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K K H1 O F B | B L | O T H E K OSTERR. NATIONALBIBLIOTHEK | | | |- - |-| - - - - - - - - .. - - - - - - - - - - - • . - - - - d - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - r - - - - - I - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 6 - - - - - - - - - - - - - - --- - - - - - - s - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - d s - (9 - - - - - - - - d, v - s - - - - * - - - - - - - - - - - - - - . - - - O O - - „s 4 s - S - - • - 9 e - - --- - Wh - - - "e - - - Od - - G- g G- - - . Sº SP G- - O - -- e . * GP- - - - - - - - w- - - - - - - - 4- - s P - - - - - - - - d - - - - - - - - e - - G v - - - - - - "Y - - - - - - - '- - - --- s - - - - - - - - «d - - g d - - - - - - s '- - e 4 - - s O - - A - - - - O - - - - - - Daguerreotypen. Erster Band. Daguerreotypen. Aufgenommen während einer Reise in den Orient in den Jahren 1840 und 1841 v. 0 m f. W. Hackländer. -0-DE-0- E r ft e r B an d. -o-ZPS2-0- Stuttgart. Verlag von Adolph Krabbe. 1842. Druck von J. Kreuzer in Stuttgart. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Meinem edlen und lieben Freunde, Wilh. Baron v. Taubenheim, Kammerherr und erster Stallmeister Sr. Majestät des Königs von Württemberg. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - --------- Als ich im April des Jahres 1840 nach Stuttgart kam, dachte ich so wenig an eine Reise in den Orient, wie an meinen fanft feligen Tod. Ich lebte still für mich und kannte nur wenige Personen. Da hörte ich eines Tags von Ihnen sprechen und zwei Leute, mir gänzlich fremd, erzählten einander, der Baron von Taubenheim werde noch im Laufe dieses Jahrs eine Reise nach Jerusalem antreten. – Ich weiß nicht, mochte gerade in dem Augenblicke mein Gemüth für ausschweifende Phantasien empfänglicher feyn, als gewöhnlich, oder war es Ahnung, wie fie uns im Leben zuweilen anweht, denn ich sprach bei mir: Die Reise mußt du mitmachen. Freilich verlachte ich im nächsten Augenblicke die Luftschlöffer, die ich schon lustig gebaut, aber in meinem Herzen blieb doch so viel davon zurück, daß ich mich auf Erkundigungen legte, wie man sich Ihnen am besten nähern könne. Was ich eigentlich wollte und wie sich meine wunder- (2) lichen Phantasien verwirklichen könnten, daran dachte ich noch nicht. Ich forschte nach Ihnen, wo es mir möglich war, bei Vornehm und Gering, und wenn ich den Namen Taubenheim nannte, so sprachen die Leute oft wider ihre Gewohnheit viel und eifrig und mit inniger Liebe und Hochachtung. Die Erwach- fenen sagten: das ist ein braver Herr, und die kleinen Kinder auf den Gaffen erzählten von Ihrem Rappen, daß er heute wieder vor dem oder jenem Hause gestanden, während fie hinaufstiegen in den vierten Stock, um fich da nach einer armen Familie zu erkundigen. Je mehr ich so von Ihnen reden hörte und man mir sagte, wie gern Sie bereit wären, jedem zu helfen, so weit es in Ihren Kräften fünde, desto mehr fank der Glaube an ein Ge- lingen des Projectes, das mir so süß war, und das ich, trotz der Unmöglichkeit, es auszuführen, mir täglich und stündlich mit den glühendsten Farben ausmalte; denn Sie, den Alle liebten, konnten sich meiner Meinung nach unmöglich für einen unbekannten Fremden so sehr interessieren, der Ihnen fast nichts zu bieten hatte als ein frisches Herz, von dem Sie noch nicht einmal wissen konnten, wie treu und ergeben es Ihnen feyn würde. Und doch kam das ganz anders. Ich hatte damals nur einen einzigen Bekannten in der Stadt, der das Glück hatte, Sie näher zu kennen. Es war Moritz, der jetzige Ober- regiffeur des Hoftheaters, an den ich mich, ohne ihn zu kennen, bei meiner Ankunft in Stuttgart wandte, und der den guten Schilderungen entsprechend, die man mir überall von ihm gemacht, sich auf das Freundlichste und Lebhafteste für mich interessierte. Ihm vertraute ich meinen Wunsch; er sprach mit Ihnen, und Sie nahmen mich nicht nur bereitwillig zu Ihrem Reisegefährten an, sondern beseitigten auch mit der größen Liebe und Güte. Alles, was meinem Plan im Wege stand. Es war einer der glück- lichsten Tage meines Lebens. Wir traten also zusammen die Reise an. Sie hatten sich mit Künsten und Wiffenschaften umgeben: ein junger Arzt, Dr. Bopp, ein talentvoller Maler, Frisch, den Seine Majestät, der König von Württemberg, diese Reise mitmachen ließen, vertraten sie, und ich repräsentierte etwas Weniges die Poesie. Doch muß ich offenherzig gestehen, Ihre Herzlichkeit und Güte, die sich auf der ganzen Reise gleich blieben, gaben meistens den angenehmen und mühseligen Stunden einen poetischen Reiz. Was wir zusammen genoffen, erlebten, sahen und litten, steht klarer vor Ihrem Gedächtniß, als meine Feder im Stande ist, es wieder zu geben. Ach, es war viel Schönes, und wenn wir uns auch oft im heißen Sande der Wüste zurücksehnten in's kältere Deutschland, so hat sich bei mir jetzt, nachdem ich die Heimath wieder erreicht, jene Sehnsucht umgewandt und ich möchte mich gern noch einmal an den Sattel meines arabischen Pferdes lehnen und hinaus starren in die gelbe Fläche, die durch ihre Oede fo geeignet ist, die Phantasie mit herrlichen Träumen aufzufrischen. Wie sehr ich auch beständig die Schwierigkeiten einer Be- schreibung unserer Reise erkannt, so faßte ich doch den Entschluß, unsere Abenteuer in einzelnen Bildern dem größern Publikum vorzulegen, und ich habe gethan, was in meinen Kräften fand. Auch dabei verdanke ich Ihnen viel, denn die Notizen und Auszüge aus Ihrem Tagebuch, die ich von Ihnen erhielt, waren mir werthvolle Zugaben. Jetzt liegt mein Buch beendet vor mir, und ich möchte ihm gerne eine Weihe ertheilen, indem ich es Ihnen darbringe, als ein Weniges von dem Vielen, was ich Ihnen an einem glücklich verlebten Jahre, so wie an der Entstehung dieses Werkes zu danken habe. Nehmen Sie es freundlich auf, und wenn Sie zuweilen darin lesen, so soll mir der Gedanke, daß Sie sich meiner, der Ihnen für das ganze Leben mit inniger Liebe zugethan bleibt, dabei manchmal freundschaftlich erinnern, eine große Belohnung feyn. Stuttgart, im Juli 1842. F. W. Hackländer. Inhalts-Verzeichniß des ersten Bandes. Fahrt auf der Donau von Regensburg bis Giorgewo - Abreise von Stuttgart. – Regensburg. – Linz. – Wien: aus- ländische Cigarren. Leben auf den Straßen. St. Stephan. Das Zeughaus. – Preßburg. – Peth. – Bunda und Costek. – Lord L. Oberflieutenant von P. – Emin Pascha. – Ungarische National- lieder. – Semlin. – Eine Jagdparthie in Drenkowa. – Die Mord- mücken. – Alt-Orsova. – Neu-Orlova. – Das eiserne Thor. – Giorgewo. Ritt durch die europäische Türkei - - - - - - Türkische Posteinrichtung. – Giorgewo: Schmutz auf den Straßen. Quarantaine. Kleidung der Türken. – Rutschuk. Tartaren. Das Paßbureau. Bulgarische Fußbekleidung. Unsere Pferde. Der Ramafan. – Rasgrad. – Schumla. – Ritt über den Balkan. – Dobrol. – Faki. – Adrianopel: Quarantaine. Das alte Serail. Selim's Moschee. Eine Soirée beim Pascha. Illumination. Tanzende Knaben. Schatal Burgas. Silivri. – Das Meer. – Ankunft in Constantinopel. – Pension der Madame Balbiani. Constantinopel s s - - s - - - - - - Ansicht der Stadt. – Gasthöfe und Caffeehäuser. – Straßen und Hunde. – Straßenleben. – Türkische Bäder. – Der Hivpodrom, die sieben Thürme, mehrere Moscheen und andere ältere Bauwerke. – Fahrt nach Bujukdere. Die alten und neuen Wafferleitungen. – Tür- kisches Familienleben. – Die Nacht im Ramasan. Eine Audienz beim Sultan. Diner bei Refchid Pascha. Schiffbruch des Dampfbootes Seri- Pervas . a e - - Abreise von Constantinopel. – Die Stadt im Schnee. – Stür- misches Wetter. – Nebel. – Einschiffung türkischer Soldaten. – Der Seri-Pervas. – Schiffbruch und Tod ist unser Loos. – Unglück des Dr. B. – Heftige Bewegungen des Schiffes. – Unser Nachtrabe. – Seite 39 227 XIV Seite Seesturm. – Schiffbruch. – Das Verdeck. – Versuche zur Rettung. – Unglücksfälle bei derselben. – Das Dorf Armudköi. – Pillau mit Seife. – Räubereien der Türken. – Das Dampfboor Ludovico. Rückkehr nach Constantinopel, Fahrt durch den Archipel . - - - - - - - 261 Zweite Abreise von Constantinopel. – Odun Kapuffi. – Die Dardanellen. – Der Crescent. – Die Ebene von Troja. – Die jonischen Inseln. – Smyrna. – Der Masturiaberg. – Rhodus: Die Stadt. Die Allerheiligenkirche. Strada dei Cavalieri. – Marmariffa mit der englischen und östreichischen Flotte. – Cypern. Beirut . . . . . . . . . . . - 287 Aeußere Ansicht der Stadt. – Der Libanon. – Innere Ansicht der Stadt. – Das Schloß am Meer. – Die Bazars. – Gewühl auf den Straßen. – Weiber. – Türkische Artillerie. – Beduinen. – Das Drufenlager. – Pinienanpflanzungen. – Aufenthalt in Beirut. – Jungfräulichkeit neuer Schiffe. – Die türkische Thorwache. – Krank- heit der Freunde. – Ein Ritt in den Libanon. – Friedrich. Reise nach Damaskus und Palmyra . - - - - - - 325 Fürst Aslan. – Abreise von Beirut. – Wilde Gebirgspäffe im Libanon. – Khan el Huffein. – Felsentreppe. – Wolken auf der Höhe des Gebirges. – Schneesturm. – Ein Vocalconcert. – Das Schloß der Affafinen. – Aegyptische Deserteure. – Bekaa, das Thal. – Ein Unfall. – Perfer. – Der Antilibanon. – Felsengärten. – Schiras. – Das Thal Gutha. – Damaskus. – Eine armenische Hochzeit. – Ritt nach Palmyra. – Pferde - Revue. – Baalbek. – Die Cedern des Libanon. – Die Stute in Sachile. – Zweite Reise nach Damaskus. – Der persische Kaufmann. – Merkwürdiger Pferdehandel. – Scham, der Hengst. – Rückkehr nach Beirut. Bemerkungen über Arabische Pferde aus Briefen des Baron von Taubenheim 452 Fahrt auf der Donau von Regensburg bis Giorgewo. Hackländer, R, in d, O. I. f - Abreise von Stuttgart. – Regensburg. – Linz. – Wien: aus- ländische Cigarren. Leben auf den Straßen. St. Stephan. Das Zeughaus. – Preßburg. – Pesth. – Bunda und Cofef. – Lord L. Oberflieutenant von P. – Emin Pascha. – Ungarische National- lieder. – Semlin. – Eine Jagdparthie in Drenkowa. – Die Mord- mücken. – Alt-Orsova. – Neu-Orsova. – Das eiserne Thor. – Giorgewo. – – – Tritt deine Wallfahrt an! Laß von den Raa"n Die Segel fallen, laß die Wimpel weh'n. Am Ufer steh'n Will ich! – Leb' wohl! – Wie ferne schon, wie fern Du steheft finnend auf des Schiffes Stern." Freiligrath. Es war am Abende des letzten September 1840, einem unfreundlichen regnerischen Herbsttage, als ich von meinen Bekannten und Freunden Abschied nahm, um meine Reise in den Orient anzutreten. Von wichtigen Momenten meines Lebens erinnere ich mich gern kleiner Umstände, die mir in den Augenblicken bemerkenswerth schienen. So wurde an demselben Abend im königlichen Schauspielhause Calderons „Leben ein Traum“ gegeben. Mir kam mein eigenes Leben in dem letzten Jahre, besonders der Augenblick meiner Ab- reise, so zauberhaft, fast wie ein schöner Traum vor. Mei- nem Freunde Moritz sagte ich in der Garderobe des Theaters ein herzliches Lebewohl in dem Augenblicke, wo er sich aus dem ärmlichen Costüm des unglücklichen Verstoßenen in das glänzende des Königssohnes warf. Lachend reichte er mir die Hand, diese Metamorphose auch mir prophezeihend. Und er hatte Recht. Wenn ich mich auch seit jenem dunklen 1 4 traurigen Herbstabend nicht zum Glanz eines Königssohnes erhob, so gingen mir doch schöne freundliche Tage auf, Tage, die gewiß mit den herrlichsten Edelsteinen wetteifern konnten. Von den Leiden in unseren deutschen Eilwägen will ich nicht reden, nur versichere ich, daß wir, wie immer, auch heute Nacht fast gerädert auf unserer Station ankamen. Dies war Göppingen; wir verließen die große Straße, um den Weg nach Heidenheim zu nehmen, wo Seine Hoheit, der Herzog Paul von Würtemberg, dem Baron von Taubenheim ein Rendezvous gegeben hatte. Der Herzog war, wie bekannt, eben erst von seiner großen Tour nach der Türkei und Aegyp- ten zurückgekehrt, und da wir fast denselben Weg nehmen wollten, den er gemacht, konnte er uns über Zeitverwendung und Reisemittel die besten Rathschläge geben. Nachdem wir uns in Göppingen sehr lange um einen Wagen bemüht, fuhren wir gegen zwei Uhr in der Nacht weiter. Der dunkle Himmel hatte sich etwas aufgeklärt und der Mond, der zuweilen durchblickte, ließ uns in eine weite Ebene sehen, durch die wir fuhren und welche rings von Bergen umgränzt ist. Als ich um fünf Uhr aus einem kleinen Schlummer erwachte, schaute uns zur linken Seite der Rechberg und der Hohenstaufen ernst und traurig durch den Nebel entgegen. Ich weiß nicht, der Anblick des alten Staufen erregte in mir ein ganz eigenes Gefühl. Ich kannte dies Thal, hauptsächlich aus dem Kupferstich vor Raumers Geschichte der Hohenstaufen, den ich als Kind während dem Lesen wohl hundertmal betrachtete. Die Ge- gend auf dem Kupferstich sah so ernst aus, wie sie sich heute Morgen in dem Nebel unterm Blick zeigte. Damals träumte ich mir die alten Ritter hinzu, wie sie mit fliegendem Ban- ner in's Thal zogen. Heute baute ich im Geiste die kleine Ruine dort oben zur stattlichen Burg aus, und versetzte mich in die Zeit zurück, wo die Herren des Hohenstaufen noch 5 keine Blätter in der Weltgeschichte ausfüllten. Da hatte vielleicht einer der Grafen, durch Träume über zukünftige Größe aus dem Schlaf geweckt, in dasselbe Thal geschaut, durch welches eben unser Wagen langsam rollte, oder empor zu den Wolken, die nach Süden zogen und nie mehr zurück- kehrten, wie später die Schaaren, die fein Schlachtruf nach derselben Richtung aussandte, einen eisernen Nagel zu erobern. – – Von den alten Herren sieht keiner mehr mächtig und groß in die weite Landschaft hinaus, aber das Thal ist noch wie damals; ebenso wie sonst fließt das kleine Flüßchen, die Fils, wie ein silberner Faden hindurch. Mancher der alten Bäume, die umher stehen, sahen das Haus der Hohenstaufen wachsen und groß werden; aber der letzte Sprößling jenes großen herrlichen Geschlechts ist schon lange vermodert in seinem Grabgewölbe zu Neapel, nachdem man ihm vorher sein königliches Haupt abgeschlagen. – In Weißenstein, wo wir frühstückten, hatten sich zu demselben Zweck eine ziemliche Anzahl der männlichen Ein- wohner versammelt, lauter große kräftige Menschen mit frischem Aeußern, und daß ihr Inneres eben so gesund beschaffen fey, bezeugte die große Quantität Bier und Würste, die sie mit vielem Behagen verzehrten. Bei Weißenstein liegt ein altes Schloß zwischen zwei Bergen eingeklemmt; es ist weiß angestrichen und auf diese Art unangenehm modernisiert. Ich glaubte schon, die ehrwürdigen Gebäude würden zu Meiereien und andern landwirthschaftlichen Zwecken benützt; doch sagte mir der Wirth des Gasthofs, sie gehörten dem Grafen von Rechberg, würden von einem invaliden Jäger bewacht und feyen angefüllt mit Familienbildern dieses alten Geschlechts. Es ist sehr schön und poetisch von dem Grafen, daß er den gemalten Stammmältern eine eigene Wohnung angewiesen, wo fie mit einander träumen und sich von ihrer früheren Herr- lichkeit erzählen werden. Sie halten in der Mitternacht 6 vielleicht Affembleen, wobei die geharnischten Herren ihren Postamenten entsteigen und den edlen Damen behülflich sind, wenn sie im Reifrock und der dicken Halskrause die Rahmen verlaffen. Hinter Weißenstein erstiegen wir den rauheren Theil der schwäbischen Alp, welche die Stromthäler der Donau und des Neckars scheidet, ein kahles langweiliges Plateau; es verdient eine Haide zu feyn. Gegen die Donau fällt es lang gestreckt in's Thal, gegen den Neckar steil, in ziemlich schön geformten und eichen bewachsenen Abhängen. Gegen Mittag kamen wir nach Heidenheim, wo wir einige Stunden in der Gesellschaft des Herzogs Paul äußerst interessant und lehrreich für uns verbrachten. Er sprach von manchen Schwierigkeiten, die uns auf der Reise treffen könnten und gab uns Rathschläge dagegen, deren Befolgung uns später vielen Verlegenheiten entriß. Die freundliche Aufnahme, die uns durch seine Empfehlungsbriefe an einigen Orten der Türkei und Aegyptens zu Theil wurde, zeigte uns, wie sehr es der Herzog auch dort verstanden, sich die Hochachtung und Liebe seiner Bekannten zu erwerben. Von Heidenheim reisten wir über Augsburg nach " Regensburg, wo wir gegen Morgen ankamen und das Glück hatten, noch das Dampfboot benützen zu können, was ein paar Stunden später nach Linz abging. Bis jetzt war unsere Reisegesellschaft noch nicht ganz beisammen gewesen, hier aber traf der Maler F. bei uns ein, fo daß nun unsere Caravane vier Mann zählte und vollständig war, nämlich unsern lieben Reisechef, den Baron von T., den Doctor Bopp, einen jungen Mediciner, der eben die Universität ver- laffen, den Maler Frisch und meine geringe Person. Bis Linz hatten wir ziemlich gutes Wetter und wenig Paffagiere; doch die ganze Tour von Linz nach Wien, es war am 5. October, mußten wir bei immerwährendem Regen 7 in den überfüllten Kajüten zubringen. Schon am Morgen bei unserer Einschiffung goß das Wetter in Strömen von dem dunkelgrau überzogenen Himmel und vermehrte noch die Verwirrung, die ein paar hundert Paffagiere mit Hutschach- teln, Koffern, Nachtsäcken c. anzurichten im Stande sind. Ehe man der eingeführten Ordnung auf den Donaudampf- schiffen gemäß jeden Theil seiner Effecten mit einer Blech- nummer hatte versehen laffen, wozu man die Doublette bekam, verging eine ziemliche Zeit, welche Regen und Wind dazu benützten, uns einzuweichen und zu durchkälten. Wie hatten wir uns gefreut auf die schönen Donauufer, an wel- chen wir heute vorbeisegelten! Ach, wir sahen nichts, als durch die Kajütenfenster ganz zufällig links die Ruinen der Burg Dürrenstein, auf welcher Richard Löwenherz gefangen faß und durch den treuen Blondel errettet wurde, und rechts das prachtvolle Kloster Mölk, bei dessen Anblick man den menschlichen Geist bewundern oder bemitleiden muß, daß er auf dem nackten Felsen hier die großartigen Gebäude aufführen ließ. Um später den berühmten Donaustrudel zu sehen, klammerten sich einige zwanzig Menschen an den großen Schornstein des Schiffes, auf welche Art sie hinten beinahe gebraten wurden, während der scharfe Wind das Gesicht fanft röthete. Endlich gegen fünf Uhr Abends sahen wir den Kahlenberg, und das Schiff legte bei Nußdorf, eine kleine Stunde vor Wien, an. Jetzt begann die Verwirrung auf dem Boote wieder recht großartig zu werden und hätte der Regen nicht glücklicher Weise nachgelaffen, so war unsere Lage in Wahrheit schrecklich. Kaum lag das Gangbord, so stürzten die Packträger wie Harpyen aufs Schiff und suchten sich des Gepäcks zu bemächtigen, wobei es keinen kleinen Kampf kostete, daß man Herr seiner Sachen blieb, um sie eigenhän- '' dig zu den k. k. privilegierten Mauthbeamten zu schleppen, die unbarmherzig in den Eingeweiden unserer Koffer herumwühlten. 8 Diese Visitation dauerte eine gute Stunde, worauf wir unter einer Anzahl Fiaker, die uns mit dem Rufe: „Fohr'n mer Ew. Gnoden?“ umschwärmten, einen heraussuchten, ihm unser Gepäck aufluden und nachdem wir eine Maffe Trink- geld verschwendet, abfuhren. Ein zerlumpter Kerl, der am Wagenschlage stand und bei dem ich mich mühsam vorbei- wand, um nicht beschmutzt zu werden, trabte uns eine Strecke nach und forderte Geld unter der Rubrik: er habe uns aus- steigen helfen. Die Passagiere, welche mit dem Dampfboote nach Wien kommen, werden durch Wagen der Gesellschaft nebst ihren Sachen in die Stadt geführt, wo sie die Linie passieren dürfen, ohne wieder visitiert zu werden, weil es draußen schon geschah. Wir hatten das nicht gewußt und waren nicht wenig erstaunt, als man unsern Fiaker anhielt, um unsere Effekten aufs Neue zu untersuchen. Es half kein Protestieren, einer von uns mußte aussteigen und mit feinem Koffer dem Beamten folgen, welcher bald darauf zurückkehrte, und uns, die wir draußen ungeduldig harrten, erklärte, man habe in dem Koffer ausländische Cigarren gefunden, weshalb er sich genöthigt sehe, den ganzen Wagen zu untersuchen. Wirklich fingen einige Zollbediente an, Alles abzuladen, als ihnen glücklicher Weise der Nachtsack des Barons in die Hände fiel, in welchem sich ein Packet Briefe an eine hohe Behörde in Wien befand. Beim Anblick dieser Adreffe und des Paffes des Barons hatten sie keine Lust, uns weiter zu belästigen. Die strenge Miene, das barsche Anreden verän- derte sich in das Lispeln geschmeidiger Höflichkeit. Sie baten um Entschuldigung, uns aufgehalten zu haben, man habe nicht gewußt, wer in dem Wagen fey, und wir könnten ruhig weiter fahren. Lange begriffen wir nicht, was es mit den ausländischen Cigarren für eine Bewandtniß habe; denn keiner von uns besaß mehr dergleichen. Wir hatten uns 9 auf dem Schiffe die größte Mühe gegeben, unsern ganzen Vorrath aufzurauchen. Endlich fiel uns ein, man könne uns vielleicht bei der Behörde denunciert haben, und bei diesem Gedanken schwebte mir gleich das Bild eines kleinen Juden vor, welcher ebenfalls mit auf dem Dampfboote war, wo er Jedermann Esterhazy'sche Loose zum Verkauf anbot und den wir ein wenig geneckt und belacht, weil er bei beständigem Renommiren mit seinem Muth am Morgen vor Angst oder Schwindel in Ohnmacht fiel, als er vom Lande ins Schiff gehen sollte, und weil er in Baiern über Wür- temberg, so wie in Oestreich über Baiern schimpfte. Mir besonders war er den ganzen Tag unter die Beine und in den Weg gelaufen. Wollte ich einem hübschen Mädchen eine Artigkeit sagen, so stand der Jude sicher hinter mir und lächelte höhnisch. Einige Mal hatte er meine Sachen für die einigen angesehen, was besonders Abends in Linz sehr komisch war, wo wir zum ersten Mal in einem ziemlich dunkeln Gewölbe visitiert wurden. Der Kleine hatte seinen Koffer verloren und glaubte ihn in dem meinigen wieder gefunden zu haben. Er stürzte sich darauf und umklammerte ihn krampfhaft. Hier machte ich ihn durch eine Aeußerung gänzlich zu meinem Feinde, denn ich erzählte einem Be- kannten, mein schwarzer Koffer und auf demselben der kleine Jude habe ausgesehen, wie ein coloffaller gußeißerner Brief- beschwerer. Auch hatten wir ihm einige Mal gesagt, wir wüßten aus sicherer Hand, daß er Uhren bei sich habe, welche er herein- schmuggeln wollte. So hatte uns der Conducteur erzählt. Der Jude hatte sich gewiß für diese Unbilden dadurch revangirt, daß er angab, wir feyen gefährliche Menschen, indem wir ausländische Cigarren bei uns führten. Gegen sechs ein halb Uhr fuhren wir ins Gasthaus zum goldenen Lamm in der Leopoldsvorstadt und waren in der Kaiserstadt, waren in Wien. 10 Wollte ich mir einreden, in acht Tagen, die wir in Wien waren, diese Stadt kennen gelernt zu haben und mir anmaßen, ein Urtheil über dieselbe zu fällen, so wäre dieß in der That lächerlich. Aber daß ich hinschreibe, wie dem unbefangenen Zuschauer das rege Treiben und Leben erschien, wird mir vielleicht. Mancher, der nicht Gelegenheit hatte, es selbst zu sehen, Dank wissen. Nach einem festen Schlaf auf die Mühseligkeiten des vergangenen Tages betrat ich die Straßen und glaubte fort- zuträumen. Ein ähnliches Leben und Getriebe hatte ich bisher nie gesehen. Jede Straße war ein Strom, welchen Wellen von Menschen, Wagen und Karren hinabfluthen, dem man folgen oder fich an's Ufer, die Häuser, retten muß. „Man glaubt zu schieben und man wird geschoben.“ Ein betäubendes Gemurmel, ein Drängen und Anstoßen; man könnte wenigstens zwei Dutzend Augen gebrauchen, wollte man neben dem Ausweichen der einem stets begeg- nenden Wagen und Menschen auch etwas sehen. Obgleich ich gerade in keinem Dorf, sondern in einer ziemlich bedeu- tenden Stadt gewohnt, erging es mir dennoch wie dem Landmann, wenn er zum Jahrmarkt in die Stadt kommt, und mit offenem Munde den prächtigen Waarenausstellungen und verwundert der auf und abwandelnden Menschenmaffe zuschaut. Ich stand und sah zu, bis ich fortgeschoben wurde und blieb wieder vor einem andern reichen Gewölbe stehen, bis mich auch da ein unsanfter Rippenstoß verscheuchte. Dabei ist das gellende Geschrei der Lohnkutscher und Last- träger, ihr ewiges Hoe! Hoe! – ein Zeichen, daß man ihnen ausweichen soll – so verwirrend und klingt so in den Ohren nach, daß man stets glaubt, angerufen zu werden und in beständiger Unruhe bald rechts bald links springt. 11 Wie sich der ermattete Schwimmer mit einem behag- lichen Rettungsgesicht zwischen die Felsen birgt, die ihm aus den schäumenden Wellen entgegen treten, so schöpfte ich auch leichten Athem, als die Menschenmaffe, die mich von der Leopoldsvorstadt durch die Kärnthnerthorstraße geführt, ihren unaufhaltsamen Lauf nach dem Graben fortsetzte und mich auf den Stephansplatz warf an den herrlichen Dom, meinen Hafen. Ja, es war eine sichere Bucht für mich und mein Herz. An sein Portal lehnte ich mich und sah eine lange Zeit in das Gedränge auf den Straßen. Obgleich der Wiener der fröhlichte, friedlichste Mensch von der Welt ist, obgleich sich das Leben Wiens auf den Straßen nur freundlich, sonntäglich geputzt zeigt, so fühlt sich doch der einsam wandelnde Fremde, ich wenigstens, nicht heimisch in diesem Gewühl. Jeder Mensch ist so viel Egoist, daß es ihm da, wo er gänzlich verschwindet, nicht ganz behaglich ist. Mir war besonders ein Gedanke, der mir zuweilen auf- stieg, fehr fatal. Wenn nämlich irgend ein Fiaker in einem Diensteifer dich mausetodt fährt, dachte ich, so weiß von all den tausend Menschen nicht einer, daß du gestorben, sondern es ist nur ein Mens ch da und da überfahren worden. Man sieht, daß ich meine Schwächen redlich eingestehe, und fo stand ich denn an der Stephanskirche und es war mir, als sagte das alte Gebäude: Bleibe du nur hier und ruhe dich aus, sie werden uns Beide nicht umrennen. So bin ich denn auch in spätern Spaziergängen durch die Kaiserstadt gern in die Kirche getreten oder habe an ihren grauen Mauern einige Minuten mit einem wohlthuenden Gefühl gerastet. Heute fah ich den Stephansthurm zum ersten Mal, ein coloffalles stolzes Gebäude, eisgrau und steinalt. Leider war er rings mit einem Gerüste umgeben, indem die acht Klafter der Spitze, die man abgenommen, weil sie baufällig waren, wieder neu aufgesetzt wurden. Es that mir leid, ihn mit 12 fo verstümmeltem verbundenem Haupte zu sehen. Doch hatte das schöne ernste Bauwerk einen bleibenden Eindruck auf mich gemacht; nicht so die innere Ausschmückung der Kirche. Ich fand dieselbe ohne vielen Geschmack, überladen, und das Bild des Kölner Doms trat lebendig vor mich hin, mit seinen einfachen grauen Pfeilern, den Riesen, an denen man ehrerbietig mit leisem Schritte vorbei geht, um die einfachen, schönen Spitzbogen des Chors zu bewundern, die sich stolz und kühn in einer ungeheuren Höhe wölben. Von den andern Kirchen Wiens sah ich noch die St. Peterskirche, welche der Peterskirche in Rom nachgebildet ist, und die Hofpfarrkirche der Augustiner, in welcher das herr- liche Grabmal der Erzherzogin Christine, von Canova gear- beitet, wirklich wundervoll ist. Von der Stephanskirche schlenderte ich über den Platz zum Stock am Eifen, welcher seinen Namen einem Baum- stamme verdankt, der da in einer Nische zu sehen und über und über so mit Nägeln beschlagen ist, daß er auf diese Art eine vollständige eiserne Rinde erhalten hat. Die Sage, die um alle dergleichen Gegenstände ihre poetischen Fäden schlingt, erzählt von ihm: Ein Schloffergeselle liebte die Tochter eines Meisters, der sie ihm jedoch nur unter der Bedingung zur Frau geben wollte, wenn der Geselle die Geschicklichkeit besäße, zu einem überaus künstlichen Schloffe, das der Meister hatte, einen Schlüffel anzufertigen. Nach vielen mißlungenen Versuchen und als er die Unmöglichkeit einfieht, das Meisterwerk zu Stande zu bringen, wandert der Geselle in den Wald hinaus und beklagt da laut die Hart- herzigkeit des Vaters. Plötzlich erscheint ihm ein Kobold und verspricht bei der Anfertigung des Schloffes behülflich zu seyn, wenn der Geselle dafür in einen bezeichneten Baum einen Nagel einschlagen und denselben auf diese Art von einem bösen Zauber befreien wolle. Mit Freuden erfüllt 13 der Geselle diese Bedingung, erhält einen Schlüffel und hei- rathet. Seit der Zeit lief Jeder, der einen Wunsch auf dem Herzen hatte, in den Wald zu dem Baum, schlug einen Nagel ein und wartete, ob nicht ein Kobold erscheine, welcher ihm helfen wolle. Ob dieß Mittel den Geist aufs Neue hervorgerufen hat, kann ich nicht sagen. Doch war der Baum in kurzer Zeit fo über und über mit Nägeln beschlagen, wie er jetzt auf dem Platz nahe bei der Stephanskirche zu sehen ist. Dieß erzählte mir ein freundlicher Wiener, den ich um Auskunft gebeten, während er mich nach dem Cavalier- Casino begleitete, wo ich mir mit meinen Reisegefährten ein Rendezvous gegeben hatte. Die Sitte in Wien, auch Mittags nach der Karte, anstatt wie bei uns an einer oft langweiligen Table d'Hôte zu speisen, und da verzehren zu müffen, was einem vorge- jetzt wird, ist besonders für den Fremden sehr angenehm. Man sucht sich auf dem reichhaltigen Speisezettel aus, was einem schmeckt oder was man kennen zu lernen wünscht, braucht sich dabei an keine Zeit zu binden, sondern kann von Vormittags eilf Uhr bis Abends zu jeder beliebigen Stunde dinieren. Nur kommt das Effen nach der Karte etwas theurer zu stehen, als die Wirthstafel. Was Güte und Billigkeit der Speisen betrifft, so wie die elegante Ausstat- tung des Locals, kann ich jedem Fremden das Cavalier- Casino auf dem Mehlmarkt empfehlen; es ist das ehemalige Palais des Prinzen Eugen von Savoyen. - - - Eine Unbequemlichkeit für den Fremden, welche uns beständig bei dem Bezahlen belästigte, ist das Rechnen mit sogenannten Scheingulden. Jede Zeche im Gasthof, jede Waare, die man kauft, wird darnach berechnet, was man dann in Conventionsmünze reduciren und so auszahlen muß. Ein Gulden Schein beträgt vier und zwanzig Kreuzer Con- ventionsmünze oder zwei G. Sch. sind gleich fünf G. M. 14 Dies Umsetzen ist mir besonders bei kleinen Summen fehr beschwerlich geworden und ich habe mich dabei meistens auf die Ehrlichkeit der Wiener verlaffen, wobei ich nie zu kurz gekommen bin. Ein sehr elegantes Kaffeehaus ist auf dem Josephsplatz. Man bekommt dort zum Kaffee gestopfte Pfeifen, ein Anflug von türkischer Sitte und äußerst angenehm. Wir faßen oft an den Fenstern dieses Caffehauses und schauten auf den schönen Platz hinaus, wo die Reiterstatue Joseph II. steht. Dieser Platz ist auf drei Seiten von Gebäuden der kaiserlichen Burg eingeschloffen, links ist das Naturalienkabinet und die kaiserlichen Redoutensäle, rechts das Burgtheater und die Bibliothek. Mit vieler Muße konnten wir uns hier das kaiserliche Militär ansehen, das in den verschiedensten Waffen- gattungen jeden Augenblick bei uns vorbeispazierte. Abge- fehen von den verdächtigen Haselstöcken, womit die Corporale paradierten, gefielen uns Uniform, Waffen und Haltung der Leute sehr wohl; vor Allen die Ungarischen Garderegimenter, welche hier liegen. Sie haben eng anliegende blaue mit gelben Lizen besetzte Hosen, ein Ueberbleibsel ihrer National- tracht. Ein Bekannter erzählte uns von diesen Ungarn, man habe ihnen, wie den andern Truppen, weite leinene Bein- kleider gegeben, um ihnen während der Sommerhitze einen leichtern Anzug zu verschaffen; doch hätten sie sich lange eweigert, dieselben zu gebrauchen, und als sie endlich doch in 4" neuen weißen Hosen fo während der Hundstage auf die Wache ziehen mußten, hätten sie dennoch unter denselben ihre engen blauen Hosen getragen. Indeß ist dies Geschicht- chen ohne Zweifel nur ein Wiener bon mot. Wenn das Militär die Wache in der Burg bezieht, so muß es zu demselben Thore wieder hinaus, wo es ein- marschiert ist. Es darf nicht durch die Burg ziehen, mit Ausnahme des Graf Ignaz Hardegg'schen Regiments, früher 15 Dampierre Cürassiere. Dieß hat sich durch feine besondere Anhänglichkeit an das Kaiserhaus bei dem Aufstande im Jahre 1618 das Recht erworben, sein Hauptquartier im Schloßhofe aufzuschlagen, und durfte auch drei Tage dort öffentliche Werbung anstellen. Der jedesmalige Oberst dieses Regiments geht noch heute unangemeldet zum Kaiser. Eines Abends hatte Johann Strauß, der Walzerkönig, eine musikalische Unterhaltung im Volksgarten angekündigt. Wir gingen hin und ich wunderte mich nicht wenig, nur zehn Kreuzer Entree zahlen zu müffen, denn ich erinnerte mich noch lebhaft der zwei Thaler preußisch Courant, die ich einstens in Köln für denselben Genuß gezahlt hatte. Strauß dirigierte selbst, und man kennt den blaffen hagern Mann hinlänglich, so wie auch feine entzückende Musik. Ich glaube beim Klange derselben hätte es keines der hier versammelten sehr eleganten Männer- und Damenwelt ausgehalten, ruhig fizen zu bleiben, weshalb auch alle auf- und abgingen, genau nach dem Takte der Musik, eine wohl besetzte glänzende Polonaise ausführend. Wie verschwand uns die Zeit! Ich sprach noch M. G. Saphir, dem ich brieflich empfohlen war und welcher mich auf den folgenden Tag zu fich einlud. Ehe wir's uns versahen, war es sieben Uhr geworden; also rasch ins Burgtheater. So hat man in Wien jede Sekunde nöthig und könnte noch zwölf Stunden zu den uns täglich vergönnten brauchen, um dieß bewegte lustige Leben in kurzer Zeit zu schmecken und nur einigermaßen zu genießen. Außer dem Burgtheater besuchten wir die kleineren Bühnen der Vorstädte und vor allem das Theater an der Wien, unter der Leitung des Directors Carl, das dieser, so wie die beiden trefflichen Komiker Scholz und Nestroy, täg- lich durch neue Poffen zu füllen wissen. Von den Bilderschätzen, die Wien besitzt, ließ uns theils eigene Schuld, theils Zeitumstände, fast nichts fehen. 16 Die schöne Esterhazy'sche Galerie stand in Kisten gepackt und war deshalb nicht zu sehen, und um die k. k. Gemälde- jammlung im Belvedere zu besuchen, hatten wir den dazu bestimmten Tag – es ist der Dienstag – versäumt. Doch hätten wir bei der wenigen Zeit, die wir zum Aufenthalt in Wien bestimmt hatten, und bei den vielen Schönheiten, die man, wenn auch nur oberflächlich, ansehen mußte, diese Bildersammlungen doch nur flüchtig beschauen und wenig davon genießen können. Ein guter Zwanziger Conventions- Münze verschaffte uns dagegen Eintritt in das k. k. Zeug- haus, wo seltene und kostbare Waffenschätze wirklich sinnreich und geschmackvoll aufgestellt sind. Im Hof, wo einige hundert Feld- und Belagerungs-Geschütze aus alten Zeiten auf Balken liegen, sahen wir an den Mauern, die ungeheure, 160.000 Pfund schwere Kette aufgehängt, mit welcher die Türken im Jahr 1529 bei Ofen den wahnsinnigen Versuch machten, die Donau zu sperren. Wir erstiegen eine Treppe, und fanden oben im ersten Saal eine große Gesellschaft von Herren und Damen um einen der Aufseher versammelt, welcher nach Art der Meßbuden-Inhaber die Erklärung der aufgestellten Waffen und Rüstungen auswendig und ge- dankenlos herplapperte. Die ersten Säle enthielten Flinten und Säbel der neuern Zeit, welche in Pyramiden und Wandverzierungen aufgestellt und arrangiert waren. In einem der folgenden Säle waren alte Waffen, als Gewehre mit Radschlöffern, Sensen, Kolben, Streitäxte, und hier fiel mir besonders die Deckenverzierung auf. Es war der östreichische Doppeladler, aus Säbeln, Meffern, Flintenläufen, Bajonetten, kupfernen Beschlägen, ungemein künstlich und schön zusammen- gesetzt. Ferner sahen wir bei unserer Wanderung durch zwölf Säle die Rüstungen vieler deutscher Kaiser, so wie die des Königs Ludwig II. von Ungarn, der bei Mohacs von den Türken verfolgt in einen Sumpf versank und umkam. 17 - Der arme kleine König war 21 Jahre alt und hatte die Gestalt eines zehnjährigen Knaben. Von allen diesen alten eisernen Figuren, welche drohend von ihren Gestellen schauten, haben keine einen größeren Eindruck auf mich gemacht, als die Rüstungen der beiden Böhminnen Libuffa und Wlasta, die einander in einem der letzten Säle gegenüber standen. Das Visier der letztern war herabgelaffen und zeigte eine fratzenhafte menschliche Gesichtsbildung, zwei runde Löcher bildeten die Augen und unten war eine Reihe spitzer Zähne eingeschnitten. Das ganze Waffenzeug zeigte, daß die böhmische Magd eine coloffale Figur gehabt haben muß. Libuffa, die schöne Herzogin, stand schmächtig und zierlich gebaut da; an ihren eisernen Stiefeln fielen mir die unge- fähr einen Fuß langen scharfen Spitzen auf, mit denen fie, wie unser Mentor unbefangen erzählte, im Bade ihre Lieb- haber ermordet hätte. Mit einem eigenen Gefühl legte ich meine Hand auf das zerschossene Koller Gustav Adolphs, lauschte an Wallensteins Harnisch, ob nicht das heftige Klopfen seines ehrgeizigen Herzens vielleicht noch unter dem Eisen nachklinge, und summte, als ich ein altes ledernes Wams berührt, das zerfetzt und bestaubt an der Wand hing, ein bekanntes Lied vor mich hin, welches anfängt: „Prinz Eugen, der edle Ritter c.“ denn ein Unterkleid war es, was uns der Aufseher mit vieler Ehrerbietung zeigte. Eine längst vergangene großartige Zeit umgab uns hier, und wenn das Herz nur einigermaßen warm in der Brust schlug, mußte diesen Friedhof feierlich gestimmt verlaffen. So vergingen die acht Tage, welche wir in Wien zu- brachten, wie eben so viele Stunden. Im Fluge bejahen wir Schönbrunn mit feinen schnurgeraden Alleen und winkel- recht verschnittenen Hecken in alt französischem Geschmack, so Hackländer, R. in d. O. I. 2 18 wie die Menagerie, die sich jedoch nicht im besten Zustande befindet. Ehe wir's uns versahen, saßen wir eines Morgens mit unserer Maffe von Koffern und Nachtsäcken in einem Fiaker und fuhren durch den Prater, wo wir uns besonders an den zahlreichen Hirschen, die da herumspringen, manche Stunde amüsiert hatten. An den sogenannten Kaisermühlen lag das Dampfboot Galathea, auf welchem wir unsere Plätze bis Peth genom- men hatten. Für die späte Jahreszeit trafen wir auf dem Schiffe noch eine zahlreiche Gesellschaft; man hörte deutsch, englisch, französisch, ungarisch, lateinisch, italienisch und die Eigenthümer dieser verschiedenen Sprachen hatten auch eben so viele verschiedene Physiognomien. Vor Allen gefiel mir der Ungar mit einem edlen stolzen Gesicht von dunkler Farbe und mit den schwarzen Haaren, besonders durch eine zuvor- kommende freundliche Zuneigung gegen uns Fremde. Ich muß gestehen, ich habe von keiner andern Nation, besonders von meinen Landsleuten, wenn sie mir unbekannt waren, so viel Artigkeit erfahren. Auf dem Verdeck setzte sich ein ungarischer Bauer zu uns, und bemühte sich, uns die Na- men einiger der nöthigsten Gegenstände in seiner Mutter- sprache beizubringen; so z. B. Fekete Café – schwarzer Kaffee; Pipa – Pfeife; Dohàny – Taback c. Die Gegend hier ist wenig interreffant; die ganz flachen Ufer erheben sich erst bei Fischament an der rechten Seite wieder mehrere Fuß über dem Wafferspiegel; bei Petronell sieht man den Triumphbogen des Tiberius, dann später die Ruinen des römischen Carnuntum. Eine Strecke weiter hinab bildet der Strom eine Art See, an dessen Ende man Hainburg (Hunnenburg) erblickt. Man sieht vor diesem Orte einen sechzig Fuß hohen Hügel mit einer Ruine König Etzels – unter dem Volk als Attilas Reste bekannt, und erinnert sich des Nibelungenliedes. Am linken Ufer des 19 Stroms steigen nicht weit von Preßburg die Ruinen des Schloffes Theben (Deven) empor. Sie liegen auf den Ausläufen der kleinen Carpathen, die hier bis in die Donau treten. Swatopolk, der Gründer des großmährischen Reiches und der Erbauer des Preßburger Schloffes soll im neunten Jahrhundert hier gehaust haben. Der Weg von Wien nach Preßbmrg beträgt zu Lande zwölf Stunden, die wir in drei gemacht hatten. Wir waren um zwei Uhr abgefahren und erreichten Preßburg gegen fünf. Wir machten einen Gang durch die Stadt; doch hinderte uns die eintretende Dunkel- heit viel zu sehen. Der Mond aber, der an dem klaren Himmel emporstieg, lockte uns ins Freie, weßhalb wir auf sehr holprigem und schlechtem Wege zu dem alten Schloffe Preß- burgs emporstiegen, das auf einem steilen Felsen der Donau gelegen, weit das Land beherrscht und uns von seinen zer- fallenen Mauern auf die vom Vollmond beleuchtete Gegend und den schönen Strom eine herrliche Aussicht gewährte. Die Schloß-Ruine zeigt noch ein regelmäßiges Viereck mit Thürmen versehen und hat in seiner Lage über der Stadt der lustigen Preßburger und mit dem hinten überragenden Bergen Aehnlichkeit mit den unvergleichlichen Ruinen des Heidelberger Schloffes. Sie ist nur von einem armen Hirten bewohnt, der an einer der mächtigen Mauern ein hölzernes Häuschen gebaut hat. Er hatte sein Stübchen beleuchtet und faß, aus einer kurzen Pfeife rauchend, vor feiner Hütte, wie wir den wundervollen Abend genießend. Seine Schaafe liefen in dem Gemäuer herum und wir hör- ten das Läuten der Glöckchen, die einige von ihnen am Halle trugen. Am folgenden Morgen fuhren wir gegen halb sechs Uhr von Preßburg ab, waren aber kaum eine Stunde ge- gefahren, so brachte unser Conducteur die untröstliche Nach- richt, daß wegen dem kleinen Waffer gestern im Herauf- 2 k 20 fahren das Schiff Nador auf einer seichten Stelle, an welche wir gleich kämen, beinahe sitzen geblieben fey und da man befürchte, uns könnte ein ähnliches Schicksal bevorstehen, haben die Capitäns beider Schiffe gegenseitig die Ueberein- kunft getroffen, ihre Paffagiere zu wechseln. Wir warfen eine Viertelstunde von dem Nador entfernt die Anker und unsere Paffagiere, vielleicht 130 an der Zahl, betraten vermittelt eines Gangbordes das Ufer, an dem wir eine Strecke auf- wärts gingen und dann in einer großen Schaluppe an das andere Schiff gebracht wurden. Diese Uebersiedlung hielt uns an zwei Stunden anf und es war noch ein Glück zu nennen, daß wir wenigstens gutes Wetter hatten. Gegen Mittag kamen wir nach Comorn, der jungfräulichen Festung, wo wir an der Donau viele Getreidemühlen und auch einige Goldwäschereien sahen, welche letztere jedoch hier wenig ab- werfen, denn ein recht geschickter, fleißiger Wäscher kann den Tag höchstens dreißig Kreuzer verdienen, obgleich er von dem Ertrag gewisse Prozente bekommt. Das Ufer hier ist mit Reben und Obstbäumen bepflanzt und wird unterhalb Comorn wieder sehr hügelig. Bei Gran auf einem steilen Felsen wird eine schöne Kirche erbaut; das mit Gerüst um- gebene Gebäude hatte mit der Walhalla bei Regensburg einige Aehnlichkeit. Wir sahen die Bergveste Viffegrad, die Plentenburg, wo Mattgias Corvinus einige Zeit wohnte, in der schönsten Abendbeleuchtung. Als wir bei Weizen vorüberschifften, ging der Mond auf, und ein weißes Licht, womit er die Ufer fast taghell erleuchtete, versprach uns einen prächtigen Anblick der beiden großartigen Städte Ofen und Peth. Nachdem wir schon eine Stunde vorher den hohen Blocksberg mit seiner Sternwarte in dunkeln Umriffen gesehen, lagen die gewaltigen Häusermaffen dieser Städte vor uns. Das Schiff begrüßte mit drei Kanonenschüffen das Ziel feiner heutigen Fahrt, welche mit lautem Donner in den 21 Bergen wiederhallte. Links lag die an den Berg hinan gebaute Festung Ofen mit der Stadt, welche in einer Aus- dehnung von ungefähr einer Stunde längs der Donau ge- baut ist, und auf der Krone der Festungswerke das Schloß, in welchem der Palatin von Ungarn wohnt, rechts Pesth mit tausenden erleuchteten Fenstern und den Ufern voll Menschen, welche der Ankunft des Dampfbootes entgegensahen. - Wir stiegen zu dem Gasthof der Königin von England ab; er liegt an dem Quai und seine Fenster gewähren eine Ansicht auf Ofen, auf den schönen Strom und das rege Treiben an den Ufern und auf der großen Schiffbrücke. Kaum hatten wir uns zu Tische gesetzt und die ersten Gläser feurigen Türkenbluts zu uns genommen, als plötzlich in Ofen die Glocken zu läuten begannen und ein Kellner die versammelten Gäste durch die Botschaft in Aufruhr brachte, es fey drüben Feuer ausgebrochen. Wir stürmten hinaus und hatten einen großartigen Anblick. An dem einen Ende Ofens fand ein großes Haus in vollen Flammen, die sich in den Wellen der Donau glühendroth wiederspiegelten. Wir nahmen ein Boot und fuhren ans jenseitige Ufer gegen die Brandstätte. Das Fahrzeug schien in purer Flamme zu tanzen, und es war entzückend zu sehen, wie die rothen Wellen durch die Ruderschläge zertheilt rechts und links neben uns, wo das Mondlicht den Glanz des Feuers bewältigte, in tausend silberne Sternchen aufflogen. So schön der Anblick für uns, um so trauriger war er für die armen Leute, deren Häuser – es brannten zwei nieder – ein Raub des gefräßigen Elementes wurden. Doch sind die Lösch- und Rettungs-Anstalten in Peth sehr gut und die Abgebrannten sollen wenig verloren haben. Trotz der Flamme des Bran- des, die meine Phantasie und des feurigen Ungarweins, der mein Blut durchglühte, schlief ich sehr gut und träumte von der Heimath. 22 Nur zwei Tage brachten wir in Perth zu, die wir da- zu anwandten, einige Merkwürdigkeiten der Stadt zu sehen, so wie unser Reisegeräthe so viel wie möglich zu vervoll- kommnen. Vor Allem bestiegen wir den Blocksberg, auf dem linken Ufer der Donau, von welchem man eine herrliche Aus- ficht auf die weite ungarische Ebene, so wie auf die beiden schönen Städte genießt, die mit dem dazwischen fließenden Strome einen imposanten Anblick gewähren. Neben der langen Schiffbrücke, die Ofen und Pesth bis jetzt verband, wird ungefähr zweihundert Schritte abwärts von ihr eine neue Kettenbrücke gebaut, von der wir die ersten Pfeiler schon eingerammt sahen. Viele Stunden brachten wir auf dem Quai zu, wo uns die sonderbaren Costüme und das rege Treiben der Ungarn sehr anzog. Meistens find es schlanke magere Gestalten mit gebräunter Gesichtsfarbe und schwarzen Augen und Bart. Die Kleidung der niedern Volksclaffen, besonders der Bauern und Schiffszieher, besteht in weiten Hosen, mit einer langen Jacke von Schafspelzen. Die Leute, welche das Ziehen der Schiffe vermittelt ihrer Pferde besorgen, gaben unserem Maler mannigfaltigen Stoff zu sehr interessanten Skizzen. Ihre kleinen mageren, aber sehr star- ken Pferdchen sahen wir von der Arbeit ermüdet oft in gro- ßen Gruppen um ein ausgebreitetes Tuch liegen, von dem fie ihr geringes Futter verzehrten, und die Treiber lagen da- zwischen aus kleinen Pfeifen rauchend. Es lag im Plan unserer Reise, die Donau-Dampf- boote bis gegen Rutschuk zu gebrauchen und von dort über den Balkan nach Constantinopel zu reiten, zu welcher Tour wir uns hier in Peth und nach unsern Begriffen auf's Beste einrichteten. Doch würden wir von all den Artikeln, die wir hiezu kaufen, wenn wir noch einmal in den Fall kämen, diese Reise zu machen, den größten Theil zurück- laffen und uns dafür ganz andere anschaffen. Das Erste, 23 wozu ich jedem, der nach uns diesen Ritt machen will, rathe, ist, sich einen guten englischen Sattel zu kaufen, denn wie sehr wir später bedauerten, keinen mitgenommen zu haben, wird sich jeder, der uns von Rustschuk aus mit einiger Aufmerksamkeit folgt, leicht denken können. Ein guter Sattel ist in jenen Gegenden unbezahlbar. Ferner kaufe man sich eine Bun da, mit welchem Namen die Ungarn einen sehr weiten Mantel bezeichnen, der aus schwarzen oder weißen Schaffellen besteht. Die Narbenseite des Leders, die bunt ausgenäht ist, wird bei trockenem Wetter nach Außen ge- tragen und bei schlechtem Wetter macht man es umgekehrt, damit der Regen und Schnee an dem dicken Pelz herabfällt. Die Bunda ist das gewöhnliche Kleidungsstück der Ungarn und man kann ganz geringe von zehn Gulden, so wie feine von zweihundert Gulden W. W. kaufen. Zu einer ähnli- chen Reise wie die unsrige thut aber eine von zwanzig bis fünf und zwanzig Gulden die besten Dienste. Diese sind schon sehr weit, von dickem Pelz und hartem Leder und bald kann man sie als Mantel, bald als Bett und Bettdecke zu- gleich gebrauchen. An Kleinigkeiten, die man sich zum An- denken aus Peth mitnimmt, findet man unter Andern lederne Tabaksbeutel, die mit bunder Seide zierlich ausgenäht sind, Co stek genannt, die ihrem Zweck vollkommen entsprechen. Die ungarischen, unzubereiteten Tabacke sind berühmt, sowie die kleinen, braunen Pfeifenköpfe aus Erde. Wir nahmen mehrere mit, so wie Lettinger Taback und Weißkirchner Cigarren. Den Abend vor unserer Abreise besuchten wir das unga- rische Nationaltheater und hörten den Barbier von Sevilla in der Landessprache. Das Gebäude, besonders sein Inneres, ist sehr geschmackvoll eingerichtet und wird durch Gas er- leuchtet, war aber heut Abend erstaunlich leer. Am 18. Oktober Sonntag Morgens um sechs Uhr be- 24 g stiegen wir aufs Neue das Dampfboot, das sich mit drei Kanonenschüffen von Ungarns Hauptstadt verabschiedete und mit sechs Flaggen versehen, worunter die großbritanische und die türkische, brausend die Donau hinabfuhr. Es war der Zriny, der, ebenso wie der Nador, auf dem wir die Fahrt bis Pesth gemacht, vor ein Paar Jahren den hochverehrten Herrn von Schubert, dessen Reisebeschreibung wir bei uns hatten, auf der gleichen Reise nach dem Orient durch Oest- reichs und Ungarns Fluren führte. Bald war Ofen, Peth und der hohe Blocksberg untern Augen entschwunden und das große schöne Schiff, den Helden Zriny mit dem Buszogan, eine Art Morgenstern bewaffnet, in weißer Rüstung vorn am Kiel, flog rasch durch die grüne Wafferstraße. Rechts und links sanken die Ufer fast bis auf den Wafferspiegel und schienen den Helden zu grüßen, dessen Name aus den unüberseh- baren Ebenen, durch welche wir nun fuhren, bis zu den fernsten Enden Europa"s gedrungen war. Zriny und Sigeth hallte es in meiner Brust wieder, als ich vorn am Schiffe stand und feinem Brustbilde zu schaute, das die Wellen zertheilte, wie vor dem sein Arm die Türkenschwärme. Die felsigen Ufer des Stroms, welche uns mit kurzen Unterbrechungen bis Pesth so ziemlich zur Seite geblieben waren, verschwanden gänzlich, und sehr langweilige Flächen, bald mit Gras und Haide, bald mit niederem Laubwerk be- wachsen, traten an ihre Stelle. Wir blieben noch eine Zeit lang auf dem Verdeck und sahen dem Treiber einiger für uns fremdartigen Vögel zu; über uns flogen wilde Gänse, fchwarze Pelikane und Löffelgänse hielten in dem Strom ihr Frühstück. Auch erblickte ich einen Seeadler, der dem Laufe des Schiffes, wie mit stolzer Verachtung zuschaute und sich als dann hoch in die Luft aufschwang. Obgleich der Morgen fehr schön gewesen war, überzog sich der Himmel doch wenige Stunden nach unserer Abfahrt, und ein sehr scharfer Wind 25 nöthigte uns zum Rückzug in die Kajüte, wo uns ein star- ker Regen, der gleich darauf vom Himmel stürzte, Muße genug ließ, unsere Reisegesellschaft anzusehen, die wirklich heute äußerst intereffant zusammengesetzt war. Die beiden Kabinen auf dem Verdeck hatte der right honourable Lord Londonderry, fo stand nämlich fein Titel und Name auf allen feinen Kisten und Koffern, mit feiner Gemahlin ein- genommen, weshalb das Schiff oben ganz englisch aussah; denn die achtzehn Leute feines Gefolges, Kammerdiener und Kammerfrauen, Kutscher, Köche, überrannten sich und die übrigen Gäste beinahe mit ihren Theekannen und Beefsteak- pfannen und hatten gegen die frischen regsamen Physiognomien der Ungarn ganz entsetzlich langweilige Gesichter. Seine Herrlich- keit war ein mittelgroßer Mann mit grauen Haaren, der den Hut beständig auf dem Hinterkopf hängend trug; dabei aber fah er jedem, der ihm auf dem Verdeck begegnete, freundlich und fehr aufmerksam in's Gesicht. Die Lady, die schon hoch in den vierzigen war, mußte in ihrer Jugend eine große Schönheit gewesen seyn, von der man noch jetzt an ihr gut erhaltene Ruinen entdeckte. Uebrigens brauchte sie auch wahrscheinlich alle möglichen Mittel, ihren Teint zu erhalten: fie kam fast gar nicht an die Luft, denn in den fünf Tagen, wo wir mit ihr zusammen auf dem Schiffe waren, hatte man fie nur dreimal auf dem Verdeck gesehen. Doch saß sie fchon vom frühen Morgen an in großer Toilette in ihrer Kajüte, nahm Besuche an oder ließ sich von dem Herrn Gemahl und ihrem Guide fagen, wo sie sich gerade befand, ohne der Gegend selbst manchen Blick zu schenken. Unten in der großen Kajüte war der bekannte Emin Pascha, ein junger, sehr liebenswürdiger Mann, der außer feiner Landes- sprache französisch und englisch verstand und sich sehr gerne mit uns unterhielt. Er reiste in Begleitung eines Arztes, eines Italieners, nach Constantinopel zurück. In Paris, 26 London und Wien war er gewesen und hatte in diesen Städten Kriegswiffenschaften studiert. Für und gegen das Reisen mit dem Dampfboot oder dem Wagen ist schon viel gesprochen worden. Der Wagen hat etwas Heimliches, etwas sehr Angenehmes, wenn man genießbare Reisegesellschaft trifft; im Gegentheil aber, und ich will nichts darüber sagen, weiß jeder wohl, welche Qualen ein unangenehmes Gegenüber in dem engen Wagen verursachen kann. Auf dem Schiffe ist das ganz anders; den Paffagieren, die uns nicht gefallen, geht man aus dem Wege und braucht in keine Berührung mit ihnen zu treten; woher es aber auch kommt, daß man sich auf dem Schiffe leicht isoliert, und wenn man allein reist, oft sehr langweilt. Wir hatten das Glück, gleich in Peth mit einer äußerst angenehmen Reisegesellschaft zusammen zu kommen, mit welcher wir, bis zu unserem Abgange bei Rustschuk, ich möchte fagen eine große Familie ansmachten. Zu ihr gehörte der Pascha mit feinem Arzt, eine Baronin von B. aus Berlin, die Mutter des Grafen Königsmark, preußischem Gesandten in Constantinopel, eine liebenswürdige alte Dame, die sich aber auf der ganzen Reise unwohl befand, und das traurige Schicksal hatte, ihre Heimath nicht wieder zu sehen, denn sie starb in Bujukdere; ferner der östreichische Oberst- lieutenant von Philippowich, der mit Einwilligung seiner Regierung provisorisch in türkische Dienste getreten war, ein gebildeter Offizier und praktischer Geschäftsmann. Schon früher hatte er sich das Verdienst erworben, eine Postroute von Belgrad nach Constantinopel einzurichten. Ihm gelang es, den Fürsten Milosch und den Paschas die Vortheile einer bleibenden sichern Straße durch ihre Provinzen begreiflich zu machen. Er veranlaßte das Aushauen von Wäldern und verstand es, selbst die Einwohner zur Einsicht zu bringen, daß erst durch unverletzliche Heiligkeit des Postwesens Ver- 27 kehr und Handel belebt und dadurch der Wohlstand der Bewohner verbürgt werden könne. Man folgte seinem Rath und von der Thätigkeit dieses Mannes zeugt die gegen- wärtig geordnete Einrichtung, die eine regelmäßige Verbindung zwischen Wien und Constantinopel möglich macht. Jetzt wollte er den Feldzug gegen Ibrahim Pascha mitmachen und war uns noch lange durch die Türkei und Syrien ein lieber Reisegesellschafter. Ein ungarischer Husaren-Offizier, der mit feiner Schwester nach Galacz reiste, ein junger Engländer, Namens Napier, ein Verwandter des englischen Commodore, der Arzt des Lord L., ein artiger alter Eng- länder, waren die Hauptbestandtheile unserer Familie. Wir hielten uns sehr viel in der zweiten Kajüte auf, wo ein viel fremdartigeres Leben herrschte; denn da waren Serbier, Wallachen, Ungarn, Italiener, kurz eine ganze Musterkarte von verschiedenen Menschenarten. In einer Ecke kauerten unbeweglich auf ihren Teppichen ein paar Juden aus Salonich, Vater und Sohn, die ersten Leute, die wir in türkischem Costüm fahen. Sie trugen lange, sehr schmu- zige Kaftans und einen eben solchen Turban. Der Vater, schon ein sehr alter Mann, hatte einen langen schneeweißen Bart, war aber äußerst munter und sah recht gesund aus, wogegen des Sohnes bleiche Gesichtsfarbe, durch den kohl- schwarzen Bart, der sein Kinn umgab, noch schärfer hervor- gehoben wurde. Sie waren Handelsleute und kamen aus Wien. Eine Jüdin aus Bucharest, die ebenfalls hier war, hatte ihre neunjährige Tochter bei sich, ein wunderschönes Mädchen; feurigere braune Augen, als die kleine Skela besaß, hatte ich in meinem Leben nicht gesehen. Die meisten übrigen Passagiere waren Ungarn, die sich, wie ich auch schon früher sagte, durch Zuvorkommenheit gegen uns Fremde musterhaft auszeichneten. Von allen Seiten boten sie uns Tabak und Cigarren an, und es machte ihnen viel Spaß, 28 wenn wir für diese und jene Sachen das bezeichnende Wort ihrer Landessprache hören wollten. Eine niedliche schlanke Ungarn lehrte mich unter Anderem – szep léany heiße ein hübsches Mädchen und szeretlek ich liebe dich; csók bedeute einen Kuß, und den Unterschied eines ungarischen csók gegen einen deutschen brachte sie mir später praktisch bei, und ich muß gestehen, er schmeckte wie Tokaier gegen Rheinwein. In einer Ecke der Kajüte saß ein alter ärmlich ge- kleideter ungarischer Edelmann, der erschrecklich aus seiner kurzen Pfeife rauchte oder Volkslieder fang mit sehr traurigen Melodien. Eine Strophe eines feiner magyarischen Lieder, das er oft ang, lauschte ihm meine hübsche Lehrerin ab und übersetzte sie mir folgendermaßen: Gebe Gott, daß der Ungar Die halbe Welt befäße, Und die mit einem Blute gewonnene Freiheit Nie gestehen müße, daß fie geschmälert fey. Der alte Herr merkte aber gleich, daß das Mädchen uns etwas von seinen Liedern verrathen habe, denn er gab mir einen Wink, ich möchte zu ihm kommen, worauf er mir lächelnd in einem sehr holprichten Deutsch den bekannten Rath gab, ich solle mich vor den Mädchen, besonders vor den ungarischen, in Acht nehmen, und zum Beleg theilte er mir folgende Strophen mit, ein altes Volkslied, das vielleicht feinen größten Werth durch die eigenthümliche, ergreifend traurige Melodie hatte, mit der er es mir später fang. Es reift schon die rothe Zwetschge von Bistritz, Mein wirst du feyn, meine süße Babi, nach zwei Wochen, Schon reift der wilde Apfel; die Braune ist wohl falscher; Schon blüht die weiße Rose; die Blonde ist mehr heimlich. 29 Ich gehe bis ans Ende im Hofe einer schönen Frau, Unwillkührlich blicke ich in ein Fenster hinein, Ich sehe meine Liebste in eines Andern Armen, Nun träfe mich schon. Alles – Gott, wie bedaur' ich. Und sie sagte mir doch, fie fey meine treue Geliebte, Es war aber nur ein eitles Geschwätz; Ich glaube ihren Worten nicht mehr; o könnt' ich beide vergeffen: Falsch ist ihr Leib und Seele, der Blonden wie der Braunen. Der alte Ungar und ich wurden später gute Freunde und rauchten manche Pfeife zusammen. Den ganzen Tag über hatte sich das Wetter nicht gebessert. Bald stürmte der Wind heftig und machte den Aufenthalt auf dem Ver- deck unangenehm, dann regnete es wieder und trieb uns vollends in die Kajüten. Doch abgesehen davon, daß die freie Luft oben viel angenehmer ist, als die Atmosphäre unter dem Deck, verloren wir heute an der Aussicht nicht - viel; denn im Allgemeinen sind die einförmigen Ebenen, durch welche sich von Pesth bis Apatin der Strom hinzieht, ohne Reiz für das Auge; erst wenn man sich den Gränzen des Banats und Serbiens nähert, gewinnt die Landschaft ein großartigeres Ansehen durch die Gebirge Bosniens und Serbiens, welche bei heiterem Wetter von Zeit zu Zeit ficht- bar werden. Abends gegen neun Uhr kamen wir nach Baja, wo wir dicht am Ufer Anker warfen, um, da die Dunkelheit der Nacht es nicht erlaubte, weiter zu fahren, hier den Morgen zu erwarten. Wir richteten uns in den Kajüten so gut wie möglich ein. Die ältern Herren aus der Gesellschaft nahmen die Betten in Beschlag, die da waren, und wir jüngern mußten uns mit den gepolsterten Bänken begnügen. Doch nahm ich meinen Reisesack unter den Kopf, deckte meinen Mantel über mich und man kann denken, daß ich bald ein- schlief; denn war ich nicht gesund, jung, und glücklich, indem ich die schöne Reise in das gelobte Land vor mir hatte. 30 Den folgenden Tag hatte sich das Wetter noch nicht gebeffert, es stürmte und regnete in Einem fort. Ich hatte mich sehr auf die Ufer gefreut, bei denen wir heute vorbei- fuhren; doch erlaubte uns das Wetter nicht viel mehr, als das Land durch die Kajütenfenster zu betrachten. Wir kamen Abends nach Neusatz und Peterwardein, dem Grabe des tapfern Savojerfürsten Eugen, der riesigen Festung, deren Bastionen sich mit zahllosen Feuerschlünden besetzt, hoch über einander erheben. Die Großartigkeit dieser Festung tritt aber dem Vorüberziehenden erst recht ins Auge, wenn er die Landzunge umschifft, welche völlig und eben so riesenhaft befestigt ist. Eine Militär-Schiffbrücke, die aber Morgens und Abends nach gegebenem Signalschuß gesperrt wird, ver- bindet Neusatz mit Peterwardein. Wir brachten die Nacht am Ufer zu und verlebten den folgenden Tag, den 20. O- tober, fast wieder beständig in den Kajüten. Heute behan- delte uns aber auch der Himmel auf die betrübendste Weise. Der Regen strömte vom frühen Morgen herab, und als wir gegen Mittag 11 Uhr bei Semlin anlegten, war es nur der alte bekannte Name dieser Stadt, der mich bewog, das Schiff zu verlaffen, um den Platz zu sehen, von dem das alte Lied sagt: Bei Semlin schlug man das Lager, Alle Türken zu verjagen. - Ich kaufte mir zum Andenken an diesen Ort einen Pfeifenkopf, den ich noch heute aufbewahre. Nach einigen Stunden lichteten wir aufs Neue die Anker und sahen bald Belgrad vor uns liegen. Hier befindet man sich schon halb in der Türkei; nur das linke Ufer gehört noch zu Oestreich, daher auch die Schiffe demselben möglichst nahe bleiben, indem durch die Berührung der rechten Seite man die Pest oder nach der Rückkehr in's Oestreichische Gebiet die Quaran- taine zu fürchten hat. Ich kleidete mich gerade etwas um, da mich die Tour nach Semlin sehr durchnäßt hatte, als 31 ich bemerkte, daß unser Schiff nach einem gelinden Stoße plötzlich fest faß. Alles lief auf's Verdeck, wo wir bald gewahr wurden, daß wir auf einer Sandbank mitten in der Donau festsaßen. Im dichtesten Regen ließ man die Boote in’s Waffer, um seitwärts einen Anker zu werfen, an dem man das Schiff vermittelt der Wende drehen und von der Bank herunter bringen könne. Doch mußte dies Manöver mehrmals wiederholt werden, ehe sich das Schiff von der Stelle bewegte, und auf diese Art dauerte es mehrere Stunden, bis wir wieder flott wurden. - Das beständig dunkle Wetter und die dichten Nebel, die jede Aussicht sperrten und uns den Morgen erst spät abfahren und den Abend früh anhalten ließen, hemmten sehr den Fortgang unserer Reise, und ließen uns die Station, bis wo unser Dampfboot, der Zriny, ging, statt heute, erst morgen erreichen. Schon früh am Abend zwang uns die Dunkelheit, diesmal mitten in der Donau anzuhalten, und wir kamen erst am 21. gegen Abend nach Drenkowa, eine Station der Dampfschiffe, welche aus zwei Häusern, wovon das eine ein Kohlenmagazin, das andere ein Gasthaus für Fremde ist, oder vielmehr feyn foll, besteht. Doch fanden wir es so ärmlich eingerichtet, ohne Betten, daß es keinem von uns auch nur in den Sinn kam, das wohl eingerichtete Dampfboot die Nacht über zu verlaffen. Wir hatten hier ein sonderbares Abenteuer. Der Maler F., Doctor B. und ich gingen, als der Regen etwas nachgelaffen hatte, an den Strand, wo wir kleine Kiesel und Muscheln auflasen. Plötzlich deutete F. in die Berge hinauf, die hier mit dichtem Wald bewachsen, an's Ufer der Donau treten, und behauptete, da oben einen Bären gesehen zu haben. Ich muß gestehen, es kam mir auch so vor, als habe ich im Augenblick ein großes Thier zwischen den Ge- büschen verschwinden gesehen. Wir eilten ins Schiff zurück, 32 nahmen unsere Gewehre und stiegen, in Begleitung von einigen. Andern aus der Gesellschaft, die Höhen hinan. Wirklich fanden wir auch oben auf der Höhe die Spuren eines großen Raubthiers. Doch war der Boden sehr un- günstig mit dickem Laub bedeckt, weshalb wir die Fährte nicht genau unterscheiden und verfolgen konnten. Ein paar Stunden liefen wir so in den Bergen herum, ohne jenes Thier wieder zu sehen. Doch schoß der Maler einen Fuchs und der Baron v. T. und ich einen Reiher, der, als wir wieder zur Donau hinabstiegen, vor uns aufging. Am folgenden Morgen spähten wir, ängstlicher als die vorhergehenden Tage, nach dem Wetter; denn heute mußten wir das Dampfboot verlaffen und uns einem kleinen flachen Fahrzeug anvertrauen, denn nur auf einem solchen gelangt man über die vielen Untiefen. Nachmittags kamen wir an eine der prächtigsten Stellen der Donau, wo dieselbe an zweitausend Schritte Breite hat, und mit ihren wilden Felsufern den schönsten See bildet. Vor uns sahen wir ein altes Schloß mit hohen Thürmen und Mauern, Columbacs, dessen Werke sich auf einen fpitzen Felskegel hinauf- und hinabziehen. Dies Schloß hat ein wunderbares, geheim- mißvolles Aussehen, und gewährt, in der gewaltigen wilden Natur allein stehend, einen der schönsten Anblicke. Der Sage nach war der Thurm dieses Schloffes, der am höchsten liegt, das Gefängniß der schönen griechischen Kaiserin Helene. Am Fuße dieses seltsamen Gebäudes verengt sich der mächtige Strom auf einmal bis auf eine Breite von vierhun- dert Schritt und fließt zwischen senkrechten himmelhohen Fels- wänden, wie in einer düstern Schlucht in rascherm Laufe weiter. Auf der linken Seite des Stromes, dem Columbaeser Schloffe gegenüber, befindet sich ein hoher kegelförmiger Fel- fen, Babekage, von dem man erzählt, daß ein Fischer, der eine sehr böse Frau gehabt habe, sie unter dem Vorwand, 33 dort unter dem Felsen Netze auszustellen, mit hinaufgenom- men und gleich einer zweiten Ariadne verlaffen, wo sie aber elend ums Leben gekommen. Nicht weit davon sieht man aus dem Strom zwei kleinere Felsen emporragen, wegen ihrer seltsamen Gestalt nach der man fie, aus der Ferne gesehen, für zwei schwimmende Büffel halten könnte, Bivoli genannt. So schön diese Gegend ist, so schön die malerischen Felsenwände, mit dem saftigsten Grün bedeckt und mit Quellen verziert sind, die hie und da kleine Wafferfälle bil- den, so erzeugt doch diese herrliche Gegend, besonders die Höhlen und Schlünde um das Columbacser Schloß, eine der größten Plagen für das umliegende Land, die fogenann- ten Mordmücken. Im Anfange des Sommers dringen näm- lich von hier aus unermeßliche Schwärme dieser kleinen Mücken- art (Similium reptans), die auch bei uns, aber in geringer Anzahl vorkommt, über die Ebene, überfallen ganze Heerden Vieh, dem sie durch die Nase uud den Mund in die Luftröhre und die Eingeweide kriechen und tödten es plötzlich oder bringen es wenigstens in große Lebensgefahr. Eine kurze Strecke weiter unten sieht man zu beiden Seiten zwei großartige Werke der ältesten und neuesten Zeit. Auf der rechten Seite der Donau, ungefähr dem Dorfe Jeschelnitza gegenüber, befindet sich eine Inschrift an der Felswand, deren Charaktere man jedoch vom Boot aus nicht entziffern kann, da sie von dem Feuer der Hirten fast ganz mit Ruß überzogen sind. Sie bezieht sich auf einen Lein- pfad, den die Römer zu Trajans Zeiten anlegten, um ihre Schiffe aufwärts zu ziehen. Es muß ein wahres Riesenwerk gewesen seyn, denn die Ufer fallen hier in senkrechten Fels- wänden bis in die Donau. An einigen Stellen ist der schmale Gang dicht über dem Niveau des höchsten Waffer- standes in den Stein hineingemeißelt, an andern, wo diese Arbeit gar zu mühselig gewesen wäre, sieht man noch kleine Hackländer, R, in d, O. I. 3 34 viereckige Löcher in die Felsen gehauen, worin Balken steckten, auf welche Bretter gelegt wurden, die eine Brücke bildeten. "Da dies rechte Ufer wegen der Pest als „compromittiert“ für den Verkehr geschloffen ist, so hat sich der Graf Szeche- nyi für fein Vaterland fehr verdient gemacht, indem er da- gegen auf dem linken Ufer eine neue Straße von Ogradina bis Kaszan baute. Diese zieht sich, breite, hohe Galle- rien bildend, durch senkrechte Felswände hin, die gegen den Strom hin geöffnet sind, wobei sich durch die mannigfachen Krümmungen, welche die Straße macht, überraschende und prachtvolle Gebirgsparthien entfaltet, welche den Blick des Reisenden, bald auf dem linken, bald auf dem rechten Ufer feffeln. Es gewährt ein besonderes Vergnügen, auf dem brausenden Strome zwischen den coloffalen Felsmaffen, wie auf einer bequemen Straße hinzuziehen und ist besonders rei- zend für den, welcher Berge und Thäler auf unwegsamen Pfaden zu durchstreifen gewohnt ist. Am Fuß des Berges Schukuru, der Blutberg, von einer Niederlage, die die Tür- ken hier erlitten, so genannt, legte unser Boot an, und wir erstiegen den Berg, um die von alten Schanzen umgebene und durch die überhängende Felswand geschützte Höhle zu betreten, aus welcher im Jahr 1592 der General Veterani mit dreihundert Deutschen und einer kleinen Anzahl serbischer Sol- daten die Schifffahrt der Türken auf der Donau und selbst ihre Bewegungen auf dem Lande fast gänzlich hemmte. Die Höhle, die in alter Zeit Romanaz hieß, wird jetzt allgemein die Veteranische genannt. Sie besteht aus einem einzelnen größeren Gewölbe und ist so geräumig, daß sie wohl sieben- hundert Mann Besatzung faffen könnte. Bald erweiterte sich die Schlucht, und wir sahen auf dem linken Ufer Alt-Orlowa liegen, das mit freundlichen Häusern, die hie und da zwischen Gärten verheilt sind, bei heiterem Wetter einen ganz andern Eindruck auf uns 35 hervorbrachte, wie gestern Drenkowa. Alt-Orlowa sprach mich besonders an; in diesem Städtchen, dessen Handel und Gewerbe zur Zeit der Continentalsperre, wo der Weg von der Levante hier durchging, fehr blühend war, später aber ganz in Verfall gerieth, zeigt sich wieder frisch aufblühendes Leben. Die Schifffahrt ist hier der Untiefen wegen nur für kleinere Fahrzeuge zugänglich, daher die Waaren umge- laden und aufgespeichert werden müffen. Indem man den Ort zum Hauptstapelplatz dieser Gegend wählte, zog man eine gute Zahl Menschen an, deren kräftige Hände bei den nöthigen Bauten zum Felsensprengen c. verwendet werden. So fanden. Viele Erwerb und bevölkerten die neue Stadt. Die Dampfschifffahrts-Gesellschaft ließ hier ein schönes Haus an einer reizenden Stelle des Ufers erbauen, in welchem sie ihre Reisenden unentgeltlich beherbergt, damit sie nicht ge- nöthigt sind, sich den schlechten Wirthshäusern anzuvertrauen. Wir fanden hier freundliche Zimmer, gute Betten und ließen uns den trefflichen Kaffee schmecken. Aus unserem Zimmer hatten wir die herrlichste Aussicht: auf einer Insel der Donau welche hier von hohen Gebirgen eingeschloffen, wieder einem kleineren See gleicht, erblickt man die türkische Festung Neu- Orlowa, deren Lage an Isola bella im Lago Maggiore er- innert. Behaglich in meiner gastlichen Wohnung überließ ich mich den Träumen, die in solcher von der Natur ausge- zeichneten Oertlichkeit sich ungesucht einfinden. Im Ange- ficht der Türken denkt man gern an die Wohlthaten, welche eine verständige Verwaltung hier verbreiten könnte. Die Völker sind kräftig und gut, das Land fruchtbar und durch seine Lage an der Gränze zweier Welttheile begünstigt. Es wäre nicht nöthig, die Türken auszurotten oder zu verjagen, man sollte ihnen nur zu Hülfe kommen durch Einführung einer geordneten civilisierten Regierung. Wird die nächste Zukunft den Beweis höherer europäischer Gesittung liefern, 3 36 indem sie die Barbarei aus diesen schönen Ländern entfernt? Wir wollen es hoffen. Der Abend war gar zu schön. Die Sonne ging freund- lich hinter den Bergen unter und füllte das Thal mit einem blauen Duft, und ich verließ mein Zimmer, um die Geschäf- tigkeit des Orts in Augenschein zu nehmen. Mit Intereffe war ich Zeuge des hier bedeutenden Fischfangs, durch wel- chen unzählige Störe und Haufen gewonnen werden. Man bereitet aus ihnen Caviar, der jedoch an Güte dem russischen nicht gleichkommen soll. Zu Gunsten der Feinschmecker wird man vielleicht künftig für kunstreichere Bereitung forgen. Auch die hiesigen Goldwäschereien in der Donau lernte ich kennen. Sie sind weit einträglicher, als die auf dem obern Theile der Donau. Man erzählte mir von einem Manne, der binnen vier Wochen für sich allein Gold, achtzig Gulden Conventions-Münze an Werth, durch die Wäsche gewonnen hatte. Das Metall soll vorzüglich durch Flüffe, die aus den türkischen Gebirgen kommen, herbeigeführt werden. Die wichtigste, belebendste Thätigkeit geht jedoch hier von der Dampfschifffahrtsgesellschaft aus. Sie ließ damals kleine eiserne Dampfboote von zwanzig Pferdekraft bauen, mit denen der Engpaß Islaz und das eiserne Thor befahren werden sollten. Am andern Morgen verließen wir in zwei kleinen Schif- fen Alt-Orlowa; im ersten waren wir, im zweiten der Lord Londonderry mit seinem Gefolge. Wir nannten letzteres nur das Herrenschiff aus Uri. Nach einer Stunde fuhren wir bei der türkischen Festung Neu-Orlowa vorbei. Die Oest- reicher bauten sie unter Leopold I. Die Türken eroberten aber später den Platz, und obgleich seitdem ihre Gränzen von den Karpathen bis zu dem Balkan zurückgedrängt wurden, blieb ihnen doch noch dies Eiland und bis heute haust noch ein Pascha in Neu-Orlowa, das von den Türken Ada- Kaleffi, die Insel-Festung genannt wird. Sie hat viel 37 Mauerwerk, sogar zwei detaschirte Forts, aber Alles ist im kleinsten Maßstab gebaut. Ihre Geschütze beherrschen die Fahrt auf der Donau vollkommen; doch fah mir das kleine, schmutzige, zerfallene Nest so aus, als würde man bei nähe- rer Besichtigung alles Andere eher finden, wie Geschütze und Munition in brauchbarem Zustand. Ada-Kaleffi gegenüber liegt an dem schroff abfallenden Ufer das Fort Elisabeth, das mit seinen massiven Bastionen und einem schön gebauten Thurm einen beffern Anblick gewährt. Näher und näher kamen wir indessen dem eisernen Thor, diesem Engpaß der Donau, über den man nur auf kleinen Käh- nen setzen kann, hörten ein gewaltiges Brausen und Rauschen und sahen das Waffer auf einer langen Strecke wallend aufsprudeln, als würde es durch unterirdische Feuer erhitzt. Die Donau fließt hier in einer Länge von fünfzehnhundert Schritt über mehrere niedrige Felsbänke, die das Bette quer durchsetzen. Obgleich nur bei ganz niedrigem Wafferstande die Klippen sichtbar sind, so entsteht doch durch das starke Gefälle des Stromes, der hier acht bis neun hundert Fuß breit ist, ein heftiger Strudel und Wirbel, an dem man die Fahrzeuge. nur mit der größten Umsicht vorbeisteuern kann. Unsere beiden Schiffe gelangten ohne Gefahr und glück- lich durch das eiserne Thor, unterhalb welchem das Dampf- boot Panonia, das zu unserer Weiterbeförderung bestimmt war, bei Szkella Gladowa lag. Das Wetter war heute wieder recht günstig und gewährte uns eine entzückende Aussicht auf die Karpathen, welche sich in der Ferne mit ihren beschneiten Gipfeln ausbreiteten. Da wir am andern Tage das Dampfboot verlaffen woll- ten, um unsern Weg zu Land durch die Türkei fortzusetzen, fo beschäftigten wir uns heute damit, unser Gepäck zu thei- len, um das Nöthigste, was wir an Wäsche und sonstigen Sachen brauchten, mit uns zu nehmen und die schwereren 38 Koffer auf dem Dampfboote nach Constantinopel gehen zu laffen. Wir hatten in Wien kleine lederne Koffer gekauft, die dazu eingerichtet waren, um sie wie Tragkörbe rechts und links an ein Pferd hängen zu können. Diese, so wie unsere leich- teren Nachtsäcke, wurden mit den nöthigsten Sachen angefüllt. Früher einmal hatte die Lady L. den Wunsch geäußert, die Reise durch die Wallachei und Rumelien ebenfalls zu machen und erst unsern dringenden Vorstellungen, so wie denen des Herrn Gemahls und der Schiffsoffiziere, daß dort oft nicht einmal an gute Wege für Saumthiere, geschweige an einen Wagen zu denken fey, und daß die Päffe im Bal- kan in dieser Jahreszeit mit Schnee und Eis bedeckt und von Räubern unsicher gemacht feyen, gab sie endlich nach und ihr Vorhaben, mit uns zu reiten, auf. Ihr junger Lands- mann Napier dagegen, von dem ich oben sprach, schloß sich als ein sehr willkommener Reisegesellschafter uns an. Die Sonne, welche heute freundlich untergehend, auf Morgen einen guten Tag versprach, hielt uns nicht Wort; denn als ich am folgenden Morgen von meiner Bank, auf der ich die Nacht über gelegen, durchs Fenster sah, war der Himmel mit dunkeln Wolken überzogen, die uns eine Stunde darauf einen anhaltenden Regen herabandten, der bis zur Nacht, wo wir bei Giorgewo anlegten, fortdauerte. Der Abend vereinigte unsere ganze Gesellschaft noch einmal in der großen Kajüte, wo wir bei einem Glase Punsch die vergnügten Stunden durchgingen, welche wir in den Tagen, die wir zusammen auf dem Boote zubrachten, genoffen hatten. Es that uns leid, von so angenehmer Gesellschaft fcheiden zu müffen, von so guten Menschen, die wir viel- leicht nie wieder sehen. Mitt durch die europäische Türkei. Türkische Posteinrichtung. – Giorgewo: Schmutz auf den Straßen. Quarantaine. Kleidning der Türken. – Rutschuk. Tartaren. Das Paßbureau. Bulgarische Fußbekleidung. Unsere Pferde. Der Ramasan. – Rasgrad. – Schumla. – Ritt über den Balkan. – Dobrol. – Faki. – Adrianopel: Quarantaine. Das alte Serail. Selim's Moschee. Eine Soirée beim Pascha. Illumination. Tanzende Knaben. Schatal Burgas. Silivri. – Das Meer. – Ankunft in Constan- tinopel. – Pension der Madame Balbiani. – Wenn auf muth'gen Roffen man zu Dritt Macht oder Vieren einen wilden Ritt, Ist's Poesie. Freiligrath. Die Seen" ist roh, doch neu; das macht der Reife Beschwerden füß. – Byron. Wenn man in civilisierten Ländern über Reisebeschwerden klagt, so versteht man darunter ein paar Nächte, die man vielleicht im bequemen, dicht verschloffenen Wagen zubringen mußte, oder eine holprichte Straße, eine Station, auf der man unbeschreiblich schlecht zu Mittag gespeist, oder wo der knausernde Wirth fo boshaft langsam fervirt, daß einen das zur Abfahrt mahnende Horn des Schwagers schon aus den angenehmen Rindfleischträumen reißt und man die Herrlich- keiten des Bratens u. f. w. nur in Gedanken genießt. Das Schlimmste, was passieren kann, ist das Umschlagen des Wagens, oder ein überfüllter Gasthof, wo nur die Barm- herzigkeit des Oberkellners dem unglücklichen Ankömmling irgend ein Winkelchen anweist. Wem schon solche Klei- nigkeiten überlästig vorgekommen sind, der unterstehe sich ja nicht, zu Lande nach Constantinopel zu gehen, oder auch nur eine kurze Strecke im Innern der Türkei zu reisen, sondern 42 bleibe von Wien auf dem Dampfboote, wo er eine reinliche Kajüte, ziemlich gutes Effen und am Abend weiche Matratzen hat. Die türkische Posteinrichtung befindet sich noch in der unmündigten Kindheit. Man kann zu Wagen reisen, was etwas bequemer, indeß nur im hohen Sommer überhaupt möglich ist, wo die Haiden, über welche meistens der Weg geht, von der Sonnenhitze fest getrocknet sind. Das Fuhr- werk ist ein Leiterwagen, mit Matten bedeckt und mit Stroh gefüllt, auf dem sich der Reisende ausstreckt, und es dann der Vorsehung und dem in vollem Galopp dahinbrausenden Postillon überlaffen muß, ob er überhaupt und mit ganzen Gliedern nach dem Orte feiner Bestimmung kommt. Die auch beim heißesten Wetter in ihre dicken Pelze gehüllten Bursche – ich spreche jetzt hauptsächlich von der Wallachei, da in Bulgarien und Rumelien das Reisen im Wagen fast unerhört ist – jagen dahin, ohne sich viel um- zusehen, und wenn der Reisende durch einen starken Stoß von seinem Sitz auf die Straße geschleudert wird und sein Geschrei nicht zu den Ohren des Postillons gelangt, so ist es schon gekommen, daß die Roffelenker mit umgekehrtem Wagen auf der Station angelangt sind und nachher wieder umkehren mußten, ihren Paffagier zu suchen. Wir zogen es vor, zu Pferde zu reisen, da man so noch schneller fortkommt, und wir zudem das Balkangebirge zu übersteigen hatten, wo an kein Fahren zu denken ist. Auf dem Dampfschiffe hatten uns fast alle des Landes und des Weges Kundige abgerathen, überhaupt in dieser Jahres- zeit die Türkei zu Lande zu bereisen, wobei man uns fast unüberwindliche Hindernisse vormalte. Da wir aber einiges Ungemach zu ertragen bereit waren, um ein Land wie das Innere der Türkei kennen zu lernen, wir auch alle kräftige junge Leute waren, so brachte keine Vorstellung uns von unserem Vorhaben ab. 43 Schon in Orsova hatten wir das Vergnügen, den ersten wallachischen Postzug zu sehen, jedoch nicht vollständig, indem die Pferde vor eine Wiener Kalesche gespannt waren. Sie erwartete hier einen Herrn Floresco, Polizeidirector in Bucharest, der mit uns von Pesth an auf dem Dampfschiff gewesen war. Der Wagen war mit acht Pferden bespannt, welche von zwei baumlangen, in zottige Schafpelze gehüllten Burschen gelenkt wurden, deren Füße bei der Kleinheit der Thiere beinahe den Boden berührten, was äußerst drollig aussah. Hinterdrein ritt eine Escorte von vier Gensdarmen, in weiten Hosen, blauen runden Jacken, das Fez auf dem Kopfe, Pistolen und Dolch im Gürtel und den Kantschuh an der Faust. Sie fausten im Carrière dahin und waren in wenigen Minuten aus unserem Gesichtskreise. Am 25. October Abends kamen wir bei der türkischen Stadt Rustschuk vorüber, welche unser Schiff mit drei Kanonen- schüffen falutierte, weil wir, dem strömenden Regen zum Trotze, zwei Flaggen am Mast führten, an der Spitze die groß- britannische, zu Ehren des Lord Londonderry, und darunter die türkische, den goldenen Halbmond im rothen Felde, für den Emin Pascha. Wir legten am linken Donauufer an, bei Giorgewo, welcher Ort jedoch eine halbe Stunde vom Fluß abliegt. Da der Regen über Nacht aufgehört hatte und der heitere blaue Himmel einen angenehmen Tag ver- sprach, verließen wir am folgenden Morgen das Schiff und gingen zu Fuß nach Giorgewo, wo unsere Päffe visiert werden mußten, worauf wir nach Rustschuk aufs rechte Donauufer über- fetzen wollten, um von da unsere Reise zu Pferd fortzusetzen. Giorgewo oder Gjurgew war die erste walachische Stadt, die wir betraten. Wenn ich mir auch nach Allem, was ich über den türkischen Schmutz gelesen, keine große Vorstellung von diesem Ort gemacht hatte, so ging doch das, was ich hier in der Wirklichkeit vor mir sah, völlig über meine Be- 44 griffe. Wären nicht aus den mit Zweigen durchflochtenen und mit Mist bedeckten vier Pfählen schmutzig braune, mensch- liche Gestalten hervorgekrochen, so hätte ich geglaubt, die Erdhöhlen, an denen wir vorbeikamen, feyen Stallungen für Büffel und Schweine, d. h. für türkisches Vieh, denn ein ordentlicher deutscher Ochse würde sich geweigert haben, in diese Schmutzlöcher zu kriechen. Die kleinen walachischen Kinder saßen auf der Erde, plätscherten mit den Händen in der Mitjauche und sahen uns verwundert an; wohin man blickte, nichts als Elend und eine Unreinlichkeit über alle Vorstellung. Die meisten Wohnungen hatten nicht einmal vier Pfähle, sondern bestanden nur aus einem in die Erde gegrabenen Loche, mit Zweigen und Rasen bedeckt; Männer und Weiber waren in braune oder schwarze Schafpelze ge- hüllt und fast nicht von einander zu unterscheiden. Indeffen bot nicht der ganze Ort einen so betrübenden Anblick dar; bald erschienen rechts und links Häuser aus Ziegelsteinen, deren Fenster aber meistens aus Papier bestanden, und end- lich befanden wir uns in einer beffern Region, wo um die Kirche mit ihren byzanthinischen Kuppelthürmen etwa zwanzig ziemlich gut aussehende Häuser lagen. Mit leichterem Herzen, denn was wir vorhin gesehen, hatte uns ernstlich für unsere nächste Zukunft besorgt ge- macht, steuerten wir einem der Häuser zu, an welchem in russischer und französischer Sprache zu lesen war, daß hier der Agent der östreichischen Donaudampfschifffahrtsgesellschaft wohne. Sein Name ist Staude; ein sehr artiger Mann, der uns aufs Zuvorkommendste empfing und für unser schnelles Fortkommen aufs Beste forgte. Bald begaben wir uns in Begleitung dieses Mannes mit unserm wenigen Gepäck, unsern Mänteln, Pelzen und Waffen nach der Quarantäne von Giorgewo, wo uns ein türkisches Schiff, welches Früchte herübergebracht hatte, aufnehmen und übersetzen sollte. An 45 der Quarantäne herrschte reges Leben. Es wurde eben zwischen doppelten Barrièren Markt gehalten. Weil die Türken des rechten Ufers fich nicht mit den Wallachen ver- mischen dürfen, so legen die erstern ihre Trauben, ihren Honig u. f. w. zwischen die Barrieren, wo sie von den letztern weg- genommen und auf dieselbe Art bezahlt werden. Es ist ein unheimliches Gefühl, wenn man sieht, wie ein Mensch den andern meidet, wie ein giftiges Thier, und stets den langen Stock vor sich hinstreckt, um ja nicht berührt zu werden. - Zum ersten Male sahen wir uns hier mitten in das für uns so fremdartige Treiben der Türken versetzt, sahen uns umgeben von Turbanen und langen Bärten. Mir schwebten die Mährchen der tausend und einen Nacht lebhaft - vor, als ich sie in ihren weiten Pantoffeln fich träg daher schleppen sah, wobei sie mit halbgeschloffenen Augen in langen Zügen den Tabakrauch ein schlürften, um ihn wieder eben so langsam von sich zu blasen. Ihre Kleidung besteht hier in sehr weiten Beinkleidern, meistens von dunkler Farbe, grau, blau, grün, aus weißen wollenen Strümpfen mit Pantoffeln, einer farbigen Jacke und dem unentbehrlichen Gürtel, einer Schärpe von ungeheurer Länge, die sie vielmal um den Leib wickeln, und in welcher sie ihre Waffen, lange Pistolen und Dolche und eine eiserne Feuerzange tragen, die ungefähr anderthalb Fuß lang ist und zum Auflegen der Kohlen auf die Pfeife dient. - In diesem Gürtel steckt ferner die Pfeife, Tabak, Brod, ein Taschentuch, das selbst beim geringsten Bootsknecht mit Gold und Seide gestickt ist, und noch so viele andere Gegen- fände, daß er nicht selten mehrere Schuh dick aufschwillt und sich äußerst lächerlich ausnimmt. Der Türke aber sieht mit Wohlgefallen auf dieses Vorgebirge und drückt die langen Hälse seiner Pistolen vor, so weit immer möglich. 46 Nachdem wir für zwanzig Kreuzer beinahe eine halbe Schiffsladung der schönsten füßesten Trauben gekauft, um sie während der Ueberfahrt zu verzehren, traten wir zu den Türken hinter die Barrière, und durften nun die Wallachei nicht mehr betreten, ohne fünf Tage Quarantäne zu halten, deren strenge Hand uns auf diese Art unwiderruflich von der Heimath schied. Wir fetzten in einem ziemlich geräumigen Boote nach Rustschuk über. Da dieses oberhalb Giorgewo liegt, mußten wir stromaufwärts fahren und blieben so zwei Stunden auf der Donau, welche hier sehr breit ist. An's Land gestiegen, wurden wir von einem Haufen Türken um- ringt, welche neugierig unsere Sachen musterten, hauptsächlich die Percussionsschlöffer unserer Gewehre und Pistolen; denn ihre Feuerwaffen sind noch alle mit äußerst dünnen, scharfen Steinen versehen. Der Steuermann des Boots brachte uns zum Agenten der Donaudampfschifffahrts-Gesellschaft, an den der Baron empfohlen war, und mit dem er die Mittel zu unserm fernern Fortkommen besprach. Die Post in der Türkei ist keine von der Regierung geleitete oder unterstützte Anstalt. Jeder Pascha hält sich zuverlässige, des Weges kundige Leute, sogenannte Tartaren. Diese bringen als reitende Boten die Depeschen aus den verschiedenen Districten nach der Hauptstadt, begleiten aber auch Reisende. Die Transportmittel, Pferde und Wagen, werden von Privaten geliefert, welche dafür eine vom Staat festgesetzte Bezahlung erhalten. Wir ließen den Chef der Rutschuk'schen Tartaren kommen, um mit ihm alle Kosten unserer Reise zu verdingen; denn meistens sorgt der Tartar außer den Pferden auch für Nahrung und Nachtquartier. Für uns brauchten wir fünf Pferde, ferner eines für den Tartaren, eines für das Ge- päcke und zwei für die Sürüdfchi – so heißen die Reit- knechte, welche die Pferde zur Station zurückbringen – im Ganzen neun; wofür wir bis Constantinopel, mit Einschluß 47 aller Lebensmittel und Quartierkosten, 7000 Piaster, also 700 Gulden C. M. bezahlen mußten. Die Tare, welche schwankt, war im Augenblick drei Piaster für jedes Pferd und jede Stunde. Die Hälfte obiger Summe wurde mit 350 Gulden dem Chef der Tartaren eingehändigt; die andere Hälfte bekam unser Führer bei unserer Ankunft in Con- stantinopel. Jetzt mußten unsere Päffe bei der türkischen Behörde visiert werden, und ich ging unter Begleitung des Apothekers des Orts, welcher etwas italienisch verstand, nach der Burg des Pascha. - Der Theil der Stadt, den wir durchschritten, um zur Residenz zu gelangen, sah nicht sehr erbaulich aus. Drei ziemlich lange Straßen, zu beiden Seiten mit Kramläden oder offenen Gewölben besetzt, in welchen Handwerker aller Art saßen, führten dahin. Keine war gepflastert oder auch nur geebnet. Die Türken, welche uns, meistens in ziemlich schmutzigen Anzügen, begegneten, traten auf große platte Steine, welche hie und da an den Häusern lagen und die Trottoirs vor- stellten, und nur so war es möglich, durch die Stadt zu kom- men, ohne mit jedem Schritt bis an die Knöchel einzufinken. Dabei herrschte überall ein abscheulicher Knoblauchgeruch. Die Weiber, denen ich begegnete, waren durchgängig alt und dick, trotzdem aber sorgsam in ihre Schleier gewickelt, aus denen nur Auge und Nase vorsahen. Die Burg des Pascha gleicht dem Wohnhaus eines wohl- habenden dentischen Landmanns, diverse Mistpfützen einge- rechnet, in welchen sich Enten und ein paar langbeinige Störche herumtrieben, welch' letztere mich vornehm über die Achsel anschauten. Das Schloß hatte eine Art Terraffe, auf der ein Dutzend Türken lagen, nichts thaten und Tabak dazu rauchten. Im Hof stand das reich gezäumte und mit einer rothamtenen Decke versehene Pferd des Pascha, der 48 im Begriff war, auszureiten, umgeben von drei, vier großen schmutzigen Burschen, mit langen Stöcken bewaffnet. Ich dachte lebhaft an die Bastonade. Mein Apotheker führte mich in ein Zimmer zu ebener Erde, wo sämmtliche Beamte des Pascha beschäftigt waren. Links in der Ecke des Gemachs, an dessen vier Wänden sich breite Divans befanden, lag ein alter Mann mit langem, schneeweißen Barte und zählte aus einer eisernen Geldkiste die Münzen in kleinen Häufchen vor sich hin; es war der Finanzminister. Neben ihm fiegelte ein noch ziemlich junger Mann einige Briefe zu, wahrscheinlich der Mann der aus- wärtigen Angelegenheiten. Zu einem Dritten, der mit halb geschloffenen Augen dalag und äußerst langsam und bedächtig schrieb, brachte mich mein Führer und händigte ihm unsere Päffe ein. Er durchfah fie, und ich mußte ihm unsere Namen vorlagen, die er dann in den gräßlichsten Verrenkun- gen wieder von sich gab, wobei auf dem äußerst lang- weiligen Gesichte ein kleines Lächeln emporstieg. Auch mußte ich ihm das Signalement eines jeden von uns vorsagen, wobei er sich den Spaß machte und mich fragen ließ, ob alle meine Reisegefährten so große Bärte hätten, wie ich. Die Feder eines Reihers, den F. den Tag vorher an der Donau geschoffen und die ich auf meine Mütze gesteckt, erregte eine Aufmerksamkeit. Er ließ mich fragen, ob sie vielleicht ein Zeichen meines Standes und meiner Würde fey, und als ich dies verneinte, bat mich der Apotheker, die ab- zunehmen. Auf dem Rückwege nöthigte mich diefer in feine Wohnung, wo etwa zwanzig Töpfe und Gläser auf einem Gestelle die ganze Offizin ausmachten. Er stopfte mir eine Pfeife (Tschibuk), auf welche ein Diener- ein langer Schlingel, der in einem weißleinenen Kittel und mit herzlich dummen Ge- fichte dem Pierrot der italienischen Komödie vollkommen ähn- lich fah – eine feurige Kohle legte. Nachdem ich einige 49 Züge geraucht, führte er mich zum Haufe des Agenten zurück, wo unsere Pferde schon bereit standen, das heißt, mit einem Halfter aus Stricken gezäumt, und auf dem Rücken eine schmutzige Decke. So werden sie in der Türkei geliefert, und der Reisende muß sich Sattel und Zeug selbst anschaffen. Wir kauften drei alte türkische und zwei neue tartarische Sättel, die nebst Zaum und Kantschuh fünfundfünfzig Gulden kosteten. So gut und zweckmäßig wir auch für unser Reitcostüm schon in der Heimath gesorgt hatten, so fanden wir es doch hier für nöthig und äußerst geschickt, unsere Fußbekleidung auf bulgarische Art einzurichten, und ich rathe jedem Reifen- den, in gleichem Falle die Auslage einiger Gulden nicht zu scheuen. Man kauft nämlich ein Paar ganz dünne zie- genlederne Schuhe, die man über die gewöhnlichen Strümpfe zieht; sie kosten an zwölf Piaster; über diese ein Paar soge- nannte bulgarische Strümpfe, die bis über's Knie hinauf- reichen, von Tuch und mit buntem Garn ausgenäht sind, im Preis von dreißig Piaster. Dann kommen ein Paar schwere Lederstiefeln, welche bis über die Wade gehen, vierzig Piaster – und man hat die Füße auf's Sorgfältigste geschützt. Die ganze Anschaffung kostet also zweiundachtzig Piaster = zehn Gulden rheinisch, und gewährt dem Reisenden, wie ich aus Erfahrung weiß, viel Angenehmes. Abends, wenn man in den schlechten Khan kommt, wirft man mit Leichtigkeit die schweren Stiefeln von sich, und streckt sich mit warmem Fuß und Beinen, die der erwähnte lange Strumpf ge- schützt, natürlich in voller Kleidung aufs Lager. Auch kauf- ten wir für jeden von uns eine lange Peitsche mit kurzem Stiel – den Kantschuh. Durch das Aufschirren war es spät geworden, und als wir auf den äußerst kleinen und schlecht aussehenden Pferden durch die kothigen Straffen zur Stadt hinaustrabten, dun- kelte es bereits. Unsere Caravane fah recht abenteuerlich Hackländer, R, in d. O, 4 50 aus. Den Zug führte einer der Sürüdschi, ein alter Türke mit langem Barte, Pistolen und Handfchar (Dolch) im Gürtel. Er saß ganz krumm, die Kniee an den Hals herauf- gezogen, auf seinem Roffe und führte das Packpferd an der Hand. Hinter ihm ritt unser Tartar in feinem malerischen Costüme, weite blaue Beinkleider, auf denen ein goldener Stern als Zeichen feiner Würde gestickt war, und den er nie mit dem Mantel bedeckte; an den Füßen weiße, blau ausgenähte bulgarische Stiefel, ein rother Gürtel um den Leib, darüber eine grüne schwarz ausgenähte Jacke, und auf dem Kopf ein rothes Feß, mit langer, wallender blau feide- ner Quaste. Ueber der Schulter hing an einer feidenen Schnur ein schwarzledernes, goldgesticktes Täschchen, worin er den Ferman des Pascha mit unsern Namen und der Reiseroute aufbewahrte. Er hieß Hama und zeigte sich auf der ganzen Tour als ein ehrlicher, umsichtiger und gefälliger Mensch. Ihm folgten wir fünf, in unsere Pelze gehüllt, eine leichte Reisemütze auf dem Kopfe, Gewehre, Pistolen, Säbel an uns und am Sattel hängend. Unser Engländer machte die ganze Reise im runden Hute und Makintosh, was gegen die faltigen Turbane und weiten Kleider der Tür- ken sehr abstach. Die Arrieregarde bildete der zweite Reit- knecht. Als wir an das Stadtthor kamen, war daffelbe be- reits geschloffen, und wir mußten eine gute halbe Stunde warten, bis einer der Sürüdschi, der im Galopp zurückkehrte, um die Schlüffel zu holen, wieder kam. Doch hatten wir während der Zeit einen bezaubernd schönen Anblick, als wir uns nach der Stadt umwandten. Der Ramasan hatte vor wenigen Tagen begonnen; sobald während dieser heiligen Zeit Sonnenuntergang durch einen Kanonenschuß verkündigt ist, ent- zünden sich auf allen Moschee'n und Minarets hunderte von Lampen und bilden eine glänzende Beleuchtung. Wie zählten nicht weniger als neunundzwanzig dieser Thürme, welche bis an 51 die Spitze beleuchtet waren. Endlich kehrten wir diesem Glanze den Rücken und zogen durch das knarrende Thor in die finstere Nacht hinaus – ein Bild unserer Reise. Hinter uns ließen wir die friedliche Heimath mit ihren hellen, rein- lichen Straßen und munteren Bewohnern, und traten in ein unfreundliches, schmutziges, uns gänzlich fremdes Land, dessen Sprache keiner von uns verstand. Unter allen Tartaren in Rustschuk war auch nicht einer zu finden, der nur ein Wort italienisch oder französisch verstanden hätte, von deutsch gar nicht zu reden. Unser Hamsa war wohl ein ganz brauch- barer Tartar, da er aber keineswegs das Pulver erfunden hatte, wurde es uns unsäglich schwer, ihm durch Pantomi- unen etwas verständlich zu machen, und hätte der Baron nicht die nothwendigsten Ausdrücke, wie: „Halt, fort, lang- jam, schnell“ c. gewußt, so wären wir ganz verlaffen ge- wesen. Trotz dem ritten wir munter in der Dunkelheit fort, wünschten den Lieben zu Haus eine gute Nacht, zündeten unsere Pfeifen an, und fangen ein deutsches Lied: Steh' ich in finsterer Mitternacht So einfam auf der fernen Wacht c. Die Pferde, wie man sie in der Türkei zum Reiten bekommt, find, wie schon gesagt, von kleiner, unansehnlicher Gestalt und dieselben, welche bei uns unter dem Namen Wallachen und Moldauer vorkommen, nur daß die hiesigen bei kleinerer Figur etwas mehr Race haben. Ihr Gang ist fortwährend ein kurzer, höchst unbequemer Trab, der den Ungewohnten ungemein ermüdet. Man kommt indessen damit sehr schnell von der Stelle, und thut am besten, sich so bald als möglich in diese Gangart zu finden; denn läßt man ein Pferd im Schritt gehen, um später in Trab oder Galopp aufzurücken, so ist dies noch schlimmer, und man kommt, wie ich selbst empfunden habe, halbtodt auf 4 % - 52 - - die Station. Aber die Ausdauer der Pferde ist erstaunlich. Sie laufen mit kurzen Pausen der Rat, des Tags zwanzig deutsche Stunden ohne ein Korn Haber oder Heu, oder auch nur Waffer zu bekommen, und am Abend merkt man ihnen nicht einmal große Ermüdung an. Es war heute Nacht sehr finster; und trotz dem an keine Landstraße zu denken war, verirrte sich unser Führer nie; der Weg lief bergauf, bergab über unbebaute Haiden. Der Tartar ritt zuweilen zu uns heran und präsentierte uns feine brennende lange Pfeife, eine große Freundschaftsbe- zeugung bei den Türken, die wir nicht ausschlagen durften. Jeder that einige Züge daraus, dann nahm er sie wieder und sprengte vor an die Spitze des Zuges. Hie und da zeigte sich in einer Schlucht ein Feuer bei Büffelheerden. Jedesmal ritt unser Führer hin, wechselte einige Worte und kam laut rufend zu uns zurück. Einigemal pafirten wir Brücken, die aber so baufällig und unsicher waren, daß Hamsa beinahe immer abstieg und unsere Pferde einzeln hinüberführte. Um eilf Uhr wurde Halt gemacht. Wir stiegen ab und ließen die Pferde eine halbe Stunde herum- führen; dann ging es wieder fort. Nachdem wir gegen drei Uhr Morgens die Pferde durch einen Waldbach, der auf unserm Wege lag, hinabgeführt hatten, kamen wir an eine alte, halbzerfallene Erdhütte, die der Tartar mit einem lauten Hurrah begrüßte. Die Knechte machten ein großes Feuer, er holte aus einer Satteltasche sehr fein geriebenen, stark duftenden Kaffee und Zucker, setzte ein kleines Pfännchen zum Feuer, warf Kaffee und Zucker in das kochende Waffer und reichte uns das Gemisch, eine ziemlich dicke braune Brühe, in kleinen porzellanenen Taffen. Es schmeckte nicht übel, nur fand ich kein Behagen am Kaffeesatz, den die Türken stets hinunterschluckten. 53 Unser Vorsatz war, die ganze Nacht zu reiten, um den folgenden Tag zeitig in Schumla einzutreffen. Als wir aber um fünf Uhr Morgens auf der ersten Station, einer kleinen türkischen Stadt, Rasgrad, anlangten, waren die meisten von uns so ermüdet – wir hatten von Rustschuk hieher sechszehn deutsche Stunden zurückgelegt – daß wir uns vom Tartaren gleich in ein Wirthshaus (Chan) führen ließen. Als wir in den Ort hineinritten, stimmten unsere drei Begleiter ein über alle Beschreibung unan- genehmes, wahrhaft ohrzerreißendes Geheul an. Wir hatten dies in der Folge auf jeder Station zu genießen. Es ist das Zeichen, daß eine kaiserliche Post kommt, für welche Pferde in Bereitschaft zu setzen sind. Die Bereit- willigkeit und Geschwindigkeit, womit die sonst so faulen Türken uns immer bedienten, sobald der Tartar mit lautem Hurrah in den Hof ritt, zeigte, in welchem Ansehen er bei ihnen stand. Nicht selten tractirte er aber auch, wenn es nicht rasch genug ging, das dienende Personal des Chans mit Kantschuhhieben. Das Zimmer, in welches man uns führte, hatte vier Kalkwände, und das ganze Mobilar und Bettwerk bestand aus einem Wafferkruge und einigen Binsenmatten, die an den Wänden umherlagen. Durch die hölzernen Gitter strich unangenehm die scharfe Morgenluft. Doch Dank unserer Müdigkeit: wir schliefen bald, und der Tartar mußte uns nach zwei Stunden sein: „Heide! Heide!