NATIONALBBLOTHEK
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Österreichische Nationalbibliothek
+Z227668206
Reiſe in den Brient Europa's
und einen Cheil Weſtaſiens.
Reiſe
in den Orient Europas
und einen Theil Weſtaſien's,
zur Unterſuchung des Bodens und ſeiner Producte, des Klima's,
der Salubritäts-Verhältniſſe und vorherrſchenden Krankheiten.
Mit
Beiträgen zur Geschichte, Charakteristik und Politik der Bewohner.
Von
E. W. Wutzer,
kgl. Geheimen Ober-Medicinal-Rathe,
ord. Profeſſor an der Univerſität zu Bonn c.
Zweiter Band.
Mit einer Steindruck-Tafel.
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Elberfeld,
Druck und Verlag der Bädeker'ſchen Buch- und Kunſthandlung.
(3. Martini & Grüttefien.)
1861.
| 07563 – B
Inhalt.
Zweiter Band.
XI.
Reiſe auf dem ſchwarzen Meere. – Einfahrt in den Bospo-
rus. – Blick auf die Küſten des Pontus und die Krim. – Klima
und Bodenerzeugniſſe. – Bewohner. – Verhältniſſe des ſchwarzen Meeres
XII.
Conſtantinopel. Erſter Eintritt. – Ueberblick der Stadt im
Allgemeinen. – Bevölkerung. – Türkiſche Bäder und Waſſerleitungen.
– Der At-Meidan. – Moſcheen und chriſtliche Kirchen. – Tanzende
Derwiſche. – Freitags-Andacht des Sultans. – Die Mauern und Thore
von Conſtantinopel. – Juden - Viertel. – Fanar. – Der Thurm zu
Galata und der des Seraskiers. – Das alte und das neue Serail. –
Die Bazars und Beſeſtan's. – Pera und Galata. – Die Medicinal-
Schule. – Die Barken und ihre Führer. – Die Hunde. – Der Bos-
porus, ſeine Ufer und Dörfer. – Böjükdere. – Der Rieſenberg. –
Das Genueſer - Schloß. – Belgrad und die Waſſerleitungen. – Kadi-
Köi. – Scutari. – Der Bulgurlu. – Der Cypreſſenhain. – Geogra-
phiſche Lage und Klima . . . « s • • • • • • • • • •
XIll.
Das Marmara-Meer und die Prinzen-Inſeln. – Nicomedien
und ſein Golf. – Der Gök - dagh. – Nicäa. – Jeniſchehr. – Bruſſa
und ſeine Ebene. – Ruinen des alten Schloſſes. – Seidenfabrikation.
– Das Erdbeben von 1855 und ſeine Folgen. – Die Stadt und ihre
Bewohner. – Volkszahl. – Grabmäler der Gründer der osmaniſchen
Dynaſtie. – Waſſerleitung. – Weinerzeugung – Moſcheen. – Be-
ſchneidungs-Feierlichkeit. – Warme Bäder von Bruſſa und Tſchekirghe.
– Analyſe der Mineralwaſſer. – Klima und geographiſche Lage. –
Asklepiades von Bithynien. – Der bithyniſche Olymp. - - Einwohner-
zahl der in Weſtaſien durchreiſten Provinzen. – Der Boden der Ebene
und ſeine Cultur. – Die Vegetation. – Ein in der Ebene durch Erd-
beben zerſtörtes Dorf. – Ritt nach Gemlik. – Das Katerlü-Gebirge. –
Die durch Feuersbrunſt in Aſche gelegte Stadt. – Rückkehr nach Con-
ſtantinopel. « « • • • • • • • • •
d « - e- * * *
Seite
17
112
XIW.
Gewächſe, welche entweder hervorragenden Einfluß auf die Ve-
getationsanſichten üben, oder die von den Einwohnern vorzugsweiſe cul-
tivirt werden. – Beiträge zur herbſtlichen Flora . e
XW.
Rückreiſe von Conſtantinopel nach Marſeille, und über Paris in
die Heimath. – Gallipoli. – Die Dardanellen. – Piräus. – Coron. –
Modon und Navarin. – Meſſina. – Die lipariſchen Inſeln. – Cor-
ſica. – Der Hafen von Marſeille . . . . . . . - * 8 e.
XWI.
Zur Geſchichte und Charakteriſtik der Osmanen. – Ehedem
und jetzt. – Urväter der Osmanen. – Turkomanen. – Seldſchuken. –
Kara Osman und Orchan, die Stifter der jetzt regierenden Dynaſtie. –
Eroberungen in Aſien. – Eindringen in Europa. – Interregnum durch
die Gefangennehmung Bajazid's. – Einnahme von Conſtantinopel. –
Charakterzüge der heutigen Osmanen. – Toleranz. – Religiöſer Cul-
tus. – Familien- Leben. – Raçe und ihre Veredlung. – Abnahme
der türkiſchen Bevölkerung und ihre Urſachen. – Türkiſche Frauen. –
Aberglaube. – Fanatismus. – Indolenz. – Ausdauernde Tapferkeit
bei richtiger Führung. – Schickſals-Glaube. – Heerweſen. – Marine.
– Nationale Sorgloſigkeit. – Pulver-Erploſion. – Häufige Feuers-
brünſte. – Volks- Medicin. – Literatur. – Regierungs-Formen. –
Hatti-Hümayun. – Municipalweſen 0 0 - &
YWII.
Zur Geſchichte und Charakteriſtik der Griechen. – Vermiſchung
der Raçen. – Urſachen des Steigens und Sinkens der Völker. – Blick
auf die Geſchichte des oſtrömiſchen Reiches von Conſtantin I. bis zu
ſeinem Sturze. – Politiſche Wichtigkeit der Lage von Byzanz. – Ur-
ſachen der Verlegung des römiſchen Herrſcherſitzes nach Oſten. – Erhe-
bung des Chriſtenthums. – Angriffe der Barbaren ſeit 378 n. Chr. –
Weſtgothen in Attika und Illyrien. – Gräuel in den Kaiſer-Familien
von Byzanz. – Erſchlaffung und Entſittlichung des griechiſchen Volkes. –
Kreuzzüge. – Kampf der Lateiner mit den Griechen. – Einnahme von
Conſtantinopel durch die Franken, 1204. – Religions-Streitigkeiten. –
Verſuche zur Vereinigung der griechiſchen mit der lateiniſchen Kirche. –
Conſtantin XII., der Paläologe. – Einnahme von Conſtantinopel, 1453.
– Charakteriſtik der osmaniſchen Griechen. – Ihre phyſiſchen Eigen-
ſchaften in der gegenwärtigen Zeit. – Moraliſche Seite. – Ihre Be-
ſchäftigungen. – Unduldſamkeit. – Bilderverehrung in den Kirchen .
XWIII,
Zur Geſchichte und Charakteriſtik der Armenier. – Blick auf
die früheſte Geſchichte. – Vaghaſchabad. – Edſchmiadzin. – König
205
222
238
299
Tiridates. – Sein Uebergang zum Chriſtenthum während der Verfol-
gung dieſes unter Diocletian. – Ruinen von Ani. – Unterjochung
durch Perſer, Römer, Türken und Ruſſen. – Arianiſcher Religions-
Cultus. – Intellectuelle Erhebung des Volkes. – Mechithariſten. –
Buchdruckereien. – Ueberwiegender Handelsgeiſt. – Reichthümer. –
Dichtkunſt und Muſik. – Talent für Baukunſt. – Gaſtmähler. – Volks-
medicin. – Bäder. – Armeniſche Sprache. – Phyſiſche Eigenſchaften.
– Kleidung. – Frauen. – Patriarchaliſche Zuſtände der Landleute. –
Volkszahl. – Urtheil über die politiſche Befähigung der Armenier .
MIM.
Zur Geſchichte und Charakteriſtik der Bulgaren. – Umfang
und Bevölkerung Bulgariens. – Bodencultur. – Geſchichte. – Krie-
geriſche Züge. – Unterjochung. – Körperliche Eigenſchaften. – Mo-
raliſche Stellung. – Sittenreinheit. – Kirchliche Unbilden. – Unter-
drückung bulgariſcher Literatur. – Vergleichung mit den Nachbarvölkern
zum Vortheile der Bulgaren . . . . . . « - e « - - -
XY.
Zur Charakteriſtik der Tartaren. – Körperliche Eigenſchaften.
Fortgeſetztes Hirtenleben. – Widerwille gegen Schulunterricht und jede
Neuerung. – Frauen. – Kleidung. – Wohnungen. – Handelsbetrieb.
– Moraliſches Leben. – Hunde. – Karaitiſche Juden
XX.
Politiſche Schluß-Betrachtungen . . . . . . .
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XI.
Reiſe auf dem ſchwarzen Meere. – Einfahrt in den Bosporus. –
Blick auf die Küſten des Pontus und die Krim. – Klima und
Bodenerzeugniſſe. – Bewohner. – Verhältniſſe des ſchwarzen Meeres.
„Und in dies Grab ſo weltengroß, „Endloſe Waſſerwüſte
In dieſe Fremde ſo hoffnungslos, Wagt ſich von blumiger, nährenden Küſte,
In dieſe verderbenſchwere, Verlaſſend das ſichere Haus,
Erbarmenleere, Voll Zuverſicht, ohne Wanken,
In dieſe Alles bezwingende, Das kleine Weſen hinaus
Alles verſchlingende,“ Mit ſeinem Gedanken!“
A. Glasbrenner, der neue Reineke Fuchs.
39. Kapitel.
Die traurigen Bilder der Sulina-Barre lagen hinter uns;
ein friſcher Nordwind trieb uns dem Ziele raſcher entgegen, die
Ufer der Dobrudſcha und Bulgariens erſchienen uns bald als
graue Nebelſtreifen am weſtlichen Horizonte. Eine kräftige Sonne
beleuchtete die klare Atmosphäre noch mehrere Nachmittagsſtunden
hindurch; dann aber ſetzte ſich der Wind nach Nordweſt um, die
See ging hohl und rollte mächtige Wellen; es wurde früh dunkel.
In der Nacht wandelte ſich der Wind in einen Nordweſt-Sturm
mit maſſenhaftem Regen um; es gelang mir ſchwer, das kleine
runde Fenſter meiner Kajüte in der Dunkelheit feſt zu verſchließen,
das ſtrömende Naß benutzte meine Unbehülflichkeit und verſetzte mich
bald in eine unangenehme feuchte Lage. Nächſtdem führte das
heftige Werfen des Schiffes die Seekrankheit herbei und als die
Perſia auf der Rhede von Varna die Anker fallen ließ, ver-
mochte ich mich noch ſchwer zu entſchließen, die ſchon bekannte Stadt
vom Verdecke aus nochmals zu begrüßen. Weniger noch war dies
vor Burg as thunlich, wo das Schiff zum zweiten Male anhielt;
die finſtere Nacht würde außerdem den gewünſchten Anblick von
Burgas unmöglich gemacht haben. Der von Alters her übel be-
rüchtigte Pontus hatte alſo nicht ermangelt, auch mich ſeine Tücke
1
– 2 –
empfinden zu laſſen; der ſolide Bau der Perſia hatte indeſſen wei-
teren Nachtheilen genügend vorgebeugt. – Erſt am Morgen beruhigte
ſich die See und zeigte ſich nach und nach auch von ihrer glänzen-
den Seite, denn ſie wurde ſpiegelglatt. Zwiſchen 8 und 9 Uhr
am Morgen des 23. September erfreute ich mich ſchon wieder,
vom Verdecke aus, des Genuſſes einer anziehenden Ueberſicht des
im Weſten verlaufenden bulgariſchen Uferſtriches. Mehrere zum
Meere herabtretende weiße Wellenlinien, von Kalk-Gebirgen herrührend,
erinnerten an das engliſche Ufer zwiſchen Dover und Haſtings.
Den Gebirgszug krönte bald der einem abgeſtumpften Kegel mit
rundlicher Spitze darſtellende Monte Babbia. Fortwährend
wechſelnde maleriſche Küſtenſtriche, hier und da hervortretende Häuſer-
Haufen, verſcheuchten bald die unangenehmen Rückerinnerungen an
die ſo eben durchwachte Nacht. Die Strahlen einer flammenden
Sonne glänzten von der Spitze Tauſender kleiner hüpfender Wellen
zurück, und ſpiegelten den Pontus in der ganzen Liebenswürdigkeit
ab, deren er überhaupt fähig iſt, – gleichſam um uns hinſichtlich
der Unbilden zu verſöhnen, die er uns in der Nacht hatte empfinden
laſſen. So auch fand Hr. v. Grimm*) das ſchwarze Meer auf
einer Fahrt von Sebaſtopol nach Conſtantinopel vollkommen ruhig
und ſpiegelglatt; während zweier Nächte hintereinander konnte er
ſich des Anblickes glänzender Sternbilder am orientaliſchen Himmel
erfreuen; – aber Grimm reiſte im Juni. – Die wechſelnden
Leiden und Freuden, wie ſie das ſchwarze Meer zu geben pflegt,
empfand dagegen Hr. Biernatzki*) in ganz ähnlicher Weiſe als ich,
beſchrieb ſie jedoch ungleich ausführlicher. – Der vielen Unfälle
hier erwähnen zu wollen, welche das ſchwarze Meer alljährlich
veranlaßt, erſcheint unnöthig; halten es doch ſelbſt die öffent-
lichen Blätter für kaum der Mühe werth, die häufigen Schiff-
brüche im Pontus noch anzuzeigen. Mit den jedem Binnenmeere
mehr oder weniger eigenen Gefahren verbinden ſich hier noch in
gewiſſen Jahreszeiten die vom Kaukaſus herabwehenden gewaltigen
Nordoſt-Stürme. Man darf indeſſen nicht verſchweigen, daß die
Gebrechlichkeit der meiſten Schiffe der Uferbewohner, namentlich aber
die unerhörte Sorgloſigkeit der türkiſchen Schiffsleute, die auch im
*) Wanderungen nach Südoſten. II. Theil. Berlin, 1856. S. 103 u. f.
*) Die Länder und Völker der Erde. Stuttgart, 1856. S. 719 u. f.
– 3 –
Sturme allein auf Allah vertrauen, hieran bedeutenden Theil haben.
Hr. v. Callot beſchreibt die Seefahrt, welche er auf einem kleinen
türkiſchen Handelsſchiffe von Varna nach Conſtantinopel machte, in
ſehr ergötzlicher Weiſe; als man ſich in der Noth des Sturmes
nicht mehr zu helfen wußte, erhob man ihn ſogar zum Befehls-
haber des Schiffes. – Die höchſt mangelhaften nautiſchen Kennt-
niſſe mußten die Fahrt im Alterthume noch viel bedenklicher machen,
daher die Schiffer, welche beabſichtigten, aus dem Bosporus hinaus
zu laufen, dies nicht wagten, ohne vorher in den an den Uſern
deſſelben hierzu vorhandenen Tempeln, zahlreiche Opfer dargebracht
zu haben, um den Zeus und den Poſeidon milder zu ſtimmen.
Die häufigen Felſen-Klippen, welche ſowohl die europäiſche als die
aſiatiſche Seite der Ufer in der Nähe der Mündung des Bosporus,
ebenſo die Ufer der Krim an vielen Orten umſtarren, fordern
auch noch heutigen Tages von dem erfahrenern Schiffer bei
unruhigem Meere beſondere Vorſicht. Die bisweilen urplötzlich
hervortretenden überwältigenden Stürme haben bekanntlich noch
während des jüngſten Orient-Krieges bei Eupatoria ein franzö-
ſiſches Linienſchiff ſcheitern gemacht. – Die gewaltigen Waſſer,
welche der Dnjeſter, der Bug, der Dniepr, der Don u. ſ. w.
dem Meere zuwälzen, nehmen ihre Richtung nach Süden gegen die
nördliche Mündung des Bosporus hin. Hier dringen ſie mit ſol-
cher Haſt ein, daß die von Norden her kommenden Schiffe dorthin
gleichſam mit Gewalt fortgeriſſen werden. So heftig iſt der Strom,
daß die Schiffe, die bei ſcharfem Nordwinde aus dem Bosporus
in das Meer vordringen wollten, oft genug zur Umkehr gezwungen
wurden. So war es ſchon zur Zeit des Argonautenzuges. – Am
heftigſten machen ſich die Strömungen längs der Weſtküſte nach
Süden zu geltend, wenn die von Norden herkommenden großen
Flüſſe im Frühlinge das Schneewaſſer herbeiführen. Selbſt die
flüchtig ſchwebeude Seemöve wagt es während eines Nordſturmes
nicht, ſich dem Meere zuzuwenden. Nur des Dampfes Macht ver-
mochte, dieſe Lage der Dinge vortheilhafter zu geſtalten, doch keines-
wegs die Gefahr völlig abzuwenden.
Als die in raſchem Laufe ſüdwärts ſteuernde Perſia ſich dem
Feſtlande genügend genähert hatte, glänzte dem begierig ſuchenden
Auge zuerſt der befeſtigte Leuchtthurm auf der aſiatiſchen Seite,
Anatoli-Fanaraki oder abgekürzt Anatoli - Fener entgegen;
1*
– 4 –
er liegt jedoch an einer dem Meere concav zugewendeten Bucht,
nach links etwas weiter vom Einfahrtspunkte entfernt, als dies nach
rechts mit dem auf der europäiſchen Seite liegenden Leuchtthurme,
Rumili-Fanaraki oder Fener, der Fall iſt. Beide liegen hoch
geuug über dem Meeresrande, um ihr Signal-Licht bei der Dunkel-
heit dem Schiffer weithin entgegen ſenden zu können. Beide ſind
dnrch Geſchütze vertheidigungsfähig gemacht. Unfern des europäiſchen
Leuchtthurmes ſahen wir das kleine Dorf Fenerköi liegen. – Schon
näherten wir uns den an der europäiſchen Seite aufſteigenden, bei den
Alten übel berüchtigten ſchwarzen Baſaltfelſen, welche von ihnen
die cyanäiſchen Felſen oder die Symplejaden genannt wurden. Von
einer bläulichen Färbung, auf welche die Benennung der Cyanäen
hindeutet, war heute wenigſtens nichts ſichtbar. Aus der Ferne
geſehen, ſchienen ſie mit dem europäiſchen Feſtlande vereinigt zu
ſein; nach Maßgabe unſerer Annäherung löſten ſie ſich jedoch immer
mehr und mehr von dieſem ab. An ihnen vorüberfahrend, konn-
ten wir ſogar zwiſchen den einzelnen hindurch ſchauen. Selbſt bei
ſtillem Meere brachen ſich die Wellen an ihren Füßen in heftigſter
Brandung. Es wurde uns klar, daß ſchwache Barken von unſicheren
Händen gelenkt, wohl durch den Wirbel des Waſſers gegen die Fel-
ſen angezogen werden konnten, von welchen man fabelte, daß ſie
über den in ihren Bereich gerathenen Schiffer zuſammenſchlügen,
um ihn zu erdroſſeln. So wurde ihre Tücke von den Argonauten
gefürchtet. Wir konnten ſie nicht, wie einſt Großfürſt Conſtantin
und v. Grimm, durch heitere Muſik begrüßen; deſto mehr wurde
der ernſte Blick ſtets wieder von Neuem den ſtarren Maſſen zuge-
wendet, die hier ſeit Jahrtauſenden einer im Sturme ſo übermäch-
tigen Brandung trotzen. Heitere Bilder in großer Zahl verdrängten
indeſſen die hieran ſich knüpfenden Betrachtungen, ſobald wir den
Eingang um das europäiſche Vorgebirge herum, welches die Griechen
Panium nannten, in den Bosporus, hinter uns hatten.
Das Klima des ſchwarzen Meeres und der an daſſelbe grän-
zenden Länder iſt es aber, von dem hier noch einige nähere Notizen
gegeben werden ſollen. – Der häufige Wechſel dieſes Klima's ſteht
aus alten Zeiten her hiſtoriſch feſt, und hat ſich auch neuerdings
wieder, während des Orientkrieges, genugſam fühlbar gemacht. Ein
junger franzöſiſcher Marine-Offizier*) ſagt gleichfalls: „En Crimée
*) Gazette des höpitaux de Paris. Feuilleton. 1856. Nro. 45.
– 5 –
les changements de temperature sont d'une brusquerie sans
égale.“ Am 27. März 1856 trat in der Bai von Kamieſch
Schnee und Froſt ein, nachdem Tages zuvor Frühlingswetter ge-
weſen war. Am 7. April ſchrieb Marſchall Peliſſier, daß der
Frühling nun anzulangen ſcheine. Die Alles einhüllenden Staub-
wolken, welche während des trockenen Sommers zu Odeſſa und
in den ruſſiſchen Steppen durch die Luftſtrömungen aufgewirbelt
werden, beſchreibt Fürſt v. Demidoff*) als für die Einwohner
höchſt qualvoll. Alle Gegenſtände werden mit einer dichten Staub-
decke überzogen, die ganze Vegetation verdorrt, und die wohlhaben-
deren Einwohner flüchten ſich dann in den Schatten hundertjähriger
Bäume auf die Südſeite der Krim. Die Umgebungen aller an
und in der Steppe gelegener Städte ſind nackt und kahl; die zur
Verbeſſerung ihres Klima's höchſt nöthigen Baumpflanzungen wür-
den, wie in der Dobrudſcha, nur dann ausführbar werden, wenn
man vorher arteſiſche Brunnen in genügender Zahl angelegt hätte.
Gegenwärtig wird der ausgedörrte Boden dieſer Steppen alljährlich
durch den anhaltenden Regen des Herbſtes für dieſeu und einen Theil
des Winters in einen tiefen Schlammkoth verwandelt, für Menſchen
und Thiere, die das Unglück haben, ihn paſſiren zu müſſen, gleich
verderblich. Während des Krim-Krieges ſind ſchon durch dieſen
Umſtand allein von Rußland unzählige Opfer an Menſchen und
Zugvieh gefordert worden. Hier grade iſt es, wo Eiſenbahnen
den ſegensreichſten Einfluß üben würden. – Lord Raglan's Kla-
gen darüber, die er aus dem Lager vor Sebaſtopol wiederholt er-
tönen ließ, ſchweben wohl noch im Gedächtniß der meiſten Zeitungs-
leſer. Man hat ſchon früh den Pontus „das ungaſtliche Meer“
genannt, und es ſcheint in der That, daß dieſe wechſelvollen Nach-
theile ihm in höherem Grade, als anderen Binnen-Meeren, eigen
ſind. – Die Schiffer bleiben dabei, daß ihnen der Kaukaſus die
meiſten Stürme aus Oſten und Nordoſten zuſende. Andere be-
trachten dieſes Gebirge grade als eine wohlthätige Schutzmauer,
und haben bedauert, daß nicht auch die ganze Nordküſte von ihm
eingenommen werde. Wahr iſt es, daß vorzugsweiſe die an die
Nordküſte gränzenden Steppenländer den fortdauernden Wechſel der
*) Reiſe nach dem ſüdlichen Rußland. Deutſche Ueberſetzung. Breslau,
1854. I. Theil. S. 156.
– 6 –
Temperatur am meiſten empfinden laſſen. Nun iſt es bekannt, daß,
wo eiſige Kälte und ſüdliche Wärme feindlich auf einander ſtoßen,
aus dem Streben, ſich gegenſeitig auszugleichen, Stürme entſpringen.
Aus dem hohen Norden Sibiriens und den angränzenden Ländern,
ſtreicht die Luftſtrömung über unabſehbare Schnee-Gefilde, durch
keine Bodenerhebung behiudert, unaufhaltſam gegen den Pontus
hin. Dort tritt ſie in Conflict mit einer ſüdlicheren Atmosphäre;
denn an der Südküſte der Krim, z. B. in Nikita, gedeihet bereits
die Weinrebe, ſowie bei Trapezunt der Oelbaum treffliche Früchte
bringt. Dennoch beträgt die mittlere Jahres-Temperatur auf der
Südſeite des Gebirgszuges, welcher die Krim von Nordoſt nach
Südweſt durchſetzt, + 10° R., indem ſie ſich auf der Nordſeite
in Simpheropol, nur bis auf +8% ° R. erhebt. Die mitt-
lere Jahres-Temperatur von Sebaſtopol iſt nach W. Heinrich
+ 9° R., die des Januar + 1° R. ſowie des Juli + 17° R.
Im Allgemeinen iſt der Winter auf der Hochebene bei Sebaſtopol
kalt, regneriſch und ſtürmiſch, der Sommer heiß und trocken, ganz
ſo, wie es auch in den Steppen-Ebenen der Nordſeite des ſchwarzen
Meeres der Fall iſt. Indeſſen erlebten die Belagerer vor Seba-
ſtopol noch am 29. März 1856 eine Kälte von – 12° R. und am
5. April erfolgte ein dichter Schneefall. Um den Einfluß der Step-
penländer Rußlands auf die Atmosphäre des ſchwarzen Meeres
richtiger zu würdigen, mag hier erwähnt werden, daß ihre Boden-
fläche nach Brinken 21,445 CIMeilen umfaßt, die jedoch neuer-
dings von Bode*) etwa auf die Hälfte beſchränkt wird. Bode,
der dieſe Steppen in Bezug auf ihre Culturfähigkeit unterſuchte,
theilt ſie in drei große Abtheilungen, nämlich: 1) in ſolche Flächen,
in denen kein Nadelholz fortkommt; 2) wo Erziehung von Laub-
holz auf keine große Schwierigkeit ſtößt; 3) wo Holzanpflanzungen
überhaupt ſchwer zu beſiegende Hinderniſſe finden. Dergleichen
Cultur-Projekte fordern übrigens in Steppenländern ſo coloſſale
Auſtrengungen, daß ſie wohl Jahrhunderte noch fromme Wünſche
bleiben dürften. Sollten ſie jedoch jemals thatſächlich zur Wahr-
heit werden, ſo würde aus einer ſolchen Cultur nothwendig die
wohlthätigſte Veränderung im Klima des ſchwarzen Meeres hervor-
*) Petermann, geographiſche Mittheilungen. Heft 8. 1858. S. 324.
– 7 –
gehen müſſen. Möchte die ruſſiſche Regierung es vorläufig dahin
bringen, daß Eiſenwege dieſe Steppenländer nach verſchiedenen Rich-
tungen durchſchnitten, ſo dürften ſich dieſen zur Seite Anſiedelungen
gleichſam von ſelbſt erheben. Zunächſt würden wahrſcheinlich die
feſten Eisdecken des Meeres, welche im Winter oft viele Wochen,
ja ſogar vom December bis zum März feſt genug bleiben, um die
Häfen von Odeſſa und Taganrog, ſowie den Eingang zu dem
jetzt ſo hoch wichtig gewordenen Nikolajew zu verſperren, ent-
weder ſchwinden oder doch geringfügiger werden.
Der Begriff einer Steppe iſt ſo wenig allgemein bekannt,
daß er hier etwas näher feſtgeſtellt zu werden verdient, inſofern die
Steppen Süd-Rußlands und der nördlichen Krim einen höchſt we-
ſentlichen Einfluß auf das Klima der Länder des ſchwarzen Meeres
ausüben. Unter Steppe verſteht man „eine offene, weite, waldloſe,
mit hohen Kräutern bedeckte, wellenförmige Bodenfläche“. – Die
Steppen tragen 6, 8 bis 12“ hohe Kräuter, die ſich während des
feuchten Frühlings und im Vorſommer raſch bis zu jener Höhe ent-
wickeln, um unter der brennenden Sonne des hohen Sommers, und –
indem während deſſelben Regen und ſogar der nächtliche Thau,
faſt gänzlich fehlen – ebenſo ſchnell verdorren. In letzterem Zuſtande
gewähren ſie den Einwohnern das einzige Feuerungsmaterial für den
ſtrengen Winter. Die Veräſtelung der größeren Kräuter beginnt
gewöhnlich oberhalb des erſten Dritttheils der Stengel. Den da-
durch frei bleibenden Bodenraum nimmt eine niedrige Vege-
tation, meiſtens aus Gräſern beſtehend, ein. Die letzteren ver-
einigen ſich jedoch nie zu einem wirklichen Raſen, wie ihn die Wie-
ſen Mittel-Europa's weithin zeigen; noch viel weniger finden ſich
dort jemals die Matten nnſerer höheren Gebirgsthäler. – Der
Boden dieſer Steppen erhebt ſich meiſtens kaum einige Fuß über
das Meer. Einige ſeltene Hügel können nur eine Höhe bis zu
200“ erreichen. – Die Grundlage dieſes Steppenbodens bewirken
Flötzgebilde, und zwar nirgends einer älteren Zeit angehörig. Der
hier vorkommende Kalk ſchließt ſich entweder an die Kreideformation,
oder an den Steppenkalk an. Ueber dieſem erhebt ſich ein tho-
niges Alluvium, welches ſodann nach außen durch eine ſtarke Schicht
fruchtbarer, ſchwarzer Dammerde bedeckt wird. Ein ſchmaler Gra-
nitſtreifen hebt ſich an den Rändern dieſes gewaltigen Beckens hier
und da empor. Von der Meeresküſte aus dringen bisweilen breite
– 8 –
Sandſtreifen nach innen vor, wo ſie früher oder ſpäter gleichfalls
von Dammerde überzogen werden. Der ſo geſtaltete Boden zeigt
ſich im Innern wenig zerklüftet, iſt daher auch wenig geeignet, die
atmosphäriſchen Niederſchläge aufzunehmen und zu erhalten. Der
daraus hervorgehende Nachtheil ſchadet um ſo emfindlicher, als es
von Ende Mai's bis Mitte September's gar nicht zu regnen pflegt.
In manchen Jahren ſoll ſogar kein Tropfen Regen fallen. In dieſer
Hinſicht iſt es auffallend, daß ſich während des Sommers über dem
nachbarlichen ſchwarzen Meere nicht ſelten Gewitter bilden, die mit
ſtarken Regenſtrömen endigen, von denen jedoch dem ausgedörrten
Feſtlande nichts zukommt. – Die Pflanzen, welche, jener Nachtheile
ungeachtet, die Vegetation der Steppen darſtellen, kommen in der
Mehrzahl auch in Mittel-Europa vor. Hr. Prof. C. Koch*) hat
dieſe Pflanzen näher bezeichnet, und ſich um die Charakteriſirung
der Steppen ein hervorragendes Verdienſt erworben. – An der
Nord- und Nordoſtgränze dieſer weiten Ebenen erhebt ſich eine
Waldregion, die man erſt in der neueſten Zeit angefangen hat, zu
lichten.
Außer jenen Steppen enthält nun Süd - Rußland auch
Pampa's und Salz-Wüſten. Dieſe Pampa's ſind jenen am
unteren La Plata und in den Ebenen Guiana's vorhandenen
ſehr ähnlich. Sie unterſcheiden ſich von den Steppen weſentlich
dadurch, daß ſie nur ein Viertheil des Jahres hindurch von einer
Vegetation eingenommen werden, die für die übrigen drei Viertheile
des Jahres ſo ſpurlos verſchwindet, daß die geſammte Bodenfläche
dann nichts, als eine traurige öde Wüſte darſtellt. Sie liegen in
der nogaiſchen Tartarei und im tauriſchen Gouvernement.
Von den Wüſten finden ſich die mit Steingerölle bedeckten
eben ſo wenig, als die Sandflächen in Süd-Rußland vor. Da-
gegen erſcheinen Salz- Wüſten am Terek, an der untern Kuma,
an der Manytſch und am Elton-See.
Das Klima der waldloſen Steppen Süd-Rußlands führt die
höchſten Extreme herbei, die ſich irgendwo geltend machen können.
Das Thermometer ſteigt im Sommer mitunter bis zu + 32° R.,
kann aber im Winter bis zu – 26° R. ſinken, alſo eine Differenz
*) Die Krim und Odeſſa. Leipzig, 1854. S. 201 u. f.
– 9 –
von 58° ergeben. Im Januar iſt die Iſotherme des Küſtenſtriches
am Meere gleich der von Stockholm, d. h. – 4° R.; im Juli
ſteht ſie der von Madeira nahe + 18° R. Die Klimate aller
27 Breitengrade, welche zwiſchen jenen beiden Punkten liegen, können
ſich alſo hier im Laufe eines einzelnen Jahres aufeinander drängen.
– Der atmosphäriſche Niederſchlag bringt im erſten Frühling,
Spätherbſt und Winter, gegen 350–400 Millimeter, im Sommer
kaum 100–150 Millimeter. Daher ſind auch die fruchtbarſten
Landſtriche in der Nähe der großen Ströme zu finden, welche im
Frühlinge, indem ſie enorme Maſſen von Schnee- und Eiswaſſer
fortwälzen, ſelbſt bis in die kleinen Steppenflüſſe eindringen und
Ueberſchwemmungen weithin veranlaſſen. Je ausgedehnter dieſe
waren, je kräftiger erhebt ſich die Vegetation, nachdem die Flüſſe
in das gewohnte Bett zurückgetreten ſind. Dieſer kann jedoch im Som-
mer noch ein heißer Wind Verderben bringen, der dem der afri-
kaniſchen Wüſte nicht unähnlich, jedoch nur ſtrichweiſe und weniger
heftig, im Sommer bisweilen plötzlich einbricht. Wie im Sommer
der Staub, ſo kann im Winter der Schnee durch Nordoſt- und
Nord-Winde zu hohen Säulen aufgewirbelt werden. Da die Tar-
taren die üble Gewohnheit haben, ihre Heerden im Winter unter
freiem Himmel zu laſſen, ſo werden bisweilen Heerden und Hirten
vom Schnee bedeckt, wenn ſie ſich nicht ſchnell zu bergen wiſſen.
– Die aus einer vorhiſtoriſchen Zeit her erhaltenen Steinbilder
und Tumuli Süd-Rußlands und der nördlichen Krim haben jenem
Umſtande vielleicht ihren Urſprung zu verdanken. Man pflegt ſie,
eine und dieſelbe Richtung innehaltend, ſo zu finden, daß ſie wohl
zur Bezeichnung der Wege dienen konnten, welche die weit ausein-
ander liegenden Dörfer mit einander verbinden. Der um Süd-
Rußland verdiente Fürſt Woronzow hat noch in der neueren Zeit
Pyramiden von Steinen aufſchichten laſſen, durch welche gleichfalls
die Wege bezeichnet werden. Auffallend erſcheint es, daß die alten
Steinbilder aus Steinen zuſammengeſetzt ſind, die ſich weit und
breit heute nicht vorfinden, alſo aus weiter Ferne herbeigeführt ſein
müſſen. Sie laſſen ſich vielleicht durch die große Anhänglichkeit
erklären, welche die wandernden Hirtenvölker an ihr Geburtsland
zu ketten pflegt. Die Don’ſchen Koſaken tragen noch heute ein
kleines Säckchen mit heimiſcher Erde auf der Bruſt, wenn ſie in
den entfernten Krieg ziehen, damit, wenn ſie dort ihr Grab finden,
1“
– 10 –
ſie dieſer Erde nicht völlig entbehren möchten. So will man die
erwähnten Tumuli ſelbſt aus einer Erde zuſammengeſetzt gefunden
haben, die in der Nachbarſchaft nicht vorliegt.
Außer den bisher erwähnten Richtungen der Stürme ſind aber
auch die von der armeniſchen Hochebene, von Südoſten her, an-
dringenden Stürme mitunter von den bedeutendſten Gefahren be-
gleitet, und die meiſten Unglücksfälle ereignen ſich notoriſch an der
Weſt- und Südweſt-Küſte, die wenigſten an der Nord- und Süd-
Küſte. Man muß ſich hierbei ſtets erinnern, daß das im Südoſten
des ſchwarzen Meeres ſich erhebende Ararat-Gebirge bis zu
16,950, im Oſten deſſelben der Elbrus, Elburs oder Elborus
ſogar bis zu 18,493 die von ewigem Eiſe bedeckten Scheitel er-
heben*).
Die geographiſche Lage des ſchwarzen Meeres, von 40° bis zum
46° 37“ nördlicher Breite, bei 45° bis 59° 15 öſtlicher Länge
von Ferro, ſollte ein wärmeres Klima erwarten laſſen, als es
thatſächlich ſich vorfindet; doch müſſen eben die bedeutende öſtliche
Länge, ſowie die ſchon angegebenen Eis- und Schnee-Gefilde der
Nachbarſchaft zur Erklärung der oft ſo niedrigen Temperatnr her-
beigezogen werden. Bei einer von Weſt nach Oſten gerichteten
Länge von 140, einer Breite von 60 Meilen, beträgt die Aus-
dehnung der daſſelbe umgebenden Ufer etwa 400 Meilen, die von
ſeinen Waſſern bedeckte Oberfläche aber zwiſchen 8–9000 DMei-
len. Die Tiefe dieſes Beckens läßt bei 140 Faden oft noch keinen
Grund finden; dies iſt ſchon % Meile außerhalb der Donau der
Fall. Dennoch kann man aus der Heftigkeit des Stromes nach
Süden zu entnehmen, daß der Pontus höher als das mittelländiſche
Meer liegen müſſe; man hat berechnet, daß es mit dem atlantiſchen
Ocean ungefähr auf gleicher Höhe liegt, wohingegen das mittel-
ländiſche Meer, bei der in ihm vorwaltenden Verdunſtung, eine
etwas tiefere Lage zeigt, die ſich in dem caspiſchen Meere ſogar
bis zu 101“ erſtreckt. – Der Gehalt an feſten Beſtandtheilen iſt
im ſchwarzen Meere 17,7 in 1000 Theilen Waſſer bei 1,01418
ſpec. Gewicht. – Der Salzgehalt des ſchwarzen Meeres bleibt,
ungeachtet des fortwährenden Zuſtrömens ſo gewaltiger ſüßer Waſſer,
*) S. Ueberſichts-Profile von J. Em slie, nach den Planen von Hum-
boldt und Ritter. Stuttgart und Leipzig.
– 11 –
durchſchnittlich ſtets derſelbe, iſt aber nicht ſo anſehnlich als der des
mittelländiſchen Meeres, der wahrſcheinlich durch überwiegende Ver-
dunſtung des Waſſers bis zu 4,0730 pCt. geſteigert wird. Den-
noch bereitet man in der Gegend von Perekop, und einiger Orte
an der faulen See, durch Verdunſtung in der Sommerhitze Seeſalz
in ſolcher Menge, daß es durch lange Karawanenzüge verſendet wird.
Der Reichthum des ſchwarzen Meeres an Fiſchen iſt ein höchſt
anſehnlicher. Die von mir beſuchten Fiſchmärkte von Varna und
Conſtantinopel zeigen Reihen von Arten, die bei uns noch wenig
bekannt ſind. Fürſt v. Demidoff hat ſich durch bildliche Dar-
ſtellung von Fiſchen des ſchwarzen Meeres in dem Atlas zu ſeinem
Reiſewerke um die Ichthyologie des ſchwarzen Meeres verdient gemacht.
Durch die zahlreichen Seeprodukte wird den Anwohnern jener Meere
eine wahrhaft unverſiegliche Nahrungsquelle dargeboten. Die Türken
genießen indeſſen verhältnißmäßig weniger Fiſche als die Chriſten.
Außer den Fiſchen ſah ich auf den Märkten noch Muſcheln, Hum-
mern, Seeſpinnen, Sepien in Menge feil bieten. Anſehnlich große
Schwertfiſche werden, in viele Stücke zertheilt, beſonders von den
ärmeren Klaſſen conſumirt.
Das wechſelvolle Klima der Länder, welche in der Nachbar-
ſchaft des ſchwarzen Meeres liegen, iſt beſonders für Ausländer, die
nicht von Jugend auf an daſſelbe gewöhnt ſind, ſtets mehr oder
minder gefahrvoll, beſonders, wenn ſie ſich nicht entſchließen können,
die aus ihrem Vaterlande mitgebrachten Lebens-Gewohnheiten abzu-
legen. Die Eingebornen erreichen nicht ſelten ein höheres Alter,
leiden jedoch auch in manchen Jahren unter der Heftigkeit epidemi-
ſcher Krankheiten. – In den niedrig gelegenen Küſten-Gegenden,
welche ausgedehnte Sümpfe beherbergen, ſind hartnäckige, mitunter
ſoporöſe und comatöſe Wechſelfieber an der Tagesordnung; bei klei-
nen Kindern entwickeln ſie ſich nicht ſelten mit Convulſionen und
Starrkrampf. Waſſerſucht und Schwindſucht folgen mitunter; Scro-
feln ſind aber ſelten. Zu jenen endemiſchen Krankheiten geſellen ſich
im Winter und Frühling leicht Entzündungen der Lunge und der
Leber; die Grippe oder Influenza geht in manchen Jahren epide-
miſch mit ihnen Hand in Hand. – Die typhöſen Fieber der Nord-
und Nordweſt-Küſten ſind von Alters her übel berüchtigt, und wur-
den es noch mehr, als Kaiſer Alexander 1825 einem ſolchen
Fieber in Taganrog ſchnell erlag, welches man Gallenfieber nannte,
– 12 –
ein Umſtand, der bei Solchen, welche die Gefahr dergleichen klima-
tiſcher Fieber nicht kennen, zu unbegründeten gehäſſigen Verſionen
Veranlaſſung gegeben hat. Taganrog liegt eben in der unmittel-
baren Nähe der ſogenannten Faulen-See. Hr. L. Oliphant*)
theilt uns mit, daß ſein Hafen alljährlich mehr verſumpfe, und daß
da, wo 1793 noch eine Fregatte vom Stapel laufen konnte, jetzt
höchſtens nur Lichterſchiffe noch hinlängliche Waſſertiefe finden. Die
Schiffe müſſen ſoweit außerhalb des Hafens auf der Rhede liegen
bleiben, daß es von der Stadt aus einer dreiſtündigen Fahrt be-
darf, um ſie zu erreichen. Unter ſolchen Umſtänden wird es der
Atmosphäre von Taganrog an faulen Dünſten und Miasmen,
beſonders wenn Südwind vorherrſcht, gewiß nicht fehlen; ſchnell
und gefahrvoll auftretende Erkrankungen laſſen ſich dort alſo, ohne
alle geheimnißvolle Beimiſchung ſehr wohl erklären. Selbſt die enge
Straße, welche das aſowſche mit dem ſchwarzen Meer verbindet,
iſt noch von Jeni-Kale bis nach Kertſch für Schiffe von einigem
Tiefgange unfahrbar, und die ſeichte aber geräumige Bai von Kertſch
kann bisweilen im Winter, ebenſo wie Taganrog, drei Monate
lang vom Eiſe verſchloſſen bleiben. – Kertſch, die alte Haupt-
ſtadt des Mithridates, Pantikap äum, liegt dagegen hinſichtlich
der Salubrität ſehr vortheilhaft, indem es ſich amphitheatraliſch
an eine Berghöhe lehnt. Erſt das ſüdlicher gelegene Kaffa oder
Feodoſia (Theodoſia) beſitzt bei ſeiner ſüdlichern Lage am ſchwarzen
Meere einen Hafen, der ſtets frei vom Eiſe bleibt. – Die oben
erwähnten typhöſen Fieber des ſchwarzen Meeres, welche ſich nach
dem Süden hin nur ſelten auszubreiten ſcheinen, ſtehen ihrem Cha-
rakter nach dem ungariſchen und dem daciſchen nahe; an Bösartig-
keit ſollen ſie jene mitunter noch überwiegen. – Von jenen klima-
tiſchen Fiebern iſt der Kriegstyphus ſehr wohl zu unterſcheiden, der
der franzöſiſchen, der engliſchen und ruſſiſchen Armee jüngſt in ſo
hohem Grade verderblich wurde. In Conſtantinopel war das
Sterblichkeits-Verhältniß der tyhuskranken Franzoſen ein wahrhaſt
enormes, obgleich ein unpartheiiſcher Engländer*), der die fran-
zöſiſchen Hospitäler dort im September 1854, gleichzeitig auch das
große engliſche Hospital zu Scutari beſuchte, ſich ſehr zum Vortheile
*) Süd-Rußland und die türkiſchen Donauländer. Leipzig, 1854. S. 7.
*) Pictures from the Battle-Fields. London, 1855. pag. 70.
– 13 –
jener ausſpricht. Dies ſtimmt ungefähr mit der Angabe, welche die
Times um die Mitte des März 1856 brachte, nämlich daß 18,000
Franzoſen dort in den Hoſpitälern lagen. Im letzten Krim-Kriege
ſollen von den Gefallenen 3 Prozent dem Pulver und Blei, 23
Prozent inneren Krankheiten erlegen ſein. Dr. Baudens*) erwähnt
unter dem 29. März 1856, daß bis dahin ſchon 25 franzöſiſche
Aerzte dem Typhus erlegen waren, noch andere durch ihn in Lebens-
gefahr ſchwebten*). Dr. J. Althaus*) theilt die merkwürdige
Thatſache mit, daß dieſer mörderiſche Typhus ſich bei den engliſchen
Belagerungs-Truppen vor Sebaſtopol nur ſo lange erhalten habe,
als ſie in den Baracken eng zuſammengedrängt lagen, daß aber,
ſobald ſie in einzelne Hütten von einander geſondert wurden, ihre
Sterblichkeit ſogar geringer wurde, als es die der engliſchen Fuß-
Garden war, die man in den Kaſernen Englands zurückgelaſſen
hatte. Hiermit ſtimmt es überein, daß die geringſte Sterblichkeit
in der über die ganze Erde ausgebreiteten engliſchen Armee unter
den Seapoy's vorkam, denen man, anſtatt einer feſten Wohnung,
Geld gab, wofür ſich jeder Einzelne eine Hütte aus Matten baute.
Ein engliſcher Militär-Arzt verſichert, daß ſich vor Sebaſtopol Rind-
fleiſch und Porter als die beſten Vorbauungsmittel gegen den Aus-
bruch des Typhus bewährten. – Alle dieſe Dinge habe ich ſchon in den
Kriegen von 1813/14 vollkommen ähnlich gefunden. – Es verſteht ſich
von ſelbſt, daß dieſer Kriegstyphus nicht dem Klima der Länder des
ſchwarzen Meeres aufgebürdet werden darf; er bleibt in den Kriegen,
durch welche große Menſchenmaſſen zuſammengedrängt, zugleich auch
Entbehrungen und Anſtrengungen aller Art ausgeſetzt werden, nie-
mals aus. Dabei ſoll nicht geleugnet werden, daß der ewige Wechſel
der Temperatur, ſowie die von den unabſehbaren Steppen herüber-
wehenden Nordwinde, in den Truppen nicht ſollten eine Dispoſition
zur Entſtehung von Fiebern erzeugt haben, die unter den obwalten-
den Umſtänden leicht den Charakter des Typhus annehmen konnten.
Dr. Baudens führt in ſeinem Schreiben an die Akademie der
Wiſſenſchaften in Paris ausdrücklich an, daß der Typhus unter den
*) Gazette des höpitaux. Paris, 1856. Nro. 43, pag- 172.
*) Ausführlichere Angaben lieferte der hochverdiente Dr. Baudens in: La
guerre de Crimée. 2me édit. Paris, 1858. pag. 375 sq.
***) S. Deutſche Klinik. Berlin, 1858. Nr. 31. Feuilleton.
– 14 –
franzöſiſchen Truppen ſich auf der Krim, nach dem Anfange Ja-
nuars 1856, hauptſächlich deshalb entwickelt habe, weil die damals
herrſchende heftige Kälte ſie nöthigte, ſich in ihre Zelte einzuſchließen,
deren Boden feucht und mit unreinen Stoffen aller Art bedeckt war.
Im Vergleiche mit dem Typhoid Frankreichs, deſſen Contagioſität
ſelten nachweisbar iſt, war die Contagion jenes Typhus bald außer
allen Zweifel geſetzt. Die Sterblichkeit unter den Krankenwärtern,
barmherzigen Schweſtern, Aerzten, und überhaupt Allen, welche die
Typhus-Hoſpitäler beſuchten, wurde bald enorm. – In ähnlicher
Weiſe entwickeln ſich während des Winters in den ärmlichen Hütten
der Bewohner der Steppenländer an der Nordküſte des ſchwarzen
Meeres mancherlei andere Krankheiten, die der Unreinlichkeit und
dem Schmutz, welche in jenen vorwalten, zugeſchrieben werden
müſſen. Dr. H. v. Martius*) beſchreibt eine ſolche ruſſiſche
Wohnung in folgender charakteriſtiſcher Weiſe: „In dem engen
Raume einer einzigen Rauchſtube, von ſehr mittelmäßigem Umfange,
leben in der Regel zwei bis drei Familien, in häuslicher Eintracht
beiſammen, oft zufällig alle drei mit Säuglingen geſegnet, deren
nächſte Umgebungen nichts weniger als lieblich duften. Hierzu ge-
ſellen ſich bei ſtrenger Winterkälte die ſämmtlichen Hausthiere der
kleinen Wirthſchaft: Katzen, Hunde, Ferkel, Schaafe, Lämmer, Zie-
gen und Kälber, welche als der Haupt-Reichthum des Landmanns
unausgeſetzt Tag und Nacht unter dem Schutze der häuslichen
Laren mit ihren Gönnern in einer Stube hauſen, von Zeit zu
Zeit von den ſäugenden Mutterſäuen und Stillkühen beſucht. Ferner
leben daſelbſt Truthühner, Gänſe, Enten und Hühner gegen das
Frühjahr hin mit Schaaren von Brütlingen geſegnet. Dieſe Alle
umſchließt des engen Gemaches wirthlicher Raum, ſo daß ein und
daſſelbe Behältniß zugleich Wohnſtube, Gaſtzimmer, Schlafgemach,
Küche, Keller und Viehſtall, kurz Alles in Allem vorſtellt.“ Ein
ſolches Gemach wird gewöhnlich durch einen Backofen ohne Rauch-
fang, meiſtens mit trockenem Schilf und Rohr geheizt. Der Rauch
hiervon kann nur durch enge Fenſteröffnungen entweichen, die man
in dieſem Augenblicke öffnet, wobei jedoch der obere Abſchnitt des
Raumes ſtets mit Rauch erfüllt bleiben muß; ſeine Wände ſind
daher mit lockerem Ruß überzogen, der bei größerer Hitze, mit der
*) Abhandlung über die Krim'ſche Krankheit. Freiberg, 1819. S. 72 u. f.
– 15 –
Feuchtigkeit der Wände verbunden, auf die Einwohner herabfällt.
Die Waſſerdämpfe, welche ſich, während die Weiber waſchen, er-
heben, kommen hinzu. Da nun die menſchlichen Bewohner einer
ſolchen Arche ſtets in Pelz oder Wolle gekleidet ſind, mithin faſt
unaufhörlich ſchwitzen, ſo muß ihre Haut nothwendig mit einer
dichten Schmutzkruſte bedeckt werden. Langwierige Haut- und Au-
genkrankheiten ſind daher ihre häufigen Begleiter auf dem dunſt-
reichen Lebenswege, auf dem ſie ſich übrigens glücklich und zufrieden
fühlen, auch fremde Reiſende mit der größten Höflichkeit und Gaſt-
lichkeit einladen, an ihrem häuslichen Glücke Theil zu nehmen. –
Dr. v. Martius beſchreibt ausführlich eine ſich unter dieſen Men-
ſchen bisweilen entwickelnde Ausſatz-Krankheit, die man dort die
Krim'ſche Krankheit, Lepra taurica s. chersonesa, auch wohl die
ſchwarze Krankheit nennt, weil bei ihrem Beginne die Haut mit
dunkelblauen violetten Flecken gezeichnet wird, die ſich allmählig zu
dicken, harten Knollen erheben. Dieſe abſchreckende Form des Aus-
ſatzes kann nach und nach ſteigend ſechs bis ſieben Jahre andauern,
ehe ſie durch ihre Folgeleiden tödtlich wird. Die Einwohner der
Umgegend von Cherſon, am Don, an der Wolga, in der Ge-
gend von Aſtrachan und am Ural ſollen ihr endemiſch beſonders
unterworfen ſein. Dieſe nennen ſie die Krim'ſche Krankheit, weil
ſie behaupten, daß ſie ihnen urſprünglich durch Koſaken, die aus
der Krim zurückkehrten, zugeführt worden ſei*). Doch ſind die
tartariſchen Wohnungen auf der Krim ungleich vortheilhafter, als
die eben geſchilderten ruſſiſchen, nämlich aus Backſteinen und Lehm
erbaut. In den größeren Städten der Krim ſieht man auch ganz
nach weſteuropäiſchem Zuſchnitte aufgeführte ſteinerne Gebäude, mei-
ſtens weiß übertüncht. Dieſer helle Anſtrich mag im Sommer zu
den häufigen Augenleiden beitragen.
Die orientaliſche oder Bubonen-Peſt, welche in früheren Jahr-
hunderten unter den Anwohnern des ſchwarzen Meeres mitunter
große Verwüſtungen anrichtete, iſt im Laufe des gegenwärtigen Jahr-
hunderts dort faſt verſchwunden. Ruſſiſche Aerzte haben zwar be-
hauptet, daß es dieſe Krankheit geweſen ſei, welche im Jahre 1829
ihrer Armee zu Adrianopel und Varna ſo empfindliche Verluſte
*) Vergl. Krebel über Lepra taurica. – In der mediziniſchen Zeitung
Rußlands. 1858, S. 38.
– 16 –
zugefügt hat. Man ſcheint unter ihrer Aegide die damals vorherr-
ſchende große Sterblichkeit in mehr beruhigender Weiſe erklärt zu
haben. Das naturgetreue Bild, welches Dr. Witt*) von den zu
Adrianopel vorgekommenen Krankheiten entwirft, läßt nur Kriegs-
Typhus mit Petechien, erſchöpfenden Diarrhoeen, Geſchwülſten der
Ohrſpeicheldrüſen und Anthrax erkennen. Bubonen und Carbunkel
wurden bis Ende October's in den Hoſpitälern zu Adrianopel nicht
geſehen. Ganz ähnlich verhielt es ſich in demſelben Jahre zu Varna.
Nach mündlichen Mittheilungen, die mir der leider früh verſtorbene
Regiments-Arzt Dr. Großheim machte, der im Kriege von 1828
bis 1829 als freiwilliger Arzt im ruſſiſchen Heere diente, beſtand
die dort ſo verheerend auftretende Seuche gleichfalls aus einem bös-
artigen anſteckenden Typhus ohne Bubonen. Der in Varna ebenſo
anweſend geweſene C. Peterſen*) ſpricht gleichlautend von einem
Typhus contagiosus epidemicus, erwähnt aber doch auch Brand-
flecke, Drüſen-Geſchwülſte und Beulen.
Unter den endemiſchen Krankheiten jener Gegenden darf endlich
der Scorbut nicht unerwähnt bleiben. Die Ruſſen und Tartaren
leben in ihren zerſtreut liegenden Wohnungen während des Winters
meiſtens von geſalzenem Fleiſche und Fiſchen. Gemüſe bauen ſie
nicht, ſie werden durch Haidegrütze erſetzt. Dr. v. Martius ſpricht
von der ſcorbutiſchen Mundfäule als von einem in jenen Gegenden
nicht ungewöhnlichen Leiden; er vermuthet ſogar, daß der Scorbut
mit dem erwähnten Knollen-Ausſatze in urſachlicher Verbindung
ſtehe. Ein franzöſiſcher Marine-Offizier theilte 1856 mit, daß die
geſammte Mannſchaft des Linienſchiffes „Wagram“ am Scorbut
leidend, hatte auf die Inſel Kalchi, einer der Prinzen-Inſeln, aus-
geſetzt werden müſſen.
*) Ueber die Eigenthümlichkeit der Walachei und Moldau. Leipzig und
Dorpat, 1844. S. 101 u. f.
*) S. Mediziniſche Geſchichte des ruſſiſch-türkiſchen Feldzugs in den Jahren
1828/29, von Dr. Al. Simon. Hamburg, 1854. S. 151.
WII.
Conſtantinopel. Erſter Eintritt. – Kleberblick der Stadt im Allge-
meinen. – Bevölkerung. – Türkiſche Bäder und Waſſerleitungen,
– Der At-Meidan. – Moſcheen und chriſtliche Kirchen – Tan-
zende Derwiſche. – Freitags-Andacht des Sultans. – Die Mauern
und Thore von Conſtantinopel. – Zuden-Viertel. – Janar. –
Der Thurm zu Galata und der des Seraskiers. – Das alte und
das neue Serail. – Die Bazar's und Beſeslan's. – Pera und Ga-
lata. – Die Medicinal-Schule. – Die Barken und ihre Führer. –
Die Hunde. – Der Bosporus, ſeine Klfer und Dörfer. – Böjük-
dere. – Der Rieſenberg. – Das Genueſer-Ichloß. – Belgrad und
die Waſſerleitungen. – Kadi-Köi. – Scutari. – Der Bulgurlu. –
Der Cypreſſenhain. – Geographiſche Tage und Klima.
Der 23. September 1856 brachte mir den lange erſehnten
Anblick des Bosporus. Schon lagen die beiden Landſpitzen Uſund-
ſcha-Burun auf der europäiſchen, das Panium der Griechen,
und Jum-Burnu auf der aſiatiſchen Seite, das Promion der
Griechen, hinter uns, bald darauf tauchte das freundliche Böjük-
dere uns zur Rechten aus den Wellen auf. Nur zu ſchnell ent-
ſchwanden die maleriſchen Landhäuſer des Städtchens, mit den den
Hintergrund bildenden grünen Gärten, ihren mächtigen Cypreſſen
und Platanen u. ſ. w. den Blicken. Weiterhin in ſtets wechſelnden
Geſtalten Therapia, Jeni- Köi und Arnaut-Köi. Auf der aſia-
tiſchen Seite der jetzt dem Sultan gehörige, von Mehemet-Ali
erbaute egyptiſche Marmor-Pallaſt; ſodann Begler- Beg. Aber
des Dampfes Kraft, verbunden mit der vom ſchwarzen Meere her
wirkenden Strömung, führte uns faſt pfeilſchnell dem ſüdlichen Ende
des Bosporus entgegen. Scutari bot ſich uns zur Linken, an
– 18 –
eine bedeutende Anhöhe lehnend, und endlich rechts die Palläſte
Tſchiragan, durch Sultan Mahmud gebaut, und der von
Dolmabagdſche, durch den jetzt regierenden Sultan Abdul-
Medſchid in der jüngſten Zeit errichtet. Den Pallaſt der Schwe-
ſtern des Sultans zu Balta-Liman, vor Arnaut-Köi, der
freilich von jenem in hohem Grade verdunkelt wird, hatten wir
kaum Muße gehabt zu betrachten. Die faſt ununterbrochene Reihe
der Landhäuſer auf der europäiſchen, die mit einer anziehenden
grünen Vegetation bedeckten Hügel und Thäler der aſiatiſchen Seite
beſchäftigten den Seh-Sinn ſo ununterbrochen, daß vorläufig eine ge-
ſicherte Auffaſſung einzelner Gegenſtände faſt unmöglich wurde, und
die überraſchend ſchnell einander folgenden fremdartigen Bilder nur
einen mehr überwältigenden und verwirrenden als geordneten Ein-
druck zurückließen.
Ueberblick der Stadt im Allgemeinen. – Um 4 Uhr Nach-
mittags ankerte die „Perſia“ im Hafen von Conſtantinopel.
Zahlloſe Kaiks (kleine Barken), der Mehrzahl nach mit türkiſchen,
der Minderzahl nach griechiſchen oder armeniſchen Führern bemannt,
umſchwärmten das Schiff ſogleich. Wildes Geſchrei übertönte die
Stimmen unſerer Schiffer, und auch meinem hier bewanderten Dol-
metſcher gelang es ſchwer, ſich verſtändlich zu machen, um endlich
ein Kaik für mich zu miethen, das uns ſchließlich dem Lande und
zugleich dem türkiſchen Zollamte zuführte. Durch richtige Anwen-
dung bekannter Beſchwichtigungs-Mittel wußte mein Dolmetſcher
das Oeffnen unſerer Effecten zu hintertreiben, und nichts hinderte
uns fortan, durch Galata, ſodann aber die ſteilen Straßen von
Pera hinan zu ſteigen, um eines der dortigen Gaſthäuſer aufzuſuchen.
Die erſte Anſicht auf Conſtantinopel und Pera, vom
Bosporus aus, iſt wohl die glänzendſte, die einem menſchlichen
Auge Seitens irgend einer Metropole geboten werden kann. Eine
faſt unzählige Geſellſchaft von Moſcheen, Minarets, Palläſten, von
Domen überragten öffentlichen Bädern, von Grabmälern, denen
ſchlanke, düſtere Cypreſſen, ſeltener Terebinthen den Hintergrund
verleihen, im Innern aus vielen Höfen der türkiſchen Wohnhäuſer
aufſteigende grüne Bäume, überraſchen den Beſchauer, der ſich ver-
gebens bemüht, genügende Vergleichungspunkte mit ähnlichen am
Meere gelegenen Städten aufzufinden. Schon Andere, z. B. De
Vere, haben Neapel, Genua, Venedig und Edinburg
– 19 –
hierzu gewählt. Nach meiner perſönlichen Anſchauung kann nur
von beiden erſteren die Rede ſein; das vielleicht gleichfalls zu be-
achtende Stockholm ſah ich nicht. Unter den letztgenannten Städten
ſteht meines Erachtens Neapel oben an; aber Conſtantinopel gibt
zwei Welttheilen die Hand. Die eigentliche Stadt wird von den
Vorſtädten Pera und Galata einerſeits, von Scutari anderer-
ſeits, durch das Meer ſo geſchieden und vereinigt zugleich, daß aus einiger
Entfernung das getäuſchte Auge eine unabſehbare, zuſammenhängende
Häuſermaſſe vor ſich zu haben wähnt; dennoch aber erſcheint das
Meer von vielen Punkten aus wie ein vollkommen in ſich geſchloſ-
ſener See. Man rechne den fremdartigen Anſtrich hinzu, der für
den aus dem Weſten kommenden Europäer alle Gegenſtände um-
kleidet, – man betrachte dies Alles durch die klare, durchſichtige
Atmosphäre des Orient's, und man wird ſich eine annähernde Idee
von dem hier zu erwartenden Eindrucke machen können. Mit Wor-
ten dem gewaltigen Bilde jedoch die Farben des Lebens genügend
zu geben, halte ich geradezu für unthunlich. Auch der begabteſte
Dichter würde immer nur maleriſche Phantaſie-Gebilde entwerfen.
Als ſchon das Gebäude des oſtrömiſchen Reiches aus ſeinen Fugen
zu weichen begann, trug die unvergleichliche Lage von Byzanz noch
für geraume Zeit zum Zuſammenhalten des gelockerten Verbandes
utit den Provinzen weſentlich bei, indem die Seemacht den Weg
durch den Bosporus und die Propontis zu ſäubern wußte. Theſ-
ſalonika, Patras, Korinth hielten lange noch zur Metropole,
als bereits die Barbaren an ihre Mauern klopften.
Die Aufmerkſamkeit des von Norden her aus dem Bosporus
Anlangenden zieht gewöhnlich der Conſtantinopel überragende Hügel
von Pera ſpeciell auf ſich. Die dieſen Hügel krönenden hohen,
ſteinernen Häuſer der langen Hauptſtraße erinnern durch ihre Bau-
art an das, was man in Weſt-Europa zu ſehen gewohnt war. Die
Erinnerung wird um ſo lebhafter, als jene Reihe von keiner Mo-
ſchee, von keinem Minaret unterbrochen wird. Moſcheen mit ihrem
Zubehör finden ſich nur am Fuße jenes zur rechten Haud liegenden
Hügels, der durch das ſogenannte „Goldne Horn“, den treff-
lichen inneren Hafen von Conſtantinopel ſelbſt geſchieden bleibt.
Dieſes dehnt ſich dem Beſchauer gegenüber, von rechts nach links,
amphitheatraliſch und über ſieben Hügel ſo aus, daß es durch
die oſtwärts gerichtete vordere Landſpitze an den ſchmalen Meeres-
– 20 –
arm ſtößt, der den Bosporus von dem Marmara-Meer trennt,
und zugleich die Weſtküſte von Aſien beſpült, auf der ſich, dem
Betrachtenden zur Linken, die Häuſermaſſe von Scutari erhebt.
Fremde, denen die gütige Natur Phantaſie und Gefühl nicht
ganz verſagt hat, könnten ſich Tage lang hintereinander von Nor-
den her dem zauberiſchen Bilde nähern, und immer noch würden
ſie nicht geſättigt ſein, – immer noch würden neue Gegenſtände
hervortauchen, um ſie mit ungeſchwächter Anziehungskraft zu feſ-
ſeln. Möchte darum jeder Ankömmling ſo ſpät wie möglich
in das Innere der Stadt eindringen, welches nur dazu gemacht
ſcheint, den Zauber-Schleier fortzuziehen, den eine verſchwenderiſche
Naturſchöpfung über ihre Außenſeite ausgebreitet hat. Hr. v. Pro-
keſch, der langjährige Kenner von Conſtantinopel, ſagt ganz richtig:
„Conſtantinopel iſt die ſchönſte Stadt auf Erden, ſo
lange man ſie nicht betritt.“
Sobald der Blick ſich zurückwendet auf den oberen Abſchnitt
von Pera, wird er unwiderſtehlich gefeſſelt durch einen mächtig her-
vorragenden Pallaſt, der Alles, was ſich neben und unter ihm be-
findet, beherrſcht. Es iſt das Geſandtſchafts-Hötel Rußlands. Vor
ſeinem mittleren Stockwerke dehnt ſich ein von hohen Säulen ge-
tragener Portikus hin, um die Wucht der anſehnlichen oberen Stein-
maſſe zu ſtützen. Gewiß nicht ohne Abſicht iſt die Stellung und
Lage des Gebäudes eine ſolche, daß der von Norden, von Weſten
und Oſten den Hügel Betrachtende ſtets wieder auf den Punkt
zurückkommen muß, auf welchem Rußland zuerſt feſten Fuß am
goldnen Horn faßte. Das dominirende Schloß erinnert gleichſam
daran, daß es den Beruf habe, ſeine Herrſchaft von hier aus weiter
auszudehnen. Und doch war man, als ich bald darauf in ihn ein-
trat, noch damit beſchäftigt, das prachtvolle Gebäude neuerdings
zur Aufnahme einer ruſſiſchen Geſandtſchaft einzurichten, indem man
ſich zugleich bemühte, alle Spuren des franzöſiſchen Kriegs-Lazareths
wegzuräumen, welchem es unlängſt noch hatte dienen müſſen. Wun-
derbarer Wechſel des Schickſals! Daſſelbe Frankreich, welches 1854
Rußland dadurch zu demüthigen geſucht hatte, daß es das nämliche Ge-
bäude durch ſeine kranken Krieger einnehmen ließ, aus dem kurz zuvor
der ſtolze Mentſchikoff ſeine Beſuche bei den Pforten-Miniſtern im
Paletot abgeſtattet hatte, bemüht ſich ſeit 1856 wieder, Rußland
den Weg dorthin zu bahnen. Man dürfte ſich nicht täuſchen, wenn
– 21 –
man hierin eine Vorbedeutung für das Wiedererſtehen des ruſſiſchen
Uebergewichtes in der Türkei erkennt, welches ſich, allen Zeichen
zufolge, in kürzerer Zeit von neuem geltend machen dürfte, als dies
von manchen Politikern erwartet wird, die ſich, fern vom Schau-
platz dieſer Begebenheiten, hierüber ſo gern, gleichſam gefliſſentlich,
Täuſchungen hingeben.
Mein Verſuch, für die Zeit des Aufenthalts in Pera eine
Wohnung zu erlangeu, die, der Lage nach, ſich an das ruſſiſche
Gebäude möglichſt anſchließen möchte, blieb nicht ohne Erfolg. Von
der zwiſchen Top-Chané und der vorderen Brücke des goldnen
Horn's gelegenen Douane aus führte mein Dolmetſcher mich durch
die engen und ſchlecht gepflaſterten Straßen von Galata, ſowie
durch das buntſcheckige Gewirr von unzähligen Hunden, Laſtthieren
und Menſchen aller Art, zu der ziemlich ſteil nach Pera in die
Höhe ſteigenden Straße hin, die zwar etwas breiter, aber womög-
lich noch ſchlechter gepflaſtert iſt, als die von Galata. Ein eigenes
Thor trennt die beiden Vorſtädte von einander. Man hatte mir
das Hôtel de l'Europe empfohlen. In ſeinem oberen Stockwerke mie-
thete ich ein nach Südoſt gewendetes Zimmer, aus deſſen Fenſtern
mir ſogleich die gegenüber zur Rechten liegende Siebenhügelſtadt
mit ihrer Aja-Sophia, den Moſcheen von Sultan Ahmed, Su-
leiman und Osman, das alte Serail und ſeinen von dunkeln,
ſchlanken Cypreſſen überragten Garten, der Maſtenwald des Hafens
und des goldnen Horn's, das aſiatiſche Feſtland mit Scutari,
der Bosporus u. ſ. w. in die Augen fiel, – genug der Gegen-
ſtände, um Monate lang in ihrem Anblicke zu ſchwelgen. Sie
Alle erkannte der erſte Blick ſogleich nach den genauen Beſchrei-
bungen früherer Reiſender; andere konnten nur nach und nach, mit
Hülfe der von meinem Dolmetſcher ertheilten Fingerzeige und eines
vorliegenden Planes der Stadt und Umgegend erkannt werden. Nur
der mittlere und hintere Theil des goldnen Horn's, die hinter dem
Gaſthofe gelegene lange Straße von Pera, blieben verborgen. Hin-
ſichtlich dieſer ungemein glücklichen Lage kann ſich mit dem erwähnten
Hötel nur das etwas höher gelegene nahe Hötel d'Angleterre
meſſen. Bei der um 6 Uhr ſtattfindenden Mittagstafel meines
Hötels hatte ich das Vergnügen, mit drei im Hauſe wohnenden
deutſchen Landsleuten zuſammen zu treffen, deren einer aus dem
meinem Wohnorte nicht fernen Aachen, ein anderer ein bejahrter
deutſcher Arzt aus New-A)ork herbeigekommen war. Leider be-
mühten ſich Tauſende von Ratten, die den Boden des Salons unter-
wühlt hatten, theils durch den von ihnen verbreiteten widerlichen
Geruch, theils durch ihr Pfeifen, das Mahl durch ihre ekelhafte
Gegenwart zu verbittern. – Die beiden hier aufgelegten, in fran-
zöſiſcher Sprache zu Pera gedruckten Zeitungen erhielten uns in
einer ſchwachen Verbindung mit der übrigen Welt.
Der Morgen des 24. September fand mich früh am Fenſter,
un die von ihm aus ſichtbaren Gegenſtände zu durchmuſtern, zu-
gleich für die nachfolgenden Wanderungen eine beſtimmtere Grund-
lage zu gewinnen. Auf den erſten Blick erkannte ich ſogleich, daß
die vor mir ausgedehnte Stadt mit ihren Vorſtädten längs des
europäiſchen und des aſiatiſchen Ufers des Bosporus eine ungleich
größere Anzahl von Einwohnern zu beherbergen und zu ernähren
im Stande ſein würde, als die, welche nach der damals bekannten Zäh-
lung von 1846, wirklich vorhanden ſein mochte. Damals enthielt
nämlich Conſtantinopel im Ganzen 813,460 Einwohner, von wel-
chen, der Nationalität nach, 400,000 Türken, 250.000 Armenier,
130,000 Griechen, 20,000 Iſraeliten, 7460 Franken verſchiedenſter
Nationen, endlich 6000 Hellenen aus dem Königreiche zugegen ge-
weſen ſein ſollen. Die Beſatzung beſtand damals aus 20,000
Mann; ſie war in Kaſernen untergebracht. (Drei Jahre nach meiner
Anweſenheit, September 1859, manövrirten dort 25,000 Mann
vor dem Sultan.) Die Nachrichten aus der Blüthezeit des oſtrö-
miſchen Reiches laſſen auf eine ungleich größere Bevölkerung ſchließen.
– Nach dieſer Betrachtung fiel mir zunächſt auf der aſiatiſchen Seite
das ſich an der Südſpitze Scutari's weithin dehnende, großartige
türkiſche Krankenhaus auf, welches vor Kurzem noch den Englän-
dern eingeräumt geweſen war. Es umfaßt 2000 Lagerſtellen. In-
dem es die lange Fronte dem Meere zuwendet, lehnt es ſich mit
der Hinterſeite gegen die Anhöhe an. Genugſam über dem Ufer
erhaben, kann die Atmosphäre von allen Seiten frei andringen; es
läßt ſich nicht leugnen, daß in ihm den Engländern die glücklichſte
Localität für ihre Kranken zugekommen war, welche man hier zu
bieten gewußt hatte. Nur die viel zu anſehnliche Menſchenmenge,
welche hier untergebracht werden ſoll, läßt ſich von dem Sachkun-
digen tadeln; ſie öffnet der weiteren Ausbreitung anſteckender Krank-
heiten Thür und Thor. Den hellweißen Anſtrich hat das Hoſpital
mit allen öffentlichen Gebäuden der Türken gemein.
Nicht fern von dem öſtlichen Ende der vorderen Brücke des
goldnen Horn's, nahe dem Meeresufer, feſſelt die Moſchee von
Jeni-Dſchami den Blick; jenſeits derſelben macht ſich der an-
ſehnliche Ueberreſt eines aufrecht ſtehen gebliebenen Säulenganges
aus griechiſcher Zeit bemerklich, welcher parallel mit dem Ufer ver-
läuft. – Einen grellen Gegenſatz mit den Ueberreſten aus alter
Zeit bildet die am Fuße des Pera-Hügels, nahe am Ufer von
Sultan Mahmud elegant erbaute Moſchee von Top-Chané, mit
einem daneben liegenden zierlichen Glocken- und Signal-Thurme in
mauriſchem Style. Die dazu gehörigen beiden Minarets zeichnen
ſich durch zwei Gallerien aus, da faſt alle übrigen deren nur eine
tragen, von welcher aus der Prieſter zum Gebet ruft. An dieſen
Gebäuden iſt der weiße Marmor nicht geſpart, den die Inſeln und
Ufer des nahen Marmara-Meeres im Ueberfluſſe liefern. –
Doch unter der feſſelnden Betrachtung dieſer Gegenſtände war die
Sonne über den aſiatiſchen Bergen in die Höhe geſtiegen; ſie
mahnte, zu den Excurſionen die kühlere Luft des Morgens zu be-
nutzen. Die erſtere dieſer Ausflüchte ſollte einem öffentlichen Bade
gelten.
Türkiſche Bäder und Waſſerleitungen. – Zwei Dinge ſind
es, die dem in der Türkei Reiſenden zahlreiche Widerwärtigkeiten
zu erleichtern vermögen. Erſtens, die Ehrlichkeit und Rechtlichkeit
der Türken, auf welche die liſtigen Griechen gleichſam wie auf eine
Thorheit herabſchauen, die ſie dadurch zu entſchuldigen ſuchen, daß
es der Koran ſo verſchreibe, uneingedenk, daß die Chriſtusreligion
dieſelbe Vorſchrift gibt. Zweitens, die ſorgfältige Unterhaltung der
öffentlichen Brunnen und Bäder. „Das Waſſer – ſagt der Koran
– gibt allen Dingen Leben“ – oder, wie es v. Hammer
überſetzt: „ von dem Waſſer iſt alles Ding lebendig.“ Ein
anderer Koranvers lautet: „und wenn ihr befleckt ſeid, ſo
reinigt Euch!“ Darum gilt es als ein beſonders verdienſtliches,
frommes Werk, auf eigne Koſten an öffentlichem Wege einen Brun-
nen oder ein Bad anzulegen, deren an der Außenſeite angebrachte
Inſchriften außer dem Namen des Erbauers, gewöhnlich noch einen
paſſenden Ausſpruch des Korans enthält. Auf dem Hof einer jeden
Moſchee findet ſich ein Springbrunnen, an welchem vor dem Ein-
– 24 –
tritte zum Gebet die vorgeſchriebenen Waſchungen vorgenommen
werden müſſen. In den volkreichſten Straßen von Conſtantinopel
haben die Sultane oder ihre Veziere ſich Denkmäler in Fontänen,
Tſcheſchme, theils auch in großartigen Brunnen-Häuſern, Se-
bilchane, errichtet, aus denen jeder Vorübergehende mittelſt eines
an einer dünnen Kette liegenden metallenen Trinkgefäßes den Durſt
löſchen kann. Eigene Aufſeher, meiſtens Derwiſche, haben für Ord-
nung in ihnen zu ſorgen, reichen auch wohl im Sommer durch
Schnee abgekühltes Waſſer den Vorübergehenden heraus. – So
bieten ſich Religion und Klima die Hand, zur Beſchaffung von
Ueberfluß an Waſſer aufzufordern. – Auch war es nach der Er-
oberung von Conſtantinopel eine der erſten Unternehmungen der
Türken, für die Reſtauration der großen Waſſerleitungen zu ſorgen,
welche die Griechen von Belgrad am Bosporus nach der Stadt,
ſieben Stunden weit, geführt hatten, auch ihnen ausgedehnte neue
Werke hinzuzufügen, die jetzt noch ſorgfältig unterhalten werden.
Sogar von den heißen Quellen zu Mehadia führten ſie eine
Leitung fünf Stunden weit bis nach Alt-Orſowa an der Donau,
die coloſſalſte Waſſerleitung, die je bei einem Mineralbade gebaut
worden ſein mag, die aber die Chriſten, nachdem ſie jenen das
Banat wieder abgenommen hatten, bald verfallen ließen. – Daß
übrigens die von den atmosphäriſchen Niederſchlägen geſpeiſten
Cyſternen Conſtantinopels als Bauwerke weit hinter den der Grie-
chen zurückſtehen, beweiſt ſchon ein einfacher Beſuch der alten Cyſterne
des Philoxen us, oder der tauſend und einer Säule, welche unter
Conſtantin I. gebaut, jetzt trocken liegt. Sie enthält wirklich
unter der Erde 672 Säulen in drei Stockwerken. Die Cyſterna
Baſilica iſt noch heute im Gebrauch, empfängt aber auch Waſſer
aus einer Leitung. Das Brunnenwaſſer, welches eine mittlere
Temperatur von 10% ° R. nachweiſt, iſt zum Trinken unbrauchbar,
wegen des zu ſtarken Gehaltes an Salzen. Die Einwohner der
Stadt ſind daher darauf angewieſen, weiches Waſſer zu trinken,
und ſelbſt an dieſem fehlt es bisweilen in heißen Sommern, nach-
dem der Inhalt der Cyſfernen verbraucht iſt, die außerdem von der
Regierung verpachtet ſind; ein Trunk friſchen Waſſers kann dann
koſtſpielig werden. Das weiche Waſſer wirkt hier auf neu ankom-
mende Fremde in ähnlicher Weiſe, wie das filtrirte Waſſer der
Seine zu Paris, d. h. es erzeugt Abweichen. Da die Türken ſelbſt
– 25 –
Feinſchmecker des Waſſers ſind, von ihm acht verſchiedene
Eigenſchaften fordern, und deshalb auf einen friſchen Quell
außerordentlichen Werth legen, ſo leiden ſie durch die mangelhafte
Qualität des Trinkwaſſers oft bedeutend. Doch war dies im Orient
ſchon von früheſter Zeit her der Fall. Als ein reiſender Grieche einſt zu
Amaſia in Cilicien einen öffentlichen Brunnen beſuchte, fragte
er die Umſtehenden, ob das Waſſer trinkbar ſei? Allerdings, war
die Antwort, denn wir trinken es ja! Ebendarum iſt es nicht trink-
bar, erwiederte er, denn ihr Alle zeigt eine blaſſe Geſichtsfarbe. –
Bis zum Bohreu von arteſiſchen Brunnen iſt man in Conſtantino-
pel noch nicht vorgeſchritten. Die osmaniſchen Leitungen gewähren
dagegen den reellen Vortheil, daß ihnen nur Quellwaſſer zufließt,
dagegen die griechiſchen auch Regenwaſſer aufnahmen. Die allent-
halben hervortretende Großartigkeit der Sorge für den Waſſerbe-
darf, noch mehr die hohe Wichtigkeit der den letzteren ſichernden
Einrichtungen rechtfertigen es gewiß, wenn dieſen hier eine ausführ-
lichere Rückſicht gewidmet wird, als dies bereits an einem anderen
Orte*), nach einem früher von mir gehaltenen mündlichen Vortrage
geſchehen iſt.
Die türkiſchen Bäder zeigen ganz die Einrichtungen, welche
uns aus der klaſſiſchen Zeit der Griechen und Römer her von den
Bädern dieſer bekannt ſind. Sie gleichen alſo den Anſtalten der
Art, welche ſich in den eroberten großen Städten Kleinaſiens, ſpä-
ter in Adrianopel und in Conſtantinopel von Alters her vor-
fanden. Denn ſeit ihrem Auszuge aus der arabiſchen Heimath
haben die Türken nichts Neues erfunden. Selbſt der Aneignung
des fremden Brauchbaren ſtehen religiöſe Vorurtheile und alte Ge-
bräuche in hohem Grade entgegen und nur das, was ihrer be-
ſchränkten Anſchauungsweiſe vorzugsweiſe zuſagte, entging der Zer-
ſtörung. Dahin gehörten dann beſonders Bäder und die domartig
gebauten chriſtlichen Kirchen. Die erſteren ließen ſich leicht nach
türkiſchem Brauch ummodeln, indem man alle etwa vorhandenen
Kunſtwerke fortſchaffte und Koranſprüche außerhalb und innerhalb
anbrachte. Ebenſo brauchte man aus den chriſtlichen Domen nur
jedes Bildwerk ſorgfältig zu entfernen, farbigen Marmor, Granit,
*) Verhandlungen des naturhiſtoriſchen Vereins der preußiſchen Rheinlande
und Weſtphalens. Vierzehnter Jahrgang. Bonn, 1857. S. 55 u. f.
2
– 26 –
Porphyr oder vergoldete Moſaik und Kapitäle mit Kalk weiß zu
übertünchen, Marmor-Inſchriften und Kreuze wegzumeißeln, inwen-
dig dem Gewölbe nach den vier Weltgegenden vier coloſſale runde
Tafeln mit eben ſo vielen Sprüchen aus dem Koran anzuheften,
um die Kirche in eine Moſchee umzuwandeln.
Unter den gegenwärtigen Bädern Conſtantinopels iſt das größte
und ſchönſte das von Mohammed II. nach Eroberung der Stadt
gebaute, welches den Namen „Tſchukur Hamam“ d. h. das
Bad des vertieften Grundes, führt, weil es in der Vertiefung liegt,
die bis dahin die Cyſterne des Arkadius eingenommen hatte.
Dieſem lenkte ich die erſten Schritte auf dem Boden der Stadt
Conſtantins zu. – Ich fand, daß es aus zwei geräumigen hinter-
einander liegenden Sälen, deren jeder mit einer eigenen hohen Kup-
pel domartig überwölbt iſt, beſteht. In dieſen Kuppeln befindet
ſich eine große Anzahl runder Oeffnungen, welche mit dickem Glaſe
gedeckt ſind. Durch ſie allein fällt das Tageslicht ein, denn Fen-
ſter ſind nirgends vorhanden. Zur Seite des hinteren Saales fin-
det ſich ein kleinerer Anbau, der das heiße- oder Dampfbad in
ſich ſchließt. Man hatte mir dieſes als das beſteingerichtete unter
den öffentlichen Bädern Conſtantinopels bezeichnet.
Was mir nach dem Eintritte zunächſt auffiel, war die voll-
kommene Gleichmäßigkeit, mit welcher hier Türken und Chriſten be-
handelt wurden. Die letzteren ſchienen zu der gewählten Stunde
ſogar die Mehrzahl der Anweſenden zu bilden. Alle gingen, in
den dazu verabreichten Bademantel gehüllt, auf Pantoffeln mit höl-
zerner Sohle, ſchweigend an einander vorüber, ohne ſich eines
Blickes zu würdigen, oder ſonſt eine Notiz von ſich zu nehmen.
Nicht immer wurde eine ſolche Liberalität beobachtet. Die große
Zahl der während des letzten Krieges hier anweſend geweſenen be-
waffneten Chriſten ſcheint, in der That, einen bedeutenden Um-
ſchwung in den Ideen der türkiſchen Bewohner der Hauptſtadt ge-
ſchaffen zu haben. Nirgends iſt mir bei meinen zahlreichen Be-
ſuchen der engen und mit Menſchen überfüllten Straßen irgend eine
Beleidigung oder auch nur Rückſichtsloſigkeit zugewendet worden;
oft ſchien es mir, daß man mir ſogar mehr Rückſicht, als den
neben mir ſchreitenden Türken zollte. Jedenfalls iſt der ehemalige
fanatiſche Haß gegen die Chriſten zur Zeit gebrochen, und von
dem eigenen Benehmen dieſer wird es abhängig ſein, ob ſie in
– 27 –
dieſer Hinſicht Fortſchritte machen, und zu der ihnen gebührenden,
achtunggebietenden Stellung gelangen ſollen, ſelbſt ohne die Gewalt
der Waffen hierzu anzuwenden. – Der erſte große Saal des Ge-
bäudes ſtellt das Aus- und Ankleide-Zimmer, Veſtiarium, dar.
In ihm läuft, mit Ausnahme der Wand des Einganges, an drei
Seiten, eine etwa 2% Fuß hohe, breite hölzerne Bank herum, auf
welcher Matten und Teppiche ausgebreitet liegen. Auf dieſen ent-
kleidet ſich die Mehrzahl der Beſuchenden, und wird mit dem nöthi-
gen Badeanzug verſehen, wenn dieſer nicht, wie gewöhnlich, mitge-
bracht wurde. An der dem Eingange gegenüber liegenden Wand
erhebt ſich jedoch in der Mitte noch ein hoher, hölzerner Vorbau,
eine Art von Eſtrade, zu deren oberen geräumigen Abſchnitt man
auf zwei mit Geländer verſehenen Treppen, von zwei entgegengeſetz-
ten Seiten her, hinaufſteigt. Dieſer erhöhete Standpunkt ſcheint
ſolchen Perſonen vorbehalten zu werden, die man bevorzugen will.
Auf ihm nimmt auch der Aufſeher des Wärter-Perſonales ſeinen
Sitz ein; er bedient die dorthin Geführten perſönlich, bietet auch
den Tſchibuk und ſchwarzen Kaffe denen an, die ein ſolches Bedürf-
niß empfinden. Dorthin führte man mich und meinen Dollmetſcher.
Oben angelangt, befand ich mich in der Geſellſchaft eines alten
Türken mit langem weißen Barte und eines elegant gekleideten
jungen Griechen. Nach geſchehener Entkleidung wurde mir ein Tuch
um die Hüften und ein zweites um den Kopf geſchlagen, mir Holz-
pantoffeln mit zwei Querleiſten unter der Sohle, an die Füße ge-
geben, und ich ſodann in den zweiten Raum geführt, den man ſei-
ner Temperatur nach, die ich auf etwa 16 – 18 ° R. ſchätzte,
das Tepidarium nennen kann. Hier laufen Bänke von weißem
Marmor rings herum, die mit Matratzen bedeckt ſind, welche Wolle
zu enthalten ſchienen. Ein 14jähriger Knabe, der mich am Ein-
gange empfangen hatte, führte mich zu einem ſolchen Sitze, auf den
er für mich einen groben Teppich ausbreitete. Man hält ſich hier
ſo lange auf, bis man ſich an die Temperatur der hier vorhande-
nen Luft gewöhnt hat. Dieſer und der folgende Abſchnitt beſitzen
mit weißen Marmor getäfelte Fußböden, unter denen Röhren ver-
laufen, welche heißes Waſſer führen, ſo, daß der Boden erwärmt,
zugleich aber auch vermöge der Waſſerdämpfe ſehr ſchlüpfrig ge-
macht wird. Man muß daher im Gebrauche der hohen Pantoffeln
ſehr geübt ſein, um hier nicht auszugleiten; Ungeſchicklichkeit der
2*
– 28 –
Ankömmlinge hierin erregt ſtarke Heiterkeit bei den aufwartenden
Knaben. Bei 20–22 ° R. wird hier die Vorbereitung zu dem
Calidarium bewerkſtelligt, in welchem die Temperatur von
24 bis 28 und 30° R. anſteigt. Hier wird ein jeder Badender
zu einem Sitze geführt, der ſich dicht bei einem großen
Marmorbecken befindet, in welches unaufhörlich warmes Waſſer
hineinſtrömt. Der Kopf und der Körper wird wiederholt mit Seife
beſtrichen, um ebenſo oft aus dem nahen Becken wieder abgewa-
ſchen zu werden. Hierauf folgt ein mäßiges Kneten der Glieder;
die Procedur iſt damit beendigt, und das Zurückführen geſchieht
mit demſelben Aufenthalte und derſelben gemeſſenen Vorſicht, wie
der Eingang. – Die hier herrſchende Stille, in auffallendem Ge-
genſatze zu dem unaufhörlich rollenden Geräuſche der nächſten volk-
reichen äußeren Umgebung, das ſanfte Plätſchern des Waſſers der
Springbrunnen, das durch die ſpärliche Erleuchtung von der Kup-
pel aus hervorgebrachte Dämmerlicht bedingen einen eigenthümlich
anziehenden Reiz, der durch das einem ſolchen Bade in der Regel
nachfolgende behagliche Gefühl erhöht wird. Somit muß man Hrn.
Urquhart vollkommen Recht geben, wenn er ſeinen Landsleuten
die Errichtung ähnlicher Bäder in der jüngſten Zeit energiſch em-
pfiehlt; die widerwärtige und verabſcheuungswürdige Sitte, die Be-
dienung durch halbnackte Knaben verrichten zu laſſen, wird er frei-
lich in England nicht einführen wollen.
Der großen Waſſerbehälter Belgrad's, welche die Leitungen
nach Conſtantinopel ſpeiſen, wird in einem folgenden Abſchnitte
Erwähnung geſchehen.
Der At Meidan, der Hippodrom der Griechen, wurde
urſprünglich vom Kaiſer Severus, nachdem das alte Byzanz
damals zerſtört worden, angelegt. Von ſeiner Begründung an bis
auf den heutigen Tag haben ſich auf ihm die Wechſelfälle des Schick-
ſals der Herrſcher Conſtantinopels abgeſpiegelt. Conſtantin I.
hatte die berühmteſten Kunſtwerke ſeiner Zeit aus allen ihm zugäng-
lichen Städten Europa's und Aſien's wegnehmen und zu ſeiner
Ausſchmückung herbeiführen laſſen. Dieſen Kunſt-Denkmälern wurde
hernach von dem Aberglauben des Volkes und ſeiner Kaiſer talis-
maniſche Kräfte zur Schirmung des Reiches beigelegt. Faſt alle
Volks-Aufſtände, Revolutionen, Staatsſtreiche, wurden auf ihm ent-
weder begonnen oder durchgeführt. Sie nahmen ſchon unter dem
– 29 –
Kaiſer Arkadius, 406 n. Chr., den Anfang, und haben mit der
blutigen Aufreibung der Janitſcharen vom Jahre 1827, die auf und
an dieſem Platze Tauſenden das Leben koſtete, ihren Abſchluß wahr-
ſcheinlich noch nicht erreicht. Ehedem gaben die auf ihm abgehal-
tenen Rennſpiele der hier repräſentirten vier Volksparteien, durch
gegenſeitige Eiferſucht, häufig das Signal zu Streitigkeiten. Bei
einer ſolchen Veranlaſſung brannte unter Juſtinian, 532, ein
bedeutender Theil der Stadt ab, es kamen 40,000 Menſchen
dabei um, und nur mühſam gelang es dem Beliſar, den da-
maligen Volks - Aufſtand zu unterdrücken. Mit Empörungen
wechſelten hier Kaiſer - Krönungen, mit Triumph-Aufzügen oder
Freudenfeuern Scheiterhaufen und Hinrichtungen. – Von der
ehemaligen Pracht des Platzes zeugen heute als letzte Reſte drei
Monumente, und zwar in der Richtung von Weſt nach Oſt. Sie
ſind: 1) die aufrecht ſtehenden drei zuſammengewundenen Schlangen
von Bronze. Den erſten ihrer Köpfe hat Mohammed II. nach Er-
oberung der Stadt abgeſchlagen; man weiß nicht, wer die andern
entwendete. Es geht die Sage, daß dieſes Schlangengewinde einſt
den Dreifuß im Tempel zu Delphi getragen habe. 2) Der egyp-
tiſche Obelisk, der aus Athen nach Conſtantinopel verſetzt, hier
durch ein Erdbeben umgeſtürzt, unter Theodoſius wieder aufge-
richtet wurde. Die Spitze der Pyramide dieſes coloſſalen Mono-
lithen war ſchon zu Athen abgebrochen; daher erſcheint ſie gegen-
wärtig unverhältnißmäßig abgeſtumpft. Aus der egyptiſchen Ge-
burtsſtätte her ſind ihre Seitenflächen mit Hieroglyphen bedeckt;
eine derſelben, nach Süden gerichtet, zeigt dieſe Schriftzeichen indeſſen
geſchwärzt und ſtark verwiſcht. v. Hammer*) glaubt annehmen
zu dürfen, daß der über das nahe Meer ſtreichende Süd-Wind dieſe
Wetterſeite im Laufe der Jahrhunderte angenagt habe. Der Natur
der Sache und der Localität angemeſſener erſcheint es mir, mit
Caſtellan*) anzunehmen, daß jene Verwitterung durch langes
Liegen der rothen Granitmaſſe am Boden begünſtigt worden ſei,
wobei der Umſtand namhaft ſprechend iſt, daß die zwei Längen-
kanten der verdorbenen Fläche ihre Politur erhalten haben, weil ſie,
*) Constantinopolis und der Bosporos. I. Peſth, 1822. S. 146.
*) Lettres sur la Morée. II. Paris, 1820. pag. 98.
– 30 –
vom Regen unterwaſchen, etwas getrennt vom Boden gelegen hatten.
Die geſchichtlich, obgleich nicht künſtleriſch intereſſanten Basreliefs
hat v. Hammer*) ſehr gut gedeutet. 3) Der das öſtliche Ende
des Platzes einnehmende viereckige, aufgemauerte Pfeiler, welcher
80 hoch ſein ſoll, ſo, daß er den ſeiner Spitze beraubten Obelisk
um etwa 20 überragt. Der Kaiſer Conſtantinus Porphyro-
genitus ſtellte dieſen Pfeiler her und bekleidete ſeine Außenſeite
mit Tafeln von vergoldeter Bronze, welche mit Basreliefs verziert
waren; dieſe Tafeln wurden ſpäter von den habgierigen Lateinern,
nach ihrem Eindringen in die Stadt, des Metallwerthes wegen,
heruntergeriſſen, ſo daß das geſchwärzte Mauerwerk des hohen
Pfeilers einen immer noch grandioſen, und zugleich durch ſeine
theilweiſe Zerſtörung bedeutungsvollen Hintergrund für den Platz
gewährt, welcher bis zum Jahre 1004 der an Kunſtwerken reichſte
in der Welt war. Sein Piedeſtal ſtand Jahrhunderte lang unter
dem Schutt vergraben; während des letzten Orient-Krieges wurde
dieſer, wie man mir ſagte, mit engliſchem Gelde, fortgeräumt, ſo
daß die vollkommen gut erhaltene griechiſche Inſchrift wieder an das
Tageslicht hervorgetreten iſt. Sie erzählt pomphaft die Geſchichte
des Baues und ſingt das Lob des im Purpur geborenen Erbauers.
Man hat die jetzt im Boden entſtandene Vertiefung mit einem
eiſernen Gitter umgeben, an welchem ich auch eine türkiſche Schild-
wache aufgeſtellt fand, die fernerem Andringen kunſtſchänderiſcher
Hände vorläufig wehren ſoll.
Die Lage des alten Hippodrom's iſt eine ſo ausgezeichnete,
daß es ſchwierig ſein möchte, eine ſeinem Zwecke noch mehr zuſa-
gende auf der bekannten Erde aufzufinden. Es bedarf nur einer
mäßigen Erhebung über ſeinen Boden, um von ihm aus die nach
Nordweſt und Weſt gelagerte volkreiche, orientaliſche Metropole,
nach Südoſt und Oſt über das Meer, einen andern Welttheil –
einen Abſchnitt des vegetationsreichen weſtlichen Aſiens, bis zum
Gebirgszuge des ſtolz ragenden bithyniſchen Olymp's hin, nach Nor-
den die Windungen des Bosporus und ſeiner mit Landhäuſern und
Palläſten bedeckten Ufer bis zum ſchwarzen Meere, mit den ſchwel-
genden Augen zu verfolgen. Das Marmara-Meer breitet ſich mit
den Prinzeninſeln nach Südoſt und Süd in größter Nähe aus.
*) A. a. O. S. 147.
Scutari erſcheint mit dem majeſtätiſchen Cypreſſen-Walde und
dem dahinter aufſteigenden hohen Bulgurlü nordöſtlich. Zahl-
reiche Segel- und Dampfſchiffe kommen und gehen unaufhörlich
vorüber, um dem zauberiſchen Bilde eine nicht endende Mannig-
faltigkeit zu verleihen. Da der unter 3 erwähnte Pfeiler heu-
tigen Tages nicht ohne Gefahr zu erſteigen ſein dürfte, ſo wählen
die den Genuß der Fernſicht von hier aus Suchenden dazu jetzt ge-
wöhnlich den nachbarlich nach Süden zu gelegenen Thurm des Se-
riaskier's, deſſen oberſter, von einer Feuerwache ſtets eingenommene
Abſchnitt bequem erreicht werden kann und die Ueberſicht bis in eine
weite Ferne unbeſchränkt, nach allen Richtungen hin erlaubt. Den
Hochgenuß von dieſem erhabenen Standpunkte aus vermag für den
der Geſchichte nicht Unkundigen nur der kaum abzuwehrende Ge-
danke zu trüben, daß gerade dieſen Orten, über welche die ſchaffende
Natur ihr reiches Füllhorn mit ſo großer Vorliebe ergoſſen hat,
längſt ausgeſtorbene Menſchen-Geſchlechter die gebührende Aner-
kennung zu Theil werden ließen, ebenſowohl durch ausgezeichnete
Cultur des Bodens als durch ſeine Ausſchmückung mit Werken der
klaſſiſchen Kunſt. In bejammernswerthem Gegenſatze gehen dagegen
die Menſchen der gegenwärtigen Zeit mit kaltem Achſelzucken an dieſen
Natur-Reichthümern vorüber, unbekümmert um die bei jedem Schritt
auftauchenden trauernden Ueberreſte ehemaliger Größe, ſo laut dieſe
auch die Wiedergeburt zu neuem Leben zu erflehen ſcheinen.
Die Griechen beſaßen noch einen zweiten Hippodrom außer-
halb der Ringmauern in der Nachbarſchaft der Kirche des heil.
Mamias, da, wo jetzt die Moſchee des Sultan Ejub ſteht. Die
Ausſicht von dieſem Punkte iſt zwar weniger großartig und um-
faſſend, dennoch, von beſchränkterem Rahmen umgeben, ein zau-
beriſch-liebliches Bild des darunter ſich hindehnenden goldenen Horns
und der jenſeits anſteigenden Vorſtädte Galata und Pera dar-
bietend.
Faßt man die Tendenz der alten Griechen ins Auge, die Lage
ihrer Rennbahnen und Amphitheater ſo zu ordnen, daß die Zu-
ſchauer jeden Augenblick der nicht durch die Kunſtdarſtellungen oder
Kämpfe in Anſpruch genommen worden, zur Fernſicht in ausge-
zeichnete Natur-Umgebungen benutzen konnten, ſo wird ſich nicht
läugnen laſſen, daß dieſe Verbindung ihrem Weſen nach ſo verſchie-
dener Genüſſe ſchon durch die Abwechſelung mehr geeignet war,
dauernd zu unterhalten und der Abſpannung vorzubeugen. In der
That liegt ſchon hierin eine Gewähr dafür, daß ihr Sinn für das
naturgemäße Schöne und wahrhaft Ideale eine Höhe erreicht hatte,
die mit ihrem Sturze vielleicht für immer untergegangen iſt. Nur
am Buſen der Natur mochte dort die Kunſt ihre Triumphe feiern.
Wie kleinlich müſſen dem unbefangen Vergleichenden dagegen unſere
heutigen Schauſpielhäuſer und Feſtſäle erſcheinen, in denen ſich
Menſchenmaſſen eng zuſammendrängen, um mit gepreßter Bruſt
eine verderbliche heiße Luft einzuathmen, und zugleich durch den
Dampf oder den fallenden Reflex künſtlicher Flammen hindurch
Darſtellungen zu ſehen, die freilich mitunter alle Urſache haben,
das Sonnenlicht zu ſcheuen. Der von den Unbilden einer rauheren
Witterung und eines kalten Klima's gewöhnlich hergenommene Gegen-
grund iſt nur theilweiſe haltbar. Wir wiſſen, daß die Griechen
und Römer allenthalben, wo ſich ihre Colonien anſiedelten, Amphi-
theater bauten; auch habe ich mich überzeugt, daß die Winter-
Monate in Rom, ſelbſt für Deutſche, empfindliche Kälte bringen
können; – ſah doch ſchon Horaz von dort aus das Haupt des
Soracte mit Schnee bedeckt. Aber freilich unſer Luxusleben iſt
bis zur Unnatur in die Höhe geſchraubt; unſere nervöſen Damen
und Herren würden ſich auch im heiteren Oriente auf einer offenen
Schaubühne dem verderblichen Luftzuge, Erkältungen, Krämpfen
u. ſ. w. auszuſetzen fürchten. Ebenſo muß man zugeben, daß zarte
muſikaliſche Töne in freier Atmoſphäre zum Theil ungehört ver-
klingen möchten, obgleich doch auf der anderen Seite unſere coloſ-
ſalen Orcheſter ganz dazu gemacht ſcheinen, Sänger wie Publikum
nach friſcher Luft ſeufzen zu laſſen. Vergebens, wohl für immer,
rief der Dichter:
„Schöne Welt, wo biſt Du? Kehre wieder,
Holdes Blüthenalter der Natur!“
Doch nicht Naturſchönheiten und Geſchichte allein, ſondern
auch die geſunde, trockene Lage dieſes höchſten Punktes des eigent-
lichen Conſtantinopel möchten Diejenigen hier zur Anſiedelung auf-
fordern, die in der Stadt ſelbſt wohnen müſſen. Den friſchen See-
winden vollſtändig ausgeſetzt, bleiben die Anwohner des heute noch
anſehnlichen Platzes von den unangenehmen Dünſten und dem Ge-
tümmel der engen, gekrümmten Gaſſen verſchont. Auch die nicht
fern von ihm, nach Süden zu gelegene „Hohepforte“, der Pallaſt
– 33 –
des Groß-Veziers, hat eine für die Salubrität vortheilhafte Lage,
die dadurch noch verbeſſert wird, daß ſich hinter dieſem Complex
von weitläuftigen Gebäuden, am Abhange des Hügels, ein anſehn-
licher Garten des Sultans hindehnt, deſſen grüne Vegetation zur
Reinerhaltung der Luft jener Gegend gewiß beiträgt.
Außerhalb des At Meidan iſt in der Stadt noch der Ueber-
reſt eines merkwürdigen Monumentes aus alter Zeit in der ſoge-
nannten verbrannten Säule übrig. Dieſe hohe Porphyr-Säule
beſteht aus mehreren Stücken, die ehedem durch Kränze von ver-
goldeter Bronze verbunden waren, gegenwärtig aber durch eiſerne
Ringe zuſammengehalten werden. Conſtantin I. ſetzte ſie auf das
Forum, zu welchem er den ehemaligen Waffenübungsplatz umwan-
delte, dem er auch ſeinen Namen beilegte. Von ihm wurde die
Säule benutzt, um eine Apollo-Statue aus dem phrygiſchen Helio-
polis darauf zu ſtellen, der der heilige Mann an die Stelle ihres
eigenen Kopfes den ſeinigen aufſetzte, auch ihn, anſtatt der apolli-
niſchen Sonnenſtrahlen, mit einem Kranze von Kreuzesnägeln um-
gab. Nimbus und Statue mußten unter dem Kaiſer Julian der
Bildſäule dieſes weichen, den eine darunter angebrachte Inſchrift
den „großen und religiöſen Julianus“ nannte. Bald aber ver-
trieb ihn von dort die Statue des „großen“ Theodoſius, der
ſeinerſeits endlich durch ein Erdbeben herunter geworfen wurde.
Da erſt ſcheint man den Finger einer waltenden höheren Gerech-
tigkeit erkannt zu haben, die ſich einander drängenden Bilder menſch-
licher Eitelkeit wichen zuletzt, – freilich ſehr ſpät, dem Kreuze,
welches nun von dem hohen Standpunkte aus die große Stadt
überragte, ohne ſie jedoch, die auch die ernſteſten Warnungen über-
hörte, jemals in Wahrheit zu beherrſchen. – Der heutige Wan-
derer, der die Geſchichte predigende Porphyr-Säule aufſucht, findet
ihren immer noch hoch anſtrebenden Schaft von zahlreichen Feuers-
brünſten angefreſſen und geſchwärzt, des ehemaligen Glanzes voll-
ſtändig beraubt, – ein tief melancholiſches Symbol der Vergeb-
lichkeit des Widerſtandes von Menſchenwerken gegen die Zerſtörung.
Verſchwunden ſind von ihrem Haupte das hohe Kreuz, wie die
kleinlichen Menſchenbilder, verſchwunden auch von ihrem Fuße die
einſt dort von Theodoſius an den Boden hingelagerten Statuen
des Arius und drei berühmter arianiſcher Lehrer, die der große
Kaiſer alltäglich von den Auswurfsſtoffen Vorübergehender beſudelt
2**
– 34 –
wiſſen wollte. Kaum findet ſich auf dem ehemaligen Forum Con-
stantini, dem umfangreichſten Platze der alten Stadt, jetzt noch ein
Standpunkt, von dem aus der Ueberreſt des geſchichtlichen Monu-
mentes ruhig betrachtet werden könnte, denn vier Straßen münden
unfern der Baſis der Säule aus. Dort, wo ehedem marmorne
Säulengänge den Platz und ſeine zahlreichen Kunſtwerke umgaben,
bedecken geſchmackloſe, hölzerne Kaufbuden den ſchmutzigen Boden,
ſchreiende Verkäufer und heulende Hunde ſtreiten mit Laſtthieren
und Packträgern um die karg zugemeſſene Spanne Raum. Und
doch dürfte es kaum einen zweiten Raum der Art geben, der ein
Bild des weiten Abſtandes zwiſchen Vergangenheit und Gegenwart
frappanter zu verſinnlichen im Stande wäre.
Die Moſcheen und chriſtlichen Kirchen Conſtantinopels.
Wenn man erwägt, daß der ſtrenggläubige Türke ſein Gebet täg-
lich fünf Mal verrichten ſoll, ſo iſt der Ort, wo dies ge-
ſchieht, für ſeine Geſunderhaltung um ſo weniger gleichgültig.
Nun ſind die Moſcheen, welche den Namen „kaiſerliche“ führen,
Dſchami, ſo geräumige Verſammlungsörter, daß ſie von Gläubi-
gen gewiß nur ſelten gefüllt werden. Daher fand ich auch ihre
Atmoſphäre ſtets rein, und die wahrhaft coloſſalen Verhältniſſe des
inneren Raumes vieler derſelben, mögen die geiſtige Sammlung zum
Gebete begünſtigen, indem der Betende hier um ſo ſicherer von ſei-
ner Geringfügigkeit durchdrungen wird. Es kommt hinzu, daß, der
ſtrengen Vorſchrift gemäß, jede irgend zu entbehrende bauliche oder
künſtleriſche Ausſchmückung aus dem Innern fortbleiben muß.
Des fremden Wanderers Schritte finden in Conſtantinopel kein
würdigeres Ziel, als den wundervollen, großartigen Bau der
Aja Sophia; hier werden ſie auch deshalb in der Regel
zunächſt hingelenkt. Sie liegt außerdem von dem alten Hippodrom
ſo wenig entfernt, daß, als der Aufruhr der Rennparteien im Jahre
532 hier einen Brand veranlaßte, die von Conſtantin I. erbaute
Sophien-Kirche mit verzehrt wurde. Der Beſuch beider hochwich-
tigen Punkte läßt ſich alſo verbinden. – Die vom Kaiſer Juſti-
nian neu und ungleich prachtvoller aufgebaute Cathedral-Kirche
„der ewigen Weisheit,“ deren Vollendung ſeiner energiſchen Thätig-
keit bis 538, alſo innerhalb ſieben Jahre gelang, hat allen Wechſel-
fällen, Plünderungen, Beraubungen und Erdbeben bis auf den
heutigen Tag widerſtanden. Freilich war der Griechen wohlbegrün-
– 35 –
dete Verehrung für dieſen Tempel eine ſolche, daß, als im Jahre
1315 die öſtliche Halbkugel der Sophien-Kirche eingeſtürzt war,
Menſchen jedes Standes und Alters freiwillig daran arbeiteten, um
das Unheil wieder auszugleichen. Andronikus der Aeltere ließ
hierauf 1317 das Gebäude durch zwei Pfeiler ſtützen, die, als
daſſelbe bereits dem Islam diente, noch vermehrt worden ſind.
Die ungewöhnlich flach gewölbte domartige Kuppel, ſoll in dem
urſprünglichen Baue des Juſtinian um 15 Ellen höher geweſen
ſein. Als nämlich 20 Jahre nach der erſten Einweihung ein hef-
tiges Erdbeben die Mauern der Stadt, und zugleich den öſtlichen
Theil des Domes eingeſtürzt hatte, wagte man nicht mehr, ihm die
frühere Höhe wieder zu geben. Weder die ſeit der Eroberung von
Conſtantinopel von den Türken erbauten Moſcheen, noch irgend
ein mir in anderen Städten zu Geſicht gekommener Dom bietet
eine ſolche Abflachung der oberſten Wölbung dar. Dem Architekten
Foſſati war der Ruhm beſchieden, dieſe hoch in der Luft ſchwe-
bende zierliche Kuppel von dem Untergange zu retten, der ihr einen
Theil des gegenwärtigen Jahrhunderts hindurch drohte. Ihr Bau
war durch den Zahn der Zeit gelockert und hatte eine ſchiefe Stel-
lung angenommen. Das von Hrn. Foſſati zu London über den
Bau herausgegebene Werk ſichert die Pläne und Riſſe deſſelben
den kommenden Zeiten auf würdige Weiſe. Dieſem trefflichen
Manne hat man es auch zu danken, daß die Kalk-Uebertünchung,
durch welche die Türken die Pracht der Gold-Moſaik des inneren
Gewölbes und die der Säulen bedeckt hatten, wieder fortgeräumt
worden iſt. Auf dieſe Weiſe iſt auch zugleich das coloſſale Moſaik-
Bild Conſtantins I. an der innern Seite des hohen Gewölbes wie-
der zum Vorſchein gekommen, welches dort auf mattem Goldgrunde
tiefer glänzend ausgedrückt iſt; man gewahrt es jedoch nur von ge-
wiſſen Punkten der Gallerie aus deutlich. Das reine Gold, wel-
ches man zu dieſer das ganze Gewölbe auskleidenden Moſaik be-
nutzt hat, widerſtand dem beinahe 400 Jahre auf ihm laſtenden
Kalk trefflich; einen ähnlichen Glanz, jedoch nicht in ſo mächtigen
Dimenſionen, habe ich nur in San Marco zu Venedig geſehen.
Aber nicht leicht wird ein fremder Beſucher die Sophien-Kirche be-
treten, ohne daß ihm von dem herumführenden türkiſchen Aufſeher
nicht eine Anzahl vergoldeter Glaspaſten zum Kaufe angeboten
würden. Mir iſt dies wiederholt geſchehen, und wenn eine ſolche
– 36 –
Delapidation noch Jahrelang fortdauern ſollte, ſo würde der dortige
goldene Conſtantin I. zum zweiten Male, und dann für immer,
vor den Augen der Menſchen verſchwinden. – Von der Pracht
der zahlreichen Säulen der Kirche wird man eine Ahnung bekom-
men, wenn man weiß, daß Juſtinian zu ihrer Beſchaffung alle
ihm damals zugänglichen Tempel der alten Welt in Contribution
ſetzte. Die Porphyr-Säulen des Sonnentempels zu Baalbek,
die Säulen des Dianentempels aus Epheſus von Verde antico,
andere Säulen von Roſſo antico u. ſ. w. aus Cyzikus, Athen
und den Cykladen, mußten hier gleichzeitig dem großen Zwecke die-
nen, und noch gegenwärtig bezaubern ſie den Blick eines kunſtge-
übten Auges. Man muß Mohammed II. Dank wiſſen, daß er
den erſten Türken mit eigener Hand niederhieb, der, nachdem die
Stadt erobert, und alle Gräuel der Plünderung und der Schän-
dung in dem vornehmſten Tempel der damaligen Chriſtenheit voll-
endet waren, nun auch das Zerſtörungswerk mit Aufreißen des
Marmorbodens begann. Bis zu jenem traurigen Zeitpunkte hatten
die Griechen die Sophien-Kirche einen irdiſchen Himmel, einen
Wshnort der Engel und Gottes ſelbſt genannt. Wenn er jetzt vor
ihren Augen zu einem Pfuhl von barbariſchen Gräueln umgewan-
delt wurde, ſo empfingen ſie dafür die gerechte Strafe, die ihnen
für ihre Zwietracht und moraliſche Verſunkenheit gebührte. Ihr
während der letzten Belagerung von 1453 in der Stadt lebender
Geſchichtsſchreiber Chalkokondylas verſichert uns, daß, wenn
während dieſer dringenden Gefahr ein Engel vom Himmel zu dem
Volke mit der Botſchaft herabgeſtiegen wäre, daß die Türken
ſogleich weichen würden, wenn man an der Stelle verderblicher
Religions-Zwiſtigkeiten chriſtliche Einigkeit ſetzen würde, ſo wäre er
der Antwort gewiß geweſen, daß man lieber die Türken, als
eine Vereinigung von Griechen und Lateinern haben wolle. Dieſe
hatte nämlich der letzte Conſtantin, welcher, heldenmüthig fechtend
auf der Mauer fiel, angeſtrebt.
Ehedem bedurften Chriſten, welche die Sophien-Kirche beſuchen
wollten, dazu eines beſonderen Fermans der hohen Pforte, und die
große Mehrzahl der chriſtlichen Bewohner Conſtantinopels hatte ihr
Inneres nie geſehen. Daher erklärt ſich der große Andrang, als
man 1837 hörte, daß der Großfürſt Conſtantin von Rußland die
Kirche beſuchen werde; man hatte ſich in die Hoffnung gewiegt,
– 37 –
unter ſeinem Schutze den Eintritt zu finden, und ſelbſt Damen der
höheren Stände hatten ſich in dieſer Hinſicht eingefunden. Doch
vergebens; türkiſche Wachen verwehrten Jedem, der nicht zu dem
engeren Gefolge des Großfürſten gehörte, den Eintritt, – Männer
und Frauen wurden unter die Füße getreten *). Noch heute er-
zählt man in Pera dieſen grauenvollen Vorgang in herber Miß-
ſtimmung. Heutigen Tages bedarf es eines ſolchen Fermans nicht
mehr. Fremde erlangen den Eingang durch Belohnung eines der
hier ſtets gegenwärtigen Aufſeher; nur die Zeit des öffentlichen
Gebetes wird man paſſend vermeiden. Staunend wird jeder Be-
ſucher den Ausſpruch Winkelmann's unterſchreiben müſſen, daß
aus dem klaſſiſchen Zeitalter der Griechen her, die Baukunſt lange
noch geblühet habe, als Malerei und Bildhauerei ihrem Untergange
bereits entgegen eilten. Gelang es doch ſogar den Osmanen
noch im 15. Jahrhunderte, zu dem Baue ihrer großartigen Mo-
ſcheen ausgezeichnete griechiſche Baumeiſter zu finden. So über-
wältigend bleibt der Eindruck, den die ſeit 538 ſtehende Sophien-
Kirche auf jedes empfängliche Gemüth macht, daß die dadurch her-
vorgebrachte kurze Abſchweifung von dem Hauptzwecke dieſer Schrift
gerechtfertigt erſcheinen mag.
Die von den türkiſchen Sultanen neu erbauten Moſcheen tra-
gen ſämmtlich den ſaraceniſchen Typus, in welchem auch die Mo-
ſcheen der erſten Hauptſtadt der Osmanen zu Bruſſa in Klein-
aſien errichtet worden ſind. Man findet deshalb in Allen eine vor-
herrſchende Aehnlichkeit des Bauſtyls, der augenſcheinlich nach mög-
lichſter Einfachheit ſtrebt. Eine hochgewölbte domartige Kuppel er-
hebt ſich ſtets auf vier mächtigen Säulen mehr oder weniger in
die Luft. Letztere wird bei größeren Gebäuden der Art gewöhnlich
von mehreren kleineren Kuppeln umgeben. Die Ausſchmückung
durch Säulen von Granit, Porphyr, Marmor u. dgl. findet man
nur da, wo ſie ſich bereits aus früherer chriſtlicher Zeit vorfanden,
ſo, daß nur ihre Uebertragung an den paſſenden Ort erforderlich
wurde. Der den Hochaltar vertretende Ort muß ſtets nach Mekka
alſo nach Süden, gewendet ſein; dorthin hat der Gläubige
*) Vergl. v. Grimm, Wanderungen nach Südoſten. III. Theil. Berlin,
1856. S. 48.
– 38 –
während des Gebetes ſein Geſicht zu wenden, indem er zugleich mit
der Stirn den Boden berührt. Zwei, vier oder ſechs Minarets
umgeben den Bau, deren jedes auf ſeiner Höhe mit einer, zwei
oder drei Gallerien umgeben iſt, von denen der dazu beſtimmte
Prieſter, Muezim, die Gläubigen zum Gebet ruft. Der Beſitz
von vier Minarets gilt als Beweis großer Auszeichnung, ärmere
Moſcheen begnügen ſich mit einem ſolchen. Der Vorzug von ſechs
Minarets war bis auf Sultan Ahmed I. nur der Moſchee zu
Mekka zugeſtanden worden; als nun letzterer die von ihm zu Con-
ſtantinopel erbaute Moſchee in ähnlicher Weiſe ausgeſchmückt hatte,
ſo machte man ihm den Vorwurf, daß er dem Propheten gleich zu
ſein ſtrebe. Um dieſem zu entgehen, ließ er der Moſchee zu Mekka
ein ſiebentes Minaret hinzufügen. Dieſe ungewöhnlich ſchlanken
und verhältnäßig hohen Thürme bewirken, zur Seite der Halbkugel
der Kuppel, in der Fernſicht eine eigenthümliche Eleganz, die der
herabdrückende Vergleich mit dem Löſchhute auf einer Kerze auch
nicht zu mindern vermag. Die dem chriſtlichen Cultus eigenthüm-
lichen Glocken würde ein ſolcher Thurm freilich nicht zu tragen
vermögen; auch läßt ſich gegen ihre Zweckmäßigkeit in einem Lande,
welches ſo häufig von Erdbeben heimgeſucht wird, Wichtiges ein-
wenden. Das letzte große Erdbeben zu Bruſſa warf ſämmtliche
Minarets herunter, ſo daß ſie die Moſcheen ſelbſt, oder andere
nachbarliche Gebäude, zugleich mit hinabriſſen. – Gewöhnlich be-
findet ſich an der Seite des Haupteinganges ein Vorhof, Harem,
welcher zugleich die Fontäne enthält, die das Waſſer zu den er-
forderlichen Waſchungen hergiebt. Der entgegengeſetzten Seite iſt
mitunter noch ein Garten oder Begräbnißplatz hinzugefügt, welcher
die Beſtimmung hat, den Stifter der Moſchee mit ſeiner Familie,
nach deren Tode, aufzunehmen. Von dieſem Platze aus dienen
dann gewöhnlich einige hohe Cypreſſen dem Ganzen zur Zierde. –
In der nächſten Umgebung der von den Sultanen ſelbſt geſtifteten
Moſcheen ſieht man gewöhnlich eine Anzahl niedriger Gebäude,
ſämmtlich mit flachen Kuppeln ausgeſtattet. Sie dienen Wohlthä-
tigkeits-Stiftungen, z. B. der Aufnahme von reiſenden Mohamme-
danern, einer Armenküche, einem kleinen Krankenhauſe, oft auch
Schulen, Seminarien zur Erziehung von Prieſtern, und Biblio-
theken. Alle dieſe Anſtalten pflegen aber nach dem Tode ihrer
Stifter, durch ungeregelte Verwaltung bald herunter zu kommen
– 39 –
und erfüllen dann ihren Zweck entweder gar nicht mehr, oder doch
nur dürftig.
Unter dieſen Moſcheen war es die von Suleiman dem
Großen von 1550–1555 erbaute, die mich zuerſt anzog, weil ſie
das großartigſte und prachtvollſte von türkiſchen Händen errichtete
Gebäude überhaupt darſtellt. Der über alle übrigen osmaniſchen
Sultane hervorragende Geiſt Suleiman's ſcheint ſich gleichſam
in ſeiner Moſchee verkörpert zu haben; außerdem ſehen wir hier das
Werk eines türkiſchen Baumeiſters, des Sinan. Ihre Kuppel er-
hebt ſich um ſieben Ellen höher als die der Sophienkirche; deſſen
ungeachtet ragt ſie, nicht ſo vortheilhaft geſtellt als jene, aus der
Ferne geſehen, weniger hervor. Dagegen iſt der Eindruck des mäch-
tigen Domes vom Boden ſeines Innern aus betrachtet ein über-
wältigender. Vier coloſſale Säulen von rothem Granit tragen zur
Unterſtützung des mächtigen Domes bei, deren Schaft am Boden
im Umfange 13 Fuß mißt, bei richtigem Verhältniſſe zur Höhe.
Ich erinnere mich nur, zwei ähnliche Monolithe von Granit rechts
und links neben dem Haupteingange innerhalb des Domes zu Mai-
land geſehen zu haben. Der Baumeiſter der Suleimanije ließ
ſie mit Kapitälen aus weißem Marmor verſehen; ſie tragen nicht
wenig dazu bei, das Gefühl des Uebermächtigen, welches den Be-
ſchauer in einem ſo gewaltigen Raume zu befallen pflegt, zu ver-
mehren. In der That ſcheinen in der Sophienkirche die rings
herum laufenden Gallerien, Chöre, Säulen, Gold-Moſaik, ſowie
die Form des griechiſchen Kreuzes ſelbſt, gleichſam darauf berechnet,
den Eindruck der coloſſalen Dimenſionen herabzuſtimmen; es finden
ſich hier der Gegenſtände zu viele, welche würdig ſind, das Auge
zu gleicher Zeit anzuziehen. Wenn die einfache hohe Würde des
gewaltigen Baues für das Urtheil vorzugsweiſe maßgebend ſein
ſoll, ſo würde man der Suleimanije vor der Aja Sophia den
Vorrang einräumen müſſen. Ich übergehe die große Zahl der
Marmorſäulen und bemerke nur noch, daß die erwähnten vier Gra-
nitſäulen zu griechiſcher Zeit Standbilder auf öffentlichen Plätzen
trugen. Hiernach ſchreite ich zu einem anderen Gegenſtande vor, der we-
ſentlicher zur Charakteriſirung türkiſcher Sitten beiträgt. – In der
äußeren Umfaſſungsmauer ſind nämlich Mauerzellen angebracht, in
welchen die Negerſclavinnen großentheils aufbewahrt werden, die
zum Verkaufe hergeſendet wurden. Mehrere dieſer armen Geſchöpfe
– 40 –
kauerten vor dieſen Gemächern eines barbariſchen Gebrauches, um
die freie Luft und Sonne zu genießen; türkiſche Frauen pflegen ſich
hierher zu begeben, wenn ſie das Bedürfniß empfinden, eine ſchwarze
Dienerin zu beſitzen. Dieſe Sclavinnen werden in der Regel milde
und freundlich behandelt; auf den Verdecken der Schiffe ſah ich ſie
öfters das Wort ungleich lauter führen, als die beſcheidene Herrin;
ebenſo rauchte die Sclavin den Tſchibuk neben dieſer, welche ihn
vermied. Jedenfalls iſt das Loos eines türkiſchen Sclaven ſehr
viel glücklicher, als das eines amerikaniſchen. Jener wird ſogar
als ein Mitglied der Familie angeſehen und behandelt. – Man
führte mich ſpäter zu einem anderen ziemlich weitläuftigen Gebäude,
in welchem gleichfalls ſchwarze Sclavinnen zum Verkaufe aufbewahrt
werden; es liegt der Umfaſſungsmauer Conſtantinopels, nach der
Landſeite zu, näher. Ich wurde hier zuerſt in ein Kaffehaus des Erd-
geſchoſſes geführt, in welchem ein alter bärtiger Türke ſich mit
Schachſpiel und Tſchibuk unterhielt; ihn bezeichnete man mir als
den Aufſeher der unglücklichen Geſchöpfe. Mein Dolmetſcher hatte
es inzwiſchen vermittelt, daß mir die Erlaubniß zu Theil wurde,
die Sclavengemächer zu beſuchen. Wir ſtiegen eine hohe hölzerne
Treppe hinauf, um zu einer Gallerie von ſchmalen Zimmern zu
gelangen, welche drei Seiten eines geräumigen Vierecks umgab; in
der Regel wird einer Sclavin ein ſolches Zimmer überwieſen. Es
wurden mehrere Thüren derſelben für mich geöffnet, und ich ge-
wahrte dann in der Regel eine dumpf hinbrütende, ſchwarze, weib-
liche Figur, in eine Decke gehüllt. Die Inhaberinnen dieſer Zellen
gehörten wahrſcheinlich den niedrigſten Klaſſen an; ſie ſchienen zu
abgeſpannt, um noch einen lebhaften Blick erheben zu können; ſie
ſpielten in jeder Hinſicht eine wahrhaft bemitleidenswerthe Figur.
Ein ekelhafter Geruch war über die ganze Gallerie ausgebreitet,
deſſen Quelle ſich in einer Anſtalt vorfand, die hier den Namen
einer „heimlichen“ gewiß nicht verdiente. – Der Verkauf weißer
Sclaven und Sclavinnen darf ſeit Kurzem öffentlich nicht mehr
ſtattfinden; man weiß aber ſehr wohl, daß er verſteckt geduldet
wird. – Bezeichnend bleibt es jedenfalls, daß man noch heute in
der nahen Umgebung einer Hauptmoſchee, der Suleimanije, einen
Sclavenmarkt duldet.
Die Moſchee des Sultans Mohammed II., des Eroberers von
Conſtantinopel, wurde von dieſem auf dem Platze der ehemaligen
– 41 –
Kirche der h. Apoſtel errichtet, welche die Begräbniſſe der Kaiſer
enthielt. Letztere waren jedoch ſchon von den Lateinern 1204 n. Chr.
erbrochen und geplündert worden. Die Moſchee ſoll von dem grie-
chiſchen Architekten Chriſtodulos erbaut worden ſein, ihr Dom
erhebt ſich vom Grunde bis zum Giebel 87 Ellen hoch. Der Vor-
hof iſt von drei Seiten mit Säulenhallen umgeben; die hiezu ver-
wendeten prachtvollen Säulen zierten ohne Zweifel ehedem die Apo-
ſtelkirche. Die in der Mitte des Hofes angebrachte Fontäne iſt
von mächtigen Cypreſſen umgeben, durch deren eng anſchließende
Zweige der Luftſtrom faſt beſtändig ein Flüſtern unterhält, welches
geeignet iſt, den Beſucher dieſes Platzes, der außer der Zeit des
Gebetes ſtets einſam und ſtill iſt, an den wichtigen Theil der Ge-
ſchichte zu erinnern, von welcher dieſer eng umgränzte Punkt dieſer
Erde Zeuge war. Die Moſchee zeichnet ſich vor anderen von mir
geſehenen darin aus, daß ſie auf drei Seiten fünf Reihen Fenſter
übereinander beſitzt, wobei noch außerdem jede einzelne Kuppel in
ihrem Kranze eine beſondere Reihe kleinerer Fenſter zeigt. Dadurch
wird das Junere des mächtigen Gebäudes in hohem Grade hell
beleuchtet, wie es mir bei keinem anderen dem Gottesdienſte gewid-
meten Gebäude vorgekommen iſt. So erhält der großartige Anblick
des mächtigen inneren Raumes zugleich einen überwiegend freund-
lichen Charakter.
Die Moſchee des Sultan Ahmed L. erregt die Aufmerkſam-
keit der fremden Beſucher gewöhnlich, theils durch ihre ausgezeich-
nete hohe, dem Meere zugewendete Lage, theils durch die Schätze,
die ſie enthält, endlich durch den Umſtand, daß ſie bei großen reli-
giöſen Feſten vom Sultan und ſeinem Hofe vielfach benutzt zu wer-
den pflegt. Sie nimmt den nördlichen Theil des alten Hippodrom's
ein. Den Mißmuth darüber, daß ſie den hiſtoriſch ſo merkwürdigen
Platz verkümmert, vermindert jedoch der Umſtand, daß ſchon früher
zwei Palläſte türkiſcher Großen hier geſtanden hatten, die man fort-
riß, um Raum für die Moſchee zu gewinnen. Da der hervor-
ragende Theil dieſes Hügels der Wirkung der Erdbeben beſonders
ausgeſetzt iſt, ſo hat man die mächtige Kuppel etwas niedriger, als
gewöhnlich gehalten, unterſtützte ſie auch durch vier coloſſale ſtei-
nerne Säulen an der Außenſeite des Gebäudes, die an der Baſis
36 Ellen Umfang haben, jedoch aus drei Stücken beſtehen. Das
Innere des großartigen, 1608 n. Chr. errichteten Bauwerkes macht
– 42 –
durch ſeine Einfachheit und richtigen Verhältniſſe einen wohlthuenden
Eindruck.
Die Moſchee des Sultan Ejub zieht Fremde gewöhnlich nur
durch ihre ausgezeichnete Lage an, durch welche man eine vollſtän-
dige Ueberſicht des goldnen Horn's, ſowie der gegenüberliegenden
ſüdöſtlichen und ſüdlichen Seite von Pera, mit dem Hötel der
engliſchen Geſandtſchaft u. ſ. w. gewinnt. Sie iſt auf den Ruinen
der ehemaligen Kirche des heil. Mamias erbaut, die nahe an der
äußern Seite der Umfaſſungsmauer lag. Sie iſt die einzige Mo-
ſchee, welche Chriſten auch heute noch nicht betreten dürfen, weil ſie
in ihrem Centrum den Stein enthält, von welchem aus, der tür-
kiſchen Sage nach, der Prophet ſeine Himmelfahrt unternommen
und auf ihm den Eindruck ſeines Fußes zurückgelaſſen haben ſoll.
Hr. v. Grimm genoß, im Gefolge des Großfürſten, das Vorrecht,
ſie zu beſuchen. Er fand auf dem berühmten Steine eine Vertie-
fung, die an den Huf eines Pferdes erinnerte; das Innere dieſer
Moſchee iſt übrigens ſehr einfach gehalten. Sie krönt zugleich den
Hügel, welchen amphitheatraliſch die mit orientaliſcher Pracht aus-
geſtatteten Gräber der hervorragendſten türkiſchen Staatsbeamten,
Muftis, heiliger Derwiſche, ſowie der Frauen aus hohen Familien
einnehmen. Die an dieſen zahlreich angebrachten Vergoldungen, die
dazwiſchen angelegten Grab-Kapellen, die das Ganze überragenden
zahlreichen hundertjährigen Cypreſſen, gewähren einen ſo höchſt un-
gewöhnlichen, zugleich reichen und eleganten Anblick, daß mit ihm
irgend etwas Aehnliches an einem andern Orte der Erde, ſchwerlich
verglichen werden kann. Die myſtiſche Stille, die hier allenthalben
herrſchte, als ich, kurz vor Sonnenuntergang den Hügel hinanſtieg,
mag dazu beigetragen haben, ein zauberhaftes Licht über die Scene
auszubreiten. Da der Fahnenträger des Propheten, Ejub, während
der dritten Belagerung Conſtantinopels durch die Osmanen hier
an der Mauer gefallen ſein ſoll, und ſein Grabmal auf dem Vor-
platze der Moſchee errichtet worden iſt, ſo wurde der heilige Ort
ehedem von Janitſcharen ſtets eiferſüchtig bewacht, welche auf jeden
Ungläubigen, der ſich ihm zu nähern wagte, ſchoſſen. Dieſe Strenge
iſt geſchwunden; ich ſtieg, von meinem Dolmetſcher allein begleitet,
den Hügel, vom Ufer des goldnen Hornes aus, ungehindert hinan,
trat ebenſo in die einzelnen Abtheilungen der auffallenderen Mouu-
mente ein, um ſie genauer zu betrachten, mein Fußtritt wiederhallte
– 43 –
in der abendlichen Stille des abgelegenen Ortes, aber kein menſch-
liches Weſen, welches meinen ernſten Gedankengang hätte ſtören
können, ließ ſich blicken.
