Z259552104

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Österreichische Nationalbibliothek +Z259552104 ---- - Briefe über die vom hochw. General-Commiſſariate des heiſ. Landes in Wien im Fahre 1870 veranſtaltete Wallfahrt nach Jeruſalem. Geſchrieben von dem Mitwallfahrer Dr. Heinrich Auguſt Lehmann, Hauptpfarrer zu Aiegersburg. sº Druck und Verlag der Vereinsbuchdruckerei in Graz. 1 9 2 3 – A I. Trieſt, 19. März 1870. Das iſt ein Wechſel von Gefühlen, die ſich in den letzten Tagen vor der Abreiſe des Jeruſalem- Wallers bemächtigen – zuweilen großes Bangen und Traurigkeit, und bald darauf wieder Freude, große Freude und volles Vertrauen auf Gott – Bangen und Trauer, denn es iſt eine Reiſe in ein fernes fremdes Land, eine Reiſe, die ſchon manches friſche Leben geknickt hat; Freude und Gottvertrauen, denn die Reiſe geht in das gelobte, in das heilige Land. Am Morgen des 16. März, als des Abſchieds- tages, war das Bangen größer als je, doch als ich die Meſſe pro peregrinantibus (für Reiſende) die der Tag eben zuließ, geleſen, war alles Bangen dahin. Voll Gottvertrauen ging's von der Heimat weg. Am 17. ſtieß ich auf der Eiſenbahn in Ehrenhauſen zur Pilgerkarawane, traf da bereits mit dem Herrn Pfarrer Georg Gödl von St. Veit in einem Waggon zuſammen, und in Marburg warteten unſer ſchon die beiden andern Pilger aus Steiermark: der hochwürdige Herr Ehren- domherr Franz Xav. Weingraber von Piſchelsdorf und Herr Kaplan Andreas Maurer von Sinabelkirchen, beide bereits in ihren Reiſekleidern, und nun ging es in der Nacht nach Trieſt hin. Wir verſuchten wohl zu ſchlafen, aber es blieb beim Verſuche. 1* Als es tageshelle wurde, ging der Zug über den traurigen Karſt, der ſich von der Eiſenbahn noch viel trauriger ausnimmt, als von der früheren Poſtſtraße, wo man noch in manches Dörfchen kam, um das herum die Gegend etwas bebaut war. So, dachte ich, ungefähr muß es im ſteinigen Paläſtina ausſehen. Beim Ausſteigen aus dem Wag- gon erwartete die Pilger der Omnibus vom Gaſt- hofe zum Sandwirth, und da erſt lernten wir un- ſere Mitwaller kennen. Es ſind außer uns vier aus Steiermark noch die Folgenden: 1. 2. 10. 11. . Johann Bedäcker, Bürger aus Wien. Joſef Lolok, Spiritualrector im Pazmaneum in Wien, Präſes. Emil Eigner, Coadjutor in Holzkirchen, Diöceſe Paſſau, Caſſier. . Franz Xav. Weſterholt, Generalvicar aus Cleve- land, Ohio in Amerika. . Dr. Ildephons Kobel, Pfarrer in Rödersheim, Diöceſe Speier. . Dr. Chriſtian Stamm, biſchöflicher Sekretär in Paderborn. . Joſef Stolarczik, Pfarrer zu Zaskopane in Ga- lizien. . Dr. Anton Scholz, Pfarrer zu Eiſingen, Diö- ceſe Würzburg. . Anton Dolak, Pfarrkaplan aus der Olmützer Diöceſe. . Norbert Klinger, Pfarrer zu Aichkirchen, Diöceſe Linz. Karl Kettl, Stadtpfarrcooperator in Linz. Wilhelm Graf Norman d'Audehove aus Linz. 5 MA 13. Joſef Sonnleitner, Oekonom aus dem Bezirke Paſſau. 14. Georg Frauenſchuh, Oekonom zu Neumarkt bei Salzburg. 15. Sebaſtian Strobl, Oekonom bei Salzburg. 19. Joſef Rüdimann, Landwirth aus dem Kanton Aargau. 17. Jakob Bullmann, Privat, aus dem Kanton Luzern. 18. Anton Williſch, Privat aus Wien. 19. Johann Butſchak, Grundbeſitzer aus Schleſien. 20. Joſef Jettmar, Grundbeſitzer aus Leutomiſchl. 21. Joſef Beneſch, Häusler aus Leutomiſchl. 22. Michael Gaßda, Buchhandlungsdiener aus Brünn. 23. Joſef Kiener, Fleiſchhauer aus Aichkirchen. 24. Joſef Kieſeberg, Weber aus Böhmen. 25. Peter Biertor, Gärtner, aus Rheinpreußen. Es ſind alſo zuſammen 29 aus ſehr verſchie- dener Herren Länder; es ſollen jedoch, wie man ſagt, von Venedig her noch ein paar Andere hinzu- ſtoßen. Herr Ritter von Napoli, der uns, wie es im Programm verheißen war, der Direction des Lloyd vorſtellen ſollte, lag eben krank, und von dem deutſchen Prediger Schütz, von dem es im Pro- gramme heißt, daß er ein gefälliger Herr ſei, und den Prieſtern der Karawane behilflich ſein werde, ſagte man uns in der St. Antonikirche, daß er be- reits ſeit zwei Jahren Pfarrer in Mähren ſei. Bei der Direction des Lloyd wollte man an- fangs von einem Uebereinkommen des General-Com- miſſariates in Wien wegen Ermäßigung des Fahr- preiſes nichts wiſſen und forderte von jedem den 6 ganzen Fahrpreis. Endlich, als man ihnen aus dem Program vorwies, daß ein derlei Vertrag mit dem Verwaltungsrathe der Dampfſchifffahrtsgeſellſchaft un- term 19. October v. J. geſchloſſen worden ſei, fan- den ſie es in ihren Büchern. Der Freitag wurde zu mancherlei Einkäufen und zur Beſichtigung der Stadt verwendet. Da man uns beſonders vor dem orientaliſchen Sonnenſtiche warnte, ſo kaufte jeder, der damit noch nicht verſehen war, einen rothen Fez, einen weißen Hut und einen wei- ßen Schleier zum Darüberhüllen. Nachmittags gingen wir in Begleitung Mehrerer auf das Dampfſchiff „Veſta“, mit dem wir fahren ſollen. Es iſt ein gro- ßes ſchönes Fahrzeug, feſt und bequem eingerichtet, das ſtärkte unſer Vertrauen, in ſo weit man vertrauen kann auf menſchliche Werke. Doch im Vertrauen auf den Schutz Gottes, und auf das Gebet der Hinterlaſſenen geht es heute Abends weiter. – Aus Alexandrien dann, ſo Gott will, mehr! – II. Am Bord des Schiffes „Veſta“ den 24. März 1870. Wenn wir dieſen Brief aufgeben, ſind wir glück- lich auf Afrikas Boden, in Alexandrien, angekommen. In Trieſt ging's am 19. März Mitternacht bei etwas Wind in die große See. Wir drei Pfarrer aus Steiermark, und Herr Dr. Scholz aus Würz- burg, die wir aus allen Wallfahrern allein auf der 1. Klaſſe fuhren, erhielten mitſammen eine enge 7 kleine Kabine. Als wir am 20. aufſtanden, war das Meer ſo ſtürmiſch, daß wir uns kaum auf den Füßen erhalten konnten, und uns deshalb noch ein- mal niederlegten, und da wir ſpäter uns wieder er- hoben, hörten wir, daß bereits 15 aus den Wall- fahrern von der Seekrankheit befallen waren – uns Vieren in der Kabine war ſämmtlich wohl, und es hatte auch bis jetzt nur Herr Pfarrer Gödl etwas Weniges zu leiden, wir andern drei blieben noch im- mer von der Krankheit gänzlich frei. So fuhren wir an den dalmatiniſchen Inſeln und an den arm- ſeligen Kalkgebirgen Dalmatiens vorüber, von der Mitte des Nachmittags an aber ſahen wir weiter nichts mehr als Himmel und Waſſer. Mit Freuden gewahrten wir heute auf unſerem Schiffe noch einen neuen Pilger aus Steiermark, Rupert Lederer, Schuh- macher aus Aſchbach bei Maria Zell, der ſchon ein- mal und zwar 1865 mit Tuvora's Vergnügungszug die Reiſe nach Jeruſalem gemacht hatte, und aus dieſem Zuge viel zum Beſten gab. Seemöven be- gleiteten das Schiff, auch zeigten ſich zuweilen Del- phine. Wir hatten abgemacht, an jedem Tag Vor- mittags 9 Uhr und Nachmittags 4 Uhr eine gemein- ſame Andacht zu halten, die ich, als gewählter Spiri- tual, hätte abhalten ſollen, allein ſchon den erſten Nachmittag mußten wir, da es wegen des großen Schwankens des Schiffes nicht möglich war in die 2. Klaſſe zu gelangen, dieſe Andacht in unſerer Kabine allein halten. Die Nacht durch war das Meer ſo ſtürmiſch, daß ich mich kaum im Bette erhalten konnte, und das Schiff an allen Fugen krachte. Morgens fan- den wir die Wallfahrer in der 2. Klaſſe bis auf 8 die Herren Weſterholt, Dolak und Bädeker alle ſee- krank. Ich und Herr Can. Weingraber beſuchten ſie, aber ſie lagen armſelig da, und waren ganz theilnahmslos. Die Meereswogen ſchlugen über die Schiffswände, ja zuweilen über die ganze Schiffs- breite hin, und in den Schiffstauen machte der Wind eine Muſik, gleich dem Gezwitſcher einer Unzahl von Vögeln. General-Vicar Weſterholt war viermal über den atlantiſchen Ocean gefahren, der Schiffs- arzt machte die Reiſe über das mittelländiſche Meer zum 19. Male; beide bekannten, eine ſo ſtürmiſche, aufgeregte See noch nicht geſehen zu haben. So ging es an den hohen, ſpärlich bewaldeten Gebirgen Albaniens, auf denen es eben ſchneite, hin. Um Mitternacht ſtanden wir vor Korfu, und lagen hier über Nacht vor Anker, und ſo hatten wir dieſe Nacht ruhigen Schlaf. Hier hätten wir Briefe aufgeben können, wenn wir das früher gewußt hätten. Dienſtag, den 22. März, trieb's uns ſchon um 5 Uhr aus dem Bette. Korfu, das ſich vom Meere aus ſehr ſchön ausnimmt, lag vor uns; uns zur Seite die Gebirge Albaniens, alle tief herunter neu- beſchneit, und ſo hatten wir bei Korfu nicht mehr als 5 Grad Wärme. Die Seekranken hatten ſich jedoch wieder alle erholt. So ging's die Küſte von Korfu entlang. Nachmittags zogen wir zwiſchen den joniſchen Inſeln St. Maura, Ithaka und Cephalonia 2c. vorüber. In Ithaka und Cephalonia gewahrten wir Windmühlen auf hohen Bergſpitzen, Häuſer jedoch nur wenige; die wir aber ſahen nahmen ſich ſchön aus und ſchienen feſt und ſolid gebaut zu ſein. Als wir Zante von der Ferne ſahen, war es be- reits Nacht, und wir konnten nur mehr die vielen 9 Lichter der Stadt ausnehmen, und auch ein Feuer- werk, das ebengerade bei unſerem Vorüberziehen abge- brannt wurde. Vor dem Schlafengehen ſangen die Herren Dolak, Dr. Stamm, General-Vicar Weſter- holt, Ketteler und Aigner einige Lieder im Quartett, die das ganze Schiffsvolk zuſammenzogen; nament- lich ſchienen ſich einige Korfioten ſehr daran zu erzötzen, da ſie die folgenden Tage wiederholt frag- ten, wann ſie wieder ſingen werden. Dieſe Korfio- ten, 3 junge Männer mit ihren Weibern und Fa- milien, hatten ſich zu Korfu uns zugeſellt. Sie zo- gen mit Hab und Gut nach Egypten, um ſich da eine neue Heimath zu gründen; in Korfu ſei, ſeit- dem die Engländer es abgetreten, kein Verdienſt mehr. Der Jüngſte aus den Männern, eine recht liebliche Erſcheinung, bot mir mit großer Freundlich- keit eine ungewöhnlich große Limonie zum Präſent, was mich von dieſem Fremdling ungemein freute. In ihrer Geſellſchaft waren auch zwei junge Mon- tenegriner, maleriſche Burſche. Mittwoch, den 23. März trieb uns die Schwüle in der Kabine früh aus dem Bette. Wir hatten gegen Nordoſt eben Land, das entweder Kap Mata- pan oder die Inſel Cerigo ſein mußte. Die Inſel Kreta, zu der wir gegen Mittag kamen, und deren Bewohnern der heil. Apoſtel Paulus das Kompliment macht, daß ſie „faule Bäuche“ ſeien und „Lügner von immerher“, verloren wir erſt gegen Abend aus dem Geſichte. Da wir heute das Feſt des heil. Turibius feierten, hatten wir ſo eben im Breviere