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ÖSTERREICHISCHE
NATIONALBIBLIOTHEK
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- AMBE FAR.
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Tagebuch einer Pilgerreise
in das
h e il i g e C an d
im Jahre 1855.
V on
P. Urban Cor ih,
Pfarrer am Schottenfelde und Präſidenten der erſten öſterreichiſch-deutſchen
Pilger-Caravgne nach Paläſtina.
Zweite Auflage.
Der Mehrertrag iſt zur Anſchaffung von Schulbüchern für die Lehrlinge und
Sonntagsſchülerinen im Pfarrbezirke Schottenfeld beſtimmt.
1857.
Mechithariſten-Buchdruckerei in Wien.
244.692 –ß
-
„Sehet, wir gehen hinauf nach Jeruſalem.“
Luk. 18, 31.
Veranlaſſung zur Reiſe.
3wei große Gedanken waren es, die ſeit dem ſchönſten Tage meines
Lebens, an dem ich als neugeweihter Prieſter zum erſten Male beim Altare
ſtand und meine gute Mutter, die nun ſchon ſeit 25 Jahren ſelig im
Frieden Gottes ruhet, ſegnen durfte – mein Herz bewegten, und dieſe Ge-
danken waren zwei heilige, wenn auch kühne Wünſche und zwar der eine
Rom zu ſchauen, die ewige Stadt und in ihr den ehrwürdigen Vater aller
Gläubigen auf Petri heiligem Stuhle, und der andere: meinen Fuß zu
ſetzen auf Jeruſalems heiligen Boden, und knien zu dürfen auf Gol-
gotha, dem blutgetränkten Opferaltare der ewigen Liebe – und lange
blieben dieſe Wünſche eben fromme Wünſche, bis der erſte ſich im Jahre
1841, in welchem ich als jüngſter Mitarbeiter zur Seelſorge in meine gegen-
wärtige Gemeinde berufen wurde, erfüllte, und der zweite, der nach ge-
ſchehener Verwirklichung des erſten mein ſehnend Herz mit ſeiner ganzen
Kraft umfing, faſt wunderbar in demſelben Jahre zur freudigen Wahrheit
wurde, in welchem ich mein 25jähriges Prieſterthum erlebte!
Ich Ueberglücklicher, der ich der ſeltenen Gnade gewürdiget werden ſollte, auf
dem Altar, allwo der Herr der Liebe das blutige Opfer der Erlöſung darge-
bracht– als Sein unwürdiger Diener das unblutige Opfer Seines Bundes
zu vollbringen, das zugleich das Dankesopfer für mein fünfundzwanzigſtes
Prieſterjahr werden durfte. Wohl war meine Pilgerreiſe nach dem heiligen
Lande in dieſem Jahre ſelbſt nach meinem Denken erſt bis zum Auguſt und
zwar in der Geſellſchaft meines theuerſten und vielfältig erprobten Freundes
und Ordensbruders, des Prof. Albert beſtimmt; allein des gütigen Him-
mels Fügung wollte es, daß der St. Severinus-Verein in Wien, deſſen
rege Thätigkeit ſchon ſo manche ſchöne Frucht ins Leben brachte, im Winter
durch alle deutſchen Lande einen begeiſternden Aufruf zu einem unblutigen
Kreuzzuge nach Paläſtina ergehen ließ, an den ſich außer uns noch ſechzehn
andere Pilger ſchloſſen, welche nach dem ausgeſchriebenen Programm am
9. März in Trieſt ſich ſammeln ſollten, um von dort aus mit dem Dampf-
ſchiffe nach dem Lande der Verheißungen und größten Wunder, das ſchon
des zarten Kindes Herz ſo traulich angeſprochen, zu ſteuern und ſich die
1
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heiligſten und ſüßeſten Erinnerungen für's ganze, ohnehin ſo arme Erdenle-
ben in die liebe Heimath mitzurückzunehmen. -
Der Scheidegruß.
Die Abreiſe von Wien war für mich und meine nächſten Gefährten
Prof. Albert und Reinwein, einen hieſigen Fabriksinhaber, auf Dien-
ſtag den 6. März beſtimmt. Nachdem noch am Samſtag Abends
zuvor die erhebenden Weihetöne der neuen großen Glocke vom Thurme
unſerer Pfarrkirche gleichſam als ein trauter Scheidegruß von Oben an mein
Ohr und in mein Herz hineingeklungen, und ich am Sonntag Mittags die
Vorſteher nnd Väter der Gemeinde, die mir in meinem Hirtenamte
mit aufopfernder Treue als helfende Freunde an der Seite ſtanden, liebewarm
an's mächtig pochende Herz gedrückt – drängte es mich, von heiliger Stätte
in der Abendſtunde auch einen Scheidegruß meiner geliebten Gemeinde
zu ſagen; galt es ja doch eine Reiſe in die weite Ferne – über's unge-
ſtüme Meer – und in ein Land, in welchem räuberiſche Beduinenhorden
hauſten, die ſelbſt dem bewehrten Pilgersmanne oft gefährlich werden ſollen!
Doch mehr als Worte ſprachen jene Thränen, welche ich und mit mir
meine Lieben in dieſer feierlichen Abſchiedsſtunde weinten! Der 6. März
brach an – in früher Morgenſtunde ſchon vereinigten ſich Hirt und Heerde
noch einmal um den Altar des Kreuzes – ſie: im heiligen Faſtenliede die
Leiden des Erlöſers zu beſingen – er: um ſich und ſeine zuruckbleibenden
Lieben beim heiligen Opfer dem allmächtigen Schutz der ewigen Liebe zu
empfehlen, deren unnennbare Leiden er am heiligen Gnadenorte ſelbſt in un-
mittelbarer Nähe betrachten ſollte! – Von tauſend und abermals tauſend
herzlichen Segenswünſchen begleitet, verließ ich endlich nach einem brüder-
lichen Abſchied von meinen geiſtlichen Mitarbeitern meine Vaterſtadt,
nach der ich, im Geiſte meine Lieben ſegnend, noch oft die thränenfeuchten
Augen zurückwandte, bis dieſelbe meinen Blicken nur zu früh entſchwand,
und wir mittelſt der beflügelten Kraft des Dampfes wie mit Blitzeseile die
eiſerne Straße dahinflogen, ſo daß wir noch am Abend desſelben Tages Lai-
bach erreichten, von wo aus wir in zwei gemietheten Wägen über ſchneebe-
deckte Ebenen nach Adelsberg zur Beſichtigung ſeiner weltberühmten
Tropfſteinhöhlen und von hier mit der Poſt über das nackte und ſteinreiche
Karſtgebirge nach Trieſt, dem eigentlichen Sammelplatze und Auslaufs-
punkte unſerer Pilgerreiſe, befördert wurden.
Ankunft und Wufenthalt in Trieſt.
Am 8. März Vormittags trafen wir in Trieſt ein, wo wir im Gaſthof
Bauer die übrigen Pilger aus Steiermark und Deutſchland mit Herz und
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Hand und Mund begrüßten. Wir fanden uns – achtzehn an der Zahl –
nach dem Stande neun Prieſter, ein Theologe und acht Laien (darunter ein
Fürſt und zwei Grafen), nach dem Alter von 19–63 Jahren – nach dem
Lande aus unſerm gottgeſegneten Oeſterreich zwölf – während Baden drei,
Baiern und Würtemberg je Einen und Preußen gleichfalls Einen Mann
ſtellten.
Die Abfahrt von Trieſt war auf den 9. März um die vierte Stunde
Nachmittags feſtgeſetzt – und wie man uns ſagte, ſtand der Dampfer
„Italia“ mit 260 Pferdekraft zu unſerer Aufnahme bereit. Wir waren
alle vollkommen geſund und brannten vor Begierde das Dampfboot zu beſtei-
gen, das uns den heiligen Stätten näher bringen ſollte. Doch wohl wiſſend,
daß uns unſere Pilgerreiſe nur zum Segen werden könne, wenn der Herr
ſelber mit uns pilgert, ſo wollten denn auch wir mit den Pilgern nach Emmaus
in der Schrift den Spruch zur Geltung bringen: „Herr, bleib bei uns!“
und verrichteten an demſelben Tage noch in früher Morgenſtunde in der
Kirche des heil. Antonius (genannt Sant Antonio nuovo) die heilige Beichte,
nach welcher ich als ernannter Präſident der Geſellſchaft die heilige Meſſe
daſelbſt las und nach meiner h. Communion auch meinen Reiſegefährten das
Abendmahl reichte. Um 12 Uhr Mittags waren bereits alle Vorbereitungen
zur Abreiſe getroffen; – die See war wohl etwas unruhig und die Luft
vom nächtlichen Regen ſtark abgekühlt; doch ſahen wir für Nachmittag einem
heiteren Himmel entgegen und hofften eine ruhigere See.
Die Fahrt nach Smyrna.
Da die Abfahrtsſtunde auf 4 Uhr beſtimmt war, ſo wurde uns von
dem Herrn von Napoli, bürgl. Apotheker in Trieſt, der uns während un-
ſers Aufenthaltes in dieſer Hafenſtadt ſehr viele, unvergeßliche Beweiſe der
Freundſchaft gegeben, bedeutet, daß wir uns bereits um 3 Uhr mit unſerm
Gepäcke auf das Dampfſchiff begeben müßten; und wir mietheten uns drei
Barken je eine für ſechs Perſonen, und fuhren in denſelben über die ſtarkbe-
wegten Wogen der „Italia“ zu, die in bedeutender Entfernung von dem Ha-
fenplatze vor Anker lag. Die ungeſtüme See warf unſere Barken, die ſchein-
bar mit jedem Augenblicke umzuſchlagen drohten, auf ihren Wellen tüchtig
herum, daß uns bange ward um's Herz; jedoch vertröſteten wir uns mit dem
Gedanken, daß wir auf dem rieſigen Dampfſchiffe leicht des Meeres Meiſter
werden würden, nicht ahnend die unſäglichen Wehen, denen wir entgegen
gingen! Wir erreichten glücklich das Schiff – und vertheilten uns nach den
beſtehenden Claſſen–alſo daß vierzehn Pilger die erſte und vier die zweite
Claſſe nahmen.
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Nach 4 Uhr wurden die Anker gelichtet, und wir fuhren ab – ohne
aber die verhoffte entzückende Rückſchau nach Trieſt zu genießen, von der
man uns viel erzählt hatte, da ein Schneefall, der eben eintrat, das ganze
Land ringsum in eine Nebelkappe hüllte und das Verweilen auf dem Ver-
decke im höchſten Grade unbehaglich machte. Das unfreundliche Wetter be-
wirkte auch ſchon am erſten Tage in mir eine, wenn gleich nur leiſe Anſpie-
lung an die Seekrankheit (die in dem Reitze zum Erbrechen und bei län-
gerer Andauer im heftigen Erbrechen ſelbſt beſteht), und bewog auch unſern
Kapitän, einen überhaupt etwas ängſtlichen Seemann, noch vor dem Ein-
tritte der Nacht in die Bucht von Pirano einzulenken, um daſelbſt bis
zum Morgen vor Anker liegen zu bleiben, welcher Verzug uns im Ganzen
wohl nicht recht gefallen wollte, indeſſen doch das Gute hatte, daß wir unge-
ſtört und erquicklich ſchlafen konnten, und überdies auch vor den im dortigen
offenen Meere in der Dunkelheit der Nacht durch den Znſammenſtoß der
Schiffe öfter vorkommenden Gefahren geſichert waren.
Am andern Morgen war die See ruhiger und die Fahrt angenehmer,
und der Schnee lag nur noch auf den Bergen Iſtriens hinter uns; allein um
8 Uhr trieb der Wind ein gewaltiges Schneegewölke hinter uns einher, das
auch ſeinen ganzen Inhalt auf uns entlud, und uns zum ſchleunigen Rückzug
in den unteren Schiffsraum nöthigte. Daſelbſt fanden wir zu unſerm Troſte
in dem argen Wetterleiden um 9 Uhr eine Tafel mit drei Gerichten zur ſo-
nannten Collazion (Frühſtück) nach italieniſcher Sitte, da das Mittagmahl
erſt um 4 Uhr Nachmittags genoſſen wird. Nach eingenommenem Frühſtück
ſtiegen wir wieder auf das Verdeck und bekamen bei etwas reinerem Himmel
mehrere Segelſchiffe in Sicht, zum Zeichen, daß wir doch nicht ganz und
gar allein auf dem weiten Meere ſchwammen; allein um halb 2 Uhr Nach-
mittags verſchlimmerte ſich das Wetter wieder; die Bora (ſo wird der kalte
Wind genannt, der von der Trieſtiner Höhe kommt) blies ſtärker und durch-
ſchauerte uns mit ihrer eiſigen Kälte und ſteigerte bei mir um 5 Uhr Abends
die Seekrankheit zum vollen Ausbruche. – Doch ſchwand das Uebel wieder
und der heller gewordene Himmel machte es möglich, uns auf dem Verdecke
zu lagern und bei heiterer Seelenſtimmung unter Begleitung einer Hand-
harmonika, die Graf Harnoncourt, ein Pilger aus der Steiermark, trefflich
ſpielte, auch unſer volles Herz in dem majeſtätiſchen, ambroſianiſchen Lobge-
ſange: „Großer Gott, wir loben Dich“ zu ergießen. Nur vernahmen
wir ſpäter, daß es den Matroſen gar ſehr mißfalle, wenn heilige Geſänge
auf den Schiffen angeſtimmt werden, oder überhaupt Prieſter mit zur See
ſeien, weil nach ihrer abergläubiſchen Meinung es in ſolchen Fällen gewöhn-
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lich Stürme oder wenigſtens widrige Winde und eine ſchlechte Seefahrt
gebe! Wir konnten die Entſtehung dieſes Aberglaubens, der leider um un-
ſerer Geſellſchaft willen, die zur Hälfte aus Prieſtern beſtand und auf der
frommen Pilgerfahrt nach dem heil. Lande begriffen, doch auch ihre Zeit mit
Abſingung heiliger Lieder am beſten zu verwenden glaubte, bei dem fort-
dauernden ungünſtigen Wetter in den Schiffsleuten noch mehr Beſtätigung fand,
nicht ergründen. Er mußte nur ſchon aus den Zeiten des Propheten Jonas,
der ſich durch die Flucht der ihm aufgetragenen Sendung Gottes zu entziehen
ſuchte, herſtammen, um deſſen willen bekanntlich über das Schiff, darin erwar,
durch Gottes Fügung ein gewaltiger Sturm losbrach, der es zu verderben
s
drohte und nur durch den Sturz des Propheten in die wildempörte Fluth .
beſchwichtigt werden konnte. Indeſſen glaubten wir doch nicht auf dieſen
Umſtand achten zu dürfen und ſangen, ſo oft die See ſich ruhig zeigte, Gott
zum Lobe unſere heiligen Lieder munter fort! –
In der darauffolgenden Nacht, die wir mittelmäßig zubrachten, ſahen
wir den Leuchtthurm bei Iſola groſſa hell erleuchtet und ſein Licht
ſich freundlich ſpiegeln in den Meereswellen. Morgens war das Wetter wie-
der regneriſch – jedoch der Wind erträglich; nur blies er kalt her von den
ſchneebedeckten Bergen Dalmatiens. Wir ſchifften nahe bei den Inſeln
S. Andrea und Liſſa hindurch und bemerkten zu unſerer großen Verwun-
derung, daß einige Klippen, welche auf unſerer alten, aber ſehr genauen
Landkarte bemerkt waren, im Laufe der Zeiten über der Meeresfluth ver-
ſchwunden ſeien. Da wies der Zeiger auf der Schiffsuhr die neunte Stunde
und weil Sonntag war, ſtellten wir uns auf dem Verdecke eng zuſammen,
nahmen unſere Andachtsbücher hervor und hielten über dem Meeresſpiegel
unter dem weiten Gewölbe des Himmelsvomes unſern Gottesdienſt
auf katholiſche Weiſe, wenigſtens in ſo ferne, daß wir das bekannte Meß-
lied: „Wir werfen uns darnieder“ ſangen, dem auch die mit uns auf
dem Schiffe befindliche Geſellſchaft von engliſchen Civil-Ärzten, welche für
das Militärſpital in Smyrna beſtimmt waren, mit geſpannter Aufmerkſam-
keit lauſchte. Die Strophe nach der heiligen Wandlung „Wir bethen
auf den Knien“ ſangen wir auf den Knien liegend. Einer von der Geſell-
ſchaft der engliſchen Aerzte, der ein geborner Deutſcher war, borgte ſich am
Schluſſe unſerer Andacht ein Gebetbuch von uns aus und erklärte in engli-
ſcher Sprache ſeinen Collegen einiges von dem eben abgeſungenen Liede, und
erzählte uns ſodann, dieſelben hätten ſich ſehr verwundert gegen ihn ausge-
ſprochen, daß wir nichts vom Pabſte ſangen, den wir doch anbetheten!
Gegen Mittag zu ſchienen auch ſie eine Art Gottesdienſt in der Kajüte zu
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halten. Um 12 Uhr betheten wir Ave Maria – welchem, der heiligen
Jungfrau, dem Stern des Meeres, zur Ehre, ein ſchönes Quartett in latei-
niſcher Sprache folgte, das ungefähr ſo lautete: O Sanctissima, o dul-
cissima virgo Maria, Mater intemerata, mater amabilis–coelorum regina,
ora pro nobis! (O heiligſte, o ſüßeſte Jungfrau Maria, Du unbefleckte, lie-
benswürdige Mutter, o Himmelskönigin, bitte für uns!) Um 2 Uhr ſtimmte
das einfache Faſtenlied: „Laß mich Deine Leiden ſingen“ jedes Pilger-
herz zur ernſten Trauer und führte uns im Geiſte voraus nach Jeruſalem,
und um 4 Uhr erklang der bekannte Geſang zum heil. Segen: „Heilig,
heilig, heilig!“, worauf wir abwechſelnd die lauretaniſche Litaneibetheten
und unſere Andacht mit dem Liede: „Segne Jeſu, Deine Heerde“
ſchloſſen. Spät Abends tönte von allen Pilger-Zungen das Loſungswort
der Katholiken: „Gelobt ſei Jeſus Chriſtus“ im erhebenden Geſange
in die offene See hinaus, und damit war die erſte Sonntagsfeier
während unſerer Pilgerfahrt vollendet. -
Mit wahrer Sehnſucht ſahen wir nach einer ſehr unruhigen Nacht dem
neuen Tage entgegen, der uns aber leider auch nichts Beſſeres brachte. Da wir
uns ob der ſtürmiſch bewegten See faſt Alle unwohl fühlten, ſo war an einen
gemeinſchaftlichen Geſang nicht zu denken. Was uns aber am meiſten wehe
that, war, daß unſere Italia eine ſo geringe Triebkraft hatte, während wir
den Dampfer Bombay, der erſt am 10. März, alſo um einen Tag ſpäter,
als wir, von Trieſt direct nach Alexandria abging, ſchon am 12. hinter uns
erblicken und in wenigen Minuten an uns vorüberfliegen ſahen. Mit neidi-
ſchen Blicken ſchauten wir dem dahineilenden Schiffe nach, bis es eben ſo
ſchnell, als es uns nah gekommen war, unſeren Augen wiederum entſchwand.
Endlich ging auch uns ein Stern freudiger Hoffnung auf; nachdem wir durch
mehrere Stunden ganz nah dem Ufer des türkiſchen Feſtlandes, deſſen Berge
mit ihren ſchneeigen Häuptern auf uns niederſahen, gefahren waren, tauchte
auf einmal aus dem Meere die Inſel Corfu vor unſeren Blicken auf und
wir warfen um halb 6 Uhr Abends im Hafen der Stadt gleichen Namens
die Anker! –
Corfu iſt eine von den ſieben joniſchen Inſeln, welche unter dem Na-
men einer Republik unter ſich vereinigt, unter der Schutzherrſchaft Englands
ſtehen. Sie liegen alle im adriatiſchen Meere zerſtreut und ſind außer der
bereits genannten noch folgende: Paxos, Sta. Maura, Ithaka, Cephalonia,
Zante, Cerigo. Die Stadt ſelbſt bot mit ihren Feſtungswerken einen ſehr
überraſchenden Anblick und prangte eben im ſchönſten Frühlingsſchmucke.
Wir ſahen vom Schiffe aus grünende Wieſen und neubelaubte Bäume, und
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kauften von den Bewohnern um einen Spottpreis vollkommen reife Orangen
und Limoni, welche dieſelben in großer Menge auf ihren Barken herbei-
führten und friſch gepflückt ſammt den Blättern uns anboten! Unſer Wirth,
der in einer Barke an das Land gefahren war, um Einkäufe für die Küche
auf die Weiterreiſe zu beſorgen, brachte den ſchönſten Salat, der hier im
offenen Felde wuchs, mit auf das Schiff. Wir bezahlten die Früchte mit
öſterreichiſcher Münze und brachten ſelbſt das uns zurückgebliebene Pa-
piergeld los. Einige unſerer Pilger, zum Theile von der Neugierde ange-
trieben, das Innere der Inſelſtadt zu beſehen, mehr aber, um doch auf einige
Zeit von dem läſtigen Schiffe wegzukommen, waren, obgleich es ſchon ſehr
ſtark dämmerte, gleichfalls an's Land gegangen; ich aber begnügte mich mit
dem Anblicke der Stadt vom Schiffe aus, der mir eben intereſſant genug
war, um mir die Entbehrung der inneren Beſichtigung zu erſetzen. Auch
hieß es, daß wir Nachts um 10 Uhr weiterfahren würden, und es ließ
mich ſchon die Ungeduld und Sehnſucht nicht aus dem Schiffe!
Wohl kam die verheißene Stunde – allein wir mußten wegen des un-
aufhörlichen ſchlechten Wetters und der aufgeregten See die Nacht hindurch
im Hafen liegen bleiben – und ſo den ganzen andern Tag über und die
folgende Nacht, bis am 14. März Morgens 5 Uhr ſich die Anker lichteten.
Denn da der Wind ſchon im Hafen ſein böſes Spiel mit unſerm Schiffe
trieb, ſo wagte es der Kapitän bei ſeiner Aengſtlichkeit nicht, bei ſolcher
Geſtaltung der Dinge den Hafen zu verlaſſen! Da es ununterbrochen reg-
nete, waren wir genöthigt in der Kajüte zu verbleiben und zu leſen. Jeder
von uns beſchäftigte ſich mit der Leſung irgend einer Reiſebeſchreibung vom
heil. Lande, dahin alle Herzen ſehnſüchtig gerichtet waren; mitunter wurden
Landkarten aufgeſchlagen und die Wege nach dem wohl noch fernen Landungs-
punkte Jaffa aufgeſucht; hie und da konnte man auch Abbildungen der hei-
ligen Orte in Vogelperſpektive und aufgerollte Pläne der heiligen Stadt auf
den Leſetiſchen ausgebreitet ſehen.
So half ſich, während das Schiff ſtille ſtand, die Ungeduld damit, im
Geiſte die Reiſe voraus zu machen. Die Kraft des Dampfes beſchleuniget
das Reiſen; ſchneller aber noch iſt die Kraft der Gedanken, die leicht beflü-
gelt über Meere und Berge hinübereilen und das heiß verlangende Herz
dem Ziele ſeines Sehnens in wenigen Augenblicken nahe bringen. Es war
am 13. März um 11 Uhr Nachts – Alles um mich herum ſchlief in der
Kajüte und in den Kabinen, in deren mancher zwei bis drei Pilger neben-
und übereinander hart gebettet ruhten. Ich überließ meine Lagerſtätte für
dieſe Nacht einem meiner Mitpilger, der ſich bei der Abfahrt von Trieſt kein
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Billet zu einem Bette gelöſt hatte nnd nun ſchon vier Nächte auf einem elen-
den Platze in der Kajüte zubringen mußte, damit er doch wenigſtens einmal,
da er vom unbequemen Lager wie gerädert war, ſeine müden Glieder be-
quem ausſtrecken und durch erquicklichen Schlummer ſtärken konnte. Indeſſen
befanden wir uns doch noch wie im Himmel im Vergleiche mit den Paſſa-
gieren, die von Corfu aus aufs Schiff zu uns gekommen waren und unter
Wind und Regen auf dem Verdecke unter einem elenden Gezelte ſchlafen
mußten. Uebrigens benützte ich dieſe Nacht dazu – einen Brief in meine
Heimat zu ſchreiben und unſeren zurückgebliebenen Lieben einige, wenn auch
gerade nicht ſehr erfreuliche Kunde von uns zu geben.
Als ich den Brief geſchloſſen – es war ungefähr 2 Uhr nach Mitter-
nacht – ſtieg ich auf das Verdeck und ſah zu meiner großen Freude einen
heiteren Himmel über mir, von welchem freundliche Sterne auf mich nieder-
blickten, die einen klaren Morgen und eine günſtige Seefahrt hoffen ließen,
und fromm erhob ſich meine Seele zu dem Herrn des Meeres, der mit ſtar-
ker Hand die Winde zähmet und die Wellen ebnet, und flehte ſtill zu Ihm,
daß Er den Wellen wie den Herzen die gewünſchte Ruhe geben möge.
Endlich ging's nach langem Harren um 5 Uhr Morgens weiter; allein
kaum waren wir einige Stunden gefahren (die See war wieder böſe gewor-
den und ich Aermſter mußte, auf den Rücken hingeſtreckt, den Kopf in ebener
Lage mit den Füßen – auf dem Bette liegen; denn nur in dieſer Lage
konnte ich die Seekrankheit etwas von mir ferne halten), ſo fing es um mich
herum im ganzen unteren Raume an zu krachen, und es ſchien, als ob das
Schiff aus allen ſeinen Fugen treten und mit uns in jedem Augenblicke in den
Grund des Meeres unterſinken wollte! Ich durfte es nicht wagen, mein
Haupt zu erheben und meine Lage zu verändern – ich war allein mit mir;
die anderen Pilger waren auf dem Verdecke, woher verwirrte Stimmen und
lautes, jedoch nur unverſtändliches Rufen zu mir herunterdrang, ſo daß ich
vermeinte, meine letzte Stunde ſei gekommen, bis endlich Profeſſor Albert,
um mich beſorgt, zu mir in die Kabine trat und mir die Hiobskunde brachte,
daß das Schiff im Kampfe mit den aufgeregten Wvgen an einem Räderkaſten
einen Bruch erlitten habe und wir eine ziemlich weite Strecke zurückfahren
müßten, um an einem windſtillen Orte den erlittenen Schaden wieder gut
zu machen. Mir fiel dieſe Rückfahrt wohl am meiſten ſchwer, da ich nun um-
ſonſt ſo viele Stunden in dem peinlichſten Zuſtand zugebracht hatte, und
wir nicht nur nicht weiter gekommen waren, ſondern überdies doppelten
Zeitverluſt beklagen mußten. Allein was half das Jammern und Klagen!
Der Dampfer kehrte um und legte ſich in einer Bucht an der Küſte von Alba-
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nien vor Anker, um reparirt zu werden. Verhängnißvolles Schiff! – In-
deſſen konnte ich mich wenigſtens während des Stillſtandes von meiner
Seufzerſtätte wieder erheben und auf das Verdeck begeben, um friſche Luft
zu ſchöpfen; allein auch in der faſt windſtillen Bucht ſchwankte das Schiff,
weßhalb ich die achte Stunde Abends, die man zur Weiterfahrt beſtimmte,
froh begrüßte. Wir fuhren die ganze Nacht – kamen in derſelben bei den
Inſeln Paxos und Sta. Maura vorüber und ſchifften am andern Tage,
den 15. März, durch den Kanal zwiſchen den Inſeln Ithaka und Cepha-
lonia, die wir zum Theile wohl bebaut und auf den Höhen mit Windmüh-
len beſetzt fanden, hindurch und hielten gegen Mittag bei der Inſel Zante
ſtille, die mit wahrhaft maleriſcher Schönheit aus dem Meere ſich erhob.
Ihr reichſter Schmuck iſt ihre Hauptſtadt gleichen Namens, die, am-
phitheatraliſch gebaut, durch ihre Lage und Umgebung einen zauberiſchen Ein-
druck auf mich machte. Auch tönte uns aus zwei Kirchen Glockengeläute ent-
gegen, wobei jedoch die Glocken nicht wie bei uns an Seilen gezogen, ſon-
dern mit Stäben angeſchlagen zu werden ſchienen und darum einen weniger
reinen und vollen Ton gaben. Ueberdies zählt dieſe Stadt viele Kirchen und
iſt mit herrlichen Gärten und prächtigen Landhäuſern geziert, die das Land
zum wahren Paradieſe ſchaffen. Ueber der Stadt, mehr zur rechten Seite,
ragt ein ſtarkbefeſtigtes Kaſtell hervor, welches eine ſchwarzgelbe Fahne auf-
gezogen hatte, um unſern kaiſerlichen Dampfer zu begrüßen, und links er-
hebt ſich auf dem Berge Scopo ein weitläufiges griechiſches Kloſter mit
einer Kuppelkirche in der Mitte. Auch trafen wir im hieſigen Hafen ein
franzöſiſches Kriegsſchiff mit Zuaven aus der Krim am Bord, die, in Reih'
und Glied auf dem Verdecke aufgeſtellt, mit ihren rothbraunen Mützen und
rothen Hoſen ein eigenthümliches Ausſehen hatten. – So freundlich aber
auch für uns der kurze Aufenthalt vor Zante durch das reizende Bild der Na-
tur geworden war, ſo trübte ſich denn doch mein Geiſt an dieſem Tage und
mein Herz war traurig bei dem Gedanken, daß vor 24 Jahren an demſelben
Tage, zu derſelben Stunde meine gute Mutter aus dem Leben ſchied,
die mir alles war auf Erden und der nach Gott ich's danke, daß ich als Prie-
ſter pilgern konnte nach dem heiligen Lande. Alljährlich war ich's gewohnt,
an dieſem Tage hinauszuwallen in den ſtillen Gottesacker, wo die irdiſchen
Ueberreſte der Geliebten ruhen; diesmal weilte ich ſo ferne, ſo viele Meilen
ferne von dem Orte, der mir ſtets ſo heilig war; – alljährlich trat ich an
dieſem Tage im prieſterlichen Gewande zum Altar, um bei dem heil. Opfer
mein kindliches Herz für ſie zum Allerbarmer zu erheben, daß Er dem treuen
Engel meines Lebens in dem Lande des Lichtes den ewigen Frieden ſchenken
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möge; diesmal aber fehlte der Altar und mit ihm das heilige Opfer unſerer
Kirche; – allein ich hatte ja mein Herz mit mir genommen und daraus
nahm ich die Gedanken heiliger Liebe und ſandte ſie als ſtille Boten in
die Heimat zu dem Grabe meiner guten Mutter, ihren Staub in der geweih-
ten Erde zu begrüßen und zu küſſen – und daraus nahm ich die Gedanken
frommer Andacht und ſandte ſie als Opfergabe zu dem Herrn der Huld hin-
auf, um für die beſte aller Mütter bei Ihm fürzuſprechen. O ich fühle es
an dieſem Tage mehr als ſonſt, daß die verklärte Mutter ihres Sohnes nicht
vergaß – ſondern wie einſt im Leben, ſo auch eben jetzt noch in ſo mancher
drohenden Gefahr ſchirmend als ein guter Engel ihn umſchwebte! –
Mit der lebendigen Erinnerung an meine ſelige Mutter noch beſchäf-
tiget, fand ich mich, ohne daß ich es bemerkte, von Zante fern und auf offener
See, die, leider wieder heftig aufgeregt, uns den Abend und die Nacht ver-
darb. In letzterer fuhren wir bei Nawarin vorüber, umſchifften dann bei
Tage – dem bisher erſten ſchönen auf unſerer Reiſe – die drei Vor-
gebirge von Morea mit dem Cap Matapan, der äußerſten Südſpitze von
Europa, und liefen nach einer guten Nacht, am 17. März um 5 Uhr Mor-
gens, in den Hafen von Piräus ein.
Ausflug nach Athen.
Sieh', da regte ſich allenthalben auf dem Schiffe unter den Pilgern
ein munteres Leben und bei dem Rufe: „Wer will an's Land?" drängten
ſich alle nach der Stiege, die an der Seite des Dampfers, an Ketten hän-
gend, jederzeit herabgelaſſen wurde, wenn neue Paſſagiere an Bord ge-
nommen werden ſollten oder alte das Schiff verließen. Wir mietheten uns
zwei Barken, die zu unſerm Dampfer hingerudert kamen, und fuhren in den-
ſelben um einen Spottpreis, 4 Kreuzer nämlich die Perſon für hin und zu-
rück, an's Land, woſelbſt wir die neue Hafenſtadt Piräus aus dem Schutte
der alten erſtehen ſahen. Hier betrat ich auch ſeit unſerer Abfahrt von Trieſt
zum erſten Male das feſte Land; allein ſo feſt der Boden unter mir auch
war, ſo ſchien's mir doch, er wankte unter meinen Füßen und die Hänſer
tanzten um mich herum – einen ſolchen Eindruck ließ die frühere ſchaukelnde
Bewegung des Schiffes in mir zurück. –
Am Ufer fanden wir mehrere Wägen, unſeren Fiakerkutſchen ähnlich,
in Bereitſchaft, um die Fremden nach Athen, der Hauptſtadt Griechenlands,
zn führen, und wir mietheten uns ſolche, à 2 fl. C. M. in öſterreichiſchen
Zwanzigern. Auch hier, wie überall, konnten wir uns mit der italieniſchen
Sprache den Leuten leicht verſtändlich machen. Die Kutſcher ſaßen in rein-
lich-weißen Hemdärmeln, mit über den oberen Theil des Kopfes herabgezo-
genen braunfarbigen Mützen (unſeren Schlafmützen ähnlich) in bunten Bein-
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kleidern und mit zierlichen Schuhen an den Füßen auf dem Bocke, und
ſchwangen luſtig die Peitſche über die vorgeſpannten mageren Gäule und
jagten die gutgebahnte Straße mit uns alſo fort, daß wir in einer ſtarken
halben Stunde ſchon am Ziele waren. Kaum konnten wir uns ob der ſchnel-
len Fahrt die Gegenſtände recht betrachten, die rechts und links am Wege
waren; indeſſen entging uns dennoch nicht das Monument des bekannten
Helden Karaiskaki, der im griechiſchen Befreiungskampfe im Jahre 1827
hier gefallen war – und nicht ferne von demſelben das Denkmal eines
franzöſiſchen Generals, der in der Krim verwundet wurde und hier auf dem
Wege ſtarb. Den Waizen fanden wir in Halmen hoch emporgewachſen und
die Gerſte ſchon in Aehren aufgeſchoſſen, und auf den Wieſen öffneten die
Blumen ihre Kelche und hauchten ſüße Düfte uns entgegen. Auch ſahen wir
die Bewohner hie und da die Felder pflügen und bebauen, obgleich die Ge-
gend ringsherum noch unverkennbare Spuren vorangegangener Verwüſtun-
gen uns zeigte. Auf dem halben Wege nach der Hauptſtadt machten unſere
Wägen bei einer Taberne eine kurze Raſt und ich bemerkte, daß ein Mann
ſich unſeren Pferden näherte und ſelbe an den Köpfen ſtrich nnd ihre Ohren
einige Male nach einer beſtimmten Richtung drehte. Mir fiel dies auf, und
als ich nach der Urſache fragte, gab man mir zur Antwort, dieß geſchehe,
um zu unterſuchen, ob die Pferde nicht zu ſehr erhitzt ſeien und ob man ih-
nen ohne Gefahr Waſſer geben könne.
Um 9 Uhr erreichten wir Athen, das einſt die blühendſte Stadt der
Welt und der Sammelplatz der ausgezeichnetſten Gelehrten, geiſtreichſten
Redner und größten Helden war. Doch welch ein Abſtand zwiſchen Einſt
und Jetzt? Anſtatt der prachtvollen Palläſte und herrlichen
Tempel fanden wir erbärmliche Hütten und elende Häuſer (den Pallaſt des
Königs mit ſeinen freundlichen Gartenanlagen und einige Hotels aus der
allerneueſten Zeit ausgenommen); anſtatt der alten Weiſen, die einſt die
höchſten Intereſſen der Menſchheit zur wichtigſten Angelegenheit ihres Den-
kens und Forſchens machten, bemerkten wir thörichte Alte, die auf dem
Marktplatze in Haufen zuſammenſtanden und in der größten Spannung um
den Stand der Geld- Intereſſen ſich bekümmerten; – anſtatt der begei-
ſterten Redner, die einſt vom erhabenen Orte aus an das verſammelte
Volk tief ergreifende und gewaltig erſchütternde Worte ſprachen, ſtießen uns
an allen Orten tolle Schreier auf, die durch das ununterbrochene Geklapper
ihrer nie ruhenden Zungen aus weit geöffneten Mäulern die Stadt zu einem
großen Irrenhauſe umgeſtalteten; – anſtatt der ehemals hochge-
feierten Helden entdeckten wir, wenigſtens dem Aeußeren nach, Seil- und
12
Ballettänzer mit zierlichen Gewändern und weißleinenen buſchigten Aermeln
und mit derlei in Falten gelegten weiblichen Waffenröcken nebſt den um die
Lenden gegürteten Schwertern. – Doch ließ das, was von der alten Zeit
noch übrig war, auch in ſeinen Trümmern noch die alte Herrlichkeit und
Größe ſchauen. So fiel uns auf dem Wege durch das Innere der Stadt der
ſogenannte Windthurm auf, mit Figuren, welche die verſchiedenen
Winde darſtellten, ſammt einer Uhr, die das Waſſer trieb; ferner das ſtei-
nerne Marktthor, Agora (erbaut vom Kaiſer Hadrian, der den Grie-
chen wegen ihrer Philoſophie ſehr gewogen war, deſto mehr aber die Chri-
ſten haßte und verfolgte), mit dem Markttarif, der an einer abgeſonderten
ſteinernen Säule aufgezeichnet ſtand und noch theilweiſe gut zu leſen iſt; fer-
ner die Ueberreſte eines Tempels desſelben Kaiſers nahe bei der Ka-
ſerne, bei welchem verſchiedene Trümmer der alten griechiſchen Herrlichkeit
mit ausgewählten Zeichnungen umher zerſtreut lagen; dann das durch ſeine
herrliche Architektur wahrhaft großartige Thor nach demſelben Kaiſer be-
nannt, außer welchem ſich die Ueberreſte eines alten Jupitertempels mit
mehreren von einem Gitter umſchloſſenen Säulen befanden, wovon ein Theil
vor zwei Jahren durch einen heftigen Sturm umgeworfen wurde. – Durch
eben dieſes Thor führt ein nicht ſehr hoher und ſteiler Weg zur ſogenannten
Akropolis – dem Sammelplatze der großartigſten Denkmäler der alten
griechiſchen Herrlichkeit hinauf. Beim Hinaufſteigen bemerkten wir gleich An-
fangs rechts etwas vom Wege ab ein rundes und noch gut erhaltenes „Tem-
pelchen“ aus weißem Marmor, genannt die Laterne des Diogenes, des
bekannten griechiſchen Philoſophen, von dem man erzählt, daß er beim hellen
Tage mit einer brennenden Laterne durch die Straßen der in jener Zeit in
Ueppigkeit ſchwelgenden Stadt ging und auf die Frage, was er ſuche, zur
Antwort gab: „Einen Menſchen!“ Derſelbe hatte ſich zum Beweiſe, wie ein-
fach der Menſch leben könne, ein leeres Faß zur Wohnung eingerichtet und
zuletzt auch ſelbſt den hölzernen Becher, aus dem er zu trinken pflegte, beim
Anblicke eines Knaben, der mit der hohlen Hand ſich Waſſer ſchöpfte, als ein
überflüſſiges und darum entbehrliches Geräth von ſich geworfen, und dem
großen König von Macedonien, Alexander, der aus Neugierde den ſeltenen
Mann beſuchte und ſich vor ſein Faß hinſtellend, ihm den Zugang des Son-
nenlichtes entzog, in's Angeſicht geſagt: „Geh mir aus der Sonne!“, ſo daß
der König über dieſen Freimuth hoch verwundert zu den Gegenwärtigen die
Worte ſprach: „Wenn ich nicht Alexander wäre, ſo möchte ich Diogenesſeyn.“
Weiter hinauf trafen wir die Ruinen mehrerer Bauwerke der neueren Zeit,
von den Venezianern und Türken aufgeführt, um mittelſt derſelben von der
13
Akropolis aus die Stadt ſelbſt zu beherrſchen. Gegen die Spitze zu gingen
wir an den zur Zeit des Perikles aus weißem Marmor gebauten Propy-
läen mit einem weitgedehnten großartigen Vorhofe, der den Anfgang zu
dem Parthenon, dem Tempel der jungfräulicheu Minerva, bildet, vor-
über; die Statue der genannten Göttin ſelbſt ſtand ehemals aus Erz gegoſſen
auf dem noch gegenwärtig vorhandenen Piedeſtal vor dem Eingange ihres
Tempels – hoch erhoben – gleichſam als Schutzfrau weithin ſchauend über
die Stadt und die Umgebung! Auf dem eigentlichen Gipfel ſteht der Tem-
pel ſelbſt im großartigſten Style aus dem ſchönſten weißen Marmor gebaut
mit nach Höhe uud Breite koloſſalen und cannelirten Säulen, deren viele
noch ganz erhalten ſind, die meiſten aber tiefe Spuren der bei der wiederhol-
ten Belagerung von Athen nach dieſem ſo wichtigen Punkte geworfenen Bom-
ben, von denen wir daſelbſt noch mehrere bedeutend große Stücke fanden, an
ſich trugen.
P a r the non.
Die herrlichſten Verzierungen lagen in Trümmern zerſtreut oder auch
aufgehäuft und zum Theile mit Mörtel ordnungslos zuſammengefügt herum.
Zur rechten Seite etwas tiefer ſahen wir das Erechtheion oder die
Schatzkammer der alten Stadt mit zwei Seitenflügeln, wovon der eine
mit Geſimſe und Dach anſtatt von Säulen durch Karyatiden oder weibliche
Figuren getragen wird –
E r e ch th ei o n.
und links in gleicher Höhe mit dieſem Gebäude den Tempel der geflü-
gelten Siegesgöttin (von den Griechen Pterenike genannt), jedoch
nur halb erhalten. -
So vergeht die Herrlichkeit der Welt und die Werke, welche die Men-
ſchen für die Ewigkeit gebaut zu haben glauben, zeigen in ihrem Verfallenoch
den nachkommenden Geſchlechtern die Hinfälligkeit alles Irdiſchen, und weiſen
ſie, wenn ſie verſtehen und lernen wollen, auf das wahrhaft Ewige hin,
das keiner Zeit und Macht zum Raube wird.–– Von der Höhe der Akro-
polis kann man die Stadt Athen in ihrer ganzen Ausdehnung überſchauen;
allein ſelbſt bis hieher drang das wirre Geſchrei des tief unten lärmenden
Volkes, ſo daß es ſchien, als wäre die Stadt in allen ihren Theilen im furcht-
barſten Aufruhr begriffen! An meine Ohren klang dies kreiſchende Getüm-
mel gar ſo widerlich uud ich drängte meine Gefährten, die unheimliche Höhe
zu verlaſſen und bald ſtanden wir am Fuße der Akropolis, auf dem freien
Platze des Areopags, des alten griechiſchen Gerichtshofes über ſchwere
Verbrechen, wo die Richter auf Marmorſtühlen ſaßen; denkwürdig, weil da-
ſelbſt der heidniſche Weiſe Sokrates fälſchlich als Verführer der Jugend an-
geklagt und zum Giftbecher verurtheilt wurde, und noch denkwürdiger,
weil an dieſem Orte der größte chriſtliche Weiſe Paulus predigte und mit
der überzeugenden Kraft ſeiner Rede den Heiden Dionys zum Chriſtenthum
bekehrte, nach den Worten der Apoſtelgeſchichte (17. Hptſt, 16–34 V.):
15
„Als Paulus zu Athen war, ereiferte ſich ſein Geiſt in ihm,
„da er ſah, wie die Stadt voll Götzenbilder war. Er redete nun zu den
„Juden und zu den Gottesfürchtigen, auch auf dem öffentlichen Platze
„täglich zu denen, die zu ihm kamen. Einige aber von den heid-
„niſchen Weltweiſen ſtritten mit ihm und es ſprachen etliche: Was
„will denn dieſer Schwätzer ſagen? Andere: Er ſcheint ein Ankündi-
„ger fremder Götter zu ſeyn (weil er Jeſum und die Auferſtehung ih-
„nen verkündigte). Und ſie nahmen ihn mit und führten ihn zum Areo-
„pagus und ſprachen: Können wir nicht vernehmen, was das für eine
„neue Lehre iſt, die du verkündigeſt? Denn du bringſt fremde Dinge
„vor unſere Ohren. So wollen wir doch wiſſen, was das ſeyn mag.–
„Paulus aber ſtand da mitten in der Verſammlung des Areopagus und
„ſprach: Ihr Männer von Athen! Ich ſehe, daß ihr auf alle Weiſe wie
„übergläubig ſeid; denn indem ich umherging und eure Heiligthümer
„betrachtete, fand ich einen Altar, auf dem geſchrieben ſteht: „Dem
„unbekannten Gott.“ Nun, was ihr, ohne zu kennen, verehret, da-
„von verkündige ich euch. Gott, der die Welt gemacht hat und Alles,
„was darinnen iſt, Er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnet
„nicht in Tempeln, mit Händen gemacht, und Er wird nicht von Men-
„ſchenhänden bedienet, als bedürfe Er etwas, Er, der Allem gibt Leben
„und Athem und Alles; und Er hat aus Einem (Menſchen) das ganze
„Geſchlecht der Menſchen gemacht, zu bewohnen die ganze Erde und
„hat beſtimmte Zeiten und Grenzen ihren Wohnſtätten geordnet, auf
„daß ſie Gott ſuchen ſollen, ob ſie Seiner inne werden oder Ihn finden,
„da er ja nicht ferne iſt von einem Jeden aus uns; denn in Ihm leben
„wir und bewegen uns und ſind wir, wie ſelbſt einige von eueren Dich-
„tern geſagt haben: „Wir ſind ja Seines Geſchlechtes.“ Da wir nun
„vom Geſchlechte Gottes ſind (gottähnlich), ſo dürfen wir nicht glauben,
„daß die Gottheit gleich ſei dem Golde oder Silber oder Stein, den
„Bildungen der Kunſt und der Erfindung der Menſchen. Die Zeiten
„dieſer Unwiſſenheit ſind vorüber und darum kündigt Gott jetzt allen Men-
„ſchen an, Buße zu thun; weil Er einen Tag geſetzt hat, an welchem Er
„den Erdkreis richten wird durch einen Mann, den Er beſtimmt und Al-
„len beglanbigt hat, indem er Ihn auferweckte von den Todten. Da ſie
„aber von der Auferſtehung der Todten hörten, ſpotteten Einige; Andere
„aber ſagten: Wir wollen dich ein anderes Mal darüber hören. Und
„Paulus ging hinweg aus ihrer Mitte; einige Männer aber hingen ihm
„an und wurden gläubig, unter denen Dionyſius, ein Mitglied des
„Areopagus, auch ein Weib mit Namen Damaris und Andere mit ihnen.“
A
16
Dem Areopag gegenüber ſind die Oeffnungen der ehemalige Kerker für
die Verbrecher und nahebei der Platz, wo unter freiem Himmel die öffent-
lichen Volksverſammlungen gehalten wurden und die Redner-
bühne (Pnyx genannt) ſtand, von der auch der berühmte Demoſthenes ſo
manches kräftige und entſcheidende Wort geſprochen hatte.
Auf dem Rückwege von der Akropolis nach der Stadt beſuchten wir
auch den auf einer mäßigen Höhe gelegenen und noch gut erhaltenen The-
ſeustempel (nach deſſen Muſter unſer Theſeustempel im Volksgarten
erbaut wurde), worin wir gleichfalls viele intereſſante Ueberreſte von den
alten griechiſchen Bauten, jedoch ohne Ordnung und Syſtem geſammelt
fanden. Unſer Führer nannte dieſe Sammlung das Muſeum von Athen.
Vor dieſem Tempel zeigte man uns auch mehrere von den früher erwähn-
ten Marmorſtühlen, worauf im Areopag die Richter ſaßen; wir ſetzten uns
darauf, doch anſtatt den ernſten Geiſt der alten Richter in uns zu verſpüren,
erhoben wir uns ſchleunig wieder; denn wir verſpürten in der bereits nah-
gerückten Mittagsſtunde in uns einen gewaltigen Hunger, der uns mächtig
antrieb, einen Gaſthof unten aufzuſuchen, wo wir ſeiner Meiſter werden
konnten; doch zu unſerm Unglück trauten wir dem ſchlauen und betrügeri-
ſchen Gaſtwirth zur Stadt London, der uns ein ſehr ſchmales uud zugleich
koſtſpieliges Frühſtück (die Perſon zu 1 fl. C. M.) vorzuſetzen ſich erkühnte.
Ueberhaupt fanden wir die Bewohner von Athen ſehr liſtig und dabei ſekant
und äußerſt zudringlich; ja viele erdreiſteten ſich ſogar, von uns eiue Be-
zahlung dafür zu verlangen, daß ſie uns neugierig betrachteten und unauf-
gefordert einen Theil des Weges mit uns gingen. – Auch hatte es die grie-
chiſche Polizei gewaltig ſcharf auf uns, indem ſie uns als Fremde auf der
offenen Straße anhielt und nach den Päſſen fragte; wir aber wieſen ſie
ganz barſch zurück und kamen durch; allein drei Tſcherkeſſen, die auf
der Heimreiſe in ihr Vaterland mit uns auf demſelben Schiffe waren und
die wir in unſeren Barken nach dem Piräus und von da in unſeren Wägen
nach der Hauptſtadt mitgenommen hatten, weil ſchüchterner als wir – hat-
ten nicht den Muth, ſich kurzweg loszumachen und wurden als paßloſe Land-
ſtreicher nach dem Polizei-Bureau geführt, allwo ſie ein paar Stunden auf
den Chef des Amtes warten mußten und wohl am Ende auf das Fürwort
eines unſerer Pilgerprieſter freigelaſſen wurden – allein durch dieſen Auf-
enthalt von allen Merkwürdigkeiten der Stadt nichts ſahen und ſo unverrich-
teter Dinge mit uns zum Dampfer zurückkehren mußten. Dies mochte wohl
Anlaß zu dem in unſerer Heimat weitverbreiteten Gerüchte gegeben haben,
daß die Pilger auf der Reiſe einmal polizeilich aufgegriffen und eingeſperrt
worden ſeien.
-
17
Bei unſerm zweiten Durchgange durch die Stadt beſichtigten wir auch
die Kirchen und fanden ſie für jede Confeſſion; die katholiſche iſt klein
und von Außen unanſehnlich, jedoch im Innern rein und zierlich, und
ſieht dem Wanderer am Ausgang einer breiteren Straße freundlich entgegen.
Der gegenwärtige König, ein geborner Prinz von Baiern, Namens Otto,
hat in ſeinem Schloſſe eine eigene katholiſche Kapelle zum Gottesdienſte von
8–9 Uhr; worauf die Königin, die evangeliſch iſt, von 10–11 Uhr den
Gottesdienſt in derſelben Kapelle nach ihrer Weiſe feiert. Auf dem Wege
trafen wir auch den Kaplan des Königs, einen ſehr artigen nnd freundlichen
Mann, der uns ſeine Segenswünſche mit nach Paläſtina gab, und gegen
uns ſein tiefempfundenes Leid ausſprach, daß er uns nicht dahin begleiten
könne. Auch konnte er es nicht verhehlen, wie ſchwer es ihm fiel, unter
dem gegenwärtigen Griechenvolke zu leben. - V.
Als wir eben von der Hauptſtadt ſcheiden wollten, ertönte daſelbſt der
Donner der Kanonen zu Ehren der Geburt der hocherlauchten Tochter unſers
Kaiſers, deren erſte Kunde unſer Dampfer nach Griechenland gebracht; und bei
unſerer Rückkehr nach Piräus fanden wir die Flaggen aller Schiffe, die im
Hafen lagen, feſtlich aufgehißt. – Nachdem wir endlich in den Barken, die
am Meeresufer unſer warteten, zu unſerm Dampfboot zurückgefahren waren,
wurden die Anker ſchnell gelichtet und wir verließen Nachmittags 2 Uhr den
Hafen, und weideten uns noch lange an der entzückenden Rückſchau in das
an geſchichtlichen Erinnerungen ſo reiche und herrliche Land, bis der Abend
ſich herniederſenkte und die Nacht mit ihren ſchwarzen Fittigen uns jede
Aus- und Anſicht nahm. Die Fahrt zur Nacht war ruhig und wir ſchliefen
gut, ſo daß wir am 18. März um 4 Uhr Früh beim ſchönſten Wetter voll
guten Muthes bei der Juſel Syra (im griechiſchen Inſelmeere) ſtille hielten.
S y r a.
Wir ſchifften uns in drei Barken um den Preis von 20 kr. C. M. für
eine jede an das Land und beſuchten die Hauptſtadt gleichen Namens, die,
an einen Bergrücken gelehnt, ſich in zwei Theile ſcheidet – uämlich in Alt-
Syra, auch Hermopolis genannt, und in Neu-Syra. Vor dem griechi-
ſchen Befreiungskampfe beſtand blos der obere Theil der Stadt bis zur
Spitze des Berges hinauf gebaut und ansſchließlich von Katholiken bewohnt;
und zwar wählten die Bewohner den oberen Theil des Berges zur Nieder-
laſſung, um ſich vor den Anfällen der Seeräuber zu ſchützen, die ſich ſehr
häufig im Hafen einfanden und den Aufenthalt in der Tiefe äußerſt unſicher
machten. Erſt ſeit dem Befreiungskriege d. i. ſeit 30 Jahren wurde die
Stadt durch die Flüchtlinge aus mehreren Städten des inneren Landes, die
Reiſebeſchreibung. - 2
18
hier ihren Schutz gefunden hatten, auch mehr nach unten zu gebaut und
dieſer Theil Neu-Syra genannt, den bis auf einige wenige katholiſche Fami-
lien blos griechiſch-ſchismatiſche Chriſten bewohnen. Hier ſahen wir auch
ſchöne Häuſer und ſogen ſüße Blumendüfte ein, und goldene Orangen wink-
ten uns zwiſchen dunkelgrünem Laub entgegen. Da wir Prieſter, weil eben
Sonntag war, die heilige Meſſe leſen wollten, ſo machten wir uns auf den
Weg zur Cathedrale oder biſchöflichen Kirche, die beinahe auf dem höch-
ſten Gipfel ſteht; allein unſerer eigenen Führung uns vertrauend, verfehl-
ten wir den Weg dahin, und nachdem wir uns lange vergeblich bei den Be-
wohnern einiger auf dem mittleren Abhange des Berges zerſtreut liegenden
Häuschen nach dem rechten Pfade erkundigt hatten, und auf gut Glück eine
gute Weile fortgeſtiegen waren, fiel einem unſerer Gefährten plötzlich
das Bild des kaiſerl. Adlers im öſterr. Wappen an der freien Mauerwand
eines zierlichen Hauſes mit einem hübſchen Vorgärtchen auf, der als unſer
Landsmann uns freundlich zuzuwinken ſchien. Bei dieſem Anblicke lachte uns das
Herz vor Freude; denn wir erkannten an dem Wappen, daß hier der k.k. öſterr.
Conſul wohne – und Graf Harnoncourt ſprang ſogleich von der kleinen Höhe,
die uns von dem Hauſe trennte, auf den Weg, der nahe an demſelben vorüber-
führte und fand bei ſeinem Eintritte eine ältliche Frauensperſon, der er ſich
in franzöſiſcher Sprache verſtändlich zu machen ſuchte. Allein bald kam er zu
nns zurück und bedeutete uns, daß man ihn nicht verſtanden habe. Da
nahm's denn ich auf mich, es zu verſuchen, ob denn kein Verſtändniß mög-
lich wäre; – und als ich in die Hausflur trat, kam mir dieſelbe Frau ent-
gegen, zuckte aber, als ich ſie in italieniſcher Sprache anredete, die
Achſeln und ſchien mir ſehr verlegen; nun ſuchte ich das Bischen Grie-
chiſch, daß mir von meinen Studienjahren her noch im Gedächtniß ge-
blieben war, zuſammen und ſtellte eine Frage griechiſch; ſtatt der Antwort
aber folgte diesmal auch ein gleiches Achſelzucken und noch größere Verlegen-
heit, da keine dieſer Sprachen ſie verſtand; da ſagte ich ſo halblaut vor
mich hin: „Nun bleibt nichts übrig, als daß ich's auf Deutſch probiere.“
– und ſiehe da, die gute Frau fiel mir beinahe um den Hals und rief vor
Freude jubelnd: „Ja wohl, deutſch!“ – „Was wünſchen Sie?“ Da
ging's denn Deutſch von Wort zu Wort und immer wärmer ward das Herz
der Frau und fand kein End zu fragen und fühlte ſich ſo wohl, als ſtünden
wir auf heimathlichem Boden.
Unterrichtet über den rechten Weg, rief ich endlich meine Gefährten,
die die deutſche Frau mit wonnetrunkenem Aug' betrachtete – und wir
ſtiegen auf ſteilem, ſtufenartig geſtaltetem Wege aufwärts und kamen zuerſt
zum Kloſter der P. P. Kapuziner, wo wir einen äußerſt liebenswürdi-
19
gen P. Guardian, der ein Franzoſe war, und eine wohl einfache, aber ſehr
nette und gut beſuchte Kirche fanden; von hier ging's höher noch hinauf
zur Kirche der Jeſuiten, die mehr inneren Schmuck und bunte Zierde
hatte, bis wir endlich die oberſte Höhe erreichten, wo die Cathedrale und
nahebei die biſchöfliche Reſidenz – ein ärmliches Häuschen mit einem
Stockwerke ſtand. Vom Kapuzinerkloſter aus begleitete uns ein Prieſter, der
im Jahre 1851 durch ganz Deutſchland reiſte, um für die katholiſchen
Gotteshäuſer zu Athen und Syra kirchliches Geräthe aller Art zu ſammeln,
und bei ſeinem Aufenthalte in Wien auch von Schottenfeld einen ſogenann-
ten Himmel und zwei ältere Meßkleider mit ſich nahm – zur biſchöflichen
Kirche. Als derſelbe hörte, daß wir zum größten Theil öſterreichiſche Pilger
wären und von Wien kämen, ſo ſtellte er an mich, der ich zunächſt an
ſeiner Seite ging, die Frage: „Was macht P. Urban am Schottenfelde?
Den kenne ich recht gut.“ So hatte mich der langgewordene Bart und die
Bräune des Geſichtes unkenntlich gemacht. Doch wie freudig erſtaunt war
er nicht, als ich mich ihm als den Fraglichen vorſtellte! Er führte uns dann
in die Kathedrale, wo Prof. Albert und ich auf zwei Seitenaltären die
heilige Meſſe laſen – und ſtellte uns dem Biſchof vor, der zugleich päbſt-
licher Legal für ganz Griechenland iſt, und uns ſehr freundlich aufnahm und
mit ſeinem Segen uns entließ. Nach der Beſichtigung von Syra kehrten wir
an Bord zurück, lichteten um 11 Uhr Mittags die Anker und liefen am 19.
März um halb 9 Uhr Vormittags beim ſchönſten Wetter in den Hafen von
Smyrna ein.
Aufenthalt in Smyrna.
Smyrna iſt die vorzüglichſte und volkreichſte Stadt in der aſiatiſchen
Türkei und ein ganz ausgezeichneter Handelsplatz und hat, von mäßigen
Höhen und Bergen begrenzt, eine angenehme Lage, die ſich von der See
aus insbeſonders maleriſch geſtaltet. Doch nicht ſo ſehr um der Stadt ſelbſt
willen, die an und für ſich nur eine dicht zuſammengedrängte Häuſermaſſe
iſt, konnten wir den Augenblick kaum erwarten, wo wir das Land betreten
ſollten, ſondern mehr darum, weil wir einmal die ſo unliebſam gewordene
„Italia“ für immer verlaſſen durften und die Weiterfahrt auf einem beſſeren
Dampfſchiffe zu machen hofften. Wohl wurde uns ſchon auf dem Wege nach
Smyrna von unſerm Kapitän die betrübende Mittheilung gemacht, daß wir
den Dampfer, der von Smyrna über Rhodus und Cypern nach Jaffa gehe,
kaum mehr finden werden, weil derſelbe, von Conſtantinopel kommend, da-
ſelbſt gewöhnlich Samſtags Früh eintreffe und Nachmittags 4 Uhr weiter-
fahre; allein, was hofft der Menſch nicht Alles, wenn er's wünſcht? So
2 5:
20
vermeinten denn auch wir, daß die widrigen Winde, die unſere Fahrt
zur See ſo ſehr verzögerten, wahrſcheinlich auch den Vapore von Con-
ſtantinopel auf dem Wege nach Smyrna werden aufgehalten haben, mithin
derſelbe gleichfalls ſpäter angekommen wäre, und wir darum noch zur rechten
Zeit mit ihm zuſammentreffen würden, um ſogleich mit ihm unſere Reiſe
fortzuſetzen. Unſere erſte Sorge alſo, als wir kaum den Fuß an's Land
geſetzt hatten, war, uns nach dem Dampfſchiff zu erkundigen – und leider
mußten wir erfahren, daß ſelbes wohl auch einige Verzögerung erlitten habe,
allein doch ſchon Sonntag Abends abgefahren ſei, und daß wir bis Sams-
tag auf den nächſten Dampfer warten müßten, der von Conſtantinopel
kommt und über Alexandrien nach Jaffa fährt. Das war ein Donnerſchlag
für uns; denn nicht nur verſprach uns dieſer eine Woche lange Aufenthalt
in Smyrna keinen Gewinn, ſondern nahm uns auch bei dem Verluſte von ſo
vielen Tagen alle Hoffnung, die heilige Woche in Jeruſalem zubringeu zu
können. Natürlich ſteigerte ſich in uns hierbei der Unmuth über die „Italia,“
die durch ihr unleidliches Zögern die Schuld an allen Uebeln trug. In-
deſſen milderte ſich dieſer wieder, als wir vernahmen, daß in der Zeit, da
wir um des ſchlechten Wetters willen in der Bucht von Albanien vor Anker
lagen, um die Gebrechen an unſerm Räderwerke auszubeſſern, auf der
offenen See ſehr böſe Stürme hauſten, die einen franzöſiſchen Kauffahrer in
den Meeresgrund begruben und mehrere andere Schiffe auf den Wellen
tüchtig herumwarfen und verſchlugen – und wir daukten Alle Gott in unſe-
ren Herzen, der es mit uns ſo wohl gemacht hatte! -
Da wir nun ſchon in Smyrna bleiben mußten, ſo wollten wir uns
wenigſtens eine gute Unterkunft bereiten und wir fragten in den Häuſern,
die man uns auf dem Schiff beſonders angeprieſen hatte, nach, ob für uns
Alle hinreichend Platz zu finden wäre, weil wir zuſammen wohnen wollten.
Allein wir fanden nirgends ſo viel Raum – und kehrten darum in dem
wohl geräumigen, aber etwas ſchmutzigen Hôtel d'Orient ganz nahe
am Strande ein, wo wir ſehr viel bezahlen mußten (für den Tag per Kopf
10 Franken d. i. nach unſerm Gelde 4 fl.) und wenig zufrieden waren. Da
unſere „Italia“ auch nach Smyrna zuerſt die officielle Kunde von der glückli-
chen Entbindung unſerer Kaiſerin brachte, ſo wurden bald nach unſerer
Ankunft daſelbſt, ſowohl auf den öſterreichiſchen, als auch auf den Schiffen
der uns befreundeten Nationen alle Flaggen aufgehißt und von denſelben,
wie auch von den Baſtionen der Stadt abwechſelnd Salven gegeben. Wir
ſaßen eben bei Tiſche um 11 Uhr und die Vivats aus unſerm Munde für
die piccola Austriaca (kleine Oeſterreicherin), wie die Leute die neue Erzher-
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zogin zu nennen pflegten – übertönten faſt den Donner der Kanonen. Nach-
mittags durchwanderten wir mit Muße die Stadt nach allen Richtungen in
ihren vier Quartieren (Vierteln), die, je nachdem ſie von Franken, Grie-
cheu, Armeniern oder Türken bewohnt ſind, auch verſchiedene Namen haben.
Letzteres fanden wir entſetzlich ſchmutzig und mit Menſchen überfüllt;
todte Katzen und Hunde lagen auf der Straße herum; Niemand entfernte
ſie – im Gegentheile bemerkten wir, daß lebendige Katzen und Hunde,
welche letztere herrenlos in großer Menge herumliefen, dieſe Aeſer aus Hun-
ger anpackten und verzehrten. Selbſt die Friedhöfe der Türken, die
wohl überhaupt keinen erbaulichen Anblick gewähren, ſind von derlei Unge-
ziefer nicht verſchont; ſo wie wir denn zwei kleine Hunde das Aas einer
jungen Katze in einem ſolchen Friedhofsraum gräßlich herumzerren ſahen.
Uebrigens pflegen die Türken andererſeits ihre Friedhöfe wieder mit
den ſchönſten Cypreſſen zu ſchmücken, die hoch zum Himmel emporſtreben
und ſchon von weiter Ferne den Ort bezeichnen, wo ihre Todten ruhen.
