ferner: das Weib ist allein treu
und fähig, sich einem liebenden Herzen auf ewig hin-
zugeben. O du verstockter Dummkopf! Höre, du
weißt doch die Geschichte vom Pfaffen vom Kahlen-
berg, der einst den ganzen Hafervorrath des österrei-
chischen Herzogs davon schleppte, als dieser ihm er-
laubt hatte, einen Sack voll zu nehmen – denn er
nahm:
Eine Plahen ohne Maaß
Und machte daraus einen Sack so groß,
Den mocht er nicht heben noch tragen,
Er legt ihn auf feinen Wagen;
aber dieser riesige Sack ist nur eine Schürzentasche
gegen den Herzenssack eines Weibes! Wenn nicht
wenigstens fünfhundert Männer, wovon jeder so groß
und dick fein kann, wie der riesige Bengel, den der
alte Fritz in feinen Diensten hatte, hinlänglichen
Raum haben in dem Herzen eines Weibes, so will
- - - - - - -
381
ich von der Stunde an, in der du mir das Gegen-
theil beweifelt, die Weiber unter die Menschen
zählen!
Das Weib ist unbeständig in der Liebe, unbe-
ständig in der Tugend, unbeständig im Verbrechen –
daher entsteht alles Unglück. Es gibt kein Weib,
das so tugendhaft wäre, daß es nicht fallen könnte;
es gibt kein Weib, das so verworfen ist, daß es sich
nicht auch eine Zeit lang beffern könnte. Daraus
folgt, daß eine wie die andere ist, und alle miteinan-
der nichts taugen. Die Weiber sind nur darum da,
damit man wieder Männer machen kann, und haben
keinen andern Beruf, als den, zu empfangen und zu
gebähren. Dazu brauchen und haben sie auch keinen
Verstand, woraus sich ergibt, daß ein geistreiches
Weib gewiffermaßen ein Hermaphrodit, ein Druckfeh-
ler der Natur ist. Wenn du aber dieß nicht glaubt,
fo wünsche ich dir, daß du von der nächsten besten
Tugendheldin die F–n bekommt, damit du anderen
Sinnes werdest.
Als ich nach Hause kam, brannte ich mir eine
Cigarre an, und hielt folgendes Selbstgespräch:
Lindor, lieber Lindor! – hörst du nicht?
Nein. -
Warum so trotzig?
Du bist ein Schuf.
Du lügst, ich bin dein guter Geist.
Willst mich verführen, mich verderben!
Ich meine es gut mit dir, du mußt schlechter
werden, um besser werden zu können.
Was soll ich nun wieder?
Du sollst dich verstellen!
Die alte Leier! ich will nicht, ich kann nicht, ich
werde nicht.
Die Leute fagen: du bist ein grober Schlingel,
hast kein Gefühl –
Das ist eine Lüge.
Sie sagen, du hast Verstand.
Das ist wieder erlogen.
Aber kein Herz.
Ironie! -
Was hilft dir dein Bewußtsein, daß du ein her-
zensguter Narr bist, nimm lieber Vernunft an, und
halte die Leute zum Narren. Du willst heirathen,
da muß man feine guten Seiten nach Außen kehren.
Wer mich nicht will, wie ich bin, den mag ich
nicht.
Gut! aber Niemand weiß, wie du bist.
Gleichviel.
So heirathe lieber gar nicht, du begehst zehn Thor-
heiten auf ein Mal.
Ich denke nur eine.
-
383
Zehn, lieber Lindor, glaube mir. Er ist ein s,
du willst heirathen, das ist die Universal-Thorheit;
Zweitens, du willst bald heirathen, das ist die
zweite Thorheit; Drittens, du willst keine Frau
mit Geld, das ist die dritte ; Viertens, du willst
eine schöne Frau, das ist die vierte; Fünftens, du
willst deine Frau allein haben, das ist die fünfte;
Sechstens, du willst dich in deine Braut verlie-
ben, das ist die sechste; Siebenten s, du willst
eine junge Frau haben, das ist die fiebente, du mußt
eine alte nehmen; Achtens, du willst eine gesunde
Frau, das ist die achte, sei froh, wenn sie bald stirbt;
Neuntens, du willst deiner Frau treu werden;
das ist die neunte; Zehntens, du willst als Ehe-
krüppel ein Philister werden, das ist die zehnte.
Ich will einmal, wenn du mir nicht helfen
willst, daß ich auch kann, fo magst du deinen Witz
sparen, und ich werde mich ersäufen. -
Das wäre am Ende dein einziger vernünftiger
Streich, man würde dir die Grabschrift machen:
„Er war ein Narr fein Leben lang, und that
nur einmal etwas Vernünftiges, indem er sich
aus der Welt schaffte.“
Aber gut, ich will dir helfen zu deiner großen
Thorheit, denn du allein hat nicht einmal Witz ge-
nug, um dumme Streiche zu machen. Versprich mir
nur heute Gehorsam, und du kannst mich auf ewig
384
aus deiner langweiligen Gesellschaft verbannen, wenn
du das Ziel deiner Narrheit nicht erreicht.
Topp! es gilt, was muß ich thun ?
Vor allen Dingen mußt du sentimental sein,
und mich, als deine vernünftigere Hälfte nie zum
Wort kommen laffen. Du weißt, ich spreche immer
übel von dir, und doch läßt du in Gesellschaft nur
immer mich sprechen. Zu Hause weinst du dann,
wie eine H–e. Weine lieber in Gesellschaft, und
lache zu Hause. Nimm dir ein Beispiel an dem fa-
den Gesindel, das deine Donna umschwärmt, bewun-
dere mit abgedroschenen Floskeln die Schönheiten der
Natur, laß dich zu Thränen rühren von dem Castra-
ten - Gesang des Baron ZF, und brülle nach jeder
musikalischen Prodution dein Bravo hinterdrein.
Mache allen Damen die Cur, und schmeichle ihnen
fo unverschämt als möglich. Kurz, du mußt mit Ge-
walt liebenswürdig werden, und sollte es deinen Ver-
stand kosten, daran ohnehin nicht viel gelegen.
Gut. –
Nachmittags ging ich in Gesellschaft. Zwei
Stunden lang hatte ich vorher Toilette gemacht, und -
geputzte Stiefel angezogen. Meine Haare trofen von
Pomade, so daß ich ersticken wollte vor Gestank. In
der Hand hielt ich einen mächtigen Blumenstrauß,
385
/
von der Größe, wie man sie in Stein gehauen auf
die Hausthüren setzt. Kostete mich vier gute Gro-
fchen, den Marqueur zu bestimmen, daß er mir alle
die Blumen, welche seit vier Tagen auf der Gesell-
fchaftstafel paradierten, vermittelt eines zwei Ellen
langen Bindfadens zusammen band; ich wollte mit
dem Strauß, wenn ich wieder nach Hause käme, den
großen Schöps füttern, der sich in unserem Hause her-
umtrieb, und alle Leute stieß, die sich meiner Woh-
nung näherten. Benützte vor der Hand den gewal-
tigen Heubündel, die Wespen und fonstiges Ungezie-
fer von mir abzuwehren. Die Taschen aber hatte ich
mir vollgesteckt mit einem Pfund Bonbons, Kirschen
und anderem Obst, welches ich mir durch meinen Be-
dienten, mittelst eines Aufwandes von sechs guten
Groschen, zu dem Behufe hatte einkaufen laffen, da-
mit die mir allenfalls unterkommenden Kinder in der
Gesellschaft abzufüttern, auf daß man mich für einen
fcharmanten freundlichen Mann hielte, und die Jun-
gen mir bei den Alten das Wort redeten. Also ge-
rüstet mit bestechender Liebenswürdigkeit fähritt ich
in stolzem Kotturn, auf wohl mit Eisen und Nä-
geln beschlagenen Stiefeln, in den Salon. Alsbald
mich aber die versammelten Damen mit fo großem
Vorrath von Blumen anfichtig geworden waren,
stürzten sie unter Lachen und Geschnatter, wovon
mir jetzt noch meine Ohren gellen, auf mich
25
386
los, und polierten mich dergestalt, daß mein Project,
bezüglich der Fütterung des oben erwähnten Schöp-
fes, vereitelt wurde. Wie ich nun dastand mit mei-
nen zwei Ellen Bindfaden und den triefenden Blu-
menstengeln, welche mir die Damen großmüthig
überlaffen hatten, fah er fo ziemlich aus, wie der
Schöps ausgesehen haben würde, hätte er gewußt,
welches Unglück ihm so eben passiert war.
Wie gewöhnlich, wenn ich nicht weiß, was ich
mit den Damen anfangen foll, was fich, nebenbei ge-
sagt, sehr häufig ereignet, zog ich mich zurück, mengte
mich unter die übrigen Männer, denen es eben so
ging. Ich näherte mich dem Grafen Y. Ich hatte
es nun schon oft versucht, mit dem Mann ein ver-
nünftiges Wort zu sprechen. Aber da will ich lieber
den türkischen Sultan zur katholischen Religion be-
kehren, als den Tropf bewegen, daß er Stich hält.
Sobald er mich ansichtig wurde, und meine Annähe-
rung bemerkte, zog er sich hinter feinen Nachbar
zurück, und wiederholte das Manöver einigemal.