“ (fort! fort!) öfters in die Ohren schreien, ehe wir munter wurden. Um sieben Uhr ritten wir weiter, stiegen, nachdem wir die kothigen Straßen des Dorfes hinter uns hatten, in die Höhe und befanden uns bald wieder auf weiter Haide. Die Land- fchaft bietet bis Schumla wenig Intereffe: abwechselnd kahle Höhen und Thäler, hie und da einige verkrüppelte Bäume, kleine Eichen und wildes Obst. An Landstraßen ist überall 54 nicht zu denken, und unsere Caravane ging anfangs, wie gestern, im gewöhnlichen Zotteltrab vorwärts. Sobald aber der Baron dem Tartaren begreiflich machte, daß er, wenn es so fortgehe, in Stambul nicht viel Bakschis (Trinkgeld) zu gewärtigen habe, nahm die Sache eine ganz andere Ge- falt an. Hamsa klopfte seine lange Pfeife aus und steckte fie hinten in den Nacken, so daß der Kopf derselben einen Fuß hoch über sein Feß empor ragte, stieß ein lautes Ge- fchrei aus, und dahin fausten wir unter immerwährendem Rufen und Schreien der Führer, daß die Mäntel der Türken und unsere Pelze im Winde flatterten. Es war einige Stunden, als heizten wir ein Wild durch Gräben und Hecken, bergauf und ab, bald im scharfen Trab, bald im Galopp. Zuweilen stürzte ein Pferd, sprang aber fogleich wieder auf und wir bewunderten das Feuer und die Ausdauer der kleinen Thiere. Bergauf geht es meistens im Schritt; in der Ebene den kurzen Trab, von dem ich vorhin sprach; aber bergab, und sind die Wege nach so holpricht und schlecht – im Galopp. Sobald der Tartar das Nachtquartier in der Ferne wittert, ist er nicht mehr zu halten und es geht im Carriere unter beständigem Allah-Rufe, die schlechtesten Wege, die engsten Steinpflaster, bis in den Hof des Chans. Abends gegen vier Uhr kamen wir in die Nähe von Schumla. Die Höhen, welche uns noch den Anblick der Stadt entzogen, waren mit alten zerfallenen Batterien und Erdschanzen bedeckt. Beim Näherreiten sahen wir, daß die- felben gegen die Stadt gerichtet waren, so wie auch tief im Thal ein anderes Werk, das mir eine Breschbatterie zu feyn schien – wahrscheinlich Ueberbleibsel der Angriffslinie der Ruffen aus dem Kriege im Jahr 1829. Die Straße wandte sich rechts um einen Felsenvorsprung, und jetzt mach- ten wir wie angefeffelt Halt: unten im Thale lag Schumla 55 vor uns und bot, von der sinkenden Abendsonne beleuchtet, einen wunderherrlichen Anblick. Rings war die Stadt um- geben, und ich möchte sagen, durchflochten mit Weingärten voll reifer Trauben, aus denen die vergoldeten Minarets und weißen Häuser aufs Freundlichste herausahen. Es war die erste große türkische Stadt, die wir sahen. Das Eigenthümlichste derselben gegen unsere Städte sind die schlanken hohen Thürme der Moscheen, die Minarets, von denen herab der Iman – türkische Geistliche – zu gewissen Stunden den Gläubigen verkündigt, daß es Zeit fey, das Gebet zu beginnen. Hinter Schumla erhebt sich der majestätische Balkan mit feinen blauen zackigen Kuppen, den herrlichsten Hintergrund bildend. Es that mir fast leid, daß ich diese Stadt betreten mußte, daß ich nicht mit diesem großartigen Bilde in der Erinnerung vorbeiziehen konnte: es war ja eine türkische Stadt, eine goldene Frucht, die innen fault. - Kaum hatten unsere Pferde die Außenwerke der Festung betreten, schlechte Erdaufwürfe, mit verfaulten und zerschoffenen Palisaden besetzt, so sanken sie auch schon bis an die Knöchel in den Morast, der die Straßen bedeckte. Beim Chan angelangt, wurden wir sofort in das Loch geführt, wo wir die Nacht zubringen sollten: Lehmwände, der nackte Dachstuhl als Plafond, gestampfter Koth als Fußboden. Der Tartar machte uns auf die finstere Miene, welche wir ihm zeigten, begreiflich, es fey das beste Wirthshaus in Schumla, und man werde das Zimmer gehörig einrichten, wenn wir uns ein wenig in der Stadt umsehen wollten. Wir folgten einem Rathe, kletterten einige Straßen hinauf, die sich an den Berg lehnen, und fanden denselben Schmutz wie in Rutschuk und Rasgrad. Welches Leben könnte sich hier entwickeln, in reizender Gegend, auf dem fruchtbarsten Boden, wollte der Türke seine gränzenlose Faul- 56 heit ablegen und sich aus dem Schmutz, in den er versun- ken, erheben. - Schumla, von Ferne so entzückend schön, macht auf den Fremden, der es betritt, den unheimlichsten Eindruck, und man kann erst draußen, in der freien Natur, wieder ruhig athmen. Wir besahen mehrere Kirchhöfe, fanden sie aber nicht so schön und poetisch, wie sie uns gerühmt werden. Es sind große Plätze, mit Unkraut bewachsen und vielen langen schmalen Steinen besetzt. Hie und da zeigt auf einem der ausgehauene Turban, daß er die Gebeine eines vornehmen Türken deckt. Von Lustwandelnden habe ich nichts bemerkt; die Plätze lagen, einige ausgehungerte Hunde abgerechnet, die sich darauf herum trieben, ganz einsam da. Sehr schön und angenehm sind dagegen die vielen Brunnen mit klarem herrlichem Waffer, die man hier zu Lande auf allen Wegen und Plätzen findet. Wir sind auf unserem Ritt nach Stambul wenigstens alle zwei Stunden an einem solchen vorbeigekommen. Es find vier Fuß hohe tei- nerne Nischen, mit eisernen Röhren, auch fehlt nie der hölzerne Becher, der bei uns den ersten Tag gestohlen oder verdorben wäre. Ehrlichkeit ist überhaupt ein schöner Zug im Charakter des Türken. Trotz der überall sichtbaren Armuth reist man nirgends so sicher wie hier. Man kann bei Nacht seine Sachen auspacken und wird auch keine Stecknadel vermissen. Raub und Mord kommt selten oder nie vor. Als wir in unsern Gasthof zurück kamen, sah der Stall etwas wohnlicher aus. Man hatte den Boden mit Matten und Kiffen bedeckt, ein Feuer loderte im Kamin, und kaum hatten wir uns gelagert, so brachte der Tartar einen großen Topf mit gekochtem Reis (dem berühmten Pillau) und zwei Hühner, welche er herausnahm, mit den Fingern zerriß und vorlegte. Daß uns dieß Abendbrod nach einem Ritt von fünfzehn Stunden und einer durchwachten Nacht herrlich 57 schmeckte, brauche ich nicht zu sagen; auch schliefen wir gut und setzten am andern Morgen um fünf Uhr unsere Reise fort. Heute hatten wir eine Tour vor uns, welche man uns in Wien und auf dem Dampfboot als mit fast unüberwind- lichen Hindernissen besäet geschildert hatte – den Uebergang über den Balkan. Außer Schnee und Eis, womit in dieser Jahreszeit das Gebirge bedeckt seyn sollte, hatte man uns fürchterliche Winde angekündigt, welche Mann und Roß in Abgrund schleudern könnten, hatte Räuber und Mörder herauf- beschworen und uns deshalb beim Abschiede die Hand ge- schüttelt, wie zum Nimmerwiedersehen. Von Alle dem bemerkten wir nichts, als wir auf den kleinen sichern Pferden die steilen Abhänge emporkletterten. Es war ein schöner Tag, der Nebel sank, ein herrlicher blauer Himmel, dunkler als in Deutschland, wölbte sich über uns. Wir überstiegen den Balkan in drei Absätzen. Der erste Abhang war schon ziemlich steil; doch konnte man das Steingerölle, in dem sich unsere Pferde hinaufarbeiteten, allen- falls auch eine Straße nennen. Wir trafen dann und wann zwei-, dreihundert Fuß lange Strecken einer Römerstraße, welche an manchen Stellen noch ziemlich gut erhalten war. Von der Faulheit und Sorglosig- keit der Türken sahen wir wieder ausgezeichnete Beispiele. Um sich auf ihren Streifzügen Feuer zum Kochen zu verschaffen, hatten sie hie und da die schönsten Eichen niedergebrannt, ohne fie umzuhauen; sie legen dabei unten an den Stamm Feuer und wenn der königliche Baum hinstürzt, laffen sie ihn ruhig verbrennen bis zur Krone, kochen dabei ihren Pillau und rauchen ihre Pfeifen. Man kennt sieben Hauptpäffe über den Hämus, welche durch die alte Kriegsgeschichte mehr oder minder merkwürdig ge- worden sind. Die bedeutendsten waren der westliche, der in der ältern Römerzeit Succi, in der spätern Trajanspforte 58 hieß, und der östliche, der von Adrianopel nach Schumla und Parawadi führte. Diesen letzten zogen auch wir theil- weise. Ihn hat Theophylactus poetisch schön beschrieben. Er sagt von ihm: Die unten liegenden Ebenen sind wie mit blumigten Teppichen bedeckt, grünende Wiesen sind Fest und Weide den Augen, dichte Schattenzelte des Waldes verbergen den heraufsteigenden Wanderer und viele Hitze gibt ihm dort die Mittagsstunde, wenn von den Sonnenstrahlen die Eingeweide der Erde erwarmen. Schön zu sehen, schwer zu beschreiben. Den Ort umströmt Ueberfluß der Waffer, welche den Trinkenden weder durch zu große Kälte beschweren, noch dem sich Abkühlenden durch ihre Weichheit beschwerlich fallen. Vögel, von frisch proffenden Zweigen empor ge- tragen, bewirthen die Zuschauer gastfrei mit wohltönendem Gesang, ohne Gram und Zorn der Uebel aller ver- geffend, so gewähren sie den Wanderern Schmerzlosigkeit durch ihre Gesänge. Epheu, Myrthe und Eiben mit allen andern Blumen führen in der schönsten Harmonie dem ein- geweihten Geruchsinne ätherische Wollust im reichsten Maße zu und bereichern mit süßen Düften den Fremdling, als ob fie nach dem besten Brauche der Gastfreundschaft Zuberei- tungen der Fröhlichkeit träfen. * Den Fluß Camozik, der sich reißend durch ein Thal des Balkan windet, durchritten wir, sahen an seinen Ufern das malerisch gelegene Dorf Camozikmala und kamen zum zweiten Absatz des Gebirges, den wir größtentheils mittelst des ausgetrockneten Bettes eines Waldstroms erstiegen. Der- felbe wand sich an manchen Stellen sehr steil zwischen himmelhohen Felsen durch, wobei sich die Kraft und Ge- lenkigkeit der kleinen Pferde erst recht erprobte. Wie Ziegen kletterten sie empor, ohne je stehen zu bleiben, eins dem andern nach. Es war sonderbar anzusehen, wie sich die * Hammer, Gesch. d. o. R. I. 59 Caravane zwischen den grauen Steinen und verkrüppelten Eichen schlangenartig durchwand. Als es Abend wurde, befanden wir uns nicht weit mehr von der Spitze des Gebirges. Der Himmel war den ganzen Tag über klar und rein geblieben, was uns einen herrlichen Sonnenuntergang versprach. Aus dem Thal erhob sich der bläuliche Nebel, mit dem wir zu den von der Abend- fonne beleuchteten Felsenkronen emporstiegen. Endlich erreich- ten wir die Höhe. Da lag das Gebirge rings um uns, ruhig und groß, in den schönsten Farben vom Schwarz der Nacht, das den Fuß der Berge umgab, in hundert Tönen zum hellen Gold ihrer Spitzen; ein wunderschöner Anblick! darüber der sternbesäete Himmel mit der jungfräulichen Mond- fichel, die schüchtern hinter einigen Tannen hervorlugte. Ueber unsern Häuptern kreiste ein mächtiger Adler und stieg höher und immer höher; wir sahen ihn noch von der Sonne beleuchtet, als sie unsern Blicken längst entschwunden war. Was mich aber an dieser Stelle besonders freundlich, ja rührend ansprach, war ein einsamer Kiosk, eine Laube von wilden Reben, die auf der äußersten Ecke eines Felsen stand, Wer mochte sie gebaut haben? Alles war roh gearbeitet, und doch lag ein eigener Reiz auf dem Ganzen. Sie stand auf der schönsten Stelle des Bergrückens und gewährte eine Aussicht weithin über die Ausläufer des Gebirges. Was mochte das Herz gefühlt haben, das sie errichtet? War es vielleicht Balsam für seine Schmerzen, so hinaussehen zu können in die Welt? war ihm vielleicht dorthin ein geliebtes Wesen entschwunden und der gefeffelte Körper konnte der enteilenden Raubwolke nur den freien Blick nachsenden? - Unsere Station wäre für heute Karnabat gewesen; indeffen hielt es der Tartar wegen der Dunkelheit und des wirklich gefährlichen, steinigten Weges für zweckmäßig, in einem kleinen Dorfe, Dobrol, welches wir in einer Stunde 60 erreichten, zu übernachten. Wir kehrten bei einem griechischen Bauern ein. Hamsa, der edle Tartar, bereitete ein Pillau, und F., der treffliche Maler, schlachtete eigenhändig zwei Hühner. Unsere Wirthin rückte einen hölzernen Trog in die Mitte des Zimmers, rührte Mehl mit Waffer an und knetete hieraus einen ziemlichen Kuchen, der in die Holzasche gelegt wurde und unser Brod geben sollte. Nach einer halben Stunde wurde er herausgezogen, mit einer eisernen Schaufel gereinigt, und ich für meine Person muß gestehen, daß er äußerst schlecht schmeckte. Nach einem Ritt von vierzehn Stunden, den wir heute, und an den steilen Stellen des Gebirgs meistens zu Fuß gemacht, schliefen wir auf dem harten Lehmboden, den uns Frau Wirthin zum Bette anwieß, recht gut. Um fünf Uhr verließen wir Dobrol und kamen um neun nach Karnabat, wo wir Pferde wechselten, Trauben und Kaffee genoffen und zum erstenmal ein Nargileh (Wafferpfeife) dazu rauchten. Hier erhielten wir gute Pferde, die wir aber auch brauchen konnten; denn heute waren unsere beiden Reitknechte so lustig und munter, daß wir fast beständig scharfen Trab ritten. Unser Weg ging durch sehr coupirtes Terrain, Aus- läufer des Balkan, meistens mit niedrigem Gesträuch be- wachsene Haiden, bergauf und ab. Zuweilen kamen wir über Wiesen, auf denen zahlreiche Krokus blühten. In meinem Leben habe ich keinen wildern Ritt gemacht. Wir jagten durch Schluchten und über Gräben weg, unsere Führer mit ihrem sonderbaren Geschrei stets an der Spitze. Bald gings durch einen Bach, daß das Waffer über unserm Kopf zusammenschlug, bald unter alten Eichen hinweg, wo man sich auf den Hals des Pferdes legen mußte, „um nicht die Mütze zu verlieren oder sich gar die Stirne blutig zu stoßen, was mir indessen doch begegnet ist. Unsere Pferde sind 61 Abhänge hinabgelaufen, an denen ein Fußgänger einen Augenblick fragen würde: „foll ich oder soll ich nicht?“ Aber wir mußten nach, unfer Tartar war wie beseffen und schrie in einem fort: „Heide! Heide!“ während er auf seinem kleinen Pferdchen dahin sprengte. Als es dunkel wurde, wuchsen die Gefahren; aber die Führer kümmerten sich um nichts und ritten durch Dick und Dünn, und hätte nicht der Baron die Spitze genommen und stets gerufen: Achtung! ein Stein! ein Loch! ein Baum- . ast! u. f. f., so wären wir sicher nicht unverletzt auf der Sta- tion angelangt. Wir kamen indessen glücklich nach Faki, und brachen den folgenden Morgen sehr zeitig auf; wir hatten bis Adrianopel neunzehn Stunden und wollten es noch bei guter Zeit erreichen. Den ganzen Tag ritten wir scharf durch sehr unintereffantes Terrain, bis Nachmittags, wo eine unabsehbare Ebene sich vor uns ausbreitete, in welcher einige von uns, obgleich sehr undeut- lich, vier Minarets fern am Horizont sahen–Adrianopel. Wie jubelten wir beim Anblick der zweiten Hauptstadt des Reichs! Dort wollten wir einen Tag rasten, und dann aufs neue Immer zu, immer zu, Ohne Rast und Ruh! Aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Bei ein- brechender Nacht kamen wir in die Nähe der Stadt, nach- dem wir in der Dämmerung eine Stunde lang gegen die vielen glänzend beleuchteten Minarets geritten waren, von denen wir bei ihrem ersten Anblick sieben Stunden entfernt gewesen, so weit und flach ist das Thal, in welchem Adrianopel liegt. Wir hatten noch einiges Waffer zu passieren, das fich in kleinen Seen auf der Straße gesammelt hatte, und trabten dann auf einem ungemein holprigen, ganz vernachlässigten 62 Pflaster bis an das Thor der Stadt, aus zwei armseligen Häusern bestehend, von denen eines eine Wache vorstellte und mit dem andern durch eine Brücke zusammen hing. Dieses städtische Gebäude wurde durch eine kleine Ampel beleuchtet, die sich über unsern Köpfen an einer eisernen Stange ächzend wiegte, als fühle sie ihre Jämmerlichkeit. Hier stockte auf einmal unser Zug. Wir hinten wußten nicht warum und verstanden auch zu wenig türkisch, um zu errathen, was zwischen unserem Führer Hama und der Wache verhandelt wurde. So hielten wir eine halbe Stunde, müde, fröstelnd, da wir uns warm geritten hatten und nun in der kalten Abendluft still hielten, murrend über die fehl- geschlagene Hoffnung, bald in ein Quartier zu kommen und unsere erstarrten Glieder auf weichen Kiffen ausstrecken zu können. Der Tartar hatte den Paß des Barons genommen und war damit in die Wachstube gegangen. Er kam endlich wieder und bedeutete uns abzusteigen und ihm dahin zu folgen, da unsere Päße erst dem Pascha vorgelegt - - werden müffen, ehe wir einreiten dürften. Wir traten in das niedrige, von einem an der Wand hängenden Lichte spärlich beleuchtete Zimmer, und warfen uns gleich auf die Binsen- matten und Polster, die an den Seiten lagen. So viel der dicke Tabaksqualm erkennen ließ, hatte das Zimmer bloß vier nackte Wände, einen Kamin und ein einziges Fenster von einem Fuß im Quadrat. Die edeln Stadtwächter, junge Türken, kauerten an den Wänden, Pistolen und Dolch im Gürtel, die Pfeife im Munde. Ich war vor Ermüdung beinahe eingeschlafen, als Hama erschien und uns, die wir jetzt hofften, erlöst zu seyn und unsern Chan aufsuchen zu dürfen, in einen schmutzigen Winkel der Straße führte mit dem Bedeuten, uns ruhig zu verhalten und nicht von der Stelle zu gehen. Auch gelang es uns, aus 63 feinen Worten und Geber den endlich so viel abzunehmen, wir möchten, wenn wir gefragt würden, sagen, unsere Caravane habe Schumla nicht berührt, sondern fey um die Stadt herum gegangen. Was sollte. Alles dies bedeuten? warum hielt man uns hier auf? Zuweilen hörten wir ein verhängnißvolles Wort neben uns flüstern: Calendur, was Quarantaine bedeutet. Aber der Gedanke war zu neu und schrecklich, um ihm nachhängen zu können. Hatte man doch nie gehört, daß die Türken ihr Land mit einer Quarantaine umzogen; wozu auch? und brachten wir ihnen doch gewiß keine Pest. Unserer Ungewißheit wurde auf einmal ein Ende ge- macht; ein Türke mit dem Feß auf dem Kopfe kam auf uns zu, stellte den langen Stock abwehrend vor sich hin und deutete auf ein höchstens zwei Fuß hohes Loch in der alten Stadtmauer, das man öffnete und durch welches wir in einen rings mit hohen Mauern umgebenen Hof kriechen muß- ten. Mehrere der Wachen umgaben uns mit den finstern, bärtigen Gesichtern, und ihre Dolche und Pistolen leuchteten recht unheimlich bei der düstern Flamme einer beinahe abge- brannten Pechfackel, die einer vor uns hertrug, bis zu einem größern Thor, das nach mehrmaligem Klopfen geöffnet wurde. Wir traten in einen zweiten Hof, und hinter uns riegelte man das Thor wieder zu. Das Terrain, auf welchem wir uns befanden, schien ein Garten oder eine Baumanlage; wir waren wenigstens von Bäumen umgeben und unsere Füße traten auf lockern Grund. Ein coloffalles Schöpfrad hob sich neben uns aus einer Waffergrube und goß langsam das gesammelte Wºffer aus seinem morschen Eimer, worauf dieser mit melancholischer Klage in die Tiefe zurückfank. Wir schleppten unsere müden Glieder noch einige Schritte weiter und wurden dann mit langen Stöcken in ein einsam stehendes Haus beinahe hinein- geschoben. Durch einen schmutzigen Gang gelangten wir in 64 ein Zimmer; zugleich mit uns setzte man eine Kohlenpfanne und ein brennendes Talglicht hinein und schloß die Thüre ab. Hamsa, unser Tartar, kauerte an die Wand und schien über unsere Lage nachzudenken, wenigstens sprach er nichts, sondern fah uns sehr wehmüthig an. Auch wir betrachteten unsern Aufenthalt und uns gegenseitig. Der Baron zog in stiller Resignation ein kleines türkisches Wörterbuch aus der Tasche, um mit Hülfe desselben den Tartaren zu befragen, was man eigentlich mit uns vorhabe. Kaum sah Hamsa das Buch in den Händen des Ba- rons, als er gleich zu ihm hinrutschte und zu feinen Füßen gelagert ihm aufmerksam in die Augen fah. Ueberhaupt kam Hamsa, so oft v. T. dieses Büchlein zur Hand nahm, eilends herbei und merkte genau auf jedes Wort, das er ihm allen- falls sagen wollte, wogegen wir Andern lange schreien mußten, bis er unsern Befehlen oder Bitten Gehör gab. Diesmal wartete aber der Tartar die Frage nicht ab, sondern wohl merkend, um was es sich handle, sagte er: Schumla Gümur- tochak, burda Calendur,“ d. h.: „Schumla Pest, hier Quarantäne.“ Dies erfüllte uns mit nicht geringem Schrecken, und wir sahen auf einmal unsere trostlose Lage. Deshalb auch früher eine Bitte, wir möchten versichern, Schumla nicht berührt zu haben. – So saßen wir also fest, mit der nächsten Aussicht, die Nacht in diesem Loche zuzubringen, das nichts enthielt, als einige schlechte Binsenmatten und an den Wänden Erhöhun- gen von Holz, Divans vorstellend; auch hatten wir weder gefrühstückt noch zu Mittag gegessen, und unsere Reisesäcke enthielten außer Thee und Chokolade nichts Genießbares. Von den Türken, unsern Wächtern, war auch nichts zu hof- fen, denn nachdem sie uns ein Kohlenbecken hineingeschoben und jedem eine kleine Taffe Kaffee verabreicht hatten, schlos- fen sie die Thüre, so wie das ganze Haus, und kein noch (65 fo heftiges Klopfen und Schreien bewog einen, nach unfern Bedürfniffen zu sehen. So waren wir denn förmlich ge- fangen und fügten uns in dieses traurige Geschick fo gut wie möglich, legten nns auf den harten Boden und schlie- fen, in die Pelze gewickelt, ziemlich fest, um den folgenden Morgen wie gerädert aufzustehen. Morgens erschien der Arzt der Quarantäne, ein junger Italiener, um uns in Augenschein zu nehmen; ein sehr artiger Mann, der uns in der Folge mit großer Artigkeit behandelte, und es ungemein bedauerte, daß wir die Nacht so schlecht zuge- bracht. Der Baron bemerkte ihm ziemlich ernst, es fey doch unverantwortlich, Reisende einzusperren, ohne sich um ihre nothwendigsten Bedürfniffe im Geringsten zu bekümmern. Der Arzt entschuldigte die Anstalt, weil sie noch so jung fey, und gab uns dabei eine kurze Geschichte ihrer Ent- stehung. Die Gesandten der auswärtigen Mächte haben die Quarantäne eingesetzt, damit die Pest so viel möglich von der Hauptstadt abgehalten würde und so sie selbst gesichert wären. Obgleich noch sehr mangelhaft, habe sie doch schon sehr schöne Resultate geliefert, denn seit zwei Jahren wäre von der fürchterlichen Seuche Konstantinopel und Pera nicht verheert worden. Letzteres hörten wir später dort be- stätigen. Dann zuckte der Arzt die Achseln und meinte in Betreff der schlechten Behandlung der Reisenden, müsse man nicht vergeffen, daß man in der Türkei fey. Dies hatten wir in den letzten Tagen auch sattsam erfahren. Wir waren also in der Quarantäne und suchten uns diesen Aufenthalt so erträglich und angenehm zu machen als möglich. Die deutschen Consuln und der englische, die wir von unserm Unglück in Kenntniß gesetzt hatten, bemühten fich, besonders der letztere, uns nach ihren Kräften mit dem Nothwendigsten zu versehen. Nachmittags erschien ein Wagen, der zwei freilich sehr defecte Tische, einige Stühle, blecherne Hackländer, R. in d., O, 5 66 Pfannen, Wein, Butter, Reis und einen Schatz, nämlich einen Sack mit Kartoffeln, brachte. Die Quarantäneanstalt stellte uns einen Mohren als Kammerdiener und Koch, der aber mit immenser Körpermaffe eine unbeschreibliche Faulheit verband; auch bestand seine ganze Kochkunst in der Bereitung eines sehr mittelmäßigen Pillau, so daß wir uns genöthigt sahen, unsere Küche eigen- händig zu versehen. Ein Jude, der jeden Tag zweimal ein- gelaffen wurde, brachte. Alles, was wir verlangten, nur ließ er sich sehr theuer bezahlen, und so konnten wir unsern Tisch gleich am ersten Tage mit einer vaterländischen Fleischsuppe und Kartoffeln versehen. B. und ich verstiegen uns den zweiten Tag sogar zu einem Schöpfenbraten und einem Huhn, das ich in Ermanglung von etwas Befferem mit Trauben und Brod stopfte. So lebten wir ziemlich anständig, tranken Morgens unsern selbstbereiteten Kaffee und Abends einen selbstgebrauten Punsch und spielten darauf bis in die späte Nacht Whit, ehe wir unsere Schlafstätten aufsuchten, d. h. die Tische und Stühle in eine Ecke rückten und uns auf den Boden legten. Unser Kislar-Aga, ich meine unsern Quarantänewächter, der den ersten Tag jeden unserer Schritte und Tritte mit der größten Malice bewacht und stets mit seinem langen Stock in die Luft gefuchtelt hatte, wurde mit der Zeit ganz ge- schmeidig und unser bester Freund. Er hieß Mustapha und fuchte nebst einen Trabanten jede Communication nach Außen zu verhindern, wobei sie aber selbst in unser Zimmer kamen, unsere Sachen anfaßten und sich als ächte Muselmänner und Fatalisten aus der Ansteckung nichts zu machen schienen, es sey denn, daß sie unsern Worten, wir eyen nicht in Schumla gewesen, Glauben beimaßen. Kurz, sie spielten mit uns, fo zu fagen, Quarantäne, und ließen uns im Innern alle Freiheit. Unser Mohr, er hieß Mertschan, auf deutsch 67 Koralle, der den Tag über mit uns eingeschloffen war, ver- ließ sogar das Haus zuweilen Abends, um einer Dame, einer Bekanntschaft, eine Visite zu machen. Ein großer, mit Maulbeerbäumen bepflanzter Garten, der an unser Gefängniß stieß, diente uns als Spazierplatz und Jagdgehege; wir schoffen hier jeden Morgen oder Abend einige Rebhühner, von denen sich große Ketten stets dort aufhielten. Ein anderer Zeitvertreib bestand darin, daß wir mit unsern Gewehren und Pistolen nach irdenen Gefäßen schoffen; kurz, wir amüsierten uns, so gut es ging, um die uns be- stimmten zehn Tage zu tödten. Man hatte uns mit dieser Frist sehr gnädig behandelt, denn die Vorschrift ist eine vier- zehntägige Quarantäne. Während der ganzen Zeit hatten wir unbeschreiblich schö- nes und warmes Wetter, der Himmel hing blau und rein über uns, und das Laub der Bäume, so wie das Gras zu unsern Füßen war faftig und grün, wie bei uns im Frühjahr, und doch hatten wir schon beinahe die Mitte Novembers erreicht. Den Untergang der Sonne und den Eintritt der Nacht, die hier fast ganz ohne Dämmerung einbricht, genoffen wir meistens vor der Thüre, auf einer Binsenmatte sitzend, und sahen, wie die Minarets des Ramasan wegen allmälig be- leuchtet wurden und in kurzer Zeit mit Tausenden von Lichtern durch die Nacht glänzten. – Wahrhaft lächerlich war in diesen Augenblicken das Benehmen unserer Türken. Sie, die während dieser Zeit den ganzen Tag sich aller Speisen und Getränke, sogar des Rauchens enthalten müffen, faßten schon geraume Zeit vor Sonnenuntergang ihre Löffel und Pfeifen und fielen beim Knallen des Kanonenschuffes, der das Ende des Tages anzeigt, mit wahrer Wuth über Speisen und Tabak her. Von Adrianopel selbst bekamen wir während unserer Gefangenschaft nicht viel zu sehen; aus unserm Bodenfenster, 5 68 dem höchsten Punkte des Hauses, übersahen wir nur einige Reihen türkischer Häuser, an einen kleinen Berg hingebaut, so wie aus- gebreitete Rosenpflanzungen, aus denen das vortreffliche Rosenöl gewonnen wird, womit Adrianopel den Orient und Occident versorgt. In der Ferne erhob sich die Moschee Sultan Se- lims, nach der Aja Sophia in Konstantinopel die schönste des ganzen türkischen Reichs. Rechts sahen wir aus dunkeln Platanen einige halb zerfallene Mauern und Kioske herab- blicken, deren großartige Formen und reiche Verzierungen von früheren glänzenden Zeiten sprachen – das alte Serail. Nachdem wir so neun Tage verlebt, trat Abends der Arzt in unser Zimmer und kündigte uns für den folgenden Tag die Freiheit an; zugleich donnerten an allen Puncten der Stadt die Kanonen und die Illumination der Minarets war großartiger und reicher, als gewöhnlich. Aber alles dies geschah nicht unserer Befreiung zu Ehren; ein Courier hatte am Abend die Nachricht gebracht, daß dem Großherrn in Stambul die fünfte Tochter geboren fey. Am andern Morgen erschien der Oberaufseher der Qua- rantäne und führte uns durch einen Handschlag wieder in die allgemeine menschliche Gesellschaft ein. Unser erster Ausflug war nach dem alten Serail ge- richtet, das in seiner verfallenen Herrlichkeit, öde und einsam zwischen den dunklen Bäumen, mich schon lange geheimnißvoll angelockt hatte. Wir gelangten über eine große, gepflasterte Esplanade zum äußersten Thor, vor dem man uns zwei runde große Steine zeigte, anf welche die Köpfe der Hingerichteten gesteckt wurden. Rechts und links lagen in Schuppen alte Kanonen auf ihren Lafetten. Durch dieses Thor traten wir in den ersten Hof, der ziemlich groß ist und mit kleinen Steinen gepflastert, zwischen denen das Gras hervorwuchert. Alles war still um uns, jeder Fußtritt hallte in den unbewohnten Räumen wieder und die Treppen zu den Ge- 69 bäuden waren zerfallen. Ein Springbrunnen im Hofe war mit Schlingkraut bewachsen, und um die abgebrochenen Wafferröhren spielten kleine Eidechsen; es kam mir vor wie ein verzaubertes Schloß, urplötzlich von seinen Bewohnern verlaffen. In einem Ziehbrunnen hing noch der Eimer; wir zogen ihn herauf und genoffen das eiskalte Waffer. Unter dem ersten Thorwege stand eine vergoldete Damensänfte mit ihren dünnen Gitterstäben, einem großen Vogelbauer ähnlich. Der zweite Hof war mit Gebäuden umgeben, in denen die Diener- fchaft gewohnt, und führte durch eine Art Kiosk in den dritten und letzten, zum Sitz der Glückseligkeit und der Geheimniffe des Harems. Vor hundert Jahren wäre der Eintritt in dieses Thor der Eintritt in unser Grab gewesen; jetzt erhoben sich nur rechts und links einige Raubvögel und wilde Tauben, ängst- lich flatternd, als wollten sie uns abmahnen, weiter vorzu- dringen. Auf diesem Hofe und vor den Gebäuden dieselbe Verödung, wie im ersten und zweiten: unsere Vorstellungen von orientalischem Luxus und der geträumten Pracht eines Serails wurden hier sehr herabgestimmt: alte Gebäude von Holz, mit gemalten geschmacklosen Zierrathen überladen. Wir besahen jetzt das Selamlik, oder Haus der Männer, so wie den Harem, das Haus der Weiber. Ersteres besteht vorzüglich aus einem thurmähnlichen, ziemlich hohen Gebäude, von defen Plattform wir nach Ersteigung einer halsbrechenden Treppe einer schönen Aussicht auf die Stadt und Umgegend genoffen. Im Innern ist dieser Bau in drei Stockwerke geheilt, von denen die untern drei, das obere zwei Zimmer enthalten. Hier ruhten die alten Sultane und fahen dem Plätschern der Springbrunnen zu; hier überdachten sie, welchen Vezier oder Pascha sie mit der seidenen Schnur beglücken sollten. Dort in der Ecke lag der Großherr und machte mit der Hand eine horizontale Bewegung, wenn ihm der Großvezier die 70 Namen von Gefangenen oder Verdächtigen, vielleicht auch nur von Reichen, deren Besitzungen ihn lockten, vorlas, und diese Handbewegung fiel als schrecklicher Blitzstrahl über's ganze Land hin, rüttelte hundertfachen Jammer auf und fraß das Glück ganzer Familien. In jenen Vorzimmern standen die Großen des Reichs und warfen sich nieder vor dem Beherrscher der Gläubigen, wenn er hindurch ging nach dem dahinter liegenden, auf's Köstlichste eingerichteten Gemach, wo ihm der Kislar-Aga die frisch angekommene weiße Sklavin triumphierend zeigte. Wie viel Thränen und Flüche mögen diesen Boden benetzt haben! mehr als er zu tragen vermochte, denn er ist jetzt durchfreffen und eingestürzt. Die Wandbekleidungen sind meistens herabgefallen und bedecken die Erhöhungen, auf welchen die prächtigen Polster lagen. Die Springbrunnen find trocken und verstaubt, das Ganze eine Ruine, von Ge- spenstern bewohnt, die sich an meine Brust hängten und mich erst losließen, als ich wieder den freien blauen Himmel über mir hatte. Es ist zuweilen gut, daß das Gedächtniß nicht im Stande ist, die Thaten, die an gewissen Orten geschehen, und die man früher mit Schaudern las, frisch und lebendig vor das innere Auge zu führen und die öden verfallenen Räume, in denen man herumwandelt, Gespenstern gleich da- mit zu bevölkern. Welche mächtige Schatten könnte man hier herauf beschwören, aber alle würden mit blutbefleckten Händen kommen. Wer denkt nicht an Murad, den ersten Sultan, der hier residierte, der von hieraus in kurzen Worten dem einen Sohne den Befehl gab; den andern zu ermorden? Der fich am Fluffe Hebrus, welcher die Mauern der Stadt benetzt, ein Zelt bauen ließ, und ruhig zusah, wie die ge- fangenen griechischen Edeln, je zwei und zwei zusammen ge- bunden, von dem Stadtwalle in die Flut gestürzt wurden? 71 Der von hier aus Serbien und Bulgarien beunruhigte bis er auf der Ebene von Coffowa von dem serbischen Edeln Milosch erstochen wurde! Ihm folgte Bajefid, genannt der Blitzstrahl, der bei feiner Thronbesteigung den Ausspruch des Korans, daß Un- ruhe ärger als Hinrichtung ist, auf seinen armen Bruder Jakub, dessen Daseyn ihn in seiner Herrschaft beun- ruhigen könnte, anwandte und ihn hinrichten ließ. Er war der Erste, der Constantinopel, obwohl fruchtlos belagerte, fo wie die Wallachei, Bosnien, und Ungarn mit seinen Truppen überschwemmte. Trotz seinen vielen Kriegszügen war er es doch, der das Beispiel zur spätern großen Sitten- verderbniß gab, wodurch er anfing, das Reich und sich selbst zu vernachlässigen. Er war der erste osmanische Fürst, der dem Gebote des Islams zuwieder, Wein trank; auch schlich sich an seinem Hofe zuerst das schändliche Laster der Knaben- liebe ein. -- Von ihm erzählt man, daß er einstens einem Pagen, den ein altes Weib verklagte, er habe ihr ein Gefäß voll Milch ausgetrunken, was jener hartnäckig läugnete, den Bauch aufschneiden ließ, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Nach seinem Einfall in Ungarn, wo er in der Schlacht von Nikopolis den König Sigismund, so wie die deutschen und französischen verbündeten Ritter, gänzlich aufs Haupt schlug, ließ er zehntausend christliche Gefangene hinrichten. Nur die Tollkühnheit und Vermeffenheit der französischen Ritter, die vor der Schlacht in ihrem Uebermuth sprachen: und wenn der Himmel einstürzte, würden sie ihn mit ihren Speeren aufhalten, waren Schuld dieser gräßlichen Nieder- lage. Weniger vermeffen war Bajesids Ausspruch: er werde nächstens ein Pferd auf dem Hochaltar der Peterskirche zu Rom Haber freffen laffen. * * Hammer, Gesch. d. o. R. I. 72 Doch nach allen diesen glänzenden Thaten und Eroberungen wurde dem Blitz strahl ein so trauriges Ende. Wer weiß nicht, daß ihn Timur-Khan in der Schlacht von Angora ge- fangen nahm, und ihn der Sage nach lange in einem eisernen Käfig verwahrte, wo er elend starb. Nach dem Abzuge der Tartaren aus Europa bestieg Bajesids Sohn, Suleiman, den Thron der Osmanen, der neben seinen vielen guten Eigen- fchaften aber auch der weichlichste und verderbteste war. Hier in Adrianopel schwelgte er in Wein und Bädern, unbekümmert um die Drohung seines Bruders Musa, der eine große Truppenwerbung anstellte, um Suleiman vom Thron zu stoßen. Die verfallenen Gemäuer, die wir so eben durch- schritten, waren vielleicht noch Zeuge von den Trinkgelagen des Padischah. Dort erhob er sich wahrscheinlich von seinem Polster und fragte mit lallender Zunge, als einstens im Lager Tumult entstand, eines Hirsches wegen, der sich in daffelbe verirrt, ob das Thier nicht eine Flasche Wein auf dem Geweihe führe, in welchem Falle er sie ihm gerne ab- stoßen würde. Links im Hofe sahen wir noch die Ueberreste alter Bäder; dort lag wahrscheinlich Suleiman und schwelgte mit feinen Weibern, als man ihm die erste Nachricht brachte: Musa stehe vor den Thoren. Dem ersten antwortete er mit einem persischen Vers, worauf der Greis Ewrenos, der Zweite, der feinen Herrn aus der Unthätigkeit zu erwecken sich bemühte, die Antwort erhielt: „Bist Du von Sinnen, Alter, daß Du mir mit solchen Grillen die Freude stört? Wer ist Musa mit einigem zusammengerafftem Ge- finde, daß er den Kampf um den Thron je wagen könne?“ Ewrenos, auf diese Art abgefertigt, klagte die Noth dem Janitscharen Aga Haffan, welcher, der Dritte, den Herrn mit schärferen Reden aufzustacheln suchte. Suleiman, erzürnt über die Freiheit der Vorstellungen des Aga, befahl, ihm 73 mit dem Säbel den Bart zu scheeren. Haffan mit zerfetztem Gesicht ritt durch's Lager und bewog die Emire durch das, was ihm so eben widerfahren, sich an ihn anzuschließen und zu Musa überzugehen. Sie folgten ihm. Alle bis auf drei, welche allein bei Suleiman aushielten, als treue Begleiter auf der Flucht, die er nun aus dem Bade nach Constantinopel ergriff. Auf dem Wege dahin wurde er beim Dorfe Dugundschi, dessen turkomanische Einwohner von seinen Leuten vielfältig mißhandelt worden waren, am Schmuck der Kleidung und des Pferdes erkannt; fünf Brüder, alle fünf geübte Reiter und Bogenschützen, ritten ihm vor, vielleicht nur aus Neugierde, ihn beffer zu sehen. Suleiman, durch ihr Vorreiten erschreckt, schoß erst einen, dann den zweiten nieder, da schoßen die drei übrigen zugleich ihre Pfeile auf ihn, und als er vom Pferd gestürzt, schnitten sie ihm den Kopf ab. So haben die Ströme Bluts, die diese drei Herrscher und die meisten nach ihnen vergoffen, sich fast immer gerächt, und ließen die Sonne ihres Lebens, die sich strahlend erhob, in dunklen, roth gefärbten Gewitterwolken untergehen. Doch hat der Boden, auf dem wir standen, und auf dem unzählige Gräuelthaten vorgingen, die Blutlachen aufgetrunken und aufsproffende Blumen und Kräuter haben sie mitleidig verdeckt. Der Harem ist freundlicher und beffer erhalten, als alle andern Gebäude. Der Aufseher weigerte sich anfangs, uns das Kiosk der Sultaninnen aufzuschließen, und konnte nur durch ein bedeutendes Trinkgeld dazu bewogen werden. Dieses Gebäude bildet ein regelmäßiges Viereck mit zwei Thüren, zwischen denen ein Vorsprung oder Erker sich befindet, von dessen Fenstern aus man dieselben genau bewachen konnte. Hier wohnten die Eunuchen, um die Eingänge zu den Zimmern ihrer armen Gefangenen stets im Auge zu haben. Wir traten zuerst in eine Art Vorsaal, mit Marmor schön 74 ausgelegt und ziemlich gut erhalten; in der Mitte der un- entbehrliche Springbrunnen, aber auch hier ohne Waffer. Dieser Saal diente als gemeinschaftlicher Spielplatz; er hat rings Erhöhungen zu Divans und eine Wand von geschnitztem Holze. Die Fenster bestehen zum Theil aus farbigem Glase mit grotesken Blumen und sind mit doppelten Gittern ver- sehen. Weit reicher noch und mehr orientalisch sind die inneren Zimmer, die Wände belegt mit Ziegeln, deren bunte Bemalung in lebhaften Farben Blumenguirlanden vorstellt. Es war ein eigenes Gefühl, hier zu wandeln, wo früher außer dem Großherrn und den Eunuchen kein männliches Wesen geduldet wurde, sich hinzustrecken auf die Erhöhungen, auf deren Polstern die Sultaninnen gelegen, und die kleinen, noch gut erhaltenen Wandschränke von vergoldetem Holze zu öffnen, worin die Odalisken Kleider und Geschmeide sorgsam verwahrt. Ich weiß nicht warum, aber wir sprachen. Alles leise zusammen, als fürchteten wir, draußen schlafende Wächter zu erwecken; auch hielten wir uns nicht sehr lange hier auf, denn unser Führer schien eine Vollmacht überschritten zu haben, indem er uns diese Gemächer zeigte; er trieb bestän- dig zur Eile an und blickte stets nach dem Hofthor, als fürchte er dort einen Verräther erscheinen zu sehen. Einer unserer Begleiter, der Dragoman des englischen Consuls, erklärte uns noch einige Sprüche des Koran, die an die Wände geschrieben waren und zeigte uns die Namen der sechs Propheten, Mahomed, Osman, Omar, Ali, Abubekr und Haffan, die fast in allen türkischen Häusern irgendwo in großen Schriftzügen zu lesen find. Hier waren sie in die Fayence der Wandbekleidung eingebrannt. Wir verließen den Harem; ich brach mir eine wilde Blume, die in einem der Zimmer aus dem Fußboden her- vorwucherte, und legte sie als Andenken in die Brieftasche. Ein großer Hirsch, der sich auf dem Hofe zu langweilen 75 fchien, begleitete uns in zierlichen Courbetten bis zum Thore der Glückseligkeit, wo er uns stolz verließ und in die Ge- mächer zurückkehrte. Wir wanderten der Stadt zu, die, ob- gleich eng und winklicht gebaut, wie alle türkischen Städte, doch etwas reinlicher schien als Schumla. Wir begaben uns zunächst zu der großen Moschee Sultan Selims, die mit ihren vier Minarets und großartigen Kuppeln eines der schönsten Gebäude ist, die ich je gesehen. Das Innere des Tempels betraten wir nicht, weil es uns, die wir zur morgigen Abreise im Reitcostüm waren, zu beschwerlich gewesen wäre, die Stiefeln auszuziehen. Beinahe hätte man uns so, wie wir waren, hineingelaffen: Da wir in defen den Muselmännern kein Aergerniß geben wollten, bestiegen wir nur eines der Minarets von eigenthüm- licher Banart, indem sich bis zum ersten Absatz drei Treppen zugleich hinaufwinden. Um in die Spitze des Thurms zu gelangen, mußten wir dreihundert und fünfzig Stufen er- steigen, genoffen dann aber einer herrlichen Aussicht. Nun durch strichen wir die Bazars, welche hier schon bedeutend reicher sind, als in Rutschuk und Schumla, und gingen durch die Stadt zum Fluffe Maritza, um dort eine neue, noch im Bau begriffene Brücke zu sehen, welche schon dreimal, nachdem sie beinahe vollendet, eingestürzt war. Uns wunderte das gar nicht. Wie wir unter beson- dern Feierlichkeiten den Grundstein eines Gebäudes legen, so ist es ein Fest bei den Türken, den Schlußstein zu legen. Daher schließen sie die Gewölbe der Brückenbogen nicht, son- dern stecken hölzerne Keile hinein, bis der Pascha Zeit oder Laune hat, die Schlußsteinlegung vorzunehmen. Der hiesige hatte das einigemal versäumt, weshalb das sonst gar nicht üble Gebäude, wie schon gesagt, mehrmal zusammengestürzt war. Der englische Consul, der uns in der Quarantäne mit Gefälligkeiten überhäuft, hatte uns heute zu Tische geladen, 76 was uns Allen in Ermangelung eines guten Gasthofs und nach zehn Quarantänetagen, die uns im eigentlichen Sinne des Worts im Magen lagen, äußerst erwünscht war. Seine Küche, halb englisch, halb nach der Sitte des Landes, war vortrefflich. Nach dem Effen nahmen wir mit Vergnügen feinen Vorschlag an, durch die Stadt zu wandern und die Illumination anzusehen, die schon wegen des Ramasan, aber zu Ehren der neugeborenen Prinzessinn heute doppelt glänzend war; auch versprach er uns wo möglich noch diesen Abend dem Pascha vorzustellen. Wir zogen aus, vor und hinter uns Kawaschen (Wachen) und Diener mit großen Laternen und Stöcken, fanden aber, nachdem wir durch ein paar Straßen gegangen, die Illumi- nation äußerst armselig. Außer farbigen Laternen und Blech- lämpchen, die einzeln an den Häusern hingen, sahen wir hie und da auf einem kleinen Platze eine Pechfackel, bei deren rothem Scheine die Türken lärmend irgend ein Back- werk verzehrten. Nur beim Palast des Pascha, zu dem wir bald gelangten, war es lebhafter. Das Gebäude hatten wir schon diesen Morgen vom Minaret der Moschee aus gesehen, von wo aus es einer deutschen großen Caserne glich: ein beinahe viereckiger Bau, der einen Hof umschließt, mit regelmäßigen Fenstern ohne die vielen Erker nnd Schnörkel der übrigen türkischen Häuser. Die Facade war mit Lämpchen aufs Beste heraus- geputzt; sie stellten Sterne und Halbmonde, auch Namens- chiffern vor, nur lief Alles bunt, ohne Symmetrie durch- einander. Am Thor standen mehrere zerlumpte Bursche mit großen Pechpfannen, und hier wogte eine große Menschen- muaffe aus und ein. Auch wir folgten dem Strome mit Hülfe unserer Ka- waschen, welche uns mit ihren Säbeln überall Luft machten, und fanden im Hofe ein seltsames Treiben und Leben. Auf 77 den ganzen Platze waren Pechpfannen in die Erde gesteckt, welche die Menschenmaffen rings um ziemlich beleuchteten. In der Mitte saß eine Musikbande auf dem Boden und machte mit einigen Violinen, Zithern, Querpfeifen und Trommeln einen heillosen Lärm. Indeffen hielten sie bei aller Disharmonie vortrefflich Takt, zu dem in der Mitte des großen Kreises, den das Volk bildete, zehn bis fünfzehn Tänzer die groteskesten Sprünge machten und eine sich immer widerholende Melodie mit näselndem Tone fangen. Das Ganze gab beim flackernden Lichte ein eigenthümliches Bild: die zerlumpten Tänzer, die gellende Musik, das Jauchzen der Menge, die Häuser umher, die bei den vielen Lampen und Pechpfannen im Feuer zu stehen schienen. Der Consul führte uns in das Wohngebäude des Pascha und vorerst in die Zimmer des Muazil, des Ministers oder ersten Beamten, die sehr reich mit Divans und Teppi- chen geschmückt waren. Man setzte eine Menge Wachs- lichter auf den Boden hin und brachte uns eiskaltes Waffer in Glasgefäffen, so wie unendlich lange Pfeifen. Bald waren wir und einige andere Herren, die sich eingefunden hatten, wie der griechische, fardinische und preußische Con- sul und einige angesehene Beamte und Kaufleute Adrianopels in voller Arbeit und erfüllten das Zimmer mit dem Dampfe des sehr guten Tabaks. Da erschien der Muazil, ein wohlbeleibter, freundlicher Mann von etwa vierzig Jahren. Er ging gegen die Gewohnheit der Türken äußerst schnell, reichte rechts und links seine Hände zur Begrüßung hin, dann hüpfte er in die Ecke des Divans, schlug die Beine unter und fing durch den Dolmeicher an, sich mit uns zu unterhalten. Unter Anderem sagte er, der Pascha laffe sich für den Augenblick entschuldigen, weil er in seinem Harem sey. Endlich erschien ein Diener des Pascha. Der Muazil erhob sich und wir folgten ihm durch mehrere Gänge, durch 78 eine Unzahl Diener und Wachen, die in allen Zimmern standen, bis zu einem sehr reichen Gemache, in welchem der Pascha saß, ein schon ältlicher Mann mit ergrautem Barte, aber von äußerst einnehmendem, freundlichem Aeußern. Wir lagerten uns auf den Divans umher; der Baron mußte sich neben den Pascha setzen, und dieser ließ ihm durch den Dragoman erklären, er habe wegen des zweifel- haften Wetters für heute die Feierlichkeiten draußen abbe- stellt, uns zu Ehren aber wollte er Feuerwerk und Lustbar- keit in doppeltem Glanze auflodern laffen. Er sprach leise zu einem der Diener, der sofort, die Hand auf der Brust tief sich neigend, rückwärts hinaus ging. Der Pascha klatschte darauf dreimal in die Hände, und eine ganze Reihe von Dienern erschien, jeder mit einer Pfeife in der Hand. Vor jedem der Gäste blieb ein solcher Pfeifenträger stehen, und auf einen Wink des Pascha drehten alle die Röhren, welche sie bisher über die rechte Schulter gelehnt, und wir steckten uns die Spitzen in den Mund. Dies gleichförmige Präsentieren der Pfeifen geschieht dann, wenn der Wirth den Rang einer Gäste nicht genau kennt. Jetzt brachte man auch des Pascha's Nargileh woran er mächtig zog und es dann dem Nebenfitzen- den bot, was für eine große Freundschaftsbezeugung gilt. Man brachte uns schwarzen Kaffee in kleinen türkischen Taffen ohne Henkel, die man mittelst eines metallenen Tellers (Zarfe) hält, und wir schlürften den beliebten Sorbeth aus halbkugligten Crystallgefäßen. Mehrere Male wurden hiebei die Pfeifen gewechselt, mit denen der Pascha, wie es schien, reichlich versehen war. Der sardinische Gesandte, welcher neben mir saß, er- zählte mir, welch' unglaublicher Luxus hier zu Lande mit Pfeifen, besonders mit Mundstücken, getrieben wird. So wic ein Großer eine bedeutende Anstellung erhält, schafft er sich 79 Pfeifen zu Hunderten an, was, wenn man bedenkt, daß schöne Bernstein spitzen mit mehreren hundert, ja tausend Gulden bezahlt werden, keine kleine Auslage ist. Ich rauchte unter andern diesen Abend eine, die man mit den Edelsteinen, wo- mit sie besetzt war, auf dreihundert Gulden C. M. schätzte. Um diesem thörichten Aufwand zu feuern, hatte bekannt- lich Sultan Mahmud einige Jahre vor seinem Tode den Be- fehl gegeben, jeder Türke solle, wenn er einen Besuch ab- fatte, seine Pfeife mitnehmen, damit kein Hausherr nöthig habe, für seine sämmtlichen, oft zahlreichen Gäste Pfeifen herbeizuschaffen. Plötzlich verkündete draußen ein Kanonenschlag den Be- ginn des Feuerwerks. Auf dem Hofe hatte sich die Volks- maffe außerordentlich vermehrt; in der Mitte stand aber nur ein Türke, der einzelne Raketen abbrannte, welche ziemlich gerade stiegen und blaue und rothe Sterne warfen. Ein Kerl, der schon früher durch bizarre Sprünge die Menge be- lustigt hatte, ergriff eine Stange, steckte sie zwischen die Beine und jagte so im Kreise herum, während vorn und hinten be- festigte Schwärmer und Frösche feiersprühend in die Haufen fuhren, was ungemeinen Jubel verursachte. Den Beschluß machte ein Feuerkasten, der vor die Fenster gestellt wurde, in welchem wir lagen, und mit einem ungeheuern Knall ab- brannte, Sonnen, Schwärmer, Raketen, Sterne warf und zuletzt den Hof mit einer bengalischen Flamme erleuchtete. Das ganze dauerte ungefähr eine halbe Stunde und war eine Lumperei mit viel Spectakel; erstere dedicirte uns die Re- gierung, für letztern sorgte der Pöbel. Indeffen dankten wir dem freundlichen Pascha für seinen guten Willen herzlich und folgten abermals dem Muazil in fein Zimmer, wo ein türkisches Nachteffen unser wartete. Eine runde silberne Platte, etwa drei Fuß im Durchmesser, 80 die auf einem zwei Fuß hohen meffingenen Fuße stand, war mit kleinen Tellern und Gläsern bedeckt. Erstere enthielten klein geschnittene Aepfel, Birnen, Mandeln, Nußkerne, Melonen, Rosinen, Feigen und Zucker- werk; in den Gläsern war Sorbeth von allen möglichen Farben und dem verschiedenartigsten Geschmack. Jeder langte mit den Fingern in die Schüffel und holte sich heraus, was ihm beliebte. Kaum hatten wir abgespeist und uns in die Divans zurückgelegt, so steckte man uns gleich wieder eine Pfeife in den Mund. Der Muazil klatschte in die Hände und ließ uns durch den Dragoman sagen, die Tänzer würden fo- gleich erscheinen, um uns ihre Künste in der Nähe zu zeigen. Die Thüre ging auf und herein schritt die Musikbande, zwei Violinen, zwei Zithern und ein mir unbekanntes Instrument, das nur mit einer Saite bespannt war und nur einen einzigen schnarrenden Ton hören ließ. Die Tänzer waren vier grie- chische Knaben in weiten weißen Beinkleidern, rothen Schuhen, rohem Gürtel und einer eng anliegenden blauen Jacke, mit Castagnetten in den Händen. Zwei stellten die Tänzerinnen vor und hatten zu dem Ende das Haar lang wachsen laffen, daß es Ihnen ungeflochten um die Hüften wehte. Sie gingen im Zimmer umher, machten dem Muazil und uns eine Verbeugung, dann zogen sie sich in eine Ecke zurück. Die Musikanten kauerten auf dem Boden und begannen in sehr schnellem Tempo eine unangenehme, eintönige Musik. Die Tänzer stellten sich einander gegenüber, fielen mit ihren Castagnetten ungemein taktfest in die Musik ein und der Tanz begann. Ein richtiges Bild desselben zu entwerfen, ist schwer. Die Füße, denen bei unsern Tänzern das Hauptgeschäft ob- liegt, haben hier am allerwenigsten zu thun. Die Tänzer brauchen sie nur zum Stehen und Springen und werfen sie Z1 willkührlich plump und unbeholfen herum. Dagegen sind die Hüften und Schulterblätter in einer unbeschreiblichen, stets zitternden Bewegung. Dabei stoßen sie einen eigenen Gesang aus, und obgleich der Schweiß ihnen vom Gesicht und den Armen floß, obgleich dieses beständige Zittern und Springen ungemein ermüdend seyn muß, tanzten sie eine volle Stunde ohne Aufhören, ohne mit ihren Castagnetten ein einziges Mal aus dem raschen Takt der Musik zu fallen. Nach diesem Tanze, den uns der Muazil als einen afiatischen bezeichnete, kam noch ein bulgarischer mit ähnlichen Bewegungen, und vom ersten hauptsächlich nur durch eine Figur unterschieden, bei welcher sich alle vier Tänzer an den Gürteln faßten und wie toll im Kreise herumsprangen. End- lich schwieg die Musik, die Tänzer traten in den Hinter- grund, und nur einer von ihnen, mit langen Haaren, kniete auf einen Wink des Muazil vor ihm auf den Boden; doch so, daß er dem Minister den Rücken zuwandte. Dann bog er den Kopf hinten über und Se. Excellenz beklebte ihm beide Backen mit kleinen Geldstücken, die er mit Speichel benetzt hatte, worauf sich der Tänzer wieder erhob, ein Tuch vor sich hinhielt und fingend so lange auf und niedersprang, bis sämmtliche Münzen herabgefallen waren; dann trat er mit einer Verbeugung zurück und Alle verließen das Zimmer. Mittlerweile war es Mitternacht geworden, und da wir frühe abreisen und noch einige Stunden ruhen wollten, beur- laubten wir uns vom Muazil und folgten dem östreichischen Consul, der uns für die Nacht fein Haus angeboten, begleitet von mehreren Fackelträgern und einer großen Menge Volks. Den andern Morgen brachen wir auf, mit der gleichen Anzahl Pferden wie aus Rustschuk. Hamsa an der Spitze jauchzte beständig: Heide Stambul Gidelum. Land und Weg boten wenig Interessantes; wir zogen über baumlose Hügel und durch dürre Thäler, zuweilen über Brücken, die Hackländer, R. in d. O. I. 6 82 wir nur einzeln beschreiten konnten, nm nicht durchzubrechen; nur war die Straße lebhafter als vor Adrianopel, und man sah, daß man sich der Hauptstadt näherte. Caravanen von vierzig bis funfzig Pferden begegneten uns, die Reiter mit Säbel, Gewehr, Pistolen so überladen, daß ihre Waffen ge- wiß oft mehr werth waren als die Waare, die sie damit zu bewachen hatten. Auch sahen wir kleine Züge türkischer Ca- vallerie, schlecht ausgerüstet und eben so schlecht beritten. Die Leute tragen blaue runde Jacken, nach Art unserer Hu- faren, mit rohen Schnüren besetzt, blaue Hosen und das Feß auf dem Kopf. Abends sechs Uhr gelangten wir nach Schatal-Burgas, wo unser Tartar mit einigen Kantschuh- hieben eine Kaffeestube von den dort versammelten Türken reinigte, und uns zum Nachtlager einrichten ließ. Am andern Tag gegen vier Uhr Nachmittags erblickten wir zum ersten Male das Meer; am fernen Horizont tauchte im Süden die Spitze der Insel Marmora empor, und südöstlich strichen die Gebirge Kleinasiens. Im Nachtquartier Siliwri angelangt, besahen wir noch im Mondschein die Ruinen eines coloffalen Schloffes, das auf einem schroffen Felsen hart am Meere steht; es ist wahr- scheinlich von den Genuesern gebaut. Die Türken unter- graben die zwanzig Fuß dicken Mauern, um Steine für ihre armseligen Häuser zu gewinnen. So bereichern sich vom todten Körper eines riesigen Thiers tausend Ameisen und Würmer. Bald wird das stolze Gebäude über den Köpfen dieser Vandalen zusammenbrechen. Vor Tage brachen wir auf und ritten befändig am Strande hin, so daß zuweilen die grünen Wellen zu den Füßen unserer Pferde schlugen; das Meer war etwas bewegt. . Stets so die schöne See zur Rechten, kamen wir Mittags nach Kutschukschekmedliche, und gegen drei Uhr sahen wir Constanti- nopel in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit vor uns liegen. - - - - - - - Constantinopel. 6 Ansicht der Stadt. – Gasthöfe und Caffeehäuser. – Straßen und Hunde. – Straßenleben. – Türkische Bäder. – Der Hippodrom, die sieben Thürme, mehrere Moscheen und andere alte Bauwerke. – Fahrt nach Bujukdere. Die alten und neuen Wafferleitungen. – Türkisches Familienleben. – Die Nacht in Ramasan. – Eine Audienz beim Sultan. Diner bei Refchid Pascha. Im Halbcirkel umher, an dem lachenden Golf entlang, Unabfehlich benetzt von dem laulichen Wogenschwall, Liegt von Schiffen und hohen Gebäuden ein weiter Kreis. Platen. „Ich sah Athens geheiligte Räume, Ephesus Tempel fah ich, und war in Delphi; ich habe Europa durchstreift von einem Ende zum andern und Asiens schönste Länder besucht; aber niemals erfreute mein Auge ein Anblick, dem von Constantinopel vergleichbar.“ So sagt Lord Byron, und sein Ausspruch ist wahr. Doch muß man nicht von der Landseite herkommend, Constantinopel allmählich zwischen großen dunkeln Cypreffenwäldern erscheinen sehen, welche, wie die alten zerschoffenen, mit Epheu bedeckten Mauern, Zeugen einer untergegangenen ganz anderen Zeit sind. Sie machen vielmehr einen wehmüthigen als großartigen Eindruck auf das Herz des Heranziehenden, dem es bekannt ist, daß jene Cypreffen aus der Asche ganzer begrabener Nationen keimen und daß jene grün bewachsenen Steinhaufen die Ring- mauern des alten Byzanz waren. Man muß die Stadt nicht von West und Südwest betrachten; hier findet man nur Trümmerhaufen und sieht an den Hügeln, worauf Stambul gebaut ist, hinauf, ohne über sie hinwegblicken zu können. 86 Nur hie und da gewahrt man die Spitzen der fernen Ge- birge oder zwischen den dunkeln Häusermaffen ein Stück des Meeres, wie ein Blitz aus finstern Wolken hervortretend, wie ein Licht, das den hinteren Theilen der Stadt nie leuchtet, so daß hier keine farbigen, bunten Häusermaffen entstanden, sondern Alles fahl ist und grau, gleich einem Fleck, auf den nie die Sonne scheint. Stambul ist einer großen Blume vergleichbar, auf drei Seiten von einem rauhen unscheinbaren Deckblatt umgeben, mit welchem es an den Felsgestaden Rumeliens hängt, während es der aufgehenden Sonne und den großen glänzen- den Spiegeln, die zwei Meere vor ihr ausbreiten, das schöne glühende Antlitz zuwendet. Vor dieses muß man treten und tief in die majestätischen Züge schauen, um des Dichters Aus- spruch wahr zu finden. Das kleine leichte Boot trägt uns spielend aus dem Hafen nach dem gegenüber liegenden Ge- tade von Kleinasien; man verläßt Constantinopel und damit Europa, wie man vor einem Gemälde zurücktritt, um es ge- hörig würdigen zu können; man muß sich auf einem andern Welttheil niederlaffen, um das großartige Bild, das sich hier vor den erstaunten Augen entfaltet, mit einer ganzen Schön- heit ins Herz aufzunehmen. Wie Rom ist Constantinopel auf sieben Hügeln erbaut, deren Abgränzung man deutlich erkennen kann. Sie bilden noch jetzt wie unter der Herrschaft der Constantine ein unregel- mäßiges Dreieck, von dem wir zwei Spitzen von hier aus nicht sehen; nur die dritte liegt links vor uns, das sogenannte neue Serail, mit seinen bunt verzierten mannigfaltigen Ge- bäuden, größern Palästen und kleinen Kiosks. Zwischen den- selben sieht man Wälder von Orangen, große Platanen und schlanke Cypreffen, welche dieser ungeheuern Wohnung der Sultane, die einer kleinen Stadt mit hohen Ringmauern gleicht, die angenehmste Schattierung geben. -, 87 Hinter dem neuen Serail, das tiefer als die Stadt am Ufer des Hafens liegt, erblickt man bunte Häusermaffen, die den Wellenlinien der Hügel folgen. Dort tritt eine Gruppe von Cypreffen und anderen Bäumen über sie hinaus; hier unterbricht ein einsam stehendes halbzerfallenes Mauerwerk die fast nur durch ihre Färbung verschiedenen Dächer der Häuserreihen. Was aber der Stadt einen so wunderbaren, ich möchte fast sagen feenartigen Reiz verleiht und dem Munde beim ersten Anblick einen lauten Ausruf entlockt, sind die zierlichen Minarets und die Haufen glänzender Kuppeln auf Moscheen und Grabmälern, die über den gewöhnlichen Wohnungen em- porragen. Man kann sie kaum zählen, geschweige alle nennen, und während das Auge gesättigt über der Mehrzahl derselben hinschweift, bleibt es bewundernd an einigen hängen, die durch Größe und schöne Bauart dem Munde die Frage nach ihrem Namen entlocken, bei dessen Nennung in empfänglichen Herzen tausend Bilder und Gedanken erwachen. Wer denkt nicht beim Anblick jener prachtvollen Kirche, der Aja Sophia, die mit ihrer schönen Kuppel und den vier Minarets für unser Auge beinahe im Mittelpuncte der Stadt liegt, an ihren Erbauer, den prachtliebenden Justinian, der durch sie ein Werk hinstellen wollte, das den Glanz des einst so gepriesenen Tempel Salomonis verdunkeln sollte, was ihm auch gelang. Doch als die Kirche fertig war und der Kaiser mit den Worten: „Salomon, ich besiegte Dich!“ an den Altar eilte, ahnte er nicht, daß einst der Herrscher der Andersgläubigen auf einem Streitroffe in diese Hallen reiten, eigenhändig die Symbole des christlichen Glaubens zerschlagen und sprechen werde: „Es ist kein Gott als Gott und Mu- hamed ist ein Prophet!“ – Das Kreuz verschwand von der Höhe der Kuppel, und jetzt erhebt sich dort ein coloffaller, funfzig Ellen im Durchmesser haltender Halbmond, der den 88 Reisenden schon von Weitem entgegenglänzt, lange vorher, ehe sie von der Stadt selbst etwas fehen können. Auf der Höhe des dritten der sieben Hügel liegt die Moschee des großen Suleiman, die Suleimanje, was Symetrie betrifft, das schönste Gebäude Constantinopels. Neben ihr sieht man die Moschee Bajazet II. mit zwei Thürmen, weiter rechts die Moschee Mohameds II., auf dem Platze, wo das frühere christliche Byzanz einen feiner schönsten Tempel hatte, die Kirche der heiligen Apostel. Links von der Aja Sophia zeigt sich die Moschee des Sultan Achmet, welche man füglich die Cathedrale Constantinopels nennen kann. Sie ist eines der prächtigsten Gebäude und hat sechs Minarets. Ueber alle diese Moscheen hinaus ragt der Thurm der Feuerwache, der Thurm des Seraskiers. Er liegt in der Nähe des alten Serails. Ihn vergleicht nach Hammer der Historiograph Ifi mit einem in den Lüften schwebenden Neste des Paradiesvogels. So liegt Constantinopel links vor uns und feine Häuser- reihen steigen bis zu den Ufern des großen Hafen, des goldenen Horns hinab, das wir mit allen feinen Schönheiten gerade vor uns haben; man verfolgt seinen Lauf von der breiten Einmündung ins Meer von Marmora bis Ejub, wo es sich allmählig zwischen den grünen Wiesen zu verlieren scheint. Auf seinem Waffer von der schönsten grünen Farbe ruhen Schiffe von fast allen Nationen der Erde neben einander. Das alte, sonderbar gebaute Fahrzeug der syrischen Küsten- fahrer, dessen hoher spitzer Schnabel an die Bauart der Schiffe im Alterthum erinnert, liegt mit seinem schmutzigen Anstrich neben der zierlich ausgerüsteten Yacht des Engländers, - der auf derselben vielleicht eine große Tour nach dem Orient gemacht. Da ankert schwerfällig ein altes türkisches Kriegs- schiff, ein zerschoffener Invalide, der zu einem Glück die 89 Fahrt nach Aegypten nicht mitmachen konnte, neben einer leichten englischen Kriegsbrigg, die auf und unter dem Ver- deck blank und fauber geputzt ist, mit den hohen Masten hin und her wiegt und ungeduldig an den Ankerketten zu zerren scheint. Langsam bewegt sich dort eines jener plump zusam- mengezimmerten Gerüste, die einem Floße gleich auf schweren Balken ruhen und dazu dienen, den Hafen, besonders die Landungsplätze für die kleineren Boote, vom Schmutze zu reinigen. Neben ihm stellt so eben ein Dampfschiff seinen muntern Lauf ein, hißt eine Flagge auf und der Waffer- dampf, der laut schreiend dem geöffneten Ventil entfährt, zieht die Aufmerksamkeit der Osmanlis auf sich, die, faul in ihren Kähnen liegend, dem Meerwunder zusehen. Zwischen diesen größeren Fahrzeugen bewegen sich die kleineren Boote, Kaik genannt, vermöge ihrer fabelhaft leichten Bauart im wahren Sinne des Worts pfeilgeschwind auf dem Waffer des Hafens hin und her, ja wagen sich sogar, wie heute das meinige, über den Bosporos nach dem asiatischen Ufer. Diese Fahrzeuge sind gewöhnlich achtzehn bis zwanzig Fuß lang, aber kaum drei Fuß"breit, und da sie, wie alle Seefahrzeuge, auf dem Kiel gebaut sind, sehr zum Umschlagen geneigt, wozu noch die äußerst dünnen Wände das Ihrige beitragen. Diese, kaum einen halben Zoll dick, bestehen, wie das ganze Boot, aus hartem Holz und find gewöhnlich zierlich geschnitzt. Durch ihre Leichtigkeit und den langen spitzen Schnabel, in welchen das Boot ausläuft, wird ihre ungemeine Schnelligkeit bedingt, aber auch, be- sonders für den Europäer, das Einsteigen erschwert; denn man muß bei diesem Manöver gleich vom Landungsplatze aus die Mitte des Boots gewinnen und sich ruhig niedersetzen, um das Gleichgewicht zu erhalten und nicht umzuschlagen, was dennoch sehr häufig vorkommt. 90 Wir Europäer, die neben dem Platz, auf dem wir sitzen, noch großen Raum für unsere Beine brauchen, konnten nur zu drei, höchstens vier eine solche Wafferschachtel besteigen; aber die Türken, die ihrer Geschäfte wegen häufig über den Hafen fetzen müffen, finden zu acht bis zehn in einem solchen Boote Platz, da sie sich auf ihre untergeschlagenen Beine an den Boden setzen. Meist bewegt nur ein einzelner Mann ein solches Boot vorwärts, aber mit erstaunlicher Schnellig- keit und Gewandtheit, wobei er beständig ein lautes: „Johe!“ ausstößt, um ein anderes Boot, das vielleicht um die Ecke eines Kriegsschiffs herum ihm in die Seite fahren würde, frühzeitig zu benachrichtigen. Bei diesem Ausweichen kommt die große Leichtigkeit der Fahrzeuge wieder sehr zu Statten, da stets mehrere Hunderte den Hafen bedecken und manches Unglück durch Anprallen vorfallen müßte, wenn der Schiffer nicht mit einem einzigen Ruderschlag einem Boot eine andere Richtung geben könnte. Das reizende Bild des Hafens, der sich zwischen Con- stantinopel und den auf dem andern Ufer liegenden Vor- städten wie ein klarer Bach hinzieht, wird durch die Menge dieser kleinen Fahrzeuge sehr belebt. Einen äußerst komi- schen Anblick gewährt ein solches Kaik, mit einer Menschen- ladung, von der man nur die Köpfe über dem Bord empor- ragen sieht. Hin und wieder arbeitet sich auch die Schal- luppe eines Kriegsschiffs schwerfälliger zwischen den Kaiks durch, doch nicht minder hübsch. Diese Fahrzeuge find von dunkler Farbe wie die Schiffe, mit einem einzigen blauen, rothen oder weißen Streifen um den Rand. Auf den Bänken sitzen die Matrosen, bei den größern in zwei, bei den kleineren nur in einer Reihe, in ihren Jacken von dunkler Leinwand, worüber sie einen saubern breiten Hemdkragen herauslegen, der meist von blauer Farbe ist. Er rahmt in Verbindung ------- - - - - - - - - - - – =-------- 91 mit dem schwarzen, betheerten keck aufgestutzten Hute die frischen runden Köpfe der Matrosen recht angenehm ein. Am Hindertheil der Schaluppe steckt die Flagge und unter derselben sitzt auf einem mit der Landesfarbe eingefaßten blauen Tuch der Offizier, der sie befehligt, in seinen Händen zwei Schnüre, mit denen er das Steuerruder leitet. Mich hat das An- und Abfahren dieser Kriegsschaluppen stets er- götzt. Die Matrosen sitzen auf ihren Bänken, die Ruder- stange gerade in die Höhe gestreckt, den Augenblick erwartend, wo der Offizier einsteigt. Dann pfeift der Bootsmann, die Matrosen stoßen vom Schiffe ab und laffen ihre Ruder alle zugleich in's Waffer fallen. Eine für uns Ausländer besonders merkwürdige Er- scheinung, die uns bei unsern Spazierfahrten auf dem Hafen öfters aufstieß, war ein großes weißes Kaik, reich vergoldet, deffen sauber geschnitzter, bunt bemalter Schnabel sehr lang und spitz war. Auf demselben, beinahe am Ende, stand ein goldner Vogel mit ausgebreiteten Flügeln, der einen Ring im Schnabel hielt, von welchem zwei dicke seidene Schnüre bis an die Spitze des Boots gingen und es zu leiten schienen. In der Mitte des Fahrzeugs trugen vier oder sechs vergol- dete Säulen ein Dach von rohem Samt mit Goldstickerei, unter dem ein reich gekleideter junger Mann saß, der etwas bleich aussah. Er trug ein Feß, welches ein großer Stern von Diamanten schmückte. Es war der Sultan Abdul Medfchild, auf deutsch: Diener der Andacht. Vorn im Schiffe neben dem Vogel war ein etwas erhöhter Sitz angebracht, auf dem einige vom Gefolge des Sultans saßen. Am Hintertheil befand sich die Dienerschaft. Der Sultan hat zu einem Privatgebrauche drei solcher Kaiks, eins mit vierzehn, ein anderes mit achtundzwanzig, das größte mit sechsundfünfzig Ruderknechten, die weiße Jacken und Beinkleider tragen und auf dem Kopfe ein rothes 92 Feß; ihre Ruderstangen sind ebenfalls weiß, mit goldenen Blumen verziert. Man sagte uns, in der Anzahl dieser Bootsknechte fey absichtlich die Zahl sieben, als eine heilige enthalten. Diesem Boote des Pa difchah folgt ein ähn- liches leeres, denn die Etikette will nicht, daß der Großherr die Rückfahrt im gleichen Boote mache. - - Sobald das Boot des Sultans auf dem Waffer er- scheint, müffen alle übrigen Fahrzeuge in ihrem Lauf ein- halten; jeder darin sitzende muß seine Pfeife bei Seite legen, und wehe dem, der sich unterstände, in diesem Augenblicke in’s Waffer zu spucken oder etwas hinein zu werfen. Sind die, welche gegen dieses Gesetz handeln, Muselmänner, fo werden sie mit Geldstrafen oder einer gewissen Anzahl Hiebe auf die Fußsohlen bestraft, sind es Fremde oder Franken, die sich mit Unkenntniß dieser Gebote entschuldigen können, so fällt die Strafe auf den Kaikschi oder Bootführer. Einem andern Boote, dunkel bemalt, das zuweilen auf dem goldenen Horn erscheint, weichen alle Kaik ängstlich aus und fliehen es, wie die kleinen Fische den gefräßigen Hai. Sogar der Osmanli, den selten etwas aus seiner Ruhe zu stören vermag, verläßt den Strand des Meeres, wo er seine Pfeife rauchte und zieht sich zurück, sobald dieses Boot mit sieben Paar Rudern bemannt, dem Ufer nahe kommt. Ein alter finsterer Türke mit langem Bart sitzt darin und späht aufmerksam umher. – Es ist der Bostandfchi Bafchi, General der Garten Leibwachen. Er sorgt für die Sicher- heit und Ruhe des Hafens, hat, wie der Janitscharen Aga Gewalt über Leben und Tod und macht gewöhnlich kurzen Prozeß. Seine Kawaschen binden den Schuldigen und er- tränken ihn ohne Weiteres im Meer. Wollte man von der Schönheit und dem regen Leben des goldenen Horns mit der Feder einen anschaulichen Be- griff geben, so würde man in Jahren nicht fertig; denn der 93 prächtige Hafen ist es hauptsächlich, der dem Anblick der ganzen Stadt einen so wunderbaren Reiz verleiht. Un- gefähr in der Mitte seiner Länge ist er durch die neue schöne Brücke gesperrt, welche Achmed, der frühere Kapudan Pafcha, im Jahr 1835 bauen ließ. Sie ist sechshundert sieben und dreißig Schritte lang und fünf und zwanzig breit. Statt wie unsere Schiffbrücken auf Pontons ruhend, wird sie durch einen Wald der längsten und schönsten Mastbäume, die aufrecht stehend ein- gesenkt sind, getragen. Sie führt von Constantinopel nach dem andern Ufer des Hafens, wo sich die Vorstädte Pera, Galata und Top-Chana erheben. Von Scutary aus gesehen, liegen diese zur Rechten vor uns; ihre Häuser sind ebenso an den Hügeln hinange- baut, wie die Stambuls; doch bieten sie dem Aug' einen weniger glänzenden Anblick, da sich über der dunkeln Häusermaffe – der Türke erlaubt nämlich dem Ungläubigen keinen bunten Anstrich derselben – fast gar keine schlanken Thürme erheben. Pera ist bekanntlich das Frankenviertel, das gar keine Moscheen hat. In Galata, defen sehr schmutzige und holperige Gaffen sich bis zum Hafen hinabziehen, haben eben- falls Franken, doch mehr noch Armenier, Juden und ärmere Türken ihre Werkstätten und Laden aufgeschlagen. Das einzige hervorragende Bauwerk in Galata ist der auf der Höhe thronende, massive Thurm, der Thurm von Galata genannt. Er wurde von den Genuesern im Jahr 1348 er- baut. Man hat hier eine der schönsten Aussichten über die Stadt und die sie umgebenden Meere. An Galata gränzend, dicht am Ufer des Hafens, liegt Top-Chana (Kanonen- Werkstatt). Schon Mohamed II. ließ eine christliche Kirche, die sich da befand, zur Stückgießerei umwandeln, und noch jetzt, wie schon der Name angezeigt, werden die groben Geschütze hier gegoffen. 94 Einige Abwechselung in die schmutzige Einförmigkeit der Häusermaffen dieser drei Stadttheile bringt eine auf der Höhe an Pera liegende neue Caferne, die mit ihrem weißen An- strich freundlich hervortritt, so wie die vielen Cypreffen des großen und kleinen türkischen Kirchhofs zu Pera, die man sonst nirgends in solcher Anzahl und Schönheit trifft. Der Engländer Walsh nimmt die Zahl der Seelen Stambuls zu fünfmalhunderttausend, die der Halbinsel Pera mit Galata und Top-Chana zu zweimalhunderttausend an, und die äußere Ansicht der Häusermaffen widerspricht diesem Ver- hältniß nicht. Neben Top-Chana, dicht am Ufer des Hafens, sieht man die Sommerwohnung des Sultans, ein langes, ein- föckiges und sehr bunt bemaltes Gebäude, das, auf einer hellen mit Orangenbäumen besetzten Terraffe stehend, einen recht freundlichen Anblick gewährt; doch ist leider dieser Palast der Beherrscher der Gläubigen nur von Holz. So lag Stambul in einer ganzen Pracht und Herr- lichkeit vor uns, und ich fühlte die Wahrheit der Worte Hammers, wenn er sagt: „Sie ist die Herrin zweier Erd- theile und zweier Meere, die geborene Beherrscherin Asiens und Europas, an beider Gränze auf sieben Bergen thronend. Von drei Seiten fluthenumgürtet, schaut sie von den sieben Gipfeln ihres Throns gegen Mittag auf die Propontis und den Ausfluß derselben, den fischreichen Hellespontos, gegen Osten auf den schlangengewundenen Bosporus und den als stürmisch übelberüchtigten Pontos hin.“ – Ja, es ist ein Ge- mälde, wie ich es nie gesehen, voll Lieblichkeit und Zauber. Uns ganz zur Rechten ist das Bild begrenzt von der alten Veste Rumilli Hiffiari, deren Wälle und Thürme keck am Gestade des Bosporus hinaufklettern und mit ihrem grauen Gemäuer eine dunkle Einfaffung des lustigen, glänzenden Bildes vorstellen. Links ist der Rahmen zerfließender und 95 großartiger. Da beginnt fast zu den Füßen des neuen Serails das Meer von Marmora, das mit seinen blauen Fluten am äußersten Ende einige kleine Eilande umspült, die Prinzelinseln. Als ich Constantinopel zum ersten Mal in seiner ganzen Ausdehnung fah, war im Hafen und an seinen Ufern außer dem gewöhnlichen Leben, das die hin und herfahrenden Boote verursachen, außer dem Geschrei der zahllosen Möven, die so zahm find, daß man sie beinahe mit den Händen greifen kann, ehe sie kreischend davon fliegen, ein außer- ordentlicher Lärm. Seiner Hoheit war wieder eine neue Prinzessin geboren worden und die Türken bemühten sich, die Freude ihres Herzens durch zahlreiche Kanonensalven kund zu geben. Von sechs Seiten knallte es oft zugleich. Am neuen Serail fanden zwei Batterien, ebenso an der Residenz des Sultans und die Artilleristen in Top-Chana fuchten zwei türkische Fregatten zu überdonnern, die, in der Mitte des Hafens liegend, den meisten Lärm machten. Die ganze Waffermaffe war in solchen Augenblicken mit Dampf bedeckt, der sich wie ein Nebel vor unser kleines Kaik lagerte. Als wir zurückfuhren, begrüßten wir noch den Leanderthurm, der einsam auf dem Felsen. Damals steht, eine Schildwache des goldenen Horns. Von ihm wurden in Kriegszeiten eiserne Ketten nach dem Thurme an der Spitze des neuen Serails gezogen, die den Paß zwischen dem Bosporus und und der Propontis sperren sollten. Hätte ich damals, als ich die Schöne des ganzen Bildes in mein Herz aufgenommen, ebenfalls Ketten vor daffelbe ziehen können, die nichts hin- ausließen, so könnte ich Manches wiedergeben, was mir der Drang späterer Ereigniffe entführt hat. 96 Gasthöfe und Caffeehäuser. Wer, wie wir, die wohl eingerichteten Donau-Dampf- schiffe verläßt, um einen Ritt durch die Türkei zu machen, der, an sich schon ungefähr acht Tage dauernd, noch durch eine zehntägige Quarantäne unangenehm gemacht wurde, eine Quarantäne, worin es weder Betten, Tische, noch sonst irgend ein Möbel gab, wo wir unsern Pillau mit Hühnern selbst kochen und unsere schmutzige Wäsche eigenhändig waschen mußten, kann denken, daß wir mit größtem Verlangen einer Anstalt, Pension oder Gasthaus, wie man es nennen will, entgegen sahen, die uns in Constantinopel aufnehmen sollte und die von einer liebenswürdigen Landsmännin geführt, gewiß Alles darbot, was zur Erquickung ermüdeter Reiter dient. Pera, das, wie schon gesagt nur von Franken be- wohnt wird, hat mehrere dergleichen Anstalten, unter denen uns die der Madame Balbiani, einer Elsäßerin, als beson- ders gut und angenehm gepriesen worden war. Obgleich Hamsa, unser edler Tartar, die Genüffe der großen Cara- vanserei sehr lockend schilderte, brachte er uns doch bereit- willig durch die engen steilen Gaffen. Pera"s nach einem kleinen freundlich aussehenden Hause, das, wenn es auch kein gemaltes Aushängeschild hatte, uns doch gleich mächtig anzog; denn beim Pferdgetrappel auf der Straße erschien die Besitzerin und bewillkommte uns herzlich in deutscher Sprache. Unsere Pferde wurden abgepackt, Sättel und unsere Effekten in das Haus niedergelegt und Hamsa durch Aus- zahlung der ihm noch zukommenden Summe verabschiedet. Dem Tartaren liefen die Thränen in den Bart, als er uns einzeln die Hand drückte und dem Baron versicherte: er habe noch nie einen so freundlichen guten Herrn gehabt, wie ihn und würde auch schwerlich wieder einen solchen begleiten. Fast hätten wir noch einmal eine kleine Quarantäne 97 oder wenigstens eine Beräucherung aushalten müffen. Da es bekannt war, daß sich die Pest bei Adrianopel gezeigt hatte, so konnten nur die heiligsten Versicherungen, daß wir dort Quarantäne gehalten, die Wirthin vermögen, uns fo- fort in ihre Zimmer treten zu laffen, ohne zuvor in einen großen Schrank zu kriechen, der vorne ein großes Loch hat, zu welchem man den Kopf herausstreckt, und am Boden eine Vorrichtung, wo Wachholder und anderes Räucherwerk einen gewaltigen Dampf hervorbringt, der von unten herauf alle Kleidungsstücke durchdringt. Diese Pension ist ziemlich auf dem Fuß europäischer Gasthöfe eingerichtet, hat einen Speise- saal und Zimmer mit ein oder zwei Betten, die alle mit Vorhängen von feiner Gaze versehen sind, um während der heißen Jahreszeit die dem Schläfer sehr lästigen Insekten ab- zuhalten. Die übrige Einrichtung ist halb türkisch, halb fränkisch. Auf dem Boden liegen Teppiche und nirgends fehlt der breite Divan an der Seite, wo die Fenster sind. Die größte Unbequemlichkeit in der kältern Jahrszeit ist der Mangel an Oefen, deren man bei der schlechten Bauart der Häuser, Feuersbrünste fürchtend, so wenige wie möglich aufstellt, und das sehr verkehrter Weise; denn das Surrogat dafür, der Manga hl, ein kupfernes Gefäß, in Form einer großen Vase, das mit glühenden Kohlen angefüllt und im Zimmer aufgestellt wird, kann bei der geringsten Nach- läffigkeit viel eher ein Haus anzünden, als ein verschloffener Ofen, besonders bei den Orientalen, denen der Mangahl schon deshalb fast unentbehrlich ist, da sie nur hinein zu langen brauchen, um ihre Pfeifen anzuzünden. Fast jede Woche brennen einige Häuser ab, was auch während unseres Aufenthaltes der Fall war; aber bei der gränzen- losen Nachlässigkeit, womit der Türke die noch heiße Kohle von der Pfeife auf die Strohmatte wirft, ohne sich ferner darum zu bekümmern, erscheint dies noch sehr wenig. Hackländer, R. in d. O. I. 7 98 In Pera gibt es drei solcher Pensionen, von denen die der Madame Balbiani die vorzüglichste ist, weshalb man selten bei ihr Platz findet. Auch unsere Gesellschaft, aus vier Personen bestehend, – unser englischer Freund N. hatte uns nämlich verlaffen, um eine Privatwohnung bei der englischen Gesandtschaft zu beziehen – konnte im Hause selbst nicht ganz untergebracht werden, sondern zwei mußten sich entschließen, ein von der Madame Balbiani gemiethetes Zimmer in einem Nebenhause zu beziehen. Die Preise in diesen Gasthöfen sind nicht außerordent- lich hoch. Man bezahlt täglich für ein Zimmer mit Kaffee, Frühstück und Mittageffen gegen vierzig Piaster, was an vier Gulden Conventionsmünze macht. Eine andere dieser Pen- fionen, dessen Besitzerin eine Französin ist, hat einen Tanz- saal, wo sich zuweilen die Bevölkerung Pera"s vergnügt, so wie ein kleines Theater, in dem damals eine französische Schauspielergesellschaft kleine Lustspiele und Vaudevilles gab. Die übrigen Restaurations-Anstalten Pera"s haben für den Reisenden kein weiteres Intereffe und nichts Origi- nelles. Es gibt ein griechisches, ein italienisches und ein französisches Kaffeehaus, in welchen man ein oder zwei sehr alte Exemplare unbedeutender Journale findet. Diese Cafés find mit Tischen und Stühlen versehen, kurz, so gut es sich thun läßt, wie die unsrigen eingerichtet. Wir besuchten sie höchst selten, da man nicht immer gewiß ist, welche Gesell- fchaften man dort antrifft, und auch weil man dort nur Sachen bekommt, die man viel beffer zu Hause hat; fran- zösischen Liquör in kleinen Gläsern und Kaffee und Thee in großen Taffen. Ueberhaupt haben alle Cafés in Pera, Galata und Top-Chana durch den häufigen Besuch der Franken fast ihre ganze Originalität verloren; sie vereinigen auf die wunder- lichste Art den Orient und den Occident. 99 - Um sich die Genüffe eines ächt türkischen Kaffeehauses zu verschaffen, muß man über den Hafen setzen. Nicht immer war der Kaffee und der Tabak bei den Orientalen so allgemein verbreitet und beliebt, wie jetzt. Es gab eine Zeit, wo die Tavernen, in denen Wein geschenkt wurde, ge- duldet und häufig besucht, dagegen Kaffeehäuser und Tabagien geschloffen und strenge verboten waren. Doch da der Buch- stabe des mohamedanischen Gesetzes den Genuß des Weins strenge verbietet, ein Verbot, das keine weltliche Obrigkeit aufzuheben im Stande ist, so ist in diesem Punkte der Koran wieder in seine Rechte eingetreten, der Wein verdrängt worden und der Genuß des Kaffee's und Tabaks verbreitete sich reißend und allgemein, ja ist jetzt das unentbehrlichste Bedürfniß geworden. Schon ein älterer türkischer Dichter singt von ihnen: „Schwarz, doch lieblich ist der Kaffee, wie das Mädchen, das braune, Das bei Tage erheitert, den Sinn und den Schlaf bei der Nacht raubt, Und der Tabak ist ein ficheres Beschwörungsmittel dem Manne, Der mit den Wolken des Rauchs die Wolken der Sorgen hinwegbläst.“ Wie man sich von den meisten Sachen, die uns sehr fern liegen und öfters besprochen werden, einen viel glänzen- deren Begriff macht, sie viel herrlicher ausmalt, als sie in der Wirklichkeit sind, so ist es uns besonders mit den Kaffee- häusern ergangen. Die Ansichten, die man uns von diesen Localen gibt, in letzterer Zeit besonders die Werke mit Stahl- stichen, die Alles so fein und sauber erscheinen laffen, über- reden uns, ein türkisches Kaffeehaus fey meistens eine Halle von Säulen getragen, alle Wände mit schönem bunt be- maltem Schnitzwerk bedeckt, und die größte Reinlichkeit gehe daselbst mit der Zierlichkeit der Ausstattung Hand in Hand. Und doch ist nichts von Allem dem wahr. Wir haben fast alle Kaffeehäuser Stambuls durchsucht und hofften end- lich einmal auf eins zu stoßen, wie man es uns beschreibt 7 100 und zeichnet. Aber vergebens; wohl gab uns unser Führer mit Mienen und Worten zu verstehen, jetzt wären wir zu einem gelangt, das der Inbegriff alles Schönen fey. Wir traten ein und befanden uns in einer gewölbten Halle, an deren Wänden man gewisse Linien und Schattierungen bei näherer Betrachtung für Bildhauerarbeit erkannte, die einstens fehr schön gewesen seyn mochten, jetzt aber durch Zeit und Schmutz ganz verwittert waren. Längs den Wänden laufen Divans oder vielmehr hölzerne Erhöhungen ohne Kiffen, nur mit einer Strohmatte bedeckt, auf denen die Gäste mit untergeschlagenen Beinen in gedankenlosem Hinfarren sitzen und aus dem Tschibuk oder Nargileh große Rauchwolken vor sich hinblafend. In einer Ecke ist unter einem Kamin mit spitzem Dach ein kleiner Heerd angebracht, auf dem der Kaffeetschi den Kaffee zubereitet. Nachdem man sich den reinlichsten Platz ausgesucht, verlangt man einige Taffen Kaffee, so wie die Pfeife, und nach vielem Rufen erheben sich ein paar Negerbuben, die sich auf dem Boden herumraufen, fahren in ihre bereitstehenden großen Pantoffeln und rutschten vom Kaffeetschi (Kaffeewirth) zum Gast, um ihn zu bedienen. Hiebei ist nun noch als eigenthümlich zu bemerken, daß, obgleich mau im Orient kleine Kaffeemühlen findet, welche die Form eines Cylinders haben und in den Gürtel gesteckt werden können, doch die meisten großen Städte eine allgemeine Kaffeestampfe (Tachmiffhane) haben. Ham- mer sagt hierüber: die Anstalt des Tachmis ist eine, den morgenländischen Städten ganz eigene. Es wird darin der für den Bedarf der ganzen Stadt nöthige Kaffee gestampft und gesiebt. Das Sieben – tachmis heißt wörtlich: das Fünftel ausziehen und ist hiervon wohl das französische Wort tamis – Sieb – herzuleiten. Eine solche Kaffee- Stampf- und Sieb-Anstalt befindet sich zu Constantinopel in der Nähe der Moschee Sultan Mohamed IV. Die 101 hiebei verwandten Leute find Armenier, denen die geistige Atmosphäre des Kaffeedunstes, in der sie beständig leben, ein aufgewecktes geistreiches Ansehen gibt, das mit den schwer- fälligen geistlosen Grundzügen der armenischen Gesichtsbildung in sonderbarem Widerspruche steht.“ Meistens trinkt der Orientale einen Kaffee ohne Zucker und in den Cafés muß man ihn besonders verlangen. Das Getränk an sich ist sehr stark und übt auch auf uns die Kraft, die ihm der Orientale zuschreibt. Es macht auf- geweckt, lustig und der Türke fagt: es mache nüchtern, wes- halb er es, nachdem er sich durch Opium und Tabak berauscht, zum Niederschlagen genießt. Die gewöhnliche Pfeife in den Cafés, die man dem Gast, ohne daß er sie fordert, hinstellt, ist das Nargileh, die Wafferpfeife, mit langem Schlauche. Es besteht aus einer Flasche, in der sich Waffer befindet; auf dem Halle fizt der kupferne Pfeifenkopf, der entweder mit Meerschaum ausgefüttert oder so weit ist, daß man einen andern von Ziegelerde, der unten das Zugloch hat, hinein stecken kann. Von diesem kupfernen Anfatz oder Kopf geht eine gerade Röhre nach unten, die in einer hohlen durchlöcherten Kugel endigt, welche bis unter das Waffer reicht. Eine andere Röhre am Aufsatz führt ebenfalls mit einem Ende in die Flasche, jedoch so, daß ihre Oeffnung mehrere Zoll über dem Wafferspiegel bleibt, und biegt sich mit dem andern Ende, das sich erweitert, nach außen, wo dann das lange gewundene Rohr hineingesteckt wird. Der Tabak, der zu diesen Pfeifen geraucht wird, ist vom gewöhnlichen Rauchtabak verschieden und heißt deshalb ausschließlich Nargileh-Tabak. Es find große hellgelbe Blätter, die an der Sonne so stark getrocknet werden, daß man sie mit den Händen zu einem Pulver zerreiben kann. Dies wird dann mit Waffer zu einem Brei angemacht, den 102 man mehrmals ausdrückt und wieder begießt, um den Schmutz und Staub fort zu schwemmen. Den Teig, den man auf diese Art erhält, stopft man in den Kopf, legt eine glühende Kohle auf und beginnt die Arbeit des Rauchens, bei dieser Pfeife eine wirkliche Arbeit; denn es gehört eine gute Lunge und viel Geduld dazu, um den Tabak durch lange Züge in Brand zu bringen, daher auch der vornehme Türke dies Ge- schäft seinem Sklaven überläßt. In den Cafés besorgt das Anranchen der Pfeifen auf Verlangen der Wirth oder die aufwartenden Buben. Der Tschibuk oder die lange Pfeife wird hier seltener geraucht, ist aber auch zu haben. Ein anderes Attribut der türkischen Caffeehäuser, von dem man uns so viel erzählt, sind die Springbrunnen, die man in den meisten antreffen soll, und die, wenn sie wirklich noch da wären, mit ihrem einfachen, aber melodischen Ge- plätscher eine gute Folie abgäben, auf der die Träume und Gedanken des ruhig dasitzenden Kaffeetrinkers recht lebendig hervortreten könnten. Wie man aber in der Türkei so viele zerbrochene Denkmale findet, die einst schön und herrlich waren, so ist es auch mit den Springbrunnen. Ich gestehe, fast in jeder, auch der ärmlichsten Kaffee- stube erhebt sich in der Mitte des mit Schmutz bedeckten Bodens, der hie und da, wo zufällig Waffer hinfällt, bunte, schön gefügte Marmorsteine sehen läßt, ein zierliches, aus Stein gehauenes Bafin, das oft mit den herrlichsten Sculp- turen bedeckt ist. Aber die Röhre, aus denen früher der Wafferstrahl gegen die Decke stieg, ist zerbrochen oder ver- stopft, das Baffin ist leer und dient zum Behältniß für zer- brochene Taffen und Tabaksasche. Das Einzige, was vielleicht von früher diesen Häusern geblieben ist und den Fremden interessiert, ist das rege Leben, das hier beständig herrscht; ich sage Leben, in so fern man das Gehen und Kommen der Gäste so nennen kann; denn 103 von Plaudern und Lachen ist keine Rede. Der Orientale tritt ein, wirft seine Blicke ruhig umher, bis er einen Platz gefunden, der ihm behagt, setzt sich dann mit untergeschla- genen Beinen, gibt dem Kaffeetschi einen Wink und nimmt Kaffee und Pfeife, ohne ein Wort zu sprechen. Findet er zufällig Bekannte auf derselben Bank, so grüßt er die durch Auflegen der Hände an Brust und Stirn, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Da der Türke, der es bestreiten kann, fast stündlich feinen Kaffee trinkt, und es dem Aermeren erlaubt ist, am Feuer des Wirthes mit einem eigenen Geschirr den mitge- brachten Kaffee zu kochen, so sind die Kaffeehäuser stets mit einer bunten Menge gefüllt, die um so größer ist, da der Orientale zum Sitzen nur einen sehr kleinen Platz braucht. Die Gäste, die zuletzt kommen und auf den Bänken keinen Platz mehr finden, lehnen sich an die Thüre, und sie waren es, die uns die meiste Unterhaltung gewährten. Wenn sie auch noch so dicht beisammen standen, so sprach selten. Einer mit dem Andern, und da fie, ruhig vor sich hinsehend, fast keine Bewegung machten, so konnte man sie eher für Wachs- figuren als für Menschen halten. Ein anderer Genuß, den sich die Türken in den Kaffee- häusern verschaffen, ist das ruhige Anhören der Balladen und Gedichte, welche ihnen die Meddah (Lobredner und Decla- matoren) der Kaffeehäuser zum Besten geben. Der Meddah sitzt in einer Ecke und trägt meistens in sehr unangenehmem näselnden Tone Erzählungen aus der tausend und einen Nacht vor oder aus den Rittergeschichten Antar’s oder Dul- hamas. Bald erzählt er von den Zügen Alexanders, bald preist er Sid-al-battal, den Kampfhelden. Oft sind diese Meddah vom Kaffeetschi gemiethet und müffen vom Morgen bis in die Nacht, es mögen viel oder wenig Gäste da seyn, ihre Geschichten ableiern, und es ist 104 gewiß merkwürdig, daß der Türke, wenn er von seinen Ge- fchäften ausruhen will, vorzugsweise die Kaffeehäuser besucht, wo sich die Meddah aufhalten, um zu einem Kaffee irgend eine Erzählung anzuhören, von der er das Ende nicht er- warten kann, welches sofort ein Anderer, der nach ihm kommt, ebenso begierig vernimmt, ohne den Anfang gehört zu haben. An manchen Orten warten aber die Erzähler, bis sich mehrere Gäste versammelt haben. Besonders lebhaft sind diese Unterhaltungen in den Nächten des Ramasau, wo eine Violine, wohl auch eine Flöte die Erzählungen begleitet und zu einem Melodrama macht. In Constantinopel, so wie auch in Pera, Galata und den andern Vorstädten, gibt es eine Unzahl Kaffeehäuser der beschriebenen Art. Dazu kommen noch die für das ärmere Volk, welche in einem Winkel der Straße etabliert sind. Hier hat der Kaffeetschi einige Steine zusammen getragen, zwischen denen er sein Feuer anmacht und das er durch einen aus- gebreiteten Teppich gegen den Wind schützt. Große Steine oder kleine Stühlchen aus Palmenholz dienen den Gästen zum Sitzen. Auch hier fehlt der Meddah nicht, besonders an schönen Abenden, wo ihn die Handwerker und Taglöhner nach beendigtem Tagwerk in dichten Gruppen umstehen und aufmerksam seinen Worten lauschen. Die größten und schönsten Cafés find in der Nähe der großen Moschee, besonders der Suleimanje, und hier ist auch der Sammelplatz der Teriaki oder Opiumeffer, die jedoch hauptsächlich Abends ihr Wesen treiben. Wir hatten in den Nächten des Ramasan mehrere Male Gelegenheit, sie zu beobachten. Aehnlichkeit mit den Kaffeehäusern haben die Laden der Sorbet- oder Scherbetbereiter, deren Fabrikat kein berauschen- des Getränk ist, sondern Gelée von Früchten in eiskaltem Waffer aufgelöst. Ihre Gewölbe, in welchen weniger ge- raucht wird, haben ein viel hübscheres, gefälligeres Aussehen, 105 als die Kaffeehäuser. Die mannigfaltigsten Gläser mit Geléen und Confituren sind an den Wänden in bunt bemal- ten Fächern aufgestellt, der Boden meist mit Matten belegt, und wenn man auch wirkliche Springbrunnen nur in einigen der größten findet, so ist doch in den meisten irgendwo an der Wand ein Fäßchen mit frischem eiskaltem Waffer ange- bracht, das man nach Belieben in die dabei stehenden Crystall- gläser füllen und genießen kann. Viele dieser Sorbethändler haben nur einen kleinen Laden, in dem kaum ihre Waaren Platz finden, weshalb sie zum Aufenthalt der Gäste vor dem Hause eine Laube von bunt angestrichenen Latten auf- führen, über welches die Reben nnd anderes Schlinggewächse ziehen. Ist es möglich, so lehnen sie eine solche Laube mit einer Ecke an einen der vielen öffentlichen Brunnen und haben so auf öffentliche Kosten eine eigene Fontaine. Dieses Verfahren ist freilich etwas egoistisch; aber die Stambuler Polizei findet es unter ihrer Würde, sich um dergleichen Kleinigkeiten zu bekümmern. Wenn wir den Tag über in den Gaffen Constantinopels herum gelaufen waren und uns Abends, vom vielen Sehen ermüdet, auf den Weg nach Pera machten, so zogen uns nicht selten die kleinen Lichtchen, welche die Sorbetbereiter in ihren Lauben aufstellen, durch ihr heimliches freundliches Glitzern zwischen dem grünen Gesträuche von der schmutzigen Gaffe in das meist reinliche Local und wir beschloffen unser Tagewerk mit einem Glas Sorbet. Dem Wirth und den Gästen schien unsere Ankunft immer eine große Ehre zu seyn. Ersterer bemühte sich, uns auf's Schnellste und Beste zu bedienen und die Andern rückten uns näher, boten uns ihre Pfeifen an und richteten eine unendliche Menge Fragen an uns, von denen wir frei- lich keine einzige beantworten konnten. Durch unsere Forschung nach den gepriesenen Schönheiten der türkischen Kaffeehäuser 106 dauerte es nur wenige Tage und wir hatten gleich den Ein- gebornen die Gewohnheit des vielen Kaffeetrinkens ange- nommen und machten bei unsern Touren durch Constantinopel öfters Halt, um in ein Café zu treten, das uns gerade im Wege lag. Außerdem besuchten wir einige, die uns durch ihre Gäste interessant waren. So fanden wir am Seraskierplatz nicht selten die höchsten Würdenträger des Reiches, unter Andern Refchid Pascha und Rifad Bey. Bei den Bazars ergötzten wir uns an der Gravität, mit der die Kaufleute den langen Bart streichend, ein und ausgingen. Ein anderes Café war fast nur mit Arnauten angefüllt, an deren unangenehmen, trotzigen Physiognomien, kräftigen Gestalten und schönem Costüme unser Maler seine Studien machte, und so oft wir in die Gegend der Suleimanje kamen, traten wir in eines der Kaffeehäuser dort, dessen Wirth, ein kleines Männchen, mit ungeheurem Turban und Pantoffeln, die für einen Riesen groß genug gewesen wären, jedesmal durch groteske Sprünge seine Freude an den Tag legte, uns wieder zu sehen. Er trieb es so arg, daß er seine gewöhnlichen Gäste veranlaßte, uns ihre Plätze einzuräumen, was diese auch meist gutwillig thaten, worauf er uns eigenhändig bediente, den Kaffee sehr füß machte und für uns die Nargileh’s mit den längsten Schläuchen aussuchte. Straßen und Hunde. Wie sich Constantinopel mit seinen glänzenden Moscheen und stattlichen Palästen als die schönste der türkischen Städte zeigt, so ist auch die Hauptstadt des Reichs die erste in Betreff des Schmutzes, der die Straßen fast aller türkischen Städte bedeckt. So glänzend sie von außen anzusehen sind, und so sehr sie den Blick des Reisenden locken, daß er sich 1 ()7 beeilt, bald möglichst unter jene Hallen und unter die Schatten der grünen Baumgruppen zu gelangen, die malerisch zwischen den Gebäuden hervorsehen, um so mehr bedauert er, fobald er in der Stadt angelangt ist, sich nicht mit dem bloßen Anblick derselben begnügt zu haben. Uns erging es wenigstens mehrere Male so, z. B. in Schumla, Adrianopel, welche, besonders die erstere Stadt so ungemein lieblich am Fuß des Balkans gelagert ist, und von Weitem so rein und freundlich aussieht und in deren Straßen unsere armen Pferde fast bis über die Kniee im Morast versanken. Da wir bei unserem Ritt durch die Türkei, wie schon oft bemerkt, so unendlich großartigen Schmutz gesehen hatten, fo überraschten uns in dieser Hinsicht die nicht reinlicheren Straßen der Hauptstadt nur, weil manche Reisebeschreiber dieselbe als reinlich, schön und angenehm darstellen. Fast alle Gaffen. Stambuls, Straßen kann man sie nicht nennen, sind sehr enge und zu beiden Seiten mit hohen Häusern eingefaßt, eigentlich die meisten nur mit Mauern, da nach türkischer Sitte das Wohnhaus mit dem hintern Theile, wo keine Fenster sind, die Straße be- rührt, der, wenn auch hie und da ein Fenster, daffelbe doch immer stark vergittert hat, eine melancholische Verschleierung. Obgleich die meisten dieser Gaffen ehemals mit Steinen gepflastert waren, so sind dieselben durch den starken Verkehr in der Mitte ganz zusammen getreten und bilden bei nur etwas feuchter Witterung einen einzigen Kothbach, der sich fast durch die ganze Stadt zieht. Zu beiden Seiten der Gaffe, wo der Strom der Menschen und Thiere nicht so verderbend hinfließt, blieben hie und da Pflastersteine stehen, die jetzt eine Art Trottoir bilden, das jedoch nur für den praktikabel ist, der es versteht, von einem der glatten Steine auf den andern zu springen, ohne sich durch die Aussicht in den unendlichen Koth irre machen zu laffen. 10Z Die Gaffen, von denen ich eben sprach, an welche sich die Rücken der türkischen Wohnhäuser lehnen, sind, wenn auch hierdurch die finstersten, doch nicht die schmutzigsten der Stadt, da in ihnen nicht der starke Verkehr herrscht, wie in andern Stadtvierteln, wo sich die unendliche Menge der größeren und kleineren Bazars befindet. Diese liegen meistens auf der Hafenseite. Sie fangen schon bei den Landungs- und Ladeplätzen an, und von da bis zu den Thoren der Stadt sieht man die Händler, eine Gaffe bildend, in zwei Reihen aufgestellt. Das ganze Waarenmagazin dieser Leute besteht aus einem Tische, auf dem sie ihre Producte: Früchte, Brod, Confituren c. auf- gestellt haben. Andere bieten ihre Waaren in großen Körben aus. Es sind die Anfänge der Bazars. Innerhalb der Thore der Stadt sind in allen Häusern zu beiden Seiten offene Buden, in denen, wie es im Orient Sitte ist, nicht nur fertige Waaren verkauft werden, sondern auch Handwerker aller Art vor den Augen der Vorüber- gehenden sitzen und ihr Geschäft treiben. Schon in kleineren Städten halten sich die verschiedenen Arten der Handwerker fo viel wie möglich zusammen. Auf eine Reihe Schuhmacher folgt eine Reihe Tischler oder Waffenschmiede u. s. f. Ein- zeln liegen fast nur die Apotheken und die kleinen Schulen. Die Apotheken werden meistens von Franken gehalten, die dann – es ist wirklich seltsam – fast immer das Air eines mauvais sujet haben. Das Innere der Schulen ist von einer Schusterwerkstätte gar nicht verschieden, nur daß man hier Leder zuschneidet und dort der Lehrer mit einem langen Pfeifenrohr welches gerbt. Die meisten Straßen Constantinopels werden schon seit langer Zeit nach den darin haufenden Handwerkern benannt. So gibt es eine Gaffe der Schuster, der Kammmacher, der Steinschneider, der Matten- so wie der Schachtelmacher, der 109 Pastetenbäcker, der Unterkleidermacher u. f. w. Gaffen, in denen die unzähligen Buden ein weit regeres Leben hervor- bringen, als in jenen, von welchen oben die Rede war, die aber auch ungleich schmutziger sind. Hiezu kommt noch, daß alle diese Bazars vom Hafen die Hügel hinanführen, was einen Spaziergang durch dieselben äußerst ermüdend macht. Auf der Höhe der Hügel liegen die gewölbten Markthallen, an die sich für uns gewöhnlich der Begriff des Bazars knüpft, die aber Befestan’s heißen. Unter ihnen wird der Weg natürlich beffer; er ist indessen nicht gepflastert, fon- dern besteht nur aus der fest getretenen Erde, die dann durch das Hereintragen des Schmutzes von außen ziemlich schlüpfrig wird. Andere Gaffen der großen Stadt führen ihre Namen, die jedoch nicht wie bei uns an den Ecken angeschlagen sind, meistens von Palästen und eigenthümlichen Gebäuden, die in denselben liegen, oder von Thoren und Thürmen, zu welchen fie führen. So gibt es eine Gaffe des Mehlmagazins, des weißen Palastes, des süßen Brunnens, des Kanonenthors, sogar eine des verschloffenen Backofens, ferner die Gaffe Ali Pascha, des Doctorsohns. Wirklich sonderbare Namen findet man in den Vorstädten; so heißt eine in Pera: die Hals- abschneidergaffe; neben ihr liegt die Welteroberergaffe und in Top-Chana ist die Gaffe: „Frag' nicht, geh' hinein!“ Unzertrennlich von den Gaffen Constantinopels ist der Gedanke an ihre permanenten Bewohner, die herrenlosen Hunde, die man in zahlloser Menge auf ihnen erblickt. Ge- wöhnlich macht man sich von Dingen, von denen man oft liest, eine große Idee, und findet sich getäuscht. Nicht so bei diesen Hunden. Obgleich alle Reisenden darüber einig sind, sie als eine Plage der Menschen darzustellen, so sind doch die meisten bei der Beschreibung dieses Unwesens zu gelinde verfahren. 1 10 Diese Thiere sind von einer ganz eigenen Race; sie kommen in der äußern Gestalt wohl am nächsten unsern Schäferhunden, doch haben sie keine gekrümmte Ruthe und kurze Haare von schmutzig gelber Farbe. Wenn sie faul und träge umherschleichen oder in der Sonne liegen, muß man gestehen, daß kein Thier frecher, ich möchte sagen, pöbel- hafter aussieht. Alle Gaffen, alle Plätze sind mit ihnen bedeckt; sie stehen entweder an den Häusern gereiht und warten auf einen Biffen, der ihnen zufällig hingeworfen wird, oder sie liegen mitten in der Straße, und der Türke, der sich äußerst in Acht nimmt, keinem lebenden Geschöpfe etwas zu Leide zu thun, geht ihnen aus dem Wege. Auch habe ich nie gesehen, daß ein Muselmann eins dieser Thiere getreten oder geschlagen hätte. Vielmehr wirft der Hand- werker ihnen aus seinem Laden die Ueberreste einer Mahlzeit zu. Nur die türkischen Kaikschi und die Matrosen der Marine haben nicht diese Pietät, weshalb mancher Hund im goldenen Horn fein Leben endet. Jede Gaffe hat ihre eigenen Hunde, die sie nicht ver- laffen, wie in unsern großen Städten die Bettler ihre ge- wiffen Standorte haben, und wehe dem Hund, der es wagt, ein fremdes Revier zu besuchen. Oft habe ich gesehen, wie über einen solchen Unglücklichen alle anderen herfielen und ihn, wußte er sich nicht durch schleunige Flucht zu retten, förmlich zerriffen. Ich möchte sie mit den Straßenjungen in civilisierten Ländern vergleichen; wie diese wissen sie ganz gut den Fremden vom Einheimischen zu unterscheiden; denn wir brauchten nur in einer Ecke des Bazars etwas Eßbares zu kaufen, so folgten uns alle Hunde, an denen wir vorbei- kamen, und verließen uns erst wieder, wenn wir in eine andere Gaffe traten, wo uns eine neue ähnliche Begleitung zu Theil wurde. 1 11 So ruhig bei Tage diese Ablösung, nur von einigem Zähneblöcken begleitet, vor sich geht, so gefährlich werden zuweilen die Hunde dem einzelnen Franken, der sich bei der Nacht in den Gaffen Stambuls verirrt, besonders wenn er keine Laterne trägt. Wir haben oftmals gehört, daß ein solcher, den die Bestien förmlich anfielen, nur durch Musel- männer gerettet wurde, die ein Hülferuf herbeizog; und ob- gleich wir stets in ziemlicher Gesellschaft und Abends nie ohne Laterne ausgingen, hatten wir es doch oft nur unsern guten Stöcken zu danken, mit denen wir kräftig drein schlugen, daß wir nicht mit zerriffenen Kleidern heimkamen. Sultan Mahmud ließ vor mehreren Jahren einige Tausend dieser Hunde auf einen bei den Prinzeninseln liegenden kahlen Fels bringen, wo sie einander auffraßen. Diese Verminderung hat aber nichts genützt; denn die Frucht- barkeit dieser Geschöpfe ist großartig; fast bei jedem Schritt findet man auf der Straße runde Löcher in den Koth ge- macht, worin eine kleine Hundefamilie liegt, die hungernd den Zeitpunkt erwartet, wo sie selbstständig wird, um gleich ihren Vorfahren die Gaffen Constantinopels unangenehm und unsicher zu machen. Straßenleben. Um von Pera nach Constantinopel zu gelangen, ein Weg, den der Reisende, welcher die Hauptstadt kennen lernen will, fast täglich macht, steigt man entweder durch den großen Kirchhof Pera"s auf einer breiten, nicht zu steilen Straße zur großen Brücke hinab, die über das goldene Horn führt, und kommt dann in den nördlichen Theil der Stadt. Will . man in den südlichen, wo die meisten Moscheen, großen Bazars, überhaupt die merkwürdigsten Gebäude Stambuls sich befinden, geht man über den kleinen Kirchhof durch die 1 12 Gaffen Galata's an den Landungsplatz der Kaiks in Top- Chana, um sich auf den kleinen Booten übersetzen zu laffen. Dieser Weg ist, obgleich der beschwerlichste, auch zugleich durch eine große Frequenz der interessanteste. Die Gaffen, die von der Höhe Pera"s zum Hafen hinabführen, find un- gemein steil, dabei sehr enge und mit einem furchtbar schlechten Pflaster versehen, das, besonders zu der Zeit, wo wir uns gerade da befanden, vom Nebel und dem häufigen Regen stets glatt und schlüpfrig und dadurch nicht ohne Gefahr war. Obendrein herrscht in diesen Gaffen ein merkwürdiges Gewühl von Geschäftsleuten aller Art. Die kleineren Bou- tiken sind oft weit in die Straße hineingebaut und ver- sperren den Weg noch mehr. Vom frühesten Morgen laufen Verkäufer, die ihr ganzes Waarenmagazin in einem großen Korb auf dem Rücken tragen, hin und her und überbieten sich im lärmenden Anpreisen ihrer Waaren. Dieß sind jedoch nur meist Dinge des täglichen Lebensbedürfniffes: Eier (Gu- murta, dessen letzte Sylbe der Ausrufer so lange aushält, als ein Athem reicht), Brod (Jäkmäk, ein Wort, das die Verkäufer gellend herausstoßen) und dergleichen. Eine andere Menschenclaffe, die man beständig auf den Straßen sieht, sind die Wafferträger, die entweder das frische Waffer, welches sie aus den Brunnen bei Top-Chana schöpfen, in großen ledernen Schläuchen auf dem Rücken tragen, - oder einen beladenen Esel, auch ein Pferd, vor sich hertreiben. Da keine Wagen durch die Gaffen Pera"s fahren können, fo wird alle Ladung der Schiffe, die bei Top-Chana landen, durch Packträger in die Magazine geschafft, und bei dem steilen schlechten Weg ist es erstaunlich, welche ungeheure Lasten diese Menschen zu tragen im Stande sind. Sie haben an zwei Riemen von der Schulter auf den Rücken hinab ein gepolstertes Kiffen hängen, gegen welches sie die Last stützen. Sie beugen ihren Oberleib ganz nach vorn, wodurch | 13 ihr Rücken eine breite, fast horizontale Fläche bildet, worauf zwei Andere oft einen so unverhältnißmäßig großen Ballen heben, daß er dem Träger weit über den Kopf hinausreicht und hinten von dem erwähnten Kiffen gehalten wird. Andere vereinigen sich zu vier oder sechs, von denen immer zwei und zwei eine große Stange tragen, so daß oft ein einziger Ballen an drei oder vier solcher Stangen hält, den sie dann dicht hinter einander, in gleichem Schritt vor- wärts gehend, an den Lagerplatz bringen. - Zwischen diesen Leuten, die zur beständigen Staffage der Straßen Pera"s gehören, wandeln Türken, Armenier und Franken, ihren Geschäften nachgehend. Fast an jeder Ecke sitzen türkische Bettler, meistens alte Weiber, und strecken den Vorübergehenden ihre Hände entgegen, halten ihn auch nicht selten am Kleide fest. Auch trifft man hie und da den Matrosen irgend eines türkischen Schiffes, der in einem fchmutzigen Korbe Austern feil bietet. In Pera werden viele Läden, ganz wie die türkischen an den Straßen gelegen und offen, von Franken gehalten, hauptsächlich Schneider, Schuster, Hutmacher; doch ist mit diesen Leuten nicht gut verkehren, denn sie machen be- fonders den Landsleuten sehr oft unverschämte Preise. Weiter unten in Galata und Top-Chana nehmen die Boutiken einen andern Character an, der sich sogleich der Nase des Herumwandelnden bemerkbar macht. Hier find Fische und alle Arten von Seethieren zum Verkauf ansge- stellt. Nur ein kleiner Platz bei der Moschee Abdul Me- fchids, wo früher die aus Persien nach Constantinopel ge- kommenen Fayancefabriken waren, führt einen andern Artikel: hier werden vergoldete und rothe Pfeifenköpfe in ungeheurer Anzahl fabricirt und zum Verkauf ausgestellt. Ehe wir uns von Top-Chana nach Constantinopel über- setzen ließen, traten wir gewöhnlich in ein türkisches Kaffee- Hackländer, R. in d. O. 1. 