Auch haben ſie für gutes Waſſer in hinreichender Menge geſorgt
durch häufig angelegte einfache Laufbrunnen, die, mit Drehpippen ver-
ſehen, von jedem Kinde geöffnet werden können und an der Rückwand eigene
Inſchriften in Marmor gehauen tragen, mit den Namen und Lobeserhebun-
gen derjenigen, welche ihren Landsleuten und Glaubensgenoſſen oft durch
große Geldopfer dieſe Wohlthat bereitet haben.
Nicht unintereſſant war auch der türkiſche Bazar mit ſeinen anein-
ander gereihten Niederlagen und Verkaufsbuden, zwiſchen denen ſich beſtän-
dig eine dicht gedrängte Menſchenmaſſe vor- und rückwärts wälzte. Da
ſahen wir denn alte und junge Türken mit unterſchlagenen Beinen ſtunden-
lange müßig ſitzen, ihre Pfeifen (Tſchibuks genannt) behaglich ſchmau-
chend oder mit Körnern an einer Schnur (unſeren Roſenkränzen ähnlich)
in den Händen ſpielend, ſprachlos vor ſich hinſtarrend, neben ſich einen fla-
chen Topf mit kleinen glühenden Kohlen, darein ſie auch zugleich die Aſche
aus den Pfeifenköpfen ſchütteten. Ein bejammernswerthes Bild! Indeſſen
fanden wir doch wieder rege Thätigkeit in den eigentlichen Werkſtätten der
Türken, deren weite Fenſteröffnungen frei und offen heraus auf die Gaſſe
ſehen (eine gleiche Sitte herrſcht auch in Athen), wo Meiſter, Geſellen und
Jungen mit den Turbans auf den Köpfen in genauer Rangordnung hinter
einander auf den Arbeitsſtühlen ſaßen. Beſonders ſtark war das ehrſame
Schuhmacherhandwerk vertreten.
Das türkiſche Frauengeſchlecht zeigt ſich ſelten auf der Straße
und wir ſahen nur wenige alte und ſchmutzige Weiber, welche auf dem
22
Markte Obſt verkauften. Bekanntlich verhüllen die türkiſchen Frauen ihr
Geſicht mit einem Schleier, der hier zumeiſt aus einem weißen Leinen-
tuche beſteht, das ſie über den Kopf zurückgeworfen tragen, und beim An-
blick eines fremden Mannes über das Geſicht herabzuziehen pflegen.
Wir trafen ſolche, die ſich bei unſerm Anblicke um ſo dichter zu ver-
hüllen ſchienen, allein doch immer ſo viel von dem Schleiertuche offen ließen,
daß ſie hindurch nach uns ſchielen konnten: ja einige kehrten ſich, als wir
vorüber waren, nach uns um, zogen aber ſchnell das Tuch vor das Geſicht,
wenn wir auf gleiche Weiſe rückwärts ſchauten.
Im Franken viertel fanden wir in den Seitengaſſen ungewöhn-
lich hohe und ſo enge aneinander gebaute Häuſer, daß man ſich von einem
Hauſe zum andern bequem die Hände reichen konnte, und die daſelbſt ange-
brachten Balcons oder Fenſtenvorſprünge unmittelbar ſich berührten, wodurch
ſich ſowohl einerſeits der Durchgang ſehr verdunkelt, andererſeits aber eine
ſolche Kühle unterhalten wird, die bei der hier gewöhnlich großen Wärme
ſehr erquicklich iſt.
Am reinlichſten und ſchönſten iſt das Quartier der Griechen, wo
wir die Eingänge der Häuſer mit Marmor belegt und mit weichen Divans
beſetzt und die Hofräume mit den freundlichſten Gärtchen geſchmückt ſahen.
Unter den uns ungewöhnlichen Erſcheinungen in Smyrna zogen auch
die langen Caravanenzüge von Kameelen unſere Aufmerkſamkeit auf ſich,
die oft ſchwer beladen – einem geduldigen Eſel, der als Führer vorangeht,
und mittelſt eines Strickes an das erſte Kameel gebunden iſt, und mit dem-
ſelben alle übrigen Kameele nach ſich zieht, willig folgen und langſamen
Schrittes durch die engen Gaſſen ſchreiten, und ihren Zug über die ſoge-
nannte Caravanenbrücke nehmen. Bisweilen muß der Eſel auch den müden
Treiber ſammt anderem Gepäcke tragen.
Da ſich mit uns auf dem Dampfboot, wie ich bereits erzählte, eine
kleine Caravane von engliſchen Civilärzten befand, die ſich nach Smyrna be-
gaben, um für die verwundeten und kranken engliſchen Soldaten aus der
Krim eine früher türkiſche Kaſerne, ein ganz zweckmäßiges, großräumiges Ge-
bäude, zu einem Spitale einzurichten, ſo trugen wir auch das Verlangen,
daſſelbe beſichtigen zu dürfen. Während wir die Erlaubniß zum Eintritte vor
dem äußern Hauptthore abwarteten, ſahen wir in der Nähe einen türkiſchen
Offizier, der ſich in die Hand ſchneuzte! – Sehr tief ins Herz griff uns
der Anblick der auf ihr Krankenlager hingeſtreckten Krieger, ſo daß wir den
Ort des Jammers bald verließen, um nicht etwa durch den Schein der neu-
gierigen Betrachtung die Aermſten zu beläſtigen und zu kränken.
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Um die Zeit zu tödten, mußten wir auch manchen Gang zu wiederhol-
ten Malen machen, was eine große Eintönigkeit in unſer Leben brachte, das
aber gleich am erſten Tage unſers Aufenthaltes in Smyrna dadurch eine in-
tereſſante Abwechslung erhielt, daß wir bei unſerm Herumſchlendern durch
die Stadt über der Thüre eines niedrigen Häuschens die Aufſchrift laſen:
Bi e r h aus.
Kaum trauten wir unſeren Augen! Wir ſtanden ſtille uud laſen wieder
und laſen Alle: „Bierhaus.“ Wie klang dies gar ſo heimatlich! – Ohne
uns erſt weiter zu beſinnen, traten wir ein und fanden eine echte deutſche
Wirthin, die aus Krems gebürtig war und uns mit deutſcher Freundlich-
keit empfing – und uns auf ein gutes Glas Bier die Treppe in das erſte
Stockwerk hinaufſteigen hieß. Wir ſetzten uns, und bald ſtand auf dem Tiſche
eine Batterie von wohl gefüllten, feſt geſchloſſenen Flaſchen vor uns aufge-
pflanzt da, die ſich unter unſeren Händen mit gewaltigem Knall entluden.
Wir fanden das Getränke, in Smyrna ſelbſt gebraut, recht gut, wenn auch
die Friſche fehlte und der Preis (die Bouteille um 15 kr. CM.) uns gar
hoch getrieben ſchien; und ſo fand ſich alle Abende ein Theil der deutſchen
Pilger bei der deutſchen Wirthin ein. Doch vergaß die gute Frau es nicht,
uns auch am nächſten Tage zu einem rein geiſtigen Genuſſe einzuladen,
den uns eine deutſche Predigt in der Kirche Santa Maria von einem
Mechithariſten - Ordensbruder gehalten – bereiten ſollte. Die wenigen
deutſchen katholiſchen Familien in Smyrna hatten ſich die deutſche Predigt
in der Faſte an jedem Dienſtag in der genannten Kirche für dieſes Jahr er-
wirkt. Derſelben ging eine figurirte Vesper voraus, welcher dann die Abſin-
gung des Bußpſalmes Miserere (d. h. Erbarme Dich unſer) und der hei-
lige Segen mit lateiniſchem Geſange der Chor- und Kirchenknaben folgte,
die uns wohl mit ihren ſchrillenden und kreiſchenden Tönen wenig erbauten.
Mehr erbaulich iſt das Ave Maria-Läuten Abends, welches mit allen Glocken
in den katholiſchen Kirchen der Stadt zu gleicher Zeit geſchieht. Smyrna
zählt gegenwärtig drei Kirchen und zwar: 1. zum heil. Herzen Jeſu,
in welcher ich täglich die heilige Meſſe las – 2. die Kirche Sta. M aria,
welche zugleich die erzbiſchöfliche Kathedrale iſt und von dem Orden der ſo-
genannten Sokolaner oder Recollekten und 3. die Kirche des heiligen Mar-
tyrers Polykarp, die von den PP. Kapuzinern verſehen wird.
Dieſe Kirchen ſind, wenn auch nicht ſehr groß, doch geräumig genug
und beſonders nett, reinlich und zweckmäßig eingerichtet. Auch ſind ſie in
Durchgangshäuſern gebaut, deßhalb abgegen von dem Getümmel der Welt,
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ruhig und zum ungeſtörten Gebete ganz geeignet. Wir fanden dieſelben
ſelbſt an Wochentagen gut beſucht und konnten nicht genug über die Ka-
tholiken ſtaunen, die im türkiſchen Gewande mit dem Turban auf dem
Haupte, das ſie nach orientaliſcher Sitte ſelbſt bei der heiligen Wand-
lung nicht entblößten, in Andacht tief verſunken in den Stühlen ſaßen.
Am 21. März feierten wir, nämlich Pfarrer Ulrich, Prof. Albert und
ich, als Söhne des h. Benedikt in der Kirche zum Herzen Jeſu das Feſt
unſers Ordensſtifters, deſſen verborgenen Aufenthalt in Sublac und erſtes
in der Folge weltberühmt gewordenes Kloſter Monte Cassino wir letzteren
Beide auf unſerer Reiſe nach Italien im Jahre 1841 beſucht hatten, und be-
ſichtigten hierauf die Lehranſtalt der Congregation der Lazariſten, genannt
Collegio della Propaganda, ein Inſtitut, nach Art des Ordens der from-
men Schulen, worin Knaben und Jünglinge in verſchiedenen Klaſſen-Abthei-
lungen in einem wohl eingerichteten Gebäude, das früher ein Eigenthum der
Türken war, unterrichtet werden, welche Anſtalt der katholiſchen Kirche rei-
chen Segen bringen wird. Die Geiſtlichen begegneten uns hier, wie überall
höchſt freundlich – ja kamen uns in jeder Hinſicht ſelbſt zuvor.
Am 22. März machten wir einen ſchönen Spaziergang nach der Höhe
rückwärts der Stadt, wo noch bedeutende Ueberreſte eines im Mittelalter
erbauten Kaſtells ſtanden. Wir ſuchten auch das Amphitheater (Cir-
cus) auf, in welchem der h. Polykarp – der ein Schüler des h. Apoſtels
Johannes und zuletzt hier Biſchof war – den wilden Thieren vorgeworfen
und gemartert wurde, fanden aber nichts, als einige unbedeutende Spu-
ren, die auf einen römiſchen Bau hindeuten mochten. Der eigentliche Ort,
wo die irdiſchen Ueberreſte dieſes Heiligen beigeſetzt wurden, iſt unbekannt,
obwohl Mehrere ſein Grab bei einer Gruppe von Cypreſſen, die man uns
in einiger Entfernung zeigte, ſuchen wollen. Den Rückweg in unſern Gaſt-
hof nahmen wir durch ein offenes und gut bebautes Thal, das uns durch
manche Landſchaft an die liebe Heimat erinnerte.
Am 23. gingen zwei von unſern Pilgern, welche meinem Herzen näher
ſtehen, in der Abſicht aus, ſich das nöthige Riemzeug anzuſchaffen, darein ſie
die Piſtolen ſtecken wollten, welche ſie theils von Wien ſchon mitgenommen,
theils in Trieſt ſich angekauft hatten, und um den Guß einer tüchtigen An-
zahl Bleikugeln zu beſtellen, die den Beduinen in der Wüſte den Garaus ma-
chen ſollten. Den Waffenpaß zur Mitnahme der in Trieſt gekauften Mord-
werkzeuge, die aber glücklicher Weiſe Niemanden den Tod gebracht, in's
Heimatland ſtellte auf unſer Anſuchen der k. k. öſterr. Generalconſul von
Steindl mit der größten Bereitwilligkeit aus, der uns, ehe wir noch un-
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ſer Compliment machten, zu ſich bitten und Abends zur Collazion laden ließ,
der wir in corpore beiwohnten. Als wir in ſpäter Stunde in unſern Gaſt-
hof zurückkehrten, ſtießen wir auf einen ganzen Rudel von herrenloſen Hun-
den, die dem unbewaffneten Wanderer bisweilen gefährlich werden könnten.
Wir ſchlugen uns wohl durch dieſelben durch – erhielten aber in eben die
ſer und in der darauf folgenden Nacht den läſtigen Beſuch dieſer Nachtwand-
ler vor unſerm Gaſthof, wo ſie ſich gerade unter den Fenſtern unſerer
Schlafzimmer zuſammenſtellten und ſtundenlange ſo entſetzlich bellten und
heulten, daß wir kein Auge ſchließen konnten; Einmal ward uns in der
Nacht auch ein Concert von Katzen aufgeführt. Beim Herrn Generalconſul
von Steindl trafen wir auch den kön, preußiſchen Conſul – einen ſehr arti-
gen Mann, der ein Italiener und leider der deutſchen Sprache nicht kun-
dig war, und deßhalb in das allgemeine, recht heitere Geſpräch nicht mit
hineingezogen werden konnte. Seine Frau aber war eine geborne Wienerin
und trug ein ſehnſüchtiges Verlangen, uns zu ſehen; doch hielt ſie am anderen
Tage eine kleine Unpäßlichkeit im Bette zurück und ihre Sehnſucht mußte un-
befriedigt bleiben. Indeſſen nahm uns der Hausherr im höchſten Grade
freundlich auf und führte uns durch ſeinen umfangsreichen Garten, wo wir
Erdbeeren, Pfirſich- und andere Fruchtbäume in der ſchönſten Blüthe trafen;
von den erſteren nahmen wir uns einige halb ausgebrochene Blüthen als Er-
innerungszeichen mit. – Mittlerweile war auch das Dampfboot von Kon-
ſtantinopel eingelaufen, das uns nach Alexandrien bringen ſollte, und obgleich
es hieß, daſſelbe werde vor Sonntag den Hafen nicht verlaſſen, ſo ließ uns
doch die Ungeduld nicht länger warten; wir zahlten unſere Zeche, mietheten
die Barken, luden das Gepäck in dieſelben und eilten Samſtags gegen Abend
noch aufs Schiff, das den Namen Imperatore (Kaiſer) führte, welcher
Name uns als eine günſtige Vorbedeutung einer beſſeren Fahrt erſchien, ob-
wohl uns andererſeits die Geſellſchaft der türkiſchen Männer, Weiber und
Kinder auf dem Schiffe Anfangs gleich nicht recht gefallen wollte. Dieſelbe
war nämlich auf einer Wallfahrt nach Mekka, die nach dem Geſetze jeder
männliche Türke wenigſtens einmal in ſeinem Leben unternehmen ſollte, be-
griffen und beſtand ungefähr aus 300 Köpfen, und nahm beinahe den ganzen
Raum auf dem Verdecke ſowohl der zweiten als der erſten Klaſſe ein, ſo daß
nur ein ſehr ſchmaler Streifen den Paſſagieren auf dem 1. Platze zur Be-
wegung übrig blieb, abgeſehen von dem Eckel erregenden Schmutze und Un-
geziefer, das die Leute an ſich hatten, und dem jämmerlichen Anblicke des
Erbrechens, das ſchon an dem Tage nach der Abfahrt bei Jung und Alt im
hohen Grade eintrat. Indeſſen hatten wir auch Gelegenheit die Türken in
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zu bewundern, die ſich nimmer ſcheuten, frei und offen auf dem Schiffe, wo
ſie nur ein Plätzchen fanden, einen kleinen Teppich oder ſonſt ein Tuch vor
ſich anf den Boden hinzulegen, die Schuhe auszuziehen und nach ihrer Weiſe
ſtehend oder kniend ihre Gebete zu der vom Geſetze vorgeſchriebenen Stunde
zu verrichten – das Angeſicht ſtets nach Mekka, dem Geburtsorte Mahomets
ihres Propheten, hingewendet. Wie lag doch in dieſem freien Gottesdienſte
der Türken eine ſcharfe Zurechtweiſung für die heutigen Chriſten, die ſich ſo
leicht ihres Gebetes ſchämen und aus Menſchenfurcht ihren Chriſtus vor
der Welt verläugnen. Sonntag, den 25. um 2 Uhr ließ der Kapitän, ein
wackerer Mann, der auch ſo glücklich war, das heilige Land mit ſeinem Fuße
betreten zu haben und ſich deßhalb auch ganz glücklich pries – die Anker lich-
ten, und verſprach bei mittelmäßig ruhiger See uns in 3 Tagen nach Ale-
xandrien zu bringen. Wir hatten ſtille See und gute Fahrt!
Fahrt nach Alexandrien.
Am 26. Vormittags ſangen wir das Meßlied wieder, um den Sonntag
nachzufeiern, da wir an demſelben wegen der beſtändigen Zufahrt von Paſſa-
gieren und des mit ununterbrochenem Lärmen verbundenen Abpackens ihrer
Bagage – keine Ruhe zum gemeinſchaftlichen Gottesdienſte finden konnten;
doch auch hier ſchien ſich das früher ſchon erwähnte Vorurtheil der Schiffs-
mannſchaft auf's Neue zu beſtätigen. Denn die See war wieder böſe und die
Wogen ſchlugen ungeſtüm an unſer Schiff, und die alte Krankheit ſtellte ſich
bei mir in ihrer ganzen Größe ein und währte bis zum Abend fort, wo ſich
die See doch mehr beruhigt hatte. Da glänzte aus der Ferne in dem Licht
der Abendſonne von der Spitze eines Berges das Kloſter auf der berühm-
ten Inſel Pathmos gegen uns herüber, wo der h. Apoſtel Johannes
in der Verbannung lebte und die geheime Offenbarung ſchrieb, und im 103.
Jahre ſeines Alters aus dem Leben ſchied. Zu wiederholten Malen hatten
die Feinde des Chriſtenthums es verſucht, den heiligen Mann, der beim
Abendmahle auf der Bruſt des Herrn gelegen und mit Adlersblicken in der
Gottheit Tiefen ſchaute, aus dem Wege zu räumen; allein das ſiedende Oel
im Keſſel verwandelte ſich in ein laues Bad – der mit Gift gefüllte Becher
zerſprang beim Kreuzeszeichen des Apoſtels und ſchüttete ſeinen todtbringen-
den Inhalt auf den Boden aus; denn ihm war nicht der Martertod be-
ſtimmt, ſondern nach dem Worte des Herrn, wie er ſelbſt berichtet,
ein ruhiges Hinüberſchlummern in das himmliſche Heimatland verheißen.
Joh. 21. 18–24.
„Jeſus ſprach zu Simon Petrus: Wahrlich, wahrlich, Ich ſage dir:
„Als du jung warſt, gürteteſt du dich ſelbſt und wandelteſt, wohin du woll-
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„teſt; wenn du aber alt geworden biſt, wirſt du deine Hände ausſtrecken,
„und ein Anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willſt.
„Das ſagte Er aber, anzudeuten, durch welchen Tod (nämlich den Mar-
„tertod) Er Gott verherrlichen würde. und als Er das geſagt hatte,
„ſpricht Er zu ihm: Folge mir nach (im Kreuzestode)! Petrus aber
„wendete ſich und ſah den Jünger folgen, welchen Jeſus lieb hatte, wel-
„cher auch beim Abendmahl an Deſſen Bruſt ſich gelegt und geſagt hatte:
„Herr, wer iſt's, der Dich verräth? Da nun Petrus dieſen ſah, ſprach
„er zu Jeſu: Herr, aber dieſer? (d. h. weſſen Todes wird wohl der ſter-
„ben?) Jeſus ſpricht zu ihm: Ich will, daß er bleibe, bis Ich
„komme; was geht es dich an? Folge du Mir nach! Daher ging die
„Rede unter den Brüdern: Dieſer Jünger wird nicht ſterben. Es hatte
„aber Jeſus nicht zu ihm geſagt: Er wird nicht ſterben, ſondern: Ich
„will, daß er bleibe, bis Ich komme: was geht es dich an?
„Dieſes iſt der Jünger, der Zeugniß gibt von Allem Dieſem und all
„dies geſchrieben hat, und wir wiſſen, daß ſein Zeugniß wahr iſt!“
Wie lebendig ſtand in dieſem Augenblicke nicht das Bild des Apoſtels
der Liebe vor meinem Geiſte, der ſich noch in ſeinem hohen Alter von Jüng-
lingen in einer Sänfte in die gottesdienſtlichen Verſammlungen tragen ließ,
und daſelbſt nur immer eine und dieſelbe Predigt hielt: „Kindlein, liebt
euch untereinander!“ und mit dieſen Worten Alles geſagt zu haben
glaubte. – Lange noch hing mein Auge an dieſem denkwürdigen Punkte und
mein Herz ſchwamm in ſeligem Entzücken und meine Seele fühlte ſich em-
porgehoben in die höheren Räume, die die Himmliſchen beſitzen – bis die
letzte Spur hievon aus meinen Blicken ſich verlor! *
Auf unſerer Weiterfahrt berührten wir nebſt anderen größeren und
kleineren Inſeln auch die Inſel Samos, und kamen in der Nacht nahe zu
an Rhodus, das wir links ließen, und erreichten am 27. März die offene
See, wo wir nichts als Himmel und Waſſer ſahen; und das Meer ward
einem Spiegel gleich, über deſſen ebene Gewäſſer unſer Dampfer pfeilſchnell
dahinglitt. Da kam ein kleiner Vogel – woher? weiß Gott – auf unſer
Schiff geflogen, und ſuchte ſich vom weiten Fluge müde ein ruhiges Plätzchen
auf dem Maſtbaume aus – doch bald erhob er ſich zum neuen Fluge wieder
und wir ſahen ihn noch lange über dem Gewäſſer ſchweben; wohin er aber
kam – und wo er in dem naſſen Bad der Wellen ſeinen Tod gefunden,
kann ich nicht erzählen. Es erbarmte uns das arme Thierchen, daß es ſich
nicht fangen ließ. Die geſuchte Freiheit brachte ihm den Tod.
Der Kapitän des Schiffes hatte uns verheißen, daß wir ſchon am drit-
ten Tage Morgens „Land“ erblicken werden und es war bereits halb 8 Uhr
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au28. und noch kam uns kein Land in Sicht. Mit geſpannten Blicken
durchſchnitt unſer geſchärftes Auge die Luft nach jener Gegend hin, die man
uns als die Nordküſte von Afrika bezeichnete; – um 8 Uhr endlich glaubten
wir die Spitzen hoher Bäume zu entdecken, ohne eigentliches Land zu ſehen,
und dies darum, weil der Boden der Küſte ſo verſandet iſt, daß ſich das
Land ganz flach ins Meer verliert. Bald aber tauchten einige größere Ge-
bäude auf, und dicht aneinander gereihte Schiffsmaſten verkündeten uns die
Nähe von Alexandria.
Da ſperrte unſer Dampfer etwas ſeine Kraft und ging langſamer; denn
ein egyptiſcher, mit der hier eigenthümlichen Beſchaffenheit des Meeres wohl
vertrauter Schiffmann (Lootſe genannt) näherte ſich uns in einer Barke,
und ſtieg aufs Schiff und an den Ort, von wo der Kapitän gewöhnlich ſeine
Rundſchau machte – um des Dampfers Gang zu leiten, weil die Zufuhr in
den Hafen äußerſt ſchwierig und gefährlich iſt.
Aufenthalt in Alexandria.
Endlich hielt das Dampfboot ſtill und hauchte pfeifend ſeinen Odem
aus und wir beeilten uns, mittelſt mehrerer Barken an das Land zu kom-
men. Der erſte Eintritt in die Stadt, die ihren Namen von Alexander
dem Großen hat, der ſie im Jahre 335 vor Chriſtus erbaute und zum Mit-
telpunkte des Welthandels beſtimmte, zeigt wohl gegenwärtig zunächſt ein eckel-
haftes Bild einer türkiſchen Stadt; jedoch fanden wir hier die Straßen brei-
ter und reinlicher als in Smyrna, auch im türkiſchen Quartiere, und erſtaun-
ten nicht wenig, als wir in das Frankenviertel traten und daſelbſt ſchön ge-
baute hohe Häuſer, kleine Palläſte mit den Wohnungen der Conſuln der ver-
ſchiedenen Nationen, herrliche Hötels und Café's und auch einen ſehr ausge-
dehnten Platz «place grande“ (großer Platz) genannt fanden. Nur hatten die
Häuſer keine Dächer wie bei uns, ſo daß es beim erſten Anblick das Anſehen
hatte, als ob ein verheerender Brand gewüthet und die Dachböden mit ver-
zehrt hätte. Wir ſuchten nun vor Allem Andern das k. k. öſterr. Conſulat
auf; doch da man uns als Fremden die Unbekanntſchaft mit den Oertlichkei-
ten deutlich anſah, ſo drängten ſich uns auf dem Weg dahin mehrere Leutchen
im türkiſchen Coſtüme, die uns als Führer dienen wollten, mit großem Unge-
ſtüme auf, ſo daß wir viele Mühe hatten, ſie zurückzuhalten. Ungeachtet des
emſigen Suchens nach dem Hauſe des öſterr. Conſuls bemerkten wir doch auf
der Straße eine Truppe von gemeinen egyptiſchen Soldaten mit kurzen
weißen Jacken, detto Beinkleidern und rothen Feß auf dem Kopfe, die ganz
appetitlich rohen Bundſalat aßen und ſich überdies gar ſonderbar geberdeten.
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Ein würdiges Seitenſtück zum Offizier in Smyrna! – Der Weg über den
großen Platz durch eine Seitengaſſe führte uns zum öſterreichiſchen Conſulat,
woſelbſt wir den Herrn Dolmetſch Kremer, einen gebornen Wiener, tra-
fen, der uns freundlich empfing und ſich mit ſeiner Perſon zu unſerm Dienſt
nach unſerm Wohlgefallen anbot. Zufällig kam auch der Herr Vice-Kanz-
ler Ghiari, ein biederer Tiroler, dazu und ſtellte ſich uns als Beglei-
ter bei einem Eſelritte zur Beſichtigung der Merkwürdigkeiten von Ale-
xandrien für Nachmittag um 3 Uhr zur gefälligen Verfügung. Beide Her-
rentheilten uns zugleich die für uns höchſt erfreuliche Kunde mit, daß der
Herr Conſulats-Kanzler Ritter von Schäffer ſich einen 14tägigen Ur-
laub zur Reiſe in das heilige Land erwirkt habe und in unſerer Geſellſchaft
dahin pilgern werde.
Wir ließen einſtweilen unſerm neuen Mitpilger unſern Brudergruß
entbieten, und nachdem wir uns um den kürzeſten Weg nach dem Kloſter der
ehrw. Söhne des heil. Franziskus, dahin wir von dem hochw. Herrr Gene-
ralſekretär für's heilige Land P. Joſef Matzek in Wien adreſſirt waren,
erkundigt hatten, gingen wir ſechs an der Zahl (die übrigen Pilger zerſtreu-
ten ſich in der Stadt) dahin, um mit dem dortigen deutſchen Miſſionär P.
Peter Jankovics auf afrikaniſchem Boden in unſerer Mutterſprache zu
converſiren. Wir fanden den Hochw. Herrn eben nach Tiſche im heiteren
brüderlichen Geſpräche beim großen Kloſterfenſter auf dem ſogenannten Di-
van ſitzen – und fragten zuerſt nach dem Padre Pietro in italieniſcher
Sprache, und der Gemeinte ſprang von ſeinem Sitze anf und die deutſche
Abſtammnng unverkennbar auf unſerer Stirne leſend – rief er uns zu:
„Ach! Sie ſind gewiß Deutſche; das iſt brav! Was wünſchen Sie?" Uns
ward bei dem Tone ſeiner Stimme wohl um's Herz; denn wir laſen in ſei-
nem Geſichte mit Frakturbuchſtaben die Liebenswürdigkeit ſelbſt, die ſich auch
wirklich mit jedem Tage in reicherer Fülle entfaltete. Nicht minder wett-
eiferten die übrigen Patres nach Möglichkeit uns herzlich zu begrüßen, und
der P. Guardian ließ nicht ab, in uns zu dringen, daß wir bei ihm Hoſpiz
nehmen ſollten und bedauerte nur, daß nicht die ganze Karavane Platz im
Kloſter finden könne, da die franzöſiſchen Schulbrüder die Hälfte des Hau-
ſes noch im Beſitze hätten. Wir nahmen mit herzlichem Danke die überraſchend
freundliche Einladung an und machten uns, da es ſchon nahe an 3 Uhr nach
Mittag war, auf den Weg nach dem Cafféhauſe am Ausgange des großen
Platzes, wo wir um dieſe Stunde mit dem Herrn Vice-Kanzler zum er-
wähnten Eſelritt zuſammentreffen ſollten. Kaum aber machten wir dort
Miene – uns nach Eſeln umzuſehen, ſo waren wir auch ſchon von wenig-
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ſtens 20 – 30 arabiſchen Eſelbuben umrungen, deren jeder uns ſeinen
Eſel mit den gebrochen deutſchen Worten: „Gut Eſel“ anzurühmen und
aufzudringen ſuchte, ſo daß ein wahrer Eſelskampf entſtand, den nur der
Stock des Vice-Kanzlers mit Gewalt entſchied. Wir ſaßen endlich ruhig
auf und nahmen uns als edle deutſche Ritter auf unſeren Thieren nicht
wenig ſtattlich aus, und ritten durch drei Stunden ohne das geringſte Aufſe-
hen zu erregen um und durch die Stadt, und beſichtigten die Säule des
Pompejus, die man wahrſcheinlich aus einem Tempel genommen und auf
den Platz, wo der römiſche Feldherr Pompejus im Augenblick ſeiner Landung
durch Meuchelmörder-Hand getödtet wurde, hingeſtellt hat – ferner die ſo-
genannte Nadel der Kleopatra, jener berüchtigten Königin von Egypten,
die ſich, um ihr in einem beſtändigen Sinnesrauſch dahingebrachtes Leben zu
enden, eine giftige Natter an den Arm legte. Erſtere iſt aus röthlich grauem
Granit gehauen und von römiſcher Ordnung, und ſieht vom erhabenen Stand-
orte weit in die offene See hinaus; letztere iſt ein egyptiſcher Obelisk von
bedeutender Höhe mit Hieroglyphenſchrift und nahe am Meere aufgeſtellt; in
der Nähe ſahen wir ſeinen Kameraden, einen zweiten gleichgeformten mehr
als halb im Schutt begraben liegen. Wahrſcheinlich ſtanden einmal beide
vor dem Pallaſt des Antonius, des Buhlen der Kleopatra – ihm zu Ehren
von der Königin aufgerichtet! Ueberhaupt findet man noch ſehr viele und be-
deutende Ueberreſte von der alten Stadt, denen auch immer fleißig nach-
gegraben wird, um ſie zu Tage zu fördern und aus den aufgefundenen Steinen
neue Bauten aufzuführen, weil man ſonſt in Alexandrien, deſſen Boden nur
aus Sand beſteht, weder Holz noch Steine findet, und erſteres noch jetzt aus
weiter Ferne mit ungeheueren Koſten zugeführt werden muß. Unter Andern
ſahen wir bei einem gelegenheitlichen Beſuche dieſer Nachgrabungsarbeiten
mehrere koloſſale Säulentrümmer von röthlich grauem Granit theils ſchon
am Wege, theils noch in der Tiefe liegen, die höchſt wahrſcheinlich die be-
rühmte Alexandriniſche Bibliothek getragen haben, welche 700,000
Bände zählte und in den Flammen ihren Untergang gefunden hatte; ſo wie
es auch noch in Frage ſteht, ob nicht die ſogenannte, aus gleichem Granit
geformte Säule des Pompejus ſelber eine von den Säulen dieſes alten
Wunderbaues war.
Leider findet der Katholik in Alexandrien, wo der h. Evangeliſt Mar-
kus, ein Schüler des Apoſtels Petrus predigte – wo die heil. Katharina
die heidniſchen Philoſophen mit der Kraft der ihr innewohnenden Weisheit, die
ſie in der Meiſterſchule Chriſti erlernt, zu Schanden machte, und weil ihre
bräutlich reine, dem Herrn geweihte Seele dem lüſternen Verlangen des
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Statthalters Maximin unerſchütterlich widerſtand, mit Rad und Schwert
gemartert wurde – wo der große Kirchenlehrer Athanaſius die ariani-
ſche Ketzerei, welche die wahre Gottheit Jeſu Chriſti läugnete, mit kräftigem
Worte bekämpfte und beſiegte – und wo Cyrillus, der Alexandriner ge-
nannt, auf dem Patriarchenſtuhle ſaß– von Allem Dieſem gegenwärtig keine
Spur! Jedoch fühlt ſein Herz wieder ſtärkende Erquickung, wenn ſein Auge
plötzlich unter dem anwidernden Treiben der Türken, Araber, Mohren und
Egyptier, die hier Alle in allen Farben bunt durch einander rennen und ent-
ſetzlich ſchreien, daß man taub werden könnte, ein Gott geweihtes Haus
erblickt, das unter der Aufſicht und Pflege der hochw. PP. Franziskaner de
terra sancta (vom h. Lande) ſteht, und durch ſeine impoſante Geſtalt nach
Außen, noch mehr aber durch ſeine inneren Räume, die wahrhaft gotteswür-
dig ſind, als eine Oaſe (bewachſener Boden in der Wüſte) ihm erſcheint. Am
29. März laſen wir die heil. Meſſe in dieſer ſchönen, der heil. Martyrin
Katharina geweihten Kirche, die größtentheils von öſterreichiſchem Gelde
erbaut und geſchmückt worden iſt, und erſt in der neueſten Zeit unter der
Regierung des Kaiſers Ferdinand von dem kaiſerlich öſterreichiſchen Hofe be-
deutende Unterſtützung erhielt, zu deſſen Erinnerung noch auf der Epiſtel-
ſeite des Hochaltars in der Wand eine Marmorplatte mit lateiniſcher Lapi-
darſchrift eingefügt iſt. Der ſchönſte Schmuck der Kirche iſt das Hochaltar-
blatt, gemalt von unſerm „Ender“, welches die heil. Katharina, mitten un-
ter den heidniſchen Weiſen von Alexandrien ſtehend, vorſtellt, ein Geſchenk
des erlauchten Kaiſers Ferdinand ſelbſt, der auch ſeit ſeiner Thron-
entſagung bis zur Stunde fortfährt, die Anſtalten der chriſtlichen Liebe und
die Wohnungen der chriſtlichen Andacht im ganzen Kaiſerreiche mit den groß-
müthigſten Spenden zu unterſtützen. Großes Intereſſe hatten auch für mich
zwei Bilder an den Seitenaltären, die unbefleckte Jungfrau und den heil.
Antonius vorſtellend, von unſerm Kirchenmaler Hemerlein gemalt, wovon
das letztere mich beſonders anſprach. Die an die Kirche ſtoßende, geräumige
und freundliche Sakriſtei iſt am Boden mit den ſchönſten Steinplatten von
verſchiedener Farbe belegt, die alle um hohen Preis über die See zu Schiffe
herbeigeſchafft werden mußten. -
An demſelben Tage machten wir alle zuſammen unter dem Vorritte
des Herrn Vicekanzlers eine Eſelparthie zum Pallaſt des Vicekönigs von
Egypten, Said Paſcha, der in ſeinem Innern mit dem reichſten, jedoch zu-
gleich geſchmackvollſten Prunk auf europäiſche Weiſe eingerichtet und von
Außen mit zwar noch jungen, aber dennoch hübſchen Gartenanlagen verſehen
iſt. Leider koſtete mich dieſer Eſelritt ein Beinkleid. – Einer unſerer Pil-
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ger nämlich hatte die Gewohnheit, ſeinen Eſel mit der Gerte ſtets zu ſta-
cheln und zu geißeln, daß er vorwärts ginge, und als nun derſelbe, ungeach-
tet ſeiner natürlichen Gutmüthigkeit wild geworden, anfing zu gallopiren,
ſetzten ſich zugleich auch alle anderen Eſel in Poſitur, die Gallopade mitzu-
machen – und auch der meinige wollte nicht zurückbleiben, und rannte trotz
alles Schreiens und Zügelns wie raſend mit mir fort – bergauf – bergab,
bis mir mein Beinkleid riß. Zum Glück hatte ich aus Vorſicht noch ein zwei-
tes Paar mit mir genommen!– Mittags hatten wir die Ehre im Refectorio
der hochw. PP. Franziskaner zu ſpeiſen, und die erheiterndſten Geſpräche
mit den Brüdern würzten das einfache Mahl. Nach demſelben machte uns
der P. Guardian zu unſerer Freude die Mittheilung, daß er dem P. Petrus
aufgetragen habe, uns bis Jaffa und Ramla auf dem Wege nach Jeruſalem
zu begleiten, und daß derſelbe dieſen Auftrag auch mit gleicher Freude auf
ſich genommen habe. Wir nahmen unter vielen Küſſen Abſchied von den
ehrwürdigen Kloſterbrüdern, uns aufs doppelt frohe Wiederſehen bei der
Rückreiſe vertröſtend.
Beſuch der k. k. öſterr. Fregatte „Venus“.
Den Nachmittag benützten ich, Profeſſor Albert und einige Pilger, mit-
telſt Barken zu einem Beſuch auf der k.k. öſterr. Fregatte „Venus“, welche
eben im Hafen von Alexandrien vor Anker lag, woſelbſt ich auch einen Brief
an einen Kadeten von ſeiner Mutter aus Wien abzugeben hatte, und Prof.
Albert einen ſeiner ehemaligen Schüler als Offizier zu finden hoffte. Wir
wurden auf dem Schiffe mit nicht weniger Artigkeit, als früher von der
Geiſtlichkeit empfangen, von dem äußerſt liebenswürdigen Herrn Hauptmann
und den jungen Offizieren in allen Räumen bis zum unterſten herumgeführt,
über Alles förmlich unterrichtet und in der Kajüte in dem Speiſeſaal der
Offiziere auf das freundlichſte bewirthet. Natürlich fehlte es nicht an don-
nernden Toaſten auf den vielgeliebten ritterlichen Kaiſer und ſeine
hocherlauchte Gemalin, ſo wie auf die neugeborne Erzherzogin und das
geſammte Kaiſerhaus. Ehe wir ſchieden rief der Hauptmann die ganze
Schiffsmannſchaft im untern Raume zuſammen und fragte vorerſt, ob kein
Wiener unter ihnen wäre? – Da meldeten ſich anfangs ein Landſtraßer
– ein Roſſauer und ein Margarethner. Uud wieder fragte er: „Iſt kein
Schottenfelder unter euch?“ Da ſprangen zwei herbei, der eine ein
Seeſoldat, Namens Götz, der andere ein Kanonier, mit Namen Vogel;
und wieder fragt der Hauptmann weiter, auf mich deutend: „Kennt ihr
den Mann da? Das iſt der Schottenfelder Pfarrer.“ Und Kano-
nier Vogel ſagt: „Freilich kenn' ich ihn – ich habe bei ihm als Lehrjunge
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nachlernen müſſen; indeſſen hab ich's verdient, weil ich nicht fleißig in die
Chriſtenlehre ging!“ u. ſ. w. Zu unſerer großen Beluſtigung und Verwun-
derung hieß dann der Hauptmann einen Matroſen den Hauptmaſt des Schif-
fes bis zur oberſten Spitze in wenigen Minuten auf- und niederklettern und
einen andern ſich in einem Nu in die über zwei Stricke gelegte Schlafmatte
ſchwingen. – Nachdem wir Kuß und Händedruck zum Abſchiede gewechſelt,
ſahen wir uns nach unſeren Barken um, die wir zu Her- und Rückfahrt uns
gemiethet hatten; doch ſiehe da, an ihrer Statt ſchaukelte ſich die Fregatten-
barke auf den Wellen und 6 Matroſen harrten mit den Rudern in den
Händen unſerer Ankunft, um uns ſchnell zu unſerm Vapore zu befördern.
4
Fahrt nach Jaffa.
Nach einer ruhigen Nacht im Hafen ſtanden wir am 30. März am
frühen Morgen auf – nahmen den P. Petrus, der über die Nacht im Klo-
ſter geblieben war und ſeinen Reiſebündel erſt geſchnürt hatte, ſammt dem
Kanzler Schäffer mit an Bord, lichteten um 9 Uhr die Anker und fuhren bei
ununterbrochen heiterem Himmel und ſpiegelglatter See (ſo daß wir eine
Donaudampfſchiff-Fahrt zu machen glaubten) zuerſt die Nordküſte von Afrika
bei Abukir, wo wir mehrere Befeſtigungsthürme ſahen, vorüber, und er-
ſpähten von der Höhe des Verdeckes den 31. Vormittags um 11 Uhr die ſy-
riſche Küſte und erblickten endlich um 3 Uhr Nachmittags Jaffa, das
uns aus der Ferne als ein weißer Punkt erſchien, unter allgemeinem Jubel,
weil wir daſelbſt zum erſten Male unſern Fuß auf den heiligen Boden
ſetzten durften. Kaum konnte der Jubel der aus Egypten wandernden Iſrae-
liten größer geweſen ſeyn, als ſie von Ferne das erſehnte Chanaan, das Land
der göttlichen Verheißungen, zum erſten Male begrüßten.
Ankunft in Jaffa.
Um halb 5 Uhr ankerte unſer Dampfer in der Rhede von Jaffa, da
dieſelbe glücklicher Weiſe ein ſehr ruhiges Waſſer hatte; denn nicht ſelten
geſchieht es hier bei ungeſtümer See, daß die Dampfſchiffe 8–14 Tage
nicht Anker werfen können, ſondern wiederholt nach Caiffa fahren müſſen,
um eine ruhigere See dort abzuwarten. Doch obgleich auch unſere Füße auf
dem Boden des Verdeckes nicht länger bleiben wollten, ſo mußten wir
noch vorerſt mit Geduld die Rückkunft des Unter-Kapitäns abwarten, der
in einer Barke von dem Dampfer weg ans Land gefahren war, um uns
daſelbſt die ſogenannte Prattica d. h. die Erlaubniß zur Landung zu erwir-
ken. Die Verzögerung währte nicht lange und wir ſchifften uns um einen
Reiſebeſchreibung. 3
34
ſrüher ausbedungenen Betrag in mehreren Barken an das Land. P. Petrus
war mit einem Theile unſerer Pilger in einer Barke ſchon voraus und im
Begriffe an das Land zu ſteigen – da hielten plötzlich unſere Barkenführer,
3–4 an der Zahl, mit dem Rudern inne und verlangten von uns einen hö-
heren Geldbetrag, als wir bedungen hatten, wenn ſie weiter fahren ſollten.
Ich erinnerte ſie an den Akkord – und hieß ſie weiter fahren; ſie aber
verharrten bei ihrer Forderung und drohten, uns zum Dampfboot wie-
derum zurück zu führen – da ward ich böſe und ſchalt ſie in welſcher
Sprache, die ſie ziemlich gut verſtanden – und als dies nichts half, ſo zeigte
ich mit drohender Geberde dem Einen tollſten Kerl die Spitze eines Inſtru-
mentes, das ich zur etwaigen Vertheidigung gegen Hunde mit mir führte,
und dieſer Einfall half; ſchnell griffen ſie zu ihren Rudern wieder und führ-
ten uns in größter Eile an das Land, wo wir in dem feſtungsgleichen Ho-
ſpiz der PP. Franziskaner die gaſtfreundlichſte Aufnahme fanden und uns
anſchickten, noch für denſelben Tag die Pferde und Maulthiere zur Weiter-
reiſe nach Ramla zu beſtellen. Da aber die Araber ihre Forderungen über-
ſpannten und wir mit ihnen für den Abend nimmer um die Zahlung einig
werden konnten, überdies uns auch der Ritt zur Nachtszeit in der unbe-
kannten Gegend nicht gar ſicher ſchien, ſo entſchieden wir uns, die Nacht über
im Kloſter zu verbleiben, wo man uns ſo dringlich zurückhielt, und am andern
Morgen neue Unterhandlungen mit den Arabern anzuknüpfen. Nach ein-
genommenem Nachtmahl gingen wir um 9 Uhr in die kleine, dem heil.
Apoſtelfürſten Petrus geweihte Kirche, betheten daſelbſt mit ansgeſpreite
ten Armen 5 „Vater unſer“ zu Ehren des bittern Leidens und Sterbens
Jeſu Chriſti und ſangen nach einer kurzen herzlichen Anſprache unſers
Führers, des P. Petrus, mit freuderfülltem Herzen den ambroſianiſchen Lob-
geſang: „Großer Gott, wir loben Dich“; dann ging's zur ſüßen Ruhe –
denn wir durften ja auf heiligem Boden ruhen.
Ankunft in Jaffa.
Jaffa oder bibliſch Joppe genannt liegt amphitheatraliſch auf einem
Hügel ohne eigentlichen Hintergrund als den blauen Himmel, hat ein freund-
liches Anſehen und iſt eine der älteſten Städte der Welt. (Nach der Mei-
nung des heil. Hieronymus ſoll ſie Japhet, ein Sohn Noah's, gegrün-
det haben.) Hier hat nach Ueberlieferung Noah die Arche gebaut – hier
holte Salomon die Cedern vom Libanon zum Tempelbaue nach Jeruſa-
lem – hier ſoll ſich der Prophet Jonas eingeſchifft haben, um vor dem
Herrn, der ihm geboten hatte, nach Ninive zu gehen und Buße dort zu pre-
Z5
digen, nach Tharſus zu entfliehen – hier wurde Petrus durch eine Er-
ſcheinung von dem Vorurtheile geheilt, demzufolge er glaubte, daß die Hei-
den von der Kirche ausgeſchloſſen ſeien – hier erweckte der Apoſtelfürſt die
Tabitha, eine der eifrigſten Schülerinen des Herrn und eine beſondere
Wohlthäterin der Armen – zum Leben. (Apoſtelgeſch.9. 36–45.)
„Es war in Joppe eine Jüngerin, mit Namen Tabitha, welches
„verdolmetſcht heißt: Dorkas; die that ſehr viele gute Werke und gab
„viele Almoſen. Es geſchah aber in jenen Tagen, daß ſie krank ward
„und ſtarb; und als man ſie gewaſchen hatte, legte man ſie auf den
„Söller. Da nun Lydda nahe lag bei Joppe und die Jünger hörten,
„daß Petrus dort war, ſo ſandten ſie zwei Männer, ihn zu bitten:
„Laß dich's nicht verdrießen, zu uns zu kommen. Da machte ſich Petrus
„auf und ging mit ihnen. Und als er gekommen war, führten ſie ihn
„hinauf auf den Söller, und es traten zu ihm alle Witwen und wein-
„ten, und zeigten ihm die Röcke und Kleider, welche ihnen Dorkas ge-
„macht hatte. Petrus aber hieß alle hinausgehen, warf ſich auf die
„Knie und bethete; und er wandte ſich zur Leiche und ſprach: Tabitha,
„ſteh' auf! Sie öffnete die Augen, ſah den Petrus und erhob ſich. Da
„gab er ihr die Hand und richtete ſie auf. Und er rief die Heiligen (ſo
„wurden damals die Chriſten genannt) und die Witwen, und er ſtellte
„ſie ihnen lebend vor. Und ſolches ward kund in ganz Joppe und Viele
„wurden gläubig an den Herrn. Petrus aber wohnte viele Tage in
„Joppe bei einem gewiſſen Simon, der ein Gerber war.“
Die Stadt ſelbſt liegt ungefähr 15 Stunden von Jeruſalem entfernt,
und war immer ein wichtiger Landungspunkt für die Heere der Kreuzfah-
rer und iſt noch heutzutage der Ort, wo die meiſten Pilger ans Land ſteigen,
um nach Jeruſalem zu wallen, weßhalb man ſie auch die „Stadt der
Pilger“ nennt. Die Häuſer tragen kleine Kuppeln – die Straßen ſind
eng und ſchmutzig. Ich fragte nach der Kirche, die nach der Sage über
dem Hauſe Simon des Gerbers, wo der heil. Petrus das wunder-
bare Geſicht über die Berufung der Juden und Heiden zum Chriſtenthume
hatte, ſtehen ſollte – hörte aber von den frommen Vätern des heil. Landes,
daß gegenwärtig auf der Stelle dieſes Hauſes eine türkiſche Moſchee wäre.
Obiges Geſicht wird in der Apoſtelgeſchichte (10. Hauptſtück) folgender
Weiſe erzählt:
„Es war in Cäſarea ein Mann, mit Namen Cornelius, ein (heidni-
ſcher) Hauptmann in der Heerſchaar, welche die Italiſche hieß; der war
3 :
Z6
„fromm und gottesfürchtig mit ſeinem ganzen Hauſe, gab viel Almoſen
„dem Volke und bethete immerdar zu Gott. Dieſer ſah in einem Ge-
„ſichte offenbar um die neunte Stunde des Tages einen Engel Gottes
„zu ſich kommen, der ſagte zu ihm: Cornelius! Er ſah ihn, erſchrack
„und ſprach: Was iſt es, Herr? Jener ſagte zu ihm: Deine Gebethe,
„deine Almoſen ſind gekommen vor das Andenken Gottes. Und nun
„ſende Männer nach Joppe und laß Simon kommen, mit dem Zuna-
„men Petrus, dieſer wohnt bei Simon dem Gerber, deſſen Haus
„am Meere liegt; der wird dir ſagen, was du thun ſollſt. Als aber der
„Engel, der zu ihm ſprach, abgegangen war, rief er zwei ſeiner Knechte
„und einen frommen Kriegsmann aus der Zahl derer, die ihm zuge-
„than waren; dieſen erzählte er Alles und ſandte ſie nach Joppe.“
„Des andern Tages, als ſie auf dem Wege waren und ſchon nahe bei
„dieſer Stadt, ging Petrus nach Oben im Hauſe, zu bethen um die
„ſechſte Stunde. Und er ward hungerig und wollte eſſen; als man ihm
„nun etwas zubereitete, fiel er in Entzückung und ſah den Himmel ge-
„öffnet und etwas herabkommen, wie ein großes leinenes Tuch, an den
„vier Enden herabgelaſſen vom Himmel zur Erde, in welchem allerlei
„vierfüßige und kriechende Thiere der Erde waren und Gevögel des
„Himmels. Und ihm erſcholl eine Stimme: „Auf Petrus! ſchlachte und
„iß.“ Petrus aber ſprach: „Ach, nein Herr! denn ich habe noch nie et-
„was Gemeines oder Unreines gegeſſen.“ Und die Stimme ſprach zum
„zweiten Male zu ihm: „Was Gott gereinigt hat, das nenn' du nicht
„gemein.“ Solches geſchah drei Mal; und darnach ward das Tuch in
„den Himmel hinaufgenommen. Als nun Petrus noch bei ſich zweifel-
„haft war, was das Geſicht ſei, ſo er geſehen hatte – ſiehe da ſtanden
„vor der Hausthüre die von Cornelius geſandten Männer, die ſich nach
„dem Hauſe des Simon erkundigt hatten; und ſie riefen und fragten:
„Ob Simon, mit dem Zunamen Petrus allda wohne? – Indem nun
„Petrus noch hin und her ſann über das Geſicht, ſprach zu ihm der
„(göttliche) Geiſt: Siehe ! drei Männer ſuchen dich. Mache dich auf,
„ſteig hinab, geh' mit ihnen und habe kein Bedenken; denn Ich habe
„ſie geſandt. Petrus ſtieg hinab zu den Männern uud ſprach: Sehet
„ich bin's, den ihr ſuchet. Was iſt die Urſache, daß ihr herkommet ?
„Sie ſprachen: Cornelius, der Hauptmann, ein gerechter und gottes-
„fürchtiger Mann, der dieſes Zeugniß hat von allem Volke der Juden,
„hat von einem heiligen Engel die Weiſung erhalten, dich rufen zu laſ-
„ſen in ſein Haus und dein Wort zu hören. Da führte er ſie herein und
37
„nahm ſie auf zu ſich. Am folgenden Tage machte er ſich auf, ging mit
„ihnen, und einige der Brüder aus Joppe begleiteten ihn. Des andern
„Tages ging er ein in Cäſarea. Cornelius erwartete ſie und hatte zu
„ſich berufen ſeine Verwandten und vertrauten Freunde. Da nun Pe-
„trus hineinging, kam ihm Cornelius entgegen, fiel ihm zu Füßen und
„bethete an. Petrus aber richtete ihn auf und ſprach: Steh auf; auch
„ich bin ein Menſch! Und mit ihm ſprechend ging er hinein und fand
„Viele verſammelt, und er ſprach zu ihnen: -
„Ihr wiſſet, wie es nicht erlaubt iſt einem jüdiſchen Manne, Umgang
„zu pflegen mit einem Fremdlinge, oder ſich zu ihm zu begeben; aber
„Gott hat mich gelehrt, von keinem Menſchen zu ſagen, daß er gemein
„oder unrein ſei; darum bin ich auch ohne Bedenken hergekommen, als
„ich gerufen ward. So frage ich denn: Aus welcher Urſache habt ihr
„mich rufen laſſen? Und Cornelius ſprach: Zu dieſer Stunde ſind es
„vier Tage her, daß ich bethete um die neunte Stunde in meinem
„Hauſe und ſiehe, ein Mann ſtand vor mir im glänzenden Gewande
„und ſprach: Cornelius, dein Gebeth iſt erhört und deine Almoſen ſind
gekommen vor's Angeſicht Gottes; ſo ſende denn gegen Joppe, und
„laß kommen Simon mit dem Beinamen Petrus, der wohnt im Hauſe
„Simon des Gerbers am Meere. Und ſogleich ſandte ich zu dir, und du
„haſt wohlgethan, daß du gekommen biſt. Und nun ſind wir Alle ge-
„genwärtig hier vor Gott, zu vernehmen Alles, was dir von Gott be-
„fohlen wurde. Da öffnete Petrus den Mund und ſprach: In Wahrheit
„erkenne ich, daß Gott nicht ſieht auf die Perſon, ſondern in jedem
„Volke, wer Ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt, der iſt Ihm angenehm.
„Solches Wort hat Gott den Kindern Iſraels geſendet, verkündigend
„Frieden durch Jeſum Chriſtum, welcher der Herr Aller iſt. Ihr wiſſet,
„welches Wort ergangen iſt in ganz Judäa, anfangend in Galiläa nach
„der Taufe, welche Johannes predigte: und wie Gott Ihn, Jeſum von
„Nazareth, mit dem heiligen Geiſte und mit Kraft geſalbet hat, wel-
„cher iſt umhergegangen, hat Wohlthaten erwieſen und geſund gemacht
„Alle, welche vom böſen Geiſte überwältigt waren; denn Gott war
„mit Ihm. Und wir ſind Zeugen von dem Allen, was Er gethan im
„Lande der Juden und in Jeruſalem; Ihn, den ſie ans Holz geheftet
„und getödtet haben – hat Gott auferwecket und am dritten Tage uns
„Ihn erſcheinen laſſen, nicht dem ganzen Volke, ſondern vorher den von
„Gott angeordneten Zeugen, uns, die wir mit Ihm gegeſſen und getrunken
„haben, nachdem Er war auferſtanden von den Todten. Und Er hat uns
39-
„geboten, dem Volke zu predigen und zu bezeugen: daß Er es ſei, der
„von Gott geordnet worden zum Richter der Lebendigen und Todten
„(der Gerechten und der Sünder). Von ihm zeugen alle Propheten,
„daß durch Seinen Namen Vergebung der Sünden erlange jeglicher,
„der an Ihn glaubt.“ Als Petrus noch dieſe Worte ſprach, kam der hei-
„lige Geiſt über Alle, welche ſie hörten; und es ſtaunten die Gläubigen
„aus dem Judenthume, welche mit Petrus gekommen waren, daß auch
„über die Heiden ausgegoſſen wurde die Gabe des heiligen Geiſtes;
„denn ſie hörten ſie in verſchiedenen Sprachen reden und Gott verherr-
„lichen. Da nahm Petrus das Wort und ſprach: Vermag wohl Jemand
„das Waſſer zu verſagen dieſen, daß ſie nicht getauft würden, die da
„den heiligen Geiſt empfangen haben, gleichwie auch wir? Und er be-
„fahl, daß ſie getauft würden im Namen des Herrn Jeſu Chriſti.“
Das Kloſter der ehrwürdigen PP. Franziskaner ſelbſt iſt groß und
reinlich, hat mehrere Stockwerke und iſt nahe am Meeresſtrande über den
Stadtmauern erbaut und gewährt eine herrliche Fernſicht. Die Mönche ſind
von ſpaniſcher Stiftung und äußerſt liebenswürdig. Unter den 7000 See-
- len zählt die Stadt 500 Chriſten und unter dieſen 200 Katholiken.
Am 1. April, als am Palmſonntag, den wir wegen der Verſpä-
fung unſers Dampfers auf der Fahrt nach Smyrna, nach unſerm Wunſche
leider nicht in Jeruſalem zubringen konnten, laſen wir in der Kloſterkirche
die heil. Meſſe, wohnten der heil. Ceremonie der Palmweihe bei, und er-
hielten aus der Hand des P. Superior jeder einen echten Palmzweig,
den wir mit nach Hauſe nahmen. Außerdem bat ich mir noch einige ſchöne
Palmzweige für meine Pfarrkirche zur bleibenden Erinnerung an meine Pil-
gerreiſe aus. Wir Prieſter aſſiſtirten bei der Weihe in Rochetten und ſahen
zu unſerer großen Verwunderung, wie der ehrw. P. Quardian bei der Ver-
theilung der geweihten Palmen an die Gläubigen, denjenigen, welche beim
Hintritt zum Altare ihre platten Häubchen, die ſie ganz knapp am Kopfe
ſitzen hatten, abzunehmen vergaßen, dieſelben unwillig herunterriß und zur
Erde niederwarf! Auch war die darauffolgende Hochamtsfeier eigenthümlich
wegen der damit verbundenen Muſik, die aus vier Inſtrumenten, als:
einer Flöte, Violine, Guitarre und einem Trombon beſtand und oft gar
wunderlich zuſammenſtimmte, ja mitunter auch Mottetten brachte, die wie
z. B. beim Gloria ſelbſt in den Charakter unſerer Walzer übergingen.
Das Credo ſang mit ganzer Kraft ein Bariton allein, der aus Italien
in das gelobte Land pilgerte und leider ſchon nach einigen Tagen einem
39
heftigen Fieber in Jeruſalem erlag! – Beim Gottesdienſte fielen mir die
hübſchen Knaben auf, die wohl auch, wie bei uns, nach Rechts und Links
die Augen drehten – ſo wie auch einige Schulſchweſtern, die ihrem hei-
ligen Beruf recht eifrig nachzuſtreben ſcheinen und deren wohlthätiger Ein-
fluß auf die Jugend ſeit der kurzen Zeit ihres Beſtehens deutlich ſichtbar iſt.
Sehr erbaulich war auch das Betragen des k. ſpaniſchen Conſuls in der
Kirche, der mit ſeinem Sohne an der Seite beinahe durch das ganze Hoch-
amt auf den Knien lag. Die übrigen erwachſenen Katholiken ſaßen nach tür-
kiſcher Manier mit unterſchlagenen Beinen auf dem Boden, der mit aus
Stroh geflochtenen Decken ringsherum belegt war.
Nach Ramla.
Nachdem wir noch am Vormittag durch die Vermittlung des öſter-
reichiſchen Conſularagenten mit den Arabern um einen billigeren Taglohn für
Pferde und Maulthiere eins geworden waren, und nach eingenommenem
Mittagmahle den frommen Vätern für unſere freundliche Aufnahme und
treffliche Verpflegung den herzlichſten Dank geſagt und unſere Koffer ſammt dem
übrigen Gepäcke unſern Laſtthieren aufgebunden hatten, ſetzten wir uns ſelbſt
auf die Pferde, deren Sättel ſich in einem ſehr üblen Zuſtande befanden
und bei einigen aus Mangel an Riemen nur mit ſchlechten Stricken befeſti-
get waren, während die Steigbügel, aus verſchiedenem Metalle geformt, an
ſchwachen Schnürchen hingen – (ich ſuchte mir ein Maulthier aus mit brei-
tem Rücken und noch breiterem Sattel, um bequem zu ſitzen) und ritten ſo
in Gottes Namen Caravanenartig mit dem Dragoman (Dolmetſch
und Führer) an der Spitze in entſprechender Ordnung, d. i. ein Theil der
Pilger voraus, die Bagage auf die Maulthiere gepackt mit den Treibern
(hier Mucker genannt) in der Mitte und der Reſt der Pilger rückwärts
aus Jaffa heraus – von Jung und Alt begafft! Anfangs ging's durch tie-
fen Sand und Staub, ſo daß unſere Thiere kaum die Füße heben konnten;
doch iſt die Gegend ſchön und fruchtbar. Das Weichbild von Jaffa iſt mit
den herrlichſten Gärten von Orangen-, Feigen-, Mandel- und Maulbeer-
bäumen bepflanzt, die uns die ſüßeſten Düfte entgegenhauchten und durch
dicht aneinander gedrängte Cactus - Hecken, deren rieſige Größe uns in Er-
ſtaunen ſetzte, gegen jeden Angriff von Menſchen und Thieren geſchützt ſind.
Auch blieb die Gegend freundlich und gut bebaut bis Ramla, dahin der
Weg durch die einſt ſo geprieſene, weitgedehnte Ebene Saron führt. (Jo-
ſua 12, 18; 1. Chronik 5, 16; 27, 29; Iſaias 33, 9; 35, 2). Abends um
halb 7 Uhr langten wir beim lateiniſchen Kloſter, einem feſtungsähnlichen
40
Gebäude, das gleich am Anfange des Ortes liegt, an und wurden von den
ehrwürdigen Bewohnern deſſelben höchſt gaſtfreundlich empfangen. Die er-
friſchende Limonade, die uns der P. Guardian nach einer kurzen Raſt
im Divanzimmer reichen ließ, werde ich in meinem Leben nicht vergeſſen.
Abendmahlzeit und Nachtherberge waren gut, und wir fühlten unſere müden
Glieder am andern Morgen ſo geſtärkt, daß wir ſchon um 4 Uhr Früh
bereitet waren, den beſchwerlichen Weg nach der heil. Stadt anzutreten, nm
daſelbſt vor Sonnenuntergang noch einzutreffen, weil die Türken um dieſe
Zeit die Thore der Stadt verſchließen und die ſpäter ankommenden Pilger
außer der Stadt zu übernachten gezwungen würden.
Aufbruch nach Jeruſalem.
Noch lag düſtere Dämmerung über der Erde, als wir durch das kleine
Thor des Kloſters ritten, und kein Leben regte ſich. Nur von der Gallerie
des Minarets der türkiſchen Moſchee klang eine weinerliche Stimme in die
Tiefe nieder; es war der Moslim, der nach dem Brauche der Türken zu
beſtimmten Stunden die im Koran (dem Religionsbuche der Türken) vorge-
zeichneten Gebethe ausrufen mußte.
Bald waren wir außer dem Weichbilde der Stadt und freundlich lachte
uns die Gegend beim helleren Lichte des Tages an. Auf dem ebenen Wege,
nahe an Ramla, ſahen wir in ziemlicher Entfernung einen alten Thurm,
bei welchem aus der Tiefe nahebei ein dichter Nebel aufzuſteigen ſchien –
derſelbe heißt der Thurm der 40 Martyrer, welche zur zwölften römiſchen
Legion gehörten, und weil ſie als treue Krieger Jeſu Chriſti den Götzen nicht
opfern wollten, auf Befehl des heidniſchen Feldherrn Lyſias nackt auf den
damals gefrorenen See Sebuſte ausgeſetzt wurden und ſo den Martertod
erlitten. Das Feſt dieſer 40 Blutzengen für den chriſtlichen Glauben feiert
unſere heil. Kirche am 10. März, und der Martertod dieſer chriſtlichen
Streiter hat ſpäter bei dem chriſtlichen Volke die irrige Meinung (die auch
noch gegenwärtig unter dem Landvolke weit verbreitet iſt) erzeugt, daß wenn
es am 10. März, als an dem Feſttage der 40 Martyrer gefriert, noch 40
gefährliche Fröſte für den Weinſtock zu beſorgen ſeien; daher denn auch der
10. März ein ſogenannter Loostag iſt.
Eine Stunde von Ramla entfernt liegt die bibliſch merkwürdige Stadt
L vd da, wo der heilige Petrus den gichtbrüchigen Aeneas heilte.
(Apoſtelgeſch. 9, 32.)
„Es begab ſich, daß Petrus auch zu den Heiligen kam, die da wohn-
ten in Lvd da. Daſelbſt faud er einen Menſchen, Aeneas mit Namen,
41
„welcher ſeit acht Jahren zu Bette lag und gichtbrüchig war. Und es
„ſprach Petrus zu ihm: Aeneas! Jeſus Chriſtus macht dich geſund;
„ſteh' auf und bereite dir ſelbſt dein Bett. Und alsbald ſtand er auf,
„Und es ſahen ihn Alle, die da wohnten zu Lydda und in Sarona, und
„ſie bekehrten ſich zu dem Herrn!“
Der ganze Landſtrich aber, zu welchem Jaffa, Ramla und Lydda gehö-
ren, war das Land der Philiſter in der heil. Schrift des alten Teſta-
mentes, deren größter Feind Samſon war, welcher bekanntlich hier hauſte,
und durch den Fang der in großen Schaaren herumſtreifenden Schakals
(einer Art von Füchſen) und durch Anzünden der an ihren Schweifeu befe-
ſtigten Brandfakeln die Kornfelder der Philiſter, in die er dieſe Thiere hin-
eintrieb, gräßlich verwüſtete (Richter 15, 3–5). Auch wir ſahen mehrere
ſolcher Schakals und einige kühne Reiter von den Unſrigen machten Jagd
auf ſie: allein die Pferde taugten nichts, weil ſie nicht ſchnell genug
liefen.