Es liegt aber nun einmal in der menschlichen Natur,
daß wir das fuchen, was uns entflieht, und so kam
es denn, daß ich so erpicht wurde auf den Grafen,
und ihn so lange verfolgte, bis er mir nicht mehr
entkommen konnte, ohne mich über den Haufen zu
rennen. Ich fah ihn gerührt an, er aber schnitt ein
Gesicht, wie ich es nur einmal in meinem Leben ge-
-
387
fehen habe, an einem Knaben, der in einem natürli-
chen Kürbis ähnliche Bonbons und Spielsachen zu fin-
den glaubte, wie er an feinem Geburtstag in einem
künstlichen erhielt, als ihm die eckelhafte Sauge über
die Beinkleider rann. -
Sieh nur, der kann dich nun auch schon nicht
leiden, rief mein Satan.
Warum ? -
Ich habe dir fchon so oft gesagt, daß es der Graf
Y. ist, aber immer vergiffest du es wieder. So nenne
ihn doch einmal: Herr Graf!
Herr Graf, Sie ennuiren sich hier.
Pst! das war dumm, das kam heraus, als ob
er ennuiant ausfähe.
Das thut, er wirklich.
Hm! hm! brummte der Graf, und ging ab.
Mein Gott, wer wird denn so offenherzig sein,
du machst dir alle Leute zum Feinde.
Laß mich, laß mich. Wenn ich den Leuten nicht
recht bin von vorn, fo mögen sie mich von hinten
nehmen. -
Nein, du mußt die Leute von hinten nehmen,
damit sie vorn auf die Nase fallen.
Hol euch – dieser und jener.
25 %
388
Ich ging zu den Damen über, um hier mein
Glück zu versuchen. Ich hatte mittlerweile Muth
und Laune gesammelt, aber mit der Demuth wollte
es nicht recht gehen, und mir war, als ob ich auch
eben nicht fehr zur Artigkeit gestimmt wäre. Die
Grobheit krabelte mir durch den ganzen Leib, und
wollte überall heraus, wo nur ein Loch war.
Sei nicht blöde, lieber Lindor!
Bewahre.
- Ich fetzte mich, während alle übrigen Männer
fanden. Trotz dem – ich weiß nicht, durch welches
Verhängniß und wodurch ich Veranlaffung gegeben
hatte, denn bei allen Teufeln schwör' ich's, ich war
unschuldig daran – kam es einer Dame bei, etwas
zu meinem Lobe zu fagen!
Geschwind, Lindor, werde roth! rief ich mir zu.
Ich hielt den Athem ein, fenkte mein Haupt, drückte
mir auf den Magen, daß mir das Blut in den Kopf
stieg, und zeigte mein fchamrothes Gesicht.
„ , , Bist du auch wirklich roth?
Ja, ich glühe. Ein kleiner Spiegel, den ich stets
bei mir trage, um von Zeit zu Zeit darin zu sehen,
daß ich noch nicht der Häßlichste bin, unter den Häß-
lichten der Erde, überzeugt mich hiervon. Die Toll-
ader liegt da, wie ein Strick. -
Sag ihr doch etwas Verbindliches – fo unver-
schämt als möglich.
389
Mein Fräulein, schrie ich, daß die ganze Gesell-
fchaft es hören konnte, Sie find die Königin des
Festes! -
Plumper Mensch! las ich - auf allen Gesichtern.
Jetzt hast du es mit allen übrigen verdorben, wenn
die dich nicht mag. Das mußt du wieder gut
machen.
Nächst Ihnen und den übrigen, flüsterte ich leise
zu meiner schönen Nachbarin, um mir wenigstens
nur eine Freundin zu erwerben.
Diese aber hatte nichts Eiligeres zu thun, als
meine Aeußerung der von mir gewählten Königin
des Festes zu hinterbringen.
Sie treiben Spaß mit mir, sagte diese kalt und
schneidend. -
Ich stammelte verlegen.
Geh' fort, Lindor, du bist hier überflüssig
Hol' euch der –.
Als ich nach Hause kam, und mit wüthendem
Hunger über das Abendbrod, welches ich einmal heute
in der besten Gesellschaft mit mir selbst verzehren
wollte, herfiel, nachdem ich eine köstliche Rehpastete
verschlungen, und eine Flasche Burgunder über mein
betrübtes Gemüth gegoffen hatte, erwachte in mir das
390
Gewiffen, und ich ermangelte nicht, in der Zer-
knirschung meiner Seele gebührendermaßen Reue und
Leid zu erwecken, und mir eine eingreifende Sitten-
predigt zu halten. Das wirkte. Ich vergoß Thränen,
und erstickte fast an einer riesigen Käseschnitte, die ich
in der Zerstreuung in einer heiligen Betrachtung in
den Mund gestopft hatte. Ich mußte einhalten mit
meiner Herzenskasteiung, bis nichts mehr in der Stube
war, was meine Freßbegier hätte anregen können.
So machten es von jeher auch die frommen Brüder
und Väter in den Klöstern, der Papst auf seinem
heiligen und jeder Pfarrer auf einem unheiligen
Stuhle. Also auch ich.
Lindor, du mußt tanzen lernen.
Gott verhüte!
Du mußt Knigges Umgang mit Menschen lesen.
Habe mich schon vor zehn Jahren damit gelang-
weilt.
Du mußt Kinderspiele lernen; als da sind:
Herr Gevatter, das ungereimte Reimspiel, Fanchon c.
Jetzt reißt mir die Geduld. Du gehst doch im-
mer mit dem H– in die Welt.
Als du noch Kind warst, kamst du dir vor, wie
ein Mann, nun du ein Mann bist, wirst du kindisch.
Als du gelehrig warst zu den kleinen Künsten der
Jugend, da wolltest du nichts lernen, nun deine
Glieder steif geworden sind, willst du tanzen. Als
391
du das Leben und deine Kraft genießen solltest, leb-
test du wie ein Stoiker, nun du krank bist, willst du
ein Epikuräer werden. Kurz du bist ein ewiger Wi-
derspruch der Natur, und deine Wünsche entfernen
sich von dem, was an der Zeit und möglich ist. Du
willst nun körperlich leben, weil du in der goldenen
Zeit deines Jünglings- und Knabenalters an Ideen
gehangen, und spät genug gefunden hast, daß man
keinen Hund von dem Ofen locken kann mit Ideen,
weil du nun erst erfahren hat, daß der klügste
Mensch es mit Denken und Schwärmen nicht weiter
bringen kann, als in's Tollhaus, daß unüberschweng-
licher Geistesreichthum den Verstand zum Bettler
macht, und der unsterbliche Ruhm eines Gelehrten
nicht eines von den tausend das Herz liebenden und
das Gemüth wollüstig krabelnden Küffe werth ist, die
du versäumt hat. Wenn ich dich oft ermahnte:
*- Alles zu wissen
Noch viel zu jung;
da warst du gleich da mit dem Nachsatz:
- - Ein Mädchen zu küssen
Noch Zeit genung.
Sed fugit interea irreparabile tempus. Was
ein Kuß ist, das hast du erst mit 24 Jahren erfah-
ren, obwohl du schon lange vorher gewußt, was mehr
ist. Nun, du Körpergeizhals und Geistesverschwender,
392
nun hast du dein dickes Aas erspart, und deinen
Verstand zu Schanden geritten. Nun lahmt die
Mähre, und läßt Lindor im Dreck sitzen. Lindor !
Lindor! ich möchte dich durchprügeln.
Hol' dich. Dieser und Jener, mit deinem Geheul,
du garstige Nachteule! -
Mache nur schnell einen Vers daraus – Ge-
heule – Eule, du kannst ihn vielleicht gelegentlich
brauchen in einer Schicksals-Tragödie, wo du dich
felbst als Ritter von der jämmerlichen Gestalt abkon-
terfeien kannst. Probatum est. Bringst du ein Mal
eine Tragödie auf die Bretter, mit den gräßlichen
Fratzen deiner Phantasie, so läuft Jung und Alt vor
dem scheußlichen Spuck.
Eheu, warum bin ich geboren! schlage mir doch
das Gehirn auseinander, ich bitte, ich beschwöre dich,
du Hund!
Lindor, du bist ein Narr!
Das weiß ich.
Aus dir wird nichts! - -
Ich glaube es selbst – höchstens ein Hofrath.
Gute Nacht, Lindor!
Gute Nacht.
393
In der That, Louise gefällt mir. Diese kindische
Koketterie, verbunden mit unerschöpflicher Anmuth in
allen ihren Bewegungen, dieses schelmische und doch
unschuldvolle Lächeln, dieser liebenswürdige Ernst,
wenn ein neuer Tanz arrangiert wird, der so ergötz-
lich auf ihrer Marmorstirne spielt, diese herrlich ge-
formte runde Brust, der weiße, glänzende, wohlge-
rundete Nacken, die ganz kleine liebliche Gestalt voll
Duft und Zartheit, die harmonische Florkleidung,
die zarten Farben, beschämt von einem herrlichen In-
carnat, dem schönen Emaille ihrer jungfräulich glü-
henden Wangen, die großen feelenvollen Augen, das
blonde Haar, der zartgeformte Fuß und die unvergleich-
lichen Waden – diese Welt voll Grazie und Schön-
heit auf einigen Kubikfuß Raum, ist allerdings nicht
übel geeignet, eine liebliche Lebensgefährtin abzugeben.
Mein Entschluß ist gefaßt, ich heirathe fie.
„Herr von N.,“ sagte ich zu ihrem Vater in der
Waffelbude, „Ihre Tochter ist das schönste Mädchen
im Lande.“
„Sehr viel Ehre,“ sagte er.