8 114 haus, das am Ufer des goldenen Horns liegt und setzten uns unter eine Laube vor der Thür, wo wir eine herrliche Aussicht auf den Hafen selbst, auf Stambul und das Mar- mormeer hatten. Hier genoffen wir eine Taffe Caffee beiläufig im Preise von sechs Para und eine Wafferpfeife, für die wir das Doppelte bezahlten, was dann eine Summe von etwa drei Kreuzern ausmachte. Die Ueberfahrt nach der Hauptstadt kostet gewöhnlich einen halben Piaster, drei Krenzer. So angenehm und rasch man hinüberkommt, so unan- genehm und langsam geht das Einschiffen von Statten. Wie ich schon früher sagte, muß man, um das Umschlagen zu verhüten, langsam und vorsichtig in die kleinen Bote steigen. Die meiste Zeit jedoch geht darauf, bis man einen Boot- führer hat, nicht weil ihrer zu wenige, sondern weil zu viele da sind, die sich den Rang streitig machen. Sobald wir nns am Ufer sehen ließen, schossen die Kaiks von allen Seiten herbei in gedrängten Schaaren, wie die Karpfen in einem Teich, wenn man Brod hineineinwirft. Der zeigt schreiend auf den hübschen Anstrich feines Boots, jener auf die sauber aussehenden Teppiche, womit es inwendig belegt ist; ein dritter führt mit seinem Ruder einen kräftigen Schlag in die Luft, um zu zeigen, daß er der Mann fey, der es mit Kraft zu führen wisse und weist spottend auf einen alten Graukopf neben sich, der ruhig dasitzt und nur seine Hände einige Mal auf und zumacht, um die große Zahl der Jahre anzuzeigen, welche er schon als Kaikschi diene. Hat man endlich ein sauber aussehendes Boot gefunden und will mit einem Fuße ruhig hineintreten, so kommt nicht selten ein Anderer, der diesen Zeitpunkt abpaßt, drängt mit seinem Boot das Erstere fort und erschnappt so im wahren Sinn des Worts seine Beute, ein Auftritt, der nicht selten zu Prügeleien Veran- laffung giebt. ff 5 Ist man endlich glücklich in das Kaik gelangt, so dauert es wenige Minuten und das pfeilschnell dahin schießende Boot hat das andere Ufer erreicht. Hier find gleich wieder eine Maffe Hände beschäftigt, die besonders dem Fremden, den man gleich erkennt, aus dem Boote helfen wollen, um einen geringen Bakschis (Trinkgeld) davonzutragen. Doch gefällig und freundlich, wie der Türke im Agemeinen ist, reichten uns auch nicht selten Offiziere und andere gut gekleidete Leute die Hand zum Aussteigen. Wir gingen gewöhnlich durch das Holzthor, Adun Ka- pusfi, weil es uns am nächsten lag, und dann, weil erst vor wenigen Tagen dort eine Reihe Häuser niedergebrannt war, und wir von Tag zu Tag bewunderten, wie schnell die Leute mit dem Aufbau der neuen fertig wurden. In der Nähe dieses Thors liegt das Mehl- und Holz- magazin, und vielleicht ist es der Anhäufung dieser brenn- baren Stoffe zuzuschreiben, daß von jeher die größten Feuers- brünste in diesem Revier gewüthet haben. Im Jahr 1682 unserer Zeitrechnung, so wie 1693 brannten hier mehrere hundert Häuser ab. Das letzte Unglück dieser Art vor wenigen Tagen hatte nur vierzig oder funfzig Häuser zer- stört, deren Einwohner unter großen grünen Zelten, die ihnen das Militärgouvernement gegeben, bivouakirten. Hier setzten fie auch ihre Arbeiten unverdroffen fort, Schuster und Schneider arbeiteten wie in ihren Boutiken, die Kaffeetschi und Sorbet- bereiter hatten nach wie vor ihre Gäste, die sie auch im Un- glück nicht verließen und unter dem Zelte auf einem halb ver- brannten Balken sitzend recht gemüthlich ihre Pfeifen rauchten. Von der Brandstätte wandten wir uns rechts gegen die Hügel zu, auf welchen der alte und neue Besetane liegt, durch Gaffen voll Boutiken und Handwerkstätten. Diese sind, wie die Häuser selbst, fast nur aus Holz gebaut, liegen un- gefähr drei Fuß höher als die Gaffe und bilden eine nach 8 1 16 vorne geöffnete Halle, auf deren Boden die verschiedenen Waaren ausgestellt sind. Der Eigenthümer fitzt entweder hinter den Körben mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Teppich, oder, da oft ein Kaufmann zwei bis drei Laden hat, steht er davor und geht hin und her. Da er so auf die einzelnen Sachen nicht genau Acht geben kann, sollte man glauben, er müffe oft bestohlen werden; dies ist aber nicht der Fall, denn alle Kaufleute bewachen ohne Brodneid ihre Laden gegenseitig und die Ehrlichkeit ist ein Grundzug im Character des Türken, so daß man fast nie von Dieb- stählen hört. Obschon das Leben in den Gaffen Stambuls durch die vielen nach europäischer Art gemachten Kleidungsstücke, die man sieht, sehr an orientalischem Character verliert, so konnten wir doch stundenlang dem Treiben in den Gaffen zuschauen. Obgleich wir von Schumla und Adrianopel her schon an die großen Turbane, die langen Bärte und das ganze türkische Costüm gewöhnt waren, fo gewährte doch die große Menge hier in Stambul durch die Mannigfaltigkeit ihres Aeußern dem Auge des Fremden einen interessanten Anblick. Im Orient fähieden sich von jeher die Nationen und in ihnen die verschiedenen Kasten nach Sitten und Kleidung strenge von einander ab. Die Andeutungen hieran haben sich bis jetzt erhalten, und hat man sich etwas darüber be- lehren laffen, so ist es sehr leicht, den Juden vom Türken und Armenier, so wie den Kaufmann vom Gelehrten oder Derwisch u. . w. zu unterscheiden. Wie schon gesagt, die vielen europäischen Einrichtungen, die sich nach und nach in alle Zweige des türkischen Lebens eindringen, haben, wenn ich es so sagen darf, auch die Kleidung cultiviert und ihr manches von ihrer Eigenthüm- lichkeit abgeschwatzt. So ist, wie bekannt, die ganze türkische Armee, nach unserer Art gekleidet, indessen hat 117 man dabei auf türkische Sitten und Gewohnheiten Rücksicht nehmen und an der Tracht Manches abändern müffen, wodurch das ganze Costüm beinahe lächerlich wird. So trägt der türkische Soldat eine blaue Hose, die, beiläufig gesagt, von dem gröbsten Stoffe ist, den ich je gesehen, unten und oben gleich weit, fast auf unsere Art geschnitten, jedoch hinten mit einer Art von Sack versehen, der bei jedem Schritte des Kriegers sich lächerlich hin und her bewegt und zu den sonderbarsten Muthmaßungen Anlaß gäbe, wenn man nicht wüßte, daß die ungeheure Weite des Kleidungsstücks an dieser Stelle dazu dient, um ihm das Sitzen auf den untergeschla- genen Beinen möglich zu machen. Aehnlich verhält es sich mit der Kopfbedeckung. Da man wohl eingesehen hat, daß zu der höchst unpoetisch geschnittenen Jacke von grobem blauen Tuch der malerische Turban nicht recht paffen würde, und man den Soldaten auch keine Tschako"s auf unsere Art geben konnte, indem eine Vorschrift des Korans besagt: „der Musel- mann soll keine Kopfbedeckung tragen, die ihn hintere, den Kopf beim Gebet gegen die Erde zu drücken,“ so hat man ihm das Feß gegeben, das ungefähr in der Gestalt unserer Hüte, jedoch geschmeidig ist und von rother Farbe, die den Türken, welche das Bunte lieben, wohl gefällt. Im Verhältniß zu der Menge, die sich auf den Gaffen herumtreibt, sieht man Wenige im altmorgenländischen Costüme. Hiezu gehört die weite Hose, darüber der lange Kaftan, den der Gürtel zusammenhält; den Kopf bedeckt der Turban, der bei den Muhamedanern aus einem rohen Mützchen besteht, um welches man ein unendlich langes Stück von weißem Mouffelin, das zuerst wurstähnlich zusammengedreht wird, herumwindet. Keine Kopfbedeckung gibt dem Gesicht ein majestätischeres, edleres Ansehen, als der Turban; er putzt die ganze Gestalt des Muselmanns, die sich im langen Kaftan gerade nicht zum Vortheilhaftesten ausnimmt, 1 |8 aufs Beste heraus. So schöne Gestalten man unter den älteren Türken findet, so unerquicklich ist dagegen der Anblick der ganzen jüngern Generation. Diese ist eben so mager und sieht so kränklich aus wie ihr Sultan, von dessen bal- digem Absterben man daher auch so viel in den Zeitungen liest, woran ich jedoch keineswegs glaube; denn sonst müßte in einigen Jahren die ganze junge türkische Männerwelt Eonstantinopels ausgestorben seyn. Man kennt wohl die Ursachen, warum sie so elend aussehen; doch wird es ihnen wahrscheinlich ergehen, wie ihren Vätern; sie werden in spätern Jahren eben so wohlbeleibt wie diese, wenn sie auch die bleiche Gesichtsfarbe, die allen Orientalen eigen ist, behalten, und man wird ihren stattlichen Figuren nichts Schwindsüchtiges mehr ansehen. Die Armenier, deren es eine große Anzahl hier gibt, tragen einen Kaftan von dunkelblauer Farbe und zur Unter- scheidung von den Türken anstatt gelbe, rothe Pantoffeln. Ihre Kopfbedeckung ist von schwarzem Filz und von origineller Form. Sie gleicht einem großen Kürbis, den man unten abgeschnitten und auf den Kopf gestülpt hat. Was ich eben von den jungen Türken sagte, ist auf die Armenier nicht anwendbar; ihr Gesicht, obgleich etwas plump und aus- druckslos ist, wie ihr ganzer Körper, frisch und gesund. Es ist wirklich schade, daß aus ihnen keine Soldaten ge- nommen werden; ich glaube, sie müßten eine vorzügliche Infanterie abgeben. Die meisten sind Handwerker oder Künstler, besonders Steinschneider und Goldschmiede. Die Juden, die auch hier, wie überall, zerstreut leben, haben keine eigentlichen Gewerbe; sie treiben fich zwischen der Menge herum, bald einen kleinen Handel führend, bald den Dolmetscher oder Cicerone machend. Ihre Kopfbedeckung besteht in einer dunkeln steifen Mütze, um welche ein Stück Zeug, nicht wie bei den Türken lose gewunden, sondern fest 119 genäht ist, ganz wie man auf unsern Theatern den Turban erscheinen sieht. Ihr Kaftan hat denselben Schnitt, wie der des Türken, besteht jedoch aus gewürfeltem, dunklem Kattun. Ein Stand, der in allen orientalischen Erzählungen und Mährchen eine große Rolle spielt, sind die Derwische, die türkischen Mönche, deren verschiedene Sekten sich durch die Farbe der Kleidung unterscheiden. Ihre langen Kaftans flattern ohne Gürtel frei um die Hüfte und find bald hell- braun, bald weiß und bei einem Orden, der für den ehr- würdigsten gehalten wird und dessen Mitglieder am Grabe des Propheten in Mekka dienen, grün. Auf dem Kopfe haben sie einen Hut von weißem Filz, einen Fuß hoch in Form eines abgekürzten Kegels. Der Anzug des Volkes, der Waffer- und anderer Last- träger, der Taglöhner und herumziehenden Obsthändler läßt sich nicht wohl beschreiben; jeder zieht an, was ihm geschenkt wurde, oder was er wohlfeil gekauft hat. Einige tragen Kaftans, die dann ungemein schmierig sind, die meisten kurz abgeschnittene runde Jacken, die bei den Wafferträgern von Leder sind. Die Beinkleider, vom Gürtel bis zum Knie sehr weit, umschließen eng die Wade bis zum Fuß. Fast alle tragen einen Turban von beliebiger Farbe, viele von grünem Zeug, was diese als Nachkommen des Propheten bezeichnet; eine Ehre, die ihnen weiter nichts wie den Titel Emir verschafft. Emir bedeutet Herr oder Fürst, und es ist traurig daß man die meisten dieser Fürsten gerade unter den Tag- löhnern und Bettlern findet. Unzertrennlich von den Sitten und Gebräuchen des Orients ist für uns die Idee, die durch alle morgenländischen Erzählungen angeregt wird, daß die Weiber, gänzlich vom öffentlichen Leben getrennt, ihre Tage in beständiger Ein- famkeit hinter vergitterten Fenstern verbringen müßten. Ich hatte geglaubt, noch in unsern Tagen begegne man selten 120 einer türkischen Frau auf der Straße und knüpfte daran allerlei Poesien. Stunden lang würde ich mich der Merk- würdigkeit halber vor ein Haus gestellt haben, um endlich einmal eine dieser Perlen zu gewahren, deren Antlitz, wie der Koran sagt, unter der schwarzen Nacht der Locken her- vorgänzt, wie die weißen Eier unter dem dunkeln Flügel des brütenden Straußes. Doch ward dies selbst dem Fremden so schwer nicht gemacht. Schon in Adrianopel fahen wir viele Weiber auf der Straße; aber unter ihnen auch nicht ein einziges frisches Gesicht. Es begegneten uns nur alte Weiber mit unangenehmen schlaffen Zügen, und ich glaubte schon, nur den Duennen und Ammen fey es allenfalls erlaubt, ihre Käfige zu verlaffen. Doch verschwand auch dieser Irr- thum, als wir nach Stambul kamen. Denn die Cultur, „die alle Welt beleckt“ hat ihre ausgleichende Hand auch an die verschloffenen Zimmer der türkischen Damen gelegt und sie hinausgeführt auf die Straßen und Märkte. Sie mochten dieselben anfangs schüchtern genug betreten, aber nach nnd nach behagte ihnen die neue Freiheit ungemein. Zur Zeit, wo wir in der Hauptstadt der Gläubigen waren, konnte man auf gewissen Plätzen mehr Weiber antreffen als Männer. Besonders war dies in den Befa stanes, den bedeckten Märkten, der Fall, bei den Gewölben wo fränkische Kattune und gesticktes Weiß- zeug zu haben sind. Da standen sie meistens in Gruppen von fünf bis sechs, die bunten Farben eines Stückes be- wundernd und sich wie die Kinder darüber freuend. Von ihrem Anzug auf der Straße ist nicht viel zu sagen, da ihr ganzer Körper in ein großes Stück Zeug ge- wickelt ist, das bei den Geringern aus dunkler Leinwand, bei den Reichern aus Seide besteht. Sie nehmen es in der Art einer großen Mantille um die Schultern und wisseu 121 obendrein eines der Enden noch um den Kopf zu schlingen. Dieser ist ohnehin sorgfältig verhüllt; denn sie wickeln ihn in ein Stück weißen Mouffelin ein, das Stirne, Mund und Ohren verbirgt und nur Nase und Augen sehen läßt; eine Verschleierung, die von dem Gesetze vorgeschrieben, bei den Türkinnen gewiß sehr beliebt ist; denn dieser Mouffelin ver- birgt einen Theil ihres Gesichts, den wir Franken für den von der Natur bei ihnen am meisten vernachlässigten halten, den Mund. Höchst selten, selbst bei jungen Weibern, deren Augen mit ihrem blitzenden Brillantfeuer das kälteste Herz zu verengen drohen, sind die Lippen frisch und roth. Man kann öfters einen spähenden Blick bis zum Munde gelangen laffen, besonders auf der Promenade, wo die Damen fast beständig beschäftigt sind, Confituren und dergleichen zu sich zu nehmen, und findet bei den interessantesten Zügen einen welken Mund, dessen Unterlippe schlaff herabhängt. Am schönsten sind wohl ihre breiten gewölbten Augen- braunen und sie selbst halten diejenigen für die reizendsten, die über der Nase zusammen stoßen, und türkische Frauen, denen dieser Reiz mangelt, ersetzen ihn meist, indem sie sich einen Halbmond oder einen Stern von schwarzer Farbe zwischen die Augenbraunen malen. Der Schwärze der Wimpern wird durch einen gefärbten Zwirnsfaden nachge- holfen, den sie zwischen den Augenliedern durchziehen. Für uns Europäer sind ihre Hände, deren Nägel und das Innere derselben sie mit Khennah roth färben, eher abstoßend als angenehm, auf jeden Fall aber lächerlich. - Im Allgemeinen habe ich unter den türkischen Weibern, deren wir sehr viele gesehen, nicht viel von sehr schöner Bildung bemerkt und fast gar keine, um welche ich mein Leben gewagt hätte und in den Harem eines eifersüchtigen Türken gedrungen wäre, wie es uns Romane und Balladen so schön erzählen. 122 Der Muselmann sieht es als eine große Schönheit feiner Frau an, wenn sie fehr stark, ja fett ist, eine Eigen- fchaft, die sie sich auch durch ihre faule Lebensart beizu- bringen wissen. Doch theilen wir diesen Geschmack nicht mit ihnen, da für unsere Augen Grazie und Leichtigkeit in der Bewegung des weiblichen Geschlechts schöner ist, als das träge Umherwatscheln der Türkinnen, wozu ihre Fußbeklei- dung, die weiten Pantoffeln, das ihrige beiträgt. Mit dem Menschenstrom, von dessen Bestandtheilen ich ein möglichst getreues Bild zu geben gesucht habe, wandelten wir täglich langsam durch die Bazars, häufig stehen bleibend, denn beinahe an jedem Gewölbe sieht man bald eine merk- würdige Figur, bald eine Seene aus dem Leben, die das Auge des Fremden feffelt. Da ist eine Boutike, in welcher man Zuckerwerk und Confituren aller Art findet; doch find die meisten Sachen, besonders Kuchen und Torten, für unsern Geschmack zu süß und oft widerlich fett; beffer sind andere Leckereien, namentlich gebrannte Mandeln und was wir unter dem Namen Gerstenzucker verstehen. Da sitzt der Eigenthümer hinter den Körben voll Leckereien, die lange Pfeife im Munde, und, wenn man einen geschloffenen Augen glauben foll, fanft schlafend. Dies ist aber nicht der Fall; er beobachtet blinzelnd den Franken, dem er, so wie er sich feinem Stand nähert, ohne dabei die Augen zu öffnen, mit der langen Pfeife einen Wink gibt, näher zu treten, dann macht er eine Pantomime, die den Türken eigen ist, wenn fie etwas Delikates bezeichnen wollen. Er legt seine fünf Finger zusammengedrückt einen Augenblick an den gespitzten Mund und öffnet sie wieder mit einem behaglichen Schnalzen der Zunge, wobei ein Gesicht einen Ausdruck annimmt, als genöffe er etwas unbeschreiblich Angenehmes. Läßt man sich hierdurch nicht verführen, fo gibt er sich weiter keine Mühe, 123 sondern benutzt die Hand, da sie einmal in Bewegung ist, um den langen Bart zu streichen und raucht ruhig fort. An jener Seite dort ist gerade einer beschäftigt, fein Gebet zu verrichten. Er hat sich mit dem Angesicht nach Mekka gewendet und macht die üblichen Bewegungen, die uns sehr lächerlich vorkamen. Bald kniet er auf seinen Teppich nieder und hebt die Hände über den Kopf, bald kreuzt er sie über die Brust und drückt sein Haupt bis auf den Boden. In solchen Augenblicken, glaube ich, könnte sich die Welt um feinen Laden versammeln, er würde um keinen Preis etwas ablaffen. Fast in jeder Gaffe gibt es fromme Muselmänner, die man so den Tag über ihr Gebet mehrere Male öffentlich verrichten sieht. So gefchäftig der Armenier ist, wenn man ihm etwas abkaufen will und unaufgefordert eine Waaren auspackt und sich durch Anpreisung derselben bemüht, den Käufer zu locken, fo indolent geberdet sich oft der Türke, wenn man an ein Gewölbe tritt und er vielleicht eben feine faule Stunde hat. Kaum erhält man auf die Nachfrage nach diesem oder jenem Artikel Antwort und höchst selten mehr als Ja oder Nein. Ersteres bezeichnet er durch Schütteln des Kopfes, das Letztere durch Nicken, als gerade umgekehrt, wie bei uns, was häufig zu Mißverständniffen Anlaß gibt. Man kann indessen versichert feyn, daß man von dem Türken viel reeller bedient und nicht überfordert wird. Dieser verlangt einen bestimmten Preis und läßt felten etwas davon ab, wogegen man dem Franken und dem Armenier beständig ein Drittel abhandeln muß, um nicht betrogen zu werden. Hie und da zwischen den Buden zerstreut liegen die Schulen, von denen ich schon gesprochen, wie ein alter Türke acht bis zehn Kindern, die auf ihren untergeschlagenen Beinen um ihn her fitzen, aus dem Koran Leseunterricht er- theilt. Da sie alle durch einander schreien und der Lehrer 124 aufmerksam zuhörend, dem, der ein falsches Wort sagt, über den Köpfen der Andern hinweg einen Schlag mit seinem langen Pfeifenrohre gibt, worüber der Getroffene einen Schmerzensschrei ausstößt, der das Geplapper der Andern gellend durchdringt, so kann man sich denken, daß eine solche öffentliche Schule ziemlichen Lärm auf der Gaffe macht. Hie und da sitzen noch an den Straßenecken meistens unter dem vorstehenden Dach einer Bude, das sie gegen Regen und Sonne schützt, die öffentlichen Schreiber mit der Brille auf der Nase, eine Papierrolle auf den Knieen und das Dinten- faß im Gürtel, ihre Clienten erwartend, die einen Contract, eine Bittschrift und dergleichen aufsetzen zu laffen haben. Was mich bei den Spaziergängen durch die Gaffen stets besonders interessierte, das waren die Barbierstuben, die überall zu finden sind. Sie bestehen aus einem einzigen Gemach, an dessen Wänden ein hölzerner Divan sich befindet, auf dem die Kunden Platz nehmen. Ueber ihren Köpfen, mit dem Divan gleichlaufend, befindet sich ein starker, eiserner Drath, an dem, nach der Größe der Anstalt, zwei oder drei blechene Wafferkeffel hängen, die man hin und herschieben kann. Der Barbier ist, wie die meisten bei uns, ein beweg- licher Mensch, der viel plaudert und seine Gäste zu unter- halten weiß, er fängt ein Geschäft bei dem der Thür zunächst Sitzenden an, indem er einen der Keffel, der mit lauem Waffer angefüllt ist, über den zu Scheerenden richtet. Unten am Gefäß befindet sich eine dünne Röhre, deren feine Spitze beinahe auf den Schädel des Kunden reicht. Der Barbier macht aus einer Art feinem Hanf einen Wisch, den er mit weicher Seife beschmiert und stellt sich mit gespreizten Beinen vor seinem Gast auf eine Erhöhung, so daß er den Kopf deffelben unter sich hat. Dann öffnet er einen kleinen Hahn an der Röhre des Gefäßes, und wie das warme Waffer herausströmt, bearbeitet er den nackten Schädel aufs Eifrigste 125 so lange, bis er ihn mit einer Wolke von weißem Seifen- schaum umgeben hat. So bleibt das Schlachtopfer filzen; der Barbier rückt den Keffel über den Zweiten und nimmt mit ihm dieselbe Manipulation vor, sowie mit dem Dritten u. f. f. In dieser Zeit ist der Schaum auf dem Haupte des Ersten allmählig verschwunden, hat die seit dem letzten Scheeren wieder gewachsenen Haare erweicht und zum Rafiren fähig gemacht. Der Barbier kehrt zu ihm zurück, drückt den Kopf an sich, wendet und dreht ihn nach Gefallen, und in fünf bis sechs Minuten ist die Operation glücklich vollbracht. Wenn man sieht, wie rauh bei diesem Geschäfte zu Werke gegangen wird, um jedes Haar sorgfältig zu vertilgen, so daß dem Gast nicht selten die Thränen aus den Augen gepreßt werden, so können wir uns glücklich schätzen, daß die Sitte, das Haar glatt abzu- scheeren, bei uns nicht herrscht. Ich selbst habe mich oft der Merkwürdigkeit halber in einer dieser Buden rasieren laffen, und man ist stets viel fäuberlicher mit meinem Kinne verfahren, als mit den Häuptern der Gläubigen. Man hielt mir eine große zinnerne Schüffel, die einen Einschnitt für den Hals hat, unter das Kinn, und der Barbier bearbeitete mich mit der äußersten Pünktlichkeit; er jagte jedem einzelnen Haare nach, was er auf den Wangen entdeckte, brachte die des Schnurrbarts alle in gehörige Länge und verstieg sich in seinem Dienfeifer mit einer langen spitzen Scheere sogar bis in die Nasenlöcher. Es dauerte etwas lang. Dafür konnte man sich aber auch, wenn er sein Geschäft beendigt hatte, als ein wohl rasierter Mensch sehen laffen, was man bei uns nicht immer kann. Der Barbier schien ebenfalls Freude an seinem Werk zu haben, und entließ mich mit einem lauten „Ei w"Allah! – Gott ist groß!“ was von den Türken mit einem unnachahmlichen Zungenanstoß ausgesprochen wird. - . 126 Neben diesen Barbierstuben befinden sich meist kleinere Kaffeehäuser, wo die Geschorenen sich nach vollbrachtem Ge- fchäft mit einer Taffe Kaffee und einer Pfeife regaliren. Doch gehören diese Häuser zu den gemeinsten; der Boden besteht aus gestampfter Erde, und es finden sich kaum hölzerne Divans, meistens nur Steine oder kleine Stühlchen zum Sitzen. Besonders zahlreich sind in Constantinopel die Gewölbe der Perfumeurs und der Effenzen-Verkäufer. Bei ihnen findet man unverfälscht die feinen Oele, die der Orient erzeugt, als Rosenöl, das meistens aus Adrianopel kommt, Jasminöl u. dgl. Auch verkaufen sie die verschiedensten Arten von Pastillen, kleine vergoldete Kügelchen, die auf die Pfeife gelegt werden und einen Wohlgeruch verbreiten, so wie auch zu demselben Zwecke das sogenannte Aloeholz. Ferner findet man bei ihnen wohlriechende gold- und filbergestickte Börsen, Beutelchen von sogenannten schwarzen Rosenperlen u. dgl. Der Fürst Pückler erzählt von einem dieser Handels- leute, einem alten Türken, der sich stets freundlich gegen ihn benommen und bei dem er auf seinen Wanderungen durch die Bazars häufig bei Pfeife und Kaffee ausgeruht habe. Einer unserer hiesigen Bekannten, der Dragoman der preußischen Gefandtschaft, zeigte uns feinen Laden; wir gingen hin, einige Kleinigkeiten zu kaufen und fanden wirk- lich einen sehr freundlichen alten Mann. Er bot uns Pfeifen an und wir mußten uns niedersetzen, um mit ihm zu plaudern. Als er im Verlauf des Gesprächs durch den Dolmetscher erfuhr, daß wir Nimbt fche, Deutsche, feyen, erkundigte er sich nach dem Fürsten, der oft bei ihm gewesen fey, und besonders nach dessen Abyffinierin, Makuba, die er uns beschrieb und sehr lobte. Wir hatten bald die Freundschaft des alten Türken erworben und er freute sich später jedesmal, wenn wir vorbei kamen und einen Augenblick bei ihm einsprachen. 127 Fast eben so oft stößt man auf die Laden der Tabaks- händler, die geschnittenen Tabak von allen Sorten in großen Haufen vor sich liegen haben. Man muß aber bei diesen Leuten keine Einkäufe machen, ohne einen Sachkundigen bei sich zu haben; sie verstehen es, ihre Waare recht lockend auszulegen, die schon zum Gebrauche geschnitten und gewöhn- lich mit einer Beize versehen ist, die dem schlechten Tabak den Parfum des guten gibt. Wer sich überhaupt in der Türkei mit Tabak versehen will, um eine größere Quantität mitzunehmen, muß feine Einkäufe in Syrien machen; der dortige Tabak ist unstreitig der beste und gilt auch in Con- stantinopel dafür. Die gewöhnlichen Tabake, wie man sie hier kauft, wachsen in Adrianopel, so wie um die Haupt- stadt selbst und find von gelber Farbe, wogegen der syrische etwas dunkler ist. Der Tabak zu den Wafferpfeifen ist nicht geschnitten, sondern wird in ganzen hellgelben Blättern verkauft. Unter den vielen kleineren Laden, worin Specerei-Waaren und dergleichen verkauft werden, sind die der Laternen-Fabrikanten hervorzuheben, die dieses nothwendige Geräth aus Papier in allen möglichen Preisen und Größen verfertigen. Da es in Constantinopel noch keine Straßenbeleuchtung gibt und es allgemein verboten ist, bei eingetretener Dunkelheit ohne Laterne zu gehen, fo findet diese Waare großen Absatz, und kann daher auch zu fo beispiellos billigen Preisen geliefert werden. Diese Laternen find cylinderförmig, oben mit einem Henkel versehen. Man kann sie zusammenschlagen und be- auem in die Tasche stecken. Für einen halben Piaster, drei Kreuzer, erhält man eine recht hübsche. Außer den bisher erwähnten Gaffen, die zu beiden Seiten mit Buden besetzt sind, vor denen ein immerwährender Handels- verkehr stattfindet, gibt es viele offene Märkte, Tfcharfchu, die entweder nur an bestimmten Wochentagen oder zu gewissen 128 Artikeln benutzt werden. So gibt es einen Pferdemarkt, Lans- oder Tändelmarkt, Sklavenmarkt, Mittwochsmarkt c. Das ewige Gewühl in den Gaffen, das Schreien der Verkäufer und Ausrufer, so wie die warnende Stimme der Pferdetreiber, die auf ihren Thieren das Waffer in alle Theile der Stadt bringen und deren Ruf das allgemeine Gesumme gellend unterbricht, das Schreien der Armenier oder Juden, die wegen einer Kleinigkeit in Streit gerathen, be- täuben das Ohr, die mannigfaltige Ausstellung der Waaren, die vielerlei Costüme, die einem bunten Strome gleich vorüber- schwimmen, blenden das Auge, und man betritt mit behaglichem Gefühl die gedeckten Märkte, Befe stane, um dem tollen Lärmen und dem gewaltigen Schmutze drauffen zu entgehen. Wenn es auch den Befestames keineswegs an Besuchern fehlt, so treibt sich hier doch das geringe Volk nicht so herum; es herrscht dafelbst, besonders in einigen Theilen, gegen den ungeheuern Spektakel draußen, eine gewisse Ruhe, die vor- nämlich das Auge empfindet, das langsam forschend die großen Gewölbe durch irrt, die mit den kostbarsten Stoffen und Ge- räthen angefüllt sind. Schon seit dem Jahre 1461 gab es in Constantinopel ein Befestan; ein anderes wurde später unter Sultan So- liman erbaut; beide waren jedoch nur aus Holz und brannten bei den schon erwähnten Feuersbrünsten mehrere Male ab. Nach der letzten im Jahre 1701 wurden beide Besetane, wie sie jetzt noch bestehen, massiv von Stein aufgebaut. Jedes bildet ein großes Viereck gewölbter Hallen, oben mit kleinen Kuppeln versehen, was dem Ganzen von der Höhe, z. B. dem Seraskierthurme herabgesehen, einen eigen- thümlichen Anblick gibt. In diesen Befestames findet man nun alle mögliche Artikel des Luxus, und wie in den Straßen sind auch hier die gleichartigen Artikel neben einander auf- gespeichert, was die Auswahl erleichtert und auch die einzelnen 129 Kaufleute hindert, die Käufer, besonders Fremde, zu über- fordern, da der Nachbar gleich um einige Piaster billiger verkaufen würde. Hier findet man ganze Gänge voll Waffen, Shawls, geschnittener und ungeschnittener Steine, Tücher, so wie Reihen von Gold- und Silberarbeitern, Buchhändlern, Wechs- lern c. Zwar hat jetzt die ungeheure Pracht, die früher in Kleidungsstücken herrschte, bedeutend abgenommen, und die vornehmen Türken in Constantinopel, besonders Offiziere und Beamte, bis zum Sultan hinauf, gehen im einfachen blauen Rocke, mit einem Säbel bewaffnet, der meist nicht reicher verziert ist, als wie ihn auch unsere Militärs tragen, statt daß früher, zur Zeit der Janitscharen, jeder dieser Menschen mit schönen Waffen prunkte, deren Reichthum sich nach Maßgabe des Vermögens vom einfachen Silberbeschläge bis zum reichen Besatz mit Rubinen und Diamanten steigerte. Diese Revolution im Costüm äußert nun bereits bedeu- tenden Einfluß auf die Waarenausstellungen der Bazars, und wenn auch die Laden in den Befestans gegen unsere Gewölbe mit weit glänzerenden Dingen ausgestattet erscheinen, so findet man im Allgemeinen doch bei Weitem nicht mehr die alte Pracht. So schildert Hammer die Waaren, die in früherer Zeit hier ausgebreitet lagen; er zählt auf; Damascenische Säbel, tartarifche Bögen, arabische Lanzen, perfische Dolche, Türkiffe aus Nifchabur und Rubinen aus Be- dafchan, Perlen von Bahrein, Diamanten von Gol- konda, Shawls von Angora, aus Persien und Kafche- mir, indische Mouffeline und Kalikos, englische und französische Tücher, deutsche Leinwand und schwedi- sches Eisen, geschnittener Sammet aus Brufa, Scheiks (Beduinenmäntel) aus der Barbarei; kurz, alle Herrlich- keiten, so die Sonne vom Aufgang bis zum Niedergang Hackländer, R. in d. O. 9 130 schaut, finden sich hier zum Kauf und Verkauf ausgestellt. Wenn man freilich alle diese Artikel auch jetzt noch findet, so sind doch nicht mehr, wie damals, ganze Reihen damit angefüllt. Der Reisende, der die türkischen Bazars besucht, verläßt fie felten, ohne hie und da etwas gekauft zu haben, wozu sich artige Kleinigkeiten genug finden, besonders in den Ge- wölben, wo Stickereien feil sind. Man findet hier Pantoffeln, Spiegelfutterale, Mützen, Tabakbeutel von Seide oder Sam- met, zierlich mit Gold, Silber oder Perlen gestickt, die sehr hübsch und reich aussehen und sehr billig sind, was daher kommen mag, daß die meistens von den Weibern in den Harems gemacht werden. Ein anderer Artikel, den man am Besten in den Bazars selbst kauft, sind die geschnittenen Steine, meistens Carneole, Talismane genannt, die sich ebenfalls zu kleinen Andenken und Geschenken sehr eignen. Auf ihnen ist der Namenszug eines der Propheten oder auch ein Vers aus dem Koran ein- geschnitten. Die gewöhnlichen, die dann natürlich nicht mit großem Fleiß gearbeitet sind, kosten nicht viel, wogegen schöne Talismane mit erhaben geschnittenen arabischen Buchstaben theuer bezahlt werden. Lange Pfeifenrohre, bei uns unter dem Namen Weichsel- rohre bekannt, findet man auch in reicher Auswahl und oft zu guten Preisen, wogegen keinem zu rathen ist, die nöthigen Spitzen aus Bernstein, die man bis zu dem ungeheuren Preise von tausend Gulden findet, ebenfalls hier zu kaufen. Wer aber in Constantinopel bedeutende Einkäufe in den erwähnten Talismans, in Kaschemirshawls, feinen Gold- und Silberarbeiten oder alten kostbaren Waffen machen will, thut nicht wohl, wenn er diese Artikel in den Gewölben selbst auswählt; er findet, besonders in Pera, Unterhändler, die sich eigens hiemit beschäftigen und die besten Quellen wiffen. Diese Leute sehen für den kleinen Vortheil, den 131 man ihnen zukommen läßt, sehr auf den Nutzen des Reifen- den und können vielfach Betrügereien verhüten, denen man sonst ausgesetzt wäre. Dies ist hauptsächlich beim Einkauf von schönen Shawls der Fall, ein Handel, der jetzt fast durchgängig unter der Hand abgemacht wird. Schöne ganz neue Kaschemirshawls find noch immer sehr theuer; doch werden viele zu uns gebracht, die schon eine Zeit lang in den Harems getragen wurden, wodurch der Stoff nicht ver- liert, vielmehr an Weiche gewinnt. Wenn wir durch die Bazars wandelten, ohne den Ge- danken etwas zu kaufen, wurden wir doch zuweilen wider Willen verführt. So blieben wir an einem Gewölbe mit prächtigen Waffen stehen, und der unermüdliche Armenier zeigte sie Stück für Stück, wobei er dem Fremden den Preis gewöhnlich durch Auf- und Zumachen der Hände angibt. Hatten wir nichts gefunden, was schön oder wohlfeil genug war, um es zu kaufen, und wollten uns entfernen, so hielt uns der Kaufmann durch die oben beschriebene Bewegung mit der Hand zum Mund fest, zog aus seinem Kaftan ein kleines Packetchen und wickelte aus der schmutzigen Lein- wand einige Talismane, die er, wer weiß wo, erhandelt hatte, und in solchen Fällen machten wir oft die besten Ein- käufe. Umgekehrt holte nicht selten ein Steinschneider, wenn wir unter seinen Artikeln nichts Anständiges fanden, eine alte Waffe hervor, die er uns sehr billig anbot. Viel Unterhaltung gewährten uns auf unsern Gängen die türkischen Weiber, die halbverschleiert zahlreich hin und her ziehen und vor den Gewölben stehen bleiben. Selten liefen sie fort, wenn wir uns neben sie stellten und ihrem Handeln zusahen, und erst, wenn wir ihnen zu tief in die schwarzen Augen blickten, oder sie durch Pantomimen befragten, wie ihnen dies oder jenes gefalle, warfen sie ihre Tücher vor's Gesicht und empfahlen sich. Doch geschah dies meistens nur, 9 132 nachdem ihnen der Herr des Ladens, dem dies unschicklicher, als ihnen selbst vorkommen mochte, einige zornige Worte zu- gerufen hatte, wahrscheinlich die Weisung, sich von den Giaurs nicht so ansehen zu laffen. Einmal jedoch, wo ich mit unserem Doctor allein durch die Straßen zog und es uns sehr amüsierte, einer Negerin mit einer wahren Riesenfigur zuzusehen, wie fie aus ihrem Wagen kletterte, schien dieser Dame unsere Aufmerksamkeit sehr zu mißfallen; mit erstaunlicher Geläufig- keit der Zunge überschüttete sie uns mit einer Maffe zornig ausgestoßener Worte, von denen ich nichts verstand als: „Giaur fek-ter Beffe wenk!“ was aufs Gelindeste übersetzt doch so viel heißt, als: „Ungläubiger Kuppler, geh zum Teufel!“ Neben diesen beiden Besetanes gibt es noch einen dritten, den sogenannten ägyptischen Marktplatz, wie die beiden andern aus gewölbten Hallen bestehend, doch bildet er nur einen rechten Winkel, die Hälfte eines Vierecks. Hier findet man alle Wohlgerüche Arabiens aufgestapelt, und all' diese Ge- würze, die der Orient hervorbringt, verbreiten einen herrlichen Duft, wodurch sich dieser Markt schon in der Ferne der Nase des Herumwandelnden bemerklich macht. Treffend sagt Ham- mer von ihm: „Wie sich die Molucken dem Seefahrer schon weit im Meere verkünden, verkündet dem Wanderer in Con- stantinopel der würzige Geruch dieses Markts schon von Ferne sein Dasein, und erinnert an die beiden schönen Gedanken Sardi's: daß Moschus und Liebe sich vor der Welt nicht geheim halten laffen, und daß das wahre Verdienst, wie die Auslage des Gewürzhändlers, prunklos schweigt und herrlich duftet. Endlich an das von einem arabischen Dichter aus- gebildete Wort Muhameds: Mädchen find Blüthen, die Blüthen gewähren süße Gerüche, Und ein süßer Geruch ist vor dem Herrn das Gebet. Mädchen find irdische Kost und Gebet ist himmlische Nahrung, Wohlgerüche genießt Himmel und Erde zugleich. 133 Ehe wir die Bazare verlaffen, muß ich noch der Khane oder Karavaneraien, als zu ihnen gehörig, gedenken. Eigent- lich ist Khan und Karavanerai nicht gleichbedeutend; erstere sind Gebäude, in welchen sich nur große Waarenlager oder große Werkstätten, auch Fabriken befinden; letztere sind Her bergen für Reisende. Doch gibt es auch dergleichen öffent- liche Anstalten, in denen sich der Begriff bei der Worte vereinigt, wo nämlich fremde Kaufleute während ihres Aufent- halts in Konstantinopel wohnen und ihre Waaren auslegen oder auch nur ihre Wechselstuben haben. Hierher gehört der große Chodscha-Khan, wo sich gewöhnlich persische Kaufleute aufhalten. Es giebt einen Khan der Gefangenen in der Nähe des Sklavenmarkts, und einen Khan der Gesandten bei der verbrannten Porphyrsäule, wo früher die Gesandten aller europäischen Mächte einquartiert oder vielmehr eingesperrt wurden, denn man behandelte sie hier wie Staatsgefangene. Will man alle diese Bazare, Besestane und Khane, oder auch nur die vorzüglichsten genau durchmustern, so braucht man Monate. Man kann diesem Geschäft doch nur wenige Stunden widmen, da das allzu große Gefühl und die un- endliche Mannigfaltigkeit der Waaren die Sinne abstumpft und sie nach kurzer Zeit unfähig macht, Alles mit Ruhe zu betrachten. Wir waren fast täglich ein paar Stunden in den Bazars und verließen dann das Gewühl, um uns auf einem einsameren Platze durch Betrachtung irgend eines der alten ehrwürdigen Bauwerke wieder zu erholen. Freitags jedoch, wo der Sultan eine der öffentlichen Moscheen besucht, machten wir uns, nachdem wir unsere Einkäufe besorgt, eine andere Zerstreuung. An diesem Tage, Morgens zwischen zehn und zwölf Uhr, versammelt sich beim Seraskierthurm, auf dem Seraskier- platz, oder wie ihn die Türken nennen, Tauk-Baffari oder Hühnermarkt, Alles, was von der türkischen nobeln Damen- 134 ------- - - - - - -– – – – – – -- –– welt eine Equipage befizt oder eine miethen kann, um daselbst eine Spazierfahrt zu machen. Die Wagen sind von ganz eigenthümlicher Bauart und erschienen uns anfangs sehr lächerlich. Die meisten, besonders die älteren, haben Aehn- lichkeit mit unsern Leiterwagen; nur sind sie leicht und zierlich geschnitzt, mit bunten Farben bemalt und theilweise vergoldet. Hölzerne Reifen tragen ein Dach von grüner oder rother Leinwand, unter dem auf Kiffen und Teppichen oft ein ganzer türkischer Harem liegt: ein paar Weiber, einige Sklavinnen und mehrere Kinder von verschiedenem Alter. Vor diese Equipagen sind zwei schwere Ochsen gespannt, mit buntem, vergoldetem Riemenzeug angeschirrt und mit allerlei Bändern aufgeputzt. Zur Verzierung dieses Gespanns, vielleicht auch um die Fliegen abzuwehren, gehen von der Bracke des Fahr- zeugs ans zwei ungefähr fechs Fuß lange geschweifte Hölzer, die so gleichsam über den Thieren schweben. Von denselben herab hängen bunte wollene Quasten, die sich bei jedem Schritt hin und her bewegen. Andere Fahrzeuge näheru sich etwas unseren Kaleschen, sind jedoch mit Schnitzwerk versehen und schwer vergoldet, wie sie bei uns im verfloffenen Jahrhundert gebräuchlich waren. Auch sieht man wohl hie und da einen Wagenkasten nach unserer jetzigen Façon, der aber dann auf schweren altmodischen Rädern ruht. In langen Reihen bewegen sich diese Wagen vorwärts, von einer Maffe Weiber und Kinder der ärmeren Claffe an- gestaunt, die nebenher laufen. Auch erblickt man zuweilen einen jungen türkischen Elegant, der selbstgefällig umherreitet, ohne sich jedoch um die Damen zu bekümmern. Aeltere Türken sitzen in den Kaffeehäusern, die sich auf dem Platze befinden und schauen dem Gewühle zu. Den vornehmen Harems, die oft aus Zügen von fünf bis sechs Wagen bestehen, folgen auf schönen reich geschirrten Pferden schwarze oder weiße Eunuchen, meistens Menschen von widerlichem Aeußern, mit - - - - - - 135 unförmlich dickem Oberkörper, auf dem der Kopf fest in den Schultern steckt. Ihre fetten schlaffen Gesichter werden durch einen lauernden, boshaften Zug um Mund und Auge noch unangenehmer. Auch bei den einzelnen Wagen fehlen diese Aufpaffer nicht, die hier entweder zu Fuß nebenher gehen oder hinten auf fitzen. Auf diesem Corso haben wir uns manche Stunde sehr gut unterhalten. Die Damen nahmen es in der Regel gar nicht übel auf, wenn wir sie genau betrachteten oder mit ihnen kokettierten, besonders die jungen und hübschen, die oft ihr Möglichstes thaten, unsere Augen auf sich zu ziehen. Obgleich, wie schon gesagt, das Gesetz ihnen vorschreibt, den Mund zu verschleiern, so wissen sich die türkischen Schönheiten in diesem Fall doch zu helfen, indem sie sich hiezu eines ganz dünnen feinen Mouffelins bedienen, welcher die Formen ihres Gesichts sehr gut errathen läßt. In ihre Kiffen zurück- gelehnt, verstehen sie es vortrefflich, im rechten Augenblick die schwarzbewimperten Augenlider aufzuschlagen, und dem, der sie betrachtet, eine volle Ladung aus ihren blitzenden Augenbatterien zu geben. Die Mantille, die beim Gehen stets fest um die Schultern gezogen wird, laffen die Türkinnen im Wagen nachlässig herunterfallen, wodurch die vollen Formen ihres Oberkörpers sichtbar werden, und da die kleinen ge- stickten Jäckchen, die sie tragen, sehr tief ausgeschnitten sind, und die Regel des Anstandes ihnen nur gebietet, das Gesicht zu verschleiern, so hatten wir bei der nachlässigen Lage dieser Damen in ihrem Wagen häufig Gelegenheit, tiefe Blicke unter die Mantille zu thun. In steter Bewegung sind ihre weißen runden Arme, an denen sie die goldenen Spangen zeigen wollen, und wenn man sie betrachtet, fahren sie gleich mit den Händen an's Gesicht, um die Aufmerksamkeit auf ihre Ringe zu lenken, mit denen sie nach Maßgabe ihres Vermögens alle Finger 136 bedecken. Doch, wie ich schon früher sagte, findet man unter diesen Weibern sehr selten ausgezeichnete Schönheiten, und nur einige Male sahen wir Mädchen, deren Mund und untere Gesichtsbildung mit den schönen Augen, die man häufig findet, im Einklange standen. Die Sklavinnen find meistens Schwarze mit wolligtem Haar und platter Nase. Eine Ausnahme machen die Abyffinierinnen, die man auch zuweilen fieht. Sie sind von sehr schöner Bildung, und fast bei Allen wird das edle Gesicht durch eine tiefe Melancholie, die sich über ihre Züge lagert, noch anziehender. Sie gehören meist zum dienenden Personal; doch habe ich auf dem türkischen Corso häufig einen halb verschloffenen Wagen gesehen, worin eine reich gekleidete, sehr schöne Abyffinierin faß. Oft, wenn der Zug der Wagen irgendwo stockte, trat ich nah an den Schlag ihrer Equipage und gewöhnlich sah sie mich erstaunt, doch nicht unfreundlich an. Gern hätte ich etwas Näheres über fie erfahren, doch einige Mal, als ich ihr folgte, wenn sie den Corso verließ, mochte ich mich aus Furcht, den Weg zu verlieren, nicht zu weit in die Stadt wagen, und einmal, als ein der Stadt kundiger Freund mich in gleicher Absicht zum Scherz begleitete, erregten wir die Auf- merksamkeit ihrer schwarzen Wächter, die uns so drohend ansahen, daß mein Begleiter es gerathener hielt, umzu- kehren. Was half uns auch unsere Neugierde? Die schwere Thür ihres Käfigs schloß sich hinter dem Mädchen und wir hätten es nicht einmal wagen können, nachher auf- fallend zu den vergitterten Fenstern empor zu schauen; denn so viel auch die Türken schon von unsern Sitten und Ge- bräuchen angenommen haben, sind sie doch in diesem Punkte unverbefferliche Egoisten. - 137 Türkische Bädee. Schon in der ältesten Zeit war der Gebrauch der Bäder im Orient sehr verbreitet. Anfänglich wurde es als eine Anstalt der Reinlichkeit, so wie zur Erhaltung der Gesund- heit benützt, wurde aber nach und nach ein Luxus-Gegenstand und ein Aggregat zu dem wollüstigen faulen Leben der Orientalen. Schon zur Zeit Justinians gehörten die Bäder des alten Byzanz zu den prächtigsten Gebäuden; ihre verschie- denen Gemächer bestanden aus feuerfesten Gewölben, die, so wie der Boden, mit Marmor und andern kostbaren Steinen ausgelegt waren. Die Wände bedeckten die schönsten Sculp- turen und die meisten waren selbst mit Statuen verziert. So prangten im Bade des Zenrippos, d. i. des Pferde- zusammenspanners, von einer Statue der Sonne so genannt, über hundert Statuen von Göttern und Helden, lauter Werke der berühmtesten griechischen Künstler. So prachtvoll diese Bäder waren, fo groß war ihre Anzahl; fast jeder Kaiser vermehrte dieselben um einige. In den meisten wurde das Waffer künstlich erwärmt, mehrere aber waren auf heiße Quellen gebaut, wie z. B. das Bad der Basilica oder des Senats, von dem ein Epigramm sagt: Wahrlich, königlich ist dies Bad, denn von ältester Zeit her Ward daffelbe fo von der Bewund"rung genannt. Nicht von menschlicher Hand wird das klare Waffer erwärmt, Warm schon von der Natur, fließt es von selber heraus. Wenn auch die meisten dieser Bäder bei den vielen Empörungen und Umwälzungen im alten Byzanz zerstört wurden und zu Grunde gingen, so haben sie sich doch, wie eine alte Sage durch Tradition, durch Aufbauung in dem selben Style und auf derselben Stelle fast ganz bis heute erhalten, wie sie damals waren, ------- ------ -- --- 138 Schon in Adrianopel hatte der Baron die Genüffe eines türkischen Bades versucht und sie als sehr sonderbar nnd im ersten Augenblick anstrengend, aber auch so dargestellt, daß sie dem Körper nach einiger Zeit eine ungemeine Behaglichkeit geben und die Glieder ganz geschmeidig machen. Auch Hamsa, unser Tartar, wenn er auf der Reise von den Genüffen sprach, die ihn bei seiner Ankunft in Stambul erwarteten, erwähnte den Genuß eines Bades als etwas, das alle Müdigkeit der Reise hinwegnehme und den Körper neuge- boren mache. Gleich in den ersten Tagen unseres Aufent- halts in Pera erkundigten wir uns nach einem der besten Bäder, und einer unserer neuen Vekannten, Herr v. C. bei der preußischen Gesandtschaft, war so gütig, sich unser, wie - in so vielen Punkten, auch hierin anzunehmen. Er führte uns nach Stambul, damit wir die Leiden und Freuden eines türkischen Bades kennen lernen möchten. Es kann nicht schaden, wenn der Reisende, der ein türkisches Bad nehmen will, es dem Inhaber vorher an- zeigen läßt, damit dieser für reine Wäsche sowohl, als auch dafür sorge, daß die Badhallen nicht so sehr überfüllt find, was uns unangenehm gewesen wäre. Da alle Bäder öffentlich find, so kann man nicht immer wissen, wessen Haut der Striegel, mit dem man bedient wird, kurz vorher berührt hat. Auch hiefür sorgte Herr v. C., und nahm für einen Morgen das am Hippodrom gelegene Altmeidan-Hamami, d. i. „das Bad der Pferdeliebhaber,“ in Beschlag. Jedes Bad hat seinen eigenen, oft sehr sonderbaren Namen, worauf ich später zurückkommen werde. Ueber die Wahl unseres Führers, uns in das Bad für Pferdeliebhaber zu führen, lachten wir herzlich und schickten uns in der heitersten Stim- mung an, die heiligen Hallen zu betreten. Von außen sah das Bad wie ein altes, halb verfallenes Gemäuer aus. Hie und da war ein schön gehauener Frieß 139 auf einigen Säulenschaften eingemauert, was uns vermuthen ließ, daß auch hier früher ein prächtiges Bad gestanden, aus defen Trümmer man das jetzige erbaut. An diese Mauern war ein Haus neuerer Bauart angeklebt, durch defen Thor wir in die mäßig erwärmte Vorhalle des Hamami oder Bades traten. In der Mitte dieses ziemlich geräumigen Ge- machs war ein Spingbrunnen. An allen Wänden befanden fich Divans, von den gewöhnlichen sehr verschieden. Sie waren etwa vier Fuß hoch, und zehn bis zwölf breit, so daß man sich ausgestreckt darauf legen konnte, die Füße nach dem innern Raum gekehrt. Bei unserer Ankunft mußten wir uns auf kleine Rohr- fühle setzen, die am Springbrunnen standen, und der Hamamfchi, Bader, brachte uns Kaffee und lange Pfeifen, während einige seiner Knechte auf den Divans für jeden von uns ein Lager zubereiteten, aus einer Matratze mit Kopf- kiffen bestehend, über das ein weißes Leintuch gebreitet wurde. Nachdem wir unsern Kaffee getrunken, wurden wir zu dem Lager geführt und ein Tuch als Vorhang vor uns aus- gebreitet. Wir mußten uns jetzt ganz entkleiden, und nach- dem uns der Bader ein großes Leintuch als Schürze umge- schlagen, auch jedem von weißem Zeug einen Turban ge- macht hatte, legten wir uns einen Augenblick auf das Lager, um schon etwas durchwärmt in die zweite Abtheilung des Bades eingehen zu können. Hier herrschte bereits ziemliche Hitze, so daß wir schon in wenigen Augenblicken ganz mit Schweiß bedeckt waren. Ein neues Lager, ähnlich dem ersten, war hier bereitet, und darauf ausgestreckt wurden wir abermals mit Pfeifen und Kaffee bedient. Wohl eine Viertelstunde blieben wir in diesem Gemach, worauf uns die Badewärter unter den Armen faßten, um uns in das eigentliche Badgewölbe zu führen. Daß man sich in diesen Gewölben beim Gehen 140 unterstützen läßt, ist sehr nöthig, denn der Boden ist zu heiß, um mit nackten Füßen darauf gehen zu können, weshalb man Pantoffeln erhält, deren Sohle auf zwei, drei Zoll hohen Klötzchen steht, die das Gehen ungemein erschweren. Ich habe darin den Fuß nie aufheben können, sondern bin stets über den Boden hingerutscht. Zum dritten Gewölbe führte eine schmale eiserne Thür, die hinter uns gleich wieder verschloffen wurde. In diesem, dem eigentlichen Bad, herrschte eine solche Hitze, daß sie uns in den ersten Augenblicken den Athem benahm. Es war daffelbe beklemmende Gefühl, wie wenn man allmählig in ein kaltes Bad hinabsteigt, wo man glaubt, Herz und Lunge drängen sich nach oben, um sich da gewaltsam einen Ausweg zu verschaffen. Das Gemach war rund, mit einer großen Kuppel bedeckt, die kleine, mit buntem Glas geschloffene Oeffnungen hatte, welche symetrische Figuren bildeten. Das spärliche Tageslicht, welches einzig durch die in die Halle fiel, wurde noch durch die vom Boden aufsteigenden Waffer- dämpfe getrübt. Die Wände bestanden aus gewöhnlichen Steinen und waren hie und da mit Sculpturen versehen; der Boden aber war sehr schön, aus farbigem Marmor zu- sammengesetzt und hatte in der Mitte eine fußhohe runde Erhöhung, etwa zwanzig Fuß im Durchmeffer, an deren Seiten die heißen Dämpfe vermittelt kleiner Löcher ausströmten. Ferner hatte das Gemach vier Nischen von etwa zehn Fuß Tiefe, in deren jeder sich ein zierlich aus Stein gehauener Brunnen mit zwei Röhren befand, die mit einem Hahnen verschloffen waren und kaltes und warmes Waffer gaben. Diese Nischen konnten mit Teppichen verhängt werden, die zu dem Zweck über der Oeffnung zusammengebunden waren. Bei unserm Eintritt in dies Gemach legte man in eine Ecke für jeden ein Kiffen, auf das wir uns abermals aus- strecken mußten, um die dritte Pfeife mit Kaffee zu genießen 141 und uns dabei allmählig an die entsetzliche Temperatur zu gewöhnen. Aber nicht lange, so waren wir vollkommen durch- glüht, und der Hamamschi erklärte uns für fähig, die Operation des Badens vornehmen zu können, eine wirkliche und ziemlich schmerzhafte Operation. Die Erhöhung in der Mitte des Gemachs, von der ich oben sprach, war im wahren Sinne des Worts unsere Schlachtbank. Dort mußten wir uns ausstreckt hinlegen, was anfangs einigen Schmerz verursachte, denn obgleich uns längst der Schweiß in Strömen vom Körper lief, war uns die Hitze fast unmittelbar über dem Feuer beinahe unerträglich. Neben jedem von uns ließ sich jetzt einer der Badknechte nieder und fing an, mit unserem Körper die seltsamsten Verrenkungen vorzunehmen. Zuerst drehte und wendete er alle Glieder von der Fußspitze bis zum Genick, daß sie knackten; dann hob er die Beine auf und rückte sie so weit nach dem Kopfe zu, als möglich, kurz, er behandelte uns auf eine für uns so komische Weise, daß wir über die Figuren, die einer den andern machen sah, oftmals laut lachten. War dieses Kneten, denn anders konnte man die Behandlung des Körpers nicht nennen, auf der vordern Seite beendigt, so mußte man sich auf den Bauch legen, um seinen Rücken ähnlichen Qualen preis zu geben. Zuweilen sprang der Kerl mit seinen nackten Füßen auf mir herum, daß ich nahe daran war, laut aufzu- schreien. Am Ende setzte er sich mir oben zwischen die Schulter und glitschte mit feinen Füßen an mir herunter, wobei er, um sich zu halten, mit beiden Händen meine Haut dergestalt zusammenknief, daß ich, um dem Schmerz zu entgehen, mich eilend aufrichtete und ihn herabwarf. Auch machte ich ihm über dies Kneifen ein zorniges Gesicht, worüber er mich sehr erstaunt ansah und die Hand schmatzend zum Mund brachte, um auszudrücken, daß gerade dieser letzte Coup etwas sehr köstliches fey. Ich tröstete mich an dem - 142 Schicksal meiner Gefährten, denn keiner entging dieser Manipulation. Jetzt begann der zweite Act, zu welchem die Hamamschi neben jeden ein Gefäß mit warmem Waffer setzten. Sie warfen weiche Seife hinein, schlugen sie mit einem Wisch von gedrehtem Hanf zu Schaum und feiften damit den ganzen Körper. Bis dieser Schaum durch die Wärme des Körpers und des Bades geschmolzen war, hatte man Ruhe und konnte sich über die ausgestandenen Schmerzen unterhalten. Ich habe nie einen stärkeren Klang der Stimme gehört, als in diesen türkischen Bädern. Ein Wort, noch so leise gesprochen, tönte gewaltig wieder, und gab einen Ton, als murmelten es hundert Stimmen nach. Indeß hatte der Bader seinen Hanfwisch bei Seite gelegt und dafür eine Art Handschuh ohne Finger von grobem Tuche genommen, womit er nun den ganzen Körper sehr stark rieb. Bei all' diesen Manipulationen bemerkte ich, daß der Badwärter beständig das Auge des Badenden ansieht, wie mir Herr v. C. später sagte, aus Vorsicht, um sogleich zu bemerken, wenn einem bei dieser schmerzhaften Behandlung unwohl wird. - Sobald der Körper gehörig eingerieben ist, ein Geschäft, wobei wieder durchaus keine Schonung statt findet, sondern mir fast die Haut mit heruntergeriffen wurde, verläßt der Hamamschi den Badenden und zwei Knaben von zehn bis zwölf Jahren traten an seine Stelle. Diese geleiteten jeden von uns in eine der erwähnten Nischen, wo sie nach dem Belieben des Badenden sich mit ihm durch die erwähnten Teppiche absondern und so den Augen der Andern unsichtbar werden können. Doch wie ich mir sagen ließ, verdecken sie diese Nischen nicht eher, bis ihnen der Badgast ein hierauf bezügliches Zeichen gibt, was bei den meisten darin besteht, daß er ein Geldstück von zehn bis zwanzig Piaster zwischen 143 die Zähne nimmt, welches sich der Knabe durch einen Kuß zueignet. Vor den beiden Fontainen, deren Waffer vorn in ein kleines Baffin läuft, mußten wir uns niedersetzen und nach- dem einer der Knaben viel warmes Waffer hatte hineinlaufen laffen, das er mit etwas kaltem mischte, begann er, uns daffelbe mittelst eines blechernen Gefäffes über den Kopf und den ganzen Körper zu gießen. Das Waffer war indessen noch sehr warm und benahm uns in den ersten Augenblicken den Athem. Wir befanden uns in einer Lage, als wenn man bei uns das Schlachtvieh abbrüht, auch wehrte ich mich anfangs mit Händen und Füßen dagegen, aber vergebens; so lange ich den kleinen Quälgeistern nicht vollkommen ge- reinigt schien, hörten sie nicht auf, mir das Waffer aus dem großen Gefäß über den Kopf zu schütten. Nach dieser letzten Procedur bekamen wir um Hüfte und Schultern ein reines weißes Tuch, um den Kopf drehte man uns ein ähnliches und oben auf den Scheitel legte man lose ein anderes zusammengefaltetes. Durch die beiden Vor- zimmer wurden wir wieder in das erste Gemach geführt, wo wir uns entkleidet hatten. Man hatte indessen unser Lager mit reinen Tüchern überzogen, und nachdem wir uns wieder auf dasselbe ausgestreckt hatten, brachte man uns Pfeifen, Sorbet und später Kaffee. Die Mühseligkeiten des Bades sind nun vorbei und der Türke fängt jetzt einen Khef an, d. h. so wie er sich gewöhnlich Nachmittags, ohne ein Wort zu sprechen oder auch nur zu denken, der Ver- dauung hingibt, so denkt er auch jetzt seinen Geist in voll- kommene Ruhe und überläßt den Körper einigen Knaben, die ihn, aber auf eine sanftere Art als früher, durchkneten. Sie fangen dies Geschäft gewöhnlich bei den Füßen an, welche fie mit ihren beiden Händen leicht drücken und so immerfort streichend aufwärts fahren, bis sie auf diese Art den ganzen 144 Körper geknetet haben, was mehrere Male von den Füßen zum Kopf und umgekehrt geschieht. Auch werden die Gelenke der Hände und Füße nochmals auseinander gezogen, bis sie knacken. Besonders für Leute mit schwachen Nerven hat dieses leise Kneten etwas Ermattendes, Angreifendes, und selbst ich war fast immer geneigt, dabei in Schlaf zu fallen. Wenn das Kneten vorüber ist, werden neue Pfeifen gebracht, so wie Kaffee und man bleibt nach Belieben so lange liegen, bis das Blut, welches durch die ganze Behandlung sehr aufgeregt ist, wieder ruhiger wird. Dann zieht man sich an, und das türkische Bad ist genommen. Die Wirkungen dieses Bades, welche die Phantasie des Muselmanns etwas übertreibt und als das Heilsamste darstellt, was dem Körper widerfahren könnte, fangen erst nach einigen Stunden an, sich bemerkbar zu machen; ich meine die angenehmen Wirkungen, denn in der ersten Zeit, nachdem man sich wieder angezogen hat und etwas umher- gegangen ist, find die Glieder wie zerschlagen und große Müdigkeit drückt den Körper nieder. Nach einigen Stunden aber schwindet diese Ermattung und man fühlt sich aller- dings wie neugeboren. Die Glieder haben eine auffallende Frische und Elasticität erlangt; man fühlt sich durch ein angenehmes Wohlseyn, das sich über den ganzen Körper ver- breitet, zu den lebhaftesten Bewegungen hingeriffen. Es wird behauptet, ein türkisches Bad im Augenblicke genommen, wo man nach einer langwierigen beschwerlichen Reise vom Pferde steigt, oder wenn man sich überhaupt sehr ermüdet hat, er- frische mehr, als die beste Nachtruhe. Man kann zu jeder Stunde des Tages ein Bad nehmen, ausgenommen in den Zeiten des Ramadans, wo die Hamami den ganzen Tag über geschloffen sind und erst, wie alle andern öffentlichen Anstalten, Kaffeehäuser c. mit Einbruch der Nacht geöffnet werden. Nur muß man nie nach dem 145 Effen baden, eine Vorschrift, die ja auch bei uns besteht und bei der Gewaltsamkeit der Operation doppelte Berücksichtigung verdient. Ich habe in Constantinopel ein einziges Mal diese Regel nicht beachtet, und so gesund ich bin, wurde ich nicht nur während des Badens völlig ohnmächtig, sondern war mehrere Tage nachher unwohl. Die öffentlichen Bäder für das weibliche Geschlecht sollen beinahe ganz so eingerichtet feyn, wie das beschriebene, nur daß die große Wafferbehälter enthalten, worin die Ab- waschungen vorgenommen werden. Natürlich find dort die Hamamschi ebenfalls Frauen. Diese Anstalten dienen aber den Weibern keineswegs blos zum Baden. Da die türkischen Damen keine Thee- und Kaffeevisiten geben, so versammeln fie sich zu gleichem Zwecke in ihren Bädern, um gegenseitig Neuigkeiten einzutauschen und den lieben Nächten der schärf- sten Kritik zu unterwerfen. Tout comme chez nous! Etwas Genaueres über die türkischen Frauenbäder zu sagen, ist fast unmöglich, da es dem Muselmann felbst streng verwehrt ist, diese Anstalten zu besuchen, und wenn er auch mit den inneren Einrichtungen bekannt wäre, würde ihm doch der Anstand verbieten, darüber mit einem Fremden zu sprechen. Man erzählte uns, vor einiger Zeit habe sich ein wißbegie- riger Europäer in eines dieser Bäder geschlichen; ertappt und vor den Kadi geschleppt, fey er dem Tode nur dadurch ent- gangen, daß er sich verrückt gestellt. Doch will ich die Wahrheit dieser Geschichte nicht verbürgen. Von einem der innersten Bäder des Harem des Groß- sultan findet man bei Hammer eine Beschreibung, die nach der Erzählung eines Itschoglan Pagen) niedergeschrieben wurde. Nach dieser gehen die Fenster des Bades gegen Osten. Auf der rechten Seite der Thüre des Entkleidungssaales ist das Singzimmer und links das Schatzgewölbe. Die Pracht desselben Hackländer, R, in d, O, I. 10 146 soll unbeschreiblich seyn. Der vielfarbige Marmor des Pflasters und der Wandbekleidung spiegelt die Silbergestalten der badenden Schönheiten zurück und farbige Gläser, in der Oeffnung der Kuppel eingesetzt, verbreiten in dem Gemach einen heimlichen sanften Lichtschimmer. In der Mitte springt ein Wafferstrahl, dessen Erguß von zwei Becken, einem kleinen und einem großen aufgefangen wird. Das kleine ist von weißem Marmor mit rothen und schwarzen Adern, aus wel- chem die Fluth in das untere große, aus mehreren Stücken farbigen Marmors zusammengesetzte Becken stürzt. Man findet in Constantinopel nicht nur bestimmte Bäder für die verschiedenen Stände, Künste und Gewerbe, die Muselmänner können sich auch sogar nach ihren verschiedenen Charakteren, Leidenschaften, Tugenden und Lastern zusammen- finden. So ist in Stambul ein Bad für Freigeister, eines für fromme und heilige Männer, ein anderes für Narren; an der Suleimanje eines für Dichter, ein anderes für Pferde- liebhaber, das wir besucht haben, so wie eines für Sänger und für freigebige Leute. Am adrianopolitaner Thor findet man ein viel besuchtes für Frauenliebhaber, so wie dicht neben an eines für alte abgelebte Leute und eines für schöne junge Herren. In der Vorstadt Otakdschilar ist ein Bad für Betrunkene, eines für Knabenliebhaber und ein anderes für unschuldige, eingezogene und sittsame Leute. In der Nähe des Hafens sieht man welche für solche, die das Ge- bet nicht lieben, für Verliebte, für Spitzbärte und für Diebe. Der Hippodrom, die sieben Thürme, mehrere Moscheen und andere ältere Bauwerke. In fremden Städten, besonders solchen, die wie die orientalischen eine alte gewaltige Geschichte haben, wird man durch Ruinen und andere Erinnerungen so zerstreut und 147 zwecklos umhergetrieben, daß man erst nach einiger Zeit, in der man gestaunt, gesehen und doch nichts gesehen hat, zum Bewußtseyn kommt, nur durch eine systematische Eintheilung der Zeit fey man im Stande, das Merkwürdigste und Schönste in sich aufzunehmen. Jeden Tag haften wir Ausflüge nach Stambul und die Umgegend gemacht, ohne uns vorher über diese Touren einen Plan anzufertigen, wodurch wir viel Zeit verschwen- deten, manche unbedeutende Sachen zehnmal und noch öfter, andere viel beachtungswerthere gar nicht oder doch nur flüchtig ansahen, weil wir Niemand hatten, der uns darauf aufmerksam machte. - Schon in der ersten Zeit hatte uns Herr von C. ge- rathen, unsere Tage, ja unsere Stunden genau einzutheilen, weil wir sonst mit den Sehenswürdigkeiten in Stambul nicht fertig werden würden. Natürlich wurde diese Idee von uns eifrig erfaßt, um so mehr, da sich der liebens- würdige Mann zu unserem Führer anbot. Doch traten immer kleine Hindernisse der Ausführung dieses guten Planes in den Weg. So bat uns in den ersten Tagen unser bis- heriger liebenswürdiger Reisebegleiter, der östreichische Oberst- lieutenant von P., mit unsern geregelten Cxcursionen noch ein paar Tage zu warten, weil jede Stunde einige seiner Kameraden eintreffen könnten, die es bedauern würden, die Merkwürdigkeiten der Stadt nicht in Gesellschaft sehen zu können. Auf diese Art wurden wir oft zurückgehalten und find dadurch, aufrichtig gestanden, verhindert worden, manches Merkwürdige zu sehen. Jedem Reisenden, der Constantinopel besucht und wie wir nur kurze Zeit verweilen kann, rathe ich, gleich in den ersten Tagen nach einem Plane, den ihm ein Ortskundiger anlegt, die Stadt zu durchkreuzen und erst wenn er die vielen merkwürdigen Plätze, Gebäude und Denkmäler gesehen 10 148 hat, seine übrige Zeit anzuwenden, um das bunte Leben auf den Straßen zu beobachten, feine Einkäufe zu besorgen und kleine Ausflüge in die Umgegend zu machen. An einem schönen Morgen, nachdem wir schon auf obige Art mehrere Tage verschleudert hatten, brachen wir in Begleitung des Herrn von C. von Pera auf, um einen Theil der Merkwürdigkeiten planmäßig in Augenschein zu nehmen. Da wir hiezu eine weite Tour zu machen hatten, suchten wir uns am Ufer von den dort aufgestellten Mieth- pferden die besten heraus. Hiebei fallen ähnliche komische Auftritte vor, wie bei den Kaiks. Die Pferdevermiether find eben so zudringlich, besonders gegen Franken, die natür- lich mehr als die Osmanli bezahlen müffen. Dabei ist das Gedränge, was immer bei unserer Ankunft entstand, nicht ganz ohne Gefahr; sie suchen einem so nahe wie möglich mit ihren Pferden auf den Leib zu rücken, die nicht so geduldig, wie ihre Herren, zuweilen zu schlagen und zu beißen anfangen. Im Augenblick ist man von einem Haufen dieser Menschen umringt und ich war nicht selten gezwungen, das Pferd, an das mich der Zufall gedrängt hatte, zu besteigen, um nur dem Gedränge zu entkommen. Hat man sich auf diese Art beritten gemacht, so hält sich jeder Ver- miether an einem Steigbügelriemen seines Pferdes und läuft im Trab oder Galopp nebenher. An der Spitze des Zuges ritt der Herr von C., dessen Sais oder Reitknecht durch lautes Geschrei die Begegnenden zum Ausweichen aufforderte, und so trabten wir auf den kleinen Pferden, die auf dem glatten schlüpfrigen Pflaster fast nie einen Fehltritt machen, ziemlich rasch durch die Gaffen. Unsern ersten Halt machten wir auf dem At Meidan, dem Hippodrom, dem berühmtesten aller Plätze des alten und neuen Constantinopels. Wir stiegen von unsern Pferden, um die armseligen Ueberbleibsel der frühern prächtigen Monu- 149 Wente und Bauwerke, die auf diesem Platz standen, in der Nähe zu besehen. Der Hippodrom wurde von Kaiser Severus, nachdem er die zerstörte Stadt erobert, angelegt, und war von da an der Schauplatz der festlichen Spiele, so wie fast aller Auf- fände und Revolutionen, welche den Thron der byzantinischen Kaiser so oft erschütterten. Alles, was uns von der früheren Pracht und Herrlichkeit dieses Platzes erzählt wird, könnte man für eine Fabel halten; hier, wo nach den Geschicht- fchreibern die schönsten Werke der Kunst aufgestellt waren, ist nichts mehr zu fehen als drei verstümmelte Monumente: ein unvollendeter Obelisk in der Mitte des Platzes, dessen geglättete Seiten, besonders die gegen das Meer gekehrten, von der Zeit und der Seeluft schon stark beschädigt sind, ferner ein früher mit Kupfer bekleideter Pfeiler, dessen jetzt verschwundene Inschrift besagte, daß Constantin, der im Purpur Geborene, ihn so prächtig hergestellt, daß er, gleich dem Coloß zu Rhodus, für ein Weltwunder angesehen worden, und endlich ein dreifaches Schlangengewinde, dessen Köpfe jedoch nicht mehr vorhanden sind, und das der Sage nach den Dreifuß von Delphi getragen haben soll. Von den marmornen Stufen, die früher einen großen Theil des Platzes umgaben, und worauf das Volk dem Wettrennen zusah, ist keine Spur mehr vorhanden. Schlecht gebaute Häuser haben sich überall herangedrängt und der Platz, der früher vielleicht viermal so groß war, ist heute nur zweihundert- undfünfzig Schritte lang und hundertundfünfzig breit. Der Boden ist uneben und schmutzig, und hie und da wächst eine Platane oder Sykomore aus ihm hervor, unter der ein türkischer Kaffee- wirth seine elende Bude aufgeschlagen hat. Gelehnt an einen Pfeiler der Mooschee Achmeds, die am At Meidan liegt, überdachte ich das Sonst und Jetzt dieses Platzes, ein Con- traft, wie die Geschichte fast keinen traurigern aufzuweisen hat. 150 Dort stand die Statue des Herkules Trihesperus, der ohne Bogen, Köcher und Keule sich mit dem linken Fuß auf das Knie niederließ, in derselben Stellung, wie er als Sternbild am Himmel prangt. Dieses Kunstwerk wurde von den Lateinern bei der Eroberung der Stadt in Stücke zerbrochen, um das Erz zu Kupfergeld einzuschmelzen. Ferner war hier der Esel mit dem Eseltreiber von Actium, den Augustus dort zum Andenken aufrichten ließ, weil, als er eines Nachts hinausging, um die Stellung des Antonius zu erspähen, ihm ein Eseltreiber mit einem Esel begegnete, der ihm auf die Frage, wie er heiße und wohin er gehe, antwortete: „Nikon (fiegend), mein Esel Nikander (Sieg- mann) und ich gehe zu Cäsars Heer.“ Neben ihm stand die Wölfin, welche den Romulus und Remus gesäugt hatte, ein Nilpferd mit schuppigtem Schweife, fliegende Sphinxe und die zwei Ungeheuer Scylla und Charybdis. Die Statue der Helene, Liebe athmend und einflößend, mit fliegen- den Haaren und lächelnden, zum Reden geöffneten Lippen, war hier zu sehen, mit aller Anmuth, womit sie der Gürtel Aphroditens ausgestattet. An den Rennzielen fanden die Statuen berühmter Wagenlenker, die mit der Hand die Lehren wagenführender Kunst einschärften; zwischen diesen Statuen waren auf einer Seite die Altäre des Zeus, Saturnus und Mars, und auf der andern die der Venus, des Monds und die des Merkurs. Neben dem Thurm des Hyppodromus, wo sich die Gitter befanden, hinter welchen die Pferde un- geduldig warteten, war der kaiserliche Thron, von welchem der Kaiser mit einem Tuche das Zeichen zum Auslaufen gab. Die zwölf vierspännigen Wagen, welche nun daher stürmten, mußten den Rennplatz sieben Mal umfahren. Auf dem Thurme des Hyppodroms standen die vier berühmten goldenen Pferde, welche von Athen nach Chios und dann nach Constantinopel gebracht wurden. Nach Eroberung dieser Stadt kamen sie 151 nach Venedig und man stellte sie über dem Eingange der Markuskirche auf. Später wanderten sie nach Paris auf den Carouffelplatz, von wo sie wieder nach Venedig an ihre alte Stelle zurückgeführt wurden. * So viel der Boden des Hyppodroms von den Herrlich- keiten erzählen könnte, die er einstens getragen und allmählig verschwinden fah, und dadurch unser Bedauern erregen, daß jene Zeit fo spurlos verschwunden, so viel Entsetzliches könnte er uns auch mittheilen von den Metzeleien, die hier geschehen, und dem vergoffenen Blute, das er stromweise trinken mußte, und wenn wir eben den Untergang jener Zeiten bedauerten, fo können wir uns in diesem Sinne nur darüber freuen, daß fie sich verändert haben. Die meisten großen Revolutionen und Empörungen brachen auf dem Rennplatze aus. Hier wurde Gratianus Augustus durch bestellte Meuchler ermor- det; hier dämpfte Kaiser Justinian die berühmteste aller Empörungen, als Hipatius, von einer andern Partei zum Kaiser ausgerufen, sich schon in den Besitz des Haupteingangs zum Hippodrom gesetzt hatte, wo die Rennspiele eben beginnen sollten und er sich dort wollte zum Kaiser ausrufen laffen, drang Belisar von der andern Seite mit den Leibwachen auf den Platz und Justinian hatte Geistesgegenwart genug, im Augenblicke der größten Gefahr den Anfang der Rennspiele zu befehlen, die nun, von dem Brande der halben Stadt beleuchtet, begannen. Schon seit den ältesten Zeiten feierten heimkehrende Feldherrn auf dem Hippodrom ihren Triumphzug; so Belisar, als er die Vandalen besiegt. Neben der großen Rolle, die dieser Platz von jeher im äußern-Leben der Byzantiner spielte, legte ihm und den Statuen, die auf demselben standen, auch noch der Aberglaube des Volks und der Kaiser andere geistige talismanische Kräfte bei, welche das Reich schirmen und be- * Hammer, C. u. d. B. I. 152 wahren sollten, so daß der ganze Rennplatz gleichsam ein geweihtes Symbol der Regierung und Herrschaft ward, ein Aberglaube, der für die christliebenden Kaiser, wie sie sich selbst in allen Aufschriften nennen, mehr als unschicklich war. Sie Auch unter der Herrschaft der osmanischen Kaiser blieb der At Meidan der erste Platz der Hauptstadt und die Bühne für die Staatsaktionen und öffentlichen Spectakel. Der Bau der Moschee Achmet I. auf demselben nahm ihm viel von feiner Ausdehnung. Noch heute geht über den At Meidan der große Zug, wenn sich am Beiramfeste der Sultan aus dem Serail nach dieser Moschee begibt. Eben so versammeln sich hier noch immer die Pilger aus allen Theilen des Landes zu der großen Karavane nach Mekka. Auch die Geburt des Propheten wird auf dem At Meidan und in der Moschee Achmet I. in Gegenwart des Sultans und der Hof- und Staatsbeamten feierlichst begangen. Unter dem letzten Sultan Mahmud II. entfaltete hier der Großweffir die Fahne des Propheten, was alle Rechtsgläubigen zum Schutz der Kirche und des Sultans herbeiruft, und führte die zusammengelaufenen Haufen nach der Kaserne der Janitscharen, wo dieselben be- kanntlich bis auf den letzten Mann niedergemetzelt wurden. Doch genug von diesem Platz; die Geschichte desselben ist so mit Gräuelscenen geschwängert, daß er bei längerem Verweilen in dem Herzen des Beschauers einen unangenehmen Eindruck zurücklaffen muß. Vom At Meidan betraten wir die Achmedi oder Moschee Sultan Achmed I., von der ich schon oben sprach, um ihre prächtige Einrichtung zu sehen. Sie ist zwar nicht die größte und äußerlich schönste, denn die Aja Sophia, so wie die Sulimanje übertreffen sie an Pracht und Ausdehnung; da- gegen hat sie sechs Minarets, mithin zwei mehr als jene beiden, und selbst als die heilige Moschee zu Mekka. Sie * Hammer, C. u. d. B. - - 153 ist auf einer großen Terraffe gebaut und besteht aus zwei Vierecken, wovon eines die Moschee selbst, das andere den Vorhof bildet. Die innere Einrichtung übertrifft an Pracht und Schönheit der Geschirre alle Beschreibung. Die Kuppel des großen Domes wird von vier Säulen getragen, die, ob- gleich die Kirche fehr hoch ist, ganz unverhältnißmäßig dick find. Jede hat sechsunddreißig Ellen im Umfang. Sie durchbrechen die Kuppel und ragen von außen als Thürme empor. Im Innern der Kirche läuft zu beiden Seiten eine doppelte Galerie hin; unten sind die Bänke der Koranleser, oben die Gewölbe zur Aufbewahrung der Kostbarkeiten, die nach und nach in die Kirche gestiftet worden. Die Kebbel- linie wird durch zwei Wachskerzen von so ungeheurer Dicke und Größe bezeichnet, daß wir sie anfangs für Marmor- fäulen hielten, und erst beim Nähertreten mit Erstaunen unsern Irrthum erkannten. Ein Meisterstück von Bildhauerarbeit ist die Kanzel für den Feiertagsprediger, nach dem Modell der zu Mekka aus- geführt. Schon der Stifter dieser Moschee, Achmet I., be- schenkte sie mit großen Reichthümern und einem Beispiel folgten Anstandshalber alle Großen des Reichs, deren präch- tige Gaben man noch sieht: goldene Lampen mit Edelsteinen besetzt, goldene, mit Perlen besetzte Pulte, worauf schön ge- schriebene Exemplare des Korans liegen c. Die Anfertigung dieser Manuscripte beschäftigt noch jetzt eine große Anzahl von Derwischen, da der Koran nicht gedruckt werden darf, weil es dem Muselmann unschicklich erscheint, daß die heiligen- Worte den Druck der Presse aushalten sollen. Wir bestiegen unsere Pferde wieder und ritten durch einen großen Theil der Stadt nach dem westlichsten Ende derselben, wo am Meer von Marmora das Schloß der fieben Thürme liegt. Vom Großadmiral Apokaukos, der es in der Absicht anlegte, um einen Nebenbuhler darin einzusperren, 154 aber selbst in die Falle ging und hier ermordet wurde, hieß das Schloß früher der Thurm des Apokaukos. Schon von Weitem erregen die dicken, mit Epheu bewachsenen Thürme und die unheimliche Stille, die um das ungeheure Gemäuer herrscht, den Gedanken, daß hier kein Aufenthalt für glückliche Menschen sein kann, und man ahnt, auch ohne es zu wissen, wozu diese mächtigen Quader aufeinander gethürmt wurden. Vor dem Eingang ist ein kleiner Platz mit jungen Bäumen bewachsen, unter denen ein paar alte Türken, zwei Kiaja's, Unteraufseher des Schloffes, sich mit ihren langen Pfeifen unterhielten und der Ruhe pflegten. Auf mehrmalige Anfrage erhielten wir von ihnen den Bescheid, sie haben keine Erlaubniß uns einzulaffen, und es bedurfte langer Reden von Seiten des Herrn von C., ehe sie sich nach Spendung einiger Piaster entschloffen, ihrem Chef, einem alten pensionierten Bim-Baschi, unser Anliegen vorzutragen. Nach einer Viertelstunde kehrten sie in Begleitung des alten Herrn zurück, der unfern Freund persönlich kannte, und nun weiter keine Schwierigkeit machte, uns den Eintritt zu gestatten. Den Eingang in's Schloß bildet ein großer Thorweg, der unter einem dicken viereckigen Thurm durchführt, mit einem schweren eisernen Thor verschloffen wird, und außerdem noch durch starke Fallgitter geschützt ist. Dieser Eingangsthurm gehört jedoch nicht zu den fieben großen, von welchen das Schloß seinen Namen hat. Das ganze bildet ein unregelmäßiges Fünfeck mit fünf Thürmen, und hat an der Hauptseite, die nach dem Stadtgraben zuliegt, noch zwei weitere große viereckige Thürme, zwischen denen aber im äußern Walle das sogenannte goldene Thor liegt, das in früheren Zeiten sehr berühmt war. Die Griechen nannten es das schöne oder liebens- würdige Thor und durch dasselbe zogen die Kaiser im Triumph in die Stadt. Doch wurde es schon um das Jahr 900 ver- mauert aus Furcht, die Lateiner könnten durch dasselbe in 155 die Stadt brechen, und wurde feitdem nicht wieder geöffnet. Die beiden Thürme, die es rechts und links einfaffen, sind aufs Sorgfältigste gebaut und bestehen aus Ouadern, die ohne Mörtel so schön zusammengefügt sind, daß man fast keine Fugen sieht. In der Mauer, welche sie verbindet, war der Triumphbogen Constantins, der zum goldenen Thore führte. Im südlichsten dieser beiden Thürme ist das berüchtigte Gefängniß, der sogenannte Blutbrunnen. Wir betraten es mit seltsamen Gefühlen und betrachteten auf einem Boden ein rundgemauertes Loch, das der Mündung eines Brunnens gleicht und in die Tiefe führt. Hier wurden die Köpfe der Hingerichteten hinabgeworfen. Doch hat die zerstörende Zeit das Schauerliche dieses Ortes sehr gemildert, die vielen Köpfe, die da unten liegen, find längst in Staub zerfallen und ver- derben nicht mehr wie in alten Zeiten die Luft im Thurme. Auch sind die Balken, die die einzelnen Stockwerke bildeten, zusammengestürzt und laffen das Tageslicht von oben in diese fchauerliche Gruft fallen, und wenn den Unglücklichen, die hier starben, auch keine liebende Hand ein Denkmal setzte, so haben es die Vögel gethan, indem sie Samenkörner in den Thurm fallen ließen, aus denen bunte Blumen entstanden, die den Blutbrunnen und die Wände des Gefängniffes freundlich bedecken. Der größte der sieben Thürme ist der links vom Thor, durch das wir hereingekommen. Er ist rund und besteht aus zwei Theilen, von denen der untere an siebzig Schuh, der obere einhundertundzwanzig Schuh hoch ist. Er heißt der Thurm der Janitscharen. Wir bestiegen ihn auf einer halb- zertrümmerten steinernen Treppe und hatten nördlich eine schöne Aussicht auf die Stadt und südlich auf die mit Cypreffen bewachsenen Begräbnißstätten, auf die schönen Inseln der Propantis und die gegenüber liegenden asiatischen Ufer. Der Hof des ganzen Gebäudes befindet sich in der traurigsten Verfaffung. Die mit kleinen Kiefeln bepflasterten Wege, 156 die rechts und links durchführen, sind das Einzige, was noch ziemlich erhalten ist. Das Ganze gleicht einem verwüsteten Garten, überall wächst Gras und Unkraut fußhoch und ver- worren durch einander. Einige Platanen und verkrüppelte Feigenbäume umgeben eine kleine Moschee, die links am Wege steht. Neben ihr ist ein Brunnen, dessen herrliches Waffer wir versuchten. In den andern Theilen des Hofes zeigen Steinhaufen, so wie auf einander gethürmte verbrannte Balken die Stellen an, wo sich vormals die Gefangenen ihre arm- feligen Hütten erbaut hatten. Am Eingange links ist das ziemlich erhaltene Haus des Aufsehers mit einem kleinen Gärtchen von Stacketen eingefaßt, wo sich nach Hammer die Gräbstätten der Märtyrer befinden, d. h. der Moslimen, die in dem Angriff der sieben Thürme die Heiligkeit des Krieges hier mit ihrem Blute bezeugten. Wenn die Leiber dieser ge- fallenen Kämpfer mit der ungeheuren Größe ihrer Gräber im Verhältniß fanden, so müffen es wahre Riesen gewesen seyn. Aus diesem Hofe steigt man auf schmalen, an den Mauern hängenden Treppen, die meist halb zerfallen und mit Unkraut bewachsen sind, auf die Wälle. Hier liegen Kanonen von allen möglichen Kalibern, jedoch find die meisten unbrauchbar. Einige haben Zündlöcher von einem halben Zoll Durchmeffer. Jetzt werden diese Geschütze nur noch zu Freudenschüffen während des Bairamfestes benutzt, doch war über den meisten Gras und Unkraut zusammengewachsen, und hatten ihnen so ein Nest gebildet, worin sie wohl für ewig unbenützt schlafen werden. Seit den ältesten Zeiten diente das Schloß der sieben Thürme mehr zum Staatsgefängniß, oder wohl auch zur Citadelle, um die Stadt in Respect zu halten, als zur Ver- theidigung nach Außen. Bei ausbrechenden Kriegen mit den europäischen Mächten wurden bekanntlich deren Gesandten unter dem Vorwande, die vor der Wuth des Pöbels zu schützen, hier eingesperrt. Das Haus, das sie bewohnten, 157 war, wie uns der Aufseher versicherte, an den Thurm der Janitscharen gebaut; vom Gebäude selbst sahen wir keine Spur mehr. Nur bezeugten viele französische und auch deutsche Inschriften, von denen jedoch die meisten durch Zeit und Wetter unleserlich geworden waren, daß manche Europäer traurige Stunden hier verseufzt. Eine lautete: - Prisonniers qui dans le misère Gémissez dans ce triste lieu, Offrez le de bon coeur à dieu Et vous le trouverez legères. 1608, Etwas weiter unter stand: Anton Esterhazy bewohnte diesen traurigen Ort 1698–1699. J. von Hammer spricht von einer ähnlichen Inschrift auf dem Steine eines der Quaderthürme, die wir jedoch nicht mehr fanden und welche lautete: A la mémoire des Français morts dans les fers des Othomans. 1801. Der Aufseher des Schloffes schenkte jedem von uns eine reife Feige, die im Hofe gewachsen und brachte uns eine Hand voll Blumen von denen, die den Blutbrunnen umfan- den, wogegen wir ihn mit einigen Piastern erfreuten. Beim Ausgang zeigte er uns vor dem viereckigten Thurm den Platz, wo der unglückliche Sultan Osman in einer Empörung von den Janitscharen hingerichtet wurde, fo wie links unter dem Thorweg ein kleines Gemach, das mit alten Waffen und Ketten angefüllt war. Wir bestiegen unsere Pferde wieder, die sich indessen draußen am parlichen Grafe, das unter den Bäumen wuchs, gelabt hatten, und ritten eine Zeitlang an der Stadtmauer hin bis zu Top Kapusi oder dem Kanonenthor, früher das 158 Thor des heiligen Romanus, durch welches wir ins Freie kamen. Dieses Thor ist von allen das merkwürdigste; hier fiel der letzte der Paläologen im Kampf mit den eindringen- den Türken. Die ersten jedoch, welche die Stadt erstürmten, ihrer etwa fünfzig, drangen etwas mehr nördlich beim höl- zernen Thor, man zeigte uns noch die Bresche, in die Stadt, überfielen den Kaiser und Giustiniani, den Feldherrn der Genueser, welche Beide von jenem Einbruch noch nichts wußten, und so von vorn und hinten zugleich angefallen, hauchte der letzte Constantin sein Leben an den Mauern aus, die der erste gebaut. Die Türken, welche gern Alles in's Ueberirdische hinüber spielen, haben eine Sage, nach welcher ihnen Allah und der Prophet beim Sturme auf Constantinopel dadurch geholfen, daß er an dieser Stelle die Geschütze der Griechen in Stein verwandelt habe. Wirklich zeigte man uns einige steinerne Röhren, an denen eine lebhafte Phantasie einige Aehnlichkeit mit Geschützen finden konnte. Vor dem Kanonenthor befindet sich ein großer Gottes- acker, wo in früheren Jahren hauptsächlich die Janitscharen begraben wurden. Auf den Gräbern sieht man eine große Menge aufrecht stehender schmaler Steine, neben denen der Kopf mit dem Turban, der dieselben früher schmückte, abge- hauen an der Erde liegt. Sultan Mahmud ließ, nachdem er die Janitscharen vertilgt, auch an den früher Gestorbenen feine Rache aus, indem er ihnen zum Schimpf den gemeißelten Kopf auf den Steinen herunterschlagen ließ. - Ueber diesen Kirchhof führte unser Weg links auf das Feld, wo auf einer Anhöhe zwischen Bäumen die alte griechische Kirche zu St. Stephan liegt. Einer Tradition verdankt diese Kirche von gewöhnlicher Bauart und kleinem Umfang den Besuch von vielen Fremden. Als nämlich die Türken unter Mahomed II. die Stadt stürmten, drang ein 159 Haufe auch in dieses Kloster, um Alles niederzumachen. Ein frommer Priester, der im Hofe bei einem Brunnen stand, briet gerade auf einem Rost Fische, die, als der Lärm ent- stand, auf der einen Seite schon gahr und braun waren. Der Priester rettete sich ins Heiligthum, die Fische aber wurden von den eindringenden Türken in den Brunnen ge- worfen, wo fie, halb gebraten, wie sie waren, wieder lebendig wurden, lustig umherschwammen, und noch heute am Leben find. Die griechischen Priester im Kloster empfingen uns sehr artig und führten uns in ihrer kleinen Kirche herum. Im Vorhof wurde jedem von uns eine brennende Wachskerze in die Hand gegeben, ebenso dem Kawaschen des Herrn v. C., einem Türken; doch schien diesem das dünne Kerzchen nicht anständig genug, und er kaufte sich noch zwei dicke dazu, die er ebenfalls ansteckte, worauf er seine Schuhe auszog und uns gegen die Gewohnheit der Türken überall ehrfurchtsvoll hinbegleitete. Die Andacht des Muselmanns hatte einen sehr natürlichen Grund: er liebte eine Griechin, und was thut die Liebe nicht! Nachdem wir die Kirche besehen, die nicht viel Merk- würdiges enthielt, gingen wir in den Hof zurück und stiegen auf zehn Marmorstufen zu einem Brunnen hinab, in welchem die gebackenen Fische herumschwimmen sollten. Wirklich sahen wir auch eines dieser Thiere von der Größe und Gestalt einer starken Forelle, das auf der einen Seite weiß, auf der andern dunkelbraun war und sonderbar aussah. Der Priester erzählte uns noch, es feyen dieser Fische fieben in den Brunnen geworfen worden, von denen zwei verschwunden, die andern fünf aber noch da seien. Allein wir sollen nicht glauben, daß ihre Religion ihnen gebiete, dies als Wunder zu verehren; es fey nur eine alte Ueberlieferung; übrigens könne er aus eigener Erfahrung versichern, daß die fünf 160 Fische in den fünfzig Jahren, seit er hier fey, fich weder vermehrt noch vermindert haben. Das Kloster ist mit alten dicken Nußbäumen umgeben, unter denen, wie fast überall an solchen Orten, ein Kaffeetschi fein Zelt aufgeschlagen hatte, wo wir einen guten Kaffee genoffen. Dann bestiegen wir unsere Pferde wieder und ritten fast eine Stunde den Stadtmauern entlang durch das Quartier der Töpfer nach Ejub. Zuerst führte unser Weg nach der von Mahomed, dem großen Eroberer, gebauten Moschee, die, malerisch zwischen hohen Bäumen versteckt, für so heilig gehalten wird, daß es keinem Ungläubigen erlaubt ist, auch nur ihre Vorhallen zu betreten. Ejub, der Fahnenträger des Propheten, soll hier im Kampf mit den Arabern gefallen feyn, und ihm zur Ver- ehrung baute Mahomed nach feiner Thronbesteigung diese Moschee als Grabmal, und verlegte eine der ersten Cere- monien der Krönung dahin, der jedesmalige Sultan em- pfängt hier durch Umgürtung des Schwertes des Prophe- ten die heilige Weihe. Eine Reliquie, die sich in dieser Moschee befindet, ist ein Fußtapfe des Propheten. Als dieser nämlich in Mekka beim Bau der heiligen Kaaba eifrigst mithalf, drückte sich einer feiner Füße in den Stein, worauf er stand. Dieser Stein wurde nach Aegypten in die Schatzkammer gebracht, und kam so später in den Besitz der osmanischen Sultane, wo ihn dann Sultan Mahmud in silberner Einfaffung in die Moschee zu Ejub einmauern ließ. Von dieser Moschee, die übrigens sehr einfach feyn soll, ließ uns der Fanatismus der Türken auch nicht das Geringste fehen; denn kaum hatten wir uns einem der Thore genähert, um wenigstens einen Blick in den Vorhof zu werfen, so kam gleich einer der Derwische auf uns zu, 161 und hieß uns mit ziemlich heftigen Geberden und Worten unseres Weges gehen. Von schönen Gebäuden in Ejub ist noch ein Palast der Sultanin Valida zu bemerken, der am Hafen liegt, so wie viele kleine Grabcapellen von heiligen und berühmten Männern. Auch ist diese Vorstadt durch die Vorzüglichkeit ihrer Barbiere, so wie durch die Bereitung einer sehr gut schmeckenden Art von Milch, Kaimak genannt, berühmt. Etwas hinter der Stadt, am Ende des goldenen Horns ist die Mündung der beiden Flüffe Barbyfes und Cydaris, an denen weiter aufwärts die herrlichen wafferreichen Thäler und Spaziergänge liegen, die bei den Türken zum Gegensatz von den an dem andern Ufer des Bosporus befindlichen Spazier- gängen die europäischen himmlischen Waffer heißen, und wo sich an gewissen Tagen die Weiber des Sultans, natürlich durch ausgestellte Wachen vor jedem neugierigen Blicke ge- fchützt, mit Spiel, Gesang und Tanz erfreuen. Ein anderer berühmter Spaziergang, der nach Edris Köfchk, führt ebenfalls gleich hinter Ejub ziemlich steil den Berg hinan, über Begräbnißstätten, welche dicht mit schönen Cypreffen bewachsen sind, zu einer verfallenen Moschee des Scheikh Edris, von dem der Spaziergang einen Namen hat. Auf dieser Höhe ruhten wir auf einem Grabstein sitzend, einen Augenblick aus und genoffen die prächtige Aussicht, die sich bei den goldenen Strahlen der untergehenden Sonne unsern Blick darbot. Vor uns lag das goldene Horn in feiner ganzen Fülle und Ausdehnung, rechts Constantinopel, links Pera, Galata, Top Chana und den Hintergrund dieses prächtigen Rundgemäldes bildeten der Leanderthnrm und Scutari. Nachdem wir wieder zum Hafen hinabgestiegen waren, ließen wir unsere ermüdeten Pferde mit ihren Führern nach Hause gehen und nahmen ein Kaik, das uns in kurzer Zeit nach Pera brachte. Hackländer, R, in d., O, I. 11 162 Am folgenden Morgen nahmen wir unsern Weg wieder nach Stambul, um eine ähnliche Tour wie die gestrige zu beginnen. Doch war unsere Caravane heute ganz anders zusammengesetzt. Der Lord L., der sich mit feiner Gemahlin zu gleicher Zeit mit uns in Pera befand, hatte sich einen Ferman, d. h. eine Einlaßkarte zum Besuch der Aja Sophia und der andern Moscheen verschafft. Ein solcher Ferman kostet tausend Piaster, aber der Besuch der Kirche ist dafür Allen gestattet, die sich dem Inhaber desselben anschließen wollen oder können. Da auf solche Gelegenheiten, die nicht häufig vorkommen, viele Reisende und einheimische Franken warten, die nicht gesonnen sind, hundert Gulden auszugeben, fo gestattete von jeher der Besitzer des Fermans jedem ordentlich gekleideten Landsmann im weiteren Sinne des Worts den Eintritt, so daß oft mit einem einzigen Ferman einige hundert den Tempel besahen. Dies erlaubten noch vor Kurzem der Herzog Paul von Württemberg und Prinz August von Preußen, welche letztere sogar einen großen Haufen Babuschen, türkischer Pantoffeln, die man, um nicht die Stiefeln ablegen zu müffen, über dieselben anzieht, aufkaufen und ohne Ansehen der Person unter die Eintretenden ver- theilen ließ. - Nicht so machte es the right honourable Lord L., wie auf allen seinen Koffern und Kisten stand, denn obgleich der Baron ihn schon von London her kannte und wir, feine drei Begleiter, auf unserer gemeinschaftlichen Donaureise oft mit ihm gesprochen hatten, trieb er seine englische Eigenheit doch so weit, daß er von uns Dreien nur Zweien eine Karte geben wollte. An alle die nämlich, denen er die Erlaubniß ertheilte, mitzugehen, ließ er, oder vielmehr die Lady, Karten ausheilen, und wer beim Eingang der Aja Sophia und anderer Kirchen, die wir bejahen, keine Karte aufzu- weisen hatte, den sollten nach seiner Absicht die Kawaschen 163 zurückweisen. Diese Türken waren aber freundlicher als Seine Herrlichkeit und ließen trotz dem Verbot, wie gewöhn- lich, ganze Haufen Neugieriger in die Kirche. Unser erster Gang war natürlich zur Aja Sophia, diesem prächtigen herrlichen Tempel. Im Jahr 325 baute auf dieser Stelle Constantin den ersten Tempel der göttlichen Weisheit, den aber schon ein Sohn Constantins, dreizehn Jahre später, erweiterte. Nach dem im Jahr 404 die Kirche zum ersten Mal abgebrannt war und die Theodosius 415 zum zweiten Mal aufgebaut hatte, brannte sie unter Justinian 532 im berühmten Auf- ruhr der Rennpartheie zum zweiten Mal ab, worauf sie dieser prachtliebende Kaiser in ihrer jetzigen Größe und herr- licher als je aufführen ließ. Am merkwürdigsten ist die Kuppel des Doms, die aus leichten zu Rhodus verfertigten Ziegeln gebaut wurde, deren jedem man die Inschrift einprägte: „Gott hat sie gegründet und sie wird nicht erschüttert werden; Gott wird ihr beistehen im Morgenroth.“ Schon zu oft und forgfältig ist die Aja Sophia von ältern und neuern Reifen- den beschrieben worden, als daß auch ich eine ausführliche Beschreibung über diese Moschee liefern sollte. Die Herbeischaffung und Vorbereitung der Baustoffe dauerte sieben und ein halbes, der Bau selbst acht und ein halbes Jahr, wornach das Ganze in sechszehn Jahren vollendet wurde. Die Baumeister, welche dieses Werk leiteten, waren Anthenius von Tralles und Isidorus von Milet. Unter diesen waren hundert Baumeister beschäftigt, von denen jeder wieder hundert Maurer unter sich hatte. Nach dem Plane eines Engels, der dem Kaiser im Traum erschienen war, arbeiteten von diesen fünf tausend auf der rechten, und fünftausend auf der linken Seite. Alle Tempel der ältern Religionen trugen zu dem Bau dieses Tempels der göttlichen Weisheit bei, denn er stützt sich auf die Säulen der Isis - 11 164 und des Osiris, der Sonnen- und Mondtempel von Heliopolis und Ephesus, auf die der Pallas von Athen, des Phoibos von Delos und auf die der alten Cybele von Cyzikus. * Nachdem die Mauern erst zwei Ellen über den Grnnd erhoben waren, hatte man schon zweihundertundfunfzig Centner Goldes ausgegeben und der Kaiser, dem es an Geld zur Fortsetzung gebrach, wurde der Sage nach durch einen Engel aus der Verlegenheit geriffen, der eines Nachts viele Arbeiter mit Saumthieren in ein unterirdisches Gewölbe führte, wo er sie mit großen Schätzen belud. Fast bei allen größern Bauwerken der ältern Zeit haben bekanntlich gute und böse Geister die Hand im Spiele gehabt; doch bei keinem zeigte sich das Geisterreich so thätig, wie hier beim Bau der Aja Sophia. Den Plan des ganzen Gebäudes gab der Sage nach ein Engel an, der dem Kaiser erschien, so wie später den Namen Aja Sophia. Und als einst der Kaiser und die Baumeister verschiedener Meinung waren, ob das Licht über dem Altar durch ein oder zwei Fenster einfallen sollte, erschien der Engel abermals und entschied für drei Fenster, zur Ehre des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Der Altartisch, zu dessen Anfertigung Gold nicht kostbar genug schien, bestand aus einer Maffe, die man aus Gold, Silber, zerstoßenen Perlen und Edelsteinen zusammengeschmolzen hatte, und wurde mit den köstlichsten Steinen ausgelegt. Auf dem- felben stand ein goldenes Kreuz, fünfundsiebzig Pfund schwer, ebenfalls mit Steinen geschmückt. Ueberhaupt war die ganze innere Einrichtung, so wie die Geräthe, von so übertriebener VPracht, daß man die Beschreibung derselben für Mährchen halten könnte, wenn sie nicht geschichtlich von den glaub- würdigsten Männern documentiert wäre. So war die Kanzel von einem goldenen Himmelsdach bedeckt, auf dem ein goldenes Kreuz stand, hundert Pfund schwer und dicht mit Rubinen * Hammer, Gesch. C. u. d. B. B. I. 165 und Perlen besetzt. – Ein anderes und zwar silbernes vergoldetes Kreuz stand in dem Behältniß der heiligen Ge- schirre im Grunde der Sakristei. Dieses Kreuz, das genau - das aus Jerusalem gebrachte Größenmaß des heiligen Kreuzes hatte, heilte Kranke und trieb Teufel aus. Die für die zwölf großen Feste des Jahrs bestimmten heiligen Gefäße, als Kelche, Patenen, Schüffeln, Kannen u. f. w. waren aus dem reinsten Golde, und der mit Perlen und Edelsteinen durchwirkten Kelchtücher waren allein zweiundvierzigtausend. Vierundzwanzig große Evangelienbücher, deren jedes durch feine Goldbeschläge zwei Centner wog, traubenförmige Leuchter für den Hochaltar, das Lesepult, die obere Frauengalerie und die Vorhalle waren sechstausend aus dem reinsten Golde. Außerdem noch besonders zwei goldene Trageleuchter mit Sculp- turen verziert, jeder hundertundeilf Pfund im Gewicht und sieben goldene Kreuze, jedes einen Centner schwer. Die Thüren waren theils Elfenbein, theils Bernstein, theils Cedernholz; das Hauptthor silbern und vergoldet und drei derselben von innen sogar mit den Brettern der Arche Noah's ausgetäfelt. Die Einfaffung des heiligen Brunnens in der Tiefe war die des berühmten Samaritanischen Brunnens und die vier Trom- peten, welche über demselben von Engeln geblasen wurden, waren dieselben, von deren Schall die Mauern von Jericho zusammengestürzt waren. * Von dem Platze des neuen Serails her betraten wir den Vorhof dieser Moschee, der, wie alle größeren, mit einem Säulengange umgeben ist und den kleine Kuppeln bedecken. In der Mitte steht eine Fontäne. Man tritt durch eins der Hauptthore in einen langen Gang, der ohne alle architectonische Verzierung ist, den sogenannten Gang der Büßenden. Hier mußten sich alle aufhalten, die ihrer Sünden halber aus dem Schooße der Kirche gestoßen waren. Am Ende dieses Ganges * Hammer, Gesch. C. u. d. B. B. I. - 166 befindet sich eine Stiege ohne Stufen, auf der man bequem hinaufreiten könnte; über sie kommt man auf die große Galerie, die das Innere umgibt, und von wo man den majestätischen Tempel ganz übersieht. Von der früher be- schriebenen Pracht und Herrlichkeit ist indessen nichts mehr vorhanden. Die Wände sind schmucklos, meistens geweißt und der Boden mit Teppichen belegt, welche das zum Theil noch vorhandene Marmorpflaster bedecken. An Schnüren hängen unzählige kleine Gebetlampen von der Wölbung herunter, und wo sich früher der prächtige Altar befand, be- zeichnen jetzt zwei coloffale Wachskerzen die Richtung nach Mekka. Das Auge irrt mit Staunen durch die ungeheuern Räume und bewundert vor Allem die kühne Wölbung der Kuppel. Sie ist so flach, daß die Höhe derselben nur das Sechstel des Durchmessers von hundertundfünfzehn Fuß be- trägt. Nach Hammer steht die Länge der Sophienkirche in der Mitte zwischen dem Tempel des olympischen Jupiters (zweihundertundfünfzig Fuß) und der Kirche von St. Denys (zweihundertundfünfundsiebenzig Fuß). - Als wir die Kirche verlaffen, erzählte uns Herr von C. noch Einiges von der Art, wie Justinian damals die Grund- stücke, die er zur Vergrößerung der Kirche brauchte, an sich gebracht habe. Der größte Theil des Platzes gehörte der Sage nach einem Eunuchen und einem Schuster, von denen ersterer sein Grundstück willig hergab, der andere begehrte dagegen einen unmäßigen Preis und obendrein noch, daß bei den Wettrennen ihn bei seinem Erscheinen die vier Renn- partheien mit lautem Zuruf begrüßen sollten, eine Ehrenbe- zeugung, die nur dem Kaiser zukam. Doch bewilligte ihm Justinian des Spaßes halber feine unsinnige Forderung und der Schuster wurde bei einem Erscheinen jedesmal wie der Kaiser begrüßt, nur mit dem Unterschied, daß ihm die Maffe des versammelten Volkes höhnende Worte zurief. 167 Von der Aja Sophia gingen wir zur Suleimanje. Diese ist nach jener unstreitig die schönste, und da fiel auf einem freien Platz liegt, gewährt sie mit ihren schlanken, sehr schönen Minarets einen noch großartigeren und prächtigeren Anblick, als selbst der Tempel der göttlichen Weisheit. Die Moschee hat dieselben allgemeinen Verhältniffe, wie fast alle übrigen: ein Vorhof, ein Dom und Galerien, die um denselben herumlaufen. In ihrer jetzigen Gestalt ist die Suleimanje unter allen Moscheen die schönste und glänzendste, und wenn fich auch bei allen andern, Schulen, Spitäler und der- gleichen befinden, so hat doch keine so viel mildthätige An- falten und Stiftungen um sich versammelt, wie die Moschee Suleiman des Großen. Um sie her liegen Schulen, Acade- mien, ein Spital, eine Armenküche, eine Herberge für arme Reisende, eine Bibliothek, eine Brunnenanstalt, ein Ver- forgungshaus für Fremde, die Mausoleen Suleiman des Großen, mehrerer seiner Prinzen und feiner Favorite, der bekannten Roxelane. Wir besuchten diese Grabmäler, kleine mit einer Kuppel versehene Capellen, aus kostbarem Marmor erbaut und mit Inschriften aus dem Koran versehen. Die Gräber selbst sind große Sarkophage, deren gegen Mekka gerichtete Kopfenden erhöht und mit einem prächtig mit Edel- steinen geschmückten Turban verziert sind. Im Grabmal Suleimans steht ein kleines hölzernes Modell der Stadt Mekka und der heiligen Kaaba. Nachdem wir diese Moscheen besehen, trennten wir uns von dem Lord L. und besahen im Fluge noch einige der merk- würdigten Wafferleitungen und Cisternen. Von den ältesten Zeiten her erbauten die byzantinischen Kaiser aus Mangel an Quellen und Brunnen die großen Cisternen, die man noch jetzt fieht. Fast alle muß man als riesenhafte prächtige Bauten bewundern; doch erfüllen sie ihren Zweck nicht mehr, indem die meisten leer und trocken find; nur in einer einzigen, 168 der cisterna Basilica, ist noch heute Waffer zu finden. Der merkwürdigste von allen diesen Wafferbehältern ist der der Bin bir direk, d. i. der tausend und einen Säule, den wir vor allen besuchten. Er liegt nicht weit vom At Meidan auf einem wüsten Platz. In der Mitte desselben erhebt sich eine Art Kellerluke und hie und da sahen wir im Boden Löcher, welche in ein Gewölbe hinabführten. Unter dem Boden hörten wir ein eigenes Rauschen, das wir uns an- fänglich nicht erklären konnten. Das Geräusch hatte viel Aehnlichkeit mit dem Toten eines Wafferfalls, und doch sollte kein Waffer unten feyn. Wir stiegen durch die Kellerluke auf einer schmalen steinernen Treppe in die prächtige Cisterne hinab. Sie besteht aus drei Stockwerken, indem die Säulen, welche das Gewölbe tragen, je zu drei aufeinander stehen. Es find ihrer, wenn auch nicht, wie der Name be- jagt, tausend und eine, doch fechshundertzweiundsiebzig, von denen die obersten vierundzwanzig Fuß Länge haben; die mittlern dagegen ragen aus dem Schutt und Schmutz, der den Boden bedeckt, nur sieben Fuß hervor, und von den untersten ist gar nichts mehr zu sehen. Jetzt dient die Cisterne einem Armenier zur Werkstatt, welcher hier Seide haspeln läßt, wodurch jenes Geräusch entstand, von dem ich oben sprach. Neben diesen Cisternen besahen wir auch noch oberfläch- lich die beiden großen Wafferleitungen, die unter dem Namen der des Justinian und der des Valens bekannt sind. Doch werde ich später darauf zurückkommen. Durch dieses Hin- und Herziehen in den langen hügeligen Straßen der Stadt war es indessen Nachmittags geworden und da wir auf morgen eine Tour nach Bujukdere verabredet hatten, verließen wir Stambul zeitiger als gewöhnlich und stiegen zum Hafen hinab, um zur morgigen Fahrt ein größeres Kaik mit drei Ruderern zu miethen. 169 Fahrt nach Bujukdere. Die alten und neuen Wafferleitungen. Das Kaik, das Herr v. C. für uns in Beschlag genommen hatte, um durch die herrliche Wafferstraße, den Bosporus, nach Bujukdere zu fahren, unterschied sich von den gewöhn- lichen Booten, womit man den Hafen durchkreuzt, nur durch seine Größe. Wir hatten vier Ruderer und einen Steuer- mann, und außerdem noch einen kleinen Mast, mit Segelwerk im Kaik, der ebenfalls aufgerichtet werden konnte. Wir waren mit dem Herrn v. C. zu vier, da unser Maler sich in Constantinopel beschäftigte, um einige Bauwerke aufzu- nehmen. Vorn an der Spitze des Boots saß ein Janißair in scharlachrothem goldgesticktem Costüme und hinten am Steuerruder prangte eine kleine Flagge mit den preußischen Farben. Bei Top-Chana fuhren wir ab und waren in kurzer Zeit gegen Beschiktasch gekommen, dem Sommerpalaste des Sultans, diesem seltsamen bunten Gebäude, das auf einen Terraffen liegt, wie eine verkörperte schöne Phantasie. Es ist freilich nur von Holz, aber eben dies gibt dem Gebäude etwas Luftiges, Leichtes, ja Feenhaftes. Hohe Cypreffen und weitätige Platanen umgeben es und blicken noch darüber hinweg, und die Hügel, woran sich die Gebäude lehnen, find zu Terraffen umgewandelt, die eine über die andere empor- ragend. Auf allen befinden sich Gärten, mit den schönsten Blumen besetzt, welche ein dichtes Laubdach von Platanen, Orangen und Cypreffen vor der glühenden Sonne schützt. Das Auge schweift begierig bis zur höchsten Spitze des Berges, wo ein kleines glänzendes Kiosk, von riesenhaften Platanen umgeben, einer Krone gleich, das Ganze schmückt. Doch einsam sind diese Gärten; man sieht keine Menschen, die sich über all' das Schöne freuten; nur hie und da wandelt ein vermummtes Weib durch die Laubgänge, das mit seinen 170 weißen Schleiern unter den schwarzen Cypreffen eher einem Gespenste gleicht, als einem Wesen, das die Fülle von Pracht genöffe, die um es her ausgebreitet liegt. Gern senkt man deshalb den Blick wieder hinab zu den Palästen selbst, die an dem bewegten Hafen mit ihren dicht vergitterten Fenstern wie schlafend und träumend liegen. Wo jetzt die Sommer- paläste von Dolmabaghdsche und Beschiktasch, war früher ein Palast Mahmud I., von dem der Historiograph Isi in feiner poetischen Weise sagt: „Die leichten Schwingungen des Friefes sind dem Schweben des Vogels der Freude ver- gleichbar. Die Fenster der Erker öffnen und schließen sich lächelnd, wie die Augen des Liebenden, und die hohen Bogen umgränzen das Ganze, wie treue Freunde Hand in Hand gehen.“ Zurückblickend hatten wir wieder das prächtige lebendige Bild des Hafens mit seinen Schiffen von allen Größen, mit den zahllosen Kaiks, diesen Fiakern Constantinopels und den weißen Möwen, die sich auf der spiegelklaren Flut schaukeln und sich den Menschen so zutraulich nähern, daß man fie fast mit den Händen fangen könnte. Bald fuhren wir bei dem zwischen der Serailspitze und Scutari in einiger Ent- fernung vom Ufer liegenden Leanderthurm vorbei, der auf einem einzelnen Felsen gebaut ist und als Leuchtthurm dient. Er hat übrigens mit der Sage von Hero und Leander nichts zu thun. Sein älterer türkischer Name ist Kis Kulleffi, der Thurm des Mädchens. Da sowohl hier wie überall jedes alte Mauerwerk seine Sage hat, so kann es nicht fehlen, daß man auch von diesem Thurm, auf den sich jeder Blick des Vorbeifahrenden richtet, mehrere Geschichten erzählt. Ein griechischer Fürst, von dem Orakelspruch gewarnt, feiner Tochter stehe durch Schlangen ein großes Unglück bevor, sperrte das Mädchen in einen Thurm, welches sich in seiner Einsamkeit um so unglücklicher fühlte, da sie einen 171 Geliebten hatte, von dem sie getrennt wurde. Dieser Ge- liebte war der berühmte arabische Sid (Sid-al-Battal) der Kampfheld. Er lebte dreihundert Jahre vor dem spa- nischen Cid Alcampeador, dem übrigens die Araber den- selben Ehrentitel wie ihrem eigenen zuerkannten. Der Sid wußte trotz der scharfen Bewachung des Thurms sich mit seiner Geliebten durch Taubenpost und Blumensprache zu unterhalten, und fand endlich Gelegenheit, sich als Gärtner gekleidet mit einem Blumenkorbe zu ihr zu schleichen. Doch eine Natter, die sich unter den Blumen versteckt hatte, fchießt an die Brust der Prinzessin, welche ohnmächtig dahin sinkt. Der Sid fängt sie in feinen Armen auf, saugt das Gift aus der Wunde und rettet sie so dem Vater, der fie, da nun der Orakelspruch erfüllt ist, dem Helden zur Gemahlin gibt. Diese Geschichte erzählte uns Herr v. C., während wir aus dem Hafen in den Bosporus einfuhren und so auf den klaren Wellen zwischen zwei Welttheilen dahin schwammen. Jedes Oertchen, jeder Platz, ja fast jeder Stein, der aus den Wellen ragt, hat seine eigene Geschichte. Wegen der heftigen Strömung halten sich bald hinter den Sommerpalästen des Sultans die Nachen an der euro- päischen Küste, und dicht unter den Fenstern verschiedener Landhäuser und kleiner Kiosks vorbeifahrend, betrachtet man mit Vergnügen die Einrichtung dieser Sommerhäuser, deren Fundamente von den klaren Wellen bespült sind. Die Fenster find mit Rohrstäben vergittert, durch welche von Außen kein Blick dringen kann, doch bin ich überzeugt, daß die türkischen Damen die vorüberfahrenden Franken oft genug betrachten. Kein Geräusch, keine Bewegung verräth, daß diese Gebäude bewohnt sind. Nur zuweilen, wenn man in der Nacht beim Mondschein vorbeifährt, zittert der leise Klang einer Zither über die Wellen, zu welcher mit leiser Stimme eins jener 172 orientalischen Lieder, die fast immer eine melancholische Melodie haben, gesungen wird. Vor und neben diesen Gebäuden find Gärten, mit Lorbeer-, Orangen- und Granatbäumen, deren Zweige nicht selten über das Waffer hängen, so daß man oft lange Zeit unter duftenden Lauben dahinfährt. Der Weinstock, der hier zu mächtigen Stämmen aufschießt, bildet oft lange Strecken am Ufer die schönsten Laubgänge. Er rankt an mächtigen Bäumen empor, verbindet die Zweige von mehreren, ein loses Netz bildend, über das sich Caprifolium und blühende Schlingstauden werfen. Da beide Ufer des Bosporus mit unzähligen Landhäusern und kleinen Orten bedeckt sind, zwischen denen sich hie und da kleine Bäche einmünden und alte riesige Bauten aufsteigen, welche sich an seltsam geformte Berge anlehnen, so find die Aussichten, die man während dem Fahren in steter Abwechslung genießt, unbeschreiblich schön und gewähren dem Auge durch den Anblick und dem Herzen bei dem Andenken an all' das Große, was hier ge- schah, einen hohen Genuß. Unsere Kaikschi hatten, da der Wind günstig wehte, ihren Mast aufgesetzt und ein großes lateinisches Segel ent- faltet, mit welchem wir ungemein rasch dahin flogen. Jetzt durchschnitten wir die Flut und hielten uns mehr nach dem asiatischen Ufer zu, wodurch wir das sogannte alte Schloß von Rumelien, Rumilli Hisfari, das an dem europäischen Ufer liegt, und bei dem wir nun vorbeifuhren, mit feiner ganzen sonderbaren Bauart vor Augen hatten. Mohamed I. hatte schon früher auf dem asiatischen - Ufer das Schloß von Anatolien erbaut und Mohamed II. führte das Schloß von Rumelien gegenüber auf unter den Augen der bedrängten Byzantiner. Es war zwei Jahre vor der Eroberung Constantinopels und umsonst schickte ihm der Kaiser Gesandtschaften, die dem Padischah beweisen sollten, 173 der kaum eben erst geschloffene Friede erlaube ihm gewiß nicht, auf griechischem Grund und Boden eine Festung auf zuführen. Mohamed kehrte sich so wenig an diese Vor- stellungen, daß er nicht nur diese Gesandten zurückschickte, sondern auch schwur, er wolle die, welche eine ähnliche Bot- schaft brächten, schmählich hinrichten laffen. Darauf zeichnete er selbst den Grundriß zu dem neuen Schloffe, indem er lächerlicher Weise die Grundzüge des arabischen Schriftzuges, des Wortes Mohamed, dazu angab, den der Baumeister nach- ahmen sollte. Wo in dem Worte ein Punkt ist, setzte man einen Thurm 1c. und man kann sich leicht denken, daß das Schloß durch die seltsame Bauart sehr unregelmäßig wurde und auch deshalb als Festung wenig dienen konnte. Eine kurze Strecke hinter Rumili Hiffari mündet sich in dem Thale ein kleiner Bach in den Bospor, der, so wie dies Thal bei der Eroberung Constantinopels eine große Rolle spielte; denn da die Byzantiner den Hafen durch eine ungeheure Kette gesperrt hatten, so konnte Mohamed die Stadt nur von der Landseite angreifen, wobei ihm die Mauern und das Terrain große Schwierigkeiten entgegen- setzten. Deshalb faßte der Padischah den Entschluß, feine Schiffe hinter Pera und Galata herum zu Land in den Hafen bringen zu laffen, was nach einigen Ueberlieferungen an dieser Stelle geschehen seyn soll. Und wirklich macht die Lage dieses Thals die Sache glaubwürdiger. Die Ufer sind hier niedriger, und man konnte eine kleine Strecke aufwärts deu Bach noch benützen; dann zog man die Fahrzeuge, wahrscheinlich auf hölzernen Gleisen, vermittelt Erdwinden und Flaschenzügen, über einen schmalen Rücken in das Thal von Kjat-Hane, wo der Barbyfes, der in den obern Theil des Hafens mündet, schon für kleinere Fahrzeuge schiffbar ist. Daß man, um die Schiffe rascher fortzubringen, die Segel aufgespannt, so wie die ganze Rutschparthie in einer 174 Nacht ausgeführt habe, find natürlicher Weise Zugaben, die sich später der Erzähler erlaubt. Der Wind, der uns etwas von der Seite kam, wurde oft so heftig, daß er unser Fahrzeug fast ganz auf die Seite legte, worüber sich aber unsere Türken, die wenigstens nicht zu rudern brauchten, nicht bekümmerten. Schon einige Male hatte ihnen Herr v. C. befohlen, sie sollten das Segel halb einziehen, weil wir in Gefahr seyn würden, umzuwerfen, aber umsonst. Sie machten ihm mit der lebhaftesten Sprache verständlich, wie Schade es fey, diesen köstlichen Wind nicht zu benützen. Unser dicker Janißair, der vorne saß, diente wie beweglicher Ballast, denn so oft das Schiff sich stark auf die eine Seite neigte, wandte er sich auf die andere und stellte so das Gleichgewicht wieder her. Jetzt lag Therapia zu unserer Linken mit feinem kleinen, aber schönen Hafen, worin nebst mehreren Kauffahrteischiffen ein türkisches Dampfboot, so wie eine englische Corvette sich befanden. Hier hielten sich früher fast alle Gesandten auf; doch ist seitdem Bujukdere in Mode gekommen und nur der englische und französische haben ihre Hôtels noch hier. Wenige Tage nach unserer Ankunft in Constantinopel brannten in Therapia über zweihundert Häuser ab; es war in der dunkeln Nacht ein Anblick gräßlich, aber unbeschreiblich schön. Jetzt blickten die halbverbrannten Trümmer recht traurig aus der lachenden Gegend hervor. Hinter Therapia wird der Bospor auf einmal sehr breit und gleicht beinahe einem runden Landsee, den die schönsten Ufer umgeben. Vor uns lag Bujukdere und die auf europäische Art gebauten Häuser der Gesandten blickten freundlich herüber. Zu unserer Linken sanken die Hügel allmählich zusammen und ließen auf große saftgrüne Wiesen fehen, auf deren einer fich die bekannte ungeheure Platanen- gruppe erhebt, die man die Platanen Gottfried von Bouillon 175 nennt. Rechts gegenüber auf dem asiatischen Ufer thürmen sich jene Hügel zu einem ansehnlichen Berge, dem sogenann- ten Riesenberge auf. Man sieht oben unter alten Cypreffen, Castanienbäumen und Platanen ein Gemäuer; es ist ein Grab, das fünfundzwanzig Schritt Länge hat. Die Türken behaupten, hier fey das Herz des Propheten Josua begraben, den fiel in der Pest und andern Krankheiten gerne anrufen. Die Alten dagegen nannten oben das Grabmal das Bett des Herakles und die Türken vermischen beide Sagen, indem fie von Josua erzählen, er sey so ungeheuer groß gewesen, daß er, oben auf dem Berge fitzend, mit den Füßen die klare Flut berührt habe. Kurz vor Bujukdere wären auf ein Haar die Befürch- tungen des Herrn v. C., daß wir noch umschlagen würden, in Erfüllung gegangen, wenn derselbe nicht die Vorsicht ge- braucht hätte, eins der Taue, woran das Segel befestigt war, in die Hand zu nehmen; ein heftiger Windstoß legte unser Boot dergestalt um, daß das Segeltuch das Waffer berührte und da die Wellen ziemlich hoch gingen, würden wir sicher gesunken seyn, hätte Herr v. C. das Segel nicht losgelaffen, das nun im Winde flatternd demselben keinen Widerstand mehr bot. Jetzt verstanden sich die Türken dazu, den Mast niederzulegen und die Ruder zu ergreifen, worauf wir in kurzer Zeit in Bujukdere landeten. Unser erster Gang war in das Hotel des Königl. preußischen Gesandten, des Grafen Königsmark, der uns auf die liebens- würdigste und freundlichste Art empfing. Wir leisteten seiner Einladung, die Nacht in Bujukdere zu bleiben und den andern Tag die berühmten alten Wafferleitungen in seiner Gesellschaft zu sehen, gerne Folge und verlebten einen in jeder Beziehung angenehmen und genußreichen Abend da, den die Güte und Freundlichkeit der eben so geistreichen wie liebenswürdigen Gräfin Königsmark verschönerte. 