einen Brief geleſen, den der heil. Paulus auf dieſe Inſel hergeſendet an ſeinen lieben Jünger Titus, der hier erſter Biſchof war. Andegozzo und Gozzo, 10 die letzten Inſeln im Süden Europa's, bei denen wir ſpät Abends vorüberfuhren, gleichen großen Sand- lagern. Heute den 24. März, den erſten etwas liebli- chen Tag, an dem wir ohne Mantel auf dem Ver- decke herumſpaziren können, hoffen wir an die Küſte Afrikas zu gelangen. Ein weiteres Schreiben hoffe ich Ihnen von Jeruſalem ſenden zu können. III. Jeruſalem, den 31. März. 1870. Gelobt ſei Jeſus Chriſtus! Ja, gelobt ſei Jeſus Chriſtus in alle Ewigkeit! das war der eine Gedanke, der uns Alle durchſtrömte, als wir vorgeſtern den 29. Nachmittags 4 Uhr glücklich in Jeruſalem ein- zogen. Wenn ich aber ſage: „Wir zogen ein“, ſo gilt das wohl von uns 4 Prieſtern aus Steiermark, nicht aber von der ganzen Pilgerſchaar. Als wir nämlich vor Alexandria vor Anker lagen, entſtand ein neues orientaliſches Schisma. Die letzten Tage, die wir zu Schiffe waren, hatten wir ſchon in Erfahrung gebracht, daß das uns von Wien zugeſendete Wall- fahrtsprogramm unrichtig ſei, und daß nicht, wie es dort heißt, am 2. April, ſondern gleich am 25. März oder erſt in 14 Tagen, d. i. am 8. April, wieder ein Lloyddampfer in der Richtung nach Smyrna abgehe, der zu Jaffa und Kaifa die Poſt aufnimmt, ſo daß da Perſonen aus- und einſteigen können. Das wollte nun Allen zu lange werden, denn ſo mußte der Zug nach dem Jordan entweder aufgegeben, oder in einer 11 ſchon ſehr heißen Jahreszeit unternommen und die feſtgeſetzte Zeit verlängert werden. Darum fragte ſich's nun, ob nicht ein anderes Schiff abgehe, das uns in 6–8 Tagen nach Jaffa brächte, und da lauteten denn die eingezogenen Nachrichten verſchieden. Sicher war's, daß jeden 7., 17. und 27. ein franzöſiſcher Dampfer von Alexandrien nach Beirut 2c. fahre, allein mit dem war uns, wollten wir Egypten etwas beſehen, auch nicht gedient; dabei war es gewiß, daß dieſer in Kaifa nicht ſtill halte, was bei dem Umſtande, daß man in Jaffa bei auch nur etwas ſtürmiſcher See nicht lan- den kann, bedenkſam war. Man ſagte uns wohl, daß noch andere Dampfer – ruſſiſche, egyptiſche 2c. – die ſyriſche Küſte befahren, allein wann ſie fah- ren, ob ſie Paſſagiere in Jaffa an's Land ſetzen, das wußte Niemand. Und ſo waren die Entſchlüſſe der Wallfahrer ſeit einigen Tagen getheilt. Einige wollten nach Kairo um jeden Preis, Andere, namentlich die Landleute alle, meinten, ihre Mittel reichen nicht hin, um 8–10 Tage in Egypten zu verweilen und dann auf einem fremden Dampfer, der natürlich eigens bezahlt werden mußte, nach Jaffa zu ſegeln. So kamen wir am 25. Morgens im Hafen von Alexan- drien an, wo, wer da wollte, von der „Veſta“, die ihren Lauf direkt nach Smyrna nahm, auf den Lloyd- dampfer „Ceres“ überſteigen konnte, der um 11 Uhr abſegeln ſollte. Um über eine allfallſige andere Weiterfahrt über 8 Tagen Kunde einzuziehen, ſtieg der Präſes mit mir und noch einem Gefährten an's Land, und da erfuhren wir, daß ungefähr in der erwähnten Zeit ein ruſſiſcher Dampfer in Port Said halten werde, mit dem wir in Jaffa werden landen können. Ich entſchloß mich bei der Rückfahrt aus der 12 Stadt, ganz den Plänen meiner auf dem Schiffe zurückgelaſſenen Landsleute mich zu fügen, und da fand ſich's denn, daß die ſteiermärkiſchen Prieſter ſammt dem General-Vikar und den Doktoren Scholz und Stamm und noch ein paar Laien, namentlich um bald in das Land unſerer Sehnſucht zu gelangen, und im Beſuche der hl. Orte durch die Enge der Zeit nicht gehindert zu werden, vorgezogen hatten, das Sichere zu wählen, und mit der „Ceres“ fortzuſteuern. Der Präſes mit den Uebrigen – und, was wir nicht erwartet hatten, ſelbſt alle Landleute – ließen ſich an's Land ſetzen, um 8 Tage in Egypten zu bleiben. Ich blieb dem Vorhaben, von meinen erſten Gefähr- ten mich nicht zu trennen, um ſo mehr treu, da ich in Alexandrien, das übrigens auch ſehr ſchöne Häu- ſer hat, und namentlich vom Hafen aus ſich prächtig ausnimmt, vom Schmutz, Moraſt (es hatte nämlich in den vorhergehenden Tagen da etwas geregnet) vom Ungeſtüm der häufig einäugigen Leute, die ſich als Führer herandrängen, ohne oft den Ort, wo ſie Einen hinführen ſollen, ſelbſt zu kennen, von den ſchmutzigen verhüllten Weibern u. dgl. ſo viel geſe- hen, daß ich herzlich froh war, aus dieſem Getüm- mel heraus auf mein Schiff wieder zurückzukommen. Was mir höchſt poſſirlich vorkam, das waren die Eſelsbuben mit ihren Thierlein, namentlich wenn ſie dem Reiter hinten nachliefen. Die Ladung der „Ceres“ in Alexandrien dauerte ſo lange, daß wir ſtatt um 11 Uhr Vormittag erſt um 5 Uhr Abends aus dem Hafen ausfuhren, und uns ſo das Leben und Treiben im Hafen, in dem immer 5–600 größere und kleinere Schiffe liegen, und fortwährend eine Unzahl von Barken, zum Theil 13 von Braunen und Schwarzen geführt, hin- und herſteuerten, noch genugſam beſehen konnten. In der „Ceres“ waren wir etwas räumlicher logirt, als in der „Veſta“, wir 3 Landsleute in einer Kabine. Der dritte Platz war von einer Menge von Türken und ernſten graubärtigen Arabern beſetzt. Das Meer, das bisher meiſt dunkelblau, zuweilen wunderſchön lichtblau, manchmal auch beinahe ſchwarz geweſen, zeigte ſich hier bald ſchmutziggelb und war die Nacht durch ziemlich ungeſtüm. Sonntag den 26. Morgens /210 Uhr ſahen wir aus der Ferne den Leuchtthurm von Port Said, wo das Schiff um 10 Uhr ankerte. Da uns mit- getheilt wurde, daß man hier ſo viele Güter aus- und einzuladen habe, daß man vor 5 Uhr Nachmit- tags ſicherlich nicht werde abfahren können, miethe- ten wir uns eine Barke und fuhren zur neuen Hafen- ſtadt hinüber. Dieſes Port Said iſt ein merkwür- diger Ort. Schöne Backſteinhäuſer wechſeln da mit den elendeſten kleinen Holzbaraken, und Kaufläden mit den ſchönſten Auslagekäſten mit improviſirten Buden, in denen man beſonders viel von jenem Gewächſe feilbot, nach dem die Israeliten nach ihrem Auszuge aus Egypten gelüſtete, und auch Kokos- nüſſe. Dabei ſind alle Gaſſen Sand und wieder Sand, und nur an den Stellen, die früher Sumpf waren, und wo man ſonſt vielleicht gar nicht würde gehen können, die Wege makadamiſirt. Schwarzes, zum Theil kohlſchwarzes, herumlungerndes Volk ſahen wir vieles, viel mehr als in Alexandria, und neben den kleinen Eſeln mit ihren Buben auch ſchon ſtatt- liche Kameele. Der Ort, der ſicher eine große Zu- kunft hat, beſitzt bereits 2 katholiſche Kirchen mit 14 Klöſtern, eines von franzöſiſchen Kloſterfrauen, das andere unfern des großen Leſſepsplatzes von Fran- ziskanern beſetzt. Da ein italieniſcher Franziskaner von Alexandria her mit uns reiste, beſuchten wir letzteres, das eine recht geräumige Kirche, noch ohne Decke, eine Schule und einen kleinen Garten hat, in dem die erſt im vorigen Jahre gepflanzten Wein- ſtöcke ſchon ſchöne Träublein zeigten. Auch gegen das Ende der Stadt hin ſahen wir einen wunder- lieblichen Garten, und auch eine muhamedaniſche Schule, einem kleinen Schweinſtalle gleich, woraus die kleinen Buben um Bakſchiſch uns anbettelten. Vor und nach dem Beſuch der Stadt, in der bereits eine unleidliche Hitze war, ließen wir uns den Suez- kanal eine Strecke hinauf- und hinabführen. Auf demſelben fuhren uns unter andern Barken auch ſol- che mit großen, ſchon in dieſem Jahre geernteten Krautköpfen entgegen. An dem einem Ufer des Kanals hat man ein hohes Belvedere gebaut; allein wenn man von da nach dem Kanale hinaufſieht, ſo ſieht man von da nebſt dem Kanale, um mit dem Berliner zu reden, nichts als „Jejend“, d. h. nichts als Sand, und weiter hinauf, wie uns ein Reiſender, der von dort herkam, verſicherte, nichts als Schlamm. Gegen 6 Uhr fuhr die „Ceres“ von Port Said ab; doch noch lange ſandte uns der Leuchtthurm von da ſein wechſelndes Licht nach. Die Geſellſchaft im Schiffe hatte ſich wieder vermehrt; mehrere Nord- deutſche, die von Kairo kamen, und vielleicht wohl 200 orientaliſche Pilger, darunter viele Kopten, die alle auch nach Jeruſalem zogen. Sonntag den 27., als wir Früh Morgens auf's Verdeck ſtiegen, ſahen wir bereits in ſchwachen Um- 15 riſſen aus der Ferne die Berge des heil. Landes! Welche Freude für uns! welch' zweifache Freude! Der Kapitän der „Veſta“ hatte uns geſagt, daß er manche Pilger zu dreien Malen nach Jaffa gebracht, ohne daß ſie hätten landen können; in voriger Wo- che, als wir den Sturm im adriatiſchen Meere hat- ten, waren in Jaffa nicht weniger als 16 größere und kleinere Schiffe und Barken verunglückt, und – heute war das Meer ruhig, ſo ruhig, wie es auf unſerer ganzen Fahrt noch nie geweſen, und ſo ging unſere Ausſchiffung zu Jaffa wohl un- ter dem gewöhnlichem Lärm und Hin- und Herzerren der Barkenführer, wobei ich beinah ins Meer gefallen wäre, doch ſonſt, trotz der gewaltigen Wogen, die uns zu verſchlingen drohten, und der furchtbaren Brandung an den Felsblöcken, ganz glücklich von Statten. Um 8 Uhr riefen wir bereits: Deo gratias! Deo gratias! denn wir befanden uns wieder auf feſtem Boden im Franziskanerhoſpize zu Jaffa unter der Obhut des guten gewandten Gaſtmeiſters Fr. Daniel, der ſammelnd für das heilige Land Süd- und Central- und Nord-Amerika durchreiſt hatte, und uns nach herzlichem Empfang ſogleich unſere Zimmer anwies. Es war Sonntag. Drei von uns Prie- ſtern, die wir noch nüchtern waren, konnten noch die heil. Meſſe leſen, und ich hielt nach meiner Meſſe eine kurze Anſprache an die Pilger, wobei ich von der im Breviere ſich findenden Leſung des heutigen Sonntages ausging, wo von dem am Berge Horeb brennenden Dornbuſche die Rede iſt, und der Herr zu Moſes ſpricht! „Wage es nicht, dich zu nahen, ſondern ziehe deine Schuhe aus, denn der Ort, an dem du ſtehſt, iſt heiliges Land.“ Eine andere Feier 16 war wegen der fortdauernden Meſſen, und da Mor- gens auch gleich die Litanei von einem Prieſter ge- halten oder eigentlich von Prieſter und Volk geſun- gen wurde, nicht möglich. Erſt Nachmittags 3 Uhr ſangen wir Pilger in der höchſt einfachen Kirche, die an der Stelle ſteht, wo Petrus das Geſicht von den unreinen Thieren gehabt, welches ich aus der Apoſtelgeſchichte vorlas, das „Großer Gott, wir lo- ben Dich!