Schon nahm der fruchtbare Boden ab und die Ebene verlor ſich zwi-
ſchen mäßigen Hügeln; und wir näherten uns dem Eingange in das Ge-
birge von Judäa. Hier wird die Natur mit jedem Schritte ärmer, die
Hügel beſtehen größtentheils aus felſigem Geklüfte und nur mühſam im
Schweiße ſeines Angeſichtes kann der Menſch dem kargen Boden. Einiges
abgewinnen; das Steingerölle iſt am Rittweg völlig unleidlich, und die Son-
nenſtrahlen, welche in die Thalſchlucht dringen, fallen verſengend auf des
Pilgers Haupt und brennen ſein Geſicht und ſeine Hände braun. Darum
machten wir auch ungefähr um 10 Uhr Vormittags auf dem halben
Wege zwiſchen Ramla und Jeruſalem Halt, und ich war wirklich herzens-
froh, von meinem Gaul herabzukommen, da ich vor Schmerz kein Glied be-
wegen konnte. Die müde Caravane lagerte ſich in der Nähe einer Quelle
unter einigen Bäumen, die etwas Schatten gaben, und labte ſich mit jenen
Gaben, welche uns die unerſchöpfliche Liebe der PP. Franziskaner als Weg-
zehrung in einem Korbe mitgegeben hatte; auch Roß und Führer wurden
nicht vergeſſen. Herr Kanzler v. Schäffer hatte überdies den höchſt glück-
lichen Einfall, einige Bouteillen guten Weines von Alexandria mit
ſich zu nehmen; er hatte ſie in Heu gepackt und dadurch das Getränke kühl
erhalten. Großmüthig gab er der durſtigen Caravane ſeinen Flaſchenkeller
preis und wir franken auf ſein Wohl in langen – langen Zügen ! Als Fla-
ſchen, Korb und Taſchen leer geworden waren, brach die Caravane auf und
ſchwang zum neuen Ritte ſich auf's Roß. Da ging's gar hoch hinan und
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wieder tief hinab in's Thal – an dem türkiſchen Dorfe Abugoſch vor-
über, mit den Ruinen einer Kirche zu Ehren des Propheten Jeremias,
der hier geboren ſeyn ſoll. Die Geſchichte erzählt, daß die PP. Franziskaner
dieſe Kirche beſorgten, aber eines Tages plötzlich von den Türken überfallen
und alle getödtet wurden. -
Mittlerweile war es Mittagzeit geworden und der Ritt fiel uns mit
jedem Schritte ſchwerer; allein der Gedanke, mit jedem auch noch ſo be-
ſchwerlichen Schritte kommen wir dem heißerſehnten Ziele näher, das uns
für alle die gehabten Mühen reich entſchädigen würde – ermuthigte uns
wieder – und während die Gegend vor uns, je mehr wir uns der heiligen
Stadt näherten, öder und ſteiniger wurde, ſo daß endlich alle Vegetation
aufhörte, ſo ſchweifte das Auge, vom verlangenden Herzen geleitet, von je-
der mühſam erreichten Höhe in die Ferne hinaus, um nur wenigſtens die
Spitzen der heil. Stadt zu erſpähen, und das öfter getäuſchte Herz fing bei
jeder neuen Höhe, welche zu erſteigen war, auf's Neue an zu hoffen – dieſe
werde wohl die letzte ſeyn, von der ſich uns die Ausſicht nach Jeruſalem er-
öffnen würde, um die langandauernde Beſchwerlichkeit zu lohnen. Und auch
dieſe ſcheinbar letzte Höhe war erreicht – und wieder keine Ausſicht; denn
neue, gleichtroſt- und lebensloſe Höhen thürmten ſich herauf. Schauererregen-
der Anblick! – Es ſchien, als ob durch Gottes Fluch, weil Jeruſalem
den Gottmenſchen gemordet hatte – die ganze Gegend mit allen ihren
Weinbergen und Feldern plötzlich verſteinert worden wäre, da das
Geſtein faſt die Form von früher bebauten Feldern und Weinbergen zeigte.
Ohne es zu wiſſen, daß wir bereits auf der letzten Höhe angekommen
waren, hielten wir einige Raſt; denn theils waren einige Pilger zurückge-
blieben, theils konnten ſelbſt die Voranreitenden, von der Sonnengluth ge-
plagt, nicht mehr recht weiter fort. -
Wir ſtiegen ab, und während wir unſere Pferde die ſpärlich zwiſchen
dem Geſtein hervorſtehenden Grashalme abweiden ließen, ſuchten wir uns
ein ſchattiges Plätzchen zur labenden Kühlung. Sieh' da kamen die Diener
des im Oriente allgemein geachteten k. k. öſterr. Conſuls von Jeruſalem
Grafen von Pizzamano, von ihm geſendet – der aus dem fernen
Vaterlande nach der heil. Stadt ziehenden Pilgerſchaar eine Labung in einem
Korb mit Orangen und einigen Flaſchen Porto-Bier entgegen zu bringen,
die wir mit dem herzlichſten Danke entgegennahmen und, unter lauten Hoch's
den Namen des edlen Spenders preiſend, uns recht wohl munden ließen.
(Der Herr Conſul ſelbſt befand ſich damals gerade in Bethlehem als Beglei-
ter Sr. königl. Hoheit des Herzogs von Brabant, der mit ſeiner erlauch-
-,- - - - - -
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ten Gemalin die heiligen Stätten beſuchte.) Nur mit vieler Mühe gelang es
mir, eine Bouteille Bier für jene Pilger, die etwas zurückgeblieben waren,
zu retten. O wie glänzte nicht ihr Auge vor Freude, als der Becher ſchäu-
mend überfloß! – Nach eingenommener Labung ſammelten wir uns wieder
und trabten an Leib und Seele geſtärkt muthig weiter fort. Es galt ja nur
noch eine kleine Strecke bis zum Ziele! Da ſchimmerten uns endlich aus ge-
ringer Ferne in glänzender Sonnenbeleuchtung zur linken Hand einige weiße
Gebäude entgegen, darunter eine bedeutende Kuppel hervorragte – ſie war
die Kuppel der Himmelfahrts-Kapelle auf dem Gipfel des Oelberges; –
mächtiger ſchlug das Herz, wir trieben die müden Roſſe zur letzten Kraftan-
ſtrengung an – nur noch ein kurzer Ritt – die Caravane ſtand plötzlich
ſtille – Zinnen, Kuppeln und Thürme tauchten auf:
Jeruſalem
lag vor uns! – – Ich hatte mir vorgenommen, beim erſten Anblick des
einſtmaligen Schauplatzes des Leidens und Sterbens Jeſu Chriſti von mei-
nem Maulthiere abzuſteigen und mit entblößten Füßen die heilige Stadt
zu betreten; allein ich vermochte es nicht. Heiliger Schauer durchlief meine
Glieder, das Blut drängte ſich bis in das Herz zurück – wie angeſchmiedet
ſaß ich auf meinem Thiere, das ſich ſelber kaum bewegte, als ob es mit mir
empfände, bis endlich neues Leben in mich zurückkehrte; – das Haupt
entblößend und die Rechte hoch zum Himmel emporhebend ſtimmte
ich als Präſident der Caravane im Ton der Kirche den feierlichen Hochge-
ſang: „Te Deum laudamus“ an; die Pilger alle thaten ein Gleiches, und
aus voller Bruſt hervorgeholt klangen die Töne des ambroſianiſchen Lob-
geſanges über die heilige Stadt, während aus Aller Augen heiße Thränen
floßen als das erſte Opfer, welches unſer Liebe Demjenigen brachte,
der uns zuerſt geliebt hat bis zum Tode, und zwar bis zum Tode des
Kreuzes. -
Erſt nach geendigtem Geſange bemerkten wir die hochw. Herren
Wolfgang und Andreas, zwei von den frommen Vätern des heil. Lan-
des und Wächtern des heil. Grabes in Jeruſalem, beide Oeſterreicher, die
uns gleichfalls bis hieher entgegeneilten, um uns in ihr Hoſpitz zu geleiten,
und uns daſelbſt die erwünſchteſte Aufnahme zu bereiten. Nachdem wir uns
wechſelſeitig begrüßt und brüderlich geküßt hatten, hielten wir, den Kawaß
(den erſten türkiſchen Polizeidiener) des k. k. öſterreichiſchen Conſuls mit
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dem großen Stabe, den derſelbe ganz gravitätiſch in ſeine rechte Hüfte ſtützte,
an der Spitze, zu Pferde unſern Einzug bei dem hier im Bilde darge-
ſtellten ſogenannten Jaffa- oder Pilgerthore -
in die heilige Stadt, als erſte öſterreichiſch-deutſche Pilger-Caravane von
Jung und Alt mächtig angeſtaunt. Nach einer kurzen Raſt und eingenommener
Labung im Kloſter der ehrw. Söhne des heil. Franziskus zum Allerheiligſten
Erlöſer ſuchten wir für unſere müden Glieder die erſehnte Ruhe in den
Zimmern, die uns die ſorgſame Liebe der ehrwürdigen Brüder mit wahr-
haft überraſchender Bequemlichkeit bereitet hatte, was um ſo mehr dankbare
Beachtung verdient, als das Hoſpiz in dieſem Jahre mit Pilgern überfüllet
war; das Kloſter uud das nahe gelegene Pilgerhaus Casa nuova genannt,
zählte bei unſerer Ankunft nach der Ausſage der hochw. Ordensbrüder gegen
150 Pilger. Ich und Prof. Albert warteten, bis unſere Pilger alle theils
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im Convent, theils in der Casa nuova untergebracht waren, und wir waren
als die letzten ſo glücklich, den beſſeren Theil zu gewinnen, nämlich das Zim-
mer, deſſen Fenſter geradezu auf den Oelberg hinausſahen und nach der
rechten Seite hin uns die Ausſicht auf die Kuppel der h. Grabeskirche
öffneten. Wir fühlten uns ganz glücklich! Und dieſes Gefühl wurde auf das
Höchſte geſteigert, als wir Abends gerade über dem Oelberg den Voll-
mond emporſteigen ſahen, der uns das nahe Oſterfeſt verkündigte und
über den Ort der heiligſten Geheimniſſe einen wahrhaft geheimnißvollen
Schimmer verbreitete. Wie gerne hätte ich, um dem Drange der Empfin-
dungen im Herzen Raum zu geben, auf den Schlaf in dieſer Nacht verzichtet,
wenn nicht der anſtrengende Ritt von 12 Stunden an Einem Tag die Stär-
kung meiner halbgebrochenen Glieder durch erquickliche Ruhe unwillkürlich
gefordert hätte. Dem ſtillen heiligen Schauer, der durch meine Seele zog,
folgte bald ein ſüßer Schlummer, der an meinem Geiſt die lebensvollen Bil-
der aus der alten heiligen Zeit vorüberführte.
Erſter Beſuch der heiligen Grabeskirche.
Am nächſten Tag, den 3. April (es war Dienſtag in der Charwoche)
wurden wir ſehr früh geweckt; denn für dieſen Tag war beſtimmt worden,
daß drei von uns neun Prieſtern in der Todesangſt - oder Blut-
ſchwitzungs-Grotte in Gethſemani, drei in der Geißlungs-
kapelle (im ehemaligen Richthauſe des Pilatus) und drei auf dem Cal-
varienberge die heilige Meſſe leſen ſollten. Letzteres Loos traf mich
Prof. Albert und Pfarrer Roiß, unſern Ordensbruder. Wir drei mußten
ſchon um halb 6 Uhr früh zur heil. Grabeskirche gehen, weil um dieſe Zeit,
wie man uns ſagte, die Apertura, d. h. Eröffnung der Kirche wäre. Da
nämlich die Türken im Beſitze der Schlüſſel zur heil. Grabeskirche ſind,
und bei dem Umſtande, daß die nicht unirten (getrennten) Griechen und
Armenier die heil. Grabeskirche mit den Katholiken gemeinſchaftlich zur
Abhaltung des Gottesdienſtes inne haben – das fortwährende Offenlaſſen
der Kirche zu noch größeren Unordnungen und Unfügen, als leider ohnehin
vorzukommen pflegen, führen würde, ſo müſſen jene (die Türken) jederzeit
von der betreffenden chriſtlichen Confeſſion angegangen werden, die Kirche
zu öffnen; deßhalb halten ſie während des Offenhaltens der Kirche bei dem
Eingange die Wache, indem ſie daſelbſt in einer Niſche auf weichen
Divans mit unterſchlagenen Beinen ſitzen und abwechſelnd Kaffeh, den ihnen
die Chriſten herbeiſchaffen müſſen, trinken und dabei ihre Tſchibuks (Tabak-
pfeifen) rauchen. Obwohl nun dieſe Art der Entheiligung des Gottes-
46
hauſes nnd beſonders der heiligen Grabeskirche, die ſo viele und große
Sanktuarien (Heiligthümer oder heilige Stätten) in ſich begreift, für den
Katholiken im höchſten Grade empörend und zwar in der jetzigen Zeit
um ſo ärgerlicher erſcheinen muß, da der unverſöhnliche Feind der Chriſten
nach den Forderungen der politiſchen Intereſſen gegenwärtig nur durch
die Unterſtützung der chriſtlichen Mächte kümmerlich ſein Daſein friſtet,
ſo iſt es doch noch mehr betrübend, daß die eigentliche Veranlaſſung zur
Uebergabe der Schlüſſelgewalt in die Hände der Türken die unaufhörli-
chen Streitigkeiten zwiſchen den chriſtlichen Parteien, beſonders der
nicht unirten Griechen uud Lateiner (Römiſch-Katholiſchen) waren, die oft
ſelbſt in die entſetzlichſten und blutigſten Schlägereien ausarteten, ſo daß jetzt
der Türke die gottesdienſtliche Ordnung in der heiligen Grabeskirche zwiſchen
den verſchiedenen Confeſſionsparteien erhalten muß. Indeſſen ſammelte ſich
mein von tiefem Weh ergriffenes Herz an jenem „überheiligen Orte“
wieder, wo mein Heiland an das Kreuzesholz geheftet wurde, und
ich ſo glücklich war, das heilige Meßopfer als unblutige Erneuerung des vor
mehr als 1000 Jahren hier vollbrachten blutigen Opfers an derſelben
Stelle darzubringen. Eine echt chriſtliche Seele hatte mir die nöthigen Wäſch-
ſtücke zur Auflegung der heiligen Hoſtie und zur Reinigung des Kelches von
ihrer eigenen Hand verfertiget als ein kleines Opfer ihrer Liebe zu dem
Herrn für's heilige Grab von Wien aus mitgegeben mit der Bitte, ſelbe bei
der erſten heiligen Meſſe zn verwenden, und dann an dem heiligen Orte zu-
rückzulaſſen – und gerne kam ich dem frommen Wunſche nach, und erfüllte
treulich die auf mich genommene heilige Pflicht.
Aber wie vermöchte ich es, eine Schilderung von dem zu geben, was
mein Herz in dieſen heiligen Augenblicken tief bewegte? – Ich ſage nur,
daß meine Füße wankten, als ſie den heiligen Ort berührten, wo unter dum-
pfen Hammerſchlägen das Eiſen die ſegenbringenden Füße des Heiligſten
durchbohrte – daß meine Hände zitterten, als ſie Denjenigen in Brots-
geſtalt emporhoben, Deſſen unſchuldige und wohlthuende Hände blutend
hier von roher Henkershand an das Opferholz geheftet wurden – daß mein
ganzes Weſen in mir aufgelöſt wurde, als ich, auf der Höhe des Calvarien-
hügels ſtehend, an die ernſte Scheideſtunde dachte, in der die ewige Liebe
ſterbend das große Wort der Welterlöſung ſprach: „Es iſt vollbracht.“
In einen Strom von heißen Dankesthränen ergoß ſich hier mein Herz für
meine fünfundzwanzig Prieſterjahre, mit denen mich der Herr in ſeiner un-
ermeſſenen Huld geſegnet. Möchte der Erbarmungsreiche das ſchwache Opfer
meines armen Herzens wohlgefällig aufgenommen haben! –
47
Der Gang nach dem Oelberge. . .
Als wir nach der heil. Meſſe uns im Convente Alle zuſammengefunden
hatten, ſo machte ich als Präſident der Geſellſchaft den Vorſchlag, wie wir
die Tage unſers Verweilens in der heil. Stadt verwenden ſollen, und wir
wurden nach meinem Rathe dahin einig, wo möglich gleich am erſten Tage
alle jene heiligen Punkte zu berühren, die den ganzen Leidensweg des gött-
lichen Heilandes bezeichneten. Wir gingen daher Alle in Begleitung des
P. Andreas von unſerm Hoſpiz aus die Straße nach dem Stefansthore
– ſo genannt, weil die Juden außerhalb deſſelben den heil. Diakon Stefa-
nus geſteiniget haben. (Apoſtelgeſch. 6 und 7.)
„In jenen Tagen aber, da der Jünger viele ſind geworden, erhob ſich
„ein Murren der Heiden- gegen die Judenchriſten, daß ihre Witwen
„überſehen würden bei den täglichen Spenden. Da riefen die Zwölf
„die Gemeinde der Jünger zuſammen und ſprachen: Es geziemt ſich
„nicht:, daß wir ablaſſen, das Wort Gottes zu verkündigen und den
„Tiſch (das Abendmahl) zu beſorgen. So ſehet euch denn um, ihr Brü-
„der, nach ſieben Männern unter euch, die ein gutes Zeugniß haben
„und voll des heiligen Geiſtes und der Weisheit ſind, welche wir zu
„dieſem Geſchäfte (der Verſorgung der Witwen) anſtellen mögen. Wir
„aber werden dem Gebethe und dem Dienſte des Wortes beharrlich
„obliegen. Und es fand dieſe Rede Beifall bei der ganzen Schaar
„und ſie erwählten den Stefanus, einen Mann voll Glaubens nnd hei-
„ligen Geiſtes nebſt ſechs andern; dieſe ſtellten ſie den Apoſteln vor
„und betheten über ſie, und legten ihnen die Hände auf. – – Ste-
„fanus aber voll Gnade und Kraft that große Wunder und Zeichen
„unter dem Volke. Da ſtanden einige auf aus der Synagoge – und
„begannen einen Redeſtreit mit ihm; und ſie vermochten nicht zu wi-
„derſtehen der Weisheit und dem Geiſte, der aus ihm redete. – Als
„ſie das nun hörten, ergrimmten ſie in ihren Herzen und knirſchten mit
„den Zähnen über ihn.“
„Er aber voll des heiligen Geiſtes heftete den Blick gegen Himmel,
„und ſah die Herrlichkeit Gottes und Jeſum ſtehen zur Rechten Gottes
„und ſprach: Ich ſehe den Himmel offen und des Menſchen Sohn zur
„Rechten Gottes ſtehen. Da ſchrien ſie mit lauter Stimme, und hiel-
„ten ſich die Ohren zu und ſtürzten Eines Sinnes auf ihn los, ſtießen
„ihn zur Stadt hinaus und ſteinigten ihn. Und die Zeugen leg-
// -
„ten ihre Kleider nieder zu den Füßen eines jungen Mannes, welcher
48
„Saulus hieß. Und ſie ſteinigten den Stefanus, welcher ausrief und
„ſprach: Herr Jeſus, nimm meinen Geiſt auf! Und nachdem er nieder-
„gekniet war, rief er mit lauter Stimme und ſprach: Herr, rechne
„ihnen das nicht zur Sünde an! Und als er das geſagt hatte, entſchlief
„er in dem Herrn.“
Ehedem hieß dieſes Thor das Schafthor, weil durch daſſelbe die
Opferthiere in den nahen Tempel gebracht wurden, nachdem dieſelben früher
noch in dem ſchon innerhalb der Stadt gelegenen Schaf- oder Schwemmteich
Bethſaida abgewaſchen worden waren. Dieſer iſt beſonders denkwürdig
durch die bei ihm geſchehene Heilung des achtunddreißigjährigen Kranken.
(Joh. 5, u. ſ. w.)
„Es iſt aber zu Jeruſalem am Schafthore ein Teich, der heißt auf
„hebräiſch Bethſaida und hat fünf Hallen. Darin lagen viele Kranke,
„Blinde, Lahme und Abgezehrte, welche auf die Bewegung des Waſ-
„ſers warteten. Und ein Engel des Herrn ſtieg herab zu Zeiten in
„den Teich und das Waſſer ward bewegt. Wer nun zuerſt, nachdem
„das Waſſer bewegt worden war, in den Teich hineinſtieg, der ward
„geſund, mit welcherlei Krankheit er auch behaftet ſeyn mochte. Es
„war aber ein Menſch baſelbſt, der acht und dreißig Jahre
„krank gelegen. Da Jeſus dieſen liegen ſah und wußte, daß es von
„langer Zeit her wäre, ſpricht Er zu ihm: Willſt du geſund werden?
„Und der Kranke antwortete Jhm: Herr, ich habe keinen Menſchen,
„der mich in den Teich hinabführt, wenn das Waſſer in Bewegung iſt;
„denn indem ich komme, ſteigt ein anderer vor mir hinab. Da ſpricht
„Jeſus zu ihm: Steh' auf, nimm dein Bett und wandle! – Und als-
„bald ward der Menſch geſund und nahm ſein Bett und wandelte.“
Die Tiefe dieſes Teiches iſt gegenwärtig ganz ausgetrocknet und nebſt
verſchiedenen Marmorſtücken und Ueberreſten von Gebäuden mit allerlei
Unrath angefüllt.
Als wir das Thor ſelbſt paſſirt hatten, nahmen wir den Weg, der jähe
abwärts führt, nach jenem Platze, wo der heil. Stefanus als erſter Mar-
tyrer ſein Blut für Jeſum vergoß; – wir entblößten daſelbſt unſere Häup-
ter und betheten kniend ein „Vater unſer“ und „Ave Maria“ mit Ehre ſei
Gott dem Vater“ u. ſ. w.. und küßten den heiligen Ort, wo das erſte chriſt-
liche Martyrerblut gefloſſen; in frommer Rührung, um uns nach dem Vor-
dilde des heil. Diakons zu gleicher Treue im Kampfe für das heil. Gut des Glau-
49
bens zu begeiſtern. In der Nähe zeigte man uns auch den Platz, wo Pau-
lus, der damals noch Saulus hieß, die Kleider der Henker hüthete. Die
Steine nahmen dieſelben aus dem nahen Bach Cedron oder Kidron,
der wohl jetzt ganz ausgetrocknet iſt, aber in dem ausgewaſchenen Geſtein
in ſeiner Tiefe deutliche Spuren ſeines einſtigen Daſeins zurückgelaſſen hat.
Als wir über den Bach hinüber waren, kamen wir zu einer kleinen Kirche,
die das ausſchließliche Eigenthum der Griechen iſt und vorgeblich das
Grab der heil. Jungfrau in ſich ſchließt. Einige Tage ſpäter beſichtig-
ten wir dieſelbe, als wir zum zweiten Male vorüber kamen.
Der Oelberg.
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Sº
Wir ſtanden nun ſchon am Fuße des Oelberges im Thale Joſaphat
nahe bei dem Garten Gethſemani, wo noch bis zur Stunde viele Oel-
bäume ſtehen. Gethſemani ſelbſt iſt jetzt ein mit einer hohen Mauer ein-
geſchloſſener Platz mit einem ſehr niedrigen Eingangspförtchen verſehen und
den älteſten Oelbäumen beſetzt. Die ehrw. Väter des heil. Landes haben
ſich dieſen Platz ſeit einigen Jahren abgeſondert, um die in demſelben befind-
Reiſebeſchreibung. 4
50
lichen acht uralten Oelbäume, darunter vielleicht auch unſer Heiland
am Vorabende vor Seinem Leiden gewandelt ſeyn mochte, vor überflüſſiger
Beſchädigung durch die Hand der Pilger zu bewahren. Nahe bei demſelben
wurde uns ein niedriger platter Fels gezeigt, worauf die Jünger
ſchliefen, und nach den damit übereinſtimmenden Worten der Schrift einen
Steinwurf weit davon die Grotte, wo Jeſus Todesangſt litt und
blutigen Schweiß vergoß.
Joh. 18, 1. Matth. 26, 36–39. Luk. 22, 39–46.
„Jeſus begab ſich nach Seiner Gewohnheit mit Seinen Jüngern
„über den Bach Cedron zum Oelberge hin – in einen Landhof, der
„Gethſem ani genannt wird, allwo ein Garten war; in denſelben
„ging Er hinein und Seine Jünger. Und Er ſprach zu ihnen: Setzet
*, euch hier, indeß Ich dort hingehe und bethe. Und Er nahm zu Sich
„den Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus und begann Sich
„zu betrüben und zu ängſtigen. Und Er ſprach zu ihnen: Meine
„Seele iſt betrübt bis zum Tode; bleibet hier und wachet mit Mir
„Und Er entfernte Sich von ihnen etwa einen Steinwurf weit und
„kniete nieder, fiel auf Sein Angeſicht, bethete und ſprach: „Mein Va-
„ter! iſt's möglich, ſo gebe dieſer Kelch an Mir vorüber; doch nicht
„Mein, ſondern Dein Wille geſchehe.“ Es erſchien Ihm aber ein En-
„gel vom Himmel und ſtärkte Ihn. Und Er war im Todeskampfe und
„bethete inſtändiger. Und Sein Schweiß ward wie Bluts-
„tropfen, welche auf die Erde fielen. Und da Er aufgeſtan-
„den war vom Gebethe und zu Seinen Jüngern kam, fand Er ſie ſchla-
„fend und Er ſprach zu ihnen: Was? Ihr ſchlafet? Wachet und be-
„tbet, auf daß ihr nicht in Verſuchung fallet.“
51
Das Innere dieſer Grotte iſt, wie vorliegende Darſtellung zeigt,
noch ganz nackt, ohne alle Verkleidung, und verſetzte mich ſo ganz lebendig in
jene heilige Zeit zurück, wo unſer Heiland mit Sich ſelbſt im ſchweren
Kampfe rang – den Leidenskelch zu trinken, den Ihm der Vater zum Heile
der Menſchen dargereicht. Wir fanden daſelbſt drei einfache Altäre von
Stein aufgerichtet mit den Bildern der Todesangſt Chriſti, der ſchlafenden
Jünger und des verrätheriſchen Judaskuſſes, und laſen hinter dem Altar mit
dem Bilde des mit dem Tode ringenden Heilandes auf einer ganz ge-
meinen Tafel von Holz die Worte der Schrift (Luk. 22, 44): „Hic su-
dor Ejus factus est sicut guttae sanguinis decurrentis in terram.“ (Hier
iſt Sein Schweiß zu Blutstropfen geworden, die auf die Erde fielen.) An-
ſtatt der bisherigen Holztafel ließ ich auf eine aus grauem Marmor ge-
hauene Platte dieſelbe Schrift mit goldenen Lettern ſetzen, und ſchickte
ſie zur nächſten Oſterzeit nach Jeruſalem zur Aufſtellung in der heiligen
Grotte. -
Schon ſeit meinen jungen Jahren trug ich in mir ein beſonderes
Verlangen, Einmal in meinem Leben den Oelberg zu beſuchen, und den
Ort zu ſehen, wo mein Jeſus blutigen Schweiß vergoſſen; und immer zog es
4 *
52
mich mit erneuerter und geſteigerter Sehnſucht nach des Oelbergs ſtiller
Höhe und ungleich mehr dahin, als nach den anderen nicht weniger ausge-
zeichneten Orten, wo das Erlöſungswerk iſt vollbracht worden, und zwar
darum, weil mir eine dunkle Ahnung ſagte, dieſer Ort, der die erſten Bluts-
tropfen des leidenden Erlöſers aufgeſogen, ſei gewiß am meiſten noch erhal-
ten, ſo wie er urſprünglich geweſen, während andere heilige Orte als z. B.
der Calvarienhügel, das heilige Grab u. ſ. w. durch die wiederholten Zerſtö-
rungen, die Jeruſalem im Laufe der Zeiten erlitt, ſo wie durch den Ueberbau
der heiligen Grabeskirche und durch die damit verbundene Marmorüberklei-
dung ihre urſprüngliche Geſtalt zum größten Theile verloren hätten. Tief
im Innerſten meiner Seele ergriffen von den heiligſten Gefühlen, die ich je
in meiner Bruſt getragen, ſank ich und mit mir meine Gefährten auf die
Knie, und drückten heiße Küſſe auf die geweihte Stelle, die das Blut des
Herrn geröthet hatte, und nur einzelne aus der tiefſten Tiefe heraufgeholte
Seufzer, ſprechende Zeugen der inbrünſtigen Andacht unſerer Herzen, unter-
brachen die ſonſt lautloſe Stille der heiligen Grotte. Wir weinten – dort,
wo der mit Blut vermengte Schweiß der ewigen Liebe geronnen, dort
träufelten unſere heißen Liebesthränen auf den heiligen Boden. Ich werde
jene Augenblicke, die ich in der heiligen Grotte verlebt, nie vergeſſen – ſie
ſollen mir Engel des Troſtes werden in den trüben Stunden meines Lebens
– ſie ſollen mir auch ſtärkende Engel werden in der letzten Stunde, die mir
den ſchwerſten Kampf bereiten wird. Auf unſere Bitte gab der ehrwürdige
Franziskanerbruder, der die Wache an dieſem heiligen Orte hält, jedem von
uns ein Steinchen aus der Grotte mit. Ich beſchloß das meinige bei mei-
ner Rückkehr in die Heimat zierlich faſſen zu laſſen, und alljährlich am Grün-
donnerſtag in der heiligen Charwoche zur frommen Erbauung meiner Pfarr-
gemeinde auf dem Seitenaltar unter dem Bilde mit dem Oelberg auszuſtel-
len. Aus dem Garten nahm ich mir auch etwas Erde, die ich mit meinen
Fingern aus der Tiefe herausgegraben, und mit Erlaubniß des hochwürdigen
P. Cuſtos oder Guardian der ehrwürdigen Franziskaner in Jeruſalem auch
einen ſchönen grünen Zweig, den ich mit eigener Hand von dem äl-
teſten Oelbaume in Gethſemani abgeſchnitten hatte, erſtere zur Verthei-
lung unter meine Lieben, letzteren für meine Kirche mit. – Nachdem wir die
Grotte verlaſſen hatten, gingen wir zudem mit aufgehäuften Steintrümmern
bezeichneten Orte, wo der Verräther ſeinen Meiſter geküßt haben ſoll,
und die Liebe das mich jederzeit ſo ergreifende Wort geſprochen: „Freund,
wozu biſt du gekommen? Mit einem Kuß verräthſt du des Men-
ſchen Sohn?“ (Matth. 26, 50. Luk. 22, 48.)
53
Wir fanden dieſen Ort von den Türken beſchmutzt. Wem ſollte dies
wohl gelten? Doch dem Judas?! –
Von dem Orte des abſcheulichſten Verrathes, den je die Welt geſehen,
ſtiegen wir die Höhe des Oelberges weiter hinan bis zur Himmelfahrts-
Kapelle, welche auf dem Gipfel an jenem Platz erbaut iſt, wo Chriſtus
40 Tage nach Seiner Auferſtehung vor den Augen Seiner Jünger zum
Himmel aufgefahren iſt.
„Jeſus führte Seine Jünger hinaus gegen Bethanien (welches am
„Fuße des Oelberges liegt), und Er hob Seine Hände auf und ſeg-
„nete ſie, und indem Er ſie ſegnete, ſchied Er von ihnen und fuhr auf
„gegen Himmel.“
Früher ſtand daſelbſt eine bedeutend große, von der heiligen Helena
erbaute Kirche, wie noch deutlich die Säulenüberreſte au der Wand der um
den Umfang der Kirche gezogenen Mauer bezeugen. Die Kapelle ſelbſt iſt
kuppelförmig gebaut und gegenwärtig leer, und wird gewöhnlich nur am
Feſttage der Himmelfahrt Chriſti nach eingeholter türkiſcher Bewil-
ligung von den frommen Vätern kirchlich geſchmückt und zum feierlichen Got-
tesdienſte geöffnet. In der Mitte der Kapelle wird die linke Fußſtapfe
des Erlöſers gezeigt, die ſich, als Er hier vor Seiner Himmelfahrt ſtand, in
den Stein abgedrückt haben ſoll. Unläugbar zeigt bei näherer Betrachtung
der Eindruck die Form der linken Fußſtapfe eines Mannes. Wir ſanken in
frommer Verehrung an dieſer heiligen Stelle auf die Knie und küßten den
Ort, wo der Herr den Augen Seiner Jünger auf immer ſichtbar entſchwand.
In der Nähe der Kapelle ſteht eine Moſchee mit einem Minaret, welche
einige Hütten armer, arabiſcher Dorfbewohner umgeben.
Von der Terraſſe eines an die Himmelfahrtskapelle ſtoßenden Gebäudes
genießt man eine wunderſchöne Fernſicht über das todte Meer und das
angrenzende nackte, arabiſche Felſengebirge, und die herrlichſte Anſicht von
der heiligen Stadt ſelbſt in allen ihren Theilen ſammt ihrer Umgebung. Zu-
nächſt etwas links, wenn man das Geſicht zur Stadt hinwendet, iſt der Platz,
wo zu den Zeiten Jeſu der Flecken Bethphage lag, dahin. Er auf dem
Wege von Bethanien aus dem Hauſe des Lazarus vor Seinem Einzuge in
Jeruſalem. Seine Jünger ſandte, die Eſelin und das Füllen loszubinden und
Ihm zuzuführen. (Matth. 21, 1 u. ſ. w.)
„Als ſie ſich Jeruſalem näherten und gegen Bethphage an den
„Oelberg gekommen waren, ſandte Jeſus zwei Seiner Jünger und
„ſprach zu ihnen: Gehet hin in den Flecken, der vor euch liegt, und
„alsbald werdet ihr eine Eſelin angebunden und ein Füllen bei ihr fin-
„den; machet ſie los und führet ſie zu Mir. Und wenn ench Jemand
„fragen wird, ſo ſprechet: Der Herr bedarf ihrer, und ſogleich wird er
„ſie euch laſſen. Dieſes Alles aber geſchah, damit erfüllet würde, was
„durch den Propheten (Zacharias) iſt geſagt worden, der da ſpricht:
„(9, 9.) „Saget der Tochter Sion (der Stadt Jeruſalem), dein Kö-
„nig kommt zu dir ſanftmüthig, ſitzend auf einer Eſelin und auf dem
„Füllen eines Laſtthieres.“ Die Jünger aber gingen hin und thaten,
„wie ihnen Jeſus befohlen hatte. Und ſie brachten die Eſelin und
„das Füllen, legten ihre Kleider auf dieſelben und ſetzten Ihn dar-
„auf. Sehr Viele aber aus dem Volke breiteten ihre Kleider auf den
„Weg; Andere hieben Zweige von den Bäumen und ſtreuten ſie auf
„den Weg. Das Volk aber, das voranging und nachfolgte, rief und
„ſprach: Hoſanna dem Sohne Davids! Geprieſen ſei, der da kommt
„im Namen des Herrn! Hoſanna in der Höhe!“
Obwohl der Flecken Bethphage als ſolcher gegenwärtig verſchwunden
iſt, ſo ſind doch noch unverkennbare Spuren davon vorhanden.
Ueber Bethphage hinaus liegt der ſogenannte Berg des Aerger-
niſſes, wo König Salomon ſeinen heidniſchen Frauen zu Liebe Götzen-
tempel und Altäre errichten ließ und dadurch dem Volke ein öffentliches
Aergerniß gab. (3. Buch d. Kön. 11, 1–8.)
„Als Salamon ſchon alt war, wurde ſein Herz durch die Weiber
„alſo verkehrt, daß er fremden Göttern nachhing – und er erbaute
„dem Chamos, dem Götzen der Moabiter einen Tempel auf dem
„Berge, der Jeruſalem gegenüber liegt, wie auch dem Mo-
„loch, dem Götzen der Ammoniter; dieſes that er ſeinen fremden
„(heidniſchen) Weibern zu Liebe, die ihren Götzen räucherten und
„opferten.“
Etwas weiter rechts hinüber nahe beim Berge Sion (der gegenwärtig
zum großen Theile außerhalb der Stadt gelegen iſt), ſieht man den Berg
des böſen Rat hes, ſo genannt, weil daſelbſt das Landhaus des Hohen-
prieſters Kaiphas ſtand, der hier die Prieſter, Phariſäer und die Aelteſten
des Volkes um ſich verſammelte und den böſen Rath zum Tode Jeſu gab.
(Matth. 26, 3 u. 4 und Joh. 11, 47–53.)
55
„Da verſammelten ſich die Prieſter und Aelteſten des Volkes in dem
„Hauſe des Hohenprieſters Kaiphas – und hielten Rath, und ſpra-
„chen: Was machen wir? Dieſer Menſch thut viele Zeichen! Wenn
„wir Ihn ſo hinlaſſen, ſo werden Alle an Ihn glauben und es werden
„die Römer kommen und unſer Land und Volk hinwegnehmen. Da
„ſprach Kaiphas zu ihnen: Ihr wiſſet nichts und bedenket nicht, wie
„es beſſer ſei, daß Ein Menſch ſterbe für das Volk, und
„nicht das ganze Geſchlecht zu Grunde gehe. Solches aber
„redete er nicht aus ſich ſelbſt, ſondern weil er desſelbigen Jahres ho-
„her Prieſter war, weiſſagte er, Jeſus werde ſterben für das Volk und
„nicht für das Volk allein, ſondern damit Er die zerſtreuten Kinder
„Gottes in Eins verſammle. Von dem Tage an nun rathſchlagten ſie,
„daß ſie Ihn tödten möchten.“
Und wirklich ſind auf der Spitze dieſes Berges Trümmer eines verfal-
lenen Gebäudes ſichtbar, die man für das Landhaus des Kaiphas ausgibt.
Von den vorzüglichſten Theilen der Stadt ſelbſt erblickt man die
Höhe Sion, auf der die Burg Davids ſtand und die Bundeslade bis
zur Vollendung des Salomoniſchen Tempels blieb – die Höhe Moriah,
wo der Patriarch Abraham ſeinen Sohn Iſaak opfern ſollte (I. Buch Moſes
22,2), und ſpäter der weltberühmte Tempel Salomons ſtand (III. Chro-
nik 3, 1), jetzt aber die große Moſchee des Kalifen Omar ſteht, ein acht-
eckiges prächtiges Gebäude, das mit einer Bleikuppel, an deren Spitze der
Halbmond ſich erhebt, gedeckt und mit Hallen, Bögen, Säulengängen und
andern anſehnlichen Bauwerken umgeben iſt – ferner die Höhe Akra mit
den Ueberreſten des Pallaſtes des Herodes, zu dem Jeſus als Galiläer
gebunden von Pilatus geſendet wurde (Luk. 23, 7.), und endlich die Höhe
des Calvarienhügels mit der dunkelfarbigen Kuppel der heiligen Gra-
beskirche, auf der leider gegenwärtig noch immer nicht das Zeichen des
chriſtlichen Glaubens, das heilige Kreuz, prangen darf. Doch lebe ich
der ſüßen Hoffnung, daß auch für Jeruſalem die Zeit nicht mehr ferne ſeyn
wird, wo der Haldmond dem Kreuze Chriſti weichen, und der ſchöne Spruch
zur Wahrheit werden wird, den ich auf dem mit dem Kreuze gezierten Obe-
lisken auf dem Petersplatze in Rom geleſen habe: „Ecce crux Domini –
fugite partes adversae! Vicit Leo de tribu Juda.“ (Sehet das Kreuz des
Herrn – fliehet ihr feindlichen Mächte! Es hat geſiegt der Löwe aus dem
Stamme Juda).
56
Als wir von der Höhe des Oelberges herabſtiegen, um in die Stadt
zurückzukehren, betraten wir zunächſt den Ort auf einer mäßigen Erhöhung,
von welchem aus Jeſus bei Seinem Einzuge in Jeruſalem die Stadt anſah
und über ſie weinte, weil ſie es nicht erkennen wollte, was ihr zum Frie-
den diente. (Luk. 19, 41–44.)
Als Jeſus nahe hinzukam und die Stadt anſah, weinte Er über ſie
„und ſprach: Wenn du es doch auch anerkenneteſt in dieſen deinen Ta-
„gen, was dir zum Frieden dient. Nun aber iſt es vor deinen Augen
„verborgen. Darum werden Tage über dich kommen, wo deine Feinde
„dich mit einem Walle umgeben, ringsherum einſchließen und von al-
„len Seiten ängſtigen werden. Und ſie werden dich ſammt deinen Kin-
„dern, die in dir ſind, zur Erde werfen und keinen Stein auf dem an-
„dern laſſen, weil du die Zeit deiner Heimſuchung nicht erkannt haſt.“
Von dieſem Punkte aus biethet ſich aber auch wirklich der überraſchendſte
Anblick der Stadt in ihrem ganzen Umfange und in allen ihren Theilen dar.
(Die hier beiliegende Abbildung zeigt die Anſicht der heiligen Stadt von die-
ſer merkwürdigen Stelle aus und zwar – im Vordergrunde ganz nahe
an der Stadtmauer, längſt welcher ſich das Thal Joſaphat hinzieht – er-
hebt ſich die Moſchee Omar's mit der Akſa-Moſchee zur Linken und
den übrigen Nebengebäuden, die zugleich den weitausgedehnten Raum an-
deuten, welchen der alte Salomoniſche Tempel eingenommen hatte. Ungefähr
in der Mitte zwiſchen dieſen beiden Moſcheen zeigen ſich neben einem abge-
ſtumpften Thurm zwei Kuppeln, deren eine über die heilige Grabeskapelle
ſich wölbt, die andere zur Kirche der ſchismatiſchen Griechen gehört, welche in
die heil. Grabeskirche hineingebaut iſt–rechts iſt die Höhe Akra mit dem
Pallaſt des Herodes – im Hintergunde zur Linken endlich erhebt ſich in
dem kaſtellähnlichen Gebäude mit dem Fahnenzeichen die Burg Davids.)
Wir ſtanden ſtille und ein unnennbares Gefühl des tiefſten Schmerzens
überwältigte uns bei dem Rückblicke auf die Weiſſagungen des Herrn über
die heilige Stadt, die wir ſo buchſtäblich eingetroffen ſahen. Hier ſtanden
auch die Jünger des Herrn ſtille und ſprachen, hingeriſſen bei dem Anblicke
der damaligen Herrlichkeit der Stadt und des Tempels mit ſeinen großarti-
gen Vorhöfen und Hallen, in Verwunderung ausbrechend zu Ihm: „Welch'
ein Bau!“ Worauf Jeſus antwortete: „Ja, ſtaunt nur an dieſen
mächtigen Bau; und doch ſage Ich euch, daß kein Stein auf
dem andern dleiden wird.“ (Matth. 24, 1. Mark. 13, 1 und 2.
Luk. 21, 6.)
57
Und ſo iſt es auch geſchehen; das ſchrecklichſte der Gerichte, welche je
der Zorn des gerechten Gottes über eine Stadt verhängte, iſt über die Toch-
ter Sion's ergangen, weil ſie auch den größten Frevel übte, der je auf Erden
iſt begangen worden; Jeruſalem liegt jetzt zertreten unter dem Himmel. Nach
der Ueberlieferung hatte ſich 70 Jahre ſpäter an demſelben Platze, wo Je-
ſus ſtand und weinte, der römiſche Feldher Titus, des Kaiſers Veſpaſia-
nus Sohn, gelagert, und leitete von hier aus die Belagerung der verbre-
cheriſchen Stadt. Jeruſalem ward von ihm der Erde gleich gemacht, ſelbſt
des Tempels wurde, ungeachtet des gegebenen Befehles, nicht geſchont;
nur drei Thürme ſollten noch der Nachwelt ſagen, daß hier die Stadt
geſtanden, welche ſelbſt nach dem Zeugniſſe der heidniſchen Schriftſteller
bei weitem die berühmteſte des ganzen Morgenlandes war. Aber auch
dieſe letzten Ueberreſte fielen bald darnach, damit der göttlichen Prophe-
zeiung gemäß kein Stein auf dem andern bliebe, der nicht zerbrochen würde.
Und als ſpäter der abtrünnige Kaiſer Julian die Weiſſagung des Herrn
durch den Wiederaufbau der Stadt zu Nichte machen wollte, wie ſcheiterten
nicht alle ſeine Verſuche an der Willensmacht des Herrn, der geſagt hatte:
„Himmel und Erde werde vergehen, Meine Worte aber
werden nicht vergehen !“ (Matth. 24, 35.)
Und ſo lag denn das Wort der Prophezeiung genau erfüllet auch
vor unſeren Augen.
Von dieſem Punkte aus konnte man auch ganz unbehindert das ſoge-
nannte goldene Thor ſehen, das vor Alters zum Tempel Salomons führte,
durch welches Chriſtus vom Oelberge herab. Seinen Einzug zum Oſter-
feſte hielt (Matth. 21, 10 u. 12) und wo Petrus und Johann es den
Lahm gebornen im Namen Jeſu heilten. (Apoſtelgeſch. 3, 1–10.)
„Petrus und Johann es gingen hinauf in den Tempel um die
„neunte Stunde, die Stunde des Gebethes, und es war da ein Mann,
„lahm vom Mutterleibe an, den man tragen mußte; und ſie ſetzten ihn
„täglich vor die Thür des Tempels, die genannt wird die ſchöne
„(goldene), daß er um Almoſen bäte diejenigen, welche in den Tempel
„gingen. Da er nun den Petrus und Johannes ſah, als ſie in den
„Tempel gehen wollten, bat er um Almoſen. Petrus aber ſah ihn an
„und ſprach zu ihm: Sieh' her auf uns! Da ſchaute er ſie an, erwar-
„tend etwas von ihnen zu empfangen. Petrus aber ſprach: Silber und
„Gold habe ich nicht; was ich aber habe, gebe ich dir: Im Namen Jeſu
„Chriſti von Nazareth ſteh' auf und wandle. Und bei der rechten Hand
58
„ihn faſſend richtete er ihn auf, und ſogleich wurden ſeine Füße und
„Knöchel gekräftigt und er ſprang auf, ſtand, wandelte und ging mit
„ihnen hinein in den Tempel, wandelte umher und ſprang, und lobte
„Gott. Und es ſah ihn alles Volk, wie er wandelte und Gott lobte;
„und ſie kannten ihn, daß er derjenige wäre, welcher geſeſſen hatte des
„Almoſens wegen an der ſchönen Thüre des Tempels. Und ſie wurden
„voll Staunens und Entſetzens über das, was mit ihm vorgegan-
„gen war.“
Dieſes Thor hatte zwei Oeffnungen, die aber jetzt zugemauert ſind
weil unter den Türken die Sage geht, daß Jeruſalem einſt bei dieſem Thore
von den Chriſten werde eingenommen werden.
Nachdem wir an dieſer merkwürdigen Stelle eine geraume Zeit im
Anblicke der Stadt, die gegenwärtig nur einem Sammelplatze von Gräbern
gleicht, und in der Betrachtung der Wahrheit des göttlichen Wortes und der
Hinfälligkeit der irdiſchen Größe verſunken – verweilet hatten, war die
Mittagsſtunde nahe gekommen und wir beeilten uns, auf den Mahnungsruf
des P. Andreas den Fuß des Oelberges zu erreichen, um nach unſerm Vor-
ſatz den Weg zu verfolgen, den der göttliche Heiland nach Seiner Gefangen-
nehmung von Gethſemani aus über den Bach Cedron bis zum ſogenannten
Miſtthor, durch welches Er in die Stadt hineingeführt wurde, machen
mußte. Auf dem ganzen Weg zitterte mein Herz, und ich kann mir's bis
zur Stunde nicht verzeihen, daß ich meinem inneren Drang nicht folgte,
welcher mich den Weg, den Jeſus, meine Liebe – mit gebundenen Händen
ging, mit bloßen Füßen gehen hieß. Als wir zum Bache Kidron kamen,
zeigte man uns den Eindruck von den Knien und den Ellbogen des
Herrn in den Steinen, als Ihn die Kriegsknechte daſelbſt mit roher Gewalt
niederſtießen. Wohl konnten wir den ganzen Weg, den der Herr in der
Nacht vom Oelberg bis zum Haus des Kaiphas gehen mußte, nicht vollen-
den, weil der größte Theil davon ſeit der Zerſtörung der Stadt und des
Tempels verwüſtet liegt und gegenwärtig mit klafterhohem Schutt bedeckt
und nach einer andern Richtung gezogen iſt. Indeſſen hielten wir den Weg
ſo lange feſt, als er nur möglich war, und ſtiegen auf einem Unwege bis
zum Miſt- oder Waſſerthor hinan. (Erſtere Benennung hat dieſes Thor,
weil durch daſſelbe der Unrath aus der Stadt hinausgeſchafft wurde, letz-
tere daher, weil es zur Quelle Siloah führte, aus welcher ſich die Be-
wohner Jeruſalems den Bedarf des Waſſers ſchöpften.) Da auch dieſes
Thor gegenwärtig zugemauert iſt, ſo mußten wir noch erſt die ſteile Höhe
59
längſt der Stadtmauer herum erklimmen, um durch das offene Sions- oder
Davidsthor in die Stadt ſelbſt einzutreten. Zwiſchen dem Miſt- und
Sionsthore fanden wir in die Stadtmauer ungeheuere Quaderſtücke ein-
geſchoben, welche nur zu deutlich beweiſen, daß ſie noch Ueberreſte der
alten Tempel- und Stadtmauern ſeien. Von dieſer Höhe aus lag
bei der Rückſchau das Thal Joſaphat zu unſern Füßen mit den Grab-
mälern des pflichtvergeſſenen Sohnes Abſalom (welches auf unſerer Ab-
bildung von Jeruſalem in der Tiefe in dem thurmähnlichen Gebäude zu er-
kennen iſt), des gottesfürchtigen Judenkönigs Joſaphat, von welchem das
Thal ſeinen Namen hat, des Propheten Zacharias, den die Juden zwi-
ſchen dem Tempel und dem Altare gemordet hatten (Matth. 23, 35) und
des Apoſtels und Blutzeugen Jakobs des Jüngeren, der als erſter Bi-
ſchof von Jeruſalem daſelbſt von einem hohen Thurm herabgeſtürzt und hier-
auf, weil er nicht ganz todt war, mit Walkerſtangen vollends getödtet wurde.
Im Thale Joſaphat ſahen wir eine faſt unzählbare Menge von läng-
lichen, abgeplatteten und etwas aus der Erde hervorragenden Steinen,
welche die Gräber der in Jeruſalem einheimiſchen Juden bedeckten, weil
dieſe der Meinung ſind, daß im Thale Joſaphat die Auferſtehung der Tod-
ten und das jüngſte Gericht ſtattfinden werde, nach der Weiſſagung des Pro-
pheten Joel (3, 2.), bei dem der Herr ſpricht:
„Alsdann will Ich alle Völker verſammeln und ſie in das Thal Jo-
„ſaphat führen; daſelbſt will Ich mit ihnen wegen meines Volkes
„und meines Erbtheils Iſrael rechten.“
Aus derſelben Urſache ſiedeln ſich auch viele alte, glaubenstreue Juden
ſelbſt aus den entfernteſten Gegenden in Jeruſalem an, um nach ihrem Tode
im Thale Joſaphat beerdigt zu werden. Indeſſen ſind die überhängenden
Felſenwände, ſo wie die Umgebungen der ſteinigen Berge überall voll von
Begräbnißhöhlen und Todtengrüften, die dieſes Thal allenthalben mit Gra-
besſchauern umdüſtern und bei der tiefen Einſamkeit, die hier immer herrſcht,
zu einem wahren Todesthale machen.
Als wir durch das Sionsthor traten, fielen uns mehrere, nahe an
einander liegende niedrige und elende Lehmhütten auf; man bezeichnete ſie
uns als die Wohnungen jener Unglücklichen, welche in der heil. Schrift unter
dem Namen der Ausſätzigen vorkommen und von jedem Verkehr mit den
übrigen Bewohnern abgeſondert leben müſſen. Wir begegneten auch öfter bei
den Stadtthoren derlei Unglücklichen – wahren Schreckensgeſtalten, die im-
60
mer in einiger Entfernung von uns um Almoſen bettelten, und entweder
hölzerne Gefäße uns entgegenhielten oder ihre vom böſen Ausſatze zernag-
ten, mitunter halbfingerloſen Hände uns entgegenſtreckten, um das, was
ihnen die mitleidige Nächſtenliebe ſchenken wollte, zu empfangen. Ich konnte
den Entſetzen erregenden Eindruck, den der Anblick dieſer Zerr- und Jam-
merbilder der menſchlichen Geſellſchaft auf mich machte, lange nicht aus
meiner Seele tilgen.
Als wir heimgekommen waren, fanden wir bereits den Tiſch gedeckt,
und wir beeilten uns, das uns vorgeſetzte Mittagmahl zu uns zu nehmen;
denn Nachmittags um 2 Uhr wollten wir die via dolorosa, d. i.
den Schmerzens- oder Kreuzweg
gehen, der uns in die Kirche des heiligen Grabes führen ſollte, um daſelbſt
die Stationen zu vollenden und um 4 Uhr der feierlichen Prozeſſion,
welche täglich von den ehrwürdigen Vätern des heiligen Landes zu den vor-
züglichſten Sanktuarien (heiligen Stätten) der Grabeskirche abgehalten wird,
beizuwohnen. Der äußerſt liebenswürdige P. Wolfgang aus Tirol und ſein
gleichgeſinnter Landsmann P. Eduard trugen ſich an, uns auf dem Leidens-
wege unſers Herrn, der in ſeiner Länge etwa 1000 Schritte betragen
mag, zu begleiten. Derſelbe nimmt ſeinen Anfang bei dem Richthauſe des
Pilatus, welches gegenwärtig in eine türkiſche Kaſerne umgewandelt iſt,
und welchem gegenüber auf der andern Seite der Straße die Geißlungs-
kapelle liegt, von der heiligen Helena, der Mutter Konſtantin des Gro-
ßen, des erſten chriſtlichen Kaiſers, an demſelben Ort erbaut, wo Chriſti un-
ſchuldiges Blut unter den gewaltigen Streichen roher Kriegsknechte floß.
Dieſe Kapelle iſt ein altes, rundes, ſteinernes thurmartiges Kuppelgebäude,
das bisher immer im Beſitze der Türken war und von denſelben in einen
Pferdeſtall umgewandelt wurde. Se. königliche Hoheit Herzog Max in
Baiern, der erlauchte Vater unſerer gegenwärtigen Kaiſerin, brachte ſie
aber, als er im Jahre 1838 auf ſeiner Reiſe in das Morgenland Jeruſalem
beſuchte, um eine bedeutende Geldſumme käuflich an ſich, und ließ auf ſeine
Koſten den daſelbſt vorgefundenen Schutt wegräumen und ſie zum heiligen
Gebrauche wiederherſtellen. Nach Hinwegräumung des Schuttes fand man
in dem Boden eine herrliche Moſaikplatte eingelegt mit einer kreisförmigen,
etwas vertieften Oeffnung und der lateiniſchen Inſchrift (Pſalm 72, 14):
„Fuiflagellatus tota die et castigatio mea in matutinis“. (Ich bin den gan-
zen Tag über mit Geißeln geſchlagen und in den Morgenſtunden gezüchtiget
worden.) Ein Theil der Säule ſelbſt, an welcher Jeſus bei der Geißlung
61
feſtgebunden war, befindet ſich in der heil. Grabeskirche, der andere Theil
wird in der Kirche der heil. Praxedis zu Rom aufbewahrt. Und als man
das Maß jenes Säulenſtückes mit dem Umfange der aufgefundenen Oeff-
nung verglich, fand man beide vollkommen übereinſtimmend und gewann da-
durch die Ueberzeugung, daß eben in dieſer Oeffnung die Geißlungsſäule
eingeſenket ſtand. Wir waren ſpäter ſo glücklich, an dieſem Orte die heil.
Meſſe leſen zu dürfen.
Die Krönung mit den Dornen geſchah in dem eigentlichen Richt-
hauſe des Pilatus, als deren Ort man uns einen ſehr elenden, unſaubern
Winkel zeigte. Der ſteinerne Schandblock, auf welchem der Heiland
bei der Krönung ſaß, wird in der heil. Grabeskirche in einer eigenen Ka-
pelle aufbewahrt; die Dornenkrone, die Chriſtus getragen, ſoll der heil.
Ludwig, König von Frankreich, den Griechen, in deren Beſitz ſie war, um
ein ſchweres Geld abgekauft und in der Kirche Notre Dame (zu unſerer lie-
ben Frau) in Paris hinterlegt haben. Auch ſoll noch gegenwärtig auf dem
Berge Sion eine Art von Dornen zu finden ſeyn, aus welchen die Leidens-
krone des Herrn geflochten war. In geringer Entfernung, etwa am Ende
der ehemaligen Richthauſes, zeigt man die Ueberreſte des Bogenganges,
unter welchen Pilatus Jeſum herausführte und Ihn dem unten verſammelten
Volke mit den Worten vorſtellte: „Ecce homo!“ (Sehet, welch ein Menſch.)
Am Fuße des Richthauſes, etwa in der Mitte deſſelben iſt noch deutlich der
Platz zu erkennen, wo die ſogenannte heilige Stiege (Scala santa) war,
auf welcher Chriſtus während der Gerichtsverhandlung auf- und abgeführt
wurde. (Dieſelbe Stiege wurde auf Befehl des Kaiſers Konſtantin abgebro-
chen und nach Rom gebracht, wo ſie ſich noch gegenwärtig in einem eigenen
Gebäude neben der berühmten Lateranenſiſchen Kirche befindet. Ueber ihre
mit Brettern bedeckten ſteinernen Stufen pflegen die frommen Pilger auf
den Knien mühſam hinanzuklimmen.)
An dieſem Orte iſt auch gegenwärtig die erſte und zweite Station
zugleich, nämlich die der Verurtheilung und der Kreuzaufſichnahme.
Wir betheten hier, wie bei den übrigen Stationen ein „Vater unſer“ und
„Ave Maria“ mit „Ehre ſei Gott dem Vater“ entblößten Hanptes. Gerne
wären wir an dieſen geheiligten Orten auf unſere Knie geſunken; allein P.
Wolfgang widerrieth es uns, um ja nicht, wie er ſagte, den Fanatismus der
Türken, deren Kinder ſelbſt gleich mit Steinen nach den frommen Pilgern
werfen, zu reizen. Weiterhin an der Straßenbiegung bezeichnete man uns
die dritte Station, wo unſer liebreicher Heiland zum erſten Male un-
ter dem Kreuze fiel; daſelbſt liegen zwei Säulenſtücke auf dem Boden,
62
die aus der Zeit der heil, Helena herſtammen, welche fromme Frau alle
Stationen mit kleinen Kuppeln, von Säulen getragen, bezeichnen ließ. Un-
gefähr 20 Schritte davon iſt die vierte Station, wo Jeſus Seiner
heiligen Mutter begegnete, welche gehemmt von der dicht gedrängten
Volksmaſſe, die dem Kreuzzug folgte, durch eine kleine Seitengaſſe, wie ſie
noch heut zu Tage beſteht, den Weg vom Richthauſe abkürzte, um mit Ihrem
göttlichen Sohne zuſammen zu treffen. Die Straße bildet wieder einen
Winkel, und beginnt etwas bergan zu laufen – da iſt gleich Anfangs die
fünfte Station, wo Simon von Cyrene Jeſu das Kreuz nachtragen
half. Dieſen Ort bezeichnet ein Stein mit einem Eindrucke eingemauert,
welcher leider von den fanatiſchen Türken früher öfter darum beſpien wurde
weil ſie ſahen, daß die frommen Pilger dieſe Stelle andächtig zu küſſen pfleg-
ten. Dann hielten wir die ſechſte Station beim Hauſe der Veronika,
wo man noch die Thüre zeigt, aus der ſie trat, und einige Stufen, welche
von der Thüre auf die Straße führen. Wunderbar ſprach mich dies Plätz-
chen an und hielt mich jedesmal, wenn ich vorüberging, auf einige Augen-
blicke feſt. Nun hätte wohl der eigentliche Weg zur ſiebenten Station
geführt – allein, da die gerade Straße nach Golgotha gegenwärtig ganz
verbaut und mit Häuſern von Muhamedanern beſetzt iſt, ſo hielten wir zu-
erſt die achte Station beim ehemaligen Stadtthore, welches das Gerichts-
thor hieß, wo die weinenden Frauen zu Jeſu kamen, und Er die denk-
würdigen Worte ſprach: „Weinet nicht über Mich, ſondern über
euch und eure Kinder.“ (Luk. 28, 27–28.) Noch gegenwärtig ſteht
daſelbſt eine alte Säule aufgerichtet, die uns den Platz bezeichnete, wo
nach der Gewohnheit der damaligen Zeit den Verbrechern das Todesurtheil
noch einmal öffentlich verkündigt wurde. Erſt jetzt wandten wir uns zur
ſiebenten Station, welche durch eine noch aufrecht ſtehende und eine
umgeworfene Säule bezeichnet wird. Hier fiel der Herr zum zweiten
Male unter dem Kreuze. Dieſe Station war zu der Zeit Jeſu Chriſti, wie
gegenwärtig, noch innerhalb der Stadt, während die neunte Sta-
tion mit dem dritten Kreuzfall des Herrn ſchon außer die Stadt fiel,
weil Jeruſalem damals einen von Jetzt ganz verſchiedenen Umfang hatte, und
der Calvarienberg nach der Erzählung der heil. Schrift außerhalb der Stadt
gelegen kam. (Joh. 19, 16–17.)
„Sie nahmen Jeſum und führten Ihn hinaus, und Er trug Sein
„Kreuz und ging hinaus zur Schädelſtätte, auf hebräiſch „Golgotha.“
63
Die zehnte bis zur vierzehnten Station fallen gegenwärtig in
dke heil. Grabeskirche ſelbſt, welche den Calvarienberg und das h. Grab, alſo
auch die fünf Stationen nämlich die Entkleidung, die Anheftung an's
Kreuz, die Kreuzaufrichtung und die Grablegung in ſich ſchließt.
Und wir hatten eben den heil. Grabesdom betreten, als die Stunde ſchlug-
welche den guten P. Wolfgang, der uns auf dem Schmerzensweg begleitete,
abrief, um mit ſeinen Ordensbrüdern, die das heil. Grab bewachten, die
gewöhnliche Prozeſſion zu allen Sanktuarien zu halten. Man reichte
uns brennende Kerzen mit dem Siegel des heil. Landes bezeichnet und be-
ſondere Andacht - Büchel mit den entſprechenden Geſängen und Gebethen
zu den heil. Stätten – und gab uns zu verſtehen, uns dem feierlichen Um-
zug anzuſchließen, was wir auch mit der größten Freude thaten.
Die Prozeſſion begann mit der Anbethung des Allerheiligſten in der
Chorkapelle des allerheiligſten Sakramentes, ging dann zur Geißlungs-
ſäule – ferner zu dem Ort (Carcere d. i. Kerker genannt, eine Art von
Felſenloch), wo Chriſtus während der Vorbereitung zur Kreuzigung auf-
bewahrt wurde – dann zu dem Orte, wo die Soldaten die Kleider
unter ſich get heilt haben und von hier zur Kapelle der heil. Helena,
wo die fromme Kaiſerin bethete, während das heil. Kreuz aufgeſucht wurde,
und zu dem daranſtoßenden, ſehr tief gelegenen Orte (einer Art von Ciſterne
oder Brunnen), wo endlich nach Hinwegräumung des Schuttes das heil.
Kreuz aufgefunden und durch die wunderbare Heilung einer kranken
Frau, die man die drei aufgefundenen Kreuze berühren ließ, als das echte
Kreuz Chriſti erkannt wurde (daſelbſt wird auch eine ſchmale Fenſteröffnung
in der Mauerwand gezeigt, wo die Kaiſerin den Arbeitern beim Nachgraben
zugeſehen haben ſoll) – ferner zu dem Stein der Schmach, aus grauem
Marmor, auf welchem der Herr angeſpien und verhöhnt wurde vor der
Kreuzigung, und wo ſich ſolche Dornen befinden ſollen, aus denen die Dor-
nenkrone Chriſti gewunden war – von hier zur Kapelle des heil. Lon-
ginus, des heidniſchen Hauptmannes, der beim Kreuze die Wache hielt, als
Jeſus ſtarb, und ihn als Gottes Sohn bekannte, ſpäter Chriſt wurde und
den Martyrertod für den Herrn erlitt – dann über ach zehn ſehr hohe und
breite Mamorſtufen auf den Calvarienberg ſelbſt, zu dem Orte der
Kreuzanheftung, der Kreuz aufrichtung und zu dem Orte zwiſchen
dieſen beiden, wo Maria den Leichnam Jeſu uach der Abnahme vom
Kreuz in ihrem Schooße hielt – vom Calvarienberg herab zu dem Orte,
wo der Leichnam des Herrn geſalbet wurde und zum heil. Grabe –
ferner zu dem Orte, wo Jeſus der trauernden Magdalena erſchien und
64
Sich ihr mit dem ſüßen Klange Seiner Stimme zu erkennen gab – endlich
zur Chorkapelle zurück, wo der auferſtandene Heiland Seine tiefbetrübte
heilige Mutter mit dem freudigſten Wiederſehen beglückte.