176 Wir machten Spaziergänge auf dem Quai von Bujuk- dere, zu dessen Lobe Hammer so poetisch und wahr fagt: „In schönen mondhellen Nächten, wo das Dunkelblau des Himmels mit dem Dunkelblau des Bosporus zusammenfließt und zitternder Sterne Glanz mit dem phosphorescirenden Leuchten der See sich vermischt, – wo Nachen von griechischen Sängern und Zitherspielern längs dem Ufer tönend vorübergleiten und der laue Nachtwind die weichsten jonischen Melodien von dem Lande her ins Meer haucht; wo das Stillschweigen der Horchenden durch leises Lispeln lenesque sub noctem susurros, unterbrochen wird, verdient der Quai von Bujuk- dere die Begeisterung, womit die Liebhaber deffelben sein Lob verkünden.“ Und wenn wir ihn auch nicht in der Pracht und Herr- lichkeit sahen, den ihm eine warme mondhelle Sommernacht verleiht; so fanden wir doch, daß hier an diesen Ufern zu wohnen der höchste Genuß feyn müßte, wenn sich der Europäer mitten unter dieser uncivilisierten Bevölkerung nicht so unan- genehm vereinzelt und allein stehen fühlte. Der russische Gesandte war nicht anwesend, weshalb ein großes Hotel mit schön angelegten Gärten leer stand. Letzterer ist im besten Geschmack angelegt und steigt terraffenförmig an den Hügeln, die fich hinter Bujukdere erheben, in die Höhe, wodurch man von jeder Parthie aus eine neue reizende Aussicht genießt. - Es gewährte uns bei dieser Promenade viel Stoff zum Lachen, daß wir an einer der schönsten Parthieen des stillen Gartens einen Philosophen fanden, der sich im dolce far niente auf einer von hohen Platanen umgebenen Wiese ge- lagert hatte, von wo er bei der herrlichsten Aussicht auf den Bospor Gelegenheit genug gehabt hätte, tiefsinnige Betrach- tungen anzustellen, wenn es kein Efel gewesen wäre, der * Hammer, C. u. d. B. II. - 177 sich hier ins Grüne gestreckt und die duftenden Kräuter wohl schmecken ließ. Der umsichtige Herr v. C. hatte für morgen Pferde für uns aus Constantinopel bestellt, wofür wir ihm sehr dankbar waren; denn obgleich Graf Königsmark die Güte hatte, uns von den feinigen anzubieten, waren uns neben der Furcht, seine Güte zu mißbrauchen, doch jene Pferde in so weit lieber, als wir beschloffen hatten, uns auf dem Rückweg nicht wieder dem Kaik anzuvertrauen, sondern viel- mehr den, wenn auch minder intereffanteren Weg über die Berge nach Constantinopel zu nehmen. Wir ritten zuerst auf die Wiese, von der ich oben sprach, um die mächtigen Platanen Gottfried von Bouillons in Augenschein zu nehmen. Von Weitem scheint es nur ein einziger aber ungeheurer Baum zu feyn, doch fieht man in der Nähe, daß es ursprünglich sieben Stämme gewesen find, die in einem Kreis dicht an einander standen. Im Laufe der Zeit find aber Wurzeln, Aeste, ja die äußere Rinde zusammengewachsen, die innere dagegen ist theilweise ver- fault, theilweise durch das Feuer der Hirten, die hier vor dem Wetter Schutz suchten, zerstört worden, wodurch der Baum oder vielmehr die Bäume innen eine so große Höhlung erhalten haben, daß wir durch einen großen Spalt, den die Zeit ebenfalls in ihre Rinde geriffen hat, zu fünf mit unsern Pferden in den Baum hinein reiten konnten." An der Erde hatten die Platanen sechszig Schritt im Umfang. Die Sage bringt den gefeierten Helden mit jenem Baume zusammen, indem sie erzählt, daß Gottfried von Bouillon im Jahre 1096, während das Heer auf der Wiese lagerte, hier unter dem Baum Obdach gefunden. Von den Türken wird diese Baumgruppe Jedi Kardafch, d. h. die sieben Brüder genannt. Hackländer, R, in d, O, I. 12 178 So kahl die Höhen in der Türkei auch um Constantinopel selbst find, so frisch und baumreich ist hier auf einer kleinen Strecke die Gegend. Die Wiesen, auf denen die Platanen stehen, find frisch und duftend, von murmelnden Bächen durchschnitten, die aus dem höher liegenden Walde von Belgrad hervordringen, jenem heiligen Walde, der von den Einwohnern Constantinopels so hoch gefeiert wird, weil er ihnen gutes klares Waffer verschafft. Jeder, der es wagen würde, auch nur den kleinsten Baum in jenem Walde um- zuhauen, wird mit dem Tode bestraft, denn nur durch das sorgfältige Erhalten der riesigen Stämme, welche da stehen, ist es möglich, die Quellen immer ergibig zu erhalten, von denen die Stadt vermittelt der Aquaducte ihr Waffer bezieht. Für den Türken ist das Trinkwaffer überhaupt das größte Lebensbedürfniß und wie ein Feinschmecker bei uns jede Sorte Wein, ja fast jeden Jahrgang vom andern unter- scheiden kann, so weiß der Türke gleich, aus welcher der geschätzten Quellen das Waffer ist, das er trinkt. Ob da- gegen das Waffer klar und durchsichtig ist, darauf kommt es ihm gar nicht an, ja, die sogar im Orient am meisten ge- schätzten Trinkwaffer, nämlich das des Euphrats und des Nils find trüb und schlammig; und doch hat selbst der Prophet das des letzteren neben dem heiligen Born Semfem zu Mekka, welcher unter Hagars Füßen emporsprang, daß er ihren verschmachtenden Sohn erquicke, für das Beste in der Welt erklärt. Mit den frohen Gefühlen, die ein schöner Morgen überhaupt gibt, wozu für uns noch der Anblick und Geruch der frischen Wälder kamen, ritten wir die Wiesen aufwärts und sahen jetzt die bedeutendste und älteste der Wafferleitungen Constantinopels vor uns. Schon Constantin fing sie an und alle Kaiser und Sultane nach ihm, besonders Mahmud der Eroberer, verbefferten und erweiterten fie. Das ungeheure 179 schneeweiße Gebäude gleicht mit feinen unzähligen Pfeilern, die wie eben so viel Füße den obern Bau tragen, dem Scelett eines riesigen Tausendfußes, der auf den Höhen liegen blieb und defen Knochen von der Sonne allmählig gebleicht wurden. Unsere Pferde waren recht munter, und da der Weg nur hie und da schlechte Stellen zeigte, im Allgemeinen aber so gut war, wie man es hier verlangen konnte, befanden wir uns bald auf der Höhe vor jener Wafferleitung. Sie führt den Namen Justinians und ist, wenn auch nicht die längste, doch die höchste von allen. Der Wafferfaden wird in einer Höhe von neunzig bis hundert Fuß über ihren zwei Etagen durch das Thal fortgeleitet. Unter einem der großen Bogen des Aquaducts ritten wir hindurch, dann noch eine kleine Strecke aufwärts, wo uns Graf Königsmark veran- laßte, einen Augenblick anzuhalten und zurückzuschauen. Da sahen wir ein kleines Stück des Bosporus mit dem dahinter liegenden Riesenberge und vielen freundlichen Häusern am Fuße defelben, von dem Bogen, durch welchen wir so eben geritten, prächtig eingerahmt – ein herrliches Gemälde. Wir wandten uns nun links in den Wald hinein und erreichten in kurzer Zeit das Dörfchen Belgrad, wo sich früher die Landsitze der meisten europäischen Gesandten be- fanden. Kriegsgefangene Bulgaren wurden in alter Zeit von Belgrad an der Donau hieher versetzt und gaben dem neuen Dorfe den Namen der Heimath. Wir nahmen hier ein kleines Frühstück ein, sahen dann im Vorbeireiten das Haus, wo Lady Montague ihre Briefe schrieb und ritten den großen Wafferbehältern zu, welche in der Tiefe des Waldes liegen und aus denen die Aquaducte gespeist werden. Lange hat nichts einen so seltsamen Eindruck auf mich gemacht, wie der Anblick dieser gewaltigen Werke, fern vom Geräusch der Menschen, in stiller Abgeschiedenheit liegend. In 12 180 dieser Gegend, zwischen uralten riesigen Baumstämmen, reitet mau auf schmalen Waldpfaden und hält plötzlich mit einem Ausruf des Erstaunens sein Pferd an, denn zwischen hohen Thal- wänden erheben sich prächtige Marmor-Gebäude, deren ein- fache, solide Schönheit dem Auge unendlich wohlthut. Es war der Aiwad - Bend, von Mustapha III. im Jahr 1766 erbaut, den wir als den größten und schönsten in Augenschein nahmen. Das Wort „Bend“ kommt aus dem Persischen und ist die Bezeichnung für der Art Wafferbehälter, eigentlich nur für die Mauer, welche das Thal eindämmt und ist so fast gleichbedeutend mit dem deutschen Worte Band. Um einen Bend anzulegen, sucht man ein Thal, dessen Wände hoch genug sind, um viel Waffertiefe und wenig Ver- dampfungsfläche zu erlangen. Auch müffen sie nicht zu weit von einander stehen, damit die Mauer, durch welche das Waffer gestaut wird, nicht zu lang und deshalb zu kostspielig wird. Diese Mauern, welche die bedeutende Waffermaffe zurückhalten sollen, find achtzig felbst bis hundertzwanzig Schuh lang, dreißig bis vierzig Fuß hoch und fünfund- zwanzig bis dreißig Fuß dick. Sie find aus mächtigen Quadern aufgerichtet, die von innen mit Kalk beworfen, von außen aber mit dem schönsten Marmor bekleidet und mit Inschriften verziert sind. So gleichen diese Dämme schönen Brücken, die sich durch ein Thal hinziehen und man findet selbst auf den meisten Marmorbänke, die den Wanderer zum Sitzen einladen. Eine andere Hauptbedingung bei Anlegung eines Bendes ist, daß das erwählte Thal hoch genug liege, um dem aus- strömenden Waffer ein starkes Gefäll zu geben. Auch sieht man darauf, daß das obere Thal viele und weit verbreitete Verzweigungen hat, welche dem Bend ebenfalls ihr Waffer zuführen. Unten in der großen Mauer befindet sich ein Portal, Takim, Vertheilung genannt, das meistens sehr 181 schön verziert ist und wo das Waffer durch anderthalb Zoll weite Röhren, deren Anzahl sich nach dem vorhandenen Wafferschatze richtet, in den Aquaduct geleitet wird, der es dann in die Stadt führt. Doch wie ein Fluß viele Neben- flüffe hat, die ihn verstärken, so geben dem Aquaduct auch mehrere Bende ihr Waffer. Obendrein leitet man ihm, wo das Terrain es erlaubt, noch kleine Quellen zu. Neben den meisten dieser Wafferbehälter befinden sich Lusthäuser des Sultans. Die Gegenwart des Grafen Königs- mark verschaffte uns Zutritt zu einem der hier liegenden, welches Mahmud II. erbaut. Es wurde von einem Mohren bewacht, der uns in einige der prächtigen Gemächer den Ein- tritt gestattete, andere aber mußten wir durch die Fenster an- fehen. Dies Kiosk war wenigstens zu drei Theilen auf europäische Art eingerichtet. Es enthielt französische Tapeten und Kronleuchter, große Spiegel und neben den türkischen Divans Fauteuils und Lehnstühle aller Art. Das System der Wafferleitungen für das frühere Byzanz und spätere Constantinopel begründet sich auf die zwei Aqua- ducte, die in den ältesten Zeiten erbaut und stets verbeffert und erweitert wurden; die eine ist die justinianische, von der ich oben sprach, eigentlich die hadrianische, denn Justinian befferte sie ebenfalls nur aus. Sie leitete das Flüßchen Hydraulis nach der Basilica von Byzanz. Später bauten die Sultane noch verschiedene Bende zu ihrer Speisung, wozu auch der erwähnte Aiwad-Bend gehört. Eigenthümlich bei dieser Wafferleitung ist, daß sie das Waffer bald unterirdisch fortführt, bald es mit kühnen Bogen über die Thäler fort- trägt. Kurz vor der Stadt zerheilt sie sich in vier kleine Aquaducte, welche das Waffer an verschiedenen Thoren in die Stadt führen. Die andere ältere Wafferleitung ist die des Kaiser Valens, die jetzt ihre größte Waffermaffe von Kalfa kjöi 182 bezieht und sie in die höheren Theile der Stadt führt, wodurch das gewaltige Mauerwerk an tausend Schritte weit zwischen den Häusern durchläuft und jemanden, der nicht schwindlicht ist, einen schönen Spaziergang bietet, von dem aus man die Stadt wie eine Karte vor sich ausgebreitet sieht. Es war Nachmittag geworden, als wir uns auf den Rückweg nach Constantinopel begaben. Unser liebenswürdiger Führer, Graf Königsmark, begleitete uns noch eine Strecke weit, worauf er nach Bujukdere zurückkehrte, und wir unsern Weg nach der Stadt fortsetzten. Dieser führte durch sehr un- interessantes Terrain; denn es war ein breiter Sandweg, der sich über die öden baumlosen Höhen hinzog, die den Bospor begränzen. Einige Unterhaltung gewährten uns unsere sehr guten Pferde, indem wir von Zeit zu Zeit kleine Wett- rennen anstellten. Vorn an der Spitze ritt der Sürüdschi, der die Pferde gebracht und uns wieder zurückgeleitete. Wir hatten ihm einen kleinen Mantelsack gegeben, in dem wir gestern einige Kleidungsstücke mit nach Bujukdere genommen, den er vor sich auf den Sattelknopf nahm und munter vorausritt. So oft es bergauf ging, spornte er seinen starken Schimmel und jagte laut schreiend davon. Wir folgten ihm natürlich so rasch wie möglich; doch war mein Pferd das einzige, welches das feinige hie und da erreichte. Später fetzte sich der Baron auf diesen Schimmel und lud mich ein, einen kleinen Cours mit ihm zu machen, um zu sehen, welches Pferd das schnellste fey. Da ihm die Bügel zu kurz waren, legte er sie vorn über den Sattelknopf und wir jagten dahin. Ich war beständig dicht hinter ihm, so daß der Kopf meines Pferdes feinen Schenkel fast berührte, konnte ihn aber nicht überholen. - Da der Weg, auf dem wir ritten, ziemlich schmutzig war, so bewarf mich das ausgreifende Pferd des Barons so 183 mit Koth, daß ich, in Pera angekommen bei der Abendtafel alle Mühe hatte, auch vor der übrigen Gesellschaft von dem Verdacht zu reinigen, als habe ich den Sandreiter gespielt. Türkisches Familienleben. Aus Allem, was dem Europäer in Bezug auf das an- dere Geschlecht hier zu Lande aufstößt, er sieht man leicht, daß die türkischen Damen eine sehr untergeordnete Rolle spielen; aber wahrhaftig nicht die gedrückte und elende, die wir nach unsern Begriffen mit jenen Verhältniffen wohl un- zertrennlich halten. Es ist dem Mohamedaner erlaubt, vier Frauen zu nehmen, doch gibt es wenige, die nicht an einer schon genug hätten und deren Vermögensumstände es erlaubten, zwei, drei oder vier Weiber zu nehmen. Da es fast noch nie vor- gekommen ist, daß sich zwei Frauen in einem Hause ver- tragen hätten – ich spreche natürlich hier nicht von den weit- läufigen Harems des Sultans oder der hohen Beamten – vielmehr in beständigem Hader und Zwist lebten, der sich nicht, wie vielleicht bei uns auf Verläumdung und böse Nach- reden beschränkte, sondern oft in blutige Händel ausartet, so muß in solchem Falle jede Frau ihr eigenes Haus haben, in welchem fie natürlich über die dienenden Weiber unumschränkt regiert. Was ferner die eine Frau an Putz oder Schmuck- fachen von dem Manne bekommt, nimmt die andere auch in Anspruch, und da ist oft ein neues glänzendes Band, das die eine vor der andern bekommt, Ursache zu den unange- nehmsten Händeln; fährt eine der Frauen mit ihren Skla- vinnen und Kindern spazieren, so würde die andere nicht zu Hause bleiben wollen, ich glaube, wenn sie todtkrank wäre und das geht so fort bis auf die geringsten Kleinigkeiten. Was soll aber auch der Türke sich in diese Verhältniffe ver- 184 wickeln, da ihm das Gesetz ein ausgleichendes Mittel dar- bietet. Es ist ihm nämlich erlaubt, so viele Sklavinnen zu halten, wie er kann und will, und das Kind der Sklavinn erfreut sich nach den türkischen Gesetzen derselben Rechte und Begünstigungen, wie das Kind der rechtmäßigen Frau. Es beruht ja überhaupt die ganze Ehe der Orientalen nur auf Sinnlichkeit und der Türke erhandelt seine Frau, ohne fich um ihre Neigung oder Liebe zu bekümmern, von dem Vater oder den Verwandten derselben, wie eine Waare vom Kaufmann; denn anstatt durch seine Frau ein Heirathsgut zu erlangen, bezahlt er vielmehr dem Vater derselben eine gewiffe Summe für sie, denn jener verliert ja einen weib- lichen Domestiken. Ein anderer Nachtheil des Bräutigams besteht darin, daß er seine Frau erst dann zu sehen bekommt, wenn sie ihm angetraut ist, und in demselben Augenblicke sehen fie ihre Verwandten, selbst der Vater und die Brüder zum letzten Male unverschleiert. Da auf diese Art die Ehen ohne viele Förmlichkeiten geschloffen werden, so erlaubt das Gesetz dem Muselmanne auch eben so leicht wieder, sich von feiner Frau zu trennen, ein Fall, der fast in jedem Heirathscontracte vorgesehen wird, indem man in demselben die Summe ver- merkt, die der Mann dem Vater ferner zu zahlen hat, wenn er in den Fall kommen sollte, sich von seiner Frau zu tren- nen. Ein Anderes ist es, wenn die Frau die strenge Sitte des Harems verletzte, wo fie, im Fall ihr Begünstigter ein Muhamedaner ist, mit Schimpf und Schande ins Haus ihrer Aeltern zurückgejagt wird, und wenn es gar ein Rajah, ein chrichtlicher Unterthan der Pforte, wäre, so steckt man sie ohne viele Ceremonien in einen Sack und wirft sie in's Meer. Der Christ dagegen wird gehängt. Eigentlich ist es traurig, daß die armen Türkinnen durch die Verhältniffe fo gedrückt sind, daß sie nicht einmal auf eine Vergeltung jen- 185 seits zu hoffen haben, indem der Prophet ihnen nach dem Leben keine Stellung anzuweisen wußte. Was nach dem Tode aus ihnen wird, weiß kein Mensch; denn die Houris, die den Gläubigen im Paradies für die Mühseligkeiten auf Erden entschädigen, haben nichts mit den verstorbenen Weibern gemein. Obgleich es aber dem Muselmann nicht schwer gemacht wird, sich von seiner Frau zu scheiden, so kommt es doch selten vor, theils weil der Türke ein natürliches großmüthiges Gefühl hat, welches fein einmal geschenktes Vertrauen nicht leicht erlöschen läßt, theils weil er vielleicht eines Spruches aus dem Koran eingedenk ist, der ihm sagt: „Ihr Männer sollt bedenken, daß das Weib aus der Ribbe, also aus einem krummen Bein geschaffen ist. Deshalb, ihr Gläubigen, habt Geduld mit den Weibern; denn wenn Ihr ein krummes Bein gerade biegen wollt, so bricht es.“ Man weiß, daß die Frauen in den Harems sehr strenge bewacht werden, und obgleich die Eultur schon im Allge- meinen stark an den orientalischen Gebräuchen rüttelte, so hat sie doch in dem Punkt noch nicht viel geändert. Freilich sieht man jetzt viele türkische Damen auf den Straßen umherspazieren; doch, wie ich schon mehrmals bemerkte, aufs Häßlichste vermummt und unkennbar gemacht. Es wäre aber auch gegen allen Anstand, ein türkisches Weib auf der Straße erkennen zu wollen und selbst der Mann würde es für un- schicklich halten, wenn er seiner eigenen Frau, die ihm be- gegnete, nur durch ein Zeichen merken ließe, daß er sie er- kenne. Es ist schon viel, daß die allgewaltige Zeit den Schleier der Damen bis unter die Nase gerückt hat, die früher ebenfalls bis an die Augen verhüllt war. So streng auf diese Art die Gestalt der Türkinnen außer dem Hause vor jedem neugierigen Blicke vermummt find, so übertrieben frei ist der Anzug im Innern des Hauses. 186 Die Einrichtung desselben ist fast eben so wie die beschriebene in unserm Gasthof. Längs den Fenstern die von außen mit Latten, von innen mit Rohrstäben dicht vergittert sind, be- findet sich der Divan, auf dem die Familie den ganzen Tag nichts thut, wie ausruhen und sich langweilen. Der Man- gahl mit glühenden Kohlen und das Kaffeegeräth ist natür- lich in der Nähe; denn so oft ein Besuch kommt oder es einem der Familienglieder einfällt, wird für jedes eine Taffe Kaffee gemacht, was des Tages unzählige Mal geschieht. Dazwischen ißt man verschiedene eingemachte Früchte, von denen jeder einen Löffel voll nimmt und darauf ein Glas Waffer trinkt. Von vieler Bewegung in diesen Familienkreisen und einer lebhaften Unterhaltung ist natürlich nicht die Rede. Eine Phrase, die man sehr oft beim Kaffee oder dem Eingemachten hört: afiat ler olfum –(Wohl bekomm's) sagt jeder dem An- dern und legt dabei die Hand an Brust und Stirn. Die beiden Mahlzeiten, die der Türke täglich regelmäßig zu sich nimmt, bestehen aus Hammelfleisch und Reiß, welche Artikel die Grundlage bilden. Dazwischen kommen zahlreiche süße Ge- rüchte, und während der ganzen Mahlzeit stehen beständig kleine Schüffeln mit kalten Speisen, als Austern, Hummern, Caviar, Käse, Oliven, türkischer Pfeffer, Salate und Früchte verschiedener Art, von denen jeder nach Belieben nimmt, auf dem Tisch. Die männlichen Sklaven im Orient haben ein viel befferes Loos, als wir es uns gewöhnlich bei dem Worte Sklave vorstellen. Es sind eigentlich Diener, deren größtes Geschäft darin besteht, nichts zu thun; ein gemietheter Arbeiter ist weit übler daran, als der Sklave des Hauses; denn weil letzterer Eigenthum feines Herrn ist, so nimmt dieser sich wohl in Acht, ihn durch viele Arbeit krank oder unbrauch- bar zu machen. Da einem vornehmen Türken der Unterhalt seiner Sklaven und Diener fast nichts kostet, denn von einer 187 - - - - - - - -– – – – – – – – – Belohnung an Geld ist keine Rede, so hat er gewöhn- lich eine große Maffe dieses Volkes, die die wenigen Ge- fchäfte so unter sich verheilen, daß auf jedem ein unbe- deutendes lastet. Ein Theil hat nichts zu thun, wie Pfeifen zu stopfen und in Ordnung zu halten, andere kochen Kaffee, wieder andere forgen für die Waffen und Kleidung des Herrn und so fort. Bei dem gewöhnlichen Türken wird der Sklave mit wenig Ausnahmen fast wie ein Kind der Familie be- trachtet. Er ißt an demselben Tisch und bei guter Aufführung wird er später frei gelaffen oder heirathet nicht selten eine Tochter des Hauses. Die Nacht im Mamafan. Eine ganz umgekehrte Ordnung im türkischen Leben bringt der Ramasan, die Fastenzeit hervor. Der Tag wird zur Nacht und die Nacht zum Tag verwandelt. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bleibt der Gläubige in seinem Hause und thut nicht einmal das Wenige, was er sonst zu thun pflegt. Er betet, stellt seine Waschungen an oder geht in die Moschee. Die meisten Läden sind um diese Zeit während der Tageszeit verschloffen und was am bezeichnendsten ist, alle Kaffeehäuser stehen leer. Der Recht- gläubige muß fasten, d. h. er muß sich nicht nur aller Speisen und Getränke enthalten, sondern Pfeifen und Kaffee find ihm ebenso verbotene Gegenstände. Da man schon im gewöhnlichen Leben nicht sagen kann, daß auf- und ab- wandelnde oder gewerbtreibende Türken ein sehr lebendiges, rühriges Bild geben, so muß man die einzelnen Individuen, die man zur Ramafanszeit durch die Straßen schleichen sieht, für Geschöpfe ohne Leben halten, für Wesen, die durch Maschinenkraft hin- und hergetrieben werden, fo matt und faul wanken fiel einher. Wenn sie von dem Fasten so geschwächt - - - - - - - - - - - - - - - - - - 188 wären, sollte man glauben, sie müßten jeden Abend aus Ermattung zusammenfallen; aber weit gefehlt. Wenn sich die Sonne zum Untergang neigt, scheinen fich ihre Lebensgeister aufs Neue zu erfrischen. Man steckt die erloschenen Feuer wieder an und beginnt die Speisen zu- zubereiten, die mit dem ersten Ruf des Iman, daß der Tag vorbei sey, auf dem Tisch dampfen müffen, damit weiter keine Zeit verloren gehe. Der Sclave hält seinem Herrn schon einige Augenblicke früher die angezündete Pfeife ent- gegen und Alles horcht erwartungsvoll auf den Ruf vom Minaret, um sich so hastig wie möglich den jetzt erlaubten Genüffen des Effens, Trinkens und Rauchens hinzugeben. Jetzt bei eingetretener Dunkelheit verwandelt sich auch das stille Leben in den Straßen zu dem geräuschvollsten, das es geben kann, und die Stadt selbst gewährt von außen und innen den prächtigsten Anblick. An den Minarets werden allmählich Lichter angesteckt, und bald umgeben mehrere hundert Lampen in einzelnen Kreisen diese Gebäude von oben bis unten. Die Kuppeln der Moscheen und Caravansereien find ebenfalls mit Lichtern behängt und die meisten Bazars, so wie die Tische der Verkäufer auf den Straßen, hell erleuchtet. Von Pera aus hatten wir auf die Hauptstadt den prächtigsten Anblick. Die Maffen der dunklen Häuser, ohne erhellte Fenster, von den belebten erhellten Straßen durch- schnitten, sahen von oben einem Berge ähnlich, defen glühen- des Geäder an allen Stellen durchscheint. Hie und da war das Erdreich ganz durchbrochen und unzählige hohe Flammen leckten gierig in die Nacht empor, die beleuchteten Minarets. Vor uns lag der Hafen, defen Waffer durch den Wieder- schein der vielen Lampen, die an den Masten und Segel- fangen der Schiffe hingen, röthlich angestrahlt erschien. Selbst die dunkeln Cypreffen auf Pera, diese riesigen Todten- 189 wächter, schienen den allgemeinen Jubel zu fühlen und waren von dem Lichtmeer drüben fanft beleuchtet. Es war in einer der sieben heiligen Nächte des Jahres, nämlich in der Nacht Kadr, welche für die gilt, wo der Koran vom Himmel gesendet worden, als wir gegen acht Uhr von Pera aufbrachen, um uns nach der Moschee von Top- Chana zu begeben, die der Sultan in Folge der besondern Feierlichkeit, die heute stattfand, mit seinem Besuch beehrte. Dem Sultan nämlich, nachdem er in der heutigen Nacht fein Gebet verrichtet, wird von dem Großweffyr bei seiner Rückkunft in's Serail eine Sklavenjungfrau übergeben, mit der er alsdann die Brautnacht begeht, in der Hoffnung, daß, wie in dieser Nacht der Koran vom Himmel kam, auch dem Haufe Osmans ein Thronerbe vom Himmel gesendet werde.“ Um die Moschee von Top-Chana, so wie die Kanonen- gießerei standen drei Reihen Infanterie, in deren Mitte fich ein Musikcorps befand, das mit ihren Trommeln, Posaunen und Trompeten einen herrlichen Lärm machte. Die Moschee war glänzender beleuchtet, als je, und an allen Wänden und Fenstern hingen große Reihen bunter Lampen. Ebenso war die Kanonen-Werkstatt auch auf das Prächtigste illuminiert und in dem Hofe derselben, so wie in dem Kreise, den die Soldaten bildeten, waren zahlreiche große Pechpfannen auf gestellt. Die türkische Infanterie machte sich’s, wie gewöhn- lich, auf ihrem Posten sehr bequem. Nur das erste Glied stand aufrecht auf den Beinen und hielt das Gewehr im Arm; das zweite und dritte faß auf der Erde und den Treppen der Moschee und fast Alles rauchte tapfer darauf los, so daß der Tabaksdampf mit dem Qualm der Pech- brände wetteiferte. Wir drängten uns an die Reihe der Soldaten, die die Zuschauer vom Platze der Moschee entfernt halten sollten * Hammer, Gesch. d. o. R. Th. W. 190 und verdankten es nur der Keckheit, mit welcher wir uns für englische Offiziere und Aerzte ausgaben, daß sie uns in den Kreis ließen. Hier mußten wir noch eine gute Stunde warten, ehe der Spektakel losging. Dafür war aber auch der Lärm, der nun begann, um so größer. Ein paar Kanonenschüffe von Beschiktasch her gaben das Zeichen, daß sich der Sultan auf ein Pferd schwinge und alsbald ant- worteten die Batterien von Skutari, von der Serailspitze, so wie die Kriegsschiffe im Hafen. Die Soldaten wurden in's Glied gerufen und bildeten lärmend eine schlechte Linie. Das Musikeorps neben uns bemühte sich ebenfalls zu dem allgemeinen Getöse das Ihrige beizutragen und die Musici arbeiteten auf ihren Instrumenten schonungslos herum. Ich muß hierbei einer großen Lächerlichkeit erwähnen, welche durch die Nachäffung der europäischen Gebräuche entstand. Der Tambourmajor, nach der neuen Ordnung der Dinge mit großem Stocke ausgerüstet, schwenkte denselben, worauf bei uns die Trommeln gleich einfallen; doch bei den Gläu- bigen war das nicht der Fall, sondern trotz dem er ihnen mit vieler Gravität das Zeichen zum Anfang gegeben und den Stab tüchtig geschwenkt hatte, wirbelten die Trommeln erst, nachdem er ihnen recht gemüthlich sagte: „Nun wollen wir anfangen.“ Jetzt kamen von dem Palaste des Sultans her eine große Menge Fackelträger mit einer andern Musikbande, die denselben Lärm machte, wie die erste. Auf dem Platze vor der Kanonen-Werkstatt steht ein kleiner steinerner Brunnen, den die Artilleristen mit Luftfeuerwerk verzierten; denn als dicht neben uns eine gewaltige Geschützsalve über den Wellen dahinkrachte, daß die Pferde einiger türkischen Offiziere wie toll umhersprangen, flammten an dem Brunnen tausende von Zündlichtchen aus, so daß er ganz in Feuer zu stehen schien. Auch zündete man hie und da in großen Pfannen farbige 191 bengalische Feuer an, so daß die umliegenden Gebäude bald von blutrothen, bald von grünen oder blauen Flammen um- spielt schienen. Aber an dem ganzen Anblick war nichts Erquickliches, nichts Angenehmes. Es war ein entsetzliches Chaos von Kanonenschüffen und Musiklärmen, von Lichtern und Flammen, die ordnungslos durch einander spielend Auge und Ohr be- leidigten. So ungefähr muß in alter Zeit ein Hexensabbat ausgesehen haben. Jetzt sprengte Reschid Pascha vor, auf der Brust einen mächtigen Stern von Brillanten, der zahllose Blitze um sich warf, und den Soldaten wurde der Befehl zum Präsentieren gegeben. Ein lieber türkischer Soldat, neben dem ich stand, stieß mich an und bat mich, ihm für einen Augenblick seine Pfeife zu halten, wozu ich mich natürlich sehr bereitwillig finden ließ. Endlich kam der Sultan von seinen Großwür- denträgern umgeben, alle auf prächtigen Pferden. Der junge Herrscher trug einen weiten, blauen Mantel und weiter keine Auszeichnung als einen großen Brillantstern am Fez. Er ritt in den Vorhof der Moschee, wo er abstieg und von Einigen feines Gefolges begleitet, in das Gebäude trat. Für heute fahen wir ihn nicht wieder; denn die Feierlichkeiten waren zu Ende und der Padischah fuhr wahrscheinlich später in feinem Kaik nach Beschiktasch zurück. So wild und unordentlich der Lärm der Ceremonie war, fo rasch verflog er wieder – ein Strohfeuer. Die Soldaten verließen den Platz, die Pechpfannen verlöschten und an dem Brunnen, um den so eben noch die hellen Flammen loderten, glimmten nur hie und da noch einige elende Papierhülsen. Wir bestiegen ein Kaik, um nach Stambul hinüberzufahren. Der Anblick der erleuchteten Städte war am schönsten von der Mitte des Hafens aus, wo wir rings herumschauend alle Minarets, sowohl von Stambul, wie von Galata, 192 Top-Chana und Scutari, mit glänzenden Lichtkränzen um- wunden sahen. Auch strahlten hie und da von Thürmen, oder andern hohen Gebäuden illuminierte arabische Schrift- zeichen durch die Nacht und andere oft seltsam geformte Figuren, als Schiffe mit großen Segeln, Drachen, Schlan- gen 1c. Bei der Aja Sophia war an einem Gebäude ein coloffaler Wagen angebracht und bei der Suleimanje eine große Figur, die wahrscheinlich einen Derwisch vorstellen sollte, aber einem Bajazzo weit ähnlicher fah. Wir verließen unser Kaik und wanderten durch die Gaffen, die heute bei Kerzen- und Lampenbeleuchtung noch weit leb- hafter aussahen, als am Tage. Alles Volk war lustig und guter Dinge, als feierte man ein großes Fest. Die Verkäufer von Backwerk und Zuckerzeug, die zwischen der Menge mit lautem Rufen herumgingen, hatten ebenfalls die runden kupfernen Scheiben, worauf sie ihre Artikel ausgebreitet, mit Lichtern besteckt, und es sah ergötzlich aus, wie sie sich in großer Anzahl unter den Haufen herum brwegten. Hie und da waren vor den Buden kleine Spielereien aufgestellt, Wind- mühlen, von Sand getrieben oder illuminierte Schiffchen, vor denen die sonst so ernsthaften Gläubigen lachend und laut rufend stehen blieben. So erinnere ich mich eines Ladens, in dem Conditor-Waaren verkauft wurden und deffen Besitzer, ein speculativer Kopf, zwischen dem Backwerk einen kleinen Brunnen errichtet hatte, der aus drei Röhrchen Waffer in ein Becken ließ und in demselben ein kleines Wafferrad in Bewegung setzte, das rechts und links mit Glöckchen in Verbindung stand, die sehr unharmonisch durch einander klim- perten, worüber aber die Türken eine unbeschreibliche Freude hatten und in ganzen Haufen vor diesem Laden stehen blie- ben. Dies verschaffte ihm natürlich einen guten Absatz seiner Waaren, so wie es auch an diesem Theile der Straße eine größere Lustigkeit hervorrief als sonst irgendwo. Das Volk 193 schrie einmal über das andere: „ei w" allah! ei w" allah!“ und ein paar alte zerlumpte Kerle tanzten vor Vergnügen nach dem Geklimper der Glocken auf der Straße herum, natürlich eben so taktlos, wie diese Musik selbst. Am lebhaftesten geht es in diesen Nächten in den Kaffee- häusern und bei den Sorbetbereitern zu; in den ersten werden dann gewöhnlich declamatorisch-musikalische Unterhaltungen aufgeführt; versteht sich von selbst. Alles in türkischer Manier. Wir traten in eines dieser Häuser, die heute eben so hell be- leuchtet sind wie die Straßen, und wurden, obgleich es sehr voll war, von dem Kaffeetschi mit großer Aufmerksamkeit empfangen und untergebracht. Auch muß ich rühmend ge- stehen, daß die Gäste selbst bei der Aufforderung des Kaffee- tschi, für uns etwas Platz zu machen, sehr bereitwillig zusammenrückten. So kam ich auch neben einen alten Ar- nauten zu sitzen, der sein schönes Costüme in der ärmlichsten Verfaffung, aber dagegen prächtige Waffen hatte. Seine Pistolen, Dolch und Yatagan waren reich verziert und mit kleinen silbernen Nägeln beschlagen. Aber der Mensch hatte, wie fast all' dieses Volk, ein ganz unangenehmes confiscirtes Gesicht; blaß, von Blatternarben zerriffen, wurde es von einem ungeheuren Schnurrbart förmlich in zwei Hälften zer- theilt, von denen es schwer zu entscheiden war, welche die gerechtesten Ansprüche auf eine unbeschreibliche Häßlichkeit hatte. Als ich mich neben den Arnauten niedergelaffen, legte er grüßend seine Hand an das Feß und reichte mir das Rohr seines Nargileh dar, aus dem ich Anstands halber einige Züge thun mußte. Bald hatte uns der geschäftige Wirth mit Kaffee und Pfeifen versehen, und wir konnten behaglich das Gewühl der Menge vor uns überschauen. Auf einer Erhöhung in einer Ecke des Gemachs saßen drei türkische Musici, mit Instrumenten bewaffnet, wie ich fie früher schon einmal beschrieben und womit sie einen argen Hackländer, R. in d, O. I. 13 194 Lärm machten, zu welchem ein alter Türke, der vor ihnen saß, Loblieder auf den Propheten in näselndem Tone mehr sprach als fang. Doch ergötzten sich die umherfitzenden Gläubigen sehr bei dieser Unterhaltung und spendeten den Künstlern am Schluß derselben manchen Ausruf des Ent- zückens und der Zufriedenheit. Jetzt trat ein Mährchen- erzähler, Meddah, auf, und begann, wie uns Herr von C. sagte, von den Abenteuern Sid-al-Battals zu erzählen. Wir konnten natürlich nur wenig davon genießen, da wir kein Wort von seinen Reden verstanden; doch machte uns Herr von C. darauf aufmerksam, wie oft der Meddah Ton und Sprache änderte. Jetzt ahmte er den gravitätischen Ton eines Paschah nach, jetzt den unterwürfigen eines Sklaven, jetzt hörten wir die hustende Stimme eines alten Weibes, bald den Dialekt eines Armeniers, eines Franken oder Juden. Da Herr von C. durch feine Bemerkungen unserm Gehör nachhalf, so machte es uns eine Zeit lang Vergnügen, dem Meddah zuzuhören. Als er zu dem interessantesten Theil seiner Erzählung gekommen war und die Zuhörer recht ge- spannt lauschten, wie sich der Held der Geschichte aus der verwickelten Affaire ziehen würde, hörte er plötzlich auf, stand auf und ging mit einem zinnernen Teller im Kreise herum, worauf jeder ein paar Para warf, um sich so Fortsetzung und Schluß der Geschichte zu erkaufen. Wir verließen das Kaffeehaus, um nach der Suleimanje zu gehen, wo noch mehrere dieser Häuser feyn sollten, in denen man hauptsächlich in den Nächten des Ramadans die Teriaki oder Opiumeffer ihr Wesen treiben sieht. Auf den Straßen herrschte noch immer das alte Gewühl. In den obern Theilen der Stadt, wo sich meistens die Gaffen der verschiedenen Handwerker befinden, sahen wir oft neben andern Illuminationen verschiedene arabische Schriftzüge, aus kleinen Lampen zusammengesetzt. Es waren die Namen von 195 Schutzheiligen der Gewerke, welche hier in der Türkei ebenso gut ihren Patron haben, wie die Innungen bei uns. Ja die ganze Einrichtung der Zünfte und Innungen bestand bei den Arabern weit früher, als bei uns, und wir haben sie wahrscheinlich von dort herüber angenommen, wenigstens leitet sich das Wort Zunft von dem arabischen Wort Sinf, das ist ein Gewerk, eine Innung, her. Bei den Türken ist Adam der Schutzheilige der Acker- leute, Enoch der der Schneider und Schreiber, Joseph, der Zimmerleute, Abraham, der Milchverkäufer, Daniel, der Dolmetscher, Salomo, der Korbflechter, Jonas, der Fischer, Jesus, der Reisenden, Mohamed, der Kaufleute c. An der Suleimanje, wo viele Kaffeehäuser liegen, sahen wir nur zu einigen der größten hinein und fast in allen herrschte eine laute Fröhlichkeit. Da wurde gespielt und gesungen, dort beschäftigte der Meddah die Phantasie der Zuhörer und in andern trieben Lustigmacher und Tänzerknaben, wie wir sie in Adrianopel gesehen, ihr Wesen. Herr von C. führte uns in eine enge Gaffe, wo nur hie und da wie zum Spott eine verglimmende Lampe brannte und vor ein kleines Haus, dessen Inneres, nothdürftig erhellt, uns die Einrich- tung eines ärmlichen Kaffeehauses zeigte. Dieß war eine der Höhlen, in welchen die Opiumeffer ihr Wesen treiben. Wir traten in das Local, das über alle Beschreibung schmutzig aussah, ließen uns auf einer hölzernen Bank am Eingang nieder und mußten eine Zeitlang warten, eh' sich der Wirth zu unserer Bedienung meldete. Dieß war ein kleiner magerer Mann, der sich auf eine sonderbar lächerliche Art, ich möchte sagen, fast tanzend, aus dem Winkel neben dem Kamin, wo er zusammengekauert faß, auf uns zu bewegte. Außer ihm waren noch drei bis vier andere Leute in dem Gemach, die die seltsamsten Bewegungen machten. Der Kaffeetschi trat vor uns hin und hielt uns halb fingend eine Anrede, in der 13 196 er uns versicherte, es fey ihm eine Freude, daß wir ein Haus mit unserm Besuch beehrten. Der Kopf des alten Mannes hatte einen unangenehm lustigen Ausdruck. Seine Augen, starr und schwerfällig, wie die eines Betrunkenen, blitzten mit einem unnatürlichen Feuer. Die eingefallenen Wangen waren geröthet und die Mundwinkel zuckten hin und her. Es war mir ein unheimliches Gefühl, als der Alte sich mehrmals vor uns verneigend mir mit einem langen schneeweißen Barte fast im Gesicht herumfuhr. Er ging auf dieselbe tanzende Art und beständig vergnügt vor sich hin- fingend nach dem Herde zurück, um uns Kaffee zu kochen. Wir verlangten natürlich keine Pfeife, denn es war uns nicht darum zu thun, vielleicht eine mit Opium gewürzte zu bekommen, die uns wohl in einen noch schlimmern Zustand versetzt hätte, als wie der der Gäste, die sich hier befanden. Im Hintergrund des Gemachs kniete einer derselben mit dem Gesichte gegen die Wand gekehrt und schien eifrig im Gebet versunken, wenigstens machte er alle die Bewegungen, wie wir sie in den Moscheen zuweilen beobachtet, doch mit so entsetzlicher Heftigkeit, wie sie nur die fanatischste Begeisterung hervorzubringen im Stande wäre. Bald schlug er einen Kopf gegen die Bank, bald warf er ihn hinten über, daß wir ein blaffes eingefallenes Gesicht verkehrt sahen, und der lange schwarze Bart in die Höhe stand. Er warf die Arme heftig von einander und schloß sie krampfhaft wieder. Die Worte, die er dabei ausstieß, fing er leise murmelnd an und steigerte allmählig seine Stimme, nachdem die Ideen in seinem erhitzten Kopfe immer wilder und verworrener auf- wuchsen, bis zu lautem Geschrei, das er mit dem öftern kreischenden Ausrufe: Allah il Allah! schloß. Neben ihm lag ein noch ziemlich junger Mensch, eine elende abgemagerte Jammergestalt, dem die Thränen aus den Augen stürzten und defen stumme entfetzliche Trauer, welche das ganze 197 Gesicht ausdrückte, einen schneidenden Contrast mit der grellen ausgelaffenen Lustigkeit eines baumstarken Negers bildete, der auf der andern Seite in einem dunkeln Winkel lag. Die Augen des Schwarzen glänzten, wie die eines wilden Thiers, und die Reden, die er ausstieß, kamen mit Blitzes- schnelle zwischen den schneeweißen Zähnen hervor, die er wiehernd lachend auf einander biß. Er warf seine musku- lösen Arme begeisternd um sich herum, zeigte bald vor sich hin, bald in die Höhe und machte überhaupt so entsetzlich lebhafte Mienen und Zeichen, daß mir war, als verstünde ich eine verworrenen Reden. Der Unglückliche träumte vielleicht von einem Lande, von den Palmen, unter denen er gewandelt, von der gelben Flut des Nils, in der er ge- badet. Jetzt faßte er mit feinen Armen die Luft, als ergreife er etwas und seine Finger krampften sich so in einander, daß die Muskeln schwellend heraustraten. Kam ihm viel- leicht in diesem Augenblicke das Bild eines Kampfes vor die Seele, in dem er seinen Feind überwindend niederriß und jetzt, da er die Arme wie ermattet herunter sinken ließ und fich zurücklehnend mit den schwarzen Augenliedern das wilde Feuer einer Blicke auslöschte, dachte er da vielleicht an eine fanfte Hand, die ihm über das Gesicht fuhr und den Schweiß von der Stirne wischte? Doch genug von diesen entsetzlichen Bildern! Der An- blick dieser Menschen war uns Allen nach wenigen Augen- blicken so unerträglich und wirklich Furcht erregend, daß wir das Haus verließen, ohne unsern Kaffee anzurühren. Der Anblick von Wahnsinnigen ist wahrhaft gegen das Aussehen dieser Menschen ein beruhigender zu nennen. Man weiß doch, daß bei jenen gehörige Vorsichtsmaßregeln getroffen find, daß sie ihren Nebenmenschen nicht schaden können. Aber wer bürgt mir dafür, daß nicht einer dieser Verzückten auf mich zustürzt und mich ohne alle Umstände erwürgt? f,98 Das Laster des Opiumeffens verschwindet glücklicher Weise selbst im Orient immer mehr und mehr, und die Individuen, die es noch treiben, find den Andern noch viel verhaßter, als ein Mensch bei uns, der beständig betrunken ist. Man muß aber auch die gräßlichen Gestalten dieser Menschen sehen, wie sie blaß und abgemagert, halb taub und blind und abgestumpft für alle Genüffe des Geistes und alle Freuden des Lebens dahin wanken, wenn der Rausch des Opiums nachgelaffen. - Obgleich das Opium, (ein Oppiat aus Hyosciamus) Ha- fchische genannt, meistens aufgelöst getrunken wird, sagt man jedoch nach dem Idiotismus der türkischen und persischen … Sprache: er ißt Opium und trinkt dagegen den Rauch der Pfeife. Wahrscheinlich brachte der Genuß des Opiums in alten Zeiten die Affaffinen in jene Begeisterung und Todes- verachtung, mit der sie das von ihrem Meister bezeichnete Opfer in der Mitte der Seinigen aufsuchten und niederstießen. Uns. Alle hatte der Anblick jener Unglücklichen trübe gestimmt und wir wandelten schweigend durch die Gaffen der Hauptstadt, in denen, da Mitternacht vorüber war, die laute Fröhlichkeit mit einem Mal nachgelaffen. Hie und da wan- delte noch ein Verkäufer herum und die Lichter auf einem Tragtische waren niedergebrannt und verlöschten allmählig. Die illuminierten Namen und Figuren hatten schon große Lücken, und an den Minarets brannte noch hie und da eine Lampe, deren flackerndes Flämmchen sich schwach gegen die mächtige Nacht vertheidigte, die mit ihrem wehenden schwarzen Schleier den Glanz so vieler tausend Lichtchen schon getödtet hatte. Als wir auf der großen Brücke waren, und noch einmal nach Stambul zurückschauten, stieg der Mond hinter Scutari empor und grüßte uns mit einem langen zitternden Lichtstreifen, den er über Hafen und Brücke warf. 199 Eine Audienz beim Sultan. Diner bei Refchid Pascha. So oft wir auch Gelegenheit hatten, den jungen Padi- schah, den Beherrscher der Gläubigen, auf der Straße, oder auf dem Hafen zu sehen, so konnten wir außer dem Baron doch nicht das Glück haben, vor sein erlauchtes Antlitz zu treten, weil wir weder Rang noch Titel, oder was noch schlimmer war, keine Uniformen besaßen, ohne welche man sich dem Sultan nicht präsentieren darf. Nachfolgende kleine Skizze über eine Audienz beim Sultan entnehme ich aus einem Briefe des Barons. –– Da wir uns gerade in der Zeit des Ramasans befan- den, so konnte uns erst nach Sonnenuntergang die Ehre zu Theil werden, eine Audienz beim Sultan zu erlangen. Es war acht Uhr Abends, als ich in das Kaik des preußischen Ge- sandten stieg, der die Güte hatte, mich feiner Hoheit vorzu- stellen. Wir fuhren bei Galata ab und kamen in kurzer Zeit an den Schiffen vorüber, die zur Feier des Ramasan glänzend erleuchtet waren. Es ist ein großartiger Genuß, in diesen Nächten auf dem Waffer zu fahren und um sich die mächtigen Häusermaffen von Stambul, Pera, Galata und Skutary von tausend und tausend Lichtchen hell erleuchtet zu sehen. Unser Boot hielt bei den Terraffen des Sommerpalastes von Beschiktasch und wir wurden durch einige Hofbeamte in ein Gemach zu ebener Erde geführt, wo uns der Obersthof- marschall Kurfim-Bey empfing. Das Gemach ist wie der ganze Palast halb türkisch, halb europäisch eingerichtet; denn neben den Divans enthält es Fauteuils, schöne Spiegel und französische Kronleuchter. Der Hofmarschall empfing uns sehr freundlich, bewirthete uns mit Kaffee und Pfeifen, wobei die Unterhaltung, die wir mit ihm hielten, durch den Dol- 200 metscher des preußischen Gesandten geführt wurde. Nach Verlauf einer halben Stunde erschien einer der Hofbeamten wieder, der uns hieher gebracht und nahte sich dem Bey, ihm einige Worte sagend, worauf dieser sich erhob, um uns vorangehend zum Gemach des Sultans zu begleiten. Dieses, ebenfalls im untern Stockwerke, war nicht prächtiger einge- richtet, als das des Hofmarschalls und ganz in demselben Geschmack. Auch war es sparsam erleuchtet, denn von den Lichtern auf dem großen Kronleuchter brannte keins, sondern vier Wachskerzen auf bronzenen Leuchtern stehend, waren hie und da auf den Boden gestellt. Der Beherrscher der Gläu- bigen saß in einem großen Fauteuil, das er jedoch bei unserm Eintritt mit der Ecke des Divans vertauschte, in welcher er sich auf die untergeschlagenen Beine fetzte. Er trug über dem gewöhnlichen blauen Ueberrock einen braunen langen Mantel, den eine Agraffe von Diamanten auf der Brust zusammenhielt und auf dem Kopfe das Feß, an dem eben- falls ein großer Stern von Brillanten prangte. Vor ihm fand der damals mächtige Refchid Pascha und übersetzte feinem Herrn die Gefühle der Dankbarkeit, die ich ausdrückte, mich an dem Glanz eines erhabenen Angesichtes erfreuen zu dürfen, aus dem Französischen ins Türkische, nachdem mich der Sultan mit dem üblichen Gruß der Morgenländer: „Der Herr segne Deinen Eingang bei uns!“ empfangen hatte. Die ganze Audienz dauerte ungefähr eine halbe Stunde, in welcher er mich über den Zweck meiner Reise befragte, so wie auch, ob mir eine Pferde gefallen und dergleichen Kleinigkeiten mehr. Dann legte er die Hand an ein Feß, wir waren entlaffen und verließen das Gemach. – – Eine lächerliche Anekdote in Bezug auf eine Audienz unserer frühern Reisegesellschaft des Lords und der Lady Lon- donderry beim Sultan war damals in aller Leute Munde und ist wirklich zu interessant, um sie nicht mit kurzen 201 Worten zu erzählen. Seine Herrlichkeit der Lord hatten, wie sich von selbst versteht, eine officielle Audienz, die aber seiner Gemahlin, welche auch den Sultan in der Nähe zu fehen wünschte, aus dem Grunde nicht zu Theil werden konnte, da das Gesetz dem Beherrscher der Gläubigen ver- bietet, die Frau eines Ungläubigen bei sich zu empfangen. Doch war der junge Padischah, dem der Wunsch der Lady zu Ohren kam, so galant, höchst eigen ein Auskunftsmittel vorzuschlagen. Es wurde der Lady nämlich eine Stunde bezeichnet, in welcher sie sich die Gemächer des Palastes sollte zeigen laffen, und wo ihr der Sultan alsdann, ganz wie von ungefähr begegnen und im Vorbeigehen einige Worte an die richten würde. Die bestimmte Stunde erschien und Ihre Herrlichkeit betrat den Palast von Beschikdach nicht nur wie gewöhnlich im großmöglichsten Staate, sondern hatte ihren ganzen Diamantenschmuck, einen der schönsten und reichsten in der Welt, um und an sich gesteckt. Sie wurde durch den Hofmarschall in die unterm Zimmer geführt, und man mußte, wer weiß durch welchen Zufall, den Sultan im Voraus da- von benachrichtigt haben, in welchem Glanz die Lady er- schienen fey, kurz er befahl feinen Palastoffizieren, ihre Nischah und Rangzeichen mit Brillanten besetzt augenblicklich holen zu laffen und gleich umzuhängen, worauf sich einer nach dem andern verlor, um mit Diamanten geschmückt gleich darauf wieder zu erscheinen. Die Lady besah die untern Gemächer, die Corridors, die Terraffen nach dem Garten zu und auf einer dieser letzteren begegnete ihr der Sultan. Der Padischah blieb stehen und wechselte durch Refchid Pascha einige Worte mit ihr, ehe er seinen Weg fortsetzte. Doch war ihm wahrscheinlich die Maffe Diamanten, mit welcher Ihre Herrlichkeit behängt waren, ein wenig stark vorgekommen, denn wenige Minuten darauf gab er seinem Minister den kitzlichen Auftrag, fich bei der Lady zu erkundigen, ob die 202 Steine auch alle ächt feyen, und was sie in dem Falle wohl gekostet hätten; eine Commission, deren sich der gewandte Reschid Pascha mit Uebergehung der ersten Frage um so leichter entledigte, weil die Lady es liebte, die ungeheure Summe anzugeben, welche jener Schmuck auch wirklich gekostet. – – Eine Einladung, die mir am andern Tage zu Theil wurde, war mir um so interessanter, da sie von dem hoch- gestellten Refchid Pascha ausging und auf ein türkisches Diner lautete. Es war Abends gegen sieben Uhr, als wir uns in die Wohnung des Ministers begaben, die eben so wie der Palast vor Beschikdach halb europäisch, halb türkisch eingerichtet ist. Die Divans waren hier das einzige Orienta- liche nnd Resschid Pascha hatte von einem früheren Aufent- halte als Gesandter in Wien Stühle, Sopha's, Console- tische, Spiegel c. von dort mitgebracht. Einige Bemerkungen über das Diner mögen hier er- laubt seyn. Unmittelbar vor dem Eiffen, noch im Empfangs- zimmer, wurde jedem Gaste ein eigenes kleines Tischchen vorgesetzt, worauf Täßchen mit etwas Suppe. Dies soll "den Appetit reizen. Eine Viertelstunde später gingen wir zur eigentlichen Mahlzeit. Wir waren sieben Personen, für welche ein ziemlich kleiner runder Tisch mit einer Silberplatte und erhabenem Rande bereitet war. Rings um am Rande des Tisches waren alle Arten von geschnittenem Brod gelegt, in der Mitte stand als erste Schüffel der Pillau; um den- selben kleine Platten mit Salat, geschnittenem Obst, Con- fituren und gesalzenen Sachen, Alles unter einander. Als Besteck war nur ein Löffel für jeden Gast sichtbar. Merk- würdig ist, daß das Tischtuch nicht auf den Tisch, sondern der Tisch auf das Tischtuch gestellt wird. Der Tisch selbst hat nur einen Fuß in der Mitte. Das Tischtuch ist von Damast mit Gold gestickt; dieses wird in die Höhe gezogen, jeder Gast breitet es sich über den Schooß und streckt die 203 Beine darunter. Dann erhält er noch eine Serviette von grober Leinwand, um sie über die Stickerei zu thun. Nun beginnt das Effen; Jeder greift mit einem Löffel in die Schüffel, verliert unterwegs die Hälfte und greift von Neuem zu. Der Minister bemerkte, daß wir in den Gebräuchen einer türkischen Mahlzeit noch nicht hinreichende Geschicklichkeit erlangt hatten; er ließ für das nächste Gericht Teller und Bestecke kommen. Hierauf folgte eine Unmaffe von Gerichten, süß und sauer unter einander, wobei die Etikette erfordert, daß, so wie eine Schüffel auf die Tafel gesetzt ist, ein Diener bereits die nächste hinter dem Tische bereit hält. Die süßen Speisen waren gut, jedoch so süß und fett, daß ich nur wenig davon genießen konnte. Der Türke nimmt nur wenig auf einmal, wodurch das Fingereffen etwas reinlicher, auch die Menge der Speisen erklärlich wird. Man hat mir erzählt, daß in der alten guten Zeit türkischer Herrlichkeit, zum Besten der Großen des Reiches, wenn sie reisten, auf ihrem Paß vorgeschrieben wurde, wie viel Speisen ihnen gereicht werden müßten. Die Zahl der-“ selben betrug oft einhundertundzwanzig. Bei unserm heutigen Diner wurde kein Wein, nur Waffer vorgesetzt. Als schöne blaue Taffen auf den Tisch gestellt wurden, hielt ich es für Mundwaffer, und glaubte, das Diner fey zu Ende. Es war aber Scherbet, und dies be- zeichnete die Hälfte der Mahlzeit. Gegen Ende erscheint noch einmal Pillau, damit jeder Gast, dem die andere Speise nicht zusagt, sich daran halten könne. Die Höflichkeit will, daß der Hausherr immer zuerst ein wenig aus der Schüffel nimmt, wobei er sagt: Bujurum (Wenn's beliebt). Nach Tische ging man in ein Nebenzimmer; jedem Anwesenden wurde ein Becken nebst Kanne präsentiert, sich die Hände zu waschen. Dann wurden Pfeifen gebracht und Kaffee getrunken. Der Minister ließ mich in seinem Wagen nach Hause führen. 204 Das neue Serail. I. Von der Hafen- und Seeseite. Wenn man in lauen Mondscheinnächten, deren das Clima um Constantinopel selbst in der späteren Jahreszeit noch viele gibt, in dem kleinen Kaik langsam und die Schön- heiten rings genießend auf dem goldenen Horn umher fährt, dann öffnet sich leicht die Brust und nimmt gerne in sich auf die Klänge und Sagen, die ihm jener Thurm, jener Fels, selbst die spielenden Wellen geheimnißvoll zuflüstern. Die ganze Gegend hier gleicht einem aufgeschlagenen riefen- haften Geschichtsbuch, wo man in jeder Zeile, jedem Fuß breit Landes etwas Neues, Ungeheures lesen kann. Welche Poesie, welche Geschichte versammelt sich nicht auf und an diesen Gewäffern! – Könnte ich den Nachen zur Muschel- schaale des Zauberers machen und in ausgestrecktem Arm den Zauberstab schwingen, um den Schatten, die einstens hier "gewandelt, zu befehlen, daß sie sich auf der dunkeln Fluth zeigten und langsam bei mir vorbeischwebten! Ach keine Macht kann das, und nur die Phantasie vermag aus der Erinnerung Gestalten vor das innere Auge zu zaubern, gewaltige Bilder, die wir in der Kindheit in uns aufnahmen und die in den spätern geräuschvollen Wellen des Lebens allmählich verblaßten, jedoch hier auf dem Platze ihrer Entstehung ihr volles Recht wieder geltend machen und lebhafter als je vortreten. – Hier wo ich jetzt mein Boot wende, schifften die Argonauten, denen die Jugendträume so gern nach Colchis folgten, um ihnen genau zuzusehen, wie sie unter Gefahren und Mühen das goldene Vließ des Widders zurückholten. Dort die Landspitze hieß einst Bosphorus und hier trat die schöne Jo, in eine Kuh verwandelt, an's Land. Zur Linken bei Top- Chana, wo sich jetzt der bunte Palast des Sultans erhebt, 205 opferten die Jünglinge dem Helden Ajax, und wo heute die Gebäude der türkischen Artillerie stehen, hatte einst Ptole- mäus Philadelphus feinen Tempel. – Vor mir liegt Skutari, das alte Chrysopolis, der letzte Ruhepunkt der Ca- ravanen, die ihre Schätze von Asien nach Europa führten. Hier auf diesen Gewäffern zeigten sich um’s Jahr 654 zum ersten Mal die Schwärme der räuberischen Araber unter ihrem Kalifen Moarin, der erste, welcher das Verbot Omars über- trat, der den Arabern, wie früher Lykurg den Spartanern, die Seefahrt verboten, und nach dieser Zeit machten die Araber bis um's Jahr 780 sieben Versuche, die Hauptstadt des griechischen Kaiserthums zu erobern, alle vergeblich, bis Mohamed II. im Jahre 1453 nach einer Belagerung von sieben Wochen die Stadt zu Waffer und zu Land stürmte, und sie erobernd das Wort des Propheten erfüllte, ein Wort, welches der Herrscher der Osmanen stets zu neuen Versuchen wider Byzanz geführt hatte: „Sie werden erobern Constan- tinopel, wohl dem Fürsten, dem damaligen Fürsten, wohl dem Heere, dem damaligen Heere. –“ Unter all' diesen Betrachtungen, die Land und Meer gewaltsam herbeiführen, und denen ich ruhig nachhängen kann, geht es mir wie dem Kinde, das von all dem Schönen, was ihm erlaubt ist, den Blick beständig nach jenem präch- tigen Palaste hinschweifen läßt, dessen Thore ihm verschloffen find, und wo es doch so gern wenigstens durchs Schlüffel- loch sehen möchte, um etwas zu erspähen von den Herrlich- keiten, die er, wie man sich heimlich erzählt, enthalten soll. Mir lag dieser verschloffene Palast, das neue Serail, zur Rechten, und wenn auch auf seinen Terraffen nicht mehr wie sonst, zahlreiche Sklaven lauern, die das fich unvorsichtig nähernde Boot ergreifen, es umstürzen und die darin Sitzenden ertränken oder erschießen, so haben doch die entsetzlichen Ge- schichten, die dort geschehen, und die Flüche, die aus jenen 206 bunten Lufthäusern hervordrangen, einen Zauberkreis um feine Mauern gebildet, dem man sich nur mit ängstlich klopfendem Herzen nähert. Im hellen Mondschein lag das Serail vor mir; es scheint nur der Aufenthalt einer bösen Fee zu sein, die den Unerfahrenen anlockt, um ihn zu verderben. Wie schön glänzen in dem weißen Lichte die vergoldeten Dächer der bunten Kioske und scheinen so freundlich zwischen Gruppen von schwarzen Cypreffen und dicht belaubten Platanen hervor, schönen Mädchen gleich, die sich zwischen Rotengebüschen ver- bergen und den vorübergehenden neckend anrufen. Die Wellen des Meeres schlagen einförmig an die Grundmauern des Gartens und ich weiß nicht, ist es das Gemurmel des Waffers, wenn es von dem zackigen Gestade herabträufelt, oder was sonst – ich glaubte, leise hinsterbende Accorde zu vernehmen. – Das ganze Gestade, welches jetzt die Wohnung der Sultane mit ihren Heimlichkeiten und Verbrechen trägt, ist mir immer wie ein verfeyter Platz vorgekommen, der bald gut, bald böse auf seine jedesmaligen Bewohner einwirkt. Kein Fleck der Erde hat wohl wie dieser eine so großartige, aber auch blutige Geschichte zu erzählen. Schon der erste Gründer von Byzanz, Byzas, baute auf diesem fanft ansteigenden Hügel dem Poseidon und der Aphrodite Altäre, die sich unter den Constantinern, dem christlichen Glauben gemäß, in Kirchen und Capellen verschiedener Heiligen umwandelten. Auf der- selben Stelle erhob sich später der große Palast der griechi- schen Kaiser oder vielmehr die verschiedenen Gebäude, welche die alte Kaiserburg bildeten und die noch einen größeren Raum einnehmen, als das heutige Serail. Stolze Bauten spiegelten sich zu jener Zeit in den Wellen des Propontis, Thore, Säle und Bäder von glänzendem Marmor, stattliche Porphyrsäulen ragten hoch empor und von ihnen schauten die Bildsäulen verschiedener Kaiserinnen weit ins Meer – Alles 207 das verschwand größtentheils, indem bald große Empörungen, fo wie auch die Zeit diese Bauten zusammenstürzten. Nicht minder griff auch die Hand einzelner Menschen zerstörend ein, wie die des Kaisers Justinian, der aus den vergoldeten Ziegeln des ehernen Thorpalastes Chalke seine auf dem Saal des Augusteon aufgestellte Bildsäule gießen ließ. Mit Zeit und Geschichte Hand in Hand gehend, ent- standen alsdann neue Paläste und Denkmäler hier, dem jedesmaligen Weltalter analog. Die alte Zeit wurde in ihrem Eisenkleide zur Ruhe gelegt und die neuen Herrscher von Byzanz legten ihr beturbantes Haupt einer schönen Sklavin in den Schoos, und bauten sich mitten in den dunkelsten Partien ihres mit Marmorbecken und Rosengebü- fchen gezierten Gartens zierliche Kioske, leichte vergoldete Häuser, die das Auge des Neugierigen blendeten und ihn wie der Blick der Schlange festhielten, bis ihn der Arm erreichte, der den Unglücklichen für eine Verwegenheit tödtet. Ehrgeiz und Wollust zogen lange glänzende Fäden an diesen Mauern, einem Spinnennetz gleich, und so entstand das neue Serail, in dessen Mitte der Beherrscher der Gläubigen thronte, fast unsichtbar und jedem fürchterlich, der sich der schimmern- den Höhle nähern mußte. - Wer nach Constantinopel kommt, umsegelt gewiß öfters die Spitze des Serails, und wenn er sich träumend verlor in die gewaltige blutige Geschichte, die hinter diesen Mauern vor sich ging, steigt gewiß der Wunsch in ihm auf, etwas Näheres über das Innere und die Einrichtung dieser ge- heimnißvollen Paläste uud Lusthäuser zu erfahren. Doch ist es wenig Europäern gelungen, von der Seite des Meeres, wo sich die Frühlingharems, die meisten Gärten und Bäder befinden, einzudringen; denn so sehr sich auch hier schon die Zeiten geändert haben und dem Neugierigen erlaubt wird, manche Blicke in Gebäude und Verhältniffe zu thun, die 208 früher mit dem Tode bestraft worden wären, so ist doch die Erlaubniß, das neue Serail zu sehen, sehr eingeschränkt und wird mit seltenen Ausnahmen nur der Eintritt von der Landseite gestattet, wo auch wir ohne viele Mühe bis hinter das Thor der Glückseligkeit drangen. Daß wir bei unsern Spazierfahrten oftmals den Blick verlangend zu den hohen Mauern des Uferpalastes schickten, und Alles anwandten, die Erlaubniß zu einem Besuch zu er- wirken, kann jeder denken; doch hatte man uns im Allgemeinen versichert, obgleich der Sultan augenblicklich in einem gegen- über liegenden Palaste von Beschiktasch residire, es würde unmöglich sein, einen Ferman zu erlangen, um diese stets verschloffenen Gärten und Gemächer auch nur flüchtig zu sehen, und schon hatten wir alle Hoffnung aufgegeben, als es durch eine sonderbare Verkettung von Umständen dem Baron und mir gelang, an einem schönen Abend und im wahren Sinn des Worts durch eine Hinterpforte in die geheimniß- vollen Räume des neuen Serails zu dringen. Doch da es uns nicht vergönnt war, einen Dragoman mitzunehmen, auch unser Führer im Innern des Palasts, obgleich er sehr redselig war, nur türkisch sprach, so hätte ich wohl für meine Person die wirklich ängstlichen und gespannten Empfindungen be- schreiben können, die mich ergriffen, als das Thor sich hinter uns wieder schloß und wir uns in den Gärten befanden, wo im Falle unseres Verschwindens keine Macht der Erde augenblicklich im Stande gewesen wäre, unserer Spur nachzu- forschen; aber für mein Tagebuch und andere Mittheilungen hätte ich keinen Gewinn gehabt, wenn der Baron nicht den guten Gedanken hatte, einen Theil des trefflichen Werkes von Hammer über Constantinopel und den Bosporus mitzu- nehmen, der vor mehreren Jahren ebenfalls und beffere Ge- legenheit hatte, diese Gebäude zu besehen, welches uns nun als Cicerone und vorzüglicher Erklärer diente. 209 Es war an einem der schönen Herbstabende, so lau und angenehm, daß man glauben möchte, im Frühling zu feyn, und doch waren wir schon im Monat November, als uns das kleine Boot quer über das goldene Horn hinwegtrug, um die Spitze des neuen Serails herum in die Propontis. Wir flogen, ohne ein Wort zu sprechen, längs der Felsen, die das Meer bespült und auf welchen die hohen festen Garten- mauern des Serails stehen. Unser Kaikschi, ein Armenier, den wir bei unsern Fahrten oft benützt, ein redseliger Mensch, der uns stets mit einer Menge Fragen quälte, die wir ihm doch nicht beantworten konnten, sprach bei unserer heutigen Fahrt kein Wort, und als wir unter die vergitterten Fenster des ersten zum Serail gehörigen Kiosk kamen, drückte er seine Filzmütze fest auf die Stirn und bearbeitete ohne aufzusehen mit seinem Ruder die Wellen so gewaltig, daß wir einer Seemöve gleich an dem zackigen Ufer hinfuhren. – Der Abend war so schön, die Sonne warf ihre letzten Strahlen herüber, die Wellen des Marmormeers vergoldend, die ver- gnüglich auf- und abspielten, und die Berge Kleinasiens, vor Allen der schneebedeckte Olympos, brannten in hellem Feuer. – Jetzt waren wir am Ziele unserer Fahrt ange- langt, der Kaikschi legte ein Ruder weg und trieb die Spitze des Fahrzeugs mit dem andern zwischen zwei Felsen am Ufer. Wir sprangen hinaus und mußten zurückblickend über die Angst des Armeniers lachen, über die Hast, mit der er sein Boot wieder vom Ufer entfernte, und als dann mit noch größerer Geschwindigkeit wie früher weit ins Meer hinausfuhr, um auf einem großen Umweg den Hafen wieder zu gewinnen. In wenigen Augenblicken sahen wir eine Nußschaale in den hohen Wellen der Strömung auf- und ab tanzen und bald verschwinden. Wir traten zu einer kleinen Pforte, nicht weit von dem Kiosk Selim III., die uns auf ein gegebenes Zeichen ein Hackländer, R. in d. O., L. 14 210 Schwarzer öffnete, der dieselbe aber hinter uns wieder forg- fältig verschloß, und befanden uns in einem großen Garten voll duftender Jasmingruppen, Rofengeländer und großen Parthien schöner Platanen, die ihre dunkeln Zweige wie schützende Flügel ausstreckten und unter denen eine tiefe un- heimliche Stimme brütete. Ich weiß nicht, es war ein sonderbares Gefühl, hier zu wandeln. Wie Diebe in der Nacht schlichen wir anfangs vorwärts, auf jedes fallende Blatt lauschend und beinahe über das Knistern erschreckend, daß unser Fußtritt auf dem weichen Sand verursachte. Doch die Sicherheit unseres schwarzen Führers, mit der er so laut als möglich sprach und uns die Gegenstände umher erklären wollte, lösten die ängstlichen Träume, die das Andenken an die frühere fürchterliche Geschichte dieses Orts um mein Herz gelegt, und ließ uns die interessanten Sachen so genau be- trachten, wie es in der Schnelligkeit, mit der wir hindurch gingen, möglich war. Der Garten, in dem wir uns be- fanden, der neue Garten genannt, wird durch zwei große Laubgänge in vier Theile getheilt, auf denen Gruppen, so wie Lauben von Rosen und Jasmin Schatten gegen die Sonne geben, während allerlei da angebrachte Wafferwerke, speiende Löwen, gewöhnliche Fontänen, Sterne c., die sich aber gerade nicht durch großen Geschmack auszeichneten, den Damen, die auf den angebrachten Steinopha's ruhen, Erfrischung ge- währen. Wir ließen uns einen Augenblick auf einen dieser Ruhe- fize nieder, von dem man zwischen den Zweigen einiger Bäume eine Aussicht bis auf die hohe See hatte. Wie manche jener unglücklichen Frauen, die hier in der Gefangenschaft ihre Schönheit und Jugend verblühen sahen, hatte wohl ihre Blicke hoffend oder verzweifelnd da hinausgesandt, und sich, in die spielenden Wellen schauend, goldenen Träumen über- laffen, in denen sich ihr die verschloffenen Thore des Harems öffneten und sie die erdrückenden prächtigen Gewänder zurück- 2 | | laffend mit Freuden in ein armseliges kleines Boot sprang, das sie ihrer Heimath zuführte, ihrer Heimath, wo sich liebende Arme, denen sie entriffen war, jauchzend zu ihrem Empfange öffneten. Wie mußten diese Träume so süß ihr Herz erfrischen und der Unglücklichen ihre Schmach vergeffen machen, bis der rauhe Ruf der Wächter die emporschreckte und fiel hineintrieb in ihre vergitterten Zimmer, wo die murmelnde Fontäne ihr melancholisch andere Dinge zuflüsterte, entsetzlich blutige, die das klare Waffer mit angesehen. Das Kiosk Selim III. liegt in diesem Garten hart am Meere und man muß von den obern Zimmern defel- ben eine prächtige Aussicht auf die asiatische Küste und die vorüberfahrenden Schiffe haben. Das untere Stockwerk dieses Gebäudes ist ein gewölbter Saal mit einem einfachen Springbrunnen um den die dienenden Weiber und Mägde ruhen und sich die Zeit mit Mährchenerzählen vertreiben. Die Zimmer oben, zu der unser Führer leider keinen Schlüffel hatte, bestehen aus einem prächtigen Gartensaal, halb europäisch eingerichtet, wo sich neben den türkischen Divans große französische Spiegel befinden, und wo englische Kron- leuchter das Gemach erhellen. Rechts und links von diesem Saale sind zwei Zimmer, eins für den Sultan, das andere für die jedesmalige Favorite. Von diesem äußern Garten tritt man durch einen langen dunklen Gang, der einen Flügel des Harems durchschneidet und mit zwei eisernen Thoren verschloffen ist, in den inneren Blumengarten; der rechte Theil heißt der Cypreffen- und der linke der Hyazinthen- und Tulpen-Garten. Dieser innere Blumengarten ist ein Viereck von Gebäuden des Serails um- schloffen und in einem wunderlich phantastischen Geschmacke angelegt. Die schwarzen Gestalten hochstämmiger Cypreffen werden noch schärfer hervorgehoben durch den glänzenden bunten Blumenteppich, aus dem sie wachsen, indem Tulpen 14 212 Hyazinthen und Rosen, durch einander blühend, ein schönes Farbenspiel entfalten, das angenehm unterbrochen, aber nicht gestört wird durch die mit Marmor ausgelegten Fußwege und die bunte Porzellaneinfaffung der verschiedenen Beete. In seltsamen Gestalten ragen hie und da aus dem Laubwerk einzeln stehender Platanen und coloffaler Rosen- sträuche kleine Bauwerke hervor, dünne Pfeiler, kleine Thürmchen mit glänzenden Dächern, Kamine, mit Arabesken verziert, Marmorgeländer, die Behälter voll klarem Waffer umgeben, und eine Menge anderer Spielereien um die Herumwandelnden zu erfrischen und zu zerstreuen. Wir gingen gerade durch diesen Garten und traten durch ein an- deres Thor, das dem, zu welchem wir oben hereingekommen, gegenüber liegt, in einen langen schmalen Gang, der fast eine ganze Seite der Gebäude einnimmt, die um den innern Blumengarten liegen. Diese Galerie erhält ihr Licht durch kleine runde Fenster. An den Wänden hingen verschiedene Kupferstiche; wie mir schien, waren es Pläne von Festungen oder Schlachten. Lang und schmal, wie dieser Gang ist, möchte ich ihn die Lebensader des Serails nennen; aus ihm strömen die, freilich bösen Säfte, welche das ganze Getriebe des Haremwesens in Leben und Kraft erhalten, denn zu ebener Erde wohnen hier die Eunuchen, die barbarischen Wächter der Weiber und die privilegierten Angeber der Vergehen, die sich jene zu schulden kommen ließen oder die ihnen nur angedichtet wur- den. Schrecklich wirkte die Anklage aus dem Munde eines Verschnittenen, fast gleich, ob sie die Sultanin oder die geringste Zofe traf. Aus diesem Gange traten wir links in die Galerie der Kupferstiche und kommen aus ihr in die eigentliche Wohnung des Sultans, zuerst in den sogenannten persischen Saal der Hängeleuchter, ein wirklich heimliches reizendes Gemach. Die Divans rings an den Wänden sind 2 |3 mit geschnittenem Sammt überzogen und große prächtige Spiegel, einst von den Ruffen zum Geschenk dargebracht, bedecken die Wände. Die Fenster dieses Saales, von außen durch rankende Pflanzen und Rosengebüsche fast unsichtbar, gewähren dennoch eine reizende Aussicht auf den Blumen- garten – hier möchte ich auch als Sultan ruhen, die lange Pfeife in den Händen und stundenlang gedankenlos in den Garten schauen, auf den Flor der Blumen und Mädchen meines Harems, oder mich in dem klaren Waffer spiegeln, das vor meinen Fenstern ein schönes Marmorbecken füllt. Wie oft mag der Beherrscher der Gläubigen da hinabgeschaut haben und die tanzenden Rosenblätter auf dem Waffer waren ihm seine Flotten, die er in Gedanken hinaus fandte in die Welt, um neue Länder zu erobern – bis ihn ein weißer runder Arm aus diesen Träumereien weckte, um ihn in andere füßere zu versenken. Hier dieses Wafferbecken war es viel- leicht, wo Sultan Ibrahim auf feine Lieblingsweise mit seinen Weibern und Kindern scherzte, indem er sie aus dem Fenster des Gemaches entkleidet in das Marmorbecken warf und eine Zeitlang darin herumplätschern ließ, ehe er den umstehen- den Sklaven den Befehl gab, sie wieder herauszufischen. Durch ein Bad des Sultans Abdul-Hamids traten wir aus dem persischen Saal in die Bibliothek Selim III.; zwei prächtige Zimmer, ein kleineres mit Bücherschränken, nach Hammer die Handbibliothek Selims, Geschichtsschreiber und Dichter, durchgängig Prachtexemplare, durch Schöne der Schrift ausgezeichnet. Das größere hat einen ganz goldenen Plafond, von welchem Körbe mit künstlichen Vögeln herunter- hängen, die dem ruhenden Gebieter etwas vorsingen. Uns mochten sie nicht für würdig halten, ihre Stimmen ertönen zu laffen und uns zu unterhalten; denn sie waren stumm wie alle diese zauberhaften Räume. An den Wänden des Gemachs hingen prachtvolle, meistens alte Waffen, reich mit 214 Gold und Edelsteinen besetzt, Dolche, Pistolen, Säbel, Bogen und Köcher. In der Mitte auf einem prächtigen Bodenteppich stand ein großes Kohlenbecken (Mangahl). Wir sahen in diesem Privatzimmer rings auf allen Divans herum, ohne zu finden, was wir suchten; denn hier lag, wie Herr von Hammer erzählt, die große Brieftasche des Sultans, aus gelbem Leder mit Silber gestickt, eine ähn- liche, wie ihm bei festlichen Gelegenheiten von einem der Kronbeamten vorgetragen wird. Jetzt war sie nicht mehr da; wahrscheinlich hat die Sultan Abdul Medschid mit nach Beschiktasch genommen, wo er jetzt gerade wohnt; denn die Großmächte werden ihm so viel zu notieren geben, daß er vermuthlich feines ganzen Brieftaschen-Vorraths bedarf, um fich. Alles gehörig zu merken. - Eine Thüre von vergoldetem Schnitzwerk führt aus dem Zimmer des Herrschers zurück in den Theil des Blumen- gartens, der der Hyazinthengarten heißt. Die Gärten des Serails, so wie die Privatwohnung des Sultans hatten wir nun gesehen und unser schwarzer Begleiter führte uns quer durch den Garten zu einer andern Thür, wo ich im ersten Augenblick nicht im Stande war, mich trotz der genauen An- gaben Hammers zu orientieren. Wir traten in einen Gang, an dessen Ende sich ein anderes großes Thor befand, und erst, als uns der Schwarze jenes als das Top-Kapu – Kanonenthor bezeichnete, wußte ich, daß wir uns in dem Gang befanden, der das Haremlik, Wohnung der Weiber, vom Selamlik, Begrüßungsort oder Wohnung der Männer, scheidet. Zur linken Hand gingen wir eine Stiege hinauf und kamen in den großen Tanz- und Theatersaal, der durch Stufen in zwei Hälften getheilt wird, und hierdurch eine Gestalt wie unsere Theater erhält. Hier wird der Beherr- scher der Gläubigen von feinen Frauen und Odalisken mit Tanz und Gesang unterhalten, die sich aber sonderbar genug 2 (5 im untern Theile des Saals, ich möchte ihm zum Vergleich das Parterre nennen, befinden, wogegen der Sultan oben auf der Bühne sitzt und dem Ballette zusieht. Auch befindet sich hier ein vergittertes Geländer, hinter welchem er zuweilen mit einer Favoritin verborgen ruht und sich so auf verschie- dene Weise amüsiert. Der ganze Saal ist mit den prächtig- sten Spiegeln von Crystal und Agat geschmückt und muß bei Lampenschimmer und Musik, so wie bei den flatternden gestickten Kleidern der üppigen Tänzerinnen einen feenhaft zauberischen Anblick gewähren. Jetzt lag der weite Saal ruhig und still, nichts regte sich, selbst unser redseliger Führer verstummte und nahte sich leise auftretend einer Thür, die der, zu welcher wir hineingetreten, gegenüber lag und über welcher die Inschrift stand: Sie werden hereintreten von allen Thüren. denn dort fängt der Harem an, und aus dieser Pforte er- scheinen die Sultaninnen mit ihrem Gefolge vor dem Herrn, bald um ihn zu erheitern, freudig und munter auf die Töne der Cither lauschend, bald um vor fein erzürntes Antlitz zu treten und dicht in ihre Schleier verhüllt, stumm und trostlos; dann unterbrechen keine Muffikklänge die dumpfe Stille, ein Gewitter ist im Anzug, des Gebieters Auge schleudert Blitze und drunten donnern die Wellen des Meeres an die Mauern, als verlangten sie stürmisch ein Opfer. Ehe wir den Harem betreten, möchte ich gern einige erklärende Worte über dieses innere Hauswesen der türkischen Herrscher vorausschicken. Der Sultan hat sieben rechtmäßige Frauen, wahrscheinlich fieben als heilige Zahl, wovon jede ihr eigenes Gemach – Oda – und so viel Zofen, dienende Weiber und Mägde hat, als der Sultan will, von denen er jede einzeln nach einem Belieben zur Bettgenoffin erklären kann. Diese dienenden Mädchen, von dem Worte Oda, 2 |6 die Kammer, Odaliken oder Odalisken genannt, was dem- nach so viel bedeutet als unser Name Frauenzimmer oder Kammermädchen, sind dazu bestimmt, ihr ganzes Leben lang niedere Dienste zu thun, wenn sie nicht das Glück haben, dem Sultan, ihrem Herrn, zu gefallen und vielleicht durch eine Schwangerschaft aus der dienenden Claffe emporgehoben werden. In diesem Falle tritt die Glückliche nicht nur in den gleichen, sondern noch in einen höhern Rang als der der sieben Frauen, die dem Sultan vielleicht keinen Erben geboren haben und erhält den Namen Sultanin Chaffeki; beschenkt sie ihren Herrn noch gar mit einem Prinzen, der sein Nachfolger wird, so kann sie es bis zum höchsten Range im Harem, zur Sultanin Valide, Mutter des regierenden Sultan’s, bringen und beherrscht nicht selten von den Polstern ihres Gemaches den Sultan und das Land. Die andern Odalisken, denen kein solches Glück zu Theil wird, fühlen sich in der Regel in ihrer Sklaverei nicht unglücklich und die des Sultans sind wenigstens froh, diesem zu dienen und nicht vielleicht in den Harem irgend eines Paschas oder gar in das eines obersten Verschnittenen gekommen zu feyn; denn auch diese haben einen Harem, der sogar, wie ich aus einer glaubwürdigen Quelle erfuhr, öfters aus Weibern und Knaben besteht; doch versteht sich von selbst, daß dieser Harem nur zum Staate gehalten wird, wie dieses im Morgenlande von der ältesten Zeit her üblich ist. So war nach der geschicht- lichen Ueberlieferung der Araber, Perfer und Türken, Putifar der Oberschatzmeister des Pharao ein Eunuche, und seiner Gemahlin, Suleicha, brennende Liebe für den schönen Juffuf erscheint dadurch in milderem Lichte. * Im Allgemeinen muß man nicht glauben, daß sich die dritte und vierte Frau eines Türken deshalb unglücklich fühle, weil sie die dritte oder vierte ist; im Gegentheil ist sie ent- * Hammer, Gesch. d. o. R. V. Th. 217 zückt darüber, denn ein Mann, der schon drei Weiber hat und sie zur vierten nimmt, muß von ihren Reizen bezaubert feyn, und dieselben höher halten, als die feiner andern Weiber. Die liebsten Träume unserer Mädchen sind, einstens einen Mann zu bekommen und die der Türkinnen, als Frau oder Odaliske zu einem Mann zu kommen. Ländlich, fittlich. Und da letztere keine großen Ansprüche machen, warum sollten sie nicht glücklich feyn. Ein Divan, um sich darauf bequem zu legen, etwas Spielzeug wie das unserer Kinder, und sonstige Kleinigkeiten, um sich die Zeit angenehm zu vertreiben, ein Springbrunnen, defen Plätschern sie ein- schläfert – Herz, was verlangt du mehr? Aus dem Theatersaal treten wir in einen langen dunkeln Gang, und find im eigentlichen Harem. Hier im obern Stockwerk wohnen die Frauen des Sultans in kleinen Gemächern, in denen sich Divans und Ruhebette befinden. An den Wänden find zierlich geschnitzte Schränke von ver- goldetem Holz mit kleinen Spiegeln eingelegt oder von hartem dunklem Holz mit Perlmutter verziert, in welchen die Damen ihre Schmucksachen, Kleider und das Toilettengeräth aufheben. Eine Verzierung der Wände, die man in diesen Gemächern am häufigsten antrifft, ist die Person beschreibung des Propheten mit Perlmutterschrift meist auf himmelblauem Grunde ein- gelegt. Sie ist auf jeder Wand einige Mal, so daß man sie beständig vor Augen hat. Herr von Hammer sagt hierüber: Der Text dieser Beschreibung, der auch auf den von Frauen getragenen Gürteltalismanen häufig vorkommt, vertritt hier die Stelle des gemalten Porträts, das der Islam verwehrt, und schwebt den Sultaninnen als Schönheitsideal vor, um durch die wiederholte Lesung derselben das Bild des Propheten im höchsten Glanze der Schönheit und Vollkommenheit ihrer Einbildungskraft, und durch dieselbe dem Unterpfand der Liebe in ihrem Schoofe einzuprägen. Diese Inschrift vertritt 218 also in den Gemächern schwangerer Sultaninnen die Stelle der Statuen des Apollo von Belvedere, oder der mediceichen Venus, welche zu diesem Behufe in europäischen Schlafge- mächern aufgestellt seyn könnten. In Perlmutter eingelegt, hat sie die Bestimmung, die lesende Sultanin zur Perle der Mütter zu erheben, und deshalb findet sie sich hauptsächlich auch in dem Gemach der Sultanin Valide, der Mutter des regierenden Sultans, welche dem plastischen Segen derselben vielleicht die Ehre ihres gegenwärtigen Hofstaats und An- sehens verdankt. Diese talismanische Person beschreibung lautet folgen- dermaßen: „Es ist kein Gott als Gott, und Mohamed ist Gottes Prophet; der Vortrefflichste war braun und weiß zugleich; mit langen dünnen Augenbraunen; glänzend von Angesicht; in voller Reife des männlichen Alters; dunkelaugig; von ehrwürdiger Stirne; kleinen Ohren; gebogener Nase; mit von einander getrennten Zähnen; runden Gesichtes und Bartes; langhändig; feinfingerig; von vollkommenem Wuchse; ohne Haare auf seinem Bauche, ausgenommen eine Linie von der Brust bis zum Nabel, und zwischen feinen Schultern das Siegel des Prophetenthums (ein großes Muttermahl), worauf geschrieben stand: Wende Dich wohin du willst, so folgt dir der Sieg.“ Im untern Stockwerk wohnen die Odalisken oder Sklavinnen, deren Anzahl unbestimmt, aber meistens sehr groß ist, in langen großen Sälen, wo jedesmal ein paar hundert zusammen schlafen oder vielmehr zusammen eingesperrt werden; denn an beiden Seiten dieser Säle find zwei Stiegen, die, sobald die Odalisken sich auf Befehl ihrer Aufseher zurückgezogen haben, durch große schwere Fallthüren und eiserne Riegel verschloffen werden. Diese Gemächer sind nicht fehr brillant eingerichtet, ungefähr wie die Cafernen- 219 stuben bei uns. Mehrere dieser Sklavinnen haben jedesmal zusammen einen kleinen Kasten, der blau oder roth ange- strichen ist. Diese Behälter, in denen sie ihre Habseligkeiten bewahren, stehen einander in zwei Reihen an den langen Wänden des Saals gegenüber und laffen in der Mitte einen Gang frei. An den Fenstern befinden sich breite Divans, auf denen stets fünfzehn bis zwanzig Odalisken zusammen schlafen. Durch den Gang, an dem die Gemächer der Sulta- ninnen liegen, gehen wir zurück in den Theatersaal und auf der Stiege, wo wir hinaufgegangen, wieder hinab in den Gang am Kanonenthor, auf defen anderer Seite wir zur ebenen Erde noch die Gemächer und Bäder der Sultanin Valide sahen, die fast ebenso eingerichtet sind, wie die Wohnungen der Sultaninnen. Dann stiegen wir noch in den obern Stock des Haremliks über der Wohnung der Sultanin Valide, wo sich die Staatsgemächer des Sultans befinden: der Thronsaal, der Audienzsaal und prächtige Bäder. Der schon stark hereinbrechende Abend erlaubte uns nicht, die Säle genauer zu besehen. Wir gingen noch durch eine schmale sehr schöne Gallerie in den sogenannten Marmor- kiosk, von Sultan Selim erbaut, und ließen uns hier einen Augenblick am Fenster nieder, von wo uns die letzten Lichter des Tages noch eine prachtvolle Aussicht auf die Propontis, den Bosporos und das goldene Horn gewährten. „Indeffen war die Sonne schlafen gangen.“ Die Wellen färbten sich dunkler; einzelne Kaik zogen langsam vorüber, Handwerker und Kaufleute aus den jetzt verschloffenen Bazars nach ihren Häusern in Pera, Galata und Skutari bringend – die Abenddämmerung stritt sich noch mit den Lichtern im Leuchtthurm und hielt sie wie mit einem Nebel überzogen, den der Schein der Lampen noch 220 nicht durchdringen konnte. Unser Führer raffelte laut mit seinen Schlüffeln, uns an den Abschied mahnend. Wir traten durch das Kanonenthor ins Freie, und fanden glück- licherweise noch einen Kaikschi, der uns übersetzend einen langen Umweg über die neue Brücke ersparte. Oefters blick- ten wir zurück zu den dunklen Maffen der Paläste und Bäume, die uns gleich einem verschwindenden schönen Traume mit jedem Ruderschlage undeutlicher wurden und weiter zu- rücktraten. – Ja, es war mir wie ein Traum, denn ich hatte in den Paar Stunden so viel Schönes und Wunder- bares gesehen, daß das Herz es nur wie Traumgestalten in undeutlichen Umriffen auffaffen konnte, und ich fürchte, ich habe es hier so wiedergegeben. II. Von der Landseite. Die Erlangung eines Fermans, um in das neue Serail von der Landseite bis zum Thore der Glückseligkeit zu dringen, ist leicht, Herr von C. verschaffte ihn uns, und wir zogen am andern Morgen aus, auch dies Denkmal alter und neuer Baukunst zu besehen. Durch eine Menge schmutziger Gaffen und armseliger Stadtviertel, die wir bisher noch nicht betraten, kamen wir bei dem Portal der Aja Sophia vorbei und traten auf einen kleinen, unregelmäßigen Platz, der von dieser und den Mauern des neuen Serails umschloffen wird, den Serai Meidan. In der Mitte desselben steht eines der vielen zierlichen Brun- nenhäuschen, die man überall findet, und hier quillt das beste Waffer der ganzen Stadt, weßhalb auch täglich viele silberne Flaschen voll zum Gebrauch des Großherrn davon geschöpft werden. Fast mehr wie alle andere Plätze Con- stantinopels hat dieser eine denkwürdige Geschichte zu erzählen. Hier war früher das Forum Constantini, einer der größten 221 Plätze des alten Byzanz; jetzt ist er fast ganz verschwunden, und die Häuser find nach und nach zusammengerückt, den merkwürdigen Boden bedeckend, und haben alle Spuren der prächtigen Bauwerke und Bildsäulen verdrängt, die hier ge- fanden. Etwas weiter zurückgehend kommen wir an eine kleine Fontaine, die in einem Winkel zwischen den Häusern liegt, die wir unbeachtet hätten liegen laffen, wenn uns nicht die Geschichtsschreiber von diesem armseligen Brunnen erzählt, daß hier der Mittelpunkt des Forums gewesen sei, wo sich auf einer steinernen Unterlage von sieben Stufen die große Säule erhob, die so häufig ihre Statuen wechselte. Hier stand das silberne Bild des Kaisers Theodosius; Justi- nian stürzte es um und stellte auf einer Porphyrsäule feine eigene Statue zu Pferde aus Erz gegoffen dahin. Das Pferd hob den linken Vorderfuß, als ob es schlagen wollte; die drei andern fanden auf dem Postamente. In der linken Hand trug die Statue die Erdkugel mit dem Kreuze und streckte die rechte Hand drohend und herrschend gegen Osten aus, die Herrschaft des Kaisers über das Morgenland an- zudeuten. So fand diese Bildsäule noch, als Muhamed, der Eroberer, über die Leiche des letzten Constantins hinweg in die Stadt drang. Doch nicht damit zufrieden, bloß Sieger zu sein, schnitt man diesem letzten unglücklichen Kaiser das Haupt ab und Muhamed ließ es höhnend vor die Füße dieser Statue rollen; ein Hohn, defen Tiefe nur dann ganz gefühlt werden kann, wenn man weiß, daß den östlichen Triumphatoren der Siegeswunsch zugerufen wird: „daß sie die Köpfe ihrer Feinde unter die Hufe ihrer Pferde treten sollen.“ So werden noch heute in Persien bei öffentlichen Einzügen der Fürsten und Statthalter Kugeln und Flaschen unter die Füße des Pferdes unter dem Zuruf: „So sollst du die Köpfe deiner Feinde zertreten!“ geworfen, ebenso wie an 222 den Thoren des neuen Serails die Köpfe der aufrührerischen Paschas zu den Füßen des einreitenden Sultan's rollen. Zur linken Seite des Serai Meidani erheben sich die Trümmer der sogenannten Hohen Pforte, eigentlich der Palast des Großvezirs, worin die wichtigsten Angelegenheiten des Staates berathen wurden. Bei dem letzten großen Auf- stand der Janitscharen und bei einer großen Feuersbrunst vor einigen Jahren ist er größtentheils zerstört worden und jetzt unbewohnbar. Von hier aus gingen die Minister der Sultane täglich zu ihrem Herrn durch das Thor der Glückseligkeit, das ihnen indeß öfters zu einem Thor des Todes wurde. So blieben z. B. die Minister Sultan Selims kaum einen Monat im Amte, und es war damals eine bei den Türken übliche Verwünschungsformel: „Mögest Du Sultan Selims Vezir fein!“ Von einem derselben, dem Großvezir Piribascha, erzählt Hammer, daß, als er eines Tags einen gestrengen Herrn bei guter Laune fand, er es sich als eine Gnade ausbat, wenn ihn der Sultan wolle hinrichten laffen, möge er es ihm doch wenigstens einen Tag vorher sagen, damit er sein Testament machen könne; worauf ihm Selim lachend erwiderte, offenherzig gestanden ginge er schon lange mit dem Gedanken um, ihm den Kopf ab- schlagen zu laffen, und er würde gern eine Bitte erfüllen, wenn er nur gleich einen Andern hätte, den er an seine Stelle setzen könnte. Durch die kaiserliche Pforte, ein hochgewölbter Thorweg, an dem zu beiden Seiten die verdächtigen runden Steine stehen, auf denen die Köpfe der Enthaupteten zur Schau ausgestellt wurden, traten wir in den ersten Hof des Serails. Hier werden die Wachen von gewöhnlichen Thorwächtern, Kapitschi, gethan, doch haben sie nicht mehr ihr früheres Kostüm, sondern sind wie die Kawaschen der Gesandten ge- kleidet, im blauen Ueberrock, das Feß auf dem Kopfe und 223 um den Leib zwei Taschen geschnallt, in denen Pistolen stecken. In diesem ersten Hofe befindet sich links die im Jahre 1726 erbaute neue Münze, die massiv in Steinen auf geführt wurde: aus dem von einem türkischen Geschichts- schreiber angeführten Grunde, um den anziehenden fremden Gesandten durch den Anblick dieses steinernen Gebäudes einen vortheilhaften Eindrnck beizubringen. Neben der Münze ist die alte Kirche der heiligen Irene, jetzt das Zeughaus des neuen Serais. Es ist ungefähr eingerichtet wie die unsrigen, nur daß die aus Säbeln, Pistolen und Flinten zusammenge- stellten Pyramiden und andere Figuren sehr geschmacklos find. Die Gänge bestehen aus Mosaikpflaster von kleinen Kieselsteinen. Einige merkwürdige alte Waffen sollen sich hier befinden, unter andern die Rüstung des sorbischen Für- sten Milosch Kobilovich, der den Sultan Murad d. Großen in der Schlacht auf der Ebene von Koffova in einem eigenen Zelte ermordete. An den Wänden hingen eine Menge Sonder- barer Helme und Pickelhauben, wahrscheinlich in früherer Zeit in den Kriegen mit den Tartaren und Mongolen er- beutet. Auch zeigte man uns Harnische aus den Zeiten der Kreuzzüge, doch da es hier nicht wie bei uns in derartigen Anstalten einen Führer gab, um uns diese Sachen zu er- klären, so mußten wir viele gewiß merkwürdige Stücke un- beachtet laffen. Etwas, dessen Gebrauch der uns begleitende Artillerieoffizier erklärte, waren in einem besondern Gemach aufgestellte große Schwerter, die der edle Türke mit inniger Freude herumschwang, um uns anzudeuten, daß sie zum Kopfabschlagen dienten. Auf der rechten Seite des ersten Hofes befinden sich das Krankenhaus, die Kasernen der Baltadschi – Hausknechte des Serails – und vor diesen Gebäuden ist ein freier, mit Rasen bedeckter Platz, wo sich die Pagen des Serails am dritten Festtage des Beyrams in Gegenwart des Sultans im 224 Werfen des Dscherids üben. Nachdem wir diesen Hof durch- wandert, kamen wir an ein Thor, welches in den zweiten Hof führt und das Mittelthor, auch Orta-kapu, heißt. Rechts vor dem Eingang dieses zweiten Thores ist der große be- rühmte Mörfer, in welchem, wie die Sage erzählt, die zum Tode verurtheilten Muftis oder Rechtsgelehrten zerstoßen wurden. Wenn schon das kaiserliche Thor, zu welchem wir in's Serailge- treten, durch die rechts und links aufgestellten blutigen Köpfe auf den Eintretenden einen unangenehmen Eindrnck machten, fo nahte sich doch jeder, den seine Pflicht in diese Höfe rief, mit größerer Angst dem Mittelthore; denn unter diesem ist das Gemach des Henkers. Hier wurden die Beamten des Reichs, die Vezire und Pascha's, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten, oder wenn es der bösen Laune ihres Gebieters gerade so gefiel, von den Henkersknechten ergriffen, enthauptet oder in das am Ufer des Hafens befindliche Gerichts-Kiosk gebracht, wo sie durch bereit liegende Schiffe in die Ver- bannung geführt wurden. Eine der Hausordnungen des Serails ist, daß jeder, selbst die höchsten Würdenträger des Reichs, so wie die fremden Gesandten und Botschafter, hier bei einem aufgerichteten Steine, der, Binek Taschi – Vor- theil der Reitschule – heißt, vom Pferde steigen muß und zu Fuß in das Mittelthor gehen. Dieser Gebrauch ist wahr- scheinlich deswegen hier eingeführt, damit keiner der Unglück- lichen, die unbewußt des Schicksals, das ihrer harrt, in diesen Thorweg treten, beim Anblick der Henker den Ver- fuch machen kann, fich durch die Schnelligkeit eines Pfer- des zu retten. Ein anderer unangenehmer und demüthigender Gebrauch für die fremden Gesandten war es, daß sie sich eine Zeit lang am Thore dieses Henkergemachs ohne Stuhl und Sitz aufhalten mußten. Von dem Mittelthor gingen wir auf einem gepflasterten 225 und mit Bäumen besetzten Wege nach dem Eingange des dritten oder innersten Hofes des Serails – Babi feadet – Thor der Glückseligkeit genannt, an dem weiße und schwarze Verschnittene die Wache halten. Diese sind noch mit dem Kaftan bekleidet und haben auf dem Kopfe eine spitzige Mütze mit einem Busche von Pfauen- und andern glänzenden Federn. Auf der rechten Seite dieses zweiten Hofes sind neun verschiedene Küchen für den Sultan, die Sultanin Chaffeki und Valide, den obersten schwarzen und weißen Verschnittenen, Kislar Agassi und Kapu Agassi, den Schatz- meister und Präfect des Serails. Gegenüber diesen Küchen find die Zuckerbäcker und Sorbetbereiter des Serails. Vor diesen Küchen wurden an Audienztagen große Schüffeln mit Pillau aufgestellt, auf welchen die in dem Hofe sich befinden- den Janitscharen auf ein gegebenes Zeichen beim Eintritt der fremden Gesandten rasch losstürzten, was als ein Beweis ihrer Zufriedenheit angesehen wurde. Waren diese über- müthigen Knechte jedoch mit dem Sultan selbst oder irgend einer fremden Macht unzufrieden, so blieben sie stehen und rührten die Gerichte nicht an. Darauf wurden sie ausge- zahlt, wobei die Schatzmeister viel mit ihren Geldsäcken klapperten, um den Gesandten einen guten Begriff von dem Reichthum des Großherrn beizubringen. Sobald dieselben auf diese Art der Speisung und Ablöhnung beigewohnt, wur- den sie bis vor das Thor der Glückseligkeit geführt und der Großvezier suchte bei dem allerhöchsten Steigbügel um die Gnade nach, „ob der fremde Gesandte, nachdem er gespeist und gekleidet worden, seine Stirne in den Staub der Füße sultanischer Majestät reiben dürfe.“ Die Andeutung des ge- speist und gekleidet kommt daher, daß der Gesandte in einem Gebäude rechts am zweiten Hofe mit dem Großvezir an einem kleinen runden Tische einiges Backwerk genoß und ihm darauf, damit er würdig vor dem Auge des Sultans erscheine, Hackländer, R. in d. O, I. 15 226 ein Ehrenkaftan umgehängt wurde. Nach diesen Ceremonien öffnete sich das Thor der Glückseligkeit und der Gesandte wurde in den Audienzsaal geführt, wo zwei Kämmerer eine Arme faßten, ihm mit ihren Händen den Kopf nieder- drückten und auf eine so handgreifliche Weise zu einer Verbeugung zwangen. Auch wir gelangten bis hinter das Thor der Glückseligkeit und in den Audienzsaal. Dies ist ein nicht sehr großes, mit Teppichen belegtes Gemach; feine Wände sind mit goldgestickten Stoffen bekleidet und hie und da mit Figuren, aus gefaßten Edelsteinen bestehend, verziert. Der Thron ist ein kleiner Divan, über dem vier mit Edel- steinen besetzte Säulen einen Baldachin tragen. Das Gemach hat nur ein einziges vergittertes Fenster, das kaum so viel Licht hereinläßt, um die kostbaren Stickereien der Wände und die blitzenden Juwelen zu unterscheiden. Hinter diesem Audienzsaal fangen die Gebäude des inneren Winterharems an, wohin bis jetzt außer Aerzten noch kein Europäer gedrungen ist. Auch wir mußten hier um- kehren, nachdem wir noch zuvor einen neugierigen Blick aus dem Fenster dieses Saales in die daranstoßenden Gärten ge- worfen hatten. Doch sahen wir nichts als Gruppen von Platanen und Cypreffen, unter denen die glänzenden Dächer verschiedener Kioske hervorsahen. Alles war da ruhig und still; nur eine kleine Fontaine, die nicht fern von uns ihr Waffer in die Höhe warf, murmelte geschwätzig und hätte uns vielleicht viel erzählen können, wenn wir ihre Sprache verstanden hätten. Das Thor der Glückseligkeit schloß sich wieder hinter uns zu, und wir gingen über beide Höfe zurück durch die kaiserliche Pforte auf den Serai Meidani, um nach Pera zurückzukehren. Schiffbruch des Dampfbootes Seri- Pervas. 15 Abreife von Constantinopel. – Die Stadt im Schnee. – Stür- misches Wetter. – Nebel. – Einschiffung türkischer Soldaten. – Der Seri- Pervas. – Schiffbruch und Tod , ist unser Loos. – Unglück des Dr. B. – Heftige Bewegungen des Schiffes. – Unser Nachtrabe. – Seesturm. – Schiffbruch. – Das Verdeck. – Ver- fuche zur Rettung. – Unglücksfälle bei derselben. – Das Dorf Armudköi. – Pillau mit Seife. – Räubereien der Türken. – Das Dampfboot Ludovico. Rückkehr nach Constantinopel. Alter Stürmer – angestimmt! Braufe durch die Wellen. Daß mein Fahrzeug flüchtig schwimmt, Laß die Segel schwellen. Rüttle nur den guten Mast, Wir sind wohl geborgen, Wir Matrosen ohne Raft Sind auch ohne Sorgen. Graf Alexander von Württemberg. Now would I give a thousand furlongs of sea for an acre of barren ground; long heath, brown furze, any thing. The wills above be done! but I would fain die a dry death. S. ha ksp e a r e. The tempest. - Je näher der Zeitpunkt heranrückte, auf den wir unsere Abreise von Constantinopel bestimmt – es war gegen Ende November – um so häufiger forschten wir bei unsern Be- kannten herum, ob die durch den Krieg mit Mehemed Ali gestörte Communication zwischen der europäischen Türkei und Syrien nicht wieder hergestellt wäre. Obgleich wir nun von Tag zu Tag mit der Nachricht vertröstet wurden, es könne nicht mehr lange anstehen, daß die Dampfschiffe des Loyd, die früher zwischen Alexandrien, Jaffa, Beirut und Constantinopel fuhren, ihre Touren wieder beginnen würden, so war doch all unser Spähen vergebens. Es kamen und gingen wohl viele Dampfboote, 230 aber entweder waren sie von der Donaugesellschaft und kamen von dem schwarzen Meere her, um dahin zurückzukehren, oder es erschienen englische Dampfregatten, die den Mittag ein- liefen, ihre Depeschen so rasch wie möglich wechselten und oft, ehe wir noch Zeit gehabt hatten, uns nach ihnen zu erkundigen, wieder nach Beirut, wo sich die Flotten befanden, zurückkehrten. Um den Weg zu Land durch Kleinasien nach Syrien zu machen, hätten wir, besonders unter den jetzigen Zeitverhältniffen, gewiß an zwei Monate gebraucht, und dazu obendrein noch einen äußerst unangenehmen und beschwerlichen Marsch gehabt. So waren wir wirklich wegen unters Fortkommens von Constantinopel in einiger Verlegenheit und unterhielten uns eines Abends ziemlich mißmuthig von diesen Hindernissen. Wir warteten mit dem Effen auf unsern lieben Reisegefährten, den Oberflieutenant Philippowich, den seine Geschäfte im östreichischen Gesandtschaftshôtel heute etwas länger als ge- wöhnlich zurückhalten mochten, als derselbe plötzlich mit dem freudigen Ausruf in die Stube trat: „Meine Herren, es ist eine sehr günstige Gelegenheit da, um uns nach Beirut zu schaffen.