“ Da ſich das Programm in Betreff des Stellwagens, der von Jaffa nach Jeruſalem gehen ſollte, wieder als unrichtig erwies (es war nämlich, nachdem der erſte zu Grunde gegangen, kein weite- rer mehr angeſchafft worden), hatten wir noch Vor- mittag einen Kontrakt wegen der zu ſtellenden Pferde und Packeſel für den Zug nach Jeruſalem mit einem Diener des Kloſters abgeſchloſſen, welcher uns (die Perſon für 15 Frank) nach Jeruſalem zu bringen verſprach und ſein Wort auch treulich einhielt. In Jaffa hielten wir Sonntag und Montag Raſt, beſahen uns die Stadt mit ihren engen ſchmutzigen ſteilen Gaſſen, und die knapp an der Stadt liegenden paradieſiſchen Gärten mit den hohen Kaktuszäunen, und wurden da ſchon zu unſerer Freude von dem eben hier weilenden Gerenten des öſterreichiſchen Konſulates im heil. Lande, k. k. Miniſterialrathe Graf Caboga, auf das freundlichſte begrüßt. Die Schweſtern vom heil. Joſef, die wir beſuchten, ſtellten uns die Mädchen ihrer Erziehungsanſtalt vor, durch- wegs ſchwarze gekaufte Sklavenkinder, von denen eines, wie uns eine von den guten Schweſtern ſagte, auf 17 – 18 Napoleond'or zu ſtehen kommt. Montag Nachmittag 2 Uhr zog ein langer ma- leriſcher Zug, 14 Abendländer hoch zu Pferde, 4 zu 17 Fuß, 5 braune Burſchen zu Eſel, dabei der gravi- tätiſche, ſich ſeiner Würde wohlbewußte Dragoman und 2 mit Koffer und Reiſetaſchen ſchwer belaſtete Packthiere über den Bazar zu Jaffa beim Thore hin- aus. Es war die deutſche Pilgerkarawane, wie ſie zu Jaffa ſich zuſammengefunden, und wir darunter. Der Zug ging durch eine ſehr fruchtbare, wenn ſchon einſame, wenig bebaute Gegend auf der neuen Straße bis Ramla, dem einſtigen Arimathea, wo wir Abends 6 Uhr bei den P. P. Franziskanern, die an dem Platze, wo das Haus Joſefs von Arimathea geſtan- den, ein Kloſter haben, bereitwilligſt Mahl und Nacht- lager erhielten – und Dienſtag den 29. März mit Früheſtem auf derſelben Straße fort, zuletzt über Berg und Thal durch eine Gegend, die wirklich ſehr dem ſteinigen Karſt gleicht, wobei wir unter dem Dorf Culonia, das Dr. Sepp für das neuteſtament- liche Emaus hält, gelagert unter Olivenbäumen von dem, was jeder zu Ramla an Speiſe und Trank mitgenommen, ein ſehr frugales Mahl hielten, nach Jeruſalem, wo wir Nachmittag 4 Uhr wohl ermattet, aber doch geſund durchs Jaffathor einzogen, und im öſterreichiſchen Pilgerhauſe die freundlichſte Aufnahme fanden. Doch ich muß ſchließen, da heute noch die Poſt abgeht und dann erſt wieder in 8 Tagen. – Ich bemerke blos, daß wir ſchon zu öfteren Malen in der ſonſt meiſt verſchloſſenen heil. Grabkirche geweſen, alle Prieſter unſerer Karawane auch ſchon in der heil. Grabkapelle die heil. Meſſe geleſen, und daß wir ſchon ſehr viele Heiligthümer der Stadt – heute morgens Bethanien mit dem Oelberge – beſucht haben. 2 18 Und nun ſchöne Grüße aus dem heil. Lande an die lieben Zurückgebliebenen in der Heimat; das Weitere über unſeren Aufenthalt in Jeruſalem aber ein anderes Mal. IV. Jeruſalem, den 7. April 1870. Indem ich guter Hoffnung bin, daß Sie meinen erſten Brief aus Jeruſalem, ſo wie das am 30. März hier aufgegebene Telegramm, womit wir Pil- ger und Steiermärker unſere glückliche Ankunft in Jeruſalem allen Freunden und Bekannten kund thun wollten, empfangen haben, erlaube ich mir mit Ge- genwärtigem über unſer bisheriges Sein und Thun in der heil. Stadt Bericht zu erſtatten. Als wir am 29. März Nachmittag in Jeruſa- lem angekommen waren, war es unſere Meinung, denſelben Tag von den Strapazen der Reiſe auszu- ruhen, uns an Leib und Seele zu reinigen und zu ſammeln und des andern Morgens die heil. Grab- kirche zu beſuchen. Allein der ungemein gefällige Vorſteher des öſterreichiſchen Pilgerhauſes, hochw. Herr Franz Hrovat, vormals Pfarrer an der St. Jakobskirche in Laibach, hatte ſchon Vorſehung ge- troffen, daß uns noch an demſelben Abende die Kirche geöffnet werde, und der hochw. Herr Vice- rektor Stephan Roſenberger, Wiener Diözeſanprie- ſter, bot ſich bereitwilligſt an, uns dahin zu be- gleiten. So zogen wir ſchon in den erſten Stun- den unſeres Aufenthaltes in Jeruſalem in der heil. Grabkirche von Heiligthum zu Heiligthum und bete- 19 ten da bei jedem derſelben das vorgeſchriebene Ge- bet zur Gewinnung der Abläſſe, und da uns der hochw. Herr Rektor auch alſogleich in der Patriar- chatskanzlei das zum Meſſeleſen nothwendige Cele- bret beſorgt hatte, ſo konnten wir bereits am an- dern Morgen, einige in der heil. Grabkapelle, die andern bei den übrigen Sanktuarien der Grabkirche die heilige Meſſe zelebriren. Daß wir an dieſen heiligſten Stätten der Erde mit ganz beſonderer In- brunſt der Lieben in der Heimat gedachten, verſteht ſich von ſelbſt. Die heil. Grabkirche, obwohl ein höchſt unregelmäßiges, iſt doch ein an der freien Seite von außen ſehr ſchönes und ſeit dem vorigen Jahre, ſeit die neue Kuppel vollendet iſt, auch von innen prachtvolles Gebäude, mit beſonders vielen ſchönen Steinmoſaikböden. Sonſt aber iſt Jeruſalem eine hügellichte und winklichte Stadt voll Ruinen, mit engen Gaſſen, die ein ganz eutſetzliches Steinpflaſter haben, auf dem kein Wagen fahren kann, ſchmutzig und voll Lärm wie alle Städte des Orientes, hat jedoch ein- zelne ſehr großartig angelegte neue Gebäude, wozu auch das öſterreichiſche Pilgerhaus zählt. Charakte- riſtiſch iſt an der heil. Stadt, daß ſie beinah von allen Seiten mit Gräbern umgeben iſt. Am folgenden Tage, den 30. Vormittags, mach- ten wir unſere Beſuche bei dem hochwürdigſten Guardian der P. P. Franziskaner als Cuſtos des heil. Landes, und beim hochwürdigſten Herrn Weih- biſchofe, welch' letzterer uns in einem Gemache von orientaliſcher Pracht, das gegen die ſonſt ärmlichen Wohnungen der Stadt ganz gewaltig abſticht, empfing, und wo wir auch die eben ihrer Vollendung nahe 2 20 überaus ſchöne Patriarchalkirche in Augenſchein nah- men. An beiden Orten wurden wir nach orienta- liſchem Gebrauche auf Divane placirt und mit Kaffe bedient. Und nun beſuchten wir an dieſem und den folgen- den Tagen die Heiligthümer und ſonſtigen Merkwür- digkeiten von Jeruſalem außer der heil. Grabkirche: das goldene Thor, das Thal Joſaphat mit dem waſſerleeren Bache Cedron, die Marienquelle, die Teiche Bethesda und Siloah, den Nehemiasbrunnen, den Iſaiasbrunnen, die Apoſtelhöhle, Haceldama, die Grotte, in der Petrus beweinte, daß er ſeinen Herrn verleugnete, den Berg Sion mit dem verödeten Cönaculum und dem Grabe Davids, die ſchöne arme- niſche St. Jakobskirche, den Ort, wo die Häuſer der Hohenprieſter Annas und Kaiphas ſtanden (an beiden Orten jetzt ſchismatiſch-armeniſche Klöſter), die Klageſtätte der Juden, wo ſie jeden Freitag Nachmittags zuſammenkommen und in höchſt ergrei- fender Weiſe die Zerſtörung ihres Tempels bejam- mern u. ſ. w. »- Den 1. April, am Freitag nach dem 4. Faſten- ſonntage, an welchem das Evangelium von der Auf- erweckung des Lazarus abgeleſen wird, gingen einige von unſerer Karawane ſchon 3 Uhr Morgens nach Bethanien, da an dieſem Tage an der Stelle, wo Chriſtus ſtand, als er rief: „Lazarus, komm her- aus!“ ſo wie im Grabe, in dem Lazarus lag, ſelbſt, die heil. Meſſe geleſen werden kann. Es ſind das zwei tiefe Steinhöhlen, letztere einige Stufen tiefer als die erſtgenannte. Vom Hauſe der Martha, in dem der liebe Herr ſo gerne Einkehr nahm, zeigt man blos die Stelle, wo es ſtand. Wir Uebrigen 21 gingen Vormittags noch hinaus und kamen eben dort an, als nach den Meſſen in der oberen Höhle das Evangelium von der Auferweckung des Lazarus in lateiniſcher Sprache feierlich abgeſungen wurde. Dasſelbe geſchah außer der Grabhöhle dann auch für das ziemlich zahlreich verſammelte Volk in ara- biſcher Sprache. Der Rückweg ging in einer Art Prozeſſion über den Stein der Raſt Jeſu, Beth- phage, die geweſene Himmelfahrtskirche, (jetzt Mo- ſchee) und die Ruinen der Kirche, die an der Stelle ſtand, wo Jeſus über Jeruſalem weinte. An jeder dieſer Stellen wurde das betreffende Evangelium, und zwar allemal von einem andern Prieſter ab- geſungen, am letzteren Orte vom Herrn Kanonikus Weingraber. Dabei beſuchten wir noch das kleine Paternoſterkirchlein und die Ruinen der Kirche, in der die Apoſtel nach der gangbaren Tradition das „Ich glaube an Gott den Vater 2c.“ zuſammen- ſtellten. In Gethſemani, das man ſchon zum Thal Joſaphat zählt, bot uns der alte freundliche Fran- ziskanerbruder, der den nun mit einer hohen Mauer umfaßten Oelgarten pflegt, einige Zweige von den 8 überaus alten Oelbäumen, die dort ſtehen, und etwas Rosmarin an; erinnerte uns aber dann, daß es Freitag ſei, und wir höchſte Zeit haben, in die Stadt zurück zu eilen, damit wir noch vor dem Thorſchluſſe, der an dieſem Tage um 11 Uhr Vor- mittag ſtatt hat, dort ankämen. Als wir laufend das Stephansthor erreichten, hatte auch der Beſchließer das Thor ſchon in Händen und ließ uns ebengerade noch ein. Nachmittags 4 Uhr gingen wir nach Bethlehem. Die gut angelegte Straße führt beim Brunnen, 22 an welchem der Tradition nach die heil. 3 Könige geraſtet haben, und wo ihnen der Stern wieder er- ſchien, bei dem ſehr ſchön gelegenen griechiſchen Elias- kloſter und dem Grabe der Rachel vorbei. In dem auf einem überaus anmuthigen Hügel zwiſchen ſchö- nen Oel- und Weinpflanzungen liegenden Städtchen gegen 6 Uhr angekommen, konnten wir noch an ſelbem Abende in Prozeſſion die Geburtsgrotte mit den übrigen daran ſich reihenden Heiligthümern be- ſuchen. Als ich am folgenden Vormittage allein mit Hrn. Dr. Stamm über die Milchgrotte, bei den Ruinen des Hauſes Joſefs, dem Hirtendorfe, wo der Patriarch von Jeruſalem gegenwärtig eine Kirche baut, vorbei, über das Hirtenfeld und die Aecker Booz's zur Hirtengrotte mich begab, rannte ein Mann, den wir für nichts weniger als einen Be- duinen hielten, aus einem Mauerneſte heraus. Wir verdoppelten unſere Schritte, der Mann ſchnell uns hinten nach wie Einer, der es auf uns abgeſehen hat, und ſo war es kein Wunder, daß ich und Dr. Stamm einander geſtanden, etwas Furcht zu haben. Allein als der Mann uns erreichte, zeigte es ſich, daß es ein Grieche war, der den Schlüſſel zur Grotte hatte, und dieſelbe gegen eine kleine Er- kenntlichkeit uns aufſchloß; und ſo konnten wir, auf's Hirtenfeld zurückgekommen, mit erleichtertem Herzen