Eben ſo freudig waren wir überraſcht, als wir hier die U eberreſte
unſerer Kerzen zurückſtellen wollten, und man uns bedeutete, daß wir ſie als
unſer Eigenthum betrachten und als theuere Erinnerungszeichen an die
größten Heiligthümer in die Heimat mit uns nehmen durften. -
Nach dieſer Prozeſſion, die bis 6 Uhr Abends dauerte, wurde das Thor
zur heil. Grabeskirche geſchloſſen und wir blieben abſichtlich darin zurück,
um durch die Nacht unſerer Andacht an den heil. Stätten ungeſtört obliegen
zu können. P. Wolfgang wurde mit uns eingeſchloſſen; denn derſelbe hatte
mit mehreren ſeiner Ordensbrüder nach der beſtehenden Gewohnheit für eine
beſtimmte Zeit in dem im Nebenraume der heil. Grabeskirche beſindlichen
kleinen Klöſterchen, welches weder Ein- noch Ausgang auf die offene
Gaſſe hat (die Speiſen werden ihnen durch einen von außen nach innen an-
gebrachten Schieber zugemittelt,) ſeine Wohnung aufgeſchlagen, um Tag und
Nacht die Sanktuarien des Herrn zu bewachen und die vorgeſchriebenen An-
dachtsübungen bei denſelben zu verrichten.
Die ehrwürdigen Söhne des heil. Franziskus, aus allen Ländern Euro-
pa's in Jeruſalem und den andern wichtigen und merkwürdigen Orten des
heil. Landes unter einem allgemeinen oberſten Vorſteher, der auch insbeſon-
ders den Titel Cuſtos d. i. Wächter des heil. Landes führt, in verſchiedenen
Klöſtern verſammelt, haben als Wächter der ehrwürdigſten Stätten des Glau-
bens die heilige Aufgabe oder Miſſion, nicht nur die frommen Pilger, die aus
der Ferne nach dem heil. Lande pilgern, freundlich aufzunehmen, ſondern auch
ſowohl in ihnen, als auch in den katholiſchen Bewohnern des Morgenlandes
die Flamme des Glaubens und der Liebe anzufachen und zu nähren, und ſo
dem Chriſtenthume dort, wo es ſeinen ſegenbringenden Anfang hatte, auch
eine bleibende Stätte zu ſicherns. Da darf es denn auch nicht an
deutſchen Prieſtern fehlen; und darum beſteht auch die deutſche
Miſſion aus Oeſterreich im heil. Lande aus mehreren Franziskaner-
Ordens-Prieſtern, die früher auf drei– und in der neueren Zeit auf ſechs
Jahre ſich verpflichten, ſich dem geiſtlichen Dienſte an den verſchiedenen
merkwürdigen Stätten des heil. Landes zu unterziehen und während ihres
Aufenthaltes daſelbſt wenigſtens Einmal durch drei Monate die Wache
im heil. Gradesdome zu halten. Wir fanden als deutſche Miſſions-Prieſter
aus unſerm Oeſterreich nebſt dem ehrw. P. Wolfgang, der eben die Wache
hatte, den ehrw. P. Eduard als Guardian auf Cypern und den ehrw. P.
65
Andreas, der die Druckerei mit mehreren Preſſen zur Verbreitung guter
Andachts- und Erzählungsbücher in arabiſcher Sprache im Kloſter zum aller-
heiligſten Erlöſer in Jeruſalem mit ausgezeichnetem Erfolg beſorget.
Die beiden erſteren hatten ihre Miſſionszeit bereits vollendet und durf-
ten in ihre Heimat zurückkehren, zu welcher Rückkehr ich eben auch die nö-
thige Geldſumme aus den Händen des hochw. Herrn Generalſekretärs des
heil. Landes in Wien für ſie empfangen hatte. P. Andreas muß noch durch
einige Jahre bleiben, ſo wie P. Petrus in Alexandrien – und zwar beide
zum Heile für die gute Sache unſers Glaubens. Iſt nun überhaupt ſchon
die Lage eines Miſſionärs im heil. Lande nicht gar günſtig, da er tauſend
Opfer bringen muß, ſo iſt doch der dreimonatliche Aufenthalt in der
heil. Grabeskirche zu allermeiſt beſchwerlich, da das eingemauerte Klöſterlein,
in ſchmale niedere Zellen abgetheilt, im höchſten Grade feucht und ungeſund
und darüber ein Pferdeſtall der Türken iſt, ſo daß das Wiehern der
Roſſe und ihr Stampfen mit den Füßen gar oft den kurzen Schlaf der ar-
men Väter ſtört. Doch nehmen die ehrwürdigen Väter mit opferwilliger
Freudigkeit die Uebel alle hin aus Liebe zu dem Herrn, der hier in Sejner
unermeſſenen Liebe der Opfer größtes hat vollbracht. Und ſo ſprach ſich
auch P. Wolfgang auf unſer Bedauern über die mannigfachen Beſchwerden
ſeiner Lage ganz zufrieden mit derſelben aus und meinte, er ruhe denn doch
ſanfter noch und weicher, als der Herr auf Golgotha am Holz des Kreuzes hing.
Nachdem durch die Schließung der heil. Grabeskirche eine heilige Stille
ringsum eingetretten war, und nur mehrere vereinzelte Lampen die weiten
Räume des geheimnißreichen Domes mit ihrem düſteren Lichte matt erleuch-
teten, geleitete uns P. Wolfgang auf unſer Bitten noch einmal insbeſonders
zu allen Sanktuarien und fügte überal mit beredtem Munde die erforderliche
Erklärung hinzu, und hielt zuletzt am heiligen Calvarienberge eine wahrhaft
herzliche und rührende Anſprache an unſere Pilgerſchaar, ſo daß aus
Aller Augen reichlich Thränen floſſen, die als Liebesgabe auf die heilige
Erde niederträufelten, welche vor 1800 Jahren das Blut des Heiligſten
befeuchtete. Unter Andern verweilte P. Wolfgang während dieſes Umgan-
ges bei der Geißlungsſäule etwas länger, berührte mit einem Stabe
durch ein Gitter die Säule ſelbſt und reichte uns den Stab zum Küſſen dar;
ferner machte er uns auch auf dem Calvarienberge auf eine weite vergitterte
Fenſteröffnung an der Wand zur rechten Seite aufmerkſam, durch die man
in die ſogenannte ſchmerzhafte Kapelle ſieht, die ausſchließlich den Ka-
tholiken gehört, und zu der der Aufgang über mehrere Stufen von dem äuße-
ren Vorplatze führt.
Reiſebeſchreibung. 5
66
Dieſe Kapelle iſt an eben dem Orte erbaut, wo während der Kreuzan-
heftung des Heilandes Seine gebenedeite Mutter und die frommen Frauen
im tiefſten Schmerz verſunken ſtanden. – An dem Orte, wo das Kreuz
des Herrn geſtanden, wie die Abbildung zeigt,
T
durften wir die Hand in die Oeffnung legen und den Fels betaſten, in
deſſen Tiefe das heilige Kreuzesholz eingeſenket war; auch konnten wir einen
Theil der Marmorverkleidung wegnehmen und bei Beleuchtung mit einem
hineingehaltenen Kerzenlichte deutlich die breite und tiefe Spalte ſehen,
die beim Tode Chriſti durch das Erdbeben von Oben bis Unten im Felſen
ſich gebildet hatte (Math. 27, 51). Vom Calvarienberge herab gingen wir
zum Stein der Salbung, der mit einer 8 Fuß langen und 2 Fuß brei-
ten Tafel von röthlichem Marmor überkleidet iſt. An den vier Enden des-
ſelben ſind große metallene Kandelaber aufgeſtellt und brennen dabei 10 Lam-
pen von Silder. Beim Hingange zum heil. Grabe zeigte uns P. Wolfgang
nicht weit vom Saldungsſtein den Platz mit einem Gitter umgeben und
einer Lampe erleuchtet, wo nach der Erzählung der Griechen die frommen
Frauen ſtille ſtanden, als ſie am erſten Tage nach dem Sabbath früh
dei Sonnenaufgang zum Grade gingen, um den Leid des Herrn noch einmal zu
67
ſalben, und zu einander ſprachen: „Wer wird uns wohl den Stein
von dem Eingange hinweg wälzen? (Markus 16, 2–3.) Den
Schluß unſers beſonderen Umzuges in der heiligen Grabeskirche machte
die heilige Grabkapelle, von der hier eine getreue Abildung
vorliegt,
Die heilige Grabkapelle, welche über dem heiligem Grabe in der
ſogenannten Rotonda der Grabkirche unter einer mächtigen Kuppel aus weiß-
gelbem Marmor in ſchönem Style erbaut, mit einem zierlichen Thürmchen
nach morgenländiſcher Manier und von Außen mit einem Gemälde, die Auf-
erſtehung des Herrn darſtellend, unmittelbar über dem Eingange und mit
unzähligen Lampen an der Hauptfronte, die zur einen Hälfte den Lateinern,
zur andern den Griechen gehören, geſchmückt iſt, beſteht aus der eigentlichen
5 :
68
Grabkapelle ſelbſt, welche das heil. Grab umſchließt, und aus einer kleinen
Vorkapelle, Engelskapelle genannt, weil an dieſem Orte nach der Auf-
erſtehung des Herrn die frommen Frauen den Engel auf dem weggewälzten
Eingangsſteine ſitzen ſahen (Mark. 16, 5). Auch iſt in der Mitte dieſer
Engelskapelle, in welche aus der heil. Grabeskirche eine bequeme Eingangs-
öffnung führt, ein Stück dieſes Steines in der Form eines kleinen Ti-
ſches aufbewahrt. Den größeren Theil ſelbſt ſollen die griechiſchen Kaiſer
nach Konſtantinopel haben bringen laſſen wollen; aber das Schiff, das ihn
führte, ging auf der Fahrt zu Grunde, und derſelbe liegt nun im tiefſten
Meeresgrunde für immer begraben. Von der Engelskapelle, wo 15 Lam-
pen von Gold und Silber immer brennend erhalten werden, führt eine
enge und niedere Pforte, wie ſie urſprünglich war, in das Innere
des heiligen Grabes ſelbſt, ſo daß man nur gebückt eintreten kann.
Auch iſt, da das Grabgewölbe nur 6 Fuß Länge und Tiefe und bei 8 Fuß
Höhe mißt, der Raum darin ſo enge, daß höchſtens 3–4 Bether zugleich
darin knien und während der heil. Meſſe nur der Prieſter und Miniſtrant
ſich darin bewegen können.
Das heilige Grab ſelbſt, darin der Leichnam unſers Herrn und
Heilands lag, befindet ſich in der Form eines mit koſtbaren Leuchtern und im-
mer friſchen Blumen geſchmückten Altars an der rechten Seite des Grab-
gewölbes, das mit 43 goldenen und ſilbernen Lampen ununterbrochen reich
beleuchtet iſt, von welchen Lampen ein Theil den Lateinern, und der andere
den getrennten Griechen gehört, die auch zu verſchiedenen Stunden des
Tages und der Nacht die Reinigung derſelben und ihre Füllung beſorgen.
Ueber dieſem Grabaltar erheben ſich in Einer Reihe drei Gemälde,
darſtellend die Auferſtehung des Herrn nach den drei vorzüglichſten Religions-
partheien in Jeruſalem, nämlich der Lateiner, Griechen und Armenier, die
ſich in den Beſitz des heil. Grabes theilen. Das eigentliche Grab Chriſti
iſt mit einer weißen Marmorplatte bedeckt, die ich aber in der Mitte
entzwei geſprungen fand. Als ich um die Urſache dieſes Sprunges fragte,
erzählte mir P. Wolfgang, daß ein Paſcha von Jeruſalem einmal das Ver-
langen trug, dieſe ſchöne, damals noch unbeſchädigt vorhandene Marmor-
platte zu beſitzen, um als Tiſchplatte in ſeinem Pallaſte ſie zu verwenden,
und da man ſie ihm nicht freiwillig auslieferte, ſeine Soldaten mit Gewalt
ſie hinwegnehmen hieß; ehe dieſelben aber kamen, ließ der damalige Cuſtos
des heiligen Landes, P. Bonifacius von Raguſa, die Platte in 2 Theile zer-
ſchlagen, um ſie wenigſtens in dieſem Zuſtande zu erhalten und vor Ent-
weihung zu bewahren.
69
Das Innere des heil. Grabes..
Um uns aber von der eigentlichen Geſtalt und Beſchaffenheit der in
Felſen gehauenen Gräber jener Zeit einen vollkommenen Begriff zu verſchaf-
fen, zeigte uns P. Wolfgang in nicht großer Entfernung von dem heiligen
Grabe die nackte Grabſtätte, welche ſich Joſeph von Arimathäa, nachdem er
dem Herrn das für ſich ſelbſt beſtimmte Grab abgetreten hatte, auf ein
Neues für ſich bereiten ließ. Auch hier war die Eingangspforte ſchmal und
niedrig, ſo daß wir nur einzeln eintreten konnten, und auch der innere Raum,
wenn gleich ſo hoch, daß wir aufrecht darin ſtehen konnten, war doch ſo enge,
daß zu gleicher Zeit nur drei aus uns darin verweilen konnten. Dieſer in-
nere Raum ſchien als Vorhalle des eigentlichen Grabes gegolten zu ha-
ben, da wir erſt von hier aus mehrere Oeffnungen von Mannes-Tiefe und
entſprechender Breite mit faſt regelmäßigen Vierecken in die Felſenwand ein-
gehauen fanden, in welche die in Leinentücher eiugewickelten Leichname hinein-
geſchoben wurden, ſo daß etwa nur die unteren Theile der Füße herausſa-
hen. Hiedurch wird es auch verſtändlich, was die heilige Schrift von den
70
frommen Frauen erzählt, die am erſten Tage nach dem Sabbath zum
Grabe gingen, um den Herrn noch einmal zu ſalben. Sie würden näm-
lich dieſe Salbung, wenn ſie ungehindert in die Vorhalle des Grabes Chriſti
hätten eintreten können, nur an Seinen Füßen vorgenommen haben, da
der übrige Leichnam ſelbſt in die tiefere Felſenöffnung eingeſchloſſen war.
Eben ſo, wenn es Jemanden bedenklich erſchiene, wie es möglich war,
daß der Calvarienberg und das heil. Grab in einem und demſelben Kir-
chenraum eingeſchloſſen wurden, ſchwindet dieſes Bedenken allſogleich, wenn
man erwägt, daß der Calvarienfels oder die Schädelſtätte, wo die
Kreuzigung vor ſich ging, eine Erhöhung iſt, die etwa 4–5 Klafter be-
tragen kann, ein erhabener Felsblock, der auch in der heil. Schrift nir-
gends ein eigentlicher Berg genannt wird, und daß der Weg von dem
Calvarienhügel bis zur heil. Grabesſtätte etwa 80–100 Schritte meſſe,
was mit den Worten der Bibel im vollkommenſten Einklange ſteht, allwo
es heißt: (Joh. 19, 41): Es war eben an demſelben Orte, wo
ſie Ihn gekreuziget hatten, ein Garten und in dem Garten
ein Grab, in welches noch Niemand war gelegt worden; da
legten ſie Jeſum hin.
Nach der Beſichtigung des heil. Grabes führte uns P. Wolfgang in
die Sakriſtei uud zeigte uns daſelbſt das Schwert und die Sporen
Gottfrieds von Bouillon, des Befreiers von Jeruſalem, und deſſen
Kreuz aus Metall mit Granaten verziert, an einer langen metallenen Kette
hängend. (Es beſteht dieſes Kreuz, wie die beigefügte Abbildung zeigt,
aus Einem großen und vier kleineren Kreuzen zur ſinnbildlichen Darſtel-
lung der fünf Wunden Chriſti.) Mit dem Schwert geſchieht der feierliche
Ritterſchlag der Ordensritter des heil. Grabes auf Haupt und Achſel, mit
den Sporen und dem Kreuze werden dieſelben an den Füßen und auf der
Bruſt geziert. Den Orden des heil. Grabes ſtiftete ſchon Gottfried von
71
Bouillon im Jahre 1099 oder doch ſein Bruder Balduin, der erſte
chriſtliche König von Jeruſalem. Den Ritterſchlag gab bisher der Cuſtos des
heil. Landes oder P. Guardian der ehrwürdigen Franziskaner in Jeruſalem;
in der neueſten Zeit wurde dieſes Vorrecht vom Pabſte auf den Patriarchen
von Jeruſalem übertragen und die Ordensritter ſelber ſtreng verpflichtet,
die gegenwärtigen Heiligthümer der Lateiner zu beſchützen, und die ihnen un-
rechtmäßiger Weiſe entriſſenen Rechte wieder zu erkämpfen.
Leider konnten wir von den herrlichen und ehrwürdigen Monu-
menten Gottfrieds von Bouillon und ſeines Bruders Balduin auch nicht
eine Spur entdecken. Als im Jahre 1808 die heil. Grabeskirche ein Raub
der Flammen war geworden, bauten die Griechen mit ungeheuren Summen
dieſelbe wieder auf, und bei dieſem Wiederaufbau verſchwanden dieſe Denk-
mäler, welche ſelbſt noch nach dem Brande zu ſehen, aber da ſie die Ge-
beine katholiſcher Helden in ſich ſchloſſen, den Griechen ein Dorn im
Auge waren.
Die Nacht im heiligen Grabesdome.
Nachdem wir nun ſo gemeinſchaftlich die Sanktuarien der heil. Grabes-
kirche beſucht und ein Herz ſich an des andern Herzens Gluth entzündet hatte,
zog ſich P. Wolfgang in ſeine Zelle zurück, und jeder einzelne von uns folgte
dem eigenen Zuge ſeines Herzens und ging von Stätte zu Stätte – ſein
Innerſtes aus ganzer Fülle in ſtiller Andacht ergießend und die eigenthüm-
lichen tiefverborgenen, heiligen Regungen des empfindungsreichen Gemüthes
an den verſchiedenen geheimnißvollen Stellen des heil. Grabesdomes nie-
derlegend. Ich vergaß keines meiner Lieben – kein Schäflein meiner mir
von Gott vertrauten Heerde! Es war in dieſer Nacht voll heiligen Schauers
kein Ort in der Grabeskirche, bei welchem nicht aus jeder chriſtlichen Seele
unſerer Pilgerſchaft fromme Seufzer auf zum Himmel ſtiegen, die bei der
lautloſen Stille durch den weiten Raum im zehnfachen Echo hörbar wurden,
und die bewegten Saiten eines jeden Gemüthes zum heiligen Akkorde ſtimm-
ten. Die vorzüglichſten Stätten, als der Ort der Kreuzigung und das heil.
Grab waren im eigentlichen Sinne des Wortes mit einer Fluth von Thrä-
nen übergoſſen. – Vor 12 Uhr Mitternacht ertönte eine Glocke iu
dem heiligen Raume – ſie rief die ehrwürdigen Väter in den Chor zur
Mette; wir ſchloſſen uns an ſie, von dem wunderbaren Klange mächtig an-
gezogen und begeiſtert, während die Griechen, die keine Glocken haben, beim
Stundenruf zum Gottesdienſte an ein langes freihangendes Brett oder an .
eine Metallſtange mit einem Stabe oder Hammer ſchagen, was auf uns einen
72
äußerſt widerlichen Eindruck machte. Um 4 Uhr Morgens, es war am 4.
April am Mittwoch in der Charwoche, laſen mehrere Prieſter von uns
die heilige Meſſe am heiligen Grabe ſelbſt, unter denen auch ich ſo glück-
lich war, um halb 5 Uhr im prieſterlichen Gewande in das Heiligthum
der Auferſtehung zu treten und das heiligſte der Opfer darzubringen, das
den ſchönſten Schluß zur übernächtigen Andacht bildete und die Krone
war zum heiligen Werke der Nacht. Mein Miniſtrant war der 19jährige
Fürſt Zeil aus Würtemberg, der jüngſte unſerer Pilger; wir werden
beide dieſe Opferfeier nie vergeſſen. Um 6 Uhr wurde dann die heilige
Grabeskirche geöffnet und wir entlaſſen.
Die vier letzten Tage in der Charwoche.
Den Tag über verwendeten wir zum Einkaufe von Roſenkränzen, Kreu-
zen und Bildern von Perlmutter, die wir als Erinnerungszeichen für die
Unſrigen aus dem heiligen Lande mitzunehmen Willens waren, zu billigen
Preiſen in der ſchönſten Auswahl im Franziskanerkloſter des Allerheiligſten
Erlöſers. Nachmittags um 3 Uhr wohnten wir der feierlichen Pumper-
mette in der Grabeskirche in Gegenwart des Hochwürdigſten Herrn Pa-
triarchen und Erzbiſchofs Joſeph Valerga bei und bedauerten nur,
daß gegen den ſchönen und ergreifenden Vortrag der Lamentazionen (Klage-
lieder des Propheten Jeremias) durch männliche Stimmen der Wechſelge-
ſang der Chorknaben, der in einem ohrenzerreißenden Geſchrei beſtand, gar
ſo widerlich abſtach. Abends bereiteten wir uns auf die heilige Beichte
vor, die wir theils an dieſem Abende ſelbſt, theils am darauffolgenden Don-
nerſtag, d. i. am Gründonnerſtag früh verrichteten.
Am Gründonnerſtag ſelbſt wohnten wir alle dem Hochamte bei,
unter welchem auch zugleich die Weihe der heiligen Oele mit Zuziehung der
fremden Pilgerprieſter aus Oeſterreich und Frankreich ſtattfand, und empfin-
gen aus der Hand des katholiſchen Patriarchen das heilige Abendmahl
bei dem vor dem heil. Grabe aufgerichteten Altare. Leider kann die feierliche
Ausſpendung des Allerheiligſten Altarsſakramentes nicht an dem
durch die Einſetzung ſelbſt beſonders geheiligten Orte auf dem Berge
Sion geſchehen, weil der Saal des heil. Abendmahles von den Türken in
eine Moſchee umgewandelt iſt, in die man nur zur Ortsbeſichtigung eintre-
ten darf. Auch Se. königl. Hoheit der Herzog von Brabant und Kronprinz
von Belgien und ſeine erlauchte Gemalin Maria von Oeſterreich, gingen zum
Tiſch des Herrn und erbauten durch ihre wahre Andacht und edle Demuth
die gläubige Verſammlung. Sie waren in Begleitung des hochw. Herrn
73
Prälaten Mislin, der auch uns die Marſchroute vorgezeichnet und mehrere
Reiſebehelfe uns an die Hand gegeben hatte, gleichfalls über Alexandrien in
das heilige Land gezogen.
Nach dem feierlichen Hochamte wurde der Zug mit dem Aller-
heiligſten um die heilige Grabkapelle geordnet, wobei türkiſches Mi-
litär Spalier machte – und nach geſchehenem Umzuge um die heilige
Grabkapelle das Allerheiligſte Sakrament in dem heil. Grabe ſelbſt
in einem ausgediegenem Silber verfertigten Tabernakel mit vier Cherubinen
von Silber an den Seiten beigeſetzt und mit vielen brennenden Lichtern
umſtellt, zwiſchen denen die herrlichſten Blumenbouquets in prachtvollen
Vaſen die ſüßeſten Düfte ausſtrömten. Ueber dem Tabernakel in der Mitte
prangte der öſterreichiſch-kaiſerliche Doppeladler zum Zeichen, daß
dieſer werthvolle Aufſatz ein Opfer aus unſerm Oeſterreich war,
wie denn überhaupt der größte Theil des Kirchenſchmuckes bei dem heiligen
Grabe und auch bei den übrigen, den Lateinern gehörigen Altären aus un-
ſerm Vaterlande ſtammt, wovon der k. k. öſterr. Adler der in die
kirchlichen Geräthe eingeprägt oder ſonſt eingearbeitet iſt, das vollgültigſte
Zeugniß gibt. Prof. Albert und ich waren ſo glücklich, von 12–1 Uhr Mittag
im Chorrocke die Bethſtunde vor dem Allerheiligſten Sakramente
im heil. Grabe halten zu dürfen. So konnte ſich denn unſer Herz eine Stunde
lang ungeſtört den ſeligſten Gefühlen an jenem heiligen Orte hingeben, wo
der Herr des Lebens durch Seine Auferſtehung dem heil. Buche der Offen-
barung das Siegel der Wahrheit aufgedrückt und uns die Hoffnung der eige-
nen künftigen Auferſtehung verſichert hat. Von 1–2 Uhr nahmen wir in
Geſellſchaft der aus Frankreich nach dem heil.“ Lande gezogenen Pilger in
einem abgelegenen Raum des Kloſterganges etwas Speiſe zu uns, währeud
der Hochw. Hr. Patriarch und ſeine Aſſiſtenz und die ehrw. Söhne des heil.
Franziskus in dem anſtoßenden Refektorium (Speiſezimmer) ſich auf gleiche
Art erquickten; denn wir, nämlich Prof. Albert, der Spital-Pfarrer Kaltner
von Salzburg und ich nebſt mehreren Laien aus Jeruſalem, die die Andacht
beim heil. Grabe noch längere Zeit daſelbſt zurückgehalten hatte, wurden in
die Kirche eingeſchloſſen. Unſere andern Mitpilger, die früh genug die heil.
Grabkirche verlaſſen hatten, nahmen ihren Tiſch in der Casa nuova, und
hatten nach demſelben die Ehre, in Folge einer an ſie ausdrücklich ergange-
nen Einladung, dem Herzoge von Brabant und ſeiner erlauchten Gemalin
vorgeſtellt zu werden, wobei ſich Hochderſelbe äußerſt freundlich und liebens-
würdig benahm nnd ſeiner Frau mit den ſchmeichelhafteſten Worten die
öſterreichiſchen Pilger als ihre Landsleute vorſtellte. Um 2 Uhr Nachmittags
74 -,
wurde beim heil. Grabe bei verſchloſſenen Thüren, als demüthige Nachahmung
der Fußwaſchung der 12 Apoſtel durch Chriſtus an dieſem Tage, die feier-
liche Ceremonie der Fußwaſchung an 12 Prieſtern von dem Hochw.
Herrn Patriarchen vorgenommen, wozu Ein Prieſter aus Abyſſinien, Einer
aus Nubien mit Negerfarbe, drei Prieſter aus Frankreich, drei von der
öſterreichiſch-deutſchen Caravane und vier von den Söhnen desheil. Franzis-
kus gewählt wurden. Von unſerer Caravane hatte das Loos den Prof. Albert,
Herrn Pfarrer Kaltner und mich getroffen, weßhalb wir auch in der heiligen
Grabkirche zurückbleiben mußten. Bei dieſer Ceremonie wurde der hier-
auf bezügliche Abſchnitt aus dem Evangelium des heiligen Johannes 13
1–15 geleſen, wie folgt:
„Vor dem Feſttage der Oſtern, indem Jeſus wußte, Seine Stunde
„ſei nahe gekommen, daß Er aus dieſer Welt gehe zum Vater, da Er
„die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte Er ſie bis
„an's Ende. – Und Er ſtand auf vom Abendeſſen und legte Sein Ge-
„wand ab, nahm ein leinenes Tuch und umgürtete ſich; alsdann goß Er
„Waſſer in ein Becken und fing an, den Jüngern die Füße zu waſchen
„und ſie zu trocknen mit dem Tuche, womit Er umgürtet war. – Und
„nachdem Er nun ihre Füße gewaſchen und Sein Gewand zurückgenom-
„men hatte, ſetzte Er ſich wieder an den Tiſch und ſprach zu ihnen: Wiſ-
„ſet ihr, was Ich euch gethan habe? Ihr nennet mich Meiſter und
„Herr, und ihr ſaget recht: denn Ich bin es auch. Wenn nun Ich eure
„Füße gewaſchen habe, euer Herr und Meiſter, ſo ſollet auch ihr einer
„dem andern die Füße waſchen. Denn Ich habe euch ein Beiſpiel ge-
„geben, auf daß, wie Ich euch gethan habe, alſo auch ihr einander
„thuet.“
Nach der heil. Funktion erhielten die zwölf Apoſtel ein Kreuz, ge-
ſchnitzt aus dem Oehlbaumholze von Gethſemani und mit Perlmutter theil-
weiſe eingelegt. Abends erzählten uns unſere Brüder von dem überraſchend
freundlichen und artigen Empfang, deſſen ſie ſich beim Herzoge von Brabant
zu erfreuen hatten und fügten zugleich hinzu, daß 5–6 von uns zur Beſich-
tigung der berühmten Moſchee Omar's in ſeiner Geſellſchaft am nächſten
Sonnabend Vormittags eingeladen ſeien. Der Herzog hatte ſich hiezu während
ſeiner Anweſenheit in Conſtantinopel vom Sultan einen Ferman (Erlaub-
mißſchein) für ſich und ſein Gefolge erwirkt, obgleich nach den noch beſtehen-
den Geſetzen jedem Nicht-Muhamedaner der Eintritt in dieſelbe unter
75
Todesſtrafe unterſagt iſt, welche im günſtigſten Falle durch den Ueber-
tritt zum Islam (zum mohamedaniſchen Glauben) abgewendet werden
könnte. Sie wird die Moſchee Omar's genannt, weil ſie der Kalife
Omar nach der Eroberung von Jeruſalem im Jahre 637 zu bauen anfing;
und ſie iſt den Türken darum ſo heilig, weil in ihr jener Stein aufbewahrt
wird, welcher der mohamedaniſchen Ueberlieferung zu Folge vom Himmel
gefallen, oder nach einer andern Ueberlieferung jener Stein ſeyn ſoll, auf wel-
chem der Patriarch Jakob während ſeiner Reiſe nach Meſopotamien ruhend, im
Traume die Himmelsleiter erblickte. Ja ſie wird gleich den Moſcheen von
Mekka und Medinah, dem Geburts- und Sterbeorte Mohameds, für beſon-
ders heilig gehalten und geht dem Range nach ſelbſt der Sophienmoſchee in
Konſtantinopel vor. In einer geringen Entfernung davon iſt die ſogenannte
Akſa-Moſchee, auf deren Platze früher die Kirche der Opferung Ma-
riä ſtand, die nach der Sage an dem Ort erbaut wurde, wo die heilige
Jungfrau einſt im Tempel ihr neugebornes Kind Gott darbrachte. – Da
nun mehrere von uns ein großes Intereſſe daran zu nehmen ſchienen, die
Moſchee Omar's auf eine ſo bequeme und lebensſichere Weiſe zu ſehen, ſo
ſollte das Loos entſcheiden, wer den Herzog dahin begleiten durfte. Allein
die Zahl war bald gefunden – da ſich die Mehrzahl theils aus Achtung
vor dem Geſetze der Türken, das den Eintritt eines jeden Ungläubigen (ſo
werden alle Nicht-Mohamedaner genannt) ſtreng verpönt, theils aus Vor-
ſicht vor den etwa zu befürchtenden Inſulten von Seite der leicht aufgereitz-
ten Muſelmänner ganz beſtimmt erklärte, auf die angebotene Beſichtigung
im Voraus zu verzichten. War denn doch Pfarrer Ulrich erſt den Tag zu-
vor, als er ſich einen Laden ſuchte, wo man Schnupftabak verkaufte,
ohne es zu wiſſen, auch nur in die Nähe der Moſchee gekommen
als ihn ſogleich türkiſche Gaſſenbuben mit Steinwürfen verfolgten und
zurücktrieben. Zum Zeichen für den Chriſten „bis hieher und nicht
weiter“ hängen an den Punkten, über die der Chriſt nicht ſchreiten darf,
mitten in der Straße von den überſpannten Bögen Steine an langen
dünnen Stricken herab, die da warnend den ſich nähernden Fremden den
Tod durch die Steinigung verkünden. Es ſoll auch wirklich eine drohende
Bewegung unter den Muſelmännern bei der Kunde, daß Ungläubige den
ihnen ſo heiligen Ort betreten wollen, ſtatt gefunden haben, die aber durch
die ſcheinbar zum Empfang des Herzogs anbefohlene Aufſtellung von Mi-
litär mit ſcharfgeladenen Gewehren auf dem großen Platze vor dem Heilig-
thume beſchwichtigt wurde. Auch hatte man aus Vorſicht den beabſichtigten
Beſuch dieſerMoſchee vonFreitagauf Samſtag den 7. April verlegt, weil erſterer
76
der Feiertag der Türken iſt, um ihre religiöſen Gefühle nicht gar ſo tief zu
verletzen. Ich aber war vom Herzen froh, daß ich nicht mitgegangen war,
und wäre doppelt froh geweſen, wenn auch die Andern nicht gegangen wä-
ren, da der Unmuth der Türken über die Verletzung ihres Heiligthums,
wenn auch für diesmal mit Gewalt zurückgedrängt – leicht in der Folge un-
ſchuldigen Pilgern ſehr gefährlich werden konnte, und überhaupt die neugie-
rigen Pilger bei ihrer Rückkehr ſelbſt geſtanden, daß ſich die Beſichtigung
auch nicht wahrlich der Mühe lohne.
Am heiligen Charfreitag Vormittags wohnten wir der Ceremonien
in der St. Salvators-Kirche im Convente der ehrw. Väter des heil. Landes bei,
weil man uns ſagte, daß die außerordentlichen Ceremonien der feierlichen
Prozeſſion auf den Calvarienberg mit der Darſtellung der Kreuzanhef-
tung, Kreuzaufrichtung und Grablegung erſt Abends um 7 Uhr in Ver-
bindung mit mehreren Predigten in franzöſiſcher, deutſcher, italieniſcher, ſpani-
ſcher, engliſcher und arabiſcher Sprache bei den vorzüglichſten Stationen in
der Grabkirche ſtattfinden ſollten. Ich begab mich daher auch mit unſeren
übrigen Pilgern zur beſtimmten Stunde Abends nach der heil. Grabes-
kirche, fand zu meinem nicht geringen Erſtaunen die Gaſſe nahe an derſelben
mit Pechfakeln beleuchtet, und ſah eine ungewöhnlich große Menge Men-
ſchen nach der Kirche eilen; ich mußte mich in dieſelbe hineindrängen und
erreichte nur mit vieler Mühe die Sakriſtei. Schon beim Durchgang durch
die Menge bemerkte ich in dem bis Oben hell erleuchteten Dome Türken, die
aus langen Pfeifenrauchten, nicht unirte Griechen, die ſich rauften oder ſich mit
einer Art von Ochſenziemer tüchtig prügelten oder bei den Haaren auf den
Boden herumzerrten und natürlich dabei ein hölliſches Geſchrei von ſich ga-
ben; wieder andere tanzten und ſprangen nach Möglichkeit des Raumes um
die heil. Grabkapelle herum, und lachten und pfiffen. Bei der Sakriſtei
endlich angekommen, ſah ich die Prozeſſion herrlich geordnet mit Fahnen und
Lichtern, ohne daß ſich doch dieſelbe vorwärts bewegen konnte- Schon
wollte ich mich entfernen, und rieth dies auch einigen unſerer Pilger, die
an meiner Seite waren, aus leicht verſtändlichen Gründen; allein man ver-
tröſtete mich, daß, wenn einmal die Prozeſſion im Gange wäre, mehr Ruhe
in der Kirche eintreten würde. Dies Verſprechen veranlaßte mich, zu blei-
ben, weßhalb ich auch den mir dargereichten Chorrock über mich zog und
meine Kerze nahm – allein das Getümmel, Geſchrei und Pfeifen nahm
immer mehr überhand, ſo daß es mir das Herz zerriß. Ich gedachte des
dräuenden Wortes des Herrn, als Er die Entweihung Seines Hauſes durch
die Käufer und Verkäufer ſah und die Geißel flocht, ſie auszutrieben, zog den
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Chorrock über meine Schultern herab, blies die Kerze aus, und Beides, mehr
im Uebermaße des Schmerzes als der Entrüſtung, von mir werfend, rannte
ich jammernd aus dem ſo entweihten Tempel, der die heiligſten Geheimniſſe
der Liebe in ſich ſchließt, in die finſtere Nacht hinaus, den Weg nach dem
Convente ſuchend, wo ich endlich um 8% Uhr nach langem Umherirren an-
kam, mich in meinem Zimmer, das die Ausſicht auf den Oelberg hatte, auf
die Knie niederwarf, und zu meinem Jeſus um Abwendung dieſer Gräuel
von dem heiligen Orte mit Inbrunſt flehte. Da ſtieg eben der Vollmond
über die heilige Höhe herauf; ich zerfloß in Thränen und es kehrte der ent-
ſchwundene Friede in mein zerriſſenes Herz zurück. Am andern Tage, d. i.
am heil. Charſamſtage ſprachen die ehrw. Väter ihre Verwunderung über
meine ſo ſchnelle Entfernung am vorigen Abend aus und meinten, ich ſollte
nur erſt heute Nachmittags zum ſogenannten heiligen Feuer der Griechen
in die Grabeskirche kommen, da wäre die leibhaftige Hölle ſelbſt los. Sie
erzählten uns, daß ſich um dieſe Zeit ſowohl die in Jeruſalem und in der
Umgegend wohnenden Griechen, als auch die zahlreichen Schaaren der grie-
chiſchen Pilger, die zum Oſterfeſte nach Jeruſalem kommen, in der heiligen
Grabeskirche einfinden, mit Kerzen oder Büſcheln von leicht brennbaren
Stoffen in den Händen, und zwar Männer, Weiber und Kinder, die ſich zur
Grabkapelle hindrängen, des heiligen Feuers harrend, welches
(während in der Kirche alle Lichter und Lampen ausgelöſcht ſind) durch ein
Wunder alljährlich im heil. Grabe ſich entzünde. Indeſſen zie-
he ſich ſchon früher der griechiſche Patriarch von Jeruſalem mit den eben
anweſenden griechiſchen Biſchöfen in das Innere der heiligen Grabkapelle
zurück, um da gleichfalls im Dunkeln unter Gebethen das Auflodern der
geheiligten Flamme zu erwarten. Da erſcheine plötzlich durch eine in der
Grabkapelle angebrachte Oeffnung nach Außen die ſehnſüchtig erwartete
heilige Flamme, und nun beſtrebe ſich Jeder der Gegenwärtigen der erſte
zu ſeyn, ſeine Kerze oder ſein Büſchel an dem geheiligten Feuer anzuzünden,
und in Folge deſſen nehme das Drängen nach dem herausgeſtreckten Brand
mit ſolchem Ungeſtüme zu, daß Eines über das Andere hinüberſteige – Viele
znſammenſtürzen, Arme und Beine gebrochen und ſelbſt Manche theils todt-
drückt, theils todtgetreten werden. Wer nun ſo glücklich war – ſeine
Kerze oder ſein Büſchel an dem heiligen Feuer anzuzünden –fahre ſich mit der
brennenden Flamme dann in das Geſicht, verſenge ſich den Bart oder das Haar
ſeines Hauptes – die Weiber brennen ſich die Brüſte an u. ſ. w.; alle aber er-
füllen die heil. Grabeskirche mit entſetzlichem Geheul – rennen, losgelaſſenen
Teufeln oder wilden Furien gleich mit ihren angebrannten Kerzen oder Bü-
78
ſcheln in dem Grabesdomherum und zuletzt hinaus in's Freie – um auch in ihre
Wohnungen den vermeintlichen Segen des wunderbaren Feuers zu bringen,
nachdem ſchon früher der griechiſche Patriarch oder einer der anweſenden Bi-
ſchöfe mit dem heiligen Feuer in der Hand, einem Wahnſinnigen gleich, aus
der heil. Grabkapelle geſtürzt war, um daſſelbe in die anſtoßende griechiſche
Kirche zu tragen. Was mich am meiſten entſetzte, war, als man mir erzählte,
daß dem griechiſchen Patriarchen zu Jeruſalem Vorſtellungen über die Duldung
dieſes religiöſen Wahnſinns gemacht worden ſeien, derſelbe ſich aber gegen die
Abſchaffung dieſes alljährlich wiederkehrenden gottesläſteriſchen und tempel-
ſchänderiſchen Frevels aus der Urſache erklärt habe, weil ſonſt nur wenige
oder gar keine griechiſchen Pilger nach Jeruſalem kämen, und daher auch die
ſonſt reichlich ein fließenden Opfergelder ausbleiben würden.
Ich hatte mir nach dem, was ich bereits über dieſes griechiſche Feuer-
wunder, welches im heil. Grabe alljährlich gewirkt werde, gehört und geleſen
hatte, ſchon früher vorgenommen, dieſem traurigen Spektakel, welches doch auch
einmal den lang zurückgehaltenen Zorn des Himmels entfeſſeln wird, auszu-
weichen, nnd die Stunden des Nachmittags, in welche dieſes Feuerwunder
flel, zu andern heiligen Gängen zu benützen. Schon Vormittags begab ich
mich in das Gotteshaus zum Allerheiligſten Erlöſer, um daſelbſt der Aufer-
ſtehungsfeier nach dem Gebrauche unſerer Kirche beizuwohnen und das
Alleluja mitzuſingen, das dem Chriſtenvolke die heilige Oſterfreude ſchon am
Tage vorher verkünden ſollte – und war höchlich überraſcht und tief in
meinem Innerſten erſchüttert, als ich hörte, wie ſich in's Geläute mit den
kleinen Kirchenglocken die gewaltigen Pöllerſchüſſe miſchten, die der einſt
gottesmörderiſchen Stadt den Sieg des Auferſtandenen verkündigten. Nach-
mittags beſuchte ich mit mehreren anderen Pilgern, die gleichfalls keine Luſt
in ſich empfanden, dem hölliſchen Feuer der fanatiſchen Griechen beizuwoh-
nen, die auf der Höhe Sion gelegene armeniſche Kirche und in dieſer
den Ort, wo der heil. Apoſtel Jakobus der Aeltere enthauptet
wurde – trafen zufällig auf dem Wege nach dem Sionsthor, weil eben
Sabbath war, eine Schaar von jüdiſchen Männern, Frauen und
Kindern ſehr reinlich nnd beinahe elegant gekleidet, deren Anblick bei dem
Gedanken, daß ſie in ihrem ehemaligen Eigenthume wie Fremde, ohne Tem-
pel und Altar, ohne Opfer und ohne Prieſter nur den Fall Jeruſalems
beklagen durften, auf mich einen ſehr wehmüthigen Eindruck machte – be-
trachteten außer dem Sionsthore das Haus des Kaiphas, deſſen
Inneres, wo Chriſtus während der Nacht nach Seiner Gefangennehmung
auf dem Oelberge eingekerkert war, wir leider nicht beſichtigen konnten,
79
weil die Griechen, denen dieſes Heiligthum gehöret, alle bei dem Feuerwun-
der waren – ſahen die Stelle, wo das Haus der heil. Maria ſtand und
die Gebenedeite angeblich ſtarb – und traten in das gegenwärtig in eine
Moſchee verwandelte Coenaculum d. i. den Saal wo Chriſtus der Herr
das heil. Abendmahl einſetzte (Mark. 14, 12-16):
F
„Am erſten Tage der ungeſäuerten Brote, da man das Oſterlamm
„ſchlachtete, ſprachen die Jünger zu Jeſu: Wo willſt Du, daß wir
„hingehen und Dir das Oſterlamm zu eſſen bereiten. Und Er ſandte
„zwei aus Seinen Jüngern und ſprach zu ihnen: Gehet in die Stadt,
„und es wird euch ein Mann begegnen, der einen Waſſerkrug trägt;
„Dieſem folget. Und wo er hineingehet, da ſprechet zu dem Herrn des
„Hauſes: Der Meiſter ſagt: Wo iſt Mein Speiſeſaal, allwo ich
„das Oſterlamm eſſe mit Meinen Jüngern? Und er wird euch einen
„großen Saal im Hauſe zeigen; daſelbſt bereitet es für uns. Die
„Jünger gingen hin und kamen in die Stadt, und fanden, wie Erihnen
„geſagt hatte, und ſie bereiteten das Oſtermahl.“
wo Er Seinen Apoſteln nach ſeiner Auferſtehung erſchien
(Joh. 20, 19–20):
80
„Als es nun an demſelben Tage, dem erſten nach dem Sabbathe,
„Abend geworden und die Thüren des Ortes, wo ſich die Jünger
„aus Furcht vor den Juden verſammelt hatten, verſchloſſen waren, kam
„Jeſus, trat mitten unter ſie und ſprach: Der Friede ſei mit Euch,
„und nachdem Er das geſagt hatte, zeigte Er ihnen Seine Hände und
„Seine Seite. Da erfreuten ſich die Jünger, als ſie den Herrn
„ſahen.“
wo Mathias zum Apoſtel erwählet (Apoſtelgeſch. 1, 12–26):
„Da (nämlich nach der Himmelfahrt des Herrn) kehrten ſie (die
„Jünger) zurück gegen Jeruſalem von dem Berge, welcher Oelberg
„heißt und nahe bei Jeruſalem iſt; und als ſie hineingekommen waren,
„ſtiegen ſie auf den Oberſaal und ſie beharrten alle einmüthig im Ge-
„bethe, nebſt den Weibern und Maria, der Mutter Jeſu und Seinen
„Brüdern (nächſten Anverwandten). In dieſen Tagen trat Petrus auf
„in Mitten der Brüder und ſprach: Ihr Männer und Brüder, es muß
„die Schrift erfüllet werden von Judas, der da war der Führer derer
„die Jeſum gefangen nahmen, der war mitgezählet zu uns und hatte
„dieſes Amtes Antheil erhalten. Es ſteht im Buche der Pſalmen ge-
„ſchrieben: „Ein Anderer überkam ſein Amt.“ Darum muß von den
„Männern, die mit uns verſammelt waren während der ganzen Zeit, in
„welcher der Herr Jeſus unter uns aus- und einging, von der Taufe
„des Johannes an bis zum Tage, da Er von uns hinweggenommen
„ward – von denen muß Einer Zeuge Seiner Auferſtehung nebſt uns
„werden. Und ſie ſtellten dar Joſeph, genannt Barſabas mit dem Bei-
„namen „der Gerechte“ und Mathias; und ſie betheten und ſprachen:
„Herr, der Du die Herzen Aller kennſt, zeige, welchen Du erwählet haſt
„unter dieſen zweien, daß Einer den Dienſt und das Apoſtelamt
„bekomme, von welchem Judas abwich, hinzugehen an ſeinen Ort. Und
„ſie warfen das Loos über ſie; und das Loos traf Mathias und er
„wurde den eilf Apoſteln zugeordnet.“
und wo der heilige Geiſt über die Jünger ausgegoſſen wurde.
CApoſtelgeſch. 2, 1–4.)
„Als der Tag des Pfingſtfeſtes angekommen war, waren ſie (die
„Jünger) alle beiſammen an dem ſelben Orte. Und es entſtand plötz-
81
„lich vom Himmel ein Brauſen, wie eines herankommenden gewaltigen
„Windes und erfüllte das ganze Haus, wo ſie ſaßen. Und es erſchienen
„ihnen feurige Zungen, die ſich über ihnen theilten und auf einem Je-
„den unter ihnen ruhten. Und ſie wurden Alle mit dem heili-
„gen Geiſte erfüllet.“
Es iſt dieſes Coenaculum, wie die Abbildung zeigt, ein Gewölbe, wel-
ches auf zwei Säulen ruht, und unter welchem ſich nach der Ausſage der
Türken das auch von ihnen in hohen Ehren gehaltene Grab des Kö-
nigs David befinden ſoll, das wir aber nicht beſichtigen durften.
Wir ſanken an der Stelle, wo muthmaßlich der Tiſch des Herrn ge-
ſtanden, auf unſere Knie nieder, und betheten die ewige Liebe an, die hier im
Kreiſe der Apoſtel die ſüße Rede that: „Sehnſüchtig habe Ich verlangt,
mit euch dieſes Oſterlamm zu eſſen, ehe Ich ſcheide.“ (Luk. 22,
15) – und es klangen an unſere Ohren, wie an unſere Herzen die heiligen
und geheimnißvollen Weiheworte, die hier Sein göttlicher Mund ſegnend
über Brod und Wein vor 1800 Jahren ſprach: „Dies iſt Mein Leib,
nehmet hin und eſſet; dies iſt Mein Blut, nehmet hin und
trinket! Dies thut zu Meinem Andenken“ (Luk. 22, 19–20)
Worte, mit denen Er Sich ſelbſt unter den Brod- und Weingeſtalten uns
zum bleibenden Vermächtniß hinterlaſſen hat. Wie aber ſelige Freude unſer
Herz durchſtrömte bei dem Gedanken, an dem Orte des höchſten Geheim-
niſſes der Liebe verweilen zu dürfen, eben ſo tief fühlten wir im Herzen uns
verwundet, denſelben Ort durch die Umwandlung in eine Moſchee ſo ſehr
entweiht zu wiſſen! – Doch hat die katholiſche Kirche in ihrer bewunderungs-
würdigen Weisheit die Segnungen, welche an dieſen heiligen und nun ent-
weihten Ort geknüpft waren – hinweggenommen und auf die Kirche zum
allerheiligſten Erlöſer übertragen, damit ja ihren Kindern auch nicht der
geringſte Antheil von dem überreichen Segen fehle, den die unbegrenzte Liebe
Jeſu Chriſti zurückließ. Mit ſchwerem Herzen ſchieden wir von dieſem Hei-
ligthume, und ſtiegen vom Berge Sion nieder in das mit Oelbäumen beſetzte
Thal Gihon und wieder auf der entgegengeſetzten Seite hinauf, und be-
ſuchten das Hakeldam a, d. i. den Blutacker oder den Acker des Töpfers,
den die Phariſäer um den Preis von den 30 Silberlingen, welche Judas
in den Tempel geworfen hatte, zum Begräbnißorte für die Fremden kauften
(Matth. 27, 3–8):
Reiſebeſchreibung. 6
ſ
82
„Dä nun Judas, der Ihn verrathen hatte, ſah, daß Er verurtheilt
„war, reuete es ihn, und er brachte die 30 Silberlinge zurück zu
„den hohen Prieſtern und Aelteſten, und ſprach: Ich habe geſündiget, daß
„ich unſchuldiges Blut verrieth! Sie aber ſprachen: Was geht das uns
„an, da ſieh' du zu! Und er warf die Silberlinge in den Tempel, machte
„ſich davon, ging hin und erhenkte ſich. Die hohen Prieſter aber nah-
„men die Silberlinge, und ſprachen: Es iſt nicht erlaubt, ſie in die
„Opferlade zu legen; denn es iſt Blutgeld. Und nachdem ſie ſich bera-
„then hatten, kauften ſie dafür eines Töpfers Acker zum Begräbniß
„für die Fremden. Daher wird dieſer Acker genannt Hakeldama d. i.
„Blutacker bis auf den heutigen Tag.“
Wir fanden aber keine Spur mehr von einer Töpfererde.
Weiter ſtießen wir auf das Antrum Apostolorum d. i. die Höhle,
wo ſich die Apoſtel unmittelbar nach dem Tode ihres Meiſters aus Furcht
vor den Juden verborgen hatten, und ſtiegen dann wieder nach vielen Win-
dungen die Höhe hinab in die Tiefe, um uns an dem ſehr maleriſch gelege-
nen Brunnen des Propheten Nehemias zu lagern, in welchen die
Juden bei ihrer Wegführung in die babyloniſche Gefangenſchaft das heilige
Feuer des Tempels verbargen, um es bei ihrer einſtigen Rückkehr wieder
hervorzunehmen; jedoch fanden ſie bei ihrer Heimkehr in's Vaterland an dem
beſagten Orte anſtatt des Feuers nichts als Schlamm. Da errichtete Ne-
hemias einen Altar, legte das Opfer darauf und bewarf es mit dem
Schlamme aus dem Brunnen, und ſiehe, das Opfer ward entzündet und ver-
zehret, und das heilige Feuer war wiederum gewonnen.
(2. Machabäer, 1, 19–22.)
„Als nämlich unſere Väter nach Perſien (eigentlich Babylonien,
„welches ſpäter dem perſiſchen Reiche einverleibt wurde), geführt wur-
„den, nahmen einige Prieſter, welche damals im Dienſte Gottes waren,
„das heilige Feuer vom Altare und verbargen es heimlich in einem
„Thale, wo ein tiefer waſſerleerer Brunnen war, und verwahrten es
„darin, ſo daß der Ort Allen unbekannt verblieb. Nach Verlauf von
„vielen Jahren aber gefiel es Gott durch den König von Perſien den
„Nehemias zu ſenden. Dieſer ſandte die Enkel jener Prieſter,
„welche das Feuer verborgen hatten, aus, es zu ſuchen; aber ſie fanden
„kein Feuer, wie ſie uns ſelbſt erzählten, ſondern eine dicke Flüſſig-
„keit (Schlamm). Hierauf befahl ihnen der Prieſter Nehemias, dieſelbe
4
83
„zu ſchöpfen und ihm zu bringen; und er gebot den Prieſtern, das Holz
„und das darauf gelegte Opfer damit zu beſprengen. Und als das ge-
„ſchehen war, und eben die Sonne leuchtete, die vorher hinter den
„Wolken war, entzündete ſich ein großes Feuer, ſo daß Alle er-
„ſtaunten.“
Von hier ſtiegen wir wieder gegen die Stadt zu etwas aufwärts, und
kamen zur Quelle Siloah, aus der wir ſehr gutes Waſſer tranken. Die
Quelle fließt in eine Art von Waſſerteich ab, über welchen ſich ehemals nach
den noch vorhandenen Spuren von Säulen und Bögen ein ſchöner Bau,
auf Säulen ruhend, gewölbt haben mag, um den Sonnenſtrahlen den Zugang
zu verwehren. Hier war es, wo der Blindgeborne ſich auf Jeſu Ge-
heiß die Augen wuſch und ſein Geſicht erhielt. (Joh. 9, 1–41.)
„Als Jeſus vorüberging, ſah Er einen Menſchen, der blind geboren
„war. Und es fragten Ihn Seine Jünger: Meiſter! Wer hat geſün-
„diget, dieſer oder ſeine Eltern, daß er blind geboren wurde? Jeſus
„antwortete: „Es hat weder dieſer geſündiget, noch ſeine Eltern; ſon-
„dern damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden. Ich muß
„wirken die Werke Deſſen, der Mich geſandt hat, ſo lange es Tag iſt;
„denn es kommt die Nacht, wo niemand wirken kann. So lange Ich
„in der Welt bin, bin Ich das Licht der Welt.“ Da Er ſolches ge-
„ſaget hatte, ſpuckte Er auf die Erde und machte einen Teig aus dem
„Speichel, und ſtrich den Teig auf die Augen deſſelben, und Er ſprach
„zu ihm: Gehe zu dem Waſſerteiche »Siloe und waſche dich! Er
„ging alſo hin und wuſch ſich, und kam ſehend her. Die Nachbarn
„nun und die ihn zuvor geſehen hatten, indem er ein Bettler war, ſag-
„ten: Iſt dieſer nicht, der da ſaß und bettelte? Einige ſagten: Er iſt's;
„Andere aber: Nein, ſondern er ſieht ihm ähnlich: er ſelbſt aber ſagte
„Ich bin's. Da ſprachen ſie zu ihm: Wie wurden dir die Augen ge-
„öffnet? Er antwortete und ſprach: Der Mann, welcher Jeſus heißt,
„machte einen Teig, und beſtrich meine Augen und ſprach zu mir: Gehe
„zum Waſſerteiche Siloe und waſche dich. Ich ging, wuſch mich und bin
„ſehend. Sie ſprachen zu ihm: Wo iſt der? Er ſprach: Ich weiß es
„nicht. Da führten ſie ihn, der blind geweſen war, zu den Phariſäern.
„(Es war eben Sabbath, da Jeſus den Teig machte und deſſen Augen
„öffnete.) Da fragten nun auch die Phariſäer wieder, wie er wäre
„ſehend geworden. Er ſprach zu ihnen: Einen Teig legte Er mir auf
A 6*
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„die Augen, und ich wuſch mich, und ich war ſehend. Da ſprachen einige
„der Phariſäer: Dieſer Menſch iſt nicht von Gott, da Er den Sabbath
„nicht hält. Andere aber ſprachen: Wie kann ein ſündhafter Menſch
„ſolche Zeichen thun? Und es entſtand eine Spaltung unter ihnen. Da
„ſprachen ſie wieder zu dem, der blind geweſen: Was ſagſt du von Ihm,
„der dir die Augen geöffnet hat? Er aber ſprach: Er iſt ein Prophet.
„Die Juden glaubten nun nicht von ihm, daß er blind geweſen und
„ſehend geworden, und ſie riefen die Eltern des Sehendgewordenen und
„fragten dieſe, und ſprachen: Iſt dieſer euer Sohn, von dem ihr ſagt,
„daß er blind geboren ſei? Wie iſt er denn nun ſehend ? Seine Eltern
„antworteten ihnen und ſprachen: Wir wiſſen, daß dieſer unſer Sohn,
„und daß er blind geboren iſt; wie er aber ſehend geworden, das wiſſen
„wir nicht, oder wer ihm die Augen geöffnet hat, das wiſſen wir nicht.
„Fraget ihn ſelbſt; er iſt alt genug, er mag für ſich ſelbſt reden. Sol-
„ches ſagten ſeine Eltern, weil ſie ſich fürchteten vor den Juden; denn
„ſchon waren ſie überein gekommen, Jeden, der Ihn als Chriſtus aner-
„kennen würde, aus der Synagoge zu ſtoßen; darum ſagten ſeine El-
„tern: Er iſt alt genug, fraget ihn ſelbſt. Da beriefen ſie abermals den
„Menſchen, der blind geweſen, und ſprachen zu ihm: Gib Gott die
„Ehre! Wir wiſſen, daß dieſer Menſch (Jeſus) ein Sünder iſt. Und er
„ſprach zu ihnen: Ob Er ein Sünder iſt, das weiß ich nicht; Eines
„weiß ich, daß ich blind war und nun ſehend bin. Da ſprachen ſie zu
„ihm: Was that Er dir ? wie öffnete Er dir die Augen? Er antwor-
„tete ihnen: Ich hab's euch ſchon geſagt und ihr habt's gehört? Was
„wollt ihr's abermals hören? Wollt ihr auch Seine Jünger werden?
„Da ſchmähten ſie ihn und ſprachen: Sei du Sein Jünger! wir aber
„ſind des Moyſes Jünger und wir wiſſen, daß Gott zu Moyſes geredet hat
„von Dieſem aber wiſſen wir nicht, von wannen Er iſt. Der Menſch
„antwortete ihnen und ſprach: „Das iſt dann wunderbar, daß ihr nicht
„wiſſet, von wannen Er iſt, und Er hat mir meine Augen geöffnet; wir
„wiſſen aber, daß Gott die Sündrr nicht höret , ſondern wer Gottes
„Diener iſt, und Deſſen Willen thut, den höret Er. Von jeher iſt es
„nicht erhört, das Jemand einem Blindgebornen die Augen geöffnet hat.
„Wäre dieſer nicht von Gott, da könnte Er ſo etwas nicht thun.“ Sie
„antworteten und ſprachen zu ihm: Du biſt ganz in Sünden geboren
„und du willſt uns lehren? Und ſie ſtießen ihn hinaus. Jeſus hörte, daß
„ſie ihn ausgeſtoßen hatten, und da Er ihn antraf, ſprach Er zu ihm:
„Glaubſt du an den Sohn Gottes? Er antwortete und ſprach: Wer iſt es,
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„Herr! damit ich an Ihn glaube? Und Jeſus ſprach zu ihm: Du haſt
„Ihn geſehen; und Der mit dir redet, Der iſt es. Er aber ſprach: Ich
„glaube, Herr! Und er fiel nieder und bethete Ihn an. Und Jeſus
„ſprach: Ich bin zum Gerichte in dieſe Welt gekommen, daß, die nicht
„ſehen, ſehend, und die ſehen, blind werden. Und es hörten ſolches
„Einige der Phariſäer, die bei Ihm waren und ſprachen zu Ihm: Sind
„wir denn auch blind? Jeſus ſprach zu ihnen: Wäret ihr blind, ihr
„hättet keine Sünde; nun aber ſaget ihr: Wir ſind ſehend; darum
„bleibet eure Sünde.“
Nach längerem Verweilen bei der Quelle Siloah gingen wir an den
ehemals berühmten Gärten Salomons vorüber und kehrten mit beſchleu-
nigten Schritten gegen Abend nach der Stadt zurück, um vor der Thorſperre
bei Sonnenuntergang daſelbſt noch einzutreffen. Auch erfuhr ich, daß nicht
bloß täglich Abends, ſondern an jedem Freitag Mittags die Thore
von Jeruſalem bis 1 Uhr geſchloſſen werden, weil die Türken eine Art von
Prophezeiung haben, welche lautet, daß einmal an einem Freitage Mittags
die Feinde durch die offenen Thore in die Stadt eindringen und Jeruſalem
erobern würden. Vielleicht hat dieſe Prophezeiung ihren Grund in der
ſchon früher einmal geſchehenen Erfüllung durch Gottfried von Bouillon, der,
nachdem er wochenlang vergeblich mit dem Chriſtenheere vor der Stadt ge-
lagert war, dieſelbe in Folge eines Traumgeſichtes an einem Freitag, als
dem Todestag des Herrn, von der Seite gegen den Oehlberg zu angriff und
ſich ihrer bemächtigte.
Der heilige Oſterſonntag.
Am heiligen Oſterſonntage zog es uns, wie vor 1800 Jahren die
frommen Frauen, gar frühe ſchon zur heil. Grabeskirche; auch wollten
mehrere unſer Prieſter an dieſem bedeutungsvollen Tage die heilige Meſſe
beim Grabe Chriſti leſen. Prof. Albert und ich, die wir ſchon in jener
hochheiligen Nacht die heil. Meſſe bei dem Grabe des Herrn geleſen hatten,
wählten uns für dieſen Tag zur Opferfeier die Altäre an dem Orte, wo der
auferſtandene Heiland Seiner hochgelobten Mutter und der heiligen
Magdalena erſchienen war, und feierten ſo beim erſten Strahl der Oſter-
ſonne mit den heiligen Frauen in wahrer Herzensfreudigkeit das Siegesfeſt
der gekreuzigten Liebe. Später wohnten wir Alle dem Hochamte bei, welches
der Hochw. Herr Patriarch unter zahlreicher Aſſiſtenz in einem prachtvollen,
mit Gold reich durchwirkten Ornate vor der heil. Grabkapelle celebrirte, wo-
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bei auch der Herzog von Brabant und ſeine erlauchte. Gemalin mit ihrem
ganzen Gefolge zugegen waren. Nach dem Hochamte war feierliche Pro-
zeſſion um die heilige Grabkapelle, bei welcher an 4 Stationen vier
Abſchnitte aus den Evangelien, die auf die Auferſtehung Chriſti Bezug
haben, von 4 Prieſtern der italieniſchen, deutſchen, ſpaniſchen und franzöſi-
ſchen Nation in der lateiniſchen Kirchenſprache vorgeleſen wurden, welche
Ceremonie, als dem hohen Feſte des Tages ganz entſprechend, mich ſehr
anſprach.
Dieſe vier Abſchnitte aus den Evangelien lauten:
Matthäus 28, 1–10.
„Bei der Morgendämmerung des erſten Tages nach dem Sabbath
„ging Maria Magdalena und die andere Maria, das Grab zu ſehen. Und
„ſieh' es entſtand ein großes Erdbeben und der Engel des Herrn kam
„vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein hinweg, und
„ſetzte ſich darauf. Seine Geſtalt aber war wie der Blitz, und ſein
„Gewand wie der Schnee. Und die Wächter wurden erſchüttert von
„Entſetzen, und als wären ſie todt. Der Engel aber redete die Weiber
„an und ſprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht; ich weiß, ihr ſuchet
„Jeſum den Gekreuzigten; Er iſt nicht hier; denn Er iſt auferſtanden,
„wie Er geſagt hat. Kommet her und ſehet den Ort, wo ſie Ihn hin-
„gelegt hatten. Und gehet eilends hin und ſaget es Seinen Jüngern,
„daß Er auferſtanden iſt. Und ſehet, Er wird vor euch hingehen nach
„Galiläa; da werdet ihr Ihn ſehen, wie Er es euch vorhergeſagt hat.
„Und ſie gingen eilends vom Grabe hinweg mit Schrecken und mit
„großer Freude, und liefen, daß ſie es Seinen Jüngern verkündigten. Und
„ſiehe, Jeſus begegnete ihnen uud ſprach: Seid gegrüßet! Und ſie
„traten hinzu, umfaßten Seine Füße und betheten Ihn an. Da ſprach
„Jeſus zu ihnen: Fürchtet euch nicht ! Gehet hin und verkündiget es
„Meinen Brüdern (den Jüngern), daß ſie ſich nach Galiläa begeben ſol-
„len; dort werden ſie Mich wiederſehen!"
Markus 16, 1 – 8
„Und als der Sabbath vorüber war, kauften Maria Magdalena und
„Maria, Jakobs Mutter und Salome Spezereien, daß ſie hingingen
„und Jeſum ſalbten. Und ſie kamen zum Grabe den erſten Tag nach
„dem Sabbath ſehr frühe, als die Sonne aufging. Und ſie ſprachen zu
„einander: wer wird uns wohl den Stein vom Eingange des Grabes
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„hinwegwälzen? denn er war ſehr groß. Als ſie aber hinſchauten, ſahen
„ſie, daß der Stein weggewälzet war. Und ſie gingen in das Grab
„hinein und ſahen einen Jüngling zur rechten Seite ſitzen, der mit einem
„weißen Gewande angethan war. Und ſie entſetzten ſich. Er aber ſprach
„zu ihnen: Fürchtet euch nicht! ihr ſuchet Jeſum von Nazareth, den
„Gekreuzigten; Er iſt auferſtanden und nicht hier. Sehet den
„Ort, wo ſie Ihn hingelegt hatten. Gehet aber hin und ſaget Seinen
„Jüngern und dem Petrus, daß Er euch vorangehen wird nach Galiläa;
„da werdet ihn Ihn ſehen, wie Er es euch geſaget hat. Und ſie gingen
„hinaus und flohen von dem Grabe; denn Schrecken und Staunen hatte
„ſie ergriffen, und ſie ſagten Niemanden etwas, denn ſie fürchteten ſich.“
Lukas 24, 1 – 12.