“ Wir sprangen ihm überrascht entgegen und hörten von ihm, daß die türkische Regierung von der öst- reichischen Dampfschifffahrtsgesellschaft ein Boot gemiethet habe, um fünfhundert Mann türkischer Infanterie nach Beirut zu bringen. Diese Soldaten wurden natürlich mit ihren Offizieren auf dem Verdeck placiert und für den Oberstlieu- tenamt, so wie für den Grafen Szechenyi, der ebenfalls noch etwas von dem Feldzug in Syrien genießen wollte, hatte man die Damenkajüten bestimmt, und uns würde man, wie der Oberstlieutenant glaubte, da in den Kajüten noch Platz genug sey, die Ueberfahrt ebenfalls gerne bewilligen. Da die Abfahrt auf übermorgen Abend bestimmt war, traf der Baron am folgenden Morgen gleich alle Anstalten, um bei den betreffenden Behörden die Erlaubniß zur Mitfahrt zu 231 erhalten, was ihm bei den vielen Bekanntschaften und Em- pfehlungen, die er hier hatte, nicht schwer wurde. - Jetzt wurde gepackt und unser Reisegeräthe gemustert, wobei sich vieles Schadhafte von unserer türkischen Landreise her vorfand, was noch heute repariert werden mußte. Auch hatte jeder noch kleine Einkäufe zu besorgen, die wir unkluger Weise bis auf den letzten Tag verschoben hatten, weshalb wir noch einmal durch den größern Theil des Bazars laufen mußten, um verschiedene Artikel, die uns noch fehlten, zu- sammen zu suchen, eine beschwerliche Tour, da sich oben- drein der Himmel diesen letzten Tag unfreundlich erwies. Während unsers ganzen Aufenthalts in Constantinopel hatten wir das herrlichste Wetter von der Welt; doch heute am 1. December änderte sich die Temperatur so bedeutend, daß der Thermometer, der sich immer zwischen fünfzehn und siebenzehn G. R. über Null gehalten hatte, in der Nacht plötzlich auf zwei G. R. unter Null herabsank. Auch hatte sich gegen Morgen ein heftiger Wind erhoben, der uns ein lustiges Schneege- stöber brachte, das im Lauf des Tages Häuser und die um- liegenden Berge mit einer dünnen weißen Decke überzog, für Constantinopel gewiß ein seltenes Schauspiel. Von unserer guten Wirthin, der Madame Balbiani und ihren liebenswürdigen Kindern, die uns nicht wie Fremde, sondern wie Hausgenoffen und Verwandte behandelt hatten, nahmen wir den herzlichsten Abschied und stiegen nach Top-Chana hinunter, wo das Dampfboot – es war der Seri Pervas – Schnellläufer – in der Mitte des goldenen Horns vor Anker lag. Nie hatte ich das Waffer in dem sonst so ruhigen Hafen in solcher Aufregung gesehen, die kleineren Kaik verließen das Ufer und bargen sich zwischen die Häuser und größeren Schiffe ; nur einige der größten waren noch da, die aber von den bewegten Wellen so in die Höhe geworfen und hin und her geschaukelt 232 wurden, daß es uns erst nach langer Anstrengung gelang, unsere Effekten, als Koffer, Mantelsäcke 1c. in zwei derselben zu bringen. Wir ruderten nach dem Schiffe und fanden draußen die Bewegung der Wellen noch ungleich stärker, als am Ufer, so daß wir trotz der hülfreichen Hand der Matrosen mehrmals von dem Schiffe zurückgeworfen wurden, ehe es uns gelang, die Kaik anzulegen und unsere Effekten hinauf- ziehen zu laffen. Nicht ohne Gefahr folgten wir ihnen nach, da die Boote bald tief unter der Treppe des Dampfschiffes lagen, bald von den Wellen mehrere Fuß hoch hinaufge- schleudert wurden. Das Schiff hatte eben erst einen Kohlenvorrath einge- nommen und noch keinen der Soldaten am Bord. Wir gingen auf dem Verdeck umher und sahen uns zum letzten Mal die schöne majestätische Stadt an, die wir nun und wohl für immer verlaffen sollten. Der Schnee, der wie mit einem weißen Schleier die Kuppeln der Kirchen bedeckte, verlieh dem ganzen Bilde einen eigenthümlichen phantastischen Reiz. Man ist so gewohnt, sich die Moscheen mit ihren schlanken Minarets, so wie die dunkeln Cypreffen nur unter einem heiteren blauen Himmel im heißen Sonnenstrahle zu denken, daß diese orientalische Winterlandschaft mit den darüber hän- genden dichten Schneewolken einen sonderbaren beklemmenden Eindruck auf das Herz machen mußte. Mir war, als fey die ganze Umgebung, Stadt und Hafen, viel stiller, denn sonst, als verwunderten sich neben den Türken, die wirklich erstaunt die weißen Flocken fallen sahen, selbst die leblosen Gebäude und Bäume über den kalten Schleier, der fich über fie gebreitet. Der Capitän, Herr L., der mit großen Schritten auf dem Radkasten umherging und in das wogende Meer hinaus sah, begrüßte uns freundlich, theilte uns aber gleich eine Besorgniß mit, daß wir während der Nacht einen heftigen 233 Sturm haben könnten. Wirklich wurde das Wetter auch von Minute zu Minute unangenehmer; das Schneegestöber mit Regen untermischt begann aufs Neue und heftiger als heute Morgen, wobei sich endlich der Nebel herabsenkte, so daß wir kaum die auf den Masten flatternden Fahnen er- kennen konnten. Der Baron, so wie die östreichischen Offiziere, waren mit ihren Abschiedsvisiten beschäftigt und noch in Pera geblieben, um eine Stunde später als wir an Bord zu gehen. Gegen fünf Uhr lichtete der Seri Pervas die Anker, um nach Skutari zu fahren, wo wir die türkischen Soldaten aufnehmen sollten. Das Meer warf lange flache Wellen, die das Schiff unter so starker Bewegung durchschnitt, daß ich, der ich meine erste Seereise machte, mich schon hier im Hafen kaum auf den Beinen erhalten konnte. Von dem asiatischen Ufer herüber drang, so oft es die heftigen Windstöße er- laubten, eine gräßliche Militärmusik in unser Ohr, deren barbarische Klänge es den armen Soldaten, die in dichten Reihen am Ufer standen, leichter machen sollte, vielleicht für immer von der Heimath, von Weib und Kind zu scheiden. Wir warfen aufs Neue Anker und die Soldaten kamen in großen Booten angefahren. Die Bekleidung dieser Leute war ziemlich gut und warm. Sie hatten dicke Tuchmäntel und über dem Feß noch eine Art Kapuze; dagegen war ihre Ver- proviantiruug um so schlechter, indem sie für die ganze Fahrt, welche gewöhnlich sieben Tage dauert, von Seiten der Re- gierung nur harten Zwieback und Oliven erhalten hatten. So oft eine Schaluppe ihre Ladung bei uns abgesetzt hatte, fingen die Türken gleich an, sich so gut wie möglich häuslich einzurichten. Anfänglich drängte Alles nach der Puppa, Hintertheil, wo der Capitän eiu großes Segel hatte ausspannen laffen, als eine Art Schutzdach gegen den Schnee und den Regen. Die Leute breiteten dicht neben 234 einander Teppiche, deren jeder einen bei sich führte, auf dem Verdecke aus, setzten sich darauf auf die untergeschlagenen Beine und begannen Tabak zu rauchen. Die ganze Ein- schiffung dauerte eine starke Stunde und da man statt fünf- hundert, wie anfangs bestimmt war, sechshundert eingeschifft hatte, war das ganze Verdeck, trotz dem die Menschen ganz dicht gedrängt saßen oder standen, so angefüllt, daß der Capitän sich genöthigt sah, längs der einen Schiffswand Balken und Taue ziehen zu laffen, die einen Gang für die Matrosen bildeten, denen es sonst unmöglich gewesen wäre, so schnell als es der Dienst auf dem Schiffe erfordert, hin und her zu laufen. Schon fing es an dunkel zu werden, und unsere Freunde kamen noch immer nicht; auch wurde das Schneegestöber stärker, der Wind erhob sich mehr und mehr und der Nebel war so dicht geworden, daß man von der Prouva, Vor- dertheil des Schiffes, kaum bis zur Puppa sehen konnte; Umstände, die unsern Capitän veranlaßten, nach einer Be- rathung mit seinen Offizieren einen derselben an's Land zu schicken, um bei dem Pascha, der die Einschiffung befehligt hatte, die Erlaubniß auszuwirken, wegen dem ungünstigen Wetter die Abfahrt bis morgen zu verschieben. Doch um- sonst. Der Pascha, ein brutaler Türke, wollte nichts von Aufschub hören und ließ dem Capitän sagen, das Schiff wäre zur Abfahrt auf heute gemiethet und er solle seine Pflicht thun. Daß unsere Freunde noch immer nicht kamen, setzte sowohl den Capitän wie uns etwas in Verlegenheit. Ersterer ließ aufs Neue die Anker lichten und fuhr mit halber Kraft in einem großen Bogen nach Top-Chana zurück, um das Boot mit denselben, im Fall es sich in dem Nebel verirrt hätte, aufzusuchen. Auch ließ er mehrere Schüffe thun und wir standen an der Puppa und spähten umher. Endlich sahen 235 wir ein Boot mit einer rothen Flagge gegen uns kommen, das die Wellen gewaltig auf- und abwarfen. Bald schwebte es hoch auf einer Woge, bald entschwand es uns gänzlich, und so dauerte es noch eine ziemliche Zeit, bis es anlegen konnte. Als die Freunde wohl behalten an Bord gestiegen waren, ließ der Capitän das Schiff wieder wenden, und eilte mit der vollen Kraft der Maschine in's Marmormeer hinaus. Wir aber stiegen in die Kajüte hinab, um das für uns bereitete Souper einzunehmen. Außer den beiden östreichischen Offizieren, die ich ge- nannt, machte nur noch ein Herr S., östreichischer Dolmet- scher bei der Pforte, die Reise mit uns, so daß wir in den Kajüten Platz genug hatten; besonders da der Commandeur der türkischen Truppen beständig im Hintergrund der Kajüte auf seinem Teppich lag. Alle andere Offiziere, worunter sogar ein Oberstlieutenant und zwei Majors türkischer Wäh- rung fich befanden, waren vorne in der zweiten Kajüte. Bei Tische erschien der Capitän, Herr L., ein sehr liebenswürdiger gebildeter Italiener, für einige Augenblicke mit einem andern Paffagier, den wir bis dahin nicht bemerkt hatten. Letzterer war ein ungemein langer und magerer Mensch, seinem Titel nach Agent der Dampfschifffahrtsge- sellschaft und unser Nachtrabe; denn jeder seiner Reden war entweder eine böse Prophezeihung für die kommende Nacht, oder eine Erzählung über die schlechte Disciplin der türkischen Truppen. So sagte er unter Anderem: man habe für den Truppentransport diesmal ein Dampfboot gewählt, weil schon zweimal der Fall vorgekommen fey, daß die auf gleiche Art an Bord eines Segelschiffs gewesene Mannschaft sich empört, . den Capitän gezwungen habe, sie wieder ans Land zu setzen und als dann desertiert sey; Thatsachen, die wir später bestä- tigen hörten. Bei einem Dampfboot aber, setzte er hinzu, sey dergleichen nicht zu befürchten, indem ihre Scheu vor der 236 Maschine sehr groß wäre und sie den Capitän, der diese zu leiten wife, beinahe für ein übernatürliches Wesen ansähen. Daß es eine ziemlich zügellose und wilde Bande fey, die über unsern Köpfen lagerte, hatten wir schon heute Abend hinreichend Gelegenheit zu erfahren; denn einige attakierten den Kellner, oder vielmehr die Suppenschüffel, die dieser auf unsern Tisch brachte; eine Frechheit, worüber schon Ver- muthungen aufstiegen, was es wohl geben könnte, wenn uns mit diesen sechshundert Menschen an Bord irgend ein Unglück zustieße. Während dem Effen wurde das Schwanken des Schiffes so stark, daß einige Mal die Gläser und Flaschen über ein- ander fielen. Für Einige von uns, worunter auch ich, die zum ersten Mal eine Seereise machten, war dies Wetter sehr geeignet, die fast unvermeidliche Seekrankheit schnell und stark herbeizuführen. Sogar die, welche schon das Meer kannten, machten die ungewöhnlichen Stöße unwohl, und es war komisch zu sehen, wie einer nach dem Andern aufstand und sich an den Wänden festhaltend, um nicht hinzustürzen, fein Bett fuchte. Ich für meine Person hatte das unge- wöhnliche Glück, in Gesellschaft des Oberstlieutenant Phi- lippowich, und des Grafen Szechenyi, ohne unwohl zu werden, bis zu Ende dem Souper tapfer zu sprechen zu kön- nen, obgleich zuweilen Stöße kamen, die unsere Stühle zwei bis drei Fuß vom Tische entfernten. Gegen zehn Uhr stieg ich noch einmal aufs Verdeck, um mich umzusehen; doch vermehrte die ungewöhnliche Finsterniß der Nacht jede Aus- ficht. Das Schneegestöber, mit Regen untermischt, hatte sich verstärkt und wüthete unter den Soldaten, die ohne Dach – das ausgespannte Segel hatte man, da der Wind zu heftig wurde, wegnehmen müffen – auf dem Verdeck dem ganzen Unwetter Preis gegeben waren. Viele dieser armen Menschen waren in die Magazine gekrochen, andere 237 saßen und lagen auf den Treppen herum und überall, wo sie nur das geringste Obdach, fanden. Trotz dem war das Ver- deck noch so überfüllt, daß die Matrosen und Steuerleute kaum ihre Arbeit verrichten konnten, und sie hatten heute Nacht alle Hände voll zu thun. Der Nordwestwind, der uns stark in die rechte Seite blies, so daß das Schiff mit aller Kraft der Maschine feinen Cours kaum halten konnte, wurde von Minute zu Minute heftiger. Auch wogte das Meer immer stärker auf und spritzte leichte Wellen aufs Verdeck, weshalb ich mich so rasch wie möglich wieder in die Kajüte zurückzog. Zum Schlafen hatten wir die Damenzimmer einge- nommen, die aus zwei Kabinetten bestanden, wovon das eine sechs, das andere vier Betten enthielt. Außerdem waren zu beiden Seiten der großen Kajüte noch acht Zimmerchen, jedes mit zwei Betten, woraus man ungefähr auf die ziemliche Größe dieses schönen Schiffes schließen kann. In allen seinen Theilen war es auf das Eleganteste eingerichtet, kurz, ein herrliches schönes Gebäude; doch konnte der Sachver- ständige einen großen Fehler an ihm entdecken, nämlich den, daß die Maschinen von hundertundzwanzig Pferdekraft viel zu schwach waren für den großen Körper des Bootes. Schon bei Uebernahme des Schiffes im vorigen Jahre – es war erst gegen Ende 1839 in Triest vom Stapel gelaufen – hatte unser jetziger Capitän der Dampfschifffahrtsgesellschaft dies Mißverhältniß zwischen Maschine und Fahrzeug aus- einander gesetzt, um sich gegen alle Folgen zu verwahren, zugleich erklärte er, bei seiner jetzigen Construction fey er überzeugt, daß sich das Schiff bei einem starken Sturm nicht gegen Wind und Wellen erhalten könne. Diese kleinen Details gab uns der Nachtrabe mit zu Bette und verließ uns mit einem bedenklichen: Nous verrons, nous verrons! 238 Alles lag schon in den Betten, außer dem Grafen Szechenyi und mir. Ich weiß nicht, ich konnte mich nicht dazu entschließen, in den niedrigen Kasten zu kriechen. Wir saßen auf einem der Sophas in der Damenkajüte und fangen allerlei Lieder, unter andern den Refrain aus dem Liede des Zampa, worauf wir sonderbarer Weise immer wieder zurückkamen und der lautet: „Schiffbruch und Tod – ist unser Loos.“ und trieben das so lange, bis uns die Andern aus ihren Betten heraus ernstlich ermahnten, mit unsern für die jetzigen Verhält- niffe wirklich gottlosen Liedern einzuhalten und den Teufel nicht an die Wand zu malen. Und wirklich war unser Gesang eine böse Vorahnung, für den armen Szechenyi in doppelter Hinsicht; denn nachdem ihn das Meer verschont und er später wieder glücklich Constantinopel erreicht hatte, führte ihn sein Geschick nach Damaskus, wo er an der Pest starb. Unterdessen begab ich mich, nicht ohne viele Mühe, in mein niederes Bett, wobei ich so wenig wie die Andern, an irgend ein Unglück dachte, daß wir uns ganz wie zu Hause ausgezogen hatten, auch heiter und guter Dinge waren. An Schlafen war freilich nicht zu denken, vielmehr mußte man sich mit beiden Händen festhalten, um von den starken Stößen nicht aus dem Bette geschleudert zu werden. Dabei fing das Schiff an, sich auf eine wirklich beunruhigende Art zu bewegen und ganz entsetzlich zu krachen. Bald war die Seite, auf der wir lagen, hoch in der Luft und wir sahen förmlich auf unsere Gefährten hinab, bald stiegen diese und wir befürchteten nur, wenn sie fo über uns schwebten, es möge einer aus seinem Bette fallen, der dann wahrscheinlich ohne Gnade auf uns gestürzt wäre. Je heftiger diese Schwankungen des Schiffes wurden, je stärker wurde das betäubende Getöse und schnitt uns die Worte vom 239 Munde ab. Die Bretter und Balken, aus denen das Schiff gebaut war, dehnten und bewegten sich knarrend und stöh- nend. Kein Stück des Schiffes, kein Tau, kein Holz, kein Metall schwieg, jedes gab einen Ton des Schmerzens von fich; draußen schlugen die Wellen mit einem unglaublichen Gepolter an die Seiten des Schiffes und neben diesem furcht- baren Ernst, den Meer und Wind zu machen schienen, fehlte es unserer Kajüte nicht an komischen Scenen, die Lachen erregen mußten. So öffnete eine Woge die kleine Luke über dem Bette des Oberflieutenant Phlippowoch und goß ihm einen phosphorisch leuchtenden Wafferstrahl hinein, und als er aufsprang, um fein Lager von Neuem zu ordnen, ließ er bei dieser Beschäftigung sein Bett mit den Händen los und rutschte unaufhaltsam bis an die andere Seite des Zimmers. Lange brauchte er darauf, um sein Lager wieder zu erreichen, und fo oft er einige Schritte vorwärts gethan hatte, warf ihn ein neuer Stoß des Schiffes wieder zurück; auch konnte ihm Niemand von uns helfen; denn so wie einer feine Bettwände losgelaffen hätte, würde es ihm ebenso er- gangen feyn. Viel schlimmer noch aber erging es unserm kleinen Doctor B. Ein natürliches Bedürfniß, gegen das er lange angekämpft hatte, zwang ihn jedoch endlich, sein Bett zu verlaffen und ein kleines Gemach zu besuchen, das sich neben unserer Kajüte befand. Nicht ohne große Mühe öffnete er die Thüre desselben, die ein neuer Stoß des Schiffes hinter ihm dergestalt wieder ins Schloß warf, daß beide Klinken davon flogen. Jetzt hörten wir lange Zeit nichts von ihm; doch glaubte jeder, er liege wieder in seinem Bett. Plötzlich schrie uns der Oberstlieutenant mit aller Kraft seiner Stimme zu: er höre neben sich etwas klopfen, könne jedoch nicht begreifen, was es fey. Jetzt fiel mir auf einmal unser Doctor bei. Ich rief seinen Namen, und als ich keine Antwort bekam, 240 sprang ich aus dem Bette und lavierte nach der Gegend hin, wo jene kleine Thüre war. Sie war fest verschloffen und wirklich hörte ich hinter derselben die klägliche Stimme unseres Freundes, mehrere Male ließ ich mich nun mit dem Rücken gegen die Thüre fallen, bis sie endlich zusammenbrach und ich so den armen Doctor aus feinem Gefängniß erlöste. Ihm war es indessen sehr schlecht ergangen. Die bestän- digen Bewegungen des Schiffes hatten ihn in dem kleinen Gemache wie eine Erbse in der Schote herumgeschüttelt und am ganzen Körper braun und blau zerschlagen. Obendrein hatte das Waffer an der Einrichtung dieses geheimen Ge- machs etwas zerbrochen und jede Welle führte einen Strom Waffer hinein, der sich an der Decke brach und dann auf den Unglücklichen herabfiel. Ein Bekannter in Constantinopel hatte uns gesagt: Wenn Sie einstens einen Seesturm erleben sollten, kann es Ihnen ein Zeichen feyn, daß er heftig wird, sobald die Stühle in der Kajüte umherspazieren; und ich dachte jetzt lebhaft an seine Worte; denn nicht nur die Stühle, sondern auch unsere sehr schweren Koffer wanderten förmlich auf und ab. Ich lag in meinem Bette auf den Rücken, und jede Schwankung des Schiffes legte mich so stark auf die Seite, daß ich mich gegen stemmen mußte, um nicht auf das Gesicht zu fallen. Dabei waren diese Bewegungen äußerst langsam und schwerfällig; das Boot legte sich, wie schon gesagt, ganz auf die Seite und blieb einige Secunden so, dann hob es sich als wie mit vieler Mühe wieder auf. Neben dem großen Spektakel, den Wände und Geräthe in unserer Kajüte ver- ursachten, war das Geraffel und Gepolter auf dem Decke noch ungleich toller. Zwei Kanonen hatten sich losgemacht und rollten oben auf und ab, bis sie die Brustwehr durch- stoßen hatten und ins Meer gefallen waren. Dabei schrien 241 und heulten die Soldaten oben wild durch einander; es war eine schreckliche Nacht. „ Von Zeit zu Zeit erschien unser Nachtrabe und brachte schlimme Nachrichten von oben. Gegen zwölf Uhr verkün- digte er uns, die Maschine, welche bei gutem Wetter zwei- undzwanzig bis dreiundzwanzig Rotationen in der Minute machte, brächte jetzt kaum drei bis vier zu Stande und könne das Schiff nicht mehr gegen den mächtigen Nordwestwind halten, und obgleich unser Cours beinahe ganz West sey, würden wir doch allen Bemühungen mit Segeln und Steuer zum Trotz ganz südöstlich getrieben. Hätte uns einer der Schiffsoffiziere diese Nachricht gebracht, so wären wir vielleicht aufgestanden und hätten uns angekleidet, um bei einem etwaigen Unglück gleich bei der Hand zu feyn. Doch da uns jener stets mit bösen Prophezeihungen heimgesucht, blieben wir ruhig liegen, hörten aber doch mit wachsender Unruhe den immer mehr zunehmenden Sturm, so wie das stets heftiger werdende Toten und Klopfen der Wellen gegen die Schiffswände. – Plötzlich schmetterte die hängende Lampe so gegen die Decke des Zimmers, daß sie in kleinen Stücken herabfiel und wir im Dunkeln waren. Ich sprang aus dem Bette, und war kaum im Stande, zur Thüre zu kommen, um zu sehen, ob es möglich fey, ein anderes Licht zu erlangen; doch konnte ich nicht hinaus, indem die Treppe zu unserer Kajüte, so wie der ganze Gang mit türkischen Soldaten bedeckt war. Auch drang mir ein so unangenehmer Geruch entgegen, daß ich wieder zurücktrat und mein Bett suchte. Jetzt aber ward unsere Lage wirklich aufs Aeußerste unan- genehm und beunruhigend. Um uns die dickste Finsterniß, während wir auf eine nicht zu beschreibende Art zusammen- geschüttelt wurden. Der Tisch in der Mitte unseres Zimmers brach und stürzte um, die Wandgetäfel fielen herab, und der künstlich zusammengefügte Boden war aus einander gegangen, Hackländer, R. in d. O. 1. 16 242 so daß man sich bei dem Gehen sehr in Acht nehmen mußte, um nicht in die entstandenen Oeffnungen zu treten und den Fuß zu brechen. Ueber uns vermehrte sich das Poltern der Soldaten und wir hörten ein Getöse, wie von schweren Ketten, die hin und her geschleudert würden. Dazwischen das Rufen und Wehklagen jener Menschen, die gewiß von Sturm und Regen gewaltig litten, und dennoch im Fall eines Un- glücks beffer daran waren, als wir, indem sie sich wenigstens nach Außen regen konnten, während wir so gut wie einge- schloffen waren; ein Gedanke, der für mich diese Nacht der schrecklichste war. Ging das Schiff unter, so konnten wir nicht einmal einen Versuch machen, uns zu retten, und mußten wie in einem Sacke eingeschloffen elend ertrinken. Der Pla- fond unserer Kajüte mußte auch gelitten haben, denn zuweilen drang Waffer von oben herein. Ich für meine Person spürte sehr gut die großen dicken Tropfen, die mir auf meine rechte Hand und den Arm fielen und mich auf dieser Seite in kurzer Zeit durchnäßten. Doch lag ich ganz ruhig und lauschte nur auf das Rauschen der Maschine, das ich von Zeit zu Zeit, doch sehr undeutlich hörte, indem ich bei mir dachte, so lange die Räder gehen, ist dem Schiffe nichts zugestoßen und treibt es noch auf hoher See umher. Man konnte sehr gut hören, wenn der Andrang der Wellen die Räder für eine Minute oder länger gänzlich hemmte; dann wurde das Ventil an der Maschine eröffnet oder öffnete sich von selbst und der Dampf fuhr laut pfeifend mit einer Gewalt heraus, was man trotz des Sturmes deutlich hören konnte. Dies dauerte ungefähr bis vier Uhr Morgens. Da glaubten wir Alle, die Gewalt des Sturmes habe sich ge- legt und jede Gefahr fey vorüber, denn die Schwankungen des Schiffs waren weniger heftig und die Wellen lärmten nicht mehr so gewaltig wie früher; doch nur einige Augen- blicke täuschte uns diese Hoffnung – ein fürchterlicher Stoß 243 von entsetzlichem Krachen des Schiffes begleitet, erschütterte das ganze Gebäude und warf uns in den Betten hoch empor. Der Baron war der Erste, der auf den Boden sprang und mit den Worten: Wir sind gescheitert! das aussprach, was wir kaum zu denken wagten. Vergeblich horchte ich auf das Brausen der Räder, ich hörte nichts als das Heulen des Sturmes. Das Stoßen des Schiffes hatte eine ganz andere Gestalt angenommen; es war nicht mehr das Gefühl, von den Wellen hin und her geschaukelt zu werden, sondern wir fühlten, daß das Boot fest saß und von der Gewalt des Sturmes rechts und links gegen Steine oder Felsen geworfen wurde. Wie wir nun in den ersten Augenblicken rathlos und thatlos dastanden, erschallte die Stimme des langen Agenten durch den Lärmen, der uns durch die Thür zurief: „Messieurs, nous avons échoué au milieu de la mer.“ – Keiner konnte, ohne sich anzu- halten, aufrecht stehen bleiben. Was war zu thun? Jeder wollte sich natürlich so schnell wie möglich ankleiden, um auf das Verdeck zu kommen, weil, wenn das Schiff einen bedeutenden Leck erhalten hatte, oder von der Macht der Wellen zertrümmert worden wäre, man seine Rettung nur vom Verdeck aus hätte suchen können. - Das Erste, was wir thaten, war, zur Thür hinauszu- dringen und uns Licht zu verschaffen. Doch war das wegen der davor liegenden Soldaten keine Kleinigkeit; besonders jetzt, wo auch fie wußten, daß uns irgend ein Unglück be- troffen. Der Oberstlieutenant war der Erste, der unter fie trat, um draußen nach dem Kellner des Schiffs zu rufen. Die Türken umringten ihn augenblicklich und faßten feine Arme und Beine, wobei sie ihm in ihrer Todesangst zuriefen: Effend um Saalam war? – Herr, ist noch Rettung? Er beschwichtigte sie so gut wie möglich, und vermochte fie, 16 244 sich von unserer Thür zu entfernen und den Kellner hinein- zulaffen, der endlich mit zwei Wachskerzen erschien. Nun galt es, aus dem Chaos von Kleidern, Stiefeln, Koffern und sonstigen Sachen das Seinige herauszufinden. Es war eine vollkommene Fischerei, denn wenn man z. B. glaubte, einen Stiefel zu haben, schleuderte ihn ein neuer Stoß des Schiffes in eine andere Ecke. Jeder zog in der Eile an, was er gerade fand, wodurch wir, da unsere Ge- sellschaft aus sehr großen und kleinen Leuten bestand, auf das Sonderbarste costumiert wurden. Wir versuchten auf das Verdeck zu kommen und zu sehen, wo wir feyen und was eigentlich mit dem Schiffe vorgegangen; aber die Türken drängten sich dergestalt auf Treppen und Gängen, daß es nur dem Oberstlieutenant und dem Grafen Szechenyi gelang, hinaufzudringen. Doch konnten sie nicht gleich zur Thür des Kajütenhäuschens hinaus, indem eine der schweren Ketten, die den Schornstein der Maschine hielten, zerriffen war und hin und her geschleudert wurde. Beide mußten deshalb den Augenblick abwarten, wo sie längs der Thür flog und dann hinaus springen. Es war dieselbe Kette, die ich in der Nacht hatte klirren hören und die, wie wir später hörten, sechs Soldaten in der Dunkelheit über Bord geriffen hatte. Natürlich waren die Unglücklichen spurlos verschwunden. Unsere beiden Gefährten kamen nach einigen Minuten zurück und berichteten uns, das Schiff fey allerdings ge- scheitert, doch wo wife man noch nicht. Man hoffe jedoch nicht weit vom Lande. Nach einer Viertelstunde kam der Agent und sagte; der Capitän glaube in der Bucht von Mudania zu seyn und da es zu vermuthen stünde, daß die heftigen Wellen das Schiff, welches zwischen großen Steinen fest sitze, in Kurzem zerschmettern, so mache er Anstalten, die Manschaft auszuschiffen. 245 Wir kleideten uns etwas sorgfältiger und betraten alle das Verdeck, um selbst zu sehen, was für unsere Rettung zu thun fey. Welch einen Anblick bot das Schiff! Ungefähr hundert fünfzig Schritt von einem schneebedeckten Ufer hing es zwischen Felsen und haushohe Wellen warfen es von einer Seite zur andern. Doch nur die Spitze des Schiffes lag fest, das Hintertheil dagegen tief im Waffer, und wurde von der Gewalt der andringenden Wellen oft hoch in die Höhe ge- hoben. Dann fiel es wieder in's Waffer zurück und drohte durch dieses immerwährende Aufprellen in der Mitte von einander zu brechen. Jede Planke, jedes Holz ächzte, die Taue der Masten, von denen einer zerbrochen war und das Schiff mit Segeln und Tauwerken bedeckte, pfiffen durch die Luft und Niemand konnte aufrecht stehen bleiben. Dabei das dichteste Schneegestöber, das uns im Verein mit den ungeheuren Spritzwellen, die jeden Augenblick über das Ver- deck rollten, in wenigen Minuten durchnäßt hatte und ganze Klumpen Eis des auf dem Meer zusammengeballten Schnees über uns warf. Nie hab' ich später ähnliche Wellen ge- fehen. Donnernd brachen sie sich an den Wänden des Schiffs und fuhren daran empor, nicht selten über dem Schornstein zusammenfallend. - - Die Soldaten, um sich aufrecht zu erhalten, hingen an der rechten Seite des Schiffes in dichten Reihen an einander. Die ersten hatten das Geländer und die Taue erfaßt, und die folgenden hielten sich an diesen. Doch kam dann und wann ein Stoß, der diese Menschenkette aus einander riß und einen Theil der Soldaten mit unglaublicher Gewalt gegen die andere Flanke warf, wo sie sich dann mit erstarrten Händen und klappernd vor Frost wieder fest zu halten suchten. Das Verdeck war ganz bedeckt mit Waffen, Kochgefäffen und irdenen Geschirren, aufgeweichtem Zwieback und verschie- 246 denen Sachen der Soldaten, als Pfeifen, Teppiche ne. Die Wellen stürmten mit gleicher Heftigkeit noch immer gegen die linke Seite des Boots. Von Weitem sah man sie heranrollen, langen Reihen schwarzer Pferde gleich, auf denen der weiße Schaum coloffale Reiter bildete, die einen Chock auf unser Schiff machten. Immer größer wurden sie und immer lauter das Getöse, mit welchem fiel näher kamen. Ehe der Capitän Anstalten zu unserer Rettung traf, hatten sich fünf türkische Soldaten auf eigene Faust aber auf eine sehr verwegene Art vom Schiffe entfernt. Sie sprangen in eines der Boote, die an der Seite des Schiffes hingen, zogen ihre Meffer, schnitten zugleich die vier Taue, die es hielten, ab, und ließen sich in das brausende Meer fallen. Eine Zeit lang glaubten wir sie wirklich ver- loren; denn die Wellen riffen sie im Kreise herum und drohten, das kleine Boot umzuschlagen. Bald jedoch warfen fie es nach dem Ufer zu, die Soldaten sprangen heraus und liefen, ohne fich weiter um uns und das Schiff zu beküm- mern, schleunigst davon. Nach langen Berathschlagungen, wie es möglich fey, ein Tau ans Ufer zu befestigen und so eine Art von Brücke zu bilden, wagte einer der Matrosen fein Leben, um diesen Plan auszuführen. Er band sich einen dünnen Strick, der einige hundert Schritte lang war, um den Leib, und sprang vom Boogspriet aus ins Meer. Nicht ohne Beklemmung und Angst sahen wir ihm zu, sahen, wie die Wellen ihn zuerst herumdrehten und es lange dauerte, bis er seine Hände und Füße gebrauchen konnte, um vorwärts zu schwimmen. Kräftig und gewandt arbeitete er sich bis auf vielleicht fünf- zig Schritte vom Ufer, wo ihn die Brandung aufs Neue erfaßte und wir ihn und uns mit verloren glaubten. Mehr- mals warfen ihn die Wellen bald zurück, bald gegen die Felsen des Ufers, so daß wir glaubten, die Rippen müffen 247 ihm zerbrechen. Endlich faßte ihn eine größere Welle und führte ihn hoch auf den Strand, wo er gewiß eine Viertel- stunde wie todt liegen blieb. Mit welchen Gefühlen wir dies. Alles vom Schiffe aus ansahen, kann sich jeder leicht vorstellen. Schon war es sehr schwer geworden, einen der Matrosen zu diesem ersten Versuche zu bewegen und den Verunglückten vor Augen würde kein Zweiter denselben Weg gemacht haben. Glücklicher Weise aber war er nicht todt, sondern fing langsam an, sich zu bewegen. Doch dauerte es noch einige Minuten, ehe er seine ganze Befinnung wieder hatte und wußte, wo er sich befand. Dann stand er auf, zog den Strick nach sich, an welchen man unterdessen ein dickeres Tau gebunden hatte, befestigte dies an zwei Olivenbäume, die glücklicher Weise am Ufer standen, und bildete so eine, wenn gleich unsichere Verbindung mit dem Lande. Die Mitte dieses langen Taues hing durch feine eigene Schwere tiefer als die beiden Enden und die vom Ufer abprallenden Wellen schlugen hoch über dieselbe zu- sammen; ein Umstand, der das Hinüberklettern noch mehr erschwerte. Obgleich ein zweiter Matrose auf diesem Taue glück- lich ans Ufer kam, wollte doch keiner der Türken zuerst den gefährlichen Weg versuchen. Wir drängten uns durch die Maffen der Soldaten bis vornen zum Boogspriet und nahmen die stark schwankende Brücke in Augenschein. Der Oberflieutenant war der Erste, der sich hinaufwagte und mit Lebensgefahr hinüber kam. In der Nähe des Ufers, vielleicht betäubt von den über ihn stürzenden Wogen, ließ er das Tau zu früh los und würde wahrscheinlicher Weise ertrunken seyn, wenn nicht die beiden Matrosen ihm ent- gegen gesprungen wären und ihn herausgezogen hätten. Der Zweite war unser Baron, der, ungemein geschickt in allen gymnastischen Uebungen, äußerst schnell und glücklich hinüber 248 kam. Dann folgte der Graf Szechenyi, der ebenfalls das Land glücklich erreichte, und nach diesem wollte ich mein Heil versuchen. Schon stand ich oben auf einem Anker, wo das Tau angebunden war, und wollte mich eben hinablaffen, als ich mich von mehreren Seiten und unter wildem Geschrei von den Türken angefaßt fühlte. Da ich nicht wußte, was diese Kerls wollten, versuchte ich es, meine Arme los zu machen und zog eine Pistole aus dem Gürtel, nicht um auf die Türken zu schießen, da sie ganz naß war, sondern nur um ihnen auf die Köpfe und Hände zu klopfen, damit sie mich loslaffen sollten. Doch wurde das Geschrei hierdurch noch größer und nach ihren wilden Blicken konnte ich fürchten, fie würden mich ohne Weiteres in's Meer werfen. Auch riefen mir ein Paar von den Matrosen auf Italienisch zu, ich möchte ja meine Pistole einstecken, was ich that. Hierauf riffen mich die Türken gleich von meinem Anker herunter und mehrere gaben mir durch Worte und Pantomimen zu ver- stehen, fiel wollten nun zuerst hinüber und wir Giaurs könnten warten, bis sie gerettet seyen. Wir feyen ohnedies Schuld daran, daß sie in den Krieg müßten. Was war zu thun? Mit dieser zügellosen Bande, die durch das Unglück der vergangenen Nacht, durch Sturm und Unwetter noch mehr aufgereizt war, ließ sich nicht paffen. Wir zogen uns also mit den Matrosen auf das Hintertheil des Schiffes zurück und ließen die Soldaten ihr Heil versuchen. Eben so rathlos wie wir auf dem Verdecke standen, waren unsere Freunde am Lande. Die ganze Gegend war fußhoch mit Schnee bedeckt und zeigte kein Haus, keinen Weg noch Steg. Der Baron zeigte uns vom Ufer her durch Pantomimen an, sie wollten den Strand entlang gehen, um zu sehen, ob nicht ein Dorf oder sonst menschliche Woh- nungen in der Nähe feyen. - 249 Unterdessen begannen die Soldaten nicht zu ihrem Heil die Rutschparthie nach dem Lande zu. Als sie gesehen, daß unsere drei Freunde so glücklich hinüber gekommen waren, glaubten sie, die Sache fey nicht schwer und fingen an, es nachzumachen. Einige kletterten an das Tau und rutschten hinab, doch wo es, um ans Ufer zu gelangen, galt, wieder in die Höhe zu klettern, verließ die Meisten Kraft und Muth. Sie ließen die Beine los und hingen nun mit aus- gestreckten Armen, jämmerlich um Hülfe rufend, über den tobenden Wellen, die von Zeit zu Zeit hoch über ihren Köpfen zusammen schlugen; ein gräßlicher Anblick. Viele wurden von den schon am Ufer befindlichen Matrosen ge- rettet, mehrere aber ertranken vor unsern Augen, indem das tückische Meer sie keine zehn Schritte vom Lande lange herumrollte und endlich als Leiche auf den Strand warf. Nach Verlauf einer starken halben Stunde kamen unsere Freunde zurück, zeigten uns an, sie haben nichts gefunden und wollten jetzt ihr Heil in der entgegengesetzten Rich- tung versuchen. Wenn sie im Verlauf einer Stunde nicht zurück wären, sollten wir ohne Weiteres ihren Fußtapfen, die wir im Schnee leicht sehen könnten, folgen. Es kostete viele Mühe, ehe wir uns Zeichen und einzelne Worte auf diese Art verabreden konnten. Sehr langsam ging während dieser Zeit die Ausschiffung von Statten, und da uns, wie oben schon erzählt, die Türken nicht an das Tau kommen ließen, so gingen wir in die Kajüte zurück, um ruhig die Zeit abzuwarten. Doch kann sich hier Niemand unsere Lage denken. Durchnäßt waren wir bis auf die Haut und das Schiff wurde bei jedem Wellenschlage so erschüttert, daß ich mich unter eins der Betten klemmte, um nicht jede Minute hin und her ge- schleudert zu werden. Die Thüren sprangen von selbst auf und zu, die Schellen in den Zimmern klingelten, als würden 250 fie mit Macht gezogen und in Wände und Fußböden riffen große Spalten. Tische, Stühle und unsere Effekten lagen, einen unordentlichen Haufen bildend, zertrümmert durcheinander. Nach Verlauf einer Stunde ging ich wieder hinauf, um zu sehen, ob noch viele Soldaten droben feyen. Es waren wenigstens noch zwei bis dreihundert auf dem Verdeck. Auch hatte sich das Schiff mit der Spitze etwas dem Lande ge- nähert und das Tau hing fast ganz im Waffer, konnte auch nicht wieder straffer gespannt werden, da die Schiffswinden zerbrochen waren. Jetzt war das Hinüberklettern noch ge- fährlicher geworden, weshalb der Capitän den großen Mast hatte kappen laffen und zur Seite ins Meer stellen, so eine neue Brücke zur Rettung bildend. Der Mast ging vielleicht bis auf achtzig Schritt vom Schiffe, und die Türken setzten sich rittlings darauf und rutschten hinab. Unten mußten fie dann warten, bis die ins Meer zurückkehrenden Wellen die Felsen ein wenig entblößten. In diesem Augenblick sprangen die Leute ins Waffer, das ihnen nur bis zur Brust ging und mußten dann so schnell wie möglich eilen, das Ufer zu gewinnen. Nie hab' ich Menschen gesehen, die mehr den Kopf verloren hatten, als diese Türken. Einige hielten schon in der Mitte des Mastes an und sprangen trotz allen Zurufungen in die Wellen, die sie dann sogleich mit fort nahmen. Andere ließen den Baum in dem Augenblick los, wo die Brandung wieder kehrte, wurden von ihr erfaßt und ertranken. In Allem mochten heut etliche zwanzig Menschen ertrunken feyn. Gegen vier Uhr Abends war endlich die Zahl der sich noch am Bord befindlichen Soldaten so gering, daß wir Europäer allenfalls mit Gewalt zum Maste durchdringen konnten. Das Einzige, was ich von unsern Effecten mit- nahm, war der Nachtfack des Baron, der die ganze Reise- kaffe enthielt. Zerschellte auch das Schiff während der 251 Nacht, so waren wir doch wenigstens mit Geld versehen. Wir bestiegen nun den Mastbaum und sahen, daß das Hinabrutschen hier eben so unangenehm und gefährlich war, wie früher an dem Tau. Die Bewegung des Schiffes war so stark, daß ich, schon ungefähr drei Fuß tief hinabgeklettert, von einem starken Stoß wieder an zwei Fuß über das Ver- deck gehoben wurde. Unten angekommen, galt es, genau den Augenblick abpaffen, wo man sich loslaffen mußte, um nicht ins Meer geriffen zu werden. Doch kamen wir Alle, freilich von Neuem durchnäßt, mit dem Geldsack am Ufer an. Da standen wir nun an dem kahlen Ufer, durchnäßt, hungrig und halb erfroren. Vor uns lag das schöne Schiff auf spitzigen Felsen wie eine zerbrochene Nußschaale und die gierigen Wellen leckten über das ganze Verdeck und suchten überall in die Luken und Fenster zu dringen. Es kam mir vor, wie der Leichnam eines riesigen Thiers, das gestern noch munter sein Element, das Waffer, durchschnitt. Jetzt liegt es todt am Strande, fein Athem braust nicht mehr stolz in die Lüfte hinauf und feine Glieder, die Räder, find unbrauchbar geworden und zerbrochen. Das ganze Meer, so wie der Himmel, war in ein schmutziges Gelb gekleidet und lange Nebelstreifen zogen über die Wellen und das Schiff – traurige Leichentücher, die uns gestern Abend schon warnend erschienen waren. Am Ufer um uns her lagen viele Leichen der Soldaten, die heute umge- kommen waren; einige wurden von ihren Freunden und Be- kannten eingescharrt, Andere blieben liegen, halb vom See- waffer bespült, und es fand sich Niemand, der ihnen den letzten Liebesdienst erzeigte. Die Richtung, in der unsere Freunde gegangen und nicht wieder zurückgekehrt waren, schlugen auch die meisten Soldaten, so wie sie den Boden betraten, in vollem Laufe ein. Es schien mir, als feyen einige von ihnen hier bekannt. 252 Wir folgten ihnen und kamen nach Verlauf einer halben Stunde an eine Olivenpflanzung, durch welche die Fußtapfen der uns Vorangegangenen führten. Aeußerst beschwerlich und unangenehm war der Weg, den wir zu machen hatten. Der Schnee war oft zwei Fuß hoch und der Boden darunter so uneben, daß man bei jedem Schritte fürchten mußte, zu stürzen. Bald jedoch kamen wir auf einen gebahnteren Weg, der durch Weingärten führte, woraus wir mit Freuden er- sahen, daß wir bald in die Nähe von menschlichen Woh- nungen kommen müßten. Jetzt erreichten wir einen Brunnen, wo sich mehrere unserer Leidensgefährten gelagert hatten, um einen Trunk frischen Waffers zu sich zu nehmen. Dann bogen wir um einen Hügel und sahen vor uns ein kleines Dorf, es hieß Armudkoi – Birnendorf – liegen, auf das wir, obgleich es sehr ärmlich aussah, mit schnelleren Schritten zugingen. Im Eingang desselben kam uns einer unserer Matrosen entgegen, den der Baron hinausgeschickt hatte, um nach uns zu sehen und uns in das Haus zu bringen, welches fie ge- funden. Unter den schlechten Häusern dieses Dorfs war das unsere ohne Widerrede das erbärmlichste. Es bestand aus einem einzigen Zimmer, das zwanzig Fuß lang und vielleicht fünfzehn breit seyn mochte, hatte zwei kleine Fenster und das Mobiliar bestand aus einem hölzernen Divan, der längs einer Wand lief, ähnlich den, wie wir sie in Stambul in den Kaffeehäusern und ärmlichen Barbierstuben gesehen. Wir fanden unsere Freunde in einer wirklich komischen Lage. In der Mitte dieses Gemachs auf dem Boden stand ein großer Mangahl, um den alle saßen und beschäftigt waren, ihre Kleider zu trocknen, da aber jeder augenblicklich nur das be- saß, was er auf dem Leibe trug, so wurde Stück für Stück heruntergezogen, über das Feuer gehalten, und nachdem es nothdürftig getrocknet war; wieder angelegt. So war der 253 Eine ohne Rock, ein Anderer ohne Hosen und ein Dritter hielt gar ein Hemd über das Feuer, wie wir eintraten. Alle freuten sich sehr bei unserm Anblick und gaben uns den größten Platz um den Mangahl frei, um auch unsere ganz naffen Sachen etwas zu trocknen. Wir befanden uns wirk- lich in keiner beneidenswerthen Lage. Den ganzen Tag hatten wir nichts gegessen und hatten auch jetzt noch keine Aussicht, etwas zu bekommen. Ganz durchnäßt waren wir und das kleine Kohlenfeuer reichte nicht hin, uns zu trocknen und zu erwärmen. Auch brach der Abend herein und wir er- hielten mit Mühe ein kleines Stümpchen Talglicht, um unsern Salon zu erleuchten. Ein Paar von den Matrosen und der Kellner des Schiffs, die auch bei uns einquartiert waren, gingen in das Dorf, um zu sehen, ob sie nicht irgend etwas Eßbares auftreiben konnten. Wirklich kamen sie auch nach einiger Zeit mit etwas Reis zurück, den sie irgendwo ge- kauft. Das ganze kleine Dorf lag voll unserer Soldaten und die Einwohner waren bei ihrer Ankunft größtentheils geflohen. Reis hatten wir also, eine Schüffel fand sich bei näherer Nachsuchung auch vor und einen Braten führte uns das versöhnte Schicksal ebenfalls zu. Eine große Gans näm- lich trieb sich längere Zeit vor unserer Thür herum und näherte sich endlich so unvorsichtig, daß einer der Matrosen sie am Hals faffen konnte und hereinzog. Noth kennt kein Gebot. Das Thier wurde als gute Beute erklärt und zu- gleich mit dem Reis gekocht. Selten oder nie bin ich mit größerem Heißhunger über eine Schüffel hergefallen, als hier. Allen erging es aber so, und das Gefäß war schon beinahe zu drei Theilen leer, ehe unser Appetit so weit ge- stillt war, daß wir uns über den Geschmack des Genoffenen Rechenschaft geben konnten. Mir kam vor der Pillau schmecke etwas nach Seife, und kaum hatte ich meine Vermuthung ausgesprochen, so stimmten mir die Andern bei. Und wir 254 - hatten Recht, denn bei näherer Betrachtung ergab es sich, daß der Kellner den Reis in einer großen Bartschüffel ge- kocht hatte, die er in einem Winkel des Gemachs aufge- funden; wir befanden uns, wie wir später erfuhren, in der öffentlichen Barbierstube des Dorfes. Mit dem Capitän, den Offizieren, mehreren Matrosen und Kellnern waren wir zu vierzehn Mann hier einquartiert, wonach man ausrechnen kann, daß zum Schlafen auf jeden nicht viel Raum kam. Wir mußten wie die Pickelhäringe zusammengedrängt liegen, was den Nutzen hatte, daß wir nicht gar zu sehr froren; denn es wurde in der Nacht unan- genehm kalt. Vor dem Einschlafen hatten wir verabredet, ein Theil von uns solle am nächsten Morgen, wenn das Unwetter etwas nachgelaffen habe, mit einigen Pferden, die sich allenfalls wohl auftreiben ließen, an Bord zurück- kehren, um nachzusehen, was von unsern Effecten gerettet werden könnte. Am Morgen sehr früh, es war noch ganz dunkel, ging der Baron und der Maler F. mit mehreren von der übrigen Gesellschaft nach dem Meere, um zu sehen, was auf dem Schiffe zu machen fey. Wie sie an den Strand kamen und das Schiff in dunkeln Umriffen vor sich sahen, bemerkten fie zu ihrer größten Verwunderung, daß sich viele Lichter auf demselben hin und her bewegten. Das Meer war in- deffen viel ruhiger geworden und gestattete ihnen durch die Radkasten, die jammt den Rädern ganz aus dem Waffer hervorsahen, hinauf in das Schiff zu steigen. Hier bot sich ein überraschender Anblick dar. Einige zwanzig Türken waren mit Lichtern in den Händen beschäftigt, Kisten und Kasten zu erbrechen, um sich die Sachen, die ihnen gefielen, anzu- eignen. Daß unsere Freunde sie in diesem angenehmen Ge- fchäft augenblicklich störten, war natürlich, und wenn diese edlen türkischen Soldaten nicht im Allgemeinen so ausgezeich- 255 net feig wären, hätte es zu einem ernstlichen Handgemenge kommen können. So aber ließen sie beim Anblick der Fran- ken ihre Beute fahren oder sprangen mit einzelnen Stücken, die sie in der Hand hielten, geradezu in das jetzt schon viel feichter gewordene Meer, um doch etwas von ihrem Raub davon zu bringen. Glücklicher Weise waren unsere Koffer, da sie für die lange Reise dienen sollten, außerordentlich stark und fest gebaut, weshalb es diesen Räubern nicht sogleich gelang, sie zu erbrechen. Einige der Türken, die bei dem ersten Anlauf sich in die Kajüte gerettet hatten, wurden da hinausgeprügelt und mußten sich zu einem Sprung ins Meer entschließen, was sie auch meistens gutwillig thaten, eine Taufe, die diesen heillosen Kerls wohl zu gönnen war. Da es dem Kapitän gelang, einige Pferde zu er- halten, so wie auch manche von den Einwohnern aus Neugierde mit an's Schiff liefen und sich dann später durch ein kleines Trinkgeld gern bereitwillig finden ließen, etwas von unsern Effecten nach dem Dorfe zu schleppen, so waren bald alle unsere Sachen aufgeladen und noch vor Mittag kehrten unsere Freunde damit zurück. Auch hatten sie nicht versäumt, von den Speisevorräthen und den vorhandenen Weinen so viel zu retten, wie möglich war, weshalb wir aus der bittern Armuth von gestern uns auf einmal zu einem solchen Wohlleben erhoben sahen, daß wir die armseligen Einrichtungen unseres Locals ziemlich vergaßen. Wir hatten Thee, Kaffee, alle möglichen in- und ausländischen Weine, Fleisch, Geflügel und hiezu alle nöthigen Geschirre, so daß wir heute Abend ein glänzendes Souper machten. Bis jetzt hatten wir noch nicht Zeit gehabt, über unsere Zukunft nachzudenken, d. h. wohin wir uns von hier wenden sollten und auf welche Weise. Nach Constantinopel zurück, war was das Erstere betraf, natürlich der einstimmige Vor- schlag; jedoch hinsichtlich des Zweiten, die Art, wie wir da- 256 hin kommen sollten, waren die Meinungen geheilt. Einige meinten, man müffe von dem gestrandeten Schiffe von Zeit zu Zeit Nothschüffe thun, um dadurch vielleicht ein anderes herbeizuziehen. Andere glaubten, wir könnten uns vielleicht einem großen Fischerboot anvertrauen, und mit ihm längs der Küste nach Stambul fahren, was aber sehr lange ge- dauert haben würde. Ein dritter Vorschlag war, einen Reitenden nach Scutari zu schicken, der dem k. k. östreichischen Internuntius unsere Lage mittheilen sollte und abwarten, was dieser für uns thun könnte. Der Baron endlich schlug zuletzt noch einen andern Ausweg vor, der als der beste auch festgehalten und ausgeführt werden sollte, nämlich den, im Fall es möglich sey, Pferde anzuschaffen, selbst nach Scutari zu reiten, was man wohl in drei Tagen von hier abmachen konnte, und von da nach Kräften für die zurückgelaffenen Matrosen und Effecten zu sorgen. Der Schech des Dorfes wurde herbeigeholt, zum Abend- effen eingeladen, und nachdem er sich's hatte gut schmecken laffen, befragte man ihn, ob es ihm möglich sey, für uns Pferde zu einem Ritt nach Scutari anzuschaffen. Anfänglich machte er Schwierigkeiten und versicherte, die meisten Ein- wohner eyen ins Gebirge geflohen und würden wahrschein- lich nicht eher zurückkehren, bis die Soldaten und wir abge- zogen eyen; auf keinen Fall aber würde man sie dazu ver- mögen können, ihre Pferde zu unserem Gebrauche herzugeben. So sprach anfänglich der Schech. Aber nachdem ein paar Gläser Champagner ihre Wirkung gethan hatten, wurde er umgänglicher und sagte, für einen hohen Preis würden sich doch vielleicht einige entschließen, ihre Thiere herzugeben. Bald darauf entfernte er sich mit dem Versprechen, er wolle sehen, was sich thun laffe, kehrte aber den Abend nicht wieder zurück. 257 Die langen kalten Nächte ohne Betten, Teppiche oder Decken zuzubringen, war das Unangenehmste von der ganzen Geschichte. Auch waren wir Alle mehr oder minder erkrankt; denn die Näffe, worin wir einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hatten zubringen müffen, hatte uns fammt und sonders stark mitgenommen. Einer klagte über Kopfweh, der Andere über Zahnweh, jener hatte Uebelkeiten, dieser ein entsetz- liches Bauchgrimmen, Alles Klagen, die dann erst lauter ge- hört wurden, wenn sich der Schleier der Nacht auf unsere armselige Behausung senkte und die Härte der Pritsche und des Bodens das Ihrige dazu beitrugen, alle jene Leiden doppelt fühlbar zu machen. Wie gerädert stand man am andern Morgen auf, und es dauerte eine ziemliche Zeit, ehe man sich von den Stra- pazen der Nacht erholen konnte. Trotz allem diesem Elend wurde viel gewitzelt und gelacht und besonders war es Graf Szechenyi, der die drolligsten Geschichten anfing. Er hatte einen Bedienten, mit Namen Hansel, der früher Fiaker in Wien gewesen war, ein ehrlicher treuer Oestreicher, der seinen armen Herrn später in Damaskus bis zum letzten Augenblicke pflegte. Beide gaben uns viel Stoff zum Lachen. So machte der Graf z. B. fast täglich zum Scherz Toilette, wo- bei ihm Hansel affitierte, als feyen sie in ihrem Palais zu Wien; Abends lud er uns zum Thee ein und machte auf einem großen Steine sitzend in bester Art die Honneurs des Hauses. Am zweiten Tag erst gegen Mittag kam der Scheich wieder zu uns und versicherte, er habe zwölf Pferde für uns gefunden, wofür er aber einen entsetzlichen Preis verlangte. Aber was war zu thun? Wir hätten im Nothfalle das Dop- pelte und Dreifache bezahlt, um nur dies Nest verlaffen zu können. Den Nachmittag brachten wir damit zu, unsere Sachen zu packen und unsere Kleider wieder etwas in Stand Hackländer, R. in d. O., 1. 17 258 zu setzen, wobei der Baron ganz zufällig das Glück hatte, feine ungarische Bunte, die vom Schiffe gestohlen war, zu- rückzuerhalten. Er stand nämlich in dem Augenblick an der Thür, wo ein türkischer Lieutenant vorüber ging, der den Pelz über die Schulter geschlagen hatte und ganz ruhig damit paradierte. Natürlich wurde er gleich angehalten und einer der Matrosen verdolmetschte ihm, der Mantel, den er trage, gehöre jenem Franken und er folle sagen, wo er ihn her habe, worauf der Lieutenant ganz ruhig erwiderte, er habe ihn nicht weit von hier in einer Scheune gefunden, wo noch mehr dergleichen Sachen lagen. Wir gingen augen- blicklich dahin und fanden wirklich noch verschiedene Kleinig- keiten, die wir bisher vermißt, als Stiefel, Ueberröcke, lange Pfeifen c. alle Sachen, die nicht in Koffern verschloffen waren, sondern offen in der Kajüte lagen. Wie sie hieher in die Scheune kamen, konnte uns Niemand sagen. Der Schech hatte uns für den folgenden Morgen sehr früh die Pferde versprochen, weshalb wir mit der Dämmerung reisefertig waren und ihn erwarteten. Er kam auch, aber allein, und versicherte auf unsere heftigen Fragen, wo die Pferde blieben, Gott wife, daß er die Wahrheit spreche, aber zu unserem eigenen Besten dürfe er uns die Pferde nicht geben. In der Nacht feyen von den sechshundert Mann, die mit uns Schiffbruch gelitten hatten, zweihundert fünfzig desertiert, die uns theilweise wahrscheinlich auf dem Wege zwischen hier und Scutari auflauern, überfallen und berauben würden. Wir mochten dem Schech noch so viele Gegenvorstellungen machen, und ihn versichern, wir würden die Sache ganz auf uns nehmen, wir fürchteten uns nicht vor diesen Leuten, es half nichts, er blieb dabei, er dürfe uns keine Pferde geben, indem ihn Gott hart bestrafen würde, wenn er uns Fremde ins Unglück rennen ließe. Ob der Schech in der That diese musterhaften Gefinnungen hatte 259 oder ob er uns keine Pferde geben wollte, blieb uns ein Räthel, das, wie so vieles Andere erst dann offenbar werden wird, wenn die Todten auferstehen. Bei diesen Aussichten hätten wir Gott weiß wie viel Tage noch in diesem elenden Nest zubringen können, wenn man nicht in Constantinopel, wohin sich schon am zweiten Tag nach unserem Unglück – wie? haben wir nie erfahren – das Gerücht verbreitet hätte, der Seri-Pervas fey in der Bucht vor Mudania ge- - scheitert, gleich Anstalt zu unserer Rettung getroffen hätte. Am folgenden Morgen waren wir Alle eigenhändig mit der Zubereitung unseres Frühstücks beschäftigt, als plötzlich ein Paar türkische Lieutenants, die sich am Meere umher trieben, mit dem Geschrei; „Vapore! "Vapore!“ ins Dorf und in unsere Stube stürzten. Wir sprangen. Alle überrascht auf, ließen unsere Beschäftigung liegen und eilten an den Strand. Gott weiß, in meinem Leben hat mich der Anblick eines Dampfbootes nicht so erfreut, als das, was die Türken uns angezeigt und das sich rauchend und brausend dem Lande näherte. Wir tanzten vor Freude auf dem Sand herum und winkten mit unsern Tüchern dem Capitän der auf dem Radkasten stand, freudig entgegen. Jetzt ließ das Dampfboot die Anker fallen und ein Boot stieß ab, in dem sich ein Offizier befand, der uns meldete, daß das Dampfboot es war der Ludovico – durch den k. k. Internuntius, Baron von Stürmer, abgesandt fey, uns zu holen. Wir flogen ins Dorf zurück, packten unsere Sachen zusammen und befanden uns in kurzer Zeit am Bord des Ludovico, wo wir uns be- haglich auf die weichen Kiffen ausstreckten. In fünf Stun- den erreichten wir Constantinopel und kletterten den steilen Hügel von Pera hinauf zum Gasthof unserer freundlichen Madame Balbiani, die uns mit Thränen in den Augen und herzlicher Freude empfing. 17 260 Am andern Tage waren wir mehr oder minder krank; doch hatten wir nicht lange Zeit im Bette zu bleiben, denn schon am Mittage hieß es, ein anderes Dampfschiff gehe morgen nach Smyrna und würde uns, diesmal aber ohne Soldaten, mitnehmen. Wir hatten kaum Zeit, unsere zu Grunde gegangenen Effecten wieder etwas herrichten zu laffen, denn schon am andern Nachmittag um drei Uhr gingen wir wieder an Bord, diesmal unter günstigeren Auspicien. Das Wetter hatte sich wieder aufgeklärt und von dem Schnee, der uns bei unserer ersten unglücklichen Seefahrt zum Ab- fchiede geleuchtet, war nichts mehr zu sehen. Auch hatten wir, wie schon gesagt, diesmal Platz genug auf dem Schiffe, und brauchten nicht wieder nach Scutari zu fegeln, um das Verdeck mit türkischen Soldaten anfüllen zu laffen. Fahrt durch den Archipel. Zweite Abreise von Constantinopel. – Odun Kapuisi. – Die Dardanellen. – Der Crescent. – Die Ebene von Troja. – Die jonischen Inseln. – Smyrna. – Der Mastufiaberg. – Rhodus: Die Stadt. Die Allerheiligenkirche. Strada dei Cavalieri. – Mar- mariffa mit der englischen und öfreichischen Flotte. – Cypern. Steig auf, o Morgenlicht! Kommt her, naht. Alle, Doch laßt die stillen Urnen unverfehrt; Hier ist der Friedhof eines Volks, die Halle Von Göttern, die kein Opferrauch mehr ehrt; Denn Götter selbst vergeh'n! – kein Glaube währt. – Byron. Childe Harold. Hinter dem Riesenberge auf dem asiatischen Ufer des Bosphorus erhob sich der Mond und beleuchtete dort das Grab des Herkules, als unser Schiff die Stadt zum Ab- schied mit einem Kanonenschuß begrüßte, die Anker aufwand und langsam wendend die dunkelblaue Fluth mit den Schaufel- rädern theilte und aufwühlte. Es war ein herrlicher Abend. Ich fand am Stenerruder und schickte meine letzten grüßenden Blicke nach der majestätischen Stadt und dem Mastenwald des goldenen Horns. Ach, diese Stadt hat so etwas phantastisch schönes. Alle sieben Hügel, worauf sie gebaut ist, zeichnen sich aus der Ferne deutlich ab, find mit den bunt angestrichenen Häusern bedeckt, aus denen, gleich Tulpen und Lilien aus einem Moosgrunde, die vergoldeten Kuppeln und Minarets der zahlreichen Moscheen, so wie die große dunkle Cypreffe, dieser majestätische Baum sich erheben. Wie windet sich das klare Waffer des Hafens so schön durch die 264 Häusermaffen hindurch, ein wirkliches goldenes Horn, ein Füllhorn; denn sammelt sich nicht in den tausend Schiffen, die sich auf einem grünen Rücken schaukeln, Alles, was der Orient und Occident Kostbares hervorbringt, um es dann zu den Füßen Europa"s auszugießen! Leb' wohl, Stambul! wahrscheinlich seh' ich dich zum letzten Mal, die Nacht senkt sich auf dich herab, wie das Leichentuch auf eine theure Verstorbene. Ich nehme noch einzeln Abschied von der hehren Aja Sophia, von Pera und Galatha, wo wir so oft landeten, und von Topchana mit dem hölzernen, stattlich aussehenden Palais des Großherrn. Einen schüchternen Blick schickte ich nach dem alten Serail, denn unser Schiff fuhr gerade längs dem stets verschloffenen Thor Odun Kapusfi. Ich glaubte die verhängnißvolle Ka- none durch die Nacht glänzen zu sehen, die zuweilen ihren metallenen Mund öffnet, und es den Wellen ansagt, wenn sich diese Pforte aufthut, und man eines jener unglücklichen Weiber hinaustrug, welches, durch die Anklage der Eunuchen verdächtig geworden, hier in dem weiten Meer ein weites kaltes Grab fand – und neben diesem Thor tönte aus dem schönen Kiosk laut Musik und Gesang; dort tanzten die Sultaninnen und Odalisken vor ihrem Herrn und liebkosten ihm, während eine ihrer Schwestern langsam, langsam unter- finkend, ihm fluchte. – Daß Tod und Leben stets so nah" neben einander wandeln! ein Gedanke, der einem nie so nahe tritt, wie bei einer Meerfahrt, wo man von dem tückischen Element nur durch eine dünne Bohle geschieden ist; doch muß ich gestehen, daß mich diese Idee nicht sonderlich beun- ruhigte, obgleich ich und meine Gefährten ja noch vor wenigen Tagen die Kraft und Gewalt des Oceans, so wie die Schwäche und Hülflosigkeit selbst eines großen Schiffes erfahren hatten. Das Dampfschiff, auf dem wir heute fuhren, der Cres- cent (Halbmond), hatte einen so guten Ruf, und war so 265 vielen Gefahren und Stürmen stets glücklich entgangen, was man sowohl der Bauart des Schiffes, als auch der umsichtigen Leitung unsers freundlichen Capitäns, des Herrn Anthoin, zuschreiben konnte. Es schien mir beinahe unmöglich, als könne uns mit diesem Schiff noch einmal ein Unglück zu- stoßen; denn das kräftige, obgleich sehr fühlbare Arbeiten der Maschine, ein leichtes Durchschneiden der Wellen und die beständige Ruhe des Capitäns gab den Paffagieren eine solche Zuversicht, daß man sich den Gesprächen und allen möglichen Zerstreuungen, sorglos wie auf dem Lande, überließ. Das Schiff war vorläufig bis Smyrna bestimmt und hatte nur wenig Leute an Bord. Auf dem Verdeck lagen einige türkische Familien und jede hielt sich von der andern durch grüne, zu diesem Zweck auf dem Schiff befindliche Lattenzäune abgesperrt. Am Steuerruder hatte sich eine einzelne Frau einquartiert, die mit ihrem kleinen Söhnchen, einem aller- liebsten Knaben, und in Begleitung eines baumlangen Negers, nach Metelyn reiste. Sie war Wittwe, ihr Mann in der Schlacht bei Niib geblieben. Der kleine, kaum zwei Fuß hohe Türke nannte sich Hamsa Beg, Herr Hamsa, und trieb sich stets bei uns herum. Jeder gewann ihn in Kurzem sehr lieb, und ich muß gestehen, lange nicht ein so wohl- thuendes, liebes Gesichtchen gesehen zu haben. Die Frau Mama dagegen, die sich häufig entschleierte, und uns so den vollen Anblick ihres Gesichts gewährte, hatte, wie die meisten Türkinnen, schlaffe, unangenehme Züge, besonders um den Mund, den ich bei diesen Weibern nie frisch und schwellend gefunden habe. Gegen zehn Uhr Abends gönnte uns der Mond noch den Anblick der südwestlich vor uns liegenden Insel Marmara, jedoch sahen wir sie nur in schwachen Umriffen, da sich der bei unserer Abfahrt so klare Himmel allmählig mit Wolken überzogen hatte. Auch warf ich noch einen schüchternen 266 Blick nach Südwest, wo in der Bai von Mudania unser gescheitertes Schiff, der Seri Pervas lag, und da es etwas zu regnen anfing, suchten wir unsere Schlafstätten auf Einige nahmen Besitz von den sehr schmalen Betten, Andere, worunter auch ich, wählten sich die großen Sopha's der Damenzimmer. Unserer Gesellschaft vom Seri-Pervas hatten sich noch drei östreichische Offiziere angeschloffen, die den Krieg in Syrien mitmachen wollten; sehr liebenswürdige Leute, denen ich, sollten ihnen diese Blätter zu Gesicht kommen, hiermit meinen herzlichsten Gruß zuende. Ich schlief bald ein, wurde jedoch nach ein paar Stunden auf eine äußerst unangenehme Art geweckt, indem das seit Kurzem etwas hoch gehende Meer eine der kleinen Fenster- lucken aufgeriffen hatte und eine Welle hereinsandte, die mich tüchtig durchnäßte; doch lag die Schuld größtentheils an mir selber, denn ich hatte vergeffen, den äußeren hölzernen Laden schließen zu laffen. Ich verbefferte meine Lage so gut als möglich und schlief den übrigen Theil der Nacht, ohne an mein unfreiwilliges Seebad zu denken. Als ich am Morgen des 9. Decembers aufs Verdeck trat und rings um mich schaute auf das liebe klassische Land, in das wir wie durch Zauber über Nacht gekommen, war mir zu Muth, wie dem Sohn eines alten Geschlechts, der, ferne von der Heimath erzogen, lange nach derselben verlangt und nun endlich die Berge sieht, welche die Wiege feiner Väter umstanden. Doch kennt er jeden Hügel, jedes Thal, jeden Baum, und in seinem Herzen tauchen all' die Erzäh- lungen auf, mit denen man den Knaben am lodernden Kaminfeuer unterhielt. Vor ihn treten die Helden, die er damals im kindischen Spiel nachahmte und lieb gewann, vor ihn die Thäler und Gauen, wo die alte Veste gestanden, für die er sich mit Freude hätte todtschlagen laffen. – Ich stand mit verschränkten Armen und schaute in die 267 Gegend und Alles däuchte mir ein Traum zu seyn. Dort stieg die Sonne empor, nicht mehr über den spitzen Thürmen meiner Vaterstadt, nein über dem Rhodope-Gebirge, und der leife Morgenwind, der sich erhob, trug seltsame Klänge an mein Herz, tönt vielleicht noch immer dort in den Wipfeln der Eichen, unter denen Orpheus eine Euridice beklagte, nachhallend sein Lied? Hier feh' ich Gallipoli, das alte Kallipolis, die schöne Stadt; keck hängt es an den Felsen, die ein unverwelklicher, immer grüner Kranz von Cypreffenwäldern umgibt. Wie oft wurde Gallipoli zerstört, stets wieder aufgebaut und vergrößert. Strabo erwähnt es als eines kleinen Dorfes, das gegenüber der Stadt Lampacus auf dem europäischen Ufer läge. Beide haben demnach die Rollen getauscht, denn dieses, jetzt Lepsak oder Lamaki, besteht nur noch aus einigen halb zerfallenen Häusern. Von den edeln Trauben und bräunlichen Feigen, womit eine Hügel bedeckt sind, schweifen meine Blicke über die Ebene Kleinasiens, welche der Granikus und Aesopus bewäffern; jeder Stein, jeder Hügel ist hier eine Erinnerung. Dort sind die Felsengestade des Cheronefos, da Settos und das Vorgebirge von Abydos; etwas nördlich von diesen bei der Landspitze von Nigara Burnu, wo sich die beiden Ufer des Hellespont am nächsten treten, baute Kerres seine Schiff- brücke, setzte Alexander mit seinem Heere nach Asien über, hier, warum soll ich einen Namen nicht jenem der beiden Könige anreihen, schwamm Lord Byron, der Poet, durch die Meerenge, und dort, wo – – die altersgrauen Schlöffer fich entgegenschauen, Leuchtend in der Sonne Gold – flüstern die Wellen noch heute von der Treue und dem Un- glück Hero und Leanders. Mir kam das Alles vor, wie ein 268 ungemein lieblicher Garten, durch den ein klarer Bach fließt, das ist der ewige Hellespont. Seine Ufer sind besetzt mit Rosenbüschen und Seelilien und zwischen dem saftigen Grün der Cypreffe und des Feigenbaums blinkt verstohlen die alte Historie durch, eine ununterbrochene Reihe schöner Marmor- statuen und herrlicher Tempel, um welche die Dichtkunst ihr zartes Immergrün gewunden. Schön ist dieser Garten und würde hundertmal schöner seyn, wenn ihm der kleinliche Men- schengeist nicht jene coloffalen Zwingthore, die beiden Schlöffer der Dardanellen zu einer Bewachung gegeben hätte, diese Hellespontpolizei. Unwillkührlich dacht' ich an Deutschland; da steht auch bei jeder schönen Anlage des Geistes und der Hände der Aufseher mit großem Stock und bewacht den harm- los Wandelnden und polizeit ihn. Selbst unser Schiff schien hier zu eilen und blies feinen Unmuth in großen schwarzen Rauchwolken aus, als ihm die ungeheuren Kanonenmündungen der beiden Schlöffer, des Kelledil Bahar, das Auge des Meeres, und die Sultanin Kaleffi oder große Sultansstadt, so schußgerecht in die Flanken fahen. Obgleich ich im Ganzen kein Freund der Engländer bin, so habe ich doch stets mit Bewunderung und inniger Freude den Namen des Admiral Elphinston genannt, der im Jahre 1770 nach jener für die Türken so unglücklichen Schlacht bei Tschesme diese Hellespontpolizei so verhöhnte, daß, nachdem er bei ihrer Nase vorbeigefahren war, und jenseits der Dar- danellen Anker geworfen hatte, ruhig eine Taffe Thee trank, während feine Trompeter God save the king bliesen, und später mit der Fluth ohne Verlust zurückkehrte. Unser treffliches Schiff, das neun Miglien in der Stunde machte, führte uns jetzt in kurzer Zeit jenem Gestade näher, deffen Geschichte schon die lebhafte Phantasie des Knaben beschäftigt und gereizt hat, die Ebene Troja's: dort ist schon der Ida, auf dem die Götter rathschlagten, und der Sitz, 269 von dem Kronion das Schlachtfeld beschaute. Dort hob er seinen Arm und nahm bei dem Wettlauf der beiden Helden um Iliums Mauern die Wage zur Hand, warf zwei Loose hinein und dasjenige Hektor's sank tief hinab. Hier dicht am Saum der Küste zeigen sich die beiden Grabhügel des Patroklos und Achilleus, an denen wir mit feierndem Blick und bewegtem Herzen vorbeiziehen, betrat letzteren doch schon vor zweiundzwanzig Jahrhunderten, dem Helden zu Ehren, Alexander der Macedonier. Wie leid war es mir, nicht diese Ebene betreten und alle die Stellen aufsuchen zu können, die Homer so lebhaft schilderte, wenn er die Thaten erzählt, die dort geschehen. Hier neben den Grabhügeln war das Lager der Griechen, dort auf der Anhöhe, neben dem jetzigen Dorfe Burnbaschi, fand Priamus heilige Veste. Sogar der kleine Hügel, das Grabmal des Aiyetos, der schon von Homer als sehr alt angegeben wird, läßt sich aus feinen Beschrei- bungen errathen. Noch jetzt sammelt sich das trübe schlam- mige Waffer des Simois in einem sumpfigen, mit Schilf bewachsenen Wafferpfuhl, dessen Ausdünstungen Seuchen er- zeugen würden, wie zur Zeit jenes Kampfes unter dem griechischen Heere, wenn diese Ufer bewohnt wären. ... Der klare fischreiche Skamander strömt fort und fort ins Meer; doch hat er sein altes Bett verlaffen, und nur einige Ver- tiefungen zeigen noch feine alte Zusammenmündung mit dem Simois an. Sehr schön und wahr sagt hier der Reisende Schubert: „Es tritt die Natur wie die Aussage eines un- schuldigen unbefangenen Kindes auf die Seite des Dichters und bezeugt, daß Homers Muse Wahres gesehen und ge- sprochen.“ Während ich über das eben Gesehene nachdenkend auf dem Verdeck stand, und noch einmal einen Blick nach dem Grabe jener beiden Helden andte, um mir die Umriffe des Ufers mit einigen Strichen in mein Taschenbuch zu tragen, 270 und da mein Auge hinüberschweifte zur Insel Tenedos, der jenes Schlangenpaar entsprang, welches Laokoon nebst einen Sohn umwand und tödtete – sah ich eine große Maffe Delphine, welche plötzlich unser Schiff lustig umschwärmten. Das Brausen der Räder schien diese Thiere eher anzulocken, als abzuschrecken, denn dort hielten sie sich meistens auf und schienen das Boot überholen zu wollen. Es war ein voll- kommenes Wettrennen; zuweilen hoben sich fünf zu gleicher Zeit aus dem Waffer, und machten lange Sätze in der Luft, um vorzukommen, wobei sie dem Verdecke oft so nahe kamen, daß man sie mit einem Stocke hätte erreichen können. Es waren Thiere von vier bis fünf Fuß Länge darunter. Dies Spiel dauerte beinahe eine halbe Stunde; dann blieben sie, wahrscheinlich ermüdet, zurück, und noch lange nachher sahen wir sie ihre Purzelbäume auf den Wellen machen. Schon war die Sonne untergegangen, als sich hinter Imbros der Saoke, der Berg von Samothrake, zeigte. Doch warf schon die kommende Nacht die dunkeln Schleier über ihn, wie die Sage über sein Inneres. Mit dem Fern- rohr suchte ich auf dem asiatischen Ufer die von Alexander erbaute Stadt Alexandria Troas und fand endlich auch einige Mauertrümmer, die einzigen Ueberbleibsel jener großartigen Niederlaffung, die nach der Absicht, ihres Gründers ein Stapelplatz werden sollte für den Austausch der Producte Kleinasiens, Theffaloniens und des Peloponnes. Schon seit Mittag hatten wir Metelyn (Lesbos) gesehen, doch war es bereits ganz dunkel, als das Dampfschiff bei der Stadt gleiches Namens anhielt, um einige Reisende, unter andern auch den kleinen Hamsa Beg abzusetzen. Nur wenig konnten wir von der Stadt sehen, welche, wie mir schien, die Felsen hinangebaut ist; wenigstens bedeckten licht erhellte Fenster die Berge des Gestades, bis hoch in die Spitzen. 271 Ich hätte gern diese schön bewachsene und reiche Insel bei Tage gesehen, hätte gern einige Blicke gesandt zu dem Ge- burtsorte von Sappho und Altäus, aber die Nacht verwehrte es, ersetzte jedoch durch die Schönheit, in welcher sie uns hier erschien, reichlich jenen kleinen Verlust. Nie in meinem Leben fah ich eine reinere, klarere Färbung des nächtlichen Himmels, und als nach einer halben Stunde der lang- fam empor gestiegene Mond ein volles Licht über uns aus- goß, und rings um uns das Meer und die Inseln nicht taghell, sondern bezaubernd schön erleuchtete, als das Schiff in klaren Silberwellen schaukelte und mehrere Miglien weit hinter sich eine breite weiße Spur zurückließ, da fanden wir es alle auf dem Verdeck in der lauen Luft so angenehm, daß keiner sich vor Mitternacht in die Kajüte zurückzog. Ich setzte mich auf meinen gewöhnlichen einsamen Platz am Steuerruder, wo ich meine Gedanken so frei über das Meer konnte hinschweifen laffen, und schrieb diese Zeilen in mein Tagebuch: Seht im weißen Silberkleide Droben thront die Königin, Ihre Diener, luftge Wolken, Treten grüßend vor fie hin. Goldgestickt auf ihrem Throne Wallt der blaue Baldachin Nieder auf die fernen Berge, Meer und Berge tragen ihn. Teppich zu des Thrones Stufen Ist das weite blaue Meer Und darauf lagert sich der Herrin Glanz gerüstet. Strahlenheer. So in ihrem vollen Glanze Droben thront die Königin Und mit Himmel, Meer und Wolke Tret' ich dienend vor fie hin. 272 Weih' ihr diese kleinen Reime Als geringer Hofpoet, Der von seiner Herrin Schönheit Ganz geblendet vor ihr steht. Schon in der Nacht gegen Morgen war ich durch das plötzliche Stillstehen des Schiffes in meinem Schlafe gestört worden. Es ist daffelbe Gefühl, als wenn man im Wagen geschlafen hat und auf der Station angekommen ist. Ich richtete mich auf. Doch da es noch ganz dunkel war, legte ich mich wieder auf mein Sopha zurück und schlief noch einige Stunden. Wir waren bei Smyrna angekommen. Früh am Morgen stieg ich aufs Verdeck und vor meinem Blicke lag fie, die schöne Stadt, mit der herrlichen, von malerischen Bergen umgebenen Bucht, deren Schluchten und Ebenen, mit Cypreffen, Feigen und Oelbäumen bewachsen, einen lieblichen Anblick gewähren. Schade, daß die Spitzen der Höhen so nackt und kahl find. Hinter der Stadt liegen auf dem Matusiaberge die grauen Ruinen einer uralten Burg, denn sie steht seit den Zeiten Antigonus, des Feldherrn Alexanders von Macedonien, wurde oft zerstört und immer wieder aufgebaut. Für uns war sie ein Hauptaugenmerk, denn ihr hatten wir bei unserem kurzen Aufenthalt hier einen Besuch zugedacht, um von der Höhe wenigstens einen Blick in diese berühmte clafische Landschaft zu werfen und uns wenn auch nur flüchtig umzu- sehen in dem Vaterlande Homers, Anakreons und Anaxagores. Wir stiegen an dem Hafenplatz bei dem fränkischen Quartier an's Land, und freuten uns nicht wenig, schon im ersten Augenblick einen Unterschied zwischen den Häusern und Straßen hier mit denen in Constantinopel zu finden. Statt der kothigen Paffage dort ging man hier auf rein- lichem guten Pflaster, und man hatte nicht nöthig, in steter Angst zu schweben, daß einem schlecht gebaute Baracken 273 links und rechts auf den Kopf fallen würden, vielmehr ficht das Auge mit Vergnügen auf die hohen, auf europäische Art von Stein erbauten Häuser, die als anständige Gebäude in ziemlicher Entfernung bleiben und sich einem nicht so pöbelhaft auf den Leib drängen, wie jene. Auch das Tür- kenquartier und die Bazars fahen, wenn auch nicht groß- artig, doch immerhin freundlicher und anziehender aus, als in der Hauptstadt, find auch in einigen Artikeln, z. B. Teppichen, Stickereien, Früchten c. reichlicher besetzt, als jene. Ein Kaufgewölbe im fränkischen Viertel, wo wir einige Kleinigkeiten erstanden, ließ bei der Schönheit und Mannigfaltigkeit seiner Waaren eher vermuthen: man fey in London oder Paris, als in einer türkischen Stadt. Hier fand man von der kleinsten Stange Cir à Moustaches bis zu einem vollkommenen englischen Reitzeuge. Alles, was ein elegantes Herz erfreuen kann. Smyrna haben wir in den paar Stunden, die wir dort zubrachten, alle sehr lieb gewonnen. Es liegt über Stadt und Land ein frischer Reiz, eine üppige Jungfräulichkeit, und wenn mir nicht die zahlreichen hübschen Mädchen, denen man begegnet, mit ihren schwarzen Augen zu gefährlich vor- gekommen wären, ich hätte gern einige Wochen hier zuge- bracht. Ueberall sah man die niedlichen, wegen ihrer Schönheit berühmten Töchter Smyrna’s auf den Straßen herumtanzen, oder aus dem ersten Stock Kopf und Herz bedrohen. Nachdem wir in der sogenannten Schweizerpension sehr gut gefrühstückt, wobei uns eine Bande herumziehender Musikanten Einiges aus verschiedenen Opern zum Besten gegeben, so daß wir uns bei dem Klange der bekannten Lieder in die Heimath versetzt glaubten, bestiegen wir die schon früher bestellten Pferde, um dem Matusiaberge einen Besuch zu machen. Der heutige Tag hatte uns sämmtlich munter gestimmt, und das Gefühl, den festen Boden wieder Hackländer, R. in d. O 1. 18 274 unter unsern Füßen zu haben, sogar etwas muthwillig. So courbettirten und galoppierten wir denn durch die Stadt zum großen Vergnügen manch' schwarzen Augenpaars, das unserm Zuge nachah und unsern Gruß lachend erwiederte. Vor der Stadt wandten wir uns links über die sogenannte Cara- vanenbrücke, welche ihren Namen daher hat, weil über fie all die zahlreichen Waarenzüge gehen, die aus dem Innern des Landes nach Smyrna kommen. Dann ritten wir rechts den Berg hinan auf einem Wege, der sich zuerst durch türkische, mit schönen Cypreffen bepflanzte Friedhöfe zieht, bald aber über dürres Heideland sehr steil nach dem Schloffe hinauf- wendet. Dieser Pfad, mit vielen und großen Steinen be- säet, macht den Pferden das Ersteigen äußerst beschwerlich. Eines derselben stürzte und warf seinen Reiter mehrere Fuß weit hinweg an ein Felsenstück, glücklicher Weise jedoch ohne ihn zu verletzen. Auf dem Berg angelangt, standen wir lange Zeit und schauten entzückt in das Panorama, das sich vor unsern Blicken aufgethan: zu unsern Füßen die Stadt, bespült von der grünlichen Welle des Meeres, das hier eine Bucht aus- füllt, die man mehrmals mit dem wunderherrlichen Golf Neapels verglichen hat. Da schaute aus duftenden Orangen und faftig grünen Feigengärten Smyrna heraus; uns zur Linken war das herrliche, mit zackigen Felsen durchsetzte Engthal des Meles, das noch jetzt den Namen des Para- dieses führt. Langsam und uns öfters umschauend erstiegen wir die letzte Klippe des Berges, um zum Gemäuer der weitläufigen Burg zu gelangen. Ein riesengroßer, weiblicher Kopf, in weißem Marmor, halb erhaben gearbeitet, war links neben einem Thore eingemauert. Er soll das Bildniß der Smyrna feyn, jener Gemahlin des arabischen Begründers der Stadt, von der fiel auch ihren Namen erhielt. Die Türken machen 275 zuweilen den Spaß, und schießen nach dem antiken Kopf mit ihren Pistolen, woher er auch schon stark beschädigt ist. Nachdem wir über Schutt und Gestrüppe in das Innere des Schloffes geklettert waren, zeigte uns ein mitgenommener Führer die Stellen, wo eins der prachtvollsten und größten Theater Asiens und der Tempel des Jupiter Acräus gestan- den; doch sieht man von allem fast nichts mehr, als schwärz- lich graue Steintrümmer, hie und da Marmorblöcke und einige großartige Mauerstrecken. Durch Zufall entdeckten wir hier noch ein sehr gutes Echo, welches drei bis vier Worte deutlich nachsprach. Wo sich die Bogen einer alten Wafferleitung in das Thal des Paradieses hinabziehen, kletterten wir mit unsern Pferden hinunter, ein Weg, den nur die des Bergsteigens fo gewohnten türkischen Pferde machen konnten. Zuweilen blieben sie auch auf Mauertrümmern, bei denen ich mich zu Fuß besonnen hätte, wie am besten hinabzusteigen fey, wanden sich aber immer glücklich durch; nur einmal mußte ich absteigen, um mein Pferd, welches sich zwischen zwei Felsblöcke fest geklemmt hatte, loszumachen. Von Weitem sahen wir noch den Platz, wo der Sage nach der Dichter der Iliade sein Häuschen gehabt haben soll; dann kehrten wir zur Stadt zurück, um uns gleich auf unser Schiff zu begeben, das, obgleich es anfanglich nur für Smyrna be- stimmt war, hier einen Befehl vorfand, oder vielleicht den- selben auch schon mitgebracht hatte, nach Beirut zu gehen. Es dämmerte schon, als wir die Anker lichteten, und dem schönen Smyrna Valet sagten. Ein plötzlicher Gewitterregen trieb uns frühzeitig in die Kajüte, wo wir uns bei einem Glase selbst gebrauten Punsches noch einige Stunden ange- nehm unterhielten. Dann legte ich mich hin, und das ein- förmige Schlagen der Schaufelräder wiegte mich bald in einen sanften Schlaf 18 276 Am 11. December trat ich etwas später als fonst aufs Verdeck; denn ich hatte schon durch meine Fensterlucken bemerkt, daß der Himmel nicht fo freundlich auf uns herab- sah, wie die vorhergehenden Tage. Aus Südwest hatte sich ein ziemlicher Wind aufgemacht und bewarf die Flanken des Schiffs zuweilen mit schäumenden Wellen, das sich aber dadurch auch gar nicht irre machen ließ oder dem Feind auch nur einen Fuß breit wich. Ich habe bei gleicher Pferde- kraft nie eine so emsig arbeitende Maschine gesehen, wie die des Crescent. Er machte beständig, sogar gegen den Wind feine zwei und zwanzig bis drei und zwanzig Rotationen in der Minute. Das Schiff hatte, wie uns der Kapitän und einer unserer Gefährten, die schon mehrere Fahrten und bei stürmischem Wetter mit ihm gemacht, versicherten, die Eigen- heit, nicht wie ein anderes Fahrzeug, bei hoher See die Wellen zu erklimmen, sondern es schnitt gerade hindurch, was denn freilich den Nachtheil hatte, daß die Wogen be- ständig das Verdeck bespülten. Der Crescent ist in Eng- land gebaut und seine Masten und der Schornstein, die schief nach hinten zu gestellt sind, geben dem schlanken Schiffe ein keckes, flottes Ansehen. Vor uns hatte die alte Geschichte wieder ihr Buch in Originalausgabe aufgeschlagen. Wir fuhren gen Samos und Ikaria; erstere, die Geburtinsel Pythagoras, zeigt sich dem Auge sehr anmuthig; schon der alte Beiname Anthemos, bezeichnet sie als die blumenreiche; dort verlebte nach der Sage, Juno, die Himmelskönigin, den ersten Tag ihrer Kind- heit, und wer von uns war nicht in Gedanken schon hier, wen hätte nicht Schiller hieher geführt, wenn er uns er- zählt, wie Polykrates feinen Ring in's Meer warf, als das Kostbarste was er besaß, dem Glück zum Opfer, das ihn mit Gaben überhäufte. 277 Während wir bei dem Hauptorte der Insel, dem Städt- chen Kora, vorbeifuhren, trübte sich der Himmel gänzlich, und ein mächtiger Platzregen nöthigte uns, die Kajüten zu suchen, doch zog das Wetter bald vorüber, und als wir von Neuem das Verdeck betraten, standen hinter uns zwei pracht- volle Regenbogen, aus den dunkeln Gewitterwolken hell her- vortretend. Dabei gewährte uns eine Kriegsbrigg, der wir schon vor einigen Stunden vorbeifuhren, ein gar hübsches Bild; denn wir sahen sie jetzt mitten unter jenen farbigen Bogen stehen, mit ihren schneeweißen Segeln einer Taube gleich, die vom heiligen Schein umgeben, dahin schwebt. Gegen ein Uhr Mittags sahen wir südwestlich die Stadt Pathmos, auf welcher sich die Grotte des Apostel Johannes befindet. Dann fuhren wir um die nördliche Spitze der Insel Kos oder Stanco, das Vaterland Hippokrates und Appelles. Zwischen der östlichen Spitze von Cos und dem Cap Krio zeigte sich das Waffer des Meeres in einem Streifen von vielleicht zwei Miglien rein himmelblau, obgleich der Himmel dunkelgrau bezogen war und die übrige Meeres- fläche eben diese Färbung hatte. Schon seit Mittag hatte uns der Capitän am fernsten Horizont einen blauen Streifen gezeigt, Rhodus, und ich trat nun beinahe jede Viertelstunde an's Boogpriet, um zu sehen, ob wir auch jener Insel, für die ich von Jugend auf ge- schwärmt, näher kämen. Viel zu langsam ging mir das eilende Dampfschiff. Schon dunkelte der Abend, und das Land, welches das Kreuz in der tapfern Hand der Johanniter so lange dem Halbmond streitig gemacht hatte, wollte nicht näher rücken. Als ich so nachdenkend hinblickend auf dem Anker faß, war mir, als sähe ich einer großartigen Tragödie, Rhodus, zu; der erste Act hatte uns die Handlung in un- deutlichen Umriffen gezeigt, hatte uns durch die Erzählung des früher Geschehenen neugierig gemacht, den Ort, wo 278 das Weltdrama spielte, näher zu sehen, und jetzt fiel der Vorhang – hier der Schleier der Nacht, und ließ nur die Gedanken durchdringen, um sich die fernere Scenerie auszu- malen. Doch arbeitete unser Schiff während dem Zwischen- acte kräftig vorwärts, und als nach einer Stunde der Mond aufstieg und hell durch die zerriffenen Wolken schien, begann der zweite Act und führte uns in das Innere des Stückes; deffen erste Decoration die Trümmer eines uralten Hafens waren. Die Form des Beckens konnte man noch eben in feinen äußern Umriffen erkennen. Das Meer wühlte in den Felsen- blöcken, die früher gewiß fest zusammen gefügt waren. Es war der alte Hafen, auf dem der berühmte Coloß von Rhodus gestanden, jenes Bild aus Erz, das mit gespreizten Beinen einem Thore gleich, vor der Oeffnung des Hafens stand, und hoch in der einen erhobenen Hand einen Feuerbrand hielt, den einlaufenden Schiffen zum Zeichen. Jetzt traten uns die Lampen der Leuchtthürme, die bisher matt durch den Nebel geschimmert hatten, deutlicher vor Augen. Unser Boot machte eine große Wendung, fuhr mit halber Kraft in den neuen Hafen hinein zwischen den beiden maffiven festen Thürmen des Erzengels und des heiligen Nikolaus durch, und warf neben einer östreichischen Corvette die Anker. Da waren wir denn in dem Hafen von Rhodus, der schönen „Rose“ angekommen, und der Mond war so gefällig, uns die Mauern und Thürme der Stadt so ziemlich zu beleuchten. Der Anblick derselben gewährte uns so gar nichts Türkisches; Alles war solid und fest gebaut, und zeigte, obwohl verfall- len, daß kräftige Hände und eine geregelte Kriegskunst diese Werke aufgeführt haben. Man hätte glauben können, vor einer europäischen Festung zu feyn, wenn uns nicht über eine der Mauern das Siegel des Orients, eine schlanke Palme, die erste, die wir fahen, entgegen genickt hätte. Wir blieben 279 die Nacht über an Bord; doch kaum ging die Sonne auf, so ließen wir uns nach der Stadt rudern, und stiegen bei dem Hafenthor an's Land. Hier waren der Sage nach noch im sechszehnten Jahrhundert die Gebeine jenes Drachen zu sehen, den der tapfere Ritter des Ordens, Dieudonné de Gozon erschlug, und ihre Größe wurde von den Aus- und Ein- gehenden bewundert. Es macht gewiß nicht leicht eine Stadt einen seltsameren Eindruck auf das Herz des Europäers, der ihre Geschichte kennt, als das jetzige Rhodus, die entblätterte Rose. Die Türken, die schon feit 1522 Besitzer derselben sind, waren nicht im Stande, diese Stadt, wie die andern, die ein gleiches Schicksal hatten, so ganz in ihren Schmutz herabzuziehen. Das alte Rhodus mit ganzen Straßen kleiner mafiver Häuser und den aus der Ritterzeit herstammenden Festungswerken und Gräben, gleicht einer eroberten und zerstörten Kirche, die der neue Herrscher seinem Cultus gemäß umänderte. Doch wenn er auch da ein Fenster zumauerte, dort ein neues brechen ließ, oder auf die alten kräftigen Thürme ein Spitz- dach setzte, wenn er auch die Bilder der Wände auskratzen, die Mauerverzierungen abbrechen ließ und das Ganze mit seinen schmutzigen Händen besudelte, so fieht doch der Wan- derer, der ehrfurchtsvoll näher tritt, nichts von den neuen Verunzierungen, sondern eine Blicke faffen gleich das alte ehrwürdige Denkmal, wie es damals gewesen, auf, ohne die Kuckucksbrut zu bemerken, die jetzt in dem Nest des mächtigen Raubvogels nistet. Wir wandelten durch die Gaffen, die noch aus den Zeiten der Ritter her mit einem guten Pflaster versehen find. Das Treiben der Türken, die ihre schlechten Baracken an mächtige Mauern geklebt haben, und Angesichts der Wälle, auf denen die tapfern Johanniter für den Glauben kämpften und starben, faul auf die untergeschlagenen Beine 280 sitzen und gedankenlos den Tabaksrauch von sich blafen, erschien uns ganz fremdartig und paßte nicht hieher. Es machte denselben Eindruck, als wenn man in einer unserer Städte die Türken auf einmal Herr und Meister spielen sähe. In allen andern Städten in der Türkei, und wenn fie noch so schön und großartig sind, wie Stambul, Adria- nopel, Smyrna c., paßt doch der Anblick des faulen orien- talischen Treibens zu Allem und wir Europäer waren, wie natürlich, eine fremde Zuthat. Doch, wie schon gesagt, hier in Rhodus ist es ganz umgekehrt. Wir wandelten durch die Bazars, die nirgends fehlen dürfen. Das Einzige, was von den Artikeln, die hier ausgebreitet lagen, uns des Kaufens werth erschien, waren schöne reife Orangen, die ersten, die wir auf unserer Reise gesehen, denn in Stambul waren erst wenige auf den Markt gekommen. Die Stadt Rhodus steigt auf zwei Höhen, die sich nach West und Nord erstrecken, fanft aus dem Meere empor, weshalb auch alle Straßen von dem Hafen aufwärts laufen. Die alten zerfallenen massiven Gemäuer, die durch die Stadt zerstreut liegen, und an die der Türke fein armseliges Haus gebaut, sind bedeckt mit Epheu und umgeben von frischen Baumgruppen. Der Orangen- und Citronenbaum hatte hier schon Blüthen und Früchte, und die breiten Blätter des Rebenlaubes bildeten schattige Plätze. Auf den Wällen und in den Gräben erwies sich die Natur dem alten Rhodus freundlich und bedeckte das graue Gestein mit grünen Pflanzen und bunten Blumen. An die Einnahme der Stadt durch Soleiman erinnerten noch mehrere steinerne Kugeln, die hie und da umherlagen und wovon einige von einer wirklich ungeheuren Größe waren, denn sie halten eilf bis zwölf Spangen im Umfang. Wir sahen die Cathedrale, vormals die Kirche des heil. Johannes, von den Türken in zwei Theile getheilt, wovon der 281 zum Getreidehaus, der andere zur Moschee benutzt wird. An den Wänden der letzteren hatte man die Gemälde, die dieselben zu den Zeiten der Johanniter bedeckten, mit weißer Farbe überstrichen, aber nicht verlöschen können; denn hie und da sah man noch Figuren in unbestimmten Umriffen hervor- leuchten. Nicht weit davon liegt der frühere Palast des Großmeisters, ein großes viereckiges Gebäude, mit Gräben umgeben. Wir gingen nur bis unter das gothische Thor und fahen in den Hof hinein, den eine von Säulen ge- tragene Galerie im Viereck umgibt. Vor dem Schloß stand eine uralte Platane, von der ich mir ein Blatt abbrach und zum Andenken an Rhodus mitnahm. Das Merkwürdigste und für den Europäer wirklich rührend ist eine kleine, öde, unbewohnte Gaffe, die neben dem Palaste des Großmeisters liegt und noch jetzt den stolzen Namen Strada dei Cavalieri führt; denn hier waren ehemals die Wohnungen der verschiedenen Ritter aller Zungen. Jetzt wohnt. Niemand hier; auf dem mit breiten Steinplatten ge- pflasterten Boden wächst Gras, die Straße gleicht einem Kirchhofe und die kleinen Häuserchen, alle von einander ver- schieden und jedes nach dem Geschmacke aufgeführt, den der Erbauer aus der fernen Heimath mitgebracht, stehen daneben, wie eben so viele Grabsteine, auf denen, wenn auch nicht der Name des Ritters, der fiel erbaute, doch das Wappen deffelben, in Stein gehauen, prangt. Fast jedes dieser Häuser hat eine Treppe vor der Thür; dann gelangt man durch einen dunkeln Gang auf einen kleinen Hof, in welchem Knappen und Dienerschaft wohnten. Die Gemächer der edlen Johanniter selbst im Vorderhause find nicht sehr geräumig und durch die kleinen vergitterten Fensten sehr dunkel. Die Straße der Ritter, welche ebenfalls bergan läuft, führt oben auf die Höhe des Walles, von wo wir auf den Trümmern eines zerklüfteten Pulverthurms stehend 282 die Bollwerke und Thore, welche die französischen, deutschen, englischen und welchen Ritter vertheidigten, fo wie das Sieges- thor und das athanatische sahen. Auch sahen wir von hier die drei Hafen, welche Rhodus hat. Der Boot- hafen, in welchem unfer Dampfboot ankerte, neben ihm die Galeerenhafen, wo sich die Schiffswerften befinden, und der durch das Castell Elmo beschützt wird, und auf der andern Seite der kleine Hafen, wo der Coloß fand und der von einem Klippenvorsprung und der Landzunge, auf welchem der Engelsthurm steht, gebildet wird. Schon um Mittag rief uns der Signalschuß an Bord des Dampfschiffes zurück. Wir lichteten bald darauf die Anker und wandten uns dem anatolischen Festlande zu, wo die große durch umgebende Gebirge von allen Seiten vor der Gewalt der Winde geschirmte Bucht von Phisco und in deren Grunde der kleine Ort Marmoris liegt, nach welchem heute der schöne natürliche Hafen der von Marmariffa heißt. Schon seit den ältesten Zeiten ist das kleine Marmaris berühmt. Alexander, der es umzingelte, konnte die Bewohner nicht bekämpfen. Sie zündeten ihre eigene Stadt an, erwürgten Weiber und Kinder und schlugen fich durch das macedonische Heer in die Gebirge. Soleiman versammelte hier im Hafen die Flotte, die zur Eroberung am Rhodus bestimmt war, und ebenso die Engländer zu Anfang dieses Jahrhunderts die ihrige, welche, dreihundert Segel stark, wider Aegypten auslaufen sollte. Heute, wo sich unter Dampfschiff von Rhodus nach Marmaris wandte, sah der kleine Ort wieder eine gewaltige Kriegsmacht, die sich vor feinen verfallenen Mauern versam- melte; denn die englische Flotte unter Admiral Stopford, vereinigt mit der östreichischen Escadre, lag da vor Anker. Nachdem wir Rhodus verlaffen, hatte sich das Wetter, das den Morgen über klar und freundlich gewesen war, plötzlich verändert und die See ging ziemlich hoch. Um so 283 seltsamer war der Anblick des Hafens von Marmariffa, als wir, nachdem das ziemlich stürmische Meer und die ganz kahlen Gebirge des asiatischen Ufers hinter uns lagen, plötzlich in jener Bucht von frischen grünen Bergen umgeben, auf einem Waffer fchwammen, das spiegelglatt und klar, einem großen Land- fee glich, und uns mitten zwischen diesen Schiffskoloffen sahen, die gleich furchtbaren Riesen in ihrer Höhle, hier im Schlafe neben einander von einem eben bestandenen Kampfe aus- ruhten. Dies waren die mächtigen Kanonen, welche Beirut beschoffen und Acre beinahe vernichtet hatten. Jetzt fuhren wir neben dem Powerful, auf dem der Commodore Napier befehligt und senkten unter seinen Kanonen den Anker. Dort lag die Prinzessin Charlotte; auf ihrem Mittelmast flatterte die Flagge des Admirals Stopford; das herrliche Schiff schien uns Fremdlinge mit seinen hundertundzwanzig Kanonen wie mit eben so vielen Augen neugierig zu beschauen. In ihrer Mitte ankerte die Fregatte Lipsia, auf der sich der junge Erzherzog Friedrich von Oestreich befand. In Allem befanden sich hier dreizehn Linienschiffe, vier Fregatten, vier Briggs, drei Corvetten und vier Kriegsdampfschiffe. Mehrere dieser Fahr- zeuge befferten ihre Masten und Takelwerk aus; denn ob- gleich Admiral Stopford beim Beginn der stürmischen Witte- rung zu Ende Novembers die offene, sehr unsichere Rhede Beiruts verlaffen, so hatte doch der Sturm vom ersten und zweiten Dezember, der auch uns mit dem Dampfboot Seri- Pervas im Marmormeer scheitern machte, stark unter der Flotte gewüthet, mehrere Schiffe leicht beschädigt, eine Corvette ihrer sämmtlichen Masten beraubt, und eine Brigg, vom Sohne des englischen Admirals befehligt, war gänzlich zu Grunde gegangen. Einige Seeoffiziere versicherten uns, wenn das Unwetter noch einen Tag gedauert hätte, wäre die ganze herrliche Armada schwerlich dem Verderben entronnen. Wir 284 - blieben noch, bis das Licht des unterdessen aufgestiegenen Vollmonds unserem Steuermann den Weg aus dem Hafen wies, und verließen Marmariffa im Augenblick, wo auf sämmtlichen Schiffen von vollständigen Musikchören der Zapfenstreich ertönte. Es war für uns ein eigenes Gefühl, so viele Stunden von der Heimath den Priesterchor aus Norma zu hören. Am folgenden Morgen lachte uns wieder das herrlichste Wetter. Wir sahen schon in weiter Entfer- nung die Insel Cypern vor uns. Das Meer war eben wie ein Spiegel, der Crescent arbeitete so wacker vorwärts, daß wir schon gegen eilf Uhr die Insel erreichten und bei Larnaca, eine halbe Seemeile vom Lande entfernt, den Anker warfen. Wir fuhren in einer großen Schaluppe nach der Stadt und ich habe nie das Meer so klar und von so schöner Farbe gesehen, wie heute. Man konnte deutlich auf den Grund schauen und Muscheln und Steine erkennen, die gewiß an fünfzig bis sechzig Fuß unter uns lagen. Unser Capitän hatte bei dem Agenten der Dampfschifffahrtsgesellschaft eine Depesche abzugeben und wir benützten diesen Aufenthalt von einigen Stunden, um den köstlichen Cyperwein an der Quelle zu versuchen. Der Agent setzte uns eine Flasche, und wie er selbst sagte, vom besten vor; doch konnten wir ihm ins- gesammt keinen Geschmack abgewinnen. Desto mehr erfreute uns aber der Anblick eines jungen, sehr schönen Mädchens in diesem Hause, im reizenden griechischen Costüm, die unter einer Laube von Orangen faß und mit weiblicher Handarbeit beschäftigt war. Das gute Geschöpf mußte viel von unsern neugierigen Blicken leiden, denn wir hatten lange kein interessantes weibliches Wesen mehr gesehen; und unsere Herzen waren daher so erkaltet, daß wir es wagen konnten, ein paar lange Minuten hindurch das strahlende Feuer ihrer schönen Augen auszuhalten. 285 Wir streiften eine Weile in der Nähe der Küste herum und trafen zufällig einen deutschen Landsmann; es war ein Schwabe, der in dem Kapuzinerkloster hier die Dienste eines Schneidermeisters, Garderobiers und Haushofmeisters versah. Wir mußten ihm zu den ehrwürdigen Vätern folgen und blieben eine halbe Stunde bei ihnen, worauf uns der Deutsche in eine Locanda führte, wo wir nach feiner Versicherung den köstlichsten Cyprier unverfälscht und von bester Sorte haben könnten. Wir folgten einem Rath und seiner Führung, ohne das später zu bereuen, denn der klare goldgelbe Wein, der uns dort von einem schönen schwarzäugigen Mädchen credenzt wurde, übertraf an Feuer und Wohlgeschmack. Alles, was ich bisher getrunken. Nach einer Stunde kam der Capitän selbst, um uns aufzusuchen und zur Abfahrt zu mahnen. Er war mit den Gelegenheiten in der Stadt schon bekannt und hatte nicht umsonst geahnet, daß er uns hier an der Quelle des köstlichen Nektars finden würde. Wir gingen nach dem Schiffe zurück und mußten, ob- gleich es im December war, die Strahlen der Nachmit- tagssonne schwer empfinden. Ein öderer, baum- und strauch- loserer Anblick, wie aber auch diese Insel von der Südseite bietet, ist nicht leicht zu finden. Der Boden ist weißer Kalk- stein, mit Kieselstein und Marienglas bedeckt; doch soll dagegen der nördliche Theil Cyperns, der von hohen Ge- birgen durchschnitten ist, der freundlichen, ja sehr schönen Gegenden viele aufzuweisen haben. Wir lichteten gegen zwei Uhr die Anker und da die heutige Nacht die letzte unserer jetzigen Seereise war, rüsteten wir unser Gepäck, um Morgen früh bei unserer Ankunft in Beirut gleich. Alles in Bereitschaft zu haben und das Boot verlaffen zu können. Wir hatten eine schöne angenehme Nacht, das Meer war spiegelglatt und ruhig wie ein Teich, nur ein leichter Wind 286 blähte das Segel, das der Capitän, den Lauf des Schiffes zu befördern, aufspannen ließ. Das erste Frühlicht des neuen Tages traf uns schon auf dem Verdeck, denn aus der Dämmerung der Nacht begann für uns ein prächtiges ungeheures Schauspiel aufzutauchen. Wir hatten das Ziel unserer Seefahrt erreicht und vor uns lag der schneebedeckte Libanon, zu seinen Füßen das arme zerschoffene Beirut. Aeußere Ansicht der Stadt. – Der Libanon. – Innere Anficht der Stadt. – Das Schloß am Meer. – Die Bazars. – Gewühl auf den Straßen. – Weiber. – Türkische Artillerie. – Beduinen. – Das Drufenlager. – Pinienanpflanzungen. – Aufenthalt in Beirut. – Jungfräulichkeit neuer Schiffe. – Die türkische Thorwache. Krankheit der Freunde. – Ein Ritt in den Libanon. – Friedrich. O Land der Zelte, der Geschoffe, O Volk der Wüste, kühn und schlicht Beduin, du selbst auf deinem: Roffe Bist ein phantastisches Gedicht. Freiligrath. Welch' ein Unterschied ist zwischen dieser syrischen Stadt und denen der Türkei, die wenigstens von Außen dem Auge mit ihren ragenden Minarets und prangenden Cypreffen einen lieblichen Anblick gewähren. Man sieht, hier trägt der Mensch einen Steinhaufen zusammen, um unter ihm Schutz gegen die glühende Sonne zu haben, und darauf eine Terraffe, wo er der Abendkühle genießen kann. Die Gebäude mit platten Dächern sind alle von gleicher Höhe und haben fast gar kein Fenster; nur hie und da deuten in hohen und breiten Mauern zwei oder drei Löcher eine solche Idee an. Alles ist von gleicher Farbe, der ursprünglichen des Bausteines, einem verbrannten Braungelb, und das Haus ist vom Felsen, auf dem es steht, kaum zu unterschei- den. Die drei, vier Minarets der Stadt find kaum ein Drittheil so hoch, wie die gewöhnlichen in Constantinopel, aber eben so dick, was ihnen ein plumpes, gedrücktes An- sehen gibt. Es ist, als wäre es den arabischen Maurern unter der Arbeit zu heiß geworden, und da haben sie, statt Hackländer, R. in d. O. I. 10 290 noch zweimal so hoch zu bauen, und dann ein schlankes Spizthürmchen aufzusetzen, der Sache ein Ende gemacht, indem sie mit einem massiven, beinahe flachen Dache schloffen. Gewiß, brächten nicht die die Stadt umgebenden unzähligen Hecken von Cactus und einzelne stolz emporragende Palmen einiges Leben in die Seeseite, man müßte die Gegend für ausgestorben, und jene braune Häusermaffe für eine von ihren Bewohnern verlaffene Ruine halten. Doch mag an dem für uns ganz unerquicklichen Anblick auch die Jahreszeit einige Schuld haben; denn obgleich es drückend heiß war, herrschte hier auch Winter, und die zahlreichen Maulbeer- und Feigenbäume zeigten uns nur kahle Aeste. Es ging mir hier wie den Kindern, die das beste bis zuletzt aufsparen. Erst als sich mein Auge übersättigt hatte an den Maulwurfshaufen der Menschen, hob ich meinen Blick langsam empor zu jenem ewigen majestätischen Bau, den hier die Natur hingestellt, zum stolzen Libanon. Lange sah ich hin, und meine Gedanken jagten durch seine Schluchten, zogen seine Felsspitzen hinauf und hinunter, flatterten um - das ganze Gebirge, und endlich kühlten sich die erhitzten im Schnee, der sein Haupt bedeckt, ab. Nie hat etwas auf mich einen größeren Eindruck gemacht, nicht der Balkan, den ich überstiegen, nicht das Meer, als ich es zum ersten Male gesehen, nicht Constantinopel, noch Smyrna! Das große Boot, welches von der Stadt gekommen war, uns dorthin abzuholen, schwankte stark in den heftigen Wogen des Hafens; hier ist das Waffer stets bewegt und durch große Felsstücke, die in der See hie und da versprengt liegen, für größere Schiffe unfahrbar; selbst Nachen kommen beim ruhigsten Wetter nicht ganz an's Ufer, weshalb Paffa- giere und Güter auf den Schultern der Lastträger nach dem Quai getragen werden. Je näher wir der Stadt kamen, desto deutlicher fahen wir die Verheerungen, welche die 291 Kugeln der Flotte angerichtet; die Front fast sämmtlicher an der See befindlichen Gebäude war mehr oder minder durchbohrt, Stücke der Mauern herabgestürzt, verschiedene Erker, die hie und da nach türkischer Sitte an den Häusern kleben, zertrümmert; sie erschienen wie muthwillig zerstörte Schwalbennester. Das Fort St. Georg am Eingang des Hafens ist fast gänzlich demoliert, eine dicken Mauern nach allen Seiten durchlöchert. Ein Gang, den wir gleich bei unserer Ankunft durch die Stadt zum Hause des österreichischen Consul Herrn Laurella machten, zeigte uns das Innere derselben mit der äußern Ansicht beinahe ganz übereinstimmend. Man sieht überall nur die äußerste Nothdurft befriedigt, keine Idee von Luxus oder Eleganz, keine bunte, helle, wenn auch geschmacklose Verzierung an den Häusern, wie in der euro- päischen Türkei, oder hie und da einen freien Platz. Die ganze Stadt kam mir wie ein großes, unregelmäßig zusam- mengemauertes Gebäude vor, alle Wände massiv, gleich hoch und schmutzig. Die Gänge oder vielmehr Straßen sind so schmal, damit der brennende Sonnenstrahl nicht eindringe. Hiezu kommt noch, daß die sehr hohen Häuser alle dreißig bis vierzig Schritte mit steinernen Bogen vereinigt sind, die sich über der Gaffe wölben. Auf uns, die wir bei unsern Bauten nichts so sehr lieben, wie Geräumigkeit und frische Luft, wirkt eine solche gefängnißartige Stadt eigentlich brust- beengend, und obendrein entsteigt den Straßen und Ge- wölben ein unerträglicher Geruch. Die Unannehmlichkeit wurde noch erhöht durch das Drängen und Stoßen der vielen Menschen in den Gaffen; die Stadt war im Augen- blick überfüllt mit englischen und türkischen Soldaten, Be- duinen, Arabern, Bergvölkern e. Da der einzige Gasthof Beiruts, eine schmierige Locanda, die unter dem Befehl eines Italieners steht, von englischen 19 - 292 Offizieren ganz in Beschlag genommen war, so standen wir auf der Gaffe, ohne Aussicht auf ein auch nur ganz mittel- mäßiges Unterkommen. Unsere angenehmen Reisegefährten, fünf österreichische Offiziere, die sich in dem Kriege gegen Mehemet Ali einige Lorbeeren pflücken wollten, brachte der Consul Laurella so gut wie möglich in seinem Hause unter und bot auch uns daffelbe an. Indeffen hatte Giovanni, der arabische Dolmetscher und Koch, den der Baron in Smyrna angenommen (er war hier zu Hause), mit einem Bekannten unterhandelt, der uns ein Haus, eine Viertelstunde westlich von der Stadt am Meere gelegen, um einen billigen Preis anbot, was wir mit Freuden annahmen. Diese Villa, das Schloß am Meer, wie wir sie tauften, hatte, obgleich es nur das Haus eines syrischen Land- wirthes war, wie alle diese Gebäude etwas castellartiges, vier hohe steinerne Mauern, an denen man von außen nur kleine vergitterte Fensteröffnungen sah. In den unterm Stock, der sonst ohne Fenster, nur zur Aufbewahrung von Geräth- schaften dient, war für die Zeit unsers Aufenthalts hier, der Besitzer mit seiner Familie gezogen, und der obere Stock bildet eine Teraffe, um welche auf zwei Seiten in einem rechten Winkel unsere drei Zimmer lagen. Diese geräumige Teraffe war fast unser beständiger Aufenthalt, hier hatten wir, was wir in der Stadt so sehr vermißten, reine gesunde Luft, und welche Aussicht und Umgebung! – Nördlich, so weit das Auge reichte, die gewaltige Meerflut, östlich die Rhede der Stadt, und hinter derselben der Libanon, defen Zug wir von Tripolis bis beinahe Saida mit unsern Blicken verfolgen konnten. Den traurigen An- blick Beiruts verdeckte uns ein kleiner Hügel am Meer. Der türkische Friedhof mit seinen weißen Steinen und ge- wölbten Grabmälern, die Wohnung der Todten, war freund- licher, als die Stadt der Lebenden. 293 Zu unserer großen Unterhaltung war das Meer stets belebt wie eine große Landstraße; alle Schiffe, die von Alexandrien, Marmariffa, Cypern c. kamen, mußten an unserer Terraffe vorbei; fast täglich kamen und gingen eng- lische Kriegsdampfboote, Mannschaften oder Depeschen bringend, eine zahllose Menge großer und kleiner Kauffahrtei- schiffe kreuzten sich beständig auf dem Meer und der Rhede; auch hatten wir zweimal das Vergnügrn zu sehen, wie ein englisches Linienschiff ersten Ranges in weiter Ferne mit den Mastspitzen auftauchte, langsam die Höhe der See erstieg und nach einigen Stunden in feiner majestätischen Gestalt an unserm Hause vorbeischwamm. Ein solches Schiff, vom Verdeck bis in die Spitzen mit Leinwand bekleidet und die Seitensegel ausgesetzt, gleicht in der Ferne einem erzürnten Schwan, der mit gesenkten Flügeln und gesträubten Federn den großen Teich, sein Königreich, durchzieht. Südlich von unserer Wohnung bildet das Terrain einige Hügel, die mit vielen kleinen und größern Häusern bedeckt waren; sie nahmen sich mit ihrer Umgebung von grünen Oelbäumen und großen schlanken Palmen, alle von gewalti- gen Cactushecken umzäunt, sehr hübsch aus. Eines der- selben hatte für uns besonderes Intereffe, hier wohnte Lamar- tine einige Monate, und hier starb seine einzige Tochter Julie. Nachdem wir uns einigermaßen in der Villa eingerich- tet, d. h. Teppiche auf dem Boden der Zimmer ausgebreitet, wozu die arabischen Hausleute, – es waren jedoch katholische Christen – mit großer Gutmüthigkeit die Decken ihrer eigenen Betten gaben, auch Küchengeschirr, Gläser, Teller, Pfan- nen c. gekauft, betrachteten wir unsere Umgebungen und die Stadt, die wir bis jetzt nur sehr flüchtig angesehen, etwas genauer. Unser Weg führte uns längs der Küste, an welcher wir in verschiedenen Säulentrümmern, die hier herumlagen, so wie in Stücken alten Mosaikpflasters und 294 verwitterten Mauern, die das Meer bespülte, Ueberbleibsel der Gebäude oder der Befestigungswerke der alten Stadt Berytus zu erkennen glaubten. Bei sehr ruhiger See habe ich oft stundenlang am felsigen Gestade geseffen und konnte deutlich unter den Wellen den Grundriß einzelner Häuser verfolgen; kleine Fische schwammen ruhig in den Wohnungen der Menschen umher. Die Stadt, welche, wie gesagt, von der Seeseite einen traurigen Anblick gewährt, macht sich vom Lande her etwas beffer und ist hier mit ziemlich erhaltenen alterthümlichen Mauern und Thürmen umgeben, die wohl noch aus den Zeiten der Kreuzzüge herrühren, wo, wie bekannt, die Christen unter Balduin IV. die Befestiguug von Beirut forg- fältig wiederherstellten; auch geben hier zahlreiche Oliven- bäume und Palmen, so wie die immer grünen Cactushecken ihrem grauen Gesicht eine jugendliche Schminke. Ueberall sahen wir jedoch die Verheerungen, welche das Bombarde- ment der englischen Flotte kürzlich angerichtet. Hier war ein Stück von der Mauer herabgestürzt, dort fehlte einem Thurme eine Ecke, an diesem Hause hatte eine Kugel zwei Fenster in eines verwandelt, so daß man in die Zimmer sehen konnte; einzelne Granaten und Kugeln waren bis zu unserm Landhaus geflogen, und wir fanden in dem Garten mehrere von sehr schwerem Caliber. Auch das Innere der Stadt hatte bedeutend gelitten. Es war mir immer ein eigenes Gefühl, wenn ich jene alten Zeiten, wo frommer Eifer Leben und Gut opferte, um jene Ringmauern zu er- richten, mit den jetzigen Tagen zusammenzureimen suchte, wo Christen die Gefälligkeit hatten, dieselben Werke für Rech- nung der Türken zusammenzuschießen. Der fünfte und letzte Akt dieses grandiosen Trauerspiels wäre gewesen, wenn Ibrahim Pascha sich nach Jerusalem geworfen und christliche Kugeln die Kuppel der Grabeskirche zerschmettert hätten. 295 Auf den Straßen fanden wir auch heute daffelbe Ge- wühl, denselben Schmutz und Gestank wie am Tage unserer Ankunft; ich habe nie so mancherlei Parfüme genoffen, als auf meinen Spaziergängen durch Beirut. Wie in allen orientalischen Städten sind auch hier drei Viertheile der Straßen zu Bazars eingerichtet und bilden lange Reihen offener Gewölbe; denn außerdem, daß der Kaufmann feine Waaren ausstellt, sitzen auch alle Hand- werker in ihren verschiedenen Straßen offen vor den Augen der Vorübergehenden. In einer Gaffe sieht man die An- fertigung des verschiedenartigsten Fußzeugs vom kleinen Pan- toffel bis zum größten Reitstiefel; in einer andern bergen sich hunderte von Webstühlen, deren Einfachheit übrigens be- merkenswerth ist; mit den Kosten und dem Holze eines der unsrigen macht man wenigstens fünf türkische. Dort liegt die Gaffe der Waffenschmiede, welche in diesen Tagen stets gedrängt voll ist; besonders die Bergbe- wohner wogten hier auf und ab und ließen ihre neuen Ge- wehre, womit die türkische Regierung sie gütigst beschenkt, ausbeffern und putzen. Mir ist bange, diese Gewehre, welche in diesem Augenblick freilich alle auf Ibrahim Pascha gerichtet sind, möchten in Kurzem anfangen, den Türken selbst furchtbar zu werden; denn schon jetzt gab jeder, der eines erhalten, deutlich zu verstehen, daß er es nicht gutwillig wieder hergeben werde. Weiterhin sieht man die Barbiere mit ungemeiner Ge- schicklichkeit die Köpfe der Gläubigen bearbeiten letztere geben dabei recht eigentlich den leidenden Theil ab, denn der Bar- bier legt den Kopf auf sein Knie und dreht und wendet ihn nach Gefallen, um, jedem Haare am besten beizukommen. Ich fand die Straßen hier bei Weitem interessanter be- lebt als selbst in Stambul. Während dort jeder seinem 296 friedlichen Geschäft nachgeht und so rasch als möglich fort- zukommen sucht, wandern hier die verschiedenen Volksstämme, die der Krieg zusammengeführt, mit Waffen bedeckt, langsam und gravitätisch vorüber. Die kräftigen Männer des Ge- birges, von denen ich oben sprach, in weiten farbigen Bein- kleidern und meistens rothen gestickten Jacken, den weißen Turban auf dem Kopfe, sieht man gewöhnlich in großen Haufen, sie sind lustig und guter Dinge, denn auf dem Rücken haben sie ja wieder ein Gewehr, ihre Lieblingswaffe, die ihnen Ibrahims kräftige Hand abgenommen, der bei Todesstrafe verbot, Waffen zu tragen. Zwischen ihnen durch schleicht ernst und still ein Beduine, der Sohn der Wüste, mit bronzefarbenem Gesicht. Der lange weiße oder gestreifte Burnus hängt von feiner Schulter bis auf den Boden, auf dem Kopf trägt er das nationelle gelb und roth gestreifte wollene Tuch, das ein Kranz aus kleinen farbigen Stricken befestigt. Obgleich ihn nur selten die Woge des Lebens aus feinem Sande zu diesen Herrlichkeiten führt, so betrachtet er doch die Kaufläden, ohne eine Miene zu ver- ziehen, mit den durchdringenden schwarzen Augen und raucht aus seiner kurzen Pfeife. Hinter ihm kommt ein Miralaja, ein großherrlicher Oberst, auf schönem wohlgenährtem Pferde, den Diamantstern als Zeichen seiner Würde auf der Brust, gefolgt von mehreren Dienern, die ihm Waffen und Pfeife nachtragen. Dort schreiten zwei Arnauten in ihrem malerisch schönen Costüm; es ist wie das griechische mit weißer Futanella und rother Jacke; sie gehen trotzig umher, ohne einem Menschen auszuweichen, eine Hand in den Gürtel gesteckt, der außer zwei Pistolen, einen Yatagan, einem Dolche, einem Meffer, noch Feuerzeug und Pfeife beherbergt. Ich habe unter diesen Menschen fast keinen gesehen, der eine angenehme, gute Gesichtsbildung gehabt, oder in 297 deffen Zügen nicht ein böser, heimtückischer Ausdruck gelauert hätte. Sie bilden eine unregelmäßige Truppe Infanterie und . Cavallerie. Man kann sie fast noch als Nachzügler der ehe- maligen Janitscharen und Mameluken betrachten; sie desertieren ohne Weiteres hier und laffen sich dort wieder anwerben, je nachdem sie mehr Beute und beffern Sold zu erwarten haben; sie fechten nur dann, wenn sie Lust haben, und es kommt ihnen gar nicht darauf an, ihre Offiziere zu morden. Ibrahim Pascha hat noch vor wenigen Wochen etliche und zwanzig dieser Galgenstricke erschießen laffen, die fich eine Widersetzlichkeit zu Schulden kommen ließen; doch sagt man allgemein, was Tapferkeit anbelange, feyen die fünf bis sechstausend bei einer Armee feine besten Truppen. Von den Einwohnern Beiruts sind diese vagabundieren- den Kriegsknechte übrigens außerordentlich gefürchtet, und in einem Kaffeehause, wo sich ein Arnaut niederläßt, rücken die andern ängstlich zusammen. Die Mannigfaltigkeit der Costüme auf den Straßen vermehren noch die in ihrem Auf- zug verschiedenen Sekten der Christen, Griechen, Armenier, Maroniten. Die Weiber der letztern tragen einen eigenen Kopfputz, eine komische, zwei bis drei Fuß lange Röhre von Silber oder Mesfing; sie steht in einem Winkel von fünf und vierzig Graden bald nach den Seiten, bald nach vorne, und ist mit einem Stück Mouffelin bedeckt, das beinahe bis auf die Hüften fällt und zum Verschleiern des Gesichtes dient. Dazu kommen die Schattierungen des muhamedanischen Glau- bens, die sich gleichfalls in der Tracht aussprechen. Gravitätisch wandelt dort der Türke vom alten Regi- ment, und es gibt deren in Syrien noch sehr viele, ange- than mit dem langen Kaftan, im weißen oder grünen bau- schigen Turban; letztere Farbe bezeichnet einen Nachkommen des Propheten, und der ihn trägt, wird Emir genannt. Obgleich aber Emir so viel wie Herr oder gar Fürst sagen 298 will, findet man doch gerade unter der geringsten Claffe, . z. B. den Lastträgern, Wafferverkäufern c. die meisten. Der ächte Muselmann geht ruhig seines Wegs, die eine Hand streicht den krausen Bart, die andere faßt das Schreibzeug im Gürtel. Auch das unglückliche, überall zer- streute Volk der Juden hat hier eine Repräsentanten. Stets auf den Erwerb bedacht, schlüpft der Jude behende im schmierigen Kaftan und dunklem Turban durch die Menge, rechts und links schauend, ob etwas zu gewinnen fey; be- sonders heften sie ihr Auge auf den herumwandelnden Euro- päer und bieten sich ihm gleich zu allen möglichen Diensten an. Fast alle europäischen Nationen find hier in zahl- reichen Mitgliedern vertreten, und keine verläugnet ihren Character. Der Franzose schlendert in gelben Glacéhand- fchuhen schwadronierend umher, und während alle österreichischen Matrosen vor einem gutgekleideten Franken, der fiel freund- lich ansieht, den Hut ziehen, steuert der Engländer mit dem hölzernen Gesicht gerade aus, betrachtet Häuser und Himmel und rennt jeden an, der ihm nicht ausweicht. Das weibliche Geschlecht spaziert hier nicht so zahlreich herum, wie in Constantinopel. Alle Weiber der Mohame- daner sind mit einem dunkeln Stück Kattun, das gleich einer Maske ihr Gesicht bedeckt, so verschleiert, daß man auch keinen Zug ihres Gesichts erkennen kann, auch werfen sie beim Anblick eines Fremden noch ein Stück weißen Mouffelin, das ihnen den Rücken hinabhängt, über den Kopf, beson- ders aber, was sehr gut ist, gerade die häßlichsten alten Weiber; die jungen heben nicht selten ihren Kattun und laffen ein paar schwarze glühende Augen sehen, ein Ver- gehen, das von den andern gleich mit harten Worten ge- rügt wird. Auch die Maronitinnen tragen über ihrem Horne einen weißen Schleier, den sie gelegentlich fallen laffen, um ihre hübschen runden Gesichter dem Fremden zu verbergen. 