das Gloria in excelsis ſprechen. Bei unſerer Wiederkunft in dem Städtlein hatten wir ſchwere Noth mit den Händlern, die uns ihre Erzeugniſſe: Roſenkränze, Kreuze u. dgl. mit Ungeſtüm anboten, und von denen jeder behauptete, er ſei kein Händler wie die Uebrigen, ſondern habe nur eine kleine „Fabrica“ und verkaufe Alles von der erſten Hand 23 weg, alſo billiger als die Anderen; und als wir Nachmittags 3 Uhr theils zu Fuß, theils zu Pferd fortzogen, verfolgten uns noch kleine Mädchen mit Waſſer aus der Ciſterne Davids, das ſie gegen einen kleinen Bakſchiſch aus recht appetitlichen Gläslein freundlichſt uns aufnöthigten. Es ging anfangs auf dem nämlichen Wege, auf dem wir gekommen; erſt bei dem Grabe der Rachel, vor welchem wir mit einem Communzuge der Zög- linge des in dem in der Nähe ſichtbaren Beitdſchalla befindlichen Klerikalſeminars des Patriarchen von Jeruſalem zuſammentrafen und mit den freundlichen jungen Leuten etwas verkehrten, bogen wir links ab, auf einem Wege, der beſonders gegen das Ende hin überaus felſicht und für Reiter gefährlich wird, zum Kloſter St. Johann im Gebirge. Hier wurden wir ebenſo, wie im Kloſter zu Bethlehem von den P. P. Franziskanern auf's Zuvorkommendſte auf- genommen und in einer Weiſe bewirthet, die man für Pilger ſicher etwas zu ſplendid nennen muß. In Bethlehem fanden wir auch einen alten Fran- ziskanerbruder, aus Riſano im öſterr. Küſtenlande geboren, der früher im k. k. Militär gedient und 1849 die goldene Tapferkeitsmedaille erhalten hatte. Er erzählte uns, wie er dieſe dem Kaiſer bei ſeiner Anweſenheit in Bethlehem im vorigen Jahre zeigte, und wie dieſer eine große Freude daran gehabt habe. In St. Johann wohnten wir in der ſchönen großen Kirche dem ſonntägigen Gottesdienſte bei, ſangen an der Geburtsſtätte des hl. Johannes des Täufers das Benediktus, und in der / Stunde davon auf einem Hügel ſich befindlichen recht lieb- lichen Heimſuchungsgrotte, wo der hl. Zacharias ein 24 Landhaus gehabt und die hl. Jungfrau empfangen haben ſoll, das Magnifikat. Der ſehr freundliche P. Alphons Ratisbonne, der 1841 in Folge einer wunderbaren Erſcheinung der hl. Jungfrau in Rom Katholik geworden, und nun in Jeruſalem die un- fern des öſterreichiſchen Pilgerhauſes bei der neuen Ecce homo-Kirche gelegene Erziehungsanſtalt der Sionsſchweſtern, die wir wiederholt beſuchten, leitet, hatte uns eingeladen, die Filialanſtalt, welche die Schweſtern in St. Johann haben, zu beſuchen; allein da wir durch Regen in unſern Ausgängen etwas zurückgehalten wurden, kehrten wir, ohne in ſelber geweſen zu ſein, Nachmittags auf einem wieder ſehr ſteinigten und mühſamen Wege nach Jeruſalem zu- rück, wo wir gerade vor Thorſchluß anlangten. An den folgenden Tagen beſuchten wir die große weite Jeremiasgrotte, die Gräber der Könige und der Richter, die Blutſchwitzungsgrotte in Gethſemani, die der gute Tiroler Franziskaner-Frater Corbinian beſorgt, ſowie die daranliegende den Griechen ge- hörige, große unterirdiſche Marienkirche, die Geiß- lungskapelle u. ſ. w., und erhielten endlich am 6. Vormittags, nachdem wir das Schickſal derer, die ſich vor 12 Tagen bereits in Alexandrien von uns getrennt, um nach Kairo zu reiſen, ſchon ſeit ein paar Tagen in banger Furcht geſchwebt, die freudige Nachricht, daß dieſelben ſchon in Jaffa ſich befän- den; ja, als wir nach Tiſche uns daran machten, ihnen entgegen zu ziehen, kamen dieſelben mit noch ein paar Pfarrern aus der Diöceſe Augsburg und einigen andern Pilgern bereits die Stiege des öſterr. Pilgerhauſes herauf. Sie mußten 3 Tage auf das ruſſiſche Schiff in Port Said warten, und waren 25 wohl ſtockmüde, doch ſämmtlich geſund und guter Dinge. Einige von ihnen waren auch in Suez und beim Moſesbrunnen geweſen. So war die Zahl der Pilger an dieſem Abende im Hoſpize auf gerade 40 angewachſen. Nachdem man die Neuangekommenen kaum be- grüßt, war eine der erſten Fragen an ſie, wer von ihnen die Route zum todten Meere mitmachen wolle, die am folgenden Tage angetreten werden mußte, und da zeigten ſich denn nahezu Alle hiezu bereit, und es wurde der empfohlene Dragoman Auad be- rufen, um mit ihm den Vertrag für die Expedition zu ſchließen. Da er aber für Pferd, Verpflegung u. ſ. w. von jeder Perſon für die 2/2 Tage 85 Franken verlangte, und unter 75 Franken durchaus nicht herabgehen wollte, berief man den Dragoman Mathias, mit dem man um 60 Franken für die Perſon eins wurde. Auad wollte zwar ſpäter die Perſon für 55, ja für 50 Franken expediren, allein man blieb nun bei Mathias. Am Morgen des 7. April hatte man in Jeruſa- lem blos 8 Grad Wärme und am ſelben Vormit- tage wiederholt Donnerwetter mit Hagel und Schnee, der noch, was hier beinahe unerhört iſt, fauſthoch daliegt. Ueberhaupt haben wir, nebenbei geſagt, auf unſerer Reiſe wohl ſchon viel von Kälte, aber noch blutwenig von Hitze gelitten. Das ſchlechte Wetter machte zwar Manche in Betreff des Zuges zum todten Meere bedenklich, aber endlich einigte man ſich doch dahin, fort zu ziehen. Heute Morgens, da ich die beiden neuangekom- menen bairiſchen Pfarrer nach Gethſemani begleitete, ſchloß ein junger Orientale an uns ſich an, wollte 26 mit großer Freude ein und das Andere uns erklä- ren, ohne daß wir uns eigentlich mit ihm hätten verſtändigen können, und verließ uns auch auf dem Heimwege in die Stadt nicht. Wir wußten uns ſeine Freundlichkeit nicht zu deuten. Da endlich brachte er uns bei, daß er Maronit ſei, ja wies uns eine Art Formaten vor, aus denen wir entnah- men, daß er Prieſter ſein müſſe. O du liebe katho- liſche Einheit! dachte ich mir, der gute Mann, ob- wohl viele hundert Meilen von uns zu Hauſe und einer uns ganz fremden Nation angehörend, erkannte uns als katholiſche Prieſter und folglich als Kinder desſelben Vaters zu Rom, und daher ſeine Freude – eine Freude, die in Jeruſalem um ſo wohl- thuender iſt, da man hier mit jedem Schritte auf getrennte Chriſten trifft. Und nun wieder recht herzliche Grüße an die Daheimgebliebenen mit der Bitte, ſie mögen in ihren Gebeten recht oft der abweſenden Brüder gedenken, damit der Herr ſie geſund erhalte an Leib und Seele, ihnen Hilfe ſende von ſeinem Heiligthume, und ſie beſchütze von Sion. V. Jeruſalem, am 16. April 1870. Gegenwärtiger Brief iſt der letzte, den ich aus dem heiligen Lande an Sie richte. Ich beginne ihn noch in der heiligen Stadt, um ihn am Berge Karmel, wo ſich weniger Zeit zum Schreiben fin- den wird, fortzuſetzen und in Kaifa der öſterreichi- ſchen Poſt zu übergeben. 27 Wir haben eben Charſamstag Abend und denken an die ſchöne laute Auferſtehungsfeier, die gerade jetzt in unſerer Heimat gehalten wird; in Jeruſa- lem aber iſt eine große Stille. – Doch ich muß mit dem fortfahren, wo ich im letzten Briefe ge- blieben. Der Beſuch des todten Meeres und der Tauf- ſtelle Jeſu am Jordan mußte in dieſem Jahre we- gen Ungunſt der Witterung überſtürzt werden. Ob- wohl Regen und Sturm am 7. nicht nachließ, zogen die Mehreren aus der Pilgerkarawane – 26 an der Zahl – ſämmtlich zu Pferde Nachmittags 3 Uhr vom öſterreichiſchen Pilgerhauſe aus zum Stephansthore hinaus. Die Maulthiere mit den Kochgeräthen, den Zelten und dem Bettgewande waren bereits Vormittags theils zur Eliſäusquelle, theils nach St. Sabas vorausgeſchickt worden. We- gen Schlüpfrigkeit des Weges kam die Karawane erſt gegen 7 Uhr beim Felſenkloſter St. Sabas an, wo ſie vom Dragoman ſehr gut bewirthet wurde und auch von den griechiſch-ſchismatiſchen Mönchen bereitwilligſt in den Gemächern des Kloſters ihre Lagerſtätte erhielt. Am Morgen des 8. fühlten ſich jedoch zwei Prieſter der Karawane wegen Ver- kühlung ſo unpaß, daß ſie ſich zur Umkehr entſchloſ- ſen, und, von zwei anderen Prieſtern und einem Beduinen als Bedeckung begleitet, Nachmittag wie- der in Jeruſalem eintrafen. Dabei wurden einem der Zurückkehrenden, da er eben zu Fuß neben ſei- nem Pferde herging, von einigen dahereilenden Be- duinen, die ungeſtüm Bakſchiſch verlangten, 5 Fran- ken herausgeſchreckt. Da es ſich aufgeheitert hatte, waren die Uebrigen gegen 10 Uhr von St. Sabas 28 fortgezogen, konnten aber, da ſie denſelben Tag noth- wendig noch zur Eliſäusquelle mußten, wo die Zelte ihrer harrten, am todten Meere und durch's untere Ende des Jordanthales nur eilig vorbeipaſſiren, und kamen, vom Dragoman zu ſchnellem Ritte ge- drängt, am 9. gegen 2 Uhr Nachmittag ſchon wie- der in Jeruſalem an. Den Palmſonntag brachten wir vom früheſten Morgen bis Mittag ununterbrochen in der heil. Grabeskirche zu. Es iſt ein ganz eigenes Gefühl, wenn man auf dem heil. Kalvarienberge ſelbſt die Geſchichte des blutigen Leidens und Todes unſeres lieben Herrn Jeſu Chriſti liest. Während der feierlichen Pontifikalmeſſe, die an dieſem Tage in der heil. Grabkirche auf einem außer dem heil. Grabe aufgerichteten, überaus koſtbaren ſilbernen Altare ſtatt hatte, und die, da der hoch- würdigſte Herr Patriarch beim Konzil in Rom weilt, vom hochwürdigſten Herrn Weihbiſchofe celebrirt wurde, wurde die Paſſion in äußerſt langſamer er- greifender Weiſe geſungen. Da wir die vorzüglichſten Heiligthümer der Stadt bereits beſucht hatten, gingen wir am 11. Vormit- tags nach der Meſſe in Gethſemani, wo wir mit- einander das erſte Geſätzlein des ſchmerzhaften Roſen- kranzes: „Der für uns Blut geſchwitzt hat“, ab- beteten, auf den Oelberg, von dem aus man das todte Meer in ſeiner ganzen Ausdehnung vor Augen liegen hat, und zwar ſo, daß es kaum ein paar Stunden weit entfernt ſcheint. Wir wären gerne noch zur andern Bergſpitze, Viri Galilaei, gegan- gen, allein unſere Schaar hatte ſich ſo zerſtreut, daß wir wieder umkehrten. 