Da vorſchriftgemäß alle osmaniſche Grabſtätten unantaſtbar
ſein ſollen, ſo folgt daraus mit Nothwendigkeit, daß die Todten
zuletzt die Lebenden, vorzugsweiſe auch bei dieſer volkreichen Stadt,
werden verdrängen müſſen, wenn dieſen nicht eine wohlthätige Auf-
lockerung jener ſtrengen Sitte zu Hülfe kommen ſollte, wie ſie her-
nach im Oktober 1859 thatſächlich eingetreten iſt. Bei einem Ritte
um die Landſeite der alten Umfangsmauer überzeugte ich mich, daß
der Boden, ſoweit das Auge reicht, mit Grabhügeln und Denk-
ſteinen bedeckt iſt. Die letzteren ſind im Laufe der Zeit großen-
theils ſchon umgefallen, Spaziergänger uud ſpielende Kinder ſchweifen
darüber hin, – aber von einer weitern Störung dieſer Ruheſtätten
darf bis jetzt keine Rede ſein. Der einzige Vortheil, den ſie den
nachfolgenden Generationen geben, kann wohl nur in der lebendigen
Vegetation der Tauſende von Cypreſſen liegen, die ohne Zweifel
mit jener heiligen Scheu zugleich dahin ſinken würden, um die
wüſte Oede noch zu vermehren, die ſich außerhalb der Landthore
allenthalben darbietet. So abſchreckend erſcheint ſie, daß ſich kein
Einwohner verſucht fühlt, jenſeits dieſer Grabſtätten Erholung in
freier Luft zu ſuchen; man fährt zu dieſem Zwecke gern nach den
ſogenannten „ſüßen Waſſern“ Aſien's und Europa's, – erfriſchenden
Grasplätzen, erſtere an der aſiatiſchen Seite des Bosporus, letztere
an der Nordweſt-Seite des inneren Endes des goldnen Horns.
Die Boden-Verhältniſſe der vor den Landthoren der Stadt
ſich ausbreitenden großen Ebene zeigen an der Oberfläche verwit-
terten Thonſchiefer, hier und da von Quarzadern durchſetzt, in denen
ſich Spuren von Kupfer und Blei vorfinden. Süßwaſſer-Kalk und
Sandſteine kommen hier und da zu Tage. Die Dammerde iſt zum
Theil mit Sand und Lehm gemengt; unter ihr liegt an manchen
Stellen ein Kalktuff, der, friſch gebrochen, ſo weich iſt, daß er ſich
in Tafeln ſchneiden läßt, die erſt an der Luft erhärten. – Auf
jenem Boden fand ich im Herbſte zwei weit verbreitete Pflanzen
blühend, die ſich gleichſam die Herrſchaft ſtreitig machen. Das am
Boden hinkriechende ſtachelige Poterium spinosum überwiegt; nächſt-
dem bringt Erica verticillata wenigſtens den Nutzen, in großer
Menge zum Kalfatern der Schiffe zu dienen, auch wohl der Haupt-
– 44 –
ſtadt Beſen zu liefern. Echium violaceum und plantagineum
blühten dazwiſchen noch dürftig. Die Schaafe, welche ich dort wei-
den ſah, bewieſen durch ihr kümmerliches Anſehen, wie ſehr ſie unter
der ſpärlichen Nahrung litten. – Die Orientalen beſitzen ein zoo-
logiſches Wörterbuch, deſſen Verfaſſer der 1403 verſtorbene Do -
mairi iſt, welchen man auch den arabiſchen Büffon genannt hat.
Die griechiſchen Kirchen des heutigen Conſtantinopels ſind
des alten Glanzes in ſo hohem Grade entkleidet, daß ſie nur die
fremden Beſucher anziehen, welche den verſchiedenen Formen des
chriſtlichen Cultus ſpecielles Intereſſe zuwenden. Bleibt ihnen doch
das feierliche Geläute der Glocken bis heute unterſagt, obgleich dieſem
rechtlich nichts mehr entgegen ſteht, ſobald der Hatti-Hümayum in
volle Kraft treten würde. Ich begnügte mich deßhalb damit, eine
dieſer Kirchen zu beſuchen, die ſowohl durch ihre Geſchichte, als durch
ihre vortheilhafte Lage Aufmerkſamkeit erheiſcht. Dies iſt die Kirche
„unſerer lieben Frau vom Quelle“, die zur Kaiſerzeit, dem Range
nach, als die Dritte betrachtet wurde. Sie liegt außerhalb der
Mauern der Stadt, nahe vor dem jetzt vermauerten goldnen Thore,
unfern des Meeres. In ihrer Umgebung erheben ſich Bäume über
griechiſchen Grabſtätten, und der Raum zwiſchen ihr und der nahen
Stadtmauer iſt mit Gemüſegärten gefüllt. Dieſe Lage macht ſie
an Sonn- und Feſttagen noch gegenwärtig, beſonders Nachmittags,
zum Zielpunkte der Wanderungen griechiſcher Familien. Schon
als Kaiſer Juſtinian an dieſem Orte die erſte Kirche, bald nach
der Sophienkirche, erbaut hatte, hieß ſie die Kirche zum Spazier-
gange. Die letztere Bedeutung hat ſich bis heute, ungeachtet aller
Wechſelfälle der Jahrhunderte, erhalten, – ein abermaliger Beweis
für die hohe Wichtigkeit der Wahl des Ortes für öffentliche Ge-
bäude, die in unſerer Zeit oft genug nicht genügend gewürdigt wird.
So iſt es geſchehen, daß, als der Bulgaren-Fürſt Simeon i. I. 929
bis Conſtantinopel vorgedrungen war und dieſe Kirche verbrannt
hatte, ſie ſo ſchnell aus der Aſche wieder erſtand, daß, nach erfolgtem
Friedensſchluſſe die Verbindung des Bulgaren-Fürſten mit der Toch-
ter des Kaiſers in ihr gefeiert werden konnte. Der jüngſten Zer-
ſtörung unterlag ſie durch die Volkswuth der Türken, als das gegen-
wärtige Königreich Griechenland ſich von der Türkei losriß. –
Bald nach ihrer erſten Errichtung gerieth ein innerhalb ihrer Um-
faſſungsmauer liegender Quell, in welchem man damals Goldfiſche
aufbewahrte, in den Geruch der Heiligkeit, den er bis jetzt bewahrt
hat. Kein gläubiger Grieche verläßt den Ort, ohne an ihm ſein
Gebet verrichtet, und auf der bereit ſtehenden Schüſſel eine Opfer-
gabe dargebracht zu haben. Eine ſchmale ſteinerne Treppe führt
zu der etwas tief liegenden Quelle hinab; doch nur die Prieſter
haben den Zutritt bis zu dieſem ſelbſt. Ich gewahrte von dem Ge-
länder der Treppe aus eine Anzahl munter umherſchwimmender,
dunkler Fiſche, wahrſcheinlich gewöhnliche Forellen. Die dunkele
Farbe derſelben leitet indeſſen die Mythe von einem Wunder ab.
Sie ſagt, daß, als Mohammed II. durch die Breſche in die Stadt
drang, ein Prieſter hier beſchäftigt geweſen ſei, Fiſche zu braten.
Als ihm hierbei verkündigt wurde, daß die Türken in dieſem Augen-
blicke in die Stadt eindrängen, erwiederte er ungläubig: ſo wenig,
als ſeine halbgebratenen Fiſche in den Quell ſpringen möchten, eben
ſo wenig würden die Türken die Stadt einnehmen. Aber die halb-
gebratenen Fiſche ſprangen urplötzlich aus der Pfanne in den Quell.
Seit dieſem Tage ſei das rothe Gold von der Rückenſeite der Fiſche
verſchwunden. – Bei dem Eintritte in die Kirche ſelbſt überzeugt
man ſich bald, daß es mit dem Verſchwinden des Goldes aus ihr
allerdings ſeine Richtigkeit habe; doch fand ich das Gewölbe der
Kirche durch Marmorſäulen geſtützt, die in zwei Reihen aufgeſtellt
ſind, ſo daß neben dem mittleren Hauptſchiffe zwei ſchmale Neben-
ſchiffe vorhanden ſind. Das nach Weſten gelegene Allerheiligſte
erſcheint durch eine Scheidewand von den Schiffen getrennt, die mit
einer langen Reihe bunter Heiligenbilder beklebt iſt, welche an künſt-
leriſchem Werth nicht viel über denen ſtehen, die man auf unſeren
Jahrmärkten dem Volke feil bietet. Ein Prieſter machte mich jedoch
auf zwei von dem Kaiſer Nikolaus hierher geſchenkte Bilder auf-
merkſam, die an der ſüdlichen Seitenwand aufgehängt ſind. Das
Eine derſelben iſt ein guter Kupferſtich der Madonna, das andere
aber ein werthloſes Oelbild. – Nahe an der Südſeite der Kirche
findet ſich ein kleiner mit Mauern umfaßter Begräbnißplatz vor,
auf welchem marmorne Leichenſteine liegen, die, mit griechiſchen In-
ſchriften verſehen, die Gebeine von Mitgliedern der moldo-wala-
chiſchen Fürſten-Familie, oder der ruſſiſchen Geſandtſchaft decken.
Eine nach derſelben Seite hin gerichtete Vorhalle der Kirche beher-
bergt eine Anzahl Heiligen-Bilder des niedrigſten Geſchmackes.
Heiterer und anmuthiger erſchien mir die bunte Volksmenge, welche
– 46 –
(es war Sonntags), auf den Leichenſteinen der nahen Umgebung
lagernd, Erfriſchungen zu ſich nahm. Einige Türken in Uniform
ſchienen die Stelle von Polizei-Dienern zu vertreten.
Die armeniſche Kirche, welche auf Koſten der Gemeinde im
Anfange dieſes Jahrhunderts neu aufgeführt wurde, verdient wegen
der Eigenthümlichkeit ihrer innern Einrichtung, die dem darin zu
feiernden Cultus entſpricht, nähere Aufmerkſamkeit. Die Altäre,
an welchen das Meßopfer durch die hin- und herwandelnden Prieſter
verrichtet wird, befinden ſich auf einer Art Emporkirche oder Tri-
büne, ſo daß die andächtige Gemeinde das Antlitz zu ihnen in die
Höhe richten muß. Männer und Frauen bleiben hier getrennt. Der
Gottesdienſt findet mit Anbruch des Tages ſtatt.
Tanzende Derwiſche. – Der bis zu den älteſten Zeiten hinauf-
ſteigende Gebrauch, die Gottheit tanzend, oder unter eigenthümlichen
Drehungen und Wendungen des Körpers zu verehren, findet bei
den Osmanen durch die tanzenden, oder Mewlewie-Der-
wiſche ihren Ausdruck. Dieſe letzteren ſind wohl kaum der Auf-
merkſamkeit irgend eines Reiſenden entgangen; immer aber iſt der
Eindruck, welchen ihre Ceremonieen veranlaſſen, von der Individua-
lität des Beſuchenden in hohem Grade abhängig; daher ich mir
nicht verſagen kann, über das zu berichten, was mir bei dieſem
höchſt eigenthümlichen Ritus aufgefallen iſt. Man hatte mir am
25. September mitgetheilt, daß Nachmittags um 2 Uhr die Der-
wiſche eines Kloſters zu Scutari tanzen würden. Demnach be-
fand ich mich ſchon vor dieſer Zeit an Ort und Stelle. Das
Kloſter liegt auf einer etwas erhabenen Stelle der amphitheatraliſch
anſteigenden Stadt. Durch das Thor einer hohen Umfaſſungs-
mauer gelangte ich mit meinem Dolmetſcher zunächſt in einen
ſchmalen Hof und wurde ſogleich ohne irgend eine Weiterung in
das Kloſter ſelbſt eingeführt. Am Fuße der hölzernen Treppe
mußten die Stiefeln abgelegt werden, worauf ſodann der Eintritt
in den oberhalb der Treppe gelegenen Saal der Ceremonie geſtattet
war. Dieſer viereckige Raum erſchien nur von mäßigem Umfange
und erhielt ſein Tageslicht durch einige Fenſter der dem Hofe und
der Straße zugewendeten Wand. In der Mitte dieſer Wand,
zwiſchen den Fenſtern, erhob ſich eine niedrige hölzerne Eſtrade, auf
welcher zwei ältere Derwiſche ſtanden, die ſich vor den übrigen
durch ſchwarze Talare, die bis in die Nähe der Knöchel hinab-
– 47 –
reichten und durch einen kreisförmigen Bund um die ſpitze Pelz-
mütze auszeichneten, alſo augenſcheinlich die Oberprieſter darſtellten-
Einer derſelben ſchien 70 Jahre alt zu ſein, und ihm wurde be-
ſonders ausgezeichnete Verehrung erwieſen. An die beiden Seiten
dieſer Eſtrade ſchloß ſich eine kreisförmige hölzerne Gallerie an,
welche einen inneren Kreis in dem Saale darſtellte; ihr Geländer
war indeſſen ſo niedrig, daß ſie keine Bewegung der in dem Kreiſe
gegenwärtigen Perſonen verbergen konnte, – ſie diente alſo offen-
bar nur, die Zuſchauer von den Mönchen ſelbſt abzugränzen. Die
anweſenden Gläubigen kauerten an den Wänden herum auf ihren
Ferſen; den Chriſten war es geſtattet, auf dem Boden zu ſitzen;
Stühle oder Bänke fanden ſich nirgends. Ein kleiner, hölzerner
Balkon erregte noch meine Aufmerkſamkeit, der der erwähnten Eſtrade
gegenüber, oberhalb der Eingangsthüre lag; er diente einigen Muſikern
zum Aufenthalte. – Die Ceremonie begann damit, daß acht Derwiſche
eintraten, um in den inneren Kreiſen, langſam vorſchreitend, ſich herum zu
bewegen, indem ſie mit auf der Bruſt gekreuzten Armen, ſo oft ſie vor
den Oberprieſtern anlangten, ſich tief verneigten, wobei jedoch jedesmal
zwei derſelben eine ſolche Stellung einnahmen, daß ſie während der
Neigung ihre Geſichter einander zuwendeten. Mehrere dergleichen
Umgänge folgten aufeinander mit denſelben Verneigungen. Hierauf
ſetzten ſich die acht Derwiſche im Inneren des Kreiſes auf die Fer-
ſen nieder, worauf die Muſik begann. Dieſe wurde auf drei In-
ſtrumenten hervorgebracht, einer kleinen Oboe mit näſelndem Tone,
einer Art Terz-Flöte und einer kleinen Pauke. Dieſe drei Inſtru-
mente ließen ſich in der angegebenen Reihenfolge, erſt im Solo,
dann vereinigt, hören. Ihre durchaus unmelodiſchen und unharmo-
niſchen Töne hatten eine Zeitlang meine Ohren zerriſſen, als zuerſt
einer der Derwiſche in den Kreis trat, die beiden Arme horizontal
und dann ſchräg rechts und links neben dem Kopfe in die Höhe
ſtreckte und hiernach begann, ſich langſam um ſeine Achſe zu drehen;
ihm folgte allmählig ein zweiter, ein dritter u. ſ. w., bis ihrer
acht waren. Dieſe verbanden nun mit der Achſendrehung ihres
eigenen Körpers zugleich eine Kreisbewegung an der inneren Seite
der Gallerie herum, indem Einer den Anderen in angemeſſener Ent-
fernung folgte. Dieſe Drehungen behielten ſtets ein gewiſſes an-
ſtändiges Maß und ſteigerten ſich nie durch ſchnellere Schwenkungen
bis zur Verzückung, wie dies von einem andern Orden jener Der-
– 48 –
wiſche geſchieht. Sie trugen bis zu den Füßen hinabreichende, die
Knöchel deckende Talare, theils von dunkelgrüner, theils von dunkel-
blauer, theils von weißer Farbe. Zwei von ihnen ſchienen noch
ſehr jung zu ſein; einer derſelben, etwa 18 Jahre alt, trug den
Ausdruck des Leidens im Geſichte und lehnte den Kopf bei ſeinen
Drehungen ſtets an den rechten Arm. Die Neigung zum Schwindel
ſchienen. Alle durch ſtete Uebung überwunden zu haben. Ein älterer
Derwiſch in ſchwarzem Talar blieb in der Mitte des Kreiſes ſtehen;
er gab das Signal zum Anfangen und Aufhören. Sie mochten auf
dieſe Weiſe den großen Kreis tanzend fünf bis ſechs Mal umſchrie-
ben haben, als auch die beiden Oberprieſter von der Eſtrade in den
inneren Kreis traten, um ſich hier um ihre Achſe zu drehen. Ihre
kürzeren Talare deckten jedoch die nackten Füße nicht, und ließen
daher die Bewegungen dieſer ſehr ungraziös erſcheinen. Da alle dieſe
Bewegungen nicht übermäßig ſchnell ausgeführt wurden, ſo kamen
die Tanzenden nicht außer Athen, auch ſchienen ſie nicht beſonders erhitzt
zu werden. Nach einiger Zeit hörte die Ceremonie und Muſik auf,
die Derwiſche zogen ſich an die Wand der Gallerie zurück und der
im ſchwarzen Talar, welcher vorher die Aufſicht geführt hatte, hielt
jetzt eine Anrede in türkiſcher Sprache an die Verſammlung, die
mit großer Aufmerkſamkeit und Stille angehört wurde. Die Würde,
welche der Redende ſeinen Worten zu geben wußte, machte ſelbſt
auf mich, der ich ſie nicht verſtand, eine wohlthuende Wirkung.
Nach ihrer Beendigung trennte ſich die Verſammlung. Es iſt Ge-
brauch, daß Fremde am Ausgange ein Geldgeſchenk zurücklaſſen. –
In den verſchiedenen Klöſtern deſſelben Ordens ſcheinen Verſchieden-
heiten hinſichtlich jener Ceremonieen obzuwalten. Hr. v. Grimm*)
wohnte den letzteren in einem Kloſter zu Pera bei, welches, ſeiner
bequemeren Lage wegen, chriſtliche Beſucher weit häufiger anzieht.
Die von ihm mitgetheilten Beobachtungen weichen von den meini-
gen in mehreren Punkten ab. Doch iſt zu bemerken, daß die Tür-
ken ſelbſt die Klöſter von Seutari höher, als die von Conſtanti-
nopel ſtellen.
Es giebt bekanntlich türkiſche Mönchsorden, deren Mitglieder
den oben bezeichneten Tanz ſo weit treiben, daß er ſich zuletzt in
einne Art wilder Raſerei auflöſt, in welcher die Erſchöpften endlich
*) A. a. O. Th. II. S. 180.
– 49 –
zu Boden ſinken. Andere begleiten ihre Ceremonieen mit einem
heulenden, weithin ſchallenden Geſchrei. Hr. v. Hammer*) be-
nachrichtigt uns, daß einſt ein ſolcher Mewlewi-Derwiſch zu Con-
ſtantinopel ſich in der Extaſe höchſter Begeiſterung vom Redner-
ſtuhle herab auf die Köpfe ſeiner Zuhörer geworfen habe, um
dann unten noch das Rad eines myſtiſchen Tanzes zu ſchlagen.
Ich habe mich niemals bewogen gefühlt, dieſe Auswüchſe einer ver-
brannten Phantaſie aufzuſuchen. – Wenn aber ein Urtheil über
den Tanz, welcher zur Verherrlichung religiöſer Ceremonieen dienen
ſoll, im Allgemeinen verlangt würde, ſo dürften große Schwierig-
keiten damit verbunden ſein, es gerecht und billig abzuwägen, ohne
vorgefaßten Meinungen Einfluß zu geſtatten. Es möchte hierzu
erforderlich ſein, ſich ganz auf die Culturſtufe des Volkes zu ſtellen,
für welches ſie berechnet ſind, auch der ungleich leichter anzuregen-
den und zu ſteigernden Einbildungskraft der Orientalen ein gewiſſes
Recht eingeräumt werden müſſen. – Wenn die heutigen Weſteuropäer
den König David vor der Bundeslade tanzen ſehen ſollten, ſo würden
ſie ein mitleidiges Lächeln und Achſelzucken ſchwerlich verbergen können;
gewiß würden ſie in ſolchem Tanze mindeſtens einen Verſtoß gegen
die königliche Würde erblicken. Das Volk David's urtheilte ohne
Zweifel entgegengeſetzt. Es wird kaum nöthig ſein, an manche
Arten des Tempelgottesdienſtes, wie ſie noch während des klaſſiſchen
Zeitalters der Griechen ſtattfanden, an Bachanten-Züge u. ſ. w.
zu erinnern. – So kann ich denn jenen Schriftſtellern nicht bei-
ſtimmen, die den decenten Tanz eines faſt nur für die niedrigere
Sinneswelt lebenden Volkes bei ſeinen religiöſen Darſtellungen rück-
ſichtslos verdammen und lächerlich finden. So berechtigt ein ſol-
ches wegwerfendes Urtheil erſcheinen würde, wenn man daran
denken wollte, eine ähnliche Ceremonie irgend einem chriſtlichen
Cultus jemals anzuhängen, eben ſo milde ſollte man auf der andern
Seite ſich geſtimmt fühlen, wo es ſich um ein Urtheil über Men-
ſchen handelt, in deren Anſchauungen ſich zu verſetzen, mit Erfolg
kaum möglich ſein dürfte. Mildes Urtheil wird gerade in Con-
ſtantinopel beſonders am rechten Orte ſein, wo, als die Barbaren
ſich bereits zum letzten Sturme rüſteten, eine chriſtliche Synode in der
Sophienkirche ſich eifrig mit der Frage beſchäftigte, wie religiös
*) Conſtantinopolis und der Bosporos. Th. II. Peſth, 1822. S. 205.
Z
– 50 –
Verzückte die Flamme ihrer Erleuchtung aus dem Nabel hervor-
ſchlagen ſehen könnten. Zur Erläuterung füge ich noch zwei Wahr-
nehmungen hinzu, die als bezeichnend angeſehen werden dürfen.
Erſtens, die etwas höher gebildeten Türken der heutigen Zeit ver-
ſchmähen den Cultus der tanzenden Derwiſche vollſtändig; kaum
zwanzig Individuen der niedern Klaſſen, der nächſten Umgebung
des Kloſters angehörig, wie es ſchien, nahmen mit mir zugleich an
der Darſtellung Theil. Zweitens, in einer hochgebildeten weſteu-
ropäiſchen Familie zu Pera ſetzte mich ein auf langjährige Beob-
achtung gegründetes, anerkennendes Urtheil in Erſtaunen, welches
ſich von dem Tanze ſelbſt bis auf die Muſik erſtreckte, als ich dieſe
mit den erſten Verſuchen unſerer kleinen Kinder auf kreiſchenden
Inſtrumenten verglichen hatte. – Sollte der Hatti - Hüm ajun in
irgend einer fernen Zeit zur vollſtändigen Ausführung kommen, ſo
würde jener mönchiſche Cultus ohne Zweifel von ſelbſt verſinken.
Freitags-Andacht des Sultans. – Zweimal nahm ich
Gelegenheit, den feierlichen Zug des Sultans Abdul - Medſchid
nach der Moſchee zum Gebete zu ſehen. Das erſte Mal geſchah
das Gebet in der Moſchee, welche der gegenwärtige Großherr un-
fern ſeines neuen Pallaſtes, hart am europäiſchen Ufer des Bos-
porus erbauet hat. Der Zug bewegte ſich hier zu Pferde aus dem
ſüdlichen Seitenthore des Pallaſtes bis an das große Portal der
Moſchee. Der Sultan war von ſeinen Großwürdenträgern gefolgt.
Er ſelbſt ſaß merklich gebückt zu Pferde; die Geſichtsfarbe erdfahl,
etwas gebräunt; der ſchwarze Bart nicht ſtark; die edlen Geſichts-
züge haben den Ausdruck des Wohlwollens, aber auch zugleich der
Abſpannung und des Gedrücktſeins. Der orientaliſche Gebrauch
erlaubt nicht, daß der Sultan mit der Hand grüßend danke; er er-
wiedert die ihm dargebrachten Grüße durch eine leichte Bewegung
des Kopfes und ein ſtarkes Aufwärtsziehen der ſchwarzen Augen-
brauen, mit welchem zugleich der Blick ſich freundlich belebt. Er
trug die militäriſche Uniform der Generale mit einer Stickerei von
Juwelen am Kragen, die ſich auch bis auf den oberen Theil des Rückens
hinab erſtreckt. Den Kopf deckt der einfache rothe Feß. Das edle
arabiſche Pferd war luxuriös aufgezäumt. In ſeinem Gefolge fiel
mir zunächſt der Serdar Omer Paſcha auf, eine kräftige, ziem-
lich hohe ſoldatiſche Figur mit ausdrucksvollem, ſtark gebräuntem Ge-
ſichte, im höheren Mannesalter; eigenthümlich iſt es, daß ſein Backenbart
– 51 –
auf der einen Seite weiß geworden iſt. Die folgenden Miniſter und
Paſcha's zeigten ebenfalls meiſtens hervorragende Figuren; nur der
Sohn des Dey's von Egypten, der Schwiegerſohn des Sultans,
trat durch eine unbedeutende Perſönlichkeit zu ſeinem Nachtheile zurück.
– Die zahlreichen Zuſchauer wurden nicht gehindert, bis nahe an
den Zug heran zu treten; von militäriſchen Spalieren mit ſtarren-
den Bajonnetten war hier nichts zu ſehen. Auch zeigten die Indi-
viduen der niederen Klaſſen ein rückſichtsvolleres Benehmen, als
wir es bei uns, unter ähnlichen Umſtänden, zu ſehen gewohnt ſind.
– Das Unpaſſende des Mangels eines Schirmes an der mili-
täriſchen Kopfbekleidung der Türken zeigte ſich bei dieſem Zuge in
ſeinem ganzen lachtheiligen Umfange. Da ſich dieſer Zug nämlich
um die Mittagsſtunde in der Richtung nach Süden bewegte, ſo
fielen die brennenden Sonnenſtrahlen ſo quälend auf die Augen,
daß die Lider und die Brauen möglichſt eng zuſammengezogen werden
mußten, um jene zu ſchützen. Man ſagte mir, daß bei der neuen
Uniformirung der türkiſchen Armee unter Mahmud die hohe Geiſt-
lichkeit ein Veto eingelegt habe gegen die Schirme, weil der
Gläubige während des Gebetes den Boden mit der Stirn berühren
ſoll, was der Schirm behindern würde. Man ſollte erwägen, daß
ein ſolcher Schirm ſich für beſtimmte Gelegenheiten aufklappen läßt.
Ein Uebelſtand der Art iſt bei der brennenden Sonne des Orients
von doppelter Wichtigkeit. Da der Turban dem Feß faſt allent-
halben gewichen iſt, ſo verbreitet ſich jener Nachtheil für die Augen
auf alle Volksklaſſen; ſehr oft habe ich meine Barkenführer bedauert,
die durch das Zurückſtrahlen der Sonne von der Oberfläche des
Waſſers doppelt leiden müſſen. Die Mode ſcheint auch im Orient
auf Koſten der Geſundheit allmächtig zu ſein.
Ein anderes Mal wohnte ich dem feſtlichen Zuge des Sultans
nach der Moſchee der Prinzen, Schehſadeg an dſchamiſſi, die
im Voike Jeni-dſchami heißt, bei, die nahe am Ufer des Meeres,
unfern des öſtlichen Endes der vorderſten Brücke über das goldene
Horn liegt. In dieſem Falle fuhr der Großherr in der kaiſerlichen
Gondel von ſeinem Pallaſte am Bosporus aus nach Conſtantinopel
hinüber, der eine Anzahl kleiner Barken folgte. Das kaiſerliche
Fahrzeug wird von zwölf Ruderern in Bewegung geſetzt; den Wür-
denträgern ſind deren nur ſechs erlaubt, und dies gilt auch für
die fremden Geſandten, welche ſich dieſer Etiquette fügen müſſen,
3e
– 52 –
obgleich bei ruhigem Meere ein kräftiger Mann zur Führung der
Barke genügt. – Der kaiſerliche Feſtzug bot, da der Himmel heiter
war, auf dem Meere ein glänzendes Schauſpiel dar. Die große
kaiſerliche Gondel, zum Theil vergoldet, mit einem bunt geſtreiften
Zelte verſehen, reich bewimpelt, von weiß gekleideten Matroſen ge-
führt, nahm ſich höchſt ſtattlich aus. Die nachfolgenden kleineren
Fahrzeuge dienten dazu, den Glanz des an der Spitze einherziehenden
noch mehr zu erheben. – Obgleich die Moſchee in kürzeſter Ent-
fernung vom Landungspunkte lag, ſo beſtiegen doch der Sultan,
ſowie die ſeiner am Ufer harrenden Großbeamten die hier bereit
ſtehenden Pferde ſogleich nach dem Anlanden. Bei der vorwalten-
den Beſchränktheit des Ortes waren hier auch Soldaten zur Ab-
wehrung der Menge aufgeſtellt. Die Geſichtszüge des Sultans
zeigten heute mehr Ausdruck und Lebendigkeit, als bei der früheren
ähnlichen Gelegenheit; er ſcheint übrigens ungleich älter zu ſein als
er wirklich iſt, wozu der tiefe Einſchnitt der Züge und die Falten
der Stirn weſentlich beitragen. Auch iſt das Benehmen einiger
europäiſchen Mächte gegen die Türkei nicht eben geeignet, die letz-
teren zu glätten. Die beiden Schwäger des Sultans folgten ihm
zunächſt; unter ihnen imponirte beſonders Mehemed - Ali, ein
ſtattlicher, ſchöner Mann.
Zur rechten Seite der oben erwähnten Moſchee befindet ſich
ein Brunnenhaus, welches ſich durch ſeinen anſehnlichen Umfang
vor den vielen andern auszeichnet, die man in der Stadt neben
den Moſcheen ſieht. Die hohen Fenſteröffnungen ſeiner Seiten-
wände ſind durch eng geflochtene metallene Gitter verſchloſſen, welche
an ihrem unteren Ende halbkreisförmige Ausſchnitte beſitzen, in
welchen die oben ſchon erwähnten Trinkgefäße ſtehen, die in dieſem
volkreichen Theile der Stadt fleißig benutzt werden. Das ele-
ganteſte dieſer Brunnenhäuſer befindet ſich in der Nähe der So-
phienkirche auf einem freien Platze. Das Flechtwerk ſeiner Metall-
gitter iſt beſonders künſtlich. Ihr grüner Anſtrich und die vergol-
deten Buchſtaben der Koran-Sprüche, welche um den Giebel herum-
laufen, ſchienen mir faſt neu zu ſein, oder deuten jedenfalls auf
ſorgfältige Unterhaltung.
Die Mauern und Thore von Conſtantinopel. – In der
Nähe der Moſchee Sultan Mohammed II. befindet ſich der große
Pferdemarkt der Stadt, auf welchem man, als ich dort anlangte
– 53 –
eine Anction von Pferden hielt, die der Form nach, ganz mit den bei
uns üblichen Gebräuchen begleitet war. Das vorgeführte Thier
wurde von den Kaufluſtigen genau unterſucht, und dann dem Meiſt-
bietenden durch einen öffentlichen Ausrufer zugeſchlagen. Auffallend
erſchien mir dagegen der ausgedehnte Gebrauch, den ich hier vom
Pferdemiſte machen ſah. Man war beſchäftigt, ihn in dünnen
Schichten auf dem Boden an der Sonne auszubreiten. Auf meine
Frage, wozu man den ſo ausgedörrten Dünger brauchen wolle, er-
hielt ich zur Antwort, daß er allein die Streu der Pferde abgeben müſſe,
da das Stroh zu theuer, oder auch nicht zu haben ſei. Auf dieſem
Platze miethete ich nun durch meinen Dolmetſcher zwei Pferde, um
die Mauern von Conſtantinopel auf ihrer Landſeite zu umreiten.
Der Vermiether bewies uns ſoviel Vertrauen, daß er uns die
Pferde für eine beſtimmte Anzahl von Stunden ohne Begleitung
überließ, um ſie dann an einem fernen Punkte in Pera wieder
zu übernehmen, wobei die Zahlung erſt an letzterem Orte geſchah.
– Wir ritten von hier aus zunächſt durch das Thor von Adria-
nopel, Edrene - Kapuſſi der Türken, Thor der Polyandrü
der Griechen, vor welchem ſich noch eine mäßige Anzahl von
Häuſern befindet, unter denen verſchiedene Café's. Dieſes wichtige
Thor wird rechts und links durch zwei runde Thürme flankirt,
von denen der eine in ziemlich gutem Zuſtande, der andere aber
vollkommen unfähig zu irgend einer Vertheidigung erſchien. Bald
darauf fand ich die ganze Mauer ſo höchſt vernachläſſigt, daß von
ihrer Seite her Widerſtand ziemlich nutzlos geweſen ſein würde,
wenn der jüngſt beendigte Krieg eine feindliche Macht hierher ge-
führt hätte. Tiefe Riſſe, wahrſcheineich von früheren gewaltigen
Erdbeben herrührend, die 1592 und 1718 notoriſch Aehnliches be-
wirkten, ſpalten ſie an vielen Orten. Grüner Epheu umrankt ſie
häufig höchſt maleriſch; aus dem Gemäuer hervorgewachſene Bäume
bekunden durch ihre Höhe und die Ausdehnung ihrer Zweige, daß
man ihrem Wachsthum ſeit langen Jahren kein Hinderniß entgegen
ſetzte. Dieſer ruinenartige Zuſtand gewährt freilich den Mauern
für einen Dichter oder Künſtler ungleich mehr Intereſſe, als irgend
einem Ingenieur, und darum fand ſie wahrſcheinlich auch Hr. de
Lamartine*) bewundernswürdig, und nennt ſie nach denen des
*) Voyage en Orient. T. III. Bruxelles, 1838. pag. 315.
Parthénon und von Balbek die am meiſten majeſtätiſchen. Wie
koſtſpielig übrigens eine den Anſprüchen der Fortifikation entſprechende
Ausbeſſerung ſein würde, mag man daraus ermeſſen, daß der Um-
fang von Conſtantinopel 1", deutſche Meilen beträgt, und 28
Thore den Eingang gewähren ſollen. Mit nüchternen Augen an-
geſehen weichen ſie ſchon anſehnlich hinter den ungleich beſſer erhal-
tenen und mächtigeren Mauern von Nicäa zurück. Hierbei iſt frei-
lich gar nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Geſchichtsforſcher,
der die 24 Belagerungen an ſeinem inneren Sinne vorüberziehen
läßt, welche vor dieſen Mauern getobt haben, ſie für wichtiger hält,
als alle übrigen Mauern in der Welt.
Wenn man ſich von dem erwähnten Thore außerhalb der
Mauern links dem Meere zuwendet, ſo bedient man ſich dazu einer
ehedem regelmäßig gepflaſtert geweſenen Straße, deren Verfall jedoch
dem heutigen Zuſtande des Staats vollſtändig anpaßt. Nach Allem, was
mir von türkiſchen Straßen zu Augen gekommen iſt, kann ſie nur
altgriechiſchen Urſprungs geweſen ſein. Wahrſcheinlich rührt ſie
noch vom Kaiſer Juſtinian her; ſie war es, auf welcher in der
Blüthezeit des oſtrömiſchen Reiches die Triumphzüge der Kaiſer den
Weg nach dem goldnen Thore nahmen. – Beſondere Aufmerk-
ſamkeit fordert aber das nächſtfolgende Thor, welches heute Top-
Kapuſſi heißt, das alte Thor des h. Roma nu s, auf welchem
der letzte Conſtantin, der Paläologe, tapfer fechtend, mit dem
morſchen Kaiſerreiche zugleich fiel. Die heutigen Türken hätten
wohl Urſache, dieſen für ihre Geſchichte ſo ruhmvollen Punkt dank-
bar in feſtem Zuſtande zu erhalten; nichts was irgend einer beſon-
deren Sorgfalt ähnlich ſähe, wird man jedoch hier gewahr. Es
würde keiner centnerſchweren Steinkugeln bedürfen, wie ſie Mo-
hammed's II. große Kanone geſchleudert haben ſoll, die ein Deut-
ſcher geſchmiedet hatte, um dieſe baufälligen Mauern zu erſchüttern.
– Aehnlich verhält es ſich mit den noch offenen ſeewärts fol-
genden Landthoren. Das den Griechen höchſt wichtige „Goldene
Thor“, – war ſchon zwei Jahrhunderte vor der Eroberung durch
die Türken, von den letzten ſchwachen griechiſchen Herrſchern ver-
mauert worden, weil ſie ſtets das Eindringen der Barbaren fürch-
teten. Die Türken haben es mit in die Umfaſſungsmauer ihrer
feſten Citadelle, der ſogenannten „ſieben Thürme“, hinein gezogen.
Vergebens ſucht alſo das Auge jetzt das Thor, durch welches Theo-
– 55 –
doſius der Jüngere ſeinen Triumph-Einzug, auf einem von vier
Elephanten gezogenen Siegeswagen hielt, vergebens die heid-
niſche Siegesgöttin, welche das chriſtliche Kreuz über dem Thore
hielt, vergebens auch die Statuen des Theodoſius d. Gr. und des
Jüngeren, vergebens endlich die goldenen Inſchriften. Kreuz und
Statuen waren ſchon früh durch Erdbeben herunter geworfen wor-
den. Verſcheucht wird die goldene Erinnerung durch die rauhe
Wirklichkeit der nahen ſieben Thürme, deren coloſſale Mauern von
da ab den ganzen Raum bis zu dem Meere ausfüllen. Sie
ſtellen das feſteſte Bauwerk dar, welches aus türkiſchen Händen auf
griechiſchen Fundamenten hervorgegangen iſt. Ich konnte mich nicht
enthalten, über die mächtigen Bauſteine, welche nahe am Ufer im
Meere zerſtreut herum liegen, ſo weit hinauszuſteigen, als es das
ruhige Waſſer erlaubte. Wer dieſe ſtarken Mauern, von der See-
ſeite her, aus der Nähe betrachtet hat, wird ſich nicht verhehlen
können, daß ſie ganz dazu gemacht ſind, den Belagerten eine letzte
ſichere Zuflucht für längere Zeit zu gewähren, wenn Conſtantinopel
die Beſtimmung hätte, dereinſt eine fünfundzwanzigſte Belagerung
zu erleben. Die hohen Thürme ſind nämlich ganz aus ſoliden
Werkſtücken errichtet, die ſich in abgeriſſenen griechiſchen Bauwerken
aller Art zur Genüge vorgefunden haben mögen. Hier und da
ſchaut ein weißer Marmorblock hervor als Reminiscenz an ehe-
malige Statuen oder Altäre. Auch ruhen dieſe Bauten auf Felſen-
grund, den ſchon Juſtinian hatte ſprengen laſſen, als ein gewal-
tiger Eisgang im Meere den dortigen Mauern verderblich geweſen
war. Wer die inneren Einrichtungen der ſieben Thürme kennen zu
lernen wünſcht, mag darüber Hrn. Pouqueville nachleſen, wel-
cher mit dem franzöſiſchen Geſandten Ruffin 25 Monate darin
gefangen ſaß. – Scheint es doch, als hätten die Osmanen ihre
geſammte Baukraft für die Befeſtigungen dieſer Thürme erſchöpft
und ſich deshalb der Unterhaltung der Ringmauern der Stadt über-
hoben gefühlt, deren Umfang, als Murad IV. ſie im Jahre 1636
ausbeſſern ließ, zu 19,280 Ellen bemeſſen worden war. Ihre letzte
Herſtellung geſchah unter Ahmed III. in den Jahren 1721–
1723. Seitdem ſcheinen ſie vergeſſen dazuliegen, und in dem Ge-
mäuer der nach innen offenen viereckigen Thürme hauſen Eulen und
Geyer ungeſtört, um kreiſchend über geſchehenes Unrecht ſich zu be-
klagen, wenn irgend ein Steinwurf ſie aufſchreckte.
– 56 –
Auf meinem Rückwege längs der Außenſeite der Mauer, ritt
ich vor dem Thore von Adrianopel vorüber, um das weiter weſt-
lich gelegene Landthor Egri - Kapu, das krumme Thor, zu ſehen,
welches die Griechen das charſiſche, nach ſeinem Erbauer, dem Prä-
fekten Charſas, genannt hatten. Es ſcheint ſich etwas beſſer er-
halten zu haben, als die übrigen. Das Thor Haivan - Serai
Kapuſſi, die Hyloporta der Griechen, befindet ſich in der Rich-
tung gegen den Fanar und das goldene Horn, von welchem her
die erſten Türken durch einen unterirdiſchen Gang in die Stadt ein-
gedrungen ſein ſollen, um den Vertheidigern der Mauern in den
Rücken zu kommen. – Die genauere Betrachtung dieſer Befeſti-
gungs-Mauern läßt keinen Zweifel übrig, daß ſie aus verſchiedenen
Zeiten her verſchiedenen Vertheidigungs-Syſtemen angehören. Wenn
die Geſchichte berichtet, daß ſchon die älteſten griechiſchen Mauern
zwiſchen zwei feſten Thürmen convex-concav, mit der Concavität
zweckmäßig nach außen gerichtet, geweſen ſeien, ſo iſt davon heute
keine Spur mehr vorhanden; ſie verfolgen ſämmtlich die gerade
Richtung, wo nicht etwa die Krümmung des Terrains es anders
gebot. Das Majeſtätiſche, welches poetiſche Beſucher in ihm ge-
funden haben, mag der etwas erhabenen Lage zuzuſchreiben ſein, die
davon herrührt, daß man die Hauptmauer auf einem Erdwalle er-
richtete. Die Mauerhöhe ſelbſt iſt nicht ausgezeichnet. Alle Be-
ſchreiber dieſer Befeſtigungen ſprechen von drei Mauer-Linien; ich
habe aber an einigen Orten deutlich die Spuren von vier ſolcher
Linien geſehen. Außerhalb der Haupt-Mauer und ihrer theils vier-
eckigen theils halbrunden Thürme verläuft auf etwas niedrigerem
Boden eine zweite, von viereckigen nach Innen offenen Thürmen
flankirte Mauer, die etwa zehn bis zwölf Fuß hoch iſt; ſie ſoll
von Apopankus im Jahre 1344 erbaut worden ſein. Tiefer
noch, unmittelbar an dem inneren Rande des tiefen Grabens, läuft
eine kaum mannshohe, vielfach eingeſchnittene Mauer ohne Thürme,
die offenbar der Hand-Vertheidigung gegen den über den Graben
vordringenden Feind beſtimmt iſt. Endlich finden ſich noch außer-
halb des Grabens Reſte einer Mauer, die jedoch weithin zerſtört
iſt; ſie hat wahrſcheinlich zur Vertheidigung des Grabens ſelbſt
dienen ſollen. – Der an manchen Stellen noch anſehnlich tiefe
und breite Graben wurde von Leo Bardas, urſprünglich zum
Schutze gegen die Angriffe der Bulgaren angelegt. Er iſt
– 57 –
gegenwärtig allenthalben trocken, und dient zu Gemüſe- und Frucht-
Gärten, die jedoch ziemlich verwildert ausſehen. – Die bereits
erwähnten verticalen Mauerriſſe gewähren bequem Gelegenheit, die
verſchiedenen Formen der Conſtruction, die auf einander gefolgt
ſind, genauer zu betrachten. Man überzeugt ſich leicht, daß die
ſolidere, ebenmäßigere Grundlage allenthalben griechiſcher Abkunft iſt,
woraus ſich denn die Angabe der Türken, daß Mohammed II.
nach der Eroberung die Mauern von Grund auf neu gebaut habe,
als eitle Prahlerei ergiebt. Daß übrigens die Erdbeben ſpeciell für
Conſtantinopel ſtets eine zerſtörende Rolle geſpielt haben, beweiſt
die Geſchichte dieſer Mauern ausführlich. Von ihrer Vollendung,
am 12. Mai 317 n. Chr. an, befahl Conſtantin I. das Ge-
burtsfeſt des neuen Rom an jenem Tage alljährlich zu feiern.
Doch ſchon unter Theodoſius dem Jüngeren, im Jahre 413,
ſtürzte ein gewaltiges Erdbeben dieſe Mauern um. Conſtantinus
Cyrus, der Präfekt, leitete ihren Neubau ſo energiſch, daß er ſchon
nach zwei Monaten vollendet daſtand. Als 1718 durch ein hef-
tiges Erdbeben nicht nur das Thor von Adrianopel, ſondern
auch die rieſigen Mauern der ſieben Thürme zuſammenbrachen, be-
trachteten die Türken dieſe Zerſtörung als eine Strafe Gottes für
den unrühmlich abgeſchloſſenen Frieden von Paſſarowiz. Immer
noch ragt die Mauer auch heute bedeutend genug in die Höhe,
um dem an ihrer Außenſeite Wandernden die Stadt, mit Aus-
nahme einiger Kuppeln von Moſcheen und von ſpitzen Minarets,
vollſtändig zu verdecken. – Nahe an ihrem weſtlichen Ende, an
welchem ſie von der Höhe zu dem Juden-Viertel und dem goldnen
Horn ſich hinabwendet, erſtiegen wir die Höhe eines kleinen grie-
chiſchen Kirchhofes mit friſchen Gräbern und einigen Terebinthen-
bäumen, um von dort aus den ſogenannten Pallaſt des Beliſar
genauer zu betrachten. Dieſes länglicht viereckige hohe Gebäude
liegt mehr an der inneren Seite der Hauptmauer, und erſcheint ſo
gut erhalten, daß nur ein neues Dach aufgeſetzt zu werden brauchte,
um es von Neuem bewohnbar zu machen. Selbſt die Giebelmauern
ſtehen noch, die hohen ſchmalen Fenſteröffnungen liegen ſo dicht neben
einander, daß das Ganze ein kaſernenartiges Anſehen erhält. Die
Geſchichte dieſes widerſtandskräftigen Baues, der noch jetzt nicht
ſelten von obdachloſen Menſchen benutz. werden ſoll, liegt vollſtändig
im Dunkeln. Nicht weit davon erhob ſich ehedem der kaiſerliche
Zºº
– 58 –
Pallaſt der Blachernen, in welchem die Paläologen reſidirten;
von ihm iſt längſt jede Spur verſchwunden. – Von dieſer letzten
Anhöhe ſtiegen wir ſodann zuerſt nordweſtlich, ſpäter in nördlicher
Richtung in das Juden-Viertel Balata hinab, welches zwiſchen
der gleichfalls nach Norden fortlaufenden hohen Mauer und dem
öſtlichen Ufer des goldenen Horns liegt. Enge Straßen, dürftige,
ſchmutzig ausſehende Häuſer, herumwandernde ärmliche Figuren mit
zerlumpten Kleidern und erdfahlen Geſichtern machen einen nieder-
ſchlagenden Eindruck; beſonders widerlich aber erſchien das Bild
der höchſten Vernachläſſigung in mehreren jungen Frauen, ſowie in
einigen Gruppen von Menſchen jedes Alters und Geſchlechts, die
wir durch die offenen Fenſter am Boden ihrer Zimmer kauern
ſahen. Neben dieſen Abbildern der höchſten Dürftigkeit fiel es in-
deſſen um ſo mehr auf, durch keinen Bettler beläſtigt zu werden,
wie dies doch in einigen türkiſchen Quartieren vorkommt, wo ich
ſogar mehrmals von vermummten alten Frauen angebettelt worden
bin. Auch bewegten ſich einige alte wohlgekleidete Juden im Kaf-
tan, mit langem weißen Barte, ebenſo mehrere ganz anſtändig auf-
tretende ältere Frauen auf den Straßen herum. So abſchreckend
der im Allgemeinen hier empfangene Eindruck auch ſein mag, ſo
bleibt doch immer noch ein Reſt von Decenz übrig, welcher den
Exceß von Ekel nicht verdient, den T. Gauthier und Andere
darauf geworfen haben. Das auf der weſtlichen Seite des goldnen
Horns gegen die Anhöhe von Pera hinaufſteigende zweite Juden-
Viertel, Chaßköi, konnte ich perſönlich nicht beſuchen. Ober-
halb des letzteren auf der Höhe liegt der gemeinſchaftliche Begräb-
nißplatz der Juden, deſſen zahlreiche rohe Denkſteine weithin ſicht-
bar ſind.
Auffallend ſticht der unmittelbar auf das Juden-Quartier fol-
gende griechiſche Fanar von jenem ab; er enthält nämlich zahl-
reiche aus ſtarken Quaderſteinen feſtungsartig aufgeführte Häuſer
nahe am Ufer. Nach der Straße zu ſind ſie mit wohlverſchloſſenen
Thüren und eiſernen Fenſtergittern verſehen. Dabei tritt an ihrer
Außenſeite das Streben, jeden Glanz zu vermeiden, ſichtlich hervor.
Weniger bemerklich iſt dies der Fall bei einer Anzahl neu gebauter
Häuſer, welche vor nicht langer Zeit ein großer Brand zerſtört
hatte; dieſe machen durch ihre leichteren architectoniſchen Formen,
die vorſpringenden- Balcone und lebhafteren Farben einen vortheil-
– 59 –
haften Gegenſatz zu den Nachbarn aus der grauen Vorzeit. Offen-
bar ſpiegelt ſich die größere Sicherheit des Beſitzes in der Neuzeit,
im Verhältniſſe zu der Unſicherheit des Erworbenen während der
früheren Türken-Herrſchaft, in dieſen verſchiedenen Bauſtylen ab.
Selbſt der widerliche Schmutz in den Juden-Vierteln iſt häufig
nichts als die Folge einer weit getriebenen Vorſicht gegen äußeren
Schein von Wohlhabenheit, der zum Raube reizen könnte. Der
Schein von Reichthum, der auf dem Fanar ruht, deutet Seitens
der türkiſchen Regierung wahrſcheinlich auf eine Begünſtigung hin.
– Nahe an der mittleren Brücke über das goldene Horn traf ich
auf das Viertel der Schiffbauer. Von den Docks deſſelben gehen
die zahlreichen Barken und Kaiks Conſtantinopels aus. Wir hatten
bis hierher immer noch die alte hohe Stadtmauer zur Rechten be-
halten, ſo daß wenigſtens zwei Reihen der letzterwähnten Häuſer
außerhalb derſelben am Waſſer liegen. Endlich bogen wir von
jenen ab und gelangten nun ſehr bald zu der Brücke Mahmud's,
welche dieſer, um ſich ein fortdauerndes wohlthuendes Andenken bei
den Einwohnern zu erhalten, über das goldene Horn erbaut, auch
mit Fonds zur Unterhaltung ſo ausgeſtattet hat, daß hier kein
Brückenzoll gezahlt zu werden braucht, wie dies bei den übrigen
nachbarlichen Brücken der Fall iſt. – Dem weſtlichen Ende jener
Brücke gegenüber liegt, nahe am goldnen Horn, eine große Militär-
Caſerne, aus der uns luſtige Muſik entgegen ſchallte. – Von die-
ſem Punkte aus ſteigt die Anhöhe von Pera ziemlich ſteil auf-
wärts; den beſchwerlicheren Theil dieſes Weges legten wir noch zu
Pferde zurück, und erreichten hierbei die von den Genueſen er-
baute ſtarke Feſtungsmauer, welche Galata von dieſer Seite
her, alſo gegen Pera zu, umſchließt. Sie deckt dieſen ſehr ausge-
dehnten und gewerbreichen Stadttheil nach andern Richtungen gegen
Kaſſim - Paſcha und Top - Hané, ſo daß ſie nur den gegen
das goldne Horn und den Bosporus gerichteten Theil dieſes Em-
porium's des Handels freiläßt. Sie wurde Conſtantinopel gegen-
über, den ohnmächtigen griechiſchen Kaiſern zum Trotze erbaut, und
ihre Feſtigkeit iſt ſelbſt durch Erdbeben noch nicht erſchüttert worden.
An die ernſte Mauer hatte ſich ein zum Frohſinn aufforderndes
Weinhaus angeſiedelt, in deſſen Nähe ſich eine Geſellſchaft von
jungen Maltheſern mit dem Spiele des Kugelwerfens beluſtigte.
Der Thurm zu Galata und der Thurm des Seraskiers.
– Beide Thürme bilden die höchſten von Menſchenhänden errich-
teten Bauwerke, der erſtere für die fränkiſchen Vorſtädte, der letztere
für das eigentliche Conſtantinopel. – Der von den Genueſen wäh-
rend einer Fehde mit den Byzantinern aufgerichtete Thurm zeichnet
ſich durch enorm ſtarke und feſte Mauern aus. In ſeinem Innern
führen 146 Stufen bis zu dem Raume hinauf, welchen eine Feuer-
wache ſtets einnimmt. Der Thurm liegt auf einem Felſenvorſprunge
der öſtlichen Seite der Anhöhe und gewährt daher von ſeinem
Höhepunkte eine vortreffliche Anſicht von dem nahen Galata, dem
goldnen Horn mit dem Hafen, beſonders aber von dem gegenüber
liegenden Conſtantinopel. – Der ſogenannte Thurm des Seras-
kiers hat auf der Höhe von Conſtantinopel eine ungleich unehr do-
minirende Lage in der unmittelbaren Nähe des Pforten-Pallaſtes.
Von ſeiner Höhe aus, die gleichfalls von einer Feuerwache einge-
nommen wird, genießt man eine beinahe unumſchränkte Ausſicht,
nicht nur auf das ganze Conſtantinopel und die ihm weſtlich gegen-
über liegenden Franken-Vorſtädte, ſondern auch auf den Bosporus
bis in die Nähe des ſchwarzen Meeres, die Propontis mit den
Prinzen-Inſeln und auf die Weſtküſte von Kleinaſien mit Sku-
tari, Kadi- Köi, bis zu dem fernen bithyniſchen Olymp und
weiter. Man ſieht ſich hier oben alſo im Stande, allmählig eine
Reihe von hervorragenden Punkten Europas und Aſien's zu durch-
muſtern, die ſowohl an maleriſcher Wirkung als an hiſtoriſchem
Intereſſe kaum irgendwo ihres Gleichen haben dürften. Leider iſt
die Atmosphäre auf dieſem hohen Punkte ſelten ſo ruhig, als es
ein ungeſtörter Genuß fordern muß; ſo wurde dieſer auch mir durch
heftigen Luftzug gar ſehr erſchwert. Dagegen kommen die Männer
der Feuerwehr den fremden Beſuchern freundlich entgegen, indem
ſie Kaffe zur Erfriſchung anbieten. Dieſen ungemein ſoliden
Bau hat Sultan Mahmud aufführen laſſen, nachdem er 1749
mit dem nahen Pallaſte zugleich abgebrannt war. – Die große
Stadt bildet, von oben herab geſehen, mit ihren vielen engen nnd
krummen Gaſſen einen ſchwer zu entwirrenden Kuäuel von Häuſern
und Dächern, unter denen ſich jedoch die Moſcheen mit ihren
hohen Domen und Minarets, ſowie die zahlreichen Kuppeln der
niedrigen öffentlichen Gebäude, welche in ihrer Nähe angelegt ſind,
auf ganz eigenthümliche, in keinem andern Orte wiederzufindende
– 61 –
Weiſe hervorheben. Inſofern iſt dieſer Blick auf Conſtantinopel
aus der Vogel-Perſpective ungleich belohnender, als der von der
Höhe der Paulskirche zu London, – wobei man noch zu erwägen
hat, daß es Meeres-Arme ſind, die man von dem Thurme des Seras-
kiers aus Europa und Aſien zugleich umſchlingen ſieht.
Das alte und das neue Serail (Serai). – Das alte
Serail wurde von dem Eroberer Mohammed II. noch im Jahre
der Eroberung ſelbſt auf den weit umfaſſenden Raum gebaut, den
das Forum des Theodoſius und das von Leo dem Großen
errichtete Palatium oder Capitol bis dahin eingenommen hatten.
Der urſprüngliche türkiſche Bau war ein ſo weitläuftiger, daß er
denſelben Raum umſchrieben haben mag, den die urſprüngliche
Stadt des Byzas auf demſelben Punkte der Erde einnahm. Doch
ſchon Sultan Suleiman der Große beſchränkte den übermäßigen
Umfang bei Gelegenheit der Errichtung ſeiner Moſchee und der
daran ſtoßenden Gebäude. Es mag zweifelhaft bleiben, ob das
Vorhandenſein des griechiſchen Capitols die Veranlaſſung gegeben
hat, das Serail hierher in die Nähe des Meeres zu legen. Aber nicht
verkennen läßt es ſich, daß kaum eine köſtlichere Lage für einen
Herrſcherſitz aufgefunden werden konnte, als die hier vorhandene.
Indem der Boden Conſtantinopels ein unregelmäßiges Dreieck dar-
ſtellt, iſt es die Spitze dieſes, welche jener Bau einnimmt. An
jener Spitze gehen die aus dem ſchwarzen Meere hergelangten
Waſſer des Bosporus in die der Propontis, des Marmara-Meeres,
über, um dem Lande von zwei Seiten des Dreiecks her ſtets er-
friſchende Seeluft zuzuführen. Gegenüber in der Nähe breitet ſich
die Küſte Kleinaſiens mit Scutari und dem hohen Bulgurlu
aus. Sämmtliche Schiffe, die aus dem ſchwarzen in das weiße
Meer oder umgekehrt, fahren, müſſen dieſe Landſpitze paſſiren. Ein
auf ihr in glücklicher Stellung erbauter Kiosk, der den Namen von
Bagdad trägt, mag den Beſuchenden durch ſeine großartigen und
zugleich lieblichen Umgebungen wohl zu bezaubern vermögen, wie
es Hrn. v. Grimm*) geſchah, der ſo glücklich war, ihn betreten zu
dürfen. Aus der Ferne her zieht jeder dieſer, dem Herrſcher gehö-
rigen Theile der Stadt, die Aufmerkſamkeit des Beſchauers mehr durch
die zahlreichen Bäume, als durch hervorragende Gebäude auf ſich.
*) A. a. O. Th. III. S. 26.
– 62 –
– Der Beſuch des alten Serails ſowie des Pforten-Pallaſtes wird
auch jetzt noch nur durch Erlangung eines Ferman möglich, den
man durch Vermittelung der Geſandtſchaft einzuholen hat. Die
Zeiten ſind vorüber, wo die Beſucher nur „wie Diebe in der
Nacht“ den Eintritt finden konnten; eine Expedition der Art, wie
ſie uns Hr. Hackländer*) aus dem Jahre 1840 beſchreibt, hat
in der That etwas Myſteriöſes. In der erſt erwähnten Weiſe be-
ſuchte ich dieſe, eine abgeſonderte Stadt darſtellenden Gebäude in
der angenehmen Geſellſchaft von drei Deutſchen Reiſenden, mit denen
derſelbe Gaſthof mich zuſammen geführt hatte. Der Eingang wird
dadurch erleichtert, daß ſeit Sultan Suleiman der Harem des
Großherrn aus dem alten Serail verlegt wurde, wogegen die
Frauen der verſtorbenen Sultane bis auf den heutigen Tag, unter
der Aufſicht von gleichfalls ausgedienten Eunuchen, ihren Aufenthalt
hier nehmen müſſen. Aus dieſem Grunde ſcheint ſeit der Zeit
Sultan Mahmud's hier nichts Weſentliches verändert worden zu
ſein, denn ich fand die ziemlich ausführlichen Beſchreibungen, welche
uns v. Hammer*), Hackländer*) und v. Grimm*) gegeben
haben, auch gegenwärtig noch ganz zutreffend. Der Eindruck, den
die hier ſich den Eintretenden darbietenden fremdartigen und inter-
eſſanten Gegenſtände hervorbringen, muß freilich nach der Individua-
lität jedes Einzelnen ein ſehr verſchiedenartiger ſein.
Das äußerſte große Thor, durch welches unſere kleine Geſell-
ſchaft eingeführt wurde, verdient den Namen einer „hohen Pforte“
vollkommen, der ſich von hier auf die Regierung ſelbſt übertragen
hat; diplomatiſche Aktenſtücke bedienen ſich ſeiner ja heute noch
ganz gewöhnlich. Dieſe hohe Pforte liegt außerdem auf dem ober-
ſten Abſchnitte der verſchiedenen Hügel von Conſtantinopel. Wenn
man ſich erinnert, daß die Tempel des Poſeidon und der Aphro-
dite, welche Byzas bei der erſten Anlage der Stadt erbaute,
wahrſcheinlich auf dieſer Höhe gelegen haben, – weil die Alten
ſolche Höhepunkte am Meere für ihre Tempel vorzugsweiſe gern benutz-
ten, ſo wird man ſich eines Schauders um ſo weniger erwehren kön-
nen, indem man nun die Niſchen betrachtet, in welchen ſeit 1453 ſo
*) A. a. O. Bd. I. S. 322 u. f.
*) Daguerreotypen. Bd. I. Stuttgart, 1842. S. 210.
**) A. a. O. Th. II. S. 12 u. f.
zahlreiche abgeſchlagene Köpfe unglücklicher Verurtheilter zur Schau
ausgeſtellt wurden. Vier Jahrhunderte lang hat die Barbarei einen der
ſchönſten Punkte der Erde zum Henkerplatz umgeſtempelt. Die aus
Weſten unaufhaltſam vordringenden milderen Sitten haben indeſſen
unter der gegenwärtigen Regierung auch hier eine wohlthuende
Veränderung hervorgebracht. Die oben erwähnte hohe Pforte führt
in den Complex von Staats-Gebäuden ein, der ſeit Sultan Su-
leiman das neue Serail heißt. Die von dem Eroberer Mo-
hammed II. urſprünglich angelegten Frauen-Wohnungen haben
aber bis heute den Namen des alten Serail behalten. Der
unter dem zweiten oder mittleren Thore wohnende Henker mag jetzt
ſelten Gelegenheit haben, ſein blutiges Handwerk zu üben; wir
ſahen die Grauen erregenden Niſchen leer. – Auf dem weitläuf-
tigen erſten Hofe fanden wir nichts, was unſer Intereſſe ſpeciell in
Anſpruch genommmen hätte; in Ergebenheit wartende Diener und
Thiere nahmen ihn hier und da ein, – wir durchſchritten ihn daher
ohne Aufenthalt. Der zweite Hof iſt dagegen mit einer ſchönen Baum-
Allee bepflanzt, zum Theil auch gepflaſtert; ein Säulengang um-
giebt ſein Inneres. Das Thor, welches in den dritten oder inner-
ſten Hof führt, heißt das Thor der Glückſeligkeit, weil auf ihm
zur Linken der Audienzſaal des Großherrn liegt, in welchem bei
feierlichen Gelegenheiten, z. B. bei dem Empfange fremder Ge-
ſandtſchaften, die Vorgeſtellten des Glückes theilhaftig werden ſollen,
das Angeſicht des Beherrſchers der Gläubigen zu ſchauen. Jahr-
hunderte lang hat ſich indeſſen dieſe Glückſeligkeit unzählige Male
in Tod, Gefängniß oder Verbannnng umgewandelt, wenn die Vor-
geſtellten das Mißgeſchick hatten, dem Herrſcher zu mißfallen. Der er-
wähnte Audienzſaal nahm mithin unſere beſondere Aufmerkſamkeit in
Anſpruch; er verdient mehr den Namen eines Audienz-Zimmer's,
wegen ſeines verhältnißmäßig geringen Umfanges und ſeiner niedrigen
Decke. Dieſes Zimmer empfängt ſein Tageslicht durch ein einziges
vergittertes Fenſter, ſo daß man die in ihm vorhandenen Gegen-
ſtände nur im Halbdunkel erblickt. Koſtbare Teppiche decken den
Boden und den Thron des Sultans, ſowie eine Art Divan mit einem
von vier Säulen getragenen Baldachin. Die Säulen ſind mit
Edelſteinen eingelegt, jedoch in geſchmackloſer Manier. Daſſelbe
gilt von Figuren, die an den Wänden herum mit Perlmutter, La-
ſur und Edelſteinen verziert zu ſehen ſind. Alle Gegenſtände
– 64 –
erſcheinen mit Vergoldungen überladen. Vor dieſem Throne genoſſen
bisher die höchſten Beamten des Staates die Ehre, den Staub mit
ihrer Stirn reiben zu dürfen, welchen der Fuß des Nachfolgers
des Propheten ſo eben berührt hatte. Bei dem Zurückſchreiten
durch das dritte Thor ſah ich mich vergebens nach den an dieſer
Pforte wachthabenden weißen und ſchwarzen Verſchnittenen um,
welche Hr. Hackländer hier noch mit Kaftan und ſpitzer Mütze
bekleidet vorfand; letztere erſchien damals mit Pfauenfedern geziert. Die
Alles nivellirende Zeit hat ſie hinweg genommen; die Künſtler,
für welche ſich ehedem eine Reiſe hierher ſchon durch das Studium
pittoresker Trachten belohnte, wandern jetzt faſt vergebens.
Eine in der Seitenwand des zweiten Hofes befindliche ſchmale
Thür gewährte uns den Eingang zu den Gärten des Serails und
zu der Reſidenz der alternden Franen ehemaliger Sultane, ſowie
der ſie bewachenden Eunuchen, – deren Amt wahrſcheinlich geringe
Schwierigkeit mit ſich führt, denn wir bemerkten nirgendwo irgend
eine Bewegung hinter einem Gitterfenſter, welche auf das Lauſchen
eines Frauenkopfes hätte hindeuten können. Ueberhaupt hatte ſich
eine bedeutungsvolle Stille über dieſe Räume ausgebreitet; kauin
der Ton eines Vogels ließ ſich in den Gärten verneinen. Die
Benennung des alten Serail, gleichſam des „veralterten“, erſcheint
dadurch für dieſe Abtheilung um ſo geeigneter. – Ein großes Vier-
eck von niedrigen Gebäuden umſchließt den Garten, welcher der
umfangreichſte iſt. Dieſe verſchiedenen Gärten enthalten einzelne
ſchöne Cypreſſen und Platanen; aber die Gebüſche von Roſen und
Jasminen gewähren ein verwildertes Anſehen, und ſorgfältig unter-
haltene Raſen-Parquets würde man hier vergebens ſuchen. Die
Lieblingsblume der Türken, die Tulpe, ſoll im erſten Frühling mit
der Hyazinthe die vorzüglichſte Zierde bringen. – Unſere Schritte
wiederhallten einſam in einem langen und ſchmalen Corridor, der
durch runde Fenſter mäßig beleuchtet erſchien. Und doch bedeutete
man uns, daß die auf ihn ausmündenden Thüren ebenſo viele Ein-
gänge zu den Gemächern der hier in freudenleerer Stille langſam
hinſterbenden Damen bildeten. Die den Fenſtern gegenüber liegeude
lange Wand fanden wir mit zahlreichen Lithographieen in einer
fortlaufenden Reihe bekleidet, die ſämmtlich aus pariſer Werkſtätten
hervorgegangen waren. Sie ſtellten großentheils Scenen aus dem
Leben Napoleon's I. dar, was wenigſtens auf verſöhnliche Geſin-
– 65 –
nungen hindeutet, wenn man das Unheil erwägt, welches Napo-
leon den Muſelmännern in Egypten zufügte. Da ſchon v. Grimm
im Jahre 1837 dieſelben werthloſen Bilder hier vorfand, ſo ergiebt
ſich daraus zweifellos, daß man auf wechſelnde Unterhaltung und
Zerſtreuung der bei rauher Witterung in dieſen Gängen wandelnden
Damen ſehr geringe Rückſicht nimmt. – Die Gemächer des Sul-
tans, welcher ſie faſt nie beſucht, werden deſſen ungeachtet in ele-
ganter Ausſtattung ſtets unterhalten. Sopha's mit ſchweren Seiden-
ſtoffen überzogen, auffallend ſchöne Spiegel, Hängelampen von ver-
goldeter Bronze, reiche Fenſtervorhänge, deuten auf ihren Urſprung
aus dem fernen Weſten, wahrſcheinlich aus Paris, hin. Weißer
Marmor iſt reichlich verwendet, beſonders zu den in eigenen Ka-
binetten aufgeſtellten Badewannen und Waſchgefäßen verſchiedener
Formen, deren alltäglich mehrmals wiederholter Gebrauch eine der
nützlichſten Vorſchriften des Korans iſt. – Durch einen Säulen-
gang wurden wir zuletzt in einen zauberiſch ſchön gelegenen, jedoch
ſchlecht unterhaltenen Garten geführt, in deſſen Mitte ſich eine
einzeln ſtehende hohe Marmorſäule erhebt, die offenbar griechiſcher
Abkunft iſt. Die Statue des Theodoſius, welche ſie zu tragen
ehedem beſtimmt war, iſt mit dem griechiſchen Reiche gleichzeitig
geſtürzt. Ich bin verwundert, dieſes geſchichtlich intereſſanten Mo-
numentes ſo ſelten von Vorgängern erwähnt zu finden, – vielleicht
weil ihnen der kleine Platz verſchloſſen blieb. Die Säule wurde
von Theodoſius zum Andenken an den Sieg über die Gothen
im 4. Jahrhunderte errichtet. Sie heißt deshalb auch heute noch
die Gothiſche. Hr. G. L. Kriegk*) hat jüngſt eine kleine Skizze
von ihr geliefert. Einige herrliche alte Bäume bezeichnen den
Raum außerdem.
Das Gebäude, in welchem die Berathungen der Miniſter der
Pforte abgehalten werden, ſelbſt wenn in ihnen der Sultan per-
ſönlich den Vorſitz führt, – in dem auch die einzelnen Miniſter
ihre Audienzen ertheilen, liegt ſüdlich von der hohen Pforte, außer-
halb der Ringmauern derſelben, doch mit ihr auf der nämlichen Anhöhe.
Es iſt ein weitläuftiges, mit langen und breiten Corridoren ausge-
ſtattetes Gebäude, in welchen die des Beſcheides Harrenden ſich
*) Weſtermann's illuſtrirte Monatshefte. Bd. 4. Braunſchweig, 1858.
S. 403.
– 66 – -
aufhalten. Es entbehrt jedoch faſt ganz des Schmuckes und der
ſorgfältigen Ansführung, die wir im Weſten an Bauwerken der Art
zu ſehen gewohnt ſind. Man führte uns in den Salon, welcher
zur Abhaltung der Miniſterconſeils beſtimmt iſt. In ſeiner inneren
Einrichtung fand ich genau dieſelbe Phyſiognomie, welche dergleichen
ähnlichen Zwecken beſtimmte Räume bei uns zu zeigen pflegen.
Sogar mit Saffian überzogene Seſſel und der ovale, mit grünem
Tuche behangene Tiſch fehlte nicht, offenbar ein Reſultat des wieder-
holten Aufenthaltes der Mehrzahl der gegenwärtigen Miniſter in
den verſchiedenen Hauptſtädten Europas. Der Hügel, welchen dieſes
Gebäude krönt, bildet auf der Südweſtſeite einen mit Bäumen
bepflanzten Abhang, unter welchen die Pferde und Diener der oben
beſchäftigten Herren dieſe zu erwarten pflegen. In der Ebene fol-
gen dann die ſchon erwähnten weitläuftigen Gemüſe- und Obſtgärten
des Sultans, deren ſaftiges Grün auf eine ſorgfältigere Unterhal-
tung in erfreulicher Weiſe hindeutet. – Die große Sammlung von
osmaniſchen Waffen und Trophäen, welche Reiſende, die für der-
gleichen Dinge ſpecielles Intereſſe haben, zu beſuchen pflegen, be-
findet ſich in der ehemaligen Kirche der h. Irene. Dieſe uralte,
durch die erſten Andeutungen zum Spitzbogen-Styl architektoniſch
beachtenswerthe Kirche verdankt ihre Erhaltung wahrſcheinlich der
Beſtimmung, welcher ſie hingegeben wurde. Seitdem die Türken
ſelbſt Anfangs 1859 den Kalkanſtrich weggewaſchen haben, mit
welchem ſie ein aus Gold-Moſaik in die Wand eingefugtes großes
Kreuz, nebſt einer gut erhaltenen goldenen griechiſchen Inſchrift, be-
pinſelt hatten, ſo hat der Beſuch dieſes Gebäudes auch für Ge-
ſchichtsforſcher mehreres Intereſſe erhalten.
Die Bazar's und Beſeſtan's. – Den Beſuch der Bazar's
oder offenen Marktplätze, und der Beſeſtan’s, d. h. der mit
leichten Gewölben überdeckten langen Gallerieu von Kaufläden, ver-
ſparte ich bis zum Tage vor der Abreiſe, um zugleich mit freund-
licher Hülfe eines ſachkundigen deutſchen Freundes, des in Ga-
lata angeſiedelten Hrn. Fr. Neef aus Solingen, dort einige
Einkäufe für die Heimath zu machen. Wer ethnographiſche Stu-
dien der verſchiedenſten orientaliſchen Völkerſtämme in einem eng
begränzten Kreiſe zu machen wünſcht, wird dazu in dem ſchwer zu
beſchreibendeu Menſchengewimmel dieſer Märkte reiche Gelegenheit
finden, – ſofern es ihm gelingt, einen dazu geeigneten ruhigen
– 67 –
Standpunkt zu finden, aus welchem Laſtträger, Pferde, Eſel, zahl-
loſe Hunde, berittene Beamte, wandernde Verkäufer, vermummte
Weiber u. ſ. w. ihn nicht verdrängen können. Wer das Straßen-
gedränge zu London, Neapel und Paris glücklich überwunden
hat, darf ſich auf ſeine Kunſtfertigkeit in dieſer Hinſicht nichts zu
Gute thun, ſo lange ihm daſſelbe nicht in Conſtantinopel gelungen
iſt. In jenen Städten wird der Fußwanderer wenigſtens durch ein
geebnetes Straßenpflaſter, wohl auch durch Trottoirs, bei eintretender
Dunkelheit ſogar durch Gasbeleuchtung unterſtützt. Von alledem
findet ſich hier nichts. Was man hier Straßenpflaſter nennt, ſind
einzelne, hier und da unregelmäßig ausgebreitete Steine, zwiſchen
denen ſich kothige Pfützen hindehnen, in welchen nicht ſelten Hunde-
Familien von ihren nächtlichen Streifereien ausruhen, unbekümmert
wegen des ſie umſchwirrenden Lärmens. Der Hauptbeſeſtan von Con-
ſtantinopel wurde während der Anweſenheit der franzöſiſchen Trup-
pen von deren Arbeitern mit regelmäßigen Steinplatten kunſtmäßig
gepflaſtert und mit Trottoirs verſehen. Kaum zwei Jahre waren
ſeitdem verfloſſen und ſchon zeigten ſich allenthalben Defekte, an
deren Ausbeſſerung keine Straßenpolizei denkt. Das Bedürfniß
für dergleichen Bequemlichkeiten iſt in dieſem Volke eben noch nicht
erwacht; von Nachahmung in anderen Bazars oder Straßen iſt
deshalb auch nirgends eine Spur zu finden. In großer Gelaſſenheit
kämpfen mit den daraus entſtehenden Unbequemlichkeiten altgläu-
bige Türken mit langem Barte, Turban, Kaftan und Pantoffeln
an den bloßen Füßen; neumodiſche Türken in eng anliegender Uni-
form, mit dem Feß auf dem Kopfe und Stiefeln an den Füßen;
bis über die Naſe vermummte Weiber, mit ſackähnlichem Mantel
umhüllt und ſchlurfende Pantoffeln an den Füßen, in ſehr ungra-
ziöſer Haltung die offenen Kaufläden neugierig durchmuſternd; ſchlank
und hoch gewachſene Perſer mit tief gebräuntem Geſichte und ſcharf
geſchnittenen Zügen, die kegelförmige hohe, ſchräg oben abgeſchnittene
Pelz-Mütze auf dem Kopfe; den letzteren nicht unähnlich gekleidete
Kaukaſier, auf den erſten Blick kenntlich jedoch durch eine Art Waffen-
rock, an deſſen vorderer Bruſtſeite rechts und links eine Reihe von
Patronen-Futteralen angebracht, auf ſtete Kampfbereitſchaft hin-
deutet, – ſämmtlich hochgewachſene ſtark muskulöſe Figuren mit
hochgewölbter Bruſt und dem regelmäßigen kaukaſiſchen Geſichts-
typis; ernſte Armenier, von der Kopf- bis zur Fußbekleidung
– 68 –
ſchwarz, den berechnenden, durchdringenden Blick im Auge; ſchnell
bewegliche, liſtig umſchauende Griechen, meiſtens mit ſchönen gro-
ßen Augen, Augenbrauen, fein geſchnittenem Munde und gerader
Naſe, im weſteuropäiſchen Oberrock, langen, engen Beinkleidern,
Stiefeln und den etwas hohen rothen Fes mit blauem Büſchel auf
dem Kopfe; – alle an ſich vorüberſchreitend, ſcheinbar ohne irgend eine
Notiz von ſich zu nehmen. Unterſetzte breitſchulterige Laſtträger
tragen keuchend enorme Laſten mittelſt einfacher Vorrichtung auf
dem Rücken; oder es haben ſich zwei derſelben durch zwei lange
ſtarke Stäbe mit einander verbunden, deren Jeder auf den gleich-
namigen Schultern der beiden Männer ruht, ſo daß nun an dieſe
beiden Stäbe die ſchweren Laſten angehängt werden können, mit
welchen ſie auf den engen krummen Gaſſen ſo eilig daher ſchreiten,
daß es keine leichte Aufgabe iſt, ihnen ſtets zu rechter Zeit auszu-
weichen. Pathetiſch wandert hier und da ein Derwiſch mit ſpitzer,
zuckerhutartiger grauer Pelzmütze auf dem geſchorenen Haupte, im
Kaftan dazwiſchen herum. Um das Gedränge zum Uebermaaße zu
ſteigern, erſcheint noch eine mit vermummten Frauen oder mit Staats-
beamten gefüllte Chaiſe, der ehrerbietig Platz gemacht werden muß;
ſie trägt gewöhnlich Spuren von Vergoldung an ſich und ihre Form
iſt der ähnlich, welche vor etwa hundert Jahren in den Haupt-
ſtädten des weſtlichen Europa's gebräuchlich war. Iſt es gelun-
gen, jene unſäglichen Beſchwerden zu überwinden, ſo fragt es ſich,
ob man ſich einem türkiſchen, griechiſchen, armeniſchen oder jüdiſchen
Berkäufer zuwenden ſoll. Nicht leicht wird ein Weſteuropäer, der
Erfahrungen in Conſtantinopel geſammelt hat, hinſichtlich der Beant-
wortung einer ſolchen Frage in Zweifel bleiben können. – Der
Türke ſetzt einen feſten Preis auf ſeine Waare, von dem er nicht
abgeht. Dieſer Preis iſt bisweilen hoch, aber doch in der Regel
dem wahren Werthe entſprechend. Ich habe nie bemerkt, daß, wenn
man die Forderung unangemeſſen findet, in ſeinen Geſichtszügen
ſich nur der mindeſte Unmuth kund gegeben hätte. Mit der größ-
ten Ruhe legt er ſeine verſchmähte Waare bei Seite. – Der Grieche
iſt dagegen auf Abzüge gefaßt und übertreibt daher gern ſeine For-
derung. Er iſt dabei eben ſo redſelig als der Türke ſchweigſam
bei ihm muß man auf jede Liſt und Uebervortheilung ſtets gefaßt,
ſein. – Bei den Armeniern habe ich in Bruſſa ein ähnliches
Verfahren wahrgenommen; doch benehmen ſie ſich meiſtens ruhiger
– 69 –
und feſter als die Griechen. – Die orientaliſchen Juden ſind den
occidentaliſchen in dieſer Hinſicht ganz ebenbürtig. Lautes Gezänk
hört man in der Regel nur in den offenen Bazars; es pflegt ſich
nur zwiſchen Juden und Armeniern der niedrigſten Klaſſe zu er-
heben. – Erleichtert wird dem Käufer die Erreichung ſeines Zweckes
durch den Gebrauch, daß die Kaufläden derſelben Waarengattung
gewöhnlich in einer Reihe neben einander liegen; daſſelbe gilt von
den Handwerkern, die in offenen Buden ihren Arbeiten obliegen
und ſo eigene Gaſſen zu bilden pflegen. – Am meiſten auffallend,
zugleich aber wohlthuend iſt mir in dieſem Sauſen und Brauſen
Tauſender von Menſchenſtimmen die Erſcheinung geweſen, daß, ſo
oft der Muezzim von dem Minaret zum Gebete ruft, die toſende
Menge, wie von einem elektriſchen Schlage getroffen, plötzlich ſchweigt;
die Strenggläubigen begeben ſich eilenden Fußes nach der nächſten
Moſchee, um dort ihr Gebet zu verrichten; die, welche einem laxeren
Ritus angehören, ſtehen wenigſtens ſtill und mnrmeln einige unver-
ſtändliche Worte, indem ſie das Geſicht nach Süden (Mekka) wen-
den. Eine ſo urplötzlich eintretende Beſchwichtigung des Lärmens
würde kein Donnerruf in einer weſteuropäiſchen Marktſtraße zu
Stande bringen können. – Der Prunk von eleganter Anordnung
der ausgeſtellten Waaren, von Schaufenſtern, von abſchließenden
Spiegelſcheiben, Gasbeleuchtung, iſt bis in die Läden von Conſtan-
tinopel noch nicht vorgedrungen. Sie werden, ſobald das Dun-
kel des Abends eintritt, verſchloſſen, und gewöhnlich ſind es einſache
Tiſche, die ſtraßenwärts geſtellt, einen kleinen Theil der Waaren
aufnehmen; der größere Theil derſelben liegt in Kaſten oder in
Fachgeſtellen des Hintergrundes. Daß ſämmtliche Verkäufer nur
männliche Individuen ſein können, verſteht ſich von ſelbſt. – Unter
den gewölbten Hallen erregte meine beſondere Aufmerkſamkeit die
den Gewürzen, Wohlgerüchen und Specereien eingeräumte. Sie heißt
die Egyptiſche, weil die meiſten der hier ausgeſtellten Gegenſtände
über Egypten aus Arabien und Indien kommen. Da die Orien-
talen große Freunde von dergleichen Dingen ſind, ſo findet man
hier ſtets einen ungemein lebhaften Verkehr.
Pera und Galata. – Die Vorſtadt Pera liegt Conſtan-
tinopel gegenüber, auf einem die nordweſtlichſte Seite des gold-
nen Horns begränzenden Hügel, der ſich 330 über das Niveau des
Waſſers des Bosporus erhebt. Die Wände deſſelben laufen nach
– 70 –
drei Seiten hin anſehnlich ſteil gegen das Ufer hinab und hierin
mag der Grund liegen, daß der große Verkehr, namentlich der kauf-
männiſche, ſich in Galata erhoben hat, welches zwar an dem-
ſelben Hügel, aber dem Meere zunächſt, im Jahre 1082 n. Chr.,
urſprünglich von den Venetianern, unter Alexius Comnenus
begründet wurde. Als dieſe ſich ſpäter übermüthig gegen den Kaiſer
Manuel Comnenus benommen hatten, wurden ſie von ihm ver-
bannt und an ihre Stelle die Genueſen zugelaſſen. Dieſe traten
indeſſen bald in die Fußſtapfen der Venetianer, umſchloſſen, unge-
achtet der Proteſtationen des Kaiſers, Galata mit ſtarken Feſtungs-
mauern und bauten den ſchon erwähnten hohen Thurm, der durch
ſeine große Feſtigkeit noch heute Bewunderung erregt und allen
Erdbeben Trotz bot.
Die Höhe des Hügels, das eigentliche Pera, ſcheint erſt nach
dem Falle des griechiſchen Reiches bevölkert worden zu ſein, indem
die Türken dort zuerſt dem Comnenen Drago, nachher auch
anderen vornehmen griechiſchen Familien die Anſiedlung erlaubten.
Daher heißt Pera bei den Türken auch Beg - joli, die Fürſten-
ſtraße. – Erſt 1535, als Franz I. mit dem Sultan Sulei-
man einen Handelsvertrag abgeſchloſſen hatte, wurde dort auch die
Reſidenz der franzöſiſchen Geſandtſchaft feſtgeſtellt, der ſpäter die
andern Geſandtſchaften folgten. Dennoch iſt die lange Hauptſtraße
von Pera ſelbſt nur von reichen griechiſchen und einigen arme-
niſchen Familien eingenommen, mit alleiniger Ausnahme der ruſſi-
ſchen Geſandtſchaft, deren Pallaſt an der Nordoſtſeite der Straße
liegt. Seit dem Ende des Jahres 1856 wird dieſe Hauptſtraße
mit Gas beleuchtet. Bis dahin war es in Conſtantinopel allein der
vor dem ueuen Pallaſte des jetzt regierenden Sultans liegende Quai,
deſſen Gasbeleuchtung während der Dunkelheit einen magiſchen Ef-
fect, durch den Wiederſchein der langen Reihe von Gasflammen
auf dem dunkeln Meere machte. -
Das engliſche Geſandtſchaftshôtel iſt maſſiver, ſolider, „abe
ohne architektoniſche Eleganz, wenn auch innerlich wohnlicher auf-
geführt. Man gelangt aber nur durch eine Nebengaſſe zu ihm und
genießt ſeinen Anblick beſchränkter vom goldnen Horn und deſſen
füdöſtlichen Ufer aus. Ein Park mit herrlichen großen Bäumen,
der dem ruſſiſchen Hötel fehlt, dient ihm zur beſonderen Zierde, iſt
jedoch mit einer feſtungsartigen Mauer umſchloſſen, welche an die
– 71 –
nicht fernen alten genueſiſchen Mauern erinnert. – Die Hötels
der öſterreichiſchen und der franzöſiſchen Geſandtſchaft liegen mit
kleineren teraſſenförmigen Gärten am nordöſtlichen Abhange des
Hügels, nur von einzelnen begünſtigten Punkten aus bequem ſicht-
bar. Die meiſten übrigen Geſandtſchaften wohnen zur Miethe;
die preußiſche zur Zeit in einem ſchön gelegenen großen Gebäude
am ſogenannten petit champ des morts, auf deſſen ehemaligen
Grund und Boden es erbaut ſein ſoll, nachdem das Begraben inner-
halb der Städte verboten worden iſt. Man genießt von ſeiner
Südoſt-Fronte aus eine herrliche Ausſicht auf das goldne Horn,
das Arſenal, Kaſſim - Paſcha und auf ganz Conſtantinopel.
Die Gaſthöfe Pera's haben ſich während der letzten Zeit-
periode zu der Höhe der weſteuropäiſchen zu erheben getrachtet und
von dem Hôtel d'Angleterre darf man ſagen, daß es dieſes Ziel er-
reicht hat. Es liegt auf einem der höchſten Punkte des Hügels
und die Zimmer ſeiner Nordoſtſeite gewähren eine überraſchend
ſchöne Ausſicht. Ebenſo iſt für Comfort aller Art, namentlich gute
Speiſen, beſtens geſorgt. Aber eben deshalb findet man die beſſern
Zimmer faſt ſtets beſetzt und ihre Preiſe ſetzen eine reichlich ge-
füllte Börſe voraus. Solche, die auf ſchöne Lage ihrer Wohnung
weniger Werth legen, finden leicht ein billigeres Unterkommen. An
Speiſehäuſern mit erträglicher Bedienung fehlt es nicht. Die Wirths-
häuſer von Galata ſind auf die Bedürfniſſe Geſchäftsreiſender
berechnet und uur wenige von ihnen würden unſeren Gaſthäuſern
dritten und vierten Ranges gleich geſtellt werden köunen. Im
Jahre 1856 hatte ein unternehmender Franzoſe, Hr. Bacq, ein
Kaffehaus nach franzöſiſcher Sitte eingerichtet; bei meinem Beſuche
war man noch mit dem Ausbauen des oberen Stockwerkes beſchäf-
tigt. Bei guter Wittterung verſammeln ſich Gäſte aus den ver-
ſchiedenen Nationen auf dem viereckigen inneren Hofe, der nicht
blos mit niedrigen Bäumen und Sträuchern, ſondern im Hinter-
grunde auch mit einer kleinen Menagerie, beſonders Vögeln in
Drahthäuſern, ausgeſtattet iſt, welche ſtets Schauluſtige herbeizieht.
Die Bedienung fand ich prompt und billig, und ſo würde dieſes
Unternehmen, wenn es guten Fortgang hat, einen anſtändigen Ver-
einigungspnnkt für Beſuchende der gebildeten Klaſſen darbieten,
eine Fundgrube zugleich für den Freund ethnographiſcher Studien.
– 72 –
Kaum dürfte man irgendwo auf der bewohnten Erde eine
größere Mannigfaltigkeit von Sprachen und Dialekten hören kön-
nen, als in dieſen beiden fränkiſchen Vorſtädten. Die italieniſche
Sprache iſt ſeit der Zeit der Genueſen die vorherrſchende geblieben;
ihr zunächſt folgen neugriechiſch, armeniſch, türkiſch, arabiſch, per-
ſiſch, tartariſch, tſcherkeſſiſch, franzöſiſch, deutſch, engliſch, ruſſiſch,
bulgariſch, ungariſch, ſpaniſch u. ſ. w. – Wer den Wunſch hegt,
ſich praktiſch einen Begriff zu bilden von der Wirkung der Spra-
chenverwirrung bei dem Thurmbau zu Babel, dürfte ſeinen Zweck
am leichteſten in Pera erreichen. – Die zahlreichen Deutſchen
haben in der jüngſten Zeit ein deutſches Caſino errichtet, deſſen
Lokale ſich unfern des Hötels der engliſchen Geſandtſchaft, ſüd-
weſtlich von der langen Hauptſtraße befindet. Als ich eines Abends
dort eingeführt wurde, fand ich eine zahlreiche Geſellſchaft von Da-
men und Herren, vor denen durch eine Liebhaber-Geſellſchaft zwei
kleine Schauſpiele unter der Direktion eines ehemaligen Schau-
ſpielers aufgeführt wurden, von deren Perſonen der Direktor und
eine junge Dame ſich vortheilhaft auszeichneten. Drei Dilettanten
trugen durch Vortrag eines Trio's für Fortepiano, Violine und
Cello, zur Unterhaltung der Geſellſchaft bei. Der Speiſeſaal bot
Genüſſe der Art reichlich dar, wie man ſie in Deutſchland zu fin-
den gewohnt iſt. Die Munterkeit und Geſprächigkeit der Geſell-
ſchaft deutete darauf hin, daß man ſich der Annahme orientaliſcher
Sitten nicht ganz hat entziehen können. Jedenfalls iſt den hier
zerſtreut lebenden Deutſchen Glück dazu zu wünſchen, daß ſie es
vermocht haben, an einem von der Heimath ſo fernen Punkte die
traurige Zwietracht deutſcher Stämme zu vergeſſen, die hier faſt
ſämmtlich vertreten ſind. Möge die Vereinigung weiter und weiter
gedeihen! Die Mehrzahl der Anweſenden ſchien dem Kaufmanns-
ſtande anzugehören. Ich hörte den Abgang des ehemaligen preu-
ßiſchen Geſandten in Conſtantinopel, Herrn Grafen v. Pourtales,
noch heute lebhaft bedauern, weil er ſeine Salons der gebildeten
deutſchen Geſellſchaft an gewiſſen Tagen regelmäßig geöffnet hatte.
– Auch an einem Theater - Gebäude fehlt es Pera nicht.
In der Regel iſt es von einer italieniſchen Geſellſchaft eingenommen.
Am 26. September Abends wohnte ich dort einer Aufführung der
Oper Sophia Miller von Verdi bei. Der Gegenſtand des
Libretto dieſer Oper iſt Schiller's „Kabale und Liebe“ entnommen.
– 73 –
Zu meiner Ueberraſchung übertrafen die Leiſtungen der darſtellenden
italieniſchen Geſellſchaft Vieles, was ich der Art in größeren Pro-
vinzialſtädten Italiens gefunden hatte; die Titelrolle wurde ſogar
ausgezeichnet geſungen. Dem Saale fehlte es freilich an der Ele-
ganz und koſtſpieligen Ausſchmückung, die wir jetzt in unſeren Haupt-
ſtädten zu ſehen gewohnt ſind: aber er iſt geräumig genug, und
die ſceniſche Einrichtung lobenswerth.
Die den Türken abgezwungene Gewährung des Schutzes, wel-
chen die Conſuln fremder Nationen ihren Staatsangehörigen ver-
leihen dürfen, erſchwert der türkiſchen Polizei ihr Amt ungemein.
So konnte es noch Ende April's 1857 in Pera auf offener Straße
und bei hellem Tage geſchehen, daß einem ehemaligen franzöſiſchen
Militär, Namens Perdrix, der viele Beweiſe von Muth im Er-
greifen von Dieben gegeben hatte, von Italienern ins Geſicht ge-
ſchoſſen und ſeinem croatiſchen Begleiter der Arm zerſchmettert
wurde. Die Angreifenden zogen ſich unaufgehalten durch einen
zuſchauenden Menſchenhaufen zurück. Das Gute ging indeſſen aus
dieſem zu laut ſchreienden Vorfalle hervor, daß auf Andringen der
fremden Geſandten ſich die türkiſche Polizei endlich entſchloß, einen
Haufen ſchlechten Geſindels ergreifen, einſchiffen und nach Tri-
polis bringen zu laſſen, wo für ihre Feſthaltung geſorgt wird. Im
Juni 1857 wurde es nöthig, die Vorſtädte Conſtantinopels in Be-
lagerungszuſtand zu verſetzen, um ſich der Räuber bemächtigen zu
können, die unter dem Schutze jener Capitulationen überhand ge-
nommen hatten. – Die wohlthätigſte Einrichtung, welche die Neu-
zeit dieſen Städten bringen konnte, iſt die einer Munizipalität ge-
weſen, die aus chriſtlichen Mitgliedern, namentlich mehreren Deut-
„ſchen beſtehend, von einem türkiſchen Beamten, Kiamil-Be y prä-
ſidirt wird. Dieſer neuen Behörde fällt die ſchwierige Aufgabe zu,
das ſich hier hin- und herwälzende Menſchen-Chaos in Ordnung
zu bringen. Dringend ſind ihr, nächſt dem vorhandenen guten Willen
außergewöhnliche Kräfte zu wünſchen. Die Regierung ſoll die Ab-
ſicht hegen, nach den Ergebniſſen dieſer erſten Munizipalität des
türkiſchen Reiches, ähnliche Behörden in Conſtantinopel ſelbſt und
in andern Städten folgen zu laſſen. Conſtantinopel iſt zu dieſem
Zwecke in 14 Kreiſe eingetheilt worden, von denen Galata und
Pera den ſechsten Kreis bilden. Sie wird ihre Anfmerkſamkeit
zunächſt auf die Verbeſſerung des Straßenpflaſters, auf die Unter-
4
– 74 –
ſuchung der Nahrungsmittel, ſodann auf die Sorge für richtiges
Maaß und Gewicht, beſonders aber auf die Löſchanſtalten erſtrecken
müſſen, bei welchen man bisher vorzugsweiſe Maurer und Zimmer-
leute angeſtellt hatte, in deren Intereſſe es lag, daß möglichſt viele
Häuſer abbrennen möchten. Daß jene Municipalität ſich das Ver-
trauen der Regierung im Laufe der Zeit mehr und mehr zu er-
werben gewußt hat, beweiſt der Umſtand, daß ſie es Anfangs Oc-
tober 1859 wagen durfte, die türkiſchen Gräber im petit champ
des morts*) nivelliren zu laſſen, obgleich der Volks-Unwille ſich
dabei in bedenklichem Grade kund gab. Man ſchützte die Arbeiter
ſogar durch ein Bataillon Soldaten und Kawaſſen.
Ueberhaupt werden die Wohlthaten, welche der Hatti-Hü-
majum allen Völkerſtämmen des türkiſchen Reiches verſprochen hat,
hier unter der Mitwirkung der fremden Geſandtſchaften am Erſten
zur Wahrheit werden. Freilich kann man es den orthodoxen Türken
audererſeits kaum verargen, wenn es ihnen, dieſen Neuerungen
gegenüber, ſchwer wird, den Namen ihrer Hauptſtadt Iſtambul,
d. h. Fülle des Islam's, – zur Unwahrheit werden zu ſehen. Nach-
dem nächſt dem griechiſchen und katholiſchen Cultus neuerdings auch
dem evangeliſchen ſeine geſonderte Berechtigung von der Regierung
zuerkannt worden war, ſind für letzteren mehrere Schulen mit ge-
deihlichem Erfolge errichtet worden, zu denen ſogar eine Anſtalt,
um Geiſtliche auszubilden, hinzugekommen iſt. Namentlich ſind es
Armenier, die ſich ſeit einer Reihe von Jahren dem letzteren Cul-
tus zugewendet haben. Die amerikaniſchen Miſſionare haben den
Mittelpunkt ihrer Thätigkeit nach Bebek am Bosporus verlegt;
dort befindet ſich ein Seminar zur Heranbildung von Seelſorgern,
Schullehrern u. ſ. w. Die Frauen der verheiratheten Miſſionare,
beſorgen eine Erziehungs-Anſtalt für Mädchen. Zu ſeiner Zeit iſt
die Nachricht durch alle öffentlichen Blätter gegangen, daß auf dem
allgemeinen evangeliſchen Kirchentage im Jahre 1857 zu Berlin ein
zu dieſem geſendeter Armenier einen öffentlichen Vortrag in ſeiner
Sprache, mit Hülfe eines Dolmetſchers, gehalten hat. Ein der
ſchottiſchen Landeskirche angehörender Geiſtlicher von Salonichi in
Macedonien theilte mir jüngſt mit, daß in Pera ein getaufter
Türke chriſtliche Vorträge halte. Für dieſen chriſtlichen Türken, der
*) Vergl. Gautier, Constantinople. Paris, 1854. pag. 80.
– 75 –
den Namen Williams angenommen hat, iſt ſogar in der Nähe
eines Palaſtes des Sultans ein Miſſionshaus gebaut und 1859
eröffnet worden. Der Aufenthalt eines ſolchen abgefallenen Os-
manli iſt dort dadurch möglich geworden, daß, auf den Antrag
Lord Stratford's den Ankommenden von der Polizei nicht mehr
der Name ihres Vaters abgefordert wird, wie dies ehedem geſchah.
Durch dieſe Maßregel wird es der türkiſchen Behörde möglich, über
eine ſtattgehabte Converſion hinweg zu ſehen. Man würde ſich in-
deſſen täuſchen, wenn man für die verſchiedenen Arten des chriſt-
lichen Cultus einen Zuwachs aus den Osmanen erwarten wollte.
Was dieſen in der Hauptſtadt ihres Reiches von den Chriſten im
Ganzen und Großen praktiſch vor die Augen geführt wird, iſt we-
nig geeignet, ſie zu letzteren hinüber zu ziehen. – Im preußiſchen
Staate wurde während des Jahres 1856 durch Collecten die Summe
von 58,254 Thlr. pr. Ert. zur Errichtung von evangeliſch-deutſchen
Schulen und Kirchen zuſammengebracht, deren Schutz von der tür-
kiſchen Regierung zugeſagt worden war. – Nachdem bis dahin nur
unter dem Schutze der öſterreichiſchen und franzöſiſchen Geſandtſchaft
kleine chriſtliche Krankenhäuſer beſtanden hatten, wurde im October
1856 ein ſolches unter dem Schutze der preußiſchen Geſandtſchaft
ſtehendes Hospital eingeweiht, welches, in der Nähe der langen
Hauptſtraße von Pera liegend, theils in einem angekauften ältern,
theils in einem neuerrichteten Gebäude beſtehend, bei meinem Be-
ſuche 40 Betten darbot, die auch bereits großentheils mit Kranken
verſchiedener Nationen und Religionsbekenntniſſe beſetzt waren; ich
bemerkte unter ihnen einen ſchwarzen Matroſen aus Boſton und
mehrere Holländer u. ſ. w. Die Pflege fand ich durch drei Dia-
koniſſen, die aus der Mutteranſtalt zu Kaiſerswerth a. Rh. hier-
her geſendet worden waren, trefflich geleitet. Ebenſo wurde der
ärztliche Dienſt damals durch Hrn. Dr. Morris in ausgezeichneter
Weiſe beſorgt. Bedauerlich iſt es für die letztere Anſtalt, daß dieſer
für ſein Fachwiſſenſchaftlich begeiſterte und humane Arzt ſeitdem nach
Berlin zurückgekehrt iſt.– Ein dort zuſammengetretener deutſcher Wohl-
thätigkeitsverein beſtand, ſeinem eilften Jahresberichte zufolge, als
254 Mitgliedern; die Zahl der während des letzten Jahres im
Hospital verpflegten Kranken war auf 296 geſtiegen, und ſo hatten
ſich anch die Verpflegungskoſten ſeit einem Jahre um das Dreifache
geſteigert. Ein deutſcher Frauen- und Jungfrauen-Verein nimmt ſich
4-
– 76 –
der Pflege der Armen und Kranken an, und ſo iſt denn in der
letzten Zeitperiode ein trefflicher Anfang gemacht worden, den Türken
die Religion der Liebe in ihren wohlthätigen Folgen werkthätig dar-
zuſtellen. – Man iſt jetzt im Begriff, chriſtliche Kirchen in Pera
und Galata neu zu begründen. Der Gebrauch von Glocken wird
indeſſen in ſolchen Provinzialſtädten, wo die chriſtliche Bevölkerung
das Uebergewicht hat, wahrſcheinlich eher erlaubt werden, als in
der Hauptſtadt, deren fanatiſche Bevölkerung durch die ſeit vier-
hundert Jahren dort verſtummten Glockentöne zu bedenklichen Re-
actionen könnte aufgeſtachelt werden. – Beſonders erfreulich iſt es,
daß um Pfingſten 1858 eine neu erbaute deutſch-evangeliſche Ge-
meinde-Schule zu Pera eingeweiht werden konnte, was beſonders
durch von Berlin her empfangene Unterſtützungen möglich geworden
war. An dem Schulunterrichte nahmen in dieſem Jahre 76 Schü-
ler Theil, unter denen, außer den evangeliſchen, ſich auch 28 katho-
liſchen und 4 griechiſchen Bekenntniſſes befanden. Die Geiſtlichen
der beiden letzteren Bekenntniſſe haben indeſſen ſeitdem Schritte
gegen die Benutzung dieſes Unterrichtes Seitens ihrer Angehörigen
thun zu müſſen geglaubt, obgleich ſie dieſen keinen Erſatz zu bieten
vermögen.
Der größere von den beiden chriſtlichen Kirchhöfen zeichnet ſich
durch ſeine höchſt maleriſche Lage auf der Spitze des Hügels von
Pera vortheilhaft aus, welche eine weitumfaſſende Anſicht der ge-
ſammten großartigen Umgebung gewährt. Dieſer urſprünglich dem
Frieden und der Ruhe gewidmete Platz iſt gegenwärtig der Ver-
ſammlungsort der eleganten und müßigen Bewohner von Pera,
welche Erheiterung, geſellſchaftliche Unterhaltung und freie Luft ſu-
chen. Bei meinem Beſuche fand ich auf dem, dem weſtlichen Ende
der Hauptſtraße von Pera zunächſt gelegenen Theile deſſelben eine
zahlreiche Heerde von Kameelen gelagert, welche dort friedlich ihrer
weiteren Beſtimmung entgegen harrten.
Wenn man ſich erinnert, wie häufig Conſtantinopel ehedem das
Opfer peſtartiger Krankheiten geworden iſt, die durch Schiffe von
außerhalb eingeſchleppt worden waren, damit auch vergleicht, wie
ſelten verhältnißmäßig dieſe jetzt auftreten, wie die echte orientaliſche
Bubonen-Peſt dieſe Stadt kaum mehr erreicht, ſo kann man den
Nutzen, welchen verſtändig eingerichtete Quarantäne-Anſtalten dem
Orient gebracht haben, nicht ableugnen, ſofern man nicht theoretiſchen
Spitzfindigkeiten zu Liebe ſich praktiſchen Ergebniſſen verſchließen
– 77 –
will. Schon der Umſtand, daß der Fatalismus der Türken auf dieſe
wohlthätige Weiſe einen harten Stoß bekommen hat, ſollte die Män-
ner, welche ein unbedingtes Verdammungs-Urtheil über jede Quarantäne
ausſprechen, zu milderem Sinne anmahnen. Von den Auswüchſen, und
Uebertriebenheiten der Quarantänegeſetze, wie ſie Hr. Brayer*),
der aufmerkſame Beobachter der Contumaz-Anſtalten des Orients
von 1826–1835, erfuhr, kann jetzt nicht wohl die Rede mehr
ſein; mögen ſie in das Meer der Vergeſſenheit verſenkt werden. Eine
milde, humane, zugleich energiſche Handhabung jener Geſetze wird aber
namentlich für den Orient, bei der dort vorherrſchenden Mißachtung des
Wohles der Nebenmenſchen, wo Handels-Vortheile im Spiele ſind,
lange noch am rechten Orte ſein. Im Juli 1858 beſchloß der
Sanitätsrath von Conſtantinopel, als ſich die Bubonen-Peſt in
Bengazi geäußert hatte, daß die von dort anlangenden Provenienzen
ſtatt einer fünftägigen einer zehntägigen Obſervanz in der Quaran-
täne unterworfen werden ſollten. Die Provenienzen aus dem
ſchwarzen Meere werden von dem Sanitäts-Büreau zu Kavak
unterſucht und nach Maaßgabe des Inhaltes ihres Patentes be-
handelt.
Die Medicinalſchule. – Die Medicinalſchule zu Conſtan-
tinopel wurde auf Befehl des gegenwärtig regierenden Sultans durch
öſterreichiſche Aerzte gegründet und allmälig ausgebildet. Um die
durch eingewurzelte Volks-Vorurtheile äußerſt ſchwierig gewordene
erſte Anlage dieſes Inſtitutes hat ſich Hr. Dr. Bernhard das
weſentlichſte Verdienſt erworben. Eine ausführliche Beſchreibung
deſſelben haben wir dem Hrn. Dr. Spitzer zu danken, der die
weitere Ausführung kräftig förderte. Der letzte orientaliſche Krieg
hat freilich gezeigt, daß der ärztliche Dienſt des türkiſchen Heeres
deſſenungeachtet ſehr mangelhaft war. Man wird jedoch erwägen
müſſen, daß die in hohem Grade wünſchenswerthe Erhebung einer
ſolchen höheren Bildungs-Anſtalt gar ſehr von der Stufe der wiſſen-
ſchaftlichen Schulbildung abhängig bleiben muß, auf der die eintre-
tenden Schüler ſtehen. So lange dieſelbe ſo kümmerlich ſich geſtaltet,
als dies bisher der Fall war, würde man Unrecht haben, große
Erwartungen zu hegen*). Selbſt die türkiſchen Regierungsbehörden
*) Neuf années à Constantinople. T. II. Paris, 1836. pag. 367 sq.
*) Vergl. Rigler, die Türkei. Bd. 1. S. 403.
– 78 –
bedienen ſich da, wo es auf ein gründliches ärztliches Urtheil an-
kommt, in der Regel nur ſolcher Aerzte, die ihre Ansbildung auf
weſteuropäiſchen Univerſitäten erlangt haben. In den meiſten volk-
reichen Städten findet man griechiſche, ſeltener armeniſche, häufiger
aber italieniſche, mitunter auch deutſche und franzöſiſche Aerzte, die
jedoch in der Regel nur von ihren Religionsgenoſſen vollſtändige An-
erkennung hoffen dürfen. Die Türken begnügen ſich, ſie in lebens-
gefährlichen Krankheiten überhaupt nur einmal zu befragen, mehr,
um über die Natur und den wahrſcheinlichen Ausgang des Uebels
Auskunft, weniger jedoch Heilung zu erhalten. Der Fatalismus
hindert ſie übrigens nicht, bei jeder Gelegenheit zu abergläubiſchen
Geheimmitteln und Charlatans ihre Zuflucht zu nehmen*).
Die ſeit wenigen Jahren errichtete kaiſerliche Akademie der
Medicin zu Conſtantinopel beſteht faſt nur aus fremden Aerzten.
Barken und ihre Führer. – Die am Meeresufer bereit
liegenden zahlreichen Barken ſind, der Mehrzahl nach, von Türken,
in der Minderzahl von Griechen oder Armeniern bemannt. Ein
ſolches „Kaik“ iſt verhältnißmäßig zu ſeiner Länge ſchmal, der
Kiel ziemlich ſcharf, das Hintertheil ſtumpf und ohne Steuerruder,
das Vordertheil zugeſpitzt, ohne jedoch, wie bei den venetianiſchen
Gondeln, geſchärft auszulaufen, nicht ſelten mit grobem Schnitz-
werk verſehen und braun lakirt. Der Führer erkennt an der Art
des Einſteigens ſogleich, ob er es mit einem Einheimiſchen oder
Fremden zu thun habe. Man ſteigt zwar nicht, wie zu Venedig,
rückwärts ein; dennoch fordert das Einſteigen mit nach vorwärts
gewendetem Geſichte eine gewiſſe Gewandtheit Man muß, weit ans-
ſchreitend, mit dem vorgeſetzten Fuße möglichſt genau die Mittel-
linie des ſchmalen Fahrzeuges zu betreten ſuchen, weil dieſes im
Nichtfalle heftig hin- und herſchwankt und allenfalls umſtürzen kann.
Mit dem Nachziehen des zweiten Fußes verbindet man gewöhnlich
das Niederlaſſen auf die bereit liegenden Kiſſen. Nur zwei Paſſa-
giere können nebeneinander im Hintertheile Raum finden, wo ſich der
Ehrenplatz befindet: die Dienerſchaft nimmt in der Mitte der Barke
auf ähnliche Weiſe Platz. Die Barkenführer ſind in der Regel
ſtark muskulöſe kräftige Männer, mit tief gebräunter Haut des
Geſichts und der offen daliegenden Bruſt. Da der Kopf nur mit
einem Feß bekleidet zu ſein pflegt, ſo finden die Augen ebenſowenig
*) Vergl. Bd. I. S. 240.
– 79 –
Schutz, als wie dies bei den Soldaten der Fall iſt. Das Sehloch
der Augen zieht ſich deshalb zuletzt habituell eng zuſammen. Augen-
leiden mancher Art können als ſpätere Folgen nicht ausbleiben. –
Der „Kaikſchi“ ſitzt an der Spitze ſeiner Barke, mit dem Geſichte
ſeinem Paſſagier zugewendet; er muß daher den Kopf faſt ohne
Unterlaß nach rückwärts drehen, um das Zuſammenſtoßen mit an-
dern Barken zu vermeiden. Er handhabt zwei ungewöhnlich lange
und ſchwere Ruder mit beiden Armen zugleich. Der Schwerpunkt
eines ſolchen Ruders ruht hier zum Theil in einer eutſprechenden Holz-
maſſe, die ihre Befeſtigung auf dem Rande der Barke findet,
wodurch in der That die Erhaltung des Gleichgewichtes gefördert
wird. Etwas größere Barken haben zwei Führer. Die der höhern
Beamten und Geſandten müſſeu herkömmlich ſich durch ihren weißen
Auſtrich auszeichnen. – Bei warmer, trockener Witterung ſind die
türkiſchen Barkenführer in der Regel bloß mit einem feinen baum-
wollenen Hemde und weiten Beinkleidern aus ähnlichem Stoffe be-
kleidet. Einige derſelben treiben an Feſttagen den Luxus wohl bis
zu leichten ſeidenen Hemden aus Bruſſa. Dieſe Männer führen
ihr Geſchäft mit einer großen Sicherheit und Gewandtheit; die
ſelten vorkommenden Unfälle, zu denen das übermäßige Gedränge
bei der Abfahrt größerer Schiffe, oder die ſtürmiſch bewegte See
Veranlaſſung geben können, werden in der Regel mehr dem unver-
ſtändigen Benehmen der Paſſagiere zuzuſchreiben ſein.
Die Hunde Conſtantinopels.– Die Hunde ſcheinen zu Conſtan-
tnopel ihre wichtige Rolle ſchon in ſehr früher Zeit geſpielt zu
haben. Denn als Philipp von Macedonien während ſeiner
Belagerung die Stadtmauern vou der Seite des Hafens Neo-
rium, wo jetzt die türkiſche Hauptmauth liegt, während einer fin-
ſteren Nacht untergraben ließ, heulten die Hunde dort ſo ſtark, daß
die Belagerten aufmerkſam wurden und, durch ein zugleich plötzlich her-
vortretendes Nordlicht begünſtigt, die Arbeiten Philipp’s gewahr
wurden und vereitelten. Zum Danke erbauten ſie der Hekate,
welcher die Hunde bekanntlich heilig ſind, einen Tempel, den erſt
ſpät der erſte Conſtantin in eine chriſtliche Kirche verwandeln
ließ. – Gegenwärtig bilden die zahlloſen Hunde Conſtantinopels
diejenige Straßen-Polizei, von deren Wirkſamkeit man fortwährend
in die Sinne fallende Beweiſe erhält. Da nämlich die Türken ge-
wohnt ſind, den Abfall ihrer Nahrungsmittel auf die Straße zu
werfen, ſo würde man ohne ſie bald nicht mehr vor aufgehäuftem
– 80 –
Unrathe dieſelbe paſſiren können. Auf ihren nächtlichen Streifereien
räumen aber die Hunde ihn fort, ſo, daß Morgens früh die Stra-
ßen erträglich rein erſcheinen. Ihre Unentbehrlichkeit ergab ſich;
als Sultan Mahmud ſie einſt in Maſſe einfangen und auf eine
unbewohnte Inſel der Propontis ausſetzen ließ, nachdem ſie ſich im
Uebermaße vermehrt und die durch ſie jederzeit herbeigeführten Uebel-
ſtände coloſſal geſteigert hatten. Bald aber ſah man ſich genöthigt,
diejenigen von ihnen zurückzuholen, welche ſich nicht untereinander
aufgefreſſen hatten, um ſie mit Jubel zu empfangen. Seitdem be-
herrſchen ſie nach wie vor, in gewiſſe Familien getheilt, beſtimmte
Viertel der Stadt. Wenn Hunde anderer Viertel ſich in einem
ihnen heimathlich nicht zukommenden Stadttheile einfinden, werden
ſie von den vierbeinigen Einwohnern dieſer mörderiſch angefallen
und wieder vertrieben. Dieſe Zänkereien ſind die gewöhnlichen Ur-
ſachen des nächtlichen Straßenlärms, an den man ſich allmählig
gewöhnen muß. Hr. Dr. Sandreezki*) klagt beſonders über das
eigenthümliche Geſchrei zahlloſer Hunde in Diarbekr, die dort
im Heulen zuſammen förmlichen Chorus machten. In der That
ſcheint auch nur der Hunger ſie zu dergleichen Excurſionen in fremde
Gebiete zu verleiten; er treibt ſie, wie Hr. Dr. Kaliſch in Ruſcht-
ſchuk mir verſicherte, des Nachts ſogar an, aus der Stadt in die
umliegenden Weinberge einzubrechen, um ſich an reifen Weintrauben
zu ſättigen. Die Türken, welche überhaupt mitleidiger gegen Thiere
ſind, als man es bei vielen Chriſten findet, werfen, wenn ſie eſſen,
bekannten bettelnden Hunden ihrer Straßen wohl einige Brocken zu;
wenn man nach der durchſchnittlich auffallenden Magerkeit dieſer
ſchließen darf, ſo muß ihnen dieſer Erwerbszweig jedoch wenig
einbringen. Hört man in Conſtantinopel einen Hund wehklagend
heulen, ſo darf man überzeugt ſein, daß der Hunger ihn zum Dieb-
ſtahle verleitet und ein Fußtritt ihn dafür beſtraft hatte. Man
hat kein Beiſpiel, daß er unter ſolchen Umſtänden ſchuldbewußt, ſich
zur Wehre geſetzt hätte. Unter den 40 Raçen der Hunde, welche
Buffon aufgeſtellt hat, kann es nur die Grundform des Schäfer-
hundes ſein, welcher die zahlreichen Hunde Conſtantinopels ange-
hören. Auch an Größe ſtehn ſie unſerem Schäferhunde ungefähr
gleich. Ihr Haar iſt meiſt fuchsbraun, ziemlich lang und grob,
*) A. a. O. S. 215.
– 81 –
die Ohren kurz und hängend, die Schnauze etwas hervorragend,
jedoch ſtumpf; der Schwanz lang, nur mäßig behaart, wird ge-
wöhnlich hängend getragen. Neben ihnen findet ſich auch, be-
ſonders in Galata, ein wenig kleinerer, ſchlankerer ſchwarzer
Hund, mit etwas kürzerem feineren Haar, oft mit weißen Abzeichen
über den Augenhöhlen und an den Füßen, etwas längeren, gleich-
falls hängenden Ohren. Beide Ragen vertragen ſich friedlich mit
einander. Dieſe durch nächtliche Abentheuer ermüdeten Thiere
ſchlafen den Tag über in der Sonne mitten auf den volkreichſten
Straßen und Plätzen in tiefſter Ruhe. Menſchen, Pferde, Eſel,
Kameele ſteigen vorſichtig über ſie hinweg. Wehe dem, der den
ſchlafenden Hund tritt; entweder fährt ihm das gereizte Thier in
die Wade, oder ſein Geheul veranlaßt die umſtehenden Türken, auf
den grauſamen Thäter zu ſchmähen. Die Zeiten ſind vorüber, wo
Franken von den Hunden auf der Straße förmlich angefallen wur-
den und ſich durch Brodvertheilung ſie zu Freunden machen mußten;
ſie haben jüngſt ihrer ſo viele Tauſende geſehen, daß ſie ſie nicht
mehr für Fremde zu halten ſcheinen.
Nicht blos in der Dobrudſcha, ſondern auch in Kleinaſien,
hatte ich Gelegenheit, Windhunde zu ſehen, die für eigene Rechnung
ungehindert Jagdtrieben; ſie erſchienen jedoch weniger zierlich, größer,
als die bei uns gewöhnlichen, zeigten auch weniger ſchlanke Läufe
und eine etwas ſtumpfe Schnauze. In Conſtantinopel habe ich
mich vergebens nach Windhunden umgeſehen, die Einige dort ge-
funden haben wollen. Der Hund hat in der Stadt, da er Nie-
manden als Herrn anerkennen darf, wenig Veranlaſſung, ſeine ſprich-
wörtliche Treue zu beweiſen; doch hält er ſich auch hier gern an
einzelnen Häuſern, von denen aus er vielleicht mitunter Nahrung
erhält. Auf dem Lande ſah ich ihn die Heerden hüten, wie er es
bei uns thut. Eine Heerde von 2000 Ziegen, welcher ich auf
ihrem Zuge aus dem Innern Kleinaſiens nach Scutari begegnete,
wurde, außer dem berittenen Führer und einigen Hirten zu Fuße,
von wenigen Hunden zuſammengehalten. Und doch darf das ſo
unentbehrliche, nützliche Thier nach dem Geſetze des Korans nicht
ins Haus genommen werden, weil Mohammed es für unrein er-
klärt hat. Ich hörte beſtätigen, daß der Hund im Oriente nie von
der Wuthkrankheit befallen werde.
4*
Der Bosporus, ſeine Ufer und Dörfer. – Die erſte
Durchfahrt durch den Bosporus, welche mich vom ſchwarzen Meere
her nach Conſtantinopel leitete, war theils durch die ſüdwärts
gewendete Meeresſtrömung, theils durch die Dampfkraft der „Per-
ſia“, eine ſo eilige geweſen, daß die höchſt anziehenden Bilder der
nahe genug liegenden Ufer mit ihren Dörfern, Landhäuſern, Pal-
läſten, Gärten, Vorgebirgen und Buchten, gleichſam wie in einer
Zauber-Laterne nur zu ſchnell vorüber ſchwanden. Es war dadurch
nothwendig geworden, einzelnen beſonders wichtigen Punkten eine
ruhigere Beobachtung zuzuwenden.
Am 26. September fuhr ich, in Begleitung einiger lieben
deutſchen Freunde, die mich jedoch an demſelben Tage noch ver-
ließen, auf einem türkiſchen Dampfſchiffe nach Böjükdere. Die
Geſellſchaft, welcher dieſe Dampfſchifffahrts-Linie überlaſſen worden
iſt, läßt täglich mehrere Schiffe hin- und her - gehen, die faſt ſtets
ſtark beſetzt ſind. Da die Fahrt aufwärts gegen die Strömung
lief, auch mehrmals angehalten wurde, um Paſſagiere einzunehmen
und ausſteigen zu laſſen, ſo erhielten wir mehr Muße, die Gegen-
ſtände der Ufer ruhig zu betrachten. Was mir während der nord-
wärts gerichteten Hinfahrt auf der europäiſchen Seite, ſowie wäh-
rend der ſüdwärts geſteuerten Rückfahrt auf der aſiatiſchen Seite
ſpeciell auffiel, will ich hier kurz niederlegen. Ich bin dem beleh-
renden Werke v. Hammer's über Conſtantinopel und den Bos-
porus Dank für die unentbehrliche Vorbereitung zu dieſer Excurſion
ſchuldig; augenſcheinlich haben viele ſpätere Reiſende aus ihm ge-
ſchöpft, jedoch undankbar genug, ſelten ihre Quelle genannt.
Der gewundene Meeresarm des Bosporus ſcheint in einer vor-
geſchichtlichen Zeit durch gewaltſames Auseinanderreißen des Feſt-
landes entſtanden zu ſein, welches in dieſem Falle die Continente
von Europa und Aſien bis dahin verbunden haben würde. Für dieſe
Anſicht ſpricht wenigſtens der Umſtand, daß den ſieben Vorgebirgen
der europäiſchen ebenſo viele Bucht-Einſchnitte der aſiatiſchen Seite
entſprechen, und ſo umgekehrt. Die häufigen gewaltigen Erdbeben,
welche, ſeitdem die Geſchichte des Landes geſchrieben wurde, Con-
ſtantinopel zerſtört haben, ſprechen dafür, daß die Stadt und ihre
Umgebung mit einem vnlkaniſchen Boden im Zuſammenhange ſtehen.
– Das erſte Vorgebirge, welches dem von Conſtantinopel nord-
wärts gehenden Wanderer aufſtößt, iſt das von Top-Chané, wo
– 83 –
auf eine ehemalige griechiſche Kirche von den Türken eine Kanonen-
gießerei gebaut worden iſt. Zwiſchen dieſer und dem mit einer
ſteinernen Landungs-Treppe verſehenen Ufer breitet ſich ein geräu-
miger Hof aus, auf welchem Geſchütze verſchiedenen Kalibers auf-
geſtellt ſind, an denen ich junge Artilleriſten einexerzieren ſah. Als
es mir ausnahmsweiſe geſtattet wurde, hier an das Land zu ſteigen,
fiel es mir auf, daß die Handhabung der Geſchütze der preußiſchen voll-
kommen nachgeahmt erſchien, ſowie ſogar die Schilderhäuſer ſchwarz
und weiß angeſtrichen waren. Bekanntlich ſind es ſeit Mahmud II.
preußiſche Artillerie-Offiziere, die hier als Inſtructoren wirken;
dieſen iſt der gute Zuſtand der türkiſchen Artillerie zu danken, wel-
cher ſich in den letzten Kriegen gegen Rußland kund gegeben hat.
Noch im Herbſte 1856 waren zwei preußiſche Artillerie-Offiziere
in den türkiſchen Dienſt übergegangen, um bei den Artillerie-Schu-
len angeſtellt zu werden. Sie ertheilen den Unterricht in deutſcher
Sprache, die ein jederzeit gegenwärtiger Dolmetſcher ſogleich in das
Türkiſche überſetzt. – Top-Chané zeichnet ſich zugleich durch die
ſchon erwähnte zierliche Moſchee Sultan Mahmud's II., mit den
zwei dazu gehörigen Minarets und einen, von dieſen getrennten
Signalthurm aus. Dieſes Metop on der Griechen bildet ſowohl
den Schluß des Hafens vom goldnen Horn, als auch den Anfang
des weſtlichen Ufers des Bosporus. – Die in nördlicher Richtung
hierauf zunächſt folgende ſchwach eingebogene Bucht iſt die von Dol-
mabagdſche. In der Nähe ihres Uferrandes hat der gegenwärtig
regierende Sultan Abdul Medſchid den bereits aufgeführten Pallaſt
ſaſt ganz aus weißem Marmor gebaut. Sein an arabiſche und mauri-
ſche Bauten erinnernder Styl giebt den Bauverſtändigen zu Mißbilli-
gungen mancherlei Veranlaſſung. In dunkler Nacht erſcheint indeſſen
ſeine dem Meere zugewendete Fronte in der That feenartig, wenn
die zwiſchen ihr und dem Meere aufgeſtellten Gasflammen die blei-
chen Marmor-Figuren und Linien phantaſtiſch hervortreten laſſen.
Seltſam geſchwungene Gebilde, von leichter Phantaſie durchweht,
ſcheinen dazu beſtimmt, die Schwere des für ſie verwendeten Ge-
ſteins vergeſſen zu machen. Jedenfalls muß man dem Architekten
Hrn. Bulyan zugeſtehen, daß er ein Bauwerk geſchaffen hat, wel-
ches von allem Vorhandenen weſentlich abweicht, und dennoch den
unbefangenen Beſchauer erfreut, der ſich über die Forderung der ſtren-
gen Nachahmung irgend eines anerkannten Styles hinwegſetzen mag.
– 84 –
Nicht blos durch das Ungewöhnliche überraſcht, ſondern durch ſeine
gefälligen, ſchmeichelnden Formen zieht es endlich auch zur Anerken-
nung hinüber. Das koſtbare Material des etwas ins Bläuliche ſpie-
lenden weißen Marmors trägt nicht wenig dazu bei, die Ge-
ſammtwirkung des mächtigen Gebäudes zu erhöhen. Hr. Th. Gau-
tier*), der den Vorzug genoß, von dem Baumeiſter in dem
Schloſſe herumgeführt zu werden, vergleicht das hier zur Anwen-
dung gekommene Gemenge verſchiedener Bauſtyle mit dem ſpaniſchen
Plater esco. Er ſah hier einen Marmorſaal von einer Kuppel
aus rothem Glaſe überdeckt; die durch letztere einfallenden Sonnen-
ſtrahlen brachten durch Reflexe von dem glänzend weißen Getäfel
der Wände eine wahrhaft magiſche Wirkung hervor. Den Bade-
ſaal des Sultans fand er mit gebändertem weißen Alabaſter aus
Egypten geſchmückt. Die eiſernen Gitterthore des Pallaſtes tragen
vergoldete Arabesken. Das Holzwerk in den Gemächern des Sul-
tans iſt Cedern, Paliſander oder Mahagoni entnommen. – Ich
füge hinzu, daß die Lage von Dolmabagdſche eine äußerſt glück-
liche iſt. Der mittlere lange Körper des Pallaſtes wendet ſeine
Fronte nach Oſten dem nahen Meere zu, welches ihm ſtets erfri-
ſchende Seeluft zuſendet. Zwei gegen die dahinter liegende Anhöhe
nach Weſten auslaufende Seitenflügel ſchirmen den inneren Hof;
doch iſt das Gebäude durch Höhenzüge gegen rauhere Luftſtrömungen
aus Norden und Weſten außerdem ſchon hinlänglich geſchützt. Ob
der ſteinerne Pallaſt den zu Conſtantinopel nicht ſeltenen, zerſtörend
auftretenden Erdbeben eben ſo gut widerſtehen werde, als der nahe
liegende, großentheils hölzerne des Sultan's Mahmud II., muß
die folgende Zeit lehren. Man hatte 1856 ſo eben erſt die letzte
Hand an das Werk gelegt, doch bewohnte es der Sultan mit ſeinem
Harem bereits ſeit längerer Zeit. – Die Annehmlichkeit des Auf-
enthaltes in ihm muß durch die unvergleichliche Ausſicht in hohem
Grade geſteigert werden, welche die vordere Seite auf den mit
Schiffen gefüllten Hafen, das gegenüber liegende Scutari mit dem
Bulgurlu, uuf Conſtantinopel ſelbſt u. ſ. w. gewährt; kein an-
derer Punkt der Erde würde Aehnliches beſchaffen können. Eben ſo
dürfte ſich an Koſtbarkeit des Materials kaum irgend ein anderes zum
Herrſcherſitze beſtimmtes Bauwerk der Gegenwart mit jenem ver-
*) Constantinople. Paris, 1854. pag. 291 sq.
– 85 –
gleichen laſſen. Nur der auf der aſiatiſchen Seite des Bosporus
durch den ehmaligen Vice-König von Egypten, Mehemed Ali,
errichtete Marmor-Pallaſt kann eine ſolche Vergleichung aushalten;
doch tritt er durch viel geringere Dimenſionen zurück. Nicht leugnen
läßt ſich indeſſen, daß die Lage des letzteren Bauwerkes gleichfalls als
eine vorzügliche betrachtet werden muß. In der Mitte eines lachend
grünen Thales erhebt ſich nämlich hier ein mäßiger Hügel, den der
prachtvolle Marmorbau jetzt krönt. Eine breite Treppe aus dem-
ſelben Material führt zu ihm hinauf und hebt den Pallaſt gleich-
ſam in die Luft. Vom Waſſer aus angeſehen iſt die Wirkung eine
wahrhaft imponirende. Mehemed Ali ſchenkte das Gebäude dem
Sultan, wahrſcheinlich um dieſen wegen ſeines früheren blutigen
Abfalles eher zu verſöhnen. – Venedigs Marmor-Palläſte ſind ver-
ſchwunden oder vom Zahn der Zeit bis zum Unſcheinbaren benagt.
– In Genua's Palläſten iſt das reiche Material großentheils zu
inneren Ausſchmückungen verwendet. – Piſa zeigt noch aus
ſeiner glücklicheren Zeit einen kleinen Pallaſt mit der Façade aus
urſprünglich weißem Marmor; doch hat dieſen die Zeit gelb gefärbt.
Von Gebäuden, die der Gottesverehrung gewidmet ſind, ſoll über-
haupt kein Vergleich hierher entnommen werden. In der Gegenwart
ſtehen alſo dieſe Marmorbaue vielleicht einzig da, – ein merkwür-
diger Gegenſatz zu der ſinkenden Größe des Reiches, deſſen Kraft
hier mehr auf die Illuſtration ſeines Herrſchers, als auf ſeine Macht-
ſtellung nach außen hin verwendet worden iſt. Wenn man zugleich
jüngſt las, daß zum Geſchenke für eine Sultanin ein Spiegel in Paris
beſtellt worden ſei im Werthe von einer halben Million Franken,
wobei man aber der Armee den Sold ſchuldig bleibt, –
ſo ſind dieſe Züge für die Beurtheilung türkiſcher Zuſtände zu
charakteriſtiſch, als daß ſie hier nicht mit einiger Ausführlichkeit
hätten beſprochen werden ſollen.
Das darauf folgende Dorf Ortaköi tritt bis unmittelbar
an das Seegeſtade hervor. Die im Hintergrunde ſich ausbreitende
Vorſtadt Fün düklü iſt als eine unmittelbare Fortſetzung von
Top-Chané zu betrachten. Sie enthielt ehedem einen kaiſerlichen
Pallaſt Namens Emnabad, der durch ſeine Gärten ausgezeichnet
war. Ihn hat der neue Marmor-Pallaſt nicht nur erſetzt, ſondern
übertroffen. – Die weiter nördlich hervortretende Landſpitze von
Beſchiktaſch ſoll der Punkt ſein, auf welchem der von dem Ar-
gonautenzuge zurückkehrende Jaſon mit der Medea landete. Sultan
– 86 –
Mahmud I. baute hier 1747 ein prächtiges Kiosk mit Marmor-
ſäulen, an deſſen Stelle Mahmud II. ſeinen Pallaſt von
Tſchiragan ſetzte. Dieſes gegenwärtig wenig benutzte Gebäude
ſtößt unmittelbar an das Meer und an eine Landungs-Treppe.
Sein höchſt regelmäßiger Bauſtyl läßt es vergeſſen, daß es großen-
theils aus Holz conſtruirt iſt, wozu indeſſen auch ein von anſehn-
lichen Säulen getragenes Frontiſpiz weſentlich beiträgt. Die hier
an ſo vielen Orten hervortretende Neigung der Herrſcher, ſich durch
eigenen Pallaſtbau zu verewigen, mag das Ihrige zu dem heilloſen
Zuſtande der türkiſchen Finanzen beigetragen haben. Aber ſie wird
durch den Aberglauben vielleicht unterſtützt, daß, während an einem
Wohnſitze noch gebaut wird, der Erbauer nicht ſterbe. – Das heu-
tige Beſchiktaſch nennt Dionyſos den Waudelort der Rho-
dier, weil dieſe, als ſie den Handel des Bosporus inne hatten,
hier zu landen liebten, ehe noch Venetianer und Genueſer um den
Beſitz von Galata ſtritten.
Die angelegten kaiſerlichen Gärten ſind von hohen Mauern
umfangen; nur höhere Cypreſſen verrathen die hinter jenen gefangen
gehaltene Pflanzenwelt. Doch auch kühner Epheu darf, das ſtrenge
Verbot mißachtend, es wagen, die düſteren Mauern zu überſteigen-
Was indeſſen von den Gärten zu Geſicht kommt, deutet nicht auf
geläuterten Geſchmack, weniger noch auf irgend eine entfernte Kennt-
niß der Kinder der Flora, die nur von eingeſchloſſenen Schönen
verſtanden werden, um einer vertrauten Blumenſprache Schrift-
zeichen zu leihen.
Die Gärten des großen Dorfes Kuru-Tſchesme beſitzen
einen Boden, in welchem der edle Lorbeer beſonders gedeiht. Von
ihm fabelten die Griechen, daß Medea hier den erſten Lorbeer ge-
pflanzt habe. Wichtiger iſt der Ort in der Geſchichte religiöſer
Verirrungen. Hier ſtanden nämlich vom Jahre 433 n. Chr. an
die chriſtlichen Styliten oder Säulen-Heiligen Symeon, nach ihm
Daniel, Jahre lang auf einer Säule, die zuerſt 12, zuletzt 36
Ellen hoch war. Wenn, wie einige Geſchichtsſchreiber ſagen, durch
ihren Anblick viele Barbaren bewogen worden ſein ſollen, zum
chriſtlichen Cultus überzugehen, ſo ſcheint dies nur darauf hinzu-
weiſen, daß es damals ſehr ſchwierig geweſen ſein muß, das Chri-
ſtenthum den Heiden zugänglich zu machen, ohne es zugleich noch
mit heidniſchen Gebräuchen zu vermengen. Wurden die letzteren
– 87 –
doch ſelbſt noch von den griechiſchen Kaiſern, namentlich Conſtan-
tin I., den man den Heiligen genannt hat, geraume Zeit unter
mancherlei Formen beibehalten. – Was übrigens den Lorbeer be-
trifft, ſo erhält er ſich gegenwärtig am europäiſchen Ufer des Bos-
porns nur in geſchützten Lagen. Vom Oelbaum ſieht man nur
hier und da niedriges Geſträuch, welches aus den Wurzeln ehe-
maliger Bäume ausgeſchlagen zu ſein ſcheint und nie Früchte trägt.