„Am erſten Tage nach dem Sabbathe ſehr früh Morgens kamen
„die Weiber zum Grabe mit Spezereien, welche ſie bereitet hatten.
„Und ſie fanden den Stein abgewälzet. Sie gingen hinein, und fan-
„den den Leichnam des Herrn Jeſu nicht. Und es geſchah, als ſie darum
„bekümmert waren, ſiehe, da ſtanden bei ihnen zwei Männer in ſtrah-
„lenden Gewändern. Da ſie aber erſchracken und das Angeſicht zur
„Erde neigten, ſprachen dieſe zu ihnen: Was ſuchet ihr den Lebenden
„bei den ,Todten? Er iſt nicht hier, ſondern auferſtanden!
„Gedenket, was Er euch geſagt hat, da Er noch in Galiläa war: „Des
„Menſchen Sohn muß in die Hände der Sünder überantwortet und ge-
„kreuziget werden und am dritten Tage auferſtehen.“ Und ſie erinnerten
„ſich Seiner Worte. Und ſie kehrten zurück vom Grabe und verkündig-
„ten dieſes Alles den Eilfen und allen Andern. Es waren aber Maria
„Magdalena und Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus und
„andere Weiber mit ihnen, welche ſolches den Apoſteln ſagten. Und die-
„ſen kamen ſolche Worte vor wie Träumereien; und ſie glaubten ihnen
„nicht. Petrus aber machte ſich auf und lief zum Grabe; und er bückte
„ſich hinab und ſah nur die Tücher liegen; und er ging heim, ſich wun-
„dernd über das, was geſchehen war.
- Johannes 20, 1–18.
„Am erſten Tage nach dem Sabbathe ging Maria Magdalena frühe,
„da es noch finſter war, zum Grabe; und ſie ſah, daß der Stein vom
„Grabe hinweggenommen war. Da lief ſie, und kommt zu Simon Pe-
„trus und zu dem andern Jünger (Johannes), den Jeſus lieb hatte und
88
„ſpricht zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grabe genommen, und
„wir wiſſen nicht, wo ſie Ihn hingelegt haben. Da begeben ſich Petrus
„und der andere Jünger hin zum Grabe. Es liefen Beide zugleich, und
„der andere Jünger lief ſchneller, dem Petrus zuvor, und kam zuerſt
„an's Grab. Und er bückte ſich hinein und ſah die Tücher liegen, ging
, aber nicht hinein; da kam Simon Petrus ihm nach, und ging hinein
„ins Grab und ſah die Tücher liegen, auch das Schweißtuch, das um
„Sein Haupt geweſen war, und nicht lag bei den andern Tüchern, ſon-
„dern beiſeits eingewickelt an einem beſonderen Orte. Da ging nun auch
„der andere Jünger hinein, der zuerſt zum Grabe gekommen war, und er
„ſah es, und er glaubte. Hierauf gingen dieſe Jünger wieder heim.
„Maria aber ſtand draußen beim Grabe und weinte. Wie ſie nun
„weinte, bückte ſie ſich und ſchaute hinein in's Grab; und ſie ſah zwei
„Engel, die da ſaßen in weißen Gewändern, der eine zum Haupte, und der
„andere zu den Füßen, allwo der Leichnam Jeſu gelegen hatte. Dieſe
„ſprachen zu ihr: Weib, was weineſt Du? Und ſie ſpricht zu ihnen:
„Sie haben meinen Herrn hinweggenommen, und ich weiß nicht, wo ſie
„Ihn hingeleget haben. Als ſie das geſaget hatte, wandte ſie ſich um, und
„ſie ſah Jeſum ſtehen und wußte nicht, daß Er es ſei. Da ſpricht Jeſus
„zu ihr: Weib, was weineſt du? wen ſucheſt du? Sie aber meinte, es
„ſei der Gärtner und ſpricht zu Ihm: Herr! haſt Du Ihn weggetragen,
„ſage mir, wo Du Ihn hingelegt haſt, und ich werde Ihn holen. Jeſus
„ſpricht zu ihr: Maria! Da wandte ſie ſich um und ſprach zu ihm:
„Rabboni, d. h. Mein Meiſter! Und Jeſus ſpricht zu ihr: Rühre Mich
„nicht an; denn Ich bin noch nicht aufgefahren zu Meinem Vater. Gehe
„aber hin zu Meinen Brüdern und ſage es ihnen: Ich fahre auf zu
„Meinem und zu eurem Vater, zu Meinem und zu eurem Gott. Maria
„Magdalena aber ging hin und verkündigte den Jüngern: Ich habe
„den Herrn geſehen, und ſolches hat Er mir geſagt.“
Sollte etwa Jemanden in dieſen hier angeführten evangeliſchen Ab- /
ſchnitten in Betreff der Zahl der Frauen und der Engel, die nach der Er-
zählung der vier Evangeliſten eine verſchiedene war – ein Widerſpruch zu
walten ſcheinen – ſo möge Nachfolgendes zur Aufklärung dienen.
Nach Matthäus (28, 1–2) gingen Maria Magdalena und die
andere Maria (Jakobs, des Jüngeren, Mutter) bei der Morgendämme-
rung des erſten Tages nach dem Sabbath (d. i. an unſerm Oſterſonn-
A
89
tag) das Grab zu ſehen. Und ſieh (während ſie auf dem Wege dahin
waren) geſchah ein großes Erdbeben, und ein Engel des Herrn kam
vom Himmel herab, trat hinzu, und wälzte den Stein hinweg und ſetzte
ſich auf denſelben. -
Markus (16, 1–2) hat: Und da der Sabbath vorüber war, kauf-
ten Maria Magdalena und Maria, Jakobs Mutter und Salome Spe-
zereien, daß ſie hingingen, um Jeſum zu, ſalben. Und ſie kamen zum
Grabe den erſten Tag nach dem Sabbath ſehr frühe, als die Sonne
eben aufging. -
Beide Evangeliſten treffen in der Angabe der Zeit des Hinganges
der Frauen zu dem Grabe genau zuſammen, unterſcheiden ſich aber in der
Angabe der Zahl der Frauen, da Matthäus nur zwei – nämlich Maria
Magdalena und Maria, Jakobs Mutter – Markus aber nebſt dieſen zweien
auch noch eine dritte – die Salome anführt. Dieſe Abweichung aber
enthält keinen Widerſpruch, da Matthäus, wenn er auch nur zwei Frauen
nennt, doch die dritte darum nicht ausſchließet. Auch läßt ſich dieſe Abwei-
chung der beiden Evangeliſten ganz ungezwungen durch die Annahme erklä-
ren, daß Maria Magdalena und Maria, Jakobs Mutter Anfangs auf dem
Wege zum Grabe allein zuſammengingen, und Salome erſt ſpäter als Be-
gleiterin ſich ihnen zugeſellet habe.
Johannes (20, 1) hat: Am erſten Tage nach dem Sabbath ging
Maria Magdalena frühe, da es noch dunkel war, zum Grabe.
Er führt alſo nur Eine von den Frauen, Maria Magdalena – an;
doch auch er ſchließt darum nicht die beiden Andern aus, da er nicht be-
ſtimmt ſagt: Maria Magdalena ging allein zum Grabe. Ueberdies
ſpricht dafür, daß Johannes aus den drei Frauen hier nur insbeſondere Ma-
ria Magdalena anführt, die darauf folgende Erzählung von der beſonde-
ren Erſcheinung, deren Jeſus die Maria Magdalena zum Lohne für ihre
Liebe gewürdigt hat.
Gleichfalls ſrühe am erſten Tage nach dem Sabbath – gingen
nach Lukas (24, 2) mehrere Weiber, welche mit Jeſu (Luk.
23, 55) aus Galiläa gekommen waren, und das Grab geſehen hatten,
wohin man Seinen Leichnam gelegt hatte, zum Grabe mit den Spe-
zereien, welche ſie bereitet hatten.
90
Der heilige Evangeliſt führt wohl ihre Namen nicht an, ſondern er-
wähnt dieſelben erſt ſpäter (24, 10), wo er ſagt, daß es nebſt Maria Mag-
dalena und Maria, Jakobs Mutter auch Johanna und andere Weiber wa-
ren, die Solches (nämlich, daß Chriſtus auferſtanden ſei) den Apoſteln ſagten,
Wahrſcheinlich ſind Johanna und die andern Frauen wohl an demſelben
Tage, doch etwas ſpäter als Maria Magdalena und Maria Jakobs
Mutter und Salome zu dem Grabe gekommen in derſelben Abſicht, Ihn zu
ſalben, woraus ſich die Verſchiedenheit der evangeliſchen Erzählung bei Lukas
in Betreff der Frauenzahl erklärt.
Nach Markus (16, 3–4) ſprachen die Frauen (als ſie ſchon dem
Grabe näher gekommen waren) zu einander: Wer wird uns wohl den
Stein von des Grabes Eingang hinwegwälzen? Und als ſie hinſahen
wurden ſie gewahr, daß der Stein ſchon weggewälzet war. Da lief
nach Johannes (20, 2) Maria Magdalena (voll Angſt) allein fort,
und kommt zu Simon Petrus und zu dem andern Jünger, den Jeſus
lieb hatte, und ſpricht zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grabe
genommen und wir (verſteht ſie denn da nicht deutlich auch die beiden
andern Frauen, welche ſie beim Grabe zurückgelaſſen hatte?) wiſſen
nicht, wo ſie Ihn hingelegt haben. Auf dieſe Nachricht begeben ſich
(Vers 3–8) die beiden Apoſtel ſchnell zum Grabe, darin nichts als
die Leichentücher lagen, und kehrten wieder heim.
Maria Magdalena kann den ſchnellen Schritten der beiden Apoſtel
nimmer folgen: denn ſie fühlt durch Traurigkeit den Fuß gehemmt, und
kehrt langſam zu dem heiligen Ort zurück, ohne den beiden Jüngern zu be-
gegnen, die heimwärts einen andern Weg genommen haben mußten.
Nach Markus (16, 5) waren aber, nachdem Maria Magdalena
angſtvoll fortgelaufen war, die beiden andern Frauen in das Grab hin-
eingegangen, und ſahen einen Jüngling (einen Engel) zur rech-
ten Seite ſitzen, der angethan war mit weißem Gewande, und der-
ſelbe ſprach zu ihnen (Vers 6 und 7): Ihr ſuchet Jeſum von Naza-
reth den Gekreuzigten; Er iſt auferſtanden und nicht hier – gehet und
ſaget Seinen Jüngern und dem Petrus, daß Er euch vorangehen wird
nach Galiläa – daſelbſt werdet ihr Ihn wiederſehen, wie Er euch ge-
ſaget hat.
Da bildet ſich denn zwiſchen den beiden Stellen bei Matthäus (28, 2)
und bei Markus C16, 5) ein ſcheinbarer Widerſpruch, weil jener von
91
einem Engel ſpricht, der außerhalb des Grabes auf dem weggewälzten
Steine ſaß – während dieſer anführt, daß der Engel in dem Grabe zur
rechten Seite ſitzet. Allein, welch ein Unterſchied iſt hier nicht in der Zeit?
Denn von dem Augenblicke an, als (nach Matthäus) der Engel des Herrn
in einem gewaltigen Erdbeben vom Himmel herab kam und ſich auf den weg-
gewälzten Grabſtein ſetzte, bis zu jenem Augenblicke, wo nach (Markus) die
drei Frauen, die während des Erdbebens noch auf dem Wege ferne vom
Grabe waren, näher kommend den Stein weggewälzt ſahen, verfloß wohl
einige Zeit, während welcher der Engel ſeinen Ort außer dem Grabe
mit dem Orte in dem Grabe verwechſelt hatte. Wo wäre alſo der
Widerſpruch?
Nach dem Oben angeführten Geheiß des Engels gingen (Matthäus
28,8) die (beiden) Frauen eilends fort vom Grabe mit Schrecken und
mit Freude, und liefen, daß ſie es Seinen Jüngern verkündigten.
Wenn Markus (16,8) anführt: Sie ſagten Niemanden etwas; denn
ſie fürchteten ſich, ſo will dies wohl bedeuten: Keinem andern Menſchen
auf dem Wege, weil ſie nach dem Auftrage des Engels die Kunde von der
Auferſtehung und dem baldigen Wiederſehen Jeſu nur den Jüngern zunächſt
bringen ſollten. Doch mußten ſie auf einem andern Wege, als welchen
Petrus und Johannes, durch Maria Magdalena von der Wegnahme des
Leichnams Jeſu unterrichtet – nach dem Grabe eingeſchlagen hatten, von
dem Grabe weggegangen ſeyn, um den Jüngern die Kunde der Auferſtehung
Jeſu zu bringen, weil ſie ſonſt den genannten Apoſteln auf gleichem
Wege hätten begegnen müſſen. Auch Maria Magdalena, die gleichfalls von
den Apoſteln herkam und wieder zu dem Grabe zurückkehrte, traf mit ihnen
nicht zuſammen; und warum ſollten nicht auch mehrere Wege von Jeruſalem
aus zum Grabe hingeführt haben?
Auf ihrem eigenen Wege nun (Matth. 28, 9–10) begegnete Je-
ſus den (beiden) Frauen und ſprach: Seid gegrüßet! Und ſie traten
hinzu, umfaßten Seine Füße und betheten Ihn an. Da ſprach Jeſus
zu ihnen: Fürchtet euch nicht. Gehet hin und verkündiget es Meinen
Brüdern, daß ſie ſich hinbegeben nach Galiläa, dort werden ſie Mich
ſehen; und ſie gingen hin. Mittlerweile war aber Maria Magdalena
auf ihrem Wege wiederum zum Grabe gekommen, und nach Johan-
nes (20, 11–12) draußen beim Grabe ſtehend, weinte ſie. Wie ſie
nun weinte, ſchaute ſie hinab ins Grab und ſie ſah zwei Engel, die
92
da ſaßen im weißen Gewande, der eine zum Haupte, der andere zu den
Füßen, da wo der Leichnam Jeſu gelegen hatte.
Hier alſo ſcheint ein neuer Widerſpruch zu ſeyn. Nachdem nämlich
Matthäus von Einem Engel, der außer dem Grabe auf dem Stein ge-
ſeſſen und Markus von Einem Engel, der in dem Grabe geſeſſen, erzählte,
führt Johannes zwei Engel an, die in dem Grabe ſitzen. Allein auch die-
ſer Widerſpruch iſt nur ſcheinbar, und ſehr leicht zu heben. Derſelbe En-
gel, der bei Matthäus außerhalb des Grabes auf dem Steine ſitzt – geht
dann in das Grab hinein, wo ihn die beiden Frauen (bei Markus) ſehen
und zu ihm geſellt ſich ſpäter noch ein zweiter Engel, gleichfalls in dem
Grabe ſitzend. Wo iſt hier ein Widerſpruch? –
Nach Johannes (20, 14–17) würdiget Jeſus in der Nähe des
Grabes – Maria Magdalena einer beſonderen Erſcheinung, bei der
ſie Ihn am wohlbekannten Tone Seiner Stimme allſogleich erkennt, und
von Ihm den Auftrag auch empfängt: Geh hin zu Meinen Brüdern
und ſag' es ihnen, daß Ich auferſtanden bin. Vers 18 geht Maria
Magdalena ſchnell, jetzt freudiger als früher zu den Jüngern hin,
um ihnen, wie früher die Wegnahme, ſo jetzt die Auferſtehung Jeſu und
die Erſcheinung zu verkündigen, deren Er ſie gewürdiget hatte.
Was die andern Weiber aus Galiläa anbelangt, von denen Lukas
24. Hptſtck. erzählt, ſo heißt es Vers 4 u. ſ. w. von denſelben: Als
ſie in das Grab hineingingen, ſiehe, da ſtanden bei ihnen zwei Män-
ner (Engel) in ſtrahlenden Gewändern, die ihnen ſagten: Was ſuchet
ihr den Lebenden bei den Todten? Er iſt nicht mehr hier – denn Er
iſt auferſtanden! Und ſie kehrten zurück vom Grabe und verkündigten
dies Alles den Eilfen und allen Andern.
-*
Denen nun, welche etwa in der Erwähnung des heiligen Lukas von
zwei Engeln, die ſtehend in dem Grabe den Weibern aus Galiläa erſchie-
nen waren, während Johannes beide in dem Grabe zu verſchiedenen
Seiten ſitzend anführt, einen Widerſpruch finden wollen, ſei hier geſagt,
daß die beiden Engel ebenſo gut, als ſie der Maria Magdalena im Grabe
ſitzend erſchienen waren, auch den andern Weibern aus Galiläa, die erſt
ſpäter zum Grabe kamen, ſtehend erſcheinen konnten.
Nach Lukas (24, 11) kamen die Erzählungen der Weiber den Apo-
ſteln vor, wie Träumereien, und ſie glaubten ihnen nicht. Beſonders
93
aber ergriff den Petrus große Traurigkeit, als er von der ſchon ge-
ſchehenen Auferſtehung Jeſu und den Erſcheinungen hörte, deren Er
die Frauen gewürdigt hatte, während ihm, als dem Haupte der Apo-
ſtel, weder eine Kunde von der Auferſtehung Jeſu aus dem Munde
eines Engels, noch eine Erſcheinung des Erſtandenen ſelbſt geworden
war. Und er machte ſich (nach Lukas 24, 12) auf, und lief (noch ein-
mal) hin zum Grabe und ſah wieder nichts, als nur die Tücher liegen;
und er ging auf langen Umwegen heim, noch trauriger als zuvor –
bis endlich auch ihm (Lukas 24, 34) der Herr auf dem Wege er-
ſchien und ſeine Traurigkeit in Freude ſich verwandelte.
So erhebend aber auch für mich die Oſterfeier bei dem heiligen Grabe
des Erlöſers, als an dem Orte der Auferſtehung Chriſti, war, ſo
ſchmerzlich berührte es mich wieder, als ich meine Augen aufhob zu der
Kuppel, die ſich über die heilige Grabkapelle wölbt, und ich an derſelben
den Durchbruch bemerken mußte, den die Unbilden der Zeit an ihr verur-
ſacht hatten, ohne daß auch nur Eine Hand an die Wiederherſtellung derſelben
angelegt worden wäre. Wohl waren die Katholiken jederzeit bereit die
Ausbeſſerung der beſchädigten Kuppel auf ſich zu nehmen; allein die arg-
wöhniſchen Griechen gaben es nicht zu. Dieſen wieder durften die Latei-
ner die Wiederherſtellung nicht überlaſſen, weil dieſelben allſogleich das
Recht des alleinigen Beſitzes geſucht und ſich auch zugeeignet hätten; eben
ſo wenig ließ ſich auch eine Vereinigung beider Partheien zu Stande brin-
gen, weil die Griechen immer im Vortheil bleiben wollen. Mithin unterblieb die
Reſtauration – bis ſich vor 2 Jahren der gegenwärtige Sultan ſelbſt anbot
dieſelbe auf ſich nehmen und auf eigene Koſten vollführen zu wollen; leider
vereitelte der bald darauf zwiſchen der Türkei und Rußland ausgebrochene
Krieg den ſchönen Plan des nicht chriſtlichen Kaiſers und ſo ſcheint bis zur
Stunde durch die offene Kuppel die Sonne auf das heil. Grab – ſo fällt
der Regen durch dieſelbe ungehindert in die Kirche und auf's Grab
des Herrn! (Nach den Berichten der vorjährigen Pilger haben dieſelben
am heiligen Oſterſonntage wegen des regneriſchen Wetters in der Grabes-
kirche während der Auferſtehungsfeier im eigentlichen Sinne des Wortes
Waſſer geſchöpft.)
A
94
Bethlehem.
Am Oſterſonntag gegen Abend ritten wir zum Jaffathore hinaus nach dem
Orte, den jedes Kindlein bei uns kennt und freudig nennt, und häufig auch
zwiſchen den Fenſtern in anmuthigen Darſtellungen zur heil. Weihnachtzeit
mit himmliſcher Freude beſchaut, nämlich nach Bethlehem, welches nur
zwei Stunden von Jeruſalem entfernt gelegen iſt. Wie Kinder ſich auf die
Krippe freuen zur jährlichen Weihnachtzeit, ſo freuten wir uns kindlich
fromm, den Ort zu ſehen, zu begrüßen und zu küſſen, wo das Heil der Welt
geboren ward und die Krippe ſtand, darin vor 1800 Jahren das holdeſte
Kindlein lag, von dem das Licht ausging über die Menſchenwelt, die in der
Finſterniß und im Schatten des Todes ſaß. Wir ritten höchſt wahrſcheinlich
denſelben Weg, den einſt vom Himmelslicht geleitet, die Heidenfürſten zogen;
denn eine Strecke außer Jeruſalem zeigte man uns einen Brunnen (Ciſterne),
wo der Stern den Weiſen, die nach dem neugebornen König in Jeruſalem
gefragt hatten, und denen nach dem Wortlaute der Schrift nach Bethlehem
zu gehen bedeutet worden war, wieder erſchien, um vor ihnen einhergehend
ihnen den Weg zum Könige aller Könige zu zeigen, bis er über dem
Orte, wo das Kind war, ſtille ſtand. Und als ſie den Stern ſahen, waren ſie
hoch erfreut; denn ſie erkannten, daß ſie auf dem rechten Wege ſeien.
Unſer Dragoman, den man uns aus dem Convente zu Jeruſalem zum
Führer nach Bethlehem mitgegeben hatte, geſiel ſich auf dieſem Platze darin,
uns zu bedeuten, daß hier der Stern, der die drei Weiſen nach der Anbe-
thung des göttlichen Kindes von Bethlehem wieder zurückbegleitete, ihnen
zum Zeichen, daß ſie ja nicht gegen den Befehl Gottes nach Jeruſalem zum
Könige Herodes zurückkehrten, plötzlich vom Himmel und in dieſen Brunnen
gefallen, und im Waſſer ausgelöſcht ſei. Wir waren ungeachtet aller Ein-
wendungen uicht im Stande, den guten Mann von ſeiner verkehrten Mei-
nung abzubringen! – Einige hundert Schritte von dieſem Brunnen entfernt
liegt zur linken Hand in einem Einbuge zwiſchen zwei mäßigen Anhöhen das
griechiſche Kloſter St. Elias, in deſſen Nähe der Stein gezeigt
wird, auf welchem der Prophet Elias ruhte, als er vor der blutdürſtigen
Jezabel, der Frau des abgöttiſchen Judenkönigs Achab floh. (3. Buch der
Könige 19, 3.) Wir aber lenkten unſere Schritte nicht dahin, da es uns mit
wunderbarer Gewalt zur Geburtsſtätte des Heilands hinzog, und
das verlängende Herz keine Zögerung erlaubte. Auch konnte unſer Auge be-
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reits von unſerm Standpunkte aus die Stadt Davids deutlich ſehen, die, wie
die hier beigefügte Abbildung zeigt, auf dem Rücken eines kleinen Berges ge-
legen, uns ſchon aus der Ferne recht heimatlich anſprach. War ſie ja doch
auch die Geburtsſtätte der menſchgewordenen Liebe! – Das Herz eilte in
ſeinen Gedanken und Empfindungen voraus, und wurde nur zu ſeinem Leide
durch die Bemerkungen des Dragomans geſtört, der nach der rechten Seite
deutend mit vielem Wortprunke daſelbſt ein kleines moſcheenartiges Gebäude
als das Grabmal der Rachel, der Frau des Patriarchen Jakob (Moyſeg
35, 19–20.)
„Alſo ſtarb Rachel und wurde auf dem Wege begraben, der gegen
„Euphrata d. i. Bethlehem führt. Und Jakob errichtete ein Denkmal
„über dem Grabe; dieß iſt das Denkmal des Grabes der Rachel
„bis auf den heutigen Tag.“
und in einiger Entfernung davon die Stätte des ehemaligen Rama, als die
Stelle des Kindermordes von Bethlehem bezeichnete, von welcher der
Evangeliſt Matthäus (2, 16–18) Erwähnung macht:
„Da Herodes ſah, daß er von den Weiſen war getäuſcht worden,
„warder ſehr zornig, ſandte hin und tödtete alle Knaben, die 2jährig
„und darunter wdaren, nach der Zeit, die er von den Weiſen erforſchet
„hatte. Da ward erfüllet, was geſagt iſt worden durch den Propheten
„Jeremias, der da ſpricht (31, 15): Eine Stimme ward gehört viel
- „Weinens und Heulens in Ram a; Rachel (im Namen der jam-
„mernden Mütter) beweinte ihre Kinder, und wollte ſich über ihren Ver-
„luſt nicht tröſten laſſen.“
Wir trafen erſt gegen Sonnenuntergang in Bethlehem ein. Obwohl die
Stadt wegen ihrer gut bebauten und mit Fruchtbäumen verſchiedener Art be-
pflanzten Umgebung ein recht freundliches Anſehen gewährt, ſo befinden ſich
doch ihre ſteinernen Häuſer in einem höchſt erbärmlichen, und ihre Bewoh-
ner, die ſich größtentheils mit der Verfertigung von Kreuzen, Roſenkränzen
Bildern aus Perlmutter und anderer heiliger Schnitzwaaren beſchäftigen, in
einem äußerſt ärmlichen Zuſtande. Bei unſerm Eintritt in das Städt-
chen wurde die ganze chriſtliche Bevölkerung lebendig; und wir ſahen meh-
rere Bethlehemiten, die ſich bei unſerm Anblicke mit dem lateiniſchen
Kreuze bezeichneten, um uns wie man ſagte, dadurch anzuzeigen, daß ſie
Katholiken ſind, und ſich unſerer weiteren Aufmerkſamkeit, beſonders beim
96
ſpätern Ankauf von Arbeiten ihrer Hände als Erinnerungszeichen für die
Heimat zu empfehlen. Bei dieſer Gelegenheit fielen uns auch die bunten
Ueberkleider der Weiber auf, die aus lauter langen und etwa handbreiten
Streifen von verſchiedener Farbe von Oben nach Unten zuſammengeſetzt
WMUeN. - -
Da es bereits etwas dunkel geworden war, und wir ſchon am andern
Tage früh Bethlehem verlaſſen wollten, ſo beſchloſſen wir, ehe wir noch im
Kloſter der ehrw. PP. Franziskaner einſprachen, den Ritt nach dem ſoge-
nannten Felde der Hirten zu machen, welches ungefähr eine kleine halbe
Stunde von der Stadt entfernt im Thalgrunde gelegen iſt. Wir erreichten
daſſelbe auch bei dem ſchnellen Ritte bergab in noch kürzerer Zeit, und fanden
einen mit Bäumen dicht bepflanzten und mit Gras üppig bewachſenen, und
mit einer niedern Steinmauer umzäunten Ort. Schnell ſprangen wir von
unſern Pferden, die wir nun ſich ſelber überließen, und weideten uns auf den
Raſen hingeſtreckt an dem Genuſſe himmliſcher Empfindungen, die bei der
Erinnerung an die heilige Geſchichte in unſeren Herzen auf- und niederwogten,
und nur noch durch die Dunkelheit der bereits hereinbrechenden Nacht er-
höhet wurden. - -
Denn hier auf dieſem Platze hatte der Engel des Herrn den Hirten in
der ſeligſten Nacht die Geburt des Weltheilandes verkündiget – hier er-
ſcholl der erhebende Lobgeſang der himmliſchen Heerſchaaren: „Ehre ſei
Gott in der Höhe und Friede den Menſchen auf Erden, die
eines guten Willens ſind.“ (Luk. 2, 4) Und auch in unſer Herz drang
gleichſam die heilige Mahnung von Oben: Gehet hin nach Bethle-
hem; auch wir ſollten in dieſer Nacht, wie einſt die frommeu Hirten, ſo
überglücklich ſeyn, wenn auch nicht, wie ſie die Hochbegnadigten, das göttliche
Kind ſelbſt in der Krippe, ſo doch den Ort bewundernd zu ſchauen; wo das
Kindlein in der Krippe lag,und anbethend an der heiligen Stätte niederzuſin-
ken, wo das Heil der Welt geboren wurde. Nachdem wir uns an dieſer
denkwürdigen Stelle ſo recht gemüthlich nach Hirtenbrauch ergötzt hatten,
ſuchten wir unſere Pferde, die ihre Freiheit nicht unbenützt gelaſſen, wieder
auf, und ſtellten uns in Reih und Glied. Ich zählte Alle, ob nicht Einer
fehle, und wir ritten vollzählig mit manchem Rückblickenach dem gottgeſegneten
Felde den nunmehr ſteilen und beſchwerlichen Weg nach dem lateiniſchen
Kloſter, welches den köſtlichſten Schatz, die Geburtsſtätte des Heilandes, in
ſich barg, nachdem wir gleichſam zur Beſtätigung der heil. Geſchichte auf
dieſem Ritte einer großen Zahl von noch weidenden Heerden begegneten und
97
auch ein ganzes Dorf fanden, das nur von Hirten bewohnt iſt, und deßhalb
auch das Dorf der Hirten genannt wird.
Im Convente (welches auf dem Bilde links am äußerſten Ende des
Berges zu ſehen iſt) angekommen, erfreuten wir uns der liebreichſten Auf-
nahme von Seite des hochw. P. Guardian, und beim Nachtmahle zuſammen
im offenen Saale ſitzend, ſprachen wir Alle, wie aus Einem Munde: „Hier
iſt gut ſeyn“; denn es war uns Allen, als wenn uns heimatliche Luft an-
wehte, und als ob wir nach längerem Fernſein im Hauſe nnſerer Eltern ein-
gekehret wären. – Nach kurzem Tiſche bildeten wir eine feierliche Pro-
zeſſion mit brennenden Kerzen, die uns, wie früher in Jeruſalem,
von dem hochw. P. Guardian zum bleibenden Geſchenke und als ein heilig
Gut zur Mitnahme in die Heimat eingehändigt wurden, zu den verſchiedenen
Sanktuarien oder unterirdiſchen heiligen Stätten, was, um die Mitgenoſſen
dieſer Heiligthümer, die ſchismatiſchen Griechen, nicht zu ſtören und zu är-
gern, zur Nacht in heiliger Stille geſchehen mußte. Wir zogen daher ruhig
und in uns gekehrt, jedoch mit freudezitternden Herzen beim hellen Schim-
mer unſerer Kerzen, den P. Guardian an der Spitze, in die Kirche der Grie-
chen, die ſich bereits zum Frühgebethe daſelbſt eingefunden hatten, und ſtiegen
von da über die eine von den zwei gewundenen Stiegen, welche zu den un-
terirdiſchen Heiligthümern führen, über ungefähr 15–18 Stufen in die
Tiefe hinab, an deren Ende, wie die vorliegende Abbildung zeigt,
-
D-
Reiſebeſchreibung. 7
98
ſich gleich links die Grotte oder Höhle der Geburt Chriſti befindet, eine
mit Marmor verkleidete Niſche in dem Felſen, die fortwährend mit
16 Lampen erleuchtet iſt.
Der Boden iſt mit einer Marmorplatte bezeichnet, darin ein Stern
von Silber in Geſtalt einer ſtrahlenden Sonne eingefügt iſt, in deſſen inne-
rem Umkreiſe wir folgende Umſchrift in lateiniſcher Sprache laſen: „Hic de
Virgine Maria Jesus Christus natus est.“ (Hier iſt von der Jung-
frau Maria Jeſus Chriſtus geboren worden.) Wir ſanken von
unnennbarer Verehrung und Liebe niedergezogen, anbethend auf die Knie
hin und drückten unter vielen Thränenſtrömen heiße Küſſe auf den ewig denk-
würdigen Ort, wo die Liebe zur Welt geboren wurde. Der gegenwärtige
Stern iſt in der neueſten Zeit von den Lateinern neu gemacht worden; der
urſprüngliche war größer, und wurde, wie man erzählt, im Jahre 1846 von
den Griechen heimlicher Weiſe aus der Marmorplatte herausgenommen und
nach dem griechiſchen Kloſter St. Saba gebracht, um den Lateinern das
ihnen um der lateiniſchen Umſchrift willen unläugbarzukommende Eigenthums-
recht zu verkürzen; erſt nach längerem Streite wurde den Lateinern ihr
Recht inſoferne wieder zuerkannt, daß ſie den Stern erneuern durften. Je-
doch blieb bie heilige Stätte der Geburt Chriſti ſelbſt ein ausſchließliches
Eigenthum der Griechen mit dem einzigen Vorbehalt für die Lateiner, daß
ſie ihre Prozeſſionen dahin halten können; das heilige Meßopfer aber dür-
fen ſie daſelbſt nicht feiern, obgleich doch der erneuerte Stern mit der latei-
niſchen Umſchrift der unwiderlegbarſte Beweis für das ausſchließliche
Eigenthumsrecht der Lateiner iſt. Dieſer fortwährende unſelige Streit zwi-
chen dieſen beiden chriſtlichen Confeſſionen, davon nach dem Zeugniſſe aller
Unpartheiiſchen doch immer die Griechen die Haupturheber ſind, iſt auch
der traurige Grund, daß die unterirdiſche Umgebung der heil. Grotte in
Bethlehem eigentlich im verwahrloſten Zuſtande ſich befindet. Die Wand-
tapeten ſind zerfetzt und ſchwarz, die Decke des Mittelganges, der zu den
übrigen Sanktuarien führt, gebrochen u. ſ. w.
Die Griechen, die ſich durch große Geldgeſchenke an den Sultan in
Konſtantinopel mehrere Heiligthümer, welche urſprünglich den Lateinern zu-
gehörten, auf unrechtmäßige Weiſe erkauft hatten, eben im unrechtmäßigen
Beſitze doppelt eiferſüchtig, wollen den Lateinern keine Art von Ausbeſſerung
geſtatten, obgleich Vieles, als z. B. die Wandtapeten in dem Mittel-
gange durch das hineingeſtickte hieroſolymitaniſche Kreuz unbeſtreitbar für
das Eigenthums- alſo auch Ausbeſſerungsrecht der Lateiner Zeugniß gibt;
ſo wie die Lateiner wieder den Griechen die Vornahme einer Wiederherſtel-
99
lung irgend eines Heiligthums durchaus nicht erlauben können, ohne aus
wiederholter Erfahrung mit gutem Grunde befürchten zu müſſen, daß dieſe
allſogleich den Ort ſelbſt, wo ſie die Ausbeſſerung vorgenommen haben, als
ihr ausſchließendes Eigenthum erklären. – Wie lebendig taucht bei ſolch
herzerſchütterndem Anblicke des Zerfallens der heilige Stätten der Wunſch
in der Seele auf, daß doch bald die verheißene Zeit erſchiene, wo nur Eine
Heerde und Ein Hirt ſeyn wird.
Der Stätte der Geburt Chriſti gegenüber, etwa ſieben Schritte davon
entfernt, in einer kleinen Vertiefung iſt die Stelle, wo die Krippe ſtand,
(dieſelbe ſoll gegenwärtig in Rom in der Kirche der heil. Maria der Größe-
ren aufbewahrt ſeyn), darin das göttliche Kind lag, und von den Hirten
und heidniſchen Weiſen angebethet wurde – ein ausſchließliches Eigenthum
der Katholiken. Gegenwärtig iſt dieſer heilige Ort ununterbrochen von fünf
Lampen erleuchtet. Ihm gegenüber in einer Ecke der Wand, an der die zweite
Wendeltreppe herunterführt, iſt der Altar der drei Weiſen mit einem
entſprechenden und ſchön gemalten Bilde, und nebenbei im Winkel der Stein,
auf welchem die heilige Jungfrau ſitzend aus den Händen derſelben die dar-
gebrachten Geſchenke empfangen haben ſoll. Auf dieſem Altar leſen die
Lateiner die heil. Meſſe.
Nachdem wir auch hier, an dem Ort der Krippe, dem göttlichen Erlöſer
unſere Huldigung und Anbethung dargebracht hatten, gingen wir durch den
ſchon erwähnten halbzerfallenen Mittelgang zu den übrigen geweihten Stel-
len – als an den Ort, wohin ſich der heilige Joſeph während der Geburt
Chriſti aus Scheu zurückzog und dort ruhte – ferner zu der Kapelle der
unſchuldigen Kindlein mit einer geräumigen Höhle, worin ein großer
Theil der auf Befehl des Herodes in und um Bethlehem gemordeten Kin-
der geworfen wurde – einige 30 Schritte davon etwas ſeitwärts zu der ge-
räumigen Grotte, in welcher der heilige Kirchenlehrer Hieronymus die
letzten Jahre ſeines Lebens zubrachte und die heil. Schrift in die lateiniſche
Sprache überſetzte – und endlich noch tiefer in dem Gange zu dem Grab der
heil. Paula und ihrer Tochter Euſtochium, zweier vornehmer römiſcher
Frauen, welche freiwillig ihr Vaterland verließen und ſich nach Paläſtina
begaben, und an dieſem heiligen Ort den Entſchluß faßten, den Reſt ihres
Lebens daſelbſt zuzubringen und hier begraben zu werden. Am andern Ende
dieſes Mittelganges, der die erwähnten Heiligthümer mit einander verbindet,
führt eine Treppe hinauf in die Kirche der P. P. Franziskaner, welche der
heil. Jungfrau und Martyrin Katharina geweiht iſt, und wir verweilten
in derſelben vor dem ſchönen Hochaltare noch einige Zeit im ſtillen Gebethe,
7 + -
100
dankend dem Herrn, der uns, wie einſt die frommen Hirten und heidniſchen
Weiſen, der hohen Gnade gewürdiget hatte, die geheimnißvollen Stellen Sei-
ner Geburt und Wiege, von wo aller Segen über die Menſchenwelt
ausging, zu ſchauen und zu küſſen.
Nach verrichteter Andacht, deren Empfindungen ſich nicht ſchildern laſ-
ſen, begaben wir uns zur Ruhe – überſelig, nicht weit entfernt von jenem
heiligen Orte der Ruhe pflegen zu können, wo das holdſeligſte der Men-
ſchenkinder im Schooße Seiner himmliſchen Mutter und in der ärmlichen
Krippe ruhte. Am andern Tage um 4 und halb 5 Uhr waren ich und
Prof. Albert ſo glücklich, bei dem Altar, wo die Weiſen das göttliche Kind
in der Krippe angebethet hatten, die heilige Meſſe leſen zu dürfen, wobei
uns die übrigen Pilger als fromme Bether umſtanden – und nachdem wir
Alle durch die Liebe des P. Guardian mit Reliquien der vorzüglichſten heili-
gen Stätten Bethlehems beſchenkt worden waren, nahmen wir noch Einmal
rührenden Abſchied von denſelben – ſie in Ehrfurcht küſſend, und verließen
mit wahrhaft ſchweren Herzen die freundliche Stadt, deren chriſtkatholiſche
Bewohner, die bei 2000 zählen, uns nebſt verkauften Roſenkränzen, Perl-
mutterbildern, eingelegten Kreuzen, Jericho-Roſen u. ſ. w. auch viele innige
Wünſche auf die weitere Reiſe mitgegeben hatten.
Nach St. Johann.
Nachdem wir am 9. April d. i. am Oſtermontage Vormittags die denk-
würdige Geburtsſtätte unſers Heilandes mit tiefbewegten Herzen verlaſſen
hatten, zog es uns doch auch mächtig zu jener heiligen Stelle hin, wo der
Vorläufer des Herrn das Licht der Welt erblickte – nämlich nach
St. Johann mit 40–50 Katholiken. Sagte doch der Heiland ſelbſt von
dieſem Manne, daß kein größerer von einem Weibe geboren
worden ſei, als Johannes der Täufer (Matth. 11, 11), weil er ge-
ſendet ward, als ſegenverkündender Morgenſtern der himmliſchen Sonne,
die jeden Menſchen erleuchten ſollte, der in die Welt kommt, voranzugehen-
Nur machten wir vorerſt einen Unweg von 1/2 Stunde, um die uns
ſo ſehr angerühmten Teiche Salomons zu beſichtigen – nämlich Ci-
ſternen von ſehr großem Umfange, welche König Salomon in den Bergen
Judäa's aus ſtarken Quadern erbauen ließ und zwar drei an der Zahl,
von denen eine über der andern emporſteigt, ſo daß in der oberſten Ciſterne
das theils von den Regengüſſen, theils von dem aus der Nähe zufließenden,
ſogenannten verſiegelten Brunnen Salomons geſammelte Waſſer bei einge-
tretener Ueberfüllung in die zunächſt niederer gelegene und von dieſer in die
101
unterſte Ciſterne abfloß, und von hier aus, ohne daß ein Tropfen verloren
ging, durch die weiter fortgeführte Leitung bis nach Jeruſalem geführt
wurde. Auf dem Wege dahin zeigte ſich uns zur linken Hand ein auf-
fallend ſpitziger, faſt vereinzelt ſtehender Berg, der uns auf unſere Frage als
der Frankenberg aus den Zeiten der Kreuzfahrer bezeichnet wurde, wo
nach dem Falle und Verluſte Jeruſalems die letzten Kämpfer des chriſtlichen
Glaubens (die katholiſchen Chriſten werden im Oriente noch heutzutage
„Franken“ genannt) ſich noch durch 40 Jahre gegen die Uebermacht der Sa-
razenen behaupteten. Von den Teichen Salomons ging's dann wieder zurück
bei dem Grabmale Rachels und nahe bei Bethlehem ſelbſt in der Thalniede-
rung vorüber, auf ſehr ſteilen und halsbrecheriſchen Pfaden, und über be-
deutende und ſchwindelerregende Höhen nach St. Johann, das ſich ſchon
von Ferne auf einer ſanften Höhe, in einem Keſſel von Bergen rings um-
ſchloſſen, höchſt maleriſch gelegen unſeren Blicken darſtellte. Daſelbſt unge-
fähr um 2 Uhr Nachmittags angekommen, beſuchten wir in frommer Andacht
den Ort, wo der Vorläufer des Herrn geboren wurde, in der
Kirche der ehrwürdigen Franziskaner, denen auch hier, wie überall im heiligen
Lande, die Bewachung dieſes Heiligthums anvertraut iſt. Die Mönche ſelbſt
lauter Spanier, befanden ſich eben zum Veſpergebethe im Chor der Kirche.
Zur Kapelle der Geburt des heiligen Johannes an der linken Seite der
Kirche führen 25 breite und bequeme Stufen hinab, in deren Hintergrund
eine halbkreisförmige Niſche, aus Marmor gehauen und mit Lampen reich
beleuchtet, den Ort umſchließt, wo Johannes der Täufer geboren wurde, und
auf dem mit weißem und ſchwarzem Marmor ausgetäfelten Boden iſt zu leſen:
„Hic Praecursor Domini Christinatus est.“ (Hier iſt der Vorläufer
des Herrn Chriſtus geboren worden.)
In der oberen Marmordecke ſieht man ein Lamm ausgemeißelt und
darunter die Worte geſchrieben: Ecce Agnus Dei! (Sehet das Lamm
Gottes!) – Worte, mit welchen Johannes ſelbſt in der Wüſte die Meſ-
ſias würde Jeſu Chriſti bezeugte. (Joh. 1, 29.) Rechts vom Hoch-
altar der Kirche zeigte man uns eine mit einem eiſernen Gitter verſchloſſene
Maueröffnung, wo angeblich ein Theil der ſteinernen Kanzel aufbewahrt
wird, auf welcher der Bußprediger am Jordan geſtanden ſeyn ſoll. Die
Geburt des Vorläufers des Herrn wird in der heiligen Schrift folgender
Weiſe erzählt: (Luk. 1, 5–24 und 57–80.)
„Zur Zeit des Herodes, Königs von Judäa, war ein Prieſter von
„der Ordnung Abia mit Namen Zacharias, und ſein Weib war von den
102
„Töchtern Aarons und ihr Name Eliſabeth. Sie waren beide gerecht
„vor Gott, und wandelten in allen Geboten und Satzungen des Herrn
„untadelhaft. Und ſie hatten kein Kind; indem Eliſabeth unfruchtbar
„war, und ſie waren beide wohl betagt. Es begab ſich aber, da er das
„Prieſteramt verwaltete, zur Zeit ſeiner Ordnung, fiel ihm das Loos
„nach der Gewohnheit der Prieſterſchaft, daß er das Rauchwerk anzün-
„dete; und er ging in den Tempel des Herrn. Die ganze Menge des
„Volkes aber bethete draußen (im Vorhofe) zur Stunde des Räuch-
„opfers. Es erſchien ihm aber ein Engel des Herrn, der ſtand zur
„rechten Seite des Räuchaltars. Und als Zacharias ihn ſah, erſchrack
„er und Furcht überfiel ihn. Aber der Engel ſprach zu ihm: Fürchte
„dich nicht, Zacharias! denn dein Gebeth iſt erhört worden, und dein
„Weib Eliſabeth wird dir einen Sohn gebären, und du ſollſt ihm den
„Namen Johannes geben. Du wirſt Freude und Wonne haben, und
„Viele werden ſich ſeiner Geburt freuen; denn er wird groß ſeyn vor
„dem Herrn. Wein und ſtarkes Getränk wird er nicht trinken, und er
„wird ſchon vom Mutterleibe an erfüllet werden mit dem heiligen
„Geiſte. Und er wird Viele von den Kindern Iſraels zu dem Herrn
„ihrem Gott bekehren. Und er wird vor Ihm einhergehen im Geiſte
„und in der Kraft des Elias, hinzukehren die Herzen der Väter zu den
„Kindern und die Widerſpänſtigen zu der Weisheit der Gerechten, zu
„bereiten dem Herrn ein wohl gerüſtetes Volk. – Und Zacharias ſprach
„zu dem Engel: Wie ſoll ich das glauben; denn ich bin alt und mein
„Weib iſt zu hohen Jahren gekommen. Der Engel antwortete und
„ſprach zu ihm: Ich bin Gabriel, der vor Gott ſtehet, und ich ward
„geſendet, zu dir zu ſprechen, und dieſe frohe Botſchaft dir anzukündi-
„gen. Und ſieh' du wirſt ſtumm ſeyn und nicht reden können bis auf
„den Tag, da dies geſchieht, darum, weil du meinen Worten nicht ge-
„glaubt haſt, welche zu ihrer Zeit erfüllet werden ſollen. – Und das
„Volk wartete auf Zacharias, und verwunderte ſich, daß er ſo lange
„in dem Tempel verweilte. Und als er herausging, konnte er nicht zu
„ihnen ſprechen, und ſie merkten, daß er ein Geſicht im Tempel geſehen
„habe, und er winkte ihnen und blieb ſtumm. – Und es begab ſich, da
„die Tage ſeiner Amtspflege vollendet waren, ging er heim in ſein Haus.
„Nach der Zeit aber wurde Eliſabeth, ſein Weib geſegnet, und ſie ver-
„barg ſich fünf Monate. Und als ihre Zeit erfüllet war, daß ſie gebären
„ſollte, gebar ſie einen Sohn. Und als ihre Nachbarn und Verwandten
„hörten, daß der Herr ſich barmherzig an ihr gezeigt hatte, freueten ſie
103
„ſich mit ihr. – Und am 8. Tage kamen ſie das Kindlein zu beſchnei-
„den und hießen es nach dem Namen ſeines Vaters: Zacharias. Seine
„Mutter aber antwortete und ſprach: Nicht ſo, ſondern Johannes ſoll er
„heißen. Und ſie ſprachen zu ihr: Iſt doch Niemand in der Verwandt-
„ſchaft, der alſo heiße! Sie winkten aber ſeinem Vater, wie er ihn
„will heißen laſſen? Und er forderte ein Täfelchen und ſchrieb: Jo-
„hannes iſt ſein Name. Uud ſie wunderten ſich Alle. Und alsbald ward
„aufgethan ſein Mund und ſeine Zunge gelöſt, und er redete und pries
„Gott. Und es kam Furcht über alle ihre Nachbarn, und all dies Ge-,
„ſchehene ward kund auf dem ganzen Gebirge von Judäa. Und Alle,
„die es hörten, nahmen ſich's zu Herzen und ſprachen: Was wird wohl
„aus dieſem Kinde werden ? denn die Hand des Herrn war mit ihm.
„Und Zacharias, ſein Vater, wurde mit dem heiligen Geiſte erfüllet,
„weiſſagte und ſprach: Geprieſen ſei der Herr, der Gott Iſraels; denn
„Er hat Sein Volk heimgeſucht und erlöſet, und hat uns aufgerichtet
„ein Horn des Heiles im Hauſe Davids, Seines Knechtes, wie Er
„durch den Mund. Seiner heiligen Propheten vor Zeiten geſprochen
„hat, daß Er uns erretten wolle von unſeren Feinden und aus der
„Hand Aller, die uns haſſen, um Barmherzigkeit zu zeigen unſeren Vä-
„tern und eingedenk zu ſeyn Seines heiligen Bundes, des Eides, den
„Er geſchworen hat unſerm Vater Abraham, uns zu geben, daß wir,
„erlöſet aus der Hand unſerer Feinde, Ihm dienen ohne Furcht auf
„Lebenslang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor Ihm. Und du, Kind-
„lein, wirſt einſt Prophet des Allerhöchſten genannt werden; denn du
„wirſt vor dem Angeſicht des Herrn einhergehen, Seine Wege zu be-
„reiten, zu geben die Erkenntniß des Heiles Seinem Volke zur Verge-
„bung der Sünden durch die Barmherzigkeit unſers Gottes, durch
„welche Er uns heimgeſucht hat, der Aufgang aus der Höhe, und zu
„leuchten denen, die in der Finſterniß und im Schatten des Todes ſitzen,
„und zu richten unſere Füße auf den Weg des Friedens. Das Kind
„aber wuchs und ward ſtark im Geiſte, und blieb in der Wüſte bis zum
„Tage ſeiner Darſtellung vor dem Volke Iſraels!“
Als wir von der Beſichtigung der Geburtsſtätte des Täufers in das
Convent zurückgekehrt waren, empfingen uns die ehrw. Väter mit wahrhaft
herzlicher Freude und boten uns nebſt der Nachtherberge einige Erfriſchun-
gen an. Erſtere lehnten wir freundlich ab, weil wir noch an demſelben
Tage in Jeruſalem zurück ſeyn wollten, um am nächſten Morgen nach be-
>
104
reits getroffener Verabredung den Ausflug nach dem Jordan und zu dem
todten Meere vorzunehmen; nahmen aber um ſo bereitwilliger den gütigen
Antrag einer leiblichen Stärkung an, da wir ſeit Früh nichts zu uns genom-
men hatten, und nach einem ſo weiten und ermüdenden Ritte das Verlangen
nach einem labenden Mahle in uns Allen bereits mit doppelter Kraft ſich
geltend machte.
Die Zeit nun, während welcher das Mahl bereitet wurde, konnten wir
nicht beſſer benützen, als zu einem Abſtecher nach dem Orte der Heim-
ſuchung, der eine kleine halbe Stunde vom Kloſter entfernt gelegen iſt.
Denn Zacharias hatte nebſt dem Hauſe im gegenwärtigen St. Johann
als jüdiſcher Prieſter noch ein Land häuschen, wo er während der ſchö-
nen Jahreszeit zu wohnen pflegte, und wohin ſich auch ſeine geſegnete Frau
Eliſabeth zur Zeit der Heimſuchung Mariens zurückgezogen hatte. Der
Weg zum Orte der Heimſuchung führte uns an einem recht maleriſch gele-
genen Brunnen mit immer reinem, friſchem und kühlenden Waſſer vor-
über, bei dem wir mehrere Weiber ihre Wäſche reinigen und einige Türken
mit ihren langen Tſchibuks im Munde nachläſſig hingeſtreckt liegen ſahen.
Nicht ferne von dieſem Brunnen ſtiegen wir eine kleine Höhe am Ab-
hange des Berges, der St. Johann gegenüber liegt, hinan, und fanden hier
in einer theilweiſe mit Oelbäumen und Weingärten bepflanzten Gegend die
Ueberreſte jenes Hauſes, wo die beiden hochbegnadigten Mütter ſich
begrüßten. Auf dem Platze dieſes Landhauſes ſtand ehemals auch eine von
der Kaiſerin Helena gebaute Kirche – dem Andenken an dieſe Heimſuchung
Mariens geweiht, von der wir leider bloß einige Trümmer vorfanden;
jedoch ſprach uns dieſer Ort ſo traulich an, daß wir uns nur ſehr ſchwer
von ihm trennen konnten. Zu wiederholten Malen zog es mich in den
Hofraum zu den daſelbſt einzeln ſtehenden und mit Raſenſitzen gezierten
Bäumen zurück, die uns unter ihre kühlenden Schatten gar ſo freundlich
einzuladen ſchienen – und ſelbſt ſchon auf dem Rückweg nach dem Kloſter
wendete ich noch oft die Blicke nach dem bedeutungsvollen Orte zurück, wo
Eliſabeth vom heiligen Geiſte erfüllt zu Maria die denkwürdigen Worte
ſprach (Lukas 1,42–45):
„Geſegnet biſt Du unter den Weibern und geſegnet iſt die Frucht
„Deines Leibes. Und wie kommt es, daß mich die Mutter mei-
„nes Herrn beſucht? Denn ſiehe, da die Stimme Deines Grußes
„zu meinen Ohren kam, hüpfte vor Freude das Kind in meinem Leibe.
„Und ſelig biſt Du, da Du geglaubt haſt; denn es wird vollendet wer-
„den, was Dir geſagt iſt worden von dem Herrn.“
105
Nannte nicht mit dieſen Worten die gottbegeiſterte, alſo wahrheitkün-
dende Eliſabeth, die erſte nach dem Engel, Maria die Mutter Gottes
nach dem Ausdruck unſerer Kirche? Und wer kennt nicht den ſchönen
Lobgeſang, mit welchem die heilige Gottesmutter dieſe Anſprache er-
wiederte? (Luk. 1, 46–55.)
„Meine Seele verherrlichet den Herrn und mein Geiſt frohlocket in
„Gott, meinem Heile; denn Er hat angeſehen die Niedrigkeit Sei-
„ner Magd, und ſiehe, von nun an werden mich alle Geſchlech-
„ter ſeligpreiſen. Denn große Dinge hat Er an mir gethan, der
„da mächtig iſt, und heilig iſt. Sein Name, und Seine Erbarmung geht
„von Geſchlecht zu Geſchlecht denen, die Ihn fürchten. Er übet Gewalt
„mit Seinem Arm, und zerſtreut, die da ſtolz in ihres Herzens Sinne
„ſind. Von den Thronen ſtürzt Er die Mächtigen und die Niedrigen
„erhöhet Er. Die Hungrigen erfüllt Er mit Gütern und die Reichen
„entläßt Er leer. Er hat ſich angenommen Israels, Seines Knechtes,
„eingedenk Seiner Barmherzigkeit, wie Er es zugeſagt hat unſeren
„Vätern, dem Abraham und deſſen Nachkommen in Ewigkeit.“
Nach St. Johann zurückgekehrt, fanden wir in dem Speiſezimmer
der ehrwürdigen Söhne des heiligen Franziskus ein in ſo kurzer Zeit
mögliches einfaches, aber hinreichend labendes Mahl mit beſonders vor-
trefflichem Weine bereitet, der unſere Herzen erheiterte, und unſeren
Gliedern die nöthige Kraft zum Heimritte nach Jeruſalem einhauchte,
das wir wegen der Thorſperre noch vor Untergang der Sonne erreichen
mußten.
Ausflug nach dem Jordan und zum todten Meere.
Am Oſterdienſtag, es war den 10. April, gings mit Zelten und
Lager- oder Feldbetten, dem nöthigen Küchengeſchirre und zwei kleinen eiſer-
nen Herden ſammt den erforderlichen Lebensmitteln nach Jericho, zum
Fluſſe Jordan und zum todten Meere, zu welchem bibliſchem Aus-
fluge wir 2% Tage beſtimmt hatten. Nicht alle Pilger, die nach dem heiligen
Lande wallen, unternehmen auch den Ausflug nach dieſen in der Schrift als
äußerſt merkwürdig bezeichneten Orten; einige hält die Furcht vor der gro-
ßen, oft unerträglichen Hitze, welche in dieſer wüſten Gegend herrſcht, andere
die Beſorgniß vor den Qualen der daſelbſt herumziehenden Inſectenſchwärme
zurück; wieder andere ſcheuen dieſe Gegend als den Aufenthalt der Bedui-
nen, der ſogenannten Räuber der Wüſte, oder weichen den unwegſamen
106
Pfaden aus, die oft kaum drei Schuh breit, ſich durch dieſe Gegend neben zu
beiden Seiten gähnenden, ſchauerlichen Abgründen hinziehen. Aus Scheu
vor der drückenden Hitze unterließ auch der Herzog von Brabant, der etwas
kränkelte, auf den Rath ſeines Arztes den Ritt dahin, und um des ſchwindel-
erregenden Weges willen blieben auch zwei unſerer Pilger in Jeruſalem
zurück. Die Uebrigen aber trugen nicht das mindeſte Bedenken, trotz der
brennenden Hitze und ſtechenden Mücken, trotz der unwegſamen Pfade und
der gefürchteten Räuber in der Wüſte die obengenannten Stätten zu beſu-
chen, die uns ein beſonderes Intereſſe boten. Wohl ſchienen uns die letz-
teren in dieſen unwirthbaren und verlaſſenen Gegenden am meiſten fürch-
terlich, da wir ungeachtet unſerer ſtarken Bewaffnung (zu der uns nur eine
Kanone fehlte) dem Anfalle einer größeren Menge dieſes ſo verſchrienen
Volkes, das noch immer unter ſchlechten, ſchwarzen Zelten lebt, und mit ſei-
nen Heerden von Weide zu Weide zieht, kaum hätten widerſtehen können.
Deßhalb machte unſer Führer Mattia mit dem Sheik d. i. dem Häuptling
des Beduinenſtammes dieſer Gegend, einen Vertrag, in Folge deſſen dieſer
mit einigen ſeiner Leute, welche bewaffnet waren, uns für einen beſtimm-
ten Geldbetrag auf dieſem Ausfluge begleitete, und im Nothfall gegen
einen räuberiſchen Angriff fremder Stammgenoſſen ſchirmen mußte, wenn es
auch wunderbarlich klingt, daß uns Räuber gegen Räuber ſchützen ſollten.
Indeſſen pflegt der Beduine – dieſer rohe Sohn der Wildniß – ſein ge-
gebenes Wort zu halten, und ſelbſt mit ſeinem Leben für die Sicherheit des
Lebens ſeiner Schutzbefohlenen, ſo wie des übrigen Eigenthums derſelben
einzuſtehen. Auch ſcheinen dieſe Räuber eine ganz beſondere Freiheit zu ge-
nießen, weil ſie ungehindert ihre Wege ziehen, öfter einzeln, öfter auch in
größeren Schaaren mit langläufigen Gewehren, die ſich aber ſchlecht
ſchießen ſollen, oder mit mehr als zwei Klafter langen an den beiden Enden
zugeſpitzten Lanzen bewaffnet. So trafen wir bald, nachdem wir das Weich-
bild von Jeruſalem verlaſſen hatten, derlei Beduinenzügler, die jedoch wahr-
ſcheinlich aus Reſpect vor unſerer Salva guardia (Schutzwache) ganz ruhig
an uns vorüber ritten, und hierbei ihren Stammgenoſſen oder auch uns ein
freundliches „Makraba“ d. h. Willkommen zuriefen. Die Tracht der Be-
duinen iſt ganz eigenthümlich; wohl trägt der Sheik ſein Haupt in einen
Turban eingehüllt und ſeinen Leib nach türkiſcher Manier gekleidet, und die
Seite mit einem krumm gebogenen Säbel feſt umgürtet, während die ihn
umgebenden Leute eine Art von Mantel aus Kameelhaaren mit gelben und
mit ſchwarzen breiten Streifen um ihre Schultern werfen, und ein buntes
Tuch mit feſtgefochtenem, ſtarkem Strick um ihre Stirne und ihren Scheitel
107
binden, und auf ihren leichten arabiſchen Pferden über Berg und Thal mit
Blitzesſchnelle dahin fliegen. Unter ſolchem Geleite zogen wir denn in die
Wüſte, und kamen auf den Weg dahin zu der bewohnten Ortſchaft Betha-
nia, dem bekannten Lieblingsaufenthalte des Herrn, nachdem Er die ſün-
dige Magdalena ihren Geſchwiſtern Lazarus und Martha mit Gott verſöhnt
zurückgegeben hatte.
Hier im Hauſe dieſer drei Geſchwiſter hielt der göttliche Heiland auf
ſeinen Reiſen öfter heilige Raſt – hier genoß er im Schooße der edelſten
Freundſchaft manche ſüße und erquickliche Stunde, und beſeligte durch Seine
Gegenwart die Herzen, die mit inniger Liebe an Ihm hingen. – Wir hielten
ſtill und ich gedachte jener ſchönen Stelle aus dem Evangelium des hei-
ligen Lukas (10, 38–42), die ich nie ohne tiefe Rührung nach der Vor-
ſchrift der Kirche am Feſte der Himmelfahrt Mariens dem gläubigen Volke
von heiliger Stätte vorgeleſen hatte:
„Es begab ſich aber, da ſie (Jeſus und Seine Jünger) umherzogen,
„kam Er in einen Flecken (Bethanien) und ein Weib mit Namen
„Martha nahm Ihn auf in ihr Haus. Und ſie hatte eine Schweſter
„mit Namen Maria; die ſetzte ſich zu den Füßen des Herrn und
„hörte Seine Worte. Martha aber machte ſich viel zu ſchaffen, den
„Herrn zu bedienen, und ſie trat hinzu und ſprach: Herr, iſt es Dir
„gleichgiltig, daß meine Schweſter mir allein das Bedienen überläßt?
„Sage ihr doch, daß ſie mir helfe! Der Herr aber antwortete und ſprach
„zu ihr: Martha, Martha, du biſt ſorgfältig und bekümmerſt dich um
„viele Dinge; nur Eines iſt nothwendig. Maria hat den beſten
„Theil erwählt, der nicht mehr wird von ihr genommen werden.“
Hier war es auch, wo der Göttliche Seinen Freund Lazarus, der ſchon
vier Tage im Grabe lag, vom Tode auferwecket und ihn ſeinen überſeligen
Schweſtern zurückgegeben hatte, und bei der Oeffnung dieſes Grabes ſtehend,
ſannen wir im Geiſte über die Geſchichte dieſer Auferweckung nach, wie ſie
der heilige Johannes (11, 1–45) ausführlich erzählt, wie ſie ſich hier
zugetragen und die lauernden Feinde Jeſu zur blutigen Entſcheidung ange-
trieben hatte:
„Es war Einer krank, mit Namen Lazarus von Bethania, wo Ma-
„ria und ihre Schweſter Martha wohnten. (Dieſelbe Maria war's, die
„nach Luk. 37, 35–50 als reuige Sünderin im Hauſe Simons des
„Phariſäers den Herrn mit Oel ſalbte, und Seine Füße mit ihren
108
„Haaren abtrocknete; – derſelben Bruder Lazarus war krank.) Da
„ſandten deſſen Schweſtern zu Ihm und ließen Ihm ſagen: Herr! ſiehe,
„den Du liebeſt, der iſt krank. Als Jeſus dieſes hörte, ſprach Er zu
„ihnen: Dieſe Krankheit iſt nicht zum Tode, ſondern zur Verherrlichung
„Gottes, daß der Sohn Gottes durch ſie verherrlichet werde. Und Er
„blieb zwei Tage an demſelben Orte. Dann ſprach Er zu Seinen Jün-
„gern: Laßt uns nach Judäa gehen. Die Jünger ſprachen zu ihm: Mei-
„ſter! ſo eben ſuchten die Juden Dich zu ſteinigen, und Du geheſt wie-
„der dahin? Jeſus antwortete: Sind nicht des Tages zwölf Stunden?
„Wenn Einer am Tage wandelt, der ſtoßt nicht an; denn er ſieht das
„Licht dieſer Welt. Wenu er aber Nachts wandelt, da ſtoßt er an;
„denn das Licht iſt nicht bei ihm. Solches ſagte Er; – und darnach
„ſprach Er zu ihnen: Lazarus, unſer Freund, ſchläft; Ich aber gehe
„hin, ihn aufzuwecken. Da ſprachen Seine Jünger: Herr! wenn er
„ſchläft, wird's beſſer mit ihm. (Es ſprach aber Jeſus von deſſen Tode;
„ſie hingegen meinten, Er redete von der Ruhe des Schlafes.) Da
„ſagte denn Jeſus es offen heraus: Lazarus iſt geſtorben; und ich freue
„mich um euretwillen, auf daß ihr glaubet, weil Ich nicht da war. Doch
„laſſet uns zu ihm gehen. Und Jeſus kam hin und Er fand ihn ſchon
„vier Tage im Grabe. Und da Bethanien nahe bei Jeruſalem lag, ſo
„waren viele Juden zu Martha und Maria gekommen, ſie zu tröſten
„über ihren Bruder. Martha nun, wie ſie hörte, daß Jeſus komme, lief
„Ihm entgegen; Maria aber ſaß z Hauſe. Und Martha ſprach zu Ihm:
„Herr! wenn Du hier geweſen wäreſt, ſo wäre unſer Bruder nicht ge-
„ſtorben; aber auch weiß ich es, was immer Du Gott bitteſt, wird Er
„Dir geben. Jeſus ſprach zu ihr: Dein Bruder wird auferſtehen. Mar-
„tha ſprach zu ihm: Ich weiß, daß er auferſtehen wird am jüngſten
„Tage. Und Jeſus ſprach zu ihr: Ich bin die Auferſtehung und das Le-
„ben; wer an Mich glaubt, der wird leben, wenn er auch ſtürbe, und
„wer da lebet und an Mich glaubet, der wird in Ewigkeit nicht ſterben.
