K K H1 O F B | B L | O T H E K
OSTERR. NATIONALBIBLIOTHEK
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Daguerreotypen.
Erster Band.
Daguerreotypen.
Aufgenommen
während einer Reise in den Orient
in den Jahren 1840 und 1841
v. 0 m
f. W. Hackländer.
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E r ft e r B an d.
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Stuttgart.
Verlag von Adolph Krabbe.
1842.
Druck von J. Kreuzer in Stuttgart.
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Meinem
edlen und lieben Freunde,
Wilh. Baron v. Taubenheim,
Kammerherr und erster Stallmeister Sr. Majestät des Königs von
Württemberg.
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Als ich im April des Jahres 1840 nach Stuttgart kam,
dachte ich so wenig an eine Reise in den Orient, wie an meinen
fanft feligen Tod. Ich lebte still für mich und kannte nur
wenige Personen. Da hörte ich eines Tags von Ihnen sprechen
und zwei Leute, mir gänzlich fremd, erzählten einander, der
Baron von Taubenheim werde noch im Laufe dieses Jahrs eine
Reise nach Jerusalem antreten. – Ich weiß nicht, mochte gerade
in dem Augenblicke mein Gemüth für ausschweifende Phantasien
empfänglicher feyn, als gewöhnlich, oder war es Ahnung, wie
fie uns im Leben zuweilen anweht, denn ich sprach bei mir:
Die Reise mußt du mitmachen. Freilich verlachte ich im nächsten
Augenblicke die Luftschlöffer, die ich schon lustig gebaut, aber in
meinem Herzen blieb doch so viel davon zurück, daß ich mich
auf Erkundigungen legte, wie man sich Ihnen am besten nähern
könne. Was ich eigentlich wollte und wie sich meine wunder-
(2)
lichen Phantasien verwirklichen könnten, daran dachte ich noch
nicht. Ich forschte nach Ihnen, wo es mir möglich war, bei
Vornehm und Gering, und wenn ich den Namen Taubenheim
nannte, so sprachen die Leute oft wider ihre Gewohnheit viel
und eifrig und mit inniger Liebe und Hochachtung. Die Erwach-
fenen sagten: das ist ein braver Herr, und die kleinen Kinder
auf den Gaffen erzählten von Ihrem Rappen, daß er heute
wieder vor dem oder jenem Hause gestanden, während fie
hinaufstiegen in den vierten Stock, um fich da nach einer armen
Familie zu erkundigen.
Je mehr ich so von Ihnen reden hörte und man mir sagte,
wie gern Sie bereit wären, jedem zu helfen, so weit es in
Ihren Kräften fünde, desto mehr fank der Glaube an ein Ge-
lingen des Projectes, das mir so süß war, und das ich, trotz
der Unmöglichkeit, es auszuführen, mir täglich und stündlich
mit den glühendsten Farben ausmalte; denn Sie, den Alle
liebten, konnten sich meiner Meinung nach unmöglich für einen
unbekannten Fremden so sehr interessieren, der Ihnen fast nichts
zu bieten hatte als ein frisches Herz, von dem Sie noch nicht
einmal wissen konnten, wie treu und ergeben es Ihnen feyn
würde. Und doch kam das ganz anders. Ich hatte damals
nur einen einzigen Bekannten in der Stadt, der das Glück
hatte, Sie näher zu kennen. Es war Moritz, der jetzige Ober-
regiffeur des Hoftheaters, an den ich mich, ohne ihn zu kennen,
bei meiner Ankunft in Stuttgart wandte, und der den guten
Schilderungen entsprechend, die man mir überall von ihm gemacht,
sich auf das Freundlichste und Lebhafteste für mich interessierte. Ihm
vertraute ich meinen Wunsch; er sprach mit Ihnen, und Sie
nahmen mich nicht nur bereitwillig zu Ihrem Reisegefährten an,
sondern beseitigten auch mit der größen Liebe und Güte. Alles,
was meinem Plan im Wege stand. Es war einer der glück-
lichsten Tage meines Lebens.
Wir traten also zusammen die Reise an. Sie hatten sich
mit Künsten und Wiffenschaften umgeben: ein junger Arzt,
Dr. Bopp, ein talentvoller Maler, Frisch, den Seine Majestät,
der König von Württemberg, diese Reise mitmachen ließen,
vertraten sie, und ich repräsentierte etwas Weniges die Poesie.
Doch muß ich offenherzig gestehen, Ihre Herzlichkeit und Güte,
die sich auf der ganzen Reise gleich blieben, gaben meistens den
angenehmen und mühseligen Stunden einen poetischen Reiz.
Was wir zusammen genoffen, erlebten, sahen und litten, steht
klarer vor Ihrem Gedächtniß, als meine Feder im Stande ist,
es wieder zu geben. Ach, es war viel Schönes, und wenn wir
uns auch oft im heißen Sande der Wüste zurücksehnten in's
kältere Deutschland, so hat sich bei mir jetzt, nachdem ich die
Heimath wieder erreicht, jene Sehnsucht umgewandt und ich
möchte mich gern noch einmal an den Sattel meines arabischen
Pferdes lehnen und hinaus starren in die gelbe Fläche, die durch
ihre Oede fo geeignet ist, die Phantasie mit herrlichen Träumen
aufzufrischen.
Wie sehr ich auch beständig die Schwierigkeiten einer Be-
schreibung unserer Reise erkannt, so faßte ich doch den Entschluß,
unsere Abenteuer in einzelnen Bildern dem größern Publikum
vorzulegen, und ich habe gethan, was in meinen Kräften fand.
Auch dabei verdanke ich Ihnen viel, denn die Notizen und
Auszüge aus Ihrem Tagebuch, die ich von Ihnen erhielt,
waren mir werthvolle Zugaben.
Jetzt liegt mein Buch beendet vor mir, und ich möchte ihm
gerne eine Weihe ertheilen, indem ich es Ihnen darbringe, als
ein Weniges von dem Vielen, was ich Ihnen an einem glücklich
verlebten Jahre, so wie an der Entstehung dieses Werkes zu
danken habe.
Nehmen Sie es freundlich auf, und wenn Sie zuweilen
darin lesen, so soll mir der Gedanke, daß Sie sich meiner,
der Ihnen für das ganze Leben mit inniger Liebe zugethan
bleibt, dabei manchmal freundschaftlich erinnern, eine große
Belohnung feyn.
Stuttgart, im Juli 1842.
F. W. Hackländer.
Inhalts-Verzeichniß des ersten Bandes.
Fahrt auf der Donau von Regensburg bis Giorgewo -
Abreise von Stuttgart. – Regensburg. – Linz. – Wien: aus-
ländische Cigarren. Leben auf den Straßen. St. Stephan. Das
Zeughaus. – Preßburg. – Peth. – Bunda und Costek. – Lord L.
Oberflieutenant von P. – Emin Pascha. – Ungarische National-
lieder. – Semlin. – Eine Jagdparthie in Drenkowa. – Die Mord-
mücken. – Alt-Orsova. – Neu-Orlova. – Das eiserne Thor. –
Giorgewo.
Ritt durch die europäische Türkei - - - - - -
Türkische Posteinrichtung. – Giorgewo: Schmutz auf den Straßen.
Quarantaine. Kleidung der Türken. – Rutschuk. Tartaren. Das
Paßbureau. Bulgarische Fußbekleidung. Unsere Pferde. Der Ramafan.
– Rasgrad. – Schumla. – Ritt über den Balkan. – Dobrol. –
Faki. – Adrianopel: Quarantaine. Das alte Serail. Selim's Moschee.
Eine Soirée beim Pascha. Illumination. Tanzende Knaben. Schatal
Burgas. Silivri. – Das Meer. – Ankunft in Constantinopel. –
Pension der Madame Balbiani.
Constantinopel s s - - s - - - - - -
Ansicht der Stadt. – Gasthöfe und Caffeehäuser. – Straßen und
Hunde. – Straßenleben. – Türkische Bäder. – Der Hivpodrom, die
sieben Thürme, mehrere Moscheen und andere ältere Bauwerke. –
Fahrt nach Bujukdere. Die alten und neuen Wafferleitungen. – Tür-
kisches Familienleben. – Die Nacht im Ramasan. Eine Audienz beim
Sultan. Diner bei Refchid Pascha.
Schiffbruch des Dampfbootes Seri- Pervas . a e - -
Abreise von Constantinopel. – Die Stadt im Schnee. – Stür-
misches Wetter. – Nebel. – Einschiffung türkischer Soldaten. – Der
Seri-Pervas. – Schiffbruch und Tod ist unser Loos. – Unglück des
Dr. B. – Heftige Bewegungen des Schiffes. – Unser Nachtrabe. –
Seite
39
227
XIV
Seite
Seesturm. – Schiffbruch. – Das Verdeck. – Versuche zur Rettung.
– Unglücksfälle bei derselben. – Das Dorf Armudköi. – Pillau mit
Seife. – Räubereien der Türken. – Das Dampfboor Ludovico.
Rückkehr nach Constantinopel,
Fahrt durch den Archipel . - - - - - - - 261
Zweite Abreise von Constantinopel. – Odun Kapuffi. – Die
Dardanellen. – Der Crescent. – Die Ebene von Troja. – Die
jonischen Inseln. – Smyrna. – Der Masturiaberg. – Rhodus: Die
Stadt. Die Allerheiligenkirche. Strada dei Cavalieri. – Marmariffa
mit der englischen und östreichischen Flotte. – Cypern.
Beirut . . . . . . . . . . . - 287
Aeußere Ansicht der Stadt. – Der Libanon. – Innere Ansicht
der Stadt. – Das Schloß am Meer. – Die Bazars. – Gewühl auf
den Straßen. – Weiber. – Türkische Artillerie. – Beduinen. – Das
Drufenlager. – Pinienanpflanzungen. – Aufenthalt in Beirut. –
Jungfräulichkeit neuer Schiffe. – Die türkische Thorwache. – Krank-
heit der Freunde. – Ein Ritt in den Libanon. – Friedrich.
Reise nach Damaskus und Palmyra . - - - - - - 325
Fürst Aslan. – Abreise von Beirut. – Wilde Gebirgspäffe im
Libanon. – Khan el Huffein. – Felsentreppe. – Wolken auf der
Höhe des Gebirges. – Schneesturm. – Ein Vocalconcert. – Das
Schloß der Affafinen. – Aegyptische Deserteure. – Bekaa, das Thal.
– Ein Unfall. – Perfer. – Der Antilibanon. – Felsengärten. –
Schiras. – Das Thal Gutha. – Damaskus. – Eine armenische
Hochzeit. – Ritt nach Palmyra. – Pferde - Revue. – Baalbek. –
Die Cedern des Libanon. – Die Stute in Sachile. – Zweite Reise
nach Damaskus. – Der persische Kaufmann. – Merkwürdiger
Pferdehandel. – Scham, der Hengst. – Rückkehr nach Beirut.
Bemerkungen über Arabische Pferde aus Briefen des Baron von
Taubenheim 452
Fahrt auf der Donau von Regensburg
bis Giorgewo.
Hackländer, R, in d, O. I. f
-
Abreise von Stuttgart. – Regensburg. – Linz. – Wien: aus-
ländische Cigarren. Leben auf den Straßen. St. Stephan. Das
Zeughaus. – Preßburg. – Pesth. – Bunda und Cofef. – Lord L.
Oberflieutenant von P. – Emin Pascha. – Ungarische National-
lieder. – Semlin. – Eine Jagdparthie in Drenkowa. – Die Mord-
mücken. – Alt-Orsova. – Neu-Orsova. – Das eiserne Thor. –
Giorgewo.
– – – Tritt deine Wallfahrt an!
Laß von den Raa"n
Die Segel fallen, laß die Wimpel weh'n.
Am Ufer steh'n
Will ich! – Leb' wohl! – Wie ferne schon, wie fern
Du steheft finnend auf des Schiffes Stern."
Freiligrath.
Es war am Abende des letzten September 1840, einem
unfreundlichen regnerischen Herbsttage, als ich von meinen
Bekannten und Freunden Abschied nahm, um meine Reise
in den Orient anzutreten. Von wichtigen Momenten meines
Lebens erinnere ich mich gern kleiner Umstände, die mir in
den Augenblicken bemerkenswerth schienen. So wurde an
demselben Abend im königlichen Schauspielhause Calderons
„Leben ein Traum“ gegeben. Mir kam mein eigenes Leben
in dem letzten Jahre, besonders der Augenblick meiner Ab-
reise, so zauberhaft, fast wie ein schöner Traum vor. Mei-
nem Freunde Moritz sagte ich in der Garderobe des Theaters
ein herzliches Lebewohl in dem Augenblicke, wo er sich aus
dem ärmlichen Costüm des unglücklichen Verstoßenen in das
glänzende des Königssohnes warf. Lachend reichte er mir
die Hand, diese Metamorphose auch mir prophezeihend. Und
er hatte Recht. Wenn ich mich auch seit jenem dunklen
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4
traurigen Herbstabend nicht zum Glanz eines Königssohnes
erhob, so gingen mir doch schöne freundliche Tage auf, Tage,
die gewiß mit den herrlichsten Edelsteinen wetteifern konnten.
Von den Leiden in unseren deutschen Eilwägen will ich
nicht reden, nur versichere ich, daß wir, wie immer, auch
heute Nacht fast gerädert auf unserer Station ankamen.
Dies war Göppingen; wir verließen die große Straße, um
den Weg nach Heidenheim zu nehmen, wo Seine Hoheit, der
Herzog Paul von Würtemberg, dem Baron von Taubenheim
ein Rendezvous gegeben hatte. Der Herzog war, wie bekannt,
eben erst von seiner großen Tour nach der Türkei und Aegyp-
ten zurückgekehrt, und da wir fast denselben Weg nehmen
wollten, den er gemacht, konnte er uns über Zeitverwendung
und Reisemittel die besten Rathschläge geben.
Nachdem wir uns in Göppingen sehr lange um einen
Wagen bemüht, fuhren wir gegen zwei Uhr in der Nacht
weiter. Der dunkle Himmel hatte sich etwas aufgeklärt und
der Mond, der zuweilen durchblickte, ließ uns in eine weite
Ebene sehen, durch die wir fuhren und welche rings von
Bergen umgränzt ist. Als ich um fünf Uhr aus einem
kleinen Schlummer erwachte, schaute uns zur linken Seite
der Rechberg und der Hohenstaufen ernst und traurig durch
den Nebel entgegen. Ich weiß nicht, der Anblick des alten
Staufen erregte in mir ein ganz eigenes Gefühl. Ich
kannte dies Thal, hauptsächlich aus dem Kupferstich vor
Raumers Geschichte der Hohenstaufen, den ich als Kind
während dem Lesen wohl hundertmal betrachtete. Die Ge-
gend auf dem Kupferstich sah so ernst aus, wie sie sich heute
Morgen in dem Nebel unterm Blick zeigte. Damals träumte
ich mir die alten Ritter hinzu, wie sie mit fliegendem Ban-
ner in's Thal zogen. Heute baute ich im Geiste die kleine
Ruine dort oben zur stattlichen Burg aus, und versetzte mich
in die Zeit zurück, wo die Herren des Hohenstaufen noch
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keine Blätter in der Weltgeschichte ausfüllten. Da hatte
vielleicht einer der Grafen, durch Träume über zukünftige
Größe aus dem Schlaf geweckt, in dasselbe Thal geschaut,
durch welches eben unser Wagen langsam rollte, oder empor
zu den Wolken, die nach Süden zogen und nie mehr zurück-
kehrten, wie später die Schaaren, die fein Schlachtruf nach
derselben Richtung aussandte, einen eisernen Nagel zu
erobern. – – Von den alten Herren sieht keiner mehr
mächtig und groß in die weite Landschaft hinaus, aber das
Thal ist noch wie damals; ebenso wie sonst fließt das kleine
Flüßchen, die Fils, wie ein silberner Faden hindurch.
Mancher der alten Bäume, die umher stehen, sahen das
Haus der Hohenstaufen wachsen und groß werden; aber der
letzte Sprößling jenes großen herrlichen Geschlechts ist schon
lange vermodert in seinem Grabgewölbe zu Neapel, nachdem
man ihm vorher sein königliches Haupt abgeschlagen. –
In Weißenstein, wo wir frühstückten, hatten sich zu
demselben Zweck eine ziemliche Anzahl der männlichen Ein-
wohner versammelt, lauter große kräftige Menschen mit
frischem Aeußern, und daß ihr Inneres eben so gesund beschaffen
fey, bezeugte die große Quantität Bier und Würste, die sie
mit vielem Behagen verzehrten. Bei Weißenstein liegt ein
altes Schloß zwischen zwei Bergen eingeklemmt; es ist weiß
angestrichen und auf diese Art unangenehm modernisiert. Ich
glaubte schon, die ehrwürdigen Gebäude würden zu Meiereien
und andern landwirthschaftlichen Zwecken benützt; doch sagte
mir der Wirth des Gasthofs, sie gehörten dem Grafen von
Rechberg, würden von einem invaliden Jäger bewacht und
feyen angefüllt mit Familienbildern dieses alten Geschlechts.
Es ist sehr schön und poetisch von dem Grafen, daß er den
gemalten Stammmältern eine eigene Wohnung angewiesen, wo
fie mit einander träumen und sich von ihrer früheren Herr-
lichkeit erzählen werden. Sie halten in der Mitternacht
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vielleicht Affembleen, wobei die geharnischten Herren ihren
Postamenten entsteigen und den edlen Damen behülflich sind,
wenn sie im Reifrock und der dicken Halskrause die Rahmen
verlaffen.
Hinter Weißenstein erstiegen wir den rauheren Theil
der schwäbischen Alp, welche die Stromthäler der Donau
und des Neckars scheidet, ein kahles langweiliges Plateau;
es verdient eine Haide zu feyn. Gegen die Donau fällt es
lang gestreckt in's Thal, gegen den Neckar steil, in ziemlich
schön geformten und eichen bewachsenen Abhängen.
Gegen Mittag kamen wir nach Heidenheim, wo wir
einige Stunden in der Gesellschaft des Herzogs Paul äußerst
interessant und lehrreich für uns verbrachten. Er sprach von
manchen Schwierigkeiten, die uns auf der Reise treffen
könnten und gab uns Rathschläge dagegen, deren Befolgung
uns später vielen Verlegenheiten entriß. Die freundliche
Aufnahme, die uns durch seine Empfehlungsbriefe an einigen
Orten der Türkei und Aegyptens zu Theil wurde, zeigte
uns, wie sehr es der Herzog auch dort verstanden, sich die
Hochachtung und Liebe seiner Bekannten zu erwerben.
Von Heidenheim reisten wir über Augsburg nach
" Regensburg, wo wir gegen Morgen ankamen und das Glück
hatten, noch das Dampfboot benützen zu können, was ein
paar Stunden später nach Linz abging. Bis jetzt war
unsere Reisegesellschaft noch nicht ganz beisammen gewesen,
hier aber traf der Maler F. bei uns ein, fo daß nun unsere
Caravane vier Mann zählte und vollständig war, nämlich
unsern lieben Reisechef, den Baron von T., den Doctor
Bopp, einen jungen Mediciner, der eben die Universität ver-
laffen, den Maler Frisch und meine geringe Person.
Bis Linz hatten wir ziemlich gutes Wetter und wenig
Paffagiere; doch die ganze Tour von Linz nach Wien, es
war am 5. October, mußten wir bei immerwährendem Regen
7
in den überfüllten Kajüten zubringen. Schon am Morgen
bei unserer Einschiffung goß das Wetter in Strömen von
dem dunkelgrau überzogenen Himmel und vermehrte noch die
Verwirrung, die ein paar hundert Paffagiere mit Hutschach-
teln, Koffern, Nachtsäcken c. anzurichten im Stande sind.
Ehe man der eingeführten Ordnung auf den Donaudampf-
schiffen gemäß jeden Theil seiner Effecten mit einer Blech-
nummer hatte versehen laffen, wozu man die Doublette
bekam, verging eine ziemliche Zeit, welche Regen und Wind
dazu benützten, uns einzuweichen und zu durchkälten. Wie
hatten wir uns gefreut auf die schönen Donauufer, an wel-
chen wir heute vorbeisegelten! Ach, wir sahen nichts, als
durch die Kajütenfenster ganz zufällig links die Ruinen der
Burg Dürrenstein, auf welcher Richard Löwenherz gefangen
faß und durch den treuen Blondel errettet wurde, und rechts
das prachtvolle Kloster Mölk, bei dessen Anblick man den
menschlichen Geist bewundern oder bemitleiden muß, daß er auf
dem nackten Felsen hier die großartigen Gebäude aufführen ließ.
Um später den berühmten Donaustrudel zu sehen,
klammerten sich einige zwanzig Menschen an den großen
Schornstein des Schiffes, auf welche Art sie hinten beinahe
gebraten wurden, während der scharfe Wind das Gesicht
fanft röthete. Endlich gegen fünf Uhr Abends sahen wir
den Kahlenberg, und das Schiff legte bei Nußdorf, eine
kleine Stunde vor Wien, an. Jetzt begann die Verwirrung
auf dem Boote wieder recht großartig zu werden und hätte
der Regen nicht glücklicher Weise nachgelaffen, so war unsere
Lage in Wahrheit schrecklich. Kaum lag das Gangbord, so
stürzten die Packträger wie Harpyen aufs Schiff und suchten
sich des Gepäcks zu bemächtigen, wobei es keinen kleinen Kampf
kostete, daß man Herr seiner Sachen blieb, um sie eigenhän- ''
dig zu den k. k. privilegierten Mauthbeamten zu schleppen, die
unbarmherzig in den Eingeweiden unserer Koffer herumwühlten.
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Diese Visitation dauerte eine gute Stunde, worauf wir
unter einer Anzahl Fiaker, die uns mit dem Rufe: „Fohr'n
mer Ew. Gnoden?“ umschwärmten, einen heraussuchten, ihm
unser Gepäck aufluden und nachdem wir eine Maffe Trink-
geld verschwendet, abfuhren. Ein zerlumpter Kerl, der am
Wagenschlage stand und bei dem ich mich mühsam vorbei-
wand, um nicht beschmutzt zu werden, trabte uns eine Strecke
nach und forderte Geld unter der Rubrik: er habe uns aus-
steigen helfen.
Die Passagiere, welche mit dem Dampfboote nach Wien
kommen, werden durch Wagen der Gesellschaft nebst ihren
Sachen in die Stadt geführt, wo sie die Linie passieren
dürfen, ohne wieder visitiert zu werden, weil es draußen
schon geschah. Wir hatten das nicht gewußt und waren
nicht wenig erstaunt, als man unsern Fiaker anhielt, um
unsere Effekten aufs Neue zu untersuchen. Es half kein
Protestieren, einer von uns mußte aussteigen und mit feinem
Koffer dem Beamten folgen, welcher bald darauf zurückkehrte,
und uns, die wir draußen ungeduldig harrten, erklärte, man
habe in dem Koffer ausländische Cigarren gefunden, weshalb
er sich genöthigt sehe, den ganzen Wagen zu untersuchen.
Wirklich fingen einige Zollbediente an, Alles abzuladen,
als ihnen glücklicher Weise der Nachtsack des Barons in die
Hände fiel, in welchem sich ein Packet Briefe an eine hohe
Behörde in Wien befand. Beim Anblick dieser Adreffe und
des Paffes des Barons hatten sie keine Lust, uns weiter zu
belästigen. Die strenge Miene, das barsche Anreden verän-
derte sich in das Lispeln geschmeidiger Höflichkeit. Sie baten
um Entschuldigung, uns aufgehalten zu haben, man habe
nicht gewußt, wer in dem Wagen fey, und wir könnten ruhig
weiter fahren. Lange begriffen wir nicht, was es mit den
ausländischen Cigarren für eine Bewandtniß habe; denn
keiner von uns besaß mehr dergleichen. Wir hatten uns
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auf dem Schiffe die größte Mühe gegeben, unsern ganzen
Vorrath aufzurauchen. Endlich fiel uns ein, man könne
uns vielleicht bei der Behörde denunciert haben, und bei
diesem Gedanken schwebte mir gleich das Bild eines kleinen
Juden vor, welcher ebenfalls mit auf dem Dampfboote war,
wo er Jedermann Esterhazy'sche Loose zum Verkauf anbot
und den wir ein wenig geneckt und belacht, weil er bei
beständigem Renommiren mit seinem Muth am Morgen vor
Angst oder Schwindel in Ohnmacht fiel, als er vom Lande
ins Schiff gehen sollte, und weil er in Baiern über Wür-
temberg, so wie in Oestreich über Baiern schimpfte. Mir
besonders war er den ganzen Tag unter die Beine und in
den Weg gelaufen. Wollte ich einem hübschen Mädchen eine
Artigkeit sagen, so stand der Jude sicher hinter mir und
lächelte höhnisch. Einige Mal hatte er meine Sachen für
die einigen angesehen, was besonders Abends in Linz sehr
komisch war, wo wir zum ersten Mal in einem ziemlich
dunkeln Gewölbe visitiert wurden. Der Kleine hatte seinen
Koffer verloren und glaubte ihn in dem meinigen wieder
gefunden zu haben. Er stürzte sich darauf und umklammerte
ihn krampfhaft. Hier machte ich ihn durch eine Aeußerung
gänzlich zu meinem Feinde, denn ich erzählte einem Be-
kannten, mein schwarzer Koffer und auf demselben der kleine
Jude habe ausgesehen, wie ein coloffaller gußeißerner Brief-
beschwerer. Auch hatten wir ihm einige Mal gesagt, wir wüßten
aus sicherer Hand, daß er Uhren bei sich habe, welche er herein-
schmuggeln wollte. So hatte uns der Conducteur erzählt.
Der Jude hatte sich gewiß für diese Unbilden dadurch
revangirt, daß er angab, wir feyen gefährliche Menschen,
indem wir ausländische Cigarren bei uns führten.
Gegen sechs ein halb Uhr fuhren wir ins Gasthaus
zum goldenen Lamm in der Leopoldsvorstadt und waren in
der Kaiserstadt, waren in Wien.
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Wollte ich mir einreden, in acht Tagen, die wir in
Wien waren, diese Stadt kennen gelernt zu haben und mir
anmaßen, ein Urtheil über dieselbe zu fällen, so wäre dieß
in der That lächerlich. Aber daß ich hinschreibe, wie dem
unbefangenen Zuschauer das rege Treiben und Leben erschien,
wird mir vielleicht. Mancher, der nicht Gelegenheit hatte, es
selbst zu sehen, Dank wissen.
Nach einem festen Schlaf auf die Mühseligkeiten des
vergangenen Tages betrat ich die Straßen und glaubte fort-
zuträumen. Ein ähnliches Leben und Getriebe hatte ich
bisher nie gesehen. Jede Straße war ein Strom, welchen
Wellen von Menschen, Wagen und Karren hinabfluthen,
dem man folgen oder fich an's Ufer, die Häuser, retten muß.
„Man glaubt zu schieben und man wird geschoben.“
Ein betäubendes Gemurmel, ein Drängen und Anstoßen;
man könnte wenigstens zwei Dutzend Augen gebrauchen,
wollte man neben dem Ausweichen der einem stets begeg-
nenden Wagen und Menschen auch etwas sehen. Obgleich
ich gerade in keinem Dorf, sondern in einer ziemlich bedeu-
tenden Stadt gewohnt, erging es mir dennoch wie dem
Landmann, wenn er zum Jahrmarkt in die Stadt kommt,
und mit offenem Munde den prächtigen Waarenausstellungen
und verwundert der auf und abwandelnden Menschenmaffe
zuschaut. Ich stand und sah zu, bis ich fortgeschoben wurde
und blieb wieder vor einem andern reichen Gewölbe stehen,
bis mich auch da ein unsanfter Rippenstoß verscheuchte.
Dabei ist das gellende Geschrei der Lohnkutscher und Last-
träger, ihr ewiges Hoe! Hoe! – ein Zeichen, daß man
ihnen ausweichen soll – so verwirrend und klingt so in den
Ohren nach, daß man stets glaubt, angerufen zu werden
und in beständiger Unruhe bald rechts bald links springt.
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Wie sich der ermattete Schwimmer mit einem behag-
lichen Rettungsgesicht zwischen die Felsen birgt, die ihm aus
den schäumenden Wellen entgegen treten, so schöpfte ich auch
leichten Athem, als die Menschenmaffe, die mich von der
Leopoldsvorstadt durch die Kärnthnerthorstraße geführt, ihren
unaufhaltsamen Lauf nach dem Graben fortsetzte und mich
auf den Stephansplatz warf an den herrlichen Dom, meinen
Hafen. Ja, es war eine sichere Bucht für mich und mein
Herz. An sein Portal lehnte ich mich und sah eine lange
Zeit in das Gedränge auf den Straßen.
Obgleich der Wiener der fröhlichte, friedlichste Mensch
von der Welt ist, obgleich sich das Leben Wiens auf den
Straßen nur freundlich, sonntäglich geputzt zeigt, so fühlt
sich doch der einsam wandelnde Fremde, ich wenigstens, nicht
heimisch in diesem Gewühl. Jeder Mensch ist so viel Egoist,
daß es ihm da, wo er gänzlich verschwindet, nicht ganz behaglich
ist. Mir war besonders ein Gedanke, der mir zuweilen auf-
stieg, fehr fatal. Wenn nämlich irgend ein Fiaker in einem
Diensteifer dich mausetodt fährt, dachte ich, so weiß von all
den tausend Menschen nicht einer, daß du gestorben, sondern
es ist nur ein Mens ch da und da überfahren worden.
Man sieht, daß ich meine Schwächen redlich eingestehe, und
fo stand ich denn an der Stephanskirche und es war mir,
als sagte das alte Gebäude: Bleibe du nur hier und ruhe
dich aus, sie werden uns Beide nicht umrennen. So bin
ich denn auch in spätern Spaziergängen durch die Kaiserstadt
gern in die Kirche getreten oder habe an ihren grauen Mauern
einige Minuten mit einem wohlthuenden Gefühl gerastet.
Heute fah ich den Stephansthurm zum ersten Mal, ein
coloffalles stolzes Gebäude, eisgrau und steinalt. Leider war
er rings mit einem Gerüste umgeben, indem die acht Klafter
der Spitze, die man abgenommen, weil sie baufällig waren,
wieder neu aufgesetzt wurden. Es that mir leid, ihn mit
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fo verstümmeltem verbundenem Haupte zu sehen. Doch hatte
das schöne ernste Bauwerk einen bleibenden Eindruck auf
mich gemacht; nicht so die innere Ausschmückung der Kirche.
Ich fand dieselbe ohne vielen Geschmack, überladen, und das
Bild des Kölner Doms trat lebendig vor mich hin, mit
seinen einfachen grauen Pfeilern, den Riesen, an denen man
ehrerbietig mit leisem Schritte vorbei geht, um die einfachen,
schönen Spitzbogen des Chors zu bewundern, die sich stolz
und kühn in einer ungeheuren Höhe wölben.
Von den andern Kirchen Wiens sah ich noch die St.
Peterskirche, welche der Peterskirche in Rom nachgebildet ist,
und die Hofpfarrkirche der Augustiner, in welcher das herr-
liche Grabmal der Erzherzogin Christine, von Canova gear-
beitet, wirklich wundervoll ist.
Von der Stephanskirche schlenderte ich über den Platz
zum Stock am Eifen, welcher seinen Namen einem Baum-
stamme verdankt, der da in einer Nische zu sehen und über
und über so mit Nägeln beschlagen ist, daß er auf diese
Art eine vollständige eiserne Rinde erhalten hat. Die Sage,
die um alle dergleichen Gegenstände ihre poetischen Fäden
schlingt, erzählt von ihm: Ein Schloffergeselle liebte die
Tochter eines Meisters, der sie ihm jedoch nur unter der
Bedingung zur Frau geben wollte, wenn der Geselle die
Geschicklichkeit besäße, zu einem überaus künstlichen Schloffe,
das der Meister hatte, einen Schlüffel anzufertigen. Nach
vielen mißlungenen Versuchen und als er die Unmöglichkeit
einfieht, das Meisterwerk zu Stande zu bringen, wandert der
Geselle in den Wald hinaus und beklagt da laut die Hart-
herzigkeit des Vaters. Plötzlich erscheint ihm ein Kobold
und verspricht bei der Anfertigung des Schloffes behülflich
zu seyn, wenn der Geselle dafür in einen bezeichneten Baum
einen Nagel einschlagen und denselben auf diese Art von
einem bösen Zauber befreien wolle. Mit Freuden erfüllt
13
der Geselle diese Bedingung, erhält einen Schlüffel und hei-
rathet. Seit der Zeit lief Jeder, der einen Wunsch auf dem
Herzen hatte, in den Wald zu dem Baum, schlug einen Nagel
ein und wartete, ob nicht ein Kobold erscheine, welcher ihm helfen
wolle. Ob dieß Mittel den Geist aufs Neue hervorgerufen
hat, kann ich nicht sagen. Doch war der Baum in kurzer
Zeit fo über und über mit Nägeln beschlagen, wie er jetzt auf
dem Platz nahe bei der Stephanskirche zu sehen ist.
Dieß erzählte mir ein freundlicher Wiener, den ich um
Auskunft gebeten, während er mich nach dem Cavalier-
Casino begleitete, wo ich mir mit meinen Reisegefährten ein
Rendezvous gegeben hatte.
Die Sitte in Wien, auch Mittags nach der Karte,
anstatt wie bei uns an einer oft langweiligen Table d'Hôte
zu speisen, und da verzehren zu müffen, was einem vorge-
jetzt wird, ist besonders für den Fremden sehr angenehm.
Man sucht sich auf dem reichhaltigen Speisezettel aus, was
einem schmeckt oder was man kennen zu lernen wünscht,
braucht sich dabei an keine Zeit zu binden, sondern kann von
Vormittags eilf Uhr bis Abends zu jeder beliebigen Stunde
dinieren. Nur kommt das Effen nach der Karte etwas
theurer zu stehen, als die Wirthstafel. Was Güte und
Billigkeit der Speisen betrifft, so wie die elegante Ausstat-
tung des Locals, kann ich jedem Fremden das Cavalier-
Casino auf dem Mehlmarkt empfehlen; es ist das ehemalige
Palais des Prinzen Eugen von Savoyen. - - -
Eine Unbequemlichkeit für den Fremden, welche uns
beständig bei dem Bezahlen belästigte, ist das Rechnen mit
sogenannten Scheingulden. Jede Zeche im Gasthof, jede
Waare, die man kauft, wird darnach berechnet, was man
dann in Conventionsmünze reduciren und so auszahlen muß.
Ein Gulden Schein beträgt vier und zwanzig Kreuzer Con-
ventionsmünze oder zwei G. Sch. sind gleich fünf G. M.
14
Dies Umsetzen ist mir besonders bei kleinen Summen fehr
beschwerlich geworden und ich habe mich dabei meistens auf
die Ehrlichkeit der Wiener verlaffen, wobei ich nie zu kurz
gekommen bin.
Ein sehr elegantes Kaffeehaus ist auf dem Josephsplatz.
Man bekommt dort zum Kaffee gestopfte Pfeifen, ein Anflug
von türkischer Sitte und äußerst angenehm. Wir faßen oft
an den Fenstern dieses Caffehauses und schauten auf den
schönen Platz hinaus, wo die Reiterstatue Joseph II. steht.
Dieser Platz ist auf drei Seiten von Gebäuden der
kaiserlichen Burg eingeschloffen, links ist das Naturalienkabinet
und die kaiserlichen Redoutensäle, rechts das Burgtheater und
die Bibliothek. Mit vieler Muße konnten wir uns hier das
kaiserliche Militär ansehen, das in den verschiedensten Waffen-
gattungen jeden Augenblick bei uns vorbeispazierte. Abge-
fehen von den verdächtigen Haselstöcken, womit die Corporale
paradierten, gefielen uns Uniform, Waffen und Haltung der
Leute sehr wohl; vor Allen die Ungarischen Garderegimenter,
welche hier liegen. Sie haben eng anliegende blaue mit
gelben Lizen besetzte Hosen, ein Ueberbleibsel ihrer National-
tracht. Ein Bekannter erzählte uns von diesen Ungarn, man
habe ihnen, wie den andern Truppen, weite leinene Bein-
kleider gegeben, um ihnen während der Sommerhitze einen
leichtern Anzug zu verschaffen; doch hätten sie sich lange
eweigert, dieselben zu gebrauchen, und als sie endlich doch in
4" neuen weißen Hosen fo während der Hundstage auf
die Wache ziehen mußten, hätten sie dennoch unter denselben
ihre engen blauen Hosen getragen. Indeß ist dies Geschicht-
chen ohne Zweifel nur ein Wiener bon mot.
Wenn das Militär die Wache in der Burg bezieht, so
muß es zu demselben Thore wieder hinaus, wo es ein-
marschiert ist. Es darf nicht durch die Burg ziehen, mit
Ausnahme des Graf Ignaz Hardegg'schen Regiments, früher
15
Dampierre Cürassiere. Dieß hat sich durch feine besondere
Anhänglichkeit an das Kaiserhaus bei dem Aufstande im
Jahre 1618 das Recht erworben, sein Hauptquartier im
Schloßhofe aufzuschlagen, und durfte auch drei Tage dort
öffentliche Werbung anstellen. Der jedesmalige Oberst dieses
Regiments geht noch heute unangemeldet zum Kaiser.
Eines Abends hatte Johann Strauß, der Walzerkönig,
eine musikalische Unterhaltung im Volksgarten angekündigt.
Wir gingen hin und ich wunderte mich nicht wenig, nur
zehn Kreuzer Entree zahlen zu müffen, denn ich erinnerte
mich noch lebhaft der zwei Thaler preußisch Courant, die ich
einstens in Köln für denselben Genuß gezahlt hatte. Strauß
dirigierte selbst, und man kennt den blaffen hagern Mann
hinlänglich, so wie auch feine entzückende Musik. Ich glaube
beim Klange derselben hätte es keines der hier versammelten
sehr eleganten Männer- und Damenwelt ausgehalten, ruhig
fizen zu bleiben, weshalb auch alle auf- und abgingen, genau
nach dem Takte der Musik, eine wohl besetzte glänzende
Polonaise ausführend. Wie verschwand uns die Zeit! Ich
sprach noch M. G. Saphir, dem ich brieflich empfohlen war
und welcher mich auf den folgenden Tag zu fich einlud.
Ehe wir's uns versahen, war es sieben Uhr geworden; also
rasch ins Burgtheater. So hat man in Wien jede Sekunde
nöthig und könnte noch zwölf Stunden zu den uns täglich
vergönnten brauchen, um dieß bewegte lustige Leben in kurzer
Zeit zu schmecken und nur einigermaßen zu genießen.
Außer dem Burgtheater besuchten wir die kleineren
Bühnen der Vorstädte und vor allem das Theater an der
Wien, unter der Leitung des Directors Carl, das dieser, so
wie die beiden trefflichen Komiker Scholz und Nestroy, täg-
lich durch neue Poffen zu füllen wissen.
Von den Bilderschätzen, die Wien besitzt, ließ uns
theils eigene Schuld, theils Zeitumstände, fast nichts fehen.
16
Die schöne Esterhazy'sche Galerie stand in Kisten gepackt
und war deshalb nicht zu sehen, und um die k. k. Gemälde-
jammlung im Belvedere zu besuchen, hatten wir den dazu
bestimmten Tag – es ist der Dienstag – versäumt. Doch
hätten wir bei der wenigen Zeit, die wir zum Aufenthalt in
Wien bestimmt hatten, und bei den vielen Schönheiten, die
man, wenn auch nur oberflächlich, ansehen mußte, diese
Bildersammlungen doch nur flüchtig beschauen und wenig
davon genießen können. Ein guter Zwanziger Conventions-
Münze verschaffte uns dagegen Eintritt in das k. k. Zeug-
haus, wo seltene und kostbare Waffenschätze wirklich sinnreich
und geschmackvoll aufgestellt sind. Im Hof, wo einige
hundert Feld- und Belagerungs-Geschütze aus alten Zeiten
auf Balken liegen, sahen wir an den Mauern, die ungeheure,
160.000 Pfund schwere Kette aufgehängt, mit welcher die
Türken im Jahr 1529 bei Ofen den wahnsinnigen Versuch
machten, die Donau zu sperren. Wir erstiegen eine Treppe,
und fanden oben im ersten Saal eine große Gesellschaft von
Herren und Damen um einen der Aufseher versammelt,
welcher nach Art der Meßbuden-Inhaber die Erklärung der
aufgestellten Waffen und Rüstungen auswendig und ge-
dankenlos herplapperte. Die ersten Säle enthielten Flinten
und Säbel der neuern Zeit, welche in Pyramiden und
Wandverzierungen aufgestellt und arrangiert waren. In einem
der folgenden Säle waren alte Waffen, als Gewehre mit
Radschlöffern, Sensen, Kolben, Streitäxte, und hier fiel mir
besonders die Deckenverzierung auf. Es war der östreichische
Doppeladler, aus Säbeln, Meffern, Flintenläufen, Bajonetten,
kupfernen Beschlägen, ungemein künstlich und schön zusammen-
gesetzt. Ferner sahen wir bei unserer Wanderung durch
zwölf Säle die Rüstungen vieler deutscher Kaiser, so wie die
des Königs Ludwig II. von Ungarn, der bei Mohacs von
den Türken verfolgt in einen Sumpf versank und umkam.
17 -
Der arme kleine König war 21 Jahre alt und hatte die
Gestalt eines zehnjährigen Knaben. Von allen diesen alten
eisernen Figuren, welche drohend von ihren Gestellen schauten,
haben keine einen größeren Eindruck auf mich gemacht, als
die Rüstungen der beiden Böhminnen Libuffa und Wlasta,
die einander in einem der letzten Säle gegenüber standen.
Das Visier der letztern war herabgelaffen und zeigte eine
fratzenhafte menschliche Gesichtsbildung, zwei runde Löcher
bildeten die Augen und unten war eine Reihe spitzer Zähne
eingeschnitten. Das ganze Waffenzeug zeigte, daß die
böhmische Magd eine coloffale Figur gehabt haben muß.
Libuffa, die schöne Herzogin, stand schmächtig und zierlich
gebaut da; an ihren eisernen Stiefeln fielen mir die unge-
fähr einen Fuß langen scharfen Spitzen auf, mit denen fie,
wie unser Mentor unbefangen erzählte, im Bade ihre Lieb-
haber ermordet hätte. Mit einem eigenen Gefühl legte ich
meine Hand auf das zerschossene Koller Gustav Adolphs,
lauschte an Wallensteins Harnisch, ob nicht das heftige
Klopfen seines ehrgeizigen Herzens vielleicht noch unter dem
Eisen nachklinge, und summte, als ich ein altes ledernes
Wams berührt, das zerfetzt und bestaubt an der Wand hing,
ein bekanntes Lied vor mich hin, welches anfängt:
„Prinz Eugen, der edle Ritter c.“
denn ein Unterkleid war es, was uns der Aufseher mit
vieler Ehrerbietung zeigte.
Eine längst vergangene großartige Zeit umgab uns hier,
und wenn das Herz nur einigermaßen warm in der Brust
schlug, mußte diesen Friedhof feierlich gestimmt verlaffen.
So vergingen die acht Tage, welche wir in Wien zu-
brachten, wie eben so viele Stunden. Im Fluge bejahen
wir Schönbrunn mit feinen schnurgeraden Alleen und winkel-
recht verschnittenen Hecken in alt französischem Geschmack, so
Hackländer, R. in d. O. I. 2
18
wie die Menagerie, die sich jedoch nicht im besten Zustande
befindet. Ehe wir's uns versahen, saßen wir eines Morgens
mit unserer Maffe von Koffern und Nachtsäcken in einem
Fiaker und fuhren durch den Prater, wo wir uns besonders
an den zahlreichen Hirschen, die da herumspringen, manche
Stunde amüsiert hatten.
An den sogenannten Kaisermühlen lag das Dampfboot
Galathea, auf welchem wir unsere Plätze bis Peth genom-
men hatten. Für die späte Jahreszeit trafen wir auf dem
Schiffe noch eine zahlreiche Gesellschaft; man hörte deutsch,
englisch, französisch, ungarisch, lateinisch, italienisch und die
Eigenthümer dieser verschiedenen Sprachen hatten auch eben
so viele verschiedene Physiognomien. Vor Allen gefiel mir
der Ungar mit einem edlen stolzen Gesicht von dunkler Farbe
und mit den schwarzen Haaren, besonders durch eine zuvor-
kommende freundliche Zuneigung gegen uns Fremde. Ich
muß gestehen, ich habe von keiner andern Nation, besonders
von meinen Landsleuten, wenn sie mir unbekannt waren,
so viel Artigkeit erfahren. Auf dem Verdeck setzte sich ein
ungarischer Bauer zu uns, und bemühte sich, uns die Na-
men einiger der nöthigsten Gegenstände in seiner Mutter-
sprache beizubringen; so z. B. Fekete Café – schwarzer
Kaffee; Pipa – Pfeife; Dohàny – Taback c.
Die Gegend hier ist wenig interreffant; die ganz flachen
Ufer erheben sich erst bei Fischament an der rechten Seite
wieder mehrere Fuß über dem Wafferspiegel; bei Petronell
sieht man den Triumphbogen des Tiberius, dann später die
Ruinen des römischen Carnuntum. Eine Strecke weiter
hinab bildet der Strom eine Art See, an dessen Ende man
Hainburg (Hunnenburg) erblickt. Man sieht vor diesem
Orte einen sechzig Fuß hohen Hügel mit einer Ruine König
Etzels – unter dem Volk als Attilas Reste bekannt, und
erinnert sich des Nibelungenliedes. Am linken Ufer des
19
Stroms steigen nicht weit von Preßburg die Ruinen des
Schloffes Theben (Deven) empor. Sie liegen auf den
Ausläufen der kleinen Carpathen, die hier bis in die Donau
treten. Swatopolk, der Gründer des großmährischen Reiches
und der Erbauer des Preßburger Schloffes soll im neunten
Jahrhundert hier gehaust haben. Der Weg von Wien nach
Preßbmrg beträgt zu Lande zwölf Stunden, die wir in drei
gemacht hatten. Wir waren um zwei Uhr abgefahren und
erreichten Preßburg gegen fünf. Wir machten einen Gang
durch die Stadt; doch hinderte uns die eintretende Dunkel-
heit viel zu sehen. Der Mond aber, der an dem klaren
Himmel emporstieg, lockte uns ins Freie, weßhalb wir auf sehr
holprigem und schlechtem Wege zu dem alten Schloffe Preß-
burgs emporstiegen, das auf einem steilen Felsen der Donau
gelegen, weit das Land beherrscht und uns von seinen zer-
fallenen Mauern auf die vom Vollmond beleuchtete Gegend
und den schönen Strom eine herrliche Aussicht gewährte.
Die Schloß-Ruine zeigt noch ein regelmäßiges Viereck mit
Thürmen versehen und hat in seiner Lage über der Stadt
der lustigen Preßburger und mit dem hinten überragenden
Bergen Aehnlichkeit mit den unvergleichlichen Ruinen des
Heidelberger Schloffes. Sie ist nur von einem armen
Hirten bewohnt, der an einer der mächtigen Mauern ein
hölzernes Häuschen gebaut hat. Er hatte sein Stübchen
beleuchtet und faß, aus einer kurzen Pfeife rauchend, vor
feiner Hütte, wie wir den wundervollen Abend genießend.
Seine Schaafe liefen in dem Gemäuer herum und wir hör-
ten das Läuten der Glöckchen, die einige von ihnen am
Halle trugen.
Am folgenden Morgen fuhren wir gegen halb sechs
Uhr von Preßburg ab, waren aber kaum eine Stunde ge-
gefahren, so brachte unser Conducteur die untröstliche Nach-
richt, daß wegen dem kleinen Waffer gestern im Herauf-
2 k
20
fahren das Schiff Nador auf einer seichten Stelle, an welche
wir gleich kämen, beinahe sitzen geblieben fey und da man
befürchte, uns könnte ein ähnliches Schicksal bevorstehen,
haben die Capitäns beider Schiffe gegenseitig die Ueberein-
kunft getroffen, ihre Paffagiere zu wechseln. Wir warfen eine
Viertelstunde von dem Nador entfernt die Anker und unsere
Paffagiere, vielleicht 130 an der Zahl, betraten vermittelt
eines Gangbordes das Ufer, an dem wir eine Strecke auf-
wärts gingen und dann in einer großen Schaluppe an das
andere Schiff gebracht wurden. Diese Uebersiedlung hielt
uns an zwei Stunden anf und es war noch ein Glück zu
nennen, daß wir wenigstens gutes Wetter hatten. Gegen
Mittag kamen wir nach Comorn, der jungfräulichen Festung,
wo wir an der Donau viele Getreidemühlen und auch einige
Goldwäschereien sahen, welche letztere jedoch hier wenig ab-
werfen, denn ein recht geschickter, fleißiger Wäscher kann
den Tag höchstens dreißig Kreuzer verdienen, obgleich er
von dem Ertrag gewisse Prozente bekommt. Das Ufer hier
ist mit Reben und Obstbäumen bepflanzt und wird unterhalb
Comorn wieder sehr hügelig. Bei Gran auf einem steilen
Felsen wird eine schöne Kirche erbaut; das mit Gerüst um-
gebene Gebäude hatte mit der Walhalla bei Regensburg
einige Aehnlichkeit. Wir sahen die Bergveste Viffegrad, die
Plentenburg, wo Mattgias Corvinus einige Zeit wohnte,
in der schönsten Abendbeleuchtung. Als wir bei Weizen
vorüberschifften, ging der Mond auf, und ein weißes Licht,
womit er die Ufer fast taghell erleuchtete, versprach uns einen
prächtigen Anblick der beiden großartigen Städte Ofen und
Peth. Nachdem wir schon eine Stunde vorher den hohen
Blocksberg mit seiner Sternwarte in dunkeln Umriffen gesehen,
lagen die gewaltigen Häusermaffen dieser Städte vor uns.
Das Schiff begrüßte mit drei Kanonenschüffen das Ziel
feiner heutigen Fahrt, welche mit lautem Donner in den
21
Bergen wiederhallte. Links lag die an den Berg hinan
gebaute Festung Ofen mit der Stadt, welche in einer Aus-
dehnung von ungefähr einer Stunde längs der Donau ge-
baut ist, und auf der Krone der Festungswerke das Schloß, in
welchem der Palatin von Ungarn wohnt, rechts Pesth mit
tausenden erleuchteten Fenstern und den Ufern voll Menschen,
welche der Ankunft des Dampfbootes entgegensahen.
- Wir stiegen zu dem Gasthof der Königin von England
ab; er liegt an dem Quai und seine Fenster gewähren eine
Ansicht auf Ofen, auf den schönen Strom und das rege
Treiben an den Ufern und auf der großen Schiffbrücke.
Kaum hatten wir uns zu Tische gesetzt und die ersten Gläser
feurigen Türkenbluts zu uns genommen, als plötzlich in
Ofen die Glocken zu läuten begannen und ein Kellner die
versammelten Gäste durch die Botschaft in Aufruhr brachte,
es fey drüben Feuer ausgebrochen. Wir stürmten hinaus und
hatten einen großartigen Anblick. An dem einen Ende Ofens
fand ein großes Haus in vollen Flammen, die sich in
den Wellen der Donau glühendroth wiederspiegelten.
Wir nahmen ein Boot und fuhren ans jenseitige Ufer
gegen die Brandstätte. Das Fahrzeug schien in purer Flamme
zu tanzen, und es war entzückend zu sehen, wie die rothen
Wellen durch die Ruderschläge zertheilt rechts und links neben
uns, wo das Mondlicht den Glanz des Feuers bewältigte,
in tausend silberne Sternchen aufflogen. So schön der
Anblick für uns, um so trauriger war er für die armen Leute,
deren Häuser – es brannten zwei nieder – ein Raub
des gefräßigen Elementes wurden. Doch sind die Lösch- und
Rettungs-Anstalten in Peth sehr gut und die Abgebrannten
sollen wenig verloren haben. Trotz der Flamme des Bran-
des, die meine Phantasie und des feurigen Ungarweins, der
mein Blut durchglühte, schlief ich sehr gut und träumte von
der Heimath.
22
Nur zwei Tage brachten wir in Perth zu, die wir da-
zu anwandten, einige Merkwürdigkeiten der Stadt zu sehen,
so wie unser Reisegeräthe so viel wie möglich zu vervoll-
kommnen. Vor Allem bestiegen wir den Blocksberg, auf dem
linken Ufer der Donau, von welchem man eine herrliche Aus-
ficht auf die weite ungarische Ebene, so wie auf die beiden
schönen Städte genießt, die mit dem dazwischen fließenden
Strome einen imposanten Anblick gewähren. Neben der
langen Schiffbrücke, die Ofen und Pesth bis jetzt verband,
wird ungefähr zweihundert Schritte abwärts von ihr eine
neue Kettenbrücke gebaut, von der wir die ersten Pfeiler schon
eingerammt sahen. Viele Stunden brachten wir auf dem
Quai zu, wo uns die sonderbaren Costüme und das rege
Treiben der Ungarn sehr anzog. Meistens find es schlanke
magere Gestalten mit gebräunter Gesichtsfarbe und schwarzen
Augen und Bart. Die Kleidung der niedern Volksclaffen,
besonders der Bauern und Schiffszieher, besteht in weiten
Hosen, mit einer langen Jacke von Schafspelzen. Die
Leute, welche das Ziehen der Schiffe vermittelt ihrer Pferde
besorgen, gaben unserem Maler mannigfaltigen Stoff zu sehr
interessanten Skizzen. Ihre kleinen mageren, aber sehr star-
ken Pferdchen sahen wir von der Arbeit ermüdet oft in gro-
ßen Gruppen um ein ausgebreitetes Tuch liegen, von dem
fie ihr geringes Futter verzehrten, und die Treiber lagen da-
zwischen aus kleinen Pfeifen rauchend.
Es lag im Plan unserer Reise, die Donau-Dampf-
boote bis gegen Rutschuk zu gebrauchen und von dort über
den Balkan nach Constantinopel zu reiten, zu welcher Tour
wir uns hier in Peth und nach unsern Begriffen auf's
Beste einrichteten. Doch würden wir von all den Artikeln,
die wir hiezu kaufen, wenn wir noch einmal in den Fall
kämen, diese Reise zu machen, den größten Theil zurück-
laffen und uns dafür ganz andere anschaffen. Das Erste,
23
wozu ich jedem, der nach uns diesen Ritt machen will, rathe,
ist, sich einen guten englischen Sattel zu kaufen, denn
wie sehr wir später bedauerten, keinen mitgenommen zu
haben, wird sich jeder, der uns von Rustschuk aus mit einiger
Aufmerksamkeit folgt, leicht denken können. Ein guter Sattel
ist in jenen Gegenden unbezahlbar. Ferner kaufe man sich
eine Bun da, mit welchem Namen die Ungarn einen sehr
weiten Mantel bezeichnen, der aus schwarzen oder weißen
Schaffellen besteht. Die Narbenseite des Leders, die bunt
ausgenäht ist, wird bei trockenem Wetter nach Außen ge-
tragen und bei schlechtem Wetter macht man es umgekehrt,
damit der Regen und Schnee an dem dicken Pelz herabfällt.
Die Bunda ist das gewöhnliche Kleidungsstück der Ungarn
und man kann ganz geringe von zehn Gulden, so wie feine
von zweihundert Gulden W. W. kaufen. Zu einer ähnli-
chen Reise wie die unsrige thut aber eine von zwanzig bis
fünf und zwanzig Gulden die besten Dienste. Diese sind
schon sehr weit, von dickem Pelz und hartem Leder und bald
kann man sie als Mantel, bald als Bett und Bettdecke zu-
gleich gebrauchen. An Kleinigkeiten, die man sich zum An-
denken aus Peth mitnimmt, findet man unter Andern lederne
Tabaksbeutel, die mit bunder Seide zierlich ausgenäht sind,
Co stek genannt, die ihrem Zweck vollkommen entsprechen.
Die ungarischen, unzubereiteten Tabacke sind berühmt, sowie
die kleinen, braunen Pfeifenköpfe aus Erde. Wir nahmen
mehrere mit, so wie Lettinger Taback und Weißkirchner
Cigarren.
Den Abend vor unserer Abreise besuchten wir das unga-
rische Nationaltheater und hörten den Barbier von Sevilla in
der Landessprache. Das Gebäude, besonders sein Inneres,
ist sehr geschmackvoll eingerichtet und wird durch Gas er-
leuchtet, war aber heut Abend erstaunlich leer.
Am 18. Oktober Sonntag Morgens um sechs Uhr be-
24
g
stiegen wir aufs Neue das Dampfboot, das sich mit drei
Kanonenschüffen von Ungarns Hauptstadt verabschiedete und
mit sechs Flaggen versehen, worunter die großbritanische und
die türkische, brausend die Donau hinabfuhr. Es war der
Zriny, der, ebenso wie der Nador, auf dem wir die Fahrt
bis Pesth gemacht, vor ein Paar Jahren den hochverehrten
Herrn von Schubert, dessen Reisebeschreibung wir bei uns
hatten, auf der gleichen Reise nach dem Orient durch Oest-
reichs und Ungarns Fluren führte. Bald war Ofen, Peth
und der hohe Blocksberg untern Augen entschwunden und das
große schöne Schiff, den Helden Zriny mit dem Buszogan, eine
Art Morgenstern bewaffnet, in weißer Rüstung vorn am Kiel,
flog rasch durch die grüne Wafferstraße. Rechts und links
sanken die Ufer fast bis auf den Wafferspiegel und schienen
den Helden zu grüßen, dessen Name aus den unüberseh-
baren Ebenen, durch welche wir nun fuhren, bis zu den
fernsten Enden Europa"s gedrungen war. Zriny und Sigeth
hallte es in meiner Brust wieder, als ich vorn am Schiffe
stand und feinem Brustbilde zu schaute, das die Wellen
zertheilte, wie vor dem sein Arm die Türkenschwärme.
Die felsigen Ufer des Stroms, welche uns mit kurzen
Unterbrechungen bis Pesth so ziemlich zur Seite geblieben
waren, verschwanden gänzlich, und sehr langweilige Flächen,
bald mit Gras und Haide, bald mit niederem Laubwerk be-
wachsen, traten an ihre Stelle. Wir blieben noch eine
Zeit lang auf dem Verdeck und sahen dem Treiber einiger für
uns fremdartigen Vögel zu; über uns flogen wilde Gänse,
fchwarze Pelikane und Löffelgänse hielten in dem Strom ihr
Frühstück. Auch erblickte ich einen Seeadler, der dem Laufe
des Schiffes, wie mit stolzer Verachtung zuschaute und sich
als dann hoch in die Luft aufschwang. Obgleich der Morgen
fehr schön gewesen war, überzog sich der Himmel doch wenige
Stunden nach unserer Abfahrt, und ein sehr scharfer Wind
25
nöthigte uns zum Rückzug in die Kajüte, wo uns ein star-
ker Regen, der gleich darauf vom Himmel stürzte, Muße
genug ließ, unsere Reisegesellschaft anzusehen, die wirklich
heute äußerst intereffant zusammengesetzt war. Die beiden
Kabinen auf dem Verdeck hatte der right honourable Lord
Londonderry, fo stand nämlich fein Titel und Name auf
allen feinen Kisten und Koffern, mit feiner Gemahlin ein-
genommen, weshalb das Schiff oben ganz englisch aussah;
denn die achtzehn Leute feines Gefolges, Kammerdiener und
Kammerfrauen, Kutscher, Köche, überrannten sich und die
übrigen Gäste beinahe mit ihren Theekannen und Beefsteak-
pfannen und hatten gegen die frischen regsamen Physiognomien
der Ungarn ganz entsetzlich langweilige Gesichter. Seine Herrlich-
keit war ein mittelgroßer Mann mit grauen Haaren, der den
Hut beständig auf dem Hinterkopf hängend trug; dabei aber
fah er jedem, der ihm auf dem Verdeck begegnete, freundlich
und fehr aufmerksam in's Gesicht. Die Lady, die schon hoch
in den vierzigen war, mußte in ihrer Jugend eine große
Schönheit gewesen seyn, von der man noch jetzt an ihr gut
erhaltene Ruinen entdeckte. Uebrigens brauchte sie auch
wahrscheinlich alle möglichen Mittel, ihren Teint zu erhalten:
fie kam fast gar nicht an die Luft, denn in den fünf Tagen,
wo wir mit ihr zusammen auf dem Schiffe waren, hatte man
fie nur dreimal auf dem Verdeck gesehen. Doch saß sie
fchon vom frühen Morgen an in großer Toilette in ihrer
Kajüte, nahm Besuche an oder ließ sich von dem Herrn
Gemahl und ihrem Guide fagen, wo sie sich gerade befand,
ohne der Gegend selbst manchen Blick zu schenken. Unten
in der großen Kajüte war der bekannte Emin Pascha, ein
junger, sehr liebenswürdiger Mann, der außer feiner Landes-
sprache französisch und englisch verstand und sich sehr gerne
mit uns unterhielt. Er reiste in Begleitung eines Arztes,
eines Italieners, nach Constantinopel zurück. In Paris,
26
London und Wien war er gewesen und hatte in diesen
Städten Kriegswiffenschaften studiert.
Für und gegen das Reisen mit dem Dampfboot oder
dem Wagen ist schon viel gesprochen worden. Der Wagen
hat etwas Heimliches, etwas sehr Angenehmes, wenn man
genießbare Reisegesellschaft trifft; im Gegentheil aber, und
ich will nichts darüber sagen, weiß jeder wohl, welche
Qualen ein unangenehmes Gegenüber in dem engen Wagen
verursachen kann. Auf dem Schiffe ist das ganz anders;
den Paffagieren, die uns nicht gefallen, geht man aus dem
Wege und braucht in keine Berührung mit ihnen zu treten;
woher es aber auch kommt, daß man sich auf dem Schiffe
leicht isoliert, und wenn man allein reist, oft sehr langweilt.
Wir hatten das Glück, gleich in Peth mit einer äußerst
angenehmen Reisegesellschaft zusammen zu kommen, mit
welcher wir, bis zu unserem Abgange bei Rustschuk, ich möchte
fagen eine große Familie ansmachten. Zu ihr gehörte der
Pascha mit feinem Arzt, eine Baronin von B. aus Berlin,
die Mutter des Grafen Königsmark, preußischem Gesandten
in Constantinopel, eine liebenswürdige alte Dame, die sich
aber auf der ganzen Reise unwohl befand, und das
traurige Schicksal hatte, ihre Heimath nicht wieder zu sehen,
denn sie starb in Bujukdere; ferner der östreichische Oberst-
lieutenant von Philippowich, der mit Einwilligung seiner
Regierung provisorisch in türkische Dienste getreten war, ein
gebildeter Offizier und praktischer Geschäftsmann. Schon
früher hatte er sich das Verdienst erworben, eine Postroute
von Belgrad nach Constantinopel einzurichten. Ihm gelang
es, den Fürsten Milosch und den Paschas die Vortheile einer
bleibenden sichern Straße durch ihre Provinzen begreiflich zu
machen. Er veranlaßte das Aushauen von Wäldern und
verstand es, selbst die Einwohner zur Einsicht zu bringen,
daß erst durch unverletzliche Heiligkeit des Postwesens Ver-
27
kehr und Handel belebt und dadurch der Wohlstand der
Bewohner verbürgt werden könne. Man folgte seinem Rath
und von der Thätigkeit dieses Mannes zeugt die gegen-
wärtig geordnete Einrichtung, die eine regelmäßige Verbindung
zwischen Wien und Constantinopel möglich macht. Jetzt
wollte er den Feldzug gegen Ibrahim Pascha mitmachen
und war uns noch lange durch die Türkei und Syrien ein
lieber Reisegesellschafter. Ein ungarischer Husaren-Offizier,
der mit feiner Schwester nach Galacz reiste, ein junger
Engländer, Namens Napier, ein Verwandter des englischen
Commodore, der Arzt des Lord L., ein artiger alter Eng-
länder, waren die Hauptbestandtheile unserer Familie.
Wir hielten uns sehr viel in der zweiten Kajüte auf,
wo ein viel fremdartigeres Leben herrschte; denn da waren
Serbier, Wallachen, Ungarn, Italiener, kurz eine ganze
Musterkarte von verschiedenen Menschenarten. In einer Ecke
kauerten unbeweglich auf ihren Teppichen ein paar Juden
aus Salonich, Vater und Sohn, die ersten Leute, die wir
in türkischem Costüm fahen. Sie trugen lange, sehr schmu-
zige Kaftans und einen eben solchen Turban. Der Vater,
schon ein sehr alter Mann, hatte einen langen schneeweißen
Bart, war aber äußerst munter und sah recht gesund aus,
wogegen des Sohnes bleiche Gesichtsfarbe, durch den kohl-
schwarzen Bart, der sein Kinn umgab, noch schärfer hervor-
gehoben wurde. Sie waren Handelsleute und kamen aus
Wien. Eine Jüdin aus Bucharest, die ebenfalls hier war,
hatte ihre neunjährige Tochter bei sich, ein wunderschönes
Mädchen; feurigere braune Augen, als die kleine Skela
besaß, hatte ich in meinem Leben nicht gesehen. Die meisten
übrigen Passagiere waren Ungarn, die sich, wie ich auch schon
früher sagte, durch Zuvorkommenheit gegen uns Fremde
musterhaft auszeichneten. Von allen Seiten boten sie uns
Tabak und Cigarren an, und es machte ihnen viel Spaß,
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wenn wir für diese und jene Sachen das bezeichnende Wort
ihrer Landessprache hören wollten. Eine niedliche schlanke
Ungarn lehrte mich unter Anderem – szep léany heiße
ein hübsches Mädchen und szeretlek ich liebe dich;
csók bedeute einen Kuß, und den Unterschied eines
ungarischen csók gegen einen deutschen brachte sie mir später
praktisch bei, und ich muß gestehen, er schmeckte wie Tokaier
gegen Rheinwein.
In einer Ecke der Kajüte saß ein alter ärmlich ge-
kleideter ungarischer Edelmann, der erschrecklich aus seiner
kurzen Pfeife rauchte oder Volkslieder fang mit sehr traurigen
Melodien. Eine Strophe eines feiner magyarischen Lieder,
das er oft ang, lauschte ihm meine hübsche Lehrerin ab
und übersetzte sie mir folgendermaßen:
Gebe Gott, daß der Ungar
Die halbe Welt befäße,
Und die mit einem Blute gewonnene Freiheit
Nie gestehen müße, daß fie geschmälert fey.
Der alte Herr merkte aber gleich, daß das Mädchen
uns etwas von seinen Liedern verrathen habe, denn er gab
mir einen Wink, ich möchte zu ihm kommen, worauf er mir
lächelnd in einem sehr holprichten Deutsch den bekannten Rath
gab, ich solle mich vor den Mädchen, besonders vor den
ungarischen, in Acht nehmen, und zum Beleg theilte er mir
folgende Strophen mit, ein altes Volkslied, das vielleicht
feinen größten Werth durch die eigenthümliche, ergreifend
traurige Melodie hatte, mit der er es mir später fang.
Es reift schon die rothe Zwetschge von Bistritz,
Mein wirst du feyn, meine süße Babi, nach zwei Wochen,
Schon reift der wilde Apfel; die Braune ist wohl falscher;
Schon blüht die weiße Rose; die Blonde ist mehr heimlich.
29
Ich gehe bis ans Ende im Hofe einer schönen Frau,
Unwillkührlich blicke ich in ein Fenster hinein,
Ich sehe meine Liebste in eines Andern Armen,
Nun träfe mich schon. Alles – Gott, wie bedaur' ich.
Und sie sagte mir doch, fie fey meine treue Geliebte,
Es war aber nur ein eitles Geschwätz;
Ich glaube ihren Worten nicht mehr; o könnt' ich beide vergeffen:
Falsch ist ihr Leib und Seele, der Blonden wie der Braunen.
Der alte Ungar und ich wurden später gute Freunde
und rauchten manche Pfeife zusammen. Den ganzen Tag
über hatte sich das Wetter nicht gebessert. Bald stürmte
der Wind heftig und machte den Aufenthalt auf dem Ver-
deck unangenehm, dann regnete es wieder und trieb uns
vollends in die Kajüten. Doch abgesehen davon, daß die
freie Luft oben viel angenehmer ist, als die Atmosphäre
unter dem Deck, verloren wir heute an der Aussicht nicht -
viel; denn im Allgemeinen sind die einförmigen Ebenen,
durch welche sich von Pesth bis Apatin der Strom hinzieht,
ohne Reiz für das Auge; erst wenn man sich den Gränzen
des Banats und Serbiens nähert, gewinnt die Landschaft
ein großartigeres Ansehen durch die Gebirge Bosniens und
Serbiens, welche bei heiterem Wetter von Zeit zu Zeit ficht-
bar werden. Abends gegen neun Uhr kamen wir nach
Baja, wo wir dicht am Ufer Anker warfen, um, da die
Dunkelheit der Nacht es nicht erlaubte, weiter zu fahren,
hier den Morgen zu erwarten. Wir richteten uns in den
Kajüten so gut wie möglich ein. Die ältern Herren aus der
Gesellschaft nahmen die Betten in Beschlag, die da waren, und
wir jüngern mußten uns mit den gepolsterten Bänken begnügen.
Doch nahm ich meinen Reisesack unter den Kopf, deckte meinen
Mantel über mich und man kann denken, daß ich bald ein-
schlief; denn war ich nicht gesund, jung, und glücklich, indem
ich die schöne Reise in das gelobte Land vor mir hatte.
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Den folgenden Tag hatte sich das Wetter noch nicht
gebeffert, es stürmte und regnete in Einem fort. Ich hatte
mich sehr auf die Ufer gefreut, bei denen wir heute vorbei-
fuhren; doch erlaubte uns das Wetter nicht viel mehr, als
das Land durch die Kajütenfenster zu betrachten. Wir kamen
Abends nach Neusatz und Peterwardein, dem Grabe des
tapfern Savojerfürsten Eugen, der riesigen Festung, deren
Bastionen sich mit zahllosen Feuerschlünden besetzt, hoch über
einander erheben. Die Großartigkeit dieser Festung tritt
aber dem Vorüberziehenden erst recht ins Auge, wenn er
die Landzunge umschifft, welche völlig und eben so riesenhaft
befestigt ist. Eine Militär-Schiffbrücke, die aber Morgens
und Abends nach gegebenem Signalschuß gesperrt wird, ver-
bindet Neusatz mit Peterwardein. Wir brachten die Nacht
am Ufer zu und verlebten den folgenden Tag, den 20. O-
tober, fast wieder beständig in den Kajüten. Heute behan-
delte uns aber auch der Himmel auf die betrübendste Weise.
Der Regen strömte vom frühen Morgen herab, und als wir
gegen Mittag 11 Uhr bei Semlin anlegten, war es nur der alte
bekannte Name dieser Stadt, der mich bewog, das Schiff zu
verlaffen, um den Platz zu sehen, von dem das alte Lied sagt:
Bei Semlin schlug man das Lager,
Alle Türken zu verjagen. -
Ich kaufte mir zum Andenken an diesen Ort einen
Pfeifenkopf, den ich noch heute aufbewahre. Nach einigen
Stunden lichteten wir aufs Neue die Anker und sahen bald
Belgrad vor uns liegen. Hier befindet man sich schon halb
in der Türkei; nur das linke Ufer gehört noch zu Oestreich,
daher auch die Schiffe demselben möglichst nahe bleiben,
indem durch die Berührung der rechten Seite man die Pest
oder nach der Rückkehr in's Oestreichische Gebiet die Quaran-
taine zu fürchten hat. Ich kleidete mich gerade etwas um,
da mich die Tour nach Semlin sehr durchnäßt hatte, als
31
ich bemerkte, daß unser Schiff nach einem gelinden Stoße
plötzlich fest faß. Alles lief auf's Verdeck, wo wir bald
gewahr wurden, daß wir auf einer Sandbank mitten in der
Donau festsaßen. Im dichtesten Regen ließ man die Boote
in’s Waffer, um seitwärts einen Anker zu werfen, an dem
man das Schiff vermittelt der Wende drehen und von der
Bank herunter bringen könne. Doch mußte dies Manöver
mehrmals wiederholt werden, ehe sich das Schiff von der
Stelle bewegte, und auf diese Art dauerte es mehrere
Stunden, bis wir wieder flott wurden. -
Das beständig dunkle Wetter und die dichten Nebel,
die jede Aussicht sperrten und uns den Morgen erst spät
abfahren und den Abend früh anhalten ließen, hemmten sehr
den Fortgang unserer Reise, und ließen uns die Station,
bis wo unser Dampfboot, der Zriny, ging, statt heute, erst
morgen erreichen. Schon früh am Abend zwang uns die
Dunkelheit, diesmal mitten in der Donau anzuhalten, und
wir kamen erst am 21. gegen Abend nach Drenkowa, eine
Station der Dampfschiffe, welche aus zwei Häusern, wovon
das eine ein Kohlenmagazin, das andere ein Gasthaus für
Fremde ist, oder vielmehr feyn foll, besteht. Doch fanden wir
es so ärmlich eingerichtet, ohne Betten, daß es keinem von
uns auch nur in den Sinn kam, das wohl eingerichtete
Dampfboot die Nacht über zu verlaffen.
Wir hatten hier ein sonderbares Abenteuer. Der
Maler F., Doctor B. und ich gingen, als der Regen etwas
nachgelaffen hatte, an den Strand, wo wir kleine Kiesel
und Muscheln auflasen. Plötzlich deutete F. in die Berge
hinauf, die hier mit dichtem Wald bewachsen, an's Ufer der
Donau treten, und behauptete, da oben einen Bären gesehen
zu haben. Ich muß gestehen, es kam mir auch so vor, als
habe ich im Augenblick ein großes Thier zwischen den Ge-
büschen verschwinden gesehen. Wir eilten ins Schiff zurück,
32
nahmen unsere Gewehre und stiegen, in Begleitung von
einigen. Andern aus der Gesellschaft, die Höhen hinan.
Wirklich fanden wir auch oben auf der Höhe die Spuren
eines großen Raubthiers. Doch war der Boden sehr un-
günstig mit dickem Laub bedeckt, weshalb wir die Fährte
nicht genau unterscheiden und verfolgen konnten. Ein paar
Stunden liefen wir so in den Bergen herum, ohne jenes
Thier wieder zu sehen. Doch schoß der Maler einen Fuchs
und der Baron v. T. und ich einen Reiher, der, als wir
wieder zur Donau hinabstiegen, vor uns aufging.
Am folgenden Morgen spähten wir, ängstlicher als die
vorhergehenden Tage, nach dem Wetter; denn heute mußten
wir das Dampfboot verlaffen und uns einem kleinen flachen
Fahrzeug anvertrauen, denn nur auf einem solchen gelangt
man über die vielen Untiefen.
Nachmittags kamen wir an eine der prächtigsten Stellen
der Donau, wo dieselbe an zweitausend Schritte Breite hat, und
mit ihren wilden Felsufern den schönsten See bildet. Vor uns
sahen wir ein altes Schloß mit hohen Thürmen und Mauern,
Columbacs, dessen Werke sich auf einen fpitzen Felskegel hinauf-
und hinabziehen. Dies Schloß hat ein wunderbares, geheim-
mißvolles Aussehen, und gewährt, in der gewaltigen wilden
Natur allein stehend, einen der schönsten Anblicke. Der Sage
nach war der Thurm dieses Schloffes, der am höchsten liegt,
das Gefängniß der schönen griechischen Kaiserin Helene.
Am Fuße dieses seltsamen Gebäudes verengt sich der
mächtige Strom auf einmal bis auf eine Breite von vierhun-
dert Schritt und fließt zwischen senkrechten himmelhohen Fels-
wänden, wie in einer düstern Schlucht in rascherm Laufe
weiter. Auf der linken Seite des Stromes, dem Columbaeser
Schloffe gegenüber, befindet sich ein hoher kegelförmiger Fel-
fen, Babekage, von dem man erzählt, daß ein Fischer, der
eine sehr böse Frau gehabt habe, sie unter dem Vorwand,
33
dort unter dem Felsen Netze auszustellen, mit hinaufgenom-
men und gleich einer zweiten Ariadne verlaffen, wo sie aber
elend ums Leben gekommen. Nicht weit davon sieht man
aus dem Strom zwei kleinere Felsen emporragen, wegen
ihrer seltsamen Gestalt nach der man fie, aus der Ferne gesehen,
für zwei schwimmende Büffel halten könnte, Bivoli genannt.
So schön diese Gegend ist, so schön die malerischen
Felsenwände, mit dem saftigsten Grün bedeckt und mit
Quellen verziert sind, die hie und da kleine Wafferfälle bil-
den, so erzeugt doch diese herrliche Gegend, besonders die
Höhlen und Schlünde um das Columbacser Schloß, eine
der größten Plagen für das umliegende Land, die fogenann-
ten Mordmücken. Im Anfange des Sommers dringen näm-
lich von hier aus unermeßliche Schwärme dieser kleinen Mücken-
art (Similium reptans), die auch bei uns, aber in geringer
Anzahl vorkommt, über die Ebene, überfallen ganze Heerden
Vieh, dem sie durch die Nase uud den Mund in die Luftröhre
und die Eingeweide kriechen und tödten es plötzlich oder
bringen es wenigstens in große Lebensgefahr.
Eine kurze Strecke weiter unten sieht man zu beiden
Seiten zwei großartige Werke der ältesten und neuesten Zeit.
Auf der rechten Seite der Donau, ungefähr dem Dorfe
Jeschelnitza gegenüber, befindet sich eine Inschrift an der
Felswand, deren Charaktere man jedoch vom Boot aus nicht
entziffern kann, da sie von dem Feuer der Hirten fast ganz
mit Ruß überzogen sind. Sie bezieht sich auf einen Lein-
pfad, den die Römer zu Trajans Zeiten anlegten, um ihre
Schiffe aufwärts zu ziehen. Es muß ein wahres Riesenwerk
gewesen seyn, denn die Ufer fallen hier in senkrechten Fels-
wänden bis in die Donau. An einigen Stellen ist der
schmale Gang dicht über dem Niveau des höchsten Waffer-
standes in den Stein hineingemeißelt, an andern, wo diese
Arbeit gar zu mühselig gewesen wäre, sieht man noch kleine
Hackländer, R, in d, O. I. 3
34
viereckige Löcher in die Felsen gehauen, worin Balken steckten,
auf welche Bretter gelegt wurden, die eine Brücke bildeten.
"Da dies rechte Ufer wegen der Pest als „compromittiert“
für den Verkehr geschloffen ist, so hat sich der Graf Szeche-
nyi für fein Vaterland fehr verdient gemacht, indem er da-
gegen auf dem linken Ufer eine neue Straße von Ogradina
bis Kaszan baute. Diese zieht sich, breite, hohe Galle-
rien bildend, durch senkrechte Felswände hin, die gegen den
Strom hin geöffnet sind, wobei sich durch die mannigfachen
Krümmungen, welche die Straße macht, überraschende und
prachtvolle Gebirgsparthien entfaltet, welche den Blick des
Reisenden, bald auf dem linken, bald auf dem rechten Ufer
feffeln. Es gewährt ein besonderes Vergnügen, auf dem
brausenden Strome zwischen den coloffalen Felsmaffen, wie
auf einer bequemen Straße hinzuziehen und ist besonders rei-
zend für den, welcher Berge und Thäler auf unwegsamen
Pfaden zu durchstreifen gewohnt ist. Am Fuß des Berges
Schukuru, der Blutberg, von einer Niederlage, die die Tür-
ken hier erlitten, so genannt, legte unser Boot an, und wir
erstiegen den Berg, um die von alten Schanzen umgebene
und durch die überhängende Felswand geschützte Höhle zu
betreten, aus welcher im Jahr 1592 der General Veterani mit
dreihundert Deutschen und einer kleinen Anzahl serbischer Sol-
daten die Schifffahrt der Türken auf der Donau und selbst
ihre Bewegungen auf dem Lande fast gänzlich hemmte. Die
Höhle, die in alter Zeit Romanaz hieß, wird jetzt allgemein
die Veteranische genannt. Sie besteht aus einem einzelnen
größeren Gewölbe und ist so geräumig, daß sie wohl sieben-
hundert Mann Besatzung faffen könnte.
Bald erweiterte sich die Schlucht, und wir sahen auf
dem linken Ufer Alt-Orlowa liegen, das mit freundlichen
Häusern, die hie und da zwischen Gärten verheilt sind,
bei heiterem Wetter einen ganz andern Eindruck auf uns
35
hervorbrachte, wie gestern Drenkowa. Alt-Orlowa sprach
mich besonders an; in diesem Städtchen, dessen Handel und
Gewerbe zur Zeit der Continentalsperre, wo der Weg von
der Levante hier durchging, fehr blühend war, später aber
ganz in Verfall gerieth, zeigt sich wieder frisch aufblühendes
Leben. Die Schifffahrt ist hier der Untiefen wegen nur für
kleinere Fahrzeuge zugänglich, daher die Waaren umge-
laden und aufgespeichert werden müffen. Indem man den
Ort zum Hauptstapelplatz dieser Gegend wählte, zog man
eine gute Zahl Menschen an, deren kräftige Hände bei den
nöthigen Bauten zum Felsensprengen c. verwendet werden.
So fanden. Viele Erwerb und bevölkerten die neue Stadt.
Die Dampfschifffahrts-Gesellschaft ließ hier ein schönes Haus
an einer reizenden Stelle des Ufers erbauen, in welchem sie
ihre Reisenden unentgeltlich beherbergt, damit sie nicht ge-
nöthigt sind, sich den schlechten Wirthshäusern anzuvertrauen.
Wir fanden hier freundliche Zimmer, gute Betten und ließen
uns den trefflichen Kaffee schmecken. Aus unserem Zimmer
hatten wir die herrlichste Aussicht: auf einer Insel der Donau
welche hier von hohen Gebirgen eingeschloffen, wieder einem
kleineren See gleicht, erblickt man die türkische Festung Neu-
Orlowa, deren Lage an Isola bella im Lago Maggiore er-
innert. Behaglich in meiner gastlichen Wohnung überließ
ich mich den Träumen, die in solcher von der Natur ausge-
zeichneten Oertlichkeit sich ungesucht einfinden. Im Ange-
ficht der Türken denkt man gern an die Wohlthaten, welche
eine verständige Verwaltung hier verbreiten könnte. Die
Völker sind kräftig und gut, das Land fruchtbar und durch
seine Lage an der Gränze zweier Welttheile begünstigt. Es
wäre nicht nöthig, die Türken auszurotten oder zu verjagen,
man sollte ihnen nur zu Hülfe kommen durch Einführung
einer geordneten civilisierten Regierung. Wird die nächste
Zukunft den Beweis höherer europäischer Gesittung liefern,
3
36
indem sie die Barbarei aus diesen schönen Ländern entfernt?
Wir wollen es hoffen.
Der Abend war gar zu schön. Die Sonne ging freund-
lich hinter den Bergen unter und füllte das Thal mit einem
blauen Duft, und ich verließ mein Zimmer, um die Geschäf-
tigkeit des Orts in Augenschein zu nehmen. Mit Intereffe
war ich Zeuge des hier bedeutenden Fischfangs, durch wel-
chen unzählige Störe und Haufen gewonnen werden. Man
bereitet aus ihnen Caviar, der jedoch an Güte dem russischen
nicht gleichkommen soll. Zu Gunsten der Feinschmecker wird
man vielleicht künftig für kunstreichere Bereitung forgen.
Auch die hiesigen Goldwäschereien in der Donau lernte
ich kennen. Sie sind weit einträglicher, als die auf dem obern
Theile der Donau. Man erzählte mir von einem Manne,
der binnen vier Wochen für sich allein Gold, achtzig Gulden
Conventions-Münze an Werth, durch die Wäsche gewonnen
hatte. Das Metall soll vorzüglich durch Flüffe, die aus
den türkischen Gebirgen kommen, herbeigeführt werden.
Die wichtigste, belebendste Thätigkeit geht jedoch hier von
der Dampfschifffahrtsgesellschaft aus. Sie ließ damals kleine
eiserne Dampfboote von zwanzig Pferdekraft bauen, mit denen
der Engpaß Islaz und das eiserne Thor befahren werden sollten.
Am andern Morgen verließen wir in zwei kleinen Schif-
fen Alt-Orlowa; im ersten waren wir, im zweiten der Lord
Londonderry mit seinem Gefolge. Wir nannten letzteres nur
das Herrenschiff aus Uri. Nach einer Stunde fuhren wir
bei der türkischen Festung Neu-Orlowa vorbei. Die Oest-
reicher bauten sie unter Leopold I. Die Türken eroberten
aber später den Platz, und obgleich seitdem ihre Gränzen von
den Karpathen bis zu dem Balkan zurückgedrängt wurden,
blieb ihnen doch noch dies Eiland und bis heute haust noch
ein Pascha in Neu-Orlowa, das von den Türken Ada-
Kaleffi, die Insel-Festung genannt wird. Sie hat viel
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Mauerwerk, sogar zwei detaschirte Forts, aber Alles ist im
kleinsten Maßstab gebaut. Ihre Geschütze beherrschen die
Fahrt auf der Donau vollkommen; doch fah mir das kleine,
schmutzige, zerfallene Nest so aus, als würde man bei nähe-
rer Besichtigung alles Andere eher finden, wie Geschütze und
Munition in brauchbarem Zustand.
Ada-Kaleffi gegenüber liegt an dem schroff abfallenden
Ufer das Fort Elisabeth, das mit seinen massiven Bastionen
und einem schön gebauten Thurm einen beffern Anblick gewährt.
Näher und näher kamen wir indessen dem eisernen Thor,
diesem Engpaß der Donau, über den man nur auf kleinen Käh-
nen setzen kann, hörten ein gewaltiges Brausen und Rauschen
und sahen das Waffer auf einer langen Strecke wallend
aufsprudeln, als würde es durch unterirdische Feuer erhitzt.
Die Donau fließt hier in einer Länge von fünfzehnhundert
Schritt über mehrere niedrige Felsbänke, die das Bette quer
durchsetzen. Obgleich nur bei ganz niedrigem Wafferstande
die Klippen sichtbar sind, so entsteht doch durch das starke
Gefälle des Stromes, der hier acht bis neun hundert Fuß
breit ist, ein heftiger Strudel und Wirbel, an dem man die
Fahrzeuge. nur mit der größten Umsicht vorbeisteuern kann.
Unsere beiden Schiffe gelangten ohne Gefahr und glück-
lich durch das eiserne Thor, unterhalb welchem das Dampf-
boot Panonia, das zu unserer Weiterbeförderung bestimmt war,
bei Szkella Gladowa lag.
Das Wetter war heute wieder recht günstig und gewährte
uns eine entzückende Aussicht auf die Karpathen, welche sich
in der Ferne mit ihren beschneiten Gipfeln ausbreiteten.
Da wir am andern Tage das Dampfboot verlaffen woll-
ten, um unsern Weg zu Land durch die Türkei fortzusetzen,
fo beschäftigten wir uns heute damit, unser Gepäck zu thei-
len, um das Nöthigste, was wir an Wäsche und sonstigen
Sachen brauchten, mit uns zu nehmen und die schwereren
38
Koffer auf dem Dampfboote nach Constantinopel gehen zu
laffen. Wir hatten in Wien kleine lederne Koffer gekauft, die
dazu eingerichtet waren, um sie wie Tragkörbe rechts und links
an ein Pferd hängen zu können. Diese, so wie unsere leich-
teren Nachtsäcke, wurden mit den nöthigsten Sachen angefüllt.
Früher einmal hatte die Lady L. den Wunsch geäußert,
die Reise durch die Wallachei und Rumelien ebenfalls zu
machen und erst unsern dringenden Vorstellungen, so wie
denen des Herrn Gemahls und der Schiffsoffiziere, daß dort
oft nicht einmal an gute Wege für Saumthiere, geschweige
an einen Wagen zu denken fey, und daß die Päffe im Bal-
kan in dieser Jahreszeit mit Schnee und Eis bedeckt und
von Räubern unsicher gemacht feyen, gab sie endlich nach und
ihr Vorhaben, mit uns zu reiten, auf. Ihr junger Lands-
mann Napier dagegen, von dem ich oben sprach, schloß sich
als ein sehr willkommener Reisegesellschafter uns an.
Die Sonne, welche heute freundlich untergehend, auf
Morgen einen guten Tag versprach, hielt uns nicht Wort;
denn als ich am folgenden Morgen von meiner Bank, auf
der ich die Nacht über gelegen, durchs Fenster sah, war der
Himmel mit dunkeln Wolken überzogen, die uns eine Stunde
darauf einen anhaltenden Regen herabandten, der bis zur
Nacht, wo wir bei Giorgewo anlegten, fortdauerte.
Der Abend vereinigte unsere ganze Gesellschaft noch
einmal in der großen Kajüte, wo wir bei einem Glase Punsch
die vergnügten Stunden durchgingen, welche wir in den
Tagen, die wir zusammen auf dem Boote zubrachten, genoffen
hatten. Es that uns leid, von so angenehmer Gesellschaft
fcheiden zu müffen, von so guten Menschen, die wir viel-
leicht nie wieder sehen.
Mitt durch die europäische Türkei.
Türkische Posteinrichtung. – Giorgewo: Schmutz auf den Straßen.
Quarantaine. Kleidning der Türken. – Rutschuk. Tartaren. Das
Paßbureau. Bulgarische Fußbekleidung. Unsere Pferde. Der Ramasan.
– Rasgrad. – Schumla. – Ritt über den Balkan. – Dobrol. –
Faki. – Adrianopel: Quarantaine. Das alte Serail. Selim's
Moschee. Eine Soirée beim Pascha. Illumination. Tanzende Knaben.
Schatal Burgas. Silivri. – Das Meer. – Ankunft in Constan-
tinopel. – Pension der Madame Balbiani.
– Wenn auf muth'gen Roffen man zu Dritt
Macht oder Vieren einen wilden Ritt,
Ist's Poesie.
Freiligrath.
Die Seen" ist roh, doch neu; das macht der Reife
Beschwerden füß. –
Byron.
Wenn man in civilisierten Ländern über Reisebeschwerden
klagt, so versteht man darunter ein paar Nächte, die man
vielleicht im bequemen, dicht verschloffenen Wagen zubringen
mußte, oder eine holprichte Straße, eine Station, auf der
man unbeschreiblich schlecht zu Mittag gespeist, oder wo der
knausernde Wirth fo boshaft langsam fervirt, daß einen das
zur Abfahrt mahnende Horn des Schwagers schon aus den
angenehmen Rindfleischträumen reißt und man die Herrlich-
keiten des Bratens u. f. w. nur in Gedanken genießt. Das
Schlimmste, was passieren kann, ist das Umschlagen des
Wagens, oder ein überfüllter Gasthof, wo nur die Barm-
herzigkeit des Oberkellners dem unglücklichen Ankömmling
irgend ein Winkelchen anweist. Wem schon solche Klei-
nigkeiten überlästig vorgekommen sind, der unterstehe sich ja
nicht, zu Lande nach Constantinopel zu gehen, oder auch nur
eine kurze Strecke im Innern der Türkei zu reisen, sondern
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bleibe von Wien auf dem Dampfboote, wo er eine reinliche
Kajüte, ziemlich gutes Effen und am Abend weiche Matratzen hat.
Die türkische Posteinrichtung befindet sich noch in der
unmündigten Kindheit. Man kann zu Wagen reisen, was
etwas bequemer, indeß nur im hohen Sommer überhaupt
möglich ist, wo die Haiden, über welche meistens der Weg
geht, von der Sonnenhitze fest getrocknet sind. Das Fuhr-
werk ist ein Leiterwagen, mit Matten bedeckt und mit Stroh
gefüllt, auf dem sich der Reisende ausstreckt, und es dann
der Vorsehung und dem in vollem Galopp dahinbrausenden
Postillon überlaffen muß, ob er überhaupt und mit ganzen
Gliedern nach dem Orte feiner Bestimmung kommt.
Die auch beim heißesten Wetter in ihre dicken Pelze
gehüllten Bursche – ich spreche jetzt hauptsächlich von der
Wallachei, da in Bulgarien und Rumelien das Reisen im
Wagen fast unerhört ist – jagen dahin, ohne sich viel um-
zusehen, und wenn der Reisende durch einen starken Stoß
von seinem Sitz auf die Straße geschleudert wird und sein
Geschrei nicht zu den Ohren des Postillons gelangt, so ist
es schon gekommen, daß die Roffelenker mit umgekehrtem
Wagen auf der Station angelangt sind und nachher wieder
umkehren mußten, ihren Paffagier zu suchen.
Wir zogen es vor, zu Pferde zu reisen, da man so
noch schneller fortkommt, und wir zudem das Balkangebirge
zu übersteigen hatten, wo an kein Fahren zu denken ist.
Auf dem Dampfschiffe hatten uns fast alle des Landes und
des Weges Kundige abgerathen, überhaupt in dieser Jahres-
zeit die Türkei zu Lande zu bereisen, wobei man uns fast
unüberwindliche Hindernisse vormalte. Da wir aber einiges
Ungemach zu ertragen bereit waren, um ein Land wie das
Innere der Türkei kennen zu lernen, wir auch alle kräftige
junge Leute waren, so brachte keine Vorstellung uns von
unserem Vorhaben ab.
43
Schon in Orsova hatten wir das Vergnügen, den ersten
wallachischen Postzug zu sehen, jedoch nicht vollständig, indem
die Pferde vor eine Wiener Kalesche gespannt waren. Sie
erwartete hier einen Herrn Floresco, Polizeidirector in
Bucharest, der mit uns von Pesth an auf dem Dampfschiff
gewesen war. Der Wagen war mit acht Pferden bespannt,
welche von zwei baumlangen, in zottige Schafpelze gehüllten
Burschen gelenkt wurden, deren Füße bei der Kleinheit der
Thiere beinahe den Boden berührten, was äußerst drollig
aussah. Hinterdrein ritt eine Escorte von vier Gensdarmen,
in weiten Hosen, blauen runden Jacken, das Fez auf dem
Kopfe, Pistolen und Dolch im Gürtel und den Kantschuh
an der Faust. Sie fausten im Carrière dahin und waren
in wenigen Minuten aus unserem Gesichtskreise.
Am 25. October Abends kamen wir bei der türkischen
Stadt Rustschuk vorüber, welche unser Schiff mit drei Kanonen-
schüffen falutierte, weil wir, dem strömenden Regen zum Trotze,
zwei Flaggen am Mast führten, an der Spitze die groß-
britannische, zu Ehren des Lord Londonderry, und darunter
die türkische, den goldenen Halbmond im rothen Felde, für
den Emin Pascha. Wir legten am linken Donauufer an,
bei Giorgewo, welcher Ort jedoch eine halbe Stunde vom
Fluß abliegt. Da der Regen über Nacht aufgehört hatte
und der heitere blaue Himmel einen angenehmen Tag ver-
sprach, verließen wir am folgenden Morgen das Schiff und
gingen zu Fuß nach Giorgewo, wo unsere Päffe visiert werden
mußten, worauf wir nach Rustschuk aufs rechte Donauufer über-
fetzen wollten, um von da unsere Reise zu Pferd fortzusetzen.
Giorgewo oder Gjurgew war die erste walachische Stadt,
die wir betraten. Wenn ich mir auch nach Allem, was ich
über den türkischen Schmutz gelesen, keine große Vorstellung
von diesem Ort gemacht hatte, so ging doch das, was ich
hier in der Wirklichkeit vor mir sah, völlig über meine Be-
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griffe. Wären nicht aus den mit Zweigen durchflochtenen
und mit Mist bedeckten vier Pfählen schmutzig braune, mensch-
liche Gestalten hervorgekrochen, so hätte ich geglaubt, die
Erdhöhlen, an denen wir vorbeikamen, feyen Stallungen für
Büffel und Schweine, d. h. für türkisches Vieh, denn ein
ordentlicher deutscher Ochse würde sich geweigert haben, in
diese Schmutzlöcher zu kriechen. Die kleinen walachischen
Kinder saßen auf der Erde, plätscherten mit den Händen in
der Mitjauche und sahen uns verwundert an; wohin man
blickte, nichts als Elend und eine Unreinlichkeit über alle
Vorstellung. Die meisten Wohnungen hatten nicht einmal
vier Pfähle, sondern bestanden nur aus einem in die Erde
gegrabenen Loche, mit Zweigen und Rasen bedeckt; Männer
und Weiber waren in braune oder schwarze Schafpelze ge-
hüllt und fast nicht von einander zu unterscheiden. Indeffen
bot nicht der ganze Ort einen so betrübenden Anblick dar;
bald erschienen rechts und links Häuser aus Ziegelsteinen,
deren Fenster aber meistens aus Papier bestanden, und end-
lich befanden wir uns in einer beffern Region, wo um
die Kirche mit ihren byzanthinischen Kuppelthürmen etwa
zwanzig ziemlich gut aussehende Häuser lagen.
Mit leichterem Herzen, denn was wir vorhin gesehen,
hatte uns ernstlich für unsere nächste Zukunft besorgt ge-
macht, steuerten wir einem der Häuser zu, an welchem in
russischer und französischer Sprache zu lesen war, daß hier
der Agent der östreichischen Donaudampfschifffahrtsgesellschaft
wohne. Sein Name ist Staude; ein sehr artiger Mann,
der uns aufs Zuvorkommendste empfing und für unser schnelles
Fortkommen aufs Beste forgte. Bald begaben wir uns in
Begleitung dieses Mannes mit unserm wenigen Gepäck,
unsern Mänteln, Pelzen und Waffen nach der Quarantäne
von Giorgewo, wo uns ein türkisches Schiff, welches Früchte
herübergebracht hatte, aufnehmen und übersetzen sollte. An
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der Quarantäne herrschte reges Leben. Es wurde eben
zwischen doppelten Barrièren Markt gehalten. Weil die
Türken des rechten Ufers fich nicht mit den Wallachen ver-
mischen dürfen, so legen die erstern ihre Trauben, ihren Honig
u. f. w. zwischen die Barrieren, wo sie von den letztern weg-
genommen und auf dieselbe Art bezahlt werden. Es ist ein
unheimliches Gefühl, wenn man sieht, wie ein Mensch den
andern meidet, wie ein giftiges Thier, und stets den langen
Stock vor sich hinstreckt, um ja nicht berührt zu werden. -
Zum ersten Male sahen wir uns hier mitten in das
für uns so fremdartige Treiben der Türken versetzt, sahen
uns umgeben von Turbanen und langen Bärten. Mir
schwebten die Mährchen der tausend und einen Nacht lebhaft
- vor, als ich sie in ihren weiten Pantoffeln fich träg daher
schleppen sah, wobei sie mit halbgeschloffenen Augen in langen
Zügen den Tabakrauch ein schlürften, um ihn wieder eben so
langsam von sich zu blasen. Ihre Kleidung besteht hier in
sehr weiten Beinkleidern, meistens von dunkler Farbe, grau,
blau, grün, aus weißen wollenen Strümpfen mit Pantoffeln,
einer farbigen Jacke und dem unentbehrlichen Gürtel, einer
Schärpe von ungeheurer Länge, die sie vielmal um den Leib
wickeln, und in welcher sie ihre Waffen, lange Pistolen und
Dolche und eine eiserne Feuerzange tragen, die ungefähr
anderthalb Fuß lang ist und zum Auflegen der Kohlen auf
die Pfeife dient. -
In diesem Gürtel steckt ferner die Pfeife, Tabak, Brod,
ein Taschentuch, das selbst beim geringsten Bootsknecht mit
Gold und Seide gestickt ist, und noch so viele andere Gegen-
fände, daß er nicht selten mehrere Schuh dick aufschwillt und
sich äußerst lächerlich ausnimmt. Der Türke aber sieht mit
Wohlgefallen auf dieses Vorgebirge und drückt die langen
Hälse seiner Pistolen vor, so weit immer möglich.
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Nachdem wir für zwanzig Kreuzer beinahe eine halbe
Schiffsladung der schönsten füßesten Trauben gekauft, um sie
während der Ueberfahrt zu verzehren, traten wir zu den
Türken hinter die Barrière, und durften nun die Wallachei
nicht mehr betreten, ohne fünf Tage Quarantäne zu halten,
deren strenge Hand uns auf diese Art unwiderruflich von der
Heimath schied. Wir fetzten in einem ziemlich geräumigen
Boote nach Rustschuk über. Da dieses oberhalb Giorgewo
liegt, mußten wir stromaufwärts fahren und blieben so zwei
Stunden auf der Donau, welche hier sehr breit ist. An's
Land gestiegen, wurden wir von einem Haufen Türken um-
ringt, welche neugierig unsere Sachen musterten, hauptsächlich
die Percussionsschlöffer unserer Gewehre und Pistolen; denn
ihre Feuerwaffen sind noch alle mit äußerst dünnen, scharfen
Steinen versehen. Der Steuermann des Boots brachte uns
zum Agenten der Donaudampfschifffahrts-Gesellschaft, an
den der Baron empfohlen war, und mit dem er die Mittel
zu unserm fernern Fortkommen besprach. Die Post in der
Türkei ist keine von der Regierung geleitete oder unterstützte
Anstalt. Jeder Pascha hält sich zuverlässige, des Weges
kundige Leute, sogenannte Tartaren. Diese bringen als
reitende Boten die Depeschen aus den verschiedenen Districten
nach der Hauptstadt, begleiten aber auch Reisende. Die
Transportmittel, Pferde und Wagen, werden von Privaten
geliefert, welche dafür eine vom Staat festgesetzte Bezahlung
erhalten. Wir ließen den Chef der Rutschuk'schen Tartaren
kommen, um mit ihm alle Kosten unserer Reise zu verdingen;
denn meistens sorgt der Tartar außer den Pferden auch für
Nahrung und Nachtquartier. Für uns brauchten wir fünf
Pferde, ferner eines für den Tartaren, eines für das Ge-
päcke und zwei für die Sürüdfchi – so heißen die Reit-
knechte, welche die Pferde zur Station zurückbringen – im
Ganzen neun; wofür wir bis Constantinopel, mit Einschluß
47
aller Lebensmittel und Quartierkosten, 7000 Piaster, also
700 Gulden C. M. bezahlen mußten. Die Tare, welche
schwankt, war im Augenblick drei Piaster für jedes Pferd
und jede Stunde. Die Hälfte obiger Summe wurde mit
350 Gulden dem Chef der Tartaren eingehändigt; die andere
Hälfte bekam unser Führer bei unserer Ankunft in Con-
stantinopel.
Jetzt mußten unsere Päffe bei der türkischen Behörde
visiert werden, und ich ging unter Begleitung des Apothekers
des Orts, welcher etwas italienisch verstand, nach der Burg
des Pascha. -
Der Theil der Stadt, den wir durchschritten, um zur
Residenz zu gelangen, sah nicht sehr erbaulich aus. Drei
ziemlich lange Straßen, zu beiden Seiten mit Kramläden
oder offenen Gewölben besetzt, in welchen Handwerker aller
Art saßen, führten dahin. Keine war gepflastert oder auch
nur geebnet. Die Türken, welche uns, meistens in ziemlich
schmutzigen Anzügen, begegneten, traten auf große platte Steine,
welche hie und da an den Häusern lagen und die Trottoirs vor-
stellten, und nur so war es möglich, durch die Stadt zu kom-
men, ohne mit jedem Schritt bis an die Knöchel einzufinken.
Dabei herrschte überall ein abscheulicher Knoblauchgeruch.
Die Weiber, denen ich begegnete, waren durchgängig
alt und dick, trotzdem aber sorgsam in ihre Schleier gewickelt,
aus denen nur Auge und Nase vorsahen.
Die Burg des Pascha gleicht dem Wohnhaus eines wohl-
habenden dentischen Landmanns, diverse Mistpfützen einge-
rechnet, in welchen sich Enten und ein paar langbeinige
Störche herumtrieben, welch' letztere mich vornehm über die
Achsel anschauten. Das Schloß hatte eine Art Terraffe,
auf der ein Dutzend Türken lagen, nichts thaten und Tabak
dazu rauchten. Im Hof stand das reich gezäumte und mit
einer rothamtenen Decke versehene Pferd des Pascha, der
48
im Begriff war, auszureiten, umgeben von drei, vier großen
schmutzigen Burschen, mit langen Stöcken bewaffnet. Ich
dachte lebhaft an die Bastonade.
Mein Apotheker führte mich in ein Zimmer zu ebener
Erde, wo sämmtliche Beamte des Pascha beschäftigt waren.
Links in der Ecke des Gemachs, an dessen vier Wänden sich
breite Divans befanden, lag ein alter Mann mit langem,
schneeweißen Barte und zählte aus einer eisernen Geldkiste
die Münzen in kleinen Häufchen vor sich hin; es war der
Finanzminister. Neben ihm fiegelte ein noch ziemlich junger
Mann einige Briefe zu, wahrscheinlich der Mann der aus-
wärtigen Angelegenheiten. Zu einem Dritten, der mit halb
geschloffenen Augen dalag und äußerst langsam und bedächtig
schrieb, brachte mich mein Führer und händigte ihm unsere
Päffe ein. Er durchfah fie, und ich mußte ihm unsere
Namen vorlagen, die er dann in den gräßlichsten Verrenkun-
gen wieder von sich gab, wobei auf dem äußerst lang-
weiligen Gesichte ein kleines Lächeln emporstieg. Auch mußte
ich ihm das Signalement eines jeden von uns vorsagen,
wobei er sich den Spaß machte und mich fragen ließ, ob
alle meine Reisegefährten so große Bärte hätten, wie ich.
Die Feder eines Reihers, den F. den Tag vorher an
der Donau geschoffen und die ich auf meine Mütze gesteckt,
erregte eine Aufmerksamkeit. Er ließ mich fragen, ob sie
vielleicht ein Zeichen meines Standes und meiner Würde fey,
und als ich dies verneinte, bat mich der Apotheker, die ab-
zunehmen. Auf dem Rückwege nöthigte mich diefer in feine
Wohnung, wo etwa zwanzig Töpfe und Gläser auf einem
Gestelle die ganze Offizin ausmachten. Er stopfte mir eine
Pfeife (Tschibuk), auf welche ein Diener- ein langer Schlingel,
der in einem weißleinenen Kittel und mit herzlich dummen Ge-
fichte dem Pierrot der italienischen Komödie vollkommen ähn-
lich fah – eine feurige Kohle legte. Nachdem ich einige
49
Züge geraucht, führte er mich zum Haufe des Agenten zurück,
wo unsere Pferde schon bereit standen, das heißt, mit einem
Halfter aus Stricken gezäumt, und auf dem Rücken eine
schmutzige Decke. So werden sie in der Türkei geliefert, und
der Reisende muß sich Sattel und Zeug selbst anschaffen. Wir
kauften drei alte türkische und zwei neue tartarische Sättel, die
nebst Zaum und Kantschuh fünfundfünfzig Gulden kosteten.
So gut und zweckmäßig wir auch für unser Reitcostüm
schon in der Heimath gesorgt hatten, so fanden wir es doch
hier für nöthig und äußerst geschickt, unsere Fußbekleidung
auf bulgarische Art einzurichten, und ich rathe jedem Reifen-
den, in gleichem Falle die Auslage einiger Gulden nicht
zu scheuen. Man kauft nämlich ein Paar ganz dünne zie-
genlederne Schuhe, die man über die gewöhnlichen Strümpfe
zieht; sie kosten an zwölf Piaster; über diese ein Paar soge-
nannte bulgarische Strümpfe, die bis über's Knie hinauf-
reichen, von Tuch und mit buntem Garn ausgenäht sind,
im Preis von dreißig Piaster. Dann kommen ein Paar
schwere Lederstiefeln, welche bis über die Wade gehen, vierzig
Piaster – und man hat die Füße auf's Sorgfältigste geschützt.
Die ganze Anschaffung kostet also zweiundachtzig Piaster =
zehn Gulden rheinisch, und gewährt dem Reisenden, wie ich
aus Erfahrung weiß, viel Angenehmes. Abends, wenn man
in den schlechten Khan kommt, wirft man mit Leichtigkeit
die schweren Stiefeln von sich, und streckt sich mit warmem
Fuß und Beinen, die der erwähnte lange Strumpf ge-
schützt, natürlich in voller Kleidung aufs Lager. Auch kauf-
ten wir für jeden von uns eine lange Peitsche mit kurzem
Stiel – den Kantschuh.
Durch das Aufschirren war es spät geworden, und als
wir auf den äußerst kleinen und schlecht aussehenden Pferden
durch die kothigen Straffen zur Stadt hinaustrabten, dun-
kelte es bereits. Unsere Caravane fah recht abenteuerlich
Hackländer, R, in d. O, 4
50
aus. Den Zug führte einer der Sürüdschi, ein alter Türke
mit langem Barte, Pistolen und Handfchar (Dolch) im
Gürtel. Er saß ganz krumm, die Kniee an den Hals herauf-
gezogen, auf seinem Roffe und führte das Packpferd an der
Hand. Hinter ihm ritt unser Tartar in feinem malerischen
Costüme, weite blaue Beinkleider, auf denen ein goldener
Stern als Zeichen feiner Würde gestickt war, und den er
nie mit dem Mantel bedeckte; an den Füßen weiße, blau
ausgenähte bulgarische Stiefel, ein rother Gürtel um den
Leib, darüber eine grüne schwarz ausgenähte Jacke, und auf
dem Kopf ein rothes Feß, mit langer, wallender blau feide-
ner Quaste. Ueber der Schulter hing an einer feidenen
Schnur ein schwarzledernes, goldgesticktes Täschchen, worin
er den Ferman des Pascha mit unsern Namen und der
Reiseroute aufbewahrte. Er hieß Hama und zeigte sich auf
der ganzen Tour als ein ehrlicher, umsichtiger und gefälliger
Mensch. Ihm folgten wir fünf, in unsere Pelze gehüllt,
eine leichte Reisemütze auf dem Kopfe, Gewehre, Pistolen,
Säbel an uns und am Sattel hängend. Unser Engländer
machte die ganze Reise im runden Hute und Makintosh, was
gegen die faltigen Turbane und weiten Kleider der Tür-
ken sehr abstach. Die Arrieregarde bildete der zweite Reit-
knecht. Als wir an das Stadtthor kamen, war daffelbe be-
reits geschloffen, und wir mußten eine gute halbe Stunde
warten, bis einer der Sürüdschi, der im Galopp zurückkehrte,
um die Schlüffel zu holen, wieder kam. Doch hatten wir
während der Zeit einen bezaubernd schönen Anblick, als wir
uns nach der Stadt umwandten. Der Ramasan hatte vor
wenigen Tagen begonnen; sobald während dieser heiligen Zeit
Sonnenuntergang durch einen Kanonenschuß verkündigt ist, ent-
zünden sich auf allen Moschee'n und Minarets hunderte von
Lampen und bilden eine glänzende Beleuchtung. Wie zählten
nicht weniger als neunundzwanzig dieser Thürme, welche bis an
51
die Spitze beleuchtet waren. Endlich kehrten wir diesem
Glanze den Rücken und zogen durch das knarrende Thor in
die finstere Nacht hinaus – ein Bild unserer Reise. Hinter
uns ließen wir die friedliche Heimath mit ihren hellen, rein-
lichen Straßen und munteren Bewohnern, und traten in ein
unfreundliches, schmutziges, uns gänzlich fremdes Land, dessen
Sprache keiner von uns verstand. Unter allen Tartaren
in Rustschuk war auch nicht einer zu finden, der nur ein
Wort italienisch oder französisch verstanden hätte, von deutsch
gar nicht zu reden. Unser Hamsa war wohl ein ganz brauch-
barer Tartar, da er aber keineswegs das Pulver erfunden
hatte, wurde es uns unsäglich schwer, ihm durch Pantomi-
unen etwas verständlich zu machen, und hätte der Baron
nicht die nothwendigsten Ausdrücke, wie: „Halt, fort, lang-
jam, schnell“ c. gewußt, so wären wir ganz verlaffen ge-
wesen. Trotz dem ritten wir munter in der Dunkelheit fort,
wünschten den Lieben zu Haus eine gute Nacht, zündeten
unsere Pfeifen an, und fangen ein deutsches Lied:
Steh' ich in finsterer Mitternacht
So einfam auf der fernen Wacht c.
Die Pferde, wie man sie in der Türkei zum Reiten
bekommt, find, wie schon gesagt, von kleiner, unansehnlicher
Gestalt und dieselben, welche bei uns unter dem Namen
Wallachen und Moldauer vorkommen, nur daß die hiesigen
bei kleinerer Figur etwas mehr Race haben. Ihr Gang ist
fortwährend ein kurzer, höchst unbequemer Trab, der den
Ungewohnten ungemein ermüdet. Man kommt indessen
damit sehr schnell von der Stelle, und thut am besten,
sich so bald als möglich in diese Gangart zu finden; denn
läßt man ein Pferd im Schritt gehen, um später in Trab
oder Galopp aufzurücken, so ist dies noch schlimmer, und
man kommt, wie ich selbst empfunden habe, halbtodt auf
4 %
- 52 -
-
die Station. Aber die Ausdauer der Pferde ist erstaunlich.
Sie laufen mit kurzen Pausen der Rat, des Tags zwanzig
deutsche Stunden ohne ein Korn Haber oder Heu, oder auch
nur Waffer zu bekommen, und am Abend merkt man ihnen
nicht einmal große Ermüdung an.
Es war heute Nacht sehr finster; und trotz dem an
keine Landstraße zu denken war, verirrte sich unser Führer
nie; der Weg lief bergauf, bergab über unbebaute Haiden.
Der Tartar ritt zuweilen zu uns heran und präsentierte uns
feine brennende lange Pfeife, eine große Freundschaftsbe-
zeugung bei den Türken, die wir nicht ausschlagen durften.
Jeder that einige Züge daraus, dann nahm er sie wieder
und sprengte vor an die Spitze des Zuges. Hie und da
zeigte sich in einer Schlucht ein Feuer bei Büffelheerden.
Jedesmal ritt unser Führer hin, wechselte einige Worte und
kam laut rufend zu uns zurück. Einigemal pafirten wir
Brücken, die aber so baufällig und unsicher waren, daß
Hamsa beinahe immer abstieg und unsere Pferde einzeln
hinüberführte. Um eilf Uhr wurde Halt gemacht. Wir
stiegen ab und ließen die Pferde eine halbe Stunde herum-
führen; dann ging es wieder fort.
Nachdem wir gegen drei Uhr Morgens die Pferde durch
einen Waldbach, der auf unserm Wege lag, hinabgeführt
hatten, kamen wir an eine alte, halbzerfallene Erdhütte, die
der Tartar mit einem lauten Hurrah begrüßte. Die Knechte
machten ein großes Feuer, er holte aus einer Satteltasche
sehr fein geriebenen, stark duftenden Kaffee und Zucker, setzte
ein kleines Pfännchen zum Feuer, warf Kaffee und Zucker
in das kochende Waffer und reichte uns das Gemisch, eine
ziemlich dicke braune Brühe, in kleinen porzellanenen Taffen.
Es schmeckte nicht übel, nur fand ich kein Behagen am
Kaffeesatz, den die Türken stets hinunterschluckten.
53
Unser Vorsatz war, die ganze Nacht zu reiten, um
den folgenden Tag zeitig in Schumla einzutreffen. Als wir
aber um fünf Uhr Morgens auf der ersten Station, einer
kleinen türkischen Stadt, Rasgrad, anlangten, waren die
meisten von uns so ermüdet – wir hatten von Rustschuk
hieher sechszehn deutsche Stunden zurückgelegt – daß wir
uns vom Tartaren gleich in ein Wirthshaus (Chan) führen
ließen. Als wir in den Ort hineinritten, stimmten
unsere drei Begleiter ein über alle Beschreibung unan-
genehmes, wahrhaft ohrzerreißendes Geheul an. Wir
hatten dies in der Folge auf jeder Station zu genießen.
Es ist das Zeichen, daß eine kaiserliche Post kommt, für
welche Pferde in Bereitschaft zu setzen sind. Die Bereit-
willigkeit und Geschwindigkeit, womit die sonst so faulen
Türken uns immer bedienten, sobald der Tartar mit lautem
Hurrah in den Hof ritt, zeigte, in welchem Ansehen er bei
ihnen stand. Nicht selten tractirte er aber auch, wenn es
nicht rasch genug ging, das dienende Personal des Chans
mit Kantschuhhieben.
Das Zimmer, in welches man uns führte, hatte vier
Kalkwände, und das ganze Mobilar und Bettwerk bestand
aus einem Wafferkruge und einigen Binsenmatten, die an
den Wänden umherlagen. Durch die hölzernen Gitter strich
unangenehm die scharfe Morgenluft. Doch Dank unserer
Müdigkeit: wir schliefen bald, und der Tartar mußte uns nach
zwei Stunden sein: „Heide! Heide!“ (fort! fort!) öfters
in die Ohren schreien, ehe wir munter wurden. Um sieben
Uhr ritten wir weiter, stiegen, nachdem wir die kothigen
Straßen des Dorfes hinter uns hatten, in die Höhe und
befanden uns bald wieder auf weiter Haide. Die Land-
fchaft bietet bis Schumla wenig Intereffe: abwechselnd kahle
Höhen und Thäler, hie und da einige verkrüppelte Bäume,
kleine Eichen und wildes Obst. An Landstraßen ist überall
54
nicht zu denken, und unsere Caravane ging anfangs, wie
gestern, im gewöhnlichen Zotteltrab vorwärts. Sobald aber
der Baron dem Tartaren begreiflich machte, daß er, wenn
es so fortgehe, in Stambul nicht viel Bakschis (Trinkgeld)
zu gewärtigen habe, nahm die Sache eine ganz andere Ge-
falt an. Hamsa klopfte seine lange Pfeife aus und steckte
fie hinten in den Nacken, so daß der Kopf derselben einen
Fuß hoch über sein Feß empor ragte, stieß ein lautes Ge-
fchrei aus, und dahin fausten wir unter immerwährendem
Rufen und Schreien der Führer, daß die Mäntel der Türken
und unsere Pelze im Winde flatterten.
Es war einige Stunden, als heizten wir ein Wild durch
Gräben und Hecken, bergauf und ab, bald im scharfen Trab,
bald im Galopp. Zuweilen stürzte ein Pferd, sprang aber
fogleich wieder auf und wir bewunderten das Feuer und die
Ausdauer der kleinen Thiere.
Bergauf geht es meistens im Schritt; in der Ebene
den kurzen Trab, von dem ich vorhin sprach; aber bergab,
und sind die Wege nach so holpricht und schlecht – im
Galopp. Sobald der Tartar das Nachtquartier in der Ferne
wittert, ist er nicht mehr zu halten und es geht im Carriere
unter beständigem Allah-Rufe, die schlechtesten Wege, die
engsten Steinpflaster, bis in den Hof des Chans.
Abends gegen vier Uhr kamen wir in die Nähe von
Schumla. Die Höhen, welche uns noch den Anblick der
Stadt entzogen, waren mit alten zerfallenen Batterien und
Erdschanzen bedeckt. Beim Näherreiten sahen wir, daß die-
felben gegen die Stadt gerichtet waren, so wie auch tief im
Thal ein anderes Werk, das mir eine Breschbatterie zu
feyn schien – wahrscheinlich Ueberbleibsel der Angriffslinie
der Ruffen aus dem Kriege im Jahr 1829. Die Straße
wandte sich rechts um einen Felsenvorsprung, und jetzt mach-
ten wir wie angefeffelt Halt: unten im Thale lag Schumla
55
vor uns und bot, von der sinkenden Abendsonne beleuchtet,
einen wunderherrlichen Anblick. Rings war die Stadt um-
geben, und ich möchte sagen, durchflochten mit Weingärten
voll reifer Trauben, aus denen die vergoldeten Minarets
und weißen Häuser aufs Freundlichste herausahen.
Es war die erste große türkische Stadt, die wir sahen.
Das Eigenthümlichste derselben gegen unsere Städte sind die
schlanken hohen Thürme der Moscheen, die Minarets, von
denen herab der Iman – türkische Geistliche – zu gewissen
Stunden den Gläubigen verkündigt, daß es Zeit fey, das
Gebet zu beginnen.
Hinter Schumla erhebt sich der majestätische Balkan mit
feinen blauen zackigen Kuppen, den herrlichsten Hintergrund
bildend. Es that mir fast leid, daß ich diese Stadt betreten
mußte, daß ich nicht mit diesem großartigen Bilde in der
Erinnerung vorbeiziehen konnte: es war ja eine türkische
Stadt, eine goldene Frucht, die innen fault. -
Kaum hatten unsere Pferde die Außenwerke der Festung
betreten, schlechte Erdaufwürfe, mit verfaulten und zerschoffenen
Palisaden besetzt, so sanken sie auch schon bis an die Knöchel
in den Morast, der die Straßen bedeckte. Beim Chan angelangt,
wurden wir sofort in das Loch geführt, wo wir die Nacht
zubringen sollten: Lehmwände, der nackte Dachstuhl als
Plafond, gestampfter Koth als Fußboden. Der Tartar
machte uns auf die finstere Miene, welche wir ihm zeigten,
begreiflich, es fey das beste Wirthshaus in Schumla, und
man werde das Zimmer gehörig einrichten, wenn wir uns
ein wenig in der Stadt umsehen wollten.
Wir folgten einem Rathe, kletterten einige Straßen
hinauf, die sich an den Berg lehnen, und fanden denselben
Schmutz wie in Rutschuk und Rasgrad. Welches Leben
könnte sich hier entwickeln, in reizender Gegend, auf dem
fruchtbarsten Boden, wollte der Türke seine gränzenlose Faul-
56
heit ablegen und sich aus dem Schmutz, in den er versun-
ken, erheben. -
Schumla, von Ferne so entzückend schön, macht auf den
Fremden, der es betritt, den unheimlichsten Eindruck, und
man kann erst draußen, in der freien Natur, wieder ruhig
athmen. Wir besahen mehrere Kirchhöfe, fanden sie aber nicht
so schön und poetisch, wie sie uns gerühmt werden. Es sind
große Plätze, mit Unkraut bewachsen und vielen langen schmalen
Steinen besetzt. Hie und da zeigt auf einem der ausgehauene
Turban, daß er die Gebeine eines vornehmen Türken deckt.
Von Lustwandelnden habe ich nichts bemerkt; die Plätze
lagen, einige ausgehungerte Hunde abgerechnet, die sich
darauf herum trieben, ganz einsam da.
Sehr schön und angenehm sind dagegen die vielen
Brunnen mit klarem herrlichem Waffer, die man hier zu
Lande auf allen Wegen und Plätzen findet. Wir sind auf
unserem Ritt nach Stambul wenigstens alle zwei Stunden an
einem solchen vorbeigekommen. Es find vier Fuß hohe tei-
nerne Nischen, mit eisernen Röhren, auch fehlt nie der hölzerne
Becher, der bei uns den ersten Tag gestohlen oder verdorben
wäre. Ehrlichkeit ist überhaupt ein schöner Zug im Charakter
des Türken. Trotz der überall sichtbaren Armuth reist man
nirgends so sicher wie hier. Man kann bei Nacht seine
Sachen auspacken und wird auch keine Stecknadel vermissen.
Raub und Mord kommt selten oder nie vor.
Als wir in unsern Gasthof zurück kamen, sah der Stall
etwas wohnlicher aus. Man hatte den Boden mit Matten
und Kiffen bedeckt, ein Feuer loderte im Kamin, und kaum
hatten wir uns gelagert, so brachte der Tartar einen großen
Topf mit gekochtem Reis (dem berühmten Pillau) und zwei
Hühner, welche er herausnahm, mit den Fingern zerriß und
vorlegte. Daß uns dieß Abendbrod nach einem Ritt von
fünfzehn Stunden und einer durchwachten Nacht herrlich
57
schmeckte, brauche ich nicht zu sagen; auch schliefen wir gut
und setzten am andern Morgen um fünf Uhr unsere Reise fort.