Hiernach möchte es ſcheinen, daß die mittlere Temperatur der At-
mosphäre dort im Laufe der Jahrhunderte eine kühlere geworden
ſei. Orangen, die Hrn. Hackländer*) zu Böjükdere eine rege
Phantaſie mit den dortigen Cypreſſen und Platanen in poetiſchem
Vereine vorgezaubert hat, gedeihen noch ſelbſt im Thale von Bruſſa
nicht im Freien.
Arnautköi, Albaneſer-Dorf, liegt auf einem in den Meeres-
arm hervorragenden Felſenvorſprung, an welchem ſich die Strömung
bei hochgehendem Meere beſonders ſtark bricht. Man hat ſie daher
die „Teufels-Strömung“ genannt; bei widrigem Winde haben die
Barkenführer hier in der That Vorſicht nöthig. – Da der Ge-
ſandte Preußens, Hr. General von Wildenbruch, hier ein ma-
leriſch gelegenes Landhaus gemiethet hatte, ſo gewährte die mir
von dem humanen Manne zu Theil gewordene freundliche Aufnahme
eine bequeme Gelegenheit, dieſen Punkt des Bosporus etwas näher
kennen zu lernen. Der Fels erhebt ſich nahe hinter den Häuſern
ziemlich ſteil bis zu einer Höhe von etwa 200. Dieſe Bergwand
iſt durch amphitheatraliſch eingeſchnittene Terraſſen in einen Garten
umgewandelt, in welchem hier und da zartere Gewächſe den Winter
überdauern. Die Pferde, mittelſt welcher die Land-Communication
mit Pera unterhalten wird, ſtehen oben auf dem Gipfel des Hügels.
Von dieſem Gipfel aus ſchweift der Blick ungehindert nordwärts
bis zum Rieſenberge und dem Genueſer-Schloſſe, ſüdwärts bis zu
Conſtantinopel, Scutari, mit dem Bulgurlu, die Propontis u. ſ.
w. Die Villa ſelbſt erhebt ſich gleichſam unmittelbar aus dem
Meere und enthält geräumige Salons, in welchem die damals ſich
dort aufhaltende geiſtreiche Gemahlin des Hrn. Geſandten die Seele
der Unterhaltung bildete, an welcher die Offiziere der während des
Herbſtes 1856 im Bosporus vor Anker liegenden preußiſchen Cor-
*) Daguerreotypen. Th. I S. 169.
vette „Danzig“ und Hr. Hauptmann Jungbluth aus Aachen,
ſowie der damalige Geſandtſchafts-Attaché, Hr Dr. Blau, gegen-
wärtig preußiſcher Conſul in Trapezunt, Theil nahmen. Hr. von
Wildenbruch, welcher acht Jahre lang preußiſcher Generalconſul
in Egypten und Syrien, ſpäter Geſandter in Athen geweſen war,
hatte ſich die umfaſſendſten Kenntniſſe der politiſchen Verhältniſſe,
Sitten, Gebräuche und Sprachen erworben; jedenfalls iſt ſein Ab-
gang von dort für den Staat, welchen er vertrat, als ein empfind-
licher Verluſt zu bezeichnen.
Das weiterhin folgende Bebek beſitzt eine für den ländlichen
Aufenthalt wichtige Annehmlichkeit, welche dem Dorfe Arnautköi
fehlt, nämlich eine Bucht, aus deren Hintergrunde man ein kleines kai-
ſerliches Landhaus, von Cypreſſen umſchattet, ſich von dem grünen
Boden erheben ſieht. – Wir ſtießen ſodann auf das Fort Ru-
mili Hiſſari, welches Mohammed II. im Jahre 1451 erbaute,
nm die Eroberung von Conſtantinopel ſicherer einzuleiten. Soweit
war die Ohnmacht des ſinkenden griechiſchen Reiches vorgeſchritten,
daß der ſchwache Kaiſer die Aufführung eines ſolchen feindlichen
Werkes, gleichſam vor den Thoren der Hauptſtadt, nicht zu ſtören
vermochte. Die 30“ dicken Mauern und die ſoliden Thürme des
unregelmäßigen Werkes zeugen noch heute für die unerſchütterliche
Willenskraft des barbariſchen Eroberers. – Auf demſelben Felſen
nahm einſt Darius ſeinen Sitz, um die ungeheure Armee den
Bosporus paſſiren zu ſehen, die er von Aſien nach Europa über-
führte. Die hierzu dienende Brücke war von Androkles aus
Samos gebaut worden, wahrſcheinlich in ſchräger Richtung, um
dem Andrange der Wogen weniger Preis gegeben zu ſein. Die
Stelle war dazu beſonders geeignet, inſofern der Bosporus hier
am ſchmalſten iſt. Darius ließ, zum Andenken an dieſes große
Ereigniß, Denkſäulen neben ſeinem Sitze errichten, deren Zweck
in perſiſcher Keilſchrift und durch griechiſche Inſchriften verewigt
werden ſollte. Aber barbariſche Hände haben ſie zum Baue einer
Zwingburg gegen Europa verwendet. – Noch früher ſtand dort
ein Tempel des Hermes, und das Vorgebirge ſelbſt trug deshalb
den Namen Hermäon.
Balta Liman wird von Pera aus häufig als Ziel von Land-
partieen beuutzt. Die Ausſicht von der ziemlich hohen Spitze ſeines
Vorgebirges wird als ſehr anziehend geſchildert. – Das weiter
– 89 –
hinauf folgende Vorgebirge hieß bei den Griechen, wegen ſeiner aus-
gezeichnet ſchönen Cypreſſen Kyparodes. Die Türken haben den
Ort Emirgune genannt und legten hier eine Zollſtation für die
aus dem ſchwarzen Meere kommenden Handelsſchiffe an.
Stenia beſitzt einen ausgezeichneten ſicheren Hafen, der gleich-
ſam das zweite Horn von Byzanz darſtellt. In ihm wurde ehedem
ſtarker Schiffbau getrieben. Zur Zeit der Blüthe der griechiſchen
Kaiſer erhielt Stenia einen kaiſerlichen Pallaſt und andere her-
vorragende Gebäude; aber Bulgaren und Ruſſen verwüſteten es
wechſelweiſe ſchon früh. Vor dem Hafen wurden mancherlei See-
kämpfe ausgefochten. Heutigen Tages erſcheint das vernachläſſigte
Stenia dem Vorüberfahrenden ziemlich unbedeutend. – Das
darauf folgende Jeniköi bietet ein unanlandbares Geſtade dar,
welches die Griechen Komarodes nannten, wegen ſeines Reich-
thums an Erdbeerbäumen (Arbutus Unedo), die auch heute
noch zu beiden Seiten des Bosporus gut gedeihen. In der Nähe
dieſes Ortes wurde das von Demetrius geführte Heer Phi-
lipps von Macedonien durch die Byzantiner geſchlagen.
Therapia iſt in weiteren Kreiſen als Landſitz fremder Ge-
ſandten, namentlich des franzöſiſchen, bekannt. Beſonders haben
ſich aber hier hervorragende griechiſche Familien angeſiedelt. Ein
von hier aus in das Land eindringendes Thal mit einer Quelle
ſpendet in Sommer angenehme Kühlung. Vom Waſſer aus an-
geſehen imponirt Therapia durch eine Reihe wohl unterhaltener
ländlicher Gebäude. Sein guter Hafen ſteht nur dem von Stenia
nach. Die freie und dennoch geſchützte Lage von Therapia ſcheint
das wohlthuende Klima zu verbürgen, welches alle Reiſende rühmen,
die ſich perſönlich dort aufhielten.
Böjükdere, der Rieſenberg, das Genueſer-Schloß und
Belgrad. Die Waſſerleitungen. – Wir gelangen endlich zu
dem köſtlich gelegenen Böjükdere (Groß-Thal), welches durch
ſeine europäiſchen Einrichtungen jeden von außen her Anlangenden
daran erinnert, daß hier ſeit geraumer Zeit Ausländer das Ueber-
gewicht gehabt haben müſſen. Das Hötel du Croiſſant gewährte
mir hier ein erträgliches Unterkommen, von welchem aus ich meine Excur-
ſionen in die Umgegend unternahm. Die meiſten Fremden, welche weſt-
europäiſche Bequemlichkeiten ſuchen, finden ſich hier zuſammen; doch
würde man ſich ſehr täuſchen, wenn man hier einen Gaſthof erſten
– 90 –
Ranges erwarten wollte. Indeſſen iſt die Lage des Gebäudes
unmittelbar am Meere, in nächſter Nachbarſchaft des Landungs-
platzes der Dampfſchiffe, unvergleichlich. Aus dem Speiſeſaale ge-
nießt man die Ausſicht auf die hier anſehnlich weite Meeresbucht,
in welcher häufig größere Schiffe ankern, z. B. bei meiner Anwe-
ſenheit der rieſige engliſche Dreidecker Royal Albert. Von dieſem
Saale aus ſteigt man über eine Landungstreppe direct in die Barke,
welche zu Spazierfahrten ſtets vorräthig iſt.
Böjükdere verdient in ſeinem gegenwärtigen Aufſchwunge
eine kleine Stadt genannt zu werden. Die Hauptſtraße läuft pa-
rallel mit dem Meeresufer. In der dem Meere zugewendeten
Reihe ihrer Gebäude befinden ſich einige Kaffehäuſer und Gaſthöfe;
die gegenüberliegende Reihe der Häuſer enthält, meiſtens von Grie-
chen gehaltene Kaufläden aller Art, deren Waaren dem Ausländer
zu höchſten Preiſen verkauft werden. Dieſe Straße verlängert ſich
ſüdlich bis zu dem Anfangstheile des Thales, welches dem Orte
den Namen ertheilt hat. Jenes unter rechtem Winkel auf das
Meeresufer ausmündende Thal erſtreckt ſich eine Stunde weit in
das Land hinein, indem ſein inneres Ende ſanft anſteigt. – Das
nördliche Ende der Hauptſtraße windet ſich einem felſigten Vorge-
birge zu, hinter welchem das Dorf Sarijari liegt, reich an Gär-
ten und Früchten. – In früheſter Zeit ſchon trug jene Landſpitze
einen Tempel der Aphrodite, in welchen die auf den unwirth-
baren Pontus ausziehenden Schiffer zu opfern pflegten. Wohl ver-
dient dieſer den damaligen Beinamen Axeuos (des „unwirth-
baren“) noch heute; der ihm ſpäter beigelegte Euxinos (das „gaſt-
freundliche“ Meer) paßt nur auf die große Minderzahl der Tage
des Jahres. – Die Landhäuſer wohlhabender griechiſcher und arme-
niſcher Familien nehmen die ſanft ſich erhebende Anhöhe hinter dem
Städtchen ein. Durch herrliche Platanen und Cypreſſen zeichnet
ſich der Garten der ruſſiſchen Geſandtſchaft beſonders aus, deren
Landhaus hier unter ſeines Gleichen ebenſo hervorragt, als es von
ihrem Pallaſte in Pera geſchieht. Die oſtwärts gewendete Lage des
Ortes in unmittelbarſter Nähe des ſeine erfriſchende Luftſtrömung
ſpendenden Meeres, der Schutz, den ihm gegen Norden und gegen
das ſchwarze Meer hin das erwähnte Vorgebirge gewährt, das zu
Spaziergängen oder Ritten einladende nahe Thal; der leicht erreich-
bare Wald von Belgrad – der einzige, welcher weit und breit
– 91 –
einen ſolchen Namen verdient, – ſind eben ſo viele Annehmlichkeiten,
die zur Anſiedelung für die mildere Jahreszeit dringend einladen.
Die Dampfſchiffahrt hat aber Böjükdere für die Bewohner der
nahen Hauptſtadt zum leicht erreichbaren gemeinſchaftlichen Aus-
fluchtsziele gemacht, in ähnlicher Weiſe, wie Brighton es durch
die Eiſenbahn für London geworden iſt. Dadurch iſt denn zu-
gleich an einladenden ſchönen Tagen das Treiben der Ankom-
menden und Abziehenden ein ſo buntes, geräuſchvolles geworden,
daß ländliche Stille und Ruhe von Denen hier vergebens geſucht
wird, welchen nicht etwa einer der zahlreichen Privatgärten freundlich
geöffnet wird. Mich zog aber bald die Sehnſucht nach dem aſia-
tiſchen Geſtade fort von hier, um dem gegenüber liegenden Rieſen-
berge einen Beſuch abzuſtatten.
Ein wohlthätiger Zufall verſchaffte mir einen gutmüthigen,
dienſtfertigen Barkenführer, der mich nicht blos über den breiten
Meeresarm mit ſicherer Hand ſetzte, ſondern mich auch auf dem
beſchwerlichen Marſche zu der Spitze des Berges u. ſ. w. geleitete.
Dieſe Geſellſchaft war eine um ſo willkommnere, als mir jede an-
dere fehlte, ohne ſie alſo der Gang ein völlig vereinſamter geweſen
ſein würde. – Die Türken nennen den Berg Joris-dagh; von
Hammer iſt geneigt, das Wort Joris von dem ehemaligen Urios,
d. h. dem Herrſcher der günſtigen Winde, abzuleiten, ſo daß ſich
alſo Jupiter Urios noch bei den Türken verewigt hätte. Ebenſo
nennen ſie ihn auch Juſcha - dagh, weil ſie annehmen, daß der
Prophet Joſua hier oben begraben worden ſei. – Der Fuß des
Berges läuft in zwei Vorgebirge aus, in ein nördliches, welches
die Türken Madſchar - Burun, in ein ſüdliches, welches ſie Se-
loi - Burun nennen. An das letztere lehnt ſich ein ſchönes Thal,
in deſſen vorderem Abſchnitte Unkiar - Skeleſſi (Chun kiar-
Iskelessi) mit einem kaiſerlichen Gebäude liegt, in welchem am
26. Juni 1833 der nach dieſem Orte genannte Vertrag zwiſchen
Rußland und der Türkei unterzeichnet wurde. – In einer kleinen
Bucht, zwiſchen beiden, Böjükdere gerade gegenüber, liegt das Dorf
Umurköi, welches einen geſchützten Landungsplatz beſitzt. Hier
legte mein Führer ſein kleines Fahrzeug an. In der Nähe dieſes
Landungsplatzes ſtehen vor einem etwas anſehnlicheren Hauſe einige
mächtige Terebinthen-Bäume, die an Höhe und Ausdehnung ihrer
Aeſte uur von denen übertroffen werden, die ich ſpäter auf dem
– 92 –
chriſtlichen Begräbnißplatze bei Nicomedien vorfand. In ihrem
Schatten huldigten einige ſchmauchende Türken dem dolce far niente.
Wir ſchritten raſch vorüber, uns dem ſchmalen Fußwege zuwendend,
welcher auf der Weſtſeite des Berges ziemlich ſteil nach oben führt.
Leider haben barbariſche Hände die üppig aufſtrebende Vegetation,
die jedes Schutzes baar zu ſein ſcheint, in kurzes Geſtrüpp ver-
wandelt. Deſſenungeachtet lehrte der erſte Blick auf ſie, daß die
aſiatiſche Küſte eine ungleich mannigfaltigere Flora ernährt, als die
gegenüber liegende europäiſche. Obgleich der Herbſt vorgerückt
war, ſo fand ſich doch eine Reihenfolge blühender Pflanzen vor,
die man jenſeit vergebens ſuchen würde. Der Fuß des Berges be-
ſteht aus einem Kalk-Gebirge, deſſen man ſich zum Kalkbrennen be-
dient. Von jenen Pflanzen wird noch anderweitig die Rede ſein. –
Auf jedem Abſatze, der uns der Spitze des 180 Meter, nach Anderen
877“ hohen Berges näher gebracht hatte, erweiterte ſich der Ge-
ſichtskreis, um entzückend ſchöne Fernſichten auf Land und Meer,
lachende Thäler und Felsſpitzen, friedliche Dörfer und ſtarke Feſtungs-
werke, auf- und abwärts eilende Schiffe zu gewähren; doch immer
von Neuem zogen den Blick die geſchichtlich ſo wichtigen Ruinen
des alten Genueſer-Schloſſes auf ſich, welche nördlich von hier eine
etwas niedrigere Felsſpitze umfangreich überdecken. – Nahe unter der
Bergſpitze liegt das Wohnhaus der Wächter des Rieſengrabes und der
anſtoßenden Moſchee, aus dem tiefen Brunnen deſſelben wurden wir
durch köſtliches Trinkwaſſer erfriſcht. Man ſchien an häufigen Be-
ſuch von Fremden hier gewöhnt zu ſein, auch fanden wir bald hinter
der Moſchee eine dort tafelnde Geſellſchaft von griechiſchen Damen
und Herren. Einer der Wächter, der, nach ſeiner Kleidung zu ur-
theilen, kein Derwiſch war, öffnete uns bereitwillig das ſogenannte
Rieſengrab. Ob und wen dieſes ſeit mehr denn zwei Jahrtauſenden
beſtehende Grab in ſeinen Ueberreſten beherberge, verbirgt eine
mythiſche Vorzeit. Die Griechen nannten dieſes Grab das Bett
des Herakles, und die Türken verſetzen hierher den Propheten
Joſua, der, hoch an dem Berge ſitzend, ſeine Füße in dem vor-
überziehenden Meere gewaſchen haben ſoll, wie ihre Fabel ſagt.
Ein ſchmuckloſes, ſehr einfaches, länglich-viereckiges Gebäude um-
ſchließt gegenwärtig eine 20“ lange und 5“ breite Erhebung des
Bodens, der man in der äußeren Form Aehnlichkeit mit einem
Grabhügel gegeben hat. Die geebnete Oberfläche deſſelben iſt mit
– 93 –
mancherlei Blumenpflanzen bedeckt, die jedoch durchaus keine ſorg-
fältige Wahl verrathen. An dem oſtwärts gerichteten Kopfende
erhebt ſich indeſſen ein 10' hoher Buxbaum-Strauch, der ſeine
Zweige nach allen Richtungen ausbreitet. Dieſe fand ich mit zahl-
reichen kleinen Fetzen von Kleidern umwickelt, welche ehedem am
Körper von Kranken getragen wurden; die Kraft des heiligen Gra-
bes ſoll nun durch dieſe Kleiderbruchſtücke auf den Körper ihres
ehemaligen Beſitzers heilend zurückwirken. Dieſer Aberglaube iſt unter
den Türken weit verbreitet uud die erwähnte Fetzen-Verunzierung
findet ſich deshalb, ekelhaft genug, an vielen für heilig geachteten
Orten. – In die unmittelbar an das Grab angebaute kleine Mo-
ſchee ſchaute ich von jenem aus durch ein Glasfenſter hinein; ich
ſah in ihrem Innern nichts Auffallendes. Nahe hinter ihr grünen
herrliche Lorbeer-Gebüſche; zugleich fand ich hier zum erſten Male
eine Pflanze auf ihrem heimathlichen Boden, die ich als Knabe,
ungeachtet ihrer ſtarren Stengelbewaffnung, oft mit beſonderem In-
tereſſe angeſehen hatte, weil man mir bedeutete, daß aus dieſem
Stachelgewächſe die Dornenkrone Chriſti geflochten worden ſei. Es
war Zizyphus Spina Christi Willd., der hier oben in 5“ hohen
Sträuchen wucherte.
Noch einmal genoß ich von dieſem Höhenpunkte des großar-
tigen wechſelſeitigen Anblickes des ſchwarzen und des Marmara-
Meeres, zugleich mit ſämmtlichen Windungen des Bosporus. Nur
Conſtantinopel und Pera mit Galata blieben von hier aus ver-
borgen, gleichſam als hätte die Natur einen Punkt ſchaffen wollen,
von dem aus man den Geſaumteindruck der reizenden Geſtade dieſes
Meeresarmes genießen könnte, ohne durch die Einmiſchung einer
Stadt unangenehm geſtört zu werden, die ſich ſo oft der Herrſchaft
über dieſen Liebling der Schöpfung unwerth gezeigt hat. Es war
ſchwer, ſich von dieſer Scholle zu trennen, die, wohin von ihr aus
auch der Blick ſich wendet, auf ſeinen Flügeln die Erinnerung an
Hunderte von Ereigniſſen wach ruft, die auf das Geſchick der Na-
tionen in ſo hohem Grade entſcheidend eingewirkt haben. Aber der
vorgerückte Nachmittag forderte zum raſchen Entſchluſſe darüber auf,
ob das nördlich vom Rieſenberge, ſcheinbar nicht gar fern liegende
„Genueſer-Schloß“ noch beſucht werden ſollte. Die graue Ruine
bot freilich keine anziehende Außenſeite; aber das mit ihr durch eine
lange, bergabziehende Befeſtigungsmauer in Verbindung ſtehende
Dorf am Ufer winkte ſo einladend, der Gedanke, hier auf einem
Boden wandeln zu können, der einſt ſo viel Großes getragen hatte,
verſcheuchte bald jedes Bedenken. Der Marſch über die Hochebene
wurde auf einem neuerdings gebahnten Wege angetreten, den die
Regierung während des vor kurzem beendigten Krieges, Behufs der
Transportation von Kriegsmaterial, hatte ebnen laſſen. Späterhin
wich dieſer Weg jedoch mehr oſtwärts von unſerm Ziele ab, ein
Umſtand, der uns nöthigte, queer über einen mit kurzem ſtarrem
Geſtrüpp bewachſenen Bergrücken hinzuſchreiten, der uns, unter
vielen Beſchwerden, bis zu einem Thaleinſchnitte führte, auf deſſen
jenſeitiger Bodenerhöhung das urſprünglich von Griechen erbaute
Schloß in ziemlich gut erhaltenen Ruinen nahe vor uns lag. Keine
Spur von Bewegung irgend eines menſchlichen Weſens ließ ſich
dort wahrnehmen, was mir inſofern unerwartet war, als v. Ham-
mer einer kleinen Colonie von Menſchen erwähnt, die ſich in dem
weitläuftigen Gemäuer angeſiedelt habe, ohne daß man von ihrer
Abkunft, ihrem Religions-Cultus u. ſ. w. etwas wiſſe. Sie ſcheint
ſeitdem verſchwunden. Wir begaben uns aber über ein loſes Stein-
gerölle zu dem am Ufer liegenden Dorfe Südlüdſche hinab, von
welchem aus die Genueſen, früher die Griechen, den Seezoll er-
hoben. Auf dieſem Wege lag Thonſchiefer allenthalben zu Tage,
weiter abwärts trat Grauwacke mit Aderu von Quarz hervor. Am
Fuße des Berges iſt eine gute Porzellan-Erde häufig; eine hierauf
gegründete Fabrik liefert durch die Thätigkeit von deutſchen Ar-
beitern recht brauchbare Geſchirre. – Der langweilige Weg ge-
währte Muße, einige Züge der Geſchichte des Ortes aus der
Erinnerung auftauchen zu laſſen, die wohl geeignet ſind, die Mühen
eines langwierigen Marſches erträglicher zu machen. Das nahe Hie-
ron oder Fanuln trug ſeinen Namen von dem den zwölf Göttern
hier errichteten Tempel. Cicero nennt, in ſeiner Rede gegen den
Verres, die am Eingange des Bosporus verehrte Statue des Zeus
Urios eines der drei Meiſterwerke der Kunſt, welche dem Zeus
überhaupt geweiht worden waren. Von einer ſolchen Pracht war
ſein Tempel, daß man ihn mit ſilbernen vergoldeten Ziegeln gedeckt
hatte, die, nach Polybius, der König Pruſias von Bithymien
fortführte, als er den Ort von den Byzantinern erobert hatte. Ihre
Rückgabe war indeſſen eine Bedingung des darauf folgenden Frie-
densſchluſſes. Ob Juſtinian, der den Tempel in eine Kirche
– 95 –
desh. Michael verwandelte, ſie dieſer überlaſſen hat, ſagt die Ge-
ſchichte nicht. In dieſem unwahrſcheinlichen Falle würden ſie indeſſen den
Ruſſen zur Beute verfallen ſein, welche ſchon im Jahre 866 n. Chr. in
den Bosporus bis Hieron vordrangen, ihren Beſuch auch 942 mit
zehntauſend ſchnellſegelnden Booten wiederholten, die jedoch damals
von der griechiſchen Flotte unter Theophanes bei jenem Orte
geſchlagen wurden. Als die Ruſſen ſich dann wieder im Juni
1833 mit einem Landheere in der Nachbarſchaft deſſelben Ortes,
Böjükdere gegenüber, gelagert hatten, hielt es Sultan Mah-
mud II. für rathſam, den Vertrag von Unkiar-Skeleſſi mit
ihnen abzuſchließen, der ihu verpflichtete, engliſchen und franzöſiſchen
Kriegsſchiffen die Dardanellen zu verſchließen. Hr. de Lamar-
tine*) war perſönlich Zuſchauer bei einem glänzenden Feſte mit
Feuerwerk, welches damals der Befehlshaber der ruſſiſchen Land-
und Seemacht, Graf Orloff, dem Sultan Mahmud gab, der
ihm von ſeinem Schiffe aus zuſah. Die ruſſiſche Flotte ankerte
zugleich am Fuße des Rieſenberges, – Sollte jenes Landheer das
letzte geweſen ſein, welches Rußland zum Bosporus ſendete? Schon
vor nahe tauſend Jahreu gab ſich die Anziehungskraft überwiegend
kund, welche es zu dem ſchönen Lande und ſeinen Schätzen hin-
wendete; dürfte ſie verſchwunden ſein, ſeitdem die Türken 1854
den Vertrag von Unkiar-Skeleſſi ſo gröblich verletzt haben?
– Wohl haben die Türken an die Stelle des ehemaligen Hieron
das Fort Anadoli - Kawak geſetzt, welches mit dem gegenüber
liegenden Rumili-Kawak ſo correſpondirt, daß beide ſich durch
ihre Geſchütze gegenſeitig unterſtützen. Dieſe können aber nur
Schiffen gefährlich werden, indem ſie unmittelbar über der Waſſer-
ſtraße liegen. Die etwaigen Beſitzer der dahinter aufſteigenden Berg-
höhe würden ſie bald zum Schweigen bringen.
Unter ſolchen Betrachtungen hatte ich endlich das längſt nach
abwärts winkende Dorf erreicht, deſſen ſich munter bewegendes Völk-
chen die Kühlung des indeſſen eingetretenen Abends ſorglos genoß,
wahrſcheinlich ohne ſich mit Forſchungen über die Stellung oder
Lage der zahlreichen ehemaligen Tempel und Altäre zu behelligen.
Man glaubt, daß der Tempel des Poſeidon den Hügel geziert
habe, welchen jetzt die Schloß-Ruinen einnehmen, wohingegen der
*) Voyage en Orient. T. III. Bruxelles, 1838. pag 317.
Prachttempel des Zeus dort ſtand, wo jetzt die unförmlich dicken
Mauern der Veſte Anadoli - Kawak emporragen. Wie dem auch
ſein mag, ſo nöthigte das ſich herabſenkende Dunkel uns, die
Schritte längs des Meeresufers ſüdwärts zu beſchleunigen. Bald
erreichten wir den ſchmalen Raum, der die Mauern der Veſte von
dem Uferrande trennt. In der Veſte ſelbſt herrſchte eine ſo tiefe
Stille, daß man ſeine am Abendhimmel in wunderlichen Geſtalten
hinziehenden Mauerlinien für die eines verzauberten Schloſſes
hätte halten mögen. Von hier aus führte aber der ſchmale Pfad über
zackige Felſengeſtade bald auf- bald abwärts, ſo daß jetzt die Wan-
derung im Dunkeln nicht gefahrlos war. Dennoch erreichten wir
das Dörfchen Umurköi und unſere dort liegende Barke ohne wei-
tere Abentheuer. Innerhalb einer halben Stunde geleitete mich die
ſichere Hand meines Führers bis zu der Treppe des Halbmondes
zu Böjükdere über die ſpiegelglatte See hin. Die Beſorgung
der mitgebrachten botaniſchen Schätze und ein ſehr kärgliches Mahl
nahmen den Reſt des reichen Tages hin.
Am folgenden Morgen beſtieg ich ſchon früh das geſtern ge-
miethete Pferd, um den Ritt durch das große Thal nach den Waſſer-
leitungen von Belgrad hin zu unternehmen. Auf ſo frühe Wan-
derer ſchien der Halbmond nicht eingerichtet, denn er nöthigte mich,
das Frühſtück – nach italieniſcher Sitte – in einem benachbarten
Kaffehauſe zu ſuchen. Der die Expedition leitende junge Grieche
verſtand glücklicher Weiſe einige Worte Italieniſch. Hier nnd da
ritten wir unter einem maleriſchen Rebengehänge hindurch, durch
welches ſich zwei gegenüber liegende Häuſer die Hand geboten hatten.
Wir paſſirten den durch das Thal herabkommenden Bach, ließen
die, wenige kleine Segelſchiffe und Barken beherbergende Rhede, welche
gegen Stürme ſchutzlos iſt, zur Linken, und wendeten uns dann
weſtwärts der weiten Ausmündung des Thales zu. Nicht fern von
ſeinem Eingange ſtrebt in einer fruchtbaren Ebene die berühmte
Platanen-Gruppe empor, die in er dem Namen der „ſieben Brüder“
allgemein bekannt iſt. Die Sage will, daß unter dem Schirmdache
ihrer Zweige ſchon im Jahr 1096 Gottfried von Bouillon mit
einer Heeres-Abtheilung Schutz gefunden habe. – Wenn ſie auch
keineswegs geſchichtlich verbürgt iſt, ſo iſt doch wenigſtens ſoviel
gewiß, daß die orientaliſche Platane, die von der bei uns vorkom-
menden occidentaliſchen wohl unterſchieden werden muß, das höchſte
– 97 –
Alter erreichen kann, was nur für einen Repräſentanten der Baum-
welt möglich iſt; auch iſt der Umfang, den die ſieben Stämme an
ihrer Baſis zeigen, in der Tat coloſſal. Sie ſind an einander
gewachſen und können mit etwa 60 Schritten umkreiſet werden.
Leider iſt durch die barbariſche Sorgloſigkeit der Hirten einer früheren
Zeit, die ihr Feuer im Schutze dieſer herrlichen Laubdächer anzündeten,
eine Höhlung in den Stämmen ausgebrannt, die freilich nicht ſo
geräumig iſt, als die einer andern Platane geweſen ſein muß, in
der einſt Caligula mit achtzehn ſeiner Gefährten getafelt haben
ſoll. Immerhin bietet aber dieſe in der That rieſenmäßige Baum-
gruppe einen wahrhaft majeſtätiſchen Anblick; ſie verdient ihren
hohen Ruf vollſtändig. Bei meinem Beſuche hatte ein Kaffe-Wirth
ſein weitumfaſſendes Zeltdach an ihren Zweigen befeſtigt, einige Er-
friſchungen darbietend.
Die Platanen lieben feuchten Thalgrund. Ich ſah ſpäter ähn-
liche coloſſale Bäume der Art in dem Thale, welches ſich zwiſchen
Bruſſa und Keſtel hinzieht, näher dem letzteren Orte. Leider
waren auch hier viele der herrlichſten Platanen nahe über dem Bo-
den durch Feuer zu Höhlen ausgebrannt, die den Wanderern
geräumigen Schutz bieten. Manche von ihnen lagen, endlich durch den
Sturm gebrochen, bereits am Boden, ſo, daß man ihre enorme Höhe
jetzt leichter abſchätzen konnte. Hr. v. Prokeſch*) fand dergleichen
rieſige Platanen unfern Pergamos, wo ſie ſich ſtundenlang an
den Ufern des Selinus hinzogen. Ebenſo ſah Derſelbe *) auf der
Inſel Thaſſos Hunderte von Platanen, die einige Fuß hoch über
dem Boden 40“ Umfang beſaßen. Hr. W. Viſcher*) beobachtete
ſchon in Griechenland an Bächen „rieſige orientaliſche Platanen“.
Ihr reicher, ausgezeichneter Schmuck von tief eingeſchnittenen dun-
kelgrünen Blättern erhebt die Pracht der majeſtätiſchen Bäume um
ſo mehr. – Bekanntlich wird England das Land der alten Eichen
genannt. Die ſogenannte parlamentariſche Eiche im Park von
Clyhton ſoll 1500 Jahre alt ſein. Die Calthorpe-Eiche in
Yorkſhire imißt 78 am Boden im Umfange. Die Eiche
des Herzogs von Portland beſaß die Höhe der Weſtminſter-Abtei.
*) Denkwürdigkeiten aus dem Orient. Th. III. Stuttgart, 1837. S. 303.
*) A. a. O. III. S. 627. -
*) Erinnerungen aus Griechenland. Baſel, 1857. S. 240.
5
Die ſogenannte Three-Shire-Eiche bedeckt mit ihren Zweigen eine
Bodenfläche von 777 engliſchen Quadrat-Ellen, die Elle zu 3' ge-
rechnet. Dieſe majeſtätiſchen Eichen ſind indeſſen ſeltene Ausnah-
men von der Regel; die coloſſalen Verhältniſſe der orientaliſchen
Platane, welche auf feuchtem Thalgrunde ſteht, bilden aber die Re-
gel ſelbſt. Die berühmten drei Eichen zu Dallwitz bei Karls-
bad, deren Alter man bis auf 500 Jahre rückwärts verfolgen
kann, habe ich perſönlich betrachtet und kann daher verſichern, daß
ſie neben die Platanen im Thale von Keſtel hingeſtellt, mit dieſen
im Vergleich zwergartig erſcheinen würden.
Der Ritt zu dem oberen Theile des etwa eine Stunde langen
Thales wurde auf einem ſchlecht unterhaltenen Wege längs
des rechten Ufers des Baches fortgeſetzt, welcher dem am Meere
ſich ausbreitenden Städtchen ſo vielen Reiz verliehen hat. An vielen
Stellen ſind ſeine Ufer wallartig erhöht und mit hohem Geſträuch
bepflanzt. Bedauernd möchte der Wanderer dem lachenden, aber
vernachläſſigten Thale eine ſorgfältigere Eultur wünſchen. – Auf
der Anhöhe des oberen Thalendes erhebt ſich der von Sultan Mah-
mud I. 1732 erbaute Aquäduct, der, 1000 Klafter lang, das Waf-
ſer nach Pera, Kaſſim-Paſcha und Fündüklü führt. Mu-
ſtapha III. vermehrte 1766 ſeine Waſſermenge durch Hinzufügung
eines neuen Baues. Ein Theil dieſer Leitung ſchließt das Thal
ſo, daß der Weg durch einen Bogen derſelben hindurch führt. Sie
fällt deshalb ſchon aus weiter Ferne, z. B. vom Rieſenberge aus,
anziehend in die Augen. Ich ſtieg an dem Mauerwerk in die
Höhe, um die von dort ſich darbietende Fernſicht bequemer zu ge-
nießen. Sie iſt wahrhaft entzückend, und muß jedem dort Reiſenden
zur Beachtung dringend empfohlen werden. – Der Weg nach dem
nahen griechiſchen Dorfe Bagdſche-köi führt. Anfangs neben den
Bogen der Waſſerleitung hin, wendet ſich dann aber weſtlich einem
angenehmen, maleriſchen Thalgrunde zu, welcher das erwähnte Dorf
aufnimmt. Etwaigen Beſuchern aus Böjükdere winkt dieſes
Dorf freundlich einladend entgegen. Wir aber ritten vorüber nach
dem ſich daran ſchließenden Walde von Belgrad, der einen Um-
fang von 5–6 Stunden haben mag. Beſorgt für ihn hat die frühere
türkiſche Regierung. Todesſtrafe auf das Niederhauen eines Baumes
in dieſem Walde geſetzt, wohl wiſſend, daß eine dichte Vegetation
die Menge des atmoſphäriſchen Niederſchlages weſentlich fördert,
– 99 –
daß auch Bäche und Flüſſe auströckheit, wo ſie fehlt Die Weſt-
Europäer, welche ihre Wälder erbarmungslos niederſchlagen, augen-
blicklichen ſchnöden Gewinnes wegen, und die dann hinterher thö-
richter Weiſe über den ſelbſt verſchuldeten Waſſer-Mangel klagen,
können hier von den Türken viel lernen. Doch muß ich mein Lob
inſofern etwas beſchränken, als ich eine Anzahl jünger kräftiger
Bäume hier ſah, deren Spitze ausgehauen war. Ich känn kaum
glauben, daß man hiermit beabſichtigt, die Bäume mitten im Walde
zum Treiben von Seiten-Aeſten zu zwingen, wie man es wohl in
Alleen zu thun pflegt. Man ſcheint ſich darauf zu ſtützen, daß
der gegenwärtige milde Herrſcher die Todesſtrafe ungemein ſelten
verhängt. Abgeſehen hiervon zeigen die Bäume dieſes Waldes ein
ungemein kräftiges Anſehen, im Gegenſatz zu denen, die man in
dei Ebenen einzeln und zerſtreut ſieht; dieſe erſcheinen in der Regel
kümmerlich und vom rauhen Nord und Nordoſt des Winters oft
ſüdwärts geneigt. Der Wald beſteht überwiegend aus Weißbuchen,
nächſtdem aus Eichen (Quercus coccifera) und echten Kaſtanien,
an feuchten Orten aus Erlen und Weiden, welche namentlich die
Waſſerbehälter umgeben. Auf der Anhöhe befinden ſich an Nadel-
hölzern Pinus halepensis und maritima, an Laubholz Tilia ar-
genteä, Fraxinus Ornus, Celtis australis, Morus alba; nächſtdem
Pistacia atlantica und Lentiscus. Unterholz bilden der Weißdorn
(Crataegus Oxyacánthä), Corylustübulosa, Mespilus germanica.
Eine maleriſche Eigenthümlichkeit des dichten Waldes bilden Schling-
pflanzen aus wild wachſenden Weinrebeit, Geißblatt, Epheu und
Waldrebe (Clematis Vitalba), die, gleich Lianen, hoch an die Bäume
hinanſteigeid, ſie durch grüne Gehänge verbinden. Unter ihnen am
Boden verbietet häufig die Spina Christi das Eindringen – An
einer freien Stelle des Waldes erhebt ſich auf leichter Anhöhe das
größe Dorf Belgrad, von Linden umgrünt, deſſen Anſehen frei-
lich viel verloren hat, ſeitdem die fremden Geſandten es verließen,
die ehedem ihren Soitineraufenthalt hier wählten. Der Ort ſoll
im Spätſommer und Herbſt durch die Ausdünſtung der nahen Waſſer-
Anhäufungen von Wechſelfieber heimgeſucht werden. Die hier vor-
herrſchende Abgeſchiedenheit und Stille, mit dem ſeltenen Genuſſe
eines anderswo weithin vergebens zu ſuchenden grünen Waldes,
dürfte zu geeigneter Jahreszeit aber auch heute noch für den Freund
ländlicher Rühe Anziehungskraft genug beſitzen, die mindeſtens hier
5*
– 100 –
ſicherer zu finden iſt, als an dem nahen Bosporus. Unter den
Landhäuſern zeichnet ſich gegenwärtig nur das des reichen Ban-
quier's Alléon aus. Ohne uns in dem Dorfe aufzuhalten, wen-
deten wir uns den hinter ihm liegenden beiden großen Waſſer-Be-
hältern zu. Sie beſtehen aus Thaleinſchnitten, die man da, wo es
nöthig ſchien, mit dicken Mauern umfaßt hat. Ein ſolcher Behälter
fährt den aus dem Perſiſchen entnommenen Namen „Bend“, etwa
unſerm deutſchen „Band“ entſprechend. Ihnen werden außer dem
ſich hinabſenkenden Regenwaſſer mehrere kleine Bäche und Flüſſe
zugeleitet, die den dort beginnenden Röhren-Leitungen ihren Reich-
thum ſpenden. Es ſind mindeſtens ſieben dergleichen große Behäl-
ter vorhanden. Der Umſtand, daß der Balkan nord- und oſtwärts
von Belgrad ſeinen Fuß dem Meere entgegenſtreckt, mag zu dem
Waſſer-Reichthum der hieſigen Gegend das Seinige beitragen. Die
Anhöhen, welche hierbei entſtehen, erheben ſich von 350–750 über
das nahe Meer, ſo daß die mittlere Höhe noch einen hinlänglichen
Fall bis Conſtantinopel und Pera ergiebt, deren höchſter Punkt
410 beträgt. – Hadrian, von deſſen humaner Energie und
Macht man längs der unteren Donau, bis zum fernen Orient hin
allenthalben wohlthätige Spuren findet, baute hier die erſte Waſſer-
leitung; Juſtinian beſſerte ſie aus. – Doch darf nicht uner-
wähnt bleiben, daß vor Letzteren ſchon Conſtantin I. von Süd-
weſten her der Stadt eine Waſſerleitung zugeführt hatte. Zwei
alte Leitungen, von beſonders ſorgfältiger Bauart, die das Waſſer
von zwei Flüßchen nach Conſtantinopel führen, heißen noch jetzt die
Juſtinianiſchen. Die conſtantiniſche Leitung wurde von Valens
oberhalb der Stadt hingeführt. Die türkiſchen Herrſcher haben,
von Mohammed dem Eroberer an, dieſe mächtigen Werke theils
unterhalten, theils vermehrt. Eine mir hier zuerſt bekannt gewor-
dene Conſtruction iſt geeignet, das Intereſſe der Aerzte beſonders
in Anſpruch zu nehmen. Dies ſind ſogenannte Waſſerwaagen, obe-
liskenartige Pfeiler, von deren Höhe das Waſſer in zwei Abſätzen
herabſtürzt, um es mit der umgebenden freien Luft in vermehrte
Berührung zu bringen und ihm dunſtartige ſchädliche Stoffe zu ent-
ziehen. Gewiß iſt der letztere Zweck weſentlicher als einige Ver-
mehrung der Druckkraft, die man gleichzeitig damit zu erzielen ge-
dachte. – Hr. Kiepert hat ſich das Verdienſt erworben, den Lauf
dieſer Aquäducte auf ſeiner Karte der europäiſchen Türkei zu be-
– 101 –
zeichnen. Sie ſind außerdem ſo häufig beſchrieben worden*), daß
es hier genügen mag, nur noch der großen Waſſerbehälter Mah-
mud's I. zu erwähnen, die man den Bend des Sultans und der
Valide nennt, und die wir auf dem Rückwege beſuchten. Co-
loſſale Mauern ſind an vielen Stellen prachtvoll mit weißem Mar-
mor getäfelt. Ueber ihrer Höhe erhebt ſich ein nettes Landhaus
des Sultans. Die Mauern ſind breit genug, um auf ihnen einher
zu ſchreiten, ein Spaziergang, der durch das Rauſchen der nahen
Waſſermaſſen, durch die herrlichen Baum-Gruppen der Umgebung,
ſowie durch die Fernſicht auf das ſchiffbedeckte ſchwarze Meer,
kaum irgend ſeines Gleichen finden mag. Kein menſchliches Weſen
unterbrach die Einſamkeit unſerer Wanderung auf dem rieſigen
Werke. Ein Häuschen unten im Thale ſcheint zur Wohnung für
den Aufſeher beſtimmt zu ſein. In hohem Grade befriedigt, trat
ich den Rückweg durch das Thal nach Böjükdere an.
Kadi-köi, Scutari, der Bulgurlu, der Cypreſſenhain.
Es war am 2. Oktober, als ich auf ſchnell geflügeltem Kaik
über die Meerenge nach Aſien überſetzte, um bei Kadi-köi zu
landen. Das ziemlich armſelig ausſehende, aber doch große Dorf,
bietet die heutigen Ueberreſte des ehemaligen Chalcedon dar.
Dieſes wurde 675 v. Chr. durch den Megarenſer Archias ge-
gründet. Es iſt ſchwer, heute noch die Gründe aufzufinden, welche
dazu bewogen haben können, in der kurzen Entfernung von einer
kleinen halben Stunde neben dem damals ſchon reich blühenden
Chryſopolis die neue Pflanzſtadt anzulegen. Als 17 Jahre ſpä-
ter Byzas das Orakel befragte, wohin er die von ihm neu anzu-
legende Stadt bauen ſolle? – konnte dies vielleicht deshalb ant-
worten: „Den Blinden gegenüber!“ Byzas erkannte in den
Blinden die Einwohner von Chalcedon, und wählte ſehr richtig
den unvergleichlichen Boden von Byzanz. Dennoch erhielt ſich
Chalcedon über tauſend Jahre und wurde ſchon früh der Sitz
einer chriſtlichen Kirchenverſammlung. Aber der ſchnell wachſende Flor
der neuen Kaiſerſtadt erdrückte allmälig die ſchwächere Nachbarin, bis ihr
endlich Valens die aus mächtigen Quadern errichteten Mauern raubte,
#
-
*) Man ſehe z. B. v. Hammer, Conſtantinopel und der Bosporos. Th.
I. S. 560–583. – White, three years in Constantinopel. II.
London, 1846. pag. 21–26.
– 102 –
um eine Waſſerleitung für Conſtantinopel daraus zu erhauen. Wenn
aber irgend ein Umſtand geeignet erſcheint, den hohen Reichthum
jenes europäiſch-aſiatiſchen Erdraumes offenkundig dazuthun, ſo iſt
es das tauſendjährige Zuſammenleben von drei großen blühenden
Städten innerhalb ſo eng zuſammengedrängter Begränzung.
Sentari liegt gleichfalls auf ſieben Hügeln; aber ihre Zwi-
ſchenräume ſind im Laufe der Jahrhunderte durch den Schutt von
Zerſtörungen ſo ausgefüllt worden, daß es mir nicht gelungen iſt, ſie
von einander zn unterſcheiden. Uskudar (Poſt-Boten-Anſtalt)
nannten ſie die Perſer, welche in älteſter Zeit hier Tribut von Meer
und Land erhoben. Noch heute lenkt ihre glückliche Lage alle aus
dem Innern Aſiens gegen Europa ziehenden Karawanen hierher,
und ihr alter griechiſcher Name Chryſopolis (Goldſtadt) erſcheint
deshalb heute noch gerechtfertigt. An ihren Namen kettet die Ge-
ſchichte eine große Erinnerung, – die an jene Schlacht, welche über
die Herrſchaft der damals civiliſirten Welt entſchied, denn Con-
ſtantin I. ſchlug hier 324 n. Chr. ſeinen Schwager Licinius,
um ihn bald darauf in den Tod zu ſenden. Ihre Mauern hatte
die Stadt indeſſen ſchon viel früher verloren, beſitzt auch
jetzt dergleichen nicht, weshalb ſie denn als die aſiatiſche Vor-
ſtadt von Conſtantinopel betrachtet wird. Ungeachtet der wohl-
habende Ort von den Türken, als ein Theil ihres aſiatiſchen
Heimathlandes hochgeachtet wird, fand ich ſeine Außenſeite,
im Vergleich zu Conſtantinopel, dennoch dürftig, was ſich nicht
blos auf die Privathäuſer, ſondern auch auf Moſcheen, Schulen,
Karawanſereis und andere öffentliche Gebäude bezieht. Die Stadt
breitet ſich an einem Abhange des Bulgurlu amphitheatraliſch
aus, und da dieſer den Fuß anſehnlich ſteil nach Weſten ins Meer
ſenkt, ſo iſt der obere Theil der Stadt etwas beſchwerlich zu durch-
wandern
Wir ſchritteu von Kadi-köi nach Scutari nordwärts auf
dem ſchmalen Raume zwiſchen dem Meere und einer hohen Garten-
mauer hin, wobei uns die brennende Sonne beſchwerlich genug fiel.
Den Landungsplatz Scutari's fanden wir ungemein lebhaft; er
befindet ſich ungefähr in der Mitte des unteren ebenen Abſchnittes.
Regelmäßig hin und her fahrende Dampfſchiffe unterhalten gegen-
wärtig die Communication mit Conſtantinopel; zahlloſe Kaiks ſchwim-
men allenthalben umher. – Unfery des Meeres halten auf einem
– 103 –
öffentlichen beſchränkten Platze die Pferdeverleiher, welche auf die
zahlreichen Beſucher des Bulgurlu ſpeculiwen. Dieſe Leute ſcheinen
durch das viele engliſche Gold, welches die letzten beiden Jahre hier-
her geleitet hatten, dergeſtalt verwöhnt, daß ich ihren unverſchämten
Forderungen Widerſtand leiſtete und es Andern überließ, bei ihnen
dem griechiſchen Namen der Stadt Ehre zu machen. Dadurch er-
gab ſich für mich zugleich der Gewinn, daß der Fußmarſch eine
ungleich eingehendere Betrachtung der ſich darbietenden Gegenſtände
erlaubte.
Oberhalb der Stadt krümmt ſich der Weg auf den Bulgurlu
zuerſt von Nordoſt durch Nord nach Oſteu, um Anfangs mäßig,
ſpäterhin ſteiler in die Höhe zu ſteigen. Die Special-Karte von
Käuffer, welche v. Hammer dem zweiten Bande ſeines Werkes
über Conſtantinopel beigefügt hat, iſt hier zum Gebrauche beſonders
zu empfehlen. Ein großer chriſtlicher Begräbnißplatz blieb uns zur
Linken, wahrſcheinlich gehörte er zur Kirche des h. Johannes.
Man war ſoeben beſchäftigt, ein Kind uach armeniſchem Ritus zu
beerdigen. Dem offenen Sarge folgte der in eine ſchwarze Toga
und Baret gekleidete Geiſtliche; an der Grube nahm man dem
Leichnam die zierliche Decke ab, umhüllte ihn mit einem einfachen
Leintuche und ſchloß dann den Sarg, indem der Geiſtliche die üb-
lichen Gebete verrichtete. Das Hinführen der Leichen nach der letz-
ten Ruheſtätte in offenem Sarge, welches ich ehedem in Rom und
Neapel beobachtet hatte, iſt alſo auch im Orient weit verbreitet. –
Nachdem wir das Dorf Bulgurlu-köi zur Seite gelaſſen hatten,
wurde der Weg ſteiler. Die Dörfer Groß- und Klein-Tſcham-
lidſche, nahe an einander liegend, folgen ſodann. Eine nicht uu-
anſehnliche Zahl von eleganten Landhäuſern durch Gärten mit Mau-
ern umgeben, erkannten wir, vermöge ihrer vergitterten Fenſter, für
türkiſche. Die Hauptquelle von Tſchamlidſche liefert nach der
Meinung der Türken das vorzüglichſte Trinkwaſſer weit und breit;
man führt es dem Sultan für ſeine Hofhaltung, ebenſo auch wohl-
habenden Familien der Hauptſtadt von hier aus zu. Eine Waſſer-
leitung für Scutari und Kadi-köi hat Sultan Selim angelegt.
Eilf rieſenmäßige Platanen umgeben oberhalb der Dörfer ein ſtark
beſuchtes Kaffehaus, deſſen ausgezeichnete Lage auch mich anzog,
unter dem weitverbreiteten Schatten der Platanen eine Erfriſchung
einzunehmen, die der anſtrengende Fußmarſch doppelt willkommen
– 104 –
machte. Etwas weiter oben traten einige große Pinien maleriſch
hervor, die hier zu Lande über dem Reichthum an Cypreſſen ver-
geſſen zu werden ſcheinen. – Endlich näherten wir uns von Oſteu
her der letzten kegelförmigen Spitze, fanden dieſe aber von einer
unäſthetiſchen Windmühle eingenommen, deren Beſitzer um ſein
Eigenthum in weitem Umkreiſe einen tiefen Graben gezogen hatte,
der das Erſteigen des höchſten Punktes abſichtlich verhinderte. Wahr-
ſcheinlich waren dem Müller die zahlreichen Beſuche in den letzten
beiden Jahren unbequem geworden. Wir mußten uns alſo mit dem
Erſteigen eines Seitenhügels begnügen, welches dennoch durch das
Ueberklettern von kurzem Dorngeſträuche, z. B. einer Art Wach-
holder, Juniperus Oxycedrus, beſchwerlich genug gemacht wurde.
Würdiger hatten einſt die griechiſchen Kaiſer Tiberius und Mau-
ritius dort oben ein Jagdſchloß errichtet. Lavendel (Lavandula
Stoechas), Rosmarin und Thymian nahmen die Seitenflächen der
Bergſpitze von allen Seiten ein und müſſen während des Frühlings
die Luft weithin durchduften. Aber barbariſche, vegetationsfeindliche
Hände bemühen ſich, die ſtrebſamen Pflanzen alljährlich von Neuem
zu vernichten. – Graf Andreoſſy*) giebt die Höhe des Bulgurlu
zu 240 Meter an. Nach Meſſung des Hrn. Tſchihatſcheff liegt
ſeine Spitze 738“ über dem Meere, wobei die nachbarlichen Erhebun-
gen eine Höhe von 151–221“ haben.
Die Ausſicht von der Spitze des Bulgurlu, des Damatrys
der Griechen, iſt weltberühmt, oft und poetiſch beſchrieben worden,
wie ſie es in der That verdient. Will man ſich der entſcheidenden
Großthaten zugleich erinnern, die innerhalb des hier ſich eröffnenden
Geſichtskreiſes vor ſich gegangen ſind, – will man der großen
Männer mit den welthiſtoriſchen Namen-gedenken, welche hier vor-
überzogen, – erkennt man zugleich, daß man auf der Warte des Erd-
theils ſteht, von dem Civiliſation und Humanität urſprünglich aus-
gingen, um weit hinein in einen andern Erdtheil getragen zu werden,
der das Empfangene nicht blos heilig zu bewahren, ſondern auch zur
höchſten Blüthe zu entfalten wußte, – dann freilich muß man ge-
ſtehen, daß es keinen zweiten Punkt der Erde giebt, der ſich mit
dieſem zu meſſen vermöchte. – Wohl findet ſich ein zweiter erha-
bener Gipfel, der die Ausſicht von einem Erdthcil über das Meer
*) Constantinople et le Bosphore de Thracie. pag. 90.
– 105 –
hinweg auf einen andern gewährt, welche ich perſönlich zu durchmeſſen
ſo glücklich nicht war; es iſt die Spitze des Felſen's von Gibral-
tar. Karthager, Weſtgothen, Vandalen und Saracenen haben frei-
lich die Säulen des Herkules überſchritten, – aber kein Darius,
kein Xerxes, kein Xenophon, kein Philipp von Macedonien,
kein Alexander, kein Conſtantin I. hat jene wilden Schaaren
geführt. – Mit dem Blicke vom Veſuv und vom Monte St.
Angelo herab, haben Andere den von dem aſiatiſchen Vorgebirge
verglichen. Abgeſehen davon, daß an einen außereuropäiſchen Theil
unſers Planeten hier nicht gedacht werden kann, birgt die Geſchichte
des ſchräg gegenüber ſtolz aus dem Golf auftauchenden Neapel's
des wahrhaft Großen, Erhabenen, ſo ungemein wenig und des Un-
reinen, Unmenſchlichen ſo viel, daß der auf dem Gipfel des Ve-
ſuv's Weilende ſich des Nachdenkens und der Erinnerung des Ver-
gangenen beſſer enthalten muß. Wer aber hier am keuſchen Bu-
ſen einer ſtets unerſchöpflichen Natur ganz dem Augenblicke, der
Gegenwart ſich hinzugeben vermag, das Treiben der Menſchen glück-
lich vergeſſend, der dürfte vielleicht mit mir anerkennen, daß am
Golf von Neapel das entzückend Schöne, unvergleichlich Dichte-
riſche der geſammten Umgebung von Meer und Land, – dort
hingegen, wo zwei Erdtheile ſich die Hand reichen, das Majeſtätiſche,
Großartige überwiegt. Den Veſuv überragt ein vulkaniſcher Kra-
ter, der ſeine Aſche einſt bis Conſtantinopel hinwarf; den Bul-
gurlu – – verunziert eine winzige Windmühle. – Beiden hat eine
gütige ſchöpferiſche Kraft ihre Gaben überſchwenglich ausgetheilt;
beide aber welken und kränkeln mehr oder weniger unter dem eiſer-
nen Drucke von Menſchen, die eines ſo hohen Glückes unwerth
ſind. Hier, auf Aſiens Vorgebirge weilend, darf man, um der Poeſie
der unvergleichlichen Fernſichten ungeſtört zu genießen, den Blick nicht
über das jenſeit ausgebreitete Stambul hinausſchweifen laſſen, damit
er nicht durch den, numittelbar vor deſſen Thoren in öder Wüſte trau-
ernden weiten Landſtrich zur troſtloſeſten Wirklichkeit hinabgezerrt
werde. Unaufhaltſam muß dort die Poeſie vor der Verwüſtung
durch Barbaren ſinken, unter denen die Cultur verdorrt!
Auf dem Rückwege hatten wir im Oſten und Nordoſten das
Gebirge des Alem-Dagh vor uns, der nächſt dem bithyniſchen
Olymp der Hauptſtadt das ſchon ſpärlich werdende Holz liefert.
Wir wählten die Richtung nach dem berühmten Cypreſſenhaine, der
5**
– 106 –
Zierde eines coloſſalen Todtenfeldes. Auf dieſem Gange paſſirten
wir eine wieſenartig bewachſene, baumloſe Stelle des Berg-
abhanges, welche wir von zahlreichen, verſchleierten türkiſchen
Frauen eingenommen fanden; dieſe erfreuten ſich dort des Ge-
nuſſes der ihnen ſo ſpärlich zugemeſſenen Freiheit. Einige Diener
und Aufſeher befanden ſich in reſpectvoller Entfernung; mehrere
mit Ochſen beſpannte Wagen (Araba's), die Equipagen der
Damen, hielten unfern; auch an ärmlichen Verkäufern von Süßig-
keiten und Früchten fehlte es nicht. Es erregte Anfangs mein
Erſtaunen, unter den letzteren – in ſo mildem Klima – auch
ſaure, kleine Holzäpfel zu finden; aber ich erinnerte mich, daß hier
nichts dieſer Art unmöglich ſei.
Ehe wir in den nördlichen Seitenrand des Cypreſſenhaines
eintraten, überſchritten wir eine völlig culturloſe Bodenfläche, deren
hart ausgetrockneter Lehmboden am Abhange hin eine tiefe und breite
eingeriſſene Furche trug, die offenbar von einem Gießbache hervor-
gebracht worden war, den ein heftiger Gewitterregen wahrſcheinlich
von Zeit zu Zeit dort erzeugt. Die waſſerloſe Furche ſtellte ſich
ſo hindernd entgegen, daß wir einen Umweg machen mußten, um
hinüber gelangen zu können. Auf der Karte finde ich hier ein
Flüßchen verzeichnet; vielleicht iſt ſein regelmäßiges Beſtehen durch
Waſſermangel aufgehoben. So würde alſo auch hier das Land an
dem allen Gegenden gewöhnlichen Nachtheile leiden, denen man die
Vegetation unverſtändig geraubt hat, – monatelange Dürre der
Atmoſphäre und dann kurze plötzlich verheerende Sturzbäche. –
Dichteriſche Beſchreibungen hatten mich hier dunkle, ſchattige Gänge, –
der einſamen Klage geweihte Bosquet's, – murmelnde Bäche,
plätſchernde Fontänen u. ſ. w. erwarten laſſen. Nichts von alle
dem! Majeſtätiſch hohe, uralte Cypreſſen haben die unteren Aeſte
abgeworfen, welche an den Stamm ſelbſt ſich anlehnend, dem jugend-
lichen Baume die pyramidale Form verleihen, die ſie ſo charakteriſtiſch
auszeichnet. Hierdurch wird den Sonnenſtrahlen der Eingang um
ſo mehr erleichtert. Dennoch erreichen jene hohen Cypreſſen die maleriſche
Schönheit der Pinien nicht, wie man ſie z. B. in der Umgebung
von Rom findet. Das ganze Todtenfeld iſt mithin nach allen
Richtungen durchſichtig. Auch entſpricht dies der allgemeinen Sitte
der Orientalen; legten doch ſchon die Griechen und Römer ihre
Gräber an die belebteſten Landſtraßen. Sie aber wußten den Blick
der Vorübergehenden durch äſthetiſche Formen der Grab-Denkmale
– 107 –
zu feſſeln; die Einförmigkeit der unter den mächtigen Bäumen
zerſtreuten türkiſchen Gräber wird aber nicht blos ermüdend, ſondern
zuletzt in hohem Grade langweilig. Ein länglich viereckiges Geſchränk,
hier oft den nahen Marmorbrüchen entnommen, umfaßt den Grab-
hügel, an deſſen Kopfende ſich die ſenkrecht eingefügte Steinplatte
erhebt, die oben breiter wie unten, außer dem Namen noch einen
ſinnigen Spruch aus dem Koran, oder aus einem Dichter, darzu-
bieten pflegt; v. Hammer*) hat eine Anzahl ſolcher Sinnſprüche
in der Urſprache und der deutſchen Ueberſetzung mitgetheilt. Am
Ende des Cypreſſenwaldes zog eine bedeutende Anzahl umgeſtürzter
Grabſteine männlicher Verſtorbener meine Aufmerkſamkeit auf ſich,
denen der Turban, welchen ſie ehedem getragen hatten, abgeſchlagen
worden war. Man unterrichtete mich, daß dieſe Grabſtätten Janit-
ſcharen angehörten, denen Sultan Mahmud II., der Janitſcharenver-
tilger, ſelbſt die ſteinernen Köpfe nach dem Tode noch hatte zertrümmern
laſſen. Die Wuth der Barbarei kann alſo auch durch den Tod
nicht verſöhnt werden. Dabei erſchien es mir außerdem noch auf-
fallend, daß dieſe zertrümmerten Köpfe bereits dreißig Jahre am
Boden lagen, ohne daß irgend eine mitleidige Hand gewagt hätte,
ſie der Schmach zu entreißen. Wirkt etwa des damaligen Herrſchers
Fluch auch noch auf ſpätere Geſchlechter? Aber das dem Fatalismus
ergebene Volk ſcheint die Entweihung nicht zu fühlen, welche durch
dieſe neue Art der Hinrichtung nach dem Tode der von ihm am
meiſten hochgeachteten aſiatiſchen Grabſtätte zugefügt worden iſt. –
Weniger von dieſem Todtenfelde befriedigt, als viele meiner Vor-
gänger, ſchritt ich eilig dem Ufer zu, um mich dem gegenüber-
liegenden ſteilen Hügel von Pera wieder zuzuwenden, von deſſen
Höhe herab mir der Cypreſſenhain maleriſcher erſchien, als von den
Grabtrümmern mißliebig gewordener Verſtorbenen aus.
Unterwegs forderte noch der ſogenannte Leander-Thurn
einen kurzen Aufenthalt, der nahe an der aſiatiſchen Küſte eine kleine
Felſeninſel einnimmt, welche aber den nöthigen Umfang beſitzt, dem
Thurine und einem kleinen Wächterhauſe Raum zu gewähren. Die
bekannte Begebenheit zwiſchen Leander und Hero fand zwiſchen
Seſtos und Abydos an den Dardanellen ſtatt und hat alſo mit
dieſen uralten Bäuwerke nichts gemein. Dennoch knüpfen ſich auch
*) A. a. O. Th. II. S. 332 u. f. – Anhang S. LXI.
– 108 –
an dieſes romantiſche Sagen; die Türken nennen es deshalb den
„Mädchenthurm“. – Specielles Intereſſe flößte mir der Thurm
und ſein Nebengebäude dadurch ein, daß die Doctoren A. T.
Bulard*) und Laye in ihm ihre Verſuche zur Erforſchung der
Contagioſität der orientaliſchen Peſt angeſtellt haben. Wenn ich die
große Beſchränktheit des Raumes betrachte, den dieſes ganz anderen
Zwecken beſtimmte Gebäude darbietet, ſo erſcheint es mir überhaupt
auffallend, daß unter den in ſo engem Raume zuſammengedrängten
Kranken, abgeſehen von allem Anſteckungsſtoffe, ſich nicht die bösartig-
ſten Formen ihrer fieberhaften Uebel unvermeidlich entwickelt haben ſoll-
ten. Nur die vom Feſtlande völlig iſolirte Lage der kleinen Felſeninſel
ſcheint hierzu Veranlaſſung gegeben zu haben; ſollte man zu dieſem
Zwecke nicht eine der Prinzeninſeln haben einrichten können? Ich
fand das Gebäude im Zuſtande der traurigſten Vernachläſſigung.
Zahlreiche Steinplatten waren aus ihren Fugen gewichen, das Holz-
werk zum Theil verrettet. Und doch muß das Auge des Großherrn
auf dieſen Thurm treffen, ſo oft er an die Fenſter ſeines Marmor-
pallaſtes tritt. Freilich gehört der Blick auf Ruinen hier zu dem
Alltäglichen. Die Ausſicht von der mäßigen Höhe des Thurmes
herab ſchweift beſonders über den äußeren Hafen mit ſeinen zahl-
reichen, auf das neue Serail und die gegenüber, auf der europäiſchen
Küſte, prangenden Palläſte; ſcheint es doch, als wolle man das
aſiatiſche Heimathland hintanſetzen. Nur zu Seebädern wird die
Umgegend des Thurmes jetzt beſonders benutzt. – Unfern der Stelle
ſchlug der Athenienſer Chares die Flotte Philipps von Macedonien;
nicht fern von dort errichteten nachher die dankbaren Byzantiner
auf der aſiatiſchen Küſte den hülfebringenden Bundesgenoſſen Denk-
male. Die türkiſche Regierung ſcheint ſeit 1856 eine ähnliche An-
erkennung dargebrachter kriegeriſcher Hülfe nicht für zeitgemäß zu
halten.
Geographiſche Lage und Klima. – Das Klima von Con-
ſtantinopel iſt ungleich rauher, als eine nördliche Breite von 41",
00, 20“, bei einer Länge von 26°, 35, 40“ von Paris es erwarten
laſſen ſollte. In der That beträgt ſeine mittlere Jahres-Temperatur
13° R. und erreicht mithin beinahe die von Neapel, Liſſabon,
mit Nimes und Orange, welche ſämmtlich 13°, 1“ haben. Aber
*) De la peste orientale. Paris, 1839.
– 109 –
Byzanz iſt dem oft herrſchenden Andrange der nördlichen Luft-
ſtrömung ausgeſetzt, welche die Wellen des Bosporus aus dem
nahen Pontus begleitet, die ſich an dem Felſenfuße der Stadt brechen.
Die wechſelvolle, unbeſtändige Witterung des ſchwarzen Meeres, des
Pontus axynos der Alten, dehnt ſich, mit einer gewiſſen Vorliebe,
gern nach Süden hinaus, gleichſam um die von dort herkommenden
Schiffer vor ſeiner Bekanntſchaft zu warnen. Letztere ermangelten
deshalb im Alterthume nie, kurz vor dem Eindringen in das
ungaſtliche Meer dem Jupiter und dem Poſeidon Opfer dar-
zubringen. Auch muß das Klima damals eben ſo wenig anzie-
hend als jetzt geweſen ſein, denn Stratonikus ſoll von dem Klima
Thraciens im Allgemeinen, beſonders jedoch von der Stadt Aenos
(Enos) behauptet haben, der Winter herrſche dort vier Monate des
Jahres, und die Kälte während der übrigen acht*). Der 1858 zu
Coblenz verſtorbene ausgezeichnete Ingenieur-General Fiſcher, der
geraume Zeit im türkiſchen Heere gedient hatte, ſagte mir einſt,
als ich über die Veränderlichkeit der Lufttemperatur am Rheine
klagte, daß ſie von der zu Conſtantinopel vorherrſchenden in hohem
Grade übertroffen werde. – Wer über dieſe Schwankungen ge-
nauere Auskunft zu erhalten wünſcht, mag die dort von Hrn. Noé
angeſtellten Thermometer- und Barometer-Beobachtungen nachſehen,
welche durch Hrn. Rigler*) ausführlich mitgetheilt worden ſind.
Hier gebietet der enger an den Raum anzulegende Maßſtab eine
Beſchränkung auf allgemeine Bemerkungen.
Mir ſelbſt war der Zufall in der öſtlichen Metropole günſtig.
Ich fand die Luft im September ſehr milde, was ſelbſt noch für
die Zeit des Anfanges der zweiten Hälfte des Oktobers galt. Aber
während ich in der erſten Hälfte des letzteren Monats zu Bruſſa
eine ſtets heitere, ſonnige Atmoſphäre genoſſen hatte, wünſchte man
mir bei der Rückkunft nach Stambul Glück, dem Sturm und Re-
gen entgangen zu ſein, der hier vorgeherrſcht habe. Im September
pflegt die Temperatur zwiſchen 11° und 17° R., im April zwiſchen
7° und 15° R. zu ſchwanken. Aber ſie kann im Auguſt bis auf
+ 27° und 28° ſteigen, im Januar, ſelbſt noch bis Mitte Fe-
bruar's auf – 5 und 6° R., ausnahmsweiſe noch etwas tiefer ſinken.
*) Musaeus, Lib. III, Cap. X, pag. 350.
*) Die Türkei und ihre Bewohner. 1. Bd. Wien, 1852. S. 23 u. f.
– 110 –
Der Schnee kann mitunter ſo ſtark fallen, daß die Verbindung
zwiſchen den Wohnungen erſchwert wird, wo denn auch die Zufuhr von
Eis für den Sommer von außen her entbehrlich gemacht wird. Dennoch
lehrt ein Blick auf die Vegetation, namentlich auf die herrlichen Cypreſ-
ſen bald, daß eine Kälte, die man in Mittel-Europa eine ſtrenge nennen
würde, dort nie vorkommen kann. Ich bemühte mich vergebens,
die edle Cypreſſe am Rhein bei Bonn zu acclimatiſiren; der erſte
etwas ſtrenge Winter nahm ſie jederzeit fort. Dagegen gedeiht aber
doch der Oelbaum, das vegetative Wahrzeichen für ein den Namen
des „milden“ wirklich verdienenden Klima's nicht. In der Vegetations-
Anſicht mag ihn, weithin überwiegend, die majeſtätiſche orientaliſche
Platane erſetzen. – Jedenfalls iſt der ſtrenge Winter hier kurz,
was jedoch leider auch von dem Frühling gilt, der zu ſchnell vor-
übereilt. Ohne Regen bleibt nicht leicht ein Monat, und den-
noch fand ich die Vegetation der umgebenden Ebene im September
verdorrt; auch ſah ich die Luft nur zu häufig mit Dunſt und Staub
erfüllt. Dennoch iſt der Spätſommer wohl der genußreichſte Theil
des Jahres; ich erinnere mich immer noch dankbar des Behagens,
mit welchem ich die laue Abendluft auf dem Hügel von Pera ein-
geathmet habe, deſſen Fuß von dem, erfriſchende Kühlung verbrei-
tenden Meere gebadet wird. – Dagegen fand Hr. v. Prokeſch*)
um die Mitte Novembers das abſcheulichſte Wetter von der Welt,
Sturm, Nebel, Kälte, Regen. „Die Gefahren einer um dieſelbe
Jahreszeit in die Propontis und die Dardanellen unternommenen
Seereiſe“ ſchildert Hr. v. Prokeſch mit ſo ſchwarzen und leben-
digen Farben, daß jeder Leſer ſich dadurch angemahnt fühlen wird,
zu ſolcher Unternehmung eine günſtigere Jahreszeit abzuwarten. –
Hr. Griſebach*) war ſo glücklich, von der zweiten Hälfte des
April an dort einer ſtets heiteren Witterung, – nicht einem ein-
zigen Regentag – zu begegnen, mit Ausnahme einiger Gewitterſchalter.
Die Atmoſphäre war zugleich den größeren Theil des Tages un-
gemein durchſichtig. – Auch v. Callot ſah im Winter 1830/31
zu Stambul auf den Straßen eben ſo wenig Schnee, als auf dem
Gipfel des bithyniſchen Olymps. Am 3. Januar will er im Hafen
ſogar eine Temperatur von + 20° R. beobachtet haben (?). Außer
*) A. a. O. I. S. 480.
**) Reiſe nach Rumelien. I. Bd. Göttingen, 1841. S. 42.
– 111 –
ihm finde ich keinen andern Beobachter, der in ſo auffallender
Weiſe begünſtigt geweſen wäre. Vom Januar 1858 berichteten
die öffentlichen Blätter ſogar: daß die Einwohner genöthigt ſeien,
ſich durch enorme Schneemaſſen Wege zu graben, um von einem
Hauſe zum andern zu gelangen. Mit einem Worte: „Veränder-
lichkeit“ iſt der Name des Klima's von Byzanz.
Unter ſolchen Umſtänden kann es nicht fehlen, daß Erkältungs-
Krankheiten, und namentlich Entzündungen der Athmungs-Organe,
dort an der Tagesordnung ſind. Das weichliche Haremleben und
der Widerwille der Türken gegen körperliche Anſtrengungen müſſen
das Hautorgan um ſo empfindlicher gegen raſchen Temperatur-
Wechſel machen. Die leichte Bauart der meiſten türkiſchen Häuſer
und die Theurung des Heizungsmaterials, ſowie Mangel an Oefen
kommen hinzu. Am übelſten befinden ſich dabei die armen einge-
ſchloſſenen und mit Argus-Augen bewachten Frauen. Langeweile,
Gram über ein vertrauertes Leben und erzwungenes Stillſitzen geben
wechſelsweiſe die Veranlaſſung zu Nervenzufällen und Blutſtockungen.
Hämorrhoidalleiden ſollen in keinem bekannten Orte häufiger als in
Conſtantinopel vorkommen. Ebenſo verkürzt Tuberkuloſe dort oft
genug das Leben; Augenkrankheiten treten aber weiter gegen Süden
mehr und mehr hervor, um in Egypten ihren Culminationspunkt
zu erreichen.
WIII.
Das Marmara-Meer und die Prinzen-Inſeln. – Ricomedien und
ſein Golf. – Der Gök-dagh. – Nicäa. – Zeniſchehr. – Bruſſa
und ſeine Ebene. – Ruinen des alten Schloſſes. – Seidenfabrikation.
– Das Erdbeben von 1855 und ſeine Folgen. – Die Stadt und
ihre Bewohner. – Volkszahl. – Grabmäler der Gründer der os-
maniſchen Dynaſtie. – Waſſerleitung. – Weinerzeugung. – No-
ſcheen. – Beſchneidungs-Feierlichkeit. – RBarme Bäder von Bruſſa
und Tſchekirghe. – Klima und geographiſche Lage. – Asklepiades
von Bithynien. – Der bithyniſche Dlymp. – Der Boden der Ebene
und ſeine Cultur. – Die Vegetation. – Ritt nach Gemlik. –
Das Katerlü-Gebirge. – Rückkehr nach Conſtantinopel,
Der Theil von Kleinaſſen, deſſen bewohnte Hauptpunkte die
Städte Scutari, Nicomedien (Ismid oder Iskimid), Nicäa
(Isnik), Jeniſchehr, Bruſſa, darſtellen, hängt mit Conſtanti-
nopel und dem Bosporus, ungeachtet der Trennung durch einen
Meeresarm, ſo innig zuſammen, daß ſchon um deswillen ihr Be-
ſuch für Den unentbehrlich iſt, der die Metropole nicht blos in
ihrem Innern, ſondern auch nach ihren nachbarlichen Beziehungen
kennen lernen will. Außerdem bietet aber die jene Städte umge-
bende Landſchaft, mit dem bithyniſchen Olymp und ſeinen Gebirgs-
Verzweigungen, ein hohes naturhiſtoriſches Intereſſe; die Geſchichte
zeigt uns ſodann gerade hier, oder in der nähern Nachbarſchaft, das
Beginnen mächtiger Staats-Umwälzungen; – das Reich der Os-
manen faßte hier feſten Fuß, ehe es die habgierigen Augen auf das
reiche Oſtland von Europa zu werfen wagte.
So begab ich mich denn am frühen Morgen des 4. Oktober
zu dem im äußeren Hafen liegenden Dampfſchiffe, welches die Fahrt
nach Ismid, Mudania und Gemlik wöchentlich einmal regel-
– 113 –
mäßig unternimmt. Eine aus Armeniern und Griechen zuſammen-
geſetzte Privat-Geſellſchaft hatte damals von der Regierung die aus-
ſchließliche Conceſſion für dieſe Dampfer-Linie erhalten. Das von
Engländern gemachte Anerbieten einer Concurrenz, die für das
Publikum ohne Zweifel von höchſtem Nutzen geweſen ſein würde,
war zurückgewieſen worden. Mein Begleiter und Dolmetſcher auf
dieſer Excurſion war ein unirter Grieche, der dieſelbe Reiſe, guten
Zeugniſſen gemäß, ſchon mehrmals gemacht hatte. – Wir langten
zu der für die Abfahrt beſtimmten Zeit, um 7 Uhr Morgens bei
unſerm Dampfſchiffe an, welches wir außerhalb des Einganges zum
goldnen Horn, zwiſchen zwei öſterreichiſchen Lloyd-Dampfſchiffen,
bereits durch einen dichten Knäuel von Kaiks und Barken aller Art
eingeſchloſſen fanden. Ihre unter einander hadernden Führer ver-
übten durch Geſchrei, Schelten und Lärmen einen wahrhaft betäu-
benden Tumult. Hier und da kam es zwiſchen den Bootsleuten
zu Thätlichkeiten, indem jeder zuerſt an die ſchmale Schiffstreppe
anlegen wollte. Während eines ſolchen Conflictes kam mein Kopf
in eine ſehr unſanfte Berührung mit der Stange eines Kaikſchi,
der freilich mein an ſeinem Streite unſchuldiges Haupt gewiß nicht
hatte treffen wollen. Von einer beſchwichtigenden oder einſchreiten-
den Polizei-Gewalt wurde nichts ſichtbar. Nach Fährlichkeiten man-
cher Art war es uns endlich gelungen, die erſehnte Treppe zu er-
kämpfen; wir mußten ſie gleichſam im Sturm erſteigen. Das Ver-
deck fanden wir von lagernden Menſchen dicht bedeckt; Frauen und
Kinder hatten der Zahl nach das Uebergewicht, – hier und da
tauchte auch das ſchwarze Geſicht einer Sclavin aus der langen
Reihe auf. Alle dieſe Deck-Paſſagiere hatten ſich auf mitgebrachten
Decken, Teppichen oder Matratzen möglichſt wohnlich eingerichtet;
ſchon dampfte der Kaffetopf im Kreiſe mancher dieſer Familien. –
Kurz vor acht Uhr lichtete endlich unſer mit zwei Rädern verſehenes
Dampfſchiff die Anker; von dieſem Augenblicke an nahmen vor-
läufig die außerhalb des Schiffes befindlichen Gegenſtände die Auf-
merkſamkeit vorzugsweiſe in Anſpruch. Nachdem ſich unſer Dampfer
mühſam durch Hunderte von Schiffen, Barken und Kaiks hindurch
gedrängt hatte, erwartete ich einige Beruhigung des ohrzerreißenden
Getümmels. Ich hatte mich verrechnet; neben Kindergeſchrei machten
ſich kreiſchende Weiberſtimmen hörbar; das tiefere Gemurmel der Män-
ner bildete den anhaltenden Grundton zu dieſem unmelodiſchen
– 114 –
Schiffs-Concerte. In dieſem maßte ſich aber das Primat ein junger
Türke an, der, auf einem Radkaſten thronend, mit einer wahrhaft unver-
wüſtlichen Ausdauer, die beſſeren Erfolges würdig geweſen wäre, un-
aufhörlich ſang, mit einem Tambourin ſich ſelbſt begleitend. Alle
meine Anſtrengungen, aus ſeinen Tönen irgend eine geordnete Mr-
ladie heraus zu hören, waren vergebens; ein Chaos von Tönen
ſchien auf den Uranfang aller Muſik hinzudeuten. Doch mußte der
Sänger auf duldſame Ohren rechnen können, denn ich bemerkte keine
Unzufriedenheit in den Phyſiognomieen der Nahefitzenden ausgedrückt,
obgleich anderer Seits ihm auch Niemand beſondere Aufmerk-
ſamkeit zuwendete; – eben ſo wenig ſah ich ihm Spenden zuflie-
ßen. – Leichter ließen ſich die ohrquälenden Töne während des
Anſchauens ſo großartiger Naturſchönheiten überhören, wie ſie hier
mannigfach wechſelnd an dem Wanderer vorüber gleiten. Unſer
Schiff bewegte ſich anfänglich, nahe dem europäiſchen Ufer, längs
der Gärten des neuen Serails hin, um ſodann ihre äußerſte öſt-
liche Spitze umkreiſend, in das Meer von Marmara einzulenken.
Leider war die Atmoſphäre mit Dünſten ſo erfüllt, daß fernere
Gegenſtände im Nebel verſchwammen; uähere Punkte aber traten,
von der Morgenſonne beleuchtet, glänzend hervor, unter denen rechts
die Sophienkirche, der Thurm des Seraskiers und die Moſchee
Sultan Ahmed, links der Bulgurlu mit Seutari als fixe Stand-
punkte den Blick immer wieder von neuem anzogen. In der Pro-
pontis angelangt, blieben mir die aſiatiſche Küſte, ſowie die gewaltigen
ſieben Thürme der europäiſchen Seite, mit den ſüdlich weiterhin folgen-
den nächſten Dörfern, ziemlich fern. Dagegen fuhren wir an der Nord-
oſtſeite der Prinzen-Inſeln ſo nahe hin, daß ich dieſe genau zu über-
ſehen vermochte. Man findet gewöhnlich ſieben dieſer Inſeln auf-
geführt; ihrer ſind jedoch neun, mehrere von ihnen unbewohnt. Die
auf unſerm Wege zuerſt auftretende Inſel Prote oder Proſti,
erſchien uns ſehr ſchwach bevölkert. Anders war es zur Zeit des
byzautiniſchen Kaiſerthums. In einem früh hier erbaut geweſenen
Kloſter endeten zwei griechiſche Kaiſer, einer von ihnen (Romanus
Diogenes) ſogar mit ausgeſtochenen Augen, außer ihnen zahlreiche
Prinzen und Miniſter das Leben. Die graue menſchenarme Inſel
ſchien gegenwärtig über ihren früheren Henker-Beruf ſelbſt zu trau-
ern. – Die zweite Inſel Antigona, die bei den Byzantinern
Terebiu thos oder Panor mos hieß, iſt bewohnter. Sie trägt
nahe am Ufer die Ruinen eines großen Schloſſes, welches durch
eine Feuersbrunſt ſchon um dieſelhe Zeit zerſtört worden iſt, als
die Perſer Chalcedon vernichteten. An der Anhöhe finden ſich
noch die Ruinen eines Kloſters, welches den byzantiniſchen Kaiſern
gleichfalls zum Verbannungsorte diente. Hier kerkerte man unter
Anderen den h. Methodius ſiehen Jahre in einem Grabe ein,
um ihn hernach zum Patriarchen von Conſtantinopel zu machen.
Die dritte Inſel Chalki, zeichnet ſich durch Baumgruppen, unten
Piuien, ohen Eichen, und mehrere grüne Thäler vortheilhaft aus.
Drei griechiſche Klöſter decken die Spitzen von drei Hügeln, wo-
durch die ganze Inſel eine dreiſeitige Geſtalt bekommt; unter ihnen
liegt das Kloſter St. Georg 550“ über dem Meere. In früher
Zeit wurden hier Kupfergruben ausgebeutet; gegenwärtig macht
man hierher im Frühlinge und Herbſte häufige Luſtfahrten. Eben
deshalb ſind jetzt freundlich einladende Landhäuſer entſtanden und
ein in's Meer hinein reichender hölzerner Damm iſt zum Anlegen
der Dampfſchiffe beſtimmt, die bei guter Jahreszeit wöchentlich zwei
Mal von der Hauptſtadt hierher und wieder zurück fahren. – Von
den übrigen Inſeln erwähne ich nur der umfangreichſten unter allen,
Prinkipos. Ihre hervortretenden Felsparthieen erſcheinen röthlich;
grüne Thäler ziehen ſich aber weithin und dienen beſonders den
Griechen der Hauptſtadt häufig zu angenehmen Ausflüchten. Die
Reinheit und Milde der hier vorherrſchenden Seeluft wird beſon-
ders gerühmt. Auch dieſe Inſel ernährt drei Klöſter, deren eines
urſprünglich von der berüchtigten Kaiſerin Irene, der Verbündeten
Karl's des Großen, erbaut wurde, ſich ſelbſt zum Aufeuthalte in
künftiger wohlverdienter Verbannung.
Von nun an ſüdlich ſteuernd, näherten wir uns der aſiatiſchen
Küſte mehr. Jetzt fehlte es nicht an Muße, die ſich auf dem Schiffe
ſelbſt darbietenden Gegenſtände abermals, und jetzt näher ins Auge zu
faſſen. Es ergab ſich, daß für die Paſſagiere des erſten Platzes außer-
halb der Kajüte kein beſonderer Raum auf dem Verdecke vorhanden war;
jeder Verſuch zur Körperbewegung mußte mit Ueberſteigen von zahl-
reichen Beinen ausgeſtreckt Lagernder erkauft werden. Freilich waren
ſolcher Paſſagiere nur vier oder fünf vorhanden. – Das Hinter-
deck ſchien dem weiblicheu Geſchlecht und den Kindern vorzugsweiſe
eingeräumt zu ſein. Unter ihnen zeichneten ſich einige Griechinnen
durch regelmäßige Geſichtszüge, glänzende ſchwarze Augen, hochge-
– 116 –
wölbte Angenbrauen und kleinen Mund vortheilhaft aus. Bei den
verſchleierten Türkinnen ſank im Laufe der Reiſe der Schleier mehr
und mehr; nur eine alte Frau bemühte ſich, ſelbſt während des
Eſſens den zahnloſen Mund dicht verdeckt zu erhalten, wodurch
während des Kauens wahrhaft komiſche Figuren entſtanden. Es be-
fand ſich unter den jüngeren Türkinnen keine, die eines Malers
Aufmerkſamkeit anhaltend auf ſich gezogen haben würde; über die
oft angenehmen Geſichtszüge lagerte ſich faſt immer der Ausdruck
des Hinwelkens und der Erſchlaffung, – kein aufblitzendes Feuer
drang aus den matten Augen hervor. Die Langeweile des Harems
übte alſo ihren Einfluß andauernd auch noch während der größeren
Freiheit bei der Seefahrt. Eine ungewöhnlich häßliche Negerſclavin
von ſtarkem Knochenbau rauchte unaufhörlich in Papier gewickelte
Cigarren; die Nägel der dicken Finger hatte ſie ſorgfältig roth ge-
färbt. So anmaßend die Sclavin, ſo beſcheiden erſchien die neben
ihr ſitzende, nicht rauchende türkiſche Herrin. Ein ähnliches Ver-
hältniß ſoll ſich im Innern des Harems nicht ſelten herausſtellen.
Unter den Männern wurde einem alten Derwiſch mit langem
grauen Barte beſonders achtungsvoll begegnet; er trug die gewöhn-
liche ſpitze graue Filzmütze auf dem geſchorenen Haupte. In ſeiner
Nähe unterhielt ſich ein griechiſcher Geiſtlicher unaufhörlich mit ſei-
ner Frau und einem Kinde, ohne von den Dingen außer ihm je-
mals Notiz zu nehmen. Der unter den zahlreichen Gruppen mit
offenem Beutel mühſam herumſteigende Schiffs-Conducteur brachte
etwas mehr Mannigfaltigkeit in die bewegte Scene, indem er das
Fahrgeld einkaſſirte; er ſchien ein Armenier zu ſein. Der Schiffs-
Capitän, ein lebhafter kräftiger Mann, war aus Raguſa, welches
ſehr vielen Handelsſchiffen des mittelländiſchen Meeres die Führer
liefert. – Der erſte Ort der Küſte, bei welchem unſer Schiff an-
legte, um Paſſagiere auszuſetzen und einzunehmen, war das Dorf
Aridſchi. Von hier aus begaben wir uns zu dem gegenüber lie-
genden Ufer, nachdem wir tiefer in den Golf von Ismid vorge-
drungen waren, um gegen Mittag vor Kara-Muſſal Anker zu
werfen. Dieſes etwas anſehnlichere Städtchen breitet ſich, amphi-
theatraliſch aufſteigend, an einer Anhöhe aus und gewährt einen
maleriſchen Anblick. Am Ufer ſahen wir einige Küſtenfahrer auf
dem Werft liegen; wegen dieſes Schiffsbaues und ſeiner trefflichen
Granatäpfel war der Ort ſchon bei den Alten berühmt. Weiter
– 117 –
ſüdöſtlich am Ufer hinfahrend, boten ſich uns grün bis zur Spitze
bewaldete Anhöhen, mitunter von anſehnlicher Höhe dar, an deren
Fuß freundliche Dörfer mit rothen Ziegeldächern nahe auf einander
folgten. Die auf der europäiſchen Seite ſaſt unvermeidlichen Stroh-
dächer waren hier verſchwunden. Die Wirkung hiervon auf den
Beſchauer wurde beſonders begünſtigt, als zwiſchen 12 und 1 Uhr
die Sonne jede Spur von Nebel aus der Atmoſphäre verjagt hatte.
Hell und klar traten nun alle Linien des nahen lachenden Ufers
hervor, und es ſchien in der That, als ob hier eine heitere Natur den
Druck der Menſchenhände erleichtert habe. Kleine Segelſchiffe zogen
gleichzeitig hin und her. Endlich näherten wir uns dem innerſten
geſchloſſenen Ende des Golfs, und ließen vor der Stadt, die ihm
den Namen gegeben hat, vor Jskimid (Js mid), dem alten Ni-
comedia, den Anker fallen. Leider iſt der Golf vor der Stadt
ſo ſeicht, daß ſich unſer größeres Schiff der hölzernen Landungs-
brücke nicht zu nähern vermochte; wir wurden in Nachen an das
Land geſetzt.
Die Stadt verdient den Namen eines elenden Dorfes, welchen
ihr die Reiſebeſchreiber aus dem Anfange des gegenwärtigen Jahr-
hunderts gegeben, zur Zeit keineswegs. Eine etwas ſteile Fels-
Anhöhe iſt mit Häuſern recht eigentlich bedeckt; ſogar außerhalb der
Ueberreſte ehemals feſter Ringmauern findet ſich noch eine Anzahl
von Wohnungen, die freilich den Anſprüchen, welche wir an ſtädtiſche
Häuſer zu machen gewohnt ſind, wenig entſprechen. Die wohl-
habenderen Einwohner ſcheinen ſich in einige Straßen zuſammen-
gedrängt zu haben, welche parallel mit dem Meeresufer, in der
ſchmalen Ebene zwiſchen ihm und der Anhöhe verlaufen. Ein leb-
hafter Verkehr gab ſich hier kund, der wohl durch die eben erfolgte
Ankunft des Dampfſchiffes aus Conſtantinopel vermehrt ſein mochte.
Einige unter rechtem Winkel auf jene ſtoßende Straßen, welche
vertical den Hügel hinanſteigen, verlaufen etwas zu ſteil. Bei der
Nachfrage nach einem Gaſthofe verwies man uns auf ein Kaffe-
haus, welches unmittelbar am Meere lag. Der ziemlich geräumige
viereckige Saal deſſelben ſchwebte gleichſam über dem Meere, indem
ſeine hölzerne Unterlage auf Säulen von weißem Marmor ruhte,
die wahrſcheinlich den Ruinen ehemaliger Prachtgebäude entnommen
waren. Die Einrichtung deſſelben erſchien ungemein einfach. Die
Geräthe beſchränkten ſich auf eine an der Wand herumlaufende
– 118 –
Bank und einige lange Tiſche. Aber die Ausſicht aus den hoher
ſchmalen Fenſtern auf das belebte Meer und die gegenüber liegende
Küſte war entzückend ſchön, und ſchaffte reichen Erſatz für den
Mängel an Comfort. Eine Anzahl aus- und eingehender Griechen
unterhielt rauchend eine ſehr lebhafte Converſation. Nördlich von
der Stadt befindet ſich die Rhede, auf welcher 16–12 kleike Han-
delsſchiffe lagen. Man treibt Schiffsbau; ein kleines Kriegsſchiff
wurde für die Regierung ſo eben hier gebaut. Die geräumige Bucht
würde hierzu ausgezeichnet brauchbar ſein, wenn man ſie durcheitert
in das Meer hinaus zu ziehenden. Damit gegen die Nord- und Nord-
oſt-Stürme ſchützen wollte.
Um 4 Uhr Nachmittags machte ich mich zu Pferde auf, um
die Ueberreſte der alten Stadt zu beſchauen; unſer Führer wußte
viele fabelhafte Dinge von ihr zu erzählen: Der Weg führte an
der ſüdlichen Seite der Stadt in die Höhe. Wir paſſirten eine
türkiſche Grabſtätte, die mit den prachtvollſten Cypreſſen bedeckt
war, zwiſchen denen die rothen Früchte zahlreicher Granatbäume
hindurch ſchimmertet. Der Granatbattm gedeiht hier ohne alle
menſchliche Pflege beſonders üppig. Auf dem Gipfel der etwas
über 300 hohen Anhöhe ſtießer wir auf die Reſte eiltes anſehn-
lichen runden Thurmes, der afterdings ſeiner äußeren Bekleidung
verluſtig gegangen war, deſſen Bauart jedoch über ſeinen römiſchen“
Urſprung keinen Zweifel übrig läßt. Zwei andere, in regelmäßigen
Entfernungen auf einander folgende runde Thürme erſchienen
ungleich mehr zerſtört. In der, jene Thürme miteinander verbin-
denden ſtarken Mauer treten ſcharf behauene Maſſen von weißem
Marmor, ebenſo Bruchſtücke von Säulen hervor. Auf der Spitze
folgteit endlich noch Reſte von viereckigen Thürmen, deren einem
ein Theil ſeiner aus weißen Quadern beſtehenden Bekleidung noch
verblieben iſt. Inſchriften bin ich nicht gewahr geworden. Sie würdeit
ſich vielleicht finden, wenn man die üppig wuchernden Schling-
gewächſe, Epheu, Brombeeren, Waldrebe u. ſw. hinwegräumen
oder Marinor-Fragmente hervorziehen wollte. Der Weg, den wir
an der Nordbſtſeite der Stadt außerhalb der Mauerreſte hinab-
ſtiegelt, war ziemlich ſteil und unbequem: In der Ebene ange-
langt, wendeten wir uns dem ſehr geräumigen chriſtlichen Begräb-
nißplatze zu, der mit wahrhaft coloffaler Terebinthenbäumen ge-
ſchmückt iſt. Im Schutze des durch ſie gebildeten mächtigen grünen
– 119 –
Laubdaches dehnen ſich viele Reihen von Grabſteinen aus grobem
Marmor hin, die wagerecht den Grabhügel deckend, lange armeniſche
oder griechiſche Inſchriften trugen. Mir fiel die Sitte auf, das
Geſchäft des Verſtorbenen auf die Steine durch ein Emblem kennt-
lich zu machen; ſo finden ſich hier zahlreiche Schneider-Scheeren,
Ellen, Winkelmaaße und dergleichen. Unfern dieſes durch ſeinen
majeſtätiſchen Baumſchmuck intereſſanten Platzes, unmittelbar am
Fuße des Hügels ſah ich eine neu aufgeführte und weiß übertünchte
Mauer ein anſehnliches längliches Viereck umſchließen. Auf meine
Frage nach ſeiner Bedeutung erfuhr ich, daß dies der Begräbniß-
platz der Engländer ſei, die hier während des letzten Krim-Feld-
zuges ein bedeutendes Kavallerie-Depot unterhielten. Sie ſtanden
bei den Einwohnern fortwährend in gutem Andenken, wozu ihre
gefüllten Börſen weſentlich beigetragen haben mögen. – Ungeachtet
dev vorgerückten Jahreszeit umfing uns eine ungemein milde Atmoſ-
phäre; gewißhatte ſie weſentlich daran Theil, daß der fruchtbare Bodent
der Ebene allenthalben mit einer üppig grünenden Vegetation be-
deckt war. Zwiſchen zahlreichen, gut bebauten Gärten führte mich
endlich ein breiter, ſüdwärts verlaufender Weg zur Stadt zurück.
Während dieſes Ganges hatte ich hinlängliche Muße, den wohl-
thätigen Einfluß des milden Klimas zu bewundern. Hoch ge-
zogene Rebengehänge erſchienen geſchmückt mit einen Fuß lan-
gen Trauben, deren ausgepreßter Saft einer feurigen Wein gibt,
der ſich unſern Deſſertweinen ebenbürtig anreihen würde. Viele
Maulbeerbäume deuten darauf hin, daß man Seidenbau treibt;
mehrere dergleichen fand ich ſpäter noch auf der gegenüber liegender
Seite des Golfs. Man ſagte mir, daß drei Stunden von hier
ſich eine anſehnliche Seidenfabrik befinde. Ebenſo gedeiht der Oel-
baum, den ich ſpäter weder in Ricäa noch in Bruſſa fand.
Rieſige orientaliſche Platanen verſchönern hier und da die Landſchaſt.
In den Marktbuden hatte ich Nachmittags bereits einen großen
Reichthum von Früchten ausgeſtellt geſehen, deren maleriſche Zierde
Granatäpfel, aufgeſchnittene, ihr rothes Mark darbietende Waſſer-
melonen, Liebesäpfel, die Früchte von Solanum Melongena, Melo-
nen und Kürbiſſe verſchiedener Form bildeten.
Nach dem von Nicomedien gewonnenen Ueberblicke ergriff
mich tiefes Bedauern darüber, daß dieſer ſo überreich ausgeſtattete
Punkt der Erde durch Barbarei zu ſeinem gegenwärtigen Verfall
– 120 –
hat herabgewürdigt werden können. Nahe am inneren öſtlichen
Ende eines großen Golfes, ähnlich wie das nahe Gemlik, auf
dem nördlichen Ufer gelegen, iſt es vom Meere aus cbenſowohl
wie vom Lande her leicht zugänglich. Der unerſchöpfliche Reichthum des
Bodens ſeiner Umgebungen, des Meeres an Fiſchen, der üppigen
feuchten Thäler der Nachbarſchaft als Viehweiden, die zu alledem,
gehörige milde, meiſtens reine Atmoſphäre, ſchaffen aus ihm einen
Juwel, der jeden Kaiſerſitz ſchmücken würde. In politiſcher Hinſicht
kommt noch hinzu, daß Nicomedien beinahe gleich weit vom Aus-
fluſſe der Donau, wie von dem des Euphrat entfernt liegt. Auch
iſt dies früh ſchon vollſtändig gewürdigt worden, und Scott
Waring*), der 1805 hier war, behauptet ſogar, daß Nicomedien
nach Conſtantinopel der am vortheilhafteſten gelegene Ort der Welt
ſei. Diocletian, derjenige unter den römiſchen Imperatoren, in
welchem ſich tiefe Staatsklugheit und Energie mit voller Anerken-
nung der Kräfte und der Schönheiten der Natur am meiſten ver-
einigte, wählte Nicomedien zu ſeinem Herrſcherſitz, nachdem er von
dem weiten römiſchen Reiche die reichen aſiatiſchen Provinzen, Egyp-
ten und Thracien in der Theilung für ſich behalten hatte. Der
glänzende Hof zog bald zahlreiche Einwohner aus allen Weltgegenden
hierher; Gibbon*) behauptet ſogar, daß die Stadt damals an Ein-
wohnerzahl nur hinter Rom, Alexandrien und Antiochien
zurückgeblieben ſei. Der von den Reſten der Ringmauer heute noch
umſchloſſene Raum würde indeſſen nicht im Stande geweſen ſein,
eine ſolche Menſchenmaſſe in ſich zu faſſen, und es müßten alſo
anſehnliche Vorſtädte vorhanden geweſen ſein, von denen nur wenige
Spuren noch ſichtbar ſind. – Palläſte, Tempel und Luxusgebäude
aller Art ſproßten üppig empor. Freilich ging damals aus dieſem
Orte auch das ſcharfe Edikt zur Verfolgung des Chriſtenthums aus,
durch welches der Kaiſer die emporſtrebende Macht deſſelben noch
niederbeugen zu können wähnte. Die völlige Fruchtloſigkeit des
grauſamen Unternehmens hat, neben langwieriger Kränklichkeit, viel-
leicht nicht unweſentlich dazu beigetragen, daß Diocletian 305
*) Voyage de l'Inde à Chyras. Traduit de l'Anglais par M. Paris,
1813. pag. 265. - -
*) Geſchichte des Verfalls des römiſchen Reiches. A. d. Engl. von Wenck.
I. Leipzig, 1779. S. 419. -
– 121 –
n. Chr. bei Nicomedien die Krone feierlich niederlegte, um ſich nach
Salona in ländliche Ruhe zurückzuziehen, und die dalmatiſche
Erde mit eigenen Händen zu bebauen. Der damals 59 Jahre
alte Kaiſer befand ſich im 21. Jahre ſeiner Regierung, nachdem er
kurz zuvor in Rom den letzten großen Triumph gefeiert hatte,
welchen die ewige Stadt in ihren Ringmauern ſah, auf der höchſten
Staffel des Glückes ſtehend. Die erſtaunten Völker hatten unter
ſolchen Umſtänden nie ein Beiſpiel ſo wohl überlegter, ruhiger
Entſagung erlebt, als es damals Nicomedien bewunderte.
Auch Conſtantin I. erachtete Nicomedien für würdig, ſich
im letzten Abſchnitte ſeines Lebens dorthin zurückzuziehen. Der Ort
erfuhr die Gunſt der damals erwachten Bauluſt des Kaiſers mit
Byzanz, Trier, Jeruſalem und Helenopolis zugleich. –
Unfern des Ortes ſtarb er 337 n. Chr., in dem Schloſſe Anky-
ron, von welchem auf einer Anhöhe noch einige Ruinen ſichtbar
ſind; die Türken nannten es Hareke. Bald nach ihrem Siege
bei Köjan-hiſſar (Bapheum) nahmen ſie unter Aghde-Kod-
ſcha auch Nicomedien ein, 14 Jahre nach der entſcheidenden Schlacht
von Chryſopolis. – Der Biſchof Euſebius von Nicomedien hatte
den Kaiſer bewogen, die Lehren des Arian anzunehmen und meh-
rere katholiſche Biſchöfe zu vertreiben. Doch erſt auf dem Todten-
bette ließ ſich Conſtantin taufen. Nachdem er Augenzeuge von der
Nutzloſigkeit der Chriſtenverfolgungen geweſen war, ſuchte er das
Heidenthum nur durch Ueberredung allmälig zu verdrängen und
der Erfolg entſprach ſeiner Abſicht. So wurde Nicomedien eine
Haupt-Zeugin des gewaltigen Kampfes zwiſchen Heidenthum und
Chriſtenthum, ſowie des entſcheidenden Sieges des letzteren. Beide
dort reſidirende Kaiſer hatten wohl nicht die entfernteſte Ahnung
davon, daß ſpäterhin weder der eine noch der andere Cultus dereinſt
daſelbſt regieren, ſondern eine dritte Religionspartei ſich den Weg
hierher mit Feuer und Schwert bahnen würde.
Mir aber bot das einſt ſo reiche Nicomedien zum Nachtlager
nur die hölzerne Pritſche eines Abſchnittes des erwähnten Kaffe-
hauſes dar, die denn, mit einem Teppich bedeckt, auch genügte. Es
war mir auffallend, daß der Wirth mir ſein Kaffelocal für die
Nacht völlig anvertraute, indem er ſelbſt ſich zu ſeiner Familie
zurückzog, die in einem andern Gebäude wohnte. Obgleich unſer
Nachtlager von allen Seiten ziemlich frei und zugänglich war, ſo
6
– 122 –
wurden wir in der Ruhe durch nichts, als nur durch einige Katzen
geſtört, die der Geruch einiger Lebensmittel zu Diebereien herbei-
gelockt hatte.
Am 5. Oktober, Morgens, hatte ich beſchloſſen, die Reiſe nach
Nicäa, und zwar auf einem nicht gewöhnlichen Wege, forzuſetzen.
Vom öſtlichen Ende des ſüdlichen Ufers des Golfs aus erhebt ſich
nämlich eine anſehnliche Berggruppe, welche die Türken, ihrer Höhe
wegen Gök-dagh, „Himmelsberg“ nennen. Ueber ſie führt der
nächſte, zugleich aber auch der beſchwerlichſte Weg nach Nicäa.
Die meiſten Reiſebeſchreiber haben das Gebirge in der Ebene um-
gangen. Nur v. Hammer*) wählte denſelben Weg in umge-
kehrter Richtung. Doch vermied er augenſcheinlich die ſteilen Höhen,
indem er von Nicäa aus erſt das weſtliche Ufer des Sees
einige Stunden weit nach abwärts verfolgte, ehe er ſich von dort
aus nach rechts dem Gebirge zuwendete. Ebenſo umwanderte v.
Hammer, nachdem er gegen den Golf von Nicomedien hinab-
geſtiegen war, das geſchloſſene öſtliche Ende deſſelben, um zu der
Stadt zu gelangen, wohingegen ich in grader Linie direct über das
Meer ſetzte und hernach den kürzeſten Weg über die ziemlich ſteile Höhe
verfolgte, welchen die leichter beladenen Laſtthiere zwiſchen beiden Städ-
ten zu nehmen pflegen. Ein ſpecieller Grund zu dieſer Wahl lag in
meinem Wunſche, das auf der Südſeite des Golf's ſich öffnende Thal
von Jalowa zu beſuchen. In dieſem liegen nämlich, eine halbe
Stunde vom Meere entfernt, berühmte Mineralbäder, durch deren
Gebrauch zur Zeit des Conſtantin deſſen Mutter, die Kaiſerin He-
lena geheilt wurde. Zum Andenken dieſes Erfolges nannte der
Kaiſer den Ort Helenopolis und ſtattete ihn mit koſtſpieligen
Bauten aus. Die Türken nennen das Bad Jalowa-Hamam,
auch Kuri- oder Dagh-Hamam. Die byzanticiſchen Waſſer-
leitungen wurden mit einer ſolchen Solidität geban daß ſie noch
heute brauchbar ſind. Seit dem Jahre 1846 verdankt man einem
wohlhabenden Armenier ihre Wiederherſtellung. Wir fiden bei Hrn.
Dr. Rigler*) die erſte genauere Nachricht über dieſe wieder auf-
gelebte altberühmte Bad, deſſen Waſſer von einem Schüler Lie-
big's, Hrn. Smith, chemiſch unterſucht wurde. Nach dieſem
*) Reiſe von Conſtantinopel nach Bruſſa. Peſth, 1818. S. 125 u. f.
*) Die Türkei und deren Bewohner. Th. 1. Wien, 1852. S. 19.
– 123 –
Chemiker liefern die hier ſprudelnden 9 Quellen ein ſchwach nach
Schwefelwaſſerſtoffgas riechendes warmes Schwefelwaſſer, deſſen
Temperatur ſich bis zu 53 und 55° R. erhebt. Das ihm ent-
ſtrömende Gas ergibt keine Kohlenſäure, wohl aber 97 pCt. Azot.
Spuren von Eiſen fehlen. Das Waſſer iſt dem von Bath in
England ſehr ähnlich. – Prof. Griſebach überſchritt, vom Thale
von Jalowa aus nach Baſardſchyk gehend, den Sſam anlü,
deſſen Höhe er hier zu 2500 ſchätzt. – Als ich am ſüdlichen Ufer
des Golfs gelandet war, nöthigte mich leider der gänzliche Mangel
an Communicationsmitteln, den Beſuch des Bades aufzugeben, der
unter dieſen Umſtänden einen zu anſehnlichen Zeitaufwand gefordert
haben würde.
Schon die Ueberfahrt über den Golf würde am frühen Morgen
unmöglich geweſen ſein, wenn nicht der Capitän einer Handels-
Brigg, welche bei Nicomedien Getreide einlud, ſo freundlich geweſen
wäre, mir ſeine Barke anzubieten. Er ſelbſt machte die Ueberfahrt
mit, indem er am jenſeitigen Ufer eine Jagdpartie beabſichtigte.
Die Barkenführer von Nicomedien waren an dieſem Morgen be-
ſchäftigt, zahlreiche Paſſagiere und Güter an das geſtern gekommene
Dampfſchiff zu führen, welches nach Conſtantinopel zurückfuhr. Unſere
offene Barke wurde aber von fünf Ruderern raſch über das ſpiegel-
glatte Meer geführt. So konnten die mannigfach wechſelnden ma-
leriſchen Anſichten von Nicomedien und ſeiner Umgebung in voller
Ruhe genoſſen werden. Zugleich war der Himmel bedeckt, was die
Durchſichtigkeit der Luft zu befördern ſchien, indem es eben ſo die
Beſchwerden der grellen Sonne abwendete, denen wir ſonſt in dem
offenen Fahrzeuge nicht entgangen ſein würden. Das Thermometer
zeigte im Schatten um 6% Uhr 14° R. Die angenehme kleine
Seefahrt war innerhalb % Stunden beendigt, nachdem die vier
oder fünf Min. - Gon Ismid, die ſich längs des Ufers hin-
dehnen, allmälig aus dem Geſichte verſchwunden waren. Jenſeits
angekommen, legten wir bei einer kleinen, wankenden hölzernen
Brücke an und befanden uns ſogleich in einem aus wenigen Häu-
ſern beſtehenden L. je, welches mit zahlreichen Maulbeer-Pflan-
zungen umgeben war. Dies iſt das ehemalige Eribolus. Es
gelang mir, hier einen Laſtträger zu miethen, der es übernahm,
meine Effekten bis zu dem nächſten Dorfe bergan zu tragen. Eine
Stunde lang zog der Fahrweg gegen die Anhöhe hin durch eine
6°
– 124 –
Ebene, rechts und links zwar von Hecken eingefaßt, die jedoch ſchlecht
unterhalten, an vielen Orten völlig fehlten. Allmälig hob ſich der
Boden und wurde zuletzt ziemlich ſteil, ſo daß die endlich hervor-
getretene Sonne das Steigen ſehr beſchwerlich machte. Eine halbe
Stunde von der rechten Seite unſeres Weges entfernt, alſo nörd-
lich, blieb ein anſehnliches Dorf liegen, welches unſer Führer Ie-
ni-köi nannte; es ſoll von Griechen allein bewohnt ſein und zeigte
eine nette freundliche Außenſeite. Unſer nächſtes Ziel aber war
das armeniſche Dorf Bagdſchedſchyk, d. h. Gärtchen, welches
wir um 10 Uhr erreichten. Es verdient ſeinen Namen vollkommen.
Ein horizontal ſtreichender Vorſprung des Berges iſt mit einer an-
ſehnlichen Zahl von hölzernen Gebäuden bedeckt, die großentheils
zweiſtöckig ſind. Von jenem Vorſprunge erſtrecken ſich zwei tiefe
Thal-Einſchnitte nach abwärts gegen den Fuß des Berges hin, die
mit einer reichen grünen Vegetation ausgeſtattet ſind. Auch hier waren
Maulbeer-Bäume ſehr zahlreich, und im Thale hatten wir ſchon
ein langes hölzernes Gebäude bemerkt, welches zur Zucht der Seiden-
raupe beſtimmt war. Da ich an einem Sonntage anlangte, ſo
fand ich die armeniſche Bevölkerung im ſonntäglichen Putze. Vor
dem Eingange in das Dorf ſchien ſich die geſammte Kinderwelt
verſammelt zu haben. Zur Linken des Weges befanden ſich die
Mädchen, zur Rechten die Knaben. Sie zeigten durchſchnittlich eine
regelmäßige Geſichtsbildung mit ausdrucksvollen Augen; die Farbe
mitunter blaß. Schwarzes Haar und ſchwarze Augen mit hochge-
wölbten Augenbrauen zeichneten beſonders die Mädchen aus; gerade
ſtark hervortretende Naſen erſchienen bei beiden Geſchlechtern. Der
Kopfputz der Mädchen beſtand großentheils aus rothbunten Tüchern;
eine von ihnen trug jedoch ein goldgeſticktes ſeidenes Kopftuch, ein
kurzes Kleid von buntem baumwollenen Zeuge und weite weiße
Beinkleider, – eine offene Weſte von gelber Seide vollendete den
Putz. Sämmtliche Mädchen waren mit weißen Strümpfen und
Schuhen bekleidet. Die Knaben erſchienen zwar barfuß und mit
bloßem Kopfe; alle aber waren reinlich und nett gekleidet. Eine
kurze weite Hoſe wurde bei ihnen durch eine rothe wollene Schärpe
feſt gehalten. – In der Mitte des Dorfes erreichte ich einen engen
Marktplatz und auf ihm zahlreiche Männer des Dorfes mit meh-
reren Pferden verſammelt. Ein Wirthshaus fand ſich nicht vor.
Auf meine Nachfrage danach führte mich indeß ein freundlicher
– 125 –
Armenier in ſein anſtändiges Haus; hier geleitete mich die Haus-
frau ſogleich eine Treppe hoch in das beſte Zimmer. Ermüdet und
mit Schweiß bedeckt, wie ich war, ſtreckte ich mich ſogleich auf eine
der hölzernen Bänke, die mit Teppich und einem wollegefüllten
Kopfkiſſen verſehen war; die geſchäftige Frau deckte mich mit meinem
Mantel zu, damit ich von der Zugluft nicht leiden möchte, denn
Fenſter waren in den für ſie beſtimmten Oeffnungen nicht zu fin-
den; dieſe konnten nur durch hölzerne Laden geſchloſſen werden. Auch
beſorgte ſie ein Frühſtück, welches aus Pillaw, gekochten Eiern,
Trauben, aus jungem und altem Wein beſtand. Der erſtere hatte
einen milden angenehmen Geſchmack, und wurde von mir dem letz-
teren, einem feurigen Getränke, vorgezogen. Die vorangegangene
Anſtrengung durch das Bergſteigen hatte weſentlich dazu beigetragen,
das Mahl trefflich munden zu laſſen; die der Frau dargereichte
wohlverdiente Erkenntlichkeit wurde von derſelben mit dem Ausdrucke
eines Gemiſches von Freude und Staunen angenommen, – tür-
kiſche Reiſende mochten ſie daran gewöhnt haben, ihre Gaſtfreund-
ſchaft unbelohnt bleiben zu ſehen. – Mein Dolmetſcher miethete
inzwiſchen drei Pferde mit zwei Führern, welche Tags zu-
vor Getreide nach dem Golf herunter gebracht hatten. Ein glück-
licher Zufall wollte, daß einer dieſer Männer ein Polizei-Diener
aus Isnik (Nicäa) war, der den dorthin führenden Gebirgspfad
genau kannte. Mit ihm wurde ein Contract für die Reiſe bis zu
jenem Orte hin, mit Uebernachten unterwegs in einem türkiſchen
Dorfe, für die Summe von 225 türkiſchen Piaſtern, etwa 25 Frs.,
abgeſchloſſen, eine Summe, die ich ſpäterhin als eine ungemein mäßige
erkannte, nachdem ich die Pferde bei dem Ueberſteigen ſo ſteiler An-
höhen ungewöhnliche Schwierigkeiten hatte überwinden ſehen.
Das von uns zu überſteigende Gebirge, der Gök-dagh der
Türken, iſt der Libus der Alten, eine nach Süd-Oſten ſtreichende Fort-
ſetzung des Sſamanlü, des Arganthonios der Griechen. Seine
Lage iſt von Hrn. Kiepert, auf ſeiner Karte des türkiſchen Reiches
in Aſien, 1853, richtig bezeichnet. Der nach Weſten gerichtete Aus-
läufer des Sſam anlü in das Meer, bildet das Vorgebirge Bos-
borun, welches die Golfe von Iskimid und Jsnik ſcheidet.
Der Gök-dagh trennt das öſtliche Ende des Golfes von Iskimid
von dem Jsnik-Göl, dem See von Nicäa, deſſen nördliches
Ufer durch eine ungefähr halbe Stunde breite Ebene von den ſüd-
– 126 –
lichen Vorhügeln des Gebirges geſchieden bleibt. Aus ſeinen zahl-
reichen Bergbächen empfängt der Sakarija-Fluß, der ſich ſpäter
in das ſchwarze Meer ergießt, anſehnliche Zuflüſſe. Ich ſchätze ſeine
Höhe auf 3500 Fuß über dem Meere. Indem das Gebirge weiter
hin ſich nach Norden wendend, das linke Ufer des Sakarija begleitet,
entfernt es ſich von dem öſtlichen Ende des Sees von Nicäa,
und läßt hier für die Stadt eine anſehnliche Ebene frei. Der
Theil des Gebirgszuges, der weſtwärts ſtreichend, vom Gök-dagh
aus, das nördliche Ufer des See's von Nicäa umfaßt, um das
weſtliche Ende des Meerbuſens von Gemlik, des cyaneiſchen
der Alten zu erreichen, auch von hier das ſüdliche Ufer des
letzteren zu bilden, heißt bei den Türken Katerlü. Die letztere
Fortſetzung des Gebirges iſt es zugleich, die den nördlichen Saum des
Thales von Bruſſa darſtellt und das letztere vom Meere ſcheidet,
Es erſtreckt ſich von Mudania aus weiterhin weſtwärts. Der
Theil des Katerlü, welcher zwiſchen Gemlik und der Nordſeite
des Sees von Nicäa liegt, und deſſen Höhe wahrſcheinlich 1000
niedriger, als der Sſamanlü bleibt, iſt es ferner, welchen die erſten
Kreuzfahrer unter Peter von Amiens, von Gemlik kommend, in ein-
zelnen Abtheilungen unvorſichtig überſtiegen, um in der Ebene von Nicäa
angekommen, von den Osmanen niedergemetzelt zu werden, die aus
chriſtlichen Schädeln dort hernach Pyramiden bauten. Dieſer Katerlü
iſt ein Uebergangsgebirge, beſtehend aus Grauwacke und Thonſchiefer.
Der bequemere Weg von Nicomedien nach Nicäa, welchen z. B.
Leake verfolgte, läuft über Kys-Derbend mehr in der Ebene
und läßt den hohen Gök-dagh zur Linken; er bildet jedoch einen
Kreisabſchnitt und verlängert alſo die Reiſe. Ueber Kys-Derbend
(Mädchenpaß), ein allein von Griechen bewohntes Städtchen, führt zu
gleicher Zeit die gerade Landſtraße von Conſtantinopel nach Bruſſa.
Leake*) durchreiſte von hier bis an den See von Nicäa ein zehn
Stunden langes und vier Stunden breites fruchtbares Thal, in wel-
chem am 21. Januar Veilchen, Crocus und Tulpen blühten und das
Klima dem von England im April und Mai ähnlich ſchien.
Bald nachdem wir Bagdſchedſchyk verlaſſen hatten, fanden
wir den Weg zu beiden Seiten nur mit niedrigem Gebüſch beſetzt,
aus abgehauenen Weißbuchen, Johannisbrodbäumen, echten Kaſtanien
*) Journal of a tour in Asia minor. London, 1824. pag. 6. - - - -
– 127 –
und Eichen emporgeſproßt. Wo ſich irgend ein freier Platz darbot,
war er mit vielen Tauſenden einer Art des Johanniskrautes, des
Hypericum calycinum, bedeckt, deſſen elegante, große Blüthen wir
aber bei der vorgerückten Jahreszeit nur noch höher oben, nahe an
der Waſſerſcheide zu ſehen bekamen. Als nach einer halben Stunde
Wegs ſich der Pfad mehr bergan erhob, bemerkten wir an vielen Stellen
Stufen für die Laſtthiere in den Felſen, der hier aus altem Kalkſteiu
beſteht, eingehauen. Wir begegneten mehreren Karavanen von 10
bis 12 Pferden, welche, hintereinander gehend, zuſammengekoppelt
waren. Man hatte ſie mit Getreide beladen, das ſie dem Golfe von
Nicomedien zuführten; ſelten nur fand ſich ein Maulthier unter
ihnen. Nach einem ferneren Ritte von 1 % Stunde befanden wir
uns erſt mitten im Hochwalde, den die Art der Menſchen wohl
nur wegen ſeiner ſchwierigen Zugänglichkeit bisher verſchont hatte.
Ungewöhnlich hohe kräftige Weißbuchen haben allenthalben das
Uebergewicht; ihnen zunächſt folgen echte Kaſtanien, ſeltener kleine
Eichen. – Quercus infectoria und coccifera. –« Wir erblickten
manche dieſer Eichen ſo reichlich mit Galläpfeln beladen, daß ſich ihre
Aeſte nach abwärts bogen. Erſt hoch oben gelangten wir in die
Region des Rhododendron ponticum, welches hier im Schatten
der hohen Bäume ſich ſehr wohl zu befinden ſchien, jedoch jetzt nur
reife Saamenkapſeln trug. Zur Blüthezeit dieſes Zierſtrauches muß
ein Ritt durch dieſen Hochwald ein doppelt erfreuliches Bild dar-
bieten. Auch jetzt noch gewährte das glänzende Grün ſeiner Blätter dem
Auge ſteis einen angenehmen Ruhepunkt. Endlich machten wir etwas
weſtlich von dem höchſten Bergrücken an einem Brunnen Halt, der
mit einem köſtlichen, klaren, ungemein kalten Quellwaſſer gefüllt war.
In der Nähe dieſer Quelle fand ſich die Vegetation vorzugsweiſe
lebendig erhalten. Schön blühende Campanulaceen erinnerten an
die Alpenthäler der Schweiz; ein Helleborus breitete ſeine Blätter
aus, und ein Laurus ſäumte unſere Pfade häufig ein. Unſere Raſt
durfte nur kurz andauern, wenn wir noch an dieſem Tage das zum
Nachtlager beſtimmte Dorf erreichen wollten. Auch jetzt noch waren
wir genöthigt, in ſtetem Wechſel bergauf und bergab zu ſteigen.
Endlich hatten wir, um 5 Uhr, einen ungemein ſteilen Abhang er-
reicht, der uns einer tiefen Waldſchlucht zuführte, durch welche ſich
ein waſſerreicher Bach hinwand, der vermöge ſeines Ueberſtrömens
zahlreiche kleine Seen gebildet hatte. Unſer Führer nannte dieſen
– 128 –
Bach Tſchamurlu-Deſch. Ebenſo benannte er die ſumpfige
Waldwieſe Uſur-Dſcha, d. h. „lange Wieſe“. Wir waren hier
genöthigt, ſechs bis ſieben Mal durch ſeichte Arme des Baches
zu reiten. Während des Hinabſteigens in dieſe Schlucht brauchte
unſer Polizeimann die Vorſicht, abzuſteigen und mit geſpanntem
Piſtol voranzuſchreiten. Jetzt erſt erfuhr ich, daß hier vor Knrzem
ein Zug Armenier ausgeplündert worden war. Dieſe armen Leute
dürfen bekanntlich in-der Türkei keine Waffen tragen und ſind daher
gegen räuberiſche Anfälle völlig ſchutzlos. Wir aber gelangten un-
gefährdet jenſeits der ſumpfigen Wieſe in ein etwas höher gelegenes
breites Thal. Bei einer Rückſchau auf den von mir überſtiegenen Berg
kann ich der Angabe Derer nicht beiſtimmen, welche den nordöſtlichen
Abfall desſelben, gegen den See von Nicomedien hin, ſteiler ſein
laſſen, als den ſüdweſtlichen*). Auch jener iſt in ſeinen oberen Ter-
raſſen beſchwerlich genug zu erſteigen, wie ſchon die zur Erleichterung
für die Thiere eingehauenen Treppen beweiſen. Aber auf der ſüd-
weſtlichen Seité, fanden wir den Abfall ungleich ſteiler, hier und da
beinahe ſenkrecht. Ueberhaupt iſt das Gebirge vielfach zerklüftet,
aber auf ſeinen Spitzen keineswegs vegetationslos. Obgleich mein
Weg die höchſte Erhebung deſſelben, etwa 400 hoch, zur linken Seite
ließ, ſo erſchien doch auch dieſe, ſoweit das Auge reichte, mit
Bäumen bedeckt. Wo ſich in der oberen Region kahle Stellen
vorfinden, ſind ſie durch Waldbrände veranlaßt worden, die der
Sorgloſigkeit der Hirten zuzuſchreiben ſind. Das ſüdweſtlich von dem
erwähnten Bergflüßchen erreichte Hochthal trug neben vielen hohen
Weißbuchen auch herrliche ſchlanke Rothbuchen, ja ſogar die heimath-
liche Kiefer, den Pinus sylvestris. Um die Erinnerung an die
Heimath zu vervollſtändigen, ließen auch die Grünſpechte und Holz-
heher ihre durchdringenden Töne hören. Hier und da fanden ſchon
kleine Getreidefelder Raum, durch niedriges Gebüſch von einander
getrennt. Es war indeſſen bereits vollkommen finſter geworden, als
wir endlich das lang erſehnte Dorf erreichten, welches mir Gül-
muſchlu-Köi genannt wurde. Es enthält 35 Häuſer, die allein
durch Türken bewohnt ſind. Das Dorf liegt, wie wir am nächſten
Morgen ſahen, auf der Höhe eines Hügels, der ſich ſüdweſtlich zu
*) Vergl. Ritter Die Erdkunde. 18. Th. oder: Vergleichende Erdkunde
des Halbinſellandes Kleinaſien. 1. Th. Berlin, 1858. S. 657.
– 129 –
dem See von Nicäa hin allmälig abdacht. – Wir fanden unſer
Unterkommen bei dem Vorſteher des Ortes ſelbſt, nächſt deſſen Wohn-
haus ſich ein kleiner Chan befand, der ein einziges viereckiges Zim-
mer enthielt, zu welchem wir auf einer hölzernen Treppe hinauf-
ſtiegen. Wir hatten, um hierher zu gelangen, durch eine Art von
Scheune hindurch wandern müſſen, welche mit bunt herum liegenden
Ackerwerkzeugen angefüllt war, deren Aeußeres an einen faſt urweltlichen
Zuſtand erinnerte. Unmittelbar vor der erwähnten Treppe bemerkte
ich eine in der Finſterniß unförmlich erſcheinende ſchwarze Maſſe,
die ich vorſichtig umſchritt. In der frühen Morgendämmerung des
nächſten Tages wurde ich gewahr, daß dies ein mächtiger Büffel
war, der dort auf dem Felsboden die Nacht hindurch unbeweglich
ſanfter Ruhe gepflegt hatte. – Mein Chan gewährte den Vortheil,
an ſeiner hintern Wand einen Kamin zu beſitzen, in welchem auch ein
für die Kühle des Abends ſehr zweckmäßiges Feuer bald aufloderte.
Fenſter waren wie gewöhnlich nicht vorhanden; Bretterladen, welche
ſie erſetzen ſollten, boten der Nachtluft allenthalben breite Zugangs-
ſpalten dar. Dies behinderte jedoch einen tiefen Schlaf auf der
Holzbank nicht, die man hier Divan betitelt. Die ſtark ermüdende
Gebirgsreiſe hatte ihn genügend eingeleitet. – Der Haupttheil der
Abendmahlzeit, bei deren Bereitung mein Dolmetſcher die Leitung
übernommen hatte, beſtand in einer Art Ragout aus Hammel-
fleiſch, war aber mit Hammeltalg in ſolchem Uebermaaße geſättigt,
daß mir ſein Genuß bald widerſtrebte. Hammelfleiſch iſt durch
ganz Kleinaſien faſt die einzige Fleiſchart, deren man theilhaftig
wird; ſelten iſt ein Huhn zu haben. Der Genuß von friſcher Butter
iſt unbekannt; ſelbſt Milch zum Kaffe muß den Tag vorher beſtellt
werden, – wenn ſie ſich überhaupt beſchaffen läßt. Hier erhielt
ich ausnahmsweiſe ſchon nach einer Stunde Milch; ein Gericht,
aus einer Art Nudeln und Gurken zuſammengeſetzt, die man in
Hammelfett geſchmort hatte, würde ohne das letztere recht genießbar
geweſen ſein. Auch hier in Aſien verſteht man, ebenſo wie in Ru-
melien, aus gutem Waizen ſchwarzes Brod zu backen, welches mie-
mals gehörig ausgebacken iſt. – Unſer Wirth, dem wir hinſichtlich
des Gök-dagh manche Frage vorgelegt hatten, geſtand uns, daß
ihn ſelbſt die Würde eines türkiſchen Ortsvorſtehers einige Jahre
früher vor einer Ausplünderung im Gebirge nicht geſchützt habe.
Die Verwüſtungen durch Waldbrand, die wir an mehreren Orien
– 130 –
bemerkt hatten, ſchrieb auch er den Hirten zu, die, mit ihrem Feuer
im hohen Grade ſorglos, die Herrſchaft im Walde üben.
Am Morgen des 6. Oktobers bemerkte ich bei der Weiterreiſe,
daß die meiſten Gebäude unſeres türkiſchen Dorfes mit Stroh ge-
deckt waren. Sie ſchienen zahlreich bevölkert zu ſein. – Der Weg
nach Nicäa führte uns anfänglich über eine waagerechte Hochebene,
deren Höhe über dem See ich auf 1500 ſchätzte. Bald aber ſtiegen wir
von der Ebene einem Abhange zu, der hier und da auch etwas abſchüſſig
wurde. Bäume wurden immer ſeltener; wo es aber der Felsboden
geſtattete, nahmen wir Getreidefelder wahr, die gegenwärtig mit Stop-
peln bedeckt waren. Kaum waren wir eine halbe Stunde weit von dem
Dorfe entfernt, als ſich ſchon bei manchen Windungen des Weges
der auſehnliche See von Isnik, der Lacus ascanius der
Alten, erblicken ließ. Während des Hinabſteigens zu ihm blieb uns
das Dorf Omar-Köi zur rechten Hand liegen; etwas weiter ab-
wärts bemerkten wir in der Entfernung noch ein Dorf, dem der
Führer den Namen Inikli gab. Der letztere Theil unſeres Weges
lief durch einen ziemlich tiefen Felseinſchnitt hin, der in der Vorzeit
durch Menſchenhände angelegt zu ſein ſchien. Nahe am Ausgange
aus der abwärts geneigten langen Bodenvertiefung trafen wir auch
cin anſehnlicheres, nur von Türken bewohntes Dorf, deſſen auch
v. Hammer erwähnt und es Elbeili nennt. Im Munde unſeres
türkiſchen Führers klang der Name wie Elbelli. Ein Waldbach
durchſtrömt mit ſeinem klaren Waſſer das Dorf, um dem See zu-
zueilen. Die alte maleriſche Tracht der osmaniſchen Einwohner
dieſes Dorfes mit dem dazu gehörigen Turban, deutete auf eine
gewiſſe Wohlhabenheit hin, die ich hernach in Isnik ſelbſt verge-
bens geſucht habe. Echt orientaliſche, anziehende Phyſiognomien der
Männer mit lebhaften ſchwarzen Augen, ihr langer Bart und die
ſtolze Würde, welche ſich in ihrem Auftreten kund gab, feſſelten
meine Aufmerkſamkeit. Ebenſo ſchien aber auch der weſteuropäiſch
gekleidete vorüberziehende Mann bei ihnen Discuſſionen zu erregen.
Wahrſcheinlich hatte das von der großen Straße etwas entfernt
liegende Dorf noch wenige Ausländer geſehen, obgleich der kaum
beendigte Krieg doch viele Tauſende von Fremden in gar nicht weiter
Ferne vorübergeführt hatte. Hier wäre meines Erachtens ein Punkt
gegeben, auf welchem ſich noch heute Studien urſprünglicher osma-
niſcher Sitten machen ließen. – Unſer Ritt bis zu dieſem Dorfe
– 131 –
hatte, vom Nachtlager aus, zwei Stunden gefordert; eben ſo viele
Zeit brauchten wir um Isnik zu erreichen, ſo daß alſo Elbeilt
den Mittelpunkt unſeres heutigen Marſches bezeichnete. – Von hier
aus erreichten wir nun bald die Ebene, in welcher ſich der See in
der Richtung von Weſt-Nord-Weſt nach Oſt-Süd-Oſt weithin
erſtreckt, ſo daß ſein breiteres weſtliches Ende dem geſchloſſenen
Abſchnitte des Golfs von Gemlik gegenüber liegt, von welchem es,
durch einen Gebirgszug getrennt, ungefähr ſieben Stunden entfernt
bleibt. Unſer Weg wendete ſich aber dem ſchmaleren und ſeichteren
Ende des See's zu, weil an ihm das alte Nicäa liegt. Leake
ſchätzt die Länge des See's auf 10 engliſche Meilen, ſeine Breite
auf vier und dieſe Angabe ſcheint mir wohlbegründet, nachdem ich
den See von der Berghöhe herab überſehen habe, welche auf dem Wege
von Nicäa nach Jeniſchehr überſtiegen werden muß. Profeſſor
Griſebach gibt ihm jedoch eine Länge von 3 deutſchen Meilen,
mithin ein Dritttheil mehr. An ſeinen nördlichen Uferrand tritt
ein Gebirgszug nahe heran; auf der Südſeite bleiben aber an vielen
Stellen die Vorhügel des Gök-dagh meiſtens eine halbe bis andert-
halb Stunden vom Ufer entfernt. – Bei meinem Austritte in
dieſe Ebene wurde ich zur Rechten - in der Entfernung von einer
ſtarken Viertelſtunde den Obelisk des Cajus Phyliskus gewahr,
welchen v. Hammer, Pokoke und Seſtini näher beſchrieben
haben. Die Höhe deſſelben gibt Seſtini auf 30, ſeine Entfernung
von Nicäa auf 1% Stunde an. Kein Baum oder Gebäude findet
ſich weit und breit in ſeiner Umgebung vor, weßhalb er ſich um
ſo deutlicher aus der Ferne erkennen läßt. Indem wir bald den
Sce zur Rechten und Felſenvorſprünge des Gebirges zur Linken
hatten, machte uns der Führer auf den hohen und breiten Eingang
zu einer tiefen Höhle aufmerkſam, der ſich ziemlich hoch über die
Ebene, an einem dieſer Felſen darbietet. Er knüpfte daran eine
abentheuerliche Sage, die ſich hier im Munde des Volkes erhalten
hat, und in der ein bis jetzt unerhobener Schatz die Hauptrolle ſpielt.