29 Am Dienstage in der Charwoche halten die Franziskaner Feſtfeier in der Geißlungskapelle, und am Mittwoch in der Blutſchwitzungsgrotte in Geth- ſemani, welcher überall eine bedeutende Zahl der Pilger anwohnte. Da der k. k. Konſulatsgerent Graf Caboga bereits von Jaffa zurückgekehrt war, und den Pilgern einen Beſuch abgeſtattet hatte, war am 13. Nachmittags Gegenbeſuch bei demſelben, der ſich erbot, der Karawane den Eintritt in die Omar- und Akſa-Moſchee zu erwirken, die auch am 13. Vormittags beſucht wurden. Von hier ab eilten einige der Pilger ſchnell in die Erſcheinungskapelle beim heil. Grabe, wo an dieſem Tage das Stück der ſteinernen Geißlungsſäule, das dort ſich befin- det, zur Verehrung gezeigt wird. Bei dieſer Gele- genheit beſichtigte ich auch das Konventgebäude der PP. Franziskaner an der heil. Grabkirche. Da es zwiſchen der Kirche und dem Felſen eingeklemmt iſt, und über demſelben andere Gebäude und auch Ställe ſtehen, hat es wenig Licht und wenig Luft und gleicht in allen ſeinen Theilen einem Gefäng- niſſe, und der gegenwärtige k. k. Konſulatsgerent, der Se. Majeſtät bat, bei dem Sultan zu bewirken, daß die darauf ſtehenden Gebäude hinweggeräumt würden, was Se. Majeſtät auch wirklich erwirkte (der diesfalls erlaſſene Ferman kam eben dieſer Tage nach Jeruſalem) hat ſich damit um den Orden und um das hl. Grab ein unſterbliches Verdienſt erwor- ben. Se. Majeſtät zeigte ſich bei Ihrer Anweſen- heit hier überhaupt überaus großmüthig. So ſpen- dete Sie, wie uns geſagt wurde, zur Erweiterung der St. Salvatorkirche 60.000 Franken, zum Bau der Katharinenkirche in Bethlehem 60.000 Franken, 30 zu der eben im Bau begriffenen Patriarchalkirche 20.000 Franken u. ſ. w., und es ſoll das Er- ſcheinen des Kaiſers hier den beſten Eindruck hinter- laſſen haben, ſo daß ſelbſt die Türken jetzt noch häufig von ihm reden, und wie der hochwürdigſte Herr Weihbiſchof, der die Pilgerkarawane am 13. auch mit einem Beſuche erfreute, verſicherte, auch – viel vom Konzil. Nebenbei muß ich auch einen Irrthum berichti- gen, der durch Mißverſtändniß in meinen vorigen Brief ſich eingeſchlichen hat. Der alte Bruder aus dem öſterreichiſchen Küſtenlande, Fr. Giovanni zu Bethlehem, hat ſein Verdienſtkreuz nicht im öſter- reichiſchen Militärdienſte 1849, ſondern im vorigen Jahre von Sr. Majeſtät dem Kaiſer erhalten wegen ſeiner vielfachen Verdienſte, die er ſich in dieſen Gegenden als Arzt erworben, namentlich zur Zeit der Cholera. Am Gründonnerstage wohnten wir, die Geiſt- lichen ſämmtlich in Prieſter- und Levitengewändern, den Feierlichkeiten in der heil. Grabkirche bei, die um 6 Uhr begannen und erſt um 10 Uhr endeten. – Die Kommunion der heimiſchen und fremden Prieſter und Gläubigen währte allein wohl eine halbe Stunde. Nach dem Evangelium wurde auch jener Theil der Bulle: In Coena Domini, der Pa- läſtina betrifft, in lateiniſcher und arabiſcher Sprache abgeleſen. Nachmittags gingen wir einige hinaus zur Blut- ſchwitzungsgrotte in Gethſemani in der Meinung, daß dahin heute ein großer Zulauf von Pilgern ſtattfinden werde; allein wir fanden die Grotte ver- einſamt und geſchloſſen, und ſo verrichteten wir da 31 blos einige kurze Gebete am Gitterthore und kehr- ten dann in die Stadt zurück, um da den heil. Kreuzweg zu beten an den bezeichneten Stationen vom Thore beim Richthauſe des Pilatus an bis zur heil. Grabkirche. Wir thaten das auf öffentlicher Straße, ohne auch nur im mindeſten geſtört zu wer- den; ja da wir an der achten Station waren, ge- leiteten uns ungebeten einige Kinder in recht freund- licher Weiſe zur neunten Station, die in einem Sei- tengäßchen, wie mehrere Stationen durch zwei Säu- lenſtücke, die noch von alten Kapellen, die einſt da ſtanden, herrühren, bezeichnet wird, und die wir ohne Hinweis nicht gefunden haben würden. Vor zehn Jahren habe man, wie man uns ſagte, den Kreuz- weg noch nicht öffentlich abbeten dürfen. Am Frei- tag ſah ich mehrere Schaaren, die denſelben auf öffentlicher Straße laut beteten, was am ſelben Tage auch wir wieder thaten, und zwar diesmal unter Leitung des hochw. Herrn Rektors und Vor- gang des Kawaſſes. In manchen Städten, die ſich katholiſch nennen, wäre man nicht ſicher, daß ein ſolcher außergewöhnlicher Betumzug auf den Gaſſen vom Gemeinderathe und den Zeitungen als Stö- rung der öffentlichen Ruhe bezeichnet würde. So kann man jetzt vom Türken Toleranz lernen. Tem- pora mutantur! Die Zeiten ändern ſich! Zur Fußwaſchung, die am Gründonnerstage Nach- mittags zwei Uhr vom hochwürdigſten Herrn Weih- biſchofe vor der heil. Grabkapelle vorgenommen ward, wurden auch zwei Pilger der öſterreichiſchen Karavane, Herr Kanonikus Weingraber und Herr Spiritualdirektor Lolok, geladen. 32 Auffallend war mir am Donnerſtag Nachmittag beim Heimweg von Gethſemani die große Schaar von Menſchen, meiſt Weiber und Kinder, die in ihren Feiertagsgewändern auf den Gräbern vor der Stadt herumwandelten und herumlagerten. Daß jedes Weib Kinder und Säuglinge in die Kirche mitnahm, ja auch gleich da ſäugte, war uns nimmer auffallend – das fanden wir in der heil. Grab- kirche tagtäglich. Ja auch die orientaliſchen Pilgerin- nen führten gleich Kinder und Säuglinge bei ſich. Einige werden das tadeln, man könnte es aber ebenſo gut auch loben, daß dieſe Weiber ihre Mut- terpflichten mit ihren Chriſtenübungen zu verbinden ſich mühen. Es hat eben jedes Ding ſeine zwei Seiten. Freilich hört auch das Schreien der kleinen Kinder in der Kirche nicht auf. Allein das ver- ſchlägt in der heil. Grabkirche wenig, da dort jede Feierlichkeit unter großem Geſchrei und Lärm, und zwar nicht der Kinder allein, begangen wird. Abends am Charfreitage war feierlicher Umzug bei den vorzüglichſten Heiligthümern der heil. Grab- kirche, wobei 7 Predigten gehalten wurden, die erſte in der Erſcheinungskapelle italieniſch, die zweite in der Kapelle der Kleidervertheilung griechiſch, die dritte in der Kapelle der Verhöhnungen Jeſu eng- liſch, die vierte am Altar der Kreuzannagelung deutſch, die fünfte am Altar der Kreuzigung Jeſu franzö- ſiſch, die ſechſte beim Salbungsſtein arabiſch, und die ſiebente vor dem heil. Grabe in ſpaniſcher Sprache. Dabei wurde die Kreuzabnahme, Salbung und Grablegung an einem großen hölzernen Kru- zifixe auch wirklich dargeſtellt, was nicht allen ge- fallen wollte. Die Feierlichkeit nahm um 7 Uhr ihren Anfang und währte bis Nachts 11 Uhr. 33 Heute iſt ſeit früheſtem Morgen ſchon ein unun- terbrochenes Zuſtrömen von griechiſchen, armeniſchen, koptiſchen Pilgern, die wegen ihrer morgigen Palm- weihe und der folgenden Oſterfeier theilweis zu Pferd und Eſel, theilweis auch auf Kameelen, die Gaſſen der Stadt hinanziehen – bei den Katholi- ken aber iſt, wie ſchon bemerkt, dieſen Nachmittag eine große Stille. M. M. Da ich im vereinſamten Kaifa ſah, daß ſich da kein Brief aufgeben laſſe, von dem anzuhoffen wäre, daß er eher nach Trieſt gelangen werde, als ich ſelber, ſo beſchließe ich dies Schreiben mit noch einigen Zeilen erſt in der Heimat. Die Stunden, die wir noch an den heiligen Stätten zubringen ſollten, waren nun gezählt, und jeder bemühte ſich, die kurze Zeit vor dem Abſchiede von Jeruſalem – einem Abſchiede wahrſcheinlich für immer – noch ſo gut zu benützen als möglich. Deshalb gingen auch die Prieſter der Karawane, die in der heil. Grabkapelle noch nicht die Meſſe geleſen hatten, am Oſtermorgen ſchon um 3 Uhr in die Kirche hinauf, ja einige blieben dort die ganze Nacht durch. Wir andern wollten ihnen nicht im Wege ſein und begaben uns erſt ſpäter hinauf. Da machte mir der gute Fr. Giacomo, der Sakri- ſtan der heil. Grabkirche, (der ſeit 22 Jahren aus dem heil. Grabkloſter nicht herausgekommen ſein ſoll, indeß die andern Franziskaner in je 2 Mona- ten von ihrem angeſtrengten Dienſte wieder abge- löſt werden) noch eine große Freude, indem er mich eigens aufſuchte, und darauf aufmerkſam machte, daß ich, wenn ich mich gleich in die heil. Grab- Z 34 kapelle hinbegeben wolle, nun noch dort die heil. Meſſe feiern könne. In meiner letzten Meſſe in der heil. Grabkirche las ich alſo am heil. Auferſtehungs- feſtmorgen an Ort und Stelle das: „Surrexit; non est hic. Ecce locus ubi posuerunt eum.“ „Er iſt auferſtanden; er iſt nicht hier. Sehet den Ort, wo ſie ihn hingelegt hatten.“ Ich mühte mich da in rechter Innigkeit des Herzens mich ſelbſt, meine Pfarrkinder, Verwandten und alle, die mich angehen, oder für mich beten, dem lieben Herrn zu empfeh- len und ihn anzuflehen, daß wir alle jetzt aufer- ſtehen mögen zu einem neuen Leben und einſt eine fröhliche Auferſtehung haben am jüngſten Tage. – Gegen Mittag hin ſahen wir noch den langen feierlichen Prozeſſionen der Griechen, Armenier, Neſtorianer und Kopten, die ſämmtlich heute den Palmſonntag feierten, in der heil. Grabkirche zu, wobei Griechen und Armenier eine überaus große Pracht entfalteten. – Nachmittags zerſtreuten wir uns. Einige gingen nach Bethanien, andere hinab ins Thal Joſaphat, ein paar muthige Kämpen (Weingraber und Maurer) ſelbſt hinein in's gefürch- tete Räuberdorf Siloah. VI. Da wir noch Nazareth beſuchen und am 24. in Kaifa ſein wollten, um von dort aus wieder der Heimat zuzuſteuern, war ſchon vor einigen Tagen der Dragoman Matthia berufen worden, um ſich mit ihm wegen des Kontraktes für die Landreiſe zu verabreden. Er begehrte für die Tour über Ti- 35 berias, die 6/2 Tage in Anſpruch genommen hätte und bei der wir am Oſterſonntage Nachmittags be- reits hätten von Jeruſalem aufbrechen müſſen, für die Perſon 175 Franken; falls aber Tiberias aus- gelaſſen würde, für 5/2 Tage für jeden 150 Fran- ken. Da P. Ratisbonne gegen Dr. Stamm die Bemerkung fallen gelaſſen, daß der Auszug einer Pilgerkarawane aus Jeruſalem mit Sack und Pack am heil. Oſterſonntag Aergerniß erregen würde, ſo entſchied ſich die Mehrzahl für den letzteren Weg. Der Kontrakt wurde nun beim öſterreichiſchen Kon- ſulate abgeſchloſſen, wobei Matthia noch den Preis auf 138 Franken für die Perſon ermäßigte, vor- ausgeſetzt, daß wir die Almoſen in den Klöſtern zu Nazareth und auf dem Berge Karmel ſelbſt be- ſtritten. Und ſo beſuchten wir denn noch am Oſtermon- tag Vormittags zum letzten Male das heil. Grab und die hl. Stätten und zogen Nachmittags 3 Uhr ſtill und ſchweigend beim Damaskusthore hinaus. Wir waren 19 Pilger der Karawane – mit dem Dragoman, den Köchen, Dienern und Muckern etwa 30 Perſonen. Einige von den erſt in vergangener Woche zu Jeruſalem Angekommenen, waren nämlich noch in der Stadt zurückgeblieben, andere zogen es vor, den kürzeren Weg nach Jaffa zum Meere zu machen. Nach einem Ritte von etwas mehr als einer Stunde kommt man auf eine Berghöhe, von der aus man von dieſer Seite Jeruſalem zum letzten Male erblickt. Da lenkten wir unſere Pferde um, warfen unſeren Blick noch einmal auf den Oelberg und auf die heil. Stadt, gedachten in Kürze der 3 36 Gnaden, die wir da empfangen und beteten beweg- ten Herzens gemeinſchaftlich ein Vaterunſer mit Ehre ſei Gott 2c. – und nun gings größtentheils auf recht ſteinigen Wegen, vorbei beim elenden Dorfe El Bir, wo Joſef und Maria bei ihrem Rückzuge vom Oſterfeſte zuerſt den 12jährigen Jeſus vermiß- ten und wo noch Ruinen einer einſt ſchönen Kirche ſich befinden, indem wir die ſonſt gewöhnliche Nacht- ſtation Bethel rechts abſeits ließen, in das in einer ziemlich wohlbebauten Gegend gelegene nicht unbe- deutende Dorf Dſchifna, in welchem der jetzige Pa- triarch eine Kirche gebaut und eine katholiſche Seel- ſorgeſtation errichtet hat. Die Zelte, in denen wir übernachten ſollten – ſammt Koch- und Speiſezelt 6 an der Zahl – ſtanden gleich oberhalb des Dorfes bereits aufge- ſchlagen da, und ſo begaben wir uns denn nach eingenommenem Mahle zur Ruhe. Doch was war das für mich und meine Zeltgenoſſen für eine Ruhe! Vor Mitternacht ſchon hatte es tüchtig zu regnen angefangen und ein gewaltiger Sturm pfiff über unſere Häupter hin. Ich war kaum davon wach geworden, und höre wie einer im Zelte ruft: „Mir regnet es ja ins Bett hinein,“ krach! da erhob ſich das Zelt auf meiner Seite und auf einmal war ich mit meinem Bette im Freien. Wohl er- faßte ich den auffliegenden Zeltpflock mit kräftiger Hand, um das Zelt nieder zu halten, doch da ſchreit einer, ich weiß nicht warum: „Loslaſſen!