Des Nachmittags machte er mit feiner Tochter
und Frau eine Parthie ins Gebirge, und ich erman-
gelte nicht, ihnen nachzufolgen. Man behandelte mich
mit Auszeichnung, aber fobald ich mit der Perle
des Landes in einen Dunstkreis gerieth, stockte mir
meine ohnehin nicht geläufige Zunge, und ich labte
394
mich in stummer Betrachtung. Bei einer Pfänder-
Lotterie gewann ich – o Glück – von der Holden
ein wunderschönes Körbchen. Böse Vorbedeutung,
aber ich verzweifelte nicht. Ich folgte ihr, wie ihr
Schatten, aber ich kam keinen Schritt weiter durch
meine stumme Bewerbung. Bei den Gesellschafts-
spielen war ich der Plumpste, Theilnahmsloseste, beim
Tanz ein unnützes Mitglied der Gesellschaft. Des
Abends fang eine ausgeblühte Schönheit mit einem
zahnlosen Greis ein Duett zur nicht geringen Belu-
stigung der Gesellschaft. Nur ich allein that nichts
für den Zeitvertreib der Gäste.
„Herr von N“ sagte ich am andern Morgen,
haben Sie nichts bemerkt?“
„Nicht das Geringste.“
„Das thut mir leid, ich wünschte ihre Tochter
zu heirathen.“
„Das follte mich freuen, einen fo wackeren
Schwiegersohn zu bekommen. Machen Sie Ihre
passus. Wenn meine Tochter fie haben will, fo ist
die Sache abgethan.“
Damit drückte er mir warm die Hand, und ver-
ficherte mich feiner Achtung und Freundschaft. Der
Biedermann – ich liebte ihn, und er mich, – aber
wir konnten uns doch nicht heirathen. Seine Toch-
ter aber schien anderen Sinnes. An mir lag es nicht.
Mein Betragen in ihrer Nähe drückte es deutlich ge-
395
nug aus: „Ich will dich heirathen.“ Aber sie schien
mich nicht zu verstehen, während fiel alle Damen neck-
ten mit dem Ritter von der traurigen Gestalt, der
ihre Farbe trug. Nachmittags ging es nach dem
Wafferfall. Außer mir begleitete die Damen nur ein
junger Mann, aber auch der war mir zu viel. Als
wir in jene Gegend kamen, wo man nur zu Fuß
weiter kann, als ich bemerkte, daß die Mamma fich
mit einem alten Ritter, der noch in feinem 57. Jahre
mit einem lahmen Bein und grauen Haaren, aber
einem treuen biederen Herzen von unglücklicher Liebe
phantasierte, unterhielt, und vorausgegangen war mit
dem Papa, hielt ich mich und mein Rival an die
wandelnde Blume Louise. Mit gebeugtem Haupt
fchlich ich hinter den Beiden einher, gleich einem ge-
treuen Pudel, denn mein Rival wußte durch allerlei
geschickte Manövers stets sich im Besitz des kleinen
Raums zu erhalten, der neben der Jungfrau noch
übrig blieb. Anfangs duldete ich gutmüthig, dann
murmelte ich einige heilsame Flüche, und zog ihn end-
lich bei Seite.
„Herr,“ sagte ich, „wollen Sie das Mädchen hei-
rathen?“
„Gott bewahre.“
„Dann haben Sie die Güte, und räumen mir
das Feld, denn ich will Sturm laufen.“
396
„Wirklich, wirklich,“ sagte der gutmüthige Junge,
und rieb sich froh die Hände, „ei, ei, das ist aller-
liebt, nun ich gratuliere.“
Damit fcheerte er sich feiner Wege, und ich blieb
allein mit der wandelnden Blume; aber ich konnte
ihr auf dem langen Wege nichts fagen, als daß heute
nicht sonderliches Wetter ist. Am Wafferfall ange-
langt, kaufte ich ihr einige kartesische Teufelchen, und
einen gläsernen Pudel, als Symbol meiner Liebe und
Treue. Auf dem Rückweg aßen wir Forellen mit
einander, tranken Kümmel dazu, und fuhren wieder
nach Hause.
„Nun, mein Freund,“ bewillkommte mich Herr
von N. am folgenden Morgen, „wie geht es Ihnen?“
„Wie einem Krebs,“ erwiederte ich, indem ich
eine Waffel zerbrach, „ich gehe zurück.“
„Das ist schlimm, lieber Freund, für Ihre und
meine Sache. Aufrichtig gesagt, Sie sind zu ernst,
zu kalt, und haben zu viele Grillen.“
„Das mag sein, aber ernst und kalt! Wie
fchlecht paßt dieser Vorwurf auf mich. Ernst und
kalt, kalt und ernst, ist eine gewöhnliche Zusammen-
stellung, und doch paffen beide Begriffe weniger zu
einander, als Fluth und Lava. Was ist der Ernst?
Ernst ist innere Tiefe des Gemüths. Ernst ist der
düstere Mantel des Herzens, das gewaltige Schwin-
genpaar der Seele. Der dunkle Pfad, der aus der la-
397
chenden Leerheit des niedern Lebens in den lichtvollen
Aether der Seelenwelt, in die stürmischen Räume
des Empfindens führt. Ernst ist die Nacht, die auf
wüthenden Vulkanen liegt, das Wesen der waltenden
Lebensgeister, die wahre Farbe des Weltalls in ihrer
aufgefaßten höchsten Bedeutung, die Wolke, die den
Sturm umfaßt, die nackte Gestalt der Wahrheit, Liebe
des Lebens, das finstere Gewand, in das sich der
Schmerz und die Freude, die Hoffnung und Furcht,
die Seligkeit und Trauer des lebenswarmen gottvol-
len Herzens kleidet.
D e r My fan t r op.
Schon oft hatte ich im Bafin einen Mann be-
merkt, der nie lachte bei den schlechten Witzen mehre-
rer Badegäste, mit Niemanden sprach, und stets mit
dem Badediener zankte. Jeder war froh, wenn er
wieder das Bafin verließ, und Einige suchten ihn zu
necken. Ich erkundigte mich um den Menschenhafer,
und erfuhr, daß er ein Prediger wäre. Man sagte
mir, er finde ein besonderes Vergnügen darin, an-
dere ihres Vergnügens zu berauben, und ich fand
dieses bestätigt, durch ein bittersüßes höhnisches Lä-
cheln, als ein Badegast erzählte, wie er sich auf einer
398
Parthie nach den Bergen bei schlechtem Wetter
ein hartnäckiges Gichtübel zugezogen habe. Dem
Vernehmen nach war er nie fröhlicher, als wenn,
wie es oft geschah, schlechtes Wetter eintrat, und die
Badegäste dadurch verhindert waren, Luftfahrten zu
unternehmen. Ich spähte feine Wohnung aus, und
fand, daß derselbe von einem lieblichen Töchterlein
begleitet sei, die keinen Schritt aus der Stube kam,
und nur vom Fenster aus zusehen konnte, wie fich
andere Menschen freuten. Gegenüber wohnte einer
meiner Bade-Freunde, und ich benützte den Umstand,
von dort das holde Kind zu beobachten. Sie saß am
Fenster, und las in einem Taschenbuch mit Gold-
schnitt und Kupferstichen, welches ihr wohl ein Nach-
bar geliehen haben mochte. Eben betrachtete sie mit
Wohlgefallen die kleinen Bilder, als der griesgrämige
Papa dazu kam, ihr das Buch aus der Hand riß,
und sie damit ins Gesicht schlug. Weinend entfernte
sie sich vom Fenster. Sehr gerne, ich gestehe es, hätte
ich dem Alten ein Tintenfaß, welches mir zunächst
stand, an den Kopf geworfen, aber das ging nicht
an. Um nicht noch einmal Zeuge eines so widerli-
chen Auftritts zu fein, entfernte ich mich.
Mein Weg führte am Hause des Myfantropen
vorbei; er lag im Fenster. Knaben spielten Ball auf
der Straße, das ärgerte ihn. Ich las deutlich in fei-
nem verzerrten Gesicht, daß er ihnen die Freude miß-
V
394)
gönne, und zu verderben fuchte. Unruhig schob er
die Schlafmütze hin und her, und überlegte. Endlich
rief er den Knaben zu, mit der Sanftmuth eines
Krokodils, fie möchten ihm doch den Ball herauf-
werfen, er wolle mit ihnen spielen.
„Thut's nicht,“ sagte ich, „der beißt euch, es ist
ein Menschenfreffer.“ -
Das Affengesicht fletschte die Zähne auf mich,
und fing den Ball, den ihm ein munterer Knabe zu-
warf. Alsbald fetzte er sich in Positur, holte weit
aus, und schmiß den Ball einem Knaben so heftig
ins Gesicht, daß dieser aus der Nase blutete. Dann
zog er sich keifend zurück.
Al – u – u! brach der Knabe in Geheule aus,
„Raker“ rief das ganze Korps von Straßenjungen
dem Myfantropen zu, der mittlerweile die Fenster zu-
geworfen hatte.
„Sagt ich euch's nicht, er ist ein Menschenfres-
fer?“ ermahnte ich den Knaben besänftigend.