Heute hatten wir eine Tour vor uns, welche man uns
in Wien und auf dem Dampfboot als mit fast unüberwind-
lichen Hindernissen besäet geschildert hatte – den Uebergang
über den Balkan. Außer Schnee und Eis, womit in dieser
Jahreszeit das Gebirge bedeckt seyn sollte, hatte man uns
fürchterliche Winde angekündigt, welche Mann und Roß in
Abgrund schleudern könnten, hatte Räuber und Mörder herauf-
beschworen und uns deshalb beim Abschiede die Hand ge-
schüttelt, wie zum Nimmerwiedersehen. Von Alle dem
bemerkten wir nichts, als wir auf den kleinen sichern Pferden
die steilen Abhänge emporkletterten.
Es war ein schöner Tag, der Nebel sank, ein herrlicher
blauer Himmel, dunkler als in Deutschland, wölbte sich über
uns. Wir überstiegen den Balkan in drei Absätzen. Der
erste Abhang war schon ziemlich steil; doch konnte man das
Steingerölle, in dem sich unsere Pferde hinaufarbeiteten, allen-
falls auch eine Straße nennen.
Wir trafen dann und wann zwei-, dreihundert Fuß lange
Strecken einer Römerstraße, welche an manchen Stellen noch
ziemlich gut erhalten war. Von der Faulheit und Sorglosig-
keit der Türken sahen wir wieder ausgezeichnete Beispiele.
Um sich auf ihren Streifzügen Feuer zum Kochen zu verschaffen,
hatten sie hie und da die schönsten Eichen niedergebrannt, ohne
fie umzuhauen; sie legen dabei unten an den Stamm Feuer
und wenn der königliche Baum hinstürzt, laffen sie ihn ruhig
verbrennen bis zur Krone, kochen dabei ihren Pillau und rauchen
ihre Pfeifen.
Man kennt sieben Hauptpäffe über den Hämus, welche
durch die alte Kriegsgeschichte mehr oder minder merkwürdig ge-
worden sind. Die bedeutendsten waren der westliche, der in der
ältern Römerzeit Succi, in der spätern Trajanspforte
58
hieß, und der östliche, der von Adrianopel nach Schumla
und Parawadi führte. Diesen letzten zogen auch wir theil-
weise. Ihn hat Theophylactus poetisch schön beschrieben.
Er sagt von ihm: Die unten liegenden Ebenen sind wie
mit blumigten Teppichen bedeckt, grünende Wiesen sind Fest
und Weide den Augen, dichte Schattenzelte des Waldes
verbergen den heraufsteigenden Wanderer und viele Hitze gibt
ihm dort die Mittagsstunde, wenn von den Sonnenstrahlen
die Eingeweide der Erde erwarmen. Schön zu sehen, schwer
zu beschreiben. Den Ort umströmt Ueberfluß der Waffer,
welche den Trinkenden weder durch zu große Kälte beschweren,
noch dem sich Abkühlenden durch ihre Weichheit beschwerlich
fallen. Vögel, von frisch proffenden Zweigen empor ge-
tragen, bewirthen die Zuschauer gastfrei mit wohltönendem
Gesang, ohne Gram und Zorn der Uebel aller ver-
geffend, so gewähren sie den Wanderern Schmerzlosigkeit
durch ihre Gesänge. Epheu, Myrthe und Eiben mit allen
andern Blumen führen in der schönsten Harmonie dem ein-
geweihten Geruchsinne ätherische Wollust im reichsten Maße
zu und bereichern mit süßen Düften den Fremdling, als ob
fie nach dem besten Brauche der Gastfreundschaft Zuberei-
tungen der Fröhlichkeit träfen. *
Den Fluß Camozik, der sich reißend durch ein Thal
des Balkan windet, durchritten wir, sahen an seinen Ufern
das malerisch gelegene Dorf Camozikmala und kamen zum
zweiten Absatz des Gebirges, den wir größtentheils mittelst
des ausgetrockneten Bettes eines Waldstroms erstiegen. Der-
felbe wand sich an manchen Stellen sehr steil zwischen
himmelhohen Felsen durch, wobei sich die Kraft und Ge-
lenkigkeit der kleinen Pferde erst recht erprobte. Wie Ziegen
kletterten sie empor, ohne je stehen zu bleiben, eins dem
andern nach. Es war sonderbar anzusehen, wie sich die
* Hammer, Gesch. d. o. R. I.
59
Caravane zwischen den grauen Steinen und verkrüppelten
Eichen schlangenartig durchwand.
Als es Abend wurde, befanden wir uns nicht weit
mehr von der Spitze des Gebirges. Der Himmel war den
ganzen Tag über klar und rein geblieben, was uns einen
herrlichen Sonnenuntergang versprach. Aus dem Thal erhob
sich der bläuliche Nebel, mit dem wir zu den von der Abend-
fonne beleuchteten Felsenkronen emporstiegen. Endlich erreich-
ten wir die Höhe. Da lag das Gebirge rings um uns,
ruhig und groß, in den schönsten Farben vom Schwarz der
Nacht, das den Fuß der Berge umgab, in hundert Tönen
zum hellen Gold ihrer Spitzen; ein wunderschöner Anblick!
darüber der sternbesäete Himmel mit der jungfräulichen Mond-
fichel, die schüchtern hinter einigen Tannen hervorlugte.
Ueber unsern Häuptern kreiste ein mächtiger Adler und stieg
höher und immer höher; wir sahen ihn noch von der Sonne
beleuchtet, als sie unsern Blicken längst entschwunden war.
Was mich aber an dieser Stelle besonders freundlich,
ja rührend ansprach, war ein einsamer Kiosk, eine Laube von
wilden Reben, die auf der äußersten Ecke eines Felsen stand,
Wer mochte sie gebaut haben? Alles war roh gearbeitet,
und doch lag ein eigener Reiz auf dem Ganzen. Sie stand
auf der schönsten Stelle des Bergrückens und gewährte eine
Aussicht weithin über die Ausläufer des Gebirges. Was
mochte das Herz gefühlt haben, das sie errichtet? War es
vielleicht Balsam für seine Schmerzen, so hinaussehen zu
können in die Welt? war ihm vielleicht dorthin ein geliebtes
Wesen entschwunden und der gefeffelte Körper konnte der
enteilenden Raubwolke nur den freien Blick nachsenden? -
Unsere Station wäre für heute Karnabat gewesen;
indeffen hielt es der Tartar wegen der Dunkelheit und des
wirklich gefährlichen, steinigten Weges für zweckmäßig, in
einem kleinen Dorfe, Dobrol, welches wir in einer Stunde
60
erreichten, zu übernachten. Wir kehrten bei einem griechischen
Bauern ein. Hamsa, der edle Tartar, bereitete ein Pillau,
und F., der treffliche Maler, schlachtete eigenhändig zwei
Hühner. Unsere Wirthin rückte einen hölzernen Trog in
die Mitte des Zimmers, rührte Mehl mit Waffer an und
knetete hieraus einen ziemlichen Kuchen, der in die Holzasche
gelegt wurde und unser Brod geben sollte.
Nach einer halben Stunde wurde er herausgezogen, mit
einer eisernen Schaufel gereinigt, und ich für meine Person
muß gestehen, daß er äußerst schlecht schmeckte. Nach
einem Ritt von vierzehn Stunden, den wir heute, und an
den steilen Stellen des Gebirgs meistens zu Fuß gemacht,
schliefen wir auf dem harten Lehmboden, den uns Frau
Wirthin zum Bette anwieß, recht gut.
Um fünf Uhr verließen wir Dobrol und kamen um neun
nach Karnabat, wo wir Pferde wechselten, Trauben und Kaffee
genoffen und zum erstenmal ein Nargileh (Wafferpfeife) dazu
rauchten. Hier erhielten wir gute Pferde, die wir aber auch
brauchen konnten; denn heute waren unsere beiden Reitknechte
so lustig und munter, daß wir fast beständig scharfen
Trab ritten.
Unser Weg ging durch sehr coupirtes Terrain, Aus-
läufer des Balkan, meistens mit niedrigem Gesträuch be-
wachsene Haiden, bergauf und ab. Zuweilen kamen wir
über Wiesen, auf denen zahlreiche Krokus blühten. In
meinem Leben habe ich keinen wildern Ritt gemacht. Wir
jagten durch Schluchten und über Gräben weg, unsere Führer
mit ihrem sonderbaren Geschrei stets an der Spitze. Bald
gings durch einen Bach, daß das Waffer über unserm Kopf
zusammenschlug, bald unter alten Eichen hinweg, wo man
sich auf den Hals des Pferdes legen mußte, „um nicht die
Mütze zu verlieren oder sich gar die Stirne blutig zu stoßen,
was mir indessen doch begegnet ist. Unsere Pferde sind
61
Abhänge hinabgelaufen, an denen ein Fußgänger einen
Augenblick fragen würde: „foll ich oder soll ich nicht?“ Aber
wir mußten nach, unfer Tartar war wie beseffen und schrie
in einem fort: „Heide! Heide!“ während er auf seinem
kleinen Pferdchen dahin sprengte.
Als es dunkel wurde, wuchsen die Gefahren; aber die
Führer kümmerten sich um nichts und ritten durch Dick und
Dünn, und hätte nicht der Baron die Spitze genommen
und stets gerufen: Achtung! ein Stein! ein Loch! ein Baum- .
ast! u. f. f., so wären wir sicher nicht unverletzt auf der Sta-
tion angelangt. Wir kamen indessen glücklich nach Faki, und
brachen den folgenden Morgen sehr zeitig auf; wir hatten
bis Adrianopel neunzehn Stunden und wollten es noch bei
guter Zeit erreichen.
Den ganzen Tag ritten wir scharf durch sehr unintereffantes
Terrain, bis Nachmittags, wo eine unabsehbare Ebene sich vor
uns ausbreitete, in welcher einige von uns, obgleich sehr undeut-
lich, vier Minarets fern am Horizont sahen–Adrianopel. Wie
jubelten wir beim Anblick der zweiten Hauptstadt des Reichs!
Dort wollten wir einen Tag rasten, und dann aufs neue
Immer zu, immer zu,
Ohne Rast und Ruh!
Aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Bei ein-
brechender Nacht kamen wir in die Nähe der Stadt, nach-
dem wir in der Dämmerung eine Stunde lang gegen die
vielen glänzend beleuchteten Minarets geritten waren, von
denen wir bei ihrem ersten Anblick sieben Stunden entfernt
gewesen, so weit und flach ist das Thal, in welchem
Adrianopel liegt.
Wir hatten noch einiges Waffer zu passieren, das fich
in kleinen Seen auf der Straße gesammelt hatte, und trabten
dann auf einem ungemein holprigen, ganz vernachlässigten
62
Pflaster bis an das Thor der Stadt, aus zwei armseligen
Häusern bestehend, von denen eines eine Wache vorstellte
und mit dem andern durch eine Brücke zusammen hing.
Dieses städtische Gebäude wurde durch eine kleine Ampel
beleuchtet, die sich über unsern Köpfen an einer eisernen
Stange ächzend wiegte, als fühle sie ihre Jämmerlichkeit.
Hier stockte auf einmal unser Zug. Wir hinten wußten
nicht warum und verstanden auch zu wenig türkisch, um zu
errathen, was zwischen unserem Führer Hama und der
Wache verhandelt wurde. So hielten wir eine halbe Stunde,
müde, fröstelnd, da wir uns warm geritten hatten und nun
in der kalten Abendluft still hielten, murrend über die fehl-
geschlagene Hoffnung, bald in ein Quartier zu kommen und
unsere erstarrten Glieder auf weichen Kiffen ausstrecken
zu können.
Der Tartar hatte den Paß des Barons genommen
und war damit in die Wachstube gegangen. Er kam
endlich wieder und bedeutete uns abzusteigen und ihm
dahin zu folgen, da unsere Päße erst dem Pascha vorgelegt - -
werden müffen, ehe wir einreiten dürften. Wir traten in das
niedrige, von einem an der Wand hängenden Lichte spärlich
beleuchtete Zimmer, und warfen uns gleich auf die Binsen-
matten und Polster, die an den Seiten lagen. So viel
der dicke Tabaksqualm erkennen ließ, hatte das Zimmer bloß
vier nackte Wände, einen Kamin und ein einziges Fenster
von einem Fuß im Quadrat. Die edeln Stadtwächter,
junge Türken, kauerten an den Wänden, Pistolen und Dolch
im Gürtel, die Pfeife im Munde.
Ich war vor Ermüdung beinahe eingeschlafen, als Hama
erschien und uns, die wir jetzt hofften, erlöst zu seyn und
unsern Chan aufsuchen zu dürfen, in einen schmutzigen Winkel
der Straße führte mit dem Bedeuten, uns ruhig zu verhalten
und nicht von der Stelle zu gehen. Auch gelang es uns, aus
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feinen Worten und Geber den endlich so viel abzunehmen, wir
möchten, wenn wir gefragt würden, sagen, unsere Caravane
habe Schumla nicht berührt, sondern fey um die Stadt herum
gegangen. Was sollte. Alles dies bedeuten? warum hielt man
uns hier auf? Zuweilen hörten wir ein verhängnißvolles
Wort neben uns flüstern: Calendur, was Quarantaine
bedeutet. Aber der Gedanke war zu neu und schrecklich, um
ihm nachhängen zu können. Hatte man doch nie gehört, daß
die Türken ihr Land mit einer Quarantaine umzogen; wozu
auch? und brachten wir ihnen doch gewiß keine Pest.
Unserer Ungewißheit wurde auf einmal ein Ende ge-
macht; ein Türke mit dem Feß auf dem Kopfe kam auf uns
zu, stellte den langen Stock abwehrend vor sich hin und
deutete auf ein höchstens zwei Fuß hohes Loch in der alten
Stadtmauer, das man öffnete und durch welches wir in
einen rings mit hohen Mauern umgebenen Hof kriechen muß-
ten. Mehrere der Wachen umgaben uns mit den finstern,
bärtigen Gesichtern, und ihre Dolche und Pistolen leuchteten
recht unheimlich bei der düstern Flamme einer beinahe abge-
brannten Pechfackel, die einer vor uns hertrug, bis zu einem
größern Thor, das nach mehrmaligem Klopfen geöffnet wurde.
Wir traten in einen zweiten Hof, und hinter uns riegelte
man das Thor wieder zu.
Das Terrain, auf welchem wir uns befanden, schien
ein Garten oder eine Baumanlage; wir waren wenigstens
von Bäumen umgeben und unsere Füße traten auf lockern
Grund. Ein coloffalles Schöpfrad hob sich neben uns aus
einer Waffergrube und goß langsam das gesammelte Wºffer
aus seinem morschen Eimer, worauf dieser mit melancholischer
Klage in die Tiefe zurückfank. Wir schleppten unsere müden
Glieder noch einige Schritte weiter und wurden dann mit
langen Stöcken in ein einsam stehendes Haus beinahe hinein-
geschoben. Durch einen schmutzigen Gang gelangten wir in
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ein Zimmer; zugleich mit uns setzte man eine Kohlenpfanne
und ein brennendes Talglicht hinein und schloß die Thüre
ab. Hamsa, unser Tartar, kauerte an die Wand und schien
über unsere Lage nachzudenken, wenigstens sprach er nichts,
sondern fah uns sehr wehmüthig an. Auch wir betrachteten
unsern Aufenthalt und uns gegenseitig. Der Baron zog in
stiller Resignation ein kleines türkisches Wörterbuch aus der
Tasche, um mit Hülfe desselben den Tartaren zu befragen,
was man eigentlich mit uns vorhabe.
Kaum sah Hamsa das Buch in den Händen des Ba-
rons, als er gleich zu ihm hinrutschte und zu feinen Füßen
gelagert ihm aufmerksam in die Augen fah. Ueberhaupt kam
Hamsa, so oft v. T. dieses Büchlein zur Hand nahm, eilends
herbei und merkte genau auf jedes Wort, das er ihm allen-
falls sagen wollte, wogegen wir Andern lange schreien mußten,
bis er unsern Befehlen oder Bitten Gehör gab. Diesmal
wartete aber der Tartar die Frage nicht ab, sondern wohl
merkend, um was es sich handle, sagte er: Schumla Gümur-
tochak, burda Calendur,“ d. h.: „Schumla Pest, hier
Quarantäne.“ Dies erfüllte uns mit nicht geringem Schrecken,
und wir sahen auf einmal unsere trostlose Lage. Deshalb
auch früher eine Bitte, wir möchten versichern, Schumla
nicht berührt zu haben. –
So saßen wir also fest, mit der nächsten Aussicht, die
Nacht in diesem Loche zuzubringen, das nichts enthielt, als
einige schlechte Binsenmatten und an den Wänden Erhöhun-
gen von Holz, Divans vorstellend; auch hatten wir weder
gefrühstückt noch zu Mittag gegessen, und unsere Reisesäcke
enthielten außer Thee und Chokolade nichts Genießbares.
Von den Türken, unsern Wächtern, war auch nichts zu hof-
fen, denn nachdem sie uns ein Kohlenbecken hineingeschoben
und jedem eine kleine Taffe Kaffee verabreicht hatten, schlos-
fen sie die Thüre, so wie das ganze Haus, und kein noch
(65
fo heftiges Klopfen und Schreien bewog einen, nach unfern
Bedürfniffen zu sehen. So waren wir denn förmlich ge-
fangen und fügten uns in dieses traurige Geschick fo gut
wie möglich, legten nns auf den harten Boden und schlie-
fen, in die Pelze gewickelt, ziemlich fest, um den folgenden
Morgen wie gerädert aufzustehen.
Morgens erschien der Arzt der Quarantäne, ein junger
Italiener, um uns in Augenschein zu nehmen; ein sehr artiger
Mann, der uns in der Folge mit großer Artigkeit behandelte,
und es ungemein bedauerte, daß wir die Nacht so schlecht zuge-
bracht. Der Baron bemerkte ihm ziemlich ernst, es fey doch
unverantwortlich, Reisende einzusperren, ohne sich um ihre
nothwendigsten Bedürfniffe im Geringsten zu bekümmern.
Der Arzt entschuldigte die Anstalt, weil sie noch so jung
fey, und gab uns dabei eine kurze Geschichte ihrer Ent-
stehung. Die Gesandten der auswärtigen Mächte haben die
Quarantäne eingesetzt, damit die Pest so viel möglich von
der Hauptstadt abgehalten würde und so sie selbst gesichert
wären. Obgleich noch sehr mangelhaft, habe sie doch schon
sehr schöne Resultate geliefert, denn seit zwei Jahren
wäre von der fürchterlichen Seuche Konstantinopel und Pera
nicht verheert worden. Letzteres hörten wir später dort be-
stätigen. Dann zuckte der Arzt die Achseln und meinte in
Betreff der schlechten Behandlung der Reisenden, müsse man
nicht vergeffen, daß man in der Türkei fey. Dies hatten
wir in den letzten Tagen auch sattsam erfahren.
Wir waren also in der Quarantäne und suchten uns
diesen Aufenthalt so erträglich und angenehm zu machen als
möglich. Die deutschen Consuln und der englische, die wir
von unserm Unglück in Kenntniß gesetzt hatten, bemühten
fich, besonders der letztere, uns nach ihren Kräften mit dem
Nothwendigsten zu versehen. Nachmittags erschien ein Wagen,
der zwei freilich sehr defecte Tische, einige Stühle, blecherne
Hackländer, R. in d., O, 5
66
Pfannen, Wein, Butter, Reis und einen Schatz, nämlich
einen Sack mit Kartoffeln, brachte.
Die Quarantäneanstalt stellte uns einen Mohren als
Kammerdiener und Koch, der aber mit immenser Körpermaffe
eine unbeschreibliche Faulheit verband; auch bestand seine
ganze Kochkunst in der Bereitung eines sehr mittelmäßigen
Pillau, so daß wir uns genöthigt sahen, unsere Küche eigen-
händig zu versehen. Ein Jude, der jeden Tag zweimal ein-
gelaffen wurde, brachte. Alles, was wir verlangten, nur ließ
er sich sehr theuer bezahlen, und so konnten wir unsern Tisch
gleich am ersten Tage mit einer vaterländischen Fleischsuppe
und Kartoffeln versehen. B. und ich verstiegen uns den
zweiten Tag sogar zu einem Schöpfenbraten und einem Huhn,
das ich in Ermanglung von etwas Befferem mit Trauben
und Brod stopfte. So lebten wir ziemlich anständig, tranken
Morgens unsern selbstbereiteten Kaffee und Abends einen
selbstgebrauten Punsch und spielten darauf bis in die späte
Nacht Whit, ehe wir unsere Schlafstätten aufsuchten, d. h.
die Tische und Stühle in eine Ecke rückten und uns auf den
Boden legten.
Unser Kislar-Aga, ich meine unsern Quarantänewächter,
der den ersten Tag jeden unserer Schritte und Tritte mit der
größten Malice bewacht und stets mit seinem langen Stock
in die Luft gefuchtelt hatte, wurde mit der Zeit ganz ge-
schmeidig und unser bester Freund. Er hieß Mustapha und
fuchte nebst einen Trabanten jede Communication nach Außen
zu verhindern, wobei sie aber selbst in unser Zimmer kamen,
unsere Sachen anfaßten und sich als ächte Muselmänner und
Fatalisten aus der Ansteckung nichts zu machen schienen, es
sey denn, daß sie unsern Worten, wir eyen nicht in Schumla
gewesen, Glauben beimaßen. Kurz, sie spielten mit uns,
fo zu fagen, Quarantäne, und ließen uns im Innern alle
Freiheit. Unser Mohr, er hieß Mertschan, auf deutsch
67
Koralle, der den Tag über mit uns eingeschloffen war, ver-
ließ sogar das Haus zuweilen Abends, um einer Dame, einer
Bekanntschaft, eine Visite zu machen.
Ein großer, mit Maulbeerbäumen bepflanzter Garten, der
an unser Gefängniß stieß, diente uns als Spazierplatz und
Jagdgehege; wir schoffen hier jeden Morgen oder Abend einige
Rebhühner, von denen sich große Ketten stets dort aufhielten.
Ein anderer Zeitvertreib bestand darin, daß wir mit
unsern Gewehren und Pistolen nach irdenen Gefäßen schoffen;
kurz, wir amüsierten uns, so gut es ging, um die uns be-
stimmten zehn Tage zu tödten. Man hatte uns mit dieser
Frist sehr gnädig behandelt, denn die Vorschrift ist eine vier-
zehntägige Quarantäne.
Während der ganzen Zeit hatten wir unbeschreiblich schö-
nes und warmes Wetter, der Himmel hing blau und rein über
uns, und das Laub der Bäume, so wie das Gras zu unsern
Füßen war faftig und grün, wie bei uns im Frühjahr, und
doch hatten wir schon beinahe die Mitte Novembers erreicht.
Den Untergang der Sonne und den Eintritt der Nacht, die
hier fast ganz ohne Dämmerung einbricht, genoffen wir
meistens vor der Thüre, auf einer Binsenmatte sitzend, und
sahen, wie die Minarets des Ramasan wegen allmälig be-
leuchtet wurden und in kurzer Zeit mit Tausenden von Lichtern
durch die Nacht glänzten. – Wahrhaft lächerlich war in
diesen Augenblicken das Benehmen unserer Türken. Sie,
die während dieser Zeit den ganzen Tag sich aller Speisen
und Getränke, sogar des Rauchens enthalten müffen, faßten
schon geraume Zeit vor Sonnenuntergang ihre Löffel und
Pfeifen und fielen beim Knallen des Kanonenschuffes, der
das Ende des Tages anzeigt, mit wahrer Wuth über Speisen
und Tabak her.
Von Adrianopel selbst bekamen wir während unserer
Gefangenschaft nicht viel zu sehen; aus unserm Bodenfenster,
5
68
dem höchsten Punkte des Hauses, übersahen wir nur einige Reihen
türkischer Häuser, an einen kleinen Berg hingebaut, so wie aus-
gebreitete Rosenpflanzungen, aus denen das vortreffliche Rosenöl
gewonnen wird, womit Adrianopel den Orient und Occident
versorgt. In der Ferne erhob sich die Moschee Sultan Se-
lims, nach der Aja Sophia in Konstantinopel die schönste
des ganzen türkischen Reichs. Rechts sahen wir aus dunkeln
Platanen einige halb zerfallene Mauern und Kioske herab-
blicken, deren großartige Formen und reiche Verzierungen von
früheren glänzenden Zeiten sprachen – das alte Serail.
Nachdem wir so neun Tage verlebt, trat Abends der
Arzt in unser Zimmer und kündigte uns für den folgenden
Tag die Freiheit an; zugleich donnerten an allen Puncten
der Stadt die Kanonen und die Illumination der Minarets
war großartiger und reicher, als gewöhnlich. Aber alles dies
geschah nicht unserer Befreiung zu Ehren; ein Courier hatte
am Abend die Nachricht gebracht, daß dem Großherrn in
Stambul die fünfte Tochter geboren fey.
Am andern Morgen erschien der Oberaufseher der Qua-
rantäne und führte uns durch einen Handschlag wieder in
die allgemeine menschliche Gesellschaft ein.
Unser erster Ausflug war nach dem alten Serail ge-
richtet, das in seiner verfallenen Herrlichkeit, öde und einsam
zwischen den dunklen Bäumen, mich schon lange geheimnißvoll
angelockt hatte. Wir gelangten über eine große, gepflasterte
Esplanade zum äußersten Thor, vor dem man uns zwei runde
große Steine zeigte, anf welche die Köpfe der Hingerichteten
gesteckt wurden. Rechts und links lagen in Schuppen alte
Kanonen auf ihren Lafetten. Durch dieses Thor traten wir
in den ersten Hof, der ziemlich groß ist und mit kleinen
Steinen gepflastert, zwischen denen das Gras hervorwuchert.
Alles war still um uns, jeder Fußtritt hallte in den
unbewohnten Räumen wieder und die Treppen zu den Ge-
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bäuden waren zerfallen. Ein Springbrunnen im Hofe war
mit Schlingkraut bewachsen, und um die abgebrochenen
Wafferröhren spielten kleine Eidechsen; es kam mir vor wie
ein verzaubertes Schloß, urplötzlich von seinen Bewohnern
verlaffen. In einem Ziehbrunnen hing noch der Eimer; wir
zogen ihn herauf und genoffen das eiskalte Waffer. Unter dem
ersten Thorwege stand eine vergoldete Damensänfte mit ihren
dünnen Gitterstäben, einem großen Vogelbauer ähnlich. Der
zweite Hof war mit Gebäuden umgeben, in denen die Diener-
fchaft gewohnt, und führte durch eine Art Kiosk in den dritten
und letzten, zum Sitz der Glückseligkeit und der Geheimniffe
des Harems.
Vor hundert Jahren wäre der Eintritt in dieses Thor
der Eintritt in unser Grab gewesen; jetzt erhoben sich nur
rechts und links einige Raubvögel und wilde Tauben, ängst-
lich flatternd, als wollten sie uns abmahnen, weiter vorzu-
dringen. Auf diesem Hofe und vor den Gebäuden dieselbe
Verödung, wie im ersten und zweiten: unsere Vorstellungen
von orientalischem Luxus und der geträumten Pracht eines
Serails wurden hier sehr herabgestimmt: alte Gebäude von
Holz, mit gemalten geschmacklosen Zierrathen überladen. Wir
besahen jetzt das Selamlik, oder Haus der Männer, so wie
den Harem, das Haus der Weiber. Ersteres besteht vorzüglich
aus einem thurmähnlichen, ziemlich hohen Gebäude, von defen
Plattform wir nach Ersteigung einer halsbrechenden Treppe einer
schönen Aussicht auf die Stadt und Umgegend genoffen.
Im Innern ist dieser Bau in drei Stockwerke geheilt,
von denen die untern drei, das obere zwei Zimmer enthalten.
Hier ruhten die alten Sultane und fahen dem Plätschern
der Springbrunnen zu; hier überdachten sie, welchen Vezier
oder Pascha sie mit der seidenen Schnur beglücken sollten.
Dort in der Ecke lag der Großherr und machte mit der Hand
eine horizontale Bewegung, wenn ihm der Großvezier die
70
Namen von Gefangenen oder Verdächtigen, vielleicht auch
nur von Reichen, deren Besitzungen ihn lockten, vorlas, und
diese Handbewegung fiel als schrecklicher Blitzstrahl über's
ganze Land hin, rüttelte hundertfachen Jammer auf und fraß
das Glück ganzer Familien.
In jenen Vorzimmern standen die Großen des Reichs
und warfen sich nieder vor dem Beherrscher der Gläubigen,
wenn er hindurch ging nach dem dahinter liegenden, auf's
Köstlichste eingerichteten Gemach, wo ihm der Kislar-Aga
die frisch angekommene weiße Sklavin triumphierend zeigte.
Wie viel Thränen und Flüche mögen diesen Boden benetzt
haben! mehr als er zu tragen vermochte, denn er ist jetzt
durchfreffen und eingestürzt. Die Wandbekleidungen sind
meistens herabgefallen und bedecken die Erhöhungen, auf
welchen die prächtigen Polster lagen. Die Springbrunnen
find trocken und verstaubt, das Ganze eine Ruine, von Ge-
spenstern bewohnt, die sich an meine Brust hängten und mich
erst losließen, als ich wieder den freien blauen Himmel
über mir hatte.
Es ist zuweilen gut, daß das Gedächtniß nicht im
Stande ist, die Thaten, die an gewissen Orten geschehen,
und die man früher mit Schaudern las, frisch und lebendig
vor das innere Auge zu führen und die öden verfallenen
Räume, in denen man herumwandelt, Gespenstern gleich da-
mit zu bevölkern. Welche mächtige Schatten könnte man hier
herauf beschwören, aber alle würden mit blutbefleckten Händen
kommen. Wer denkt nicht an Murad, den ersten Sultan,
der hier residierte, der von hieraus in kurzen Worten dem
einen Sohne den Befehl gab; den andern zu ermorden?
Der fich am Fluffe Hebrus, welcher die Mauern der Stadt
benetzt, ein Zelt bauen ließ, und ruhig zusah, wie die ge-
fangenen griechischen Edeln, je zwei und zwei zusammen ge-
bunden, von dem Stadtwalle in die Flut gestürzt wurden?
71
Der von hier aus Serbien und Bulgarien beunruhigte bis er
auf der Ebene von Coffowa von dem serbischen Edeln Milosch
erstochen wurde!
Ihm folgte Bajefid, genannt der Blitzstrahl, der bei
feiner Thronbesteigung den Ausspruch des Korans, daß Un-
ruhe ärger als Hinrichtung ist, auf seinen armen
Bruder Jakub, dessen Daseyn ihn in seiner Herrschaft beun-
ruhigen könnte, anwandte und ihn hinrichten ließ. Er war
der Erste, der Constantinopel, obwohl fruchtlos belagerte,
fo wie die Wallachei, Bosnien, und Ungarn mit seinen
Truppen überschwemmte. Trotz seinen vielen Kriegszügen
war er es doch, der das Beispiel zur spätern großen Sitten-
verderbniß gab, wodurch er anfing, das Reich und sich selbst
zu vernachlässigen. Er war der erste osmanische Fürst, der
dem Gebote des Islams zuwieder, Wein trank; auch schlich
sich an seinem Hofe zuerst das schändliche Laster der Knaben-
liebe ein. --
Von ihm erzählt man, daß er einstens einem Pagen,
den ein altes Weib verklagte, er habe ihr ein Gefäß voll
Milch ausgetrunken, was jener hartnäckig läugnete, den Bauch
aufschneiden ließ, um sich von der Wahrheit zu überzeugen.
Nach seinem Einfall in Ungarn, wo er in der Schlacht
von Nikopolis den König Sigismund, so wie die deutschen
und französischen verbündeten Ritter, gänzlich aufs Haupt
schlug, ließ er zehntausend christliche Gefangene hinrichten.
Nur die Tollkühnheit und Vermeffenheit der französischen
Ritter, die vor der Schlacht in ihrem Uebermuth sprachen:
und wenn der Himmel einstürzte, würden sie ihn mit ihren
Speeren aufhalten, waren Schuld dieser gräßlichen Nieder-
lage. Weniger vermeffen war Bajesids Ausspruch: er werde
nächstens ein Pferd auf dem Hochaltar der Peterskirche zu
Rom Haber freffen laffen. *
* Hammer, Gesch. d. o. R. I.
72
Doch nach allen diesen glänzenden Thaten und Eroberungen
wurde dem Blitz strahl ein so trauriges Ende. Wer weiß
nicht, daß ihn Timur-Khan in der Schlacht von Angora ge-
fangen nahm, und ihn der Sage nach lange in einem eisernen
Käfig verwahrte, wo er elend starb. Nach dem Abzuge der
Tartaren aus Europa bestieg Bajesids Sohn, Suleiman, den
Thron der Osmanen, der neben seinen vielen guten Eigen-
fchaften aber auch der weichlichste und verderbteste war. Hier
in Adrianopel schwelgte er in Wein und Bädern, unbekümmert
um die Drohung seines Bruders Musa, der eine große
Truppenwerbung anstellte, um Suleiman vom Thron zu
stoßen. Die verfallenen Gemäuer, die wir so eben durch-
schritten, waren vielleicht noch Zeuge von den Trinkgelagen
des Padischah. Dort erhob er sich wahrscheinlich von seinem
Polster und fragte mit lallender Zunge, als einstens im
Lager Tumult entstand, eines Hirsches wegen, der sich in
daffelbe verirrt, ob das Thier nicht eine Flasche Wein auf
dem Geweihe führe, in welchem Falle er sie ihm gerne ab-
stoßen würde.
Links im Hofe sahen wir noch die Ueberreste alter
Bäder; dort lag wahrscheinlich Suleiman und schwelgte mit
feinen Weibern, als man ihm die erste Nachricht brachte:
Musa stehe vor den Thoren. Dem ersten antwortete er mit
einem persischen Vers, worauf der Greis Ewrenos, der
Zweite, der feinen Herrn aus der Unthätigkeit zu
erwecken sich bemühte, die Antwort erhielt: „Bist Du von
Sinnen, Alter, daß Du mir mit solchen Grillen die Freude
stört? Wer ist Musa mit einigem zusammengerafftem Ge-
finde, daß er den Kampf um den Thron je wagen könne?“
Ewrenos, auf diese Art abgefertigt, klagte die Noth dem
Janitscharen Aga Haffan, welcher, der Dritte, den Herrn
mit schärferen Reden aufzustacheln suchte. Suleiman, erzürnt
über die Freiheit der Vorstellungen des Aga, befahl, ihm
73
mit dem Säbel den Bart zu scheeren. Haffan mit zerfetztem
Gesicht ritt durch's Lager und bewog die Emire durch das,
was ihm so eben widerfahren, sich an ihn anzuschließen
und zu Musa überzugehen. Sie folgten ihm. Alle bis
auf drei, welche allein bei Suleiman aushielten, als treue
Begleiter auf der Flucht, die er nun aus dem Bade nach
Constantinopel ergriff. Auf dem Wege dahin wurde er beim
Dorfe Dugundschi, dessen turkomanische Einwohner von seinen
Leuten vielfältig mißhandelt worden waren, am Schmuck der
Kleidung und des Pferdes erkannt; fünf Brüder, alle fünf
geübte Reiter und Bogenschützen, ritten ihm vor, vielleicht
nur aus Neugierde, ihn beffer zu sehen. Suleiman, durch
ihr Vorreiten erschreckt, schoß erst einen, dann den zweiten
nieder, da schoßen die drei übrigen zugleich ihre Pfeile auf
ihn, und als er vom Pferd gestürzt, schnitten sie ihm
den Kopf ab.
So haben die Ströme Bluts, die diese drei Herrscher
und die meisten nach ihnen vergoffen, sich fast immer gerächt,
und ließen die Sonne ihres Lebens, die sich strahlend erhob,
in dunklen, roth gefärbten Gewitterwolken untergehen. Doch
hat der Boden, auf dem wir standen, und auf dem unzählige
Gräuelthaten vorgingen, die Blutlachen aufgetrunken und
aufsproffende Blumen und Kräuter haben sie mitleidig verdeckt.
Der Harem ist freundlicher und beffer erhalten, als alle
andern Gebäude. Der Aufseher weigerte sich anfangs, uns
das Kiosk der Sultaninnen aufzuschließen, und konnte nur
durch ein bedeutendes Trinkgeld dazu bewogen werden.
Dieses Gebäude bildet ein regelmäßiges Viereck mit zwei
Thüren, zwischen denen ein Vorsprung oder Erker sich befindet,
von dessen Fenstern aus man dieselben genau bewachen konnte.
Hier wohnten die Eunuchen, um die Eingänge zu den
Zimmern ihrer armen Gefangenen stets im Auge zu haben.
Wir traten zuerst in eine Art Vorsaal, mit Marmor schön
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ausgelegt und ziemlich gut erhalten; in der Mitte der un-
entbehrliche Springbrunnen, aber auch hier ohne Waffer.
Dieser Saal diente als gemeinschaftlicher Spielplatz; er hat
rings Erhöhungen zu Divans und eine Wand von geschnitztem
Holze. Die Fenster bestehen zum Theil aus farbigem Glase
mit grotesken Blumen und sind mit doppelten Gittern ver-
sehen. Weit reicher noch und mehr orientalisch sind die
inneren Zimmer, die Wände belegt mit Ziegeln, deren bunte
Bemalung in lebhaften Farben Blumenguirlanden vorstellt.
Es war ein eigenes Gefühl, hier zu wandeln, wo früher
außer dem Großherrn und den Eunuchen kein männliches
Wesen geduldet wurde, sich hinzustrecken auf die Erhöhungen, auf
deren Polstern die Sultaninnen gelegen, und die kleinen, noch
gut erhaltenen Wandschränke von vergoldetem Holze zu öffnen,
worin die Odalisken Kleider und Geschmeide sorgsam verwahrt.
Ich weiß nicht warum, aber wir sprachen. Alles leise
zusammen, als fürchteten wir, draußen schlafende Wächter zu
erwecken; auch hielten wir uns nicht sehr lange hier auf,
denn unser Führer schien eine Vollmacht überschritten zu
haben, indem er uns diese Gemächer zeigte; er trieb bestän-
dig zur Eile an und blickte stets nach dem Hofthor, als
fürchte er dort einen Verräther erscheinen zu sehen. Einer
unserer Begleiter, der Dragoman des englischen Consuls,
erklärte uns noch einige Sprüche des Koran, die an die
Wände geschrieben waren und zeigte uns die Namen der
sechs Propheten, Mahomed, Osman, Omar, Ali, Abubekr
und Haffan, die fast in allen türkischen Häusern irgendwo
in großen Schriftzügen zu lesen find. Hier waren sie in
die Fayence der Wandbekleidung eingebrannt.
Wir verließen den Harem; ich brach mir eine wilde
Blume, die in einem der Zimmer aus dem Fußboden her-
vorwucherte, und legte sie als Andenken in die Brieftasche.
Ein großer Hirsch, der sich auf dem Hofe zu langweilen
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fchien, begleitete uns in zierlichen Courbetten bis zum Thore
der Glückseligkeit, wo er uns stolz verließ und in die Ge-
mächer zurückkehrte. Wir wanderten der Stadt zu, die, ob-
gleich eng und winklicht gebaut, wie alle türkischen Städte,
doch etwas reinlicher schien als Schumla. Wir begaben uns
zunächst zu der großen Moschee Sultan Selims, die mit
ihren vier Minarets und großartigen Kuppeln eines der
schönsten Gebäude ist, die ich je gesehen.
Das Innere des Tempels betraten wir nicht, weil es
uns, die wir zur morgigen Abreise im Reitcostüm waren,
zu beschwerlich gewesen wäre, die Stiefeln auszuziehen.
Beinahe hätte man uns so, wie wir waren, hineingelaffen:
Da wir in defen den Muselmännern kein Aergerniß geben
wollten, bestiegen wir nur eines der Minarets von eigenthüm-
licher Banart, indem sich bis zum ersten Absatz drei Treppen
zugleich hinaufwinden. Um in die Spitze des Thurms zu
gelangen, mußten wir dreihundert und fünfzig Stufen er-
steigen, genoffen dann aber einer herrlichen Aussicht.
Nun durch strichen wir die Bazars, welche hier schon
bedeutend reicher sind, als in Rutschuk und Schumla, und
gingen durch die Stadt zum Fluffe Maritza, um dort
eine neue, noch im Bau begriffene Brücke zu sehen, welche
schon dreimal, nachdem sie beinahe vollendet, eingestürzt
war. Uns wunderte das gar nicht. Wie wir unter beson-
dern Feierlichkeiten den Grundstein eines Gebäudes legen,
so ist es ein Fest bei den Türken, den Schlußstein zu legen.
Daher schließen sie die Gewölbe der Brückenbogen nicht, son-
dern stecken hölzerne Keile hinein, bis der Pascha Zeit oder
Laune hat, die Schlußsteinlegung vorzunehmen. Der hiesige
hatte das einigemal versäumt, weshalb das sonst gar nicht üble
Gebäude, wie schon gesagt, mehrmal zusammengestürzt war.
Der englische Consul, der uns in der Quarantäne mit
Gefälligkeiten überhäuft, hatte uns heute zu Tische geladen,
76
was uns Allen in Ermangelung eines guten Gasthofs und
nach zehn Quarantänetagen, die uns im eigentlichen Sinne
des Worts im Magen lagen, äußerst erwünscht war. Seine
Küche, halb englisch, halb nach der Sitte des Landes, war
vortrefflich. Nach dem Effen nahmen wir mit Vergnügen
feinen Vorschlag an, durch die Stadt zu wandern und die
Illumination anzusehen, die schon wegen des Ramasan, aber
zu Ehren der neugeborenen Prinzessinn heute doppelt glänzend
war; auch versprach er uns wo möglich noch diesen Abend
dem Pascha vorzustellen.
Wir zogen aus, vor und hinter uns Kawaschen (Wachen)
und Diener mit großen Laternen und Stöcken, fanden aber,
nachdem wir durch ein paar Straßen gegangen, die Illumi-
nation äußerst armselig. Außer farbigen Laternen und Blech-
lämpchen, die einzeln an den Häusern hingen, sahen wir
hie und da auf einem kleinen Platze eine Pechfackel, bei
deren rothem Scheine die Türken lärmend irgend ein Back-
werk verzehrten. Nur beim Palast des Pascha, zu dem wir
bald gelangten, war es lebhafter.
Das Gebäude hatten wir schon diesen Morgen vom
Minaret der Moschee aus gesehen, von wo aus es einer
deutschen großen Caserne glich: ein beinahe viereckiger
Bau, der einen Hof umschließt, mit regelmäßigen Fenstern
ohne die vielen Erker nnd Schnörkel der übrigen türkischen
Häuser. Die Facade war mit Lämpchen aufs Beste heraus-
geputzt; sie stellten Sterne und Halbmonde, auch Namens-
chiffern vor, nur lief Alles bunt, ohne Symmetrie durch-
einander. Am Thor standen mehrere zerlumpte Bursche mit
großen Pechpfannen, und hier wogte eine große Menschen-
muaffe aus und ein.
Auch wir folgten dem Strome mit Hülfe unserer Ka-
waschen, welche uns mit ihren Säbeln überall Luft machten,
und fanden im Hofe ein seltsames Treiben und Leben. Auf
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den ganzen Platze waren Pechpfannen in die Erde gesteckt,
welche die Menschenmaffen rings um ziemlich beleuchteten.
In der Mitte saß eine Musikbande auf dem Boden und
machte mit einigen Violinen, Zithern, Querpfeifen und
Trommeln einen heillosen Lärm. Indeffen hielten sie bei
aller Disharmonie vortrefflich Takt, zu dem in der Mitte
des großen Kreises, den das Volk bildete, zehn bis fünfzehn
Tänzer die groteskesten Sprünge machten und eine sich immer
widerholende Melodie mit näselndem Tone fangen. Das
Ganze gab beim flackernden Lichte ein eigenthümliches Bild:
die zerlumpten Tänzer, die gellende Musik, das Jauchzen
der Menge, die Häuser umher, die bei den vielen Lampen
und Pechpfannen im Feuer zu stehen schienen.
Der Consul führte uns in das Wohngebäude des
Pascha und vorerst in die Zimmer des Muazil, des Ministers
oder ersten Beamten, die sehr reich mit Divans und Teppi-
chen geschmückt waren. Man setzte eine Menge Wachs-
lichter auf den Boden hin und brachte uns eiskaltes Waffer
in Glasgefäffen, so wie unendlich lange Pfeifen. Bald
waren wir und einige andere Herren, die sich eingefunden
hatten, wie der griechische, fardinische und preußische Con-
sul und einige angesehene Beamte und Kaufleute Adrianopels
in voller Arbeit und erfüllten das Zimmer mit dem Dampfe
des sehr guten Tabaks. Da erschien der Muazil, ein
wohlbeleibter, freundlicher Mann von etwa vierzig Jahren.
Er ging gegen die Gewohnheit der Türken äußerst schnell,
reichte rechts und links seine Hände zur Begrüßung hin,
dann hüpfte er in die Ecke des Divans, schlug die Beine
unter und fing durch den Dolmeicher an, sich mit uns zu
unterhalten. Unter Anderem sagte er, der Pascha laffe sich
für den Augenblick entschuldigen, weil er in seinem Harem
sey. Endlich erschien ein Diener des Pascha. Der Muazil
erhob sich und wir folgten ihm durch mehrere Gänge, durch
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eine Unzahl Diener und Wachen, die in allen Zimmern
standen, bis zu einem sehr reichen Gemache, in welchem der
Pascha saß, ein schon ältlicher Mann mit ergrautem Barte,
aber von äußerst einnehmendem, freundlichem Aeußern.
Wir lagerten uns auf den Divans umher; der Baron
mußte sich neben den Pascha setzen, und dieser ließ ihm
durch den Dragoman erklären, er habe wegen des zweifel-
haften Wetters für heute die Feierlichkeiten draußen abbe-
stellt, uns zu Ehren aber wollte er Feuerwerk und Lustbar-
keit in doppeltem Glanze auflodern laffen. Er sprach leise
zu einem der Diener, der sofort, die Hand auf der Brust
tief sich neigend, rückwärts hinaus ging.
Der Pascha klatschte darauf dreimal in die Hände, und
eine ganze Reihe von Dienern erschien, jeder mit einer
Pfeife in der Hand. Vor jedem der Gäste blieb ein solcher
Pfeifenträger stehen, und auf einen Wink des Pascha drehten
alle die Röhren, welche sie bisher über die rechte Schulter
gelehnt, und wir steckten uns die Spitzen in den Mund.
Dies gleichförmige Präsentieren der Pfeifen geschieht
dann, wenn der Wirth den Rang einer Gäste nicht genau
kennt. Jetzt brachte man auch des Pascha's Nargileh
woran er mächtig zog und es dann dem Nebenfitzen-
den bot, was für eine große Freundschaftsbezeugung gilt.
Man brachte uns schwarzen Kaffee in kleinen türkischen
Taffen ohne Henkel, die man mittelst eines metallenen Tellers
(Zarfe) hält, und wir schlürften den beliebten Sorbeth aus
halbkugligten Crystallgefäßen. Mehrere Male wurden hiebei
die Pfeifen gewechselt, mit denen der Pascha, wie es schien,
reichlich versehen war.
Der sardinische Gesandte, welcher neben mir saß, er-
zählte mir, welch' unglaublicher Luxus hier zu Lande mit
Pfeifen, besonders mit Mundstücken, getrieben wird. So wic
ein Großer eine bedeutende Anstellung erhält, schafft er sich
79
Pfeifen zu Hunderten an, was, wenn man bedenkt, daß
schöne Bernstein spitzen mit mehreren hundert, ja tausend Gulden
bezahlt werden, keine kleine Auslage ist. Ich rauchte unter
andern diesen Abend eine, die man mit den Edelsteinen, wo-
mit sie besetzt war, auf dreihundert Gulden C. M. schätzte.
Um diesem thörichten Aufwand zu feuern, hatte bekannt-
lich Sultan Mahmud einige Jahre vor seinem Tode den Be-
fehl gegeben, jeder Türke solle, wenn er einen Besuch ab-
fatte, seine Pfeife mitnehmen, damit kein Hausherr nöthig
habe, für seine sämmtlichen, oft zahlreichen Gäste Pfeifen
herbeizuschaffen.
Plötzlich verkündete draußen ein Kanonenschlag den Be-
ginn des Feuerwerks. Auf dem Hofe hatte sich die Volks-
maffe außerordentlich vermehrt; in der Mitte stand aber nur
ein Türke, der einzelne Raketen abbrannte, welche ziemlich
gerade stiegen und blaue und rothe Sterne warfen. Ein
Kerl, der schon früher durch bizarre Sprünge die Menge be-
lustigt hatte, ergriff eine Stange, steckte sie zwischen die Beine
und jagte so im Kreise herum, während vorn und hinten be-
festigte Schwärmer und Frösche feiersprühend in die Haufen
fuhren, was ungemeinen Jubel verursachte. Den Beschluß
machte ein Feuerkasten, der vor die Fenster gestellt wurde, in
welchem wir lagen, und mit einem ungeheuern Knall ab-
brannte, Sonnen, Schwärmer, Raketen, Sterne warf und
zuletzt den Hof mit einer bengalischen Flamme erleuchtete.
Das ganze dauerte ungefähr eine halbe Stunde und war eine
Lumperei mit viel Spectakel; erstere dedicirte uns die Re-
gierung, für letztern sorgte der Pöbel.
Indeffen dankten wir dem freundlichen Pascha für seinen
guten Willen herzlich und folgten abermals dem Muazil in
fein Zimmer, wo ein türkisches Nachteffen unser wartete.
Eine runde silberne Platte, etwa drei Fuß im Durchmesser,
80
die auf einem zwei Fuß hohen meffingenen Fuße stand, war
mit kleinen Tellern und Gläsern bedeckt.
Erstere enthielten klein geschnittene Aepfel, Birnen,
Mandeln, Nußkerne, Melonen, Rosinen, Feigen und Zucker-
werk; in den Gläsern war Sorbeth von allen möglichen
Farben und dem verschiedenartigsten Geschmack. Jeder langte
mit den Fingern in die Schüffel und holte sich heraus, was
ihm beliebte.
Kaum hatten wir abgespeist und uns in die Divans
zurückgelegt, so steckte man uns gleich wieder eine Pfeife in
den Mund. Der Muazil klatschte in die Hände und ließ
uns durch den Dragoman sagen, die Tänzer würden fo-
gleich erscheinen, um uns ihre Künste in der Nähe zu zeigen.
Die Thüre ging auf und herein schritt die Musikbande, zwei
Violinen, zwei Zithern und ein mir unbekanntes Instrument,
das nur mit einer Saite bespannt war und nur einen einzigen
schnarrenden Ton hören ließ. Die Tänzer waren vier grie-
chische Knaben in weiten weißen Beinkleidern, rothen Schuhen,
rohem Gürtel und einer eng anliegenden blauen Jacke, mit
Castagnetten in den Händen. Zwei stellten die Tänzerinnen
vor und hatten zu dem Ende das Haar lang wachsen laffen,
daß es Ihnen ungeflochten um die Hüften wehte. Sie
gingen im Zimmer umher, machten dem Muazil und uns
eine Verbeugung, dann zogen sie sich in eine Ecke zurück.
Die Musikanten kauerten auf dem Boden und begannen in
sehr schnellem Tempo eine unangenehme, eintönige Musik.
Die Tänzer stellten sich einander gegenüber, fielen mit
ihren Castagnetten ungemein taktfest in die Musik ein und
der Tanz begann.
Ein richtiges Bild desselben zu entwerfen, ist schwer.
Die Füße, denen bei unsern Tänzern das Hauptgeschäft ob-
liegt, haben hier am allerwenigsten zu thun. Die Tänzer
brauchen sie nur zum Stehen und Springen und werfen sie
Z1
willkührlich plump und unbeholfen herum. Dagegen sind die
Hüften und Schulterblätter in einer unbeschreiblichen, stets
zitternden Bewegung. Dabei stoßen sie einen eigenen Gesang
aus, und obgleich der Schweiß ihnen vom Gesicht und den
Armen floß, obgleich dieses beständige Zittern und Springen
ungemein ermüdend seyn muß, tanzten sie eine volle Stunde
ohne Aufhören, ohne mit ihren Castagnetten ein einziges
Mal aus dem raschen Takt der Musik zu fallen.
Nach diesem Tanze, den uns der Muazil als einen
afiatischen bezeichnete, kam noch ein bulgarischer mit ähnlichen
Bewegungen, und vom ersten hauptsächlich nur durch eine
Figur unterschieden, bei welcher sich alle vier Tänzer an den
Gürteln faßten und wie toll im Kreise herumsprangen. End-
lich schwieg die Musik, die Tänzer traten in den Hinter-
grund, und nur einer von ihnen, mit langen Haaren, kniete
auf einen Wink des Muazil vor ihm auf den Boden; doch
so, daß er dem Minister den Rücken zuwandte. Dann bog
er den Kopf hinten über und Se. Excellenz beklebte ihm
beide Backen mit kleinen Geldstücken, die er mit Speichel
benetzt hatte, worauf sich der Tänzer wieder erhob, ein Tuch
vor sich hinhielt und fingend so lange auf und niedersprang,
bis sämmtliche Münzen herabgefallen waren; dann trat er
mit einer Verbeugung zurück und Alle verließen das Zimmer.
Mittlerweile war es Mitternacht geworden, und da wir
frühe abreisen und noch einige Stunden ruhen wollten, beur-
laubten wir uns vom Muazil und folgten dem östreichischen
Consul, der uns für die Nacht fein Haus angeboten, begleitet
von mehreren Fackelträgern und einer großen Menge Volks.
Den andern Morgen brachen wir auf, mit der gleichen
Anzahl Pferden wie aus Rustschuk. Hamsa an der Spitze
jauchzte beständig: Heide Stambul Gidelum. Land und
Weg boten wenig Interessantes; wir zogen über baumlose
Hügel und durch dürre Thäler, zuweilen über Brücken, die
Hackländer, R. in d. O. I. 6
82
wir nur einzeln beschreiten konnten, nm nicht durchzubrechen;
nur war die Straße lebhafter als vor Adrianopel, und man
sah, daß man sich der Hauptstadt näherte. Caravanen von
vierzig bis funfzig Pferden begegneten uns, die Reiter mit
Säbel, Gewehr, Pistolen so überladen, daß ihre Waffen ge-
wiß oft mehr werth waren als die Waare, die sie damit zu
bewachen hatten. Auch sahen wir kleine Züge türkischer Ca-
vallerie, schlecht ausgerüstet und eben so schlecht beritten.
Die Leute tragen blaue runde Jacken, nach Art unserer Hu-
faren, mit rohen Schnüren besetzt, blaue Hosen und das
Feß auf dem Kopf. Abends sechs Uhr gelangten wir nach
Schatal-Burgas, wo unser Tartar mit einigen Kantschuh-
hieben eine Kaffeestube von den dort versammelten Türken
reinigte, und uns zum Nachtlager einrichten ließ. Am andern Tag
gegen vier Uhr Nachmittags erblickten wir zum ersten Male das
Meer; am fernen Horizont tauchte im Süden die Spitze der Insel
Marmora empor, und südöstlich strichen die Gebirge Kleinasiens.
Im Nachtquartier Siliwri angelangt, besahen wir noch
im Mondschein die Ruinen eines coloffalen Schloffes, das
auf einem schroffen Felsen hart am Meere steht; es ist wahr-
scheinlich von den Genuesern gebaut. Die Türken unter-
graben die zwanzig Fuß dicken Mauern, um Steine für ihre
armseligen Häuser zu gewinnen. So bereichern sich vom
todten Körper eines riesigen Thiers tausend Ameisen und
Würmer. Bald wird das stolze Gebäude über den Köpfen
dieser Vandalen zusammenbrechen.
Vor Tage brachen wir auf und ritten befändig am
Strande hin, so daß zuweilen die grünen Wellen zu den
Füßen unserer Pferde schlugen; das Meer war etwas bewegt. .
Stets so die schöne See zur Rechten, kamen wir Mittags nach
Kutschukschekmedliche, und gegen drei Uhr sahen wir Constanti-
nopel in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit vor uns liegen.
- - - - - - -
Constantinopel.
6
Ansicht der Stadt. – Gasthöfe und Caffeehäuser. – Straßen
und Hunde. – Straßenleben. – Türkische Bäder. – Der Hippodrom,
die sieben Thürme, mehrere Moscheen und andere alte Bauwerke. –
Fahrt nach Bujukdere. Die alten und neuen Wafferleitungen. –
Türkisches Familienleben. – Die Nacht in Ramasan. – Eine Audienz
beim Sultan. Diner bei Refchid Pascha.
Im Halbcirkel umher, an dem lachenden Golf entlang,
Unabfehlich benetzt von dem laulichen Wogenschwall,
Liegt von Schiffen und hohen Gebäuden ein weiter Kreis.
Platen.
„Ich sah Athens geheiligte Räume, Ephesus Tempel fah
ich, und war in Delphi; ich habe Europa durchstreift von
einem Ende zum andern und Asiens schönste Länder besucht;
aber niemals erfreute mein Auge ein Anblick, dem von
Constantinopel vergleichbar.“ So sagt Lord Byron, und
sein Ausspruch ist wahr. Doch muß man nicht von der
Landseite herkommend, Constantinopel allmählich zwischen
großen dunkeln Cypreffenwäldern erscheinen sehen, welche,
wie die alten zerschoffenen, mit Epheu bedeckten Mauern,
Zeugen einer untergegangenen ganz anderen Zeit sind. Sie
machen vielmehr einen wehmüthigen als großartigen Eindruck
auf das Herz des Heranziehenden, dem es bekannt ist, daß
jene Cypreffen aus der Asche ganzer begrabener Nationen
keimen und daß jene grün bewachsenen Steinhaufen die Ring-
mauern des alten Byzanz waren. Man muß die Stadt
nicht von West und Südwest betrachten; hier findet man nur
Trümmerhaufen und sieht an den Hügeln, worauf Stambul
gebaut ist, hinauf, ohne über sie hinwegblicken zu können.
86
Nur hie und da gewahrt man die Spitzen der fernen Ge-
birge oder zwischen den dunkeln Häusermaffen ein Stück des
Meeres, wie ein Blitz aus finstern Wolken hervortretend,
wie ein Licht, das den hinteren Theilen der Stadt nie
leuchtet, so daß hier keine farbigen, bunten Häusermaffen
entstanden, sondern Alles fahl ist und grau, gleich einem
Fleck, auf den nie die Sonne scheint.
Stambul ist einer großen Blume vergleichbar, auf drei
Seiten von einem rauhen unscheinbaren Deckblatt umgeben,
mit welchem es an den Felsgestaden Rumeliens hängt,
während es der aufgehenden Sonne und den großen glänzen-
den Spiegeln, die zwei Meere vor ihr ausbreiten, das schöne
glühende Antlitz zuwendet. Vor dieses muß man treten und
tief in die majestätischen Züge schauen, um des Dichters Aus-
spruch wahr zu finden. Das kleine leichte Boot trägt uns
spielend aus dem Hafen nach dem gegenüber liegenden Ge-
tade von Kleinasien; man verläßt Constantinopel und damit
Europa, wie man vor einem Gemälde zurücktritt, um es ge-
hörig würdigen zu können; man muß sich auf einem andern
Welttheil niederlaffen, um das großartige Bild, das sich hier
vor den erstaunten Augen entfaltet, mit einer ganzen Schön-
heit ins Herz aufzunehmen.
Wie Rom ist Constantinopel auf sieben Hügeln erbaut,
deren Abgränzung man deutlich erkennen kann. Sie bilden noch
jetzt wie unter der Herrschaft der Constantine ein unregel-
mäßiges Dreieck, von dem wir zwei Spitzen von hier aus
nicht sehen; nur die dritte liegt links vor uns, das sogenannte
neue Serail, mit seinen bunt verzierten mannigfaltigen Ge-
bäuden, größern Palästen und kleinen Kiosks. Zwischen den-
selben sieht man Wälder von Orangen, große Platanen und
schlanke Cypreffen, welche dieser ungeheuern Wohnung der
Sultane, die einer kleinen Stadt mit hohen Ringmauern
gleicht, die angenehmste Schattierung geben.
-,
87
Hinter dem neuen Serail, das tiefer als die Stadt
am Ufer des Hafens liegt, erblickt man bunte Häusermaffen,
die den Wellenlinien der Hügel folgen. Dort tritt eine Gruppe
von Cypreffen und anderen Bäumen über sie hinaus; hier
unterbricht ein einsam stehendes halbzerfallenes Mauerwerk
die fast nur durch ihre Färbung verschiedenen Dächer der
Häuserreihen.
Was aber der Stadt einen so wunderbaren, ich möchte
fast sagen feenartigen Reiz verleiht und dem Munde beim
ersten Anblick einen lauten Ausruf entlockt, sind die zierlichen
Minarets und die Haufen glänzender Kuppeln auf Moscheen
und Grabmälern, die über den gewöhnlichen Wohnungen em-
porragen. Man kann sie kaum zählen, geschweige alle nennen,
und während das Auge gesättigt über der Mehrzahl derselben
hinschweift, bleibt es bewundernd an einigen hängen, die
durch Größe und schöne Bauart dem Munde die Frage nach
ihrem Namen entlocken, bei dessen Nennung in empfänglichen
Herzen tausend Bilder und Gedanken erwachen.
Wer denkt nicht beim Anblick jener prachtvollen Kirche,
der Aja Sophia, die mit ihrer schönen Kuppel und den
vier Minarets für unser Auge beinahe im Mittelpuncte der
Stadt liegt, an ihren Erbauer, den prachtliebenden Justinian,
der durch sie ein Werk hinstellen wollte, das den Glanz des
einst so gepriesenen Tempel Salomonis verdunkeln sollte, was
ihm auch gelang. Doch als die Kirche fertig war und der
Kaiser mit den Worten: „Salomon, ich besiegte Dich!“ an
den Altar eilte, ahnte er nicht, daß einst der Herrscher der
Andersgläubigen auf einem Streitroffe in diese Hallen reiten,
eigenhändig die Symbole des christlichen Glaubens zerschlagen
und sprechen werde: „Es ist kein Gott als Gott und Mu-
hamed ist ein Prophet!“ – Das Kreuz verschwand von
der Höhe der Kuppel, und jetzt erhebt sich dort ein coloffaller,
funfzig Ellen im Durchmesser haltender Halbmond, der den
88
Reisenden schon von Weitem entgegenglänzt, lange vorher,
ehe sie von der Stadt selbst etwas fehen können.
Auf der Höhe des dritten der sieben Hügel liegt die
Moschee des großen Suleiman, die Suleimanje, was
Symetrie betrifft, das schönste Gebäude Constantinopels.
Neben ihr sieht man die Moschee Bajazet II. mit zwei
Thürmen, weiter rechts die Moschee Mohameds II., auf
dem Platze, wo das frühere christliche Byzanz einen feiner
schönsten Tempel hatte, die Kirche der heiligen Apostel. Links
von der Aja Sophia zeigt sich die Moschee des Sultan
Achmet, welche man füglich die Cathedrale Constantinopels
nennen kann. Sie ist eines der prächtigsten Gebäude und
hat sechs Minarets.
Ueber alle diese Moscheen hinaus ragt der Thurm der
Feuerwache, der Thurm des Seraskiers. Er liegt in der
Nähe des alten Serails. Ihn vergleicht nach Hammer der
Historiograph Ifi mit einem in den Lüften schwebenden Neste
des Paradiesvogels.
So liegt Constantinopel links vor uns und feine Häuser-
reihen steigen bis zu den Ufern des großen Hafen, des goldenen
Horns hinab, das wir mit allen feinen Schönheiten gerade
vor uns haben; man verfolgt seinen Lauf von der breiten
Einmündung ins Meer von Marmora bis Ejub, wo es
sich allmählig zwischen den grünen Wiesen zu verlieren scheint.
Auf seinem Waffer von der schönsten grünen Farbe ruhen
Schiffe von fast allen Nationen der Erde neben einander.
Das alte, sonderbar gebaute Fahrzeug der syrischen Küsten-
fahrer, dessen hoher spitzer Schnabel an die Bauart der
Schiffe im Alterthum erinnert, liegt mit seinem schmutzigen
Anstrich neben der zierlich ausgerüsteten Yacht des Engländers,
- der auf derselben vielleicht eine große Tour nach dem Orient
gemacht. Da ankert schwerfällig ein altes türkisches Kriegs-
schiff, ein zerschoffener Invalide, der zu einem Glück die
89
Fahrt nach Aegypten nicht mitmachen konnte, neben einer
leichten englischen Kriegsbrigg, die auf und unter dem Ver-
deck blank und fauber geputzt ist, mit den hohen Masten hin
und her wiegt und ungeduldig an den Ankerketten zu zerren
scheint. Langsam bewegt sich dort eines jener plump zusam-
mengezimmerten Gerüste, die einem Floße gleich auf schweren
Balken ruhen und dazu dienen, den Hafen, besonders die
Landungsplätze für die kleineren Boote, vom Schmutze zu
reinigen. Neben ihm stellt so eben ein Dampfschiff seinen
muntern Lauf ein, hißt eine Flagge auf und der Waffer-
dampf, der laut schreiend dem geöffneten Ventil entfährt,
zieht die Aufmerksamkeit der Osmanlis auf sich, die, faul
in ihren Kähnen liegend, dem Meerwunder zusehen.
Zwischen diesen größeren Fahrzeugen bewegen sich die
kleineren Boote, Kaik genannt, vermöge ihrer fabelhaft
leichten Bauart im wahren Sinne des Worts pfeilgeschwind
auf dem Waffer des Hafens hin und her, ja wagen sich
sogar, wie heute das meinige, über den Bosporos nach dem
asiatischen Ufer. Diese Fahrzeuge sind gewöhnlich achtzehn
bis zwanzig Fuß lang, aber kaum drei Fuß"breit, und da
sie, wie alle Seefahrzeuge, auf dem Kiel gebaut sind, sehr
zum Umschlagen geneigt, wozu noch die äußerst dünnen Wände
das Ihrige beitragen. Diese, kaum einen halben Zoll dick,
bestehen, wie das ganze Boot, aus hartem Holz und find
gewöhnlich zierlich geschnitzt. Durch ihre Leichtigkeit und
den langen spitzen Schnabel, in welchen das Boot ausläuft,
wird ihre ungemeine Schnelligkeit bedingt, aber auch, be-
sonders für den Europäer, das Einsteigen erschwert; denn
man muß bei diesem Manöver gleich vom Landungsplatze aus
die Mitte des Boots gewinnen und sich ruhig niedersetzen,
um das Gleichgewicht zu erhalten und nicht umzuschlagen,
was dennoch sehr häufig vorkommt.
90
Wir Europäer, die neben dem Platz, auf dem wir sitzen,
noch großen Raum für unsere Beine brauchen, konnten nur
zu drei, höchstens vier eine solche Wafferschachtel besteigen;
aber die Türken, die ihrer Geschäfte wegen häufig über den
Hafen fetzen müffen, finden zu acht bis zehn in einem solchen
Boote Platz, da sie sich auf ihre untergeschlagenen Beine an
den Boden setzen. Meist bewegt nur ein einzelner Mann
ein solches Boot vorwärts, aber mit erstaunlicher Schnellig-
keit und Gewandtheit, wobei er beständig ein lautes: „Johe!“
ausstößt, um ein anderes Boot, das vielleicht um die Ecke
eines Kriegsschiffs herum ihm in die Seite fahren würde,
frühzeitig zu benachrichtigen.
Bei diesem Ausweichen kommt die große Leichtigkeit
der Fahrzeuge wieder sehr zu Statten, da stets mehrere
Hunderte den Hafen bedecken und manches Unglück durch
Anprallen vorfallen müßte, wenn der Schiffer nicht mit
einem einzigen Ruderschlag einem Boot eine andere Richtung
geben könnte.
Das reizende Bild des Hafens, der sich zwischen Con-
stantinopel und den auf dem andern Ufer liegenden Vor-
städten wie ein klarer Bach hinzieht, wird durch die Menge
dieser kleinen Fahrzeuge sehr belebt. Einen äußerst komi-
schen Anblick gewährt ein solches Kaik, mit einer Menschen-
ladung, von der man nur die Köpfe über dem Bord empor-
ragen sieht. Hin und wieder arbeitet sich auch die Schal-
luppe eines Kriegsschiffs schwerfälliger zwischen den Kaiks
durch, doch nicht minder hübsch. Diese Fahrzeuge find von
dunkler Farbe wie die Schiffe, mit einem einzigen blauen,
rothen oder weißen Streifen um den Rand. Auf den Bänken
sitzen die Matrosen, bei den größern in zwei, bei den kleineren
nur in einer Reihe, in ihren Jacken von dunkler Leinwand,
worüber sie einen saubern breiten Hemdkragen herauslegen,
der meist von blauer Farbe ist. Er rahmt in Verbindung
------- - - - - - - - - - - – =--------
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mit dem schwarzen, betheerten keck aufgestutzten Hute die
frischen runden Köpfe der Matrosen recht angenehm ein.
Am Hindertheil der Schaluppe steckt die Flagge und unter
derselben sitzt auf einem mit der Landesfarbe eingefaßten
blauen Tuch der Offizier, der sie befehligt, in seinen Händen
zwei Schnüre, mit denen er das Steuerruder leitet. Mich
hat das An- und Abfahren dieser Kriegsschaluppen stets er-
götzt. Die Matrosen sitzen auf ihren Bänken, die Ruder-
stange gerade in die Höhe gestreckt, den Augenblick erwartend,
wo der Offizier einsteigt. Dann pfeift der Bootsmann, die
Matrosen stoßen vom Schiffe ab und laffen ihre Ruder alle
zugleich in's Waffer fallen.
Eine für uns Ausländer besonders merkwürdige Er-
scheinung, die uns bei unsern Spazierfahrten auf dem Hafen
öfters aufstieß, war ein großes weißes Kaik, reich vergoldet,
deffen sauber geschnitzter, bunt bemalter Schnabel sehr lang
und spitz war. Auf demselben, beinahe am Ende, stand ein
goldner Vogel mit ausgebreiteten Flügeln, der einen Ring
im Schnabel hielt, von welchem zwei dicke seidene Schnüre bis
an die Spitze des Boots gingen und es zu leiten schienen.
In der Mitte des Fahrzeugs trugen vier oder sechs vergol-
dete Säulen ein Dach von rohem Samt mit Goldstickerei,
unter dem ein reich gekleideter junger Mann saß, der etwas
bleich aussah. Er trug ein Feß, welches ein großer Stern
von Diamanten schmückte. Es war der Sultan Abdul
Medfchild, auf deutsch: Diener der Andacht.
Vorn im Schiffe neben dem Vogel war ein etwas
erhöhter Sitz angebracht, auf dem einige vom Gefolge des
Sultans saßen. Am Hintertheil befand sich die Dienerschaft.
Der Sultan hat zu einem Privatgebrauche drei solcher
Kaiks, eins mit vierzehn, ein anderes mit achtundzwanzig,
das größte mit sechsundfünfzig Ruderknechten, die weiße
Jacken und Beinkleider tragen und auf dem Kopfe ein rothes
92
Feß; ihre Ruderstangen sind ebenfalls weiß, mit goldenen
Blumen verziert. Man sagte uns, in der Anzahl dieser
Bootsknechte fey absichtlich die Zahl sieben, als eine heilige
enthalten. Diesem Boote des Pa difchah folgt ein ähn-
liches leeres, denn die Etikette will nicht, daß der Großherr
die Rückfahrt im gleichen Boote mache. - -
Sobald das Boot des Sultans auf dem Waffer er-
scheint, müffen alle übrigen Fahrzeuge in ihrem Lauf ein-
halten; jeder darin sitzende muß seine Pfeife bei Seite legen,
und wehe dem, der sich unterstände, in diesem Augenblicke
in’s Waffer zu spucken oder etwas hinein zu werfen. Sind
die, welche gegen dieses Gesetz handeln, Muselmänner, fo
werden sie mit Geldstrafen oder einer gewissen Anzahl Hiebe
auf die Fußsohlen bestraft, sind es Fremde oder Franken, die
sich mit Unkenntniß dieser Gebote entschuldigen können, so
fällt die Strafe auf den Kaikschi oder Bootführer. Einem
andern Boote, dunkel bemalt, das zuweilen auf dem goldenen
Horn erscheint, weichen alle Kaik ängstlich aus und fliehen
es, wie die kleinen Fische den gefräßigen Hai. Sogar der
Osmanli, den selten etwas aus seiner Ruhe zu stören
vermag, verläßt den Strand des Meeres, wo er seine
Pfeife rauchte und zieht sich zurück, sobald dieses Boot
mit sieben Paar Rudern bemannt, dem Ufer nahe kommt.
Ein alter finsterer Türke mit langem Bart sitzt darin und
späht aufmerksam umher. – Es ist der Bostandfchi Bafchi,
General der Garten Leibwachen. Er sorgt für die Sicher-
heit und Ruhe des Hafens, hat, wie der Janitscharen Aga
Gewalt über Leben und Tod und macht gewöhnlich kurzen
Prozeß. Seine Kawaschen binden den Schuldigen und er-
tränken ihn ohne Weiteres im Meer.
Wollte man von der Schönheit und dem regen Leben
des goldenen Horns mit der Feder einen anschaulichen Be-
griff geben, so würde man in Jahren nicht fertig; denn der
93
prächtige Hafen ist es hauptsächlich, der dem Anblick der
ganzen Stadt einen so wunderbaren Reiz verleiht. Un-
gefähr in der Mitte seiner Länge ist er durch die neue
schöne Brücke gesperrt, welche Achmed, der frühere
Kapudan Pafcha, im Jahr 1835 bauen ließ.
Sie ist sechshundert sieben und dreißig Schritte lang und
fünf und zwanzig breit. Statt wie unsere Schiffbrücken
auf Pontons ruhend, wird sie durch einen Wald der
längsten und schönsten Mastbäume, die aufrecht stehend ein-
gesenkt sind, getragen. Sie führt von Constantinopel nach
dem andern Ufer des Hafens, wo sich die Vorstädte Pera,
Galata und Top-Chana erheben.
Von Scutary aus gesehen, liegen diese zur Rechten
vor uns; ihre Häuser sind ebenso an den Hügeln hinange-
baut, wie die Stambuls; doch bieten sie dem Aug' einen
weniger glänzenden Anblick, da sich über der dunkeln Häusermaffe
– der Türke erlaubt nämlich dem Ungläubigen keinen bunten
Anstrich derselben – fast gar keine schlanken Thürme erheben.
Pera ist bekanntlich das Frankenviertel, das gar keine
Moscheen hat. In Galata, defen sehr schmutzige und
holperige Gaffen sich bis zum Hafen hinabziehen, haben eben-
falls Franken, doch mehr noch Armenier, Juden und ärmere
Türken ihre Werkstätten und Laden aufgeschlagen. Das
einzige hervorragende Bauwerk in Galata ist der auf der
Höhe thronende, massive Thurm, der Thurm von Galata
genannt. Er wurde von den Genuesern im Jahr 1348 er-
baut. Man hat hier eine der schönsten Aussichten über die
Stadt und die sie umgebenden Meere. An Galata gränzend,
dicht am Ufer des Hafens, liegt Top-Chana (Kanonen-
Werkstatt). Schon Mohamed II. ließ eine christliche Kirche,
die sich da befand, zur Stückgießerei umwandeln, und noch
jetzt, wie schon der Name angezeigt, werden die groben
Geschütze hier gegoffen.
94
Einige Abwechselung in die schmutzige Einförmigkeit der
Häusermaffen dieser drei Stadttheile bringt eine auf der Höhe
an Pera liegende neue Caferne, die mit ihrem weißen An-
strich freundlich hervortritt, so wie die vielen Cypreffen des
großen und kleinen türkischen Kirchhofs zu Pera, die man
sonst nirgends in solcher Anzahl und Schönheit trifft. Der
Engländer Walsh nimmt die Zahl der Seelen Stambuls
zu fünfmalhunderttausend, die der Halbinsel Pera mit Galata
und Top-Chana zu zweimalhunderttausend an, und die
äußere Ansicht der Häusermaffen widerspricht diesem Ver-
hältniß nicht.
Neben Top-Chana, dicht am Ufer des Hafens, sieht
man die Sommerwohnung des Sultans, ein langes, ein-
föckiges und sehr bunt bemaltes Gebäude, das, auf einer
hellen mit Orangenbäumen besetzten Terraffe stehend, einen
recht freundlichen Anblick gewährt; doch ist leider dieser
Palast der Beherrscher der Gläubigen nur von Holz.
So lag Stambul in einer ganzen Pracht und Herr-
lichkeit vor uns, und ich fühlte die Wahrheit der Worte
Hammers, wenn er sagt: „Sie ist die Herrin zweier Erd-
theile und zweier Meere, die geborene Beherrscherin Asiens
und Europas, an beider Gränze auf sieben Bergen thronend.
Von drei Seiten fluthenumgürtet, schaut sie von den sieben
Gipfeln ihres Throns gegen Mittag auf die Propontis und
den Ausfluß derselben, den fischreichen Hellespontos, gegen
Osten auf den schlangengewundenen Bosporus und den als
stürmisch übelberüchtigten Pontos hin.“ – Ja, es ist ein Ge-
mälde, wie ich es nie gesehen, voll Lieblichkeit und Zauber.
Uns ganz zur Rechten ist das Bild begrenzt von der alten
Veste Rumilli Hiffiari, deren Wälle und Thürme keck am
Gestade des Bosporus hinaufklettern und mit ihrem grauen
Gemäuer eine dunkle Einfaffung des lustigen, glänzenden
Bildes vorstellen. Links ist der Rahmen zerfließender und
95
großartiger. Da beginnt fast zu den Füßen des neuen Serails
das Meer von Marmora, das mit seinen blauen Fluten
am äußersten Ende einige kleine Eilande umspült, die
Prinzelinseln.
Als ich Constantinopel zum ersten Mal in seiner ganzen
Ausdehnung fah, war im Hafen und an seinen Ufern außer
dem gewöhnlichen Leben, das die hin und herfahrenden
Boote verursachen, außer dem Geschrei der zahllosen Möven,
die so zahm find, daß man sie beinahe mit den Händen
greifen kann, ehe sie kreischend davon fliegen, ein außer-
ordentlicher Lärm. Seiner Hoheit war wieder eine neue
Prinzessin geboren worden und die Türken bemühten sich,
die Freude ihres Herzens durch zahlreiche Kanonensalven
kund zu geben. Von sechs Seiten knallte es oft zugleich.
Am neuen Serail fanden zwei Batterien, ebenso an der
Residenz des Sultans und die Artilleristen in Top-Chana
fuchten zwei türkische Fregatten zu überdonnern, die, in der
Mitte des Hafens liegend, den meisten Lärm machten. Die
ganze Waffermaffe war in solchen Augenblicken mit Dampf
bedeckt, der sich wie ein Nebel vor unser kleines Kaik lagerte.
Als wir zurückfuhren, begrüßten wir noch den Leanderthurm,
der einsam auf dem Felsen. Damals steht, eine Schildwache
des goldenen Horns. Von ihm wurden in Kriegszeiten
eiserne Ketten nach dem Thurme an der Spitze des neuen
Serails gezogen, die den Paß zwischen dem Bosporus und
und der Propontis sperren sollten. Hätte ich damals, als
ich die Schöne des ganzen Bildes in mein Herz aufgenommen,
ebenfalls Ketten vor daffelbe ziehen können, die nichts hin-
ausließen, so könnte ich Manches wiedergeben, was mir
der Drang späterer Ereigniffe entführt hat.
96
Gasthöfe und Caffeehäuser.
Wer, wie wir, die wohl eingerichteten Donau-Dampf-
schiffe verläßt, um einen Ritt durch die Türkei zu machen,
der, an sich schon ungefähr acht Tage dauernd, noch durch
eine zehntägige Quarantäne unangenehm gemacht wurde,
eine Quarantäne, worin es weder Betten, Tische, noch sonst
irgend ein Möbel gab, wo wir unsern Pillau mit Hühnern
selbst kochen und unsere schmutzige Wäsche eigenhändig waschen
mußten, kann denken, daß wir mit größtem Verlangen einer
Anstalt, Pension oder Gasthaus, wie man es nennen will,
entgegen sahen, die uns in Constantinopel aufnehmen sollte
und die von einer liebenswürdigen Landsmännin geführt,
gewiß Alles darbot, was zur Erquickung ermüdeter Reiter
dient. Pera, das, wie schon gesagt nur von Franken be-
wohnt wird, hat mehrere dergleichen Anstalten, unter denen
uns die der Madame Balbiani, einer Elsäßerin, als beson-
ders gut und angenehm gepriesen worden war. Obgleich
Hamsa, unser edler Tartar, die Genüffe der großen Cara-
vanserei sehr lockend schilderte, brachte er uns doch bereit-
willig durch die engen steilen Gaffen. Pera"s nach einem
kleinen freundlich aussehenden Hause, das, wenn es auch
kein gemaltes Aushängeschild hatte, uns doch gleich mächtig
anzog; denn beim Pferdgetrappel auf der Straße erschien die
Besitzerin und bewillkommte uns herzlich in deutscher Sprache.
Unsere Pferde wurden abgepackt, Sättel und unsere
Effekten in das Haus niedergelegt und Hamsa durch Aus-
zahlung der ihm noch zukommenden Summe verabschiedet.
Dem Tartaren liefen die Thränen in den Bart, als er uns
einzeln die Hand drückte und dem Baron versicherte: er habe
noch nie einen so freundlichen guten Herrn gehabt, wie ihn
und würde auch schwerlich wieder einen solchen begleiten.
Fast hätten wir noch einmal eine kleine Quarantäne
97
oder wenigstens eine Beräucherung aushalten müffen. Da
es bekannt war, daß sich die Pest bei Adrianopel gezeigt
hatte, so konnten nur die heiligsten Versicherungen, daß wir
dort Quarantäne gehalten, die Wirthin vermögen, uns fo-
fort in ihre Zimmer treten zu laffen, ohne zuvor in einen
großen Schrank zu kriechen, der vorne ein großes Loch hat,
zu welchem man den Kopf herausstreckt, und am Boden eine
Vorrichtung, wo Wachholder und anderes Räucherwerk einen
gewaltigen Dampf hervorbringt, der von unten herauf alle
Kleidungsstücke durchdringt. Diese Pension ist ziemlich auf
dem Fuß europäischer Gasthöfe eingerichtet, hat einen Speise-
saal und Zimmer mit ein oder zwei Betten, die alle mit
Vorhängen von feiner Gaze versehen sind, um während der
heißen Jahreszeit die dem Schläfer sehr lästigen Insekten ab-
zuhalten. Die übrige Einrichtung ist halb türkisch, halb
fränkisch. Auf dem Boden liegen Teppiche und nirgends
fehlt der breite Divan an der Seite, wo die Fenster sind.
Die größte Unbequemlichkeit in der kältern Jahrszeit ist
der Mangel an Oefen, deren man bei der schlechten Bauart
der Häuser, Feuersbrünste fürchtend, so wenige wie möglich
aufstellt, und das sehr verkehrter Weise; denn das Surrogat
dafür, der Manga hl, ein kupfernes Gefäß, in Form
einer großen Vase, das mit glühenden Kohlen angefüllt und
im Zimmer aufgestellt wird, kann bei der geringsten Nach-
läffigkeit viel eher ein Haus anzünden, als ein verschloffener
Ofen, besonders bei den Orientalen, denen der Mangahl
schon deshalb fast unentbehrlich ist, da sie nur hinein zu
langen brauchen, um ihre Pfeifen anzuzünden. Fast jede
Woche brennen einige Häuser ab, was auch während
unseres Aufenthaltes der Fall war; aber bei der gränzen-
losen Nachlässigkeit, womit der Türke die noch heiße Kohle
von der Pfeife auf die Strohmatte wirft, ohne sich ferner
darum zu bekümmern, erscheint dies noch sehr wenig.
Hackländer, R. in d. O. I. 7
98
In Pera gibt es drei solcher Pensionen, von denen
die der Madame Balbiani die vorzüglichste ist, weshalb
man selten bei ihr Platz findet. Auch unsere Gesellschaft,
aus vier Personen bestehend, – unser englischer Freund N.
hatte uns nämlich verlaffen, um eine Privatwohnung bei
der englischen Gesandtschaft zu beziehen – konnte im Hause
selbst nicht ganz untergebracht werden, sondern zwei mußten
sich entschließen, ein von der Madame Balbiani gemiethetes
Zimmer in einem Nebenhause zu beziehen.
Die Preise in diesen Gasthöfen sind nicht außerordent-
lich hoch. Man bezahlt täglich für ein Zimmer mit Kaffee,
Frühstück und Mittageffen gegen vierzig Piaster, was an vier
Gulden Conventionsmünze macht. Eine andere dieser Pen-
fionen, dessen Besitzerin eine Französin ist, hat einen Tanz-
saal, wo sich zuweilen die Bevölkerung Pera"s vergnügt,
so wie ein kleines Theater, in dem damals eine französische
Schauspielergesellschaft kleine Lustspiele und Vaudevilles gab.
Die übrigen Restaurations-Anstalten Pera"s haben
für den Reisenden kein weiteres Intereffe und nichts Origi-
nelles. Es gibt ein griechisches, ein italienisches und ein
französisches Kaffeehaus, in welchen man ein oder zwei sehr
alte Exemplare unbedeutender Journale findet. Diese Cafés
find mit Tischen und Stühlen versehen, kurz, so gut es sich
thun läßt, wie die unsrigen eingerichtet. Wir besuchten sie
höchst selten, da man nicht immer gewiß ist, welche Gesell-
fchaften man dort antrifft, und auch weil man dort nur
Sachen bekommt, die man viel beffer zu Hause hat; fran-
zösischen Liquör in kleinen Gläsern und Kaffee und Thee in
großen Taffen.
Ueberhaupt haben alle Cafés in Pera, Galata und
Top-Chana durch den häufigen Besuch der Franken fast ihre
ganze Originalität verloren; sie vereinigen auf die wunder-
lichste Art den Orient und den Occident.
99 -
Um sich die Genüffe eines ächt türkischen Kaffeehauses
zu verschaffen, muß man über den Hafen setzen. Nicht
immer war der Kaffee und der Tabak bei den Orientalen so
allgemein verbreitet und beliebt, wie jetzt. Es gab eine
Zeit, wo die Tavernen, in denen Wein geschenkt wurde, ge-
duldet und häufig besucht, dagegen Kaffeehäuser und Tabagien
geschloffen und strenge verboten waren. Doch da der Buch-
stabe des mohamedanischen Gesetzes den Genuß des Weins
strenge verbietet, ein Verbot, das keine weltliche Obrigkeit
aufzuheben im Stande ist, so ist in diesem Punkte der Koran
wieder in seine Rechte eingetreten, der Wein verdrängt
worden und der Genuß des Kaffee's und Tabaks verbreitete
sich reißend und allgemein, ja ist jetzt das unentbehrlichste
Bedürfniß geworden.
Schon ein älterer türkischer Dichter singt von ihnen:
„Schwarz, doch lieblich ist der Kaffee, wie das Mädchen, das braune,
Das bei Tage erheitert, den Sinn und den Schlaf bei der Nacht raubt,
Und der Tabak ist ein ficheres Beschwörungsmittel dem Manne,
Der mit den Wolken des Rauchs die Wolken der Sorgen hinwegbläst.“
Wie man sich von den meisten Sachen, die uns sehr
fern liegen und öfters besprochen werden, einen viel glänzen-
deren Begriff macht, sie viel herrlicher ausmalt, als sie in
der Wirklichkeit sind, so ist es uns besonders mit den Kaffee-
häusern ergangen. Die Ansichten, die man uns von diesen
Localen gibt, in letzterer Zeit besonders die Werke mit Stahl-
stichen, die Alles so fein und sauber erscheinen laffen, über-
reden uns, ein türkisches Kaffeehaus fey meistens eine Halle
von Säulen getragen, alle Wände mit schönem bunt be-
maltem Schnitzwerk bedeckt, und die größte Reinlichkeit gehe
daselbst mit der Zierlichkeit der Ausstattung Hand in Hand.
Und doch ist nichts von Allem dem wahr. Wir haben
fast alle Kaffeehäuser Stambuls durchsucht und hofften end-
lich einmal auf eins zu stoßen, wie man es uns beschreibt
7
100
und zeichnet. Aber vergebens; wohl gab uns unser Führer
mit Mienen und Worten zu verstehen, jetzt wären wir zu
einem gelangt, das der Inbegriff alles Schönen fey. Wir
traten ein und befanden uns in einer gewölbten Halle, an
deren Wänden man gewisse Linien und Schattierungen bei
näherer Betrachtung für Bildhauerarbeit erkannte, die einstens
fehr schön gewesen seyn mochten, jetzt aber durch Zeit und
Schmutz ganz verwittert waren. Längs den Wänden laufen
Divans oder vielmehr hölzerne Erhöhungen ohne Kiffen,
nur mit einer Strohmatte bedeckt, auf denen die Gäste mit
untergeschlagenen Beinen in gedankenlosem Hinfarren sitzen
und aus dem Tschibuk oder Nargileh große Rauchwolken vor
sich hinblafend. In einer Ecke ist unter einem Kamin mit
spitzem Dach ein kleiner Heerd angebracht, auf dem der
Kaffeetschi den Kaffee zubereitet. Nachdem man sich den
reinlichsten Platz ausgesucht, verlangt man einige Taffen
Kaffee, so wie die Pfeife, und nach vielem Rufen erheben sich
ein paar Negerbuben, die sich auf dem Boden herumraufen,
fahren in ihre bereitstehenden großen Pantoffeln und rutschten
vom Kaffeetschi (Kaffeewirth) zum Gast, um ihn zu bedienen.
Hiebei ist nun noch als eigenthümlich zu bemerken,
daß, obgleich mau im Orient kleine Kaffeemühlen findet,
welche die Form eines Cylinders haben und in den Gürtel
gesteckt werden können, doch die meisten großen Städte
eine allgemeine Kaffeestampfe (Tachmiffhane) haben. Ham-
mer sagt hierüber: die Anstalt des Tachmis ist eine, den
morgenländischen Städten ganz eigene. Es wird darin der
für den Bedarf der ganzen Stadt nöthige Kaffee gestampft
und gesiebt. Das Sieben – tachmis heißt wörtlich: das
Fünftel ausziehen und ist hiervon wohl das französische
Wort tamis – Sieb – herzuleiten. Eine solche Kaffee-
Stampf- und Sieb-Anstalt befindet sich zu Constantinopel
in der Nähe der Moschee Sultan Mohamed IV. Die
101
hiebei verwandten Leute find Armenier, denen die geistige
Atmosphäre des Kaffeedunstes, in der sie beständig leben,
ein aufgewecktes geistreiches Ansehen gibt, das mit den schwer-
fälligen geistlosen Grundzügen der armenischen Gesichtsbildung
in sonderbarem Widerspruche steht.“
Meistens trinkt der Orientale einen Kaffee ohne Zucker
und in den Cafés muß man ihn besonders verlangen. Das
Getränk an sich ist sehr stark und übt auch auf uns die
Kraft, die ihm der Orientale zuschreibt. Es macht auf-
geweckt, lustig und der Türke fagt: es mache nüchtern, wes-
halb er es, nachdem er sich durch Opium und Tabak berauscht,
zum Niederschlagen genießt.
Die gewöhnliche Pfeife in den Cafés, die man dem
Gast, ohne daß er sie fordert, hinstellt, ist das Nargileh,
die Wafferpfeife, mit langem Schlauche. Es besteht aus
einer Flasche, in der sich Waffer befindet; auf dem Halle
fizt der kupferne Pfeifenkopf, der entweder mit Meerschaum
ausgefüttert oder so weit ist, daß man einen andern von
Ziegelerde, der unten das Zugloch hat, hinein stecken kann.
Von diesem kupfernen Anfatz oder Kopf geht eine gerade
Röhre nach unten, die in einer hohlen durchlöcherten Kugel
endigt, welche bis unter das Waffer reicht. Eine andere
Röhre am Aufsatz führt ebenfalls mit einem Ende in die
Flasche, jedoch so, daß ihre Oeffnung mehrere Zoll über
dem Wafferspiegel bleibt, und biegt sich mit dem andern
Ende, das sich erweitert, nach außen, wo dann das lange
gewundene Rohr hineingesteckt wird.
Der Tabak, der zu diesen Pfeifen geraucht wird, ist
vom gewöhnlichen Rauchtabak verschieden und heißt deshalb
ausschließlich Nargileh-Tabak. Es find große hellgelbe
Blätter, die an der Sonne so stark getrocknet werden, daß
man sie mit den Händen zu einem Pulver zerreiben kann.
Dies wird dann mit Waffer zu einem Brei angemacht, den
102
man mehrmals ausdrückt und wieder begießt, um den Schmutz
und Staub fort zu schwemmen. Den Teig, den man auf
diese Art erhält, stopft man in den Kopf, legt eine glühende
Kohle auf und beginnt die Arbeit des Rauchens, bei dieser
Pfeife eine wirkliche Arbeit; denn es gehört eine gute Lunge
und viel Geduld dazu, um den Tabak durch lange Züge in
Brand zu bringen, daher auch der vornehme Türke dies Ge-
schäft seinem Sklaven überläßt. In den Cafés besorgt das
Anranchen der Pfeifen auf Verlangen der Wirth oder die
aufwartenden Buben. Der Tschibuk oder die lange Pfeife
wird hier seltener geraucht, ist aber auch zu haben.
Ein anderes Attribut der türkischen Caffeehäuser, von
dem man uns so viel erzählt, sind die Springbrunnen, die
man in den meisten antreffen soll, und die, wenn sie wirklich
noch da wären, mit ihrem einfachen, aber melodischen Ge-
plätscher eine gute Folie abgäben, auf der die Träume und
Gedanken des ruhig dasitzenden Kaffeetrinkers recht lebendig
hervortreten könnten. Wie man aber in der Türkei so viele
zerbrochene Denkmale findet, die einst schön und herrlich waren,
so ist es auch mit den Springbrunnen.
Ich gestehe, fast in jeder, auch der ärmlichsten Kaffee-
stube erhebt sich in der Mitte des mit Schmutz bedeckten
Bodens, der hie und da, wo zufällig Waffer hinfällt, bunte,
schön gefügte Marmorsteine sehen läßt, ein zierliches, aus
Stein gehauenes Bafin, das oft mit den herrlichsten Sculp-
turen bedeckt ist. Aber die Röhre, aus denen früher der
Wafferstrahl gegen die Decke stieg, ist zerbrochen oder ver-
stopft, das Baffin ist leer und dient zum Behältniß für zer-
brochene Taffen und Tabaksasche.
Das Einzige, was vielleicht von früher diesen Häusern
geblieben ist und den Fremden interessiert, ist das rege Leben,
das hier beständig herrscht; ich sage Leben, in so fern man
das Gehen und Kommen der Gäste so nennen kann; denn
103
von Plaudern und Lachen ist keine Rede. Der Orientale
tritt ein, wirft seine Blicke ruhig umher, bis er einen Platz
gefunden, der ihm behagt, setzt sich dann mit untergeschla-
genen Beinen, gibt dem Kaffeetschi einen Wink und nimmt
Kaffee und Pfeife, ohne ein Wort zu sprechen. Findet er
zufällig Bekannte auf derselben Bank, so grüßt er die durch
Auflegen der Hände an Brust und Stirn, ohne sich weiter
um sie zu kümmern.
Da der Türke, der es bestreiten kann, fast stündlich
feinen Kaffee trinkt, und es dem Aermeren erlaubt ist, am
Feuer des Wirthes mit einem eigenen Geschirr den mitge-
brachten Kaffee zu kochen, so sind die Kaffeehäuser stets mit
einer bunten Menge gefüllt, die um so größer ist, da der
Orientale zum Sitzen nur einen sehr kleinen Platz braucht.
Die Gäste, die zuletzt kommen und auf den Bänken keinen
Platz mehr finden, lehnen sich an die Thüre, und sie waren
es, die uns die meiste Unterhaltung gewährten. Wenn sie
auch noch so dicht beisammen standen, so sprach selten. Einer
mit dem Andern, und da fie, ruhig vor sich hinsehend, fast
keine Bewegung machten, so konnte man sie eher für Wachs-
figuren als für Menschen halten.
Ein anderer Genuß, den sich die Türken in den Kaffee-
häusern verschaffen, ist das ruhige Anhören der Balladen und
Gedichte, welche ihnen die Meddah (Lobredner und Decla-
matoren) der Kaffeehäuser zum Besten geben. Der Meddah
sitzt in einer Ecke und trägt meistens in sehr unangenehmem
näselnden Tone Erzählungen aus der tausend und einen
Nacht vor oder aus den Rittergeschichten Antar’s oder Dul-
hamas. Bald erzählt er von den Zügen Alexanders, bald
preist er Sid-al-battal, den Kampfhelden.
Oft sind diese Meddah vom Kaffeetschi gemiethet und
müffen vom Morgen bis in die Nacht, es mögen viel oder
wenig Gäste da seyn, ihre Geschichten ableiern, und es ist
104
gewiß merkwürdig, daß der Türke, wenn er von seinen Ge-
fchäften ausruhen will, vorzugsweise die Kaffeehäuser besucht,
wo sich die Meddah aufhalten, um zu einem Kaffee irgend
eine Erzählung anzuhören, von der er das Ende nicht er-
warten kann, welches sofort ein Anderer, der nach ihm kommt,
ebenso begierig vernimmt, ohne den Anfang gehört zu haben.
An manchen Orten warten aber die Erzähler, bis sich mehrere
Gäste versammelt haben. Besonders lebhaft sind diese
Unterhaltungen in den Nächten des Ramasau, wo eine
Violine, wohl auch eine Flöte die Erzählungen begleitet und
zu einem Melodrama macht.
In Constantinopel, so wie auch in Pera, Galata und
den andern Vorstädten, gibt es eine Unzahl Kaffeehäuser der
beschriebenen Art. Dazu kommen noch die für das ärmere
Volk, welche in einem Winkel der Straße etabliert sind. Hier
hat der Kaffeetschi einige Steine zusammen getragen, zwischen
denen er sein Feuer anmacht und das er durch einen aus-
gebreiteten Teppich gegen den Wind schützt. Große Steine
oder kleine Stühlchen aus Palmenholz dienen den Gästen
zum Sitzen. Auch hier fehlt der Meddah nicht, besonders
an schönen Abenden, wo ihn die Handwerker und Taglöhner
nach beendigtem Tagwerk in dichten Gruppen umstehen und
aufmerksam seinen Worten lauschen. Die größten und schönsten
Cafés find in der Nähe der großen Moschee, besonders der
Suleimanje, und hier ist auch der Sammelplatz der Teriaki
oder Opiumeffer, die jedoch hauptsächlich Abends ihr Wesen
treiben. Wir hatten in den Nächten des Ramasan mehrere
Male Gelegenheit, sie zu beobachten.
Aehnlichkeit mit den Kaffeehäusern haben die Laden der
Sorbet- oder Scherbetbereiter, deren Fabrikat kein berauschen-
des Getränk ist, sondern Gelée von Früchten in eiskaltem
Waffer aufgelöst. Ihre Gewölbe, in welchen weniger ge-
raucht wird, haben ein viel hübscheres, gefälligeres Aussehen,
105
als die Kaffeehäuser. Die mannigfaltigsten Gläser mit
Geléen und Confituren sind an den Wänden in bunt bemal-
ten Fächern aufgestellt, der Boden meist mit Matten belegt,
und wenn man auch wirkliche Springbrunnen nur in einigen
der größten findet, so ist doch in den meisten irgendwo an
der Wand ein Fäßchen mit frischem eiskaltem Waffer ange-
bracht, das man nach Belieben in die dabei stehenden Crystall-
gläser füllen und genießen kann. Viele dieser Sorbethändler
haben nur einen kleinen Laden, in dem kaum ihre Waaren
Platz finden, weshalb sie zum Aufenthalt der Gäste vor
dem Hause eine Laube von bunt angestrichenen Latten auf-
führen, über welches die Reben nnd anderes Schlinggewächse
ziehen. Ist es möglich, so lehnen sie eine solche Laube mit
einer Ecke an einen der vielen öffentlichen Brunnen und
haben so auf öffentliche Kosten eine eigene Fontaine. Dieses
Verfahren ist freilich etwas egoistisch; aber die Stambuler
Polizei findet es unter ihrer Würde, sich um dergleichen
Kleinigkeiten zu bekümmern.
Wenn wir den Tag über in den Gaffen Constantinopels
herum gelaufen waren und uns Abends, vom vielen Sehen
ermüdet, auf den Weg nach Pera machten, so zogen uns
nicht selten die kleinen Lichtchen, welche die Sorbetbereiter
in ihren Lauben aufstellen, durch ihr heimliches freundliches
Glitzern zwischen dem grünen Gesträuche von der schmutzigen
Gaffe in das meist reinliche Local und wir beschloffen unser
Tagewerk mit einem Glas Sorbet.
Dem Wirth und den Gästen schien unsere Ankunft
immer eine große Ehre zu seyn. Ersterer bemühte sich, uns
auf's Schnellste und Beste zu bedienen und die Andern
rückten uns näher, boten uns ihre Pfeifen an und richteten
eine unendliche Menge Fragen an uns, von denen wir frei-
lich keine einzige beantworten konnten. Durch unsere Forschung
nach den gepriesenen Schönheiten der türkischen Kaffeehäuser
106
dauerte es nur wenige Tage und wir hatten gleich den Ein-
gebornen die Gewohnheit des vielen Kaffeetrinkens ange-
nommen und machten bei unsern Touren durch Constantinopel
öfters Halt, um in ein Café zu treten, das uns gerade
im Wege lag.
Außerdem besuchten wir einige, die uns durch ihre Gäste
interessant waren. So fanden wir am Seraskierplatz nicht
selten die höchsten Würdenträger des Reiches, unter Andern
Refchid Pascha und Rifad Bey. Bei den Bazars ergötzten
wir uns an der Gravität, mit der die Kaufleute den langen
Bart streichend, ein und ausgingen. Ein anderes Café war
fast nur mit Arnauten angefüllt, an deren unangenehmen,
trotzigen Physiognomien, kräftigen Gestalten und schönem
Costüme unser Maler seine Studien machte, und so oft wir
in die Gegend der Suleimanje kamen, traten wir in eines
der Kaffeehäuser dort, dessen Wirth, ein kleines Männchen,
mit ungeheurem Turban und Pantoffeln, die für einen Riesen
groß genug gewesen wären, jedesmal durch groteske Sprünge
seine Freude an den Tag legte, uns wieder zu sehen. Er
trieb es so arg, daß er seine gewöhnlichen Gäste veranlaßte,
uns ihre Plätze einzuräumen, was diese auch meist gutwillig
thaten, worauf er uns eigenhändig bediente, den Kaffee sehr
füß machte und für uns die Nargileh’s mit den längsten
Schläuchen aussuchte.
Straßen und Hunde.
Wie sich Constantinopel mit seinen glänzenden Moscheen
und stattlichen Palästen als die schönste der türkischen Städte
zeigt, so ist auch die Hauptstadt des Reichs die erste in
Betreff des Schmutzes, der die Straßen fast aller türkischen
Städte bedeckt. So glänzend sie von außen anzusehen sind,
und so sehr sie den Blick des Reisenden locken, daß er sich
1 ()7
beeilt, bald möglichst unter jene Hallen und unter die
Schatten der grünen Baumgruppen zu gelangen, die malerisch
zwischen den Gebäuden hervorsehen, um so mehr bedauert er,
fobald er in der Stadt angelangt ist, sich nicht mit dem
bloßen Anblick derselben begnügt zu haben. Uns erging es
wenigstens mehrere Male so, z. B. in Schumla, Adrianopel,
welche, besonders die erstere Stadt so ungemein lieblich am
Fuß des Balkans gelagert ist, und von Weitem so rein und
freundlich aussieht und in deren Straßen unsere armen
Pferde fast bis über die Kniee im Morast versanken.
Da wir bei unserem Ritt durch die Türkei, wie schon
oft bemerkt, so unendlich großartigen Schmutz gesehen hatten,
fo überraschten uns in dieser Hinsicht die nicht reinlicheren
Straßen der Hauptstadt nur, weil manche Reisebeschreiber
dieselbe als reinlich, schön und angenehm darstellen.
Fast alle Gaffen. Stambuls, Straßen kann man sie
nicht nennen, sind sehr enge und zu beiden Seiten mit
hohen Häusern eingefaßt, eigentlich die meisten nur mit
Mauern, da nach türkischer Sitte das Wohnhaus mit
dem hintern Theile, wo keine Fenster sind, die Straße be-
rührt, der, wenn auch hie und da ein Fenster, daffelbe doch
immer stark vergittert hat, eine melancholische Verschleierung.
Obgleich die meisten dieser Gaffen ehemals mit Steinen
gepflastert waren, so sind dieselben durch den starken Verkehr
in der Mitte ganz zusammen getreten und bilden bei nur
etwas feuchter Witterung einen einzigen Kothbach, der sich
fast durch die ganze Stadt zieht. Zu beiden Seiten der
Gaffe, wo der Strom der Menschen und Thiere nicht so
verderbend hinfließt, blieben hie und da Pflastersteine stehen,
die jetzt eine Art Trottoir bilden, das jedoch nur für den
praktikabel ist, der es versteht, von einem der glatten Steine
auf den andern zu springen, ohne sich durch die Aussicht in
den unendlichen Koth irre machen zu laffen.
10Z
Die Gaffen, von denen ich eben sprach, an welche sich die
Rücken der türkischen Wohnhäuser lehnen, sind, wenn auch
hierdurch die finstersten, doch nicht die schmutzigsten der Stadt,
da in ihnen nicht der starke Verkehr herrscht, wie in andern
Stadtvierteln, wo sich die unendliche Menge der größeren
und kleineren Bazars befindet.
Diese liegen meistens auf der Hafenseite. Sie fangen
schon bei den Landungs- und Ladeplätzen an, und von da
bis zu den Thoren der Stadt sieht man die Händler, eine
Gaffe bildend, in zwei Reihen aufgestellt. Das ganze
Waarenmagazin dieser Leute besteht aus einem Tische, auf
dem sie ihre Producte: Früchte, Brod, Confituren c. auf-
gestellt haben. Andere bieten ihre Waaren in großen Körben
aus. Es sind die Anfänge der Bazars.
Innerhalb der Thore der Stadt sind in allen Häusern
zu beiden Seiten offene Buden, in denen, wie es im Orient
Sitte ist, nicht nur fertige Waaren verkauft werden, sondern
auch Handwerker aller Art vor den Augen der Vorüber-
gehenden sitzen und ihr Geschäft treiben. Schon in kleineren
Städten halten sich die verschiedenen Arten der Handwerker
fo viel wie möglich zusammen. Auf eine Reihe Schuhmacher
folgt eine Reihe Tischler oder Waffenschmiede u. s. f. Ein-
zeln liegen fast nur die Apotheken und die kleinen Schulen.
Die Apotheken werden meistens von Franken gehalten,
die dann – es ist wirklich seltsam – fast immer das Air
eines mauvais sujet haben.
Das Innere der Schulen ist von einer Schusterwerkstätte
gar nicht verschieden, nur daß man hier Leder zuschneidet
und dort der Lehrer mit einem langen Pfeifenrohr welches gerbt.
Die meisten Straßen Constantinopels werden schon seit
langer Zeit nach den darin haufenden Handwerkern benannt.
So gibt es eine Gaffe der Schuster, der Kammmacher, der
Steinschneider, der Matten- so wie der Schachtelmacher, der
109
Pastetenbäcker, der Unterkleidermacher u. f. w. Gaffen, in
denen die unzähligen Buden ein weit regeres Leben hervor-
bringen, als in jenen, von welchen oben die Rede war, die
aber auch ungleich schmutziger sind. Hiezu kommt noch, daß
alle diese Bazars vom Hafen die Hügel hinanführen, was
einen Spaziergang durch dieselben äußerst ermüdend macht.
Auf der Höhe der Hügel liegen die gewölbten Markthallen,
an die sich für uns gewöhnlich der Begriff des Bazars
knüpft, die aber Befestan’s heißen. Unter ihnen wird der
Weg natürlich beffer; er ist indessen nicht gepflastert, fon-
dern besteht nur aus der fest getretenen Erde, die dann
durch das Hereintragen des Schmutzes von außen ziemlich
schlüpfrig wird.
Andere Gaffen der großen Stadt führen ihre Namen,
die jedoch nicht wie bei uns an den Ecken angeschlagen sind,
meistens von Palästen und eigenthümlichen Gebäuden, die in
denselben liegen, oder von Thoren und Thürmen, zu welchen
fie führen. So gibt es eine Gaffe des Mehlmagazins, des
weißen Palastes, des süßen Brunnens, des Kanonenthors,
sogar eine des verschloffenen Backofens, ferner die Gaffe Ali
Pascha, des Doctorsohns. Wirklich sonderbare Namen findet
man in den Vorstädten; so heißt eine in Pera: die Hals-
abschneidergaffe; neben ihr liegt die Welteroberergaffe und
in Top-Chana ist die Gaffe: „Frag' nicht, geh' hinein!“
Unzertrennlich von den Gaffen Constantinopels ist der
Gedanke an ihre permanenten Bewohner, die herrenlosen
Hunde, die man in zahlloser Menge auf ihnen erblickt. Ge-
wöhnlich macht man sich von Dingen, von denen man oft
liest, eine große Idee, und findet sich getäuscht. Nicht so
bei diesen Hunden. Obgleich alle Reisenden darüber einig
sind, sie als eine Plage der Menschen darzustellen, so sind
doch die meisten bei der Beschreibung dieses Unwesens zu
gelinde verfahren.
1 10
Diese Thiere sind von einer ganz eigenen Race; sie
kommen in der äußern Gestalt wohl am nächsten unsern
Schäferhunden, doch haben sie keine gekrümmte Ruthe und
kurze Haare von schmutzig gelber Farbe. Wenn sie faul und
träge umherschleichen oder in der Sonne liegen, muß man
gestehen, daß kein Thier frecher, ich möchte sagen, pöbel-
hafter aussieht. Alle Gaffen, alle Plätze sind mit ihnen
bedeckt; sie stehen entweder an den Häusern gereiht und
warten auf einen Biffen, der ihnen zufällig hingeworfen
wird, oder sie liegen mitten in der Straße, und der Türke,
der sich äußerst in Acht nimmt, keinem lebenden Geschöpfe
etwas zu Leide zu thun, geht ihnen aus dem Wege. Auch
habe ich nie gesehen, daß ein Muselmann eins dieser Thiere
getreten oder geschlagen hätte. Vielmehr wirft der Hand-
werker ihnen aus seinem Laden die Ueberreste einer Mahlzeit
zu. Nur die türkischen Kaikschi und die Matrosen der
Marine haben nicht diese Pietät, weshalb mancher Hund im
goldenen Horn fein Leben endet.
Jede Gaffe hat ihre eigenen Hunde, die sie nicht ver-
laffen, wie in unsern großen Städten die Bettler ihre ge-
wiffen Standorte haben, und wehe dem Hund, der es wagt,
ein fremdes Revier zu besuchen. Oft habe ich gesehen, wie
über einen solchen Unglücklichen alle anderen herfielen und
ihn, wußte er sich nicht durch schleunige Flucht zu retten,
förmlich zerriffen. Ich möchte sie mit den Straßenjungen in
civilisierten Ländern vergleichen; wie diese wissen sie ganz gut
den Fremden vom Einheimischen zu unterscheiden; denn wir
brauchten nur in einer Ecke des Bazars etwas Eßbares zu
kaufen, so folgten uns alle Hunde, an denen wir vorbei-
kamen, und verließen uns erst wieder, wenn wir in eine
andere Gaffe traten, wo uns eine neue ähnliche Begleitung
zu Theil wurde.
1 11
So ruhig bei Tage diese Ablösung, nur von einigem
Zähneblöcken begleitet, vor sich geht, so gefährlich werden
zuweilen die Hunde dem einzelnen Franken, der sich bei der
Nacht in den Gaffen Stambuls verirrt, besonders wenn er
keine Laterne trägt. Wir haben oftmals gehört, daß ein
solcher, den die Bestien förmlich anfielen, nur durch Musel-
männer gerettet wurde, die ein Hülferuf herbeizog; und ob-
gleich wir stets in ziemlicher Gesellschaft und Abends nie
ohne Laterne ausgingen, hatten wir es doch oft nur unsern
guten Stöcken zu danken, mit denen wir kräftig drein schlugen,
daß wir nicht mit zerriffenen Kleidern heimkamen.
Sultan Mahmud ließ vor mehreren Jahren einige
Tausend dieser Hunde auf einen bei den Prinzeninseln
liegenden kahlen Fels bringen, wo sie einander auffraßen.
Diese Verminderung hat aber nichts genützt; denn die Frucht-
barkeit dieser Geschöpfe ist großartig; fast bei jedem Schritt
findet man auf der Straße runde Löcher in den Koth ge-
macht, worin eine kleine Hundefamilie liegt, die hungernd
den Zeitpunkt erwartet, wo sie selbstständig wird, um gleich
ihren Vorfahren die Gaffen Constantinopels unangenehm
und unsicher zu machen.
Straßenleben.
Um von Pera nach Constantinopel zu gelangen, ein
Weg, den der Reisende, welcher die Hauptstadt kennen lernen
will, fast täglich macht, steigt man entweder durch den großen
Kirchhof Pera"s auf einer breiten, nicht zu steilen Straße
zur großen Brücke hinab, die über das goldene Horn führt,
und kommt dann in den nördlichen Theil der Stadt. Will .
man in den südlichen, wo die meisten Moscheen, großen
Bazars, überhaupt die merkwürdigsten Gebäude Stambuls
sich befinden, geht man über den kleinen Kirchhof durch die
1 12
Gaffen Galata's an den Landungsplatz der Kaiks in Top-
Chana, um sich auf den kleinen Booten übersetzen zu laffen.
Dieser Weg ist, obgleich der beschwerlichste, auch zugleich
durch eine große Frequenz der interessanteste. Die Gaffen,
die von der Höhe Pera"s zum Hafen hinabführen, find un-
gemein steil, dabei sehr enge und mit einem furchtbar schlechten
Pflaster versehen, das, besonders zu der Zeit, wo wir uns
gerade da befanden, vom Nebel und dem häufigen Regen
stets glatt und schlüpfrig und dadurch nicht ohne Gefahr war.
Obendrein herrscht in diesen Gaffen ein merkwürdiges
Gewühl von Geschäftsleuten aller Art. Die kleineren Bou-
tiken sind oft weit in die Straße hineingebaut und ver-
sperren den Weg noch mehr. Vom frühesten Morgen laufen
Verkäufer, die ihr ganzes Waarenmagazin in einem großen
Korb auf dem Rücken tragen, hin und her und überbieten
sich im lärmenden Anpreisen ihrer Waaren. Dieß sind jedoch
nur meist Dinge des täglichen Lebensbedürfniffes: Eier (Gu-
murta, dessen letzte Sylbe der Ausrufer so lange aushält,
als ein Athem reicht), Brod (Jäkmäk, ein Wort, das die
Verkäufer gellend herausstoßen) und dergleichen.
Eine andere Menschenclaffe, die man beständig auf den
Straßen sieht, sind die Wafferträger, die entweder das frische
Waffer, welches sie aus den Brunnen bei Top-Chana
schöpfen, in großen ledernen Schläuchen auf dem Rücken tragen, -
oder einen beladenen Esel, auch ein Pferd, vor sich hertreiben.
Da keine Wagen durch die Gaffen Pera"s fahren können,
fo wird alle Ladung der Schiffe, die bei Top-Chana landen,
durch Packträger in die Magazine geschafft, und bei dem
steilen schlechten Weg ist es erstaunlich, welche ungeheure
Lasten diese Menschen zu tragen im Stande sind. Sie haben
an zwei Riemen von der Schulter auf den Rücken hinab
ein gepolstertes Kiffen hängen, gegen welches sie die Last
stützen. Sie beugen ihren Oberleib ganz nach vorn, wodurch
| 13
ihr Rücken eine breite, fast horizontale Fläche bildet, worauf
zwei Andere oft einen so unverhältnißmäßig großen Ballen
heben, daß er dem Träger weit über den Kopf hinausreicht
und hinten von dem erwähnten Kiffen gehalten wird.
Andere vereinigen sich zu vier oder sechs, von denen
immer zwei und zwei eine große Stange tragen, so daß oft
ein einziger Ballen an drei oder vier solcher Stangen hält,
den sie dann dicht hinter einander, in gleichem Schritt vor-
wärts gehend, an den Lagerplatz bringen. -
Zwischen diesen Leuten, die zur beständigen Staffage
der Straßen Pera"s gehören, wandeln Türken, Armenier
und Franken, ihren Geschäften nachgehend. Fast an jeder
Ecke sitzen türkische Bettler, meistens alte Weiber, und strecken
den Vorübergehenden ihre Hände entgegen, halten ihn auch
nicht selten am Kleide fest. Auch trifft man hie und da
den Matrosen irgend eines türkischen Schiffes, der in einem
fchmutzigen Korbe Austern feil bietet.
In Pera werden viele Läden, ganz wie die türkischen
an den Straßen gelegen und offen, von Franken gehalten,
hauptsächlich Schneider, Schuster, Hutmacher; doch ist mit
diesen Leuten nicht gut verkehren, denn sie machen be-
fonders den Landsleuten sehr oft unverschämte Preise.
Weiter unten in Galata und Top-Chana nehmen die
Boutiken einen andern Character an, der sich sogleich der
Nase des Herumwandelnden bemerkbar macht. Hier find
Fische und alle Arten von Seethieren zum Verkauf ansge-
stellt. Nur ein kleiner Platz bei der Moschee Abdul Me-
fchids, wo früher die aus Persien nach Constantinopel ge-
kommenen Fayancefabriken waren, führt einen andern Artikel:
hier werden vergoldete und rothe Pfeifenköpfe in ungeheurer
Anzahl fabricirt und zum Verkauf ausgestellt.
Ehe wir uns von Top-Chana nach Constantinopel über-
setzen ließen, traten wir gewöhnlich in ein türkisches Kaffee-
Hackländer, R. in d. O. 1. 8
114
haus, das am Ufer des goldenen Horns liegt und setzten
uns unter eine Laube vor der Thür, wo wir eine herrliche
Aussicht auf den Hafen selbst, auf Stambul und das Mar-
mormeer hatten. Hier genoffen wir eine Taffe Caffee beiläufig
im Preise von sechs Para und eine Wafferpfeife, für die
wir das Doppelte bezahlten, was dann eine Summe von
etwa drei Kreuzern ausmachte. Die Ueberfahrt nach der
Hauptstadt kostet gewöhnlich einen halben Piaster, drei Krenzer.
So angenehm und rasch man hinüberkommt, so unan-
genehm und langsam geht das Einschiffen von Statten. Wie
ich schon früher sagte, muß man, um das Umschlagen zu
verhüten, langsam und vorsichtig in die kleinen Bote steigen.
Die meiste Zeit jedoch geht darauf, bis man einen Boot-
führer hat, nicht weil ihrer zu wenige, sondern weil zu viele
da sind, die sich den Rang streitig machen. Sobald wir
nns am Ufer sehen ließen, schossen die Kaiks von allen
Seiten herbei in gedrängten Schaaren, wie die Karpfen in
einem Teich, wenn man Brod hineineinwirft. Der zeigt schreiend
auf den hübschen Anstrich feines Boots, jener auf die sauber
aussehenden Teppiche, womit es inwendig belegt ist; ein
dritter führt mit seinem Ruder einen kräftigen Schlag in die
Luft, um zu zeigen, daß er der Mann fey, der es mit Kraft
zu führen wisse und weist spottend auf einen alten Graukopf
neben sich, der ruhig dasitzt und nur seine Hände einige Mal
auf und zumacht, um die große Zahl der Jahre anzuzeigen,
welche er schon als Kaikschi diene. Hat man endlich ein
sauber aussehendes Boot gefunden und will mit einem Fuße
ruhig hineintreten, so kommt nicht selten ein Anderer, der
diesen Zeitpunkt abpaßt, drängt mit seinem Boot das Erstere
fort und erschnappt so im wahren Sinn des Worts seine
Beute, ein Auftritt, der nicht selten zu Prügeleien Veran-
laffung giebt.
ff 5
Ist man endlich glücklich in das Kaik gelangt, so dauert
es wenige Minuten und das pfeilschnell dahin schießende Boot
hat das andere Ufer erreicht. Hier find gleich wieder eine
Maffe Hände beschäftigt, die besonders dem Fremden, den
man gleich erkennt, aus dem Boote helfen wollen, um einen
geringen Bakschis (Trinkgeld) davonzutragen. Doch gefällig
und freundlich, wie der Türke im Agemeinen ist, reichten uns
auch nicht selten Offiziere und andere gut gekleidete Leute
die Hand zum Aussteigen.
Wir gingen gewöhnlich durch das Holzthor, Adun Ka-
pusfi, weil es uns am nächsten lag, und dann, weil erst
vor wenigen Tagen dort eine Reihe Häuser niedergebrannt
war, und wir von Tag zu Tag bewunderten, wie schnell die
Leute mit dem Aufbau der neuen fertig wurden.
In der Nähe dieses Thors liegt das Mehl- und Holz-
magazin, und vielleicht ist es der Anhäufung dieser brenn-
baren Stoffe zuzuschreiben, daß von jeher die größten Feuers-
brünste in diesem Revier gewüthet haben. Im Jahr 1682
unserer Zeitrechnung, so wie 1693 brannten hier mehrere
hundert Häuser ab. Das letzte Unglück dieser Art vor
wenigen Tagen hatte nur vierzig oder funfzig Häuser zer-
stört, deren Einwohner unter großen grünen Zelten, die ihnen
das Militärgouvernement gegeben, bivouakirten. Hier setzten
fie auch ihre Arbeiten unverdroffen fort, Schuster und Schneider
arbeiteten wie in ihren Boutiken, die Kaffeetschi und Sorbet-
bereiter hatten nach wie vor ihre Gäste, die sie auch im Un-
glück nicht verließen und unter dem Zelte auf einem halb ver-
brannten Balken sitzend recht gemüthlich ihre Pfeifen rauchten.
Von der Brandstätte wandten wir uns rechts gegen die
Hügel zu, auf welchen der alte und neue Besetane liegt,
durch Gaffen voll Boutiken und Handwerkstätten. Diese sind,
wie die Häuser selbst, fast nur aus Holz gebaut, liegen un-
gefähr drei Fuß höher als die Gaffe und bilden eine nach
8
1 16
vorne geöffnete Halle, auf deren Boden die verschiedenen
Waaren ausgestellt sind. Der Eigenthümer fitzt entweder
hinter den Körben mit untergeschlagenen Beinen auf seinem
Teppich, oder, da oft ein Kaufmann zwei bis drei Laden
hat, steht er davor und geht hin und her. Da er so auf
die einzelnen Sachen nicht genau Acht geben kann, sollte
man glauben, er müffe oft bestohlen werden; dies ist aber
nicht der Fall, denn alle Kaufleute bewachen ohne Brodneid
ihre Laden gegenseitig und die Ehrlichkeit ist ein Grundzug
im Character des Türken, so daß man fast nie von Dieb-
stählen hört.