299 Doch sind sie in der Cultur voran und haben uns nicht selten freundlich angelächelt. Die Frauen der katholischen Araber, deren es hier viele gibt, gehen unverschleiert, und ich habe unter ihnen herrliche Figuren mit sehr edlen Gesichtszügen gefunden. Da es doch stets ein Glück ist, das Schönste, wenn auch nur zu sehen, so war ich in dieser Beziehung glücklich. Die Frau unseres Hauswirths, eine wirklich ge- bietende, majestätische Figur, war so schön, daß ich mich um ein Haar in sie verliebt hätte. Ebenso kriegerisch, wie das Innere der Stadt, sah auch die Umgebung derselben; sie glich in diesem Augenblicke einem großen Feldlager. Auf dem Quai hatten die hundert englischen Kanoniere, welche die bewaffnete Macht der vier Großmächte vorstellten, ihr Hauptquartier aufgeschlagen; dort fanden ihre sechspfündigen Geschütze aufgefahren, und sie selbst campierten theils in einem Gebäude, theils in weißen Zelten. Ich bin fast zu keiner Zeit des Tages hier vorbei- gekommen, daß nicht die Söhne Albions in ihrer Küche beschäftigt gewesen wären, die sie an einer Mauer aufgeschla- gen hatten. Westlich von der Stadt, auf einem Hügel, der dieselbe beherrscht, fand der Park der türkischen Artil- lerie. Die Leute wohnten unter hellgrünen Zelten, und ebenso waren auch die Lafetten angestrichen; es befanden sich hier ungefähr dreißig Kanonen von der Größe unserer Sechs- pfünder; doch schießen die meisten ein weit größeres Caliber und haben eine so weite Mündung, daß ich sie anfänglich für Haubitzen hielt; sie sind aber ohne Kammern, und ich hörte später, sie feyen ebenfalls für Paßkugeln bestimmt. Das Metall ist so dünn, daß sich das Rohr nach wenigen Schüffen bis zum Zünden erhitzen muß; obendrein find meh- rere Stücke, statt von wirklichem Stückgut, von Bronze. Doch glaube ich nicht, daß die Türken sobald in den Fall kommen werden, mit diesen Kanonen zu agieren: sie hatten 300 weder Bespannung noch Munition, auch nicht ein einziger Wagen befand sich im Parke. Unterhalb dieser Artillerie auf einem kleinen Platze, der an die Mauern der Stadt stößt, war für mich der intereffan- teste Punkt. Hier hatte ein Stamm der Beduinen aus dem Hauran sein Lager aufgeschlagen; es mochten ihrer fünfzig bis sechszig feyn, die in grauen Zelten wohnten, in denen fie aber weder Stroh noch Teppiche hatten; sie schliefen auf der bloßen Erde, und zogen Nachts ihren Burnus über den Kopf. Wir haben manche Stunde bei ihnen zugebracht; obgleich fiel uns Fremde anfänglich finster und mißtrauisch beobachteten, wurden sie bald freundlicher und durch Kleinig- keiten an Geld, die wir ihnen spendeten, ganz zutraulich. Die meisten waren große, hagere Männer mit ausdrucksvollem, aber verschmitztem Gesichte, dem der schwarze herabhängende Bart etwas düsteres gab. Ihre Waffen bestehen aus dem Säbel, der sehr langen und dünnen Flinte, die sie an einem Riemen über der Schulter tragen, und einer Lanze von wohl fünfzehn Schuh Länge mit fußlanger dreischneidiger Spitze, die mit einem Bouquet von dichten schwarzen Straußfedern umgeben ist. Die ausdauernden Gefährten dieser Wüsten- föhne, die edlen, treuen Pferde, fast alle von schönen Formen, aber dabei mager wie ihre Herren, stehen an einem Fuße mit einer Kette gefeffelt, stets vollständig gesattelt, vor den Zelten. - Der Beduine und ein Roß find nur vereinigt wahrhaft schön und poetisch; sobald der Reiter die Erde betritt, schleicht er faul und langsam umher, oder liegt mißmuthig unter feinem Zelte, aus der kurzen Pfeife rauchend, und das Pferd steht ruhig da, senkt den Schweif und sieht hungrig nach einigen Grashalmen, die zwischen den Steinen proffen. Doch wie sich der Beduine auf ein Roß schwingt, scheint beide ein gewaltiges Feuer zu durchströmen; fein Auge blitzt, 301 die ganze kräftige Gestalt richtet sich auf, und während er ein eigenes Geschrei ausstößt, greift das Pferd aus und verschwindet in laufendem Galopp, wobei es mit dem Schweif nicht selten den Rücken des Reiters schlägt. In wenigen Augenblicken sieht man in der Ferne nur noch eine Staub- wolke und über ihr wehend die schwarzen Federn der Lanze. Wir vermochten sie durch reichliches Bakschis häufig, ihre Pferde zu besteigen und uns deren Schnelligkeit, so wie ihre eigene Gewandtheit im Führen der langen Lanze zu zeigen; und wenn sie dann so dahin flogen über die Fläche, daß der weite Mantel um die flatterte, wenn sie die Lanze weit vor sich hinschleuderten und den Säbel zwischen den Zähnen, Gewehr und Pistolen abschoffen, dann dachte ich an meinen lieben Freiligrath: -- Beduin, du selbst auf deinem Roffe Bist ein phantastisches Gedicht. Nördlich von diesem Beduinenlager war der große Spaziergang der Stadt, wenn ich mich so ausdrücken darf, ein ziemlich geräumiger Platz, wo es für den Fremden jeden Augenblick etwas zu sehen gab. Es war hier beständiger Jahrmarkt: in kleinen hölzernen Buden verkaufte man Scher- beth, Früchte und Brod; auch ein Café war dort. errichtet, wo die Gäste unter einer riesigen Sycomore auf kleinen Stühlchen aus Palmzweigen saßen, und der Wirth auf einem Haufen zusammengetragener Steine das Getränk bereitete. Pfeife und Nargileh fehlten natürlich nicht. Hier nahm ich meistens meinen Platz, um das bunte Gewühl um mich her zu beobachten, das Leben und Treiben, das sich hier dem Auge entfaltete und jeden Augenblick wechselte. Ich denke noch immer mit Vergnügen an die Tage, wo ich, mit dem Rücken an den Baum gelehnt, die arabische Wafferpfeife rauchte, ein Genuß, den unsere deutschen Tabaksraucher nicht 302 kennen. Dies Instrument ist übrigens sehr einfach: in eine Kokusnuß mit zwei Löchern gießt man Waffer; in die eine der Oeffnungen steckt man die Pfeife, welche ein gedrechseltes Rohr ist, oben mit einem kupfernen Behälter, in welchem der Tabak und obenauf die glühende Kohle liegt; in die andere Oeffnung paßt das dünne Rohr. So saß ich und es brauchte nur eine Handbewegung, um eine neue Taffe Caffee oder frischen Tabak zu erhalten; ich war ein mäch- tiger Pascha geworden, und selbst ein Gefolge fehlte mir nicht; denn wenn ich bei meinen Beduinen vorbeikam, um auf den Platz zu gehen, folgten mir fast immer einige in der Entfernung und kauerten an meiner Seite nieder, wenn ich mich am Café niederließ. Besonders Nachmittags war das Treiben auf dem Platze sehr mannigfaltig; da strömten die Besucher aus der Um- gegend, die ihre Geschäfte in der Stadt abgemacht, hier zusammen, um, in Gruppen gelagert, ihr Mahl zu halten. Dann wurden Pferde probiert und eingeritten, was bei den Orientalen eine leichte Procedur ist; der Reiter setzt sich recht fest in den Sattel, wobei das Thier, wenn es fehr ungestüm ist, von andern gehalten wird; dann läßt er die Zügel fahren, stößt ihm die Fersen in die Flanken, und das Thier jagt voll Ungestüm im vollen Lauf über den Platz, bis der Reiter es gewaltsam zusammen reißt, umwendet und die eben durchflogene Strecke wieder im Galopp zurücklegt; dies wird so lange wiederholt, bis das Thier aus Angst vor dem Zügel nur dann galoppiert, wenn ihm der Reiter mit dem Bügel in die Seiten arbeitet und anhält, wenn es nur die geringste Bewegung des Zügels spürt. Vom Traben und Zügeln des Pferdes haben sie keinen Begriff; sie können nur galoppieren, und wollen sie halten, das arme Thier unbarmherzig zusammen reißen. Um auf diese Art ihrer Pferde vollkommen Herr zu werden, haben sie zwei Mittel, 303 die der Europäer als unzweckmäßig verwirft: erstens besteigen fie ihre Thiere schon mit zwei Jahren, wo dieselben noch nicht im Besitz ihrer vollen Kraft sind, und zweitens sind ihre Stangen so scharf, daß das gepeinigte Roß sich zahm und folgsam zeigen muß. Eines Abends machten wir unsern gewöhnlichen Spazier- gang, der uns über diesen Platz zur Küste des Meeres führte, und sahen ihn schon von Weitem mit Menschen in nie ge- fehenen, mannigfaltigen Costümen, mit Zelten, Pferden und Maulthieren bedeckt. Es waren Drusen, unregelmäßige Reiterei im Dienste des Großherrn. Wir traten auf den Platz, und es war mir nicht anders, als kämen wir zu einem großartigen Maskenfeste, so bunt wogte und trieb sich Alles durch einander. Es mochten an zweitausend Mann feyn, die zum Theil schon gelagert waren; d. h. fie hatten ihre Pferde angebunden, Teppiche und Decken ausgebreitet, und kochten, auf der Erde liegend, an kleinen Feuern Kaffee. Andere standen noch in Haufen beisammen, luden die Pack- pferde ab und feffelten sie, indem sie einen Vorder- und Hinterfuß an einem drei bis vier Schuh langen Strick, und diesen an einem in die Erde gerammten Pfahl befestigten. Die Letzten der Schaar kamen erst an und führten eine weiße und grüne Fahne und eine äußerst einfache Musik, nichts als kleine Pauken, auf die sie im Takt schlugen. Es war, als eyen von sämmtlichen Volksstämmen des Orients Repräsentanten hier zusammen gekommen, so mancher- lei Trachten, Säbel, Lanzen, Wurfspieße, Flinten und Pistolen waren da zu sehen. Der Emir hatte sein Zelt unter einer Sycomore aufschlagen laffen und empfing uns daselbst äußerst freundlich. Ich habe nie einen schönern Mann gesehen. Das idealisierte Bild eines Morgenländers, eines Fürsten der Berge trat lebendig vor uns. So habe ich mir den großen Kalifen, den tapfern Saladin gedacht; eine große, kräftige 304 Figur, doch nichts weniger als fett, mit einem Kopf, defen edle Schönheit und männlichen Ausdruck man selten findet. Er hatte in seinem ganzen Wesen, einem Auge, feiner Sprache eine Sicherheit und Ruhe, die jedem unbedingtes Zutrauen einflößen mußten. Sein Kopf war mit einem gelb und roth seidenen Tuch turbanartig umwickelt, dessen eines Ende in Franzen auslief und auf die rechte Schulter nieder- fiel. Der übrige Anzug bestand aus einem rothseidenen Kaftan; den ein kostbarer Shawl um den Leib zusammen- hielt; ein sehr reicher Säbel hing an einer geflochtenen goldenen Schnur, und zwei Pistolen, deren lange Hälse mit Steinen besetzt waren, staken in einem Gürtel. Wir ließen uns bei ihm nieder, und man brachte uns Pfeifen, Scherbet und Kaffee. Nachdem wir uns einige Augenblicke mit ihm durch den Dolmetscher unterhalten, erschien in der Zeltthüre ein ganz junger Mann, beinahe noch ein Knabe, eben so reich gekleidet wie der Emir, machte jedoch, so wie er uns erblickte, eine Bewegung zum Zurücktreten. Jener rief ihm aber und stellte ihn uns als einen Neffen vor. Der junge Druse legte die Hand an Brust und Stirne, unsern Gruß erwidernd, wobei er erröthend auf den Boden fah. Es war etwas so Ungekünsteltes in dieser Bewegung, und die ganze Figur so schlank und zart, daß man ihn für ein verkleidetes Mädchen hätte halten können. Zum ersten Mal aus einen Bergen gekommen, hatte er noch wenig Europäer gesehen, und betrachtete uns anfangs mit kindischer Neugier, doch bald wurde er zutraulich, und wir haben ihn in den paar Tagen, die er in Beirut war, recht lieb gewonnen. Wo man, mit Ausnahme des oben erwähnten Platzes, aus der Stadt tritt, um sich in ihrem Umkreis zu ergehen, nöthigt einen der tiefe Sand, der alle Wege bedeckt, bald wieder zum Umkehren. Da die niedrigen westlichen Ausläufer des Libanon bei Beirut zum Theil aus beweglichem Sand 305 bestehen, den der Wind in die Ebene und auf die Stadt führt, so wäre sie in Gefahr, förmlich zu verfanden, hätte nicht der große Emir der Drusen, Fachreddin, der hier zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts residierte, einen leben- digen Wall gegen dieses Sandmeer aufgeführt, indem er die Stadt östlich mit einer großen Anpflanzung von Pinien um- gab, die jetzt eine ziemliche Stärke erreicht haben und ihren Zweck erfüllen. Nach diesem Walde richteten wir unsere meisten Spazierritte; das frische Grün der Bäume erfreute das Auge, das sich an den grauen Formen der Stadt und an dem gelben Sande müde gesehen. - Es war die schönste der Oasen, Im gelben Sandmeer glänzt ihr Rasen, Gleichwie inmitten von Topafen Ein grüner funkelnder Smaragd. Auf unterm Schloß am Meer führten wir ein von der Stadt und ihren Bewohnern ganz abgesondertes Leben. Ueber den Mauern flatterte ein weißer Pavillon; doch führten wir unter dieser Farbe der Unschuld ein kleines Raubritter- leben, und wenn wir auch keinen vorüberziehenden harmlosen Wanderer ausplünderten, hatte doch jeder seine Gegenstände, auf die er lauerte und ausfiel. So hielt der Baron alle Pferde aus der Stadt und Umgegend an und nöthigte die Vorüberkommenden in unsern Hof, so daß derselbe zuweilen einem kleinen Markt in diesem Artikel glich. Dr. B., unser Naturforscher, attaquirte Schnecken und Eidechsen, und der Maler F. und ich forcierten die Natur stückweise in unsere Mappen und Schreibbücher. - Wir hatten anfänglich dies Haus nur für eine Woche gemiethet, da wir uns in Beirut nicht länger aufhalten wollten, als eben nöthig war, d. h. bis wir uns Pferde und die uns noch fehlenden Reisegeräthschaften besorgt, um in das Innere des Landes nach Damaskus, Palmyra, Jern- Hackländer . R. in d, O. I. 20 306 falem zu dringen. Doch fahen wir schon in den ersten Tagen, daß wir in der bestimmten Zeit von hier nicht los- kommen würden, denn wenn man den Krieg mit Ibrahim Pascha schon als beendigt ansah, so gährte es doch in den Bergen noch beständig fort und kleine Scharmützel zwischen den Bergbewohnern und der ägyptischen Armee – solche Sachen wurden natürlich alle vergrößert – machten die Wege im Innern von Syrien unsicher. Unsere Reisegefährten, die östreichischen Offiziere, blieben auch anfänglich hier, und da wir außerdem noch mehrere intereffante Bekanntschaften in der Stadt machten, so fehlte es uns keineswegs bei dem ungewohnten Leben und Treiben und der großartigen Natur, an Zerstreuung und Unterhaltung. Unter Anderem war es der russische Consul, Herr von B., der ein sehr gut eingerichtetes Haus hatte und uns viel Freundschaft erwies. Den Weg zur Stadt, der dicht am Ufer des Meeres führte, machten wir häufig des Tages und sahen und genoffen immer etwas Neues. Bald sahen wir den Fischern zu, die zwischen den Klippen herumwateten und Muscheln ablösten oder mit großen Netzen fischten. Bald suchten wir uns auch an dem sehr zerklüfteten Strande eine heimliche Stelle auf, deren es hier sehr viele gab, wo das Meer ordentliche Mulden und Becken ausgehöhlt, die es beständig mit frischem klarem Waffer anfüllte, und worin wir badeten. Einige hundert Schritt von unserm Hause befand sich eine Werfte für kleinere Schiffe, auf der in den Tagen unters Aufenthalts beständig gebaut wurde. Sobald ein solches Fahrzeug ganz fertig ist, daß es in See gelaffen werden kann, wird es von seinen Erbauern abergläubischer Weise scharf bewacht. Jedes Schiff ist ihnen eine Braut des Meers und muß ihm als Jungfrau übergeben werden, wenn das gewaltige Element es gnädig behandeln und vor 307 dem Untergang bewahren soll. Betritt nun aber ein Mäd- chen, defen Sitten nicht die reinsten find, den Bord und spricht dort gewisse Worte aus, so läßt es alle begangenen Sünden auf dem neuen Fahrzeug und ist selbst wieder rein geworden. - Nahe bei dem Thor der Stadt, das zu unserem Haus führte, fand ein Brunnen unter einer großen Platane, um den die türkischen Soldaten beständig haufenweis auf der Erde kauerten und in großen Schüffeln ihr Weißzeug wuschen. Mit diesen Kriegsknechten hatten wir mancherlei spaßhafte Auftritte. So vergeffe ich nie eine Scene, die Abends, wenn wir spät aus der Stadt kamen, zwischen uns und der Thorwache gespielt wurde. In die Stadtmauer, die nach der Richtung unserer Villa lag, hatten ein Paar Kugeln bei dem Bombardement ein großes Loch geriffen, das aber die Behörde, um hier den Durchgang zu verhindern, mit Brettern und Sträuchern hatte zustellen laffen. Giovanni, oder der Janißär des Herrn von B. klopfte, wenn wir nach Hause wollten und das Thor schon geschloffen war, an das Wacht- häuschen und rief, man solle öffnen. „Wer eyd Ihr?“ hieß es von Innen, ohne daß sich die Thür öffnete. – „Englische Offiziere;“ denn so kam man am besten durch. Jetzt antworteten die drinnen: „O Herr, feyd so gut, und geht ein Paar Schritte seitwärts, da werdet Ihr ein Loch in der Mauer finden, wo Ihr bequem durchgehen könnt.“ – „Aber es ist ja mit Brettern zugestellt.“ – „Schiebt sie nur etwas bei Seite, wir wollen sie morgen schon wieder davor stellen. Gott sey mit Euch!“ So lebten wir auf unserer Villa fast bis Ende Decem- ber und die Zeit wurde uns nicht sehr lang. Wir hatten anfangs sehr gutes und schönes Wetter, was sich aber gegen Weihnachten mit einem Male änderte. Es fing an zu stürmen, zu regnen und wurde empfindlich kalt, und für 20 Z08 uns um so beschwerlicher, da wir fast nichts hatten, uns dagegen zu schützen. Unsere schlechten hölzernen Läden vor den offenen Fenstern klapperten den ganzen Tag und ließen Wind und Kälte ein. Das Meer vor unserer Woh- nung toste und lärmte oft betäubend. Wenn wir nament- lich Abends ruhig in unserm Zimmer saßen, so war das Rollen und Donnern der Wellen an dem felsigen Ufer mit dem Geräusch zu vergleichen, das einige Batterien schwerer Geschütze, die im Galopp über das Pflaster fahren, verur- -fachen würden. Unsere beiden Freunde, der Maler F. und Doctor B., die sich schon seit einigen Tagen unwohl fühl- ten, wurden bei dem kalten naffen Wetter so krank, daß sie ihre Teppiche nicht mehr verlaffen konnten und der Baron oft mehrmals des Tags den Arzt aus der Stadt holen ließ. Wenn auch das Unwetter nur einige Tage anhielt, so dauerte dagegen die Krankheit unserer Freunde desto länger und machten viele Projecte, namentlich zu Excursionen in das Gebirge, vor der Hand zu Waffer. Der Baron war zu besorgt, um unsere Kranken auch nur einen Tag allein zu laffen, und so würden wir wahrscheinlich von den malerischen Schluchten des herrlichen Gebirges, das wir beständig vor Augen hatten, vor unserer Abreise nach Damaskus nichts gesehen haben, wenn nicht eine andere Pflicht den Baron zu einem Ausflug in den Libanon genöthigt hätte. So sehr er sich nämlich in Beirut nach schönen Pferden um- gesehen, hatte er doch noch nichts Edles gefunden. Da- gegen erzählten die Söhne des östreichischen Coutuls, viel von einer prächtigen Stute, die einem maronitischen Bi- schofe angehöre und sich in einem der Klöster auf dem Libanon befände. Schon lange hatte der Baron gewünscht, dies Thier zu sehen; doch hatte ihn in der letzten Zeit das Wetter und die Krankheit der Freunde zurückgehalten. Eines Nachmittags aber ließ uns einer der Herren L. sagen: er 309 reite morgen in den Libanon und wenn der Baron von der Parthie feyn wolle, so würde er gern mit ihm jene Stute aufsuchen. Da der fränkische Arzt aus Beirut, der unsere Kranken behandelte, zufällig bei uns war, und sie außer aller Gefahr erklärte, so beschloß der Baron jenen Ritt am andern Morgen mit mir zu machen. Giovanni besorgte uns noch am selben Abend zwei gute Pferde, und am andern Morgen ritten wir sehr früh aus. In der Stadt vereinigten wir uns mit den beiden Herrn L. einem Herrn S. aus Stambul und zogen östlich von der Stadt der Bucht entlang, in welcher vor einem Monat die englische uud östreichische Flotille geankert hatte. Jetzt lagen nur noch zwei Linienschiffe und eine Dampffregatte da. Der Jamißair des östreichischen Consuls, ein junger schöner Türke, mit rothem goldgesticktem Kleide und eben solcher Hose, mit grünem Turban – er war ein Emir, Nachkomme des Propheten – ritt uns vor. In feinen Händen trug er einen langen Stab mit großem filbernem Knopfe, das Zeichen seiner Würde als Diener eines Ge- fandten, worauf er sich nicht wenig einbildete; denn so höf- lich und dienstfertig er gegen uns war, so brutal benahm er fich gegen die Leute, die ihm auf sein Geschrei nicht aus- wichen; entweder er ritt gerade auf sie zu oder schlug fie mit feinem Stabe auf die Köpfe, ganz wie dergleichen Leute bei uns. Unser Weg führte anfangs durch tiefen Sand, und obgleich die Pferde bei jedem Tritt bis an die Feffeln ein- fanken, ging es doch im raschen Galopp vorwärts. Hier am Ufer des Meeres sahen wir noch viel von den Ver- wüstungen, die der große Sturm vom ersten auf den zweiten December angerichtet hatte. Bis auf hundert Schritt vom Ufer lagen kleinere Fahrzeuge zertrümmert auf dem 310 Strande, um die sich Niemand bekümmerte; andere größere, die das Meer ebenfalls auf den Strand geworfen hatte, befferte man aus und suchte sie wieder in brauchbaren Stand zu setzen. Eines derselben mußte das Meer mit einer merk- würdigen Gewalt ans Ufer geschleudert haben; denn seine beiden großen Masten waren nach unten gekehrt und staken tief im Sande. Ungefähr eine Stunde von der Stadt, bei einem kleinen Flüßchen, zeigt man die Stelle, wo der Sage nach der heilige Georg den Drachen erschlagen hat. Hier sahen wir eine Menge Einwohner der Stadt versammelt, so wie viele Soll- daten, die in Reihe und Glied aufgestellt waren, und Offiziere, die ihre schönen Pferde tummelten. Sie reprä- sentierten die Garnison, so wie die Obrigkeit der Stadt Beirut, die hieher gekommen waren, um den neuen Gouver- neur von Syrien, Zakariä Pascha, der heute von Aleppo einrücken sollte, zu empfangen. Der bisherige Commandeur, Izzet Pascha, der sich wegen der vielen Grausamkeiten, die er früher verübt, den Namen eines Tyrannen zugezogen, hatte das Paschalik von Adrianopel bekommen. Unser Janißair bat uns, etwas langsamer zu reiten, indem wir dann wahrscheinlich dem Zuge des neuen Pascha begegnen würden. Und so war es auch. Nach einer halben Stunde sahen wir in der Ferne eine Menge Reiter auf uns zukommen. An der Spitze ritten zwei, die mit ihren Pfer- den die seltsamsten Wendungen machten. Ihr Costüm war das unseres Janißairs, nur noch reicher mit Gold und Stickereien versehen, und in den Händen trugen sie zwei sehr lange Beduinenlanzen, die oben mit drei Büscheln schwarzer Straußenfedern verziert waren. Es waren zwei von den Kawaschen des Pascha, deren Beschäftigung auf jeder Reise desselben darin besteht, abwechselnd je zwei und zwei, vor ihm hin und her zu sprengen und den Herrn durch 311 ihre Reiterkünfte zu amüsieren. Diese Leute machten den Weg wenigstens hundertmal, bald bogen sie rechts und links auseinander, wandten sich dann und rannten mit eingelegter Lanze und lautem Hurrah an einander vorüber, um gleich darauf dasselbe Manöver zu wiederholen. Diese Reiter des Zakariä Pascha führten drei Büsche Straußenfedern an ihren Lanzen, weil ihr Gebieter Pascha von drei Roßschweifen und nach der neuen Ordnung der Dinge Ferik Pascha war. So schwer es ist die Chargen des niederen türkischen Militärs an ihren Auszeichnungen zu erkennen, so leicht kann man von dem gewöhnlichen Pascha den Ferik Pascha unterscheiden; denn nur diesem ist es erlaubt, den Bart um das ganze Kinn wachsen zu laffen. Alle andern müffen sich mit einem Schnurrbarte begnügen. Wie durch die Europäisierung alle türkischen Beamte und Soldaten das Meiste ihres früheren äußeren Glanzes verloren haben, so ist es auch bei den öffentlichen Aufzügen, wozu man die Reifen der Pascha rechnen kann. Mit welch' uner- hörter Pracht zogen früher diese Statthalter von einer Pro- vinz zur andern. Selbst im reichsten Costüme und mit Hunderten von unnützen, aber kostbar gekleideten Dienern umgeben. Jetzt ist das ganz anders geworden. Die Be- gleitung Zakariä Pascha's, der doch als Militär-Gouverneur von Syrien eine wichtige Stellung einnahm, bestand höch- fens aus hundert bis hundertfünfzig Reitern. Er selbst ritt in dem Augenblick, wo wir ihm begegneten, ein schlechtes unansehnliches Pferd; doch wurden einige weit bessere, ziem- lich, reich geschirrt, hinter ihm geführt. Zakariä war ein Mann von mittlerer Größe, mit einnehmenden freundlichen Zügen und einem sehr langen Barte. Er trug einen dun- kelblauen Ueberrock, auf welchem der Nischah Eftendar, aus schönen Brillanten bestehend, prangte. Auf dem Kopfe hatte er das rothe Feß mit langer blaueidener Quaste. Seine 312 Begleitung bestand größtentheils aus Dienern feines Hauses, ebenfalls in einfachem Anzuge, dem blauen langen Rocke, fie waren nach der Beschäftigung, die sie zu verrichten hatten, fast nur durch ihre Waffen unterschieden. Die Kawaschen hatten die gewöhnlichen krummen Säbel und am Gürtel in einem gestickten Futteral zwei Pistolen hängen. Von den Pfeifenträgern, deren sich in dem Gefolge eines reichen vor- nehmen Türken stets viele befinden, trugen einige lange Tschibuks, andere das Nargileh, einige hatten Tabakbeutel an ihren Sätteln hängen und andere ein Kohlenbecken, worin fie Holzkohlen durch Blasen und Hin- und Herbewegen glühend erhielten. Die übrige Escorte bestand aus geringeren Dienern, Pferdeknechten und dergleichen, so wie aus Be- duinen, die als Tartaren gebraucht werden, um Depeschen von einem Orte zum andern zu bringen. Letztere waren im altorientalischen Costüm, weiter Hose, kurzer Jacke und Tur- ban; einer von ihnen führte eine kleine Pauke, die am Sattel hing und worauf er fortwährend schlug und ein ein- förmiges Getön hervorbrachte, zu welchem die Andern bis- weilen fangen. Als wir uns dem Pascha näherten, hielt er sein Pferd an und fragte auf türkisch sehr freundlich, wer wir wären und nach dem Zweck unserer Reise. Herr L. antwortete ihm: wir wollten einen Ritt in den Libanon machen, worauf Beide noch einige höfliche Worte wechselten und der Pascha weiter zog. Der Libanon, welcher bei Beirut eine ziemliche Strecke weit zurück tritt und die Landzunge, worauf die Stadt liegt, in einem weiten Halbzirkel umgibt, versperrte uns jetzt den Weg am Strande, und wir begannen einen Abhang hinauf zu steigen, um auf defen Höhe unsern Weg längs dem Meere noch eine Strecke fortzusetzen, ehe wir uns in's Innere des Gebirges wandten. Anfänglich war dieser Pfad ziemlich 313 gangbar und obgleich er durch loses Geröll, womit er bedeckt war, den Pferden viel Mühe verursachte, doch breit und ge- fahrlos. Bald aber verengte er sich und führte uns auf treppenartigen Absätzen auf die Höhe einer steilen Felswand, deren Fuß von den Wogen des Meeres bespült wurde. Nie in meinem Leben hab' ich einen schauerlicheren Weg gemacht, als diesen, der uns jetzt, aber glücklicher Weise nur eine kurze Strecke auf der Wand fortführte. An der einen Seite neben uns ging sie zwei bis drei hundert Fuß tief hinab und war gegen das Meer zu überhängend, so daß es uns schien, als befänden wir uns auf einem Balken ohne Geländer; auf der andern Seite stieg der Fels senkrecht mehrere hundert Fuß in die Höhe und unser Weg, der kaum drei Fuß breit war, neigte sich obendrein etwas gegen das Meer und war mit großem Geröll und hie und da mit dicken Steinen bedeckt, Als wir mitten auf dieser gefährlichen Stelle waren, ereignete sich ein unangenehmer Vorfall, der glücklicher Weise aber ohne schlimme Folgen ablief. Einer unserer Begleiter, ein sehr junger Mann, der mit uns aus Constantinopel gereist war, und vielleicht noch wenige dieser Bergritte gemacht hatte, rief uns plötzlich zu, wir möchten anhalten, ihm würde schwindlicht. Man kann sich unsern Schrecken denken. Da wir einer hinter dem andern ritten, fo konnte ihm keiner helfen, weil der Weg so schmal war, daß wir nicht einmal absteigen konnten, geschweige denn mit dem Pferd umwenden. Einer der Herren L. rief ihm zu: er möchte die Augen schließen und sich eine Weile mit dem Oberkörper gegen die Felswand lehnen, was er befolgte. Nach Verlauf einiger Minuten erklärte er fortreiten zu können, und wir kamen glücklich über die Wand hinweg, und bis zu einer Stelle, wo der Fels ober uns etwas zurücktrat und allmählich in eine Schlucht hinabfiel, in welche sich der - 314 Hundefluß ins Meer mündete. Dort stiegen wir alle ab, um die Pferde einen ähnlichen treppenartigen Weg, der aber noch steiler ging, als der, welchen wir herauf gekommen, hinabzuführen. Diese Schlucht war von der Natur so merkwürdig gebildet, daß ich es versuchte, ihre Umriffe mit wenigen Strichen in mein Taschenbuch zu zeichnen. Die Felsen, aus welchen gegen das Gebirge zu der Hintergrund bestand, und zwischen denen der Hundefluß hervorkam, waren wie Theater- decorationen so vor einander geschoben, daß man unten in der Schlucht plötzlich den breiten klaren Spiegel des Fluffes erblickte, ohne zu sehen, wo er herkäme. Alle Wände waren ganz senkrecht und bildeten einen Halbzirkel, der nur vorn eine gegen die Breite der ganzen Schlucht sehr schmale Oeff- nung hatte, durch welche man weit ins Meer fah. Durch die beständig herabstürzenden Bergwaffer waren die glatten Felswände stellenweise so gefurcht, daß sie wie an einander stehende coloffale Säulen aussahen. Beim ersten Betrachten und so oft ich mir später das Bild dieser Schlucht ins Ge- dächtniß zurückrief, kam sie mir vor, wie ein gewaltiger Dom, defen Kuppel eingestürzt ist und von dem nur die nackten Wände stehen geblieben sind, durch welche man oben den Himmel fieht. Lange Wafferpflanzen oder Moose, die hie und da die Wände bedeckten, gaben obendrein einer regen Phantasie Stoff genug, fich verschiedene Zeichnungen daraus zu bilden. --- Vielleicht dreihundert Schritte vom Meer entfernt über- schritten wir den Hundefluß auf einer halb zerfallenen fei- nernen Brücke, bestiegen dann unsere Pferde und ritten längs dem Fluß gegen das Meer zu, um dort, wo das Gebirge wieder etwas zurücktritt, am Strande unsern Weg fortzusetzen. Der Himmel, der am Morgen klar und blau auf uns hernieder gesehen und uns einen schönen Tag 315 versprochen, hatte sich nach und nach umzogen und sandte uns jetzt einen so gewaltigen Regenschauer herab, daß wir in unsern dünnen Kleidern ohne Mäntel in Kurzem ganz durchnäßt gewesen wären, wenn uns nicht der Janißair ge- zeigt hätte, wie sich die Araber, diese Söhne der Natur, in solchen Fällen zu helfen wissen. Schon oft hatte er be- denklich den Himmel angesehen und als die ersten Tropfen fielen, sprang er vom Pferde, schnallte seinen Sattel auf und zog die große Decke darunter hervor, die er sich wie einen Mantel, über Kopf und Oberkörper hing. Bald verließen wir den Strand wieder und wandten uns durch Olivenpflanzungen und dichte Gruppen von Orangen und Citronenbäumen, deren Blüthen und Blätter nach dem Regen entzückend dufteten, dem Gebirge zu. An einen Weg war jetzt nicht mehr zu denken und wir ritten nur über weite Flächen, die fehr steil aufwärts gingen und mit mächtigen Felsblöcken wie übersät waren. Diese weiten Abhänge sind rauh und kahl; nur hie und da wächst eine Platane oder Sikomore und der Boden ist mit Stachelge- wächsen oder Wachholder bedeckt. Freundlich blickten auf diesen Haiden nach allen Seiten, in kleinerer oder größerer Entfernung, grüne Anpflanzungen hervor, aus denen sich die weißen Häuser der maronitischen und drusischen Dörfer erheben. Nach einer Stunde beständigen und sehr steilen aufwärts Steigens, wobei wir uns mehrere Male um kleine Hügel herumwandten, sahen wir hoch über uns das Ziel unserer Tour, das Kloster Dair Mar Mikael. Die ziem- lich weitläufigen Gebäude lagen an einem steilen Abhange, von mächtigen Platanen geschützt, die ihre Zweige weit hinausstreckten. Bald sahen wir auch das Dorf Zuk Mikael, zu welchem das Kloster gehört, das, wie alle diese Berg- dörfer in den Schluchten des Gebirges liegt. Wenn nicht die eigenthümliche und fremdartige Bauart 316 der Häuser wäre, könnte man glauben, man nahe sich einem Dorfe am Rhein oder Neckar; denn ebenso wie dort, wird im Libanon viel Wein gebaut, und die Reben wachsen, wie bei uns, auf übereinander liegenden Terraffen. Wir betraten jetzt einen Hohlweg, der uns zwischen diesen Weingärten nach dem Kloster führte. An einem Brunnen, bei dem wir vorbeikamen, standen mehrere Maronitinnen mit ihrem seltsamen Kopfputz. Die meisten sahen uns erstaunt und freund- lich an und nur einige und wie gewöhnlich in solchen Fällen die häßlichsten, warfen schreiend ihre Schleier über den Kopf. Bald hatten wir die Höhe erstiegen und ritten durch ein großes Thor in den Hof von Dair Mar Mikael; dies Kloster besteht, wie die meisten in diesen Gegenden, aus einer Kirche und meh- reren kleinen Gebäuden, die im Lauf der Zeit nach Bedarf und Vermögen aufgebaut wurden. Diese Häuser sind einstöckig, von Steinen aufgeführt, mit plattem Dache und Fensteröff- nungen, die aber keine Glasscheiben haben, sondern eiserne Gitter und nur hölzerne Laden zum Verschließen. Wir gaben im Hof unsere Pferde ab, und ein Mönch führte uns in ein Gemach, wo sich der Bischof und einige der ältern Brüder befanden. - Dies war ein Erdgeschoß, ganz nach der Landesweite eingerichtet. Den Boden bedeckten Teppiche und an den Wänden herum liefen niedrige Divans, auf welchen die alten Herren saßen. Es waren vier maronitische Mönche mit langen fast weißen Bärten, in schwarze Talare gekleidet, und Mützen auf dem Kopf, beinahe geformt, wie die der griechischen Geistlichen. Der Bischof, eine hohe majestätische Gestalt mit einem ausdrucksvollen Gesicht, war ebenfalls schon über die besten Jahre seines Lebens hinaus; er trug zur Unterscheidung von den übrigen ein hellbraunes Kleid und eine blaue Mütze. Nach den ersten Begrüßungen nöthigte er uns zum Nieder- fitzen, und ließ für uns Europäer einige Stühle herbeibringen 317 Dann wurden Kaffee und Pfeifen gebracht. Da einer der Herren L. die Reden des Bischofs gründlich verdolmetschte, so konnten wir lebhaftern Antheil als sonst an der Unterhaltung nehmen. Diese wandte sich hauptsächlich um die letzten Kriegsereigniffe, um Ibrahim Pascha und die zahlreichen Scharmützel in den Ge- birgen des Libanon. Mit vieler Umständlichkeit erzählte uns der Bischof, was sein Kloster während der Zeit. Alles gelitten habe. Bald habe es Albanesen aufnehmen müssen, bald bewaffnete Drusen und andere Bergbewohner; dann Türken und ein paar hundert Engländer, die jene vertrieben und sich darauf eine Zeitlang in dem Dorfe und dem Kloster festgesetzt. Es ist interessant, einen Araber und selbst wie hier einen friedlichen Bischof Kriegsereigniffe oder kleine Gefechte erzählen zu hören. Als er uns erzählte, wie sich die Drusen und Albanesen, wenn auch nur kurze Zeit in dem Dorf und Kloster gegen die Engländer und Türken vertheidigt hätten, so las man in seinen Mienen und hörte an seinen Worten lebhaft den Hergang dieses kleinen Scharmützels. Man hörte die Trommeln wirbeln, das Geschrei der Bergbewohner, das Klirren der Säbel und das Knallen des Gewehrs. Obgleich es jetzt in den Bergen weit ruhiger geworden war und sich das kriegerische Getümmel mehr gen Damaskus, Saida und Jerusalem gezogen hatte, so fürchtete der Bischof doch mit Recht, es werde auch hier bald wieder losbrechen; denn der Libanon ist der Heerd, der die ersten Feuerbrände über Syrien warf, um die Aegyptier zu vertreiben; aber die rostigen Gewehre der Türken und die unhöflichen Kanonen der Engländer waren nicht im Stande, das angeschürte Feuer wieder zu löschen; es glimmt unter der Asche fort und wird seiner Zeit hervorbrechen, um auch diesen Eindringlingen höflich aus dem Lande zu leuchten. Wie bekannt, war der Anfang der syrischen Revolution, der, daß die Stadt Beirut, als sich die Pest im Frühjahr 1840 im Gebirge zeigte, 318 durch ihre Lage auf dem Vorgebirge begünstigt, einen Pest- cordon aufstellte, der sie vom Libanon trennen sollte. Diese Einrichtung fiel den Bergbewohnern natürlich sehr lästig, denn obgleich die Gebirge Oel, Wein, Feigen und andere Früchte im Ueberfluß hervorbringen, so baut man nur wenig Getreide. Der Druse und Maronite geht zur Stadt, um sich dort Korn für sein Brod zu holen, das die Kaufleute von Beirut aus Aegypten beziehen. Beständig unzufrieden und leicht reizbar, wie dies freie Volk der Berge ist, lastete die eiserne Hand Mohamed Ali's schwer auf ihnen, und es bedurfte nur einer Kleinigkeit, der die verschiedenen Stämme für den Augenblick vereinigte, um einen allgemeinen Aufruhr aus- brechen zu laffen. Dies war der Pestcordon um Beirut. Die Bergbewohner stiegen in großen Schaaren herab und warfen ihn auseinander. Obgleich nun Solyman Pascha aus Saida und Emir Beschir von einem Schloß im Libanon herabeilen, – die Ruhe nothdürftig wieder herstellen, indem fie die Bergbewohner so viel möglich entwaffnen und viele Emire gefangen nach Aegypten abführen laffen, so steigert sich jedoch die allgemeine Unzufriedenheit, und die syrische Revolution bricht aus, deren Verlauf aus allen Blättern hinreichend bekannt ist. Nachdem wir uns kurze Zeit bei dem Bischof ausgeruht, führte er uns durch das Kloster und in die sehr einfache Kirche. Die Maroniten sind römische katholische Christen und die Einrichtung ihrer Kirchen und ihres Gottesdienstes ist wenig von dem der herrschenden Kirche unterschieden. Die Mönche sind entweder Eingeborne, wie hier im Kloster Dair Mar Mikael und verstehen nur arabisch oder find Miffionäre des Auslandes, die dann unter dem Schutz ihrer respectiven Länder stehen. In diesen Klöstern befindet sich immer eine Menge junger Leute, die arabisch lernen. Wir machten noch einige Gänge durch das Dorf, dessen Häuser, 319 mit Wein- und Obstgärten umgeben, um das Kloster gruppiert liegen. Dann führte uns der Bischof vor das Kloster unter die Platanen, von denen ich oben sprach, wo einige Ruhesitze angebracht waren, von denen wir eine entzückende Aussicht genoffen. Vor uns lag der Libanon und das Meer, in einem unendlichen Halbzirkel, über dessen glatter Fläche das Auge ungesättigt hinschweift; links konnte ein gutes Auge Beirut erkennen und gerade vor uns, so wie zur Rechten, blickten aus den grünen Schluchten zahlreich die weißen Ge- bäude der vielen Klöster und Dörfer des Libanon hervor. Während uns der Bischof auf diesem Platze, den wehendes Rebenlaub überdeckte und zu einer Laube umschuf, mit köst- lichem Libanonwein und eingemachten Früchten regalirte, ließ er uns ein schönes Pferd, die Stute, von der ich oben sprach, vorführen. Es war ein edles, liebes Pferd, schlank, zart und fein gebaut, wie alle diese Thiere. Doch konnte es der Baron für feinen Zweck nicht gebrauchen, da es außerordentlich klein war. Alle arabischen Pferde haben etwas ungemein Kluges und Zutrauliches, was wohl daher kommen mag, daß sie beständig mit den Menschen zusammen leben. Der Araber schläft bei seinem Pferde, und ich habe oft Kinder gesehen, die sich mit diesen klugen Thieren im Grafe herum wälzten und so gefahrlos mit ihnen spielten, wie mit einem wohl dressierten Hunde. Dem Araber geht aber auch ein Pferd über Alles, und schon die ältesten orientalischen Dichter verschwendeten in ihren besten Liedern die ganze Gluth ihrer Phantasie zum Lob des Pferdes, wobei sie oft seltsame Bilder gebrauchen, wie z. B. - - „Die Kruppe meiner Stute ist gleich dem Stein im Strom, den der rasche Lauf des Waffers geglättet hat.“ „Sieht man ihre beiden magern Hüften, so denkt man an einen liegenden Leoparden.“ 320 „Ihr Hals ist wie die hohe Palme unter den Palmen; fie dampft von dem Feuer, das der verwüstende Feind an fie gelegt hat.“ „Sie macht Sätze gleich dem Lauf der Wolken, die über das Thal ziehen, ohne es zu bewäffern, und die sich über ein anderes entladen wollen.“ Indeffen neigte sich der Tag seinem Ende und da sich der Himmel nach dem Wetter, das uns vorhin überrascht, nicht wieder aufgeklärt hatte, sondern sich vielmehr noch schwärzer bezogen, befürchteten wir einen früheren Eintritt der Dunkelheit, die uns auf den gefährlichen Wegen über- raschen könnte und machten Anstalten zum Aufbruch. Der Bischof wandte eine ganze Beredtsamkeit auf, um uns die Nacht bei sich zu behalten, ein Vorschlag, welchen die Herren L. annahmen, den der Baron und ich aber, hauptsächlich wegen unserer beiden Kranken zu Hause, zurückweisen mußten. Wir ließen unsere Pferde vor das Kloster bringen, und der Bischof ging mit hinaus und redete uns lange zu, die Nacht oben zu bleiben, und erst als er eine ziemliche Zeit mit uns gesprochen, fiel ihm ein, daß wir ihn nicht verstehen könnten, weshalb er einen der Herren L. herbei rief und ihn bat, uns doch seine Worte recht genau zu übersetzen. Es that uns leid, seine Bitten abschlagen zu müffen, seine Bitten, die nach Art der arabischen Sprache so blumenreich und poetisch ausgeschmückt waren. Ich werde den Anblick des stattlichen alten Mannes nicht vergeffen, wie er vor uns stand und bald die Hände des Barons, bald die meinigen nahm. Der Himmel bezog sich immer schwärzer und ein lang hin rollender Donner kam seinen Reden zu Hülfe. Ich hätte ein Maler sein mögen, um den Bischof, aber mit dem, was er uns sagte, und wie er es uns sagte, zu malen. „Seht, meine Kinder,“ sprach er, „der Sturm hebt sich aus den Schluchten empor und zieht über uns zusammen, und - 321 Ihr verschmäht mein Haus, wollt fort in die Nacht und ich kann Euch nichts mitgeben, als meinen Segen. Die Dunkel- heit wird Euch in den Bergen überraschen und wenn Euer Pferd ansgleitet und stürzt, blickt Ihr vergeblich umher nach dem Leuchten eines gastlichen Heerdes.“ Es thut mir leid, nicht alle seine Reden behalten zu haben; aber sie waren wirklich ergreifend, und wir mußten uns fast mit Gewalt von ihm los machen. Er küßte uns auf die Stirn, wobei er uns oftmals sagte: „Gott möge Euch schützen!“ Wir ritten mit dem Janißair, ohne den uns die Herren L. nicht wollten ziehen laffen, langsam den Berg hinab und sahen noch lange die ehrwürdige Gestalt des alten Bischofs oben stehen und die Hand gegen uns aus- strecken. Wo es der Weg zuließ, ritten wir rascher, denn die Dämmerung begann bei dem regnichten Wetter schon mächtig herein zu brechen. Unten am Meer, wo uns heute Morgen der Regen überrascht hatte, trafen wir auf einen großen Trupp Türken und Beduinen, die den Harem Zakariä Paschas, dem wir am Morgen begegnet, so wie mehrere schöne Pferde deffelben und einen Zug Maulthiere mit allerlei Effecten beladen, nach Beirut geleiteten. Die Damen saßen dicht verschleiert auf ihren Pferden und waren von schwarzen Ver- schnittenen umgeben. Wir ritten längs dem Zuge und die Leute grüßten uns. Alle recht freundlich, besonders ein alter Beduinenchech tummelte bei unserem Anblick einen starken Schimmelhengst, um uns eine Reiterkünste zu zeigen. Wir bezeugten ihm durch ein lautes Maschallah unser Wohlgefallen, worauf er mit einigen andern den Zug verließ und eine Strecke im scharfen Trab neben uns herritt. Fast jede Stunde im Orient bietet für den Europäer ein intereffantes, schönes Bild, gleich wie dieser Ritt am Fuße des Libanon. Die schwarzen Wolken am Himmel Hackländer, R. in d. O, I. 21 Z22 wurden von dem starken Winde, der saußend aus den Schluchten des Gebirges hervorbrach, rasch vorbeigetrieben, das Meer war unruhiger als heute Morgen und spritzte weiße Schaumwellen auf den Strand, über den wir zwei Europäer, von den Beduinen umringt, dahin jagten. Solche Augenblicke hatten immer für mich etwas unaussprechlich angenehmes, das die Brust erweitert und das Herz schneller schlagen läßt, und es erging mir dann, wie den Arabern, die die Freude ihres Herzens durch lautes Rufen kund geben. Ich fang in solchen Stunden gewöhnlich deutsche Lieder wie auch heute Abend. Die Beduinen drängten sich näher an uns, als ich ihnen das Lied „An des Rheines kühlem Strande Steh'n viel Burgen, hoch und hehr c.“ mit lauter Stimme vorsang, und die Klänge des heimath- lichen Volksliedes schienen ihnen zu gefallen; denn sie ver- ließen uns erst, nachdem sie eine weite Strecke mit uns geritten waren und schickten uns noch manches „Maschallah“ und „Allah il Allah,“ mit welchen Worten sie ihre Freude bezeugen, nach. Vor uns lag der Hundefluß mit seiner romantischen Schlucht, die bei der eingebrochenen Dämmerung noch schauer- licher aussah, als heute Morgen im hellen Sonnenlichte. Unser Janißair, um den Umweg über die steinerne Brücke, die weiter oben liegt, zu vermeiden, gab uns zu verstehen, man könne sehr gut mit den Pferden durch den Fluß reiten. Er trieb sein Pferd in’s Waffer hinein, das demselben bis an den Bauch reichte, und der Baron, dem etwas dergleichen beständig Spaß machte, folgte ihm. Ich war eine kleine Strecke zurück und als ich mit meinem Pferde das Ufer hinabritt, waren beide schon einige zwanzig Schritt weit in 223 den Fluß hinein. Doch hatten die Wellen sie etwas ab- wärts getrieben, wodurch ich die Richtung der Furth verlor und mit meinem Pferd, als ich es nöthigte, in's Waffer zu gehen, gleich bis an den Sattel hinein fiel. Doch arbeitete es sich den andern nach, verlor aber schon bei den ersten Schritten den Boden und fing an zu schwimmen, was mir, wie sich jeder leicht denken kann, höchst unangenehm war; denn der Fluß war sehr reißend, von Schnee und Regen angeschwellt und keine hundert Schritt neben mir hatte ich das offene Meer. Doch der Baron, der, als er sich zufällig umblickte, mich eine gute Strecke weiter abwärts fchwimmen fah, wandte, ohne sich zu bedenken, wie er beständig that, wenn es galt, Jemand zu helfen, sein Pferd und war in kurzer Zeit bei mir, worauf mein’s alle seine Kräfte zusammen nehmend und durch das des Barons ermuthigt, das Waffer durchschnitt und wir glücklich das Ufer erreichten. Ohne Unfall erstiegen wir die Felstreppe und ritten über die gefährliche Galerie am Ufer, so wie auf der andern Seite wieder hinab ans Meer, wo unser Jamißair alsbald sein Pferd in Carriere setzte und wir über den Strand gegen Beirut jagten. Es war ein wilder Ritt, wobei es galt, recht fest im Sattel zu sitzen. Bald mußten die Pferde in vollem Lauf über eins der kleineren Schiffstrümmer hinweg- fetzen, das ihnen im Wege lag, bald scheuten sie sich in der Dunkelheit vor einem der größeren und umgingen es mit einem gewaltigen Seitensprung. Der Mond ging in einer schmalen feinen Sichel auf, als wir um die Stadt herum nach unserer Burg ritten, wo uns die Freunde erwarteten. Während unserer Abwesenheit hatte sich der Haus- stand um ein Mitglied vermehrt. Heute Morgen erzählte uns Dr. B., als ich gerade mein zehntes Glas Mandel- milch trank – dies war nämlich im Laufe der Krankheit seine größte Leidenschaft – öffnet sich die Thür und es tritt 21 - 324 ein Mensch herein, der, vor Freude stotternd, sich in deutscher Sprache als unsern Landsmann zu erkennen gibt und nach dem Baron von T. fragt, den er in Stuttgart oft gesehen haben wollte. Dieser Mann hatte während einer achtjährigen Dienstzeit bei ver- schiedenen Herren seltsame Schicksale gehabt. Von Stuttgart aus, wo er als Kutscher diente, ging er als Reitknecht zu dem Prinzen Louis Napoleon, nach der Schweiz, darauf mit einem Herrn nach London, von wo aus er die fabelhafte Expedition nach Boulogne mitmachte, dort arretiert und wie alle hiebei Betheiligten nach Paris gebracht wurde. Dort aber fand man mit Recht nichts Verdächtiges an ihm – und wir Alle können darüber beistimmen, daß er zum Revolutionär keine Anlagen hatte – und entließ ihn mit dem Bedeuten, Frank- reich nie mehr zu betreten. Darauf kehrte er nach London zurück und nahm Dienste bei einem Cavallerieoffizier der englisch ostindischen Compagnie, der ihn über Spanien und Portugal mit nach Beirut genommen hatte. Hier aber hatte er sich überlegt, daß Indien doch etwas sehr weit von der Heimath wäre und als er vernahm, daß wir angekommen feyen, stieg in ihm die Hoffnung auf, wir würden ihn vielleicht wieder mit zurück nach Schwaben nehmen können, wo es doch immer beffer fey, als wie unter den Heiden und er wandte sich deshalb an den Baron, mit der Bitte, ihn in seine Dienste zu nehmen. Der Baron, der stets gern bereit war, jedem zu helfen, wo er konnte, und der, wenn er Pferde kaufte, ohnehin noch einen Bedienten annehmen mußte, engagierte ihn und Friedrich wurde als erster Stallknecht unserem Staate einverleibt. - - - - - - - - - - - - - - - - - –---------------- Reise nach Damaskus und Palmyra. Fürst Aslan. – Abreife von Beirut. – Wilde Gebirgspäffe im Libanon. – Khan el Huffein. – Felsentreppe. – Wolken auf der Höhe des Gebirges. – Schneesturm. – Ein Vocalconcert. – Das Schloß der Affaffinen. – Aegyptische Deserteure. – Bekaa, das Thal. – Ein Unfall. – Perfer. – Der Antilibanon. – Felsengärten. – Schiras. – Das Thal Gutha. – Damaskus. – Eine armenische Hochzeit. – Ritt nach Palmyra. – Pferde-Revue. – Baalbek. – Die Cedern des Libanon. – Die Stute in Sachile. – Zweite Reise nach Damaskus. – Der persische Kaufmann. – Merkwürdiger Pferde- handel. – Scham, der Hengst. – Rückkehr nach Beirut. Damaskus!! – Palmyra!! – Wie oft schauten wir, täglich und stündlich, von der Terraffe unseres Landhauses fehnsüchtig zu dem Libanon empor, dem gewaltigen Riesen, der sich mit dem weißen Haupte und den grauen Gewändern, die unten in’s Hell- grüne der Oelpflanzungen und Goldige des Meersandes aus- laufen, an die See gelagert hat! Wie oft waren unsere Blicke dem Lauf seiner Schluchten gefolgt und wir träumten dabei: hier muß der Weg hinaufführen; dort ersteigt man die steilen Felsen, um seinen Gipfel zu erklimmen, von wo man staunend und entzückt hinabsieht in das schöne glückliche Thal, das vom Libanon und Antilibanon, zwischen denen es liegt, beschützt, reizend liegt, wie fast kein zweites Thal der ganzen Welt! Behaupten nicht selbst mehrere Geschichtsforscher, in dieser Ebene, wo man noch jetzt die ungeheuren Ruinen von Baalbek sieht, fey früher das Paradies, der Aufenthalt der ersten Menschen gewesen! Heißt nicht jetzt noch ein kleines Oertchen, das an einem jener Abhänge des Libanon liegt, Eden, wie der schöne Garten, aus dem unsere Vor- ältern vertrieben worden! O diese mächtigen Bergwände, die wir täglich vor Augen hatten, verbargen uns viel Schönes, wornach wir 328 schon lange getrachtet, und stets waren wir durch verschiedene Umstände verhindert worden, unsere Roffe zu satteln und den „Ritt in’s alte romantische Land“ zu beginnen. Jedem Zug Beduinen, Maroniten oder Drufen, die sich bei der Stadt gelagert hatten und ihre Pferde packten, um in die Berge zurückzuziehen, sahen wir neidisch nach, beson- ders seit wir bei unserm Ritt nach dem Kloster Dair Mar Mikael einen Blick in die wilden Schönheiten des Gebirgs gethan, und verwünschten oft die kriegerischen Zeiten, die uns abhielten, ihnen zu folgen. Erstlich waren es die Feindseligkeiten zwischen Ibrahim Pascha's Armee und den Türken, so wie kleine Plänkeleien und Scharmützel, die beide Theile zuweilen mit den Bergbewoh- nern hatten, welche die Wege durch den Libanon unsicher machen sollten und weshalb man uns dringend abrieth, nach Damas- kus aufzubrechen, wo überdieß Ibrahim Pascha noch mit seiner Armee saß, von dem man nicht wissen konnte, wie er in jetzigen Umständen uns, obgleich wir nur harmlose Reisende waren, aufnehmen würde. Dann waren auch unsere beiden Kranken noch immer fehr schwach und wenn auch keine Hoff- nung dazu war, daß sie mit uns die Tour nach Damaskus machen konnten, mußten wir sie doch gänzlich auf der Beffe- rung sehen, ehe wir Beirut für ein Paar Wochen verließen. Neben diesen Umständen wurden auch unsere Reisepläne oft nach den Tagesneuigkeiten geändert. Denn bald hieß es: Ibrahim hat Damaskus endlich verlaffen und will die Armee auf dem Wege über Jerusalem aus Syrien führen; und uns schimmerte die Hoffnung, jetzt endlich die Tour durch das Gebirge beginnen und Damaskus erreichen zu können. – Vergebener Wunsch! den andern Tag wußte man aus ganz sichern Quellen, daß Ibrahim der Pforte die Erklärung 329 gegeben, sich in Syrien bis auf den letzten Mann zu halten, und wir machten alsbald Projecte, welcher Weg in jetzigen Zeiten der beste fey, um nach Jerusalem zu reisen, wo wir abwarten wollten, ob uns der Marsch der ägyptischen Armee erlauben würde, von dort nach Damaskus zu gehen. So thürmten sich von allen Seiten unserer Abreise die größten Schwierigkeiten entgegen und vereitelten unsern fehn- lichsten Wunsch, bald das traurige Beirut zu verlaffen. Alle Communication zur See war gesperrt; denn außer kleinen Küstenfahrern kamen nur englische Linienschiffe, Fregatten oder Kriegsdampfboote von Constantinopel und Marmarizza, Depeschen oder Soldaten bringend. Obendrein weigerten sich die Leute, wie unser Dol- metscher versicherte, zum Ritt durch den Libanon ihre Pferde zu geben, und auf dem Wege nach Jerusalem waren, wenn uns auch die Bewegungen der Armeen nicht gehindert hätten, andere Sachen zu bedenken; denn in Saida, Akre und Jaffa sollte die Pest ausgebrochen feyn, was dort bei dem Zu- sammenfluß von türkischen Soldaten, schlecht gekleidetem Gesindel aus den Bergen und halb verhungerten Deserteuren von Ibrahims Armee, kein Wunder war. Endlich nach einigen sehr unruhigen Tagen, in denen sich unser politischer Horizont noch schwärzer umzogen hatte, mit einem unangenehmen Gewitter drohend, als die schon lange verbreiteten Gerüchte: Ibrahim habe einen Zug gegen Beirut beschloffen und würde an einem schönen Morgen aus den Bergen hervorbrechen und die Stadt überrumpeln, fast zur Gewißheit wurden, indem täglich Schaaren von Berg- bewohnern zur Stadt kamen, von denen einige schon den Vortrab der Aegyptier wollten gesehen haben, klärte er sich über Nacht fast ganz auf, denn unser liebenswürdiger Freund, der russische Consul, Herr von B., ließ uns eines Morgens 330 sagen, so eben erhalte er einen Reitenden aus Damaskus, der ihm die erfreuliche Nachricht bringe: Ibrahim Pascha habe mit der ganzen Armee die Stadt verlaffen und sich gegen Jerusalem und das todte Meer gezogen. Ein Post- scriptum eines artigen Billets lud uns auf den Abend zu einer Taffe Thee ein, wo wir die Bekanntschaft eines geor- gischen Fürsten machen sollten, der ebenfalls Willens fey, Jerusalem und die heiligen Orte zu besuchen und sich wahr- scheinlich sehr freuen würde, die Reise in unserer Gesellschaft fortsetzen zu können. Fast jeden Abend waren wir bei dem freundlichen Consul, und wenn Geselligkeit und Unterhaltung stets die Würze des Lebens sind, so gehörten diese kleinen Soireen in den damaligen Verhältniffen zu unsern köstlichsten, genuß- reichsten Stunden. Wir hatten in unsern Appartements einen einzigen dreibeinigen Stuhl, den wir nur durch zarte Behandlung und kleine Aufmerksamkeiten dahin bringen konnten, daß er uns nicht plötzlich seinen Dienst aufsagte. Dieses Möbel benützte abwechselnd der, welcher an dem ebenfalls defecten Tische etwas schreiben wollte. Die Andern mußten beim Effen oder sonstigen Beschäftigungen auf ihren Betten, ich wollte sagen auf den Teppichen kauern, die unsere Schlafstellen vorstellten. Wenn ich noch hinzufüge, daß wir unsern Thee in einer Cafferole kochten, die Mittags Suppe und Fleisch beherbergt hatte, so kann mir jeder glauben, daß es für uns kein kleiner Genuß war, an einem ordentlichen Tische auf festen bequemen Stühlen sitzend, guten russischen Thee zu trinken und sich in einem gewärmten Zimmer, ohne zu frieren, angenehm unterhalten zu können. Es war in den letzten Tagen Decembers doch etwas kühl geworden und besonders bei uns draußen fegte die feuchte Seeluft unangenehm durch unsere Zimmer, die keine Glasfenster, sondern nur schlechte hölzerne Laden hatten, fo daß wir uns 331 nur erwärmen konnten, wenn wir die Pelze und Mäntel umhingen und auf- und abliefen. Heute Abend war bei dem Herrn von B. größere Ge- sellschaft als sonst. Auf einem Divan saß der Civilgouverneur der Stadt, ein ältlicher Türke mit langem grauem Bart, den er beständig strich, übrigens ein freundlicher Herr; denn er lachte über Alles, was wir zusammen sprachen und von dem er doch gewiß kein Wort verstand. Sein Sohn, ein ganz junger Mensch, saß neben ihm auf einem Stuhle, doch schien ihm dieses Möbel durchaus nicht behaglich; denn bald zog er das eine Bein herauf, bald das andere, und rückte be- ständig unruhig hin und her. Erst später schien er sich wohler zu fühlen, denn da hatte er, als wir im Eifer des Gesprächs nicht auf ihn achteten, den Stuhl zu einem Divan umgeformt, d. h. er saß mit aufgeschlagenen Beinen auf dem Sitz, was höchst possierlich aussah. Eine andere Person, und für uns die interessanteste in der Gesellschaft, war der georgische Fürst, den uns der Consul unter dem Namen Fürst Aslan vorstellte, ein nicht sehr großer, aber schlank und zierlich gewachsener junger Mann, mit einem ausdrucksvollen schönen Kopfe; sein Gesicht war etwas bleich, aber antik, edel und fein, wie aus Wachs geformt. Ein langer Schnurr- bart vereinigte sich mit einem kohlschwarzen krausen Barte um Wange und Kinn, wodurch der schlanke nervige Hals vortheilhaft hervorgehoben wurde. Sein Auge war, wie das aller Südländer, dunkel und blitzend; die hohe Stirne schmückte eine feine-georgische Mütze von Astrachanpelz, die, oben zugespitzt wie die persische Mütze, einen Kegel bildet. Sein Anzug bestand aus einem eng anliegenden Kleide von blauer Seide, ohne Kragen mit Aermeln, das ihm bis an's Knie reichte und von einem gestickten Gürtel zusammenge- halten wurde. Seine Hose war weit, von grauer Farbe, unten zusammengeschnürt und ließ den Fuß sehen, der mit 332 kleinen rothen Halbstiefelchen bekleidet war. Ueber dem blauen Gewand hatte er ein anderes von grünem Tuch, ebenfalls ohne Kragen, mit langen aufgeschlitzten Aermeln, die, wenn sie herabhingen, bis zur Wade reichten. Doch warf er sie fast immer über die Schulter und ließ sie zu beiden Seiten der Brust herabhängen. Um beide Röcke ging ein Besatz von Goldborten. Merkwürdig war eine Waffe, ein Handschar, vielleicht anderthalb Fuß lang, der oben eine Hand breit war und sich nach unten zuspitzte. Die Klinge von Khoraffan war schwarz, in der Mitte einen Zoll dick und hatte vom Heft bis zur Spitze an jeder Seite eine Hohlkehle; im Handgemenge eine fürchterliche Waffe, zum Hauen, Stechen und Schneiden eingerichtet. Der Griff war schwer von Elfenbein und hatte einen dicken stählernen Knopf, mit dem man auch zur Noth einem Feinde den Schädel einschlagen konnte. Die Gestalt und Kleidung des Fürsten hab' ich deshalb so genau beschrieben, weil er uns später ein so lieber Reise- gefährte wnrde, und ich noch oft auf ihn zurückkommen muß. Er war ein guter liebenswürdiger Mensch, offen und gerade, dem man sich im ersten Augenblicke anschließen und ihn lieb gewinnen mußte. Russisch, georgisch und persisch sprach er geläufig, wußte sich auch im Französischen gut auszudrücken und besaß eine Gewandtheit in Führung der Waffen, im Reiten und Voltigieren, die uns oft in Erstaunen fetzte. Es dauerte heute Abend nicht lange, so ward Fürst Aslan mit uns bekannt und erzählte von seinem Vaterlande, so wie von Tscherkessien, das er bereist, und von Petersburg, wo er unter den Gardehusaren gedient. Er hatte häufig das Theater besucht und kannte alle bekannten Arien der neuen Opern stellenweise auswendig. Im Lauf des Abends wurde öfters von unserer Tour, nach Damaskus gesprochen, die jetzt, da Ibrahim abgereist, 333 ausführbar schien, und sobald als möglich unternommen werden sollte. Der gute Consul, der die ihm angenehme Gesellschaft des Barons nicht verlieren mochte, erhob, wie er schon öfter gethan, wegen der Pferde und Führer Bedenk- lichkeiten; doch sein eigener Janißair, den wir hereinkommen ließen, war kein Diplomat wie sein Herr, und versprach, so viel als nöthig feyen, zu besorgen, weshalb wir ihn vorläufig auf morgen zu uns bestellten. Das Angenehmste bei diesem Hin- und Herreden war jedoch, daß der Fürst, in dessen Plan es gar nicht gelegen, auch Damaskus zu besuchen, hiezu durch unsere Debatten Lust bekam und uns ohne Weiteres seine Begleitung anbot, die wir mit großer Freude annahmen. Denn abgesehen von feiner liebenswürdigen Per- fönlichkeit, waren in der jetzigen Zeit bei einer Reise durch das Gebirg ein paar Männer, auf die man sich im Fall der Noth verlaffen konnte, beffer wie ein Dutzend Beduinen, die man zur Bedeckung hätte mitnehmen können. Auch der Fürst versprach, unser Schloß am Meer den nächsten Morgen zu besuchen, um das Nähere zu verabreden. Unsere beiden kranken Reisegefährten hatten sich indessen wieder so weit erholt, daß wir sie verlaffen und der Pflege ihres bisherigen Krankenwärters, eines Juden Namens Haffan, ohne Sorge anvertrauen konnten. Es war uns unange- nehm, fiel nicht mitnehmen zu können, hatte doch das gast- rische Fieber die so geschwächt, daß sie gern die Zeit unserer Abwesenheit benutzen mochten, um zu der weiteren Reise durch Syrien nach Aegypten neue Kräfte zu sammeln. Dem Janißair des russischen Consuls wurde aufge- tragen, für drei Reitpferde, zwei Maulesel zum Tragen der Effecten und drei handfeste gute Mucker, so heißen die Führer, zu sorgen; und als Nachmittags der Fürst zu uns kam, um den Tag der Abreise zu erfahren, wurde ihm der folgende Morgen dazu bestimmt, was ihm ganz recht war; denn er 334 und seine Bedienten waren vollständig montiert, hatten ihre eigenen Pferde und freuten sich, je eher je lieber weiter zu ziehen. Der Himmel, der seit ungefähr acht Tagen sehr un- freundlich ausgesehen hatte, und fast immer mit Wolken bedeckt war, die uns täglich unangenehme kalte Regenschauer herabandten, klärte sich den Tag vor unserer Abreise ziemlich auf und versprach gutes Reisewetter. Ich weiß nicht, ob es die Erwartung auf die schönen wilden Gegenden, die wir nun sehen sollten, war, was uns diese Nacht nicht einschlafen ließ; aber der Baron so wenig als ich konnten ein Auge schließen; wir warfen uns auf den harten Teppichen herum, sprachen jetzt zusammen und versuchten dann wieder zu schlafen: Alles vergebens, weshalb wir den ersten Strahl des Tages freudig begrüßten und uns zum Abritt rüsteten. Es war am 4. Januar. Der Baron, ich und unser Dolmetscher, Koch und Kammerdiener in einer Person, Giovanni, bestiegen die drei Pferde; auf die Maulthiere wurden Mäntel, Decken, einiges Kochgeschirr so wie Lebensmittel, als gekochtes Hammelfleisch, Wein, Brod, Käse, Caffee c, gepackt und als Alles zu unserer Abreise fertig war, drückten wir den kranken Freunden, die uns doch etwas verstimmt nachsahen, herzlich die Hand und ritten zur Stadt, wo wir vor den Thoren mit dem Fürsten zusammentrafen. Dieser ritt ein kleines, aber starkes russisches Pferd und seine Begleitung bestand aus einem Kammer- diener, der ein tscherkesfisches Costüm trug, einen Rock von einer Art dickem Filz gemacht, auf dem an jeder Seite der Brust zwölf kleine Behälter für Patronen aufgenäht waren. Er hieß Skandar und hatte denselben Gesichtsschnitt, wie fein Herr, nur etwas plumper und nicht so ausdrucksvoll, wie jener. Ferner hatte der Fürst einen Tscherkeffen bei fich, der die Pferde pflegte; es war ein riesengroßer baum- 335 starker Mensch, Namens Mechmet, der ein türkisches Costüm, das ihm der Prinz geschenkt, so wie einen grauen Beduinen- mantel trug und mit einem Handschar und einem Wurfspieße bewaffnet war. Die Spitze des Letzteren putzte er besonders vor dem Ausreiten mit feinem Mantel blank und sauber, weil er behauptete, sie glänze dann im Sonnenlicht weit hin, und halte die Feinde, die uns anfallen wollten, im Respekt. Für das Gepäck hatte der Prinz ebenfalls ein Maulthier mit einem Mucker. Nachdem wir unsere Streitkräfte versammelt, zogen wir westlich durch einen holperigen Hohlweg, den wir bei unsern Spazierritten schon öfters verwünscht und dem auch heute wieder manches böse Wort galt. Mechmed mit dem Wurf- spieß fing hier eine Bergtour nicht glücklich an. Sein Pferd machte einen Fehltritt und Beide kollerten über einander hin, glücklicher Weise jedoch ohne Schaden zu nehmen. In der ersten halben Stunde unseres Rittes fühlte ich mich auf meinem ziemlich starken Pferde gar nicht heimisch. Ich hatte einen alten Beduinensattel, der vorn und hinten sehr hoch, nur einen schmalen Sitz bietet, und dann nur angenehm ist, wenn man es versteht, mit so kurzen Bügeln wie die Wüsten- föhne zu reiten, daß die Kniee den Hals des Pferdes erreichen. In diesem Fall findet man nach einiger Uebung das Galloppieren recht angenehm, doch ist in der Stellung vom Traben keine Rede. Ich schnallte meine Bügel lang, was ich bei ähnlichen Sätteln jedem Europäer rathe, da man bei einem unglücklichen Sturz mit dem Pferde durch die kurzen Bügel schlimm über den Kopf des Pferdes geworfen werden kann. Wir zogen nordwestlich von der Stadt im tiefen weichen Sand durch jene Pinienanpflanzungen des Schach Fach- reddin, von denen ich früher gesprochen. Hie und da wand sich ein kleines Bächlein, ein Kind des ewigen Schnees 336 droben, durch den trockenen Grund, und sah von Weitem, wie eine grüne glänzende Schlange aus, denn rechts und links an seinen Ufern trieb die Feuchtigkeit hunderte von Pflanzen und Kräutern hervor, die sich auf dem gelben Sand scharf abzeichneten. Zwischen drei oder vier solcher Bäche, wenn sie auch mehrere hundert Schritt auseinander liegen, haben die Leute Palmen gepflanzt und auf unserm Wege kamen wir durch kleine Wälder dieser schönen Bäume, die an dem Fuß des Libanon einen grünen Gürtel zogen. In kurzer Zeit hatten wir die Stadt, so wie die Pinien hinter uns und genoffen den vollen Anblick des prächtigen Gebirges, von der darüber empor steigenden Sonne malerisch beleuchtet. Wir ritten aufwärts und unser Weg, wenn man die Bahn, die vor uns hinaufziehende Caravanen gemacht, so nennen kann, führte anfänglich über eine breite sandige Fläche, die mit zahlreichen Pinien, Platanen und Sykomoren bedeckt war. Oft blieben wir stehen und schauten rückwärts, denn es begann sich hinter uns eine große schöne Aussicht zu entfalten. Die Landzunge, auf der Beirut liegt, hatten wir noch nie Gelegenheit gehabt, in ihrer ganzen Ausdehnung zu übersehen. Jetzt standen wir hoch über der Stadt wie auf einem Thurm und sahen vor uns das Meer auf drei Seiten den Halbkreis, auf dem Beirut liegt, umspülen; die Stadt, welche mit den sie umgebenden Gärten und Anpflanzungen einen ziemlichen Raum einnimmt, verschwand fast gegen die ungeheure Wafferfläche, die sich vor uns ausbreitete. Zur linken Hand trat das Land in einer ähnlichen Spitze in's Meer, doch für unser Auge zu weit, um dort etwas erkennen zu können. Das war Saida – drunten im Hafen von Beirut lagen die großen englischen Linienschiffe und schienen uns nicht größer als Nußschalen zu feyn. Eins der Kriegs- dampfboote wandte sich und ruderte fort – ein Waffer- infect, das den Bach durchschwimmt; ein anderes sahen wir 337 auf der Höhe der See und erkannten es nur an dem langen dunkeln Rauch, der es umhüllte. – Wie klein ist doch der Mensch! Könnt' ich nur einen geringen Zacken des Libanon abreißen und ihn da hinabschleudern, wo die meerbeherrschen- den Rothröcke aus ihren Nußschaalen heraus. Befehle schmieren für dies stolze Gebirge – nur ein Sandkorn im Verhältniß zur ganzen Maffe! Nach zwei Stunden beständigen Aufwärtsteigens kamen wir an ein einzeln stehendes Haus, Chan oder Wirthshaus, mit einer aus unbehauenen Steinen roh zusammengesetzten Wafferleitung, die einen klaren Felsbach in ein Baffin im Hofe führte; wir zogen vorbei, und da hinter diesem Hause der Weg ziemlich steil zu werden anfängt, stiegen wir von den Pferden und führten sie. Der Boden war zum marschieren sehr unangenehm, ein weicher sehr tiefer Sand, der das Gehen außerordentlich erschwerte; auch brannte die Sonne heftig, obgleich wir uns im Monat Januar befanden, und erwärmte uns mehr, als nöthig war. Bald änderte sich das Terrain; hier lagen noch einige kleine Hütten, worin Leute wohnten, die dem Gebirge und dem Sand mittelst eingedämmter Bäche einige Felder abgewonnen hatten, und dadurch die Straße sehr verdorben, denn von den Steinen, die sie vom Acker aufgelesen, hatten sie die größeren benützt, um kleine Mauern um ihr Eigenthum zu ziehen und die kleineren mitten in den Weg geworfen, wodurch eine sehr unangenehme holprige Bahn entstanden. Bewundernswürdig war bei diesen schlechten Wegen die Klugheit und Ausdauer unserer Pferde, denn obgleich man ihnen wohl das arabische Blut ansah und sie die edle Rage ihrer Stammältern nicht verläugneten, waren es doch nur gebrauchte Miethpferde, von denen die meisten obendrein schon sehr bei Jahren waren; aber alle waren noch stark auf den Beinen und höchst selten stolperte eins; auch brauchte man sie nicht Hackländer, R. in d. O. I. 22 338 anzutreiben, sondern ruhig und unermüdlich kletterten sie so rasch aufwärts, daß wir ihnen kaum folgen konnten. Hie und da begegneten wir einzelnen Maroniten und Drusen die zur Stadt hinabstiegen, um Einkäufe oder sonstige Geschäfte zu besorgen. Alle grüßten uns freundlich und verließen uns mit einem lauten: Allah il Allah! – Gott ist Gott! – ein hier übliches Begrüßungswort. Etwas höher hinauf kamen uns Schwarze entgegen, welche ein paar türkische Weiber von Damaskus hergeleiteten. Die Damen saßen auf Maulthieren und waren stark verschleiert. Viel Freude verursachte uns eine andere Begegnung. Bei einer Biegung des Wegs sahen wir eine kleine Gesellschaft auf uns zukommen, die wir ihrem Eostüme nach sogleich für Europäer erkannten. Es war ein Mann zu Pferde und hinter ihm zwei Frauenzimmer auf Maulthieren. Sie schienen von unserem Anblick eben so überrascht wie wir von dem ihrigen. Sie waren Deutsche aus dem Elsaß und der Mann Militärarzt bei Ibrahim Pascha gewesen. Sie hatten Damaskus nach Abzug der Armee verlaffen und gingen nach Beirut, um sich in die Heimath einzuschiffen. Wer es schon gefühlt hat, wie wohlthuend die Klänge der heimathlichen Sprache in der Fremde auf das Herz wirken, wird glauben, daß wir uns herzlich begrüßten und ein kleines Gespräch hielten, ehe wir wieder schieden. Wie gute Freunde, die sich verlaffen, sahen wir uns öfter nach einander um und schwenkten die Tücher. – Bald waren sie unseren Augen entschwunden. Wir stiegen noch eine Stunde sehr steil aufwärts und hatten bald einen bekannten Chan erreicht, der wohnlicher als alle andern im Libanon eingerichtet, häufig von Reisenden, die über das Gebirge ziehen, zum ersten Nachtlager benutzt wird – Chan el Huffein. Auch unsere Mucker fingen gleich bei unserer Ankuft an, die Thiere abzuladen, als verstünde 339 es sich von selbst, daß wir hier anhielten. Doch war es erst Mittags ein Uhr, weshalb wir heftig dagegen protestierten und weiter zu ziehen verlangten. Aber wie es uns zuweilen bei dergleichen Streitigkeiten mit den Eingeborenen ging, unser edler Dolmetscher Giovanni schlug sich auf ihre Seite, indem er wahrscheinlich nicht Lust hatte, für heute weiter zu gehen. Er malte uns die schrecklichsten Dinge aus, die uns betreffen würden, wenn die Nacht uns in den Päffen des Libanon überraschte; er sprach von Abgründen voll Schnee und Eis, von Räubern und Gott weiß was Alles. Doch war uns noch der Zug über den Balkan, von dem man uns beinahe das Nämliche prophezeiht hatte, zu frisch im Ge- dächtniß, um uns auf das Gerede dieser Leute zu verlaffen. Aber was konnten wir machen? So sehr wir in den Dol- metscher drangen, die Leute zu fragen: ob es denn auf keine Weise möglich fey, noch heute weiter zu gehen und einen andern Chan zu erreichen, so erheilte er uns beständig die Antwort: man sage, das fey unmöglich. Wir hätten also die Nacht hier zubringen müffen, wenn nicht durch die ziemlich heftig geführten Debatten ein anderer Araber aufmerksam geworden und näher getreten wäre. Er fragte den Baron in einem ganz verrenkten Englisch, ob er nicht diese Sprache kenne – Nun ist wohl nie eine Mundart mehr geradbrecht worden als diese; aber sie klang wie Musik. Der Araber sagte uns, ihm scheine als wollte unser Dertscheman (Dol- metscher) nicht weiter gehen; denn die Leute haben ihm schon mehrmal gesagt, es fey wohl möglich, wenn wir bald aufbrächen, mit Einbruch der Nacht einen andern Chan zu erreichen; doch müßten wir uns beeilen, da der Weg dahin ziemlich schlecht sey. Jetzt wurden natürlich alle Unterhand- lungen abgebrochen. Der englische Araber mußte den Muckern erklären, daß wir auf jeden Fall weiter wollten und noch heute einen andern Chan erreichen, wornach sie sich einzu- 22 340 richten hätten. Unserm Giovanni, der es wieder einmal verdient hätte, bedeutend geprügelt zu werden, wurde strenge befohlen, gleich aufzupacken und nach einigen Minuten ging die Reise weiter. Ich habe dies kleine Intermezzo erzählt, um einen Begriff zu geben, wie sehr der Reisende im Orient von den Launen dieser Dolmetscher abhängt. Dies ist nicht das einzige Beispiel der Art und nicht immer trafen wir einen Sprachkundigen wie heute, der uns aus der Verlegenheit half. Mit anständigen Behandlungen und guten Worten, wie sie der Baron den Dienern stets zukommen ließ, ist bei diesem Volk nichts ausgerichtet, und ich rathe jedem Reisenden bei dem geringsten Widerspruch oder unverschämtem Betragen dieser arabischen Bedienten den Prügel zu gebrauchen. Läuft auch fo ein Kerl heute fort, er wird morgen sicher wieder kommen, denn Herrschaften, die wie die europäischen Reifen- den außerordentlich viel bezahlen, trifft er nicht gleich wieder und so unangenehm es freilich für uns gewesen wäre, bei unsern Ausflügen, entfernt von den Küstenstädten, von dem Dolmetscher verlaffen zu werden, eben so fatal wäre es für ihn selbst gewesen, wenn wir ihn fortgejagt hätten, und ich bin überzeugt, er wäre der erste gewesen, der sich uns wieder genähert. Gleich hinter dem Chan el Huffein begann der Weg eine andere Gestalt anzunehmen. Bis hieher hatten wir meistens Sand, zuweilen auch Erde gehabt, und nur stellen- weis fanden wir den Pfad mit Steinen bedeckt, auch hatten uns beinahe bis auf diese Höhe, Pinien, Fichten und kleine Gesträuche aller Art nicht verlaffen. Jetzt wurde die ganze Gegend kahl und öde. Der Boden, aus Fels bestehend, gewährte nur schmale Pfade, die sich beständig um gewaltige Klippen herumwandten und sehr steil aufwärts gingen. Auch war es viel kühler geworden. Die mit Schnee bedeckte 341 Spitze des Dschebb el Scheich, welche links vor uns lag, kühlte die Luft ab, und sandte uns nicht selten sehr kalte Winde. Vor uns zog eine lange Reihe Kameele, die wir bald überholten; sie waren mit langen Balken beladen, von denen jedes der Thiere zwei trug, rechts und links am Packsattel hängend und mit dem Körper parallel laufend. In kurzer Zeit ließen wir sie weit hinter uns und hatten nach einer Stunde die erste Höhe des Gebirges erklettert, die erste der drei Ketten, welche den Libanon ausmachen und die durch wilde, fast ungangbare Thäler getrennt, drei gewaltige Ringmauern bilden. Von dieser Höhe wandten wir noch einmal den Blick rückwärts; doch sahen wir nichts als das weite öde Meer, Beirut dicht an den Fuß des Libanons geschmiegt, war unsern Augen entrückt. Unsere Mucker, die sehr eilten, um vorwärts zu kommen, ließen uns indeß nicht lange Zeit zum Umsehen. Der Weg führte jetzt abwärts, d. h. wir mußten uns durch die Klippen und Schlünde, die vor uns lagen, einen suchen. Ein großartig wildes Thal war es, in welches wir jetzt hinabstiegen. Es versteht sich von selbst, daß jeder absaß, um sein Pferd zu führen oder es vielmehr wie die Araber zu machen und sich vom Pferde führen zu laffen. Bei solchen Wegen ist die Klugheit dieser Thiere wirklich bewunderns- würdig, die Sicherheit, mit der sie, ohne zu stürzen, über das lockere Geröll gehen. Wir ließen sie den Weg suchen und folgten ihnen. Balb wandten sie sich zwischen zwei auf- recht stehenden Felsblöcken hindurch und wo uns auf einmal ein fast senkrechter Abhang alles weitere Fortkommen abzu- schneiden schien, suchten sie so lange herum, bis sie eine ihnen vielleicht bekannte Furth gefunden, durch die wir hinab- kamen, die aber oft so schmal war, daß wir kaum einen Fuß vor den andern setzen konnten. Jetzt bildete der Weg mehrere hundert Schritte lang eine sehr steil sich niederlenkende 342 Fläche, wo Alles, ohne anhalten zu können, hinabrutschte, und sich jeder erst durch Anprellen an die unten stehenden Felsen wieder sammeln konnte. Ohne Unfall erreichten wir in kürzerer Zeit als wir geglaubt, den Grund des Thales, indem ein eiskaltes klares Bergwaffer floß. Rings war Alles still und erschreckend ruhig, keine Spur irgend eines menschlichen Wesens, kein Grün der Bäume und Sträuche, nur hie und da ragten einige verkrüppelte erstorbene Fichten aus dem Gestein. Eine Zeitlang gingen wir an dem Bache aufwärts und kamen an einer halbverfallenen verlaffenen Hütte vorbei, wo der Weg wieder rechts an der andern Thalwand hinaufführen sollte. Doch sahen wir keine Möglichkeit, da hinaufzuklettern. und wir glaubten schon, unsere Führer müßten irre gegangen seyn, als wir plötzlich auf der Spitze, der vor uns liegenden Felsen einen Zug Maulthiere erblickten, die sich eben anschickten zu uns herabzusteigen. Wir hielten an, um den Thieren zuzusehen und glaubten jeden Augenblick, wenn sie einen neuen Zacken überstiegen, jetzt müßten sie stürzen und zerschmettert vor unsere Füße rollen. Oft gingen sie auf einem Pfade, der, von unten gesehen, nicht breiter, als ihre Füße zu feyn schien, an der einen Seite eine steile Wand, an der andern einen mehrere hundert Fuß tiefen Abgrund. Jetzt stiegen sie einen senkrechten Felsen im Zickzack herab, um auf einem Steindamme weiter zu gehen, wo sie ungefähr aussahen, wie kleine Fliegen, die über einen Mefferrücken laufen, bald verschwanden sie hinter Klippen, die wie Zuckerhüte emporragten, und erschienen jetzt wieder an einer scharfen Kante hängend, wo wir keinen Pfad er- blicken konnten und der ganze Zug oft aussah, wie wehendes Gras über einem Abgrund. Für die Höhe der Berge waren fie in kurzer Zeit bei nns und nachdem wir einige Worte mit den Treibern gewechselt, 343 begannen wir denselben Pfad hinaufzuklettern, den ich oben beschrieben, und wenn sich auch bei genauerer Betrachtung Manches nicht so gefahrvoll darstellte, als es anfangs schien, so war die ganze Sache doch halsbrechend genug und beim Ersteigen der Klippen fanden sich oftmals einzelne Stellen, die ich zu jeder andern Zeit für Menschen umgangbar gefunden hätte, geschweige für Pferde. So war etwas höher hinauf der Weg eine förmliche Treppe, wo jede Stufe aus einem Felsblock von zwei bis drei Fuß Höhe bestand. Die Breite betrug gleichfalls nicht mehr, an der einen Seite hatten wir eine steile Wand, an der andern den Abgrund. Außerdem stürzte über diese Treppe ein kleines Waffer hinab, das hie und da Pflanzen und Moose ansetzend den Weg schlüpfrig und gefährlich machte. Jemand, der am Schwindel litt, hätte ich nicht rathen mögen, von diesen Höhen einen Blick in die Tiefe rings um sich zu thun. Die ganze Umgebung war coloffal, großartig wild. Als wir höher gestiegen waren, sah ich, daß das Thal, das wir so eben verlaffen, nur eine kurze Strecke die erste Bergkette mit der zweiten verband. Rechts und links neigte es sich, zuerst kaum merklich, dann aber auf einmal mit einem gewaltigen Absturz gegen das Meer hin, welches wir jedoch nicht mehr sahen, und ließ uns in riesige Schluchten schauen, an denen ein scharfes Auge die Natur des Libanon studieren konnte. Tief unten schien der Boden dieser Schluchten mit grünen Wellen bedeckt, die an den Wänden hinauf schlagend immer durchsichtiger wurden. Das waren Wein- und Oel-Pflanzungen der maronitischen Dörfer, die hie und da in den Bergen liegen, üppige Wälder, die der untere Strich des Gebirges hervorbringt. In die rauhere Region hinaufragend, werden sie allmählig lichter und laufen endlich in hie und da zerstreute Pinien, Fichten und Cederngruppen aus. An sie stoßen gelbe Strecken Landes, die man für Sand 344 halten könnte; doch find es Getreidefelder, die noch bis zu einer beträchtlichen Höhe dicht mit Aehren bedeckt sind. Jetzt erst kommt der Sand, der später den rauhen Felsen Platz macht, welche von kleinen Steinen, womit die Wege bedeckt sind, bis zu ungeheuren Blöcken anwachsend, das schneebedeckte Haupt des Berges unterstützen. Oft standen unsere Thiere Athem schöpfend stille und ließen uns Zeit genug, die unbeschreiblichen Schönheiten des Gebirges zu betrachten; gewiß, es ist Poesie, so auf einer wenige Fuß breiten schlüpfrigen Spitze zu stehen und die lüsternen Gedanken in jene Abgründe zu senken, die uns von allen Seiten umgeben, einen Pfad zu erklettern, wo ein Fehltritt unvermeidlich den Tod nach sich ziehen würde! Unten im Thale von Beirut war es, obgleich der Himmel mit Wolken bedeckt war, ziemlich heiß gewesen, und wir hatten zu Anfang unseres Marsches Mäntel und Pelze bei Seite gelegt; doch sahen wir uns bald veranlaßt, sie wieder zu nehmen. Wir erstiegen jetzt die mittelste und höchste der drei Bergketten des Libanon und es begann hier oben empfind- lich kalt zu werden. So ruhig unten die Luft war, so machten sich doch auf dieser Höhe die Winde bemerkbar und brachen hie und da aus den Schluchten hervor, unsere Mäntel und die Mähnen der Thiere lüftend. Alle Vegetation hörte hier gänzlich auf und statt der kleinen Sträucher und Moose, die tiefer unten die Schluchten des Gesteins ausfüllten, ringelten sich hie und da von dem weißen schneebedeckten Haupte des Berges einzelne dünne Locken bis zu unsern Füßen, lange Streifen glänzenden Schnees. Für uns Europäer war es ein eigenes Gefühl, als wir wieder Schnee sahen, den guten Bekannten aus der Heimath, den alten Jugendfreund. Ich konnte mich nicht enthalten, von meinem Pferde zu steigen und eine Hand voll zusammen zu ballen, die ich mit einem Gruß an die Heimath einen der Abhänge 345 hinabrollen ließ. Die Pferde schienen sich dagegen mit dem Schnee nicht recht befreunden zu können; denn so weit fie onnten, gingen sie ihm aus dem Wege und als sie bei rößeren Strecken auf ihn treten mußten, thaten sie es so orsichtig und behutsam, die Beine hoch aufhebend, als ürchteten sie, bei jedem Schritte durchzubrechen. Hiezu kam noch etwas auf dieser Höhe, was uns sehr Intereffant war, den Muckern aber, so wie ihren Thieren ebenfalls nicht zu gefallen schien. - Allmählig ritten wir in die Wolkenschicht, welche die Spitze des Gebirges bedeckte. Zuerst empfanden wir eine kalte Zugluft, die uns von allen Seiten anwehte und mit einem leichten Nebel bedeckte, der mit jedem Schritte dichter wurde; wie bei einem kalten Wintertag zeichnete sich der Athem der Menschen und Thiere dunkler ab und ließ im Pelz und im Bart einen kleinen Reif zurück. Unser Hauptmucker, d. h. unser erster Führer, nahm die Spitze des Zugs, und bedeutete uns sehr ernsthaft, ihm genau zu folgen, so wie einzeln zu reiten, immer einer dicht hinter dem andern, weil der Weg zur höchsten Spitze der zweiten Bergkette, die wir jetzt zu überschreiten hatten, es nicht anders zulaffe und wir uns bei dem dichten Wolkennebel verirren könnten, eine Besorgniß, die sehr gegründet war, denn bald konnten wir die Gegenstände vor uns kaum mehr auf drei Schritte erkennen. Dabei sah Alles sehr groß, ja riesenhaft aus; das Pferd des vor mir reiten- den Barons schien sich coloffal auszudehnen; sein Mantel flatterte wie ein zerriffener Wolkenschleier und wenn ich zu- fällig einem solchen Reiter begegnet wäre, würde ich ihn für einen mächtigen Berggeist gehalten haben, der, vom Sturmwind getragen, durch sein Revier braust. Bei dem Allem wurde der Weg sehr gefahrvoll und führte uns auf ganz eigenthümliche Weise die Spitze hinan; eine Art Hohlweg, in dem wir eine kurze Zeit geritten, 346 hörte mit einem Mal auf, und vor uns dehnten sich große Schieferplatten aus, die, wie durch Menschenhände zusammen- gefügt, eine glatte Fläche bildeten. Steil, wie ein Haus dach, ging sie aufwärts und den Pferden und Maulthierer wurde das Ersteigen nur durch kleine Löcher möglich gemacht die man in den Stein gehauen hatte und worin die klugen Thiere vorsichtig ihre Füße setzten und so aufwärts kletterten Obendrein wurde diese Paffage noch durch den vielen Schnet beschwerlicher gemacht, und wäre ganz unzugänglich gewesen wenn die heftigen Winde, die hier oben wehten, es zugelaffen hätten, daß der Schnee die ganze Spitze bedeckte; so aber konnte er sich nur hie und da erhalten, wo ihn Felswände schützten, aber an solchen Stellen war er oft mannshoch zu- sammengethürmt. Bald jedoch hatten wir diesen Weg und die Wolken im Rücken, aus denen ich die Mucker und Thiere hinter mir einzeln, wie aus einem großen Wafferspiegel, auftauchen und an's feste Land treten fah. Der Himmel, den früher die Wolken, über welchen wir uns befanden, bedeckt hatten, sah jetzt klar und freundlich blau auf uns hernieder. Die Hochebene, über die wir nun ritten, glich einer Insel im Meere, denn wie mit brandenden Wellen war sie rings von den Wolkenmaffen umgeben, die sich hin- und herbewegten und bei jedem Windstoß ihre Gestalt verändernd, die Täuschung vollkommen machten. Aus diesem Meere hoben sich rechts und links die höchsten Spitzen des Gebirges, der Dschebbel Scheich und der Dschebbel Sanin, achttausend Fuß hoch, die mit ihren im Sonnenlicht glänzenden Schnee- mänteln wie Eisberge aussahen. Doch nur kurze Zeit hatten wir einen etwas bequemeren Weg. Bald verengte er sich wieder und wand sich, sanft ansteigend, um eine höhere Spitze des Berges, die uns zur Rechten lag, wo er gefähr- licher als je wurde. Zur Rechten hatten wir eine fast senk- 347 rechte Bergwand und links eine der tief hinabreichenden Schluchten, von denen ich oben sprach. Der Pfad selbst war höchstens zwei Fuß breit, mit Schnee bedeckt und nicht einmal gerade, sondern nach der Schlucht zu etwas abschüffig. Die Thiere konnten natürlich nur eins hinter dem andern gehen und drückten sich, die Gefahr kennend, so fest wie möglich gegen die Bergwand, den Reiter nicht selten unan- genehm gegen die Felsen stoßend. Die Schlucht links gewährte einen eigenthümlich großartigen Anblick. Die Wolkenmaffen hatten sich etwas gesenkt und ließen uns vielleicht hundert Fuß weit hinabsehen; dann versperrten sie die Aussicht und die grauen bewegten Nebel sahen nicht anders aus, als feyen sie der Rauch von einem ungeheuren Feuer, das dort unten flamme. Etwas weiter hinauf sahen wir sie von der Sonne rosig gefärbt und man konnte glauben, in einem coloffalen Theater zu seyn, wo am Schluß des Stücks die Wolken, die die Genien getragen, langsam ver- schwinden – mit ihnen verschwand die Poesie, welche die Gegend verschönte und der Schauplatz verwandelt sich in die frühere öde Gegend. - So wie es wohl nicht leicht ein zweites Gebirge gibt, das sich, wie der Libanon, z. B. bei Sonnenuntergang, in prächtigere Farben kleidet, die von Minute zu Minute wechseln, so gibt es auch wohl keins, das so sonderbar geformte und in ihrer Gestaltung so verschiedenartige Thäler aufzuweisen hat, wie dieses. Bald sind sie wild und rauh, mit chaotisch auf einander gethürmten Felsenmaffen, unheim- lich, als ruhe der Fluch des Schöpfers auf ihnen, bald findet der Blick, der suchend über die Spitzen irrt, ein anderes, das den vollkommensten Gegensatz bildet. So erinnere ich mich besonders eines, in das ich meine Gedanken und Träume versenkte, bis mir eine Biegung des Wegs seinen Anblick entzog. Zwischen rothen kahlen Felsen Z48 lag es, klein aber freundlich, mit frischen Wiesen und grünen Sträuchern, und besonders schön war es, daß ein ebenfalls grün bewachsener Hügel die weitere Aussicht hemmte, den Blick abhielt, die dahinter liegenden Felsen zu sehen und dagegen den Gedanken gestattete, sich noch Schöneres aus- zumalen, was in der Wirklichkeit hier nicht vorhanden war. Es war mir wie ein Thal aus der Heimath. Hinter jenem Hügel mußte ein kleines Dorf liegen und nur die aufstei- genden Abendnebel hinderten mich, den Kirchthurm mit der blanken Spitze zu sehen; doch das Geläute der Glocken hörte ich – deutlich hörte ich es und wenn mir auch mein Auge fagte, es feyen die Schellen unserer Saumthiere, so glaubte ich ihm doch nicht, und blickte scharf nach dem hübschen Thal, um bald die Häuser zu sehen, deren Fenster, von der Abendsonne bestrahlt, in hellem Feuer brannten. Ach, in einem Thal, was diesem glich, hatte ich einstens schöne Tage verlebt; es war aber auch nur eine Täuschung und nach kurzer Zeit trat das Schicksal, wie jetzt die Felsen, zwischen mich und das Thal, und ich mußte wie hier auf ewig Abschied davon nehmen. Ueber den mittlern und höchsten Bergrücken waren wir nun glücklich hinüber und noch einmal, aber in ein weniger wilderes Thal, wie das erste, hinabsteigend, sahen wir den dritten und letzten Gebirgszug des Libanon vor uns, an dem unser heutiges Nachtquartier liegen sollte. Die Sonne war herabgestiegen und aus den Thälern und Schluchten erhoben sich dunkle Nebel. Unsere Pferde, denen der heutige Marsch etwas stark mochte vorgekommen seyn, schienen sehr ermüdet, und doch eilten die Mucker so rasch wie möglich vorwärts, um den Chan baldigst zu erreichen, bis wohin wir noch eine beschwerliche Strecke Weges haben sollten, beson- ders unangenehm für uns, da die Nacht, die hier fast ohne Dämmerung sehr rasch eintritt, noch ehe wir den letzten 349 Höhenzug erreicht, völlig eingebrochen war und sich heute so finster anließ, daß ich für meine Person die nächsten Gegen- stände nicht mehr unterscheiden konnte. Obendrein hatten sich am Himmel schon mehrere Stunden lang neue Wolken gesammelt und es fing an zu schneien, eine Unannehmlichkeit, die noch durch den scharfen Wind, der uns aus dem Thale entgegenbließ, vermehrt wurde. Unser Weg führte einen Bach hinab und bildete keine angenehme Paffage. So fatal die Dunkelheit in einer Art war, so hatte sie doch den Vortheil, daß wir die Gefahren des Weges nicht so sehen konnten und man mußte in Gottes Namen den Vorhergehenden folgen; rutschten die eine Strecke mit den Pferden hinab, so wußte ich, daß mir gleich daffelbe passieren würde, und machte mich auf einige Stöße gefaßt. Zuweilen bildete unsere Caravane einen großen Knäuel, bei dem es noch ein Glück war, daß unsere armen Thiere sehr ermüdet waren und deshalb nicht anfingen zu schlagen; bald zog sich die Gesellschaft lang aus einander und wurde nur durch das Schreien der Mucker wieder zusammengebracht, die, wie die türkischen Posttartaren, unnachahmlich heulten, um bei der Dunkelheit den Weg anzuzeigen. Nach einer Stunde erblickten wir vor uns etwas, wie ein großes Felsstück, nur regelmäßig geformt und dadurch sich von den übrigen unterscheidend, das die Mucker mit lautem Geschrei begrüßten. Es war unser Chan, und wir Alle fühlten uns glücklich, in dem Unwetter des Schnee- sturms endlich ein Obdach zu haben, mochte es nun im Innern aussehen, wie es wolle. s Dieser Chan, feinen Namen wußten die Leute selbst nicht, war ein ziemlich großes Gebäude, durch lose auf ein- ander gefügte Steine aufgeführt, deren Ritzen mit Moos und Erde verstopft waren. Die Mauern mußten ungefähr zwanzig Fuß Höhe haben. Das platte Dach bestand aus 350 Palmbaumstämmen, die man neben und über einander gelegt hatte, und deren Zwischenräume ebenfalls mit Moos und Erde verstopft waren; oben lag eine Schicht großer Steine, die das Dach gegen den Sturmwind schützten, der es sonst in kurzer Zeit herabschleudern würde. Auf gleiche Art sind alle Chans oder Wirthshäuser durch ganz Syrien gebaut. Im Innern war unser heutiges in drei Theile geheilt, wovon der größte den Stall, ein anderer das Bedienten- zimmer und der dritte unser Appartement vorstellte. Alle drei glichen sich in ihrer innern Einrichtung so ziemlich, nur war der Stall durch die Wärme der Thiere und das hinein- geworfene dürre Laub und weniges Stroh am wohnlichsten und bot den meisten Comfort. Neben diesen Localen befand sich noch in dem Chan eine Art Vorhaus, oder beffer gesagt, das Dach war einige Schuh vorgebaut und bildete, durch Palmbäume unterstützt, einen Schuppen, unter den die Saum- thiere getrieben wurden, damit man sie bei einem Wetter wie das heutige im Trockenen abladen konnte. Die meisten dieser Chans sind, wenn man es so nennen will, Stiftungen, indem vielleicht ein Reisender, der kein Obdacht fand, hier unter freiem Himmel übernachten mußte, und später aus Humanität für Andere, die sich in gleichem Falle befänden, das Gebäude aus feinen Mitteln aufführen ließ. Daß hier an keine Wirthschaft zu denken ist, und jeder nur das hat, was er mitbringt, versteht sich von selbst; nur in einigen der größten, die auf den Hauptstraßen liegen, wie auch unser heutiges, halten sich zuweilen Araber auf, die den Reisenden, natürlich zu immensen Preisen, Brod, Kohlen, so wie auch Stroh und Gerste für die Thiere verkaufen. Unsere Mucker, die einige Schritte voraus waren, ritten gleich unter das hervorragende Dach, um abzuladen, und wenn wir auch gewohnt waren, bei derlei Geschäften ein Z51 großes Geschrei und Spektakel zu hören, so erhob sich doch gleich nach ihrer Ankunft ein solch entsetzlicher Lärm von Menschenstimmen und Wiehern der Pferde, daß wir eilig hinzuliefen, um nach der Ursache des Spektakels zu sehen – was war es? das Haus und den Vorplatz hatte ein türkischer Oberst, der von Damaskus kam, mit seinem Ge- folge eingenommen und da nicht alle Pferde im Stale Platz fanden, waren mehrere unter dem Vordache angebunden, die nicht so friedlicher Natur, wie die unserer Mucker, anfingen auszuschlagen, worauf die Türken, die Gott weiß welchen Ueberfall vermuthen mochten, mit Waffen und Feuerbränden aus dem Hause stürzten, um sich zu vertheidigen oder viel- leicht auch nur – um davon zu laufen. Bei unserem An- blick stutzten fie, beruhigten sich jedoch, als ihnen der Baron bedeuten ließ, wir feyen Reisende wie sie und suchten Nacht- auartier, und einer der Türken, ein stattlich aussehender Mann, legte die Hand an"s Feß und sagte uns das wohl- bekannte Mafchallah (Gott segne deinen Cingang). So war der Friede wieder geschloffen. Die Reiter banden ihre Pferde etwas entfernt von den unsrigen, und während sich die Mucker mit Abpacken beschäftigten, traten wir in das Gemach. Hier sah es ziemlich unheimlich und trostlos aus. Gott, da kam uns kein Oberkellner mit einem Dutzend Unter- kellnern entgegen, Servietten auf dem Arm und Wachslichter in den Händen, um die Nummern unserer wohl eingerichteten Zimmer abzurufen. Hier war nur eine einzige Nummer und so niedrig, daß der Baron kaum aufrecht darin stehen konnte. Der Boden bestand aus zusammengetretener Erde, in der Mitte befand sich eine Vertiefung, worin glühende Holz- kohlen lagen, die eine dreifache Bestimmung hatten, den Caffee daran zu kochen und das Gemach zu erwärmen, so wie es zu beleuchten. 352 Der Oberst, als solchen machte ihn der diamantene Nischah auf einer Brust kenntlich, war so gütig, seine Be- gleitung vom Jüs-Bafchi (Hauptmann) abwärts, in das andere Gemach zu schicken, damit für uns Platz würde. Nachdem Giovanni unsere Mäntel und Decken, auch brennen- des Licht hereingebracht, richteten wir uns so behaglich als möglich ein. Der Kammerdiener des Fürsten, Scandar, kochte einen ächt russischen ausgezeichneten Thee, der uns innerlich erwärmte und den gefrorenen Humor aufhauen ließ. Dann foupirten wir, indem wir Fleisch und Brod auf einer ledernen Pferdedecke ausbreiteten, stopften unsere Pfeifen und gaben den aufhorchenden Türken noch ein Vocalconcert zum Besten. Fürst Aslan sang Verschiedenes aus dem Barbier von Sevilla, der Baron aus Norma: Zu dieser Stunde sollst du erfahren c. und ich trug das bekannte Duett aus den Puritanern vor. - So sehr jedoch den Oberst und seine Gefährten unser Gesang und uns die Freude dieser Leute amüsierte, fühlten wir doch bald das Bedürfniß zum Schlafen und machten Anstalten zu Bette zu gehen; ein Stein wurde zum Kopf- kiffen genommen, der Baron wickelte sich in eine ungarische Bunta, von der er mir jedoch großmüthig ein Stück zukommen ließ, die Türken legten die Pfeifen weg und bald herrschte tiefe Stille, nur zuweilen von dem Heulen des Sturms draußen oder von dem Schnarchen eines der Schläfer unter- brochen. Es war aber ein sehr unbequemes Bett. Man mußte die Beine beständig an sich ziehen, um sich nicht an den Holzkohlen, die in der Mitte des kleinen Gemachs brannten, zu verengen. Aber müde, wie wir waren, ent- schliefen wir bald. Doch dauerte unsere Ruhe nicht gar lange. Ich erwachte nach einigen Stunden von einem Ge- räusch, herabfallenden schweren Regentropfen ähnlich, wie sie im Sommer als Vorposten eines Gewitters ankommen. Ich - 353 verhielt mich ruhig, um den Schlaf der Andern nicht zu stören und fühlte nur, da mir ahnte, was es seyn könnte, mit der Hand auf meinem Pelz und dem Boden herum. O weh! da war. Alles naß. Von der Decke fielen wirklich schwere Tropfen und in nicht geringer Anzahl. Der Schnee, der den Tag über auf das Dach gefallen war, schmolz durch die Wärme unseres Feuers und drang durch die schlecht zusammengefügten Baumstämme, bei diesem Durchsieben von dem darauf geworfenen Lehm mit sich führend, so daß zugleich Schmutz und Waffer auf uns fiel. Der Baron richtete sich ebenfalls in die Höhe und der arme Fürst, der unglücklicher Weise in einer Ecke lag, versicherte uns mit feinem Lieblingsschwur parole d'honneur, er liege in einer wahren Sauce und fey schon lange wach. Nach langem Berathschlagen, was zu thun fey, wurden wir mit dem türkischen Oberst einig, Feuer anmachen zu laffen und Kaffee zu kochen, um so den Morgen zu erwarten. In Kurzem war. Alles munter. Etliche zehn Pfeifen dampften. Ich aber nahm den Burnus eines unserer Araber und ging vor das Haus, mich im Freien ein wenig umzusehen. Es war eine wilde Nacht. Das Schneegestöber hatte aufgehört und der Sturm lag zwischen den Felsenzacken und pfiff aus dem zerriffenen Gestein die seltsamsten Melodieu. Unser Chan stand hart an der abschüssigen Wand eines Thales, das lang vor mir ausgestreckt lag und in feiner Wildheit dem Wohnorte böser Geister glich. Hie und da erhoben sich aus dem Dunkel riesige Gestalten, einzeln stehende Felsen, die oben mit Schnee bedeckt, wie mit weißen Gesichtern zu mir aufblickten. Hinter dem Hause war ich vor dem Winde etwas geschützt; doch wie ich vortrat, um eine weitere Ausficht zu haben, packte er mich und ich mußte einen Zacken des Ge- steins faffen, um nicht hinabgeschleudert zu werden. Da Hackländer, R, in d. O. I. 23 354 hing ich, zu meinen Füßen ein unermeßlicher Abgrund, durch den die Winde außten und mir spottend zuriefen, mir, ihrem Herrscher, den die empörten Elemente verbannt und hier oben angekettet hatten. Ich war ein anderer Prometheus. Mein Burnus flatterte um mich, wie die Fittige der Geier, und schlug mich ins Gesicht – mir war mein Zauberstab entfallen und keine freundliche Macht half mir die empörten Vasallen zur Ruhe zu bringen und zu bändigen; alle befreundeten Mächte flohen – alle. Die meisten hatten mich eilfertig verlaffen, nur eine zögernd langsam und sich oft nach mir umsehend, und so wie sie mir von Neuem in's Gesicht sah, ging sie stets langsamer und immer langsamer und blieb endlich stehen, mit sich selbst kämpfend, ob sie zurückkehren und mir helfen solle oder nicht. – – Und sie kam zurück in raschem Sprunge, klammerte fich an mich – meine Phantasie – und ich war wieder mächtig wie früher –. Dem Blitze gleich fuhr mein Zauberwort in das Thal vor mir, bändigte den Sturm und ließ die Felsen aufhorchen. Die Winde heulten nicht mehr in ungleichen Weisen nach Belieben durch einander, die Bergwaffer rauschten nicht mehr taktlos dazwischen, Alles hörte auf mich – ich hatte meinen Zauberstab wieder und dirigierte – eine Sturmsymphonie – ein wildes Werk, der erste Satz ein gewaltiges Allegro, zu welchem obligate Wolkenzüge den Himmel schwärzten und finstere Streiflichter über mein ganzes Orchester warfen. Beim zweiten Satz schwieg der Sturm, die zitternden Nadeln der Fichten und die Bergwaffer hatten ein heimliches Solo, leise und flüsternd – und der Kamm des Gebirges vor mir färbte sich heller, denn der späte Mond stieg blutroth empor, ein herrlicher Anblick! Deutlich konnte ich die seltsamen Formen der Felsen dort erkennen, von denen besonders eine Parthie meinen Blick anzog; je länger ich hinblickte und je 355 höher der Mond stieg, die Umriffe schärfer heraushebend, um so deutlicher fah ich, daß die Formen zu egal waren, um von der Natur hervorgebracht zu feyn – jetzt, es durchzuckte mich eigen, verschwand die rothe Scheibe hinter den Felsen und zeichnete wie auf goldenem Grunde in schwarzen Umriffen ein Schloß mit zerfallenen Thürmen dahin, dessen Fenster- höhlen, durch welche das Mondlicht fiel, seltsam beleuchtet erschienen. – Mein Orchester schwieg, Bach und Bäume endigten ihr Solo, und Alles sah erwartend zu dem Monde auf, der, nachdem er mir die alte Burg gezeigt, sich ruhig fortbewegend höher stieg, um auf dem mächtigen Felsen, mir gegenüber gelagert, seine große Arie vorzutragen; kokett, wie alle erste Sängerinnen, legte er zuvor ein langes Kleid von Silber- stoff zurecht, das bis tief in die Schlucht hinabreichte und auf den Spitzen der Bäume und Felsen ausgebreitet, die glänzendsten Stickereien zeigte. Dann begann er, und fang in schönen schmeichelnden Tönen von dem alten Schloffe drüben – von dem Schloffe der Affaffinen! Ja, dort hatte er gehaust; der Alte vom Berge, dort hinter jenen hohen Mauern hatte er ein Paradies erschaffen und sandte die in wollüstigen Genüffen erzogenen Jünglinge mit seinen blutigen Befehlen gegen die Feinde aus, die, durch alle Gefahren sich Bahn brechend, seine Worte blindlings befolgten, denn er hatte ihnen den Glauben eingeprägt, daß sie mit dem Stoß ihres Dolches sich die Rückkehr und den ewigen Aufent- halt in jenem Paradies der Luft und Wonne erwerben könnten. Mit Tagesanbruch packten unser Mucker auf und wir genoffen eine Chocoladensuppe, die uns ausgezeichnet schmeckte und erwärmte. Unsere Karawane hatte sich um einige Mann vermehrt; denn vier Beduinen, die ebenfalls nach Damaskus 23 356 wollten, erboten sich gegen ein geringes Trinkgeld, uns zu begleiten und in vorkommenden Fällen zu beschützen; nach ihrer Angabe war die Tour zwischen dem Libanon und Antilibanon, besonders die Wege in letzterem Gebirge höchst unsicher. Die Söhne der Wüste hatten wie fast alle, kräftige, aber hagere Gestalten. Sie waren mit dem großen wollenen Burnus bekleidet und mit Säbeln und langen Lanzen bewaffnet, ihre Pferde von arabischer Zucht klein und schmächtig, aber ausdauernd. Wir schieden von dem türkischen Oberst, der nach Beirut ging und zogen eine Zeitlang längs dem Thale, an welchem unser Khan stand, auf einem ziemlich guten Wege, das heißt nach syrischen Begriffen, der sich allmählig und nicht sehr steil abwärts senkte. Dicht vor uns mußte die herrliche Fläche, die der Libanon vom Antilibanon scheidet, liegen, jene fruchtbare Ebene, die ihrer Schönheit wegen einfach „Bekaa“, das Thal heißt; doch sahen wir nichts davon. Zwischen die beiden Gebirge hatte sich ein dichter weißer Nebel gelagert, aus dem nur die Spitzen des Antilibanon hervorsahen. Die weißen Wolken glichen einem großen Landsee. Die Täuschung war so vollkommen, daß wir uns im ersten Augenblicke fragten, welches Waffer dort feyn könne. Zu unserer Rechten thronte das verfallene Schloß, von dem mir gestern Abend der Mond erzählt, eine Sage, die unser Dolmetscher bestätigte. Dort fey ein Schloß der Affafinen, sprach er, und machte dabei eine Bewegung des Halsabschneidens. Nach einer Stunde mühsamen Hinab- steigens erreichten wir das Nebelmeer und kamen durch ein kleines armseliges Dorf, bei dessen Eingang wir einen Trupp von etlichen hundert Mann ägyptischer Infanterie, Deserteure trafen, die von Damaskus kommend in den Bergen des Libanon, ihrer Heimath, es waren Syrier, eine Zuflucht suchten. 