„Warum läßt man ihn denn so frei herumlau-
fen,“ weinte der Knabe, „ich habe es mir schon lange
gedacht, daß er so was von einem wilden Thier fein
müffe, denn er fieht dem Urschlo
„Ursus slot?“
in der Menagerie gar zu ähnlich, der in Breslau
für Geld zu fehen war.“
400
Verstimmt und auf Rache sinnend ging ich auf
die Promenade. Die wandelnden Spaziergänger, das
Conzert, und der Anblick, der herrliche bezaubernde
Anblick des Gebirges, von hier aus der schönste
und heiterte Prospect in der ganzen Umgebung,
konnten mich nicht aufheitern. Ich fehnte mich nach
Ruhe und Einsamkeit, nach einer Cigarre und Waf-
felkuchen. Alles dieß fand ich in der Waffelbude.
Aber meine glückselige Einsamkeit währte nicht lange,
denn das Conzert mußte eingetretenen Regens hal-
ber abgestellt werden, und die überraschten Zuhörer
suchten Zuflucht in der Waffelbude. -
Ein Mensch mit einer von den Physiognomien,
die mir stets zuwider waren, weil sie Hochmuth und
Dummheit zugleich aussprechen, trat zu mir hin,
nahm Platz, und störte mich in meiner bequemen
Gedankenlosigkeit durch ein albernes Geschwätz. Ich
antwortete ihm einige Male nicht, und fagte ihm end-
lich einige Unhöflichkeit.
„Mein Herr!“ rief der Mann plötzlich, „wodurch
habe ich Sie beleidigt, habe ich Ihnen eine einzige
Grobheit gesagt, die die Ihrige rechtfertigte?“
„Nein, mein füßer Herr!“ antwortete ich, „aber
Ihr Geficht ist eine Grobheit, glauben Sie
mir, eine wahre Infolenz gegen die Menschheit.“
„Herr, Sie sind, wie ich sehe, ein Menschenfeind,
ich will mich nicht weiter einlaffen mit Ihnen.“
401
„Daran werden Sie sehr wohl thun,“ erwiderte
ich, „obgleich ich kein Menschenfeind bin. Vielmehr
habe ich die Menschen zum Freffen lieb, daher Sie
mich weit eher einen Menschen freffer als einen
Menschenfeind nennen könnten. Aber glauben Sie
mir, es gibt keine unverdaulichere Speise, als die
Menschen, daher kam es auch, daß ich mir den Magen
dergestalt verdorben habe, daß ich mich nun vor diesem
Gericht sehr in Acht nehmen muß, besonders wenn es
so schlecht zubereitet ist, wie ich es vor mir sehe.“
„Herr, Sie suchen Händel, gut! Sie werden ei-
nen Gang mit mir machen.“
„Ist wider meine Gewohnheit, mein Verehr-
tester.“
„Sie werden sich mit mir schlagen!“ -
„Das ist wider meine Grundsätze, ich fchlage
mich nicht, denn wer sich selbst schlägt, ist ein Narr,
und ich bin seit zwei Stunden ein Philosoph.“
Allein, meine Menschen liebe ließ es nicht da-
bei bewenden, und als er immer dringender wurde
und gröber, da sagte ich endlich mit vieler Ruhe:
„Mein Herr! Sie hielten mich für einen Men-
fchenfeind. Um Ihnen zu beweisen, daß ich es nicht
bin, und daß ich alle Menschen, folglich auch Sie,
liebe, will ich Ihr Gesuch gewähren, und bin bereit,
Ihnen eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wogegen
- 26 –
402
ich Ihnen, wenn dieß geschehen, erlaube, daffelbe zu
thun.“
„Mein Herr, ich sehe wohl, mit wem ich's zu
thun habe, der Zieraffe, die N., hat Ihnen den Kopf
verrückt.“
„Sie widerrufen den Zieraffen, und nehmen ihn
für sich selbst, oder ich nehme ernstlich Ihren Vor-
schlag an.“ -
„Gut, wir fehen uns Morgen Punkt neun bei
Rübezahls. Kanzel.“ -
„Bei Rübezahls Kanzel! wie romantisch werde
ich sterben für meine spröde Donna. Das wird ein
Gerede geben im Bade, und die Damen alle werden -
sich ärgern, daß sie nicht der Zankapfel gewesen sind
bei dem heroischen Streit.“
Bei Tisch fiel mir der Mylantrop ein, und fein
schändlicher Streich von heute Morgen. Ich hatte
mir es hinter die Ohren geschrieben, und fest vorge-
nommen, ihn bei nächster Gelegenheit für feine Bos-
heit zu züchtigen. Aber am nächsten Morgen sollte
ich todtgefchoffen werden; die Sache hatte also Eile.
„Wo ist Herr F. zu finden?“ fragte ich den
Marqueur, und bezahlte meine Zeche.
„Er ist nicht mehr hier im Bade, kommt aber
morgen wieder. Haben Sie aber etwas Dringendes
mit ihm zu sprechen, so finden Sie ihn in H. zwei
Stunden von hier.“
403
„Ich habe keine Geschäfte mit dem Kerl, aber ich
muß ihm eine Grobheit sagen. Bestellen Sie Pferde.“
In einer Stunde stand ich vor dem grämlichen
Angesicht des Mylantropen. Es war eine erbärm-
liche Jammergestalt. Sein Kopf war dick und auf-
gedunsen, seine Beine dürr und wackelnd, feine Hände
knöchern. Er hustete heftig, und spie wieder einen
Theil seiner Lunge aus, während fein Auge überlief,
und sein Kopf zitterte. Jeder Körpertheil rief um
Erbarmen – ich war erschüttert, und mein Zorn
vorbei. - - -
„Was wünschen Sie?“ heicherte er, während ich
mit verschränkten Armen vor ihm stand, und feinen
der Verwesung sich nähernden Körper betrachtete.
„Mein Herr,“ sagte ich, mühevoll meine Rüh-
rung verbergend, „ich bitte Sie um Verzeihung we-
gen der Beleidigung, die ich Ihnen zufügen" wollte.
Sie haben heute einem frohen Jungen ein Leid zuge-
than, und ich wollte Ihnen sagen, daß dieß elend
war von Ihnen, aber ich wußte nicht, daß Sie fo
zugerichtet sind. Wenn Sie die Glücklichen haffen,
fo verzeiht Ihnen Gott, und ich will ihm nicht zu-
wider handeln. Noch ein Mal, verzeihen Sie mir,
– aber laffen Sie in Zukunft die Kindlein sich
freuen ihres kurzen Glücks, denn Sie selbst wissen
ja, wie kurz es ist.“ - - -
-
26*
404
„Sonderbarer Mensch!“ hörte ich nur von seiner
Erwiderung, denn ich war in zwei Minuten schon
wieder in meinem Wagen. Ich verargte dem Un-
glücklichen nichts, als daß er fein Menschenhafen
nicht damit anfing, fich felbst ein Ende zu machen.
D a s D u. e l l.
Der Morgen brach an, und mein erster Blick
fiel auf ein Billet mit meiner Adreffe. Ich öffnete
es, und las: -
Mein Herr!
Ehe wir uns bei Rübezahls Kanzel einfinden,
wünschte ich mit Ihnen zu sprechen. Ich bitte
Sie daher, mich um 8 Uhr in Ihrer Wohnung
zu erwarten.
- - D.
Was hatte mir der Mann auch gethan, daß ich
ihn so übel anließ? Wenn er den Zieraffen zurück-
nimmt, fo mag er sich mit einem andern schießen.
Punkt 8 Uhr kam der Mann, der gegen mich nichts
verbrochen hatte, als daß mir ein Gesicht mißfiel,
und den ich darum todtschießen wollte. ,,Ich lächelte,
als er eintrat. " . . . -
„Ist Ihre üble Laune vorbei?“ fragte er mich.
405
„Ja, vollkommen, aber den Zieraffen kann ich
nicht haften laffen auf Frauenehre.“ -
„Und ich nicht die Grobheiten, welche Sie mir
gestern fagten.“
„Ja fo, die hatte ich rein vergeffen. Nehmen
Sie das nicht übel, ich war übellaunig – aber den
Zieraffen, Herr, müffen Sie zurücknehmen. Die Dame
ist mir unverletzlich, denn ich liebte fie.“ - - - - -
„Dieß allein entschuldigt es, daß Sie sich ihrer
fo warm annahmen. Aber fagen Sie mir gefälligst,
wenn ich mein Wort zurücknehme, ist sie deshalb
minder ein Zieraffe? Wenn wir uns schießen, wird
fie sich in Folge nie wieder zieren, und weniger ge-
fallsüchtig sein, weniger kokett? Das Duell ist wahr-
haftig nicht dazu Sitte geworden, daß sich ein Paar
Männer, die aus den Studentenjahren heraus sind,
um ein fünfzehnjähriges Mädchen schießen sollen.
Bedenken Sie doch den unersetzlichen Verlust, wenn
die Welt einen von uns verlieren sollte! Wenn wir
auch noch nichts gethan haben bis jetzt für die Welt,
fo ist es doch möglich, daß wir noch etwas thun kön-
nen. Schöne Mädchen aber werden täglich geboren.“
„Bei Gott, mein Herr, ich hätte Ihnen nicht
halb so viel Verstand zugemuthet, aber den Zier-
affen müffen Sie zurücknehmen.“ - -
„Ich widerrufe, aber sie waren gestern ein Gro,
- 14
bian.“ -
406
„Das weiß ich, und bedaure, denn Sie find
kein Schafskopf, wofür ich Sie gestern nahm. Laf-
fen Sie uns aber immerhin nach Rübezahls Kanzel
gehen. Hier an der Stelle, wo ich dem Fräulein
von N. so kühn war, zu sagen, daß eben kein son-
derliches Wetter fei, schwöre ich es, die Menschen
nicht wieder auf den ersten Anschein zu verdammen,
zu verachten, zu beleidigen oder zu lieben, und mich
nicht zu schießen um ein fünfzehnjähriges Mädchen.“
Die Mar t er kam m er.