Obschon das Leben in den Gaffen Stambuls durch
die vielen nach europäischer Art gemachten Kleidungsstücke,
die man sieht, sehr an orientalischem Character verliert,
so konnten wir doch stundenlang dem Treiben in den Gaffen
zuschauen. Obgleich wir von Schumla und Adrianopel her
schon an die großen Turbane, die langen Bärte und das
ganze türkische Costüm gewöhnt waren, fo gewährte doch die
große Menge hier in Stambul durch die Mannigfaltigkeit ihres
Aeußern dem Auge des Fremden einen interessanten Anblick.
Im Orient fähieden sich von jeher die Nationen und in
ihnen die verschiedenen Kasten nach Sitten und Kleidung
strenge von einander ab. Die Andeutungen hieran haben
sich bis jetzt erhalten, und hat man sich etwas darüber be-
lehren laffen, so ist es sehr leicht, den Juden vom Türken
und Armenier, so wie den Kaufmann vom Gelehrten oder
Derwisch u. . w. zu unterscheiden.
Wie schon gesagt, die vielen europäischen Einrichtungen,
die sich nach und nach in alle Zweige des türkischen Lebens
eindringen, haben, wenn ich es so sagen darf, auch die
Kleidung cultiviert und ihr manches von ihrer Eigenthüm-
lichkeit abgeschwatzt. So ist, wie bekannt, die ganze
türkische Armee, nach unserer Art gekleidet, indessen hat
117
man dabei auf türkische Sitten und Gewohnheiten Rücksicht
nehmen und an der Tracht Manches abändern müffen,
wodurch das ganze Costüm beinahe lächerlich wird. So
trägt der türkische Soldat eine blaue Hose, die, beiläufig
gesagt, von dem gröbsten Stoffe ist, den ich je gesehen, unten
und oben gleich weit, fast auf unsere Art geschnitten, jedoch
hinten mit einer Art von Sack versehen, der bei jedem Schritte
des Kriegers sich lächerlich hin und her bewegt und zu den
sonderbarsten Muthmaßungen Anlaß gäbe, wenn man nicht
wüßte, daß die ungeheure Weite des Kleidungsstücks an dieser
Stelle dazu dient, um ihm das Sitzen auf den untergeschla-
genen Beinen möglich zu machen. Aehnlich verhält es sich
mit der Kopfbedeckung. Da man wohl eingesehen hat, daß
zu der höchst unpoetisch geschnittenen Jacke von grobem blauen
Tuch der malerische Turban nicht recht paffen würde, und
man den Soldaten auch keine Tschako"s auf unsere Art geben
konnte, indem eine Vorschrift des Korans besagt: „der Musel-
mann soll keine Kopfbedeckung tragen, die ihn hintere, den
Kopf beim Gebet gegen die Erde zu drücken,“ so hat man
ihm das Feß gegeben, das ungefähr in der Gestalt unserer
Hüte, jedoch geschmeidig ist und von rother Farbe, die den
Türken, welche das Bunte lieben, wohl gefällt.
Im Verhältniß zu der Menge, die sich auf den Gaffen
herumtreibt, sieht man Wenige im altmorgenländischen Costüme.
Hiezu gehört die weite Hose, darüber der lange Kaftan, den
der Gürtel zusammenhält; den Kopf bedeckt der Turban, der
bei den Muhamedanern aus einem rohen Mützchen besteht,
um welches man ein unendlich langes Stück von weißem
Mouffelin, das zuerst wurstähnlich zusammengedreht wird,
herumwindet. Keine Kopfbedeckung gibt dem Gesicht
ein majestätischeres, edleres Ansehen, als der Turban;
er putzt die ganze Gestalt des Muselmanns, die sich im
langen Kaftan gerade nicht zum Vortheilhaftesten ausnimmt,
1 |8
aufs Beste heraus. So schöne Gestalten man unter den
älteren Türken findet, so unerquicklich ist dagegen der Anblick
der ganzen jüngern Generation. Diese ist eben so mager
und sieht so kränklich aus wie ihr Sultan, von dessen bal-
digem Absterben man daher auch so viel in den Zeitungen
liest, woran ich jedoch keineswegs glaube; denn sonst müßte
in einigen Jahren die ganze junge türkische Männerwelt
Eonstantinopels ausgestorben seyn. Man kennt wohl die
Ursachen, warum sie so elend aussehen; doch wird es ihnen
wahrscheinlich ergehen, wie ihren Vätern; sie werden in
spätern Jahren eben so wohlbeleibt wie diese, wenn sie auch
die bleiche Gesichtsfarbe, die allen Orientalen eigen ist,
behalten, und man wird ihren stattlichen Figuren nichts
Schwindsüchtiges mehr ansehen.
Die Armenier, deren es eine große Anzahl hier gibt,
tragen einen Kaftan von dunkelblauer Farbe und zur Unter-
scheidung von den Türken anstatt gelbe, rothe Pantoffeln.
Ihre Kopfbedeckung ist von schwarzem Filz und von origineller
Form. Sie gleicht einem großen Kürbis, den man unten
abgeschnitten und auf den Kopf gestülpt hat. Was ich eben
von den jungen Türken sagte, ist auf die Armenier nicht
anwendbar; ihr Gesicht, obgleich etwas plump und aus-
druckslos ist, wie ihr ganzer Körper, frisch und gesund.
Es ist wirklich schade, daß aus ihnen keine Soldaten ge-
nommen werden; ich glaube, sie müßten eine vorzügliche
Infanterie abgeben. Die meisten sind Handwerker oder
Künstler, besonders Steinschneider und Goldschmiede.
Die Juden, die auch hier, wie überall, zerstreut leben,
haben keine eigentlichen Gewerbe; sie treiben fich zwischen
der Menge herum, bald einen kleinen Handel führend, bald
den Dolmetscher oder Cicerone machend. Ihre Kopfbedeckung
besteht in einer dunkeln steifen Mütze, um welche ein Stück
Zeug, nicht wie bei den Türken lose gewunden, sondern fest
119
genäht ist, ganz wie man auf unsern Theatern den Turban
erscheinen sieht. Ihr Kaftan hat denselben Schnitt, wie
der des Türken, besteht jedoch aus gewürfeltem, dunklem Kattun.
Ein Stand, der in allen orientalischen Erzählungen
und Mährchen eine große Rolle spielt, sind die Derwische,
die türkischen Mönche, deren verschiedene Sekten sich durch
die Farbe der Kleidung unterscheiden. Ihre langen Kaftans
flattern ohne Gürtel frei um die Hüfte und find bald hell-
braun, bald weiß und bei einem Orden, der für den ehr-
würdigsten gehalten wird und dessen Mitglieder am Grabe
des Propheten in Mekka dienen, grün. Auf dem Kopfe
haben sie einen Hut von weißem Filz, einen Fuß hoch in
Form eines abgekürzten Kegels.
Der Anzug des Volkes, der Waffer- und anderer Last-
träger, der Taglöhner und herumziehenden Obsthändler läßt
sich nicht wohl beschreiben; jeder zieht an, was ihm geschenkt
wurde, oder was er wohlfeil gekauft hat. Einige tragen
Kaftans, die dann ungemein schmierig sind, die meisten kurz
abgeschnittene runde Jacken, die bei den Wafferträgern von
Leder sind. Die Beinkleider, vom Gürtel bis zum Knie
sehr weit, umschließen eng die Wade bis zum Fuß. Fast
alle tragen einen Turban von beliebiger Farbe, viele von
grünem Zeug, was diese als Nachkommen des Propheten
bezeichnet; eine Ehre, die ihnen weiter nichts wie den Titel Emir
verschafft. Emir bedeutet Herr oder Fürst, und es ist traurig
daß man die meisten dieser Fürsten gerade unter den Tag-
löhnern und Bettlern findet.
Unzertrennlich von den Sitten und Gebräuchen des
Orients ist für uns die Idee, die durch alle morgenländischen
Erzählungen angeregt wird, daß die Weiber, gänzlich vom
öffentlichen Leben getrennt, ihre Tage in beständiger Ein-
famkeit hinter vergitterten Fenstern verbringen müßten. Ich
hatte geglaubt, noch in unsern Tagen begegne man selten
120
einer türkischen Frau auf der Straße und knüpfte daran
allerlei Poesien. Stunden lang würde ich mich der Merk-
würdigkeit halber vor ein Haus gestellt haben, um endlich
einmal eine dieser Perlen zu gewahren, deren Antlitz, wie
der Koran sagt, unter der schwarzen Nacht der Locken her-
vorgänzt, wie die weißen Eier unter dem dunkeln Flügel
des brütenden Straußes. Doch ward dies selbst dem Fremden
so schwer nicht gemacht. Schon in Adrianopel fahen wir
viele Weiber auf der Straße; aber unter ihnen auch nicht
ein einziges frisches Gesicht. Es begegneten uns nur alte
Weiber mit unangenehmen schlaffen Zügen, und ich glaubte
schon, nur den Duennen und Ammen fey es allenfalls erlaubt,
ihre Käfige zu verlaffen. Doch verschwand auch dieser Irr-
thum, als wir nach Stambul kamen. Denn die Cultur,
„die alle Welt beleckt“
hat ihre ausgleichende Hand auch an die verschloffenen
Zimmer der türkischen Damen gelegt und sie hinausgeführt
auf die Straßen und Märkte. Sie mochten dieselben anfangs
schüchtern genug betreten, aber nach nnd nach behagte ihnen
die neue Freiheit ungemein. Zur Zeit, wo wir in der
Hauptstadt der Gläubigen waren, konnte man auf gewissen
Plätzen mehr Weiber antreffen als Männer. Besonders war
dies in den Befa stanes, den bedeckten Märkten, der Fall,
bei den Gewölben wo fränkische Kattune und gesticktes Weiß-
zeug zu haben sind. Da standen sie meistens in Gruppen
von fünf bis sechs, die bunten Farben eines Stückes be-
wundernd und sich wie die Kinder darüber freuend.
Von ihrem Anzug auf der Straße ist nicht viel zu
sagen, da ihr ganzer Körper in ein großes Stück Zeug ge-
wickelt ist, das bei den Geringern aus dunkler Leinwand,
bei den Reichern aus Seide besteht. Sie nehmen es in der
Art einer großen Mantille um die Schultern und wisseu
121
obendrein eines der Enden noch um den Kopf zu schlingen.
Dieser ist ohnehin sorgfältig verhüllt; denn sie wickeln ihn
in ein Stück weißen Mouffelin ein, das Stirne, Mund und
Ohren verbirgt und nur Nase und Augen sehen läßt; eine
Verschleierung, die von dem Gesetze vorgeschrieben, bei den
Türkinnen gewiß sehr beliebt ist; denn dieser Mouffelin ver-
birgt einen Theil ihres Gesichts, den wir Franken für den
von der Natur bei ihnen am meisten vernachlässigten halten,
den Mund. Höchst selten, selbst bei jungen Weibern, deren
Augen mit ihrem blitzenden Brillantfeuer das kälteste Herz
zu verengen drohen, sind die Lippen frisch und roth. Man
kann öfters einen spähenden Blick bis zum Munde gelangen
laffen, besonders auf der Promenade, wo die Damen fast
beständig beschäftigt sind, Confituren und dergleichen zu sich
zu nehmen, und findet bei den interessantesten Zügen einen
welken Mund, dessen Unterlippe schlaff herabhängt.
Am schönsten sind wohl ihre breiten gewölbten Augen-
braunen und sie selbst halten diejenigen für die reizendsten,
die über der Nase zusammen stoßen, und türkische Frauen,
denen dieser Reiz mangelt, ersetzen ihn meist, indem sie sich
einen Halbmond oder einen Stern von schwarzer Farbe
zwischen die Augenbraunen malen. Der Schwärze der
Wimpern wird durch einen gefärbten Zwirnsfaden nachge-
holfen, den sie zwischen den Augenliedern durchziehen. Für
uns Europäer sind ihre Hände, deren Nägel und das Innere
derselben sie mit Khennah roth färben, eher abstoßend als
angenehm, auf jeden Fall aber lächerlich. -
Im Allgemeinen habe ich unter den türkischen Weibern,
deren wir sehr viele gesehen, nicht viel von sehr schöner
Bildung bemerkt und fast gar keine, um welche ich mein
Leben gewagt hätte und in den Harem eines eifersüchtigen
Türken gedrungen wäre, wie es uns Romane und Balladen
so schön erzählen.
122
Der Muselmann sieht es als eine große Schönheit
feiner Frau an, wenn sie fehr stark, ja fett ist, eine Eigen-
fchaft, die sie sich auch durch ihre faule Lebensart beizu-
bringen wissen. Doch theilen wir diesen Geschmack nicht mit
ihnen, da für unsere Augen Grazie und Leichtigkeit in der
Bewegung des weiblichen Geschlechts schöner ist, als das
träge Umherwatscheln der Türkinnen, wozu ihre Fußbeklei-
dung, die weiten Pantoffeln, das ihrige beiträgt.
Mit dem Menschenstrom, von dessen Bestandtheilen ich
ein möglichst getreues Bild zu geben gesucht habe, wandelten
wir täglich langsam durch die Bazars, häufig stehen bleibend,
denn beinahe an jedem Gewölbe sieht man bald eine merk-
würdige Figur, bald eine Seene aus dem Leben, die das
Auge des Fremden feffelt. Da ist eine Boutike, in welcher
man Zuckerwerk und Confituren aller Art findet; doch find
die meisten Sachen, besonders Kuchen und Torten, für
unsern Geschmack zu süß und oft widerlich fett; beffer sind
andere Leckereien, namentlich gebrannte Mandeln und was
wir unter dem Namen Gerstenzucker verstehen. Da sitzt der
Eigenthümer hinter den Körben voll Leckereien, die lange
Pfeife im Munde, und, wenn man einen geschloffenen Augen
glauben foll, fanft schlafend. Dies ist aber nicht der Fall;
er beobachtet blinzelnd den Franken, dem er, so wie er sich
feinem Stand nähert, ohne dabei die Augen zu öffnen, mit
der langen Pfeife einen Wink gibt, näher zu treten, dann
macht er eine Pantomime, die den Türken eigen ist, wenn
fie etwas Delikates bezeichnen wollen. Er legt seine fünf
Finger zusammengedrückt einen Augenblick an den gespitzten
Mund und öffnet sie wieder mit einem behaglichen Schnalzen
der Zunge, wobei ein Gesicht einen Ausdruck annimmt, als
genöffe er etwas unbeschreiblich Angenehmes. Läßt man sich
hierdurch nicht verführen, fo gibt er sich weiter keine Mühe,
123
sondern benutzt die Hand, da sie einmal in Bewegung ist,
um den langen Bart zu streichen und raucht ruhig fort.
An jener Seite dort ist gerade einer beschäftigt, fein
Gebet zu verrichten. Er hat sich mit dem Angesicht nach
Mekka gewendet und macht die üblichen Bewegungen, die
uns sehr lächerlich vorkamen. Bald kniet er auf seinen
Teppich nieder und hebt die Hände über den Kopf, bald
kreuzt er sie über die Brust und drückt sein Haupt bis auf
den Boden. In solchen Augenblicken, glaube ich, könnte
sich die Welt um feinen Laden versammeln, er würde um
keinen Preis etwas ablaffen. Fast in jeder Gaffe gibt es
fromme Muselmänner, die man so den Tag über ihr Gebet
mehrere Male öffentlich verrichten sieht.
So gefchäftig der Armenier ist, wenn man ihm etwas
abkaufen will und unaufgefordert eine Waaren auspackt und
sich durch Anpreisung derselben bemüht, den Käufer zu locken,
fo indolent geberdet sich oft der Türke, wenn man an ein
Gewölbe tritt und er vielleicht eben feine faule Stunde hat.
Kaum erhält man auf die Nachfrage nach diesem oder
jenem Artikel Antwort und höchst selten mehr als Ja oder
Nein. Ersteres bezeichnet er durch Schütteln des Kopfes,
das Letztere durch Nicken, als gerade umgekehrt, wie bei
uns, was häufig zu Mißverständniffen Anlaß gibt. Man
kann indessen versichert feyn, daß man von dem Türken viel
reeller bedient und nicht überfordert wird. Dieser verlangt
einen bestimmten Preis und läßt felten etwas davon ab,
wogegen man dem Franken und dem Armenier beständig ein
Drittel abhandeln muß, um nicht betrogen zu werden.
Hie und da zwischen den Buden zerstreut liegen die
Schulen, von denen ich schon gesprochen, wie ein alter
Türke acht bis zehn Kindern, die auf ihren untergeschlagenen
Beinen um ihn her fitzen, aus dem Koran Leseunterricht er-
theilt. Da sie alle durch einander schreien und der Lehrer
124
aufmerksam zuhörend, dem, der ein falsches Wort sagt, über
den Köpfen der Andern hinweg einen Schlag mit seinem
langen Pfeifenrohre gibt, worüber der Getroffene einen
Schmerzensschrei ausstößt, der das Geplapper der Andern
gellend durchdringt, so kann man sich denken, daß eine solche
öffentliche Schule ziemlichen Lärm auf der Gaffe macht. Hie
und da sitzen noch an den Straßenecken meistens unter dem
vorstehenden Dach einer Bude, das sie gegen Regen und
Sonne schützt, die öffentlichen Schreiber mit der Brille auf
der Nase, eine Papierrolle auf den Knieen und das Dinten-
faß im Gürtel, ihre Clienten erwartend, die einen Contract,
eine Bittschrift und dergleichen aufsetzen zu laffen haben.
Was mich bei den Spaziergängen durch die Gaffen stets
besonders interessierte, das waren die Barbierstuben, die überall
zu finden sind. Sie bestehen aus einem einzigen Gemach,
an dessen Wänden ein hölzerner Divan sich befindet, auf
dem die Kunden Platz nehmen. Ueber ihren Köpfen, mit
dem Divan gleichlaufend, befindet sich ein starker, eiserner
Drath, an dem, nach der Größe der Anstalt, zwei oder drei
blechene Wafferkeffel hängen, die man hin und herschieben kann.
Der Barbier ist, wie die meisten bei uns, ein beweg-
licher Mensch, der viel plaudert und seine Gäste zu unter-
halten weiß, er fängt ein Geschäft bei dem der Thür zunächst
Sitzenden an, indem er einen der Keffel, der mit lauem
Waffer angefüllt ist, über den zu Scheerenden richtet. Unten
am Gefäß befindet sich eine dünne Röhre, deren feine Spitze
beinahe auf den Schädel des Kunden reicht. Der Barbier
macht aus einer Art feinem Hanf einen Wisch, den er mit
weicher Seife beschmiert und stellt sich mit gespreizten Beinen
vor seinem Gast auf eine Erhöhung, so daß er den Kopf
deffelben unter sich hat. Dann öffnet er einen kleinen Hahn
an der Röhre des Gefäßes, und wie das warme Waffer
herausströmt, bearbeitet er den nackten Schädel aufs Eifrigste
125
so lange, bis er ihn mit einer Wolke von weißem Seifen-
schaum umgeben hat. So bleibt das Schlachtopfer filzen;
der Barbier rückt den Keffel über den Zweiten und nimmt
mit ihm dieselbe Manipulation vor, sowie mit dem Dritten u. f. f.
In dieser Zeit ist der Schaum auf dem Haupte des
Ersten allmählig verschwunden, hat die seit dem letzten
Scheeren wieder gewachsenen Haare erweicht und zum Rafiren
fähig gemacht. Der Barbier kehrt zu ihm zurück, drückt
den Kopf an sich, wendet und dreht ihn nach Gefallen, und
in fünf bis sechs Minuten ist die Operation glücklich vollbracht.
Wenn man sieht, wie rauh bei diesem Geschäfte zu
Werke gegangen wird, um jedes Haar sorgfältig zu
vertilgen, so daß dem Gast nicht selten die Thränen
aus den Augen gepreßt werden, so können wir uns
glücklich schätzen, daß die Sitte, das Haar glatt abzu-
scheeren, bei uns nicht herrscht. Ich selbst habe mich oft
der Merkwürdigkeit halber in einer dieser Buden rasieren
laffen, und man ist stets viel fäuberlicher mit meinem Kinne
verfahren, als mit den Häuptern der Gläubigen.
Man hielt mir eine große zinnerne Schüffel, die einen
Einschnitt für den Hals hat, unter das Kinn, und der
Barbier bearbeitete mich mit der äußersten Pünktlichkeit; er
jagte jedem einzelnen Haare nach, was er auf den Wangen
entdeckte, brachte die des Schnurrbarts alle in gehörige
Länge und verstieg sich in seinem Dienfeifer mit einer langen
spitzen Scheere sogar bis in die Nasenlöcher. Es dauerte
etwas lang. Dafür konnte man sich aber auch, wenn er
sein Geschäft beendigt hatte, als ein wohl rasierter Mensch
sehen laffen, was man bei uns nicht immer kann. Der
Barbier schien ebenfalls Freude an seinem Werk zu haben,
und entließ mich mit einem lauten „Ei w"Allah! – Gott ist
groß!“ was von den Türken mit einem unnachahmlichen
Zungenanstoß ausgesprochen wird. - .
126
Neben diesen Barbierstuben befinden sich meist kleinere
Kaffeehäuser, wo die Geschorenen sich nach vollbrachtem Ge-
fchäft mit einer Taffe Kaffee und einer Pfeife regaliren.
Doch gehören diese Häuser zu den gemeinsten; der Boden
besteht aus gestampfter Erde, und es finden sich kaum hölzerne
Divans, meistens nur Steine oder kleine Stühlchen zum Sitzen.
Besonders zahlreich sind in Constantinopel die Gewölbe
der Perfumeurs und der Effenzen-Verkäufer. Bei ihnen findet
man unverfälscht die feinen Oele, die der Orient erzeugt,
als Rosenöl, das meistens aus Adrianopel kommt, Jasminöl
u. dgl. Auch verkaufen sie die verschiedensten Arten von
Pastillen, kleine vergoldete Kügelchen, die auf die Pfeife
gelegt werden und einen Wohlgeruch verbreiten, so wie auch
zu demselben Zwecke das sogenannte Aloeholz. Ferner findet
man bei ihnen wohlriechende gold- und filbergestickte Börsen,
Beutelchen von sogenannten schwarzen Rosenperlen u. dgl.
Der Fürst Pückler erzählt von einem dieser Handels-
leute, einem alten Türken, der sich stets freundlich gegen
ihn benommen und bei dem er auf seinen Wanderungen
durch die Bazars häufig bei Pfeife und Kaffee ausgeruht
habe. Einer unserer hiesigen Bekannten, der Dragoman
der preußischen Gefandtschaft, zeigte uns feinen Laden; wir
gingen hin, einige Kleinigkeiten zu kaufen und fanden wirk-
lich einen sehr freundlichen alten Mann. Er bot uns Pfeifen
an und wir mußten uns niedersetzen, um mit ihm zu plaudern.
Als er im Verlauf des Gesprächs durch den Dolmetscher
erfuhr, daß wir Nimbt fche, Deutsche, feyen, erkundigte er
sich nach dem Fürsten, der oft bei ihm gewesen fey, und
besonders nach dessen Abyffinierin, Makuba, die er uns
beschrieb und sehr lobte. Wir hatten bald die Freundschaft
des alten Türken erworben und er freute sich später jedesmal,
wenn wir vorbei kamen und einen Augenblick bei ihm
einsprachen.
127
Fast eben so oft stößt man auf die Laden der Tabaks-
händler, die geschnittenen Tabak von allen Sorten in großen
Haufen vor sich liegen haben. Man muß aber bei diesen
Leuten keine Einkäufe machen, ohne einen Sachkundigen bei
sich zu haben; sie verstehen es, ihre Waare recht lockend
auszulegen, die schon zum Gebrauche geschnitten und gewöhn-
lich mit einer Beize versehen ist, die dem schlechten Tabak
den Parfum des guten gibt. Wer sich überhaupt in der
Türkei mit Tabak versehen will, um eine größere Quantität
mitzunehmen, muß feine Einkäufe in Syrien machen; der
dortige Tabak ist unstreitig der beste und gilt auch in Con-
stantinopel dafür. Die gewöhnlichen Tabake, wie man sie
hier kauft, wachsen in Adrianopel, so wie um die Haupt-
stadt selbst und find von gelber Farbe, wogegen der syrische
etwas dunkler ist.
Der Tabak zu den Wafferpfeifen ist nicht geschnitten,
sondern wird in ganzen hellgelben Blättern verkauft. Unter
den vielen kleineren Laden, worin Specerei-Waaren und
dergleichen verkauft werden, sind die der Laternen-Fabrikanten
hervorzuheben, die dieses nothwendige Geräth aus Papier
in allen möglichen Preisen und Größen verfertigen. Da es
in Constantinopel noch keine Straßenbeleuchtung gibt und es
allgemein verboten ist, bei eingetretener Dunkelheit ohne
Laterne zu gehen, fo findet diese Waare großen Absatz, und
kann daher auch zu fo beispiellos billigen Preisen geliefert
werden. Diese Laternen find cylinderförmig, oben mit einem
Henkel versehen. Man kann sie zusammenschlagen und be-
auem in die Tasche stecken. Für einen halben Piaster, drei
Kreuzer, erhält man eine recht hübsche.
Außer den bisher erwähnten Gaffen, die zu beiden Seiten
mit Buden besetzt sind, vor denen ein immerwährender Handels-
verkehr stattfindet, gibt es viele offene Märkte, Tfcharfchu,
die entweder nur an bestimmten Wochentagen oder zu gewissen
128
Artikeln benutzt werden. So gibt es einen Pferdemarkt,
Lans- oder Tändelmarkt, Sklavenmarkt, Mittwochsmarkt c.
Das ewige Gewühl in den Gaffen, das Schreien der
Verkäufer und Ausrufer, so wie die warnende Stimme der
Pferdetreiber, die auf ihren Thieren das Waffer in alle
Theile der Stadt bringen und deren Ruf das allgemeine
Gesumme gellend unterbricht, das Schreien der Armenier oder
Juden, die wegen einer Kleinigkeit in Streit gerathen, be-
täuben das Ohr, die mannigfaltige Ausstellung der Waaren,
die vielerlei Costüme, die einem bunten Strome gleich vorüber-
schwimmen, blenden das Auge, und man betritt mit behaglichem
Gefühl die gedeckten Märkte, Befe stane, um dem tollen
Lärmen und dem gewaltigen Schmutze drauffen zu entgehen.
Wenn es auch den Befestames keineswegs an Besuchern
fehlt, so treibt sich hier doch das geringe Volk nicht so herum;
es herrscht dafelbst, besonders in einigen Theilen, gegen den
ungeheuern Spektakel draußen, eine gewisse Ruhe, die vor-
nämlich das Auge empfindet, das langsam forschend die großen
Gewölbe durch irrt, die mit den kostbarsten Stoffen und Ge-
räthen angefüllt sind.
Schon seit dem Jahre 1461 gab es in Constantinopel
ein Befestan; ein anderes wurde später unter Sultan So-
liman erbaut; beide waren jedoch nur aus Holz und brannten
bei den schon erwähnten Feuersbrünsten mehrere Male ab.
Nach der letzten im Jahre 1701 wurden beide Besetane,
wie sie jetzt noch bestehen, massiv von Stein aufgebaut.
Jedes bildet ein großes Viereck gewölbter Hallen, oben
mit kleinen Kuppeln versehen, was dem Ganzen von der
Höhe, z. B. dem Seraskierthurme herabgesehen, einen eigen-
thümlichen Anblick gibt. In diesen Befestames findet man
nun alle mögliche Artikel des Luxus, und wie in den Straßen
sind auch hier die gleichartigen Artikel neben einander auf-
gespeichert, was die Auswahl erleichtert und auch die einzelnen
129
Kaufleute hindert, die Käufer, besonders Fremde, zu über-
fordern, da der Nachbar gleich um einige Piaster billiger
verkaufen würde.
Hier findet man ganze Gänge voll Waffen, Shawls,
geschnittener und ungeschnittener Steine, Tücher, so wie
Reihen von Gold- und Silberarbeitern, Buchhändlern, Wechs-
lern c. Zwar hat jetzt die ungeheure Pracht, die früher
in Kleidungsstücken herrschte, bedeutend abgenommen, und
die vornehmen Türken in Constantinopel, besonders Offiziere
und Beamte, bis zum Sultan hinauf, gehen im einfachen
blauen Rocke, mit einem Säbel bewaffnet, der meist nicht
reicher verziert ist, als wie ihn auch unsere Militärs tragen,
statt daß früher, zur Zeit der Janitscharen, jeder dieser
Menschen mit schönen Waffen prunkte, deren Reichthum sich
nach Maßgabe des Vermögens vom einfachen Silberbeschläge
bis zum reichen Besatz mit Rubinen und Diamanten steigerte.
Diese Revolution im Costüm äußert nun bereits bedeu-
tenden Einfluß auf die Waarenausstellungen der Bazars,
und wenn auch die Laden in den Befestans gegen unsere
Gewölbe mit weit glänzerenden Dingen ausgestattet erscheinen,
so findet man im Allgemeinen doch bei Weitem nicht mehr
die alte Pracht.
So schildert Hammer die Waaren, die in früherer
Zeit hier ausgebreitet lagen; er zählt auf; Damascenische
Säbel, tartarifche Bögen, arabische Lanzen, perfische
Dolche, Türkiffe aus Nifchabur und Rubinen aus Be-
dafchan, Perlen von Bahrein, Diamanten von Gol-
konda, Shawls von Angora, aus Persien und Kafche-
mir, indische Mouffeline und Kalikos, englische und
französische Tücher, deutsche Leinwand und schwedi-
sches Eisen, geschnittener Sammet aus Brufa, Scheiks
(Beduinenmäntel) aus der Barbarei; kurz, alle Herrlich-
keiten, so die Sonne vom Aufgang bis zum Niedergang
Hackländer, R. in d. O. 9
130
schaut, finden sich hier zum Kauf und Verkauf ausgestellt.
Wenn man freilich alle diese Artikel auch jetzt noch findet, so sind
doch nicht mehr, wie damals, ganze Reihen damit angefüllt.
Der Reisende, der die türkischen Bazars besucht, verläßt
fie felten, ohne hie und da etwas gekauft zu haben, wozu
sich artige Kleinigkeiten genug finden, besonders in den Ge-
wölben, wo Stickereien feil sind. Man findet hier Pantoffeln,
Spiegelfutterale, Mützen, Tabakbeutel von Seide oder Sam-
met, zierlich mit Gold, Silber oder Perlen gestickt, die sehr
hübsch und reich aussehen und sehr billig sind, was daher
kommen mag, daß die meistens von den Weibern in den
Harems gemacht werden.
Ein anderer Artikel, den man am Besten in den Bazars
selbst kauft, sind die geschnittenen Steine, meistens Carneole,
Talismane genannt, die sich ebenfalls zu kleinen Andenken
und Geschenken sehr eignen. Auf ihnen ist der Namenszug
eines der Propheten oder auch ein Vers aus dem Koran ein-
geschnitten. Die gewöhnlichen, die dann natürlich nicht mit
großem Fleiß gearbeitet sind, kosten nicht viel, wogegen schöne
Talismane mit erhaben geschnittenen arabischen Buchstaben
theuer bezahlt werden.
Lange Pfeifenrohre, bei uns unter dem Namen Weichsel-
rohre bekannt, findet man auch in reicher Auswahl und oft
zu guten Preisen, wogegen keinem zu rathen ist, die nöthigen
Spitzen aus Bernstein, die man bis zu dem ungeheuren
Preise von tausend Gulden findet, ebenfalls hier zu kaufen.
Wer aber in Constantinopel bedeutende Einkäufe in den
erwähnten Talismans, in Kaschemirshawls, feinen Gold-
und Silberarbeiten oder alten kostbaren Waffen machen will,
thut nicht wohl, wenn er diese Artikel in den Gewölben
selbst auswählt; er findet, besonders in Pera, Unterhändler,
die sich eigens hiemit beschäftigen und die besten Quellen
wiffen. Diese Leute sehen für den kleinen Vortheil, den
131
man ihnen zukommen läßt, sehr auf den Nutzen des Reifen-
den und können vielfach Betrügereien verhüten, denen man
sonst ausgesetzt wäre. Dies ist hauptsächlich beim Einkauf
von schönen Shawls der Fall, ein Handel, der jetzt fast
durchgängig unter der Hand abgemacht wird. Schöne ganz
neue Kaschemirshawls find noch immer sehr theuer; doch
werden viele zu uns gebracht, die schon eine Zeit lang in
den Harems getragen wurden, wodurch der Stoff nicht ver-
liert, vielmehr an Weiche gewinnt.
Wenn wir durch die Bazars wandelten, ohne den Ge-
danken etwas zu kaufen, wurden wir doch zuweilen wider
Willen verführt. So blieben wir an einem Gewölbe mit
prächtigen Waffen stehen, und der unermüdliche Armenier
zeigte sie Stück für Stück, wobei er dem Fremden den Preis
gewöhnlich durch Auf- und Zumachen der Hände angibt.
Hatten wir nichts gefunden, was schön oder wohlfeil genug
war, um es zu kaufen, und wollten uns entfernen, so hielt
uns der Kaufmann durch die oben beschriebene Bewegung
mit der Hand zum Mund fest, zog aus seinem Kaftan ein
kleines Packetchen und wickelte aus der schmutzigen Lein-
wand einige Talismane, die er, wer weiß wo, erhandelt
hatte, und in solchen Fällen machten wir oft die besten Ein-
käufe. Umgekehrt holte nicht selten ein Steinschneider, wenn
wir unter seinen Artikeln nichts Anständiges fanden, eine alte
Waffe hervor, die er uns sehr billig anbot.
Viel Unterhaltung gewährten uns auf unsern Gängen
die türkischen Weiber, die halbverschleiert zahlreich hin und
her ziehen und vor den Gewölben stehen bleiben. Selten
liefen sie fort, wenn wir uns neben sie stellten und ihrem
Handeln zusahen, und erst, wenn wir ihnen zu tief in die
schwarzen Augen blickten, oder sie durch Pantomimen befragten,
wie ihnen dies oder jenes gefalle, warfen sie ihre Tücher vor's
Gesicht und empfahlen sich. Doch geschah dies meistens nur,
9
132
nachdem ihnen der Herr des Ladens, dem dies unschicklicher,
als ihnen selbst vorkommen mochte, einige zornige Worte zu-
gerufen hatte, wahrscheinlich die Weisung, sich von den Giaurs
nicht so ansehen zu laffen. Einmal jedoch, wo ich mit unserem
Doctor allein durch die Straßen zog und es uns sehr amüsierte,
einer Negerin mit einer wahren Riesenfigur zuzusehen, wie
fie aus ihrem Wagen kletterte, schien dieser Dame unsere
Aufmerksamkeit sehr zu mißfallen; mit erstaunlicher Geläufig-
keit der Zunge überschüttete sie uns mit einer Maffe zornig
ausgestoßener Worte, von denen ich nichts verstand als:
„Giaur fek-ter Beffe wenk!“ was aufs Gelindeste übersetzt
doch so viel heißt, als: „Ungläubiger Kuppler, geh zum Teufel!“
Neben diesen beiden Besetanes gibt es noch einen dritten,
den sogenannten ägyptischen Marktplatz, wie die beiden andern
aus gewölbten Hallen bestehend, doch bildet er nur einen
rechten Winkel, die Hälfte eines Vierecks. Hier findet man
alle Wohlgerüche Arabiens aufgestapelt, und all' diese Ge-
würze, die der Orient hervorbringt, verbreiten einen herrlichen
Duft, wodurch sich dieser Markt schon in der Ferne der Nase
des Herumwandelnden bemerklich macht. Treffend sagt Ham-
mer von ihm: „Wie sich die Molucken dem Seefahrer schon
weit im Meere verkünden, verkündet dem Wanderer in Con-
stantinopel der würzige Geruch dieses Markts schon von Ferne
sein Dasein, und erinnert an die beiden schönen Gedanken
Sardi's: daß Moschus und Liebe sich vor der Welt nicht
geheim halten laffen, und daß das wahre Verdienst, wie die
Auslage des Gewürzhändlers, prunklos schweigt und herrlich
duftet. Endlich an das von einem arabischen Dichter aus-
gebildete Wort Muhameds:
Mädchen find Blüthen, die Blüthen gewähren süße Gerüche,
Und ein süßer Geruch ist vor dem Herrn das Gebet.
Mädchen find irdische Kost und Gebet ist himmlische Nahrung,
Wohlgerüche genießt Himmel und Erde zugleich.
133
Ehe wir die Bazare verlaffen, muß ich noch der Khane
oder Karavaneraien, als zu ihnen gehörig, gedenken. Eigent-
lich ist Khan und Karavanerai nicht gleichbedeutend; erstere
sind Gebäude, in welchen sich nur große Waarenlager oder
große Werkstätten, auch Fabriken befinden; letztere sind Her
bergen für Reisende. Doch gibt es auch dergleichen öffent-
liche Anstalten, in denen sich der Begriff bei der Worte
vereinigt, wo nämlich fremde Kaufleute während ihres Aufent-
halts in Konstantinopel wohnen und ihre Waaren auslegen
oder auch nur ihre Wechselstuben haben. Hierher gehört der
große Chodscha-Khan, wo sich gewöhnlich persische Kaufleute
aufhalten. Es giebt einen Khan der Gefangenen in der
Nähe des Sklavenmarkts, und einen Khan der Gesandten
bei der verbrannten Porphyrsäule, wo früher die Gesandten
aller europäischen Mächte einquartiert oder vielmehr eingesperrt
wurden, denn man behandelte sie hier wie Staatsgefangene.
Will man alle diese Bazare, Besestane und Khane,
oder auch nur die vorzüglichsten genau durchmustern, so braucht
man Monate. Man kann diesem Geschäft doch nur wenige
Stunden widmen, da das allzu große Gefühl und die un-
endliche Mannigfaltigkeit der Waaren die Sinne abstumpft
und sie nach kurzer Zeit unfähig macht, Alles mit Ruhe zu
betrachten. Wir waren fast täglich ein paar Stunden in den
Bazars und verließen dann das Gewühl, um uns auf einem
einsameren Platze durch Betrachtung irgend eines der alten
ehrwürdigen Bauwerke wieder zu erholen. Freitags jedoch,
wo der Sultan eine der öffentlichen Moscheen besucht, machten
wir uns, nachdem wir unsere Einkäufe besorgt, eine andere
Zerstreuung.
An diesem Tage, Morgens zwischen zehn und zwölf
Uhr, versammelt sich beim Seraskierthurm, auf dem Seraskier-
platz, oder wie ihn die Türken nennen, Tauk-Baffari oder
Hühnermarkt, Alles, was von der türkischen nobeln Damen-
134
------- - - - - - -– – – – – – -- ––
welt eine Equipage befizt oder eine miethen kann, um daselbst
eine Spazierfahrt zu machen. Die Wagen sind von ganz
eigenthümlicher Bauart und erschienen uns anfangs sehr
lächerlich. Die meisten, besonders die älteren, haben Aehn-
lichkeit mit unsern Leiterwagen; nur sind sie leicht und zierlich
geschnitzt, mit bunten Farben bemalt und theilweise vergoldet.
Hölzerne Reifen tragen ein Dach von grüner oder rother
Leinwand, unter dem auf Kiffen und Teppichen oft ein ganzer
türkischer Harem liegt: ein paar Weiber, einige Sklavinnen
und mehrere Kinder von verschiedenem Alter. Vor diese
Equipagen sind zwei schwere Ochsen gespannt, mit buntem,
vergoldetem Riemenzeug angeschirrt und mit allerlei Bändern
aufgeputzt. Zur Verzierung dieses Gespanns, vielleicht auch
um die Fliegen abzuwehren, gehen von der Bracke des Fahr-
zeugs ans zwei ungefähr fechs Fuß lange geschweifte Hölzer,
die so gleichsam über den Thieren schweben. Von denselben
herab hängen bunte wollene Quasten, die sich bei jedem
Schritt hin und her bewegen. Andere Fahrzeuge näheru
sich etwas unseren Kaleschen, sind jedoch mit Schnitzwerk
versehen und schwer vergoldet, wie sie bei uns im verfloffenen
Jahrhundert gebräuchlich waren. Auch sieht man wohl hie
und da einen Wagenkasten nach unserer jetzigen Façon, der
aber dann auf schweren altmodischen Rädern ruht.
In langen Reihen bewegen sich diese Wagen vorwärts,
von einer Maffe Weiber und Kinder der ärmeren Claffe an-
gestaunt, die nebenher laufen. Auch erblickt man zuweilen
einen jungen türkischen Elegant, der selbstgefällig umherreitet,
ohne sich jedoch um die Damen zu bekümmern. Aeltere Türken
sitzen in den Kaffeehäusern, die sich auf dem Platze befinden
und schauen dem Gewühle zu. Den vornehmen Harems,
die oft aus Zügen von fünf bis sechs Wagen bestehen, folgen
auf schönen reich geschirrten Pferden schwarze oder weiße
Eunuchen, meistens Menschen von widerlichem Aeußern, mit
- - - - - -
135
unförmlich dickem Oberkörper, auf dem der Kopf fest in
den Schultern steckt. Ihre fetten schlaffen Gesichter werden
durch einen lauernden, boshaften Zug um Mund und Auge
noch unangenehmer. Auch bei den einzelnen Wagen fehlen
diese Aufpaffer nicht, die hier entweder zu Fuß nebenher
gehen oder hinten auf fitzen.
Auf diesem Corso haben wir uns manche Stunde sehr
gut unterhalten. Die Damen nahmen es in der Regel gar
nicht übel auf, wenn wir sie genau betrachteten oder mit
ihnen kokettierten, besonders die jungen und hübschen, die oft
ihr Möglichstes thaten, unsere Augen auf sich zu ziehen.
Obgleich, wie schon gesagt, das Gesetz ihnen vorschreibt, den
Mund zu verschleiern, so wissen sich die türkischen Schönheiten
in diesem Fall doch zu helfen, indem sie sich hiezu eines
ganz dünnen feinen Mouffelins bedienen, welcher die Formen
ihres Gesichts sehr gut errathen läßt. In ihre Kiffen zurück-
gelehnt, verstehen sie es vortrefflich, im rechten Augenblick
die schwarzbewimperten Augenlider aufzuschlagen, und dem,
der sie betrachtet, eine volle Ladung aus ihren blitzenden
Augenbatterien zu geben. Die Mantille, die beim Gehen
stets fest um die Schultern gezogen wird, laffen die Türkinnen
im Wagen nachlässig herunterfallen, wodurch die vollen Formen
ihres Oberkörpers sichtbar werden, und da die kleinen ge-
stickten Jäckchen, die sie tragen, sehr tief ausgeschnitten sind,
und die Regel des Anstandes ihnen nur gebietet, das Gesicht
zu verschleiern, so hatten wir bei der nachlässigen Lage
dieser Damen in ihrem Wagen häufig Gelegenheit, tiefe
Blicke unter die Mantille zu thun.
In steter Bewegung sind ihre weißen runden Arme, an
denen sie die goldenen Spangen zeigen wollen, und wenn
man sie betrachtet, fahren sie gleich mit den Händen an's
Gesicht, um die Aufmerksamkeit auf ihre Ringe zu lenken,
mit denen sie nach Maßgabe ihres Vermögens alle Finger
136
bedecken. Doch, wie ich schon früher sagte, findet man unter
diesen Weibern sehr selten ausgezeichnete Schönheiten, und
nur einige Male sahen wir Mädchen, deren Mund und
untere Gesichtsbildung mit den schönen Augen, die man häufig
findet, im Einklange standen. Die Sklavinnen find meistens
Schwarze mit wolligtem Haar und platter Nase. Eine Ausnahme
machen die Abyffinierinnen, die man auch zuweilen fieht.
Sie sind von sehr schöner Bildung, und fast bei Allen wird
das edle Gesicht durch eine tiefe Melancholie, die sich über
ihre Züge lagert, noch anziehender. Sie gehören meist zum
dienenden Personal; doch habe ich auf dem türkischen Corso
häufig einen halb verschloffenen Wagen gesehen, worin eine
reich gekleidete, sehr schöne Abyffinierin faß. Oft, wenn der
Zug der Wagen irgendwo stockte, trat ich nah an den Schlag
ihrer Equipage und gewöhnlich sah sie mich erstaunt, doch
nicht unfreundlich an. Gern hätte ich etwas Näheres über
fie erfahren, doch einige Mal, als ich ihr folgte, wenn sie
den Corso verließ, mochte ich mich aus Furcht, den Weg zu
verlieren, nicht zu weit in die Stadt wagen, und einmal,
als ein der Stadt kundiger Freund mich in gleicher
Absicht zum Scherz begleitete, erregten wir die Auf-
merksamkeit ihrer schwarzen Wächter, die uns so drohend
ansahen, daß mein Begleiter es gerathener hielt, umzu-
kehren. Was half uns auch unsere Neugierde? Die
schwere Thür ihres Käfigs schloß sich hinter dem Mädchen
und wir hätten es nicht einmal wagen können, nachher auf-
fallend zu den vergitterten Fenstern empor zu schauen; denn
so viel auch die Türken schon von unsern Sitten und Ge-
bräuchen angenommen haben, sind sie doch in diesem Punkte
unverbefferliche Egoisten. -
137
Türkische Bädee.
Schon in der ältesten Zeit war der Gebrauch der Bäder
im Orient sehr verbreitet. Anfänglich wurde es als eine
Anstalt der Reinlichkeit, so wie zur Erhaltung der Gesund-
heit benützt, wurde aber nach und nach ein Luxus-Gegenstand
und ein Aggregat zu dem wollüstigen faulen Leben der
Orientalen. Schon zur Zeit Justinians gehörten die Bäder
des alten Byzanz zu den prächtigsten Gebäuden; ihre verschie-
denen Gemächer bestanden aus feuerfesten Gewölben, die,
so wie der Boden, mit Marmor und andern kostbaren Steinen
ausgelegt waren. Die Wände bedeckten die schönsten Sculp-
turen und die meisten waren selbst mit Statuen verziert.
So prangten im Bade des Zenrippos, d. i. des Pferde-
zusammenspanners, von einer Statue der Sonne so genannt,
über hundert Statuen von Göttern und Helden, lauter Werke
der berühmtesten griechischen Künstler. So prachtvoll diese
Bäder waren, fo groß war ihre Anzahl; fast jeder Kaiser
vermehrte dieselben um einige. In den meisten wurde das
Waffer künstlich erwärmt, mehrere aber waren auf heiße
Quellen gebaut, wie z. B. das Bad der Basilica oder des
Senats, von dem ein Epigramm sagt:
Wahrlich, königlich ist dies Bad, denn von ältester Zeit her
Ward daffelbe fo von der Bewund"rung genannt.
Nicht von menschlicher Hand wird das klare Waffer erwärmt,
Warm schon von der Natur, fließt es von selber heraus.
Wenn auch die meisten dieser Bäder bei den vielen
Empörungen und Umwälzungen im alten Byzanz zerstört
wurden und zu Grunde gingen, so haben sie sich doch, wie
eine alte Sage durch Tradition, durch Aufbauung in dem
selben Style und auf derselben Stelle fast ganz bis heute
erhalten, wie sie damals waren,
------- ------ -- ---
138
Schon in Adrianopel hatte der Baron die Genüffe eines
türkischen Bades versucht und sie als sehr sonderbar nnd im
ersten Augenblick anstrengend, aber auch so dargestellt, daß
sie dem Körper nach einiger Zeit eine ungemeine Behaglichkeit
geben und die Glieder ganz geschmeidig machen. Auch Hamsa,
unser Tartar, wenn er auf der Reise von den Genüffen
sprach, die ihn bei seiner Ankunft in Stambul erwarteten,
erwähnte den Genuß eines Bades als etwas, das alle
Müdigkeit der Reise hinwegnehme und den Körper neuge-
boren mache. Gleich in den ersten Tagen unseres Aufent-
halts in Pera erkundigten wir uns nach einem der besten
Bäder, und einer unserer neuen Vekannten, Herr v. C. bei
der preußischen Gesandtschaft, war so gütig, sich unser, wie -
in so vielen Punkten, auch hierin anzunehmen. Er führte
uns nach Stambul, damit wir die Leiden und Freuden eines
türkischen Bades kennen lernen möchten.
Es kann nicht schaden, wenn der Reisende, der ein
türkisches Bad nehmen will, es dem Inhaber vorher an-
zeigen läßt, damit dieser für reine Wäsche sowohl, als
auch dafür sorge, daß die Badhallen nicht so sehr überfüllt
find, was uns unangenehm gewesen wäre. Da alle Bäder
öffentlich find, so kann man nicht immer wissen, wessen Haut
der Striegel, mit dem man bedient wird, kurz vorher berührt
hat. Auch hiefür sorgte Herr v. C., und nahm für einen
Morgen das am Hippodrom gelegene Altmeidan-Hamami,
d. i. „das Bad der Pferdeliebhaber,“ in Beschlag. Jedes
Bad hat seinen eigenen, oft sehr sonderbaren Namen, worauf
ich später zurückkommen werde. Ueber die Wahl unseres
Führers, uns in das Bad für Pferdeliebhaber zu führen,
lachten wir herzlich und schickten uns in der heitersten Stim-
mung an, die heiligen Hallen zu betreten.
Von außen sah das Bad wie ein altes, halb verfallenes
Gemäuer aus. Hie und da war ein schön gehauener Frieß
139
auf einigen Säulenschaften eingemauert, was uns vermuthen
ließ, daß auch hier früher ein prächtiges Bad gestanden,
aus defen Trümmer man das jetzige erbaut. An diese
Mauern war ein Haus neuerer Bauart angeklebt, durch defen
Thor wir in die mäßig erwärmte Vorhalle des Hamami oder
Bades traten. In der Mitte dieses ziemlich geräumigen Ge-
machs war ein Spingbrunnen. An allen Wänden befanden
fich Divans, von den gewöhnlichen sehr verschieden. Sie
waren etwa vier Fuß hoch, und zehn bis zwölf breit, so
daß man sich ausgestreckt darauf legen konnte, die Füße nach
dem innern Raum gekehrt.
Bei unserer Ankunft mußten wir uns auf kleine Rohr-
fühle setzen, die am Springbrunnen standen, und der
Hamamfchi, Bader, brachte uns Kaffee und lange Pfeifen,
während einige seiner Knechte auf den Divans für jeden
von uns ein Lager zubereiteten, aus einer Matratze mit Kopf-
kiffen bestehend, über das ein weißes Leintuch gebreitet wurde.
Nachdem wir unsern Kaffee getrunken, wurden wir zu
dem Lager geführt und ein Tuch als Vorhang vor uns aus-
gebreitet. Wir mußten uns jetzt ganz entkleiden, und nach-
dem uns der Bader ein großes Leintuch als Schürze umge-
schlagen, auch jedem von weißem Zeug einen Turban ge-
macht hatte, legten wir uns einen Augenblick auf das Lager,
um schon etwas durchwärmt in die zweite Abtheilung des
Bades eingehen zu können.
Hier herrschte bereits ziemliche Hitze, so daß wir schon in
wenigen Augenblicken ganz mit Schweiß bedeckt waren. Ein
neues Lager, ähnlich dem ersten, war hier bereitet, und
darauf ausgestreckt wurden wir abermals mit Pfeifen und
Kaffee bedient. Wohl eine Viertelstunde blieben wir in
diesem Gemach, worauf uns die Badewärter unter den
Armen faßten, um uns in das eigentliche Badgewölbe zu
führen. Daß man sich in diesen Gewölben beim Gehen
140
unterstützen läßt, ist sehr nöthig, denn der Boden ist zu heiß,
um mit nackten Füßen darauf gehen zu können, weshalb
man Pantoffeln erhält, deren Sohle auf zwei, drei Zoll
hohen Klötzchen steht, die das Gehen ungemein erschweren.
Ich habe darin den Fuß nie aufheben können, sondern bin
stets über den Boden hingerutscht.
Zum dritten Gewölbe führte eine schmale eiserne Thür,
die hinter uns gleich wieder verschloffen wurde. In diesem,
dem eigentlichen Bad, herrschte eine solche Hitze, daß sie uns
in den ersten Augenblicken den Athem benahm. Es war
daffelbe beklemmende Gefühl, wie wenn man allmählig in ein
kaltes Bad hinabsteigt, wo man glaubt, Herz und Lunge
drängen sich nach oben, um sich da gewaltsam einen Ausweg
zu verschaffen. Das Gemach war rund, mit einer großen
Kuppel bedeckt, die kleine, mit buntem Glas geschloffene
Oeffnungen hatte, welche symetrische Figuren bildeten. Das
spärliche Tageslicht, welches einzig durch die in die Halle
fiel, wurde noch durch die vom Boden aufsteigenden Waffer-
dämpfe getrübt. Die Wände bestanden aus gewöhnlichen
Steinen und waren hie und da mit Sculpturen versehen;
der Boden aber war sehr schön, aus farbigem Marmor zu-
sammengesetzt und hatte in der Mitte eine fußhohe runde
Erhöhung, etwa zwanzig Fuß im Durchmeffer, an deren
Seiten die heißen Dämpfe vermittelt kleiner Löcher ausströmten.
Ferner hatte das Gemach vier Nischen von etwa zehn
Fuß Tiefe, in deren jeder sich ein zierlich aus Stein gehauener
Brunnen mit zwei Röhren befand, die mit einem Hahnen
verschloffen waren und kaltes und warmes Waffer gaben.
Diese Nischen konnten mit Teppichen verhängt werden, die
zu dem Zweck über der Oeffnung zusammengebunden waren.
Bei unserm Eintritt in dies Gemach legte man in eine
Ecke für jeden ein Kiffen, auf das wir uns abermals aus-
strecken mußten, um die dritte Pfeife mit Kaffee zu genießen
141
und uns dabei allmählig an die entsetzliche Temperatur zu
gewöhnen. Aber nicht lange, so waren wir vollkommen durch-
glüht, und der Hamamschi erklärte uns für fähig, die Operation
des Badens vornehmen zu können, eine wirkliche und ziemlich
schmerzhafte Operation.
Die Erhöhung in der Mitte des Gemachs, von der ich
oben sprach, war im wahren Sinne des Worts unsere
Schlachtbank. Dort mußten wir uns ausstreckt hinlegen, was
anfangs einigen Schmerz verursachte, denn obgleich uns längst
der Schweiß in Strömen vom Körper lief, war uns die
Hitze fast unmittelbar über dem Feuer beinahe unerträglich.
Neben jedem von uns ließ sich jetzt einer der Badknechte nieder
und fing an, mit unserem Körper die seltsamsten Verrenkungen
vorzunehmen. Zuerst drehte und wendete er alle Glieder
von der Fußspitze bis zum Genick, daß sie knackten; dann
hob er die Beine auf und rückte sie so weit nach dem Kopfe
zu, als möglich, kurz, er behandelte uns auf eine für uns
so komische Weise, daß wir über die Figuren, die einer den
andern machen sah, oftmals laut lachten. War dieses Kneten,
denn anders konnte man die Behandlung des Körpers nicht
nennen, auf der vordern Seite beendigt, so mußte man sich
auf den Bauch legen, um seinen Rücken ähnlichen Qualen
preis zu geben. Zuweilen sprang der Kerl mit seinen nackten
Füßen auf mir herum, daß ich nahe daran war, laut aufzu-
schreien. Am Ende setzte er sich mir oben zwischen die Schulter
und glitschte mit feinen Füßen an mir herunter, wobei er,
um sich zu halten, mit beiden Händen meine Haut dergestalt
zusammenknief, daß ich, um dem Schmerz zu entgehen, mich
eilend aufrichtete und ihn herabwarf. Auch machte ich ihm
über dies Kneifen ein zorniges Gesicht, worüber er mich
sehr erstaunt ansah und die Hand schmatzend zum Mund
brachte, um auszudrücken, daß gerade dieser letzte Coup
etwas sehr köstliches fey. Ich tröstete mich an dem
- 142
Schicksal meiner Gefährten, denn keiner entging dieser
Manipulation.
Jetzt begann der zweite Act, zu welchem die Hamamschi
neben jeden ein Gefäß mit warmem Waffer setzten. Sie
warfen weiche Seife hinein, schlugen sie mit einem Wisch
von gedrehtem Hanf zu Schaum und feiften damit den
ganzen Körper. Bis dieser Schaum durch die Wärme
des Körpers und des Bades geschmolzen war, hatte man
Ruhe und konnte sich über die ausgestandenen Schmerzen
unterhalten. Ich habe nie einen stärkeren Klang der Stimme
gehört, als in diesen türkischen Bädern. Ein Wort, noch
so leise gesprochen, tönte gewaltig wieder, und gab einen
Ton, als murmelten es hundert Stimmen nach.
Indeß hatte der Bader seinen Hanfwisch bei Seite
gelegt und dafür eine Art Handschuh ohne Finger von
grobem Tuche genommen, womit er nun den ganzen Körper
sehr stark rieb. Bei all' diesen Manipulationen bemerkte ich,
daß der Badwärter beständig das Auge des Badenden ansieht,
wie mir Herr v. C. später sagte, aus Vorsicht, um sogleich
zu bemerken, wenn einem bei dieser schmerzhaften Behandlung
unwohl wird. -
Sobald der Körper gehörig eingerieben ist, ein Geschäft,
wobei wieder durchaus keine Schonung statt findet, sondern
mir fast die Haut mit heruntergeriffen wurde, verläßt der
Hamamschi den Badenden und zwei Knaben von zehn bis
zwölf Jahren traten an seine Stelle. Diese geleiteten jeden
von uns in eine der erwähnten Nischen, wo sie nach dem
Belieben des Badenden sich mit ihm durch die erwähnten
Teppiche absondern und so den Augen der Andern unsichtbar
werden können. Doch wie ich mir sagen ließ, verdecken sie
diese Nischen nicht eher, bis ihnen der Badgast ein hierauf
bezügliches Zeichen gibt, was bei den meisten darin besteht,
daß er ein Geldstück von zehn bis zwanzig Piaster zwischen
143
die Zähne nimmt, welches sich der Knabe durch einen
Kuß zueignet.
Vor den beiden Fontainen, deren Waffer vorn in ein
kleines Baffin läuft, mußten wir uns niedersetzen und nach-
dem einer der Knaben viel warmes Waffer hatte hineinlaufen
laffen, das er mit etwas kaltem mischte, begann er, uns
daffelbe mittelst eines blechernen Gefäffes über den Kopf und
den ganzen Körper zu gießen. Das Waffer war indessen
noch sehr warm und benahm uns in den ersten Augenblicken
den Athem. Wir befanden uns in einer Lage, als wenn
man bei uns das Schlachtvieh abbrüht, auch wehrte ich mich
anfangs mit Händen und Füßen dagegen, aber vergebens;
so lange ich den kleinen Quälgeistern nicht vollkommen ge-
reinigt schien, hörten sie nicht auf, mir das Waffer aus dem
großen Gefäß über den Kopf zu schütten.
Nach dieser letzten Procedur bekamen wir um Hüfte
und Schultern ein reines weißes Tuch, um den Kopf drehte
man uns ein ähnliches und oben auf den Scheitel legte man
lose ein anderes zusammengefaltetes. Durch die beiden Vor-
zimmer wurden wir wieder in das erste Gemach geführt, wo
wir uns entkleidet hatten. Man hatte indessen unser
Lager mit reinen Tüchern überzogen, und nachdem wir uns
wieder auf dasselbe ausgestreckt hatten, brachte man uns
Pfeifen, Sorbet und später Kaffee. Die Mühseligkeiten des
Bades sind nun vorbei und der Türke fängt jetzt einen
Khef an, d. h. so wie er sich gewöhnlich Nachmittags, ohne
ein Wort zu sprechen oder auch nur zu denken, der Ver-
dauung hingibt, so denkt er auch jetzt seinen Geist in voll-
kommene Ruhe und überläßt den Körper einigen Knaben, die
ihn, aber auf eine sanftere Art als früher, durchkneten. Sie
fangen dies Geschäft gewöhnlich bei den Füßen an, welche
fie mit ihren beiden Händen leicht drücken und so immerfort
streichend aufwärts fahren, bis sie auf diese Art den ganzen
144
Körper geknetet haben, was mehrere Male von den Füßen
zum Kopf und umgekehrt geschieht. Auch werden die Gelenke
der Hände und Füße nochmals auseinander gezogen, bis sie
knacken. Besonders für Leute mit schwachen Nerven hat
dieses leise Kneten etwas Ermattendes, Angreifendes, und
selbst ich war fast immer geneigt, dabei in Schlaf zu fallen.
Wenn das Kneten vorüber ist, werden neue Pfeifen gebracht,
so wie Kaffee und man bleibt nach Belieben so lange liegen,
bis das Blut, welches durch die ganze Behandlung sehr
aufgeregt ist, wieder ruhiger wird. Dann zieht man sich an,
und das türkische Bad ist genommen.
Die Wirkungen dieses Bades, welche die Phantasie
des Muselmanns etwas übertreibt und als das Heilsamste
darstellt, was dem Körper widerfahren könnte, fangen erst
nach einigen Stunden an, sich bemerkbar zu machen; ich
meine die angenehmen Wirkungen, denn in der ersten Zeit,
nachdem man sich wieder angezogen hat und etwas umher-
gegangen ist, find die Glieder wie zerschlagen und große
Müdigkeit drückt den Körper nieder. Nach einigen Stunden
aber schwindet diese Ermattung und man fühlt sich aller-
dings wie neugeboren. Die Glieder haben eine auffallende
Frische und Elasticität erlangt; man fühlt sich durch ein
angenehmes Wohlseyn, das sich über den ganzen Körper ver-
breitet, zu den lebhaftesten Bewegungen hingeriffen. Es wird
behauptet, ein türkisches Bad im Augenblicke genommen, wo
man nach einer langwierigen beschwerlichen Reise vom Pferde
steigt, oder wenn man sich überhaupt sehr ermüdet hat, er-
frische mehr, als die beste Nachtruhe.
Man kann zu jeder Stunde des Tages ein Bad nehmen,
ausgenommen in den Zeiten des Ramadans, wo die Hamami
den ganzen Tag über geschloffen sind und erst, wie alle
andern öffentlichen Anstalten, Kaffeehäuser c. mit Einbruch
der Nacht geöffnet werden. Nur muß man nie nach dem
145
Effen baden, eine Vorschrift, die ja auch bei uns besteht und
bei der Gewaltsamkeit der Operation doppelte Berücksichtigung
verdient. Ich habe in Constantinopel ein einziges Mal diese
Regel nicht beachtet, und so gesund ich bin, wurde ich nicht
nur während des Badens völlig ohnmächtig, sondern war
mehrere Tage nachher unwohl.
Die öffentlichen Bäder für das weibliche Geschlecht
sollen beinahe ganz so eingerichtet feyn, wie das beschriebene,
nur daß die große Wafferbehälter enthalten, worin die Ab-
waschungen vorgenommen werden. Natürlich find dort die
Hamamschi ebenfalls Frauen. Diese Anstalten dienen aber
den Weibern keineswegs blos zum Baden. Da die türkischen
Damen keine Thee- und Kaffeevisiten geben, so versammeln
fie sich zu gleichem Zwecke in ihren Bädern, um gegenseitig
Neuigkeiten einzutauschen und den lieben Nächten der schärf-
sten Kritik zu unterwerfen. Tout comme chez nous!
Etwas Genaueres über die türkischen Frauenbäder zu
sagen, ist fast unmöglich, da es dem Muselmann felbst streng
verwehrt ist, diese Anstalten zu besuchen, und wenn er auch
mit den inneren Einrichtungen bekannt wäre, würde ihm doch
der Anstand verbieten, darüber mit einem Fremden zu sprechen.
Man erzählte uns, vor einiger Zeit habe sich ein wißbegie-
riger Europäer in eines dieser Bäder geschlichen; ertappt und
vor den Kadi geschleppt, fey er dem Tode nur dadurch ent-
gangen, daß er sich verrückt gestellt. Doch will ich die
Wahrheit dieser Geschichte nicht verbürgen.
Von einem der innersten Bäder des Harem des Groß-
sultan findet man bei Hammer eine Beschreibung, die nach
der Erzählung eines Itschoglan Pagen) niedergeschrieben
wurde. Nach dieser gehen die Fenster des Bades gegen Osten.
Auf der rechten Seite der Thüre des Entkleidungssaales ist das
Singzimmer und links das Schatzgewölbe. Die Pracht desselben
Hackländer, R, in d, O, I. 10
146
soll unbeschreiblich seyn. Der vielfarbige Marmor des Pflasters
und der Wandbekleidung spiegelt die Silbergestalten der
badenden Schönheiten zurück und farbige Gläser, in der
Oeffnung der Kuppel eingesetzt, verbreiten in dem Gemach
einen heimlichen sanften Lichtschimmer. In der Mitte springt
ein Wafferstrahl, dessen Erguß von zwei Becken, einem kleinen
und einem großen aufgefangen wird. Das kleine ist von
weißem Marmor mit rothen und schwarzen Adern, aus wel-
chem die Fluth in das untere große, aus mehreren Stücken
farbigen Marmors zusammengesetzte Becken stürzt.
Man findet in Constantinopel nicht nur bestimmte Bäder
für die verschiedenen Stände, Künste und Gewerbe, die
Muselmänner können sich auch sogar nach ihren verschiedenen
Charakteren, Leidenschaften, Tugenden und Lastern zusammen-
finden. So ist in Stambul ein Bad für Freigeister, eines
für fromme und heilige Männer, ein anderes für Narren;
an der Suleimanje eines für Dichter, ein anderes für Pferde-
liebhaber, das wir besucht haben, so wie eines für Sänger
und für freigebige Leute. Am adrianopolitaner Thor findet
man ein viel besuchtes für Frauenliebhaber, so wie dicht
neben an eines für alte abgelebte Leute und eines für schöne
junge Herren. In der Vorstadt Otakdschilar ist ein Bad
für Betrunkene, eines für Knabenliebhaber und ein anderes
für unschuldige, eingezogene und sittsame Leute. In der
Nähe des Hafens sieht man welche für solche, die das Ge-
bet nicht lieben, für Verliebte, für Spitzbärte und für Diebe.
Der Hippodrom, die sieben Thürme, mehrere Moscheen
und andere ältere Bauwerke.
In fremden Städten, besonders solchen, die wie die
orientalischen eine alte gewaltige Geschichte haben, wird man
durch Ruinen und andere Erinnerungen so zerstreut und
147
zwecklos umhergetrieben, daß man erst nach einiger Zeit, in
der man gestaunt, gesehen und doch nichts gesehen hat, zum
Bewußtseyn kommt, nur durch eine systematische Eintheilung
der Zeit fey man im Stande, das Merkwürdigste und Schönste
in sich aufzunehmen.
Jeden Tag haften wir Ausflüge nach Stambul und
die Umgegend gemacht, ohne uns vorher über diese Touren
einen Plan anzufertigen, wodurch wir viel Zeit verschwen-
deten, manche unbedeutende Sachen zehnmal und noch öfter,
andere viel beachtungswerthere gar nicht oder doch nur
flüchtig ansahen, weil wir Niemand hatten, der uns darauf
aufmerksam machte. -
Schon in der ersten Zeit hatte uns Herr von C. ge-
rathen, unsere Tage, ja unsere Stunden genau einzutheilen,
weil wir sonst mit den Sehenswürdigkeiten in Stambul
nicht fertig werden würden. Natürlich wurde diese Idee
von uns eifrig erfaßt, um so mehr, da sich der liebens-
würdige Mann zu unserem Führer anbot. Doch traten
immer kleine Hindernisse der Ausführung dieses guten Planes
in den Weg. So bat uns in den ersten Tagen unser bis-
heriger liebenswürdiger Reisebegleiter, der östreichische Oberst-
lieutenant von P., mit unsern geregelten Cxcursionen noch
ein paar Tage zu warten, weil jede Stunde einige seiner
Kameraden eintreffen könnten, die es bedauern würden, die
Merkwürdigkeiten der Stadt nicht in Gesellschaft sehen zu
können. Auf diese Art wurden wir oft zurückgehalten und
find dadurch, aufrichtig gestanden, verhindert worden, manches
Merkwürdige zu sehen.
Jedem Reisenden, der Constantinopel besucht und wie
wir nur kurze Zeit verweilen kann, rathe ich, gleich in den
ersten Tagen nach einem Plane, den ihm ein Ortskundiger
anlegt, die Stadt zu durchkreuzen und erst wenn er die
vielen merkwürdigen Plätze, Gebäude und Denkmäler gesehen
10
148
hat, seine übrige Zeit anzuwenden, um das bunte Leben auf
den Straßen zu beobachten, feine Einkäufe zu besorgen und
kleine Ausflüge in die Umgegend zu machen.
An einem schönen Morgen, nachdem wir schon auf
obige Art mehrere Tage verschleudert hatten, brachen wir in
Begleitung des Herrn von C. von Pera auf, um einen
Theil der Merkwürdigkeiten planmäßig in Augenschein zu
nehmen. Da wir hiezu eine weite Tour zu machen hatten,
suchten wir uns am Ufer von den dort aufgestellten Mieth-
pferden die besten heraus. Hiebei fallen ähnliche komische
Auftritte vor, wie bei den Kaiks. Die Pferdevermiether
find eben so zudringlich, besonders gegen Franken, die natür-
lich mehr als die Osmanli bezahlen müffen. Dabei ist das
Gedränge, was immer bei unserer Ankunft entstand, nicht
ganz ohne Gefahr; sie suchen einem so nahe wie möglich
mit ihren Pferden auf den Leib zu rücken, die nicht so
geduldig, wie ihre Herren, zuweilen zu schlagen und zu
beißen anfangen. Im Augenblick ist man von einem Haufen
dieser Menschen umringt und ich war nicht selten gezwungen,
das Pferd, an das mich der Zufall gedrängt hatte, zu
besteigen, um nur dem Gedränge zu entkommen. Hat man
sich auf diese Art beritten gemacht, so hält sich jeder Ver-
miether an einem Steigbügelriemen seines Pferdes und läuft
im Trab oder Galopp nebenher. An der Spitze des Zuges
ritt der Herr von C., dessen Sais oder Reitknecht durch
lautes Geschrei die Begegnenden zum Ausweichen aufforderte,
und so trabten wir auf den kleinen Pferden, die auf dem
glatten schlüpfrigen Pflaster fast nie einen Fehltritt machen,
ziemlich rasch durch die Gaffen.
Unsern ersten Halt machten wir auf dem At Meidan,
dem Hippodrom, dem berühmtesten aller Plätze des alten
und neuen Constantinopels. Wir stiegen von unsern Pferden,
um die armseligen Ueberbleibsel der frühern prächtigen Monu-
149
Wente und Bauwerke, die auf diesem Platz standen, in der
Nähe zu besehen.
Der Hippodrom wurde von Kaiser Severus, nachdem
er die zerstörte Stadt erobert, angelegt, und war von da an
der Schauplatz der festlichen Spiele, so wie fast aller Auf-
fände und Revolutionen, welche den Thron der byzantinischen
Kaiser so oft erschütterten. Alles, was uns von der früheren
Pracht und Herrlichkeit dieses Platzes erzählt wird, könnte
man für eine Fabel halten; hier, wo nach den Geschicht-
fchreibern die schönsten Werke der Kunst aufgestellt waren,
ist nichts mehr zu fehen als drei verstümmelte Monumente:
ein unvollendeter Obelisk in der Mitte des Platzes, dessen
geglättete Seiten, besonders die gegen das Meer gekehrten,
von der Zeit und der Seeluft schon stark beschädigt sind,
ferner ein früher mit Kupfer bekleideter Pfeiler, dessen jetzt
verschwundene Inschrift besagte, daß Constantin, der im
Purpur Geborene, ihn so prächtig hergestellt, daß er, gleich
dem Coloß zu Rhodus, für ein Weltwunder angesehen worden,
und endlich ein dreifaches Schlangengewinde, dessen Köpfe
jedoch nicht mehr vorhanden sind, und das der Sage nach
den Dreifuß von Delphi getragen haben soll.
Von den marmornen Stufen, die früher einen großen
Theil des Platzes umgaben, und worauf das Volk dem
Wettrennen zusah, ist keine Spur mehr vorhanden. Schlecht
gebaute Häuser haben sich überall herangedrängt und der Platz,
der früher vielleicht viermal so groß war, ist heute nur zweihundert-
undfünfzig Schritte lang und hundertundfünfzig breit. Der Boden
ist uneben und schmutzig, und hie und da wächst eine Platane
oder Sykomore aus ihm hervor, unter der ein türkischer Kaffee-
wirth seine elende Bude aufgeschlagen hat. Gelehnt an einen
Pfeiler der Mooschee Achmeds, die am At Meidan liegt,
überdachte ich das Sonst und Jetzt dieses Platzes, ein Con-
traft, wie die Geschichte fast keinen traurigern aufzuweisen hat.
150
Dort stand die Statue des Herkules Trihesperus,
der ohne Bogen, Köcher und Keule sich mit dem linken
Fuß auf das Knie niederließ, in derselben Stellung, wie
er als Sternbild am Himmel prangt. Dieses Kunstwerk
wurde von den Lateinern bei der Eroberung der Stadt in
Stücke zerbrochen, um das Erz zu Kupfergeld einzuschmelzen.
Ferner war hier der Esel mit dem Eseltreiber von Actium,
den Augustus dort zum Andenken aufrichten ließ, weil, als
er eines Nachts hinausging, um die Stellung des Antonius
zu erspähen, ihm ein Eseltreiber mit einem Esel begegnete,
der ihm auf die Frage, wie er heiße und wohin er gehe,
antwortete: „Nikon (fiegend), mein Esel Nikander (Sieg-
mann) und ich gehe zu Cäsars Heer.“ Neben ihm stand
die Wölfin, welche den Romulus und Remus gesäugt hatte,
ein Nilpferd mit schuppigtem Schweife, fliegende Sphinxe
und die zwei Ungeheuer Scylla und Charybdis. Die
Statue der Helene, Liebe athmend und einflößend, mit fliegen-
den Haaren und lächelnden, zum Reden geöffneten Lippen,
war hier zu sehen, mit aller Anmuth, womit sie der Gürtel
Aphroditens ausgestattet. An den Rennzielen fanden die
Statuen berühmter Wagenlenker, die mit der Hand die Lehren
wagenführender Kunst einschärften; zwischen diesen Statuen
waren auf einer Seite die Altäre des Zeus, Saturnus und
Mars, und auf der andern die der Venus, des Monds und
die des Merkurs. Neben dem Thurm des Hyppodromus,
wo sich die Gitter befanden, hinter welchen die Pferde un-
geduldig warteten, war der kaiserliche Thron, von welchem
der Kaiser mit einem Tuche das Zeichen zum Auslaufen gab.
Die zwölf vierspännigen Wagen, welche nun daher stürmten,
mußten den Rennplatz sieben Mal umfahren. Auf dem Thurme
des Hyppodroms standen die vier berühmten goldenen Pferde,
welche von Athen nach Chios und dann nach Constantinopel
gebracht wurden. Nach Eroberung dieser Stadt kamen sie
151
nach Venedig und man stellte sie über dem Eingange der
Markuskirche auf. Später wanderten sie nach Paris auf
den Carouffelplatz, von wo sie wieder nach Venedig an ihre
alte Stelle zurückgeführt wurden. *
So viel der Boden des Hyppodroms von den Herrlich-
keiten erzählen könnte, die er einstens getragen und allmählig
verschwinden fah, und dadurch unser Bedauern erregen, daß
jene Zeit fo spurlos verschwunden, so viel Entsetzliches könnte
er uns auch mittheilen von den Metzeleien, die hier geschehen,
und dem vergoffenen Blute, das er stromweise trinken mußte,
und wenn wir eben den Untergang jener Zeiten bedauerten,
fo können wir uns in diesem Sinne nur darüber freuen, daß
fie sich verändert haben. Die meisten großen Revolutionen
und Empörungen brachen auf dem Rennplatze aus. Hier
wurde Gratianus Augustus durch bestellte Meuchler ermor-
det; hier dämpfte Kaiser Justinian die berühmteste aller
Empörungen, als Hipatius, von einer andern Partei zum
Kaiser ausgerufen, sich schon in den Besitz des Haupteingangs
zum Hippodrom gesetzt hatte, wo die Rennspiele eben beginnen
sollten und er sich dort wollte zum Kaiser ausrufen laffen,
drang Belisar von der andern Seite mit den Leibwachen auf
den Platz und Justinian hatte Geistesgegenwart genug, im
Augenblicke der größten Gefahr den Anfang der Rennspiele
zu befehlen, die nun, von dem Brande der halben Stadt
beleuchtet, begannen.
Schon seit den ältesten Zeiten feierten heimkehrende
Feldherrn auf dem Hippodrom ihren Triumphzug; so Belisar,
als er die Vandalen besiegt. Neben der großen Rolle, die
dieser Platz von jeher im äußern-Leben der Byzantiner spielte,
legte ihm und den Statuen, die auf demselben standen, auch
noch der Aberglaube des Volks und der Kaiser andere geistige
talismanische Kräfte bei, welche das Reich schirmen und be-
* Hammer, C. u. d. B. I.
152
wahren sollten, so daß der ganze Rennplatz gleichsam ein
geweihtes Symbol der Regierung und Herrschaft ward, ein
Aberglaube, der für die christliebenden Kaiser, wie sie sich
selbst in allen Aufschriften nennen, mehr als unschicklich war. Sie
Auch unter der Herrschaft der osmanischen Kaiser blieb
der At Meidan der erste Platz der Hauptstadt und die Bühne
für die Staatsaktionen und öffentlichen Spectakel. Der Bau
der Moschee Achmet I. auf demselben nahm ihm viel von
feiner Ausdehnung. Noch heute geht über den At Meidan
der große Zug, wenn sich am Beiramfeste der Sultan aus
dem Serail nach dieser Moschee begibt. Eben so versammeln
sich hier noch immer die Pilger aus allen Theilen des Landes
zu der großen Karavane nach Mekka. Auch die Geburt des
Propheten wird auf dem At Meidan und in der Moschee
Achmet I. in Gegenwart des Sultans und der Hof- und
Staatsbeamten feierlichst begangen. Unter dem letzten Sultan
Mahmud II. entfaltete hier der Großweffir die Fahne des
Propheten, was alle Rechtsgläubigen zum Schutz der Kirche
und des Sultans herbeiruft, und führte die zusammengelaufenen
Haufen nach der Kaserne der Janitscharen, wo dieselben be-
kanntlich bis auf den letzten Mann niedergemetzelt wurden.
Doch genug von diesem Platz; die Geschichte desselben
ist so mit Gräuelscenen geschwängert, daß er bei längerem
Verweilen in dem Herzen des Beschauers einen unangenehmen
Eindruck zurücklaffen muß.
Vom At Meidan betraten wir die Achmedi oder Moschee
Sultan Achmed I., von der ich schon oben sprach, um ihre
prächtige Einrichtung zu sehen. Sie ist zwar nicht die größte
und äußerlich schönste, denn die Aja Sophia, so wie die
Sulimanje übertreffen sie an Pracht und Ausdehnung; da-
gegen hat sie sechs Minarets, mithin zwei mehr als jene
beiden, und selbst als die heilige Moschee zu Mekka. Sie
* Hammer, C. u. d. B.
- -
153
ist auf einer großen Terraffe gebaut und besteht aus zwei
Vierecken, wovon eines die Moschee selbst, das andere den
Vorhof bildet. Die innere Einrichtung übertrifft an Pracht
und Schönheit der Geschirre alle Beschreibung. Die Kuppel
des großen Domes wird von vier Säulen getragen, die, ob-
gleich die Kirche fehr hoch ist, ganz unverhältnißmäßig dick
find. Jede hat sechsunddreißig Ellen im Umfang. Sie
durchbrechen die Kuppel und ragen von außen als Thürme empor.
Im Innern der Kirche läuft zu beiden Seiten eine
doppelte Galerie hin; unten sind die Bänke der Koranleser,
oben die Gewölbe zur Aufbewahrung der Kostbarkeiten, die
nach und nach in die Kirche gestiftet worden. Die Kebbel-
linie wird durch zwei Wachskerzen von so ungeheurer Dicke
und Größe bezeichnet, daß wir sie anfangs für Marmor-
fäulen hielten, und erst beim Nähertreten mit Erstaunen unsern
Irrthum erkannten.
Ein Meisterstück von Bildhauerarbeit ist die Kanzel für
den Feiertagsprediger, nach dem Modell der zu Mekka aus-
geführt. Schon der Stifter dieser Moschee, Achmet I., be-
schenkte sie mit großen Reichthümern und einem Beispiel
folgten Anstandshalber alle Großen des Reichs, deren präch-
tige Gaben man noch sieht: goldene Lampen mit Edelsteinen
besetzt, goldene, mit Perlen besetzte Pulte, worauf schön ge-
schriebene Exemplare des Korans liegen c. Die Anfertigung
dieser Manuscripte beschäftigt noch jetzt eine große Anzahl
von Derwischen, da der Koran nicht gedruckt werden darf,
weil es dem Muselmann unschicklich erscheint, daß die heiligen-
Worte den Druck der Presse aushalten sollen.
Wir bestiegen unsere Pferde wieder und ritten durch
einen großen Theil der Stadt nach dem westlichsten Ende
derselben, wo am Meer von Marmora das Schloß der fieben
Thürme liegt. Vom Großadmiral Apokaukos, der es in
der Absicht anlegte, um einen Nebenbuhler darin einzusperren,
154
aber selbst in die Falle ging und hier ermordet wurde, hieß
das Schloß früher der Thurm des Apokaukos. Schon von
Weitem erregen die dicken, mit Epheu bewachsenen Thürme
und die unheimliche Stille, die um das ungeheure Gemäuer
herrscht, den Gedanken, daß hier kein Aufenthalt für glückliche
Menschen sein kann, und man ahnt, auch ohne es zu wissen,
wozu diese mächtigen Quader aufeinander gethürmt wurden.
Vor dem Eingang ist ein kleiner Platz mit jungen
Bäumen bewachsen, unter denen ein paar alte Türken, zwei
Kiaja's, Unteraufseher des Schloffes, sich mit ihren langen
Pfeifen unterhielten und der Ruhe pflegten. Auf mehrmalige
Anfrage erhielten wir von ihnen den Bescheid, sie haben
keine Erlaubniß uns einzulaffen, und es bedurfte langer
Reden von Seiten des Herrn von C., ehe sie sich nach
Spendung einiger Piaster entschloffen, ihrem Chef, einem
alten pensionierten Bim-Baschi, unser Anliegen vorzutragen.
Nach einer Viertelstunde kehrten sie in Begleitung des alten
Herrn zurück, der unfern Freund persönlich kannte, und nun
weiter keine Schwierigkeit machte, uns den Eintritt zu gestatten.
Den Eingang in's Schloß bildet ein großer Thorweg, der
unter einem dicken viereckigen Thurm durchführt, mit einem schweren
eisernen Thor verschloffen wird, und außerdem noch durch starke
Fallgitter geschützt ist. Dieser Eingangsthurm gehört jedoch
nicht zu den fieben großen, von welchen das Schloß seinen
Namen hat. Das ganze bildet ein unregelmäßiges Fünfeck
mit fünf Thürmen, und hat an der Hauptseite, die nach
dem Stadtgraben zuliegt, noch zwei weitere große viereckige
Thürme, zwischen denen aber im äußern Walle das sogenannte
goldene Thor liegt, das in früheren Zeiten sehr berühmt
war. Die Griechen nannten es das schöne oder liebens-
würdige Thor und durch dasselbe zogen die Kaiser im Triumph
in die Stadt. Doch wurde es schon um das Jahr 900 ver-
mauert aus Furcht, die Lateiner könnten durch dasselbe in
155
die Stadt brechen, und wurde feitdem nicht wieder geöffnet.
Die beiden Thürme, die es rechts und links einfaffen, sind
aufs Sorgfältigste gebaut und bestehen aus Ouadern, die
ohne Mörtel so schön zusammengefügt sind, daß man fast
keine Fugen sieht. In der Mauer, welche sie verbindet,
war der Triumphbogen Constantins, der zum goldenen Thore
führte. Im südlichsten dieser beiden Thürme ist das berüchtigte
Gefängniß, der sogenannte Blutbrunnen. Wir betraten es
mit seltsamen Gefühlen und betrachteten auf einem Boden
ein rundgemauertes Loch, das der Mündung eines Brunnens
gleicht und in die Tiefe führt. Hier wurden die Köpfe der
Hingerichteten hinabgeworfen. Doch hat die zerstörende Zeit
das Schauerliche dieses Ortes sehr gemildert, die vielen Köpfe,
die da unten liegen, find längst in Staub zerfallen und ver-
derben nicht mehr wie in alten Zeiten die Luft im Thurme.
Auch sind die Balken, die die einzelnen Stockwerke bildeten,
zusammengestürzt und laffen das Tageslicht von oben in diese
fchauerliche Gruft fallen, und wenn den Unglücklichen, die
hier starben, auch keine liebende Hand ein Denkmal setzte, so
haben es die Vögel gethan, indem sie Samenkörner in den Thurm
fallen ließen, aus denen bunte Blumen entstanden, die den
Blutbrunnen und die Wände des Gefängniffes freundlich bedecken.
Der größte der sieben Thürme ist der links vom Thor,
durch das wir hereingekommen. Er ist rund und besteht aus
zwei Theilen, von denen der untere an siebzig Schuh, der
obere einhundertundzwanzig Schuh hoch ist. Er heißt der
Thurm der Janitscharen. Wir bestiegen ihn auf einer halb-
zertrümmerten steinernen Treppe und hatten nördlich eine
schöne Aussicht auf die Stadt und südlich auf die mit Cypreffen
bewachsenen Begräbnißstätten, auf die schönen Inseln der
Propantis und die gegenüber liegenden asiatischen Ufer. Der
Hof des ganzen Gebäudes befindet sich in der traurigsten
Verfaffung. Die mit kleinen Kiefeln bepflasterten Wege,
156
die rechts und links durchführen, sind das Einzige, was noch
ziemlich erhalten ist. Das Ganze gleicht einem verwüsteten
Garten, überall wächst Gras und Unkraut fußhoch und ver-
worren durch einander. Einige Platanen und verkrüppelte
Feigenbäume umgeben eine kleine Moschee, die links am Wege
steht. Neben ihr ist ein Brunnen, dessen herrliches Waffer
wir versuchten. In den andern Theilen des Hofes zeigen
Steinhaufen, so wie auf einander gethürmte verbrannte Balken
die Stellen an, wo sich vormals die Gefangenen ihre arm-
feligen Hütten erbaut hatten. Am Eingange links ist das
ziemlich erhaltene Haus des Aufsehers mit einem kleinen
Gärtchen von Stacketen eingefaßt, wo sich nach Hammer die
Gräbstätten der Märtyrer befinden, d. h. der Moslimen, die
in dem Angriff der sieben Thürme die Heiligkeit des Krieges
hier mit ihrem Blute bezeugten. Wenn die Leiber dieser ge-
fallenen Kämpfer mit der ungeheuren Größe ihrer Gräber im
Verhältniß fanden, so müffen es wahre Riesen gewesen seyn.
Aus diesem Hofe steigt man auf schmalen, an den Mauern
hängenden Treppen, die meist halb zerfallen und mit Unkraut
bewachsen sind, auf die Wälle. Hier liegen Kanonen von allen
möglichen Kalibern, jedoch find die meisten unbrauchbar. Einige
haben Zündlöcher von einem halben Zoll Durchmeffer. Jetzt
werden diese Geschütze nur noch zu Freudenschüffen während
des Bairamfestes benutzt, doch war über den meisten Gras
und Unkraut zusammengewachsen, und hatten ihnen so ein Nest
gebildet, worin sie wohl für ewig unbenützt schlafen werden.
Seit den ältesten Zeiten diente das Schloß der sieben
Thürme mehr zum Staatsgefängniß, oder wohl auch zur
Citadelle, um die Stadt in Respect zu halten, als zur Ver-
theidigung nach Außen. Bei ausbrechenden Kriegen mit den
europäischen Mächten wurden bekanntlich deren Gesandten
unter dem Vorwande, die vor der Wuth des Pöbels zu
schützen, hier eingesperrt. Das Haus, das sie bewohnten,
157
war, wie uns der Aufseher versicherte, an den Thurm der
Janitscharen gebaut; vom Gebäude selbst sahen wir keine
Spur mehr. Nur bezeugten viele französische und auch deutsche
Inschriften, von denen jedoch die meisten durch Zeit und
Wetter unleserlich geworden waren, daß manche Europäer
traurige Stunden hier verseufzt. Eine lautete: -
Prisonniers qui dans le misère
Gémissez dans ce triste lieu,
Offrez le de bon coeur à dieu
Et vous le trouverez legères.
1608,
Etwas weiter unter stand:
Anton Esterhazy bewohnte diesen traurigen Ort 1698–1699.
J. von Hammer spricht von einer ähnlichen Inschrift
auf dem Steine eines der Quaderthürme, die wir jedoch
nicht mehr fanden und welche lautete:
A la mémoire des Français morts dans les fers des Othomans.
1801.
Der Aufseher des Schloffes schenkte jedem von uns
eine reife Feige, die im Hofe gewachsen und brachte uns eine
Hand voll Blumen von denen, die den Blutbrunnen umfan-
den, wogegen wir ihn mit einigen Piastern erfreuten. Beim
Ausgang zeigte er uns vor dem viereckigten Thurm den
Platz, wo der unglückliche Sultan Osman in einer Empörung
von den Janitscharen hingerichtet wurde, fo wie links unter
dem Thorweg ein kleines Gemach, das mit alten Waffen
und Ketten angefüllt war.
Wir bestiegen unsere Pferde wieder, die sich indessen
draußen am parlichen Grafe, das unter den Bäumen wuchs,
gelabt hatten, und ritten eine Zeitlang an der Stadtmauer
hin bis zu Top Kapusi oder dem Kanonenthor, früher das
158
Thor des heiligen Romanus, durch welches wir ins Freie
kamen. Dieses Thor ist von allen das merkwürdigste; hier
fiel der letzte der Paläologen im Kampf mit den eindringen-
den Türken. Die ersten jedoch, welche die Stadt erstürmten,
ihrer etwa fünfzig, drangen etwas mehr nördlich beim höl-
zernen Thor, man zeigte uns noch die Bresche, in die Stadt,
überfielen den Kaiser und Giustiniani, den Feldherrn der
Genueser, welche Beide von jenem Einbruch noch nichts
wußten, und so von vorn und hinten zugleich angefallen,
hauchte der letzte Constantin sein Leben an den Mauern
aus, die der erste gebaut. Die Türken, welche gern
Alles in's Ueberirdische hinüber spielen, haben eine
Sage, nach welcher ihnen Allah und der Prophet beim
Sturme auf Constantinopel dadurch geholfen, daß er an dieser
Stelle die Geschütze der Griechen in Stein verwandelt habe.
Wirklich zeigte man uns einige steinerne Röhren, an denen
eine lebhafte Phantasie einige Aehnlichkeit mit Geschützen
finden konnte.
Vor dem Kanonenthor befindet sich ein großer Gottes-
acker, wo in früheren Jahren hauptsächlich die Janitscharen
begraben wurden. Auf den Gräbern sieht man eine große
Menge aufrecht stehender schmaler Steine, neben denen der
Kopf mit dem Turban, der dieselben früher schmückte, abge-
hauen an der Erde liegt. Sultan Mahmud ließ, nachdem
er die Janitscharen vertilgt, auch an den früher Gestorbenen
feine Rache aus, indem er ihnen zum Schimpf den gemeißelten
Kopf auf den Steinen herunterschlagen ließ. -
Ueber diesen Kirchhof führte unser Weg links auf das
Feld, wo auf einer Anhöhe zwischen Bäumen die alte
griechische Kirche zu St. Stephan liegt. Einer Tradition
verdankt diese Kirche von gewöhnlicher Bauart und kleinem
Umfang den Besuch von vielen Fremden. Als nämlich die
Türken unter Mahomed II. die Stadt stürmten, drang ein
159
Haufe auch in dieses Kloster, um Alles niederzumachen.
Ein frommer Priester, der im Hofe bei einem Brunnen stand,
briet gerade auf einem Rost Fische, die, als der Lärm ent-
stand, auf der einen Seite schon gahr und braun waren.
Der Priester rettete sich ins Heiligthum, die Fische aber
wurden von den eindringenden Türken in den Brunnen ge-
worfen, wo fie, halb gebraten, wie sie waren, wieder lebendig
wurden, lustig umherschwammen, und noch heute am Leben find.
Die griechischen Priester im Kloster empfingen uns sehr
artig und führten uns in ihrer kleinen Kirche herum. Im
Vorhof wurde jedem von uns eine brennende Wachskerze in
die Hand gegeben, ebenso dem Kawaschen des Herrn v. C.,
einem Türken; doch schien diesem das dünne Kerzchen nicht
anständig genug, und er kaufte sich noch zwei dicke dazu,
die er ebenfalls ansteckte, worauf er seine Schuhe auszog und
uns gegen die Gewohnheit der Türken überall ehrfurchtsvoll
hinbegleitete. Die Andacht des Muselmanns hatte einen sehr
natürlichen Grund: er liebte eine Griechin, und was thut
die Liebe nicht!
Nachdem wir die Kirche besehen, die nicht viel Merk-
würdiges enthielt, gingen wir in den Hof zurück und stiegen
auf zehn Marmorstufen zu einem Brunnen hinab, in welchem
die gebackenen Fische herumschwimmen sollten. Wirklich sahen
wir auch eines dieser Thiere von der Größe und Gestalt
einer starken Forelle, das auf der einen Seite weiß, auf der
andern dunkelbraun war und sonderbar aussah. Der Priester
erzählte uns noch, es feyen dieser Fische fieben in den
Brunnen geworfen worden, von denen zwei verschwunden,
die andern fünf aber noch da seien. Allein wir sollen nicht
glauben, daß ihre Religion ihnen gebiete, dies als Wunder
zu verehren; es fey nur eine alte Ueberlieferung; übrigens
könne er aus eigener Erfahrung versichern, daß die fünf
160
Fische in den fünfzig Jahren, seit er hier fey, fich weder
vermehrt noch vermindert haben.
Das Kloster ist mit alten dicken Nußbäumen umgeben,
unter denen, wie fast überall an solchen Orten, ein Kaffeetschi
fein Zelt aufgeschlagen hatte, wo wir einen guten Kaffee
genoffen. Dann bestiegen wir unsere Pferde wieder und
ritten fast eine Stunde den Stadtmauern entlang durch das
Quartier der Töpfer nach Ejub. Zuerst führte unser Weg
nach der von Mahomed, dem großen Eroberer, gebauten
Moschee, die, malerisch zwischen hohen Bäumen versteckt,
für so heilig gehalten wird, daß es keinem Ungläubigen erlaubt
ist, auch nur ihre Vorhallen zu betreten.
Ejub, der Fahnenträger des Propheten, soll hier im
Kampf mit den Arabern gefallen feyn, und ihm zur Ver-
ehrung baute Mahomed nach feiner Thronbesteigung diese
Moschee als Grabmal, und verlegte eine der ersten Cere-
monien der Krönung dahin, der jedesmalige Sultan em-
pfängt hier durch Umgürtung des Schwertes des Prophe-
ten die heilige Weihe. Eine Reliquie, die sich in
dieser Moschee befindet, ist ein Fußtapfe des Propheten.
Als dieser nämlich in Mekka beim Bau der heiligen
Kaaba eifrigst mithalf, drückte sich einer feiner Füße in
den Stein, worauf er stand. Dieser Stein wurde nach
Aegypten in die Schatzkammer gebracht, und kam so
später in den Besitz der osmanischen Sultane, wo ihn dann
Sultan Mahmud in silberner Einfaffung in die Moschee
zu Ejub einmauern ließ.
Von dieser Moschee, die übrigens sehr einfach feyn
soll, ließ uns der Fanatismus der Türken auch nicht das
Geringste fehen; denn kaum hatten wir uns einem der
Thore genähert, um wenigstens einen Blick in den Vorhof
zu werfen, so kam gleich einer der Derwische auf uns zu,
161
und hieß uns mit ziemlich heftigen Geberden und Worten
unseres Weges gehen.
Von schönen Gebäuden in Ejub ist noch ein Palast
der Sultanin Valida zu bemerken, der am Hafen liegt, so
wie viele kleine Grabcapellen von heiligen und berühmten
Männern. Auch ist diese Vorstadt durch die Vorzüglichkeit
ihrer Barbiere, so wie durch die Bereitung einer sehr gut
schmeckenden Art von Milch, Kaimak genannt, berühmt.
Etwas hinter der Stadt, am Ende des goldenen Horns ist
die Mündung der beiden Flüffe Barbyfes und Cydaris, an
denen weiter aufwärts die herrlichen wafferreichen Thäler und
Spaziergänge liegen, die bei den Türken zum Gegensatz von
den an dem andern Ufer des Bosporus befindlichen Spazier-
gängen die europäischen himmlischen Waffer heißen, und wo
sich an gewissen Tagen die Weiber des Sultans, natürlich
durch ausgestellte Wachen vor jedem neugierigen Blicke ge-
fchützt, mit Spiel, Gesang und Tanz erfreuen.
Ein anderer berühmter Spaziergang, der nach Edris
Köfchk, führt ebenfalls gleich hinter Ejub ziemlich steil den
Berg hinan, über Begräbnißstätten, welche dicht mit schönen
Cypreffen bewachsen sind, zu einer verfallenen Moschee des
Scheikh Edris, von dem der Spaziergang einen Namen hat.
Auf dieser Höhe ruhten wir auf einem Grabstein sitzend,
einen Augenblick aus und genoffen die prächtige Aussicht,
die sich bei den goldenen Strahlen der untergehenden Sonne
unsern Blick darbot. Vor uns lag das goldene Horn in
feiner ganzen Fülle und Ausdehnung, rechts Constantinopel,
links Pera, Galata, Top Chana und den Hintergrund dieses
prächtigen Rundgemäldes bildeten der Leanderthnrm und Scutari.
Nachdem wir wieder zum Hafen hinabgestiegen waren,
ließen wir unsere ermüdeten Pferde mit ihren Führern nach
Hause gehen und nahmen ein Kaik, das uns in kurzer Zeit
nach Pera brachte.
Hackländer, R, in d., O, I. 11
162
Am folgenden Morgen nahmen wir unsern Weg wieder
nach Stambul, um eine ähnliche Tour wie die gestrige zu
beginnen. Doch war unsere Caravane heute ganz anders
zusammengesetzt. Der Lord L., der sich mit feiner Gemahlin
zu gleicher Zeit mit uns in Pera befand, hatte sich einen
Ferman, d. h. eine Einlaßkarte zum Besuch der Aja Sophia
und der andern Moscheen verschafft. Ein solcher Ferman kostet
tausend Piaster, aber der Besuch der Kirche ist dafür Allen
gestattet, die sich dem Inhaber desselben anschließen wollen
oder können. Da auf solche Gelegenheiten, die nicht häufig
vorkommen, viele Reisende und einheimische Franken warten,
die nicht gesonnen sind, hundert Gulden auszugeben, fo
gestattete von jeher der Besitzer des Fermans jedem ordentlich
gekleideten Landsmann im weiteren Sinne des Worts
den Eintritt, so daß oft mit einem einzigen Ferman einige
hundert den Tempel besahen. Dies erlaubten noch vor
Kurzem der Herzog Paul von Württemberg und Prinz
August von Preußen, welche letztere sogar einen großen Haufen
Babuschen, türkischer Pantoffeln, die man, um nicht die
Stiefeln ablegen zu müffen, über dieselben anzieht, aufkaufen
und ohne Ansehen der Person unter die Eintretenden ver-
theilen ließ. -
Nicht so machte es the right honourable Lord L., wie
auf allen seinen Koffern und Kisten stand, denn obgleich
der Baron ihn schon von London her kannte und wir, feine
drei Begleiter, auf unserer gemeinschaftlichen Donaureise oft
mit ihm gesprochen hatten, trieb er seine englische Eigenheit
doch so weit, daß er von uns Dreien nur Zweien eine Karte
geben wollte. An alle die nämlich, denen er die Erlaubniß
ertheilte, mitzugehen, ließ er, oder vielmehr die Lady,
Karten ausheilen, und wer beim Eingang der Aja Sophia
und anderer Kirchen, die wir bejahen, keine Karte aufzu-
weisen hatte, den sollten nach seiner Absicht die Kawaschen
163
zurückweisen. Diese Türken waren aber freundlicher als
Seine Herrlichkeit und ließen trotz dem Verbot, wie gewöhn-
lich, ganze Haufen Neugieriger in die Kirche.
Unser erster Gang war natürlich zur Aja Sophia,
diesem prächtigen herrlichen Tempel.
Im Jahr 325 baute auf dieser Stelle Constantin den
ersten Tempel der göttlichen Weisheit, den aber schon ein
Sohn Constantins, dreizehn Jahre später, erweiterte. Nach
dem im Jahr 404 die Kirche zum ersten Mal abgebrannt
war und die Theodosius 415 zum zweiten Mal aufgebaut
hatte, brannte sie unter Justinian 532 im berühmten Auf-
ruhr der Rennpartheie zum zweiten Mal ab, worauf sie
dieser prachtliebende Kaiser in ihrer jetzigen Größe und herr-
licher als je aufführen ließ. Am merkwürdigsten ist die Kuppel
des Doms, die aus leichten zu Rhodus verfertigten Ziegeln
gebaut wurde, deren jedem man die Inschrift einprägte:
„Gott hat sie gegründet und sie wird nicht erschüttert werden;
Gott wird ihr beistehen im Morgenroth.“ Schon zu oft und
forgfältig ist die Aja Sophia von ältern und neuern Reifen-
den beschrieben worden, als daß auch ich eine ausführliche
Beschreibung über diese Moschee liefern sollte.
Die Herbeischaffung und Vorbereitung der Baustoffe
dauerte sieben und ein halbes, der Bau selbst acht und ein
halbes Jahr, wornach das Ganze in sechszehn Jahren
vollendet wurde. Die Baumeister, welche dieses Werk leiteten,
waren Anthenius von Tralles und Isidorus von Milet.
Unter diesen waren hundert Baumeister beschäftigt, von denen
jeder wieder hundert Maurer unter sich hatte. Nach dem
Plane eines Engels, der dem Kaiser im Traum erschienen
war, arbeiteten von diesen fünf tausend auf der rechten, und
fünftausend auf der linken Seite. Alle Tempel der ältern
Religionen trugen zu dem Bau dieses Tempels der göttlichen
Weisheit bei, denn er stützt sich auf die Säulen der Isis
- 11
164
und des Osiris, der Sonnen- und Mondtempel von Heliopolis
und Ephesus, auf die der Pallas von Athen, des Phoibos
von Delos und auf die der alten Cybele von Cyzikus. *
Nachdem die Mauern erst zwei Ellen über den Grnnd
erhoben waren, hatte man schon zweihundertundfunfzig Centner
Goldes ausgegeben und der Kaiser, dem es an Geld zur
Fortsetzung gebrach, wurde der Sage nach durch einen Engel
aus der Verlegenheit geriffen, der eines Nachts viele Arbeiter
mit Saumthieren in ein unterirdisches Gewölbe führte, wo
er sie mit großen Schätzen belud. Fast bei allen größern
Bauwerken der ältern Zeit haben bekanntlich gute und böse
Geister die Hand im Spiele gehabt; doch bei keinem zeigte
sich das Geisterreich so thätig, wie hier beim Bau der Aja
Sophia. Den Plan des ganzen Gebäudes gab der Sage
nach ein Engel an, der dem Kaiser erschien, so wie später
den Namen Aja Sophia. Und als einst der Kaiser und die
Baumeister verschiedener Meinung waren, ob das Licht über
dem Altar durch ein oder zwei Fenster einfallen sollte, erschien
der Engel abermals und entschied für drei Fenster, zur Ehre
des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Der
Altartisch, zu dessen Anfertigung Gold nicht kostbar genug
schien, bestand aus einer Maffe, die man aus Gold, Silber,
zerstoßenen Perlen und Edelsteinen zusammengeschmolzen hatte,
und wurde mit den köstlichsten Steinen ausgelegt. Auf dem-
felben stand ein goldenes Kreuz, fünfundsiebzig Pfund schwer,
ebenfalls mit Steinen geschmückt. Ueberhaupt war die ganze
innere Einrichtung, so wie die Geräthe, von so übertriebener
VPracht, daß man die Beschreibung derselben für Mährchen
halten könnte, wenn sie nicht geschichtlich von den glaub-
würdigsten Männern documentiert wäre. So war die Kanzel
von einem goldenen Himmelsdach bedeckt, auf dem ein goldenes
Kreuz stand, hundert Pfund schwer und dicht mit Rubinen
* Hammer, Gesch. C. u. d. B. B. I.
165
und Perlen besetzt. – Ein anderes und zwar silbernes
vergoldetes Kreuz stand in dem Behältniß der heiligen Ge-
schirre im Grunde der Sakristei. Dieses Kreuz, das genau
- das aus Jerusalem gebrachte Größenmaß des heiligen Kreuzes
hatte, heilte Kranke und trieb Teufel aus. Die für die zwölf
großen Feste des Jahrs bestimmten heiligen Gefäße, als
Kelche, Patenen, Schüffeln, Kannen u. f. w. waren aus
dem reinsten Golde, und der mit Perlen und Edelsteinen
durchwirkten Kelchtücher waren allein zweiundvierzigtausend.
Vierundzwanzig große Evangelienbücher, deren jedes durch
feine Goldbeschläge zwei Centner wog, traubenförmige Leuchter
für den Hochaltar, das Lesepult, die obere Frauengalerie
und die Vorhalle waren sechstausend aus dem reinsten Golde.
Außerdem noch besonders zwei goldene Trageleuchter mit Sculp-
turen verziert, jeder hundertundeilf Pfund im Gewicht und sieben
goldene Kreuze, jedes einen Centner schwer. Die Thüren
waren theils Elfenbein, theils Bernstein, theils Cedernholz;
das Hauptthor silbern und vergoldet und drei derselben von
innen sogar mit den Brettern der Arche Noah's ausgetäfelt.
Die Einfaffung des heiligen Brunnens in der Tiefe war die
des berühmten Samaritanischen Brunnens und die vier Trom-
peten, welche über demselben von Engeln geblasen wurden,
waren dieselben, von deren Schall die Mauern von Jericho
zusammengestürzt waren. *
Von dem Platze des neuen Serails her betraten wir
den Vorhof dieser Moschee, der, wie alle größeren, mit einem
Säulengange umgeben ist und den kleine Kuppeln bedecken.
In der Mitte steht eine Fontäne. Man tritt durch eins der
Hauptthore in einen langen Gang, der ohne alle architectonische
Verzierung ist, den sogenannten Gang der Büßenden. Hier
mußten sich alle aufhalten, die ihrer Sünden halber aus dem
Schooße der Kirche gestoßen waren. Am Ende dieses Ganges
* Hammer, Gesch. C. u. d. B. B. I. -
166
befindet sich eine Stiege ohne Stufen, auf der man bequem
hinaufreiten könnte; über sie kommt man auf die große
Galerie, die das Innere umgibt, und von wo man den
majestätischen Tempel ganz übersieht. Von der früher be-
schriebenen Pracht und Herrlichkeit ist indessen nichts mehr
vorhanden. Die Wände sind schmucklos, meistens geweißt
und der Boden mit Teppichen belegt, welche das zum Theil
noch vorhandene Marmorpflaster bedecken. An Schnüren
hängen unzählige kleine Gebetlampen von der Wölbung
herunter, und wo sich früher der prächtige Altar befand, be-
zeichnen jetzt zwei coloffale Wachskerzen die Richtung nach
Mekka. Das Auge irrt mit Staunen durch die ungeheuern
Räume und bewundert vor Allem die kühne Wölbung der
Kuppel. Sie ist so flach, daß die Höhe derselben nur das
Sechstel des Durchmessers von hundertundfünfzehn Fuß be-
trägt. Nach Hammer steht die Länge der Sophienkirche in
der Mitte zwischen dem Tempel des olympischen Jupiters
(zweihundertundfünfzig Fuß) und der Kirche von St. Denys
(zweihundertundfünfundsiebenzig Fuß). -
Als wir die Kirche verlaffen, erzählte uns Herr von C.
noch Einiges von der Art, wie Justinian damals die Grund-
stücke, die er zur Vergrößerung der Kirche brauchte, an sich
gebracht habe. Der größte Theil des Platzes gehörte der
Sage nach einem Eunuchen und einem Schuster, von denen
ersterer sein Grundstück willig hergab, der andere begehrte
dagegen einen unmäßigen Preis und obendrein noch, daß bei
den Wettrennen ihn bei seinem Erscheinen die vier Renn-
partheien mit lautem Zuruf begrüßen sollten, eine Ehrenbe-
zeugung, die nur dem Kaiser zukam. Doch bewilligte ihm
Justinian des Spaßes halber feine unsinnige Forderung und
der Schuster wurde bei einem Erscheinen jedesmal wie der
Kaiser begrüßt, nur mit dem Unterschied, daß ihm die Maffe
des versammelten Volkes höhnende Worte zurief.
167
Von der Aja Sophia gingen wir zur Suleimanje. Diese
ist nach jener unstreitig die schönste, und da fiel auf einem
freien Platz liegt, gewährt sie mit ihren schlanken, sehr schönen
Minarets einen noch großartigeren und prächtigeren Anblick,
als selbst der Tempel der göttlichen Weisheit. Die Moschee
hat dieselben allgemeinen Verhältniffe, wie fast alle übrigen:
ein Vorhof, ein Dom und Galerien, die um denselben
herumlaufen. In ihrer jetzigen Gestalt ist die Suleimanje
unter allen Moscheen die schönste und glänzendste, und wenn
fich auch bei allen andern, Schulen, Spitäler und der-
gleichen befinden, so hat doch keine so viel mildthätige An-
falten und Stiftungen um sich versammelt, wie die Moschee
Suleiman des Großen. Um sie her liegen Schulen, Acade-
mien, ein Spital, eine Armenküche, eine Herberge für arme
Reisende, eine Bibliothek, eine Brunnenanstalt, ein Ver-
forgungshaus für Fremde, die Mausoleen Suleiman des
Großen, mehrerer seiner Prinzen und feiner Favorite, der
bekannten Roxelane. Wir besuchten diese Grabmäler, kleine
mit einer Kuppel versehene Capellen, aus kostbarem Marmor
erbaut und mit Inschriften aus dem Koran versehen. Die
Gräber selbst sind große Sarkophage, deren gegen Mekka
gerichtete Kopfenden erhöht und mit einem prächtig mit Edel-
steinen geschmückten Turban verziert sind. Im Grabmal
Suleimans steht ein kleines hölzernes Modell der Stadt
Mekka und der heiligen Kaaba.
Nachdem wir diese Moscheen besehen, trennten wir uns
von dem Lord L. und besahen im Fluge noch einige der merk-
würdigten Wafferleitungen und Cisternen. Von den ältesten
Zeiten her erbauten die byzantinischen Kaiser aus Mangel
an Quellen und Brunnen die großen Cisternen, die man noch
jetzt fieht. Fast alle muß man als riesenhafte prächtige
Bauten bewundern; doch erfüllen sie ihren Zweck nicht mehr,
indem die meisten leer und trocken find; nur in einer einzigen,
168
der cisterna Basilica, ist noch heute Waffer zu finden.
Der merkwürdigste von allen diesen Wafferbehältern ist der der
Bin bir direk, d. i. der tausend und einen Säule, den wir
vor allen besuchten. Er liegt nicht weit vom At Meidan
auf einem wüsten Platz. In der Mitte desselben erhebt sich
eine Art Kellerluke und hie und da sahen wir im Boden
Löcher, welche in ein Gewölbe hinabführten. Unter dem
Boden hörten wir ein eigenes Rauschen, das wir uns an-
fänglich nicht erklären konnten. Das Geräusch hatte viel
Aehnlichkeit mit dem Toten eines Wafferfalls, und doch sollte
kein Waffer unten feyn. Wir stiegen durch die Kellerluke
auf einer schmalen steinernen Treppe in die prächtige
Cisterne hinab. Sie besteht aus drei Stockwerken, indem die
Säulen, welche das Gewölbe tragen, je zu drei aufeinander
stehen. Es find ihrer, wenn auch nicht, wie der Name be-
jagt, tausend und eine, doch fechshundertzweiundsiebzig, von
denen die obersten vierundzwanzig Fuß Länge haben; die
mittlern dagegen ragen aus dem Schutt und Schmutz, der
den Boden bedeckt, nur sieben Fuß hervor, und von den
untersten ist gar nichts mehr zu sehen. Jetzt dient die Cisterne
einem Armenier zur Werkstatt, welcher hier Seide haspeln läßt,
wodurch jenes Geräusch entstand, von dem ich oben sprach.
Neben diesen Cisternen besahen wir auch noch oberfläch-
lich die beiden großen Wafferleitungen, die unter dem Namen
der des Justinian und der des Valens bekannt sind. Doch
werde ich später darauf zurückkommen. Durch dieses Hin-
und Herziehen in den langen hügeligen Straßen der Stadt
war es indessen Nachmittags geworden und da wir auf morgen
eine Tour nach Bujukdere verabredet hatten, verließen wir
Stambul zeitiger als gewöhnlich und stiegen zum Hafen
hinab, um zur morgigen Fahrt ein größeres Kaik mit drei
Ruderern zu miethen.
169
Fahrt nach Bujukdere. Die alten und neuen
Wafferleitungen.
Das Kaik, das Herr v. C. für uns in Beschlag genommen
hatte, um durch die herrliche Wafferstraße, den Bosporus,
nach Bujukdere zu fahren, unterschied sich von den gewöhn-
lichen Booten, womit man den Hafen durchkreuzt, nur durch
seine Größe. Wir hatten vier Ruderer und einen Steuer-
mann, und außerdem noch einen kleinen Mast, mit Segelwerk
im Kaik, der ebenfalls aufgerichtet werden konnte. Wir
waren mit dem Herrn v. C. zu vier, da unser Maler sich
in Constantinopel beschäftigte, um einige Bauwerke aufzu-
nehmen. Vorn an der Spitze des Boots saß ein Janißair
in scharlachrothem goldgesticktem Costüme und hinten am
Steuerruder prangte eine kleine Flagge mit den preußischen
Farben. Bei Top-Chana fuhren wir ab und waren in kurzer
Zeit gegen Beschiktasch gekommen, dem Sommerpalaste des
Sultans, diesem seltsamen bunten Gebäude, das auf einen
Terraffen liegt, wie eine verkörperte schöne Phantasie. Es
ist freilich nur von Holz, aber eben dies gibt dem Gebäude
etwas Luftiges, Leichtes, ja Feenhaftes. Hohe Cypreffen
und weitätige Platanen umgeben es und blicken noch darüber
hinweg, und die Hügel, woran sich die Gebäude lehnen, find
zu Terraffen umgewandelt, die eine über die andere empor-
ragend. Auf allen befinden sich Gärten, mit den schönsten
Blumen besetzt, welche ein dichtes Laubdach von Platanen,
Orangen und Cypreffen vor der glühenden Sonne schützt.
Das Auge schweift begierig bis zur höchsten Spitze des
Berges, wo ein kleines glänzendes Kiosk, von riesenhaften
Platanen umgeben, einer Krone gleich, das Ganze schmückt.
Doch einsam sind diese Gärten; man sieht keine Menschen,
die sich über all' das Schöne freuten; nur hie und da wandelt
ein vermummtes Weib durch die Laubgänge, das mit seinen
170
weißen Schleiern unter den schwarzen Cypreffen eher einem
Gespenste gleicht, als einem Wesen, das die Fülle von Pracht
genöffe, die um es her ausgebreitet liegt. Gern senkt man
deshalb den Blick wieder hinab zu den Palästen selbst, die
an dem bewegten Hafen mit ihren dicht vergitterten Fenstern
wie schlafend und träumend liegen. Wo jetzt die Sommer-
paläste von Dolmabaghdsche und Beschiktasch, war früher
ein Palast Mahmud I., von dem der Historiograph Isi in
feiner poetischen Weise sagt: „Die leichten Schwingungen
des Friefes sind dem Schweben des Vogels der Freude ver-
gleichbar. Die Fenster der Erker öffnen und schließen sich
lächelnd, wie die Augen des Liebenden, und die hohen Bogen
umgränzen das Ganze, wie treue Freunde Hand in Hand
gehen.“
Zurückblickend hatten wir wieder das prächtige lebendige
Bild des Hafens mit seinen Schiffen von allen Größen, mit
den zahllosen Kaiks, diesen Fiakern Constantinopels und den
weißen Möwen, die sich auf der spiegelklaren Flut schaukeln
und sich den Menschen so zutraulich nähern, daß man fie
fast mit den Händen fangen könnte. Bald fuhren wir bei
dem zwischen der Serailspitze und Scutari in einiger Ent-
fernung vom Ufer liegenden Leanderthurm vorbei, der auf
einem einzelnen Felsen gebaut ist und als Leuchtthurm dient.
Er hat übrigens mit der Sage von Hero und Leander nichts
zu thun. Sein älterer türkischer Name ist Kis Kulleffi,
der Thurm des Mädchens. Da sowohl hier wie überall
jedes alte Mauerwerk seine Sage hat, so kann es nicht
fehlen, daß man auch von diesem Thurm, auf den sich jeder
Blick des Vorbeifahrenden richtet, mehrere Geschichten erzählt.
Ein griechischer Fürst, von dem Orakelspruch gewarnt,
feiner Tochter stehe durch Schlangen ein großes Unglück
bevor, sperrte das Mädchen in einen Thurm, welches sich
in seiner Einsamkeit um so unglücklicher fühlte, da sie einen
171
Geliebten hatte, von dem sie getrennt wurde. Dieser Ge-
liebte war der berühmte arabische Sid (Sid-al-Battal)
der Kampfheld. Er lebte dreihundert Jahre vor dem spa-
nischen Cid Alcampeador, dem übrigens die Araber den-
selben Ehrentitel wie ihrem eigenen zuerkannten. Der Sid
wußte trotz der scharfen Bewachung des Thurms sich mit
seiner Geliebten durch Taubenpost und Blumensprache zu
unterhalten, und fand endlich Gelegenheit, sich als Gärtner
gekleidet mit einem Blumenkorbe zu ihr zu schleichen. Doch
eine Natter, die sich unter den Blumen versteckt hatte, fchießt
an die Brust der Prinzessin, welche ohnmächtig dahin sinkt.
Der Sid fängt sie in feinen Armen auf, saugt das Gift
aus der Wunde und rettet sie so dem Vater, der fie, da
nun der Orakelspruch erfüllt ist, dem Helden zur Gemahlin gibt.
Diese Geschichte erzählte uns Herr v. C., während wir
aus dem Hafen in den Bosporus einfuhren und so auf den
klaren Wellen zwischen zwei Welttheilen dahin schwammen.
Jedes Oertchen, jeder Platz, ja fast jeder Stein, der aus
den Wellen ragt, hat seine eigene Geschichte.
Wegen der heftigen Strömung halten sich bald hinter
den Sommerpalästen des Sultans die Nachen an der euro-
päischen Küste, und dicht unter den Fenstern verschiedener
Landhäuser und kleiner Kiosks vorbeifahrend, betrachtet man
mit Vergnügen die Einrichtung dieser Sommerhäuser, deren
Fundamente von den klaren Wellen bespült sind. Die Fenster
find mit Rohrstäben vergittert, durch welche von Außen kein
Blick dringen kann, doch bin ich überzeugt, daß die türkischen
Damen die vorüberfahrenden Franken oft genug betrachten.
Kein Geräusch, keine Bewegung verräth, daß diese Gebäude
bewohnt sind. Nur zuweilen, wenn man in der Nacht beim
Mondschein vorbeifährt, zittert der leise Klang einer Zither
über die Wellen, zu welcher mit leiser Stimme eins jener
172
orientalischen Lieder, die fast immer eine melancholische Melodie
haben, gesungen wird.
Vor und neben diesen Gebäuden find Gärten, mit
Lorbeer-, Orangen- und Granatbäumen, deren Zweige nicht
selten über das Waffer hängen, so daß man oft lange Zeit
unter duftenden Lauben dahinfährt. Der Weinstock, der hier
zu mächtigen Stämmen aufschießt, bildet oft lange Strecken
am Ufer die schönsten Laubgänge. Er rankt an mächtigen
Bäumen empor, verbindet die Zweige von mehreren, ein
loses Netz bildend, über das sich Caprifolium und blühende
Schlingstauden werfen. Da beide Ufer des Bosporus mit
unzähligen Landhäusern und kleinen Orten bedeckt sind,
zwischen denen sich hie und da kleine Bäche einmünden und
alte riesige Bauten aufsteigen, welche sich an seltsam geformte
Berge anlehnen, so find die Aussichten, die man während
dem Fahren in steter Abwechslung genießt, unbeschreiblich
schön und gewähren dem Auge durch den Anblick und dem
Herzen bei dem Andenken an all' das Große, was hier ge-
schah, einen hohen Genuß.
Unsere Kaikschi hatten, da der Wind günstig wehte,
ihren Mast aufgesetzt und ein großes lateinisches Segel ent-
faltet, mit welchem wir ungemein rasch dahin flogen. Jetzt
durchschnitten wir die Flut und hielten uns mehr nach dem
asiatischen Ufer zu, wodurch wir das sogannte alte Schloß
von Rumelien, Rumilli Hisfari, das an dem europäischen
Ufer liegt, und bei dem wir nun vorbeifuhren, mit feiner
ganzen sonderbaren Bauart vor Augen hatten.
Mohamed I. hatte schon früher auf dem asiatischen -
Ufer das Schloß von Anatolien erbaut und Mohamed II.
führte das Schloß von Rumelien gegenüber auf unter den
Augen der bedrängten Byzantiner. Es war zwei Jahre vor
der Eroberung Constantinopels und umsonst schickte ihm der
Kaiser Gesandtschaften, die dem Padischah beweisen sollten,
173
der kaum eben erst geschloffene Friede erlaube ihm gewiß
nicht, auf griechischem Grund und Boden eine Festung auf
zuführen. Mohamed kehrte sich so wenig an diese Vor-
stellungen, daß er nicht nur diese Gesandten zurückschickte,
sondern auch schwur, er wolle die, welche eine ähnliche Bot-
schaft brächten, schmählich hinrichten laffen. Darauf zeichnete
er selbst den Grundriß zu dem neuen Schloffe, indem er
lächerlicher Weise die Grundzüge des arabischen Schriftzuges,
des Wortes Mohamed, dazu angab, den der Baumeister nach-
ahmen sollte. Wo in dem Worte ein Punkt ist, setzte man
einen Thurm 1c. und man kann sich leicht denken, daß das
Schloß durch die seltsame Bauart sehr unregelmäßig wurde
und auch deshalb als Festung wenig dienen konnte.
Eine kurze Strecke hinter Rumili Hiffari mündet sich
in dem Thale ein kleiner Bach in den Bospor, der, so wie
dies Thal bei der Eroberung Constantinopels eine große
Rolle spielte; denn da die Byzantiner den Hafen durch eine
ungeheure Kette gesperrt hatten, so konnte Mohamed die
Stadt nur von der Landseite angreifen, wobei ihm die
Mauern und das Terrain große Schwierigkeiten entgegen-
setzten. Deshalb faßte der Padischah den Entschluß, feine
Schiffe hinter Pera und Galata herum zu Land in den
Hafen bringen zu laffen, was nach einigen Ueberlieferungen
an dieser Stelle geschehen seyn soll. Und wirklich macht die
Lage dieses Thals die Sache glaubwürdiger. Die Ufer sind
hier niedriger, und man konnte eine kleine Strecke aufwärts
deu Bach noch benützen; dann zog man die Fahrzeuge,
wahrscheinlich auf hölzernen Gleisen, vermittelt Erdwinden
und Flaschenzügen, über einen schmalen Rücken in das Thal
von Kjat-Hane, wo der Barbyfes, der in den obern Theil
des Hafens mündet, schon für kleinere Fahrzeuge schiffbar
ist. Daß man, um die Schiffe rascher fortzubringen, die
Segel aufgespannt, so wie die ganze Rutschparthie in einer
174
Nacht ausgeführt habe, find natürlicher Weise Zugaben, die
sich später der Erzähler erlaubt.