– In der Entfernung von einer Stunde dieſſeits Nicäa beginnen
die Ueberreſte einer Pflaſterung des Weges mit Steinplatten, die
zur Zeit der Blüthe Nicäa's vortrefflich geweſen ſein mag. An ihr
liegt das Grab eines heiligen Derwiſches, welches mit majeſtä-
tiſchen Cypreſſen umgeben iſt, der Art derſelben angehörend, die
ihre Aeſte horizontal ausbreitet. Sie ſoll auch auf der aſiatiſchen
– 132 –
Seite des Bosporus vorkommen, aber mir kam ſie hier zuerſt zu
Geſicht. Schon Leake*), welcher 1803 reiſte, erwähnte des Baumes
und bei J. C. Loudon *) findet ſich eine Abbildung deſſelben.
Die Eigenthümlichkeit der Cypreſſe, welche durch das dichte Andrän-
gen der Zweige an den Stamm eine Pyramide darſtellt, geht durch
die horizontale Ausbreitung der letzteren verloren, und aus der
Ferne geſehen, zeigt der äußere Habitus unſeres Baumes einige
Aehnlichkeit mit einer jungen libanotiſchen Ceder, die er jedoch an
Höhe und Umfang nie erreichen möchte. Durch ſeine Form gewährt
er freilich den Vortheil, die Erde, welche ihn ernährt, und etwaige
Gräber zu beſchatten, welches die Pyramiden-Cypreſſe nur im hohen
Alter, und dann auch nur unvollſtändig thut. Nie aber trägt er
ſo nahe an der Wurzel Aeſte, wie dies Loudon’s Abbildung zeigt,
die wahrſcheinlich nach einem in engliſchen Gärten gepflegtem
Exemplar gezeichnet iſt. – Von hier ab wird die Landſtraße durch
einen an ihrer rechten Seite hinfließenden Bach eingefaßt, der ſie
weithin begleitet und ohne Zweifel ein Werk aus beſſeren Zeiten
darſtellt; gegenwärtig aber, im Spätherbſte, enthielt er ſo wenig
Waſſer, daß er faſt ſtagnirte, und einem Botaniker reichliche Gele-
genheit gegeben haben würde, Sumpfpflanzen zu ſammeln. Mehrere
Arten von Juncus und Iris, ſowie Typha angustifolia ließen
ſich an den Blattformen erkennen. Ueberhaupt fand ich in dieſer
Herbſtzeit allenthalben beſtaubtes Laub und wenig Blüthen. In dem
Theile Weſtaſiens, welchen ich bereiste, hat man erſt nm die Mitte
des Oktobers anhaltenden Regen zu gewärtigen, – in Eonſtantinopel
iſt dies etwa 10 bis 14 Tage früher der Fall. So war es auch
1856. Als ich in der zweiten Hälfte des Oktobers nach Conſtantinopel
zurückkehrte, wünſchte man mir Glück, nicht dageweſen zu ſein,
weil man anhaltend mit kaltem Regen zu kämpfen gehabt, von
welchem ich in Aſien nur einmal, der Spitze des Olymp nahe,
eine Stunde lang etwas genoſſen hatte. Hier erſcheint die Vege-
tation mit ihrer vollen Pracht nur im Frühling und Vorſommer,
vom März und April an bis Juni. Im letzteren fangen die Quellen
allmälig an zu verſiegen und ſelbſt der nächtliche Thauniederſchlag
*) A. a. O. S. 5. -
*) Arboretum et Fruticetum britanieum. Vol. VIII. London, 1844.
pag. 404. „Cupressus sempervirens horizontalis.“
– 133 –
vermindert ſich. Schon in den erſten Monaten des Jahres blühen
die Liliaceen; die immergrünen Sträucher folgen im März und
April. Die feuchten Thäler der Ebenen, welche von Bächen durchſtrömt
werden, die im Februar ſtärkeren Zufluß von den Bergen empfangen,
pflegen ſchon in dieſem und dem folgenden Monate zahlreichen Schaaf-
heerden grünes Futter zu bieten. Die Viehzucht überhaupt muß dadurch
weſentlich gefördert werden. – In den Thälern des Katerlü ſah
Profeſſor Griſebach Ende Aprils blühende Ranunkeln, Leucaojum
aestivum, Doronicum, Thymelaceen, Lorbeer, Paliurus australis;
Nußgeſträuche, an den Bächen Erlen und Weiden. Die Cultur des
Oelbaumes ſah ich an der dem Meere zugewendeten Seite des Ka-
terlü von Gemlik bis Mudania ſchwunghaft betreiben; doch
ſcheint ſie ſich nicht über 150 oberhalb der Meeresfläche zu erhebeu.
Die Oelbäume, die ich hier in der Nähe von Gemlik ſah, trugen
das Gepräge des kräftigſten Gedeihens. Das Geſträuch unter ihnen
beſteht aus Wurzelſchößlingen der Coccus-Eiche und der Coira ar-
borea. An feuchten Stellen des Ufers erheben ſich Pinus mari-
tima und Quercus coecifera zu anſehnlichen Bäumen. – Auf
den Ruinen von Nicäa fand ich Anfangs Oktober den Goldlak
noch ſo reichlich blühend, daß er Abends die Luft durchduftete.
Nächſtdem wuchert zwiſchen dem alten Gemäuer ungemein üppig
die Spring-Gurke (Momordica Elaterium).
Bald nach 12 Uhr trat ich durch das nordweſtliche Thor von
Nicäa in die Ringmauern deſſelben ein. Zur Zeit ſeines Flors fan-
den ſich hier drei feſte Thore hintereinander; das äußerſte der-
ſelben war bei einer Belagerung wahrſcheinlich zerſtört worden.
Die Türken haben dadurch hier Gelegenheit gefunden, ihre Reſtau-
rationskunſt bewundern zu laſſen. Sie haben nämlich zwei umgeſtürzt
geweſene Granitſäulen wieder aufgerichtet; eine ſolche von grauem
Granit ſteht jetzt aufrecht zur rechten, eine von rothem Granit zur
linken Hand; über die oberen Enden Beider hat man einfach eine
dritte Säule gelegt, um jene miteinander zu verbinden. Die Befeſti-
gung der letzteren iſt durch Holz und Ziegelſteine bewerkſtelligt wor-
den. Iſt man durch dieſe osmaniſche Oeffnung hindurch geſchritten,
ſo folgt das zweite, aus Marmor erbaute, glücklicher Weiſe ziem-
lich gut erhaltene Thor. Der Boden ringsum iſt indeſſen ſo hoch
von Schutt bedeckt, daß das untere Dritttheil der Thoröffnung
damit ausgefüllt erſcheint. Ein Laſtwagen würde jetzt nicht hindurch
– 134 –
fahren können; einen ſolchen kennt man aber zur Zeit auch hier uicht;
man behilft ſich mit niedrigen Karren, laſttragenden Kameelen und
Pferden. Jenes Marmorthor trägt oben einen einfachen Archi-
trav; ſeine beiden Seitentheile ſind mit drei über einander liegenden
Niſchen ſymmetriſch ausgeſtattet, deren unterſte jedoch in der erwähnten
Weiſe zur Hälfte verſchüttet iſt. Wahrſcheinlich enthielten ſie ehedem
Statuen. An der inneren, der Stadt zugewendeten Seite findet ſich die-
ſelbe Einrichtung. Es folgt darauf das innerſte Thor, welches indeſſen
faſt ganz zerſtört iſt. Nur die beiden Seitentheile ſind noch in
Trümmern vorhanden, aber in coloſſalen Marmorquadern, die theils
noch aufrecht ſtehen, theils herumliegen. Große Feigenbäume haben
ſich zwiſchen den Steinen eingeniſtet: ihre Wurzeln bemühen ſich
vergebens, dieſe Maſſen auseinander zu treiben. An einem hoch oben
liegenden Steine ſind Ueberbleibſel eines Thierkopfes zu ſehen, aus
denen man mit Hülfe einer geſpannten Phantaſie allenfalls einen
Löwenkopf machen könnte. – Innerhalb des Thores gewinnt man
einige Ueberſicht der alten Feſtungsmauer mit ihren an vielen Punk-
ten gut erhaltenen Thürmen. Letztere folgen in kurzen Zwiſchen-
räumen auf einander. Sie bilden einen halbkreisförmigen Vor-
ſprung nach außen, erſcheinen nach innen ſenkrecht abgeſchnitten,
der Mehrzahl nach aber hier geſchloſſen; nur einige ſind nach innen
offen. Die ganze coloſſal ſtarke Umfaſſungsmauer iſt mit enormen
Quaderſteinen gekrönt; dieſe befinden ſich an vielen Orten noch ganz
an ihrem Platze, an anderen hat man ſie jedoch herunter geworfen
und anderweitig benutzt. Die Thürme beſtehen aus römiſchen breiten
gebrannten Ziegeln; ihr Unterſatz aber aus behauenen Quadern.
Die Mauern haben allenthalben zwei aus Ziegeln horizontal ver-
laufende Linien, beſtehen außerdem jedoch aus Bruchſteinen. Die
ganze Umfaſſungsmauer könnte noch heute, freilich mit vielen Koſten,
wieder hergeſtellt werden. – Das ſüdöſtliche Thor, welches ich
Nachmittags ſah, iſt ebenſo gebaut wie das nordweſtliche, dreifach.
Auch hier das mittlere von Marmor, in ähnlicher Architektur. Das
innerſte enthält an einem aufrecht ſtehenden Seitenpfeiler eine grie-
chiſche Inſchrift, die die äußere Seite eines oberſten Krönungsſteines
einnimmt. Es war ſchwierig, über die Schultern meiner beiden
Begleiter, und über wankende Quadern dort hinauf zu gelangen;
auch waren die übrigens tief genug eingeſchnittenen Schriftzüge
dicht mit Steinflechten ausgefüllt. Es gelang mir jedoch, den Namen
– 135 –
des Kaiſers Marcus Aurelius zu leſen, der alſo durch dieſes
Thor ſeinen Einzug mag gehalten haben. Mit einer angeſetzten
Leiter und einer ſcharfen Steinbürſte würde man die Züge voll-
ſtändig herſtellen und bequem leſen können.
Indem wir unſern Weg über eine menſchenleere und wüſte
Ebene innerhalb des erſten Thores fortſetzten, boten ſich allent-
halben zerſchlagene Marmorſtücke dar. Zwei kleine Säulen hatte
man wieder aufgerichtet, vielleicht hatte hier ehedem eine türkiſche
Fontäne ihrer bedurft. – Der Eintritt in das elende Dorf, welches heu-
tigen Tages das prächtige Nicäa erſetzt, gab einen bedauernswerthen
Begriff von ihm. Es ſollen hier zur Zeit im Ganzen 125 von Tür-
ken und 25–30 von Griechen bewohnte Häuſer vorhanden ſein.
Die Armenier ſind nach und nach ganz verſchwunden. Im beleb-
teſten Theile, eine Art von Bazar, befanden ſich 4 oder 5 Läden,
welche die allereinfachſten Gegenſtände zum Verkauf ausſtellten. Einige
Kaffehäuſer, mit obligaten rauchenden türkiſchen Müßiggängern, fehlten
freilich auch nicht. – Eine Art Wirthshaus oder Chan exiſtirt hier
gar nicht. Wir ſahen uns alſo nach einem Privathauſe um. In
einem türkiſchen wurde ein Zimmer angeboten, welches zu einem
Drittheil mit Getreide angefüllt war, ein Fenſter, deſſen Oelpapier-
ſcheiben ſämmtlich durchlöchert waren, und ein zweites Fenſter mit
einem zur Hälfte zerſtörten Eiſengitter zeigte; dabei unreinlich, ſo
daß ich es bei möglichſter Beſcheidenheit der Anſprüche verwerfen
mußte. In dem ſchräg gegenüber liegenden Hauſe einer griechiſchen
Wittwe wurde dagegen ein Zimmer mit Fenſteröffnungen angeboten,
die wenigſtens mit hölzernen Laden verſchließbar waren; auch machten
ſich reinliche Matratzen und Ueberzüge bemerkbar, – ſo daß ich Urſache
hatte, hier ungewöhnlich zufrieden zu ſein. – Die arme Frau klagte bald
ihr Leid, daß ſie eine ſchwer kranke verheirathete Tochter habe, eben-
ſo, daß die Durchmärſche der türkiſchen Truppen einen großen Theil
ihrer Habe verzehrt hätten. Die wohlhabenderen griechiſchen Vor-
ſteher hätten ſich die Einquartierung abgewälzt, um ſie den Armen
aufzubürden; auch hätten türkiſche Soldaten ihr Lagergeräth geholt,
um es nie wiederzubringen. – Die Frau ſchien durch und durch
gutmüthig und ehrlich, erwies ſich beim Abſchiede auch ſehr dankbar,
als ihr für die Gaſtfreundſchaft ein Aequivalent gegeben wurde.
Nachmittags wurde ein Gang durch die Ruinen des alten
Nicäa gemacht. Wir wendeten uns dem ſüdöſtlichen und ſüdlichen
– 136 –
Theile der Mauern zu. Zu dem Ende paſſirten wir mehrere elende
Straßen, deren hölzerne Häuſer jedoch ſämmtlich auf gemauerten
Unterlagen ruhten. Nur wenige waren vorhanden, welche nicht ent-
weder größere Marmorquadern, oder Stücke von theils glatt rum-
den, theils canellirten Säulen, oder auch Partien von Kapitälen,
von einem Fries, wohl auch den Kopf einer Statue enthielten. Ein
Marmor, auf dem eine Roſette, ein anderer, auf dem eine Schnecke
in Basrelief dargeſtellt war, diente einer miſerablen Hütte zur
Unterlage. Der größere Theil unſeres Weges führte uns über
wüſtes Feld; den Umfaſſungsmauern nahe, mehr noch außerhalb,
fanden ſich Maulbeerpflanzungen, große Feigenbäume, Nußbäume,
Granatſträucher, Mandelbäume, Oliven und dergleichen vor. Auch Me-
lonen ſah man hier und da; Trauben aber ſollten hier ſeit drei
Jahren nicht gerathen ſein, und ich erhielt am Abende einen ſo ſauren
und ſcharfen neuen Wein, daß ich ihn nicht genießen konnte. Alten
Wein vermochte man in dem bedauernswerthen Orte nicht zu finden.
Nachdem ich das mittägliche Thor paſſirt hatte, umkreiſte ich
einen Theil der Mauern nach Oſten und nach Weſten. Ich fand,
daß außerhalb der mindeſtens 20 hohen, mit Thürmen verſehenen
Hauptmauer eine zweite niedrigere, aus Bruchſteinen und Mörtel
gebaute Mauer vorhanden geweſen war, die man indeſſen großen-
theils niedergeworfen hatte. Zwiſchen beiden Mauern iſt ein Gra-
ben, der jetzt mit Schutt angefüllt, Maulbeerpflanzungen und Gra-
natſträuchern diente. Nahe am Thore ſah ich einen coloſſalen
Thurm zur Hälfte geſprengt und nach außen hinabgeworfen. Es
iſt dieſe Sprengung in einer Art erfolgt, die kaum daran zweifeln
läßt, daß ſie durch Pulver bewirkt wurde. Zu welcher Zeit, bleibt
freilich zweifelhaft. – Aus einem andern Thurm war außerhalb
ein Stück des maſſiven Unterbaues herausgeriſſen. Unſer Führer
ſagte uns, daß hier ein Stein geweſen ſei, der das Bild eines
Löwenkopfes darſtellte; man habe ihn nach Conſtantinopel transpor-
tirt. – Hinſichtlich des Südthores füge ich noch hinzu, daß von
dem innerſten Abſchnitt deſſelben nur noch eine Seite aufrecht ſteht,
die nämlich, welche die Inſchrift enthält. Das mittlere (Marmor)
Thor zeigt zwar dieſelbe Architektur, wie am nördlichen, hat aber
keine Niſchen. Der Styl iſt römiſcher Rundbogen. Daß die Mauern
zu einer Zeit aufgebaut ſind, wo ſchon andere großartige Bauten
zerſtört waren, beweiſt der Umſtand, daß ſich an dieſem Thore eine
– 137 –
Anzahl von Marmor-Fragmenten eingemauert finden, die früher
anderen Zwecken gedient hatten. Vielleicht Reſte von römiſchen
Tempeln, welche Conſtantin zerſtören ließ? Die Mauer ſoll nament-
lich mit der von Conſtantinopel gleichzeitig ſein.
Auf dem Rückwege durch daſſelbe Thor wendeten wir uns zu
den Reſten des ehemaligen römiſchen Amphitheaters, die hinlänglich
erhalten ſind, um jeden Zweifel an ihrer Beſtimmung zu heben.
Ein unter dieſen Ruinen gelegener Eingang in eine Höhle wurde
auch von mir, mit Hülfe einer angezündeten Kerze beſucht, indem
man mir ſagte, es lagerten dort viele Menſchenknochen. Ich fand,
nachdem ich auf beſchwerliche Weiſe hineingekrochen war, nichts als
Reſte von Thier-Skeletten, mit einer ſchwarzen, fettigen, glänzenden
Erde und Aſche gemengt. Jene Erde ſtammt höchſt wahrſcheinlich
von thieriſchen Weichtheilen her, indem man die im Amphitheater
getödteten Thiere in dieſen unterirdiſchen Raum hinabzuſtürzen
pflegte. Namentlich aber viele Zähne von reißenden Thieren, (wahr-
ſcheinlich von Löwen und Tigern), die im Amphitheater hatten käm-
pfen müſſen. Mehrere Knochen, die ich hier geſammelt hatte, um
ſie in der Heimath mit Ruhe zu unterſuchen, haben in der That
ſich als Raubthierknochen erwieſen. Es ſoll aber auch, wie ich von
eiuem griechiſchen Prieſter hörte, eine Oeffnung da ſein, wo Men-
ſchenknochen gefunden werden, ſeiner Meinung nach von Märty-
rern, die man dort im Amphitheater getödtet habe; die Richtigkeit
dieſer Angabe vermag ich indeſſen keineswegs zu verbürgen.
Der nächſte Beſuch galt den Reſten einer Aja - Sophia,
welche die erſte chriſtliche Kirche des alten Nicäa geweſen ſein ſoll.
In ihr fanden die beiden Concilien 325 und 787 Statt. Sie
iſt höchſt wahrſcheinlich dieſelbe, in welcher die 318 Biſchöfe unter
dem Vorſitze Conſtantin's ſelbſt tagten und in welcher die Grund-
ſätze der heutigen katholiſchen Kirche feſtgeſetzt wurden. Der Er-
oberer Orchan hatte ſie in eine Moſchee umgewandelt und dadurch
den Bau für Jahrhunderte erhalten; aber auch dieſe Moſchee iſt
ſchon längſt wieder verfallen. Gegenwärtig ſieht man blos noch
einen Theil der Umfaſſungs-Mauern und innerhalb des Einganges
eine Anzahl großer platter Steine, welche antike griechiſche Grab-
ſteine ſein ſollen, zum Theil noch mit dem Zeichen des Kreuzes verſehen.
Dieſe Ruine ſteht bei den Griechen im Rufe beſonderer Heiligkeit;
man verrichtet dort heimlich ſeine Andacht noch jetzt zuweilen des
– 138 –
Abends bei Licht; man zeigte uns die Vorrichtungen zur Erhaltung
der Flamme gegen den Wind. Eine üppige Vegetation wucherte
gegenwärtig ſowohl im Vorhofe als im Innern der Kirche. Unken
und Molche niſten dort, wo ehedem der erſte chriſtliche Kaiſer die
Narben und Brandmale verſtümmelter Märtyrer küßte.
Eine noch jetzt beſtehende Moſchee ſcheint ganz aus den Trüm-
mern griechiſcher Kirchen und Gebäude zuſammengeſetzt zu ſein.
Jouannin und van Gaver geben eine Abbildung von ihr,
mit der Ueberſchrift: „Eglise à Nicée“*). Nur iſt von dem hier
gezeichneten ſchönen Minaret nichts mehr zu ſehen und den Vege-
tationshintergrund hat der Zeichner wohl nur aus ſeiner Phantaſie
entnommen. Zwei ſchöne Säulen aus grün und ſchwarz geflecktem
Marmor bilden den Eingang zum Portikus rechts und links. Das
Geländer beſteht aus durchbrochenem weißen Marmor in länglich
viereckigen Tafeln, die auf ſolche Weiſe mannigfache Figuren dar-
ſtellen, z. B. Sterne, verſchlungene Dreiecke u. dergl., aber ſtets
verſchieden. Daß ſie einem älteren Gebäude entnommen ſind, be-
weißt theils der Umſtand, daß eine dieſer Tafeln aus glattem dich-
ten Marmor beſteht, der zu den übrigen nicht paßt, theils beweiſen
es die mannigfachen Marmor-Fragmente, mit denen der Fußboden
des Portikus belegt iſt. Unter dieſen befinden ſich einige Stücke
von ehemaligen Arabesken-Basreliefs; beſonders aber eine große
Platte von roth und gelbem Marmor, wie ich eine ſolche ganz ähn-
liche hernach noch in der griechiſchen Kirche fand. – Bei der Rück-
kehr fiel mir ein ehemaliges großes türkiſches Bad auf, welches jetzt
nicht mehr gebraucht wird, – ebenſo ein allmälig verfallender Bau,
der dem der Armenküchen neben den Moſcheen zu Conſtantinopel
ganz ähnlich iſt, indem er mit einer Anzahl neben einander liegender
flachen Kuppeln gedeckt iſt; und in der That wurde mir geſagt, man
habe zu der Zeit, als osmaniſche Sultane hier reſidirten, die Armen
aus ihnen geſpeiſt.
Am 7. Oktober Morgens machte ich dem einzigen griechiſchen
Prieſter einen Beſuch, den das heutige Nicäa ernährt, das zur Zeit
der Synoden Hunderte von Biſchöfen beherbergte. Dieſer Geiſtliche
ging wirklich auf meine vielfachen Fragen bereitwillig ein. Er holte
ſogar einen zu Athen im Jahre 1806 in griechiſcher Sprache ge-
- *) Turquie. Paris, 1840. pag. 22.
– 139 –
druckten Chroniſten hervor, um Einiges mit ſeiner Hülfe zu erläu-
tern. Die Außenſeite des Mannes ſelbſt ſah ſehr ärmlich aus. Sein
ſchwarzer Talar, in welchem er ſo eben aus der Kirche kam, erſchien
im hohen, ſogar unwürdigen Grade abgeſchabt. Das ſchwarze Baret
zeigte fettige Flecken von jahrelangem Anfaſſen mit den Fingern.
Dieſer ärmliche Zuſtand ſeiner Kleidung fand auch ſeinen Wiederhall
in der Wohnung – Ich wurde eine hölzerne Stiege hinauf in ein
ſcheunenartig großes Zimmer geführt, deſſen Decke durch das bloße
durchſichtige Ziegeldach gebildet wurde. Wir ſetzten uns auf einen
Teppich nieder und die Converſation begann mit Hülfe meines Dol-
metſchers. Eine alte Frau – wahrſcheinlich die Hausfrau –
ſetzte ſich eine kurze Zeit gegenüber, und nahm ſogar einigemal
Theil. Doch ſchien ſie ſich bald zu langweilen und verließ uns
dann. – Das einzige Glasfenſter eines Hauſes in Nicäa ſah ich
jedoch bei ihm. – Nach meinem Geiſtlichen fanden die zahlreichen
Biſchöfe der erſten Synode ihr Unterkommen in einem großen
Kloſter außerhalb der Stadt, von welchem noch heute bedeutende
Ruinen vorhanden ſein ſollen. Nicäa ſoll, der Tradition zufolge,
blos außerhalb der Ringmauern damals 60.000 Einwohner gezählt
haben. Für die jetzt hier wohnenden wenigen Griechen iſt eine
Kirche in Gebrauch, die nach der wahrſcheinlich unrichtigen Angabe
des Prieſters ſchon zur Zeit der Concilien die Hauptkirche geweſen
ſein ſoll. Ihr gegenwärtiger Umfang ſteht außer allem Verhältniß
zu einer zahlreichen Bevölkerung und mein Geiſtlicher wußte dieſen
Einwürfen nur dadurch zu begegnen, daß er verſicherte, dieſe Kirche
habe damals äußerſt geräumige Vorhöfe gehabt. Zu ihr geleitete
uns nun der bereitwillige Mann. Ihr Vorhof enthält einige kleine
dünne Marmorſäulen, aber noch mehr hölzerne Pfeiler. – Der
Boden der Kirche iſt mit einer wahren Muſterkarte von Mar-
morarten bedeckt, unter denen auch Fragmente mit Basreliefs und mit
ſchöner Moſaik-Arbeit. Ein viereckiges Stück des letzteren ſtellt blaue
Nelken dar. Eine kleine Marmorſäule hatte man umgekehrt auf-
geſtellt, ſo, daß das Kapitäl ihr zur Baſis diente. – Die Kirche
iſt mit Marien- und Heiligen-Bildern überladen, die nach altgrie-
chiſcher Weiſe auf Goldgrund gemalt ſind. Drei darunter ſchienen
der Bemerkung werth. Eines derſelben ſtellt die Verſammlung des
erſten Concils dar. Kaiſer Conſtantin präſidirt. Ihm zur Rechten
die Patriarchen. Unten ſieht der Beſchauer links im Vordergrunde
– 140 –
den Arius, rechts von ihm geſondert 7 oder 8 ſeiner Anhänger,
ſämmtlich durch lange ſchwarze Talare von den Uebrigen unterſchie-
den, welche ſich durch glänzende Gewänder auszeichnen. In der Nähe
der Schwarzgekleideten ſteht ein heiliger Mann, der einen Ziegelſtein in
ſeiner rechten Hand hält; indem er ihn zuſammendrückt, ſpringt aus
ihm nach oben Feuer, nach unten Waſſer heraus. Als Arius durch
dieſes Wunder noch nicht bekehrt war, holt ein ihm zur Linken
ſtehender hoher Geiſtlicher mit der rechten Hand aus, um dem Un-
verbeſſerlichen einen Backenſtreich zu verſetzen. – Das zweite Bild
ſtellt das Bruſtbild einer Maria mit dem Kinde dar, auf Marmor,
ziemlich roh gemalt, deren und des Kindes Kleider eigenthümlich,
basreliefartig, aus dem Stein ſelbſt erhaben mit dem Grabſtichel
gearbeitet und dann colorirt ſind. Es wurde nie reſtaurirt. –
Das dritte Bild hat auf die Maria Bezug, welcher die Kirche ſelbſt
geweiht iſt, nämlich der Maria im Sarge (Santa Maria alla
tomba). Maria liegt noch als Todte im Vordergrund; rings
herum Anbetende. Das Feſt dieſer Maria wird von den Griechen
13 Tage ſpäter als von den Lateinern gefeiert, die es auf den
15. Auguſt gelegt haben. Die hier erwähnten drei Gemälde ſtam-
men zwar aus einer Periode tiefen Verfalles der Kunſt; hiſtori-
ſches Intereſſe iſt ihnen indeſſen nicht abzuſprechen. – In einem
Seitengange iſt ein antiker Sarkophag zum Theil eingemauert.
Hinter dem Altar ſteht in einer kleinen Kapelle oberhalb einer
ſchmalen ſteinernen Treppe ein Marmor-Stuhl, ganz ſo gearbeitet,
wie man antike kuruliſche Stühle zu Rom ſieht, mit der Figur
einer Muſchel an der Rücklehne. Auf dieſem Stuhle ſitzend, ſoll
der heilige Baſilius einen Streit über den Beſitz dieſer Kirche ent-
ſchieden haben, der zwiſchen den Armeniern und Griechen ausge-
brochen war. Die Thore des Gebäudes wurden von beiden Parteien
verſiegelt. Diejenige ſollte Beſitzerin der Kirche ſein, welcher es ge-
lingen würde, durch eifriges Gebet die verſiegelten Thore aufſpringen
zu machen. Die Arianer beteten einen ganzen Tag inbrünſtig
vergebens. Baſilius ſprach von ſeinem Biſchofsſitze aus nur die
drei Worte: „Herr erhöre die Deinen!“ und die Thore ſprangen
auf! So weit mein Geiſtlicher. – Die Bauart der Kirche ſtellt
übrigens einen einfachen kleinen Dom mit Portikus dar.
Außerhalb des nordweſtlichen Thores der Stadt in nördlicher
Richtung von dieſem liegt das höchſt merkwürdige Grab-Monument,
– 141 –
welches Pokoke und v. Hammer*) beſchrieben haben; Letzterer
gibt zugleich eine Abbildung davon. Es beſteht aus einem um-
fangreichen Monolithen, der durch Menſchenhände auf den Gipfel
eines kleinen Hügels hinaufgefördert worden iſt, dem man die
erforderliche Ebene dnrch Mauerwerk beſchafft hatte. Die Stein-
maſſe iſt inwendig ausgehöhlt, auswendig regelrecht und mit
großem Fleiße bearbeitet. Seine nach Oſten gewendete Haupt-
Façade ahmt die Form eines griechiſchen Tempels nach, im Giebel-
felde ſieht man eine Figur, deren Form durch die Unbilden der
Zeit zwar ſehr verwiſcht iſt, in der man jedoch noch deutlich genug
eine Sonne erkennen kann, deren Strahlen freilich nicht ſo beſtimmt
erſcheinen, wie v. Hammer ſie gezeichnet hat. Der Längendurch-
meſſer des Monumentes beträgt 24“; er nimmt die Richtung von
Oſt-Süd-Oſt nach Weſt-Nord-Weſt. Die Breite zeigt 12“. Das
Monument krönt gleichſam einen Begräbnißplatz, der ſich von ihm
aus gegen die Mauer der Stadt hinabzieht und vielleicht ſeit mehr
als zwei Jahrtauſenden im Gebrauch geblieben iſt, denn noch heute
dient er den türkiſchen Einwohnern, die aus Marmortrümmern des
ehemaligen Nicäa ihre rohen Grabſteine meißeln. Ob die gewaltige
Maſſe aus den Felſen der näheren Umgebung entnommen ſei,
bleibt zweifelhaft; die herumliegenden anſehnlichen Bruchſtücke
aus den Bergen der Nachbarſchaft gehören einem andern Ge-
ſtein an, und es würde der Unterſuchung eines Fachmannes
bedürfen, ob ſich in der Nähe irgend wo ein dem Denk-
male ähnliches Geſtein vorfinden möchte. Leider iſt die Maſſe
durch allmälige Unterwaſchung der Unterlage von Regengüſſen
etwas aus dem Gleichgewicht gekommen, und in Folge deſſen ſchräg
von oben und außen, nach unten und innen eingebrochen. – Das
Wichtigſte an dem Monumente bleibt jedenfalls die Inſchrift, he
ſich auf der öſtlichen Hauptfronte deſſelben, rechts und oben ange-
bracht, vorfindet. Sie iſt bisher unerklärt. Hr. v. Hammer
hält ſie für eine phöniciſche, und unterſtützt die Annahme durch den
Styl des Kunſtwerkes, welcher ſich nach ihm in den Reſten phöni-
ciſcher Bauwerke auf der Inſel Cypern und auf der gegenüber-
liegenden Küſte Weſtaſiens wieder zeigt. Ich befinde mich in der
angenehmen Lage, auf der beigefügten Tafel eine auf genauer Durch-
*) A. a. O. S. 122.
– 142 –
zeichnung beruhende Darſtellung jener Inſchrift, ſowie zugleich mehrere
Anſichten des Denkmals mittheilen zu können, die ich der beſonderen
Güte meines Freundes, des Hrn. Dr. L. Thirk zu Bruſſa ver-
danke, der ſie an Ort und Stelle mit anſehnlichem Zeitaufwande
aufnahm. Ich bin Demſelben für dieſen Akt einer nicht gewöhn-
lichen Liberalität aufrichtigſt verhunden.
Das Klima von Nicäa iſt nicht blos ſehr viel milder als
das von Conſtantinopel, ſondern auch als das von Bruſſa, indem
es fern genug von dem bithyniſchen Olymp liegt, um den Unbilden,
welche von dieſem im Winter auszugehen pflegen, zu entgehen.
Hierzu kommt, daß ein nicht unanſehnlicher Gebirgszug ſich an der
Südſeite des See's und der Stadt hindehnt, welcher beide um ſo
mehr gegen die eiſige Luftſtrömung ſchützt, die während der Winter-
monate von dem dann ſtets mit Eis und Schnee bedeckten Haupte
des Berges herabwehen. Das nicht ferne Meer trägt zur Er-
haltung einer gewiſſen Gleichmäßigkeit der Temperatur weſentlich
bei. Am öſtlichen Ende des See's ſah ich noch im Oktober breite
Hecken von Oleander und Vitex Agnus castus (keuſches Lamm)
in üppigſter Fülle grünen. An den Maulbeerpflanzungen bemerkte
man durchaus nicht, daß ihnen im Frühlinge ſämmtliche Blätter
theils auch Zweige, zur Fütterung der Seidenraupen geraubt wor-
den waren. Der Oelbaum ſchien jedoch nur kümmerlich zu gedeihen.
Erwägt man nun noch, daß Nicäa unter 47° 10' öſtlicher Länge
von Ferro oder 27 % ° öſtlicher Länge von Paris und 40° 21“ 30“
nördlicher Breite liegt, ſo wird man aus Alledem auf einen Him-
melsſtrich ſchließen dürfen, der die Anhäufung bedeutender Maſſen
von Einwohnern, wie ſie notoriſch im Alterthume Statt fand, leichter
erklärlich macht. Darum konnte Nicäa unter den Römern und den
griechiſchen Kaiſern auch mit Nicomedien um den Rang ſtreiten,
welche von beiden die Hauptſtadt der Provinz Bithynien ſein ſollte.
Die Kaiſer machten – wie ich glaube, mit Recht – Nicomedien
zur Provinzial-Hauptſtadt; Nicäa nannten ſie die erſte Stadt der
Provinz. – Wenn nun auch unzweifelhaft Nicäa in ſeiner Blüthe
durch ſorgfältige Unterhaltung der Waſſerleitungen und Boden-
cultur das gegenwärtige armſelige Isnik an Salubrität der Luft
übertreffen mußte, ſo hat ſich doch gewiß die letztere nie mit der von
Nicomedien und Bruſſa gleich ſtellen können, denn letztere liegen
amphitheatraliſch an der Anhöhe, Nicäa in der Ebene. Dagegen
– 143 –
dürfte die mittlere Jahres-Temperatur zu mindeſtens + 13° R,
für Nicäa angenommen werden können, vielleicht auch etwas höher.
würde alſo beide Schweſterſtädte hierin überwiegen. Dennoch erklärt
ſich das kümmerliche Gedeihen des Oelbaums dadurch hinlänglich,
daß mitten im Winter die Temperatur merklich unter den Gefrier-
punkt ſinken kann. Hr. Dr. Barth*) fand zu Nicäa am 18.
December 1858 einen heftigen Schneeſturm und eiſige Kälte, die
ihn nöthigten, den Rückweg nach Stambul zu beſchleunigen. Er be-
ſchreibt den hierzu von Nicäa aus über den Gebirgskamm nach
Kara Muſſal gewählten Weg, als in hohem Grade beſchwerlich.
Der See von Nicäa iſt ungemein fiſchreich, ſein Waſſer aber
nicht trinkbar. Aus dem weſtlichen Ende bildet ein Flüßchen den
Abzugskanal nach dem Meere; er mündet ſich unfern Gemlik in
letzteres ein. Die Länge dieſes Flüßchens beträgt zwiſchen 6 und 7
Stunden. Die durch ihn gebildete Gebirgsſchlucht war es höchſt
wahrſcheinlich, durch welche die Griechen bei dem zweiten Angriff
der Kreuzfahrer auf Nicäa ihre Schiffe in den See ſchafften, um
ſo weſentlich zur Eroberung der feſten Stadt beizutragen. Aus der
Geſchichte der letzteren ergibt ſich ferner, daß der See Tiefe genug
beſitzt, um große Schiffe bis nahe an die Mauern heranzubringen.
Der heutigen Ingenieur-Kunſt würde es wahrſcheinlich nicht ſchwer
fallen, das erwähnte Flüßchen in einen ſchiffbaren Kanal umzuge-
ſtalten. Auf ſolche Weiſe würde das Becken des See's einen höchſt
geräumigen und durch die nahen Gebirgszüge trefflich geſchützten Hafen
bilden, der allein ſchon genügen könnte, um bei einer etwaigen Rege-
neration Nicäa's der Stadt ihren alten Glanz wieder zu verſchaffen.
Der Verfall der alten Waſſerleitungen und die Sorgloſigkeit,
mit welcher die türkiſche Regierung der Verſumpfung des an die
Stadtmauern gränzenden Theiles des See's zugeſehen hat, übte auf
die Salubrität des Ortes einen ſehr nachtheiligen Einfluß. Durch dieſe
Sumpf-Ausdünſtungen entſtehen dort während des Spätſommers
und Herbſtes häufig Wechſelfieber. Die Tochter meiner griechiſchen
Wirthin, eine junge Frau, litt daran ſeit geraumer Zeit in be-
trächtlichem Grade. Mir ſelbſt hat das Herumſteigen unter den
Ruinen keinen Nachtheil gebracht, trotz einer ſeit der Jugend bei
*) Geographiſche Mittheilungen von Dr. A. Petermann. Ergänzungsheft.
Gotha, 1860. S. 100.
– 144 –
mir übrig gebliebenen Hinneigung zu kalten Fiebern. Auch fand ich
die Atmoſphäre bei Weitem nicht ſo widerwärtig und drückend, als
Hr. v. Hammer*) und ſeine Gefährten. Doch muß erwogen
werden, daß dieſe Reiſenden ſich dort vier Wochen früher, alſo in
einer ſchwüleren Jahreszeit befanden. Seſtini ließ ſich durch die
böſe Luft von Nicäa ſo ſchnell vertreiben, daß er, obgleich Geiſt-
licher, ſich nicht einmal Zeit nahm, die Reſte der Kathedrale zu be-
ſuchen, in welcher das erſte chriſtliche Concil gehalten worden iſt.
Anfangs Oktober war die Temperatur bereits eine kühlere, friſchere
geworden, die mir ganz angenehm erſchien. Es kommt hinzu, daß
das heutige Dorf Isnik beinahe eine kleine halbe Stunde vom öſt-
lichen Ende des See's entfernt liegt.
Am 7. Oktober Mittags brach ich von Nicäa nach Jeniſchehr
auf, um dieſen Ort noch vor Untergang der Sonne zu erreichen,
was auch gelang. Mein türkiſcher Kawaß hatte ſich bereit gefunden,
mit Hülfe hier gemietheter Pferde mich bis nach Bruſſa zu geleiten.
Der Weg führte uns durch das ſüdliche Thor von Nicäa dem öſt-
lichen Ende des See's zu, auf deſſen ſandigem Ufer ich zahlreiche
Bruchſtücke ehemaliger Landhäuſer herum liegen ſah, erkenntlich an
durch feſten Mörtel verbundenen Ziegelſteinen. Nach einem halb-
ſtündigen Ritte in ſüdlicher Richtung waren wir an dem Fuße eines
felſigten Gebirgszuges angelangt, über den ſich der erträglich erhal-
tene Weg hinauf wandte. Von den einzelnen Abſtufungen des Ber-
ges ergaben ſich genußreiche Rückblicke auf die Ruinen von Nicäa
und den See. Von dem Gipfelpunkte des Berges, deſſen Höhe ich
hier 1600 über dem See ſchätzte, vermochte ich den letzteren, mit
Hülfe von Gläſern, bis an ſein weſtliches Ende zu überſchauen.
Aus dieſem Umſtande bin ich geneigt, die Angabe Leake's über die
Länge des See's als die richtigere zu betrachten. Selbſt die ange-
ſtrengteſte Aufmerkſamkeit ließ weder mich noch meine Begleiter irgend
ein Segel oder eine Barke gewahr werden; öde und leer dehnte ſich
die anſehnliche Waſſerfläche vor uns hin, die in alten Zeiten gewiß
Hunderten von Schiffen Beſchäftigung gegeben haben mag. Wäh-
rend bei der Belagerung von Nicäa durch die Kreuzfahrer dieſe ſich
zum letzten Sturme rüſteten, erſchien plötzlich die erwähnte griechiſche
Flotte vor der Stadt, und raubte Jenen durch liſtige Kapitulation
mit den Osmanen die Früchte ihrer blutigen Anſtrengungen. Am Berg-
*) A. a. O. S. 111.
– 145 –
Abhange ziehen ſich etwa mannshohe dichte Geſträuche verſchiedener
Art hin, aber die von rohen Fäuſten geführte Axt geſtattet
keinem Baume, aufzuſtreben. Die kurz andauernde geringe Win-
terkälte läßt Reiſerbündel als zur Feuerung genügend erſcheinen.
– Wir begegneten während des Hinaufſteigens einer aus etwa
2000 Ziegen beſtehenden Heerde, die einer großen ſchönen Raçe
angehörten, wie ich ſie in Europa nirgends zu ſehen Gelegen-
heit fand. Die Regierung hatte ſie in bedeutender Ferne von hier
angekauft, um ſie zur Verproviantirung des Heeres nach Scutari
ſchaffen zu laſſen. Ein berittener Führer und einige Treiber zu
Fuß hielten die Thiere, mit Hülfe gelehriger Hunde in Ordnung,
obgleich die Ziegen, Nahrung ſuchend, weithin durch das Gebüſch
ſtreiften. – Auf der Höhe des Berges befindet ſich ein Kaffehaus,
wo geraſtet wurde. Der Altan des Hauſes iſt Nicäa und feinem
See zugewendet; er gab mir zum letzten Male Gelegenheit, die von
der Natur ſo reich ausgeſtattete und durch hiſtoriſche Thatſachen ſo
höchſt intereſſante Gegend zu überſchauen.
Indem wir von der Waſſerſcheide des Gebirgszuges ſüdwärts
hinabſtiegen, dachte ſich der Abhang viek allmäliger ab, als auf der
von uns hinangeſtiegenen Seite. So erreichten wir denn auch den Fuß
des Gebirges und die Ebene, in welcher Jeniſchehr liegt, erſt eine
Stunde vor dieſem Orte. Von jenem Punkte aus behielten wir
die vier oder fünf Minarets der kleinen Stadt ſtets vor uns im
Auge. Ein ziemlich langer Karavanenzug von Kameelen war uns
noch am Bergabhange begegnet: er führte Waaren, großentheils
Seide, von Bruſſa nach Ismid. Ich bewunderte die Leichtigkeit,
mit welcher die Thiere den Berg hinaufſtiegen, indem ſie eine lange
Linie bildeten und dem an der Spitze einherſchreitenden Kameele,
welches eine Glocke am Halſe trug, genau folgten. Aus einiger
Entfernung geſehen, bildete die Karawane eine höchſt maleriſche und
für das europäiſche Auge überraſchende Staffage der Windungen
des Bergweges. – In der Ebene machten die ſich weit ausdeh-
nenden Stoppelfelder den Weg um ſo eintöniger; nur die allmälig
am Horizonte vor uns ſich deutlich hervorhebenden Linien von Ie-
niſchehr gewährten dem Blicke einen Ruhepunkt. – Wir erreichten den
Ort eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, und indem wir ihn der
Länge nach durchzogen, bot ſich uns volle Gelegenheit dar, den größe-
ren Theil der die Abendkühle genießenden männlichen Bevölkerung
7
– 146 –
auf den Straßen, und namentlich auf dem in der Mitte des Ortes
liegenden Bazar zu ſehen. Nach einer hier eingezogenen Erkundi-
gung enthält der Ort 500 türkiſche und 10 armeniſche Häuſer.
Daher begegneten wir denn auch nur Türken, die beſonders auf dem
Bazar in lebhafte Bewegung geriethen, als ſie unſeres fremdartigen
Zuges anſichtig wurden. Man legte uns jedoch keinerlei Hinder-
niſſe in den Weg; vielmehr überwies uns der türkiſche Ortsvorſteher
auf den Antrag meines Kawaſſen bereitwillig einem der wenigen
armeniſchen Häuſer, die das ſüdliche Ende des Städtchens einnehmen.
Die Türken folgen hier in der Kleidung und dem äußeren Habitus
der alten osmaniſchen Sitte viel mehr, als ich es bisher – mit
Ausnahme von Elbeili – noch gefunden hatte. Turban, langer
Bart, weiter Kaftan, der die Bruſt blos läßt, Pantoffeln an den
Füßen, gaben dem Menſchengewimmel einen maleriſchen Anſtrich.
Die meiſt ausdrucksvollen Phyſiognomien, die ſchwarzen leuchtenden
Augen, trugen das Ihrige hierzu weſentlich bei.
Dieſes Jeniſchehr iſt geraume Zeit die Reſidenz des Stifters
der osmaniſchen Dynaſtie, des Kara- Osman, geweſen. Von hier
aus wurden die Angriffe theils auf kleinere befeſtigte Punkte der
Griechen in der Nachbarſchaft, theils nach deren Falle, auf die da-
mals mächtigen Städte Nicäa und Bruſſa organiſirt, denen endlich
die erſchlafften Griechen nicht mehr zu widerſtehen vermochten. Beide
fielen dem Sohne und Nachfolger des Osman, dem Orchau, in
die Hände. Das Bewußtſein der früheren Wichtigkeit des Ortes
mag die heutigen Einwohner um ſo mehr zum Widerſtande gegen
die von Conſtantinopel ausgehenden Neuerungen kräftigen.
Die armeniſche Familie, unter deren Dach wir die Nacht hin-
bringen ſollten, erſchien ſehr ärmlich. Mein Dolmetſcher mußte„ſch
auf den Bazar begeben, um die Materialien zu einem frugalen
Abendmahle, ſowie zu dem morgenden Frühſtücke aufzukaufen. Wir
ſtiegen auf einer leiterähnlichen Treppe zu einem viereckigen Ge-
mache in die Höhe, deſſen Fenſteröffnungen für die Nacht mit Tü-
chern verhängt werden mußten, weil es ſelbſt an hölzernen Laden
fehlte. Die an der Wand herumlaufende hölzerne Bank mußte mit
meinen eigenen Effecten gepolſtert werden, um ein dürftiges Lager
herzuſtellen, deſſen Härte und unzählige Inſekten nur durch die
große Ermüdung überwunden werden konnten, die den Schlaf trotz
alledem endlich herbeiführte. Die Temperatur der Luft erhielt ſich
– 147 –
während der Nacht auf + 14° R., und machte ſo das luftige
Gemach erträglich. Mein Kawaß und ein zweiter Pferdetreiber
ſchliefen vor dieſem auf einem offenen hölzernen Altan, der jedoch
ein Dach beſaß. – Die untergehende Sonne vergoldete den
Saum zahlreicher, den Horizont deckender Wolken ſo zauberiſch
ſchön, daß ſelbſt die Müdigkeit mich ſpät erſt von der weſtlichen
Fenſteröffnung zu verſcheuchen vermochte. – Nach eingetretener
Dunkelheit ließ ſich eine unmelodiſche Schalmeie mit obligatem
Tambourin vernehmen; ja ſogar eine Mandoline begleitete männ-
lichen Geſang, dem ich jedoch vergebens irgend eine Melodie abzu-
lauſchen trachtete. Das Ohr dieſer Türken muß anders organiſirt
ſein, als das unſrige, um dergleichen angenehm unterhaltend zu
finden. Leider wurde ich für meine Unzufriedenheit mit dem Ge-
ſange bald durch ein ſo entſetzliches Hundegeheul beſtraft, wie es
mir ſelbſt im Orient noch nicht vorgekommen war. Es hielt die
ganze Nacht an, und es gehörte in der That die narkotiſche Wir-
kung einer zwölf Stunden lang ununterbrochen fortgeſetzten Körper-
bewegung dazu, um mit europäiſchen Ohren auch noch dieſes aſiatiſche
Hinderniß des Schlafes zu überwinden.
Am Morgen des 8. Oktober's mußte ſchon um 5 Uhr früh zur
Weiterreiſe gerüſtet werden, obgleich der Tag noch nicht angebrochen
war, denn die Tagesreiſe nach Bruſſa beträgt von hier aus 10
Stunden. Der Aufbruch erfolgte um 6 Uhr. Vor dem ſüdlichen
Ende von Jeniſchehr erreichten wir bald einen hohen Steindamm,
der mit einer Anzahl brückenartiger Durchläſſe verſehen war. Theils
aus dieſen, theils aus, den rechts und links erſcheinenden vertrock-
neten Binſen, Seggegräſern und Rohr ergiebt ſich, daß zur Regen-
zeit Waſſer die Gegend überſchwemmen mag. In dieſem Augenblick
war aber keine Spur von einem See zu erblicken, ſelbſt nicht mit
Hülfe eines Fernglaſes. Ein See von Jeniſchehr findet ſich jedoch
auf allen mir zugänglichen Karten verzeichnet. Seine Lage iſt mei-
nes Erachtens am richtigſten auf der von Hrn. Kiepert gezeich-
neten Karte der aſiatiſchen Türkei angegeben. Auf der von Hrn. v.
Hammer ſeiner Reiſe nach Bruſſa beigegebenen Karte, die in
vielen Dingen unzuverläſſig iſt, liegt der See mindeſtens eine
Stunde weſt-ſüdweſtlich von Jeniſchehr entfernt, nahe an dem Dorfe
Tſchardagh, deſſen Namen Hr. v. Hammer Tſchardakköi
ſchreibt. Da ich nun in dieſem Dorfe geraſtet habe, ſo müßte ich
7
– 148 –
etwas von dem See bemerkt haben, wenn er hier läge, um ſo
mehr, als ich danach ſuchte. Nicht unwahrſcheinlich iſt es jedoch,
daß in alten Zeiten, als die jetzt völlig baumleere Ebene ven Je-
niſchehr noch Wald und Gebüſch ernährte, dieſer See Jahr aus
Jahr ein ſeichtes Waſſer enthalten haben mag, welches ſich jetzt nur
nach den Regengüſſen des Herbſtes vorfinden dürfte. Auch von
dem Flüßchen, durch welches v. Hammer den See ſeinen Abfluß
nach Jeniſchehr hin uehmen läßt, fand ich nirgend etwas.
Der ſehr ſchlecht gepflaſterte Steindamm hörte da auf, wo
der Boden der Ebene ſich allmälig erhebt. Niedrige Gebirgszüge,
die ſich rechts und links in anſehnlicher Entfernung vom Wege hin-
ziehen, nähern ſich einander erſt weiterhin, 22 Stunden weſt-
ſüdweſtlich von Jeniſchehr; v. Hammer hat die Richtung dieſer Ge-
birgszüge, ſowie den Weg nach Bruſſa auf ſeiner Karte ganz gut
angegeben. – Wir hatten zwei Stunden gebraucht, um das anſehn-
liche Dorf zu erreichen, welches mir die Einwohner Tſchardagh
nannten, deſſen Namen auf Hrn. Kiepert's Karte Tſchardakly
lautet. Das Dorf beſitzt eine ziemlich anſehnliche Moſchee, in deren Vor-
hof die Dorfjugend verſammelt war, um unisono und laut ſchreiend
auf die von einem Lehrer vorgelegten Fragen zu antworten. An dem
Café des Dorfes ſtillhaltend, war ich überraſcht, vor demſelben
einen kleinen Garten zu finden, der ganz die Blumen und Sträucher
enthielt, welche wir unter ähnlichen Umſtänden in Deutſchland zu
finden gewohnt ſind. Tagetes patula blühte ſocbeu üppig. Roſen,
eine Syringa und mehrere Dahlien füllten außerdem den beſchränk-
ten Raum. – Den Weg weiter verfolgend, boten ſich uns nur
eintönige Stoppelfelder, ſelten ein am Wege ſtehender, von der Sonne
gedörrter Baum dar. Endlich wurde die einförmige Scene durch eine
zahlreiche Heerde von einhöckerigen Kameelen belebt, die nur mit leeren
Packſätteln beladen, offenbar nach der Heimath zurückkehrten, nach-
dem ſie ihre Ladungen an das Meer befördert hatten. Man hatte
ſie von jedem Zwange befreit und ſie benutzten dies, um ſich, vor-
wärts ſchreitend, über die leeren Felder auszubreiten und ſpärliche
Grashalme für ſich zur Nahrung herauszuſuchen. Aber auch hierbei
folgten ſie geduldig den von dem vorderſten Thiere ausgehenden
Glockentönen. – Bei einer andern Gelegenheit fand ich am öſt-
lichen Fuße des Katerlü-Gebirges Abends ſpät eine ſolche entfeſſelte
– 149 –
Kameelheerde, die wahrſcheinlich dort übernachten ſollte. Die Thiert
hatten ſich ſämmtlich einer langen Dornenhecke genähert, um die
grünen Blätter aus dieſer heraus zu holen. Die hungrigen Thiere
ließen ſich durch die unzähligen ſpitzen Dornen in ihrem Eifer nicht
behindern; der hornartige Ueberzug ihrer Lippen kommt ihnen da-
bei trefflich zu Statten. Die ruhenden Kameele verſchränken ihre
Beine eigenthümlich, und ich bin geneigt, anzunehmen, daß die Tür-
ken ihr Kauern auf den Ferſen den Kameelen abgelernt haben. –
Das „Schiff der Wüſte“ zeigt zwar keine eleganten äußeren For-
men; aber eine nähere Betrachtung ſeiner einzelnen Theile beweiſt,
daß ſie ſämmtlich höchſt paſſend zuſammen geſtellt ſind, um einem
beſtimmten allgemeinen Zwecke gleichmäßig zu dienen. Die unge-
ſchlachten breiten ſchweren Hufe ſind offenbar dazu gemacht, be-
quemer über das Steingerölle oder den Sand der Steppen und
Wüſten hinzuſchreiten, ohne einzuſinken. Der Höcker des Rückens,
mehr noch der Doppel-Höcker einer zweiten Species des Kameels,
eignen ſich zur Befeſtigung von Laſten ganz beſonders, und es iſt
bei dieſer nur auf eine möglichſt gleichartige Vertheilung des Ge-
wichtes der Ladung für beide Seiten zu achten. Die ungemein
ſtarken einzelnen Knochen des Skeletts ſprechen Feſtigkeit und Aus-
dauer aus. Der ſchlanke, lange, im Gehen rückwärts gebeugte Hals
ſcheint von dem Thiere zu der Erhaltung des Gleichgewichtes mit-
benutzt zu werden. Das große Auge beſitzt zwar nicht den Glanz
des Gazellen-Auges; etwas Starres, was dem Blick anklebt, iſt
gewiß der ewigen Plage des Laſttragens zuzuſchreiben, zu welchem
das Thier von der früheſten Lebenszeit an gezwungen wird. Aber
es ſpiegelt ſich Sanftmuth und Geduld in dieſen Augen, und
wenn ihr Beſitzer hartnäckig widerſtrebt und nicht vorwärts zu
bringen iſt, ſobald er ſich überladen fühlt, ſo iſt er vollkommen
in ſeinem Rechte und bedient ſich hierbei der einzigen Waffe gegen
den Mißbrauch Seitens fühlloſer Menſchen, die ihm zu Gebote
ſteht. Wenn der Berichterſtatter der Times, Hr. W. Ruſſel,
jüngſt aus Indien her eine Fluth von Schmähungen auf das nütz-
lichſte Thier der aſiatiſchen und afrikaniſchen Welt gehäuft hat, ſo
führte er dadurch nur den Beweis, daß in ihm auch nicht die kleinſte
Ader eines Naturforſchers lebendig iſt. Mit dem Untergange des
Kameels würden gleichzeitig auch die jetzt noch vorhandenen Reſte
des einſt ſo hoch blühenden Handels und Verkehrs in Aſien zu-
ſammenſtürzen, und England möchte dann Indien den Rücken zuwenden.
Indem unſer Weg ſich mehr und mehr dem Saume des zur
rechten Hand ſtreichenden Gebirgskammes näherte, bot ſich ein Vor-
hügel deſſelben dar, welcher mit einer Tabakspflanzung bedeckt war,
die ſich zum Theil noch in der Blüthe befand, und, trotz einer lang
anhaltenden Dürre nur kräftige Pflanzen zeigte. Es war die bei
uns in Europa cultivirte Species, Nicotiana Tabacum. – End-
lich begann der Weg ſich an dem erwähnten Gebirgskamm hinauf
zu ziehen. Wir behielten hier rechts und links etwa mannshohe
Geſträuche, unter welchen der dornigte Zizyphus australis vor.
herrſcht. Die Coccuseiche, der Johannisbrodbaum, Pinus maritima
und unſer gemeiner Wachholder ſammt dem Kreuzdorn, folgten.
Ein Spartium wucherte auf dem Felsboden weit hin. Während
des Hinaufſteigens fanden wir nördlich vom Gipfel, eine halbe
Stunde dieſſeits, nur ein einziges Haus neben einer Bergquelle,
welches als Halteplatz für Reiſende dient. Auf dem Gipfel des
Berges liegt das kleine Dorf, welches mir von den Einwohnern
Dimboſar genannt wurde. Auf der Karte der europäiſchen Türkei
des Hrn. Kiepert heißt es Dimbos und auf der Karte v. Ham-
mer's Timbos. Es war Mittags 12 Uhr, als wir bei dem un-
gewöhnlich geräumigen Kaffehauſe des Dorfes anlangten. Wir
hatten alſo, mit ſehr kurzer Raſt, ſechs Stunden gebraucht, um von
Jeniſchehr hierher zu reiten. Ein ſehr geräumiger hölzerner
Altan lud zur Ruhe ein, die wir für eine Stunde uns und unſern
Thieren gönnten. Das Thermometer zeigte im Schatten + 15° R.
Die Höhe, welche wir erſtiegen hatten, ſchätzte ich auf 1000 über
der Ebene. In dem Kaffehauſe befand ſich eine mit Tabakrauchen
und Kaffetrinken beſchäftigte, zahlreiche Geſellſchaft von Türken.
Auffallend war es mir, daß ſie in dieſer wärmſten Stunde des
Tages die mit einem ſchwülen Dunſt erfüllte Atmoſphäre des in-
neren Raumes dem luftigen Altan vorzogen. Auch in Conſtantinopel
hatte ich mehrmals Gelegenheit, dieſelbe Bemerkung zu machen. –
Um 1 Uhr fingen wir an, den Berg hinabzuſteigen. Auch hier
wiederholte ſich der bei dem Ueberſchreiten des Gebirges zwiſchen
Jeniſchehr und Nicäa wahrgenommene Umſtand, daß der nördliche
Abhang ſteiler ausläuft, als der ſüdliche. Während des allmäligen
Hinabreitens öffneten ſich dem Blicke mehrere maleriſche Seiten-
– 151 –
thäler und Schluchten. Das geräumigſte unter dieſen Thälern,
welches ſich in der Richtung von Norden nach Süden über eine
Stunde hindehnt, blieb unſerm Wege zur rechten Hand. Den
feuchten Thalgrund deckte eine üppige grüne Vegetation. Unfern
des nördlichen Endes dieſes Thales zeigt ſich ein kleiner See, der
einen von Oſten herkommenden Gebirgsbach aufnimmt. An ſeinem
ſüdlichen Ende bemerkten wir 5 bis 6 Häuſer, von hohen Bäumen
umgeben. Mein Begleiter nannte mir den kleinen Ort Baſchi,
und den See Baſchi-Göl. Auf der Karte v. Hammer’s heißt
letzterer Kuſchkonmas, auf der des Hrn. Kiepert Kuſch-Göl.
Die Einwohner des Ortes ſollen ſich vorzugsweiſe dem Gartenbaue
widmen, wozu ſich der Boden ganz beſonders eignet. Die Früchte
werden nach Bruſſa abgeſetzt. – Wir hatten 1 , Stunde gebraucht,
um von der Spitze des Felsgebirges in die Ebene hinabzuſteigen.
Im letzten Abſchnitte des Abhanges behielten wir lange noch zur
Linken einen niedrigen Gebirgskamm, der großentheils mit Eichen-
gebüſch beſetzt war. Rechts gewährte das angeführte ſchmale Thal
durch ſein friſches Grün in der vorgerückteu Jahreszeit dem Auge
einen beſonders freundlichen Ruhepunkt. In der Ebene angekommen,
fand ich bei vollkommener Windſtille die Sonnenſtrahlen viel kräf-
tiger drückend, als es ſich bei einer Lufttemperatur von + 15° R.
im Schatten hatte erwarten laſſen. – Es begegneten uns nun mehr
und mehr Reiter und Laſtthiere, zum Beweiſe, daß wir uns einer
größeren und geſchäftigeren Stadt näherten. Um 2 Uhr erreich-
ten wir in der Ebene das Dorf Keſtel. Unmittelbar vor dem
Dorfe treibt ein kleiner Bach durch ſein klares Bergwaſſer eine
Mühle. Er ergießt ſich von einem zur linken Hand ſtreichenden
niedrigen Gebirgszuge herabkommend in das Thal. Das erſte Haus
iſt abermals ein geräumiges Kaffehaus, welches ich wieder mit vielen
Menſchen, zum Theil Reiſenden, angefüllt fand. Neben dieſem
Hauſe zogen drei rieſige, orientaliſche Platanen meine Aufmerk-
ſamkeit auf ſich; ich hatte ſie in ſolchen Dimenſionen nur zu Bö-
jükdere geſehen. In dem langen feuchten Thale, welches ſich von
hier aus ununterbrochen bis Bruſſa hinzieht, traten ſie nun aber
häufig auf. Leider lagen nicht wenige dieſer herrlichen Bäume umge-
ſtürzt am Boden, offenbar durch die Gewalt des Feuers gebrochen,
welche viehweidende Barbaren an ihren Stämmen abſichtlich an-
zünden, um ſie künſtlich auszuhölen und Schutz in ſolchen Höhlen
– 152 –
gegen böſe Witterung zu finden. Einige dieſer coloſſalen Stämme
ſchienen, ungenützt, ſeit Jahren der Verwitterung preißgegeben zu
ſein. Andere Platanen hatte man durch Abhauen ſämmtlicher
Aeſte mitleidslos verſtümmelt. Allmälig traten neben den mächtig
Vorherrſchenden echte Kaſtanienbäume auf, und zwiſchen 3 und 4
Uhr gelangten wir in einen anſehnlichen Wald derſelben, deſſen
einzelne Stämme an Umfang und Höhe den Platanen wenig nach-
gaben. Beide Bäume bilden die Rieſen der Vegetation Weſtaſiens, in
welcher die Platane den erſten, die Kaſtanie den zweiten Platz ein-
nimmt. Sehr bekannt iſt die Rieſen-Kaſtanie am Aetna; aber auch
dieſer Baum zieht gleich der Platane feuchte Thäler vor, denn geſunder,
kräftiger, höher und umfangreicher kann man ihn gewiß nirgends
finden als hier. Es war die Zeit der Kaſtanien-Erndte, weshalb
denn zahlreiche mit Säcken beladene Eſel herumſtanden, um die Früchte
aufzunehmen, welche Männer und Knaben von den hohen Bäumen
herabholten, während Frauen ſie aufhoben und verpackten. Die glü-
henden Sonnenſtrahlen bemühten ſich vergebens, das gewaltige Laub-
dach zu durchdringen. Das Alter dieſer Bäume kann offenbar nur
nach Jahrhunderten geſchätzt werden; der von ihnen zu ziehende
Nutzen iſt zu überwiegend, als daß man ihr Holz hier nicht ſcho-
nen ſollte, und ſo bilden ſie einen erfreulichen Contraſt mit den
erbarmungslos verſtümmelten Platanen. An den Felswänden der
erſten Region des Olymps iſt ihre Ertragsfähigkeit wahrſcheinlich
eine viel geringere, deshalb fällt man ſie dort unbarmherzig, um die
jungen ſchlanken Stämme zu leichten Bauten und Pfählen zu benutzen,
wie man dies auch auf den Vorhügeln der Apenninen zu thun ge-
wohnt iſt. Die Vegetationskraft dieſer Kaſtanie iſt eine äußerſt
anſehnliche; ſchon nach 6–7, höchſtens 10 Jahren ſind ihre Wurzel-
ſchößlinge wieder ſtark genug, um abermals zu ähnlichem Zwecke
verwendet zu werden. Zahlreiche, von den Vorhügeln des Olymp
herabſtrömende Bäche durchziehen das lange Thal in der Richtung
von Nordoſten nach Südweſten, waren aber jetzt, Anfangs Oktober,
großentheils ausgetrocknet. Als wir ſüdwärts weiter ſchreitend, aus
dem Kaſtanienwalde hervorgetreten waren, behielten wir ein Flüß-
chen zur Rechten, deſſen Waſſer uns entgegen, alſo nordwärts
ſtrömte. Nach v. Prokeſch ſoll es ſich in den Baſchi-Göler-
gießen. Es iſt mir indeſſen viel wahrſcheinlicher, daß wir uns hier
an der letzten nördlichen Krümmung des Nilufer's ſelbſt befanden,
– 153 –
der, wie es v. Hammer auf ſeiner Specialkarte von Bruſſa ganz
richtig gezeichnet hat, ſüdweſtlich vou Tſchekirghe hach im Gebirge
entſtrömt, um dem Thale zuzueilen. In dieſem läuft er vor Bruſſa
vorüber, in der Richtung nach Norden, um den Jök-Der euud
mehrere andere Bergſtröme aufzunehmen, ſich hierauf umzubiegen
und, ſeinem früheren Laufe entgegengeſetzt, in der Richtung nach
Weſten dem Rhyndakus, dem Suſurly oder Mualitſch-Tſchar
(nach Kiepert) der Türken, zuzueilen, der ſich zwei Stunden unterhalb
dieſer Vereinignng in das Meer von Marmara ergießt. Durch jenes
ausgezeichnet günſtige Flußſyſtem würde das Thal das ganze Jahr hin-
durch hinlänglich bewäſſert ſein, wenn man es zu benutzen verſtände,
Dieſe Ebene heißt bei den Türken das Feld von Filah dar. Seiue
Flußufer erſchienen gegenwärtig in weitem Umfange verſumpft; hohes
Rohr, Binſen und Typha bedeckten weſtwärts von unſerem Wege eine
ſehr ausgedehnte Bodenfläche. Es kann nicht fehlen, daß dieſe, gewiß
durch vernachläſſigte Uferbauten entſtandenen Sümpfe bei großer Hitze
Dünſte entſenden müſſen, die den Einwohnern des nahen Bruſſa
verderblich werden, ſo oft die Luftſtrömung dieſen zugewendet iſt.
Daher herrſchen Wechſelfieber dort auch im Spätherbſte häufig,
deren Vorkommen ſich ſonſt, bei der erhabenen und trockenen Lage
der Stadt auf Kalktuff kaum erklären laſſen würde. Eine intelli-
gente Regierung würde wahrſcheinlich bald im Stande ſein, den
verſumpften Boden wieder in fruchtbares Land umzuwandelu.
Nachdem das erwähnte Flüßchen unſern Weg verlaſſen hatte,
traten wir in das weite reiche Thal von Bruſſa ſelbſt ein. Die
Pflanzungen von Maulbeerbäumen, die wir bereits von Isnik her
in der Nähe bewohnter Häuſer faſt allenthalben getroffen hatten,
wurden von jetzt an umfangreicher und deckten, beſonders in der
Nähe der Stadt, einen anſehnlichen Theil des Feldes. Dieſe Bäume
werden trefflich gepflegt; für den Gebrauch ſchneidet man die jungen
Zweige ab und verkauft ſie bündelweiſe mit den Blättern. Schon
hieran konnte man erkennen, daß Seidenfabrikation und Handel die
Hauptbeſchäftigung der hieſigen Induſtriellen abgeben. Außerdem
fanden wir noch viel Mais und Hanf auf dem Felde. Unabſehbare
Stoppelfelder zeigten uns außerdem, daß das Thal dem Getreidebau
vorzugsweiſe dient. In Deutſchland würde man um dieſe Jahres-
zeit den Schooß der Erde an vielen Stellen durch den Pflug ſchon
wieder aufgeriſſen gefunden haben. Hier war davon keine Spur
7es
– 154 –
zu entdecken; man begnügt ſich mit einer Sommererndte und düngt
nicht. Nächſtdem wird der Weinbau nicht blos an der Anhöhe,
ſondern auch in der flachen Ebene ſchwunghaft betrieben. Ich ſah
weite Felder mit Reben bedeckt. Die Trauben fand ich hernach
ungemein zuckerhaltig, die Beeren dickhäutig, länglich; von der
Würze des Muskatellers iſt in ihnen nichts bemerkbar. Der Wein
von Bruſſa iſt feurig und gelinde zuſammenziehend. Er iſt zu Con-
ſtantinopel ſehr beliebt und wird dort in großen Quantitäten con-
ſumirt. Der Oelbaum gedeiht am Fuße des Olymps ſelbſt nicht;
erſt in der Nähe des Meerufers, am Golfe von Gemlik und
Mudania ſieht man ihn üppig vegetiren. Noch viel weniger kann
hier eine Citrone oder Orange im Freien ausdauern. Die Feigen-
bäume erreichen jedoch einen anſehnlichen Umfang und liefern gute
Früchte.
Schon von der Höhe des Gebirgszuges bei dem Dorfe Dim-
boſar hatte ich den bithyniſchen Olymp vor mir geſehen; ich hatte
von dort aus zwölf Spitzen deſſelben gezählt. Aber erſt von dem
Austritte aus dem Dorfe Keſtel an lag er in ſeiner ganzen Ma-
jeſtät vor mir. Gegen das Thal von Bruſſa hin bildet das Ge-
birge einen flachen Kreisabſchnitt, deſſen beide Endpunkte gegen die
Ebene herabgebogen erſcheinen. Eine beide Endpunkte ſchneidende
gerade Linie ſtreicht von Nordweſt nach Südoſt, oder genauer von
Weſtnordweſt nach Oſtſüdoſt. Zahlreiche Vorhügel treten aus der
Concavität des Kreisabſchnittes hervor; die einzelnen werden durch
Schluchten von einander getrennt, mittelſt welcher kleine Bergſtröme
dem Thale zueilen; in der gegenwärtigen Jahreszeit waren ſie je-
doch, mit geringer Ausnahme, ausgetrocknet. Der erſte jener Vor-
hügel, der ſich dem von Nordweſt herkommenden Wanderer dar-
bietet, trägt an ſeinem Fuße das Dorf Keſtel. Ein oberhalb
dieſes Dorfes, in kurzer Entfernung liegender Gebirgsvorſprung
zeigt die Ruinen eines feſten Schloſſes. Eine Volksſage nimmt
an, daß es dieſes Schloß geweſen ſei, welches Hannibal be-
wohnte, als der König Pruſias von Bithynien den Römern ge-
ſtattete, ſeinen Gaſtfreund und Heerführer dort wo möglich heraus-
zuholen. Dieſe Sage wird jedoch durch keine hiſtoriſche Thatſache
beſtätigt; der Umſtand, daß Hannibal in dem weit entfernten
alten Libyſſa, da, wo heute Malſum, begraben liegt, macht ſie
ſogar ſehr unwahrſcheinlich. In der Nähe des ſüdöſtlichen End-
– 155 –
punktes des Kreisabſchnittes liegen die berühmten heißen Quellen
von Bruſſa, eine halbe Stunde lang neben der großen Landſtraße
ſich hinziehend. Sie entſpringen aus demſelben Kalktuff neuer For-
mation, der den anſehnlichen Vorhügel bildet, auf welchem die Stadt
Bruſſa ſelbſt liegt. Letzterer tritt aus der concaven Linie etwas
hervor, jedoch bei weitem nicht in dem Grade, wie v. Hammer
dies gezeichnet hat. Die Lage dieſes wichtigen Vorhügels kann
näher ſo beſtimmt werden, daß er den Punkt einnimmt, in welchem
ſich das mittlere Dritttheil der oben angenommenen Linie mit dem
ſüdöſtlichen Drittheil verbindet. Hr. v. Prokeſch, der ſich der
Stadt von Süden her näherte, ſpricht ſich über den Eindruck, wel-
chen der Anblick des Fußes des Olymp hervorbringt, ſo aus:
„Wenige Bergketten ſind ſo rein geſchwungen, als dieſe;
ich weiß ihnen nur den Abfall des Anchesmos an die
Seite zu ſetzen“*). Mehrere Reiſende haben die vorzügliche Lage
von Bruſſa nur mit der der beiden Städte Damaskus und Gra-
nada vergleichen zu dürfen geglaubt, worüber mir kein Urtheil zu-
ſteht. Wohl aber darf ich nach eigener Anſicht den Ausſpruch ver-
theidigen, daß wenige Städte ſich zur Aufnahme eines Herrſcher-
ſitzes mehr eignen möchten, als Bruſſa, ſofern man die unmittel-
barſte Nachbarſchaft des Meeres hierbei entbehren will. Die Ent-
ſernung deſſelben beträgt hier 5–7 Stunden, wie man ſie heutigen
Tages durch Eiſenbahnen und Dampfkraft faſt zum Verſchwinden
bringen kann. Den ungefähr 8000 hohen rieſigen Berg im Rücken
ſchwebt der Fuß ihres Felſenbodens gerade hoch genug über der
Ebene, um ſich mit ihr nicht zu vermiſchen, ſie deutlicher alſo zu
beherrſchen. Der Felsabhang, welchen ſie bedeckt, iſt nur dort
ſteil, wo die jetzt durch Erdbeben in Ruinen geſtürzte feſte Cita-
delle liegt. Kaum gibt es einen Punkt der Stadt, von welchem
aus man nicht die etwa ſechs Stunden lange nud zwei Stunden
breite Ebene zu überſchauen vermöchte. Sie würde, etwa mit
deutſchem Fleiße cultivirt, einen ununterbrochenen Garten darſtellen,
der dann der Stadt einen Vordergrund darbieten müßte, wie ihn
die Phantaſie ſich kaum reicher vorſtellen könnte. Einen Vorgeſchmack
erlangt man ſchon durch die üppigen Maulbeer-Pflanzungen der
unmittelbaren Nachbarſchaft des Ortes, ſo wie durch ſeine coloſſalen
*) Denkwürdigkeiten. Bd. III. S. 82 u. f.
– 156 –
Platanen und Cypreſſen. Der die Ebene der Länge nach durchſtrö-
mende Nilufer würde, wenn ſeine Zuflüſſe gehörig regulirt wür-
den, es jener Ebene ſelbſt im heißeſten Sommer nicht an dem erfor-
derlichen Bewäſſerungsmaterial fehlen laſſen. Das Katerlü-Ge-
birge, eine Fortſetzung des Argan thonios, welches die weſtliche
Seite des Thales vom Meere ſcheidet, beſchützt die Ebene nicht
blos gegen Seeſtürme, ſondern gibt der von Bruſſa aus geſehenen
Landſchaft durch ſeine maleriſchen Linien auch einen unvergleichlichen
Hintergrund.
Wir hatten bei der Annäherung an Bruſſa auf der Land-
ſtraße eine Anzahl von ausgetrockneten Bergſtrömen überſchreiten
müſſen, die jetzt mit Steingerölle ausgefüllt waren. Nur einer
derſelben fand ſich überbrückt, vielleicht nur darum, weil ſein Strom
während des Schmelzens des olympiſchen Schnee's zu heftig iſt,
als daß er von Laſtthieren durchwatet werden könnte. Die vor-
handene Brücke beſtand aus locker zuſammengefügtem Holzwerk,
deſſen obere Fläche man mit einem möglichſt ſchlechten Steinpflaſter
bedeckt hatte. Es läßt ſich nicht bezweifeln, daß hier während der
Winterzeit oder an finſteren Abenden zahlreiche Unglücksfälle vor-
kommen müſſen. Erwägt man, daß wir eine der lebhafteſten Hau-
delsſtraßen Aſiens vor uns haben, die außerdem der Hauptſtadt des
Reiches nahe genug liegt, ſo muß man über die barbariſche Rück-
ſichtsloſigkeit der Regierung gegen die Staats-Angehörigen billig
erſtaunen. – Von der Stadt ſelbſt kamen mir zunächſt einige große
Moſcheen des ſüdlichſten Endes derſelben zu Geficht. Wir waren
dem Orte bereits ziemlich nahe, als er ſich in ſeiner ganzen Aus-
dehnung darſtellte. Die zahlreichen Ziegeldächer, die vielen Mo-
ſcheen, zuſammengeſtellt mit den Ruinen des alten Schloſſes auf der
Höhe, gewährten mir von der Ferne aus einen impoſanten Anblick.
Aber das „Meer von Minarets“, deſſen ältere Reiſende erwähnen,
war verſchwunden. Das Erdbeben von 1855 hatte ſie fämmtlich
umgeſtürzt. Man ſchien nicht geſonnen, ihre Spitzen wieder auf-
zurichten; der Schaden, welchen ſie im Sturze den Moſcheen und
Häuſern zugefügt hatten, war zu anſehnlich. Dieſe ſchlanken hohen
Bauwerke wichen den Erſchütterungen früher als alle andern.
Kurz vor 6 Uhr wendeten wir uns aus den dichten Maul-
beerpflanzungen der Anhöhe zu, indem wir den Gaſthof des Hrn.
Giuſeppe Loſchi zu gewinnen trachteten, der damals als der vor-
– 157 –
züglichſte in Bruſſa galt. Er liegt im Südtheile der Stadt auf
einer Anhöhe; die Ausſicht aus den Fenſtern meines zwei Treppen
hoch gelegenen geräumigen Zimmers auf die von der allmälig unter-
gehenden Sonne beleuchteten Gebäude der Stadt und auf die vor mir
ausgedehnte Ebene war eine ſo höchſt anziehende und überraſchende,
daß ſelbſt der Ruf zur Tafel mich nur ſchwer von ihr zu trennen
vermochte, obgleich nach ſo langem Ritte die Natur ihr Anrecht
auf eine ſolche Einladung längſt ſchon laut genug geltend gemacht
hatte. Glücklicherweiſe bot der Tiſch meines italieniſchen Wirthes
Entſchädigung für die unausgeſetzten Entbehrungen meines aſiati-
ſchen Ausfluges dar. – Ein zweiter Gaſthof, der von einem Deut-
ſchen, Hrn. Stock, eingerichtet worden iſt, liegt weniger angenehm,
auch ſoll ſein Beſitzer zur Zeit ſich mehr mit Weincultur be-
ſchäftigen. -
Am 9. Oktober erſtieg ich vor allen Dingen die Ruinen des
uralten feſten Schloſſes von Bruſſa, um von dieſem hochgelegenen
Punkte aus einen vollſtändigen Ueberblick über die Stadt und ihre
Umgebung zu erhalten. Der von Süden aus hinaufführende Weg
verläuft etwas weniger ſteil als der nördliche, zieht ſich aber länger
hin. – Auf dieſem Wege kam ich an einer großen Filanda vow-
über, in welcher Seidencocons abgehaspelt wurden; ich trat in die
offen ſtehende Thür ein. Es waren hier 56 in zwei Reihen auf-
geſtellte kleine Räder in Bewegung, die durch Waſſerkraft vermittelt
wurde. An jedem dieſer Räder war ein junges Mädchen angeſtellt.
Nur wenige von dieſen Arbeiterinnen hatten das Geſicht verhüllt
und erwieſen ſich dadurch als Türkinnen; die übrigen waren der
Mehrzahl nach Armenierimen, in der Minderzahl Griechinnen. Die
erſteren zeichneten ſich vor den letzteren durch etwas höhere kräftigere
Körpergeſtalt aus; ein gewiſſer Ernſt breitete ſich über die meiſtens
regelmäßigen Geſichtszüge der jungen Weſen aus, wie er in dieſem
Lebensalter ungewöhnlich iſt; das große ſchwarze Auge und die
bleiche Geſichtsfarbe erinnerten mich an die Venetianerinnen, aber
der belebende Glanz der venetianiſchen Augen fehlte. Vielleicht iſt
der Druck der täglichen mechaniſchen Arbeit hier zum Theil im
Spiele, aber der größere Theil davon iſt über das geſammte ar-
meniſche Volk ausgebreitet. Eine dieſer Armenierinnen, deren ſchlan-
ker hoher Wuchs uud die ſtreng regelmäßige Geſichtsbildung an den
rein kaukaſiſchen Typus erinnerten, wäre ſicher für jeden Künſtler
– 158 –
ein willkommenes Modell geweſen. – Jene Filanda gehört der Re-
gierung; der Aufſeher erbot ſich, mich in allen Räumen des gegen-
überliegenden größern Fabrikgebäudes herumzuführen, was ich jedoch
ablehnte, da mir die Sachkenntniß"in dieſen Dingen fehlt. – Die
erſte Veranlaſſung zur Anlegung ſolcher Seidenfabriken mit vervoll-
kommneten mechaniſchen Apparaten hat ein Hr. v. Muralto aus
Zürich, in Verbindung mit Hrn. Falkeyſen aus Baſel gegeben;
ihre Fabrik brannte indeſſen ab. Den erſten Verſuchen folgten aber
bald mehrere. Ein armeniſcher Banquier von Conſtantinopel förderte
dieſe Fabrikation zunächſt, machte jedoch Banquerut, und ſo gelangte
ein Theil derſelben in die Hände der Regierung, welcher der Ar-
menier Summen ſchuldig geblieben war. – Während des Erdbebens
von 1855 wurde eine ſolche Filanda, die des Hadſchi Anaſtaſu,
in welcher 28 junge Mädchen arbeiteten, ſammt dem Eigenthümer,
einem Armenier, durch einen herabſtürzenden Felsblock bedeckt. Von
Allen rettete ſich nur ein Mädchen, welche ausſagte, daß nach dem
erſten ſchwächeren Stoße die Arbeiterinnen den Herrn gebeten hätten,
ſie zu entlaſſen, aber vergebens. Alle fielen dieſer Hartnäckigkeit
zum Opfer. – Die Seidenfabrikation iſt der Haupt-Erwerbszweig
von Bruſſa und für alle nahe gelegenen Orte, bis zu anſehnlicher
Entfernung. Ich beſuchte ſpäterhin einen in der Stadt belegenen
Beſeſtan, welcher dem Seidenhandel ausſchließlich dient. Hier fand
ich bedeutende Maſſen von geſponnener roher Seide aufgethürmt. Da
nicht leicht ein Ausländer dieſe Hallen betritt, als nur zu Handels-
zwecken, ſo beſtürute man mich von allen Seiten mit Kaufanträgen.
Das Geſchäft ging damals, wie man mir ſagte, flau, und ein ſpe-
culativer Handelsmann würde in dieſem Augenblicke vortheilhafte
Geſchäfte haben treiben können. Die leichteren Gewebe von Bruſſa
werden wegen ihrer Solidität und Eleganz ſehr geſucht. Ich ſah
zwei lange Reihen von Buden, in denen Seidenwaaren lagern; jede
einzelne jedoch nur von geringerem Umfange. Der Hauptſtapelplatz
für dieſe Waaren bleibt freilich Conſtantinopel.
Das Erſteigen des Felſens, welcher die Ruine der Citadelle
trägt, gewährte mir reiche Gelegenheit, die Wirkungen der beiden
Erdbeben vom 28. Februar und 11. April 1855 zu beobachten.
Einzelne ſchwache Stöße haben ſeitdem von Zeit zu Zeit fortgedauert;
den letzten bemerkte man vor drei Wochen. – Gewaltige Maſſen
des lockeren Kalktuffs, der verſchiedenen Abſtufungen des Vorhügels
– 159 –
des Olymp, auf welchen Bruſſa erbaut iſt, haben ſich losgelöſt,
indem ſie entweder die auf ihnen erbauten Häuſer mit ſich nach
abwärts riſſen, oder die unten ſtehenden begruben. Man zeigte mir
eine ſolche gewaltige, an einer Straße unterhalb des Haupteingangs-
Thores zu dem ehemaligen Schloſſe liegende Maſſe, unter welcher
ein kleines Haus mit fünf Menſchen ſo tief vergraben wurde, daß
man bis jetzt noch nicht daran hat denken mögen, die deckenden
Felstrümmer fortzuräumen. Ein daneben ſtehendes Haus war weniger
tief verſchüttet worden; man war ſo eben beſchäftigt, es in leichtem
Holzbaue an derſelben Stelle von neuem zu errichten. – An der Süd-
ſeite des alten Schloſſes ſah ich die ſüdliche Seitenhälfte eines alten
runden Thurmes, deſſen Mauern mingeſtens 6' dick waren, von der
nördlichen Hälfte durchweg bis unten losgeriſſen und in der Richtung
nach Süden queer über den Weg geſtürzt. Die auseinandergeriſſenen
Mauerflächen gaben eine treffliche Muſterkarte aller der Steinarten,
deren man ſich ſeit den älteſten Zeiten, vielleicht ſeit denen des
Königs Pruſias und Hannibal's, zum Bauen bedient hat. Die
ſorgloſe Bauart des Thurmes läßt ſchließen, daß wir es hier mit
einem türkiſchen Bauwerke zu thun haben, welches alſo mindeſtens
nach 1326 geſchaffen worden ſein muß. Die Türken haben be-
kanntlich ſtets das Material älterer Bauwerke nach Möglichkeit
zu ihren Werken benutzt, ohne dabei irgend eine Rückſicht auf Kunſt-
werth oder auf religiöſe Beſtimmung deſſen, was ihrem Zwecke die-
nen ſollte, zu nehmen. So findet ſich z. B. in der umgeſtürzten
Mauerhälfte ein Stück basreliefartig bearbeiteten Marmors, den
ich nach der Art des Glanzes auf ſeinem Bruche für pariſchen
halten möchte. Leider hielt der alte Mörtel es ſo feſt, daß meine
ſchwachen Verſuche, es loszubringen, vergeblich blieben. – Eine
dieſem Thurme gegenüber in Trümmern liegende Moſchee war da-
gegen theils in ſich ſelbſt, theils nach Norden umgeſtürzt. Es war
dies die Moſchee Murad I. im Hiſſar (Schloſſe), die einen ſehr
bedeutenden Umfang beſaß. Ihr Flächeninhalt nimmt genau eine
beſtimmte Anzahl Arſchinen (oder vielmehr das türkiſche D Flächen-
Maaß in Steinplatten) ein; für ſtreitige Fälle galt das hier ge-
brauchte Quadratmaaß zur Entſcheidung. Eben ſo befand ſich dort
ein in Stein ausgehauenes Brod, welches den geſetzmäßigen Brod-
umfang andeutete. Bei dieſer Moſchee hatte man noch keinen An-
fang zum Aufräumen des Schuttes gemacht. In der nordöſtlichen
– 160 –
Hälfte der Schloßruine hat man einen Garten angelegt, durch wei-
chen man auf die äußerſte, gleichſam über die Stadt hängende Spitze
derſelben hingelangt. Von dieſer aus ſieht mau faſt ſenkrecht auf
den mittleren ſehr ſchmalen Theil der Stadt, zugleich aber auch auf
die breiteren und volkreicheren beiden Seitenhälften derſelben hinab,
endlich noch auf das gegenüberliegende Katerlü-Gebirge. Für
den, der nicht etwa den Olymp ſelbſt zu erſteigen gedenkt, gibt es
uur dieſen einen Punkt, der das vollſtändige Panorama von Bruſſa
in allen ſeinen Theilen zugleich überſehen läßt. Die Mineralbäder
ſchließen es weſtlich und einige domartige Moſcheen öſtlich ab. Kein
Theil der etwa 2", Stunden lang ſich hindehnenden Stadt kann von
hier aus dem Blicke entgehen; man muß die richtige Wahl deſſen, der
das Schloß zuerſt hier anlegte, preiſen; der Sage nach war es
Hannibal. – Leider wird der hohe Genuß, der ſich von hier aus
darbietet, durch die Betrachtung getrübt, daß man auf einer ſehr
unſicheren Mauer-Hevorragung ſteht, die von dem übrigen Gemäuer
durch einen mehrere Fuß breiten Riß getrennt iſt, den man mit
einigen wankenden ſchwuchen Brettern überdeckt hat. Doch ſtehen
auf jenem Vorſprunge neben einer Flaggenſignalſtange zwei Dreipfünder
auf Laffetten, auch liegeu außerdem noch etwa acht eiſerne Geſchütz-
röhren am Boden; bei der hier allenthalben vorherrſchenden grän-
zenloſen Sorgloſigkeit würde man indeſſen aus ſolchen Dingen kei-
neswegs auf irgend eine Sicherheit des Standpunktes ſchließen
dürfen. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß der nächſte einiger-
maßen bedeutende Erdſtoß das bereits überhängende Gemäuer auf
die tief unten liegenden, unglücklichen Häuſer hinabſtürzen wird. –
Bei weiterer Fortſetzung meines Weges nach Oſten gelangte
ich zu dem Hauptthore des alten Schloſſes, wahrſcheinlich der
Porta triumphalis. Es iſt aus weißem Marmor im römiſcheu
Rundbogenſtyle erbaut und anſehnlich hoch. Den Türken erſchien
es für ihre Laſtthiere und kleinen Karvanen viel zu erhaben und ſo
haben ſie es denn für paſſend erachtet, innerhalb einen flach gewölbten
Bogen herüber zu ſchlagen und Ziegelgemäuer darauf zu pflanzen,
welcher nun eine türkiſche Inſchrift dem Beſchauer entgegen hält,
die wahrſcheinlich die Stelle der urſprünglichen alten Infchrift ver-
treten ſoll. Rechts und links neben den Thorpfeilern befinden ſich
anſehnliche Marmorquadern, die ſich durch die letzten Erdbeben nicht
im Geringſten verrückt haben. Dagegen hatte man unter rechtem
– 161 –
Winkel von dieſen beiden Thorſeiten rechts und links zwei Mauern
in ſpäterer Zeit abgehen laſſen, deren Arbeit freilich traurig abſticht
gegen den alten Marmorbau. Beide ſind zuſammengeſtürzt und haben
tiefer ſtehende Häuſer zerſchmettert. – Ein kleiner nach Weſten ge-
wendeter Theil der Schloßruine zeigt noch heute eine aus viereckigenge-
brannten Ziegeln nach römiſcher Art angebrachte ſolide Mauerbekleiduug.
Will man ſich indeſſen einen richtigen Begriff von der maſſen-
haften Zerſtörung verſchaffen, welche Bruſſa durch die Erdbeben
von 1855 erlitten hat, ſo muß man die Moſcheen, die Beſeſtaus und
die großen Chans (türkiſchen Wirthshäuſer) beſuchen.
Die mit Recht ihres rein arabiſchen Bauſtyls wegen berühmte
Hauptmoſchee Ulu-Dſchami, welche der erſte türkiſche Eroberer
Orch an ſchon anfing zu bauen, hat ihre zwanzig Dome, ſowie die
Spitzen der Minarets verloren. Jene ſchienen, ſo viel ſich jetzt
noch beurtheilen läßt, in ſich ſelbſt zuſammen geſunken zu ſein.
Ulu-Dſchami hatte 20 Dome, je fünf in vier Reihen hinterein-
ander, – nicht 25, wie Hr. v. Hammer irrthümlich gezeichnet hat.
Die nördliche Umfaſſungsmauer, mit dem Hauptthore, ſowie die
ſüdliche, trugen fünf, die öſtliche und die weſtliche jede vier Dome.
Der Hauptdom lag alſo nicht in der Mitte des Ganzen, ſondern
er war der mittlere in der zweiten Reihe von Norden her. Die
öſtlichen und weſtlichen Dome ſind immer die kleinſten, dann folgen
etwas größere, der mittlere iſt ſtets der größte. – Die vier mächtigen
Pfeiler der ſechs mittleren Dome, die auch zugleich den Hauptdom
tragen und welche in kleinem Maaßſtabe denen der Peterskirche in
Rom ähnlich ſind, blieben vom Erdbebeu unangetaſtet. Das Ge-
bäude bildet ein längliches Viereck. Der mittlere große Dom der
zweiten Reihe von Norden her, übertraf alle übrigen an Umfang
und Höhe; er war nur mit Gitterwerk bedeckt und ließ alſo den
atmoſphäriſchen Niederſchlag durchdringen. Ihm entſprechend war
deshalb auf dem Boden der Moſchee ein Waſſerbehälter mit zier-
licher Umfaſſung angebracht; letztere war jetzt zerſtört. Dieſe mäch-
tichen Gewölbe ſind ſämmtlich ſo zuſammengeſtürzt, daß man jetzt
von innen heraus den blauen Horizont durch eben ſo viele runde
Decken-Oeffnungen gewahr wird. Doch iſt man zur Zeit fleißig
beſchäftigt, das herrliche Gebäude wieder herzuſtellen. Drei Dome
der ſüdlichen Umfaſſungsmauer ſind ſogar ſchon wieder aufgebaut,
einer derſelben auch bereits wieder mit Blei gedeckt. Ob und
– 162 –
welche Riſſe in den Umfaſſungsmauern vorhanden geweſen ſind,
läßt ſich jetzt, da die Reparatur vorſchreitet, nicht mehr beurtheilen. –
Die Fenſter- und Thür-Oeffnungen ſtellen in ihren oberen Ab-
ſchnitte Rundbogen dar, die in der Mitte wenig bemerkbar nach oben
zugeſpitzt erſcheinen. – Dieſe Moſchee liegt im Innern der Stadt,
nicht außerhalb, wie die meiſten andern anſehnlichen Moſcheen.
Die gewölbten Decken der Beſeſtane ſind allenthalben, wo ſie
aus Mauerwerk beſtanden, zuſammengeſtürzt und haben zahlreiche
Waarenlager mit niedergeriſſen. Man iſt jetzt beſchäftigt, ſie aus
leichtem Holzwerk wieder herzuſtellen. Die meiſten Bazar-Buden,
die immer aus Holz gebaut waren, ſind bereits wieder aufgerichtet;
mehrere liegen jedoch auch noch zerſtört.
Der größte Chan von Bruſſa iſt in ſich ſelbſt zuſammenge-
ſtürzt. Man hatte noch keine Hand an ihn gelegt, obgleich ſeine
Umfaſſungsmauern großentheils ſtehen geblieben ſind. Es iſt dadurch
Gelegenheit gegeben, die innere Einrichtung eines ſolchen Gebäudes
genauer kennen zu lernen. Eine Treppe hoch lag an einem inner-
lich rings herumlaufenden Corridor eine Anzahl kleiner Kammern,
die zur Aufnahme von Reiſenden beſtimmt waren. Die Lage mitten
zwiſchen den frequenteſten Bazar's deutet darauf hin, daß wohl in
der Regel nur Kaufleute davon Gebrauch machten.
Eine beträchtliche Zahl umgeſtürzter Privathäuſer iſt entweder
ſchon wieder hergeſtellt, oder man iſt im Begriff, ſie wieder auf-
zubauen. Nur ihr Fundament, bis zu geringer Höhe über der Erde,
beſteht aus Bruchſteinen; der Oberbau, oft von zwei oder drei Stock-
werken, wurde aus Holz hergeſtellt, ſeine hölzernen Seitenwände mit
Lehm verſtrichen und abgeputzt. Man liebt lebhafte Farben und ſo ſieht
man viele Häuſer karmin- oder violett-roth, andere ultramarinblau,
noch andere orangegelb angeſtrichen. Im Ganzen geben dieſe vielen
neuen Häuſer mit ihren rothen Ziegeldächern und Glasfenſtern der
Stadt ein zierliches Anſehen, welches ſie in dieſem Grade vor dem
Erdbeben gewiß nicht beſaß. Wer Bruſſa einige Jahre ſpäter ſollte
beſuchen wollen, wird ſchwerlich mehr im Stande ſein, ſich noch
einen richtigen Begriff von der durch daſſelbe hervorgebrachten maſ-
ſenhaften Zerſtörung zu bilden. Nur die zahlreich eingeſtürzten Mo-
ſcheen werden wahrſcheinlich noch am längſten Zeugen der über ſie
hereingebrochenen furchtbaren Kataſtrophe bleiben.
Ueber die Zahl der durch die Erdbeben Umgekommenen lauten
– 163 –
die Angaben ſehr verſchieden. Hr. Falkeyſen ſchlägt ſie auf 500
an. In der erſten Beſtürzung hatte man von 4–5000 Getödteten
gefabelt*).
Zu meinem Erſtaunen war man in einer Hauptſtraße beſchäf-
tigt, ſie neu zu pflaſtern, freilich nach weſteuropäiſchen Begriffen
ſchlecht genug; ſie führt durch das Viertel der Hebräer. Die Ab-
zugsrinne befindet ſich bei hieſigen Straßen ſtets in der Mitte. Ob-
gleich es ſehr lange nicht geregnet hatte, ſo waren doch viele Stel-
len der Art mit Koth gefüllt, – natürlich, weil Jeder ſich heraus-
nimmt, ſein unreines Waſſer auf die Straße zu gießen. Man
ſchlachtet außerdem in der Stadt; das Blut der Thiere läuft dem-
nach mitten durch belebte Straßen.
An der Polizei der Straßen, der Lebensmittel, der Wege, der
Forſten, der Arzneimittel, der Gewerbe u. ſ. w. – fehlt es gänzlich.
Jeder mag es treiben, ſo gut es eben geht. Waldbrände entſtehen
ungemein häufig und verzehren beträchtliche Strecken der Forſten. Ein
ſolcher Waldbrand griff vor nicht langer Zeit bis nahe an Bruſſa
um ſich, welches bereits davon Gefahr lief. Von Gränzen ſetzen
iſt hierbei keine Rede. Iſt doch Allah groß! – Jedermann kann
aber im Walde Feuer anzünden, wo es ihm beliebt, auch im Nadel-
holze; die Viehhirten am Olymp ſtehen ſogar in Verdacht, ſolche
Waldbrände abſichtlich zu erregen, damit ihre Heerden um ſo freiere
Weideplätze gewinnen. Bei einer ſo unverantwortlichen Wirthſchaft
wird der Olymp alljährlich ärmer an Bäumen. Er muß auch jetzt
den Bedarf zu den vielen Neubauten liefern; jeder holt ſo viel
davon, als er zu brauchen gedenkt. Da man keine ſchweren Balken
zu den leichten Bauten benutzt, ſo ſind es die jungen ſchlanken
Stämme, welche man vorzugsweiſe abhaut; man pflegt einfach ſechs
bis acht dergleichen einem Laſtthiere an jede Seite des Packſattels
zu befeſtigen, welche nun die Bänme, die großentheils ſchon im
Groben behauen ſind, nachſchleppt. Dergleichen Zügen begegneten
wir häufig. Man geht alſo gleichſam abſichtlich darauf aus, den
jungen Nachwuchs gründlich zu zerſtören.
Am 10. Oktober ſuchte ich Hrn. Dr. Thirk auf, der hier
ſeit zwölf Jahren als praktiſcher Arzt wirkt. Aus Siebenbürgen
gebürtig, hat er in Erlangen ſtudirt und promovirt. Er ließ ſich
*) S. Beilage zur Augsburger allg. Zeitung vom 28. März 1855. Nr. 27.
– 164 –
zunächſt in Conſtantinopel nieder, ſiedelte für kurze Zeit nach Bruſſa
über, begab ſich dann aber nach Bukareſcht, wo er zum Mitgliede
des aus fünf Perſonen beſteheuden Medicinalcomités ernannt wurde.
Der Widerwille gegen die dortige Bojarenwirthſchaft trieb ihn in-
deſſen von dort wieder zurück nach Bruſſa. Er beſitzt jetzt ein Haus
mit Garten in der nordöſtlichen Vorſtadt des Ortes. Zugleich hatte
er ſeit einem Jahre eine kleine Apotheke im Centrum der Stadt
angelegt, weil er Urſache fand, mit den von den Apothekern gelie-
ferten Droguen unzufrieden zu ſein. Ich erkannte in ihm einen trefflich
unterrichteten Arzt, dem ich für viele ſchätzenswerthe Mittheilungen
über Bruſſa und deſſen Einwohner ſtets dankbar verpflichtet bleiben
werde. Die langjährige Kenntniß der Lokalität, der Einwohner und
ihrer Sprachen ſetzte ihn hiezu beſonders in den Stand.
- Herr Dr. Thirk iſt hinſichtlich des mehrfach erwähnten Erd-
bebens Berichterſtatter für die allgemeine Augsburger Zeitung*)
geweſen. Zu jenem ausführlichen Berichte dürfte aus ſeinen No-
tizen hierüber noch Folgendes hinzugefügt werden können. – Am
28. Februar 1855 war Nachmittags ein Gewitter geweſen; es
reguete heftig. Plötzlich ertönte ein rollendes Geräuſch, welches
die Richtung von Süd-Weſt nach Nord-Oſt nahm. Sein Haus,
in deſſen erſtem Stockwerke er ſich befand, wurde in derſelben Rich-
tung ſchwach bewegt. Bald darauf kam ein zweiter heftigerer Stoß,
der ihn und ſeine Familie nöthigte, das Haus raſch zu verlaſſen.
Er glaubt, daß die Atmoſphäre hierbei etwas dunkler geweſen ſei.
Ein Blick nach abwärts gegen Weſten belehrte ihn, daß die Mina-
ret's der dortigen Moſcheen bereits eingeſtürzt waren. Ein an das
Haus anſtoßender ſolide aufgemauerter Thurm erwies ſich ſo be-
ſchädigt, daß er nachher abgetragen werden mußte. – Viel zer-
ſtörender wirkte aber das am 11. April wiederholte Erdbeben. Bei
dieſem ließ ſich keine waagrechte Bewegung nachweiſen, vielmehr
ſchien die unterirdiſche Macht ſich vertical von unten nach oben zu
entladen. – Das Haus wurde hin und her gerüttelt. Deshalb
fielen auch die Dome der Moſcheen ſenkrecht herunter, die vier Um-
faſſungsmauern vieler Chans ſtürzten zu gleicher Zeit in ihren innern
Hof; die coloſſalen Mauern des alten Schloſſes, welche ſo vielen
Erdſtößen Jahrhunderte hindurch getrotzt hatten, wurden förmlich
*) S, Jahrg. 1855. Beilage zu Nr. 109. Seite 1737,
– 165 –
auseinander geriſſen. Von ihrem Felſengrunde löſten ſich enorme Blöcke
los, die wahrſcheinlich auch ſpätere Beſucher noch am Abhange zer-
ſtreut vorfinden werden. In Conſtantinopel verſpürte man an denſelben
Tage Nachmittags 3% Uhr, 30 Sekunden lang Erdſtöße. Daſſelbe
geſchah am 1. März Nachmittags 5 Uhr, 10 Sekunden lang; don-
nerartiges Rollen war voran gegangen. Man kam indeſſen hier
mit dem bloßen Schrecken davon. Umgekehrt verhielt es ſich vor
neunzig Jahren, wo die Hauptſtadt bedeutend litt, die Einwohner
von Bruſſa aber, indem ſie ſich mehrere Tage im Freien unter
Zelten aufgehalten hatten, mit geringem Nachtheile ausgingen. Das
Erdbeben vom 28. Februar ſcheint ſich von Caramanien bis Con-
ſtantinopel fühlbar gemacht zu haben. Auf Rhodus und in
Gallipoli ſtürzten zugleich Häuſer ein; an letzterem Orte kamen
dabei zwei Menſchen um. In Mualitſch und Kirmaſto fanden
gleichfalls bedeutende Zerſtörungen ſtatt. Bedauernswerth iſt be-
ſonders der Sturz der alten Moſchee Daud-Monaſtir, welcher
viele Türken das eigentliche Grab Osman's zuſchreiben. Sie war
nämlich urſprünglich eine 600 Jahre n. Chr. gebaute, der hl. Jungfrau
gewidmete griechiſche Kirche, welche die ſchönſte und größte nach der
Sophia geweſen iſt. – Man hatte in Bruſſa mitunter noch unter-
irdiſches Rollen gehört, als am 28. April 1855 des Morgens
früh erſt ein horizontaler und 20 Minuten ſpäter ein heftiger ver-
ticaler Stoß folgte. Zwei Minuten vor dem erſten heulten alle
Hunde fürchterlich, – zur Beſtätigung der alt bekannten Wahr-
nehmung, daß viele Thiere eine Art Vorgefühl hinſichtlich der nahe
drohenden gefährlichen Naturerſcheinung beſitzen. Aehnliches hat
man auch am Veſuv beobachtet und Hr. Bulwer hat daraus
Veranlaſſung genommen, ſeinem Romane „the last days of Pom-
peji“ die intereſſante Epiſode einzuflechten, gemäß welcher der zum
Kampfe mit einem Löwen verurtheilte Held ſeiner Geſchichte dem
ſichern Tode nur dadurch entrinnt, daß der ihm gegenüber losge-
laſſene Löwe ſich ängſtlich an den Boden ſchmiegt und wenige Mi-
nuten nachher der bekannte Ausbruch des Veſuv's erfolgte, welcher
Pompeji unter glühender Aſche begrub. – Ein heftigerer Erdſtoß des
Jahres 1855 wurde zu Bruſſa noch am 16. Mai verſpürt. In die
Zeit meines dortigen Aufenthaltes fiel das durch die öffentlichen Blätter
bekannt gemachte Erdbeben, welches in der Nacht vom 11. zum 12.
Oktober gegen 3 Uhr Morgens die Inſel Rhodus ſtark heimſuchte.
– 166 –
Ich kann verſichern, daß in dem gar nicht fernen Bruſſa keine
Spur davon bemerkt worden iſt. Doch hatte man hier von Zeit zu
Zeit während des Sommers noch ſchwache Stöße beobachtet, die
den bis dahin in Bruſſa wohnenden Abd-el-Kader veranlaßt
hatten, ſeine Reſidenz nach Damaskus zu verlegen. Gleich ihm
hatten viele Einwohner die Stadt verlaſſen. Ein Augenzeuge des
Ereigniſſes auf Rhodus berichtet*), daß dort die Schwankungen
von Nord-Weſt nach Süd-Oſt gingen, woraus ſich denn ergibt,
daß Bruſſa außerhalb der Längenaxe des erſchütterten Erdabſchnittes
liegen bleiben mußte, wohingegen in Cairo um dieſelbe Zeit deut-
liche, wenn auch nur mäßige Stöße wahrgenommen worden waren.
Und doch blieb damals in der Hauptſtadt der Inſel kaum ein Haus
unbeſchädigt, mehrere nahe Dörfer wurden total zerſtört und 60
Menſchenleben waren zu beklagen. – Im Herbſte 1856 ſchätzte
Hr. Thirk die Zahl der Bevölkerung von Bruſſa wieder an-
nähernd auf 50 bis 60,000. Etwas Genaueres läßt ſich hierüber
nicht augeben. Dr. Bernard **) gibt für das Jahr 1842 die
Einwohner auf 100,000 Türken, 6000 Armenier, 3500 Griechen
und 1200 Juden an; doch hält er die erſtere Zahl ſelbſt für
übertrieben.
Die große Mehrzahl der Einwohner wird auch heute noch
durch Türken gebildet. Ihneu zunächſt folgen an Zahl die Arme-
nier, dann die Griechen, endlich die Juden. Die Zahl der euro-
päiſchen Chriſten iſt unbedeutend; doch befinden ſich unter ihnen
mehrere, die durch Wohlhabenheit hervorragen.
Am 12. Oktober beſuchte ich die Ruinen des alten Schloſſes
zum zweiten Male, um die Ueberbleibſel der ehemaligen griechiſchen
Kathedrale zu betrachten. Der Eroberer Orchan hatte ſie in ein mäch-
tiges Mauſoleum für ſeinen Vater Osman, der unmittelbar nach
dieſer Eroberung ſtarb, ſowie für die nachfolgende Dynaſtie um-
wandeln laſſen. Die Türken hatten ſich die möglichſte Mühe ge-
geben, die zahlreichen griechiſchen Inſchriften und Kreuze wegzu-
meißeln, Mauern und Säulen aber weiß zu übertünchen, wie es
ihr Cultus fordert. Wie wenig ihnen das Unternehmen gelungen
iſt, erweiſt ſich jetzt nach dem Erdbeben. Kein Punkt Bruſſa's iſt
*) Weſtermann's illuſtrirte deutſche Monatshefte. April 1856. S. 35.
*) Les Bains de Brousse. Constantinople, 1842. pag. 67.
– 167 –
ſo ſehr geeignet, die furchtbare Wirkung des letzteren ermeſſen zu
laſſen, wie dieſes Gebäude. Es ſcheint vollſtändig zuſammengerüttelt
worden zu ſein. Die Fragmente der herrlichſten Säulen von
Porphyr, von Verde antico, weißem Marmor u. ſ. w. liegen
am Boden herum; zahlreiche Marmortafeln mit dem griechiſchen
Kreuze ſind dabei neuerdings zum Vorſcheine gekommen, erregen
aber die Aufmerkſamkeit der heutigen Türken nicht mehr. Mein
Dolmetſcher, der bald nach dem Erdbeben hier geweſen war, ver-
ſicherte, daß die anſehnlichſten Säulenſchäfte jetzt ſchon verſchwunden
ſeien. Das Gerücht ſagt, daß reiſende Engländer bei dieſem Ver-
ſchwinden nicht unbetheiligt geweſen ſeien; man ſoll dieſe koſtbaren
Ueberbleibſel an das Meer geführt und von dort weiter gebracht
haben. Seſtini beſchreibt noch die drei Schiffe der Kirche, den
mit Moſaik trefflich gezierten Fußboden und die Marmortafeln der
inneren Wandfläche.
Die erwähnten Gräber der Begründer der osmaniſchen Dynaſtie
ſind durch das großartige Naturereigniß vollſtändig aufgedeckt und den
Unbilden jeder Witterung preisgegeben. Das Grab Sultan Osman's
hatte man in dem Schiffe der ehemaligen Kathedrale errichtet; es ſteht
noch heute allein, indem der Körper von außerhalb hierher gebracht
wurde, ſeine Frauen und Kinder aber zurückblieben. Gegenwärtig iſt
der einfache Grabhügel nur äußerſt dürftig mit einem ſchlechten Zelte
überdeckt worden. Eine frühere Seitenkapelle der Kirche beherbergt noch
ein anderes hervorragendes Grab, welches zur Zeit völlig unbedeckt
dalag. Das Grabmal des zweiten Sultans, des Orch an, ſieht man
in einem benachbarten Raume, geſondert von jenem; es iſt von einer
Reihe Gräber ſeiner Familien-Mitglieder umgeben, theils von Er-
wachſenen, theils von Kindern. Orchan’s Ueberreſte fand ich nur
durch übergelegte Bretter ungenügend geſchützt. Die unverkennbare
Rückſichtsloſigkeit, mit der man die Stifter der osmaniſchen Dy-
naſtie hier noch ein und ein halbes Jahr nach dem Erdbeben be-
handelt, iſt ganz geeignet, in dem Beſchauer eine unheimliche Ahnung
hinſichtlich der ferneren Geſchicke dieſer Dynaſtie zu erwecken. Sie
hat die Ehrfurcht vor ihren tapfern und energiſchen Voreltern
eingebüßt, – denn ihr ſelbſt iſt die Energie abhanden gekommen.
In der Nähe des Südthores des alten Schloſſes fand ich noch
einen geringen Ueberreſt einer anſehnlichen Marmortafel an einer
Hauptmauer befeſtigt, welche das Basrelief eines Reiters zu Pferde
– 168 –
getragen hat, unter deſſen Füßen ſich ein unkenntlich gewordenes Thier
zu winden ſcheint, – alſo wahrſcheinlich ein St. Georg mit dem
Drachen. – Nach den ſehr umfangreichen Umfaſſungsmauern, welche
jetzt noch ſtehen, zu urtheilen, muß der innere Raum ein ſehr
anſehnlicher geweſen ſein. Einer alten Sage nach ſollen hier hundert-
tauſend Mann Platz gefunden haben. Wahrſcheinlich iſt es, daß ſich dieſe
unverbürgte Sage auf den von den Stadtmauern zugleich eingefaßten
Raum beziehen ſoll, der zur Zeit des Königs Pruſias allerdings
ein höchſt anſehnlicher geweſen ſein mag. Viele dieſer Mauern
laſſen durch ihre ſorgfältig behauenen Quadern keinen Zweifel an
ihrer altgriechiſchen Abkunft. Der ſüdöſtliche Theil dieſer Mauer
ſchützt jetzt zum Theil einige Maulbeerpflanzungen. Von ihnen aus
wendete ich mich in derſelben Richtung auf weichem Thonboden einem
am Fuße des Berges mit Stein umfaßten anſehnlichen Waſſerbecken zu,
welches das trefflichſte Quellwaſſer enthält. Ein offener Kanal leitet
es den Schloßruinen und von dort der Stadt zu. Aber längs des
Kanals waren Frauen beſchäftigt, ſchmutzige Leinwand zu waſchen;
daſſelbe Waſſer wird muthmaßlich in der Stadt zum Trinken benutzt.
Der auliegende feuchte Boden ernährte in dieſer ſpäten Jahreszeit
maſſenhaft Brunnenkreſſe in üppigſter Fülle. – Bei dem Hinab-
ſteigen in ſüdlicher Richtung paſſirte ich einen tiefen Felseinſchnitt,
offenbar ehedem durch einen ſtarken Bergſtrom ausgewaſchen. In
dieſem Augenblicke ſchlich nur ein ſchwacher Bach in ihm hin.
Am 10. Oktober beſuchte ich Hrn. Falkeyſen aus Baſel,
der ſich ſeit 20 Jahren hier aufhält. Er beſchäftigt ſich gegenwärtg
allein mit der Cultur des Wein's. Leider fand ich ihn ſchmerzhaft
leidend. Seine Familie wohnt ſeit dem Erdbeben in Conftantinopel,
er ſelbſt aber reiſte hin und her. Hr. F. war ſo freundlich,
mich durch ſeinen Kellermeiſter, einen Deutſchen, in die weit-
läufigen Keller einführen zu laſſen, die er in dem Kalktuff des
Berges hatte aushöhlen laſſen. Einer dieſer Keller war durch das
Erdbeben zuſammengeſtürzt und hatte unter feinen Trümmern
2O,000. Okka Wein begraben. Dieſe Keller ſind geräumig genug,
um ſich aufrecht darin bequem bewegen zu können. Sie ſind
außerdem kühl und ziemlich trocken. Der Führer ſagte mir,
daß die hier verwendeten großen Stückfäſſer aus Ungarn über
Peſth bezogen würden, indem hier kein dazu taugliches Holz zu
beſchaffen ſei; man könne hier nur kleine Fäſſer fertigen. Der älteſte
– WRS –
deº hier lagernden Weines war vom Jahre 1846 Die mir am
Faſſe davon gereichten Proben waren alle reich an Weingeiſt, an
Geſchmack, aber mehr ſcharf als lieblich Bom.rothen Weine ſind
zwei Sorten da, ein herber und ein ſüßer; der letztere ſchien mir
vorzüglicher. Man verſicherte, daß die dnukelrothe Färbung keines-
wegserkünſtelt ſei. Der weiße Wein iſt milder. Bei Hrn. Dr. Thirk
wurde mir ſpäter ein ſeit 20 Jahren lagernder Sect von gekochtem
hieſigen Weine vorgeſetzt, der mit dem Tokayer-Ausbruch viel Aehn-
lichkeit darbot. – Der Garten des Hrn. Falkeyſen erſtreckt ſich an
den Felſen hin, auf welchem das Schloß ruht, bis zu einem Punkte
in die Höhe, von dem aus man eine der ſchönſten Ausſichten in
Bruſſa genießt. Freilich darf man von hier aus nicht die Augen
nach aufwärts, nach dem überhangenden Schloßfelſen werfen; un-
willkührlich würde die Erinnerung an die Erdſtöße vege und die
Poeſie vielleicht durch den Wunſch verjagt werden, der entflohenen
Familie des Beſitzers folgen zu dürfen.
Längſt ſchon hatten mich zwei beſonders in die Augen fallende
Moſcheen am Nordende der Stadt angezogen, die außerhalb der
Häuſermaſſe um ſo deutlicher hervorragen. Der nächſte, zugleich
auch der angenehmſte Weg dorthin zieht ſich längs des Fußes des
Vorhügels im Thale, auf der Schne des flachen Kreisabſchnittes
hin, wenn man von dem Gaſthofe Loſchi auswandert. Ihm folgte
ich Morgens früh. Er führte mich zunächſt durch zahlreiche Maul-
beerpflanzungen, dann über einen weitläufigen Kirchhof, auf deſſen
zahlreichen Hügeln unzählige gelbblühende Herbſt-Crocus, Stéra-
bergia lutea, im vollen Floreſtauden. Helianthus tuberosus
bemerkte ich hier und da cultivirt. Die weiße Weide erreicht in
dieſem Thale, wenn mau ſie durch Abhauen ihrer Zweige nicht
verkrüppelt, eine Höhe von 40 und darüher. Leider hatte die Sommer-
hitza den größeren Theil der Vegetation bereits zum Abſterben gebracht;
dicht bebaubte Kaſtanien- und Nußbäume hatten jedoch hier und da
widerſtanden. In den Hecken fand ſich beſonders Poterium spino-
sum, Paliurus australis. Außerdem noch Jasminum fruticans,
Rhamnus Frangula, Convallaria Polygonatum, Tamarix gallica.
Der etwa anderthalb Stunden lange Marſch wurde Anfangs durch erfri-
ſchende Morgenkühle ſehr begünſtigt; umſo drückender machte ſich her-
nach die Mittagshitze geltend,– es war der 14. Oktober. Dem Ziele nahe
8
– 170 –
hatten wir das jetzt vollſtändig ausgetrocknete, breite Flußbett des
Gök-Dere zu überſteigen. Ein ganzes Meer von rundlich abge-
ſchliffenem Felsgerölle deckt den Boden. Dieſer Gök-Dere iſt der
anſehnlichſte unter den Bergſtrömen des Abhanges von Bruſſa. Er
kann zur Zeit des Schmelzens des Schuees, oder, wenn ſtarke Ge-
witterregen im Olymp fallen, plötzlich im Uebermaße anſchwellen
und dann wüthend ſeine Wogen der Ebene und dem dort vorüber-
ziehenden Nilufer zuwälzen. Weiter oben trennt ſein tief in den
Fels eingeſchnittenes Bett die Stadt von der nördlichen Vorſtadt,
die den Namen eines hl. Scheichs, der hier begraben liegt, trägt.
Dort war der tiefe Felseinſchnitt ehedem durch eine ſteinerne Brücke
überdeckt, deren Bögen aus griechiſcher Zeit herſtammten; Hr.
v. Prokeſch fand 1823 auf ihr noch Marktbuden. Vor wenigen
Jahren riß der plötzlich angeſchwollene Bergſtrom ſie fort. Man
hat vor Kurzem eine leichte hölzerne Brücke an ihre Stelle geſetzt.
Hr. Griſebach, der den Olymp Anfangs Mai beſtieg, ſah auf
dem Berge die einzelnen Zuflüſſe für den Gök-Dere cascadenartig
diefem zueilen; mir erſchienen ſie, gegen die Mitte des Oktobers,
waſſerarm. Es hatte ſeit Monaten nicht geregnet. -
Die Moſchee Bajazid A)ildirim liegt unfern des rechten
Ufers des Gök-Dere auf einer mäßigen Anhöhe, der letzten, welche
nach abwärts das Thal beherrſcht. Den Hügel erſteigend, gelangte
ich zuerſt zu der Ruine eines antiken griechiſchen oder römiſchen
Thores, deſſen beide Seitentheile, mit ihren Niſchen, zur Zeit noch
aufrecht ſtehen; das Deckengewölbe iſt jedoch herabgeſtürzt. Auch
weiter oben ſieht man eben ſo einen Reſt römiſchen oder griechiſchen
Bauwerkes. Hr. v. Prokeſch *) fand hier 30 Jahre früher noch
Refte einer großen Waſſerleitung; es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß
die erwähnten Ruinen ihr angehört haben mögen. Die Lage der
Moſchee Bajazid's iſt eine ſo ausgezeichnete, daß es ſich kaum
denken läßt, ſie ſollte während der Blüthe der Stadt nicht benutzt
geweſen ſein. Wahrſcheinlich fanden die Türken hier irgend ein ausge-
zeichnetes Gebäude, deſſen Material ſie, nach ihrer Gewohnheit, nur
zu einer Moſchee umzuwandeln brauchten. Gegenwärtig liegt dieſe
Moſchee zwar vereinſamt, getrennt von der nachbarlichen Vorſtadt;
aber es iſt glaublich, daß ehedem die Stadt bis hieher reichte. –
– 5
*) A. a. O. III. S. 87.
– 171 –
Von der Ebene aufſteigend gelangt man zuerſt zu dem ſchmuckloſen,
einen kleinen Dom darſtellenden Grabmale Sultan Bajazid's,
dem ſeine Zeitgenoſſen den Beinamen „A)ildirim“ (Blitz) beigelegt
hatten. Er war es, der in der Schlacht von Nikopolis im
Jahre 1396 mit Aufopferung von 60.000 Mann feines Heeres
die Chriſten ſchlug, nach erfochtenem Siege aber 10.000 Gefangene
umbringen ließ, um die Zahl der Gefallenen auf beiden Seiten
auszugleichen, derſelbe, der hernach 1402 durch die Tartaren unter
Tamerleng bei Angora (Ancyrum) geſchlagen wurde und in
der Gefangenſchaft ſtarb. Schon J. G. Eichhorn *) fand 1804
dieſes Grabmal verwahrloſt. In der That iſt zur ſorgfältigeren
Unterhaltung dieſes Monumentes wenig Veranlaſſung vorhanden;
Karaman, Sultan von Iconium, eroberte nämlich 1414 Bruſſa,
ließ die Gebeine Bajazid's herausnehmen und verbrannte ſte aus
Rache, weil dieſer ſeinem Vater hatte den Kopf abſchlagen laſſen.
Das ihn ehemals umgebende unſcheinbare ſteinerne Haus iſt aber von
den gewaltigen Erderſchütterungen verſchont geblieben, dahingegen die
etwas höher, nach Oſten zu, von ihm erbaute anſehnliche Moſchee
durch das herabſtürzende Minaret eingeſchlagen, auch das weſtlich
daneben liegende Collegium für Geiſtliche großentheils zerſtört und
unbewohnbar gemacht worden. Zu den beiden Seiten des zerſtörten
Portikus ſind zwei prachtvolle Porphyrſäulen aufrecht ſtehen geblieben,
deren Herrlichkeit erſt wieder offenbar geworden iſt, ſeitdem das
Erdbeben ſie von dem türkiſchen Kalkbewurfe befreit hatte. Einige
höchſt majeſtätiſche Platanen zieren den Vorplatz. Zwiſchen dieſem
und dem erwähnten Mauſoleum zieht ſich ein Begräbnißplatz hin, der
mit herrlichen Cypreſſen ausgeſtattet iſt. In ihrem dichten Schatten
fand ich einen zur Erholung im hohen Grade geeigneten Ruheplatz,
der mir im Rücken und zur Seite die Nichtigkeit aller Menſchenwerke,
zu meinen Füſſen aber die ewige Jugend einer ſo begünſtigten
Ratur aufſchloß. Eine dem Orte und der Zeit ungemein ange-
meſſene Staffage belebte in dieſem Augenblicke das vor mir liegende
Landſchaftsbild. Ein feſtlicher Hochzeitszug bewegte ſich von der
Stadt einem in der Ferne ſichtbaren Dorfe zu; geputzte türkiſche
Reiter begleiteten zwei offene Wagen, auf welchen verſchleierte Frauen
*) Geſchichte der Literatur. Band 3. Abth. 2. Göttingen, 1812. S. 1126.
- 8*
– 47? –
ney zeichnenden Contra - Das Portal der Moſchee wurde mir
durch einen herbeigeholten eiſchenahne inſtand aufgeſchloſſen un-
behindertrat ich in den Bau eines der grauſamen Chriſtenverfolger
in Die Woche beſteht wie die weſtaffel drehen aus zwei
hintereinanderliegenden Domen, deren hinterer etwas höher und un-
fangreicher als der vorder in trºn befindet ſich der in
arabiſchen Style zierlich errichtete Mihrab. Die vier ſtarken
Eckpfeiler der Umfaſſungsmauer, welche den Dom feſthalten, er
ſcheinen in den vier Ecken des inneren Raumes treppenförmig, nach
innen concav. Man zeigte mir die geräumige Tribüne zur in
ken, auf Ä der Sultan Abdul-Medſchid bei ſeiner An-
weſenheit das Gebet verrichtete. Das höchſt einfache Gebäude weiſt
keinerlei Zierrahen auf. Nur beſtehen die die Fenſteröffnungen per
ſchließenden Gitter aus koſtbar damasertem Eiſen, welches jedoch
ſeit langen Jahren nicht mehr geputzt geweſen zu ſein ſchien -
Das ruinenhaft daliegende Collegium der Geiſtlichen läßt zahlreiche
Zwiſchenwände, um einzelne Kammern zu bilden, erblicken. Wenn
F beſetzt waren, ſo läßt es ſich leicht erklären, wie von
m Fundations-Vermögen ſo wenig für die Erhaltung der Gebäude
übrig blieb.
Indem ich von hier aus weiter die Anhöhe hinaufſtieg, ſtieß
ich auf einen edlen Lorbeer, der reife ſchwarze Beeren und Knospen
fiz die zweite Blüthe zugleich trug. Die Eultur des Lorbeers
Ä gewiß eine lohnende ſein; man ſcheint ihn jedoch nicht
achten.
Denſelben Hügel oſtwärts, weiter nach oben, erſteigend, gelangt
man in die nördliche Vorſtadt, welche den Namen Emir-Sultan
führt, nach einem für heilig gehaltenen Verkünder des Propheten
aus der erſten Periode des osmaniſchen Reiches, der hier eine kleine
Moſchee erbaut hat und ein Grahmal beſitzt. In dieſer liegt die
Moſchee Sultan Mohammed I. (Mohammed Tſchelebi). Sie
hat nicht den Umfang der oben erwähnten Moſchee; aber ſie beſitzt,
einen im reinſten arabiſchen Style aufgeführten zierlichen Portikus,
wie ich ihn bis dahin nie Ä Zwei ſchlanke Säulen von
weißem Marmor mit paſſender Baſis und Kapität tragen einen
kleinen marmornen Baldachin, wie man ihn ſonſt in der Moſchee
am Hochaltare nur zu finden gewohnt iſt, mit vielen treppenartigen
– ºk –
Abſtufütigen. An der äußern. Selte beider Säulenfölgt eine die
ganze Läge derſelben elehmende ſchmäle Marmorplatte iſt Sn.
ſchriften – neben ihr weiter ääh außen eine breitere Längenblätte
mit Arabesken, ſodaſſ endlich äüf jeder Seite an beiteſten Ä
außen eine doppelt ſobreite, die von oben nähütte berlaufe
mit türkiſchen Sitſchriften in größeren Buchſtaben bedeckt iſt. Das
Gäne nachteilen angenehmen Eindruck ueber dieſen Portikus
tritt oben zu ſeinem Schütze ein breiter Balkon herbör. – Ihr
Vorplatz enthält eine ſprudelnde Fontäne mit Marinörbecken, in
deren Umfänge ſehr alte Platanen, ungewöhnlicher Weiſe auch eine
alte Linde ſtehen. – Die Moſchee ſelbſt hat durch das Erdbeben
bedauerliche Riſſe bekommen, die ſchwerlich wieder jemals ausge-
glichen werden dürften; ſie ſtellt eines der ſchönſten arabiſchen Bau-
denkmäle aus der Zeit ihres Erbauers dar. Noch mehr Ä
iſt das etwas höher liegende, eben ſo zierliche Grabital des Letzteren,
welches ſich durchbeiße perſiſche Schriftzüge auf blauem Gründe in
gebranntem Thon auszeichnete, die Sprüche aus den Sunna oder
den mündlichen ueberlieferungen des Propheten darſtellten. Moham-
med hatte auch ein Muſterbild arabiſcher Baukunſt in einer von
innen und außen mit geſchliffenem vielfarbigen Marmor überdeckten
Arielikche, aufgeführt. – Dieſer Mohairmedi, der jüngſte Sohn
Bajazids, ſchaffte den nach des Letzteren Gefangennehütung länge
geſtört gebliebenen Frieden wieder herbei. Er erhielt den Beinamen
„Tſchetebi“, der Edelmann, wegen ſeiner Humanität und eines ge-
bildeten Geſchmackes, den er leider nur zu kurze Zeit dem Aufblühen
der Künſte und Wiſſenſchaften zuzuwenden vermochte. Es mag noch
erwähnt werden, daß Mohammed H. durch ſeinen Arzt Ä
von einer Gemütskrankheit zu Angora geheilt worden war dieſer
Arzt war zugleich Dichter und ueberſetzer aus dem Perſiſchen
Die auf der entgegengeſetzte, der ſüdlichen Seite der Städt
liegende Borſtädt führt den Maniel Sultan Mürad II, weil dieſer
hier eine großartige Moſchee erbällt hat. Mein Gaſthof befand ſich
in derſelben Vorſtadt, nicht fern von dieſer Moſchee, etwas mehr
deſ mittleren Teile der Städt zugewendet. – Die Möſche
Mütäd II bildet einen arabiſche Prachtbau, der, wie gewöhnlich,
aus zwei hüter einander liegenden Dömien beſteht, die durch eine
offenen Verbindungsraum, der einen großen Theit der Breite ein
nimmt zuſammenhängen. Der vordere Döm, eine Vorhalle bil-
– 174 –
dend, erſcheint weniger hoch und geräumig; der hintere aber impº-
nirt durch ſeine gewaltige Maſſe in hohem Grade. Die vordere
Seite des Gebäudes iſt durch einen Portikus geſchmückt, deſſen
oberes Gebälke durch zwei mächtige Säulen aus grauem Granit ge-
ſtützt wird, deren Pracht gleichfalls erſt jüngſt wieder durch das Erd-
beben zu Tage gekommen iſt, welches den barbariſchen Kalkbewurf auch
hier großentheils abgeſchüttelt hat. – Die Architektur beider Dome
iſt eine großartige, die des vorderen jedoch einfacher, ſchmuckloſer.
Der hintere erſcheint dagegen ungleich mehr ausgeſchmückt, als es
bei den aus einer ſpäteren Periode herrührenden Moſcheen, ua-
mentlich in Conſtantinopel, ſich findet. Die innere Seite der Kuppel
beider zeigt Laubwerk, welches von einem gemeinſchaftlichen Centrum
des Kreiſes nach der Peripherie hin ſich ausbreitet; der Botaniker
würde dieſe Blätter breit lancettförmig nennen. Sie ſind hell- und
dunkelbraun, mit ſchwarzer Schattirung gefärbt. Eigenthümlicher
ſind aber die vier Ecken des Gebäudes da verziert, wo ſich die
Kuppel des Doms auf die vier Umfaſſungsmauern, welche ein
rechtſeitiges Viereck darſtellen, ſtützt. Sie haben offenbar den Zweck,
die Unterſtützungsbalken der Kuppel zu bedecken. Die Figur einer
jeden dieſer vier Eck-Verzierungen mußte alſo einen bedeutenden
Umfang haben. Ich weiß ſie nicht ſchicklicher, als mit einem Füll-
horn zu vergleichen, welches mit ſeinem breiteren Durchmeſſer oben
in die Concavität der Kuppel hineinreicht, mit ſeinem geradlinigten
(nicht gewundenen) zugeſpitzten unteren Ende aber die entſprechende
Ecke der Umfaſſungsmauern einnimmt, ſo jedoch, daß das letzte
Ende vom Boden etwa noch 30“ entfernt bleibt. Die dem Innern
des Gebäudes zugewendete Seite jener füllhornartigen Maſſen iſt
mit zierlichen Schuppen und Blättern geſchmückt, die in der Art
des oberſten Schluſſes der Kuppel gefärbt ſind. Säulen oder Pi-
laſter zur Unterſtützung des Gewölbes ſieht man von innen nir-
gends; ſie ſind außerhalb an dem Gebäude angebracht. Indem
auf dieſe Weiſe der innere Raum des ganzen Gebäudes frei von
jeder Maſſe geblieben iſt, die ihn hätte verringern oder beſchränken
können, wird eine gewiſſe Nachahmung des nirgends unterſtützten
Himmelsdomes herbeigeführt, deren Wirkung auf den Beſchauer
überraſchend und großartig iſt, Auffallend iſt es hierbei noch, daß
das Erdbeben an dieſem Dome nicht den geringſten Schaden an
gerichtet hat da doch viele andere, durch ſtarke Säulen unterſtütze,
– 175 -–
zuſammengeſtürzt ſind. – Der vordere Dom derſelben Moſchee
hat genau dieſelbe Architektur in etwas kleinerem Maßſtabe. Die
vier Eckenträger des Domes ſind daher auch minder maſſenhaft;
ebenſo ſind ihre dem Beſchauer zugewendeten Seiten weniger zier-
- lich ausgearbeitet und colorirt. Der innere Raum beider Dome
ſteht - durch einen breiten Eingang in unmittelbarer Verbindung,
durch welchen die Tragkraft der hier unterbrochenen Umfaſſungs-
mauern noch vermindert werden mußte. - -
Während ich meine Rundſchau in dem Gebäude ohne Führer
hielt, ſaßen acht oder neun junge Türken auf dem mit Binſen-
matten bedeckten Boden des hinteren Domes und wurden, wie es
ſchien, von einem vor ihnen ſitzenden jungen Manne katechiſirt.
Dieſer nämlich frug, die Anderen antworteten einſtimmig. Von meiner
«fremdartigen Erſcheinung ließen ſie ſich nicht im Geringſten ſtören;
ich war, ohne Jemand zu fragen, hineingetreten. .