" Ich war heute ungewöhnlich munter, denn ich
befand mich körperlich sehr wohl. So ist es immer.
Der Körper ist unser Herr und Gebieter, die Seele
ist der Sclave, der Eunuch im Haren des Sultans, -
der mit osmanischer Unterwürfigkeit die Wünsche fei-
nes Herrn erfüllen, und ihn pflegen soll. Befindet
sich der Herr nicht wohl, fahren ihm Blähungen durch
die Eingeweide, oder steigen die Dünste eines verdor-
benen Magens ihm ins Gehirn, so läßt er das den
Diener schwer empfinden. Ist er aber wohl auf und
munter, dann hat die Seele ihre Ferien, kann sich
frei bewegen, und ihren Herrn sogar ungestraft igno-
'', -
-
407
Der Referendarius D., mein Gegner, war ein
ungemein aufgeweckter Kopf, den man aber erst nä-
her kennen mußte, ehe man meiner Meinung ward.
Gegen Fremde war er verschloffen, kalt, höflich, aber
bei einer Flasche Wein oder sonstiger Aufregung
wurde er der interessanteste Mensch von der Welt.
Den Damen war er herzlich gut, aber fest entschlof-
sen, nie zu heirathen. Von ihrer Sittenreinheit hatte
er eben nicht die beste Meinung, und war daher stets
bereit, alle Bewegungen und Handlungen derselben
auf das Profanste zu komentieren. Er war die leben-
dige Badezeitung, und wußte von jeder Dame genau,
wer sie war, ob sie Geld und reine Sitten habe, ob
sie schon verliebt gewesen, und ob fie fich leicht oder
schwer über treulose Anbeter trösten könne. Die In-
triguen und Kabalen, welche man im Bade spielen
ließ, durchschaute er mit seltenem Scharfblick, und lei-
tete sie zum Theil. Hier brachte er einer Verschmach-
tenden einen süßen Liebesbrief, und erntete wohl selbst
dafür manchen Kuß; dort störte er ein Verhältniß
zwischen einer Kokette und einem gefangenen Gimpel,
hier berichtigte er die Irrthümer eines Freundes, in-
dem er ihm bewies, daß seine Donna nicht einen
Heller Mitgift zu erwarten habe; dort schickte er ei-
'nen zudringlichen Tölpel einer stolzen Spröden zu,
indem er ihm mit wichtiger Miene halbleise zuflüstert:
dort versuchen Sie Ihr Glück, die hat viel Geld, und
408
unter uns gesagt, Sie sind ihr nicht gleichgültig. Er
selbst spielte in allen diesen Badegeschichten die Rolle
des Zuschauers, und er versicherte mir, nichts in der
Welt mache ihm so viel Spaß, wie dieser alljährige
Aufenthalt im Bade. Wer konnte mir wohl er-
wünschter kommen, als dieser Mann, nachdem ich auf
gehört hatte, selbst Komödiant zu fein in dem großen
Badelustspiel? Ich überließ mich gänzlich feiner Füh-
rung, denn er versprach mir für jede Stunde ein an-
deres Vergnügen, . . . . . . . . . . . ."
„Herr Lindor, oder wie Sie fonst heißen mögen,“
sagte er Nachmittags 4 Uhr zu mir, als es eben
wieder regnete, „stecken Sie Gold bei, Sie müffen
heute mit mir in die Marterkammer.“
Marterkammer hieß man nämlich die Spielbank,
welche einer löblichen Polizei zum Trotz auf der Gal-
lerie existierte. Ich gehorchte, steckte zwei Louis d'or in
die Tasche, und nahm mir fest vor, nicht mehr als
das zu verlieren.
, „Roi – Valet – l'As –“
„ „Attention!“
V
Ein junger Mann, ungefähr in den dreißiger
Jahren, der mir gleich beim Eintritt auffiel wegen
feines blaffen Gesichts und der geheimnißvollen Be-
rechnung, die er in seinem Schicksalsbuche anstellte, bog
hastig Paroli auf das Aß. Es lag viel Gold bei der
- - - - - - - -
- - - - .
409
Karte, und der Mann fähien die Hauptrolle zu spie-
len unter den Pointeurs.
„Das ist der Graf P.,“ flüsterte D., „der leiden-
fchaftlichste und unglücklichste Spieler im Bade. Seit
feiner Ankunft hier hat er schon eine enorme Summe
verspielt. Sehen Sie, wie freundlich und höflich die
Banquiers mit ihm sprechen, mit welcher Aufmerksam-
keit sie fein Spiel verfolgen, und nur flüchtig über die
bescheidenen Thälerchen der andern hinwegsehen. Heute,
fcheint es, laffen sie ihn gewinnen, um feinen Hoff-
nungen neue Nahrung zu geben. Sobald sie aber
bemerken werden, daß er mit feinen hohen Sätzen die
Bank bedroht, dann wechseln sie die Plätze, decken
auf dem anderen Tisch, und Sie kennen darauf wet-
ten, daß der Graf dort wieder Alles verliert, was er
gewonnen hat. Manchmal, wenn Sie die Großmuth
weit treiben, laffen sie ihn mit 20 Louisdors Ge-
winn nach Hause gehen. Der Graf reibt sich dann
kindischfroh die Hände, klingert mit dem Golde,
kommt den andern Morgen mit der Hälfte wieder,
verspielt sie, wird wüthend, läßt sich von den Ban-
quiers Vorschuß geben, und hat vielleicht am Abend
60 Louis d'or auf Kredit verloren. Dennoch bringt
er hier den ganzen Tag zu, während seine unglück-
liche Frau zu Hause oft das Nöthigste entbehrt, und
ihr Brod in Thränen ißt. Er hat bereits zwei gol-
dene Uhren verspielt, und vier Mal um Geld nach
410
Hause geschrieben, und obgleich er immer bedeutende
Summen erhält, hat er doch manchen Abend keinen
Heller in der Tasche. Und dennoch, es ist kaum zu
glauben, hat dieser Unglückliche das beste Herz. Es
vergeht kein Tag, an dem er nicht Thränen über sich
vergießt, und seine Frau um Verzeihung bittet. Er
ist kein Lebemann, kein Verschwender, und der zärt-
lichste Gemahl, aber alle seine Tugenden gehen in
dem unseligen Laster auf.“
In der That, ein merkwürdiger Schwächling!
Sein Gesicht ist fahl, gealtert, verzerrt, sein Auge ab-
gestorben, seine Lippen bebend, blau. Sein Aeußeres
vernachläßigt. Der lakonische Ruf des Banquiers
ist ihm ein Donner. Bei jedem Laut pocht sein Herz,
zittert seine Hand, die das Kartenbüchlein zerknittert,
von der Stirne rinnen große Schweißtropfen, die er
mit feinem Taschentuche alle Augenblicke trocknet.
Mit bebender Stimme ruft er ein attention, fast
athemlos vor innerer Bewegung bittet er um das ge-
wonnene Geld.
Dicht neben ihm sitzt ein Lieutenant – ein gro=
fer schlanker Mann, mit starkem Bart, blühenden
Gesicht und gewaltiger Stimme. Nicht minder lei-
denschaftlich als der Graf, scheint er doch kräftiger,
weniger furchtsam, aber eben so dumdreist. Wenn
er gewinnt, lacht er vor Freude laut auf, wenn er
verliert, flucht er, und gibt den Banquiers nicht
411
undeutlich zu verstehen, daß sie ihn betrügen. Belei-
digt legt der Banquier die Karte nieder, denn er ist
ein Mann von Ehre, behauptet er. Der Lieutenant
lächelt, meint, es ist schon gut, und geht, nachdem er
den letzten Thaler verspielt hat, fluchend ab.
Noch zwei merkwürdige Menschen entdecke ich
unter den Pointeurs, die in großer Anzahl den grü-
nen Tisch umgeben, und deren lüsterne Blicke auf
die aufgeschichteten Thaler und Louis d'ors gerichtet
find. Der eine ist ein grauköpfiger lederner Kerl mit
verschmitztem Gesicht, und einem Band im Knopfloch,
der weder den Pointeurs, noch viel weniger dem Ban-
quieurs angenehm zu sein scheint. Er spielt mit vie-
ler Berechnung, und gewinnt fast immer. Der an-
dere ist ein dicker kleiner Mann mit Schweinsaugen
und roth aufgedunsenem Gesicht, der beim Spiel mehr
zu fchlafen scheint, aber fortwährend fetzt, sich aber
wenig um den Erfolg des Spiels zu kümmern
scheint. - -
„Der eine,“ sagte D., „ist ein pensionierter Offi-
zier, der die Banquiers eben so listig betrügt, wie
fie die Pointeurs, der alle ihre Kniffe zu kennen
scheint, und sie für sich benützt. Die Banquiers
haffen ihn, aber sie laffen es sich nicht fehr merken,
denn er könnte jeden Augenblick ihre Betrügereien
entdecfen.“ - -
-
412
„Der andere ist ein geheimer Kompagnon der
Banquiers, und hat eine bedeutende Summe in der
Bank stehen. Er ist nur hier, um die Banquiers
zu bewachen, und spielt mit, um es den Pointeurs
nicht merken zu laffen, daß er bei der Bank interes-
firt ist. Des Abends aber theilt er den Gewinn mit
den Betrügern. Um nicht von ihnen bevortheilt zu
werden, ißt er und schläft hier, kümmert sich um Nie-
manden und spricht kein Wort. Selten wird er un-
willig, wenn ein Spieler feinem Spiele folgt.“
„Doch laffen Sie uns die Banquiers selbst mu-
fern. In der Mitte führt ein alter Kapitain außer
Diensten den Vorsitz. Er genießt aus unbekannten
Gründen keine Pension vom König, und lebt nur
vom Spiele. Er betreibt es daher wie ein Geschäft,
und befindet sich wohl dabei, wie Sie aus seiner
Wohlbeleibtheit ersehen. - Phlegmatisch von Natur
läßt er sich durch nichts außer Faffung bringen, und
duldet Schimpf und Schande mit der größten Gleich-
gültigkeit. Am Spieltisch weiß er sich jedoch ein aire
zu geben, als hätte er noch Ehrgefühl, wie Sie be-
reits bemerkt haben. Ihm zur Rechten sitzt der be-
rüchtigte Baron ***. Er ist der verschmitzteste Spie-
ler in Teutschland, und macht einen ungeheuren Auf-
wand. Außer dem Spielgeschäft betreibt er noch ei-
nen geheimen Handel mit Pretiosen, die er meistens
von unglücklichen Pointeurs erobert, während feine
* -
413
Gemahlin mit dem letzten Rest ihrer Reize speculirt,
und um nicht unthätig zu fein, Lotterien für die Da=
men arrangiert, worin Shawltücher, Pretiosen u. dgl.