Der Wind, der uns etwas von der Seite kam, wurde
oft so heftig, daß er unser Fahrzeug fast ganz auf die Seite
legte, worüber sich aber unsere Türken, die wenigstens nicht
zu rudern brauchten, nicht bekümmerten. Schon einige Male
hatte ihnen Herr v. C. befohlen, sie sollten das Segel halb
einziehen, weil wir in Gefahr seyn würden, umzuwerfen, aber
umsonst. Sie machten ihm mit der lebhaftesten Sprache
verständlich, wie Schade es fey, diesen köstlichen Wind nicht
zu benützen. Unser dicker Janißair, der vorne saß, diente
wie beweglicher Ballast, denn so oft das Schiff sich stark
auf die eine Seite neigte, wandte er sich auf die andere
und stellte so das Gleichgewicht wieder her.
Jetzt lag Therapia zu unserer Linken mit feinem kleinen,
aber schönen Hafen, worin nebst mehreren Kauffahrteischiffen
ein türkisches Dampfboot, so wie eine englische Corvette sich
befanden. Hier hielten sich früher fast alle Gesandten auf;
doch ist seitdem Bujukdere in Mode gekommen und nur der
englische und französische haben ihre Hôtels noch hier.
Wenige Tage nach unserer Ankunft in Constantinopel brannten
in Therapia über zweihundert Häuser ab; es war in der
dunkeln Nacht ein Anblick gräßlich, aber unbeschreiblich schön.
Jetzt blickten die halbverbrannten Trümmer recht traurig aus
der lachenden Gegend hervor.
Hinter Therapia wird der Bospor auf einmal sehr
breit und gleicht beinahe einem runden Landsee, den die
schönsten Ufer umgeben. Vor uns lag Bujukdere und die
auf europäische Art gebauten Häuser der Gesandten blickten
freundlich herüber. Zu unserer Linken sanken die Hügel
allmählich zusammen und ließen auf große saftgrüne Wiesen
fehen, auf deren einer fich die bekannte ungeheure Platanen-
gruppe erhebt, die man die Platanen Gottfried von Bouillon
175
nennt. Rechts gegenüber auf dem asiatischen Ufer thürmen
sich jene Hügel zu einem ansehnlichen Berge, dem sogenann-
ten Riesenberge auf. Man sieht oben unter alten Cypreffen,
Castanienbäumen und Platanen ein Gemäuer; es ist ein
Grab, das fünfundzwanzig Schritt Länge hat. Die Türken
behaupten, hier fey das Herz des Propheten Josua begraben,
den fiel in der Pest und andern Krankheiten gerne anrufen.
Die Alten dagegen nannten oben das Grabmal das Bett
des Herakles und die Türken vermischen beide Sagen, indem
fie von Josua erzählen, er sey so ungeheuer groß gewesen,
daß er, oben auf dem Berge fitzend, mit den Füßen die
klare Flut berührt habe.
Kurz vor Bujukdere wären auf ein Haar die Befürch-
tungen des Herrn v. C., daß wir noch umschlagen würden,
in Erfüllung gegangen, wenn derselbe nicht die Vorsicht ge-
braucht hätte, eins der Taue, woran das Segel befestigt
war, in die Hand zu nehmen; ein heftiger Windstoß legte
unser Boot dergestalt um, daß das Segeltuch das Waffer
berührte und da die Wellen ziemlich hoch gingen, würden wir
sicher gesunken seyn, hätte Herr v. C. das Segel nicht
losgelaffen, das nun im Winde flatternd demselben keinen
Widerstand mehr bot. Jetzt verstanden sich die Türken dazu,
den Mast niederzulegen und die Ruder zu ergreifen, worauf
wir in kurzer Zeit in Bujukdere landeten.
Unser erster Gang war in das Hotel des Königl. preußischen
Gesandten, des Grafen Königsmark, der uns auf die liebens-
würdigste und freundlichste Art empfing. Wir leisteten seiner
Einladung, die Nacht in Bujukdere zu bleiben und den andern
Tag die berühmten alten Wafferleitungen in seiner Gesellschaft
zu sehen, gerne Folge und verlebten einen in jeder Beziehung
angenehmen und genußreichen Abend da, den die Güte und
Freundlichkeit der eben so geistreichen wie liebenswürdigen
Gräfin Königsmark verschönerte.
176
Wir machten Spaziergänge auf dem Quai von Bujuk-
dere, zu dessen Lobe Hammer so poetisch und wahr fagt: „In
schönen mondhellen Nächten, wo das Dunkelblau des Himmels
mit dem Dunkelblau des Bosporus zusammenfließt und
zitternder Sterne Glanz mit dem phosphorescirenden Leuchten
der See sich vermischt, – wo Nachen von griechischen Sängern
und Zitherspielern längs dem Ufer tönend vorübergleiten und
der laue Nachtwind die weichsten jonischen Melodien von dem
Lande her ins Meer haucht; wo das Stillschweigen der
Horchenden durch leises Lispeln lenesque sub noctem
susurros, unterbrochen wird, verdient der Quai von Bujuk-
dere die Begeisterung, womit die Liebhaber deffelben sein
Lob verkünden.“
Und wenn wir ihn auch nicht in der Pracht und Herr-
lichkeit sahen, den ihm eine warme mondhelle Sommernacht
verleiht; so fanden wir doch, daß hier an diesen Ufern zu
wohnen der höchste Genuß feyn müßte, wenn sich der Europäer
mitten unter dieser uncivilisierten Bevölkerung nicht so unan-
genehm vereinzelt und allein stehen fühlte. Der russische
Gesandte war nicht anwesend, weshalb ein großes Hotel
mit schön angelegten Gärten leer stand. Letzterer ist im
besten Geschmack angelegt und steigt terraffenförmig an den
Hügeln, die fich hinter Bujukdere erheben, in die Höhe,
wodurch man von jeder Parthie aus eine neue reizende
Aussicht genießt. -
Es gewährte uns bei dieser Promenade viel Stoff zum
Lachen, daß wir an einer der schönsten Parthieen des stillen
Gartens einen Philosophen fanden, der sich im dolce far
niente auf einer von hohen Platanen umgebenen Wiese ge-
lagert hatte, von wo er bei der herrlichsten Aussicht auf den
Bospor Gelegenheit genug gehabt hätte, tiefsinnige Betrach-
tungen anzustellen, wenn es kein Efel gewesen wäre, der
* Hammer, C. u. d. B. II. -
177
sich hier ins Grüne gestreckt und die duftenden Kräuter wohl
schmecken ließ.
Der umsichtige Herr v. C. hatte für morgen Pferde
für uns aus Constantinopel bestellt, wofür wir ihm sehr
dankbar waren; denn obgleich Graf Königsmark die Güte
hatte, uns von den feinigen anzubieten, waren uns neben
der Furcht, seine Güte zu mißbrauchen, doch jene Pferde
in so weit lieber, als wir beschloffen hatten, uns auf dem
Rückweg nicht wieder dem Kaik anzuvertrauen, sondern viel-
mehr den, wenn auch minder intereffanteren Weg über die
Berge nach Constantinopel zu nehmen.
Wir ritten zuerst auf die Wiese, von der ich oben
sprach, um die mächtigen Platanen Gottfried von Bouillons
in Augenschein zu nehmen. Von Weitem scheint es nur
ein einziger aber ungeheurer Baum zu feyn, doch fieht man
in der Nähe, daß es ursprünglich sieben Stämme gewesen
find, die in einem Kreis dicht an einander standen. Im
Laufe der Zeit find aber Wurzeln, Aeste, ja die äußere Rinde
zusammengewachsen, die innere dagegen ist theilweise ver-
fault, theilweise durch das Feuer der Hirten, die hier vor
dem Wetter Schutz suchten, zerstört worden, wodurch der
Baum oder vielmehr die Bäume innen eine so große Höhlung
erhalten haben, daß wir durch einen großen Spalt, den die
Zeit ebenfalls in ihre Rinde geriffen hat, zu fünf mit unsern
Pferden in den Baum hinein reiten konnten."
An der Erde hatten die Platanen sechszig Schritt im
Umfang. Die Sage bringt den gefeierten Helden mit jenem
Baume zusammen, indem sie erzählt, daß Gottfried von
Bouillon im Jahre 1096, während das Heer auf der Wiese
lagerte, hier unter dem Baum Obdach gefunden. Von den
Türken wird diese Baumgruppe Jedi Kardafch, d. h. die
sieben Brüder genannt.
Hackländer, R, in d, O, I. 12
178
So kahl die Höhen in der Türkei auch um Constantinopel
selbst find, so frisch und baumreich ist hier auf einer kleinen
Strecke die Gegend. Die Wiesen, auf denen die Platanen
stehen, find frisch und duftend, von murmelnden Bächen
durchschnitten, die aus dem höher liegenden Walde von
Belgrad hervordringen, jenem heiligen Walde, der von den
Einwohnern Constantinopels so hoch gefeiert wird, weil er
ihnen gutes klares Waffer verschafft. Jeder, der es wagen
würde, auch nur den kleinsten Baum in jenem Walde um-
zuhauen, wird mit dem Tode bestraft, denn nur durch das
sorgfältige Erhalten der riesigen Stämme, welche da stehen,
ist es möglich, die Quellen immer ergibig zu erhalten, von
denen die Stadt vermittelt der Aquaducte ihr Waffer bezieht.
Für den Türken ist das Trinkwaffer überhaupt das
größte Lebensbedürfniß und wie ein Feinschmecker bei uns
jede Sorte Wein, ja fast jeden Jahrgang vom andern unter-
scheiden kann, so weiß der Türke gleich, aus welcher der
geschätzten Quellen das Waffer ist, das er trinkt. Ob da-
gegen das Waffer klar und durchsichtig ist, darauf kommt es
ihm gar nicht an, ja, die sogar im Orient am meisten ge-
schätzten Trinkwaffer, nämlich das des Euphrats und des
Nils find trüb und schlammig; und doch hat selbst der Prophet
das des letzteren neben dem heiligen Born Semfem zu
Mekka, welcher unter Hagars Füßen emporsprang, daß er
ihren verschmachtenden Sohn erquicke, für das Beste in der
Welt erklärt.
Mit den frohen Gefühlen, die ein schöner Morgen
überhaupt gibt, wozu für uns noch der Anblick und Geruch
der frischen Wälder kamen, ritten wir die Wiesen aufwärts
und sahen jetzt die bedeutendste und älteste der Wafferleitungen
Constantinopels vor uns. Schon Constantin fing sie an und
alle Kaiser und Sultane nach ihm, besonders Mahmud der
Eroberer, verbefferten und erweiterten fie. Das ungeheure
179
schneeweiße Gebäude gleicht mit feinen unzähligen Pfeilern,
die wie eben so viel Füße den obern Bau tragen, dem Scelett
eines riesigen Tausendfußes, der auf den Höhen liegen blieb
und defen Knochen von der Sonne allmählig gebleicht wurden.
Unsere Pferde waren recht munter, und da der Weg
nur hie und da schlechte Stellen zeigte, im Allgemeinen aber
so gut war, wie man es hier verlangen konnte, befanden
wir uns bald auf der Höhe vor jener Wafferleitung. Sie
führt den Namen Justinians und ist, wenn auch nicht die
längste, doch die höchste von allen. Der Wafferfaden wird
in einer Höhe von neunzig bis hundert Fuß über ihren zwei
Etagen durch das Thal fortgeleitet. Unter einem der großen
Bogen des Aquaducts ritten wir hindurch, dann noch eine
kleine Strecke aufwärts, wo uns Graf Königsmark veran-
laßte, einen Augenblick anzuhalten und zurückzuschauen. Da
sahen wir ein kleines Stück des Bosporus mit dem dahinter
liegenden Riesenberge und vielen freundlichen Häusern am
Fuße defelben, von dem Bogen, durch welchen wir so eben
geritten, prächtig eingerahmt – ein herrliches Gemälde.
Wir wandten uns nun links in den Wald hinein und
erreichten in kurzer Zeit das Dörfchen Belgrad, wo sich
früher die Landsitze der meisten europäischen Gesandten be-
fanden. Kriegsgefangene Bulgaren wurden in alter Zeit von
Belgrad an der Donau hieher versetzt und gaben dem neuen
Dorfe den Namen der Heimath. Wir nahmen hier ein kleines
Frühstück ein, sahen dann im Vorbeireiten das Haus, wo
Lady Montague ihre Briefe schrieb und ritten den großen
Wafferbehältern zu, welche in der Tiefe des Waldes liegen
und aus denen die Aquaducte gespeist werden.
Lange hat nichts einen so seltsamen Eindruck auf mich
gemacht, wie der Anblick dieser gewaltigen Werke, fern vom
Geräusch der Menschen, in stiller Abgeschiedenheit liegend. In
12
180
dieser Gegend, zwischen uralten riesigen Baumstämmen, reitet mau
auf schmalen Waldpfaden und hält plötzlich mit einem Ausruf
des Erstaunens sein Pferd an, denn zwischen hohen Thal-
wänden erheben sich prächtige Marmor-Gebäude, deren ein-
fache, solide Schönheit dem Auge unendlich wohlthut. Es
war der Aiwad - Bend, von Mustapha III. im Jahr
1766 erbaut, den wir als den größten und schönsten in
Augenschein nahmen. Das Wort „Bend“ kommt aus dem
Persischen und ist die Bezeichnung für der Art Wafferbehälter,
eigentlich nur für die Mauer, welche das Thal eindämmt
und ist so fast gleichbedeutend mit dem deutschen Worte Band.
Um einen Bend anzulegen, sucht man ein Thal, dessen
Wände hoch genug sind, um viel Waffertiefe und wenig Ver-
dampfungsfläche zu erlangen. Auch müffen sie nicht zu weit
von einander stehen, damit die Mauer, durch welche das
Waffer gestaut wird, nicht zu lang und deshalb zu kostspielig
wird. Diese Mauern, welche die bedeutende Waffermaffe
zurückhalten sollen, find achtzig felbst bis hundertzwanzig
Schuh lang, dreißig bis vierzig Fuß hoch und fünfund-
zwanzig bis dreißig Fuß dick. Sie find aus mächtigen
Quadern aufgerichtet, die von innen mit Kalk beworfen,
von außen aber mit dem schönsten Marmor bekleidet und
mit Inschriften verziert sind. So gleichen diese Dämme
schönen Brücken, die sich durch ein Thal hinziehen und man
findet selbst auf den meisten Marmorbänke, die den Wanderer
zum Sitzen einladen.
Eine andere Hauptbedingung bei Anlegung eines Bendes
ist, daß das erwählte Thal hoch genug liege, um dem aus-
strömenden Waffer ein starkes Gefäll zu geben. Auch sieht
man darauf, daß das obere Thal viele und weit verbreitete
Verzweigungen hat, welche dem Bend ebenfalls ihr Waffer
zuführen. Unten in der großen Mauer befindet sich ein
Portal, Takim, Vertheilung genannt, das meistens sehr
181
schön verziert ist und wo das Waffer durch anderthalb Zoll
weite Röhren, deren Anzahl sich nach dem vorhandenen
Wafferschatze richtet, in den Aquaduct geleitet wird, der es
dann in die Stadt führt. Doch wie ein Fluß viele Neben-
flüffe hat, die ihn verstärken, so geben dem Aquaduct auch
mehrere Bende ihr Waffer. Obendrein leitet man ihm, wo
das Terrain es erlaubt, noch kleine Quellen zu.
Neben den meisten dieser Wafferbehälter befinden sich
Lusthäuser des Sultans. Die Gegenwart des Grafen Königs-
mark verschaffte uns Zutritt zu einem der hier liegenden,
welches Mahmud II. erbaut. Es wurde von einem Mohren
bewacht, der uns in einige der prächtigen Gemächer den Ein-
tritt gestattete, andere aber mußten wir durch die Fenster an-
fehen. Dies Kiosk war wenigstens zu drei Theilen auf
europäische Art eingerichtet. Es enthielt französische Tapeten
und Kronleuchter, große Spiegel und neben den türkischen
Divans Fauteuils und Lehnstühle aller Art.
Das System der Wafferleitungen für das frühere Byzanz
und spätere Constantinopel begründet sich auf die zwei Aqua-
ducte, die in den ältesten Zeiten erbaut und stets verbeffert
und erweitert wurden; die eine ist die justinianische, von der
ich oben sprach, eigentlich die hadrianische, denn Justinian
befferte sie ebenfalls nur aus. Sie leitete das Flüßchen
Hydraulis nach der Basilica von Byzanz. Später bauten
die Sultane noch verschiedene Bende zu ihrer Speisung, wozu
auch der erwähnte Aiwad-Bend gehört. Eigenthümlich bei
dieser Wafferleitung ist, daß sie das Waffer bald unterirdisch
fortführt, bald es mit kühnen Bogen über die Thäler fort-
trägt. Kurz vor der Stadt zerheilt sie sich in vier kleine
Aquaducte, welche das Waffer an verschiedenen Thoren in
die Stadt führen.
Die andere ältere Wafferleitung ist die des Kaiser
Valens, die jetzt ihre größte Waffermaffe von Kalfa kjöi
182
bezieht und sie in die höheren Theile der Stadt führt, wodurch
das gewaltige Mauerwerk an tausend Schritte weit zwischen
den Häusern durchläuft und jemanden, der nicht schwindlicht
ist, einen schönen Spaziergang bietet, von dem aus man
die Stadt wie eine Karte vor sich ausgebreitet sieht.
Es war Nachmittag geworden, als wir uns auf den
Rückweg nach Constantinopel begaben. Unser liebenswürdiger
Führer, Graf Königsmark, begleitete uns noch eine Strecke
weit, worauf er nach Bujukdere zurückkehrte, und wir unsern
Weg nach der Stadt fortsetzten. Dieser führte durch sehr un-
interessantes Terrain; denn es war ein breiter Sandweg,
der sich über die öden baumlosen Höhen hinzog, die den
Bospor begränzen. Einige Unterhaltung gewährten uns unsere
sehr guten Pferde, indem wir von Zeit zu Zeit kleine Wett-
rennen anstellten. Vorn an der Spitze ritt der Sürüdschi,
der die Pferde gebracht und uns wieder zurückgeleitete. Wir
hatten ihm einen kleinen Mantelsack gegeben, in dem wir
gestern einige Kleidungsstücke mit nach Bujukdere genommen,
den er vor sich auf den Sattelknopf nahm und munter
vorausritt.
So oft es bergauf ging, spornte er seinen starken
Schimmel und jagte laut schreiend davon. Wir folgten ihm
natürlich so rasch wie möglich; doch war mein Pferd das
einzige, welches das feinige hie und da erreichte. Später
fetzte sich der Baron auf diesen Schimmel und lud mich ein,
einen kleinen Cours mit ihm zu machen, um zu sehen, welches
Pferd das schnellste fey. Da ihm die Bügel zu kurz waren,
legte er sie vorn über den Sattelknopf und wir jagten dahin.
Ich war beständig dicht hinter ihm, so daß der Kopf meines
Pferdes feinen Schenkel fast berührte, konnte ihn aber nicht
überholen. -
Da der Weg, auf dem wir ritten, ziemlich schmutzig
war, so bewarf mich das ausgreifende Pferd des Barons so
183
mit Koth, daß ich, in Pera angekommen bei der Abendtafel
alle Mühe hatte, auch vor der übrigen Gesellschaft von dem
Verdacht zu reinigen, als habe ich den Sandreiter gespielt.
Türkisches Familienleben.
Aus Allem, was dem Europäer in Bezug auf das an-
dere Geschlecht hier zu Lande aufstößt, er sieht man leicht,
daß die türkischen Damen eine sehr untergeordnete Rolle
spielen; aber wahrhaftig nicht die gedrückte und elende, die
wir nach unsern Begriffen mit jenen Verhältniffen wohl un-
zertrennlich halten.
Es ist dem Mohamedaner erlaubt, vier Frauen zu
nehmen, doch gibt es wenige, die nicht an einer schon genug
hätten und deren Vermögensumstände es erlaubten, zwei,
drei oder vier Weiber zu nehmen. Da es fast noch nie vor-
gekommen ist, daß sich zwei Frauen in einem Hause ver-
tragen hätten – ich spreche natürlich hier nicht von den weit-
läufigen Harems des Sultans oder der hohen Beamten –
vielmehr in beständigem Hader und Zwist lebten, der sich
nicht, wie vielleicht bei uns auf Verläumdung und böse Nach-
reden beschränkte, sondern oft in blutige Händel ausartet, so
muß in solchem Falle jede Frau ihr eigenes Haus haben, in
welchem fie natürlich über die dienenden Weiber unumschränkt
regiert. Was ferner die eine Frau an Putz oder Schmuck-
fachen von dem Manne bekommt, nimmt die andere auch in
Anspruch, und da ist oft ein neues glänzendes Band, das
die eine vor der andern bekommt, Ursache zu den unange-
nehmsten Händeln; fährt eine der Frauen mit ihren Skla-
vinnen und Kindern spazieren, so würde die andere nicht zu
Hause bleiben wollen, ich glaube, wenn sie todtkrank wäre
und das geht so fort bis auf die geringsten Kleinigkeiten.
Was soll aber auch der Türke sich in diese Verhältniffe ver-
184
wickeln, da ihm das Gesetz ein ausgleichendes Mittel dar-
bietet. Es ist ihm nämlich erlaubt, so viele Sklavinnen zu
halten, wie er kann und will, und das Kind der Sklavinn
erfreut sich nach den türkischen Gesetzen derselben Rechte und
Begünstigungen, wie das Kind der rechtmäßigen Frau. Es
beruht ja überhaupt die ganze Ehe der Orientalen nur auf
Sinnlichkeit und der Türke erhandelt seine Frau, ohne
fich um ihre Neigung oder Liebe zu bekümmern, von dem
Vater oder den Verwandten derselben, wie eine Waare vom
Kaufmann; denn anstatt durch seine Frau ein Heirathsgut
zu erlangen, bezahlt er vielmehr dem Vater derselben eine
gewiffe Summe für sie, denn jener verliert ja einen weib-
lichen Domestiken.
Ein anderer Nachtheil des Bräutigams besteht darin,
daß er seine Frau erst dann zu sehen bekommt, wenn sie
ihm angetraut ist, und in demselben Augenblicke sehen fie
ihre Verwandten, selbst der Vater und die Brüder zum letzten
Male unverschleiert. Da auf diese Art die Ehen ohne viele
Förmlichkeiten geschloffen werden, so erlaubt das Gesetz dem
Muselmanne auch eben so leicht wieder, sich von feiner Frau
zu trennen, ein Fall, der fast in jedem Heirathscontracte
vorgesehen wird, indem man in demselben die Summe ver-
merkt, die der Mann dem Vater ferner zu zahlen hat, wenn
er in den Fall kommen sollte, sich von seiner Frau zu tren-
nen. Ein Anderes ist es, wenn die Frau die strenge
Sitte des Harems verletzte, wo fie, im Fall ihr Begünstigter
ein Muhamedaner ist, mit Schimpf und Schande ins Haus
ihrer Aeltern zurückgejagt wird, und wenn es gar ein Rajah,
ein chrichtlicher Unterthan der Pforte, wäre, so steckt man
sie ohne viele Ceremonien in einen Sack und wirft sie in's
Meer. Der Christ dagegen wird gehängt. Eigentlich ist es
traurig, daß die armen Türkinnen durch die Verhältniffe fo
gedrückt sind, daß sie nicht einmal auf eine Vergeltung jen-
185
seits zu hoffen haben, indem der Prophet ihnen nach dem
Leben keine Stellung anzuweisen wußte. Was nach dem
Tode aus ihnen wird, weiß kein Mensch; denn die Houris,
die den Gläubigen im Paradies für die Mühseligkeiten auf
Erden entschädigen, haben nichts mit den verstorbenen Weibern
gemein.
Obgleich es aber dem Muselmann nicht schwer gemacht
wird, sich von seiner Frau zu scheiden, so kommt es doch
selten vor, theils weil der Türke ein natürliches großmüthiges
Gefühl hat, welches fein einmal geschenktes Vertrauen nicht
leicht erlöschen läßt, theils weil er vielleicht eines Spruches
aus dem Koran eingedenk ist, der ihm sagt: „Ihr Männer
sollt bedenken, daß das Weib aus der Ribbe, also aus einem
krummen Bein geschaffen ist. Deshalb, ihr Gläubigen, habt
Geduld mit den Weibern; denn wenn Ihr ein krummes Bein
gerade biegen wollt, so bricht es.“
Man weiß, daß die Frauen in den Harems sehr strenge
bewacht werden, und obgleich die Eultur schon im Allge-
meinen stark an den orientalischen Gebräuchen rüttelte,
so hat sie doch in dem Punkt noch nicht viel geändert.
Freilich sieht man jetzt viele türkische Damen auf den Straßen
umherspazieren; doch, wie ich schon mehrmals bemerkte, aufs
Häßlichste vermummt und unkennbar gemacht. Es wäre aber
auch gegen allen Anstand, ein türkisches Weib auf der Straße
erkennen zu wollen und selbst der Mann würde es für un-
schicklich halten, wenn er seiner eigenen Frau, die ihm be-
gegnete, nur durch ein Zeichen merken ließe, daß er sie er-
kenne. Es ist schon viel, daß die allgewaltige Zeit den
Schleier der Damen bis unter die Nase gerückt hat, die
früher ebenfalls bis an die Augen verhüllt war.
So streng auf diese Art die Gestalt der Türkinnen
außer dem Hause vor jedem neugierigen Blicke vermummt find,
so übertrieben frei ist der Anzug im Innern des Hauses.
186
Die Einrichtung desselben ist fast eben so wie die beschriebene
in unserm Gasthof. Längs den Fenstern die von außen mit
Latten, von innen mit Rohrstäben dicht vergittert sind, be-
findet sich der Divan, auf dem die Familie den ganzen Tag
nichts thut, wie ausruhen und sich langweilen. Der Man-
gahl mit glühenden Kohlen und das Kaffeegeräth ist natür-
lich in der Nähe; denn so oft ein Besuch kommt oder es
einem der Familienglieder einfällt, wird für jedes eine Taffe
Kaffee gemacht, was des Tages unzählige Mal geschieht.
Dazwischen ißt man verschiedene eingemachte Früchte, von
denen jeder einen Löffel voll nimmt und darauf ein Glas Waffer
trinkt. Von vieler Bewegung in diesen Familienkreisen und
einer lebhaften Unterhaltung ist natürlich nicht die Rede. Eine
Phrase, die man sehr oft beim Kaffee oder dem Eingemachten
hört: afiat ler olfum –(Wohl bekomm's) sagt jeder dem An-
dern und legt dabei die Hand an Brust und Stirn. Die beiden
Mahlzeiten, die der Türke täglich regelmäßig zu sich nimmt,
bestehen aus Hammelfleisch und Reiß, welche Artikel die
Grundlage bilden. Dazwischen kommen zahlreiche süße Ge-
rüchte, und während der ganzen Mahlzeit stehen beständig
kleine Schüffeln mit kalten Speisen, als Austern, Hummern,
Caviar, Käse, Oliven, türkischer Pfeffer, Salate und Früchte
verschiedener Art, von denen jeder nach Belieben nimmt, auf
dem Tisch.
Die männlichen Sklaven im Orient haben ein viel befferes
Loos, als wir es uns gewöhnlich bei dem Worte Sklave
vorstellen. Es sind eigentlich Diener, deren größtes Geschäft
darin besteht, nichts zu thun; ein gemietheter Arbeiter ist
weit übler daran, als der Sklave des Hauses; denn weil
letzterer Eigenthum feines Herrn ist, so nimmt dieser sich
wohl in Acht, ihn durch viele Arbeit krank oder unbrauch-
bar zu machen. Da einem vornehmen Türken der Unterhalt
seiner Sklaven und Diener fast nichts kostet, denn von einer
187
- - - - - - - -– – – – – – – – –
Belohnung an Geld ist keine Rede, so hat er gewöhn-
lich eine große Maffe dieses Volkes, die die wenigen Ge-
fchäfte so unter sich verheilen, daß auf jedem ein unbe-
deutendes lastet. Ein Theil hat nichts zu thun, wie Pfeifen
zu stopfen und in Ordnung zu halten, andere kochen Kaffee,
wieder andere forgen für die Waffen und Kleidung des Herrn
und so fort. Bei dem gewöhnlichen Türken wird der Sklave
mit wenig Ausnahmen fast wie ein Kind der Familie be-
trachtet. Er ißt an demselben Tisch und bei guter Aufführung
wird er später frei gelaffen oder heirathet nicht selten eine
Tochter des Hauses.
Die Nacht im Mamafan.
Eine ganz umgekehrte Ordnung im türkischen Leben
bringt der Ramasan, die Fastenzeit hervor. Der Tag wird
zur Nacht und die Nacht zum Tag verwandelt. Von
Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bleibt der Gläubige
in seinem Hause und thut nicht einmal das Wenige, was
er sonst zu thun pflegt. Er betet, stellt seine Waschungen
an oder geht in die Moschee. Die meisten Läden sind um
diese Zeit während der Tageszeit verschloffen und was am
bezeichnendsten ist, alle Kaffeehäuser stehen leer. Der Recht-
gläubige muß fasten, d. h. er muß sich nicht nur aller
Speisen und Getränke enthalten, sondern Pfeifen und Kaffee
find ihm ebenso verbotene Gegenstände. Da man schon im
gewöhnlichen Leben nicht sagen kann, daß auf- und ab-
wandelnde oder gewerbtreibende Türken ein sehr lebendiges,
rühriges Bild geben, so muß man die einzelnen Individuen,
die man zur Ramafanszeit durch die Straßen schleichen sieht,
für Geschöpfe ohne Leben halten, für Wesen, die durch
Maschinenkraft hin- und hergetrieben werden, fo matt und faul
wanken fiel einher. Wenn sie von dem Fasten so geschwächt
- - - - - - - - - - - - - - - - - -
188
wären, sollte man glauben, sie müßten jeden Abend aus
Ermattung zusammenfallen; aber weit gefehlt.
Wenn sich die Sonne zum Untergang neigt, scheinen
fich ihre Lebensgeister aufs Neue zu erfrischen. Man steckt
die erloschenen Feuer wieder an und beginnt die Speisen zu-
zubereiten, die mit dem ersten Ruf des Iman, daß der Tag
vorbei sey, auf dem Tisch dampfen müffen, damit weiter
keine Zeit verloren gehe. Der Sclave hält seinem Herrn
schon einige Augenblicke früher die angezündete Pfeife ent-
gegen und Alles horcht erwartungsvoll auf den Ruf vom
Minaret, um sich so hastig wie möglich den jetzt erlaubten
Genüffen des Effens, Trinkens und Rauchens hinzugeben.
Jetzt bei eingetretener Dunkelheit verwandelt sich auch
das stille Leben in den Straßen zu dem geräuschvollsten, das
es geben kann, und die Stadt selbst gewährt von außen und
innen den prächtigsten Anblick. An den Minarets werden
allmählich Lichter angesteckt, und bald umgeben mehrere
hundert Lampen in einzelnen Kreisen diese Gebäude von oben
bis unten. Die Kuppeln der Moscheen und Caravansereien
find ebenfalls mit Lichtern behängt und die meisten Bazars,
so wie die Tische der Verkäufer auf den Straßen, hell
erleuchtet.
Von Pera aus hatten wir auf die Hauptstadt den
prächtigsten Anblick. Die Maffen der dunklen Häuser, ohne
erhellte Fenster, von den belebten erhellten Straßen durch-
schnitten, sahen von oben einem Berge ähnlich, defen glühen-
des Geäder an allen Stellen durchscheint. Hie und da war
das Erdreich ganz durchbrochen und unzählige hohe Flammen
leckten gierig in die Nacht empor, die beleuchteten Minarets.
Vor uns lag der Hafen, defen Waffer durch den Wieder-
schein der vielen Lampen, die an den Masten und Segel-
fangen der Schiffe hingen, röthlich angestrahlt erschien.
Selbst die dunkeln Cypreffen auf Pera, diese riesigen Todten-
189
wächter, schienen den allgemeinen Jubel zu fühlen und waren
von dem Lichtmeer drüben fanft beleuchtet.
Es war in einer der sieben heiligen Nächte des Jahres,
nämlich in der Nacht Kadr, welche für die gilt, wo der
Koran vom Himmel gesendet worden, als wir gegen acht Uhr
von Pera aufbrachen, um uns nach der Moschee von Top-
Chana zu begeben, die der Sultan in Folge der besondern
Feierlichkeit, die heute stattfand, mit seinem Besuch beehrte.
Dem Sultan nämlich, nachdem er in der heutigen Nacht
fein Gebet verrichtet, wird von dem Großweffyr bei seiner
Rückkunft in's Serail eine Sklavenjungfrau übergeben, mit
der er alsdann die Brautnacht begeht, in der Hoffnung, daß,
wie in dieser Nacht der Koran vom Himmel kam, auch dem
Haufe Osmans ein Thronerbe vom Himmel gesendet werde.“
Um die Moschee von Top-Chana, so wie die Kanonen-
gießerei standen drei Reihen Infanterie, in deren Mitte fich
ein Musikcorps befand, das mit ihren Trommeln, Posaunen
und Trompeten einen herrlichen Lärm machte. Die Moschee
war glänzender beleuchtet, als je, und an allen Wänden und
Fenstern hingen große Reihen bunter Lampen. Ebenso war
die Kanonen-Werkstatt auch auf das Prächtigste illuminiert
und in dem Hofe derselben, so wie in dem Kreise, den die
Soldaten bildeten, waren zahlreiche große Pechpfannen auf
gestellt. Die türkische Infanterie machte sich’s, wie gewöhn-
lich, auf ihrem Posten sehr bequem. Nur das erste Glied
stand aufrecht auf den Beinen und hielt das Gewehr im
Arm; das zweite und dritte faß auf der Erde und den
Treppen der Moschee und fast Alles rauchte tapfer darauf
los, so daß der Tabaksdampf mit dem Qualm der Pech-
brände wetteiferte.
Wir drängten uns an die Reihe der Soldaten, die
die Zuschauer vom Platze der Moschee entfernt halten sollten
* Hammer, Gesch. d. o. R. Th. W.
190
und verdankten es nur der Keckheit, mit welcher wir uns
für englische Offiziere und Aerzte ausgaben, daß sie uns in
den Kreis ließen. Hier mußten wir noch eine gute Stunde
warten, ehe der Spektakel losging. Dafür war aber auch
der Lärm, der nun begann, um so größer. Ein paar
Kanonenschüffe von Beschiktasch her gaben das Zeichen, daß
sich der Sultan auf ein Pferd schwinge und alsbald ant-
worteten die Batterien von Skutari, von der Serailspitze, so
wie die Kriegsschiffe im Hafen. Die Soldaten wurden in's
Glied gerufen und bildeten lärmend eine schlechte Linie.
Das Musikeorps neben uns bemühte sich ebenfalls zu dem
allgemeinen Getöse das Ihrige beizutragen und die Musici
arbeiteten auf ihren Instrumenten schonungslos herum. Ich
muß hierbei einer großen Lächerlichkeit erwähnen, welche
durch die Nachäffung der europäischen Gebräuche entstand.
Der Tambourmajor, nach der neuen Ordnung der Dinge
mit großem Stocke ausgerüstet, schwenkte denselben, worauf
bei uns die Trommeln gleich einfallen; doch bei den Gläu-
bigen war das nicht der Fall, sondern trotz dem er ihnen
mit vieler Gravität das Zeichen zum Anfang gegeben und
den Stab tüchtig geschwenkt hatte, wirbelten die Trommeln
erst, nachdem er ihnen recht gemüthlich sagte: „Nun wollen
wir anfangen.“
Jetzt kamen von dem Palaste des Sultans her eine
große Menge Fackelträger mit einer andern Musikbande, die
denselben Lärm machte, wie die erste. Auf dem Platze vor
der Kanonen-Werkstatt steht ein kleiner steinerner Brunnen,
den die Artilleristen mit Luftfeuerwerk verzierten; denn als
dicht neben uns eine gewaltige Geschützsalve über den Wellen
dahinkrachte, daß die Pferde einiger türkischen Offiziere wie
toll umhersprangen, flammten an dem Brunnen tausende von
Zündlichtchen aus, so daß er ganz in Feuer zu stehen schien.
Auch zündete man hie und da in großen Pfannen farbige
191
bengalische Feuer an, so daß die umliegenden Gebäude bald
von blutrothen, bald von grünen oder blauen Flammen um-
spielt schienen.
Aber an dem ganzen Anblick war nichts Erquickliches,
nichts Angenehmes. Es war ein entsetzliches Chaos von
Kanonenschüffen und Musiklärmen, von Lichtern und Flammen,
die ordnungslos durch einander spielend Auge und Ohr be-
leidigten. So ungefähr muß in alter Zeit ein Hexensabbat
ausgesehen haben.
Jetzt sprengte Reschid Pascha vor, auf der Brust einen
mächtigen Stern von Brillanten, der zahllose Blitze um sich
warf, und den Soldaten wurde der Befehl zum Präsentieren
gegeben. Ein lieber türkischer Soldat, neben dem ich stand,
stieß mich an und bat mich, ihm für einen Augenblick seine
Pfeife zu halten, wozu ich mich natürlich sehr bereitwillig
finden ließ. Endlich kam der Sultan von seinen Großwür-
denträgern umgeben, alle auf prächtigen Pferden. Der junge
Herrscher trug einen weiten, blauen Mantel und weiter keine
Auszeichnung als einen großen Brillantstern am Fez. Er
ritt in den Vorhof der Moschee, wo er abstieg und von Einigen
feines Gefolges begleitet, in das Gebäude trat. Für heute
fahen wir ihn nicht wieder; denn die Feierlichkeiten waren
zu Ende und der Padischah fuhr wahrscheinlich später in
feinem Kaik nach Beschiktasch zurück.
So wild und unordentlich der Lärm der Ceremonie war,
fo rasch verflog er wieder – ein Strohfeuer. Die Soldaten
verließen den Platz, die Pechpfannen verlöschten und an dem
Brunnen, um den so eben noch die hellen Flammen loderten,
glimmten nur hie und da noch einige elende Papierhülsen.
Wir bestiegen ein Kaik, um nach Stambul hinüberzufahren.
Der Anblick der erleuchteten Städte war am schönsten von
der Mitte des Hafens aus, wo wir rings herumschauend
alle Minarets, sowohl von Stambul, wie von Galata,
192
Top-Chana und Scutari, mit glänzenden Lichtkränzen um-
wunden sahen. Auch strahlten hie und da von Thürmen,
oder andern hohen Gebäuden illuminierte arabische Schrift-
zeichen durch die Nacht und andere oft seltsam geformte
Figuren, als Schiffe mit großen Segeln, Drachen, Schlan-
gen 1c. Bei der Aja Sophia war an einem Gebäude ein
coloffaler Wagen angebracht und bei der Suleimanje eine
große Figur, die wahrscheinlich einen Derwisch vorstellen sollte,
aber einem Bajazzo weit ähnlicher fah.
Wir verließen unser Kaik und wanderten durch die Gaffen,
die heute bei Kerzen- und Lampenbeleuchtung noch weit leb-
hafter aussahen, als am Tage. Alles Volk war lustig und
guter Dinge, als feierte man ein großes Fest. Die Verkäufer
von Backwerk und Zuckerzeug, die zwischen der Menge mit
lautem Rufen herumgingen, hatten ebenfalls die runden
kupfernen Scheiben, worauf sie ihre Artikel ausgebreitet, mit
Lichtern besteckt, und es sah ergötzlich aus, wie sie sich in
großer Anzahl unter den Haufen herum brwegten. Hie und
da waren vor den Buden kleine Spielereien aufgestellt, Wind-
mühlen, von Sand getrieben oder illuminierte Schiffchen, vor
denen die sonst so ernsthaften Gläubigen lachend und laut
rufend stehen blieben. So erinnere ich mich eines Ladens,
in dem Conditor-Waaren verkauft wurden und deffen Besitzer,
ein speculativer Kopf, zwischen dem Backwerk einen kleinen
Brunnen errichtet hatte, der aus drei Röhrchen Waffer in
ein Becken ließ und in demselben ein kleines Wafferrad in
Bewegung setzte, das rechts und links mit Glöckchen in
Verbindung stand, die sehr unharmonisch durch einander klim-
perten, worüber aber die Türken eine unbeschreibliche Freude
hatten und in ganzen Haufen vor diesem Laden stehen blie-
ben. Dies verschaffte ihm natürlich einen guten Absatz seiner
Waaren, so wie es auch an diesem Theile der Straße eine
größere Lustigkeit hervorrief als sonst irgendwo. Das Volk
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schrie einmal über das andere: „ei w" allah! ei w" allah!“
und ein paar alte zerlumpte Kerle tanzten vor Vergnügen nach
dem Geklimper der Glocken auf der Straße herum, natürlich
eben so taktlos, wie diese Musik selbst.
Am lebhaftesten geht es in diesen Nächten in den Kaffee-
häusern und bei den Sorbetbereitern zu; in den ersten werden
dann gewöhnlich declamatorisch-musikalische Unterhaltungen
aufgeführt; versteht sich von selbst. Alles in türkischer Manier.
Wir traten in eines dieser Häuser, die heute eben so hell be-
leuchtet sind wie die Straßen, und wurden, obgleich es sehr
voll war, von dem Kaffeetschi mit großer Aufmerksamkeit
empfangen und untergebracht. Auch muß ich rühmend ge-
stehen, daß die Gäste selbst bei der Aufforderung des Kaffee-
tschi, für uns etwas Platz zu machen, sehr bereitwillig
zusammenrückten. So kam ich auch neben einen alten Ar-
nauten zu sitzen, der sein schönes Costüme in der ärmlichsten
Verfaffung, aber dagegen prächtige Waffen hatte. Seine
Pistolen, Dolch und Yatagan waren reich verziert und mit
kleinen silbernen Nägeln beschlagen. Aber der Mensch hatte,
wie fast all' dieses Volk, ein ganz unangenehmes confiscirtes
Gesicht; blaß, von Blatternarben zerriffen, wurde es von
einem ungeheuren Schnurrbart förmlich in zwei Hälften zer-
theilt, von denen es schwer zu entscheiden war, welche die
gerechtesten Ansprüche auf eine unbeschreibliche Häßlichkeit hatte.
Als ich mich neben den Arnauten niedergelaffen, legte
er grüßend seine Hand an das Feß und reichte mir das
Rohr seines Nargileh dar, aus dem ich Anstands halber
einige Züge thun mußte. Bald hatte uns der geschäftige
Wirth mit Kaffee und Pfeifen versehen, und wir konnten
behaglich das Gewühl der Menge vor uns überschauen.
Auf einer Erhöhung in einer Ecke des Gemachs saßen
drei türkische Musici, mit Instrumenten bewaffnet, wie ich
fie früher schon einmal beschrieben und womit sie einen argen
Hackländer, R. in d, O. I. 13
194
Lärm machten, zu welchem ein alter Türke, der vor ihnen
saß, Loblieder auf den Propheten in näselndem Tone mehr
sprach als fang. Doch ergötzten sich die umherfitzenden
Gläubigen sehr bei dieser Unterhaltung und spendeten den
Künstlern am Schluß derselben manchen Ausruf des Ent-
zückens und der Zufriedenheit. Jetzt trat ein Mährchen-
erzähler, Meddah, auf, und begann, wie uns Herr von C.
sagte, von den Abenteuern Sid-al-Battals zu erzählen. Wir
konnten natürlich nur wenig davon genießen, da wir kein
Wort von seinen Reden verstanden; doch machte uns Herr
von C. darauf aufmerksam, wie oft der Meddah Ton und
Sprache änderte. Jetzt ahmte er den gravitätischen Ton
eines Paschah nach, jetzt den unterwürfigen eines Sklaven,
jetzt hörten wir die hustende Stimme eines alten Weibes,
bald den Dialekt eines Armeniers, eines Franken oder Juden.
Da Herr von C. durch feine Bemerkungen unserm Gehör
nachhalf, so machte es uns eine Zeit lang Vergnügen, dem
Meddah zuzuhören. Als er zu dem interessantesten Theil
seiner Erzählung gekommen war und die Zuhörer recht ge-
spannt lauschten, wie sich der Held der Geschichte aus der
verwickelten Affaire ziehen würde, hörte er plötzlich auf, stand
auf und ging mit einem zinnernen Teller im Kreise herum,
worauf jeder ein paar Para warf, um sich so Fortsetzung
und Schluß der Geschichte zu erkaufen.
Wir verließen das Kaffeehaus, um nach der Suleimanje
zu gehen, wo noch mehrere dieser Häuser feyn sollten, in
denen man hauptsächlich in den Nächten des Ramadans
die Teriaki oder Opiumeffer ihr Wesen treiben sieht. Auf
den Straßen herrschte noch immer das alte Gewühl. In
den obern Theilen der Stadt, wo sich meistens die Gaffen
der verschiedenen Handwerker befinden, sahen wir oft neben
andern Illuminationen verschiedene arabische Schriftzüge, aus
kleinen Lampen zusammengesetzt. Es waren die Namen von
195
Schutzheiligen der Gewerke, welche hier in der Türkei ebenso
gut ihren Patron haben, wie die Innungen bei uns. Ja
die ganze Einrichtung der Zünfte und Innungen bestand bei
den Arabern weit früher, als bei uns, und wir haben sie
wahrscheinlich von dort herüber angenommen, wenigstens leitet
sich das Wort Zunft von dem arabischen Wort Sinf,
das ist ein Gewerk, eine Innung, her.
Bei den Türken ist Adam der Schutzheilige der Acker-
leute, Enoch der der Schneider und Schreiber, Joseph,
der Zimmerleute, Abraham, der Milchverkäufer, Daniel, der
Dolmetscher, Salomo, der Korbflechter, Jonas, der Fischer,
Jesus, der Reisenden, Mohamed, der Kaufleute c.
An der Suleimanje, wo viele Kaffeehäuser liegen, sahen
wir nur zu einigen der größten hinein und fast in allen
herrschte eine laute Fröhlichkeit. Da wurde gespielt und
gesungen, dort beschäftigte der Meddah die Phantasie der
Zuhörer und in andern trieben Lustigmacher und Tänzerknaben,
wie wir sie in Adrianopel gesehen, ihr Wesen. Herr von C.
führte uns in eine enge Gaffe, wo nur hie und da wie zum
Spott eine verglimmende Lampe brannte und vor ein kleines
Haus, dessen Inneres, nothdürftig erhellt, uns die Einrich-
tung eines ärmlichen Kaffeehauses zeigte. Dieß war eine
der Höhlen, in welchen die Opiumeffer ihr Wesen treiben.
Wir traten in das Local, das über alle Beschreibung schmutzig
aussah, ließen uns auf einer hölzernen Bank am Eingang
nieder und mußten eine Zeitlang warten, eh' sich der Wirth
zu unserer Bedienung meldete. Dieß war ein kleiner magerer
Mann, der sich auf eine sonderbar lächerliche Art, ich möchte
sagen, fast tanzend, aus dem Winkel neben dem Kamin, wo
er zusammengekauert faß, auf uns zu bewegte. Außer ihm
waren noch drei bis vier andere Leute in dem Gemach, die
die seltsamsten Bewegungen machten. Der Kaffeetschi trat
vor uns hin und hielt uns halb fingend eine Anrede, in der
13
196
er uns versicherte, es fey ihm eine Freude, daß wir ein
Haus mit unserm Besuch beehrten. Der Kopf des alten
Mannes hatte einen unangenehm lustigen Ausdruck. Seine
Augen, starr und schwerfällig, wie die eines Betrunkenen,
blitzten mit einem unnatürlichen Feuer. Die eingefallenen
Wangen waren geröthet und die Mundwinkel zuckten hin und
her. Es war mir ein unheimliches Gefühl, als der Alte
sich mehrmals vor uns verneigend mir mit einem langen
schneeweißen Barte fast im Gesicht herumfuhr. Er ging auf
dieselbe tanzende Art und beständig vergnügt vor sich hin-
fingend nach dem Herde zurück, um uns Kaffee zu kochen.
Wir verlangten natürlich keine Pfeife, denn es war uns
nicht darum zu thun, vielleicht eine mit Opium gewürzte zu
bekommen, die uns wohl in einen noch schlimmern Zustand
versetzt hätte, als wie der der Gäste, die sich hier befanden.
Im Hintergrund des Gemachs kniete einer derselben mit
dem Gesichte gegen die Wand gekehrt und schien eifrig im
Gebet versunken, wenigstens machte er alle die Bewegungen,
wie wir sie in den Moscheen zuweilen beobachtet, doch mit so
entsetzlicher Heftigkeit, wie sie nur die fanatischste Begeisterung
hervorzubringen im Stande wäre. Bald schlug er einen
Kopf gegen die Bank, bald warf er ihn hinten über, daß
wir ein blaffes eingefallenes Gesicht verkehrt sahen, und
der lange schwarze Bart in die Höhe stand. Er warf die
Arme heftig von einander und schloß sie krampfhaft wieder.
Die Worte, die er dabei ausstieß, fing er leise murmelnd an
und steigerte allmählig seine Stimme, nachdem die Ideen in
seinem erhitzten Kopfe immer wilder und verworrener auf-
wuchsen, bis zu lautem Geschrei, das er mit dem öftern
kreischenden Ausrufe: Allah il Allah! schloß. Neben ihm
lag ein noch ziemlich junger Mensch, eine elende abgemagerte
Jammergestalt, dem die Thränen aus den Augen stürzten
und defen stumme entfetzliche Trauer, welche das ganze
197
Gesicht ausdrückte, einen schneidenden Contrast mit der grellen
ausgelaffenen Lustigkeit eines baumstarken Negers bildete,
der auf der andern Seite in einem dunkeln Winkel lag.
Die Augen des Schwarzen glänzten, wie die eines wilden
Thiers, und die Reden, die er ausstieß, kamen mit Blitzes-
schnelle zwischen den schneeweißen Zähnen hervor, die er
wiehernd lachend auf einander biß. Er warf seine musku-
lösen Arme begeisternd um sich herum, zeigte bald vor sich
hin, bald in die Höhe und machte überhaupt so entsetzlich
lebhafte Mienen und Zeichen, daß mir war, als verstünde
ich eine verworrenen Reden. Der Unglückliche träumte
vielleicht von einem Lande, von den Palmen, unter denen
er gewandelt, von der gelben Flut des Nils, in der er ge-
badet. Jetzt faßte er mit feinen Armen die Luft, als ergreife
er etwas und seine Finger krampften sich so in einander,
daß die Muskeln schwellend heraustraten. Kam ihm viel-
leicht in diesem Augenblicke das Bild eines Kampfes vor die
Seele, in dem er seinen Feind überwindend niederriß und
jetzt, da er die Arme wie ermattet herunter sinken ließ und
fich zurücklehnend mit den schwarzen Augenliedern das wilde
Feuer einer Blicke auslöschte, dachte er da vielleicht an eine
fanfte Hand, die ihm über das Gesicht fuhr und den
Schweiß von der Stirne wischte?
Doch genug von diesen entsetzlichen Bildern! Der An-
blick dieser Menschen war uns Allen nach wenigen Augen-
blicken so unerträglich und wirklich Furcht erregend, daß wir
das Haus verließen, ohne unsern Kaffee anzurühren. Der
Anblick von Wahnsinnigen ist wahrhaft gegen das Aussehen
dieser Menschen ein beruhigender zu nennen. Man weiß
doch, daß bei jenen gehörige Vorsichtsmaßregeln getroffen
find, daß sie ihren Nebenmenschen nicht schaden können.
Aber wer bürgt mir dafür, daß nicht einer dieser Verzückten
auf mich zustürzt und mich ohne alle Umstände erwürgt?
f,98
Das Laster des Opiumeffens verschwindet glücklicher
Weise selbst im Orient immer mehr und mehr, und die
Individuen, die es noch treiben, find den Andern noch viel
verhaßter, als ein Mensch bei uns, der beständig betrunken
ist. Man muß aber auch die gräßlichen Gestalten dieser
Menschen sehen, wie sie blaß und abgemagert, halb taub
und blind und abgestumpft für alle Genüffe des Geistes und
alle Freuden des Lebens dahin wanken, wenn der Rausch
des Opiums nachgelaffen. -
Obgleich das Opium, (ein Oppiat aus Hyosciamus) Ha-
fchische genannt, meistens aufgelöst getrunken wird, sagt man
jedoch nach dem Idiotismus der türkischen und persischen …
Sprache: er ißt Opium und trinkt dagegen den Rauch
der Pfeife. Wahrscheinlich brachte der Genuß des Opiums
in alten Zeiten die Affaffinen in jene Begeisterung und Todes-
verachtung, mit der sie das von ihrem Meister bezeichnete
Opfer in der Mitte der Seinigen aufsuchten und niederstießen.
Uns. Alle hatte der Anblick jener Unglücklichen trübe
gestimmt und wir wandelten schweigend durch die Gaffen der
Hauptstadt, in denen, da Mitternacht vorüber war, die laute
Fröhlichkeit mit einem Mal nachgelaffen. Hie und da wan-
delte noch ein Verkäufer herum und die Lichter auf einem
Tragtische waren niedergebrannt und verlöschten allmählig.
Die illuminierten Namen und Figuren hatten schon große
Lücken, und an den Minarets brannte noch hie und da eine
Lampe, deren flackerndes Flämmchen sich schwach gegen die
mächtige Nacht vertheidigte, die mit ihrem wehenden schwarzen
Schleier den Glanz so vieler tausend Lichtchen schon getödtet
hatte. Als wir auf der großen Brücke waren, und noch
einmal nach Stambul zurückschauten, stieg der Mond hinter
Scutari empor und grüßte uns mit einem langen zitternden
Lichtstreifen, den er über Hafen und Brücke warf.
199
Eine Audienz beim Sultan. Diner bei
Refchid Pascha.
So oft wir auch Gelegenheit hatten, den jungen Padi-
schah, den Beherrscher der Gläubigen, auf der Straße, oder
auf dem Hafen zu sehen, so konnten wir außer dem Baron
doch nicht das Glück haben, vor sein erlauchtes Antlitz zu
treten, weil wir weder Rang noch Titel, oder was noch
schlimmer war, keine Uniformen besaßen, ohne welche man sich
dem Sultan nicht präsentieren darf. Nachfolgende kleine Skizze
über eine Audienz beim Sultan entnehme ich aus einem Briefe
des Barons.
–– Da wir uns gerade in der Zeit des Ramasans befan-
den, so konnte uns erst nach Sonnenuntergang die Ehre zu
Theil werden, eine Audienz beim Sultan zu erlangen. Es war
acht Uhr Abends, als ich in das Kaik des preußischen Ge-
sandten stieg, der die Güte hatte, mich feiner Hoheit vorzu-
stellen. Wir fuhren bei Galata ab und kamen in kurzer
Zeit an den Schiffen vorüber, die zur Feier des Ramasan
glänzend erleuchtet waren. Es ist ein großartiger Genuß, in
diesen Nächten auf dem Waffer zu fahren und um sich die
mächtigen Häusermaffen von Stambul, Pera, Galata und
Skutary von tausend und tausend Lichtchen hell erleuchtet
zu sehen.
Unser Boot hielt bei den Terraffen des Sommerpalastes
von Beschiktasch und wir wurden durch einige Hofbeamte in
ein Gemach zu ebener Erde geführt, wo uns der Obersthof-
marschall Kurfim-Bey empfing. Das Gemach ist wie der
ganze Palast halb türkisch, halb europäisch eingerichtet; denn
neben den Divans enthält es Fauteuils, schöne Spiegel und
französische Kronleuchter. Der Hofmarschall empfing uns sehr
freundlich, bewirthete uns mit Kaffee und Pfeifen, wobei
die Unterhaltung, die wir mit ihm hielten, durch den Dol-
200
metscher des preußischen Gesandten geführt wurde. Nach
Verlauf einer halben Stunde erschien einer der Hofbeamten
wieder, der uns hieher gebracht und nahte sich dem Bey,
ihm einige Worte sagend, worauf dieser sich erhob, um uns
vorangehend zum Gemach des Sultans zu begleiten. Dieses,
ebenfalls im untern Stockwerke, war nicht prächtiger einge-
richtet, als das des Hofmarschalls und ganz in demselben
Geschmack. Auch war es sparsam erleuchtet, denn von den
Lichtern auf dem großen Kronleuchter brannte keins, sondern
vier Wachskerzen auf bronzenen Leuchtern stehend, waren hie
und da auf den Boden gestellt. Der Beherrscher der Gläu-
bigen saß in einem großen Fauteuil, das er jedoch bei unserm
Eintritt mit der Ecke des Divans vertauschte, in welcher er
sich auf die untergeschlagenen Beine fetzte. Er trug über
dem gewöhnlichen blauen Ueberrock einen braunen langen
Mantel, den eine Agraffe von Diamanten auf der Brust
zusammenhielt und auf dem Kopfe das Feß, an dem eben-
falls ein großer Stern von Brillanten prangte. Vor ihm
fand der damals mächtige Refchid Pascha und übersetzte
feinem Herrn die Gefühle der Dankbarkeit, die ich ausdrückte,
mich an dem Glanz eines erhabenen Angesichtes erfreuen zu
dürfen, aus dem Französischen ins Türkische, nachdem mich
der Sultan mit dem üblichen Gruß der Morgenländer: „Der
Herr segne Deinen Eingang bei uns!“ empfangen hatte.
Die ganze Audienz dauerte ungefähr eine halbe Stunde,
in welcher er mich über den Zweck meiner Reise befragte, so
wie auch, ob mir eine Pferde gefallen und dergleichen
Kleinigkeiten mehr. Dann legte er die Hand an ein Feß,
wir waren entlaffen und verließen das Gemach. – –
Eine lächerliche Anekdote in Bezug auf eine Audienz
unserer frühern Reisegesellschaft des Lords und der Lady Lon-
donderry beim Sultan war damals in aller Leute Munde
und ist wirklich zu interessant, um sie nicht mit kurzen
201
Worten zu erzählen. Seine Herrlichkeit der Lord hatten,
wie sich von selbst versteht, eine officielle Audienz, die aber
seiner Gemahlin, welche auch den Sultan in der Nähe zu
fehen wünschte, aus dem Grunde nicht zu Theil werden
konnte, da das Gesetz dem Beherrscher der Gläubigen ver-
bietet, die Frau eines Ungläubigen bei sich zu empfangen.
Doch war der junge Padischah, dem der Wunsch der Lady
zu Ohren kam, so galant, höchst eigen ein Auskunftsmittel
vorzuschlagen. Es wurde der Lady nämlich eine Stunde
bezeichnet, in welcher sie sich die Gemächer des Palastes
sollte zeigen laffen, und wo ihr der Sultan alsdann, ganz
wie von ungefähr begegnen und im Vorbeigehen einige Worte
an die richten würde. Die bestimmte Stunde erschien und
Ihre Herrlichkeit betrat den Palast von Beschikdach nicht nur
wie gewöhnlich im großmöglichsten Staate, sondern hatte ihren
ganzen Diamantenschmuck, einen der schönsten und reichsten
in der Welt, um und an sich gesteckt. Sie wurde durch den
Hofmarschall in die unterm Zimmer geführt, und man mußte,
wer weiß durch welchen Zufall, den Sultan im Voraus da-
von benachrichtigt haben, in welchem Glanz die Lady er-
schienen fey, kurz er befahl feinen Palastoffizieren, ihre
Nischah und Rangzeichen mit Brillanten besetzt augenblicklich
holen zu laffen und gleich umzuhängen, worauf sich einer
nach dem andern verlor, um mit Diamanten geschmückt gleich
darauf wieder zu erscheinen. Die Lady besah die untern
Gemächer, die Corridors, die Terraffen nach dem Garten zu
und auf einer dieser letzteren begegnete ihr der Sultan. Der
Padischah blieb stehen und wechselte durch Refchid Pascha
einige Worte mit ihr, ehe er seinen Weg fortsetzte. Doch
war ihm wahrscheinlich die Maffe Diamanten, mit welcher
Ihre Herrlichkeit behängt waren, ein wenig stark vorgekommen,
denn wenige Minuten darauf gab er seinem Minister den
kitzlichen Auftrag, fich bei der Lady zu erkundigen, ob die
202
Steine auch alle ächt feyen, und was sie in dem Falle wohl
gekostet hätten; eine Commission, deren sich der gewandte
Reschid Pascha mit Uebergehung der ersten Frage um so
leichter entledigte, weil die Lady es liebte, die ungeheure
Summe anzugeben, welche jener Schmuck auch wirklich gekostet.
– – Eine Einladung, die mir am andern Tage zu Theil
wurde, war mir um so interessanter, da sie von dem hoch-
gestellten Refchid Pascha ausging und auf ein türkisches
Diner lautete. Es war Abends gegen sieben Uhr, als wir
uns in die Wohnung des Ministers begaben, die eben so
wie der Palast vor Beschikdach halb europäisch, halb türkisch
eingerichtet ist. Die Divans waren hier das einzige Orienta-
liche nnd Resschid Pascha hatte von einem früheren Aufent-
halte als Gesandter in Wien Stühle, Sopha's, Console-
tische, Spiegel c. von dort mitgebracht.
Einige Bemerkungen über das Diner mögen hier er-
laubt seyn. Unmittelbar vor dem Eiffen, noch im Empfangs-
zimmer, wurde jedem Gaste ein eigenes kleines Tischchen
vorgesetzt, worauf Täßchen mit etwas Suppe. Dies soll
"den Appetit reizen. Eine Viertelstunde später gingen wir
zur eigentlichen Mahlzeit. Wir waren sieben Personen, für
welche ein ziemlich kleiner runder Tisch mit einer Silberplatte
und erhabenem Rande bereitet war. Rings um am Rande
des Tisches waren alle Arten von geschnittenem Brod gelegt,
in der Mitte stand als erste Schüffel der Pillau; um den-
selben kleine Platten mit Salat, geschnittenem Obst, Con-
fituren und gesalzenen Sachen, Alles unter einander. Als
Besteck war nur ein Löffel für jeden Gast sichtbar. Merk-
würdig ist, daß das Tischtuch nicht auf den Tisch, sondern
der Tisch auf das Tischtuch gestellt wird. Der Tisch selbst
hat nur einen Fuß in der Mitte. Das Tischtuch ist von
Damast mit Gold gestickt; dieses wird in die Höhe gezogen,
jeder Gast breitet es sich über den Schooß und streckt die
203
Beine darunter. Dann erhält er noch eine Serviette von
grober Leinwand, um sie über die Stickerei zu thun. Nun
beginnt das Effen; Jeder greift mit einem Löffel in die
Schüffel, verliert unterwegs die Hälfte und greift von Neuem
zu. Der Minister bemerkte, daß wir in den Gebräuchen
einer türkischen Mahlzeit noch nicht hinreichende Geschicklichkeit
erlangt hatten; er ließ für das nächste Gericht Teller und
Bestecke kommen. Hierauf folgte eine Unmaffe von Gerichten,
süß und sauer unter einander, wobei die Etikette erfordert,
daß, so wie eine Schüffel auf die Tafel gesetzt ist, ein Diener
bereits die nächste hinter dem Tische bereit hält. Die süßen
Speisen waren gut, jedoch so süß und fett, daß ich nur wenig
davon genießen konnte. Der Türke nimmt nur wenig auf
einmal, wodurch das Fingereffen etwas reinlicher, auch die
Menge der Speisen erklärlich wird.
Man hat mir erzählt, daß in der alten guten Zeit
türkischer Herrlichkeit, zum Besten der Großen des Reiches,
wenn sie reisten, auf ihrem Paß vorgeschrieben wurde, wie
viel Speisen ihnen gereicht werden müßten. Die Zahl der-“
selben betrug oft einhundertundzwanzig.
Bei unserm heutigen Diner wurde kein Wein, nur Waffer
vorgesetzt. Als schöne blaue Taffen auf den Tisch gestellt
wurden, hielt ich es für Mundwaffer, und glaubte, das
Diner fey zu Ende. Es war aber Scherbet, und dies be-
zeichnete die Hälfte der Mahlzeit. Gegen Ende erscheint
noch einmal Pillau, damit jeder Gast, dem die andere Speise
nicht zusagt, sich daran halten könne. Die Höflichkeit will,
daß der Hausherr immer zuerst ein wenig aus der Schüffel
nimmt, wobei er sagt: Bujurum (Wenn's beliebt). Nach
Tische ging man in ein Nebenzimmer; jedem Anwesenden
wurde ein Becken nebst Kanne präsentiert, sich die Hände zu
waschen. Dann wurden Pfeifen gebracht und Kaffee getrunken.
Der Minister ließ mich in seinem Wagen nach Hause führen.
204
Das neue Serail.
I. Von der Hafen- und Seeseite.
Wenn man in lauen Mondscheinnächten, deren das
Clima um Constantinopel selbst in der späteren Jahreszeit
noch viele gibt, in dem kleinen Kaik langsam und die Schön-
heiten rings genießend auf dem goldenen Horn umher fährt,
dann öffnet sich leicht die Brust und nimmt gerne in sich
auf die Klänge und Sagen, die ihm jener Thurm, jener
Fels, selbst die spielenden Wellen geheimnißvoll zuflüstern.
Die ganze Gegend hier gleicht einem aufgeschlagenen riefen-
haften Geschichtsbuch, wo man in jeder Zeile, jedem Fuß
breit Landes etwas Neues, Ungeheures lesen kann. Welche
Poesie, welche Geschichte versammelt sich nicht auf und an
diesen Gewäffern! – Könnte ich den Nachen zur Muschel-
schaale des Zauberers machen und in ausgestrecktem Arm den
Zauberstab schwingen, um den Schatten, die einstens hier
"gewandelt, zu befehlen, daß sie sich auf der dunkeln Fluth
zeigten und langsam bei mir vorbeischwebten! Ach keine Macht
kann das, und nur die Phantasie vermag aus der Erinnerung
Gestalten vor das innere Auge zu zaubern, gewaltige Bilder,
die wir in der Kindheit in uns aufnahmen und die in den
spätern geräuschvollen Wellen des Lebens allmählich verblaßten,
jedoch hier auf dem Platze ihrer Entstehung ihr volles Recht
wieder geltend machen und lebhafter als je vortreten. –
Hier wo ich jetzt mein Boot wende, schifften die Argonauten,
denen die Jugendträume so gern nach Colchis folgten, um
ihnen genau zuzusehen, wie sie unter Gefahren und Mühen
das goldene Vließ des Widders zurückholten. Dort die
Landspitze hieß einst Bosphorus und hier trat die schöne Jo,
in eine Kuh verwandelt, an's Land. Zur Linken bei Top-
Chana, wo sich jetzt der bunte Palast des Sultans erhebt,
205
opferten die Jünglinge dem Helden Ajax, und wo heute die
Gebäude der türkischen Artillerie stehen, hatte einst Ptole-
mäus Philadelphus feinen Tempel. – Vor mir liegt
Skutari, das alte Chrysopolis, der letzte Ruhepunkt der Ca-
ravanen, die ihre Schätze von Asien nach Europa führten.
Hier auf diesen Gewäffern zeigten sich um’s Jahr 654 zum
ersten Mal die Schwärme der räuberischen Araber unter ihrem
Kalifen Moarin, der erste, welcher das Verbot Omars über-
trat, der den Arabern, wie früher Lykurg den Spartanern,
die Seefahrt verboten, und nach dieser Zeit machten die
Araber bis um's Jahr 780 sieben Versuche, die Hauptstadt
des griechischen Kaiserthums zu erobern, alle vergeblich, bis
Mohamed II. im Jahre 1453 nach einer Belagerung von
sieben Wochen die Stadt zu Waffer und zu Land stürmte,
und sie erobernd das Wort des Propheten erfüllte, ein Wort,
welches der Herrscher der Osmanen stets zu neuen Versuchen
wider Byzanz geführt hatte: „Sie werden erobern Constan-
tinopel, wohl dem Fürsten, dem damaligen Fürsten, wohl
dem Heere, dem damaligen Heere. –“
Unter all' diesen Betrachtungen, die Land und Meer
gewaltsam herbeiführen, und denen ich ruhig nachhängen
kann, geht es mir wie dem Kinde, das von all dem Schönen,
was ihm erlaubt ist, den Blick beständig nach jenem präch-
tigen Palaste hinschweifen läßt, dessen Thore ihm verschloffen
find, und wo es doch so gern wenigstens durchs Schlüffel-
loch sehen möchte, um etwas zu erspähen von den Herrlich-
keiten, die er, wie man sich heimlich erzählt, enthalten soll.
Mir lag dieser verschloffene Palast, das neue Serail, zur
Rechten, und wenn auch auf seinen Terraffen nicht mehr
wie sonst, zahlreiche Sklaven lauern, die das fich unvorsichtig
nähernde Boot ergreifen, es umstürzen und die darin Sitzenden
ertränken oder erschießen, so haben doch die entsetzlichen Ge-
schichten, die dort geschehen, und die Flüche, die aus jenen
206
bunten Lufthäusern hervordrangen, einen Zauberkreis um feine
Mauern gebildet, dem man sich nur mit ängstlich klopfendem
Herzen nähert.
Im hellen Mondschein lag das Serail vor mir; es
scheint nur der Aufenthalt einer bösen Fee zu sein, die den
Unerfahrenen anlockt, um ihn zu verderben. Wie schön
glänzen in dem weißen Lichte die vergoldeten Dächer der
bunten Kioske und scheinen so freundlich zwischen Gruppen
von schwarzen Cypreffen und dicht belaubten Platanen hervor,
schönen Mädchen gleich, die sich zwischen Rotengebüschen ver-
bergen und den vorübergehenden neckend anrufen. Die Wellen
des Meeres schlagen einförmig an die Grundmauern des
Gartens und ich weiß nicht, ist es das Gemurmel des Waffers,
wenn es von dem zackigen Gestade herabträufelt, oder was
sonst – ich glaubte, leise hinsterbende Accorde zu vernehmen. –
Das ganze Gestade, welches jetzt die Wohnung der
Sultane mit ihren Heimlichkeiten und Verbrechen trägt, ist mir
immer wie ein verfeyter Platz vorgekommen, der bald gut,
bald böse auf seine jedesmaligen Bewohner einwirkt. Kein
Fleck der Erde hat wohl wie dieser eine so großartige, aber
auch blutige Geschichte zu erzählen. Schon der erste Gründer
von Byzanz, Byzas, baute auf diesem fanft ansteigenden
Hügel dem Poseidon und der Aphrodite Altäre, die sich unter
den Constantinern, dem christlichen Glauben gemäß, in Kirchen
und Capellen verschiedener Heiligen umwandelten. Auf der-
selben Stelle erhob sich später der große Palast der griechi-
schen Kaiser oder vielmehr die verschiedenen Gebäude, welche
die alte Kaiserburg bildeten und die noch einen größeren
Raum einnehmen, als das heutige Serail. Stolze Bauten
spiegelten sich zu jener Zeit in den Wellen des Propontis,
Thore, Säle und Bäder von glänzendem Marmor, stattliche
Porphyrsäulen ragten hoch empor und von ihnen schauten die
Bildsäulen verschiedener Kaiserinnen weit ins Meer – Alles
207
das verschwand größtentheils, indem bald große Empörungen,
fo wie auch die Zeit diese Bauten zusammenstürzten. Nicht
minder griff auch die Hand einzelner Menschen zerstörend
ein, wie die des Kaisers Justinian, der aus den vergoldeten
Ziegeln des ehernen Thorpalastes Chalke seine auf dem Saal
des Augusteon aufgestellte Bildsäule gießen ließ.
Mit Zeit und Geschichte Hand in Hand gehend, ent-
standen alsdann neue Paläste und Denkmäler hier, dem
jedesmaligen Weltalter analog. Die alte Zeit wurde in
ihrem Eisenkleide zur Ruhe gelegt und die neuen Herrscher
von Byzanz legten ihr beturbantes Haupt einer schönen
Sklavin in den Schoos, und bauten sich mitten in den
dunkelsten Partien ihres mit Marmorbecken und Rosengebü-
fchen gezierten Gartens zierliche Kioske, leichte vergoldete
Häuser, die das Auge des Neugierigen blendeten und ihn
wie der Blick der Schlange festhielten, bis ihn der Arm
erreichte, der den Unglücklichen für eine Verwegenheit tödtet.
Ehrgeiz und Wollust zogen lange glänzende Fäden an diesen
Mauern, einem Spinnennetz gleich, und so entstand das neue
Serail, in dessen Mitte der Beherrscher der Gläubigen thronte,
fast unsichtbar und jedem fürchterlich, der sich der schimmern-
den Höhle nähern mußte. -
Wer nach Constantinopel kommt, umsegelt gewiß öfters
die Spitze des Serails, und wenn er sich träumend verlor
in die gewaltige blutige Geschichte, die hinter diesen Mauern
vor sich ging, steigt gewiß der Wunsch in ihm auf, etwas
Näheres über das Innere und die Einrichtung dieser ge-
heimnißvollen Paläste uud Lusthäuser zu erfahren. Doch ist
es wenig Europäern gelungen, von der Seite des Meeres,
wo sich die Frühlingharems, die meisten Gärten und Bäder
befinden, einzudringen; denn so sehr sich auch hier schon die
Zeiten geändert haben und dem Neugierigen erlaubt wird,
manche Blicke in Gebäude und Verhältniffe zu thun, die
208
früher mit dem Tode bestraft worden wären, so ist doch die
Erlaubniß, das neue Serail zu sehen, sehr eingeschränkt und
wird mit seltenen Ausnahmen nur der Eintritt von der
Landseite gestattet, wo auch wir ohne viele Mühe bis hinter
das Thor der Glückseligkeit drangen.
Daß wir bei unsern Spazierfahrten oftmals den Blick
verlangend zu den hohen Mauern des Uferpalastes schickten,
und Alles anwandten, die Erlaubniß zu einem Besuch zu er-
wirken, kann jeder denken; doch hatte man uns im Allgemeinen
versichert, obgleich der Sultan augenblicklich in einem gegen-
über liegenden Palaste von Beschiktasch residire, es würde
unmöglich sein, einen Ferman zu erlangen, um diese stets
verschloffenen Gärten und Gemächer auch nur flüchtig zu sehen,
und schon hatten wir alle Hoffnung aufgegeben, als es durch
eine sonderbare Verkettung von Umständen dem Baron
und mir gelang, an einem schönen Abend und im wahren
Sinn des Worts durch eine Hinterpforte in die geheimniß-
vollen Räume des neuen Serails zu dringen. Doch da es
uns nicht vergönnt war, einen Dragoman mitzunehmen, auch
unser Führer im Innern des Palasts, obgleich er sehr redselig
war, nur türkisch sprach, so hätte ich wohl für meine Person
die wirklich ängstlichen und gespannten Empfindungen be-
schreiben können, die mich ergriffen, als das Thor sich hinter
uns wieder schloß und wir uns in den Gärten befanden,
wo im Falle unseres Verschwindens keine Macht der Erde
augenblicklich im Stande gewesen wäre, unserer Spur nachzu-
forschen; aber für mein Tagebuch und andere Mittheilungen
hätte ich keinen Gewinn gehabt, wenn der Baron nicht den
guten Gedanken hatte, einen Theil des trefflichen Werkes
von Hammer über Constantinopel und den Bosporus mitzu-
nehmen, der vor mehreren Jahren ebenfalls und beffere Ge-
legenheit hatte, diese Gebäude zu besehen, welches uns nun
als Cicerone und vorzüglicher Erklärer diente.
209
Es war an einem der schönen Herbstabende, so lau und
angenehm, daß man glauben möchte, im Frühling zu feyn,
und doch waren wir schon im Monat November, als uns das
kleine Boot quer über das goldene Horn hinwegtrug, um die
Spitze des neuen Serails herum in die Propontis. Wir
flogen, ohne ein Wort zu sprechen, längs der Felsen, die
das Meer bespült und auf welchen die hohen festen Garten-
mauern des Serails stehen. Unser Kaikschi, ein Armenier,
den wir bei unsern Fahrten oft benützt, ein redseliger Mensch,
der uns stets mit einer Menge Fragen quälte, die wir ihm
doch nicht beantworten konnten, sprach bei unserer heutigen
Fahrt kein Wort, und als wir unter die vergitterten Fenster
des ersten zum Serail gehörigen Kiosk kamen, drückte er seine
Filzmütze fest auf die Stirn und bearbeitete ohne aufzusehen
mit seinem Ruder die Wellen so gewaltig, daß wir einer
Seemöve gleich an dem zackigen Ufer hinfuhren. – Der
Abend war so schön, die Sonne warf ihre letzten Strahlen
herüber, die Wellen des Marmormeers vergoldend, die ver-
gnüglich auf- und abspielten, und die Berge Kleinasiens,
vor Allen der schneebedeckte Olympos, brannten in hellem
Feuer. – Jetzt waren wir am Ziele unserer Fahrt ange-
langt, der Kaikschi legte ein Ruder weg und trieb die Spitze
des Fahrzeugs mit dem andern zwischen zwei Felsen am
Ufer. Wir sprangen hinaus und mußten zurückblickend über
die Angst des Armeniers lachen, über die Hast, mit der er
sein Boot wieder vom Ufer entfernte, und als dann mit
noch größerer Geschwindigkeit wie früher weit ins Meer
hinausfuhr, um auf einem großen Umweg den Hafen wieder
zu gewinnen. In wenigen Augenblicken sahen wir eine
Nußschaale in den hohen Wellen der Strömung auf- und
ab tanzen und bald verschwinden.
Wir traten zu einer kleinen Pforte, nicht weit von dem
Kiosk Selim III., die uns auf ein gegebenes Zeichen ein
Hackländer, R. in d. O., L. 14
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Schwarzer öffnete, der dieselbe aber hinter uns wieder forg-
fältig verschloß, und befanden uns in einem großen Garten
voll duftender Jasmingruppen, Rofengeländer und großen
Parthien schöner Platanen, die ihre dunkeln Zweige wie
schützende Flügel ausstreckten und unter denen eine tiefe un-
heimliche Stimme brütete. Ich weiß nicht, es war ein
sonderbares Gefühl, hier zu wandeln. Wie Diebe in der
Nacht schlichen wir anfangs vorwärts, auf jedes fallende
Blatt lauschend und beinahe über das Knistern erschreckend,
daß unser Fußtritt auf dem weichen Sand verursachte. Doch
die Sicherheit unseres schwarzen Führers, mit der er so laut
als möglich sprach und uns die Gegenstände umher erklären
wollte, lösten die ängstlichen Träume, die das Andenken an
die frühere fürchterliche Geschichte dieses Orts um mein Herz
gelegt, und ließ uns die interessanten Sachen so genau be-
trachten, wie es in der Schnelligkeit, mit der wir hindurch
gingen, möglich war. Der Garten, in dem wir uns be-
fanden, der neue Garten genannt, wird durch zwei große
Laubgänge in vier Theile getheilt, auf denen Gruppen, so
wie Lauben von Rosen und Jasmin Schatten gegen die
Sonne geben, während allerlei da angebrachte Wafferwerke,
speiende Löwen, gewöhnliche Fontänen, Sterne c., die sich aber
gerade nicht durch großen Geschmack auszeichneten, den Damen,
die auf den angebrachten Steinopha's ruhen, Erfrischung ge-
währen. Wir ließen uns einen Augenblick auf einen dieser Ruhe-
fize nieder, von dem man zwischen den Zweigen einiger Bäume
eine Aussicht bis auf die hohe See hatte. Wie manche
jener unglücklichen Frauen, die hier in der Gefangenschaft
ihre Schönheit und Jugend verblühen sahen, hatte wohl ihre
Blicke hoffend oder verzweifelnd da hinausgesandt, und sich,
in die spielenden Wellen schauend, goldenen Träumen über-
laffen, in denen sich ihr die verschloffenen Thore des Harems
öffneten und sie die erdrückenden prächtigen Gewänder zurück-
2 | |
laffend mit Freuden in ein armseliges kleines Boot sprang,
das sie ihrer Heimath zuführte, ihrer Heimath, wo sich
liebende Arme, denen sie entriffen war, jauchzend zu ihrem
Empfange öffneten. Wie mußten diese Träume so süß ihr
Herz erfrischen und der Unglücklichen ihre Schmach vergeffen
machen, bis der rauhe Ruf der Wächter die emporschreckte
und fiel hineintrieb in ihre vergitterten Zimmer, wo die
murmelnde Fontäne ihr melancholisch andere Dinge zuflüsterte,
entsetzlich blutige, die das klare Waffer mit angesehen.
Das Kiosk Selim III. liegt in diesem Garten hart am
Meere und man muß von den obern Zimmern defel-
ben eine prächtige Aussicht auf die asiatische Küste und
die vorüberfahrenden Schiffe haben. Das untere Stockwerk
dieses Gebäudes ist ein gewölbter Saal mit einem einfachen
Springbrunnen um den die dienenden Weiber und Mägde
ruhen und sich die Zeit mit Mährchenerzählen vertreiben.
Die Zimmer oben, zu der unser Führer leider keinen Schlüffel
hatte, bestehen aus einem prächtigen Gartensaal, halb
europäisch eingerichtet, wo sich neben den türkischen Divans
große französische Spiegel befinden, und wo englische Kron-
leuchter das Gemach erhellen. Rechts und links von diesem
Saale sind zwei Zimmer, eins für den Sultan, das andere
für die jedesmalige Favorite.
Von diesem äußern Garten tritt man durch einen langen
dunklen Gang, der einen Flügel des Harems durchschneidet
und mit zwei eisernen Thoren verschloffen ist, in den inneren
Blumengarten; der rechte Theil heißt der Cypreffen- und der
linke der Hyazinthen- und Tulpen-Garten. Dieser innere
Blumengarten ist ein Viereck von Gebäuden des Serails um-
schloffen und in einem wunderlich phantastischen Geschmacke
angelegt. Die schwarzen Gestalten hochstämmiger Cypreffen
werden noch schärfer hervorgehoben durch den glänzenden
bunten Blumenteppich, aus dem sie wachsen, indem Tulpen
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Hyazinthen und Rosen, durch einander blühend, ein schönes
Farbenspiel entfalten, das angenehm unterbrochen, aber nicht
gestört wird durch die mit Marmor ausgelegten Fußwege und
die bunte Porzellaneinfaffung der verschiedenen Beete.
In seltsamen Gestalten ragen hie und da aus dem
Laubwerk einzeln stehender Platanen und coloffaler Rosen-
sträuche kleine Bauwerke hervor, dünne Pfeiler, kleine
Thürmchen mit glänzenden Dächern, Kamine, mit Arabesken
verziert, Marmorgeländer, die Behälter voll klarem Waffer
umgeben, und eine Menge anderer Spielereien um die
Herumwandelnden zu erfrischen und zu zerstreuen. Wir
gingen gerade durch diesen Garten und traten durch ein an-
deres Thor, das dem, zu welchem wir oben hereingekommen,
gegenüber liegt, in einen langen schmalen Gang, der fast
eine ganze Seite der Gebäude einnimmt, die um den innern
Blumengarten liegen. Diese Galerie erhält ihr Licht durch
kleine runde Fenster. An den Wänden hingen verschiedene
Kupferstiche; wie mir schien, waren es Pläne von Festungen
oder Schlachten.
Lang und schmal, wie dieser Gang ist, möchte ich ihn die
Lebensader des Serails nennen; aus ihm strömen die, freilich
bösen Säfte, welche das ganze Getriebe des Haremwesens
in Leben und Kraft erhalten, denn zu ebener Erde wohnen
hier die Eunuchen, die barbarischen Wächter der Weiber und
die privilegierten Angeber der Vergehen, die sich jene zu
schulden kommen ließen oder die ihnen nur angedichtet wur-
den. Schrecklich wirkte die Anklage aus dem Munde eines
Verschnittenen, fast gleich, ob sie die Sultanin oder die
geringste Zofe traf. Aus diesem Gange traten wir links in
die Galerie der Kupferstiche und kommen aus ihr in die
eigentliche Wohnung des Sultans, zuerst in den sogenannten
persischen Saal der Hängeleuchter, ein wirklich heimliches
reizendes Gemach. Die Divans rings an den Wänden sind
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mit geschnittenem Sammt überzogen und große prächtige
Spiegel, einst von den Ruffen zum Geschenk dargebracht,
bedecken die Wände. Die Fenster dieses Saales, von außen
durch rankende Pflanzen und Rosengebüsche fast unsichtbar,
gewähren dennoch eine reizende Aussicht auf den Blumen-
garten – hier möchte ich auch als Sultan ruhen, die lange
Pfeife in den Händen und stundenlang gedankenlos in den
Garten schauen, auf den Flor der Blumen und Mädchen
meines Harems, oder mich in dem klaren Waffer spiegeln,
das vor meinen Fenstern ein schönes Marmorbecken füllt.
Wie oft mag der Beherrscher der Gläubigen da hinabgeschaut
haben und die tanzenden Rosenblätter auf dem Waffer waren
ihm seine Flotten, die er in Gedanken hinaus fandte in die
Welt, um neue Länder zu erobern – bis ihn ein weißer
runder Arm aus diesen Träumereien weckte, um ihn in andere
füßere zu versenken. Hier dieses Wafferbecken war es viel-
leicht, wo Sultan Ibrahim auf feine Lieblingsweise mit
seinen Weibern und Kindern scherzte, indem er sie aus dem
Fenster des Gemaches entkleidet in das Marmorbecken warf und
eine Zeitlang darin herumplätschern ließ, ehe er den umstehen-
den Sklaven den Befehl gab, sie wieder herauszufischen.
Durch ein Bad des Sultans Abdul-Hamids traten wir
aus dem persischen Saal in die Bibliothek Selim III.; zwei
prächtige Zimmer, ein kleineres mit Bücherschränken, nach
Hammer die Handbibliothek Selims, Geschichtsschreiber und
Dichter, durchgängig Prachtexemplare, durch Schöne der
Schrift ausgezeichnet. Das größere hat einen ganz goldenen
Plafond, von welchem Körbe mit künstlichen Vögeln herunter-
hängen, die dem ruhenden Gebieter etwas vorsingen. Uns
mochten sie nicht für würdig halten, ihre Stimmen ertönen
zu laffen und uns zu unterhalten; denn sie waren stumm
wie alle diese zauberhaften Räume. An den Wänden des
Gemachs hingen prachtvolle, meistens alte Waffen, reich mit
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Gold und Edelsteinen besetzt, Dolche, Pistolen, Säbel,
Bogen und Köcher. In der Mitte auf einem prächtigen
Bodenteppich stand ein großes Kohlenbecken (Mangahl).
Wir sahen in diesem Privatzimmer rings auf allen Divans
herum, ohne zu finden, was wir suchten; denn hier lag,
wie Herr von Hammer erzählt, die große Brieftasche des
Sultans, aus gelbem Leder mit Silber gestickt, eine ähn-
liche, wie ihm bei festlichen Gelegenheiten von einem der
Kronbeamten vorgetragen wird. Jetzt war sie nicht mehr
da; wahrscheinlich hat die Sultan Abdul Medschid mit nach
Beschiktasch genommen, wo er jetzt gerade wohnt; denn die
Großmächte werden ihm so viel zu notieren geben, daß er
vermuthlich feines ganzen Brieftaschen-Vorraths bedarf, um
fich. Alles gehörig zu merken. -
Eine Thüre von vergoldetem Schnitzwerk führt aus dem
Zimmer des Herrschers zurück in den Theil des Blumen-
gartens, der der Hyazinthengarten heißt. Die Gärten des
Serails, so wie die Privatwohnung des Sultans hatten wir
nun gesehen und unser schwarzer Begleiter führte uns quer
durch den Garten zu einer andern Thür, wo ich im ersten
Augenblick nicht im Stande war, mich trotz der genauen An-
gaben Hammers zu orientieren. Wir traten in einen Gang,
an dessen Ende sich ein anderes großes Thor befand, und
erst, als uns der Schwarze jenes als das Top-Kapu –
Kanonenthor bezeichnete, wußte ich, daß wir uns in dem
Gang befanden, der das Haremlik, Wohnung der Weiber,
vom Selamlik, Begrüßungsort oder Wohnung der Männer,
scheidet. Zur linken Hand gingen wir eine Stiege hinauf
und kamen in den großen Tanz- und Theatersaal, der durch
Stufen in zwei Hälften getheilt wird, und hierdurch eine
Gestalt wie unsere Theater erhält. Hier wird der Beherr-
scher der Gläubigen von feinen Frauen und Odalisken mit
Tanz und Gesang unterhalten, die sich aber sonderbar genug
2 (5
im untern Theile des Saals, ich möchte ihm zum Vergleich
das Parterre nennen, befinden, wogegen der Sultan oben
auf der Bühne sitzt und dem Ballette zusieht. Auch befindet
sich hier ein vergittertes Geländer, hinter welchem er zuweilen
mit einer Favoritin verborgen ruht und sich so auf verschie-
dene Weise amüsiert. Der ganze Saal ist mit den prächtig-
sten Spiegeln von Crystal und Agat geschmückt und muß
bei Lampenschimmer und Musik, so wie bei den flatternden
gestickten Kleidern der üppigen Tänzerinnen einen feenhaft
zauberischen Anblick gewähren. Jetzt lag der weite Saal
ruhig und still, nichts regte sich, selbst unser redseliger Führer
verstummte und nahte sich leise auftretend einer Thür, die
der, zu welcher wir hineingetreten, gegenüber lag und über
welcher die Inschrift stand:
Sie werden hereintreten von allen Thüren.
denn dort fängt der Harem an, und aus dieser Pforte er-
scheinen die Sultaninnen mit ihrem Gefolge vor dem Herrn,
bald um ihn zu erheitern, freudig und munter auf die Töne
der Cither lauschend, bald um vor fein erzürntes Antlitz zu
treten und dicht in ihre Schleier verhüllt, stumm und trostlos;
dann unterbrechen keine Muffikklänge die dumpfe Stille, ein
Gewitter ist im Anzug, des Gebieters Auge schleudert Blitze
und drunten donnern die Wellen des Meeres an die Mauern,
als verlangten sie stürmisch ein Opfer.
Ehe wir den Harem betreten, möchte ich gern einige
erklärende Worte über dieses innere Hauswesen der türkischen
Herrscher vorausschicken. Der Sultan hat sieben rechtmäßige
Frauen, wahrscheinlich fieben als heilige Zahl, wovon jede
ihr eigenes Gemach – Oda – und so viel Zofen, dienende
Weiber und Mägde hat, als der Sultan will, von denen
er jede einzeln nach einem Belieben zur Bettgenoffin erklären
kann. Diese dienenden Mädchen, von dem Worte Oda,
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die Kammer, Odaliken oder Odalisken genannt, was dem-
nach so viel bedeutet als unser Name Frauenzimmer oder
Kammermädchen, sind dazu bestimmt, ihr ganzes Leben lang
niedere Dienste zu thun, wenn sie nicht das Glück haben,
dem Sultan, ihrem Herrn, zu gefallen und vielleicht durch
eine Schwangerschaft aus der dienenden Claffe emporgehoben
werden. In diesem Falle tritt die Glückliche nicht nur in
den gleichen, sondern noch in einen höhern Rang als der
der sieben Frauen, die dem Sultan vielleicht keinen Erben
geboren haben und erhält den Namen Sultanin Chaffeki;
beschenkt sie ihren Herrn noch gar mit einem Prinzen, der
sein Nachfolger wird, so kann sie es bis zum höchsten Range
im Harem, zur Sultanin Valide, Mutter des regierenden
Sultan’s, bringen und beherrscht nicht selten von den Polstern
ihres Gemaches den Sultan und das Land. Die andern
Odalisken, denen kein solches Glück zu Theil wird, fühlen
sich in der Regel in ihrer Sklaverei nicht unglücklich und
die des Sultans sind wenigstens froh, diesem zu dienen und
nicht vielleicht in den Harem irgend eines Paschas oder gar
in das eines obersten Verschnittenen gekommen zu feyn; denn
auch diese haben einen Harem, der sogar, wie ich aus einer
glaubwürdigen Quelle erfuhr, öfters aus Weibern und Knaben
besteht; doch versteht sich von selbst, daß dieser Harem nur
zum Staate gehalten wird, wie dieses im Morgenlande von
der ältesten Zeit her üblich ist. So war nach der geschicht-
lichen Ueberlieferung der Araber, Perfer und Türken, Putifar
der Oberschatzmeister des Pharao ein Eunuche, und seiner
Gemahlin, Suleicha, brennende Liebe für den schönen Juffuf
erscheint dadurch in milderem Lichte. *
Im Allgemeinen muß man nicht glauben, daß sich die
dritte und vierte Frau eines Türken deshalb unglücklich fühle,
weil sie die dritte oder vierte ist; im Gegentheil ist sie ent-
* Hammer, Gesch. d. o. R. V. Th.
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zückt darüber, denn ein Mann, der schon drei Weiber hat
und sie zur vierten nimmt, muß von ihren Reizen bezaubert
feyn, und dieselben höher halten, als die feiner andern
Weiber. Die liebsten Träume unserer Mädchen sind, einstens
einen Mann zu bekommen und die der Türkinnen, als
Frau oder Odaliske zu einem Mann zu kommen. Ländlich,
fittlich. Und da letztere keine großen Ansprüche machen,
warum sollten sie nicht glücklich feyn. Ein Divan, um sich
darauf bequem zu legen, etwas Spielzeug wie das unserer
Kinder, und sonstige Kleinigkeiten, um sich die Zeit angenehm
zu vertreiben, ein Springbrunnen, defen Plätschern sie ein-
schläfert – Herz, was verlangt du mehr?
Aus dem Theatersaal treten wir in einen langen
dunkeln Gang, und find im eigentlichen Harem. Hier im
obern Stockwerk wohnen die Frauen des Sultans in kleinen
Gemächern, in denen sich Divans und Ruhebette befinden.
An den Wänden find zierlich geschnitzte Schränke von ver-
goldetem Holz mit kleinen Spiegeln eingelegt oder von hartem
dunklem Holz mit Perlmutter verziert, in welchen die Damen
ihre Schmucksachen, Kleider und das Toilettengeräth aufheben.
Eine Verzierung der Wände, die man in diesen Gemächern am
häufigsten antrifft, ist die Person beschreibung des Propheten
mit Perlmutterschrift meist auf himmelblauem Grunde ein-
gelegt. Sie ist auf jeder Wand einige Mal, so daß man sie
beständig vor Augen hat. Herr von Hammer sagt hierüber:
Der Text dieser Beschreibung, der auch auf den von Frauen
getragenen Gürteltalismanen häufig vorkommt, vertritt hier
die Stelle des gemalten Porträts, das der Islam verwehrt,
und schwebt den Sultaninnen als Schönheitsideal vor, um
durch die wiederholte Lesung derselben das Bild des Propheten
im höchsten Glanze der Schönheit und Vollkommenheit ihrer
Einbildungskraft, und durch dieselbe dem Unterpfand der
Liebe in ihrem Schoofe einzuprägen. Diese Inschrift vertritt
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also in den Gemächern schwangerer Sultaninnen die Stelle
der Statuen des Apollo von Belvedere, oder der mediceichen
Venus, welche zu diesem Behufe in europäischen Schlafge-
mächern aufgestellt seyn könnten. In Perlmutter eingelegt,
hat sie die Bestimmung, die lesende Sultanin zur Perle der
Mütter zu erheben, und deshalb findet sie sich hauptsächlich
auch in dem Gemach der Sultanin Valide, der Mutter des
regierenden Sultans, welche dem plastischen Segen derselben
vielleicht die Ehre ihres gegenwärtigen Hofstaats und An-
sehens verdankt.
Diese talismanische Person beschreibung lautet folgen-
dermaßen:
„Es ist kein Gott als Gott, und Mohamed ist Gottes
Prophet; der Vortrefflichste war braun und weiß zugleich;
mit langen dünnen Augenbraunen; glänzend von Angesicht;
in voller Reife des männlichen Alters; dunkelaugig; von
ehrwürdiger Stirne; kleinen Ohren; gebogener Nase; mit
von einander getrennten Zähnen; runden Gesichtes und
Bartes; langhändig; feinfingerig; von vollkommenem Wuchse;
ohne Haare auf seinem Bauche, ausgenommen eine Linie
von der Brust bis zum Nabel, und zwischen feinen Schultern
das Siegel des Prophetenthums (ein großes Muttermahl),
worauf geschrieben stand: Wende Dich wohin du willst, so
folgt dir der Sieg.“
Im untern Stockwerk wohnen die Odalisken oder
Sklavinnen, deren Anzahl unbestimmt, aber meistens sehr
groß ist, in langen großen Sälen, wo jedesmal ein paar
hundert zusammen schlafen oder vielmehr zusammen eingesperrt
werden; denn an beiden Seiten dieser Säle find zwei
Stiegen, die, sobald die Odalisken sich auf Befehl ihrer
Aufseher zurückgezogen haben, durch große schwere Fallthüren
und eiserne Riegel verschloffen werden. Diese Gemächer
sind nicht fehr brillant eingerichtet, ungefähr wie die Cafernen-
219
stuben bei uns. Mehrere dieser Sklavinnen haben jedesmal
zusammen einen kleinen Kasten, der blau oder roth ange-
strichen ist. Diese Behälter, in denen sie ihre Habseligkeiten
bewahren, stehen einander in zwei Reihen an den langen
Wänden des Saals gegenüber und laffen in der Mitte einen
Gang frei. An den Fenstern befinden sich breite Divans,
auf denen stets fünfzehn bis zwanzig Odalisken zusammen
schlafen.
Durch den Gang, an dem die Gemächer der Sulta-
ninnen liegen, gehen wir zurück in den Theatersaal und auf
der Stiege, wo wir hinaufgegangen, wieder hinab in den
Gang am Kanonenthor, auf defen anderer Seite wir zur
ebenen Erde noch die Gemächer und Bäder der Sultanin
Valide sahen, die fast ebenso eingerichtet sind, wie die
Wohnungen der Sultaninnen. Dann stiegen wir noch in
den obern Stock des Haremliks über der Wohnung der
Sultanin Valide, wo sich die Staatsgemächer des Sultans
befinden: der Thronsaal, der Audienzsaal und prächtige
Bäder. Der schon stark hereinbrechende Abend erlaubte uns
nicht, die Säle genauer zu besehen. Wir gingen noch durch
eine schmale sehr schöne Gallerie in den sogenannten Marmor-
kiosk, von Sultan Selim erbaut, und ließen uns hier einen
Augenblick am Fenster nieder, von wo uns die letzten Lichter
des Tages noch eine prachtvolle Aussicht auf die Propontis,
den Bosporos und das goldene Horn gewährten.
„Indeffen war die Sonne schlafen gangen.“
Die Wellen färbten sich dunkler; einzelne Kaik zogen
langsam vorüber, Handwerker und Kaufleute aus den jetzt
verschloffenen Bazars nach ihren Häusern in Pera, Galata
und Skutari bringend – die Abenddämmerung stritt sich
noch mit den Lichtern im Leuchtthurm und hielt sie wie mit
einem Nebel überzogen, den der Schein der Lampen noch
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nicht durchdringen konnte. Unser Führer raffelte laut mit
seinen Schlüffeln, uns an den Abschied mahnend. Wir
traten durch das Kanonenthor ins Freie, und fanden glück-
licherweise noch einen Kaikschi, der uns übersetzend einen
langen Umweg über die neue Brücke ersparte. Oefters blick-
ten wir zurück zu den dunklen Maffen der Paläste und
Bäume, die uns gleich einem verschwindenden schönen Traume
mit jedem Ruderschlage undeutlicher wurden und weiter zu-
rücktraten. – Ja, es war mir wie ein Traum, denn ich
hatte in den Paar Stunden so viel Schönes und Wunder-
bares gesehen, daß das Herz es nur wie Traumgestalten in
undeutlichen Umriffen auffaffen konnte, und ich fürchte, ich
habe es hier so wiedergegeben.
II. Von der Landseite.
Die Erlangung eines Fermans, um in das neue Serail
von der Landseite bis zum Thore der Glückseligkeit zu dringen,
ist leicht, Herr von C. verschaffte ihn uns, und wir zogen
am andern Morgen aus, auch dies Denkmal alter und neuer
Baukunst zu besehen.
Durch eine Menge schmutziger Gaffen und armseliger
Stadtviertel, die wir bisher noch nicht betraten, kamen wir
bei dem Portal der Aja Sophia vorbei und traten auf einen
kleinen, unregelmäßigen Platz, der von dieser und den Mauern
des neuen Serails umschloffen wird, den Serai Meidan.
In der Mitte desselben steht eines der vielen zierlichen Brun-
nenhäuschen, die man überall findet, und hier quillt das
beste Waffer der ganzen Stadt, weßhalb auch täglich viele
silberne Flaschen voll zum Gebrauch des Großherrn davon
geschöpft werden. Fast mehr wie alle andere Plätze Con-
stantinopels hat dieser eine denkwürdige Geschichte zu erzählen.
Hier war früher das Forum Constantini, einer der größten
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Plätze des alten Byzanz; jetzt ist er fast ganz verschwunden,
und die Häuser find nach und nach zusammengerückt, den
merkwürdigen Boden bedeckend, und haben alle Spuren der
prächtigen Bauwerke und Bildsäulen verdrängt, die hier ge-
fanden. Etwas weiter zurückgehend kommen wir an eine
kleine Fontaine, die in einem Winkel zwischen den Häusern
liegt, die wir unbeachtet hätten liegen laffen, wenn uns
nicht die Geschichtsschreiber von diesem armseligen Brunnen
erzählt, daß hier der Mittelpunkt des Forums gewesen sei,
wo sich auf einer steinernen Unterlage von sieben Stufen
die große Säule erhob, die so häufig ihre Statuen wechselte.
Hier stand das silberne Bild des Kaisers Theodosius; Justi-
nian stürzte es um und stellte auf einer Porphyrsäule feine
eigene Statue zu Pferde aus Erz gegoffen dahin. Das
Pferd hob den linken Vorderfuß, als ob es schlagen wollte;
die drei andern fanden auf dem Postamente. In der linken
Hand trug die Statue die Erdkugel mit dem Kreuze und
streckte die rechte Hand drohend und herrschend gegen Osten
aus, die Herrschaft des Kaisers über das Morgenland an-
zudeuten. So fand diese Bildsäule noch, als Muhamed,
der Eroberer, über die Leiche des letzten Constantins hinweg
in die Stadt drang. Doch nicht damit zufrieden, bloß Sieger
zu sein, schnitt man diesem letzten unglücklichen Kaiser das
Haupt ab und Muhamed ließ es höhnend vor die Füße
dieser Statue rollen; ein Hohn, defen Tiefe nur dann ganz
gefühlt werden kann, wenn man weiß, daß den östlichen
Triumphatoren der Siegeswunsch zugerufen wird: „daß sie
die Köpfe ihrer Feinde unter die Hufe ihrer Pferde treten
sollen.“ So werden noch heute in Persien bei öffentlichen
Einzügen der Fürsten und Statthalter Kugeln und Flaschen
unter die Füße des Pferdes unter dem Zuruf: „So sollst du
die Köpfe deiner Feinde zertreten!“ geworfen, ebenso wie an
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den Thoren des neuen Serails die Köpfe der aufrührerischen
Paschas zu den Füßen des einreitenden Sultan's rollen.
Zur linken Seite des Serai Meidani erheben sich die
Trümmer der sogenannten Hohen Pforte, eigentlich der
Palast des Großvezirs, worin die wichtigsten Angelegenheiten
des Staates berathen wurden. Bei dem letzten großen Auf-
stand der Janitscharen und bei einer großen Feuersbrunst vor
einigen Jahren ist er größtentheils zerstört worden und jetzt
unbewohnbar. Von hier aus gingen die Minister der Sultane
täglich zu ihrem Herrn durch das Thor der Glückseligkeit,
das ihnen indeß öfters zu einem Thor des Todes wurde.
So blieben z. B. die Minister Sultan Selims kaum
einen Monat im Amte, und es war damals eine bei
den Türken übliche Verwünschungsformel: „Mögest Du
Sultan Selims Vezir fein!“ Von einem derselben, dem
Großvezir Piribascha, erzählt Hammer, daß, als er eines
Tags einen gestrengen Herrn bei guter Laune fand, er es
sich als eine Gnade ausbat, wenn ihn der Sultan wolle
hinrichten laffen, möge er es ihm doch wenigstens einen Tag
vorher sagen, damit er sein Testament machen könne; worauf
ihm Selim lachend erwiderte, offenherzig gestanden ginge
er schon lange mit dem Gedanken um, ihm den Kopf ab-
schlagen zu laffen, und er würde gern eine Bitte erfüllen,
wenn er nur gleich einen Andern hätte, den er an seine
Stelle setzen könnte.
Durch die kaiserliche Pforte, ein hochgewölbter Thorweg,
an dem zu beiden Seiten die verdächtigen runden Steine
stehen, auf denen die Köpfe der Enthaupteten zur Schau
ausgestellt wurden, traten wir in den ersten Hof des Serails.
Hier werden die Wachen von gewöhnlichen Thorwächtern,
Kapitschi, gethan, doch haben sie nicht mehr ihr früheres
Kostüm, sondern sind wie die Kawaschen der Gesandten ge-
kleidet, im blauen Ueberrock, das Feß auf dem Kopfe und
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um den Leib zwei Taschen geschnallt, in denen Pistolen
stecken. In diesem ersten Hofe befindet sich links die im
Jahre 1726 erbaute neue Münze, die massiv in Steinen auf
geführt wurde: aus dem von einem türkischen Geschichts-
schreiber angeführten Grunde, um den anziehenden fremden
Gesandten durch den Anblick dieses steinernen Gebäudes einen
vortheilhaften Eindrnck beizubringen. Neben der Münze ist
die alte Kirche der heiligen Irene, jetzt das Zeughaus des
neuen Serais. Es ist ungefähr eingerichtet wie die unsrigen,
nur daß die aus Säbeln, Pistolen und Flinten zusammenge-
stellten Pyramiden und andere Figuren sehr geschmacklos
find. Die Gänge bestehen aus Mosaikpflaster von kleinen
Kieselsteinen. Einige merkwürdige alte Waffen sollen sich
hier befinden, unter andern die Rüstung des sorbischen Für-
sten Milosch Kobilovich, der den Sultan Murad d. Großen
in der Schlacht auf der Ebene von Koffova in einem eigenen
Zelte ermordete. An den Wänden hingen eine Menge Sonder-
barer Helme und Pickelhauben, wahrscheinlich in früherer
Zeit in den Kriegen mit den Tartaren und Mongolen er-
beutet. Auch zeigte man uns Harnische aus den Zeiten der
Kreuzzüge, doch da es hier nicht wie bei uns in derartigen
Anstalten einen Führer gab, um uns diese Sachen zu er-
klären, so mußten wir viele gewiß merkwürdige Stücke un-
beachtet laffen. Etwas, dessen Gebrauch der uns begleitende
Artillerieoffizier erklärte, waren in einem besondern Gemach
aufgestellte große Schwerter, die der edle Türke mit inniger
Freude herumschwang, um uns anzudeuten, daß sie zum
Kopfabschlagen dienten.
Auf der rechten Seite des ersten Hofes befinden sich das
Krankenhaus, die Kasernen der Baltadschi – Hausknechte
des Serails – und vor diesen Gebäuden ist ein freier, mit
Rasen bedeckter Platz, wo sich die Pagen des Serails am
dritten Festtage des Beyrams in Gegenwart des Sultans im
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Werfen des Dscherids üben. Nachdem wir diesen Hof durch-
wandert, kamen wir an ein Thor, welches in den zweiten
Hof führt und das Mittelthor, auch Orta-kapu, heißt. Rechts
vor dem Eingang dieses zweiten Thores ist der große be-
rühmte Mörfer, in welchem, wie die Sage erzählt, die zum
Tode verurtheilten Muftis oder Rechtsgelehrten zerstoßen wurden.
Wenn schon das kaiserliche Thor, zu welchem wir in's Serailge-
treten, durch die rechts und links aufgestellten blutigen Köpfe
auf den Eintretenden einen unangenehmen Eindrnck machten, fo
nahte sich doch jeder, den seine Pflicht in diese Höfe rief, mit
größerer Angst dem Mittelthore; denn unter diesem ist das
Gemach des Henkers. Hier wurden die Beamten des Reichs,
die Vezire und Pascha's, die sich eines Vergehens schuldig
gemacht hatten, oder wenn es der bösen Laune ihres Gebieters
gerade so gefiel, von den Henkersknechten ergriffen, enthauptet
oder in das am Ufer des Hafens befindliche Gerichts-Kiosk
gebracht, wo sie durch bereit liegende Schiffe in die Ver-
bannung geführt wurden. Eine der Hausordnungen des
Serails ist, daß jeder, selbst die höchsten Würdenträger des
Reichs, so wie die fremden Gesandten und Botschafter, hier
bei einem aufgerichteten Steine, der, Binek Taschi – Vor-
theil der Reitschule – heißt, vom Pferde steigen muß und
zu Fuß in das Mittelthor gehen. Dieser Gebrauch ist wahr-
scheinlich deswegen hier eingeführt, damit keiner der Unglück-
lichen, die unbewußt des Schicksals, das ihrer harrt, in
diesen Thorweg treten, beim Anblick der Henker den Ver-
fuch machen kann, fich durch die Schnelligkeit eines Pfer-
des zu retten.
Ein anderer unangenehmer und demüthigender Gebrauch
für die fremden Gesandten war es, daß sie sich eine Zeit
lang am Thore dieses Henkergemachs ohne Stuhl und Sitz
aufhalten mußten.
Von dem Mittelthor gingen wir auf einem gepflasterten
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und mit Bäumen besetzten Wege nach dem Eingange des
dritten oder innersten Hofes des Serails – Babi feadet –
Thor der Glückseligkeit genannt, an dem weiße und schwarze
Verschnittene die Wache halten. Diese sind noch mit dem
Kaftan bekleidet und haben auf dem Kopfe eine spitzige
Mütze mit einem Busche von Pfauen- und andern glänzenden
Federn. Auf der rechten Seite dieses zweiten Hofes sind
neun verschiedene Küchen für den Sultan, die Sultanin
Chaffeki und Valide, den obersten schwarzen und weißen
Verschnittenen, Kislar Agassi und Kapu Agassi, den Schatz-
meister und Präfect des Serails. Gegenüber diesen Küchen
find die Zuckerbäcker und Sorbetbereiter des Serails. Vor
diesen Küchen wurden an Audienztagen große Schüffeln mit
Pillau aufgestellt, auf welchen die in dem Hofe sich befinden-
den Janitscharen auf ein gegebenes Zeichen beim Eintritt der
fremden Gesandten rasch losstürzten, was als ein Beweis
ihrer Zufriedenheit angesehen wurde. Waren diese über-
müthigen Knechte jedoch mit dem Sultan selbst oder irgend
einer fremden Macht unzufrieden, so blieben sie stehen und
rührten die Gerichte nicht an. Darauf wurden sie ausge-
zahlt, wobei die Schatzmeister viel mit ihren Geldsäcken
klapperten, um den Gesandten einen guten Begriff von dem
Reichthum des Großherrn beizubringen. Sobald dieselben
auf diese Art der Speisung und Ablöhnung beigewohnt, wur-
den sie bis vor das Thor der Glückseligkeit geführt und der
Großvezier suchte bei dem allerhöchsten Steigbügel um die
Gnade nach, „ob der fremde Gesandte, nachdem er gespeist
und gekleidet worden, seine Stirne in den Staub der Füße
sultanischer Majestät reiben dürfe.“ Die Andeutung des ge-
speist und gekleidet kommt daher, daß der Gesandte in einem
Gebäude rechts am zweiten Hofe mit dem Großvezir an
einem kleinen runden Tische einiges Backwerk genoß und ihm
darauf, damit er würdig vor dem Auge des Sultans erscheine,
Hackländer, R. in d. O, I. 15
226
ein Ehrenkaftan umgehängt wurde. Nach diesen Ceremonien
öffnete sich das Thor der Glückseligkeit und der Gesandte
wurde in den Audienzsaal geführt, wo zwei Kämmerer eine
Arme faßten, ihm mit ihren Händen den Kopf nieder-
drückten und auf eine so handgreifliche Weise zu einer
Verbeugung zwangen. Auch wir gelangten bis hinter das
Thor der Glückseligkeit und in den Audienzsaal. Dies ist
ein nicht sehr großes, mit Teppichen belegtes Gemach; feine
Wände sind mit goldgestickten Stoffen bekleidet und hie und
da mit Figuren, aus gefaßten Edelsteinen bestehend, verziert.
Der Thron ist ein kleiner Divan, über dem vier mit Edel-
steinen besetzte Säulen einen Baldachin tragen. Das Gemach
hat nur ein einziges vergittertes Fenster, das kaum so viel
Licht hereinläßt, um die kostbaren Stickereien der Wände
und die blitzenden Juwelen zu unterscheiden.
Hinter diesem Audienzsaal fangen die Gebäude des
inneren Winterharems an, wohin bis jetzt außer Aerzten noch
kein Europäer gedrungen ist. Auch wir mußten hier um-
kehren, nachdem wir noch zuvor einen neugierigen Blick aus
dem Fenster dieses Saales in die daranstoßenden Gärten ge-
worfen hatten. Doch sahen wir nichts als Gruppen von
Platanen und Cypreffen, unter denen die glänzenden Dächer
verschiedener Kioske hervorsahen. Alles war da ruhig und
still; nur eine kleine Fontaine, die nicht fern von uns ihr
Waffer in die Höhe warf, murmelte geschwätzig und hätte
uns vielleicht viel erzählen können, wenn wir ihre Sprache
verstanden hätten. Das Thor der Glückseligkeit schloß sich
wieder hinter uns zu, und wir gingen über beide Höfe zurück
durch die kaiserliche Pforte auf den Serai Meidani, um nach
Pera zurückzukehren.
Schiffbruch des Dampfbootes
Seri- Pervas.
15
Abreife von Constantinopel. – Die Stadt im Schnee. – Stür-
misches Wetter. – Nebel. – Einschiffung türkischer Soldaten. –
Der Seri- Pervas. – Schiffbruch und Tod , ist unser Loos. –
Unglück des Dr. B. – Heftige Bewegungen des Schiffes. – Unser
Nachtrabe. – Seesturm. – Schiffbruch. – Das Verdeck. – Ver-
fuche zur Rettung. – Unglücksfälle bei derselben. – Das Dorf
Armudköi. – Pillau mit Seife. – Räubereien der Türken. – Das
Dampfboot Ludovico. Rückkehr nach Constantinopel.
Alter Stürmer – angestimmt!
Braufe durch die Wellen.
Daß mein Fahrzeug flüchtig schwimmt,
Laß die Segel schwellen.
Rüttle nur den guten Mast,
Wir sind wohl geborgen,
Wir Matrosen ohne Raft
Sind auch ohne Sorgen.
Graf Alexander von Württemberg.
Now would I give a thousand furlongs of sea for an
acre of barren ground; long heath, brown furze, any
thing. The wills above be done! but I would fain die
a dry death.
S. ha ksp e a r e. The tempest.
-
Je näher der Zeitpunkt heranrückte, auf den wir unsere
Abreise von Constantinopel bestimmt – es war gegen Ende
November – um so häufiger forschten wir bei unsern Be-
kannten herum, ob die durch den Krieg mit Mehemed Ali
gestörte Communication zwischen der europäischen Türkei und
Syrien nicht wieder hergestellt wäre. Obgleich wir nun von Tag
zu Tag mit der Nachricht vertröstet wurden, es könne nicht mehr
lange anstehen, daß die Dampfschiffe des Loyd, die früher zwischen
Alexandrien, Jaffa, Beirut und Constantinopel fuhren, ihre
Touren wieder beginnen würden, so war doch all unser Spähen
vergebens. Es kamen und gingen wohl viele Dampfboote,
230
aber entweder waren sie von der Donaugesellschaft und kamen
von dem schwarzen Meere her, um dahin zurückzukehren, oder
es erschienen englische Dampfregatten, die den Mittag ein-
liefen, ihre Depeschen so rasch wie möglich wechselten und oft,
ehe wir noch Zeit gehabt hatten, uns nach ihnen zu erkundigen,
wieder nach Beirut, wo sich die Flotten befanden, zurückkehrten.
Um den Weg zu Land durch Kleinasien nach Syrien zu machen,
hätten wir, besonders unter den jetzigen Zeitverhältniffen, gewiß
an zwei Monate gebraucht, und dazu obendrein noch einen
äußerst unangenehmen und beschwerlichen Marsch gehabt.
So waren wir wirklich wegen unters Fortkommens von
Constantinopel in einiger Verlegenheit und unterhielten uns
eines Abends ziemlich mißmuthig von diesen Hindernissen.
Wir warteten mit dem Effen auf unsern lieben Reisegefährten,
den Oberflieutenant Philippowich, den seine Geschäfte im
östreichischen Gesandtschaftshôtel heute etwas länger als ge-
wöhnlich zurückhalten mochten, als derselbe plötzlich mit dem
freudigen Ausruf in die Stube trat: „Meine Herren, es
ist eine sehr günstige Gelegenheit da, um uns nach Beirut
zu schaffen.“ Wir sprangen ihm überrascht entgegen und
hörten von ihm, daß die türkische Regierung von der öst-
reichischen Dampfschifffahrtsgesellschaft ein Boot gemiethet
habe, um fünfhundert Mann türkischer Infanterie nach Beirut
zu bringen. Diese Soldaten wurden natürlich mit ihren
Offizieren auf dem Verdeck placiert und für den Oberstlieu-
tenamt, so wie für den Grafen Szechenyi, der ebenfalls noch
etwas von dem Feldzug in Syrien genießen wollte, hatte
man die Damenkajüten bestimmt, und uns würde man, wie
der Oberstlieutenant glaubte, da in den Kajüten noch Platz
genug sey, die Ueberfahrt ebenfalls gerne bewilligen. Da
die Abfahrt auf übermorgen Abend bestimmt war, traf der
Baron am folgenden Morgen gleich alle Anstalten, um bei
den betreffenden Behörden die Erlaubniß zur Mitfahrt zu
231
erhalten, was ihm bei den vielen Bekanntschaften und Em-
pfehlungen, die er hier hatte, nicht schwer wurde.
- Jetzt wurde gepackt und unser Reisegeräthe gemustert,
wobei sich vieles Schadhafte von unserer türkischen Landreise
her vorfand, was noch heute repariert werden mußte. Auch
hatte jeder noch kleine Einkäufe zu besorgen, die wir unkluger
Weise bis auf den letzten Tag verschoben hatten, weshalb
wir noch einmal durch den größern Theil des Bazars laufen
mußten, um verschiedene Artikel, die uns noch fehlten, zu-
sammen zu suchen, eine beschwerliche Tour, da sich oben-
drein der Himmel diesen letzten Tag unfreundlich erwies.
Während unsers ganzen Aufenthalts in Constantinopel hatten
wir das herrlichste Wetter von der Welt; doch heute am 1.
December änderte sich die Temperatur so bedeutend, daß der
Thermometer, der sich immer zwischen fünfzehn und siebenzehn
G. R. über Null gehalten hatte, in der Nacht plötzlich auf zwei
G. R. unter Null herabsank. Auch hatte sich gegen Morgen
ein heftiger Wind erhoben, der uns ein lustiges Schneege-
stöber brachte, das im Lauf des Tages Häuser und die um-
liegenden Berge mit einer dünnen weißen Decke überzog, für
Constantinopel gewiß ein seltenes Schauspiel.
Von unserer guten Wirthin, der Madame Balbiani
und ihren liebenswürdigen Kindern, die uns nicht wie Fremde,
sondern wie Hausgenoffen und Verwandte behandelt hatten,
nahmen wir den herzlichsten Abschied und stiegen nach
Top-Chana hinunter, wo das Dampfboot – es war der Seri
Pervas – Schnellläufer – in der Mitte des goldenen
Horns vor Anker lag. Nie hatte ich das Waffer in dem
sonst so ruhigen Hafen in solcher Aufregung gesehen,
die kleineren Kaik verließen das Ufer und bargen sich
zwischen die Häuser und größeren Schiffe ; nur einige
der größten waren noch da, die aber von den bewegten
Wellen so in die Höhe geworfen und hin und her geschaukelt
232
wurden, daß es uns erst nach langer Anstrengung gelang,
unsere Effekten, als Koffer, Mantelsäcke 1c. in zwei derselben
zu bringen. Wir ruderten nach dem Schiffe und fanden
draußen die Bewegung der Wellen noch ungleich stärker, als
am Ufer, so daß wir trotz der hülfreichen Hand der Matrosen
mehrmals von dem Schiffe zurückgeworfen wurden, ehe es
uns gelang, die Kaik anzulegen und unsere Effekten hinauf-
ziehen zu laffen. Nicht ohne Gefahr folgten wir ihnen nach,
da die Boote bald tief unter der Treppe des Dampfschiffes
lagen, bald von den Wellen mehrere Fuß hoch hinaufge-
schleudert wurden.
Das Schiff hatte eben erst einen Kohlenvorrath einge-
nommen und noch keinen der Soldaten am Bord. Wir
gingen auf dem Verdeck umher und sahen uns zum letzten
Mal die schöne majestätische Stadt an, die wir nun und wohl
für immer verlaffen sollten. Der Schnee, der wie mit einem
weißen Schleier die Kuppeln der Kirchen bedeckte, verlieh
dem ganzen Bilde einen eigenthümlichen phantastischen Reiz.
Man ist so gewohnt, sich die Moscheen mit ihren schlanken
Minarets, so wie die dunkeln Cypreffen nur unter einem
heiteren blauen Himmel im heißen Sonnenstrahle zu denken,
daß diese orientalische Winterlandschaft mit den darüber hän-
genden dichten Schneewolken einen sonderbaren beklemmenden
Eindruck auf das Herz machen mußte. Mir war, als fey
die ganze Umgebung, Stadt und Hafen, viel stiller, denn
sonst, als verwunderten sich neben den Türken, die wirklich
erstaunt die weißen Flocken fallen sahen, selbst die leblosen
Gebäude und Bäume über den kalten Schleier, der fich über
fie gebreitet.
Der Capitän, Herr L., der mit großen Schritten auf
dem Radkasten umherging und in das wogende Meer hinaus
sah, begrüßte uns freundlich, theilte uns aber gleich eine
Besorgniß mit, daß wir während der Nacht einen heftigen
233
Sturm haben könnten. Wirklich wurde das Wetter auch
von Minute zu Minute unangenehmer; das Schneegestöber
mit Regen untermischt begann aufs Neue und heftiger als
heute Morgen, wobei sich endlich der Nebel herabsenkte, so
daß wir kaum die auf den Masten flatternden Fahnen er-
kennen konnten. Der Baron, so wie die östreichischen Offiziere,
waren mit ihren Abschiedsvisiten beschäftigt und noch in
Pera geblieben, um eine Stunde später als wir an Bord
zu gehen.
Gegen fünf Uhr lichtete der Seri Pervas die Anker,
um nach Skutari zu fahren, wo wir die türkischen Soldaten
aufnehmen sollten. Das Meer warf lange flache Wellen, die
das Schiff unter so starker Bewegung durchschnitt, daß ich,
der ich meine erste Seereise machte, mich schon hier im Hafen
kaum auf den Beinen erhalten konnte. Von dem asiatischen
Ufer herüber drang, so oft es die heftigen Windstöße er-
laubten, eine gräßliche Militärmusik in unser Ohr, deren
barbarische Klänge es den armen Soldaten, die in dichten
Reihen am Ufer standen, leichter machen sollte, vielleicht für
immer von der Heimath, von Weib und Kind zu scheiden.