357 Bei ihrem Anblick hielt Mechmet einen weithin schatten- den Wurfspieß sehr hoch, unsere Beduinen faßten ihre Lanzen wie zur Vertheidigung. Doch waren diese Vorsichtsmaß- regeln unnöthig. Der ganze Trupp verlor sich bei unserer Ankunft rechts und links zwischen den Häusern. Diese Leute waren in weiße Leinwand gekleidet, hatten wie die Türken ein rothes Feß und fast gar keine Waffen; nur hie und da sahen wir eine rostige Flinte oder ein paar lange Pistolen; auch hatten einige Säbel. Die meisten trugen dagegen nur einen langen Stock. - - Unser Giovanni glaubte, sie feyen uns nur deshalb so friedlich aus dem Wege gegangen, weil sie befürchtet, wir feyen nur der Vortrab eines größeren Trupps Engländer, die sich vielleicht gegen Damaskus in Marsch gesetzt. Bald waren wir ganz in die Nebel hinabgestiegen, die so dicht waren, daß wir von dem schönen Terrain, durch welches wir ritten, auch nicht das Geringste erblickten. Keiner sah den Andern, obgleich wir nur wenige Fuß von einander ent- fernt ritten. Der Boden war Haide, mit Waffergräben und zahlreichen Bächen durchschnitten. Bald mußten die Pferde darüber springen, bald mußten wir sie auf holprigten, halb zerfallenen Steinbrücken übersetzen. So ritten wir ohne die geringste Aussicht bis gegen Mittag, wo die Strahlen der Sonne endlich zu mächtig wurden, durch die Nebel drangen, sie zerriß und verjagte. In weniger Zeit hatte sie dies Geschäft vollbracht und drängte die weißen Maffen rechts und links in die Schluchten der beiden majestätischen Gebirge, die das schöne Thal einfaffen, uns plötzlich auf dasselbe eine weite prächtige Aussicht eröffnend. – Herrlich und schön ist diese Ebene, doch nicht durch mannigfaltiges Grün oder durch üppig emporstrebende Wal- dungen, nicht durch freundliche Häuser oder durch die geord- nete bunte Zeichnung vieler Getreidearten, die unsere Thäler 358 so schön färben, nein, sie ist fast ohne Baum und Strauch gelblich grau wie unsere Haiden, aber viele kleine Bäche, welche sie durchschneiden, geben dem Boden einige Schatti- rung; denn, wie ich schon früher fagte, wo sich im trockenen Boden dieser Länder Waffer zeigt, schießen augenblicklich kleine Pflanzen daran empor, welche die Bäche saftig grün einfaffen und so das Land zierlich durchschneiden. So ist diese Ebene, und wäre für sich ziemlich öde und einförmig; aber die beiden gewaltigen Gebirge, Libanon und Antilibanon, begränzen dies Thal und geben ihm so einen wunderbarsten Reiz. Was ich schon früher von der reichen Färbung des Libanon sagte, findet auch auf seinen gewaltigen Nachbar Anwendung, und so bilden beide einen bunten prächtigen Rahmen, aus dem die Ebene lieblich hervortritt, am schönsten aber bei Baalbek, wovon ich später erzählen werde. Bald kamen wir an einen einzeln stehenden Hügel, auf dem sich ein kleines Gebäude mit einer Kuppel befand, wahr- scheinlich das Grab irgend eines orientalischen Heiligen, und erreichten gleich darauf den Antilibanon, der hier mit einer schmalen Bergkette, die er wie ein gewaltiges Fühlhorn vor sich hinstreckt, beginnt. Auf der Höhe derselben sahen wir wie gestern im andern Gebirg ebenfalls ein altes verfallenes Gemäuer stehen, nach der Versicherung unseres Dolmetschers auch ein Schloß der Affainen. Dies hier auf dem Antili- banon fey ein Gefängniß gewesen, behauptete er gehört zu haben, wußte jedoch nichts weiter. – Wenn man der Phan- tasie glauben wollte, die so gern geschäftig ist, um ein altes Denkmal, fey es Burg oder Kloster, ihre poetischen Fäden zu ziehen, so hatte Giovanni Recht, eine schönere Aussicht, wie man oben von dem Thurme des Schloffes haben mußte, war nicht leicht denkbar. Die Kette des Libanon, die man dort von den höchsten schneebedeckten Spitzen vielleicht bis zu seinen Ausläufern in Palästina verfolgen konnte, hatte man 259 vor sich. Man sah die ganze Ebene bis nach Baalbek, dem schönen Sonnentempel, der damals noch in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit stand, und der Antilibanon deckte dem Auge eine heimlichsten Stellen, eine wildesten Schluchten auf – dort in dem Schloß wurden wahrscheinlich die Unge- horsamen eingesperrt, man ließ sie hinaus sehen in die himm- lische Gegend, die sie nie mehr betreten durften und wahr- scheinlich unter Martern aller Art ihr verlornes Paradies beweinen. Ein unangenehmer Zufall störte hier für eine Stunde unsern Marsch. Unser guter Baron, der sonst einer der ersten immer im Zuge war, blieb heute auffallend zurück und war auch so außergewöhnlich stille, daß ich ihn mehrmals fragte, ob ihm unwohl fey, was er jedoch beständig verneinte. Jetzt war er aufs Neue weit zurückgeblieben, und als ich ihn erwartete, bemerkte ich mit Schrecken, daß er sehr blaß und angegriffen aussah, auch gestand er mir jetzt, er fey schon am Morgen nicht wohl gewesen, uud jetzt auf einmal überfalle ihn eine heftige Uebelkeit und eine so starke Kolik, daß er einige Augenblicke anhalten müffe. Mich überfiel eine unbeschreibliche Angst, und ich dachte schon an Gott weiß was für eine Krankheit, die sein Leben bedrohe, dachte an An- steckung, sogar an die Pest, die uns die Türken, unsere Schlafkameraden mitgetheilt haben könnten. Ich rief die Mucker mit dem Gepäck herbei, und wir stiegen. Alle ab, suchten auf der Haide herum nach trockenem Gesträuch, um ein Feuer aufzumachen und Thee dabei zu kochen, was uns auch nach einiger Zeit gelang. Glücklicher Weise verminderte sich bald das Unwohlseyn unseres lieben Gefährten; er sagte es wenigstens, vielleicht nur um den Zug nicht länger auf- zuhalten; denn fo gern er Anderen mit Aufopferung stets behülflich war, so unangenehm war es ihm, wenn er glaubte, man fey feinetwegen gemirt oder auch nur für ihn beschäftigt. Z60 Wir bepackten die Thiere wieder, wurden jedoch durch die Ankunft eines persischen Kaufmanns, der mit einem Gefolge von zehn Reitern von Damaskus kam, noch eine kurze Zeit aufgehalten. Der Perser ritt ein schönes turkomannisches Pferd, Schimmelhengst, das er geneigt schien, zu verkaufen; doch der Baron, der sich "trotz eines Unwohlseyns beim An- blick eines schönen Pferdes gleich eifrig dafür interessierte, daß das Thier schon zu alt und deshalb für ihn nicht paffend sey. Nach einigen Worten, Begrüßungen und gegenseitigen Fragen über Damaskus und Beirut, wobei diesesmal der Fürst den Dolmetscher machte, schieden wir, und der Perser gab seinem Pferde die Sporen, um uns die Schnelligkeit deffelben zu zeigen und flog wie ein Vogel über die Ebene hin, seine Begleiter weit zurücklaffend. Wir zogen langsam unseres Weges und erreichten nach Verlauf einer halben Stunde den Antilibanon. Bald hatte uns eine weite Schlucht aufgenommen, die sanft ansteigend uns fast unmerklich in die Höhe führte. Indeffen war es Mittag geworden, die Sonne stand an dem wolkenlosen Himmel hoch über unsern Häuptern und ihre Strahlen brannten, von den kahlen Felswänden abprallend, nicht schlecht auf uns. Doch nur ein paar Stunden; denn wir waren im Januar und befanden uns auf einer ziemlichen Höhe über der Meeresfläche. Der Weg durch den Antilibanon führte nicht wie unser gestriger über bedeutende Höhen, sondern ging meistens durch Schluchten und dem Lauf von Bächen entlang. Nachdem wir die erste unbedeutende Höhe erstiegen, ritten wir ein kleines, rings von hohen Bergen eingeschloffenes Thal abwärts, in dessen Mitte sich eine Anzahl so sonderbar geformter Steine befand, daß wir sie aus der Ferne für die Zelte irgend eines nomadisierenden Volks hielten. Dann betraten wir eine neue Schlucht von fürchterlicher Schönheit. Unser 361 Weg, kaum zwei Fuß breit, lief neben dem vielleicht mehrere zwanzig Fuß tiefer liegenden Bett eines Fluffes vorbei, der aber nur wenig Waffer enthielt. Dieser Pfad war entsetzlich schlecht und beschwerlich für die Thiere. Zuweilen hörte er ganz auf, und sie mußten an dem abschüssigen Ufer hinklettern auf lockerem Geröll, wo sie ihre Füße kaum halten konnten, was besonders für die bepackten Maulthiere sehr schwierig war und die armen Geschöpfe oft zum Fallen brachte. Hie und da versperrten große Steine das Weitergehen, über die man entweder hinwegklettern, oder sie umgehen mußte. Dabei denke man sich eine Schlucht, kaum fünfzig Fuß breit mit senkrecht aufsteigenden Felswänden, die vielleicht vier bis fünfhundert Fuß hoch waren, natürliche Mauern, von keinem Strauch, fast keinem Moos belebt. Man wird mir glauben, wenn ich sage, daß wir diesen Weg still und in mannigfaltige Gedanken versunken zurücklegten. Einzelne Felsblöcke, die die Wände neben uns krönten, bildeten oft die seltsamsten Gestalten. Bald schienen es Riesen zu seyn, die dort oben saßen und uns kleinen Geschöpfen lächelnd und verwundert zusahen; bald sonderbare Thiergestalten; dort hob sich ein Schloß mit schön gezackten Mauern und stattlichen Thürmen und hier waren in der glatten Mauer regelmäßige Riffe und Sprünge, Schriftzeichen ähnlich; wahrscheinlich war es die Schreibtafel des Berggeistes, der hier hauste. Am Ende dieser Schlucht, wo der Bach, der hier durch- fließt, einen kleinen Fall bildete, hielten wir einige Augen- blicke, um einen kleinen Imbiß zu uns zu nehmen und die Thiere etwas ausruhen zu laffen. Dann stiegen wir einen vor uns liegenden Berg hinauf, der einzige auf unserem Marsche, der ziemlich hoch und dabei außerordentlich steil war. Doch hatten wir von einer Höhe bis zu unserem heutigen Nachtlager dafür auch beständig abwärts zu reiten, wie unsere Mucker versicherten und nicht mehr sehr weit. Z62 Der Tag neigte sich auch seinem Ende und wir trieben so viel wie möglich, um rascher vorwärts zu kommen, besonders der Baron, denn, obgleich sich sein Unwohlseyn etwas ge- mindert, fühlte er sich doch noch sehr angegriffen und wünschte so bald wie möglich ein Obdach und Ruhe zu haben. Da wir wegen den bepackten Maulthieren nur im Schritt reiten konnten, so machte Giovanni den Vorschlag, der Prinz, der Baron und ich möchten mit den Beduinen, die den Weg genau kennten, schneller vorwärts reiten und er würde mit dem Gepäck langsam nachfolgen. Nachdem uns darauf einer der Beduinen mit vielen Pantomimen versichert, er kenne den Weg nach Schiras, so hieß das Dorf, wie ein Pferd, trabten wir mit ihnen vorwärts, zuerst längs einem tiefen Thale, und auf einem Weg, der glücklicher Weise mehr aus Sand als aus Steinen bestand, so rasch als möglich fort. Schon eine Stunde ritten wir so beständig abwärts, meistens am Rand von Thälern, die in ihrer runden keffel- artigen Form abgelaffenen Fischteichen glichen, dann ging es kurze Zeit etwas steil hinab, und wir kamen an einen Bach, über den eine steinerne Brücke führte. Cinige hundert Schritt von dem Bach lag ein kleines Gebäude, ein Chan, in dem sich jedoch Niemand befand. Wir passierten die Brücke und ritten einer neuen Schlucht zu, die sich zwischen himmelhohen Felsen, welche die zweite Kette des Antilibanon bilden, unseren Blicken öffnete. Wenn auch nicht so furchtbar, wie die früher beschriebene, hatte die Schlucht doch ebenso seltsam geformte und steile Felsen wie jene. Allein hier rückten einem die Wände nicht so beängstigend auf den Leib wie in jener, sondern waren mehr zerklüftet und ließen hie und da eine Aussicht frei. Von zwei Wegen, die sich uns kurze Zeit darauf darboten, wählten die Beduinen den untersten; doch kam es mir etwas verdächtig vor, daß sie hiebei eine Weile gezaudert. Von Neuem abwärts steigend, kamen wir 363 an das Ufer eines Fluffes, es war, wie wir später hörten, der Barrada, der ungefähr vierzig Fuß tiefer als unser Weg, reißend über spitze Felsenblöcke, viele malerische Fälle bildend und rauschend neben uns dahin schoß. In ihn ergoffen sich rechts und links von den Bergen kleine Bäche, deren Waffer hie und da üppige grüne Wiesen hervorgebracht hatten, welche der wilden Gegend einen freundlichen Reiz verliehen. Zuweilen waren diese Wiesen von mächtigen Fels- blöcken so ordentlich eingefaßt, als hätten es Menschen, oder vielmehr Riesenhände gethan, und wenn man dabei die feltsame Form der umstehenden Felsen sah, die bei einiger Phantasie coloffale Villen, Monumente und Statuen bildeten, wie man sie in einer Parkanlage trifft, so konnte man die ganze Gegend hier für einen großen Garten halten, der im Riesen- geschmacke angelegt war. Der Abend war indessen schon mächtig hereingebrochen, weshalb wir langsamer abwärts ritten. Zuweilen glaubten wir das Dorf und unsern Chan vor uns zu sehen, denn oft kamen wir an so seltsam regelmäßig geformten Felsmaffen vorbei, daß wir aus einiger Entfernung darauf geschworen hätten: es feyen Häuser. Aber nein! anstatt auf einen befferen Weg und zu Menschen zu kommen, führte uns vielmehr der Pfad, den wir betraten, immer tiefer hinab, stets schlechter und schmaler werdend, bis ans Ufer des Barrada und hörte hier plötzlich ganz auf. Jetzt war es auch so dunkel gewor- den, daß wir nicht mehr fehen konnten, wo unsere Pferde hintraten. Sie glitten beständig aus und mochten wohl merken, daß das Terrain nicht ohne Gefahr für sie fey. Neben uns brauste der reißende Fluß und über uns waren Felswände, die abhängende Wiesendächer hatten, auf denen mächtige Steinmassen so leicht anfzuliegen schienen, daß man oft glauben konnte, es bedürfe nur des geringsten Anstoßes, um sie weiter hinab auf unsere Köpfe zu stoßen. – 364 Jetzt stockte plötzlich unser Zug. Die Beduinen vor uns schrien laut durch einander und wir, ohne zu wissen, was sie aufhalte, riefen ihnen zu, vorwärts zu reiten, was fie stets mit einem lauten Nein! Nein! beantworteten. Man kann sich unsere rathlose Lage denken. Keiner von uns wußte, was vorn passiert fey und Keiner konnte die Beduinen fragen. Der arme Baron, obgleich unwohl, machte, da er am nächsten vorn war, den Versuch, neben den Beduinen vorbeizureiten, um an die Spitze zu gelangen und zu sehen, was es gebe. Doch hätte er und sein Pferd den Versuch beinahe theuer bezahlt; denn als er das Thier, welches zuerst nicht von der Stelle wollte, zwang, eine Seitenbe- wegung zu machen, rutschten beide die steilen Ufer des Fluffes hinab, die wir so dicht neben uns nicht vermuthet und deren Anblick die Dunkelheit uns verbarg. Glücklicher Weise konnte das Pferd aber einige Fuß tiefer sich an einem hervorstehen- den Felsen halten. Ich ließ mich an der entgegengesetzten Seite von meinem Pferde herab, kroch unter demselben durch und wand mich so rasch als möglich bei den Pferden der Beduinen vorbei, erreichte die Spitze, von wo ich den Andern gleich die untröstliche Nachricht zurief, daß unsere Beduinen den Weg verloren hätten und nicht mehr weiter könnten. Vor mir bemerkte ich, doch ziemlich tief unter unserem Wege, ein Feuer brennen, zu dem einer der Beduinen hinabgeklet- tert war, um einen Hirten, oder wer da unten seyn mochte, zu unserer Hülfe als Führer heraufzuholen. Trotz diesem höchst unangenehmen Zufall konnte ich mich doch nicht enthalten, als ich bis vorn durchgedrungen war, den pittoresken Anblick, der sich mir darbot, laut zu bewundern. Vor uns war ein tiefer und steiler Abhang, den der Barrada in gewaltigen Sprüngen hinabbrauste. Unten neben dem Fluß brannte ein großes Feuer, das zwischen den Felszacken und kleinen Sträuchen wunderbar hervor- 365 leuchtete. Ich gedachte Wielands Oberon, wie Hüon, der sich ebenfalls in diesem Gebirge verirrte, den alten Scherasmin findet. Auf einmal gähnt im tiefsten Felsengrund Ihn eine Höhle an, vor deren finsterem Schlund Ein praffelnd Feuer flammt. In wunderbaren Gestalten Ragt aus der dunklen Nacht das angestrahlte Gestein Mit wildem Gebüsch versetzt, das aus den schwarzen Spalten Herab nickt und im Widerschein Als grünes Feuer brennt – – – – In kurzer Zeit kletterte unser Beduine wieder herauf und brachte einen Ziegenhirten mit, den er da unten gefun- den. Wir waren schon zu Anfang der Schlucht, wo sie sich in zwei Wege theilte, fehl gegangen – ich hatte es richtig geahnet – und folgten jetzt, um wieder zurecht zu kommen, dem Hirten, der rechts an einer steilen Wiese in die Höhe kletterte. Nach dem Beispiel der Beduinen ließen wir unsere Pferde los und krochen dem Hirten meistens auf Händen und Füßen nach. Die armen Thiere folgten mit der größten Mühe und Anstrengung, und so ging es eine Zeitlang auf wärts, bis wir eine kleine Plattform erreicht hatten, wo unser Führer auf ein paar Lichter oder Feuer – man konnte nicht recht unterscheiden, was es war – tief unter uns im Thale zeigte; das fey Schiras, unser heutiges Nachtquartier. Ebenso steil wie wir aufwärts geklettert waren, mußten wir auf der anderen Seite wieder hinab. Glücklicher Weise war der Weg Wiesengrund und keine Felsen, doch sehr glatt und obendrein war es so dunkel geworden, daß man fast keine Hand vor Augen sehen konnte. Unser Herabsteigen war eine wahre Rutschparthie. Wir liefen so rasch, wie möglich hinab, um von den uns folgenden Pferden nicht geschlagen zu werden, denn diese, an ihre Reiter gewöhnt, eilten uns über Hals und Kopf nach, um uns nicht zu verlieren. In kürzerer Zeit, als ich geglaubt, waren wir tief hinabge- Z66 kommen und erreichten einen Weg, der zum Dorfe führte. Auf einer breiten steinernen Brücke fetzten wir über den Barrada und kamen noch durch ein wahres Labyrinth von Felsen, von denen uns hier aber die Dunkelheit nicht viel erkennen ließ. Dann ging es noch eine kleine Strecke ab- wärts und wir langten glücklich in dem Dorfe an. Vorne am Eingange war der Chan, der hier schon aus mehreren Gebäuden bestand und Karavanferey genannt wurde. Im Hofe desselben fanden wir Giovanni und die Mucker, aber rathlos und thatlos. Im ganzen Local hatte sich näm- lich kein Mensch gefunden, der uns hätte anzeigen können, wo der Stall und wo die Zimmer feyen. Auch hatte sich trotz ihres lauten Rufens aus dem Dorfe keine Seele blicken laffen. Was war zu thun? Der Baron, der kränker war, als er uns sagte, mußte ein warmes Obdach haben und als wir das Gepäck abladen wollten, um uns so gut wie möglich hier einzurichten, fand es sich, daß unser ganzer Kohlen- vorrath vom Schnee durchnäßt war. Wir beschloffen also, uns wo möglich durch Güte, sonst aber durch Gewalt, wie in Kriegszeiten, ein Quartier zu verschaffen. Der Fürst, der Baron und ich ritten deshalb in's Dorf. - Gleich am Eingang kamen wir in ein Haus mit einem Hofraum, in welchem einige Araberinnen standen, die jedoch bei unserem Anblicke davon liefen. Ich sprang vom Pferd und setzte ihnen in’s Haus nach. Bei meinem Eintritt in die Stube versteckten sich ein Paar Weiber schreiend und ein alter Araber, der beim Feuer lag, würde ihnen gefolgt feyn, wenn er nicht erst bei meiner Ankunft vom Schlaf aufgewacht wäre und mich nicht wie ein Wunder regungslos angesehen hätte. Ich versuchte, ihm mein Anliegen, uns die Nacht zu beherbergen, pantomimisch darzustellen, was mir auch durch Vorzeigung einiger Geldstücke so gut gelang, daß er 367 uns Dreien den Eintritt erlaubte. Wir ließen Giovanni und die Mucker kommen und richteten uns so gut wie möglich ein. Obgleich unser jetziges Quartier von dem, was wir in Europa Bequemlichkeit nennen, ganz entblößt war, da wir weder einen Stuhl zum Sitzen, noch eine Bank zum Liegen fanden, so war es doch von unserem gestrigen Nachtlager himmelweit verschieden. Die Stube bestand, wie alle in den Dörfern, aus zwei fast gleich großen Theilen, einem an der Thür, zu welcher man hereintritt, wo sich das Vieh, Kühe, Ziegen, Esel c. befinden, und dem andern, der dahinter liegt und deffen Fußboden drei bis vier Fuß höher als der des Stalles ist. Letzterer dient zum Aufenthalt der Menschen. Doch sind beide Appartements durch keine Zwischenwand getrennt. Der Boden der Stube besteht aus fest getretenem Lehm und ist nach den Vermögensumständen der Bewohner mit Matten, ja sogar mit schlechten Teppichen belegt. In der Ecke befand sich ein Kamin mit spitzem Rauchfang und an der Wand waren eiserne Haken, wohin man Kienspähne steckt, um das Zimmer zu beleuchten. - Anfänglich waren die Leute des Hauses bis auf den alten Araber, wie schon gesagt, bei meiner Ankunft davon gelaufen. Doch als wir, die wir von der frischen Luft draußen durchkältet waren, uns ruhig an dem freundlich lodernden Kamine niederließen, unsere Waffen ablegten, als Giovanni Kaffee und Theegeschirre ausgepackt und in bunter Reihe vor uns hingestellt hatte, auch unsere Reiseleuchter mit kleinen brennenden Wachskerzen hereingebracht, erregten alle diese fremdartigen Gegenstände doch die Neugier der Leute so stark, daß sie allmählig aus den Winkeln, wohin fie sich verkrochen, hervorkamen. Bald saßen drei bis vier alte und junge Weiber, einige Männer und etliche Kinder um uns herum, Kleider, Geräthe so wie uns selbst mit größtem Erstaunen betrachtend. Es dauerte 368 eine ziemliche Zeit, ehe sie völliges Zutrauen zu uns faßten, und als ich mich im Anfange erhob, um die Familie in der Nähe zu besehen, stoben alle mit lautem Geschrei aus einander. Der gute Baron legte sich gleich neben dem Kamin auf einige Pelze hin, und nachdem er ein Paar Taffen Thee getrunken, so wie von dem hellen Feuer angenehm durch- wärmt war, befand er sich zu unserer großen Freude weit beffer. Der Fürst arrangierte eine Theegesellschaft, wobei er eine große Taffe voll, die recht mit Zucker versüßt war, bei unsern Hausleuten herumgehen ließ. Den Männern und alten Weibern schien das Getränk zu behagen. Doch die - jüngeren, wahrscheinlich die Töchter des Hauses, zwei kräf- tige schöne Gestalten, zum Glück unverschleiert, mit kohl- schwarzen feurigen Augen, versuchten auf vieles Zureden auch, gaben aber das Gefäß laut lachend weiter. Nach ein Paar Stunden, während welchen der Fürst und ich uns alle Mühe gaben, recht liebenswürdig zu seyn, um das Zutrauen der Leute zu gewinnen, fuchten wir uns Platz an der Erde zum Schlafen, und die Familie that ein Gleiches. Wir nahmen die rechte Seite der Stube, die die linke, und in der Mitte war der Occident, defen Gränze ich repräsentierte, von dem Orient mit seinem frischen blühen- den Gestade, das eins der jungen Mädchen darstellte, nur durch einen kleinen kaum Fuß breiten Raum geschieden, eine Nachbarschaft, die uns vielleicht im Schlafe gestört hätte, wenn wir nicht alle fo fehr ermüdet gewesen wären. Am andern Morgen erhoben wir uns sehr munter, auch der Baron hatte gut geschlafen und befand sich fast wieder ganz wohl. Wir beschenkten unsere freundlichen Wirthsleute reichlich und setzten unsern Weg nach Damaskus fort. Der Barrada, den wir gestern Abend zur Seite hatten, blieb auch heute Morgen noch während einiger Stunden unser Begleiter. Das Auge verfolgte mit Vergnügen eine mannigfaltigen Z69 Krümmungen, wenn er sich eine Bahn zwischen den Bergen und Felsen machte. Sein Fall war nicht mehr so stark, wie auf der gestrigen Strecke und die Ufer mit Weiden, Eschen und Erlen dicht bewachsen, zeichneten sich zwischen den rothen, hellgelben und weißen Kalk und Kreidefelsen, über die unser Weg führte, freundlich aus. Die Bäume und das Grün, das um diesen Fluß wuchs, abgerechnet, sah ich nie ein Terrain, von aller Vegetation mehr entblößt, als dieses. Es war, als wollte uns die Natur noch einmal durch ein recht langweiliges trauriges Capitel führen, ehe sie uns zu dem Schönsten brachte, zu dem Thale von Damaskus. Gegen Mittag endlich gaben uns die Beduinen durch Pantomimen zu verstehen, von der nächsten der vor uns liegenden Höhen würden wir die alte berühmte Stadt sehen. Noch eine halbe Stunde und wir waren oben – Welch' ein Anblick ! Wer unterm Weg durch den Libanon, dessen wilde Schönheiten ich so treu, wie es mir möglich war, gezeichnet habe, mit Aufmerksamkeit folgte, wer mit uns durch die zer- riffenen Schluchten und über die kahlen verbrannten Felsen drei lange Tage wanderte, der wird den lauten Ausruf des Ent- zückens verstehen, mit dem wir oben anhielten, um in ein Thal zu schauen, das, wenn es von der herrlichsten Gegend umgeben wäre, noch den Namen eines Paradieses verdiente. – – Vor uns lag ein weites rundes Thal, das Thal Gu- tha, von malerisch geformten Bergen umgeben. Die ganze Fläche desselben war mit dem schönsten Grün bedeckt. Herr- liche Baumpflanzungen wechselten mit Getreidefeldern, üppigen Wiesen und kleinen Strecken Heideland in den mannigfaltig- ften Farben, und das ganze Thal war, wie es mir schien, von vier Flüffen durchschnitten, die gleich Silberfäden durch das Grün des Bodens schimmerten. Aber es war nur ein einziger Strom, unser Reisebegleiter der Barrada, der es, wie wir, aus den kahlen Felsen des Libanon kommend, hier Hackländer, R. in d. O 1. 24 370 so wohl gefällt, daß er sich gleich einem ausgelaffenen Kinde auf dem Rasenplatz umhertummelt und den schönen Ort nicht verlaffen kann. In der Mitte dieses Thales liegt Damaskus, prächtig hingestreckt, wie eine Königin auf ihrem Throne. Daß die meisten Moscheen, Kuppeln und Häuser aus einem gelben Sandstein gebaut sind, gibt der Stadt zwischen den schönen Gärten voll Oliven, Feigen, Platanen, Quitten, Reben und Citronen einen fast fabelhaften Anblick. Man glaubt in einem arabischen Mährchen mitzuspielen, wo man endlich nach langen Beschwerden die goldene Stadt vor sich sieht, das Ende aller Mühen. Wie wir sie heute sahen, schienen auch alle Gebäude von Gold zu feyn. Die Sonne warf ihre vollen Strahlen darüber hin, und das Licht, das sie auf die unzähligen Minareths und Kuppeln goß, zitterte umher und gab der ganzen Stadt das Ansehen einer strahlenden goldenen. Schon seit den ältesten Zeiten geben die Araber diesem großen und über alle Beschreibung schönen Thale den Namen eines Paradieses; denn Waffer und Grün, wornach sie in der Wüste schmachten, bietet es ihnen, wie fast kein anderes. Ueberall wechselt die klare Fluth des Waffers mit dem üppig- sten Baumschlag, in der Stadt selbst, wie im ganzen Thale. Außer dem Barrada, der vor alten Zeiten der goldfließende hieß und der die Ebenen fast nach allen Richtungen durch- strömt, bricht auch noch die Quelle Findscha rauschend aus den Bergen und bewäffert den Boden. Arabische Erdbe- schreiber sprachen von dem Thale Gutha und Damaskus nur in den blühendsten poetischen Ausdrücken. Bald nennen sie es das Muttermal auf der Wange der Welt, bald das Ge- fieder des Paradiesespfauen, den farbigen Kragen der Ringel- taube, das Halsband der Schönheit, das vielfäulige Irem. Hammer sagt von ihm: Das Thal Gutha und Damaskus zählt bei fiebzig Canäle, achtzehn Quellen, einundzwanzig Thäler und Spaziergänge, in denen die mannigfaltigsten 371 Fruchtbäume und Gemüße, Getreidearten und Blumen wuchernd gedeihen. Mehrere Arten von Rosen, Quitten, Trauben, Citronen, Feigen und Pflaumen nehmen unter dem Namen der Damascenichen das Lob der höchsten Vortrefflichkeit in Anspruch. Daher pries Mohamed, der zwar nicht als Er- oberer, aber als Kaufmann in seiner Jugend nach Damaskus gekommen, daffelbe dreimal glücklich, und als ihn seine Jünger um die Ursache, warum? fragten, antwortete er: Weil die Engel Gottes über dasselbe ihre Fittige ausgebreitet haben; auch schwört im Koran Gott bei der Feige und bei der Olive, d. i. Damaskus und Jerusalem, beim Berge Sinai und dem Hause Abrahams, (der Kaaba). Auf den Berg Kafiun ver- legt die moslinische Sage den Opferaltar Abels, die Scene feines Mordes, und die vieler fröhlicher und trauriger Stunden Adams und Evas, dann die Geburtsstätte Abrahams und Evas und das Haus der Mutter des Herrn Jesus. Wº Noch jetzt führt Damaskus oder Scham, wie es im Ara- - bischen heißt, im Titel des Sultans, den Namen der Paradies-Duftenden. Sehr steil führte uns der Weg von der letzten Höhe des Libanon hinab in's Thal, zuerst auf tiefen Sandwegen, dann, nachdem wir Salehiah, eine Art Vorstadt, aus Ruinen mit herr- lichen Bildhauer-Arbeiten bestehend, worin arme Araber ihre schlechten Hütten gebaut, paffiert hatten, auf einer alten Steinstraße mit eingelegten breiten Pflastersteinen, die sehr glatt waren und unsern müden Pferden das Gehen erschwer- ten, so daß sie häufig stolperten. Wir hatten schon früher viel über den Fanatismus und die Unduldsamkeit der Damascener, besonders gegen Franken gehört; und daß man sich hier in Worten, Geberden, so wie sogar in der Tracht sehr in Acht zu nehmen hätte. Robinson erzählt in seiner Reise, als er mit einem grünen Hammer, Gesch. d. o. R. II. Th. 24 372 Turban, eine Farbe, die nur die Nachkommen des Propheten tragen dürfen, zur Stadt geritten fey, haben ihn dicht vor den Thoren ein Schwarm schlechten Gesindels überfallen, ihn vom Pferde geriffen, einen Turban in den Koth getreten und ihn gezwungen, mit beschmutzten Kleidern zu Fuß in die Stadt einzuziehen. Da uns dergleichen Vorfälle in Beirut mehrere erzählt wurden, so hatte ich eine grüne Reisemütze, die ich auf der ganzen Reise durch die Türkei gebraucht, obiger Umstände halber in Beirut zurückgelaffen. Obgleich uns während unseres kurzen Aufenthalts hier von Seiten der Einwohner nichts Unangenehmes geschah und Niemand uns feindselig begegnete, so glaube ich doch nicht, daß wir unrecht hatten, wenn wir bei unsern Spaziergängen durch die Bazars manchen bösen Blick und manche Verwünschung, die neben uns gemurmelt wurde, auf uns bezogen. Doch war dem Volk hier die eiserne Hand Ibrahims noch sehr im Gedächt- niffe und sie wagten es in der ersten Zeit nicht, wie sonst gegen die Christen und Juden feindselig aufzutreten; aber kurze Zeit, nachdem wir wieder abgereist waren und die neue türkische Regierung wie überall schlaff und kraftlos auf- trat, gingen die Osmanli den Kadi mit der Bitte an, den Christen und Juden den Besuch gewisser Orte der Stadt zu verbieten und ihnen das Reiten durch die Bazars, sowie den Ge- brauch irgend eines grünen Kleidungsstücks gänzlich zu untersagen. Glücklicher Weise hielt die englische Flotte vor Beirut den türkischen Pascha in Respect und er verwies die Depu- tation zur Ruhe, die Unduldsamkeit der Damascener mag wohl hauptsächlich in dem Alter und der Heiligkeit der Stadt ihren Grund haben, die sie nicht gern durch den Tritt der Ungläubigen verunreinigt sehen. An mehreren geheiligten Orten, als die Moschee der Söhne Ommia's, darf sich kein Christ oder Jude, sogar nicht in ziemlicher Entfernung, sehen laffen, ebenso bei den Grabstätten der Jünger und Gemah- 373 linnen des Propheten, von denen einige der Sage nach hier ruhen sollen. Was ich schon oft erwähnte, daß fast jede orientalische Stadt, die von außen gesehen den prächtigsten Anblick ge- währt, im Innern einem elenden schmutzigen Dorfe gleicht, fand ich auch hier wieder in Damaskus und mehr als je bestätigt. Ich muß gestehen, es schmerzte mich fast, die Häuser und Straßen der äußern Ansicht der Stadt nach nicht stattlich, oder auch nur einmal reinlich zu finden; Die schlechten Straßen Stambuls find gegen die Schmutz- bäche, die man hier vor den Häusern der paradies- duftenden Stadt findet, außerordentlich schön zu nennen. Ueberall tiefer Koth, eine Unmaffe von Hunden und obendrein noch als Andenken der vor wenig Tagen fortgezogenen Armee Ibrahims, sowohl vor der Stadt als in den Straßen, überall Körper von todten Pferden, Eseln und Kameelen, an denen ganze Schaaren von Hunden beschäftigt waren, das Fleisch abzufreffen. Dazu kommt noch, daß fast alle Häuser von außen ein weit traurigeres Ansehen haben, als in all' den Städten, die wir bisher gesehen. Ganze Straßen bestehen aus langen Mauern, aus gelbem Lehm aufgeführt, in welchen zwei bis drei Löcher find, vor denen ein paar Bretter hängen; nur eine sehr kühne Phantasie kann sie für das, was sie wirklich find, für Fensterladen halten. In einigen der besten Straßen find die Mauern von Stein, die wohl kleine Thüren, aber keine Fenster haben, und somit ohne Zeichen sind, daß sich dahinter Wohnungen für Menschen befinden. Wie in Stambul in einigen Vierteln, stoßen hier alle Häuser mit dem hintern Theile an die Straße. Anfänglich glaubten wir, nachdem wir schon mehrere Straßen und Befestans hinter uns hatten, noch immer in einer Vorstadt zu seyn und hielten die Lehm- 374 wände links und rechts für Gartenmauern, doch mußte als- dann die ganze Stadt aus nichts wie Gärten bestanden haben. Alle Gaffen, durch die wir kamen, bogen sich bald rechts bald links; keine einzige führte über hundert Schritte lang gerade aus. Ferner find sie noch in sehr kurzen Entfernungen mit großen hölzernen Thoren versehen, die Abends verschloffen werden und die Paffage hemmen. Auf diese Art verhindert die türkische Polizei, daß bei einem Aufstande die Volksmenge sich für den ersten Augenblick wenigstens nicht auf einem Platz concentrieren kann. Diese Maßregel würde in unsern Städten äußerst lästig seyn, denn, obgleich neben jedem Thor eine Wache wohnt, muß man doch oft entsetzlich lange klopfen, ehe diese, gewöhnlich ein alter Mann, mit ihrem Schlüffel herbeikommt. Dann werden nach orientalischer Sitte obendrein noch einige Worte ge- wechselt, ehe das Thor geöffnet wird. So sagt z. B. der Schließer: Kim-tur o – wer ist das? der Klopfer ant- wortet: Jba Beled – ein Bürger der Stadt, oder was er sonst ist; worauf der Pförtner gewöhnlich als Antwort sagt: Wach hid Allah – Bezeuge, daß ein Gott ist, und der draußen, der vielleicht vor Ungeduld vergehen möchte, ist nun obendrein noch genöthigt, das Glaubensbekenntniß: es ist kein Gott als Gott, herzusagen. Besonders auf dies letztere hielten vormals die Pförtner sehr strenge; denn man glaubte, kein Dieb oder Jemand, der ein böses Gewissen habe, könne die heiligen Worte aussprechen. Den Orientalen belästigt jedoch bei seiner Lebensweise diese nächtliche Straßen- sperre nicht im Geringsten. Beim Eintritt der Dunkelheit schließt man die Bazars und Befestans, wie auch die Thore, und der Rechtgläubige geht nach seinem Hause, das er bis zum folgenden Morgen nicht wieder verläßt. Was sollte er auch auf den schmutzigen Straßen machen? Hinter den arm- seligen Mauern, die dieselben begränzen, hat der Osmanli, 375 von jedem ungesehen, fein eigenes Paradies, das ihm genügt. Da sieht es ganz anders aus. Doch hievon später. Da wir wegen dem Menschengedränge nur langsam und im Schritt reiten konnten, dauerte es beinahe eine Stunde, ehe wir unsere Herberge, das Kapuzinerkloster, erreichten. Von Wirthshäusern außer den Chans und Karavanfereien, die das im Großen und in besserer Bedeutung sind, was unser Nachtlager im Libanon im Kleinen, ist hier natürlich keine Rede, und alle Klöster in Syrien und Palästina find schon von den ältesten Zeiten her mehr oder minder zum Empfang von Gästen eingerichtet. Wir hielten vor einem großen steinernen Gebäude ohne Thurm und ohne Fenster; nur hie und da war in der Höhe ein Loch, das einer Schieß- fcharte nicht unähnlich sah. Ein großes hölzernes Thor blieb all' unserm Klopfen zum Trotz eine geraume Zeit ver- schloffen, und als wir endlich Jemand von Innen herankommen hörten, öffnete dieser bloß ein kleines Gitter am Thor und fragte, was wir wollten. Giovanni erklärte ihm, wir feyen christliche Reisende und wünschten ein Quartier. Darauf hörten wir ihn wieder fortgehen, und erst nach einer Viertelstunde, in welcher Zeit er wahrscheinlich seinem Obern die Meldung gemacht, kam er wieder und öffnete das Thor. Wir ritten in einen kleinen Vorhof, den ebenfalls hohe Mauern ohne Fenster umgeben und mußten uns hier noch einen neuen Examen unterwerfen, das der Pförtner mit uns abhielt, worauf wir von den Pferden stiegen, die mit unsern Muckert und den Beduinen, nachdem sie ihr Schutzgeld erhalten, in einen türkischen Cham gingen. Unser Gepäck wurde abgeladen und durch eine kleine eiserne Pforte, die sich in der Mauer öffnete, in's Innere des Klosters gebracht. Wir traten drch eben diese Thür in einen schmalen Gang, der ganz glatt und abschüssig in einen zweiten kleinen Hof- 376 raum führte; alles Maßregel, um bei einem etwaigen Ueberfall den Eindringenden die Paffage so beschwerlich als möglich zu machen. In den Gebäuden, die diesen innern sehr kleinen Hof- raum umgaben, befanden sich die Küche, das Refectorium, der Speisesaal und einige andere Gemächer. In einer Ecke stiegen wir eine Treppe hinauf, die sich mehrmals herumwand und kamen oben in einen langen Gang, wo uns ein junger Kapuziner empfing und zum Prior führte. Dieser, ein Mann in den besten Jahren, war ein Spanier, mit einem aus- drucksvollen Gesicht, das ein langer schwarzer Bart beschattete, bewillkommte uns sehr freundlich, regalirte uns mit einem rothen Liqueur, einer Art Kirschengeist, und führte uns in das für uns bestimmte Gemach. Es lag auf der andern Seite des Ganges, der im Dreieck einen andern Hof umschloß, welcher etwas größer als der erste war. Die Thüre unseres Zimmers führte auf eine offene Altane, von der man in diesen Hof hinabsehen konnte. Er hatte, wenn ich mich so ausdrücken darf, etwas phantastisch Melancholisches. Die tiefe Stille, die auf dem Klostergebäude und diesem Hofe ruhte, ward nur durch das einförmige Plätschern eines kleinen Springbrunnens unterbrochen. In der Mitte dieses Hofes stand ein dichtbelaubter Orangenbaum, von einer Größe, wie ich noch keinen gesehen, denn der Stamm hatte an anderthalb Schuh im Durchmesser. Zwischen den grünen glänzenden Blättern blickten unzählige kleine Orangen in manchfachen Farben hervor; duftende Blüthen, so wie ganz grüne Früchte waren mit völlig reifen goldgelben untermischt. Was aber hier einen ganz eigenthümlichen Reiz bot, war der Anblick eines sehr großen lebendigen Straußes, dem der Hof zum Aufenthalt diente. Mit hoch erho spazierte der Vogel auf und ab, bald seinen Laub des Baumes verbergend, bald zur Er beugend, um 377 die Stückchen Brod zu verschlingen, die wir ihm hinabwarfen. Ein ägyptischer Hauptmann von den Truppen, die Ibrahim aus dem Hauran nach Damaskus gezogen, hatte ihn mit- gebracht und beim Abzug den Kapuzinern hinterlaffen. Das Thier war sehr bösartig und duldete keinen Fremden im Hofe. Mechmed mit dem Wurfspieß, der gleich am ersten Tage vorwitzig zu ihm hinabstieg, um den merkwürdigen Vogel in der Nähe zu besehen, wurde mit einem solchen Flügelschlag begrüßt, daß er laut schreiend hinter dem Orangenbaum Schutz suchte und sich vor dem verfolgenden erbosten Thiere nur durch einen gewaltigen Sprung die Treppe hinauf rettete. Oft habe ich mich Stunden lang über das Geländer gelehnt und in den Hof hinabschauend, die sonderbarsten Träume und Phantasien gehabt. War nicht vielleicht der schöne Baum eine verzauberte Prinzessin, die ihr gleichfalls verwandelter Geliebter in der Gestalt des Straußes bewachte? Fast immer ging er im Kreis um ihn herum, selbst in der Nacht, wenn der Mond hell schien, hab' ich ihn oft so wandeln sehen. Bald stieß er seltsam klagende Töne aus, bald schmiegte er den Kopf an die Zweige, deren Laub leise rauschte und flüsterte. Ihr Armen! ja ihr wart in der That verzaubert. Was machtet ihr auch sonst hier zwischen den stillen Mauern einer christlichen Kirche. Arme Prinzessin Baum! Du hattest gewiß früher andere Umgebungen, als diese grauen Steinwände, und du, unglücklicher Prinz Strauß, du denkst auch an vergangene glücklichere Zeiten. Oft schien den Armen die Ungeduld zu übermannen und er nahm einen gewaltigen Anlauf, den Hof in einem Augenblick durch- rennend. Dachtest du jetzt nicht an die weite Wüste, durch die du oft gelaufen, an den herrlichen glühenden Sand, dein Bette, und an die grüne Oase, wo deine Prinzessin wohnte? Der Brunnen im Hofe, glaube ich, ist der treue 378 Blondel des unglücklichen Paares. Er hat sich durch den Sand gewunden und gebettelt, bis er die Beiden wieder gefunden und murmelt ihnen jetzt alte bekannte Weisen vor, traurige Heimathslieder, traurig, weil sie in der Ferne von der Heimath erzählen. Gegen die stille Poesie dieses Hofes stach die Einrich- tung des Gemachs, das man uns zum Schlafen angewiesen, sehr prosaisch ab. Es war Platz darin für etliche zehn Betten, obgleich nur drei für uns nöthig waren und herge- richtet wurden, indem man Gerüste aufschlug, die mich sehr lebhaft an Schragen für Todte erinnerten. Da hinauf kam eine Matratze, ein Kopfpolster und eine Decke von Kameel- haaren. So ärmlich und einfach dies Lager aber war, so prächtig und comfortabel fanden wir es gegen unsere Betten zu Beirut und in den Chans des Libanon. Das Zimmer, obgleich es sehr hoch war, hatte nur zwei kleine Fenster oben am Plafond, und um bei Tage etwas sehen zu können, waren wir genöthigt, die Thüren beständig offen zu halten. An den Wänden fanden wir verschiedene Namen und Inschriften, französisch, arabisch, italienisch, sogar deutsch, von der Reisegesellschaft des Herrn von Schubert. Auch die Muttersprache in der Ferne ist so wohlthuend, daß wir mit Begierde alle die kleinen Notizen aufsuchten, ein paar Wasch- zettel, die hier ebenfalls al fresco die Wand zierten, gaben uns viel zu lachen. Sie waren in guter östreichischer Mundart abgefaßt. Gleich bei der Ankunft hatte uns der gute Pater ge- fragt, ob wir unser Mittagsmahl auf dem Zimmer, oder mit ihm und den übrigen Brüdern im Refectorium halten wollten. Wir hatten das letztere vorgezogen und wurden nun gegen vier Uhr zu Tische gerufen. Der Speisesaal befand sich, wie schon gesagt, im ersten Hof, war ziemlich klein und sehr einfach eingerichtet. An drei 379 Wänden befanden sich hölzerne Bänke, vor denen ebenfalls solche Tische standen; von der Decke hingen einige eiserne Lampen und der Fußboden bestand, wie überall in diesem Lande, aus Steinplatten. In dem ganzen Kloster befanden sich augenblicklich, außer dem Prior, nur zwei Brüder, von denen einer krank war. Den andern hatten wir schon bei unserer Ankunft gesehen, so wie auch den Prior, und diese beiden waren schon unten und warteten auf uns. Der Prior nahm seinen Platz an einer Wand, der Bruder an der andern ihm zur Linken, und wir an der dritten zu seiner Rechten. An der vierten Wand war außer einigen Schränken mit Schüffeln und dergleichen der Eingang zur Küche. Nachdem der Prior ein lautes Gebet in lateinischer Sprache verrichtet, trat der Küchenmeister ein, warf sich vor dem Tische des Priors auf beide Knie nieder und betete gleichfalls laut. Es thut mir leid, hiebei bemerken zu müffen, daß der Küchen- meister, ein dicker ältlicher Mann ganz unbeschreiblich schmutzig aussah, was uns von der Reinlichkeit in seiner Küche und den Speisen keinen guten Begriff gab. Und wir hatten uns leider darin nicht getäuscht. Obgleich es mir gewiß nicht in den Sinn kommt, die Gastfreundschaft der guten Paters, mit einer schlimmen Nachrede zu belohnen, so muß ich doch jedem Reisenden rathen, sich für die Kapuzinerklöster in Syrien mit Meffer, Gabeln und Löffel zu versehen. Das Mittagsmahl war sehr einfach. Eine Zwiebel- suppe, etwas Gemüse, das in einer fetten Brühe schwamm und in Oel gebackene Fische. Die Mahlzeit beschloß der Prior wieder mit einem langen Gebete, in das von Zeit zu Zeit der anwesende Bruder einstimmte. Wir gingen auf unsere Stube zurück, der Fürst und ich kochten noch einen guten Punsch und wir legten uns frühzeitig nieder, um am andern Morgen mit frischem Muthe an unsere Geschäfte gehen zu können. 480 Es wird jedem auffallen, daß ich, da man doch glauben wird, wir hätten nichts Anderes zu thun, als die Stadt mit ihren Merkwürdigkeiten zu besehen, von Geschäften rede und doch war dem so. Der Baron war hauptsächlich nach Damaskus gegangen, weil dort arabische Pferde von dem edelsten Blut zu finden feyen. So hatte man uns wenig- stens in Beirut gesagt. Wegen dem Kriege mit den Euro- päern scheuten sich nämlich alle Beduinenstämme, mit ihren guten Pferden nach den Küstenstädten zu kommen, und wag- ten sich höchstens bis Aleppo und Damaskus. Wir hatten in Stambul, Beirut, Smyrna schon viele Hunderte von Pferden gesehen und noch keins gefunden, das nach Würt- temberg gebracht, die schon dort befindlichen an Güte und Schönheit übertroffen hätte. Dieses beständige Pferdemustern und Ansehen waren nun die Geschäfte, von denen ich oben sprach und gewiß oft recht mühsam. Schon auf den Mär- schen, die wir machten, hielt der Baron alle Pferde an, die ihm nur einigermaßen bedeutend schienen, was sich unsere Mucker und Beduinen gleich merkten und in jedem Dorf eine Maffe Pferde auftrieben und uns vorführten, in der Hoffnung, für sie würde dann beim Kauf ein kleines Markt- geld abfallen. Ebenso war unserem Giovanni vom Baron eine Gratification versprochen worden, im Fall er ihm in der Stille ein ausgezeichnetes Pferd auftriebe. Dieser hatte nun schon gestern Abend, in den Bazars, trotz dem Verbot des Barons, fo viel es ihm möglich war, die Nachricht aus- gesprengt, es fey ein deutscher Pascha angekommen, der Im- rachor Ajaffi, d. i. der oberste Stallmeister des deutschen Sultans, und wolle Pferde kaufen, worauf schon am andern Morgen eine Menge Offerten einliefen, und wir, wie auch anfangs in Beirut, nichts thun konnten, als von früh bis spät in den schmutzigen Gaffen umher laufen, in schlechte Ställe zu kriechen, um meistens noch schlechtere Pferde anzusehen. 381 Daß wir bei unserem kurzen Aufenthalt in Damaskus und bei dieser beständigen Pferdeschau die Stadt selbst nur eilfertig und sehr oberflächlich sehen konnten, kann man sich leicht denken. Wie keine Stadt in Syrien hat Damaskus noch den altorientalischen Charakter bewahrt, was den Fremden aber in Vergleich mit Constantinopel, Adrianopel, Smyrna gegen sie einnehmen muß. Wie ich schon früher erwähnte, sieht man auf den Straßen nur Schmutz und elende Lehmwände und nicht einmal, wie in Stambul, zahlreiche, wenn auch vergitterte Fensteröffnungen; auch wird das umher irrende Auge hier nicht wie dort erfrischt durch die grünen Blätter und duftenden Blüthen eines Orangenbaums oder saftiges Rebenlaub, das über die hohen Mauern herübernickt. Wenn nicht Bekanntschaften gestatten, einen Blick hinter die traurigen Wände zu thun, mit denen die Straßen eingefaßt sind, der bekommt einen schlechten Begriff von der Wohnung der Orientalen. Kein Geräusch, kein Lichtschimmer verkündet, daß dort Menschen wohnen. Nur zuweilen des Abends, wenn wir spät nach unserem Kloster zurückgingen, hörten wir plötzlich die leisen hinsterbenden Accorde eines Saiteninstru- ments, die aber bei dem lauten Schalle unserer Fußtritte gleich wieder aufhörten. So mißtrauisch der Orientale gegen den Fremden ist, so daß er um keinen Preis einem Unbekannten die Herrlichkeiten seiner Wohnung zeigte, so bereitwillig und freundlich läßt er sich finden, sobald die Empfehlung eines Bekannten den neugierigen Fremden vor feine Thür geleitet. Uns wurde dieser durch den Herrn Baudin, Secretär bei dem französischen Consulat, auf wel- chen die Creditbriefe des Barons für Damaskus lauteten, zu Theil. Dieser Mann, schon seit einigen zwanzig Jahren im Orient lebend, hatte sich dort ganz eingebürgert und keiner von uns würde ihn in seiner Tracht und Haltung für etwas 382 Anderes, als einen rechtgläubigen Muselmann gehalten haben. Seine Protection öffnete uns das Haus eines Türken, eines Armeniers und eines Juden, dreier sehr reicher Leute, deren Gemächer einander an Pracht und Herrlichkeit überboten. Da der Baron wünschte, von dem Innern eines dieser Häuser kleine Zeichnungen zu haben, so entschieden wir uns nach langer Prüfung für das des Armeniers, und weil unser Maler, wie schon gesagt, krank in Beirut zurückgeblieben war, unternahm ich es, so gut es in meinen Kräften stand, von der Einrichtung dieses Hauses ein kleines Conterfei zu nehmen. Herr Baudin führte uns in eine winkliche schmut- zige Straße vor eine baufällige Lehmmauer, hinter welcher man höchstens einen Kuhstall hätte erwarten können. Ein Pförtchen, an welches er klopfte, war kaum vier Fuß hoch und öffnete sich nach langem Warten nur zur Hälfte, so daß wir von dem Manne, der sich nach unsern Wünschen erkundigte, nur den untern Theil, ein langes Gewand und weite Beinkleider sahen. Der obere Theil des Thors hatte ein kleines stark vergittertes Loch, durch welches er uns be- obachten konnte, ohne daß wir das Geringste von seinem Gesicht zu sehen bekamen. Herr Baudin sagte ihm, wir wollten den Herrn des Hauses sprechen. Die Thür schloß sich wieder und wurde erst nach einigen Minuten von dem Hausherrn selbst, aber dießmal ganz geöffnet. Dieser hieß uns freundlich willkommen und schloß den Eingang wieder hinter uns zu. Wir stunden in einem halbdunkeln Gange, der sich rechts herumwand und uns vor eine andere Thüre führte. Unser Begleiter bat uns zum Scherz, wir möchten die Augen für einen Augenblick schließen und so durch diese innere Pforte treten, was wir befolgten und sie erst wieder öffneten, als diese hinter uns zugeschloffen wurde. – – 383 Etwas Ueberraschenderes und Schöneres habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Wir fahen einander an und hielten die ganze Umgebung und Alles, was wir sahen, für ein schönes Mährchen. – Waren wir arme Wanderer, die müde und durstig im Koth der Straße entschlummerten und die eine mitleidige Fee plötzlich in ihre schönsten Gemächer versetzte? Der Contrast könnte nicht stärker seyn. Wir standen in einem geräumigen Hofe auf einem Boden vom schönsten Marmor, dessen verschiedene bunte Farben kunstreich zu phan- tastischen Zeichnungen zusammengestellt waren. In der Mitte erhob sich ein schönes Becken, aus dem ein kleiner Waffer- strahl hoch in die Luft sprang, umgeben von Orangen- und Citronenbäumen, die aus dem Marmor des Bodens zu wachsen schienen, und rings die Luft mit ihrem süßen Geruche schwängerten. Der Hof war im Viereck, von einer Gallerie umgeben, die von schlanken Säulen getragen wurde, und unter welcher sich die Eingänge zu den verschiedenen Ge- mächern befanden. Wir betraten sie nach der Reihe und eins war herrlicher, ich möchte sagen üppiger eingerichtet, als das andere. So viel es mir möglich ist, will ich den größten Saal, das Conversations- oder Empfangzimmer, wo wir mit Kaffee und Pfeifen bewirthet wurden, beschreiben. Er war durch einen Gang in drei Theile geheilt. Den Fußboden dieses Ganges bildete ein Mosaik aus buntem Marmor. Er dient dazu, Besuche geringeren Standes zu empfangen, mit denen der Herr, auf seinem Divan liegend, sich unterhält. In der Mitte desselben und demnach auch des ganzen Saales, steht der unentbehrliche Springbrunnen, der seine Strahlen gegen die Decke schleudert, die hier etwas höher ist, als in den beiden Seitentheilen. Diese sind zum Empfang von Gästen oder zum Gebrauch der Familie bei großen Festen mit äußerster Pracht eingerichtet. Der Boden, um einen Fuß höher, als der des Ganges, ist mit herrlichen 384 persischen Teppichen bedeckt; längs den Wänden läuft der Divan, und diese Wände selbst sind in den buntesten Farben gemalt und mit Schränken und Kästchen von vergoldetem Holze mit eingelegten Spiegelchen geschmückt; ebenso die Decke, um welche sich eine Bordüre von geschnitztem und vergoldetem Holz zieht, mit Spiegeln eingelegt. An einem großen reich verzierten Stern hängt der Kronleuchter. In der Mitte des Zimmers steht der Mangahl, ein kupfernes Becken in Gestalt einer Vase, worin bei kalter Witterung Holzkohlen gebrannt werden. Neben ihm waren zwei Giran- dolen von Bronze, etwa vier Fuß hoch, aufgestellt. In einer Ecke des Hofes befand sich eine Treppe, ver- mittelt welcher man auf das Dach der Galerie stieg. Dieses war ebenfalls mit Platten belegt, die jedoch nur aus gewöhnlichen Steinen bestehen, und es befanden sich oben zahlreiche Orangenbäume, so wie kleine Lauben von Rebge- winden mit Ruheplätzen. Die äußere Mauer des Hauses stieg noch ungefähr zehen Fuß über diese Gallerie empor, so daß von andern Dächern kein neugieriger Blick hereindringen konnte. An der Seite des Hofes, wo wir hereingekommen waren, befand sich das Bad, das jedoch anstatt der Waffer- dämpfe, welche das Gemach erhitzen, Wannen hatte, die mit kaltem und warmem Waffer gefüllt werden konnten. Herr Baudin, der Baron und der Fürst gingen nach einiger Zeit wieder fort, und ich blieb allein zurück, um den Empfangsaal so gut wie möglich abzuzeichnen. Anfänglich saß ich allein in dem Gemach; doch bald erschien einer der Söhne des Hauses und brachte einen ältern Armenier mit, der einige Worte französisch verstand und durch den wir eine nothdürftige Unterhaltung einrichteten. Kaffee und Pfeifen wurden dabei natürlich mehrere Male gewechselt und der junge Armenier war so artig, mir meine Pfeife zu halten, so oft ich auf dem Papier einige Striche machte. Jetzt kam 385 auch noch der Vater, so wie ein kleiner Knabe herein, und bald hatte ich ein großes Auditorium um mich versammelt. Zwei Töchter des Hauses, sehr schöne Gestalten und zum Glück unverschleiert, wodurch ich ihre regelmäßigen angenehmen Züge fehen konnte, erschienen zuweilen an der Thür, sprangen aber jedesmal, so oft ich mich auf ihr Lachen umwandte, davon. Endlich sagte ich dem Alten, wenn die Mädchen mir bei meiner Arbeit zusehen wollten, möchte er sie doch nur hereinkommen laffen, worauf er mir entgegnete, sie wür- den das gerne thun, nur fürchteten sie, mich zu stören. Einer der Brüder rief ihnen jetzt zu, hereinzukommen, und sie erschienen auch, eine nach der andern; doch hatte sich jede ein kleines Geschäft gemacht. Eine trug auf einem Präsentierteller ein Crystallgefäß mit Eingemachtem, die zweite das nöthige Waffer dazu und ein anderes noch kleines Mäd- chen hatte in einem Körbchen silberne Löffel. Bald aber waren wir recht bekannt mit einander. Sie setzten sich um mich herum und bewunderten meine in der That schlechte Arbeit. Auch erwiesen sie mir alle möglichen kleinen Auf- merksamkeiten. Bald reichten sie mir eine neue Pfeife, die fie zuvor angeraucht hatten, und es war mir gar nicht un- angenehm, das Bernsteinmundstück direct aus den frischen Lippen der hübschen Mädchen zu bekommen; bald legten fie eine glühende Kohle auf den Pfeifenkopf, wenn sie glaubten, das Feuer fey ausgegangen. Es that mir leid, daß es bald an zu dunkeln fing und ich meine Arbeit be- endigen mußte. Zum Abschied ließen sie mich durch ihren Bruder bitten, ich möchte ihnen doch etwas auf ein Stückchen Papier zeichnen, was sie behalten könnten. Eine bat mich um das Conterfei eines Stuhls, der andern mußte ich einen Mangahl zeichnen und die ältere bat mich um das Bild eines Schiffes, das auf Rädern laufe, ein Dampfschiff näm- lich, wovon sie hatten erzählen hören. Sie mußten mir Hackländer, R. in d., O, I. 25 Z86 dafür ihre Namen in mein Buch schreiben und wir schieden als die besten Freunde. Noch immer hatte der Baron von all' den Pferden, die er gesehen, nichts gefunden, was ihm der Mühe werth schien anzukaufen, und dieses Fehlschlagen seiner Hoffnungen, hier in Damaskus recht edle Pferde zu finden, machte ihn zuweilen sehr verdrießlich. Es ist aber auch sonderbar, daß man im Orient so wenige ganz ausgezeichnete Pferde sieht. Den Ideen nach, mit welchen wir das Land betreten, müßten wir die edlen Pferde überall finden; aber dem war nicht so. Fast alle hatten viel Race und wir sahen auch manche, die in Europa für sehr edle Pferde gegolten hätten; aber etwas ganz Auszeichnetes, das die ungeheuern Transportkosten recht- fertigen konnte, fanden wir nicht. Der Kammerdiener des Fürsten, Skandar, der sich, da er sehr gut persisch sprach und auch sein Costüme fast ebenso aussah, viel mit den persischen Kaufleuten beschäftigte, die, von Bagdad und Mekka kommend, oft kostbare Pferde mit- bringen, meldete eines Morgens, er wisse ein ganz vorzügliches Pferd, Fuchshengst, doch fey er nicht sicher, ob es der Eigen- thümer, ein sehr reicher Kaufmann, abgeben würde. Inzwi- fchen könnten wir es in dessen Abwesenheit einmal ansehen. Wir gingen sogleich hin und durch Skandars Bekanntschaft mit den Dienern des Perfers wurde uns das Haus geöffnet und der Stallmeister ließ uns die Pferde vorführen. Es waren ungefähr zwanzig, alle sehr gute edle Thiere und zuletzt kam der Hengst, von dem Skandar gesprochen. Wirklich ein prächtiges edles Pferd. Es wurde uns vorgeritten und ob- gleich wir alle über seine schönen Formen und eleganten Be- wegungen entzückt waren, ließen wir uns natürlich davon nichts merken, sondern fahen ihm äußerlich sehr gleichgültig zu. Es versteht sich von selbst, daß der Perser, der ihn ritt, alles Mögliche anwandte, um uns alle Schönheiten des 387 Hengstes recht vor Augen zu führen. Bald ließ er ihn steigen und das Thier hieb laut wiehernd mit den Vorderhufen in der Luft herum, bald wandte er ihn im hellen Sonnenschein hin und her, wobei ein Haar wie Gold glänzte. Nachdem wir den Stallbedienten ein reichliches Trinkgeld gespendet, entfernten wir uns, um auf der Straße gegenseitig in Lobes- erhebungen über das Thier auszubrechen. Ein schönes Pferd war demnach gefunden; aber der Baron war noch im Zweifel, ob er für das eine allein, wenn er keine andern mehr dazu fände, die großen Kosten des Transportes anlegen wollte, indem drei oder vier Pferde dieselben verhältnißmäßig nicht viel vertheuern würden; und dann war auch noch die große Frage, ob der Perser uns das Pferd überlaffen würde und ob er in dem Fall nicht eine ungeheure Summe forderte. Der Fürst, der auf seinen Kammerdiener die größten Stücke hielt, was dieser auch durch Treue und Anhänglichkeit rechtfertigte, überredete den Baron, die Einleitungen zu diesem Kauf einem Skandar ganz zu überlaffen, der sich an die Stallbedienten machen sollte und deffen Gewandtheit in solchen Geschäften, im Fall etwas zu machen fey, die Sache in Gang bringen würde. Bisher waren wir immer unsern Pferdeverkäufern nach ihren schmutzigen Ställen gefolgt, aber heute machten wir einmal nach unserm eigenen Gutdünken einen Gang durch die Bazars und nach einigen merkwürdigen Orten der Stadt. Die Befestans sind hier weit weitläufiger und großartiger, auch angenehmer zu durchwandern, als die von Constantinopel. Man kann hier doch wenigstens auf ebenem Boden gehen und braucht nicht wie dort beständig steil auf- und abzusteigen. Die Auswahl der Artikel, die zum Verkaufe daliegen, ist in manchen Theilen weit reicher, als die in der Hauptstadt, so die Gewölbe, wo Stickereien feil geboten werden oder solche, wo man Kaschemirshawls zu ungeheuern Preisen kaufen kann. 25 Z88 Am größten wohl und in seiner Art am reichsten ist der Markt der Sattler, deren Fabrikate von hier aus durch ganz Syrien und Arabien gehen. Wenn auch diese Sattel- und Zaum- zeuge nicht mit der Einfachheit und Solidität in ihren kleinsten Theilen, wie dergleichen Sachen bei uns gearbeitet sind, so übersteigt doch die schöne Cielirung der Silberbeschläge und die reichen und prächtigen Arbeiten der Silber-, Gold- und Perlenstickereien, besonders an den Schabraken, alle Begriffe. Auf dem Waffenmarkt findet man eine große Auswahl an kostbaren alten Waffen; doch sind die neueren Klingen, die hier verfertigt werden, nicht mehr das, was wir uns unter dem Namen Damascener denken. Schon vor mehreren hundert Jahren gingen die be- rühmten Waffenfabriken von Damaskus ein und siedelten nach Koraffan in Persien über, welches jetzt die ausgezeichneten schwarzen Klingen liefert, die man an Güte den frühern Damascenern gleichstellt. Eine „Eski-Scham-taban“ – alte Damascenerklinge, deren man jedoch noch sehr viele kaufen kann, ist sehr theuer und wird schon ohne Beschlag und Scheide bis zu zehntausend Piastern und drüber bezahlt. Die Kaffeehäuser von Damaskus sind in ihrer ärm- lichen Ausstattung denen von Constantinopel gleichzustellen, nur daß man hier nicht, wie dort, unter dem Schmutz, der Alles überzieht, Spuren von ehemaliger Pracht hervorblicken sieht; sondern fast alle sind erbärmliche Baracken, aus Holz und Lehm aufgeführt und haben nur das einzige Angenehme, daß die meisten an einem der vielen Bäche liegen, welche die Stadt durchschneiden und ein kleines Vordach, eine Art Laube aus Reben bestehend, haben, worunter man sich hin- setzt und ohne viel zu denken, in die dahingleitenden klaren Wellen sieht. - Wir kehrten nach dem Kloster zurück und ließen unsere Pferde satteln, um einen Ritt vor die Stadt zu machen. 389 Vor dem Thore nach Jerusalem liegt der Kirchhof der Ar- menier, in dessen Nähe unser Führer, ein Janißair des Klosters, uns den Ort zeigte, wo Saulus, der von Jerusalem kam, um die Christen in Damaskus zu verderben, von der Stimme des Herrn niedergeworfen wurde, die ihm zurief; „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ Auf dem Platze stehen ein paar große Platanen und er ist nur durch Tradi- tion der Einwohner von Damaskus als jene Stelle bezeichnet. In die Stadt zurückgekehrt, ritten wir durch mehrere enge winklige Gaffen und kamen endlich an die, welche früher die richtige hieß, und wo sich der erblindete Saulus ver- steckt hielt, bis Ananias die Hand auf ihn legte und er wieder sehend wurde. Auf diesem Platze selbst steht kein Haus, sondern es ist nur ein kleiner öder Hof, mit einer Lehmmauer umgeben, durch welche wir hineintraten. In der Mitte dieses Hofes ist eine Kellerlucke, durch welche man auf mehreren steinernen halb zerfallenen Stufen in ein unter- irdisches Gewölbe hinabsteigt, wo sich über einem kleinen Altar, auf welchem die ewige Lampe brennt, ein großes Gemälde befindet, das die Bekehrungsgeschichte Sauls darstellt. Während der Fürst und unser Führer niederknieten, um den Altar und den Boden des Gemachs zu küssen, fan- den wir eine Weile dabei, in ernste Betrachtungen versunken, woraus uns die Erscheinung eines alten Mannes riß, der die Treppen hinabkam und sich eine Kleinigkeit zum Unter- halt jener Lampe ausbat. Dieser ehrwürdige Tempelwächter war ein Armenier, und versah den Dienst schon an vierzig Jahre. Wir bestiegen unsere Pferde wieder und ritten quer durch den größten Theil der Stadt bis an die Mauern der- selben, wo unser Führer eine Bresche zeigte, durch welche man Saul in einem Korbe hinabgelaffen hatte. 390 Eine armenische Hochzeit. Für den Abend des heutigen Tages hatte uns der gute Armenier, dessen Haus wir gestern bejahen, zu einem Familienfeste eingeladen. Er verheirathete nämlich einen Sohn mit der Tochter eines der reichsten Kaufleute der Stadt, und Herr Baudin, der sehr genau mit ihm bekannt war, hatte ihm gesagt, wie dankbar wir ihm seyn würden, einer für uns so fremden Ceremonie beiwohnen zu können. Wir kehrten deshalb frühzeitig nach Hause zurück, da uns Herr Baudin von der Sitte in Kenntniß gesetzt hatte, daß der Hochzeitvater angesehene Gäste, wie wir ihm einmal waren, durch seine Leute abholen laffe. Es war Abends fünf Uhr, als man uns benachrichtigte, die Abgesandten des Kaufmanns feyen unten. Kaum waren wir zum Thor hinausgetreten, so sahen wir eine Menge Volks versammelt, welche einen unharmonischen Gesang an- stimmten, der von einer Geige und einer Flöte begleitet wurde. Dieser Musik gingen zwei Leute mit Fackeln voran, denen andere mit Lichtern folgten. Mit dieser Begleitung im Hof des Armeniers angekommen, mußten wir einen Augenblick warten. Hier saßen an einem Feuer eine Menge Knaben; der Ceremonienmeister, ein sehr dicker Armenier, kam uns entgegen und begleitete uns ins Vorzimmer, wo sich eine solche Maffe Menschen aller Art drängte, daß es beinahe unmöglich war durchzukommen, ohne die Ellbogen und Fäuste in Bewegung zu setzen. So gelangten wir zu dem großen Empfangsaal, den ich bereits früher beschrieben. An der Thüre deffelben warfen sich zwei Diener zu unsern Füßen, um uns die Schuhe auszuziehen. Als wir in das Zimmer traten, erhoben sich Alle, um uns ihre Ehrerbietung zu bezeugen, von ihren Sitzen, und der Herr des Hauses führte uns in eine Ecke des Divans, 391 wo der Ehrenplatz ist. Nachdem wir uns niedergelaffen und durch Zuwinken mit den Händen die Andern gebeten hatten, ein Gleiches zu thun, bewillkommte uns der Bischof der armenischen Kirche, der uns gegenüber in der andern Ecke des Divans lag, indem er seine Hand aufs Herz legte und sie dann zu der Stirn erhob; seinem Beispiel folgten alle Uebrigen. Nachdem diese üblichen Begrüßungen abgemacht waren, trat eine solche Maffe von Dienern in recht gutem Costüme vor uns hin, daß ich nicht absah, wie es möglich fey, sie für den Augenblick alle zu beschäftigen. Hiefür sorgt aber die orientalische Sitte, welche zu dem kleinsten Geschäft einen, wenn nicht mehrere Bedienten anstellt. So auch hier. Einer legte jedem von uns ein goldgesticktes Tuch über die Arme, welche wir ihm entgegenstrecken mußten. Ein Zweiter hielt knieend ein silbernes Waschbecken unter unsere Hände, auf welche ein Dritter aus einer silbernen Kanne helles, klares Waffer goß. Ein Vierter zog das erwähnte Tuch über unsere Finger zum Abtrocknen. Dann kam ein Fünfter und Sechster mit einem silbernen Präsentierteller, auf welchem Gläser mit Sorbet und einige kleine Confituren standen; dann ein Siebenter und Achter wieder mit Servietten, um, falls wir Einiges verschüttet hätten, es wieder aufzutrocknen. Hierauf kam ein ganzer Troß in alttürkischer Tracht mit Turban und Kaftan, welche uns die langen Pfeifen in den Mund steckten und Kaffee reichten. Wir rauchten tapfer und im Saal herrschte allgemeine Stille, weil jeder mit sich oder seiner Pfeife beschäftigt war. Dies seelige Nichtsthun, der Glanz der seidenen Gewänder und der Spiegelwände, das Aroma des Kaffees und der feine Geruch des guten Tabaks versetzten uns in die alte Zeit des ächt orientalischen Prunkes, von welchem fast nur noch in Damaskus einige Spuren anzutreffen sind. Nach- 392 dem Pfeife und Kaffee einige Male gewechselt waren, ließ man uns eine Viertelstunde ruhen, in welcher nichts vorfiel; dann wurden am Eingang des Zimmers zwei kleine Matratzen ausgebreitet und vier Personen erschienen, welche darauf Platz nahmen. Es war die Musikbande. Sie bestand aus zwei Violinisten, von denen einer blind war, einem Flötisten und einem, der das Tambourin schlug. Das Concert begann mit einem türkischen Liede, dessen Schönheit ich nicht zu faffen im Stande war. Dann spielte der Blinde ein Violinsolo und präludirte so wahnsinnig auf feinem Instrument, fuhr fo entsetzlich auf den Saiten herum, daß ich bis zu Ende des Stücks glaubte, er stimme nur und probire sein Instrument. Nach einer martervollen halben Stunde beschloffen endlich die Virtuosen ihr Concert mit einem Gefange, den der Blinde in näselndem Tone anhob und defen Refrain die drei Andern im Chor sangen. Drauf entfernten sie sich und uns wurden wieder Pfeifen und Kaffee serviert. - So wurde es neun Uhr. Da traten zwei Kinder von acht bis zehn Jahren ins Zimmer und jedes trug in der Hand einen Leuchter in Gestalt eines Blumenstraußes, von Holz geschnitzt, auf welchem eine grüne Wachskerze brannte. Hinter ihnen kam ein Mann, der einen Korb trug, welcher mit einem dünnen goldgestickten Schleier bedeckt war, durch deffen feines Gewebe man den Anzug eines Mannes erkennen konnte. Kerzen und Korb wurden zu den Füßen des Bischofs niedergesetzt, welcher sich vom Divan erhoben hatte und mit vier andern Priestern, die um ihn traten, ein Gebet sprach, das hie und da durch den Gesang von sieben Knaben unter- brochen wurde. Merkwürdig war es uns, daß wir, nachdem wir schon einige Stunden im Hause waren, noch keine Spur vom Bräutigam gesehen hatten, dem doch die ganze Ceremonie 393 galt; jetzt, nachdem die Priester ihren Segen über die Kleider gesprochen, wandten sich alle Augen nach der Thür, an welcher ein junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren in der ärmlichsten Kleidung stand. Wir hielten ihn Anfangs für einen Bettler; er war von hoher Gestalt, doch sehr blaß und wagte kaum, die Augen aufzuschlagen. Plötzlich fing er an, sich vor unsern Augen zu entkleiden, worauf ein alter Mann, ein Verwandter des Bräutigams – daß dies der junge Mann war, brauche ich wohl kaum zu sagen – zum Korbe trat und dem Bräutigam zuerst das lange Unterkleid, dann den Shawl und den Gürtel, endlich das mit Pelz besetzte Ueberkleid reichte. Nun erhob sich der Vater, nahm die Filzmütze, die noch im Korb zurückgeblieben war, ging mit feierlichen Schritten auf einen Sohn zu, und setzte es ihm auf den Kopf, nachdem er ihm dreimal die Stirn geküßt hatte. Zu gleicher Zeit steckte er ihm an den kleinen Finger einen goldenen Ring mit einem herrlichen Brillant, deffen Feuer im ganzen Gemach umherstrahlte. Jetzt trat der Bischof wieder vor, schlug ihm ein rosenfarbiges, gold- gesticktes Tuch von Seide um den Hals und gab ihm eines von gleicher Farbe und gleichem Stoffe in die Hand, welches er einen Augenblick an Mund und Augen drückte, worauf ihn der Ceremonienmeister bei der Hand nahm und im ganzen Saal herum zu jedem Gast führte, dem er sofort die Hand küßte. Endlich kehrte er zu seinem Platz an der Thür zurück, setzte sich zwischen die beiden grünen Wachskerzen und blieb da bis eilf Uhr, der Zeit des Nachteffens. Zu diesem Zweck wurde ein kleines Gestell von etwa zwei Fuß Höhe hereingebracht, worauf man eine große Kupfer- platte setzte, die wenigstens vierzehn Fuß im Umfang hatte, und an deren Rand in Scheiben geschnittenes weißes Brod zwischen Rettichen, Selleri und Petersilie lag. Ein gleicher Z94 Tisch wurde in der andern Ecke des Zimmers für die Geist- lichen bereitet. - Sobald das Effen begann, zog sich der Bräutigam in's Nebenzimmer zurück, woher im gleichen Augenblicke sich die ungeschickte Musik von Neuem hören ließ, welche jedoch bald zu unserm größten Vergnügen wieder aufhörte. Sie spielte, wie ein des Landes kundiger Freund erzählte, altarabische Melodien, zu welchen der Blinde in einem schnarrenden Tone Mährchen aus „Tausend und einer Nacht“ recitierte. Das Nachteffen wurde folgendermaßen serviert: Reis in Milch ge- kocht, Butterteig, die Suppe, mit einem Beigeschmack von Hammelfett, ein Hammelsbraten mit Reis gefüllt, ein Entrée von Braten, Compot von Birnen, ein welcher Hahn mit Reis gefüllt, am Spieß gebratene Hühner, Entrée von anderem Fleisch, Kebab (kleine Stückchen Fleisch, welche an hölzernen Stäbchen auf dem Rost gebraten werden, ein Lieblingsgericht der Türken), Entrèe von Zwiebeln, Pillau mit saurer Milch und Käse. Von Zeit zu Zeit wurde rother Libanonwein, der, obgleich sehr gut und feurig, leider beständig nach den Schläuchen schmeckt, worin er aufbewahrt wird, in kleinen Gläsern gereicht. Ihn brachten Diener welche besser gekleidet waren und einen höhern Rang ein- nahmen, als die, welche die Speisen auftrugen. Es war Mitternacht, als die Tafel aufgehoben wurde, worauf, wie schon oben beschrieben, Diener Waschbecken, Handtücher und dergleichen reichten; zwei erschienen dann mit einem Rauchfaß, und während sie uns damit räucherten, wurde uns von andern Rosenwaffer aus kleinen crystallenen Fläschchen über die Kleider gegoffen. Während der ganzen Mahlzeit war der Bräutigam nicht zum Vorschein gekommen; aber kaum waren die Tafeln weggeräumt, so erschien der Arme wieder und nahm seinen Platz wie früher zwischen den beiden grünen Wachskerzen an der Thür. Jetzt erfolgte die 395 Sieste, die der Türke mit dem unübersetzbaren Worte Kef bezeichnet, etwas, das wir Europäer durchaus nicht nach- machen können. Sobald wir nach dem Effen uns zum Schlafen hin- legen oder hinsetzen, verwandeln sich die tausend Gedanken, die uns nie verlaffen, in ängstigende Träume und wir er- wachen nach einem ruhelosen Schlummer, in Schweiß ge- badet. Aber der Orientale lehnt sich in seinen Divan zurück, denkt nichts und ruht behaglich zwischen Wachen und Schlafen, wobei er langsam aus einer langen Pfeife raucht. Selbst der Prophet empfiehlt diese Sieste, indem er sagt: „Schlafet den Schlaf Kailuleh,“ d. h. den Schlaf nach dem Effen, denn Satan schläft ihn nicht. Dieser Zwischenact dauerte heute Abend über anderthalb Stunden, während welcher Zeit Mitternacht ihr Recht aus- übte und auf dem ganzen Haufe Grabesstille lag. Auf ein- mal aber erhob sich wieder das Geschnarre der Instrumente und brachte die Ruhenden augenblicklich in Bewegung. Man sprach, lachte, erzählte, bis kurz darauf der Ceremonien- meister mit großen Schritten in die Mitte des Zimmers trat und mit lauter Stimme verkündigte, daß es Zeit fey, die Braut zu holen und nach der Kirche zu führen. Alles erhob sich und ging vor"s Haus, um sich zu einem Zuge zusammenzureihen. Dieser begann mit einer Reihe Fackelträger; dann kam die Musik und die Sänger, hinter denen uns zu unserm großen Leidwesen der Ehrenplatz angewiesen wurde; sodann die übrigen Gäste, und endlich unter den Dienern der Bräutigam. Nachdem wir uns im langsamen Schritt in einer der schmutzigen, schlechtgepflasterten Straßen – es war eine fenchte, neblige Januarnacht – etwa zehn Minuten fortbewegt hatten, kamen wir an das Haus des Brautvaters, wo an der Thür das nämliche Cere- moniel mit unsern Stiefeln stattfand. Als wir eine große 396 Vorhalle durchschritten hatten, kamen wir in ein Zimmer, wo um einen Mangahl diejenigen Freunde des Hauses kauerten, welche den zweiten Rang in der Gesellschaft einnahmen. Aus diesem Zimmer wurden wir in den großen Empfang- saal geführt, der noch weit prachtvoller war, als der im Hause des Bräutigaus. Gegenüber dem Eingang befand fich eine Nische, in welcher außer einer Pendule von Ala- baster mehrere hübsche Porcellanvasen mit künstlichen Blumen fanden. Die Fenster, höher als die der gewöhnlichen Häuser, waren mit seidenen Vorhängen versehen, die Kiffen des Divans von gelber Seide, mit Blumen von braunem Sammt. Auf dem Teppich fanden zwei sehr schön gearbeitete Man- gahl, umgeben von großen bronzenen Leuchtern mit grünen Wachskerzen. Zuerst wurden wir auf gewöhnliche Art bewillkommt, dann brachte man uns Kaffee und lange Pfeifen, und wäh- rend wir behaglich rauchten, ging der arme Bräutigam im Kreise herum und küßte Allen die Hand, die nicht bei einem Vater gewesen waren. Dann kamen vier Künstler, welche vom Brautvater gedungen waren, und beglückten uns mit mehreren Musikstücken, welche jedoch nicht beffer waren, als die frühern. Uebrigens blieben wir hier nur kurze Zeit, weil der Hochzeitzug jetzt endlich in die Kirche ging. Im Hofe sahen wir eine Menge Menschen um einen weißen Zelter gedrängt, der, sehr reich geschirrt, für die Braut bestimmt war. Der Zug setzte sich, wie früher, in Bewe- gung, und nach dem Bräutigam kamen die Freunde der Braut und endlich sie selbst zu Pferde, umringt von einer Anzahl Frauen zu Fuß. Sie trug ein Kleid von weißer Seide mit goldgestickten Blumen, das ihr bis an die Sohlen reichte. Auf dem Kopf hatte sie einen Ueberwurf von weißem Mous- selin, und über diesem einen von rothem Atlas, welcher bei- nahe das ganze Gesicht bedeckte. Auf dem Kopf trug sie 397 ein Barett von Holz, einem Soldatenzakow, den man oben abgerundet, nicht unähnlich. Diese sonderbare Bedeckung ließ kaum die Form eines menschlichen Kopfes erkennen. Wir brauchten über eine halbe Stunde, um zur Kirche zu gelangen, welche zu unserem Empfange bereit feyn sollte, jedoch so schlecht erleuchtet war, daß der Blick kaum bis zur Kuppel dringen konnte. Diese wurde von acht hölzernen Säulen getragen. Links am Eingang war ein Bild des heiligen Georg, wie er den Drachen erlegt, und rechts die Thür, welche in's Kloster führt. Wir traten vor den Haupt- altar und nachdem man uns Stühle gebracht, konnten wir mit Muße das Innere der Kirche betrachten. Ueber dem Altar, zu welchem vier Stufen von weißem Marmor führten, hing das Bild der Mutter Gottes, rechts von demselben die heilige Anna und links der heilige Petrus. In der Mitte hing ein Kronleuchter mit gelben Lichtern, welche schlecht brannten und einige silberne Leuchter standen ohne Symmetrie in der Kirche umher. Endlich kam der Bräutigam und wurde zur linken Seite des Altars geführt; eine verschleierte Frau brachte sodann die Braut zur Rechten desselben. Der Bischof zog seine schönsten, mit Gold und Silber gestickten geistlichen Gewänder an und nahm Platz in einer Nische. Ein anderer Geistlicher vereinigte die Hände der Brautleute, während ein Dritter ihnen die Köpfe zusammendrückte, und ein Knabe, auf einem Gerüste stehend, hielt ein Kreuz und eine Wachskerze über fie. In dieser eigenen Stellung verweilten sie bei zwanzig Minuten, während welcher Zeit der Bischof vor sie trat und eine Meffe las. Der Gottesdienst endigte damit, daß ein Diakonus ein Kapitel des Evangeliums Matthäi vortrug. Da aber dieser Mann das Unglück hatte, bucklig zu feyn und mit der Zunge anzustoßen, so mußten wir die Feierlichkeit der 398 Handlung stets bedenken, um nicht in Lachen auszubrechen. Der Geistliche sprach darauf ein kurzes Gebet und befestigte ein Band an der Mütze des Bräutigams und dem Barett der Braut, wobei er ihnen bedeutete, daß sie von nun an für's Leben vereinigt feyen. Ein Nachbar, den ich fragte, wozu das unförmliche Holzbaret der Braut diene, antwortete mir, es sey, um Beide gleich groß zu machen, damit sie erkennen, daß keines über dem andern, daß sie einander gleich stehen. - Zum Schluß küßten die Brautleute ein Crucifix; die Braut wurde von derselben Frau wieder abgeholt und dann auf ihrem Pferde gänzlich verschleiert in das Haus ihres Mannes gebracht. Gegen drei Uhr Morgens war endlich diese Hochzeitfeier vollendet, auf welche sich die Eingebornen seit mehreren Wochen gefreut und der wir eine Nacht zum Opfer gebracht hatten. Wir waren es indessen wohl zu- frieden, einmal für allemal eine armenische Hochzeit in Syrien gesehen zu haben. Palmyra. Wenn wir früher in Constantinopel, später in Beirut unsere Reiseprojecte machten, und wir in Syrien in Gedanken bis Damaskus vordrangen, so hatte wohl einer die kühne Idee, von da einen Ausflug nach Palmyra vorzuschlagen. Doch behandelten wir diese Idee gerade wie ein schönes Mährchen, von dem man träumt und wo sich am Ende eine kühne Phantasie einredet, man werde die schimmernden Thore des Feenpalastes endlich in der Wirklichkeit einmal erreichen. Wenn uns einige des Landes kundige eine Tour nach Palmyra als mit den größten Schwierigkeiten und Müh- seligkeiten verbunden vorstellten, so kamen fast alle, die wir darum fragten, dahin überein, schon von jeher fey der Weg durch die Wüste nach jenen coloffalen Ruinen durch die 399 streifenden Araberhorden sehr unsicher gemacht worden, und jetzt in Kriegszeiten, da Ibrahim Pascha"s mächtige Hand jene Raubstämme nicht mehr im Zügel halte, sey es nicht möglich, an eine Tour nach Palmyra zu den- ken. Obgleich wir nun schon durch unsere Tour über den Balkan und später über den Libanon belehrt worden waren, was man von den Reden der Leute zu halten habe, so waren doch die Gründe, die ich oben gegen eine Reise nach Palmyra zu vernünftig und uns zu einleuchtend, als daß wir, wie schon gesagt, nur dann daran dachten, NVENUl wir eben einmal im besten Zuge waren, die schönsten Luft- schlöffer zu bauen. Mit diesen Gedanken in Bezug auf Palmyra waren wir nach Damaskus gekommen und wagten es nicht einmal, weder einen unserer Paters, noch den Herrn Baudin zu fragen, ob es wohl in diesen Zeitverhältniffen möglich fey, Palmyra zu sehen. So saßen wir am Tage nach jener Hochzeit, da es gerade mehrere Stunden anhaltend regnete, in unserem Gemach und rauchten eine Pfeife. Skandar, der noch gestern Abend mit den Leuten des Persers zusammen gekommen war, hatte uns gesagt, daß ihm der Stallmeister im Ver- trauen erklärt, es fey vielleicht möglich, jenen Hengst zu bekommen; doch würde sein Herr bei einer direkten Anfrage eine ungeheure Summe fordern, weshalb er ihm die Sache überlaffen solle. Daß diesem treuen Knecht dafür ein reich- liches Trinkgeld zu Theil werden mußte, versteht sich von selbst. Doch hatte Skandar für gut befunden, ihn manöv- rieren zu laffen, und brachte uns diesen Bescheid mit dem trostreichen Zusatz, daß der Stallmeister sich wenigstens fünf Tage Zeit ausgebeten habe, ehe er eine Antwort er- theilen könne. Trotz den Schönheiten von Damaskus war uns doch diese unfreiwillige Verlängerung des Aufenthalts nicht sehr 400 erwünscht; denn erstens hätten wir nach unserer gemachten Zeiteintheilung schon morgen oder übermorgen abreisen sollen, und zweitens hatte uns der Prior heute Morgen die untröst- liche Nachricht gegeben, daß in der Stadt die Pest ausge- brochen fey, die, obgleich sie sich erst hie und da zeige und wenig Opfer hinwegraffe, doch wegen dem vielen halb ver- hungerten Gesindel, das der Krieg hier zusammengeführt, sehr gefährlich zu werden drohe. Wir hatten uns um einen Mangahl gesetzt, und der Fürst, der immer sehr guten Humors war, konnte heute doch ein unangenehmes Gefühl nicht unterdrücken und sagte beständig: „c'est terrible, c'est terrible !“ Da trat Herr Baudin in's Zimmer, und nachdem wir ihm Kaffee gemacht und unsere beste Pfeife angeboten, sprach auch er von der ausbrechenden Pest und wie groß die all- gemeinen Befürchtungen feyen. Ohne ihm die Ursache zu erklären, was uns hier zurückhalte, sagte ihm der Baron, wir würden noch vier bis sechs Tage da bleiben, worüber viel gleichgültiges hin und her gesprochen wurde, bis uns plötzlich Herr Baudin fragte: ob wir denn nicht Palmyra sehen wollten. Man kann sich leicht denken, daß uns diese Frage nicht wenig überraschte und wir sie für Scherz an- nahmen, worauf uns jedoch Herr Baudin in allem Ernte versicherte, obgleich eine Tour nach jenen Ruinen mit ziem- lichen Kosten und Mühseligkeiten verknüpft sey, würde sie sich jedoch gerade jetzt in Folge der Kriegsverhältniffe machen laffen. Ibrahim Pascha nämlich, der seine Truppen aus dem Hauran nach Damaskus gezogen, habe zu diesem Zweck an verschiedenen Orten kleine Etappen errichtet, die auch uns noch zu gut kommen könnten, und wenn auch die durchziehenden Truppen nicht viel zurück gelaffen, als Deffer- teure, so könnten uns dieselben oder vielmehr ihre Pferde recht zu Statten kommen. Auch würden die streifenden 401 Araber durch jene Truppenzüge, wenn gleich nur für kurze Zeit, weiter in das Innere des Landes zurückgedrängt seyn. Wir sahen uns überrascht an, und als wenn einer in des andern Auge gelesen hätte, nichts fey ihm erwünschter, als diese Aussicht, so antworteten wir mit einem Munde: wir würden uns sehr glücklich schätzen, diese interessante Tour machen zu können. Herr Baudin, der unermüdliche, liebens- würdige Mann, schlug uns nun zwei Arten vor, um diese Reise zu machen. Bei der einen müßten wir uns der Kameele bedienen, würden wohl langsamer, aber auch be- auemer reisen und könnten mit der Schnelligkeit der gewöhn- lichen Karavanen Palmyra am sechsten, im günstigsten Falle am fünften Tage erreichen. Bei der andern dagegen, die kostspieliger fey, müßten wir Pferde nehmen, dürften kein Gepäck mitführen und uns von einer Schaar berittener Beduinen begleiten laffen. Dann aber könnten wir bei ziemlich guten Pferden Palmyra schon in der Nacht vom dritten auf den vierten, oder spätestens im Lauf des vierten Tages erreichen. Wir waren heute Alle in der glücklichen Stimmung, einen schnellen Entschluß faffen zu können, und entschieden uns in kurzer Zeit für die Tour nach Palmyra, sowie den Ritt zu Pferde zu machen, und Herr Baudin begab sich gleich fort mit dem Versprechen, wo möglich noch heute das Nöthige zu besorgen, so wie sichere Leute und einen bekannten Schech zu unserer Begleitung auszusuchen, den er uns noch heute Abend zuschicken werde. So auf einmal ans Ziel unserer kühnsten Hoffnungen, Palmyra doch noch zu sehen, gekommen, säumten wir nicht, alle nöthigen Vorkehrungen zu diesem Ritte zu treffen. Vor allen Dingen sahen wir nach unsern Waffen und setzten Pistolen und Säbel in den bestmöglichen Stand. Das dunkle Wetter brachte einen frühen Abend herbei und wir hatten uns so eben nach dem Hackländer, R. in d. O. 1. 26 402 Mittagseffen aus dem Refektorium in unsere Stube begeben, als draußen auf dem Corridor sich schleppende Fußtritte vernehmen ließen, an denen man gleich die Ankunft von Beduinen erkennen konnte. Und so war es auch. Herr Baudin kam zurück und brachte ein Paar dieser Wüstensöhne mit, von denen einer – es war der Schech selbst – mit uns über die Kosten jener Tour unterhandeln sollte. Es wurde. Alles beinahe auf dieselbe Art abgemacht, wie auf unserer Tour durch die Türkei. Der Schech lieferte jedem ein gutes Pferd und versprach, uns am vierten Tag nach Palmyra zu bringen. Da wir wohl wußten, daß wir, um in dieser kurzen Zeit hinzugelangen, äußerst schnell reiten mußten, so wurde in der mündlichen Uebereinkunft vorgesehen, daß der Schech für die Ausdauer der Pferde zu stehen und er im Falle eins stürze, für ein anderes zu sorgen habe. Der Schech, ein schon ältlicher Araber, aber noch ein großer kräftiger Mann, schilderte uns mit lebhaften Farben die Gefahren, welche die Reisenden auf diesem Wege bedrohe, wie noch vor nicht langer Zeit eine Karavane von den streifenden Arabern geplündert und hinweggeführt worden fey, setzte aber hinzu, in seiner Begleitung eyen wir ganz sicher. - Doch was die lebhafte Schilderung der Gefahren, denen er sich um unsertwillen aussetze, bezwecke, wurden wir bald inne; denn der gute Araber forderte eine ganz un- erhörte Summe. Trotz unseres Handelns ließ er nicht sehr viel herunter und da uns Herr Baudin versicherte, wir wür- den mit einem Andern nicht billiger einig, so schloffen wir das Geschäft ab, reichten dem Araber die Hand zum Zeichen, daß wir uns ihm übergeben und schärften ihm noch ein, morgen vor Tagesanbruch mit seinen Pferden unten zu seyn. Ich konnte die Nacht nicht viel schlafen; auch den Andern erging's nicht beffer, besonders war der Fürst in be- 403 ständiger Unruhe. So oft ich mich auf meinem Lager herum- wandte, sah ich ihn bald dies, bald jenes vornehmen. Jetzt stopfte er sich eine Pfeife, dann putzte er an seinen Waffen herum, und als kaum Mitternacht vorbei war, meinte er, jetzt fey es Zeit, daß wir aufstünden und anfingen, den Kaffee zu kochen. Ich folgte seinem Rath, verließ mein Lager und rüstete mich zu dem weiten Ritte. Mein Anzug war so einfach wie möglich, kurze Stiefeln mit Sporen, eine lederbesetzte Reithose, darüber einen kurzen zugeknüpften Rock; auf den Kopf setzte ich das Feß; der Fürst machte mir aus einem ungeheuren Stück Mouffelin, das ich gestern gekauft, kunstgerecht einen Turban; einen türkischen Säbel hatte ich an der Seite und meine Pistolen an einer langen Schnur, womit ich sie am Sattelknopf befestigen konnte. Der Fürst vertauschte auch ein seidenes gesticktes Kleid mit einem sehr groben, das aus gegerbtem Leder bestand, und mit Pelz besetzt war. Der Baron war wie ich costümirt; nur hatte er einen rothen Turban, die Pistolen in eben solchem Gürtel stecken und an der Seite einen geraden östreichischen Cürafier-Pallasch. Unsere Beduinen waren sehr pünktlich. Noch war es gänzlich Nacht, als ein langes anhaltendes Pferdegetrappel auf der Gaffe uns ihre Ankunft anzeigte. Von den Leuten nahmen wir Giovanni und den riesigen Mechmed mit, Skandar blieb aber zurück, um unterdessen beim Pferdever- kauf mitzuwirken. Nachdem uns noch der gute Prior feinen Segen erheilt, saßen wir auf und ritten zur dunkeln, stillen Stadt hinaus. Vor dem Thore hatten wir einen Steinweg, ähnlich dem, auf welchem wir vom Libanon her in die Stadt geritten waren, setzten dann auf einer Brücke über einen Fluß, wahr- scheinlich ein Arm des Barrada, und befanden uns auf der großen Straße nach Aleppo. Wie fast auf allen unsern 26 k 404 Touren mit den Arabern hielten sie gleich unsern Baron, wegen seiner stattlichen Figur, für den Chef unserer Gesell- schaft. Auch heute, als wir jenen unregelmäßigen Stein- damm hinter uns hatten, ritt der Schech zu ihm hin und fragte ihn, ob wir jetzt schneller reiten könnten. Natürlich jäumten wir nicht, unsern Pferden die Sporen zu geben und jagten in laufendem Galopp davon. Wir durchschnitten das Thal Gutha und hatten schon beinahe die Berge er- reicht, welche es in Süden einschließen, als der Morgen in Osten schwach aufzudämmern begann. Die Straße, auf der wir ritten, war, wie alle hier zu Land, ohne Kunst und Mühe angelegt und nur von den Karavanen- zügen gebildet, die jedes Jahr in unabsehbarer Reihe von Damaskus ausziehen. Unsere Begleitung bestand aus einigen und dreißig Beduinen, die mir alle ziemlich gut beritten schienen. Sie trugen den weißen Burnus, einige einen Turban, andere roth und gelbe, so wie auch weiße Tücher, die mit um den Kopf gebundenen Stricken festgehalten werden. Die Be- waffnung der meisten bestand in einem Säbel, einem Paar Pistolen und der langen Lanze mit dem charakteristischen Büschel von schwarzen Straußfedern. Einige hatten außer- dem einen Handschar im Gürtel stecken oder eine lange dünne Flinte auf dem Rücken befestigt. Als wir uns auf der Höhe jener Berge umwandten, drangen gerade die ersten Strahlen der Morgensonne hervor, und beleuchteten die prächtige Stadt, die wir vor einigen Stunden verlaffen. Der Weg, den wir in der ersten Hälfte des heutigen Tages zurücklegten, ging meistens durch bergiges Terrain, deren Formation den Felsen des Libanon, aber in sehr ver- kleinertem Maßstabe glich. Unsere Pferde liefen ausgezeich- net gut, und als wir mit finkender Nacht ein kleines arm- seliges Dorf, Nefähme, erreichten, hatten wir an zwanzig 405 deutsche Stunden zurückgelegt. Bei der Ankunft einer so großen bewaffneten Schaar, wie die unsrige, waren die Einwohner geflohen, nur einige alte Männer und Kinder waren zurückgeblieben. Der Schech suchte eine der besten Hütten für uns aus, und es gelang ihm auch, Hühner und Eier für uns, so wie reichliche Gerste für die Pferde zu erhalten. Da er Alles baar bezahlte und die Zurückgebliebenen sahen, daß es auf keine Plünderung abgesehen war, mußten sie den Geflohenen Nachricht gegeben haben, denn während der Nacht kamen die meisten zurück. Wir ritten am andern Morgen wieder vor Tagesanbruch aus und unser Weg führte durch eine steinige fandige Fläche. Zur Rechten hatten wir einen Zug des Gebirges Ruack, und gegen Abend mußten wir einen Ausläufer defelben übersteigen, der uns quer durch den Weg strich. Doch erreichten wir bald unser heutiges Nachtquartier, Karyatien, ein weit größeres und ansehnlicheres Dorf, als Neschme, dessen Scheich uns freundlich mit der gewöhnlichen Gastfreundschaft der Araber aufnahm. Unsere Pferde, d. h. die, die wir Euro- päer ritten, waren heute Abend entsetzlich ermüdet, denn wir hatten heute nicht weniger als dreißig deutsche Stunden gemacht, aber die unserer Beduinen, die schon an der- gleichen Fatiguen mehr gewöhnt waren, schienen wunderbarer Weise von dem fürchterlichen Ritt gestern und heute nicht gelitten zu haben. Gleich bei der Ankunft setzte sich unser Schech mit dem des Dorfes in Unterhandlang, um für uns auf morgen frische Pferde zu erhalten, so wie eine Anzahl Kameele, die mit Waffer, Gerste und einigem Profiant für uns beladen wurden und sogleich abgehen sollten, damit wir, die wir morgen früh weiter ritten, auf den Abend in der baum- und wafferlosen Wüste, welche wir hinter Karyatien betraten, 406 den nöthigsten Profiant finden würden. Glücklicher Weise waren die beiden Beduinen alte Bekannte; sie hatten mehr- mals die Karavanenzüge mit ihren Schaaren durch die Wüste begleitet, und der eine war daher jetzt gleich bereitwillig, dem andern zu helfen, so daß in ungefähr zwei Stunden unsere Proviantcolonne für morgen abgehen konnte. Sie bestand aus zehn Cameelen und ungefähr zwanzig Reitern, bewaffnet und beritten, wie die unsrigen. Wir begleiteten fie bis vor das Dorf und sahen ihnen noch lange nach, wie sie auf der weiten flachen Ebene dahin gingen, in der Dämmerung der Nacht und dem hellen gelben Sande all- mählig wie Schatten entschwebend. Unser Schech war ein freundlicher Mann. Er be- wirthete uns mit einem guten Pillau und Lammfleisch und brachte nachher, um uns etwas recht Gutes anzuthun, eine Flasche Raki, Dattelbranntwein, hervor, wovon wir jeder ein Gläschen trinken mußten. Er war ein schon alter Mann und ließ uns durch Giovanni viel von den gefährlichen Pil- gerzügen fagen, die er durch die Wüste geleitet. Auch brachte er später einen Ehrensäbel herbei, den er dafür von einem Pascha von Damaskus erhalten. Diese freien Araberstämme ziehen ihren größten Verdienst aus der Begleitung und Verproviantirung der Karavanen, die nach Mekka gehen. Alljährlich versammeln sich zu Damaskus aus dem ganzen Norden Asiens alle Pilger, die diesen Zug mitmachen wollen. Die meisten derselben kommen erst am Ende des Ramasans, und dann gleicht Damaskus, die an sich schon so lebendige Stadt, einem ungeheuren Markte. Es wimmelt von Fremden aus allen Theilen der Türkei und Persiens. Alle Straßen der Stadt find bedeckt mit Haufen von Pfer- den, Cameelen, Eseln und Waarenballen, und dieser ganze ungeheure Troß setzt sich nach einigen Tagen in Bewegung, um 407 in vierzig Tagen durch die Wüste ziehend, Mekka am Bairam- feste zu erreichen. Da die Karavane durch die Gebiete mehrerer freien Araberstämme zieht, so mußte man Verträge mit ihnen ab- schließen, ihnen einen Durchgangszoll bezahlen oder sie zu Führer und Begleiter nehmen, was ebenfalls bezahlt wurde. Der Pascha von Damaskus schickt vor dem Auszug der Karavane einem der mächtigsten Beduinenchech's den Ehren- säbel, von dem ich oben sprach, so wie ein Zelt, und ernennt ihn somit zum Hauptführer der Karavane, unter welchem Titel ihm aber die Verpflichtung obliegt, für einen Theil der zum Zuge nöthigen Kameele zu sorgen, die er um einen bestimmten Preis liefern muß, ohne bei Verlusten auf eine weitere Entschädigung rechnen zu können. Jedes Jahr gehen bei diesen Zügen an zehntausend Kameele zu Grunde, deren Ersetzung ein bedeutender Erwerbszweig der Araber ist. In früherer Zeit lag dem Pascha von Damaskus die Verpflichtung auf, die heilige Karavane selbst nach Mekka zu führen, weswegen er den Ehrennamen Emir Hadje führte, und diesem Posten wurde eine solche Wichtigkeit beigelegt, daß, wenn der Zug gelingt, das heißt, wenn die Araber ihn nicht zerstreuen und ausplündern, die Person des Pascha für alle Zeiten unverletzlich ist und es selbst dem Sultan nicht erlaubt ist, sein Blut zu vergießen. Doch wußte die Politik der hohen Pforte dies buchstäbliche Verbot sehr gut zu umgehen, indem sie einen solchen Pascha, defen sie sich entledigen wollte, in einem Sack ersticken ließ. Neben dem religiösen Intereffe treibt auch die Aussicht, im Handel ein. Bedeutendes zu gewinnen, ein Menge Pilger zu dem Zuge. Sie nehmen von Hause Waaren mit, die fie unterwegs verkaufen, und das gelöste Geld verwenden sie in Mekka zum Einkauf von Mouffelinen aus der Stadt selbst und aus Bengalen von Shawls aus Kaschemir, Aloe 408 aus Tunkin, Diamanten aus Golkonda, besonders Kaffe aus Yemen. Indeffen plündern oft die freifenden Araber die Karavanen gänzlich aus und machen alle die schönen Projecte der Kaufleute zu Schanden. Doch kommen in den meisten Fällen die Pilger wohlbehalten zum Ziel und als dann ist ihr Vortheil fehr bedeutend. Die ärmere Claffe, die bei dem Zuge materiell nichts gewinnen kann, macht sich in allen Fällen durch die Ehrfurcht bezahlt, die man dem Narren Hadji (Pilger) bei- legt, oder durch das Vergnügen, ihren Landsleuten die Wunder der Kaaba zu rühmen, mit Emphase von der ungeheuern Menge Pilger und den Mühseligkeiten, die sie ausgestanden haben, zu sprechen, so wie von den seltsamen Figuren der Beduinen, der wafferlosen Wüste und dem Grab des Pro- pheten. Diese Erzählungen haben den gewöhnlichen Erfolg, daß sie die Bewunderung und Begeisterung der Zuhörer er- regen, wiewohl es nach dem aufrichtigen Geständniß der Pilger nichts Elenderes, als diese Reise gibt. Uebrigens hat aber auch diese flüchtige Bewunderung nicht verhindert, ein für die frommen Pilger wenig ehrenvolles Sprüchwort in Umlauf zu bringen: „Sey mißtrauisch gegen deinen Nachbar,“ sagt der Araber, „wenn er einen Hadje (Pilgerzug) gemacht hat; macht er aber zwei, so trenne dich augenblicklich von ihm.“ Am andern Morgen brachen wir wieder vor Tages- anbruch auf; unser alter Wirth wollte uns durchaus begleiten, indem er unseren Schech vorstellte, unsere Escorte sey bei einem bedeutenden Angriff der Araber doch ein wenig schwach, und es mache ihm selbst Spaß, wieder einmal einen Ritt durch die Wüste zu unternehmen. Sein Verlangen konnte uns nur angenehm seyn, und da wir schon viel von den verwegenen Räubereien der Araber in diesen Theilen des Landes gehört hatten, so sahen wir es nicht ungern, daß er sich in Begleitung einiger zehn recht gut aussehender Reiter unserem Zug anschloß. 409 Eine kurze Strecke hinter Karyatien fing die gewaltige Sandwüste mit einem Male an. Eine unabsehbare, weißlich gelbe Fläche breitete sich vor uns aus und der Blick fand keine Abwechslung, als lange Wellenlinien, die der Wind in den Flugsand gezeichnet hatte. Nördlich strichen in weiter Entfernung die Gebirge von Ajar und östlich war das, was wir sahen, entweder Sandgebirge oder der gelbe Boden spiegelte sich in den Wolken wieder. Die ausführlichere Be- schreibung einer Reise durch die Wüste findet besser bei unserer zweiten und größeren Tour durch diese öden Sandflächen, als wir später von Gaza nach Kairo zogen, ihre Stelle, weshalb ich hier nur mit wenigen Worten darauf hingedeutet habe, besonders da sich diese verlaffenen baum - und waffer- losen Landstrecken fast ganz gleich sehen. Unser heutiger Tagmarsch war für die Pferde sehr er- müdend, denn obgleich sie bei jedem Schritt bis über die Feffeln in den Sand traten, ging es doch fast beständig im scharfen Trabe vorwärts. Auch der Himmel war uns nicht sehr günstig, sondern mit Wolken überzogen und ein scharfer Wind wirbelte oft den Sand um uns in die Höhe, daß wir wie in Wetterwolken eingehüllt dahin ritten. Mir kam heute beim Betrachten unserer Reiterschaar häufig und sehr lebhaft ein kleiner Kupferstich ins Gedächtniß, „eine Karavane vor einem Sandsturme fliehend,“ auf welchem eine bunte wilde Schaar von Beduinen vor zerriffenen Wolken, die vom Himmel herabzuflattern scheinen, und beweglichen Sandhaufen, wie wir heute, dahin fliehen. Im Hintergrund des kleinen Bildchens sah man die Ebene mit Ruinen bedeckt. War es Palmyra? Mir kam es damals schon so vor, als müffe es Palmyra seyn, und meine Phantasie bemühte sich nach Allem dem, was uns von jener fabelhaften Stadt gesagt wurde, bei Nennung dieses Namens die prächtige todte Stadt so wundervoll wie möglich auszumalen. – Aus der Wüste 410 kamen die guten und bösen Feen, die an der Wiege neuge- borner Königskinder erschienen, um sie zu beschenken, und Palmyra hatte ich mir als den Ort gedacht, wo die gute Fee herkommen müffe. Palmyra mit den schönen Bauwerken, von denen ich gehört, und die doch Niemand bewohnen sollte, war mir eine Stadt von Palmen umgeben, in der jene guten Geister ihre eigentliche Heimath hatten, wie auch bei uns die Zauberschlöffer mitten im Walde liegen. Aber mir allein erging es ja nicht so mit jener vergef- jenen Stadt; wußten doch selbst die gelehrtesten Männer noch vor nicht gar langer Zeit wenig über die Größe und Ausdehnung Palmyra's, der stolzen Wittwe, die undurch- dringliche Sandschleier um ihr Haupt gezogen und sich un- sichtbar gemacht hatte. Wie bekannt waren nicht jene Mar- morpaläste, jene herrliche Stadt in der dritten Epoche Roms durch die glänzende Rolle, die fiel in den Partherkriegen spielte, durch Zenobia und ihren eigenen Fall unter Aurelian! Seit jener Zeit hat ihr Name in der Geschichte eine schöne Erinnerung zurückgelaffen; aber auch nur eine Erinnerung, fie war wie verschwunden vom Erdboden; man wußte nicht mehr, wo sie lag, man machte sich die wunderlichsten Ideen von ihrer eigentlichen ungeheuern Größe. Gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts erzählten die Beduinen, die aus der Wüste nach Damaskus und Aleppo kamen, viel Seltsames von den weit ausgedehnten prächtigen Ruinen einer großen Stadt, die sich mehrere Tagereien mitten in den Sandflächen befinden sollte, wodurch endlich die englischen Kaufleute auf- merksam gemacht wurden und den Entschluß faßten, die wunderbaren Erzählungen über diesen Ort zu prüfen. Ein erster Versuch ums Jahr 1678 mißlang; die Araber plün- derten die Karavane vollkommen aus, und sie mußte, ohne ihren Zweck erreicht zu haben, umkehren; 1691 erneuerten fie den Versuch, kamen endlich zu den viel besprochenen 411 Monumenten, und was sie da sahen, überstieg die kühnsten Phantasien. Doch fanden ihre Erzählungen viel Unglauben und man konnte nicht begreifen, wie in einem von jedem angebauten Lande so entfernten Orte eine Stadt habe be- stehen können, so prächtig und ausgedehnt, wie sie ihre Zeichnungen und Berichte schilderten. Von der Zeit an wurden die Ruinen aber von meh- reren Reisenden besucht und man nahm die genauesten Zeich- nungen und Pläne von ihnen auf, nach denen man nicht mehr zweifeln konnte, daß weder in Griechenland noch Italien das Alterthum uns etwas hinterlaffen hätte, das mit den Ruinen von Palmyra zu vergleichen fey. Was wir am Morgen vor uns gesehen hatten, waren wirklich Ketten von Bergen, ohne Baum und Strauch, die eine sandige Fläche von ungefähr drei bis vier Stunden Breite einschloffen, und so eine Schlucht bildeten, die sich nordwestlich hinzog. Es dunkelte schon, als wir den Eingang derselben erreichten, wo wir die vorausgeschickten Kameele gelagert fanden. Unser guter Schech von Karyatien hatte ein Zelt mitgegeben, das uns recht gut zu Statten kam. Die Nacht wurde, wie immer hier, recht kalt und der Thau benetzte rings den Boden. Trotz der gespannten Erwartung, mit der wir dem morgenden Tag entgegensahen, ließ uns die große Ermüdung, die uns diese forcierten Ritte verursacht, sehr fest schlafen und es bedurfte am andern Morgen des lauten Getümmels der aufbrechenden Araber, um uns zu wecken. Die Kameele mit ihrer Bedeckung blieben auf dem Platze hier, um uns morgen in der Nacht wieder aufzuneh- men, und sie waren für diese Zeit mit Waffer und Proviant genugsam versehen. Wir ritten in der Morgendämmerung vielleicht zwei Stunden lang durch die Schlucht, die sich auf einmal zu verengen schien; doch traten die Gebirgszüge an dieser Stelle 412 nur etwas zusammen, um sich gleich hinter derselben zu einem weiten Thale auszudehnen, in welchem Palmyra oder Tadmor liegt. Mir klopfte das Herz, als wir eine dieser Bergketten rechts hinanstiegen und nun auf einmal auf der andern Seite die Ruinen einer Wafferleitung sahen, die einst in frühern Zeiten das Waffer nach der Stadt führte. Doch woher, da die Gegend weit und breit mit Sand bedeckt ist? Die Rinne, welche von den stolzen Bogen getragen wird, zeigt keine Spur von irgend einem grünen Blatt oder einem Moose, sondern Alles ist bestaubt und angefüllt mit dem feinen Sand, den der Samum emporwirbelt. Jetzt sahen wir rechts und links neben diesem Aquaduct, so wie auch an der Höhe vor uns, einige viereckige Thürme von bedeutender Höhe. Unser Weg führte uns bei einem derselben vorbei und wir erkannten, daß es alte Grabmäler feyen. Mit lau- tem Hurrah, das in den Bergen wiederhallte, jagten unsere Beduinen nun den letzten Absatz der Höhe hinan. Wir folgten ihnen und sahen von oben die alte prächtige Stadt vor uns, – todt, – und doch ewig in ihren Trümmern lebend. Es ist nicht möglich, einen Anblick, wie den der Ruinen von Palmyra zu beschreiben oder auch nur ein schwaches Bild davon zu geben. Man kann gegen andere Trümmer vergangener Zeiten an diese keinen Maßstab legen. Hier ist keine prachtvolle üppige Gegend, auf der die Ruinen nur eine Verschönerung wären, hier ist nichts wie eine unabseh- bare öde Fläche, welche sich bis zum Euphrat kahl und un- wirthbar erstreckt, die erst dem Auge bedeutend wird und es zu feffeln vermag durch die Trümmer der Stadt, Trümmer, so ungeheuer und zahlreich, daß man sie kaum in zwei Stunden umwandeln kann. Fern von jedem lebenden Wesen, fern von der Zeit, die im Stande war, solches zu bauen, ragt hier eine ungeheure Menge korinthischer Säulen empor, deren Bild durch die wenigen Mauern und Gebäude, die 413 man sieht, noch sonderbarer wird. Kann man die unzähligen schlanken Schafte mit dem kunstvoll gearbeiteten. Frieß einem versteinerten Palmenwald vergleichen? Nein, es ist wie das Tulpenbeet einer mächtigen Fee, die Säfte der schönen Blume hat eine böse Macht ausgetrocknet und wir Menschen glauben nun, dort fey vormals eine Stadt gewesen. Ja, mir war es unmöglich, das ungeheure Schauspiel, das sich unsern Blicken auf der Höhe darbot, zu erfaffen. Man verlange nicht, daß ich es versuche, eine Schilderung davon zu ent- werfen; es wäre nicht möglich; denn jeder müßte doch noch feine Phantasie zu Hülfe nehmen, um sich diese ungeheuere mit Trümmern bedeckte Ebene nach meinem Bilde vorstellen zu können. Diese Säulen, in der Ferne gesehen, schlank wie Tulpenstengel und deren Basis dennoch allein die Höhe eines Menschen überragt! Die ganze Ausdehnung dieser himmelanstrebenden Pfeiler von dreitausend Schritten – eine Fläche, deren Größe manches Schöne dem Auge entzieht. Wir ritten stumm den Hügel hinab gegen die Stadt mit offenem Auge und gierigem Blick, um von dem Herrlichen so viel wie möglich in uns aufnehmen zu können. Bald stößt man auf einen Palast, doch sieht man nur die mit Säulen umgebenen Höfe, und Bruchstücke der mit schönen Verzierungen bedeckten Mauern; bald auf einen Tempel, dessen Größe und Lage man nur durch die umher- gestreuten Trümmer erkennen kann; bald auf einen andern, deffen Peristyle halb umgestürzt ist. Dort steht noch ein Portikus, da ein Triumphbogen, hier eine kleine Säulen- pforte. Die tausende von Säulen, die hier aufrecht stehen, bilden die merkwürdigsten Gruppen. Hier umgeben sie in malerischer Unordnung einen Brunnen, dort sieht man noch, wie sie den Hof eines Tempels umstanden, doch ist die Sym- metrie durch den Einsturz mehrerer von ihnen gestört; weiter hinten dehnen sie sich in einer so langen Reihe aus, daß 414 fie Alleen von Bäumen gleichen und sich in der Ferne ver- lierend nur wie eine ununterbrochene Linie erscheinen. Ruft man die gierigen umherschweifenden Blicke von diesen erha- benen Scenen ab, und senkt sie vor sich hin, so sieht man den Boden mit Trümmern bedeckt, die in ihrer zerstörten Gestalt noch eben so großartig sind. Da liegen die unge- heuersten Säulenschäfte, halb und ganz zerstückt, in ihren Theilen blos verrenkt oder ganz von einander getrennt. Ueberall blicken aus dem Boden halb vergrabene Mauerstücke empor, Ueberreste von Bildsäulen und Frießen, zertrümmerte Capitäler, entstellte Reliefs, mit Sand bedeckte Gräber und zerstörte Altäre. Wir überließen unsere Pferde den Beduinen und wan- derten den ganzen Tag zwischen den erhabenen Trümmern umher. Ich versuchte es, hier eine schöne Ruine abzuzeich- nen, so wie auch anfänglich, einen Plan von dem Ganzen aufzunehmen, aber entblößt von allen Instrumenten, wie wir waren, konnte mir das unmöglich gelingen. Auch mangelte uns die nöthige Zeit. Anfänglich hatten wir projectirt, den folgenden Tag auch noch unter den Ruinen zuzubringen, ein Vorsatz, den wir aufgaben, indem uns dieser verlängerte Aufenthalt ohne Meßgeräthe und Zeichenbücher nichts genützt hätte, und weil auch unsere beiden Beduinenchech die Ab- reife auf den Abend wünschten, da sie, ich weiß nicht, aus welchen Zeichen erkennen wollten, es müffe erst vor Kurzem ein zahlreicher Araberstamm Palmyra verlaffen haben, der vielleicht zurückkehren, uns überfallen und ausplündern könne. Als wir demnach am Abend unsere Pferde wieder be- stiegen und der schönen verlaffenen Stadt den Rücken zukeh- rend, die Sandhügel hinanritten, war es mir, als verlaffe ich etwas, das ich längst geliebt und das ich vorher als Andenken in meinem Herzen getragen, jetzt aber, nachdem ich es einmal flüchtig gesehen, zurücklaffen müffe und auf ewig verloren 415 habe. Lange standen wir oben auf den Höhen und sahen die Stadt noch einmal vergoldet von den letzten Strahlen der Abendsonne. Ach, wie bist du so todt, so entsetzlich todt, Palmyra! Auf deinen Trümmern weht nicht einmal ein lebendiger Strauch, kein Grashalm winkt zum Abschied her- über! Wär' ich ein Beduine und mir stürbe meine Geliebte, ich würde sie unter deinen Trümmern begraben und dich so an mein Herz fest ketten. Doch ich muß zurück nach dem kalten Norden, kann mir nur ein Bild von dir mitnehmen, das freilich im ersten Anschauen frisch und klar vor mir steht; aber nach und nach werden die Säulen durcheinander wanken, sich verwirren, Sand und Staub werden aufwirbeln und dich, du ungeheures Grab, selbst meinem innern Blicke entrücken. – Leb' wohl, Palmyra! Leb' wohl, du Wüstenkönigin! Unsere Eskorte aus Karyatien fanden wir noch auf demselben Fleck vor dem Eingang jener Schlucht, und brachten den Rest der Nacht bei ihr zu. Am andern Morgen mit Tagesanbruch ritten wir gegen Karyatien zurück und die Kameele folgten uns langsamer. Unser guter Schech – er hieß Abdallah – machte wieder den freundlichen Wirth und wir verließen ihn am andern Morgen mit den Gefühlen, wie man einen alten Freund verläßt, den man nie wieder- sehen wird. Er gab uns noch eine kleine Strecke das Geleit gegen Nefähme, wandte fein Roß und flog zurück. Beim Abschied hatte er Thränen in den Augen und ließ uns durch Giovanni sagen, er habe uns recht liebgewonnen und werde das nächste Mal mit recht betrübtem Herzen die Ruinen von Tadmor wiedersehen. Den Abend erreichten wir ohne Unfall Neschme und den folgenden Tag noch bei guter Zeit Damaskus. Unsere Pferde hatten sich recht gut gehalten und waren auf keinen Fall so gränzenlos ermüdet, wie wir, von den ungeheuern 416 Ritten, die wir in diesen Tagen gemacht. Wir legten uns gleich zu Bette und schliefen weit in den folgenden Tag hinein. Abreife von Damaskus. Baalbek. Die Cedern des Libanon. Indeffen hatte Skandar, während der Zeit wir den Ausflug nach Palmyra gemacht, mit feinem Pferdehandel so ziemlich reuffiert. Der Stallmeister des Persers hatte, wie - er sagte, seinen Herrn dazu vermocht, das Pferd abzugeben; dieser wollte jedoch nicht eher einen Preis bestimmen, bis wir den Hengst nochmals und in seiner ganzen Schönheit im freien Felde dahinjagend gesehen hätten, weshalb uns der Stallmeister den Tag nach unserer Ankunft von Palmyra auf Nachmittags drei Uhr bestellte, damit er uns den Hengst vor den Thoren der Stadt vorreiten könnte. Dem Baron waren diese Aussichten jedoch nur halb erwünscht; denn Herr Baudin, der die Zeit unserer Abwesenheit ebenfalls dazu benützt hatte, in unserem Intereffe Pferde anzusehen, ver- sicherte, er habe keins gefunden, was jenem Hengst an Adel und Schönheit gleich zu stellen fey; ebenso Skandar, der, wie er versicherte, in allen möglichen Stallungen herumge- krochen fey. Demungeachtet ritten wir Nachmittags hinaus, und bald erschien auch der Stallmeister mit ein paar Knechten, von denen einer das Pferd führte. So schön sich uns das Thier schon beim ersten Anblick gezeigt hatte, so edel fanden wir es auch jetzt in allen seinen Bewegungen, besonders da ihn der Fürst ritt, dessen feine Figur zu der mittelgroßen Gestalt des Pferdes sehr gut paßte. Der Baron würde augenblicklich auf den Handel eingegangen seyn, wenn ihn nicht die Idee abgehalten hätte, daß er, wie schon gesagt, kein zweites, eben so edles Pferd finden würde, wodurch die Transportkosten für das eine allein zu groß geworden wären. 