ausgespielt werden. Alle Sommer reist das Ehe-
paar in den Bädern umher, und genießt im Winter
in der Residenz die Früchte dieser Ernte.“
Wir versuchten nun unser Glück. D. verlor, ich
aber gewann mit meinem Doppel-Louisdors in kur-
zer Zeit eine Tasche voll Thalern. Ich war, ich weiß
nicht weßhalb – in den Ruf eines reichen Mannes
gekommen, und die Banquiers sahen in mir ein will-
kommenes Opfer. Es ist Regel, daß jeder Neuling
am Pharotisch gewinnt, also auch ich. Als ich be-
reits alle Taschen mit Silber angefüllt hatte, fetzte ich
es in Gold um, nahm meine zwei Louisdors bei
Seite, und setzte das Uebrige auf eine Karte. Sie
gewann, ich bog Poroli, gewann wieder, und strich
auf einen Zug 48 Louisd'ors ein. Damit ging ich
ab, kaufte beim Goldschmidt die kürzlich durch Ba-
ron *** ihm zum Verkauf übergebenen Uhren des
Grafen, und kam zum großen Verdruß der Banquiers
nicht wieder in die Marterkammer.
41-4
Zerriffen e Blätter.
Ich will aufhören zu sein, aber kann ich es? Werde
ich vergehen in Nichts? Unmöglich. Werde ich fort-
dauern und mich von den Qualen des Lebens be-
freien? Möglich aber nicht gewiß. In mir liegt die
Ueberzeugung, aber ich bin mir derselben nicht ganz
bewußt. Ich erinnere mich an eine gewisse häufig wie-
derkehrende merkwürdige Empfindung meiner Kind-
heit, die ich nicht beffer bezeichnen kann, als wenn ich
sie ein Staunen der Seele über ihre Ver-
kleidung nenne. Ich verfiel oft in ein Hinbrüten
über meine Existenz, und konnte es nicht faffen, daß
ich bestehe, lebe, athme, daß es meine Gestalt
ist, welche ich im Spiegel beschaue; daß es meine Hände
sind, die ich bewege, daß ich körperlich existiere. Mit
dieser Empfindung war ein gewisses dunkles Bewußt-
fein ewiger Existenz verbunden, und ich träumte zurück
in den Wiegenschlaf meiner Psyche, zurück in die verhüll-
ten Räume der Vergangenheit. Ich habe es von jeher
geliebt, mich im Spiegel zu beschauen, zu finnen und
brüten im Anblick meiner Gestalt, und als Kind noch
mehr als jetzt. Diese Augen, diese Stirne mit ihren
Brauen, dieser Mund, diese Nase, diese Zähne, sind
Theile deines Ichs, sagte ich mir, unglaublich, diese
ganze sonderbare Maschine geht nach deinem Willen.
415
Ich besah meinen Arm und hob ihn empor, verwundert
daß er meinem Willen gehorcht; ich zog die Brauen
zusammen, und staunte über den finstern Blick; ich
hauchte an das Spiegelglas, und fah staunend den
Thau sich anhängen und verdichten zu Tropfen. Ich
versuchte zu sprechen, und meine Stimme klang wie
fremder Laut. Ich bin neun Jahre alt, fagte ich mir,
und meine Eltern sind länger vorhanden als ich –
ich begreife das nicht. Ich bin entstanden, geboren
worden vor neun Jahren, und eine Minuten früher
war ich nicht. Ich setze nun hinzu: eine Minute
früher war ich schon, und zwei Minuten früher nun,
Minute an Minute gereiht, Miriaden! Eine Minute
kann mich nicht fchaffen, nicht zwei, nicht Miriaden,
sondern nur die Ewigkeit. Wie die Form fo wandelbar,
ich aber bin gewesen und werde ein von, in Ewigkeit.
Es ist ein entsetzlicher Mißgriff, schlimmer als Dumm-
heit, die unsterbliche Fortdauer einen Anfang entge- -
genzusetzen. „Und den Menschen schuf Gott, und des
Menschen Seele wird fortdauern in Ewigkeit.“ Was
aber anfängt, fängt nur an aufzuhören, ist eine flüch-
tige Wellengestalt, was aber ewig dauert, hat nie an-
gefangen. Das Universum ist ein Meer, und die Wel-
len sind die wechselnden Gestalten. Sie wogen hin
und zerfließen, aber das Meer wogt ewig. Der
Mensch ist eine Welle – aber fein Wesen ist das
SMeer.
416
Hat jenes Staunen der Seele Niemand
empfunden außer mir? Unmöglich ! Vergegenwärtige
sich ein jeder die gaukelnden Träumereien des jugend-
lich spielenden Geistes, und er wird die Empfindung
darunter finden. Geht die Irrgänge der flüchtigen
Seele auf und ab, und ihr werdet den staunenden
Gedanken finden – ein kleiner kindischer Kobold.
Aber in dem großen Nimbus, der ihn umfließt, findet
der männliche Geist einen mächtigen Koloß, eine pro-
phetische Riesengestalt des Ideals, einen wiffen den
Wächter, Pförtner des geheimnisvollen Tempels der
Natur, die Ahnung, Ahnung der unerforschlichen
ewigen Wahrheit.
Warum aber verschwand in uns die Erinnerung
an die frühere Existenz, warum das Bewußtsein, die
Gewißheit unseres Lebens von jeher? Ist der Fas-
fungsraum der Seele für die Anzahl ihrer Vorstel-
lungen beschränkt, und müffen die älteren ihr entfall-
len, auf immer den Raum zu leeren, für die neue
Welt unserer Anschauung? Oder war die Seele in
Pflanzenschlaf versunken?
Der Schmerz. Warum existiert er? Die religiöse
Fabel von Gottes Zorn und Strafe kann hierauf
keinen Bezug haben, denn kein Edler bleibt von die-
fem Ouälgeist fern. Wohl aber ist er eine Nothwen=
417
digkeit der Natur. Ohne Schmerz würde sich das
Leben aufzehren. Der Schmerz ist die Schutzwache
des Lebens. Jeder Angriff und jede nahende Gefahr
wird durch ihn verkündigt, und der Nachläßige, Leicht-
finnige durch ihn gezwungen, fein Leben zu bewahren.
Der Schmerz lehrt uns den richtigen Gebrauch un-
ferer Kräfte, er lehrt uns gehen, stehen, arbei-
ten. Er lehrt uns noch mehr als das, er lehrt uns
die ganze Rechtsphilosophie.
Stolz! Stolz! Wie erhebt sich mein Gemüth bei
dem kurzen kräftigen Schall dieses Wortes, welch' ein
Geistesaufschwung liegt in dir, hohes Selbstgefühl, be-
geisterndes Bewußtsein eigener Würde, untrügliches
Kennzeichen der inneren Kraft und Größe! Fern von
den Begriffen des Niedrigen, in einer Welt der Höhe
wurzelt gleich einer Ceder des Libanon, die Wolken
küffend mit ihrem Wipfel, und den Berg umschlin-
gend mit den Aesten feines Stammes, der Stolz.
Er ist die Weihe des Hohen, Heiligen, Unantastbaren,
er ist die Aegide des Edlen vor dem Kothwurf der
Gemeinheit, er ist der eiserne Fuß, der den Kopf der
Schlange zertritt, der Blitz, der das Niedrige in den
Staub wirft, die eherne Mauer, die zwei Welten
trennt, der Funke, der in uns die Kraft des Zor-
neS zündet, wenn sich uns das Schlechte naht.
27
418
Die Religiösen sind Gotteslästerer, denn sie lä-
stern feine Werke. Sie sprechen von den bösen Lü-
sten, Leidenschaften, die man unterdrücken müffe, von
den Eingebungen des Satans, und verstehen darun-
ter nichts geringeres, als die durch die Weltordnung
geheiligten Triebfedern der Natur. Die fleischlichen
Begierden sind ein Greuel in ihren Augen, und es
gibt nichts Sündlicheres, als die Wollust. Die Pflicht
eines guten Christen ist aber die Verleugnung der
Natur, die Abtödtung, Quälung des Körpers, welche
allein zum Himmelreich führt!