Wir warfen aufs Neue Anker und die Soldaten kamen in
großen Booten angefahren. Die Bekleidung dieser Leute war
ziemlich gut und warm. Sie hatten dicke Tuchmäntel und
über dem Feß noch eine Art Kapuze; dagegen war ihre Ver-
proviantiruug um so schlechter, indem sie für die ganze Fahrt,
welche gewöhnlich sieben Tage dauert, von Seiten der Re-
gierung nur harten Zwieback und Oliven erhalten hatten.
So oft eine Schaluppe ihre Ladung bei uns abgesetzt hatte,
fingen die Türken gleich an, sich so gut wie möglich
häuslich einzurichten. Anfänglich drängte Alles nach der
Puppa, Hintertheil, wo der Capitän eiu großes Segel
hatte ausspannen laffen, als eine Art Schutzdach gegen den
Schnee und den Regen. Die Leute breiteten dicht neben
234
einander Teppiche, deren jeder einen bei sich führte, auf
dem Verdecke aus, setzten sich darauf auf die untergeschlagenen
Beine und begannen Tabak zu rauchen. Die ganze Ein-
schiffung dauerte eine starke Stunde und da man statt fünf-
hundert, wie anfangs bestimmt war, sechshundert eingeschifft
hatte, war das ganze Verdeck, trotz dem die Menschen ganz
dicht gedrängt saßen oder standen, so angefüllt, daß der
Capitän sich genöthigt sah, längs der einen Schiffswand
Balken und Taue ziehen zu laffen, die einen Gang für die
Matrosen bildeten, denen es sonst unmöglich gewesen wäre,
so schnell als es der Dienst auf dem Schiffe erfordert, hin
und her zu laufen.
Schon fing es an dunkel zu werden, und unsere Freunde
kamen noch immer nicht; auch wurde das Schneegestöber
stärker, der Wind erhob sich mehr und mehr und der Nebel
war so dicht geworden, daß man von der Prouva, Vor-
dertheil des Schiffes, kaum bis zur Puppa sehen konnte;
Umstände, die unsern Capitän veranlaßten, nach einer Be-
rathung mit seinen Offizieren einen derselben an's Land zu
schicken, um bei dem Pascha, der die Einschiffung befehligt
hatte, die Erlaubniß auszuwirken, wegen dem ungünstigen
Wetter die Abfahrt bis morgen zu verschieben. Doch um-
sonst. Der Pascha, ein brutaler Türke, wollte nichts von
Aufschub hören und ließ dem Capitän sagen, das Schiff
wäre zur Abfahrt auf heute gemiethet und er solle seine
Pflicht thun.
Daß unsere Freunde noch immer nicht kamen, setzte
sowohl den Capitän wie uns etwas in Verlegenheit. Ersterer
ließ aufs Neue die Anker lichten und fuhr mit halber Kraft
in einem großen Bogen nach Top-Chana zurück, um das Boot
mit denselben, im Fall es sich in dem Nebel verirrt hätte,
aufzusuchen. Auch ließ er mehrere Schüffe thun und wir
standen an der Puppa und spähten umher. Endlich sahen
235
wir ein Boot mit einer rothen Flagge gegen uns kommen,
das die Wellen gewaltig auf- und abwarfen. Bald schwebte
es hoch auf einer Woge, bald entschwand es uns gänzlich,
und so dauerte es noch eine ziemliche Zeit, bis es anlegen
konnte. Als die Freunde wohl behalten an Bord gestiegen
waren, ließ der Capitän das Schiff wieder wenden, und
eilte mit der vollen Kraft der Maschine in's Marmormeer
hinaus. Wir aber stiegen in die Kajüte hinab, um das
für uns bereitete Souper einzunehmen.
Außer den beiden östreichischen Offizieren, die ich ge-
nannt, machte nur noch ein Herr S., östreichischer Dolmet-
scher bei der Pforte, die Reise mit uns, so daß wir in den
Kajüten Platz genug hatten; besonders da der Commandeur
der türkischen Truppen beständig im Hintergrund der Kajüte
auf seinem Teppich lag. Alle andere Offiziere, worunter
sogar ein Oberstlieutenant und zwei Majors türkischer Wäh-
rung fich befanden, waren vorne in der zweiten Kajüte.
Bei Tische erschien der Capitän, Herr L., ein sehr
liebenswürdiger gebildeter Italiener, für einige Augenblicke
mit einem andern Paffagier, den wir bis dahin nicht bemerkt
hatten. Letzterer war ein ungemein langer und magerer
Mensch, seinem Titel nach Agent der Dampfschifffahrtsge-
sellschaft und unser Nachtrabe; denn jeder seiner Reden war
entweder eine böse Prophezeihung für die kommende Nacht,
oder eine Erzählung über die schlechte Disciplin der türkischen
Truppen. So sagte er unter Anderem: man habe für den
Truppentransport diesmal ein Dampfboot gewählt, weil schon
zweimal der Fall vorgekommen fey, daß die auf gleiche Art
an Bord eines Segelschiffs gewesene Mannschaft sich empört,
. den Capitän gezwungen habe, sie wieder ans Land zu setzen
und als dann desertiert sey; Thatsachen, die wir später bestä-
tigen hörten. Bei einem Dampfboot aber, setzte er hinzu,
sey dergleichen nicht zu befürchten, indem ihre Scheu vor der
236
Maschine sehr groß wäre und sie den Capitän, der diese zu
leiten wife, beinahe für ein übernatürliches Wesen ansähen.
Daß es eine ziemlich zügellose und wilde Bande fey, die
über unsern Köpfen lagerte, hatten wir schon heute Abend
hinreichend Gelegenheit zu erfahren; denn einige attakierten
den Kellner, oder vielmehr die Suppenschüffel, die dieser
auf unsern Tisch brachte; eine Frechheit, worüber schon Ver-
muthungen aufstiegen, was es wohl geben könnte, wenn
uns mit diesen sechshundert Menschen an Bord irgend ein
Unglück zustieße.
Während dem Effen wurde das Schwanken des Schiffes
so stark, daß einige Mal die Gläser und Flaschen über ein-
ander fielen. Für Einige von uns, worunter auch ich, die
zum ersten Mal eine Seereise machten, war dies Wetter sehr
geeignet, die fast unvermeidliche Seekrankheit schnell und
stark herbeizuführen. Sogar die, welche schon das Meer
kannten, machten die ungewöhnlichen Stöße unwohl, und
es war komisch zu sehen, wie einer nach dem Andern aufstand
und sich an den Wänden festhaltend, um nicht hinzustürzen,
fein Bett fuchte. Ich für meine Person hatte das unge-
wöhnliche Glück, in Gesellschaft des Oberstlieutenant Phi-
lippowich, und des Grafen Szechenyi, ohne unwohl zu
werden, bis zu Ende dem Souper tapfer zu sprechen zu kön-
nen, obgleich zuweilen Stöße kamen, die unsere Stühle zwei
bis drei Fuß vom Tische entfernten. Gegen zehn Uhr stieg
ich noch einmal aufs Verdeck, um mich umzusehen; doch
vermehrte die ungewöhnliche Finsterniß der Nacht jede Aus-
ficht. Das Schneegestöber, mit Regen untermischt, hatte
sich verstärkt und wüthete unter den Soldaten, die ohne
Dach – das ausgespannte Segel hatte man, da der Wind
zu heftig wurde, wegnehmen müffen – auf dem Verdeck
dem ganzen Unwetter Preis gegeben waren. Viele dieser
armen Menschen waren in die Magazine gekrochen, andere
237
saßen und lagen auf den Treppen herum und überall, wo sie
nur das geringste Obdach, fanden. Trotz dem war das Ver-
deck noch so überfüllt, daß die Matrosen und Steuerleute
kaum ihre Arbeit verrichten konnten, und sie hatten heute
Nacht alle Hände voll zu thun. Der Nordwestwind, der
uns stark in die rechte Seite blies, so daß das Schiff mit
aller Kraft der Maschine feinen Cours kaum halten konnte,
wurde von Minute zu Minute heftiger. Auch wogte das
Meer immer stärker auf und spritzte leichte Wellen aufs
Verdeck, weshalb ich mich so rasch wie möglich wieder in
die Kajüte zurückzog.
Zum Schlafen hatten wir die Damenzimmer einge-
nommen, die aus zwei Kabinetten bestanden, wovon das eine
sechs, das andere vier Betten enthielt. Außerdem waren zu
beiden Seiten der großen Kajüte noch acht Zimmerchen, jedes
mit zwei Betten, woraus man ungefähr auf die ziemliche
Größe dieses schönen Schiffes schließen kann. In allen
seinen Theilen war es auf das Eleganteste eingerichtet, kurz,
ein herrliches schönes Gebäude; doch konnte der Sachver-
ständige einen großen Fehler an ihm entdecken, nämlich den,
daß die Maschinen von hundertundzwanzig Pferdekraft viel
zu schwach waren für den großen Körper des Bootes. Schon
bei Uebernahme des Schiffes im vorigen Jahre – es war
erst gegen Ende 1839 in Triest vom Stapel gelaufen –
hatte unser jetziger Capitän der Dampfschifffahrtsgesellschaft
dies Mißverhältniß zwischen Maschine und Fahrzeug aus-
einander gesetzt, um sich gegen alle Folgen zu verwahren,
zugleich erklärte er, bei seiner jetzigen Construction fey er
überzeugt, daß sich das Schiff bei einem starken Sturm nicht
gegen Wind und Wellen erhalten könne. Diese kleinen
Details gab uns der Nachtrabe mit zu Bette und verließ
uns mit einem bedenklichen: Nous verrons, nous verrons!
238
Alles lag schon in den Betten, außer dem Grafen
Szechenyi und mir. Ich weiß nicht, ich konnte mich nicht
dazu entschließen, in den niedrigen Kasten zu kriechen. Wir
saßen auf einem der Sophas in der Damenkajüte und
fangen allerlei Lieder, unter andern den Refrain aus dem
Liede des Zampa, worauf wir sonderbarer Weise immer
wieder zurückkamen und der lautet:
„Schiffbruch und Tod – ist unser Loos.“
und trieben das so lange, bis uns die Andern aus ihren Betten
heraus ernstlich ermahnten, mit unsern für die jetzigen Verhält-
niffe wirklich gottlosen Liedern einzuhalten und den Teufel nicht
an die Wand zu malen. Und wirklich war unser Gesang eine
böse Vorahnung, für den armen Szechenyi in doppelter Hinsicht;
denn nachdem ihn das Meer verschont und er später wieder
glücklich Constantinopel erreicht hatte, führte ihn sein Geschick
nach Damaskus, wo er an der Pest starb.
Unterdessen begab ich mich, nicht ohne viele Mühe, in
mein niederes Bett, wobei ich so wenig wie die Andern, an
irgend ein Unglück dachte, daß wir uns ganz wie zu Hause
ausgezogen hatten, auch heiter und guter Dinge waren. An
Schlafen war freilich nicht zu denken, vielmehr mußte man
sich mit beiden Händen festhalten, um von den starken Stößen
nicht aus dem Bette geschleudert zu werden. Dabei fing
das Schiff an, sich auf eine wirklich beunruhigende Art zu
bewegen und ganz entsetzlich zu krachen. Bald war die
Seite, auf der wir lagen, hoch in der Luft und wir sahen
förmlich auf unsere Gefährten hinab, bald stiegen diese und
wir befürchteten nur, wenn sie fo über uns schwebten, es
möge einer aus seinem Bette fallen, der dann wahrscheinlich
ohne Gnade auf uns gestürzt wäre. Je heftiger diese
Schwankungen des Schiffes wurden, je stärker wurde
das betäubende Getöse und schnitt uns die Worte vom
239
Munde ab. Die Bretter und Balken, aus denen das Schiff
gebaut war, dehnten und bewegten sich knarrend und stöh-
nend. Kein Stück des Schiffes, kein Tau, kein Holz, kein
Metall schwieg, jedes gab einen Ton des Schmerzens von
fich; draußen schlugen die Wellen mit einem unglaublichen
Gepolter an die Seiten des Schiffes und neben diesem furcht-
baren Ernst, den Meer und Wind zu machen schienen, fehlte
es unserer Kajüte nicht an komischen Scenen, die Lachen
erregen mußten. So öffnete eine Woge die kleine Luke über
dem Bette des Oberflieutenant Phlippowoch und goß ihm
einen phosphorisch leuchtenden Wafferstrahl hinein, und als
er aufsprang, um fein Lager von Neuem zu ordnen, ließ er
bei dieser Beschäftigung sein Bett mit den Händen los und
rutschte unaufhaltsam bis an die andere Seite des Zimmers.
Lange brauchte er darauf, um sein Lager wieder zu erreichen,
und fo oft er einige Schritte vorwärts gethan hatte, warf
ihn ein neuer Stoß des Schiffes wieder zurück; auch konnte
ihm Niemand von uns helfen; denn so wie einer feine
Bettwände losgelaffen hätte, würde es ihm ebenso er-
gangen feyn.
Viel schlimmer noch aber erging es unserm kleinen
Doctor B. Ein natürliches Bedürfniß, gegen das er lange
angekämpft hatte, zwang ihn jedoch endlich, sein Bett zu
verlaffen und ein kleines Gemach zu besuchen, das sich neben
unserer Kajüte befand. Nicht ohne große Mühe öffnete er die
Thüre desselben, die ein neuer Stoß des Schiffes hinter ihm
dergestalt wieder ins Schloß warf, daß beide Klinken davon
flogen. Jetzt hörten wir lange Zeit nichts von ihm; doch
glaubte jeder, er liege wieder in seinem Bett. Plötzlich schrie
uns der Oberstlieutenant mit aller Kraft seiner Stimme zu:
er höre neben sich etwas klopfen, könne jedoch nicht begreifen,
was es fey. Jetzt fiel mir auf einmal unser Doctor bei.
Ich rief seinen Namen, und als ich keine Antwort bekam,
240
sprang ich aus dem Bette und lavierte nach der Gegend hin,
wo jene kleine Thüre war. Sie war fest verschloffen und
wirklich hörte ich hinter derselben die klägliche Stimme unseres
Freundes, mehrere Male ließ ich mich nun mit dem Rücken
gegen die Thüre fallen, bis sie endlich zusammenbrach und
ich so den armen Doctor aus feinem Gefängniß erlöste.
Ihm war es indessen sehr schlecht ergangen. Die bestän-
digen Bewegungen des Schiffes hatten ihn in dem kleinen
Gemache wie eine Erbse in der Schote herumgeschüttelt und
am ganzen Körper braun und blau zerschlagen. Obendrein
hatte das Waffer an der Einrichtung dieses geheimen Ge-
machs etwas zerbrochen und jede Welle führte einen Strom
Waffer hinein, der sich an der Decke brach und dann auf
den Unglücklichen herabfiel.
Ein Bekannter in Constantinopel hatte uns gesagt:
Wenn Sie einstens einen Seesturm erleben sollten, kann es
Ihnen ein Zeichen feyn, daß er heftig wird, sobald die
Stühle in der Kajüte umherspazieren; und ich dachte jetzt
lebhaft an seine Worte; denn nicht nur die Stühle, sondern
auch unsere sehr schweren Koffer wanderten förmlich auf und
ab. Ich lag in meinem Bette auf den Rücken, und jede
Schwankung des Schiffes legte mich so stark auf die Seite,
daß ich mich gegen stemmen mußte, um nicht auf das Gesicht
zu fallen. Dabei waren diese Bewegungen äußerst langsam
und schwerfällig; das Boot legte sich, wie schon gesagt, ganz
auf die Seite und blieb einige Secunden so, dann hob es
sich als wie mit vieler Mühe wieder auf. Neben dem großen
Spektakel, den Wände und Geräthe in unserer Kajüte ver-
ursachten, war das Geraffel und Gepolter auf dem Decke
noch ungleich toller. Zwei Kanonen hatten sich losgemacht
und rollten oben auf und ab, bis sie die Brustwehr durch-
stoßen hatten und ins Meer gefallen waren. Dabei schrien
241
und heulten die Soldaten oben wild durch einander; es war
eine schreckliche Nacht.
„ Von Zeit zu Zeit erschien unser Nachtrabe und brachte
schlimme Nachrichten von oben. Gegen zwölf Uhr verkün-
digte er uns, die Maschine, welche bei gutem Wetter zwei-
undzwanzig bis dreiundzwanzig Rotationen in der Minute
machte, brächte jetzt kaum drei bis vier zu Stande und könne
das Schiff nicht mehr gegen den mächtigen Nordwestwind
halten, und obgleich unser Cours beinahe ganz West sey,
würden wir doch allen Bemühungen mit Segeln und Steuer
zum Trotz ganz südöstlich getrieben. Hätte uns einer der
Schiffsoffiziere diese Nachricht gebracht, so wären wir vielleicht
aufgestanden und hätten uns angekleidet, um bei einem
etwaigen Unglück gleich bei der Hand zu feyn. Doch da
uns jener stets mit bösen Prophezeihungen heimgesucht,
blieben wir ruhig liegen, hörten aber doch mit wachsender
Unruhe den immer mehr zunehmenden Sturm, so wie das
stets heftiger werdende Toten und Klopfen der Wellen gegen
die Schiffswände. – Plötzlich schmetterte die hängende
Lampe so gegen die Decke des Zimmers, daß sie in kleinen
Stücken herabfiel und wir im Dunkeln waren. Ich sprang
aus dem Bette, und war kaum im Stande, zur Thüre zu
kommen, um zu sehen, ob es möglich fey, ein anderes Licht zu
erlangen; doch konnte ich nicht hinaus, indem die Treppe zu
unserer Kajüte, so wie der ganze Gang mit türkischen Soldaten
bedeckt war. Auch drang mir ein so unangenehmer Geruch
entgegen, daß ich wieder zurücktrat und mein Bett suchte.
Jetzt aber ward unsere Lage wirklich aufs Aeußerste unan-
genehm und beunruhigend. Um uns die dickste Finsterniß,
während wir auf eine nicht zu beschreibende Art zusammen-
geschüttelt wurden. Der Tisch in der Mitte unseres Zimmers
brach und stürzte um, die Wandgetäfel fielen herab, und der
künstlich zusammengefügte Boden war aus einander gegangen,
Hackländer, R. in d. O. 1. 16
242
so daß man sich bei dem Gehen sehr in Acht nehmen mußte,
um nicht in die entstandenen Oeffnungen zu treten und den
Fuß zu brechen. Ueber uns vermehrte sich das Poltern der
Soldaten und wir hörten ein Getöse, wie von schweren
Ketten, die hin und her geschleudert würden. Dazwischen das
Rufen und Wehklagen jener Menschen, die gewiß von Sturm
und Regen gewaltig litten, und dennoch im Fall eines Un-
glücks beffer daran waren, als wir, indem sie sich wenigstens
nach Außen regen konnten, während wir so gut wie einge-
schloffen waren; ein Gedanke, der für mich diese Nacht der
schrecklichste war. Ging das Schiff unter, so konnten wir nicht
einmal einen Versuch machen, uns zu retten, und mußten
wie in einem Sacke eingeschloffen elend ertrinken. Der Pla-
fond unserer Kajüte mußte auch gelitten haben, denn zuweilen
drang Waffer von oben herein. Ich für meine Person spürte
sehr gut die großen dicken Tropfen, die mir auf meine rechte
Hand und den Arm fielen und mich auf dieser Seite in kurzer
Zeit durchnäßten. Doch lag ich ganz ruhig und lauschte nur
auf das Rauschen der Maschine, das ich von Zeit zu Zeit,
doch sehr undeutlich hörte, indem ich bei mir dachte, so lange
die Räder gehen, ist dem Schiffe nichts zugestoßen und treibt
es noch auf hoher See umher. Man konnte sehr gut hören,
wenn der Andrang der Wellen die Räder für eine Minute
oder länger gänzlich hemmte; dann wurde das Ventil an der
Maschine eröffnet oder öffnete sich von selbst und der Dampf
fuhr laut pfeifend mit einer Gewalt heraus, was man trotz
des Sturmes deutlich hören konnte.
Dies dauerte ungefähr bis vier Uhr Morgens. Da
glaubten wir Alle, die Gewalt des Sturmes habe sich ge-
legt und jede Gefahr fey vorüber, denn die Schwankungen
des Schiffs waren weniger heftig und die Wellen lärmten
nicht mehr so gewaltig wie früher; doch nur einige Augen-
blicke täuschte uns diese Hoffnung – ein fürchterlicher Stoß
243
von entsetzlichem Krachen des Schiffes begleitet, erschütterte
das ganze Gebäude und warf uns in den Betten hoch
empor. Der Baron war der Erste, der auf den Boden
sprang und mit den Worten: Wir sind gescheitert! das
aussprach, was wir kaum zu denken wagten. Vergeblich
horchte ich auf das Brausen der Räder, ich hörte nichts als
das Heulen des Sturmes. Das Stoßen des Schiffes hatte
eine ganz andere Gestalt angenommen; es war nicht mehr
das Gefühl, von den Wellen hin und her geschaukelt zu
werden, sondern wir fühlten, daß das Boot fest saß und
von der Gewalt des Sturmes rechts und links gegen Steine
oder Felsen geworfen wurde. Wie wir nun in den ersten
Augenblicken rathlos und thatlos dastanden, erschallte die
Stimme des langen Agenten durch den Lärmen, der uns
durch die Thür zurief: „Messieurs, nous avons échoué
au milieu de la mer.“ – Keiner konnte, ohne sich anzu-
halten, aufrecht stehen bleiben. Was war zu thun? Jeder
wollte sich natürlich so schnell wie möglich ankleiden, um
auf das Verdeck zu kommen, weil, wenn das Schiff einen
bedeutenden Leck erhalten hatte, oder von der Macht der
Wellen zertrümmert worden wäre, man seine Rettung nur
vom Verdeck aus hätte suchen können. -
Das Erste, was wir thaten, war, zur Thür hinauszu-
dringen und uns Licht zu verschaffen. Doch war das wegen
der davor liegenden Soldaten keine Kleinigkeit; besonders
jetzt, wo auch fie wußten, daß uns irgend ein Unglück be-
troffen. Der Oberstlieutenant war der Erste, der unter fie
trat, um draußen nach dem Kellner des Schiffs zu rufen.
Die Türken umringten ihn augenblicklich und faßten feine
Arme und Beine, wobei sie ihm in ihrer Todesangst zuriefen:
Effend um Saalam war? – Herr, ist noch Rettung?
Er beschwichtigte sie so gut wie möglich, und vermochte fie,
16
244
sich von unserer Thür zu entfernen und den Kellner hinein-
zulaffen, der endlich mit zwei Wachskerzen erschien.
Nun galt es, aus dem Chaos von Kleidern, Stiefeln,
Koffern und sonstigen Sachen das Seinige herauszufinden.
Es war eine vollkommene Fischerei, denn wenn man z. B.
glaubte, einen Stiefel zu haben, schleuderte ihn ein neuer
Stoß des Schiffes in eine andere Ecke. Jeder zog in der
Eile an, was er gerade fand, wodurch wir, da unsere Ge-
sellschaft aus sehr großen und kleinen Leuten bestand, auf
das Sonderbarste costumiert wurden. Wir versuchten auf das
Verdeck zu kommen und zu sehen, wo wir feyen und was
eigentlich mit dem Schiffe vorgegangen; aber die Türken
drängten sich dergestalt auf Treppen und Gängen, daß es
nur dem Oberstlieutenant und dem Grafen Szechenyi gelang,
hinaufzudringen. Doch konnten sie nicht gleich zur Thür
des Kajütenhäuschens hinaus, indem eine der schweren Ketten,
die den Schornstein der Maschine hielten, zerriffen war und
hin und her geschleudert wurde. Beide mußten deshalb den
Augenblick abwarten, wo sie längs der Thür flog und dann
hinaus springen. Es war dieselbe Kette, die ich in der Nacht
hatte klirren hören und die, wie wir später hörten, sechs
Soldaten in der Dunkelheit über Bord geriffen hatte.
Natürlich waren die Unglücklichen spurlos verschwunden.
Unsere beiden Gefährten kamen nach einigen Minuten
zurück und berichteten uns, das Schiff fey allerdings ge-
scheitert, doch wo wife man noch nicht. Man hoffe jedoch
nicht weit vom Lande. Nach einer Viertelstunde kam der
Agent und sagte; der Capitän glaube in der Bucht von
Mudania zu seyn und da es zu vermuthen stünde, daß die
heftigen Wellen das Schiff, welches zwischen großen Steinen
fest sitze, in Kurzem zerschmettern, so mache er Anstalten,
die Manschaft auszuschiffen.
245
Wir kleideten uns etwas sorgfältiger und betraten alle
das Verdeck, um selbst zu sehen, was für unsere Rettung
zu thun fey.
Welch einen Anblick bot das Schiff! Ungefähr hundert
fünfzig Schritt von einem schneebedeckten Ufer hing es zwischen
Felsen und haushohe Wellen warfen es von einer Seite
zur andern. Doch nur die Spitze des Schiffes lag fest, das
Hintertheil dagegen tief im Waffer, und wurde von der
Gewalt der andringenden Wellen oft hoch in die Höhe ge-
hoben. Dann fiel es wieder in's Waffer zurück und drohte
durch dieses immerwährende Aufprellen in der Mitte von
einander zu brechen. Jede Planke, jedes Holz ächzte, die
Taue der Masten, von denen einer zerbrochen war und das
Schiff mit Segeln und Tauwerken bedeckte, pfiffen durch die
Luft und Niemand konnte aufrecht stehen bleiben. Dabei
das dichteste Schneegestöber, das uns im Verein mit den
ungeheuren Spritzwellen, die jeden Augenblick über das Ver-
deck rollten, in wenigen Minuten durchnäßt hatte und ganze
Klumpen Eis des auf dem Meer zusammengeballten Schnees
über uns warf. Nie hab' ich später ähnliche Wellen ge-
fehen. Donnernd brachen sie sich an den Wänden des
Schiffs und fuhren daran empor, nicht selten über dem
Schornstein zusammenfallend. -
- Die Soldaten, um sich aufrecht zu erhalten, hingen an
der rechten Seite des Schiffes in dichten Reihen an einander.
Die ersten hatten das Geländer und die Taue erfaßt, und
die folgenden hielten sich an diesen. Doch kam dann und
wann ein Stoß, der diese Menschenkette aus einander riß
und einen Theil der Soldaten mit unglaublicher Gewalt
gegen die andere Flanke warf, wo sie sich dann mit erstarrten
Händen und klappernd vor Frost wieder fest zu halten suchten.
Das Verdeck war ganz bedeckt mit Waffen, Kochgefäffen
und irdenen Geschirren, aufgeweichtem Zwieback und verschie-
246
denen Sachen der Soldaten, als Pfeifen, Teppiche ne. Die
Wellen stürmten mit gleicher Heftigkeit noch immer gegen
die linke Seite des Boots. Von Weitem sah man sie
heranrollen, langen Reihen schwarzer Pferde gleich, auf denen
der weiße Schaum coloffale Reiter bildete, die einen Chock
auf unser Schiff machten. Immer größer wurden sie und
immer lauter das Getöse, mit welchem fiel näher kamen.
Ehe der Capitän Anstalten zu unserer Rettung traf,
hatten sich fünf türkische Soldaten auf eigene Faust aber
auf eine sehr verwegene Art vom Schiffe entfernt. Sie
sprangen in eines der Boote, die an der Seite des
Schiffes hingen, zogen ihre Meffer, schnitten zugleich die
vier Taue, die es hielten, ab, und ließen sich in das brausende
Meer fallen. Eine Zeit lang glaubten wir sie wirklich ver-
loren; denn die Wellen riffen sie im Kreise herum und
drohten, das kleine Boot umzuschlagen. Bald jedoch warfen
fie es nach dem Ufer zu, die Soldaten sprangen heraus und
liefen, ohne fich weiter um uns und das Schiff zu beküm-
mern, schleunigst davon.
Nach langen Berathschlagungen, wie es möglich fey,
ein Tau ans Ufer zu befestigen und so eine Art von Brücke
zu bilden, wagte einer der Matrosen fein Leben, um diesen
Plan auszuführen. Er band sich einen dünnen Strick, der
einige hundert Schritte lang war, um den Leib, und sprang
vom Boogspriet aus ins Meer. Nicht ohne Beklemmung
und Angst sahen wir ihm zu, sahen, wie die Wellen ihn
zuerst herumdrehten und es lange dauerte, bis er seine Hände
und Füße gebrauchen konnte, um vorwärts zu schwimmen.
Kräftig und gewandt arbeitete er sich bis auf vielleicht fünf-
zig Schritte vom Ufer, wo ihn die Brandung aufs Neue
erfaßte und wir ihn und uns mit verloren glaubten. Mehr-
mals warfen ihn die Wellen bald zurück, bald gegen die
Felsen des Ufers, so daß wir glaubten, die Rippen müffen
247
ihm zerbrechen. Endlich faßte ihn eine größere Welle und
führte ihn hoch auf den Strand, wo er gewiß eine Viertel-
stunde wie todt liegen blieb. Mit welchen Gefühlen wir
dies. Alles vom Schiffe aus ansahen, kann sich jeder leicht
vorstellen. Schon war es sehr schwer geworden, einen der
Matrosen zu diesem ersten Versuche zu bewegen und den
Verunglückten vor Augen würde kein Zweiter denselben Weg
gemacht haben. Glücklicher Weise aber war er nicht todt,
sondern fing langsam an, sich zu bewegen. Doch dauerte
es noch einige Minuten, ehe er seine ganze Befinnung wieder
hatte und wußte, wo er sich befand. Dann stand er auf,
zog den Strick nach sich, an welchen man unterdessen
ein dickeres Tau gebunden hatte, befestigte dies an zwei
Olivenbäume, die glücklicher Weise am Ufer standen, und
bildete so eine, wenn gleich unsichere Verbindung mit dem
Lande. Die Mitte dieses langen Taues hing durch feine
eigene Schwere tiefer als die beiden Enden und die vom
Ufer abprallenden Wellen schlugen hoch über dieselbe zu-
sammen; ein Umstand, der das Hinüberklettern noch mehr
erschwerte.
Obgleich ein zweiter Matrose auf diesem Taue glück-
lich ans Ufer kam, wollte doch keiner der Türken zuerst
den gefährlichen Weg versuchen. Wir drängten uns durch
die Maffen der Soldaten bis vornen zum Boogspriet und
nahmen die stark schwankende Brücke in Augenschein. Der
Oberflieutenant war der Erste, der sich hinaufwagte und
mit Lebensgefahr hinüber kam. In der Nähe des Ufers,
vielleicht betäubt von den über ihn stürzenden Wogen, ließ
er das Tau zu früh los und würde wahrscheinlicher Weise
ertrunken seyn, wenn nicht die beiden Matrosen ihm ent-
gegen gesprungen wären und ihn herausgezogen hätten. Der
Zweite war unser Baron, der, ungemein geschickt in allen
gymnastischen Uebungen, äußerst schnell und glücklich hinüber
248
kam. Dann folgte der Graf Szechenyi, der ebenfalls das
Land glücklich erreichte, und nach diesem wollte ich mein Heil
versuchen. Schon stand ich oben auf einem Anker, wo das
Tau angebunden war, und wollte mich eben hinablaffen,
als ich mich von mehreren Seiten und unter wildem Geschrei
von den Türken angefaßt fühlte. Da ich nicht wußte, was
diese Kerls wollten, versuchte ich es, meine Arme los zu
machen und zog eine Pistole aus dem Gürtel, nicht um auf
die Türken zu schießen, da sie ganz naß war, sondern nur
um ihnen auf die Köpfe und Hände zu klopfen, damit sie
mich loslaffen sollten. Doch wurde das Geschrei hierdurch
noch größer und nach ihren wilden Blicken konnte ich fürchten,
fie würden mich ohne Weiteres in's Meer werfen. Auch
riefen mir ein Paar von den Matrosen auf Italienisch zu,
ich möchte ja meine Pistole einstecken, was ich that. Hierauf
riffen mich die Türken gleich von meinem Anker herunter und
mehrere gaben mir durch Worte und Pantomimen zu ver-
stehen, fiel wollten nun zuerst hinüber und wir Giaurs könnten
warten, bis sie gerettet seyen. Wir feyen ohnedies Schuld
daran, daß sie in den Krieg müßten. Was war zu thun?
Mit dieser zügellosen Bande, die durch das Unglück der
vergangenen Nacht, durch Sturm und Unwetter noch mehr
aufgereizt war, ließ sich nicht paffen. Wir zogen uns also
mit den Matrosen auf das Hintertheil des Schiffes zurück
und ließen die Soldaten ihr Heil versuchen.
Eben so rathlos wie wir auf dem Verdecke standen,
waren unsere Freunde am Lande. Die ganze Gegend war
fußhoch mit Schnee bedeckt und zeigte kein Haus, keinen
Weg noch Steg. Der Baron zeigte uns vom Ufer her
durch Pantomimen an, sie wollten den Strand entlang gehen,
um zu sehen, ob nicht ein Dorf oder sonst menschliche Woh-
nungen in der Nähe feyen. -
249
Unterdessen begannen die Soldaten nicht zu ihrem Heil
die Rutschparthie nach dem Lande zu. Als sie gesehen, daß
unsere drei Freunde so glücklich hinüber gekommen waren,
glaubten sie, die Sache fey nicht schwer und fingen an, es
nachzumachen. Einige kletterten an das Tau und rutschten
hinab, doch wo es, um ans Ufer zu gelangen, galt,
wieder in die Höhe zu klettern, verließ die Meisten Kraft und
Muth. Sie ließen die Beine los und hingen nun mit aus-
gestreckten Armen, jämmerlich um Hülfe rufend, über den
tobenden Wellen, die von Zeit zu Zeit hoch über ihren
Köpfen zusammen schlugen; ein gräßlicher Anblick. Viele
wurden von den schon am Ufer befindlichen Matrosen ge-
rettet, mehrere aber ertranken vor unsern Augen, indem
das tückische Meer sie keine zehn Schritte vom Lande lange
herumrollte und endlich als Leiche auf den Strand warf.
Nach Verlauf einer starken halben Stunde kamen unsere
Freunde zurück, zeigten uns an, sie haben nichts gefunden
und wollten jetzt ihr Heil in der entgegengesetzten Rich-
tung versuchen. Wenn sie im Verlauf einer Stunde nicht
zurück wären, sollten wir ohne Weiteres ihren Fußtapfen,
die wir im Schnee leicht sehen könnten, folgen. Es kostete
viele Mühe, ehe wir uns Zeichen und einzelne Worte auf
diese Art verabreden konnten.
Sehr langsam ging während dieser Zeit die Ausschiffung
von Statten, und da uns, wie oben schon erzählt, die Türken
nicht an das Tau kommen ließen, so gingen wir in die
Kajüte zurück, um ruhig die Zeit abzuwarten. Doch kann
sich hier Niemand unsere Lage denken. Durchnäßt waren
wir bis auf die Haut und das Schiff wurde bei jedem
Wellenschlage so erschüttert, daß ich mich unter eins der
Betten klemmte, um nicht jede Minute hin und her ge-
schleudert zu werden. Die Thüren sprangen von selbst auf
und zu, die Schellen in den Zimmern klingelten, als würden
250
fie mit Macht gezogen und in Wände und Fußböden riffen
große Spalten. Tische, Stühle und unsere Effekten lagen,
einen unordentlichen Haufen bildend, zertrümmert durcheinander.
Nach Verlauf einer Stunde ging ich wieder hinauf, um
zu sehen, ob noch viele Soldaten droben feyen. Es waren
wenigstens noch zwei bis dreihundert auf dem Verdeck. Auch
hatte sich das Schiff mit der Spitze etwas dem Lande ge-
nähert und das Tau hing fast ganz im Waffer, konnte auch
nicht wieder straffer gespannt werden, da die Schiffswinden
zerbrochen waren. Jetzt war das Hinüberklettern noch ge-
fährlicher geworden, weshalb der Capitän den großen Mast
hatte kappen laffen und zur Seite ins Meer stellen, so eine
neue Brücke zur Rettung bildend. Der Mast ging vielleicht
bis auf achtzig Schritt vom Schiffe, und die Türken setzten
sich rittlings darauf und rutschten hinab. Unten mußten fie
dann warten, bis die ins Meer zurückkehrenden Wellen die
Felsen ein wenig entblößten. In diesem Augenblick sprangen
die Leute ins Waffer, das ihnen nur bis zur Brust ging
und mußten dann so schnell wie möglich eilen, das Ufer
zu gewinnen. Nie hab' ich Menschen gesehen, die mehr
den Kopf verloren hatten, als diese Türken. Einige hielten
schon in der Mitte des Mastes an und sprangen trotz allen
Zurufungen in die Wellen, die sie dann sogleich mit fort
nahmen. Andere ließen den Baum in dem Augenblick los,
wo die Brandung wieder kehrte, wurden von ihr erfaßt und
ertranken. In Allem mochten heut etliche zwanzig Menschen
ertrunken feyn.
Gegen vier Uhr Abends war endlich die Zahl der sich
noch am Bord befindlichen Soldaten so gering, daß wir
Europäer allenfalls mit Gewalt zum Maste durchdringen
konnten. Das Einzige, was ich von unsern Effecten mit-
nahm, war der Nachtfack des Baron, der die ganze Reise-
kaffe enthielt. Zerschellte auch das Schiff während der
251
Nacht, so waren wir doch wenigstens mit Geld versehen.
Wir bestiegen nun den Mastbaum und sahen, daß das
Hinabrutschen hier eben so unangenehm und gefährlich war,
wie früher an dem Tau. Die Bewegung des Schiffes war
so stark, daß ich, schon ungefähr drei Fuß tief hinabgeklettert,
von einem starken Stoß wieder an zwei Fuß über das Ver-
deck gehoben wurde. Unten angekommen, galt es, genau
den Augenblick abpaffen, wo man sich loslaffen mußte, um
nicht ins Meer geriffen zu werden. Doch kamen wir Alle,
freilich von Neuem durchnäßt, mit dem Geldsack am Ufer an.
Da standen wir nun an dem kahlen Ufer, durchnäßt,
hungrig und halb erfroren. Vor uns lag das schöne Schiff
auf spitzigen Felsen wie eine zerbrochene Nußschaale und die
gierigen Wellen leckten über das ganze Verdeck und suchten
überall in die Luken und Fenster zu dringen. Es kam mir
vor, wie der Leichnam eines riesigen Thiers, das gestern
noch munter sein Element, das Waffer, durchschnitt. Jetzt
liegt es todt am Strande, fein Athem braust nicht mehr
stolz in die Lüfte hinauf und feine Glieder, die Räder, find
unbrauchbar geworden und zerbrochen.
Das ganze Meer, so wie der Himmel, war in ein
schmutziges Gelb gekleidet und lange Nebelstreifen zogen über
die Wellen und das Schiff – traurige Leichentücher, die uns
gestern Abend schon warnend erschienen waren. Am Ufer um
uns her lagen viele Leichen der Soldaten, die heute umge-
kommen waren; einige wurden von ihren Freunden und Be-
kannten eingescharrt, Andere blieben liegen, halb vom See-
waffer bespült, und es fand sich Niemand, der ihnen den
letzten Liebesdienst erzeigte.
Die Richtung, in der unsere Freunde gegangen und
nicht wieder zurückgekehrt waren, schlugen auch die meisten
Soldaten, so wie sie den Boden betraten, in vollem Laufe
ein. Es schien mir, als feyen einige von ihnen hier bekannt.
252
Wir folgten ihnen und kamen nach Verlauf einer halben
Stunde an eine Olivenpflanzung, durch welche die Fußtapfen
der uns Vorangegangenen führten. Aeußerst beschwerlich
und unangenehm war der Weg, den wir zu machen hatten.
Der Schnee war oft zwei Fuß hoch und der Boden darunter
so uneben, daß man bei jedem Schritte fürchten mußte, zu
stürzen. Bald jedoch kamen wir auf einen gebahnteren Weg,
der durch Weingärten führte, woraus wir mit Freuden er-
sahen, daß wir bald in die Nähe von menschlichen Woh-
nungen kommen müßten. Jetzt erreichten wir einen Brunnen,
wo sich mehrere unserer Leidensgefährten gelagert hatten, um
einen Trunk frischen Waffers zu sich zu nehmen. Dann
bogen wir um einen Hügel und sahen vor uns ein kleines
Dorf, es hieß Armudkoi – Birnendorf – liegen, auf
das wir, obgleich es sehr ärmlich aussah, mit schnelleren
Schritten zugingen.
Im Eingang desselben kam uns einer unserer Matrosen
entgegen, den der Baron hinausgeschickt hatte, um nach uns
zu sehen und uns in das Haus zu bringen, welches fie ge-
funden. Unter den schlechten Häusern dieses Dorfs war das
unsere ohne Widerrede das erbärmlichste. Es bestand aus
einem einzigen Zimmer, das zwanzig Fuß lang und vielleicht
fünfzehn breit seyn mochte, hatte zwei kleine Fenster und das
Mobiliar bestand aus einem hölzernen Divan, der längs
einer Wand lief, ähnlich den, wie wir sie in Stambul in
den Kaffeehäusern und ärmlichen Barbierstuben gesehen. Wir
fanden unsere Freunde in einer wirklich komischen Lage. In
der Mitte dieses Gemachs auf dem Boden stand ein großer
Mangahl, um den alle saßen und beschäftigt waren, ihre
Kleider zu trocknen, da aber jeder augenblicklich nur das be-
saß, was er auf dem Leibe trug, so wurde Stück für Stück
heruntergezogen, über das Feuer gehalten, und nachdem es
nothdürftig getrocknet war; wieder angelegt. So war der
253
Eine ohne Rock, ein Anderer ohne Hosen und ein Dritter
hielt gar ein Hemd über das Feuer, wie wir eintraten.
Alle freuten sich sehr bei unserm Anblick und gaben uns den
größten Platz um den Mangahl frei, um auch unsere ganz
naffen Sachen etwas zu trocknen. Wir befanden uns wirk-
lich in keiner beneidenswerthen Lage. Den ganzen Tag
hatten wir nichts gegessen und hatten auch jetzt noch keine
Aussicht, etwas zu bekommen. Ganz durchnäßt waren wir
und das kleine Kohlenfeuer reichte nicht hin, uns zu trocknen
und zu erwärmen. Auch brach der Abend herein und wir er-
hielten mit Mühe ein kleines Stümpchen Talglicht, um unsern
Salon zu erleuchten. Ein Paar von den Matrosen und der
Kellner des Schiffs, die auch bei uns einquartiert waren,
gingen in das Dorf, um zu sehen, ob sie nicht irgend etwas
Eßbares auftreiben konnten. Wirklich kamen sie auch nach
einiger Zeit mit etwas Reis zurück, den sie irgendwo ge-
kauft. Das ganze kleine Dorf lag voll unserer Soldaten
und die Einwohner waren bei ihrer Ankunft größtentheils
geflohen. Reis hatten wir also, eine Schüffel fand sich bei
näherer Nachsuchung auch vor und einen Braten führte uns
das versöhnte Schicksal ebenfalls zu. Eine große Gans näm-
lich trieb sich längere Zeit vor unserer Thür herum und
näherte sich endlich so unvorsichtig, daß einer der Matrosen
sie am Hals faffen konnte und hereinzog. Noth kennt kein
Gebot. Das Thier wurde als gute Beute erklärt und zu-
gleich mit dem Reis gekocht. Selten oder nie bin ich mit
größerem Heißhunger über eine Schüffel hergefallen, als
hier. Allen erging es aber so, und das Gefäß war schon
beinahe zu drei Theilen leer, ehe unser Appetit so weit ge-
stillt war, daß wir uns über den Geschmack des Genoffenen
Rechenschaft geben konnten. Mir kam vor der Pillau schmecke
etwas nach Seife, und kaum hatte ich meine Vermuthung
ausgesprochen, so stimmten mir die Andern bei. Und wir
254
-
hatten Recht, denn bei näherer Betrachtung ergab es sich,
daß der Kellner den Reis in einer großen Bartschüffel ge-
kocht hatte, die er in einem Winkel des Gemachs aufge-
funden; wir befanden uns, wie wir später erfuhren, in der
öffentlichen Barbierstube des Dorfes.
Mit dem Capitän, den Offizieren, mehreren Matrosen
und Kellnern waren wir zu vierzehn Mann hier einquartiert,
wonach man ausrechnen kann, daß zum Schlafen auf jeden
nicht viel Raum kam. Wir mußten wie die Pickelhäringe
zusammengedrängt liegen, was den Nutzen hatte, daß wir
nicht gar zu sehr froren; denn es wurde in der Nacht unan-
genehm kalt. Vor dem Einschlafen hatten wir verabredet,
ein Theil von uns solle am nächsten Morgen, wenn das
Unwetter etwas nachgelaffen habe, mit einigen Pferden,
die sich allenfalls wohl auftreiben ließen, an Bord zurück-
kehren, um nachzusehen, was von unsern Effecten gerettet
werden könnte.
Am Morgen sehr früh, es war noch ganz dunkel, ging
der Baron und der Maler F. mit mehreren von der übrigen
Gesellschaft nach dem Meere, um zu sehen, was auf dem
Schiffe zu machen fey. Wie sie an den Strand kamen und
das Schiff in dunkeln Umriffen vor sich sahen, bemerkten
fie zu ihrer größten Verwunderung, daß sich viele Lichter
auf demselben hin und her bewegten. Das Meer war in-
deffen viel ruhiger geworden und gestattete ihnen durch die
Radkasten, die jammt den Rädern ganz aus dem Waffer
hervorsahen, hinauf in das Schiff zu steigen. Hier bot sich
ein überraschender Anblick dar. Einige zwanzig Türken waren
mit Lichtern in den Händen beschäftigt, Kisten und Kasten
zu erbrechen, um sich die Sachen, die ihnen gefielen, anzu-
eignen. Daß unsere Freunde sie in diesem angenehmen Ge-
fchäft augenblicklich störten, war natürlich, und wenn diese
edlen türkischen Soldaten nicht im Allgemeinen so ausgezeich-
255
net feig wären, hätte es zu einem ernstlichen Handgemenge
kommen können. So aber ließen sie beim Anblick der Fran-
ken ihre Beute fahren oder sprangen mit einzelnen Stücken,
die sie in der Hand hielten, geradezu in das jetzt schon viel
feichter gewordene Meer, um doch etwas von ihrem Raub
davon zu bringen. Glücklicher Weise waren unsere Koffer,
da sie für die lange Reise dienen sollten, außerordentlich stark
und fest gebaut, weshalb es diesen Räubern nicht sogleich
gelang, sie zu erbrechen. Einige der Türken, die bei dem
ersten Anlauf sich in die Kajüte gerettet hatten, wurden da
hinausgeprügelt und mußten sich zu einem Sprung ins Meer
entschließen, was sie auch meistens gutwillig thaten, eine
Taufe, die diesen heillosen Kerls wohl zu gönnen war.
Da es dem Kapitän gelang, einige Pferde zu er-
halten, so wie auch manche von den Einwohnern aus
Neugierde mit an's Schiff liefen und sich dann später durch
ein kleines Trinkgeld gern bereitwillig finden ließen, etwas
von unsern Effecten nach dem Dorfe zu schleppen, so waren
bald alle unsere Sachen aufgeladen und noch vor Mittag
kehrten unsere Freunde damit zurück. Auch hatten sie nicht
versäumt, von den Speisevorräthen und den vorhandenen
Weinen so viel zu retten, wie möglich war, weshalb wir
aus der bittern Armuth von gestern uns auf einmal zu einem
solchen Wohlleben erhoben sahen, daß wir die armseligen
Einrichtungen unseres Locals ziemlich vergaßen. Wir hatten
Thee, Kaffee, alle möglichen in- und ausländischen Weine,
Fleisch, Geflügel und hiezu alle nöthigen Geschirre, so daß
wir heute Abend ein glänzendes Souper machten.
Bis jetzt hatten wir noch nicht Zeit gehabt, über unsere
Zukunft nachzudenken, d. h. wohin wir uns von hier wenden
sollten und auf welche Weise. Nach Constantinopel zurück,
war was das Erstere betraf, natürlich der einstimmige Vor-
schlag; jedoch hinsichtlich des Zweiten, die Art, wie wir da-
256
hin kommen sollten, waren die Meinungen geheilt. Einige
meinten, man müffe von dem gestrandeten Schiffe von Zeit
zu Zeit Nothschüffe thun, um dadurch vielleicht ein anderes
herbeizuziehen. Andere glaubten, wir könnten uns vielleicht
einem großen Fischerboot anvertrauen, und mit ihm längs
der Küste nach Stambul fahren, was aber sehr lange ge-
dauert haben würde. Ein dritter Vorschlag war, einen
Reitenden nach Scutari zu schicken, der dem k. k. östreichischen
Internuntius unsere Lage mittheilen sollte und abwarten, was
dieser für uns thun könnte. Der Baron endlich schlug
zuletzt noch einen andern Ausweg vor, der als der beste auch
festgehalten und ausgeführt werden sollte, nämlich den, im
Fall es möglich sey, Pferde anzuschaffen, selbst nach Scutari
zu reiten, was man wohl in drei Tagen von hier abmachen
konnte, und von da nach Kräften für die zurückgelaffenen
Matrosen und Effecten zu sorgen.
Der Schech des Dorfes wurde herbeigeholt, zum Abend-
effen eingeladen, und nachdem er sich's hatte gut schmecken
laffen, befragte man ihn, ob es ihm möglich sey, für uns
Pferde zu einem Ritt nach Scutari anzuschaffen. Anfänglich
machte er Schwierigkeiten und versicherte, die meisten Ein-
wohner eyen ins Gebirge geflohen und würden wahrschein-
lich nicht eher zurückkehren, bis die Soldaten und wir abge-
zogen eyen; auf keinen Fall aber würde man sie dazu ver-
mögen können, ihre Pferde zu unserem Gebrauche herzugeben.
So sprach anfänglich der Schech. Aber nachdem ein paar
Gläser Champagner ihre Wirkung gethan hatten, wurde er
umgänglicher und sagte, für einen hohen Preis würden sich
doch vielleicht einige entschließen, ihre Thiere herzugeben.
Bald darauf entfernte er sich mit dem Versprechen, er
wolle sehen, was sich thun laffe, kehrte aber den Abend
nicht wieder zurück.
257
Die langen kalten Nächte ohne Betten, Teppiche oder
Decken zuzubringen, war das Unangenehmste von der ganzen
Geschichte. Auch waren wir Alle mehr oder minder erkrankt;
denn die Näffe, worin wir einen ganzen Tag und eine ganze
Nacht hatten zubringen müffen, hatte uns fammt und sonders
stark mitgenommen. Einer klagte über Kopfweh, der Andere
über Zahnweh, jener hatte Uebelkeiten, dieser ein entsetz-
liches Bauchgrimmen, Alles Klagen, die dann erst lauter ge-
hört wurden, wenn sich der Schleier der Nacht auf unsere
armselige Behausung senkte und die Härte der Pritsche und
des Bodens das Ihrige dazu beitrugen, alle jene Leiden
doppelt fühlbar zu machen.
Wie gerädert stand man am andern Morgen auf, und
es dauerte eine ziemliche Zeit, ehe man sich von den Stra-
pazen der Nacht erholen konnte. Trotz allem diesem Elend
wurde viel gewitzelt und gelacht und besonders war es Graf
Szechenyi, der die drolligsten Geschichten anfing. Er hatte
einen Bedienten, mit Namen Hansel, der früher Fiaker in
Wien gewesen war, ein ehrlicher treuer Oestreicher, der seinen
armen Herrn später in Damaskus bis zum letzten Augenblicke
pflegte. Beide gaben uns viel Stoff zum Lachen. So
machte der Graf z. B. fast täglich zum Scherz Toilette, wo-
bei ihm Hansel affitierte, als feyen sie in ihrem Palais zu
Wien; Abends lud er uns zum Thee ein und machte auf
einem großen Steine sitzend in bester Art die Honneurs
des Hauses.
Am zweiten Tag erst gegen Mittag kam der Scheich
wieder zu uns und versicherte, er habe zwölf Pferde für uns
gefunden, wofür er aber einen entsetzlichen Preis verlangte.
Aber was war zu thun? Wir hätten im Nothfalle das Dop-
pelte und Dreifache bezahlt, um nur dies Nest verlaffen zu
können. Den Nachmittag brachten wir damit zu, unsere
Sachen zu packen und unsere Kleider wieder etwas in Stand
Hackländer, R. in d. O., 1. 17
258
zu setzen, wobei der Baron ganz zufällig das Glück hatte,
feine ungarische Bunte, die vom Schiffe gestohlen war, zu-
rückzuerhalten. Er stand nämlich in dem Augenblick an der
Thür, wo ein türkischer Lieutenant vorüber ging, der den
Pelz über die Schulter geschlagen hatte und ganz ruhig
damit paradierte. Natürlich wurde er gleich angehalten
und einer der Matrosen verdolmetschte ihm, der Mantel,
den er trage, gehöre jenem Franken und er folle sagen, wo
er ihn her habe, worauf der Lieutenant ganz ruhig erwiderte,
er habe ihn nicht weit von hier in einer Scheune gefunden,
wo noch mehr dergleichen Sachen lagen. Wir gingen augen-
blicklich dahin und fanden wirklich noch verschiedene Kleinig-
keiten, die wir bisher vermißt, als Stiefel, Ueberröcke, lange
Pfeifen c. alle Sachen, die nicht in Koffern verschloffen
waren, sondern offen in der Kajüte lagen. Wie sie hieher
in die Scheune kamen, konnte uns Niemand sagen.
Der Schech hatte uns für den folgenden Morgen sehr
früh die Pferde versprochen, weshalb wir mit der Dämmerung
reisefertig waren und ihn erwarteten. Er kam auch, aber
allein, und versicherte auf unsere heftigen Fragen, wo die
Pferde blieben, Gott wife, daß er die Wahrheit spreche,
aber zu unserem eigenen Besten dürfe er uns die Pferde
nicht geben. In der Nacht feyen von den sechshundert
Mann, die mit uns Schiffbruch gelitten hatten, zweihundert
fünfzig desertiert, die uns theilweise wahrscheinlich auf dem
Wege zwischen hier und Scutari auflauern, überfallen und
berauben würden. Wir mochten dem Schech noch so viele
Gegenvorstellungen machen, und ihn versichern, wir würden
die Sache ganz auf uns nehmen, wir fürchteten uns nicht
vor diesen Leuten, es half nichts, er blieb dabei, er dürfe
uns keine Pferde geben, indem ihn Gott hart bestrafen
würde, wenn er uns Fremde ins Unglück rennen ließe. Ob
der Schech in der That diese musterhaften Gefinnungen hatte
259
oder ob er uns keine Pferde geben wollte, blieb uns ein
Räthel, das, wie so vieles Andere erst dann offenbar werden
wird, wenn die Todten auferstehen. Bei diesen Aussichten
hätten wir Gott weiß wie viel Tage noch in diesem elenden
Nest zubringen können, wenn man nicht in Constantinopel,
wohin sich schon am zweiten Tag nach unserem Unglück –
wie? haben wir nie erfahren – das Gerücht verbreitet
hätte, der Seri-Pervas fey in der Bucht vor Mudania ge-
- scheitert, gleich Anstalt zu unserer Rettung getroffen hätte.
Am folgenden Morgen waren wir Alle eigenhändig mit
der Zubereitung unseres Frühstücks beschäftigt, als plötzlich
ein Paar türkische Lieutenants, die sich am Meere umher
trieben, mit dem Geschrei; „Vapore! "Vapore!“ ins Dorf
und in unsere Stube stürzten. Wir sprangen. Alle überrascht
auf, ließen unsere Beschäftigung liegen und eilten an den
Strand. Gott weiß, in meinem Leben hat mich der Anblick
eines Dampfbootes nicht so erfreut, als das, was die Türken
uns angezeigt und das sich rauchend und brausend dem Lande
näherte. Wir tanzten vor Freude auf dem Sand herum
und winkten mit unsern Tüchern dem Capitän der auf dem
Radkasten stand, freudig entgegen. Jetzt ließ das Dampfboot
die Anker fallen und ein Boot stieß ab, in dem sich ein
Offizier befand, der uns meldete, daß das Dampfboot es
war der Ludovico – durch den k. k. Internuntius, Baron
von Stürmer, abgesandt fey, uns zu holen. Wir flogen ins
Dorf zurück, packten unsere Sachen zusammen und befanden
uns in kurzer Zeit am Bord des Ludovico, wo wir uns be-
haglich auf die weichen Kiffen ausstreckten. In fünf Stun-
den erreichten wir Constantinopel und kletterten den steilen
Hügel von Pera hinauf zum Gasthof unserer freundlichen
Madame Balbiani, die uns mit Thränen in den Augen und
herzlicher Freude empfing.
17
260
Am andern Tage waren wir mehr oder minder krank;
doch hatten wir nicht lange Zeit im Bette zu bleiben, denn
schon am Mittage hieß es, ein anderes Dampfschiff gehe
morgen nach Smyrna und würde uns, diesmal aber ohne
Soldaten, mitnehmen. Wir hatten kaum Zeit, unsere zu
Grunde gegangenen Effecten wieder etwas herrichten zu laffen,
denn schon am andern Nachmittag um drei Uhr gingen wir
wieder an Bord, diesmal unter günstigeren Auspicien. Das
Wetter hatte sich wieder aufgeklärt und von dem Schnee,
der uns bei unserer ersten unglücklichen Seefahrt zum Ab-
fchiede geleuchtet, war nichts mehr zu sehen. Auch hatten
wir, wie schon gesagt, diesmal Platz genug auf dem Schiffe,
und brauchten nicht wieder nach Scutari zu fegeln, um das
Verdeck mit türkischen Soldaten anfüllen zu laffen.
Fahrt durch den Archipel.
Zweite Abreise von Constantinopel. – Odun Kapuisi. – Die
Dardanellen. – Der Crescent. – Die Ebene von Troja. – Die
jonischen Inseln. – Smyrna. – Der Mastufiaberg. – Rhodus:
Die Stadt. Die Allerheiligenkirche. Strada dei Cavalieri. – Mar-
mariffa mit der englischen und öfreichischen Flotte. – Cypern.
Steig auf, o Morgenlicht! Kommt her, naht. Alle,
Doch laßt die stillen Urnen unverfehrt;
Hier ist der Friedhof eines Volks, die Halle
Von Göttern, die kein Opferrauch mehr ehrt;
Denn Götter selbst vergeh'n! – kein Glaube währt. –
Byron. Childe Harold.
Hinter dem Riesenberge auf dem asiatischen Ufer des
Bosphorus erhob sich der Mond und beleuchtete dort das
Grab des Herkules, als unser Schiff die Stadt zum Ab-
schied mit einem Kanonenschuß begrüßte, die Anker aufwand
und langsam wendend die dunkelblaue Fluth mit den Schaufel-
rädern theilte und aufwühlte. Es war ein herrlicher Abend.
Ich fand am Stenerruder und schickte meine letzten grüßenden
Blicke nach der majestätischen Stadt und dem Mastenwald
des goldenen Horns. Ach, diese Stadt hat so etwas
phantastisch schönes. Alle sieben Hügel, worauf sie gebaut
ist, zeichnen sich aus der Ferne deutlich ab, find mit den
bunt angestrichenen Häusern bedeckt, aus denen, gleich Tulpen
und Lilien aus einem Moosgrunde, die vergoldeten Kuppeln
und Minarets der zahlreichen Moscheen, so wie die große
dunkle Cypreffe, dieser majestätische Baum sich erheben. Wie
windet sich das klare Waffer des Hafens so schön durch die
264
Häusermaffen hindurch, ein wirkliches goldenes Horn, ein
Füllhorn; denn sammelt sich nicht in den tausend Schiffen,
die sich auf einem grünen Rücken schaukeln, Alles, was der
Orient und Occident Kostbares hervorbringt, um es dann
zu den Füßen Europa"s auszugießen!
Leb' wohl, Stambul! wahrscheinlich seh' ich dich zum
letzten Mal, die Nacht senkt sich auf dich herab, wie das
Leichentuch auf eine theure Verstorbene. Ich nehme noch
einzeln Abschied von der hehren Aja Sophia, von Pera und
Galatha, wo wir so oft landeten, und von Topchana mit
dem hölzernen, stattlich aussehenden Palais des Großherrn.
Einen schüchternen Blick schickte ich nach dem alten Serail,
denn unser Schiff fuhr gerade längs dem stets verschloffenen
Thor Odun Kapusfi. Ich glaubte die verhängnißvolle Ka-
none durch die Nacht glänzen zu sehen, die zuweilen ihren
metallenen Mund öffnet, und es den Wellen ansagt, wenn
sich diese Pforte aufthut, und man eines jener unglücklichen
Weiber hinaustrug, welches, durch die Anklage der Eunuchen
verdächtig geworden, hier in dem weiten Meer ein weites
kaltes Grab fand – und neben diesem Thor tönte aus dem
schönen Kiosk laut Musik und Gesang; dort tanzten die
Sultaninnen und Odalisken vor ihrem Herrn und liebkosten
ihm, während eine ihrer Schwestern langsam, langsam unter-
finkend, ihm fluchte. – Daß Tod und Leben stets so nah"
neben einander wandeln! ein Gedanke, der einem nie so nahe
tritt, wie bei einer Meerfahrt, wo man von dem tückischen
Element nur durch eine dünne Bohle geschieden ist; doch
muß ich gestehen, daß mich diese Idee nicht sonderlich beun-
ruhigte, obgleich ich und meine Gefährten ja noch vor wenigen
Tagen die Kraft und Gewalt des Oceans, so wie die Schwäche
und Hülflosigkeit selbst eines großen Schiffes erfahren hatten.
Das Dampfschiff, auf dem wir heute fuhren, der Cres-
cent (Halbmond), hatte einen so guten Ruf, und war so
265
vielen Gefahren und Stürmen stets glücklich entgangen, was
man sowohl der Bauart des Schiffes, als auch der umsichtigen
Leitung unsers freundlichen Capitäns, des Herrn Anthoin,
zuschreiben konnte. Es schien mir beinahe unmöglich, als
könne uns mit diesem Schiff noch einmal ein Unglück zu-
stoßen; denn das kräftige, obgleich sehr fühlbare Arbeiten der
Maschine, ein leichtes Durchschneiden der Wellen und die
beständige Ruhe des Capitäns gab den Paffagieren eine
solche Zuversicht, daß man sich den Gesprächen und allen
möglichen Zerstreuungen, sorglos wie auf dem Lande, überließ.
Das Schiff war vorläufig bis Smyrna bestimmt und hatte
nur wenig Leute an Bord. Auf dem Verdeck lagen einige
türkische Familien und jede hielt sich von der andern durch
grüne, zu diesem Zweck auf dem Schiff befindliche Lattenzäune
abgesperrt. Am Steuerruder hatte sich eine einzelne Frau
einquartiert, die mit ihrem kleinen Söhnchen, einem aller-
liebsten Knaben, und in Begleitung eines baumlangen Negers,
nach Metelyn reiste. Sie war Wittwe, ihr Mann in der
Schlacht bei Niib geblieben. Der kleine, kaum zwei Fuß
hohe Türke nannte sich Hamsa Beg, Herr Hamsa, und
trieb sich stets bei uns herum. Jeder gewann ihn in Kurzem
sehr lieb, und ich muß gestehen, lange nicht ein so wohl-
thuendes, liebes Gesichtchen gesehen zu haben. Die Frau
Mama dagegen, die sich häufig entschleierte, und uns so den
vollen Anblick ihres Gesichts gewährte, hatte, wie die meisten
Türkinnen, schlaffe, unangenehme Züge, besonders um den
Mund, den ich bei diesen Weibern nie frisch und schwellend
gefunden habe.
Gegen zehn Uhr Abends gönnte uns der Mond noch
den Anblick der südwestlich vor uns liegenden Insel Marmara,
jedoch sahen wir sie nur in schwachen Umriffen, da sich der
bei unserer Abfahrt so klare Himmel allmählig mit Wolken
überzogen hatte. Auch warf ich noch einen schüchternen
266
Blick nach Südwest, wo in der Bai von Mudania unser
gescheitertes Schiff, der Seri Pervas lag, und da es etwas
zu regnen anfing, suchten wir unsere Schlafstätten auf
Einige nahmen Besitz von den sehr schmalen Betten, Andere,
worunter auch ich, wählten sich die großen Sopha's der
Damenzimmer. Unserer Gesellschaft vom Seri-Pervas hatten
sich noch drei östreichische Offiziere angeschloffen, die den
Krieg in Syrien mitmachen wollten; sehr liebenswürdige
Leute, denen ich, sollten ihnen diese Blätter zu Gesicht kommen,
hiermit meinen herzlichsten Gruß zuende.
Ich schlief bald ein, wurde jedoch nach ein paar Stunden
auf eine äußerst unangenehme Art geweckt, indem das seit
Kurzem etwas hoch gehende Meer eine der kleinen Fenster-
lucken aufgeriffen hatte und eine Welle hereinsandte, die mich
tüchtig durchnäßte; doch lag die Schuld größtentheils an
mir selber, denn ich hatte vergeffen, den äußeren hölzernen
Laden schließen zu laffen. Ich verbefferte meine Lage so gut
als möglich und schlief den übrigen Theil der Nacht, ohne
an mein unfreiwilliges Seebad zu denken.
Als ich am Morgen des 9. Decembers aufs Verdeck
trat und rings um mich schaute auf das liebe klassische Land,
in das wir wie durch Zauber über Nacht gekommen, war
mir zu Muth, wie dem Sohn eines alten Geschlechts, der,
ferne von der Heimath erzogen, lange nach derselben verlangt
und nun endlich die Berge sieht, welche die Wiege feiner
Väter umstanden. Doch kennt er jeden Hügel, jedes Thal,
jeden Baum, und in seinem Herzen tauchen all' die Erzäh-
lungen auf, mit denen man den Knaben am lodernden
Kaminfeuer unterhielt. Vor ihn treten die Helden, die er
damals im kindischen Spiel nachahmte und lieb gewann, vor
ihn die Thäler und Gauen, wo die alte Veste gestanden,
für die er sich mit Freude hätte todtschlagen laffen. –
Ich stand mit verschränkten Armen und schaute in die
267
Gegend und Alles däuchte mir ein Traum zu seyn. Dort
stieg die Sonne empor, nicht mehr über den spitzen Thürmen
meiner Vaterstadt, nein über dem Rhodope-Gebirge, und der
leife Morgenwind, der sich erhob, trug seltsame Klänge an
mein Herz, tönt vielleicht noch immer dort in den Wipfeln
der Eichen, unter denen Orpheus eine Euridice beklagte,
nachhallend sein Lied?
Hier feh' ich Gallipoli, das alte Kallipolis, die schöne
Stadt; keck hängt es an den Felsen, die ein unverwelklicher,
immer grüner Kranz von Cypreffenwäldern umgibt. Wie oft
wurde Gallipoli zerstört, stets wieder aufgebaut und vergrößert.
Strabo erwähnt es als eines kleinen Dorfes, das gegenüber
der Stadt Lampacus auf dem europäischen Ufer läge. Beide
haben demnach die Rollen getauscht, denn dieses, jetzt Lepsak
oder Lamaki, besteht nur noch aus einigen halb zerfallenen
Häusern. Von den edeln Trauben und bräunlichen Feigen,
womit eine Hügel bedeckt sind, schweifen meine Blicke über
die Ebene Kleinasiens, welche der Granikus und Aesopus
bewäffern; jeder Stein, jeder Hügel ist hier eine Erinnerung.
Dort sind die Felsengestade des Cheronefos, da Settos und
das Vorgebirge von Abydos; etwas nördlich von diesen bei
der Landspitze von Nigara Burnu, wo sich die beiden Ufer
des Hellespont am nächsten treten, baute Kerres seine Schiff-
brücke, setzte Alexander mit seinem Heere nach Asien über,
hier, warum soll ich einen Namen nicht jenem der beiden
Könige anreihen, schwamm Lord Byron, der Poet, durch die
Meerenge, und dort, wo
– – die altersgrauen
Schlöffer fich entgegenschauen,
Leuchtend in der Sonne Gold –
flüstern die Wellen noch heute von der Treue und dem Un-
glück Hero und Leanders. Mir kam das Alles vor, wie ein
268
ungemein lieblicher Garten, durch den ein klarer Bach fließt,
das ist der ewige Hellespont. Seine Ufer sind besetzt mit
Rosenbüschen und Seelilien und zwischen dem saftigen Grün
der Cypreffe und des Feigenbaums blinkt verstohlen die alte
Historie durch, eine ununterbrochene Reihe schöner Marmor-
statuen und herrlicher Tempel, um welche die Dichtkunst ihr
zartes Immergrün gewunden. Schön ist dieser Garten und
würde hundertmal schöner seyn, wenn ihm der kleinliche Men-
schengeist nicht jene coloffalen Zwingthore, die beiden Schlöffer
der Dardanellen zu einer Bewachung gegeben hätte, diese
Hellespontpolizei. Unwillkührlich dacht' ich an Deutschland;
da steht auch bei jeder schönen Anlage des Geistes und der
Hände der Aufseher mit großem Stock und bewacht den harm-
los Wandelnden und polizeit ihn. Selbst unser Schiff schien
hier zu eilen und blies feinen Unmuth in großen schwarzen
Rauchwolken aus, als ihm die ungeheuren Kanonenmündungen
der beiden Schlöffer, des Kelledil Bahar, das Auge des
Meeres, und die Sultanin Kaleffi oder große Sultansstadt,
so schußgerecht in die Flanken fahen.
Obgleich ich im Ganzen kein Freund der Engländer bin,
so habe ich doch stets mit Bewunderung und inniger Freude
den Namen des Admiral Elphinston genannt, der im Jahre
1770 nach jener für die Türken so unglücklichen Schlacht bei
Tschesme diese Hellespontpolizei so verhöhnte, daß, nachdem
er bei ihrer Nase vorbeigefahren war, und jenseits der Dar-
danellen Anker geworfen hatte, ruhig eine Taffe Thee trank,
während feine Trompeter God save the king bliesen, und
später mit der Fluth ohne Verlust zurückkehrte.
Unser treffliches Schiff, das neun Miglien in der Stunde
machte, führte uns jetzt in kurzer Zeit jenem Gestade näher,
deffen Geschichte schon die lebhafte Phantasie des Knaben
beschäftigt und gereizt hat, die Ebene Troja's: dort ist schon
der Ida, auf dem die Götter rathschlagten, und der Sitz,
269
von dem Kronion das Schlachtfeld beschaute. Dort hob er
seinen Arm und nahm bei dem Wettlauf der beiden Helden
um Iliums Mauern die Wage zur Hand, warf zwei Loose
hinein und dasjenige Hektor's sank tief hinab. Hier dicht
am Saum der Küste zeigen sich die beiden Grabhügel des
Patroklos und Achilleus, an denen wir mit feierndem Blick
und bewegtem Herzen vorbeiziehen, betrat letzteren doch schon
vor zweiundzwanzig Jahrhunderten, dem Helden zu Ehren,
Alexander der Macedonier. Wie leid war es mir, nicht diese
Ebene betreten und alle die Stellen aufsuchen zu können, die
Homer so lebhaft schilderte, wenn er die Thaten erzählt, die
dort geschehen. Hier neben den Grabhügeln war das Lager
der Griechen, dort auf der Anhöhe, neben dem jetzigen Dorfe
Burnbaschi, fand Priamus heilige Veste. Sogar der kleine
Hügel, das Grabmal des Aiyetos, der schon von Homer
als sehr alt angegeben wird, läßt sich aus feinen Beschrei-
bungen errathen. Noch jetzt sammelt sich das trübe schlam-
mige Waffer des Simois in einem sumpfigen, mit Schilf
bewachsenen Wafferpfuhl, dessen Ausdünstungen Seuchen er-
zeugen würden, wie zur Zeit jenes Kampfes unter dem
griechischen Heere, wenn diese Ufer bewohnt wären. ... Der
klare fischreiche Skamander strömt fort und fort ins Meer;
doch hat er sein altes Bett verlaffen, und nur einige Ver-
tiefungen zeigen noch feine alte Zusammenmündung mit dem
Simois an. Sehr schön und wahr sagt hier der Reisende
Schubert: „Es tritt die Natur wie die Aussage eines un-
schuldigen unbefangenen Kindes auf die Seite des Dichters
und bezeugt, daß Homers Muse Wahres gesehen und ge-
sprochen.“
Während ich über das eben Gesehene nachdenkend auf
dem Verdeck stand, und noch einmal einen Blick nach dem
Grabe jener beiden Helden andte, um mir die Umriffe des
Ufers mit einigen Strichen in mein Taschenbuch zu tragen,
270
und da mein Auge hinüberschweifte zur Insel Tenedos, der
jenes Schlangenpaar entsprang, welches Laokoon nebst einen
Sohn umwand und tödtete – sah ich eine große Maffe
Delphine, welche plötzlich unser Schiff lustig umschwärmten.
Das Brausen der Räder schien diese Thiere eher anzulocken,
als abzuschrecken, denn dort hielten sie sich meistens auf und
schienen das Boot überholen zu wollen. Es war ein voll-
kommenes Wettrennen; zuweilen hoben sich fünf zu gleicher
Zeit aus dem Waffer, und machten lange Sätze in der Luft,
um vorzukommen, wobei sie dem Verdecke oft so nahe kamen,
daß man sie mit einem Stocke hätte erreichen können. Es
waren Thiere von vier bis fünf Fuß Länge darunter. Dies
Spiel dauerte beinahe eine halbe Stunde; dann blieben sie,
wahrscheinlich ermüdet, zurück, und noch lange nachher sahen
wir sie ihre Purzelbäume auf den Wellen machen.
Schon war die Sonne untergegangen, als sich hinter
Imbros der Saoke, der Berg von Samothrake, zeigte.
Doch warf schon die kommende Nacht die dunkeln Schleier
über ihn, wie die Sage über sein Inneres. Mit dem Fern-
rohr suchte ich auf dem asiatischen Ufer die von Alexander
erbaute Stadt Alexandria Troas und fand endlich auch einige
Mauertrümmer, die einzigen Ueberbleibsel jener großartigen
Niederlaffung, die nach der Absicht, ihres Gründers ein
Stapelplatz werden sollte für den Austausch der Producte
Kleinasiens, Theffaloniens und des Peloponnes.
Schon seit Mittag hatten wir Metelyn (Lesbos) gesehen,
doch war es bereits ganz dunkel, als das Dampfschiff bei
der Stadt gleiches Namens anhielt, um einige Reisende,
unter andern auch den kleinen Hamsa Beg abzusetzen. Nur wenig
konnten wir von der Stadt sehen, welche, wie mir schien,
die Felsen hinangebaut ist; wenigstens bedeckten licht erhellte
Fenster die Berge des Gestades, bis hoch in die Spitzen.
271
Ich hätte gern diese schön bewachsene und reiche Insel bei
Tage gesehen, hätte gern einige Blicke gesandt zu dem Ge-
burtsorte von Sappho und Altäus, aber die Nacht verwehrte
es, ersetzte jedoch durch die Schönheit, in welcher sie uns
hier erschien, reichlich jenen kleinen Verlust. Nie in meinem
Leben fah ich eine reinere, klarere Färbung des nächtlichen
Himmels, und als nach einer halben Stunde der lang-
fam empor gestiegene Mond ein volles Licht über uns aus-
goß, und rings um uns das Meer und die Inseln nicht
taghell, sondern bezaubernd schön erleuchtete, als das Schiff
in klaren Silberwellen schaukelte und mehrere Miglien weit
hinter sich eine breite weiße Spur zurückließ, da fanden wir
es alle auf dem Verdeck in der lauen Luft so angenehm,
daß keiner sich vor Mitternacht in die Kajüte zurückzog.
Ich setzte mich auf meinen gewöhnlichen einsamen Platz am
Steuerruder, wo ich meine Gedanken so frei über das
Meer konnte hinschweifen laffen, und schrieb diese Zeilen
in mein Tagebuch:
Seht im weißen Silberkleide
Droben thront die Königin,
Ihre Diener, luftge Wolken,
Treten grüßend vor fie hin.
Goldgestickt auf ihrem Throne
Wallt der blaue Baldachin
Nieder auf die fernen Berge,
Meer und Berge tragen ihn.
Teppich zu des Thrones Stufen
Ist das weite blaue Meer
Und darauf lagert sich der Herrin
Glanz gerüstet. Strahlenheer.
So in ihrem vollen Glanze
Droben thront die Königin
Und mit Himmel, Meer und Wolke
Tret' ich dienend vor fie hin.
272
Weih' ihr diese kleinen Reime
Als geringer Hofpoet,
Der von seiner Herrin Schönheit
Ganz geblendet vor ihr steht.
Schon in der Nacht gegen Morgen war ich durch das
plötzliche Stillstehen des Schiffes in meinem Schlafe gestört
worden. Es ist daffelbe Gefühl, als wenn man im Wagen
geschlafen hat und auf der Station angekommen ist. Ich
richtete mich auf. Doch da es noch ganz dunkel war, legte
ich mich wieder auf mein Sopha zurück und schlief noch
einige Stunden. Wir waren bei Smyrna angekommen.
Früh am Morgen stieg ich aufs Verdeck und vor meinem
Blicke lag fie, die schöne Stadt, mit der herrlichen, von
malerischen Bergen umgebenen Bucht, deren Schluchten und
Ebenen, mit Cypreffen, Feigen und Oelbäumen bewachsen,
einen lieblichen Anblick gewähren. Schade, daß die Spitzen
der Höhen so nackt und kahl find.
Hinter der Stadt liegen auf dem Matusiaberge die
grauen Ruinen einer uralten Burg, denn sie steht seit den
Zeiten Antigonus, des Feldherrn Alexanders von Macedonien,
wurde oft zerstört und immer wieder aufgebaut. Für uns
war sie ein Hauptaugenmerk, denn ihr hatten wir bei unserem
kurzen Aufenthalt hier einen Besuch zugedacht, um von der
Höhe wenigstens einen Blick in diese berühmte clafische
Landschaft zu werfen und uns wenn auch nur flüchtig umzu-
sehen in dem Vaterlande Homers, Anakreons und Anaxagores.
Wir stiegen an dem Hafenplatz bei dem fränkischen
Quartier an's Land, und freuten uns nicht wenig, schon
im ersten Augenblick einen Unterschied zwischen den Häusern
und Straßen hier mit denen in Constantinopel zu finden.
Statt der kothigen Paffage dort ging man hier auf rein-
lichem guten Pflaster, und man hatte nicht nöthig, in steter
Angst zu schweben, daß einem schlecht gebaute Baracken
273
links und rechts auf den Kopf fallen würden, vielmehr
ficht das Auge mit Vergnügen auf die hohen, auf europäische
Art von Stein erbauten Häuser, die als anständige Gebäude
in ziemlicher Entfernung bleiben und sich einem nicht so
pöbelhaft auf den Leib drängen, wie jene. Auch das Tür-
kenquartier und die Bazars fahen, wenn auch nicht groß-
artig, doch immerhin freundlicher und anziehender aus, als
in der Hauptstadt, find auch in einigen Artikeln, z. B.
Teppichen, Stickereien, Früchten c. reichlicher besetzt, als
jene. Ein Kaufgewölbe im fränkischen Viertel, wo wir
einige Kleinigkeiten erstanden, ließ bei der Schönheit und
Mannigfaltigkeit seiner Waaren eher vermuthen: man fey in
London oder Paris, als in einer türkischen Stadt. Hier
fand man von der kleinsten Stange Cir à Moustaches bis
zu einem vollkommenen englischen Reitzeuge. Alles, was ein
elegantes Herz erfreuen kann.
Smyrna haben wir in den paar Stunden, die wir dort
zubrachten, alle sehr lieb gewonnen. Es liegt über Stadt
und Land ein frischer Reiz, eine üppige Jungfräulichkeit,
und wenn mir nicht die zahlreichen hübschen Mädchen, denen
man begegnet, mit ihren schwarzen Augen zu gefährlich vor-
gekommen wären, ich hätte gern einige Wochen hier zuge-
bracht. Ueberall sah man die niedlichen, wegen ihrer Schönheit
berühmten Töchter Smyrna’s auf den Straßen herumtanzen,
oder aus dem ersten Stock Kopf und Herz bedrohen.
Nachdem wir in der sogenannten Schweizerpension sehr
gut gefrühstückt, wobei uns eine Bande herumziehender
Musikanten Einiges aus verschiedenen Opern zum Besten
gegeben, so daß wir uns bei dem Klange der bekannten
Lieder in die Heimath versetzt glaubten, bestiegen wir die
schon früher bestellten Pferde, um dem Matusiaberge einen
Besuch zu machen. Der heutige Tag hatte uns sämmtlich
munter gestimmt, und das Gefühl, den festen Boden wieder
Hackländer, R. in d. O 1. 18
274
unter unsern Füßen zu haben, sogar etwas muthwillig. So
courbettirten und galoppierten wir denn durch die Stadt zum
großen Vergnügen manch' schwarzen Augenpaars, das unserm
Zuge nachah und unsern Gruß lachend erwiederte. Vor
der Stadt wandten wir uns links über die sogenannte Cara-
vanenbrücke, welche ihren Namen daher hat, weil über fie
all die zahlreichen Waarenzüge gehen, die aus dem Innern
des Landes nach Smyrna kommen. Dann ritten wir rechts
den Berg hinan auf einem Wege, der sich zuerst durch türkische,
mit schönen Cypreffen bepflanzte Friedhöfe zieht, bald aber
über dürres Heideland sehr steil nach dem Schloffe hinauf-
wendet. Dieser Pfad, mit vielen und großen Steinen be-
säet, macht den Pferden das Ersteigen äußerst beschwerlich.
Eines derselben stürzte und warf seinen Reiter mehrere Fuß
weit hinweg an ein Felsenstück, glücklicher Weise jedoch ohne
ihn zu verletzen.
Auf dem Berg angelangt, standen wir lange Zeit und
schauten entzückt in das Panorama, das sich vor unsern
Blicken aufgethan: zu unsern Füßen die Stadt, bespült von
der grünlichen Welle des Meeres, das hier eine Bucht aus-
füllt, die man mehrmals mit dem wunderherrlichen Golf
Neapels verglichen hat. Da schaute aus duftenden Orangen
und faftig grünen Feigengärten Smyrna heraus; uns zur
Linken war das herrliche, mit zackigen Felsen durchsetzte
Engthal des Meles, das noch jetzt den Namen des Para-
dieses führt.
Langsam und uns öfters umschauend erstiegen wir die
letzte Klippe des Berges, um zum Gemäuer der weitläufigen
Burg zu gelangen. Ein riesengroßer, weiblicher Kopf, in
weißem Marmor, halb erhaben gearbeitet, war links neben
einem Thore eingemauert. Er soll das Bildniß der Smyrna
feyn, jener Gemahlin des arabischen Begründers der Stadt,
von der fiel auch ihren Namen erhielt. Die Türken machen
275
zuweilen den Spaß, und schießen nach dem antiken Kopf
mit ihren Pistolen, woher er auch schon stark beschädigt ist.
Nachdem wir über Schutt und Gestrüppe in das Innere
des Schloffes geklettert waren, zeigte uns ein mitgenommener
Führer die Stellen, wo eins der prachtvollsten und größten
Theater Asiens und der Tempel des Jupiter Acräus gestan-
den; doch sieht man von allem fast nichts mehr, als schwärz-
lich graue Steintrümmer, hie und da Marmorblöcke und
einige großartige Mauerstrecken. Durch Zufall entdeckten wir
hier noch ein sehr gutes Echo, welches drei bis vier Worte
deutlich nachsprach.
Wo sich die Bogen einer alten Wafferleitung in das
Thal des Paradieses hinabziehen, kletterten wir mit unsern
Pferden hinunter, ein Weg, den nur die des Bergsteigens
fo gewohnten türkischen Pferde machen konnten. Zuweilen
blieben sie auch auf Mauertrümmern, bei denen ich mich zu
Fuß besonnen hätte, wie am besten hinabzusteigen fey,
wanden sich aber immer glücklich durch; nur einmal mußte
ich absteigen, um mein Pferd, welches sich zwischen zwei
Felsblöcke fest geklemmt hatte, loszumachen. Von Weitem
sahen wir noch den Platz, wo der Sage nach der Dichter
der Iliade sein Häuschen gehabt haben soll; dann kehrten
wir zur Stadt zurück, um uns gleich auf unser Schiff zu
begeben, das, obgleich es anfanglich nur für Smyrna be-
stimmt war, hier einen Befehl vorfand, oder vielleicht den-
selben auch schon mitgebracht hatte, nach Beirut zu gehen.
Es dämmerte schon, als wir die Anker lichteten, und dem
schönen Smyrna Valet sagten. Ein plötzlicher Gewitterregen
trieb uns frühzeitig in die Kajüte, wo wir uns bei einem
Glase selbst gebrauten Punsches noch einige Stunden ange-
nehm unterhielten. Dann legte ich mich hin, und das ein-
förmige Schlagen der Schaufelräder wiegte mich bald in
einen sanften Schlaf
18
276
Am 11. December trat ich etwas später als fonst
aufs Verdeck; denn ich hatte schon durch meine Fensterlucken
bemerkt, daß der Himmel nicht fo freundlich auf uns herab-
sah, wie die vorhergehenden Tage. Aus Südwest hatte
sich ein ziemlicher Wind aufgemacht und bewarf die Flanken
des Schiffs zuweilen mit schäumenden Wellen, das sich aber
dadurch auch gar nicht irre machen ließ oder dem Feind
auch nur einen Fuß breit wich. Ich habe bei gleicher Pferde-
kraft nie eine so emsig arbeitende Maschine gesehen, wie die
des Crescent. Er machte beständig, sogar gegen den Wind
feine zwei und zwanzig bis drei und zwanzig Rotationen in
der Minute. Das Schiff hatte, wie uns der Kapitän und
einer unserer Gefährten, die schon mehrere Fahrten und bei
stürmischem Wetter mit ihm gemacht, versicherten, die Eigen-
heit, nicht wie ein anderes Fahrzeug, bei hoher See die
Wellen zu erklimmen, sondern es schnitt gerade hindurch,
was denn freilich den Nachtheil hatte, daß die Wogen be-
ständig das Verdeck bespülten. Der Crescent ist in Eng-
land gebaut und seine Masten und der Schornstein, die schief
nach hinten zu gestellt sind, geben dem schlanken Schiffe ein
keckes, flottes Ansehen.
Vor uns hatte die alte Geschichte wieder ihr Buch in
Originalausgabe aufgeschlagen. Wir fuhren gen Samos
und Ikaria; erstere, die Geburtinsel Pythagoras, zeigt sich
dem Auge sehr anmuthig; schon der alte Beiname Anthemos,
bezeichnet sie als die blumenreiche; dort verlebte nach der
Sage, Juno, die Himmelskönigin, den ersten Tag ihrer Kind-
heit, und wer von uns war nicht in Gedanken schon hier,
wen hätte nicht Schiller hieher geführt, wenn er uns er-
zählt, wie Polykrates feinen Ring in's Meer warf, als das
Kostbarste was er besaß, dem Glück zum Opfer, das ihn
mit Gaben überhäufte.
277
Während wir bei dem Hauptorte der Insel, dem Städt-
chen Kora, vorbeifuhren, trübte sich der Himmel gänzlich,
und ein mächtiger Platzregen nöthigte uns, die Kajüten zu
suchen, doch zog das Wetter bald vorüber, und als wir von
Neuem das Verdeck betraten, standen hinter uns zwei pracht-
volle Regenbogen, aus den dunkeln Gewitterwolken hell her-
vortretend. Dabei gewährte uns eine Kriegsbrigg, der wir
schon vor einigen Stunden vorbeifuhren, ein gar hübsches
Bild; denn wir sahen sie jetzt mitten unter jenen farbigen
Bogen stehen, mit ihren schneeweißen Segeln einer Taube
gleich, die vom heiligen Schein umgeben, dahin schwebt.
Gegen ein Uhr Mittags sahen wir südwestlich die Stadt
Pathmos, auf welcher sich die Grotte des Apostel Johannes
befindet. Dann fuhren wir um die nördliche Spitze der
Insel Kos oder Stanco, das Vaterland Hippokrates und
Appelles. Zwischen der östlichen Spitze von Cos und dem
Cap Krio zeigte sich das Waffer des Meeres in einem Streifen
von vielleicht zwei Miglien rein himmelblau, obgleich der
Himmel dunkelgrau bezogen war und die übrige Meeres-
fläche eben diese Färbung hatte.
Schon seit Mittag hatte uns der Capitän am fernsten
Horizont einen blauen Streifen gezeigt, Rhodus, und ich trat
nun beinahe jede Viertelstunde an's Boogpriet, um zu sehen,
ob wir auch jener Insel, für die ich von Jugend auf ge-
schwärmt, näher kämen. Viel zu langsam ging mir das
eilende Dampfschiff. Schon dunkelte der Abend, und das
Land, welches das Kreuz in der tapfern Hand der Johanniter
so lange dem Halbmond streitig gemacht hatte, wollte nicht
näher rücken. Als ich so nachdenkend hinblickend auf dem
Anker faß, war mir, als sähe ich einer großartigen Tragödie,
Rhodus, zu; der erste Act hatte uns die Handlung in un-
deutlichen Umriffen gezeigt, hatte uns durch die Erzählung
des früher Geschehenen neugierig gemacht, den Ort, wo
278
das Weltdrama spielte, näher zu sehen, und jetzt fiel der
Vorhang – hier der Schleier der Nacht, und ließ nur die
Gedanken durchdringen, um sich die fernere Scenerie auszu-
malen. Doch arbeitete unser Schiff während dem Zwischen-
acte kräftig vorwärts, und als nach einer Stunde der
Mond aufstieg und hell durch die zerriffenen Wolken schien,
begann der zweite Act und führte uns in das Innere des
Stückes; deffen erste Decoration die Trümmer eines uralten
Hafens waren.
Die Form des Beckens konnte man noch eben in feinen
äußern Umriffen erkennen. Das Meer wühlte in den Felsen-
blöcken, die früher gewiß fest zusammen gefügt waren. Es
war der alte Hafen, auf dem der berühmte Coloß von Rhodus
gestanden, jenes Bild aus Erz, das mit gespreizten Beinen
einem Thore gleich, vor der Oeffnung des Hafens stand, und
hoch in der einen erhobenen Hand einen Feuerbrand hielt,
den einlaufenden Schiffen zum Zeichen. Jetzt traten uns
die Lampen der Leuchtthürme, die bisher matt durch den
Nebel geschimmert hatten, deutlicher vor Augen. Unser
Boot machte eine große Wendung, fuhr mit halber Kraft
in den neuen Hafen hinein zwischen den beiden maffiven
festen Thürmen des Erzengels und des heiligen Nikolaus
durch, und warf neben einer östreichischen Corvette die Anker.
Da waren wir denn in dem Hafen von Rhodus, der schönen
„Rose“ angekommen, und der Mond war so gefällig, uns
die Mauern und Thürme der Stadt so ziemlich zu beleuchten.
Der Anblick derselben gewährte uns so gar nichts Türkisches;
Alles war solid und fest gebaut, und zeigte, obwohl verfall-
len, daß kräftige Hände und eine geregelte Kriegskunst diese
Werke aufgeführt haben. Man hätte glauben können, vor
einer europäischen Festung zu feyn, wenn uns nicht über eine
der Mauern das Siegel des Orients, eine schlanke Palme,
die erste, die wir fahen, entgegen genickt hätte. Wir blieben
279
die Nacht über an Bord; doch kaum ging die Sonne auf,
so ließen wir uns nach der Stadt rudern, und stiegen bei
dem Hafenthor an's Land. Hier waren der Sage nach noch im
sechszehnten Jahrhundert die Gebeine jenes Drachen zu sehen,
den der tapfere Ritter des Ordens, Dieudonné de Gozon
erschlug, und ihre Größe wurde von den Aus- und Ein-
gehenden bewundert.
Es macht gewiß nicht leicht eine Stadt einen seltsameren
Eindruck auf das Herz des Europäers, der ihre Geschichte
kennt, als das jetzige Rhodus, die entblätterte Rose. Die
Türken, die schon feit 1522 Besitzer derselben sind, waren
nicht im Stande, diese Stadt, wie die andern, die ein gleiches
Schicksal hatten, so ganz in ihren Schmutz herabzuziehen.
Das alte Rhodus mit ganzen Straßen kleiner mafiver Häuser
und den aus der Ritterzeit herstammenden Festungswerken
und Gräben, gleicht einer eroberten und zerstörten Kirche, die
der neue Herrscher seinem Cultus gemäß umänderte. Doch
wenn er auch da ein Fenster zumauerte, dort ein neues
brechen ließ, oder auf die alten kräftigen Thürme ein Spitz-
dach setzte, wenn er auch die Bilder der Wände auskratzen,
die Mauerverzierungen abbrechen ließ und das Ganze mit
seinen schmutzigen Händen besudelte, so fieht doch der Wan-
derer, der ehrfurchtsvoll näher tritt, nichts von den neuen
Verunzierungen, sondern eine Blicke faffen gleich das alte
ehrwürdige Denkmal, wie es damals gewesen, auf, ohne die
Kuckucksbrut zu bemerken, die jetzt in dem Nest des mächtigen
Raubvogels nistet.
Wir wandelten durch die Gaffen, die noch aus den
Zeiten der Ritter her mit einem guten Pflaster versehen
find. Das Treiben der Türken, die ihre schlechten Baracken
an mächtige Mauern geklebt haben, und Angesichts der
Wälle, auf denen die tapfern Johanniter für den Glauben
kämpften und starben, faul auf die untergeschlagenen Beine
280
sitzen und gedankenlos den Tabaksrauch von sich blafen,
erschien uns ganz fremdartig und paßte nicht hieher. Es
machte denselben Eindruck, als wenn man in einer unserer
Städte die Türken auf einmal Herr und Meister spielen
sähe. In allen andern Städten in der Türkei, und wenn
fie noch so schön und großartig sind, wie Stambul, Adria-
nopel, Smyrna c., paßt doch der Anblick des faulen orien-
talischen Treibens zu Allem und wir Europäer waren, wie
natürlich, eine fremde Zuthat. Doch, wie schon gesagt, hier
in Rhodus ist es ganz umgekehrt. Wir wandelten durch
die Bazars, die nirgends fehlen dürfen. Das Einzige, was
von den Artikeln, die hier ausgebreitet lagen, uns des
Kaufens werth erschien, waren schöne reife Orangen, die
ersten, die wir auf unserer Reise gesehen, denn in Stambul
waren erst wenige auf den Markt gekommen.
Die Stadt Rhodus steigt auf zwei Höhen, die sich
nach West und Nord erstrecken, fanft aus dem Meere empor,
weshalb auch alle Straßen von dem Hafen aufwärts laufen.
Die alten zerfallenen massiven Gemäuer, die durch die Stadt
zerstreut liegen, und an die der Türke fein armseliges Haus
gebaut, sind bedeckt mit Epheu und umgeben von frischen
Baumgruppen. Der Orangen- und Citronenbaum hatte hier
schon Blüthen und Früchte, und die breiten Blätter des
Rebenlaubes bildeten schattige Plätze. Auf den Wällen und
in den Gräben erwies sich die Natur dem alten Rhodus
freundlich und bedeckte das graue Gestein mit grünen Pflanzen
und bunten Blumen. An die Einnahme der Stadt durch
Soleiman erinnerten noch mehrere steinerne Kugeln, die hie
und da umherlagen und wovon einige von einer wirklich
ungeheuren Größe waren, denn sie halten eilf bis zwölf
Spangen im Umfang.
Wir sahen die Cathedrale, vormals die Kirche des heil.
Johannes, von den Türken in zwei Theile getheilt, wovon der
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zum Getreidehaus, der andere zur Moschee benutzt wird.
An den Wänden der letzteren hatte man die Gemälde, die
dieselben zu den Zeiten der Johanniter bedeckten, mit weißer
Farbe überstrichen, aber nicht verlöschen können; denn hie und
da sah man noch Figuren in unbestimmten Umriffen hervor-
leuchten. Nicht weit davon liegt der frühere Palast des
Großmeisters, ein großes viereckiges Gebäude, mit Gräben
umgeben. Wir gingen nur bis unter das gothische Thor
und fahen in den Hof hinein, den eine von Säulen ge-
tragene Galerie im Viereck umgibt. Vor dem Schloß stand
eine uralte Platane, von der ich mir ein Blatt abbrach und
zum Andenken an Rhodus mitnahm.
Das Merkwürdigste und für den Europäer wirklich
rührend ist eine kleine, öde, unbewohnte Gaffe, die neben
dem Palaste des Großmeisters liegt und noch jetzt den stolzen
Namen Strada dei Cavalieri führt; denn hier waren ehemals
die Wohnungen der verschiedenen Ritter aller Zungen. Jetzt
wohnt. Niemand hier; auf dem mit breiten Steinplatten ge-
pflasterten Boden wächst Gras, die Straße gleicht einem
Kirchhofe und die kleinen Häuserchen, alle von einander ver-
schieden und jedes nach dem Geschmacke aufgeführt, den der
Erbauer aus der fernen Heimath mitgebracht, stehen daneben,
wie eben so viele Grabsteine, auf denen, wenn auch nicht
der Name des Ritters, der fiel erbaute, doch das Wappen
deffelben, in Stein gehauen, prangt.
Fast jedes dieser Häuser hat eine Treppe vor der Thür;
dann gelangt man durch einen dunkeln Gang auf einen kleinen
Hof, in welchem Knappen und Dienerschaft wohnten. Die
Gemächer der edlen Johanniter selbst im Vorderhause find
nicht sehr geräumig und durch die kleinen vergitterten Fensten
sehr dunkel. Die Straße der Ritter, welche ebenfalls bergan
läuft, führt oben auf die Höhe des Walles, von wo wir
auf den Trümmern eines zerklüfteten Pulverthurms stehend
282
die Bollwerke und Thore, welche die französischen, deutschen,
englischen und welchen Ritter vertheidigten, fo wie das Sieges-
thor und das athanatische sahen. Auch sahen wir von
hier die drei Hafen, welche Rhodus hat. Der Boot-
hafen, in welchem unfer Dampfboot ankerte, neben ihm die
Galeerenhafen, wo sich die Schiffswerften befinden, und der
durch das Castell Elmo beschützt wird, und auf der andern
Seite der kleine Hafen, wo der Coloß fand und der von
einem Klippenvorsprung und der Landzunge, auf welchem der
Engelsthurm steht, gebildet wird.
Schon um Mittag rief uns der Signalschuß an Bord
des Dampfschiffes zurück. Wir lichteten bald darauf die Anker
und wandten uns dem anatolischen Festlande zu, wo die große
durch umgebende Gebirge von allen Seiten vor der Gewalt
der Winde geschirmte Bucht von Phisco und in deren Grunde
der kleine Ort Marmoris liegt, nach welchem heute der schöne
natürliche Hafen der von Marmariffa heißt. Schon seit den
ältesten Zeiten ist das kleine Marmaris berühmt. Alexander,
der es umzingelte, konnte die Bewohner nicht bekämpfen.
Sie zündeten ihre eigene Stadt an, erwürgten Weiber und
Kinder und schlugen fich durch das macedonische Heer in die
Gebirge. Soleiman versammelte hier im Hafen die Flotte,
die zur Eroberung am Rhodus bestimmt war, und ebenso
die Engländer zu Anfang dieses Jahrhunderts die ihrige,
welche, dreihundert Segel stark, wider Aegypten auslaufen
sollte. Heute, wo sich unter Dampfschiff von Rhodus nach
Marmaris wandte, sah der kleine Ort wieder eine gewaltige
Kriegsmacht, die sich vor feinen verfallenen Mauern versam-
melte; denn die englische Flotte unter Admiral Stopford,
vereinigt mit der östreichischen Escadre, lag da vor Anker.
Nachdem wir Rhodus verlaffen, hatte sich das Wetter,
das den Morgen über klar und freundlich gewesen war,
plötzlich verändert und die See ging ziemlich hoch. Um so
283
seltsamer war der Anblick des Hafens von Marmariffa, als
wir, nachdem das ziemlich stürmische Meer und die ganz kahlen
Gebirge des asiatischen Ufers hinter uns lagen, plötzlich in
jener Bucht von frischen grünen Bergen umgeben, auf einem
Waffer fchwammen, das spiegelglatt und klar, einem großen Land-
fee glich, und uns mitten zwischen diesen Schiffskoloffen sahen,
die gleich furchtbaren Riesen in ihrer Höhle, hier im Schlafe
neben einander von einem eben bestandenen Kampfe aus-
ruhten. Dies waren die mächtigen Kanonen, welche Beirut
beschoffen und Acre beinahe vernichtet hatten. Jetzt fuhren
wir neben dem Powerful, auf dem der Commodore Napier
befehligt und senkten unter seinen Kanonen den Anker. Dort
lag die Prinzessin Charlotte; auf ihrem Mittelmast flatterte
die Flagge des Admirals Stopford; das herrliche Schiff
schien uns Fremdlinge mit seinen hundertundzwanzig Kanonen
wie mit eben so vielen Augen neugierig zu beschauen. In
ihrer Mitte ankerte die Fregatte Lipsia, auf der sich der junge
Erzherzog Friedrich von Oestreich befand. In Allem befanden
sich hier dreizehn Linienschiffe, vier Fregatten, vier Briggs, drei
Corvetten und vier Kriegsdampfschiffe. Mehrere dieser Fahr-
zeuge befferten ihre Masten und Takelwerk aus; denn ob-
gleich Admiral Stopford beim Beginn der stürmischen Witte-
rung zu Ende Novembers die offene, sehr unsichere Rhede
Beiruts verlaffen, so hatte doch der Sturm vom ersten und
zweiten Dezember, der auch uns mit dem Dampfboot Seri-
Pervas im Marmormeer scheitern machte, stark unter der
Flotte gewüthet, mehrere Schiffe leicht beschädigt, eine Corvette
ihrer sämmtlichen Masten beraubt, und eine Brigg, vom Sohne
des englischen Admirals befehligt, war gänzlich zu Grunde
gegangen. Einige Seeoffiziere versicherten uns, wenn das
Unwetter noch einen Tag gedauert hätte, wäre die ganze
herrliche Armada schwerlich dem Verderben entronnen. Wir
284
-
blieben noch, bis das Licht des unterdessen aufgestiegenen
Vollmonds unserem Steuermann den Weg aus dem Hafen
wies, und verließen Marmariffa im Augenblick, wo auf
sämmtlichen Schiffen von vollständigen Musikchören der
Zapfenstreich ertönte. Es war für uns ein eigenes Gefühl,
so viele Stunden von der Heimath den Priesterchor aus
Norma zu hören. Am folgenden Morgen lachte uns wieder
das herrlichste Wetter. Wir sahen schon in weiter Entfer-
nung die Insel Cypern vor uns. Das Meer war eben wie
ein Spiegel, der Crescent arbeitete so wacker vorwärts, daß
wir schon gegen eilf Uhr die Insel erreichten und bei Larnaca,
eine halbe Seemeile vom Lande entfernt, den Anker warfen.
Wir fuhren in einer großen Schaluppe nach der Stadt und
ich habe nie das Meer so klar und von so schöner Farbe
gesehen, wie heute. Man konnte deutlich auf den Grund
schauen und Muscheln und Steine erkennen, die gewiß an
fünfzig bis sechzig Fuß unter uns lagen. Unser Capitän
hatte bei dem Agenten der Dampfschifffahrtsgesellschaft eine
Depesche abzugeben und wir benützten diesen Aufenthalt von
einigen Stunden, um den köstlichen Cyperwein an der Quelle
zu versuchen. Der Agent setzte uns eine Flasche, und wie
er selbst sagte, vom besten vor; doch konnten wir ihm ins-
gesammt keinen Geschmack abgewinnen. Desto mehr erfreute
uns aber der Anblick eines jungen, sehr schönen Mädchens
in diesem Hause, im reizenden griechischen Costüm, die unter
einer Laube von Orangen faß und mit weiblicher Handarbeit
beschäftigt war. Das gute Geschöpf mußte viel von unsern
neugierigen Blicken leiden, denn wir hatten lange kein
interessantes weibliches Wesen mehr gesehen; und unsere
Herzen waren daher so erkaltet, daß wir es wagen konnten,
ein paar lange Minuten hindurch das strahlende Feuer ihrer
schönen Augen auszuhalten.
285
Wir streiften eine Weile in der Nähe der Küste herum
und trafen zufällig einen deutschen Landsmann; es war ein
Schwabe, der in dem Kapuzinerkloster hier die Dienste eines
Schneidermeisters, Garderobiers und Haushofmeisters versah.
Wir mußten ihm zu den ehrwürdigen Vätern folgen und
blieben eine halbe Stunde bei ihnen, worauf uns der Deutsche
in eine Locanda führte, wo wir nach feiner Versicherung den
köstlichsten Cyprier unverfälscht und von bester Sorte haben
könnten. Wir folgten einem Rath und seiner Führung,
ohne das später zu bereuen, denn der klare goldgelbe Wein,
der uns dort von einem schönen schwarzäugigen Mädchen
credenzt wurde, übertraf an Feuer und Wohlgeschmack. Alles,
was ich bisher getrunken. Nach einer Stunde kam der
Capitän selbst, um uns aufzusuchen und zur Abfahrt zu
mahnen. Er war mit den Gelegenheiten in der Stadt schon
bekannt und hatte nicht umsonst geahnet, daß er uns hier
an der Quelle des köstlichen Nektars finden würde.
Wir gingen nach dem Schiffe zurück und mußten, ob-
gleich es im December war, die Strahlen der Nachmit-
tagssonne schwer empfinden. Ein öderer, baum- und strauch-
loserer Anblick, wie aber auch diese Insel von der Südseite
bietet, ist nicht leicht zu finden. Der Boden ist weißer Kalk-
stein, mit Kieselstein und Marienglas bedeckt; doch soll
dagegen der nördliche Theil Cyperns, der von hohen Ge-
birgen durchschnitten ist, der freundlichen, ja sehr schönen
Gegenden viele aufzuweisen haben. Wir lichteten gegen
zwei Uhr die Anker und da die heutige Nacht die letzte
unserer jetzigen Seereise war, rüsteten wir unser Gepäck, um
Morgen früh bei unserer Ankunft in Beirut gleich. Alles in
Bereitschaft zu haben und das Boot verlaffen zu können.
Wir hatten eine schöne angenehme Nacht, das Meer war
spiegelglatt und ruhig wie ein Teich, nur ein leichter Wind
286
blähte das Segel, das der Capitän, den Lauf des Schiffes
zu befördern, aufspannen ließ.
Das erste Frühlicht des neuen Tages traf uns schon
auf dem Verdeck, denn aus der Dämmerung der Nacht begann
für uns ein prächtiges ungeheures Schauspiel aufzutauchen.
Wir hatten das Ziel unserer Seefahrt erreicht und vor uns
lag der schneebedeckte Libanon, zu seinen Füßen das arme
zerschoffene Beirut.
Aeußere Ansicht der Stadt. – Der Libanon. – Innere Anficht
der Stadt. – Das Schloß am Meer. – Die Bazars. – Gewühl
auf den Straßen. – Weiber. – Türkische Artillerie. – Beduinen.
– Das Drufenlager. – Pinienanpflanzungen. – Aufenthalt in
Beirut. – Jungfräulichkeit neuer Schiffe. – Die türkische Thorwache.
Krankheit der Freunde. – Ein Ritt in den Libanon. – Friedrich.
O Land der Zelte, der Geschoffe,
O Volk der Wüste, kühn und schlicht
Beduin, du selbst auf deinem: Roffe
Bist ein phantastisches Gedicht.
Freiligrath.
Welch' ein Unterschied ist zwischen dieser syrischen Stadt
und denen der Türkei, die wenigstens von Außen dem Auge
mit ihren ragenden Minarets und prangenden Cypreffen
einen lieblichen Anblick gewähren. Man sieht, hier trägt
der Mensch einen Steinhaufen zusammen, um unter ihm
Schutz gegen die glühende Sonne zu haben, und darauf
eine Terraffe, wo er der Abendkühle genießen kann. Die
Gebäude mit platten Dächern sind alle von gleicher Höhe
und haben fast gar kein Fenster; nur hie und da deuten in
hohen und breiten Mauern zwei oder drei Löcher eine solche
Idee an. Alles ist von gleicher Farbe, der ursprünglichen
des Bausteines, einem verbrannten Braungelb, und das
Haus ist vom Felsen, auf dem es steht, kaum zu unterschei-
den. Die drei, vier Minarets der Stadt find kaum ein
Drittheil so hoch, wie die gewöhnlichen in Constantinopel,
aber eben so dick, was ihnen ein plumpes, gedrücktes An-
sehen gibt. Es ist, als wäre es den arabischen Maurern
unter der Arbeit zu heiß geworden, und da haben sie, statt
Hackländer, R. in d. O. I. 10
290
noch zweimal so hoch zu bauen, und dann ein schlankes
Spizthürmchen aufzusetzen, der Sache ein Ende gemacht,
indem sie mit einem massiven, beinahe flachen Dache schloffen.
Gewiß, brächten nicht die die Stadt umgebenden unzähligen
Hecken von Cactus und einzelne stolz emporragende Palmen
einiges Leben in die Seeseite, man müßte die Gegend für
ausgestorben, und jene braune Häusermaffe für eine von
ihren Bewohnern verlaffene Ruine halten. Doch mag an
dem für uns ganz unerquicklichen Anblick auch die Jahreszeit
einige Schuld haben; denn obgleich es drückend heiß war,
herrschte hier auch Winter, und die zahlreichen Maulbeer-
und Feigenbäume zeigten uns nur kahle Aeste.
Es ging mir hier wie den Kindern, die das beste bis
zuletzt aufsparen. Erst als sich mein Auge übersättigt hatte
an den Maulwurfshaufen der Menschen, hob ich meinen
Blick langsam empor zu jenem ewigen majestätischen Bau,
den hier die Natur hingestellt, zum stolzen Libanon. Lange
sah ich hin, und meine Gedanken jagten durch seine Schluchten,
zogen seine Felsspitzen hinauf und hinunter, flatterten um
- das ganze Gebirge, und endlich kühlten sich die erhitzten
im Schnee, der sein Haupt bedeckt, ab. Nie hat etwas auf
mich einen größeren Eindruck gemacht, nicht der Balkan,
den ich überstiegen, nicht das Meer, als ich es zum ersten
Male gesehen, nicht Constantinopel, noch Smyrna!
Das große Boot, welches von der Stadt gekommen
war, uns dorthin abzuholen, schwankte stark in den heftigen
Wogen des Hafens; hier ist das Waffer stets bewegt und
durch große Felsstücke, die in der See hie und da versprengt
liegen, für größere Schiffe unfahrbar; selbst Nachen kommen
beim ruhigsten Wetter nicht ganz an's Ufer, weshalb Paffa-
giere und Güter auf den Schultern der Lastträger nach dem
Quai getragen werden. Je näher wir der Stadt kamen,
desto deutlicher fahen wir die Verheerungen, welche die
291
Kugeln der Flotte angerichtet; die Front fast sämmtlicher
an der See befindlichen Gebäude war mehr oder minder
durchbohrt, Stücke der Mauern herabgestürzt, verschiedene
Erker, die hie und da nach türkischer Sitte an den Häusern
kleben, zertrümmert; sie erschienen wie muthwillig zerstörte
Schwalbennester. Das Fort St. Georg am Eingang des
Hafens ist fast gänzlich demoliert, eine dicken Mauern nach
allen Seiten durchlöchert.
Ein Gang, den wir gleich bei unserer Ankunft durch
die Stadt zum Hause des österreichischen Consul Herrn
Laurella machten, zeigte uns das Innere derselben mit der
äußern Ansicht beinahe ganz übereinstimmend. Man sieht
überall nur die äußerste Nothdurft befriedigt, keine Idee
von Luxus oder Eleganz, keine bunte, helle, wenn auch
geschmacklose Verzierung an den Häusern, wie in der euro-
päischen Türkei, oder hie und da einen freien Platz. Die
ganze Stadt kam mir wie ein großes, unregelmäßig zusam-
mengemauertes Gebäude vor, alle Wände massiv, gleich
hoch und schmutzig. Die Gänge oder vielmehr Straßen sind
so schmal, damit der brennende Sonnenstrahl nicht eindringe.
Hiezu kommt noch, daß die sehr hohen Häuser alle dreißig
bis vierzig Schritte mit steinernen Bogen vereinigt sind, die
sich über der Gaffe wölben. Auf uns, die wir bei unsern
Bauten nichts so sehr lieben, wie Geräumigkeit und frische
Luft, wirkt eine solche gefängnißartige Stadt eigentlich brust-
beengend, und obendrein entsteigt den Straßen und Ge-
wölben ein unerträglicher Geruch. Die Unannehmlichkeit
wurde noch erhöht durch das Drängen und Stoßen der
vielen Menschen in den Gaffen; die Stadt war im Augen-
blick überfüllt mit englischen und türkischen Soldaten, Be-
duinen, Arabern, Bergvölkern e.
Da der einzige Gasthof Beiruts, eine schmierige Locanda,
die unter dem Befehl eines Italieners steht, von englischen
19 -
292
Offizieren ganz in Beschlag genommen war, so standen wir
auf der Gaffe, ohne Aussicht auf ein auch nur ganz mittel-
mäßiges Unterkommen. Unsere angenehmen Reisegefährten,
fünf österreichische Offiziere, die sich in dem Kriege gegen
Mehemet Ali einige Lorbeeren pflücken wollten, brachte der
Consul Laurella so gut wie möglich in seinem Hause unter
und bot auch uns daffelbe an. Indeffen hatte Giovanni,
der arabische Dolmetscher und Koch, den der Baron in Smyrna
angenommen (er war hier zu Hause), mit einem Bekannten
unterhandelt, der uns ein Haus, eine Viertelstunde westlich
von der Stadt am Meere gelegen, um einen billigen Preis
anbot, was wir mit Freuden annahmen.
Diese Villa, das Schloß am Meer, wie wir sie
tauften, hatte, obgleich es nur das Haus eines syrischen Land-
wirthes war, wie alle diese Gebäude etwas castellartiges,
vier hohe steinerne Mauern, an denen man von außen nur
kleine vergitterte Fensteröffnungen sah. In den unterm Stock,
der sonst ohne Fenster, nur zur Aufbewahrung von Geräth-
schaften dient, war für die Zeit unsers Aufenthalts hier,
der Besitzer mit seiner Familie gezogen, und der obere
Stock bildet eine Teraffe, um welche auf zwei Seiten
in einem rechten Winkel unsere drei Zimmer lagen. Diese
geräumige Teraffe war fast unser beständiger Aufenthalt,
hier hatten wir, was wir in der Stadt so sehr vermißten,
reine gesunde Luft, und welche Aussicht und Umgebung! –
Nördlich, so weit das Auge reichte, die gewaltige Meerflut,
östlich die Rhede der Stadt, und hinter derselben der
Libanon, defen Zug wir von Tripolis bis beinahe Saida
mit unsern Blicken verfolgen konnten. Den traurigen An-
blick Beiruts verdeckte uns ein kleiner Hügel am Meer.
Der türkische Friedhof mit seinen weißen Steinen und ge-
wölbten Grabmälern, die Wohnung der Todten, war freund-
licher, als die Stadt der Lebenden.
293
Zu unserer großen Unterhaltung war das Meer stets
belebt wie eine große Landstraße; alle Schiffe, die von
Alexandrien, Marmariffa, Cypern c. kamen, mußten an
unserer Terraffe vorbei; fast täglich kamen und gingen eng-
lische Kriegsdampfboote, Mannschaften oder Depeschen
bringend, eine zahllose Menge großer und kleiner Kauffahrtei-
schiffe kreuzten sich beständig auf dem Meer und der Rhede;
auch hatten wir zweimal das Vergnügrn zu sehen, wie ein
englisches Linienschiff ersten Ranges in weiter Ferne mit den
Mastspitzen auftauchte, langsam die Höhe der See erstieg
und nach einigen Stunden in feiner majestätischen Gestalt an
unserm Hause vorbeischwamm. Ein solches Schiff, vom
Verdeck bis in die Spitzen mit Leinwand bekleidet und die
Seitensegel ausgesetzt, gleicht in der Ferne einem erzürnten
Schwan, der mit gesenkten Flügeln und gesträubten Federn
den großen Teich, sein Königreich, durchzieht.
Südlich von unserer Wohnung bildet das Terrain einige
Hügel, die mit vielen kleinen und größern Häusern bedeckt
waren; sie nahmen sich mit ihrer Umgebung von grünen
Oelbäumen und großen schlanken Palmen, alle von gewalti-
gen Cactushecken umzäunt, sehr hübsch aus. Eines der-
selben hatte für uns besonderes Intereffe, hier wohnte Lamar-
tine einige Monate, und hier starb seine einzige Tochter Julie.
Nachdem wir uns einigermaßen in der Villa eingerich-
tet, d. h. Teppiche auf dem Boden der Zimmer ausgebreitet,
wozu die arabischen Hausleute, – es waren jedoch katholische
Christen – mit großer Gutmüthigkeit die Decken ihrer eigenen
Betten gaben, auch Küchengeschirr, Gläser, Teller, Pfan-
nen c. gekauft, betrachteten wir unsere Umgebungen und
die Stadt, die wir bis jetzt nur sehr flüchtig angesehen,
etwas genauer. Unser Weg führte uns längs der Küste,
an welcher wir in verschiedenen Säulentrümmern, die hier
herumlagen, so wie in Stücken alten Mosaikpflasters und
294
verwitterten Mauern, die das Meer bespülte, Ueberbleibsel
der Gebäude oder der Befestigungswerke der alten Stadt
Berytus zu erkennen glaubten. Bei sehr ruhiger See habe
ich oft stundenlang am felsigen Gestade geseffen und konnte
deutlich unter den Wellen den Grundriß einzelner Häuser
verfolgen; kleine Fische schwammen ruhig in den Wohnungen
der Menschen umher.
Die Stadt, welche, wie gesagt, von der Seeseite einen
traurigen Anblick gewährt, macht sich vom Lande her etwas
beffer und ist hier mit ziemlich erhaltenen alterthümlichen
Mauern und Thürmen umgeben, die wohl noch aus den
Zeiten der Kreuzzüge herrühren, wo, wie bekannt, die
Christen unter Balduin IV. die Befestiguug von Beirut forg-
fältig wiederherstellten; auch geben hier zahlreiche Oliven-
bäume und Palmen, so wie die immer grünen Cactushecken
ihrem grauen Gesicht eine jugendliche Schminke. Ueberall
sahen wir jedoch die Verheerungen, welche das Bombarde-
ment der englischen Flotte kürzlich angerichtet. Hier war
ein Stück von der Mauer herabgestürzt, dort fehlte einem
Thurme eine Ecke, an diesem Hause hatte eine Kugel zwei
Fenster in eines verwandelt, so daß man in die Zimmer
sehen konnte; einzelne Granaten und Kugeln waren bis zu
unserm Landhaus geflogen, und wir fanden in dem Garten
mehrere von sehr schwerem Caliber. Auch das Innere der
Stadt hatte bedeutend gelitten. Es war mir immer ein
eigenes Gefühl, wenn ich jene alten Zeiten, wo frommer
Eifer Leben und Gut opferte, um jene Ringmauern zu er-
richten, mit den jetzigen Tagen zusammenzureimen suchte,
wo Christen die Gefälligkeit hatten, dieselben Werke für Rech-
nung der Türken zusammenzuschießen. Der fünfte und letzte
Akt dieses grandiosen Trauerspiels wäre gewesen, wenn
Ibrahim Pascha sich nach Jerusalem geworfen und christliche
Kugeln die Kuppel der Grabeskirche zerschmettert hätten.
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Auf den Straßen fanden wir auch heute daffelbe Ge-
wühl, denselben Schmutz und Gestank wie am Tage unserer
Ankunft; ich habe nie so mancherlei Parfüme genoffen, als
auf meinen Spaziergängen durch Beirut.
Wie in allen orientalischen Städten sind auch hier drei
Viertheile der Straßen zu Bazars eingerichtet und bilden
lange Reihen offener Gewölbe; denn außerdem, daß der
Kaufmann feine Waaren ausstellt, sitzen auch alle Hand-
werker in ihren verschiedenen Straßen offen vor den Augen
der Vorübergehenden. In einer Gaffe sieht man die An-
fertigung des verschiedenartigsten Fußzeugs vom kleinen Pan-
toffel bis zum größten Reitstiefel; in einer andern bergen sich
hunderte von Webstühlen, deren Einfachheit übrigens be-
merkenswerth ist; mit den Kosten und dem Holze eines der
unsrigen macht man wenigstens fünf türkische.
Dort liegt die Gaffe der Waffenschmiede, welche in
diesen Tagen stets gedrängt voll ist; besonders die Bergbe-
wohner wogten hier auf und ab und ließen ihre neuen Ge-
wehre, womit die türkische Regierung sie gütigst beschenkt,
ausbeffern und putzen. Mir ist bange, diese Gewehre,
welche in diesem Augenblick freilich alle auf Ibrahim Pascha
gerichtet sind, möchten in Kurzem anfangen, den Türken selbst
furchtbar zu werden; denn schon jetzt gab jeder, der eines
erhalten, deutlich zu verstehen, daß er es nicht gutwillig wieder
hergeben werde.
Weiterhin sieht man die Barbiere mit ungemeiner Ge-
schicklichkeit die Köpfe der Gläubigen bearbeiten letztere geben
dabei recht eigentlich den leidenden Theil ab, denn der Bar-
bier legt den Kopf auf sein Knie und dreht und wendet ihn
nach Gefallen, um, jedem Haare am besten beizukommen.
Ich fand die Straßen hier bei Weitem interessanter be-
lebt als selbst in Stambul. Während dort jeder seinem
296
friedlichen Geschäft nachgeht und so rasch als möglich fort-
zukommen sucht, wandern hier die verschiedenen Volksstämme,
die der Krieg zusammengeführt, mit Waffen bedeckt, langsam
und gravitätisch vorüber. Die kräftigen Männer des Ge-
birges, von denen ich oben sprach, in weiten farbigen Bein-
kleidern und meistens rothen gestickten Jacken, den weißen
Turban auf dem Kopfe, sieht man gewöhnlich in großen
Haufen, sie sind lustig und guter Dinge, denn auf dem
Rücken haben sie ja wieder ein Gewehr, ihre Lieblingswaffe,
die ihnen Ibrahims kräftige Hand abgenommen, der bei
Todesstrafe verbot, Waffen zu tragen. Zwischen ihnen
durch schleicht ernst und still ein Beduine, der Sohn der
Wüste, mit bronzefarbenem Gesicht. Der lange weiße oder
gestreifte Burnus hängt von feiner Schulter bis auf den
Boden, auf dem Kopf trägt er das nationelle gelb und roth
gestreifte wollene Tuch, das ein Kranz aus kleinen farbigen
Stricken befestigt. Obgleich ihn nur selten die Woge des
Lebens aus feinem Sande zu diesen Herrlichkeiten führt, so
betrachtet er doch die Kaufläden, ohne eine Miene zu ver-
ziehen, mit den durchdringenden schwarzen Augen und raucht
aus seiner kurzen Pfeife. Hinter ihm kommt ein Miralaja,
ein großherrlicher Oberst, auf schönem wohlgenährtem Pferde,
den Diamantstern als Zeichen seiner Würde auf der Brust,
gefolgt von mehreren Dienern, die ihm Waffen und Pfeife
nachtragen.