Auf dem geräumigen Vorplatze der oben erwähnten Moſchee
hatte ich Gelegenheit, den Vorbereitungs-Feierlichkeiten zu einer
- Beſchneidung beizuwohnen, die bei den Knaben zwiſchen dem 10.
und 12. Jahre vorgenommen zu werden pflegt. Auf jenem Vor-
platze hatte ſich viel Volk, Männer wie Weiber, verſammelt. Ein
Knabe von etwa 10 bis 11 Jahren ſaß auf einem Pferde, welches
von einem Manne geführt wurde. Der Knabe hatte Feierkleider
in lebhaften Farben an; ein rothbuntes Tuch war um den Kopf
gewunden; von dieſem Tuche hingen zwei lange Stränge von Gold-
geflechte, vielleicht auch mit eingeflochtenen Goldmünzen, wie ſie
junge Mädchen häufiger um den Kopf zu ſchlingen pflegen, längs des
Rückens herab. Dem reitenden Knaben folgten zwei bärtige Türken,
deren einer, mit einem ſcharlachrothen Talar umhüllt, auf einer
Schalmeie wahrhaft ohrzerreißend bließ. Ein anderer, weniger
auffallend gekleidet, bearbeitete ein Tambourin dazu. Dies erinnerte
mich daran, daß ſchon Seſtini die Muſik von Bruſſa wahrhaft
„écorchante“ fand. Den beiden Männern folgte ein junger Menſch,
der eine Flaſche mit Getränk trug, von welchem zu trinken er eine
Reihe von etwa ſechs anderen jungen Burſchen aufmunterte, die
die Arme ineinander geſchlungen, hatten und der Mehrzahl nach
ſchon taumelten. Jenes Getränk war nämlich nichts anderes als
Branntwein, Raki. Dem unanſtändig jauchzenden und taumelnden
Zuge folgte ferner eine altmodiſche kleine vergoldete Kutſche, von
– EM6 –
zwei Pferden gezogen, in welcher, wie man mir ſagte, die weiblichen
Verwandten bcs Knaben faßrn. Die Vorhänge dieſes Wagens
waren zugezogen. Ein zweiter weniger geſchmückter Wagen mit
Frauen hielt zur Seite. Der Knabe verſchwand endlich in der
Moſchee. Die Scene außerhalb aber dauerte fort und war für
mich ſo widerlich, daß ich mich nach Hauſe begab. Bald dar-
auf kam ein Zug von drei ſolcheu reitenden Knaben, aus der Ge-
gend jener Moſchee, an meiner Wohnung vorüber, ſich der Stadt
zuwendend. Die jungen Burſcheu waren jetzt mit Gewehren ver-
ſehen und ſchoſſen damit nach allen Seiten. Offenbar war der
Hauptact der Feier noch nicht erfolgt, weil die Knaben noch zu
Pferde ſaßen.
Die letzte der von mir beſuchten Moſcheen iſt die in dem
nahen Dorfe Tſchekirghe von Sultan Murad I. erbaute. Sie
ſtellt ein ſehr anſehnliches Gebäude mit einem Portikus dar, der
Bauart nach jener von Murad II. ähnlich, aber merklich höher
und umfangreicher. Es war Riemand zu finden, der mich hätte
hineinführen können; doch ergab ſich endlich, daß die große Thüre
nur angelehnt war. Ich teat daher ohne Weiteres ein und fand
den anſehnlichen Dom völlig menſchenleer. Auch hier befindet ſich
im Mittelpunkte der inneren Fläche der Kuppel eine Verzierung
von Blattwerk. In den vier oberen Ecken der Umfaſſungsmauer
fehlen aber die ſchönen Verzierungen der Moſchee Sultan Murad II.
Die urſprüngliche Stiftung ſoll zugleich ein Seminar zur Ausbil-
dung junger Geiſtlicher enthalten haben. Das Gebäude war der
Moſchee ſo angefügt, daß die Schüler unmittelbar aus ihren Zellen
in die letztere hineingehen konnten. Die Gitter vor den Fenſter-
öffnungen ſind auch hier, wie bei der Moſchee Bajazid's, aus
ſorgfältig damascirtem Eiſen gefertigt.
Klima und geographiſche Lage. – Bruſſa liegt 40* 9“
30“ nördlicher Breite und 46° 50“ öſtlicher Länge von Ferro oder
öſtlicher Länge von Paris 26° 49. Sein Klima wird durch die
unmittelbare Nachbarſchaft des rieſigen Olymp, und durch den Uni-
ſtand, daß der Gipfel deſſelben während eines Theiles des Jahres mit
Schee bedeckt iſt, ſodaan vermöge ſeiner Bodenerhebung von 800 par.
Fußüber dem Meere, rauher als die geographiſche Lage vermuthen
laſſen ſollte. Dennoch iſt die Lufttemperatur durchſchnittlich eine
nngleich mildere, als die von Eenſtaattinopel, obgleich die mittlere
– 177 –
Jahrestemperatur von Bruſſa doch nur + 12° 1“ R. beträgt.
Die nach Weſten fortgeſetzte Iſotherme fällt zwiſchen Piſa und
Florenz, die eine Jahrestemperatur haben von 12° 2“ einerſeits, und
Verona mit 12° andererſeits. Trapezunt und Vendome zeigen
mit Bruſſa die nämliche Jahrestemperatur. Aber des letzteren nach
Oſten vorgerückte Lage und die vorerwähnten Local-Verhältniſſe
drücken die Vegetation mehr herab, als man außerdem erwarten
ſollte. Die im Frühjahr bei dem Schmelzen des Schnee's vom
Olymp herabſtürzenden Gießbäche tragen dazu bei, daß die Vegetation
Anfangs Mai noch wenig entwickelt iſt, während ſie bald darauf,
vermöge der raſch geſteigerten mittleren Tagestemperatur auffallend
ſchnell vorrückt. Bis zum 15. Oktober hatte ich in Bruſſa nur
heitere ſonnige Tage gehabt.
Schon in einer vorhiſtoriſcher Zeit ſcheint dieſer ungewöhnlich
vortheilhaft gelegene Punkt der Erde die Menſchen zur Bildung einer
Stadt angezogen zu haben, welche Bebrizia hieß. Die Bithynier
eroberten indeſſen dieſe und ihr Gebiet; ſie wurde fortan
Königsſitz jener Eroberer, und ſcheint während der Regierung des
Königs Pruſias ihren höchſten Glanz erreicht zu haben. Dieſer
durfte es wagen, den Bundesgenoſſen der Römer, den König
Eumenes von Pergamos anzugreifen; auch gelang es ihm mit
Hülfe Hannibal's, ihn zu ſchlagen. Nach dem Zeugniſſe des
Plinius ſoll das die ganze Stadt dominirende feſte Schloß unter
dem Könige Pruſias-Hilas nach dem Plane von Hannibal
angelegt worden ſein. Von da ab erhielt die Stadt auch den Na-
men des Königs, hieß jedoch, mit Bezug auf ſeine Lage am Berge
Prusias ad Olympum im Gegenſatze zu Prusias ad Mare,
dem Gemlik der Türken, dem Kios der Alt-Griechen oder Chio
der Neu- Griechen. Plinius *) ſagt: „Mox oppida Placia,
Ariacos, Scylace, quorum a tergo mons Olympus,
Moesius dictus: civitas Olympena. Amnes Horisius
et Rhyndacus, ante Lycus vocatus.“ Jene vorzugsweiſe
„Olympena“ genannte Stadt kann kaum eine andere ſein, als
unſer Bruſſa, da am Olymp keine Spur irgend eines Or-
tes übrig geblieben iſt, die auf eine ſolche Bevorzugung Anſpruch
*) Historia naturalis. Libr. V. Cap. XXXII. Coloniae Allobrogum,
1615. pag. 87.
8**
– 178 –
gehabt haben konnte. Auch theilen noch heutigen Tages die erwähnten
Felseinſchnitte Bruſſa in drei große Abtheilungen, von denen die
an beiden Flügeln liegenden jetzt Vorſtädte heißen. Nachdem Mithri-
dates, der ſpätere Beherrſcher von Pruſa, bei Cyzikus von den
Römern geſchlagen worden war, eroberten dieſe Bruſſa, ihr Pro-
conſul nahm fortan hier ſeinen Sitz. Welchen großen Werth die
griechiſchen Kaiſer auf die Stadt legten, beweiſen ſchon die noch
aus ihrer Zeit vorhandenen gewaltigen Mauerreſte. Sogleich ncch
der Eroberung durch die Osmanen, 1325, wurde ſie zur Hauptſtadt
ihres aufſtrebenden Reiches gemacht und noch heute iſt ſie dem
Range nach die dritte Stadt in der Türkei. – Leider hat ſich
Bruſſa nach der Eroberung durch das Tartarenheer des Tamer-
leng (Tamerlan) vom Jahre 1402 nie wieder erholt. Die Plün-
derung war allgemein, darauf wurde die Stadt niedergebrannt, Schu-
len und Moſcheen wurden in Viehſtälle verwandelt. Ganz ebenſo
wurden auch Nicäa und Gemlik um dieſelbe Zeit barbariſch entvöl-
kert und zerſtört. – Ihre heutigen lebhaften Einwohner ſind gewerb-
thätig und arbeitsſam; ſelbſt die Frauen arbeiten in den Maulbeer-
pflanzungen, den Seidenſpinnereien u. ſ. w. unverdroſſen. Doch erwer-
ben die Armenier und Griechen hierin vor den Türken bei Weitem
den Vorrang. Wie wenig die letzteren geeignet ſind, da wo ſich
Handels-Intereſſen berühren, erſteren die Waage zu halten, erfuhr
ich während meiner Anweſenheit gelegentlich an folgenden Beiſpielen.
– Mein Tiſchnachbar, ein griechiſcher Kaufmann aus Conſtantinopel,
theilte mir geſprächsweiſe mit, daß er ſich hier befinde, um den
Transport großer Maſſen von chromhaltigem Erz an das Meer zu
leiten, welches ein franzöſiſcher Reiſender weiterhin im Innern des
Landes entdeckt hatte. Die türkiſchen Kameeltreiber hatten ſich ge-
weigert, ihren Thieren die drückenden Erzmaſſen aufzuladen. Der
liſtige Grieche hatte es aber durch allerhand Vorſpiegelungen bei
den Paſcha's der einzelnen Provinzen dahin zu bringen gewußt,
daß die Treiber zur Aufnahme der nachtheiligen Fracht gezwungen
wurden. – In der Kajüte des Dampfſchiffes, auf welchem ich die
Rückfahrt nach Conſtantinopel machte, erzählte ein junger Grieche
dem Schiffs-Capitän, daß er ſo eben ein glückliches Geſchäft mit
einer engliſchen Geſellſchaft abgeſchloſſen habe, welche in Weſtaſien
Schiffs-Bauholz zuſammen kauft. Da nun die Türken der Ebene
den Gebrauch haben, einige große Bäume in ihren Dörfern zu
– 179 –
pflegen, ſo ſei er von Dorf zu Dorf gewandert, um ihnen dieſe
Bäume abzukaufen, dies ſei um einen wahren Spottpreis geſchehen,
weil die Türken gar keinen Begriff davon hatten, welcher Werth
in ſo ſtarkem Bauholze liege. Auf dieſe Weiſe erſparte der klug
berechnende Grieche die Transportkoſten des Holzes von den Bergen
herab, entkleidete aber freilich zugleich auch die an ſich ſchon baum-
leere Ebene noch immer mehr vom Baumwuchſe.
Nanik-Paſcha, der 1856 Gouverneur von Bruſſa war, hat
ſich in den größeren Haupt - Städten Europas bei den dortigen
Geſandtſchaften lange genug aufgehalten, um zu wiſſen, was zur
Erhebung einer ſolchen Stadt Noth thut. Er iſt außerdem ein
durch Intelligenz und Humanität hervorragender Mann. Ich fand
ihn in der Moſchee Ulu-Dſchami beſchäftigt, die dortigen Ar-
beiter zu inſpiciren. Wahrſcheinlich wird man es ihm aber an
Fonds fehlen laſſen. Wäre es anders, ſo würde die Vernachläſſi-
gung der Wiege der osmaniſchen Dynaſtie unbegreiflich ſein. Man
ſchmeichelte ſich bei uneiner Anweſenheit mit dem bevorſtehenden
Beſuche des Sultans Abdul Medſchid; dieſer iſt jedoch nicht zur
Wirklichkeit geworden.
Warme Bäder von Bruſſa und Tſchekirghe*). – Die
Verehrung, welche die Thermen in Weſtaſien genießen, läßt ſich ge-
ſchichtlich bis zuin trojaniſchen Kriege hinauf verfolgen. Plinius*)
ſpricht zwar ſeine Verwunderung darüber aus, daß Homer der
warmen Bäder nicht erwähne; er vermuthet ſogar, daß die damalige
Medicin zu ihnen keine Zuflucht genommen habe. Philoſtratus†)
verſichert dagegen ausdrücklich, den bei Troja verwundeten Achvern
ſeien durch Orakelſpruch die joniſchen Thermen als heilſam bezeichnet
worden, welche 40 Stadien von Smyrna entfernt liegen und
welche hernach die „agamemnoniſchen“ genannt wurden F). So
wäre denn bereits in dem grauen Alterthuln bekannt geweſen, was
ich perſönlich in den Jahren 1813 zu Warmbrunn und Landeck
in Schleſien, 1814 zu Burtſcheid bei Aachen beſtätigt gefunden
*) Ueber dieſe Bäder iſt vorläufig eine kurze Mittheilung gegeben worden
in den „Verhandlungen des naturhiſtoriſchen Vereines der preußiſchen
Rheinlande und Weſtphalens“. 14. Jahrgang. Bonn, 1857. S. LVII.
*) Historia nat. Lib. XXV. Cap. IV.
†) Heroic. Protesil. p. m. 150. edit. Venet.
††) Vergl. J. H. Schvlzii Historia medicinae. Lipsiae, 1728. pag. 167.
– 180 –
habe, – daß nämlich zweckmäßig gewählte warme Mineralbäder
zur Heilung von mancherlei nach Verwundungen übrig gebliebenen
Uebeln, z. B. Gelenkſteifheit, langwierige Anſchwellungen, Schmerz
in Narben u. dergl. in hohem Grade heilſam werden können. –
Zur Zeit der griechiſchen Kaiſer wurden die Bäder von Bruſſa
aus Conſtantinopel häufig beſucht. Sultan Suleiman der Große
wurde hier vom Podagra geheilt, und ließ zum Danke die Bäder
von Jeni-Kaplidſcha durch ſeinen Großweſir Ruſtem prachtvoll
neu aufbauen. Noch heute ſtehen ſie bei dem Volke in dem An-
ſehen wunderthätiger Wirkung. Von vielen werden ſie deshalb ohne
ärztlichen Rath, bei den verſchiedenſten Gebrechen, ſo benutzt, daß
ſie mitunter nothwendig Unheil ſtiften müſſen. Weſentlich mag
hierzu beitragen, daß die meiſten Türken der Meinung ſind, je
heißer das Bad genommen werden könne, je wohlthätiger müſſe es
werden. Doch alle dieſe und ähnliche Thorheiten haben den weit
ausgebreiteten Ruf dieſer Bäder nicht zu beſchränken vermocht. –
Sie liegen außerhalb der Stadt, an der Südweſtſeite derſelben,
theils neben dem Wege, welcher nach dem eine halbe Stunde ent-
fernten Dorfe Tſchekirghe führt, theils in dem letzteren ſelbſt
Von jenen iſt das der Stadt zunächſt liegende:
Jeni-Kaplidſcha (Neubad), zugleich das anſehnlichſte von
Allen. Man nennt es auch Eiſenbad, weil ſeine Quelle in der That
etwas mehr kohlenſaures Eiſenoxidul zu enthalten ſcheint, als die
übrigen. Seine Einrichtung hat mit der des in Conſtantinopel
beſchriebenen Bades (S. 27) große Aehnlichkeit. Zwei domartige
Kuppeln erheben ſich in der Richtung nach Norden, hintereinander
über zwei zuſammenhängenden großen viereckigen Sälen; dieſe
ſind nahe unter der Decke mit Fenſtern ausgeſtattet, die Außenſeite
der Kuppeln mit Blei gedeckt. Mehrere an der Oſtſeite jener an-
gebaute kleinere Räume, welche ein Baſſin, ſowie einzelne Bade-
kabinette enthalten, empfangen dagegen ihr Licht durch kleine glas-
gedeckte Oeffnungen ihrer Kuppeln. Die Badewannen, ebenſo
die Umfaſſungswand und die Bänke des großen Baſſins, auch der
Fußboden ſind von weißem Marmor. Dieſer ſoll von Cyzikus her-
kommen. – Indem ich von der Landſtraße aus auf dem ſich nord-
wärts abſenkenden Boden zu dem nahen Bade hinabſtieg, gelangte
ich in der Nähe deſſelben zu ſeinem Haupt-Reſervoir; der aus ihm
aufſteigende heiße Waſſerdampf leitete mich zu ihm hin. Ich fand
– 181 –
den Behälter nur ungenügend mit Brettern gedeckt, ſo, daß ich die
Waſſerfläche mit der Hand und dem Thermometer zu erreichen
vermochte. Es ergab ſich hier eine Temperatur von + 59° R.
Dr. Thirk aus Bruſſa und Prof. Griſebach aus Göttingen
erhielten indeſſen früher in einem damals tiefer gelegenen Reſervoir
+ 66° R. Das Erdbeben von 1855 hatte ein gänzliches Ver-
ſiegen der Quelle bewirkt, während die zahlreichen Quellen zu
Tſchekirghe zugleich überſprudelten, den Ort überſchemmteu und
eiliges Anlegen von Abzugskanälen nöthig machten. Durch tieferes
Nachgraben hat man indeſſen die Quelle von Jeni-Kaplidſcha
wieder gefunden; doch liegt ihr Reſervoir jetzt frei an der Oberfläche
und einiger Temperaturunterſchied ließe ſich ſchon hieraus erklären. Den
Geſchmack des aus dem Behälter genommenen Waſſers fand ich ſchwach
ſäuerlich und gelind zuſammenziehend. – Die von mir gefundene
Temperatur iſt alſo ganz die des Sprudels der Hygea-Quelle zu
Carlsbad oder des oberſten Baſſins zu Burtſcheid. Der Geruch
des hieſigen Waſſerdampfes erinnerte mich lebhaft an den des heißen
Waſſers von Burtſcheid. Bei dem Hervorſtrömen des klaren
Waſſers aus der Röhre entwickelten ſich hier aus ihm ſo ſtarke Gas-
blaſen, daß es zu kochen ſchien. Die Abzugsröhren zeigten einen
ſchwachen Anflug von rothbraunem Eiſenoxyd; auch dieſer ſoll nicht
immer vorhanden ſein. Von Schwefelwaſſerſtoffgas bemerkte ich
keine Spur; Hr. Dr. Thirk will jedoch dergleichen wahrgenommen
haben. – Die durch das letzte Erdbeben herbeigeführte Erſcheinung,
deren ſo eben gedacht wurde, läßt kaum irgend einen Zweifel daran zu,
daß ſämmtliche Quellen tief unter der Oberfläche einen gemeinſchaft-
lichen Zuſammenfluß haben. Demnach wird der Gehalt des her-
vortretenden Waſſers nur weniger bedeutende Varianten darbieten
können, die ſich nach den Schichten richten müſſen, durch welche ſie
den Ausfluß gewinnen. Die Bäder liegen auf einem weit ausge-
breiteten Lager von Kalktuff jüngerer Formation, deſſen Pflanzenab-
drücke auf nahe Beziehung zu der noch gegenwärtig dort vorhandenen
Vegetation hindeuten (vergl. S. 194). Als ich mich in das Gebäude
ſelbſt begab, trat ich durch den Haupteingang unmittelbar in einen
kirchenartig großen, länglich-viereckigen Raum ein, in deſſen Mittel-
punkt ein dort aufgeſtelltes Marmorbecken einen Waſſerſtrahl hervor-
ſpringen ließ. Zum Abfluſſe des Waſſers aus dem Becken dienten
in ihm angebrachte Seitenöffnungen. Ueber dem ſo ausgeſtatteten
– 182 –
Mittelpunkte wölbt ſich der erwähnte Dom. Rings an den Wän-
den herum erheben ſich zwei Fuß hohe, breite hölzerne Bänke mit
Binſenmatten und Teppichen bedeckt. Man reichte mir indeſſen
noch eine dünne Matratze und überdeckte dieſelbe mit einer weißen
baumwollenen Decke. Auf dieſem Sitze wurde die Entkleidung langſam
vorgenommen. Die Lufttemperatur fand ich hier + 17° R., indem
ſie außerhalb + 15° R. gezeigt hatte. Hiermit war alſo eine
ziemlich paſſende Vorbereitung zum Bade ſelbſt gegeben. Mit einem
um die Hüften gewundenen Tuche und Holzpantoffeln an den Füßen
wurde ich dann in den zweiten großen, gleichfalls mit einer Kuppel
überwölbten Raum geführt, der vollkommen viereckig iſt und bei einer
Temperatur von + 21° R. als Tepidarium zur weiteren Vorbereitung
für eine noch höhere Temperatur dient. Hierauf erſt wird man
in einen dritten, gleichfalls viereckigen, aber beſchränkteren Raum,
das Calidarium, geführt, der ein großes ſteinernes Baſſin enthält,
deſſen dampfendes Mineralwaſſer eine Temperatur von + 32° R.
ergab. Im Innern des Baſſin's laufen an dem Rande rings herum
ſteinerne Bänke unter der Waſſerfläche; der Raum würde hier für
vierzig gleichzeitig Badende genügen. Ich fand jedoch bei meiner
Anweſenheit Keinen in dieſem Bade. An den Seitenwänden des
Saales befinden ſich marmorne Waſſerbecken, aus denen man lau-
warmes Waſſer zum Abſpülen hervorſpringen laſſen kann. Außer
jenen beiden größeren Räumen enthalten nun kleinere, beſonders
überwölbte Zimmer, große ſteinerne Badewannen für einzelne Per-
ſonen. Ich fand die Temperatur des Waſſers in einer ſolchen Wanne
+ 29° R., und als ich dem Wärter begreiflich machte, daß mir
dies zu heiß ſei, drehte er einen Hahn herum, um kaltes Waſſer
hinzuſtrömen zu laſſen; ich erfuhr bald, daß dies reines Quellwaſſer
war. Als ich bei + 27° R. hineingeſtiegen war, erſchien mir
dies, indem zu gleicher Zeit heiße Waſſerdämpfe den ganzen Raum
erfüllten, ſo erhitzend und beklemmend, daß ich nicht über zehn Mi-
nuten darin auszuhalten vermochte. Das allmälige Abkühlen des
erhitzten Körpers und Zurückführen in den Bekleidungsraum ge-
ſchieht hier mit lobenswerther Vorſicht. Nachdem ich in letzterem
die Transpiration gehörig abgewartet hatte, fand ich die nachfol-
gende Wirkung ſehr wohlthuend. Der Pächter des Bades, ein
Türke, ſaß auf einem Comptoir, innerhalb des Einganges, ſchien ſich
indeſſen nur um das Rechnungsweſen zu kümmern.
– 183 –
Wir beſitzen zwei öffentlich bekannt gemachte Analyſen des
Waſſers von Jeni-Kaplidſcha. Die eine iſt das Reſultat der
Arbeit des Hrn. Dr. Himly in Göttingen, welcher das von
Hrn. Prof. Griſebach aus Bruſſa mitgebrachte Waſſer dort
hierzu benutzte. Die zweite Analyſe rührt von Hrn. Noé her,
welcher theils in Bruſſa, theils in Conſtantinopel gearbeitet zu
haben ſcheint. Erſtere Analyſe iſt von Hrn. Prof. Griſebach,
letztere durch die Hrn. Dr. Bernard*) und Rigler*) bekannt ge-
macht worden. Beide Analyſen ergeben jedoch bedeutende Differenzen,
ſo, daß eine abermalige entſcheidende, auf die neueſten Fortſchritte
der Chemie gegründete Unterſuchung dringend wünſchenswerth er-
ſcheint. Die erwähnten Analyſen mögen zur Vergleichung hier
neben einander geſtellt werden.
Herr Dr. Himly. Herr Noé.
In 1000 Theilen.
Kohlenſaures Natron . 0,739 Doppelkohlenſaures Nat-
Schwefelſaures Natron . 0,389 ron . . . . . . 0,721
Kohlenſaurer Kalk . . 0,220 Schwefelſaures Natron . 2,395
Chlornatrium . . . . 0,193
Kohlenſaure Kalkerde . 0,118 Salzſaures Natron . . 0,945
Kieſelſäure . . . . . 0,085 Doppelkohlenſaure Kalk-
Beigemengtes Eiſenoxyd erde . . . . . . 3,352
mit kohlenſaurem Ei- Silicium . . . . . 0,003
ſenoxydul . . . . 0,087
1,831
Schwefelſaure Magneſia 1,494
Schwefelſaure Thonerde 0,918
Freie Hydrothionſäure . 0,552
Freie Kohlenſäure . . 1,521
Das ſpecifiſche Gewicht beträgt 1,0121.
Bemerkungen. Der in der Analyſe des Hrn. Noé fehlende
Eiſengehalt ergibt ſich, wie oben bemerkt, ſchon aus dem Nieder-
ſchlage von rothbraunem Eiſenoxyd an den Abzugsröhren, obgleich
dieſe erſt nach dem Erdbeben neu gelegt worden waren. Der Name
*) A. a. O. S. 52.
*) Die Türkei und deren Bewohner. I. Bd. Wien, 1852. S. 15.
– 184 –
„Eiſenbad“, welchen dieſe Quelle von alter Zeit her führt, wäre
ſomit gerechtfertigt, obgleich das Quantum des Eiſengehaltes ſehr
geringfügig iſt. Der ſchwache Gehalt an freier Kohlenſäure konnte
von Hrn. Himly wohl nicht gefunden werden, indem er entweder
bei der Füllung oder während des weiten Transportes verloren
gegangen war. Hinſichtlich des fehlenden Schwefelwaſſerſtoff's
ſtimme ich Hrn. Himly bei. Den Geſchmack fand Hr. Noé
hepatiſch und geſalzen; ich fand keines von Beiden. Das Quantum
der feſten Beſtandtheile, welches nach Hrn. Himly 14,0654 Gran
in einem Civilpfunde Waſſers beträgt, ſtellt es in die Reihe der
zahlreichen Thermen, die durch ihre feſten Beſtandtheile allein, oder
auch nur zum größeren Theile, ihre eigenthümliche Wirkung gewiß
nicht hervorbringen. Wenn nun einige Jahrhundertee lang fortgeſetzte
Erfahrung keinen Zweifel übrig läßt, daß die letztere des hieſigen
Mineralbades von der des gewöhnlichen Waſſerbades unterſcheidet,
ſo müſſen wir von den Fortſchritten der analytiſchen Chemie ſpäter-
hin hierüber Aufklärung erwarten. – Zum Trinken wird das Waſſer
von Jeni-Kaplidſcha eben ſo wenig, als irgend ein anderes
hieſiges Mineralwaſſer benutzt.
Den Namen ſeines Erbauers Kara-Muſtafa, eines Groß-
weſirs, trägt ein, wenige hundert Schritte von Jeni-Kaplidſcha
entfernt, etwas weiter abwärts nahe am Alluvium der Ebene liegendes
kleineres Bad. Der chemiſche Gehalt ſeines Waſſers iſt dem des ſchon
beſchriebenen ähnlich, doch quantitativ merklich geringer, ſeine Tem-
peratur nur + 36° R. Man benutzt es beſonders zum Baden bei
ſolchen Krankheiten, die durch Geſunkenſein der Energie des Nerven-
ſyſtems entſtanden ſind. Zu ſolchem Zwecke hatte es Hr. Dr. Thirk
bei einem bekannten engliſchen Diplomaten kurz vor meinem Ein-
treffen in Bruſſa nicht ohne Nutzen in Anwendung gebracht. In
dieſer Hinſicht will es Hr. Dr. Rigler mit Gaſtein auf eine
Stufe geſtellt wiſſen. Doch iſt hierbei nicht erwogen worden, daß
Gaſtein zugleich durch ſeine erfriſchende Alpenluft nervenſtärkend
wird, da hingegen die hieſige Luft, beſonders für den nicht Acclima-
tiſirten erſchlaffend wirken kann.
Auf gleicher Höhe mit dem von Jeni-Kaplidſcha, aber weiter
ſüdweſtlich, liegt das ſogenannte Schwefelbad, Kökürdli. Es befin-
den ſich gegenwärtig hier zwei dicht aneinander gebaute Badehäuſer,
deren eines gelb das andere grün angeſtrichen iſt; nach dieſer Fär-
bang pflegt man ſie in der Rede von einander zu unterſcheiden.
Bis zum Jahre 1844 ſoll hier nur ein Badehaus vorhanden ge-
weſen ſein. Damals ſprang aber bei dem Wegräumen eines Fel-
ſeid eine zweite heiße Duelle hervor, die zum Erbauen eines zwei-
ten Badehauſes Veranlaſſung gab. Nach der durch das letzte Erb-
beben hervorgebrachten Revolution iſt es wieder eine gemeinſchaft-
liche Quelle geworden, welche zwiſchen beiden Häuſern liegend ihnen
nach beiden Seiten hin Waſſer zutheilt. Das gelbe und zugleich
ältere von beiden Gebäuden iſt ähnlich wie Jent-Kaplidſcha mit
gewölbter Decke über den Sälen u. ſ. w. ausgeſtattet und heißt
jetzt auch das größere. Doch iſt das Ganze in kleinerem Maß-
ſtäbe angelegt als das vorerwähnte, obgleich doch das Waſſer dieſer
Schwefelquels von Alten am berühmteſten iſt. Das zweite, grüne
Haus, hat eine einfache platte Decke über ſeinen Räumen, und wird
deshalb auch das kleinere genannt, käßt jedoch im Uebrigen keine
der ſchon beſchriebenen Einrichtungen vermiſſen. Dieſes letztere wird
von einem Armenier, das erſtere von einen Türken gehalten. Ich
begab mich zu dem Armenier, um don ihm mit einem Bade bedient
zu werden. In dem gelben Hauſe fand ich zum erſten Male außer
den großen Marmorbadewannen auch eine Anzahl hölzerner Waltnen,
in welche man des Abends das heiße Waſſer einläßt, um es dts
zur Stunde des Gebrauchs am nächſten Morgen abkühlen zu laſſen.
Alle übrigen Bäder kühlen das heiße Mineralwaſſer einfach durch
Zufluß von kaltem Quellwaſſer ab, welches vom Olymp herab-
geleitet wird. – Die Reiſenden, welche dieſe Quelle vor dem Erd-
beben 1855 beſucht haben, verſichern ſämntlich, einen Geruch nach
Schwefelwaſſerſtoffgas deutlich wahrgenommen zu haben; nur Ht.
Griſebach meint, der Gehalt an dieſen Gaſe könne untöglich
bedeutend ſein. Hr. Noé *) gibt ih feiner Analyſe dieſes Schwefel-
waſſers in 16000 Grammen, Hydrothionſäure 3,32i an, nennt
auch den Geſchmack pikant und ſchwefelig. Hiernach erſchien es mir
auffallend, weder während meines Aufenthaltes in Bade, noch ih
den Räumen, welche der Waſſerdampf füllt, irgend eine Spur von
Geruch nach Schwefelwaſſerſtoffgas wahrnehmen zu können. Ich
war alſo begierig, die Quelle dort aufzuſuchen, wo ſie unſittelst:
aus dem Geſtein hervorbricht. Man führte mich bereitwillig dörkhtn.
*) S. Kigter u. a. O. 1. Bd. S. 14.
Hrr. Griſebach hatte hier die Quelle in der Dicke eines Men-
ſchenarmes 1,“ hoch in die Höhe getrieben hervorbrechen geſehen,
ohne jedoch Gasentwicklung zu bemerken. Ich ſah einen etwa 1”.“
im Durchmeſſer haltenden Waſſerſtrahl ziemlich lebhaft aus einer
Spalte des Kalktuffs hervorſprudeln, ohne daß ſie jedoch in die
Höhe getrieben wurde. Da die Quelle nahe unter der Oberfläche
des Bodens liegt, ſo wurde es mir leicht, das Geſicht dem Waſſer
ſo weit zu nähern, als es der heiße Waſſerdampf erlaubte. Aber
vergebens beſtrebte ich mich, Schwefelwaſſerſtoffgas durch den Geruch
wahrzunehmen. Es mag nicht überflüſſig erſcheinen, zu bemerken,
daß mein Geruchsorgan damals vollkommen normal fungirte. Das
in die Quelle ſelbſt geſenkte Thermometer zeigte eine Temperatur
von +56" R. Hr. Dr. Thirk verſicherte jedoch, noch nach dem
Erdbeben hier +67" R. gefunden zu haben; andere Beobachter
nahmen + 66° R. wahr. Während meiner Unterſuchung der
offen ſtehenden, durch einen Behälter von geringem Umfange ab-
fließenden Duells betrug die Lufttemperatur im Schatten. + 15°
R. Wenn ich auch anerkenne, daß gewiſſe Gasentwickelungen mehr
oder weniger von atmoſphäriſchen Veränderungen abhängig ſein
können, ſo müſſen ſie hier wenigſtens quantitativ ſehr gering ſein
und dürfen ſich jedenfalls mit denen des Waſſers zu Aachen nicht
entfernt meſſen. Da ich früher Gelegenheit gehabt hatte, in den
Abzugsröhren des Mineralwaſſers zu Aachen einen Anflug von
Schwefel wahrzunehmen, ſo forſchte ich auch in den hieſigen Leitun-
gen darnach, – jedoch vergebens. In dem Geruche des Waſſer-
dampfes fand ich eine auffallende Aehnlichkeit mit dem des Spru-
dels zu Carlsbad. Doch möchte ich nicht Hrn. Griſebach bei-
ſtimmen, welcher eine ſolche Aehnlichkeit mit Carlsbad auf das
Waſſer ſelbſt ausdehnt, denn Carlsbad enthält 41 Gran, Bruſſa
nur 14 Gran feſter Beſtandtheile in einem Pfunde Waſſers gelöſt,
kohlenſaures Natron nach Noé gar nicht, ſchwefelſaures und kohlen-
ſaures Natron auch nach Himly nur in ſehr geringem Quantum.
Aus letzteren Verhältniſſen läßt ſich einigermaßen erklären, warum man
Ä
zu trinken. In dem Geſchmacke des aus der Quelle genommenen
Waſſers fand ich nichts Pikantes, nichts Schwefeliges; nur eine ſchwache
Andeutung von Salzigem mochte herrortreten Das Waſſer fand ich
übrigens an der Quelle vollkommen klar. Dichtigkeit beträgt nach
– 187 –
Noé1.01.11,– Einer beſonderen Erwähnung verdient noch ein
Anflug von Kalkſinter, der ſtalaktitenförmig von einem Geſimſe
herabhängt, welches flach hervorſpringend nahe unter der Decke des
Salons herumläuft, in dem die meiſten warmen Bäder bereitet
werden. Der Aufſeher des Bades, der ungern mein Mißtrauen
hinſichtlich des Schwefelgehaltes ſeines Mineralwaſſers wahrgenommen
hatte, holte gern etwas von dieſem Anfluge herab, fügte auch Kalk-
ſinter aus einer Abzugsröhre hinzu; Beides werde brennen, wenn
ich es der Flamme einer Kerze nähern wolle. Daß Letzteres nicht
der Fall war, brauche ich Sachverſtändigen kaum zu bemerken. Der
Anflug von der Decke beſtand aus einem Aggregat von zarten Na-
deln, welches, aus der Ferne betrachtet, ein baumwollenartig lockeres
Anſehen ergab. Mehrerer Sicherheit wegen bewahrte ich einen Theil
deſſelben ſorgfältig auf, und übergab ihn ſpäter in Bonn meinem
verehrten Freunde, Hrn. G.-R. Guſtav Biſchof, welcher die
Maſſe für kohlenſauren Kalt erklärte. Dieſelbe Erſcheinung wird
bekanntlich an manchen feuchten Mauern öfter wahrgenommen, ſo
fand ich ſie z. B. im Juni 1859 an der inneren Seite eines
maſſiven runden, Thurmes der Schloß-Ruine von Blankenberg
an der Sieg, hier aber freilich in derber Geſtalt, -
Eski-Kaplidſcha oder Altbad heißt ein unmittelbar an
dem Eingange in das Dorf Tſchekirghe zur rechten Hand lie-
gendes anſehnliches Badehaus. Der Name rührt davon her, daß
es zu den Zeiten der Griechen bereits beſtand, doch hat Sultan
Murad I. den gegenwärtigen Dom darauf ſetzen laſſen, der zwar
an Umfang den von Jeui- Kaplidſcha nicht erreicht, doch aber
bei ſeiner hervorragenden Lage eine impoſante Wirkung hervorbringt
Unterhalb des Geſimſes der domartigen Kuppel fand ich einen Frieß
von blauen Arabesken auf weißem Grunde angebracht. Die innere
Einrichtung des Bades iſt einfacher als die, welche man in den
neueren Bädern vorfindet, und wird hauptſächlich von der ärmeren
Volksklaſſe benutzt. Das hier zur Anwendung kommende Mineral-
waſſer entſtrömt derſelben Quelle, welche gemeinſchaftlich die ſämmt
ichen Badeanſtalten des Dorfes Tſchekirghe etwa 11 bis
an der Zahl, peiſet. Der hier in der Abzugsröhre maſſenhaft
Ä Kalkſinter, beſitzt eine marmorartige Härte und nimmt
Po itur an -
rr. ºtſ. :::
– 188 –
B wir häuptſääh daran lag, die erwähnte gehellſchaftliche
Güele der Bäder vön Tſchekitghe an ihren Ä
unterſuchen, ſo ließ ich mich vor Allein zu ihr hinführen. Sie #
ſich an einer mäßigen Anhöhe in einen kleinen, iſt einigen Bäu-
üten ausgeſtätteten Garten. Sie tritt etwa zehn Füßunter der Ober-
ſºlche hervor, welche mit zwei Oeffnungen verſehen iſt, einer ſenkrech-
eh und einer ſchräg ausmündenden. Die letztere diente ihr dazu, auf
durchfeuchtetem Thonböden den Eingang bis zur Waſſerfläche zu
finden. Das mehrmals eingetauchte Thermometer zeigte + 34° R.
Das Waſſer ſelbſt erſchien voükommen klar und ergab weder mir
hoch meiñei Dragoitän einen irgend hervorragenden Geſchmäck;
es dürfte alſo qualitativ dem von Kara-Muſtafa nicht ſehr fern
ſtehen. – Die Badhäuſer des ſüdweſtlichen Endes des Dorfes
entfernen ſich von den bisher genannten durch eine der weſteurö-
päiſchen ähnlichere Einrichtung. Namentlich befindet ſich dort di
weſtlichen Ende der Hauptſtraße zur rechten Hand ein caſernenart
aufgeführtes anges Gebäude mit zahlreichen Zimmern zur Aufhähne
von Badegäſten, äh ſeiner Außenſeite mit langen hölzernen Altanen
ÄÄÄÄ
Süd-Weſt, die ſchmalere nach Nord-Weſt gewendet. Seine das nähe
That beherrſchende Lage auf einer Athöhe zeichnet ſich ſehr vor-
heilhaft aus. Sie gewährt zugleich eine überraſchend ſchöne Äis-
ſcht über das reiche Thal hinaus auf das gegenüber liegende K.
tertä-Gebirge, in der Richtung auf judäitia. Mehrere ältere
zur linken Hand der Hauptſtraße gelegene Anſtalten der Art eigen
Ä #
iche Ausſtattung freilich von den Luxus der weſteuröpäiſchen Bäder
ſehr entfernt bleibt
Alich letztere Quellen werden bis jetztlicht zum Trinken, ſonderk
allein zum Baden benutzt. – Die verhältlißmäßig hohe Temperatur,
in welcher die Bäder hier genommen zu werden pflegt, der Wäſſer-
dämpf, in welchem der Badende während der gänzth Öperation
eingehüllt bleibt, ſeien ſie zu wahren Dämpfbäder, die dör.
jugsbeiſe durch eine bedeutende der Häut Müsdünſtill
wirkſam werden. Auf die an und für ſich nicht anſehlichen miät-
räliſchen Beſtandtheke dürfte es hierbei uñt ſo weniger änkbilatei,
als man ſie in der Regel noch durch den Zuſatz von kaltem -
waſſer ſtark verdünnt. Mit Rückſicht auf das weſt-aſiatiſche Klima,
ſowi: bei der myſterhaften Vorſicht, welche die prt angeſtº
Badewärte, entwickeln müſſen ſie deſſen ungeachtet als höchſt
hänswerth Hülsmitte bei zahlreichen ſchºsſen abryºledº
betrachtet werden, wenn die ſich überhaupt für ein ſo kräftige
Ä 1 angjähre umſtand, daß das Erdbº
ben von 1855 die Quellen von Tſchetixghe unueberfuhen, die von
Bruſiº aher um Ätock bracht es freilich die Vermutung ſehr
nahe, daß all dieſe Mineralwaſſer in den enºrien des Kaufes,
aus welchem ſie hervorſprudeln, einen gemeinſchaftlichen Zuſammenhang
haben, der ſie ihrer chemiſchen Conſtitution nach einander nähren
muß, wie dies ſich in der That auch durch die Analyſe bewährt hat,
Es iſt ſogar nicht unwahrſcheinlich, daß ſie urſprünglich aus dem gra
nitiſchen Gebirgeock des Olymp den Urſprung nehme, um hernach den
auſgelagerten auf zu durchdringen. Die Achnitt mit den
berühmten Quellen von Teplin Bºhnen, auf welche Hºr
Riger ſchon hingedeutet hat, allerdings vorhanden, Gich
veraltete ſicherloſe Rheumatiºnen, langwierige Hautkrankheiten wer-
den ſich vorzugsweiſe zur Behandlung durch die Bäder eignen,
Die an feſten Beſtandtheilen ärmeren Quellen, dürften in ähn-
licher Weiſe wie Pfäffers und Gaſtein zur Anregung geſunkener
Nervenkraft benutzt werden können, mithin auch auf lähmungsartige
Zuſtände vortheilhaft einwirken, die mit ſolchen Nervenübeln ver-
hunden ſind. Für leztere wird indeſſen die heißer Zeit des Som-
mºr zu vermeiden und der beginnende Hºrſt oder der Frühling
z. Äuº ſº mInnen des Fºyers bereits Ägeren
Zerſtörungen ſchliefen den Gebrauch dieſer warmen ºder aus
doch würde zu unterſuchen ſº ab unter ſºlchen Umſtänden nicht
das Ägº Tintºn die Mineralwaſſer Nuºn hanönnt,
– Bekanntlich haben manche Aerzte das endemiſche Vorkommen
des Kropfes einiger Gegenden aus dem Kalkboden derſelben ableiten
wollen; ich bemerke dazu, daß ganz Bruſa auf Kalktuff liegt mir
deſſen ungeachtet keine Kröpfe hier aufgefallen ſind.
Asklepiade von Bithynien. – Sowie die höchſte ſtaatliche
und politiſche Blüthe der Völker jeder Zeit durch die Erhebung der
Künſte und Äſſenhaften erkennbar geworden iſt, ſo war dies auch
mit Bruſa der Fall, als die König von Bitynen dort ihre Re-
ſidenz aufgeſchlagen hatten. Das Anſehen und die Macht dieſes
Känigthums läßt ſich ſchon daraus einigermaßen entnehmen, daß
– 190 –
Hannibal, als ihn die Römer allenthalben verfolgten, dorthin
zuletzt ſeine Zuflucht nahm. Unter den dortigen Männern der
Wiſſenſchaft damaliger Zeit iſt es beſonders Einer geweſen, deſſen
Thätigkeit mit den Gegenſtänden, welche dieſe Schrift berührt, in
näherem Zuſammenhange ſtand. Es iſt Asklepiades von Bi-
thynien, der Gründer einer berühmten mediciniſchen Schule zu
Rom. Von ihren Lehrſätzen iſt wenigſtens ſo viel bis auf uns
gekommen, daß wir ihre Reſultate noch heute dankbar anerkennen
müſſen. – Asklepiades lebte in Rom zu Ende des zweiten
und im Laufe des erſten Jahrhunderts v. Chr. Er war der
Schöpfer eines mechaniſchen Syſtem's der Heilkunde, gegründet auf
die Corpuscularphiloſophie Epikur's. Sein Schüler Themiſon
bildete es ſpäter zu dem ſogenannten methodiſchen Syſteme aus,
welchem die meiſten wiſſenſchaftlichen Aerzte der damaligen Zeit drei
Jahrhunderte lang huldigten. Er gelangte durch zahlreiche glückliche
Kuren, durch hinreißende Beredtſamkeit und liebenswürdiges Be-
nehmen in Rom zu dem höchſten Anſehen. Von erſteren iſt uns
der intereſſante Fall aufbewahrt worden, daß er eine Scheintodte
wieder zu erwecken verſprach, die bereits auf dem Scheiterhaufen
lag, und hierin Wort hielt. Daß wir eines ſolchen den Einfluß
auf Jahrhunderte erſtreckenden Arztes Bildungsgeſchichte nicht näher
kennen, muß wahrhaft bedauert werden. Jedenfalls läßt ſich aber anneh-
men, daß die mediciniſche Schule ſeiner Vaterſtadt einigen Einfluß auf
ihn werde geübt haben, obgleich ihm Athen und Alexandrien die hö-
heren Wehen gaben. Wahrſcheinlich darf ſich aber Bruſſa einen Theil
des Ruhmes ſeines Schülers zuſchreiben, deſſen Lehren heutigen Tages
bei den Aerzten um ſo mehr Aufmerkſamkeit erregen mögen, als
ihre Grundlagen mit denen der gegenwärtig geltenden exacten Me-
diein manche Aehnlichkeit nachweiſen. Seine Atome nennt man zur
Zeit Molecüle, und wenn er dieſe Atome aus bloßer Naturnoth-
wendigkeit ſich durch unſichtbare Kanäle bewegen, auch von der
ungehinderten, freien Strömung jener in dieſen den geſunden
Zuſtand abhängig ſein läßt, ſo darf man ihm ſolchen Verſtoß gegen
die feinere Anatomie doch wohl jetzt nicht zu hoch anrechnen. Läßt
doch ein Mann, der ſich zu einem der Führer heutiger exacter
Naturforſchung aufzuwerfen ſtrebte, unſere Gedanken und Vor-
ſtellungen durch Hirnorgane ſecerniren, die noch kein Unbefan-
gener geſehen, und ſie durch Kanäle wirkſam werden, die noch kein
– 191 –
Mikroſkop nachzuweiſen vermocht hat. Wenn aber Asklepiades
ſehr weiſe den Wuſt ſpecifiſcher und abergläubiſcher Heilmittel,
welche die damalige alexandriniſche Schule anpries, verurtheilte,
ſo wußte er doch ſehr wohl die einfachen und durch vorurtheilsfreie
Beobachtung erprobten Mittel zur Erreichung ſeiner Heilzwecke zu
benutzen. Er war der erſte, der ein zweckmäßiges diätetiſches Ver-
halten in der Krankenbehandlung obenan ſtellte, der durch kalte
oder warme Bäder, durch geordnete tägliche Körperbewegung, durch
Reiben der Haut, richtige Wahl der Speiſen und Getränke, ſowie
der Beſchäftigungen, Krankheiten zu beſeitigen wußte. Dabei ſpannte
er ſeine Phantaſie keineswegs bis zu der Viſion, daß es für den menſch-
lichen Körper einerlei ſei, ob man ihm Blut entziehe, ihm Brech-
mittel reiche, oder gar nichts thue, wie es eine gewiſſe Schule
jüngſt lehrte, die ſo das Princip mephiſtopheliſcher Verneinung auf
die Spitze trieb und nothwendig Schüler ſchaffen mußte, die her-
nach, von einem ſolchen Princip durchdrungen, rathlos am Kranken-
bette ſtehen.
Wie überhaupt die Wiſſenſchaften dort gern gedeihen, wo ſie
mächtigen Schutz finden, ſo ſcheint die höhere Ausbildung des
Asklepiades mit der höchſten Blüthe des alten Pruſa der Zeit
nach zuſammen zu fallen. Denn damals war die Stadt nicht blos
die Reſidenz der Könige von Bithynien, ſondern ihr König Pru-
ſias hatte es auch gewagt, den Todtfeind Rom’s, den Hanni-
bal, an die Spitze ſeines Heeres zu ſtellen.
Dem oſtrömiſchen Reiche wurde Pruſa ſchon im Jahre 941
n. Chr. durch Seifed-dewlet, nach einjähriger Belagerung
abgenommen, und von jener Zeit ab folgten ſich barbariſche Zer-
ſtörungen, die nicht ſelten noch durch Erderſchütterungen begleitet
wurden, dergeſtalt auf einander, daß man die Zähigkeit des Bo-
dens billig bewundern muß, der noch heute eine ſo bedeutende
Stadt trägt.
Der bithyniſche Olymp. – Der bithyniſche oder myſiſche
Olymp, welchen die Türken Keſchiſch-Dagh oder Mönchsberg
nennen, iſt nach den Meſſungen des Marſchall's Marmont 6920“
hoch, mit denen die ſpäterhin von Hrn. Moritz Wagner unter-
nommenen, zu 7000“, nahezu übereinſtimmen. Hr. C. Ritter“)
*) Die Erdkunde. 18. Th. oder: Vergleichende Erdkunde des Halbinſel-
landes Klein-Aſien. 1. Th. Berlin, 1858. S. 658.
– 192 –
hält eine Höhe wm 7800 für die richtiger. Hr. J. Emilie”)
gibt ihm neuerdings eine Höhe von 9100 engl. Fuß. Es iſt dabei
zy bemerken, daß nach ihm den engliſche Fuß=135,1 pariſer
Linien, der preußiſche Fuß=139,1 par. Linien beträgt. Hr.
Kiepert hat auf ſeiner Karte der aſiatiſchen Türkei die Ziffer
an 8000 für die Hºt des Olymp angegeben und dieſe dürfte
nahezu das richtige Mittel halten, ſo lange, bis einec trigonºme
triſche Meſſung dereinſt die Höhe dieſes wichtigen Punktes ſicher
beſtimmt hahen wird. – Die Hauptmaſſe des weſtlichen Aſiens iſt
ein Plateau von 3000 bis 6000 Höhe über dem Meer. Mit
dieſem ſteht der Olymp durch einige Mittelglieder in Verbindung
von welchen der ſich an ihn nach Süd-Oſt zu anſchließende Du-
manytſch Dagh das nächſte und maſſenhafteſte iſt, ohgleich es
den Olymp au Höhe bei weitem nicht erreicht.
Ungeachtet ſeiner anſehnlichen Höhe kann man den Scheitel
des Olymp, keineswegs den Träger ewigen Schnees nennen, wie
es von einigen poetiſchen Reiſebeſchreibern, z. B. de Lamartine*)
geſchehen iſt, v. Hammer*) ſchenkt dem Berge ein Haupt, „welches
die Stirnbinde ewigen Schnees ſchmückt.“ Als ich ihn am 15. Oktober
zum letzten Male in der Nähe ſah, befand er ſich noch vollkommen.
frei von ſolchem Schmucke. Daß dies in einzelnen Jahren aus-
nghmsweiſe ſich anders verhalten mag, verſteht ſich van; ſelbſt. Er
iſt übrigens alljährlich lange genug mit Eis bedeckt, um faſt vege-
tationslos zu ſein und Conſtantinopel zugleich, als Haupt-Lieferant
vºn Eis und Schnee zu dienen. Die Schiffsherren von Boſton,
welche ſeit 1802, ſo ſchwunghaften Eishandel mit China und Oſt-,
indien treiben, werden deshalb freilich mit Conſtantinopel niemals
derartige Geſchäfte zu machen haben, obgleich ſie doch 1847 ſchon
mehr wie 300 Schiffe damit beſchäftigten. Hx Gºiſebach fand
dem Olymp Anfangs Mai noch mit Schnee Leweckt, und ritt um,
dieſelbe Zeit in der Ebene von Bruſſa durch eine vom Nilufer-
überſchwemmte Niederung, zugleich durch ein Sºhnpf-Strecke. Dem
*) Ueberſichts-Profile über das Relief der Continenese und deren Erhebung
über den Meeresſpiegel. Nach dem Plane von Humboldt und Ritter.
Stuttgart und Leipzig, 1858
*) L. c. pag. 230.
**) Reiſe nach Bruſſa und dem Olymp. 18183 S. 5.
– 193 –
Marſchall Marmont*) verſicherten die Hirten, welche von ihm
oben angetroffen wurden, daß der Schnee durchſchnittlich am 10.
Juni von dem Berge fortgehe. Höchſtens kann dann in den tiefen
Spalten des nördlichen Abhanges des Berges ſich noch einiger Reſt
davon erhalten. In manchen Wintern fällt zu Conſtantinopel ſo
viel Schnee, daß man gar nicht nöthig hat, ihn von außerhalb
herbei zu holen. In anderen muß der Olymp freilich den Hof
des Sultans vorzugsweiſe damit verpflegen. Es bezieht ſich darauf
eine geſchichtliche Notiz, die ſo bezeichnend für die türkiſche Regie-
rungs-Wirthſchaft iſt, daß ihr hier ein kleiner Raum nicht verſagt
werden kann. Unter dem wetterwendiſchen und grauſamen Sultan
Ibrahim, gegen 1647, bemühte ſich Idris - Efendi, der Richter
von Bruſſa, ſo eifrig, dieſer Pflicht zu genügen, daß er bei einer
perſönlichen Beſteigung des Olymp ſich einſt verirrte und man ihn
bereits für umgekommen hielt. Als er endlich nach Bruſſa zurück-
kehrte, fand er ſein Amt beſetzt durch einen Schützling der Wä-
ſcherin des Harems des Sultans! -
Der 11. Oktober wurde von mir dazu gewählt, die Spitze
des Olymp zu beſteigen. Ein heiterer, ſonniger, wolkenloſer Hori-
zont verſprach die dazu erforderliche Witterung. Drei kräftige
Maulthiere trugen außer mir meinen Dragoman und einen mit
dem Berge wohlbekannten italieniſchen Diener, der ſeit Jahren in
Bruſſa lebte. Wir machten uns um 6 Uhr Morgens, als es eben
vollkommen hell geworden war, auf den Weg, und durchritten den
Haupttheil der Stadt, ſeiner Länge nach, in der Richtung von
Weſten nach Oſten. An vielen Orten hatten ſich bereits die Ar-
beiter an den zahlreichen Bauten, namentlich an der Moſchee Ulu-
Dſchami, verſammelt; doch fehlte es auch jetzt ſchon nicht an tabuk-
rauchenden Müſſiggängern. Vor der Oſtſeite der Stadt allmälig
anſteigend, bemerkte ich einen ziemlich breiten Erdriß, wahrſcheinlich
eine Folge des letzten Erdbebens. Wir paſſirten dann über einer
zicmlich ſchlechten hölzernen Brücke den jetzt vollſtändig ausgetrock-
neten Gök-Dere, der ſich hier ein anſehnlich tiefes Felſenbett
ausgehöhlt hat. In dieſem fand Hr. Griſebach**) Anfangs Mai
zwei Pflanzen, die bis dahin dort nirgend anderswo vorgekommen
*) Voyage du Maréchal Duc de Raguse. V. II. pag. 155.
**) A. a. O. I, S. 59.
– 194 –
ſein ſollen, Aubrietia purpurea Dec., Lamium veronicaefolium
Benth. – Oberhalb des öſtlichen Theiles der Stadt dehnen ſich
am Bergabhange zahlreiche türkiſche Begräbnißplätze hin, die mit
zahlreichen rieſenhaften Cypreſſen geſchmückt ſind, unter denen hier
und da eine umfangreiche orientaliſche Platane ſich erhebt, welche
die Cypreſſen überragt. Man erkennt an dieſen Bäumen deutlich,
welche Vegetation auf dem Kalkboden unter dieſem Himmel durch
einen zweckmäßig geleiteten anhaltenden Fleiß beſchafft werden könnte.
– Wir behielten die Vorſtadt Emir Sultan zur Linken und ver-
folgten den Weg ſchräg nach aufwärts, den Gök-Dere hinter uns
laſſend. Auf dieſe Weiſe hatten wir endlich den Vorhügel oder
Fuß des Olymp überſchritten, an welchen ſich Bruſſa anlehnt.
Die feſte Grundlage dieſes Vorhügels wird durch Kalktuff
neuer Formation gebildet, welcher häufige Blattabdrücke ent-
hält. Die letzteren ſind namentlich in den 1855 durch das Erd-
beben abgeſprengten enormen Blöcken des Kalktuffs zu Tage ge-
kommen. Mehrere von mir dem Muſeum zu Poppelsdorf übergebene
Stücke deſſelben enthalten deutlich erkennbare Abdrücke der Blätter
von Rhamnus Frangula, einer Prunus-Art (wahrſcheinlich
P. Padus), mehreren Weiden-Arten u. ſ. w., von lauter ſolchen
Gewächſen, wie ſie der untere Abſchnitt des Olymp noch heute
trägt. Dieſe Region des Kalktuff's läßt ſich von dem Alluvium
der Ebene Bruſſa's bis oberhalb der Ruinen ſeines alten Schloſſes
mit Sicherheit verfolgen. Die vielgeſtalteten Klüftungen und röhren-
artigen Höhlen laſſen nicht zweifeln, daß hier eine maſſenhafte
Vegetation zu Grunde gegangen iſt, indem ſie durch einen Süß-
waſſer-Niederſchlag überdeckt wurde. Die Mächtigkeit des letzteren
läßt ſich ungefähr ermeſſen, wenn man weiß, daß die Höhe der
Schloß-Ruine über der Ebene mindeſtens 500 beträgt. Da nun
die Stadt 800“ hoch über dem Meere liegt, ſo darf man annehmen,
daß der durch den Kalktuff begründete Vorhügel des Olymp bis
zu einer Höhe von etwas über 1000 hoch über dem Meere an den
Fuß deſſelben hinauf reicht. Inſofern es aber zweckmäßig erſcheint, die
Regionen des Berges ſelbſt oberhalb der Stadt beginnen zu laſſen,
ſowie es auch von Seiten meiner Vorgänger in der Beſchreibung
deſſelben geſchehen iſt, ſo würde die Eintheilung dem Maße von
7000 angepaßt werden müſſen. Hiernach ſind die folgenden Be-
ſtimmungen zu beurtheilen.
– 195 –
Erſte oder Kaſtanien-Region. – Subſtrat des Bodens:
dichter Kalk. Der für die Saumthiere gebahnte Pfad, welcher von
dem rechten Ufer des Gök-Dere aus ſchräg über den Vorhügel
zur erſten Region hinanſteigt, wird ſchon bald etwas unbequem
ſteil. Ein derber körniger Kalk tritt allenthalben zu Tage,
und bedeckt in abgeſprengten und zerbröckelten Bruchſtücken rechts
und links neben dem Pfade einzelne humusloſe Abſätze an vielen
Stellen. Die Humusdecke ſcheint an dem Abhange ſelbſt ziemlich
dünn zu ſein, was von den während des Schmelzens des Schnee's
mit Macht herabſtürzenden Bergwaſſern herrühren mag, welche von
dieſer Erdkruſte alljährlich Vieles nach abwärts herunter ſchwemmen.
Die Mächtigkeit dieſer Region des Kalkes läßt ſich ohne Ueber-
treibung auf eine Höhe von 2000“ feſtſtellen. Hr. Griſebach hat
hier an einigen Stellen einen der künſtleriſchen Bearbeitung voll-
konmen würdigen Marmor geſehen. In der zweiten Region iſt es
ein Gürtel von Gneiß, der den Granit umgibt. – Die Vegeta-
tion dieſer Region des Kalkes iſt ungemein üppig, und erſchien
gegen die Mitte des Oktobers noch in friſcheſtem Grün. Im
unterſten Abſatze herrſchen die echten Kaſtanien bei Weitem vor,
meiſtens jedoch junger Ausſchlag, da man den Bäumen keine Zeit
gönnt, ſich zu mächtigeren Stämmen zu entwickeln, deren verhältniß-
mäßig nur wenige da, wo ſie von der Stadt nicht zu fern liegen,
übrig geblieben ſind. Es mag hinzukommen, daß die Kaſtanie in
der feuchten Ebene ungleich üppiger gedeiht, und daß der ſchon
beſchriebene Kaſtanienwald Früchte in ſolcher Menge liefert, daß
Bruſſa das ganze Land weit und breit damit verſorgen kann. Ober-
halb der Kaſtanien treten dann vorherrſchend Weißbuchen, darauf
Linden, Eſchen, Haſelnuß-, Cornelkirſchen-, und Kreuzdornſträucher
in buntem Gemenge hervor. Bei Abdalla Murad finden ſich
Styrax officinalis und Perip loca grae ca. Unſer gemeiner
Wachholder läßt ſich hier nur ſelten ſehen, dahingegen in der
folgenden Region, bis zu dem Fuße des höchſten Kegels hin Ju-
niperus Oxycedrus und nana weite Flächen bedeckt. Seſtini*)
wollte deshalb eine Wachholderregion am Olymp feſtſtellen. Er
und Sibthorp fanden auch Juniperus Sabina, welches Hr.
*) Voyage dans la Grèce asiatique. Traduit de l’Italien. Londres
et Paris, 1789. pag. 144. sq.
9"
– 196 –
Griſebach als JuKniperus sabinoides aufgeführt hat. Un-
gefähr in der Mitte dieſer Region dehnt ſich ein geräumiger Abſatz
hin, den die Türken „Sieger-Alpe“ nennen, weil Sultan Orchan
von hier aus die Belagerung geleitet haben ſoll, welcher endlich
Bruſſa erlag. Wer die türkiſchen Namen dieſer und zahlreicher
anderer Alpen und Schluchten zu erfahren wünſcht, findet ſie bei
v. Hammer*) ausführlich. Man gewinnt von dieſem erſten
Hauptabſatze aus eine überraſchend ſchöne Ausſicht auf die am Fuße
des Berges liegende Stadt, die reiche Ebene und das gegenüber
liegende Katerlü-Gebirge. Er iſt während der Sommerzeit zu-
gleich der Hauptſitz der turkomaniſchen Hirten, welche ihre Heerden
hier weiden, indem ſie mit jenen bis an den Fuß des oberſten
Kegels aufſteigen. Dieſe Horden waren bei meiner Anweſenheit mit
ihren Heerden bereits wieder in die Ebene hinabgeſtiegen. Sie pflegen
nämlich während der ſtrengeren Jahreszeit in Mualitſch und Um-
gegend zuzubringen wo, auch der ihnen von der Pforte geſetzte Vor-
ſteher wohnt. Ihre körperlichen Eigenthümlichkeiten, Sitten und
Gebräuche ſind von v. Hammer u. A. beſchrieben worden. Leider
tragen ſie zur Entwaldung des Olymp weſentlich bei, nicht blos
durch Ausbrennen des Harzes aus den Tannen, ſondern auch durch
den böſen Gebrauch, daß ſie wirklich einzelne Waldſtrecken abſichtlich
ausbrennen, wenn es ihren Thieren an Weideplätzen mangelt. –
Dieſe Turkomanen bilden, wo ſie durch Verbindung mit anderen
Völkern, z. B. mit den Bewohnern von Stambul, noch nicht ver-
dorben ſind, einen moraliſch höher ſtehenden Stamm, als es der
der ſchlauen Araber iſt. Sie ſind gaſtfreundlich und bieder in Wort
and That, obgleich unwiſſend und roh. Je entfernter ſich ihre
Dörfer von den Paſchaſitzen befinden, je wohlhabender und volk-
reicher ſind ſie*).
Zweite oder Buchen- und Eichen-Region. – Weiß-
buchen und unter den Eichen Quercus infectoria vorherrſchend.
Subſtrat: Gneiß. In ihr tritt dieſer Gneiß anfänglich durch den
Kalk hier und da hervor, drängt aber etwas höher jenen vollſtändig
*) Umblick auf einer Reiſe nach Bruſſa und dem Olympos. Peſth, 1818.
S. 76.
**) Vergl. Ruſſegger, Reiſen. Stuttgart, 1843. Bd. 1. Th. 2. S.
534–41.
– 197 –
zurück, ſo daß man dieſe Region mit Recht die des Gneiß nennen
kann. Einzelne Strecken des aufwärts ſteigenden Pfades werden
anſehnlich ſteil, ſchräg abgeflachte und horizontale Abdachungen zeigen
ſich ſeltener. – Im oberen Abſchnitte dieſer Region treten die bis
dahin überwiegend geweſenen Laubhölzer allmälig immer mehr und
mehr zurück, um immergrünen Coniferen Platz zu machen, die end-
lich die dritte Region vollſtändig einnehmen. Unter ihnen zeichnet
ſich beſonders Pinus Laricio durch ſeine gedrängten Büſchel mit
drei Zoll langen Nadeln vortheilhaft aus; weiter oben wird er durch
die Weißtanne, Pinus picea, verdrängt, aus welcher man Terpenthin
und Harz in bedeutender Maſſe gewinnt. Dieſe Tanne bedeckt noch
die oberſte Platte der dritten Region bis zur Baſis des vegetations-
loſen höchſten Kegels, deſſen Höhe ſich auf 1500 über jener Platte
ſchätzen läßt. In einer Höhe von 3500 geſellen ſich zu den Weiß-
buchen einzelne Rothbuchen hinzu, und vereinzelte feuchte Stellen
ſind mit Erlengebüſch reichlich bewachſen. Unter ihnen grünt Par-
nassia palustris, Hypericum rhodopeum und olympicum. Die
hier allgemein verbreiteten Ciſten müſſen im Frühlinge durch ihre
ſchönen Blüthen zum Schmucke des Berges weſentlich beitragen;
mit Saamenkapſeln maſſenhaft ausgeſtattet fand ich Cistus villosus,
salvifolius und lancifolius. Außerdem ungemein häufig Alche-
milla vulgaris, Trigonella und Viola montana. Die im Norden
von Europa überwiegende gemeine Kiefer, Pinus sylvestris, zeigt
ſich hier nur ſelten und bleibt in dem unteren Abſchnitte der Nadel-
holz-Region. – Die Höhe dieſer zweiten Region läßt ſich gleichfalls
auf 2000 ſchätzen.
Dritte oder Coniferen-Region. – Subſtrat: Granit,
der hier grobkörnig allenthalben zu Tage tritt. – Sie bildet
in ihrem oberſten Abſchnitte eine anſehnlich breite faſt horizontale
Fläche, die mit zahlreichen, zerſtreut herumliegenden, mächtigen Gra-
nitblöcken an manchen Stellen gleichſam überſäet iſt, zwiſchen denen ein
weißglänzender Quarz in unzähligen Fragmenten ausgeſtrent den Bo-
den deckt. Die ſchon erwähnten Wachholder-Arten nehmen, in großen
Neſtern zuſammengeſtellt, einen bedeutenden Theil der ſteinfreien Boden-
fläche ein. Die Tannen ſtehen in dieſer Hochebene weniger dicht zuſam-
men; augenſcheinlich ſind ſie der zerſtörenden Hand der Menſchen
hier leichter zugänglich geweſen, als an den ſteileren Bergabhängen.
Die vereinzelten Bäume werden gleichzeitig niedriger, verkümmerter,
– 198 –
aber eigentliches Knieholz trifft man nirgends an. Auffallend bleibt
es immer, daß hier unter dem 40. Grade nördlicher Breite ſchon
mit einer Höhe von 6500 jede Baum- und Strauch-Vegetation
aufhört. Der gänzliche Mangel einer Humus-Decke auf dem derben
Sandſtein ſcheint hierbei beachtet werden zu müſſen. – Die dem
äußeren Rande der Ebene zunächſt liegenden Granitblöcke zeigen hier
und da ſo barocke Formen, daß die rege Phantaſie eines Märchen-
ſchreibers hier reichen Stoff zu neuen Dichtungen finden könnte.
Einen Verſuch der Art hat Hr. v. Hammer*) bereits geliefert.
Man kann dieſe Region des vorherrſchenden Granit's auf 2500'
Höhe ſchätzen. Sie erhebt ſich ſehr langſam bis zu dem Fuße des
letzten Kegels. Dieſer bildet demnach die vierte Region oder
die Bergſpitze. Sie iſt faſt vegetationslos; Seſtini fand hier oben
außer Steinflechten nur noch Nardus stricta und andere verküm-
merte Gramineen.
Als wir in dieſer Höhe angekommen waren, ſank die Luft-
Temperatur, welche in der Ebene um 6 Uhr Morgens + 8° R.
betragen hatte, bis auf + 2° R. herunter. An dieſem höchſten
Rande der Granit-Region hatte ich mit einem frugalen Frühſtücke
die letzte Vorbereitung zur Erſteigung der Spitze des Berges ge-
macht, als dieſe ſich unerwartet mit einer dunkeln runden Wolke
hutförmig bedeckte. Dieſe Nebelkappe überzog den vor uns liegenden
Kegel in raſchem Fortſchreiten bis zum Fuße, und wickelte uns
endlich in einen zwar feinen aber dichten Regen ein. Da dieſer es
unmöglich machte, umher zu ſehen, ſo blieb uns nichts weiter
übrig, als die erſehnte Erſteigung der Bergſpitze aufzugeben. Doch
war ſo viel Zeit vorhanden, die Ueberzeugung zu gewinnen, daß der
noch vor uns liegende letzte Kegel aus dichtem Sandſtein und aus
Quarz beſteht. Letzterer ſoll, wie Hr. Dr. Thirk verſicherte, hier
und da Goldadern zeigen. Es wird ſomit ſehr wahrſcheinlich, daß
in einer frühern Bildungs-Periode vulkaniſche Gewalten die coloſſale
Granitmaſſe des Olymp's in die Höhe getrieben, mit ihr aber zu-
gleich auf ihrem Scheitel eine 1500 hohe Sandſteinmaſſe gleich
einer Krone nach oben gehoben habe. Auf dieſe Weiſe läßt ſich
auch die Umhüllung der erſten Region mit einem Mantel von
dichtem Kalk genügend erklären. – Der Regen begleitete uns nach
*) A. a. O. S. 79.
– 199 –
abwärts bis in den obern Abſchnitt der erſten Region. Von dort
ab trafen wir wieder dieſelbe heitere Atmoſphäre, welche uns am
Morgen nach oben geleitet hatte. Doch behielt die von der Ebene
aus betrachtete Bergſpitze den größeren Theil des übrigen Tages
hindurch ihre ſchwarze Kappe, und ließ es alſo nicht bedauern, daß
wir oben nicht im Regen ausgeharrt hatten, um eine etwaige Luft-
klärung abzuwarten. – Proben der erwähnten Geſteine ſind in dem
- mineralogiſchen Muſeum der Univerſität zu Bonn von mir nieder-
gelegt worden.
Von der Spitze des Olymp ſagt v. Hammer, daß dort die
Ruinen eines ehemaligen griechiſchen Kloſters ſichtbar ſeien; neuere
Reiſende wollen dergleichen nirgends bemerkt haben. Der türkiſche
Name „Mönchsberg“ würde ſich leichter erklären laſſen, wenn ſie
auf ſeiner Spitze ein ſolches Gebäude etwa gefunden haben ſollten.
Nun iſt es aber hiſtoriſch gewiß, daß ein Kloſter auf dem Olymp
vorhanden war; nicht ſo gewiß iſt ſein ehemaliger Standpunkt.
Kaiſer Conſtantin II. beſuchte es und der Abt des dem Märtyrer
Athenogenes geweihten Kloſters zeigte ihm ein Diplom des Kaiſers
Leo, ſeines Vaters, vor, welchem vorausgeſagt worden, daß ſein
Sohn bald nach ſeinem Beſuche des Olymp ſterben werde. Letzterer
Umſtand trug vielleicht dazu bei, daß Conſtantin II. wirklich bald
darauf ſtarb. Der oberſte Abſatz des Berges läuft in zwei Spitzen
aus, zwiſchen denen ſich eine ſattelförmige Vertiefung vorfindet.
Einige Türken behanpten, daß ſich hier oben das Grab eines Mön-
ches vorfinde. – Den Nilufer, welcher während ſeines Laufes
durch die Ebene von Bruſſa die Waſſer des Olymp aufnimmt, läßt
v. Hammer nicht aus dem Olymp ſelbſt, ſondern aus dem Ge-
birge Boſaghan entſpringen, welches durch das Thal von Adra-
nos vom Olymp getrennt iſt. Letzteres trägt ſeinen Namen davon,
daß Kaiſer Hadrian hier eine Stadt anlegte, welche ſeinen Na-
meu trug.
Einwohnerzahl der in Weſtaſien durchreiſten Provinzen.
– Der Boden der Ebene und ſeine Erzeugniſſe. – Ein in
der Ebene durch Erdbeben zerſtörtes Dorf. – Ritt nach
Gemlik. – Das Katerlü-Gebirge. – Die durch Feuers-
brunſt in Aſche gelegte Stadt. – Rückkehr nach Stambul.
Den 15. Oktober hatte ich zur Rückreiſe von Bruſſa nach
Conſtantinopel beſtimmt, indem ich mich des an dieſem Tage
– 200 –
von Gemlik abgehenden Dampfſchiffes zu bedienen beabſichtigte.
Vorher veranlaßte mich ein Umblick auf die durchwanderten Gegen-
den Weſt-Aſien's, die im Berhältniſſe zu früheren beſſeren Zeiten
ärmliche Bevölkerung derſelben näher ins Auge zu faſſen. Die
türkiſche Regierung hatte im Laufe des Jahres 1856 eine Volks-
zählung im Staate angeordnet. Einen Theil der Reſultate derſelben
hat ſpäterhin Hr. Dr. Mordtmann*) veröffentlicht. Hiernach
zählt: 1. Der Diſtrict Brufſa in 128 Gemeinden 152,907
Einwohner. 2. Die Provinz Bruſſa im General-Gouvernement
Chudavendigiar (Chodawendkar nach v. Hammer), deſſen Haupt-
ſtadt Bruſſa iſt, enthält in 858 Gemeinden 395,925 Einwohner.
3. Der Diſtrict Iskimid (Jsmid, Iznikmid, Nikomedien)
umfaßt in 80 Gemeinden 35,400 Einwohner. 4. Der Diſtrict
Isnik (Nicäa) in der Provinz Bruſſa wird durch 34 Gemeinden
mit 13,899 Einwohnern zuſammengeſetzt. Vergleicht man jene dürf-
tigen Ziffern mit dem Reichthum des Bodens und der Gunſt des
Klima's, wirft man zum Ueberfluſſe auch wohl noch einen Blick
auf die geſchichtlichen Ueberlieferungen über die in früher Zeit hier
zahlreich blühenden Städte mit ihren maſſenhaften Einwohnerzahlen,
ſo muß man zu dem niederſchlagenden Reſultate gelangen, daß das
herrliche Land unter der Herrſchaft der Türken entvölkert und in
einen Zuſtand von Marasmus verſetzt worden iſt. – Die gegenwär-
tigen Bewohner ſind durchſchnittlich milde geſinnt, kommen den
Fremden freundlich entgegen, und ich habe der Schutzwaffen hier
nirgends bedurft, ohne welche ich in der europäiſchen Türkei zu
reiſen nicht wagen durfte. – Die Atmoſphäre von Bruſſa fand
ich in der dort verlebten erſten Hälfte des Oktobers ausgezeichnet
rein, elaſtiſch und milde. Sonnen-Auf- und Niedergang warfen
täglich eine ſolche zauberiſche Beleuchtung auf die Landſchaft, daß
ich, in ihr Anſchauen verſenkt, oft jede andere Beſchäftigung darüber
vergaß. Auch Hr. Dr. Thirk erklärt den Herbſt für den genuß-
reichſten Jahres-Abſchnitt. Aber Hr. Prof. Griſebach*) hatte
das Glück, in der erſten Hälfte des Mai durch ganz Bithynien eine
Durchſichtigkeit der Atmoſphäre und Bläue des Himmels zu finden,
welche die Conturen ferner Berge ſcharf erſcheinen ließen, und
wobei eine milde, liebliche, friſche Luft den ganzen Tag gleichſam
*) Petermanns geographiſche Mittheilungen. Jahrgang III. S. 89.
*) A. a. O. S. 98.
- 201 –
in einen fortgeſetzten Sonnenaufgang verwandelte. Aus dem dunklen
elaſtiſchen Laube blühender Sträucher ſchlugen zahlloſe Nachtigallen.
Auf dem Olymp fingen damals die Kaſtanien freilich erſt an aus-
zuſchlagen. Seſtini traf Ende Mai's und Anfangs Juni abwech-
ſelnd Regengüſſe und unwiderſtehliche Hitze an, auch nennt er die Luft
drückend und ſchwül; er wohnte aber in einem türkiſchen Chan
mitten in der Stadt. – Die zum Lebensunterhalte unentbehrlichen
Materialien kann man ſich mit geringem Aufwande leicht verſchaffen.
Das Fleiſch der auf dem Olymp geweideten Thiere iſt beſonders
ſaftig. Forellen liefern die Bäche des Olymp in Menge; die der
ſogenannten vierzig Quellen ſollen die ausgezeichnetſten ſein. Hechte
und Karpfen ernährt der anſehnliche See von Mualitſch reichlich.
Die von dieſem See aus ſich nach Bruſſa hindehmende ſchöne Ebene
hat in der Richtung von Süd nach Nord ſechs Stunden Länge
und faſt eben ſo viel Breite; ſie geht unmittelbar in die von
Bruſſa über.
Die Türken nennen die Ebene von Bruſſa das Feld von
Filah dar. Ich durchritt dieſe Ebene auf dem Wege nach Gem-
lik, zum Theil im Trabe, bis an das Gebirge innerhalb zwei
Stunden; zum Ueberſteigen des Katerlü-Gebirges, des Argantho-
nios der Griechen, welches etwa 1000 hoch iſt, brauchte ich drei
Stunden; während dieſer war zwanzig Minuten geraſtet worden.
Wir haben es hier mit einem Uebergangs-Gebirge zu ihun, welches
aus Grauwacke beſteht, die an vielen Stellen von Thonſchiefer über-
lagert wird. Es iſt ein Ausläufer des höheren Sſamanlü-Ge-
birges, deſſen Höhe Hr. Griſebach, der es zwiſchen Jalova und
Baſardſchyk überſtieg, auf 2500 ſchätzt. Es umkränzt das nord-
weſtliche Ufer des See's von Nicäa und bildet auf dieſem Wege
mehrere Nebenketten. Dieſer Hauptſtock des Gebirges ſcheint bei
den Griechen vorzugsweiſe den Namen des Arganthonios ge-
tragen zu haben.
Die Landſtraße von Bruſſa nach Gemlik iſt über eine halbe
Stunde lang, rechts und links durch Bäume und Hecken angenehm
eingefaßt. Von dort aus windet ſie ſich aber ohne irgendeinen
Schutz von Seiten einer Vegetation über die Ebene hin. Nicht blos
Stoppelfelder, die Getreide getragen hatten, fanden wir, ſondern
auch weit ausgedehnte Weingärten. Den Nilufer, welcher in dieſem
Augenblicke vollſtändig ausgetrocknet war, überſtiegen wir auf einer
– 202 –
ſchlechten hölzernen Brücke. Hr. Griſebach fand Anfangs Mai
die Ufer dieſes Fluſſes weithin überſchwemmt und mußte auf dem-
ſelben Wege eine verſumpfte Strecke durchreiten. – Das ungefähr
in der Mitte der Ebene liegende Dorf Demirtaſch fanden wir
vom vorjährigen Erdbeben noch ſtärker heimgeſucht als Bruſſa ſelbſt.
Kaum eines ſeiner hölzernen Häuſer war ſtehen geblieben und erſt
jetzt hatte man ſich ſo weit ermannt, zum Wiederaufbau zu ſchreiten.
Andere Häuſer lagen noch in Trümmern. – Die Landſtraße über
den Berg fanden wir gut unterhalten; auch begegneten wir meh-
reren Zügen von beladenen Laſtthieren, die die Erhaltung der Land-
ſtraße um ſo nothwendiger erſcheinen laſſen. Zu beiden Seiten
derſelben treten anſehnliche Strecken bloßliegenden Geſtein's hervor,
denen eine Humusdecke gänzlich fehlt. Der nach Bruſſa hinſchauende
ſüdweſtliche Abhang des Berges iſt weniger ſteil als der nordweſt-
liche. Auf der Höhe des Berges findet ſich eine Mühle, mit einigen
Nebenhäuſern angebaut. Ungefähr in der Mitte des nördlichen
Abhanges folgt dann ein Derwend mit einem Militärpoſten, der
zugleich als Kaffehaus dient. Während des Raſtens in demſelben
fielen mir einige Marmor-Fragmente auf, die man zu häuslichen
Zwecken benutzte, weil ſie das griechiſche Kreuz ſo eingegraben trugen,
daß die gute Arbeit einer vortürkiſchen Zeit angehören mußte. Viel-
leicht hatten ſie einer jetzt verſchwundenen griechiſchen Kirche ange-
hört. Am Ufer des Meeres angekommen, fanden wir das erwartete
Dampfſchiff bereits unfern eines großen Hofes mit mehreren Ge-
bäuden vor Anker liegen. Der Gedanke lag nahe, ſich direct
in eine der vorhandenen Barken einzuſchiffen, um den Dampfer
in wenigen Minuten zu erreichen. Ein hier ſtationirter alter Po-
lizei-Soldat machte uns jedoch begreiflich, daß wir durchaus nach
dem eine kleine halbe Stunde von hier entfernten Gemlik reiten
müßten, um dort unſere Päſſe vorzuzeigen. Dort überzeugten wir uns
freilich, daß es ſich nur darum gehandelt hatte, auf dem Paß-Bureau
eine Abgabe zu zahlen, die wir in dem erwähnten Hauſe gern doppelt
entrichtet haben würden, wenn man uns den anſehnlichen Umweg
erſpart hätte. Dennoch gewährte dieſer Umſtand den Vortheil, daß
die Seeküſte in genaueren Augenſchein genommen werden konnte.
Ihre ganze Außenſeite deutete darauf hin, daß das hieſige Klima
ein merklich milderes, als das von Bruſſa ſein muß. Herrliche
kräftige Oelbäume decken den unteren Saum des Bergabhanges
– 203 –
allenthalben; ſie erinnerten mich an ähnliche ſchöne Bäume, die ich
ehedem bei San Remo, zwiſchen Nizza und Savona geſehen
hatte. Bekanntlich entwickelt der Oelbaum das Bild der Kraft
nur ſelten an ſolchen Stellen, die ſeinem Gedeihen ganz beſonders
zuſagen. Unter den Oelbäumen grünt hier Piſtaziengebüſch behaglich.
Die von der Cultur nicht eingenommenen Strecken werden von der
graziöſen Pinus maritima eingenommen, zwiſchen deren Stämmen
ſich aber auch der dornige Paliurus australis hervordrängt; Pyrus
salicifolia gewährt dazwiſchen eine angenehme Abwechſelung, auch
zeigt ſich Quercus coccifera mitunter. Die allenthalben ſichtbar
werdende fleißige Garten-Cultur veranlaßte mich, nach den Ein-
wohnern zu forſchen, die dieſen Fleiß entwickeln und erfuhr, daß
ſie vorherrſchend Griechen ſeien. Das Städtchen Gemlik, welches
etwa 8000 Einwohner zählt, die von Schiffahrt und Handel leben,
iſt faſt nur von Griechen bewohnt. Es lehnt ſich maleriſch gegen
die Berghöhe des innerſten geſchloſſenen Endes des Golfes von
Mudania oder Gemlik. Dieſe Griechen nennen es Kios, bei
den Kreuzfahrern hieß es Kibotos; es ſoll zur Zeit der Blüthe
Bruſſa’s eine anſehnliche Handelsſtadt geweſen ſein. König Pru-
ſias hatte es nämlich wieder aufgebaut, als es durch die Perſer
zur Zeit des Darius zerſtört worden war. Auch war der Ort ſo
ſtark befeſtigt, daß er nach dem Falle von Bruſſa dei Türken noch
drei Jahre widerſtand. Er liegt, wie oben bemerkt, 7000 Schritte von
dem ſüdlichen Ende des See's von Nicäa entfernt. Leider fand ich
ihn durch eine Feuersbrunſt, die vor wenigen Monaten hier gewüthet
hatte, dem größeren Theile nach in Aſche verwandelt. Der Anblick
dieſer Zerſtörung war ein höchſt trauriger; nur eine geringere An-
zahl der dem Meere nahe gelegenen Häuſer war bereits aus der
Aſche wieder erſtanden. Unter dieſen hob ſich ein zweiſtöckiger Gaſt-
hof beſonders hervor, der durch die lebhaften Farben ſeines An-
ſtriches, weiß und blau, weithin leuchtete. Die meiſten Einwohner
lebten jedoch noch unter Zelten oder Baraken, die man vor der
Stadt aufgeſchlagen ſah. – Die Sonne ſank bereits hinter das
Gebirge, als wir endlich, mit einer anſehnlichen Geſellſchaft zu-
ſammen, die Barke beſteigen durften, welche uns dem fernliegenden
Dampfſchiffe zuführen ſollte. Auf dieſem trafen wir bereits eine
ſehr lebhafte Bewegung; doch lichtete es die Anker erſt ſpät. Nach
Mitternacht hielt es bei Mudania, dem alten Apamaia, an.
– Z04 –
Die Dunkelheit verhinderte, etwas von ihm gewahr zu werden;
doch ſoll die Umgegend fleißig cultivirt ſein. Da der Weg von
Bruſſa nach Mudania um etwa eine Stunde kürzer iſt, als der
nach Gemlik, ſo ſuchen die dortigen Pferdeverleiher die Reiſenden
zu dieſem kürzeren Ritte zu veranlaſſen. Hiermit iſt indeſſen der
Nachtheil verbunden, während der Nacht entweder am Meeresufer
des Dampfſchiffes harren zu müſſen, oder Unterkommen zu ſuchen
in einem ſchlechten, theuern Wirthshauſe, welches von Inſecten aller
Art ſchon hinlänglich bevölkert iſt. In der erſten Kajüte des
Schiffes ging dagegen die Nacht ganz erträglich, und nicht ohne
lebhafte Unterhaltung, hin. Das Meer blieb eben ſo ruhig, als
es ſich früher, bei der Ueberfahrt nach der aſiatiſchen Küſte, gezeigt
hatte. Bei dem Herannahen an Conſtantinopel entwickelte die Stadt
abermals mit ihren herrlichen Umgebungen den Glanz, welcher ſie
zu einem der hervorragendſten Punkte der bewohnten Erde macht.
WW.
Gewächſe, welche entweder hervorragenden Einfluß auf die Begeta-
tionsanſichten üben, oder die von den Einwohnern vorzugsweiſe cul-
tiwirt werden. – Beiträge zur herbſtlichen Plora.
Bie dem Gebiete der herbſtlichen Flora entnommenen fol-
genden kurzen Notizen können nur inſofern auf einige Beachtung
Anſpruch machen, als ſie ſich auf ſelbſt Geſehenes beziehen. Die
Naturforſcher, welche die üppige Fülle der Vegetation des Orients
kennen lernen wollen, müſſen dazu den Frühling und Anfang des
Sommers wählen; auch iſt dies in der Regel geſchehen, und ſol-
chen Beobachtungen verdanken wir u. A. das treffliche Werk des
Hrn. Prof. Griſebach. Die herbſtliche Flora zieht ſich vor den ſengen-
den Strahlender Sonne des hohen Sommers entweder in den Schutz
der wenigen Waldungen zurück, die der zerſtörenden Hand der
Menſchen bisher entgangen ſind, oder ſie ſuchen feuchte Gründe
an den Ufern der Flüſſe, die Inſeln der Donau u. ſ. w. auf.
Es iſt mühſam, und bietet in der Regel nur ſpärlichen Lohn, ihr
dorthin zu folgen. Nur in dieſer Hinſicht dürfen an und für ſich
geringfügige Beobachtungen der Art vielleicht auf Nachſicht rech-
nen. – Einige Gewächſe, die auf die Phyſiognomie der bereiſten
Länder weſentlichen Einfluß ausüben, konnten nicht übergangen
werden, obgleich ihre Blüthe in eine andere Jahreszeit fällt, alſo
höchſtens ihre Früchte beobachtet werden mochten. Die Beachtung an-
derer wurde durch ihren allgemeinen Gebrauch wünſchenswerth und
mit ihnen wird hier der Anfang gemacht werden.
Die wilde Rebe. – Nach dem einſtimmigen Urtheile der
Botaniker, welche die Hochebenen Armeniens durchwandert haben,
findet ſich die wilde Rebe dort am weitverbreitetſten und üppig-
ſten vor, um ſich über Gruſien, Kachetien and Lesghien auszu-
– 206 –
breiten. Tournefort, Güldenſtedt, Biberſtein und Parrot
fanden ſie zwiſchen dem Ararat, dem Kaukaſus und Taurus. Von
dort aus ſcheint die Rebe ohne menſchliche Beihülfe den Weg über
die ſüdlichen Ufer des ſchwarzen Meeres hinaus, über den Bos-
porus, an die Ufer der Donau hingefunden zu haben. Der nörd-
lichſte Punkt, an welchem ich die wilde Rebe vorfand, boten die
Gebirge in der Umgebung von Mehadia dar, wo ihrer bereits er-
wähnt wurde (Bd. I, S. 59). Ebenſo ſah ich ſie dann in dem Walde von
Belgrad und an den Ufern des Bosporus, wo ihr irgend Schutz ge-
währt wird, häufig. Dieſe wilde Rebe bringt ſaftloſe, für Men-
ſchen ungenießbare Trauben. Die untere Seite ihrer Blätter iſt
mit einem grauen weichen Filz überzogen. Durch die Cultur kann
dieſe Filz-Bedeckung vermindert, oder zuletzt auch bis auf einen
unmerklichen Reſt vertilgt werden. Die durch ſorgfältige Cultur
hervorgebrachten edleren Sorten der Rebe ermangeln jenes Filzes.
Hr. Prof. Koch*) fand eine große Aehnlichkeit zwiſchen dieſer wil-
den Rebe des Orients und der nordamerikaniſchen Vitis Labrusca L.
Ihre Ranken ſind kurz, befähigen ſie aber dennoch, an den Bäu-
men hoch aufzuſteigen und maleriſche, lianenartige Gehänge zu bil-
den. Hr. Kolenati *) zählt 1400 Spielarten von Reben auf
der Erde. Unter dieſen befinden ſich 48 kaukaſiſche und gruſiſche.
Er beſchreibt die ſeit uralter Zeit dort gebräuchliche Art der Wein-
Bereitung, führt auch die Vorzüge auf, welche die aus Büf-
fel- oder Ziegenfell bereiteten Schläuche vor den Tonnen voraus
haben. Die araratiſchen oder armeniſchen Weine ſind pomeranzen-
gelb, ſüß-balſamiſch, von durchdringendem Geruche. Die edelſte
kachetiſche Rebe, sapiranica praecox und major, liefert in den
Gärten von Tiflis einen dunkeln Saft, mit dem die Damen dort
zu ſchreiben pflegen. Die Herrſchaft des Korans, welcher den
Wein-Genuß den Gläubigen verbietet, hat die Cultur der Rebe
allenthalben, wohin jene ſich ausbreitete, entweder vertilgt oder doch
auf eine niedere Stufe hinabgedrückt. Daß der Prophet volle Ur-
ſache hatte, ſeinen Anhängern den Weingenuß zu verbieten, wird
Niemand leugnen wollen, der die damals allgemein vorherrſchende
- - s
*) Reiſe in den Orient. S. 76. -
*) Bereiſung Hoch-Armeniens und Eliſabethopols. Dresden, 1858. Mit
10 Holzſchn. S. 122 u. f. - - - -
Unmäßigkeit in demſelben kennt. Petrarca*) hat uns u. A. ein
kurzes, aber ſprechendes Bild der Wirkungen des Weins hinter-
laſſen, wie ſie ſich bei einem hohen Geiſtlichen ſeiner Zeit äußer-
ten, der zu dem Entſtehen des Sprichwortes Veranlaſſung gab:
„bibamus papaliter!“ Von dieſem ſagt er: „Vinomadidus,
aevo gravis, ac soporifero rore perfusus, jamjam nutitat, dor-
mitat, jam somno praeceps, atque (utinam solus) ruit“. – – –
Den chriſtlichen Bewohnern des Landes, welche bis heute fortfah-
ren, ſich mit der Cultur der Rebe zu befaſſen, fehlt es an Abſatz-
Wegen, um ihr Product zu verwerthen, dem ſie deshalb geringe Sorg-
falt zuwenden. Dieſer Sorgloſigkeit zum Trotz liefert die Rebe
dennoch in der Nähe ihres urſprünglichen Vaterlandes ſehr aner-
kennenswerthe Producte. Da die Schläuche, in welchen man den
Rebenſaft aufbewahrt, inwendig in der Regel geharzt ſind, ſo löſt
der Wein einen Theil dieſes Harzes auf. Der echte Cypern-Wein
wird an ſeinem Harzgeſchmack erkannt. Man ſagte mir, daß die-
ſer Harzgehalt bei den Griechen nicht ſelten die Bright'ſche Nie-
renkrankheit hervorbringe. – Was deutſcher Fleiß hier aus der
Rebe zu machen verſteht, beweiſt in der jetzigen Zeit beſonders der
Wein von Bruſſa.
Tabak, Opium und Hadſchiſch. – Der unter den Türken
jetzt bis zum höchſten Exceß ausgedehnte Gebrauch des Tabakrau-
chens hat erſt im 17. Jahrhundert unter ihnen begonnen. Noch
1633 verbot Sultan Amurad ihn bei Todesſtrafe, mit eben ſo
geringem Erfolge, als dies früher ſchon in Perſien geſchehen war.
Nur die Sihks, eine religiöſe Secte in Lahore, verachten den Ta-
bak als verunreinigend. Ebenſo die Wahabiten. – Der etwas
wohlhabende Türke legt ſeinen Tſchibuk vom frühen Morgen bis
zum Abende nur während des vorgeſchriebenen Gebetes, oder bei
unabwendbaren Abhaltungen zur Seite. Schon um 7 Uhr Mor-
gens ſah ich die Muſelmänner häufig vor oder in den Kaffehäu-
ſern ſitzend, den Rauch von ſich blaſen, indem der dämmernde
Blick in eine unbeſtimmte Ferne hinausſchweift. Auch iſt dies
allenthalben ebenſo, wohin ſich die Türken ausgebreitet haben. Hr.
- *) Sadé, Mémoires sur la Vie de Petrarque. T. I. pag. 259. II. not.
XV. pag. 13–16. - - -
- 208 =
Aubert-Roche*) ſchreibt: „Je me bornerai, seulement à dire,
que fumer etprendre du café, est aussi indispensable pour
le habitant de la mer rouge, que manger et dormir.“ Ein
unberechenbarer Verluſt an Zeit und Arbeits-Kapital wird auf dieſe
Weiſe geſchaffen und man übertreibt gewiß nicht, wenn man dieſe
allgemein verbreitete Manie für das Rauchen als eine der bedeuten-
deren Urſachen des Sinkens des türkiſchen Reiches betrachtet.
Wo ich in Kleinaſien auf Tabaks-Pflanzungen ſtieß, war es
immer nur Nicotiana Tabacum, welches man hier, wie in einem
großen Theile Europa's, angepflanzt hatte. Die beſte Sorte deſſel-
ben ſoll von Ladakieh, dem alten Laodicea, herkommen. Dieſer tür-
kiſche Tabak, Tutun, kann indeſſen für das Narghilé nicht gebraucht
werden. Man bedient ſich dazu des perſiſchen Tabaks, der nach
Lindley von der Nicotiana persica gewonnen wird*), deren
grünlich weiße Blüthe ein feines Aroma ausduftet. Die Perſer
ſind aber auch die Feinſchmecker unter den Tabaksrauchern. Sie
pflegen ihren Tabak vor dem Gebrauche mit Roſenwaſſer anzufeuch-
ten, vermengen ihn auch wohl mit Specereien oder aromatiſchen
Kräutern. Ebenſo ſind ſie es, welche die Waſſerpfeife, das Narghilé
(Nargil, Nardschili, Galyoun, Khalioun) zuerſt in Gebrauch brach-
ten; von ihr iſt die Hucka der Hindu's, Gurgorri oder Gurguru,
wenig verſchieden. Den Perſern iſt der Tabak noch weniger ent-
behrlich geworden, als den Türken. Jacques Morier *) bil-
det einen reitenden Perſer ab, neben deſſen Pferd ein das Narghilé
tragender Diener her läuft, indem der Reiter, mit Hülfe eines lan-
gen biegſamen Rohres, ununterbrochen fortfährt, den Rauch durch
das Waſſer des dazu beſtimmten Gefäßes nach aufwärts zu ziehen.
Die Einrichtung einer ſolchen Waſſerpfeife iſt ſo häufig beſchrieben
und abgebildet worden, daß dies hier nicht wiederholt zu werden
braucht. Jedenfalls gewährt ſie den Vortheil, daß der Tabaks-
dampf nicht blos abgekühlt, ſondern auch mit etwas Feuchtigkeit be-
*) Essaisur l'acclimatement des Européens dans les pays chauds. Paris,
1854. pag. 97.
*) S. Edwards botanical Register. New Series. Vol. VI. Plate
1592.
*) Voyage en Perse, en Arménie, en Asie-mineure etc. à Constan-
tinople. Enrichi de XXIV planches. Traduit de l'Anglais par
M. E... Paris, 1813. Tab. L.
– 269 -
laden, dem Munde zugeführt wird. Hierin mag es liegen, daß die
meiſten Europäer im Orient das Narghilé dem Tſchibuk vorziehen.
Mir iſt indeſſen das gurgelnde Geräuſch ſtets widerwärtig aufge-
fallen, welches die durch das Waſſer aufſteigenden Dampf-Blaſen
erzeugen. – Die Species des Tabaks, welche das meiſte Nicotin
enthält, ſoll übrigens nach Batſch Nicotiana glutinosa ſein.
Zum Schnupfen wird der Tabak nur von Wenigen gebraucht. –
In der Regel bringt das übermäßige Tabakrauchen zuletzt Mangel
an Eßluſt, Trägheit der Darmverrichtungen, einen hohen Grad von
Gleichgültigkeit, Widerwillen gegen körverliche und geiſtige Anſtren-
gungen hervor.
Der Gebrauch des Opium's, der ehedem zu Conſtantinopel
in erſchreckender Weiſe überhand genommen hatte, iſt durch die ſtren-
gen Maßregeln der Regierung jetzt wenigſtens ſo weit beſchränkt
worden, daß man in den öffentlichen Café's nichts mehr davon
gewahr wird. Doch ſoll es noch Schlupfwinkel für dieſen im höch-
ſten Grade entnervenden Genuß geben, die der ſchwachen Polizei
zu entgehen wiſſen. Immerhin iſt es erfreulich, zu ſehen, daß es
den Türken gelungen iſt, zu derſelben Zeit den depotenzirenden Ge-
nuß des Opiums zu beſchränken, in welcher die Engländer China
durch Waffengewalt zwangen, ihnen die Einfuhr des berauſchenden
Giftes zu geſtatten, damit engliſcher Handel das Uebergewicht über
Menſchenwohl davontragen möge. Sind es doch nur Barbaren,
deren Vergiftung man auf ſolche Weiſe begünſtigte. – Erwähnens-
werth ſcheint es noch, daß man im Orient Betrübten die Mohn-
pflanze als ein Sinnbild der Theilnahme darbietet, welche den
Schmerz ähnlich dem Opium lindere. Hr. Dr. Rigler*) hat ſich
das Verdienſt erworben, den Stand des Opiumgenuſſes in Con-
ſtantinopel, wie er ſich um die Mitte des gegenwärtigen Jahrhuu-
derts geſtaltet hatte, genauer darzuſtellen. Es gibt immer noch
unverbeſſerliche Opiumraucher, die entweder ein reines Stück einge-
dickten Mohnſaftes auf ihren glimmenden Tabak legen, oder ihm
eine Unterlage von Ambra, Moſchus, Roſenöl und Gummiſchleim
zuvor geben, die man Kurs nennt. Andere bringen das Opium
unter Pillenform in den Magen; man nennt ſie Tiraki. Wenn
dieſe Menſchen durch fortgeſetzten mehr und mehr geſteigerten Ge-
*) A. a. O. Eh. I S. 222 u. f.
– 210 –
nuß in einen Zuſtand tiefer Erſchlaffung gefallen ſind, ſo haſchen
ſie nach neuen Reizmitteln, welche die Wirkungen des Opiums noch
höher treiben ſollen. Wir erfahren durch Hrn. Dr. Rigler, daß dazu
ſogar der Queckſilber-Sublimat benutzt wird. Man läßt ihn mit dem
Opium entweder zu Pillen formiren, oder verſchlingt beide Sub-
ſtanzen von einander geſondert. Der Magen kann ſich nach und
nach auch an die Wirkung des ätzenden Giftes gewöhnen. Man
weiß ja, daß es in Steyermark Menſchen gibt, welche Arſenik ver-
ſchlucken, – um fett zu werden oder das jugendliche Anſehen zu
verlängern! Dies kann Jahre lang ertragen werden; das letzte
Ende eines ſolchen das innerſte Mark des Lebens unterwühlenden
Gebrauches iſt aber endlich die höchſte Apathie und unheilbare Waſ-
ſerſucht. Daß der Gebrauch des Opiums unter allen Schichten der
Geſellſchaft bekannt iſt, beweiſt der Umſtand, daß mehrere Solda-
ten invalidiſirt werden mußten, die ſich dadurch zu Grunde gerichtet
hatten.
Von dem Gebrauche des Hanfs als Berauſchungsmittel, dem
Hadſchiſch, iſt mir in der Türkei keine Kunde zugekommen. Auch
vermochte Hr. Dr. Rigler*), als er ſich des Harzes des Hanfes
als Heilmittel bedienen wollte, es dort nicht aufzufinden. Doch
verſichert er, daß es zu ſeiner Zeit drei Kaffehäuſer gegeben habe,
in welchen Hadſchiſch geraucht wurde. Bekanntlich liefert nur die
in Indien und Arabien wachſende Cannabis indica das berau-
ſchende Harz. Sie iſt höchſt wahrſcheinlich nichts als eine Varietät
unſeres gemeinen Hanfes, der Cannabis sativa, welche im heißen
Klima jenes Harz ausſchwitzt. Der Nachtheil, welcher von dem
Gebrauche dieſes Berauſchungsmittels ausgeht, iſt leichter vorüber-
gehend als der des Opiums, äußert auch keine verſtopfende Wirkung
und ſoll ſogar die Eßluſt ſteigern. Es giebt Betrüger, welche dem
Volke vorſpiegeln, das Geheimniß (Esrar) zu beſitzen, durch wel-
ches ihnen die Freuden des Paradieſes ſchon hier auf Erden für
24 Stunden verſchafft werden könnten. Den Kern dieſes Geheim-
niſſes bildet ſtets der Hadſchiſch, der auch ſchon zu den Zeiten des
Herodot demſelben Zwecke gedient zu haben ſcheint.
Kaffee, Branntwein. – Der Kaffe iſt den Orientalen ein
eben ſo großes Bedürfniß geworden, als der Tabak. Kaum kann
*) Die Türkei und deren Bewohner. Bd. 1. Wien, 1852. S. 217uf..
– 211 –
eine freundſchaftliche Begegnung ſtattfinden, ohne daß ſie durch eine
Taſſe Kaffe gefeiert würde. Bei Beſuchen wird den Fremden als
Zeichen der Gaſtfreundſchaft unabänderlich eine Taſſe Kaffe und
der Tſchibuk dargeboten. Es wäre beleidigend und unvorſichtig, ein
ſolches Anerbieten ablehnen zu wollen. Es iſt daher nichts Selte-
nes, daß in einem Tage 20–30 Taſſen Kaffe genoſſen werden,
aber dieſe Taſſen ſind freilich nur halb ſo groß, als die im übri-
gen Europa gebräuchlichen. – Das Material zu dieſem Getränke
iſt in der Regel dem, welches man im übrigen Europa benutzt,
weit vorzuziehen. Der Java-Kaffe ſcheint ſeinen Weg hierher bis
jetzt noch ſelten gefunden zu haben. Der zerſtoßene arabiſche Kaffe
wird einfach gekocht und, ohne durchgeſeihet zu werden, in die Taſſe
geſchüttet, welche gewöhnlich aus Metall, häufig von Silber, verfer-
tigt iſt und auf einem kleinen Geſtelle ruht. Zucker wird zu dem
Kaffe nicht gereicht; er muß in den Kaffehäuſern beſonders begehrt wer-
den, iſt auch meiſtens ſchlechter Qualität. Milch findet man nirgends.
Mir iſt der Genuß der zerſtoßenen Bohnen mit dem Aufguſſe ſelbſt
ſtets zuwider geblieben; andere Europäer gewöhnen ſich daran, ihn
wie die Türken mitzuſchlürfen, vermehren aber auch dadurch die
aufregende Wirkung des Kaffe's. Auf Reiſen darf man hoffen,
ſelbſt in den elendeſten Chans, die kein genießbares Brod darbieten
können, wenigſtens mit einer Taſſe Kaffe gelabt zu werden.
Der durch den Koran bekanntlich verbotene Genuß des Wei-
nes wird von den heutigen Türken in der Regel auch jetzt noch
vermieden. In den höchſten Schichten der Geſellſchaft hat er hier
und da Eingang gefunden, beſonders bei den mit den Sitten des
Occident's bekannt gewordenen Männern. Dagegen konnte der
Branntwein von dem Propheten nicht verboten werden, weil man
ihn als Genußmittel eben ſo wenig als den Tabak und den Kaffe
zu ſeiner Zeit kannte. Daher wird er auch ziemlich weit verbrei-
tet, unter mancherlei Formen getrunken. Der Gebrauch der Kar-
toffel zu ſeiner Bereitung iſt indeſſen hier noch unbekannt; daher
kommt auch die nachtheilige Vermiſchung mit Solanin nicht vor,
wie man ſie allenthalben dort zu befürchten hat, wo man ſich ge-
keimter Kartoffeln zum Brennen bedient. Man brennt ihn hier
aus Getreide, Trauben, Pflaumen und Birnen. Mit mancherlei
aromatiſchen Stoffen verſetzt, wird er dann unter dem Namen
Raki verkauft. Glücklicherweiſe ſcheint ſein Genuß indeſſen immer
– 212 –
noch nicht ſo weit zum Exceß getrieben zu werden, als dies in vie-
len Theilen des übrigen Europa's geſchieht; ich erinnere mich nicht,
außer dem oben (S. 175) erwähnten Falle taumelnde Menſchen
auf der Straße angetroffen zu haben. Dem beliebten Scherbeth
wird für Männer der wohlhabenderen Klaſſen auch wohl ein feiner
Liqueur hinzugeſetzt. Der Säuferwahnſinn ſoll kaum jemals vor-
kommen. – Man genießt den Raki gewöhnlich nicht vor, ſondern
nach der Mahlzeit.
Salep. – Bekanntlich die Wurzel verſchiedener Arten von
Orchis, wird der Salep in vielen Theilen des türkiſchen Rei-
ches häufig zum Frühſtück benutzt, ebenſowohl um ſeines durch
Stärkemehl bedingten kräftigeren vegetabiliſchen Nahrungsſtoffes wil-
len, als auch um die durch Mißbrauch geſunkene männliche Kraft
anzuregen. Man kocht das Saleppulver mit etwas Ingwer; am-
bulante Köche der Art rufen den Brei ſchon ganz früh auf der
Straße aus, auf der Kohlenpfanne ihn warm haltend. In Lariſſa
und ganz Theſſalien fand Hr. Fallmerayer den Gebrauch allge-
mein verbreitet. Dieſer ſchreibt ſich indeſſen im Orient aus dem.
grauen Alterthume her; das Satyrion des Diose orides war
wahrſcheinlich nichts als Salep. Man pflegte die gepulverte Wur-
zel mit Ambra, Moſchus, Zimmet und Gewürznelken zu verbinden
und dieſe Zuſätze ſind es, welche ihr die ſtimulirende Wirkung noch
heute verleihen. In der Pharmacopoea Wirtenbergica *) befindet
ſich die Vorſchrift zu einem Electuarium diasatyrium Nicolai,
welchem außer jenen Gewürzen noch der Stincus marinus zugeſetzt
iſt. Noch jetzt ſteht das „Knabenkraut“ in Deutſchland bei man-
chen Landleuten in Anſehen; auffallend bleibt die Mittheilung Lin-
né’s**), daß man in Dalekarlien mattgewordene Zuchtochſen mit
den Wurzeln der Orchis bifolia zu füttern pflegt, um ihrer geſun-
kenen Kraft aufzuhelfen. Die geſchätzteſten Wurzeln kommen aus
Perſien, namentlich von Orchis rubra und papilionacea; der
Salep von Kaſchmir wird nach Royle aus einer Eulophia ge-
WOMMEN.
Cypreſſen und Cedern, – Die herrlichen, im Oriente hei-
miſchen Cypreſſen würden dort durch die verwüſtende Hand der
*) Lausannae, 1785. T. II. pag, 50.
*) Flora Suecioa, pag. 309,
– 213 –
Menſchen wahrſcheinlich längſt vertilgt worden ſein, wenn ſie ſich
nicht unter dem Schilde frommen Glaubens hätten zu den Gräbern
der Türken flüchten dürfen. Die Hügel, welche die Bucht von
Balta - Liman (ehedem Phidalia) im Norden umgeben, waren
vor Zeiten mit dichten Cypreſſenhainen bedeckt, und hießen deshalb
Kyparodes. Ihre Spuren ſind verweht. – Das düſtere Grün
und die ſtarre, regungsloſe Form der Cypreſſennadeln mag die erſte
Beranlaſſung gegeben haben, ſie zum Sinnbilde des Todes zu ſtemt-
peln. Eine edlere Poeſie erblickt in der trauernden Freundin der
Gräber das Symbol der Freiheit, mit welcher der vom Körper ge-
trennte Geiſt zum ewigen Lichte aufſtrebt. Die tadellos ſchlanke
Geſtalt, welche die Cypreſſe dort ſtets behauptet, wo ſie einen ihr
zuſagenden Boden fand, hat den Orientalen häufig Gelegenheit dar-
geboten, ſchlanke Jungfrauen poetiſch mit ihr zu vergleichen. We-
niger einleuchtend erſcheint der Gebrauch der alten Griechen, unnütze
Schwätzer mit Cypreſſen zu vergleichen, deren Früchte ungenießbar
ſind; letztere Eigenſchaft theilen ja tauſend andere Gewächſe mit der
Cypreſſe.
Leider darf ſich die edle Ceder eines ähnlichen Schutzes bei
den Muſelmännern nicht rühmen. Die Ceder, welche ſich außer
dem Libanon noch nirgends einheimiſch vorgefunden hat, ſchreitet
dort, unter der Sorgloſigkeit der Menſchen, ihrem Ausſterben ent-
gegen. Seitdem Salomo das Holz zu ſeinem Tempelbaue in Ie-
ruſalem vom Libanon holen ließ, ſind ſich im Laufe der Jahrhun-
derte ähnliche Cederzerſtörungen häufig genug gefolgt. Ueppige Ve-
netianer ließen Cedern vom Libanon herbeiführen, um ſie in den
Sumpf ihrer Lagunen zu verſenken, damit ihre Marmorpaläſte einen
ſicheren und zugleich koſtbaren Boden bekämen. Ballonius fand
im Jahre 1550 noch 28 Cedern auf dem Libanon, Pococke 1738
deren fünfzehn, Lamartine 1832 noch ſieben. – Im fremden
Vaterlande habe ich die mächtigſten Cedern in England geſehen, na-
mentlich im Garten von Kew, und in Ealing - Park bei Rich-
mond. Auch im botaniſchen Garten bei Bonn gedeihen zwei jün-
gere Exemplare in etwas geſchützter Stellung gut. Aber die von
der Eeder gerühmte Eigenſchaft, daß ſie vor dem Schneefalle die
Aeſte in die Höhe richte, genügt in England nicht, die letzteren vor
dem Zuſammenbrechen unter der Wucht des Schnee's zu bewahren;
in Ealing-Park hatte eine majeſtätiſche Ceder auf dieſe Weiſe einige
– 214 –
der ſtärkſten Aeſte verloren. Ihr ungemein dichtes Nadellaub be-
günſtigt ſolche Unfälle *). Sollte vielleicht der unheimathliche Bo-
den dem edlen Baume die inſtinctartige Kraft geraubt haben, die
Aſtſtellung gegen den Winter hin zweckmäßiger einzurichten? Die
phantaſiereichen Araber erblicken in dieſem Vorgange eine Art von
Vorgefühl, ſogar von Intelligenz, des Baumes. – Jedenfalls würde
es die geſchichtlich wie naturhiſtoriſch wichtige Ceder verdienen, daß
eine humanere Regierung ſie auf dem Libanon fortan beſchütze.
Den Rieſen unter den Nadelhölzern, die Wellingtonia, beeilt
man ſich gegenwärtig, über Europa auszubreiten, um ſie vor dem
Untergange durch die Barbaren ihrer Heimath zu bewahren, dem
ſie bereits nahe war. Um den heilkräftigen Chinabaum hat ſich
die holländiſche Regierung das große Verdienſt erworben, ihn aus
Süd-Amerika, wo man einen Vertilgungskrieg gegen ihn führt, nach
Java auf geſicherten Boden zu verpflanzen. Sollte nicht die herr-
liche und zugleich hoch nutzbare Ceder eine ähnliche Berückſichtigung
verdienen?
Der Oelbaum. – Die kräftigen Oelbäume, welche ich auf
dieſer Reiſe allein nur am Meerbuſen von Gemlik gefunden hatte,
erinnerten mich daran, daß die Alten in ihnen die Symbole der
Fruchtbarkeit, der Wohlhabenheit, des Friedens und des Glückes ver-
ehrt haben. Somit iſt es charakteriſtiſch, daß ſie gegenwärtig in
ſo vielen Gegenden des türkiſchen Reiches verſchwunden ſind, wo ſie
ſonſt fleißig cultivirt wurden. Es war mir ſchon auffallend gewe-
ſen, daß ich weder bei Nicomedien, noch bei Nicäa eines Oelbau-
mes anſichtig geworden war; wahrſcheinlich fordert er an dieſen
Orten eine etwas ſorgfältigere Pflege. – Schon im 52. Pſalm
geſchieht des auf die Gräber gepflanzten Oelbaumes als eines Zei-
chens Erwähnung, daß der hier ruhende Menſch nach dem Willen
Gottes gelebt habe. Im ſüdlichen Frankreich ſoll man noch gegen-
wärtig die Weihwedel hier und da aus Oelbaumzweigen bereiten,
um bei der Einſegnung der Todten gebraucht zu werden. – Den
Gebrauch der Römer, ihre Gränzmarken durch herum gepflanzte
Oelbäume zu bezeichnen, erinnere ich mich nicht, in Italien irgend
wo aufrecht erhalten geſehen zu haben. Das „extra oleas vagari“.
*) Eine charakteriſtiſche Abbildung in kleinem Maßſtabe, ſ. bei Thomas
Milner the Gallery of Nature. New edit. London, 1849. pag. 559.
– 215 –
würde dort heute kaum Jemand verſtehen. Sorgfältig gepflegte
Oelbäume ſah ich auf Sicilien und in Neapel häufig mit hohen
Mauern umſchloſſen und geſchützt. – Einer Landſchaft gereicht das
graue Laub der Oelbäume meines Erachtens nicht zur Zierde; nur
wechſelsweiſe mit grünem Laubholze angepflanzt vermögen ſie dem
Auge angenehme Gegenſätze darzubieten. – Hr. Aubrey de Vere *)
findet dagegen die einförmige graue Färbung der Landſchaft, welche
nur Olivenbäume zeigt, ganz paſſend, um einen ernſten, nüchternen
Gegenſatz zu der glänzenden Beleuchtung der ganzen übrigen Scene
zu liefern; dem Auge werde es dadurch möglich, die dort ſo aus-
gezeichneten Abſtufungen von Licht und Schatten beſſer zu würdigen.
Mir ſind hingegen die dunkelgrün belaubten Baumgruppen ſtets als
ungleich mehr geeignet erſchienen, dergleichen dem Auge wohlthuende
Abſtufungen zu liefern. In der Regel kommt dieſem hierbei
die Mannichfaltigkeit der grünen Färbung verſchiedenartig geformter
Blätter zu Hülfe, die den Olivenpflanzungen völlig abgeht. End-
lich bieten viele gealterte Oelbäume eine krüppelhafte Form dar,
welche die Phantaſie unangenehm anſpricht. – Für den Naturforſcher
hat außerdem der Oelbaum die weſentliche Bedeutung, daß, wo er
gut gedeiht, ſicher ein mildes Klima anzunehmen iſt. Wenn er
unter der Herrſchaft der Osmanen weiter ſüdwärts getrieben wor-
den iſt, ſo läßt ſich daraus freilich noch nicht entnehmen, daß das
Klima dort ſeit einem halben Jahrtauſend rauher geworden ſei; der
Baum iſt vielleicht gegen den Verluſt „des Friedens und des
Glückes“ ebenſo empfindlich, als gegen den Nordwind.
Granatbäume. – Wenn die Granatbäume am Golf von
Nicomedien ſo ausgezeichnet gedeihen, und der Granatapfel ſchon in
uralter Zeit als ein Symbol der Liebe und der Fruchtbarkeit galt,
ſo möchte man ſich geneigt fühlen, hiernach zu vermuthen, daß letz-
tere an dem herrlichen Golfe ihren Lieblingsſitz aufgeſchlagen haben
dürfte. Mit Unrecht; auch hier iſt ſie vor barbariſchen Machtha-
bern geflohen. Indem in dieſer Hinſicht die Alten mit der „Liebe“
zugleich die „Fruchtbarkeit“ zuſammen ſtellten, verwieſen ſie die er-
ſtere zugleich in die materielle Sphäre. In der That iſt des Gra-
natapfels äußere Seite, mit ihren rothen Wangen, anziehender als
*) Picturesque sketches of Greece and Turkey. Vol. I. London,
1850. pag. 9. -
– 216 –
das innere Mark. Auch habe ich im Orient, wie in Italien, den
Granatapfel wohl als Schaugericht, ſelten aber zum wirklichen Ge-
auſſe, auf die Tafel ſetzen ſehen. Auffallend iſt es mir daher ge-
weſen, daß die Moſaiſten den Granatapfel zum Symbol des Wor-
tes Gottes gemacht haben. Gleichwie die Granatfrucht der Apfel
der Aepfel iſt, ſo ſoll auch das Wort Gottes das Wort der Worte
ſein. Der Hoheprieſter trug deshalb an ſeiner Amtstracht eine Ein-
faſſung von Granatäpfeln.
Die Linde. – Vor dem Portal der Moſcheen fand ich neben
der orientaliſchen Platane, welche die geſammte Umgegend beherrſcht,
auch die Linde gepflanzt. Sie iſt bei den Orientalen, wie bei den
germaniſchen Völkern, ein Sinnbild des Heiligen und Erhabenen.
Bei den Süddeutſchen finden noch heute öffentliche Feierlichkeiten
häufig „unter der Linde“ Statt. Der noch öfters vorkommende
Ortsname „Heiligelinde“ ſpricht noch mehr für die Bedeutung des
Baumes, den ich ſelbſt in Norddeutſchland, an geeignetem Stand-
orte, die Eichen zwar nicht an Höhe erreichen, an Umfang aber
überragen geſehen habe. Nur bei den Norddeutſchen und den Dä-
nen ſcheint die Eiche ſymboliſch von je an das Uebergewicht gehabt
zu haben.
Tamariske. – Von den Egyptern wurde die Tamariske
als Lebensbaum verehrt; ſie beſchattete das Grab des Oſiris. Die
Auguren hielten bei ihren Amtsverrichtungen einen Tamarisken-
Zweig in der Hand; daher kam es aber auch, daß der ſchöne Baum
endlich zum Symbol des Betruges herabgewürdigt wurde. Sein
leichtes, zartes Laub, welches mit den langen, ſchlanken Zweigen durch
die baiſeſte Luftſtrömung in zierliche Schwankungen verſetzt wird,
macht den Baum zu einer höchſt anziehenden Erfcheinung, die im
Frühling durch zahlloſe kleine Blüthen verherrlicht wird, welche
dann gleich einem leichten Dufte über das Ganze ausgegoſſen ſind.
Die libanotiſche Art der Tamariske, welche ſich von der gewöhnli-
chem (Tamarix gallica) auszeichnet und am Rhein gut gedeihet,
wird bereits hier und da bei uns an die Gräber gepflanzt, ohne
daß man ſich dabei des egyptiſchen Vorbildes bewußt ſein dürfte.
Agnus castus. – Das keuſche Lamm war ehedem ein Sinn-
bild der Keuſchheit, die man zu fördern glaubte, wenn man junge
Leute auf Kiſſen ſchlafen ließ, die mit ihrem Laube gefüllt waren.
Das Bild des Aeskulap ſoll in einem Tempel von Lakonien aus
– 217 –
ſeinem Holze bearbeitet geweſen ſein, – gewiß nicht ohne Beziehung
auf jene Bedeutung. Den wild wachſenden Agnus castus habe
ich übrigens in Weſt-Aſien nie anders als in Strauchform gefunden,
höchſtens 10–12“ hoch.
Burbaum. – Der immergrüne Buxbaum wird als ein
Sinnbild des Lebens und der Freude betrachtet. Jeſaias nennt den
Bux unter den Bäumen, welche der Herr für die Kinder Iſrael
in der Wüſte wolle wachſen laſſen. Noch heute pflanzen die Orien-
taei ihn gern an heilige Oerter, bedienen ſich ſeiner auch, um an
ſeine Zweige Votivzeichen anzuheften, meiſtens freilich in ſehr unzarter
Forn (vergl. oben S. 93). In manchen Gegenden Deutſchlands bedeckt
an die Särge von Kindern oder unverehelicht geſtorbenen jungen
Leuten mit Buxbaum-Zweigen, als Symbol des durch den Tod
eröffneten neuen Lebens.
Terebinthe. – Wegen ihrer mächtigen, erhabenen Geſtalt und
des immergrünen Laubes hat unan ſie als ein Sinnbild des Göttlichen,
ſowie des menſchlichen Glückes angeſehen. Den Propheten war ſie
heilig, weil der Engel des Herrn zu Gideon aus ihren Zweigen
geſprochen haben ſollte. Hierin finden ſich die Anhaltspunkte für
den im osmaniſchen Reiche ſo weit verbreiteten Gebrauch der Chriſten,
die Terebinthe auf ihre Gräber zu pflanzen, nachdem ihnen die
Cypreſſe von den Türken verboten worden iſt. Beide Bäume bil-
den auch in ihrer äußeren Geſtalt ſo auffallende Gegenſätze, daß die
tiefe Kluft, welche zwiſchen lebenden Türken und Chriſten bis heute
beſteht, durch ſie auch noch nach dem Tode verewigt wird.
Als blühende Repräſentanten der herbſtlichen Flora wurden
folgende von mir an Ort und Stelle geſammelt.
1. In Bulgarien.
A. Auf der Hochebene ſüdlich von Ruſchtſchuk.
Werbascum phºlomoides. – Chondrilla juncea. –
Althaea cannabina. – Ononis spinosa. – Salvia pra-
tensis. – Centaurea Jacea. – Salvia sylvestris. –
Thymus Calamintha. – Ballota nigra. – Centaurea
diffusa, Lamk. – Chymas Calamintha.
B. Bei Schumla.
Helleborus officinalis (üppig wuchernd, ohne Blüthe). –
10
– 218 –
Marrubium peregrinum. – Nigella arvensis. – Sam-
bucus Ebulus.
. Bei Jeni-Bazar.
Teucrium Chamaedrys. – Salvia Sclarea. – Eryngium
campestre. – Datura Stramonium, in der Nähe vieler
bulgariſcher Dörfer auf Schutthaufen ungemein häufig und
üppig.
. Am Ufer des Dewna- (Dewnos-)See's.
Cerinthe minor. – Lotus corniculatus. – Daucus
Carota. – Eupatorium syriacum. – Agrimonia Eupatoria.
– Chenopodium ficifolium. – Stachys recta. – Ajuga
Chamaepitys. – Echium italicum. – Conyza squarrosa.
L. – Anthemis Cotula. – Sisymbrium Columnae. –
Senecio Jacobaea. – Anthemis tinctoria. – Mentha
sylvestris. – Xeranthemum annuum. – Teucrium Polium
(angustifolium. Benth.). – Atriplex roseum. L., nahe an
dem Ausfluſſe des Dewna-See's bei Varna.
Ulva Lactuca, aus dem ſchwarzen Meere in der Bucht
von Varna. -
2. In der Dobrudſcha.
Im Walde ſüdlich von Baſardſchyk.
Quercus Cerris. – Lavatera Thuringiaca. – Sca-
biosa transsylvanica. – Chrysanthemum Leucanthemum.
– Pyrethrum inodorum.
. Auf der Ebene zwiſchen Baſardſchyk und Raſſowa.
Centaurea solstitialis. – Linum perenne. – Senecio
Jacobaea. -
. Im Walde zwiſchen Kol-Punar und Adam-Kelſſi,
ſüdlich von Raſſowa. , -
Asparagus verticillaris. – Centaurea Scabiosa. –
Evonymus latifolius. – Rubus caesius. – Aster Amel-
lus. – Hieracium foliosum. – Euphrasia lutea. –
Viburnum Lantana. – Dianthus Carthusianorum. –
Campanula rapunculoides. – Berteroa orbicularis Dc.
– Seseli annuum.
– 219 –
. Südlich von Raſſowa.
Artemisia Absinthium. – Convolvulus arvensis. –
Veronica longifolia. – Nonnea ventricosa Griseb. –
Delphinium Consolida. – Euphorbia Gerardiana. –
Ajuga Chamaepitys. -
. Auf einer Donauinſel ſüdweſtlich von Braila.
Polygonum Persicaria. – Sonchus arvensis. – Wicia
polyphylla.
Salix fragilis, am linken Donauufer gegenüber Hirſowa.
3. Weſt-Aſien.
. Am Rieſenberge.
Marrubium peregrinum. – Crataegus Pyracantha. –
Mentha sylvestris. – Buxus sempervirens, auf der Spitze
des Berges in der Nähe des Rieſengrabes. Ebendaſelbſt:
Zizyphus spina Christi und Laurus nobilis.
. In der Gegend von Nicomedien und Nicäa.
Osyris alba und Salvia pratensis, am Ufer des Golfs
von Nicomedien. – Momordica Elaterium, um Nicomedien
und häufig in den Ruinen von Nicäa. – Glaucium luteum
und Vitex Agnus castus, am Ufer des See's von Nicäa. –
. Am Gök-Dagh.
Lepidium graminifolium, an der Nordſeite. – Seseli mon-
tanum und Lactuca Scariola, auf den Vorhügeln. – Artemisia
annua, in den untern Regionen. – Quercus Toza Bosc.
Strauchartig an der Oſtſeite von 100–500 Höhe des Ber-
ges. – Plumbago europaea, an der Nordſeite bei 200–1200
Höhe. – Epilobium grandiflorum, bei 600–800 Höhe. –
Leontodon Taraxacum, bis zu 1000 Höhe. – Crataegus
Oxyacantha, ſteigt von der Ebene bis zu 1800 Höhe hin-
auf. – Rhamnus Alaternus, an der Nordſeite bis zu 2000“
Höhe; als 6–10“ hoher Strauch. – Arbutus Unedo, bei
2–3000 Höhe ſehr häufig. In derſelben Höhe Celtis
australis und Hypericum calycinum, welches den Gebirgszug
an baumleeren Stellen in Millionen von Exemplaren bedeckt.
Die großen gelben Blüthen, deren Anfangs Oktober nur noch
wenige vorhanden waren, dienen der Gegend zur wahren
Zierde. Die Pflanze wird hier 1%–2“ hoch. – Diospyros
10*
– 2L0 –
Lotus,– Staphylea pinnata, – Ruscus Hypoglossum und
Erythraea Centaurium 3000 hoch über dem Meere. Ebenſo
Quercus pubescens in 25–35' hohen Bäumen. – Helle-
borus officinalis Salisb. und Daphne pontica, in einer
Höhe von 3–4000. – Rhododendron ponticum, im
Schatten der Weißbuchen und Eichen bei 4000 Höhe umge-
mein häufig.
. In der Ebene von Jeniſchehr.
Salvia verticillata. – Senecio erraticus, Anfangs Ok-
tober reichlich blühend. – Cirsium lanceolatum, hier ſehr
häufig, ſeltener bei Bruſſa.
. In der Ebene bei Bruſſa. -
Salix alba, hier und da in Bäumen von 30–40 Höhe.
Daneben eine ſtrauchartige Salix mit ungewöhnlich breiter
Blattform. – Celtis australis, die Blätter ſind etwas breiter
und ihr weicher Filz weniger ſtark als auf der Höhe
des Gök-Dagh. – Salix fragilis, ein bis zu 30 hoher
Baum. – Clematis Vitalba, häufig. – Smilax excelsa,
durchzieht die meiſten Hecken, ſteigt bis zur Höhe von 6–8' an
ihnen hinauf und kann durch ihre kurzen aber ſtarken Dornen ſehr
unangenehm werden. – Polygonum Persicaria. – Ballota
nigra. –Paliurus vulgaris (Rhamnus Paliurus L.). – Inula
dysenterica. – Physalis Alkekengi. – Solidago Virgaurea.
– Mentha sylvestris, in feuchten Boden - Einſchnitten
Bruſſa's noch im Oktober blühend. – Heliotropium euro-
paeum. – Erigeron canadense. – Solanum nigrum. –
Althaea pallida. – Oxalis oorniculata. – Thymus
Nepeta. – Plumbago europaea. – Platanus orientalis.
– Sternbergia lutea, auf den Kirchhöfen von Bruſſa be-
ſonders in den Ebenen. Anfangs Oktober allgemein blühend.
– Cyaanchum erectum, in der Ebene und auf den Hügeln.
von Bruſſa bis zu 200 Höhe. 2–3“ hohe Staude. Ziert
den Rand der Wege. – Imperatoria (Angelica) sylvestris.
– Laurus mobilis, außerhalb der Gärten Bruſfa's ſelten
Trug Anfangs Oktober reife Beeren und Blüthenknospen zu-
gleich. – Antirrhinum majus, in den Ruinen des Schloſſes
von Bruſſa,
– 221 –
F. Am Olymp.
Digitalis ferruginea, am Fuße des Berges. – Salvia
grandiflora, Achillea nobilis und Juniperus communis
in der untern Waldregion, letzterer ſelten. – Hypericum
calycinum, auf freien Plätzen der Waldregion im mittleren
und unteren Abſchnitte. – Cistus laurifolius, 2–3000“
hoch. – Pinus Laricio, (forma olympica Grisebach)
4–5000 hoch. – Pinus Picea, 5–7000 hoch. – Juni-
perus nana und Oxycedrus, ſehr häufig bei einer Höhe von
5–6500“.
WW.
Rückreiſe von Conſtantinopel nach Marſeille, und über Paris in die
Heimath. – Gallipoli. – Die Bardanellen. – Piräus. – Coron.
– Modon und Ravarin. – Meſſina. – Die lipariſchen Inſeln. –
Corſica. – Ber Hafen von Marſeille.
Kurz vor der bereits beſchloſſenen Abreiſe gewährte mir die
Stadt noch eines jener traurigen Schauſpiele, von welchen ſie
durch die maaßloſe Gleichgültigkeit der Türken ſo häufig heim-
geſucht wird. Um 9 Uhr Abends am 18. Oktober erſcholl Feuer-
lärm, den man dadurch erzeugt, daß Polizeimänner mit eiſen-
beſchlagenen ſtarken Knitteln das Straſſenpflaſter bearbeiten. Gleich-
zeitig dröhnten Kanonenſchüſſe von der Feuerwache des Thurm's
des Seraskiers aus Conſtantinopel herüber. Es gelang diesmal,
durch zeitiges Eingreifen des Feuers Herr zu werden. Am andern
Morgen aber erfuhr ich, daß an fünf verſchiedenen Orten zugleich
Feuer ausgebrochen war, – ein Umſtand, den man, gewiß nicht
mit Unrecht, der Böswilligkeit Unzufriedener zuſchreiben zu müſſen
glaubte. Dies wurde um ſo mehr noch dadurch beſtätigt, daß dieſe
Feuersbrünſte, raſch einander folgend, ſich wiederholten. Am 21.
entſtand ſogar Feuer in einem am Bosporus gelegenen Palaſte des
Sultans. Schon im nächſten Winter erhielt ich die briefliche Nach-
richt aus Pera, daß dort 600 Häuſer abgebrannt ſeien. Dieſe ſich
fortwährend wiederholenden Zerſtörungen laſſen der Stadt kaum Ruhe
zu einem ſtetig fortſchreitenden Aufblühen.
Ich hatte beſchloſſen, die Rückreiſe zu Waſſer durch die Fahrt
von Conſtantinopel nach Marſeille einzuleiten. Hierzu wählte ich das
franzöſiſche Dampfſchiff „le Danube“, deſſen Capitän Mr. Va“
lance, mir wegen ſeiner Umſichtigkeit beſonders gerühmt worden
war. Die Dimenſionen des Schiffes luden außerdem zu ſeiner
Benutzung ein; das Schiff hat nämlich 75 Meter Länge bei
– 223 –
15 Meter Breite, wodurch wenigſtens einige Garantie gegen die
heftigen Schwankungen auf dem Meere dargeboten wird. Bei der
Ankunft im Hafen von Marſeille überzeugte ich mich hernach, daß
jene Dimenſionen die von zwanzig anderen Dampfſchiffen, welche hier
vor Anker lagen, hinlänglich übertrafen, um neben ihnen nicht Raum
finden zu können; unſer Schiff mußte ſich queer vor ihnen lagern.
Auch genießen die Schiffe der Messageries impériales im mittel-
ländiſchen Meere wegen ihrer ausgezeichneten Einrichtung und Ord-
nung eines vorzüglich guten Rufes, den ich unterwegs vollkommen
beſtätigt fand. Der Capitän dieſer Schiffe muß jedesmal ein Lieu-
tenant der kaiſerlichen Marine ſein, zu welcher Bedingung die Ge-
ſellſchaft vom Staate durch eine jährliche Subvention von drei Mil-
lionen Francs verpflichtet worden iſt, wobei ſie zugleich im Falle
des Krieges ihre Schiffe dem Staate darbieten muß. – Am 20.