“ Ich laſſe los und in demſelben Augenblicke ſtürzt das Zelt über uns zuſammen. Das Alles war das Werk weniger Minuten. Die Wache haltenden Mucker waren zwar bald da, um uns unter den Zelttüchern 37 hervorzuſuchen und das Ganze wieder aufzurichten, allein an ein eigentliches Schlafen war nimmer zu denken. In der Früh vermißten zwei von uns un- ſere Uhren, die beim Wiederaufrichten des Zeltes mit unſeren abgelegten Gewandſtücken und allem andern, was da war, auf den Boden geſchleudert worden waren, fanden ſie aber beide ganz unver- ſehrt unter dem Geſteine. – Ein Freund von mir hatte mir einſt eine Nacht im Orient unter Gezel- ten ſo idylliſch-angenehm geſchildert. Das war nun die erſte ſchöne Nacht unter den Gezelten! Am folgenden Tage ging der Ritt über Stock und Stein hochbergauf und wieder hochbergab gegen Naplus. Das Mittagmahl nahmen wir liegend an einer Matte unter einer vielhundertjährigen Stein- eiche ein. Etwas nach 5 Uhr waren wir am ein- ſamen verfallenen Jakobsbrunnen unfern vom Grabe des egyptiſchen Joſef, und bald darauf in der ziem- lich bedeutenden Stadt Naplus, dem alten Sichar oder Sichem, zwiſchen den Bergen Garizim und Ebal gelegen. Da es den ganzen Tag durch abwechſelnd geregnet und geſtürmt hatte, waren nicht Wenige von uns bis auf die Haut durchnäßt, ſo daß wir – namentlich eingedenk der Abenteuer der vergan- genen Nacht – unſeren Dragoman erſuchten, Vor- ſorge zu treffen, daß wir in einem Hauſe der Stadt Nachtlager halten könnten, was auch geſchah. Ein Grieche trat uns gegen Entgelt ein ziemlich großes Zimmer in ſeinem Hauſe ab; es wurden ein paar Pfannen Feuer gebracht, und wir trockneten, was ſich trocknen ließ. Mit dem 20. kam wieder ſchönes Wetter. Wir nahmen den Weg über die alte Königsſtadt Sa- 38 maria – nun ein elendes, aber überaus ſchön ge- legenes Dorf, Sebaſte, auch Schomron genannt, das noch viele Spuren ſeiner ehemaligen Herrlich- keit aufweist, und wo unter Kirchenruinen an einer Moſchee, die jedoch nun leere Grabſtätte des heil. Johannes des Täufers, der unfern davon enthauptet worden war, ſo wie die der Propheten Eliſäus und Abdias gezeigt werden. Julian der Abtrünnige ſoll dieſe Gräber erbrochen, die darin beſtatteten Gebeine verbrannt und die Aſche in die vier Winde geſtreut haben. Waren es an anderen Orten einzelne Kin- der, die uns um Bakſchiſch anſchrieen, ſo lief in Sebaſte nicht nur die ganze Jugend des Dorfes, ſondern unter ihnen auch viele Erwachſene zuſam- men, die uns bis über's Dorf hinaus mit dem Rufe: „Bakſchiſch! Bakſchiſch! Abuna, Bakſchiſch!“ verfolgten. Als wir ein paar Stunden darauf auf einer Bergmatte außer einem kleinen Dorfe an einem Brunnen Mittag hielten, kamen die Dorf- bewohner groß und klein heraus, und ſchauten ſtill und verwunderlich unſerem Treiben zu. Und nun ging der Ritt durch die Ebene Dothain unter Be- thulien an einigen Räuberdörfern vorbei, zuletzt durch eine enge Thalſchlucht nach dem ſchön gelegenen, von einem friſch rinnenden klaren Bächlein durch- rauſchten Städtchen Dſchenin (Ginea), deſſen Pal- men uns von weitem ſchon entgegennickten. Da fanden wir neben einem türkiſchen Friedhofe eine ganze Gezeltenſtadt – nämlich nicht nur unſere Gezelte, die bereits aufgerichtet daſtanden, ſondern auch noch die Gezelte von zwei anderen Karawanen, und verbrachten diesmal unter denſelben eine recht angenehme ruhige Nacht. 39 Und nun waren wir in dem einſtigen Paradieſe Syriens, in der ſchönen, theilweiſe auch ziemlich gut bebauten, blutgetränkten Ebene Esdrelon, die von dem langgeſtreckten Karmelgebirge, ſowie von den Bergen Gilboas und dem Tabor und kleinen Hermon begrenzt wird. Die Ortſchaften Esdrelon oder Jezrahel und Sunam, die Heimat der Abiſai und der Sunamitin, durch die unſer Weg ging, ſind höchſt elende Dörfer; noch unbedeutender aber Naim, das einſtige Städtchen, berühmt durch die Erweckung des Jünglings. An der Stelle des Stadt- thores, bei welchem das Wunder der Todtenerweckung ſtatt hatte, ſieht man nichts als einen Trümmer- haufen, der ſelbſt die Kirche, die da einmal geſtan- den, nimmer erkennen läßt. Wir lagerten uns gleich neben dieſer Stelle zu unſerem kalten Mittagmahle – und nach demſelben ging's zuerſt durch die Ebene zurück, dann auf einem recht ſchwer paſſirbaren Weg, auf dem der Ritt oft recht gefährlich war. Kaum hatten wir die Berghöhe überſchritten, da rief unſer Dragoman: „Nazareth!“ und: „Naza- reth! Nazareth!“ erſcholl's nun von Mann zu Mann. Wir entblößten unſere Häupter, denn das recht lieblich gelegene Städtchen, in dem Jeſus, un- ſer lieber Herr, aufgewachſen und den größten Theil ſeines Lebens zugebracht hat, lag vor unſeren Blicken. Es war erſt hoch am Nachmittage, als wir in dasſelbe einzogen, und wie in allen andern Hoſpi- zien der ehrwürdigen PP. Franziskaner, ſo auch hier recht gaſtlichen Empfang fanden. Daß wir noch an demſelben Tage die ſchöne Kirche mit der Grotte, die die Inſchrift trägt: Verbum caro hic factum 40 est! (Hier iſt das Wort Fleiſch geworden!), das Kirchlein, das an der Stelle der Werkſtätte des Nährvaters Joſef ſteht, deſſen Altar die ſchöne In- ſchrift hat: Hic erat subditus illis! (Hier war er ihnen unterthan!) und das Kirchlein: Mensa. Christi (Tiſch Chriſti), in welchem ein großer Stein ſich be- findet, an dem Jeſus mit ſeinen Jüngern nicht ſel- ten ſein Mahl gehalten, ſowie den Marienbrunnen, d. i. den Brunnen, bei welchem Maria täglich Waſ- ſer geholt, und an dem auch jetzt noch fortan Mäd- chen ihre großen Waſſerkrüge füllen und in recht kunſtvoller Weiſe – den Krug ſchräg auf den Kopf geſtellt – von dannen tragen, beſuchten, ver- ſteht ſich von ſelbſt. Unſern Führer machte hier ein junger deutſcher Franziskaner, der gute Tiroler P. Lukas, der gewaltig Heimweh hat nach ſeinen wald- bewachſenen Bergen. Der folgende Tag war zu einem Ausfluge auf den Tabor beſtimmt. Da nach der uns zugemeſſe- nen Zeit am Orte der Verklärung nur 2 Prieſter die heil. Meſſe leſen konnten, und man eine freie Wahl hiefür nicht treffen wollte, beſchloß man den Entſcheid durch das Los zu machen, und dasſelbe fiel auf Dr. Scholz und auf mich. Und ſo brachte ich denn am Freitage nach Oſtern das heil. Opfer an jener Stelle dar, wo Jeſus ſeinen Jüngern in ſeiner Herrlichkeit ſich zeigte, wo einſt Moſes und Elias ſtanden, wo Petrus begeiſtert ausrief: „Herr, hier iſt gut ſein für uns!“ und wo der himmliſche Vater ſelbſt bezeugte: „Dieſer iſt mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, dieſen ſollet ihr hören!“ – Es iſt das ein herrlicher Berg, der Berg Tabor – herrlich nach ſeiner Form, die 41 einen ſchönen Kegel bildet; herrlich, weil er vom Fuße bis zum Gipfel mit Gras, Blümlein, Ge- ſträuch und Bäumen bewachſen iſt; herrlich wegen der weiten ſchönen Fernſicht, die er bietet, und die weit über das galiläiſche Meer hinaus und bis zum Mittelmeere ſich erſtreckt; und ein herrlicher Tag war's, da wir auf demſelben lagerten. Von Naza- reth bis an den Fuß des Berges reitet man be- quem in 2 Stunden, von da ab in einer Stunde bis auf die Höhe, auf welcher ein neugebautes griechiſches Kloſter und viel, viel Schutt und Ruinen von zu verſchiedenen Zeiten dageſtandenen und zer- ſtörten Kirchen und Kloſtergebäuden ſich finden. Nach der heiligen Meſſe, die auf einem von Na- zareth mitgebrachten Tragaltare in einer überwölbten Höhle geleſen wurde, die noch ein Ueberbleibſel einer einſt hier geſtandenen Kirche iſt, nahmen wir unter den Ruinen liegend, unſer einfaches Mahl ein – und zogen dann auf dem Wege, auf dem wir ge- kommen, nach Nazareth zurück. VII. Freitag Abends beſuchten wir noch einmal die liebliche Verkündigungsgrotte zu Nazareth und am folgenden Tage den 23. ſetzten wir unſern Ritt weiter fort dem Mittelmeere zu. Der Weg geht anfangs wie im heil. Lande überall, über recht ſtei- nichte Berge, dann bei einigen einzelnen Gehöften vorbei durch eine ziemlich gut bebaute Gegend, dem weſtlichen Ende der Ebene Esdrelon. In etwa fünf Stunden ſahen wir ſchon recht nahe vor uns das 42 Meer, und dabei St. Jean d'Acre, das wir aber rechts abſeits ließen. Bei einem kleinen Dorfe, das links auf einem Berge lag, mahnte uns unſer Dragoman nicht zu weit auseinander zu reiten, denn die Dorfbewohner ſeien Druſen. Nach einem Ritt von etwa 6 Stunden erreichten wir Kaifa, wo wir bei der Agentur des öſterreichiſchen Lloyd unſer Gepäck einſetzten; denn Montag mit Früheſtem ſollte dort das Schiff eintreffen, das uns über Smyrna heimbringen ſollte in unſer Land – wir aber zo- gen fröhlich zum Kloſter auf dem Karmel, wo wir die Nacht und den Sonntag hinbringen wollten. Die ehrwürdigen PP. Karmeliter nahmen uns nicht minder gaſtlich auf, als überall im heil. Lande die guten PP. Franziskaner – und wir fühlten uns bei ihnen um ſo wohler, weil wir nun die größten Strapazen der Reiſe überſtanden zu haben vermein- ten. Sonntag Abends hielten wir mit lauretaniſcher Litanei, Te Deum und Segen im Vereine mit den guten Vätern vom Karmel eine feierliche Dankan- dacht für Gottes Huld und Gottes Schutz auf unſerer Pilgerſchaft im heil. Lande und gingen hierauf wieder nach Kaifa, wo wir in einer recht elenden jüdiſchen Lokanda, der eine auf einer Bank, der andere auf dem Boden liegend, der dritte an einen Tiſch gelehnt, der vierte unter dem Tiſche ge- lagert, unter zeitweilig ertönendem, ohrenzerreißenden Gellen eines arabiſchen Jungen auf die Ankunft des Schiffes warteten die lange, lange Nacht durch. Doch das Schiff kam nicht; vielmehr wurde uns am Mor- gen vom Agenten des Lloyd der leidige Troſt, daß wir, da das Schiff vor dem folgenden Abend ſicher nicht kommen werde, ganz ruhig wieder auf den 43 Karmel zurückgehen können, was wir auch thaten. „Est vestra domus!