Dort schreiten zwei Arnauten in ihrem malerisch schönen
Costüm; es ist wie das griechische mit weißer Futanella und
rother Jacke; sie gehen trotzig umher, ohne einem Menschen
auszuweichen, eine Hand in den Gürtel gesteckt, der außer
zwei Pistolen, einen Yatagan, einem Dolche, einem Meffer,
noch Feuerzeug und Pfeife beherbergt.
Ich habe unter diesen Menschen fast keinen gesehen,
der eine angenehme, gute Gesichtsbildung gehabt, oder in
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deffen Zügen nicht ein böser, heimtückischer Ausdruck gelauert
hätte. Sie bilden eine unregelmäßige Truppe Infanterie und .
Cavallerie. Man kann sie fast noch als Nachzügler der ehe-
maligen Janitscharen und Mameluken betrachten; sie desertieren
ohne Weiteres hier und laffen sich dort wieder anwerben,
je nachdem sie mehr Beute und beffern Sold zu erwarten
haben; sie fechten nur dann, wenn sie Lust haben, und es
kommt ihnen gar nicht darauf an, ihre Offiziere zu morden.
Ibrahim Pascha hat noch vor wenigen Wochen etliche und
zwanzig dieser Galgenstricke erschießen laffen, die fich eine
Widersetzlichkeit zu Schulden kommen ließen; doch sagt man
allgemein, was Tapferkeit anbelange, feyen die fünf bis
sechstausend bei einer Armee feine besten Truppen.
Von den Einwohnern Beiruts sind diese vagabundieren-
den Kriegsknechte übrigens außerordentlich gefürchtet, und in
einem Kaffeehause, wo sich ein Arnaut niederläßt, rücken
die andern ängstlich zusammen. Die Mannigfaltigkeit der
Costüme auf den Straßen vermehren noch die in ihrem Auf-
zug verschiedenen Sekten der Christen, Griechen, Armenier,
Maroniten. Die Weiber der letztern tragen einen eigenen
Kopfputz, eine komische, zwei bis drei Fuß lange Röhre von
Silber oder Mesfing; sie steht in einem Winkel von fünf und
vierzig Graden bald nach den Seiten, bald nach vorne, und
ist mit einem Stück Mouffelin bedeckt, das beinahe bis auf
die Hüften fällt und zum Verschleiern des Gesichtes dient.
Dazu kommen die Schattierungen des muhamedanischen Glau-
bens, die sich gleichfalls in der Tracht aussprechen.
Gravitätisch wandelt dort der Türke vom alten Regi-
ment, und es gibt deren in Syrien noch sehr viele, ange-
than mit dem langen Kaftan, im weißen oder grünen bau-
schigen Turban; letztere Farbe bezeichnet einen Nachkommen
des Propheten, und der ihn trägt, wird Emir genannt.
Obgleich aber Emir so viel wie Herr oder gar Fürst sagen
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will, findet man doch gerade unter der geringsten Claffe,
. z. B. den Lastträgern, Wafferverkäufern c. die meisten.
Der ächte Muselmann geht ruhig seines Wegs, die
eine Hand streicht den krausen Bart, die andere faßt das
Schreibzeug im Gürtel. Auch das unglückliche, überall zer-
streute Volk der Juden hat hier eine Repräsentanten. Stets
auf den Erwerb bedacht, schlüpft der Jude behende im
schmierigen Kaftan und dunklem Turban durch die Menge,
rechts und links schauend, ob etwas zu gewinnen fey; be-
sonders heften sie ihr Auge auf den herumwandelnden Euro-
päer und bieten sich ihm gleich zu allen möglichen Diensten
an. Fast alle europäischen Nationen find hier in zahl-
reichen Mitgliedern vertreten, und keine verläugnet ihren
Character. Der Franzose schlendert in gelben Glacéhand-
fchuhen schwadronierend umher, und während alle österreichischen
Matrosen vor einem gutgekleideten Franken, der fiel freund-
lich ansieht, den Hut ziehen, steuert der Engländer mit
dem hölzernen Gesicht gerade aus, betrachtet Häuser und
Himmel und rennt jeden an, der ihm nicht ausweicht.
Das weibliche Geschlecht spaziert hier nicht so zahlreich
herum, wie in Constantinopel. Alle Weiber der Mohame-
daner sind mit einem dunkeln Stück Kattun, das gleich einer
Maske ihr Gesicht bedeckt, so verschleiert, daß man auch
keinen Zug ihres Gesichts erkennen kann, auch werfen sie
beim Anblick eines Fremden noch ein Stück weißen Mouffelin,
das ihnen den Rücken hinabhängt, über den Kopf, beson-
ders aber, was sehr gut ist, gerade die häßlichsten alten
Weiber; die jungen heben nicht selten ihren Kattun und
laffen ein paar schwarze glühende Augen sehen, ein Ver-
gehen, das von den andern gleich mit harten Worten ge-
rügt wird. Auch die Maronitinnen tragen über ihrem Horne
einen weißen Schleier, den sie gelegentlich fallen laffen, um
ihre hübschen runden Gesichter dem Fremden zu verbergen.
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Doch sind sie in der Cultur voran und haben uns nicht selten
freundlich angelächelt. Die Frauen der katholischen Araber,
deren es hier viele gibt, gehen unverschleiert, und ich habe
unter ihnen herrliche Figuren mit sehr edlen Gesichtszügen
gefunden. Da es doch stets ein Glück ist, das Schönste,
wenn auch nur zu sehen, so war ich in dieser Beziehung
glücklich. Die Frau unseres Hauswirths, eine wirklich ge-
bietende, majestätische Figur, war so schön, daß ich mich um
ein Haar in sie verliebt hätte.
Ebenso kriegerisch, wie das Innere der Stadt, sah
auch die Umgebung derselben; sie glich in diesem Augenblicke
einem großen Feldlager. Auf dem Quai hatten die hundert
englischen Kanoniere, welche die bewaffnete Macht der vier
Großmächte vorstellten, ihr Hauptquartier aufgeschlagen; dort
fanden ihre sechspfündigen Geschütze aufgefahren, und sie
selbst campierten theils in einem Gebäude, theils in weißen
Zelten. Ich bin fast zu keiner Zeit des Tages hier vorbei-
gekommen, daß nicht die Söhne Albions in ihrer Küche
beschäftigt gewesen wären, die sie an einer Mauer aufgeschla-
gen hatten. Westlich von der Stadt, auf einem Hügel,
der dieselbe beherrscht, fand der Park der türkischen Artil-
lerie. Die Leute wohnten unter hellgrünen Zelten, und ebenso
waren auch die Lafetten angestrichen; es befanden sich
hier ungefähr dreißig Kanonen von der Größe unserer Sechs-
pfünder; doch schießen die meisten ein weit größeres Caliber
und haben eine so weite Mündung, daß ich sie anfänglich
für Haubitzen hielt; sie sind aber ohne Kammern, und ich
hörte später, sie feyen ebenfalls für Paßkugeln bestimmt.
Das Metall ist so dünn, daß sich das Rohr nach wenigen
Schüffen bis zum Zünden erhitzen muß; obendrein find meh-
rere Stücke, statt von wirklichem Stückgut, von Bronze.
Doch glaube ich nicht, daß die Türken sobald in den Fall
kommen werden, mit diesen Kanonen zu agieren: sie hatten
300
weder Bespannung noch Munition, auch nicht ein einziger
Wagen befand sich im Parke.
Unterhalb dieser Artillerie auf einem kleinen Platze, der
an die Mauern der Stadt stößt, war für mich der intereffan-
teste Punkt. Hier hatte ein Stamm der Beduinen aus dem
Hauran sein Lager aufgeschlagen; es mochten ihrer fünfzig
bis sechszig feyn, die in grauen Zelten wohnten, in denen
fie aber weder Stroh noch Teppiche hatten; sie schliefen auf
der bloßen Erde, und zogen Nachts ihren Burnus über den
Kopf. Wir haben manche Stunde bei ihnen zugebracht;
obgleich fiel uns Fremde anfänglich finster und mißtrauisch
beobachteten, wurden sie bald freundlicher und durch Kleinig-
keiten an Geld, die wir ihnen spendeten, ganz zutraulich.
Die meisten waren große, hagere Männer mit ausdrucksvollem,
aber verschmitztem Gesichte, dem der schwarze herabhängende
Bart etwas düsteres gab. Ihre Waffen bestehen aus dem
Säbel, der sehr langen und dünnen Flinte, die sie an einem
Riemen über der Schulter tragen, und einer Lanze von wohl
fünfzehn Schuh Länge mit fußlanger dreischneidiger Spitze,
die mit einem Bouquet von dichten schwarzen Straußfedern
umgeben ist. Die ausdauernden Gefährten dieser Wüsten-
föhne, die edlen, treuen Pferde, fast alle von schönen Formen,
aber dabei mager wie ihre Herren, stehen an einem Fuße
mit einer Kette gefeffelt, stets vollständig gesattelt, vor
den Zelten. -
Der Beduine und ein Roß find nur vereinigt wahrhaft
schön und poetisch; sobald der Reiter die Erde betritt, schleicht
er faul und langsam umher, oder liegt mißmuthig unter
feinem Zelte, aus der kurzen Pfeife rauchend, und das Pferd
steht ruhig da, senkt den Schweif und sieht hungrig nach
einigen Grashalmen, die zwischen den Steinen proffen.
Doch wie sich der Beduine auf ein Roß schwingt, scheint
beide ein gewaltiges Feuer zu durchströmen; fein Auge blitzt,
301
die ganze kräftige Gestalt richtet sich auf, und während er
ein eigenes Geschrei ausstößt, greift das Pferd aus und
verschwindet in laufendem Galopp, wobei es mit dem Schweif
nicht selten den Rücken des Reiters schlägt. In wenigen
Augenblicken sieht man in der Ferne nur noch eine Staub-
wolke und über ihr wehend die schwarzen Federn der Lanze.
Wir vermochten sie durch reichliches Bakschis häufig,
ihre Pferde zu besteigen und uns deren Schnelligkeit, so wie
ihre eigene Gewandtheit im Führen der langen Lanze zu
zeigen; und wenn sie dann so dahin flogen über die Fläche,
daß der weite Mantel um die flatterte, wenn sie die Lanze
weit vor sich hinschleuderten und den Säbel zwischen den
Zähnen, Gewehr und Pistolen abschoffen, dann dachte ich
an meinen lieben Freiligrath:
-- Beduin, du selbst auf deinem Roffe
Bist ein phantastisches Gedicht.
Nördlich von diesem Beduinenlager war der große
Spaziergang der Stadt, wenn ich mich so ausdrücken darf,
ein ziemlich geräumiger Platz, wo es für den Fremden jeden
Augenblick etwas zu sehen gab. Es war hier beständiger
Jahrmarkt: in kleinen hölzernen Buden verkaufte man Scher-
beth, Früchte und Brod; auch ein Café war dort. errichtet,
wo die Gäste unter einer riesigen Sycomore auf kleinen
Stühlchen aus Palmzweigen saßen, und der Wirth auf einem
Haufen zusammengetragener Steine das Getränk bereitete.
Pfeife und Nargileh fehlten natürlich nicht. Hier nahm ich
meistens meinen Platz, um das bunte Gewühl um mich her
zu beobachten, das Leben und Treiben, das sich hier dem
Auge entfaltete und jeden Augenblick wechselte. Ich denke
noch immer mit Vergnügen an die Tage, wo ich, mit dem
Rücken an den Baum gelehnt, die arabische Wafferpfeife
rauchte, ein Genuß, den unsere deutschen Tabaksraucher nicht
302
kennen. Dies Instrument ist übrigens sehr einfach: in eine
Kokusnuß mit zwei Löchern gießt man Waffer; in die eine
der Oeffnungen steckt man die Pfeife, welche ein gedrechseltes
Rohr ist, oben mit einem kupfernen Behälter, in welchem
der Tabak und obenauf die glühende Kohle liegt; in die
andere Oeffnung paßt das dünne Rohr. So saß ich und
es brauchte nur eine Handbewegung, um eine neue Taffe
Caffee oder frischen Tabak zu erhalten; ich war ein mäch-
tiger Pascha geworden, und selbst ein Gefolge fehlte mir
nicht; denn wenn ich bei meinen Beduinen vorbeikam, um
auf den Platz zu gehen, folgten mir fast immer einige in
der Entfernung und kauerten an meiner Seite nieder, wenn
ich mich am Café niederließ.
Besonders Nachmittags war das Treiben auf dem Platze
sehr mannigfaltig; da strömten die Besucher aus der Um-
gegend, die ihre Geschäfte in der Stadt abgemacht, hier
zusammen, um, in Gruppen gelagert, ihr Mahl zu halten.
Dann wurden Pferde probiert und eingeritten, was bei den
Orientalen eine leichte Procedur ist; der Reiter setzt sich
recht fest in den Sattel, wobei das Thier, wenn es fehr
ungestüm ist, von andern gehalten wird; dann läßt er die
Zügel fahren, stößt ihm die Fersen in die Flanken, und das
Thier jagt voll Ungestüm im vollen Lauf über den Platz,
bis der Reiter es gewaltsam zusammen reißt, umwendet und
die eben durchflogene Strecke wieder im Galopp zurücklegt;
dies wird so lange wiederholt, bis das Thier aus Angst vor
dem Zügel nur dann galoppiert, wenn ihm der Reiter mit
dem Bügel in die Seiten arbeitet und anhält, wenn es nur
die geringste Bewegung des Zügels spürt. Vom Traben und
Zügeln des Pferdes haben sie keinen Begriff; sie können
nur galoppieren, und wollen sie halten, das arme Thier
unbarmherzig zusammen reißen. Um auf diese Art ihrer
Pferde vollkommen Herr zu werden, haben sie zwei Mittel,
303
die der Europäer als unzweckmäßig verwirft: erstens besteigen
fie ihre Thiere schon mit zwei Jahren, wo dieselben noch
nicht im Besitz ihrer vollen Kraft sind, und zweitens sind
ihre Stangen so scharf, daß das gepeinigte Roß sich zahm
und folgsam zeigen muß.
Eines Abends machten wir unsern gewöhnlichen Spazier-
gang, der uns über diesen Platz zur Küste des Meeres führte,
und sahen ihn schon von Weitem mit Menschen in nie ge-
fehenen, mannigfaltigen Costümen, mit Zelten, Pferden und
Maulthieren bedeckt. Es waren Drusen, unregelmäßige
Reiterei im Dienste des Großherrn. Wir traten auf den
Platz, und es war mir nicht anders, als kämen wir zu einem
großartigen Maskenfeste, so bunt wogte und trieb sich Alles
durch einander. Es mochten an zweitausend Mann feyn,
die zum Theil schon gelagert waren; d. h. fie hatten ihre
Pferde angebunden, Teppiche und Decken ausgebreitet, und
kochten, auf der Erde liegend, an kleinen Feuern Kaffee.
Andere standen noch in Haufen beisammen, luden die Pack-
pferde ab und feffelten sie, indem sie einen Vorder- und
Hinterfuß an einem drei bis vier Schuh langen Strick, und
diesen an einem in die Erde gerammten Pfahl befestigten.
Die Letzten der Schaar kamen erst an und führten eine weiße
und grüne Fahne und eine äußerst einfache Musik, nichts
als kleine Pauken, auf die sie im Takt schlugen.
Es war, als eyen von sämmtlichen Volksstämmen des
Orients Repräsentanten hier zusammen gekommen, so mancher-
lei Trachten, Säbel, Lanzen, Wurfspieße, Flinten und Pistolen
waren da zu sehen. Der Emir hatte sein Zelt unter einer
Sycomore aufschlagen laffen und empfing uns daselbst äußerst
freundlich. Ich habe nie einen schönern Mann gesehen.
Das idealisierte Bild eines Morgenländers, eines Fürsten der
Berge trat lebendig vor uns. So habe ich mir den großen
Kalifen, den tapfern Saladin gedacht; eine große, kräftige
304
Figur, doch nichts weniger als fett, mit einem Kopf, defen
edle Schönheit und männlichen Ausdruck man selten findet.
Er hatte in seinem ganzen Wesen, einem Auge, feiner
Sprache eine Sicherheit und Ruhe, die jedem unbedingtes
Zutrauen einflößen mußten. Sein Kopf war mit einem gelb
und roth seidenen Tuch turbanartig umwickelt, dessen eines
Ende in Franzen auslief und auf die rechte Schulter nieder-
fiel. Der übrige Anzug bestand aus einem rothseidenen
Kaftan; den ein kostbarer Shawl um den Leib zusammen-
hielt; ein sehr reicher Säbel hing an einer geflochtenen
goldenen Schnur, und zwei Pistolen, deren lange Hälse mit
Steinen besetzt waren, staken in einem Gürtel. Wir ließen
uns bei ihm nieder, und man brachte uns Pfeifen, Scherbet
und Kaffee. Nachdem wir uns einige Augenblicke mit ihm
durch den Dolmetscher unterhalten, erschien in der Zeltthüre
ein ganz junger Mann, beinahe noch ein Knabe, eben so
reich gekleidet wie der Emir, machte jedoch, so wie er uns
erblickte, eine Bewegung zum Zurücktreten. Jener rief ihm
aber und stellte ihn uns als einen Neffen vor. Der junge
Druse legte die Hand an Brust und Stirne, unsern Gruß
erwidernd, wobei er erröthend auf den Boden fah. Es war
etwas so Ungekünsteltes in dieser Bewegung, und die ganze
Figur so schlank und zart, daß man ihn für ein verkleidetes
Mädchen hätte halten können. Zum ersten Mal aus einen
Bergen gekommen, hatte er noch wenig Europäer gesehen,
und betrachtete uns anfangs mit kindischer Neugier, doch
bald wurde er zutraulich, und wir haben ihn in den paar
Tagen, die er in Beirut war, recht lieb gewonnen.
Wo man, mit Ausnahme des oben erwähnten Platzes,
aus der Stadt tritt, um sich in ihrem Umkreis zu ergehen,
nöthigt einen der tiefe Sand, der alle Wege bedeckt, bald
wieder zum Umkehren. Da die niedrigen westlichen Ausläufer
des Libanon bei Beirut zum Theil aus beweglichem Sand
305
bestehen, den der Wind in die Ebene und auf die Stadt
führt, so wäre sie in Gefahr, förmlich zu verfanden, hätte
nicht der große Emir der Drusen, Fachreddin, der hier zu
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts residierte, einen leben-
digen Wall gegen dieses Sandmeer aufgeführt, indem er die
Stadt östlich mit einer großen Anpflanzung von Pinien um-
gab, die jetzt eine ziemliche Stärke erreicht haben und ihren
Zweck erfüllen. Nach diesem Walde richteten wir unsere
meisten Spazierritte; das frische Grün der Bäume erfreute
das Auge, das sich an den grauen Formen der Stadt und
an dem gelben Sande müde gesehen. -
Es war die schönste der Oasen,
Im gelben Sandmeer glänzt ihr Rasen,
Gleichwie inmitten von Topafen
Ein grüner funkelnder Smaragd.
Auf unterm Schloß am Meer führten wir ein von der
Stadt und ihren Bewohnern ganz abgesondertes Leben.
Ueber den Mauern flatterte ein weißer Pavillon; doch führten
wir unter dieser Farbe der Unschuld ein kleines Raubritter-
leben, und wenn wir auch keinen vorüberziehenden harmlosen
Wanderer ausplünderten, hatte doch jeder seine Gegenstände,
auf die er lauerte und ausfiel. So hielt der Baron alle
Pferde aus der Stadt und Umgegend an und nöthigte die
Vorüberkommenden in unsern Hof, so daß derselbe zuweilen
einem kleinen Markt in diesem Artikel glich. Dr. B., unser
Naturforscher, attaquirte Schnecken und Eidechsen, und der
Maler F. und ich forcierten die Natur stückweise in unsere
Mappen und Schreibbücher. -
Wir hatten anfänglich dies Haus nur für eine Woche
gemiethet, da wir uns in Beirut nicht länger aufhalten
wollten, als eben nöthig war, d. h. bis wir uns Pferde
und die uns noch fehlenden Reisegeräthschaften besorgt, um
in das Innere des Landes nach Damaskus, Palmyra, Jern-
Hackländer . R. in d, O. I. 20
306
falem zu dringen. Doch fahen wir schon in den ersten
Tagen, daß wir in der bestimmten Zeit von hier nicht los-
kommen würden, denn wenn man den Krieg mit Ibrahim
Pascha schon als beendigt ansah, so gährte es doch in den
Bergen noch beständig fort und kleine Scharmützel zwischen
den Bergbewohnern und der ägyptischen Armee – solche
Sachen wurden natürlich alle vergrößert – machten die Wege
im Innern von Syrien unsicher.
Unsere Reisegefährten, die östreichischen Offiziere, blieben
auch anfänglich hier, und da wir außerdem noch mehrere
intereffante Bekanntschaften in der Stadt machten, so fehlte
es uns keineswegs bei dem ungewohnten Leben und Treiben
und der großartigen Natur, an Zerstreuung und Unterhaltung.
Unter Anderem war es der russische Consul, Herr von B.,
der ein sehr gut eingerichtetes Haus hatte und uns viel
Freundschaft erwies. Den Weg zur Stadt, der dicht am
Ufer des Meeres führte, machten wir häufig des Tages und
sahen und genoffen immer etwas Neues. Bald sahen wir
den Fischern zu, die zwischen den Klippen herumwateten und
Muscheln ablösten oder mit großen Netzen fischten. Bald
suchten wir uns auch an dem sehr zerklüfteten Strande eine
heimliche Stelle auf, deren es hier sehr viele gab, wo das
Meer ordentliche Mulden und Becken ausgehöhlt, die es
beständig mit frischem klarem Waffer anfüllte, und worin
wir badeten.
Einige hundert Schritt von unserm Hause befand sich eine
Werfte für kleinere Schiffe, auf der in den Tagen unters
Aufenthalts beständig gebaut wurde. Sobald ein solches
Fahrzeug ganz fertig ist, daß es in See gelaffen werden
kann, wird es von seinen Erbauern abergläubischer Weise
scharf bewacht. Jedes Schiff ist ihnen eine Braut des
Meers und muß ihm als Jungfrau übergeben werden,
wenn das gewaltige Element es gnädig behandeln und vor
307
dem Untergang bewahren soll. Betritt nun aber ein Mäd-
chen, defen Sitten nicht die reinsten find, den Bord und
spricht dort gewisse Worte aus, so läßt es alle begangenen
Sünden auf dem neuen Fahrzeug und ist selbst wieder
rein geworden. -
Nahe bei dem Thor der Stadt, das zu unserem Haus
führte, fand ein Brunnen unter einer großen Platane, um
den die türkischen Soldaten beständig haufenweis auf der
Erde kauerten und in großen Schüffeln ihr Weißzeug wuschen.
Mit diesen Kriegsknechten hatten wir mancherlei spaßhafte
Auftritte. So vergeffe ich nie eine Scene, die Abends,
wenn wir spät aus der Stadt kamen, zwischen uns und der
Thorwache gespielt wurde. In die Stadtmauer, die nach
der Richtung unserer Villa lag, hatten ein Paar Kugeln bei
dem Bombardement ein großes Loch geriffen, das aber die
Behörde, um hier den Durchgang zu verhindern, mit Brettern
und Sträuchern hatte zustellen laffen. Giovanni, oder der
Janißär des Herrn von B. klopfte, wenn wir nach Hause
wollten und das Thor schon geschloffen war, an das Wacht-
häuschen und rief, man solle öffnen. „Wer eyd Ihr?“
hieß es von Innen, ohne daß sich die Thür öffnete. –
„Englische Offiziere;“ denn so kam man am besten durch.
Jetzt antworteten die drinnen: „O Herr, feyd so gut, und
geht ein Paar Schritte seitwärts, da werdet Ihr ein Loch
in der Mauer finden, wo Ihr bequem durchgehen könnt.“ –
„Aber es ist ja mit Brettern zugestellt.“ – „Schiebt sie
nur etwas bei Seite, wir wollen sie morgen schon wieder
davor stellen. Gott sey mit Euch!“
So lebten wir auf unserer Villa fast bis Ende Decem-
ber und die Zeit wurde uns nicht sehr lang. Wir hatten
anfangs sehr gutes und schönes Wetter, was sich aber
gegen Weihnachten mit einem Male änderte. Es fing an
zu stürmen, zu regnen und wurde empfindlich kalt, und für
20
Z08
uns um so beschwerlicher, da wir fast nichts hatten,
uns dagegen zu schützen. Unsere schlechten hölzernen Läden
vor den offenen Fenstern klapperten den ganzen Tag und
ließen Wind und Kälte ein. Das Meer vor unserer Woh-
nung toste und lärmte oft betäubend. Wenn wir nament-
lich Abends ruhig in unserm Zimmer saßen, so war das
Rollen und Donnern der Wellen an dem felsigen Ufer mit
dem Geräusch zu vergleichen, das einige Batterien schwerer
Geschütze, die im Galopp über das Pflaster fahren, verur-
-fachen würden. Unsere beiden Freunde, der Maler F. und
Doctor B., die sich schon seit einigen Tagen unwohl fühl-
ten, wurden bei dem kalten naffen Wetter so krank, daß sie
ihre Teppiche nicht mehr verlaffen konnten und der Baron
oft mehrmals des Tags den Arzt aus der Stadt holen ließ.
Wenn auch das Unwetter nur einige Tage anhielt, so dauerte
dagegen die Krankheit unserer Freunde desto länger und
machten viele Projecte, namentlich zu Excursionen in das
Gebirge, vor der Hand zu Waffer. Der Baron war zu
besorgt, um unsere Kranken auch nur einen Tag allein zu
laffen, und so würden wir wahrscheinlich von den malerischen
Schluchten des herrlichen Gebirges, das wir beständig vor
Augen hatten, vor unserer Abreise nach Damaskus nichts
gesehen haben, wenn nicht eine andere Pflicht den Baron
zu einem Ausflug in den Libanon genöthigt hätte. So
sehr er sich nämlich in Beirut nach schönen Pferden um-
gesehen, hatte er doch noch nichts Edles gefunden. Da-
gegen erzählten die Söhne des östreichischen Coutuls, viel
von einer prächtigen Stute, die einem maronitischen Bi-
schofe angehöre und sich in einem der Klöster auf dem Libanon
befände. Schon lange hatte der Baron gewünscht, dies
Thier zu sehen; doch hatte ihn in der letzten Zeit das
Wetter und die Krankheit der Freunde zurückgehalten. Eines
Nachmittags aber ließ uns einer der Herren L. sagen: er
309
reite morgen in den Libanon und wenn der Baron von der
Parthie feyn wolle, so würde er gern mit ihm jene Stute
aufsuchen. Da der fränkische Arzt aus Beirut, der unsere
Kranken behandelte, zufällig bei uns war, und sie außer aller
Gefahr erklärte, so beschloß der Baron jenen Ritt am andern
Morgen mit mir zu machen.
Giovanni besorgte uns noch am selben Abend zwei
gute Pferde, und am andern Morgen ritten wir sehr früh
aus. In der Stadt vereinigten wir uns mit den beiden
Herrn L. einem Herrn S. aus Stambul und zogen östlich
von der Stadt der Bucht entlang, in welcher vor einem
Monat die englische uud östreichische Flotille geankert hatte.
Jetzt lagen nur noch zwei Linienschiffe und eine Dampffregatte
da. Der Jamißair des östreichischen Consuls, ein junger
schöner Türke, mit rothem goldgesticktem Kleide und eben
solcher Hose, mit grünem Turban – er war ein Emir,
Nachkomme des Propheten – ritt uns vor. In feinen
Händen trug er einen langen Stab mit großem filbernem
Knopfe, das Zeichen seiner Würde als Diener eines Ge-
fandten, worauf er sich nicht wenig einbildete; denn so höf-
lich und dienstfertig er gegen uns war, so brutal benahm er
fich gegen die Leute, die ihm auf sein Geschrei nicht aus-
wichen; entweder er ritt gerade auf sie zu oder schlug fie
mit feinem Stabe auf die Köpfe, ganz wie dergleichen
Leute bei uns.
Unser Weg führte anfangs durch tiefen Sand, und
obgleich die Pferde bei jedem Tritt bis an die Feffeln ein-
fanken, ging es doch im raschen Galopp vorwärts. Hier
am Ufer des Meeres sahen wir noch viel von den Ver-
wüstungen, die der große Sturm vom ersten auf den zweiten
December angerichtet hatte. Bis auf hundert Schritt
vom Ufer lagen kleinere Fahrzeuge zertrümmert auf dem
310
Strande, um die sich Niemand bekümmerte; andere größere,
die das Meer ebenfalls auf den Strand geworfen hatte,
befferte man aus und suchte sie wieder in brauchbaren Stand
zu setzen. Eines derselben mußte das Meer mit einer merk-
würdigen Gewalt ans Ufer geschleudert haben; denn seine
beiden großen Masten waren nach unten gekehrt und staken
tief im Sande.
Ungefähr eine Stunde von der Stadt, bei einem kleinen
Flüßchen, zeigt man die Stelle, wo der Sage nach der heilige
Georg den Drachen erschlagen hat. Hier sahen wir eine
Menge Einwohner der Stadt versammelt, so wie viele Soll-
daten, die in Reihe und Glied aufgestellt waren, und
Offiziere, die ihre schönen Pferde tummelten. Sie reprä-
sentierten die Garnison, so wie die Obrigkeit der Stadt
Beirut, die hieher gekommen waren, um den neuen Gouver-
neur von Syrien, Zakariä Pascha, der heute von Aleppo
einrücken sollte, zu empfangen. Der bisherige Commandeur,
Izzet Pascha, der sich wegen der vielen Grausamkeiten, die er
früher verübt, den Namen eines Tyrannen zugezogen, hatte
das Paschalik von Adrianopel bekommen.
Unser Janißair bat uns, etwas langsamer zu reiten,
indem wir dann wahrscheinlich dem Zuge des neuen Pascha
begegnen würden. Und so war es auch. Nach einer halben
Stunde sahen wir in der Ferne eine Menge Reiter auf uns
zukommen. An der Spitze ritten zwei, die mit ihren Pfer-
den die seltsamsten Wendungen machten. Ihr Costüm war
das unseres Janißairs, nur noch reicher mit Gold und
Stickereien versehen, und in den Händen trugen sie zwei
sehr lange Beduinenlanzen, die oben mit drei Büscheln
schwarzer Straußenfedern verziert waren. Es waren zwei
von den Kawaschen des Pascha, deren Beschäftigung auf
jeder Reise desselben darin besteht, abwechselnd je zwei und
zwei, vor ihm hin und her zu sprengen und den Herrn durch
311
ihre Reiterkünfte zu amüsieren. Diese Leute machten den
Weg wenigstens hundertmal, bald bogen sie rechts und links
auseinander, wandten sich dann und rannten mit eingelegter
Lanze und lautem Hurrah an einander vorüber, um gleich
darauf dasselbe Manöver zu wiederholen. Diese Reiter des
Zakariä Pascha führten drei Büsche Straußenfedern an
ihren Lanzen, weil ihr Gebieter Pascha von drei Roßschweifen
und nach der neuen Ordnung der Dinge Ferik Pascha
war. So schwer es ist die Chargen des niederen türkischen
Militärs an ihren Auszeichnungen zu erkennen, so leicht
kann man von dem gewöhnlichen Pascha den Ferik Pascha
unterscheiden; denn nur diesem ist es erlaubt, den Bart um
das ganze Kinn wachsen zu laffen. Alle andern müffen sich
mit einem Schnurrbarte begnügen.
Wie durch die Europäisierung alle türkischen Beamte und
Soldaten das Meiste ihres früheren äußeren Glanzes verloren
haben, so ist es auch bei den öffentlichen Aufzügen, wozu
man die Reifen der Pascha rechnen kann. Mit welch' uner-
hörter Pracht zogen früher diese Statthalter von einer Pro-
vinz zur andern. Selbst im reichsten Costüme und mit
Hunderten von unnützen, aber kostbar gekleideten Dienern
umgeben. Jetzt ist das ganz anders geworden. Die Be-
gleitung Zakariä Pascha's, der doch als Militär-Gouverneur
von Syrien eine wichtige Stellung einnahm, bestand höch-
fens aus hundert bis hundertfünfzig Reitern. Er selbst ritt
in dem Augenblick, wo wir ihm begegneten, ein schlechtes
unansehnliches Pferd; doch wurden einige weit bessere, ziem-
lich, reich geschirrt, hinter ihm geführt. Zakariä war ein
Mann von mittlerer Größe, mit einnehmenden freundlichen
Zügen und einem sehr langen Barte. Er trug einen dun-
kelblauen Ueberrock, auf welchem der Nischah Eftendar, aus
schönen Brillanten bestehend, prangte. Auf dem Kopfe hatte
er das rothe Feß mit langer blaueidener Quaste. Seine
312
Begleitung bestand größtentheils aus Dienern feines Hauses,
ebenfalls in einfachem Anzuge, dem blauen langen Rocke,
fie waren nach der Beschäftigung, die sie zu verrichten hatten,
fast nur durch ihre Waffen unterschieden. Die Kawaschen
hatten die gewöhnlichen krummen Säbel und am Gürtel in
einem gestickten Futteral zwei Pistolen hängen. Von den
Pfeifenträgern, deren sich in dem Gefolge eines reichen vor-
nehmen Türken stets viele befinden, trugen einige lange
Tschibuks, andere das Nargileh, einige hatten Tabakbeutel an
ihren Sätteln hängen und andere ein Kohlenbecken, worin
fie Holzkohlen durch Blasen und Hin- und Herbewegen
glühend erhielten. Die übrige Escorte bestand aus geringeren
Dienern, Pferdeknechten und dergleichen, so wie aus Be-
duinen, die als Tartaren gebraucht werden, um Depeschen
von einem Orte zum andern zu bringen. Letztere waren im
altorientalischen Costüm, weiter Hose, kurzer Jacke und Tur-
ban; einer von ihnen führte eine kleine Pauke, die am
Sattel hing und worauf er fortwährend schlug und ein ein-
förmiges Getön hervorbrachte, zu welchem die Andern bis-
weilen fangen.
Als wir uns dem Pascha näherten, hielt er sein Pferd
an und fragte auf türkisch sehr freundlich, wer wir wären
und nach dem Zweck unserer Reise. Herr L. antwortete ihm:
wir wollten einen Ritt in den Libanon machen, worauf
Beide noch einige höfliche Worte wechselten und der Pascha
weiter zog.
Der Libanon, welcher bei Beirut eine ziemliche Strecke
weit zurück tritt und die Landzunge, worauf die Stadt liegt,
in einem weiten Halbzirkel umgibt, versperrte uns jetzt den
Weg am Strande, und wir begannen einen Abhang hinauf
zu steigen, um auf defen Höhe unsern Weg längs dem Meere
noch eine Strecke fortzusetzen, ehe wir uns in's Innere des
Gebirges wandten. Anfänglich war dieser Pfad ziemlich
313
gangbar und obgleich er durch loses Geröll, womit er bedeckt
war, den Pferden viel Mühe verursachte, doch breit und ge-
fahrlos. Bald aber verengte er sich und führte uns auf
treppenartigen Absätzen auf die Höhe einer steilen Felswand,
deren Fuß von den Wogen des Meeres bespült wurde.
Nie in meinem Leben hab' ich einen schauerlicheren Weg
gemacht, als diesen, der uns jetzt, aber glücklicher Weise nur
eine kurze Strecke auf der Wand fortführte. An der einen
Seite neben uns ging sie zwei bis drei hundert Fuß tief
hinab und war gegen das Meer zu überhängend, so daß es
uns schien, als befänden wir uns auf einem Balken ohne
Geländer; auf der andern Seite stieg der Fels senkrecht
mehrere hundert Fuß in die Höhe und unser Weg, der
kaum drei Fuß breit war, neigte sich obendrein etwas gegen
das Meer und war mit großem Geröll und hie und da mit
dicken Steinen bedeckt,
Als wir mitten auf dieser gefährlichen Stelle waren,
ereignete sich ein unangenehmer Vorfall, der glücklicher Weise
aber ohne schlimme Folgen ablief. Einer unserer Begleiter,
ein sehr junger Mann, der mit uns aus Constantinopel
gereist war, und vielleicht noch wenige dieser Bergritte
gemacht hatte, rief uns plötzlich zu, wir möchten anhalten,
ihm würde schwindlicht. Man kann sich unsern Schrecken
denken. Da wir einer hinter dem andern ritten, fo konnte
ihm keiner helfen, weil der Weg so schmal war, daß wir
nicht einmal absteigen konnten, geschweige denn mit dem
Pferd umwenden. Einer der Herren L. rief ihm zu: er
möchte die Augen schließen und sich eine Weile mit dem
Oberkörper gegen die Felswand lehnen, was er befolgte.
Nach Verlauf einiger Minuten erklärte er fortreiten zu können,
und wir kamen glücklich über die Wand hinweg, und bis
zu einer Stelle, wo der Fels ober uns etwas zurücktrat und
allmählich in eine Schlucht hinabfiel, in welche sich der
-
314
Hundefluß ins Meer mündete. Dort stiegen wir alle ab,
um die Pferde einen ähnlichen treppenartigen Weg, der aber
noch steiler ging, als der, welchen wir herauf gekommen,
hinabzuführen.
Diese Schlucht war von der Natur so merkwürdig
gebildet, daß ich es versuchte, ihre Umriffe mit wenigen
Strichen in mein Taschenbuch zu zeichnen. Die Felsen, aus
welchen gegen das Gebirge zu der Hintergrund bestand, und
zwischen denen der Hundefluß hervorkam, waren wie Theater-
decorationen so vor einander geschoben, daß man unten in
der Schlucht plötzlich den breiten klaren Spiegel des Fluffes
erblickte, ohne zu sehen, wo er herkäme. Alle Wände waren
ganz senkrecht und bildeten einen Halbzirkel, der nur vorn
eine gegen die Breite der ganzen Schlucht sehr schmale Oeff-
nung hatte, durch welche man weit ins Meer fah. Durch
die beständig herabstürzenden Bergwaffer waren die glatten
Felswände stellenweise so gefurcht, daß sie wie an einander
stehende coloffale Säulen aussahen. Beim ersten Betrachten
und so oft ich mir später das Bild dieser Schlucht ins Ge-
dächtniß zurückrief, kam sie mir vor, wie ein gewaltiger
Dom, defen Kuppel eingestürzt ist und von dem nur die
nackten Wände stehen geblieben sind, durch welche man oben
den Himmel fieht. Lange Wafferpflanzen oder Moose, die
hie und da die Wände bedeckten, gaben obendrein einer
regen Phantasie Stoff genug, fich verschiedene Zeichnungen
daraus zu bilden. ---
Vielleicht dreihundert Schritte vom Meer entfernt über-
schritten wir den Hundefluß auf einer halb zerfallenen fei-
nernen Brücke, bestiegen dann unsere Pferde und ritten
längs dem Fluß gegen das Meer zu, um dort, wo das
Gebirge wieder etwas zurücktritt, am Strande unsern
Weg fortzusetzen. Der Himmel, der am Morgen klar und
blau auf uns hernieder gesehen und uns einen schönen Tag
315
versprochen, hatte sich nach und nach umzogen und sandte
uns jetzt einen so gewaltigen Regenschauer herab, daß wir
in unsern dünnen Kleidern ohne Mäntel in Kurzem ganz
durchnäßt gewesen wären, wenn uns nicht der Janißair ge-
zeigt hätte, wie sich die Araber, diese Söhne der Natur,
in solchen Fällen zu helfen wissen. Schon oft hatte er be-
denklich den Himmel angesehen und als die ersten Tropfen
fielen, sprang er vom Pferde, schnallte seinen Sattel auf
und zog die große Decke darunter hervor, die er sich wie
einen Mantel, über Kopf und Oberkörper hing.
Bald verließen wir den Strand wieder und wandten
uns durch Olivenpflanzungen und dichte Gruppen von Orangen
und Citronenbäumen, deren Blüthen und Blätter nach dem
Regen entzückend dufteten, dem Gebirge zu. An einen
Weg war jetzt nicht mehr zu denken und wir ritten nur
über weite Flächen, die fehr steil aufwärts gingen und mit
mächtigen Felsblöcken wie übersät waren. Diese weiten
Abhänge sind rauh und kahl; nur hie und da wächst eine
Platane oder Sikomore und der Boden ist mit Stachelge-
wächsen oder Wachholder bedeckt. Freundlich blickten auf
diesen Haiden nach allen Seiten, in kleinerer oder größerer
Entfernung, grüne Anpflanzungen hervor, aus denen sich
die weißen Häuser der maronitischen und drusischen Dörfer
erheben. Nach einer Stunde beständigen und sehr steilen
aufwärts Steigens, wobei wir uns mehrere Male um kleine
Hügel herumwandten, sahen wir hoch über uns das Ziel
unserer Tour, das Kloster Dair Mar Mikael. Die ziem-
lich weitläufigen Gebäude lagen an einem steilen Abhange,
von mächtigen Platanen geschützt, die ihre Zweige weit
hinausstreckten. Bald sahen wir auch das Dorf Zuk Mikael,
zu welchem das Kloster gehört, das, wie alle diese Berg-
dörfer in den Schluchten des Gebirges liegt.
Wenn nicht die eigenthümliche und fremdartige Bauart
316
der Häuser wäre, könnte man glauben, man nahe sich einem
Dorfe am Rhein oder Neckar; denn ebenso wie dort, wird
im Libanon viel Wein gebaut, und die Reben wachsen, wie
bei uns, auf übereinander liegenden Terraffen.
Wir betraten jetzt einen Hohlweg, der uns zwischen diesen
Weingärten nach dem Kloster führte. An einem Brunnen, bei
dem wir vorbeikamen, standen mehrere Maronitinnen mit ihrem
seltsamen Kopfputz. Die meisten sahen uns erstaunt und freund-
lich an und nur einige und wie gewöhnlich in solchen Fällen
die häßlichsten, warfen schreiend ihre Schleier über den Kopf.
Bald hatten wir die Höhe erstiegen und ritten durch ein großes
Thor in den Hof von Dair Mar Mikael; dies Kloster besteht,
wie die meisten in diesen Gegenden, aus einer Kirche und meh-
reren kleinen Gebäuden, die im Lauf der Zeit nach Bedarf und
Vermögen aufgebaut wurden. Diese Häuser sind einstöckig,
von Steinen aufgeführt, mit plattem Dache und Fensteröff-
nungen, die aber keine Glasscheiben haben, sondern eiserne
Gitter und nur hölzerne Laden zum Verschließen. Wir gaben
im Hof unsere Pferde ab, und ein Mönch führte uns in
ein Gemach, wo sich der Bischof und einige der ältern
Brüder befanden. -
Dies war ein Erdgeschoß, ganz nach der Landesweite
eingerichtet. Den Boden bedeckten Teppiche und an den
Wänden herum liefen niedrige Divans, auf welchen die alten
Herren saßen. Es waren vier maronitische Mönche mit
langen fast weißen Bärten, in schwarze Talare gekleidet, und
Mützen auf dem Kopf, beinahe geformt, wie die der griechischen
Geistlichen. Der Bischof, eine hohe majestätische Gestalt mit
einem ausdrucksvollen Gesicht, war ebenfalls schon über die
besten Jahre seines Lebens hinaus; er trug zur Unterscheidung
von den übrigen ein hellbraunes Kleid und eine blaue Mütze.
Nach den ersten Begrüßungen nöthigte er uns zum Nieder-
fitzen, und ließ für uns Europäer einige Stühle herbeibringen
317
Dann wurden Kaffee und Pfeifen gebracht. Da einer der Herren
L. die Reden des Bischofs gründlich verdolmetschte, so konnten
wir lebhaftern Antheil als sonst an der Unterhaltung nehmen.
Diese wandte sich hauptsächlich um die letzten Kriegsereigniffe,
um Ibrahim Pascha und die zahlreichen Scharmützel in den Ge-
birgen des Libanon. Mit vieler Umständlichkeit erzählte uns der
Bischof, was sein Kloster während der Zeit. Alles gelitten habe.
Bald habe es Albanesen aufnehmen müssen, bald bewaffnete
Drusen und andere Bergbewohner; dann Türken und ein
paar hundert Engländer, die jene vertrieben und sich darauf
eine Zeitlang in dem Dorfe und dem Kloster festgesetzt.
Es ist interessant, einen Araber und selbst wie hier einen
friedlichen Bischof Kriegsereigniffe oder kleine Gefechte erzählen
zu hören. Als er uns erzählte, wie sich die Drusen und
Albanesen, wenn auch nur kurze Zeit in dem Dorf und
Kloster gegen die Engländer und Türken vertheidigt hätten,
so las man in seinen Mienen und hörte an seinen Worten
lebhaft den Hergang dieses kleinen Scharmützels. Man
hörte die Trommeln wirbeln, das Geschrei der Bergbewohner,
das Klirren der Säbel und das Knallen des Gewehrs.
Obgleich es jetzt in den Bergen weit ruhiger geworden
war und sich das kriegerische Getümmel mehr gen Damaskus,
Saida und Jerusalem gezogen hatte, so fürchtete der Bischof
doch mit Recht, es werde auch hier bald wieder losbrechen;
denn der Libanon ist der Heerd, der die ersten Feuerbrände
über Syrien warf, um die Aegyptier zu vertreiben; aber die
rostigen Gewehre der Türken und die unhöflichen Kanonen
der Engländer waren nicht im Stande, das angeschürte Feuer
wieder zu löschen; es glimmt unter der Asche fort und wird
seiner Zeit hervorbrechen, um auch diesen Eindringlingen
höflich aus dem Lande zu leuchten. Wie bekannt, war der
Anfang der syrischen Revolution, der, daß die Stadt Beirut,
als sich die Pest im Frühjahr 1840 im Gebirge zeigte,
318
durch ihre Lage auf dem Vorgebirge begünstigt, einen Pest-
cordon aufstellte, der sie vom Libanon trennen sollte. Diese
Einrichtung fiel den Bergbewohnern natürlich sehr lästig, denn
obgleich die Gebirge Oel, Wein, Feigen und andere Früchte
im Ueberfluß hervorbringen, so baut man nur wenig Getreide.
Der Druse und Maronite geht zur Stadt, um sich dort
Korn für sein Brod zu holen, das die Kaufleute von Beirut
aus Aegypten beziehen. Beständig unzufrieden und leicht
reizbar, wie dies freie Volk der Berge ist, lastete die eiserne
Hand Mohamed Ali's schwer auf ihnen, und es bedurfte
nur einer Kleinigkeit, der die verschiedenen Stämme für den
Augenblick vereinigte, um einen allgemeinen Aufruhr aus-
brechen zu laffen. Dies war der Pestcordon um Beirut.
Die Bergbewohner stiegen in großen Schaaren herab und
warfen ihn auseinander. Obgleich nun Solyman Pascha
aus Saida und Emir Beschir von einem Schloß im Libanon
herabeilen, – die Ruhe nothdürftig wieder herstellen, indem
fie die Bergbewohner so viel möglich entwaffnen und viele
Emire gefangen nach Aegypten abführen laffen, so steigert
sich jedoch die allgemeine Unzufriedenheit, und die syrische
Revolution bricht aus, deren Verlauf aus allen Blättern
hinreichend bekannt ist.
Nachdem wir uns kurze Zeit bei dem Bischof ausgeruht,
führte er uns durch das Kloster und in die sehr einfache
Kirche. Die Maroniten sind römische katholische Christen
und die Einrichtung ihrer Kirchen und ihres Gottesdienstes
ist wenig von dem der herrschenden Kirche unterschieden.
Die Mönche sind entweder Eingeborne, wie hier im Kloster
Dair Mar Mikael und verstehen nur arabisch oder find
Miffionäre des Auslandes, die dann unter dem Schutz ihrer
respectiven Länder stehen. In diesen Klöstern befindet sich
immer eine Menge junger Leute, die arabisch lernen. Wir
machten noch einige Gänge durch das Dorf, dessen Häuser,
319
mit Wein- und Obstgärten umgeben, um das Kloster gruppiert
liegen. Dann führte uns der Bischof vor das Kloster unter
die Platanen, von denen ich oben sprach, wo einige Ruhesitze
angebracht waren, von denen wir eine entzückende Aussicht
genoffen. Vor uns lag der Libanon und das Meer, in
einem unendlichen Halbzirkel, über dessen glatter Fläche das
Auge ungesättigt hinschweift; links konnte ein gutes Auge
Beirut erkennen und gerade vor uns, so wie zur Rechten,
blickten aus den grünen Schluchten zahlreich die weißen Ge-
bäude der vielen Klöster und Dörfer des Libanon hervor.
Während uns der Bischof auf diesem Platze, den wehendes
Rebenlaub überdeckte und zu einer Laube umschuf, mit köst-
lichem Libanonwein und eingemachten Früchten regalirte, ließ
er uns ein schönes Pferd, die Stute, von der ich oben
sprach, vorführen. Es war ein edles, liebes Pferd, schlank,
zart und fein gebaut, wie alle diese Thiere. Doch konnte
es der Baron für feinen Zweck nicht gebrauchen, da es
außerordentlich klein war.
Alle arabischen Pferde haben etwas ungemein Kluges
und Zutrauliches, was wohl daher kommen mag, daß sie
beständig mit den Menschen zusammen leben. Der Araber
schläft bei seinem Pferde, und ich habe oft Kinder gesehen,
die sich mit diesen klugen Thieren im Grafe herum wälzten
und so gefahrlos mit ihnen spielten, wie mit einem wohl
dressierten Hunde. Dem Araber geht aber auch ein Pferd
über Alles, und schon die ältesten orientalischen Dichter
verschwendeten in ihren besten Liedern die ganze Gluth ihrer
Phantasie zum Lob des Pferdes, wobei sie oft seltsame Bilder
gebrauchen, wie z. B. - -
„Die Kruppe meiner Stute ist gleich dem Stein im
Strom, den der rasche Lauf des Waffers geglättet hat.“
„Sieht man ihre beiden magern Hüften, so denkt man
an einen liegenden Leoparden.“
320
„Ihr Hals ist wie die hohe Palme unter den Palmen;
fie dampft von dem Feuer, das der verwüstende Feind an
fie gelegt hat.“
„Sie macht Sätze gleich dem Lauf der Wolken, die
über das Thal ziehen, ohne es zu bewäffern, und die sich
über ein anderes entladen wollen.“
Indeffen neigte sich der Tag seinem Ende und da sich
der Himmel nach dem Wetter, das uns vorhin überrascht,
nicht wieder aufgeklärt hatte, sondern sich vielmehr noch
schwärzer bezogen, befürchteten wir einen früheren Eintritt
der Dunkelheit, die uns auf den gefährlichen Wegen über-
raschen könnte und machten Anstalten zum Aufbruch. Der
Bischof wandte eine ganze Beredtsamkeit auf, um uns die
Nacht bei sich zu behalten, ein Vorschlag, welchen die Herren L.
annahmen, den der Baron und ich aber, hauptsächlich wegen
unserer beiden Kranken zu Hause, zurückweisen mußten.
Wir ließen unsere Pferde vor das Kloster bringen, und der
Bischof ging mit hinaus und redete uns lange zu, die Nacht
oben zu bleiben, und erst als er eine ziemliche Zeit mit uns
gesprochen, fiel ihm ein, daß wir ihn nicht verstehen könnten,
weshalb er einen der Herren L. herbei rief und ihn bat,
uns doch seine Worte recht genau zu übersetzen. Es that
uns leid, seine Bitten abschlagen zu müffen, seine Bitten,
die nach Art der arabischen Sprache so blumenreich und
poetisch ausgeschmückt waren. Ich werde den Anblick des
stattlichen alten Mannes nicht vergeffen, wie er vor uns stand
und bald die Hände des Barons, bald die meinigen nahm.
Der Himmel bezog sich immer schwärzer und ein lang
hin rollender Donner kam seinen Reden zu Hülfe. Ich
hätte ein Maler sein mögen, um den Bischof, aber mit dem,
was er uns sagte, und wie er es uns sagte, zu malen.
„Seht, meine Kinder,“ sprach er, „der Sturm hebt sich aus
den Schluchten empor und zieht über uns zusammen, und
-
321
Ihr verschmäht mein Haus, wollt fort in die Nacht und ich
kann Euch nichts mitgeben, als meinen Segen. Die Dunkel-
heit wird Euch in den Bergen überraschen und wenn Euer
Pferd ansgleitet und stürzt, blickt Ihr vergeblich umher nach
dem Leuchten eines gastlichen Heerdes.“
Es thut mir leid, nicht alle seine Reden behalten zu
haben; aber sie waren wirklich ergreifend, und wir mußten
uns fast mit Gewalt von ihm los machen. Er küßte uns auf
die Stirn, wobei er uns oftmals sagte: „Gott möge Euch
schützen!“ Wir ritten mit dem Janißair, ohne den uns die
Herren L. nicht wollten ziehen laffen, langsam den Berg
hinab und sahen noch lange die ehrwürdige Gestalt des
alten Bischofs oben stehen und die Hand gegen uns aus-
strecken.
Wo es der Weg zuließ, ritten wir rascher, denn die
Dämmerung begann bei dem regnichten Wetter schon mächtig
herein zu brechen. Unten am Meer, wo uns heute Morgen
der Regen überrascht hatte, trafen wir auf einen großen
Trupp Türken und Beduinen, die den Harem Zakariä Paschas,
dem wir am Morgen begegnet, so wie mehrere schöne Pferde
deffelben und einen Zug Maulthiere mit allerlei Effecten
beladen, nach Beirut geleiteten. Die Damen saßen dicht
verschleiert auf ihren Pferden und waren von schwarzen Ver-
schnittenen umgeben. Wir ritten längs dem Zuge und die
Leute grüßten uns. Alle recht freundlich, besonders ein alter
Beduinenchech tummelte bei unserem Anblick einen starken
Schimmelhengst, um uns eine Reiterkünste zu zeigen. Wir
bezeugten ihm durch ein lautes Maschallah unser Wohlgefallen,
worauf er mit einigen andern den Zug verließ und eine
Strecke im scharfen Trab neben uns herritt.
Fast jede Stunde im Orient bietet für den Europäer
ein intereffantes, schönes Bild, gleich wie dieser Ritt am
Fuße des Libanon. Die schwarzen Wolken am Himmel
Hackländer, R. in d. O, I. 21
Z22
wurden von dem starken Winde, der saußend aus den
Schluchten des Gebirges hervorbrach, rasch vorbeigetrieben,
das Meer war unruhiger als heute Morgen und spritzte
weiße Schaumwellen auf den Strand, über den wir zwei
Europäer, von den Beduinen umringt, dahin jagten. Solche
Augenblicke hatten immer für mich etwas unaussprechlich
angenehmes, das die Brust erweitert und das Herz schneller
schlagen läßt, und es erging mir dann, wie den Arabern,
die die Freude ihres Herzens durch lautes Rufen kund geben.
Ich fang in solchen Stunden gewöhnlich deutsche Lieder wie
auch heute Abend.
Die Beduinen drängten sich näher an uns, als ich
ihnen das Lied
„An des Rheines kühlem Strande
Steh'n viel Burgen, hoch und hehr c.“
mit lauter Stimme vorsang, und die Klänge des heimath-
lichen Volksliedes schienen ihnen zu gefallen; denn sie ver-
ließen uns erst, nachdem sie eine weite Strecke mit uns
geritten waren und schickten uns noch manches „Maschallah“
und „Allah il Allah,“ mit welchen Worten sie ihre Freude
bezeugen, nach.
Vor uns lag der Hundefluß mit seiner romantischen
Schlucht, die bei der eingebrochenen Dämmerung noch schauer-
licher aussah, als heute Morgen im hellen Sonnenlichte.
Unser Janißair, um den Umweg über die steinerne Brücke,
die weiter oben liegt, zu vermeiden, gab uns zu verstehen,
man könne sehr gut mit den Pferden durch den Fluß reiten.
Er trieb sein Pferd in’s Waffer hinein, das demselben bis
an den Bauch reichte, und der Baron, dem etwas dergleichen
beständig Spaß machte, folgte ihm. Ich war eine kleine
Strecke zurück und als ich mit meinem Pferde das Ufer
hinabritt, waren beide schon einige zwanzig Schritt weit in
223
den Fluß hinein. Doch hatten die Wellen sie etwas ab-
wärts getrieben, wodurch ich die Richtung der Furth verlor
und mit meinem Pferd, als ich es nöthigte, in's Waffer zu
gehen, gleich bis an den Sattel hinein fiel. Doch arbeitete
es sich den andern nach, verlor aber schon bei den ersten
Schritten den Boden und fing an zu schwimmen, was mir,
wie sich jeder leicht denken kann, höchst unangenehm war;
denn der Fluß war sehr reißend, von Schnee und Regen
angeschwellt und keine hundert Schritt neben mir hatte ich
das offene Meer. Doch der Baron, der, als er sich zufällig
umblickte, mich eine gute Strecke weiter abwärts fchwimmen
fah, wandte, ohne sich zu bedenken, wie er beständig that,
wenn es galt, Jemand zu helfen, sein Pferd und war in
kurzer Zeit bei mir, worauf mein’s alle seine Kräfte zusammen
nehmend und durch das des Barons ermuthigt, das Waffer
durchschnitt und wir glücklich das Ufer erreichten.
Ohne Unfall erstiegen wir die Felstreppe und ritten
über die gefährliche Galerie am Ufer, so wie auf der andern
Seite wieder hinab ans Meer, wo unser Jamißair alsbald
sein Pferd in Carriere setzte und wir über den Strand gegen
Beirut jagten. Es war ein wilder Ritt, wobei es galt,
recht fest im Sattel zu sitzen. Bald mußten die Pferde in
vollem Lauf über eins der kleineren Schiffstrümmer hinweg-
fetzen, das ihnen im Wege lag, bald scheuten sie sich in
der Dunkelheit vor einem der größeren und umgingen es mit
einem gewaltigen Seitensprung. Der Mond ging in einer
schmalen feinen Sichel auf, als wir um die Stadt herum
nach unserer Burg ritten, wo uns die Freunde erwarteten.
Während unserer Abwesenheit hatte sich der Haus-
stand um ein Mitglied vermehrt. Heute Morgen erzählte
uns Dr. B., als ich gerade mein zehntes Glas Mandel-
milch trank – dies war nämlich im Laufe der Krankheit
seine größte Leidenschaft – öffnet sich die Thür und es tritt
21 -
324
ein Mensch herein, der, vor Freude stotternd, sich in deutscher
Sprache als unsern Landsmann zu erkennen gibt und nach dem
Baron von T. fragt, den er in Stuttgart oft gesehen haben wollte.
Dieser Mann hatte während einer achtjährigen Dienstzeit bei ver-
schiedenen Herren seltsame Schicksale gehabt. Von Stuttgart
aus, wo er als Kutscher diente, ging er als Reitknecht zu dem
Prinzen Louis Napoleon, nach der Schweiz, darauf mit einem
Herrn nach London, von wo aus er die fabelhafte Expedition
nach Boulogne mitmachte, dort arretiert und wie alle hiebei
Betheiligten nach Paris gebracht wurde. Dort aber fand man
mit Recht nichts Verdächtiges an ihm – und wir Alle
können darüber beistimmen, daß er zum Revolutionär keine
Anlagen hatte – und entließ ihn mit dem Bedeuten, Frank-
reich nie mehr zu betreten. Darauf kehrte er nach London
zurück und nahm Dienste bei einem Cavallerieoffizier der
englisch ostindischen Compagnie, der ihn über Spanien und
Portugal mit nach Beirut genommen hatte. Hier aber hatte
er sich überlegt, daß Indien doch etwas sehr weit von der
Heimath wäre und als er vernahm, daß wir angekommen
feyen, stieg in ihm die Hoffnung auf, wir würden ihn vielleicht
wieder mit zurück nach Schwaben nehmen können, wo es doch
immer beffer fey, als wie unter den Heiden und er wandte
sich deshalb an den Baron, mit der Bitte, ihn in seine
Dienste zu nehmen. Der Baron, der stets gern bereit war,
jedem zu helfen, wo er konnte, und der, wenn er Pferde kaufte,
ohnehin noch einen Bedienten annehmen mußte, engagierte
ihn und Friedrich wurde als erster Stallknecht unserem
Staate einverleibt.
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Reise nach Damaskus und Palmyra.
Fürst Aslan. – Abreife von Beirut. – Wilde Gebirgspäffe im
Libanon. – Khan el Huffein. – Felsentreppe. – Wolken auf der
Höhe des Gebirges. – Schneesturm. – Ein Vocalconcert. – Das
Schloß der Affaffinen. – Aegyptische Deserteure. – Bekaa, das Thal.
– Ein Unfall. – Perfer. – Der Antilibanon. – Felsengärten. –
Schiras. – Das Thal Gutha. – Damaskus. – Eine armenische
Hochzeit. – Ritt nach Palmyra. – Pferde-Revue. – Baalbek. –
Die Cedern des Libanon. – Die Stute in Sachile. – Zweite Reise
nach Damaskus. – Der persische Kaufmann. – Merkwürdiger Pferde-
handel. – Scham, der Hengst. – Rückkehr nach Beirut.
Damaskus!! – Palmyra!! –
Wie oft schauten wir, täglich und stündlich, von der
Terraffe unseres Landhauses fehnsüchtig zu dem Libanon
empor, dem gewaltigen Riesen, der sich mit dem weißen
Haupte und den grauen Gewändern, die unten in’s Hell-
grüne der Oelpflanzungen und Goldige des Meersandes aus-
laufen, an die See gelagert hat! Wie oft waren unsere
Blicke dem Lauf seiner Schluchten gefolgt und wir träumten
dabei: hier muß der Weg hinaufführen; dort ersteigt man
die steilen Felsen, um seinen Gipfel zu erklimmen, von wo
man staunend und entzückt hinabsieht in das schöne glückliche
Thal, das vom Libanon und Antilibanon, zwischen denen es
liegt, beschützt, reizend liegt, wie fast kein zweites Thal der
ganzen Welt! Behaupten nicht selbst mehrere Geschichtsforscher,
in dieser Ebene, wo man noch jetzt die ungeheuren Ruinen
von Baalbek sieht, fey früher das Paradies, der Aufenthalt
der ersten Menschen gewesen! Heißt nicht jetzt noch ein
kleines Oertchen, das an einem jener Abhänge des Libanon
liegt, Eden, wie der schöne Garten, aus dem unsere Vor-
ältern vertrieben worden!
O diese mächtigen Bergwände, die wir täglich vor
Augen hatten, verbargen uns viel Schönes, wornach wir
328
schon lange getrachtet, und stets waren wir durch verschiedene
Umstände verhindert worden, unsere Roffe zu satteln und den
„Ritt in’s alte romantische Land“
zu beginnen.
Jedem Zug Beduinen, Maroniten oder Drufen, die sich
bei der Stadt gelagert hatten und ihre Pferde packten, um
in die Berge zurückzuziehen, sahen wir neidisch nach, beson-
ders seit wir bei unserm Ritt nach dem Kloster Dair
Mar Mikael einen Blick in die wilden Schönheiten des
Gebirgs gethan, und verwünschten oft die kriegerischen
Zeiten, die uns abhielten, ihnen zu folgen. Erstlich
waren es die Feindseligkeiten zwischen Ibrahim Pascha's
Armee und den Türken, so wie kleine Plänkeleien und
Scharmützel, die beide Theile zuweilen mit den Bergbewoh-
nern hatten, welche die Wege durch den Libanon unsicher machen
sollten und weshalb man uns dringend abrieth, nach Damas-
kus aufzubrechen, wo überdieß Ibrahim Pascha noch mit
seiner Armee saß, von dem man nicht wissen konnte, wie er
in jetzigen Umständen uns, obgleich wir nur harmlose Reisende
waren, aufnehmen würde. Dann waren auch unsere beiden
Kranken noch immer fehr schwach und wenn auch keine Hoff-
nung dazu war, daß sie mit uns die Tour nach Damaskus
machen konnten, mußten wir sie doch gänzlich auf der Beffe-
rung sehen, ehe wir Beirut für ein Paar Wochen verließen.
Neben diesen Umständen wurden auch unsere Reisepläne
oft nach den Tagesneuigkeiten geändert. Denn bald hieß
es: Ibrahim hat Damaskus endlich verlaffen und will die
Armee auf dem Wege über Jerusalem aus Syrien führen;
und uns schimmerte die Hoffnung, jetzt endlich die Tour durch
das Gebirge beginnen und Damaskus erreichen zu können. –
Vergebener Wunsch! den andern Tag wußte man aus ganz
sichern Quellen, daß Ibrahim der Pforte die Erklärung
329
gegeben, sich in Syrien bis auf den letzten Mann zu halten,
und wir machten alsbald Projecte, welcher Weg in jetzigen
Zeiten der beste fey, um nach Jerusalem zu reisen, wo wir
abwarten wollten, ob uns der Marsch der ägyptischen Armee
erlauben würde, von dort nach Damaskus zu gehen.
So thürmten sich von allen Seiten unserer Abreise die
größten Schwierigkeiten entgegen und vereitelten unsern fehn-
lichsten Wunsch, bald das traurige Beirut zu verlaffen. Alle
Communication zur See war gesperrt; denn außer kleinen
Küstenfahrern kamen nur englische Linienschiffe, Fregatten
oder Kriegsdampfboote von Constantinopel und Marmarizza,
Depeschen oder Soldaten bringend.
Obendrein weigerten sich die Leute, wie unser Dol-
metscher versicherte, zum Ritt durch den Libanon ihre Pferde
zu geben, und auf dem Wege nach Jerusalem waren, wenn
uns auch die Bewegungen der Armeen nicht gehindert hätten,
andere Sachen zu bedenken; denn in Saida, Akre und Jaffa
sollte die Pest ausgebrochen feyn, was dort bei dem Zu-
sammenfluß von türkischen Soldaten, schlecht gekleidetem
Gesindel aus den Bergen und halb verhungerten Deserteuren
von Ibrahims Armee, kein Wunder war.
Endlich nach einigen sehr unruhigen Tagen, in denen
sich unser politischer Horizont noch schwärzer umzogen hatte,
mit einem unangenehmen Gewitter drohend, als die schon
lange verbreiteten Gerüchte: Ibrahim habe einen Zug gegen
Beirut beschloffen und würde an einem schönen Morgen aus
den Bergen hervorbrechen und die Stadt überrumpeln, fast
zur Gewißheit wurden, indem täglich Schaaren von Berg-
bewohnern zur Stadt kamen, von denen einige schon den
Vortrab der Aegyptier wollten gesehen haben, klärte er sich
über Nacht fast ganz auf, denn unser liebenswürdiger Freund,
der russische Consul, Herr von B., ließ uns eines Morgens
330
sagen, so eben erhalte er einen Reitenden aus Damaskus,
der ihm die erfreuliche Nachricht bringe: Ibrahim Pascha
habe mit der ganzen Armee die Stadt verlaffen und sich
gegen Jerusalem und das todte Meer gezogen. Ein Post-
scriptum eines artigen Billets lud uns auf den Abend zu
einer Taffe Thee ein, wo wir die Bekanntschaft eines geor-
gischen Fürsten machen sollten, der ebenfalls Willens fey,
Jerusalem und die heiligen Orte zu besuchen und sich wahr-
scheinlich sehr freuen würde, die Reise in unserer Gesellschaft
fortsetzen zu können.
Fast jeden Abend waren wir bei dem freundlichen
Consul, und wenn Geselligkeit und Unterhaltung stets die
Würze des Lebens sind, so gehörten diese kleinen Soireen
in den damaligen Verhältniffen zu unsern köstlichsten, genuß-
reichsten Stunden. Wir hatten in unsern Appartements
einen einzigen dreibeinigen Stuhl, den wir nur durch zarte
Behandlung und kleine Aufmerksamkeiten dahin bringen
konnten, daß er uns nicht plötzlich seinen Dienst aufsagte.
Dieses Möbel benützte abwechselnd der, welcher an dem
ebenfalls defecten Tische etwas schreiben wollte. Die Andern
mußten beim Effen oder sonstigen Beschäftigungen auf ihren
Betten, ich wollte sagen auf den Teppichen kauern, die unsere
Schlafstellen vorstellten. Wenn ich noch hinzufüge, daß wir
unsern Thee in einer Cafferole kochten, die Mittags Suppe
und Fleisch beherbergt hatte, so kann mir jeder glauben, daß
es für uns kein kleiner Genuß war, an einem ordentlichen
Tische auf festen bequemen Stühlen sitzend, guten russischen
Thee zu trinken und sich in einem gewärmten Zimmer, ohne
zu frieren, angenehm unterhalten zu können. Es war in
den letzten Tagen Decembers doch etwas kühl geworden
und besonders bei uns draußen fegte die feuchte Seeluft
unangenehm durch unsere Zimmer, die keine Glasfenster,
sondern nur schlechte hölzerne Laden hatten, fo daß wir uns
331
nur erwärmen konnten, wenn wir die Pelze und Mäntel
umhingen und auf- und abliefen.
Heute Abend war bei dem Herrn von B. größere Ge-
sellschaft als sonst. Auf einem Divan saß der Civilgouverneur
der Stadt, ein ältlicher Türke mit langem grauem Bart, den
er beständig strich, übrigens ein freundlicher Herr; denn er
lachte über Alles, was wir zusammen sprachen und von dem
er doch gewiß kein Wort verstand. Sein Sohn, ein ganz
junger Mensch, saß neben ihm auf einem Stuhle, doch schien
ihm dieses Möbel durchaus nicht behaglich; denn bald zog
er das eine Bein herauf, bald das andere, und rückte be-
ständig unruhig hin und her. Erst später schien er sich
wohler zu fühlen, denn da hatte er, als wir im Eifer des
Gesprächs nicht auf ihn achteten, den Stuhl zu einem Divan
umgeformt, d. h. er saß mit aufgeschlagenen Beinen auf dem
Sitz, was höchst possierlich aussah. Eine andere Person,
und für uns die interessanteste in der Gesellschaft, war der
georgische Fürst, den uns der Consul unter dem Namen
Fürst Aslan vorstellte, ein nicht sehr großer, aber schlank und
zierlich gewachsener junger Mann, mit einem ausdrucksvollen
schönen Kopfe; sein Gesicht war etwas bleich, aber antik,
edel und fein, wie aus Wachs geformt. Ein langer Schnurr-
bart vereinigte sich mit einem kohlschwarzen krausen Barte
um Wange und Kinn, wodurch der schlanke nervige Hals
vortheilhaft hervorgehoben wurde. Sein Auge war, wie das
aller Südländer, dunkel und blitzend; die hohe Stirne
schmückte eine feine-georgische Mütze von Astrachanpelz, die,
oben zugespitzt wie die persische Mütze, einen Kegel bildet.
Sein Anzug bestand aus einem eng anliegenden Kleide von
blauer Seide, ohne Kragen mit Aermeln, das ihm bis an's
Knie reichte und von einem gestickten Gürtel zusammenge-
halten wurde. Seine Hose war weit, von grauer Farbe,
unten zusammengeschnürt und ließ den Fuß sehen, der mit
332
kleinen rothen Halbstiefelchen bekleidet war. Ueber dem
blauen Gewand hatte er ein anderes von grünem Tuch,
ebenfalls ohne Kragen, mit langen aufgeschlitzten Aermeln,
die, wenn sie herabhingen, bis zur Wade reichten. Doch
warf er sie fast immer über die Schulter und ließ sie zu
beiden Seiten der Brust herabhängen. Um beide Röcke
ging ein Besatz von Goldborten. Merkwürdig war eine
Waffe, ein Handschar, vielleicht anderthalb Fuß lang, der
oben eine Hand breit war und sich nach unten zuspitzte.
Die Klinge von Khoraffan war schwarz, in der Mitte einen
Zoll dick und hatte vom Heft bis zur Spitze an jeder Seite
eine Hohlkehle; im Handgemenge eine fürchterliche Waffe,
zum Hauen, Stechen und Schneiden eingerichtet. Der Griff
war schwer von Elfenbein und hatte einen dicken stählernen
Knopf, mit dem man auch zur Noth einem Feinde den
Schädel einschlagen konnte.
Die Gestalt und Kleidung des Fürsten hab' ich deshalb
so genau beschrieben, weil er uns später ein so lieber Reise-
gefährte wnrde, und ich noch oft auf ihn zurückkommen muß.
Er war ein guter liebenswürdiger Mensch, offen und gerade,
dem man sich im ersten Augenblicke anschließen und ihn lieb
gewinnen mußte. Russisch, georgisch und persisch sprach er
geläufig, wußte sich auch im Französischen gut auszudrücken
und besaß eine Gewandtheit in Führung der Waffen, im
Reiten und Voltigieren, die uns oft in Erstaunen fetzte.
Es dauerte heute Abend nicht lange, so ward Fürst
Aslan mit uns bekannt und erzählte von seinem Vaterlande,
so wie von Tscherkessien, das er bereist, und von Petersburg,
wo er unter den Gardehusaren gedient. Er hatte häufig
das Theater besucht und kannte alle bekannten Arien der
neuen Opern stellenweise auswendig.
Im Lauf des Abends wurde öfters von unserer Tour,
nach Damaskus gesprochen, die jetzt, da Ibrahim abgereist,
333
ausführbar schien, und sobald als möglich unternommen
werden sollte. Der gute Consul, der die ihm angenehme
Gesellschaft des Barons nicht verlieren mochte, erhob, wie
er schon öfter gethan, wegen der Pferde und Führer Bedenk-
lichkeiten; doch sein eigener Janißair, den wir hereinkommen
ließen, war kein Diplomat wie sein Herr, und versprach, so
viel als nöthig feyen, zu besorgen, weshalb wir ihn vorläufig
auf morgen zu uns bestellten. Das Angenehmste bei diesem
Hin- und Herreden war jedoch, daß der Fürst, in dessen
Plan es gar nicht gelegen, auch Damaskus zu besuchen,
hiezu durch unsere Debatten Lust bekam und uns ohne
Weiteres seine Begleitung anbot, die wir mit großer Freude
annahmen. Denn abgesehen von feiner liebenswürdigen Per-
fönlichkeit, waren in der jetzigen Zeit bei einer Reise durch
das Gebirg ein paar Männer, auf die man sich im Fall der
Noth verlaffen konnte, beffer wie ein Dutzend Beduinen, die
man zur Bedeckung hätte mitnehmen können. Auch der Fürst
versprach, unser Schloß am Meer den nächsten Morgen zu
besuchen, um das Nähere zu verabreden.
Unsere beiden kranken Reisegefährten hatten sich indessen
wieder so weit erholt, daß wir sie verlaffen und der Pflege
ihres bisherigen Krankenwärters, eines Juden Namens Haffan,
ohne Sorge anvertrauen konnten. Es war uns unange-
nehm, fiel nicht mitnehmen zu können, hatte doch das gast-
rische Fieber die so geschwächt, daß sie gern die Zeit unserer
Abwesenheit benutzen mochten, um zu der weiteren Reise
durch Syrien nach Aegypten neue Kräfte zu sammeln.
Dem Janißair des russischen Consuls wurde aufge-
tragen, für drei Reitpferde, zwei Maulesel zum Tragen der
Effecten und drei handfeste gute Mucker, so heißen die Führer,
zu sorgen; und als Nachmittags der Fürst zu uns kam, um
den Tag der Abreise zu erfahren, wurde ihm der folgende
Morgen dazu bestimmt, was ihm ganz recht war; denn er
334
und seine Bedienten waren vollständig montiert, hatten ihre
eigenen Pferde und freuten sich, je eher je lieber weiter
zu ziehen.
Der Himmel, der seit ungefähr acht Tagen sehr un-
freundlich ausgesehen hatte, und fast immer mit Wolken
bedeckt war, die uns täglich unangenehme kalte Regenschauer
herabandten, klärte sich den Tag vor unserer Abreise ziemlich
auf und versprach gutes Reisewetter.
Ich weiß nicht, ob es die Erwartung auf die schönen
wilden Gegenden, die wir nun sehen sollten, war, was uns
diese Nacht nicht einschlafen ließ; aber der Baron so wenig
als ich konnten ein Auge schließen; wir warfen uns auf
den harten Teppichen herum, sprachen jetzt zusammen und
versuchten dann wieder zu schlafen: Alles vergebens, weshalb
wir den ersten Strahl des Tages freudig begrüßten und uns
zum Abritt rüsteten. Es war am 4. Januar.
Der Baron, ich und unser Dolmetscher, Koch und
Kammerdiener in einer Person, Giovanni, bestiegen die drei
Pferde; auf die Maulthiere wurden Mäntel, Decken, einiges
Kochgeschirr so wie Lebensmittel, als gekochtes Hammelfleisch,
Wein, Brod, Käse, Caffee c, gepackt und als Alles zu unserer
Abreise fertig war, drückten wir den kranken Freunden, die
uns doch etwas verstimmt nachsahen, herzlich die Hand und
ritten zur Stadt, wo wir vor den Thoren mit dem Fürsten
zusammentrafen. Dieser ritt ein kleines, aber starkes russisches
Pferd und seine Begleitung bestand aus einem Kammer-
diener, der ein tscherkesfisches Costüm trug, einen Rock von
einer Art dickem Filz gemacht, auf dem an jeder Seite der
Brust zwölf kleine Behälter für Patronen aufgenäht waren.
Er hieß Skandar und hatte denselben Gesichtsschnitt, wie
fein Herr, nur etwas plumper und nicht so ausdrucksvoll,
wie jener. Ferner hatte der Fürst einen Tscherkeffen bei
fich, der die Pferde pflegte; es war ein riesengroßer baum-
335
starker Mensch, Namens Mechmet, der ein türkisches Costüm,
das ihm der Prinz geschenkt, so wie einen grauen Beduinen-
mantel trug und mit einem Handschar und einem Wurfspieße
bewaffnet war. Die Spitze des Letzteren putzte er besonders
vor dem Ausreiten mit feinem Mantel blank und sauber,
weil er behauptete, sie glänze dann im Sonnenlicht weit hin,
und halte die Feinde, die uns anfallen wollten, im Respekt.
Für das Gepäck hatte der Prinz ebenfalls ein Maulthier mit
einem Mucker.
Nachdem wir unsere Streitkräfte versammelt, zogen wir
westlich durch einen holperigen Hohlweg, den wir bei unsern
Spazierritten schon öfters verwünscht und dem auch heute
wieder manches böse Wort galt. Mechmed mit dem Wurf-
spieß fing hier eine Bergtour nicht glücklich an. Sein Pferd
machte einen Fehltritt und Beide kollerten über einander hin,
glücklicher Weise jedoch ohne Schaden zu nehmen. In der
ersten halben Stunde unseres Rittes fühlte ich mich auf
meinem ziemlich starken Pferde gar nicht heimisch. Ich hatte
einen alten Beduinensattel, der vorn und hinten sehr hoch,
nur einen schmalen Sitz bietet, und dann nur angenehm ist,
wenn man es versteht, mit so kurzen Bügeln wie die Wüsten-
föhne zu reiten, daß die Kniee den Hals des Pferdes
erreichen. In diesem Fall findet man nach einiger Uebung
das Galloppieren recht angenehm, doch ist in der Stellung
vom Traben keine Rede. Ich schnallte meine Bügel lang,
was ich bei ähnlichen Sätteln jedem Europäer rathe, da
man bei einem unglücklichen Sturz mit dem Pferde durch
die kurzen Bügel schlimm über den Kopf des Pferdes geworfen
werden kann.
Wir zogen nordwestlich von der Stadt im tiefen weichen
Sand durch jene Pinienanpflanzungen des Schach Fach-
reddin, von denen ich früher gesprochen. Hie und da wand
sich ein kleines Bächlein, ein Kind des ewigen Schnees
336
droben, durch den trockenen Grund, und sah von Weitem,
wie eine grüne glänzende Schlange aus, denn rechts und
links an seinen Ufern trieb die Feuchtigkeit hunderte von
Pflanzen und Kräutern hervor, die sich auf dem gelben Sand
scharf abzeichneten. Zwischen drei oder vier solcher Bäche,
wenn sie auch mehrere hundert Schritt auseinander liegen,
haben die Leute Palmen gepflanzt und auf unserm Wege
kamen wir durch kleine Wälder dieser schönen Bäume, die
an dem Fuß des Libanon einen grünen Gürtel zogen.
In kurzer Zeit hatten wir die Stadt, so wie die Pinien
hinter uns und genoffen den vollen Anblick des prächtigen
Gebirges, von der darüber empor steigenden Sonne malerisch
beleuchtet. Wir ritten aufwärts und unser Weg, wenn man
die Bahn, die vor uns hinaufziehende Caravanen gemacht,
so nennen kann, führte anfänglich über eine breite sandige
Fläche, die mit zahlreichen Pinien, Platanen und Sykomoren
bedeckt war. Oft blieben wir stehen und schauten rückwärts,
denn es begann sich hinter uns eine große schöne Aussicht
zu entfalten. Die Landzunge, auf der Beirut liegt, hatten
wir noch nie Gelegenheit gehabt, in ihrer ganzen Ausdehnung
zu übersehen. Jetzt standen wir hoch über der Stadt wie auf
einem Thurm und sahen vor uns das Meer auf drei Seiten
den Halbkreis, auf dem Beirut liegt, umspülen; die Stadt,
welche mit den sie umgebenden Gärten und Anpflanzungen
einen ziemlichen Raum einnimmt, verschwand fast gegen die
ungeheure Wafferfläche, die sich vor uns ausbreitete. Zur
linken Hand trat das Land in einer ähnlichen Spitze in's
Meer, doch für unser Auge zu weit, um dort etwas erkennen
zu können. Das war Saida – drunten im Hafen von
Beirut lagen die großen englischen Linienschiffe und schienen
uns nicht größer als Nußschalen zu feyn. Eins der Kriegs-
dampfboote wandte sich und ruderte fort – ein Waffer-
infect, das den Bach durchschwimmt; ein anderes sahen wir
337
auf der Höhe der See und erkannten es nur an dem langen
dunkeln Rauch, der es umhüllte. – Wie klein ist doch der
Mensch! Könnt' ich nur einen geringen Zacken des Libanon
abreißen und ihn da hinabschleudern, wo die meerbeherrschen-
den Rothröcke aus ihren Nußschaalen heraus. Befehle schmieren
für dies stolze Gebirge – nur ein Sandkorn im Verhältniß
zur ganzen Maffe!
Nach zwei Stunden beständigen Aufwärtsteigens kamen
wir an ein einzeln stehendes Haus, Chan oder Wirthshaus,
mit einer aus unbehauenen Steinen roh zusammengesetzten
Wafferleitung, die einen klaren Felsbach in ein Baffin im
Hofe führte; wir zogen vorbei, und da hinter diesem Hause
der Weg ziemlich steil zu werden anfängt, stiegen wir von
den Pferden und führten sie. Der Boden war zum marschieren
sehr unangenehm, ein weicher sehr tiefer Sand, der das
Gehen außerordentlich erschwerte; auch brannte die Sonne
heftig, obgleich wir uns im Monat Januar befanden, und
erwärmte uns mehr, als nöthig war. Bald änderte sich
das Terrain; hier lagen noch einige kleine Hütten, worin
Leute wohnten, die dem Gebirge und dem Sand mittelst
eingedämmter Bäche einige Felder abgewonnen hatten, und
dadurch die Straße sehr verdorben, denn von den Steinen,
die sie vom Acker aufgelesen, hatten sie die größeren benützt,
um kleine Mauern um ihr Eigenthum zu ziehen und die
kleineren mitten in den Weg geworfen, wodurch eine sehr
unangenehme holprige Bahn entstanden. Bewundernswürdig
war bei diesen schlechten Wegen die Klugheit und Ausdauer
unserer Pferde, denn obgleich man ihnen wohl das arabische
Blut ansah und sie die edle Rage ihrer Stammältern nicht
verläugneten, waren es doch nur gebrauchte Miethpferde,
von denen die meisten obendrein schon sehr bei Jahren
waren; aber alle waren noch stark auf den Beinen und
höchst selten stolperte eins; auch brauchte man sie nicht
Hackländer, R. in d. O. I. 22
338
anzutreiben, sondern ruhig und unermüdlich kletterten sie so
rasch aufwärts, daß wir ihnen kaum folgen konnten.
Hie und da begegneten wir einzelnen Maroniten und
Drusen die zur Stadt hinabstiegen, um Einkäufe oder sonstige
Geschäfte zu besorgen. Alle grüßten uns freundlich und
verließen uns mit einem lauten: Allah il Allah! –
Gott ist Gott! – ein hier übliches Begrüßungswort. Etwas
höher hinauf kamen uns Schwarze entgegen, welche ein
paar türkische Weiber von Damaskus hergeleiteten. Die
Damen saßen auf Maulthieren und waren stark verschleiert.
Viel Freude verursachte uns eine andere Begegnung. Bei
einer Biegung des Wegs sahen wir eine kleine Gesellschaft
auf uns zukommen, die wir ihrem Eostüme nach sogleich
für Europäer erkannten. Es war ein Mann zu Pferde und
hinter ihm zwei Frauenzimmer auf Maulthieren. Sie
schienen von unserem Anblick eben so überrascht wie wir von
dem ihrigen. Sie waren Deutsche aus dem Elsaß und der
Mann Militärarzt bei Ibrahim Pascha gewesen. Sie hatten
Damaskus nach Abzug der Armee verlaffen und gingen nach
Beirut, um sich in die Heimath einzuschiffen. Wer es schon
gefühlt hat, wie wohlthuend die Klänge der heimathlichen
Sprache in der Fremde auf das Herz wirken, wird glauben,
daß wir uns herzlich begrüßten und ein kleines Gespräch
hielten, ehe wir wieder schieden. Wie gute Freunde, die
sich verlaffen, sahen wir uns öfter nach einander um und
schwenkten die Tücher. – Bald waren sie unseren Augen
entschwunden.
Wir stiegen noch eine Stunde sehr steil aufwärts und
hatten bald einen bekannten Chan erreicht, der wohnlicher
als alle andern im Libanon eingerichtet, häufig von Reisenden,
die über das Gebirge ziehen, zum ersten Nachtlager benutzt
wird – Chan el Huffein. Auch unsere Mucker fingen gleich
bei unserer Ankuft an, die Thiere abzuladen, als verstünde
339
es sich von selbst, daß wir hier anhielten. Doch war es
erst Mittags ein Uhr, weshalb wir heftig dagegen protestierten
und weiter zu ziehen verlangten. Aber wie es uns zuweilen
bei dergleichen Streitigkeiten mit den Eingeborenen ging,
unser edler Dolmetscher Giovanni schlug sich auf ihre Seite,
indem er wahrscheinlich nicht Lust hatte, für heute weiter zu
gehen. Er malte uns die schrecklichsten Dinge aus, die uns
betreffen würden, wenn die Nacht uns in den Päffen des
Libanon überraschte; er sprach von Abgründen voll Schnee
und Eis, von Räubern und Gott weiß was Alles. Doch
war uns noch der Zug über den Balkan, von dem man uns
beinahe das Nämliche prophezeiht hatte, zu frisch im Ge-
dächtniß, um uns auf das Gerede dieser Leute zu verlaffen.
Aber was konnten wir machen? So sehr wir in den Dol-
metscher drangen, die Leute zu fragen: ob es denn auf keine
Weise möglich fey, noch heute weiter zu gehen und einen
andern Chan zu erreichen, so erheilte er uns beständig die
Antwort: man sage, das fey unmöglich. Wir hätten also die
Nacht hier zubringen müffen, wenn nicht durch die ziemlich
heftig geführten Debatten ein anderer Araber aufmerksam
geworden und näher getreten wäre. Er fragte den Baron
in einem ganz verrenkten Englisch, ob er nicht diese Sprache
kenne – Nun ist wohl nie eine Mundart mehr geradbrecht
worden als diese; aber sie klang wie Musik. Der Araber
sagte uns, ihm scheine als wollte unser Dertscheman (Dol-
metscher) nicht weiter gehen; denn die Leute haben ihm
schon mehrmal gesagt, es fey wohl möglich, wenn wir bald
aufbrächen, mit Einbruch der Nacht einen andern Chan zu
erreichen; doch müßten wir uns beeilen, da der Weg dahin
ziemlich schlecht sey. Jetzt wurden natürlich alle Unterhand-
lungen abgebrochen. Der englische Araber mußte den Muckern
erklären, daß wir auf jeden Fall weiter wollten und noch
heute einen andern Chan erreichen, wornach sie sich einzu-
22
340
richten hätten. Unserm Giovanni, der es wieder einmal
verdient hätte, bedeutend geprügelt zu werden, wurde strenge
befohlen, gleich aufzupacken und nach einigen Minuten ging
die Reise weiter.
Ich habe dies kleine Intermezzo erzählt, um einen
Begriff zu geben, wie sehr der Reisende im Orient von den
Launen dieser Dolmetscher abhängt. Dies ist nicht das
einzige Beispiel der Art und nicht immer trafen wir einen
Sprachkundigen wie heute, der uns aus der Verlegenheit
half. Mit anständigen Behandlungen und guten Worten,
wie sie der Baron den Dienern stets zukommen ließ, ist bei
diesem Volk nichts ausgerichtet, und ich rathe jedem Reisenden
bei dem geringsten Widerspruch oder unverschämtem Betragen
dieser arabischen Bedienten den Prügel zu gebrauchen. Läuft
auch fo ein Kerl heute fort, er wird morgen sicher wieder
kommen, denn Herrschaften, die wie die europäischen Reifen-
den außerordentlich viel bezahlen, trifft er nicht gleich wieder
und so unangenehm es freilich für uns gewesen wäre, bei
unsern Ausflügen, entfernt von den Küstenstädten, von dem
Dolmetscher verlaffen zu werden, eben so fatal wäre es für
ihn selbst gewesen, wenn wir ihn fortgejagt hätten, und ich
bin überzeugt, er wäre der erste gewesen, der sich uns
wieder genähert.
Gleich hinter dem Chan el Huffein begann der Weg
eine andere Gestalt anzunehmen. Bis hieher hatten wir
meistens Sand, zuweilen auch Erde gehabt, und nur stellen-
weis fanden wir den Pfad mit Steinen bedeckt, auch hatten
uns beinahe bis auf diese Höhe, Pinien, Fichten und kleine
Gesträuche aller Art nicht verlaffen. Jetzt wurde die ganze
Gegend kahl und öde. Der Boden, aus Fels bestehend,
gewährte nur schmale Pfade, die sich beständig um gewaltige
Klippen herumwandten und sehr steil aufwärts gingen. Auch
war es viel kühler geworden. Die mit Schnee bedeckte
341
Spitze des Dschebb el Scheich, welche links vor uns
lag, kühlte die Luft ab, und sandte uns nicht selten sehr
kalte Winde. Vor uns zog eine lange Reihe Kameele, die
wir bald überholten; sie waren mit langen Balken beladen,
von denen jedes der Thiere zwei trug, rechts und links am
Packsattel hängend und mit dem Körper parallel laufend.
In kurzer Zeit ließen wir sie weit hinter uns und hatten
nach einer Stunde die erste Höhe des Gebirges erklettert,
die erste der drei Ketten, welche den Libanon ausmachen
und die durch wilde, fast ungangbare Thäler getrennt, drei
gewaltige Ringmauern bilden.
Von dieser Höhe wandten wir noch einmal den Blick
rückwärts; doch sahen wir nichts als das weite öde Meer,
Beirut dicht an den Fuß des Libanons geschmiegt, war
unsern Augen entrückt. Unsere Mucker, die sehr eilten,
um vorwärts zu kommen, ließen uns indeß nicht lange Zeit
zum Umsehen. Der Weg führte jetzt abwärts, d. h. wir
mußten uns durch die Klippen und Schlünde, die vor uns
lagen, einen suchen. Ein großartig wildes Thal war es, in
welches wir jetzt hinabstiegen. Es versteht sich von selbst, daß jeder
absaß, um sein Pferd zu führen oder es vielmehr wie die Araber
zu machen und sich vom Pferde führen zu laffen. Bei solchen
Wegen ist die Klugheit dieser Thiere wirklich bewunderns-
würdig, die Sicherheit, mit der sie, ohne zu stürzen, über
das lockere Geröll gehen. Wir ließen sie den Weg suchen
und folgten ihnen. Balb wandten sie sich zwischen zwei auf-
recht stehenden Felsblöcken hindurch und wo uns auf einmal
ein fast senkrechter Abhang alles weitere Fortkommen abzu-
schneiden schien, suchten sie so lange herum, bis sie eine
ihnen vielleicht bekannte Furth gefunden, durch die wir hinab-
kamen, die aber oft so schmal war, daß wir kaum einen
Fuß vor den andern setzen konnten. Jetzt bildete der Weg
mehrere hundert Schritte lang eine sehr steil sich niederlenkende
342
Fläche, wo Alles, ohne anhalten zu können, hinabrutschte,
und sich jeder erst durch Anprellen an die unten stehenden
Felsen wieder sammeln konnte. Ohne Unfall erreichten wir
in kürzerer Zeit als wir geglaubt, den Grund des Thales,
indem ein eiskaltes klares Bergwaffer floß. Rings war
Alles still und erschreckend ruhig, keine Spur irgend eines
menschlichen Wesens, kein Grün der Bäume und Sträuche,
nur hie und da ragten einige verkrüppelte erstorbene Fichten
aus dem Gestein.
Eine Zeitlang gingen wir an dem Bache aufwärts und
kamen an einer halbverfallenen verlaffenen Hütte vorbei, wo
der Weg wieder rechts an der andern Thalwand hinaufführen
sollte. Doch sahen wir keine Möglichkeit, da hinaufzuklettern.
und wir glaubten schon, unsere Führer müßten irre gegangen
seyn, als wir plötzlich auf der Spitze, der vor uns liegenden
Felsen einen Zug Maulthiere erblickten, die sich eben
anschickten zu uns herabzusteigen. Wir hielten an, um den
Thieren zuzusehen und glaubten jeden Augenblick, wenn sie
einen neuen Zacken überstiegen, jetzt müßten sie stürzen und
zerschmettert vor unsere Füße rollen. Oft gingen sie auf
einem Pfade, der, von unten gesehen, nicht breiter, als
ihre Füße zu feyn schien, an der einen Seite eine steile
Wand, an der andern einen mehrere hundert Fuß tiefen
Abgrund. Jetzt stiegen sie einen senkrechten Felsen im Zickzack
herab, um auf einem Steindamme weiter zu gehen, wo sie
ungefähr aussahen, wie kleine Fliegen, die über einen
Mefferrücken laufen, bald verschwanden sie hinter Klippen,
die wie Zuckerhüte emporragten, und erschienen jetzt wieder
an einer scharfen Kante hängend, wo wir keinen Pfad er-
blicken konnten und der ganze Zug oft aussah, wie wehendes
Gras über einem Abgrund.
Für die Höhe der Berge waren fie in kurzer Zeit bei
nns und nachdem wir einige Worte mit den Treibern gewechselt,
343
begannen wir denselben Pfad hinaufzuklettern, den ich oben
beschrieben, und wenn sich auch bei genauerer Betrachtung
Manches nicht so gefahrvoll darstellte, als es anfangs schien,
so war die ganze Sache doch halsbrechend genug und beim
Ersteigen der Klippen fanden sich oftmals einzelne Stellen,
die ich zu jeder andern Zeit für Menschen umgangbar gefunden
hätte, geschweige für Pferde. So war etwas höher hinauf
der Weg eine förmliche Treppe, wo jede Stufe aus einem
Felsblock von zwei bis drei Fuß Höhe bestand. Die Breite
betrug gleichfalls nicht mehr, an der einen Seite hatten wir
eine steile Wand, an der andern den Abgrund. Außerdem
stürzte über diese Treppe ein kleines Waffer hinab, das hie
und da Pflanzen und Moose ansetzend den Weg schlüpfrig
und gefährlich machte. Jemand, der am Schwindel litt,
hätte ich nicht rathen mögen, von diesen Höhen einen Blick
in die Tiefe rings um sich zu thun. Die ganze Umgebung
war coloffal, großartig wild.
Als wir höher gestiegen waren, sah ich, daß das Thal,
das wir so eben verlaffen, nur eine kurze Strecke die erste
Bergkette mit der zweiten verband. Rechts und links neigte
es sich, zuerst kaum merklich, dann aber auf einmal mit
einem gewaltigen Absturz gegen das Meer hin, welches wir
jedoch nicht mehr sahen, und ließ uns in riesige Schluchten
schauen, an denen ein scharfes Auge die Natur des Libanon
studieren konnte. Tief unten schien der Boden dieser Schluchten
mit grünen Wellen bedeckt, die an den Wänden hinauf
schlagend immer durchsichtiger wurden. Das waren Wein-
und Oel-Pflanzungen der maronitischen Dörfer, die hie und
da in den Bergen liegen, üppige Wälder, die der untere
Strich des Gebirges hervorbringt. In die rauhere Region
hinaufragend, werden sie allmählig lichter und laufen endlich
in hie und da zerstreute Pinien, Fichten und Cederngruppen
aus. An sie stoßen gelbe Strecken Landes, die man für Sand
344
halten könnte; doch find es Getreidefelder, die noch bis zu
einer beträchtlichen Höhe dicht mit Aehren bedeckt sind.
Jetzt erst kommt der Sand, der später den rauhen Felsen
Platz macht, welche von kleinen Steinen, womit die Wege
bedeckt sind, bis zu ungeheuren Blöcken anwachsend, das
schneebedeckte Haupt des Berges unterstützen.
Oft standen unsere Thiere Athem schöpfend stille und
ließen uns Zeit genug, die unbeschreiblichen Schönheiten des
Gebirges zu betrachten; gewiß, es ist Poesie, so auf einer
wenige Fuß breiten schlüpfrigen Spitze zu stehen und die
lüsternen Gedanken in jene Abgründe zu senken, die uns von
allen Seiten umgeben, einen Pfad zu erklettern, wo ein
Fehltritt unvermeidlich den Tod nach sich ziehen würde!
Unten im Thale von Beirut war es, obgleich der Himmel
mit Wolken bedeckt war, ziemlich heiß gewesen, und wir
hatten zu Anfang unseres Marsches Mäntel und Pelze bei
Seite gelegt; doch sahen wir uns bald veranlaßt, sie wieder
zu nehmen. Wir erstiegen jetzt die mittelste und höchste der
drei Bergketten des Libanon und es begann hier oben empfind-
lich kalt zu werden. So ruhig unten die Luft war, so
machten sich doch auf dieser Höhe die Winde bemerkbar und
brachen hie und da aus den Schluchten hervor, unsere Mäntel
und die Mähnen der Thiere lüftend. Alle Vegetation hörte
hier gänzlich auf und statt der kleinen Sträucher und Moose,
die tiefer unten die Schluchten des Gesteins ausfüllten,
ringelten sich hie und da von dem weißen schneebedeckten
Haupte des Berges einzelne dünne Locken bis zu unsern
Füßen, lange Streifen glänzenden Schnees. Für uns
Europäer war es ein eigenes Gefühl, als wir wieder Schnee
sahen, den guten Bekannten aus der Heimath, den alten
Jugendfreund. Ich konnte mich nicht enthalten, von meinem
Pferde zu steigen und eine Hand voll zusammen zu ballen,
die ich mit einem Gruß an die Heimath einen der Abhänge
345
hinabrollen ließ. Die Pferde schienen sich dagegen mit dem
Schnee nicht recht befreunden zu können; denn so weit fie
onnten, gingen sie ihm aus dem Wege und als sie bei
rößeren Strecken auf ihn treten mußten, thaten sie es so
orsichtig und behutsam, die Beine hoch aufhebend, als
ürchteten sie, bei jedem Schritte durchzubrechen.
Hiezu kam noch etwas auf dieser Höhe, was uns sehr
Intereffant war, den Muckern aber, so wie ihren Thieren
ebenfalls nicht zu gefallen schien. - Allmählig ritten wir
in die Wolkenschicht, welche die Spitze des Gebirges
bedeckte. Zuerst empfanden wir eine kalte Zugluft, die uns
von allen Seiten anwehte und mit einem leichten Nebel
bedeckte, der mit jedem Schritte dichter wurde; wie bei einem
kalten Wintertag zeichnete sich der Athem der Menschen und
Thiere dunkler ab und ließ im Pelz und im Bart einen
kleinen Reif zurück. Unser Hauptmucker, d. h. unser erster
Führer, nahm die Spitze des Zugs, und bedeutete uns sehr
ernsthaft, ihm genau zu folgen, so wie einzeln zu reiten, immer
einer dicht hinter dem andern, weil der Weg zur höchsten
Spitze der zweiten Bergkette, die wir jetzt zu überschreiten
hatten, es nicht anders zulaffe und wir uns bei dem dichten
Wolkennebel verirren könnten, eine Besorgniß, die sehr
gegründet war, denn bald konnten wir die Gegenstände vor
uns kaum mehr auf drei Schritte erkennen. Dabei sah Alles
sehr groß, ja riesenhaft aus; das Pferd des vor mir reiten-
den Barons schien sich coloffal auszudehnen; sein Mantel
flatterte wie ein zerriffener Wolkenschleier und wenn ich zu-
fällig einem solchen Reiter begegnet wäre, würde ich ihn
für einen mächtigen Berggeist gehalten haben, der, vom
Sturmwind getragen, durch sein Revier braust.
Bei dem Allem wurde der Weg sehr gefahrvoll und
führte uns auf ganz eigenthümliche Weise die Spitze hinan;
eine Art Hohlweg, in dem wir eine kurze Zeit geritten,
346
hörte mit einem Mal auf, und vor uns dehnten sich große
Schieferplatten aus, die, wie durch Menschenhände zusammen-
gefügt, eine glatte Fläche bildeten. Steil, wie ein Haus
dach, ging sie aufwärts und den Pferden und Maulthierer
wurde das Ersteigen nur durch kleine Löcher möglich gemacht
die man in den Stein gehauen hatte und worin die klugen
Thiere vorsichtig ihre Füße setzten und so aufwärts kletterten
Obendrein wurde diese Paffage noch durch den vielen Schnet
beschwerlicher gemacht, und wäre ganz unzugänglich gewesen
wenn die heftigen Winde, die hier oben wehten, es zugelaffen
hätten, daß der Schnee die ganze Spitze bedeckte; so aber
konnte er sich nur hie und da erhalten, wo ihn Felswände
schützten, aber an solchen Stellen war er oft mannshoch zu-
sammengethürmt.
Bald jedoch hatten wir diesen Weg und die Wolken
im Rücken, aus denen ich die Mucker und Thiere hinter
mir einzeln, wie aus einem großen Wafferspiegel, auftauchen
und an's feste Land treten fah. Der Himmel, den früher
die Wolken, über welchen wir uns befanden, bedeckt hatten,
sah jetzt klar und freundlich blau auf uns hernieder.
Die Hochebene, über die wir nun ritten, glich einer
Insel im Meere, denn wie mit brandenden Wellen war sie
rings von den Wolkenmaffen umgeben, die sich hin- und
herbewegten und bei jedem Windstoß ihre Gestalt verändernd,
die Täuschung vollkommen machten. Aus diesem Meere
hoben sich rechts und links die höchsten Spitzen des Gebirges,
der Dschebbel Scheich und der Dschebbel Sanin, achttausend
Fuß hoch, die mit ihren im Sonnenlicht glänzenden Schnee-
mänteln wie Eisberge aussahen. Doch nur kurze Zeit hatten
wir einen etwas bequemeren Weg. Bald verengte er sich
wieder und wand sich, sanft ansteigend, um eine höhere
Spitze des Berges, die uns zur Rechten lag, wo er gefähr-
licher als je wurde. Zur Rechten hatten wir eine fast senk-
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rechte Bergwand und links eine der tief hinabreichenden
Schluchten, von denen ich oben sprach. Der Pfad selbst
war höchstens zwei Fuß breit, mit Schnee bedeckt und nicht
einmal gerade, sondern nach der Schlucht zu etwas abschüffig.
Die Thiere konnten natürlich nur eins hinter dem andern
gehen und drückten sich, die Gefahr kennend, so fest wie
möglich gegen die Bergwand, den Reiter nicht selten unan-
genehm gegen die Felsen stoßend. Die Schlucht links
gewährte einen eigenthümlich großartigen Anblick. Die
Wolkenmaffen hatten sich etwas gesenkt und ließen uns
vielleicht hundert Fuß weit hinabsehen; dann versperrten sie
die Aussicht und die grauen bewegten Nebel sahen nicht
anders aus, als feyen sie der Rauch von einem ungeheuren
Feuer, das dort unten flamme. Etwas weiter hinauf sahen
wir sie von der Sonne rosig gefärbt und man konnte glauben,
in einem coloffalen Theater zu seyn, wo am Schluß des
Stücks die Wolken, die die Genien getragen, langsam ver-
schwinden – mit ihnen verschwand die Poesie, welche die
Gegend verschönte und der Schauplatz verwandelt sich in die
frühere öde Gegend. -
So wie es wohl nicht leicht ein zweites Gebirge gibt,
das sich, wie der Libanon, z. B. bei Sonnenuntergang, in
prächtigere Farben kleidet, die von Minute zu Minute
wechseln, so gibt es auch wohl keins, das so sonderbar
geformte und in ihrer Gestaltung so verschiedenartige Thäler
aufzuweisen hat, wie dieses. Bald sind sie wild und rauh,
mit chaotisch auf einander gethürmten Felsenmaffen, unheim-
lich, als ruhe der Fluch des Schöpfers auf ihnen, bald
findet der Blick, der suchend über die Spitzen irrt, ein
anderes, das den vollkommensten Gegensatz bildet.
So erinnere ich mich besonders eines, in das ich meine
Gedanken und Träume versenkte, bis mir eine Biegung des
Wegs seinen Anblick entzog. Zwischen rothen kahlen Felsen
Z48
lag es, klein aber freundlich, mit frischen Wiesen und grünen
Sträuchern, und besonders schön war es, daß ein ebenfalls
grün bewachsener Hügel die weitere Aussicht hemmte, den
Blick abhielt, die dahinter liegenden Felsen zu sehen und
dagegen den Gedanken gestattete, sich noch Schöneres aus-
zumalen, was in der Wirklichkeit hier nicht vorhanden war.
Es war mir wie ein Thal aus der Heimath. Hinter jenem
Hügel mußte ein kleines Dorf liegen und nur die aufstei-
genden Abendnebel hinderten mich, den Kirchthurm mit der
blanken Spitze zu sehen; doch das Geläute der Glocken hörte
ich – deutlich hörte ich es und wenn mir auch mein Auge
fagte, es feyen die Schellen unserer Saumthiere, so glaubte
ich ihm doch nicht, und blickte scharf nach dem hübschen
Thal, um bald die Häuser zu sehen, deren Fenster, von der
Abendsonne bestrahlt, in hellem Feuer brannten. Ach, in
einem Thal, was diesem glich, hatte ich einstens schöne
Tage verlebt; es war aber auch nur eine Täuschung und
nach kurzer Zeit trat das Schicksal, wie jetzt die Felsen,
zwischen mich und das Thal, und ich mußte wie hier auf
ewig Abschied davon nehmen.
Ueber den mittlern und höchsten Bergrücken waren wir
nun glücklich hinüber und noch einmal, aber in ein weniger
wilderes Thal, wie das erste, hinabsteigend, sahen wir den
dritten und letzten Gebirgszug des Libanon vor uns, an
dem unser heutiges Nachtquartier liegen sollte. Die Sonne
war herabgestiegen und aus den Thälern und Schluchten
erhoben sich dunkle Nebel. Unsere Pferde, denen der heutige
Marsch etwas stark mochte vorgekommen seyn, schienen sehr
ermüdet, und doch eilten die Mucker so rasch wie möglich
vorwärts, um den Chan baldigst zu erreichen, bis wohin wir
noch eine beschwerliche Strecke Weges haben sollten, beson-
ders unangenehm für uns, da die Nacht, die hier fast ohne
Dämmerung sehr rasch eintritt, noch ehe wir den letzten
349
Höhenzug erreicht, völlig eingebrochen war und sich heute so
finster anließ, daß ich für meine Person die nächsten Gegen-
stände nicht mehr unterscheiden konnte. Obendrein hatten
sich am Himmel schon mehrere Stunden lang neue Wolken
gesammelt und es fing an zu schneien, eine Unannehmlichkeit,
die noch durch den scharfen Wind, der uns aus dem Thale
entgegenbließ, vermehrt wurde.
Unser Weg führte einen Bach hinab und bildete keine
angenehme Paffage. So fatal die Dunkelheit in einer Art
war, so hatte sie doch den Vortheil, daß wir die Gefahren
des Weges nicht so sehen konnten und man mußte in Gottes
Namen den Vorhergehenden folgen; rutschten die eine Strecke
mit den Pferden hinab, so wußte ich, daß mir gleich daffelbe
passieren würde, und machte mich auf einige Stöße gefaßt.
Zuweilen bildete unsere Caravane einen großen Knäuel, bei
dem es noch ein Glück war, daß unsere armen Thiere sehr
ermüdet waren und deshalb nicht anfingen zu schlagen; bald
zog sich die Gesellschaft lang aus einander und wurde nur
durch das Schreien der Mucker wieder zusammengebracht,
die, wie die türkischen Posttartaren, unnachahmlich heulten,
um bei der Dunkelheit den Weg anzuzeigen.
Nach einer Stunde erblickten wir vor uns etwas, wie
ein großes Felsstück, nur regelmäßig geformt und dadurch
sich von den übrigen unterscheidend, das die Mucker mit
lautem Geschrei begrüßten. Es war unser Chan, und wir
Alle fühlten uns glücklich, in dem Unwetter des Schnee-
sturms endlich ein Obdach zu haben, mochte es nun im
Innern aussehen, wie es wolle. s
Dieser Chan, feinen Namen wußten die Leute selbst
nicht, war ein ziemlich großes Gebäude, durch lose auf ein-
ander gefügte Steine aufgeführt, deren Ritzen mit Moos
und Erde verstopft waren. Die Mauern mußten ungefähr
zwanzig Fuß Höhe haben. Das platte Dach bestand aus
350
Palmbaumstämmen, die man neben und über einander gelegt
hatte, und deren Zwischenräume ebenfalls mit Moos und
Erde verstopft waren; oben lag eine Schicht großer Steine,
die das Dach gegen den Sturmwind schützten, der es sonst
in kurzer Zeit herabschleudern würde. Auf gleiche Art sind
alle Chans oder Wirthshäuser durch ganz Syrien gebaut.
Im Innern war unser heutiges in drei Theile geheilt,
wovon der größte den Stall, ein anderer das Bedienten-
zimmer und der dritte unser Appartement vorstellte. Alle
drei glichen sich in ihrer innern Einrichtung so ziemlich, nur
war der Stall durch die Wärme der Thiere und das hinein-
geworfene dürre Laub und weniges Stroh am wohnlichsten
und bot den meisten Comfort. Neben diesen Localen befand
sich noch in dem Chan eine Art Vorhaus, oder beffer gesagt,
das Dach war einige Schuh vorgebaut und bildete, durch
Palmbäume unterstützt, einen Schuppen, unter den die Saum-
thiere getrieben wurden, damit man sie bei einem Wetter
wie das heutige im Trockenen abladen konnte.
Die meisten dieser Chans sind, wenn man es so nennen
will, Stiftungen, indem vielleicht ein Reisender, der kein
Obdacht fand, hier unter freiem Himmel übernachten mußte,
und später aus Humanität für Andere, die sich in gleichem
Falle befänden, das Gebäude aus feinen Mitteln aufführen
ließ. Daß hier an keine Wirthschaft zu denken ist, und
jeder nur das hat, was er mitbringt, versteht sich von selbst;
nur in einigen der größten, die auf den Hauptstraßen liegen,
wie auch unser heutiges, halten sich zuweilen Araber auf,
die den Reisenden, natürlich zu immensen Preisen, Brod,
Kohlen, so wie auch Stroh und Gerste für die Thiere
verkaufen.
Unsere Mucker, die einige Schritte voraus waren, ritten
gleich unter das hervorragende Dach, um abzuladen, und
wenn wir auch gewohnt waren, bei derlei Geschäften ein
Z51
großes Geschrei und Spektakel zu hören, so erhob sich doch
gleich nach ihrer Ankunft ein solch entsetzlicher Lärm von
Menschenstimmen und Wiehern der Pferde, daß wir eilig
hinzuliefen, um nach der Ursache des Spektakels zu sehen
– was war es? das Haus und den Vorplatz hatte ein
türkischer Oberst, der von Damaskus kam, mit seinem Ge-
folge eingenommen und da nicht alle Pferde im Stale Platz
fanden, waren mehrere unter dem Vordache angebunden, die
nicht so friedlicher Natur, wie die unserer Mucker, anfingen
auszuschlagen, worauf die Türken, die Gott weiß welchen
Ueberfall vermuthen mochten, mit Waffen und Feuerbränden
aus dem Hause stürzten, um sich zu vertheidigen oder viel-
leicht auch nur – um davon zu laufen. Bei unserem An-
blick stutzten fie, beruhigten sich jedoch, als ihnen der Baron
bedeuten ließ, wir feyen Reisende wie sie und suchten Nacht-
auartier, und einer der Türken, ein stattlich aussehender
Mann, legte die Hand an"s Feß und sagte uns das wohl-
bekannte Mafchallah (Gott segne deinen Cingang). So
war der Friede wieder geschloffen. Die Reiter banden ihre
Pferde etwas entfernt von den unsrigen, und während sich
die Mucker mit Abpacken beschäftigten, traten wir in das
Gemach. Hier sah es ziemlich unheimlich und trostlos aus.
Gott, da kam uns kein Oberkellner mit einem Dutzend Unter-
kellnern entgegen, Servietten auf dem Arm und Wachslichter
in den Händen, um die Nummern unserer wohl eingerichteten
Zimmer abzurufen. Hier war nur eine einzige Nummer und
so niedrig, daß der Baron kaum aufrecht darin stehen konnte.
Der Boden bestand aus zusammengetretener Erde, in der
Mitte befand sich eine Vertiefung, worin glühende Holz-
kohlen lagen, die eine dreifache Bestimmung hatten, den
Caffee daran zu kochen und das Gemach zu erwärmen, so
wie es zu beleuchten.
352
Der Oberst, als solchen machte ihn der diamantene
Nischah auf einer Brust kenntlich, war so gütig, seine Be-
gleitung vom Jüs-Bafchi (Hauptmann) abwärts, in das
andere Gemach zu schicken, damit für uns Platz würde.
Nachdem Giovanni unsere Mäntel und Decken, auch brennen-
des Licht hereingebracht, richteten wir uns so behaglich als
möglich ein. Der Kammerdiener des Fürsten, Scandar,
kochte einen ächt russischen ausgezeichneten Thee, der uns
innerlich erwärmte und den gefrorenen Humor aufhauen ließ.
Dann foupirten wir, indem wir Fleisch und Brod auf einer
ledernen Pferdedecke ausbreiteten, stopften unsere Pfeifen und
gaben den aufhorchenden Türken noch ein Vocalconcert zum
Besten. Fürst Aslan sang Verschiedenes aus dem Barbier
von Sevilla, der Baron aus Norma: Zu dieser Stunde
sollst du erfahren c. und ich trug das bekannte Duett aus
den Puritanern vor.
- So sehr jedoch den Oberst und seine Gefährten unser
Gesang und uns die Freude dieser Leute amüsierte, fühlten
wir doch bald das Bedürfniß zum Schlafen und machten
Anstalten zu Bette zu gehen; ein Stein wurde zum Kopf-
kiffen genommen, der Baron wickelte sich in eine ungarische
Bunta, von der er mir jedoch großmüthig ein Stück zukommen
ließ, die Türken legten die Pfeifen weg und bald herrschte
tiefe Stille, nur zuweilen von dem Heulen des Sturms
draußen oder von dem Schnarchen eines der Schläfer unter-
brochen. Es war aber ein sehr unbequemes Bett. Man
mußte die Beine beständig an sich ziehen, um sich nicht an
den Holzkohlen, die in der Mitte des kleinen Gemachs
brannten, zu verengen. Aber müde, wie wir waren, ent-
schliefen wir bald. Doch dauerte unsere Ruhe nicht gar
lange. Ich erwachte nach einigen Stunden von einem Ge-
räusch, herabfallenden schweren Regentropfen ähnlich, wie sie
im Sommer als Vorposten eines Gewitters ankommen. Ich
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verhielt mich ruhig, um den Schlaf der Andern nicht zu
stören und fühlte nur, da mir ahnte, was es seyn könnte,
mit der Hand auf meinem Pelz und dem Boden herum.
O weh! da war. Alles naß. Von der Decke fielen wirklich
schwere Tropfen und in nicht geringer Anzahl. Der Schnee,
der den Tag über auf das Dach gefallen war, schmolz durch
die Wärme unseres Feuers und drang durch die schlecht
zusammengefügten Baumstämme, bei diesem Durchsieben von
dem darauf geworfenen Lehm mit sich führend, so daß
zugleich Schmutz und Waffer auf uns fiel. Der Baron
richtete sich ebenfalls in die Höhe und der arme Fürst, der
unglücklicher Weise in einer Ecke lag, versicherte uns mit
feinem Lieblingsschwur parole d'honneur, er liege in einer
wahren Sauce und fey schon lange wach.
Nach langem Berathschlagen, was zu thun fey, wurden
wir mit dem türkischen Oberst einig, Feuer anmachen zu
laffen und Kaffee zu kochen, um so den Morgen zu erwarten.
In Kurzem war. Alles munter. Etliche zehn Pfeifen dampften.
Ich aber nahm den Burnus eines unserer Araber und ging
vor das Haus, mich im Freien ein wenig umzusehen.
Es war eine wilde Nacht. Das Schneegestöber hatte
aufgehört und der Sturm lag zwischen den Felsenzacken
und pfiff aus dem zerriffenen Gestein die seltsamsten Melodieu.
Unser Chan stand hart an der abschüssigen Wand eines
Thales, das lang vor mir ausgestreckt lag und in feiner
Wildheit dem Wohnorte böser Geister glich. Hie und da
erhoben sich aus dem Dunkel riesige Gestalten, einzeln
stehende Felsen, die oben mit Schnee bedeckt, wie mit weißen
Gesichtern zu mir aufblickten.
Hinter dem Hause war ich vor dem Winde etwas
geschützt; doch wie ich vortrat, um eine weitere Ausficht zu
haben, packte er mich und ich mußte einen Zacken des Ge-
steins faffen, um nicht hinabgeschleudert zu werden. Da
Hackländer, R, in d. O. I. 23
354
hing ich, zu meinen Füßen ein unermeßlicher Abgrund,
durch den die Winde außten und mir spottend zuriefen,
mir, ihrem Herrscher, den die empörten Elemente verbannt
und hier oben angekettet hatten. Ich war ein anderer
Prometheus. Mein Burnus flatterte um mich, wie die
Fittige der Geier, und schlug mich ins Gesicht – mir war
mein Zauberstab entfallen und keine freundliche Macht half
mir die empörten Vasallen zur Ruhe zu bringen und zu
bändigen; alle befreundeten Mächte flohen – alle. Die
meisten hatten mich eilfertig verlaffen, nur eine zögernd
langsam und sich oft nach mir umsehend, und so wie sie
mir von Neuem in's Gesicht sah, ging sie stets langsamer
und immer langsamer und blieb endlich stehen, mit sich selbst
kämpfend, ob sie zurückkehren und mir helfen solle oder nicht.
– – Und sie kam zurück in raschem Sprunge, klammerte
fich an mich – meine Phantasie – und ich war wieder
mächtig wie früher –.
Dem Blitze gleich fuhr mein Zauberwort in das Thal
vor mir, bändigte den Sturm und ließ die Felsen aufhorchen.
Die Winde heulten nicht mehr in ungleichen Weisen nach
Belieben durch einander, die Bergwaffer rauschten nicht mehr
taktlos dazwischen, Alles hörte auf mich – ich hatte meinen
Zauberstab wieder und dirigierte – eine Sturmsymphonie –
ein wildes Werk, der erste Satz ein gewaltiges Allegro,
zu welchem obligate Wolkenzüge den Himmel schwärzten und
finstere Streiflichter über mein ganzes Orchester warfen.
Beim zweiten Satz schwieg der Sturm, die zitternden Nadeln
der Fichten und die Bergwaffer hatten ein heimliches Solo,
leise und flüsternd – und der Kamm des Gebirges vor mir
färbte sich heller, denn der späte Mond stieg blutroth empor,
ein herrlicher Anblick! Deutlich konnte ich die seltsamen
Formen der Felsen dort erkennen, von denen besonders eine
Parthie meinen Blick anzog; je länger ich hinblickte und je
355
höher der Mond stieg, die Umriffe schärfer heraushebend, um
so deutlicher fah ich, daß die Formen zu egal waren, um
von der Natur hervorgebracht zu feyn – jetzt, es durchzuckte
mich eigen, verschwand die rothe Scheibe hinter den Felsen
und zeichnete wie auf goldenem Grunde in schwarzen Umriffen
ein Schloß mit zerfallenen Thürmen dahin, dessen Fenster-
höhlen, durch welche das Mondlicht fiel, seltsam beleuchtet
erschienen. –
Mein Orchester schwieg, Bach und Bäume endigten ihr
Solo, und Alles sah erwartend zu dem Monde auf, der,
nachdem er mir die alte Burg gezeigt, sich ruhig fortbewegend
höher stieg, um auf dem mächtigen Felsen, mir gegenüber
gelagert, seine große Arie vorzutragen; kokett, wie alle erste
Sängerinnen, legte er zuvor ein langes Kleid von Silber-
stoff zurecht, das bis tief in die Schlucht hinabreichte und
auf den Spitzen der Bäume und Felsen ausgebreitet, die
glänzendsten Stickereien zeigte. Dann begann er, und fang
in schönen schmeichelnden Tönen von dem alten Schloffe
drüben – von dem Schloffe der Affaffinen! Ja, dort hatte
er gehaust; der Alte vom Berge, dort hinter jenen hohen
Mauern hatte er ein Paradies erschaffen und sandte die in
wollüstigen Genüffen erzogenen Jünglinge mit seinen blutigen
Befehlen gegen die Feinde aus, die, durch alle Gefahren
sich Bahn brechend, seine Worte blindlings befolgten, denn
er hatte ihnen den Glauben eingeprägt, daß sie mit dem
Stoß ihres Dolches sich die Rückkehr und den ewigen Aufent-
halt in jenem Paradies der Luft und Wonne erwerben könnten.
Mit Tagesanbruch packten unser Mucker auf und wir
genoffen eine Chocoladensuppe, die uns ausgezeichnet schmeckte
und erwärmte. Unsere Karawane hatte sich um einige Mann
vermehrt; denn vier Beduinen, die ebenfalls nach Damaskus
23
356
wollten, erboten sich gegen ein geringes Trinkgeld, uns zu
begleiten und in vorkommenden Fällen zu beschützen; nach
ihrer Angabe war die Tour zwischen dem Libanon und
Antilibanon, besonders die Wege in letzterem Gebirge höchst
unsicher. Die Söhne der Wüste hatten wie fast alle, kräftige,
aber hagere Gestalten. Sie waren mit dem großen wollenen
Burnus bekleidet und mit Säbeln und langen Lanzen bewaffnet,
ihre Pferde von arabischer Zucht klein und schmächtig, aber
ausdauernd.
Wir schieden von dem türkischen Oberst, der nach Beirut
ging und zogen eine Zeitlang längs dem Thale, an welchem
unser Khan stand, auf einem ziemlich guten Wege, das heißt
nach syrischen Begriffen, der sich allmählig und nicht sehr
steil abwärts senkte. Dicht vor uns mußte die herrliche
Fläche, die der Libanon vom Antilibanon scheidet, liegen,
jene fruchtbare Ebene, die ihrer Schönheit wegen einfach
„Bekaa“, das Thal heißt; doch sahen wir nichts davon.