„Glaubſt du das? Und ſie ſprach zu Ihm: Ja, Herr! ich glaube: Du
„biſt Chriſtus, der Sohn des lebendigen Gottes, der Du in die Welt
„gekommen biſt. Nachdem ſie dies geſagt hatte, ging ſie hin und rief
„ihre Schweſter Maria heimlich, und ſprach: Der Meiſter iſt da und
„rufet dich. Dieſe aber, als ſie das hörte, ſteht eilends auf, und geht
„zu Ihm. (Denn Jeſus war noch nicht in den Flecken hineingekommen,
„ſondern noch an derſelben Stelle, wo Ihm Martha begegnet war.)
„Als nun die Juden, welche bei ihr im Hauſe waren, um ſie zu tröſten,
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„ſahen, daß ſie eilends aufſtand und hinausging, folgten ſie ihr nach,
„und ſprachen: Sie geht hin zum Grabe, um zu weinen.
„Als nun Maria gekommen war, wo Jeſus weilte, und ſie Ihn ſah,
„fiel ſie zu Seinen Füßen und ſprach zu Ihm: Herr! wenn Du hier
* „geweſen wäreſt, ſo wäre mein Bruder nicht geſtorben. Da Jeſus ſie
„weinen ſah und die Juden, welche mit ihr gekommen waren, er-
„ſchauerte Er im Geiſte, und erregte ſich ſelbſt. Und Er ſprach: Wo
„habt ihr ihn hingelegt. Sie ſprachen zu Ihm: Herr, komm und ſieh'!
„Und Jeſus weinte. Da ſprachen die Juden: Seht, wie lieb Er
„ihn hatte. Einige aber aus ihnen ſprachen: Konnte der, welcher einem
„Blindgebornen die Augen öffnete, nicht auch machen, daß dieſer nicht
„ſtürbe? Jeſus aber erſchauerte abermals in Sich ſelbſt, und Er kam
„zum Grabe. Dasſelbe aber war in einer Höhle, und davor war ein
„Stein gelegt. Und Jeſus ſpricht: Nehmt den Stein hinweg. Und es
„ſpricht zu Jeſus Martha, die Schweſter des Geſtorbenen: Herr! er
„riecht ſchon; denn er liegt ſchon vier Tage. Und Jeſus ſpricht zu ihr:
„Habe ich dir nicht geſagt: Wenn du glaubſt, wirſt du die Herrlichkeit
„Gottes ſehen? Da nahmen ſie den Stein hinweg, und Jeſus hob die
„Augen empor und ſprach: Vater! ich danke Dir, daß Du Mich er-
„hört haſt. Ich wußte, daß Du Mich allezeit erhöreſt, aber um des
„Volkes willen, das herumſteht, ſagte Ich's, auf daß ſie glauben, daß
„Du Mich geſandt haſt.
„Und nachdem Er das geſagt hatte, rief Er mit lauter Stimme:
„Lazarus, komm heraus! Und alsbald kam der Geſtorbene heraus,
„Hände und Füße in Grabtücher gebunden, und das Angeſicht verhüllet
„mit dem Schweißtuch. Jeſus ſprach zu ihnen: Löſet ihn los und laſſet
„ihn gehen. Viele nun von den Juden, die zu Maria und Martha
„gekommen waren, und ſahen, was Jeſus gethan hat, glaubten an Ihn.“
Hier endlich war es auch, wo dieſelbe Magdalena den Herrn auf
Seiner letzten Reiſe nach Jeruſalem vor Seinem Gang zum Tode zum
Vorzeichen ſeines baldigen Begräbniſſes geſalbt hat. (Joh. 12, 1–8.)
„Jeſus kam ſechs Tage vor Oſtern nach Bethanien, wo Lazarus
„war, der todt geweſen und den Jeſus anferwecket hatte. Und ſie berei-
„teten Ihm dort ein Gaſtmahl und Martha hatte die Obſorge; Lazarus
„aber war Einer von denen, die mit Ihm zu Tiſche ſaßen. Da nahm
„Maria ein Pfund echten, köſtlichen Nardenöles und ſalbte die Füße
„Jeſu, und trocknete ſie mit ihren Haaren. Und das Haus ward erfüllet
110
„mit dem Geruche des Oeles. Da ſprach Einer aus Seinen Jüngern,
„Judas Iskariot, der Ihn verrathen wollte: Warum wird dieſes
„Salböl nicht verkauft für 300 Groſchen und dieſe den Armen gegeben?
„Das ſagte er aber nicht, weil er ſich um die Armen kümmerte, ſon-
„dern weil er ein Dieb war, den Beutel hatte, und trug, was hinein-
„gelegt ward. Da ſprach Jeſus: Laſſet ſie! Sie hat dieſes für den
„Tag Meines Begräbniſſes gethan. Arme werdet ihr allezeit bei euch
„haben, Mich aber werdet ihr nicht immer haben.“
Nachdem wir nun in dem freundlichen Bethanien, das durch ſo viele
anmuthige Erinnerungen aus dem Leben unſers Erlöſers ausgezeichnet iſt,
durch längere Zeit verweilt und unſere Herzen durch die lebendige Ver-
gegenwärtigung einer ſo ſchönen Vergangenheit gelabt hatten, brachen wir
endlich auf und ritten durch unbebaute, ſandige und ſteinige Oeden im
Gebirge bis hinaus in die Thalebene am Jordan, wo ſich wieder mehrere
Spuren des Naturlebens zeigten. Der Weg durch dieſe Wüſte iſt fürwahr
im vollen Sinne des Wortes ſchauerlich. Kein Vogel ſchwirrt durch die
Luft; – kein Grashalm grünt im ausgebrannten Boden; – nirgends reg-
ein Leben ſich. Wahrhaftig ein wie dazu gemachter Aufenthalt für Räuber;
– ganz entſprechend dem Wortlaute des Evangeliums Luk. 10, 30–35:
„Es ging ein Menſch von Jeruſalem nach Jericho und fiel unter die
„Mörder; die zogen ihn aus und ließen ihu halb todt liegen und gin-
„gen davon u. ſ. w.
Indeſſen hatte denn doch die emſige und ſorgſame Hand des Menſchen
auch dieſe Wüſte dadurch den Reiſenden zugänglich gemacht, daß wir hier
und da tief ins felſige Geſtein eingegrabene Ciſternen fanden, die durch
ihre Lage vor dem Zutritt der heißen Sonnenſtrahlen geſchützt ſind, und
dem müden Wanderer, wie dem dürſtenden Laſtthiere eine kühlende Labung
geben. W
Nach einem etwa zweiſtündigen Ritt wandelte uns die Luſt an, un-
ſere Collazion im Freien zu halten, allein es wollte ſich nirgends ein ſchat-
tiger Ort zur Niederlaſſung zeigen; da hörten wir hinter uns das Ge-
trabe von Pferden und Stimmen von Menſchen, und wir ſahen Uns eine
kleine Caravane von engliſchen Reiſenden im ſchnellen Trabe folgen. Da
ruft Mattia, unſer Führer, dem Herrn Grafen Harnoncourt in franzöſiſcher
Sprache die Worte zu: Er möge, weil er das beſte Pferd ritte, demſelben
allſogleich die Sporen geben, und die Höhe (die er ihm mit dem Finger wies)
111
vor der Ankunft der Engländer beſetzen, weil daſelbſt ringsum aufgehäuftes
Geſtein und zerfallenes Gemäuer war, hinter welchem wir uns ſchattig la-
gern und unſern Morgen-Imbis brüderlich verzehren konnten. Und wir fan-
den dieſes Plätzchen, ſo karg auch ſeiu Schatten war, doch als das einzige in
der ganzen Gegend, und fühlten uns in den Beſitz deſſelben um ſo glücklicher,
da wir die Engländer, die erſt nach uns gekommen waren, ſich im offenen
Sonnenlichte in der Mittagshitze lagern ſahen.
Nachdem wir endlich nach einem ſechs Stunden langen Ritte durch die
Wüſte das weitgedehnte Jordansthal erreicht hatten, zeigten ſich links einige,
wohl nur ſehr unbedeutende Spuren vom Alt- Jericho der Bibel. Vor
uns lag die Spitze des alle Höhen weit überragenden Berges der Ver-
ſuchung, der bei jedem Schritte vorwärts immer freier unſeren Blicken
ſich enthüllte, wie die weiter unten folgende Abbildung zeigt.
Da ſich die Sonne bereits ihrem Untergange zuneigte, ſo machten wir
unweit von dem ſogenannten Eliſäus-Brunnen Halt, ſchlugen unſere
Zelte auf, richteten die Lagerbetten her und deckten unter dem großen Zelt
den Tiſch zur nächtlichen Mahlzeit in der Wüſte, welche unſer Koch auf ſei-
nem kleinen Herde zum Erſtaunen ausgezeichnet gut bereitete! – Mittler-
weile gingen einige von uns zum Brunnen, um bei der Quelle ſelbſt zu trin-
ken, Andere badeten ſich in einiger Entfernnng, wieder andere nahmen die
Flinte und jagten nach Geflügel im nahen Gebüſche. Letzteres that Graf
Harnoncourt und Fürſt Zeil in Begleitung eines jungen, etwa 19jährigen
Beduinen, der ſehr viele Geſchmeidigkeit zeigte, und ſich an die beiden Pil-
ger recht vertraulich anzuſchließen ſchien, indeſſen aber auf den Antrag des
Grafen von Harnoncourt, ob er nicht mit ihm nach ſeinem Schloſſe in
Steiermark ziehen und alldort in ſeine Dienſte treten wolle, wo er Alles
fände, was ſein Herz verlangte, ganz ſchnell zur Antwort gab: Er wolle
lieber zehnmal ſterben, als ſein freies Wanderleben in der Wüſte verlaſſen.
Denn der Beduine, ſo wenig er auch hat, fühlt ſich dennoch glücklich, weil er
ſich und ſeine Brüder als Nachkommen Ismaels, des Sohnes Abrahams
von der Hagar, ſeiner Sklavin, für die rechtmäßigen Herren des heiligen
Bodens hält, den in der Vorzeit ihr Stammvater Abraham auf ſeinen Wan-
derzügen in Beſitz genommen hat.
Auch ich ging hin zum Eliſäus-Brunnen, und ſchöpfte mir einen Trunk
köſtlichen Waſſers aus demſelben, um meine vertrocknete Zunge zu laben und
mein erhitztes Blut zu kühlen, und dachte an die ungefähr 2000 Jahre vor
uns gelegene Zeit zurück, wo durch den Propheten Eliſäus das verdorbene
112
und ungeſunde Waſſer dieſes Brunnens in ein gutes und geſundes um-
gewandelt wurde (4. Buch der König. 2, 18–22.):
„Eliſäus aber war zu Jericho und die Bürger dieſer Stadt ſpra-
„chen zu ihm: Sieh', die Lage dieſer Stadt iſt ſehr gut, wie du, Herr,
„ſelbſt wohl ſiehſt: das Waſſer aber iſt ſehr ſchlecht und das
„Land iſt unfruchtbar. Er aber ſprach: Bringt mir ein neues Geſchirr
„her und thut Salz darein. Und ſie brachten es ihm. Da ging er hin-
„aus zum Waſſerbrunnen, und warf Salz darein und ſprach: Dies
„ſagt der Herr: Ich habe dieſes Waſſer geſund gemacht, und es wird
„hinfort weder den Tod, noch Unfruchtbarkeit verurſachen. Alſo wurde
„das Waſſer geſund bis auf den heutigen Tag nach dem Worte,
„das Eliſäus geredet hatte.“
Vor Allen aber zog hier meine Aufmerkſamkeit der ſchon erwähnte
Berg der Verſuchung
auf ſich, der wie ein emporgehobener Finger Gottes in dem Hintergrunde
unſerer Zelte ſtand und mit ſeinen, wenn auch minder hohen Nachbarn das
ernſte Bild der öden Gegend in ein noch mehr düſteres Grauen hüllte,
ſo daß noch nicht alle Spur des Satansſpuckes, der auf dieſem Berge einſt
getrieben ward, verwiſcht und weggetilget ſchien. Denn von dieſem Berge
113
(der auch Quarantania genannt wird, von den vierzig (italieniſch quaranta)
Tagen, die der Herr nach Seinem Rückzug in die Wüſte hier in der Nähe
desſelben faſtend und bethend zugebracht hatte) erzählt die heilige Schrift.
(Matth. 4, 1 und 8–11) Folgendes:
„Jeſus ward von dem Geiſte in die Wüſte geführt, damit Er von
„dem Teufel verſuchet würde. Und derſelbe nahm Ihn mit ſich auf einen
„ſehr hohen Berg und zeigte Ihm (nach den vier Weltgegenden deu-
„tend) alle Reiche der Welt ſammt ihrer Herrlichkeit und ſprach zu
„Ihm: Dieſes Alles will ich Dir geben, wenn Du vor mir niederfällſt
„und mich anbetheſt. Da ſprach Jeſus zu ihm: Hinweg von Mir, Sa-
„tan! denn es ſteht geſchrieben: „Du ſollſt den Herrn, deinen Gott
„anbethen und Ihm allein dienen.“ Da verließ Ihn der Teufel, und
„ſiehe die Engel traten hinzu und dienten Jhm.“
In ernſte Gedanken tief verſunken ſah ich, auf einer kleinen Höhe ſte-
hend, hinauf auf die mit einer Kapelle geſchmückte Spitze dieſes Berges,
wo der Hölle Macht zum erſten Male ſiegreich überwunden ward, und
noch lange ſtand ich ſinnend da, bis mich der wiederholte laute Ruf zum
Abendtiſch aus meinen Träumen weckte. Ungern folgte ich dieſem Rufe, und
wohl zehnmal kehrte ich den Blick nach jenem Punkte hin, wo der Heilige
mit dem Unheiligen, die Wahrheit mit der Lüge, die Liebe mit dem Haſſe –
Chriſtus mit Belial im Kampfe ſtand, der ſich zu unſerm Heil entſchied.
Schweigſam ſaß ich noch durch einige Zeit bei Tiſche, während meine Ge-
fährten nicht genug des Lobes über die Menge der aufgetragenen Gerichte
und die ausgezeichnet gute Zubereitung in der ſonſt ſo ſchauervollen Wüſte
ſagen konnten. Die Beduinen, denen unſer Führer einen ſchwarzen Bock ge-
ſpendet hatte, brannten einiges dürres Reiſig, das ſie in der Nähe geſam-
melt und über einander gelegt hatten, zur auflodernden Flamme an, ſchlach-
teten hierauf den Ziegenbock, uud nachdem einige aus ihnen Stücke rohen
Fettes, das noch rauchte, aus dem aufgeſchlitzten Unterleibe dieſes Thieres
zum Genuſſe ſich herausgeriſſen hatten, brieten ſie den Ueberreſt bei dem
Feuer, das mit ſeinem rothen Scheine der ganzen Gegend eine eigenthüm-
liche, unheimliche Färbung gab, und hielten um daſſelbe ihre Orgien, d. h.
heidniſchen Tänze, die beſonders durch die Theilnahme eines in ein blendend
weißes Leinentuch gehüllten Neger-Beduinen, der den Tanz mit einer Art
von unartikulirtem, ziſchendem und grunzendem Geſange begleitete, einen
gräßlichen Eindruck auf mich machte, ſo daß ich mich dem nächtlichen Höllen-
Reiſebeſchreibung. 8
114
ſchauſpiele bald entzog, und halb entkleidet nur – die Ruhe auf dem, wenn
auch harten Lagerbette ſuchte. Die Wache um die Zelte durch die Nacht be-
ſorgten die bedungenen Räuber der Wüſte, denen wir all unſer Hab und
Gut und auch das Leben ſelbſt vertrauen mußten! - --
Am nächſten Morgen di buon' ora (zu guter Stuude), wie die Italiener
ſagen, d. h. ſehr frühe wurde aufgeſtanden und im Freien mit friſchem
Waſſer gewaſchen (die Luft kühlt ſich im Oriente zur Zeit der Nacht be-
deutend ab, ſo daß das Thermometer oft von 30 Tagesgraden durch die
Nachtzeit bis auf 18 Grade herunter ſinkt), das Frühſtück zubereitet, das
wegen Mangel an Milch aus einer Schale ſchwarzen Kaffeh's beſtand, die
Zelte abgebrochen und die Pferde munter beſtiegen; denn es ging zum
Jordan, dem vornehmſten Fluß in Paläſtina, der auf den Bergen von
Galiläa entſpringt, durch den See Geneſareth und bei ſeinem Ausfluß
aus demſelben durch ein einige Tagereiſen langes und auch breitgedehn-
tes Thal fließt, bis er ſich endlich in das todte Meer ergießt. Der Jor-
dan wird ſchon in dem alten Bunde öfter genannt, und beſonders bei der
Beſitznahme des gelobten Landes durch die Iſraeliten ausgezeichnet:
(Joſua 3, 1 und 5–17; 4, 1–11 und 18–25.)
„Joſua machte ſich des Nachts auf und brach auf mit ſeinem Lager
„und ſie kamen an den Jordan, er und alle Söhne Iſraels, und blie-
„ben daſelbſt drei Tage. Und Joſua ſprach zu dem Volke: Heiliget
„euch; denn Morgen wird der Herr Wunder uuter euch thun. Und zu
„den Prieſtern ſprach er: Nehmet die Bundeslade und ziehet her vor
„dem Volke. Und ſie thaten, was er befahl, und nahmen ſie, und zo-
„gen vor ihnen her. Und der Herr ſprach zu Joſua: Heute will ich an-
„fangen, dich zu erheben vor ganz Iſrael, damit ſie wiſſen, daß Ich, wie
„Ich mit Moſes geweſen, alſo auch mit dir ſeyn werde. Du aber ge-
„biete den Prieſtern, welche die Bundeslade tragen, und ſprich zu ih-
„nen: Wenn ihr in einen Theil des Jordans getreten ſeid, ſo haltet
„darin ſtille. Und Joſua ſprach zu den Söhnen Iſraels: Tretet herzu
„und höret das Wort des Herrn, eures Gottes. Und wieder ſprach er:
„Daran ſollet ihr erkennen, daß der Herr, der lebendige Gott unter
„euch iſt und vor euch vertilgen wird die Chananiter und anderen ab-
„göttiſchen Völker: Sehet, die Bundeslade des Herrn der ganzen Erde
„wird vor euch hergehen durch den Jordan. So nehmt nun zwölf Män-
„ner von den Stämmen Iſraels, je einen Mann aus jeglichem Stamme.
„Und wenn die Prieſter, welche die Lade Gottes, des Herrn der ganzen
115
„Erde, tragen, ihre Fußſohlen in das Waſſer des Jordans ſetzen, ſo
„wird das Waſſer, das unten iſt, abfließen; was aber von Oben
„kommt, wird ſich in einem Haufen zuſammenſtellen.“
„Alſo brach das Volk auf aus ſeinen Zelten, um über den Jordan
„zu gehen, und die Prieſter, welche die Bundeslade trugen, zogen vor
„demſelben her; und als ſie nun in den Jordan eintraten, und ihre
„Füße in einen Theil des Waſſers tauchten, ſtand das Waſſer, welches
„von Oben kam, an Einem Orte und erſchien aufgethürmt, wie ein
„Berg, was aber unten war, floß in das Meer der Wüſte, welches nun
„das todte Meer heißt, bis es ganz verſchwand. Und das Volk zog hin-
„durch, Jericho gegenüber, und die Prieſter, welche die Bundeslade
„des Herrn trugen, ſtanden auf trockenem Boden in der Mitte des
„Jordans in Ordnung und alles Volk ging durch das trockene Rinn-
„ſal. Als ſie nun hindurchgezogen waren, ſprach der Herr zu Joſua:
„Wähle aus 12 Männer, je Einen von jeglichem Stamme, und gebiete
„ihnen, daß ſie mitten aus dem Rinnſale des Jordans, wo die Füße
„der Prieſter ſtanden, zwölf der härteſten Steine nehmen; dieſe leget
„nieder in dem Lagerorte, wo ihr dieſe Nacht die Zelte aufſchlaget.
„Und Joſua rief die zwölf Männer, die er erwählet hatte aus den
„Söhnen Iſraels, je Einen von jeglichem Stamme, und ſprach zu ih-
„nen: Gehet her vor der Lade des Herrn, eures Gottes, in die Mitte
„des Jordans, und ein Jeder trage daraus einen Stein auf ſeinen
„Schultern, nach der Zahl der Söhne Iſraels, damit es ein Denkzei-
„chen unter euch ſei, und wenn euere Söhne euch in Zukunft fragen
„und ſagen werden: Was bedeuten dieſe Steine? – ſo ſollt ihr ihnen
„antworten: Das Waſſer des Jordans wich vor der Bundeslade des
„Herrn, da ſie hindurchging: darum wurden dieſe Steine zum Denk-
„mal geſetzt für die Söhne Iſraels auf immer. Alſo thaten die Söhne
„Iſraels, wie ihnen Joſua gebot, und trugen 12 Steine mitten aus dem
„Rinnſal des Jordans, nach der Zahl der Söhne Iſraels bis an den
„Ort, wo ſie lagerten und richteten ſie auf. Und Joſua errichtete 12
„andere Steine mitten in dem Rinnſale des Jordans, wo die Prieſter
„ſtanden, welche die Bundeslade trugen, und ſind noch daſelbſt bis zum
„heutigen Tag (gegen das Lebensende des Joſua, der dieſes ſchrieb).
„Aber die Prieſter, welche die Lade trugen, ſtanden mitten im Jordan,
„bis Alles vollzogen war, was der Herr dem Joſua geboten, dem Volke
„zu ſagen, und was ihnen Moſes geſagt hatte. Und das Volk eilte und
„ging hinüber; und nachdem Alle hindurch gegangen waren, ging auch
8
11 (§
„die Lade des Herrn hindurch und die Prieſter zogen vor dem Volke
„her. Und da ſie heraufgeſtiegen waren, und anfingen, auf trockenen
„Boden zu treten, da kehrte das Waſſer wieder in ſein Rinnſal zurück
„und floß, wie ehevor. Und das Volk war hinaufgeſtiegen aus dem Jor-
„dan am zehnten Tag des erſten Monats (Niſan – bei uns April)
„und lagerte ſich zu Galgal, an der öſtlichen Heite der Stadt Jericho.
„Und Joſua richtete zu Galgal die zwölf Steine auf, welche ſie aus
„dem Rinnſale des Jordans genommen hatten, und ſprach zu den Söh-
„nen Iſraels: Wenn eure Söhne ihre Väter fragen werden: Was be-
„deuten dieſe Steine? ſo ſollet ihr ſie unterrichten und ihnen ſagen:
„Durch das trockene Rinnſal des Jordans iſt Iſrael durchgegangen,
„indem der Herr euer Gott das Waſſer deſſelben vor euch austrocknete,
„bis ihr hinübergezogen waret, ſo wie Er ehevor am rothen Meere ge-
„than, welches Er austrocknete, bis wir hinüber waren, auf daß alle
„Völker der Erde die überſtarke Hand des Herrn kennen lernten, und
„damit auch ihr fürchtet den Herrn, euren Gott, zu jeder Zeit.“
Nicht weniger berühmt iſt dieſer Fluß, in deſſen Nähe ſich ſchon Lot
nach der Trennung von ſeinem Vetter Abraham vor der Vertilgung der
Städte Sodoma und Gomorrha gelagert hatte, wegen der Theilung ſeiner
Gewäſſer durch den Mantel des Elias (4. König. 2, 8–14), durch die
Heilung des ausſätzigen Naamans, der ſich auf den Befehl des Eliſäus
ſiebenmal im Jordan waſchen mußte (4. König. 5, 14). Seine größte Be-
rühmtheit erlangte er aber im neuen Teſtamente durch die Werke des Täu-
fers und Bußpredigers Johannes, vor Allem aber durch die Taufe
Jeſu, die an ſeinen Uferu vor ſich ging und Jeſum durch die Stimme Got-
tes vom Himmel vor allem Volke beglaubigte. (Mark. 1, 9–11):
„Es begab ſich aber in dieſen Tagen, daß Jeſus von Nazareth kam
„und von Johannes im Jordan getauft wurde. Und alsbald, wie Er
„aus dem Waſſer ſtieg, ſah Er den Himmel geöffnet und den heiligen
„Geiſt wie eine Taube herabſchweben, und über Ihm bleiben. Und es
" „kam eine Stimme vom Himmel: Du biſt Mein geliebter Sohn, an
„welchem Jch Mein Wohlgefallen habe.“
Auf dem Wege zum Jordan paſſirten wir Neu-Jericho, ein elendes
Dorf der Beduinen, die ſich wohl auch hie und dabei allem Hang zum
Wanderleben einen feſteren Sammelplatz zu wählen ſcheinen, und fanden da-
ſelbſt einen alten, wahrſcheinlich aus der Zeit der Kreuzzüge noch her-
117
ſtammenden Thurm (von Alt-Jericho der Bibel, welches in einiger Ent-
fernung gelegen war, iſt nur eine ſehr geringe Spur mehr vorhanden) und
kamen durch eine ſandige Ebene mit ſandigen Hügeln zu jenem Punkt am
Jordan, den man für den Ort ausgibt, wo Johannes taufte; wenig-
ſtens ſchien die Lage und Umgebung ganz beſonders hiezu geeignet, wie ihn
meine lieben Leſer hier abgebildet ſehen.
Einen auffallenden Contraſt gegen die übrige völlig wüſte Gegend dieß-
und jenſeits des Jordans bilden die wunderherrlich grünen mit den üppig-
ſten Bäumen bepflanzten Ufer deſſelben, die ihm ſelbſt einen beſonderen Reiz
verleihen und den müden Wanderer zur erquickenden Raſt freundlich unter
ihren kühlenden Schatten laden. Sein Waſſer ſelbſt iſt trübe, und an vielen
Stellen ſo tief und reißend, daß man immer nur mit ſehr vieler Vorſicht in
ſeinen Fluthen badet, weil man ſonſt Gefahr läuft, wider ſeinen Willen von
der gewaltigen Strömung mit fortgeriſſen zu werden. Mehrere aus uns ba-
deten ſich ganz Andere wuſchen ſich Hände und Füße und das Haupt in
dieſer geheiligten Fluth, alle aber füllten ihre Flaſchen mit dieſem Waſſer
an, um ſelbes in die Heimat mitzunehmen.
118
Vom Jordan ging's durch ein weitgedehntes Thal an der mächtigen
Ruine des ehemaligen Kloſters St. Johann vorüber zum todten Meere,
an welchem Platze im alten Teſtamente die Städte Sodoma und Gomorrha
ſtanden, welche der Herr um der gräulichen Laſter willen, die darin verübt
wurden, durch Feuer vom Himmel vertilgte, ſo daß auch jede Spur derſel-
ben verſchwunden iſt.
(1. Buch Moſes. 18, 20–32; 19, 1–2 und 15–17; 24–28.)
„Der Herr ſprach: Die Miſſethat der Sodomiter und Gomorrhiter
„iſt ſo groß geworden, daß ſie zu Mir um Rache ſchreit. Und Abra-
„ham trat näher zu dem Herrn und ſprach: Wirſt Du den Gerechten
„verderben mit dem Gottloſen? Wenn fünfzig Gerechte in der
„Stadt wären, ſollten ſie auch mit umkommen? und wirſt Du nicht des
„Ortes ſchonen, um der fünfzig Gerechten willen, wenn ſie darin ſind?
„Und der Herr ſprach zu ihm: Wenn ich zu Sodoma fünfzig Gerechte
„finde in der Stadt, will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben.
„Und Abraham antwortete und ſprach: Weil ich einmal angefangen
„habe, will ich reden mit meinem Herrn, obwohl ich Staub und Aſche
„bin. Wie? Wenn fünf Gerechte weniger als fünfzig da wären,
„würdeſt Du um der fünfundvierzig willen die ganze Stadt vertilgen?
„Und Er ſprach: Ich will ſie nicht vertilgen, wenn ich fünfundvierzig
„daſelbſt finde. Und wiederum ſprach Abraham zu Ihm: Wenn aber
„vierzig ſich vorfänden, was würdeſt Du thun ? Er ſprach: Ich werde
„ſie nicht ſchlagen um der vierzig willen. Und Abraham ſprach: Mein
„Herr! ich bitte, zürne nicht, wenn ich rede. Wie ? wenn ſich dreißig
„da fänden? Er antwortete: Wenn Ich dreißig da finde, will Ich's
„nicht thun. Und Abraham ſprach: Weil ich einmal begonnen, will ich
„reden mit dem Herrn. Wie? wenn zwanzig ſich da fänden? Er
„ſprach: Ich will ſie nicht tödten um der zwanzig willen! Und Abra-
„ham ſprach: Ich bitte, zürne nicht, mein Herr! wenn ich noch einmal
„rede. Wie? wenn zehn ſich da fänden? Und Gott ſprach: Ich will
ſie verſchonen um der zehn willen.
„Und zwei Engel kamen gegen Sodoma Abends, da Lot beim Thore
„der Stadt ſaß. Und als er ſie ſah, ſtand er auf und ging ihnen ent-
„gegen, und bückte ſich nieder zur Erde, und ſprach: O Herren! ich
„bitte, kehret doch ein zum Hauſe eures Knechtes und bleibet daſelbſt;
„waſchet eure Füße und Morgen ziehet eures Weges. – Da es nun
119
„Morgen war, drängten ihn die Engel, und ſprachen: Mache dich auf,
„nimm dein Weib und die zwei Töchter, die du haſt, damit nicht auch
„du umkommeſt im Laſter der Stadt. Und da er zauderte, nahmen ſie
„ſeine Hand und die Hand ſeines Weibes und ſeiner zwei Töchter, weil
„der Herr ſeiner ſchonen wollte, und führten ihn hinaus, und ließen
„ihn außer der Stadt, und ſprachen: Errette deine Seele; ſchaue nicht
„hinter dich, und bleib nicht in der Umgebung, ſondern rette dich auf
„das Gebirge, damit du nicht umkommeſt. – Und es ließ der Herr
„über Sodoma und Gomorrha Schwefel nnd Feuer vom Himmel
„herabregnen, und kehrte dieſe Städte um, und die ganze Um-
„gegen d, alle Bewohner der Städte, und Alles, was grünte auf Er-
„den. Und ſein Weib ſchaute hinter ſich, und ward zu einer Säule von
„Salz. Abraham aber machte ſich des Morgens früh auf an den Ort,
„wo er ehevor geſtanden vor dem Herrn, und ſchaute hin nach Sodoma
„und Gomorrha, und ſah einen Dampf aufſteigen von der Erde, wie
„den Rauch eines Ofens.“
So die Entſtehung des todten Meeres durch die Worte der Schrift
verbürgt. Wohl tragen ſich auch manche Fabeln vom todten Meere herum,
die eine Erfindung des Aberglaubens ſind, als z. B. wollen manche Rei-
ſende, vom Waſſerſpiegel in die Tiefe ſchauend, auf dem Grunde desſelben
Spuren von den Häuſern der hier verſunkenen Städte bemerkt haben;
andere wieder geben vor, die Beobachtung gemacht zu haben, daß die
Subſtanz des Waſſers ſpecifiſch ſchwerer ſei als der menſchliche Körper,
weßhalb dieſer auf der Oberfläche ſchwimmend bleibe und nicht unterge-
hen könne, und wieder Andere wollen behaupten, daß die aus dem Meere
aufſteigenden Dünſte alſo verderblich ſeien, daß jeder Vogel, der über ſeine
Gewäſſer fliegt, ſobald er dieſen Dunſtkreis nur berührt, augenblicklich todt
herunter falle! – -
Nun ſind aber dieſe Vorgaben und Behauptungen pure Fabeln, die
vor den Augen des unparteiiſchen Richters an Ort und Stelle alſogleich
in Nichts zerfließen. Doch bleibt es wieder andererſeits auch unbeſtreitbar
wahr, daß die Beſchaffenheit der Umgegend nicht weniger als das Waſſer
ſelbſt mit den obengenannten Worten der heiligen Schrift vollkommen zu-
ſammenſtimmt. Denn je näher wir an ſeine Ufer kamen, deſto geringer
wurde die Vegetation, und wir fanden deutliche Spuren des verdunſteten
Salzes auf dem Boden in den weißen Flecken desſelben, die beim Rück-
gange des von den Stürmen über ſeine gewöhnlichen Ufer gepeitſchten
120
Meerwaſſers entſtanden waren. Auch trafen wir kein lebendes Weſen an
ſeinen Ufern, und noch weniger einen lebenden Fiſch in ſeinen dunkelblauen
Fluthen, deßhalb es auch mit vollem Rechte den Namen des „todten Mee-
res“ führt. Auch koſteten wir aus Neugierde das Waſſer ſelbſt, und fan-
den ſeinen Geſchmack alſo eckelhaft, daß es lange Zeit brauchte, desſelben
von der Zunge los zu werden, wie es wohl bei der Miſchung von Salz-,
Pech- und Schwefelſubſtanz, die es enthält, nicht anders ſeyn kann, weßhalb
es auch in der Schrift ſelbſt (1. B. Moſ. 14, 3) das Salzmeer und in
den Erdbeſchreibungen das asphaltiſche Meer genannt wird. (Wer
kennt nicht den Asphalt, mit welchem in der neueſten Zeit die Wege in
den Alleen auf unſerm Glacis belegt worden ſind, und der aus einer
ähnlichen Miſchung ſich bereitet?)
Ich hatte mir eine Flaſche mit ſolchem Waſſer angefüllt und in den
Mantelſack auf einem unſerer Maulthiere geſteckt, um auch den Daheim-
gebliebenen das Koſten, wenn ſie vielleicht darnach Verlangen trugen,
möglich zu machen. Indeſſen geſchah es ſpäter, daß ein Pferd, welches
ſtützig wurde, in ſeiner Wildheit gegen das Maulthier, das meine Flaſche
trug, ausſchlug und mit dem Hufe eben meine Flaſche traf, ſo daß ich nur
eine ganz kleine Quantität von dieſem Waſſer durch die Güte eines Fran-
ziskanerbruders zur Koſt nach Hauſe bringen konnte. – Endlich iſt auch der
Umfang des todten Meeres in ſeiner Länge und Breite alſo beſchaffen,
daß er mit der Erzählung der heiligen Schrift von dem Untergange mehre-
rer Städte, die in dem Thale zerſtreut lagen, vollkommen zuſammenſtimmt.
Es mißt nämlich in die Breite zwei und in der Länge ungefähr zwölf
Stunden, mithin Raum genug, die in der Schrift angeführten Städte vor
ihrem Untergange zu faſſen. - -
Vom todten Meere nahmen wir den Rückweg über ſehr ſteile und
ſchmale Abhänge, die bisweilen nur zwei Schuh Breite hatten und
rechts und links die furchtbarſten Tiefen öffneten, ſo daß uns nur der
gewohnte ſichere Fußtritt unſerer Pferde unverſehrt hinüberbrachte. Ich
ritt damals einen alten Fuchſen, der ganz ruhig ſeine Wege ging, und
bei beſonders heiklichen und gefährlichen Stellen oft ſtille ſtand, mit geſenktem
Kopfe unter ſich den Weg ſondirte und nach rechts und links die prüfenden
Augen drehte, um den beſſeren Weg zu finden. Ja, als ich einmal ſeines
Zögerns überdrüßig, die Zügel ſtärker anzog, um nach meinem Willen ihn
zu lenken, wandte er den Kopf zurück nach mir und ſchien mir zu bedeuten,
daß ich das nicht verſtehe; – und wirklich überzeugte ich mich einmal, daß
es mir gerathener ſei, dem Zuge meines Thieres willig nachzufolgen, weil
121
ich, wenn es nach meinem Sinne gegangen wäre, ſammt dem Roſſe in den
bodenloſen Abgrund geſtürzt ſeyn würde,
Hier folgt im Bild eine Parthie des Weges von dem todten Meere,
welches letztere im Hintergrunde zu ſchauen iſt,
Nach einem ſehr langen, äußerſt beſchwerlichen und ermüdenden Ritte
langten wir endlich den 11. April gegen Abend bei dem berühmten griechi-
ſchen Kloſter St. Saba an, welches im eigentlichen Sinne des Wortes in
den Felſen hinein oder aus dem Felſen heraus gebaut iſt, und gleichſam wie
ein Adlerhorſt an dem Kalkgeklüfte hängt. Schon in der früheſten Zeit
dienten die verſchiedenen, mitunter ſehr geräumigen Höhlen in dieſem Kalk-
gebirge den Anachoreten oder Einſiedlern zum Aufenthalte, um völlig
abgeſchieden von der Welt und ungeſtört von dem Geräuſche derſelben ſich
und dem Herrn zu leben. Nach einer kurzen Beſichtigung des Kloſters, wo
wir den ſchönſten Palmbaum ſahen, und der Kirche, wo wir einen großen
Reichthum von Gold und Silber (nach der Ausſage der Mönche zumeiſt
Geſchenke des ſeligen ruſſiſchen Kaiſers Nikolaus) fanden, ſchlugen wir un-
weit davon unſer Lager wieder unter Zelten auf. Wein und Brot beſorgte
unſer Führer um Geld aus dem Kloſter.
122
Am andern Tage, Donnerſtag den 12. April brachen wir um fünf
Uhr Morgens auf und waren Mittags in Jeruſalem, und dankten Alle Gott,
daß wir den ſchweren Strauß ſo glücklich überſtanden hatten; den zurückge-
bliebenen Pilgern brachten wir Jordanwaſſer mit und ſtinkendes Pech
und ſchwarzes Harz vom todten Meere.
An demſelben Tage Abends waren ſechs Pilger unſerer Karavane und
zwar drei geiſtliche und drei weltliche von dem hochwürdigen Herrn Pa-
triarchen auf das freundlichſte zu Tiſch geladen und trefflich bewirthet. Die
erheiterndſten Geſpräche in verſchiedenen Sprachen würzten das Mahl.
Unter den ſechs geladenen Pilgern befand ſich auch der bejahrte Herr
Anton Mick aus Bodenſtadt in Mähren, den wir ob ſeines Alters und
ſeines langgewordenen weißen Bartes unſern Patriarchen zu nennen
gewohnt waren, und der leider am ganzen Tiſchgeſpräche keinen lebendigen
Antheil nehmen konnte, da er bloß deutſch verſtand und ſprach. Ich nahm
mir die Freiheit, ihn, der mir gerade gegenüber ſaß, dem hochwürdigen
Herrn Patriarchen von Jeruſalem als unſer n Patriarchen zu präſentiren
und mein Bedauern auszuſprechen, daß er ſo wenig Antheil an der heitern
Stimmung, die unſere Geſellſchaft beſeelte, nehmen könne – da erhob ſich
auf meine dem alten Herrn hievon gemachte Mittheilung derſelbe von ſeinem
Sitze, und brachte in ſeiner Sprache einen ſinnigen Toaſt auf das Wohl
Sr. Heiligkeit des Papſtes, unſers Kaiſers Franz Joſeph und ſchließlich des
Patriarchen von Jeruſalem, des edlen Feſtgebers, aus, nach deſſen von mir
ins Lateiniſche gemachten Ueberſetzung der hochwürdige Patriarch, ſichtlich
hocherfreut, in frommer Weiſe Gottes reichſten Segen über unſere Pilgerge-
ſellſchaft in gewählten Worten herabrief, und in der Fortſetzung ſeiner
Rede bedeutete, daß das Erſcheinen deutſcher Pilger an den heiligen Stät-
ten und ihr ausgeſprochener Eifer für dieſelben gewiß einen höchſt wohlthä-
tigen Einfluß auf die chriſtliche Bevölkerung von Jeruſalem und des übri-
gen heiligen Landes ausüben werde.
Beſuch der Königsgräber und der Jeremiasgrotte.
Am folgenden Tage, es war Freitags am 13. April, machten wir
Vormittags beim Damaskusthor hinaus auch einen Spaziergang zu den
ſogenannten Königsgräbern. Dieſelben gehören unſtreitig zu den ſchön-
ſten Denkmälern alter Baukunſt, die noch in Jeruſaleu vorhanden ſind.
Zuerſt gelangten wir durch einen halb verſchütteten Thorbogen in eine ciſter-
nenartige quadratförmige Vertiefung oder Steingrube von etwa 30 Fuß Tiefe
und 60 Schritt Breite, welche gleichſam einen aus dem Felſen gehauenen
123
Vorhof bildet, an deſſen Nordſeite ſich eine große Halle mit einem ſchönen
Portale öffnet, das mit Vildhauerarbeit von Blumen und Früchten ge-
ſchmückt iſt, die ſich noch ſehr gut unterſcheiden laſſen. Im Aeußern iſt
beinahe Alles ſchon zerſtört und verwüſtet, und die Halle ſelbſt mit Unrath
und Schutt dermaßen angefüllt, daß ein Menſch kaum zur Noth auf Händen
und Füßen durch eine enge Oeffnung, die ſich links zeigt und in das Innere
führt, hineinkriechen kann. Beim Fackelſchein entdeckt man da über 40 Tod-
tenkammern oder Nebengrüfte, welche mit mehreren hundert Niſchen zur
Aufnahme der Sarkophage verſehen ſind. Wahrſcheinlich dienten dieſe Grä-
ber zur Beerdigung der Könige aus der zahlreichen Herodianiſchen Fa-
milie, da nach den Worten der Schrift die Könige des Reiches Juda
mit wenigen Ausnahmen auf dem Berge Sion begraben wurden.
Von hier aus gingen wir über ſteinige und nur kärglich mit Oel-
bäumen bepflanzte Felder zu der eine Viertelſtunde entfernten Jeremias-
Grotte. Ungefähr einen Steinwurf weit von den Stadtmauern liegt auf
der Fläche ein mächtiger Fels, der einem kleinen Berge gleicht und in ſeinem
Innern die breite und tiefe Grotte birgt, in welcher der Prophet Jeremias
ſeine Klagelieder über den Fall Jeruſalems, die noch heutzutage in der Char-
woche bei der ſogenannten Pumpermette Nachmittags in unſeren Kirchen ge-
ſungen werden, verfaßt haben ſoll. Ich ſtieg in ihre Tiefe hinab, und ſah
beim Eingange einen großen ausgehöhlten von der Erde erhöhten Stein,
den man das Bett des Jeremias nennt, weil der Prophet darauf geruht
haben ſoll. Die einſame und abgeſchiedene Lage dieſes Ortes iſt auch ganz
geeignet, das Menſchenherz zu wehmüthigen Ergießungen und Trauerliedern
zu ſtimmen, wozu es bei der Zerſtörung der heiligen Stadt für den an dem
Schickſale ſeines Volkes ſo herzlich theilnehmenden heiligen Mann an Stoff
nicht fehlte,
Als ich ſo einige Augenblicke allein in der Grotte verweilte, ſchien mich
auch bei dem Anblicke der öden und traurigen Stadt der Geiſt des klagenden
Propheten zu ergreifen, und unwillkürlich ſtimmte meine tief erſchütterte
Seele in den Klageton des Propheten ein, und rief bejammernd aus
(1. Hauptſt.): „Ach, wie liegt die Stadt ſo einſam da, die ehe-
mals ſo volkreich war! Wie eine Witwe iſt ſie geworden,
die Herrin der Völker; denn der Herr hat ſie gezüchtig
um der Menge ihrer Miſſet haten willen.“ -
Da wir nun mit dem Beſuche dieſer beiden Stellen die Beſichtigung
aller merkwürdigen Stätten in und außerhalb Jeruſalem vollendet hatten,
ſo kehrten wir in unſere Herberge zurück, um die nöthigen Vorbereitungen
124
zu der auf den andern Tag beſtimmten Weiterreiſe nach Samaria und Ga-
liläa, die noch in unſerm Plane lag, zu treffen.
Abſchied von Jeruſalem.
Nachdem wir noch an demſelben Tage unſere Abſchiedsbeſuche bei dem
hochw. Herrn Patriarchen und dem k.k. öſterr. Conſul gemacht hatten, ließen
wir unſere Päſſe viſiren, und verſammelten uns Nachmittags zum Scheide-
gruß bei den vorzüglichſten Sanktuarien im heiligen Grabesdome. Ich
hatte in der Kürze der Zeit einige der Bedeutung dieſer Stätten entſpre-
chende Lieder ſtrophen nach dem Tone unſers Faſtenliedes mit dem ſich
wiederholenden und uns wohlbekannten Chor:
„Ach laß' uns Erbarmung finden,
Der Du wegen unſ'rer Sünden
Stiegſt vom Himmel ſelbſt herab,
Um zu ſuchen Tod und Grab."
in mehreren Exemplaren aufgeſchrieben und ſie meinen Gefährten eingehän-
digt, daß wir ſo als deutſche Pilger auch auf deutſche Weiſe Abſchied
nehmen möchten.
Wie den erſten, ſo hielten wir auch dieſen letzten Umzug zu den
Sanktuarien in der Grabeskirche mit denſelben Kerzen, die wir brennend
in den Händen trugen. O, wie heilig klangen nicht die Töne unſers Liedes
durch die weiten Hallen, deren Säulen gleichſam, wie belebt, im leiſen Chor
dieſelben wiedergaben! Am heiligen Grabe ſelbſt ſprach P. Wolfgang noch
ein tiefergreifendes Abſchiedswort an uns, darin beſonders rührend die
Stelle war, in welcher er den Umſtand hervorhob, daß ſeit mehr als ſechs
Jahrhunderten kein deutſcher Geſang von deutſcher Zunge hier vernommen
wurde. Als wir bei unſerm Umzug in die Marien- oder Chorkapelle gekom-
men waren, und zur Schlußdankſagung den ambroſianiſchen Lobgeſang „Gro-
ßer Gott, wir loben Dich“ anſtimmten, ſo ertönten plötzlich die majeſtätiſchen
Klänge der Orgel der Lateiner und begleiteten mit den vollſtimmigſten Akkor-
den unſern Geſang. Es waren Pilgerhände, die die heiligen Akkorde anſchlugen;
Herr Braun, Theolog aus Freiburg, des Orgelſpielens kundig, hatte ſich
zur rechten Zeit von uns entfernt, und uns auf dieſe Weiſe freundlichſt über-
raſcht. Möchte dieſe herzerhebende Feier jenen himmelſchreienden Frevel
vor acht Tagen (von dem ich bereits erzählte) geſühnt haben vor dem Herrn!
Nach einer kurzen herzlichen Anſprache entließ uns P. Wolfgang aus
der Marienkapelle geſegnet mit dem Allerheiligſten, und noch einmal warfen
125
wir uns, von dem Feuer heiliger Andacht durchglüht, auf die heilige Erde,
und drückten unter einem Strom von Liebes- und Dankesthränen unzählige
heiße Küſſe auf dieſelbe, und erſt ſpät, da bereits tiefes Dunkel ſich über
die Stadt und die heiligen Orte gelagert hatte, und die türkiſchen Grabes-
wächter ungeduldig unſerer Rückkunft harrten, verließen wir die heilige
Stätte, wo wir die ſchönſten Stunden unſers Lebens genoſſen. Ein kräf-
tiges Bakſchiſch (Trinkgeld) beruhigte alsbald die ſcheinbar über unſere
Zögerung verdrießlichen Türken, und wir kehrten, die Herzen erfüllt, ja
überwältigt von den heiligſten Gefühlen in's Convent der guten Väter von
Jeruſalem zurück, um uns durch die nächtliche Ruhe zur mehrtägigen Reiſe
nach Nazareth, der geheiligten Erziehungsſtätte des Herrn, zu
ſtärken. Nachdem wir endlich auch von dieſen ehrwürdigen Vätern, die uns
mit der zuvorkommendſten Liebe aufgenommen, gepflegt und mit Erinne-
rungszeichen an die heiligen Stätten reichlich beſchenkt hatten, den letzten Ab-
chied genommen, reiſten wir Samſtags den 14. April nach Vorausſen-
dung der Zelte u. ſ: w. beim Jaffa-Thor, durch welches wir vor 14 Tagen
eingezogen waren, hinaus, und ſahen wohl mehr als hundert Mal nach der
heiligen Stadt zurück, bis wir auf jene Höhe kamen, von wo man ihre
Zinnen und Kuppeln zum letzten Male überblickt. P. Wolfgang, der uns
auf ſeiner Sendung nach Beirut als zeitweiliger Vice-Präſident des daſelbſt
befindlichen Kloſters, den Weg geleitete, ließ hier die Karavane halten, um
der heiligen Stadt und ihren großen und ewigen Geheimniſſen
das letzte trauliche Lebewohl zu ſagen. Wir entblößten das Haupt und
betheten das letzte „Vater unſer“, „Ave Maria“ und „Ehre ſei Gott dem
Vater“ u. ſ. w. im Angeſichte von Jeruſalem! – O mit welch'tiefem Weh
durchſchnitt es mir das Herz bei dem Gedanken: „Heilige Stadt, Dich
ſeh' ich nimmer wieder!“ – –
Der Weg nach Nazareth.
Nach ſolch ſchmerzlichem Abſchiede von Jeruſalem ritten wir einige
Zeit in ernſter Stimmung fort, und kamen bei Elvir vorüber, wonach der
Sage die heilige Jungfrau auf der Heimkehr vom Oſterfeſte den zwölf-
jährigen Jeſus unter ihren Bekannten und Verwandten zu finden ver-
meinte, und weil ſie Ihn nicht fand, in mütterlicher Sorgfalt alſogleich
umkehrte und nach Jeruſalem zurückging, um Ihn daſelbſt zu ſuchen; groß-
artige Ruinen einer ehemaligen herrlichen Kirche bezeichnen dieſen Ort.
Ungefähr um 5 Uhr Abends trafen wir in Bethel ein, um daſelbſt wegen
des einladenden mit Gras bedeckten Platzes und des vortrefflichen Waſſers
126
unſere Nachtſtation zu halten. Wohl ſchien es den Bewohnern von Bethel
nicht recht zu gefallen, daß wir ihren beſten Weideplatz zum Nachtquatier
machten, und unſeren Pferden und Maulthieren das Fett des Bodens über-
ließen. Ja einige, und wie man mir ſagte, der Bürgermeiſter an der Spitze,
thaten ſogar Einſprache dagegen, und unſer Führer mußte ſich mit ihnen
tüchtig zanken. Zuletzt wurden ſie ruhiger und ſetzten ſich in mehreren Rei-
hen neben unſere Zelte hin und ſahen unſerm Treiben ſtundenlange ſchweig-
ſam zu. Brummend zogen ſie ſich alsdann in ihre Lehmhütten zurück, und
wir blieben im Beſitze des Platzes, der im alten Bunde ſchon von Gott
geheiligt ward, als Jakob vor ſeinem Bruder Eſau floh, tief betrübt in
ſeinem Herzen, daß er aus der Heimat, und wie er auch glaubte, aus der
Nähe Gottes ſich entfernen mußte.
(1. Moſ. 28, 10–19.)
„Jakob ging aus von Berſabee und zog nach Haran. Und da er an
„einen Ort kam, wo er nach Untergang der Sonne ruhen wollte, nahm
„er einen von den Steinen, die da lagen, und legte ihn unter ſein
„Haupt, und ſchlief an dem Orte. Und er ſah im Traume eine Leiter,
„die da ſtand auf der Erde und mit der Spitze den Himmel berührte,
„und die Engel Gottes ſtiegen auf und nieder auf derſelben, und der
„Herr ſtand oben auf der Leiter und ſprach zu ihm: Ich bin der Herr,
„der Gott Abrahams, deines Vaters, und der Gott Iſaaks; das Land
„auf dem du ſchläfſt, will ich dir und deinen Nachkommen geben, und
„du ſollſt dich (d. i. dein Volk) ausbreiten gegen Abend und Morgen,
„gegen Mitternacht und Mittag, und in dir und deinen Nachkommen
„ſollen geſegnet werden alle Völker der Erde; und Ich will dein Hü-
„ter ſeyn, wohin du zieheſt, und will dich in dieſes Land wieder zurück-
„bringen, und nicht von dir laſſen, bis Jch Alles gethan, was Ich ge-
„redet habe. Und als Jakob vom Traume erwachte, ſprach er: Wahr-
„haftig, der Herr iſt an dieſem Orte und ich wußte es nicht. Und er
„erſchrack und ſprach: Wie ehrwürdig iſt dieſer Ort! Hier iſt nichts
„anders als Gottes Haus und die Pforte des Himmels. Alſo ſtand
„Jakob auf und nahm den Stein, den er unter ſein Haupt gelegt, und
„richtete ihn zu einem Zeichen auf, und goß Oel darauf (als Dankes-
„opfer) und nannte den Namen der Stadt: Bethel, d. i. Haus
„Gottes.“
-
127
In Bethel war es auch, wo Gott den Namen Jakobs in Iſrael ver-
wandelte (1 Moſ. 35, 10) – bei Bethel wurde Eliſäus von Knaben auf
dem Wege wegen ſeines Kahlkopfes verſpottet und dieſe zur Strafe von Bä-
ren zerriſſen (4 König. 2, 23 u. 24) – in Bethel richtete Jeroboam ein
goldenes Kalb auf, baute demſelben einen Altar und opferte ihm, ſo daß in
der Folge Bethel ein Hauptſitz der Abgötterei wurde. (3 Kön. 12,29–33
u. ſ. w.) Jetzt iſt es zum elenden Dorfe herabgeſunken, und ſteht nur noch
da, um gleichſam die Gränzmarke zwiſchen -Judäa und Samaria zu bilden.
Jenſeits Bethel fängt auch das Land an, mehr bebaut zu ſeyn; wie über-
haupt die Landſchaft Samaria fruchtbarer iſt ſowohl durch die Beſchaffenheit
ſeines Bodens, als auch, was man nicht läugnen kann, durch den regeren
Fleiß ſeiner Bewohner.
Am andern Tage, den 15. April, es war der weiße Sonntag, ritten
wir durch ein langgedehntes, ſchönes, fruchtbares Thal, das uns doppelt
lieblich anſprach im Vergleich mit der öden und unfruchtbaren Landſchaft von
Judäa, die wir hinter unſerm Rücken hatten. Auch fiel uns auf dieſem Wege
die hier häufig vorkommende Art der Begrüßung der an uns vorüberzie-
henden Araber auf, die hiebei mit ihrer rechten Hand die Stirne und die
Bruſt berührten zum Zeichen ihrer Hochachtung und Liebe. Ich fand in die-
ſem Gruſſe eine große Anmuth (Grazie) und ſehr viel Sinn, und würde ſie,
als mehr entſprechend, in jedem Falle unſerer Begrüßungsweiſe vorziehen.
Mittagsſtation wurde zu Lebona gehalten, nachdem wir früher noch
zur rechten Hand den Blick nach dem auf einem Berge hoch gelegenen Silo
hingewendet hatten, das in der Schrift des alten Bundes eine wichtige Be-
deutung hatte. Hier wurde unter Joſua die Stiftshütte aufgerichtet –
hier wurden wegen der günſtigen Lage mitten im Lande durch vierthalb-
hundert Jahre die Volksverſammlungen der Juden abgehalten – hier
ſaß der Hoheprieſter Heli als Wächter der Bundeslade auf ſeinem prie-
ſterlichen Stuhle, und fiel bei der Schreckenskunde, daß die Arche Got-
tes in der Feinde Händen ſei, zur Strafe für die ſündige Nachſicht, die
er gegen ſeine gottvergeſſenen Söhne hatte, vom Schlage gerührt todt zur
Erde. Nach unter freiem Himmel genoſſenen Mittagmahle trabte unſere
Pilgerſchaar bei hohem Wärmeſtand, der uns ſchon etwas läſtig fiel, der
Abendſtation entgegen, die wir im alten Sichem oder Sichar, das heut-
zutage Naplus heißt, aufzuſchlagen Willens waren. Früher kamen wir noch
zu dem bibliſch wohlbekannten Jakobsfelde, das der Patriarch ſeinem
Sohne Joſef ſchenkte, und das wir unter allen angebauten Plätzen in der
ganzen Gegend als das geſegnetſte erkannten, zum ſprechenden Zeichen, daß
128
treuer Kinder Liebe in dem Vaterſegen auch Gottes Segen findet, der auf
ihrem Gute immer ruht. Unweit davon iſt der ſogenannte Jakobsbrun-
nen, den der Patriarch Jakob noch gebaut haben ſoll; wir ſtiegen ab und
fanden den Brunnen verfallen und mit Steintrümmern angefüllt; jedoch iſt
in der Nähe ein Ausfluß von Ciſternenwaſſer noch vorhanden. Ueber dieſem
Brunnen ſcheint auch eine Kirche gebaut geweſen zu ſeyn, was die zerſtreut
herumliegenden Säulenüberreſte deutlich zeigen. Wir entblößten an dieſem
heiligen Orte unſere Häupter, und P. Wolfgang las das Evangelium von
dem Geſpräche Jeſu mit der Samaritin aus Sichem vor, das hier
ſtattgefunden hatte, und hier folgt (Joh. 4, 5–42):
„Jeſus kam zu einer Stadt Samariens, die Sichar heißet, nahe bei
„dem Ackerfelde, welches Jakob ſeinem Sohne Joſeph gegeben hat. Es
„war daſelbſt der Brunnen Jakobs. Da nun Jeſus müde war von der
„Reiſe, ſetzte Er Sich ſo hin an den Brunnen. Es war um die ſechſte
„Stunde. Da kommt ein ſamaritiſches Weib, Waſſer zu ſchöpfen. Jeſus
„ſpricht zu ihr: Gib Mir zu trinken! (Denn Seine Jünger waren in
„die Stadt gegangen, Speiſe zu kaufen.) Da ſpricht das ſamaritiſche
„Weib zu Ihm: Wie bitteſt Du, der Du ein Jude biſt, einen Trank
„von mir, die ich ein ſamaritiſches Weib bin? (Denn die Juden hal-
„ten keine Gemeinſchaft mit den Samariten.) Jeſus antwortete und
„ſprach zu ihr: Wenn Du erkenneteſt. Die Gabe Gottes, und wer
„Der iſt, der zu dir ſagt: gib Mir zu trinken; du würdeſt wohl Ihn
„gebeten haben, und Er hätte dir lebendiges Waſſer gegeben. Das
„Weib ſpricht zu Ihm: Herr, haſt Du doch nichts, womit Du ſchö-
„pfeſt, und der Brunnen iſt tief; woher haſt Du denn lebendiges
„Waſſer? Biſt Du größer als unſer Vater Jakob, der uns dieſen
„Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken, und ſeine Kin-
„der, und ſeine Heerden. Jeſus antwortete, und ſprach zu ihr: Wer
„von dieſem Waſſer trinket, den wird wieder dürſten: wer aber von
„dem Waſſer trinket, das Ich ihm geben werde, den wird ewiglich
„nicht dürſten; ſondern das Waſſer, das Ich ihm geben werde, wird in
„ihm ein Quell des Waſſers werden, das da fließet in das ewige Le-
„ben. Das Weib ſpricht zu Ihm: Herr, gib mir ſolches Waſſer, auf
„daß mich nicht dürſte, und ich nicht herkommen müſſe zu ſchöpfen! Ie-
„ſus ſpricht zu ihr: Geh', rufe deinen Mann, und komm wieder her! Das
„Weib antwortete und ſprach zu ihm: Ich habe keinen Mann. Jeſus ſpricht
„zu ihr: Du haſt recht geſagt: ich habe keinen Mann. Denn fünf
*
129
„Männer haſt du gehabt, und den du nun haſt, der iſt nicht dein
„Mann; das haſt du wahr geſagt. Das Weib ſpricht zu Ihm: Herr!
„ich ſehe, daß Du ein Prophet biſt. Unſere Väter haben auf dieſem
„Berge angebethet; und ihr ſaget, zu Jeruſalem ſei die Stätte, wo
„man anbethen ſolle. Jeſus ſpricht zu ihr: Weib! glaube Mir, es
„kommt die Zeit, da ihr weder auf dieſem Berge, noch zu Jeruſalem
„den Vater anbethen werdet. Ihr bethet an, was ihr nicht wiſſet; wir
„wiſſen, was wir anbethen; denn das Heil kommt von den Juden.
„Aber es kommt die Zeit, und ſie iſt jetzt, da die wahren Anbether wer-
„den den Vater anbethen im Geiſte und in der Wahrheit; denn es will
„der Vater die haben, welche alſo Ihn anbethen. Gott iſt ein Geiſt,
„und die Ihn anbethen, ſollen Ihn im Geiſte und in der Wahrheit an-
„bethen. Das Weib ſpricht zu Ihm: Ich weiß, daß der Meſſias kommt
„(das heißt: Chriſtus); wenn nun Dieſer kommt, ſo wird Er uns Alles
„verkündigen. Jeſus ſpricht zu ihr: Ich bin's, der Jch mit dir rede.
„Und eben da kamen Seine Jünger herbei, und es nahm ſie Wunder,
„daß Er mit dem Weibe redete; doch ſprach keiner: Wornach frageſt
„Du, oder was redeſt Du mit ihr? Das Weib ließ nun ihren Krug ſte-
„hen, und ging hin in die Stadt. Und ſie ſpricht zu den Leuten: Kom-
„met und ſehet den Mann, Der mir geſagt hat. Alles, was ich gethan
„habe! Iſt der nicht Chriſtus? Da gingen ſie aus der Stadt, und be-
„gaben ſich zu Ihm. Unterdeſſen baten Ihn die Jünger, und ſagten:
„Meiſter, iß! Er aber ſprach zu ihnen: Ich habe eine Speiſe zu eſſen,
„wovon ihr nicht wiſſet. Da ſprachen die Jünger unter einander: Hat
„Ihm Jemand zu eſſen gebracht? Jeſus ſpricht zu ihnen: „Meine
„Speiſe iſt die, daß Ich thue den Willen Deſſen, der Mich geſandt
„hat, und vollbringe Sein Werk. Saget ihr nicht: Vier Monate noch,
„dann kommt die Ernte? Siehe, Ich ſage euch: Hebt eure Augen auf,
„und ſehet die Felder; ſie ſind weiß zur Ernte! Auch wer erntet, em-
„pfängt Lohn, und ſammelt Früchte zum ewigen Leben, auf daß ſich
„mit einander freuen, wer da ausſäet, und wer erntet. Denn ſomit iſt
„der Spruch wahr: Ein Anderer iſt, der ausſäet, und ein Anderer, der
„erntet. Ich habe euch geſandt zu ernten, was ihr nicht habt bearbei-
„tet; Andere haben gearbeitet, und ihr ſeid in ihre Arbeit eingetre-
„ten.“ Aus jener Stadt aber glaubten an Ihn Viele der Samariter
„um der Rede des Weibes willen, die da zeugte: Er hat mir geſagt
„Alles, was ich gethan habe. Als nun die Samariter zu Ihm gekom-
„men, baten ſie Ihn, daß er da bliebe. Und Er blieb zwei Tage da. Und
Reiſebeſchreibung. 9
- *
130
„viel Mehrere glaubten an Ihn, um Seines Wortes willen; und ſie
„ſprachen zum Weibe: Wir glauben nun nicht mehr um deiner Worte
„willen; wir ſelbſt haben gehört, und wir wiſſen, Daß Dieſer wahr-
„haftig iſt der Heiland der Welt.“
Nach abgeleſenem Evangelium betheten wir ein „Vater unſer, Ave
Maria“ und „Ehre ſei Gott dem Vater“ und ſteckten ein Steinchen als An-
denken an dieſen Ort zu uns.
In einer kleinen Entfernung von dieſem Brunnen iſt Joſeph's, des
Sohnes Jakobs, Grab, gegenwärtig eine Moſchee – zum Zeichen, in welch'
hohen Ehren auch von jeher Joſeph bei den Türken ſteht (Joſ. 24, 32.):
„Und die Gebeine Joſephs, welche ein Sohn Iſraels aus Egypten
„gebracht hatte, begruben ſie zu Sichem auf einem Stück Feldes,
„welches Jakob um hundert junge Schafe gekauft hatte, und es war im
„Beſitze der Söhne Joſephs.“
Die Stadt Sichem ſelbſt, wo wir Abends eintrafen, und weil eben
Sonntag war, unter einem ungeheuren Zulaufe der neugierigen Menge
unter Zelten unſer Nachtlager aufſchlugen, iſt in einem engen Thale zwi-
ſchen den zwei bibliſch merkwürdigen Bergen Garizim nnd Ebal gelegen,
gewährt einen äußerſt freundlichen Anblick und iſt durch eine gutgebaute
wunderherrliche Umgebung ausgezeichnet, hat aber ſehr enge und ſchmutzige
Gaſſen. Im Pentateuch, d. i. in den 5 Büchern des Moſes, deren älteſtes
Exemplar der Rabbiner von Sichem beſitzen ſoll, ſteht in Bezug auf die
zwei obengenannten Berge Folgendes aufgezeichnet: (5 Moſ. 27, 11–13.)
„Moſes gebot dem Volke an jenem Tage und ſprach: Wenn ihr über
„den Jordan gezogen ſeyn werdet, ſo ſollen Folgende, um das Volk
„zu ſegnen, auf dem Berge Gariz im ſtehen, nämlich Simeon, Levi,
„Judas, Iſſachar, Joſef und Benjamin (die erſten ſechs Stämme Iſraels),
„und gegenüber ſollen Folgende ſtehen, um zu fluchen, auf dem
„Berge Ebal: Ruben, Gad und Aſer, und Zabulon, Dan und Neph-
„thali (die letzten ſechs Stämme).“
Im 28. Hauptſtücke folgt dann der Segen über die Gehorſamen –
und der Fluch über die Ungehorſamen ausgeſprochen.