Das innere Leben des Menschen ist merkwürdi-
ger, als alle Schicksale und Abenteuer, welche einen
passiven Menschen herum schleudern. Hier knüpft sich
Ereigniß an Ereigniß, und keine Minute ist leer in
dem bewegten Seelenleben eine Geweishten der Na-
tur. Diese inneren Ereigniffe entscheiden über des
Menschen Glück und Elend, und erheben den starken
Geist hoch über die äußeren Verhältniffe, die felten
im Stande sind, fein inneres Glück oder „Elend zu
zerstören. Daher entsteht oft die dem Haufen wunder-
bare Erscheinung, daß Einer, der in guten Verhält-
niffen geboren und erhalten ist, dennoch unaussprech-
lich elend bleibt, während ein Anderer die härtesten
414)
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Wechsel der Verhältniffe mit stoischem Gleichmuth, ja
mit Fröhlichkeit erträgt.
Man hat mich oft gefragt, warum ich in die-
fem oder jenem Ton, mit einer gewiffen mißfälligen
Ausdrucksweise mich vernehmen laffe. Ich habe hierauf
niemals geantwortet, und kann es auch jetzt nicht,
Weiß es der Baum, warum er aus der Erde
wächst ? die Quelle, warum sie aus dem Fels ent-
springt? Es ist mir so ein Mal natürlich, und die
Grobheit, wie man zu fagen pflegt, angeboren. Ta-
deln höre ich manche hinwiederum, daß ich mich nicht
um mich selbst, um mein Inneres und Aleußeres be-
kümmere. Es ist etwas Wahres an dieser Beschul-
digung – ich liebe das Selbstbegaffen nicht, weniger
das geistige, und am wenigsten das Modeln und
Bilden, Zureiten der armen Seele, welche am Ende
nicht weiß, ob sie göttlichen Ursprungs, oder dem
Leib von einem Schulmeister eingeprügelt worden ist.
Zudem hat der Gedanke, von Niemanden nachgeahmt
zu werden, nichts Abschreckendes für mich, vielmehr
Tröstliches, denn der schrecklichste der Schrecken wäre
es für meine Manen, als ein Schulklassiker meinen
Nachkommen zu gelten, und von Gottscheds würdi-
gen Nachfolgern mich kommentiert, exzerpirt und chre-
stomatisch abgebrüht zu fehen. Schon als Knabe
- -
420
liebte ich es nicht, wenn Jemand mir nachging, und
wer es that, den schlug ich ins Gesicht. Ich hätte
mich lieber auf die Erde gelegt, und die Leute über
meine Gedärme spazieren laffen.
Wenn die Gedanken auf Krücken einhergehen,
fiech und verkrüppelt, mit bunten Fetzen behangen –
das nennen die Leute dann eine Blumensprache.
Wenn man bei Gebäuden aus dem Mittelalter
die kleinen engen Pforten und Thüren sieht, so drängt
fich uns der Gedanke auf, daß die hohen Gestalten
unserer Vorältern nicht felten sich die Köpfe angesto-
ßen haben dürften. So geht es jetzt unseren großen
Geistern, sie stoßen überall an, denn der Bau der
Zeit ist für Zwerge berechnet.
Es gibt nur einen Menschen auf der Welt, und
der bin ich; es gibt nur einen großen Mann, und
der bin ich; es gibt nur einen Narren, und der
bin ich. Wenn mich eine sogenannte große Em-
pfindung belebt und erhebt zu den Sternen, eine of-
fenbare Täuschung der Nerventhätigkeit, von der der
Bauer zu seinem Glücke nichts weiß, wenn ich an
421
großen Gedanken leide, wie z. B. der Plan, die Auf-
klärung über alle Völker des Menschengeschlechts zu
bringen, eine Leiter zum Mond zu bauen, die Erde
bis an ihren Mittelpunkt zu öffnen, um zu sehen,
was darin ist, u. dergl, da ist mir keiner gewachsen
neben mir, und es drängt mich, Alles um mich her
zu verachten. Wenn ich aber in meine Tasche gucke,
und nicht begreife, warum sie leer geworden ist, be-
denke, wie ich mich vor Diebstahl und Betrug be-
wahre, und doch immer wieder betrogen werde, wenn
ich die Riesenarbeit, den Wäschzettel zu schreiben,
nicht vollenden kann, und immer wieder den Schlüf-
fel von der Geldschatulle abzuziehen vergeffe, da beneide
ich den nächsten besten Lumpenhund um feinen Ver-
stand, und sehe ein, daß ich ein Einfaltspinsel bin.
Seit einem Jahre hasche ich nach jedem lumpigen
Vergnügen, wie ein Gimpel nach den Fliegen, und
freue mich über den glücklichen Erfolg meiner Be-
mühungen, wenn ich alle 14 Tage ein Mal lachen
kann, während Millionen in der Runde den ganzen
Tag den Rachen offen haben, als ob ihnen die ge-
bratenen Tauben hineinflögen, vor Lachen und aus-
gelaffener Lust. So ein Lachhals Gelbschnabel ist im
Stande, mich zu bedauern, und zu sagen: „das ist
doch ein recht unglücklicher Mensch, und dabei fo gut
und ehrlich, man möchte weinen, wenn man ihn an-
sieht.“ Lumpenvolk das! - - - - -
422 s
Da wandelt. Einem manchmal die gutmüthige
Dummheit an, mich aufheitern zu wollen. Der eine
will das mit Witzen bewirken, die er aus allen Welt-
gegenden feines unfruchtbaren Vernunftlandes zusam-
menkehrt, und dann losläßt auf mich Armen, der an-
dere schneidet Grimaffen, zerarbeitet seine Phisiogno-
mie in's Scheußliche, und verrenkt die Glieder in al-
bernen Bocksprüngen, daß mir bange wird um feine
menschliche Gestalt. Ein Dritter zwingt mich zum
Kartenspiel, und meint, ein Pharao müßte mir fehr
wohl bekommen, ein Vierter läßt feinen Pudel Künste
machen, ein Fünfter endlich fagt mir Grobheiten,
um mich zu amüsieren. Wenn ich dann, um sie we-
gen der Erfolglosigkeit ihrer Arbeiten zu trösten, ein
Mal lächle, da jubeln sie auf, und schreien: „Seht,
jetzt wird er lustig, Bravo!“ Narren, die! Wenn
ich traurig bin, fo könnt ihr euch so dumm und när-
rich stellen, als ihr wollt, ich werde nicht lachen,
denn das ist ja eben mein Kummer, daß ihr alle
Narren feid. - Die ungeheure Last, die auf meinem
Gemüth liegt, hebt keine menschliche Macht, als ich
felbst; laßt mich erst wollen, und ich schleudre sie hin-
weg, wie einen Federball in die Leere, aber dann
seht euch vor, wie ihr mich wieder traurig macht.
Bin ich ein Mal froh, dann mag die Welt um mich
her zerfallen, und alle Millionen der Erde mögen
um mich her heulen vor Qual und Elend, in Blut
423
mag mein Fuß baden, und mein Mund Leichenduft
athmen, die Sonne mag sich verfinstern, und die Welt
sich in Grabeskälte und Grabesnacht verhüllen, und
ich werde froh sein, lustig, wie ihr nur fein könnt,
wenn ihr euch die Nase begoffen habt, und unerschüt-
terlich in meiner Laune. Darum gebt euch keine
Mühe, ihr macht aus mir nichts, wenn ich nicht felbst
Hand an mich lege. Aber ich bin so gut genug, na-
mentlich für euch, die ihr alle nichts taugt.
Was soll ich lesen? ich weiß Alles. Es ist eben
so viel, als ob ich sagen könnte, ich habe alles gele-
fen, und weiß nichts. Also erkennst du keine Größe
an, über und neben dir. Doch vielleicht, aber es gibt
nichts Großes, das ich nicht verachten könnte, es gibt
nichts Kleines, das ich nicht bewundern könnte. Der
Maßstab aller Größe liegt in uns, die Sterne schei-
nen uns Lampen, und ein Staubkorn eine Welt, je
nachdem unsere Brille vergrößert, oder verkleinert.
Und in der Brille liegt alles. Ja, es gab ein Mal
eine Zeit, wo ich an Großes und Kleines glaubte,
da hatte ich mir eine Welt gebaut mit Höhen und
Tiefen, und alles war schön und putzig. Aber da
kam ein Gewitter, und fchmiß den Plunder über
den Haufen, und stürzte die Höhen nieder, und er-
hob die Tiefen, und nun liegt. Alles, Alles auf der
Erde. Und mit den Füßen trat ich darauf, und Al-
424
les zerbrach in Staub. Da stehe ich nun auf meinem
Acker, und lache durch Thränen, ich habe nichts mehr
zu zerstören. Ich bin ein Fürst, denn ich fühle edles
Blut in mir. Warum habe ich keine Krone, daß ich
fie zertrümmern könnte, kein Volk, daß ich es fchlach-
ten, kein Jahrhundert, daß ich es morden könnte?
Lindor, du bist ein Narr!
Des Menschen Brust ist das Haus der Seele.
Bei dem Unglücklichen aber ist es eine hinfällige
Ruine, wo Sturm durch die öden Gemächer heult,
die Eule des Grams nistet in den epheuumrankten
Riffen, und graue Gespenster aus dem Reiche der
Todten herausteigen, und ihre „Wehe!“ rufen in die
wüste Nacht.