Zwischen die beiden Gebirge hatte sich ein dichter weißer
Nebel gelagert, aus dem nur die Spitzen des Antilibanon
hervorsahen. Die weißen Wolken glichen einem großen
Landsee. Die Täuschung war so vollkommen, daß wir uns
im ersten Augenblicke fragten, welches Waffer dort feyn
könne. Zu unserer Rechten thronte das verfallene Schloß,
von dem mir gestern Abend der Mond erzählt, eine Sage,
die unser Dolmetscher bestätigte. Dort fey ein Schloß der
Affafinen, sprach er, und machte dabei eine Bewegung des
Halsabschneidens. Nach einer Stunde mühsamen Hinab-
steigens erreichten wir das Nebelmeer und kamen durch ein
kleines armseliges Dorf, bei dessen Eingang wir einen Trupp
von etlichen hundert Mann ägyptischer Infanterie, Deserteure
trafen, die von Damaskus kommend in den Bergen des
Libanon, ihrer Heimath, es waren Syrier, eine Zuflucht
suchten.
357
Bei ihrem Anblick hielt Mechmet einen weithin schatten-
den Wurfspieß sehr hoch, unsere Beduinen faßten ihre Lanzen
wie zur Vertheidigung. Doch waren diese Vorsichtsmaß-
regeln unnöthig. Der ganze Trupp verlor sich bei unserer
Ankunft rechts und links zwischen den Häusern. Diese
Leute waren in weiße Leinwand gekleidet, hatten wie die
Türken ein rothes Feß und fast gar keine Waffen; nur hie
und da sahen wir eine rostige Flinte oder ein paar lange
Pistolen; auch hatten einige Säbel. Die meisten trugen
dagegen nur einen langen Stock. - -
Unser Giovanni glaubte, sie feyen uns nur deshalb so
friedlich aus dem Wege gegangen, weil sie befürchtet, wir
feyen nur der Vortrab eines größeren Trupps Engländer,
die sich vielleicht gegen Damaskus in Marsch gesetzt. Bald
waren wir ganz in die Nebel hinabgestiegen, die so dicht
waren, daß wir von dem schönen Terrain, durch welches
wir ritten, auch nicht das Geringste erblickten. Keiner sah
den Andern, obgleich wir nur wenige Fuß von einander ent-
fernt ritten. Der Boden war Haide, mit Waffergräben
und zahlreichen Bächen durchschnitten. Bald mußten die
Pferde darüber springen, bald mußten wir sie auf holprigten,
halb zerfallenen Steinbrücken übersetzen. So ritten wir ohne
die geringste Aussicht bis gegen Mittag, wo die Strahlen
der Sonne endlich zu mächtig wurden, durch die Nebel
drangen, sie zerriß und verjagte. In weniger Zeit hatte sie
dies Geschäft vollbracht und drängte die weißen Maffen rechts
und links in die Schluchten der beiden majestätischen Gebirge,
die das schöne Thal einfaffen, uns plötzlich auf dasselbe eine
weite prächtige Aussicht eröffnend. –
Herrlich und schön ist diese Ebene, doch nicht durch
mannigfaltiges Grün oder durch üppig emporstrebende Wal-
dungen, nicht durch freundliche Häuser oder durch die geord-
nete bunte Zeichnung vieler Getreidearten, die unsere Thäler
358
so schön färben, nein, sie ist fast ohne Baum und Strauch
gelblich grau wie unsere Haiden, aber viele kleine Bäche,
welche sie durchschneiden, geben dem Boden einige Schatti-
rung; denn, wie ich schon früher fagte, wo sich im trockenen
Boden dieser Länder Waffer zeigt, schießen augenblicklich
kleine Pflanzen daran empor, welche die Bäche saftig grün
einfaffen und so das Land zierlich durchschneiden. So ist
diese Ebene, und wäre für sich ziemlich öde und einförmig;
aber die beiden gewaltigen Gebirge, Libanon und Antilibanon,
begränzen dies Thal und geben ihm so einen wunderbarsten
Reiz. Was ich schon früher von der reichen Färbung des
Libanon sagte, findet auch auf seinen gewaltigen Nachbar
Anwendung, und so bilden beide einen bunten prächtigen
Rahmen, aus dem die Ebene lieblich hervortritt, am schönsten
aber bei Baalbek, wovon ich später erzählen werde.
Bald kamen wir an einen einzeln stehenden Hügel, auf
dem sich ein kleines Gebäude mit einer Kuppel befand, wahr-
scheinlich das Grab irgend eines orientalischen Heiligen, und
erreichten gleich darauf den Antilibanon, der hier mit einer
schmalen Bergkette, die er wie ein gewaltiges Fühlhorn vor
sich hinstreckt, beginnt. Auf der Höhe derselben sahen wir
wie gestern im andern Gebirg ebenfalls ein altes verfallenes
Gemäuer stehen, nach der Versicherung unseres Dolmetschers
auch ein Schloß der Affainen. Dies hier auf dem Antili-
banon fey ein Gefängniß gewesen, behauptete er gehört zu
haben, wußte jedoch nichts weiter. – Wenn man der Phan-
tasie glauben wollte, die so gern geschäftig ist, um ein altes
Denkmal, fey es Burg oder Kloster, ihre poetischen Fäden
zu ziehen, so hatte Giovanni Recht, eine schönere Aussicht,
wie man oben von dem Thurme des Schloffes haben mußte,
war nicht leicht denkbar. Die Kette des Libanon, die man
dort von den höchsten schneebedeckten Spitzen vielleicht bis zu
seinen Ausläufern in Palästina verfolgen konnte, hatte man
259
vor sich. Man sah die ganze Ebene bis nach Baalbek, dem
schönen Sonnentempel, der damals noch in seiner ganzen
Pracht und Herrlichkeit stand, und der Antilibanon deckte dem
Auge eine heimlichsten Stellen, eine wildesten Schluchten
auf – dort in dem Schloß wurden wahrscheinlich die Unge-
horsamen eingesperrt, man ließ sie hinaus sehen in die himm-
lische Gegend, die sie nie mehr betreten durften und wahr-
scheinlich unter Martern aller Art ihr verlornes Paradies
beweinen.
Ein unangenehmer Zufall störte hier für eine Stunde
unsern Marsch. Unser guter Baron, der sonst einer der
ersten immer im Zuge war, blieb heute auffallend zurück und
war auch so außergewöhnlich stille, daß ich ihn mehrmals
fragte, ob ihm unwohl fey, was er jedoch beständig verneinte.
Jetzt war er aufs Neue weit zurückgeblieben, und als ich
ihn erwartete, bemerkte ich mit Schrecken, daß er sehr blaß
und angegriffen aussah, auch gestand er mir jetzt, er fey
schon am Morgen nicht wohl gewesen, uud jetzt auf einmal
überfalle ihn eine heftige Uebelkeit und eine so starke Kolik,
daß er einige Augenblicke anhalten müffe. Mich überfiel eine
unbeschreibliche Angst, und ich dachte schon an Gott weiß was
für eine Krankheit, die sein Leben bedrohe, dachte an An-
steckung, sogar an die Pest, die uns die Türken, unsere
Schlafkameraden mitgetheilt haben könnten. Ich rief die
Mucker mit dem Gepäck herbei, und wir stiegen. Alle ab,
suchten auf der Haide herum nach trockenem Gesträuch, um
ein Feuer aufzumachen und Thee dabei zu kochen, was uns
auch nach einiger Zeit gelang. Glücklicher Weise verminderte
sich bald das Unwohlseyn unseres lieben Gefährten; er sagte
es wenigstens, vielleicht nur um den Zug nicht länger auf-
zuhalten; denn fo gern er Anderen mit Aufopferung stets
behülflich war, so unangenehm war es ihm, wenn er glaubte,
man fey feinetwegen gemirt oder auch nur für ihn beschäftigt.
Z60
Wir bepackten die Thiere wieder, wurden jedoch durch die
Ankunft eines persischen Kaufmanns, der mit einem Gefolge
von zehn Reitern von Damaskus kam, noch eine kurze Zeit
aufgehalten. Der Perser ritt ein schönes turkomannisches
Pferd, Schimmelhengst, das er geneigt schien, zu verkaufen;
doch der Baron, der sich "trotz eines Unwohlseyns beim An-
blick eines schönen Pferdes gleich eifrig dafür interessierte,
daß das Thier schon zu alt und deshalb für ihn nicht paffend
sey. Nach einigen Worten, Begrüßungen und gegenseitigen
Fragen über Damaskus und Beirut, wobei diesesmal der
Fürst den Dolmetscher machte, schieden wir, und der Perser
gab seinem Pferde die Sporen, um uns die Schnelligkeit
deffelben zu zeigen und flog wie ein Vogel über die Ebene
hin, seine Begleiter weit zurücklaffend.
Wir zogen langsam unseres Weges und erreichten nach
Verlauf einer halben Stunde den Antilibanon. Bald hatte
uns eine weite Schlucht aufgenommen, die sanft ansteigend
uns fast unmerklich in die Höhe führte. Indeffen war es
Mittag geworden, die Sonne stand an dem wolkenlosen
Himmel hoch über unsern Häuptern und ihre Strahlen
brannten, von den kahlen Felswänden abprallend, nicht
schlecht auf uns. Doch nur ein paar Stunden; denn wir
waren im Januar und befanden uns auf einer ziemlichen
Höhe über der Meeresfläche.
Der Weg durch den Antilibanon führte nicht wie unser
gestriger über bedeutende Höhen, sondern ging meistens durch
Schluchten und dem Lauf von Bächen entlang. Nachdem
wir die erste unbedeutende Höhe erstiegen, ritten wir ein
kleines, rings von hohen Bergen eingeschloffenes Thal abwärts,
in dessen Mitte sich eine Anzahl so sonderbar geformter
Steine befand, daß wir sie aus der Ferne für die Zelte
irgend eines nomadisierenden Volks hielten. Dann betraten
wir eine neue Schlucht von fürchterlicher Schönheit. Unser
361
Weg, kaum zwei Fuß breit, lief neben dem vielleicht mehrere
zwanzig Fuß tiefer liegenden Bett eines Fluffes vorbei, der
aber nur wenig Waffer enthielt. Dieser Pfad war entsetzlich
schlecht und beschwerlich für die Thiere. Zuweilen hörte er
ganz auf, und sie mußten an dem abschüssigen Ufer hinklettern
auf lockerem Geröll, wo sie ihre Füße kaum halten konnten,
was besonders für die bepackten Maulthiere sehr schwierig
war und die armen Geschöpfe oft zum Fallen brachte. Hie
und da versperrten große Steine das Weitergehen, über die
man entweder hinwegklettern, oder sie umgehen mußte.
Dabei denke man sich eine Schlucht, kaum fünfzig Fuß breit
mit senkrecht aufsteigenden Felswänden, die vielleicht vier
bis fünfhundert Fuß hoch waren, natürliche Mauern, von
keinem Strauch, fast keinem Moos belebt. Man wird mir
glauben, wenn ich sage, daß wir diesen Weg still und in
mannigfaltige Gedanken versunken zurücklegten. Einzelne
Felsblöcke, die die Wände neben uns krönten, bildeten oft
die seltsamsten Gestalten. Bald schienen es Riesen zu seyn,
die dort oben saßen und uns kleinen Geschöpfen lächelnd und
verwundert zusahen; bald sonderbare Thiergestalten; dort hob
sich ein Schloß mit schön gezackten Mauern und stattlichen
Thürmen und hier waren in der glatten Mauer regelmäßige
Riffe und Sprünge, Schriftzeichen ähnlich; wahrscheinlich
war es die Schreibtafel des Berggeistes, der hier hauste.
Am Ende dieser Schlucht, wo der Bach, der hier durch-
fließt, einen kleinen Fall bildete, hielten wir einige Augen-
blicke, um einen kleinen Imbiß zu uns zu nehmen und die
Thiere etwas ausruhen zu laffen. Dann stiegen wir einen
vor uns liegenden Berg hinauf, der einzige auf unserem
Marsche, der ziemlich hoch und dabei außerordentlich steil
war. Doch hatten wir von einer Höhe bis zu unserem
heutigen Nachtlager dafür auch beständig abwärts zu reiten,
wie unsere Mucker versicherten und nicht mehr sehr weit.
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Der Tag neigte sich auch seinem Ende und wir trieben so
viel wie möglich, um rascher vorwärts zu kommen, besonders
der Baron, denn, obgleich sich sein Unwohlseyn etwas ge-
mindert, fühlte er sich doch noch sehr angegriffen und wünschte
so bald wie möglich ein Obdach und Ruhe zu haben. Da
wir wegen den bepackten Maulthieren nur im Schritt reiten
konnten, so machte Giovanni den Vorschlag, der Prinz,
der Baron und ich möchten mit den Beduinen, die den Weg
genau kennten, schneller vorwärts reiten und er würde mit
dem Gepäck langsam nachfolgen. Nachdem uns darauf einer
der Beduinen mit vielen Pantomimen versichert, er kenne
den Weg nach Schiras, so hieß das Dorf, wie ein Pferd,
trabten wir mit ihnen vorwärts, zuerst längs einem tiefen
Thale, und auf einem Weg, der glücklicher Weise mehr
aus Sand als aus Steinen bestand, so rasch als möglich
fort. Schon eine Stunde ritten wir so beständig abwärts,
meistens am Rand von Thälern, die in ihrer runden keffel-
artigen Form abgelaffenen Fischteichen glichen, dann ging es
kurze Zeit etwas steil hinab, und wir kamen an einen Bach,
über den eine steinerne Brücke führte. Cinige hundert Schritt
von dem Bach lag ein kleines Gebäude, ein Chan, in dem
sich jedoch Niemand befand. Wir passierten die Brücke und
ritten einer neuen Schlucht zu, die sich zwischen himmelhohen
Felsen, welche die zweite Kette des Antilibanon bilden,
unseren Blicken öffnete. Wenn auch nicht so furchtbar, wie
die früher beschriebene, hatte die Schlucht doch ebenso seltsam
geformte und steile Felsen wie jene. Allein hier rückten
einem die Wände nicht so beängstigend auf den Leib wie in
jener, sondern waren mehr zerklüftet und ließen hie und da
eine Aussicht frei. Von zwei Wegen, die sich uns kurze
Zeit darauf darboten, wählten die Beduinen den untersten;
doch kam es mir etwas verdächtig vor, daß sie hiebei eine
Weile gezaudert. Von Neuem abwärts steigend, kamen wir
363
an das Ufer eines Fluffes, es war, wie wir später hörten,
der Barrada, der ungefähr vierzig Fuß tiefer als unser
Weg, reißend über spitze Felsenblöcke, viele malerische Fälle
bildend und rauschend neben uns dahin schoß. In ihn
ergoffen sich rechts und links von den Bergen kleine Bäche,
deren Waffer hie und da üppige grüne Wiesen hervorgebracht
hatten, welche der wilden Gegend einen freundlichen Reiz
verliehen. Zuweilen waren diese Wiesen von mächtigen Fels-
blöcken so ordentlich eingefaßt, als hätten es Menschen, oder
vielmehr Riesenhände gethan, und wenn man dabei die
feltsame Form der umstehenden Felsen sah, die bei einiger
Phantasie coloffale Villen, Monumente und Statuen bildeten,
wie man sie in einer Parkanlage trifft, so konnte man die ganze
Gegend hier für einen großen Garten halten, der im Riesen-
geschmacke angelegt war.
Der Abend war indessen schon mächtig hereingebrochen,
weshalb wir langsamer abwärts ritten. Zuweilen glaubten wir
das Dorf und unsern Chan vor uns zu sehen, denn oft kamen
wir an so seltsam regelmäßig geformten Felsmaffen vorbei,
daß wir aus einiger Entfernung darauf geschworen hätten:
es feyen Häuser. Aber nein! anstatt auf einen befferen
Weg und zu Menschen zu kommen, führte uns vielmehr der
Pfad, den wir betraten, immer tiefer hinab, stets schlechter
und schmaler werdend, bis ans Ufer des Barrada und hörte
hier plötzlich ganz auf. Jetzt war es auch so dunkel gewor-
den, daß wir nicht mehr fehen konnten, wo unsere Pferde
hintraten. Sie glitten beständig aus und mochten wohl
merken, daß das Terrain nicht ohne Gefahr für sie fey.
Neben uns brauste der reißende Fluß und über uns waren
Felswände, die abhängende Wiesendächer hatten, auf denen
mächtige Steinmassen so leicht anfzuliegen schienen, daß man
oft glauben konnte, es bedürfe nur des geringsten Anstoßes,
um sie weiter hinab auf unsere Köpfe zu stoßen. –
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Jetzt stockte plötzlich unser Zug. Die Beduinen vor
uns schrien laut durch einander und wir, ohne zu wissen,
was sie aufhalte, riefen ihnen zu, vorwärts zu reiten, was
fie stets mit einem lauten Nein! Nein! beantworteten. Man
kann sich unsere rathlose Lage denken. Keiner von uns
wußte, was vorn passiert fey und Keiner konnte die Beduinen
fragen. Der arme Baron, obgleich unwohl, machte, da er
am nächsten vorn war, den Versuch, neben den Beduinen
vorbeizureiten, um an die Spitze zu gelangen und zu sehen,
was es gebe. Doch hätte er und sein Pferd den Versuch
beinahe theuer bezahlt; denn als er das Thier, welches
zuerst nicht von der Stelle wollte, zwang, eine Seitenbe-
wegung zu machen, rutschten beide die steilen Ufer des Fluffes
hinab, die wir so dicht neben uns nicht vermuthet und deren
Anblick die Dunkelheit uns verbarg. Glücklicher Weise konnte
das Pferd aber einige Fuß tiefer sich an einem hervorstehen-
den Felsen halten. Ich ließ mich an der entgegengesetzten
Seite von meinem Pferde herab, kroch unter demselben durch
und wand mich so rasch als möglich bei den Pferden der
Beduinen vorbei, erreichte die Spitze, von wo ich den Andern
gleich die untröstliche Nachricht zurief, daß unsere Beduinen
den Weg verloren hätten und nicht mehr weiter könnten.
Vor mir bemerkte ich, doch ziemlich tief unter unserem Wege,
ein Feuer brennen, zu dem einer der Beduinen hinabgeklet-
tert war, um einen Hirten, oder wer da unten seyn mochte,
zu unserer Hülfe als Führer heraufzuholen.
Trotz diesem höchst unangenehmen Zufall konnte ich
mich doch nicht enthalten, als ich bis vorn durchgedrungen
war, den pittoresken Anblick, der sich mir darbot, laut zu
bewundern. Vor uns war ein tiefer und steiler Abhang,
den der Barrada in gewaltigen Sprüngen hinabbrauste.
Unten neben dem Fluß brannte ein großes Feuer, das zwischen
den Felszacken und kleinen Sträuchen wunderbar hervor-
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leuchtete. Ich gedachte Wielands Oberon, wie Hüon, der sich
ebenfalls in diesem Gebirge verirrte, den alten Scherasmin findet.
Auf einmal gähnt im tiefsten Felsengrund
Ihn eine Höhle an, vor deren finsterem Schlund
Ein praffelnd Feuer flammt. In wunderbaren Gestalten
Ragt aus der dunklen Nacht das angestrahlte Gestein
Mit wildem Gebüsch versetzt, das aus den schwarzen Spalten
Herab nickt und im Widerschein
Als grünes Feuer brennt – – – –
In kurzer Zeit kletterte unser Beduine wieder herauf
und brachte einen Ziegenhirten mit, den er da unten gefun-
den. Wir waren schon zu Anfang der Schlucht, wo sie sich
in zwei Wege theilte, fehl gegangen – ich hatte es richtig
geahnet – und folgten jetzt, um wieder zurecht zu kommen,
dem Hirten, der rechts an einer steilen Wiese in die Höhe
kletterte. Nach dem Beispiel der Beduinen ließen wir unsere
Pferde los und krochen dem Hirten meistens auf Händen
und Füßen nach. Die armen Thiere folgten mit der größten
Mühe und Anstrengung, und so ging es eine Zeitlang auf
wärts, bis wir eine kleine Plattform erreicht hatten, wo
unser Führer auf ein paar Lichter oder Feuer – man konnte
nicht recht unterscheiden, was es war – tief unter uns im
Thale zeigte; das fey Schiras, unser heutiges Nachtquartier.
Ebenso steil wie wir aufwärts geklettert waren, mußten wir
auf der anderen Seite wieder hinab. Glücklicher Weise war
der Weg Wiesengrund und keine Felsen, doch sehr glatt und
obendrein war es so dunkel geworden, daß man fast keine
Hand vor Augen sehen konnte. Unser Herabsteigen war
eine wahre Rutschparthie. Wir liefen so rasch, wie möglich
hinab, um von den uns folgenden Pferden nicht geschlagen
zu werden, denn diese, an ihre Reiter gewöhnt, eilten uns
über Hals und Kopf nach, um uns nicht zu verlieren. In
kürzerer Zeit, als ich geglaubt, waren wir tief hinabge-
Z66
kommen und erreichten einen Weg, der zum Dorfe führte.
Auf einer breiten steinernen Brücke fetzten wir über den
Barrada und kamen noch durch ein wahres Labyrinth von
Felsen, von denen uns hier aber die Dunkelheit nicht viel
erkennen ließ. Dann ging es noch eine kleine Strecke ab-
wärts und wir langten glücklich in dem Dorfe an. Vorne
am Eingange war der Chan, der hier schon aus mehreren
Gebäuden bestand und Karavanferey genannt wurde.
Im Hofe desselben fanden wir Giovanni und die Mucker,
aber rathlos und thatlos. Im ganzen Local hatte sich näm-
lich kein Mensch gefunden, der uns hätte anzeigen können,
wo der Stall und wo die Zimmer feyen. Auch hatte sich
trotz ihres lauten Rufens aus dem Dorfe keine Seele blicken
laffen. Was war zu thun? Der Baron, der kränker war,
als er uns sagte, mußte ein warmes Obdach haben und als
wir das Gepäck abladen wollten, um uns so gut wie möglich
hier einzurichten, fand es sich, daß unser ganzer Kohlen-
vorrath vom Schnee durchnäßt war. Wir beschloffen also,
uns wo möglich durch Güte, sonst aber durch Gewalt, wie
in Kriegszeiten, ein Quartier zu verschaffen. Der Fürst,
der Baron und ich ritten deshalb in's Dorf. -
Gleich am Eingang kamen wir in ein Haus mit einem
Hofraum, in welchem einige Araberinnen standen, die jedoch
bei unserem Anblicke davon liefen. Ich sprang vom Pferd
und setzte ihnen in’s Haus nach. Bei meinem Eintritt in
die Stube versteckten sich ein Paar Weiber schreiend und
ein alter Araber, der beim Feuer lag, würde ihnen gefolgt
feyn, wenn er nicht erst bei meiner Ankunft vom Schlaf
aufgewacht wäre und mich nicht wie ein Wunder regungslos
angesehen hätte. Ich versuchte, ihm mein Anliegen, uns
die Nacht zu beherbergen, pantomimisch darzustellen, was mir
auch durch Vorzeigung einiger Geldstücke so gut gelang, daß er
367
uns Dreien den Eintritt erlaubte. Wir ließen Giovanni und
die Mucker kommen und richteten uns so gut wie möglich ein.
Obgleich unser jetziges Quartier von dem, was wir in
Europa Bequemlichkeit nennen, ganz entblößt war, da wir
weder einen Stuhl zum Sitzen, noch eine Bank zum Liegen
fanden, so war es doch von unserem gestrigen Nachtlager
himmelweit verschieden. Die Stube bestand, wie alle in den
Dörfern, aus zwei fast gleich großen Theilen, einem an der
Thür, zu welcher man hereintritt, wo sich das Vieh, Kühe,
Ziegen, Esel c. befinden, und dem andern, der dahinter
liegt und deffen Fußboden drei bis vier Fuß höher als der
des Stalles ist. Letzterer dient zum Aufenthalt der Menschen.
Doch sind beide Appartements durch keine Zwischenwand
getrennt. Der Boden der Stube besteht aus fest getretenem
Lehm und ist nach den Vermögensumständen der Bewohner
mit Matten, ja sogar mit schlechten Teppichen belegt. In
der Ecke befand sich ein Kamin mit spitzem Rauchfang und
an der Wand waren eiserne Haken, wohin man Kienspähne
steckt, um das Zimmer zu beleuchten. -
Anfänglich waren die Leute des Hauses bis auf den
alten Araber, wie schon gesagt, bei meiner Ankunft davon
gelaufen. Doch als wir, die wir von der frischen Luft
draußen durchkältet waren, uns ruhig an dem freundlich
lodernden Kamine niederließen, unsere Waffen ablegten, als
Giovanni Kaffee und Theegeschirre ausgepackt und in bunter
Reihe vor uns hingestellt hatte, auch unsere Reiseleuchter
mit kleinen brennenden Wachskerzen hereingebracht, erregten
alle diese fremdartigen Gegenstände doch die Neugier der
Leute so stark, daß sie allmählig aus den Winkeln, wohin
fie sich verkrochen, hervorkamen.
Bald saßen drei bis vier alte und junge Weiber, einige
Männer und etliche Kinder um uns herum, Kleider, Geräthe
so wie uns selbst mit größtem Erstaunen betrachtend. Es dauerte
368
eine ziemliche Zeit, ehe sie völliges Zutrauen zu uns faßten,
und als ich mich im Anfange erhob, um die Familie in der
Nähe zu besehen, stoben alle mit lautem Geschrei aus einander.
Der gute Baron legte sich gleich neben dem Kamin
auf einige Pelze hin, und nachdem er ein Paar Taffen Thee
getrunken, so wie von dem hellen Feuer angenehm durch-
wärmt war, befand er sich zu unserer großen Freude weit
beffer. Der Fürst arrangierte eine Theegesellschaft, wobei er
eine große Taffe voll, die recht mit Zucker versüßt war, bei
unsern Hausleuten herumgehen ließ. Den Männern und
alten Weibern schien das Getränk zu behagen. Doch die
- jüngeren, wahrscheinlich die Töchter des Hauses, zwei kräf-
tige schöne Gestalten, zum Glück unverschleiert, mit kohl-
schwarzen feurigen Augen, versuchten auf vieles Zureden
auch, gaben aber das Gefäß laut lachend weiter.
Nach ein Paar Stunden, während welchen der Fürst
und ich uns alle Mühe gaben, recht liebenswürdig zu seyn,
um das Zutrauen der Leute zu gewinnen, fuchten wir uns
Platz an der Erde zum Schlafen, und die Familie that ein
Gleiches. Wir nahmen die rechte Seite der Stube, die die
linke, und in der Mitte war der Occident, defen Gränze
ich repräsentierte, von dem Orient mit seinem frischen blühen-
den Gestade, das eins der jungen Mädchen darstellte, nur
durch einen kleinen kaum Fuß breiten Raum geschieden, eine
Nachbarschaft, die uns vielleicht im Schlafe gestört hätte,
wenn wir nicht alle fo fehr ermüdet gewesen wären.
Am andern Morgen erhoben wir uns sehr munter, auch
der Baron hatte gut geschlafen und befand sich fast wieder
ganz wohl. Wir beschenkten unsere freundlichen Wirthsleute
reichlich und setzten unsern Weg nach Damaskus fort. Der
Barrada, den wir gestern Abend zur Seite hatten, blieb auch
heute Morgen noch während einiger Stunden unser Begleiter.
Das Auge verfolgte mit Vergnügen eine mannigfaltigen
Z69
Krümmungen, wenn er sich eine Bahn zwischen den Bergen
und Felsen machte. Sein Fall war nicht mehr so stark,
wie auf der gestrigen Strecke und die Ufer mit Weiden,
Eschen und Erlen dicht bewachsen, zeichneten sich zwischen
den rothen, hellgelben und weißen Kalk und Kreidefelsen,
über die unser Weg führte, freundlich aus. Die Bäume
und das Grün, das um diesen Fluß wuchs, abgerechnet, sah
ich nie ein Terrain, von aller Vegetation mehr entblößt, als
dieses. Es war, als wollte uns die Natur noch einmal durch
ein recht langweiliges trauriges Capitel führen, ehe sie uns zu
dem Schönsten brachte, zu dem Thale von Damaskus. Gegen
Mittag endlich gaben uns die Beduinen durch Pantomimen zu
verstehen, von der nächsten der vor uns liegenden Höhen würden
wir die alte berühmte Stadt sehen. Noch eine halbe Stunde
und wir waren oben – Welch' ein Anblick !
Wer unterm Weg durch den Libanon, dessen wilde
Schönheiten ich so treu, wie es mir möglich war, gezeichnet
habe, mit Aufmerksamkeit folgte, wer mit uns durch die zer-
riffenen Schluchten und über die kahlen verbrannten Felsen
drei lange Tage wanderte, der wird den lauten Ausruf des Ent-
zückens verstehen, mit dem wir oben anhielten, um in ein Thal
zu schauen, das, wenn es von der herrlichsten Gegend umgeben
wäre, noch den Namen eines Paradieses verdiente. – –
Vor uns lag ein weites rundes Thal, das Thal Gu-
tha, von malerisch geformten Bergen umgeben. Die ganze
Fläche desselben war mit dem schönsten Grün bedeckt. Herr-
liche Baumpflanzungen wechselten mit Getreidefeldern, üppigen
Wiesen und kleinen Strecken Heideland in den mannigfaltig-
ften Farben, und das ganze Thal war, wie es mir schien,
von vier Flüffen durchschnitten, die gleich Silberfäden durch
das Grün des Bodens schimmerten. Aber es war nur ein
einziger Strom, unser Reisebegleiter der Barrada, der es,
wie wir, aus den kahlen Felsen des Libanon kommend, hier
Hackländer, R. in d. O 1. 24
370
so wohl gefällt, daß er sich gleich einem ausgelaffenen Kinde
auf dem Rasenplatz umhertummelt und den schönen Ort nicht
verlaffen kann. In der Mitte dieses Thales liegt Damaskus,
prächtig hingestreckt, wie eine Königin auf ihrem Throne.
Daß die meisten Moscheen, Kuppeln und Häuser aus einem
gelben Sandstein gebaut sind, gibt der Stadt zwischen den
schönen Gärten voll Oliven, Feigen, Platanen, Quitten,
Reben und Citronen einen fast fabelhaften Anblick. Man
glaubt in einem arabischen Mährchen mitzuspielen, wo man
endlich nach langen Beschwerden die goldene Stadt vor sich
sieht, das Ende aller Mühen. Wie wir sie heute sahen,
schienen auch alle Gebäude von Gold zu feyn. Die Sonne warf
ihre vollen Strahlen darüber hin, und das Licht, das sie auf
die unzähligen Minareths und Kuppeln goß, zitterte umher und
gab der ganzen Stadt das Ansehen einer strahlenden goldenen.
Schon seit den ältesten Zeiten geben die Araber diesem
großen und über alle Beschreibung schönen Thale den Namen
eines Paradieses; denn Waffer und Grün, wornach sie in
der Wüste schmachten, bietet es ihnen, wie fast kein anderes.
Ueberall wechselt die klare Fluth des Waffers mit dem üppig-
sten Baumschlag, in der Stadt selbst, wie im ganzen Thale.
Außer dem Barrada, der vor alten Zeiten der goldfließende
hieß und der die Ebenen fast nach allen Richtungen durch-
strömt, bricht auch noch die Quelle Findscha rauschend aus
den Bergen und bewäffert den Boden. Arabische Erdbe-
schreiber sprachen von dem Thale Gutha und Damaskus nur
in den blühendsten poetischen Ausdrücken. Bald nennen sie
es das Muttermal auf der Wange der Welt, bald das Ge-
fieder des Paradiesespfauen, den farbigen Kragen der Ringel-
taube, das Halsband der Schönheit, das vielfäulige Irem.
Hammer sagt von ihm: Das Thal Gutha und Damaskus
zählt bei fiebzig Canäle, achtzehn Quellen, einundzwanzig
Thäler und Spaziergänge, in denen die mannigfaltigsten
371
Fruchtbäume und Gemüße, Getreidearten und Blumen wuchernd
gedeihen. Mehrere Arten von Rosen, Quitten, Trauben,
Citronen, Feigen und Pflaumen nehmen unter dem Namen
der Damascenichen das Lob der höchsten Vortrefflichkeit in
Anspruch. Daher pries Mohamed, der zwar nicht als Er-
oberer, aber als Kaufmann in seiner Jugend nach Damaskus
gekommen, daffelbe dreimal glücklich, und als ihn seine Jünger
um die Ursache, warum? fragten, antwortete er: Weil die
Engel Gottes über dasselbe ihre Fittige ausgebreitet
haben; auch schwört im Koran Gott bei der Feige und bei der
Olive, d. i. Damaskus und Jerusalem, beim Berge Sinai und
dem Hause Abrahams, (der Kaaba). Auf den Berg Kafiun ver-
legt die moslinische Sage den Opferaltar Abels, die Scene
feines Mordes, und die vieler fröhlicher und trauriger Stunden
Adams und Evas, dann die Geburtsstätte Abrahams und
Evas und das Haus der Mutter des Herrn Jesus. Wº
Noch jetzt führt Damaskus oder Scham, wie es im Ara-
- bischen heißt, im Titel des Sultans, den Namen der
Paradies-Duftenden.
Sehr steil führte uns der Weg von der letzten Höhe des
Libanon hinab in's Thal, zuerst auf tiefen Sandwegen, dann,
nachdem wir Salehiah, eine Art Vorstadt, aus Ruinen mit herr-
lichen Bildhauer-Arbeiten bestehend, worin arme Araber ihre
schlechten Hütten gebaut, paffiert hatten, auf einer alten
Steinstraße mit eingelegten breiten Pflastersteinen, die sehr
glatt waren und unsern müden Pferden das Gehen erschwer-
ten, so daß sie häufig stolperten.
Wir hatten schon früher viel über den Fanatismus und
die Unduldsamkeit der Damascener, besonders gegen Franken
gehört; und daß man sich hier in Worten, Geberden, so
wie sogar in der Tracht sehr in Acht zu nehmen hätte.
Robinson erzählt in seiner Reise, als er mit einem grünen
Hammer, Gesch. d. o. R. II. Th.
24
372
Turban, eine Farbe, die nur die Nachkommen des Propheten
tragen dürfen, zur Stadt geritten fey, haben ihn dicht vor
den Thoren ein Schwarm schlechten Gesindels überfallen,
ihn vom Pferde geriffen, einen Turban in den Koth getreten
und ihn gezwungen, mit beschmutzten Kleidern zu Fuß in die
Stadt einzuziehen. Da uns dergleichen Vorfälle in Beirut
mehrere erzählt wurden, so hatte ich eine grüne Reisemütze,
die ich auf der ganzen Reise durch die Türkei gebraucht,
obiger Umstände halber in Beirut zurückgelaffen. Obgleich
uns während unseres kurzen Aufenthalts hier von Seiten der
Einwohner nichts Unangenehmes geschah und Niemand uns
feindselig begegnete, so glaube ich doch nicht, daß wir unrecht
hatten, wenn wir bei unsern Spaziergängen durch die Bazars
manchen bösen Blick und manche Verwünschung, die neben
uns gemurmelt wurde, auf uns bezogen. Doch war dem
Volk hier die eiserne Hand Ibrahims noch sehr im Gedächt-
niffe und sie wagten es in der ersten Zeit nicht, wie sonst
gegen die Christen und Juden feindselig aufzutreten; aber
kurze Zeit, nachdem wir wieder abgereist waren und die
neue türkische Regierung wie überall schlaff und kraftlos auf-
trat, gingen die Osmanli den Kadi mit der Bitte an, den
Christen und Juden den Besuch gewisser Orte der Stadt zu
verbieten und ihnen das Reiten durch die Bazars, sowie den Ge-
brauch irgend eines grünen Kleidungsstücks gänzlich zu untersagen.
Glücklicher Weise hielt die englische Flotte vor Beirut
den türkischen Pascha in Respect und er verwies die Depu-
tation zur Ruhe, die Unduldsamkeit der Damascener mag
wohl hauptsächlich in dem Alter und der Heiligkeit der Stadt
ihren Grund haben, die sie nicht gern durch den Tritt der
Ungläubigen verunreinigt sehen. An mehreren geheiligten
Orten, als die Moschee der Söhne Ommia's, darf sich kein
Christ oder Jude, sogar nicht in ziemlicher Entfernung, sehen
laffen, ebenso bei den Grabstätten der Jünger und Gemah-
373
linnen des Propheten, von denen einige der Sage nach hier
ruhen sollen.
Was ich schon oft erwähnte, daß fast jede orientalische
Stadt, die von außen gesehen den prächtigsten Anblick ge-
währt, im Innern einem elenden schmutzigen Dorfe gleicht,
fand ich auch hier wieder in Damaskus und mehr als je
bestätigt. Ich muß gestehen, es schmerzte mich fast, die
Häuser und Straßen der äußern Ansicht der Stadt nach
nicht stattlich, oder auch nur einmal reinlich zu finden;
Die schlechten Straßen Stambuls find gegen die Schmutz-
bäche, die man hier vor den Häusern der paradies-
duftenden Stadt findet, außerordentlich schön zu nennen.
Ueberall tiefer Koth, eine Unmaffe von Hunden und obendrein
noch als Andenken der vor wenig Tagen fortgezogenen Armee
Ibrahims, sowohl vor der Stadt als in den Straßen, überall
Körper von todten Pferden, Eseln und Kameelen, an denen
ganze Schaaren von Hunden beschäftigt waren, das Fleisch
abzufreffen.
Dazu kommt noch, daß fast alle Häuser von außen
ein weit traurigeres Ansehen haben, als in all' den Städten,
die wir bisher gesehen. Ganze Straßen bestehen aus langen
Mauern, aus gelbem Lehm aufgeführt, in welchen zwei bis
drei Löcher find, vor denen ein paar Bretter hängen; nur
eine sehr kühne Phantasie kann sie für das, was sie wirklich
find, für Fensterladen halten. In einigen der besten Straßen
find die Mauern von Stein, die wohl kleine Thüren, aber
keine Fenster haben, und somit ohne Zeichen sind, daß sich
dahinter Wohnungen für Menschen befinden. Wie in Stambul
in einigen Vierteln, stoßen hier alle Häuser mit dem hintern
Theile an die Straße. Anfänglich glaubten wir, nachdem
wir schon mehrere Straßen und Befestans hinter uns hatten,
noch immer in einer Vorstadt zu seyn und hielten die Lehm-
374
wände links und rechts für Gartenmauern, doch mußte als-
dann die ganze Stadt aus nichts wie Gärten bestanden haben.
Alle Gaffen, durch die wir kamen, bogen sich
bald rechts bald links; keine einzige führte über hundert
Schritte lang gerade aus. Ferner find sie noch in sehr
kurzen Entfernungen mit großen hölzernen Thoren versehen,
die Abends verschloffen werden und die Paffage hemmen.
Auf diese Art verhindert die türkische Polizei, daß bei einem
Aufstande die Volksmenge sich für den ersten Augenblick
wenigstens nicht auf einem Platz concentrieren kann. Diese
Maßregel würde in unsern Städten äußerst lästig seyn, denn,
obgleich neben jedem Thor eine Wache wohnt, muß man
doch oft entsetzlich lange klopfen, ehe diese, gewöhnlich ein
alter Mann, mit ihrem Schlüffel herbeikommt. Dann werden
nach orientalischer Sitte obendrein noch einige Worte ge-
wechselt, ehe das Thor geöffnet wird. So sagt z. B. der
Schließer: Kim-tur o – wer ist das? der Klopfer ant-
wortet: Jba Beled – ein Bürger der Stadt, oder was
er sonst ist; worauf der Pförtner gewöhnlich als Antwort
sagt: Wach hid Allah – Bezeuge, daß ein Gott ist, und
der draußen, der vielleicht vor Ungeduld vergehen möchte, ist
nun obendrein noch genöthigt, das Glaubensbekenntniß: es
ist kein Gott als Gott, herzusagen. Besonders auf dies
letztere hielten vormals die Pförtner sehr strenge; denn man
glaubte, kein Dieb oder Jemand, der ein böses Gewissen
habe, könne die heiligen Worte aussprechen. Den Orientalen
belästigt jedoch bei seiner Lebensweise diese nächtliche Straßen-
sperre nicht im Geringsten. Beim Eintritt der Dunkelheit
schließt man die Bazars und Befestans, wie auch die Thore,
und der Rechtgläubige geht nach seinem Hause, das er bis
zum folgenden Morgen nicht wieder verläßt. Was sollte er
auch auf den schmutzigen Straßen machen? Hinter den arm-
seligen Mauern, die dieselben begränzen, hat der Osmanli,
375
von jedem ungesehen, fein eigenes Paradies, das ihm genügt.
Da sieht es ganz anders aus. Doch hievon später.
Da wir wegen dem Menschengedränge nur langsam
und im Schritt reiten konnten, dauerte es beinahe eine Stunde,
ehe wir unsere Herberge, das Kapuzinerkloster, erreichten.
Von Wirthshäusern außer den Chans und Karavanfereien,
die das im Großen und in besserer Bedeutung sind, was
unser Nachtlager im Libanon im Kleinen, ist hier natürlich
keine Rede, und alle Klöster in Syrien und Palästina find
schon von den ältesten Zeiten her mehr oder minder zum
Empfang von Gästen eingerichtet. Wir hielten vor einem
großen steinernen Gebäude ohne Thurm und ohne Fenster;
nur hie und da war in der Höhe ein Loch, das einer Schieß-
fcharte nicht unähnlich sah. Ein großes hölzernes Thor
blieb all' unserm Klopfen zum Trotz eine geraume Zeit ver-
schloffen, und als wir endlich Jemand von Innen herankommen
hörten, öffnete dieser bloß ein kleines Gitter am Thor und
fragte, was wir wollten.
Giovanni erklärte ihm, wir feyen christliche Reisende
und wünschten ein Quartier. Darauf hörten wir ihn wieder
fortgehen, und erst nach einer Viertelstunde, in welcher Zeit
er wahrscheinlich seinem Obern die Meldung gemacht, kam
er wieder und öffnete das Thor.
Wir ritten in einen kleinen Vorhof, den ebenfalls hohe
Mauern ohne Fenster umgeben und mußten uns hier noch
einen neuen Examen unterwerfen, das der Pförtner mit uns
abhielt, worauf wir von den Pferden stiegen, die mit unsern
Muckert und den Beduinen, nachdem sie ihr Schutzgeld
erhalten, in einen türkischen Cham gingen. Unser Gepäck
wurde abgeladen und durch eine kleine eiserne Pforte, die
sich in der Mauer öffnete, in's Innere des Klosters gebracht.
Wir traten drch eben diese Thür in einen schmalen Gang,
der ganz glatt und abschüssig in einen zweiten kleinen Hof-
376
raum führte; alles Maßregel, um bei einem etwaigen Ueberfall
den Eindringenden die Paffage so beschwerlich als möglich
zu machen.
In den Gebäuden, die diesen innern sehr kleinen Hof-
raum umgaben, befanden sich die Küche, das Refectorium,
der Speisesaal und einige andere Gemächer. In einer Ecke
stiegen wir eine Treppe hinauf, die sich mehrmals herumwand
und kamen oben in einen langen Gang, wo uns ein junger
Kapuziner empfing und zum Prior führte. Dieser, ein Mann
in den besten Jahren, war ein Spanier, mit einem aus-
drucksvollen Gesicht, das ein langer schwarzer Bart beschattete,
bewillkommte uns sehr freundlich, regalirte uns mit einem
rothen Liqueur, einer Art Kirschengeist, und führte uns in
das für uns bestimmte Gemach. Es lag auf der andern
Seite des Ganges, der im Dreieck einen andern Hof umschloß,
welcher etwas größer als der erste war. Die Thüre unseres
Zimmers führte auf eine offene Altane, von der man in
diesen Hof hinabsehen konnte. Er hatte, wenn ich mich so
ausdrücken darf, etwas phantastisch Melancholisches. Die
tiefe Stille, die auf dem Klostergebäude und diesem Hofe
ruhte, ward nur durch das einförmige Plätschern eines
kleinen Springbrunnens unterbrochen. In der Mitte dieses
Hofes stand ein dichtbelaubter Orangenbaum, von einer
Größe, wie ich noch keinen gesehen, denn der Stamm hatte
an anderthalb Schuh im Durchmesser. Zwischen den grünen
glänzenden Blättern blickten unzählige kleine Orangen in
manchfachen Farben hervor; duftende Blüthen, so wie ganz
grüne Früchte waren mit völlig reifen goldgelben untermischt.
Was aber hier einen ganz eigenthümlichen Reiz bot, war
der Anblick eines sehr großen lebendigen Straußes, dem der
Hof zum Aufenthalt diente. Mit hoch erho
spazierte der Vogel auf und ab, bald seinen
Laub des Baumes verbergend, bald zur Er
beugend, um
377
die Stückchen Brod zu verschlingen, die wir ihm hinabwarfen.
Ein ägyptischer Hauptmann von den Truppen, die Ibrahim
aus dem Hauran nach Damaskus gezogen, hatte ihn mit-
gebracht und beim Abzug den Kapuzinern hinterlaffen. Das
Thier war sehr bösartig und duldete keinen Fremden im
Hofe. Mechmed mit dem Wurfspieß, der gleich am ersten
Tage vorwitzig zu ihm hinabstieg, um den merkwürdigen
Vogel in der Nähe zu besehen, wurde mit einem solchen
Flügelschlag begrüßt, daß er laut schreiend hinter dem
Orangenbaum Schutz suchte und sich vor dem verfolgenden
erbosten Thiere nur durch einen gewaltigen Sprung die
Treppe hinauf rettete.
Oft habe ich mich Stunden lang über das Geländer
gelehnt und in den Hof hinabschauend, die sonderbarsten
Träume und Phantasien gehabt. War nicht vielleicht der
schöne Baum eine verzauberte Prinzessin, die ihr gleichfalls
verwandelter Geliebter in der Gestalt des Straußes bewachte?
Fast immer ging er im Kreis um ihn herum, selbst in der
Nacht, wenn der Mond hell schien, hab' ich ihn oft so
wandeln sehen. Bald stieß er seltsam klagende Töne aus,
bald schmiegte er den Kopf an die Zweige, deren Laub leise
rauschte und flüsterte. Ihr Armen! ja ihr wart in der That
verzaubert. Was machtet ihr auch sonst hier zwischen den
stillen Mauern einer christlichen Kirche. Arme Prinzessin
Baum! Du hattest gewiß früher andere Umgebungen, als
diese grauen Steinwände, und du, unglücklicher Prinz Strauß,
du denkst auch an vergangene glücklichere Zeiten. Oft schien
den Armen die Ungeduld zu übermannen und er nahm einen
gewaltigen Anlauf, den Hof in einem Augenblick durch-
rennend. Dachtest du jetzt nicht an die weite Wüste, durch
die du oft gelaufen, an den herrlichen glühenden Sand,
dein Bette, und an die grüne Oase, wo deine Prinzessin
wohnte? Der Brunnen im Hofe, glaube ich, ist der treue
378
Blondel des unglücklichen Paares. Er hat sich durch den
Sand gewunden und gebettelt, bis er die Beiden wieder
gefunden und murmelt ihnen jetzt alte bekannte Weisen vor,
traurige Heimathslieder, traurig, weil sie in der Ferne von
der Heimath erzählen.
Gegen die stille Poesie dieses Hofes stach die Einrich-
tung des Gemachs, das man uns zum Schlafen angewiesen,
sehr prosaisch ab. Es war Platz darin für etliche zehn
Betten, obgleich nur drei für uns nöthig waren und herge-
richtet wurden, indem man Gerüste aufschlug, die mich sehr
lebhaft an Schragen für Todte erinnerten. Da hinauf kam
eine Matratze, ein Kopfpolster und eine Decke von Kameel-
haaren. So ärmlich und einfach dies Lager aber war, so
prächtig und comfortabel fanden wir es gegen unsere Betten
zu Beirut und in den Chans des Libanon. Das Zimmer,
obgleich es sehr hoch war, hatte nur zwei kleine Fenster
oben am Plafond, und um bei Tage etwas sehen zu können,
waren wir genöthigt, die Thüren beständig offen zu halten.
An den Wänden fanden wir verschiedene Namen und
Inschriften, französisch, arabisch, italienisch, sogar deutsch,
von der Reisegesellschaft des Herrn von Schubert. Auch die
Muttersprache in der Ferne ist so wohlthuend, daß wir mit
Begierde alle die kleinen Notizen aufsuchten, ein paar Wasch-
zettel, die hier ebenfalls al fresco die Wand zierten, gaben
uns viel zu lachen. Sie waren in guter östreichischer Mundart
abgefaßt.
Gleich bei der Ankunft hatte uns der gute Pater ge-
fragt, ob wir unser Mittagsmahl auf dem Zimmer, oder mit
ihm und den übrigen Brüdern im Refectorium halten wollten.
Wir hatten das letztere vorgezogen und wurden nun gegen
vier Uhr zu Tische gerufen.
Der Speisesaal befand sich, wie schon gesagt, im ersten
Hof, war ziemlich klein und sehr einfach eingerichtet. An drei
379
Wänden befanden sich hölzerne Bänke, vor denen ebenfalls
solche Tische standen; von der Decke hingen einige eiserne
Lampen und der Fußboden bestand, wie überall in diesem
Lande, aus Steinplatten. In dem ganzen Kloster befanden
sich augenblicklich, außer dem Prior, nur zwei Brüder, von
denen einer krank war. Den andern hatten wir schon bei
unserer Ankunft gesehen, so wie auch den Prior, und diese
beiden waren schon unten und warteten auf uns. Der Prior
nahm seinen Platz an einer Wand, der Bruder an der andern
ihm zur Linken, und wir an der dritten zu seiner Rechten.
An der vierten Wand war außer einigen Schränken mit
Schüffeln und dergleichen der Eingang zur Küche. Nachdem
der Prior ein lautes Gebet in lateinischer Sprache verrichtet,
trat der Küchenmeister ein, warf sich vor dem Tische des
Priors auf beide Knie nieder und betete gleichfalls laut.
Es thut mir leid, hiebei bemerken zu müffen, daß der Küchen-
meister, ein dicker ältlicher Mann ganz unbeschreiblich schmutzig
aussah, was uns von der Reinlichkeit in seiner Küche und
den Speisen keinen guten Begriff gab. Und wir hatten
uns leider darin nicht getäuscht. Obgleich es mir gewiß nicht
in den Sinn kommt, die Gastfreundschaft der guten Paters,
mit einer schlimmen Nachrede zu belohnen, so muß ich doch
jedem Reisenden rathen, sich für die Kapuzinerklöster in
Syrien mit Meffer, Gabeln und Löffel zu versehen.
Das Mittagsmahl war sehr einfach. Eine Zwiebel-
suppe, etwas Gemüse, das in einer fetten Brühe schwamm
und in Oel gebackene Fische. Die Mahlzeit beschloß der
Prior wieder mit einem langen Gebete, in das von Zeit zu
Zeit der anwesende Bruder einstimmte. Wir gingen auf
unsere Stube zurück, der Fürst und ich kochten noch einen guten
Punsch und wir legten uns frühzeitig nieder, um am andern
Morgen mit frischem Muthe an unsere Geschäfte gehen zu
können.
480
Es wird jedem auffallen, daß ich, da man doch glauben
wird, wir hätten nichts Anderes zu thun, als die Stadt mit
ihren Merkwürdigkeiten zu besehen, von Geschäften rede und
doch war dem so. Der Baron war hauptsächlich nach
Damaskus gegangen, weil dort arabische Pferde von dem
edelsten Blut zu finden feyen. So hatte man uns wenig-
stens in Beirut gesagt. Wegen dem Kriege mit den Euro-
päern scheuten sich nämlich alle Beduinenstämme, mit ihren
guten Pferden nach den Küstenstädten zu kommen, und wag-
ten sich höchstens bis Aleppo und Damaskus. Wir hatten
in Stambul, Beirut, Smyrna schon viele Hunderte von
Pferden gesehen und noch keins gefunden, das nach Würt-
temberg gebracht, die schon dort befindlichen an Güte und
Schönheit übertroffen hätte. Dieses beständige Pferdemustern
und Ansehen waren nun die Geschäfte, von denen ich oben
sprach und gewiß oft recht mühsam. Schon auf den Mär-
schen, die wir machten, hielt der Baron alle Pferde an, die
ihm nur einigermaßen bedeutend schienen, was sich unsere
Mucker und Beduinen gleich merkten und in jedem Dorf
eine Maffe Pferde auftrieben und uns vorführten, in der
Hoffnung, für sie würde dann beim Kauf ein kleines Markt-
geld abfallen. Ebenso war unserem Giovanni vom Baron
eine Gratification versprochen worden, im Fall er ihm in
der Stille ein ausgezeichnetes Pferd auftriebe. Dieser hatte
nun schon gestern Abend, in den Bazars, trotz dem Verbot
des Barons, fo viel es ihm möglich war, die Nachricht aus-
gesprengt, es fey ein deutscher Pascha angekommen, der Im-
rachor Ajaffi, d. i. der oberste Stallmeister des deutschen
Sultans, und wolle Pferde kaufen, worauf schon am andern
Morgen eine Menge Offerten einliefen, und wir, wie auch
anfangs in Beirut, nichts thun konnten, als von früh bis
spät in den schmutzigen Gaffen umher laufen, in schlechte
Ställe zu kriechen, um meistens noch schlechtere Pferde anzusehen.
381
Daß wir bei unserem kurzen Aufenthalt in Damaskus
und bei dieser beständigen Pferdeschau die Stadt selbst nur
eilfertig und sehr oberflächlich sehen konnten, kann man sich
leicht denken.
Wie keine Stadt in Syrien hat Damaskus noch den
altorientalischen Charakter bewahrt, was den Fremden aber
in Vergleich mit Constantinopel, Adrianopel, Smyrna gegen
sie einnehmen muß. Wie ich schon früher erwähnte, sieht
man auf den Straßen nur Schmutz und elende Lehmwände
und nicht einmal, wie in Stambul, zahlreiche, wenn auch
vergitterte Fensteröffnungen; auch wird das umher irrende
Auge hier nicht wie dort erfrischt durch die grünen Blätter
und duftenden Blüthen eines Orangenbaums oder saftiges
Rebenlaub, das über die hohen Mauern herübernickt. Wenn
nicht Bekanntschaften gestatten, einen Blick hinter die traurigen
Wände zu thun, mit denen die Straßen eingefaßt sind, der
bekommt einen schlechten Begriff von der Wohnung der
Orientalen. Kein Geräusch, kein Lichtschimmer verkündet,
daß dort Menschen wohnen. Nur zuweilen des Abends,
wenn wir spät nach unserem Kloster zurückgingen, hörten wir
plötzlich die leisen hinsterbenden Accorde eines Saiteninstru-
ments, die aber bei dem lauten Schalle unserer Fußtritte
gleich wieder aufhörten. So mißtrauisch der Orientale
gegen den Fremden ist, so daß er um keinen Preis einem
Unbekannten die Herrlichkeiten seiner Wohnung zeigte, so
bereitwillig und freundlich läßt er sich finden, sobald die
Empfehlung eines Bekannten den neugierigen Fremden vor
feine Thür geleitet. Uns wurde dieser durch den Herrn
Baudin, Secretär bei dem französischen Consulat, auf wel-
chen die Creditbriefe des Barons für Damaskus lauteten, zu
Theil. Dieser Mann, schon seit einigen zwanzig Jahren
im Orient lebend, hatte sich dort ganz eingebürgert und keiner
von uns würde ihn in seiner Tracht und Haltung für etwas
382
Anderes, als einen rechtgläubigen Muselmann gehalten haben.
Seine Protection öffnete uns das Haus eines Türken, eines
Armeniers und eines Juden, dreier sehr reicher Leute, deren
Gemächer einander an Pracht und Herrlichkeit überboten.
Da der Baron wünschte, von dem Innern eines dieser Häuser
kleine Zeichnungen zu haben, so entschieden wir uns nach
langer Prüfung für das des Armeniers, und weil unser
Maler, wie schon gesagt, krank in Beirut zurückgeblieben
war, unternahm ich es, so gut es in meinen Kräften stand,
von der Einrichtung dieses Hauses ein kleines Conterfei zu
nehmen.
Herr Baudin führte uns in eine winkliche schmut-
zige Straße vor eine baufällige Lehmmauer, hinter welcher
man höchstens einen Kuhstall hätte erwarten können. Ein
Pförtchen, an welches er klopfte, war kaum vier Fuß hoch
und öffnete sich nach langem Warten nur zur Hälfte, so
daß wir von dem Manne, der sich nach unsern Wünschen
erkundigte, nur den untern Theil, ein langes Gewand und
weite Beinkleider sahen. Der obere Theil des Thors hatte
ein kleines stark vergittertes Loch, durch welches er uns be-
obachten konnte, ohne daß wir das Geringste von seinem
Gesicht zu sehen bekamen. Herr Baudin sagte ihm, wir
wollten den Herrn des Hauses sprechen. Die Thür schloß
sich wieder und wurde erst nach einigen Minuten von dem
Hausherrn selbst, aber dießmal ganz geöffnet. Dieser hieß
uns freundlich willkommen und schloß den Eingang wieder
hinter uns zu.
Wir stunden in einem halbdunkeln Gange, der sich
rechts herumwand und uns vor eine andere Thüre führte.
Unser Begleiter bat uns zum Scherz, wir möchten die Augen
für einen Augenblick schließen und so durch diese innere
Pforte treten, was wir befolgten und sie erst wieder öffneten,
als diese hinter uns zugeschloffen wurde. – –
383
Etwas Ueberraschenderes und Schöneres habe ich in
meinem Leben nicht gesehen. Wir fahen einander an und
hielten die ganze Umgebung und Alles, was wir sahen, für
ein schönes Mährchen. – Waren wir arme Wanderer, die
müde und durstig im Koth der Straße entschlummerten und
die eine mitleidige Fee plötzlich in ihre schönsten Gemächer
versetzte? Der Contrast könnte nicht stärker seyn. Wir standen
in einem geräumigen Hofe auf einem Boden vom schönsten
Marmor, dessen verschiedene bunte Farben kunstreich zu phan-
tastischen Zeichnungen zusammengestellt waren. In der Mitte
erhob sich ein schönes Becken, aus dem ein kleiner Waffer-
strahl hoch in die Luft sprang, umgeben von Orangen- und
Citronenbäumen, die aus dem Marmor des Bodens zu
wachsen schienen, und rings die Luft mit ihrem süßen Geruche
schwängerten. Der Hof war im Viereck, von einer Gallerie
umgeben, die von schlanken Säulen getragen wurde, und
unter welcher sich die Eingänge zu den verschiedenen Ge-
mächern befanden. Wir betraten sie nach der Reihe und
eins war herrlicher, ich möchte sagen üppiger eingerichtet,
als das andere. So viel es mir möglich ist, will ich den
größten Saal, das Conversations- oder Empfangzimmer, wo
wir mit Kaffee und Pfeifen bewirthet wurden, beschreiben.
Er war durch einen Gang in drei Theile geheilt.
Den Fußboden dieses Ganges bildete ein Mosaik aus buntem
Marmor. Er dient dazu, Besuche geringeren Standes zu
empfangen, mit denen der Herr, auf seinem Divan liegend,
sich unterhält. In der Mitte desselben und demnach auch
des ganzen Saales, steht der unentbehrliche Springbrunnen,
der seine Strahlen gegen die Decke schleudert, die hier etwas
höher ist, als in den beiden Seitentheilen. Diese sind zum
Empfang von Gästen oder zum Gebrauch der Familie bei
großen Festen mit äußerster Pracht eingerichtet. Der Boden,
um einen Fuß höher, als der des Ganges, ist mit herrlichen
384
persischen Teppichen bedeckt; längs den Wänden läuft der
Divan, und diese Wände selbst sind in den buntesten Farben
gemalt und mit Schränken und Kästchen von vergoldetem
Holze mit eingelegten Spiegelchen geschmückt; ebenso die
Decke, um welche sich eine Bordüre von geschnitztem und
vergoldetem Holz zieht, mit Spiegeln eingelegt. An einem
großen reich verzierten Stern hängt der Kronleuchter. In
der Mitte des Zimmers steht der Mangahl, ein kupfernes
Becken in Gestalt einer Vase, worin bei kalter Witterung
Holzkohlen gebrannt werden. Neben ihm waren zwei Giran-
dolen von Bronze, etwa vier Fuß hoch, aufgestellt.
In einer Ecke des Hofes befand sich eine Treppe, ver-
mittelt welcher man auf das Dach der Galerie stieg.
Dieses war ebenfalls mit Platten belegt, die jedoch nur aus
gewöhnlichen Steinen bestehen, und es befanden sich oben
zahlreiche Orangenbäume, so wie kleine Lauben von Rebge-
winden mit Ruheplätzen. Die äußere Mauer des Hauses
stieg noch ungefähr zehen Fuß über diese Gallerie empor, so
daß von andern Dächern kein neugieriger Blick hereindringen
konnte. An der Seite des Hofes, wo wir hereingekommen
waren, befand sich das Bad, das jedoch anstatt der Waffer-
dämpfe, welche das Gemach erhitzen, Wannen hatte, die mit
kaltem und warmem Waffer gefüllt werden konnten.
Herr Baudin, der Baron und der Fürst gingen nach
einiger Zeit wieder fort, und ich blieb allein zurück, um den
Empfangsaal so gut wie möglich abzuzeichnen. Anfänglich
saß ich allein in dem Gemach; doch bald erschien einer der
Söhne des Hauses und brachte einen ältern Armenier mit,
der einige Worte französisch verstand und durch den wir eine
nothdürftige Unterhaltung einrichteten. Kaffee und Pfeifen
wurden dabei natürlich mehrere Male gewechselt und der
junge Armenier war so artig, mir meine Pfeife zu halten,
so oft ich auf dem Papier einige Striche machte. Jetzt kam
385
auch noch der Vater, so wie ein kleiner Knabe herein, und
bald hatte ich ein großes Auditorium um mich versammelt.
Zwei Töchter des Hauses, sehr schöne Gestalten und zum
Glück unverschleiert, wodurch ich ihre regelmäßigen angenehmen
Züge fehen konnte, erschienen zuweilen an der Thür, sprangen
aber jedesmal, so oft ich mich auf ihr Lachen umwandte,
davon. Endlich sagte ich dem Alten, wenn die Mädchen
mir bei meiner Arbeit zusehen wollten, möchte er sie doch
nur hereinkommen laffen, worauf er mir entgegnete, sie wür-
den das gerne thun, nur fürchteten sie, mich zu stören.
Einer der Brüder rief ihnen jetzt zu, hereinzukommen,
und sie erschienen auch, eine nach der andern; doch hatte
sich jede ein kleines Geschäft gemacht. Eine trug auf einem
Präsentierteller ein Crystallgefäß mit Eingemachtem, die zweite
das nöthige Waffer dazu und ein anderes noch kleines Mäd-
chen hatte in einem Körbchen silberne Löffel. Bald aber
waren wir recht bekannt mit einander. Sie setzten sich um
mich herum und bewunderten meine in der That schlechte
Arbeit. Auch erwiesen sie mir alle möglichen kleinen Auf-
merksamkeiten. Bald reichten sie mir eine neue Pfeife, die
fie zuvor angeraucht hatten, und es war mir gar nicht un-
angenehm, das Bernsteinmundstück direct aus den frischen
Lippen der hübschen Mädchen zu bekommen; bald legten
fie eine glühende Kohle auf den Pfeifenkopf, wenn sie
glaubten, das Feuer fey ausgegangen. Es that mir leid,
daß es bald an zu dunkeln fing und ich meine Arbeit be-
endigen mußte. Zum Abschied ließen sie mich durch ihren
Bruder bitten, ich möchte ihnen doch etwas auf ein Stückchen
Papier zeichnen, was sie behalten könnten. Eine bat mich
um das Conterfei eines Stuhls, der andern mußte ich einen
Mangahl zeichnen und die ältere bat mich um das Bild
eines Schiffes, das auf Rädern laufe, ein Dampfschiff näm-
lich, wovon sie hatten erzählen hören. Sie mußten mir
Hackländer, R. in d., O, I. 25
Z86
dafür ihre Namen in mein Buch schreiben und wir schieden
als die besten Freunde.
Noch immer hatte der Baron von all' den Pferden,
die er gesehen, nichts gefunden, was ihm der Mühe werth
schien anzukaufen, und dieses Fehlschlagen seiner Hoffnungen,
hier in Damaskus recht edle Pferde zu finden, machte ihn
zuweilen sehr verdrießlich. Es ist aber auch sonderbar, daß
man im Orient so wenige ganz ausgezeichnete Pferde sieht.
Den Ideen nach, mit welchen wir das Land betreten, müßten
wir die edlen Pferde überall finden; aber dem war nicht so.
Fast alle hatten viel Race und wir sahen auch manche, die
in Europa für sehr edle Pferde gegolten hätten; aber etwas
ganz Auszeichnetes, das die ungeheuern Transportkosten recht-
fertigen konnte, fanden wir nicht.
Der Kammerdiener des Fürsten, Skandar, der sich, da
er sehr gut persisch sprach und auch sein Costüme fast ebenso
aussah, viel mit den persischen Kaufleuten beschäftigte, die,
von Bagdad und Mekka kommend, oft kostbare Pferde mit-
bringen, meldete eines Morgens, er wisse ein ganz vorzügliches
Pferd, Fuchshengst, doch fey er nicht sicher, ob es der Eigen-
thümer, ein sehr reicher Kaufmann, abgeben würde. Inzwi-
fchen könnten wir es in dessen Abwesenheit einmal ansehen.
Wir gingen sogleich hin und durch Skandars Bekanntschaft
mit den Dienern des Perfers wurde uns das Haus geöffnet
und der Stallmeister ließ uns die Pferde vorführen. Es
waren ungefähr zwanzig, alle sehr gute edle Thiere und zuletzt
kam der Hengst, von dem Skandar gesprochen. Wirklich ein
prächtiges edles Pferd. Es wurde uns vorgeritten und ob-
gleich wir alle über seine schönen Formen und eleganten Be-
wegungen entzückt waren, ließen wir uns natürlich davon
nichts merken, sondern fahen ihm äußerlich sehr gleichgültig zu.
Es versteht sich von selbst, daß der Perser, der ihn ritt,
alles Mögliche anwandte, um uns alle Schönheiten des
387
Hengstes recht vor Augen zu führen. Bald ließ er ihn steigen
und das Thier hieb laut wiehernd mit den Vorderhufen in
der Luft herum, bald wandte er ihn im hellen Sonnenschein
hin und her, wobei ein Haar wie Gold glänzte. Nachdem
wir den Stallbedienten ein reichliches Trinkgeld gespendet,
entfernten wir uns, um auf der Straße gegenseitig in Lobes-
erhebungen über das Thier auszubrechen. Ein schönes
Pferd war demnach gefunden; aber der Baron war noch im
Zweifel, ob er für das eine allein, wenn er keine andern mehr
dazu fände, die großen Kosten des Transportes anlegen wollte,
indem drei oder vier Pferde dieselben verhältnißmäßig nicht
viel vertheuern würden; und dann war auch noch die große
Frage, ob der Perser uns das Pferd überlaffen würde und ob
er in dem Fall nicht eine ungeheure Summe forderte.
Der Fürst, der auf seinen Kammerdiener die größten
Stücke hielt, was dieser auch durch Treue und Anhänglichkeit
rechtfertigte, überredete den Baron, die Einleitungen zu diesem
Kauf einem Skandar ganz zu überlaffen, der sich an die
Stallbedienten machen sollte und deffen Gewandtheit in solchen
Geschäften, im Fall etwas zu machen fey, die Sache in Gang
bringen würde.
Bisher waren wir immer unsern Pferdeverkäufern nach
ihren schmutzigen Ställen gefolgt, aber heute machten wir
einmal nach unserm eigenen Gutdünken einen Gang durch die
Bazars und nach einigen merkwürdigen Orten der Stadt.
Die Befestans sind hier weit weitläufiger und großartiger,
auch angenehmer zu durchwandern, als die von Constantinopel.
Man kann hier doch wenigstens auf ebenem Boden gehen
und braucht nicht wie dort beständig steil auf- und abzusteigen.
Die Auswahl der Artikel, die zum Verkaufe daliegen, ist in
manchen Theilen weit reicher, als die in der Hauptstadt, so
die Gewölbe, wo Stickereien feil geboten werden oder solche,
wo man Kaschemirshawls zu ungeheuern Preisen kaufen kann.
25
Z88
Am größten wohl und in seiner Art am reichsten ist der Markt
der Sattler, deren Fabrikate von hier aus durch ganz Syrien
und Arabien gehen. Wenn auch diese Sattel- und Zaum-
zeuge nicht mit der Einfachheit und Solidität in ihren kleinsten
Theilen, wie dergleichen Sachen bei uns gearbeitet sind, so
übersteigt doch die schöne Cielirung der Silberbeschläge und
die reichen und prächtigen Arbeiten der Silber-, Gold- und
Perlenstickereien, besonders an den Schabraken, alle Begriffe.
Auf dem Waffenmarkt findet man eine große Auswahl an
kostbaren alten Waffen; doch sind die neueren Klingen, die
hier verfertigt werden, nicht mehr das, was wir uns unter
dem Namen Damascener denken.
Schon vor mehreren hundert Jahren gingen die be-
rühmten Waffenfabriken von Damaskus ein und siedelten nach
Koraffan in Persien über, welches jetzt die ausgezeichneten
schwarzen Klingen liefert, die man an Güte den frühern
Damascenern gleichstellt. Eine „Eski-Scham-taban“ – alte
Damascenerklinge, deren man jedoch noch sehr viele kaufen
kann, ist sehr theuer und wird schon ohne Beschlag und
Scheide bis zu zehntausend Piastern und drüber bezahlt.
Die Kaffeehäuser von Damaskus sind in ihrer ärm-
lichen Ausstattung denen von Constantinopel gleichzustellen,
nur daß man hier nicht, wie dort, unter dem Schmutz, der
Alles überzieht, Spuren von ehemaliger Pracht hervorblicken
sieht; sondern fast alle sind erbärmliche Baracken, aus Holz
und Lehm aufgeführt und haben nur das einzige Angenehme,
daß die meisten an einem der vielen Bäche liegen, welche
die Stadt durchschneiden und ein kleines Vordach, eine Art
Laube aus Reben bestehend, haben, worunter man sich hin-
setzt und ohne viel zu denken, in die dahingleitenden klaren
Wellen sieht. -
Wir kehrten nach dem Kloster zurück und ließen unsere
Pferde satteln, um einen Ritt vor die Stadt zu machen.
389
Vor dem Thore nach Jerusalem liegt der Kirchhof der Ar-
menier, in dessen Nähe unser Führer, ein Janißair des
Klosters, uns den Ort zeigte, wo Saulus, der von Jerusalem
kam, um die Christen in Damaskus zu verderben, von der
Stimme des Herrn niedergeworfen wurde, die ihm zurief;
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ Auf dem Platze
stehen ein paar große Platanen und er ist nur durch Tradi-
tion der Einwohner von Damaskus als jene Stelle bezeichnet.
In die Stadt zurückgekehrt, ritten wir durch mehrere
enge winklige Gaffen und kamen endlich an die, welche früher
die richtige hieß, und wo sich der erblindete Saulus ver-
steckt hielt, bis Ananias die Hand auf ihn legte und er
wieder sehend wurde. Auf diesem Platze selbst steht kein
Haus, sondern es ist nur ein kleiner öder Hof, mit einer
Lehmmauer umgeben, durch welche wir hineintraten. In der
Mitte dieses Hofes ist eine Kellerlucke, durch welche man
auf mehreren steinernen halb zerfallenen Stufen in ein unter-
irdisches Gewölbe hinabsteigt, wo sich über einem kleinen Altar,
auf welchem die ewige Lampe brennt, ein großes Gemälde
befindet, das die Bekehrungsgeschichte Sauls darstellt.
Während der Fürst und unser Führer niederknieten,
um den Altar und den Boden des Gemachs zu küssen, fan-
den wir eine Weile dabei, in ernste Betrachtungen versunken,
woraus uns die Erscheinung eines alten Mannes riß, der
die Treppen hinabkam und sich eine Kleinigkeit zum Unter-
halt jener Lampe ausbat. Dieser ehrwürdige Tempelwächter
war ein Armenier, und versah den Dienst schon an vierzig
Jahre.
Wir bestiegen unsere Pferde wieder und ritten quer
durch den größten Theil der Stadt bis an die Mauern der-
selben, wo unser Führer eine Bresche zeigte, durch welche
man Saul in einem Korbe hinabgelaffen hatte.
390
Eine armenische Hochzeit.
Für den Abend des heutigen Tages hatte uns der
gute Armenier, dessen Haus wir gestern bejahen, zu einem
Familienfeste eingeladen. Er verheirathete nämlich einen
Sohn mit der Tochter eines der reichsten Kaufleute der Stadt,
und Herr Baudin, der sehr genau mit ihm bekannt war,
hatte ihm gesagt, wie dankbar wir ihm seyn würden, einer
für uns so fremden Ceremonie beiwohnen zu können. Wir
kehrten deshalb frühzeitig nach Hause zurück, da uns Herr
Baudin von der Sitte in Kenntniß gesetzt hatte, daß der
Hochzeitvater angesehene Gäste, wie wir ihm einmal waren,
durch seine Leute abholen laffe.
Es war Abends fünf Uhr, als man uns benachrichtigte,
die Abgesandten des Kaufmanns feyen unten. Kaum waren
wir zum Thor hinausgetreten, so sahen wir eine Menge
Volks versammelt, welche einen unharmonischen Gesang an-
stimmten, der von einer Geige und einer Flöte begleitet wurde.
Dieser Musik gingen zwei Leute mit Fackeln voran, denen
andere mit Lichtern folgten. Mit dieser Begleitung im
Hof des Armeniers angekommen, mußten wir einen Augenblick
warten. Hier saßen an einem Feuer eine Menge Knaben;
der Ceremonienmeister, ein sehr dicker Armenier, kam uns
entgegen und begleitete uns ins Vorzimmer, wo sich eine
solche Maffe Menschen aller Art drängte, daß es beinahe
unmöglich war durchzukommen, ohne die Ellbogen und Fäuste
in Bewegung zu setzen. So gelangten wir zu dem großen
Empfangsaal, den ich bereits früher beschrieben. An der
Thüre deffelben warfen sich zwei Diener zu unsern Füßen,
um uns die Schuhe auszuziehen.
Als wir in das Zimmer traten, erhoben sich Alle, um
uns ihre Ehrerbietung zu bezeugen, von ihren Sitzen, und
der Herr des Hauses führte uns in eine Ecke des Divans,
391
wo der Ehrenplatz ist. Nachdem wir uns niedergelaffen
und durch Zuwinken mit den Händen die Andern gebeten
hatten, ein Gleiches zu thun, bewillkommte uns der Bischof
der armenischen Kirche, der uns gegenüber in der andern
Ecke des Divans lag, indem er seine Hand aufs Herz legte
und sie dann zu der Stirn erhob; seinem Beispiel folgten
alle Uebrigen.
Nachdem diese üblichen Begrüßungen abgemacht waren,
trat eine solche Maffe von Dienern in recht gutem Costüme
vor uns hin, daß ich nicht absah, wie es möglich fey, sie
für den Augenblick alle zu beschäftigen. Hiefür sorgt aber
die orientalische Sitte, welche zu dem kleinsten Geschäft einen,
wenn nicht mehrere Bedienten anstellt. So auch hier. Einer
legte jedem von uns ein goldgesticktes Tuch über die Arme,
welche wir ihm entgegenstrecken mußten. Ein Zweiter hielt
knieend ein silbernes Waschbecken unter unsere Hände, auf
welche ein Dritter aus einer silbernen Kanne helles, klares
Waffer goß. Ein Vierter zog das erwähnte Tuch über
unsere Finger zum Abtrocknen. Dann kam ein Fünfter und
Sechster mit einem silbernen Präsentierteller, auf welchem
Gläser mit Sorbet und einige kleine Confituren standen;
dann ein Siebenter und Achter wieder mit Servietten, um,
falls wir Einiges verschüttet hätten, es wieder aufzutrocknen.
Hierauf kam ein ganzer Troß in alttürkischer Tracht mit
Turban und Kaftan, welche uns die langen Pfeifen in den
Mund steckten und Kaffee reichten.
Wir rauchten tapfer und im Saal herrschte allgemeine
Stille, weil jeder mit sich oder seiner Pfeife beschäftigt war.
Dies seelige Nichtsthun, der Glanz der seidenen Gewänder
und der Spiegelwände, das Aroma des Kaffees und der
feine Geruch des guten Tabaks versetzten uns in die alte
Zeit des ächt orientalischen Prunkes, von welchem fast nur
noch in Damaskus einige Spuren anzutreffen sind. Nach-
392
dem Pfeife und Kaffee einige Male gewechselt waren, ließ
man uns eine Viertelstunde ruhen, in welcher nichts vorfiel;
dann wurden am Eingang des Zimmers zwei kleine Matratzen
ausgebreitet und vier Personen erschienen, welche darauf Platz
nahmen. Es war die Musikbande. Sie bestand aus zwei
Violinisten, von denen einer blind war, einem Flötisten und
einem, der das Tambourin schlug.
Das Concert begann mit einem türkischen Liede, dessen
Schönheit ich nicht zu faffen im Stande war. Dann spielte
der Blinde ein Violinsolo und präludirte so wahnsinnig auf
feinem Instrument, fuhr fo entsetzlich auf den Saiten herum,
daß ich bis zu Ende des Stücks glaubte, er stimme nur und
probire sein Instrument. Nach einer martervollen halben
Stunde beschloffen endlich die Virtuosen ihr Concert mit
einem Gefange, den der Blinde in näselndem Tone anhob
und defen Refrain die drei Andern im Chor sangen. Drauf
entfernten sie sich und uns wurden wieder Pfeifen und Kaffee
serviert.
- So wurde es neun Uhr. Da traten zwei Kinder von
acht bis zehn Jahren ins Zimmer und jedes trug in der
Hand einen Leuchter in Gestalt eines Blumenstraußes, von
Holz geschnitzt, auf welchem eine grüne Wachskerze brannte.
Hinter ihnen kam ein Mann, der einen Korb trug, welcher
mit einem dünnen goldgestickten Schleier bedeckt war, durch
deffen feines Gewebe man den Anzug eines Mannes erkennen
konnte. Kerzen und Korb wurden zu den Füßen des Bischofs
niedergesetzt, welcher sich vom Divan erhoben hatte und mit
vier andern Priestern, die um ihn traten, ein Gebet sprach,
das hie und da durch den Gesang von sieben Knaben unter-
brochen wurde.
Merkwürdig war es uns, daß wir, nachdem wir schon
einige Stunden im Hause waren, noch keine Spur vom
Bräutigam gesehen hatten, dem doch die ganze Ceremonie
393
galt; jetzt, nachdem die Priester ihren Segen über die Kleider
gesprochen, wandten sich alle Augen nach der Thür, an welcher
ein junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren in der
ärmlichsten Kleidung stand. Wir hielten ihn Anfangs für
einen Bettler; er war von hoher Gestalt, doch sehr blaß und
wagte kaum, die Augen aufzuschlagen.
Plötzlich fing er an, sich vor unsern Augen zu entkleiden,
worauf ein alter Mann, ein Verwandter des Bräutigams –
daß dies der junge Mann war, brauche ich wohl kaum zu
sagen – zum Korbe trat und dem Bräutigam zuerst das
lange Unterkleid, dann den Shawl und den Gürtel, endlich
das mit Pelz besetzte Ueberkleid reichte. Nun erhob sich der
Vater, nahm die Filzmütze, die noch im Korb zurückgeblieben war,
ging mit feierlichen Schritten auf einen Sohn zu, und setzte
es ihm auf den Kopf, nachdem er ihm dreimal die Stirn
geküßt hatte. Zu gleicher Zeit steckte er ihm an den kleinen
Finger einen goldenen Ring mit einem herrlichen Brillant,
deffen Feuer im ganzen Gemach umherstrahlte. Jetzt trat
der Bischof wieder vor, schlug ihm ein rosenfarbiges, gold-
gesticktes Tuch von Seide um den Hals und gab ihm eines
von gleicher Farbe und gleichem Stoffe in die Hand, welches
er einen Augenblick an Mund und Augen drückte, worauf
ihn der Ceremonienmeister bei der Hand nahm und im ganzen
Saal herum zu jedem Gast führte, dem er sofort die Hand
küßte. Endlich kehrte er zu seinem Platz an der Thür zurück,
setzte sich zwischen die beiden grünen Wachskerzen und blieb
da bis eilf Uhr, der Zeit des Nachteffens.
Zu diesem Zweck wurde ein kleines Gestell von etwa
zwei Fuß Höhe hereingebracht, worauf man eine große Kupfer-
platte setzte, die wenigstens vierzehn Fuß im Umfang hatte,
und an deren Rand in Scheiben geschnittenes weißes Brod
zwischen Rettichen, Selleri und Petersilie lag. Ein gleicher
Z94
Tisch wurde in der andern Ecke des Zimmers für die Geist-
lichen bereitet. -
Sobald das Effen begann, zog sich der Bräutigam in's
Nebenzimmer zurück, woher im gleichen Augenblicke sich die
ungeschickte Musik von Neuem hören ließ, welche jedoch bald
zu unserm größten Vergnügen wieder aufhörte. Sie spielte,
wie ein des Landes kundiger Freund erzählte, altarabische
Melodien, zu welchen der Blinde in einem schnarrenden Tone
Mährchen aus „Tausend und einer Nacht“ recitierte. Das
Nachteffen wurde folgendermaßen serviert: Reis in Milch ge-
kocht, Butterteig, die Suppe, mit einem Beigeschmack von
Hammelfett, ein Hammelsbraten mit Reis gefüllt, ein Entrée
von Braten, Compot von Birnen, ein welcher Hahn mit
Reis gefüllt, am Spieß gebratene Hühner, Entrée von
anderem Fleisch, Kebab (kleine Stückchen Fleisch, welche
an hölzernen Stäbchen auf dem Rost gebraten werden, ein
Lieblingsgericht der Türken), Entrèe von Zwiebeln, Pillau
mit saurer Milch und Käse. Von Zeit zu Zeit wurde
rother Libanonwein, der, obgleich sehr gut und feurig, leider
beständig nach den Schläuchen schmeckt, worin er aufbewahrt
wird, in kleinen Gläsern gereicht. Ihn brachten Diener
welche besser gekleidet waren und einen höhern Rang ein-
nahmen, als die, welche die Speisen auftrugen.
Es war Mitternacht, als die Tafel aufgehoben wurde,
worauf, wie schon oben beschrieben, Diener Waschbecken,
Handtücher und dergleichen reichten; zwei erschienen dann
mit einem Rauchfaß, und während sie uns damit räucherten,
wurde uns von andern Rosenwaffer aus kleinen crystallenen
Fläschchen über die Kleider gegoffen. Während der ganzen
Mahlzeit war der Bräutigam nicht zum Vorschein gekommen;
aber kaum waren die Tafeln weggeräumt, so erschien der
Arme wieder und nahm seinen Platz wie früher zwischen den
beiden grünen Wachskerzen an der Thür. Jetzt erfolgte die
395
Sieste, die der Türke mit dem unübersetzbaren Worte Kef
bezeichnet, etwas, das wir Europäer durchaus nicht nach-
machen können.
Sobald wir nach dem Effen uns zum Schlafen hin-
legen oder hinsetzen, verwandeln sich die tausend Gedanken,
die uns nie verlaffen, in ängstigende Träume und wir er-
wachen nach einem ruhelosen Schlummer, in Schweiß ge-
badet. Aber der Orientale lehnt sich in seinen Divan
zurück, denkt nichts und ruht behaglich zwischen Wachen und
Schlafen, wobei er langsam aus einer langen Pfeife raucht.
Selbst der Prophet empfiehlt diese Sieste, indem er sagt:
„Schlafet den Schlaf Kailuleh,“ d. h. den Schlaf nach dem
Effen, denn Satan schläft ihn nicht.
Dieser Zwischenact dauerte heute Abend über anderthalb
Stunden, während welcher Zeit Mitternacht ihr Recht aus-
übte und auf dem ganzen Haufe Grabesstille lag. Auf ein-
mal aber erhob sich wieder das Geschnarre der Instrumente
und brachte die Ruhenden augenblicklich in Bewegung.
Man sprach, lachte, erzählte, bis kurz darauf der Ceremonien-
meister mit großen Schritten in die Mitte des Zimmers trat
und mit lauter Stimme verkündigte, daß es Zeit fey, die
Braut zu holen und nach der Kirche zu führen.
Alles erhob sich und ging vor"s Haus, um sich zu
einem Zuge zusammenzureihen. Dieser begann mit einer
Reihe Fackelträger; dann kam die Musik und die Sänger,
hinter denen uns zu unserm großen Leidwesen der Ehrenplatz
angewiesen wurde; sodann die übrigen Gäste, und endlich
unter den Dienern der Bräutigam. Nachdem wir uns im
langsamen Schritt in einer der schmutzigen, schlechtgepflasterten
Straßen – es war eine fenchte, neblige Januarnacht –
etwa zehn Minuten fortbewegt hatten, kamen wir an das
Haus des Brautvaters, wo an der Thür das nämliche Cere-
moniel mit unsern Stiefeln stattfand. Als wir eine große
396
Vorhalle durchschritten hatten, kamen wir in ein Zimmer, wo
um einen Mangahl diejenigen Freunde des Hauses kauerten,
welche den zweiten Rang in der Gesellschaft einnahmen.
Aus diesem Zimmer wurden wir in den großen Empfang-
saal geführt, der noch weit prachtvoller war, als der im
Hause des Bräutigaus. Gegenüber dem Eingang befand
fich eine Nische, in welcher außer einer Pendule von Ala-
baster mehrere hübsche Porcellanvasen mit künstlichen Blumen
fanden. Die Fenster, höher als die der gewöhnlichen Häuser,
waren mit seidenen Vorhängen versehen, die Kiffen des
Divans von gelber Seide, mit Blumen von braunem Sammt.
Auf dem Teppich fanden zwei sehr schön gearbeitete Man-
gahl, umgeben von großen bronzenen Leuchtern mit grünen
Wachskerzen.
Zuerst wurden wir auf gewöhnliche Art bewillkommt,
dann brachte man uns Kaffee und lange Pfeifen, und wäh-
rend wir behaglich rauchten, ging der arme Bräutigam im
Kreise herum und küßte Allen die Hand, die nicht bei einem
Vater gewesen waren. Dann kamen vier Künstler, welche
vom Brautvater gedungen waren, und beglückten uns mit
mehreren Musikstücken, welche jedoch nicht beffer waren, als
die frühern. Uebrigens blieben wir hier nur kurze Zeit, weil
der Hochzeitzug jetzt endlich in die Kirche ging.
Im Hofe sahen wir eine Menge Menschen um einen
weißen Zelter gedrängt, der, sehr reich geschirrt, für die Braut
bestimmt war. Der Zug setzte sich, wie früher, in Bewe-
gung, und nach dem Bräutigam kamen die Freunde der Braut
und endlich sie selbst zu Pferde, umringt von einer Anzahl
Frauen zu Fuß. Sie trug ein Kleid von weißer Seide mit
goldgestickten Blumen, das ihr bis an die Sohlen reichte.
Auf dem Kopf hatte sie einen Ueberwurf von weißem Mous-
selin, und über diesem einen von rothem Atlas, welcher bei-
nahe das ganze Gesicht bedeckte. Auf dem Kopf trug sie
397
ein Barett von Holz, einem Soldatenzakow, den man oben
abgerundet, nicht unähnlich. Diese sonderbare Bedeckung ließ
kaum die Form eines menschlichen Kopfes erkennen.
Wir brauchten über eine halbe Stunde, um zur Kirche
zu gelangen, welche zu unserem Empfange bereit feyn sollte,
jedoch so schlecht erleuchtet war, daß der Blick kaum bis zur
Kuppel dringen konnte. Diese wurde von acht hölzernen
Säulen getragen. Links am Eingang war ein Bild des
heiligen Georg, wie er den Drachen erlegt, und rechts die
Thür, welche in's Kloster führt. Wir traten vor den Haupt-
altar und nachdem man uns Stühle gebracht, konnten wir
mit Muße das Innere der Kirche betrachten. Ueber dem
Altar, zu welchem vier Stufen von weißem Marmor führten,
hing das Bild der Mutter Gottes, rechts von demselben die
heilige Anna und links der heilige Petrus. In der Mitte
hing ein Kronleuchter mit gelben Lichtern, welche schlecht
brannten und einige silberne Leuchter standen ohne Symmetrie
in der Kirche umher.
Endlich kam der Bräutigam und wurde zur linken Seite
des Altars geführt; eine verschleierte Frau brachte sodann
die Braut zur Rechten desselben. Der Bischof zog seine
schönsten, mit Gold und Silber gestickten geistlichen Gewänder
an und nahm Platz in einer Nische. Ein anderer Geistlicher
vereinigte die Hände der Brautleute, während ein Dritter
ihnen die Köpfe zusammendrückte, und ein Knabe, auf einem
Gerüste stehend, hielt ein Kreuz und eine Wachskerze über
fie. In dieser eigenen Stellung verweilten sie bei zwanzig
Minuten, während welcher Zeit der Bischof vor sie trat und
eine Meffe las.
Der Gottesdienst endigte damit, daß ein Diakonus ein
Kapitel des Evangeliums Matthäi vortrug. Da aber dieser
Mann das Unglück hatte, bucklig zu feyn und mit der
Zunge anzustoßen, so mußten wir die Feierlichkeit der
398
Handlung stets bedenken, um nicht in Lachen auszubrechen.
Der Geistliche sprach darauf ein kurzes Gebet und befestigte
ein Band an der Mütze des Bräutigams und dem Barett
der Braut, wobei er ihnen bedeutete, daß sie von nun an
für's Leben vereinigt feyen. Ein Nachbar, den ich fragte,
wozu das unförmliche Holzbaret der Braut diene, antwortete
mir, es sey, um Beide gleich groß zu machen, damit sie
erkennen, daß keines über dem andern, daß sie einander
gleich stehen. -
Zum Schluß küßten die Brautleute ein Crucifix; die
Braut wurde von derselben Frau wieder abgeholt und dann
auf ihrem Pferde gänzlich verschleiert in das Haus ihres
Mannes gebracht. Gegen drei Uhr Morgens war endlich
diese Hochzeitfeier vollendet, auf welche sich die Eingebornen
seit mehreren Wochen gefreut und der wir eine Nacht zum
Opfer gebracht hatten. Wir waren es indessen wohl zu-
frieden, einmal für allemal eine armenische Hochzeit in Syrien
gesehen zu haben.
Palmyra.
Wenn wir früher in Constantinopel, später in Beirut
unsere Reiseprojecte machten, und wir in Syrien in Gedanken
bis Damaskus vordrangen, so hatte wohl einer die kühne
Idee, von da einen Ausflug nach Palmyra vorzuschlagen.
Doch behandelten wir diese Idee gerade wie ein schönes
Mährchen, von dem man träumt und wo sich am Ende eine
kühne Phantasie einredet, man werde die schimmernden Thore
des Feenpalastes endlich in der Wirklichkeit einmal erreichen.
Wenn uns einige des Landes kundige eine Tour nach
Palmyra als mit den größten Schwierigkeiten und Müh-
seligkeiten verbunden vorstellten, so kamen fast alle, die wir
darum fragten, dahin überein, schon von jeher fey der Weg
durch die Wüste nach jenen coloffalen Ruinen durch die
399
streifenden Araberhorden sehr unsicher gemacht worden, und
jetzt in Kriegszeiten, da Ibrahim Pascha"s mächtige
Hand jene Raubstämme nicht mehr im Zügel halte, sey
es nicht möglich, an eine Tour nach Palmyra zu den-
ken. Obgleich wir nun schon durch unsere Tour über
den Balkan und später über den Libanon belehrt worden
waren, was man von den Reden der Leute zu halten habe,
so waren doch die Gründe, die ich oben gegen eine Reise
nach Palmyra zu vernünftig und uns zu einleuchtend, als
daß wir, wie schon gesagt, nur dann daran dachten, NVENUl
wir eben einmal im besten Zuge waren, die schönsten Luft-
schlöffer zu bauen.
Mit diesen Gedanken in Bezug auf Palmyra waren
wir nach Damaskus gekommen und wagten es nicht einmal,
weder einen unserer Paters, noch den Herrn Baudin zu
fragen, ob es wohl in diesen Zeitverhältniffen möglich fey,
Palmyra zu sehen. So saßen wir am Tage nach jener Hochzeit,
da es gerade mehrere Stunden anhaltend regnete, in unserem
Gemach und rauchten eine Pfeife. Skandar, der noch gestern
Abend mit den Leuten des Persers zusammen gekommen
war, hatte uns gesagt, daß ihm der Stallmeister im Ver-
trauen erklärt, es fey vielleicht möglich, jenen Hengst zu
bekommen; doch würde sein Herr bei einer direkten Anfrage
eine ungeheure Summe fordern, weshalb er ihm die Sache
überlaffen solle. Daß diesem treuen Knecht dafür ein reich-
liches Trinkgeld zu Theil werden mußte, versteht sich von
selbst. Doch hatte Skandar für gut befunden, ihn manöv-
rieren zu laffen, und brachte uns diesen Bescheid mit dem
trostreichen Zusatz, daß der Stallmeister sich wenigstens
fünf Tage Zeit ausgebeten habe, ehe er eine Antwort er-
theilen könne.
Trotz den Schönheiten von Damaskus war uns doch
diese unfreiwillige Verlängerung des Aufenthalts nicht sehr
400
erwünscht; denn erstens hätten wir nach unserer gemachten
Zeiteintheilung schon morgen oder übermorgen abreisen sollen,
und zweitens hatte uns der Prior heute Morgen die untröst-
liche Nachricht gegeben, daß in der Stadt die Pest ausge-
brochen fey, die, obgleich sie sich erst hie und da zeige und
wenig Opfer hinwegraffe, doch wegen dem vielen halb ver-
hungerten Gesindel, das der Krieg hier zusammengeführt,
sehr gefährlich zu werden drohe. Wir hatten uns um einen
Mangahl gesetzt, und der Fürst, der immer sehr guten Humors
war, konnte heute doch ein unangenehmes Gefühl nicht
unterdrücken und sagte beständig: „c'est terrible, c'est
terrible !“
Da trat Herr Baudin in's Zimmer, und nachdem wir
ihm Kaffee gemacht und unsere beste Pfeife angeboten, sprach
auch er von der ausbrechenden Pest und wie groß die all-
gemeinen Befürchtungen feyen. Ohne ihm die Ursache zu
erklären, was uns hier zurückhalte, sagte ihm der Baron,
wir würden noch vier bis sechs Tage da bleiben, worüber
viel gleichgültiges hin und her gesprochen wurde, bis uns
plötzlich Herr Baudin fragte: ob wir denn nicht Palmyra
sehen wollten. Man kann sich leicht denken, daß uns diese
Frage nicht wenig überraschte und wir sie für Scherz an-
nahmen, worauf uns jedoch Herr Baudin in allem Ernte
versicherte, obgleich eine Tour nach jenen Ruinen mit ziem-
lichen Kosten und Mühseligkeiten verknüpft sey, würde sie
sich jedoch gerade jetzt in Folge der Kriegsverhältniffe machen
laffen. Ibrahim Pascha nämlich, der seine Truppen aus
dem Hauran nach Damaskus gezogen, habe zu diesem Zweck
an verschiedenen Orten kleine Etappen errichtet, die auch
uns noch zu gut kommen könnten, und wenn auch die
durchziehenden Truppen nicht viel zurück gelaffen, als Deffer-
teure, so könnten uns dieselben oder vielmehr ihre Pferde
recht zu Statten kommen. Auch würden die streifenden
401
Araber durch jene Truppenzüge, wenn gleich nur für kurze
Zeit, weiter in das Innere des Landes zurückgedrängt seyn.
Wir sahen uns überrascht an, und als wenn einer in
des andern Auge gelesen hätte, nichts fey ihm erwünschter, als
diese Aussicht, so antworteten wir mit einem Munde: wir
würden uns sehr glücklich schätzen, diese interessante Tour
machen zu können. Herr Baudin, der unermüdliche, liebens-
würdige Mann, schlug uns nun zwei Arten vor, um diese
Reise zu machen. Bei der einen müßten wir uns der
Kameele bedienen, würden wohl langsamer, aber auch be-
auemer reisen und könnten mit der Schnelligkeit der gewöhn-
lichen Karavanen Palmyra am sechsten, im günstigsten
Falle am fünften Tage erreichen. Bei der andern dagegen,
die kostspieliger fey, müßten wir Pferde nehmen, dürften
kein Gepäck mitführen und uns von einer Schaar berittener
Beduinen begleiten laffen. Dann aber könnten wir bei
ziemlich guten Pferden Palmyra schon in der Nacht vom
dritten auf den vierten, oder spätestens im Lauf des vierten
Tages erreichen.
Wir waren heute Alle in der glücklichen Stimmung,
einen schnellen Entschluß faffen zu können, und entschieden
uns in kurzer Zeit für die Tour nach Palmyra, sowie den
Ritt zu Pferde zu machen, und Herr Baudin begab sich
gleich fort mit dem Versprechen, wo möglich noch heute das
Nöthige zu besorgen, so wie sichere Leute und einen bekannten
Schech zu unserer Begleitung auszusuchen, den er uns noch
heute Abend zuschicken werde. So auf einmal ans Ziel
unserer kühnsten Hoffnungen, Palmyra doch noch zu sehen,
gekommen, säumten wir nicht, alle nöthigen Vorkehrungen
zu diesem Ritte zu treffen. Vor allen Dingen sahen wir
nach unsern Waffen und setzten Pistolen und Säbel in den
bestmöglichen Stand. Das dunkle Wetter brachte einen
frühen Abend herbei und wir hatten uns so eben nach dem
Hackländer, R. in d. O. 1. 26
402
Mittagseffen aus dem Refektorium in unsere Stube begeben,
als draußen auf dem Corridor sich schleppende Fußtritte
vernehmen ließen, an denen man gleich die Ankunft von
Beduinen erkennen konnte. Und so war es auch.
Herr Baudin kam zurück und brachte ein Paar dieser
Wüstensöhne mit, von denen einer – es war der Schech
selbst – mit uns über die Kosten jener Tour unterhandeln
sollte. Es wurde. Alles beinahe auf dieselbe Art abgemacht,
wie auf unserer Tour durch die Türkei. Der Schech lieferte
jedem ein gutes Pferd und versprach, uns am vierten Tag
nach Palmyra zu bringen. Da wir wohl wußten, daß wir,
um in dieser kurzen Zeit hinzugelangen, äußerst schnell reiten
mußten, so wurde in der mündlichen Uebereinkunft vorgesehen,
daß der Schech für die Ausdauer der Pferde zu stehen und
er im Falle eins stürze, für ein anderes zu sorgen habe.
Der Schech, ein schon ältlicher Araber, aber noch ein großer
kräftiger Mann, schilderte uns mit lebhaften Farben die
Gefahren, welche die Reisenden auf diesem Wege bedrohe,
wie noch vor nicht langer Zeit eine Karavane von den
streifenden Arabern geplündert und hinweggeführt worden
fey, setzte aber hinzu, in seiner Begleitung eyen wir
ganz sicher. -
Doch was die lebhafte Schilderung der Gefahren,
denen er sich um unsertwillen aussetze, bezwecke, wurden
wir bald inne; denn der gute Araber forderte eine ganz un-
erhörte Summe. Trotz unseres Handelns ließ er nicht sehr
viel herunter und da uns Herr Baudin versicherte, wir wür-
den mit einem Andern nicht billiger einig, so schloffen wir
das Geschäft ab, reichten dem Araber die Hand zum Zeichen,
daß wir uns ihm übergeben und schärften ihm noch ein,
morgen vor Tagesanbruch mit seinen Pferden unten zu seyn.
Ich konnte die Nacht nicht viel schlafen; auch den
Andern erging's nicht beffer, besonders war der Fürst in be-
403
ständiger Unruhe. So oft ich mich auf meinem Lager herum-
wandte, sah ich ihn bald dies, bald jenes vornehmen. Jetzt
stopfte er sich eine Pfeife, dann putzte er an seinen Waffen
herum, und als kaum Mitternacht vorbei war, meinte er,
jetzt fey es Zeit, daß wir aufstünden und anfingen, den
Kaffee zu kochen. Ich folgte seinem Rath, verließ mein
Lager und rüstete mich zu dem weiten Ritte. Mein Anzug
war so einfach wie möglich, kurze Stiefeln mit Sporen,
eine lederbesetzte Reithose, darüber einen kurzen zugeknüpften
Rock; auf den Kopf setzte ich das Feß; der Fürst machte
mir aus einem ungeheuren Stück Mouffelin, das ich gestern
gekauft, kunstgerecht einen Turban; einen türkischen Säbel
hatte ich an der Seite und meine Pistolen an einer langen
Schnur, womit ich sie am Sattelknopf befestigen konnte.
Der Fürst vertauschte auch ein seidenes gesticktes Kleid
mit einem sehr groben, das aus gegerbtem Leder bestand,
und mit Pelz besetzt war.
Der Baron war wie ich costümirt; nur hatte er einen
rothen Turban, die Pistolen in eben solchem Gürtel stecken
und an der Seite einen geraden östreichischen Cürafier-Pallasch.
Unsere Beduinen waren sehr pünktlich. Noch war es
gänzlich Nacht, als ein langes anhaltendes Pferdegetrappel
auf der Gaffe uns ihre Ankunft anzeigte. Von den Leuten
nahmen wir Giovanni und den riesigen Mechmed mit,
Skandar blieb aber zurück, um unterdessen beim Pferdever-
kauf mitzuwirken.
Nachdem uns noch der gute Prior feinen Segen erheilt,
saßen wir auf und ritten zur dunkeln, stillen Stadt hinaus.
Vor dem Thore hatten wir einen Steinweg, ähnlich dem,
auf welchem wir vom Libanon her in die Stadt geritten
waren, setzten dann auf einer Brücke über einen Fluß, wahr-
scheinlich ein Arm des Barrada, und befanden uns auf
der großen Straße nach Aleppo. Wie fast auf allen unsern
26 k
404
Touren mit den Arabern hielten sie gleich unsern Baron,
wegen seiner stattlichen Figur, für den Chef unserer Gesell-
schaft. Auch heute, als wir jenen unregelmäßigen Stein-
damm hinter uns hatten, ritt der Schech zu ihm hin und
fragte ihn, ob wir jetzt schneller reiten könnten. Natürlich
jäumten wir nicht, unsern Pferden die Sporen zu geben
und jagten in laufendem Galopp davon. Wir durchschnitten
das Thal Gutha und hatten schon beinahe die Berge er-
reicht, welche es in Süden einschließen, als der Morgen
in Osten schwach aufzudämmern begann. Die Straße,
auf der wir ritten, war, wie alle hier zu Land, ohne
Kunst und Mühe angelegt und nur von den Karavanen-
zügen gebildet, die jedes Jahr in unabsehbarer Reihe von
Damaskus ausziehen.
Unsere Begleitung bestand aus einigen und dreißig
Beduinen, die mir alle ziemlich gut beritten schienen. Sie
trugen den weißen Burnus, einige einen Turban, andere
roth und gelbe, so wie auch weiße Tücher, die mit um den
Kopf gebundenen Stricken festgehalten werden. Die Be-
waffnung der meisten bestand in einem Säbel, einem Paar
Pistolen und der langen Lanze mit dem charakteristischen
Büschel von schwarzen Straußfedern. Einige hatten außer-
dem einen Handschar im Gürtel stecken oder eine lange
dünne Flinte auf dem Rücken befestigt. Als wir uns auf
der Höhe jener Berge umwandten, drangen gerade die ersten
Strahlen der Morgensonne hervor, und beleuchteten die
prächtige Stadt, die wir vor einigen Stunden verlaffen.
Der Weg, den wir in der ersten Hälfte des heutigen
Tages zurücklegten, ging meistens durch bergiges Terrain,
deren Formation den Felsen des Libanon, aber in sehr ver-
kleinertem Maßstabe glich. Unsere Pferde liefen ausgezeich-
net gut, und als wir mit finkender Nacht ein kleines arm-
seliges Dorf, Nefähme, erreichten, hatten wir an zwanzig
405
deutsche Stunden zurückgelegt. Bei der Ankunft einer so
großen bewaffneten Schaar, wie die unsrige, waren die
Einwohner geflohen, nur einige alte Männer und Kinder
waren zurückgeblieben. Der Schech suchte eine der besten
Hütten für uns aus, und es gelang ihm auch, Hühner und
Eier für uns, so wie reichliche Gerste für die Pferde zu
erhalten.
Da er Alles baar bezahlte und die Zurückgebliebenen
sahen, daß es auf keine Plünderung abgesehen war,
mußten sie den Geflohenen Nachricht gegeben haben,
denn während der Nacht kamen die meisten zurück. Wir
ritten am andern Morgen wieder vor Tagesanbruch aus und
unser Weg führte durch eine steinige fandige Fläche. Zur
Rechten hatten wir einen Zug des Gebirges Ruack, und
gegen Abend mußten wir einen Ausläufer defelben übersteigen,
der uns quer durch den Weg strich. Doch erreichten wir
bald unser heutiges Nachtquartier, Karyatien, ein weit
größeres und ansehnlicheres Dorf, als Neschme, dessen Scheich
uns freundlich mit der gewöhnlichen Gastfreundschaft der
Araber aufnahm. Unsere Pferde, d. h. die, die wir Euro-
päer ritten, waren heute Abend entsetzlich ermüdet, denn
wir hatten heute nicht weniger als dreißig deutsche Stunden
gemacht, aber die unserer Beduinen, die schon an der-
gleichen Fatiguen mehr gewöhnt waren, schienen wunderbarer
Weise von dem fürchterlichen Ritt gestern und heute nicht
gelitten zu haben.
Gleich bei der Ankunft setzte sich unser Schech mit dem
des Dorfes in Unterhandlang, um für uns auf morgen
frische Pferde zu erhalten, so wie eine Anzahl Kameele, die
mit Waffer, Gerste und einigem Profiant für uns beladen
wurden und sogleich abgehen sollten, damit wir, die wir
morgen früh weiter ritten, auf den Abend in der baum- und
wafferlosen Wüste, welche wir hinter Karyatien betraten,
406
den nöthigsten Profiant finden würden. Glücklicher Weise
waren die beiden Beduinen alte Bekannte; sie hatten mehr-
mals die Karavanenzüge mit ihren Schaaren durch die Wüste
begleitet, und der eine war daher jetzt gleich bereitwillig,
dem andern zu helfen, so daß in ungefähr zwei Stunden
unsere Proviantcolonne für morgen abgehen konnte. Sie
bestand aus zehn Cameelen und ungefähr zwanzig Reitern,
bewaffnet und beritten, wie die unsrigen. Wir begleiteten
fie bis vor das Dorf und sahen ihnen noch lange nach,
wie sie auf der weiten flachen Ebene dahin gingen, in der
Dämmerung der Nacht und dem hellen gelben Sande all-
mählig wie Schatten entschwebend.
Unser Schech war ein freundlicher Mann. Er be-
wirthete uns mit einem guten Pillau und Lammfleisch und
brachte nachher, um uns etwas recht Gutes anzuthun, eine
Flasche Raki, Dattelbranntwein, hervor, wovon wir jeder
ein Gläschen trinken mußten. Er war ein schon alter Mann
und ließ uns durch Giovanni viel von den gefährlichen Pil-
gerzügen fagen, die er durch die Wüste geleitet. Auch
brachte er später einen Ehrensäbel herbei, den er dafür von
einem Pascha von Damaskus erhalten.
Diese freien Araberstämme ziehen ihren größten Verdienst
aus der Begleitung und Verproviantirung der Karavanen,
die nach Mekka gehen.
Alljährlich versammeln sich zu Damaskus aus dem
ganzen Norden Asiens alle Pilger, die diesen Zug mitmachen
wollen. Die meisten derselben kommen erst am Ende des
Ramasans, und dann gleicht Damaskus, die an sich schon
so lebendige Stadt, einem ungeheuren Markte. Es wimmelt
von Fremden aus allen Theilen der Türkei und Persiens.
Alle Straßen der Stadt find bedeckt mit Haufen von Pfer-
den, Cameelen, Eseln und Waarenballen, und dieser ganze
ungeheure Troß setzt sich nach einigen Tagen in Bewegung, um
407
in vierzig Tagen durch die Wüste ziehend, Mekka am Bairam-
feste zu erreichen.
Da die Karavane durch die Gebiete mehrerer freien
Araberstämme zieht, so mußte man Verträge mit ihnen ab-
schließen, ihnen einen Durchgangszoll bezahlen oder sie zu
Führer und Begleiter nehmen, was ebenfalls bezahlt wurde.
Der Pascha von Damaskus schickt vor dem Auszug der
Karavane einem der mächtigsten Beduinenchech's den Ehren-
säbel, von dem ich oben sprach, so wie ein Zelt, und ernennt
ihn somit zum Hauptführer der Karavane, unter welchem
Titel ihm aber die Verpflichtung obliegt, für einen Theil
der zum Zuge nöthigen Kameele zu sorgen, die er um einen
bestimmten Preis liefern muß, ohne bei Verlusten auf eine
weitere Entschädigung rechnen zu können. Jedes Jahr gehen
bei diesen Zügen an zehntausend Kameele zu Grunde, deren
Ersetzung ein bedeutender Erwerbszweig der Araber ist.
In früherer Zeit lag dem Pascha von Damaskus die
Verpflichtung auf, die heilige Karavane selbst nach Mekka
zu führen, weswegen er den Ehrennamen Emir Hadje führte,
und diesem Posten wurde eine solche Wichtigkeit beigelegt,
daß, wenn der Zug gelingt, das heißt, wenn die Araber
ihn nicht zerstreuen und ausplündern, die Person des Pascha
für alle Zeiten unverletzlich ist und es selbst dem Sultan
nicht erlaubt ist, sein Blut zu vergießen. Doch
wußte die Politik der hohen Pforte dies buchstäbliche Verbot
sehr gut zu umgehen, indem sie einen solchen Pascha, defen
sie sich entledigen wollte, in einem Sack ersticken ließ.
Neben dem religiösen Intereffe treibt auch die Aussicht,
im Handel ein. Bedeutendes zu gewinnen, ein Menge Pilger
zu dem Zuge. Sie nehmen von Hause Waaren mit, die
fie unterwegs verkaufen, und das gelöste Geld verwenden sie
in Mekka zum Einkauf von Mouffelinen aus der Stadt
selbst und aus Bengalen von Shawls aus Kaschemir, Aloe
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aus Tunkin, Diamanten aus Golkonda, besonders Kaffe aus
Yemen. Indeffen plündern oft die freifenden Araber die
Karavanen gänzlich aus und machen alle die schönen Projecte
der Kaufleute zu Schanden. Doch kommen in den meisten
Fällen die Pilger wohlbehalten zum Ziel und als dann ist ihr
Vortheil fehr bedeutend. Die ärmere Claffe, die bei dem Zuge
materiell nichts gewinnen kann, macht sich in allen Fällen durch
die Ehrfurcht bezahlt, die man dem Narren Hadji (Pilger) bei-
legt, oder durch das Vergnügen, ihren Landsleuten die Wunder
der Kaaba zu rühmen, mit Emphase von der ungeheuern
Menge Pilger und den Mühseligkeiten, die sie ausgestanden
haben, zu sprechen, so wie von den seltsamen Figuren der
Beduinen, der wafferlosen Wüste und dem Grab des Pro-
pheten. Diese Erzählungen haben den gewöhnlichen Erfolg,
daß sie die Bewunderung und Begeisterung der Zuhörer er-
regen, wiewohl es nach dem aufrichtigen Geständniß der Pilger
nichts Elenderes, als diese Reise gibt. Uebrigens hat aber
auch diese flüchtige Bewunderung nicht verhindert, ein für
die frommen Pilger wenig ehrenvolles Sprüchwort in Umlauf
zu bringen: „Sey mißtrauisch gegen deinen Nachbar,“ sagt
der Araber, „wenn er einen Hadje (Pilgerzug) gemacht hat;
macht er aber zwei, so trenne dich augenblicklich von ihm.“
Am andern Morgen brachen wir wieder vor Tages-
anbruch auf; unser alter Wirth wollte uns durchaus
begleiten, indem er unseren Schech vorstellte, unsere Escorte
sey bei einem bedeutenden Angriff der Araber doch ein wenig
schwach, und es mache ihm selbst Spaß, wieder einmal einen
Ritt durch die Wüste zu unternehmen. Sein Verlangen
konnte uns nur angenehm seyn, und da wir schon viel von
den verwegenen Räubereien der Araber in diesen Theilen des
Landes gehört hatten, so sahen wir es nicht ungern, daß er
sich in Begleitung einiger zehn recht gut aussehender Reiter
unserem Zug anschloß.
409
Eine kurze Strecke hinter Karyatien fing die gewaltige
Sandwüste mit einem Male an. Eine unabsehbare, weißlich
gelbe Fläche breitete sich vor uns aus und der Blick fand
keine Abwechslung, als lange Wellenlinien, die der Wind
in den Flugsand gezeichnet hatte. Nördlich strichen in weiter
Entfernung die Gebirge von Ajar und östlich war das, was
wir sahen, entweder Sandgebirge oder der gelbe Boden
spiegelte sich in den Wolken wieder. Die ausführlichere Be-
schreibung einer Reise durch die Wüste findet besser bei unserer
zweiten und größeren Tour durch diese öden Sandflächen,
als wir später von Gaza nach Kairo zogen, ihre Stelle,
weshalb ich hier nur mit wenigen Worten darauf hingedeutet
habe, besonders da sich diese verlaffenen baum - und waffer-
losen Landstrecken fast ganz gleich sehen.
Unser heutiger Tagmarsch war für die Pferde sehr er-
müdend, denn obgleich sie bei jedem Schritt bis über die
Feffeln in den Sand traten, ging es doch fast beständig im
scharfen Trabe vorwärts. Auch der Himmel war uns nicht
sehr günstig, sondern mit Wolken überzogen und ein scharfer
Wind wirbelte oft den Sand um uns in die Höhe, daß
wir wie in Wetterwolken eingehüllt dahin ritten. Mir kam
heute beim Betrachten unserer Reiterschaar häufig und sehr
lebhaft ein kleiner Kupferstich ins Gedächtniß, „eine Karavane
vor einem Sandsturme fliehend,“ auf welchem eine bunte
wilde Schaar von Beduinen vor zerriffenen Wolken, die vom
Himmel herabzuflattern scheinen, und beweglichen Sandhaufen,
wie wir heute, dahin fliehen. Im Hintergrund des kleinen
Bildchens sah man die Ebene mit Ruinen bedeckt. War
es Palmyra? Mir kam es damals schon so vor, als müffe
es Palmyra seyn, und meine Phantasie bemühte sich nach
Allem dem, was uns von jener fabelhaften Stadt gesagt
wurde, bei Nennung dieses Namens die prächtige todte Stadt
so wundervoll wie möglich auszumalen. – Aus der Wüste
410
kamen die guten und bösen Feen, die an der Wiege neuge-
borner Königskinder erschienen, um sie zu beschenken, und
Palmyra hatte ich mir als den Ort gedacht, wo die gute
Fee herkommen müffe. Palmyra mit den schönen Bauwerken,
von denen ich gehört, und die doch Niemand bewohnen sollte,
war mir eine Stadt von Palmen umgeben, in der jene
guten Geister ihre eigentliche Heimath hatten, wie auch bei
uns die Zauberschlöffer mitten im Walde liegen.
Aber mir allein erging es ja nicht so mit jener vergef-
jenen Stadt; wußten doch selbst die gelehrtesten Männer
noch vor nicht gar langer Zeit wenig über die Größe und
Ausdehnung Palmyra's, der stolzen Wittwe, die undurch-
dringliche Sandschleier um ihr Haupt gezogen und sich un-
sichtbar gemacht hatte. Wie bekannt waren nicht jene Mar-
morpaläste, jene herrliche Stadt in der dritten Epoche Roms
durch die glänzende Rolle, die fiel in den Partherkriegen
spielte, durch Zenobia und ihren eigenen Fall unter Aurelian!
Seit jener Zeit hat ihr Name in der Geschichte eine schöne
Erinnerung zurückgelaffen; aber auch nur eine Erinnerung,
fie war wie verschwunden vom Erdboden; man wußte nicht
mehr, wo sie lag, man machte sich die wunderlichsten Ideen
von ihrer eigentlichen ungeheuern Größe. Gegen Ende des
vorletzten Jahrhunderts erzählten die Beduinen, die aus der
Wüste nach Damaskus und Aleppo kamen, viel Seltsames
von den weit ausgedehnten prächtigen Ruinen einer großen
Stadt, die sich mehrere Tagereien mitten in den Sandflächen
befinden sollte, wodurch endlich die englischen Kaufleute auf-
merksam gemacht wurden und den Entschluß faßten, die
wunderbaren Erzählungen über diesen Ort zu prüfen. Ein
erster Versuch ums Jahr 1678 mißlang; die Araber plün-
derten die Karavane vollkommen aus, und sie mußte, ohne
ihren Zweck erreicht zu haben, umkehren; 1691 erneuerten
fie den Versuch, kamen endlich zu den viel besprochenen
411
Monumenten, und was sie da sahen, überstieg die kühnsten
Phantasien. Doch fanden ihre Erzählungen viel Unglauben
und man konnte nicht begreifen, wie in einem von jedem
angebauten Lande so entfernten Orte eine Stadt habe be-
stehen können, so prächtig und ausgedehnt, wie sie ihre
Zeichnungen und Berichte schilderten.
Von der Zeit an wurden die Ruinen aber von meh-
reren Reisenden besucht und man nahm die genauesten Zeich-
nungen und Pläne von ihnen auf, nach denen man nicht
mehr zweifeln konnte, daß weder in Griechenland noch Italien
das Alterthum uns etwas hinterlaffen hätte, das mit den
Ruinen von Palmyra zu vergleichen fey.
Was wir am Morgen vor uns gesehen hatten, waren
wirklich Ketten von Bergen, ohne Baum und Strauch, die
eine sandige Fläche von ungefähr drei bis vier Stunden
Breite einschloffen, und so eine Schlucht bildeten, die sich
nordwestlich hinzog. Es dunkelte schon, als wir den Eingang
derselben erreichten, wo wir die vorausgeschickten Kameele
gelagert fanden. Unser guter Schech von Karyatien hatte
ein Zelt mitgegeben, das uns recht gut zu Statten kam.
Die Nacht wurde, wie immer hier, recht kalt und der Thau
benetzte rings den Boden. Trotz der gespannten Erwartung,
mit der wir dem morgenden Tag entgegensahen, ließ uns die
große Ermüdung, die uns diese forcierten Ritte verursacht,
sehr fest schlafen und es bedurfte am andern Morgen des
lauten Getümmels der aufbrechenden Araber, um uns zu
wecken. Die Kameele mit ihrer Bedeckung blieben auf dem
Platze hier, um uns morgen in der Nacht wieder aufzuneh-
men, und sie waren für diese Zeit mit Waffer und Proviant
genugsam versehen.
Wir ritten in der Morgendämmerung vielleicht zwei
Stunden lang durch die Schlucht, die sich auf einmal zu
verengen schien; doch traten die Gebirgszüge an dieser Stelle
412
nur etwas zusammen, um sich gleich hinter derselben zu einem
weiten Thale auszudehnen, in welchem Palmyra oder Tadmor
liegt. Mir klopfte das Herz, als wir eine dieser Bergketten
rechts hinanstiegen und nun auf einmal auf der andern Seite
die Ruinen einer Wafferleitung sahen, die einst in frühern
Zeiten das Waffer nach der Stadt führte. Doch woher,
da die Gegend weit und breit mit Sand bedeckt ist? Die
Rinne, welche von den stolzen Bogen getragen wird, zeigt
keine Spur von irgend einem grünen Blatt oder einem
Moose, sondern Alles ist bestaubt und angefüllt mit dem
feinen Sand, den der Samum emporwirbelt. Jetzt sahen
wir rechts und links neben diesem Aquaduct, so wie auch an
der Höhe vor uns, einige viereckige Thürme von bedeutender
Höhe. Unser Weg führte uns bei einem derselben vorbei
und wir erkannten, daß es alte Grabmäler feyen. Mit lau-
tem Hurrah, das in den Bergen wiederhallte, jagten unsere
Beduinen nun den letzten Absatz der Höhe hinan. Wir
folgten ihnen und sahen von oben die alte prächtige Stadt vor
uns, – todt, – und doch ewig in ihren Trümmern lebend.
Es ist nicht möglich, einen Anblick, wie den der Ruinen
von Palmyra zu beschreiben oder auch nur ein schwaches
Bild davon zu geben. Man kann gegen andere Trümmer
vergangener Zeiten an diese keinen Maßstab legen. Hier ist
keine prachtvolle üppige Gegend, auf der die Ruinen nur
eine Verschönerung wären, hier ist nichts wie eine unabseh-
bare öde Fläche, welche sich bis zum Euphrat kahl und un-
wirthbar erstreckt, die erst dem Auge bedeutend wird und es
zu feffeln vermag durch die Trümmer der Stadt, Trümmer,
so ungeheuer und zahlreich, daß man sie kaum in zwei
Stunden umwandeln kann. Fern von jedem lebenden Wesen,
fern von der Zeit, die im Stande war, solches zu bauen,
ragt hier eine ungeheure Menge korinthischer Säulen empor,
deren Bild durch die wenigen Mauern und Gebäude, die
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man sieht, noch sonderbarer wird. Kann man die unzähligen
schlanken Schafte mit dem kunstvoll gearbeiteten. Frieß einem
versteinerten Palmenwald vergleichen? Nein, es ist wie das
Tulpenbeet einer mächtigen Fee, die Säfte der schönen Blume
hat eine böse Macht ausgetrocknet und wir Menschen glauben
nun, dort fey vormals eine Stadt gewesen. Ja, mir war
es unmöglich, das ungeheure Schauspiel, das sich unsern
Blicken auf der Höhe darbot, zu erfaffen. Man verlange
nicht, daß ich es versuche, eine Schilderung davon zu ent-
werfen; es wäre nicht möglich; denn jeder müßte doch noch
feine Phantasie zu Hülfe nehmen, um sich diese ungeheuere
mit Trümmern bedeckte Ebene nach meinem Bilde vorstellen
zu können. Diese Säulen, in der Ferne gesehen, schlank
wie Tulpenstengel und deren Basis dennoch allein die Höhe
eines Menschen überragt! Die ganze Ausdehnung dieser
himmelanstrebenden Pfeiler von dreitausend Schritten –
eine Fläche, deren Größe manches Schöne dem Auge entzieht.
Wir ritten stumm den Hügel hinab gegen die Stadt mit
offenem Auge und gierigem Blick, um von dem Herrlichen
so viel wie möglich in uns aufnehmen zu können.
Bald stößt man auf einen Palast, doch sieht man nur
die mit Säulen umgebenen Höfe, und Bruchstücke der mit
schönen Verzierungen bedeckten Mauern; bald auf einen
Tempel, dessen Größe und Lage man nur durch die umher-
gestreuten Trümmer erkennen kann; bald auf einen andern,
deffen Peristyle halb umgestürzt ist. Dort steht noch ein
Portikus, da ein Triumphbogen, hier eine kleine Säulen-
pforte. Die tausende von Säulen, die hier aufrecht stehen,
bilden die merkwürdigsten Gruppen. Hier umgeben sie in
malerischer Unordnung einen Brunnen, dort sieht man noch,
wie sie den Hof eines Tempels umstanden, doch ist die Sym-
metrie durch den Einsturz mehrerer von ihnen gestört; weiter
hinten dehnen sie sich in einer so langen Reihe aus, daß
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fie Alleen von Bäumen gleichen und sich in der Ferne ver-
lierend nur wie eine ununterbrochene Linie erscheinen. Ruft
man die gierigen umherschweifenden Blicke von diesen erha-
benen Scenen ab, und senkt sie vor sich hin, so sieht man
den Boden mit Trümmern bedeckt, die in ihrer zerstörten
Gestalt noch eben so großartig sind. Da liegen die unge-
heuersten Säulenschäfte, halb und ganz zerstückt, in ihren
Theilen blos verrenkt oder ganz von einander getrennt.