Oktober des Nachmittags 4 Uhr befand ich mich am Bord des
Danube. Mein Platz der erſten Kajüte war, mit Einſchluß der
Beköſtigung, mit 472 Francs bezahlt worden. Die Küche des
Schiffes fand ich vollkommen zufrieden ſtellend und auch die für die
Ueberfahrt nach Marſeille feſtgeſetzte Zeit von 6 bis 7 Tagen hielt
das Schiff ziemlich inne, indem wir am 28. Oktober Morgens
5 Uhr am Beſtimmungsorte anlangten; am 20. Oktober um 7 Uhr
Abends waren im goldenen Horn die Anker gelichtet worden –
Die mir angewieſene Kajüte hatte ich mit einen jungen Engländer
zu theilen, deſſen ruhiges und gemeſſenes Verhalten ich nur rühmend
anerkennen konnte. Dagegen fordert es ſchon einige Gewöhnung
an das Geräuſch, welches die die Schraube des anſehnlichen Schif-
fes in Bewegung ſetzende Maſchine hervorbringt, um ruhig ſchla-
fen zu können. Dieſes Geräuſch weiß ich nicht beſſer zu verglei-
chen, als mit dem, welches von einer Holzſäge-Mühle ausgeht. –
Da wir das Marmara-Meer während der Dunkelheit durchſchifften,
ſo ging die Anſicht der Inſeln deſſelben und ſeiner beiden Ufer für
uns verloren. Ein günſtiger Nordweſtwind hatte unſere Fahrt
ſo raſch gefördert, daß wir am 21. ſchon um 7 Uhr Morgens vor
Gallipoli die Anker fallen laſſen konnten. Man hatte, wie dies
bei günſtigem Winde immer geſchieht, einige Segel aufgeſetzt und
das Schiff ſtöhnte und ächzte aus allen ſeinen Fugen nun derge-
ſtalt, daß der Schlaf oft unterbrochen wurde, indem zugleich das
erwähnte Säge-Geräuſch bisweilen dicht hinter meinem Ohre her-
– 224 –
vorzutreten ſchien. Ich begab mich daher Morgens, ſobald es hell
wurde, auf das obere Verdeck, da ich dem Tag ſchon mit Sehnſucht
entgegen geſehen hatte. Dieſes das Schiff überragende hohe Verdeck iſt
rings mit einer Gallerie umgeben, und trefflich geeignet, nach allen Rich-
tungen in die Ferne zu ſchauen. Da wir vor Gallipoli drei Stunden
liegen blieben, um Waaren an Bord zu nehmen, ſo ergab ſich hinlänglich
Gelegenheit, dieſen durch ſeinen lebhaften Handelsverkehr bekannten
Ort näher zu betrachten. Die Stadt gewährte durchaus nicht das
äußere Anſehen, welches ihre Bedeutung in der Handelswelt ver-
muthen läßt; ſelbſt ihr Umfang iſt ein ſehr mäßiger. Ihre an-
phitheatraliſche Lage an einem Bergabhange, zu welchem ſie ſich vom
Ufer aus erhebt, ſodann die unmittelbare Nachbarſchaft des Einganges
in die Dardanellen, müſſen jedenfalls als ſehr begünſtigende Umſtände
angeſehen werden. Einige dem Meere näher gelegene weiß ange-
ſtrichene Häuſer, die rothen Ziegeldächer der Gebäude, die ſchlanken
Minaret's einer Anzahl von Moſcheen, ein Leuchthurm in der Nähe,
geben dem Bilde faſt allein Lebhaftigkeit. An grüner Vegetation
fehlt es in der Umgegend faſt ganz; der graue Boden, auf welchem
der Ort ruht, gewährt ihm keine maleriſche Unterlage. – Die Zahl
der hier vor Anker liegenden Segelſchiffe erſchien auffallend beſchränkt.
– Die Marmara-Inſel lag bei Anbruch des Tages ſchon ſo weit
hinter uns, daß ich ſie nicht zu Geſicht bekommen habe. Eine trübe
kalte Atmoſphäre, ſowie ein mit Wolken bedeckter Himmel waren
nicht geeignet, uns in die heitere Stimmung zu verſetzen, die den Voll-
genuß paſſend eingeleitet haben würde, welchen uns die herannahende
Betrachtung der Ufer der Dardanellen-Meerenge verſprach. Dieſe
nahm von der grauen Vorzeit her bis heute hiſtoriſch wie maleriſch
die geſpannteſte Aufmerkſamkeit der Wanderer in Anſpruch, welche
das Glück hatten, die Windungen des ſchmalen Meerarmes zu durch-
kreuzen, der die Propontis mit dem ägeiſchen Meere verbindet.
Freilich hat ſich die Hand ängſtlich beſorgter Menſchen bemüht, die
majeſtätiſche Schönheit dieſer Felſenufer Europas und Aſien's durch
ſtarre Feſtungsmauern zu verdunkeln, deren hervorlugende Geſchütz-
mündungen dem Hindurchfahrenden Tod und Verderben zu drohen
ſcheinen. Im Oktober 1856, wo die Kriegsſchiffe der beiden vor-
herrſchenden Seemächte Europa's ſo eben den Schutz der Türkei
verfochten hatten, welchem dieſe kriegeriſchen Vorbereitungen gewidmet
ſind, war von der Armirung der Dardanellenſchlöſſer nur wenig zu
- 225 -
ſehen. Anders mag es ſich im Juni 1859 verhalten, wo uns der
Moniteur de la Flotte aus Paris her verkündigt, daß die Armirung
dieſer Schlöſſer erneut und faſt um das Doppelte vermehrt worden
ſei. Wer dieſe enge Straße durchſchifft hat, muß es erkennen, daß
für Kriegsſchiffe jeder Art unmöglich ſein werde, in einer Länge von
13 Kilometer dem Kreuzfeuer dieſer zahlreichen Batterien zu wider-
ſtehen, die großentheils im Niveau des Meeresſpiegels angebracht
ſind, – ſofern nicht die Arme der Bedienungsmannſchaft durch
ſchlafmachenden Mohn oder durch blendendes Gold gelähmt worden
waren. Nur von der Landſeite her würden dieſe feuerſpeienden Fels-
neſter, mittelſt ausgeſchiffter Truppen, angegriffen werden können.
Doch auch gegen einen ſolchen Angriff ſind kräftige Werke errichtet
worden, namentlich durch die den Türken zu Theil gewordenen Hülfe
eines ausgezeichneten, leider zu früh verſtorbenen preußiſchen Inge-
nieurs, des Generals Fiſcher. Gelegentliche Aufſchlüße, die der
viel erfahrene Mann, als er ſich ſpäter zwei Jahre lang in Bonn
aufhielt, hier über jene Befeſtigungswerke ertheilte, die von der Natur
des feſtungsartig geſtalteten Felsbodens ſchon äußerſt zweckmäßig
eingeleitet und vorbereitet worden ſind, ließen ſie bei energiſcher und
intelligenter Vertheidigung, den am ſchwerſten zu überwindenden der
gegenwärtigen Zeit zuzählen.
Eine halbe Stunde nach der Abfahrt von Gallipoli hatte
unſer „Danube“ die Einfahrt der Dardenellen erreicht. Trotz der
mächtigen Strömung von Nord nach Süd bewegte ſich das Schiff
ſo ruhig, als befinde es ſich auf einem Strome des Continents.
Von dieſer Seite her würde ſich alſo nicht das geringſte Hinderniß
dargeboten haben, jeden Punkt der beiden Ufer auf das Genaueſte
zu betrachten; leider klärte ſich aber die Luft auch Nachmittags nicht
auf. Vergebens ſchaute ich mich hier nach dem rieſigen Olymp um;
ſeine Scheitel waren in tiefes Dunkel gehüllt. Daſſelbe war, als
wir den Ausgang erreicht hatten, mit dem Ida der Fall; unſicherer
ſchienen uns, ſelbſt durch gute Fernröhre, Troja's Ebene, des Achill
und des Patroklus Grabhügel, undeutlich auch die ſchmale Schlucht,
durch welche ſich der Scamander in das Meer ergießt. Klar
traten dagegen die Uferlinien mit den hinter ihnen liegenden Höhen-
zügen hervor. Die aſiatiſche Küſte zeigt auch hier anziehendere,
zum Theil in der That liebliche Landſchaftsbilder, in welchen häufige
Thalgründe durch eine lebhaft grüne Vegetation wohlthuend einwirken,
10**
– 226 –
aus der ſich Platanen, Cypreſſen, Pappeln, Feigen, Sycomoren,
Terebinthen und Piſtazien beherrſchend hervorheben. Grau belaubte
Oelbäume, gruppenweiſe geſtellt, bringen Abwechſelungen in das
Bild. Reben bekränzen in der Nähe armer griechiſcher Dörfer
hier und da die Hügel; aber dem aus der Ferne Hinblickenden er-
ſcheinen ſie unmaleriſch und geringfügig. Kleine Flüßchen, gegenwärtig
ziemlich waſſerleer, drängen ſich durch Felsſchluchten zu dem ſie
verſchlingenden Meere, unter ihnen der Simois der bedeutendſte,
der Rhodius zunächſt folgend. Graue oder rothbraune Felſen
treten nackt aus dem Ufer hervor. Anſtatt grüner Bewaldung,
die ſie in der Urzeit getragen haben mögen, wo die verwüſtende
Betriebſamkeit der Menſchen ſie noch nicht vertilgt haben mochte,
ziehen jetzt Seeadler, über den Felszacken Kreiſe beſchreibend,
den Blick auf ſich. Noch vegetationsloſer, kahler und ſchroffer
erſcheint das europäiſche Ufer. Faſt könnte das vom ſchwarzem
Meer her offenbar bevorzugte aſiatiſche Uferland auf den Gedanken
bringen, als ſei das hervorragende Wohlwollen der ſchaffenden Na-
tur für die Wiege des Menſchenlebens heute noch nicht erſchöpft.
Schon drängte ſich unſer Schiff durch die ſchmalere Furth
zwiſchen dem aſiatiſchen Abydos und dem europäiſchen Seſtos, deſſen
Stellung wir mit Hrn. v. Prokeſch *) in die Bucht von Zemenik
legen. Die Betrachtung der ſo gegenüber liegenden Punkte macht die
gegenſeitige Entfernung beider von 875 Schritten, die Strabo hier
feſtſtellt, wahrſcheinlich. Hier alſo hätten Phönizier und Egypter
auf den Wink des Xerxes dem Meere das Joch der Brücke aufgelegt,
über welche die 1,700,000 Fußgänger und 80,000 Reiter während
ſieben Tage nach Europa hinzogen, um das kleine Häuflein der
Griechen zu ſchlagen. Hier auch würde der beſiegte Xerxes, auf
einſamer Barke flüchtend, den Rückweg gefunden haben. Auf dem
aſiatiſchen Ufer am Vorgebirge Nagara erhebt ſich der Felſen, auf
welchem Xerxes den Sitz nahm, um ſein Heer, die Schiffe, das
herbeigeſtrömte Volk und das Meer gleichzeitig zu überſehen. Nur
das heutige Maltepeh gewährt allein die Möglichkeit einer ſo um-
faſſenden Ueberſicht und muß daher als ehemaliger Königsſitz be-
zeichnet werden. Wie ärmlich erſchienen die gegenwärtig menſchen-
leeren Ufer, denen gegenüber, welche in jener frühen Zeit von
*) Denkwürdigkeiten. Th. 1. S. 128.
– 227 –
einem ſo unerhörten Menſchengewimmel bedeckt wurden. Ein Jahr-
hundert nach Xerxes dürfte Alexander, perſiſchen Uebermuth
ſtrafend, in umgekehrter Richtung mit ſeinen Macedoniern den-
ſelben Weg genommen haben. In der That erſchien der Mangel
an Verkehr zwiſchen den beiden Ufern, hervorgehend aus der Schwäche
ihrer Bevölkerung, der Anblick winziger Barken, die ſich hier und
da in den Buchten bemerken ließen, wohl geeignet, dieſe maleriſchen
Ufer zu bedauern, denen man als Erſatz für ihre große Vorzeit,
von Seiten der Osmanen nichts zu geben gewußt hat, als ſtarre
Feſtungsmauern. Einige vorüberziehende größere Schiffe trugen
meiſtens die Flagge fremder Nationen; der Halbmond war wenig
vertreten. – Unſer Schiff folgte den Krümmungen des Kanals, durch
die Strömung ſüdwärts getragen, mit großer Leichtigkeit und
ſchwankungslos. Erſt als wir ihn verlaſſen hatten, hoben die
mächtigen Wellen des ägeiſchen oder weißen Meeres, wie es die
Türken nennen, das Schiff; wir durchſchnitten ſie raſcher, als unſer
Capitän am Beſan- und Hauptmaſte viereckige Segel („la mizaine
quarrée“) hatte aufſpannen laſſen. Von jetzt an wurde ange-
ſtrengtere Aufmerkſamkeit nöthig, um auf der aſiatiſchen Seite die
Ebene Troja's zu erſpähen. Die Beſchreibung, welche Hr.
v. Prokeſch *), der einſt in einer griechiſchen Barke längs des
Ufers hinfuhr, von dieſen Geſtaden gibt, iſt jedem Reiſenden, der
ſich über ſie zu belehren wünſcht, zu empfehlen. Durch ſie geleitet,
vermochte ich das felſige höhere Ufer des Gebietes Troja's von
der ſandigen Ebene (Kum-burun) zu unterſcheiden, die ſüdlich da-
rauf folgt. Die Strahlen einer bleichen Abendſonne beleuchteten
die weißen Feſtungsmauern des ſüdlichſten der Dardanellenſchlöſſer
auf der aſiatiſchen Seite. Aber ein friſcher, unangenehm kalter
Nordwind ſtrich über das Verdeck und die von ihm aus unbeweglich
Schauenden hin, und ließ nichts von der ſüdlichen Gluth erkennen,
welche dieſe Gegend ſo häufig bezeichnet. Sie bereitet dem feurigen
Wein der Inſel Tenedos, die wir bereits zu unſerer Linken als
einen hochragenden grauen Felſen gewahrten. Die Geſtalt derſelben,
wie ſie ſich dem den Hellespont Verlaſſenden darſtellt, möchte ich
mit der der Inſel Capri vergleichen, wenn man dieſe von Cap
Campanella aus betrachtet. Zwei höher anſteigende Endpunkte
*) A. a. O. S. 116 u. f.
– 228 –
werden durch eine ſattelförmige, flache Vertiefung, mit einander ver-
bunden; doch erſchien mir ihre Maſſe viel bedeutender. Der Cours
unſeres Schiffes, der ſich zur Rechten nach Süd-Weſten wendete,
entfernte uns indeſſen von der Inſel ſo ſchnell, daß wir nichts von
ihrem Städtchen, ebenſo wenig von ihren grünen Schluchten zu ſehen
vermochten. Bald zwang uns auch die trübe Abendluft im Vereine mit
dem ſcharfen Nord, das Verdeck zu verlaſſen. Unſer Capitän war
grauſam genug, uns an den maleriſchen Inſeln und Küſten Griechen-
lands in dnnkler Nacht vorüber zu führen. Inzwiſchen ſchaukelten
die hohen Wellen unſer großes Schiff gleich einem Spielballe, als
deſſen Flanke vom ſtarken Winde gefaßt worden war. Dennoch
muß ich dankbar erkennen, daß das „weiße Meer“ gnädiger mit
mir umgegangen iſt, als das „ſchwarze“. Als ich um 8'2 Uhr
Morgens das Verdeck wieder beſtieg, wurde ich gewahr, daß das
Schiff fich beeilt hatte, uns ſchon bis an den Eingang des Piräus
zu fördern. Der erſte Blick fiel ſogleich in nordweſtlicher Richtung auf
die von einer kegelförmigen Anhöhe getragene Akropolis Athen's.
Die klare Morgenluft erlaubte mir, die edlen Linien wieder zu er-
kennen, welche ich ehedem im Muſeum zu London an dem dort auf-
geſtellten umfangreichen Modelle bewundert hatte. Damit verband
ſich noch der Vortheil, daß ich aus der Ferne keine Spur von dem
frevelnden Raube gewahr werden konnte, durch den die „Elgin
marbles“ nach dem Muſeum von London hingeſchafft worden ſind,
wo ich ſie freilich in der unmittelbarſten Nähe zu betrachten Ge-
legenheit gefunden hatte. Dankbar erkannte ich hier die dunſtfreie
klare Atmoſphäre, die mir geſtattete, mit Hülfe eines mäßig
ſcharfen Glaſes, das hervorragendſte architektoniſche Monument in
einer Entfernung von vier Stunden zu betrachten, welches uns aus
dem klaſſiſchen Zeitalter der Kunſt übrig geblieben iſt. Ihm ſo
nahe zu ſein, und es nicht erreichen zu ſollen, war freilich ungemein
hart. Aber die griechiſche Regierung hatte für alle aus der Türkei
ankommenden Reiſenden eine Quarantäne von vier Tagen angeordnet,
weil ſich dort die Cholera irgendwo gezeigt haben ſollte, von der
man jedoch in Conſtantinopel nichts wußte. Hier war ich von einem
Herrn, der in Athen unter Verhältniſſen gelebt hatte, die ihm erlaub-
ten, es gründlich kennen zu lernen, dringend gewarnt worden, jemals
eine griechiſche Quarantäne zu betreten, welche nur dazu gemacht ſei,
Krankheiten zu erzeugen, nicht aber ſie abzuwenden. Mit bedauern-
– 229 –
der Theilnahme ſah ich auch deshalb bald darauf eine junge Griechin
mit ihrem dreijährigin Kinde ausſteigen, welche unſer Schiff hierher
geführt hatte. Sie wurde in einem Nachen dem Ufer des Piräus
zugeführt, welches der gleichnamigeu Stadt gegenüber liegt und einen
ziemlich ſterilen Anblick darbietet. Sie verſchwand bald darauf in
eines der kleinen einſtöckigen Häuſer, die man zu dieſem Zwecke
hier gegen die Anhöhe erbaut hat. Die einzelnen Gebäude ſind
zweckmäßig durch einige Entfernung von einander geſondert. Die
Cholera hatte vor einem Jahre die Einwohner Athen's hart deci-
mirt und die Regierung mochte ſich wohl dadurch veranlaßt geſehen
haben, den beſorgten Gemüthern eine Coneeſſion zu machen. Daß
man indeſſen durch eine ſolche Maßregel jene Krankheit wirkſam
zurückgewieſen haben würde, im Falle ſie ſich gemeldet hätte, ſteht
billig zu bezweifeln, nachdem die Cholera bereits ſo vieler Quaran-
tänen geſpottet hat. Hr. Oubrey de Vere*), der früher hier eine
Quarantäne überſtand, äußerte ſich über ſie in ziemlich mildem,
zum Theile ſcherzhaften Tone, indem er ſich mit philoſophiſcher
Ruhe in das Unabwendbare zu finden wußte. Und in der That
mag die griechiſche Quaratäne vor einer ruſſiſchen einige Huma-
nität voraus haben; aber ein Unheil bleibt ſie für den darin Ein-
geſperrten deshalb nicht minder.
Um 9 Uhr raſſelte unſere Ankerkette in dem ausgezeichneten
Hafen des Piräus, deſſen Mitte wir ungefähr einnahmen. An
Muße, die gegenüber liegende Hafenſtadt genau zu betrachten, fehlte
es nicht. Nach ſo langer Entbehrung des Anblickes einer regel-
mäßig gebauten europäiſchen Stadt machte ſie eine um ſo ange-
nehmere Wirkung. Die vom Hafen aus ſichtbaren Häuſer zeigen
regelmäßige Fenſter, flache Dächer, ſind reinlich abgeputzt und laſſen
Wohlſtand ihrer Bewohner vermuthen. Aus der Stadt tönten die
Hörner des damals hier garniſonirenden franzöſiſchen Militärs her-
vor. Ein Quarantäne-Boot mit der griechiſchen Flagge legte ſich
uns zur Seite und verließ uns nicht eher, als bis in dieſer Hin-
ſicht Alles geordnet war. Die griechiſchen Ruderer ſitzen in der
Mite ihres Bootes, wohingegen die meiſten andern Nationen das
Vorder- oder Hintertheil deſſelben einnehmen. Es fiel mir auf, daß
die griechiſchen Bootsführer, ungeachtet ihrer großen Lebendigkeit, bei
Weitem nicht ſo betäubendes Geſchrei erheben, als die ernſthaften
*) A. a. O.
– 230 –
Türken im Hafen des goldenen Horn's. Doch mag der hier viel
weniger lebhafte Verkehr, der den Zuſammenſtoß der einzelnen
Barken nicht leicht fürchten läßt, hierzu weſentlich beitragen. Wir
blieben bis 4 Uhr Nachmittags hier liegen; aber der 22. Oktober
führte hier eine ſo durchdringend kalte Luft herbei, wie ich es unter
einer nördlichen Breite von 37° 50“ in ſolcher Jahreszeit nicht erwartet
hatte. – Wenn man den gegenwärtigen Zuſtand der Piräus mit
dem vergleicht, welchen v. Prokeſch*) unmittelbar nach dem Kampfe
zwiſchen den Türken und Griechen im Juli 1827 hier vorfand, ſo
muß man bekennen, daß die Stadt ſeitdem ſchnell genug aus ihrer
Aſche wieder emporgeſtiegen iſt. Freilich wird ſie den Glanz, den
einſt Sylla hier zerſtörte, ſchwerlich jemals wieder erreichen. Aber
der Umſtand, daß ſie das Haupt ſtets wieder erhebt, ſo oft es
auch niedergedrückt worden war, ſpricht dafür, daß eine Art von
Natur-Nothwendigkeit die Völker auf die Benutzung des ſeinem
Zwecke in ſo hohem Maaße entſprechenden Hafens hinweiſet.
Sollte Athen in der Folge einen Theil ſeines alten Ruhmes
wieder erobern, ſo würde auch ſein naher Hafen in gleichem Maße
an Bedeutung ſteigen müſſen. Noch heute würde ſein Eingang
durch eine Kette geſperrt werden können, wie es zur Zeit der alten
Griechen geſchehen ſein ſoll.
So bald wir bei der Fortſetzung der Fahrt das hohe Meer
erreicht hatten, wurde es von den hohen Wellen zu mächtig ge-
peitſcht, als daß ich das Verdeck hätte halten können. Erſt als es
am folgenden Tage zwiſchen einigen zu Griechenland gehörenden
kleineren Felſeninſeln und dem Feſtlande ein ruhigeres Fahrwaſſer
gefunden hatte, wurden die Schwankungen mäßiger. Am Nach-
mittage des 23. wurde mir, als wir nahe an der Küſte des Feſt-
landes hinfuhren, der Genuß zu Theil, die Feſtung Modon und
bald nachher Navarin aus der Nähe zu betrachten, deſſen Namen
durch die in neuerer Zeit dort ſtattgehabte Zerſtörung der türkiſchen
Flotte ein welthiſtoriſcher geworden iſt. Damals hatten ſich die drei
ſtärkſten europäiſchen Seemächte mit einander vereinigt, um den Halb-
mond zu demüthigen, dieſelben, welche nun unlängſt im blutigen
Streite gegen einander entbrannten. Ich ſah die ziemlich breit ſich hin-
ſtreckende Felsinſel vor mir, auf welcher damals der ruſſiſche Ad-
*) A. a. O. III. Th. S. 504 u. f.
– 231 –
miral, Gr. Heyden, einen Theil ſeiner Geſchütze aufpflanzte, um
das Zerſtörungswerk bequemer vollenden zu helfen. In richtiger
Vorausſicht deſſen, was künftighin folgen möchte, tadelte Georg IV.
in ſeiner nächſten Parlamentsrede den braven Admiral Codrington
wegen ſeiner Theilnahme an dem „untowerd event“. Das kleine
Griechenland war aber von hier aus dem ſichern Verderben ent-
riſſen, welches Ibrahim Paſcha gedrohet hatte. Gegenwärtig
möchte England vielleicht gern die zerſtörte türkiſch-egyptiſche Flotte
wieder beleben, damit ſie mächtig genug wäre, Rußland und Frank-
reich zugleich zu widerſtehen. – Im Hintergrunde der Bai lehnt
ſich die kleine Stadt Navarin, von einer hohen Mauer umgeben,
gegen die Anhöhe. Hinter dieſer Mauer hatten ſich damals die
Griechen ungemein tapfer gegen die Uebermacht Ibrahim Paſcha's
vertheidigt. Tiefer Frieden ſchwebte über das am 13. Mai 1825
mit ſo vielem Blute gedüngten Gefilde. Von der Citadelle fällt
jetzt wenig in die Augen. Die ganze Strecke zwiſchen Modon
und Navarin, die wir hinter uns hatten, erſchien baumlos und
öde. – Die Feſtungswerke von Modon, welche die Venetier er-
baut haben, verkünden durch ihre große Solidität und gute Erhal-
tung den Ruhm ihrer Erbauer. Noch jetzt zeigten ſie an vielen
Stellen ein neues, faſt zierliches Anſehen, ungeachtet der großen
Sorgloſigkeit, mit welcher eben ſo wenig die Türken als die Griechen
für ihre Unterhaltung etwas gethan haben. Das Mauerwerk, wel-
ches die Türken hier und da angeklebt hatten, erſcheint zerbröckelnden
Schwalbenneſtern ähnlich. Der befeſtigten ſchmalen Erdzunge, welche
fich weit ins Meer hinaus erſtreckt, ſteigt unfern gegenüber die fel-
ſige Inſel Sapienza aus dem Meere; zwiſchen dieſer und dem
Feſtlande fuhr unſer Schiff hin. Der oſtwärts gelegene Hafen iſt
nicht ſehr geräumig, ſcheint aber ſehr ſicher zu ſein. Der Hafen
von Navarin iſt dagegen ſo geräumig, daß er 1825 die vier
verſchiedenen Flotten bequem aufzunehmen vermochte. Hr. v.
Prokeſch ſah am Ende Juni's 1825 die geſchwärzten Leichname
der dort Erſchlagenen, unvollkommen von Wellen oder Sand gedeckt,
zerſtreut am Geſtade herumliegen. Die Egypter hatten ſelbſt ihren
Kampfgenoſſen kein Grab zubereitet und in dem unglücklichen Na-
varin war die Peſt ausgebrochen.
Ein am Bord befindlicher gebildeter Grieche, mit dem Bande
des Erlöſer-Ordens im Knopfloche, ſchien mit dem vor uns liegen-
– 232 –
den Feſtlande ſehr vertraut zu ſein. Er war ſo freundlich, uns
die einzelnen Punkte deſſelben, mit ihrem Hinterlande, näher zu deu-
ten. Das rauhe Lakonien mit dem ehemaligen Sparta, ſo auch
das reicheultivirte Arkadien, hatten wir nach Norden zu im Hin-
tergrunde wechſelsweiſe vor uns. – Bald jedoch verließen wir den
ſchützenden Canal, weſtwärts uns Sicilien zuwendend, wo der
Danube in Meſſina anlegen ſollte. Die Inſel Zante blieb
uns ſchon ſehr fern; bald umfing uns das hohe Meer.
Am 26. Oktober fiel ſchon Morgens 1 Uhr der Anker im
Hafen von Meſſina. Sein erſehntes Geräuſch trieb mich raſch
aus der engen Kajüte auf das Verdeck. Eine wohlthuende, reine,
laue Luft empfing mich ſchmeichelnd. Längs des Ufers dehnte ſich
vor der Stadt eine anſehnliche Reihe von Gasflammen hin, ma-
giſche Streiflichter theils über die ſeewärts gewendete ſchönere Seite
der Stadt, theils über den Hafen und ſeine Schiffe hinſendend.
Derſelbe azurne Himmel, den ich bereits hier 1843 bewundert
hatte, begrüßte mich von Neuem; unzählige Sterne funkelten an
ihm glühender, als an dem bleichen nordiſchen Himmel. Fiſcher-
barken, mit brennenden Kienfackeln an Bord, durchſchwärmten die
Meerenge, gleich Leuchtwürmern die ruhige See belebend. Das
gegenüber liegende Reggio hob ſich gleichfalls durch eine helle Be-
leuchtung, wahrſcheinlich von Gas, aus der Dunkelheit hervor. Die
Ruderſchläge der Barten entlockten, durch Reizung unzähliger Weich-
thiere, dem Meerwaſſer das bekannte Leuchten, – freilich nicht in
ſo großartigem Maßſtabe, als ich es in der warmen Jahreszeit des
Auguſt einſt an den Schaufelrädern des Dampfſchiffes Peloro hier
bewundert hatte. Der zauberiſche Anblick entſchädigte mit einem
Schlage für tauſenderlei von der Reiſe unzertrennliches Ungemach.
Erſt der kühlere Morgenwind, welcher die herauf ſteigende Morgen-
ſonne ankündigte, vermochte mich von dem unvergleichlichen, großar-
tigen Bilde fortzureißen.
Um 9 Uhr Morgens ließ ſich eine kleine Geſellſchaft Reiſen-
der an das einladende Ufer ſetzen; Hr. Dr. Berthet, unſer hu-
maner Schiffsarzt, regulirte am Lande die Paß-Formalitäten, und
führte uns, der Stadt kundig, zuerſt nach der beherrſchenden An-
höhe, welche die Kirche S. Gregorio Papa trägt. Bei dem
Heranſteigen erinnerte ich mich, irgendwo geleſen zu haben, daß hier
die mit goldenen Früchten beladenen Orangenbäume, welche zur
– 233 -
rechten Hand einen tieferen Felseinſchnitt ausfüllen, einft Göthe
zur Dichtung des bekannten herrlichen Liedes der „Mignon“ ent-
flammt haben ſollen. So maleriſch nun auch das dunkelglänzende
Grün der Blätter von den umgebenden Mauern und Felſen abſticht, ſo
beſchränken die letzteren jedoch die freie Anſicht der herrlichen Bäume
zu ſehr. Als mehr geeignet, poetiſche Begeiſterung hervorzmlocken,
möchte ich die Orangengärten von Sorrent bezeichnen. Dort
fand ich 1843 einen talentvollen deutſchen Maler, Hrn. Vogel,
beſchäftigt, unter einem fruchtbeladenen mächtigen Orangenbaum
eine jugendliche Schönheit aus Sorrent zu malen. Nie habe
ich eine der heiteren Kunſt würdigere Situation geſehen, als
dieſe; man denke ſich das ſchmeichelnde Plätſchern der Wogen
des nahen Meeres, die die ganze Scene umhüllende balſamiſche
Luft hinzu. Damals wurde mir klar, wie Torquato Taſſo's
empfängliches Gemüth in dieſen Orangenhainen unſterbliche Dich-
tungen hatte vorbereiten können. Wie viel leichter mag es der
klaſſiſchen Kunſt unter ſolchen Umgebungen in Griechenland gewor-
den ſein, ſich zu einer nicht wieder erreichten Höhe empor zu ſchwin-
gen. – Oben angelangt, überließ ich einem ſchwatzhaften Meſſine-
ſen die Gefährten, denen der vielfarbige reiche Marmor des Innern
der Kirche angeprieſen wurde, während ich auf die Höhe des Vor-
platzes hinaustrat, um mir das zauberhafte Bild möglichſt dauernd
einzuprägen, welches die zu unſern Füßen ſich hindehnende anſehn-
liche Stadt, der Meeresarm, welcher ſo eben in der Sonne ſein
prachtvollſtes Feierkleid angethan zu haben ſchien, auf die mannich-
fach beflaggten Schiffe des Hafens, auf das bunte Menſchengewim-
mel in ihm, endlich auf den gegenüber ſich hinſtreckenden Saum
des calabriſchen Feſtlandes mit ſeinen Städten vor mir ausbrei-
tete. – Hinabgeſtiegen zur Ebene der Stadt, bewunderte ich die
mit dem Ufer parallel laufenden Straßen wegen ihres vorzüglichen
Steinpflaſters und der vielen ſchönen Häuſer, die ſich an ihren
Seiten erhoben. Ich hatte gefürchtet, noch Spuren des Bombarde-
ments der Citadelle zu finden, welches durch die Revolution von 1848
veranlaßt worden war. Sie waren glücklich verwiſcht; aber Stra-
ßenbettelei, die Plage der meiſten ſiciliſchen Städte, war nach wie
vor zudringlich geblieben. Der reiche Handel des Ortes hat den
Schutt zerſtörter Gebäude zwar bald beſeitigen laſſen; die Verſun-
kenheit der unteren Volksklaſſen würde jedoch nur eine energiſchere,
– 234 –
wohlmeinendere Regierung zu beſeitigen im Stande ſein. – Wir
ſtatteten der merkwürdigen Kathedrale, der Reiterſtatue des Don
Juan d'Auſtria, endlich dem am nördlichen Ende der Stadt liegen-
den öffentlichen Garten unſern Beſuch ab. Die Pfeiler der Gitter-
Umgebung des letzteren ſind mit Craſſifolien mancher Art gekrönt,
wie man dies auch häufig in Neapel ſieht; zahlreiche andere Re-
präſentanten der Vegetation eines ſüdlichen Klima's konnten in dem
Garten nur eines flüchtigen Blickes gewürdigt werden, denn wir
ſollten uns noch Vormittags wieder am Bord einfinden.
Die Witterung blieb uns den ganzen Tag über ungemein
günſtig; vollſtändige Windſtille herrſchte, kaum kräuſelte ſich hier
und da die Meeresfläche. Dabei erhielt die Atmoſphäre ſich ſo
durchſichtig, daß wir jeden Punkt der uns zur Seite bleibenden
Küſten mit Hülfe der Gläſer klar überſchauen konnten. Der runde
Wachthurm am nördlichen Ende einer flachen ſandigen Landzunge,
den ich einſt von Meſſina aus beſucht hatte, erinnerte mich an die
zu ſeinen Füßen wirbelnde Charybdis, die jetzt kaum noch ein un-
vorſichtiger Barkenführer zu fürchten hat. Gegenüber am Feſtlande
bezeichnete man mir den Punkt, wo die zur Zeit der Kindheit der
Schifffahrt eben ſo gefährliche Scylla liegt. Meſſina und Reg-
gio, dann das nördlicher auf dem Feſtlande hervortretende kleine
S. Giovanni hatten wir bald hinter uns. Unſer Schiff wen-
dete ſich um das Cap Peloro herum den lipariſchen Inſeln zu,
zwiſchen welchen es ſo hindurch fuhr, daß uns die nördlichſte der-
ſelben, Stromboli, nahe zur rechten Hand blieb. Der kegelför-
mige Gipfel dieſer Inſel ſtieß, wie immer, graue Dampfwolken aus.
Aber die feurige Gluth dieſes Dampfes, die ich früher in dunkler
Nacht vorüber fahrend geſehen hatte, wurde heute durch die Strah-
len der Sonne verſcheucht. Dagegen vermochte ich heute aus un-
mittelbarer Nähe mich davon zu überzeugen, daß nur wenige gegen
das Meer hinab laufende vertiefte Streifen des Felſens eine mit
ſchwacher Vegetation ausgeſtattete Humusdecke trägt. Wohl gehört
die ganze gemüthliche Heimathsliebe der Liparioten, wie ſie Spa-
lanzani mit lebhaften Farben ſchildert, dazu, um hier zufrieden
leben zu können. Die ſchräg gegenüber ſich erhebende Inſel Vac-
cheluce zeigt etwas breitere grüne Thäler. Die Inſel Strom-
boli wird, nach Spalanzani *), durch einen Porphyrkegel gebil-
*) Voyage dans les deux Siciles. T. II. Berne, 1795. pag. 56.
– 235 –
det, deſſen Außenſeite jedoch allenthalben dicht mit vulkaniſchen Aus-
würfen, nämlich Schlacken, Laven, Tuff, Bimsſtein und Eiſenglanz
bedeckt iſt. Die Thätigkeit des Vulkans von Stromboli iſt ſeit
undenklichen Zeiten dieſelbe geblieben. Seine Dämpfe führen un-
unterbrochen ſchweflichte Säure ſo maſſenhaft mit ſich, daß ſie für
Menſchen und Thiere leicht gefährlich werden können. Aſchenregen
fällt mitunter auf die ſpärlichen Häuſer herab. Die Einwohner
vermögen nach der verſchiedenen Stellung, Schwäche oder Heftig-
keit der Dampfwolke, welche die Spitze ihres Berges einnimmt, Wind
und Wetter ziemlich genau vorher zu beſtimmen. Daß dies in den
älteſten Zeiten ſchon ebenſo geweſen ſein mag, ſcheint daraus her-
vorzugehen, daß die Alten den Wohnſitz des Gottes der Winde
hierher verlegt hatten. – Schwefel ſcheint hier nie geſammelt wor-
den zu ſein. Dagegen iſt dies Jahrhunderte lang auf Volcano,
der ſüdlichſten der lipariſchen Inſeln, geſchehen. Dieſe Inſel bringt
periodiſche Ausbrüche ihres Vulkans von glühender Aſche, Steinen
und Lava. Die Einwohner der nachbarlichen Hauptinſel Lipari
beuteten ehedem den Erwerbszweig des Einſammelns von Schwefel
auf ihr aus, ſcheinen ihn aber in der neueren Zeit, wegen mancher
mit dem Einſammeln verbundener Bedenken, aufgegeben zu haben.
Dagegen hat der Name des feurigen Weins von Lipari durch
ganz Italien einen guten Klang.
Glücklich hatten wir die Inſelgruppe durchſchifft, und immer
noch dauerte die Windſtille an. Die Luft aber war ſchwül und
hatte die geſammte Schiffsgeſellſchaft auf das Verdeck getrieben.
Man erfreute ſich eines faſt ununterbrochenen Wetterleuchtens, wel-
ches das feuchte Element oft ſo klar beleuchtete, daß wir, trotz der
eingetretenen Dunkelheit und des Mangels an Sternenlicht einzelne
auftauchende Delphine gewahr werden konnten. Nicht ſo ruhig,
als die Paſſagiere, zeigte ſich die Schiffsmannſchaft, wie wir aus
mancher von ihr getroffenen Vorrichtung entnehmen konnten. Und
in der That, bald nach 10 Uhr erfuhren wir, weshalb die eben
verlaſſenen Inſeln von den Alten die „äoliſchen“ genannt worden
ſind. Urplötzlich ſchien das tyrrheniſche Meer zu kochen; bald wühl-
ten haushohe Wellen unter uns, die mit dem „Danube“ ein leich-
tes Spiel trieben. Wer vom Dienſte nicht oben feſtgehalten wurde,
flüchtete in die unteren Räume. Aber auch hier verwandelte ſich
die horizontale oft faſt in eine verticale Lage, indem das gepeitſchte
– 236 –
Schiff ſich auf die Seite legte; mir ſchien die Zeit wiedergekom-
men, wo der ſpielende Knabe ſich wohl einmal auf den Kopf ge-
ſtellt hatte. Die ganze Nacht hindurch fuhr der Sturm fort zu
toben; erſt am andern Bormittage, nachdem wir die Meerenge von
S. Bonifazio dmrchmeſſen hatten, hörte ſeine Wuth auf. Nach-
mittags begegneten ſich endlich die bleichen, leidenden Phyſiognomieen
der Reiſenden auf dem Verdecke wieder, das harte nächtliche Aben-
teuer deutlich anklagend. Aber unſerm Laufe war der Sturm för-
derlich geweſen. Schon lag uns die Südweſtſeite der Inſel Cor-
ſica mit ihren ſchroff anſteigenden Felſenhäuptern gegenüber. Mit
doppeltem Intereſſe betrachtete ich dieſe Wiege des Geſchlechtes der
Napoleoniden. Und wenn ſich nicht läugnen läßt, daß die Boden-
oberfläche eines Landes beſtimmend auf den Charakter ſeiner Bewoh-
ner wirkt, – und wenn die Bergbewohner im Allgemeinen feſter,
härter, thatkräftiger, energiſcher zu ſein pflegen, als die der Ebeue,
ſo wird man ſich manche Charakterzüge Napoleons I. ungezwun-
gener erklären können, nachdem man die gewaltige Felsmaſſe mit
ihren tiefen dunkeln Schluchten-Windungen vor ſich hat aufſteigen ſehen.
Gerade die Bucht von Ajaccio war es, der gegenüber nahe ge-
nug unſer Schiff hinfuhr, um die Stadt gleichen Namens im Hin-
tergrunde gewahr zu werden; vielleicht ſchweifte unſer Blick unbe-
wußt über das Geburtshaus Napoleons hin. – Der den bei
weitem größeren Theil der Inſel einnehmende Höhenzug läßt es
nicht auffallend erſcheinen, daß hier auf 178 Quadratmeilen kaum
200,000 Menſchen leben. Die beiden hervorragendſten Spitzen,
welche mit 8 bis 9000“ Höhe die Schneelinie erreichen, erſchienen
mir von Mitgliedern derſelben Felſenfamilie ſo nahe umgeben, daß
bis dort hinauf fruchtbare Thäler nicht hinreichen können. Dage-
gen dürften viele bewaldete Höhen dadurch, daß ſie ſchwer zugäng-
lich ſind, des Glückes theilhaftig geworden ſein, daß die gewinn-
ſüchtigen Menſchen ihr Holz bis jetzt nicht vertilgen konnten. Wir
genoſſen alſo hier noch des erfreulichen Anblickes wirklicher Wälder.
Corſica iſt ſeinem Umfange nach die dritte unter den Inſeln Italiens
und ſeine italieniſch redenden Einwohner waren ſtets freiheitdür-
ſtend. – Obgleich nun Corſica ſeit 1811 ein Departement Frank-
reichs bildet, ſo könnte man doch jetzt (1859), wo Napoleon III. ſo
maſſenhaft franzöſiſches Blut vergießt, um – wie er ſagt – Ita-
lien ſeine Freiheit wieder zu verſchaffen, wohl fragen, ob er nicht
– 237 –
mit der Befreiung Corſica’s vom franzöſiſchen Joche anfangen
wolle? Eine andere Frage iſt es, ob den Corſicanern mit dem
Verluſte des franzöſiſchen Schutzes gedient ſein könnte. Sie ſollen
der franzöſiſchen Regierung mehr koſten als einbringen. – Wir
behielten die Inſel den größeren Theil des Nachmittags im Geſichte,
und es wurde ſpät, ehe wir Frankreichs Südküſte als einen fernen
Nebelſtreifen erblickten. Es war am frühen Morgen des 28. Oktobers,
als wir im innern Hafen von Marſeille Anker warfen. Indeſſen
wurde es 8 Uhr, ehe ich nach Erfüllung der nöthigen Formalitäten
in den ruhigeren Hafen des Hötel de l'Empereur, Rue Canne-
bière, einlief, um nach einigen wohlverdienten Raſttagen den Weg
über Paris in die Heimath anzutreten. Den äußerſt zweckmäßig
angelegten innern Hafen des reichen Marſeille kann ich jedoch
nicht verlaſſen, ohne mein Befremden darüber auszudrücken, daß
ihm damals, am Ende des Spätſommers, faule Dünſte maaslos
genug entſtiegen, um das Geſundheitswohl der zahlreich dort ange-
häuften Schiffsmannſchaften, ſo wie der Anwohner der Quai's, in
Frage zu ſtellen. Die enorme Maſſe der Auswurfsſtoffe, welche
aus Hunderten von Schiffen alltäglich dem Waſſer übergeben wer-
den, – im Verein mit der hier lange andauernden Sommerhitze,
laſſen das Entſtehen der Mephitis leicht erklären. Aber ſollte es
nicht möglich ſein, vermöge eines von Zeit zu Zeit hindurchzulei-
tenden Waſſerſtromes den Hafen ſeewärts auszuſchwemmen? Der
heutigen Waſſerbaukunſt iſt nichts der Art unmöglich.
WWI.
Bur Geſchichte und Charakteriſtik der Bsmanen. – Ehedem und
jetzt. – Urväter der Dsmanen. – Turkomanen. – Seldſchucken.
– Kara Bsman und Brchan, die Stifter der jetzt regierenden
Dynaſtie. – Eroberungen in Aſien. – Eindringen in Europa. –
Interregnum durch die Gefangennehmung Bajazid's. – Einnahme
von Conſtantinopel. – Charakterzüge der heutigen Dsmanen. –
Toleranz. – Religiöſer Cultus. – Familien- Leben. – Raçe und
ihre Beredlung. – Abnahme der türkiſchen Bevölkerung und ihre
Urſachen. – Türkiſche Frauen. – Aberglaube. – Fanatismus. –
Zndolenz. – Ausdauernde Tapferkeit bei richtiger Führung. –
Schickſals-Glaube. – Heerweſen. – Marine. – Rationale Sorg-
loſigkeit. – Pulver-Exploſion. – Häufige Feuersbrünſte. – Volks-
Medicin. – Literatur. – Regierungs-Formen. – Hatti-Hümajun. –
Municipalweſen.
Fachdem vierhundert Jahre verfloſſen ſind, ſeitdem die Os-
manen die Hauptſtadt des oſtrömiſchen Reiches, das „erdverbin-
dende“ Conſtantinopel erobert und bisher beſeſſen haben, iſt es an
der Zeit, wiederholt und immer von neuem zuzuſehen, wie das
aſiatiſche Volk mit dem ihm von der Vorſehung in Europa anver-
trauten edlen Pfande umgegangen iſt, und wie es jetzt endlich mit
dieſem noch zu wuchern im Stande ſein möchte, um das Glück
der unterjochten Völker zu fördern.
Die gegenwärtige phyſiſche und moraliſche Geſtaltung der Os-
manen in Europa und Aſien wird aber unmöglich folgerichtig be-
urtheilt werden können, wenn man ſich nicht entſchließen will, ſich
der Leitung der Geſchichte ihres Urſprungs, Vorſchreitens, wie ihrer
Machtentwicklung, anzuvertrauen. Manche übelbegründete Aus-
– 239 –
ſprüche über ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, würden
nicht vermocht haben, ſich bei den Zeitgenoſſen Geltung zu verſchaf-
fen, wenn man den von der Wiſſenſchaft vorgeſchriebenen Weg der
Unterſuchung nicht zu oft verſchmäht hätte.
Hiermit ſoll aber nicht behauptet werden, daß Wiſſen die Weis-
heit nothwendig einſchließe. Wäre dies der Fall, ſo müßte unſer
vielwiſſendes Zeitalter ſehr weiſe ſein. Aber unweiſe Maßregeln
in Fülle, die wichtigſten Angelegenheiten der Menſchen und des Le-
bens unſanft berührend, folgen ſich raſch aufeinander. Unſere ab-
gelebte Zeit mag ſie wohl verdient haben. – Für manche Regie-
rungen würde es aber eine der unweiſeſten Unternehmungen ſein,
Kleinaſien jetzt aus den Feſſeln der Barbarei erlöſen zu wollen;
die zu ſolchem Zwecke dorthin geſendeten Männer würden ſich nicht
enthalten können, bei jedem Fußtritte das gefährliche Studium der
Geſchichte zu treiben. Der mögliche Rückſchlag davon auf das al-
tersſchwache Europa läßt ſich nicht berechnen.
Kein Dorf bezeichnet die Stelle, wo die Stadt des Kröſus,
die Königin Lydiens, einſt ſtand. Sardis iſt von der Erde ver-
tilgt. Es iſt nicht nöthig, bis zu den coloſſalen, dennoch aber zu-
letzt lächerlich endigenden Unternehmungen des Darius und des
Xerxes aufzuſteigen, um ſich Rechenſchaft über die Urſachen eines
ſo unerhörten Verſchwindens zu verſchaffen. Die einzige Thatſache
genügt, daß Herodot *) zu Sardis noch an dem Grab-Tumulus
des Alyattes, des Vaters des Kröſus, Inſchriften fand, aus
denen hervorging, daß die Luſtdirnen (!) den größten Theil deſſelben
auf ihre Koſten gebaut hatten.
Die Nothwendigkeit des Unterganges des weltbeherrſchenden
Rom’s kann mit kurzen Worten kaum treffender nachgewieſen wer-
den, als es durch Hrn. J. J. Ampère.**) geſchehen iſt. „Nach-
dem Rom ſich einmal als Sclavin dem Despotismus
der Kaiſer hingegeben hatte, ſo behandelte der Sieger
ſeine Gefangenen zwar anfänglich noch milde; bald aber
ließ er ſie die Schande ſeiner Launen und ſeine Grau-
ſamkeiten empfinden; zuletzt ihrer überdrüſſig, ver-
tauſchte er ſie, durch Conſtantin, mit einer jüngeren
*) Klio. 93.
**) Revue des deux mondes. Aoüt, 1857. -pag. 600.
lebensfriſcheren Selavin im Orient. Rom wurde zu -
erſt unterjocht, dann unterdrückt, zuletzt verlaſſen; die
Barbaren fanden endlich dort nicht viel mehr zu zer-
ſtören.“
Aber vermochte Hr. Ampère ſo zu ſchreiben, ohne ſich zu
erinnern, daß er mit dieſen Worten zugleich ein ſtrenges Urtheil
über das eigne Vaterland ſprach? Ein Land, deſſen Männer, der
großen Mehrzahl nach, ſich im Durſt nach Gold und Ehrenzeichen
verzehveu, iſt unfähig, den ungemeſſenen Egoismus der Einzelnen
auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern. Was auch eine kleine
Schaar von Brauſeköpfen dagegen thun mag, – eine Republik iſt
dort unmöglich. Starrer Despotismus iſt dort zur Natur-Noth-
wendigkeit geworden; von ſeiner Herrſchaft befreit, würden die Par-
teien ſich ſo lange gegenſeitig zerfleiſchen, bis ſie zu ihm abermals
zurückgekehrt, ſein Joch ſchmiegſamer zu ertragen gelernt haben würden.
Die ſpätere Conſequenz von einem ſolchen Zuſtande hat Hr. Am-
père ſo richtig gezeichnet, daß es unnütz erſcheinen dürfte, das
Bild hier weiter ausmalen zu wollen. Einzelne treffliche Männer,
an denen es auch Rom nicht fehlte, ſind unfähig geweſen, das Ver-
hängniß zu beſchwören, welches die Sünden Einzelner durch Be-
ſtrafung ganzer Völker ſühnt, ſobald dieſe ſich zum Fußſchemel Je-
ner herabgewürdigt hatten. Denn Beiſpiele des alten folgte das
neue öſtliche Rom willenlos.
Geſchichte. – Die Völkerſtämme, welche als die Urväter
der heutigen Osmanen betrachtet werden müſſen, bewohnten eine
rauhe Hochebene Aſiens, das heutige Turkiſtan. Die alten Per-
ſer, die Bewohner von Iran, nannten jene Landſchaft Turan
und ihre Bewohner „Turanier“, d. h. Türken. Als Geſammt-
name bedeutete er zugleich ſo viel, als bei den Römern und Griechen
der Ausdrck „Skythen“, d. h. durch Rohheit und Barbarei kenntliche
Menſchen. Auffallend iſt es, daß ſelbſt den Osmanen unſerer Zeit
das Wort „Türke“ ungefähr ſo viel als „Barbar“ gilt. – Jene
Turanier waren durch die Rauhheit und die Unbilden ihres Kli-
ma's abgehärtete Menſchen, die durch den ſtarken Widerſtand gegen
Hinderniſſe, welche die Natur ſelbſt ihnen bereitete, eine ungewöhn-
liche, zugleich freilich auch wilde, unbändige Thatkraft erlangt hat-
ten. – Aus Turkiſtan ſtammen gleichfalls die Turkomanen,
welche jetzt das öſtliche und das weſtliche Ufer des caspiſchen See's
hewohnen; ihre Sitze bezeichnen denn auch daſ eigentliche „Turk-
manenland“. D9ch belegen. Viele auch das tägkiſche Armenien mit
dem Namen „Turkmanien“. – Zwiſchen dem Jaxartes und dem
Oxus herrſchten in jener frühen Zeit zugleich die Oghuſen.
Beide nahmen einhundert und fünfzig Jahre nach Mohammed den
Islam an und hießen ſeitdem „gläuhige“ Türken. Aus dem Volke
der Oghuſen ging aher der mächtige Stamm der Seldſchuken
hervor. Dieſe bewohnten am Ende des zehnten Jahrhunderts das
Land von Buchara, von wo ſie ſpäter ihr Herrſcher Mohammed
üher den Oxus nach Chorajaj führte. Hier hatte ſich ſein Pa-
ter Sebektegin nämlich zum Könige erhoben, nachdem es ihm
zuvor gelungen war, ſich von der Stelle eines türkiſchen Sclaven
in der perſiſchen Leihwache zum Statthalter von Ghasna empor-
zuſchwingen. Mohammed war der Erſte, der den Titel „Kö-
nig“ mit dem eines „Sultan“ vertauſchte. – Der letzte Khalife
aus dieſem Stamme ſtarb im Jahre 1063 n. Chr. Ihm folgte
ſein Neffe Alparslan, der Seldſchuke, der im Auguſt 1071 den
griechiſchen Kaiſer Romanus Diogenes in der Schlacht beſiegte,
gefangen nahm und tributpflichtig machte. Sein Sohn Melek-
Schah, der größte und berühmteſte aller ſeldſchukiſchen Fürſten,
beherrſchte ein Reich, welches ſich vom caspiſchen bis zum mittel-
ländiſchen Meere und vom Lande der Chaſaren bis zur Spitze Ie-
men's erſtreckte. Er errichtete in den Hauptſtädten Schulen und
Akademien, von denen die berühmteſte die zu Bagdad war; dadurch
erwarb er ſich den Namen eines Beſchützers der Gelehrten, heſon-
ders der Dichter. Auch war er der Begründer einer verbeſſer-
ten Zeitrechnung. – So ſtellt p. Hammer *) den Hergang bei
der Gründung des Seldſchuken Reiches dar, zu deſſen Hauptſitz ſpäter
Ikonium, Koniah der Türken, erhoben wurde. Etwgs abwei-
chend erzählt den Verlauf dieſes für die Begründung der Herrſchaft
der Osmanen in Aſien ſo wichtigen Geſchichts-Abſchnittes Wil-
tenº). Nach ihm gte Meet-Schah, welcher in Bagdad
reſidirte den Feingº, den Sohn des Kutilmiſch, des Rut-
wmºs der rämiſcheſ Schiffer, nach Kleinaſien geſchickt, um
den Mord des griechiſchen Kaiſers Romanus Diogenes zu rächen.
*) Geſchichte der Osmanen. I. S. 12.
**). Geſchichte der Kreuzzüge. Th: I. Leipzig, 1807. S. 272.
11
– 242 –
Dies geſchah wahrſcheinlich 1073 n. Chr. Suleiman bekriegte und
vertrieb die verrätheriſchen Griechen, nachdem er ihnen Ikonium
abgenommen hatte. Da aber jener Kutulmiſch ein Sohn des
Arslan, ein Enkel des Seldſchuk war, ſo wurde das von Su-
leiman in Aſien geſtiftete ſelbſtſtändige Reich das Reich der Scld-
ſchuken genannt. Letzteres erloſch im Jahre 1307, indem der letzte
Fürſt dieſer Dynaſtie, Aladdin II., ſammt ſeinem Sohne von
Ghaſan, dem Chan der Mongolen, im Treffen überwunden und
getödtet wurde. – Eine nicht unwichtige Rolle ſpielten während
dieſer kriegeriſchen Umwälzungen die Hadſchiſchi, welche von den
Abendländern Aſſaſſinen genannt wurden. Die Mitglieder dieſer
Rotte Ismaels verbanden ſich durch Gelübde zu jedem Meuchel-
morde, der ihnen von ihrem Scheich aufgegeben werden würde.
Dieſer Scheich, welcher um die Zeit der Annäherung der erſten
Kreuzfahrer an Jeruſalem im Juni 1099, Haſſan hieß, wußte ſeine
Anhänger durch den Gebrauch des Hadſchiſch (vergl. oben S. 210) ſtets
in künſtlicher Aufregung und Begeiſterung zu erhalten, indem er ihnen
zugleich vorſpiegelte, daß die in ſeinem Dienſte Umgekommenen aus
den von ihm ſchon hier geſchaffenen paradieſiſchen Freuden nach dem
Tode direct zu jenen des ewigen Paradieſes übergehen würden.
Auch wurden ſie von den Ueberlebenden als Märtyrer und Heilige
verehrt. Dieſe mit islamitiſchem Religionshaſſe verbundene dämo-
niſche Macht hat ſich durch ihre künſtlichen Getriebe geraume Zeit
zu erhalten gewußt.
Bei dieſem Punkte der Geſchichte angekommen, kann der vor-
urtheilsfreie Beobachter kaum mehr daran zweifeln, daß die wilden
barbariſchen Söhne der rauhen Hochebene von Turan im Kampfe
mit den durch Despotie, Sclaverei und Luxus bereits tief geſunke-
nen Griechen ſchließlich das Uebergewicht behalten würden. –
Ziemlich allgemein wird angenommen, daß es Strabo geweſen,
welcher den Satz zuerſt wiſſenſchaftlich begründete, daß es haupt-
ſächlich das Klima ſei, dem der wichtigſte Einfluß auf die Ver-
ſchiedenheit der entfernt von einander wohnenden Menſchen in phy-
ſiſcher und moraliſcher Hinſicht eingeräumt werden müſſe. Indeſſen
war dies ſchon vierhundert und ſiebzig Jahre vor Strabo durch
Hippokrates weit ausführlicher und gründlicher dargeſtellt wor-
den. Seine höchſt ausgezeichnete Schrift „von der Luft, den Waſ-
ſern und den Gegenden“ kann den ſpäteren Schriftſtellern unmög-
– 243 –
lich unbekannt geblieben ſein; durch ihn ſind ſie wahrſcheinlich
zu ähnlichen Unterſuchungen angeregt worden. Hippokrates
drückt ſich in dieſer Hinſicht ſo aus*): „Diejenigen nämlich,
die eine bergigte, unebene, hohe und an Waſſer arme
Gegend bewohnen und große Abwechſelungen der Jah-
reszeiten erleiden, ſind große, ſehr arbeitſame, muth-
volle Menſchen und pflegen zugleich ſehr wilde und
rauhe Sitten zu haben.“ – „Diejenigen dagegen, die
in tiefen, grasreichen und heißen Thälern leben, die
mehr warmen als kalten Wintern ausgeſetzt ſind und
ſich warmer Waſſer zum Getränke bedienen, ſind we-
der groß, noch ſchlank, ſondern vielmehr dick und flei-
ſchig.“ „ Von Natur ſind ſie weder muthig, noch ar-
beitſam, obgleich ſie beides werden könnten, wenn ſie
durch Geſetze dazu gebildet würden.“ Für den Zweck der
gegenwärtigen Schrift iſt beſonders wichtig, was Hippokrates
über den Unterſchied zwiſchen Europäern und Aſiaten ſeiner Zeit
ſagt **). Die Erſteren hält er für muthiger und kriegeriſcher,
räumt aber ihrer körperlichen Conſtitution dabei den gebührenden
Einfluß ein. In letzterer Hinſicht heißt es von den damaligen
Aſiaten bei ihm: „Bei einer ſclaviſchen Denkungsart
ſetzt man ſein Leben nicht gern für die Vergrößerung
der Macht eines Dritten in Gefahr.“ – Sodann hatte
Polybius ***) ſchon zwei Jahrhunderte vor Strabo aus ähn-
lichen Urſachen ähnliche Wirkungen abgeleitet. In Arkadien,
einer an trefflichen Viehweiden in wellenförmigen Thälern reichen
Hochebene geboren, fand er ein rauhes Klima hier vor. Den Un-
bilden eines häufigen Wechſels der Lufttemperatur ausgeſetzt, herrſch-
ten durch die die Ebene rings umgebenden ſchroffen und zerklüfteten
Gebirge dort außerdem ſcharfe Winde und heftige Regengüſſe. Dieſen
Umſtänden ſchreibt Polybius es zu, daß ſeine Landsleute den
verfeinerten Sitten und Gebräuchen des helleniſchen Lebens wenig
zugänglich waren. – Der weſentliche Charakter-Unterſchied zwiſchen
*) Nach der deutſchen Ueberſetzung der Ausgabe von Coray durch Hö-
gelmüller. Wien, 1804. § CXX und CXXI. S. 225.
*) A. a. O. §§ 115, 116 und 117. S. 223 und 24.
*) Iv. 21. 1.
110
– L44 –
den Bewohnern der Gebirge und der Ebene in den Donau-Für-
ſtenthümern iſt früher (Bd. I. S.186) bereits erwähnt worden.
Ertoghrul, Schah eines Stammes der Oghuſen, war durch
den Mongolenführer Dſchengis - Chan aus Choraſſan nach
Armenien vertrieben worden; er wendete ſich hierauf mit 400
Familien nach Weſten, zu dem Seldſchuken-Fürſten Aladdin I.,
um Schutz bittend. Dieſem ſtand er, tapfer kämpfend, wider die
mongoliſchen Tartaren, ſowie gegen die Griechen, bei. Dafür
wurde ihm der Diſtriet Sultan -öni, noch heute ein Sandſchak
gleichen Namens, zum Lehen angewieſen und ihm fortan die Grenz-
bewachung gegen die Griechen anvertraut. Ertoghrul’s älteſter
Sohn, Osman, wurde 1258 n. Chr., im Jahre 657 der Hed-
ſchra, geboren; er erhob ſich zum Stammvater der heutigen os-
maniſchen Herrſcher.
Osman, mit dem Beinamen Kara, der Schwarze, durch
den letzten Sultan der Seldſchuken mit der Fürſtenwürde belehnt,
wurde durch den im Jahre 1307 (707 der Hedſchra, richtiger
Hidſchret) erfolgten Umſturz des Seldſchuken-Reiches ſelbſtſtändig.
Das ſeldſchukiſche Reich war in zehn unabhängige Theile zerfallen,
die erſt nach 150 Jahren unter einem Seepter wieder vereinigt
wurden, um jetzt eine Statthalterſchaft des osmaniſchen Reiches zu
bilden, Anatoli nämlich, Kleinaſien. Jene zehn unabhängigen
Staaten wurden von islamitiſchen Häuptern regiert. Unter ihnen
war es jener Osman, der in Galatien und Bithynien bis
an den Olymp herrſchte. Er überwinterte mit ſeinen Völkern in
Städten, überſommerte aber auf Berghöhen und Alpen, um ſeine
zahlreichen Heerden zu weiden. Dieſe aus Turkiſtan mitgebrachte
Sitte iſt in den von dort her ausgewanderten Volksſtämmen ſo
tief eingewurzelt, daß ſie noch heute von den Turkmanen allenthal-
ben, namentlich an dem bithyniſchen Olymp, geübt wird. Schon
vorher hatte Osman mehrere griechiſche Schlöſſer in der Nähe
des bithyniſchen Olymp erobert. Jetzt machte er ſich zum unab-
häugigen Fürſten der Umgegend des Olymp und ſchlug als ſolcher
ſeine Reſidenz zu Jeniſchehr (Neuſtadt), zwiſchen Nicäa und
Bruſſa, auf. Die unter den griechiſchen Befehlshabern der um-
liegenden feſten Punkte herrſchende Zwietracht begünſtigte die Er-
oberung derſelben. Es kann hinzu, daß der Kaiſer Michael, der
Paläologe, nach der Zurückeroberung Conſtantinopels von den
- 245 -
Franken, den Grenzbefehlshaberw nicht nur den bisher genoſſenen
Soldº entzog, ſondern ſie ſogar ndch mit Auflagen plagte und das
durch thörichter Weiſe in ihnen die Neigung zur Bertheidigung der
ihnen anvertrauten Veſten abkühlte. So konnte es ſchon 1301 in
der Nähe von Nieomedien (bei Bapheum), alſo gleichſam im Ans
geſichte von Conſtantinopel, zu einem Treffen zwiſchen Osman
und den byzantiniſchen Leibwachen kommen, in welchem erſterer
Sieger blieb. Dann ſiegte er 1307 ſogar in offener Feldſchlacht
gegen den Befehlshaber von Bwuſſa und gelangte dadurch in den
Beſitz der letztere wichtige Stadt ſchützenden nachbarlichen Schlöſſer,
wagte auch hierauf die vor dem Eingange in den Meerbuſen von
Mudania (dem kianiſchen) liegende reiche Inſel Kalolimne, das
heutige Galios, wegzunehmen.
Die Osmanen legen großen Werth auf die prophetiſche Be-
deutung. von machtweiſſagenden Träumen Ertoghrul's und Os-
man’s. Dies beruht auf einer im Morgenlande allgemein ver-
breiteten Sitte, der deshalb hier ein Raum gegönnt werden mag.–
Nach dem Worte Mohammed's des Propheten kommen „die gu-
ten Träume vom Herrn“. Der Morgenſchlaf iſt der der wahren
Zeit prophetiſcher Traumerſcheinungen. Die vomantiſche Sage bo-
mächtigt ſich bald der patriarchaliſchen Ueberlieferung; dichteriſche
Kunſt ſchmückt ſie weiterhin aus. – Die Träume Evtoghrul’s
und Osman’s ſcheinen dem bekannten Traume Jakobs nachge-
bildet zu ſein, wie dies auch mit den Träumen des Großvaters
des Cyrus, der Mutter des Dſchengis - Ehan u. ſ. w. der
Fall geweſen ſein mag. Sie thun dar, daß der Sinn für Pro-
phezeiungen, der die Morgenländer ſeit der grauen Vorzeit her be-
herrſcht, nicht untergegangen iſt im Laufe der Jahrhunderte. Oft
ſtützen ſie ſich auf geſchichtliche Begebenheiten, oder ſtehen mit dir-
ſen in Zuſammenhang. Der dort durch eine lebhafte Phantaſie
leichter entflammte Enthuſiasmus, der an und für ſich ſchon die Klar-
heit ruhigen, verſtändigen Nachdenkens ſtört, ſpornt, auf ein ſol-
ches Gewebe von Wahrheit und Dichtung weiter bauend, zu großen
und leidenſchaftlichen Unternehmungen an, welche die Geſchichte
morgenländiſcher Völker ungleich häufiger durchziehen, als die der
Abendländer. Ob und was der Traum Osman’s, von einem aus
ſeinen Lenden emporſtrebenden Baume, der die Meere, Berge und
Flüſſe der Erde überſchattete, wie ihn die meiſten Werke über die Ge-
– 246 -
ſchichte der Osmanen wiedererzählen *), dazu beigetragen haben
mag, ſeinen Enthuſiasmus zu entflammen, würde ſich freilich kaum
durch Zeitgenoſſen haben nachweiſen laſſen. - - -
Eine in der eigenen Familie verübte Mordthat Osman's
wirft ein blutiges Streiflicht auf das in ihm lodernde wildbarba-
riſche Feuer, durch welches angeſtachelt er jeden ſich ihm entgegen-
ſetzenden Widerſtandsverſuch augenblicklich niederzuwerfen vermocht
wurde. Sein beinahe neunzig Jahre alter Oheim Dindar rieth
nämlich einſt im Kriegsrathe, welchem Osman einen Plan zur Er-
oberung des dicht vor ſeiner Reſidenz (Jeniſchehr) liegenden Schloſ-
ſes Köpri-hiſſar vorgelegt hatte, zum Verſchieben der Ausfüh-
rung. Wüthend über ſolche Durchkreuzung ſeines Lieblingsplanes,
ſchoß Osman den klugen Alten auf der Stelle mit einem Pfeile
nieder. Als Alexander der Macedonier ſich durch die an dem
Sohne eines ſeiner Gefährten verübte ähnliche Mordthat beſudelte,
war er durch Wein berauſcht. Osman aber war es durch unge-
bändigten Stolz und grenzenloſes Selbſtvertrauen, vor welchem jede
Regung der Pietät verſtummen mußte. Sehr bezeichnend für die in
den Osmanen vorherrſchenden Geſinnungen hierüber erſcheint es,
daß osmaniſche Geſchichtsſchreiber, unter ihnen beſonders der be-
rühmte Edris, jenen Familienmord zu den rühmlichen Thaten
Osman’s rechnen. So ſteht denn wirklich jene geſchichtlich con-
ſtatirte Gräuelthat als blutiges Wahrzeichen an der Pforte des
Einganges zur Geſchichte der osmaniſchen Dynaſtie ; Bruder-
und Vatermord ſind ſeitdem in ihr an der Tagesordnung ge-
weſen. –
Dem Naturforſcher mag es auffallen, wie die Orientalen
es dem Osman als einen körperlichen Vorzug anrechnen konnten,
daß er lange, mit den Händen bis über die Kniee hinabreichende
Arme hatte, obgleich dieſe eine Eigenthümlichkeit des Affengeſchlech-
tes bilden. Doch ſchon lange vor ihm war aus einer ſolchen Kör-
pereigenſchaft dem perſiſchen Artaxerxes Longimanus Ruhm
und Beiname erwachſen. Die in dieſer Weiſe erreichte Verkörpe-
rung der altrömiſchen Behauptung: Regibus longas esse manus
– dürfte freilich nicht allenthalben eine gleich bereitwillige Aner-
kennung finden. Doch bei Osman galt ſogar die arabiſche Wort-
«.
*) Vergl. z. B. v. Hammer, a. a. O. I, S. 47.
– 247 –
bedeutung der Wurzel ſeines Namens: „Beinbrecher“ – als gün-
ſtige Vorbedeutung *).
Osman nahm die beiden vornehmſten Souverainetätsrechte
des Islam, die Erwähnung ſeines Namens im Kanzelgebete am
Freitage - und das Münzrecht, bei dem Tode Aladdin's II. des
Seldſchuken, an. – Die Abkunft der Osmanen von den Seld-
ſchuken, ihren Vorgängern, ſteht nicht blos durch jene hiſtoriſchen
Data, ſondern auch durch Gleichheit der Sprache feſt. Die Sprache
der heutigen Osmanen iſt nämlich die neu -türkiſche oder ſeld-
ſchukiſche, im Gegenſatze zu der alt - türkiſchen oder tſcha-
gataiſchen, d. h. der Sprache der Uiguren oder Usbegen, welche
noch heute das öſtliche Turkiſtan bewohnen.
Orch an, oder Urchan, der älteſte Sohn Osman’s, trat
ſchon früh in die Fußtapfen des Vaters, dem er noch kurz vor ſei-
nem Tode die Genugthuung verſchaffte, im Jahre 1326 n. Chr.
das lange vergeblich belagerte Bruſſa durch friedliches Ueberein-
kommen mit dem Befehlshaber der wichtigen Stadt einzunehmen.
Dieſer zahlte für die Erlaubniß, frei nach Gemlik an das Meer
abziehen zu dürfen, noch außerdem dreißigtauſend Ducaten. Die
uralte Hauptſtadt der Könige Bithyniens wurde von jetzt an die
Reſidenz der Osmanen; ſie blieb es bis zur Verlegung des Thron-
ſitzes nach Adrianopel, mit welchem ſie fortan jenen Vorzug
theilte.
Orchan, der blonde und blauäugige Sohn des ſchwarzen
Osman, von der ſchönen Malchatnn, war von hoher Statur
und Stirn, mit breiter Bruſt und kräftiger Fauſt ausgeſtattet. Er
war mit einem angebornen Muttermale unter dem rechten Ohre
gezeichnet, was nach morgenländiſchem Schönheitsbegriffe als gro-
ßer Vorzug gilt. Er ſcheint mit etwas milderen Geſinnungen die
Herrſchaft angetreten zu haben, als ſein Vater. Nachdem ſein jün-
gerer Bruder Aladdin die ihm angebotene Hälfte der vom Vater
zurückgelaſſenen Heerden beſcheiden ausgeſchlagen hatte, erhob ihn
Orch an zu ſeinem Vezier. – Dieſer erwarb ſich durch Einfüh-
rung einer geregelten Geſetzgebung und feſter Heeres-Einrichtung
großes Verdienſt um das Aufblühen des türkiſchen Reiches. Be-
ſonders bemerkenswerth bleibt aber die unter Orchan ſtattgehabte
*) Vergl. v. Hammer a. a. O. I. S. 64.
– 248 =-
Begründung des erſten ſtehenden Heeresini Mittelalter Cärk VII.
von Frankreich folgte damit erſt um ein ganzes Jahrhundert ſpä-
ter. Neben den turkomaniſchen Reitern, den Rennern söer Strei-
fern, Akindſchi, die nur zur Zeit kriegeriſchen Bedürfniſſes eif-
berufen wurden, forüfirte man jetzt zuerſt ſtehend beſoldete Füß-
trafpen, Piade oder Jaja, benen bald die Janitſcharen
(Jeni - Tſcheri, d. h. neue Truppe) folgten, die zu charakteriſtiſch
für das Türkenthum erſcheinen, als daß ſie nicht an dieſem Orte
etwas näher ins Auge gefaßt werden ſollten.
Nür aſiatiſche teufliſche Grauſamkeit konnte mit kalter Berech-
nung den furchtbaren Plan entwerfek, ben beſiegten und zu Selä-
ven herabgewürdigten Chriſten ihre Knäben gewältſam zu entreißen,
dieſen ſchon früh mit den Eltern zugleich Religiön und Vaterland
ja räuben, ſie dann zur Annähme des Islam zu zwingen üñd eid-
lich zu Soldaten, als ſolche auch zu den wildeſten Widerſachern
des Chriſtenthüffis heranzuziehen. Was ließ ſich nicht von Meſſ-
ſcheit erwartet, deren Bruſt várch das ſüße Gefühl der Liebe zu
den Eltern, der Familie, dem Vaterlande nicht erwärmt, denen
äſßerdem der wüthendſte Religiöſishäß gegen Andersdenkende vom
järteſten Lebensalter her methodiſch, mit eiſerner Conſequenz, ein-
geprägt worden wät. Män verſäumte dabei nicht, ſié mit äff-
mälig ſteigenden Soldé und mit ausgezeichneter Verpflegung aus-
zuſtatten. – Indeſſen wurden die geraubten Chriſtenkinder nicht
blöß zi Soldaten erzogen, ſondern die begabteren unter ihnen auch
in den Cibil-, fögar in den Kirchendienſt entlaſſen. Dieſekbe kai-
ſerliche Hand jedoch, belche dieſe gläſernen Standbilder – ſo
nennt ſie ein türkiſches Sprichwört – erhoben hätte, könnte ſie
auch, ſobald ſie mißfällig würden, zerbrechen. – Den in der Ex-
führung ſich ſtets bewährenden Grundſatz, daß, wer gut fechtende
Söldäten haben wolle, bör allen Dingen für ihren Magen ſorgen
iñüſſe, erkänfte män dört ſchöi früh in ſolchem Grade an, daß
die Offiziere der Jänitſchären ſogär ihre Namen nach Verpflegungs-
Bedürfniſſen führten. Der Oberſte des Regiments (der „Kam-
mer“) hieß z. B. Tſcharbadſchi, d. h. der Suppenmacher, die
räch ihm folgenden Oberoffiziere „der oberſte Koch", „der Waffet-
träger“ u. ſ. rd. Der Fleiſchkeſſel diente nicht blöß zitin Mittel-
punkte der Verſammlung während des Eſſens, ſondern auch wäh-
rend der Berathung. Unſer civiliſittes Zeitalter mag über ſolche
Gebräuche ſtarke Heiterkeit empfinden; daß ſie aber ſehr geeignet
waren, für rohe Menſchen ein kräftiges argumentum ad homi-
nem abzugeben, läßt ſich dennoch nicht in Abrede ſtellen. In dem
türkiſchen Ogusname (der Väter Worte) findet ſich der Spruch:
„Dem, der mit dem Löffel Speiſe austheilt, ſtich mit dem Löffel
die Augen nicht aus.“ Hatten doch auch ſchon die Römer ihr:
„Bovitriturantios ne clauseris.“ – Erwägt man ferner, daß
der gemeine Janitſchar licht bloß wohlbegründete Ausſicht hatte,
durch Tapferkeit zu den höchſten Ehrenſtellen aufzuſteigen, in ſpäte-
ren Zeiten ſogar Einfluß auf die Thronfolge und die oberſten Re-
gierungsbeamten auszuüben, ſo erſcheint es erklärlich, wie hier durch
klug berechnete Zuſammenfügung mächtig auf die Menſchen wirken-
der Motive die großen Erfolge der türkiſchen Heere, äußerſt zweck-
mäßig vorbereitet, die Söldner des altersſchwachen Europa's dagegen
mehrere Jahrhunderte lang durch die jugendlich wilde Kraft jenen
in Erſtaunen geſetzt und erſchüttert werden konnten. – Die Zahl
der alljährlich zu ſolchem Zweck ausgehobenen Chriſtenknaben betrug
anfänglich tauſend, unter Mohammed II., dem Eroberer Conſtan-
tinopels, zwölftauſend, unter Mohammed IV. vierzigtauſend. Un-
ter des Letzteren Regierung fing man an, die eigenen Kinder der
Janitſcharen zu Hülfe zu nehmen, und von dieſer Zeit an datirt
der Verfall der ſonſt ſo mächtigen Inſtitution, der von da ab die
frühere ununterbrochene Verjüngung durch eltern- und heimathloſe:
Menſchen fehlte. In demſelben Maße, als ihre Energie nach au-
ßen hin abnahm, ſteigerte ſich die nach innen gerichtete Thätigkeit,
und ihr Uebermuth. – Nach Art der römiſchen Prätorianer maß-
ten ſie ſich allmälig die Herrſchaft über das Staatsoberhaupt an,
ſetzten Sultane ab und wählten Andere an ihre Stelle. So un-
erträglich war endlich ihre Anmaßung geworden, daß Sultan Mah-
mud endlich 1826 ihre Vernichtung beſchloß. Mangel an Disci-
plin und zahlloſe Beeinträchtigungen der ruhigen Einwohner in ih-
rem rechtlichen Erwerbe hatten ihnen längſt ſchon den allgemeinen
Haß zugezogen, als ſie ſich endlich in der Nacht vom 15. auf den
16. Juni 1826 auf dem At-Meidan (dem alten Hippodrom) ver-
ſammelten, um von dem Sultan die Beſeitigung der ihnen ſeit drei-
Tagen zugeſchickten egyptiſchen Inſtructions-Offiziere zu verlangen.
Gütliche Aufforderungen, zum Gehorſam zurückzukehren, blieben
ohne Erfolg; als Antwort darauf zerſtörten ſie den Palaſt des
11es
– 250 –
Großveziers. Da ließ man die auf ſie gerichteten Geſchütze wirken;
ein Theil von ihnen ſuchte ſich nun vergebens in die Kaſernen zu
retten, die man anzündete. Man berechnet, daß 5- bis 6000 Janit-
ſcharen an dieſem und dem nächſtfolgenden Tage theils niederge-
ſchoſſen, theils verbrannt, theils hingerichtet worden ſind; 15,000
wurden nach Aſien exilirt. Sultan Mahmud ließ ſich vom Zorn
gegen ſie ſo weit fortreißen, daß auf ſeinen Befehl den Grabſteinen
der Janitſcharen auf dem großen Begräbnißplatze zu Scutari der
mit dem Turban gezierte Kopf abgeſchlagen wurde; noch heute be-
zeugen die verſtümmelten und herumliegenden Steine dort, daß der
Grundſatz, von den Todten nur Gutes zu ſprechen, dem Sultan
fremd war, obgleich doch die Osmanen die Gräber ihrer Vorfahren
heilig zu halten pflegen.
Jouannin und van Gaver geben eine gedrängte aber ge-
nügende Ueberſicht jenes geſchichtlich bedeutenden Ereigniſſes*).
Bis zu dem tragiſchen Ende der Janitſcharen hin überboten
ſich die osmaniſcher Geſchichteſchreiber einſtimmig in anerkennenden
Ausſprüchen über die Weisheit jener Inſtitution. Nach ihrer blu-
tigen Vertilgung wagt kaum noch einer von ihnen zu ſprechen;
aber die orthodoxen Türken, welchen die Geſchichte ihres Stammes
nicht ganz fremd iſt, werfen ſehnſüchtige Rückblicke auf jene Zeiten,
in denen die Janitſcharen ihre ſiegreichen Waffen bis nach Wien
tragen durften und das Abendland vor ihnen zitterte.
Die oben erwähnten Piade wurden noch unter Orchan mit
Landgütern belehnt und übernahmen damit die Verpflichtung, wäh-
rend des Krieges dem Heere die Straßen und Brücken zu bauen,
auch bei Belagerungen dienſtbar zu ſein. Sie gaben alſo ſchon
ein Vorbild für unſere Pioniere. Auch dieſe Inſtitution verfiel
ſpäter; mit den frei gewordenen Gütern belehnte man verdiente
Janitſcharen-Offiziere. – Eine entfernte Aehnlichkeit mit ihnen
haben die ruſſiſchen Militär-Colonien unſerer Tage gehabt. Doch
auch ſie ſcheinen bekanntlich den von ihnen gehegten Erwartungen
nicht entſprochen zu haben.
Der einzige Verſuch, den griechiſcher Seits der Kaiſer An-
dronikus der Jüngere im Jahre 1330 machte, ſich den Osmanen
entgegen zu ſtellen und namentlich das längſt bedrängte hochwichtige
*) Turquie. Paris, 1840. pag. 402. sq.
– 251 –
Nicäa zu retten, lief traurig ab. Das Gefecht bei Pelekanon
(dem heutigen Maltepeh) endete mit einem Rückzuge; auf dieſem
wurden die verwirrt ziehenden Griechen bei Philokrene (Taw-
ſchandſchil) von den Reitern Orchans ereilt und mit bedeutendem
Verluſte geſchlagen. Bald hernach fiel das durch Hunger und Peſt
erſchöpfte Nicäa zum dritten Male mittelſt Vertrages in die Hände
der Türken. Seine feſten hohen Mauern hatten aber früher, von
dieſen vertheidigt, dem großen Heere der Kreuzfahrer und den be-
rühmteſten chriſtlichen Führern der damaligen Zeit ſieben Wochen
lang widerſtanden. Nach jenen Vorfällen verhielt ſich Orchan
ruhig. Außer den erwähnten Staatseinrichtungen beſchäftigten ihn
die Gründung von Schulen, Moſcheen, Klöſtern und Armenküchen,
zuerſt 1327 zu Aidos nach deſſen Eroberung, dann drei Jahre
ſpäter zu Nicäa, endlich 1335 zu Bruſſa. – Als er 60 Jahre
alt war, warb er um die Tochter des Kaiſers Kantakuzeno; er
ſcheint durch die 1346 wirklich erfolgte feierliche Vermählung mit
der Prinzeſſin Theodora von weiteren Unternehmungen gegen die
Chriſten perſönlich abgehalten worden zu ſein. Doch war er nicht
im Stande, den räuberiſchen Ueberfällen ſeiner wilden Osmanen
genügend zu wehren, die ſchon 1348, fortan aber immer häufiger
die gewohnten Uebergänge über den Hellespont nach Europa fort-
ſetzten und mit Beute beladen zurückzukehren pflegten.
Für die Geſchichte der Dobrudſcha iſt es wichtig, daß der
erſte türkiſche Verſuch, ſich in Europa anzuſiedeln, dieſer Landſchaft
ſich zuwendete, die im letzten Kriege durch Unvorſichtigkeit franzöſi-
ſcher, nicht minder auch ruſſiſcher Führer, einen ſo unheilvollen
klimatiſchen Einfluß auf die dorthin geführten Heeresſäulen aus-
geübt hat. Zehn- bis zwölftauſend Turkmanen ſetzten ſich 1263
n. Chr. unter Anführung von Saltukdede am weſtlichen Ufer
des ſchwarzen Meeres feſt. Mit ihrer Hülfe ſtreifte hernach Ber-
kechan, der Beherrſcher der Tartaren der Krim, bis unter die
Mauern Conſtantinopels, führte aber ſpäter die ganze Colonie mit
ſich nach der Krim zurück, – wie 1855 umgekehrt die Türken
eine tartariſche Colonie aus der Krim nach der Dobrudſcha über-
geſiedelt haben. – Jener „heilige Saru Saltukdede“ hat zu-
gleich eine Geſchichte der Seldſchuken verfaßt, die einen Theil des
älteſten, unter dem Namen „Ogus name“ berühmten türkiſchen
– 252 –
Sitten- und Geſchichtsbuches ausmacht*). – Erſt 1307 folgte ein
zweiter Uebergang. Diesmal waren es die durch den griechiſchen
Kaiſer bedrängten Katalanen (Almogabaxen, Mogabaren), welche
den aus den Trümmern des Seldſchuken-Reiches in ähnlicher Art wie
Osman hervorgegangenen Herrſcher von Aidin um Hülfe erſuchten.
Dreitauſend Turkmanen gingen nahe bei Conſtantinopel nach Europa
über; ſie, und der Verrath der Turkopolen, d. h. zum Chriſten-
thum bekehrten Türken, im Heere des Kaiſers, bewirkten für dieſen -
den Verluſt der Schlacht von Kypſella (jetzt Ipſala), nach
welcher die Türken Thracien, von Rodoſto bis Biſa am
ſchwarzen Meere durchſtreiften. Der Kaiſer Andronikus wußte
ſich ihrer nicht anders zu erwehren, als daß er eine Mauer vom
Gebirge bis ans Meer zog. Beſſer gelang dies den Katalanen, die
die Führer der Türken hinrichteten,–ſowie dem König der Serben,
Milutin Uroſch, der 1500 in ſeinen Sold übergetretene, ſpäter
ſich wider ihn empörende Türken großeutheils niederhauen ließ und
die Uebriggebliebenen zwang, nach Kleinaſien zurückzukehren. -
Der erſte Zug osmaniſcher Türken fällt in das Jahr 1321;
ſie ſetzten nach der thraciſchen und macedoniſchen Küſte über und
brachten brennend und verheerend Städte und Land achtzehn Monate
lang in ſchweren Verluſt. Als aber der Kaiſer Andronikus der-
Aeltere ſich nicht ſcheute, gegen ſeinen empörten Eukel Andronikus
den Jüngeren im Jahre 1327 die Osmanen zu Hülfe zu rufen,
dieſer dagegen in Folge deſſen ſich mit den turkmaniſchen Beherr-
ſchern Joniens und Lydiens verbündete, da erſchien ihr Eindringen
in Europa durch die chriſtlichen Herrſcher ſelbſt genügend gerecht-
fertigt. Fortan kann es nicht mehr befremden, daß die Osmanen
aus der heilloſen Verwirrung des tief demoraliſirten griechiſchen
Kaiſerreiches Nutzen zu ziehen, ſtrebten. Es muß vielmehr Ver-
wunderung erregen, daß die Reſte des zuſammenbrechenden Staates
ſich noch über ein Jahrhundert lang nach der letzterwähnten unheil-
vollen Kataſtrophe aufrecht zu erhalten vermochten, wenngleich nur
in der Metropole concentrirt, - , ,
Ein ſolches Hülfsbegehren Kantakuzeno's war es auch, dem
Orch an 1349 Folge leiſtete, als er dem Schwiegervater Hülfs-
- - - - * -
*) Vergl. Eichhorn, Geſchichte der Literatur. 3. Bd. 2. Abth. Göttingen,
1812. S. 1107.
– 253 –
truppen gegen die Serben unter ſeines Sohnes Suleiman Befehl
ſendete. Die Serben wurden beſiegt. Dies hinderte indeſſen nicht,
daß Orchan ſchon 1353, durch genueſiſches Gold gewonnen, den
Genueſen gegen den Kaiſer, in der Vorſtadt der kaiſerlichen Reſi-
denz zu Galata.thätig beiſtand. Von da ab leiſtete er bald ſeinem
Schwager Joannes dem Paläologen, dem Mitregenten Kanta-
kuzeno's, bald dieſem, ſeinem Schwiegervater, Hülfe. Dieſe zwei-
deutige Politik Orchan's macht es ſehr wahrſcheinlich, daß er den
Plan ſeines Sohnes Suleiman, auf europäiſchem Boden feſten
Fuß zu faſſen, gutgeheißen und befördert habe. Dieſer ſetzte näm-
lich im Jahre 1356 von Cyzikus aus über den Hellespont, über-
rumpelte das feſte Schloß Tzympe oberhalb Gallipoli und ließ
von dort aus, durch ein heftiges Erdbeben unterſtützt, ſeine Ge-
fährten durch die geborſtenen Mauern der nachbarlichen Städte in
dieſe eindringen und ſie beſetzen. Außer Gallipoli fielen Rodoſto,
Ipſala, Konur und Bulair noch während des nämlichen Jahres in
ihre Hände. Indem Kantakuzeno und ſein Mündel Joannes um
die griechiſche Herrſchaft ſtritten, ſtrömten ſtets neue Horden von
Türken und Arabern über den Hellespont, oft nur um im Sommer
zu rauben und zu zerſtören und dann im Winter mit ihrer Beute
nach Aſien zurückzukehren, Suleiman aber ſtürzte 1358 auf der
Jagd ſo, daß er zur Stelle todt blieb. Dieſem Sohne hatte
Orchan, ſowie früher ſeinem Bruder Aladdin, die Würde eines
Paſcha verliehen. Das perſiſche Pai Schah, aus welchem das
Wort zuſammengezogen entſtanden, heißt Fuß des Schahs*). Nach
altperſiſcher Sitte hatte man nämlich dort die hohen Staatsbeamten
Füße, Hände, Augen und Ohren des Herrſchers genannt.
Orchan ſelbſt ſtarb, 75 Jahre alt, im Jahre 1359. Ihm
folgte ſein zweiter Sohn Murad I. (Amurat I.). Als Krieger
hat er ſich durch weitausgedehnte Eroberungen in Europa bekannt
gemacht, die ihm durch die Feigheit und Zwietracht der geſunkenen
Griechen leicht wurden. An humaner Bildung erreichte er aber
weder den Vater, noch die meiſten ſeiner Nachfolger. Er ſcheint
zuerſt die in rothe Dinte getauchte Hand anſtatt des Namenszuges
unter amtliche Artenſtücke gedruckt zu haben; die Gelehrten wan-
derten unter ihm aus ſeinem Reiche aus. Doch baute er nach-
*) Vergl. v. Hammer. I. S. 157.
– 254 –
ahmend Moſcheen und Collegien, z. B. die durch eine eigenthüm-
liche architektoniſche Verbindung beider ausgezeichnete große Moſchee
zu Tſchekirghe bei Bruſſa, verſah auch das berühmte alte grie-
chiſche Bad daſelbſt mit einem neuen Dom, indem er ſich dazu
eines ausländiſchen (wahrſcheinlich griechiſchen) Baumeiſters be-
diente.
Für ganz Europa mußte es bedeutungsvoll erſcheinen, daß
die zweite Stadt des griechiſchen Reiches in Europa, Adrianopel,
1361 ohne ernſte Vertheidigung in die Hände Murad's fiel.
Durch einen ſeiner Heerführer, Lalaſchahin, waren die Griechen
vor der Stadt geſchlagen worden und ihr feiger Befehlshaber dar-
auf entflohen. Nachdem dieſe durch Natur und Kunſt reich aus-
geſtattete Vormauer Conſtantinopels, die zweite Stadt des Reiches,
nicht hatte erhalten werden können, ließ ſich der nachfolgende Fall
der Hauptſtadt ſelbſt bereits mit Sicherheit vorherſehen. Murad
begriff die Wichtigkeit der neuen Eroberung vollkommen, indem er
ſeine Reſidenz 1365 nach Adrianopel verlegte; zwei Jahre vor-
her war ſeine Macht in Europa nämlich noch durch eine Nieder-
lage der gegen ihn verbündeten Serben, Ungarn, Bosnier und
Walachen befeſtigt worden, aus der der König Ludwig von Un-
garn ſein Leben nur kümmerlich gerettet hatte. Lalaſchahin hatte
indeſſen Philippopolis (Filibe) beſetzt und ſich von dort aus der
Bergpäſſe des Balkan (Haemus, Orbelos, Soardius der Alten,
– Schardagh, Egriſſudagh der Türken) bemächtigt. Die damals
wichtige Stadt Giustendil (ehedem Ulpiana) wurde 1371 von
einem bulgariſchen Fürſten gegen Erlaſſung des Tributs übergeben,
das ſehr feſte Naiſſos, das heutige Niſſa, der Geburtsort Con-
ſtantin I., durch 25-tägige Belagerung genommen; das noch feſtere
Sofia folgte 1382 durch Liſt nach mehrtägiger Einſchließung.
Schon dehnte ſich des Sultans Macht vom ſchwarzen Meere bis
zum ägeiſchen, über den größten Theil Bulgariens und Thraciens,
aus, als die türkiſche Macht eine neue Gewähr erhielt durch die
1389 gegen den Kral der Serben, Lazar und deſſen Bundes-
genoſſen, die Bosnier und Bulgaren, auf dem Felde von Koſſowa
gewonnene entſcheidende Schlacht. Mit ihr ſchloß jedoch zugleich die
Laufbahn Murad's ab, der hier durch die kühne That des ſich
opfernden Serben Miloſch Kobilovich fiel, der in ſerbiſchen National-
Liedern noch heute gefeiert wird.
– 255 –
Bajazid A)ilderim (d. h. der Wetterſtrahl), der älteſte
Sohn Murad's, beſiegelte die Thronbeſteigung ſogleich durch den
Mord ſeines Bruders Jacub, obgleich dieſer neben ihm ſoeben in
der Schlacht geſiegt hatte. Dieſe barbariſche Sitte des Bruder-
mordes wurde durch osmaniſche Geſetzes-Gelehrte ſogar mittelſt
des ſophiſtiſchen Grundes vertheidigt, daß „Gottes Schatten auf
Erden, der Herrſcher der Gläubigen, ebenſo ohne Nebenbuhler, ein-
zig, auf dem Throne ſitzen müſſe, als Gott ſelbſt, denn „Unruhe
ſei ärger als Hinrichtung.“ Eine Jahrhunderte lang fortge-
ſponnene Reihe von Brudermorden iſt jenem gefolgt; es deutete
ſchon auf ungleich humanere Geſinnungen hin, wenn bei der Thron-
beſteigung die Brüder des Regenten blos eingeſperrt oder exilirt
wurden, z. B. nach den Prinzen-Inſeln.
Ein wahres Jammerbild ſclaviſcher Verworfenheit bot ſich dem
Bajazid von Seiten der griechiſchen Herrſcherfamilie bald nach jener
blutigen That dar. Der Kaiſer Joann es der Paläologe hatte
ſeinen rebelliſchen Sohn Andronikus, ſowie deſſen Sohn (ſeinen
Enkel) Joannes, nach dem Rathe von Murad, blenden laſſen,
weil beide mit des letzteren Sohn Saudſchi ein Complot zur
Thronentſetzung der Väter geſchloſſen hatten. Die durch heißen
Eſſig nur unvollkommen geblendeten Rebellen wendeten ſich an Ba-
jazid um Hülfe. Dieſer begab ſich, um Nutzen aus dem Zwiſt zu
ziehen, mit 10.000 Kriegern nach Conſtantinopel, fing den Kaiſer
ſammt ſeinem Sohne Manuel, ſetzte den Andronikus auf den
Thron, der nun ſeinerſeits den Vater wieder mit dem Bruder ein-
kerkern ließ, auch dem Bajazid einen jährlichen Tribut von vielen
Zentnern Silbers und Goldes entrichtete. Der Vater entkam in-
deſſen mit Manuel aus dem Kerker, floh zu Bajazid und verſprach
dieſem nicht bloß denſelben jährlichen Tribut an Silber und Gold,
welchen Andronikus bereits zahlte, ſondern auch außerdem in jedem
Frühjahre mit 12,000 Kriegern ſich vor dem osmaniſchen Herrſcher
zu deſſen Dienſte zu ſtellen. Dieſer Vertrag wurde beſchworen,
worauf dann der alte Kaiſer wieder auf den Thron geſetzt, neben
ihm aber auch ſein Sohn Manuel zugleich gekrönt wurde. An-
dronikus aber erhielt zur Abfindung den kleinen Reſt des griechi-
ſchen Staates, der außerhalb Conſtantinopel noch übrig war. –
Doch die Schande ſollte bald noch gehäuft werden. Bajazid beſchloß,
die einzige damals in Aſien noch übrige griechiſche Beſitzung, die
– 256 –
feſte Stadt Philadelphia, jetzt Alaſchehr, durch ſeine neuen
Bundesgenoſſen einzunehmen. Der griechiſche Befehlshaber, ehren-
hafter als ſein ſclaviſcher Kaiſer, verſicherte, die Stadt nicht an -
barbariſche Türken übergeben zu wollen. Da erſtürmten Griechen -
unter des Kaiſers Befehl die griechiſche Stadt und lieferten ſie
darauf den Barbaren aus. Mit jenen Schandthaten war nun das
Maß griechiſcher Verworfenheit überfüllt; die faule Frucht war zum
Abfallen längſt reif. Kaum verlohnt es ſich der Mühe, von da
ab. das widrige Schauſpiel der letzten Zuckungen des hinſterbenden -
Leichnam's des griechiſchen Kaiſerreiches noch zu verfolgen.
Nachdem Bajazid fortgefahren hatte, ſeine Beſitzungen in Aſien
weithin auszudehnen, auch ſelbſt Konia, die ehemalige Reſidenz
der ſeldſchukiſchen Khalifen, in ſeine Hände gefallen war, ſammelte
er ein großes Heer, um nach Europa überzugehen und dort die
Eroberungen fortzuſetzen. Zu ſpät, ſchien es dem Kaiſer Joannes
an der Zeit zu ſein, die Befeſtigungen Conſtantinopel's zu ver-
ſtärken; er baute zwei neue ſtarke Thürme aus drei zu dem Zwecke
niedergeriſſenen Kircheu. Als Bajazid hiervon Kunde bekam, befahl
er ihm, die Thürme wieder zu ſchleifen, widrigenfalls er ihm ſeinen
Sohn Manuel, der ſich in Bruſſa aufhielt, mit ausgeſtochenen
Augen zurückſchicken würde. Joannes gehorchte, ſtarb aber 1391
aus Gram. Manuel entfloh den Türken und gelangte nach Con-
ſtautinopel, welches hierauf von dem Heere Bajazid's ſieben Jahre
lang eingeſchloſſen wurde. In demſelben Jahre wurde auch die
Walachei den Türken zuerſt tributpflichtig. - - - -
Noch einmal flammte Bajazid's Glücksſtern hoch auf, als der
König Sigismund von Ungarn, dem ihm drohenden Ungewitter
zuvorzukommen, ein großes Heer zuſammen gebracht hatte. Der
König von Frankreich ſendete die Blüthe franzöſiſcher Ritterſchaft -
unter erfahrenen und tapferen Führern zu Hülfe. Ihnen ſchloſſen
ſich Friedrich Graf zu Hohenzollern mit deutſchen Heeren, der Groß-
meiſter der Johanniter von Rhodos her, bairiſche Ritter unter An-
führung des Kurfürſten von der Pfalz u. ſ. w. an. Bei Nico-
polis erfolgte 1396 der blutige Zuſammenſtoß. Sechzigtauſend
Türken bedeckten das Schlachtfeld, und denuoch wurde das chriſtliche
Heer in wilde Flucht aufgelöſt.
Durch ſein Glück übermüthig gemacht, ſchwelgte hierauf Ba-
jazid zu Bruſſa in einem bei den Osmanen bis dahin unerhört .
– 257 –
geweſenen Luxus, auch dem Wein fröhnte er, ſeinen Gläubigen zum
Aerger. Da zog in Timur (Tamerleng, Tamerlan) ein drohendes
Ungewitter gegen ihn heran; verblendet, wie er war, ſchätzte er es
gering. Im Jahre 1402 kam es bei Angora zwiſchen den Tar-
taren und den Osmanen znr Schlacht. Die letzteren wurden ge-
ſchlagen und Bajazid gerieth mit ſeinem Sohne Muſa und den
vornehmſten Offizieren ſeines Hofes in Gefangenſchaft, in der er
1403 ſtarb.
Dem Tode Bajazid's folgte ein zehnjähriges Interregnum,
während welches die aus der Schlacht bei Angora entkommenen
vier Söhne deſſelben, Suleiman, Iſa, Muſa und Mohammed
um die Herrſchaft in Aſien und Europa kämpften, bis endlich der
letztere den Sieg über die Brüder davon trug. Hierbei wnrde er von
den chriſtlichen Serben unter ihrem tapferen Kral Stephan ünter-
ſtützt, dem auch ſchon bei Angora die Rettung der Reſte des osma-
niſchen Heeres großentheils zu danken war. Selbſt nach ſeinem
über Muſa, den letzten der Brüder, bei Tſchamurli im Jahre
1413 erfochtenen Siege hatte Mohammed, während ſeiner nach-
folgenden achtjährigen Alleinherrſchaft, hauptſächlich gegen Empös
rungen zu kämpfen. Der Kaiſer Manuel, der zehn Jahre lang im
weſtlichen Europa herumgereiſet war, um Unterſtützung gegen die
Osmanen zu erbitten, deren er ſich ſo unwürdig gezeigt hatte, war
nach Conſtantinopel zurückgekehrt. Mit reicher Lebenserfahrung
ausgeſtattet, würde er jetzt den blutigen Bruderzwiſt zur Wieder-
eroberung der verlorenen Macht vorkheilhaft haben benutzen können.
Großer Entſchlüſſe unfähig, fuhr er ſtatt deſſen fort, die bisher
befolgte perfide griechiſche Politik beizubehalten. Er verband und ver-
ſchwägerte ſich mit Suleiman, den er in ſeine Reſidenz aufnahm,
rief aber, nach des letzteren Fall, Mohammed aus Bruſſa gegen
Muſa nach Europa zu Hülfe, – zur Selbſterhebung zu ohn-
mächtig. Anch die abendländiſchen Chriſten ließen ſich durch Kik-
chenſpaltungen und innere Streitigkeiten abhalten, gegen die Wie-
dervereinigung der feindlichen Brüder aufzutreten. Hätten ſie
die Meerenge von Gallipoli mit einer verbündeten Flotte be-
ſetzt, ſo würden die Osmanen, wenigſtens in Europa, bald ver-
tilgt geweſen ſein. Aber ſie genoſſen der augenblicklichen Ruhe,
ohne an die Zukunft zu denken. Glücklich für den ſchwachen Kai-
ſer war Mohammed I., Tſchelebi, ebenſo an humaner gei-
– 258 –
ſtiger Bildung, wie an körperlicher Kraft und Wohlgeſtalt ausge-
zeichnet; er zeigte ſich ſtets als Freund der Griechen und hielt ſeine
Bündniſſe mit Treue aufrecht. Das Kaiſerreich athmete noch ein-
mal freier auf. Als aber Mohammed I. geſtorben war und ſein
Sohn Murad II. im Jahre 1421 den Thron beſtiegen hatte, er-
ſchien es der griechiſchen Politik geeignet, ihm den Thronanmaßer
Muſtapha, der ſich den bei Angora verloren gegangenen älteren
Bruder Murad's nannte, entgegen zu ſtellen. Muſtapha aber
wurde mit Hülfe der Genueſer, welche Murad und ſein Heer auf
ſieben Galeeren, von ihrer aſiatiſchen Colonie zu Phocaea aus,
nach Europa überſetzten, geſchlagen und aufgehängt. Zweitauſend
Italiener begleiteten ihn ſogar zur Eroberung von Adrianopel. Zur
Vergeltung wurde bald darauf Phocaea von den Türken zerſtört.
– Schon 1422 belagerte Murad II. Conſtantinopel zwei Mo-
nate lang, um den Kaiſer Manuel für ſeine Aufwiegelung zu
ſtrafen. Doch wurde er durch die für ihr Leben ſtreitenden Ein-
wohner damals noch zurückgetrieben, obgleich die Türken ſich hierbei
zum erſten Male des Geſchützes bedienten, welches Genueſer ihnen
zugeführt hatten. Manuel, dem Tode nahe, theilte aber nun
thörichter Weiſe ſein Reich unter ſieben Söhne, deren älteſter
Joannes, Conſtantinopel erhielt. – In dieſer Zerſplitterung
wurden die Griechen nur noch durch die Angriffe aufrecht erhalten,
welche die Ungarn, Polen, Serben, Walachen und deutſche Kreuz-
fahrer gegen die Türken richteten. Unter des tapfern Hunyad
Leitung überſtiegen ſie gegen Weihnachten 1443 den durch Eis und
Schnee verſperrten ſteilen Slatina-Paß des Hämus und ſchlugen
die Türken auf den Feldern von Jalovaz. Der König Wla-
dislaus war hierbei zugegen; dieſer ſchloß im folgenden Jahre,
nachdem Murad eine Geſandtſchaft zu ihm nach Szegedin geſchickt
hatte, einen für Ungarn vortheilhaften Frieden ab, der von beiden
Seiten feierlich beſchworen wurde. Schon zehn Tage nachher wußte
aber der päpſtliche Legat, Cardinal Julian Ceſarini, den König
zum Bruche des Friedens zu bewegen, indem er dieſen vorſtellte,
daß ein ohne Zuſtimmung der apoſtoliſchen Kirche mit Ungläubigen
geſchloſſener Friede ungültig und rechtlos ſei. Die wahre Urſache
der Aufwiegelung zum neuen Kriege lag aber in der durch den
Kaiſer Johann dem Paläologen eingeſendeten Nachricht von Auf-
ſtänden in Aſien, mit deren Bekämpfung der Sultan hinlänglich
– 259 –
beſchäftigt ſei, ſowie die Ankunft eines Haufens von Kreuzfahrern
an der Donau und der päpſtlichen Flotte im Hellespont. So gab
denn ein in Folge deſſen unternommener unkluger Zug des chriſt-
lichen Heeres längs der Donau durch Bulgarien bis nach Varna
dem Sultan Gelegenheit, die bei Jalovaz erlittene Schmach zu
rächen. Das chriſtliche Heer war nämlich ſchwach an Zahl der
Streiter, aber reich an vornehmen Geiſtlichen, unter denen ein Car-
dinal und zwei Biſchöfe. Murad ſchlug im Juli 1444 dieſes Heer
bei Varna; der König Wladislaus und die Geiſtlichen fielen unter
dem türkiſchen Schwerte, Hunyades entkam.
Unter Murad II. fing die türkiſche Sprache an, ſich auszu-
bilden, wozu er dadurch beitrug, daß er Geſchichtsſchreiber und
Dichter beauftragte, ihre Werke niederzuſchreiben und ſie belohnte.
Auch übte er ſelbſt die Dichtkunſt und verſammelte zweimal wöchent-
lich. Gelehrte und Dichter bei ſich, um in ſeiner Gegenwart wiſſen-
ſchaftliche Gegenſtände verhandeln zu laſſen. Doch ſelbſt der grau-
ſame Timur (Tamerlan) ließ ſich witzige Einfälle und Scherze der
Dichter und Gelehrten gern gefallen, erkannte ſie auch durch Be-
lohnungen an. – Zweimal legte indeſſen Murad die Regierungs-
geſchäfte in des Sohnes Hand, ohne deshalb Verjagung vom Throne
zu fürchten, und eben ſo wenig nahm er zu der barbariſchen Sitte
des Brudermordes die Zuflucht.
Mohammed II., der einundzwanzigjährige Sohn Murad's,
beſtieg den durch des letzteren Tod erledigten Thron im Februar
1451. Schon im März 1452 begann er den Bau eines feſten
Schloſſes auf der europäiſchen Seite des Bosporus. Ohne die
geringſte Rückſicht auf des Kaiſers Conſtantin des Paläologen
Gegenvorſtellungen zu nehmen, vollendete er es in drei Monaten;
der Krieg ſelbſt begann ſchon im Juni, veranlaßt durch die Ver-
heerungen der Türken im nächſten Umfange der griechiſchen Reſi-
denz. Der Paläologe kämpfte jetzt - mit dem ſiebenten Osmanen
um den Beſitz von Conſtantinopel, dem Schlüſſel des Orients. –
Am 6. April 1453 erſchien endlich Mohammed II. vor den
Mauern Conſtantinopel's - mit einer Armee, deren Kopfzahl auf
250,000 berechnet ward. Zur Vertheidigung der Stadt hatte der
ohnmächtige Kaiſer kaum 5000 Griechen zuſammenbringen können.
Durch Fremde, großentheils Venetianer und Genueſer, wurde die
ſchwache Beſatzung bis auf 7–8000 Mann ergänzt. Auch waren
– 260 –
unter den Befehlshabern der zwölf Hauptpoſten der Bertheidigung
nur zwei Griechen; die übrigen waren Venetianer, Genueſer, Spa-
nier, ein ruſſiſcher Eurdinal, ein Deutſcher (Johann Grant, ein
Geſchützkundigev) und ein Dalmatier – Noch einmal lächelte den
Griechen die Sonne des Sieges; am 15. April würden 15B tür-
kiſche Schiffe von einem großen griechiſchen und vier genueſiſchen
Schiffen geſchlagen und zum Theil verbrannt. Mohammed wußte
darauf aber achtzig ſeiner Schiffe über das feſte Land auf einer
hölzernen mit Fett beſtrichenen Bahn in den Hafen des goldenen
Horn's zu ſchaffen, um die geängſtigte Stadt auch von dieſer Seite
anzugreifen, – wie dies durch ein ähnliches Manöver ſchon vor
ihm an anderen Orten ausgeführt worden war. – Am 29. Mai,
nach ſiebenwöchentlicher Belagerung, erſtürmte Mohammed endlich
die tapfer vertheidigten Mauern. Conſtantin, der im Augenblicke
der dringenden Gefahr, leider zu ſpät, viel Entſchloſſenheit und
Muth gezeigt hatte, fiel fechtend; Mohammed zog erſt ein, als die
Seinigen ihm eine ſichere Bahn gebrochen hatten und überlieferte
die Stadt der Plünderung, die Gefangenen der Sclaverei, erhielt
aber die kaiſerlichen Paläſte und die Kirchen für ſich.
Das alte Byzanz gerieth ſomit 1125 Jahre nach ſeiner Neu-
begründung durch Conſtantin I., nach neunundzwanzig ſeit ihrer erſten
Begründung ausgehaltenen Belagerungen, von denen ſieben frühere
ihren Fall nach ſich gezogen hatten, durch die achte und bis jetzt
letzte in die Hände der Türken. Ihnen iſt dieſer Edelſtein unter
den Städten Europa's, die Erdtheilſcheidende, durch die ſtete Zwie-
tracht der Chriſten bis heute verblieben. Kraft ihres Beſitzes
durften die Türken es wagen, in das Herz von Europa bis nach
Wien, mit ihren herumſtreifenden Rennern ſogar bis in die Ge-
gend von Regensburg, vorzudringen. Die Griechen hatten durch
ihre ſchwächliche Verkommenheit und Feigheit den tiefen Fall längſt
ſchon vollkommen verdient. Dennoch hatte am meiſten der ent-
artete griechiſche Hof mit ſeinen den Türken ſchon früh Tribut
zahlenden, ſogar an ihrer Pforte in Aſien zu Dienſten herabgewür-
digten, Herrſchern hierzu beigetragen. Die Humanität aber verhüllt
dert gern ihr Antlitz, um nicht Zeuge zu ſein von der Zerſtörung
und Entvölkerung, welche eine barbariſche Nation über Länder ge-
bracht hat, die Gott zu Paradieſen für die Menſchen geſchaffen zu
haben ſchien. Indeſſen – hätten weichliche Klagen über das tiefe
– 261 –
Hinſinken der reichſten Erdſtriche zu Wüſteneien und Einöden irgend-
wie Nutzen bringen können, ſo wären dieſe freilich ſchon längſt aus
der Barbarei gerettet. An Thatkraft zum Widerſtande fehlte es
aber nicht blos damals. Auch in den folgenden Jahrhunderten
ſehnte ſich Europa's Orient vergebens nach genügend energiſcher
Hülfe. Indem man noch heute ein Gleichgewicht unter den
Mächten Europas erhalten zu müſſen wähnt, welches noch nie be-
ſtanden hat, auch ebenſo wenig künftighin wird beſchafft werden können,
dürften die herrlichſten Länder der Erde ihrer Auferſtehung von einem
tiefen phyſiſchen und moraliſchen Siechthum lange noch traurnd entge-
genſehen müſſen. Hier aber galt es nicht, alte Klagelieder zu wiederho-
len, ſondern nur den allmähligen Untergang des griechiſchen Kaiſerrei-
ches ſammt der Erhebung des Osmanenreiches auf den Trümmern jenes
hiſtoriſch kurz anzudeuten, um von dieſer ſicheren Grundlage aus
Anknüpfungspunkte für ſpäter zu entwickelnde Folgeſätze zu begrün-
iden. Wie das Osmanenreich ſich nach der Beſitznahme des grie-
chiſchen Kaiſerthum's weiter in Europa befeſtigt hat, wie es dieſem
ſeine Central-Lebensader, die Donau, umgarnen und gleichſam ab-
binden konnte, liegt nicht in der Abſicht, an dieſem Orte geſchicht-
lich zu verfolgen.
Charakteriſtik. – Wer die aus der Geſchichte der Osmauen
bis zu ihrer Eroberung Conſtantinopel's hervortretenden Charak-
terzüge beſonnen verfolgt, und gegenwärtig, nachdem ſich jener
Edelſtein unter den Städten Europa's 400 Jahre lang in den
Händen der Türken befunden hat, dieſe beſucht, und ihnen die Züge
abzulauſchen trachtet, durch welche ſie ſich von andern Völkern un-
terſcheiden, mit denen ſie in ſo nahe Berühruug getreten ſind, –
der wird über die Kluft ſtaunen müſſen, welche ſich zwiſchen dem
Volke von ehedem und von jetzt aufgethan hat. „Suche nicht
die Freundſchaft der Ungläubigen, du wirſt ſonſt ihnen
gleichen; meide ſie, ſie könnten dich verwirren.“ So
ſchreibt der Koran vor. Aber ſo ſehr auch die Türken ihrer großen
Mehrzahl nach ſich bemühen mochten, das Wort des Propheten zu
befolgen, ſo iſt ihnen dies doch im Laufe der Zeit immer weniger,
am menigſten jüngſthin gelungen, als franzöſiſche und engliſche
Heeresmaſſen Ungläubiger nicht nur vor ihren Augen vorüberzogen,
ſondern ſelbſt als Freunde des Padiſcha in deſſen Reſidenzſtadt ver-
weilten, – ja noch mehr – für ihn kämpften. Der von religiöſem
– 262 -–
Fanatismus berauſchte wilde Barbar, der das neue Rom ſtürmte
und ſtürzte, ſitzt jetzt kauernd, total umgewandelt, – wo irgend
möglich – vom Morgen bis zum Abend auf den Ferſen, um
Rauchwolken von ſich zu blaſen!
Schon die äußere Form hat eine frappante Umgeſtaltung erfah-
ren. Wer in den erſten Jahrzehnden des laufenden Jahrhunderts die
Türken als Männer kennen gelernt hat, die durch langen Bart,
Turban auf dem Kopfe, weiten pelzverbrämten Kaftan, Pantoffeln au
den nackten Füßen ausgezeichnet ſind, mag nicht wenig betroffen ſein,
dieſelben Männer jetzt zu Tauſenden in eng anliegendem Tuchrocke,
Pantalons mit Stiefeln, faſt ohne Bart, mit dem Fes auf dem
Kopfe herumwandern zu ſehen. Die Kreiſe dehnen ſich vom Mittel-
punkte der Hauptſtadt her fortwährend weiter aus, innerhalb wel-
cher die Neuerungen vorherrſchen, für deren Abwendung die Janit-
ſcharen ihr Leben vergebens geopfert haben. Wenn Hr. de La-
m art in e*) bald nach jener gewaltigen Umwälzung ausrufen
konnte, „die Türkei hängt von dem Leben Mahmud’s ab;
er und das Reich werden an demſelben Tage ſterben,“ ſo
iſt dieſe Prophezeihung des Dichters im Reiche der Dichtung ver-
blieben. Der Ethnograph, welchem daran liegt, das alte orthodoxe
Türkenthum zu ſtudiren, ſollte ſich nach den entfernteren Provinzen
Aſiens begeben, wo die Türken noch in frommem Wahn an dem
Satze des Korans feſthalten, „der Muſelmann bedarf keines
Freundes oder Beſchützers unter den Ungläubigen.“
Der heutige Osmanli leugnet nicht das Uebergewicht des Ge-
nie's und Talent's der Franken; er ſcheint jedoch hierbei das Auge
nur auf die hervorſtechenden Produkte der großen Fortſchritte der
neueren Mechanik zu werfen, welche ihm während des letzten Orient-
krieges in erſtaunenswerthem Umfange vorgeführt worden ſind.
Die religiöſe Seite der Chriſten konnte es bisher nicht ſein, welche
ihn zur Anerkennung irgend eines ſolchen Uebergewichtes bewegen
mochte, denn man bemüht ſich, ihn täglich Zeuge ſein zu laſſen,
von dem hohen Grade der Anfeindung zwiſchen den einzelnen Be-
kenntniſſen und Secten der Chriſten. Nicht leicht kann es an einem
anderen Orte ſo klar werden, als zu Conſtantinopel, daß die lautere
Religion der Liebe durch unlautere Menſchenſatzungen zur Religion
des Haſſes und der Verachtung verſtümmelt wird. Griechen und
*) A. a. O. T. III. Bruxelles, 1838. pag. 294.
– 263 –
Armenier verabſcheuen ſich gegenſeitig bis zum Extreme. Wo in
einem Dorfe Türken, Griechen und Armenier zugleich wohnen,
halten ſich die beiden Secten der Chriſten ſicherlich viel eher zu
den Türken, als unter ſich zuſammen. Die Armenier haben ihren
Hauptſitz zu Conſtantinopel im Oſten der Stadt errichtet; die
Griechen wohnen im Weſten durch die ganze Stadt von jenen ge-
trennt, obgleich ſie doch die Juden dicht neben ſich wohnen laſſen.
Kein Armenier würde von der Speiſe genießen, welche ein Grieche
zubereitet hat, aus Beſorgniß, daß ſie abſichtlich verunreinigt ſein
möchte. Im Juni 1856 machte man dem Journal des Debats
die Mittheilung, daß zu Harput in Kleinaſien das Kind einer ar-
meniſchen Familie geſtorben war, die den proteſtantiſchen Cultus
angenommen hatte. Man begrub das Kind auf dem einzigen dort
befindlichen chriſtlichen Kirchhofe, dem armeniſchen; in Folge deſſen
begab ſich der armeniſche Biſchof an der Spitze ſeiner Gemeiude
auf den Kirchhof, ließ das Kind ausgraben und auf das Feld werfen.
Der Gouverneur mußte die Leiche polizeilich begraben laſſen, ſendete
darüber einen Bericht an die Regierung zu Conſtantinopel und dieſe be-
deutete den armeniſchen Patriarchen, daß der intolerante Biſchof ab-
geſetzt werden müſſe, ſendete auch Fonds nach Harput, um den
dortigen Proteſtanten einen geſonderten Kirchhof zu beſchaffen. Wie
könnten auch die Türken ohne Empörung die Schlägereien mit an-
ſehen, die zwiſchen griechiſchen und katholiſchen Chriſten in der Kirche
des heiligen Grabes am hohen Oſterfeſte vorkamen, und die nur
durch türkiſche Soldaten geſchlichtet werden konnten. Als erſtes
großes Beiſpiel des Religionshaſſes unter den Chriſten mag ange-
führt werden, daß bei dem Eroberungszuge des Chosroes, 603 u. f.
n. Chr., Juden, Neſtorianer und Jacobiten ſich mit ihm gegen die
Orthodoxen verbanden *). Die Jacobiten oder Syrer ſollen 30,000
Familien in Vorderaſien ſtark ſein. Ihr Patriarch wohnt im
Kloſter Saferan bei Mardin, und etwa 12 Biſchöfe ſtehen unter
ihm, einer zu Jeruſalem. Zu den Jacobiten halten ſich die Schemſich
in Mardin und werden von jenen geſchützt. Sie ſind indeſſen einem
in Dunkel gehüllten Sonnendienſt ergeben nnd ſollen ohne heiliges
Buch ſein. Die Labier oder ſog. Johannischriſten beſitzen einige
Bücher oder Pſalmen. Was würden die Türken aber erſt urtheilen
*) S. Gibbon, a. a. O. Cap. 46.
– 264 –
müſſen, wenn ſie den Umfang des geiſtlichen Hochmuths und Stolzes
ermeſſen könnten, welcher ſo manche Bekenntniſſe des Chriſtenthums
im Weſten Europas beſeelt und ſie unfähig macht, ſich gegenſeitig
Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen. - - „
Freilich werden die Türken zugleich anerkennen müſſen, daß
es auch bei ihnen an ähnlichen Gegenſätzen nicht fehlt. Die
Schiiten und Sunniten haſſen ſich einander tädtlich und hierin liegt der
Hauptgruud, daß eine vom Weſten etwa zu beſorgende thatkräftige
Vereinigung Perſiens und der Türkei niemals zu Stande gekommen
iſt. Moavie, das Haupt der Ommejaden, ließ den Alimenchelmör-
deriſch umbringen, der der bevorzugte Liebling Mohammeds war.
Seit jener That ſind die Mohammedaner zerfallen in Aliten oder
Schiiten und Sunniten. Zu erſteren gehören die Perſier und
Tartaren, zu letzteren die Osmanen: zwiſchen ihnen herrſcht unver-
tilgbarer Religionshaß. „Schmutz, Fluch und Verderben auf
die Häupter der Sunniten, welche den Ali verfolgt und
getödtet!“ So rief der Mullah vom Predigerſtuhl in der Moſchee
zu Eriwan, als Bodenſtedt*) dort ſein Zuhörer war. Aber
die Bekenner des Korans haben wenigſtens die „Liebe“ nicht auf
ihr Banner geſchrieben; ſie geſtehen ihren Haß gegen alle anders
Glaubende frei, – ſie ſind ſo wenig Heuchler, daß ſie oft genug
öffentlich bekannt haben, jeder Giaur müſſe mit Feuer und Schwert
von der Erde vertilgt werden und in ihren früheren Kriegen haben ſie
dieſen Grundſatz leider blutig zur Wahrheit zu machen getrachtet. –
Jener tief greifende Seetenhaß zieht ſich, gleich einem rothen Faden,
durch die Geſchichte der Türken von ihrem erſten Auftreten her.
Wären die Chriſten nicht in ganz ähnlicher Weiſe ſtets unter ſich zerfal-
len geweſen, ſo würde es ihnen deshalb leichtes Spiel geworden ſein,
die weite Ausbreitung des Mohammedanismus zu beſchränken. Den-
noch haben ſie ohne ihr Zuthun hieraus mitunter Nutzen gezogen.
Bei Erzählung der Geſchichte der Annäherung der erſten Kreuzfahrer
an Jeruſalem, Juni 1099, ſagt Fr. Wilken*): „Aber der Haß
unter den beiden Seeten, in welche ſich die Gläubigen
Mohammed's get heilt hatten, gegeneinander ſelbſt war
viel heftiger, als der Haß, mit welchem beide gemein-
*) Tauſend und ein Tag im Orient. I. Berlin, 1853. S. 243.
*) Geſchichte der Kreuzzüge. 1. Theil. Leipzig, 1805., S. 272.
– 265 –
ſchaftlich die Chriſten verfolgten. Darum wünſchten die
ſeldſchukiſchen Sultane in Bagdad und ihre Verwandte,
welche die egyptiſchen Moslem als Ketzer haßten, daß
Jeruſalem jenen Ketzern entriſſen würde.“ So konnte denn
die Einnahme von Jeruſalem, am 15. Juli 1099, nach 432jähriger
Beherrſchung durch die Muſelmänner, um ſo leichter erfolgen. –
Doch welcher Secte der gläubige Moslem auch angehören möge, er
verrichtet zur beſtimmten Stunde knieend ſein Gebet mit nach Mekka
gewendetem Geſichte. Der Ruf des Muezzim von der Galerie des
Minaret's verfehlt ſeine Wirkung ſelten. Mitten im Gewühle des
Bazars ſah ich bei dieſem Rufe die Muſelmänner ſtill ſtehen, und
geſenkten Hauptes wenigſtens ein kurzes Gebet murmeln. Ebenſo
bemerkte ich, daß die türkiſchen Deck-Paſſagiere ſich bei dem Auf-
gange der Sonne auf die Knie warfen und auf untergelegtem Tep-
piche während des Gebetes mit der Stirn den Boden berührten.
Die vorſchriftsmäßige Waſchung geſchieht vorher. Das rege Getüm-
mel rings umher hindert ſie hierbei nicht immer. Wenn der Sultan
am Freitage nicht in feierlichem Aufzuge ſein Gebet in der Moſchee
verrichtet, ſo darf man mit Recht vorausſetzen, daß ihn wirklich
Krankheit dazu unfähig gemacht habe und man hat Beiſpiele, daß
dann Unruhen unter der Bevölkerung der Hauptſtadt ausbrechen,
namentlich, wenn Unzufriedene einen ſolchen Vorfall benutzen, das
Gerücht zu verbreiten, der Sultan werde gefangen gehalten. – Der
Chriſtenhaß hat ſich allenthalben dort am meiſten vermindert, wo-
hin engliſche und franzöſiſche Truppen gekommen ſind, und ich
möchte den von anderer Seite bereits ausgeſprochenen Satz unter-
ſchreiben, daß 50,000 weſteuropäiſche Truppen, in der Türkei zu-
rückgelaſſen, mehr zur Annahme des Hatti-Hümayum würden beige-
tragen haben, als alle Decrete von oben herab. Das Wort
„Giaur“, mit dem jeder anders gläubige Menſch betitelt wird, hört
man in der Regel nur dort noch, wo bisher Fremde ſelten ge-
ſehen worden ſind. Als bei meiner Dampfſchifffahrt nach Iskimid
das Wort Giaur laut ausgeſprochen worden war, ereiferte ſich
mein Dollmetſcher, ein katholiſcher Chriſt, darüber ſtark und führte
den uns umgebenden Türken den Befehl des Sultans hiergegen in
heftigſter Rede vor. Der eifrige Mann erlebte die Genugthuung,
daß kein lautes Wort dagegen aufgebracht wurde. Und doch waren
nur fünf oder ſechs Chriſten nnter mehreren Hunderten von Türken
12
– 266 –
am Bord; ſelbſt an Derwiſchen fehlte es nicht, die ſonſt jede Ge-
legenheit gerne ergreifen, als laute Wortführer gegen die Ungläu-
bigen aufzutreten. Ob in entferntern Theilen Aſiens ſtatt deſſen
nicht Steinwürfe die Antwort gebildet haben würden, muß ich frei-
lich dahin geſtellt ſein laſſen. Man darf übrigens nicht annehmen,
daß der Türke in jenem Ausdrucke ſtets eine Beleidigung aus-
ſprechen wolle; die Gewohnheit ſcheint die Bedeutung des Wortes
dahin gemildert zu haben, daß damit faſt jeder Ausländer, ohne
böſe Nebenabſichten bezeichnet wird. Ich habe Nächte in türkiſchen
Dörfern ohne Beläſtigung verlebt, in denen ſich außer mir und
meinem Dollmetſcher kein Chriſt befand. Die Moſcheen wur-
den von mir beſucht, ohne daß ich den ehedem erforderlichen
Ferman beſaß. Nur mit der einzigen Moſchee Sultan Ejub habe
ich eine Ausnahme gemacht, jedoch nicht blos, weil ſich dort
Schwierigkeiten entgegengeſetzt haben würden, ſondern mehr noch,
weil nach der durch Hrn. v. Grimm gegebenen Notiz über dieſe
Moſchee durchaus kein Verlangen in mir übrig geblieben war,
ſie zu betreten. Ich habe mich unbedenklich in das dichteſte Ge-
dränge der Bazars, in die mit Türken überfüllten Kaffehäuſer,
in die türkiſchen Bäder begeben und glaube bemerkt zu haben, daß
ich von ihnen in der Regel ſogar mit mehr Rückſicht behandelt
wurde, als ihre eigenen Glaubensgenoſſen. Auch war dies nicht
blos in der europäiſchen Türkei der Fall, die von fremden Chriſten
verhältnißmäßig viel häufiger beſucht wird, ſondern auch in der
aſiatiſchen, in Dörfern wie in Städten. Freilich habe ich mich ſo
viel wie möglich in ihre Gebräuche zu fügen geſucht, und muß an-
nehmen, daß häufig genug ein entgegengeſetztes Verfahren die Ver-
anlaſſung zu Streitigkeiteu gegeben haben mag. Wenn die Türken
ſelbſt jedesmal vor dem Eintritte in eine Moſchee die Schuhe aus-
ziehen, ſo kann man es ihnen ſchwerlich verargen, daß ſie den
Chriſten ausweiſen, der den geheiligten Ort mit ſchmutzigen Stie-
feln betritt. Wenn kein Türke die verſchleierten Frauen auf der
Straße oder an öffentlichen Orten auch nur mit Blicken zu
verfolgen wagt, ſoll er es ſich ungerügt gefallen laſſen, wenn
Chriſten ſie frech lorgnettiren? Ueber die von mir nicht beſuchten
türkiſchen Provinzen enthalte ich mich in dieſer Hinſicht des Urtheils;
es dürften vielleicht noch Jahrhunderte darüber hingehen, ehe es einer
türkiſchen Regierung gelingen wird, alle ihre wilde Horden zu
zügeln. Die große Maſſe der Türken entwickelt dagegen im Privat-
verkehr ein würdiges Entgegenkommen und eine Zuverläſſigkeit, die
beſonders im Orient ſchätzenswerth erſcheinen. Sobald man jedoch
ihr Osmanenthum antaſtet, regt ſich ihr Stolz, der, mißachtet, zu
unangenehmen und ſelbſt gefährlichen Scenen ausſchreiten kann. Tür-
kiſche Beamte, namentlich Diplomateu, ſcheuen ſich in der Regel nicht,
ihren Nationalcharakter zu verleugnen; nicht leicht laſſen ſie irgend
ein Mittel unverſucht, ſelbſt Wortbruch und Unwahrheit nicht ganz
ausgenommen, um ihren Gegner im amtlichen Verkehr zu beſiegen.
Bilderverehrung iſt dem Türken ein Gräuel; Heiligenverehrung
hält er für Vielgötterei und den Sinn des Ausdruckes „Sohn
Gottes“ iſt er unfähig zu begreifen. Er nennt deshalb auch den
Chriſten einen Muſchrikin, d. h. einen Menſchen, der Gott Ge-
- noſſen gibt. Deſſenungeachtet verehren auch die Türken ihre heiligen
Derwiſche und wallfahrten nach ihren Gräbern, um dort zu beten.
Die reellen Gefährlichkeiten der Reiſe bleiben dabei ungeſcheut. Die
alljährlichen Pilgerfahrten in zahlreichen Karawanen nach Mekka,
zu dem Grabe des Propheten, ſind allgemein bekannt; ſie unter-
bleiben in keinem Jahre, obgleich man ſehr wohl weiß, daß dieſe
Züge in dem fernen Süden ſehr häufig durch Raub und Mord
von den Völkern der Wüſte, oder noch gefährlicher durch anſteckende
Krankheiten decimirt werden. -
Klöſter und Mönche ſcheinen die Türken ſchon in ſehr früher
Zeit durch Nachahmung von den Chriſten ererbt zu haben. Die
Gebrechen des beſchaulichen Lebens unter Trennung von der menſch-
lichen Geſellſchaft, welche v. Zimmermann *) mit ſo lebhaften
Farben gemalt hat, fallen in ſolchem Maaße den Derwiſchen nicht
" zur Laſt, denn ſie nehmen keinen Anſtand, ſich häufig im Volksge-
wühle zu zeigen, wo man ihnen in der Regel mit einer gewiſſen
Achtung begegnet. Beleidigung eines ſolchen Derwiſches durch
Chriſten hat für Letztere oft unangenehme Folgen herbei gezogen,
Die glänzenden Grabſtätten der Vorſteher von Mönchsorden, die
man bei der Moſchee Sultan Ejub zu Conſtantinopel ſieht, ſpre-
chen gleichfalls für dieſe Verehrung. Doch ſcheint dieſe während
der letzten Jahrzehnte weſentlich abgenommen zu haben, wenn man
nach der faſt allgemeinen Vernachläſſigung ſchließen darf, welche
*) Von der Einſamkeit. Th. I. Leipzig, 1784.
12 *
– 268 –
die religiöſen Uebungen in den türkiſchen Klöſtern erfahren. Auch
habe ich nicht gehört, daß neue Gemeinſchaften der Art errichtet wor-
den wären, wohl aber, daß ältere zu Grunde gegangen ſind. Die
erſten Strahlen der Morgenröthe der Eiviliſation werden im Oriente
dem Abſchließen von der Menſchengeſellſchaft bereitsfeindlich. Sollte
ſich bei fernerem Fortſchreiten dieſer dort das Sinken jener religiöſen
Inſtitute erhalten, ſo dürfte ſich daraus für chriſtliche Länder, in
denen die Klöſter, welche des praktiſchen Nutzens für ihre Mitmen-
ſchen entbehren, wieder überhand nehmen, kein vortheilhafter Schluß
ergeben. – Die eigenthümliche Form der Gottesverehrung durch
Körper-Drehungen, welche die Mewlewie-Derwiſche üben, können
auf den erſten Anblick ſchwer begreiflich erſcheinen. Doch glaubt
v. Hammer dieſe feierlichen Drehungen als eine Wiederholung
der Planetenwanderung um die Sonne betrachten zu dürfen, durch
welche die vier Jahreszeiten nachgeahmt werden ſollen, indem der
Rundgang der Derwiſche viermal wiederholt wird. Somit könnten
ſie den ſamothrakiſchen Myſterien nachgebildet erſcheinen. Ob von
letzteren der Stifter jener Derwiſche etwas gewußt hat, dürfte jeden-
falls ſehr zweifelhaft bleiben. Hr. Quitzmann*) beſchreibt den Tanz
genauer, als es mir oben möglich wurde. – Von den Rufai-
oder heulenden Derwiſchen ſpricht Dr. Sandreczki *) aus-
führlicher in folgender Weiſe: „Aus der Moſchee in unſerer Nähe
(zu Moſul) hörten wir den wirklich dämoniſchen Chor heulender
Derwiſche. Zuerſt fing einer das „la Illah illah Allah“ into-
nirend an, worauf nach und nach immer mehr einfielen 2c. 2c.