Und fürwahr, die genannten beiden Berge ſelbſt ſcheinen nach ihrer
Bildung und Geſtalt das Bild des Segens und des Fluches immer
noch an ſich zu tragen; denn während der Berg Garizim auf ſeinem
131
\.
Scheitel eine Moſchee gleich einer Krone trägt, weit mehr bewachſen iſt und
freundlich auf den vorüberziehenden Wanderer herniederſieht, als ob er ihn
mit „Makraba“ (Willkommen) begrüßen möchte, ſo ſteht der Ebal als ein
ungeheurer, himmelanſtrebender Felsblock da – ohne eine Spur des Pflan-
zenlebens, und das Haupt drohend emporgehoben, als ob er die ganze
Schwere, die er hat, herunter werfen wollte auf den Sünder, der das
Wort des Herrn nicht achtet. Tief in meinem Innern erſchüttert, ſtand ich
zwiſchen dieſen beiden Bergen, und es ſchien mir, als ob mit jedem Augen-
blicke ſich das Thal verengte und die beiden Berge ſich ſtets näher rückten, ſo
daß ich vor Angſt das Pferd, das mich auf ſeinem Rücken trug, zum ſchnelleren
Gange drängte, um aus dieſer Enge in das offene Thal zu kommen, wo
ich freier athmen konnte!
Da uns die Sichemiten als ſehr diebiſche Leute geſchildert wurden,
denen durchaus nicht zu trauen ſei, ſo wurde uns wohl etwas bange um
unſere Habe, die da ſo frei in den Gezelten herum lag. Wir lagerten uns
daher außerhalb der Stadt und ſtellten Wachen aus, und kamen glücklich
durch. Schlimmer war es den Engländern ergangen, die ſich an demſelben
Abende in unſerer Nähe mit uns zugleich gelagert hatten; denn ſie bedauer-
ten am andern Tage den Abgang ihrer Uhren und den Verluſt noch anderen
Geräthes! Vor uns ſchienen ſie eine gewiſſe Scheu zu haben, und dies
darum, weil wir am Abende gleich nach unſerer Ankunft die neugierigen
Beobachter, die unſeren Zelten zu nahe kamen, mit ganz eigenthümlich zähen
Ochſenziemern in die Flucht geſchlagen hatten.
Am 16. April ſaßen wir ſchon früh zu Pferde und verließen Sichem
ohne Thränen! Der Weg führte uns zunächſt durch ein wunderſchönes, mit
den verſchiedenſten Fruchtbäumen reich bepflanztes Thal, dem dann einige
uäßige Höhen folgten, die rechts und links gelegen, mit anmuthigen Dorf-
ſchaften beſetzt und gut bebaut waren.
Da lenkten wir etwas von dem geraden Wege ab, um einen Abſtecher
nach der alten Hauptſtadt des iſraelitiſchen Reiches Samaria, jetzt Sebaſte
genannt, zu machen, von der wir aber nur ſehr elende Ueberreſte fanden.
Die Stadt wurde nach der Geſchichte von Herodes dem Großen neu auf-
gebaut, der, um ſich dem Auguſtus, nachdem derſelbe der Alleinherrſcher
im römiſchen Weltreiche geworden war, gefällig zu bezeigen, ihm auf der
Höhe der Stadt einen Tempel und ein großes Amphitheater in der Tiefe
errichten ließ nebſt einem prächtigen und geräumigen Marktplatz (forum),
wovon noch eine große Anzahl vorhandener Säulentrümmer Zeugniß geben.
Auch gab Herodes ſchon der Stadt Samaria dem Auguſtus zu Ehren den
- 9 *
132
Namen Sebaſte (in griechiſcher Sprache), was ſo viel als Auguſta in latei-
niſcher Sprache bedeutet oder zu deutſch „die Erlauchte“ heißt. Einen ſchö-
nen Schmuck erhielt die Stadt, als ſie die Gebeine Johannes des Täu-
fers in ihre Mitte aufnahm, die ſeine Jünger der Sage nach hieher begra-
ben haben. (Matth. 14, 3–12.) Ihren ſchönſten und reichſten Schmuck er-
hielt aber Samaria erſt, als ſie dem Chriſtenthum die Thore öffnete, und
über der Grabesſtelle des Täufers am Jordan ſich eine prächtige chriſtliche
Kirche erhob, von der leider gegenwärtig nur wenige Ueberreſte in dem er-
bärmlichſten Zuſtande vorhanden ſind, und dieſe müſſen in Moſcheen zum
Unter- und Nebenbaue dienen! - -
Von der Aufnahme des Chriſtenthums in dieſer Stadt leſen wir in
der Apoſtelgeſch. (8,5–25) Folgendes:
„Philippus ging hinab in die Stadt Samaria, und predigte ih-
„nen Chriſtum. Das Volk gab dem, was Philippus lehrte, Gehör ein-
„müthiglich, indem ſie vernahmen und ſahen die Zeichen, die er that.
„Denn aus Vielen unter ihnen, welche unreine Geiſter hatten, gingen
„ſie aus mit großem Geſchrei. Auch wnrden viele Gichtbrüchige und
„Lahme hergeſtellt. Und es ward eine große Freude in dieſer Stadt.
„Es war aber ein Mann, mit Namen Simon, der zuvor in dieſer Stadt
„Zauberei trieb, das Volk Samariens irre führte, und ſich für etwas
„Großes ausgab; dem Alle angehangen hatten, vom kleinſten bis zum
„größten ſagend: Dieſer iſt die Kraft Gottes, die da heißt die Große!
„Sie hingen ihm an, weil er ſie lange Zeit mit ſeinen Zaubereien be-
„thöret hatte. Als ſie nun glaubten dem Philippus, der vom Reiche
„Gottes verkündigte, und vom Namen Jeſu Chriſti, ließen ſie ſich tau-
„fen, Männer und Weiber. Da ward auch Simon gläubig, und ließ
„ſich taufen, und hielt ſich zu Philippus; und als er ſah die großen
„Zeichen und Thaten, die geſchahen, ſtaunte er. Als aber die Apoſtel
„in Jeruſalem hörten, daß Samaria das Wort Gottes aufgenommen
„habe: ſandten ſie zu ihnen Petrus nnd Johannes. Dieſe kamen, und
„betheten für ſie, daß ſie den heiligen Geiſt empfangen möchten. (Denn
„Er war noch über keinen derſelben gekommen, ſondern ſie waren nur
„getauft im Namen des Herrn Jeſu.) Da legten ſie ihnen die
„Hände auf, und ſie empfingen den heiligen Geiſt. Als nun Si-
„mon ſah, daß durch Handauflegung der Apoſtel der heilige Geiſt
„gegeben wurde, bot er ihnen Geld, und ſprach: Gebet auch mir
„dieſe Macht, daß, wem ich die Hände auflege, der den heiligen Geiſt
133
„empfange. Petrus aber ſprach zu ihm: In's Verderben mit deinem
„Gelde und mit dir! weil du meinteſt die Gabe Gottes zu bekommen
„für Geld. Du haſt keinen Antheil daran, noch einen Anſpruch; denn dein
„Herz iſt nicht rechtſchaffen vor Gott. So thue nun Buße für dieſe deine
„Bosheit, und flehe zu Gott, ob dir etwa möchte vergeben werden dies
„Anſinnen deines Herzens; denn ich ſehe, du biſt voll bitterer Galle
„und in den Banden der Ungerechtigkeit. Da antwortete Simon und
„ſprach: Flehet für mich zum Herrn, daß nichts von dem über mich
„komme, was ihr ſprachet. Sie aber, da ſie bezeuget und geredet hat -
„ten das Wort des Herrn, kehrten gegen Jeruſalem, und verkündigten
„vielen Orten Samariens das Evangelium.“
Von Samaria aus mußten wir das Dorf Abate, wie es unſer Füh-
rer nannte, paſſiren, welches von einer ſehr böſen und räuberiſch geſinnten
Bevölkerung bewohnt wird (Mattia nannte die Einwohnerſchaft la piü cat-
tiva gente d. h. das ſchlechteſte Volk), weßhalb wir durch daſſelbe mit ge-
zogenen Säbeln und mit geſpannten feſtgeladenen Gewehren und Piſtolen
ritten – nach rechts und links die Augen drehend, um gleich jegliche Gefahr
zu merken und ihr muthig zu begegnen. Allein es kam zu keinem Strauß,
und ich war herzensfroh!
Auf dem weiteren Wege zogen wir auch bei Bethulien vorüber, wel-
ches auf einer ringsum abgeſchloſſenen Anhöhe liegt, um die ſich ein weit
geöffnetes Thal ausbreitet, wo einſt der feindliche Feldherr Holofernes mit
ſeinem Kriegsheere lagerte, und durch die Hand der kühnen und Gott ver-
trauenden Judith ſeinen Tod und die geängſtigte Stadt ihre Ret-
tung fand. -
Da der Ritt dieſes Tages ziemlich lang und anſtrengend, und um
der großen Hitze willen ſehr ermüdend war (aus bockledernen Schläuchen,
die zu beiden Seiten am Sattel des Pferdes herabhingen, und durch den ganzen
Tag den brennenden Sonnenſtrahlen ausgeſetzt waren, mußten wir warmes
und ſtinkendes Waſſer trinken, um die lechzende Zunge nur etwas zu er-
quicken), ſo geſchah es, daß Nachmittags ein Theil der Caravane gegen die
feſtgeſetzte Ordnung etwas zurückblieb; unter Andern war Ein Pilger,
dem das Reiten durchaus unleidlich geworden war, vom Pferde geſtiegen,
und führte es hinter ſich am Zaume, während ich als Wachehabender Präſident
in Geſellſchaft eines dienenden Arabers, der uns begleitete, hinter ihm ein-
herritt. Wir waren etwa einige hundert Schritte von den übrigen Pilgern,
die die Waffen zur Vertheidigung hatten, entfernt; da ſprengten plötzlich
134
3–4 bewaffnete Beduinen quer über's Feld gegen uns heran, als der
Araber hinter mir mit zitternder Stimme zu mir ſagt: Questi sono ladri
d. h. das ſind Räuber, und meinem zu Fuße wandernden Vordermanne zu-
ruft: Montate al cavallo d. h. ſetzt euch auf das Pferd. Derſelbe aber,
der in den Ankömmlingen weder gefährliche Räuber erkannte, noch den Zuruf
an ihn in der italieniſchen Sprache verſtand, ließ ſich in ſeinem phlegmatiſchen
Gange mit ſeinem Gaule nicht ſtören, und ging ruhig ſeinen Weg fort. Ich
legte ſchnell meine rechte Hand an meinen Stock, in welchem ein etwas kitz-
licher Stahl verborgen war – um zur rechten Zeit der Noth ihn zu gebrau-
chen; doch ſiehe, als die Räuber uns nahe gekommen waren, grinſten ſie uns
an und jagten, ohne uns auch nur im Geringſten zu beirren, lachend an uns
vorüber; möglich, daß ihnen unſere ruhige und ernſte Haltung die Courage
zum Angriff genommen hatte, oder daß ſie die in der Entfernung ſtill hal-
tende und gegen uns zurückgewendete, gutbewaffnete Caravane ſcheuten –
kurz von dieſem Schrecken waren wir befreit. Da ſprengt, als wir kaum
einige Schritte vorwärts waren, aus dem nahen Felde ein rieſiger Kerl in
ein weißes Leinentuch gehüllt, mit pechſchwarzem Angeſicht und mit einer
wenigſtens 2/, Klafter langen Lanze bewaffnet im vollſten Galopp auf
uns los, ſchwingt ſeine Lanze uns entgegen und hält ſie horizontal gegen
uns, gleichſam als wollte er uns damit den Weg verſperren. Da zagte
denn mein Vordermann und noch mehr unſer Araber, ich aber griff nach
meinem Inſtrumente, und war auf das Allerſchlimmſte ſchon gefaßt; je-
doch in demſelben Augenblicke riefen ihm ſeine Genoſſen, die ſchon an
uns vorüber waren, in arabiſcher Sprache einige Worte zu, die wir nicht
verſtanden, und er erhob die Lanze und ſie gleich einem Linienbaum in ſchie-
fer Lage haltend, ließ er uns unberührt paſſiren, und ſprengte laut auflachend
ſeinen Genoſſen nach. Und ſo kamen wir, dem Himmel ſei Dank, auch dies- -
mal mit dem bloßen Schrecken glücklich durch, und erreichten endlich gegen
Abend den erſehnten Lagerplatz Ginnea oder Tſchinin, den Grenzort
zwiſchen Samaria und Galiläa, bibliſch merkwürdig, weil hier dem Herrn
die zehn Ausſätzigen begegneten, von denen das Evangelium Luk.
17, 11–19 Folgendes erzählt:
„Und es begab ſich, da Er zog gegen Jeruſalem, ging Er durch Sa-
„maria und Galiläa. Und als Er kam zu einem Flecken, begegneten
„Ihm zehn ausſätzige Männer; die blieben ſtehen von ferne, und
„erhoben ihre Stimmen und ſprachen: Jeſu, Du Meiſter, erbarme
„Dich unſer! Er ſah ſie, und ſprach: Gehet, und zeiget euch den Prie-
135
„ſtern! Und es geſchah, da ſie hingingen, wurden ſie rein. Einer aber
„aus ihnen, da er ſah, daß er rein geworden, kehrte zurück, und pries
„Gott mit lauter Stimme; und er fiel auf's Angeſicht zu Jeſu Füßen,
„und dankte Jhm. Und dieſer war ein Samaritan. Jeſus aber ant-
„wortete und ſprach: Sind ihrer nicht zehn rein geworden? Wo ſind
„denn die Neun? Keiner iſt gefunden worden, der zurückkehrte und
„Gott die Ehre gäbe, als dieſer Fremdling! Und Er ſprach zu ihm:
„Steh' auf, dein Glaube hat dir geholfen!“
Wir ſchlugen hier die Zelte auf – um unter Gottes freiem Himmel
Nachtherberge zu halten, wozu uns die Anmuth dieſer Gegend,
und die ſchöne Lage des mit einer großen Moſchee und herrlichen Palmen
gezierten Ortes ſelbſt freundlichſt einlud. Kaum aber hatten wir Miene ge-
macht, uns anzuſiedeln, ſo war auch ſchon der Bürgermeiſter dieſes Ortes
da, mit uns zu unterhandeln, ob wir denn nicht bei ihnen in dem Orte ſelber
übernachten wollten, da die Luft im Freien doch ſehr kühl, und nicht geringe
Gefahr von den herumſtreifenden Beduinenſchwärmen zu beſorgen ſei. Seine
Gaſtfreundlichkeit, die uns ſo auffallend erſchien, hatte ihren Grund, wie es
der Mann dann ſelber ſagte, in dem frenndſchaftlichen Verhältniſſe, in wel-
chem unſer Sultan (der Kaiſer von Oeſterreich) mit ihrem Sultan (dem tür-
kiſchen Kaiſer) ſtünde. – Wir aber dankten herzlich für das angebotene
Nachtquartier im Orte ſelbſt, und baten nur um den Schutz zur Zeit der
Nacht bei unſeren Zelten, in Erinnerung an die Kerls, die uns einige
Stunden früher auf dem Wege zugeſtoßen waren, und unſere Herzen wirk-
lich zittern machten. -
Nachdem das Lager aufgeſchlagen war – beſahen wir uns die Um-
gebung – und genoſſen von einem nahen Hügel, wo wir türkiſche Begräb-
nißſtätten fanden, die ſchönſte und entzückendſte Ausſicht über die langge-
dehnte und gutbebaute Ebene Esdrelon, welche rechts vom Gebirge Gel-
boe und Hermon, und links bis an die Meeresküſte vom Gebirge Carmel be-
grenzt iſt. Den Höhepunkt erreichte die Anmuth dieſer Gegend durch das
Bild der eben am wolkenloſen Himmel untergehenden Sonne.
Nach einer dritten, unter Zelten zugebrachten Nacht, während welcher
die Bewohner von Ginnea uns und unſere Habe bewachten, erhoben wir
uns zeitlich früh von unſerm luftigen Lager, beſtiegen unſere Roſſe und trab-
ten denn in Gottes Namen durch die etwas langweilige Ebene Esdrelon, die
nur durch die mannigfaltigen, aufgeſchlagenen Beduinenzelte einige, wenn
auch eben nicht gar erwünſchte Abwechslung gewährte, bei 5 Stunden fort.
136
Der Weg führte uns zur rechten Hand nahe am Gebirge Gelboe und Her-
mon vorüber, welches erſtere drrch die Geſchichte des Königs Saul merk-
würdig geworden iſt, weil ſich derſelbe hier nach einer den Philiſtern gelie-
ferten und verlorenen Schlacht aus Verzweiflung in ſein eigenes Schwert
ſtürzte. (1. Buch Könige 31, 1–4):
„Indeſſen ſtritten die Philiſter wider Iſrael und die Iſraeliten
„flohen vor dem Angeſichte der Philiſter davon, und wurden auf dem
„Berge Gelboe erſchlagen. Die Philiſter fielen den Saul und ſeine
„Söhne auf das Heftigſte an, und erſchlugen den Jonathas, Abinadab
„und Melchiſua, die Söhne Sauls. Und die ganze Gewalt der Schlacht
„kam über den Saul; die Bogenſchützen zielten auf ihn, und er
„wurde von ihnen verwundet. Da ſprach Saul zu ſeinem Waffen-
„träger: Zieh' dein Schwert und tödte mich, damit nicht etwa dieſe
„Unbeſchnittenen kommen, mich tödten, und ihren Spott mit mir trei-
„ben. Sein Waffenträger aber wollte es nicht thun; denn er war
„über die Maßen erſchrocken. Daher nahm Saul ſein Schwert und
„ſtürzte ſich da rein.“
Endlich waren wir zu der ſteilen und ſteinigen Höhe gekommen, die
nach Nazareth führt, wohin das ſehnſüchtige Herz ſchon längſt voran-
gegangen war; und nachdem wir eine Stunde lang den Berg hinange-
ritten waren, kamen wir zum Brunnen St. Giacomo (Jakobsbrunnen)
nach dem heiligen Jakobus, dem Aelteren ſo genannt, der mit ſeinem
Bruder Johannes, dem Lieblingsjünger des Herrn, nicht weit davon im
Hauſe ſeines Vaters Zebedäus, wohnte, und hier ſein Waſſer ſchöpfte,
welches bis zur Stunde ausgezeichnet gut zu nennen iſt. Nur noch einige
hundert Schritte und ſiehe, da eröffnete ſich uns in einem Bergkeſſelthale
die Anſicht von
Nazareth,
der Erziehungsſtätte unſers Herrn, welches, wie es ſich im angeſchloſſenen
Bilde darſtellt, an einen niederen Bergrücken gelehnt, in wunderbarer Lieb-
lichkeit und Anmuth uns entgegenlachte!
• • • • •—•—•—•~~~- - ~~
137
Es war am 17. April um 4 Uhr Nachmittags, als wir unſern Ein-
zug in dieſes höchſt freundliche Städtchen von Galiläa hielten. Ein Theil
unſerer Pilger ſtieg in der Casa nuova d. i. im eigentlichen Pilgerhauſe, ein
Theil im Convente der ehrwürdigen PP. Franziskaner oder der ſogenannten
Procura ab; die Aufnahme war die herzlichſte und übertraf jegliche Erwar-
tung, ſo daß wir uns gleich heimiſch fühlten.
Noch an demſelben Abend beſuchten wir das wichtigſte Sanktuarium
der Menſchwerdung des göttlichen Sohnes in der freundlichen und
reinlichen Kirche, welche an derſelben Stelle erbaut iſt, wo der Erzengel
Gabriel in das Haus der Maria eintrat, und ſie als Gebenedeite unter allen
Frauen grüßte, und die demuthvolle Jungfrau zitternd ſprach: „Ich bin
die Magd des Herrn, mir geſchehe nach deinem Worte.“ Mehrere breite
Stufen führen in die Tiefe hinab zu dieſem Heiligthume, wo der Liebe
größtes Wunder ſich ereignete. Das Häuschen ſelbſt aber, in welchem die
heilige Jungfrau den engliſchen Gruß empfing, wurde nach der Sage, um
es vor Entweihung zu bewahren, von Engeln nach Italien getragen, und
endlich in Loretto beigeſetzt, wo es noch gegenwärtig iſt. Eine, ungefähr
in der Mitte gegen das untere Ende zu abgeſchnittene, ſteinerne Säule be-
zeichnet daſelbſt den Ort, wo die heilige Jungfrau kniete, als ſie den Gruß
des Engels vernahm, und zwei Säulen etwas davon entfernt, bedeuten
die Stelle, wo der Engel der Hochbegnadigten erſchien – und unter dem
Altar auf dem Boden ſteht geſchrieben: „Verbum Caro hic factum est“
(Hier iſt das Wort Fleiſch geworden), welch' letzterer Ort von
mehreren beſtändig brennenden Lampen erleuchtet iſt. Die Säule, die den
Standpunkt der heiligen Jungfrau bezeichnet, haben nach der Sage die hab-
ſüchtigen Türken durchſchnitten, weil ſie vermeinten, daß dieſelbe hohl und
mit Gold und Silber ausgefüllet ſei.
Von der überwältigenden Macht der heiligſten Gefühle hingezogen,
fielen wir auf die Knie, ſtill anbethend das heiligſte Geheimniß der
Menſchwerdung der Gottheit, bis ſich die überſeligen Herzen in dem
ſchönen Advent-Geſange unſerer Kirche ergoſſen: „Maria, ſei gegrüßet!
Du lichter Morgenſtern u. ſ. w.“! Alljährlich ſehe ich und mit mir
- viele tauſend Chriſtenherzen der heiligen Adventzeit mit unwiderſtehlicher
Sehnſucht entgegen, weil ſie das ſchöne Lied zur frühen Rorate-Meſſe mit
ſich bringt. Doch nie ſang ich dies Lied mit größerer Begeiſterung, als hier
an der Stelle, welche durch den Gruß des Engels ſelbſt, und noch mehr
durch den hier menſchgewordenen Gottesſohn geweihet war. Nach der Abſin-
gung des Liedesbetheten wir „Ave Maria“. Auch hier ſprach P. Wolfgang,
138
der unerſchöpfliche Dragoman des Herrn, einige Worte, die, weil vom Her-
zen kommend, ſo auch zum Herzen drangen. Hierauf beſichtigten wir die Ne-
bentheile dieſes Ortes, und fanden zu unſerm Erſtaunen zwei Abtheilungen,
die alſo eingerichtet waren, daß die eine als Speiſe- und Vorrathskammer,
die andere als Schlafzimmer unverkennbar verwendet wurden.
Am folgenden Tage, es war Mittwoch den 18. April, erbat ich mir
die Erlaubniß, im Hauſe des heiligen Joſeph, allwo derſelbe ſein
Zimmermannshandwerk trieb, und Jeſus als Kind und Knabe Seine Er-
ziehungsſtätte fand, die heilige Meſſe leſen zu dürfen, da daſſelbe in eine
Kapelle umgewandelt iſt; und dies nicht blos um der Heiligkeit des Or-
tes willen, ſondern auch darum, weil ich ſo glücklich war, bei meiner
Taufe den Namen des heiligen Nährvaters, der zugleich der Taufname
meines ſchon in Gott ruhenden Pathen war, zu erhalten. Auch wollte ich
daſelbſt das heilige Meßopfer zum Troſte meiner hingeſchiedenen Eltern und
Pathen darbringen – und konnte ich wohl einen paſſenderen Ort auf der
ganzen weiten Erde hiezu finden?!
Die Kapelle iſt ſehr ärmlich eingerichtet – nach dem Bilde des Hau-
ſes ſelbſt, das eines armen Zimmermannes Obdach war; doch fand ich
ſie recht nett und reinlich; nur das Bild über dem Altare, den heiligen
Joſeph mit dem Jeſukinde und der Lilie in der Hänu vorſtellend, wollte mir
durchaus nicht gefallen an dem Ort, wo die heilige Familie wohnte;
und ich faßte den Entſchluß – ein mehr entſprechendes Altarbild für die-
ſes Haus bei meiner Rückkehr in die Heimat zu beſorgen. Und Gott ſegnete
den guten Willen, und ſchon ſchmückt das neue, von unſerm wackeren He-
merlein gemalte Bild, die heilige Familie im Hauſe zu Naza-
reth vorſtellend (ſiehe Titelbild), den ärmlichen Altar.
Als ich nach verrichteter Meßandacht aus der Joſephskapelle in das
Convent zurückkehrte, ſah ich einen Franziskanerbruder in Begleitung eines
Nazareners in großer Haſt an mir vorüber eilen. Es hatte nämlich ein
achtzehnjähriger Burſche aus einer armen Familie zu Nazareth, welcher
außerhalb der Stadt mit Steinbrechen beſchäftigt war, das Unglück, bei ſei-
ner Arbeit von jählings herabrollenden Felsſtücken erſchlagen zu werden,
und der ehrwürdige Bruder, den man zu Hilfe rief, ſäumte nicht, dem Rufe
zu folgen, um zu helfen, inſoferne noch Hilfe möglich war. Allein er kam
zu ſpät, der Jüngling war gleich todt geblieben; denn die Steine hatten ihm
den Kopf zerſchmettert. Dieſer Unfall hatte die ganze chriſtliche Bevölkerung
in Aufregung gebracht, ſo daß lautes Weheklagen durch alle Häuſer lief! –
Nach einer guten Stunde ſtieg ich auf die Terraſſe des Conventes, von der
139
ſich eine freundliche Rundſchau über die Stadt und die Umgegend öffnet –
und wie erſtaunte ich nicht, als ſich meine Augen ſenkten, und ich auf dem
anſtoßenden Gottesacker ſchon das Grab für den erſt Hingeſchiedenen
bereiten ſah. Im Oriente, wo die Hitze einen ſolchen Höhegrad erreicht, daß
Leichen ungewöhnlich ſchnell in die Verweſung übergehen, erfordert es die
Rückſicht auf die Geſundheit und das Leben der Zurückgebliebenen, daß jene
alſobald beerdiget werden; weßhalb die Leichenbegängniſſe daſelbſt in weni-
gen Stunden nach dem Tode der Betreffenden gehalten werden. Ich ſah
mehrere Männer an der Bereitung des Grabes arbeiten, und auf eine ſolche
Weiſe, die mir über die alte Begräbnißart der Juden zu den Zeiten Jeſu
volles Licht verſchaffte:
Man machte nämlich zuerſt eine mehrere Schuh tiefe und eben ſo breite
Grube in die Erde, daß ein Menſch nicht bloß darin ſtehen, ſondern ſich auch
frei bewegen, und nach der Seite hin weiter graben konnte. Dann wurde
nach der Seite in der Tiefe eine ſolche Oeffnung ausgegraben, daß ſie
einen Menſchenleib leicht faſſen konnte, und das hiebei herausgeworfene
Erdreich einſtweilen beſeitiget. Nun kam der Leichenzug – vier Männer
trugen den Leichnam des Erſchlagenen offen, nur in blendend weiße Linnen,
welche die armen Verwandten deſſelben durch das Erträgniß einer Samm-
lung milder Gaben der Nächſtenliebe angekauft hatten, eingehüllt auf einer
Art von Bahre hin zum Grabe. Der Vater des Verſtorbenen und ſeine
nächſten Anverwandten und andere Männer folgten dem Sarge mit geſenk-
tem Haupte, ohne jedoch einen Klagelaut von ſich zu geben; hinter ihnen aber
ging ein langgedehnter Zug von Weibern, mit der Mutter an der Spitze,
welche zitternd einherwankte und in Schmerz ganz aufgelöſt ſchien. So
ruhig nun die Männer zogen, eben ſo entſetzlich jammerten die Weiber! Als
man nach der kirchlichen Einſegnung mit der Leiche bis zum Friedhofsthore
gekommen war, ſo traten die Träger und die anderen Männer in den inne-
ren Raum deſſelben, während kein weibliches Weſen, die Mutter ausgenom-
men, ihn betreten durfte. Nachdem man die Bahre niedergeſetzt hatte, ſo
ſtürzte die Mutter noch einmal auf den Leichnam ihres geliebten Sohnes hin,
und drückte heiße Abſchiedsküſſe auf ſein gräßlich entſtelltes Antlitz, ſich wie
wahnſinnig gebehrdend, während die Männer lautlos ſie umſtanden. Mitt-
lerweile hatten ſich auf dem freien Platze vor dem Friedhofsthore alle Wei-
ber in einem dichten Kreiſe aufgeſtellt, in deſſen Mitte die Schweſtern und
nächſten Blutsverwandten des Verſtorbenen mit aufgelöſten Haaren ihre
Trauerlieder ſangen und ihre Todtentänze hielten, welche letzteren die Um-
ſtehenden mit einem eigenthümlichen Geſang, wobei ſie fortwährend die
140
Hände in einander ſchlugen, begleiteten, und dies ſo lange, bis die Einſeg-
nung in der Kirche und die Beerdigung im Friedhofe vollendet war. Es iſt
dieſe Art von Todtenfeier eine alte Sitte bei den Orientalen, die ſelbſt die
chriſtlich gewordene Bevölkerung nicht abgelegt hat, ſo daß es dem P. Vica-
rius oder Pfarrer gewaltige Mühe koſtete, nur wenigſtens die gröbſten Aus-
brüche der heidniſchen Klageweiſe bei den Seinigen zurückzuhalten. Auch
diesmal koſtete es ihm ein ernſtes Wort an die Weiber, um die Fortſetzung
der Todtentänze abzubringen, und es nöthigte mir ein wehmüthiges Lä-
cheln ab, als ich ſah, mit welcher Dringlichkeit die Weiber den abwehrenden
P. Vicarius beſtürmten, er möge doch nur Einmal noch auf kurze Zeit ſie
ihre Tänze machen laſſen. Doch er gab nicht nach; und ſo ward endlich
etwas Friede vor dem Friedhofsthore, bis auf die Geſänge, die ſich endlos
wiederholten. Während der Beerdigung ſetzten ſich die Männer in dem
Friedhofraume in zwei Reihen einander gegenüber, ohne daß auch einer nur
ein Wörtlein ſprach, bis die Träger die in Linnen eingehüllte Leiche in die
Seitenöffnung hineingeſchoben, und die zuerſt geöffnete Grube mit dem frü-
her herausgeworfenen Erdreich verſchüttet hatten. Nach geſchehener Beerdi-
gung erhoben ſich die Männer von der Erde, zwei aus ihnen nahmen den
tiefgebeugten Vater bei den Armen, um ihn von dieſem Jammerorte hin-
wegzuführen, wie auch die Weiber mit der thränenreichen Mutter thaten –
und alsbald zerſtreute ſich die Menge. Nur beim Grabe blieben noch einige
gute Seelen zurück, und legten um das flache Grab verſchiedene Steine, die
ſie eben fanden, um hiemit die Ruheſtätte des Verblichenen zu bezeichnen.
An dem ſelben Tage nun, wie an den folgenden Tagen ſah ich vom
früheſten Morgen an bis zur Abendzeit leidtragende Weiber bei dem Grabe
ſitzen, welche ſtundenlange betheten und ſangen, bis ſie von Anderen wieder
abgelöſet wurden. Auch die Mutter war mit ihnen.
Dieſe Leichenfeier klärte mich auch in Beziehung der zwei Todten-
erweckungen im neuen Teſtamente, nämlich an der Tochter des Jairus
und an dem Jünglinge zu Naim – vollkommen auf. Bei der erſteren
ſpricht der Vater zu dem Herrn (Matth. 9, 18):
„Meine Tochter iſt eben jetzt geſtorben; aber komm, lege Deine
„Hand auf ſie und ſie wird leben“. Und als Jeſus ſich dem Hauſe
„näherte, traf Er das lärmende Volk und die Flötenſpieler
„ſchon zum Begräbniſſe bereitet.“
141
Bei der anderen heißt es (Luk. 7, 14 und 15):
„Jeſus trat hinzu, berührte den (offenen) Sarg, und die Träger
„ſtanden ſtill; und Er ſprach: Jüngling, Ich ſage dir, ſteh' auf –
„und ſogleich richtete ſich der Todte auf, und fing an zu reden.“
An demſelben Tage machten wir einen kleinen Spaziergang zur ſoge-
nannten Marienquelle, bei der auch die heilige Jungfrau für ſich und
den Knaben Jeſus Waſſer holte. Auch wir tranken von dieſem ausgezeichnet
guten Waſſer im Convente, und ſahen damals viele Weiber von Nazareth
mit großen Krügen, die ſie frei auf ihren Köpfen trugen, nach der Quelle
gehen. Hierauf beſichtigten wir die Mensa Christi d. i. den ſteinernen
Tiſch, bei welchem der göttliche Meiſter vor und nach Seiner Auferſtehung
mit Seinen Jüngern ſaß und aß – und jetzt das heilige Meßopfer verrich-
tet werden kann. -
Auch fragten wir nach der Synagoge, in welcher Jeſus zum großen
Mißfallen Seiner Landsleute am Sabbath lehrte, und die jetzt in
eine ärmliche Kirche der unirten Griechen umgewandelt iſt; und wanderten
gegen Abend aus der Stadt hinaus eine lange Strecke, um den ſogenannten
Berg des Herabſtürzens zu beſichtigen, eine ſchroffe Felſenhöhe, von
welcher die Bewohner Nazareths, ärgerlich über die geißelnde Predigt des -
Herrn, Ihn, nachdem ſie Ihn zur Stadt hinausgeſchleppt hatten, in die
ſchauerliche Tiefe ſtürzen wollten, was ihnen aber nicht gelang.
(Luk. 4, 16–30.).
„Und Er kam nach Nazareth, wo Er erzogen worden, und ging in
„die Synagoge nach Seiner Gewohnheit am Sabbathtage; und Er
„ſtand auf, vorzuleſen. Es ward Ihm das Buch des Propheten Iſaias
„gereicht. Da Er das Buch aufrollte, traf Er die Stelle, wo geſchrie-
„ben ſteht: „Der Geiſt des Herrn iſt auf Mir; darum hat Er Mich ge-
„ſalbet, zu verkündigen das Evangelium den Armen; hat Mich geſandt,
„zu heilen, die geängſtigten Herzens ſind; zu predigen den Gefange-
„nen, daß ſie los ſeyn, und den Blinden, daß ſie wieder ſehen ſollen;
„die Geqnälten zu entlaſſen; zu verkündigen das gnadenreiche Jahr des
„Herrn, und den Tag der Vergeltung.“ Als Er das Buch zugerollt
„hatte, gab Er's dem Diener, und ſetzte Sich. Und die Augen. Aller in
„der Synagoge waren auf Ihn gerichtet. Er aber hob an, und ſagte
„zu ihnen: Heute iſt dieſe Schrift erfüllet vor euren Ohren. Und ſie
142
„gaben Alle Zeugniß von Ihm, und ſie wunderten ſich über die hold-
„ſeligen Worte, die aus Seinem Mnnde gingen. Und ſie ſprachen: Iſt
„Der nicht Joſephs Sohn? Und Er ſprach zu ihnen: Ihr werdet frei-
„lich zu Mir ſagen: Arzt, hilf Dir ſelber! Was wir von Deinen Wer-
„ken zu Kapharnaum gehört haben, das thue auch hier in Deiner Va-
„terſtadt! Er aber ſprach: Wahrlich Ich ſage euch, kein Prophet iſt
„angenehm in ſeinem Vaterlande. In Wahrheit ſage Ich euch: Es
„waren in Iſrael viele Witwen in den Tagen des Elias, als der Him-
„mel verſchloſſen war drei Jahre und ſechs Monate, da eine große
„Theuerung im ganzen Lande war; und zu keiner derſelben ward Elias
„geſandt, ſondern allein gegen Sarepta, im ſidoniſchen Gebiete zu einer
„Witwe. Und viele Ausſätzige waren in Iſrael, zu den Zeiten des Pro-
„pheten Eliſäus; und keiner derſelben ward gereinigt, als Naaman der
„Syrer. Und Alle, die in der Synagoge waren, wurden voll des
„Zornes, da ſie das hörten. Und ſie ſtanden auf, und ſtießen Ihn zur
„Stadt hinaus, und führten Ihn zum Gipfel des Berges, an dem ihre
„Stadt gebauet war, um Ihn hinab zu ſtürzen. Er aber, hindurch-
„gehend mitten zwiſchen ihnen, wandelte von dannen.“
Der Weg zu dieſer denkwürdigen Höhe iſt parthienweiſe ſehr be-
ſchwerlich, und für ſolche, die am Schwindel leiden, gar unmöglich; deßhalb
blieb auch Pfarrer Seliger ſchon auf dem halben Weg zurück. Wir übri-
gen drangen durch und erreichten den erwähnten Höhepunkt, der jählings
ſich in eine ſchauerliche Schlucht hinunterſenkt, ſo daß mir die Augen faſt
vergingen, als ich's verſuchte, mit zurückgezogenem Leibe hinabzuſchauen,
und die Tiefe zu meſſen. Nach einem kurzen Gebethe traten wir den Rückweg
an; denn einerſeits war uns um den zurückgebliebenen Pilger bange, weil
wir ihn allein gelaſſen – andererſeits fing es auch bereits zu dämmern an,
und im Oriente läßt die Nacht nicht lange auf ſich warten. Und als wir dem
Städtchen näher kamen – tönte vom Thürmlein der Kirche der Verkün-
digung ſtill feierlich die Abend-Glocke uns entgegen, und ſprach wie
eine Himmelsſtimme mahnend an unſer Herz das Wort des Engels: Ave
Maria.
Wir ſtanden ſtille im enggeſchloſſenen Kreis, entblößten unſer Haupt
und betheten mit Thränen in den Augen: Ave Maria! Ich glaube, daß
kaum Einer unter uns das Ave Maria in ſeinem Leben ſo heilig gebethet
hat. O wie wohl that es uns nicht, daß wir ſo ungeſcheut dem Drange un-
ſerer Herzen folgen konnten!
143
Ueberhaupt iſt Nazareth ein wahres Eden (Paradies) für den from-
men Chriſten, weil er daſelbſt nicht bloß beſondere Heiligthümer findet, bei
denen er ſein volles Herz ergießen und ſich doppelt ſelig fühlen kann, ſon-
dern weil er zugleich in dem Inſtitute der frommen Schulſchwe-
ſtern, das ſich in dem neuerbauten Theile der Casa nuova befindet, und
in der bereits ſeit mehreren Jahren beſtehenden Kinderſchule und Be-
wahranſtalt in den Kloſtermauern ſelbſt – eine ſchönere Zukunft für das
Chriſtenthum erblühen ſieht.
Am 19. April zog uns das Herz nach Tabor's geheiligter Höhe hin,
der nur zwei Stunden von Nazareth entfernt gelegen, und über alle Berge
und Höhen emporragend, auch durch ſeine oben abgerundete Form beſonders
ausgezeichnet iſt, ſo daß jedes Schulkind auf die Frage: Welcher unter allen
dieſen Bergen iſt der Tabor? ohne Zögern gerade dieſen Berg damit be-
eichnen würde. So auffallend ſteht er da, und erhebt ſein Haupt zum
Himmel, gleichſam als ob er ſagen wollte: „Ich bin der Tabor.“
144
Wer kennt nicht den Berg der Verklärung Chriſti, wo Ihm auch
die Träger des alten Bundes, Moſes und Elias, Zeugniß gaben, und die
Stimme vom Himmel Ihn als Gottes Sohn erklärte.
(Matth. 17, 1–9.)
„Nach ſechs Tagen nimmt Jeſus mit Sich den Petrus und Jakobus,
„und Johannes, deſſen Bruder, und führte ſie abſonderlich auf einen
„hohen Berg. Und Er ward verklärt vor ihnen; und Sein An-
„geſicht glänzte wie die Sonne, und Sein Gewand ward weiß wie der
„Schnee. Und ſiehe, es erſchienen ihnen Moſes und Elias, die re-
„deten mit Ihm. Petrus hub aber an, und ſprach zu Jeſu: Herr! hier
„iſt gut ſeyn für uns; willſt Du, ſo laß uns hier drei Hütten machen,
„Dir eine, dem Moſes eine, und dem Elias eine! Als er noch redete,
„ſiehe, da überſchattete ſie eine lichte Wolke, und es kam eine Stimme
„aus der Wolke, die ſprach: Dieſer iſt Mein geliebter Sohn, an
„dem Jch Mein Wohlgefallen habe; Den höret! Als das die Jünger
„hörten, fielen ſie auf ihr Angeſicht, und waren ſehr erſchrocken. Und
„Jeſus trat zu ihnen, rührte ſie an, und ſprach: Stehet auf, und fürch-
„tet euch nicht! Da ſie nun die Augen aufhoben, ſahen ſie Niemanden,
„als Jeſum allein. Und als ſie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen
„Jeſus, und ſprach: Ihr ſollet dieſe Erſcheinung. Niemanden ſagen,
„bis der Sohn des Menſchen wird auferſtanden ſeyn von den Todten.“
Nach einem ſehr angenehmen Ritte durch einen lichten Wald von
immer grünen Eichen, welche wir ſonſt nirgends trafen, erreichten wir unge-
fähr um 11 Uhr Vormittags die nicht unbedeutende Höhe, allwo wir noch
die großartigen Ueberreſte einer zur Zeit der Kreuzzüge erbauten und ſtark-
befeſtigten Stadt, die ſpäter von den Sarazenen wieder zerſtört wurde,
fanden. Auch öffnete ſich uns von hier aus eine ſehr ſchöne und weitgedehnte
Rundſchau nebſt der überraſchenden Fernſicht nach der mit ewigem Schnee
bedeckten Höhe des Antilibanon und wir entdeckten am Fuße des gegen-
überliegenden Gebirges Gelboe zwei intereſſante Städtchen – nämlich Naim,
vor deſſen Mauern Jeſus den Sohn der Witwe auferweckte (Luk. 7, 11–16)
und Endor, wo Saul im Kriege gegen die Philiſter – um den Ausgang
des Kampfes bange – anſtatt ſich dem Allwiſſenden und Allſehenden zu
vertrauen, ſich verleiten ließ, die daſelbſt befindliche Wahrſagerin zu
befragen und den Geiſt Samuels zu beſchwören. (1. König. 28,4–20.):
A
145
„Nachdem ſich die Philiſter verſammelt hatten, kamen ſie nach Sunam
„und ſchlugen daſelbſt ihr Lager auf. Saul aber verſammelte auch ganz
„Iſrael und kam nach Gelboe. Da nun Saul das Lager der Philiſter
„ſah, fürchtete er ſich ſehr und ſein Herz wurde über die Maßen ver-
„zagt. Er fragte zwar den Herrn um Rath; der Herr aber antwortete
„ihm weder im Traume, noch durch die Prieſter, noch durch die Pro-
„pheten. Alsdann ſprach Saul zu ſeinen Dienern: Suchet mir ein
„Weib, das einen Wahrſagergeiſt hat, damit ich zu ihr hingehe und
„durch ſie erforſche. Und ſeine Diener ſprachen zu ihm: Es iſt zu Endor
„ein Weib, welches einen Wahrſagergeiſt hat. Daher veränderte
„er ſeine Kleidung und legte andere Kleider an, und er ſelbſt ſammt
„zwei Männern ging hin, und kam bei der Nacht zu dem Weibe und
„ſprach zu ihr: Weiſſage mir durch den Wahrſagergeiſt und erwecke mir
„denjenigen, welchen ich dir ſagen werde. Und das Weib ſprach zu
„ihm: Sieh, dir iſt wohl bewußt, was Saul gethan und wie er die
„Zauberer und Wahrſager aus dem Lande vertilget hat; warum ſtellſt
„du denn mir nach und willſt mich um das Leben bringen? Und Saul
„ſchwur ihr bei dem Herrn und ſprach: So wahr der Herr lebt, es
„ſoll dir um dieſer That willen nichts Böſes widerfahren. Und das
„Weib ſprach zu ihm: Wen ſoll ich dir erwecken? Er ſagte: Erwecke
„mir den Samuel! Als aber das Weib den Samuel ſah, ſchrie ſie mit
„lauter Stimme, und ſprach zu Saul: Warum haſt du mich hinter-
„gangen? Du biſt Saul! Und der König ſagte zu ihr: Fürchte dich
„nicht, was haſt du geſehen? Und das Weib ſprach zu Saul: Ich
„habe Götter aus der Erde heraufſteigen geſehen. Und Saul ſagte
„zu ihr: Wie iſt ſeine Geſtalt? Sie ſprach: Ein alter Mann ſteigt
„herauf, gehüllt in einen Mantel. Saul erkannte alſo, daß es Sa-
„muel war, und er neigte ſich mit dem Angeſicht bis zur Erde und ver-
„ehrte ihn. Samuel aber ſprach zu Saul: Warum haſt du mich be-
„unruhigt und mich aufwecken laſſen? Und Saul antwortete: Ich bin
„ſehr bedrängt; denn die Philiſter führen gegen mich Krieg, und Gott
„iſt von mir gewichen, und hat mich weder durch die Propheten, noch
„im Traume erhören wollen; darum habe ich dich rufen laſſen, damit
„du mir anzeigeſt, was ich thun ſoll. Und Samuel ſprach: Was fragſt
„du mich, wenn der Herr von dir gewichen iſt, und ſich zu David hin-
„gewendet hat? Denn der Herr wird dir thun, wie Er es durch mich
„vorhergeſagt hat; Er wird das Reich aus deinen Händen reißen, und
„wird es deinem Nächſten, dem David geben, weil du Seiner Stimme
Reiſebeſchreibung. 10
146
„nicht gehorcht, noch die Rache Seines Zornes wider die Amalekiter
„(deren König Agog und die im Krieg gemachte Beute er auf Befehl
„Gottes hätte vertilgen ſollen, was er aber nicht gethan hatte) aus-
„geübet haſt. Darum wird der Herr auch Iſrael ſammt dir in die Hände
„der Philiſter übergeben, und morgen wirſt du und deine Söhne bei mir
„ſeyn; der Herr wird auch ſogar das Lager Iſraels in die Hände der
„Philiſter übergeben. Und Saul fiel alſogleich nieder und lag ausge-
„ſtreckt auf der Erde; denn die Worte Samuels erſchreckten ihn ſehr.“
Nachdem wir eine gute Weile Aug' und Herz an der großartigen und
lohnenden Ausſicht, an der leider zwei unſerer Mitpilger, Graf Harnon-
court und Buchhändler Greif aus Wien, erſterer wegen eines heftigen
Fiebers, letzterer in Folge eines unglücklichen Sturzes vom Pferde, keinen
Autheil nehmen konnten, ergötzt hatten, führte uns P. Wolfgang nach dem
Platze, wo Chriſtus vor den Augen. Seiner Jünger verklärt wurde.
Derſelbe war ehemals durch eine herrliche Kirche bezeichnet, von der aber
gegenwärtig nichts mehr übrig iſt, als eine ziemlich tief gebaute Höhle
mit drei aneinanderſtoßenden Seiten-Niſchen, in denen früher Altäre ſtan-
den, errichtet wahrſcheinlich zu Ehren der drei Apoſtel Petrus, Jakobus
und Johannes, welche die auserwählten Zeugen der Verkläruug Chriſti
waren (2 Brief. Petr. 1, 16–18):
„Wir ſind geweſen Augenzeugen der Hoheit Jeſu Chriſti; denn von
„Gott dem Vater empfing Er Ehre und Herrlichkeit, da über Ihm die
„Stimme erſcholl aus hochherrlichem Glanz: „Dieſer iſt Mein geliebter
„Sohn, an dem Jch Wohlgefallen habe; Ihn höret.“ Und dieſe
„Stimme hörten wir vom Himmel über Ihn kommen, als wir mit
„Ihm auf dem heiligen Berge waren.“
P. Wolfgang hatte von Nazareth aus eine Kiſte mit dem nöthigen
kirchlichen Geräthe zur Feier des heil. Meßopfers an dieſem ſo merk-
würdigen Orte mitgenommen, und bald war Alles zur heiligen Feier ge-
ordnet, der rauhe Altarſtein mit einem weißen Tuche bedeckt, die Leuchter
aufgeſtellt, das Kreuz in der Mitte des Hauptaltars aufgerichtet und die
Kerzen angezündet, und ich beordert, die heilige Meſſe zu celebriren.
O wie glücklich fühlte ich mich nicht durch dieſe Gnade, und wie gerne hätte
ich mit Petrus rufen mögen: „Hier iſt gut ſeyn!“ Die übrigen Pilger
begleiteten das heilige Opfer mit dem bekannten Geſang: „Wir werfen uns
147
darnieder“, deſſen Klänge auf der freien Höhe einen wunderbaren Eindruck
auf mich machten. Vor Ableſung des auf den Feſttag der Verklärung Chriſti
vorgeſchriebenen evangeliſchen Abſchnittes in lateiniſcher Sprache las
P. Wolfgang denſelben mit erhobener Stimme iu deutſcher Sprache vor,
und in demſelben Augenblicke, als ich bei der heiligen Wandlung den Leib
des Herrn in der Brotsgeſtalt erhob, wurden don den Pilgern drei
Schüſſe aus ihren ſcharfgeladenen Piſtolen abgefeuert, denen bei Erhebung
des heil. Kelches mit dem Blute Chriſti eine gleiche Anzahl folgte. Ein wun-
derſamer Wechſel! – Was urſprünglich den Beduinen in der Wüſte Tod
und Verderben bringen ſollte, ward nun dem Allerheiligſten zu Ehren dar-
gebracht. Pilger Mick aus Bodenſtadt konnte dieſe Opferfeier, die ſein Herz
ſo freudig überraſcht und tief gerührt hatte, nie vergeſſen.
Nachdem wir noch einer zweiten heiligen Meſſe, die ein Prieſter
aus dem Orden des heiligen Franziskus, Padre Antonio, der als Miſſionär
nach Egypten ging, und kurz nach ſeiner Ankunft daſelbſt einem Cholera-
Anfalle erlag, las, in ſtiller Andacht beigewohnt und ein Paternoſter, Ave
Maria und Gloria Patri zur Gewinnung des für alle heiligen Orte ver-
liehenen Ablaſſes gebethet hatten, wollten wir ins Freie, um zur leibli-
chen Stärkung die ſogenannte Collazion oder kleine Vormahlzeit einzuneh-
men; allein ein heftiges Gewitter von furchtbarem Donner begleitet,
zwang uns, in die Höhle zurückzueilen, und an demſelben Orte, wo wir
erſt die Herzen erquickt, auch die Leibeskräftigung vorzunehmen. Der Re-
gen floß in Strömen dicht herab, ſo daß das Waſſer bald auch in die
Höhle drang, und uns Alle austränken zu wollen ſchien. Nach zwei Stun-
den ließ der Regen etwas nach und wir wanderten, die Roſſe am Zaume
führend, und über die durch die Näſſe äußerſt ſchlüpfrig gewordenen Fel-
ſentrümmer den Weg ſuchend mit nicht geringer Mühe den Berg hinab
in die Tiefe des Thales. Als wir den Thalgrund erreicht hatten, ging's
wieder hoch zu Roß im guten Trabe munter fort bei zwei ſich gegenüber
liegenden, verfallenen Kaſtellen vorüber, die noch aus der Zeit der
Kreuzzüge ſtammen und wahrſcheinlich dazu beſtimmt waren, einem ein-
dringenden feindlichen Kriegsheere den Durchzug nach Tiberias oder nach
Samaria zu erſchweren. Gegenwärtig wird auf dieſem Platze von den
Arabern monatlich Viehmarkt gehalten. Abends um 7 Uhr endlich lang-
ten wir auf der Höhe an, an deren Fuß wir nach der folgenden Abbil-
dung die Stadt Tiberias und den herrlichen See Geneſareth (oder
das galiläiſche Meer) -
10 *
148
vor unſern Augen ausgebreitet liegen ſahen.
Wahrhaftig ein entzückender Anblick – und welch freudige Erinne-
rungen aus der heil. Geſchichte knüpfen ſich nicht daran? – Schon von
der Höhe ſahen wir unſere Zelte, die wir auf einem kürzeren Wege voraus-
geſchickt hatten, in der Nähe des von den Kreuzfahrern erbauten und nun
zerſtörten Kaſtells (Schloſſes), welches auf unſerm Bilde links auf der
Anhöhe mit ſeinen gegenwärtigen Ueberreſten gezeichnet iſt, aufgeſchlagen,
und wir lenkten unſere Schritte dahin; allein das wiederholt eingetretene
und noch ſchlimmer zu werden drohende Regenwetter nöthigte uns, von dem
Wege abzuweichen, und bei dem Pater Präſidenten in Tiberias einzuſprechen,
der in dem winzigen, hart an die Kirche des heil. Petrus angebauten Kloſter-
hauſe ſeine ärmliche Reſidenz hatte, und nebſt ſeinem Diener die ganze
katholiſche Gemeinde in Tiberias repräſentirte. Es war noch nicht lange her,
daß der ehrwürdige Mann im Hintertheile der Kirche ſeine Wohnung hatte,
und es koſtete ihn nicht geringe Mühe, nach geſchehenem Ankaufe des Bau-
platzes für ſein Klöſterlein, dasſelbe auszubauen, was ihm auch nur unter
dem Schutze einiger türkiſcher Soldaten möglich wurde. Unſere Bitte um
gütige Beherbergung unter ſeinem kleinen Dache während der böſen Nacht
wurde uns von dem P. Präſidenten auch mit der zuvorkommendſten Freund-
lichkeit gewährt, welcher er dadurch die Krone aufſetzte, daß er die zwei
149
Zimmer im erſten Stocke uns willig überließ, und ſich ſelbſt mit ſeinen
beiden Ordensbrüdern Wolfgang und Anton auf das enge Speiſezimmer zu
ebener Erde für dieſe Nacht beſchränkte. Nun aber war guter Rath theuer;
es handelte ſich nämlich darum, unſere Betten aus den Zelten, die in be-
deutender Entfernung aufgeſchlagen ſtanden und von dem anhaltenden Regen
bereits ganz durchnäßt waren, auf die beſtmögliche Weiſe nach dem Kloſter
zu transportiren. Es wurde daher Alles, was Hände und Füße hatte, auf-
geboten, zu den Zelten hinauszueilen und mit oder ohne Regenſchirm das
nöthige Bettgeräth herbeizuſchleppen, während ich es mir zur Aufgabe
machte, das angekommene Bettzeug mit der noch trockenen Seite nach oben
auf dem Fußboden der beiden kleinen Zimmer im erſten Stocke aufzubreiten,
und ſo meinen Mitpilgern durch entſprechende Austheilung eine erträgliche
Schlafſtelle zu bereiten. Die Nacht verlief ſich ſo ziemlich gut. Wir waren
wenigſtens im Trockenen, wenn es auch draußen wetterte und ſtürmte.
Am andern Morgen machten uns einige Juden, die uns ſchon am
Abend zuvor aufgeſucht und uns ihre Dienſte angetragen hatten, und deren
Tiberias nahe an 2000 zählen ſoll, einen Beſuch, und ſuchten mit uns in
der deutſchen Mundart Handelsgeſchäfte anzuknüpfen, indem ſie uns
Strümpfe u. ſ. w. zum Ankaufe anboten. Wir aber wieſen ſie zurück und
erfuhren zugleich über ſie, daß ſie zum größten Theile aus Europa über-
ſiedelt waren, und auch von daher ihre Unterſtützung beziehen, damit ſie ſich
auf dieſe Weiſe wenigſtens an Einem Orte in dieſer Mehrzahl erhalten
können!
Nachdem wir uns dieſe läſtigen Gäſte vom Halſe geſchafft hatten, tra-
ten wir in die ſehr geräumige, aber leere und nackte Kirche des heil.
Petrus, welche an demſelben Orte ſteht, wo Chriſtus den Simon
Petrus zum Apoſtelamte berief, Matth.-4, 18:
„Da aber Jeſus vom galiläiſchen Meere ging, ſah Er Simon,
„der da Petrus heißt, und Andreas, deſſen Bruder, die ihre Netze
„warfen in den See. Denn ſie waren Fiſcher. Und Er ſprach zu ihnen:
„Folget mir nach. Ich will euch zu Menſchenfiſchern machen.“ Und
„alsbald verließen ſie ihre Netze und folgten Ihm nach.“
und ihm nach Seiner Auferſtehung Seine Lämmer und Seine Schafe zur
Weide übergab, (Joh. 21, 15–17):
„Da ſie (Jeſus und Seine Apoſtel nach der Auferſtehung am See
„Tiberias) nun das Mahl gehalten hatten, ſpricht Jeſus zu Simon
150
„Petrus: Simon, des Johannes Sohn, liebſt Du mich mehr als
„dieſe? Und er antwortete Jhm: Ja, Herr! Du weißt, daß ich Dich
„liebe. Jeſus ſpricht zu ihm: Weide Meine Lämmer! Und wie-
„der ſpricht Jeſus zu ihm: Simon, des Johannes Sohn, liebſt du
„Mich? Und Petrus ſpricht zu ihm: Ja, Herr, Du weißt, daß ich
„Dich liebe! Jeſus ſpricht zu ihm: Weide Meine Lämmer!
„Zum dritten Male ſpricht Jeſus zu ihm: Simon, des Johannes Sohn,
„liebſt du Mich? Da ward Petrus traurig, daß Jeſus zum dritten
„Male zu ihm ſagte: Liebſt du mich? Und er ſprach zu Ihm: Herr,
„Du weißt Alles – Du weißt auch, daß ich Dich liebe! Und Jeſus
„ſprach zu Ihm: Weide Meine Schafe!“
Während wir in dieſem wahrhaft apoſtoliſchen Heiligthume bei dem
Hauptaltar und den Seitenaltären die h. Meſſe laſen, wurde durch die gütige
Vermittlung des P. Präſidenten für uns ein hinlänglich geräumiges Schiff
zu einer Luſtfahrt auf dem See Geneſareth bereitet. Und wer ver-
langte nicht, den See zu befahren, den der Herr ſelbſt durch mehrere Wun-
der geheiligt hat?– Wer kennt nicht aus dem Evangelienbuche das Wunder
des reichen Fiſchzuges, von dem Lukas 5, 1–11 erzählt? Wem iſt wohl
die wunderbare Stillung des Sturmes fremd, die hier nach Matth. 8,
23–27 geſchah? – Wer hat nicht wenigſtens gehört, daß der Herr hier
auf dem Meere wandelte wie auf feſtem Boden? (Matth. 14, 22–33):
„Und alsbald trieb Jeſus Seine Jünger an, in das Schiff zu treten,
„und vor Ihm hinüber zu fahren, indeß Er das Volk entließe. Und da
„Er das Volk entlaſſen hatte, ſtieg Er auf den Berg, um allein zu
„bethen. Und da es ſpät geworden, war Er daſelbſt allein. Das Schiff
„aber war mitten auf dem See, und wurde von den Wellen geworfen;
„denn der Wind war zuwider. In der vierten Nachtwache aber kam Er
„zu ihnen, wandelnd auf dem See. Und da ſie ihn ſahen wandeln
„auf dem See, erſchracken ſie, und ſprachen: Es iſt ein Geſpenſt! und
„ſchrien vor Furcht. Und Jeſus redete ſie alsbald an und ſprach: Seid
„getroſt, Ich bin's, fürchtet euch nicht! Petrus antwortete und ſprach:
„Herr, ſo Du es biſt, heiß mich zu Dir kommen auf dem Waſſer! Er
„aber ſprach: Komm! Und Petrus trat aus dem Schiffe, und ging auf
„dem Waſſer, daß er zu Jeſu käme. Da ſah er aber heftigen Wind,
„erſchrack, hub an zu ſinken, rief und ſprach: Herr, hilf mir! Und
„Jeſus ſtreckte alsbald die Hand aus, faßte ihn, und ſprach zu ihm:
s
151
„Kleingläubiger, warum zweifelteſt du? Und ſie traten in das Schiff,
„und der Wind legte ſich. Die aber in dem Schiffe geweſen, kamen
„und betheten Ihn an, und ſprachen: Du biſt wahrlich Gottes Sohn!“
Voll heiliger Sehnſucht nach der Fahrt auf dieſem denkwürdigen See
eilten wir ans Ufer und wurden, da ſeine Gewäſſer etwas aufgeregt waren
und bedeutende Wellen ſchlugen, von bereitſtehenden Männern in das ſehr
ſchwankende Schiff hineingehoben, und fuhren eine hübſche Strecke auf- und
abwärts auf dem See, während dem die betreffenden Schriftſtellen mit lauter
Stimme zur großen Erbauung vorgeleſen wurden. Wie ungern verließ ich
das Schiff! Doch ein Pilger, der das Schwanken des Schiffes auf dem
etwas bewegten See nicht ertragen konnte, mußte ausſteigen, und nöthigte
auch die Andern an das Laud zu ſteigen. – Bei Gelegenheit dieſer Seefahrt
ſahen wir vom Waſſerſpiegel aus die Ruinen der durch das Wunder an
dem gichtkranken Knechte des heidniſchen Hauptmannes (Matth. 8, 5–13)
geheiligten Stadt Kaparnaum, die im Evangelium vorzugsweiſe Seine
Stadt genannt wird (Matth. 9, 1) – ferner die Ruinen von Bethſaida,
der Geburtsſtätte der heiligen Apoſtelbrüder Petrus und Andreas (Joh. 1, 44)
– und die Mündung des Jordans in den See, und den in den See
hineinragenden abgeplatteten Hügel, von welchem herab ſich die Schweine,
in die Chriſtus die böſen Geiſter der Geraſener getrieben hatte, ſtürzten.
(Matth. 8, 28–33):
„Und ſie kamen jenſeits des Sees, in die Gegend der Geraſener.
„Da liefen Ihm entgegen zwei Beſeſſene, die aus den Gräbern kamen, und
„ſehr wüthend waren, ſo daß desſelben Weges Niemand vorüber gehen
„konnte. Und ſiehe, ſie ſchrieen und ſprachen: Was haſt Du mit uns
„zu thun, Jeſus, Du Sohn Gottes? Biſt Du gekommen, uns zu quälen
„vor der Zeit? – Es war aber nicht ferne von ihnen eine große Heerde
„Schweine auf der Weide. Und die Teufel baten Ihn, und ſprachen: Treibſt
„Du uns von hinnen, ſo laß uns in die Heerde Schweine fahren! Und Er
„ſprach zu ihnen: Fahret hin! Und ſie fuhren aus, und fuhren in die
„Schweine. Und ſiehe, eilends ſtürzte ſich die ganze Heerde von der Höhe
„in den See, und ſie kamen um im Waſſer. Die Hirten aber flohen,
„und kamen in die Stadt, und machten alles kund, und wie es mit den
„Beſeſſenen ergangen war.“
152
Als wir aus dem Schiffe geſtiegen waren, ſammelten wir eine Menge
von kleinen, zierlichen Muſcheln in dem Sande am Ufer, um ſie theils für
uns zu behalten, theils auch um Andere in der Heimat damit zu beſchenken.
Nachdem wir uns noch eine gute Weile bis zur Zurüſtung der Reit-
pferde auf der Terraſſe der Kloſterkirche an der herrlichen Rundſchau über
den See geweidet hatten, traten wir in Gottes Namen den Rückweg nach
Nazareth an durch eine der ſchönſten Gegenden des Landes, und kamen
zuerſt an den Platz, wo Chriſtus 5000 Menſchen mit wenigen Broten
und Fiſchen geſättiget hat. (Matth. 14, 14–21):
„Und als Er heraustrat, ſah Er eine große Schaar, und es jam-
„merte Ihn derſelben, und Er machte ihre Kranken geſund. Da es
„aber Abend wurde, traten Seine Jünger zu Ihm, und ſprachen:
„Dieſer Ort iſt öde, und die Tageszeit iſt ſchon vorüber; entlaſſe das
„Volk, damit ſie in die Flecken gehen, und ſich Speiſe kaufen. Jeſus
„aber ſprach zu ihnen: Es iſt nicht nöthig, daß ſie hingehen; gebt ihr
„ihnen zu eſſen. Sie aber ſprachen zu Ihm: Wir haben hier nichts,
„als fünf Brote und zwei Fiſche. Er ſprach zu ihnen: Bringet ſie
„Mir her! Und Ergebot, daß ſich das Volk auf das Gras niederlaſſe.
„Da nahm Er die fünf Brote und die zwei Fiſche, ſah auf gen Himmel,
„ſegnete, und brach, und gab die Brote den Jüngern, die Jünger aber
„dem Volke. Und ſie aßen alle, und wurden geſättiget. Und ſie hoben
„die übrig gebliebenen Brocken auf zwölf Körbe voll. Die Zahl aber
„derer, die gegeſſen hatten, war fünftauſend Mann, ohne die
„Weiber und Kinder.“
Auch wir nahmen an dieſem geſegneten Orte nach verrichtetem Gebethe
unſer Frühſtück ein. -
Von hier aus führte uns der Weg zu dem ſeitwärts gelegenen Berge
der acht Seligkeiten, wie man ihn gewöhnlich aus Aller Munde nennen
hört, von welchem aus Chriſtus die berühmte Bergpredigt hielt, die mit
den acht Seligpreiſungen beginnt. (Matth. 5,1–48; 6,1–34; 7,1–29.):
„Da aber Jeſus die Schaaren ſah, ſtieg Er auf einen Berg; und
„da Er ſich geſetzt hatte, traten Seine Jünger zu Ihm, und Er that
„Seinen Mund auf, lehrte ſie und ſprach: Selig die Armen im Geiſte;
„denn ihrer iſt das Reich der Himmel. Selig die Sanftmüthigen; denn
„ſie werden das Erdreich beſitzen. Selig, die trauern; denn ſie werden
„getröſtet werden. Selig, die hungert und dürſtet nach der Gerechtig-
153
„keit; denn ſie werden geſättigt werden. Selig die Barmherzigen; denn
„ſie werden Erbarmung finden. Selig, die reinen Herzens ſind; denn
„ſie werden Gott anſchauen. Selig die Friedfertigen; denn ſie werden
„Kinder Gottes heißen. Selig, die verfolgt werden um der Gerechtig-
„keit willen; denn ihrer iſt das Reich der Himmel. Selig ſeid ihr, wenn
„euch die Menſchen Meinetwegen ſchmähen und verfolgen, und reden
„allerlei Uebels wider euch lügenhaft. Freuet euch und frohlocket; groß
„iſt euer Lohn im Himmel: denn alſo haben ſie auch die Propheten
„verfolgt, welche vor euch geweſen ſind. Ihr ſeid das Salz der Erde.