“ (Es iſt das euer Haus!) ſagte wohlwollend ein Pater, da wir uns wegen des Wiederkommens entſchuldigten; und wir waren im Kloſter allerdings aufgehoben wie zu Hauſe. Die kommende Nacht brachten wir wieder des Schif- fes harrend, in derſelben Lokanda zu Kaifa wo möglich noch ſchlechter, als die vorige zu; ich wenig- ſtens meinte, es ſei gar nicht der Mühe werth, ſich ein Plätzchen zur Ruhe zu ſuchen, da das Schiff ohnedies jeden Augenblick eintreffen könne, und lehnte blos den Kopf nachläſſig auf einen Tiſch auf. Da ich nicht ſchlief, vernahm ich, wie etwas nach Mitternacht einer von den Barkenführern, die, weil ſie uns zum Schiffe zuführen ſollten, da zech- ten und ſpielten, und der vermuthlich etwas geſehen oder gehört haben mochte, ſagte: „Adesso e pas- sato!“ („Jetzt iſt es vorüber!“) worauf die Barken- führer auch ihr Licht auslöſchten und gingen. Daß das Schiff vorübergefahren ſein ſollte, wollte zwar Niemand glauben, ja auch der Lloyd-Agent behaup- tete des Morgens, das Schiff könne noch immer kommen. Allein der Mitternächtige hatte nur allzu- wahr geredet. Das Schiff war, und zwar, wie wir ſpäter in Smyrna hörten, wegen der großen Menge der zu Jaffa aufgeladenen Paſſagiere, wirklich ohne in Kaifa anzuhalten, weitergefahren. Was war nun zu thun? Gaſthäuſer gibt es in Kaifa nicht; ins ſchismatiſch-griechiſche Hoſpiz, wo Manche zukehren, wollten wir nicht gehen; auch bei den Anhängern des Chriſtoph Hoffmann, eine Art religiöſer Schwär- mer aus Württemberg, die ſich den neuen Tempel nennen, und hier (wie in Jaffa) ſich anbauen mit 44 dem ſonſt lobenswerthen Beſtreben, von hier aus das heil. Land zu kultiviren, – ſonſt liebe gefäl- lige Leute, doch alle mit einem Zuge von Wehmuth oder vielleicht beſſer von getäuſchter Hoffnung – konnte unſeres Bleibens nicht ſein; – und ſo zogen wir denn zum dritten Male auf den Kar- mel. Wegen der zwei ſchlafloſen Nächte und da es uns ſchwer ankam, den gaſtlichen Vätern, bei denen indeß ſchon wieder andere Pilger zuſprachen, immer wieder zur Laſt fallen zu müſſen, und da wir nicht wußten, wann und wie wir nun von hier fortkommen werden, war die Stimmung allgemein eine gedrückte; ja als wir dieſen Tag hinausgingen zur Eliasquelle, wo ſich noch Ruinen vom älteſten Karmelkloſter finden, ergriff den rieſig großen pol- niſchen Pfarrer ein ſo gewaltiges Heimweh, daß er in vollem Ernſte ſagte: „Wenn das Schiff morgen nicht ankommt, ſo werde ich in zwei Tagen ſterben!“ Doch der gute Mann ſollte nicht ſterben im frem- den Lande! Den 27. Nachmittags kam uns die Nachricht, daß in Kaifa ein Telegramm eingelaufen des Inhaltes, daß mit kommendem Morgen von Beirut ein Schiff dort eintreffen und uns nach Alexandrien bringen werde – und obſchon dem Niemand recht trauen wollte, da wir dieſer Tage ſchon einmal durch ein übelverſtandenes Telegramm getäuſcht worden waren, ſo war es diesmal denn doch ſo. Morgens den 29. April kam von Beirut der Lloyddampfer „Diana“, der uns alle an Bord nahm, und noch ſelben Tag nach Jaffa brachte, wo der ganze folgende Tag mit Aus- und Einladungen hinging, und mit der Aufnahme von griechiſchen und armeniſchen Pilgern, deren hier nicht weniger 45 als 800 einſtiegen, ſo daß es in allen Schiffsräu- men von Männern, Weibern und Kindern wuſelte; ja in der Nacht wurde die Zahl der Paſſagiere noch um einen vermehrt, da ein griechiſches Pilgerweib auf dem Schiffe eines friſchen Knäbleins genas. Sonntag den 1. Mai (es war ein prächtiger Son- nentag) erinnerten wir uns in Wehmuth des feier- lichen Anfanges der Maiandacht in ſo vielen Kir- chen der weiten katholiſchen Welt und auch unſerer Heimat – wir aber lagen den ganzen Tag hindurch müßig an der neuen Hafenſtadt Port-Said (wo der Nachtrab unſerer Karavane ſchon vor einigen Wo- chen bei ſchlechter Bedienung für hohes Geld drei Tage durch ſich gelangweilt hatte) und ſchauten dem Ausladen einer Unzahl von Kühen zu, die aus Cy- pern kamen und dem Einladen von Baumwollballen und Gewürzen, die ein Schiff durch den Kanal aus Indien gebracht hatte, und erſt am 2. Nachmittags ſagten wir der Stadt Lebewohl – und zwar, wie wir alle wünſchten, auf Nimmerwiederſehen! Am 3. mit Früheſtem ſahen wir bereits Alexandrien und liefen auch bald dort im geräumigen Hafen ein. Da der Lloyodampfer „Venus“, der uns von hier direkt nach Smyrna bringen ſollte, erſt gegen Abend ab- fuhr, ſtiegen die meiſten aus, und ich hatte nun Zeit, mir die Stadt viel beſſer zu beſehen, als da ich das erſte Mal da war – und war es, daß ich jetzt über den alten morgenländiſchen Bazar weiter hinauskam in die ſchöneren Stadttheile, oder war es, daß ich an den morgenländiſchen Lärm und morgen- ländiſchen Schmutz und an die morgenländiſchen Nacktheiten und Vermummungen mich ſchon mehr gewöhnt hatte – kurz die Stadt machte jetzt einen 46 viel beſſeren Eindruck auf mich, als damals; und da wir gar bald da und wieder dort Deutſche fan- den, die uns anſprachen, und an uns ſich anſchloſ- ſen, da fiengs an, in Alexandrien uns anzuhei- meln, und es ſchien uns, als ſeien wir da, in der Stadt des Origenes und Athanaſius, des Cyrillus und Klemens, dem deutſchen Vaterlande ſchon ganz nahe. Nur mit ſeinen ſogenannten Sehenswürdigkeiten darf ſich Alexandrien nicht brüſten. P. Meinrad Strauß, ein weltläufiger Franziskaner aus Sig- maringen, der dort an der ſchönen neuen Katha- rinenkirche angeſtellt iſt, machte ſich anheiſchig, uns dieſelben zu weiſen. Da er uns aber die Nadel der Kleopatra gezeigt, die in einer Umgebung ſteht, die derſelben würdig iſt, nämlich in einem winklich- ten ſchmutzigen Kaſernenhofe, trug die zweite Sehens- würdigkeit der Stadt, die Pompejusſäule, zu beſich- tigen Niemand mehr Verlangen, ſondern wir zogen es vor, in einem deutſchen Gaſtlokale mit einigen Krügeln Wiener Bieres (wovon nebenbei bemerkt, die Halbe einen Franken, d. i. 40 Kreuzer gutes Silber koſtet) uns zu laben. Bald nach 4 Uhr fuhren wir vom Hafen aus, und befanden uns, als die Sonne in's Meer ſich ſenkte, bereits weit vom Lande auf hoher See. Die kommenden Tage hatten wir eine prächtige Fahrt. Nachdem wir bei ſpiegelglatter See ſeit mehr als 24 Stunden nichts geſehen als Himmel und Waſſer, kam uns in nebelhafter Ferne die Inſel Karpathos (Skarpanto) in Sicht. Als wir wieder früh morgens aufſtanden, gewahrten wir Rhodus bereits hinter uns, und hatten uns zur Rechten 47 die öſtlichen Sporaden und die Landzunge, die zwi- ſchen dem Golf von Symi und dem von Kos (Dſchowa) liegt (das Vorgebirge Kniſos der Alten) bald waren wir an der etwas bewaldeten und ziem- lich gut bebauten Inſel Kos und gegen Mittag an Patmos, deſſen Hauptort auf einer Berghöhe alles überragend, eine ſehr bedeutende Stadt mit einem großen Kaſtelle, theilweis in Ruinen liegt. Nicht hoch über dem Meere wies uns unſer freundlicher Kapitän die Höhle, wo der heil. Evangeliſt Johan- nes die geheime Offenbarung geſchrieben. Und nun ſchifften wir durch eine Unzahl von Inſeln, und hatten etwas vor Sonnenuntergang uns zur Linken den Garten des alten Griechenland, das wunder- liebliche Chios (Skio) mit ſeiner ſich aus der Zer- ſtörung wieder erhebenden Hafenſtadt und ſeinen Maſtixdörfern, wo unſer Schiff wegen Einladun- gen ein paar Stunden ſtille hielt. Wer hätte ſich da nicht der für Chios ſo verhängnißvollen Jahre 1822 und 1823 erinnern ſollen, in denen durch mörderiſche Gemetzel die Zahl der Inſelbewohner von 120.000 auf 16.000 herabſank! Ueber 100.000 kamen um im vergeblichen Kampfe um die Frei- heit! – Als wir des Morgens aufwachten, lagen wir bereits vor Smyrna. Smyrna, der Hauptort Kleinaſiens, der unter ſeinen etwa 150.000 Einwohnern, wie uns ein Geiſtlicher dort ſagte, 25000 Katholiken in zwei Pfarren zählt, und ſich vom Hafen aus wie eine mittlere, alte, deutſche Landſtadt ausnimmt, hat eine reizende Lage zwiſchen mittelhohen, mit ſpärlichem Wald bewachſenen Bergen, unter denen an einigen Seiten Cypreſſenhaine und feenhaft ſchöne Gärten 48 mit prächtigen Landhäuſern ſich hinziehen. Die Stadt ſelbſt hat einem Theile nach Häuſer von ganz europäiſcher Bauart, einen endlos großen Bazar, in dem um hohen Preis die verſchiedenartigſten Dinge feilgeboten werden, und zeichnet ſich vor den orientaliſchen Städten, die wir bisher geſehen, durch ein ziemlich erträgliches Pflaſter und größere Rein- lichkeit aus. Seit einigen Jahren geht von da in die durch Feigenbau berühmte Gegend von Epheſus und darüber hinaus eine Eiſenbahn. Von Epheſus, dem Biſchofſitze des heil. Evangeliſten Johannes, dem langjährigen Wohnſitze der heil. Jungfrau, wo einſt eine Chriſtengemeinde blühte, an die der heil. Apoſtel Paulus einen eigenen Brief ſchrieb, wo eines der ſieben Weltwunder, der prachtvolle Tempel der Diana ſtand, und wo ein allgemeines Konzil ge- halten wurde, findet ſich übrigens nichts mehr als ein Trümmerhaufen. So ſteht auch vom Amphi- theater zu Smyrna, der Marterſtätte des hl. Poly- karp, ſo wenig mehr, daß unſer Führer uns nicht einmal die Stelle desſelben anzugeben wußte. In der Kirche des heil. Polykarp, an der Franzis- kaner beſtellt ſind, und in der einige von uns die heil. Meſſe laſen, zeigte man uns am Hauptaltare eine wunderthätige Statue dieſes Heiligen, die ſonſt gewöhnlich durch einen Vorhang