417 Doch fragte er nach dem Preis, den ihm der Stallmeister jetzt angab und der, obgleich er sehr hoch war, doch für den edeln Hengst nicht zu übertrieben erschien. Wir baten den Perser, auf den Abend zu uns in's Kloster zu kommen, wo ihm der Baron seinen Entschluß mittheilen würde, und ritten dann nach der Stadt zurück, wobei viel für und gegen den Ankauf des Pferdes gesprochen wurde, namentlich hatte sich der Fürst förmlich in den Hengst verliebt und wandte eine ganze Ueberredungskunst auf den Baron an, um ihn zum Ankauf desselben zu stimmen. Doch fo sehr diesem auch das Pferd gefallen und er es mit gutem Gewiffen für den angegebenen, selbst noch für einen höheren Preis hätte kaufen können, hielt ihn doch der oben bemerkte vernünftige Grund von dem Abschluß des Handels zurück, und als der Perser am Abend zu uns kam, händigte ihm der Baron für seine Bemühungen ein reiches Geschenk ein und setzte ihm auseinander, warum er zu einem großen Be- dauern das Pferd nicht kaufen könne. So waren denn unsere Geschäfte auf einmal hier be- endigt. So viel es uns die Zeit erlaubte, hatten wir die Stadt gesehen und ein längeres Verweilen in derselben war uns besonders wegen jener fürchterlichen Krankheit, die sich immer mehr zeigte, nicht angenehm, weshalb wir noch heute Abend unsere Sachen packen ließen und am andern Morgen bei guter Zeit aufbrachen, um nach Beirut zurückzukehren. Da überall in den Klöstern natürlich keine Zeche berechnet wird, so gibt man dem Prior ein Geschenk für die Armen und bezahlt auf die Art einigermaßen die Mühe und Kosten, welche man den guten Paters verursacht. Der Prior erheilte uns vor der Abreise einen Segen, wobei er die Hoffnung aussprach, uns, da er vielleicht in einiger Zeit nach Italien zurückkehren müffe, wiederzusehen. Hackländer, R. in d. O. L. 27 418 Bald hatten wir die Stadt im Rücken und kletterten die steilen Abhänge des Antilibanon hinauf, von wo aus wir dem schönen Damaskus noch einmal mit unsern Blicken Lebewohl sagten. Der gute Baron, der sich so viel Mühe gegeben hatte, um ein paar schöne Pferde zu finden, war sichtlich verstimmt, daß ihm das nicht gelungen war. Doch der Fürst und ich fangen ihm seine Lieblingslieder vor und bemühten uns, ihn durch unsere gute Laune wieder zu erhei- tern, was uns auch bald gelang. Wir machten denselben Weg, wie auf der Hinreise, kehrten einen Augenblick in Schiras bei unsern guten Wirths- leuten ein und stiegen wieder aufwärts längs den Ufern des Barrada durch den wilden Felsenweg, in dem wir uns neu- lich verirrt hatten. Heute beim hellen Tag konnten wir die coloffalen schauerlichen Formationen dieser Schlucht recht er- kennen. Ich kann diesen Weg mit keinem andern vergleichen, als der via mala in der Schweiz, nur mit dem Unterschiede, daß dort eine breite gut erhaltene Chauffée führt, hier aber der Weg hoch über dem schäumenden Fluffe, kaum einen Fuß breit und mit lockerm Steingerölle bedeckt ist. Die steinerne Brücke, die wir gleich anfangs paffirten, schien uralt und war kühn über eine gewaltige Kluft gespannt. Heute verirrten wir uns nicht und folgten dem Weg durch jene seltsam ge- formten Klüfte längs steilen Felsen vorbei, in denen wir viereckige Löcher gehauen sahen, die, wie uns einer der Mucker sagte, in frühern Zeiten Wohnungen der Bergvölker gewesen seyen. Doch wäre es eben so glaubwürdig, wie uns Gio- vanni versicherte, daß es alte Grabgewölbe feyen. Die alte Tradition verlegt in diese wilden Felswege eine Sage aus der ältesten Geschichte des Menschengeschlechts. Kain, der seinen Bruder Abel am Altar auf dem Kafiun bei Damaskus, wo damals das erste Elternpaar wohnte, erschlug, wußte nicht, daß es der Tod fey, der ihm nach 419 jener That die Augen geschloffen und bemühte sich, als schmerzliche Reue feinen Zorn verscheucht, ihn aus dem tiefen Schlafe zu erwecken, aber vergebens. Er trug den Leichnam des Bruders auf seinen Schultern, und schleppte ihn durch das Thal Gutha, dem Lauf des Barrada entlang und legte ihn an dieser Stelle nieder. Er setzte sich verzweiflungsvoll neben der Leiche hin und schaute, ob der tiefe Schlaf noch nicht weichen wollte, bis er einen Raben fah, neben dem ein anderer todter Rabe lag und für welchen der erste mit dem Schnabel ein Loch grub und ihn darin verscharrte. Da fiel auch dem Kain ein, der Schlaf des Bruders könne ein ähnlicher seyn, wie der des Vogels und es bedürfe ein an- deres tieferes Batte, wie das auf dem Rasen unter dem blauen Zelte des Himmels. Darauf nahm er den Todten auf die Höhe eines der Berge und grub eine Gruft zur Ruhestätte desselben. Bald hatten wir das Ende jener Schlucht erreicht und die erste Kette des Antilibanon überstiegen. In einem ziem- lich langen Thale, das sie von der zweiten scheidet, lag unser heutiges Nachtlager, Zebdeni, das wir mit Einbruch der Nacht erreichten. Ein kleines armseliges Dörfchen, jedoch mit Fruchtfeldern umgeben und in Maulbeerpflanzungen und Platanen versteckt liegend. Wir hatten anfangs Schwierig- keit, ein Unterkommen zu finden; denn Giovanni war heute einmal wieder sehr schlechter Laune und führte uns in eine elende Barracke, eine Art Scheune, wo wir die Nacht zu- bringen mußten. So streng ihm auch der Baron befahl, ein anderes Quartier zu suchen und sich beim Schech des Dorfes darnach zu erkundigen, so störrisch war der Bursche, meinte, es gebe gar keinen Schech im Dorfe, auch fey dies Quartier eins der besten. Wir mußten uns in Geduld fügen, obgleich der Fürst sowohl wie ich einen Augenblick wartete, ob der Kerl, wie er wohl zu thun pflegte, ein 27 420 heftiges Wort ausstoßen würde. Für diesen Moment hatte ich schon einen Steigbügelriemen in Bereitschaft, und würde ihn derb durchgeprügelt haben. So einsam unsere Scheune anfangs war, so belebte sie sich doch nach und nach. Männer, Weiber und Kinder erschienen und setzten sich in einem großen Kreise umher, unsere Kleider und felt- famen Geräthe anstaunend. Ich nahm mein Taschenbuch heraus und versuchte, ob ich nicht eines dieser charakteristi- fchen Gesichter abzeichnen könnte, was den Arabern zu ge- fallen schien und fobald sie merkten, was ich wolle, so drängte sich jeder vor und bat mich, doch sein Gesicht besonders zu berücksichtigen. Ich bin überzeugt, die Leute find mit einer äußerst guten Meinung später von uns gegangen. Denn später gaben wir ihnen noch ein Vokalconcert zum Besten, in das einige mit einstimmten, andere aber durch einen wilden Tanz begleiteten. Am andern Morgen brachen wir zeitig auf, um die herrlichen Ruinen von Baalbek noch bei guter Zeit zu er- reichen. Es war außerordentlich kalt, als wir fortritten und beim Hinansteigen der Berge gegen die zweite Kette des Antilibanon trafen wir bald auf Schnee und kleine Berg- waffer, deren Ufer mit Eiszacken eingefaßt waren. Wir befanden uns hier in ziemlicher Höhe über der Meeres- fläche, gegen drei tausend sechshundert Fuß, fast so hoch wie der Gipfel des Brockens in Deutschland. Obgleich es heller Tag war, und unsere Mucker be- haupteten, den Weg nach Baalbek genau zu kennen, verirrten wir uns doch nach einigen Stunden, eine Nachläffigkeit dieser Leute, die uns einige Zeit raubte und uns obendrein Pfade betreten ließ, die wir nach Allem dem, was wir kürz- lich in dieser Art schon erlebt, doch fast unersteiglich vorkamen. Gegen Mittag hatten wir den letzten Rücken des Anti- libanon, wie unsere Mucker versicherten, vor uns liegen, der 421 fast ganz aus steilen Felsen bestand, und den wir auf einem merkwürdigen Pfade erklettern mußten. Eins hinter dem andern wanden sich die Pferde, zwischen Steinblöcken durch, die sie wie Treppen ersteigen mußten, und fo dauerte es über zwei Stunden, ehe wir oben waren. Etwas Wilderes, Kahleres, als diesen Bergrücken sah ich nie; er war eine Strecke mit spitzen Steinen bedeckt, die wie versteinerte Wellen emporstarrten, so daß es den Pferden fast unmöglich war, den Weg zu verfolgen, ohne sich zu beschädigen. Rechts von uns erhob sich der Berg noch hundert Fuß höher in einem einzigen steilen Felszacken, auf welchem sich ein Adler- net befand. Der prächtige Vogel saß auf einer Spitze, und fah verächtlich auf uns herab. Wir fchoffen unsere Pistolen in die Luft, um ihn aufzujagen, was uns aber erst nach mehreren Schüffen gelang. Die Aussicht, die wir hier oben hatten, war großartig. In Süd-Süd-West sahen wir aus weiter Ferne den schneebedeckten Dschebbel-Schech. Vor uns trat die ganze mächtige Kette des Libanon, obgleich etwas in Wolken gehüllt unserm Auge entgegen. Wir verließen jetzt das Steinmeier und ritten über einen mit Haidekraut und niedri- gen Eichen bedeckten Abhang und sahen bald das herrliche Thal Bekaa vor uns liegen. Anstatt gerade hinabzusteigen, zogen wir an einem Ab- hang des Berges hin, und erreichten in Kurzem ein kleines Dörfchen Zarain, hinter welchem wir unsern Weg wie oben fortsetzten. Wir alle spähten sorgsam umher, um die präch- tigen Ruinen von Baalbek zu erblicken, die unten in jenem Thale liegen, doch mußten wir noch eine halbe Stunde reiten, eh' uns dieser überraschend schöne Anblick zu Theil wurde. Ich war gerade an der Spitze des Zuges und hielt mit einem lauten Ausruf der Ueberraschung mein Pferd zurück; denn plötzlich stiegen vor mir im Thale, in dem man weit und breit nichts sieht, wie die kleinen armseligen Lehmhütten 422 der Syrier, sechs riesenhafte Säulen empor, deren majestä- tische Gestalt unwillkührlich zu halten gebot und das Herz schneller schlagen machte – Baalbek. – Von jetzt an behielten wir die prächtigen Ruinen immer im Auge und stiegen, wie magnetisch von ihnen angezogen, schneller in's Thal hinab. Nach und nach trat der ganze gewaltige Trümmerhaufen des Sonnentempels vor unsere Augen. Umgestürzte Säulen, zerbrochene Mauerstücke, jetzt der noch ziemlich erhaltene Tempel des Baal selbst, daneben ein kleines rundes Gebäude mit korinthischen Säulen, zuletzt die gewaltige Unterlage von den mächtigsten Steinblöcken, auf welchen das Ganze ruht. Bald erreichten wir das kleine Dörfchen Baalbek, das ärmlich und unbedeutend neben den Ruinen liegt. Man hatte uns in Damaskus gesagt, der griechische Bischof von Baalbek fey ein sehr gastfreundschaftlicher Mann, und würde uns, da wir keine Engländer feyen, gerne ein Obdach ge- währen. Gegen Altengland und seine Söhne nämlich hat der fromme Bischof, man weiß übrigens nicht, woher einen unüberwindlichen Haß, und tritt, fo viel es ihm möglich ist, gegen das mächtige Reich in offenbare Opposition, die er jedoch nur an den Engländern, die ihn besuchen wollen, ausübt; denn obgleich sein Haus für Fremde gern geöffnet wird, geräth er in heftigen Zorn, wenn demselben ein Eng- länder naht und soll vor noch nicht sehr lange einem vor- nehmen Reisenden dieses Volks mit den größten Schelt- worten die Thür gewiesen haben. Dagegen hält er die Franzosen sehr werth, und sie sind ihm in Europa das gute so wie die Engländer das böse Prinzip. Obgleich wir gewiß keine Engländer waren, hatten wir doch nicht die Ehre, von dem Bischof aufgenommen zu wer- den, denn der arme Mann befand sich gegenwärtig so krank, daß man jede Stunde fein Ende erwartete. Doch fanden 423 wir ein recht gutes reinliches Quartier bei dem Schech des Dorfes, der uns freundlich entgegen kam. Wir nahmen ein kleines Mittageffen ein und gingen dann zu den Ruinen, um sie in der Nähe zu besehen. Ueber dieselben ist schon so viel Gutes geschrieben und ge- zeichnet worden, daß ich nur wenige Worte darüber sagen will. Baalbek ist das alte Baalgad und Baalhamon der heiligen Schrift, defen heut noch stehende Ruinen der Tempel der Sonne und der Tempel verschiedener anderer Gottheiten der Alten sind. Von der mächtigen Stadtfelbst, wie sie in den Zeiten des israelitischen Reichs gewesen, findet man keine Spur mehr, als nur wenige Mauerreste und unausgefüllte Gräben. Jener Tempel waren zwei, die auf mächtigen gewölbten Unterlagen stehen, von denen der eine, der das Baal noch ziemlich erhalten ist. An den vier Mauern, die aus großen Quadern in kunstloser Einfachheit aufge- führt sind, fieht man noch die ganze sorgfältige Ausführung des Fries und Karnies mit den schönsten netzförmig sich ver- webenden Bildwerken. Von den Säulenreihen, die sie rings umgaben, sieht man an der nördlichen Außenseite noch neun. Es waren vierzehn auf dieser Seite, und die fehlen- den fünf liegen in großen Blöcken umher oder stehen noch stückweise auf ihrem Piedestal. Auf der südlichen Seite stehen von diesen vierzehn nur vier und auf der Westseite, wo acht Säulen waren, sieht man nur noch drei. Vom Portikus im Osten, der aus zwei Säulenreihen bestand, haben sich nur noch viere erhalten, an welche die Saracenen aus den Trümmern der andern einen plumpen Thurm mit einer Mauer gebaut haben, der den Eingang dieses schönen Tempels ver- deckt. Noch wohl erhalten ist das Innere desselben, zu welchem man durch ein Portal tritt, an dem der korinthische Baustyl. Alles, was ihm an Verzierungen zu Gebote stand, beinahe überladen, aber doch dem Auge wohlthuend durch 424 Symmetrie und Zusammenpaffen des Ganzen angebracht hat. Der Schlußstein des Portals ist durch ein Erd- beben oder durch seine eigene Schwere allmählig gesun- ken und hängt, nur noch von den Nebensteinen gehal- ten, drohend über dem Eingang, als wolle er die heiligen Räume des Tempels vor jedem unberufenen Besucher durch einen Anblick schützen. Auf diesem Steine ist das Bild eines Adlers ausgehauen und zu beiden Seiten geflügelte Genien. Die inneren Wände sind ebenfalls glatt mit sechs gerinnten Säulen an jeder Seite versehen, zwischen denen sich ebenso viele kleine Nischen befinden; doch gewährt von hier das Gebäude durch die mächtigen Schutt- und Trümmerhaufen, die den Boden bedecken, einen weit trau- rigeren Anblick, als das prächtige Gebäude von außen. Von dem andern Tempel, der zu einem Pantheon dienen sollte, ist wenig mehr vorhanden, als jene sechs colo- falen Säulen, von denen ich oben sprach. Dieses unge- heure Bauwerk muß an tausend Schritte lang gewesen seyn; doch find viele der ältern und neuern Reisenden darüber einig, daß es, wie auch so viele großartige Gebäude bei uns, nie fertig geworden sey. An der Ostseite war der Eingang, zu welchem große Stufen hinanführten. Der Portikus hier hatte zur Rechten und Linken prachtvolle Pavil- lons und führte auf einen sechseckigen Hof, der, so wie diese Pavillons, nie vollendet gewesen zu seyn scheint. Von hier kam man in einen großen viereckigen Hof, deffen Wände rechts und links, wie man noch jetzt sieht, auf das schönste ausgeführt waren. Besonders schön find die in denselben befindlichen Zellen und Exedren, die Wohnungen für die Priester und Magier, so wie die zu Aufstellung der Götterstatuen bestimmten Nischen. Erst von diesem Hofe aus trat man abermals auf Stufen in den 425 innern Tempel, den ein Portikus von zehn Säulen schmückte. Dieser Tempel hat vielleicht sowohl an der Nord- als Süd- feite zwanzig jener großen Säulen gehabt, von denen die sechs oben erwähnten das Einzige sind, was im Lauf der Zeiten stehen blieb. Etwas Schöneres aber als diese Säulen, denen jede an siebzig Fuß Höhe hat und deren Schaft aus einem Stücke besteht, sieht man nicht wieder. Selbst Pal- myra hat keine ähnlichen von so klarer, bewundernswürdiger Schönheit. Man mag diese Riesen von nah und von fern ansehen, von vorn oder von der Seite, man vermißt nichts an ihnen, und ihre Anmuth, so wie die Richtigkeit ihrer Formen bleibt sich immer gleich. Nichts von Allem dem, was ich in Palmyra, sowie an andern Orten von Ruinen fah, steht deshalb auch stets so lebendig und an- schaulich vor meinem Blick, wie diese sechs Säulen von Baalbek. Die Steine zu diesen Tempelburgen wurden von den Abhängen des Libanon und Antilibanon herbeigeschafft, meistens aus der Nähe. So liegt südlich von Baalbek ein großer Steinbruch, in dem bei mehreren kleinen Blöcken ein schon ganz fertig gehauener Steinblock von ungeheurer Größe liegt. Welche Maschinenkräfte die Alten schon beim Bau ihrer Werke kannten und anwandten, erfieht man aus den Dimensionen dieses Felsstückes, das doch ebenfalls auf den Bauplatz geschafft und da benutzt werden sollte. Seine Länge beträgt bei fünf und sechszig Fuß rheinländisch, die Breite siebzehn und die Dicke dreizehn Fuß. Wozu dieser Block hat verwendet werden sollen, ist natürlich nicht zu ent- räthseln. An den südwestlichen Grundmauern der Burg sieht man einige nicht viel kleinere Werkstücke eingefügt; doch ist es auch möglich, daß man aus diesem Block eine der noch fehlenden Säulen zum großen Tempel hat behauen wollen. 426 Bis zum Einbruch der Nacht gingen wir zwischen den Ruinen herum, erkletterten die Mauern und krochen in die Gewölbe unter dem Boden. Letztere, vielleicht Gefängniffe der unglücklichen Schlachtopfer, die hier dem wilden Dienst der Aphrodite geopfert wurden, sind aus mächtigen Quadern so kunstreich zusammengesetzt, daß man an den Wänden fast keine Fugen sieht. Was mochte in diesen Gewölben schon Alles vorgefallen feyn. Wie viel Seufzer, wie viel ver- zweiflungsvolle Bitten mögen wohl das Ohr der Tempel- wächter eben so wenig erweicht haben, wie diese Mauern. An solchen Orten ist meine Phantasie besonders regsam, mir solche Scenen auszumalen. Hier saß vielleicht ein unglück- liches Wesen, ich denke mir am liebsten ein wunderschönes Weib dabei, und wartete auf den Augenblick, wo sie ent- weder ihr Leben oder ihre Ehre opfern mußte. Von oben ertönte der langsame tiefe Gesang der Priester, der immer näher kam. Sie stiegen die Treppen herab und ich – eilte rasch meinen vorangegangenen Gefährten nach, denn mir war, als hörte ich den wilden Gesang dicht hinter mir, und berühre meine Wangen schon das Wehen der langen Talare. Draußen erwartete uns noch der schöne Anblick der Ruinen bei Abendbeleuchtung. Wir erkletterten im großen Hofe eine der Mauern und setzten uns mit dem Angesicht gegen Westen, gegen die Heimath zu, an die wir dachten, während unser Auge mit Wohlgefallen die edlen Formen der Ruinen fah, wie man so oft beim Erblicken eines schönen Bildes an einen entfernten geliebten Gegenstand denkt. Vor uns hatten wir die Kette des Libanon mit feinen Schnee- spitzen, hinter denen die Sonne sank und uns ihre letzten Strahlen zusandte. Der Tempelhof unter uns, mit seinen wild durch einander geworfenen Trümmern, lag schon im Dunkel, als wir auf der Zinne der Mauer noch von der Sonne beschienen wurden. Doch auch wir mußten zurück- 427 bleiben und der glänzende Schein hob sich allmählig hoch und immer höher. Jetzt vergoldete er die Capitäler der sechs Säulen, denen die Sonne, als das Schönste, was sie hier fand, ihre letzten Blicke schenkte, und flog dann zu den Wolken auf, mit den purpurgefärbten, eilig gen Westen fliehend. Wir verließen die stillen und öden Tempel, jene Grab- male einer längst vorgegangenen Zeit und gingen nach dem Dorfe zurück. Dicht bei demselben betrachteten wir noch ein anderes kleineres Bauwerk, einen halbrunden Tempel, dessen Mauern inwendig mit den schönsten Bildhauerarbeiten über- zogen sind. Doch sind diese nach allen Seiten zerborsten und die das Tempelchen umgebenden Säulen stützen sich wie matt und krank gegen einander und werden wahrscheinlich in kurzer Zeit zusammenstürzen. Der Schech des Dorfes, er hieß Achmet Godder, war uns ein sehr freundlicher Wirth. Sein Befizthum bestand aus zwei kleinen Häusern, die durch einen klaren Bach, den Leontes, von einander geschieden wurden. Er hatte uns das eine eingeräumt und mit Strohmatten und Divan kiffen recht wohnlich aufgeputzt. Er erzählte uns während dem Abendeffen Manches von der Armee Ibrahim Pascha's, die hier gelegen und in einigen großen schlecht gebauten Häusern, die wir heute morgen bemerkt, ein Feldlazareth eingerichtet hatten, in welchem aber die Pest stark aufräumte. Am folgenden Morgen lachte uns das herrlichste Wetter von der Welt. Der Himmel hing klar und wolkenlos über uns und die Morgensonne spielte lustig auf den tausend Thautropfen, die an dem Gras und Haidekraut des schönen Thales hingen. Selbst die beiden Bergketten warfen früher als gewöhnlich ihre grauen Nebelschleier von sich und schienen sich des schönen Tages zu freuen. 428 Wir verließen unsern guten Schech und durchschnitten das Thal in nordwestlicher Richtung, wobei wir noch oft nach den Ruinen zurückfahen. Am Fuß des Libanon schickten wir zwei Mucker mit den bepackten Mauleseln, so wie Skan- dar und Mechmed dem Thal entlang gen Sachile, wo wir am folgenden Tage wieder zusammen treffen wollten. Denn wir hatten noch einen Ritt vor nach den weltberühmten Cedern des Libanon. Unser Weg führte durch dichten Wald ziemlich steil aufwärts bei zwei ärmlichen Dörfern vorbei, hinter welchen wir uns mehr nördlich wandten. Vor uns sahen wir jetzt eine Hauptspitze des Libanon, den Dschebbel Makmel, zwölftausend Fuß hoch, gegen welche sich unsere Mucker dirigierten. Unser Weg war entsetzlich mühsam und obgleich wir fast immer zu Fuß gingen, mußten wir doch immer nach ein paar Stunden wegen unserer ermatteten Thiere ausruhen. Gegen Mittag waren wir so hoch gestie- gen, daß wir uns alle die milde Luft des Thales wünschten. Aus den mit Schnee angefüllten Schluchten stieß zuweilen der Wind mit Heftigkeit hervor und durchkältete uns trotz der Mäntel und Pelze. Zuweilen wurden wir rückwärts blickend durch eine herrliche Aussicht belohnt. Da lag Bekaa vor uns, das herrliche Thal, das alte Kelisyrien und wir sahen die ganze Kette des Antilibanon, die es im Südost einfaßte. Bald hatten wir den höchsten Punkt der Straße erreicht, vielleicht fiebentausend Fuß über dem Meer, und konnten nicht gar weit mehr von dem Cedernhain entfernt feyn. Rechts sahen wir in ziemlicher Entfernung ein Dorf vor uns liegen, Hosran, das wir in kurzer Zeit erreichten. Von hier aus nahmen wir einen Führer mit, der uns bald an den Eingang des Thales der Cedern führte. Der ganze Weg vom Fuß des Libanon dahin war nicht weniger ge- fährlich und halsbrechend, wie alle, die wir in diesen Ge- birgen gemacht hatten. Bald mußten wir Bergwaffer in 429 - Ermanglung von Brücken durchwaten, bald ging es Schluchten hinab und hinauf, deren Wände mit lockerem Steingerölle bedeckt, die Thiere hinabrutschen mußten, bald am Rande jäher Abgründe vorbei, auf fußbreiten Pfaden, wie ich sie schon öfter beschrieben. - Das Thal der Cedern, dessen Durchmeffer höchstens eine kleine halbe Stunde beträgt, ist auf drei Seiten ein- geschloffen, nur in Südwest ist es geöffnet, wo die Schnee- waffer ihren Abfluß nehmen. Ohne diese Gestaltung der Berge würde der Platz hier wahrscheinlich ein See oder un- wirthbarer Sumpf feyn; doch fo, von den Bergwaffern beständig angefeuchtet und vor den Winden geschützt, bildete die Natur hier ein Asyl, in welchem jene mächtigen Bäume Jahrtausende dem Wetter und der Zeit trotzen konnten. Aufrichtig gesagt, wäre es mir lieber gewesen, ich hätte die Cedern nie gesehen; denn die Idee, welche man sich schon in der Kindheit von diesem prächtigen Baume Salomos macht, verschwindet beim Anblick derselben gänz- lich. Wer stellt sich nicht unter den Cedern des Libanon riesenhafte schlanke Bäume vor, von der Gestalt unserer Tannen, wogegen aber unsere höchsten Stämme wie Zwerge erscheinen? Ich wenigstens sah sie beständig so vor mir, mit schöner glatter Rinde, wahre Thürme, deren Spitze hoch in die Wolken hinaufreicht. Doch nichts von Allem dem die ersten dieser berühmten Cedern, die den Waldsaum umgaben, waren vielleicht zwanzig Fuß hohe Bäume, ganz von der Gestalt unserer Wachholdersträuche, deren Aeste dicht über dem Boden anfingen und sich in unregelmäßiger Gestalt nach allen Seiten ausbreiteten. Doch betraten wir in feierlicher Stimmung diesen Hain, über dem eine tiefe Stille lag, die nicht einmal durch den Laut einer Vogelstimme unterbrochen wurde, jenen heiligen Hain, in welchen Salomo feine Knechte schickte, um das Holz zur Bundeslade zu holen. 430 Während wir über die Rasendecke dahin gingen, zwischen den stillen alten Bäumen, fiel mir ein bekanntes Lied ein, das mir sehr hieher zu paffen schien, welches anfängt: Ueber allen Wipfeln ist Ruh' 2c. Unser Führer, ein Maronite, war schon von Ibrahim Pascha zu diesem Amte erlesen worden und sollte es verhüten, daß von den Bergbewohnern im Cedernhaine kein Holz ge- hauen würde; nicht einmal dürres aufzulesen, hatte der Pascha erlaubt, ein Befehl, der ihm viel Ehre macht. Tiefer im Wald sind die Bäume größer und stärker und viele derselben mit einer Menge von Namen bedeckt, zu welchen auch wir die unsrigen hinzufügten. Die ältesten Cedern jedoch, welche man als Zeitgenoffen Salomo's be- zeichnet, stehen in der Mitte des Waldes auf einem kleinen freien Platz. Ihrer find fünf, deren Stamm neun Fuß im Durchmesser hat. Einer derselben erscheint noch dicker, weil der Blitz ihre Krone zerstört und den Stamm von einander geriffen hat. Da man diese Ceder für die älteste und hei- ligte hält, hat man an ihrem Stamme aus rohen Steinen einen Altar aufgerichtet, auf welchem jährlich einmal am Himmelfahrtstag eine Meffe gelesen werden soll. Die Rinde des alten Baumes ist fast ganz verschwunden, denn viele Reisende nahmen sich Stückchen davon mit oder schnitten ihre Namen in so großer Anzahl ein, daß sie nach allen Seiten hin wie zerfetzt und durchbrochen aussieht; selbst die weit hinauslaufenden Wurzeln dieses Baums sind mit Inschriften aller Art bedeckt. Wir brachen von ihren Zapfen ab, die ungefähr wie die der Tannen gestaltet sind, aber in die Höhe wachsen. Die einbrechende Nacht vertrieb uns nach einigen Stunden aus dem Cedernhain, und da das Terrain gleich hinter dem Thale bedeutend abwärts steigt, so hatten wir 431 die alten Bäume bald aus dem Gesicht verloren. Wir er- reichten in kurzer Zeit das Dorf Hosran, wo wir über- nachteten. Am andern Morgen brachen wir sehr früh auf, um noch bei guter Tageszeit unsere übrigen Mucker wieder zu treffen, - die nach Sachile vorausgegangen waren. Das Abwärtssteigen ging so rasch und gut von Statten, daß wir in wenig Stunden die Ebene, in welcher Baalbek liegt, wieder erreicht hatten. Doch erlaubte uns der Lauf des Gebirgszuges nicht, die Ruinen noch einmal zu sehen. Das Wetter war uns wieder so günstig, wie gestern, und wir trabten in heiterer Luft und Sonnenschein über die blumige Rasendecke des schönen Thales rasch dahin. Bei Kerak, einem kleinen Dorfe, das, wie die meisten der Dörfer hier, in einer malerischen Schlucht des Libanon versteckt liegt, hielten wir einen Augenblick an, um ein mit niedern Bäumen umgebenes Gebäude, mehr als zehn Fuß lang und an drei Fuß breit, zu betrachten – der Sage nach das Grabmal Noah's. Ich hätte es weit eher für eine Kegelbahn gehalten, denn mit einem Mausoleum hatte es auch nicht die geringste Aehnlichkeit. Hinter Kerak ließen wir unsere Pferde etwas ruhiger gehen, unterhielten uns über das viele Schöne, was wir in den letzten Tagen gesehen, als wir plötzlich hinter uns den Galoppschlag eines ansprengenden Pferdes hörten. Ehe wir Zeit hatten, uns umzusehen, was es gebe, war der Reiter deffelben, ein Beduine in gutem Costüme, schon neben uns und ließ uns in wenig Augenblicken weit zurück. Wie aus einem Munde riefen wir uns beim Anblick desselben zu: „Welch' prächtiges Pferd!“ Es war eine große starke Stute, mit fußlanger schwarzer Mähne, und mit einer Schnelligkeit jagte das Thier bei uns vorbei, die fast beispiellos war. Jetzt sahen wir nur noch vor uns eine Staubwolke, aus der 432 die Lanze des Beduinen emporragte. Dann jagte er eine Schlucht hinauf und war unsern Blicken entschwunden. Obgleich es die Gewohnheit der Beduinen ist, beim Anblick von Fremden ihre Pferde zusammen zu nehmen und fie in ihrer schönsten Gestalt zu zeigen, wobei sie mit der größtmöglichen Schnelligkeit vorbeifliegen, so daß man sich in solchen Augenblicken über die Figur eines Pferdes täuschen kann, so schien dieß bei dieser Stute nicht der Fall zu feyn, denn der Reiter, ein ältlicher Mann, sah sich gar nicht nach uns um, sondern verfolgte seinen Weg so eilig wie möglich. Unser Baron, dem die vollkommene Schönheit des Pferdes am meisten aufgefallen war, rief gleich aus: „Das Pferd oder keins!“ Und wir erkundigten uns bei den Leuten, die uns begegneten, ob keiner den Reiter gekannt; aber Niemand wußte uns etwas von ihm zu sagen. Rasch trabten wir wieder vorwärts, um ihm vielleicht wieder nahe zu kommen; aber umsonst! Schon lag Sachile vor uns und wir hatten noch keine Spur von ihm. Sachile ist eines der größeren Dörfer, die im Libanon liegen und wird hauptsächlich von Maroniten und andern Christen bewohnt, deren Zahl man auf fünf bis sechstausend schätzt. Der Ort selbst, übrigens aus ebenso schlecht ge- bauten Häusern, wie alle diese Gebirgsdörfer bestehend, liegt malerisch am Abhang der Schlucht eines Gebirges, aus der ein reißendes Bergwaffer in's Thal stürzt. Die Felder rings herum fanden wir beffer angebaut, als wir sie seit lange gesehen; grüne Wiesen wechselten mit Gartenanlagen, in denen Rosen und Weinstöcke am häufigsten zu sehen waren. Da wir nur wenig Augenblicke hier bleiben wollten, um noch einen andern Chan tiefer im Gebirge zu erreichen, damit wir morgen in einem Tage nach Beirut kämen, so gingen wir in keins der Klöster, sondern forschten nach dem Chan, wo wir unsere Mucker treffen sollten. Wir mußten fast durch 433 das ganze Oertchen in einem bodenlosen, mit Schmutz bedeckten Hohlwege reiten, ehe wir ihn erreichten. Doch war das erste, was sich unsern Blicken darbot, jene Stute, die auf einem Misthaufen stehend, mit traurig gesenktem Kopf einige trockene Strohhalme daraus hervorsuchte. Der Reiter saß auf der Terraffe vor dem Hause und beschäftigte sich sehr eifrig mit seiner Pfeife und einer Taffe Kaffee. Unsere Mucker schienen sehr erfreut, uns wieder zu sehen; doch war es ihnen gar nicht recht, daß wir ihnen befahlen, die Thiere gleich aufzupacken, um noch ein paar Stunden weiter in einen schlechteren Chan zu ziehen, da es ihnen in Sachile wahrscheinlich beffer gefiel. Wir setzten uns neben den Beduinen und der Baron fing durch Giovanni gleich an, sich nach jenem Pferde zu erkundigen und ob er es wohl verkaufen würde, wozu er natürlich gleich bereit war. Doch sollten wir, ehe er einen Preis bestimmen würde, das Pferd genau ansehen, um ihm zu bezeugen, daß wir auch nicht den geringsten Fehler an dem Thiere gefunden hätten. Der Baron benützte gleich diese Erlaubniß, besah das Pferd auf's Genauste in allen seinen Theilen und versicherte uns einmal über das andere, es fey ein außerordentlich schönes und edles Thier. Was er besonders an ihm schätzte, war eine auffallende Größe und die Stärke der Glieder gegen die gewöhnliche Figur der arabischen Pferde. Das Einzige, was man allenfalls an der Stute aussetzen konnte, bestand darin, daß die hochträchtig war, und in höchstens drei bis vier Wochen fohlen würde; ein Umstand, der bei der langen Tour, die wir mit dem Pferde noch zu machen hatten, wohl zu berücksichtigen war. Im glücklichsten Fall konnte man aber auch erwarten, von dem edlen Pferde ein schönes Fohlen zu erhalten. Der Preis, den der Beduine nach dieser Besichtigung für das Thier forderte, war allerdings sehr hoch, doch nicht Hackländer, R. in d. O. I. 28 434 übertrieben. Aber Giovanni, der im Handeln sehr auf unser Intereffe fah – diese gute Eigenschaft mußte man an ihm rühmen – stellte sich bei dieser Forderung, wie aus den Wolken gefallen, und überhäufte den Araber mit einer Flut von Schimpfworten über diese Unverschämtheit, worauf ihm jener ruhig erwiderte: er solle die Summe feinem Herrn nur sagen, der würde es nicht zu viel finden. Doch Giovanni wurde immer hitziger und wenn wir nicht schon an das Geschrei der Araber beim Handeln gewohnt gewesen wären, so hätten wir geglaubt, jetzt würden sich beide in die Haare fallen. Der Baron, der wohl verstanden hatte, welche Summe der Araber gefordert, ließ ihm durch Giovanni gerade ein Dritt- theil weniger bieten, was aber der Beduine scheinbar mit stolzer Verachtung von sich wies. Doch waren wir hierüber nicht verwundert und der Baron hatte jenes Gebot nur ge- than, weil ihn derselbe Grund, wie in Damaskus abhielt, dies Pferd allein zu kaufen. Bald nachher brachen wir auf und waren kaum vor das Dorf gekommen, als uns jener Beduine einen andern Araber nachschickte, der uns das Pferd für tausend Piaster unter der anfangs geforderten Summe anbot, eine Forderung, auf die der Baron jetzt gerade nicht einging. Wir stiegen die Schlucht, in welcher Sachile liegt, rasch hinab, und befanden uns bald wieder in dem Thale, wo unser Weg am Fuß des Libanon hinlief. Wir hatten Sachile noch keine Stunde verlaffen und unterhielten uns gerade über das tückische Schicksal, das uns die beiden schönen Pferde so einzeln in den Weg führte, wo wir sie nicht mitnehmen konnten, da sie vereint ein so guter Kauf für uns gewesen wären, als wir hinter uns laut rufen hörten. Es war der Beduine, der auf der Stute hinter uns drein jagte. Wir erwarteten ihn und als er von seinem Pferde sprang, wollte er anfänglich fein altes Handeln um den früher bedungenen 435 Preis wieder beginnen. Doch als wir auf diese Forderung hin unsere Pferde gleich wieder wandten und fortreiten woll- ten, verkleinerte er die Summe immer mehr und kam endlich, da ihm, wie er sagte, augenblicklich baares Geld schätzbarer fey, als das Pferd, auf unser Gebot, das ihm natürlich der Baron einhalten mußte und – die Stute war unser. Schon auf dem Weg von Sachile hieher, als der Baron den Kauf dieses Thieres so vortheilhaft für sich schilderte, wenn er jenen Hengst aus Damaskus befäße, erbot ich mich, wenn er jene Stute kaufen wollte, allein dahin zurückzureiten und wenn es noch möglich fey, das Pferd mitzubringen; ein Vor- schlag, auf den er, da er mir Mühe mache, mit feiner be- kannten Güte anfänglich nicht eingehen wollte. Doch jetzt, da wir die Stute gekauft hatten, und ich ihm versicherte, es würde mir Freude machen, wenn ich ihm den kleinen Ge- fallen erweisen könnte, nahm er meine Idee auf, und wir besprachen das Nähere darüber. Da uns diese Unterhand- lungen eine Zeit lang aufgehalten hatten und wir den Chan weiter im Gebirge vor der Nacht nicht mehr gut erreichen konnten, so fuchten wir in einigen nahe liegenden ärmlichen Häusern eine Unterkunft für diese Nacht. Der Stall, in welchen wir unsere Pferde stellten, war gegen unser Gemach prächtig zu nennen. Der Boden des letzteren bestand aus gestampfter Erde und die Wände waren dünnes Fachwerk, deren Fugen mit Moos und Erde verstopft waren. Obendrein hatte das Haus keinen Rauchfang, wes- halb das angezündete Holz einen solchen Rauch verursachte, daß wir nur das Gesicht an den Boden legend die Augen offen erhalten und mit einander sprechen konnten. - Von hier nach Damaskus hatte ich in gerader Rich- tung, wobei ich Baalbek zur Linken liegen ließ, einen Weg von achtzehn deutschen Stunden, von dem ich jedoch nur ein Drittel, wegen des Terrains, im Trabe zurücklegen konnte, 28 436 den ich morgen reiten wollte, um am Abend in Scham einzu- treffen. Der Baron gab mir einen Schimmel als das beste Pferd mit einem englischen Sattel und zu meiner Begleitung wurden Skandar und Mechmed bestimmt, so wie ein junger Araber aus dem Hause, in das wir uns einquartiert hatten, der uns als Führer durch die Gebirgswege dienen sollte. Da in unserer Reisekaffe nicht mehr die ganze Summe, die man für den Hengst gefordert, vorräthig war, so gab mir der Baron einen Creditbrief auf den Herrn Baudin und an baar so viel, wie er entbehren konnte. Auch von unserem Proviant, der sehr zusammen geschmolzen war, packte ich einige Reste ein, so wie das Theegeschirr des Fürsten. Durch die angedeuteten Unbequemlichkeiten unserer Wohnung hatten wir eine schlechte Nacht, die noch durch den gräßlichen Husten eines unserer Mucker vermehrt wurden. So wie einer von uns die Augen schloß, fing jener Kerl an zu stöhnen und zu seufzen, so daß es fast nicht möglich war, eine Minute zu schlafen. Am folgenden Morgen gegen vier Uhr, als der erste Schimmer des Tages in unser Gemach drang, standen wir auf und machten uns reisefertig. Ich sollte mit meinem Zug zuerst abreiten. Meinen Säbel hatte ich mit dem des Fürsten vertauscht, so wie auch seinen Handschar genommen, von dem ich früher gesprochen. Die Pistolen des Barons nahm Skandar; nur Mechmed der Riese begnügte sich mit seinem Wurfspieß, den er heute Morgen außergewöhnlich putzte. Ich nahm von den beiden Freunden herzlichen Ab- schied. Der Baron drückte mir die Hand stärker, als ge- wöhnlich, und versuchte den Morgen noch einmal, mich von dem Ritt zurückzuhalten; doch gegen den Wunsch eines Her- zens, denn ich wußte wohl, welch' großen Dienst ich ihm durch den Ankauf jenes Pferdes erwies. Selbst Giovanni zeigte sich heute Morgen sehr gefühlvoll und sagte mir ein 437 herzliches Lebewohl, aus dem einfachen Grunde, wie er mir nachher gestand, weil er befürchtet, die Deserteure oder strei- fenden Araber würden uns ausplündern oder vielleicht gar umbringen. Eine seltsamere Expedition als die meinige nach Da- maskus ist wohl in langer Zeit nicht gemacht worden. Wir waren unserer vier, von denen ich deutsch sprach, Skandar russisch und perfisch, Mechmet tscherkesfisch und unser Führer arabisch, auf welche Art also auch keiner den andern verstehen konnte. Auf der weiten Ebene, auf der wir rasch dahin trabten, lag ein dichter Nebel, der sich immer tiefer senkte und uns einen schönen Tag versprach. Eine halbe Stunde nach unserem Ausritt hielt der Beduine einen Augenblick an, und forderte mich durch Pantomimen auf, einiges Brod zu kaufen, was man hier sehr gut bekommen konnte. Ich nahm ein paar Dutzend Brodkuchen für ein paar Piaster, verheilte sie an meine Leute und wir ritten weiter. Skandar war voran und trieb mächtig zur Eile, denn wir hatten keine Zeit zu verlieren, wenn wir Abends nach Damaskus kommen wollten. Gegen neun Uhr hatten wir die Ebene durchkreuzt und begannen am Fuß des Libanon empor zu steigen. Ich hatte mir vorgenommen, nicht eher eine Rast zu machen, bis wir nach Schiras gekommen wären, wo ich bei unsern frühern Wirthsleuten einen Augenblick anhalten wollte. Doch mußte uns der Beduine einen andern Weg geführt haben, denn anstatt in jene Schlucht zu kommen, durch welche der Barrada fließt, stiegen wir ungefähr in der Gegend einen sehr steilen Berg hinan und kamen auf ein großes Plateau, auf dem wir rascher vorwärts traben konnten. Trotz dem versicherte mir unser Beduine beständig, wir würden bald nach Schiras kommen, und ob er mich nicht verstanden oder absichtlich einen andern Weg geführt hatte, weiß ich nicht; genug, als wir nach meiner Berechnung schon 438 lange den Ort hatten erreichen müffen, ritten wir noch immer in einem mir ganz unbekannten Terrain. Es mochte Nachmittags drei Uhr feyn, als ich in einer kleinen Schlucht, in der ein klarer Bach floß, anhielt, und vom Pferde stieg. Ich war von dem langen Ritte fo er- müdet, daß ich mich lang auf dem Boden ausstreckte und mich hin und her wälzte, um meine Glieder wieder gelenkig zu machen. Es war mir sehr verdrießlich, daß wir Schiras noch nicht erreicht haben sollten, denn von da hatten wir noch gute drei Stunden nach Damaskus zu reiten und ich befragte meinen Beduinen, der sich eifrig mit einem großen Stück Käse beschäftigte, nochmals genau nach Schiras, und ob wir denn nicht bald hinkommen würden, worauf er mir durch Zeichen fagte, was ich denn in Schiras wolle, da wir gleich in Damaskus feyen; eine Neuigkeit, die mich angenehm überraschte, die aber richtig war; denn nachdem wir eine halbe Stunde geruht und den vor uns liegenden Berg er- stiegen hatten, sah ich zum zweiten Mal die prächtige Stadt vor mir liegen. Der Weg, den wir früher über Schiras genommen hat- ten, mußte uns weit zur Linken liegen, denn dort erblickte ich hie und da zwischen den weißen Kalkfelsen die grünen Bäume, welche die Ufer des Barrada bedecken. Ich weiß nicht, ich fah Damaskus heute mit einem ganz andern Ge- fühl, wie das erste Mal. Wir hatten es vorgestern mit den Gedanken verlaffen, daß wir es nimmer wieder sehen würden und wie ich nun heute plötzlich wieder von der Höhe des Libanon die Stadt vor mir liegen fah, und mir, der ich ge- fern noch in Begleitung der Freunde war, heute aber der einzige Europäer zwischen den aberteuerlichen Gestalten meiner Begleitung hier oben hielt und in das Thal Gutha hinab- schaute, kam es mir vor, als eyen viele Jahre vergangen, 339 und ich beträte diese Gegenden nach langer Abwesenheit zum zweiten Mal. Wir ritten langsam gegen die Stadt hinab und es fing an zu dämmern, als wir die Mauern erreichten. Und hier brachte uns unser Führer in eine nicht geringe Verle- genheit, indem er erklärte, den Weg bis hieher habe er wohl gewußt, aber uns zum Kapuzinerkloster zu bringen, wisse er die Straße nicht. So viel es mir möglich war, suchte ich mich nach der großen Moschee, die in der Nähe unseres Klosters lag, zu dirigieren und ritt voran in die schon leerer werdenden Straßen. Doch mochte es an der einbrechenden Nacht liegen, oder weil die Gaffen in ihrem Schmutz und ihrer Erbärmlichkeit einander so ähnlich sehen, genug, ich fand den Weg nicht und wir befanden uns bald in ganz unbekannten einsamen Quartieren. Leute, die wir hie und da auf der Straße anhielten, konnten oder wollten uns keinen Bescheid geben, und ich war schon in der größten Verlegen- heit, wo wir die Nacht zubringen sollten, als plötzlich aus einer Seitengaffe einige halb europäisch gekleidete Männer heraustraten, denen ein Araber eine Fackel vortrug, und ich erkannte in dem einen zu meiner größten Freude den fran- zösischen Konsul. Er war sehr artig und gab uns einen seiner Kawaschen zur Begleitung mit, der uns bald vor das Kapuzinerkloster führte. Hier mußte ich lange klopfen, ehe man mir öffnete und mich zu dem guten Prior brachte, der bei meinem Anblick fast in Ohnmacht gefallen wäre; denn so viel ich aus einen hastig hervorgestoffenen Reden ver- nehmen konnte, glaubte er nicht anders, als wir feyen von den Arabern überfallen, die Andern getödtet worden und ich allein entkommen. Doch beruhigte ich ihn und erzählte ihm, was mich zurückführte. Skandar wurde den Abend noch ausgesandt, um Erkundigungen nach dem Perfer und dem Pferde einzuziehen, kam aber bald mit der Nachricht zurück, 440 er habe, da es heut' Abend schon zu spät fey, keinen der Leute mehr getroffen, wolle aber am andern Morgen in aller Frühe zu ihnen hingehen. Der Prior gab mir ein Käm- merchen, nahe bei seiner Stube, von welchem ich ebenfalls in den stillen Hof hinabsehen konnte. Dort blühte der Baum noch, wie neulich, das Waffer rauschte und Prinz Strauß lief mit großen Schritten auf und ab. Eine andere, weniger poetische Zuthat waren ein paar kleine Schweinchen, die man in diesen Tagen auch in den Hof gesetzt hatte und die sich vor dem großen Vogel fürchten mochten; sie liefen schreiend aus einer Ecke in die andere. Durch den langen Ritt von gestern schlief ich weit in den folgenden Tag hinein. Skandar weckte mich mit der höchst unangenehmen Nachricht, daß der Stallmeister des Perfers, den er angetroffen, ihm gleich erklärt, es fey jetzt gar nicht mehr daran zu denken, von seinem Herrn, selbst für die doppelte Summe, jenes Pferd zu erhalten. Er würde es vielleicht vor einigen Tagen gegeben haben, habe aber gleich den folgenden Tag erklärt, wie lieb es ihm fey, daß wir den Handel nicht abgeschloffen, da er den Hengst sehr hoch halte. Das waren saubere Aussichten. Ich klei- dete mich sogleich an und eilte zu Herrn Baudin, dem ich den ganzen Verlauf der Sache mittheilte. Er dachte einen Augenblick nach, ich nannte ihm die Summe, die der Perser damals gefordert und die ich jetzt in Briefen auf ihn vom Baron erhalten hatte und bat ihn dringend bei dieser Sache um seine Verwendung. Er versprach mir, gleich auszugehen und das Seinige zu thun und ich möchte um ein Uhr Mit- tags wieder bei ihm anfragen. Ich ging in den Straßen auf und ab und bis es ein Uhr war, glaubte ich, es fey eine Ewigkeit vergangen. Herr Baudin war noch nicht zu- rückgekommen ; doch erschien er nach einer kleinen Viertelstunde und erzählte mir zu meinem größten Leidwesen, daß gar 441 keine Hoffnung da fey, das Pferd zu erhalten. Der Perfer, ein sehr reicher Mann, habe ihm gesagt, daß er vor einigen Tagen wohl einen Preis für den Hengst angegeben habe; doch mehr, um zu sehen, welchen Werth er für uns habe, als wie, um es zu verkaufen; denn er habe es von Mekka mitgebracht und die Kosten und Mühseligkeiten der Wüsten- reise nur an das Thier gelegt, weil es so außerordentlich edel fey und ihm so wohl gefallen. Man kann sich leicht "denken, wie unangenehm mir diese Nachricht war. Doch Herr Baudin, nachdem er eine Zeitlang nachgedacht, sagte mir, es fey vielleicht noch ein einziges Mittel, das Pferd zu erhalten, indem er nämlich an die den Orientalen im All- gemeinen eigene Großmuth vermittelt einer Kriegslist ap- pellire. Doch erforderte dies eine Frist bis Morgen, die ich auch unter der fast gewissen Voraussetzung opfern müffe, daß nichts aus der Sache würde. Herr Baudin beschied mich auf den folgenden Tag um eilf Uhr in die große Caravanferei. Ich wandte den Nach- mittag dazu an, durch die Bazars zu streichen und hie und da einige Kleinigkeiten einzukaufen. Es that mir sehr leid, daß meine Reisekaffe nicht in dem Zustande war, mehr, als einige Piaster aufwenden zu können; denn unter Anderm bot man mir heute Nachmittag eine ächte Klinge zu dem unbe- deutenden Preise von zweihundert Piastern an. Den Abend verbrachte ich mit meinem Prior; wir rauchten eine Pfeife zusammen und er erzählte mir viel von Spanien, feinem schönen Vaterland, und Skandar, dem ich einiges Geld gegeben hatte, ging zu den Dienern des Persers, um sich mit ihnen auf einen freundschaftlichen Fuß zu setzen. Am folgenden Morgen war ich schon um zehn Uhr in der Karavanferei, einem der prächtigsten Gebäude von Da- maskus. Wie alle diese Gebäude zu Waarenlagern, Märkten und Wohnungen für fremde Kaufleute eingerichtet, bestand 442 es aus einem großen Hofe, um welchen rings herum die Gemächer zu den oben angegebenen Zwecken im Kreise lagen. Dieser Hof, mit schwarzen und weißen Marmorplatten ge- pflastert, hatte in der Mitte einen sehr schönen aus Stein gehauenen Brunnen, der aus fünf Röhren das Waffer in die Höhe schleuderte. Eine Galerie, die den Hof umgab, wurde von schönen schlanken Säulen getragen und unter ihr befanden sich Steindivans, den verschiedenen Kaufleuten ge- hörig, auf welche sie bequem hingestreckt, die Kunden er- warten, die mit ihnen größere Geschäfte abzumachen hatten. Es war noch ziemlich leer in dem Hofe und ich befah die innere Einrichtung einiger offen stehender Gemächer. Ein Corridor führte hinter denselben im Kreise herum und endigte in einer großen Marmortreppe, die in einen obern Stock führte. Auch von außen hatte die Karavanferei ein stattliches Ansehen und für mich durch die Abwechslung der Steine, die man hier an einigen größern Gebäuden findet, etwas sehr Eigenthümliches. Man mauert nämlich die far- bigen Marmorarten reihenweise aufeinander, so daß z. B. das Gebäude unten am Boden eine Linie röthlicher Steine hatte, auf welche eine Linie weißer, dann wieder rother und so abwechselnd weiß und roth bis unters Dach folgten. Um eilf Uhr erschien Herr Baudin und sagte mir, gleich würde der Perfer mit feinen Hausbedienten erscheinen und - er wollte dann die direkten Handlungen mit ihm beginnen. Vielleicht fey es möglich, daß uns der Kauf gelänge, indem er einen Freund des Kaufmanns auf eine Seite gebracht habe. Es dauerte auch nicht lange, so erschien der Perser mit allem Pomp eines sehr reichen Mannes, der den Markt beherrscht und den die Orientalen so gern zur Schau tragen. Ein paar Neger kamen eilfertig voraus, breiteten auf einem der schönsten Steinfitze bunte Teppiche aus und lehnten an die Rückwand mehrere Divamkiffen aus Sammt und Seide. 443 Vier andere Diener folgten ihnen, der eine trug einen Man- gahl mit Kohlen, der andere ein vollständiges Kaffeegeschirr und der dritte und vierte Pfeifen und Tabak. Jetzt erschien der Kaufmann felbst mit einem Gefolge von wenigstens zwanzig Dienern, alle in persischem Costüme, und es war gerade, als komme ein vornehmer Pascha, denn so ehrerbietig grüßten ihn alle im Hofe Befindlichen, Herrn Baudin nicht ausgenommen. Auch ich legte meine Hand an Brust und Stirn und verbeugte mich soviel wie möglich. Der Perfer war ein Mann in den besten Jahren mit gelber Gesichtsfarbe und einem kohlschwarzen Kinnbarte, der noch spitzer zulief, als die Mütze von schwarzem feinem Astrachanpelze, die er auf dem Kopfe trug. Sein Anzug war fast wie der unseres Fürsten und ebenso der Handschar; nur war das Kleid weit reicher mit Gold gestickt, und an dem Griffe des Dolches glänzten die prachtvollsten Edelsteine. Das Malerischste aber und Schönste an seinem Costüme war der Mantel, ein einziger großer Kaschemirshawl von Zeich- nung und Farben, wie ich nie etwas Aehnliches gesehen. Ein herzförmiger Talisman, d. i. ein Stein, auf dem Koran- sprüche eingeschnitten find und der köstlichste Schmuck, den die Orientalen besitzen, hielt den Mantel als Agraffe zu- sammen; das Ende desselben hatte er, damit der köstliche Stoff nicht auf dem Boden schleifen sollte, um den rechten Arm geschlungen. In dem Gefolge waren seine Handlungs- und Hausbedienten, feine Stallmeister, Haushofmeister und eine Menge anderer Chargen, die mir Herr Baudin alle nannte. Mit der Ruhe und Gravität, die dem Morgenländer eigen ist, setzte er sich auf einen Divan, und begann mit den Kaufleuten, die nach und nach herankamen, feine Ge- schäfte abzumachen. Hier wurden Contracte unterschrieben, dort Gold ausbezahlt, das der Zahlmeister in Empfang nahm 444 und durch andere Diener in kleine Beutel binden und in ein Kästchen stellen ließ. So intereffant mir die ganze Erschei- nung dieses Persers und des Handels war, so wünschte ich doch recht aus Herzensgrund, daß er weniger vornehm und reich seyn möge, damit ihm die Summe, die wir ihm geboten hatten, höher und ansehnlicher erscheinen möchte. Jetzt kam die Reihe an uns. Herr Baudin trat näher an den Divan des Persers, und stellte mich als den Mann vor, der jenen Hengst zu kaufen wünschte. Der Kaufmann sah mich lauernd an und seine erste Frage an den Herrn Baudin war, ob ich auch sehr viel Geld mitgebracht hätte, da er für die früher angegebene Summe das Pferd wahrlich nicht mehr hergeben würde. Herr Baudin zuckte die Achseln und entgegnete ihm: er müffe ihn des Gegentheils versichern, denn auf seine For- derung von vor einigen Tagen bauend, habe ich nicht mehr als die damals geforderte Summe bei mir. Darauf machte der Perfer mit ruhiger Miene eine abwehrende Bewegung mit der Hand und unsere Geschäfte schienen leider beendigt. Doch ließ sich Herr Baudin sobald nicht abschrecken. Er nahte sich dem Kaufmann aufs Neue und hielt ihm fol- gende merkwürdige Rede, die er mir später ins Französische übersetzte. „Herr, du hast vor einigen Tagen den großen Mann gesehen, der mit deiner Bewilligung deine Ställe und Pferde besah. Es war der Imrachor Agafi des deutschen Sultans, dem ein Herr eine Pilgerfahrt nach unserem Mekka, nach Jerusalem auferlegte, und obendrein sprach der Sultan beim Abschied zu ihm: Dir wird bei deiner Rückkehr nur dann die volle Sonne meiner Gnade leuchten, wenn du mir aus jenen weiten sandigen Landstrecken, in denen der streifende Araber fein Zelt baut, zwei Pferde, wohl verstanden, zwei Pferde, einen Hengst und eine Stute, den ersten goldfarbig, die an- dere braun mit schwarzem Mähnenhaar und Schweif, und 445 von der edelsten Race mitbringt. Der deutsche Effendi reiste ab und suchte lange umher in Istambul, Smyrna und Beirut, ja lange in El Scham selbst, ehe ihm der glückliche Zufall deinen Stall öffnete und er darin einen Hengst fand, wie er ihn suchte. Obendrein warst du so großmüthig, Herr, eine Summe zu fordern, die der Imrachor Agafi im Stande war, aufzuwenden. Aber was sollte er mit dem einen Pferde allein thun. So erfreut er war, deinen Hengst gesehen zu haben, so betrübte es ihn doch, da er nicht hoffen durfte, eine Stute in gleicher Schönheit, wie dein Pferd zu finden; es betrübte ihn, und er ließ dich durch feinen Dol- metscher und deinen Stallmeister bitten, ihm den Kauf deines Pferdes noch einige Tage offen zu halten, indem er in einem Theile des Libanon eine Stute fehen wolle, von dem man ihm viel Rühmens erzählt. – Schande über den Dolmet- scher des Deutschen, daß er deinem Imrachor andere Worte überbrachte, als ihm sein Herr in den Mund gelegt.“ Der Perser hatte diese lange Rede schweigend angehört, saugte an seiner Ambraspitze und strich sich zuweilen den spitzen Bart. „Aber,“ entgegnete er, „Gott ist mein Zeuge, dafür kann ich nichts. Vor einigen Tagen hätte ich viel- leicht das Pferd um den Preis fortgegeben und es würde mich jetzt bitter gereuen; aber Gott hat mich vor der Reue bewahrt und ich habe das Pferd noch. – Und der Im- rachor,“ setzt er fragend hinzu, „fand wirklich eine Stute von gleicher Schönheit, wie mein Hengst?“ „Er fand fie, Herr,“ entgegnete Herr Baudin, „und kaufte sie im Vertrauen auf deine Großmuth, indem er glaubte, du würdest ihm das Pferd heute noch geben.“ Der Perser rückte unruhig auf seinem Divan herum und rief einmal über das anderemal: „Gott ist mein Zeuge, ich kann nichts dazu thun!“ – Herr Baudin bemühte sich, so viel es ihm möglich war, ihn zu einem Verkauf des 446 Pferdes zu überreden. Auch der andere Kaufmann, von dem er mir oben gesprochen, redete zu dem Perser, aber lange umsonst. Herr Baudin sagte ihm am Schluß einer sehr langen Rede: „Du bist hart gegen den Fremden, der fich vertrauensvoll zu dir wendet, und kannst doch nicht wis- fen, ob dich deine Geschäfte nicht auch einmal über das Meer treiben in die Länder der Franken, wo du ihre Hülfe in Anspruch nehmen mußt. Du hast viele schöne Pferde, und deine Karavanen gehen jährlich nach Mekka und können dir ein anderes, vielleicht noch edleres Pferd mitbringen. Doch du bist hart und dein Pferd, das dir mit schönem Golde be- zahlt werden soll, ist dir mehr werth, als das Leben eines Menschen. Der Deutsche wird kein Pferd finden, was einen Vergleich mit deinem Hengste aushielte, und darf die Seinen in der Heimath nicht wieder sehen – und durch deine Schuld, Herr. Er muß in der Fremde umherirren, oder wenn er es wagt, vor das Auge seines erzürnten Sultans zu treten, hat du ein Blut zu verantworten, es komme über dich!“ Diese letzte Wendung mußte auf den Perser gewirkt haben, denn er dachte einen Augenblick nach, wandte sich dann an seinen Stallmeister, dem er einige Worte sagte, worauf dieser zwei der untern Stallbedienten fortschickte. Er kehrte sich darauf wieder zu Herrn Baudin und sagte: „Laff" dem deutschen Herrn sagen, er folle vor allen Dingen seinen Dolmetscher bestrafen, weil der so schwer an ihm gefrevelt und seine Worte verdreht hat. Doch will ich großmüthig handeln und ihm seinen Wunsch gewähren. Möge es meinen Kindern oder Kindeskindern zu Gute kommen. Ich versichere dich, Herr, das Pferd war mir lieb; sieh’ fein glänzendes seidenes Haar an, das ich oft gestreichelt, hör' eine helle Stimme, die es am Morgen an meinem Zelt erschallen ließ und mich damit weckte. Hättest du die Schnelligkeit seiner Glieder gesehen, wie er über den Sand dahinflog und doch 447 augenblicklich anhielt, wenn ich meinen Arm ausstreckte, du würdest mir nicht zumuthen, meinen Hengst zu verkaufen. Doch ich gebe ihn dir, weil der Prophet sagt: fey barmherzig gegen den unbekannten Pilger, auch wenn er nicht deines Glaubens ist!“ Da ich natürlich diese Verhandlungen nicht verstand, sondern sie mir Herr Baudin erst später verdolmetschte, so kann man denken, daß ich den Mienen und Geber den der handelnden Personen meine volle Aufmerksamkeit schenkte. Daß der Stallmeister des Persers zwei seiner Leute fort- schickte, nahm ich als ein gutes Zeichen an, und als mir jetzt Herr Baudin sagte: „Gott fey Dank! wir haben ihn!“ und einen Beutel mit Dukaten herauszog und sie vor dem Schatzmeister des Persers hinzählte, machte ich dem Herrn eine sehr tiefe dankende Verbeugung. Jetzt hörten wir auf der Gaffe das unruhige Getrappel eines Pferdes, und im nächsten Augenblicke erschienen die beiden Perser, den Hengst ohne Decken und Sattel am Zaume hereinführend. Das Thier wieherte laut auf, wie es in den Hof trat und der Kaufmann hatte Recht, als er vorhin von der hellen reinen Stimme des Pferdes sprach. Mit mehr Lebhaftigkeit, als dem Orientalen eigen ist, erhob er sich von seinem Divan und trat vor das Thier, einen schlanken schönen Hals streichend. Er winkte mir näher zu treten und hielt mir eine Rede, von der ich natürlich kein Wort verstand, die ich aber mit vielen Verbeugungen erwie- derte. Darauf nahm er den Zaum des Pferdes in die Hand, rief Herrn Baudin und sagte mir durch ihn: „Laff' dem deutschen Herrn das Pferd übergeben. Sage ihm, wie lieb es mir gewesen und daß er es nur meiner Großmuth zu danken habe. Sag' ihm ferner, er soll es seinem Sultan rühmen, daß es ein gutes Pferd fey und ihn bitten, er möge es gut behandeln und freundlich einen schö- 448 nen Hals streicheln. Es wird ihn muthig seinen Feinden entgegen führen und ihn vor den verfolgenden Kriegern durch die Schnelligkeit seiner Glieder retten.“ Nach Been- digung dieser Worte umfaßte er mit beiden Armen den Hals des Pferdes, küßte es und warf mir mit abgewendetem Ge- fichte den Zaum zu. Ich übergab ihn Skandar und wir führten das Pferd sogleich fort. Auf dem Weg zum Kloster betrug es sich sehr wild und außer dem Geschrei und den Schimpfworten, die uns die Araber, welche vor seinen ungestümen Bewegungen auf die Seite springen mußten, nach andten, mußte ich auch noch einem Kuchenbäcker all' feine Waaren bezahlen, die ihm der Hengst auf die Erde geworfen. Am andern Morgen verließen wir in der Frühe Da- maskus, um nach Beirut zurückzukehren. So streng ich mei- nem Führer eingeschärft hatte, den Weg über Schiras zu nehmen, wo ich wußte, daß ich das Pferd gut unterstellen konnte, so nahm er doch einen andern, trotzdem es mir gleich vor Damaskus auffiel, daß wir eine veränderte Richtung einschlugen und ich ihm mehrmals fagte, wir müßten uns mehr nördlich halten. Der Kerl widersprach mir beständig und brachte uns am Nachmittage in ein anderes sehr elendes Dorf, das er ebenfalls Schiras nannte. Was konnte ich dagegen thun, da ich nicht einmal im Stande war, ihm Grobheiten zu machen. Am Morgen, als wir aus Damaskus ritten, erhielten wir eine sonderbare Begleitung, es waren nämlich zwei jener abgemagerten elenden Hunde, wie sie sich zu Tausenden in der Stadt herumtreiben. Die Thiere folgten uns beständig in einer gewissen Entfernung und waren weder durch Geschrei noch Steinwürfe zurückzuscheuchen. Ob sie vielleicht glaubten, das ledige Pferd, unser gekaufter Hengst, sollte vor der Stadt abgeschlachtet und ihnen eine gute Mahlzeit werden, weiß ich nicht; doch blieben sie den ganzen 4419 Tag bei uns, und verloren sich erst am Abend in Schiras zwischen den Hütten. Während der Nacht machte uns unser neues Pferd viel zu schaffen. Es mochte ihm unbequem seyn, von seinen frühern Gefährten getrennt zu stehen, wir hatten ihn nämlich mit in unsere Stube genommen, denn er betrug sich ganz un- geberdig, riß mehrere Male den Strick von der Mauer und die Feffel aus dem Lehmboden der Hütte, und wieherte be- ständig so, daß wir keine Minute schlafen konnten. Wir brachen am Morgen sehr frühe auf und kaum hatten wir uns aus dem Dorfe entfernt, so waren unsere beiden Hunde auch wieder bei der Hand und zogen mit uns. Nach eini- gen Stunden hatte unser Führer den Weg verloren und erst, nachdem wir eine lange Zeit irre gegangen waren, begegnete uns ein Eseltreiber, der uns wieder auf den richtigen Weg brachte. Dieser Mann hatte ein ganz merkwürdiges Aus- fehen, eine kleine Figur, schneeweißen Bart und ein sehr vergnügtes Gesicht, das ein grüner Turban schmückte, der aber so zerfetzt war, daß es aus einiger Entfernung aussah, als habe der Kleine sein Haupt mit Rebenlaub umwunden. – Ein türkischer Anakreon! Dabei war er gegen die Gewohnheit der Orientalen sehr lustig und wir hörten ihn noch schreien und fingen, wie er schon lange unsern Augen entschwunden war. Eine Expedition, wie unsere heutige mit dem unartigen Pferde war, will ich keinem Menschen wünschen. Skandar ritt einen alten Wallachen, neben dem es gestern ganz ruhig gegangen war; doch heute biß und schlug es nach dem armen Thiere und machte oft solche Seitensprünge, daß es den Skandar fast von seinem Pferde herunterzog. Unser Araber hatte eine Stute, weshalb er immer, statt uns voraus zu reiten und den Weg zu zeigen, eine weite Strecke zurückbleiben mußte, denn so wie er vorritt oder nur in unsere Nähe kam, war der Hengst wie toll. Auf den schlechten halsbrechenden Hackländer, R. in d. O. I. 29 450 Felswegen, die ich früher beschrieben, war es ein Wunder, daß wir ihn mit ganzen Beinen nach Beirut brachten. Oft ging er eine Strecke ganz ruhig, dann fing er auf einmal wieder an, über die Zacken zu springen und Skandar, der heute zu Fuß ging und sein Pferd dem Araber gegeben hatte, mußte ihm folgen und fo ging es oft über spitze steile Abhänge hinab, daß wir alle schaudernd zusahen. Gegen Mittag hatten wir den Antilibanon überstiegen und kamen in's Thal, wo wir einen Augenblick rasteten und ich benützte diese Zeit dazu, um dem Hengst den Sattel meines Pferdes aufzulegen, worauf ich ihn bestieg und wir im vollen Galopp die Fläche in weniger als einer Stunde durchritten hatten. Neben diesen Unannehmlichkeiten, die wir mit dem Pferde hatten, waren wir obendrein noch in beständiger Sorge, von Deserteuren oder Bergbewohnern über- fallen zu werden. Doch hätten wir uns auf das Aeußerste vertheidigt, wenigstens Skandar, Mechmet und ich. Wir hatten deshalb unsere Waffen in steter Bereitschaft, wodurch mir später, als wir den Libanon hina.nritten und ich meinen Schimmel wieder bestiegen hatte, ein kleiner Unfall paffirte. Ich ritt voraus, eine gespannte Pistole in der Hand und die andere ebenso am Sattel hängend, als mir plötzlich die letztere, bei einem Sprung des Pferdes, ich weiß nicht, durch welchen Zufall losging, und die Kugel durch das eiserne Blech des großen Steigbügels fuhr. Mit Einbruch der Nacht erreichten wir den Chan, in welchem wir bei unserer ersten Hinreise den türkischen Oberst getroffen hatten. Das Wetter war heute glücklicher Weise beffer und wir wurden in der Nacht nicht wieder durch den aufgeweichten Schnee unangenehm erweckt. Den andern Morgen ritt ich mit der freudigen Hoff- nung aus, Nachmittags Beirut zu erreichen, unsere Freunde wieder zu sehen und dem guten Baron durch Ueberbringung 451 des Pferdes eine Freude zu verursachen. Mit viel Sorge und Mühe, aber glücklich stiegen wir die schlechten Wege des Libanon hinunter und erreichten gegen Mittag den Chan el Huffein. Freudig aufjauchzend begrüßte ich das Meer, dessen unübersehbaren Spiegel ich jetzt wieder erblickte. Wir waren auf die Höhe unserer Mühseligkeiten gekommen, und stiegen nun rascher in's Thal der Ruhe hinab. Jetzt erreichten wir schon die Felder mit ihren Mauern von natürlichen Steinen, Beirut tauchte allmählig vor unsern Blicken auf; bald ritten wir durch die Cedern und Piniengebüsche am Fuße des Libanon und unter den Palmenpflanzungen vor der Stadt selbst. Es mochte drei Uhr feyn, als ich an den äußern Mauern derselben vorbeiritt und auf dem Weg am Meer hin, unserer Villa zueilte. Auf der Terraffe war Niemand von den Freunden zu sehen und ich ritt in den Hof, der wie ein kleines Feldlager aussah. Da waren Zelte ausgespannt und Pferde und Maulthiere standen daneben, die mein Hengst mit lautem Gewieher begrüßte, so hell und rein, daß es die Freunde hörten, welche im Zimmer des Barons zu Tische saßen. Alle" stürzten nun eilfertig die Treppen herab und bewill- kommten mich aufs Herzlichste. Der Baron drückte mir die Hand und ein Dank, so wie seine Freude über das Pferd war mir Belohnung genug für all' die Mühseligkeiten, die ich ausgestanden. Auch die Kranken waren wieder gesund und meine erste Frage: was denn die Zelte und Thiere be- deuteten, wurde mit der freudigen Nachricht beantwortet, daß man übermorgen Beirut verlaffe, um nach Jerusalem zu ziehen. 29 % Bemerkungen über Arabische Pferde aus Briefen des Baron v. Taubenheim, Erster Stallmeister des Königs von Württemberg. Liebst du es, das Roß besteigen, Deine Fersen in die Weichen Preffend, mit der Zunge schlagend, Wind schnell durch die Fläche jagend. Deine Sohle streift den Boden, Aus den aufgeriff'nen rothen Nüstern strömt der Dampf, die lange Mähne fchlägt um deine Wange. Feodor Löwe. *- - - - - - Statt Dir eine Reisebeschreibung mit all' den Licht- und Schattenseiten des Orients vor's Auge zu führen, will ich versuchen, Dir einige Notizen über das arabische Pferd mitzutheilen. Ja wie fern ich mir nun aber darin ein Urtheil oder wenigstens eine Ansicht anmaßen darf, muß ich Dir voraussenden, daß ich in der Absicht nicht nur Damaskus bereist, alle Stallungen daselbst durchsucht, den Weg der Wüste entlang nach Homs und Hama und 453 von da über Baalbek nach Beirut zurückgemacht habe, ich habe die schönsten Pferde an diesen Orten selbst gesehen, welche den Vornehmen gehören, ich habe mehrere Beduinen- truppen und auch etwa zweitausend Mann ägyptischer Caval- lerie gesehen und en detail gemustert, worunter alle Pferderacen des Orients zu finden waren; am interessantesten aber waren beinahe die persischen Caravanen, welche ich traf, indem ich bei ihnen ächte Turkomanen, Pferde aus der Provinz Karabach, wo jene Goldbraunen allein zu Hause find – denn unter den arabischen Pferden findet sich dieses Haar nicht – und Pferde von der Race Schach Sewan fand, welche letztere bei den Persern am meisten geschätzt find und aus einer Kreuzung der Turkomannen und Araber entstanden find. Ich habe Dir schon zu Hause die Bemerkung gemacht, daß diejenigen Schriftsteller, welche ausführliche wiffenschaftliche Werke über den Orient geschrieben haben, vielleicht nicht hinlängliche Pferdekenner waren, und daß die hiehergekom- menen Pferdekenner dagegen nicht im Falle waren, darüber schreiben zu wollen, und daß in so fern über die verschiedenen Racen der Pferde des Orients noch Manches zu sagen übrig bliebe; unstreitig ist aber auch dieser Gegenstand der schwie- rigste, welchen sich ein Reisender zur Aufgabe machen kann; alle andern Objecte laffen sich von dem Naturforscher messen oder analysieren, während das arabische Pferd oft nur an uns vorüberfliegt und seine Spur im Sande selbst wieder verschwindet, dessen reinster Ursprung in dem Innern der Wüste und in den Gegenden Arabiens ist, welche von den Reisenden noch wenig oder gar nicht besucht worden find. Mit dem Worte Wüste ist gleichsam das Chaos einiger- maßen verwandt und die vielfältigen verschiedenen, zum Theil fabelhaften Suppositionen und Lesearten über die verschiedenen Racen der Wüste bleiben für die Wiffenschaften noch eine Art Chaos, und Pückler hat sehr treffend gesagt, daß es 454 eben so schwer wäre, alle Racen der arabischen Pferde an- zugeben, als die Sterne des Himmels zu zählen. – Ein europäischer Pferdekenner und Gestütsmann müßte Jahre lang Wohnung bei den Beduinenstämmen machen, um an- geben zu können, welche Hauptracen man annimmt, worin ihre Güte und Schönheit bestehe, wie sie erhalten und erzeugt werden und welche climatischen Verhältniffe oder Behand- lung der Menschen hauptsächlich zu ihrem Gedeihen beitragen. Habe ich auch Gelegenheit, mit Beduinenstämmen in Be- rührung zu kommen, so ist die Unterredung durch Dragoman, namentlich in technischen Ausdrücken, so ungenügend, daß unsere Belehrung unserer Wißbegierde selten entspricht. Alle Renseignements, welche man im Lande von (sogenannten Franken) Pferdeliebhabern erhält, sind höchst ungenügend und falsch; ich habe zwar manche dieser Herren mit vieler Beredsamkeit und scheinbarer Sachkenntniß über Pferde sprechen hören, als ich aber später Gelegenheit hatte, ihrer praktischen Pferdekenntniß am Pferde selbst auf den Zahn zu fühlen, so konnte ich mich überzeugen, daß sie nicht zum Alphabet in der Pferdekenntniß gelangt sind, und daß ihre Wiffenschaft über Pferde nur Traditionen und Theorien sind, deren es in keinem Lande in jeder Hinsicht mehr gibt, als im Orient. Irgend eine solche Erzählung hat nun einer der bekannten Reisenden aufgefaßt und der Eine die von A., der Andere die von B. wieder gegeben. Wenn man nun die verschiedenen Angaben zusammenstellt, so kommt eine solche Unmaffe von Namen und Racen heraus, welche die Wiffenschaft nicht bereichern, sondern nur verwirren kön- nen. Da ich natürlich nicht alle Werke über den Orient mit mir schleppen kann, so habe ich mir vorgenommen, bei meiner Rückkehr die Angaben über Pferde der be- kannten Reisenden zusammen zu stellen, zu vergleichen und kritisch zu beleuchten, insofern das mir vor Augen Ge- 455 kommene mich dazu berechtigt. Ich habe jedoch Auszüge der verschiedenen Autoren bei mir, und er sehe daraus, wie Niebuhr, Burkhardt, Robinson, Volney, Damoi- feau, Pückler, Herbert u. f. w. alle wieder andere Namen und Racen angeben. Nur zwei Namen kommen beinahe bei allen, wenn auch mit sehr verschiedener Orthographie vor; es sind dies die Nedjdi und Köhe lan, welche ich näher zu definieren suchen will. Die Verschiedenheit, wie diese Namen geschrieben werden, hat den doppelten Grund, daß erstens die arabische Sprache selbst sehr verschiedene Dialecte hat, so daß in Damaskus z. B. schon ganz anders gespro- chen wird, als in Beirut, und daß die arabische Sprache gewiffe Laute hat, welche in andern Sprachen gar nicht wieder zu geben find, und jeder sodann auf verschiedene Weise dem rechten Tone nahe zu kommen sucht. Das Nedjed oder Nedschid ist ein Landstrich der Hoch- ebene Arabiens vom zwanzigsten bis dreißigsten Grad nördl. Breite. In diesem sind mehrere große Oasen, bewohnt von den Stämmen El Schammar, El Sedeir, El Kaffym, El Wochum, El Ared, und hier sollen ursprünglich, so wie auch jetzt noch die besten und ausgezeichnetsten Pferde gezogen werden. Nur wenige Europäer sind in das Nedjed ge- drungen und die Pferde aus dem Nedjed werden nur durch die großen wandernden Beduinenstämme erhalten, welche sich im Winter in’s Nedjed zurückziehen und im Sommer dem Haman und der syrischen Wüste oder Syrien selbst wieder nähern. Der dem Nedjed zunächst gelegene, zugleich größte und am weitesten verbreitete Stamm ist der der Amaze oder Aneyzeh; Unterabtheilungen von diesen sind die Stämme Scherarat, Hadjaja, Beni Nacim, Beni Saher und Rowalla. Dies sind nun keine Namen von Racen, sondern nur Tribüen, welche dem Nedjed zunächst liegen und in Verbindung mit den südlichen Gränzen stehen; daher unter ihnen leichter 456 Pferde aus dem Nedjed oder mit diesen wenigstens ver- wandte gefunden werden dürften. Wohl unterrichtete Per- fonen wollen behaupten, daß die gegenwärtige Race der Nedschid nicht mehr so ausgezeichnet seyn soll, als dies früher der Fall war. So sehr nun auch der Araber auf die Reinerhaltung seiner Race sieht, so schwierig möchte es den- noch feyn, für gewisse Gegenden einen bestimmten unverän- derlichen Typus einer Race angeben zu wollen, theils weil der Araber überall umherschweift, theils weil er seine Stute be- legen läßt, wo er einen ausgezeichneten Hengst weiß, auch wenn er von einem andern Stamme ist. Da es nun nicht wohl möglich ist, die Nedjed auf eine gewisse Land- strecke zu confinieren, oder ihre Formen überhaupt genau zu bestimmen, so bedient man sich um so leichter dieses Namens, wenn man dem Lob eines Pferdes die Krone aufsetzen will und sagt, es ist ein Pferd aus dem Nedjed. Der zweite eben so häufig gehörte Name ist der der Köhel, Kheil, Köchelan c. Dieser Name ist in Europa eigentlich noch bekannter als der erste und kommt auch so häufig und so aller Orten vor, daß es schwierig scheint, denselben näher zu definieren. Ich habe Pferde von Bagdad, andere aus dem Hedjas, Yemen und aus dem Hauran ge- sehen, welchen allen der Name Köhelan beigelegt wurde. Dieser Name kann sich also nicht auf Pferde, welche aus einem gewissen Landstriche herstammen, beziehen, und der Ursprung dieses Namens hat eher eine geschichtliche, als geographische Quelle. Eine Sage, welche ich in dieser Hinsicht schon vor acht Jahren in Paris von einem Araber und nun auch hier öfters habe wiederholen hören, scheint mir in einem Lande, das ohnehin die Wiege der Fabel ist, so viel für sich zu haben, daß ich nicht unterlaffen will, die Dir wenn auch nur als eine Sage zu wiederholen. - Der Prophet hatte einmal mit zehntausend Reitern eine 457 Schlacht geschlagen, wobei die Reiter drei Tage nicht von ihren Pferden kamen und die Pferde weder gesoffen noch gefreffen hatten. Am dritten Tage endlich kamen sie in die Nähe eines Fluffes, und der Prophet befahl, die Pferde ganz abzusatteln und abzuzäumen und in’s Waffer zu treiben. Nachdem dies geschehen war und die Pferde nun eben auf die ersehnte Labung zustürzten, ließ der Prophet plötzlich die Trompete zum Angriff blasen, und unter den zehntausend Pferden waren nur fünf Stuten, welche plötzlich, ohne sich in den Fluß zu stürzen, zu ihren Reitern zurückkehrten. Da sagte der Prophet: Euch Fünfen widerfahre Ehre, wie sie Euch gebührt, und er nahm von derselbigen Farbe und Salbe, womit sich die Weiber im Orient die Augenlieder färben, und färbte und salbte zum Zeichen der Ehre diese fünf Stuten. Diese Farbe aber nennt man im Arabischen Köchel, und Köchelan heißt die fchwarz gefärbten. Dieselben fünf Stuten ritt der Prophet dann mit seinen Begleitern Ali, Omar, Abubekr und Haffan. Bei der Hegira von Medina nach Mekka und von diesen fünf Stuten leitet der Araber dann allen Adel seiner Pferde ab. Diese fünf nennt man die el Khome (Chama, Hama) was auf arabisch die Fünfe heißt. Die Namen dieser fünf Stuten werden nun wieder besonders angegeben und daraus dann wieder Racen benannt; allein diese fünf Namen schon werden von verschiedenen Schriftstellern verschieden angegeben. Herbert z. B. nennt sie Kheil Managhi, K. Siglawi, K. Giulfi, K. Adjus, K. Maffalich; Robinson nennt sie Tanese, Maneka, Fedjan, Sablaje und Djulfle, und so gibt jeder andere Reisende auch wieder andere Namen für die fünf Stuten an. Eine minder poetische Erklärung des Namens Köhel ist, daß diejenigen Pferde, welche jenen schwarzen herrlichen Rand um die Augen, Maul und Nase haben, im Hinblick 458 auf den schwarzen Rand, welchen sich die Weiber um die Augen machen und welche mit Köchel gemacht wird, Köchelan genannt werden. In beiden Fällen wäre also Köchel als das edle Blut, gleichsam das Vollblut bezeichnend, anzusehen. Die Namen, welche hier einem Pferde gegeben werden, bezeichnen eigentlich nie eine Race, sondern find gleichsam ad personam applicirt, z. B. die am Palmbrunnen geborene, die goldene, die fliegende c., und ihr Ruf besteht in ihren Thaten; ihr Name ist nicht berühmt, weil sie diesen oder jenen Vater hatte, sondern weil ihre Leistungen im Munde aller Zeitgenoffen wiedertönt, denn über die oft be- sprochene Frage: ob die Araber Geschlechtsregister führen oder nicht, glaube ich mit Gewißheit versichern zu können: nein. Ebenso existiert bei dem arabischen Pferd nirgends ein Brand, wo das Feuer angewendet wird, geschieht es in medicinischer Hinsicht oder in der Idee, den Schenkeln Kraft zu geben. - Die Garantie des Adels und der reinen Abkunft wird nicht durch den Namen nachgewiesen, sondern sie liegt in dem crupulosen, wenn ich sagen darf hippologischen Sinne des Arabers der Wüste, der nur das erprobteste und beste Blut zu seiner Zucht verwendet, und die ganze Lebensweise des Arabers, dessen treuer Gefährte, sein Pferd, immer- während mit den größten Anstrengungen und Entbehrungen aller Art zu kämpfen hat, erprobt gleichsam während fünf- zehn bis zwanzig Jahren ununterbrochen fort die Güte eines Pferdes, während in Europa oder z. B. in England, wo wenigstens Proben verlangt werden, ehe das Pferd zur Zucht verwendet wird, eine, und vielleicht mit den vielerlei harten Aufgaben, welche das arabische Pferd in seinem Leben zu lösen hat, dennoch einseitige Probe genügt, um ihn zum berühmten Beschäler zu stempeln, und wenn jener Beschäler auch seinem trefflichen Gebäude entsprechende Nachzucht 459 liefert, so wird der Geist, der Muth, die Ausdauer, die Gelehrigkeit, die in jeder Hinsicht erprobte Gesundheit, doch nicht mehr in jenem Grade vererbt werden, als dies bei einem Beschäler statt findet, der jene Eigenschaften ein ganzes Leben über entwickelt und stets von Neuem stählt. Kein Beispiel erscheint mir einleuchtender, als das eines Jagd- hundes, der, als von der besten Race erkannt, zur Zucht verwendet, aber von dem Tage an nie mehr zur Jagd ge- braucht würde; der best geformte Sohn des Vaters, würde unter gleichen Umständen wieder zur Zucht verwendet werden, so würde man am Ende die schöne Race dem Auge noch erhalten, allein die Hauptsache, die gute Nase, der Jagd- finn würde gewiß am Ende verloren gehen. Beobachtet man nun das Leben des Arabers mit seinem Pferde, so wird leicht augenscheinlich, wie nicht nur die körperlichen, sondern auch die intellectuellen Eigenschaften des Pferdes fortwährend ausgebildet werden, und wodurch jene Intelligenz, von welcher man bei uns oft beinahe un- glaubliche Dinge erzählt, in der That stattfindet und erzeugt wird. Ich selbst hatte in dieser Hinsicht Gelegenheit, mehrere auffallende Beobachtungen zu machen. So z. B. fah ich einen Araber, von einem scheinbar unbändigen Hengst, der durchging, herabfallen, und plötzlich hielt das Pferd an und blieb bei seinem Reiter stehen. Dies kommt zwar bei uns auch vor, wenn ein Scholar von feinem Schulhengst abge- fallen ist, der schon längst dumm und stumpf geritten, charmé de profiter de cette occasion, nicht weiter gehen zu müffen, stehen bleibt, mais c'est autre chose. Die Pferdewartung der Araber ist nach unsern Begriffen gräßlich, aber auch sie entwickelt und erprobt die Pferde. Statt daß sie bei uns im dumpfen Stall dick und dumm gefüttert werden, stehen sie hier immer im Freien, von Stroh hat man hier gar keine Idee, geputzt werden sie schlecht, 460 nur einmal des Tages und zwar. Abends bekommen sie Gerste, Morgens geschnittenes Stroh und den ganzen Tag über gar nichts. Das Pferd liegt immer auf dem bloßen Boden und bleibt stets an allen vier Füßen eng gefeffelt; dagegen nimmt es, frei um sich blickend, gleichsam immer Antheil an dem, was um ihn vorgeht, ja an der ganzen Lebensweise seines Herrn. So ist es z. B. etwas Uner- hörtes, daß ein Araber von seinem Feinde überrascht worden wäre, ohne daß ihn sein Pferd auf irgend eine Weise auf die Ankunft eines Fremden aufmerksam gemacht hätte. Da- her kommt es auch, daß der Araber der Wüste jedes Pferd verachtet, das nicht bei ihm in der Wüste gezogen ist und selbst auf die Abkömmlinge der edelsten und besten Racen in den Stallungen der Großen, z. B. des Emir Beschir ge- zogen, keinen Werth legt. Wir glauben, daß es haupt- sächlich eine den englischen Pferden zukommende Eigenschaft ist, auch ungeritten, dem Reiter angenehm zu gehen. Ich kann Dich aber versichern, daß ich in dieser Hinsicht die arabischen Pferde nicht genug bewundern kann. Ueberhaupt, Du weißt, wie sehr ich Angloman bin, daß Niemand den schönen freien Schultertritt, den großartigen Galoppsprung und das Springen eines englischen Pferdes so liebt und schätzt als ich; aber von nun an stelle ich das arabische Pferd über Alles, et je suis au même über die außerordentlichen Leistungen derselben aus Erfahrungen zu sprechen. Ich habe nämlich auf einer kaum zwölf eine halbe Faust hohen, acht- zehnjährigen gemietheten arabischen Stute den ganzen Libanon, Antilibanon und einen Theil der Wüste bereist, und nie erinnere ich mich einem Pferde so dankbar für seine Leistungen gewesen zu feyn. Von den Wegen des Libanon machst Du Dir gar keinen Begriff. Es ist ein immerwäh- rendes Klettern über Felsen, wobei das Pferd oft zwei bis drei Fuß hohe oder tiefe Tritte thun muß und theils auf 461 Rollsteinen, theils auf spitzigen Felsenzacken am Rande eines Abgrundes hingeht. Nicht selten kommen aber auch sumpfige Stellen vor, wo das Pferd halbe Stunden lang beinahe verfinkt, und in solchen Wegen geht das Pferd von Mor- gens sechs Uhr bis Abends acht Uhr ununterbrochen fort, und ich versichere Dich, daß ich in der letzten Viertelstunde auch nicht die mindeste Abnahme an einem Feuer und seiner Kraft gemerkt habe. Ich hatte dabei mehrere Tage im förmlichen Sinne des Wortes den Zügel meines Pferdes gar nicht angerührt; ich hatte in Beirut den Maler F. und den Doctor B. zurückgelaffen, weil beide schon wochenlang bedeutend krank waren, und ich machte diese Reise mit einem georgischen Fürsten, welchen ich beim russischen Consul in Beirut kennen gelernt hatte, und H.; allein gleich am ersten Tage der Reise wurde ich auch krank, erbrach immerwährend Galle und hatte ein bedeutendes Fieber. In solchen Umständen im Libanon zu reisen, theils bei unge- heurer Hitze, theils in den Schneeregionen, einen Stall, jedoch ohne Stroh, zum Lager; nichts zu effen; ich versichere Dich, dies allein würde hinreichen, eine zehn Bogen lange Beschreibung zu machen und einer weichen Seele Thränen zu entlocken. Ich führe dies hier nur an, in wie fern es kam, daß ich schnatternd die Hände im Sack hatte, meinen Ueberrock fest an mich hielt, und ohne Zügel alle jene fürch- terlichen Wege ritt, so auch Stunden lang im Galopp über Rollsteine bergab, wo mein Pferd ganz sicher und im herr- lichen Tempo blieb. Eines Tages hatten wir uns verirrt, und ich befürchtete die Nacht im Freien zubringen zu müffen, was mir mit meinem Fieber ohne Mantel (denn wir hatten vorausgaloppierend die Tragpferde verloren und so einen falschen Weg eingeschlagen) fehr unangenehm gewesen wäre." Endlich nach neun Uhr Abends erblickten wir ganz tief unter uns ein Licht; allein ein ungeheurer Abgrund trennte 462 uns von demselben, und ich hatte den Muth nicht abzu- steigen, um in der Nacht das Klettern am Felsen zu ver- suchen; aber ich hatte ein solches Vertrauen zu meinem Pferde erlangt, daß ich es nach dem Abgrunde drehte, und ihm nur einen Willen ließ. Anfangs rutschte es einmal gewaltig hinab, so daß ich fürchtete, Hals und Bein zu brechen, aber in einer halben Stunde war ich in dem Cham angelangt. Die Geschicklichkeit, mit welcher diese Pferde gehen, die ungleichen Tritte, welche fiel immer machen, je nachdem sie einen Platz sehen, der ihnen paffend erscheint, um den Fuß darauf zu setzen, ist zu bewundern. Anfangs war es mir unangenehm, daß mein Pferd nie die ebenen Stellen, sondern immer die tieferen Stellen und Löcher aufsuchte, um den Fuß darauf zu setzen. Ich wollte meinem Thier sogar dies Verfahren abgewöhnen, wurde aber bald gewahr, daß es auf den glatten Stellen immer dem Rutschen ausge- fetzt war und deshalb immer absichtlich die engen Löcher aufsuchte, in welchen es dann auch nie rutschte. Ich weiß, daß ich in meinem Vaterlande, aus Eitelkeit, rücksichtlich meiner sieben Schuh Länge, wieder einen sechs Schuh hohen Engländer suchen werde, allein das weiß ich auch, daß ich das arabische Pferd, so wie es in einem Lande ist, größerer Leistungen fähig halte, als das englische; mag feyn, daß ich für den Tag der Schlacht einen englischen Hunter, nach unserer Weise drefirt, wählen würde, für einen ganzen Feldzug zöge ich aber ein arabisches Pferd zweien englischen vor. Im arabischen Pferde steckt eine Lebenskraft, eine Strammheit und Festigkeit der Fasern, ein Geist, kurz, was wir mit einem Worte das Blut nennen, wie in keinem andern Pferde der Welt, und ich erkenne in ihnen allerdings die beste Quelle eine Race nicht nur zu erzeugen, sondern auch aufzufrischen. 463 - Wenn man einem Araber, oder auch nur einem Sais zusieht, wie er sein Pferd reitet, so ist es zu verwundern, daß man nur ein fehlerfreies Pferd findet; auch sind sie in der That selten. Mit ein und einem halben und zwei Jahren spätestens werden sie alle geritten. Ich habe in der Cavallerie der Bergvölker mehr als fünfzig einjährige Fohlen gesehen, welche allerdings nach starkem Marsch kaum ihren Reiter mehr schleppen konnten. Den scharfen türkischen Zaum findet man mehr in den Städten, als in der Wüste, wo die Pferde fast beständig auf der Trense, oder sogar der Halfter geritten werden; Trab sieht man nie reiten, Schritt Paß und Galopp, und sowie ich vor vier und zwanzig Jahren stets bereit war, jedem Gaffenjungen eine Lancade vorzu- machen, so legt der Araber auch jeden Augenblick los, wenn man seinem Pferde Aufmerksamkeit schenkt. Seine Pro- duction besteht dann immer in einer plötzlichen Carrière, wobei er ein Pferd nach fünfzig Schritten sogleich wieder unbarmherzig zusammenreißt und umwendet. Dies wiederholt er so oft und lange man will, nach allen Weltgegenden hin. Ganz eigen erschien es mir, so viele à l'anglaise geschnittene Pferdeschweife zu sehen. Bis zu vier Jahren nämlich wer- den allen Pferden die Schweifhaare anfangs ganz abrafiert und dann zunächst an der Rübe abgeschnitten. Außerdem will noch mancher seine Mähre jung aussehen machen und so geht auch mancher Greis auf diese Art frisiert einher Was den Aberglauben betrifft, welchen die Araber mit den an ihren Pferden vorkommenden Abzeichen verbinden, so möchten darüber beinahe eben so viele verschiedene Sagen, als Namen der Racen angegeben werden können. Obgleich ich viele Beduinentruppen, d. h. vierzig bis fünfzig Beduinen, theils im Lager, theils im Marsch begegnet habe, so ist die Zeit meiner Anwesenheit in Syrien nicht die rechte, um die ganzen Stämme mit Kind und Kegel in der Nähe der 464 syrischen Städte gelagert zu sehen; denn erst, wenn im Innern der Wüste. Alles verdorrt ist, so ziehen sie gegen Ende Mai, in die wafferreicheren und kühleren Weideplätze von Damaskus und Aleppo. In die Nähe von Damaskus kommen die Stämme Woltali, El Sbaa, Amouri, Rowalla und Foedan; in die Nähe von Aleppo kommen die Stämme Moali, Hadiddin, Fechen, Beni Saher und Djelas. In jener Stadt ist Herr Baudin, Kanzler des französischen Con- sulats, der erste Pferdekenner und Pferdemäckler, in dieser ist Herr Picciotto, dänischer, holländischer, östreichischer und noch anderer Consul, zugleich ein Jude, der erste Pferde- kenner und Händler. Wenn Du bedenkt, daß ich auf der ganzen Reise, mit Ausnahme von Damaskus, keinen Stuhl und keinen Tisch gesehen habe, daß ich immer erst Abends hundemüde in mein Quartier kam, so wird es dich nicht wundern, daß ich Dir über einen Gegenstand, der mir aller- dings zu noch weit mehr Bemerkungen Anlaß gegeben hat, nur diese wenigen Worte schreibe. Uebermorgen verlaffe ich Beirut, um mich nach Jerusalem und dem Hauran zu be- geben, und von da an durch die Wüste nach Aegypten. Unangenehm ist mir, daß die Kunde hier angelangt, daß in verschiedenen Orten, welche auf dem Wege dahin liegen, die Pest ausgebrochen ist. Ich habe auch bereits mein Zelt und jeden Abend meine Wohnung im freien Felde aufge- schlagen. Es hat etwas ganz Eigenthümliches, an einem andern Orte zu schlafen, und sich doch immer in derselben Behausung zu befinden. Ein Thema, das ich vergeffen habe, Dir mit einigen Details auseinander zu setzen ist das tür- kische Eisen und die Art des Beschlagens selbst. So sehr dieser Beschlag bei uns verworfen wird, so muß ich ihm in mancher Hinsicht doch große Vortheile einräumen. Erstens gehen die Pferde außerordentlich sicher damit, und weil die- selben so sehr leicht sind, conservieren sich die Hüfe weit 465 beffer, als bei unsern sechspfündigen. Auch mag in der Schwere unserer Eifen, welche sich zum türkischen verhalten, wie ein Courierstiefel zu einem Pantoffel, der Grund liegen, daß die arabischen Pferde bei uns anfangs oft so unsicher find, und häufig anstoßen. Dann will ich beim Beschlagen selbst nur den Vortheil herausheben, daß das Wirkmeffer seine Schneide nach Innen hat und der Schmid nach sich zuschneidet, und somit nie das Pferd, oder den Mann ver- letzen kann, welcher es hält, sondern höchstens sich selbst auf den Bauch stößt. Nebenbei hat es noch den Vortheil, daß die Eckstreben nie so ausgeschnitten werden können und kranke Strahle nie vorkommen. Doch ein andermal mehr darüber. – – – – – – - - - - - Die Colonne, mit welcher wir durch die Wüste reisten, bestand an Truppen Mehemed Ali's aus drei Garde-Cavallerie-Regimentern und einer reitenden Bat- terie, wovon jedoch die Geschütze zu Waffer nach Aegypten gingen. Dieser ganze Trupp war auf siebenhundert Mann herabgeschmolzen, welche jedoch außerordentlich gut beritten waren und in jeder Hinsicht eine vortreffliche Haltung be- währten. Dies Militär begleitete ein Troß von wenigstens zweitausend Menschen und ebenso vielen Pferden, Kameelen und Eseln, denn die Weiber, Kinder, sowie die ganze Bagage der Vornehmen und der Offiziere, welche sich mit Ibrahim Pascha einschifften, gingen zu Land. Da auch Ibrahims eigene Pferde, sowie die feiner Obersten und Generale, die den unglücklichen Rückzug überstanden, mit unserer Colonne zogen, so hatte ich Gelegenheit, alle die schönen Pferde mit Muße zu betrachten; aber es war auch nicht eines darunter, das ich hätte kaufen mögen. Hiebei muß ich jedoch bemer- ken, daß die Armee auf dem Rückzuge von Damaskus bis Gaza, der in jeder Hinsicht ein gräßlicher gewesen seyn muß, namentlich die Cavallerie Ibrahims, entsetzlich gelitten hatte. Hackländer, R. in d. O. 1. 30 466 Es gingen da die meisten und gerade die edelsten Pferde verloren, oder wurden wenigstens für lange Zeit ruiniert, während die gemeinen Bergpferde den Strapazen widerstanden. Dies spricht scheinbar gegen die edeln Pferde der Wüste, hat aber zwei Gründe, welche dies leicht erklären, diese, den vornehmen Aegyptiern angehörig, waren erstens an beffere Pflege gewöhnt, und empfanden daher alles Ungemach: die strenge Kälte der Nächte und den Mangel an Fourage weit stärker. Auch war ihnen das Klettern und Springen in den entsetzlichen Wegen des Libanon ungewohnt und ermüdete fie eine kurze Tour in dem Gebirge ungleich mehr, als eine dreimal so große in ihrem gewohnten Terrain, dem Sand der Wüste; denn so wie das Bergpferd auf Steingeröll und Klippen unersetzlich ist, so ist die Ausdauer des Nedjid im tiefen Sande wahrhaft bewundernswürdig. Ich habe davon die deutlichste Erfahrung an meinem Hengste gemacht, der nach einer kleinen Tagreise im Libanon. Abends, selbst wenn er geführt worden war, völlig ermattet schien, wogegen er mir später in der Wüste die überzeugendsten Beweise seiner Kraft und Ausdauer gab; da es der edle Scham unter seiner Würde fand, neben einem gemeinen Kameel zu gehen, oder sich von diesem herabführen zu laffen, war ich genöthigt, ihn selbst zu reiten und da ich Dir eine zierliche Gestalt schon beschrieben habe, Du auch meine anständige Größe und Schwere kennt, so wirst Du Dir einen Begriff von der Kraft und Natur des Hengstes machen, wenn ich Dir ver- sichere, daß er am Abend der stärksten Tagereise in drei Schuh tiefem Sand noch jeden Augenblick zum Durchgehen aufgelegt war, und während er im Libanon abmagerte, in der Wüste im Gegentheil zunahm. Außerordentlich hat sich aber auch die Stute gehalten, welche vier Stunden nach dem Abfohlen die Reise beginnen mußte, und in diesem Zustande jedem Ungemach des Klima's Preis gegeben war. Nament- 467 lich fürchtete ich die beständige Abwechslung der Temperatur, da hier auf den heißen Tag eine kalte Nacht folgt, wobei der Sand einen halben Schuh durchnäßt wird. Auch das kleine Fohlen, das ein eigentliches Wüstenpferd genannt werden kann, hat diese Einwirkung glücklich bestanden, ob- schon eine Tour durch die Wüste für erwachsene kräftige Pferde, geschweige denn für ein schwaches Fohlen ungemein lästig ist. Vier Tage lang marschierte ich mit der Truppe, dann aber machte sie bei einem elenden Dorfe, el Arisch, wo sich Proviant vorfand, fünf Tage Halt; doch ich wünschte meine Reise weiter fortzusetzen. Walli Bey, der General, wollte mich anfangs nicht ziehen laffen, weil er vorgab, für meine Sicherheit verantwortlich zu feyn, und da er dies nicht könne, selbst wenn er mir auch eine starke Bedeckung mitgäbe, so bäte er mich, bei den Regimentern zu bleiben. Der Em- barras war mir aber zu groß und für meine edeln Pferde zuweilen wirklich gefährlich; namentlich wenn es sich Abends darum handelte, an einer alten mit falzigem Waffer gefüllten Cisterne, zwischen ein paar tausend Pferden, Kameelen und Eseln einen Tropfen Waffer zu erlangen. Ich ging deshalb nur mit einer schwachen Bedeckung weiter und kam zehn Tage vor der großen Caravane glücklich in Kairo an. Den Weg hatten wir leicht gefunden, da der entsetzliche Geruch einer Unzahl Cadaver aller Art denselben deutlich genug bezeichnete. Schlimmer als die Wüste war in Kairo der englische Gasthof in Rücksicht der über alle Begriffe unerlaubten Prel- lerei. Dem Ausrauben durch Beduinen war ich glücklich entgangen; hier aber fiel ich in die Hände eines englischen Gastwirths, welcher dieses Geschäft unter dem Mantel euro- päischer Civilisation systematisch betrieb. Dies Hotel, welches ein Stapelplatz der englisch-ostindischen Compagnie genannt 30 468 werden kann, nimmt, wenn das englische Schiff mit den nach Ostindien bestimmten Reisenden in Alexandrien ankommt, dieselben dort förmlich in Beschlag und befördert sie gleich Brieffeleisen auf unbeschreiblich schnelle Art mit allem nur möglichen Comfort bis Suez, wo das correspondierende Dampf- schiff dieselben erwartet und sogleich weiter spediert. Zu gleicher Zeit und auf ähnliche Weise werden die bei Suez landenden Reisenden nach Alexandrien befördert. Eine solche Spedition durch die Wüste, wobei die Herren und Damen reiten, fahren oder getragen werden können, macht dem Unternehmer unendliche Ausgaben, und wenn sich ein anderer unglücklicher Fremder in diesen Gasthof verirrt, so muß er in demselben Maße mitbezahlen, wie wenn er die Verpflegung in der Wüste ebenfalls genoffen hätte. Dieses Privatunternehmen hat beinahe den Anstrich einer Regierungs- anstalt und ist ein Staat im Staat. Der Telegraph des Pascha signalisiert in Alexandrien die Ankunft des englischen Dampfbootes in Suez und umgekehrt, worauf der Chef des Gasthofs feine Leute ausschickt, die Gäste einzufangen und unter den Schutz und die Scheere Altenglands zu bringen. Ueberhaupt scheinen die Engländer alle andere Nationen hier, wie an so vielen Orten, mehr und mehr zu verdrängen, bis fie endlich die alleinigen Herren feyn werden. Selbst der Pascha scheint sich in diesem Augenblick den Engländern nähern zu wollen, die ihn vielleicht mit offenen Armen, aber nicht mit aufrichtigem Herzen empfangen werden. Der fran- zösische Einfluß hat demnach einen großen Stoß erlitten, aber es wimmelt noch in Aegypten von Franzosen, welche theils angestellt, theils gänzlich aus dem Dienst verjagt, theils wieder angenommen sind, oder privatisierend in Kairo leben. Bei meiner Ankunft hier war mein Erstes, mich mit Hohen und Niedern, welche mir zum Aukauf eines schönen 469 braunen Hengstes hätten behülflich seyn können, in Ver- bindung zu setzen. Ich glaubte meinen Zweck um so ge- wiffer zu erreichen, da man mir sagte, die aus dem Hedjas zurückgekehrte Armee hätte die schönsten arabischen Pferde mitgebracht. Namentlich wurde mir versichert, bei Kurschid- Pascha und dem Pascha von Akka über dreihundert der schön- sten von dort mitgebrachten Nedjed zu finden. Meine Ent- deckungsreisen nach Pferden waren in diesem Augenblicke etwas mühsamer, als zu jeder andern Zeit, weil hier alle Pferde (so wie auch Esel und Kühe) im Monat Februar und März in den Klee geschickt werden. Die Stallungen des Großen find in diesem Zeitpunkt bis vielleicht auf einen alten Klepper zum Reitdienst vollkommen geleert. Ich machte mich jeden Morgen in der Frühe auf den Weg und durch- eilte alle Gegenden, wo jene Pferde gleich einem ausge- dehnten Gestüt im Nilthale verbreitet standen. Unter denen Kurschid-Pascha"s war nicht eins, das ich hätte kaufen mögen. Man sah deutlich, daß diese Pferde mehr das Resultat einer gewaltsamen Rekrutierung, als eines gewählten Ankaufs waren. Das Vergnügen, die verschiedensten Racen zu studieren, wurde fehr durch den Aerger geschmälert, meinen Zweck nicht er- reichen zu können. - Mehrere Male gerieth ich in Versuchung, schöne Pferde zu kaufen, aber ich konnte mich doch nie entschließen, denn es blieb mir immer noch viel zu wünschen übrig, da ich durchaus ein Pferd wollte, das jenem Ideal vollkommen entspräche, welches sich der Hippolog in Europa von dem arabischen Pferde macht. Namentlich wünschte ich einen starken Hengst, der neben hohem Adel sich durch große Fundamente und eine recht prononcierte Museulatur ausge- zeichnet hätte. Ich habe einzelne Pferde gesehen, welche * II. Th. dieses Buchs, Kairo – die Pferde im Klee. 470 aber trotz ihrer edeln Abstammung und wenigen schönen Partien so gemein von Kopf und namentlich so plump von Hals mit rundem Mähnenkamme waren, daß ich es nicht wagen mochte, sie zu kaufen, besonders nicht für meinen Zweck; denn nach Allem, was ich hier gesehen, kann ich Dir mit meiner innigsten Ueberzeugung versichern, daß ich nirgends schönere und edlere arabische Pferde sah, als in den Privat- gestüten des Königs von Württemberg und vielleicht in dem k. k. österreichischen Gestüte von Babolna. Ohne die ein- zelnen in Europa zerstreuten arabischen Pferde aufzählen zu wollen, muß ich hiebei doch deren des Fürsten Pückler Er- wähnung thun, worunter sich einige ausgezeichnete von der besten arabischen Race befinden. Ich begreife jetzt recht wohl, wie der Sultan ein Geschenk des Iman von Muschat an den König von England und der Padischah die Wahl des Gouverneurs von Ostindien war; einen Bairaktar habe ich unter vielleicht dreißigtausend orientalischen Pferden nicht gesehen, mit Ausnahme eines Schimmels von Izzet-Pascha, der aber auch um keinen Preis käuflich war. Die Stuterei Mehemed Ali's in Schubra enthielt unter sechshundert Stuten nichts Ausgezeichnetes. Ueber die Hälfte würde von einer Remonte-Commission zum gemeinen Cavallerie- pferd ausgeschoffen werden; dagegen sind unter sechs und zwanzig Hengsten vier bis fünf der edelsten Thiere; doch find diese meistens schon sehr alt und mit solchen Mängeln behaftet, daß sie zu einem Kauf für unsere Gestüte untaug- lich wären. Ibrahim Pascha hat mehrere sehr schöne Stuten, aber schlechte Hengste; dagegen besitzt er ganz besonders werthvolle Esel, welche er selbst reitet und die zu sechs- bis achthundert Thalern bezahlt werden. Sie stammen aus dem Yemen. Ich kann hier nicht umhin, Dir zu erwähnen, daß die große Nation der Eifel in Kairo ihre ausgezeichnetsten 371 Repräsentanten findet. Diese Thiere sind hier von einer Schnelligkeit und Annehmlichkeit im Gang, und dabei von einer Willigkeit, wie man es nirgend bei ihren europäischen Collegen findet. Manche meiner Excursionen, wenn sie auch fünf bis sechs Stunden dauerten, machte ich am Vormittag auf einem Esel ab, während der Sais, dem das Thier ge- hört, immerwährend in vollem Trab nebenher rannte. Abbas-Pascha hat eine große Passion für Pferde, welche aber vielleicht eine unglückliche genannt werden dürfte, denn obgleich er in dem Rufe steht, die besten zu haben, befindet sich doch nichts. Ausgezeichnetes in seinen Ställen. Ich muß nun hier allerdings hinzufügen, daß der Geschmack der Türken – und alle vornehmen Aegyptier find ihrem Herkommen nach solche – von dem unsern sehr verschieden ist. Wie bei den Weibern, so auch bei den Pferden findet er, que les formes rondes sont les plus belles, und je mehr Fleisch, desto schöner. Zudem degeneriert der maste Boden Aegyptens die edeln Pferde; er schwemmt sie auf und macht das Haar schlechter, gibt dicke runde Hälse, wollige Mähnen, und die jammetartigen unbehaarten Hautstellen um Maul und Augen, diese untrüglichen Abzeichen der schönen arabischen Voreltern, sucht man bei den ägyptischen Nachkommen vergebens. Fohlen von den edelsten Nedji's, in Aegypten erzeugt, tragen nicht mehr das Gepräge dieser Race. Wie hier den Menschen und Thieren, so geht es selbst den meisten Früchten: die schwellen auf, werden ungewöhnlich groß, aber statt festen kernigen Fleisches sind sie wäfferig und geschmacklos; nament- lich die Weintraube, deren Beeren hier eine ungewöhnliche Größe erreichen, die aber weder füß find, noch viel Geist enthalten. Nach sechzehntägigem unausgesetztem Suchen, wobei ich allen Pferden der Umgegend, und mit Recht darf ich 472 fagen, alle Pferde der Stadt mir nachliefen, indem ich den zahlreichen Mäcklern hohe Belohnung versprach, wenn sie mir den gewünschten braunen Hengst verschafften, zog ich mit schwerem Herzen von dannen und es verstimmte mich, meinen sehnlichsten Wunsch trotz dem besten Willen und aller Mühe nicht erreicht zu haben. – – – – - -, - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- -- - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- _ - |- |- - - -|--