Diese Welt ist die beste, fagten die Optimisten,
und haben für fich recht, denn für solche Leute ist sie
allenfalls gut genug. Mir aber kommt unsere beste
Welt vor, wie ein alter Leibfchaden des Universums,
an dem schon Fäulniß und Krebs frißt. Ueberall
Tod, Zerstörung, Vernichtung! Da fagen die Opti-
misten, aber aus der Zerstörung geht neues Leben
hervor. Nach dieser Theorie ist ein Käselaib, der in
Würmern auflebt, das Bild unserer Vollkommenheit,
aber es bleibt doch immer ein eckelhaftes Ding, um
425
madigen Käse. Aus den Würmern wird Staub, aus
dem Staube blühen Blumen, die Blumen frißt ein
wiederkauendes Thier, und gibt sie wieder als Exkre-
ment von sich, als Dünger der Frucht. Das ist die
Progression der ewigen Umwandlung der Materien,
die immer auf dem Wege zum After der Natur be-
griffen find, bald stinken, bald duften. Wenn das
unfer unwiderrufliches Schicksal ist, dann mache mich
bald wieder zur Blume, Meisterin Natur, jetzt bin
ich Exkrement.– Lindor, bringe mir die Vollkommen-
heit der Welt nicht wieder aufs Tapet, sonst schlage
ich dir deinen vollkommenen Schädel entzwei, und
zeige dir, daß nichts dahinter ist. Meinen eigenen
vollkommenen Leichnam laffe ich jedem Anatomen
oder Abdeker für – ich weiß nicht was Geringes,
ab. Wäre ich von Holz, ich würfe mich ins Feuer,
denn wenn ich erst in die Millionstheile des Rau-
ches zerfließe, dann bin ich glücklich. Das Kleine,
atomisch Untheilbare ist allein glücklich. Das Aas ist
erst vollkommen, wenn es als Miasma in der Luft
fchwebt, und schwache Lungen zerfrißt.
-
Nehmt dem Menschen die Vernunft, und er ist
glücklich.
- -
. .“ ...
V-
- - - - -
: f. - -
28
426
Eine Haut möcht' ich haben wie ein Panther-
thier, Muskeln wie ein Löwe, und Lüfte wie eine Sau,
dann möchte ich leben neunhundert Jahr, oder neun-
taufend. - -
-
SMIan fegt, daß der Mensch das vollkommenste,
verständigste und fhönste unter allen Thieren sei; ich
aber will dir beweisen, daß er von alle dem gerade
das Gegentheil ist. Um dieß zu demonstrieren, haben
wir nichts zu thun, als den Simia homo, wie er in
der Naturgeschichte heißt, in feine natürliche Lage auf
vier Beine zu stellen, denn daß er auf zweien
geht, und seine beiden Vorderfüße verleugnend Hände
heißt, ist nichts, als eine grobe Anmaßung. Haben
wir das Menschenthier solchergestalt aufgestellt, so fin-
den wir bei ihm das umgekehrte Verhältniß, wie bei
der Giraffe, und das Haupt tief zur Erde gesenkt,
während dem fein Steiß sich gegen den Himmel er-
hebt. Betrachten wir ihn von dieser Seite genau, so
stellt sich uns der klarste Beweis dar, daß er das
unvollkommenste aller Geschöpfe ist, denn es fehlt
feiner unanständigen Körperkonstruktion nicht nur
alle Simetrie, sondern auch der nothwendige End-
punkt feiner wahren Länge, der Schwanz, den der
elendete Affe nicht vermißt. Es fehlt ihm daher ganz
und gar an diesem nothwendigen Instrument, womit
427
er den häßlichsten Theil seines Körpers, den anus,
den kein Thier fo unverschämt zur Schau trägt, wie
ein Mensch auf Vieren, bedecken könnte. Daß von
Schönheit bei der Erhabenheit feiner Posteriora, bei
der offenbaren Mißgestalt feines häßlichen behaarten
Kopfes, der, wenn er nur halbwegs auf Schönheit
Anspruch machen wollte, unfehlbar in eine spitzige
Schnauze ausgehen müßte, bei der unverhältnißmäßi-
gen Dicke einer Beine von Schönheit nicht die Rede
fein kann, begreift jeder Primaner. Nachdem wir
fo unumstößlich dargethan, daß der Mensch das un-
vollkommenste und häßlichste aller Thiere fei, wird
es uns auch nicht fähwer fallen, zu beweisen, daß er
auch das dümmste ist. Es wird uns Niemand wi-
dersprechen, und wer es thut, der soll die Franzosen
bekommen, daß es die größte Kunst ist, glücklich zu
fein. Gibt es aber – ich bitte – ein unglücklicheres
Thier, als der Mensch ist? Habt ihr je eine Gans
gesehen, die sich über ihr Schicksal beklagt hätte, oder
ist es euch je vorgekommen, daß ein Schaf Thränen
vergoß? Haben wir nicht vielmehr täglich Gelegen-
heit, bei allen Thieren untrügliche Wahrzeichen ihres
Wohlbefindens zu bemerken, habt ihr je gesehen, daß
sich ein Stier zu Tode gegrämt hätte?
428
Wenn ich sterben soll, so mache es fchnell mit
mir, Tod, wirf mir einen Dachziegel an den Kopf,
daß ich hinfalle, wie ein erschlagener Stier, und mich
nicht mehr rühre, oder laß mich von einem Schlag-
fluß gerührt werden, daß ich mitten im Lachen lal-
lend hintaumle, und, nach Luft schnappend, wie ein
Laubfrosch verende. Nur ziehe mir nicht als Krank-
heit durch die Glieder, und morde mich nicht langsam,
wie der Borkenkäfer das Mark des Baumes lang-
fam zerfrißt, während die Rinde das morsche zer-
bröckelte Mark noch lange zusammenhält.
Stürme heulten über Gräbern, und die Stimme
der Natur war Weheruf und Hohnlachen, denn der
Sonnenschein und das Licht, die Wärme des Lebens,
das Gemüth lag todt in der Gruft. Ich faß auf
meinem Hügel und lachte, erhob mich tollkühn gegen
die brüllenden Wetter, und freute mich ihrer Zerstö-
rung. Wo ein Blitz zündete, da trank mein Auge
der zerstörenden Flamme Licht mit Befriedigung, und
wenn der Donner feinen schrecklichen Ruf erhob, da
wogte meine Brust hoch auf, und mein Fluch beglei-
tete ihn über die erschrockenen betäubten Berge und
Thäler. Aber einen Blick fandte ich zu durchblicken-
den Sternen, zwischen schwarzem Gewölk, und die
Gewitter der Erde schienen mir komödiant und er-
-
429
bärmlich, denn die Weltkörper leuchteten über den
Blitzen, nichts ahnend von den kleinen Schreckniffen,
und der Donner verhallte kaum eine Spanne hoch
über dem Rauch der Erde. Dönnern aber möchte ich,
daß die Sphären erbebten in ihrem innersten Bau,
und den Blitz möcht' ich regieren, der Sonnen zer-
trümmert, und die Verkettung der Welträume zer-
reißt. Einen Sturm möcht' ich erheben mit meinem
Athem, der die Miriaden Sterne zerstäubt wie Spreu,
der die Sternlichter und Sonnen verlöschte, daß Al-
les versänke in ewige Nacht. Dann, dann, wenn Al-
les zerstört und vernichtet, aufgelöst in ein wild
stürmisches Chaos, wenn kein Wesen mehr athmet,
und das Weltgesetz in Trümmern liegt, dann erst,
dachte ich mir, kann das Element des Unfriedens,
und Haffes in mir zu Grunde gehen. Mein Geist
fand auf der Spitze in schwindelnder Höhe zwischen
zwei Abgründen – Wahnsinn und Tod.
Da lichtete sich der Wolken Nacht, der Sturm
verbrauste, und langsam tauchte ein silberschimmern-
der Mondentag aus dem Dunkel empor. Laut feufz-
ten die Gräber, und aus der tiefsten Gruft stieg das
aus feinem Todtschlaf erwachte Gemüth. Das Ge-
wicht des Schicksals wich einem kräftigen Arm, wie
der Fels auf dem Grabe Christi, und aus der geöff-
neten Erde entschwebte eine gespenstige Gestalt. Bleich
wie der leuchtende Mond war ihr Angesicht, strahlende
29
-130
Augen, fät auf die Höhe gebannt, fchwamen in
Ernst und Milde, um die durchsichtigen Lippen
spielte ein schmerzliches Lächeln. Langsam wandelte
fie auf dem blumig duftenden Kirchhof der Empfin-
dungen, und weckte die fchlafenden Genien, Ein fin-
ferer Riese saß der Haß auf den Gräbern, drohende
Flammenblicke auf die Gottgestalt werfend, aber ernst
winkte die ernste Gestalt mit ausgeht, Hand,
und das Ungethüm stürzte brüllend in den Abgrund.
Unter einem blühenden Rosenhügel fchlief die
Liebe. Wachº auf fchlafendes Kind Lächelnd schwebte
der Engel empor, und umschlang zwei milde Genien:
Trost und Hoffnung. Ueberwältigt von ihnen fank
der wilde Cyklope Schmerz in das gähnende Grab,
- - A - -
N a ch w or t.
Hier fchließt das feltsame Tagebuch. Das letzte
Blatt war von demselben Tage datiert, an welchem
der Schreiber freiwillig durch einen Pistolenschuß fein
Leben endigte.
-