verdeckt iſt. Das „Celebret“ zur Meſſe fertigte uns in der erzbiſchöfl. Kanzlei ein überaus freundlicher junger Kanonikus aus mit auffallend feingeordneten Kleidern und feinen Manieren, gegen den wir mit unſern bärtigen, gebräun- ten Geſichtern und unſeren abgetragenen Röcken, wie einer aus uns treffend bemerkte, uns bereits ausnahmen wie Vagabunden. Während wir in der Kirche uns 49 befanden, wurden auch zwei feierliche Requiemämter, vermuthlich für einen Vornehmen erſt Verſtorbenen, gehalten, während welcher Viele von den anwohnen- den, leidtragenden Verwandten oder Freunden, oder was ſie waren, zur hl. Kommunion gingen, was uns recht gefallen mußte. Es war ein herrlicher Maiabend, den wir vor Smyrna verbrachten, und wie ein Märchen mußte es uns ſcheinen, als wir da zwiſchen Leuten aus allen Nationen vom Bord des Schiffes aus zu den tauſend und tauſend Lichtern der weitausgedehnten Stadt hinblickten, die im glatten See ſich ſpiegelten, und als geſangskun- dige italieniſche Schiffsleute der „Venus“ auf Bar- ken zum Lloyddampfer „Pilade“, der ebenfalls da im Hafen lag, hinfuhren, und dem Kapitän desſel- ben wegen ſeines morgen einfallenden Geburtstages ein Ständchen brachten. Doch dieſem herrlichen Abende folgte ein trauriger Tag – es war der Tag des Abſchiedes von meh- reren uns überaus lieb gewordenen Gefährten. Dr. Stamm, unſer vielbeſorgter Führer, Pfarrer Stolarézyk, der gerade, gemüthliche Pole, Kaplan Dolak und der Schweizer Rüdimann, blieben näm- lich auf der „Venus“ zurück, die ſie nach Konſtanti- nopel tragen ſollte, indeß wir, die wir nun gerade- wegs nach Trieſt kommen wollten, den 7. Morgens auf die „Pilade“ überfuhren. Nach Mittag ließen die Zurückbleibenden ſich noch einmal auf unſer Schiff überſetzen. Ob wir uns da zum letzten Male geſehen? Gott weiß es! – Um 4 Uhr fuhr die „Pilade“ aus dem Hafen von Smyrna aus, und am nächſten Morgen ging es bei der ſchönen, gut 4 5 () bebauten, theils von Griechen, theils von Katholiken bewohnten, mit vielen Ortſchaften beſetzten Inſel „Tinos“, an deren unfern dem Meere gelegenem Hauptorte die ſchöne berühmte Madonnenkirche liegt, zu der große Wallfahrten der Griechen ſtattfinden, vorbei nach Syra, wo unſer Schiff Morgens 10 Uhr ankerte – und ſo waren wir, nachdem wir zwei- mal Afrika und zweimal Aſien betreten, wieder auf europäiſchem Boden. VIII. Da wir in Syra auf den Lloyddampfer „Trebi- ſonde“, der erſt von Konſtantinopel anlangen ſollte, überſteigen mußten, hatten wir noch Zeit, uns an's Land ſetzen zu laſſen und die Stadt, eigentlich die beiden auf zweien unten verbundenen Steinkegeln liegenden Städte Syra und Hermopolis, die vom Meere aus geſehen, einen prächtigen Anblick dar- bieten, zu beſichtigen. Syra, auf dem Kegel links gelegen und größtentheils von Katholiken bewohnt, wird von der katholiſchen Domkirche gekrönt; auf der Spitze von Hermopolis, das meiſt Griechen be- wohnen, liegt ein altes Kaſtell. Gleich am Hafen und etwas hinauf hat die Stadt einige wohlgebaute, ſehr gut gepflaſterte und reinlich gehaltene Straßen und einen ſchönen Platz; weiter hinauf ſind die meiſten Häuſer, ſo ſchön ſie auch von der Ferne ſich ausnehmen, ganz unanſehnlich, und ſtehen eigent- lich an mit lockeren Steinen belegten Fußpfaden. 51 Da wir einen landeskundigen ſtämmigen Arzt, der, Grieche von Geburt, nun bei Bajaſeth an der Grenze Perſiens angeſtellt, jedoch, da er ſeinerzeit zu Würzburg ſtudirt hatte, der deutſchen Sprache ziemlich mächtig war, und uns über Land und Leute überall mannigfach Auskunft gegeben, ſchon auf der „Venus“ zurückgelaſſen hatten, irrten wir bei ſtechen- der Mittagshitze eine Zeit lang planlos in der Stadt herum und begaben uns endlich auf die bereits im Hafen angelangte „Trebiſonde“ mit dem Troſte, daß wir nun auf kein anderes Schiff mehr überſetzen, ſondern dies uns direkt nach Trieſt bringen werde. Ungefähr 5 Uhr war's, als wir aus dem Hafen aus- fuhren. Am folgenden Morgen, den 9. Mai, ſahen mir uns am Kap Matapan, das mit ſeinen da und dort hervortauchenden Ortſchaften ungemein annehm- lich ſich ausnimmt. – Es iſt ein ſchönes Land, das Land der Griechen, und ſein Unglück und der Grund ſeiner mangelhaften Bodenkultur und ſeiner fortwährenden Unruhen, wie ein mit uns fahrender Grieche vielleicht ganz richtig urtheilte, vorzüglich der, daß dort alles ſtudiren und Herr werden und Niemand Landbauer ſein will. Auf der „Trebiſonde“ bekamen wir ſeit langer Zeit wieder einmal ein Zeitungsblatt in die Hand, das einer der Mitreiſenden von Konſtantinopel nach Syra nachgeſchickt erhielt. Es war die „Frankfurter Zeitung“ vom 17. April, und wir entnahmen daraus, daß in Oeſterreich wieder ein Umſchlag ſtattgehabt, das kaum fertig gewordene Miniſterium in Gnaden entlaſſen, und der wackere Pole Potocki mit der Neubildung eines Miniſteriums beauftragt worden 4* 52 ſei. Wir freuten uns, daß Dr. Giskra und Kon- ſorten Geheimräthe geworden, da ſolche bekanntlich Niemandem zu rathen haben. Wäre es für Pilger geziemend, boshaft zu ſein, hätten wir zum Abgange des Miniſteriums ein: „Deo gratias, Alleluja. Alle- luja!“ ſingen können; ſo aber ſprachen wir blos ein andächtiges, ganz ſtilles: Requiescat in pace ! Da die Fahrt ſeit Alexandrien fortwährend eine überaus ruhige war, ſtanden wir am 10. Morgens 6 Uhr wieder vor Korfu, wo wir bis gegen Mit- tag vor Anker lagen und dann weiterſegelten gegen Trieſt hin. Bei der durch Tegetthof's Seeſieg be- rühmt gewordenen Inſel Liſſa, die einige Befeſti- gungen hat, gab unſer Schiff durch Zuſammenſtel- lung mehrerer Fahnen ein telegraphiſches Zeichen, das von der Inſel aus erwiedert wurde. Erſt am Abende des 11. und die Nacht durch war das Meer wieder etwas unruhig geworden. Am 12. Morgens 6 Uhr liefen wir im Hafen von Trieſt ein, und eine Stunde ſpäter ſtiegen wir – 7 von den 30 Gliedern der Karawane, die wir vor zwei Monaten aus dieſem Hafen ausgefahren waren – dankerfüllt an's Land. Das Vaterland kam uns nun um ſo ſchöner vor, da die Gegend von Trieſt eben im lieblichſten Frühlingsſchmucke prangte. Schon auf der „Trebiſonde“ hatten wir von den herbeigeeilten Barkenführern vernommen, daß auch das Poſtſchiff von Alexandrien eine überaus günſtige Fahrt gehabt, und nach dem aus Liſſa eingelaufenen Telegramme dieſe Inſel bereits paſſirt habe und noch dieſen Vormittag anlangen müſſe, was auch wirklich 53 der Fall war. Das Schiff, das uns die in Alexan- drien zurückgebliebenen Gefährten brachte, hatte bei ſeiner Einfahrt in Korfu uns noch ausfahren ge- ſehen. Denſelben Tag noch beſtiegen wir Abends die Bahn, die uns über Nacht der Heimat zuführte, wo wir um ſo freudigere Aufnahme fanden, da man dort ſchon lange Zeit durch nichts mehr von uns gehört hatte. Herr Kanonikus Weingraber und Kaplan Maurer waren in Korfu auf ein italieniſches Schiff über- geſtiegen, und ihrem Vorhaben gemäß mit demſel- ben nach Brindiſi gefahren, von wo aus ſie Neapel, Rom und Loretto beſuchten, ſo daß ſie erſt am 9. Juni zu Hauſe anlangten. Von den vorausge- zogenen und zurückgebliebenen Gefährten vernahmen wir bisher nur wenig. So haben wir denn unſere Pilgerfahrt ohne be- deutenden Unfall glücklich vollendet, und es erüb- rigt nun, daß wir noch öffentlich unſern Dank aus- ſprechen dem hochwürdigen General-Komiſſariate des heiligen Landes zu Wien für die Veranſtaltung die- ſer Wallfahrt, ohne welche wohl kaum einer aus uns je das Glück gehabt hätte, den Boden des heil. Landes und die heiligen Stätten zu betreten. Unſern Dank ferner auch allen denen, die im frem- den Lande uns Freundlichkeit und Liebe erwieſen, namentlich den beiden hochwürdigen Herren Rektoren des öſterreichiſchen Pilgerhoſpizes, dem k. u. k. Mi- niſterialrathe und Konſulatsgerenten Grafen Caboga, ſowie den deutſchen Franziskanern P. Heribert Witſch, P. Petrus Szola, und Fr. Korbinian zu 54 Jeruſalem, und ebenſo den PP. Franziskanern zu Jaffa, Ramla, Betlehem, St. Johann und Naza- reth und den wohlerwürdigen Vätern auf dem Berge Karmel, die uns überall in zarteſter Zuvorkommen- heit empfangen, beherbergt und bewirthet haben, und ohne deren Gaſtfreundlichkeit zur Zeit noch eine Reiſe im heil. Lande nur mit überaus großen, den mehreren Pilgern unerſchwinglichen Koſten und unter den größten Unbequemlichkeiten und Entbehrungen ſtatthaben könnte. Wolle Gott der Herr all' die viele Liebe, die ſie uns Fremdlingen angedeihen ließen mit ſeinem reichlichſten Segen lohnen! Dank, aufrichtigſten Dank auch dem hochw. Hr. Dr. Chri- ſtian Stamm, der uns – den Vortrab der öſter- reichiſchen Pilgerkarawane – die wir auf der ganzen Reiſe wenige Tage nur mit dem zu Wien gewählten Präſes der Karawane beiſammen waren, bei ſeinen gründlichen Sprachkenntniſſen überall ein- geführt, alle Verträge für uns abgeſchloſſen und überhaupt mit bewundernswerther Unverdroſſenheit in opferwilligſter und uneigennützigſter Weiſe die ganze Sorge für die Karawane, von welchen die mei- ſten keiner fremden Sprache mächtig waren, auf ſich genommen. Mögen auch Berge und Thäler uns trennen und Jahr um Jahr hinſchwinden im Laufe unſeres Lebens: nie wird die Erinnerung an ſeine aufopfernde Liebe unſeren Herzen entſchwinden. – Dank ferner allen den Lieben in der Heimat, die, während die Verhältniſſe und die Verfaſſung auf der Reiſe manchen Tag uns nur wenig zu beten geſtatteten, nicht aufgehört haben, um günſtigen Fort- gang unſerer Wallfahrt zum Himmel zu flehen. 55 t) Dank aber, herzinnigen Dank vor allem dem lieben Gott, der durch alle die mannichfachen Ge- fahren, denen wir ausgeſetzt geweſen zu Waſſer und zu Land auf fremder Erde und unter fremdem Volke glücklich uns hindurch geführt. „Seinen Engeln hat er deinetwegen befohlen, dich zu behüten auf allen deinen Wegen“, das war unſer Troſt und unſere Hoffnung, die wir ausge- ſprochen bei unſerem Fortziehen in der Reiſemeſſe und in den kirchlichen Reiſegebeten – und unſere Hoffnung hat ſich erfüllet. Befiehl nun deinen Engeln, o lieber Gott, daß ſie uns fortan behüten auf der Wallfahrt, die wir noch zu vollenden haben durch dieſes Erdenleben, und wir ſo alle einmal glücklich und ſicher zu Dir gelangen in's himmliſche Jeruſalem! – - - - - - - - ATVÄTERTA Gebunden bei KRAUSS -cars r ital -