„Wenn nun das Salz ſchal wird, womit ſoll dann geſalzen werden? Es
„taugt zu weiter nichts, als ausgeſchüttet und von Menſchen zertreten
„zu werden. Ihr ſeid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die
„auf einem Berge liegt, nicht verborgen ſeyn. Man zündet nicht ein
„Licht an, und ſetzet es unter einen Scheffel, ſondern auf einen Leuch-
„ter, damit es Allen leuchte, die im Hauſe ſind. Alſo leuchte vor den
„Menſchen euer Licht, daß ſie eure guten Werke ſehen, und euren Va-
„ter verherrlichen, der im Himmel iſt. Ihr ſollet nicht meinen, daß
„Ich gekommen ſei, das Geſetz oder die Propheten aufzulöſen. Ich bin
„nicht gekommen, aufzulöſen, ſondern zu erfüllen. Denn wahrlich Ich
„ſage euch, bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen Ein
„Jota, noch ein Strichlein vom Geſetz, bis daß alles geſchehe. Wer
„denn Eins von dieſen kleinſten Geboten löſet, und die Menſchen alſo
„lehret, der wird der kleinſte heißen im Reiche der Himmel; wer aber
„thut und lehret, der wird groß heißen im Reiche der Himmel. Denn
„Ich ſage euch, wofern eure Gerechtigkeit nicht vollkommener iſt, als
„die der Schriftgelehrten und Phariſäer, ſo werdet ihr nicht in das
„Reich der Himmel eingehen. Ihr habt gehört, daß zu den Alten geſagt
„worden iſt: Du ſollſt nicht tödten; wer aber tödtet, der ſoll des Gerichtes
„ſchuldig ſeyn. Ich aber ſage euch: Wer ſeinem Bruder zürnet, wird
„des Gerichtes ſchuldig ſeyn; wer aber ſagt zu ſeinem Bruder: Boshaf-
„ter! der wird des hohen Raths ſchuldig ſeyn; wer ſagt: du Gottloſer!
„der wird des Feuers der Hölle ſchuldig ſeyn. Wenn du denn deine
„Gabe zum Altar bringeſt, und wirſt allda eingedenk, daß dein Bru-
„der etwas wider dich habe; ſo laß allda vor dem Altar deine Gabe,
„und gehe hin, verſöhne dich zuvor mit deinem Bruder, und dann
„komm und opfere deine Gabe. Vertrage dich mit deinem Widerſacher
„bald, da du noch bei ihm auf dem Wege biſt, auf daß dich der Wider-
„ſacher nicht überantworte dem Richter, und der Richter dich überant-
154
„worte dem Schergen, und du werdeſt in den Kerker geworfen. Wahr-
„lich Ich ſage dir, du wirſt da nicht herauskommen, bis du den letzten
„Heller bezahleſt. Ihr habet gehört, daß zu den Alten geſagt worden iſt:
„Du ſollſt nicht ehebrechen. Ich aber ſage euch: Wer ein Weib anſieht
„mit begierlichem Auge, der hat ſchon Ehebruch mit ihr in ſeinem Herzen
„begangen, Aergert dich dein rechtes Auge, reiß es aus und wirf es
„von dir; denn es iſt dir beſſer, daß eines deiner Glieder verderbe, als
„daß dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde. Aergert dich deine
„rechte Hand, hau ſie ab und wirf ſie von dir: denn es iſt dir beſſer,
„daß eines deiner Glieder verderbe, als daß dein ganzer Leib in die
„Hölle fahre. Es iſt geſagt worden: Wer ſein Weib entläßt, der ſoll
„ihr einen Scheidebrief geben. Ich aber ſage euch: Wer ſein Weib ent-
„läßt, es ſei denn um Ehebruch, der macht, daß ſie die Ehe bricht;
„und wer eine Entlaſſene heirathet, der bricht die Ehe. Ihr habt weiter
„gehört, daß zu den Alten geſagt worden iſt: Du ſollſt keinen falſchen Eid
„thun, und du ſollſt dem Herrn deinen Eid halten. Ich aber ſage euch:
„Ihr ſollt durchaus nicht ſchwören, weder bei dem Himmel, denn er
„iſt Gottes Thron; noch bei der Erde, denn ſie iſt ſeiner Füße Sche-
„mel; noch bei Jeruſalem, denn ſie iſt des großen Königs Stadt; auch
„ſollſt du nicht bei deinem Haupte ſchwören, denn du vermagſt nicht, ein
„einziges Haar weiß oder ſchwarz zu machen. Eure Rede aber ſei: Ja,
„ja! Nein, nein! was darüber iſt, das iſt Sünde. Ihr habt ge-
„hört, daß geſagt worden iſt: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber
„ſage euch: Ihr ſollet nicht widerſtreiten dem Böſen; ſondern wo Je-
„mand dir einen Streich gibt auf die rechte Wange, dem biete auch die
„andere dar. Und wo Jemand mit dir rechten will, und deinen Rock
„nehmen, dem laß auch den Mantel. Und wo Jemand dich nöthigt,
„eine Meile mit ihm zu gehen, ſo gehe mit ihm zwei. Gib dem, der
„dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der dir abborgen will.
„Ihr habt gehört, daß geſagt worden iſt: Du ſollſt deinen Nächſten lieben,
„und deinen Feind haſſen. Ich aber ſage euch: Liebet eure Feinde; thut
„wohl denen, die euch haſſen; bethet für die, die euch verfolgen und
„läſtern, auf daß ihr Kinder ſeid eures Vaters im Himmel, der Seine
„Sonne aufgehen läßt über Böſe und über Gute, und regnen läßt über
„Gerechte und über Ungerechte. Denn wo ihr nur liebet, die euch lieben,
„was werdet ihr für einen Lohn haben? Thun nicht dasſelbe auch die
„Zöllner? Und wo ihr nur euren Brüdern den Gruß bietet, was thut ihr
155
„Beſonderes? Thun das nicht auch die Heiden? Seid alſo vollkommen,
„gleich wie auch euer Vater in den Himmeln vollkommen iſt.
„Hüthet euch davor, zu üben eure Gerechtigkeit vor den Menſchen,
„um von ihnen geſehen zu werden; ſonſt werdet ihr keinen Lohn haben
„bei eurem Vater, der in den Himmeln iſt. Wenn du denn Almoſen
„gibſt, ſollſt du nicht vor dir poſaunen laſſen, wie die Heuchler thun
„in den Synagogen und auf den Gaſſen, auf daß ſie von den Leuten
„geprieſen werden. Wahrlich Ich ſage euch, ſie haben ihren Lohn da-
„hin. Du aber, wenn du Almoſen gibſt, laß deine linke Hand nicht
„wiſſen, was deine rechte thut: auf daß dein Almoſen verborgen ſei,
„und dein Vater, der in das Verborgene ſieht, wird dir's vergelten.
„Und wenn ihr bethet, ſeid nicht wie die Heuchler, die da gern ſtehen
„undbethen in den Synagogen und an den Straßenecken, auf daß ſie von
„den Leuten geſehen werden. Wahrlich, Ich ſage euch, ſie haben ihren
„Lohn dahin. Du aber, wenn du betheſt, gehe in dein Kämmerlein und
„ſchließ die Thüre zu, und bethe zu deinem Vater im Verborgenen; und
„dein Vater, Der in das Verborgene ſieht, wird dir's vergelten. Wenn
„ihr bethet, ſollt ihr nicht Worte häufen, wie die Heiden; denn ſie mei-
„nen, daß ſie erhöret würden, weil ſie viele Worte machen. Werdet ihnen
„alſo nicht gleich! Denn euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe ihr
„Ihn bittet. Ihr ſollt denn alſo bethen: Vater unſer, Der Du biſt in
„den Himmeln! Geheiliget werde Dein Name. Dein Reich komme zu uns.
„Dein Wille geſchehe wie im Himmel alſo auch auf Erden. Unſer täg-
„liches Brod gib uns heute. Und vergib uns unſere Schulden, wie auch
„wir vergeben unſern Schuldigern. Und führe uns nicht in Verſuchung,
„ſondern erlöſe uns von dem Uebel, Amen. Wenn nun ihr den Men-
„ſchen ihre Vergehungen vergebt, ſo wird auch euer himmliſcher Vater
„eure Vergehungen euch vergeben. Wenn ihr aber den Menſchen nicht
„vergebet, ſo wird auch euer Vater eure Vergehungen euch nicht ver-
„geben. Wenn ihr faſtet, ſollt ihr nicht trüb ausſehen, wie die Heuch-
„ler; denn ſie entſtellen ihr Angeſicht, auf daß ſie vor den Menſchen
„erſcheinen mit ihrem Faſten. Wahrlich Ich ſage euch, ſie haben ihren
„Lohn dahin. Du aber, wenn du faſteſt, ſalbe dein Haupt, und waſche
„dein Angeſicht, auf daß du nicht erſcheineſt vor den Menſchen mit deinem
„Faſten, ſondern vor deinem Vater, Der im Verborgenen iſt; und
„Dein Vater, der ins Verborgene ſieht, wird dir's vergelten. Sam-
„melt euch nicht Schätze auf Erden, wo die Motte und der Roſt an
„ihnen zehren, wo Diebe nachgraben und ſtehlen. Sammelt euch aber
„Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Roſt an ihnen zehren; wo
„Diebe nicht nachgraben und ſtehlen. Denn wo dein Schatz iſt, da iſt
„auch dein Herz. Dein Auge iſt deines Leibes Leuchte. Wenn dein Auge
„lauter iſt, ſo wird dein ganzer Leib lichtvoll. ſeyn. Wenn aber dein
„Auge ſchlecht iſt, ſo wird dein ganzer Leib finſter ſeyn. Wenn nun
„das Licht in der Finſterniß iſt; wie groß iſt dann dieſe Finſterniß!
„Niemand kaun zweien Herren dienen: denn er wird den einen haſſen,
„und den andern lieben: oder er wird dem einen anhangen, und den
„andern vernachläſſigen. Ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mam-
„mon. Darum ſage ich euch: Seid nicht beſorgt für euer Leben, was
„ihr eſſen ſollet, noch für euren Leib, was ihr anziehen ſollet. Iſt nicht
„das Leben mehr als die Speiſe? und der Leib mehr als die Kleidung?
„Sehet die Vögel des Himmels: ſie ſäen nicht, ſie ernten nicht, ſie
„ſammeln nicht in die Scheuern; und euer himmliſcher Vater nähret ſie.
„Seid ihr nicht viel mehr als ſie? Wer aber unter euch kann, durch
„ſein Erdenken, ſeiner Leibesgröße Eine Elle zuſetzen? Und warum
„ſeid ihr beſorgt für die Kleidung? Habet Acht auf die Lilien des Fel-
„des, wie ſie wachſen; ſie arbeiten nicht, und ſie ſpinnen nicht. Ich
„ſage euch aber, daß auch Salomon, in aller ſeiner Herrlichkeit, nicht
„ſo bekleidet geweſen iſt, als deren eine. Wenn aber Gott das Gras
„auf dem Felde, das heute ſteht und morgen in den Ofen geworfen
„wird, alſo kleidet; wie viel mehr euch, ihr Kleingläubigen! Seid
„alſo nicht beſorgt, und ſaget nicht: Was werden wir eſſen? was
„werden wir trinken? womit werden wir uns kleiden? Nach Allem ſol-
„chen trachten die Heiden. Denn euer Vater weiß, daß ihr das alles
„bedürfet. Suchet alſo am Erſten das Reich Gottes und Seine Gerech-
„tigkeit, und jenes Alles ſoll euch zugegeben werden. Darum ſeid nicht
„beſorgt für den morgenden Tag; denn der morgende Tag wird beſorgt
„ſeyn für das ſeine. Genug, daß jeder Tag ſeine eigene Plage habe.
„Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet! Denn mit welchem
„Gerichte ihr richtet, werdet auch ihr gerichtet werden; und mit welchem
„Maße ihr meſſet, wird euch wieder gemeſſen werden. Was ſiehſt du
„den Splitter in deines Bruders Auge, und den Balken in deinem
„eigenen Auge merkeſt du nicht? Oder, wie ſprichſt du zu deinem Bru-
„der: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und
„ſiehe, ein Balken iſt in deinem Auge! Heuchler! zieh' zuerſt den Bal-
„ken aus deinem Auge, dann magſt du ſehen, den Splitter aus deines
„Bruders Auge zu ziehen. Ihr ſollt das Heilige nicht den Hunden
157
„geben, und eure Perlen ſollt ihr nicht vor die Schweine werfen, auf daß
„ſie dieſelben nicht zertreten mit ihren Füßen, und ſich wenden und euch
„zerreißen. Bittet, ſo wird euch gegeben werden; ſuchet, ſo werdet ihr
„finden; klopfet an, ſo wird euch aufgethan werden. Denn wer bittet,
„der empfängt; und wer ſuchet, der findet; und wer anklopfet, dem
„wird aufgethan. Oder iſt wo ein Menſch unter euch, der, wenn ihn
„ſein Sohn um Brod bittet, ihm einen Stein reiche? Oder, wenn er
„ihn bittet um einen Fiſch, ihm eine Schlange reiche? Wenn denn ihr,
„die ihr arg ſeid, wiſſet euren Kindern gute Gaben zu geben; wie viel
„mehr wird euer Vater in den Himmeln Gutes geben denen, die Ihn darum
„bitten. Alles nun, was ihr wollet, daß euch die Menſchen thun, das
„thut ihr ihnen auch; denn das iſt das Geſetz und die Propheten. Ge-
„het ein durch die enge Pforte: denn weit iſt die Pforte und breit der
„Weg, der zum Verderben führet, und ihrer ſind viele, die darauf
„wandeln. Wie enge iſt die Pforte, und der Weg wie ſchmal, der zum
„Leben führet! Und Wenige ſind, die ihn finden. Hüthet euch vor fal-
„ſchen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen; inwendig aber
„ſind ſie reißende Wölfe. An ihren Früchten ſollt ihr ſie erkennen. Sam-
„melt man wohl Trauben von den Dornen, und Feigen von den Diſteln?
„So bringet ein jeder guter Baum gute Früchte, aber ein ſchlechter
„Baum bringet ſchlechte Früchte. Ein guter Baum kann nicht ſchlechte
„Früchte bringen, und ein ſchlechter Baum kann nicht gute Früchte
„bringen. Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringet, wird ausge-
„hauen und ins Feuer geworfen werden. Darum, an ihren Früchten
„ſollt ihr ſie erkennen. Es werden nicht Alle, die zu Mir ſagen: Herr,
„Herr! in das Reich der Himmel eingehen; ſondern wer da thut den
„Willen Meines Vaters, der in den Himmeln iſt, der wird eingehen
„in das Reich der Himmel. Es werden. Viele zu Mir ſagen an jenem
„Tage: Herr, Herr! haben wir nicht in Deinem Namen geweiſſaget?
„In Deinem Namen Teufel ausgetrieben? In Deinem Namen viele
„Wunderwerke gethan? Dann werde Ich ihnen ſagen: Ich kenne
„euch nicht; weichet von Mir, ihr Uebelthäter! – Jeder nun,
„der dieſe Meine Reden hört und thut ſie, der wird gleich ſeyn einem
„verſtändigen Manne, der ſein Haus auf einen Felſen baute. Da fiel
„ein Platzregen, und es kamen Ströme, und es weheten Winde, und
„ſtießen gegen dieſes Haus, und es ſtürzte nicht ein; denn es war ge-
„gründet auf einen Felſen. Und jeder, der dieſe Meine Rede höret,
„und thut ſie nicht, der wird gleich ſeyn einem thörichten Manne, der
158
„ſein Haus auf Sand baute. Und der Platzregen fiel, und es kamen
„Ströme, und es weheten Winde, und ſtießen gegen dieſes Haus; und
„es ſtürzte ein, und ſein Fall war groß. Und es geſchah, da Jeſus dieſe
„Worte vollendet hatte, erſtaunte das Volk über Seine Lehre. Denn
„Er lehrte ſie als Der da Macht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehr-
„ten und Phariſäer.“
Wir fanden dieſen Berg mit halbmannshohen Graſe bewachſen und
genoſſen daſelbſt eine wunderherrliche Fernſicht bis über den See Geneſareth
hinaus.
Nach einer guten Zeit kamen wir zu dem ſogenannten Felde der
Aehren, wo die Jünger Chriſti einmal an einem Sabbath, weil ſie
hungerte, reife Aehren abpflückten, um ſie zu eſſen, was die Phariſäer für
eine Entheiliguug des Sabbaths erklärten.
(Matth. 12, 1–8.)
„In dieſer Zeit ging Jeſus durch die Saaten am Sabbathe; Seine
„Jünger aber, die hungerte, fingen an Aehren abzuraufen und zu eſſen.
„Die Phariſäer, die es ſahen, ſprachen zu Ihm: Siehe, Deine Jün-
„ger thun, was nicht erlaubt iſt zu thun am Sabbathe. Er aber ſprach:
„Habt ihr nicht geleſen, was David that, als ihn hungerte, und die
„bei ihm waren? Wie er ins Haus Gottes einging, und die Schau-
“ „brote aß, die zu eſſen ihm nicht erlaubt war, noch denen, die bei ihm
„waren, ſondern den Prieſtern allein? Oder, habt ihr nicht geleſen im
„Geſetze, wie die Prieſter am Sabbathe im Tempel den Sabbath bre-
„chen, und ſchuldlos ſind? Ich ſage aber euch: Der größer iſt, als der
„Tempel, iſt hier. Wenn ihr aber wüßtet, was das heißt: Ich will
„Barmherzigkeit und nicht Opfer, ſo hättet ihr die Unſchuldigen nie
„verdammet. Denn der Sohn des Menſchen iſt auch Herr über den
„Sabbath.“
Immer lieblicher und freundlicher wurde nun die Gegend – und
Thäler und Höhen zeigten große Fruchtbarkeit zur Rechten und zur Linken.
Da tauchte plötzlich wie eine Perle aus der geöffneten Muſchel das freund-
liche Städtchen Kana in wunderbarem Sonnenglanze vor unſeren Blicken
auf–jenes wohlbekannte Kana in Galiläa, das der Herr durch Sein erſtes
Wunderwerk, „der Verwandlung des Waſſers in Wein“ verherrlichte.
(Joh. 2, 1–11.) Noch ſtehen die Ruinen des Hauſes, wo die Hochzeit
ſtattfand, und darüber ſpäter eine Kirche ſich erhob; und wir tranken
159
aus derſelben Quelle, aus welcher die Diener im Evangelium auf Chriſti
Geheiß das Waſſer in die ſechs ſteinernen Krüge füllten. Wiederholt wen-
deten wir unſere Blicke von der Höhe, die uns gegen Nazareth führte, nach
dieſem höchſt anmuthig gelegenen Ort zurück, ohne des Schauens ſatt zu
werden, und mit beſonderer Aufmerkſamkeit betrachteten wir den Weg, den
wohl auch die heilige Jungfrau damals gegangen ſeyn mag, als ſie das
Hochzeitsfeſt ihrer Verwandten durch Ihre Gegenwart verherrlichte.
Erſt ſpät Abends trafen wir in unſerm Nazareth ein, das uns von
dieſer Seite aus einen ganz neuen Anblick darbot und uns beim Wieder-
ſehen gleich heimatlich anſprach. -
Am 21. April wohnten wir gegen Abend der feierlichen Prozeſſion
zu den Sanktuarien in der Kirche zu Nazareth bei, welche folgende ſind:
der Ort der Verkündigung Mariä oder der Menſchwerdung des Sohnes Got-
tes – der Altar des heiligen Joſeph – der Altar des heiligen Joachim und
der heiligen Anna und der Altar des Erzengels Gabriel. Der feierliche Um-
zug war mit Geſängen und Gebethen in lateiniſcher Sprache begleitet, und
endigte mit der Abſingung der lauretaniſchen Litanei und mit dem Vortrage
entſprechender Gebethe, bei welchem wir zu unſerer freudigen Verwunde-
rung den Namen unſers hocherlauchten Kaiſers Franz Joſeph ausſpre-
chen hörten.
Unſere Pilgergeſellſchaft, welche noch an dieſem Abende von dem Gna-
denorte Abſchied nehmen wollte, kniete ſich zum Gnadenaltare und ſang
das ſchöne Marienlied: „Gnadenquelle, ſei gegrüßt!“ und ſchloß ihre
Andacht unter vielen Seufzern mit dem Ave Maria-Gebethe – als dem
ſchönſten Schluß des Tages, der als Sonnabend nach der Sitte unſerer
heiligen Kirche ohnehin dem beſonderen Dienſt der heiligen Jungfrau ge-
weiht iſt. -
Am 22. April – es war Sonntag–laſen alle unſere Prieſter noch
die heilige Meſſe. Ich wählte mir die dunkle Grotte, die ſich rückwärts un-
mittelbar an den Ort der Menſchwerdung des Sohnes Gottes ſchließt, und
als ihren ſchönſten Schmück ein von meinem theuren Freunde Hemerlein
auf Kupferblech mit wahrhaft künſtleriſcher Hand gemaltes Bild – die
Rückkehr der heiligen Familie aus Egypten vorſtellend – be-
ſitzt. Um meine lieben Leſer zu erfreuen, hat derſelbe dieſes ansgezeichnet
gelungene Bild nach dem entſprechenden Maße in Holzſchneiden laſſen,
und dieſen Blättern als ſehr freundliche Zier beigefügt. Einige
dreißig Exemplare dieſes Bildes in Stahl geſtochen – hatte ich als ein
frommes Geſchenk deſſelben nach Nazareth gebracht, und in die Hände des
160 d
höchſt freudig überraſchten P. Superiors zur Vertheilung unter die Geiſt-
lichen ſeines Conventes niedergelegt,
Den Rahmen ringsherum bildet ein im Feuer vergoldeter metallener
Reif mit dem öſterreichiſchen Wappen in der oberen Mitte – welches die Ab-
ſtammung des Bildes ſelbſt für ewige Zeiten beurkundet.
In der Grotte herrſchte tiefe heilige Stille, die nur bisweilen von ein-
zelnen Seufzern der um mich herum gelagerten arabiſchen Männer und
Weiber unterbrochen wurde – und mich zur innigſten Andacht ſtimmte.
Da ſchlug denn die Scheideſtunde, die uns für immer von dem uns
ſo liebgewordenen Städtchen, wo der göttliche Heiland ſeine Jugendjahre
verlebte, trennen ſollte. Kaum fiel uns der Abſchied von der eigentlichen
Heimat ſchwerer. – Nachdem wir den guten Vätern für die uns bewieſene
Liebe tauſendfachen Dank geſagt und an dem Gnadenorte uns auf das An-
geſicht geworfen, und die Stelle des heiligſten Geheimniſſes der göttlichen
Liebe mit tiefer Rührung geküßt hatten, ging es um 10 Uhr fort über die
161
Höhe, von der wir zum letzten Male das traute Städtchen mit ſeinem
ſegenreichen Heiligthume ſehen konnten. Wir hielten an, entblößten das
Haupt und riefen dem heiligen Orte noch ein recht herzlich frommes „Ave
Maria“ zu, und eine heilige Thräne aus dem Auge wiſchend, wendeten wir
uns in Gottes Namen vorwärts – denn wir wollten ja an dieſem Tage
noch Carmel's geheiligte Höhe und das gaſtliche Dach der ehrwürdigen
Carmeliter-Ordensbrüder erreichen! –
Auf dem Wege dahin zeigte ſich uns zur rechten Hand auf einem Hügel
gelegen die Ortſchaft Sephoris, wo Joachim und Anna, die heiligen El-
tern der Mutter Jeſu, ein Wohnhaus hatten, während uns vor unſern Augen
aus der Ferne das Mittelmeer entgegenglänzte. Weiter vorwärts kamen
wir ganz nahe bei dem ausgedehnten Garten und den ſchönen Feldern vor-
über, die, wie uns P. Wolfgang zu unſerm nicht geringen Erſtaunen erzählte,
ein Paſcha von Jean d'Acre den PP. Franziskanern in Nazareth vererbte.
Von hier aus führte der Weg wieder mehr in die Niederung hinab in ein
waſſerreiches Thal, das auch an vielen Stellen Moorgrund hatte, und dem
mit der Gegend nicht vertrauten Wanderer ſehr gefährlich werden könnte.
Aus Vorſicht hatten wir uns deßhalb von Nazareth einen des Weges kundi-
gen Geleitsmann, Namens Hadſch-Ali mitgenommen, der wohl ein Muſel-
mann, jedoch in jeder Hinſicht ganz verläßlich war. Denn er bekleidete im
Convente zu Nazareth das Amt eines Agenten, der die Intereſſen der ehrw.
Kloſterbrüder vertrat und ihre Geſchäfte leitete, und hatte, weil er zwei-
mal nach Mekka gewallt war, den Namen Hadſch-Ali erhalten. (Hadſchi
bedeutet im Arabiſchen einen Pilger nach Mekka, dahin jeder Muſelmann
wenigſtens Einmal in ſeinem Leben wandern muß, und wer zweimal dahin
gepilgert war, durfte den Ehrentitel oder Beinamen Hadſchi führen.) Doch
war derſelbe in ſeinem Herzen mehr Chriſt als Muſelmann, und hätte längſt
die Taufe ſchon genommen, wenn er leider das noch nicht abgeſchaffte Geſetz
der Türken fürchten müßte, das jeden mit dem Tod bedroht, der vom Islam
zu einem andern Glauben übergeht. Seine chriſtliche Geſinnung hatte er
bereits dadurch bethätiget, daß er ſeine zwei Kinder, die vor der Beſchnei-
dung oder Darſtellung in der Moſchee noch nicht als Moslims gelten können,
wirklich taufen ließ, und ſie den Händen der PP. Franziskaner zur weiteren
Erziehung übergab.
Nach einem Ritte von drei Stunden etwa auf dem halben Wege nach
dem Carmel, hielten wir bei einer Mühle, welche ſchon den PP. Carmeli-
tern zugehört, Raſt, um unſere Collazion einzunehmen; wurden aber bald nach
unſerm Aufbruche von einem heftigen Regenguß überraſcht, der unstüch-
Reiſebeſchreihung. 11
162
tig durchnäßte. Wohl ſetzten wir noch einige Zeit den Ritt beim Regen
fort; allein da die dicht herabfallenden Regentropfen uns gerade in das An-
geſicht ſchlugen, was uns ſehr läſtig war, ſo machten wir Halt, und ſiehe
die Pferde wendeten ſich alle um, und kehrten nach unſerm Wunſche der
Seite, woher das Ungewitter kam, den Rücken, wodurch unſer Angeſicht und
unſere Bruſt zum Theil wenigſtens bewahrt wurde. Glücklicher Weiſe
zeigte ſich auch bald wieder ein heiterer Himmel, der unſere Kleider zum
Trocknen brachte, ſo daß wir in erträglicher Form in den Convent der
Carmeliter einziehen zu können hofften. Nur konnten wir uns von dem
Vorhandenſein des gefährlichen Moorgrundes in dieſer Gegend überzeugen
durch den Unfall des P. Wolfgang, der, nicht achtend auf die Mahnung un-
ſers Führers, ſich mit ſeinem Pferde ſeitwärts wendete und beinahe bis zum
halben Leibe ſammt dem Pferde in der Pfütze unterſank, alſo, daß er förm-
lich herausgezogen werden mußte! – O wie erheiterte ſich nicht meine
Seele, als bei immer mehr erheitertem Himmel der Carmel ſelbſt vor
unſeren Augen ſich ſtets freundlicher enthüllte, ſo, daß er mit ſeiner Kuppel-
kirche und ſeinem Thurme und nach ſeiner Lage in das Meer hinaus, beſon-
ders aus der Ferne, unſerm Leopoldsberg ſehr ähnlich ſchien.
Was uns aber ſehr Wunder nahm, war, daß wir hier in der Nähe
des Meeres eine große Zahl von Palmen ſahen, und zwar nicht bloß als
Bäume ſondern auch als Geſträuch, während wir dieſelben in dem übrigen
Paläſtina entweder gar nicht, oder doch nur ſehr vereinzelt trafen.
Da der Weg nach dem Carmel vorerſt nach Neu-Kaipha führte, wel-
ches am Fuße des Carmelgebirges hart am Meere liegt, ſo kündigte uns der
Führer an, daß wir um dahin zu kommen, das Bett des Fluſſes Kiſon,
der ſich daſelbſt ins Meer ergießt, durchwaten müßten, und zwar gerade
dort, wo er in das Meer ausmündet, ſo daß wir zugleich auch einen Theil
des Meeres durchpaſſiren mußten, was uns wohl Anfangs bei dem tiefen
Waſſerſtande etwas bedenklich ſchien, jedoch unter dem Vorgange unſers
wackern und vorſichtigen Führers bald glücklich überſtanden war.
Viel Lachen machte uns bei dieſem Durchgange ein Araber auf
ſeinem Eſel, der mit ſeinem Thiere im Waſſer etwas tiefer ging, als wir
mit unſern Pferden, und als der letzte Mann im Zuge plötzlich hinter uns
ein fürchterliches Geheul erhob. Sein Eſel nämlich blieb auf einmal mitten
in der Waſſertiefe ſtille ſtehen, und war um keinen Preis zum Weitergehen
zu bewegen – bis endlich der Führer zurückritt, und unter allgemeinem
Jubel den Gefangenen aus der Waſſernoth befreite. Bei dieſer Gelegenheit
ſahen wir am Meeresſtrande die ſchönſten Muſcheln, die das Waſſer aus-
163
geſpült hatte, in verſchiedenen Formen liegen; jedoch fielen unſere Augen
auch auf die ſogenannten Wraks (Trümmer von geſtrandeten Schiffen), die
aus dem Meeresſpiegel hervorragten, und uns die Unfälle einer Seefahrt
ſo recht lebendig vor die Seele ſtellten.
Nachdem wir in Neu-Kaipha (von der alten Stadt gleichen Namens
ſind nur noch einige Ueberreſte vorhanden) eingeritten waren, ſaßen wir ab,
übergaben unſere Bagage dem öſterr. Conſular-Agenten, einem äußerſt lie-
benswürdigen und gefälligen Manne, der zugleich Agent der Lloyd-Dampf-
ſchifffahrtsgeſellſchaft iſt, und von Trieſt auch bereits über unſere Ankunft
und Weiterbeförderung unterrichtet war, und ließen uns für den nächſten Dam-
pfer, der auf dem Wege nach Alexandrien hier anlangte, die Plätze bis dahin
vormerken, um uns alſogleich zu Fuß nach dem Carm el zu begeben, der
der ſchöne Schlußpunkt unſerer Reiſe nach dem heiligen Lande werden ſollte.
– Da ſuchte ich mir meinen Fuchſen auf, der mich hinaus zum todten
Meere und nach Nazareth und bis hieher, wenn auch unter vielen Schmer-
zen, dennoch unverſehrt getragen hatte, um ihm, dem treuen und gedul-
digen Träger meines Leibes, vor dem Scheiden noch ein trauliches Lebewohl
zu ſagen. Das arme Thier, das ſeit der Morgenſtunde nichts zum Fraß er-
halten hatte, ließ den Kopf hängen, als ob es trauerte, ſeinen Reiter zu ver-
lieren (doch ſchien's der Hunger mehr zu quälen), und freundlich hinzutre-
tend, ſtrich ich ſchmeichelnd meinen edlen Fuchſen bei der Mähne, die ihm
ſtruppig von dem Kopfe herunterhing, und ſprach: „Leb wohl, mein guter
Fuchs! leb' wohl! Mich wirſt du nimmer tragen! Nimmer wieder!“
Mittlerweile waren meine Gefährten ſchon vorausgegangen – und
noch einmal ſtrich ich ſeine Mähne – und eilte nach und erreichte mit ihnen
nach einer Stunde auf etwas ſteilem Wege die Spitze des heiligen Berges,
von welchem ſich uns eine der ſchönſten Fernſichten über das Meer nach
St. Jean d'Acre bis zum Capobianco (weißes Vorgebirge) darbot. O wie
mächtig ſchlug uns Oeſterreichern nicht das Herz beim Anblicke der in der
Geſchichte der Kreuzzüge ſo berühmt gewordenen Hafenfeſtung St. Jean
d'Acre, auch Ptolomais genannt? – Hier hatte der heldenmüthige Herzog
Leopold der VI. von Oeſterreich, genannt der Tugendhafte, nach dem
gelungenen Sturme am 24. Juli 1191 der erſte das öſterreichiſche Banner
(Fahne) auf den Mauern aufgepflanzt, und hiedurch den öſterreichiſchen Na-
men zu hohen Ehren gebracht. So tief war er mitten in die Schaaren der
Feinde eingedrungen, ſo unabläſſig hatte ſein deutſches Schwert unter den
Saracenen gemäht, daß ſein weißer Waffenrock von oben bis unten in Blut
gebadet ſchien, und nur der ſchmale Streifen weiß geblieben war, den der
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Gürtel deckte. Dies gab, wie die Ueberlieferung meldet, das Vorbild zu
Oeſterreichs Wappenſchild mit dem weißen Querbalken im rothen Felde.
Im Convente fanden wir die freundlichſte Aufnahme. Das Convent-
gebäude ſelbſt mit der im ſchönſten Style gebauten Kuppelkirche wurde erſt
im Jahre 1841 vollendet. Der eigentliche Urheber dieſes Baues war der
wohlbekannte, nunmehr ſelige Laienbruder Gian-Battiſta, der durch mehrere
Jahre in allen Theilen Europa's nmherpilgerte, und milde Gaben zum
Aufbau des von den Türken im Jahre 1825 (nach Andern 1827) unter dem
zerſtörungsſüchtigen Paſcha von Acre, Djezzal (nach Andern Abdallah) völ-
lig vertilgten Kloſters auf dem Berge Carmel zu ſammeln; und ſeine Be-
mühungen wurden mit dem erwünſchteſten Erfolge gekrönt, ſo daß er ſelbſt
noch den Ausbau des neuen Kloſters erlebte. In der Eintrittshalle der Kirche
fielen uns die Skulpturen auf, welche die ehrwürdigen Brüder aus dem
Schutte der alten Kirche hervorholten und in die Wand hineinmauern lie-
ßen, mit den Darſtellungen des vergeblichen Opfers der Baalprieſter in Kö-
nig Achabs Tagen, des vom Himmelsfeuer entzündeten Opfers des Elias,
und der von dem Propheten beim Bache Kiſon anbefohlenen und vollbrach-
ten Ermordung der trügeriſchen heidniſchen Götzenprieſter. Die Kirche iſt der
lieben Frau geweiht und die Stätte ſelbſt durch mehrere Wunder auf die
Fürbitte der heil. Gottesmutter ausgezeichnet. Nur Schade, daß die innere
Verzierung dieſes ſo ſchön gebauten Tempels in theils zu bunten, theils zu
gemeinen Farbentönen gehalten iſt. Unter dem Hochaltare iſt die Grotte
des Propheten Elias, die derſelbe wahrſcheinlich bewohnte, als er nach
der langen Trockenheit in Iſrael den Knaben wiederholt auf die Randſpitze
des Berges gehen hieß, um zu ſehen, ob ſich noch keine Regenhoffnung
zeige, bis dieſer ihm die Kunde brachte, er ſehe von ferne ein Wölkchen
in der Größe des Fußtrittes eines Mannes von der Meeresfläche ſich erhe-
ben, darin der Prophet das Zeichen des kommenden Regens erkannte.
Im Convente fanden wir zu unſerer Verwunderung zwei deutſche
Laienbrüder, von dener der Eine uns am nächſten Tage, den 23. April,
zur ſogenannten Prophetenſchule am Abhange des Berges gegen das
Meer zu begleitete. Die Prophetenſchule iſt ein ziemlich geräumiges, läng-
lich eckiges Gebäude, darin Schüler der frommen Bewohner des Carmel
ihren religiöſen Unterricht empfangen haben mögen.
Nachmittags unternahmen wir einen Ausflug nach der anderthalb
Stunden entlegenen ſogenannten Fontana (Quelle) des Elias, wo wir in
dem Felſen das beſte Waſſer fanden, und gegenüber die Höhle, welche die
Sage für den Aufenthalt des Propheten erklärt, als derſelbe während der
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mehrjährigen Dürre und Hungersnoth in Iſrael vor dem Könige Achab floh,
und ſelbſt der Bach Carith, wohin ihn der Herr zuerſt beſchieden hatte,
daß er dort Speiſe und Trank finden würde, bei fortdauerndem Mangel an
Regen vertrocknet war. Auf dem Weg zu dieſer Quelle fanden wir voll-
kommen reifes Getreide, welches Anfangs Dezember geſäet war!
Ich laſſe hier den Text der heil. Schrift als nähere Erklärung der eben
angeführten geſchichtlichen Ereigniſſe folgen: C3. Könige 16, 30 – 33,
17, 1–7; 18, 1 und 2; 16 – 40; 42–46.)
„Achab, der Sohn des Amri, that mehr Böſes als Alle, die vor
„ihm geweſen waren. Und es war ihm nicht genug, daß er in den Sün-
„den Jeroboams wandelte, ſondern über das nahm er noch zum Weibe
„Jezabel, die Tochter des (heidniſchen) Königs von Sidon. Und er ging
„hin und diente dem Baal, und bethete ihn an. Und er errichtete dem
„Baal einen Altar im Tempel Baals, den er zu Samaria gebaut hatte,
„und er pflanzte einen Hain; und Achab that mehr in ſeinen Werken,
„den Herrn, den Gott Iſraels zum Zorne zu reizen, als alle Könige
„Iſraels, die vor ihm geweſen ſind. Da ſprach Elias, der Thesbiter,
„zu Achab: So wahr der Herr, der Gott Iſraels lebt, vor Deſſen An-
„geſicht ich ſtehe, ſo ſoll in dieſem Jahre weder Thau noch Regen kom-
„men, außer wenn ich es ſage. Und der Herr redete zu Elias und ſprach:
„Geh' von hinnen, und wende dich gegen Aufgang und verbirg dich am
„Bache Carith, der gegenüber dem Jordan iſt. Daſelbſt ſollſt du aus
„dem Bache trinken, und Ich habe den Raben befohlen, daß ſie dich allda
„ſpeiſen ſollen. Alſo ging er hin und that nach den Worten des Herrn;
„und nachdem er dahin gekommen war, ſetzte er ſich an den Bach Carith,
„der dem Jordan gegenüber iſt. Und ein Rabe brachte ihm des Morgens
„Brod und Fleiſch, und er trank aus dem Bache. Und nach einiger Zeit
„trocknete der Bach aus; denn es hatte auf Erden nicht geregnet.
„Über eine lange Zeit, im dritten Jahre, redete der Herr zum Elias
„und ſprach: Gehe hin und zeige dich dem Achab, damit Ich auf die
„Erde regnen laſſe. Und Elias ging hin, daß er ſich dem Achab zeigte.
„Es war aber eine große Theuerung in Samaria.
„Und Achab kam dem Elias entgegen und als er ihn ſah, ſprach er:
„Biſt du derjenige, der Iſrael verwirrt? Und er ſprach: Ich habe
„Iſrael nicht verwirrt, ſondern du und das Haus deines Vaters, die ihr
„die Gebote des Herrn verletzt habet, und den Baalim nachgegangen ſeid.
„Schicke aber jetzt hin und verſammle ganz Iſrael zu mir auf dem Berge
„Carmel; auch die vierhundert und fünfzig Propheten Baals ſammt
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„den 400 Waldpropheten, welche vom Tiſche der Jezabel eſſen. Da ſandte
„Achab zu den Kindern Iſraels und verſammelte auch die Propheten auf
„dem Berge Carmel. Und Elias trat vor das ganze Volk und ſprach:
„Wie lange wanket ihr, wie ein Menſch, der auf beiden Seiten hinket?
„Wenn der Herr Gott iſt, ſo folget Ihm; wenn aber Baal Gott iſt, ſo
„folget dieſem. Und das Volk antwortet ihm nichts. Und Elias ſprach
„abermals zu dem Volke: Ich bin allein als ein Prophet des Herrn übrig
„geblieben; hingegen ſind der Propheten Baals vierhundert und fünfzig.
„Man gebe uns zwei Ochſen, und ſie ſollen einen Ochſen für ſich wählen,
„denſelben in zwei Stücke hauen und ihn auf das Holz legen; ſie
„ſollen aber kein Feuer darunter machen; und ich will den andern Ochſen
„zurichten und ihn auf das Holz legen; ich will aber auch kein Feuer
„daruntermachen. Alsdann rufet ihr die Namen eurer Götter an, und ich will
„den Namen meines Herrn anrufen, und welcher Gott durch das gegebe-
„ne Feuer erhöret wird, derſelbe ſoll Gott ſeyn. Da antwortete das Volk
„und ſprach: Der Vorſchlag iſt ſehr gut. Und Elias ſprach zu den Pro-
„pheten Baals: Erwählet euch einen Ochſen, und opfert zuerſt, weil
„ihr die Mehreren ſeid; und rufet die Namen eurer Götter an, macht
„aber kein Feuer darunter. Und ſie nahmen einen Ochſen, den er ihnen
„gab, und bereiteten ihn; und ſie riefen den Namen Baals von Morgen
„bis auf den Mittag an und ſprachen: Baal, erhöre uns! Baal aber war
„ſtumm und antwortete nicht. Und ſie ſprangen um den Altar, den ſie
„errichtet hatten. Und da es nun Mittag war, ſpottete Elias und ſprach:
„Rufet mit lauterer Stimme; denn Baal iſt ja ein Gott; vielleicht redet
„er mit Jemandem, oder er iſt im Gaſthauſe oder auf der Reiſe, oder er
„ſchläft, damit er aufgeweckt werde. Alſo riefen ſie mit lauter Stimme
„und zerſchnitten ſich ſelbſt nach ihrer Gewohnheit mit Meſſern und Pfrie-
„men, bis daß ſie mit Blut übergoſſen waren. Nachdem aber der Mittag
„vorüber war und ſie weiſſagten, bis die Zeit kam, da man zu opfern
„pflegte, da wurde keine Stimme gehört, auch antwortete Niemand
„oder merkte auf ihr Gebeth. Da ſprach Elias zum ganzen Volke: Kommet
„her zu mir. Und als das Volk zu ihm trat, richtete er den Altar des Herrn,
„welcher zerſtört war, wieder auf. Und er nahm zwölf Steine nach der An-
„zahl der Stämme der Kinder Jakobs, zu welchen der Herr geredet hatte: Iſra-
„elſoll dein Nameſeyn. Under baute von den Steinen einen Altar im Namen
„des Herrn und machte einen Waſſergang, wie zwei Ackerfurchen rings um
„den Altar, und richtete das Holz zu, und hieb den Ochſen in Stücke und
„legte ihn auf das Holz, und ſprach: Füllet vier Krüge mit Waſſer, und
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„gießet es auf das Brandopfer und auf das Holz. Und er ſprach nochmals:
„Thuet dies auch zum andern Male. Und als ſie es zum andern Male
„gethan hatten, ſprach er: Thuet dies auch zum dritten Male. Und das
„Waſſer lief um den Altar, und der Waſſergang wurde angefüllt. Da
„es nun Zeit war, das Brandopfer darzubringen, trat Elias der Pro-
„phet hinzu und ſprach: Herr, Du Gott Abrahams, Iſaaks und Jakobs,
„gib heute zu erkennen, daß Du der Gott Iſraels biſt, daß ich Dein Knecht
„bin und daß ich dies Alles nach Deinem Befehlgethan habe. Erhöre mich
„o Herr, erhöre mich, damit dieſes Volk erkenne, daß Du der Herr und
„Gott biſt, und daß Du ihre Herzen wieder zu Dir bekehret haſt. – Da
„fiel das Feuer des Herrn herab, und verzehrte das Brandopfer und das
„Holz und die Steine, ja auch den Staub und das Waſſer, welches in
„dem Waſſergange war. Als nun das Volk dies ſah, fielen ſie auf ihr
„Angeſicht und ſprachen: Der Herr iſt Gott! Der Herr iſt Gott! –
„Und Elias ſprach zu ihnen: Ergreifet die Propheten Baals, daß euch
„nicht Einer von ihnen entrinne. Da ſie nun dieſelben ergriffen hatten,
„führte ſie Elias an den Bach Kiſon und tödtete ſie daſelbſt.
„Elias aber ging hin auf den Berg Carmel, und neigte ſich zur Erde
„und legte das Angeſicht zwiſchen ſeine Knie und ſprach zu ſeinem Diener:
„Geh' weiter hinauf und ſchaue gegen das Meer. Da dieſer hinauf ging
„und ſchaute, ſo ſprach er: Ich ſehe nichts. Und Elias ſprach abermals
„zu ihm: Geh' ſiebenmal wieder hin. Zum ſiebenten Male aber ſieh',
„da kam ein kleines Wölklein vom Meer herauf, wie eines Men-
„ſchen Fußtritt, und Elias ſprach: Geh hinaufund ſage zu Achab: Spanne
„die Pferde an den Wagen und fahre hinunter, damit dich der Regen
„nicht übereile. Und als er ſich hin und her wendete, ſieh, da wurde
„der Himmel von Wolken und vom Winde verfinſtert, und es fiel ein
„ſehr ſtarker Regen. Und die Hand des Herrn war über dem Elias.“
Da der Carmel der letzte heilige Ort in Paläſtina auf unſerer Pilger-
reiſe war, ſo waren wir darauf bedacht, daſelbſt eine beſondere Abſchiedsfeier
zu begehen, und erbaten uns bei dem hochwürdigen Herrn Vicarius des
Ordens die Gnade, daß am Abende des 23. April das Allerheiligſte
im Ciborio auf dem Hochaltare zur Anbethung ausgeſetzt würde, und wir
einer feierlichen Segenandacht nach unſerer kirchlichen Weiſe in Oeſterreich
beiwohnen dürften.
Nachdem nun bei entſprechender Beleuchtung des Hochaltars vor der
enthüllten wunderlieblichen Statue der heiligen Gottesmutter mit dem Jeſus-
kinde und dem heiligen Skapulier das Allerheiligſte aus dem Taber-
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nakel herausgenommen war, ſtimmten wir das einfache, aber majeſtätiſche
„Dreimal'Heilig“ an, betheten die lauretaniſche Litanei mit den vorge-
ſchriebenen Gebethen in deutſcher Sprache, und nach einigen gemüthlichen und
ergreifenden Worten des hochw. P. Wolfgang, die uns als Scheidegruß auf
die Rückkehr in die Heimath mitgegeben wurden, wiederholten wir das „Drei-
mal Heilig“ und empfingen den heiligen Segen als ſchützendes Geleite in's
liebe Vaterland!
Am 24. April laſen noch alle Prieſter unſerer Geſellſchaft die hei-
lige Meſſe in gratiarum actionem (zur Dankſagung für alle Segnungen
auf der Pilgerreiſe), und als wir des Dampfſchiffes, das uns nach Alexan-
drien bringen ſollte, auf der hohen See in der Ferne anſichtig wurden, eilten
wir Alle mit Sack und Stab als Wanderer gerüſtet noch einmal zur heiligen
Mutter der Gnaden, der Helferin der Chriſten und ſangen auf den Knien
den ambroſianiſchen Lobgeſang: Großer Gott, wir loben Dich! –
worauf wir von den Segenswünſchen des hochw. Herrn Vicarius, der ſich an
unſerer Geſangsweiſe beſonders erbaute und uns gegenüber wiederholt ſein
großes Wohlgefallen daran mit den Worten: „Voi cantate bene!“ (Ihr
ſinget gut) ausſprach, und dem Gebethe ſeiner Ordensbrüder begleitet, den
Berg verließen, und dem Hafen von Kaipha zueilten, um zur rechten Zeit
noch das Schiff zu erreichen, das uns wohl vom heiligen Lande hinweg, je-
doch unſerm ſchönen Vaterlande, darnach wir ſchon ein ſehnſüchtiges Ver-
langen trugen, näher bringen ſollte!
Wir hatten eine ſehr böſe Seefahrt auf dem Schraubendampfer
„Jonio“ (ich werde dieſen Namen in meinem ganzen Leben nicht ver-
geſſen!!–!), der durch ſein beſtändiges Schaukeln mich ununterbrochen
krank machte, ſo daß ich halbe Tage lang nicht aus dem Bette kam (gleiches
Schickſal theilte mit mir Pfarrer Ulrich – und auch die anderen Pilger,
Prof. Albert ausgenommen, blieben nicht verſchont), und ich mir wahr-
lich gar nicht im Geringſten etwas daraus gemacht haben würde, wenn man
mich an Händen und Füßen gebunden auf das Verdeck geſchleppt, und in
das Meer hinabgeworfen hätte; ſo war ich meines Lebens überdrüßig!
Das einzige Gute hatte dieſer Dampfer, daß er einen Brief aus dem lie-
ben Heimatlande brachte, der von einem Freunde in Wien nach Jaffa
adreſſirt, aber von dem Herrn Grafen von Pizzamano, der den Herzog und
die Herzogin von Brabant von Jeruſalem nach Beiruth begleitet hatte, da-
ſelbſt aus dem Paquet herausgenommen worden und mir bei meinem Ein-
tritt in das Schiff zu meiner größten Freude eingehändigt worden
war! Es war dies der erſte Brief, ſeitdem ich von Wien ſchied, der mir
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doch einige und zwar nicht ganz unerfreuliche Kunde von den Meinigen
brachte. Dieſer Brief war für mich Balſam in den ſchweren Wehen, die
mich trafen und nicht von mir wichen, bis wir endlich am 27. April im Ha-
fen von Alexandrien einliefen, wo wir wieder feſten Boden faſſen konn-
ten. Nach unſerm Akkorde mit der öſterreichiſchen Lloyd-Dampfſchifffahrts-
Geſellſchaft hätten wir am andern Tage mit demſelben Schiffe über Smyrna,
Piräus, Zante u. ſ. w. mithin auf dem längeren Wege nach Trieſt zurück-
kehren ſollen – allein ich erklärte mich beſtimmt, um keinen Preis auf die-
ſen Weg mich einzulaſſen, ſondern mit dem direkten Dampfſchiff, das nur
5 oder höchſtens 5% Tage von Alexandrien nach Trieſt verwendet, heim-
zukehren, koſte es auch eine größere Summe Geldes mehr. Mit mir ſtimm-
ten auch die übrigen Pilger ein! Und es war mein erſter Gang, nachdem
ich aus dem Schiff geſtiegen war und unſere Bagage nach dem Convente
der PP. Franziskaner befördert hatte, zu dem Agenten des öſterreichiſchen
Lloyd, um mit ihm über dieſen Punkt zu ſprechen. Nach längerem Hin-
und Herſinnen ließ ſich derſelbe endlich doch herbei, uns Plätze ſammt den
Betten auf dem Schnelldampfer „Calcutta“ anzuweiſen; jedoch mußten wir
ihm eine Urkunde zurücklaſſen, in der wir uns erklärten, bei unſerer Ankunft
in Trieſt – der Direktion des Lloyd uns vorzuſtellen, und den etwa noch
verlangten Mehrbetrag zu erlegen.
Mit peinlicher Sehnſucht harrten wir des erſterwähnten Dampfers;
derſelbe kam, allein er blieb im Hafen liegen, bis die engliſche Poſt aus
Calcutta eingetroffen war, um ſie dann nach Trieſt mit ſich zu nehmen und
zu Lande weiter bis nach England zu befördern (Ueberlandspoſt).
Da ſich unter dieſen Umſtänden unſere Abfahrt nur um einige Tage
zu verzögern ſchien, ſo benützten wir die dargebotene Zeit zu einem Ausfluge
nach Cairo, der Hauptſtadt in Egypten, dahin wir zum Theil auf der
Eiſenbahn, zum Theil mittelſt Dampfſchiff auf dem Nil befördert wur-
den. Dieſer Ausflug bot uns ſehr viel Intereſſantes dar. Wir befuhren den
Nil, an deſſen Ufern im Schilf in einem Binſenkörbchen Moſes ausgeſetzt
wurde, und von deſſen Austritte zur Bewäſſerung des flachen Landes die
Fruchtbarkeit des Bodens einzig abhängt – wir beſichtigten die Hauptſtadt
mit 400,000 Einwohnern, die ein originelles Bild des arabiſchen Lebens
bietet – beſahen die Hunderte von Moſcheen, deren mehrere wir halb
zerfallen fanden, ohne daß nach einem eigenen Religionsgeſetze der Türken
auch nur die mindeſte Verbeſſerung daran vorgenommen werden durfte –
ſtiegen auf das Kaſtell, von dem ſich die herrlichſte Ausſicht über die weit-
gedehnte Stadt bis nach Memphis und in die lybiſche Wüſte mit den welt-
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berühmten Pyramiden öffnet! Auf dem Kaſtell prangt auch die wirklich
prachtvolle Moſchee des vorvorigen Vicekönigs Mehemed Ali, welche
wegen ihrer großen Kuppel und der zwei an der Vorderſeite aufgeſtellten
Minarets große Aehnlichkeit mit unſerer Carlskirche auf der Wieden hat.
Vor dem Eingange derſelben iſt ein wunderherrlicher Vorhof aus
Marmor mit ſchönen Säulengängen an den Seiten und einem vielarmigen
Brunnen in der Mitte zur Reinigung nach dem morgenländiſchen Ge-
brauche – die Moſchee ſelbſt hat eine große Mittel- und vier halbe Seiten-
kuppeln, die auf koſtbaren, mit Alabaſter verkleideten Pfeilern ru-
hen, ſo wie die inneren Wände rechts und links gleichfalls mit dem ſchönſten
Alabaſter, der mit ſeinen Figuren ſtark ins Gelblichbraune hinüberſpielt,
überkleidet ſind. Indeß iſt das Innere leer – den Stuhl (eine Art von
Kanzel) ausgenommen, zu dem an der rechten Seite mehrere Stufen hin-
aufführen. Der Plafond iſt reich mit Gold verziert, und hat auch ſonſt ſehr
ſchöne Farbentöne, und Sprüche aus dem Koran ſtehen mahnend aufgezeich-
net! Rechts von der Eingangsthüre iſt das impoſante Grabmal Mehemed
Ali's aufgerichtet. Die Araber ziehen vor dem Eintritt in ihr Heiligthum die
Schuhe von den Füßen und laſſen ſie zurück, und pflegen drinnen auf den
unterſchlagenen Beinen ſitzend ihrer Andacht. – Kein Ungläubiger, der
nicht Moslim iſt, ſoll dieſe Moſchee betreten, außer mit entblößten Füßen;
im Lauf der Zeit ſcheint man aber von der alten Strenge abgegangen zu
ſeyn, weil wir nicht mehr genöthigt wurden, die Schuhe wegzulegen, ſon-
dern man uns weiße Leinentücher (wahre Fetzen) reichte, um die Lederſchuhe
mit denſelben zu verhüllen, und ſo ſcheinbar dem Geſetze nachzukommen.
Gebe Gott, daß der Halbmond, der über der großen Kuppel prangt, bald
dem Kreuze Chriſti weiche! Vielleicht war die totale Finſterniß, die
wir am 1. Mai um 5 Uhr Früh in Bukla, dem Hafen von Cairo, beim Un-
tergange des Mondes an dem ſelben ſchauen konnten, eine gute Vor-
bedeutung, daß mit dem Monde auch der Glanz des Islams bald erbleichen
und verſchwinden werde. –
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Am 2. Mai machten wir zu Eſel einen Ritt nach den Pyramiden
zu Gizeh, darunter zwei beſonders hoch und breit erſcheinen. Man ſchätzt
die zwei höchſten 448 Fuß oder 74 Klafter hoch (alſo mit unſerm Ste-
fansthurme von gleicher Höhe), und ſchreibt ihren Bau den alten egyp-
tiſchen Pharaonen, beſonders dem König Cheops, zu, die ſie wahrſchein-
lich zu ihren Grabſtätten beſtimmten. Wenigſtens fanden wir in der Nähe
eine ſolche offene Grabſtätte mit einem Sarkophag in der Tiefe, der nur der
Ueberbau der Pyramide fehlte. Andere wollen in dieſen Pyramiden künſtlich
angelegte Dämme gegen den von der lybiſchen Wüſte hereindringenden
Sand – oder auch große Waſſerbehälter zur Weiterleitung des Waſſers in
die nahe Hauptſtadt erkennen. Gegen beide Meinungen aber ſcheint das Vor-
handenſein mehrerer kleiner Pyramiden, die zu keinem der angeführten
Zwecke dienen können, jedoch für Begräbnißſtätten ganz geeignet erſcheinen,
zu ſprechen. Sei es nun, wie immer – Eins bleibt gewiß und wahr, daß
die Pyramiden uralte Denkmale der Baukunſt ſind, die jedem Beobachter
Bewunderung entlocken, ſo daß ſich ganz natürlich der mächtige Eindruck
jener Worte erklären läßt, mit welchen der Feldherr Buonaparte ſeine Sol-
daten ermuthigte, als er ſie am Fuße der Pyramiden in die Schlacht gegen
die Mameluken führte: „Franzoſen! Vier Jahrtauſende ſchauen
auf euch hernieder!“ -
Mehrere unſerer Gefährten ließen ſich durch zwei Araber bis zur
Spitze einer von den beiden größeren Pyramiden hinaufheben, um in das
Sandmeer der lybiſchen Wüſte zu ſchauen; Profeſſor Albert und ich ſuch-
ten eine andere Denkwürdigkeit aus alter Zeit auf, nämlich die Sphinx,
die wir auch in einer mäßigen Vertiefung, zum Theil vom Sande verhüllt,
entdeckten. Dieſelbe iſt eine rieſig große Statue, deren Obertheil das Bruſt-
ſtück einer Jungfrau, und den Untertheil ein liegender Löwe bildet. Die
alten Egyptier pflegten die Sphinxe vor den Eingang ihrer Tempel hinzu-
ſtellen, um durch dieſelben ſinnbildlich das Walten der Gottheit in dem
Tempel anzudeuten, alſo daß das Bild der Jungfrau die Milde, und das
Bild des Löwen die Kraft der Gottheit bezeichnen ſollte.
In dem folgenden Bilde ſind die Pyramiden und die Sphinx von
Gizeh bei Cairo ſo getreu als möglich dargeſtellt.
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Da es bei der Beſichtiguug dieſer merkwürdigen Denkmale der alten
Baukunſt bereits Mittag geworden war, ſo ſuchten wir nns ein ſchattiges
Plätzchen auf einer der beiden großen Pyramiden, und lagerten uns da-
ſelbſt, um die mitgenommenen Vorräthe gemeinſchaftlich zu verzehren, die
uns auch trefflich mundeten. Nachdem die Tafel in der ſandigen Wüſte auf-
gehoben war, ging's zu Eſel auf demſelben Wege wieder zurück nach Alt-
Cairo, um den Tag mit der Beſichtigung der Grotte der heiligen
Familie zu beſchließen, wo dieſelbe auf der Flucht vor dem blutdürſtigen
Herodes bis zu deſſen Tode eine ſichere Zufluchtsſtätte fand. Ueber derſel-
ben iſt eine griechiſche Kirche gebaut, die ſich aber ſammt der Grotte in dem
erbärmlichſten Zuſtande befindet. Welchen wohlthätigen Eindruck macht nicht
im Gegenſatz zu dieſer Armuth die ſchöne und geräumige Kirche der ehrw.
P. P. Franziskaner daſelbſt, deren Hochaltar eine ſchöne Himmelfahrt Ma-
riens von unſerm Maler Hemerlein ſchmückt?
Nach einem faſt zweitägigen Aufenthalte in Cairo fuhren wir in der
Nacht auf dem Dampfſchiffe über den Nil, und zuletzt auf der Eiſenbahn
wieder nach Alexandrien zurück, beſichtigten daſelbſt die Katakomben und
die Bäder der Cleopatra am Meeresſtrande; wohnten täglich der Mai-
Andacht entweder in der Franziskanerkirche oder in der Kapelle der grauen
Schweſtern bei, und ſchifften uns endlich nach einem herzlichen Abſchiede
von den ehrw. Vätern im Franziskanerkloſter am 9. Mai um 3 Uhr Nach-
mittags auf den zur Abfahrt bereitſtehenden Dampfer „Calcutta“ ein, und
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kamen nach einer ſechstägigen äußerſt widrigen Seefahrt am 15. Mai
glücklich und wohlerhalten in Trieſt an, das wir, mit den ſüßeſten Hoff-
nungen erfüllt, als den eigentlichen Auslaufspunkt unſerer Pilgerreiſe am
9. März verlaſſen hatten. Von heißer Sehnſucht nach dem Wiederſehen
unſerer Lieben beeilten wir uns, nach unſerm gegebenen Verſprechen das
Bureau des öſterreichiſchen Lloyd zu beſuchen, wo uns auf unſer Anfragen,
welchen Betrag wir für die direkte Fahrt noch zu erlegen hätten, unter
Rückgabe der ſchriftlich ausgeſtellten Verſicherung zu unſerer großen Ueber-
raſchung bedeutet wurde, daß wir dieſes Papier vernichten ſollen. Wir
konnten in dieſem Augenblicke nichts Anderes thun, als im Uebermaße der
Freude unſers Herzens auszurufen: „Wir ſind ſtolz darauf, Oeſter-
reicher zu ſeyn!“
Hierauf ordneten wir unſer Reiſegepäck auf der Dogana (Mauth) zur
Weiterbeförderung auf die Poſt, hörten zwei heilige Meſſen in der Kirche
St. Antonio nuovo, nahmen unſere Fahrkarten für den Eilwagen bis nach
Laibach und für die Eiſenbahn nach Wien, zwangen auf Profeſſor Alberts
Rath einen Daguerrotypiſten, uns im Coſtüme mit dem Barte, an
dem ſeit unſerer Abreiſe nach Wien kein Härchen gekrümmt worden war, in
der möglich kürzeſten Friſt in, Farben zu porträtiren, um hiedurch den
Pilgerbart im Bilde wenigſtens uns zu erhalten, nahmen – oder beſſer ge-
ſagt, verſchlangen ein einfaches Mittageſſen, ſchüttelten unſern noch zurück-
bleibenden Gefährten auf echt deutſche Manier die Hände, und fuhren über
Optſchina, wo wir noch einmal Rückſchau nach dem unheilvollen Meere hiel-
ten, von dem ich für mein ganzes Leben mit dem Nachruf „Nimmer wie-
der“ Abſchied nahm, den alten Weg zurück. In Bruck nahm ein Herr einen
Platz in unſerm Waggon, der ſich nach den Pilgern, und beſonders angele-
gentlich nach mir erkundigte, weil er mich gut kenne, und durchaus nicht
glauben wollte, daß ich der Pfarrer Urban ſei – ſo hatte mich der Pilger-
bart entſtellt! Wohl trug auch der türkiſche Feß, den wir auf dem Kopfe tru-
gen, mit ſeiner langen blauen Quaſte nicht wenig zu unſerer Geſichtsverän-
derung bei, ſo daß unſere theuren Freunde ſelber, die uns in der Neuſtadt
überraſchten, an uns irre wurden! -
War nun ſchon bei dem erſten Entgegenkommen in der Neuſtadt mein
Herz in ſeinem Innerſten freudigſt ergriffen, ſo ging es völlig über, als
wir in den Wiener-Bahnhof einfuhren, und ich mich plötzlich mitten unter
den Meinigen ſah, die ſich liebend um mich drängten, und mir die vor Freude
zitternden Hände reichten, und jubelnd mich begrüßten. – Ich werde
dieſes Wiederſehen nie vergeſſen! Da zog's mich mächtig nach
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dem Weichbild meiner Pfarre, und noch mächtiger in den Tempel hin, wo
ich die gläubige Heerde liebend ſtets geſegnet, um ihr am Tage meiner
Heimkehr noch den überreichen Segen auszuſpenden, den die ewige Liebe
auf Golgotha in meine Prieſterhand gelegt hatte.–Da klangen von dem Cho-
re die Töne der Orgel mit dem ambroſianiſchen Lobgeſang in meine Ohren –
und meinen Augen entſtürzten heiße Thränen, die mir das überſchwellende
Herz erpreßte, und hingeſunken an die Stufen des Altars legte ich das Opfer
meines Dankes nieder vor dem Herrn, Der mich wieder in Sein Heilig-
thum zurückgeführt! Und alle Wünſche meiner Seele löſten ſich in den ein-
zigen auf: Herr! Der Du mich in Deiner Gnade gewürdiget haſt,
das irdiſche Jeruſalem zu ſchauen, leite mich und die Mei-
nigen in Deiner Liebe, daß wir Alle einſt hinüber pilgern
dürfen in das himmliſche Jeruſalem – Amen! -
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