Ueberall blicken aus dem Boden halb vergrabene Mauerstücke
empor, Ueberreste von Bildsäulen und Frießen, zertrümmerte
Capitäler, entstellte Reliefs, mit Sand bedeckte Gräber und
zerstörte Altäre.
Wir überließen unsere Pferde den Beduinen und wan-
derten den ganzen Tag zwischen den erhabenen Trümmern
umher. Ich versuchte es, hier eine schöne Ruine abzuzeich-
nen, so wie auch anfänglich, einen Plan von dem Ganzen
aufzunehmen, aber entblößt von allen Instrumenten, wie wir
waren, konnte mir das unmöglich gelingen. Auch mangelte
uns die nöthige Zeit. Anfänglich hatten wir projectirt, den
folgenden Tag auch noch unter den Ruinen zuzubringen, ein
Vorsatz, den wir aufgaben, indem uns dieser verlängerte
Aufenthalt ohne Meßgeräthe und Zeichenbücher nichts genützt
hätte, und weil auch unsere beiden Beduinenchech die Ab-
reife auf den Abend wünschten, da sie, ich weiß nicht, aus
welchen Zeichen erkennen wollten, es müffe erst vor Kurzem
ein zahlreicher Araberstamm Palmyra verlaffen haben, der
vielleicht zurückkehren, uns überfallen und ausplündern könne.
Als wir demnach am Abend unsere Pferde wieder be-
stiegen und der schönen verlaffenen Stadt den Rücken zukeh-
rend, die Sandhügel hinanritten, war es mir, als verlaffe ich
etwas, das ich längst geliebt und das ich vorher als Andenken
in meinem Herzen getragen, jetzt aber, nachdem ich es einmal
flüchtig gesehen, zurücklaffen müffe und auf ewig verloren
415
habe. Lange standen wir oben auf den Höhen und sahen
die Stadt noch einmal vergoldet von den letzten Strahlen
der Abendsonne. Ach, wie bist du so todt, so entsetzlich todt,
Palmyra! Auf deinen Trümmern weht nicht einmal ein
lebendiger Strauch, kein Grashalm winkt zum Abschied her-
über! Wär' ich ein Beduine und mir stürbe meine Geliebte,
ich würde sie unter deinen Trümmern begraben und dich so
an mein Herz fest ketten. Doch ich muß zurück nach dem
kalten Norden, kann mir nur ein Bild von dir mitnehmen,
das freilich im ersten Anschauen frisch und klar vor mir steht;
aber nach und nach werden die Säulen durcheinander wanken,
sich verwirren, Sand und Staub werden aufwirbeln und dich,
du ungeheures Grab, selbst meinem innern Blicke entrücken.
– Leb' wohl, Palmyra! Leb' wohl, du Wüstenkönigin!
Unsere Eskorte aus Karyatien fanden wir noch auf
demselben Fleck vor dem Eingang jener Schlucht, und brachten
den Rest der Nacht bei ihr zu. Am andern Morgen mit
Tagesanbruch ritten wir gegen Karyatien zurück und die
Kameele folgten uns langsamer. Unser guter Schech – er
hieß Abdallah – machte wieder den freundlichen Wirth und
wir verließen ihn am andern Morgen mit den Gefühlen,
wie man einen alten Freund verläßt, den man nie wieder-
sehen wird. Er gab uns noch eine kleine Strecke das Geleit
gegen Nefähme, wandte fein Roß und flog zurück. Beim
Abschied hatte er Thränen in den Augen und ließ uns durch
Giovanni sagen, er habe uns recht liebgewonnen und werde
das nächste Mal mit recht betrübtem Herzen die Ruinen von
Tadmor wiedersehen.
Den Abend erreichten wir ohne Unfall Neschme und
den folgenden Tag noch bei guter Zeit Damaskus. Unsere
Pferde hatten sich recht gut gehalten und waren auf keinen
Fall so gränzenlos ermüdet, wie wir, von den ungeheuern
416
Ritten, die wir in diesen Tagen gemacht. Wir legten uns
gleich zu Bette und schliefen weit in den folgenden Tag hinein.
Abreife von Damaskus. Baalbek. Die Cedern
des Libanon.
Indeffen hatte Skandar, während der Zeit wir den
Ausflug nach Palmyra gemacht, mit feinem Pferdehandel so
ziemlich reuffiert. Der Stallmeister des Persers hatte, wie
- er sagte, seinen Herrn dazu vermocht, das Pferd abzugeben;
dieser wollte jedoch nicht eher einen Preis bestimmen, bis wir
den Hengst nochmals und in seiner ganzen Schönheit im
freien Felde dahinjagend gesehen hätten, weshalb uns der
Stallmeister den Tag nach unserer Ankunft von Palmyra
auf Nachmittags drei Uhr bestellte, damit er uns den Hengst
vor den Thoren der Stadt vorreiten könnte. Dem Baron
waren diese Aussichten jedoch nur halb erwünscht; denn Herr
Baudin, der die Zeit unserer Abwesenheit ebenfalls dazu
benützt hatte, in unserem Intereffe Pferde anzusehen, ver-
sicherte, er habe keins gefunden, was jenem Hengst an Adel
und Schönheit gleich zu stellen fey; ebenso Skandar, der,
wie er versicherte, in allen möglichen Stallungen herumge-
krochen fey. Demungeachtet ritten wir Nachmittags hinaus,
und bald erschien auch der Stallmeister mit ein paar Knechten,
von denen einer das Pferd führte. So schön sich uns das
Thier schon beim ersten Anblick gezeigt hatte, so edel fanden
wir es auch jetzt in allen seinen Bewegungen, besonders da
ihn der Fürst ritt, dessen feine Figur zu der mittelgroßen
Gestalt des Pferdes sehr gut paßte. Der Baron würde
augenblicklich auf den Handel eingegangen seyn, wenn ihn
nicht die Idee abgehalten hätte, daß er, wie schon gesagt,
kein zweites, eben so edles Pferd finden würde, wodurch die
Transportkosten für das eine allein zu groß geworden wären.
417
Doch fragte er nach dem Preis, den ihm der Stallmeister
jetzt angab und der, obgleich er sehr hoch war, doch für den
edeln Hengst nicht zu übertrieben erschien.
Wir baten den Perser, auf den Abend zu uns in's
Kloster zu kommen, wo ihm der Baron seinen Entschluß
mittheilen würde, und ritten dann nach der Stadt zurück,
wobei viel für und gegen den Ankauf des Pferdes gesprochen
wurde, namentlich hatte sich der Fürst förmlich in den Hengst
verliebt und wandte eine ganze Ueberredungskunst auf den
Baron an, um ihn zum Ankauf desselben zu stimmen. Doch
fo sehr diesem auch das Pferd gefallen und er es mit gutem
Gewiffen für den angegebenen, selbst noch für einen höheren
Preis hätte kaufen können, hielt ihn doch der oben bemerkte
vernünftige Grund von dem Abschluß des Handels zurück,
und als der Perser am Abend zu uns kam, händigte ihm
der Baron für seine Bemühungen ein reiches Geschenk ein
und setzte ihm auseinander, warum er zu einem großen Be-
dauern das Pferd nicht kaufen könne.
So waren denn unsere Geschäfte auf einmal hier be-
endigt. So viel es uns die Zeit erlaubte, hatten wir die
Stadt gesehen und ein längeres Verweilen in derselben war
uns besonders wegen jener fürchterlichen Krankheit, die sich
immer mehr zeigte, nicht angenehm, weshalb wir noch heute
Abend unsere Sachen packen ließen und am andern Morgen
bei guter Zeit aufbrachen, um nach Beirut zurückzukehren.
Da überall in den Klöstern natürlich keine Zeche berechnet
wird, so gibt man dem Prior ein Geschenk für die Armen
und bezahlt auf die Art einigermaßen die Mühe und Kosten,
welche man den guten Paters verursacht. Der Prior erheilte
uns vor der Abreise einen Segen, wobei er die Hoffnung
aussprach, uns, da er vielleicht in einiger Zeit nach Italien
zurückkehren müffe, wiederzusehen.
Hackländer, R. in d. O. L. 27
418
Bald hatten wir die Stadt im Rücken und kletterten
die steilen Abhänge des Antilibanon hinauf, von wo aus wir
dem schönen Damaskus noch einmal mit unsern Blicken
Lebewohl sagten. Der gute Baron, der sich so viel Mühe
gegeben hatte, um ein paar schöne Pferde zu finden, war
sichtlich verstimmt, daß ihm das nicht gelungen war. Doch
der Fürst und ich fangen ihm seine Lieblingslieder vor und
bemühten uns, ihn durch unsere gute Laune wieder zu erhei-
tern, was uns auch bald gelang.
Wir machten denselben Weg, wie auf der Hinreise,
kehrten einen Augenblick in Schiras bei unsern guten Wirths-
leuten ein und stiegen wieder aufwärts längs den Ufern des
Barrada durch den wilden Felsenweg, in dem wir uns neu-
lich verirrt hatten. Heute beim hellen Tag konnten wir die
coloffalen schauerlichen Formationen dieser Schlucht recht er-
kennen. Ich kann diesen Weg mit keinem andern vergleichen,
als der via mala in der Schweiz, nur mit dem Unterschiede,
daß dort eine breite gut erhaltene Chauffée führt, hier aber
der Weg hoch über dem schäumenden Fluffe, kaum einen Fuß
breit und mit lockerm Steingerölle bedeckt ist. Die steinerne
Brücke, die wir gleich anfangs paffirten, schien uralt und war
kühn über eine gewaltige Kluft gespannt. Heute verirrten
wir uns nicht und folgten dem Weg durch jene seltsam ge-
formten Klüfte längs steilen Felsen vorbei, in denen wir
viereckige Löcher gehauen sahen, die, wie uns einer der Mucker
sagte, in frühern Zeiten Wohnungen der Bergvölker gewesen
seyen. Doch wäre es eben so glaubwürdig, wie uns Gio-
vanni versicherte, daß es alte Grabgewölbe feyen.
Die alte Tradition verlegt in diese wilden Felswege
eine Sage aus der ältesten Geschichte des Menschengeschlechts.
Kain, der seinen Bruder Abel am Altar auf dem Kafiun
bei Damaskus, wo damals das erste Elternpaar wohnte,
erschlug, wußte nicht, daß es der Tod fey, der ihm nach
419
jener That die Augen geschloffen und bemühte sich, als
schmerzliche Reue feinen Zorn verscheucht, ihn aus dem tiefen
Schlafe zu erwecken, aber vergebens. Er trug den Leichnam
des Bruders auf seinen Schultern, und schleppte ihn durch
das Thal Gutha, dem Lauf des Barrada entlang und legte
ihn an dieser Stelle nieder. Er setzte sich verzweiflungsvoll
neben der Leiche hin und schaute, ob der tiefe Schlaf noch
nicht weichen wollte, bis er einen Raben fah, neben dem
ein anderer todter Rabe lag und für welchen der erste mit
dem Schnabel ein Loch grub und ihn darin verscharrte. Da
fiel auch dem Kain ein, der Schlaf des Bruders könne ein
ähnlicher seyn, wie der des Vogels und es bedürfe ein an-
deres tieferes Batte, wie das auf dem Rasen unter dem
blauen Zelte des Himmels. Darauf nahm er den Todten
auf die Höhe eines der Berge und grub eine Gruft zur
Ruhestätte desselben.
Bald hatten wir das Ende jener Schlucht erreicht und
die erste Kette des Antilibanon überstiegen. In einem ziem-
lich langen Thale, das sie von der zweiten scheidet, lag
unser heutiges Nachtlager, Zebdeni, das wir mit Einbruch
der Nacht erreichten. Ein kleines armseliges Dörfchen, jedoch
mit Fruchtfeldern umgeben und in Maulbeerpflanzungen und
Platanen versteckt liegend. Wir hatten anfangs Schwierig-
keit, ein Unterkommen zu finden; denn Giovanni war heute
einmal wieder sehr schlechter Laune und führte uns in eine
elende Barracke, eine Art Scheune, wo wir die Nacht zu-
bringen mußten. So streng ihm auch der Baron befahl,
ein anderes Quartier zu suchen und sich beim Schech des
Dorfes darnach zu erkundigen, so störrisch war der Bursche,
meinte, es gebe gar keinen Schech im Dorfe, auch fey dies
Quartier eins der besten. Wir mußten uns in Geduld
fügen, obgleich der Fürst sowohl wie ich einen Augenblick
wartete, ob der Kerl, wie er wohl zu thun pflegte, ein
27
420
heftiges Wort ausstoßen würde. Für diesen Moment hatte
ich schon einen Steigbügelriemen in Bereitschaft, und
würde ihn derb durchgeprügelt haben. So einsam unsere
Scheune anfangs war, so belebte sie sich doch nach und
nach. Männer, Weiber und Kinder erschienen und setzten
sich in einem großen Kreise umher, unsere Kleider und felt-
famen Geräthe anstaunend. Ich nahm mein Taschenbuch
heraus und versuchte, ob ich nicht eines dieser charakteristi-
fchen Gesichter abzeichnen könnte, was den Arabern zu ge-
fallen schien und fobald sie merkten, was ich wolle, so drängte
sich jeder vor und bat mich, doch sein Gesicht besonders zu
berücksichtigen. Ich bin überzeugt, die Leute find mit einer
äußerst guten Meinung später von uns gegangen. Denn
später gaben wir ihnen noch ein Vokalconcert zum Besten,
in das einige mit einstimmten, andere aber durch einen
wilden Tanz begleiteten.
Am andern Morgen brachen wir zeitig auf, um die
herrlichen Ruinen von Baalbek noch bei guter Zeit zu er-
reichen. Es war außerordentlich kalt, als wir fortritten und
beim Hinansteigen der Berge gegen die zweite Kette des
Antilibanon trafen wir bald auf Schnee und kleine Berg-
waffer, deren Ufer mit Eiszacken eingefaßt waren. Wir
befanden uns hier in ziemlicher Höhe über der Meeres-
fläche, gegen drei tausend sechshundert Fuß, fast so hoch
wie der Gipfel des Brockens in Deutschland.
Obgleich es heller Tag war, und unsere Mucker be-
haupteten, den Weg nach Baalbek genau zu kennen, verirrten
wir uns doch nach einigen Stunden, eine Nachläffigkeit
dieser Leute, die uns einige Zeit raubte und uns obendrein
Pfade betreten ließ, die wir nach Allem dem, was wir kürz-
lich in dieser Art schon erlebt, doch fast unersteiglich vorkamen.
Gegen Mittag hatten wir den letzten Rücken des Anti-
libanon, wie unsere Mucker versicherten, vor uns liegen, der
421
fast ganz aus steilen Felsen bestand, und den wir auf einem
merkwürdigen Pfade erklettern mußten. Eins hinter dem
andern wanden sich die Pferde, zwischen Steinblöcken durch,
die sie wie Treppen ersteigen mußten, und fo dauerte es
über zwei Stunden, ehe wir oben waren. Etwas Wilderes,
Kahleres, als diesen Bergrücken sah ich nie; er war eine
Strecke mit spitzen Steinen bedeckt, die wie versteinerte
Wellen emporstarrten, so daß es den Pferden fast unmöglich
war, den Weg zu verfolgen, ohne sich zu beschädigen. Rechts
von uns erhob sich der Berg noch hundert Fuß höher in
einem einzigen steilen Felszacken, auf welchem sich ein Adler-
net befand. Der prächtige Vogel saß auf einer Spitze, und
fah verächtlich auf uns herab. Wir fchoffen unsere Pistolen
in die Luft, um ihn aufzujagen, was uns aber erst nach
mehreren Schüffen gelang. Die Aussicht, die wir hier oben
hatten, war großartig. In Süd-Süd-West sahen wir aus
weiter Ferne den schneebedeckten Dschebbel-Schech. Vor uns
trat die ganze mächtige Kette des Libanon, obgleich etwas in
Wolken gehüllt unserm Auge entgegen. Wir verließen jetzt das
Steinmeier und ritten über einen mit Haidekraut und niedri-
gen Eichen bedeckten Abhang und sahen bald das herrliche
Thal Bekaa vor uns liegen.
Anstatt gerade hinabzusteigen, zogen wir an einem Ab-
hang des Berges hin, und erreichten in Kurzem ein kleines
Dörfchen Zarain, hinter welchem wir unsern Weg wie oben
fortsetzten. Wir alle spähten sorgsam umher, um die präch-
tigen Ruinen von Baalbek zu erblicken, die unten in jenem
Thale liegen, doch mußten wir noch eine halbe Stunde
reiten, eh' uns dieser überraschend schöne Anblick zu Theil
wurde. Ich war gerade an der Spitze des Zuges und hielt
mit einem lauten Ausruf der Ueberraschung mein Pferd zurück;
denn plötzlich stiegen vor mir im Thale, in dem man weit
und breit nichts sieht, wie die kleinen armseligen Lehmhütten
422
der Syrier, sechs riesenhafte Säulen empor, deren majestä-
tische Gestalt unwillkührlich zu halten gebot und das Herz
schneller schlagen machte – Baalbek. –
Von jetzt an behielten wir die prächtigen Ruinen immer
im Auge und stiegen, wie magnetisch von ihnen angezogen,
schneller in's Thal hinab. Nach und nach trat der ganze
gewaltige Trümmerhaufen des Sonnentempels vor unsere
Augen. Umgestürzte Säulen, zerbrochene Mauerstücke, jetzt
der noch ziemlich erhaltene Tempel des Baal selbst, daneben
ein kleines rundes Gebäude mit korinthischen Säulen, zuletzt
die gewaltige Unterlage von den mächtigsten Steinblöcken,
auf welchen das Ganze ruht.
Bald erreichten wir das kleine Dörfchen Baalbek, das
ärmlich und unbedeutend neben den Ruinen liegt. Man
hatte uns in Damaskus gesagt, der griechische Bischof von
Baalbek fey ein sehr gastfreundschaftlicher Mann, und würde
uns, da wir keine Engländer feyen, gerne ein Obdach ge-
währen. Gegen Altengland und seine Söhne nämlich hat
der fromme Bischof, man weiß übrigens nicht, woher einen
unüberwindlichen Haß, und tritt, fo viel es ihm möglich ist,
gegen das mächtige Reich in offenbare Opposition, die er
jedoch nur an den Engländern, die ihn besuchen wollen,
ausübt; denn obgleich sein Haus für Fremde gern geöffnet
wird, geräth er in heftigen Zorn, wenn demselben ein Eng-
länder naht und soll vor noch nicht sehr lange einem vor-
nehmen Reisenden dieses Volks mit den größten Schelt-
worten die Thür gewiesen haben. Dagegen hält er die
Franzosen sehr werth, und sie sind ihm in Europa das gute
so wie die Engländer das böse Prinzip.
Obgleich wir gewiß keine Engländer waren, hatten wir
doch nicht die Ehre, von dem Bischof aufgenommen zu wer-
den, denn der arme Mann befand sich gegenwärtig so krank,
daß man jede Stunde fein Ende erwartete. Doch fanden
423
wir ein recht gutes reinliches Quartier bei dem Schech des
Dorfes, der uns freundlich entgegen kam.
Wir nahmen ein kleines Mittageffen ein und gingen
dann zu den Ruinen, um sie in der Nähe zu besehen.
Ueber dieselben ist schon so viel Gutes geschrieben und ge-
zeichnet worden, daß ich nur wenige Worte darüber sagen will.
Baalbek ist das alte Baalgad und Baalhamon der
heiligen Schrift, defen heut noch stehende Ruinen der
Tempel der Sonne und der Tempel verschiedener anderer
Gottheiten der Alten sind. Von der mächtigen Stadtfelbst,
wie sie in den Zeiten des israelitischen Reichs gewesen,
findet man keine Spur mehr, als nur wenige Mauerreste
und unausgefüllte Gräben. Jener Tempel waren zwei, die auf
mächtigen gewölbten Unterlagen stehen, von denen der eine, der
das Baal noch ziemlich erhalten ist. An den vier Mauern,
die aus großen Quadern in kunstloser Einfachheit aufge-
führt sind, fieht man noch die ganze sorgfältige Ausführung
des Fries und Karnies mit den schönsten netzförmig sich ver-
webenden Bildwerken. Von den Säulenreihen, die sie
rings umgaben, sieht man an der nördlichen Außenseite noch
neun. Es waren vierzehn auf dieser Seite, und die fehlen-
den fünf liegen in großen Blöcken umher oder stehen noch
stückweise auf ihrem Piedestal. Auf der südlichen Seite stehen
von diesen vierzehn nur vier und auf der Westseite, wo acht
Säulen waren, sieht man nur noch drei. Vom Portikus
im Osten, der aus zwei Säulenreihen bestand, haben sich
nur noch viere erhalten, an welche die Saracenen aus den
Trümmern der andern einen plumpen Thurm mit einer Mauer
gebaut haben, der den Eingang dieses schönen Tempels ver-
deckt. Noch wohl erhalten ist das Innere desselben, zu
welchem man durch ein Portal tritt, an dem der korinthische
Baustyl. Alles, was ihm an Verzierungen zu Gebote stand,
beinahe überladen, aber doch dem Auge wohlthuend durch
424
Symmetrie und Zusammenpaffen des Ganzen angebracht
hat. Der Schlußstein des Portals ist durch ein Erd-
beben oder durch seine eigene Schwere allmählig gesun-
ken und hängt, nur noch von den Nebensteinen gehal-
ten, drohend über dem Eingang, als wolle er die heiligen
Räume des Tempels vor jedem unberufenen Besucher
durch einen Anblick schützen. Auf diesem Steine ist
das Bild eines Adlers ausgehauen und zu beiden Seiten
geflügelte Genien. Die inneren Wände sind ebenfalls glatt
mit sechs gerinnten Säulen an jeder Seite versehen, zwischen
denen sich ebenso viele kleine Nischen befinden; doch gewährt
von hier das Gebäude durch die mächtigen Schutt- und
Trümmerhaufen, die den Boden bedecken, einen weit trau-
rigeren Anblick, als das prächtige Gebäude von außen.
Von dem andern Tempel, der zu einem Pantheon
dienen sollte, ist wenig mehr vorhanden, als jene sechs colo-
falen Säulen, von denen ich oben sprach. Dieses unge-
heure Bauwerk muß an tausend Schritte lang gewesen seyn;
doch find viele der ältern und neuern Reisenden darüber
einig, daß es, wie auch so viele großartige Gebäude bei
uns, nie fertig geworden sey. An der Ostseite war der
Eingang, zu welchem große Stufen hinanführten. Der
Portikus hier hatte zur Rechten und Linken prachtvolle Pavil-
lons und führte auf einen sechseckigen Hof, der, so wie
diese Pavillons, nie vollendet gewesen zu seyn scheint.
Von hier kam man in einen großen viereckigen Hof,
deffen Wände rechts und links, wie man noch jetzt sieht,
auf das schönste ausgeführt waren. Besonders schön
find die in denselben befindlichen Zellen und Exedren,
die Wohnungen für die Priester und Magier, so wie die
zu Aufstellung der Götterstatuen bestimmten Nischen. Erst
von diesem Hofe aus trat man abermals auf Stufen in den
425
innern Tempel, den ein Portikus von zehn Säulen schmückte.
Dieser Tempel hat vielleicht sowohl an der Nord- als Süd-
feite zwanzig jener großen Säulen gehabt, von denen die
sechs oben erwähnten das Einzige sind, was im Lauf der
Zeiten stehen blieb. Etwas Schöneres aber als diese Säulen,
denen jede an siebzig Fuß Höhe hat und deren Schaft aus
einem Stücke besteht, sieht man nicht wieder. Selbst Pal-
myra hat keine ähnlichen von so klarer, bewundernswürdiger
Schönheit. Man mag diese Riesen von nah und von
fern ansehen, von vorn oder von der Seite, man vermißt
nichts an ihnen, und ihre Anmuth, so wie die Richtigkeit
ihrer Formen bleibt sich immer gleich. Nichts von Allem
dem, was ich in Palmyra, sowie an andern Orten von
Ruinen fah, steht deshalb auch stets so lebendig und an-
schaulich vor meinem Blick, wie diese sechs Säulen von
Baalbek.
Die Steine zu diesen Tempelburgen wurden von den
Abhängen des Libanon und Antilibanon herbeigeschafft,
meistens aus der Nähe. So liegt südlich von Baalbek ein
großer Steinbruch, in dem bei mehreren kleinen Blöcken ein
schon ganz fertig gehauener Steinblock von ungeheurer Größe
liegt. Welche Maschinenkräfte die Alten schon beim Bau
ihrer Werke kannten und anwandten, erfieht man aus den
Dimensionen dieses Felsstückes, das doch ebenfalls auf den
Bauplatz geschafft und da benutzt werden sollte. Seine
Länge beträgt bei fünf und sechszig Fuß rheinländisch, die
Breite siebzehn und die Dicke dreizehn Fuß. Wozu dieser
Block hat verwendet werden sollen, ist natürlich nicht zu ent-
räthseln. An den südwestlichen Grundmauern der Burg sieht
man einige nicht viel kleinere Werkstücke eingefügt; doch ist
es auch möglich, daß man aus diesem Block eine der noch
fehlenden Säulen zum großen Tempel hat behauen wollen.
426
Bis zum Einbruch der Nacht gingen wir zwischen den
Ruinen herum, erkletterten die Mauern und krochen in die
Gewölbe unter dem Boden. Letztere, vielleicht Gefängniffe
der unglücklichen Schlachtopfer, die hier dem wilden Dienst
der Aphrodite geopfert wurden, sind aus mächtigen Quadern
so kunstreich zusammengesetzt, daß man an den Wänden fast
keine Fugen sieht. Was mochte in diesen Gewölben schon
Alles vorgefallen feyn. Wie viel Seufzer, wie viel ver-
zweiflungsvolle Bitten mögen wohl das Ohr der Tempel-
wächter eben so wenig erweicht haben, wie diese Mauern.
An solchen Orten ist meine Phantasie besonders regsam, mir
solche Scenen auszumalen. Hier saß vielleicht ein unglück-
liches Wesen, ich denke mir am liebsten ein wunderschönes
Weib dabei, und wartete auf den Augenblick, wo sie ent-
weder ihr Leben oder ihre Ehre opfern mußte. Von oben
ertönte der langsame tiefe Gesang der Priester, der immer
näher kam. Sie stiegen die Treppen herab und ich – eilte
rasch meinen vorangegangenen Gefährten nach, denn mir
war, als hörte ich den wilden Gesang dicht hinter mir, und
berühre meine Wangen schon das Wehen der langen Talare.
Draußen erwartete uns noch der schöne Anblick der
Ruinen bei Abendbeleuchtung. Wir erkletterten im großen
Hofe eine der Mauern und setzten uns mit dem Angesicht
gegen Westen, gegen die Heimath zu, an die wir dachten,
während unser Auge mit Wohlgefallen die edlen Formen der
Ruinen fah, wie man so oft beim Erblicken eines schönen
Bildes an einen entfernten geliebten Gegenstand denkt. Vor
uns hatten wir die Kette des Libanon mit feinen Schnee-
spitzen, hinter denen die Sonne sank und uns ihre letzten
Strahlen zusandte. Der Tempelhof unter uns, mit seinen
wild durch einander geworfenen Trümmern, lag schon im
Dunkel, als wir auf der Zinne der Mauer noch von der
Sonne beschienen wurden. Doch auch wir mußten zurück-
427
bleiben und der glänzende Schein hob sich allmählig hoch und
immer höher. Jetzt vergoldete er die Capitäler der sechs
Säulen, denen die Sonne, als das Schönste, was sie hier
fand, ihre letzten Blicke schenkte, und flog dann zu den
Wolken auf, mit den purpurgefärbten, eilig gen Westen
fliehend.
Wir verließen die stillen und öden Tempel, jene Grab-
male einer längst vorgegangenen Zeit und gingen nach dem
Dorfe zurück. Dicht bei demselben betrachteten wir noch ein
anderes kleineres Bauwerk, einen halbrunden Tempel, dessen
Mauern inwendig mit den schönsten Bildhauerarbeiten über-
zogen sind. Doch sind diese nach allen Seiten zerborsten
und die das Tempelchen umgebenden Säulen stützen sich wie
matt und krank gegen einander und werden wahrscheinlich in
kurzer Zeit zusammenstürzen.
Der Schech des Dorfes, er hieß Achmet Godder, war
uns ein sehr freundlicher Wirth. Sein Befizthum bestand
aus zwei kleinen Häusern, die durch einen klaren Bach, den
Leontes, von einander geschieden wurden. Er hatte uns
das eine eingeräumt und mit Strohmatten und Divan kiffen
recht wohnlich aufgeputzt. Er erzählte uns während dem
Abendeffen Manches von der Armee Ibrahim Pascha's, die
hier gelegen und in einigen großen schlecht gebauten Häusern,
die wir heute morgen bemerkt, ein Feldlazareth eingerichtet
hatten, in welchem aber die Pest stark aufräumte.
Am folgenden Morgen lachte uns das herrlichste Wetter
von der Welt. Der Himmel hing klar und wolkenlos über
uns und die Morgensonne spielte lustig auf den tausend
Thautropfen, die an dem Gras und Haidekraut des schönen
Thales hingen. Selbst die beiden Bergketten warfen früher
als gewöhnlich ihre grauen Nebelschleier von sich und schienen
sich des schönen Tages zu freuen.
428
Wir verließen unsern guten Schech und durchschnitten
das Thal in nordwestlicher Richtung, wobei wir noch oft
nach den Ruinen zurückfahen. Am Fuß des Libanon schickten
wir zwei Mucker mit den bepackten Mauleseln, so wie Skan-
dar und Mechmed dem Thal entlang gen Sachile, wo wir
am folgenden Tage wieder zusammen treffen wollten. Denn
wir hatten noch einen Ritt vor nach den weltberühmten
Cedern des Libanon. Unser Weg führte durch dichten Wald
ziemlich steil aufwärts bei zwei ärmlichen Dörfern vorbei,
hinter welchen wir uns mehr nördlich wandten. Vor uns
sahen wir jetzt eine Hauptspitze des Libanon, den Dschebbel
Makmel, zwölftausend Fuß hoch, gegen welche sich unsere
Mucker dirigierten. Unser Weg war entsetzlich mühsam und
obgleich wir fast immer zu Fuß gingen, mußten wir doch
immer nach ein paar Stunden wegen unserer ermatteten
Thiere ausruhen. Gegen Mittag waren wir so hoch gestie-
gen, daß wir uns alle die milde Luft des Thales wünschten.
Aus den mit Schnee angefüllten Schluchten stieß zuweilen
der Wind mit Heftigkeit hervor und durchkältete uns trotz
der Mäntel und Pelze. Zuweilen wurden wir rückwärts
blickend durch eine herrliche Aussicht belohnt. Da lag Bekaa
vor uns, das herrliche Thal, das alte Kelisyrien und wir
sahen die ganze Kette des Antilibanon, die es im Südost
einfaßte. Bald hatten wir den höchsten Punkt der Straße
erreicht, vielleicht fiebentausend Fuß über dem Meer, und
konnten nicht gar weit mehr von dem Cedernhain entfernt
feyn. Rechts sahen wir in ziemlicher Entfernung ein Dorf
vor uns liegen, Hosran, das wir in kurzer Zeit erreichten.
Von hier aus nahmen wir einen Führer mit, der uns bald
an den Eingang des Thales der Cedern führte. Der ganze
Weg vom Fuß des Libanon dahin war nicht weniger ge-
fährlich und halsbrechend, wie alle, die wir in diesen Ge-
birgen gemacht hatten. Bald mußten wir Bergwaffer in
429 -
Ermanglung von Brücken durchwaten, bald ging es Schluchten
hinab und hinauf, deren Wände mit lockerem Steingerölle
bedeckt, die Thiere hinabrutschen mußten, bald am Rande
jäher Abgründe vorbei, auf fußbreiten Pfaden, wie ich sie
schon öfter beschrieben. -
Das Thal der Cedern, dessen Durchmeffer höchstens
eine kleine halbe Stunde beträgt, ist auf drei Seiten ein-
geschloffen, nur in Südwest ist es geöffnet, wo die Schnee-
waffer ihren Abfluß nehmen. Ohne diese Gestaltung der
Berge würde der Platz hier wahrscheinlich ein See oder un-
wirthbarer Sumpf feyn; doch fo, von den Bergwaffern
beständig angefeuchtet und vor den Winden geschützt, bildete
die Natur hier ein Asyl, in welchem jene mächtigen Bäume
Jahrtausende dem Wetter und der Zeit trotzen konnten.
Aufrichtig gesagt, wäre es mir lieber gewesen, ich
hätte die Cedern nie gesehen; denn die Idee, welche man
sich schon in der Kindheit von diesem prächtigen Baume
Salomos macht, verschwindet beim Anblick derselben gänz-
lich. Wer stellt sich nicht unter den Cedern des Libanon
riesenhafte schlanke Bäume vor, von der Gestalt unserer
Tannen, wogegen aber unsere höchsten Stämme wie Zwerge
erscheinen? Ich wenigstens sah sie beständig so vor mir, mit
schöner glatter Rinde, wahre Thürme, deren Spitze hoch in
die Wolken hinaufreicht. Doch nichts von Allem dem die
ersten dieser berühmten Cedern, die den Waldsaum umgaben,
waren vielleicht zwanzig Fuß hohe Bäume, ganz von der
Gestalt unserer Wachholdersträuche, deren Aeste dicht über
dem Boden anfingen und sich in unregelmäßiger Gestalt nach
allen Seiten ausbreiteten. Doch betraten wir in feierlicher
Stimmung diesen Hain, über dem eine tiefe Stille lag, die
nicht einmal durch den Laut einer Vogelstimme unterbrochen
wurde, jenen heiligen Hain, in welchen Salomo feine Knechte
schickte, um das Holz zur Bundeslade zu holen.
430
Während wir über die Rasendecke dahin gingen, zwischen
den stillen alten Bäumen, fiel mir ein bekanntes Lied ein,
das mir sehr hieher zu paffen schien, welches anfängt:
Ueber allen Wipfeln ist Ruh' 2c.
Unser Führer, ein Maronite, war schon von Ibrahim
Pascha zu diesem Amte erlesen worden und sollte es verhüten,
daß von den Bergbewohnern im Cedernhaine kein Holz ge-
hauen würde; nicht einmal dürres aufzulesen, hatte der
Pascha erlaubt, ein Befehl, der ihm viel Ehre macht.
Tiefer im Wald sind die Bäume größer und stärker und
viele derselben mit einer Menge von Namen bedeckt, zu
welchen auch wir die unsrigen hinzufügten. Die ältesten
Cedern jedoch, welche man als Zeitgenoffen Salomo's be-
zeichnet, stehen in der Mitte des Waldes auf einem kleinen
freien Platz. Ihrer find fünf, deren Stamm neun Fuß im
Durchmesser hat. Einer derselben erscheint noch dicker, weil
der Blitz ihre Krone zerstört und den Stamm von einander
geriffen hat. Da man diese Ceder für die älteste und hei-
ligte hält, hat man an ihrem Stamme aus rohen Steinen
einen Altar aufgerichtet, auf welchem jährlich einmal am
Himmelfahrtstag eine Meffe gelesen werden soll. Die Rinde
des alten Baumes ist fast ganz verschwunden, denn viele
Reisende nahmen sich Stückchen davon mit oder schnitten ihre
Namen in so großer Anzahl ein, daß sie nach allen Seiten
hin wie zerfetzt und durchbrochen aussieht; selbst die weit
hinauslaufenden Wurzeln dieses Baums sind mit Inschriften
aller Art bedeckt. Wir brachen von ihren Zapfen ab, die
ungefähr wie die der Tannen gestaltet sind, aber in die
Höhe wachsen.
Die einbrechende Nacht vertrieb uns nach einigen
Stunden aus dem Cedernhain, und da das Terrain gleich
hinter dem Thale bedeutend abwärts steigt, so hatten wir
431
die alten Bäume bald aus dem Gesicht verloren. Wir er-
reichten in kurzer Zeit das Dorf Hosran, wo wir über-
nachteten. Am andern Morgen brachen wir sehr früh auf,
um noch bei guter Tageszeit unsere übrigen Mucker wieder
zu treffen, - die nach Sachile vorausgegangen waren. Das
Abwärtssteigen ging so rasch und gut von Statten, daß wir
in wenig Stunden die Ebene, in welcher Baalbek liegt,
wieder erreicht hatten. Doch erlaubte uns der Lauf des
Gebirgszuges nicht, die Ruinen noch einmal zu sehen. Das
Wetter war uns wieder so günstig, wie gestern, und wir
trabten in heiterer Luft und Sonnenschein über die blumige
Rasendecke des schönen Thales rasch dahin. Bei Kerak,
einem kleinen Dorfe, das, wie die meisten der Dörfer hier,
in einer malerischen Schlucht des Libanon versteckt liegt,
hielten wir einen Augenblick an, um ein mit niedern Bäumen
umgebenes Gebäude, mehr als zehn Fuß lang und an drei
Fuß breit, zu betrachten – der Sage nach das Grabmal
Noah's. Ich hätte es weit eher für eine Kegelbahn gehalten,
denn mit einem Mausoleum hatte es auch nicht die geringste
Aehnlichkeit.
Hinter Kerak ließen wir unsere Pferde etwas ruhiger
gehen, unterhielten uns über das viele Schöne, was wir in
den letzten Tagen gesehen, als wir plötzlich hinter uns den
Galoppschlag eines ansprengenden Pferdes hörten. Ehe wir
Zeit hatten, uns umzusehen, was es gebe, war der Reiter
deffelben, ein Beduine in gutem Costüme, schon neben uns
und ließ uns in wenig Augenblicken weit zurück. Wie aus
einem Munde riefen wir uns beim Anblick desselben zu:
„Welch' prächtiges Pferd!“ Es war eine große starke Stute,
mit fußlanger schwarzer Mähne, und mit einer Schnelligkeit
jagte das Thier bei uns vorbei, die fast beispiellos war.
Jetzt sahen wir nur noch vor uns eine Staubwolke, aus der
432
die Lanze des Beduinen emporragte. Dann jagte er eine
Schlucht hinauf und war unsern Blicken entschwunden.
Obgleich es die Gewohnheit der Beduinen ist, beim
Anblick von Fremden ihre Pferde zusammen zu nehmen und
fie in ihrer schönsten Gestalt zu zeigen, wobei sie mit der
größtmöglichen Schnelligkeit vorbeifliegen, so daß man sich
in solchen Augenblicken über die Figur eines Pferdes täuschen
kann, so schien dieß bei dieser Stute nicht der Fall zu feyn,
denn der Reiter, ein ältlicher Mann, sah sich gar nicht nach
uns um, sondern verfolgte seinen Weg so eilig wie möglich.
Unser Baron, dem die vollkommene Schönheit des Pferdes
am meisten aufgefallen war, rief gleich aus: „Das Pferd
oder keins!“ Und wir erkundigten uns bei den Leuten, die
uns begegneten, ob keiner den Reiter gekannt; aber Niemand
wußte uns etwas von ihm zu sagen. Rasch trabten wir
wieder vorwärts, um ihm vielleicht wieder nahe zu kommen;
aber umsonst! Schon lag Sachile vor uns und wir hatten
noch keine Spur von ihm.
Sachile ist eines der größeren Dörfer, die im Libanon
liegen und wird hauptsächlich von Maroniten und andern
Christen bewohnt, deren Zahl man auf fünf bis sechstausend
schätzt. Der Ort selbst, übrigens aus ebenso schlecht ge-
bauten Häusern, wie alle diese Gebirgsdörfer bestehend, liegt
malerisch am Abhang der Schlucht eines Gebirges, aus der
ein reißendes Bergwaffer in's Thal stürzt. Die Felder rings
herum fanden wir beffer angebaut, als wir sie seit lange
gesehen; grüne Wiesen wechselten mit Gartenanlagen, in
denen Rosen und Weinstöcke am häufigsten zu sehen waren.
Da wir nur wenig Augenblicke hier bleiben wollten, um noch
einen andern Chan tiefer im Gebirge zu erreichen, damit wir
morgen in einem Tage nach Beirut kämen, so gingen wir
in keins der Klöster, sondern forschten nach dem Chan, wo
wir unsere Mucker treffen sollten. Wir mußten fast durch
433
das ganze Oertchen in einem bodenlosen, mit Schmutz bedeckten
Hohlwege reiten, ehe wir ihn erreichten. Doch war das
erste, was sich unsern Blicken darbot, jene Stute, die auf
einem Misthaufen stehend, mit traurig gesenktem Kopf einige
trockene Strohhalme daraus hervorsuchte. Der Reiter saß
auf der Terraffe vor dem Hause und beschäftigte sich sehr
eifrig mit seiner Pfeife und einer Taffe Kaffee.
Unsere Mucker schienen sehr erfreut, uns wieder zu
sehen; doch war es ihnen gar nicht recht, daß wir ihnen
befahlen, die Thiere gleich aufzupacken, um noch ein paar
Stunden weiter in einen schlechteren Chan zu ziehen, da es
ihnen in Sachile wahrscheinlich beffer gefiel.
Wir setzten uns neben den Beduinen und der Baron
fing durch Giovanni gleich an, sich nach jenem Pferde zu
erkundigen und ob er es wohl verkaufen würde, wozu er
natürlich gleich bereit war. Doch sollten wir, ehe er einen
Preis bestimmen würde, das Pferd genau ansehen, um ihm
zu bezeugen, daß wir auch nicht den geringsten Fehler an
dem Thiere gefunden hätten. Der Baron benützte gleich
diese Erlaubniß, besah das Pferd auf's Genauste in allen
seinen Theilen und versicherte uns einmal über das andere,
es fey ein außerordentlich schönes und edles Thier. Was
er besonders an ihm schätzte, war eine auffallende Größe
und die Stärke der Glieder gegen die gewöhnliche Figur der
arabischen Pferde. Das Einzige, was man allenfalls an
der Stute aussetzen konnte, bestand darin, daß die hochträchtig
war, und in höchstens drei bis vier Wochen fohlen würde;
ein Umstand, der bei der langen Tour, die wir mit dem
Pferde noch zu machen hatten, wohl zu berücksichtigen war.
Im glücklichsten Fall konnte man aber auch erwarten, von
dem edlen Pferde ein schönes Fohlen zu erhalten.
Der Preis, den der Beduine nach dieser Besichtigung
für das Thier forderte, war allerdings sehr hoch, doch nicht
Hackländer, R. in d. O. I. 28
434
übertrieben. Aber Giovanni, der im Handeln sehr auf unser
Intereffe fah – diese gute Eigenschaft mußte man an ihm
rühmen – stellte sich bei dieser Forderung, wie aus den
Wolken gefallen, und überhäufte den Araber mit einer Flut von
Schimpfworten über diese Unverschämtheit, worauf ihm jener
ruhig erwiderte: er solle die Summe feinem Herrn nur sagen,
der würde es nicht zu viel finden. Doch Giovanni wurde
immer hitziger und wenn wir nicht schon an das Geschrei der
Araber beim Handeln gewohnt gewesen wären, so hätten
wir geglaubt, jetzt würden sich beide in die Haare fallen.
Der Baron, der wohl verstanden hatte, welche Summe der
Araber gefordert, ließ ihm durch Giovanni gerade ein Dritt-
theil weniger bieten, was aber der Beduine scheinbar mit
stolzer Verachtung von sich wies. Doch waren wir hierüber
nicht verwundert und der Baron hatte jenes Gebot nur ge-
than, weil ihn derselbe Grund, wie in Damaskus abhielt,
dies Pferd allein zu kaufen.
Bald nachher brachen wir auf und waren kaum vor
das Dorf gekommen, als uns jener Beduine einen andern
Araber nachschickte, der uns das Pferd für tausend Piaster
unter der anfangs geforderten Summe anbot, eine Forderung,
auf die der Baron jetzt gerade nicht einging. Wir stiegen
die Schlucht, in welcher Sachile liegt, rasch hinab, und
befanden uns bald wieder in dem Thale, wo unser
Weg am Fuß des Libanon hinlief. Wir hatten Sachile noch
keine Stunde verlaffen und unterhielten uns gerade über das
tückische Schicksal, das uns die beiden schönen Pferde so
einzeln in den Weg führte, wo wir sie nicht mitnehmen
konnten, da sie vereint ein so guter Kauf für uns gewesen
wären, als wir hinter uns laut rufen hörten. Es war der
Beduine, der auf der Stute hinter uns drein jagte. Wir
erwarteten ihn und als er von seinem Pferde sprang, wollte
er anfänglich fein altes Handeln um den früher bedungenen
435
Preis wieder beginnen. Doch als wir auf diese Forderung
hin unsere Pferde gleich wieder wandten und fortreiten woll-
ten, verkleinerte er die Summe immer mehr und kam endlich,
da ihm, wie er sagte, augenblicklich baares Geld schätzbarer
fey, als das Pferd, auf unser Gebot, das ihm natürlich
der Baron einhalten mußte und – die Stute war unser.
Schon auf dem Weg von Sachile hieher, als der Baron
den Kauf dieses Thieres so vortheilhaft für sich schilderte, wenn
er jenen Hengst aus Damaskus befäße, erbot ich mich, wenn
er jene Stute kaufen wollte, allein dahin zurückzureiten und
wenn es noch möglich fey, das Pferd mitzubringen; ein Vor-
schlag, auf den er, da er mir Mühe mache, mit feiner be-
kannten Güte anfänglich nicht eingehen wollte. Doch jetzt,
da wir die Stute gekauft hatten, und ich ihm versicherte, es
würde mir Freude machen, wenn ich ihm den kleinen Ge-
fallen erweisen könnte, nahm er meine Idee auf, und wir
besprachen das Nähere darüber. Da uns diese Unterhand-
lungen eine Zeit lang aufgehalten hatten und wir den Chan
weiter im Gebirge vor der Nacht nicht mehr gut erreichen
konnten, so fuchten wir in einigen nahe liegenden ärmlichen
Häusern eine Unterkunft für diese Nacht.
Der Stall, in welchen wir unsere Pferde stellten, war
gegen unser Gemach prächtig zu nennen. Der Boden des
letzteren bestand aus gestampfter Erde und die Wände waren
dünnes Fachwerk, deren Fugen mit Moos und Erde verstopft
waren. Obendrein hatte das Haus keinen Rauchfang, wes-
halb das angezündete Holz einen solchen Rauch verursachte,
daß wir nur das Gesicht an den Boden legend die Augen
offen erhalten und mit einander sprechen konnten. -
Von hier nach Damaskus hatte ich in gerader Rich-
tung, wobei ich Baalbek zur Linken liegen ließ, einen Weg
von achtzehn deutschen Stunden, von dem ich jedoch nur ein
Drittel, wegen des Terrains, im Trabe zurücklegen konnte,
28
436
den ich morgen reiten wollte, um am Abend in Scham einzu-
treffen. Der Baron gab mir einen Schimmel als das beste
Pferd mit einem englischen Sattel und zu meiner Begleitung
wurden Skandar und Mechmed bestimmt, so wie ein junger
Araber aus dem Hause, in das wir uns einquartiert hatten,
der uns als Führer durch die Gebirgswege dienen sollte.
Da in unserer Reisekaffe nicht mehr die ganze Summe,
die man für den Hengst gefordert, vorräthig war, so gab
mir der Baron einen Creditbrief auf den Herrn Baudin und
an baar so viel, wie er entbehren konnte. Auch von unserem
Proviant, der sehr zusammen geschmolzen war, packte ich
einige Reste ein, so wie das Theegeschirr des Fürsten. Durch
die angedeuteten Unbequemlichkeiten unserer Wohnung hatten
wir eine schlechte Nacht, die noch durch den gräßlichen Husten
eines unserer Mucker vermehrt wurden. So wie einer von
uns die Augen schloß, fing jener Kerl an zu stöhnen und zu
seufzen, so daß es fast nicht möglich war, eine Minute
zu schlafen.
Am folgenden Morgen gegen vier Uhr, als der erste
Schimmer des Tages in unser Gemach drang, standen wir
auf und machten uns reisefertig. Ich sollte mit meinem
Zug zuerst abreiten. Meinen Säbel hatte ich mit dem des
Fürsten vertauscht, so wie auch seinen Handschar genommen,
von dem ich früher gesprochen. Die Pistolen des Barons
nahm Skandar; nur Mechmed der Riese begnügte sich mit
seinem Wurfspieß, den er heute Morgen außergewöhnlich
putzte. Ich nahm von den beiden Freunden herzlichen Ab-
schied. Der Baron drückte mir die Hand stärker, als ge-
wöhnlich, und versuchte den Morgen noch einmal, mich von
dem Ritt zurückzuhalten; doch gegen den Wunsch eines Her-
zens, denn ich wußte wohl, welch' großen Dienst ich ihm
durch den Ankauf jenes Pferdes erwies. Selbst Giovanni
zeigte sich heute Morgen sehr gefühlvoll und sagte mir ein
437
herzliches Lebewohl, aus dem einfachen Grunde, wie er mir
nachher gestand, weil er befürchtet, die Deserteure oder strei-
fenden Araber würden uns ausplündern oder vielleicht gar
umbringen.
Eine seltsamere Expedition als die meinige nach Da-
maskus ist wohl in langer Zeit nicht gemacht worden. Wir
waren unserer vier, von denen ich deutsch sprach, Skandar
russisch und perfisch, Mechmet tscherkesfisch und unser Führer
arabisch, auf welche Art also auch keiner den andern verstehen
konnte. Auf der weiten Ebene, auf der wir rasch dahin
trabten, lag ein dichter Nebel, der sich immer tiefer senkte
und uns einen schönen Tag versprach. Eine halbe Stunde
nach unserem Ausritt hielt der Beduine einen Augenblick an,
und forderte mich durch Pantomimen auf, einiges Brod zu
kaufen, was man hier sehr gut bekommen konnte. Ich
nahm ein paar Dutzend Brodkuchen für ein paar Piaster,
verheilte sie an meine Leute und wir ritten weiter. Skandar
war voran und trieb mächtig zur Eile, denn wir hatten
keine Zeit zu verlieren, wenn wir Abends nach Damaskus
kommen wollten. Gegen neun Uhr hatten wir die Ebene
durchkreuzt und begannen am Fuß des Libanon empor zu
steigen. Ich hatte mir vorgenommen, nicht eher eine Rast
zu machen, bis wir nach Schiras gekommen wären, wo ich
bei unsern frühern Wirthsleuten einen Augenblick anhalten
wollte. Doch mußte uns der Beduine einen andern Weg
geführt haben, denn anstatt in jene Schlucht zu kommen,
durch welche der Barrada fließt, stiegen wir ungefähr in
der Gegend einen sehr steilen Berg hinan und kamen auf
ein großes Plateau, auf dem wir rascher vorwärts traben
konnten. Trotz dem versicherte mir unser Beduine beständig,
wir würden bald nach Schiras kommen, und ob er mich nicht
verstanden oder absichtlich einen andern Weg geführt hatte,
weiß ich nicht; genug, als wir nach meiner Berechnung schon
438
lange den Ort hatten erreichen müffen, ritten wir noch immer
in einem mir ganz unbekannten Terrain.
Es mochte Nachmittags drei Uhr feyn, als ich in einer
kleinen Schlucht, in der ein klarer Bach floß, anhielt, und
vom Pferde stieg. Ich war von dem langen Ritte fo er-
müdet, daß ich mich lang auf dem Boden ausstreckte und
mich hin und her wälzte, um meine Glieder wieder gelenkig
zu machen. Es war mir sehr verdrießlich, daß wir Schiras
noch nicht erreicht haben sollten, denn von da hatten wir
noch gute drei Stunden nach Damaskus zu reiten und ich
befragte meinen Beduinen, der sich eifrig mit einem großen
Stück Käse beschäftigte, nochmals genau nach Schiras, und
ob wir denn nicht bald hinkommen würden, worauf er mir
durch Zeichen fagte, was ich denn in Schiras wolle, da wir
gleich in Damaskus feyen; eine Neuigkeit, die mich angenehm
überraschte, die aber richtig war; denn nachdem wir eine
halbe Stunde geruht und den vor uns liegenden Berg er-
stiegen hatten, sah ich zum zweiten Mal die prächtige Stadt
vor mir liegen.
Der Weg, den wir früher über Schiras genommen hat-
ten, mußte uns weit zur Linken liegen, denn dort erblickte
ich hie und da zwischen den weißen Kalkfelsen die grünen
Bäume, welche die Ufer des Barrada bedecken. Ich weiß
nicht, ich fah Damaskus heute mit einem ganz andern Ge-
fühl, wie das erste Mal. Wir hatten es vorgestern mit den
Gedanken verlaffen, daß wir es nimmer wieder sehen würden
und wie ich nun heute plötzlich wieder von der Höhe des
Libanon die Stadt vor mir liegen fah, und mir, der ich ge-
fern noch in Begleitung der Freunde war, heute aber der
einzige Europäer zwischen den aberteuerlichen Gestalten meiner
Begleitung hier oben hielt und in das Thal Gutha hinab-
schaute, kam es mir vor, als eyen viele Jahre vergangen,
339
und ich beträte diese Gegenden nach langer Abwesenheit zum
zweiten Mal.
Wir ritten langsam gegen die Stadt hinab und es
fing an zu dämmern, als wir die Mauern erreichten. Und
hier brachte uns unser Führer in eine nicht geringe Verle-
genheit, indem er erklärte, den Weg bis hieher habe er wohl
gewußt, aber uns zum Kapuzinerkloster zu bringen, wisse er
die Straße nicht. So viel es mir möglich war, suchte ich
mich nach der großen Moschee, die in der Nähe unseres
Klosters lag, zu dirigieren und ritt voran in die schon leerer
werdenden Straßen. Doch mochte es an der einbrechenden
Nacht liegen, oder weil die Gaffen in ihrem Schmutz und
ihrer Erbärmlichkeit einander so ähnlich sehen, genug, ich
fand den Weg nicht und wir befanden uns bald in ganz
unbekannten einsamen Quartieren. Leute, die wir hie und
da auf der Straße anhielten, konnten oder wollten uns keinen
Bescheid geben, und ich war schon in der größten Verlegen-
heit, wo wir die Nacht zubringen sollten, als plötzlich aus
einer Seitengaffe einige halb europäisch gekleidete Männer
heraustraten, denen ein Araber eine Fackel vortrug, und ich
erkannte in dem einen zu meiner größten Freude den fran-
zösischen Konsul. Er war sehr artig und gab uns einen
seiner Kawaschen zur Begleitung mit, der uns bald vor das
Kapuzinerkloster führte. Hier mußte ich lange klopfen, ehe
man mir öffnete und mich zu dem guten Prior brachte, der
bei meinem Anblick fast in Ohnmacht gefallen wäre; denn
so viel ich aus einen hastig hervorgestoffenen Reden ver-
nehmen konnte, glaubte er nicht anders, als wir feyen von
den Arabern überfallen, die Andern getödtet worden und ich
allein entkommen. Doch beruhigte ich ihn und erzählte ihm,
was mich zurückführte. Skandar wurde den Abend noch
ausgesandt, um Erkundigungen nach dem Perfer und dem
Pferde einzuziehen, kam aber bald mit der Nachricht zurück,
440
er habe, da es heut' Abend schon zu spät fey, keinen der
Leute mehr getroffen, wolle aber am andern Morgen in aller
Frühe zu ihnen hingehen. Der Prior gab mir ein Käm-
merchen, nahe bei seiner Stube, von welchem ich ebenfalls
in den stillen Hof hinabsehen konnte. Dort blühte der Baum
noch, wie neulich, das Waffer rauschte und Prinz Strauß
lief mit großen Schritten auf und ab. Eine andere, weniger
poetische Zuthat waren ein paar kleine Schweinchen, die man
in diesen Tagen auch in den Hof gesetzt hatte und die sich
vor dem großen Vogel fürchten mochten; sie liefen schreiend
aus einer Ecke in die andere.
Durch den langen Ritt von gestern schlief ich weit in
den folgenden Tag hinein. Skandar weckte mich mit der
höchst unangenehmen Nachricht, daß der Stallmeister des
Perfers, den er angetroffen, ihm gleich erklärt, es fey jetzt
gar nicht mehr daran zu denken, von seinem Herrn, selbst
für die doppelte Summe, jenes Pferd zu erhalten. Er
würde es vielleicht vor einigen Tagen gegeben haben, habe
aber gleich den folgenden Tag erklärt, wie lieb es ihm fey,
daß wir den Handel nicht abgeschloffen, da er den Hengst
sehr hoch halte. Das waren saubere Aussichten. Ich klei-
dete mich sogleich an und eilte zu Herrn Baudin, dem ich
den ganzen Verlauf der Sache mittheilte. Er dachte einen
Augenblick nach, ich nannte ihm die Summe, die der Perser
damals gefordert und die ich jetzt in Briefen auf ihn vom
Baron erhalten hatte und bat ihn dringend bei dieser Sache
um seine Verwendung. Er versprach mir, gleich auszugehen
und das Seinige zu thun und ich möchte um ein Uhr Mit-
tags wieder bei ihm anfragen. Ich ging in den Straßen
auf und ab und bis es ein Uhr war, glaubte ich, es fey
eine Ewigkeit vergangen. Herr Baudin war noch nicht zu-
rückgekommen ; doch erschien er nach einer kleinen Viertelstunde
und erzählte mir zu meinem größten Leidwesen, daß gar
441
keine Hoffnung da fey, das Pferd zu erhalten. Der Perfer,
ein sehr reicher Mann, habe ihm gesagt, daß er vor einigen
Tagen wohl einen Preis für den Hengst angegeben habe;
doch mehr, um zu sehen, welchen Werth er für uns habe,
als wie, um es zu verkaufen; denn er habe es von Mekka
mitgebracht und die Kosten und Mühseligkeiten der Wüsten-
reise nur an das Thier gelegt, weil es so außerordentlich
edel fey und ihm so wohl gefallen. Man kann sich leicht
"denken, wie unangenehm mir diese Nachricht war. Doch
Herr Baudin, nachdem er eine Zeitlang nachgedacht, sagte
mir, es fey vielleicht noch ein einziges Mittel, das Pferd zu
erhalten, indem er nämlich an die den Orientalen im All-
gemeinen eigene Großmuth vermittelt einer Kriegslist ap-
pellire. Doch erforderte dies eine Frist bis Morgen, die ich
auch unter der fast gewissen Voraussetzung opfern müffe, daß
nichts aus der Sache würde.
Herr Baudin beschied mich auf den folgenden Tag um
eilf Uhr in die große Caravanferei. Ich wandte den Nach-
mittag dazu an, durch die Bazars zu streichen und hie und
da einige Kleinigkeiten einzukaufen. Es that mir sehr leid,
daß meine Reisekaffe nicht in dem Zustande war, mehr, als
einige Piaster aufwenden zu können; denn unter Anderm bot
man mir heute Nachmittag eine ächte Klinge zu dem unbe-
deutenden Preise von zweihundert Piastern an.
Den Abend verbrachte ich mit meinem Prior; wir
rauchten eine Pfeife zusammen und er erzählte mir viel von
Spanien, feinem schönen Vaterland, und Skandar, dem ich
einiges Geld gegeben hatte, ging zu den Dienern des Persers,
um sich mit ihnen auf einen freundschaftlichen Fuß zu setzen.
Am folgenden Morgen war ich schon um zehn Uhr in
der Karavanferei, einem der prächtigsten Gebäude von Da-
maskus. Wie alle diese Gebäude zu Waarenlagern, Märkten
und Wohnungen für fremde Kaufleute eingerichtet, bestand
442
es aus einem großen Hofe, um welchen rings herum die
Gemächer zu den oben angegebenen Zwecken im Kreise lagen.
Dieser Hof, mit schwarzen und weißen Marmorplatten ge-
pflastert, hatte in der Mitte einen sehr schönen aus Stein
gehauenen Brunnen, der aus fünf Röhren das Waffer in
die Höhe schleuderte. Eine Galerie, die den Hof umgab,
wurde von schönen schlanken Säulen getragen und unter ihr
befanden sich Steindivans, den verschiedenen Kaufleuten ge-
hörig, auf welche sie bequem hingestreckt, die Kunden er-
warten, die mit ihnen größere Geschäfte abzumachen hatten.
Es war noch ziemlich leer in dem Hofe und ich befah
die innere Einrichtung einiger offen stehender Gemächer.
Ein Corridor führte hinter denselben im Kreise herum und
endigte in einer großen Marmortreppe, die in einen obern
Stock führte. Auch von außen hatte die Karavanferei ein
stattliches Ansehen und für mich durch die Abwechslung der
Steine, die man hier an einigen größern Gebäuden findet,
etwas sehr Eigenthümliches. Man mauert nämlich die far-
bigen Marmorarten reihenweise aufeinander, so daß z. B.
das Gebäude unten am Boden eine Linie röthlicher Steine
hatte, auf welche eine Linie weißer, dann wieder rother und
so abwechselnd weiß und roth bis unters Dach folgten.
Um eilf Uhr erschien Herr Baudin und sagte mir, gleich
würde der Perfer mit feinen Hausbedienten erscheinen und
- er wollte dann die direkten Handlungen mit ihm beginnen.
Vielleicht fey es möglich, daß uns der Kauf gelänge, indem
er einen Freund des Kaufmanns auf eine Seite gebracht
habe. Es dauerte auch nicht lange, so erschien der Perser
mit allem Pomp eines sehr reichen Mannes, der den Markt
beherrscht und den die Orientalen so gern zur Schau tragen.
Ein paar Neger kamen eilfertig voraus, breiteten auf einem
der schönsten Steinfitze bunte Teppiche aus und lehnten an
die Rückwand mehrere Divamkiffen aus Sammt und Seide.
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Vier andere Diener folgten ihnen, der eine trug einen Man-
gahl mit Kohlen, der andere ein vollständiges Kaffeegeschirr
und der dritte und vierte Pfeifen und Tabak. Jetzt erschien
der Kaufmann felbst mit einem Gefolge von wenigstens
zwanzig Dienern, alle in persischem Costüme, und es war
gerade, als komme ein vornehmer Pascha, denn so ehrerbietig
grüßten ihn alle im Hofe Befindlichen, Herrn Baudin nicht
ausgenommen. Auch ich legte meine Hand an Brust und
Stirn und verbeugte mich soviel wie möglich.
Der Perfer war ein Mann in den besten Jahren mit
gelber Gesichtsfarbe und einem kohlschwarzen Kinnbarte, der
noch spitzer zulief, als die Mütze von schwarzem feinem
Astrachanpelze, die er auf dem Kopfe trug. Sein Anzug
war fast wie der unseres Fürsten und ebenso der Handschar;
nur war das Kleid weit reicher mit Gold gestickt, und an
dem Griffe des Dolches glänzten die prachtvollsten Edelsteine.
Das Malerischste aber und Schönste an seinem Costüme war
der Mantel, ein einziger großer Kaschemirshawl von Zeich-
nung und Farben, wie ich nie etwas Aehnliches gesehen.
Ein herzförmiger Talisman, d. i. ein Stein, auf dem Koran-
sprüche eingeschnitten find und der köstlichste Schmuck, den
die Orientalen besitzen, hielt den Mantel als Agraffe zu-
sammen; das Ende desselben hatte er, damit der köstliche
Stoff nicht auf dem Boden schleifen sollte, um den rechten
Arm geschlungen. In dem Gefolge waren seine Handlungs-
und Hausbedienten, feine Stallmeister, Haushofmeister und
eine Menge anderer Chargen, die mir Herr Baudin alle
nannte.
Mit der Ruhe und Gravität, die dem Morgenländer
eigen ist, setzte er sich auf einen Divan, und begann mit
den Kaufleuten, die nach und nach herankamen, feine Ge-
schäfte abzumachen. Hier wurden Contracte unterschrieben,
dort Gold ausbezahlt, das der Zahlmeister in Empfang nahm
444
und durch andere Diener in kleine Beutel binden und in ein
Kästchen stellen ließ. So intereffant mir die ganze Erschei-
nung dieses Persers und des Handels war, so wünschte ich
doch recht aus Herzensgrund, daß er weniger vornehm und
reich seyn möge, damit ihm die Summe, die wir ihm geboten
hatten, höher und ansehnlicher erscheinen möchte. Jetzt kam
die Reihe an uns. Herr Baudin trat näher an den Divan
des Persers, und stellte mich als den Mann vor, der jenen
Hengst zu kaufen wünschte. Der Kaufmann sah mich lauernd
an und seine erste Frage an den Herrn Baudin war, ob ich
auch sehr viel Geld mitgebracht hätte, da er für die früher
angegebene Summe das Pferd wahrlich nicht mehr hergeben
würde. Herr Baudin zuckte die Achseln und entgegnete ihm:
er müffe ihn des Gegentheils versichern, denn auf seine For-
derung von vor einigen Tagen bauend, habe ich nicht mehr
als die damals geforderte Summe bei mir. Darauf machte
der Perfer mit ruhiger Miene eine abwehrende Bewegung
mit der Hand und unsere Geschäfte schienen leider beendigt.
Doch ließ sich Herr Baudin sobald nicht abschrecken. Er
nahte sich dem Kaufmann aufs Neue und hielt ihm fol-
gende merkwürdige Rede, die er mir später ins Französische
übersetzte.
„Herr, du hast vor einigen Tagen den großen Mann
gesehen, der mit deiner Bewilligung deine Ställe und Pferde
besah. Es war der Imrachor Agafi des deutschen Sultans,
dem ein Herr eine Pilgerfahrt nach unserem Mekka, nach
Jerusalem auferlegte, und obendrein sprach der Sultan beim
Abschied zu ihm: Dir wird bei deiner Rückkehr nur dann die
volle Sonne meiner Gnade leuchten, wenn du mir aus jenen
weiten sandigen Landstrecken, in denen der streifende Araber
fein Zelt baut, zwei Pferde, wohl verstanden, zwei Pferde,
einen Hengst und eine Stute, den ersten goldfarbig, die an-
dere braun mit schwarzem Mähnenhaar und Schweif, und
445
von der edelsten Race mitbringt. Der deutsche Effendi
reiste ab und suchte lange umher in Istambul, Smyrna und
Beirut, ja lange in El Scham selbst, ehe ihm der glückliche
Zufall deinen Stall öffnete und er darin einen Hengst fand,
wie er ihn suchte. Obendrein warst du so großmüthig,
Herr, eine Summe zu fordern, die der Imrachor Agafi im
Stande war, aufzuwenden. Aber was sollte er mit dem
einen Pferde allein thun. So erfreut er war, deinen Hengst
gesehen zu haben, so betrübte es ihn doch, da er nicht hoffen
durfte, eine Stute in gleicher Schönheit, wie dein Pferd zu
finden; es betrübte ihn, und er ließ dich durch feinen Dol-
metscher und deinen Stallmeister bitten, ihm den Kauf deines
Pferdes noch einige Tage offen zu halten, indem er in einem
Theile des Libanon eine Stute fehen wolle, von dem man
ihm viel Rühmens erzählt. – Schande über den Dolmet-
scher des Deutschen, daß er deinem Imrachor andere Worte
überbrachte, als ihm sein Herr in den Mund gelegt.“
Der Perser hatte diese lange Rede schweigend angehört,
saugte an seiner Ambraspitze und strich sich zuweilen den
spitzen Bart. „Aber,“ entgegnete er, „Gott ist mein Zeuge,
dafür kann ich nichts. Vor einigen Tagen hätte ich viel-
leicht das Pferd um den Preis fortgegeben und es würde
mich jetzt bitter gereuen; aber Gott hat mich vor der Reue
bewahrt und ich habe das Pferd noch. – Und der Im-
rachor,“ setzt er fragend hinzu, „fand wirklich eine Stute
von gleicher Schönheit, wie mein Hengst?“
„Er fand fie, Herr,“ entgegnete Herr Baudin, „und
kaufte sie im Vertrauen auf deine Großmuth, indem er
glaubte, du würdest ihm das Pferd heute noch geben.“
Der Perser rückte unruhig auf seinem Divan herum
und rief einmal über das anderemal: „Gott ist mein Zeuge,
ich kann nichts dazu thun!“ – Herr Baudin bemühte sich,
so viel es ihm möglich war, ihn zu einem Verkauf des
446
Pferdes zu überreden. Auch der andere Kaufmann, von
dem er mir oben gesprochen, redete zu dem Perser, aber
lange umsonst. Herr Baudin sagte ihm am Schluß einer
sehr langen Rede: „Du bist hart gegen den Fremden, der
fich vertrauensvoll zu dir wendet, und kannst doch nicht wis-
fen, ob dich deine Geschäfte nicht auch einmal über das Meer
treiben in die Länder der Franken, wo du ihre Hülfe in
Anspruch nehmen mußt. Du hast viele schöne Pferde, und
deine Karavanen gehen jährlich nach Mekka und können dir
ein anderes, vielleicht noch edleres Pferd mitbringen. Doch
du bist hart und dein Pferd, das dir mit schönem Golde be-
zahlt werden soll, ist dir mehr werth, als das Leben eines
Menschen. Der Deutsche wird kein Pferd finden, was einen
Vergleich mit deinem Hengste aushielte, und darf die Seinen
in der Heimath nicht wieder sehen – und durch deine Schuld,
Herr. Er muß in der Fremde umherirren, oder wenn er es
wagt, vor das Auge seines erzürnten Sultans zu treten, hat
du ein Blut zu verantworten, es komme über dich!“
Diese letzte Wendung mußte auf den Perser gewirkt
haben, denn er dachte einen Augenblick nach, wandte sich
dann an seinen Stallmeister, dem er einige Worte sagte,
worauf dieser zwei der untern Stallbedienten fortschickte. Er
kehrte sich darauf wieder zu Herrn Baudin und sagte: „Laff"
dem deutschen Herrn sagen, er folle vor allen Dingen seinen
Dolmetscher bestrafen, weil der so schwer an ihm gefrevelt
und seine Worte verdreht hat. Doch will ich großmüthig
handeln und ihm seinen Wunsch gewähren. Möge es meinen
Kindern oder Kindeskindern zu Gute kommen. Ich versichere
dich, Herr, das Pferd war mir lieb; sieh’ fein glänzendes
seidenes Haar an, das ich oft gestreichelt, hör' eine helle
Stimme, die es am Morgen an meinem Zelt erschallen ließ
und mich damit weckte. Hättest du die Schnelligkeit seiner
Glieder gesehen, wie er über den Sand dahinflog und doch
447
augenblicklich anhielt, wenn ich meinen Arm ausstreckte, du
würdest mir nicht zumuthen, meinen Hengst zu verkaufen.
Doch ich gebe ihn dir, weil der Prophet sagt: fey barmherzig
gegen den unbekannten Pilger, auch wenn er nicht deines
Glaubens ist!“
Da ich natürlich diese Verhandlungen nicht verstand,
sondern sie mir Herr Baudin erst später verdolmetschte, so
kann man denken, daß ich den Mienen und Geber den der
handelnden Personen meine volle Aufmerksamkeit schenkte.
Daß der Stallmeister des Persers zwei seiner Leute fort-
schickte, nahm ich als ein gutes Zeichen an, und als mir
jetzt Herr Baudin sagte: „Gott fey Dank! wir haben ihn!“
und einen Beutel mit Dukaten herauszog und sie vor dem
Schatzmeister des Persers hinzählte, machte ich dem Herrn
eine sehr tiefe dankende Verbeugung.
Jetzt hörten wir auf der Gaffe das unruhige Getrappel
eines Pferdes, und im nächsten Augenblicke erschienen die
beiden Perser, den Hengst ohne Decken und Sattel am
Zaume hereinführend. Das Thier wieherte laut auf, wie
es in den Hof trat und der Kaufmann hatte Recht, als er
vorhin von der hellen reinen Stimme des Pferdes sprach.
Mit mehr Lebhaftigkeit, als dem Orientalen eigen ist, erhob
er sich von seinem Divan und trat vor das Thier, einen
schlanken schönen Hals streichend. Er winkte mir näher zu
treten und hielt mir eine Rede, von der ich natürlich kein
Wort verstand, die ich aber mit vielen Verbeugungen erwie-
derte. Darauf nahm er den Zaum des Pferdes in die
Hand, rief Herrn Baudin und sagte mir durch ihn:
„Laff' dem deutschen Herrn das Pferd übergeben. Sage
ihm, wie lieb es mir gewesen und daß er es nur meiner
Großmuth zu danken habe. Sag' ihm ferner, er soll es
seinem Sultan rühmen, daß es ein gutes Pferd fey und ihn
bitten, er möge es gut behandeln und freundlich einen schö-
448
nen Hals streicheln. Es wird ihn muthig seinen Feinden
entgegen führen und ihn vor den verfolgenden Kriegern
durch die Schnelligkeit seiner Glieder retten.“ Nach Been-
digung dieser Worte umfaßte er mit beiden Armen den Hals
des Pferdes, küßte es und warf mir mit abgewendetem Ge-
fichte den Zaum zu. Ich übergab ihn Skandar und wir
führten das Pferd sogleich fort.
Auf dem Weg zum Kloster betrug es sich sehr wild
und außer dem Geschrei und den Schimpfworten, die uns
die Araber, welche vor seinen ungestümen Bewegungen auf
die Seite springen mußten, nach andten, mußte ich auch noch
einem Kuchenbäcker all' feine Waaren bezahlen, die ihm der
Hengst auf die Erde geworfen.
Am andern Morgen verließen wir in der Frühe Da-
maskus, um nach Beirut zurückzukehren. So streng ich mei-
nem Führer eingeschärft hatte, den Weg über Schiras zu
nehmen, wo ich wußte, daß ich das Pferd gut unterstellen
konnte, so nahm er doch einen andern, trotzdem es mir gleich
vor Damaskus auffiel, daß wir eine veränderte Richtung
einschlugen und ich ihm mehrmals fagte, wir müßten uns
mehr nördlich halten. Der Kerl widersprach mir beständig
und brachte uns am Nachmittage in ein anderes sehr elendes
Dorf, das er ebenfalls Schiras nannte. Was konnte ich
dagegen thun, da ich nicht einmal im Stande war, ihm
Grobheiten zu machen. Am Morgen, als wir aus Damaskus
ritten, erhielten wir eine sonderbare Begleitung, es waren
nämlich zwei jener abgemagerten elenden Hunde, wie sie sich
zu Tausenden in der Stadt herumtreiben. Die Thiere folgten
uns beständig in einer gewissen Entfernung und waren weder
durch Geschrei noch Steinwürfe zurückzuscheuchen. Ob sie
vielleicht glaubten, das ledige Pferd, unser gekaufter Hengst,
sollte vor der Stadt abgeschlachtet und ihnen eine gute
Mahlzeit werden, weiß ich nicht; doch blieben sie den ganzen
4419
Tag bei uns, und verloren sich erst am Abend in Schiras
zwischen den Hütten.
Während der Nacht machte uns unser neues Pferd viel
zu schaffen. Es mochte ihm unbequem seyn, von seinen
frühern Gefährten getrennt zu stehen, wir hatten ihn nämlich
mit in unsere Stube genommen, denn er betrug sich ganz un-
geberdig, riß mehrere Male den Strick von der Mauer und
die Feffel aus dem Lehmboden der Hütte, und wieherte be-
ständig so, daß wir keine Minute schlafen konnten. Wir
brachen am Morgen sehr frühe auf und kaum hatten wir
uns aus dem Dorfe entfernt, so waren unsere beiden Hunde
auch wieder bei der Hand und zogen mit uns. Nach eini-
gen Stunden hatte unser Führer den Weg verloren und erst,
nachdem wir eine lange Zeit irre gegangen waren, begegnete
uns ein Eseltreiber, der uns wieder auf den richtigen Weg
brachte. Dieser Mann hatte ein ganz merkwürdiges Aus-
fehen, eine kleine Figur, schneeweißen Bart und ein sehr
vergnügtes Gesicht, das ein grüner Turban schmückte, der aber
so zerfetzt war, daß es aus einiger Entfernung aussah, als
habe der Kleine sein Haupt mit Rebenlaub umwunden. – Ein
türkischer Anakreon! Dabei war er gegen die Gewohnheit der
Orientalen sehr lustig und wir hörten ihn noch schreien und
fingen, wie er schon lange unsern Augen entschwunden war.
Eine Expedition, wie unsere heutige mit dem unartigen
Pferde war, will ich keinem Menschen wünschen. Skandar
ritt einen alten Wallachen, neben dem es gestern ganz ruhig
gegangen war; doch heute biß und schlug es nach dem armen
Thiere und machte oft solche Seitensprünge, daß es den
Skandar fast von seinem Pferde herunterzog. Unser Araber
hatte eine Stute, weshalb er immer, statt uns voraus zu
reiten und den Weg zu zeigen, eine weite Strecke zurückbleiben
mußte, denn so wie er vorritt oder nur in unsere Nähe kam,
war der Hengst wie toll. Auf den schlechten halsbrechenden
Hackländer, R. in d. O. I. 29
450
Felswegen, die ich früher beschrieben, war es ein Wunder,
daß wir ihn mit ganzen Beinen nach Beirut brachten.
Oft ging er eine Strecke ganz ruhig, dann fing er auf
einmal wieder an, über die Zacken zu springen und Skandar,
der heute zu Fuß ging und sein Pferd dem Araber gegeben
hatte, mußte ihm folgen und fo ging es oft über spitze steile
Abhänge hinab, daß wir alle schaudernd zusahen.
Gegen Mittag hatten wir den Antilibanon überstiegen
und kamen in's Thal, wo wir einen Augenblick rasteten und
ich benützte diese Zeit dazu, um dem Hengst den Sattel
meines Pferdes aufzulegen, worauf ich ihn bestieg und wir
im vollen Galopp die Fläche in weniger als einer Stunde
durchritten hatten. Neben diesen Unannehmlichkeiten, die
wir mit dem Pferde hatten, waren wir obendrein noch in
beständiger Sorge, von Deserteuren oder Bergbewohnern über-
fallen zu werden. Doch hätten wir uns auf das Aeußerste
vertheidigt, wenigstens Skandar, Mechmet und ich. Wir
hatten deshalb unsere Waffen in steter Bereitschaft, wodurch
mir später, als wir den Libanon hina.nritten und ich meinen
Schimmel wieder bestiegen hatte, ein kleiner Unfall paffirte.
Ich ritt voraus, eine gespannte Pistole in der Hand und die
andere ebenso am Sattel hängend, als mir plötzlich die
letztere, bei einem Sprung des Pferdes, ich weiß nicht, durch
welchen Zufall losging, und die Kugel durch das eiserne
Blech des großen Steigbügels fuhr.
Mit Einbruch der Nacht erreichten wir den Chan, in
welchem wir bei unserer ersten Hinreise den türkischen Oberst
getroffen hatten. Das Wetter war heute glücklicher Weise
beffer und wir wurden in der Nacht nicht wieder durch den
aufgeweichten Schnee unangenehm erweckt.
Den andern Morgen ritt ich mit der freudigen Hoff-
nung aus, Nachmittags Beirut zu erreichen, unsere Freunde
wieder zu sehen und dem guten Baron durch Ueberbringung
451
des Pferdes eine Freude zu verursachen. Mit viel Sorge
und Mühe, aber glücklich stiegen wir die schlechten Wege des
Libanon hinunter und erreichten gegen Mittag den Chan el
Huffein. Freudig aufjauchzend begrüßte ich das Meer, dessen
unübersehbaren Spiegel ich jetzt wieder erblickte. Wir waren
auf die Höhe unserer Mühseligkeiten gekommen, und stiegen
nun rascher in's Thal der Ruhe hinab. Jetzt erreichten wir
schon die Felder mit ihren Mauern von natürlichen Steinen,
Beirut tauchte allmählig vor unsern Blicken auf; bald
ritten wir durch die Cedern und Piniengebüsche am Fuße des
Libanon und unter den Palmenpflanzungen vor der Stadt
selbst. Es mochte drei Uhr feyn, als ich an den äußern
Mauern derselben vorbeiritt und auf dem Weg am Meer
hin, unserer Villa zueilte.
Auf der Terraffe war Niemand von den Freunden zu
sehen und ich ritt in den Hof, der wie ein kleines Feldlager
aussah. Da waren Zelte ausgespannt und Pferde und
Maulthiere standen daneben, die mein Hengst mit lautem
Gewieher begrüßte, so hell und rein, daß es die Freunde
hörten, welche im Zimmer des Barons zu Tische saßen.
Alle" stürzten nun eilfertig die Treppen herab und bewill-
kommten mich aufs Herzlichste. Der Baron drückte mir die
Hand und ein Dank, so wie seine Freude über das Pferd
war mir Belohnung genug für all' die Mühseligkeiten, die
ich ausgestanden. Auch die Kranken waren wieder gesund
und meine erste Frage: was denn die Zelte und Thiere be-
deuteten, wurde mit der freudigen Nachricht beantwortet,
daß man übermorgen Beirut verlaffe, um nach Jerusalem
zu ziehen.
29 %
Bemerkungen über Arabische Pferde
aus Briefen
des Baron v. Taubenheim,
Erster Stallmeister des Königs von Württemberg.
Liebst du es, das Roß besteigen,
Deine Fersen in die Weichen
Preffend, mit der Zunge schlagend,
Wind schnell durch die Fläche jagend.
Deine Sohle streift den Boden,
Aus den aufgeriff'nen rothen
Nüstern strömt der Dampf, die lange
Mähne fchlägt um deine Wange.
Feodor Löwe.
*- - - - - - Statt Dir eine Reisebeschreibung
mit all' den Licht- und Schattenseiten des Orients vor's
Auge zu führen, will ich versuchen, Dir einige Notizen über
das arabische Pferd mitzutheilen. Ja wie fern ich mir nun
aber darin ein Urtheil oder wenigstens eine Ansicht anmaßen
darf, muß ich Dir voraussenden, daß ich in der Absicht nicht
nur Damaskus bereist, alle Stallungen daselbst durchsucht,
den Weg der Wüste entlang nach Homs und Hama und
453
von da über Baalbek nach Beirut zurückgemacht habe, ich
habe die schönsten Pferde an diesen Orten selbst gesehen,
welche den Vornehmen gehören, ich habe mehrere Beduinen-
truppen und auch etwa zweitausend Mann ägyptischer Caval-
lerie gesehen und en detail gemustert, worunter alle Pferderacen
des Orients zu finden waren; am interessantesten aber waren
beinahe die persischen Caravanen, welche ich traf, indem ich
bei ihnen ächte Turkomanen, Pferde aus der Provinz
Karabach, wo jene Goldbraunen allein zu Hause find –
denn unter den arabischen Pferden findet sich dieses Haar
nicht – und Pferde von der Race Schach Sewan fand, welche
letztere bei den Persern am meisten geschätzt find und aus
einer Kreuzung der Turkomannen und Araber entstanden find.
Ich habe Dir schon zu Hause die Bemerkung gemacht, daß
diejenigen Schriftsteller, welche ausführliche wiffenschaftliche
Werke über den Orient geschrieben haben, vielleicht nicht
hinlängliche Pferdekenner waren, und daß die hiehergekom-
menen Pferdekenner dagegen nicht im Falle waren, darüber
schreiben zu wollen, und daß in so fern über die verschiedenen
Racen der Pferde des Orients noch Manches zu sagen übrig
bliebe; unstreitig ist aber auch dieser Gegenstand der schwie-
rigste, welchen sich ein Reisender zur Aufgabe machen kann;
alle andern Objecte laffen sich von dem Naturforscher messen
oder analysieren, während das arabische Pferd oft nur an
uns vorüberfliegt und seine Spur im Sande selbst wieder
verschwindet, dessen reinster Ursprung in dem Innern der
Wüste und in den Gegenden Arabiens ist, welche von den
Reisenden noch wenig oder gar nicht besucht worden find.
Mit dem Worte Wüste ist gleichsam das Chaos einiger-
maßen verwandt und die vielfältigen verschiedenen, zum Theil
fabelhaften Suppositionen und Lesearten über die verschiedenen
Racen der Wüste bleiben für die Wiffenschaften noch eine
Art Chaos, und Pückler hat sehr treffend gesagt, daß es
454
eben so schwer wäre, alle Racen der arabischen Pferde an-
zugeben, als die Sterne des Himmels zu zählen. – Ein
europäischer Pferdekenner und Gestütsmann müßte Jahre
lang Wohnung bei den Beduinenstämmen machen, um an-
geben zu können, welche Hauptracen man annimmt, worin
ihre Güte und Schönheit bestehe, wie sie erhalten und erzeugt
werden und welche climatischen Verhältniffe oder Behand-
lung der Menschen hauptsächlich zu ihrem Gedeihen beitragen.
Habe ich auch Gelegenheit, mit Beduinenstämmen in Be-
rührung zu kommen, so ist die Unterredung durch Dragoman,
namentlich in technischen Ausdrücken, so ungenügend, daß
unsere Belehrung unserer Wißbegierde selten entspricht. Alle
Renseignements, welche man im Lande von (sogenannten
Franken) Pferdeliebhabern erhält, sind höchst ungenügend
und falsch; ich habe zwar manche dieser Herren mit vieler
Beredsamkeit und scheinbarer Sachkenntniß über Pferde
sprechen hören, als ich aber später Gelegenheit hatte, ihrer
praktischen Pferdekenntniß am Pferde selbst auf den Zahn
zu fühlen, so konnte ich mich überzeugen, daß sie nicht zum
Alphabet in der Pferdekenntniß gelangt sind, und daß ihre
Wiffenschaft über Pferde nur Traditionen und Theorien sind,
deren es in keinem Lande in jeder Hinsicht mehr gibt, als
im Orient. Irgend eine solche Erzählung hat nun einer
der bekannten Reisenden aufgefaßt und der Eine die von A.,
der Andere die von B. wieder gegeben. Wenn man nun
die verschiedenen Angaben zusammenstellt, so kommt eine
solche Unmaffe von Namen und Racen heraus, welche die
Wiffenschaft nicht bereichern, sondern nur verwirren kön-
nen. Da ich natürlich nicht alle Werke über den Orient
mit mir schleppen kann, so habe ich mir vorgenommen,
bei meiner Rückkehr die Angaben über Pferde der be-
kannten Reisenden zusammen zu stellen, zu vergleichen und
kritisch zu beleuchten, insofern das mir vor Augen Ge-
455
kommene mich dazu berechtigt. Ich habe jedoch Auszüge
der verschiedenen Autoren bei mir, und er sehe daraus,
wie Niebuhr, Burkhardt, Robinson, Volney, Damoi-
feau, Pückler, Herbert u. f. w. alle wieder andere Namen
und Racen angeben. Nur zwei Namen kommen beinahe bei
allen, wenn auch mit sehr verschiedener Orthographie vor;
es sind dies die Nedjdi und Köhe lan, welche ich näher
zu definieren suchen will. Die Verschiedenheit, wie diese
Namen geschrieben werden, hat den doppelten Grund, daß
erstens die arabische Sprache selbst sehr verschiedene Dialecte
hat, so daß in Damaskus z. B. schon ganz anders gespro-
chen wird, als in Beirut, und daß die arabische Sprache
gewiffe Laute hat, welche in andern Sprachen gar nicht
wieder zu geben find, und jeder sodann auf verschiedene
Weise dem rechten Tone nahe zu kommen sucht.
Das Nedjed oder Nedschid ist ein Landstrich der Hoch-
ebene Arabiens vom zwanzigsten bis dreißigsten Grad nördl.
Breite. In diesem sind mehrere große Oasen, bewohnt von
den Stämmen El Schammar, El Sedeir, El Kaffym, El
Wochum, El Ared, und hier sollen ursprünglich, so wie
auch jetzt noch die besten und ausgezeichnetsten Pferde gezogen
werden. Nur wenige Europäer sind in das Nedjed ge-
drungen und die Pferde aus dem Nedjed werden nur durch
die großen wandernden Beduinenstämme erhalten, welche sich
im Winter in’s Nedjed zurückziehen und im Sommer dem
Haman und der syrischen Wüste oder Syrien selbst wieder
nähern. Der dem Nedjed zunächst gelegene, zugleich größte
und am weitesten verbreitete Stamm ist der der Amaze oder
Aneyzeh; Unterabtheilungen von diesen sind die Stämme
Scherarat, Hadjaja, Beni Nacim, Beni Saher und Rowalla.
Dies sind nun keine Namen von Racen, sondern nur Tribüen,
welche dem Nedjed zunächst liegen und in Verbindung mit
den südlichen Gränzen stehen; daher unter ihnen leichter
456
Pferde aus dem Nedjed oder mit diesen wenigstens ver-
wandte gefunden werden dürften. Wohl unterrichtete Per-
fonen wollen behaupten, daß die gegenwärtige Race der
Nedschid nicht mehr so ausgezeichnet seyn soll, als dies
früher der Fall war. So sehr nun auch der Araber auf die
Reinerhaltung seiner Race sieht, so schwierig möchte es den-
noch feyn, für gewisse Gegenden einen bestimmten unverän-
derlichen Typus einer Race angeben zu wollen, theils weil der
Araber überall umherschweift, theils weil er seine Stute be-
legen läßt, wo er einen ausgezeichneten Hengst weiß, auch
wenn er von einem andern Stamme ist. Da es nun
nicht wohl möglich ist, die Nedjed auf eine gewisse Land-
strecke zu confinieren, oder ihre Formen überhaupt genau zu
bestimmen, so bedient man sich um so leichter dieses Namens,
wenn man dem Lob eines Pferdes die Krone aufsetzen will
und sagt, es ist ein Pferd aus dem Nedjed.
Der zweite eben so häufig gehörte Name ist der der
Köhel, Kheil, Köchelan c. Dieser Name ist in Europa
eigentlich noch bekannter als der erste und kommt auch so
häufig und so aller Orten vor, daß es schwierig scheint,
denselben näher zu definieren. Ich habe Pferde von Bagdad,
andere aus dem Hedjas, Yemen und aus dem Hauran ge-
sehen, welchen allen der Name Köhelan beigelegt wurde.
Dieser Name kann sich also nicht auf Pferde, welche aus
einem gewissen Landstriche herstammen, beziehen, und der
Ursprung dieses Namens hat eher eine geschichtliche, als
geographische Quelle. Eine Sage, welche ich in dieser Hinsicht
schon vor acht Jahren in Paris von einem Araber und nun
auch hier öfters habe wiederholen hören, scheint mir in
einem Lande, das ohnehin die Wiege der Fabel ist, so viel
für sich zu haben, daß ich nicht unterlaffen will, die Dir
wenn auch nur als eine Sage zu wiederholen. -
Der Prophet hatte einmal mit zehntausend Reitern eine
457
Schlacht geschlagen, wobei die Reiter drei Tage nicht von
ihren Pferden kamen und die Pferde weder gesoffen noch
gefreffen hatten. Am dritten Tage endlich kamen sie in die
Nähe eines Fluffes, und der Prophet befahl, die Pferde
ganz abzusatteln und abzuzäumen und in’s Waffer zu treiben.
Nachdem dies geschehen war und die Pferde nun eben auf
die ersehnte Labung zustürzten, ließ der Prophet plötzlich die
Trompete zum Angriff blasen, und unter den zehntausend
Pferden waren nur fünf Stuten, welche plötzlich, ohne sich
in den Fluß zu stürzen, zu ihren Reitern zurückkehrten. Da
sagte der Prophet: Euch Fünfen widerfahre Ehre, wie sie
Euch gebührt, und er nahm von derselbigen Farbe und
Salbe, womit sich die Weiber im Orient die Augenlieder
färben, und färbte und salbte zum Zeichen der Ehre diese
fünf Stuten. Diese Farbe aber nennt man im Arabischen
Köchel, und Köchelan heißt die fchwarz gefärbten.
Dieselben fünf Stuten ritt der Prophet dann mit seinen
Begleitern Ali, Omar, Abubekr und Haffan. Bei der
Hegira von Medina nach Mekka und von diesen fünf Stuten
leitet der Araber dann allen Adel seiner Pferde ab. Diese
fünf nennt man die el Khome (Chama, Hama) was auf
arabisch die Fünfe heißt. Die Namen dieser fünf Stuten
werden nun wieder besonders angegeben und daraus dann
wieder Racen benannt; allein diese fünf Namen schon werden
von verschiedenen Schriftstellern verschieden angegeben. Herbert
z. B. nennt sie Kheil Managhi, K. Siglawi, K. Giulfi,
K. Adjus, K. Maffalich; Robinson nennt sie Tanese,
Maneka, Fedjan, Sablaje und Djulfle, und so gibt jeder
andere Reisende auch wieder andere Namen für die fünf
Stuten an.
Eine minder poetische Erklärung des Namens Köhel
ist, daß diejenigen Pferde, welche jenen schwarzen herrlichen
Rand um die Augen, Maul und Nase haben, im Hinblick
458
auf den schwarzen Rand, welchen sich die Weiber um die
Augen machen und welche mit Köchel gemacht wird, Köchelan
genannt werden. In beiden Fällen wäre also Köchel
als das edle Blut, gleichsam das Vollblut bezeichnend,
anzusehen. Die Namen, welche hier einem Pferde gegeben
werden, bezeichnen eigentlich nie eine Race, sondern find
gleichsam ad personam applicirt, z. B. die am Palmbrunnen
geborene, die goldene, die fliegende c., und ihr Ruf besteht
in ihren Thaten; ihr Name ist nicht berühmt, weil sie diesen
oder jenen Vater hatte, sondern weil ihre Leistungen im
Munde aller Zeitgenoffen wiedertönt, denn über die oft be-
sprochene Frage: ob die Araber Geschlechtsregister führen oder
nicht, glaube ich mit Gewißheit versichern zu können: nein.
Ebenso existiert bei dem arabischen Pferd nirgends ein
Brand, wo das Feuer angewendet wird, geschieht es in
medicinischer Hinsicht oder in der Idee, den Schenkeln Kraft
zu geben. -
Die Garantie des Adels und der reinen Abkunft wird
nicht durch den Namen nachgewiesen, sondern sie liegt in
dem crupulosen, wenn ich sagen darf hippologischen Sinne
des Arabers der Wüste, der nur das erprobteste und beste
Blut zu seiner Zucht verwendet, und die ganze Lebensweise
des Arabers, dessen treuer Gefährte, sein Pferd, immer-
während mit den größten Anstrengungen und Entbehrungen
aller Art zu kämpfen hat, erprobt gleichsam während fünf-
zehn bis zwanzig Jahren ununterbrochen fort die Güte eines
Pferdes, während in Europa oder z. B. in England, wo
wenigstens Proben verlangt werden, ehe das Pferd zur Zucht
verwendet wird, eine, und vielleicht mit den vielerlei harten
Aufgaben, welche das arabische Pferd in seinem Leben zu
lösen hat, dennoch einseitige Probe genügt, um ihn zum
berühmten Beschäler zu stempeln, und wenn jener Beschäler
auch seinem trefflichen Gebäude entsprechende Nachzucht
459
liefert, so wird der Geist, der Muth, die Ausdauer, die
Gelehrigkeit, die in jeder Hinsicht erprobte Gesundheit, doch
nicht mehr in jenem Grade vererbt werden, als dies bei
einem Beschäler statt findet, der jene Eigenschaften ein ganzes
Leben über entwickelt und stets von Neuem stählt. Kein
Beispiel erscheint mir einleuchtender, als das eines Jagd-
hundes, der, als von der besten Race erkannt, zur Zucht
verwendet, aber von dem Tage an nie mehr zur Jagd ge-
braucht würde; der best geformte Sohn des Vaters, würde
unter gleichen Umständen wieder zur Zucht verwendet werden,
so würde man am Ende die schöne Race dem Auge noch
erhalten, allein die Hauptsache, die gute Nase, der Jagd-
finn würde gewiß am Ende verloren gehen.
Beobachtet man nun das Leben des Arabers mit seinem
Pferde, so wird leicht augenscheinlich, wie nicht nur die
körperlichen, sondern auch die intellectuellen Eigenschaften
des Pferdes fortwährend ausgebildet werden, und wodurch
jene Intelligenz, von welcher man bei uns oft beinahe un-
glaubliche Dinge erzählt, in der That stattfindet und erzeugt
wird. Ich selbst hatte in dieser Hinsicht Gelegenheit, mehrere
auffallende Beobachtungen zu machen. So z. B. fah ich
einen Araber, von einem scheinbar unbändigen Hengst, der
durchging, herabfallen, und plötzlich hielt das Pferd an und
blieb bei seinem Reiter stehen. Dies kommt zwar bei uns
auch vor, wenn ein Scholar von feinem Schulhengst abge-
fallen ist, der schon längst dumm und stumpf geritten, charmé
de profiter de cette occasion, nicht weiter gehen zu müffen,
stehen bleibt, mais c'est autre chose.
Die Pferdewartung der Araber ist nach unsern Begriffen
gräßlich, aber auch sie entwickelt und erprobt die Pferde.
Statt daß sie bei uns im dumpfen Stall dick und dumm
gefüttert werden, stehen sie hier immer im Freien, von Stroh
hat man hier gar keine Idee, geputzt werden sie schlecht,
460
nur einmal des Tages und zwar. Abends bekommen sie
Gerste, Morgens geschnittenes Stroh und den ganzen Tag
über gar nichts. Das Pferd liegt immer auf dem bloßen
Boden und bleibt stets an allen vier Füßen eng gefeffelt;
dagegen nimmt es, frei um sich blickend, gleichsam immer
Antheil an dem, was um ihn vorgeht, ja an der ganzen
Lebensweise seines Herrn. So ist es z. B. etwas Uner-
hörtes, daß ein Araber von seinem Feinde überrascht worden
wäre, ohne daß ihn sein Pferd auf irgend eine Weise auf
die Ankunft eines Fremden aufmerksam gemacht hätte. Da-
her kommt es auch, daß der Araber der Wüste jedes Pferd
verachtet, das nicht bei ihm in der Wüste gezogen ist und
selbst auf die Abkömmlinge der edelsten und besten Racen
in den Stallungen der Großen, z. B. des Emir Beschir ge-
zogen, keinen Werth legt. Wir glauben, daß es haupt-
sächlich eine den englischen Pferden zukommende Eigenschaft
ist, auch ungeritten, dem Reiter angenehm zu gehen.
Ich kann Dich aber versichern, daß ich in dieser Hinsicht
die arabischen Pferde nicht genug bewundern kann. Ueberhaupt,
Du weißt, wie sehr ich Angloman bin, daß Niemand den
schönen freien Schultertritt, den großartigen Galoppsprung
und das Springen eines englischen Pferdes so liebt und
schätzt als ich; aber von nun an stelle ich das arabische Pferd
über Alles, et je suis au même über die außerordentlichen
Leistungen derselben aus Erfahrungen zu sprechen. Ich habe
nämlich auf einer kaum zwölf eine halbe Faust hohen, acht-
zehnjährigen gemietheten arabischen Stute den ganzen
Libanon, Antilibanon und einen Theil der Wüste bereist,
und nie erinnere ich mich einem Pferde so dankbar für seine
Leistungen gewesen zu feyn. Von den Wegen des Libanon
machst Du Dir gar keinen Begriff. Es ist ein immerwäh-
rendes Klettern über Felsen, wobei das Pferd oft zwei bis
drei Fuß hohe oder tiefe Tritte thun muß und theils auf
461
Rollsteinen, theils auf spitzigen Felsenzacken am Rande eines
Abgrundes hingeht. Nicht selten kommen aber auch sumpfige
Stellen vor, wo das Pferd halbe Stunden lang beinahe
verfinkt, und in solchen Wegen geht das Pferd von Mor-
gens sechs Uhr bis Abends acht Uhr ununterbrochen fort,
und ich versichere Dich, daß ich in der letzten Viertelstunde
auch nicht die mindeste Abnahme an einem Feuer und
seiner Kraft gemerkt habe. Ich hatte dabei mehrere
Tage im förmlichen Sinne des Wortes den Zügel meines
Pferdes gar nicht angerührt; ich hatte in Beirut den Maler
F. und den Doctor B. zurückgelaffen, weil beide schon
wochenlang bedeutend krank waren, und ich machte diese
Reise mit einem georgischen Fürsten, welchen ich beim russischen
Consul in Beirut kennen gelernt hatte, und H.; allein gleich
am ersten Tage der Reise wurde ich auch krank, erbrach
immerwährend Galle und hatte ein bedeutendes Fieber. In
solchen Umständen im Libanon zu reisen, theils bei unge-
heurer Hitze, theils in den Schneeregionen, einen Stall,
jedoch ohne Stroh, zum Lager; nichts zu effen; ich versichere
Dich, dies allein würde hinreichen, eine zehn Bogen lange
Beschreibung zu machen und einer weichen Seele Thränen
zu entlocken. Ich führe dies hier nur an, in wie fern es
kam, daß ich schnatternd die Hände im Sack hatte, meinen
Ueberrock fest an mich hielt, und ohne Zügel alle jene fürch-
terlichen Wege ritt, so auch Stunden lang im Galopp über
Rollsteine bergab, wo mein Pferd ganz sicher und im herr-
lichen Tempo blieb. Eines Tages hatten wir uns verirrt,
und ich befürchtete die Nacht im Freien zubringen zu müffen,
was mir mit meinem Fieber ohne Mantel (denn wir hatten
vorausgaloppierend die Tragpferde verloren und so einen
falschen Weg eingeschlagen) fehr unangenehm gewesen wäre."
Endlich nach neun Uhr Abends erblickten wir ganz tief
unter uns ein Licht; allein ein ungeheurer Abgrund trennte
462
uns von demselben, und ich hatte den Muth nicht abzu-
steigen, um in der Nacht das Klettern am Felsen zu ver-
suchen; aber ich hatte ein solches Vertrauen zu meinem
Pferde erlangt, daß ich es nach dem Abgrunde drehte, und
ihm nur einen Willen ließ. Anfangs rutschte es einmal
gewaltig hinab, so daß ich fürchtete, Hals und Bein zu
brechen, aber in einer halben Stunde war ich in dem Cham
angelangt. Die Geschicklichkeit, mit welcher diese Pferde
gehen, die ungleichen Tritte, welche fiel immer machen, je
nachdem sie einen Platz sehen, der ihnen paffend erscheint,
um den Fuß darauf zu setzen, ist zu bewundern. Anfangs
war es mir unangenehm, daß mein Pferd nie die ebenen
Stellen, sondern immer die tieferen Stellen und Löcher aufsuchte,
um den Fuß darauf zu setzen. Ich wollte meinem Thier
sogar dies Verfahren abgewöhnen, wurde aber bald gewahr,
daß es auf den glatten Stellen immer dem Rutschen ausge-
fetzt war und deshalb immer absichtlich die engen Löcher
aufsuchte, in welchen es dann auch nie rutschte. Ich weiß,
daß ich in meinem Vaterlande, aus Eitelkeit, rücksichtlich
meiner sieben Schuh Länge, wieder einen sechs Schuh hohen
Engländer suchen werde, allein das weiß ich auch, daß ich
das arabische Pferd, so wie es in einem Lande ist, größerer
Leistungen fähig halte, als das englische; mag feyn, daß
ich für den Tag der Schlacht einen englischen Hunter, nach
unserer Weise drefirt, wählen würde, für einen ganzen
Feldzug zöge ich aber ein arabisches Pferd zweien englischen
vor. Im arabischen Pferde steckt eine Lebenskraft, eine
Strammheit und Festigkeit der Fasern, ein Geist, kurz, was
wir mit einem Worte das Blut nennen, wie in keinem
andern Pferde der Welt, und ich erkenne in ihnen allerdings
die beste Quelle eine Race nicht nur zu erzeugen, sondern
auch aufzufrischen.
463 -
Wenn man einem Araber, oder auch nur einem Sais
zusieht, wie er sein Pferd reitet, so ist es zu verwundern,
daß man nur ein fehlerfreies Pferd findet; auch sind sie
in der That selten. Mit ein und einem halben und zwei
Jahren spätestens werden sie alle geritten. Ich habe in der
Cavallerie der Bergvölker mehr als fünfzig einjährige Fohlen
gesehen, welche allerdings nach starkem Marsch kaum ihren
Reiter mehr schleppen konnten. Den scharfen türkischen Zaum
findet man mehr in den Städten, als in der Wüste, wo
die Pferde fast beständig auf der Trense, oder sogar der
Halfter geritten werden; Trab sieht man nie reiten, Schritt
Paß und Galopp, und sowie ich vor vier und zwanzig Jahren
stets bereit war, jedem Gaffenjungen eine Lancade vorzu-
machen, so legt der Araber auch jeden Augenblick los, wenn
man seinem Pferde Aufmerksamkeit schenkt. Seine Pro-
duction besteht dann immer in einer plötzlichen Carrière,
wobei er ein Pferd nach fünfzig Schritten sogleich wieder
unbarmherzig zusammenreißt und umwendet. Dies wiederholt
er so oft und lange man will, nach allen Weltgegenden hin.
Ganz eigen erschien es mir, so viele à l'anglaise geschnittene
Pferdeschweife zu sehen. Bis zu vier Jahren nämlich wer-
den allen Pferden die Schweifhaare anfangs ganz abrafiert
und dann zunächst an der Rübe abgeschnitten. Außerdem
will noch mancher seine Mähre jung aussehen machen und
so geht auch mancher Greis auf diese Art frisiert einher
Was den Aberglauben betrifft, welchen die Araber mit
den an ihren Pferden vorkommenden Abzeichen verbinden, so
möchten darüber beinahe eben so viele verschiedene Sagen,
als Namen der Racen angegeben werden können. Obgleich
ich viele Beduinentruppen, d. h. vierzig bis fünfzig Beduinen,
theils im Lager, theils im Marsch begegnet habe, so ist die
Zeit meiner Anwesenheit in Syrien nicht die rechte, um die
ganzen Stämme mit Kind und Kegel in der Nähe der
464
syrischen Städte gelagert zu sehen; denn erst, wenn im
Innern der Wüste. Alles verdorrt ist, so ziehen sie gegen
Ende Mai, in die wafferreicheren und kühleren Weideplätze
von Damaskus und Aleppo. In die Nähe von Damaskus
kommen die Stämme Woltali, El Sbaa, Amouri, Rowalla
und Foedan; in die Nähe von Aleppo kommen die Stämme
Moali, Hadiddin, Fechen, Beni Saher und Djelas. In
jener Stadt ist Herr Baudin, Kanzler des französischen Con-
sulats, der erste Pferdekenner und Pferdemäckler, in dieser
ist Herr Picciotto, dänischer, holländischer, östreichischer und
noch anderer Consul, zugleich ein Jude, der erste Pferde-
kenner und Händler. Wenn Du bedenkt, daß ich auf der
ganzen Reise, mit Ausnahme von Damaskus, keinen Stuhl
und keinen Tisch gesehen habe, daß ich immer erst Abends
hundemüde in mein Quartier kam, so wird es dich nicht
wundern, daß ich Dir über einen Gegenstand, der mir aller-
dings zu noch weit mehr Bemerkungen Anlaß gegeben hat,
nur diese wenigen Worte schreibe. Uebermorgen verlaffe ich
Beirut, um mich nach Jerusalem und dem Hauran zu be-
geben, und von da an durch die Wüste nach Aegypten.
Unangenehm ist mir, daß die Kunde hier angelangt, daß in
verschiedenen Orten, welche auf dem Wege dahin liegen,
die Pest ausgebrochen ist. Ich habe auch bereits mein Zelt
und jeden Abend meine Wohnung im freien Felde aufge-
schlagen. Es hat etwas ganz Eigenthümliches, an einem
andern Orte zu schlafen, und sich doch immer in derselben
Behausung zu befinden. Ein Thema, das ich vergeffen habe,
Dir mit einigen Details auseinander zu setzen ist das tür-
kische Eisen und die Art des Beschlagens selbst. So sehr
dieser Beschlag bei uns verworfen wird, so muß ich ihm in
mancher Hinsicht doch große Vortheile einräumen. Erstens
gehen die Pferde außerordentlich sicher damit, und weil die-
selben so sehr leicht sind, conservieren sich die Hüfe weit
465
beffer, als bei unsern sechspfündigen. Auch mag in der
Schwere unserer Eifen, welche sich zum türkischen verhalten,
wie ein Courierstiefel zu einem Pantoffel, der Grund liegen,
daß die arabischen Pferde bei uns anfangs oft so unsicher
find, und häufig anstoßen. Dann will ich beim Beschlagen
selbst nur den Vortheil herausheben, daß das Wirkmeffer
seine Schneide nach Innen hat und der Schmid nach sich
zuschneidet, und somit nie das Pferd, oder den Mann ver-
letzen kann, welcher es hält, sondern höchstens sich selbst
auf den Bauch stößt. Nebenbei hat es noch den Vortheil,
daß die Eckstreben nie so ausgeschnitten werden können und
kranke Strahle nie vorkommen. Doch ein andermal mehr
darüber. – – – – – –
- - - - - Die Colonne, mit welcher wir durch
die Wüste reisten, bestand an Truppen Mehemed Ali's aus
drei Garde-Cavallerie-Regimentern und einer reitenden Bat-
terie, wovon jedoch die Geschütze zu Waffer nach Aegypten
gingen. Dieser ganze Trupp war auf siebenhundert Mann
herabgeschmolzen, welche jedoch außerordentlich gut beritten
waren und in jeder Hinsicht eine vortreffliche Haltung be-
währten. Dies Militär begleitete ein Troß von wenigstens
zweitausend Menschen und ebenso vielen Pferden, Kameelen
und Eseln, denn die Weiber, Kinder, sowie die ganze Bagage
der Vornehmen und der Offiziere, welche sich mit Ibrahim
Pascha einschifften, gingen zu Land. Da auch Ibrahims
eigene Pferde, sowie die feiner Obersten und Generale, die
den unglücklichen Rückzug überstanden, mit unserer Colonne
zogen, so hatte ich Gelegenheit, alle die schönen Pferde mit
Muße zu betrachten; aber es war auch nicht eines darunter,
das ich hätte kaufen mögen. Hiebei muß ich jedoch bemer-
ken, daß die Armee auf dem Rückzuge von Damaskus bis
Gaza, der in jeder Hinsicht ein gräßlicher gewesen seyn muß,
namentlich die Cavallerie Ibrahims, entsetzlich gelitten hatte.
Hackländer, R. in d. O. 1. 30
466
Es gingen da die meisten und gerade die edelsten Pferde
verloren, oder wurden wenigstens für lange Zeit ruiniert,
während die gemeinen Bergpferde den Strapazen widerstanden.
Dies spricht scheinbar gegen die edeln Pferde der Wüste,
hat aber zwei Gründe, welche dies leicht erklären, diese, den
vornehmen Aegyptiern angehörig, waren erstens an beffere
Pflege gewöhnt, und empfanden daher alles Ungemach: die
strenge Kälte der Nächte und den Mangel an Fourage weit
stärker. Auch war ihnen das Klettern und Springen in den
entsetzlichen Wegen des Libanon ungewohnt und ermüdete fie
eine kurze Tour in dem Gebirge ungleich mehr, als eine
dreimal so große in ihrem gewohnten Terrain, dem Sand
der Wüste; denn so wie das Bergpferd auf Steingeröll und
Klippen unersetzlich ist, so ist die Ausdauer des Nedjid im
tiefen Sande wahrhaft bewundernswürdig. Ich habe davon
die deutlichste Erfahrung an meinem Hengste gemacht, der
nach einer kleinen Tagreise im Libanon. Abends, selbst wenn
er geführt worden war, völlig ermattet schien, wogegen er
mir später in der Wüste die überzeugendsten Beweise seiner
Kraft und Ausdauer gab; da es der edle Scham unter
seiner Würde fand, neben einem gemeinen Kameel zu gehen,
oder sich von diesem herabführen zu laffen, war ich genöthigt,
ihn selbst zu reiten und da ich Dir eine zierliche Gestalt
schon beschrieben habe, Du auch meine anständige Größe
und Schwere kennt, so wirst Du Dir einen Begriff von der
Kraft und Natur des Hengstes machen, wenn ich Dir ver-
sichere, daß er am Abend der stärksten Tagereise in drei
Schuh tiefem Sand noch jeden Augenblick zum Durchgehen
aufgelegt war, und während er im Libanon abmagerte, in
der Wüste im Gegentheil zunahm. Außerordentlich hat sich
aber auch die Stute gehalten, welche vier Stunden nach dem
Abfohlen die Reise beginnen mußte, und in diesem Zustande
jedem Ungemach des Klima's Preis gegeben war. Nament-
467
lich fürchtete ich die beständige Abwechslung der Temperatur,
da hier auf den heißen Tag eine kalte Nacht folgt, wobei
der Sand einen halben Schuh durchnäßt wird. Auch das
kleine Fohlen, das ein eigentliches Wüstenpferd genannt
werden kann, hat diese Einwirkung glücklich bestanden, ob-
schon eine Tour durch die Wüste für erwachsene kräftige
Pferde, geschweige denn für ein schwaches Fohlen ungemein
lästig ist.
Vier Tage lang marschierte ich mit der Truppe, dann
aber machte sie bei einem elenden Dorfe, el Arisch, wo sich
Proviant vorfand, fünf Tage Halt; doch ich wünschte meine
Reise weiter fortzusetzen. Walli Bey, der General, wollte
mich anfangs nicht ziehen laffen, weil er vorgab, für meine
Sicherheit verantwortlich zu feyn, und da er dies nicht könne,
selbst wenn er mir auch eine starke Bedeckung mitgäbe, so
bäte er mich, bei den Regimentern zu bleiben. Der Em-
barras war mir aber zu groß und für meine edeln Pferde
zuweilen wirklich gefährlich; namentlich wenn es sich Abends
darum handelte, an einer alten mit falzigem Waffer gefüllten
Cisterne, zwischen ein paar tausend Pferden, Kameelen und
Eseln einen Tropfen Waffer zu erlangen. Ich ging deshalb
nur mit einer schwachen Bedeckung weiter und kam zehn
Tage vor der großen Caravane glücklich in Kairo an. Den
Weg hatten wir leicht gefunden, da der entsetzliche Geruch
einer Unzahl Cadaver aller Art denselben deutlich genug
bezeichnete.
Schlimmer als die Wüste war in Kairo der englische
Gasthof in Rücksicht der über alle Begriffe unerlaubten Prel-
lerei. Dem Ausrauben durch Beduinen war ich glücklich
entgangen; hier aber fiel ich in die Hände eines englischen
Gastwirths, welcher dieses Geschäft unter dem Mantel euro-
päischer Civilisation systematisch betrieb. Dies Hotel, welches
ein Stapelplatz der englisch-ostindischen Compagnie genannt
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468
werden kann, nimmt, wenn das englische Schiff mit den nach
Ostindien bestimmten Reisenden in Alexandrien ankommt,
dieselben dort förmlich in Beschlag und befördert sie gleich
Brieffeleisen auf unbeschreiblich schnelle Art mit allem nur
möglichen Comfort bis Suez, wo das correspondierende Dampf-
schiff dieselben erwartet und sogleich weiter spediert. Zu
gleicher Zeit und auf ähnliche Weise werden die bei Suez
landenden Reisenden nach Alexandrien befördert.
Eine solche Spedition durch die Wüste, wobei die Herren
und Damen reiten, fahren oder getragen werden können,
macht dem Unternehmer unendliche Ausgaben, und wenn sich
ein anderer unglücklicher Fremder in diesen Gasthof verirrt,
so muß er in demselben Maße mitbezahlen, wie wenn er die
Verpflegung in der Wüste ebenfalls genoffen hätte. Dieses
Privatunternehmen hat beinahe den Anstrich einer Regierungs-
anstalt und ist ein Staat im Staat. Der Telegraph des
Pascha signalisiert in Alexandrien die Ankunft des englischen
Dampfbootes in Suez und umgekehrt, worauf der Chef des
Gasthofs feine Leute ausschickt, die Gäste einzufangen und
unter den Schutz und die Scheere Altenglands zu bringen.
Ueberhaupt scheinen die Engländer alle andere Nationen hier,
wie an so vielen Orten, mehr und mehr zu verdrängen, bis
fie endlich die alleinigen Herren feyn werden. Selbst der
Pascha scheint sich in diesem Augenblick den Engländern
nähern zu wollen, die ihn vielleicht mit offenen Armen, aber
nicht mit aufrichtigem Herzen empfangen werden. Der fran-
zösische Einfluß hat demnach einen großen Stoß erlitten,
aber es wimmelt noch in Aegypten von Franzosen, welche
theils angestellt, theils gänzlich aus dem Dienst verjagt,
theils wieder angenommen sind, oder privatisierend in Kairo
leben.
Bei meiner Ankunft hier war mein Erstes, mich mit
Hohen und Niedern, welche mir zum Aukauf eines schönen
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braunen Hengstes hätten behülflich seyn können, in Ver-
bindung zu setzen. Ich glaubte meinen Zweck um so ge-
wiffer zu erreichen, da man mir sagte, die aus dem Hedjas
zurückgekehrte Armee hätte die schönsten arabischen Pferde
mitgebracht. Namentlich wurde mir versichert, bei Kurschid-
Pascha und dem Pascha von Akka über dreihundert der schön-
sten von dort mitgebrachten Nedjed zu finden. Meine Ent-
deckungsreisen nach Pferden waren in diesem Augenblicke
etwas mühsamer, als zu jeder andern Zeit, weil hier alle
Pferde (so wie auch Esel und Kühe) im Monat Februar
und März in den Klee geschickt werden. Die Stallungen
des Großen find in diesem Zeitpunkt bis vielleicht auf einen
alten Klepper zum Reitdienst vollkommen geleert. Ich machte
mich jeden Morgen in der Frühe auf den Weg und durch-
eilte alle Gegenden, wo jene Pferde gleich einem ausge-
dehnten Gestüt im Nilthale verbreitet standen. Unter denen
Kurschid-Pascha"s war nicht eins, das ich hätte kaufen mögen.
Man sah deutlich, daß diese Pferde mehr das Resultat einer
gewaltsamen Rekrutierung, als eines gewählten Ankaufs waren.
Das Vergnügen, die verschiedensten Racen zu studieren, wurde
fehr durch den Aerger geschmälert, meinen Zweck nicht er-
reichen zu können. -
Mehrere Male gerieth ich in Versuchung, schöne Pferde
zu kaufen, aber ich konnte mich doch nie entschließen, denn
es blieb mir immer noch viel zu wünschen übrig, da ich
durchaus ein Pferd wollte, das jenem Ideal vollkommen
entspräche, welches sich der Hippolog in Europa von dem
arabischen Pferde macht. Namentlich wünschte ich einen
starken Hengst, der neben hohem Adel sich durch große
Fundamente und eine recht prononcierte Museulatur ausge-
zeichnet hätte. Ich habe einzelne Pferde gesehen, welche
* II. Th. dieses Buchs, Kairo – die Pferde im Klee.
470
aber trotz ihrer edeln Abstammung und wenigen schönen
Partien so gemein von Kopf und namentlich so plump von
Hals mit rundem Mähnenkamme waren, daß ich es nicht
wagen mochte, sie zu kaufen, besonders nicht für meinen
Zweck; denn nach Allem, was ich hier gesehen, kann ich Dir
mit meiner innigsten Ueberzeugung versichern, daß ich nirgends
schönere und edlere arabische Pferde sah, als in den Privat-
gestüten des Königs von Württemberg und vielleicht in dem
k. k. österreichischen Gestüte von Babolna. Ohne die ein-
zelnen in Europa zerstreuten arabischen Pferde aufzählen zu
wollen, muß ich hiebei doch deren des Fürsten Pückler Er-
wähnung thun, worunter sich einige ausgezeichnete von der besten
arabischen Race befinden. Ich begreife jetzt recht wohl, wie der
Sultan ein Geschenk des Iman von Muschat an den
König von England und der Padischah die Wahl des
Gouverneurs von Ostindien war; einen Bairaktar habe
ich unter vielleicht dreißigtausend orientalischen Pferden nicht
gesehen, mit Ausnahme eines Schimmels von Izzet-Pascha,
der aber auch um keinen Preis käuflich war.
Die Stuterei Mehemed Ali's in Schubra enthielt unter
sechshundert Stuten nichts Ausgezeichnetes. Ueber die Hälfte
würde von einer Remonte-Commission zum gemeinen Cavallerie-
pferd ausgeschoffen werden; dagegen sind unter sechs und
zwanzig Hengsten vier bis fünf der edelsten Thiere; doch
find diese meistens schon sehr alt und mit solchen Mängeln
behaftet, daß sie zu einem Kauf für unsere Gestüte untaug-
lich wären. Ibrahim Pascha hat mehrere sehr schöne Stuten,
aber schlechte Hengste; dagegen besitzt er ganz besonders
werthvolle Esel, welche er selbst reitet und die zu sechs- bis
achthundert Thalern bezahlt werden. Sie stammen aus dem
Yemen. Ich kann hier nicht umhin, Dir zu erwähnen, daß
die große Nation der Eifel in Kairo ihre ausgezeichnetsten
371
Repräsentanten findet. Diese Thiere sind hier von einer
Schnelligkeit und Annehmlichkeit im Gang, und dabei von
einer Willigkeit, wie man es nirgend bei ihren europäischen
Collegen findet. Manche meiner Excursionen, wenn sie auch
fünf bis sechs Stunden dauerten, machte ich am Vormittag
auf einem Esel ab, während der Sais, dem das Thier ge-
hört, immerwährend in vollem Trab nebenher rannte.
Abbas-Pascha hat eine große Passion für Pferde, welche
aber vielleicht eine unglückliche genannt werden dürfte, denn
obgleich er in dem Rufe steht, die besten zu haben, befindet
sich doch nichts. Ausgezeichnetes in seinen Ställen. Ich muß
nun hier allerdings hinzufügen, daß der Geschmack der Türken
– und alle vornehmen Aegyptier find ihrem Herkommen
nach solche – von dem unsern sehr verschieden ist. Wie
bei den Weibern, so auch bei den Pferden findet er, que
les formes rondes sont les plus belles, und je mehr Fleisch,
desto schöner. Zudem degeneriert der maste Boden Aegyptens
die edeln Pferde; er schwemmt sie auf und macht das Haar
schlechter, gibt dicke runde Hälse, wollige Mähnen, und die
jammetartigen unbehaarten Hautstellen um Maul und Augen,
diese untrüglichen Abzeichen der schönen arabischen Voreltern,
sucht man bei den ägyptischen Nachkommen vergebens. Fohlen
von den edelsten Nedji's, in Aegypten erzeugt, tragen nicht
mehr das Gepräge dieser Race. Wie hier den Menschen
und Thieren, so geht es selbst den meisten Früchten: die
schwellen auf, werden ungewöhnlich groß, aber statt festen
kernigen Fleisches sind sie wäfferig und geschmacklos; nament-
lich die Weintraube, deren Beeren hier eine ungewöhnliche
Größe erreichen, die aber weder füß find, noch viel Geist
enthalten.
Nach sechzehntägigem unausgesetztem Suchen, wobei
ich allen Pferden der Umgegend, und mit Recht darf ich
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fagen, alle Pferde der Stadt mir nachliefen, indem ich den
zahlreichen Mäcklern hohe Belohnung versprach, wenn sie
mir den gewünschten braunen Hengst verschafften, zog ich
mit schwerem Herzen von dannen und es verstimmte mich,
meinen sehnlichsten Wunsch trotz dem besten Willen und aller
Mühe nicht erreicht zu haben. – – – –
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