Allmälig aber wurden die Stimmen der ganzen Schaar immer
ſtärker und raſcher, bis ſie zuletzt wie von Raſenden hervorgeſtoßen
wurden.“ – „Man kann ſich kaum eines Schauers erwehren, wenn
man dieſen Chor hört.“ Um billig zu ſein, müßte man ſich einem
ähnlichen Schauer hingeben, wenn man ſich der chriſtlichen Säulen-
Heiligen lebhaft erinnert, die ehedem am Bosporus in hoher Ver-
ehrung ſtanden (vergl. oben S. 86).
Jeder Familienvater beſitzt im Orient eine abſolute Gewalt
über ſeine Frau, Kinder und Sclaven. So wie er ſelbſt despotiſch
beherrſcht wird, despotiſirt auch er ſeinerſeits innerhalb des
Hausweſens. Kein Agent der öffentlichen Macht würde ihn hieran
*) Reiſebriefe aus Ungarn, dem Banatu. ſ. w.aStuttgart, 1850. S. 398.
*) A. a. O. II. Th. S. 22.
– 269 –
hindern dürfen. Man läßt ihn heraus rufen, oder wartet, bis er
ausgeht, wenn Eiuſchreiten nöthig werden ſollte. – Die Sclaverei
verliert im Oriente Vieles von dem Gehäſſigen, welches ihr im
Occidente allenthalben anklebt; der Türke iſt in dieſer Hinſicht der
directe Gegenſatz zum Amerikaner, – er erhebt ſeine Sclavin ohne
Bedenken zur rechtmäßigen Gemahlin, wenn ſie es ihm zu verdienen
ſcheint. Ebenſo heirathet die Tochter des Hauſes einen Sclaven
mit Bewilligung ihres Vaters, deſſen Vermögen nun auf den
Schwiegerſohn übergehen kann; kein Türke findet darin etwas Herab-
ſetzendes. Napoleon I. *) nahm an, daß Mohammed jedem Türken
vier Weiber zu nehmen erlaubt habe, damit er um ſo mehr geneigt
werde, Frauen verſchiedener Stämme und Farbe, weiße, braune,
ſchwarze und ihre Miſchlinge an ſich zu ziehen, und ſo dem Haß,
der zwiſchen den Menſchen verſchiedener Hautfarben leider ſo häufig
entſteht, in ſeinem Reiche gründlich vorzubeugen. Ich kann nicht
glauben, daß der Prophet hierbei von ſo weit reichendem propheti-
ſchem Inſtinct geleitet worden ſein möchte; die Vielweiberei war
von den älteſten Zeiten in Aſien allgemein angenommen und Mo-
hammed war klug genug, die Zahl ſeiner Anhänger nicht etwa
durch Rigorismus hiergegen zu vermindern. Die feine Ueberlegung,
welche aus der Benutzung jener eingewurzelten Landesſitte hervor-
geht, drückt ſich noch ſtärker dadurch aus, daß er ſeinen Gläubigen
ſogar, nach dem Tode, ein Paradies verſprach, in welchem ſie von
ſeeligen Houri's ſtets umgeben ſein würden. – Ein gern benutzter
Titel des Sultans iſt Kiuloglu, Sohn der Sclavin; dies ſoll
auf die bibliſche Tradition von der Geburt des Ismael beruhen,
der als Stammvater der Araber, alſo auch als Vorfahr Moham-
med's angeſehen wird. – Deshalb hat auch die Sclavin, ſobald ſie
Mutter wird, das Recht einer Frau, – und die Beſchaffung von
Sclavinnen, die mit Gold bezahlt oder geraubt werden, hat des-
halb einen beſonderen Werth für die Türken. Da die wohlhaben-
deren Türken Jahrhunderte lang Gelegenheit gehabt haben, auf
reich beſetzten Sclavenmärkten ſchöne Frauen aus Kaukaſien, Geor-
gien u. ſ. w. für ihre Harems zu erkaufen, ſo mußte dadurch all-
mälig eine Veredelung ihrer Raçe hervorgehen. Gewiß ſind Phy-
ſiognomie und Schädelbildung der Osmanen, welche zuerſt nach
*) Mémorial de S. Hélene.
A-
Europa überſetzten, durchaus anders geſtaltet geweſen, als wir ſie in
Folge jener Veredelungen gegenwärtig an ihnen wahrnehmen. Phyſiog-
ſnomien, welche abſtoßend häßlich waren oder den deutlichen Ausdruck
von Wildheit und Barbarei an ſich trugen, ſind mir dort viel ſeltener
aufgeſtoßen, als in den meiſten anderen Theilen Europas. Daß
die ſchönen Kaukaſierinnen ſich in den türkiſchen Harems nicht gar
zu übel befunden haben müſſen, ſcheint daraus hervorzugehen, daß,
als der Sultan Abdul-Medſchid den Handel mit weißen Sclavinnen
verbot, er dadurch die kaukaſiſchen Völkerſchaften in ſolchem Grade von
ſich abwendig machte, daß ſie die von ihnen erwartete Hülfe gegen
Rußland im letzten Orientkriege nicht leiſteten. Man hatte wenig-
ſtens erwartet, daß ſie das nur ſchwach beſetzt gebliebene Tiflis
überfallen würden, ſah ſich aber hierin getäuſcht. – Unter den
afrikaniſchen Sclavinnen ziehen die heutigen Türken mit Recht den
Negerinnen die Abyßinierinnen bei Weitem vor, welche ſtärker und
höher als jene, auch durch edlere Geſichtszüge vor ihnen ausge-
zeichnet ſind. – Nicht ungeeignet mag es erſcheinen, wenn an dieſem
Orte die einige innere Wahrſcheinlichkeit an ſich tragende Erzählung
eingefügt wird, nach welcher, wenn ſie die Probe jener ferner
beſtehen ſollte, eine Verwandtſchaft zwiſchen dem Sultan Abdul
Medſchid und dem Kaiſer Napoleon III. vorhanden ſein würde.
Eine 17jährige ſchöne und fein gebildete franzöſiſche Dame aus
Martinique nämlich, Madem. Aimée Dubuc de Rivery,
wurde 1784 in der Nähe der Inſel Majorca von einem algie-
riſchen Corſaren gekapert, und gelangte nach mancherlei Wechſel-
fällen in den Harem des Sultan Abdul Hamid nach Conſtantinopel.
Von dieſem wurde ſie die Mutter des bekannten Janitſcharen-Zer-
ſtörers Mahmud II., dem ſie früh ſchon Züge weſteuropäiſcher
Civiliſation einzuprägen wußte. Mahmud's Sohn iſt bekanntlich
der gegenwärtig regierende Sultan, ein Enkel der Mad. Dubuc.
Auf der andern Seite war die letztere Dame nahe verwandt mit
der auf Martinique lebenden Familie Taſcher de la Pagerie, welcher
bekanntlich Joſephine entſproſſen war, die den Grafen Al Beau-
harnais heirathete, nach deſſen Hinrichtung aber die Gemahlin
Napoleons I. wurde. Ihre Tochter erſter Ehe, Hortenſe, verband
ſich mit Louis Bonaparte, dem Könige von Holland, und wurde
Mutter des gegenwärtigen Kaiſers Napoleon III. Die Verwandt-
ſchaft der beiden Kaiſer würde jedenfalls etwas fern liegen, dennoch
– 271 –
durch Subtilitäten nicht ungeſchehen gemacht werden können. Das
Verhalten Frankreichs gegen die Türkei hat freilich, ſeit der Ein-
nahme von Sebaſtapol, durchaus keinen irgendwie verwandtſchaft-
lichen Charakter, obgleich nach A. v. Humboldt in demſelben „Frank-
reich jetzt die ganze Türkei ausgebrochen iſt“*).
Obgleich nun die große Mehrzahl der Türken nur eine Frau
zu erhalten im Stande iſt, ſo gibt es doch auch wohlhabende,
die deren vier ernähren; es finden ſich eben ſowohl Harems der
Reichen und Hochſtehenden, welche zahlreich beſetzt ſind. Daß die
Lebensweiſe in den letzteren unabwendbar große Inconvenienzen mit
ſich führen müſſe, braucht kaum bemerkt zu werden. Der Natur-
kundige darf aber nicht ungerügt laſſen, daß mit den zahlreichen
Frauen jener Harems oft in hohem Grade rückſichtslos verfahren wird.
Dies ſcheint, namentlich in Egypten, nicht ſelten in das Maaßloſe
hinaus zu gehen. Aerzte, welche die dortigen Zuſtände genauer in
das Auge gefaßt haben, gaben mir die Verſicherung, daß dort alle
Weiber darauf abgerichtet ſeien, die Kunſt, Frühgeburten zu bewirken,
auszuüben, wie ſie die europäiſchen Geburtsärzte der heutigen Zeit
wiſſenſchaftlich ausbilden. Aſien ſcheint das Geburtsland eines wahrhaft
verbrecheriſchen Treibens der Art von frühe an geweſen zu ſein, denn
ſchon das Zend-Aveſta bezeichnet unnatürliche Laſter, Knabenliebe,
Schädigung der Leibesfrucht als unſühnbare Handlungen, durch die
der Schuldige die Beute der böſen Geiſter wird. – Der Beſitzer
eines reichen Harems in Egypten fand es geradezu lächerlich, daß
man ihm ſollte zumuthen können, von ſeinen ſämmtlichen Frauen
Kinder zu erziehen; er meinte, in ſolchem Falle würde ja ſein
Wohlſtand bald dem völligen Ruin entgegen gehen. – Durch Hrn.
Dr. Rigler **) erfahren wir außerdem noch, daß man ſich in Con-
ſtantinopel für berechtigt hält, Schwangerſchaften künſtlich zu unter-
brechen, wenn dieſe oder die nachfolgende Entbindung der Frau irgend
einen Rachtheil zu bringen droht, ja, daß es dort ſogar Prieſter gibt,
welche unter ſolchen Umſtänden Amulette verkaufen, durch deren
zauberiſchen Einfluß jene Unterbrechung bewirkt werden ſoll. Hierin
ſowohl als in dem höchſt unverſtändigen Benehmen der Frauen,
welche bei Entbindungen helfen ſollen, liegt eine ſo reiche Urſache
des Mangels einer Zunahme der türkiſchen Bevölkerung, daß
*) Briefwechſel und Geſpräche A. v. Humboldt's. Berlin, 1864. S. 89.
**) A. a. O. 1. Bd. S. 211 ff.
– 272 –
ſie hier nicht übergangen werden durfte. Es kommt indeſſen
noch hinzu, daß die Vielweiberei, ſowie der Umſtand, daß der
Türke oft ſchon im 16. oder 17. Lebensjahre heirathet, eine früh-
zeitige Erſchöpfung der Manneskraft nothwendig bedingen muß.
Auch ſtimmen alle europäiſchen Aerzte darin überein, daß ihnen
Anforderungen, die letztere wieder zu ſchaffen, alltäglich vorgekom-
men ſeien. Sodann iſt der Koran ſelbſt nicht unſchuldig an dem
ſo höchſt verderblichen Umgange der Männer mit Knaben, denn er
verſpricht den Männern im Paradieſe, außer nie alternden ſchönen
Frauen, auch „Gülmen“, d. h. reizende Knaben oder Jüngliuge
zur Bedienung*). Man hat daher Unrecht, den Griechen die Mit-
theilung jenes ſchändlichen Mißbrauches an ihre Eroberer, die Tür-
ken, aufzubürden; er war lange vor Mohammed über einen großen
Theil von Aſien, ganz Griechenlaud, Rom u. ſ. w. verbreitet. Doch
ſcheint der Koran einen ſchwachen Unterſchied zwiſchen dem Umgange
mit Männern und dem mit Knaben zuzugeſtehen; er ſagt nämlich
auch: „Wenn zwei Männer unter ſich durch Unzucht ſich
vergehen, ſo ſtrafet Beide, wenn ſie aber bereuen und
ſich beſſern, dann laſſet ab von ihnen“*). Wie weit es mit
der Knabenliebe im alten Rom gekommen war, beweiſen die dagegen
erlaſſenen Geſetze. Die Scantinia lex verurtheilte die Ueberwieſenen
zu einer Buße von 10,000 Seſterzien (250 Thaler). Nachdem ſich das
Geſetz ungenügend erwieſen hatte, verfügte die ſpätere lex Julia
ſogar die Todesſtrafe gegen dergleichen Schandthaten. Der Koran
ſcheint die letzteren endlich noch im Paradieſe verewigen zu wollen.
Nur auf dieſe Weiſe kann man es ſich erklären, daß die
Türken Jahrhunderte lang den fünften Theil aller chriſtlichen Kna-
ben, zur Erfriſchung ihres Janitſcharenthums, gewaltſam wegnehmen
konnten, – daß ſie ferner bis auf den heutigen Tag die ſchönſten
Jungfrauen von ferne her entweder durch Kauf oder durch Raub
in ihre Harems ſchleppen ließen, ohne dadurch ihrem eigenen Stamme
an Zahl aufzuhelfen. Endlich darf auch das unter den Türken
weitverbreitete Mißbehagen nicht unerwähnt bleiben, welches ſich
ihrer bemächtigen muß, wenn der Augenſchein"ſie von dem all-
mäligen Hinſinken ihrer Macht überführt. Dieſe moraliſche Nieder-
*) Der Koran. 56. Sure. ſ. Ueberſ. v. L. Ullmann. Crefeld, 1840.
S. 467.
*) Vierte Sure. – Ebend. S. 56.
– 273 –
geſchlagenheit, dieſes Mißtrauen in ihre ſich den Chriſten zuneigende
Regierung können unmöglich erfriſchend auf die Nation wirken.
Doch es iſt nöthig, dieſen Worten die beweiſenden Ziffern hinzu-
zufügen. Nach den neueſten von Hrn. Dieterici *) angeſtellten
Berechnungen leben in der aſiatiſchen Türkei, namentlich in
Kleinaſien, Syrien, Armenien und Meſopotamien auf 31,582 DMeilen
15,150,000 Einwohner, woraus ſich für jede Quadratmeile eine Bevöl-
kerung von 476 Menſchen ergibt. Alſo 476 dort, wo im Anfange der
chriſtlichen Zeitrechnung zwiſchen drei bis zehntauſend Menſchen ſich
des Lebens erfreuten. Wir wiſſen ſehr wohl, daß dieſe grauenhafte
Entvölkerung ſo reicher Länder nicht allein den Osmanen zur Laſt
gelegt werden darf. Der fürchterliche blutgierige Tamerlan hat
vielleicht auf einem einzigen Raubzuge mehr gemordet, verbrannt
und geraubt, als es die Osmanen Jahrhunderte lang vermochten.
Aber wir fragen, was haben die Osmanen, ſeitdem ſie in unbe-
ſtritten ruhigem Beſitze jenes hochwichtigen Theiles von Aſien ſind,
gethan, um jene erbarmungswerthen Zuſtände zu verbeſſern? Und
die traurige Antwort hierauf iſt: gar Nichts! – Ja, es darf als
unbeſtritten angeſehen werden, daß, mit Ausnahme einiger durch
ihre Lage bevorrechteten, ſich ſelbſt aufhelfenden Handelsſtädten, die
Bevölkerung des türkiſchen Aſiens im letzten Jahrhunderte noch abge-
nommen hat. – In der europäiſchen Türkei ſtellt ſich das Ver-
hältniß etwas vortheilhafter, nicht, ſoviel ſich ſehen läßt, durch Hin-
zuthun der Türken, ſondern durch den widerſtandskräftigeren Charakter
der Europäer, ſowie durch die Anfriſchungen und Hoffnungen, welche
ihnen ſtets mehr oder minder aus Nachbarſtaaten zu Theil wurden.
Nach den erwähnten Berechnungen ernährt die europäiſche Türkei
auf 9545 DMeilen, 18,700,000 Einwohner, mithin auf die Quadrat-
meile 1963 Köpfe. Wir müſſen den Vergleich mit der Bevölkerung
zur Zeit der höchſten Blüthe des oſtrömiſchen Kaiſerreiches anderen
Forſchern überlaſſen. Wenn wir aber die abſolute Einöde, welche
den Hauptſitz des Türkenthums, ihr geprieſenes Iſtambul, von der
Landſeite rings umgibt, in ernſte Betrachtung ziehen, ſo gelangen
wir zu der Ueberzeugung, daß es den Osmanen bis heute noch
wenig am Herzen gelegen hat, auch nur den äußeren Schein einer
regen Sorge um den Wohlſtand und das Gedeihen der von ihnen
eroberten Länder zu retten.
*) S. Petermann's geographiſche Mittheilungen. 1859. Nr. 99. S.
7 und 8.
– 274 –
Das Geſetz heiligt die Frau; ſie wird im Kriege geſchönt,
und der Mann iſt verpflichtet, ſie ſtandesmäßig zu unterhalten.
Letzteres iſt um ſo wichtiger, als die Frau in der Regel geringes
Heirathsgut mitbringt; die Anſprüche der Knaben und der Moſcheen
ſind vor denen der Töchter an das Vermögen bevorzugt. Selbſt
nach der Trennung von der Frau muß für dieſe noch geſorgt wer-
den. Jede Sclavin, die von ihrem Herrn zur Mutter wird, iſt
dadurch zugleich geſetzlich zu ſeiner rechtmäßigen Frau erhoben
worden.
Das Leben einer türkiſchen Frau im Harem muß nothwendig ein
höchſt einförmiges und langweiliges ſein. Erträglich wird es nur dadurch
gemacht, daß ſie in der Regel auf einer ſehr niedrigen Stufe geiſtiger
Ausbildung ſteht; höchſt ſelten hat ſie Leſen und Schreiben gelernt.
Auch kommt es ihr zu Gute, daß der Türke, außer dem Beſuche
des Kaffehauſes, kaum eine Gelegenheit findet, an öffentlichen Ver-
gnügungen Theil zu nehmen; für dieſe iſt er alſo auf den häuslichen
Kreis angewieſen. Immerhin vermag alſo die Frau, durch angeborne
Liebenswürdigkeit oder freundliches Entgegenkommen den Manit
dauerhaft an ſich zu feſſeln. Das ſie ſtets umlagernde Mißtrauen,
die fortgeſetzte Bewachung durch ältere Frauen oder Eunuchen, das
Eingeſchloſſenſein hinter eng vergitterter Fenſtern, die ſtete Ver-
ſchleierung und Umhüllung, welcher die Frau unterworfen iſt, ſo
oft ſie den Harem verläßt, dürfte daher für eine dazu nicht erzogene
Weſt - Europäerin, beſonders wenn es ihr an geiſtiger Bildung
nicht fehlt, wahrhaft unerträglich, ja lebensabkürzend ſein. Und
dennoch hat es nicht an Europäern gefehlt, die dieſe Exiſtenz der
Frauen für eine mehr als blos erträgliche hielten. Hr. Brcher*)
z. B., der als Arzt häufige Gelegenheit fand, Harems und ihre
Einwohnerinnen zu beſuchen, gibt zwar zu, daß jugendliche Frauen
mit einigen wohlbegründeten Anſprüchen, ſich hier weniger behaglich
fühlen dürften, meint aber doch, daß, wenn das Alter der Leideft-
ſchaften fern hinter ihnen liegt, wenn eine traurige Erfahrung jedem
Lebensereigniſſe ſeinen richtigen Werth verleiht, man dann im All-
gemeinen ſagen müſſe, daß ſich die Türkin einer größeren Stimme
von Glück erfreuet, als die Nichttürkin (la Franque). Man ſieht, daß
Hr. Brayer diejenigen Frauen ſeines Vaterlandes im Auge gehabt
*) Neuf années a Constantinople. T. I. Paris, 1836. pag. 368. sq.
– 275 –
haben mag, welche, nachdem ſie in der Jugend war der Gefallſucht
und Eitelkeit gelebt haben, im vorgerückteren Lebensalter ſich durch
den Verluſt ihrer Reize über die Gebühr unglücklich fühlen. Hier-
über läßt ſich mit Hrn. Brayer nicht rechten. Mit der echten
Würde der Frauen, welche auf einer Stufe der Bildung ſtehen,
die ihneu nicht erlaubt, blos eitlem Tand und Prunk zu leben, iſt
die erniedrigende Stellung der eingeſperrten türkiſchen Frauen durch-
aus unvereinbar; eine der hervorragendſten und eingreifendſten Er-
rungenſchaften des Chriſtenthums iſt eben die Erhebung der Frau
zur gleichberechtigten Gefährtin des Mannes. Wie kann man hoffen
bei den Muſelmännern jemals die Sclaverei abzuſchaffen, ſo lange
ſelbſt die edelſte Blüthe des häuslichen Lebens, die Frau, noch in
ſclaviſcher Erniedrigung ſchmachtet? Auch bemerkt man, aller Ge-
wohnheiten ungeachtet, an den ſchlaffen, theilnahmsloſen Geſichts-
zügen und dem frühen Hinwelken der Jugendfriſche bei den Frauen,
die man auf der Straße oder in den Kaufläden ſieht, daß ſie,
meiſtens unbefriedigt, das Erniedrigende ihrer Lage genugſam fühlen.
. Selbſt der ſackförmig weite Mantel und die ſchlotternde Fußbe-
kleidung, mit denen ſie öffentlich erſcheinen müſſen, iſt darauf
berechnet, etwa vorhandene körperliche Vorzüge nicht einmal ahnen
zu laſſen und ſo dem angebormen und eben darum wohlberechtigten
Schönheitsſinn der Frauen unaufhörlich wehe zu thun. So um-
ſchleiert der Ausdruck des Ueberdruſſes und der Langweile die mei-
ſtens edel geformten Geſichtszüge, das dunkle Auge mit der regel-
mäßig geſchlitzten Augenlidſpalte, die hochgewölbten Augenbrauen,
die gerade, griechiſche, gewöhnlich etwas zu ſcharf zugeſpitzte Naſe,
die flachgewölbten Wangenbeine, – angeborne Vorzüge, welche die
gebräuchliche Art der Verſchleiernng unverdeckt laſſen muß; und doch
iſt es der lebendige, ausdrucksvolle Blick, der dieſen Vorzügen erſt
den geiſtigen Stempel aufdrücken ſollte. Erwägt man nun noch,
daß die kritiſche Lebensperiode der muſelmänniſchen Frauen gewöhn-
lich ſchon vom 38. bis 40. Lebensjahre eintritt und dann gleichzeitig
verrätheriſche Runzeln die erſchlafften Geſichtszüge noch mehr ver-
unzieren, ſo erkennt man mit tiefem Bedauern, daß deſpotiſche Un-
ſitte die kurze Blüthenzeit auf ihr Minimum zu beſchränken gewußt
hat. Bis zu welcher ſcheuslichen Barbarei jene Deſpotie über die
Frauen geſteigert werden kann, beweiſt ſchon die Thatſache, daß
Mohammed III. bei ſeiner Thronbeſteigung, 1595, nicht bloß ſeine
– 276 –
19 Brüder umbringen, ſondern auch 10 ſchwangere Frauen ſeines
Vaters erſäufen ließ. – Faſt muß man erſtaunen, daß allen jenen
Unbilden zum Trotze türkiſche Frauen ſich dennoch mitunter einen
weithin reichenden Einfluß auf ihre Männer erworben haben. Die
Gräfin Dora d'Iſtria*) hat mit der den wahrhaft gebildeten Frauen
eigenthümlichen Feinheit eine ſehr belehrende Sammlung charakteriſti-
ſcher Züge dieſer Art veröffentlicht. Will man erfahren, was, jener Bar-
barei gegenüber, der orientaliſchen Frau die ſchaffende Natur mit ver-
ſchwenderiſcher Hand geſpendet hat, ſo bleibt es allein übrig, die
12 und 13jährigen jungen Mädchen aufmerkſam zu beobachten,
welche der Mutter noch unverſchleiert folgen dürfen. Dieſe verbin-
den in der großen Mehrzahl mit graciöſen Körperformen, mit
einer etwas dunklen Hautfarbe, wie ſie den ſüdeuropäiſchen Frauen
eigen zu ſein pflegt, ein dunkles, ausdrucksvolles Auge und eine
friſche, roſige Geſichtsfarbe, – mit einem Worte, ſie tragen alle
Naturanſprüche auf eine vortheilhafte Entwicklung an ſich. Wenn
aber dieſe Anſprüche der heranreifenden Jungfrau durch Vorent-
halten jeder geiſtigen Cultur, durch ſtete Beſchränkung ihres Um-
ganges auf Weiber und Kinder, ja ſogar durch Verſagung der
uothwendigen körperlichen Bewegung in freier Luft, verkannt und
mißachtet werden, ſo muß endlich die die herrlichſte Blüthe ein-
ſchließende Knospe ſchon bei halber Entwicklung zu welken beginnen.
„Der Menſch iſt in einſamem Müſſiggange wie ein ſtehen-
des Waſſer, das keinen Abfluß hat und fault. So ver-
wittert auch der Geiſt deſſen, der tmmer nur Eins thut,
immer die nämlichen Gegenſtände ſieht, immer die gleiche
Arbeit hat, immer zieht an dem nämlichen Laſtwagen.
Die weibliche Einbildungskraft iſt viel empfänglicher,
als die der Männer, daher die Hinneigung zu Thorheiten,
die einzelne zuerſt begehen, – die Fortpflanzung von
Vervenübeln in Klöſtern, Waiſenhäuſern, Hoſpitälern.
Plato hält die Weiber für Urheberinnen des Aberglau-
bens und der Schwärmerei.“ So ſpricht der tief erfahrene Zim-
mermann **), und er wird ewig Recht behalten. Was ſeiner Zeit
wüthende Rigoriſten, unnatürliche Abſperrung vertheidigend, gegen ihn
*) Les femmes en Orient. Zurich, 1860. T. I. pag. 443.
**) A. a. O. II. S. 4. -
– 277 –
vorgebracht haben, iſt zu unſeren Zeiten längſt ſchon von Neuem
wieder durch die Strafe der Einzelhaft nach dem penſylvaniſchen
Syſtem gründlich widerlegt worden. Bei dergleichen unglücklichen
Gefangenen entwickelt ſich nach und nach eine Neigung zum Irr-
ſein, von welchem ſtatiſtiſche Berechnungen ein wahrhaft erſchrecken-
des Verhältniß nachweiſen. Auch ſollen die alljährlich nur einmal
ſprechenden Karthäuſer frühkindiſch werden. – Es gab eine frühere
Zeit, in welcher die jungen Männer es liebten, ihr Leben für die
Ehre der Frauen gern ritterlich in die Schanze zu ſchlagen; dieſe
Sitte ſcheint unſerer Zeit ziemlich abhanden gekommen zu ſein, –
man ſucht ſich mit tönenden Phraſen zu behelfen. Da aber mit
dieſen den türkiſchen Frauen wenig genützt werden dürfte, ſo will
ich mich ihrer enthalten, um zu anderen Dingen überzugehen.
Der Orient ſcheint mehr geeignet, den Sinn für das Ueber-
triebene, das Maaß des Schönen Ueberſchreitende zu nähren, als
der Occident; man erinnere ſich der coloſſalen Kunſtwerke aus der
Blüthezeit Egyptens, des früheſten Auftretens der Asceten und
Anachoreten u. ſ. w. So hat auch die höchſte Ungebundenheit der
Frauen, wie ſie in der Stadt des Kröſus und des Xerxes vor-
herrſchte, dort mit ihrer vollſtändigen Abgeſchloſſenheit wechſeln kön-
nen. Es würde hiſtoriſch nicht unintereſſant ſein, den Motiven
nachzuſpüren, durch welche Mohammed und ſeine Muſelmänner zu
ihrer Frauen-Despotie gelangt ſind. Anſtatt einer hiſtoriſchen Di-
greſſion, die an dieſem Orte zu weit führen würde, beſchränke ich
mich darauf, die zu einer ſolchen Geneigten auf die Art und Weiſe
hinzuleiten, in der ein Orientale etwa den Uranfang mancher tür-
kiſchen Mißbräuche aufſuchen könnte. – Nach der heiligen Sage
im Vendidad ſchuf Ormuzd den Ort der Anmuth auf dem
Hochlande Iran’s, im Quellengebiete des Oxus und Jaxartes.
Die Sonne, welche den Winterfroſt und die Schneemaſſen auf
den Bergen ſchwinden macht, die Morgenröthe, welche die Ne-
bel der Nacht vertreibt, das auflodernde Feuer, der irdiſche Ab-
glanz der himmliſchen Lichtkraft, in deſſen aufſteigender Flamme
der Zug der Menſchenſeele zu der ewigen Lichtquelle ſymboliſch an-
gedeutet iſt, wurden von den Hirtenvölkern Oſt-Iran's, wie von
den Ariern am Indus als göttliche Weſen verehrt. Aber der Bö-
ſes ſinnende Ahriman verdarb die Welt durch die Nebel des
Winters, durch Schneefälle und Waſſerfluthen, ſo, daß die Kälte
– 278 -
in der Erde Herz drang. Im Reiche Turan, im kalten, nebeli-
gen Norden, wo das Leben aufhört, und im Weſten, am Un-
tergange der Sonne, von woher der Steppenſand die Fruchtthäler
von Baktrien und Sogdiana verſchüttete, da herrſchten nun die
böſen Geiſter in Höhlen und Schlünden, ſtets bedacht, den Men-
ſchen das „böſe Auge“ anzuthan, – da iſt das Land der Finſter-
niß, der Nacht, des Todes *). – Wie weit die Herrſchaft des
„böſen Auges“ – des Malocchio der Neapolitaner – in un-
ferem mit ſeiner Erleuchtung prunkenden Jahrhundert noch über
die Phantaſie der Naturmenſchen hinreicht, bewies u. A. bei dem
feſtlichen Einzuge der italieniſchen Armee in Paris, am 14. Auguſt
1859, die von den Turko's entfaltete Fahne, welche neben dem
Halbmonde die ausgeſtreckte Hand darbot, die den „böſen
Blick“, das „böſe Auge“ abzuwenden beſtimmt iſt. – Aus
jenem Reiche Turan ſind nun auch die ſeldſchukiſchen und osma-
niſchen Stämme hinabgeſtiegen in die ſonnenreichen und fruchtbaren
Thäler Kleinaſiens, um den heimathlichen böſen Geiſtern zu ent-
fliehen. Aber die böſen Geiſter der Despotie über die mit gleichen
Rechten gebornen Frauen, ſowie des Durſtes nach dem Blute an-
dersglaubender Menſchen, haben ſich an ihre Ferſen geheftet und
verfolgen ſie bis heute, nachdem der Koran beide gleichſam heilig
geſprochen hat.
Mit der regen Sorgſamkeit für die Erhaltung des eigenen
Lebens, mit der aufmerkſamen Pflege, welche ſie ſelbſt ihrem Vieh
angedeihen laſſen, ſteht der grauſame Charakterzug der Türken in
ſchneidendem Contraſte, welcher ſie das Leben ihrer Mitmenſchen
mißachten oder mit Leichtigkeit opfern läßt. Wenn irgend etwas
ihre aſiatiſche Abkunft bezeugt, ſo ſind es die unſäglichen Grau-
ſamkeiten, welche ſie auf ihren Eroberungszügen gegen wehrloſe
Männer, Weiber und Kinder begangen haben, jene Sucht, menſch-
liche Weſen zu vertilgen, in deren Folge noch heute weitgedehnte
Länderſtrecken in Europa und in Aſien menſchenleer und wüſt lie-
gen, welche ſonſt von Tauſenden betriebſamer und glücklicher Ein-
wohner bebaut wurden. Des grauſamen Tamerleng menſchenver-
tilgende Züge, die ihm den Beinamen „Geißel Gottes“ zugezogen
*) Vergl. Georg Weber, allgemeine Weltgeſchichte. 1. Bd. Leipzig, 1857.
S. 331-32.
– 279 -
haben, waren von der gegenwärtigen Generation beinahe vergeſſen,
als die furchtbaren Grauſamkeiten der wuthentbrannten Hindus
nnd Mohammedaner in Bengalen ſie 1857 wieder auffriſchen muß-
ten. Auch ſie würden wahrſcheinlich Pyramiden von engliſchen
Schädeln gebaut haben, wenn dieſe zahlreich genug dazu geweſen
wären. Lange vor dem gräßlichen Timur hatten ſchon die Türken
dergleichen Pyramiden aus den Schädeln der Kreuzfahrer erbaut,
welche Peter von Amiens bei ihrem erſten Zuge von Gemlik nach
Nicäa führte. Die heiße Sonne Aſiens ſcheint dort, wo der Tiger
hauſt, etwas Tigerähnliches in dem Hirn der Menſchen auszubrü-
ten, welches durch europäiſche Cultur wohl übertüncht, aber nicht
vertilgt werden kann. Nena Sahib wußte ſich in den geſell-
ſchaftlichen Cirkeln der Engländer vollkommen als europäiſcher Gent-
leman zu benehmen; dennoch übertraf bald darauf ſeine entfeſſelte
Grauſamkeit Alles, was ſeine roheren Landsleute der Art erdenken
mochten. Man täuſche ſich darüber nicht; wäre es denkbar, daß
ein neuer Suleiman oder Bajazid A)ilderim aus dem ſchwächlich
gewordenen Herrſchergeſchlechte der Osmanen hervorginge, ſo würde
es ihm leicht werden, die große Maſſe der heutigen Türken zu
ähnlichen Metzeleien und Abſchlachtungen zu entflammen, durch die
jener ſein Andenken beſudelt hat. Fordert doch ihr höchſtes Geſetz-
bnch, der Koran, oft wiederholt zur Vertilgung der Ungläubigen
auf; ſchon dadurch iſt ſein Urſprung aus aſiatiſchem Boden blutig
gewährleiſtet. Naturam furca expellas – –
Umgekehrt verhält vs ſich mit der ſtolzen Schwerbeweg-
lichkeit, welche den meiſten wohlhabenden Türken der jetzigen Zeit
eigenthümlich iſt. Nur durch eine äußerſt thatkräftige Beweglichkeit
konnte es ihnen ehedem gelingen, die erſchlafften Griechen in Aſien
und Europa niederzuſchlagen. Die Sprache der Hände indeſſen,
welche der Neapolitaner bis zur höchſten Vollkommenheit, ja bis
zur Grimaſſe ausgebildet hat, kannte der Türke wahrſcheinlich nie.
Leſſing, der auf dieſe Cheironomie für den Dramaturgen ſo
großen Werth legte, würde in Verzweiflung geweſen ſein, wenn
ihm die Anfgabe geſtellt worden wäre, aus den Türken einen ſol-
chen hervorzuſuchen. Unbeweglich auf den Ferſen hockend, findet
er, falls er wohlhabend genug iſt, ſich ununterbrochen bedienen zu
laſſen, eine ſeine Aufmerkſamkeit ſtark in Anſpruch nehmende An-
ſtrengung des Tages darin, ſorgfältig jede Körperbewegung zu ver-
– 280 –
meiden. Das wichtige Geſchäft des Tabakrauchens und des Kaffe-
trinkens erhält einen eigenen Diener in Athem, der ſo abgerichtet
iſt, daß er die Pfeife und die kleine Kaffeſchale in einer Weiſe
darreicht, welche die Hand des Herrn in möglichſter Ruhe zu ver-
harren erlaubt. Ein türkiſches Sprichwort lautet: „Sprich ge-
rade – ſitz krumm“. Man will dadurch andeuten, daß man
auch im Sitzen vermöge, höher ſtehenden Männern Verbindlichkeit
zu äußern, ohne daß man ſich dabei zur Lüge herabwürdigen ſoll.
Ein anderes bemerkenswerthes Wort der Orientalen lautet: „Es
gibt eine Alchemie des Betragens, die Alles in Gold
zu verwandeln im Stande iſt.“ Mohammed huldigte vielleicht
zum Theil einer diätetiſchen Rückſicht, wenn er das fünfmal am
Tage zu verrichtende Gebet anordnete; es fordert wenigſtens eine
kurze Bewegung und das dabei vorgeſchriebene Berühren des Bo-
dens mit der Stirn würde ſelbſt einen ſtets beweglichen weſteuro-
päiſchen Touriſten in Verlegenheit ſetzen. – Die Bewegung der
Füße zum Tanze würde für einen Türken in hohem Grade unan-
ſtändig ſein. Ich erinnere mich nicht, jemals einem fußreiſenden
Türken begegnet zu ſein, wenn er nicht etwa Thiere vor ſich her
zu treiben hatte. Er reitet und benutzt dazu nur das Pferd; Ka-
meel und Eſel überläßt er gern den Frauen. Und doch iſt er gro-
ßer Körperanſtrengungen fähig, wenn ihn die Noth dazu treibt.
Die türkiſchen Laſtträger (Hamals) ſchleppen enorme Laſten auf den
Schultern oder auf dem Rücken durch die eng gewundenen, ſchlecht
oder gar nicht gepflaſterten Gaſſen Conſtantinopels bergauf und
bergab, mit tauſend Hinderniſſen kämpfend. Die Barkenführer des
Bosporus und des goldenen Horns dürfen ſich dreiſt an Kraft und
Geſchwindigkeit mit den Venetianern meſſen, die in ihren Lagunen
keine Schwierigkeiten zu bekämpfen haben, die ſich mit der Gewalt
des Stromes aus dem ſchwarzen nach dem Marmara-Meere, oder
mit dem Nordoſtſturm, der von erſterem aus nicht ſelten hinein
bricht, vergleichen ließe. Die türkiſchen Soldaten marſchiren nöthi-
genfalls mit den meiſten europäiſchen Truppen um die Wette, und
hungern zur Faſtenzeit dabei noch den ganzen Tag. Augenſchein-
lich iſt es das übel verſtandene, ſtolze Bewußtſein des Eroberers,
welches den eingebildeten Türken veranlaßt, Alles, was der Arbeit
und Mühe ähnlich ſieht, dem Ureinwohner des eroberten Landes
zu überlaſſen, der in ſeinen Augen wenig über dem Sclaven erhaben
– 281 –
iſt, da er ihn ja täglich dazu machen könnte, wie dies dem aſiati-
ſchen Eroberer allenthalben zuſteht.
Welche Ausdauer im Ertragen von Körper-Anſtrengungen und
Hunger der türkiſche Soldat beſitzt, hat der letzte Orient - Krieg
mehrfach dargethan. Die erſten zur öffentlichen Kunde gekommenen
Beweiſe von muthiger Ausdauer und Tapferkeit lieferte bekanntlich
während des ſtrengen Winters 1854 – 55 das bei Kalafat in
Erdhöhlen lagernde türkiſche Corps, welches, unter der Führung
des polniſchen Grafen Ilinski, endlich die Ruſſen nöthigte, die kleine
Walachei zu verlaſſen. Die berühmt gewordene Vertheidigung von
Siliſtria, die großentheils von Erdwerken aus geführt werden
mußte und die den Abzug der Belagerer zum Reſultate hatte, folgte. Die
türkiſchen Artilleriſten, befehligt von dem aus der preußiſchen Schule
hervorgegangenen trefflichen Oberſten Grach, verdienen hier eine
beſonders rühmliche Erwähnung. Das Höchſte aber, was unter
ſolchen Umſtänden von Menſchen erwartet werden darf, die wäh-
rend einer ſechsmonatlichen Belagerung, unter einem rauhen win-
terlichen Himmel, mit Mangel an Subſiſtenzmitteln aller Art käm-
pfen, hat die türkiſche Garniſon von Kars unter dem tapferen
General Williams geleiſtet. Nicht eher öffnete ſie dem Feinde
die Thore, als bis Hunderte von Verhungerten den erſtarrten Bo-
den bedeckten. Die dem Tode nahen, kraftlos Hingeſtreckten ver-
weigerten den eingedrungenen Ruſſen ſogar die Annahme von Spei-
ſen, auf die in gleichem Zuſtande daliegenden Frauen und Kinder
zeigend. Mr. H. Sandwith *) hat ſich ein weſentliches Verdienſt
durch die Aufbewahrung der Einzelnheiten dieſer glänzenden Ver-
theidigung erworben, die eines beſſeren Erfolges würdig geweſen
wäre. – Aber auch ohne dieſe hervorragenden Züge würde es feſt-
ſtehen, daß der heutige türkiſche Soldat, obgleich ihm die fanatiſche
Wuth früherer Jahrhunderte gegen Ungläubige abgeht, dennoch un-
ter einer intelligenten und energiſchen Führung hinter dem Militär
anderer Nationen ſchwerlich zurückſtehen würde. Wenn Frankreich
es verſtanden hat, Turko’s aus Afrika auf europäiſchem Boden
mit großem Nutzen für ſich fechten zu laſſen, warum ſollte die Tür-
kei nicht Aehnliches vermögen, der es in der That an dem natio-
nalen Material zu Turko's noch weniger fehlt. Aber ihr mangeln
*) A Narrative of the Siege of Kars. Third edit. London, 1856.
- 282 –
die wiſſenſchaftlich gebildeten Offiziere, um dergleichen Pläne zu rea-
liſiren. Schon der Umſtand, daß der Sultan einen zum Islam
übergetretenen Chriſten, Omer Paſcha, wählte, als er 1855 ſei-
ner Armee einen Serdar vorſette, ſpricht für jenen Umſtand, – eine
Wahl, der in früheren Jahrhunderten ähnliche Beiſpiele zahlreich voran-
gegangen ſind. Die in Conſtantinopel errichtete Kriegsſchule genügt
nicht; blos die Artillerie-Schule, an welcher preußiſche Offiziere leh-
ren, hat die türkiſche Artillerie auf einen reſpectabeln Fuß gebracht.
– Die irregulären türkiſchen Truppen, die Baſchi - Bozuks,
haben in dem letzten Kriege ſo viele Beweiſe von Indisciplin und
Widerſetzlichkeit gegeben, daß Omer Paſcha ſich zuletzt nothge-
drungen ſah, ſie gewaltſam aufzulöſen. Hiernach durchſtreiften ſie
in Banden das Land, um chriſtliche Unterthanen des Sultans zu
plündern. Ich habe in der Dobrudſcha die Brandſtätten der Häu-
ſer geſehen, welche ſie, vor den Koſaken fliehend, angezündet hatten,
um bequemer rauben und morden zu können (vergl. Th. 1, S. 248).
Noch im Herbſt 1856 trieben Einzelne von ihnen das Banditen-Hand-
werk. Mir iſt nicht bekannt geworden, ob man Maßregeln ergriffen hat,
um ähnliche tief eingreifende Uebelſtände für die Folge zu vermeiden.
Nach den letzten Nachrichten beſtand 1858 die reguläre Armee
aus 178,680 Mann, die Reſerve, Redifs, aus 125,880 Mann.
Hierin ſind die Hülfstruppen aus den tributpflichtigen Provinzen
und aus jenen Gegenden nicht mitgerechnet, welche dem Rekruti-
rungs-Geſetze noch nicht unterworfen ſind; dieſe ſchlägt man, mit
den irregulären Truppen zuſammen, auf 100- bis 110,000 ſtreit-
bare Männer an. Welche Zuverläſſigkeit den letzteren beigemeſſen
werden darf, wird ſich danach richten müſſen, ob man ſich in den
Stand geſetzt ſieht, durchgreifende Verbeſſerungen bei ihnen eintre-
ten zu laſſen. Leider ſcheitern hier gute Vorſätze nur zu oft an
dem traurigen Zuſtande der Finanzen. Dieſem letzteren hat wohl
auch das Mißlingen der Expedition Omer Paſcha's nach Georgien
und Lesghien zugeſchrieben werden müſſen.
Ueber den gegenwärtigen Zuſtand der türkiſchen Kriegs-Marine
ſind mir nähere Aufſchlüſſe nicht zugänglich geworden. Ihr letztes
Zuſammentreffen mit der ruſſiſchen Flotte zu Sinope lief bekannt-
lich für ſie ſehr unglücklich ab, indem man ſich in ſchlecht gewähl-
ter Stellung überfallen ließ. Aber im Allgemeinen ſtehen die tür-
kiſchen Schiffsführer auf einer ſehr niedrigen Stufe der Ausbildung;
auch fehlt es ihnen oft an den nöthigſten Inſtrumenten und Kar-
ten, oder man weiß ſich dieſer nicht zu bedienen. Unter den zahl-
weichen traurigen Folgen hiervon zeichnete ſich noch neuerdings, im
Juni 1859, ein Schiffbruch des Dampfers „Siliſtria“ aus, der
offenbar nur durch die Unwiſſenheit und Barbarei des türkiſchen
Capitäns herbeigeführt, 77 Paſſagierea das Leben koſtete*). Die
einzelnen hiermit verbundenen Umſtände ſind im höchſten Grade
empörend und ſollten Jeden, für den ſein Leben noch einigen
Werth hat, warnen, ſich irgend einer türkiſchen Schiffsführung an-
znvertrauen.
Die Sorgloſigkeit der Türken, ein unvermeidlicher Sprößling
ihres Schickſalsglaubens, offenbart ſich in den Ruinen alles Gro-
ßen und Schönen, was ihnen durch Eroberung jemals in die Hände
fiel. Ein wahrhaft zum Himmel ſchreiender Beweis für den hohen
Grad derſelben, den die neueſte Zeit geliefert hat, iſt die Pulver-
Exploſion auf Rhodus, welche dort am 6. November 1856 einen
großen Theil der Hauptſtadt der Inſel zerſtörte und den Verluſt
von 800 bis 1000 Menſchenleben herbeiführte, – ein um ſo tiefer
eindringendes Unglück, als ſich die geängſtigten Bewohner damals
von dem Jammer noch nicht erholt hatten, den drei Wochen früher
das Erdbeben über ſie brachte. Und die Veranlaſſung zu dieſem
namenloſen Unheil? Es klingt faſt unglaublich, iſt aber doch wahr,
daß ſeit der Eroberung von Rhodus durch Suleiman (1647) in
dem Glockenthurne der auf der Spitze des Hügels liegenden Jo-
hanniskirche 6000 Centner veretianiſchen Pulvers lagerten. Dieſer
Thurm iſt der erhabenſte Punkt der ganzen Gegend; er war frü-
her ſchon zweimal vom Blitz getroffen worden, – er hatte durch
die Erdbeben tiefe Riſſe bekommen, – vor nicht langer Zeit hatte
ein aus Conſtantinopel kommender Coinmiſſar es für die Stadt
gefahvvoll erklärt, dort ſo viel Pulver aufgeſpeichert liegen zu laſſen.
Bergebens; die Localbehörden blieben allen Vorſtellungen unzugäng-
lich; – endlich drang denn der Blitz bis in das Gewölbe des
Thurmes und veranlaßte die Kataſtrophe, deren Folgen die Be-
hörde nachher möglichſt glimpflich darzuſtellen ſuchte, indem ſie blos
3000 Centner Pulver und 100 Menſchenopfer der Exploſion, eine
Kleinigkeit, zugeben wollte. – Doch nicht genug! Noch jetzt ſollen
*) Nach der „Preſſe d'Orient“ von Conſtantinopel.
– 284 –
drei große und mehrere kleine Pulvermagazine der Stadt 20- bis
25,000 Centner Pulver enthalten. Ein türkiſcher Ingenieur hat
dies für gefahrlos erklärt, weil – die Mauern der Gewölbe ſtark
ſeien. – Eine der Wahrheit näher liegende Erklärung ſcheint je-
doch darin zu liegen, daß die Aufſeher dieſer Magazine in wenigen
Jahren reiche Leute zu werden pflegen, – indem ſich die bedeu-
tende Quantität des „jährlich verfliegenden“ Pulvers nicht genau
berechnen läßt *). -
Der in den unzähligen Brand- Zerſtörungen Conſtantinopels
liegende Beweis für jene unheilbare Sorgloſigkeit iſt um ſo ſchla-
gender, als er ſich unter den Augen des Sultans und der Cen-
tral-Regierung ſelbſt alljährlich wiederholt erneuert. Unter Se-
lim II. (etwa 1569) brannte das Feuer in Conſtantinopel ſieben
Tage lang. Man würde es komiſch finden müſſen, wenn es nicht
zugleich gar zu niederdrückend wirkte, daß bis in die jüngſte Zeit
die Löſch-Mannſchaft Conſtantinopels aus Maurern und Zimmer-
leuten beſtand, in deren dringendem Intereſſe es liegt, daß mög-
lichſt viele Neubauten nöthig werden möchten.
Volksmedicin. – Wenn es wahr iſt, was der verdienſtvolle
Tiſſot *) von dem Einfluſſe der Quackſalberei auf Verminderung
der Menſchenzahl ſagt, ſo würde ſich die Abnahme dieſer unter den
Mohamedanern um ſo leichter erklären laſſen. „Il me reste
à parler d’un fleau, qui fait plus de ravage, que
tous les maux que j'ai d’écrits, et qui, tant qu'il
subsistera, rendra inutiles toutes les précautions
qu'on prendra pour la conservation du peuple; ce
sont les Charlatans.“ – Seit Jahrhunderten eingewurzelte
Vorurtheile ſind die Mutter jener unter den Türken in Europa
und Aſien allmächtig herrſchenden Quackſalberei. Dr. L. Rigler*)
hat ſich das Verdienſt erworben, ſie unter dem beſchwichtigenden
Namen der „Volksmedicin“ nach allen ihren mannigfachen
mäandriſchen Windungen zu verfolgen und ſie ſyſtematiſch zu ca-
*) Vergl. Weſtermann's illuſtrirte deutſche Monatshefte. April 1857.
S. Z6.
*) Avis au peuple sursa santé. 5. édit. T. II. Lausanne, 1770.
pag. 302.
*) A. a. O. Bd. I. S. 351 u. f.
– 285 –
talogiſiren. Man darf hierbei nicht vergeſſen, daß Mohammed,
der Prophet, auch als Arzt bei den Seinigen bereits viel gegolten
haben ſoll*).
„ Vielen gab er das Heil durch ſeine berührenden
Hände,
Von des Wahnſinns Joch rettet er Vielen das
Haupt.“
Al Buſſiri im Lobgedicht Al Borda*).
So hat denn Mohammed früh ſchon die Sitte geübt, welcher
in ſpäteren Jahrhunderten auch die Könige von Frankreich und Eng-
land folgten.
Die von Hrn. Dr. Rigler mit ſeltener Ausdauer angeſtell-
ten Beobachtungen der Art ergeben ein ſo vollſtändiges Reſultat,
wie es früherhin noch nicht zur allgemeinen Kunde hatte gelangen
können. Der für ſolche Studien empfängliche Leſer möge ſich da-
her für dieſe Gegenſtände der Lectüre des angeführten Ortes zu-
wenden. Für den kalt betrachtenden Sachkenner erſcheinen ſie nicht
ſelten ergötzlich; für den lebhaft empfindenden Menſchenfreund müſ-
ſen ſie jedoch zu tiefer Trauer über die gigantiſche Macht des Vor-
urtheils, dem geſunden Menſchenverſtande gegenüber, hinreißen.
„Quid miserius misero non miserante se ipsum!“
Vor alten Zeiten übte Montpellier das Recht, die Char-
latans, welche ſich in der Stadt betreten ließen, mit der Strafe
zu belegen, welche ſeiner Zeit ein deutſcher Kaiſer dem Abt von
St. Gallen angedroht haben ſoll, d. h. man ſetzte den Charlatan
auf einen Eſel, mit dem Geſichte gegen deſſen Schwanz, und führte
ihn unter dem Hohngeſchrei der Gaſſenbuben durch alle Straßen
der Stadt; während dieſer Promenade wurde er reichlich durch
Kothwürfe decorirt*). Dieſer nützliche Gebrauch iſt den Uni-
verſitäts-Städten ſeitdem abhanden gekommen, obgleich er ihnen in
glänzenden Reſidenzen auf gleiche Weiſe, wie in den beſcheidenern der
Provinz noch heute vielleicht wohlthätig ſein könnte. „Vielleicht“!
*) S. Reiske et Fabri opuscula medica ex monumentis Ara-
bum. Halae, 1776. pag. 13 sq.
*) v. Hammer, Conſtantinopolis und der Bosporos. 1. Bd. Peſth,
1822. S. LXVI.
*) Vergl. Tiſſot a. a. O. S. 314.
– 286 –
Der Unverſtand pflegt dergleichen Beſtrafte zu Märtyrern zu ſtem-
peln; er umgibt ihr Haupt mit einem myſtiſchen Heiligenſchein.
Durfte doch Racine es wagen, Ludwig XIV. um das Verbot
ſeiner Schriften zu bitten, „damit ſie um ſo fleißiger ge-
kanft werden möchten!“ Können wir es dem rohen Türken
verargen, wenn ihm die ſpitze Mütze eines Derwiſches mehr Ver-
trauen einflößt, als irgend ein weſteuropäiſches Diplom, von deſſen
Bedeutung ihm jede Ahnung abgeht? Der Derwiſch erſcheint ihm
aber als ein Menſch, bei dem er einige, wenn auch noch ſo ſchwache,
Geiſtes-Cultur vorausſetzen darf, der alſo über ihm ſteht. Wie
wollten wir es auch wagen, in dergleichen Dingen über die Türken
zu Gericht zu ſitzen, wenn gleichzeitig das hochgebildete Europa mit
Amerika um den Vorrang in Begünſtigung der Quackſalberei ſtrei-
tet? In keiner früheren Zeitperiode hat ſie es wagen dürfen, die
längſten Spalten der öffentlichen Blätter mit ekelhaften Anpreiſun-
gen alltäglich zu füllen, die jedem Menſchenverſtande frech Hohn
ſprechen, die aber damit endigen, ihre Verfaſſer in kurzer Friſt zu
reichen Geldmännern zu erheben, – nicht etwa durch Beiträge,
die aus den urtheilsloſen unterſten Volksſchichten allein hervorſtei-
gen, ſondern die ſelbſt aus maaßgebenden Regionen herabfließen.
Dies ſind die Auswüchſe jener Cultur, welche wir neuerdings den
Türken einzuimpfen wünſchen. Bedauernswerther Tiſſot !
„Ach, was giebt es der Eſel noch viel, die,
gleißenden Worten gläubig zu trauen geneigt, fiche-
rem Verderben ſich weih'n.“
Carl Simrock. Die Eſelbeichte.
Einer näheren Unterſuchung dürfte hierbei der bemerkenswerthe
Umſtand nicht unwürdig ſein, daß ſelbſt der eingefleiſchte Fatalis-
mus, welcher ſeine Bekenner die ſeidene Schnur des Padiſchah in
ſtiller Ergebung um den Hals legen läßt, die Feuersbrunſt mit
untergeſchlagenen Armen das Eigenthum wegfreſſen ſieht, dem aus
gebornen rein menſchlichen Inſtinct nicht zu widerſtehen vermag,
vermöge welches jedes durch Krankheit bedrohte Leben – mit ſel-
tenen Ausnahmen – um Hülfe ſchreit. Wenn der Verfaſſer des
„Malade imaginaire“ bei leichten Uebeln nicht ſchnell genug Aerzte
um ſein Bett verſammeln konnte, ſo läßt ſich das allenfalls erklä-
ren. Der ſpöttelnde Molière war kein Fataliſt. Wenn aber
der in den Willen Allah's ſo leicht ſich ergebende Türke bei jedem
– 287 –
Anlaſſe nach kindiſchen Mitteln haſcht, die das körperliche Verder-
ben abwenden ſollen, ſo dürfte dies mehr für den dem Menſchen
tief eingepflanzten Selbſterhaltungstrieb ſprechen, als alle philoſo-
phiſche Deductionen.
Man ſollte kaum glauben, daß die meiſten Bazars und Be-
ſestans irgend einen weiſen Mann beherbergen, der die ſchwarze
Kunſt oder den nicht ganz ſo nebelvollen Magnetismus übt, ja,
daß deſſen Manipulationen denen der weſteuropäiſchen Magnetiſeurs
nicht unähnlich ſind, obgleich er mit dieſen niemals in Verbindung
geſtanden hatte. Nur iſt der Orientale von der Würde und der
Wirkſamkeit ſeines Berufes mehr durchdrungen, als dieſe es zu
ſein pflegen. Hr. Charles White *) beobachtete einige dieſer
Männer. Sie bedienten ſich entweder eines Glaſes Waſſer, des
Schulterblattknochens eines Schafes, eines magnetiſirten Meſſers
u. dgl.; auch ſpielt der türkiſche Roſenkranz dabei bisweilen eine
Rolle, indem ſeine Kugeln zwiſchen den Fingern hindurchgleiten,
während ihr Beſitzer ſich, die Augen nach oben wendend, bedeckt.
Es werden auch Striche mit der Hand von der Stirn über die
Bruſt nach abwärts geführt und zuletzt, wenn der Hülfeſuchende
körperlich leidend iſt, ein Abſchnitt des Korans, der von Hexen und
böſen Geiſtern handelt, leiſe in's Ohr geſprochen. Meiſtens ſind
es aber geſtohlene oder abhanden gekommene Gegenſtände, die ver-
lorene Gunſt des Eheherrn, der gewünſchte Abſchluß eines zarten
Bündniſſes u. dergl., welche gläubige Frauen durch den Aſtrologen,
Magnetiſeur, oder Beſchwörer von Dämonen und Hexen, zu erlan-
gen wünſchen.
Die langen und ſtrengen Faſten der Muſelmänner werden
die Veranlaſſung, daß unmittelbar nach dem Aufhören derſelben
unmäßige Mahlzeiten verzehrt werden, woraus zahlreiche Unterleibs-
Krankheiten hervorgehen, um ſo mehr, als der Türke es liebt, zugleich
Stunden lang auf den Ferſen zu hocken. – „Der Araber ißt
ſich ſatt, der Türke frißt ſich ſchachmatt.“ So heißt es
in dem türkiſchen „Ogus name“, dem Worte „der Väter“.
Literatur der Türken. – Schon Murad II. begünſtigte
Literatur und Dichtkunſt, indem er in ſeinen beiden Reſidenzen,
Adrianopel und Bruſſa, neben den Moſcheen auch Collegien ſtif-
*) Three years at Constantinople. Vol. I. pag. 15–22.
– 288 –
tete und zweimal wöchentlich Gelehrte und Dichter um ſich ver-
ſammelte. Doch erſt unter ſeinem Sohne Mohammed II. trat
für die Türken die Blüthezeit ihrer Literatur ein. Der Eroberer
Conſtantinopels vermochte den Eindrücken des Glanzes, welchen
dort die Künſte ausgebreitet hatten, nicht zu widerſtehen. Als er
bei ſeinem erſten Eintritte in die Aja Sophia, erſtaunt über den
Triumph, welchen Architektur und künſtleriſche, reiche Ausſtattung
in ihr feierten, einen Soldaten beſchäftigt fand, den marmornen
Fußboden aufzubrechen, hieb er ihn mit eigner Hand nieder; nnd
als ſpäter der Architekt, welchem er den Bau ſeiner Moſchee in
der jüngſt eroberten Stadt auf dem Grunde der Kirche der heil.
Apoſtel aufgetragen hatte, eine ihm überwieſene Granitſäule von
ſeltener Höhe verkürzte, ließ er ihm beide Hände abhauen. Wenn
jene Strafen auf der einen Seite die Macht der aſiatiſchen Bar-
barei andeuten, welche ſich in ſeiner Bruſt erhielt, ſo laſſen ſie
auf der anderen doch auch zugleich den achtunggebietenden Eindruck
nicht verkennen, den der Anblick von Kunſtwerken in ihr hervorge-
bracht hatte. Die Ueberreſte höherer humaner Cultur, welche die
griechiſchen Gelehrten bei ihrer Flucht nach Italien in dem zerſtör-
ten Conſtantinopel zurückgelaſſen hatten, reichten noch hin, in den
eingedrungenen Barbaren eine Hinneigung zu ihr anzufachen. Mo-
hammed ſuchte Gelehrte wieder herbei zu ziehen, ohne Rückſicht
auf ihre Religion und Herkunft, Griechen und Italiener, wie Per-
ſer, Araber und Türken. Die neue Moſchee wurde mit acht Colle-
gien und eben ſo vielen Gebäuden zur Aufnahme von Schülern
ausgeſtattet. Mohammed, der arabiſch und perſiſch verſtand, be-
ſoldete die Lehrer reichlich und beförderte ſie zu den höchſten Staats-
ämtern. Freilich war die hier gepflegte Literatur nicht die abend-
ländiſche, ſondern die perſiſche und beſonders die arabiſche, welche,
ſchon früher durch die Omejaden nach Spanien übertragen, von
dort aus ſo befruchtend auf das Abendland gewirkt hatte.
Unter Bajazid II., dem Sohne Mohammeds, erfreuete ſich
die Literatur fortwährender Förderung; der Sultan war, ebenſo
wie ſein Bruder Dſchem, ſelbſt Dichter. Er beſoldete zuerſt einen
Reichs-Geſchichtſchreiber und einen Hofdichter. Daſſelbe war unter
Selim I. der Fall, der in perſiſcher Sprache, ſowie ſein Bruder
Korkud in türkiſcher, dichtete.
Ihre höchſte Blüthe erreichten die Wiſſenſchaften bei den Türken
– 289 –
jedoch erſt da, als ſie von der Sonne der höchſten politiſchen
Machtentwicklung unter Suleiman I. befruchtet wurden. Die
zarte Pflanze bedarf des wohlthätig erwärmenden Schutzes zu ihrem
Gedeihen allenthalben. -
Snleiman vereinigte das Talent des Herrſchers mit dem
des Dichters in ausgezeichnetem Maaße. Seine Gedichte ſind durch
inneren Werth vor dem Tode bewahrt worden, als dieſer längſt
ſchon den Sultan ereilt hatte. Zahlreiche und gute Ueberſetzungen
aus dem Arabiſchen und Perſiſchen machten den Türken die fremde
Literatur zugänglich. Eine Sammlung von Geſetzen bildete von
da ab die Grundlage der osmaniſchen Staatsverwaltung; ſie be-
ſteht in ihren Hauptformen noch heute. Die Bücherliebe nahm ſo
zu, daß der Großvezier Ruſtem Paſcha allein über achttauſend
Korane, von verſchiedenen Meiſtern geſchrieben, hinterließ. Auch
die Sultaninnen bauten Collegien.
Mit Suleiman’s Tode, im Jahre 1566, begann eine bei-
nahe hundertjährige Periode des Stillſtandes in der Machtſtellung,
wie in der Literatur der Türken. Sie fing mit Selim II. an
und ſchloß mit dem kräftigen Murad IV. In dieſer Periode leb-
ten Saadeddin, der größte Geſchichtſchreiber, Abdalbaki, der
größte Dichter, welche im Jahre 1599 n. Chr. ſtarben, und Had-
ſchichalfa, Geograph und Hiſtoriker, der gegen den Abſchluß die-
ſes Zeitabſchnittes blühte. Ihr folgt unter Ibrahim, von 1640
an, die Periode des Sinkens des Staates und ſeiner Einrichtun-
gen. Zwar fand unter Ahmed III. im Jahre 1727 die Einfüh-
rung der Buchdruckerei ſtatt, mit der man auch anfing, einige Notiz
von abendländiſchen Sprachen zu nehmen, wozu die fremden Ge-
ſandtſchaften das Meiſte beitrugen. Sogar ein Meiſter in der
Muſik, Kutſchuk Murſin, gelangte 1695 durch ſie zu politiſchen
Ehrenämtern. Daß indeſſen die Druckerei keinen fruchtbaren Bo-
den gefunden hatte, beweiſt ihr Untergang nach zwölfjähriger Dauer.
Späterhin unter Abdul-Hamid und Selim III. wieder herge-
ſtellt, ging ſie 1807 nochmals bei der Entthronung dieſes Sultans
zu Grunde, der die Einführung abendländiſcher Cultur zum Miß-
vergnügen der orthodoxen Türken, beſonders der Janitſcharen, mehr-
fach begünſtigt hatte. Erſt Mahmud II. gelang es, ſie einige
Jahre ſpäter dauerhaft wieder herzuſtellen.
Regierungsformen der Osmanen. – Montesquieu hat
13
- 290 –
bekanntlich den Grundſatz aufgeſtellt, daß für die Orientalen, we-
gen ihrer Weichlichkeit und Arbeitsſcheu, der Despotismus die na-
türlichſte Regierungsform ſei; Hunderte von Schriftſtellern haben
ihm ſeitdem nachgeſprochen. So lange die tiefe Unwiſſenheit und
Barbarei der großen Mehrzahl der Muſelmänner fortdauert, dürfte
Montesquieu Recht behalten. Von dem Augenblicke an, der hu-
mane Bildung und wiſſenſchaftliche Erleuchtung über ſie zu ver-
breiten vermöchte, würde es ſich jedoch ſicherlich anders verhalten.
Ich folge dem trefflichen Volney *), wenn ich annehme, daß jene
Unwiſſenheit hauptſächlich dem Mangel an hinlänglich unterrichte-
ten Lehrern und der Schwierigkeit, ſich Bücher zu ſchaffen, geſucht
werden müſſe. Dem letzteren Mangel hat die gegenwärtige Regierung
bereits dadurch abzuhelfen getrachtet, daß ſie im Jahre 1859 die Ein-
fuhr der Bücher zollfrei machte. Dagegen hat ſie im Jahre 1857
ein Preß- und Cenſurgeſetz veröffentlicht, durch welches die Buch-
drucker unter Aufſicht der Polizei geſtellt und zugleich für Alles
verantwortlich gemacht werden, was ſie über fremde Staaten ſagen.
Seit Sultan Mahmud II. hat man den Nachtheil wohl erkannt,
der aus dem Mangel an tüchtigen Lehrern hervorgeht, aber – die
Abhülfe ſtößt auf unſägliche Schwierigkeiten, deren Beſeitigung,
falls man ſie ernſthaft verfolgen wollte, Jahrhunderte an Zeit for-
dern dürfte. Diejenigen, welche den Muſelmännern abendländiſche
Bildung beizubringen trachten, müſſen ſie vor allen Dingen nüch-
lern und frei machen von den Reſten ihrer ſpecifiſch religiöſen Be-
geiſterung; dadurch werden ſie aber zugleich entkleidet von dem,
was ihnen Jahrhunderte lang überwiegende rohe Thatkraft verlie-
hen hatte; der den ganzen Körper belebende Nerv ſoll abgebunden
werden, das trockene Skelet bleibt übrig. Wird die abendländiſche
Eultur ihnen jemals neues Leben einzuhauchen vermögen? Ich zweifle
daran ſehr, – und die große Mehrzahl der Männer, welche an
Ort und Stelle beobachtet haben, theilt dieſen Zweifel. Nicht, als
ob etwa den Türken Bildungsfähigkeit abgeſprochen werden ſollte;
die auf abendländiſchen Lehranſtalten Unterrichteten, ebenſo ihre
durch preußiſche Offiziere ausgebildeten guten Artilleriſten, haben
ſie „hewieſen. Aber die graße Maſſe des Volks iſt dieſer ihrem in-
nerſten Weſen völlig fremden Culturabhold; ſie ahnt inſtinemäßig,
- *) Voyageen Keypte ehren Sanie F-Ikpas. Sß-rºß.
– 291 –
daß jeder Schritt dieſer Cultur vorwärts eben ſo viel bedeutet, als
ein Rückſchritt des Türkenthums. Letzteren von ganzem Herzen zu
wünſchen, mag ſich das Abendland vollkommen berechtigt fühlen.
Nicht ſo der Muſelmann, den die ihm heiligen Erinnerungen auf
Zeitperioden einer verſchwundenen Macht und Herrlichkeit zurück-
weiſen, die allem abendländiſchen Weſen im höchſten Grade feind
war. Darum betrachten auch die orthodoxen Türken ihre gegen-
wärtigen Machthaber als Abtrünnige, als verkappte Chriſten. Das
Vertrauen zwiſchen Regierung und Regierten iſt dahin; die Bande,
welche die weithin ausgedehnten Provinzen des Reiches zuſammen
hielten, ſind gelockert. Das Volk grollt, die Regierung ſchwankt
durch häufigen Wechſel in der Beſetzung der oberſten Verwaltungs-
ſtellen hin und her; diplomatiſche Rathgeber benutzen ihren Einfluß
zunächſt im Intereſſe der von ihnen vertretenen Staaten, die be-
greiflich mit denen der Türkei ſelten Hand in Hand gehen kön-
nen, – öfter noch es gar nicht wollen. -
Eine Regeneration des bisher durch Chriſten aufrecht gehalte-
nen türkiſchen Staates, die vor allen Dingen England am Herzen
liegen muß, würde nicht von oben herab, ſondern nur von unten
herauf bewirkt werden können. Zahlreiche, über alle Dörfer und
Flecken verbreitete Schulen müßten die aufwachſende Generation durch
eifrigen Unterricht allmählig zur Civiliſation heranziehen. Wer ſoll
nun dieſe Tauſende von Lehrern ſchnell genug herbeiſchaffen? Ha-
ben die Regeneratoren wohl erwogen, daßJahrhunderte erforderlich
waren, um die Barbarei des Mittelalters zu vertilgen? – die
doch bis heute noch ihr Haupt an mehr als einem Punkte Europa's
ſtets von Neuem zu erheben trachtet. Schmeichelt man ſich etwa
mit der eiteln Hoffnung, daß der nordöſtliche Machtcoloß, der mit
unſäglichen Opfern von der Gränze der Türkei jüngſt um einen
ſchwachen Schritt zurückgedrängt worden iſt, Jahrhunderte lang den
ruhigen Zuſchauer der langſam vorwärtsſchreitenden Civiliſatign der
Türken machen werde? Iſt es nicht eine wahre Satyre auf die
elaſtiſche Theorie vom Gleichgewichte der europäiſchen Staaten, wenn
wman von vielen Seiten her Pläne und Entwürfe freundnachbarlich
herheitragen ſah, lyn Rußland das ihm unentbehrliche Eiſenhahnnetz
zu ſchaffen, durch deſſen Hülſees fortan ſeine Armeen mit größt-
möglichſter Eile an das ſchwarze Meer und die türkiſche Gränze
würde ſenden und ſchnell an jedem beliehigen Punkte ºtº con-
– 292 –
centriren können? Bis zu dieſem Augenblicke ſind weitgedehnte un-
fruchtbare Steppen und grundloſe Wege die ſicherſten Verbündeten
der Türkei; man hat jetzt das rechte Mittel entdeckt, ſie allmählig
in einer nicht fernen Friſt zu beſeitigen. Der ruſſiſche General
Gerebetzkow *) hat eine intereſſante Schrift veröffentlicht, die den
Titel führt: „Les trois questions du moment.“ Eine
dieſer Fragen betrifft die ruſſiſchen Eiſenbahnen. Der General ver-
ſichert, daß in zwei bis drei Jahren der Schienenweg von Ruß-
lands Weſtgränze mit der 400 Kilometer langen Eiſenbahn von
Niſchnei-Nowgorod in Verbindung gebracht ſein könne, und dann ein
Waarenballen von Paris durch Deutſchland und Rußland in zwan-
zig Tagen nach Taſchkend, dem Thore von Central-Aſien, werde
gelangen können. Auf der Wolga wird man von Aſtrachan bis
an die Oſtküſte des kaspiſchen Meeres zwei Tage brauchen. Die
ruſſiſche Regierung beabſichtige, einen 300 Kilometer langen Schie-
nenweg von dort nach dem Aralſee zu bauen. Dieſer wird mit
Schleppbooten befahren, indem man ſich an der Mündung des Syr-
Daria zu Bainsk einſchifft. Somit wäre dann der Karavanen-
Weg nach Afghaniſtan, Kandahar, Kaſchmir, Kabul bis Delhi er-
reicht. – Die Ausführung dieſer ungemein weitſchichtigen Plane wird
freilich noch geraume Zeit auf ſich warten laſſen; mit ihr würde
aber das engliſche Indien umgangen ſein. – Im Falle nun aber
Rußland durch innere Zerwürfniſſe, oder durch eine ſeinem bisher
entwickelten Charakter völlig fremde Langmuth dahin gebracht wer-
den ſollte, dem Gährungs- und Veredelungs-Proceſſe der Türkei
einige Jahrhunderte lang ruhig zuzuſchauen, ſo würde ſich doch
Aehnliches von dem Machthaber Frankreichs und von ſeinem ſtets
gährenden Volke nicht erwarten laſſen dürfen. Wenn Frankreich
jemals die gewaltige Idee, das mittelländiſche Meer zu einem fran-
zöſiſchen Binnenſee zu machen, zur Thatſache ſollte erheben wollen,
ſo würde es vor allen Dingen Egypten und die Weltſtraße zum
rothen Meere beſetzen und feſthalten müſſen. Der Ton, welchen
die franzöſiſche Regierung ſeit dem Orient-Kriege gegen die Türkei,
auffallend ſchon in Montenegro, deutlicher ſodann in Syrien, angeſchla-
gen hat, läßt mit Sicherheit erkennen, daß es ihr an einem plauſiblen
Grunde, die Hand nach Egypten auszuſtrecken und die verunglückte Un-
*) Vergl. S. 734 der illuſtr. Leipziger Zeitung v. 25. Juli 1857.
– 293 –
ternehmung des Onkels durch den kaiſerlichen Neffen dauerhafter aus-
führen zu laſſen, nicht fehlen würde. Nur möchte eine innigere Ver-
bindung mit Rußland, als die bisherige, vorangegangen ſein müſſen.
Man muß zwar anerkennen, daß auch in dieſer Hinſicht die wohlunter-
richteten Männer Frankreichs nicht immer die an maaßgebender Stelle
bei ihnen vorwaltenden Anſichten theilen; doch wiſſen ſie ſich zu fügen.
Mr. Hommaire de Helle*) hält u. A. nach eigener An-
ſicht der Sachlage die Auferweckung und Verbeſſerung des türkiſchen
Stammes für ausführbar und traut dieſem in ſolcher Hinſicht mehr
zu, als den chriſtlichen Stämmen. Er erachtet es ſogar dem In-
tereſſe Frankreichs für angemeſſen, die Türken in ihrer Erhebung
zu unterſtützen. Wahrſcheinlich wird er hierin eine „vox cla-
mans in deserto“ bleiben. Doch auch mit ſeiner Geſinnung
kann er ſich nicht enthalten, die unter den Barbaren zu Stande ge-
kommene Entvölkerung Kleinaſiens tief zu bedauern, wo eine Menge
Dörfer ebenſowohl als im türkiſchen Rumelien total verſchwunden
oder auf wenige Hütten herabgeſunken ſind. Wahrlich, die wan-
kende Türkei dürfte dreifache Urſache haben, ihren Neubelebungs-
Proceß gleichſam mit Dampfkraft vorwärts zu treiben, wenn ſie
den gegen ſie vielleicht ſchon heranreifenden Ungewittern gewach-
ſen ſein wollte. -
Wie dem auch ſei, die europäiſche Geſittung wird ſich nicht
mehr auf die Dauer verhindern laſſen, den von der Natur wunder-
bar reich ausgeſtatteten Theil Europa's und das ihm gegenüber lie-
gende noch reichere Kleinaſien einzunehmen, von welchen die Türken
ſie jetzt noch zurückhalten. Scheint es doch, als ob die Osmanen
ſich auf dem von ihnen eroberten Boden noch immer nicht heimiſch
fühlten, denn noch bis heute haben ſie nirgends Landſtraßen ge-
baut. Sie nennen einen zum Hals- und Beinbrechen eingerichteten
rauhen Pfad „Näldüken“ – d. h. die Hufeiſen abſchlagend. –
Auch iſt es ein übles Zeichen, daß man Moſcheen zerfallen läßt,
an die ſich wichtige hiſtoriſche Erinnerungen knüpfen. Nicht bloß
in Bruſſa geſchieht dies; Hr. Sandreczki **) ſah in Siwas zwei
alte Moſcheen von edler arabiſcher Bauart zuſammenbrechen. Humane
*) Voyage en Turquie et en Perse, exécuté par ordre du Gouverne-
ment français pendant les années 1846–48.
**) A. a. O. S. 121.
– 294 =
Geſittung würde ſicherer im Stande ſein, fremdartigen tleberfluthungen
zu begegnen, als Koran und Fatalismus. Ob ſie aber von den jetzigen
Beſitzern des Landes freiwillig angenommen, oder ihnen gewaltſam
aufgedrungen werden ſoll, iſt nicht gleichgültig; im letzteren Falle
würde ſie wohl nur über Blut und Ruinen einherſchreiten können
und die weſtliche Eiviliſation fordert daher gebieteriſch das verſuchsweiſe
Beſchreiten des erſteren, milderen Weges. Die gegenwärtigen Macht-
haber in Conſtantinopel ſind hiermit einverſtanden; aber ſie ſind ener-
gielos. – Der Hatti-Hümayun, welchen der gegenwärtige milde
Herrſcher der Osmanen am 18. Februar 1852 für alle Bewohner ſeiner
Länder erlaſſen hat, würde ſelbſt ausſchweifenden Forderungen an eine
liberale Staats-Verfaſſung zu genügen im Stande ſein, wenn man ihn
einſt zur allgemeinen Geltung zu bringen vermöchte. Er darf als
ein Beweis des mächtigen Einfluſſes angeſehen werden, welchen
damals Lord Stratford in Conſtantinopel ausübte. Von ihm
ſagt Hr. F. Eichmann*), welcher ſich dort in der Lage befand,
die Fäden der Diplomatie zu verfolgen: „er vertrat nicht blos
England's Regierung im Orient, er war dieſe Regie-
rung ſelbſt.“ Schon der § 1 jenes Staatsgeſetzes ſichert allen
Unterthanen die nämlichen Rechte der perſönlichen Sicherheit, Ehre,
des Beſitzes, des Cultus u. ſ. w. zu. Die §§ 2, 3, 4, 5, beſon-
ders aber 6, ſtellen die Freiheit der Ausübung jedes chriſtlichen
Cultus unter die ſichere Garantie der hohen Pforte. § 10 ſchreibt
vor, daß die öffentlichen Aemter jedem Unterthanen nach ſeinen
Fähigkeiten gleich zugänglich ſein ſollen, ohne Rückſicht auf ſeine
Nationalität. § 12 autoriſirt jede bürgerliche Gemeinſchaft, öffent-
iche Schulen zu errichten. § 13 ordnet gemiſchte Gerichte an für
ſtreitende Parteien verſchiedener Confeſſionen; die Sitzungen dieſer
Gerichte ſollen öffentlich ſein. § 17 läßt chriſtliche Unterthanen
zum Dienſte in der Armee zu.
Hätte nun einer der jüngſten Vertheidiger der türkiſchen In-
ſtitutionen, Hr. Ernſt Hollander*), nachweiſen können, daß der
Hatti-Hümayun innerhalb einer beſtimmten, nicht ad calendas
graecas hinauszuſchiebenden Friſt zur Ausführung kommen würde,
*) Die Reformen des osmaniſchen Reiches. Berlin, 1858. S. 143.
*) La Turquie devänt PÖpinion publique. Paris, 1858. – Die kleine
Schrift enthält einen officiellen Abdruck des Hatti-Hümayun.
– 295 –
fo wäre mit einem großen Schlage die wahre Regeneration des
türkiſchen Volkes angebahnt geweſen. Leider ſind ſeit jenem Erlaſſe
neun Jahre in das Meer der Ewigkeit hinabgefloſſen, ohne daß
die Ausführung in den weſentlichſten Punkten zur Wahrheit gewor-
den wäre. – Möge der Regierung der ſchwere Wurf gelingen, ihren
bunten Völker-Complex empfänglich für die Durchführung einer ſo
höchſt nöthigen, wohlthätigen Reorganiſation zu machen und ſo die
wohlbegründeten Zweifel gegen die Möglichkeit eines noch recht-
zeitigen und auch genügenden Vorſchreitens derſelben niederzuſchlagen,
denn ſchon dröhnt aus der Ferne der ſchwere Tritt des heran-
nahenden eiſernen Verhängniſſes!
Am directeſten iſt freilich Hr. Pitzipios-Bey*) der Eman-
cipirung des Türkenthums entgegen getreten, indem er auf den gro-
tesken Einfall kam, den Sultan ſelbſt zum Chriſtenthum übergehen
zu laſſen. Als eine Antwort hierauf mag der Umſtand gelten, daß
der Sultan Ende Auguſt's 1859 das Feſt ſeiner Wiedergeneſung
unter Kanonendonner in der Moſchee Sultan Ejub feierte, bekannt-
lich der heiligſten unter den türkiſchen Gotteshäuſern Conſtantinopel's,
die ſonſt nur zur Umgürtung eines neuen Sultan's mit dem Schwerte
des Propheten benutzt zu werden pflegt. Der mit dem Oriente ſo
vollkommen vertraute Hr. v. Prokeſch**) iſt der Anſicht, daß den
Türken durch das Chriſtenthum nicht aufzuhelfen ſei und ich muß
ihm hierin vollſtändig beiſtimmen. Nachdenkende Türken haben,
indem ſie die Gebräuche der Chriſten in Conſtantinopel beobachteten,
ſogar behauptet, das Chriſtenthum habe ſich bereits zu ihnen in den
Koran geflüchtet.
Bei anderen Türken hat ſich folgende eigenthümliche Anſicht
von den Charakter der verſchiedenen chriſtlichen Glaubensgenoſſen
eine Art von Anerkennung geſchaffen. „Wenn Chriſtus, der
größte Prophet nach Mohammed, heutigen Tages im Ge-
fängniß ſäße, ſo würden die um ſeine Rettung beſorg-
ten Religionsparteien, eine jede nach ihrer eigenthüm-
lichen Form, in folgender Weiſe Hülfe angeboten
haben: ſ -
1) Die chriſtlichen Europäer (mit Ausnahme der Ruſſen
*) L'orient. – Les Reformes de l'empire byzantin, Paris, 1858.
*) Denkwürdigkeiten. Bd. III. S. 142.
– 296 –
und Griechen) treten vor ihm hin und bieten ihm an, ihn
mit allen Gründen der Wiſſenſchaft und der Weisheit vor
ſeinen Richtern zu vertheidigen, wenn dies aber nicht genügen
ſollte, ſelbſt zur Magie die Zuflucht zu nehmen.
2) Die Ruſſen bieten ihm Kanonen und Koſaken zur Ver-
theidigung an.
3) Die Griechen laſſen den Hülfsmitteln der beiden vorigen
Parteien alle Gerechtigkeit widerfahren, theilen ihm aber
mit, daß ſie die Kenntniß eines Feuers beſitzen, welches in
den Palaſt der vornehmen Juden getragen, dort ſicherlich
eine mächtigere Wirkung hervorbringen würde, als alle jene.
4) Die Armenier endlich ſtellen ihm vor, daß ſie, im Beſitze
goldgefüllter Truhen, zunächſt die Diener und Zofen be-
ſtechen, durch dieſe ſich den Weg zu den höchſten Herr-
ſchaften bahnen, in die Gunſt dieſer einniſten uud ſcheinbar
ohne alle äußere Macht dieſe zu ſeiner Rettung hinlenken
würden.
„Und Chriſtus der Herr verwirft ſie alle, indem er
nur ſeinem himmliſchen Vater die Rettung anheim
ſtelle.“
Die Raja's empfingen ihre jetzigen Inſtitutionen von der tür-
kiſchen Herrſchaft. Soviel Erniedrigendes dieſe auch für ſie haben
mögen, ſo läßt ſich doch nicht leugnen, daß das griechiſche Kaiſer-
reich in der letzten Zeit ſeines Beſtehens moraliſch und politiſch zu
tief geſunken war, um nicht den Uebergang zu den Geſetzen der neuen
Herrſcher von ſeiner Härte dadurch weſentlich verlieren zu laſſen.
Eine in hohem Grade demoraliſirende Ariſtokratie, eine tyranniſche
und zahlloſe Geiſtlichkeit, ſtets unter ſich in ärgerlichem Sectenſtreite
befangen, ein Syſtem von Monopolen, Fiskalität, Auflagen, mit
einer Armee von Zöllnern, vor Allem eine ſchwache, gerechten Be-
ſchwerden ſchwer zugängliche Regierung, die Jahrhunderte lang ver-
gebens auf Verbeſſerungen hatte warten laſſen, – dies waren die grie-
chiſchen Zuſtände. Dieſe wurden nun umgetauſcht gegen eine vollſtän-
dige Rechts-Gleichheit der Raja's unter ſich, einen einfachen, der Zahl
nach auf das Bedürfniß beſchränkten Prieſterſtand, der, weil er in ſeinem
Verbande wenig Zuſammenhang und Berührungspunkte findet, faſt
aufgehört hat, Haß und Zwietracht gegen alle Andersdenkende zu
predigen, – Unabhängigkeit von den aus den Satzungen des Ko-
- 297 –
rans ausgehenden Civil-Geſetzen, einen Grad der religiöſen Duldung,
wie er ſich im übrigen Europa nicht finden läßt, endlich ein höchſt
einfaches, leicht verſtandenes Syſtem der Abgaben, welche großen-
theils durch Beamte der Gemeinde ſelbſt erhoben werden.
Wenn die griechiſchen Prieſter glauben könnten, in der er-
wähnten Weiſe an Macht eingebüßt zu haben, ſo können ſie auf
der andern Seite die Augen gegen die Wahrheit nicht verſchließen,
wie ihr Anſehen in der Gemeinde dadurch bedeutend gewonnen hat,
daß die Mitglieder dieſer ihre Privatſtreitigkeiten durch ſie ohne
Appell entſcheiden laſſen, obgleich ſie mit einer geſetzlichen Autorität
dazu nicht ausgeſtattet ſind. – In Conſtantinopel iſt es der Pa-
triarch, in den Provinzen der Biſchof, welcher in letzter Inſtanz
entſcheidet. – Die Befreiung von den mannigfaltigen Vexationen
einer Polizei, wie ſie den weſteuropäiſchen Staaten unentbehrlich
geworden iſt, darf als eine nicht geringe Wohlthat anerkannt
werden.
Freilich wird Hr. Urquhart*) wahrſcheinlich Recht behalten,
ſo lange das türkiſche Gouvernement aufrecht ſtehen bleibt, wenn
er ſagt: „die Gleichheit der Muſelmänner und der Chriſten iſt
letzteren oft genug verſprochen worden, theils durch die türkiſchen
Gouverneurs, welche nach Unabhängigkeit trachteten, z. B. Ali
Paſcha, theils durch die zur Erſtickung von Revolten hingeſendeten
Paſcha's; aber dieſe Verſprechungen ſind nie gehalten worden, der
Sultan iſt niemals ſtark genug dazu geweſen.“ – Jedenfalls ſtößt
jeder Reform-Verſuch bei den Türken auf die eingewurzelte Ge-
wohnheit der Anarchie und die Neigung zu Gewaltthätigkeiten, die
ſich bei einzelnen Veranlaſſungen ſtets von neuem kund gibt, was
auch die Regierung zu ihrer Unterdrückung thun mag. Aber die
alte hergebrachte Willkühr-Herrſchaft hat wenigſtens einen mächtigen
Stoß erhalten, die auffallendſten Veränderungen in dem Verhalten
der Türken gegen die reiſenden Fremden geben ſeit den letzten Jahren
allein ſchon einen nicht zu verkennenden Beleg dafür.
Die orientaliſche Achtung vor Gaſtfreundſchaft hat ſich durch
den Schutz bewährt, den die aus Spanien vertriebenen Juden eben
ſowohl, als die Proteſtanten aus Ungarn empfingen, und die noch
*) La Turquie, ses ressources, son organisation municipale etc. Tra-
duit de l'Anglais. T. II. Bruxelles, 1837. pag. 14.
– 298 –
vor Kurzem ſelbſt durch Oeſterreichs Drohungen von ſeinen politi-
ſchen Flüchtlingen ſchwer abgewendet werden konnte.
Nicht in Griechenland allein haben übrigens die Muſelmänner
die vorgefundene Municipal-Einrichtung möglichſt zu ſchonen geſucht,
auch in Indien haben ſie es ihren Intereſſen angemeſſen erachtet,
den Hindu's ihre Civil-Adminiſtration zu belaſſen, wie dies Oberſt
Briggs ausführlich auseinanderſetzt. So kann denn die Zu-
ſtimmung der gegenwärtigen Regierung zur Begründung einer
Municipalität in Pera und Galata nicht als etwas Außerordent-
liches angeſchlagen werden. Wie die Raja's die hieraus hervor-
gehenden Vortheile zu würdigen wiſſen, hat ſich mehrmals daraus
ergeben, daß ſie die Regierung gegen die Aufſtände ihrer muſel-
männiſchen Unterthanen, z. B. die Albaneſen, unterſtützt haben.
Dieſe Municipal-Inſtitutionen konnten von den Türken um ſo eher
aufrecht erhalten werden, als ſie zugleich einen Grundpfeiler der
arabiſchen Geſetzgebung darſtellen, die von den erleuchteten Türken
traditionell mit Recht verehrt wird.
Die Griechen, Armenier und Bulgaren beſitzen die nämliche
Municipal-Einrichtung; nur die Albaneſen und Slavonier ſind von
je her ihren Kneſen oder Militärchefs unterworfen geweſen. Ein
Theil jener Nationen hat ſich den Türken in religiöſer Hinſicht
untergeordnet; dies gilt von dem größeren Theile der Albaneſen,
einem Drittheile der Bosnier und den die höheren Gebirgszüge
bewohnenden Bulgaren.
Hr. Urquhart iſt mit anderen Reiſenden darüber einver-
ſtanden, daß dieſe Gebirgs-Bulgaren einer in hohem Grade ausge-
zeichneten Menſchen-Raçe angehören.
Eine höchſt auffallende Erſcheinung iſt es nun, daß im Allgemeinen
jene chriſtlichen Stämme, welche unzugängliche Gebirgsſchluchten
und von der Natur befeſtigte Poſitionen bewohnen, ſich leichter
dem Islam zugewendet haben, als die Bewohner der thraciſchen
Ebenen, die faſt unaufhörlich dem Durchzuge fanatiſcher Türken-
Horden und dem Drucke hin und her ziehender türkiſcher Beamten
ausgeſetzt geweſen ſind. In der That ſcheint die unaufhörlich von
oben ausgeübte Druckkraft die Elaſticität des Widerſtandes von
unten her gleichſam geſtählt und hartnäckiger gemacht zu haben.
Die Juden allein haben ſich in der Türkei eben ſo fern von
jeder Vermiſchung gehalten, als in dem übrigen Europa und Aſien.
YWII.
Zur Geſchichte und Charakteriſtik der Griechen. – Vermiſchung
der Raçen. – Alrſachen des Steigens und Sinkens der Bölker. –
Blick auf die Geſchichte des oſtrömiſchen Reiches von Conſtantin I.
bis zu ſeinem Sturze. – Politiſche Wichtigkeit der Tage von By-
zanz. – Arſachen der Verlegung des römiſchen Herrſcherſitzes nach
Bſten. – Erhebung des Chriſtenthums. – Angriffe der Barbaren
ſeit 378 n. Chr. – Weſtgothen in Attika und Illyrien. – Gräuel
in den Kaiſer-Familien von Byzanz. – Erſchlaffung und Entſitt-
lichung des griechiſchen Volkes. – Kreuzzüge. – Kampf der Ta-
teiner mit den Griechen. – Einnahme von Conſtantinopel durch die
Franken, 1204. – Religions-Streitigkeiten. – Verſuche zur Vereini-
gung der griechiſchen mit der lateiniſchen Kirche. – Conſtantin XII.,
der Paläologe. – Einnahme von Conſtantinopel, 1453. – Charak-
teriſtik der osmaniſchen Griechen. – Ihre phyſiſchen Eigenſchaften in
der gegenwärtigen Beit. – Moraliſche Zeite. – Ihre Beſchäftigungen.
– Anduldſamkeit. – Bilder-Berehrung in den Kirchen.
Eine für den unbefangenen Forſcher im höchſten Grade merk-
würdige Thatſache iſt das allmälige Hervortreten, Erſtarken, Blühen
einzelner Völker, dem ebenſo ſicher, früher oder ſpäter, ihre Kraft-
abnahme, ihr Hinſinken, ihr Verſchwinden von der Weltbühne,
folgt. Sowie der einzelne Menſch die ihm vorgeſchriebenen Stufen-
alter, bis zum Tode, durchwandert, ſo auch der Aggregatzuſtand
der Menſchen, welchen wir Volk nennen. Einzelne Menſchen und
einzelne Völker erheben ſich nie über das Kindesalter; ſie zahlen
den der ſchaffenden Natur ſchuldigen Tribut früh. Andere wachſen,
tauſend Hinderniſſen zum Trotz, oder eben durch ſie geſtählt, kräftig
bis zur höchſten Blüthe heran, übertreffen die Genoſſen an That-
kraft und Ausdauer, ragen auch endlich über dieſe weit genug her-
– 300 –
vor, um ſie im Beſonderen und Kleinen, oder im Ganzen und
Großen zu beherrſchen. Für eine ſolche Entwicklung iſt die an-
geborene Kraft von der höchſten Wichtigkeit; die germaniſchen
Völkerſtämme z. B. zeichnen ſich in Europa, ſowie in Amerika,
durch Energie, Unternehmungsgeiſt und zähe Ausdauer, überwiegend
vor den meiſten anderen Stämmen, aus, und dies iſt nicht blos
gegenwärtig, ſondern es war ſchon damals ebenſo der Fall, als die
Uranfänge der Geſchichte ihrer zuerſt erwähnen. Aber auch die
äußeren Verhältniſſe, Klima, Boden, Nahrung, vor Allem Pflege
und Erziehung, ſind für die Entwicklung der Individuen wie der
Völker von hochwichtigſtem Einfluſſe. Der Araber, welcher in
einem warmen Klima ſein ganzes Dichten und Trachten auf die
veredelnde Cultur ſeines Pferdes ſetzt, erzielt dort die edelſte Rage;
dieſelbe Cultur würde in Lappland ungefähr erfolglos bleiben. Die
Menſchen werden erlauben müſſen, daß man das ſich hieraus er-
gebende Geſetz, nach Daubenton's Vorgange, auch auf ſie an-
wende. Wer die erfreulichen Folgen einer ſorgfältig geregelten
körperlichen und geiſtigen Pflege, die durch eine Reihe von Genera-
tionen zur Anwendung kam, perſönlich kennen lernen will, dem
empfehle ich, nach England zu wandern und zu geeigneter Jahres-
zeit, entweder im Hyde Park am Serpentin River, oder zu Brigh-
ton am Meeresufer, die jugendlichen Sprößlinge ſolcher Familien
zu beobachten, denen der Wohlſtand ſeit einigen Jahrhunderten
andauernd erlaubte, es an nichts fehlen zu laſſen, was dem phyſi-
ſchen und moraliſchen Gedeihen förderlich ſein konnte. Der Beob-
achter wird ſich genöthigt ſehen, die überraſchend wohlthätigen
Erfolge eines ſolchen Zuſammenwirkens günſtiger Umſtände anzu-
erkennen. In ähnlicher Weiſe erreichten den Gipfelpunkt humaner
Civiliſation nur ſolche Völker, deren Individuen, in ihrer großen
Mehrzahl, die Sorge um die zunächſt liegenden materiellen Bedürf-
wiſſe überwunden haben, d. h. die durch erfolgreichen Gewerbfleiß
und Handel wohlhabend geworden ſind. – Ein ungemein wohl-
thätiges Naturgeſetz wirkt ſodann dahin, daß bei der Kreuzung der
Raçen die edlere, höher ſtehende, das Uebergewicht in dem Pro-
ducte derſelben erkennen läßt. Der Mulatte verdankt dem weißen
Vater mehr Eigenſchaften als der ſchwarzen Mutter, der Meſtize
läßt ebenſo den Einfluß des Weißen mehr erkennen, als den der
Mulattin, der Quarteron ſteht endlich dem Weißen bereits unge-
– 301 –
mein nahe. Die Miſchlinge von Weißen und farbigen Eingebornen
haben ſich in Braſilien und auf den Philippinen als ausgezeichnet
tüchtig in Handwerken und Künſten, an Tapferkeit und Arbeitſam-
keit bewährt. Hr. Etwick hat dies in ſeiner Geſchichte von Ja-
maika noch überzeugender dargethan, als es vor ihm bereits ge-
ſchehen war. Wenn es richtig iſt, daß, wie die Herren DD. Pru-
ner und Rigler*) behaupten, das Product einer Vermiſchung
zwiſchen einer Frau von lichter Hautfarbe mit einem dunkleren
Manne ſtehe in der Regel der Mutter näher, als dem Vater, ſo
rührt dies nicht von der Hautfarbe, ſondern von dem edleren
Standpunkte der Rage der Mutter her. Hr. de Gobineau*)
gibt jener wichtigen Thatſache indeſſen eine übertriebene Anwendung,
wenn er annimmt, daß die Degeneration der Völker durch Tilgung
ihres urſprünglich reinen Blutes vermöge der Kreuzung mit andern
Ragen entſtehe und es erſcheint auffallend, daß ihm Hr. A. de
Quatre fages***) hierin beiſtimmt. Wenn zu einer ſolchen
Degeneration doch wohl nur die Vermiſchung mit einer weniger
edlen, tiefer ſtehenden Raçe Veranlaſſung geben konnte, ſo hätten
dieſe Herren erwägen mögen, daß das türkiſche Volk tiefer und
tiefer ſinkt, obgleich es ſeit Jahrhunderten bemüht war, durch ſtets
wiederholte Vermiſchung mit Frauen der edelſten Ragen das Blut
ſeines urſprünglichen Stammes zu verbeſſern, – was ihm in Bezug
auf die äußere Körperform auch in der That gelungen iſt. Aehn-
liches geſchah bei den Magyaren. Als dieſe von Ungarn aus das
ſüdliche Deutſchland bis nach Augsburg hin überflutheten, zeigten
ſie die mongoliſche Geſichtsbildung in ſehr widerwärtiger Weiſe.
Fortwährende Kreuzungen mit den Nachbarvölkern haben dieſe
gänzlich verwiſcht; ſie hat einer ungleich edleren Platz gemacht.
Ungeachtet nun die Magyaren ihr urſprüngliches Blut gewiß nicht
rein erhalten haben, ſo ſind ſie doch weder phyſiſch noch moraliſch
entartet, ſie erhalten ſich – den Türken hierin zu ihrem Vortheile
ungleich – in dieſer doppelten Hinſicht nicht blos aufrecht, ſondern
dürfen jetzt den edelſten Stämmen Europas zugezählt werden.
*) A. a. O. I. S. 154.
*) Essai sur l'Inegalité des raçes humaines.
*) Du croissement des rages humaines. – V. Revue des deux mondes.
Mars., 1857. pag. 159.
– 302 –
Somit muß man zu dem Schluſſe gelangen, daß der Sturz der
Völker und ihrer Civiliſation ungleich mehr noch von moraliſchen
als von phyſiſchen Urſachen ausgeht. Schlechte Sitten, Ausſchwei-
fungen, maaßloſer Luxus, Fanatismus mit Irreligiöſität gewöhnlich
Hand in Hand gehend, Verluſt freiſinniger Staats-Einrichtungen,
Deſpotie, die Erzeugerin ſclaviſcher Geſinnungen, der Erſchlaffung
und der Feigheit – vor Allem aber die Peſt der Ungerechtigkeit
und des böſen Beiſpieles, welche ſich von den Regierenden über
die Regierten ausbreitet, – dieſe ſind es, welche ganze Völker
ſtürzen und welche aus den Ruinen von Babylon, von Ninive,
von Carthago, Rom und Conſtantinopel, den Menſchen vergeblich
Buße predigen. – Freilich iſt an die Lebensdauer ganzer Na-
tionen, wie ſie ſich ſelbſt unter ſo traurigen Umſtänden geſtaltet,
ein durchaus anderer Maaßſtab anzulegen, als an die der Individuen.
„Tauſend Jahre ſind vor Ihm wie ein Tag.“ Es waltet
eine ewige Gerechtigkeit, durch welche die Verbrechen der großen
Gemeinſchaften oft ſpät erſt, aber ſicher, geſühnt werden. Sie
ſtraft ſie vielleicht erſt an den Kindern, Enkeln oder Urenkeln „bis
in das vierte Glied“, – aber ſie ſtraft! Die Geſchichte, welche
ſolche Wahrheiten in das klarſte Licht ſtellt, iſt den heutigen Men-
ſchen höchſt unbequem; nach modiſchem Zuſchnitte könnte man ſie
wohl ungezogen ſchelten. Denn, ſelbſt in den Winkel geſtellt, fährt
ſie fort, laut zu rufen.
Geſchichte. – Doch – die Geſchichte der Griechen? Ja,
ſie iſt es, die ernſter und eindringlicher als irgend eine andere
lehrt, daß die Verbrechen der Fürſten gegen ihre Nation, ſowie die
Miſſethaten der Völker, welche ſich zu Mitſchuldigen unwürdiger
Fürſten machen, durch eine für uns wenig verſtändliche Langmuth
der über ihnen waltenden Macht wohl ein Jahrtauſend lang fort-
dauern können, daß ſie dann aber von der ſtrengſten Vergeltung
erreicht werden. Auch die Art dieſer Vergeltung iſt charakteriſtiſch.
Dieſes Volk, zu welchem hin die Künſte und Wiſſenſchaften in einer
unſäglich finſteren Zeit ſich geflüchtet hatten, zeigte ſich einer
ſolchen Bevorzugung ſo unwürdig, daß coloſſalere Gräuel und
widerlichere Verſtöße gegen die Humanität kaum irgendwo anders,
als bei ihm verübt worden ſind; darum mußten die roheſten Bar-
baren das civiliſirteſte der damaligen Völker endlich unter die
Füße treten. Hierbei iſt es eine anffallende Erſcheinung, daß der älteſte
– 303 –
proſaiſche Schriftſteller der Griechen, Herodot, ſeinem Volke das
endliche Schickſal gleichſam vorausgeſagt hat. Gleich einem rothen
Faden zieht ſich durch ſein ganzes Werk die herrſchende Idee von
einer gerechten Weltregierung hin, welche nicht blos Verbrechen
und Miſſethat, ſondern auch ſchon ſtolzes Ueberheben durch maaßloſe
Benutzung von Reichthum und Macht, mit Untergang und Ver-
derben ſtraft. Herodot's Dämonion rächt den Uebermuth
und den Leichtſinn der Vorfahren oft an den ſpäten Enkeln. Aber
die Griechen beachteten den bedeutſamen Wink ihres trefflichen Ge-
ſchichtſchreibers nicht. – Einem Deutſchen der heutigen Zeit ziemt
es freilich wenig, mit ihnen darüber zu rechten. Wer ſollte ſich aber
nicht des altteſtamentariſchen Ausſpruches*) hierbei erinnern: „Ich
der Herr dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimſuchet der
Väter Miſſethat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied.“
Und wiederum iſt die Thatſache auffallend, daß die von den Eltern aus-
gehenden erblichen Krankheiten ſich oft genug bis in das vierte Glied
der Nachkommenſchaft, faſt niemals weiterhin, verfolgen laſſen. –
Nicht minder bejammernswerth bleibt deshalb der mit dem Falle
des griechiſchen Kaiſerreiches verbunden geweſene Sturz der Civili-
ſation, nicht minder beweinenswerth der zugleich herbeigeführte Ruin
von Millionen betriebſamer, unſchuldiger Menſchen, die Entvölkerung
und Verwüſtung der cultivirteſten Theile von Europa und Aſien.
Es hat ſich jüngſt eine abermalige Discuſſion über die Urſache
des Sturzes des griechiſchen Kaiſerthum's erhoben, die hier nicht ganz
übergangen werden darf. Hr. Dr. A. D. Mordtmann*) hat
als einen Hauptgrund jenes Falles die centrifugale Neigung der
Provinzen des Reiches angeſehen, indem die Regierung nicht ver-
ſtand, den Verband der ihr gehörigen Länder durch centraliſirende
Thätigkeit zu befeſtigen. Auch unnatürliche, durch die geographiſche
Lage der Länder, durch Verſchiedenheit der nationalen Charaktere
herbeigeführte Verhältniſſe werden angeſchuldigt. Endlich glaubt
Hr. Dr. Mordtmann die Männer zurecht weiſen zu müſſen,
„welche die göttliche Vorſehung gleichſam zur Mitſchul-
digen der fehlerhaften europäiſchen Staatenpolitik zu
*) Exodus. Cap. 20, Vers 5.
*) Belagerung und Eroberung Conſtantinopel's. Stuttgart und Augsburg,
1858. S. 106 u. f.
– 304 –
machen ſich nicht entblöden.“ Hr. Mordtmann, der als
hanſeatiſcher Conſul in Conſtantinopel gründliche Unterſuchungen an
Ort und Stelle anzuſtellen vermochte, und den ich dort perſönlich
achten zu lernen Gelegenheit fand, iſt in Folge deſſen durch eine
in bittere Galle getauchte Feder, unter Vermittelung eines vielgele-
ſenen Tageblattes, kritiſch angegriffen worden; auch dieſe Feder
wurde augenſcheinlich von einer früher in Pera ſelbſt thätig gewe-
ſenen Hand geleitet. Mir hat es rathſamer geſchienen, den An-
ſichten Hrn. Mordtmann's an der Hand der Geſchichte entgegen
zu treten und dieſe zugleich zur Begründung der ſo eben im Ein-
gange aufgeſtellten Sätze zu benutzen. Außerdem halte ich es für
unthnnlich, ſich den Charakter der heutigen osmaniſchen Griechen
anſchaulich zu machen, ohne deren Geſchichte wenigſtens nach ihren
Hauptzügen zu kennen. Dazu bedarf es jedoch nur eines Blickes
auf die Neubegründung des oſtrömiſchen Reiches durch Conſtantin;
der auf das Steigen oder Sinken dieſes Staates, von beſonders
einflußreicher Wirkung geweſenen Begebenheiten und einer Hinwei-
ſung auf die theils ſchwächlichen, theils verkehrten Maaßregeln, welche
ergriffen wurden, als die Kataſtrophe bereits heranrückte. Dieſe
kurz gehaltenen Andeutungen wünſchen nur als Grundlage für den
Ausſpruch angeſehen zu werden, der auf die Frage folgen müßte,
welche Nation berufen ſein würde, das Steuerruder zu Conſtanti-
nopel in die Hand zu nehmen, wenn es dereinſt der erſchlafften
türkiſchen Regierung entſinken ſollte. Hr. de Lamartine*) iſt
ſchon vor beinahe einem Menſchenalter mit jenem Ausſpruche keck
vorgeſchritten; er ſagt: „die Griechen werden zurückkehren,
aber unter dem Namen und in der Uniform der Ruſſen.“
Auch heute noch kann man einer ſolchen Anſicht eine überwiegende
Berechtigung nicht abſprechen. Ebenſo erkennen die heutigen Griechen
dieſe augenſcheinlich an, – denn als 1854 ſich die Alliirten mit
den Türken gegen Rußland verbanden, nahmen ſie für letzteres
offenkundig Partei. Nicht nur machten die von Athen ausgegan-
genen Feindſeligkeiten gegen die Türkei eine militäriſche Beſetzung
der Stadt nöthig, ſondern es fingen in Südrußland bereits grie-
chiſche Frei-Bataillone an, ſich für den ruſſiſchen Dienſt zu bilden.
Aber Hr. de Lamartine iſt dennoch mit ſeinen politiſchen Ahnungen
*) A. a. O. S. 245.
– 305 –
nicht ganz glücklich. Schon 1833 rief er aus: „la Turquie
tient à la vie de Mahmoud; l'empire et lui périront
le méme jour. Grande et fatale destinée etc.“ *). Und
dennoch lebt die Türkei, wenn auch kränkelnd, noch heute. Aber
die Griechen, welche ſeit der Eroberung von Conſtantinopel nichts
gelernt, aber viel vergeſſen haben, ſind ſtolz und eitel genug, zu
glauben, daß ſie hinlängliche Kraft beſäßen, in eigener Uniform
zurückzukehren. Den hierin liegenden Irrthum nachzuweiſen, bietet
zwar keine ſonderliche Schwierigkeit dar, muß aber doch mit Grün-
den belegt werden. Die Geſchichte und ein Charaktergemälde der
heutigen Griechen werden zu dieſem Material zugleich auch den
Beweis liefern, daß die Forſcher, welche das Schickſal der Griechen
ein wohlverdientes, wenn auch tief zu beklagendes nennen, die ewige
Gerechtigkeit nicht zur „Mitſchuldigen“ tauſendfacher griechiſcher Sün-
den machen, ſondern die über den Völkern waltende hohe Weisheit
in ihrem Glanze hinſtellen. Dieſe ſtraft ſie zum abſchreckenden Bei-
ſpiele und zur Nachachtung für Andere, ſobald ihr Maaß voll und
die rechte Zeit gekommen iſt.
Für die Urſachen, welche Conſtantin bewogen haben, eine
neue Weltſtadt, eine zweite Roma, auf das alte Byzanz anzulegen,
bedarf es meines Erachtens aus moraliſchen Gründen keiner tiefen
Divinationsgabe. Ueber die hohe politiſche Wichtigkeit jenes Punktes
der Erde hatte ſchon lange vor Conſtantin kein Zweifel mehr
obgewaltet. Polybius z. B. erkannte die Poſition von Byzanz
als eine ſo hervorragend vortheilhafte, daß ſeine Bewohner für die
Wohlthäter von ganz Griechenland betrachtet werden müßten und
gemeinſchaftlichen Beiſtand verdienten gegen die Angriffe, denen ſie
von Norden her ausgeſetzt ſind. – Erwies ſich nicht in der That
Conſtantinopel ſpäter als das letzte Bollwerk Griechenlands gegen
die Türken? Würde es zu Grunde gegangen ſein, wenn die entarteten
Griechen jene von ihrem weiſen Landsmanne ausgeſprochene Wahrheit
zur rechten Zeit gehörig zu würdigen gewußt hätten? Entſcheidender
noch mochten bei Conſtantin andere Umſtände wirkſam geworden
ſein, welche ſeine innerſte Perſönlichkeit tief berührten. Die Schlacht
von Chalcedon, Byzanz gegenüber, in welcher Licinius mit
ſeinem 125.000 Mann ſtarken Heere am 18. Septbr. 324 von
*) Ebend. pag. 294.
– 306 –
ihm ſo auf's Haupt geſchlagen worden war, daß jenem nur übrig
blieb, ſich durch Vermittlung ſeiner Gemahlin, einer Schweſter Conſtan-
tins, dieſem von Nicomedia aus zu ergeben, hatte ihn zum un-
umſchränkten Herrſcher des ganzen ungeheuren römiſchen Reiches
in Europa, Aſien und Afrika gemacht. Seine Hinneigung zum
Chriſtenthume war aber nach der Beſiegung des Maxentius an
der Tiber, im Jahre 312 n. Chr., bereits offenkundig geworden.
Die Römer konnten ihm die Hintanſetzung der vaterländiſchen
Götter niemals ganz verzeihen; im Jahre 326, als er ſein zwan-
zigſtes Regierungsjahr zu Rom feierte, erregte er außerdem ihren
Unwillen dadurch noch in höherem Grade, daß er gegen ſeine eigene
Familie barbariſch wüthete. Auf die Anzettelung ſeiner zweiten Ge-
mahlin, der Fauſta, ließ er nämlich ſeinen einzigen Sohn erſter Ehe,
den allgemein hochgeachteten und talentvollen Crispus, der als Anfüh-
rer der Flotte noch vor kurzem ſo weſentlich zur Beſiegung des Licinius
beigetragen hatte, zu Pola ermorden, mit ihm auch zugleich den
elfjährigen Sohn ſeines Schwagers Licinius umbringen. Als indeſſen
ſeine Mutter Helena ihm die Größe ſeiner Unthat, eben ſo die
Schuldloſigkeit des Crispus klar gemacht hatte, wurde die Fauſta
im heißen Bade durch Dämpfe erſtickt. Die Römer ergingen ſich
hierauf in wohlverdienten ſatyriſchen Witzſpielen gegen ihn: das
Neroniſche Zeitalter ſei wiedergekehrt und er habe nur deshalb die
chriſtliche Religion angenommen, weil dieſe die einzige ſei, welche
für dergleichen Verbrechen. Vergebung ſchaffen könne. Der der neu-
platoniſchen Schule angehörige weiſe Sopater und die heidniſchen
Prieſter zu Ront ſollen ihm ſogar die Sühnopfer verweigert haben.
Somit wirkten drei mächtige Hebel dahin, ihn von Rom fortan fern
zu halten, einmal der beleidigte Stolz, vielleicht ebenſo die am Orte
dev That lauter rufenden Gewiſſensbiſſe; zweitens die einem ſo in-
telligenten Machthaber ungemein nahe liegende Ueberzeugung, daß
es für den, der Europa und Aſien zugleich beherrſchen will, keinen
dazu geeigneteren Wohnſitz irgend wo gebe, als Byzanz; drittens
die Abſicht, dem Chriſtenthume eine ſichere Stätte auf geeigneterem
Boden zu bereiten. Ob letztere Abſicht aus wahrhaft chriſtlichem
Sinn hervorgegangen, gleichſam der Erguß einer tief im Innern
wurzelnden Ueberzeugung war, iſt nicht bloß ungewiß, ſondern ſogar
unwahrſcheinlich. Wenn man erwägt, daß die oben erwähnten Mord-
thaten begangen wurden, als er einer großen chriſtlichen Kirchenver-
ſammlung bereits präſidirt hatte, daß auch ſchon vor dem Kriegs-
zuge nach Rom die gefangenen Franken und Brukterer, ſammt den
beiden Königen der letzteren, auf ſeinen Befehl in der Arena zu
Triertheils den wilden Thieren vorgeworfen, theils niedergemetzelt
worden waren, zu einer Zeit, wo ihm die Lehren des Chriſtenthums
von dem Hofe ſeines Vaters Conſtantius her bekannt ſein mußten,
– ſo wird man nothgedrungen von ſeiner chriſtlichen Geſinnung eine
geringe Meinung erhalten. Noch geringer muß dieſe werden, wenn
man hinzufügt, daß Conſtantin zwei Jahre nach der Beſiegung des
Maxentius, ſeinen ihm verdächtig gewordenen Schwager Baſſianus;
zwölf Jahre nach derſelben, alſo ebenſo lange nach dem von ihm
öffentlich beſtätigten chriſtlichen Bekenntniſſe, auch ſeinen Schwager
Licinius in der Verbannung ermorden ließ, ungeachtet des auf
Vermittlung der eigenen Schweſter für deſſen Lebenserhaltung abge-
legten Eides. Es kommt ferner aber hinzu, daß, indem er chriſtliche
Kirchen zu Conſtantinopel, namentlich zuerſt die der heiligen Apoſtel
mit dem Kaiſergrabe baute, er zugleich ſeine Statue von vergoldetem
Holze dem Volke zur Verehrung aufſtellen ließ und anordnete, alle
künftigen Kaiſer ſollten ſich vor ihr anbetend niederwerfen *), wo-
bei auch manche andre heidniſche Gebräuche in Conſtantinopel auf-
recht erhalten wurden. – Die letzte, von Diocletian im Jahre 303
angeordnete allgemeine Chriſten-Verfolgung, welche von Galerius,
Maximiuus, Licinius, Maxentius acht Jahre lang ſtreng durchge-
führt worden war, hatte den Beweis geliefert, daß das Chriſtenthum
durch ſie nicht blos keine Unterdrückung, ſondern vielmehr in hohem Grade
Kräftigung erfahren hatte. Es waren bedeutſame Zeichen hervorgetreten,
daß die Zeit der ſtillen Ergebung der zahlreichen Chriſten in die über
ſie verhängten Verfolgungen vorüber ſei. Ein zweimaliger Brand
im Palaſte zu Nicomedien, den damals Diocletian und Galerius
zugleich bewohnten, wurde ihnen wohl nicht mit Unrecht zugeſchrieben,
denn auch die Verfolgungsbefehle wurden öffentlich von den Mauern
heruntergeriſſen; Galerius entfloh eilig. In Syrien brachen Em-
pörungen aus. So ſchien es denn einer die Umſtände ruhig erwägen-
den Staatsklugheit, wie ſie Conſtantin in reichem Maaße entwickelt
hat, vollkommen angemeſſen, wenigſtens zunächſt Duldung eintreten
zu laſſen. Das erſte, ſchon 312 ausgegangene Duldungsgeſetz ent-
*) Vergl. Manſo, Leben Conſtantins des Großen. Breslau, 1817. S. 77.
– 308 –
hält noch die Beſchränkung, daß Niemand den von ſeinen Eltern
übertragenen Glauben aufgeben ſolle. Ein Jahr ſpäter kam aber
Conſtantin mit Licinius, bei des letztern Verheirathung, zu Mailand
überein, daß fortan Jeder den Glauben, zu dem ſich ſein Herz neige,
ſolle annehmen und den damit verbundenen Cultus ſolle ausüben
dürfen. Die den Chriſten entriſſenen Güter und Verſammlungs-
örter ſollten zurückerſtattet werden *). Bei alledem nannte ſich Con-
ſtantin noch im Jahre 312 auf Münzen Pontifex maximus, auch
ſah man auf dieſen ſein Bildniß neben denen des Jupiter, des
Hercules und der Sonne; ebenſo wohnte er noch hergebrachten Opfern
bei und holte ſelbſt bei den Zeichendeutern (den Haruspices) Rath. –
Wahrhaft zu bedauern iſt es, daß die Streitigkeiten der Chriſten unter ſich
ſie verhinderten, die ihnen günſtige Stimmung ſo anzuerkennen und zu
würdigen, wie ſie es verdiente. Bereits 314 ſah ſich Conſtantin durch
die Donatiſten in Afrika veranlaßt, eine Kirchenverſammlung nach
Arelatum (Arles) zu berufen. Die Arianiſchen Streitigkeiten über
die Dreieinigkeitslehren führten ſodann 325 die allgemeine Kirchen-
verſammlung zu Nicäa herbei, in welcher Conſtantin ſelbſt den Vorſitz
führte; Arius und ſeine Anhänger wurden mit der Verbannung
beſtraft, um ſpäter von Conſtantin ſelbſt wieder zurückgerufen zu
werden; noch heute leben zahlreiche Nachfolger des Arius. Länger
zu leben, ja für immer in allen Verſammlungsorten der verſchie-
denen chriſtlichen Parteien mit goldenen Buchſtaben angeheftet zu
werden, verdient aber Conſtantin’s damaliges Sendſchreiben an ſeine
heidniſchen Unterthanen. Es heißt darin: „Wer etwas einge-
ſehen und erkannt hat, der nutze damit, wenn es mög-
lich iſt, ſeinem Nächſten; gelingt es ihm nicht, ſo gebe er
es auf; denn ein Anderes iſt, den Kampf für die Un-
ſterblichkeit freiwillig übernehmen, ein Anderes, mit
Strafe dazu nöthigen“*).
Soviel aber läßt ſich aus der Geſchichte der ſpäteren Regie-
rungsjahre Conſtantin's mit Sicherheit entnehmen, daß ihm das
Chriſtenthum allmählig mehr und mehr zur Sache des wahren
Glaubens und der Erkenntniß wurde. Gar ſehr ſpricht hierfür die
*) Man ſo a. a. O. S. 93.
**) Eusebius, Histor. eccles. II. 48, 60. pag. 466.
– 309 –
aus dieſer Periode von ihm allgemein gerühmte große Milde, die
nicht allein der Hinfälligkeit des Alters zugeſchrieben werden darf,
denn er bekriegte noch, 59 Jahre alt, die Gothen in den jetzigen
Donaufürſtenthümern mit Glück, indem er dabei eine Brücke über
die Donau ſchlagen ließ. Lauter zeugen dafür noch die in ſeinen
letzten Lebensjahren ergangenen Verbote des Opferns der Heiden,
ſowie die ſeit 333 ungeahndet gebliebenen Entweihungen und Zer-
ſtörungen heidniſcher Tempel und Grabmäler*). Zu dieſer Zeit
bewohnte er großentheils Nicomedien uud beſuchte nur häufig das
nahe Byzanz, um die Arbeiten, namentlich die Ringmauern, dort
zu fördern. Zu Nicomedien fand er endlich im Mai 337 auch das
Ziel eines Lebens, dem der Ruhm eines überlegenen energiſchen
Geiſtes, einer weiſe berechnenden Regierungskunſt, der Tapferkeit,
des Feldherrntalentes, ſowie großer Verdienſte um die Ausbreitung
des Chriſtenthums nicht verſagt werden kann. Bei dem Anblicke
ſeines coloſſalen Moſaikbildes, welches in der jüngſter Zeit in der
Sophien-Kirche der von ihm hochgeſtellten Stadt von neuem glanz-
voll auf Goldgrund hervorgetreten iſt, fühlt man ſich genöthigt, ein-
zugeſtehen, daß ihm dieſer großartige monumentale Platz vor Allen
mit vollem Recht gebührt.
Die antike Statue des Conſtantin, welche man in den Ruinen
ſeiner Thermen fand, ziert gegenwärtig ganz paſſend den Portikus
der Kirche des hl. Johannes im Lateran, weil dieſe in der That
die erſte von Conſtantin zu Rom gegründete chriſtliche Kirche war.
Conſtantin erſcheint in dieſer Statue, die das Kreuz in der Hand hält,
nicht groß und majeſtätiſch, wie ſein Biograph Euſebius ihn
ſchmeichelnd nennt, ſondern vielmehr kurz gedrungen, mit breiter
Bruſt und großen Füßen, ſoldatiſch ausſehend. Er ſcheint den feſten
Blick in die Ferne zu richten.
Wahrſcheinlich war es im Mai 330, als die neuerbaute öſtliche
Siebenhügelſtadt eingeweiht wurde, unmittelbar nach Vollendung
ihrer Ringmauern. Aber die weihenden Hände waren mit dem
Blute zahlreicher Familien-Mitglieder beſudelt, welche durch die
heiligſten Bande der Natur vor dem Morde hätten geſchützt ſein
ſollen. Dieſe Hände habeu ſchon bei der Weihe zugleich eine blutige
Saat ausgeſtreut, die innerhalb der Ringmauern, bis zu dem letzten
- - . .
*) Manſo, a. a. O. S. 116.
– 310 -
coloſſalen Morde von 40,000 Janitſcharen hinab, in Tauſenden
blutiger Gräuel aufgegangen iſt. Ebenſo ſind jene conſtantiniſchen
Stadtmauern das Grab zahlloſer Angreifer und Vertheidiger ge-
worden, bis endlich ihre Eroberung durch muſelmänniſche Barbaren
ein bis heute noch dauerndes Grabesſchweigen über ſie verbreitete.
Denn kaum waren 48 Jahre nach der Einweihung verfloſſen, als
ſchon (379 n. Chr.) die Gothen an den Mauern tobten, um nicht
ſowohl durch die Griechen, als vielmehr durch arabiſche Reiter,
welche im Solde des Kaiſers ſtanden, zurückgeſchlagen zu werden.
Und wieder überſchritten 559 unter Juſtinian die Bulgaren und
-Slavonier die gefrorene Donau, um vor Conſtantinopel zu erſcheinen.
Sie wurden durch den hochbejahrten Beliſar, und zwar mit raſch
zuſammen gerafften Bauern und Bürgern, zurückgetrieben.
Die Geſchichte der merkwürdigen Stadt, welche mit einem
Arm durch die Dardanellen in das weiße, mit dem andern Arm
durch den Bosporus in das ſchwarze Meer hineinreicht, iſt von
zahlreichen Geſchichtſchreibern auf das Filtrum ihrer jedesmaligen
Anſicht gebracht, freilich mitunter auch verdunkelt worden. Bei
ihrer Betrachtung wird uan dem Staunen kaum entgehen können,
wie dieſer ehrwürdige Zeuge ſo vieler Ereigniſſe, die Einfluß auf
die Geſtaltung von drei Welttheilen übten, – ſelbſt in der heu-
tigen Erniedrigung, noch beredt durch ſeine Ruinen, T- dem Allen
bis heute Trotz bieten konnte. Dieſe unendliche Zähigkeit ſeines
Beſtehens gewährt Ausſicht darauf, daß, wenn dereinſt dort eine
thatkräftige, belebende Regierung einzöge, welche über alle Mittel
der heutigen Civiliſation zu gebieten verſteht, dann das uralte
Byzanz ungleich kräftiger, als die weſtliche Schweſter zu Ram,
die frühere Gewalt über die Erde von Neuem ausüben könnte.
Unmittelbar nach dem Tode Conſtantins ſchon geriethen die
drei entarteten Söhne, die er zu Ewhen eingeſetzt hatte, in Hader.
Erſt nach unſäglichem Blutvergießen gelangte Conſtantius zur
Alleinherrſchaft, aher – zu dem Preiſe des Ruins. Von Glück und
Wohlſtand Millionen niedergetretener Menſchen, ... ...
Sein Nachfolger Julian ſtellte zwax, ºß61 cm. Ehr, mit großer
Energie die geſunkene Gerechtigkeitſpflege und die Zucht im Heere
wieder her; aber indem er, ein Verehrer der alten Philoſophen
und Klaſſiker, dem Heidenthume ſein früheres Anſehen wieder zu
ſchaffen trachtete, auch die Chriſten aus ſeiner Umgehung und den
– 311 –
Aemtern entfernte, ſchürte „der Abtrünnige“ die Zwietracht und ver-
dunkelte ſeine übrigen Verdienſte. Es bedurfte eines todtbringenden per-
ſiſchen Pfeiles, um den Sterbenden unter dem Ausrufe „Galiläer,
du haſt geſiegt!“ zur Anerkennung der Wahrheit zu nöthigen, daß
die Macht des Heidenthums für immer gebrochen ſei. Der Kaiſer
Valens ſuchte um 363–378 der arianiſchen Lehre die Alleinherr-
ſchaft im Oriente zu verſchaffen, indem der tapfere und gediegene
Valentinian, von 346–374 im Occidente die Gewiſſensfreiheit
beſchützte. Mit ihm zugleich ſank dieſer Schutzgeiſt des freien Ge-
dankens in das Grab. Mit Theodoſius, alſo von 378an, flohen Dul-
dung und Gleichberechtigung von Glaubensanſichten das bedauerns-
werthe Reich für immer. Die Anhänger des noch jüngſt hochver-
ehrten Arius wurden nicht allein proſeribirt, ſondern auch allent-
halben inhuman behandelt; die heidniſchen Tempel, ihre Statuen
und Kunſtwerke wurden mit Wuth zerſtört, aber dieſer Theodoſius,
den man mit ſo vielem Unrechte „den Großen“ genannt hat, duldete,
daß man den eiteln Prunk und Tand aus den geplünderten Tempeln
in die chriſtliche Kirche übertrug. Die Demuth und einfache Würde,
unter deren Einfluß dieſe Kirche zur triumphirenden geworden war,
verſchwanden von da ab, und das Volk mußte ſich daran gewöhnen,
ununterbrochene Streitigkeiten, einen Uebermuth von hoffärtigen
Prieſtern und von ſtörriſchen, meiſtens unwiſſenden Mönchen als
die wichtigſten Angelegenheiten des Staatslebens zu betrachten.
Glaubensartikel wurden ihm der Reihe nach aufgedrungen, welche
die, von denen ſie erſonnen worden waren, kaum ſelbſt verſtanden.
Innere und äußere Verfaſſung des Staates mußten ſich durch der-
gleichen Thorheiten zurückdrängen laſſen und wenn ſich bei dem
Eindringen der Türken in die Hauptſtadt, 1453, das bejammerns-
werthe Schauſpiel darbot, daß ſich Tauſende von wehrkräftigen
Griechen in die Sophienkirche zuſammengedrängt hatten, um in ihrer
Ohnmacht unverdiente Hülfe von oben herab zu erflehen, indem ſie
durch energiſche Unterſtützung ihres tapfer kämpfenden Kaiſers den
Sturz vielleicht noch hätten abwenden können, ſo muß man zugeben,
daß dieſer „große“ Theodoſius dazu früh ſchon den eigentlichen
Grund gelegt hatte. Seine geiſtige Kleinlichkeit gab er außerdem
noch dadurch kund, daß er der Bildſäule Conſtantins I., welche
die heute noch aufrecht ſtehende Porphyrſäule krönte, den Kopf ab-
nehmen und ihr denſeinigen dafür aufſetzen ließ,
– 312 –
Noch einmal vereinigte dieſer Theodoſins den Weſten mit
dem Oſten zum Weltreiche, um daſſelbe bei ſeinem Tode, 395,
wieder unter ſeine beiden Söhne zu theilen. Hierdurch ſchwächte
er die Widerſtandskraft gegen die immer mehr herandringenden
Barbaren dergeſtalt, daß es die Weſtgothen bereits 396 wagen
durften, die reichſten Provinzen des alten Griechenlands, Attika und
den Peloponnes, mit eingeſchloſſen, plündernd und zerſtörend zu
überziehen, bis ihr König Alarich von Byzanz aus zum Statt-
halter von Illyrien ernannt wurde. Durch letzteren Umſtand wird
es ſogar höchſt wahrſcheinlich, daß jener Einbruch der Weſtgothen
durch den perfiden Rufinus, der damals den jungen Kaiſer Ar-
cadius leitete, veranlaßt worden war, blos, um den Stilicho,
welcher dem elfjährigen Kaiſer Honorius in Rom zur Seite ſtand,
durch die drohende Stellung der Weſtgothen hinlänglich zu beſchäf-
tigen, die denn auch in der That bald nach Italien überſetzten.
Aber den Barbaren war nun der Weg nach der ewigen Roma,
nicht ohne Schuld der Machthaber in Byzanz, gezeigt; ſie über-
flutheten fortan den civiliſirteſten Theil Europa's und ſchonten da-
bei des oſtrömiſchen Reiches keineswegs. Der ſchwache Arcadius
vermochte ebenſo wenig, als ſein Sohn Theodoſius II., jenen ent-
völkernden Gräueln ein Ziel zu ſetzen, bis der kriegeriſche Martian
450–56 wieder einige Ordnung herbeiführte. Schon war es da-
hin gekommen, daß jenem Thracier ein Bulgare von niedriger
Herkunft, alſo ein Barbar, auf den Thron folgen konnte, was aber
noch mehr iſt, viele ſeiner aus reinem griechiſchen Blute herſtam-
menden Vorgänger durch kräftige Regierungsmaaßregeln beſchämte.
Dieſem Leo I. widmete das leicht zufriedengeſtellte, dankbare Volk
auch nachmals den Beinamen des Großen, den er in der That
mehr als Theodoſius verdient hatte. Sein Tod, 474, öffnete
jedoch dem hinterliſtigen, verrätheriſchen Zeno die Thore der Macht,
welche er 17 Jahre lang mißbrauchte. Der Kaiſer Anaſtaſius
behauptete ſich hierauf mühſam gegen Aufſtände im Innern, wie
gegen Angriffe von außen, denn zu beiden reizt die Schwäche auf
dem Throne. Dem 518 hochbejahrt dieſen Thron durch Liſt und
Gold einnehmenden Juſtinus I. gebührt das Lob, daß er das
zerrüttete Reich noch einmal zweckmäßig geſtaltete. Schon aus
dieſer einzelnen Thatſache darf man folgern, daß es für die
damaligen Machthaber zu Byzanz nicht ſo übermäßig ſchwer fiel,
– 313 –
die von Hrn. Mordtmann ſo hart angeſchuldigte eentrifugale
Tendenz der Provinzen zu zügeln, ein um ſo mißlicheres Unterneh-
men, als ja eine ſo wichtige Provinz wie Illyrien längſt ſchon von
den Gothen eingenommen geweſen war. So konnte es denn auch
dem unmittelbaren Nachfolger Juſtinian, 527–65, leicht werden,
der Regierung neuen Glanz und Ruhm zu erwerben. Ihm gelang
es, den gelehrten Tribonian an den ihm gebührenden Platz zu
ſtellen, um den Codex Juſtinianeus, die Inſtitutionen, die Pandekten,
und die Novellen auszuarbeiten, welche für alle Zeiten rühmliches
Zeugniß für die wiſſenſchaftliche Thatkraft der damaligen Griechen
ablegten. Die noch heute als ein Wunderwerk der Baukunſt da-
ſtehende Sophienkirche verdanken wir ſeiner unermüdlichen Thätigkeit
und Bauluſt, die jedoch auch die Anlegung von feſten Kaſtellen
läugs der Grenze nicht verſäumte. Aber der Rennbahn-Aufruhr
von 531, während welches die ältere, von Conſtantin erbaute So-
phienkirche, ein Theil der Stadt und des kaiſerlichen Palaſtes durch
die Flammen verzehrt wurde, hatte nur durch ſeine parteiiſche Hin-
neigung zu einer der beiden ſtreitenden politiſchen Parteien, durch deren
Einfluß die andere ſich jeden Rechtsſchutzes förmlich beraubt ſah, auf-
lodern können. Er konnte zuletzt nur durch die Hinmetzelung von
30,000 Menſchen gedämpft werden, die größtentheils der durch den
Kaiſer zur Verzweiflung getriebenen, einer früheren Dynaſtie zuge-
neigten Partei angehörten. Auch hatte Juſtinian ſich in dieſer dringen-
den Gefahr bereits feiger Verzweiflung hingegeben, als ſeine heroiſche
Gemahlin Theodora ihm den Muth wieder erweckte und die Tapferkeit
der Garden von neuem anſpornte. In Folge des auf ſolche Weiſe
heraufbeſchwornen unſäglichen Elendes brach in dem nämlichen Jahre
die orientaliſche Peſt zum erſten Male in Conſtantinopel aus, und
verſchwand in 63 Jahren nie ganz. – Außerdem erlag das Volk
der Provinzen dem Drucke der Steuern und Monopole, welche dem
Glanze des ſchwelgeriſchen Hofes und der Hauptſtadt dienen mußten.
Wenn man die die Hülfskräfte des Staates übermäßig in
Anſpruch nehmenden ausgedehnten Kriege hinzufügt, welche Juſti-
nian durch ſeine kriegserfahrenen, tapferen Heerführer Beliſar
und Marſes gegen die Vandalen, Gothen, Perſer u. ſ. w. führen
ließ, wenn man weiß, daß dieſe Kriege großentheils nur unternom-
men worden waren, um die der Lehre des Arius huldigenden
Vandalen und Gothen zur Annahme der Beſchlüſſe des letzten Con-
14
– 314 –
ciliums von Conſtantinopel zu zwingen, daß alſo, um geringer Ab-
weichungen in der äußern Form chriſtlicher Glaubensſätze willen,
auf ſeinen Befehl das Blut vieler Tauſende von Menſchen ver-
goſſen, der Flor ganzer Provinzen unter die Füße getreten werden
mußte, ſo würde dies genügen, jenem hochgerühmten Juſtinian
einen großen Theil der Schuld an den bald auf ihn folgenden
jähen Sturz des Reichs zuzuſchreiben. Aber es kommt auch noch
hinzu, daß ſein unter den Einfluſſe von ſchmeichleriſchen Höflingen,
Eunuchen und Weibern ſtehender Hof die Sittenverderbniß zunächſt
in die Hauptſtadt, von dieſer aus endlich bis zu den Grenzen des
Reiches ausdehnte. Und ſo leidet es keinen Zweifel, daß dieſer
mit der Kraft der höchſten Erhebung des Staates ausgerüſtete,
von weiſen und tapfern Männern unterſtützte Kaiſer jene Macht
unweiſe benutzt und im Ganzen dem Reiche zwar äußeren Glanz,
aber im Innern langſam um ſich freſſendes Verderben bereitet hat.
In der dem Juſtinian folgenden langen Reihe griechiſcher Kai-
ſer finden wir keinen, der im Stande geweſen wäre, jene ſtrenge
Zucht und haushälteriſche Ordnung wieder herzuſtellen, deren Ver-
nachläſſigung das Sinken des Staates beſchleunigten. Am wenigſten
vermochte dies Juſtinian's ſchwächlicher Neffe, Juſtinus II.
Unter Gräueln der empörendſten Art, Blendung, Ausſtechen der
Augen, Gift und hinterliſtigen Mord, beſtiegen fortan in der Regel
Unwürdige den beſudelten Thron zu Couſtantinopel, deren Mehrzahl
nur zu nennen, oder die lange Reihe ihrer Frevel aufzuzählen, ein
zu widerſtrebendes Unternehmen iſt, als daß es hier zur Anwendung
kommen dürfte. Das Volk wurde vom laſterhaften Hofe aus
methodiſch zu Grunde gerichtet, und vermochte darum freilich, als
die Stunde der Entſcheidung ſchlug, jenem nicht mehr aufzuhelfen.
Der ehemalige Hauptſitz griechiſcher Gelehrſamkeit, die Schule zu
Alexandrien, war ſeit mehreren Jahrhunderten bereits zum Schat-
ten ihrer früheren Größe herabgeſunken, als ſie endlich im Jahre 640
n. Chr. bei Eroberung der Stadt durch Omar zerſtört, ihre ſeit
einem Jahrtauſende aufgeſpeicherten literariſchen Schätze verbrannt
und ſo die meiſten von dieſen der Nachwelt für immer entzogen
wurden. Zugleich gefielen ſich die zahlreichen und herrſchſüchtigen
Geiſtlichen in ſcholaſtiſchen Spitzfindigkeiten und in ſchroffeſter Un-
duldſamkeit gegen Andersdenkende.
Es läßt ſich nicht behaupten, daß nicht noch einzelne griechiſche
– 315 –
Herrſcher das Hinſinken ihres Volkes zum allmähligen Untergange er-
kannt, auch ihm entgegen zu treten nicht den guten Willen gehabt hätten.
Leo, der Iſaurier, verbot im Jahre 726 n. Chr. den Bilderdienſt ſei-
ner Kirche, der bis zur ſtumpfſinnigen Anbetung materieller Idole entar-
tet war. Aber er hatte nicht beachtet, daß das Volk nur von der Schule
aus, und nur durch rationelle Erziehung allmählig zu höherer Einſicht
und reinerer Sitte empor gehoben werden kann. Die plötzlich ein-
geführte Neuerung ſtieß deshalb auf den vereinten Widerſtand der
rohen Volksmaſſe und der auf ihre Rechte eiferſüchtigen Lehrer und
Geiſtlichen, – ganz ſo, wie es in einem ſpät folgenden Jahrhun-
derte dem wohlmeinenden Joſeph II. in Wien geſchah. Leo,
dem man bald den Namen des Bilderſtürmers beilegte, ſuchte
die Urſache des Mißlingens ſeiner Verbeſſerungspläne in den
verderbten Schulen; anſtatt ſie zu veredeln, unterdrückte er ſie
rückſichtslos und machte ſo die moraliſche Erhebung des Volkes un-
möglich. – Sein Nachfolger Conſtantin Copronimus bemühte
ſich von 741 an ſogar, dem Bilderdienſt die mächtige Stütze zu
rauben, die ihm die Klöſter gewährten; er hob ſie auf und nöthigte
die Mönche und Nonnen, ſich zuſammen trauen zu laſſen und dann
zu arbeiten. Er wagte es endlich, das Anrufen der Apoſtel und der
Heiligen zu verbieten. Die große Maſſe des Volkes ſpendete ſeiner
Regierung Beifall, ſo daß dieſe 35 Jahre lang dauern konnte.
Indem aber zugleich die Kloſter-Bibliotheken zerſtreut wurden, ent-
zog er der Wiſſenſchaft den feſten Boden, von welchem aus ſie
ſich ſpäter, unter günſtigeren Verhältniſſen, hätte regeneriren kön-
nen. Leo IV., der Sohn jenes Bilderhaſſers, folgte dem Beiſpiele
des Vaters ſtreng. Als er aber mit ſeiner Gemahlin Irene zer-
fiel, die dem Bilderdienſt heimlich anhing, ſo ſtarb er ſchnell unter
verdächtigen Umſtänden. Irene übernahm im Namen des unmün-
digen Sohnes die Regierung, ſtellte die Bilderverehrung, ungeachtet
des Widerwillens der Soldaten und des Volkes gegen ſie, wieder
her. Als ſie fortfuhr, den mündig gewordenen Sohn einzuſperren
und unwürdig zu behandeln, ſtieß man ſie vom Throne und erhob den
Sohn auf denſelben. Dieſer benahm ſich ehrenhaft gegen die Mutter
und tapfer gegen die Feinde. Die barbariſche Mutter wußte ihn
indeſſen durch beſtochene Räthe zu Grauſamkeiten zu verleiten, und ließ
ihm endlich durch feile Soldaten die Augen ausſtechen, während ſie
ſich in der Nähe der Gräuelſcene befand. Sie ſchwang ſich dann
14*
– 316 –
wieder auf den Thron. Bald aber wurde das Volk der Ränke
des mordluſtigen, herrſchſüchtigen Weibes müde, welches 801 ſogar
eine Heirath mit Carl dem Großen anſtrebte. Zum zweiten
Male entthront, ſtarb ſie endlich in der Verbannung. So hoch
aber war die Macht des Bilderdienſtes bei den entarteten Griechen
bereits geſtiegen, daß der fortdauernde Streit um ſeine Zulaſſung,
die unter der Kaiſerin Irene von 792–802 Statt fand, oder ſein
815 durch Leo den Armenier erneutes Verbot, genügend war,
den Sinn für eine reinere religiöſe Erkenntniß ſelbſt in der großen
Maſſe mehr und mehr zu verfinſtern und zu unterdrücken. So ſah
man ſich endlich 842 genöthigt, die übermächtige Bilderverehrung
wieder herzuſtellen, und ſeitdem hat ſie bis auf den heutigen Tag
ihre Herrſchaft unter den Griechen aufrecht erhalten. Zu ſpät er-
griffen Bardas und ſein Neffe Michael III. von 860–67 das
richtige Mittel zur Volkserhebung; ſie ſtellten die Schulen im gan-
zen Reiche wieder her. Der Kaiſer Baſilius I. begünſtigte in den
Jahren 867–886 ebenſo die geiſtige Erhebung des Volkes nach
Kräften; er ging mit gutem Beiſpiele voran, indem er dem be-
rühmten Photius die Leitung des Unterrichtes in der kaiſerlichen
Familie übertrug. Sein Sohn Leo VI., der Philoſoph, fuhr, ſelbſt
als Schriftſteller thätig, von 886–911 auf dieſem Wege fort.
Unter ſeinem Sohne Conſtantin Porphyrogenitus, von
911–959, blühten ſogar höhere Schulen für Philoſophie, für Rhe-
torik, für Geometrie, für Aſtronomie zu Conſtantinopel. Er wen-
dete ſeine ganze Thätigkeit auf, um dieſe Schulen nicht allein dem
Religionsunterrichte dienſtbar ſein zu laſſen, wie dies bis dahin
großentheils der Fall geweſen war, ſondern er ſuchte ſie allen Volks-
klaſſen zugänglich zu machen, pflegte auch die Wiſſenſchaften um ihrer
ſelbſt willen.
Dieſer „im Purpur geborne“ Conſtantin lieferte zugleich
als Schriftſteller einen kläglichen Aufſchluß über die Art der
Beſchäftigungen griechiſcher Kaiſer ſeiner Zeit. Er wußte nichts
ſeiner hohen Würde Angemeſſeneres zu ſchreiben, als ein Buch über
die Ceremonien des byzantiniſchen Hofes. – Dem Naturforſcher
mag es ergötzlich ſein, daraus zu erfahren, daß es des Garderoben-
Meiſters Pflicht war, den Theriak, das Hinidſchin (Aſand) und
andere „giftwidrige“ Mittel, ſowie Oele, Pflaſter und Salben.
– 317 –
zu bewahren und zu beaufſichtigen*). Daher konnte auch wohl ein
Arzt ſo bedeutungsſchwerem Amte vorgeſetzt werden, wie das wirk-
lich mit Theophanus oder Nonus und Symeon Seth ge-
ſchehen iſt *). Unwillkührlich ſieht man ſich zu dem Vergleiche
mit dem Zeitalter Ludwig’s XV. in Paris und mit der aus ihm
aufgeſproßten Saat von Pomadentöpfen und Puderquaſten hinge-
drängt, die damals bei der Flucht vom Schlachtfelde bei Roßbach
durch die eleganten Krieger Ludwig's ausgeſtreut wurde.
Die gründlichſte Ueberzeugung, der wohlwollendſte. Sinn, der
mächtigſte Wille genügten indeſſen nicht mehr, der Erſchlaffung und
Entſittlichung des Volkes Grenzen zu ſtecken. Frömmelei war an
die Stelle der Frömmigkeit getreten, abergläubiſches Formelweſen
hatte ſich in das Gewand der Gottesverehrung gekleidet, zahlloſe
Mönche und Weltprieſter erfüllten Kirche und Gemeinweſen mit dem
Geſchrei nutzloſer Streitigkeiten und ſcholaſtiſcher Subtilitäten, die
durch häufige Concilien mehr genährt als vermindert wurden. Unter
dem Kaiſer Johannes, der 45 Jahre lang die Zügel der Regierung in
ſchwachen, zitternden Händen hielt, mußte man den Einbruch der Ge-
nueſer und der Barbaren in der Stadt zugleich fürchten. Und –
als dieſe Noth am dringendſten war, hielten ehrwürdige Väter zahl-
reiche Verſammlungen, um über die Bedeutung der Ausſage hirn-
verbrannter Mönche zu disputiren, welche eine heilige Flamme aus
ihrem Nabel hatten emporſchlagen ſehen. Augenſcheinlich hatte der
Wahnſinn der Mönche anſteckend auf die Männer gewirkt, die ſich
ernſtlich mit ihm beſchäftigen konnten. Haß gegen anders denkende
Bekenner der Religion der Liebe wurde von allen Kanzeln gepre-
digt und ſo konnte es geſchehen, daß, als im Jahre 1096 die
abendländiſchen Chriſten, angefeuert durch die Reden des Mönches
Peter von Amiens und des Papſtes Urban II. ſich zu Heeren
von Kreuzfahrern und zu oft wiederholten Zügen nach den Geburts-
ſtätten des Chriſtenthums vereinigten, ſie von ihren morgenländiſchen
Glaubensbrüdern nicht nur lau und mit Mißtrauen empfangen,
ſondern auch mit Hinderniſſen aller Art umgeben wurden. Dieſe,
anſtatt zu begreifen, daß ihnen in ſolchen, gleichſam vom Himmel
*) De cerimoniis aulae Byzant. Ed. Reiske. Lips., 1751. Append.
ad libr. I. pag. 270.
*) S. K. Sprengel, Beiträge zur Geſchichte der Medicin. 1. Bd.
1. Stück. Halle, 1794. S. 208 u. f.
– 318 –
unerwartet und unverdient zugeſendeten gewaltigen kriegeriſchen Zu-
zügen die letzte Ausſicht erblühte, mit vereinten Kräften die längſt
die Weſtküſte Aſiens ſchon einnehmenden Türken nach ihrem Hei-
mathslande zurückzudrängen, bemühten ſich vielmehr, ſie für ihre
kleinlichen Zwecke liſtig auszubeuten, unfähig, ſich für eine erhabene
Idee zu begeiſtern. Die Kreuzfahrer empfingen ſchon bei ihrer
erſten gelungenen größeren Waffenthat in Aſien, der Eroberung von
Nicäa, den Beweis von dem, was ſie von den Griechen zu erwarten
haben würden (vergl. oben S. 144). Dieſe gedachten, mit dem Blute
abendländiſcher Chriſten zwar ihre ehemaligen Beſitzungen in Aſien für
ſich zurückzuerobern, dazu aber von eigenem Blute möglichſt wenig
und nur ſoviel beizutragen, als unentbehrlich war, um den äuße-
ren Schein zu retten. Den Kreuzfahrern konnten die Wirkungen
einer ſolchen perfiden Politik nicht verborgen bleiben, um ſo we-
niger, als der Kaiſer Alexius der Com n e n e , der die
Nachkommen des Theodoſius vom Throne gedrängt hatte, mit
den Führern der Pilgerheere nicht klug, ſondern hinterliſtig, nicht
behutſam, ſondern betrügeriſch und heuchleriſch umging*). Im
Laufe der Zeit kam es ſogar dahin, daß dieſe die Griechen mehr,
als die Türken und Saracenen fürchten zu müſſen glaubten. Blu-
tiger Kampf zwiſchen den Lateinern und Griechen folgte 1137, als
erſtere das von ihnen eroberte feſte Antiochien dem Kaiſer Joan-
nes, dem Nachfolger des Alexius, nicht herausgeben wollten; die
Uebergabe Antiochiens erfolgte erſt nach vielem Blutvergießen. Ob-
gleich hierauf Joannes, dem ſich die lateiniſchen Fürſten vertrags-
mäßig angeſchloſſen hatten, ein Heer von 200,000 Mann zuſam-
men brachte, ſo blieben ſeine Erfolge gegen die Türken doch gering-
fügig, weil die durch griechiſche Hinterliſt oft genug betrogenen La-
teiner ihm mehr hinderlich als nützlich waren, endlich ihn ſogar
durch Schlauheit zum Abzuge aus Syrien und zur Rückgabe von
Antiochien zu bewegen wußten. Unverrichteter Sache zog er 1130
nach Conſtantinopel zurück, indem er die Frucht erntete, welche aus
der Saat des unwürdigen, jedes Vertrauen ſchon im Keime er-
ſtickenden Benehmens der Griechen erwachſen war. So mißlang
die letzte große kriegeriſche Unternehmung der Griechen; ihre Glau-
*) Vergl. F. Wilken, Geſchichte der Kreuzzüge, 1. Th. Leipzig, 1807.
S. 109.
– 319 –
bensgenoſſen hatten ſie von ſich geſtoßen, – wie ſie es ver-
dienten.
Mehr und mehr entbrannte fortan der Hader zwiſchen latei-
niſchen und griechiſchen Chriſten, bis denn endlich im April 1204
die Plünderung und Zerſtörung Conſtantinopels durch die fränkiſchen
Kreuzfahrer als die bedauernswertheſte Folge davon eintrat. Selbſt
die Eroberung Alexandriens durch Omar's barbariſche Horden war
ſo verderblich für Wiſſenſchaft und Kunſt, ſo erſchütternd für die
Herrſchaft des Chriſtenthums nicht geweſen, als dieſes Ueberfluthen
der Ausgeburt des roheſten Mittelalters über die in Conſtantinopel
aufgehäuften letzten Reſte humaner Bildung, klaſſiſcher Kunſt und
Wiſſenſchaft aus einer vorübergegangenen beſſeren Zeit. Der Zeit-
raum dieſer Eroberung iſt der der eigentlichen Vernichtung ihrer
Kunſtſchätze, – und hierin ſtimmen alle Geſchichtforſcher überein.
Die verhältnißmäßig kurze Friſt, welche bis zur Wiedereroberung
durch Michael den Paläologen, 1261, verlaufen war, hatte
hingereicht, die Blüthe und den Glauz der damaligen Metropole
der Wiſſenſchaft und Kunſt abzuſtreifen. Man darf freilich nicht
verſchweigen, daß die Einwohner der Stadt, ſoweit es ſie perſönlich
betraf, ihr trauriges Loos durch zügelloſen Uebermuth und feige
Grauſamkeit heraufbeſchworen hatten. Den letzten Kaiſer aus dem
Geſchlechte der Commenen, den Andronikus, hatten ſie 1185
langſam zu Tode gemartert. Dem ihm folgenden Iſaak II. ſtieß
ſein eigener Bruder Alexius III. vom Throne und ließ ihn blen-
den. Da entfloh des Geblendeten Sohn, der junge Alexius,
bewog ein ſich damals neu ſammelndes, aus Venetianern und Fran-
zoſen beſtehendes Kreuzfahrerheer durch große Verſprechungen, ihn
nach Conſtantinopel zu führen und ihn auf den Thron zu ſetzen.
Der Zug gelang. Welcher Art die damalige griechiſche Kriegszucht
geweſen iſt, ergibt ſich aus der Thatſache, daß, ungeachtet dem an-
gegriffenen Kaiſer eine Armee von 70,000 Mann zu Gebote ſtand,
dieſer dennoch bald zur Flucht genöthigt wurde. Der junge Ale-
xius beſtieg nun zwar den erledigten Thron; als er aber den
Kreuzfahrern die ihnen gegebenen Verſprechungen erfüllen wollte,
erſchlugen ihn die Griechen mit allen Angehörigen des Herr-
ſcherhauſes. – Die Art des Todes des unglücklichen jungen Ale-
xius bezeichnet die feige Grauſamkeit, welche damals die Herr-
ſchaft zu Conſtantinopel übte, ſo charakteriſtiſch, daß ſie auch an
– 320 -
dieſem Orte erzählt zu werden verdient. Die Aufrührer hatten den
rohen und unfähigen Alexius Murzuphlus kaum auf den Thron
gehoben, als er es eine ſeiner erſten Regententhaten ſein ließ, in
den Kerker des ſo eben Entthronten hinabzuſteigen, um ihm mit
eigener Fauſt durch eine eiſerne Keule die Rippen zu zerſchmettern (!!).
Eine ſo grauenvolle That mußte auf der Stelle geſühnt werden.
Die Lateiner ſchlugen die Thore ein, eroberten die Stadt im erſten
Anlaufe, plünderten mit wahrhaft kannibaliſcher Habſucht nicht blos
die Einwohner, die ſie nöthigenfalls durch Foltern zur Angabe ihres
Geldes zwangen, ſondern beraubten auch die Kirchen, die Heilig-
thümer, die von ihnen aufgebrochenen Kaiſergräber, zerſtreuten die
Gebeine des großen Conſtantins und ſeiner Nachfolger, ebenſo wie
die von ihnen geſammelten Bücherſchätze, verſtümmelten endlich die
herrlichſten Denkmäler der Kunſt aus Muthwillen und bloßer Zer-
ſtörungsſucht, oder, um Geld aus ihrem Metall zu ſchlagen. –
Graf Balduin von Flandern wurde ſodann zum Kaiſer ausgerufen.
Indeſſen hatten die Griechen ihrerſeits den Theodor Laskaris
zum Kaiſer erhoben. – Das von den Eroberern über die Stadt, damals
die erſte der civiliſirten Welt, gebrachte Verderben konnte nie mehr
ausgeglichen werden; der traurige Ruf folgte ihnen außerdem für
immer nach, daß ſie ungleich roher und nachhaltiger als die ihnen
ſpäter folgenden Türken zu zerſtören wußten, nicht aber, wie dieſe,
Einiges wieder aufzubauen oder auszugleichen verſtanden.
So innig waren ſtete Religionsſtreitigkeiten mit dem Weſen des
Staates verbunden, daß Johann VII., der Paläologe, wie ſein Vater
Manuel, glaubte, den Sturz deſſelben noch durch Unterſtützung von
Seiten der Abendländer abwenden zu können. Er unternahm zu
dem Ende in Begleitung des Patriarchen von Conſtantinopel und
zahlreicher Biſchöfe und Geiſtlichen eine Reiſe nach Italien. Es
kam ein Concilium zu Ferrara, ſpäter in Florenz zu Stande, auf
welchem mit dem Kaiſer zugleich der Papſt Eugen IV. erſchien. In
der That erfolgte im Jahre 1438 in der Kathedrale zu Florenz
eine wenigſtens äußerliche Vereinigung der griechiſchen und der la-
teiniſchen Kirche, nach ſechshundertjähriger Trennung beider. Die Ver-
einigungsaete wurden von dem Kaiſer, dem Papſte und der Mehrzahl
der dazu berufenen Geiſtlichen feierlich unterzeichnet. Demetrius,
des Kaiſers Bruder und Markus, der Patriarch von Epheſus, hatten
ſich aber des Unterzeichnens enthalten. Als die Griechen nun nach
– 321 –
Conſtantinopel zurückkehrten, wurden ſie von fanatiſchen Prieſtern
und dem großen Haufen des Volkes mit Mißtrauen und Verachtung
empfangen. Die Anhänger der Vereinigung waren bald auf den
Palaſt zu Conſtantinopel beſchränkt. Die von dem Papſte verſpro-
chene materielle Hülfe blieb außerdem ans und ſo erhielten den
Kaiſer Johann nur noch die Angriffe der Türken auf dem Throne,
durch welche der thörichte Volkshaufen eingeſchüchtert wurde.
Viele der zurückgekommenen Geiſtlichen bekannten, daß ſie das
unbefleckte Opfer verrathen und verdammliche Azymiten geworden
ſeien (d. h. das Abendmahl mit ungeſäuertem Brode Genießende).
Andere geſtanden, daß die Hand, welche die Vereinigung unter-
zeichnet, abgehauen, die Zunge, welche das lateiniſche Glaubensbe-
kenntniß ausgeſprochen, ausgeriſſen werden ſollte. Der ruſſiſche
Primas, Kardinal Iſidor zu Moskau, wurde durch eine Synode
verdammt und entging dem fanatiſirten Volke kaum.
Auch der zwölfte Conſtantin, der Paläologe, der letzte grie-
chiſche Kaiſer, hatte wohlmeinend geglaubt, der ſinkenden Macht
des Chriſtenthums im Oriente eine Stütze verleihen zu können,
wenn er die Anhänger des griechiſchen und des lateiniſchen Cultus
zu einem gemeinſamen Bekenntniß vereinigte. In dieſem Sinne
hatte er das Henotikon mit dem Papſte abgeſchloſſen, – leider mit
einem ſeinem Wunſche ganz entgegengeſetzten Erfolge. Der Kaiſer
Zeno hatte in einer früheren, dazu viel geeigneteren Zeit Aehnliches
bereits vergebens verſucht. Ducas *), der Augenzeuge von der
Eroberung Conſtantinopels, ſagt hierüber in hohem Grade bezeich-
nend, indem er die von den Türken in der Aja Sophia verübten viehi-
ſchen Gräuel beſchreibt: „Wäre in dieſem Augenblicke wirklich ein
Engel vom Himmel geſtiegen und hätte er die Worte verkündet:
Nehmet die Kirchenvereinigung an, und ich will die Feinde aus
der Stadt treiben, – ſie würden ſich dennoch nicht dazu bekannt
und ſich lieber den Türken, als der römiſchen Kirche überliefert
haben.“
Unter ſo maßlosthörichtem Zwieſpalte rückte die letzte, entſchei-
dende Kataſtrophe heran. Mohammed II. und ſeine Türken, welche
vertragsmäßig ſchon längſt Moſcheen in der Stadt beſaßen, wußten
genau, daß deren Bewohner ſich in einem Zuſtande der Auflöſung und
*) Historia byzantina. Bonnae, 1834. Chronikon. XXXIX. pag. 163.
14**
– 322 –
Zerſetzung befanden. Die Frucht war überreif zum Abſchütteln.
Vergebens ermannte ſich der vom Volke verlaſſene Kaiſer; tapfer
kämpfend fiel er auf der Mauer. Nur zwei Thore waren von
Griechen, die andern von fremden Hülfstruppen vertheidigt worden.
Die Seele der Vertheidigung war der Genueſer Giuſtiniani.
Das feige Volk, deſſen Hunderttauſende immer noch ſo viele ſtreit-
bare Männer hätte ſtellen können, um die Türken ſchon durch ihre
Maſſe zurückzudrängen, flüchtete ſich, anſtatt zu fechten, in die
Kirchen, um unverdienten Schutz von oben herab zu erflehen. Die
Sophienkirche war namentlich in allen ihren Räumen von Männern
und Weibern überfüllt. Jene ließen ſich von hier aus paarweiſe an
einander gebunden in die Sclaverei treiben, mußten jedoch bei dem
Abzuge vor ihren Augen die Frauen und Jungfrauen noch viehiſch
ſchänden ſehen, ohne daß auch nur einer dieſer Elenden den Kam-
pfestod ſo unermeßlicher Schmach vorgezogen hätte. Einzelne an-
erkennenswerthe, aber ſpärliche Ausnahmen ſind vorgekommen. Der
Venetianer Nic. Barbaro*) erzählt als Augenzeuge, daß Weiber
und Kinder während des Kampfes Steine auf die Mauer getragen
haben, damit die Streiter mit dieſen die Feinde empfangen konnten.
Das hiermit verdiente Lob ſchwindet jedoch wieder vor der Thatſache,
daß die erſten Türken nicht über die Mauer, ſondern durch einen
verdeckten Gang vom goldnen Horn her, bei dem Holzthor, ein-
drangen, was nur durch Beihülfe ortskundiger Griechen hatte ge-
ſchehen können. Der Umſtand, daß die dort am Waſſer wohnenden
Fanarioten unmittelbar nachher von den Siegern ausgezeichnet milde
behandelt, ja bis auf den heutigen Tag vielfach bevorzugt worden
ſind, macht es wahrſcheinlich, daß ſie Verrath getrieben und ihrem
Kaiſer Feinde in den Rücken geführt hatten.
So war denn das griechiſche Volk von ſeinem wohlverdienten
Schickſal endlich ereilt worden. Die Barbarei hatte ihren Ein-
zug in die Königin der Städte gehalten. Ihre Entvölkerung konnte
nur durch Ueberſiedelung von 5000 türkiſchen Familien aus Aſien
und Thracien einigermaßen verdeckt werden. Wenn „centrifugale Ten-
denz der Provinzen“ hierbei wirklich im Spiele geweſen wäre, ſo muß
man doch geſtehen, daß ſie ja durch mehrere Kaiſer abſichtlich veranlaßt
worden war. Der Vater des letzten Conſtantin, Manuel, theilte
*) Giornale dell' assedio di Constantinopoli. Vienna, 1856.
– 323 –
den Reſt des ſchwachen Reiches unter ſechs Söhne, von denen der
älteſte Conſtantinopel allein, mit ſeiner nächſten Umgebung erhielt.
Man ſchuf alſo, als die letzten Zuckungen des hinſterbenden Staats-
körpers bereits eingetreten waren, noch die Kleinſtaaterei, welche
Deutſchlands Verderben von je an geweſen iſt. – Die oben ge-
lieferte kurze hiſtoriſche Ueberſicht dürfte bei unbefangenen Leſern
genügen, um das Urtheil zu begründen, daß bei jenem Sturze kein
blinder Zufall obwaltete; denn tauſend Jahre lang hatte die ewige
Gerechtigkeit dem Reiche Conſtantins I. langmüthig – aber ver-
gebens – Friſt gewährt, ſeine lange Reihe von Miſſethaten zu
ſühnen, die andere Staaten weder in ſo widerwärtiger Geſtalt, noch
mit ſo klarem, durch geiſtige Bildung erhöhten Bewußtſein vollbracht
hatten.
Charakteriſtik. – Wenn es im Allgemeinen ſchon eine kaum zu
löſende Aufgabe iſt, die Charakteriſtik einer ganzen Nation ſo zu
zeichnen, daß ſie auch nur mäßigen Anſprüchen genügt, ſo iſt ſie bei der
griechiſchen Nation mit zwiefachen Schwierigkeiten umgeben. Die Grie-
chen ſind von anderen Volksſtämmen ſo oft überfluthet, ſie haben ihren
urſprünglichen klaſſiſchen Typus durch vielfache Kreuzung mit jenen ſo
weſentlich umgeſtaltet, daß es nöthig ſein würde, die einzelnen zer-
ſtreuten Abtheilungen des Volks in den verſchiedenen Provinzen zu
ſtudiren, um eben ſo viele geſonderte Zeichnungen zu entwerfen.
Wem hierüber noch Zweifel übrig bleiben ſollte, der würde dieſen
wahrſcheinlich ablegen, ſobald er Hrn. Fallmerayer's *) gründliche
Unterſuchungen über dieſen Gegenſtand näher kennte. Am reinſten
haben ihr Blut offenbar die im Fanar zu Conſtantinopel ſelbſt
lebenden Griechen erhalten, deren Wohnungen von Galata und
Pera durch den Hafen des goldenen Horns getrennt ſind. Dieſe
auch im übrigen Europa wohlbekannten Fanarioten lehnen jede
Verwechſelungen mit den Peroten ſtolz ab. Sie mögen ſich hier-
bei auf den Einfluß ſtützen, der ihnen von der Pforte durch häufige
Benutzung ihrer Talente eingeräumt worden iſt, indem man ſie zu
politiſchen Miſſionen in das Ausland, als Pforten-Dolmetſcher be-
nutzte, ja geraume Zeit hindurch ihnen ſogar die Verwaltung der
Donau-Fürſtenthümer anvertraute. – Hier ſoll nur von den Grie-
chen im Allgemeinen die Rede ſein, die, zur Zeit im osmaniſchen
*) Fragmente aus dem Orient, 2. Bd. Stuttgart, 1845. S. 372.
– 324 –
Reiche leben, – deren Zahl man auf etwa zwei Millionen angibt,
die gleichmäßig auf Europa und Aſien vertheilt wohnen ſollen.
Doch dürfte dieſe Zahl etwas zu gering geſchätzt ſein; Hr. v. Reden*)
zählt in Europa 1,050,000 Griechen unter türkiſcher Herrſchaft.
Die Hellenen des Königreichs habe ich perſönlich nicht beſucht under-
kläre deshalb, daß die nachfolgende Schilderung auf ſie keinen Bezug hat.
Mit den körperlichen Eigenſchaften beginnend, bemerke ich zu-
vörderſt, daß die mir in Europa und Aſien vorgekommenen griechiſchen
Männer der Mehrzahl nach eine Körperlänge von 5 4“–6“ nicht
überſchritten. Ausnahmen von 5 8“ oder 9“ ſah ich ſelten. Die Ver-
hältniſſe der einzelnen Theile des Körpers ſind jedoch vollkommen gün-
ftig, Hände und Füße meiſtens klein, die Bewegungen der Glieder ge-
meinhin lebhaft, oft zierlich, ſo, daß ſich ſchon hieraus Geſchmack und
Feinheit entnehmen läßt. Von den andern Volksftämmtett unter-
ſcheidet man ſie dadurch leicht, am ſicherſten von dem gravitätiſchen
Türken. – Große, ſchwarze Augen mit geiſtvollem, oft ſtechendem
Blick, hochgewölbte Augenbrauen, vortheilhafter Geſichtswinkel, mäßig
hervorragendes Kinn, kleiner Mund, reiches ſchwarzes Haar, ſchmücken
beſonders die Frauen. Die Naſe iſt etwas ſtärker, als zur klaſſiſchen
Zeit; auch entbehrt ſie des damaligen geraden Rückens und des
unmittelbaren Ueberganges der geraden Linie von der Stirn aus;
die gewöhnliche Einbiegung der Naſenwurzel nach innen fehlt nie.
Schlanke, hohe Figuren bemerkte ich aber auch unter den Frauen nur
ausnahmsweiſe. Da dieſe, nebſt den fränkiſchen und jüdiſchen Frauen,
allein völlig ohne Schleier einhergeheu, ſo ſind ſie der Beobachtung um
ſo eher zugänglich. Der Sonntag gewährt hierzu die bequemſte Zeit;
Männer und Frauen lieben es, an dieſem Tage die ausgeſuchtere
Toilette in den Kirchen und auf Spaziergätigen außerhalb der Stadt
zu zeigen. -
Mit den Idealen des Apollo von Belvedere, der mediceiſchen
Venus, der Niobe u. ſ. w. in friſchem Gedächtniß, die ich in ver-
ſchiedenen Lebensaltern zuerſt in Paris, dann zu Rom und zu Flo-
renz zu bewundern Gelegenheit gehabt hatte, iſt es mir nicht ge-
lungen, die Erinnerung an dieſe Ideale im Orient lebendig aufzu-
friſchen, wie es den Hrn. Pouqueville, v. Grimm *) u. A. mög-
*) Die Türkei und Griechenland. Frankfurt, 1856. S. 78.
**) A. a. O. Th. III. S. 111.
lich war. Wenn der letztere ſagt: „Alle Eigenſchaften, durch
die ſie im Alterthume glänzten, ruhen in dem Volke, wie
der Keim in der Saat, und erwarten nur freie Luft und
warmes Sonnenlicht, um wie einſt empor zu blühen,“ –
ſo muß man erwägen, daß dieſer Gedanke zu einer Zeit niederge-
ſchrieben worden iſt, in welcher man durch ganz Europa begeiſterte
Hoffnungen hegte von dem Auferſtehen des klaſſiſchen Griechenlands
im helleniſchen Königreiche. Nachdem letzteres jetzt bereits die mitt-
lere Dauer eines Menſchenlebens hindurch beſtanden hat, ſo ſind
dieſe Hoffnungen leider bedeutend geſunken; das geiſtige Ringen zu
Athen, obgleich von einzelnen trefflichen Männern geſtützt und ge-
hoben, hat immer noch nicht vermocht, die große Maſſe des ſeit
vielen Jahrhunderten methodiſch niedergedrückten Bolkes zu durch-
dringen und zu höherer'Thatkraft zu entflammen. Würde es anders
und beſſer werden, wenn die im osmaniſchen Staate zerſtreut le-
benden zwei Millionen Griechen dem Königreiche hinzugefügt würden?
Nach dem was ich geſehen, fühle ich mich geneigt, das Gegentheil
zu vermuthen. Hr. v. Grimm wurde durch das Anſchauen einer
mit Lumpen bedeckten griechiſchen jungen Bettlerin zu einem poetiſchen
Erguſſe begeiſtert. Die phantaſiereiche Empfänglichkeit, die ſich
hierdurch bekundet, mag Den, welcher ſie beſitzt, glücklich machen;
aber dem nüchtern beobachtenden Naturforſcher wird man es auf
der andern Seite nicht verargen, wenn er der Phantaſie weniger
Raum vergönnt, und ſich an das vor ihm liegende Reale hält. Die
Reiſe des Hrn. Pouqueville *) durch die helleniſchen Provinzen
fällt in die Zeit der faſt durch ganz Europa verbreiteten glühenden
Theilnahme für die damals unter den Griechen auflodernden Frei-
heitsflammen. Wer hätte damals nicht gerne das Möglichſte ge-
than, um die Nachkommen des großen Volkes in ihren politiſchen
Beſtrebungen für die Unabhängigkeit von einer barbariſchen Regie-
rung zu unterſtützen? Aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet, erklären
ſich manche Ausſprüche des begeiſterten Schriftſtellers leicht, die er
nach einer vierzigjährigen Abkühlung heute vielleicht nicht wiederholen
würde. Damals ſah Hr. Pouqueville die Züge des ſchönen Ideals
auch in dem zweimal unterjochten Volke; heute würde er erkennen
müſſen, daß auch der Genuß der Selbſtſtändigkeit nicht im Stande
*) Voyage dans la Grèce. Paris, 1826. pag. 187.
– 326 –
geweſen iſt, jenen hohen Sinn wieder zu erwecken, der zu unſterb-
lichen Thaten begeiſterte. – Um jedoch zu zeigen, daß der ruhige
Beobachter des regen Sinnes für griechiſche Schönheit aus der
klaſſiſchen Zeit nicht baar iſt, will ich bei dieſer Veranlaſſung mit-
theilen, daß mir auf meinen Wanderungen zwei Orte aufgeſtoßen
ſind, die den Urtypus altgriechiſcher Schönheit unvermiſchter bewahrt
haben, als vielleicht irgend ein Ort im heutigen Griechenland. Es ſind
die Städte Amalfi und Syrakus, beide urſprünglich groß-
griechiſche Colonien. Das gegenwärtige Amalfi zeigt außer ſeiner
Kirche kaum einige Spuren ſeiner ehemaligen Größe, die in das
10. und 11. Jahrhundert n. Chr. fällt. Damals war es durch
ausgedehnten Handel und Schiffſahrt reich, macht auch ſogar auf
die Erfindung des Compaſſes Anſpruch. Gegenwärtig fabricirt
es Macaroni und geringe Papierſorten. Hier nun war es, wo mir
ſchon der Sohn des Gaſtwirthes, ein 14jähriger Knabe, an Körper-
geſtalt, Geſichts- und Schädelbildung als ein vollendeter Altgrieche
auffiel. Mein Erſtaunen wuchs aber nicht wenig, als mir, indem
ich eine ſchmale Bergſchlucht hinter dem Städtchen hinauf wandernd
einer Zahl von zehn bis zwölf Knaben und junger Mädchen begeg-
nete, die aus den oberhalb gelegenen Papiermühlen Ballen auf dem
Kopfe nach den Magazinen der Stadt trugen. Die durch dieſe Be-
ſchäftigung nöthig werdende aufrechte Haltung begünſtigte meine
aufmerkſame Beobachtung. Ihre Mehrzahl trug dieſelben körperlichen
Merkmale an ſich, welche ich vorher an dem Gaſtwirthsſohne be-
wundert hatte. Namentlich erreichte der Geſichtswinkel das möglichſt
vortheilhafte Maaß von 85–90°; die Schädelform erſchien als
ein tadelloſes Ovoid gewölbt; die gerade griechiſche Naſe ließ an
ihrer Wurzel kaum eine ſchwache Einbiegung bemerken; die Augen
ſchienen weniger voluminös, als die vieler Neapolitaner, aber die
Augenlidſpalten waren weit geſchlitzt, und aus ihnen blickte ein glän-
zendes dunkelbranues Auge intelligent und in einer Weiſe anziehend
hervor, die ſich beſſer empfinden, als in Worten ausdrücken läßt.
Man rechne noch ſchön geſchwungene Augenbrauen und ein voll-
ſtändiges Ebenmaaß der Glieder hinzu, und man wird dann das
Staunen des Beobachters gerechtfertigt finden, welches auch durch
deſſen Freund und Begleiter, Hrn. Geh. Rath Krüger (der
jetzt zu Liegnitz in Schleſien lebt), getheilt wurde. Dieſe Perſonen
gehörten den niederen Ständen an, die ſich dort vielleicht um ſo
– 327 –
unvermiſchter erhalten haben, als das Städtchen von den großen
Straßen fern liegt und ſelbſt von Touriſten nicht häufig berührt
wird; ebenſo läßt der jetzt verſandete Hafen auch keinen Seehandel
mehr zu, der den Namen verdiente. – Der zweite Ort, der Aehn-
liches, jedoch in viel geringerer Zahl, darbietet, iſt Syrakus.
Aber hier darf man die klaſſiſchen Formen, welche an den griechi-
ſchen Urſprung von Syrakus erinnern, nicht mehr bei dem gemeinen
Volke, nicht bei den Weibern ſuchen, die heute im blanduſiſchen
Quell ihre Wäſche ſäubern, indem ſie dem hinabſchauenden Fremden
widerwärtige Rufe zuſenden. Jedoch in der höheren Geſellſchaft bin
ich einzelnen Frauengeſtalten begegnet, welche dem Profil und der
Körpergeſtalt nach, mich unwillkürlich an die unter dem Namen
einer Venus im Muſeum zu Neapel vorhandene Statue erinnerten,
die eine Jungfrau darſtellen ſoll, welche ihren Rücken im glänzenden
Meere bei Syrakus abſpiegelt.
Nach dem dort Beobachteten muß ich mich mit Blumenbach*)
einverſtanden erklären, welcher behanptet, daß die Geſichts- und Schä-
delbildung altgriechiſcher Statuen nicht, wie Viele gemeint haben, von
den Künſtlern blos idealiſirt, ſondern den täglich ihnen vorſchwebenden
Modellen wirklich nachgebildet ſind, wenngleich die geziemende Rückſicht
darauf, ſtets nur die ſchöneren Formen zur Geltung zu bringen, nir-
gends zu verkennen iſt. Blumenbach**) ſtützt ſeine Anſicht auf
den von ihm abgebildeten altgriechiſchen Schädel, dem leider der
Unterkiefer fehlt. Mir ſcheinen die erwähnten lebenden Köpfe nicht
blos treffendere, ſondern auch anziehendere Beweiſe für Blumen-
bach's Behauptung zu liefern. Hr. Pritchard*) bildet übrigens
einen altgriechiſchen Schädel ab, der hinſichtlich des Geſichtswinkels den
Blumenbach'ſchen noch etwas übertrifft. Leider findet ſich die Abſtam-
mung des Schädels nicht angegeben; iſt er vielleicht ideal? – Es galt,
den Meiſterwerken des Phidias und Praxiteles ihre Geltung als gelun-
genſte Nachbildungen wirklich vorhanden geweſener ausgezeichneter
Körperformen zu ſichern, auch bildende Künſtler auf die ſich ihnen
vielleicht in Amalfi darbietende Fundgrube aufmerkſam zu machen,
weshalb die ausgedehntere Behandlung des intereſſanten Gegenſtan-
des entſchuldigt werden mag.
*) Decas sexta collectionis craniorum. Gottingae, 1820. pag. 7.
*) Eod. 1. Tab. LI.
***) The Natural History of Man. III. Edit. London, 1848. pag. 199.
– 328 –
Indem ich mich nun zur Schilderung der geiſtigen Seite der
osmaniſchen Griechen wende, empfinde ich das Widerſtreben, welches
dem Bewußtſein folgt, wenn man eine Arbeit unternimmt, die
wenig Dank, bei dem Geſchilderten vielmehr das Gegentheil, erndten
wird. Aber der Plan der Schrift fordert dieſe Arbeit, bei der ich
übrigens nur einen breit getretenen Weg beſchreiten kann. –
v. Hammer*) fand in den Griechen ein Gemiſch von glänzenden
Eigenſchaften und dunkeln Schwächen, – von Geſchmack und Fein-
heit mit Hinterliſt und Schlauheit. – So iſt es noch heute. Aber
die Griechen beſitzen eine Art des Stolzes, die kaum bei einer andern
Nation, in ſolchem Grade ſelbſt bei den Römern nicht, zu finden
iſt, nämlich den Stolz auf den Ruhm der Voreltern aus einer längſt
untergegangenen, frühen Zeit. Es finden ſich wenige Griechen, die
nicht der Meinung wären, daß ſie dieſe große Vorzeit mit mäßiger
Anſtrengung wieder heraufbeſchwören würden, ſofern die maaßgebenden
europäiſchen Regierungen ſie nur frei handeln laſſen möchten.
Freilich gibt es auch außerhalb Griechenland Regionen, in denen
ein ſolches eigenthümlich hoffärtiges Weſen verwandtſchaftlichen An-
klang und Nachſicht finden mag; aber wo es auf einer ſo gebrech-
lichen Grundlage ruht, als bei der unermeßlichen Mehrzahl der Grie-
chen, da ſtreift es gar hart an das Lächerliche. Außerdem zeigen
ſich die mit Macht bekleideten Griechen ſtets befehlshaberiſch und
hochfahrend. Sie übertreffen hierin faſt ihre Herren, die Türken,
um ihre Mitbürger die erlangte hohe Stellung empfinden zu laſſen.
Was das Keimen der edlen Saat betrifft, die nach Hrn. v.
Grimm *) „nur der freien Luft und des warmen Sonnen-
ſcheins bedürfen würde,“ um fröhlich zu gedeihen, ſo ſcheint
der Grund und Boden ſtark überſchätzt worden zu ſein, in welchem
verſchloſſen jene Keime jetzt ruhen. Jener „warme Sonnenſchein“
würde, nach der gegenwärtigen Lage der Dinge, doch wohl nur aus
Norden, über ruſſiſches Eis her, zu den Griechen gelangen können,
und dieſe ſcheinen dergleichen in der That zu erwarten, auch ſogar
zu wünſchen. Hierin ſpiegelt ſich indeſſen eben die mächtige Kluft
ab, welche die klaſſiſche Zeit von der Gegenwart weit gähnend trennt.
Die alten Griechen entwickelten ihre bis zur höchſten Stufe der da-
mals möglichen Civiliſation hinaufreichende Macht aus der ihnen
*) Conſtantinopel und der Bosporus. II. S. 392.
**) A. a. O. Th. 3. S. 111.
– 329 –
innewohnenden ſchöpferiſchen Kraft; mit friſchem Jugendfeuer wuß-
ten ſie die ihnen von den Egyptern und Indern zugekommenen
Schätze der Kunſt und Wiſſenſchaft aus ſich ſelbſt zu veredeln und
in ihr Eigenthum zu verwandeln. Fremde Geſetze wieſen ſie ſelbſt
dann tapfer zurück, wenn ſie ihnen mit Hülfe unzählbarer Heeres-
ſäulen aufgedrungen werden ſollten. Jene ſchöpferiſche, göttliche
Kraft iſt altersſchwach dahingeſunken. Die heutigen Griechen wan-
deln auf den Pfaden der letzten oſtrömiſchen Kaiſer fort. Sie
klammern ſich an fremde Hülfe an, obgleich ihre eigene Geſchichte
ſie auf jedem Blatte belehrt, daß die wahre Hülfe nur von innen
heraus beſchafft werden kann.
Die meiſten osmaniſchen Griechen widmen ſich gegenwärtig dem
Erwerbe durch den Handel. Dennoch ſtehen ſie in dergleichen Geſchäften
den ruhig berechnenden Armeniern ſo weit nach, daß die Suprematie
der letzteren hierin im Oriente ziemlich allgemein anerkannt iſt.
Der unbeſtritten mit dem durchdringendſten Geiſte ausgeſtattete
Miniſter v. Stein *) nannte in ſeiner derben Ausdrucksweiſe die
Griechen „ein in allen Künſten der Hinterliſt und Ränke-
ſucht zur Meiſterſchaft gelangtes Volk.“ Hr. v. Reden **)
zieht aus ſeinen Völker-Vergleichungen den Schluß, daß „kein Volk
ſo geſchickt zur Intrigue und zum Verrath iſt, als die
griechiſche Bevölkerung der Türkei“. Aehnlichen Urtheilen
begegnet man im Oriente allenthalben; dadurch muß mit dem
Schuldigen auch der Unſchuldige leiden, und ſo kann es nicht aus-
bleiben, daß für ſie im Handel und Wandel Nachtheile hieraus
hervorgehen. In erhöhter Potenz huldigen dem Geiſte der Intrigue
die wohlhabenden Fanarioten, die den Handel in das Reich der
Politik einzuführen gewußt haben.
Zu den glänzenden Eigenſchaften der Griechen darf man die
große Leichtigkeit zählen, mit der ſie ſich fremde Sprach-Idiome an-
eignen. Viele von ihnen ſprechen, außer der unvermeidlichen türki-
ſchen, auch die italieniſche und franzöſiſche Sprache geläufig. In
dem Buchladen des Hrn. Köhler zu Pera traf ich mit zwei jungen
griechiſchen Damen zuſammen, die ſich im geläufigſten Franzöſiſch
*) S. Pertz, das Leben des Miniſters v. Stein. VI. Berlin, 1855.
S. 860.
**) A. a. O. S. 87.
– 330 –
nach den Producten der neueſten franzöſiſchen Romanen-Literatur
erkundigten und hierbei eine nicht geringe Kenntniß derſelben verriethen.
Meine Aufmerkſamkeit nahmen freilich in höherem Grade die leb-
hafte Ausdrucksweiſe, das ſprechende Auge mit ſeinem intelligenten
Blicke, die graziöſe Haltung in Gang und Geberde, in Anſpruch, –
Eigenſchaften, die den Griechinnen ſelten fehlen. Man muß ihnen lie-
benswürdiges, anziehendes Benehmen zuerkennen, ſelbſt wenn man die
antike Schönheit bei ihnen vergebens ſucht, die den helleniſchen
Frauen ungeſucht eine ſo unbeſtrittene Macht im bürgerlichen Leben
verlieh. Gewöhnlich ſind jetzt die griechiſchen Frauen mehr unter-
ſetzten, als ſchlanken Körperbaues, erlangen früh eine Fülle der
äußeren Formen, die nur durch die graziöſen Bewegungen anziehend
bleiben können. Die Toilettenkünſte ihrer Vorfahren haben ſie bis
heute treu bewahrt; Schminken der Wangen, Augenbrauen und
Wimpern, der Lippen ſind an der Tagesordnung. Die an der
Oberlippe und dem Kinn bei ihnen mitunter ſchon früh hervor-
tretenden feinen Haare wiſſen ſie durch die Wirkung eines zwiſchen
den Fingern gerollten Fadens geſchickt auszureißen. Hr. Brayer*)
beſchreibt dieſe Künſte näher.
Fanatismus und Unduldſamkeit gegen abweichende religiöſe
Anſichten kleben der großen Maſſe der Griechen eben ſo heute noch
an, als vor dem Falle des oſtrömiſchen Reiches. Bei ihnen heißen
nur die Verehrer des griechiſchen Cultus Chriſten; daher nennen
ſich auch die unirten Griechen, ebenſo wie die unirten Armenier,
Katholiken. Die Katholiken nehmen ihrerſeits wiederum keinen An-
ſtand, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die Zahl der unirten
Griechen berechnet Hr. v. Reden*) auf 25,000; ihr Patriarch reſidirt
zu Damas. Die katholiſchen Geiſtlichen ſtehen aber in der Levante
durchſchnittlich auf einer höheren Culturſtufe, als die griechiſchen,
weil ſie in ſteter Verbindung mit Rom bleiben. Hr. Sandreczki
fand in Aſien eine griechiſche Gemeinde, welche ihren Gottesdienſt
in türkiſcher Sprache verrichtete, weil ſie der griechiſchen nicht mehr
mächtig war. – Weſteuropäiſche Beſucher griechiſcher Kirchen wer-
den in der Regel unangenehm berührt durch die unäſthetiſchen Zerr-
bilder des Angeſichtes des Erlöſers. Man wähne indeſſen nicht,
*) A. a. O. I. pag. 390 n. f.
*) A. a. O. S. 81.
– 331 –
daß dieſe ausgeſucht häßlichen Formen den Künſtlern allein zur Laſt
zu legen ſeien. Auch in ihnen ſpiegelt ſich der Geiſt der Spitz-
findigkeiten wieder, welcher die meiſten orientaliſchen Concilien
belebte. Es war der hl. Baſilius, welcher auf einem der-
ſelben den Satz zur Geltung brachte, daß das Angeſicht des
Erlöſers den Glärbigen in keiner ſolchen Form zur Anſchauung
gebracht werden dürfe, durch die ſie zu ſinnlichen Betrachtungen
angeregt, oder gar von der Innigkeit des Gebetes abgezogen
werden könnten. Seitdem fordert der griechiſche Kirchenſtyl, daß
das Haupt voll Blut und Wunden mit ſtruppigen Haaren und
abgemagerten Geſichtszügen zum wahren Schreckensbilde umgewan-
delt werde. So findet es ſich denn heute in allen griechiſchen Kir-
chen und auch die leiſeſte Annäherung des Gedankens an ein gött-
liches Ideal in menſchlicher Form wird hier auf den erſten Blick
vernichtet. Es kann hier nur kurz berührt werden, daß Baſilius
d. Gr. in jener Anſicht unterſtützt wurde durch die Kirchenväter
Cyrillus, Origenes, Tertullian und Mehrere, welche ſich
ihrerſeits die Beſchreibung des Heilandes zum Muſter nahmen,
die Jeſaias, Cap. 53, v. 2 gibt. Ihre Gegner, an deren Spitze
die Kirchenväter Gregor von Niſſa, Hieronymus, Ambroſius
und Auguſtinus ſtanden, zogen mit Recht die Verſionen des Pſal-
miſten, v. 2 und 3 vor, welcher dem Gottesſohn auch eine gottähn-
liche Form verleiht. Glücklich genug hat der Ausſpruch dieſer letz-
teren die Anerkennung der römiſch-katholiſchen Kirche erhalten; dieſem
Umſtande verdanken wir die mit Begeiſterung gedachten und ausge-
führten Bilder der Schulen von Rom und Florenz, deren Anſchauung
gläubige Seelen zur Andacht entflammen kann, dagegen die Chri-
ſtusköpfe der griechiſchen Kirche Widerwillen und Abſcheu erregen. –
Pouqueville *) fand, daß die chriſtlichen Heiligen ganz in derſelben
Weiſe angerufen werden, wie ehedem die Götter des Olymp's.
Daſſelbe fand ich bei den osmaniſchen Griechen. Freilich muß man
geſtehen, daß es nicht nöthig ſein würde, nach Conſtantinopel zu
wandern, um Zeuge von übelverſtandener Heiligen-Verehrung zn ſein.
Die Anerkennung kann man den heutigen Griechen nicht ver-
ſagen, daß ſie ſich unter unſäglichen Bedrückungen und Herabwür-
digungen immer noch auf einer humanen Stufe erhalten haben,
*) A. a. O. T. IV. pag. 406.
– 332 –
unter welche viele, weniger elaſtiſche Volksſtämme, bei ähnlichen
Verhältniſſen, tiefer hinab geſunken ſein würden. An Nachweiſungen
despotiſcher Gräuel ſind die meiſten Reiſe-Erzählungen aus den
letzten Jahrhunderten reich. Beſonders eindringlich hat die von den
Türken gegen ſein Volk verübten Bedrückungen Gregor Paläo-
logus *) dargeſtellt. Der in Conſtantinopel geborene und erzogene
fürſtliche Abkömmling hat ſeine Feder freilich nicht ſelten in die
Galle gerechter Entrüſtung getaucht. Indeſſen muß man dieſe als
eine wohlbegründete anſehen und ſich für jetzt mit der Wahrnehmung
tröſten, daß die dort geſchilderten Scenen gegenwärtig entweder gar
nicht mehr, oder doch nur in ſelteneren Ausnahmen vorkommen können.
Der Mord eines geraubten griechiſchen Mädchens, auf Veranlaſſung
des Paſcha's von Varna verübt, hat vor Kurzem den Ruf der
Entrüſtung durch ganz Europa rege gemacht. Daſſelbe iſt der Fall
hinſichtlich der am 21. März 1857 ſtattgehabten Ermordung des
würtembergiſchen Meierei-Pächters Rieber aus Ebingen und ſeines
Weibes. Dieſe Gräuelthat war wahrſcheinlich von türkiſchen Sol-
daten ausgeübt worden, die an demſelben Tage aus Bukareſcht
ausgerückt waren. Der preußiſche General-Conſul, Hr. v. Meuſe-
bach, forderte ſogleich die ſtrenge polizeiliche Unterſuchung. Schon
dieſe Umſtände beweiſen, daß ſolche Miſſethaten jetzt nicht mehr,
wie ſonſt, ohne Rüge verübt werden können; aber es iſt genug,
daß ſie ſich immer noch wiederholen.
*) Esquisses des moeurs Turques au XIX. siècle. Paris, 1827.
YWIII.
Bur Geſchichte und Charakteriſtik der Armenier. – Blick auf die
früheſte Geſchichte. – Bagharſchabad. – Edſchmiadzin. – König
Tiridates. – Sein Klebergang zum Chriſtenthume während der Ver-
folgung dieſes unter Biocletian. – Ruinen von Ani. – Knterjochung
durch Perſer, Römer, Türken und Ruſſen. – Arianiſcher Religions-
Cultus. – Intellectuelle Erhebung des Volkes. – Mechithariſten. –
Buchdruckereien. – Kleberwiegender Handelsgeiſt. – Reichthümer. –
Dichtkunſt und Muſik. – Talent für Baukunſt. – Gaſtmähler. –
Bolksmedicin. – Bäder. – Armeniſche Iprache. – Phyſiſche Eigen-
ſchaften. – Kleidung. – Frauen. – Patriarchaliſche Buſtände der
Landleute. – Bolkszahl. – Artheil über die politiſche Befähigung
der Armenier.
Üohin der den Oſten Europa's, der den Weſten Aſien's
Durchwandernde auch den Fuß ſetzen mag, – ſicher trifft er mit
Armeniern zuſammen; was aber noch mehr iſt, dieſe Armenier
wiſſen ihm in vielfacher Hinſicht Achtung abzugewinnen und der
uahe liegende Vergleich mit den Nachbarvölkern fällt in der Regel
zu ihrem überwiegenden Bortheile aus. Jedenfalls verdienen ſie die
Aufmerkſamkeit des Beobachters ſtets in hohem Grade.
Wenige Völker, welche eine Geſchichte beſitzen, können ſich gleich
den Armeniern rühmen, allen nationalen Unglücksfällen zum Trotze
den urſprünglichen Boden ihrer Anſiedelungen, von der früheſten
Zeit her bis auf den heutigen Tag feſtgehalten zu haben. Sie
ſelbſt halten ſich für directe Nachkommen Noah's, der am Fuße des
Ararat zu Erivan (Eravan) zuerſt wieder trockenes Land erblickt
und dort dem Herrn einen Altar errichtet haben ſoll. Auffallend
erſcheint es immerhin, daß dort an vielen Punkten ſich im Munde
des Volkes Sagen erhalten, die auf die Geſchichte Noah's hindeuten.
Man zeigt z. B. das Grab des Weibes von Noah. Ihr König
Haigh ſoll, der Volksſage nach, ein Urenkel Japhet's geweſen ſein.
Er ſchlug und tödtete den ihn verfolgenden Nimrod am Salzſee
– 334 –
nnd begründete hierauf das Königreich Hajaſtan. Der ſechste
König oder Patriarch ſoll Arai oder Aram geweſen ſein, nach
welchem das Land fortan Aramenien, Armenien genannt wurde.
So lautet die Verſion der Armenier ſelbſt; die Griechen haben eine
andere. Während des Ueberganges der Armenier zum Chriſtenthume,
der, merkwürdig genug unter den Gräueln der durch Diocletian
eingeleiteten großen Chriſtenverfolgung ſtattfand, war die Hauptſtadt
Armeniens und die Reſidenz des Königs Tiridates: Vagharſchabad,
früher Ardimet, Khaghakh auch Norkhakh genannt. Der Byzantiner Fau-
ſtus verſichert, daß, als 354 n. Chr. der Perſerkönig Sapor II. ſie zer-
ſtörte, 19,000 Häuſer vorhanden geweſen ſeien. Das durch den Apoſtel der
Armenier, Gregor den Erleuchteten, geſtiftete Kloſter Edſchmiadzin
liegt auf dem Boden derſelben und ein Theil der dieſem Patriarchen-
Sitze gezollten großen Verehrung mag auf jenem Grunde beruhen. Ge-
genwärtig liegen 360Höfe um das Kloſter herum. Ker Porter*) fand
an dieſem von den Armeniern als Vereinigungspunkt betrachteten Orte
Ende Novembers die Luft noch milde, aber im Januar kann das Thermo-
meter bis auf – 18° R. ſinken. Im Sommer wird dagegen die Hitze
und Trockenheit der Atmoſphäre in hohem Grade drückend. Schon
dieſe wenigen Thatſachen halten den Gedanken ſehr fern, daß dort,
am Fuße des Ararat, noch heutigen Tages ein irdiſches „Paradies“
gegründet werden könnte, obgleich Tourne fort **) durch den rei-
chen Blumenflor, welchen er daſelbſt vorfand, ſich zu einer ſolchen
Annahme bewegen ließ. Auch erklärt ſich jener unangenehme Wechſel
der Temperatur, wenn man erwägt, daß Tiflis am Kur in einer
Ebene liegt, welche ſich ſchon 1100 über das Meer erhebt. In-
dem man von dort aus gegen das im Süden aufſteigende Ararat-
Gebirge hin wandert, ſo muß man drei niedrige Bergzüge über-
ſteigen, um die armeniſche Hochebene zu erreichen, welche Erivan
mit dem nahen Edſchmiadzin trägt.
Nach der erwähnten Kataſtrophe der Stadt des Tiridates
erhob ſich allmählig Ani zur Hauptſtadt Armeniens. Sie läßt
noch heute durch gut erhaltene Reſte gewaltiger Gebäude, Thürme
und Mauern auf große Macht und Kunſtliebe der einſt hier herr-
ſchenden Familie der Bagratiden (Bagration) ſchließen. Dieſe Ba-
*) Travels. I. pag. 186.
*) Relation L. C. II. pag. 139. 151.
– 335 –
gratiden regierten ſeit Achod 748 n. Chr. bis auf Kakig II. 1079.
Ker Porter *) und W. Hamilton *) beſchrieben jene Baureſte
genauer und letzterer betrachtete ſie ſogar als den früheſten Typus
mauriſcher und gothiſcher Bauart. Ani liegt 24 engl. Meilen oſtwärts
von Kars, am rechten Ufer des Arpatſchai, im heutigen Schiraghel.
Nachdem es 1064 n. Chr. durch den Seldſchuken Alp-Arslan
zerſtört worden war, unterlag es noch mehreren anderen Eroberun-
gen, bis endlich 1319 ein übermächtiges Erdbeben die Reſte der
Einwohner zum Fliehen nöthigte. An den Mauern der gut erhal-
tenen Ruinen bekunden zahlreiche armeniſche Inſchriften die ehema-
lige Größe und Pracht der Stadt.
Der armeniſche Geſchichtſchreiber Moſes von Khorene nennt
nun den Ararat den Mittelpunkt Armeniens, zugleich aber auch der
Welt ſelbſt. Dieſe Anſicht gewinnt dadurch ungemein, daß ihr
C. Ritter *) in gewiſſer Hinſicht beiſtimmte, indem er, nach
dem Vorgange von Hrn. K. v. Raumer †), dem Ararat wirklich
eine centrale Geltung in der alten Welt zuweiſt, wofür ſeine geogra-
phiſche Stellung auch allerdings ſpricht. Bei den Armeniern heißt
der Ararat: „Agherhdagh, Dagherdagh, Aghridagh“. Die Perſer
und Meder betrachten in ihren Sagen den Ararat gleichfalls als
ihre Stammburg.
Auf vollkommen unzweifelhafter hiſtoriſcher Baſis ruht indeſſen
der armeniſche König Tigranes, der Schwiegerſohn des Mithri-
dates, mit dem zugleich er im letzten Jahrhundert v. Chr. die
Römer bekämpfte, auch ſeine Herrſchaft bis nach Syrien hin aus-
dehnte, ſpäter aber, nach dem Falle des Mithridates als Bundes-
genoſſe und Freund der Römer hochbejahrt ſtarb. In der Folge
kämpften Parther und Römer um Armenien, bis es endlich unter
Trajan zur römiſchen Provinz wurde. Bei dem Sinken der
Römerherrſchaft traten jedoch noch einmal ſelbſtſtändige Könige bis
650 n. Chr. auf. Von dort ab wurden die Armenier wechſelnd
die Beute der Tartaren, Mongolen, Perſer und Türken, zu denen
endlich Rußland kam, welches 1827 den Perſern mit Erivan zu-
gleich den Sitz des armeniſchen Patriarchen zu Edſchmiadzin ab-
*) A. a. O. I. pag. 173.
*) Asia minor. I. pag. 196.
***) Erdkunde. X. S. 364 u. f.
†) Der Ararat. S. Hertha. Bd. XIII. 1829. S. 333–340.
– 336 –
nahm. Mit letztern gelangte Rußland in den Beſitz des Mittel-
punktes armeniſchen Lebens, zu welchem hin die dem Volke
innewohnende religiöſe Begeiſterung Alle gleichmäßig anzieht. Eine
Wallfahrt nach Edſchmiadzin, der Wunſch, in der dortigen Me-
tropolitankirche den Segen des Patriarchen ſelbſt empfangen zu
haben, liegt dem Armenier ebenſo nahe, als dem Muſelmanne die
Pilgerfahrt zu dem Grabe des Propheten. Dem Patriarchen fließen
reiche Geſchenke zur Inſtandhaltung des Cultus und zur Förderung
armeniſcher Schulen, ſowie nationaler Zwecke überhaupt, zu.
Die über die Erdoberfläche weithin verbreiteten, durchſchnitt-
lich wohlhabenden Armenier ſenden dorthin Spenden aus Calcutta,
Bombay, London, Moskau, Wien, Venedig, Alexandrien, Smyrna,
Conſtantinopel u. ſ. w. Ein nicht unbeträchtlicher Theil des Erd-
kreiſes wird in ſolchem Sinne tributär.
Die Armenier wendeten ſich ſchon im Jahre 303 n. Chr.
unter ihrem Könige Tiridates d. Gr., der durch den hl. Gregor
im Euphrat getauft wurde, dem chriſtlichen Cultus zu. Die Nation
folgte ihm in Maſſe und Gregor ſoll auf einmal 400 Biſchöfe
geweihet haben. Nach dem Concilium zu Chalcedon, um 536,
blieben ſie der Lehre des Arius treu, d. h. ſie ſind Monophiſiten,
die nur einerlei Natur in der Perſon Chriſti erkennen. Bekanntlich
hing ſelbſt Conſtantin I. in ſeinen letzten Lebensjahren dieſer
Lehre an; kurz vor dem Tode ließ er ſich zu Nicomedien von einem
arianiſchen Biſchofe taufen. Die große Feſtigkeit und Ruhe, welche
in dem Charakter der Armenier vorwalten, haben ſie vor religiöſen
Schwankungen bewahrt. Verhältnißmäßig wenige haben ſich durch
den Drang der Umſtände bewegen laſſen, Muſelmänner zu werden.
Auch iſt der Theil der Armenier, der ſich mit den Katholiken uuirt
hat, der an Zahl geringere; die Kopfzahl dieſer unirten beträgt
nach Hrn. v. Reden 75,000 mit einem Patriarcheu in Bezummar
im Libanongebirge. Um ſo auffallender erſcheint es, daß es, wie
oben (S. 74) ſchon bemerkt, in den letzten beiden Degennien
amerikaniſchen Miſſionaren gelungen iſt, proteſtantiſche Gemeinden
unter den Armeniern Kleinaſiens zu bilden, namentlich zu Bruſſa,
Nicomedien, Ader-Bazar, Trapezunt, Erzerum, Smyrna,
Diarbekr, Tokat, Siwas. Ihre überwiegende Hinneigung
zu tieferem, ſelbſtſtändigen Nachdenken iſt hierbei offenbar wirkſam
geweſen. Daß hiergegen eine Reaction von Seiten der armeniſchen
– 337 –
Geiſtlichen eintreten werde, die ſich der großen Mehrzahl nach auf
einer bedauernswerth niedrigen Stufe der Cultur befinden, ließ ſich
nicht anders erwarten. Der armeniſche Biſchof von Bruſſa ging
ſchon 1839 ſo weit, daß er es für unerlaubt erklärte, einen Katho-
liken oder Proteſtanten in der Nähe einer armeniſchen Kirche wohnen
zu laſſen oder gar in eine armeniſche Wohnung aufzunehmen*). Die
Geiſtlichen der unirten Armenier zeichnen ſich durch gediegenere wiſſen-
ſchaftliche Bildung und durch Gewandtheit vor den nichtunirten
aus, weil ſie ihren Unterricht großentheils im Auslande empfingen.
Um die Geſchichte des gegenwärtigen Patriarchen von Edſch-
miadzin, Narſes, hat ſich Hr. v. Haxthauſen **) durch beleh-
rende Mittheilungen verdient gemacht. Jener würdige Geiſtliche
hatte ſchon, als er noch Vicar des vorigen Patriarchen Ephrem
war, den Plan zu einer Schule für junge Armenier in Tiflis zur Aus-
führung gebracht, welche bereits 400 Schüler zählte; ihr ſollte eine hohe
Schule am Sitze des Patriarchen ſelbſt folgen. Aber Narſes
wurde bei der ruſſiſchen Regierung verdächtigt und nach Kiſ cheneff
in Beſſarabien exilirt. Die ruſſiſche Regierung ſcheint eine Ahnung
von der dereinſt zu erwartenden nationalen Stellung der Armenier
gehabt zu haben, welche möglicherweiſe unbequem werden könnte.
Fünfzehn Jahre ſpäter, als er zum Patriarchen gewählt worden
war, beſtätigte man ihn indeſſen in dieſer hohen Würde. Der feurige
Muth, mit welchem er früher die intellectuelle Erhebung ſeines
Volkes betrieben hatte, ſcheint durch jene traurigen Lebenserfahrungen
zumöglichſter Vorſicht herabgeſtimmt worden zu ſein. Die Armenier
werden vorläufig ihre höhere, wiſſenſchaftliche Ausbildung noch im
Auslande ſuchen müſſen. Und doch verdienen ſie vollkommen, daß
man ihnen dieſe auf alle Weiſe zugänglich mache.
Als ſpecifiſch armeniſche hohe Schule beſtehen die Klöſter der
Mechithariſten zu Venedig und Wien, die von vielen jungen Arme-
niern wohlhabender Familien beſucht werden. Ihr Stifter hieß
Mechithar. Die Jeſuiten hatten nämlich im Anfange des 18. Jahr-
hunderts ihre eifrigen Bemühungen dahin gewendet, die Armenier
zum katholiſchen Cultus überzuführen, indem ſie den der Armenier
für einen heidniſchen erklärten. Dies gelang ihnen damals mit einer
*) Vergl. Griſebach a. a. O. I. S. 74.
*) Transkaukaſia. Bd. 1. Leipzig, 1856. S. 261 u. f.
15
– 338 –
nicht geringen Auzahl derſelben, unter denen ſich auch wohlhabende be-
fanden. Bald jedoch erließ die mißtrauiſche türkiſche Regierung ſtrenge
Verbote gegen dieſe Converſionen; es folgten ſogar einige Hin-
richtungen übergegangener Armenier. Einer dieſer Bekehrten, Me-
chithar, erſtrebte in der That eine höhere nationale Erhebung der
Armenier. Dadurch wurde ſeine Stellung bald eine für ihn ge-
fährliche und er ſah ſich genöthigt, ſeinen Wohnort Aleppo zu
fliehen. In Venedig nahm man ihn freundlich auf und räumte ihm
in den Lagunen eine kleine Inſel zur Erbauung eines Kloſters ein,
welches er nach den Regeln des hl. Benedict hier einrichtete. Letz-
teres hat bis zum gegenwärtigen Augenblicke auf die Cultur und
Literatur der Armenier höchſt wohlthätig eingewirkt. – Aber ſchon
früh hatte ſich das Anſtreben der Armenier zu geiſtiger Erhebung
durch Anlegung von Buchdruckereien kund gegeben, z. B. zu Lem-
berg, dann in Mailand, Paris, Amſterdam, Leipzig, Padua, bis
Conſtantinopel 1777. In Edſchmiadzin ſollen gegenwärtig nur
armeniſche Kalender und Gebetbücher gedruckt werden. – Auch
ſieht man in den weſtlichen Hauptſtädten Armenier nicht ſelten ihre
wiſſenſchaftliche Bildung vervollkommnen. Eine von dem ruſſiſchen
Oberſten Lazareff zu Moskau eingerichtete armeniſche Bildungs-
anſtalt erzieht junge Armenier zu Dollmetſchern oder bereitet ſie zu
Univerſitätsſtudien vor. – Auch zu Culcutta befindet ſich ein arme-
niſches Collegium mit einer Buchdruckerei. Und wir erfahren aus der
Reiſe des Prinzen Waldemar *) von Preußen nach Indien, daß
ſich im Jahre 1832 zu Calcutta 636 Armenier befanden, gegenüber 509
Mongolen, 203 Juden, 40 Perſer und 35 Araber. Unter den Künſten,
welchen ſich die heutigen Armenier hingeben, ſteht die Baukunſt oben
an. Es gibt zur Zeit nicht wenige Architekten, die von den Türken
beſonders hoch geachtet werden. Dieſen wohlunterrichteten Männern
ſollten die Regierungen die Mittel verſchaffen, die Ruinen der wichtigen
altarmeniſchen Denkmäler an Ort und Stelle zu unterſuchen; leider
iſt hierzu wenig Ausſicht vorhanden. Hr. Bodenſtedt*) fand
in den Ruinen des alten Manglis in Georgien eine wohlerhaltene
Kirche aus dem 4. Jahrhundert n. Chr, welche die Ruſſen in einen
Kuhſtall umgewandelt hatten. Die gehörnten Vierfüßler hatten die
*) Im Auszuge von Kützner. Berlin, 1857, S. 134. Anmerk.
**) Tauſend und ein Tag im Orient. Bd. 2. S. 23.
– 339 –
Inſchriften und Heiligenbilder rings herum abgerieben. Solche
Vorkommniſſe ſind unter der ruſſiſchen Herrſchaft nach Hrn. Boden-
ſtedt nicht Ausnahmen, ſondern Regel. Die in den Städten leben-
den Armenier widmen ſich jedoch großentheils dem Handel. Man
hat ſie deßhalb die Juden der Türkei genannt. Daß die letzteren
ſich ihnen nicht haben gleichſtellen können, beweiſt der tief geſunkene
Zuſtand, in welchem man die meiſten Juden der Türkei vorfindet. Die
armeniſchen Handelsleute treten dagegen durchſchnittlich mit Würde,
Ruhe und Anſtand auf. Ihre Banquiers haben denn auch da-
durch in Conſtantinopel eine ungemein einflußreiche Stellung
gewonnen; bei ihren häufigen Geldverlegenheiten pflegt die türkiſche
Regierung ſich faſt nur an ſie zu wenden. Ihr Rechnungstalent
iſt ein allgemein anerkannt überwiegendes. – Wenn die Juden ſich
dort mit kleineren Wechſelgeſchäften begnügen, ſo haben die Armenier
großentheils den Karavanen-Handel in der Hand. Mitglieder ar-
meniſcher Handlungshäuſer durchſtreifen nicht ſelten den ganzen
Orient bis nach Bombay und Calcutta; in den Hauptſtädten
Weſt - Europa's ſieht man ſie häufig. Man hat ſie eigennützig
und geizig geſcholten. Aber in der Türkei hatten ſie von jeher die
gewichtigſten Urſachen, ihre Reichthümer zu verbergen. Unterneh-
mungen zur Förderung des Wohles ihres Volkes unterſtützen ſie
dagegen gern in liberaler, großartiger Weiſe, wo dies, ohne Auf-
ſehen und Mißtrauen zu erregen, geſchehen kann. – Hr. v. Hammer“)
rühmt von den Armeniern zwar Fleiß, Ausdauer, Erwerbſam-
keit und Mäßigkeit; aber er rügt an ihnen zugleich Geſchmacks-
Barbarei, Unverſchämtheit und göttliche Grobheit. Höchſt wahr-
ſcheinlich ſpricht Hr. v. Hammer nur von den Kaufleuten in Con-
ſtantinopel, die ſich im täglichen Umgange mit dem aus allen Nationen
zuſammengewürfelten Geſindel von Galata und Pera einige Grobheiten
wohl nicht ohne guten Grund angewöhnt haben mögen. Die Muſen
und die Grazien gedeihen aber nirgends unter der Herrſchaft der
Despotie. Dichtkunſt, Malerei, Bildhauerei und Muſik ſcheinen
den gegenwärtigen Armeniern im Ganzen freilich fern zu liegen. Hr.
Rigler*) gibt indeſſen den Armeniern das Zeugniß, daß ſie das
gebildetſte Volk im Orient ſind, mit welchem die dort gebornen Franken
“) Conſtantinopel und der Bosporus. Bd. 2, S. 391. -
*) A. a. O. I. S. 169. - -
- -
15*
– 340 –
ſich in der Regel nicht meſſen können. Es dürfte hier freilich über-
wiegend auf die Einwohner von Conſtantinopel und Smyrna Rück-
ſicht genommen worden ſein. – Ihre Geſänge ermangeln nach tür-
kiſchem und perſiſchem Muſter der Melodie und der Harmonie zu-
gleich. Und doch hörte Hr. v. Grimm *) in der armeniſchen Kirche
zu Conſtantinopel einen durch Knaben gut ausgeführten vierſtimmigen
Choral-Geſang, welcher ihm aus Amſterdam hierher gelangt zu ſein
ſchien. In Hoch-Armenien ziehen blinde Sänger umher, die bei
Volks- und Familienfeſten nicht füglich fehlen dürfen. Ihnen wird
in den Häuſern ein erhabener Platz eingeräumt; auch bedient man
ſie beſonders aufmerkſam. Zu ihren Geſängen benutzen ſie häu-
fig die tartariſche Sprache; ſie begleiten ſie mit einem einfachen
Saiten-Inſtrumente, der „Saß“, welches der ruſſiſchen Balaleika
und dem ſlaviſchen Gurli ähnlich iſt. Hr. Dubois de Mont-
peraux *) hatte die ſeltene Gelegenheit, verſchiedene orientaliſche
Geſangsweiſen zu Kulpe in Armenien nach einander zu hören und
ſie mit einander zu vergleichen. Er fand beſonders kurdiſche Lieder
durch einen ernſthaft melancholiſchen Charakter ausgezeichnet, har-
moniſch und rhytmiſch wohltönend; ihnen ähneln die kaukaſiſchen und
lesghiſchen; die letzteren ſagten ihm durch Einfachheit und Harmonie
beſonders zu. – Den Geſang halten indeſſen die gebildeten Orien-
talen allgemein für unentbehrlich zur Erhebung der Dichtkunſt.
Hr. Bodenſtedt *) läßt deshalb den Mirza-Juſſuf, der ſeine
Studien des Arabiſchen in Bagdad gemacht hatte, den Mirza-
Schaffy in Tiflis einen „Iſche kj“, einen Eſel unter den Trä-
gern der „Wiſſenſchaft“ nennen, denn „ſingen kann er
gar nicht! Nun frag' ich dich: Was iſt Wiſſen ohne
Schrift? Was iſt Weisheit ohne Geſang?“ Wenn aber
die Armenier des Kunſttalentes ſo ganz ermangelten, ſo würden ihre
in der Baukunſt neuerdings erzielten Erfolge ſchwer erklärlich ſein;
freilich muß hierbei erwogen werden, daß ſich auch bei den Griechen
und Römern, zur Zeit des Verfalles der Künſte, die Architektur
am längſten erhalten hat. – Von den Kaufleuten rühmt Hr. v.
Haxthauſen +) übrigens noch ſpeciell, daß, ſobald ſie von dem
*) A. a. O. Th. 3. S. 128 u. f.
*) Kaukaſiſche Reiſe. Bd. 2. S. 141.
*) A. a. O. Bd. 1 S. 94.
†) A. a. O. Bd. 1. S. 492.
– 341 – /
Geſchäftsverkehr in die Familie zurückgekehrt ſind, ſie jederzeit in
dieſer die urſprüngliche patriarchaliſche Liebenswürdigkeit ſtets von
neuem entwickeln.
Den Freuden der Tafel und des Wein's ſind die Armenier
durchaus nicht abhold. Hr. Kolenati*) wurde zu einem arme-
niſchen Gaſtmahle geladen, deſſen zahlreiche Gänge er gewiſſenhaft
beſchreibt. Auffallend iſt es mir geweſen, daß ein Gericht aus
Neſſeln den Schluß deſſelben bildete. Da ich nämlich eine Anzahl
bei uns wildwachſender Kräuter, in der Form von Gemüſen, an
mir ſelbſt verſucht habe, ſo muß ich bekennen, daß ich unter allen
die Neſſel (Urtica dioica und urens) am wenigſten ſchmackhaft
gefunden habe; ſie wurde indeſſen von den Alten als auflöſendes
Mittel häufig genoſſen und iſt in dieſer Hinſicht nicht unwirkſam,
wenn man ſie im Frühlinge friſch und Wochen lang in gehöriger
Menge benutzt. Sollten die Armenier ein überreiches Mahl aus
ſolcher mediziniſchen Rückſicht mit der Neſſel ſchließen? Der Maul-
beer-Brantwein, Tuta, ſoll den Armeniern gefährlich ſein, wo ſie
keinen Wein haben.
Ueber armeniſche Aerzte, Chirurgen und Barbiere hatte Hr.
Kolenati gleichfalls Gelegenheit, ſich zu unterrichten. Mittheilungs-
werth erſcheint mir, was er von armeniſchen und tartariſchen Bä-
dern ſagt. Sie ſind zum Schwitzen und Champoigniren eingerichtet.
Der Badende legt ſich auf den Bauch und der Wärter tritt auf
ſeinen Rücken, indem er, ſich mit den Händen ſtützend, ſein Ge-
wicht vermindert. Er beugt ſich zu den Schultern hinab, welche
er mit den Händen faßt und rutſcht dann mit ſeinen Zehen zu beiden
Seiten nach abwärts, kehrt ſich hernach um und rutſcht wieder auf-
wärts, die Muskeln knetend.
Ihre Sprache war in vergangener Zeit die alt-armeniſche,
welche heute nur noch von den Schriftgelehrten verſtanden, aber
nicht mehr geſprochen wird; gegenwärtig iſt die neu-armeniſche die
gewöhnliche Sprache des Volkes. Jene verhält ſich zu dieſer, wie
etwa die altrömiſche Sprache zu den romaniſchen Dialecten, iſt je-
doch ungleich weiter von der neuen Sprache entfernt und legt ſelbſt
dem Studium der ſprachgewandten Armenier ungewöhnliche Hinder-
niſſe in den Weg. Ehedem hielt man ſie für eine ſemitiſche, der
*) Ueber aſiatiſche Medicin. ſ. Prager Vierteljahrsſchrift. Bd. 34. S. 49.
– 342 –
mediſchen nahe ſtehende Sprachform. Die Hrn. Petermann und
Neumann vindiciren ihr aber nach gründlichen Unterſuchungen die
indo-germaniſche Abkunft. Das erſte armeniſche Alphabet erfand
der hl. Mesrop um 406 n. Chr. mit 38 Buchſtaben, deren Zahl
durch viele Kehl- und Ziſchlaute geſteigert wird. – Auffallend erſcheint
es, daß ſich in der weſtaſiatiſchen Hochebene und in Hoch-Armenien
die tartariſche Sprache ein Bürgerrecht erworben hat, welches ſie für den
Gebrauch in der Unterhaltung der franzöſiſchen, wie ſie in Europa gilt,
nahe ſtellt. – Am ungünſtigſten urtheilen in der Regel Geiſtliche und
Miſſionäre, welche unter den Armeniern reiſten. Schon vor hundert
Jahren rügte de la Croix *) Geiz, Wucher, Simonie und Miß-
trauen, nachdem er jedoch auch ihren rühmenswerthen Eigenſchaften
Gerechtigkeit hatte widerfahren laſſen. Am wenigſten liebenswürdig
fand die Armenier der amerikaniſche Miſſionär Eli Smith*).
Doch ſcheint ſich ſein Urtheil beſonders auf größere Städte, z. B.
Erzerum, Erivan, Tauris zu beziehen. Er klagt ihre Prieſter der
größten Unwiſſenheit und der Simonie, die Eltern der Verkäuflichkeit
ihrer Töchter, den Kirchendienſt der Unordnung an, welche bis zum
Theetrinken und zu Prügeleien während der Meſſe ſteigen könne. Abge-
geſehen von dem bei den Kaufleuten freilich nicht ſeltenen Wuchergeiſte
und der Verkäuflichkeit geiſtlicher Aemter, mag der proteſtantiſche Eiferer
in verderbten Vierteln großer Städte Ausnahmen von der Regel
entdeckt haben, wie ſie ſich leider faſt an allen ſolchen Orten vorfinden.
Die mir zu Geſicht gekommenen armeniſchen Männer ragten
in der Mehrzahl über die mittlere Körpergröße hervor. Ein feſter
Schritt zeichnet ſie aus; ſchon durch ihn unterſcheidet man ſie leicht,
von dem mehr beweglichen, nach rechts und links ſich wendenden
Griechen. Ihre Phyſiognomie zeigt edle Züge des kaukaſiſchen Typus.
Die Stirn iſt breit, die Naſe in der Regel hervorragend groß,
oft convex, die Farbe des reichen Haupthaares und der Augenbrauen
iſt ſchwarz, die Augen liegen etwas tief und ſenden eindringliche
feſte Blicke unter den vorragenden Augenbrauenbögen aus; die Lippen
etwas zu dick, der Mund meiſtens weit. Die Schultern breit, das
Knochengerüſt ſtark. – Blumenbach***) bildet den Schädel eines
*) La Turquie chrétienne. I. pag, 195.
*) Missionary Researches in Armenia. London, 1834. pag. 325
und 385.
**) Decas quinta collectionis craniorum. Gottingae, 1808. Tab. XLI.
Armeniers ab, der hinſichtlich der beſonders ſtark ausgebildeten
Naſe und der weiten Riechhöhlen, auch wegen der ſenkrecht herab-
ſteigenden Zahnfortſätze der Oberkiefer, ebenſo wegen der geräumigen
Augenhöhlen, charakteriſtiſch genannt werden kann. Doch die zurück-
gedrängte flache Stirn der Abbildung bewirkt eine Ausnahme von
der Regel, ſie würde einen unvortheilhaften Geſichtswinkel ergeben.
Letzteren habe ich bei den meiſten Armeniern viel günſtiger geſehen. Der
Reſt des abgebildeten Schädels erſcheint indeſſen geräumig und kuglicht.
Die zurückgedrängte, abgeflachte Stirn würde unter ſolchen Nebenver-
hältniſſen auch an und für ſich kein nachtheiliges Zeugniß für
die hinter der Stirn thronenden geiſtigen Fakultäten ergeben können.
Der treffliche E. M. Arndt*) erwähnt einer ganz ähnlichen Stirn –
„Eſelsſtirn“ – bei dem geiſtreichen Miniſter v. Stein, und da ich
den letzteren in der Nähe zu beobachten mehrfache Gelegenheit fand, ſo
kann ich die meiſterhafte Zeichnung M. Arndt's nur vollkommen
beſtätigen. – Die von Blumenbach auf den Märkten zu Amſterdam
und London beobachtete Aehnlichkeit zwiſchen Armeniern und Juden
habe ich nicht beſtätigt gefunden; die Armenier dürften ſie im Orient
am wenigſten zulaſſen wollen.
Man ſieht die Männer nicht anders als ſchwarz gekleidet und ſelbſt
die Frauen lieben dunkle Farben; letztere erſcheinen auf der Straße ſtets
halb verſchleiert. Die Männer tragen einen Kalpak, d. h. einen
randloſen, oben ausgebogenen ſchwarzen Hut. – Die armeniſchen
Frauen zeigen durchſchnittlich ſchlanke, wohlgebildete, volle Formen.
Unter ihnen finden ſich nicht ſelten ſelbſt ſolche, die man für voll-
endete Schönheiten nach cirkaſſiſchem Typus würde erklären müſſen,
wenn ſie ihr unbewegliches ſtarres Weſen ablegen könnten, welches
ihnen ſicherlich nicht angeboren, ſondern anerzogen worden iſt. Ihr
großes ſchwarzes Auge ſtreitet durch ſeinen lebhaften offenen Blick
zu ſehr gegen die damit nicht harmonirende ſchwere Beweglichkeit
der Glieder. – Die armeniſche Jungfrau beſtimmt über ſich zwar frei
und ungehindert. Vom Augenblicke der Verheirathung ab darf ſie
aber ein Jahr lang nur mit ihrem Manne, die nächſt folgenden
ſechs Jahre nur mit Frauen leiſe flüſternd ſprechen. Erſt die ältere
Matrone unterhält ſich wieder gleich der Jungfrau frei. Wo ſie öffent-
lich erſcheinen, pflegen ſich beide Geſchlechter von einander geſondert
*) Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn von Stein.
2. Abdr. Berlin, 1858. S. 61.
– 344 –
zu halten. Hr. Griſebach*) hatte Gelegenheit, bei Bruſſa auf
einem Vorhügel des Olymp einem armeniſchen Volksfeſte beizuwohnen,
indem am 6. Mai der St. Gregorstag gefeiert wurde. Die Ar-
menier ſaßen faſt unbeweglich, die flüſternden Frauen ſchienen in
der Entfernung lautlos zu ſein. Der Beobachter aus der Ferne
würde ſich durch dieſe Scene zu der Annahme verleiten laſſen kön-
nen, daß hier unbelebte oder erſtarrte Menſchen verſammelt ſeien.
Ein Armenier hielt dort in einer Geſellſchaft von Europäern, ſeine
Pfeife rauchend, eine Stunde lang aus, ohne von den hierbeigeredeten
Sprachen ein Wort zu verſtehen.
Die patriarchaliſche Einrichtung der Bauernhöfe in Central-
Armenien beſchreibt Hr. v. Haxthauſen ſehr anziehend. Dem
Oberhaupte der Familie wird unbedingter Gehorſam gezollt; ſelbſt
die verheiratheten Söhne verbleiben mit ihren Kindern auf dem Hofe.
Der Betrieb des Feldbaues und der Obſtzucht hat mit dem, wie
er in vielen Theilen Deutſchlands gefördert wird, große Aehnlichkeit.
Ueberhaupt finden die Vertheidiger der Behauptung, daß die
Armenier einen indo-germaniſchen Stamm bilden, dort zahlreiche
Anhaltspunkte. – Es gibt kei den Armeniern in ihrem Heimathlande
keinen erblichen Adel, auch keine Leibeigene. Wohl aber befinden
ſich in jedem Dorfe bevorzugte Familien, deren Oberhaupt die Po-
lizeigewalt zu üben pflegt; Dienſte oder Naturalabgaben werden
aber dafür nicht entrichtet.
Das armeniſche Viertel in Conſtantinopel zeichnet ſich durch
Reinlichkeit der Straßen und Nettigkeit der übrigens im orienta-
liſchen Style gebauten Häuſer zu ſeinem Vortheile aus. Durch die
ſorglos geöffneten Gitterfenſter ſieht man die Frauen häufig mit
häuslichen Arbeiten beſchäftigt.
Die Zahl der unter türkiſcher Oberherrſchaft lebenden Arme-
nier ſchlägt Hr. F. Eichmann zu 2,400,000 an. Die in der
europäiſchen Türkei und hier in Städten lebenden Armenier be-
rechnet Hr. v. Reden *) auf 150,000. Der Patriarch Narſes
gab die Zahl der über der Erdoberfläche zerſtreut wohnenden Ar-
menier zu 7–8,000,000 an.
Nach Allem, was ich aus eigenen uud fremden Beobachtungen
*) A. a. O. I. S. 74.
*) Die Türkei und Griechenland. Frankfurt, 1856, S. 77.
über die phyſiſchen und moraliſchen Eigenſchaften der Armenier zu
ſammeln im Stande war, muß ich ſie für einen von der Natur
ganz beſonders begünſtigten Menſchenſtamm erklären, der es voll-
kommen verdient, dereinſt wieder eine ſelbſtſtändige, nationale Stel-
lung einzunehmen. Würde mir etwa bei dem Untergange des tür-
kiſchen Reiches in Aſien die Frage vorgelegt, welche Nation dort
fortan zu herrſchen berufen ſei, ſo würde ich ohne Bedenken die
Armenier nennen. Zwar ſind ſie ſeit mehr als einem Jahr-
tauſend ſtets anderen Völkern unterworfen geweſen und waren
allenthalben die gefügigſten und ruhigſten Unterthanen. An mili-
täriſchen Unternehmungen haben ſie ſich auch in dieſer langen Zeit-
periode, ſoviel bekannt, nicht betheiligt, doch entnehmen wir
aus ruſſiſchen Berichten, daß ſie als Leibwachen türkiſcher Paſcha's
ungemein tapfer kämpften, namentlich gegen ihre Todtfeinde, die Kur-
den. Ihr Dichten und Trachten war jedoch bisher ein überwiegend
friedliches. Deshalb ſcheint auch die Pforte den Verſuchen, die Ar-
menier zu einem andern Cultus hinüber zu ziehen, früher ſo
ſtrenge entgegen getreten zu ſein. – Ferner darf nicht verhehlt
werden, daß ſchon vor dem Uebergange zum Chriſtenthum unter
den Königen zahlreiche Statthalter ſtanden, die ſich möglichſt
unabhängig zu machen ſtrebten und häufig unter ſich in Fehde
lagen. Noch im 10. Jahrhundert ſollen 170 ſolcher Dynaſten
vorhanden geweſen ſein. – Ein ſolcher Vorgang iſt nun freilich
nicht geeignet, einem etwa dereinſt neu zu gründenden arme-
niſchen Reiche große Dauer zu verſprechen, – beſonders wenn
man die Zähigkeit beachtet, mit welcher die Armenier die aus
grauer Vorzeit hergebrachten Sitten bei ſich heilig halten. Aber der ener-
giſche Charakter dieſes Volkes, die vorwiegende Hinneigung, ſich auf
eine höhere Culturſtufe zu erheben, die ihm innewohnende ungewöhn-
liche Leichtigkeit der Auffaſſung, endlich ſeine unerſchütterliche Ausdauer
laſſen keinen Zweifel daran zu, daß es einer hohen nationalen Be-
geiſterung fähig ſein würde, wenn ſich ſeinem berechnenden Verſtande
eine Ausſicht auf günſtigen Erfolg darböte. Nicht darf dabei über-
ſehen werden, daß der in armeniſchen Händen befindliche Reichthum an
edlen Metallen und an Credit ganz geeignet ſein würde, eine ſolche
Erhebung zu begünſtigen, ſofern man ſo mächtige Mittel in richtige
Bahnen zu lenken verſtände.
YIX.
Bur Geſchichte und Charakteriſtik der Bulgaren. – Amfang und
Bevölkerung Bulgariens. – Bodencultur. – Geſchichte. – Kriegeriſche
Züge. – Anterjochung. – Körperliche Eigenſchaften. – Moraliſche
Stellung. – Sittenreinheit. – Kirchliche Anbilden. – Anterdrückung
bulgariſcher Literatur. – Bergleichung mit den Rachbarvölkern zum
Vortheile der Bulgaren.
- Gn der Beachtung in hohem Grade werther Volksſtamm
des osmauiſchen Reiches in Europa iſt der der Bulgaren-
Das ſogenannte Königreich Bulgarien beſteht heute aus den
Paſchaliks Niſſa, Sophia, Siliftria und Widdin. Die
Bodenfläche dieſer Länder beträgt 1839 DMeilen. Bulgarien
bildet außerdem das Ejalet (Statthalterſchaft) von Siliſtria. Der
Sitz des Statthalters Said Paſcha iſt jedoch zur Zeit Ruſcht-
ſchuk. Dieſes Laud ſoll nach der oberflächlichen Zählung der
Türken, die bekanntlich nur nach Familien und nicht nach Köpfeo
geſchieht, 3 Millionen Einwohner enthalten. Aber die große
Gewerbthätigkeit der Bulgaren hat ihre Ausbreitung in die nach-
barlichen Provinzen weithin begünſtigt. Sie bevölkern einen gro-
ßen Theil der Dörfer und kleinen Städte bis in die Gegend von
Varna und zur Dobrudſcha hin nach Oſten, ſowie beſonders
am ſüdlichen Abhange des Balkan nach dem helleniſchen König-
reiche, nach Albanien, nach Theſſalien, Macedonien, das ſüd-
liche Serbien und nach Rumelien. Sogar im ſüdlichen Rußland
ſollen noch 80,000 Bulgaren leben. Hr. v. Reden *) berechnet
die Geſammtzahl der Bulgaren auf 4% Millionen, dergeſtallt, daß
auf die DMeile des Bodens 1631 Einwohner kommen, und dieſe
von der Geſammtbevölkerung der Türkei einen Prozentantheil von
*) A. a. O. S. 67.
– 347 –
8,2« bilden würden. Warrington W. Smyth *) ſah ſie in der
Gegend von Salonika fleißig den Acker bauen. Eine auffallende
Erſcheinung iſt es, daß ſie, gegen Griechenland vordringend, die Griechen
vom flachen Lande langſam, aber ſicheren Schrittes, im friedlichen
Kampfe um den Boden zurückdrängen. Nicht allein die Türken, ſondern
auch ihre chriſtlichen Nachbarſtämme, geben ihnen einmüthig das Zeug-
niß, daß ſie hinſichtlich der Bodencultur, namentlich aber der Gärtnerei,
unter ihnen am höchſten ſtehen. Ein ausgezeichnetes Bewäſſerungs-
ſyſtem zeichnet ihre Ackerbeſtellung aus; ſie konnten es urſprünglich
nur von den Griechen kennen gelernt haben, die es ihrerſeits von den
Chaldäern empfingen. Leider nöthigt ſie der Mangel an Abſatz-
wegen, dem Boden nur ſo viel abzugewinnen, als zu dem eigenen
Gebrauche und zur Entrichtung der Abgaben erforderlich iſt.
Der Umſtand, daß ihre Mehrzahl dem griechiſchen Cultus anhängt,
mag außerdem die Ausbreitung unter den Griechen begünſtigt haben.
So iſt es dahin gekommen, daß man die Kopfzahl der geſammten
Bulgaren heutigen Tages auf 5 – 52 Millionen anſchlagen darf,
ohne ſich der Uebertreibung ſchuldig zu machen. Ihr Stamm iſt
mithin in der europäiſchen Türkei der numeriſch überwiegende. Die
Kopfzahl ſämmtlicher ſlaviſchen Stämme, welche in der europäiſchen
Türkei leben, nimmt Hr. v. Reden zu 7,700,000 an. Bedenkt
man, daß die Zahl der Osmanen 1,100,000 beträgt, ſo bedurfte
es gewiß der ganzen Gutmüthigkeit dieſer ſeit ungefähr einem hal-
ben Jahrtauſend zum größten Theile entwaffneten Slaven, um den
Türken die Uebermacht unbeſtritten zu überlaſſen.
Die Bulgaren ſind urſprünglich gegen Ende des 5. Jahr-
hunderts n. Chr. von der Wolga und dem Kuban herab zum ſchwar-
zen Meere und zum linken Donauufer niedergeſtiegen. Man nannte
ſie deshalb Wolgaren, Bolgaren u. ſ. w. Bald nach dem
Ueberſchreiten der Donau machten ſie ſich als ein unternehmendes,
kriegeriſches Volk den Griechen furchtbar. Um die Mitte des
6. Jahrhunderts erſchienen die aus Aſien vertiebenen Avaren,
unterjochten die Bulgaren auf ihren verwüſtenden Zügen durch
Dacien, Pannonien und das ſüdöſtliche Deutſchland. Doch ermannten
ſich die Bulgaren, geſtärkt durch Zuzüge aus dem Heimathlande;
das Joch der Avaren wurde 635 abgeſchüttelt. Um das Jahr 678
*) Reiſe durch Albanien, Bulgarien und Serbien. In: Südrußland und
die türkiſchen Donauländer. Leipzig, 1854, S. 229. / 4 /*
V
/
– 348 –
gründete ihr Chan Asparuch in Nieder-Möſten ein feſtes Reich.
Ob dieſe Bulgaren nun bei ihrem erſten hiſtoriſchen Auftreten ein
tartariſcher, ein ugriſcher, oder, wie einige ſogar wollen, ein türki-
ſcher Volksſtamm geweſen, dürfte zweifelhaft bleiben. – Im 9. Jahr-
hundert waren ſie in Möſien das herrſchende Volk. Als ſolches
befehdeten ſie das oſtrömiſche Reich faſt ununterbrochen. Der Kaiſer
Nicephorus wurde 811 von ihnen in der Schlacht erſchlagen.
Sie erſchienen zweimal vor den Mauern von Conſtantinopel. Zum
erſten Male bildeten ſie einen Theil des von Vitalian geführten
Heeres, welches den erſten chriſtlichen Religionskrieg gegen den Kaiſer
Anaſtaſius führte und dieſen 518 n. Chr. zwang, mit dem Frieden
das chalcedoniſche Glaubensbekenntniß zu unterzeichnen. Der ſchwache
Anaſtaſius baute ſchon in dieſer frühen Periode eine Mauer, die
von der Propontis bis zum ſchwarzen Meere reichte, um Conſtan-
tinopel zu ſchützen. Der jenſeits derſelben liegende Theil Thraciens
wurde den Einfällen der Bulgaren überlaſſen. In der That ver-
ging unter der gefeierten Regierung des Juſtinian, von 527 an,
kaum ein Jahr, welches nicht durch Einfälle der Bulgaren und
anderer Barbaren bezeichnet worden wäre. Endlich drangen ſie
559 bis Conſtantinopel vor, wurden aber hier noch durch den greiſen
Beliſar zurückgeſchlagen. Ein Bulgaren-König war es ferner,
der den tyranniſchen Juſtinian II. zum zweiten Male auf den
verwirkten Thron ſetzte. – Im Jahre 929 n. Chr. verheerten ſie
unter Führung ihres Fürſten Simeon auf ihrem Zuge das Land
weit und breit. Während der Belagerung von Conſtantinopel
brannten ſie die vor dem goldenen Thore liegende Kirche unſerer
lieben Frau vom Quell (ſ. oben S. 44) nieder und brachten den
Kaiſer dahin, daß er nach dem Frieden demſelben Simeon in der
wieder aufgebauten Kirche ſeine Tochter antrauen ließ.
Nicht glücklicher waren die erſten Kreuzfahrer gegen ſie, deren
ungeordnete Haufen von ihnen nicht ſelten überfallen und erſchlagen
wurden. Sogar der erſte lateiniſche Kaiſer von Conſtantinopel,
Balduin, fiel in der Schlacht gegen die Bulgaren.
Es ſcheint, daß die Bulgaren jener frühen Periode außer dem
kriegeriſchen Ruhm nichts hatten, was ihre Herrſchaft ſelbſtſtändig
aufrecht zu erhalten vermocht hätte. Gefetzliche Ordnung und die
Künſte des Friedens bauten ſie nicht an. So geſchah es denn
daß ſie unter dem König Ludwig d. Gr. von Ungarn um 1342
– 349 -
zu einer Provinz Ungarns herabſinken und endlich nach der ent-
ſcheidenden Schlacht von Koſſova, 1389, dem osmaniſchen Reiche
einverleibt wurden.
Mit dem Verluſte der Freiheit iſt bei den Bulgaren die wilde
Kampfesluſt geſchwunden. Sie zählen jetzt zu den fügſamſten und ge-
ſchmeidigſten Unterthanen des Sultans. Beſonders gilt dies von den in
der Ebene und in den Thälern des Balkan's wohnenden. Hinſichtlich
der auf den Berghöhen, in den Bezirken von Niſſa und Sophia An-
geſiedelten bewährt ſich der an andern Orten (Bd. I, 186u. Bd. II,
243) ausgeſprochene Satz, daß die Bewohner der Gebirge an Muth
und Tapferkeit die der Ebene zu übertreffen pflegen. In der That
haben ſich die Gebirgs-Bulgaren an Auflehuungen einzelner Paſcha's
gegen die osmaniſche Regierung betheiligt. Es kann dies weniger
auffallen, wenn man erwägt, daß dieſe Söhne der Berge zum Theil
den Islam angenommen haben, mithin Waffen tragen und den
Gebrauch dieſer ſtets üben dürfen. Für die chriſtlichen Bulgaren gilt
noch immer das ſchon erwähnte alte Geſetz, daß kein Ungläubiger
Waffen führen darf. – Paswan-Oglu, der in ſeiner Auflehnung
gegen Sultan Selim III. 1797 u. f., die Regierung zwang, ihn
zum Statthalter des von ihm eroberten Widdin und zum Paſcha
von drei Roßſchweifen zu machen, ſoll ein geborner Bulgare geweſen
ſein. In ihm ſprach ſich eine ſeltene Verbindung von Tapferkeit
und Schlauheit aus.
Die Bulgaren der Dörfer der Ebene, ſowie die von Schumla
und Ruſchtſchuk, welche ich mit Muße beobachten konnte, zeigen in
ihren körperlichen Eigenſchaften eine nicht zu verkennende Stammes-
Gemeinſchaft. Dieſe läßt ſich um ſo eher erklären, als ſie ſich in
der Regel nur unter ſich verheirathen, Kreuzungen mit andern
Stämmen alſo ſelten ſind. In den Städten bewohnen ſie ein eige-
nes Viertel und halten ſich ſelbſt von griechiſchen Glaubensgenoſſen
meiſtens fern. Daß dies ſich nicht auf die bulgariſchen Moham-
medaner ausdehne, braucht kaum angedeutet zu werden.
Der ſlaviſche Typus ſpricht ſich in der Phyſiognomie der Bul-
garen vorherrſchend aus, doch darf man ſie den edleren Varietäten
dieſes Typus zuzählen. Es gibt einzelne Provinzen Rußlands und
Polens, in welchen man Bulgaren anſiedeln könnte, ohne ſie äußer-
lich als Fremde erſcheinen zu laſſen. Ebenſo finden ſich ruſſiſche
Regimenter, aus welchen ſich etwa eingeſtellte Bulgaren ſchwerlich
&
= 350 =
herausfinden laſſen würden. Die größere Lebhaftigkeit und Beweglich-
keit des Polen fehlen jedoch dem Bulgaren; er ſchreitet ruhig, mit einer
gewiſſen Würde einher, ohne hierin dem Armenier gleich zu kom-
men. Seine Gedanken weiß er verſtändig und geordnet auszudrücken;
die Unterhaltung mit Bulgaren, wenngleich ſie uur durch einen
Dolmetſcher vermittelt werden konnte, erweckte ſtets das Gefühl des
Vertrauens und des Behagens in mir. Man bemerkte nichts Ge-
ſuchtes, Gekünſteltes oder Verſtecktes. Der Geſammtausdruck iſt der
der Wahrheit. Ob die Unterredung mit einem türkiſchen Macht-
haber eben ſo geführt werden möchte, muß ich indeſſen bezweifeln.
Der Bulgar fühlt ſich begreiflich zu dem Fremden, in welchem er
einen Mitchriſten erkennt, mehr hingezogen; er weiß, daß er von
dieſem richtiger gewürdigt wird. Wie ſehr die Bulgaren dankbar
für eine ihnen gewährte milde, gute Behandlung ſind, beſchreibt
Warrington Smyth *) in einer von ihm mitgetheilten Scene
des Empfanges, welcher einem türkiſchen Gutsherrn bei ſeiner
Rückkehr von einer Reiſe zu Theil wurde. Seine bulgariſchen
Arbeiter liefen ihm ſämmtlich mit dem ungeheuchelten, lauten Aus-
drucke wahrer Theilnahme entgegen; auch ſelbſt die Frauen bethei-
ligten ſich an der allgemeinen Freude.
Ganz beſonders verdient es hervorgehoben zu werden, daß
die Bulgaren an Sittenreinheit alle andern Völker des Orients
übertreffen. Bald nach dem erſten Eintreten in ein bulgariſches
Haus gewinnt man die Ueberzeugung, daß hier tiefer Friede und
gegenſeitiges Vertrauen herrſcht. Unglückliche Ehen ſind ſeltene
Ausnahmen; daher ſind ſie auch in der Regel fruchtbar. Hr. Ad.
Stade *) erkannte dies vollkommen richtig, wenn er ſagt: „er habe
unter den bulgariſchen Landleuten mehr Glück gefunden, als unter
den meiſten übrigen Europa's. Und doch iſt der nördliche Saum
des eigentlichen Bulgariens nur durch die Donau von den Fürſten-
thümern getrennt, in denen der Gegenſatz, die Unſittlichkeit zu Hauſe
iſt. Obgleich ferner die Bewohner des ſüdlichen Abhanges des Bal-
kan's mit ihren Landsleuten auf der Nordſeite kaum noch in einem
nennenswerthen Zuſammenhange ſtehen, auch durch den Contact mit
den Griechen ihren ſlaviſchen Sprach-Dialect in einer Weiſe aus-
-
z,
*) A. a. O. S. 243.
*) Turkey, Greese and Malta. Lendon. 1837. II. pag. 97.
– 351 –
gebildet haben, die ſie den Stammgenoſſen nur mit Mühe verſtänd-
lich macht, – ſo hat ſich doch der ſtreng moraliſche Charakter der
Voreltern auch bei ihnen erhalten, allen böſen Beiſpielen vom Ge-
gentheile, die man ihnen zur Schau ſtellt, gleichſam zum Trotze.
Daher geſchieht es auch, daß die Bulgaren von Krankheiten über-
haupt wenig, ſelbſt von epidemiſchen Uebeln weniger heimgeſucht
werden, als ihre Nachbarvölker, namentlich die fataliſtiſchen Türken.
Hr. Charles Robert *), der längere Zeit unter ihnen verweilte,
beſchreibt ihre Sitten und Gebräuche nicht blos auf eine die Theil-
nahme erregende Weiſe, ſondern auch ſo naturgetreu, daß ſeine
Darſtellung der Beachtung beſonders empfohlen werden darf. Er
ſieht in der Vereinigung der Bulgaren und der Griechen das wahre
Heil des Orients. Die letzteren ſuchen ſeit den älteſten Zeiten
Städte zu bauen, das Meer zu beherrſchen und Colonien zu grün-
den; der Bulgare erwartet den Segen von dem Boden, den er
mit unermüdlicher Beharrlichkeit bearbeitet. Doch ſind die Bulgaren
auch bereits bis an das Meer vorgedrungen, im Norden nämlich
bis Burgas, im Süden bis an den griechiſchen Archipel. – Mit
Hrn. Robert vindicire ich dem Bulgaren unbedenklich die Superiorität
in der Geduld und in der Arbeit unter den Bewohnern des euro-
päiſchen Orients; an Ehrenhaftigkeit fand ich eben ſo kein Volk, wel-
ches ſie übertreffen könnte.
In den häuslichen Frieden der Bulgaren fällt nun ein greller
feindlicher Mißton von einer Seite her, die dergleichen am wenigſten
erwarten laſſen ſollte. Es ſind die griechiſchen Geiſtlichen, welche
das gutmüthige Volk auf eine unverantwortliche Weiſe tyranniſiren.
Selbſt auf einer niedrigen Culturſtufe ſtehend, ſind ſie bemüht, die
des Volkes möglichſt hinabzudrücken, damit dieſem ihre eigene Un-
fähigkeit weniger klar werde. So weit gehen ſie hierin, daß ſie
ſelbſt den Druck religiöſer Schriften in bulgariſcher Sprache zu
hintertreiben ſuchen, um dem Neugriechiſchen mehr und mehr Ein-
gang zu erzwingen. Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß der Anſtoß
hierzu vom griechiſchen Patriarchate im Fanar zu Conſtantinopel
ausgeht; auch kann es nicht ſchwer fallen, das politiſche Gewicht
einer ſolchen Maßregel hindurch zu fühlen. Um die Zeit meiner
*) Die Slaven der Türkei. A. d. Franz Stuttgart, 1851. 2. Abt.
S. 242–47.
– 352 –
Anweſenheit daſelbſt hatte der Metropolit von Ternova eine Samm-
lung vou bulgariſchen Manuſcripten verbrennen laſſen, welche ſchätz-
bare Beiträge zur Geſchichte des Volkes vom 7. bis znm 16. Jahr-
hundert enthielten. Dieſer Barbar heißt Neofit. Er wagte es ſo-
gar, Männer, bei denen bulgariſche Bücher gefunden wurden, mit
Geld- und Kerkerſtrafen zu belegen. Höchſtens duldet er aus dem
Neugriechiſchen zu Conſtantinopel überſetzte Bücher. Da er aber
zugleich die niederen Geiſtlichen förmlich zu Frohndienſten verwendete,
ſo wurde er endlich zur Verantwortung nach Conſtantinopel gerufen,
wo ihm dieſe nicht ſchwer gefallen ſein dürfte. Man wird dieſe
Gräuel erklärlich finden, wenn man weiß, daß die geiſtlichen Aemter
meiſt erkauft werden müſſen. Daher werden auch ſelbſt von
Armen die Gebühren für kirchliche Acte mit unerbittlicher Strenge
eingetrieben und mancher Ehebund iſt auf dieſe Weiſe ſchon hinter-
trieben worden.
Aller Hinderniſſe ungeachtet, mit welchen die Bulgaren umgeben
ſind, ſchützt ſie ihr reger Fleiß vor Mangel; auch ſteigert ſich ihre
Kopfzahl fortwährend, indem die der Türken abnimmt. Mir iſt
nirgends ein bulgariſcher Bettler aufgeſtoßen. Ich ſah die Land-
leute ſtets paſſend bekleidet, auch fehlte es nicht an reinlichen Tep-
pichen und Matten. Ganz ſo fand es früher auch Hr. Urquhart *).
Nach Allem, was mir und anderen Reiſenden von ihnen zu
erfahren vergönnt war, bilden die Bulgaren den Kern der Be-
völkerung der europäiſchen Türkei, aus welchem unter einer humanen,
das wahre Wohl des Volkes energiſch fördernden Regierung der
Baum emporſteigen kann, in deſſen Schatten das herrliche Land
ſich zu der Bedeutung wieder emporſchwingen würde, die man ihm
im Alterthume mit Recht zuerkannte. Freilich muß dieſes Volk erſt
erzogen, es - müſſen vor allen Dingen Schulen angelegt und dieſe
mit wohlunterrichteten Lehrern ausgeſtattet werden, die nicht den
Maßregeln fanatiſcher Prieſter unterliegen, welche, faſt ſo lange,
als das Chriſtenthum im Orient zur Geltung gekommen war, durch
Hader und Zwiſt unter ſich, wie Unduldſamkeit gegen Andere, mehr
an dem Ruin ihres Volkes gearbeitet haben, als irgend ein anderer
Stand. Sodann würde man durch fortgeſetzte Waffenübungen den
ehemaligen kriegeriſchen Sinn wieder zu wecken ſuchen müſſen, der
*) A. a. O. S. 142.
= 353 –
jetzt durch Despotie in tiefen Schlummer geſunken iſt. Hätten die
Bulgaren es im Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts gewagt,
den kühnen Paswan-Oglu kräftig zu unterſtützen, ſo hätten ſie viel-
leicht damals ſchon ihre Freiheit erringen können. Denn die Pforte, welche
ſich von dem nachtheiligem Kriege mit Oeſterreich und Rußland noch
nicht erholt hatte, wurde unerwartet von Frankreich in Egypten an-
gegriffen, ſo daß in Europa wenig Truppen zur Dispoſition blieben.
Der günſtige Augenblick wurde verſäumt. Ohne Muth und Ta-
pferkeit kann aber keine Selbſtſtändigkeit beſtehen.
Hr. Rigler*) behauptet, daß die Türken Europa's von den
Slaven körperlich nicht zu unterſcheiden ſeien. Ein Schädelſtudium
ſei daher unfruchtbar. Man könne die Türken nur an ihren Sitten,
im Benehmen 2c. erkennen. – Richtig iſt es wohl, daß ſich die Os-
manen in Aſien reiner erhalten haben, dieſe auch den europäiſchen
Türken etwas fremd gegenüber ſtehen. Eben ſo muß man erkennen,
daß die letzteren durch die große Leichtigkeit, mit welcher ſie
Frauen der verſchiedenſten Nationen aufnehmen konnten, zu einem
Miſchlings-Volke geworden ſind, welches von den urſprünglich aus
Aſien herübergebrachten Eigenthümlichkeiten die meiſten eingebüßt
haben mag. Und in der That findet man unter den Türken Con-
ſtantinopels große Verſchiedenheiten der Phyſiognomie und der
Schädelbildung. Anders verhält es ſich jedoch mit den Bulgaren,
namentlich den Landleuten. Einem aufmerkſamen Beobachter kann
es nicht ſchwer werden, ſie von den Türken, ebenſo von den Grie-
chen zu unterſcheiden. Den letzteren übertrifft der Bulgare meiſtens
etwas an Körperlänge, ſowie an kräftigerem Gliederbaue; auch ent-
wickelt er eine kaum zu ermüdende Arbeitskraft. Die etwas enger
geſpaltenen Augenlider laſſen die Augen kleiner erſcheinen, denen
auch das Feuer der Griechen fehlt; dagegen erfreut der Blick durch
ſeine Feſtigkeit und durch den Ausdruck einer vertrauenerregenden
Gutmüthigkeit. Je mehr man die letztere im Oriente vermißt, je
willkommener iſt ſie hier. – Das reiche ſchwarze Haar ſcheeren
die Männer nach alter tartariſcher Sitte, ſo, daß nur eine Locke
übrig bleibt; die im Süden des Balkans den Griechen nahe Woh-
nenden haben dieſen Gebrauch der Väter zum Theil ſchon aufge-
geben. Die Frauen flechten das Haar zu langen Zöpfen. Hr. Ro-
*) A. a. O. I. S. 175. 15-
D
bert ſah, daß das aufgelöſte Haar junger Frauen über die Wieſen
hinſtreifte und im eigentlichen Sinne des Wortes den Körper um-
hüllen konnte. Unter ihnen habe ich manche edlere, hohe, weibliche
Geſtalt mit regelmäßigen Geſichtszügen ausgeſtattet, wahrgenommen,
der nichts mangelte, als das geiſtige Leben, welches nur durch eine
ſorgfältige humane Cultur erlangt werden kann, um zu einer mehr
als gewöhnlich anziehenden Erſcheinung zu werden. An Schön-
heit ſtehen ſie überhaupt von den Griechinnen nicht fern. – Noch wei-
ter geht die Gräfin Dora d'Iſtria*), wenn ſie verſichert, daß
die bulgariſchen Mädchen, ſo lange ſie noch nicht verheirathet ſind,
oder ſchwere Arbeiten die Reinheit ihrer idealen Formen zerſtört
haben, den von Fra Giovanni da Fieſole aufgeſtellten engelartigen
Typen ähnlich ſehen.
Ich ſchließe dieſen Abſchnitt mit dem regen Wunſche, daß
die Bulgaren in einer nicht zu fern liegenden Zeit einer Re-
gierung theilhaftig werden möchten, deren Trachten nicht allein
darauf hingerichtet iſt, ſie auszubeuten, ſondern die auch der
Pflicht nachkommt, die Regierten auf geſetzlichem Wege zu wohl-
verſtandener Freiheit und auf eine höhere Culturſtufe zu erheben.
Die nachhaltige Widerſtandskraft und Zähigkeit des Charakters,
welche allen Slaven-Stämmen eigen iſt, hat ſie bisher vor dem
Verſinken bewahrt; dieſelben Eigenſchaften werden, richtig geleitet,
auch die Hinderniſſe zu überwinden wiſſen, welche ſich ihrer Erhe-
bung entgegen ſtellen könnten. Niemals hat ſich einem intelligenten
und thatkräftigen Herrſcher ein bildſamerer und ſittlich mehr geeig-
neter Stoff dargeboten, um aus ihm ein Volk heranzubilden, welches
mit erneuter Jugendkraft das gemißhandelte herrliche Land auf eine glän-
zende Höhe zu erheben vermöchte, von wo aus es auf manche alters-
ſchwach gewordene europäiſche Regierungen erfriſchend wirken könnte.
*) Les femmes en Orient. T. 1, Zurich, 1860. pag 138.
YY.
Bur Charakteriſtik der Tartaren. – Körperliche Eigenſchaften. –
Fortgeſetztes Hirtenleben. – Widerwille gegen Schulunterricht und
jede Reuerung. – Frauen. – Kleidung. – Bohnungen. – Han-
delsbetrieb. – Moraliſches Leben. – Hunde. – Karaitiſche Juden.
Da die Tartaren gegenwärtig nicht blos in der Dobrudſcha
zahlreich ſind, ſondern auch den größeren Theil der Bevölkerung
der Krim und eines Theiles der Ufer des ſchwarzen Meeres her-
geben, ſo wird eine etwas nähere Betrachtung ihrer Eigenthüm-
lichkeiten hier erforderlich.
Die Tartaren bilden in der Gegenwart einen Menſchenſtamm,
in welchem häßliche Körperformen die ſeltenere Ausnahme machen.
Sie ſind meiſtens hoch und ſchlank gewachſen. In ihrer Haltung
zeigt ſich eine Art von Selbſtbewußtſein, die auf Ueberſchätzung
ihrer eigenen Perſon hindeutet. Ein großes, ſchwarzes Auge, eine
lange, ſchwach gebogene Naſe, ſtarker Bart an der Oberlippe, glat-
tes Kinn, bilden eine vortheilhafte äußere Erſcheinung. Aber der
Tartar iſt unreinlich nnd unordentlich. Ein tartariſches Dorf läßt
ſich von ferne her durch den Geruch erkennen. Die Fortſchaffung
von Thierleichen, die auf der Straße herumliegen, wird den Hun-
den und Raubthieren überlaſſen.
Die Trägheit der Tartaren iſt in Rußlandſprüchwörtlich. Sie
ſind unſäglich faul. Der arme Tartar arbeitet nie für Tagelohn.
Leibeigenſchaft exiſtirt bei den ruſſiſchen Tartaren nicht. Außer den
vorgeſchriebenen Gebeten in der Moſchee beſorgen ſie nur den Vieh-
ſtand. Bodencultur liegt ihnen ſehr fern. Die Steppe gewährt
Viehfutter ohne ſie. Getreide, Reis, Tabak und Kleider kaufen ſie
wohlfeil. Sie ſind alſo von der Urzeit her ein Hirtenvolk geblie-
ben, obgleich ſie doch längſt ſchon die herumziehende Lebensweiſe
– 356 –
mit feſten Anſiedelungen vertauſcht haben. Abgaben ſind gering
und aus ſämmtlichen Tartarenſtämmen zieht die ruſſiſche Regierung
im Frieden nur 150 Recruten zur Unterhaltung einer Escadron
Garde-Reiter in St. Petersburg. Dem Schulunterrichte ſind ſie bis
jetzt ſehr abhold geweſen. Fürſt Woronzoff hatte in Baktſchi-
Serai ein tartariſches Schullehrer-Seminar anlegen laſſen, jedoch
mit ſehr geringem Erfolge. Man würde ſie zur Schule zwingen
müſſen. Ebenſo wie der Schule, ſind ſie auch jeder Neuerung
entgegen.
Die Kleidung der Männer beſteht in einer Jacke mit langen
Aermeln und einer kurzen Hoſe, entweder aus Kameelhaartuch oder
Seide mit lebhaften Farben, gelbledernen Strümpfen und ſchwarzen
oder rothen Leder-Schuhen.
Die Mädchen ſind vom 10. Jahre an mit einem weißen
Tuche verſchleiert, welches nur das rechte Auge freiläßt. Sie tragen
das Haar in langen Flechten; junge Weiber und Mädchen färben
ſie roth, alte zeigen ſie dunkelbraun oder ſchwarz; daſſelbe geſchieht
mit den Nägeln.
Vom 14. Jahre ab ſtrebt man das junge Mädchen zu ver-
heirathen oder – zu verhandeln. Sie darf das Geſicht von da
ab nur Weibern, etwa Tanten und Baſen, ſpäter dem Gatten, zei-
gen. Sie tragen oft rothe Käppchen, mit Treſſen beſetzt, auf dem
Kopfe.
Die Frauen tragen ärmelloſe Jacken und weitfaltige Beinklei-
der mit treſſenbeſetztem Gürtel. Sie zeichnen ſich durch große,
ſchwarze Augen und kleine Füße vortheilhaft aus. Letztere ſtecken
in gelbledernen Strümpfen.
Amulets werden von Allen am Halſe getragen. Tabak wird
von Männern, Frauen und Kindern, ſobald dieſe ihn ertragen kön-
nen, faſt ununterbrochen geraucht.
Ihr Vieh behandeln die Tartaren milde; ſie ſchlagen es nicht,
ſtrengen es auch nicht übermäßig an. Ich begegnete langen Zügen
von Wagen, die durch Ochſen gezogen wurden. Ihre tartariſchen
Begleiter ſchritten mit unverwüſtlicher Ruhe nebenher, ohne die
langſamen Thiere auf irgend eine Weiſe anzutreiben; ſchon das
abſcheuliche Knarren der Räder auf Axen, die niemals geſchmiert
werden, würde mich haben zur Verzweiflung bringen können. –
– 357 –
Ihre Kinder füttern ſie mit Waſſermelonen und kaltem Hammel-
fleiſch auf, ſobald ſie zu kauen im Stande ſind.
Ihre Häuſer legen ſie gern am Abhange von Höhenzügen ſo
an, daß die hintere Wand vom Berge ſelbſt gebildet wird und
man alſo nur drei Wände zu bauen braucht. Das flache Dach
verſtehen ſie für den Regen undurchdringlich zu machen. Auf ihm
verſammelt ſich die Familie und dort werden die Früchte getrocknet.
Die meiſten Tartaren leben vom Handel mit Vieh und Häu-
ten. Ihre Schaafspelze ſind ſelbſt in Deutſchland unter dem Na-
men der Baranken allgemein bekannt. Dieſe werden von neuge-
bornen oder ungebornen Schaafen entnommen.
Im Handel ſchlägt der Tartar nie vor, ſondern bleibt, wie der
Türke, bei ſeinem Preiſe.
Die Tartaren leben unter einander ſehr friedlich und verträg-
lich. Von Streit, Zank, Trunkſucht, Ehebruch hört man unter
ihnen niemals; auch betrügen ſie nicht. Abgaben bezahlen ſie pünkt-
lich. Gaſtfrei ſind ſie nur gegen Glaubensgenoſſen. Mit Schiff-
fahrt befaſſen ſie ſich nicht. – Sie beherrſchten ehedem Südruß-
land und die Krim. In letzterer ſind ſie noch heute der überwie-
gend vertretene Stamm.
Die Tartaren der Krim gingen 1855 nach Landung der Alliirten
ſogleich, wo ſie es mit Sicherheit thun durften, zu dieſen über. Die
Ruſſen wollen dies aus einer unter den Tartaren allgemein verbrei-
teten Anſicht erklären, nach welcher der letzte Khan der Krim ſein
Land nur für die Zeit von 50 Jahren den Ruſſen abgetreten habe.
Nun iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß es der ruſſiſchen Regierung in-
nerhalb 50 Jahren hätte leicht werden können, eine ſolche Idee
durch wohlwollendes und mildes Verfahren allmählig zu tilgen.
Liegt es denn nicht viel näher, anzunehmen, daß die mohammeda-
uiſchen Tartaren die erſte große Gelegenheit mit Freuden ergriffen,
die Regierung des Beherrſchers der Gläubigen wo möglich ſtatt
der des Czars einzutauſchen? Jener hatte ihnen doch ihren Khan,
mit dieſem auch wenigſtens einen Schein eigener Herrſchaft belaſ-
ſen; das Maaß der Autokratie des letzteren haben ſie gewiß eben-
ſo, als alle anderen unter dieſelbe gebeugten fremden Völkerſtämme
empfunden und beurtheilen gelernt.
Die tartariſchen Hunde bilden eine nicht zu unterſchätzende
Macht. Sie ſind ſo groß wie ein ausgewachſener Neufoundlän-
– 358 –
der, zeigen ein ſchmutzig grau oder röthliches, langes zottiges
Haar, ſpitzige Schnauze, kleine Augen, ſcharfes Gebiß, verbunden
mit einem kräftigen Baue. – In jedem tartariſchen Dorfe ſind ſie
häufig, beſonders nach Untergang der Sonne, denn am Tage jagen
ſie in der Steppe nach Kaninchen und Haſen. – Der Wohnung
ihres Herrn ſind ſie treu, nicht aber ihm ſelbſt (alſo wie in der
Türkei). Stets mürriſch, können dieſe Hunde dem Reiſenden ebenſo
gefährlich als dem Wolfe werden.
Die Karainen oder karaitiſchen Juden ſind zwar im
Drange der Umſtände äußerlich Mohammedaner geworden, halten ſich
aber von allen anderen Stämmen abgeſondert, und laſſen deshalb
auf den erſten Blick ihre nationale Abſtammung in einer ihnen vor-
theilhaften Weiſe erkennen. Sie ſind in der Krim häufig. Durch
Kleidung, Sitte und Gebräuche unterſcheiden ſie ſich wenig von den
Tartaren, mehr aber durch Luſt am ausgebreiteten Handel mit den
verſchiedenſten Gegenſtänden.
Die zähe Ausdauer der Tartaren bei ihrem Hirtenleben, ſowie
ihr angeborner Widerwille gegen jede Veredelung durch geiſtige
Cultur, laſſen nicht annehmen, daß ſie berufen ſein könnten, dereinſt
wieder eine hervorragende Rolle unter den Völkern zu ſpielen. Wo
dies in früher Zeit geſchah, als ſie zuerſt von den Hochebenen Aſiens
herabſtiegen, verdankten ſie die Erfolge ſtets nur der erdrückenden
Gewalt ihrer unzählbaren Schwärme, die gleich Heuſchrecken vor
ſich her, gleichſam durch das Gewicht der Maſſe, alles Lebende ver-
zehrten, zerſtörten, oder ſich dienſtbar machten. Der einzige Weg zu
ihrer Erhebung würde durch die Schule gehen müſſen, zu der ſie
durch Gewaltmaßregeln heran zu treiben wären. An dergleichen iſt
im Orient nicht wohl zu denken, ſo lange es dort zahlreiche Stämme
gibt, die für den Unterricht in hohen Grade dankbar ſein würden,
wenn man ihnen denſelben ſchaffen wollte. Hinter dieſen werden
die Tartaren von Rechtswegen zurückſtehen müſſen, obgleich ſich ihre
Sprache in mehreren Gegenden Kleinaſiens eine hervorragende Gel-
tung erworben hat.
WWI.
Politiſche Schluß-Betrachtungen.
Einen Rückblick auf die durchwanderten reichen Gebiete wer-
fend, vermag ich ſie nicht zu verlaſſen, ohne einige ſummariſche
Folgerungen aus dem dort Erlebten und dem Mitgetheilten zu ziehen.
Kein ruhig beobachtender Wanderer dürfte das Oſtland Eu-
ropa's oder das Weſtland Aſien's betreten können, ohne von dem
tiefſten Mitleid durchdrungen, – ohne endlich von brennendem
Unmuth erfaßt zu werden, wenn er viele Strecken des fruchtbarſten
Bodens in menſchenleere Einöden verwandelt, wenn er Städte,
deren Glanz und Reichthum ehedem hoch geprieſen wurde, gegen-
wärtig zu elenden Dörfern herabgeſunken vor ſich ſieht. Den
höchſten Grad muß aber das Mißvergnügen erreichen, wenn ein näheres
Eingehen in dieſe Zuſtände keinen Zweifel darüber läßt, daß ſeit
vier Jahrhunderten von einem blos zehrenden, niemals befruch-
tenden Volke ſo ganz und gar nichts geſchehen iſt, um den
von ihm veranlaßten Ruin des Landes allunählig durch humane,
für Alle gleich wohlthätige Geſetze wieder auszugleichen, oder –
mit andern Worten – das Land und ſeine Bewohner der Stufe
der Cultur und des Wohlſtandes wieder zuzuführen, für welche eine
mit verſchwenderiſcher Hand ſpendende Natur ſie urſprünglich be-
ſtimmt hatte. Man hat oft wiederholt, daß die Türken ſich in
den von ihnen eroberten Ländern nicht heimiſch fühlen, weil ſie
keine Landſtraßen bauen. Viel mehr noch würde ſich dies aus dem
Umſtande folgern laſſen, daß ſie nichts thun, um dem entvölkerten
Boden die vertriebenen oder ausgerotteten Bewohner wieder zu
ſchaffen. Man würde dem Lande ſchon Glück wünſchen müſſen,
wenn die Kopfzahl ſeiner Einwohner nicht immer noch tiefer ſänke*).
*) Vergl. v. Reden, a. a. O, S. 88, 89.
– 360 –
Ich wurde einſt von einem Staats-Oekonomen befragt, ob ſich
das menſchenleere Weſtaſien nicht eignen dürfte, deutſche Colonien
dort anzuſiedeln? Meine Antwort war: daß ſich kein Land der
Welt mehr zur Förderung deutſcher Anſiedelungen eignen würde
als Weſtaſien, nördlich von Smyrna beginnend, über das ehemalige
trojaniſche Gebiet, längs der Dardanellen, des Marmara-Meeres
und des Bosporus bis zum ſchwarzen Meere, – ſobald man dahin
gelangt ſein werde, den Arbeitern geſetzlichen Schutz und Sicherheit
gewähren zu können. Bis zu dieſer vielleicht noch ſehr fern lie-
genden Zeit möge man indeſſen brave und arbeitſame Landsleute
nicht dem Verderben ausſetzen. – Hr. Fallmerayer*) gelangt
für die europäiſche Türkei zu einem ähnlichen Reſultate. Er
ließ ſich, Anfangs Februar auf dem Kaſtellhügel zu Lariſſa
ſitzend, zu dem Gedanken hindrängen, daſ, wenn bei überzähliger
und unzufriedener Bevölkerung irdiſches Gedeihen allein die Wahl
neuer Sitze beſtimmen ſoll, für die „Temperatur des deut-
ſchen Blutes“ ohne Zweifel Theſſalien der geeignetſte Him-
melsſtrich wäre. Der wiederholte Anblick des prachtvollen Teppichs
der peneiſchen Ebene, auf der nach vierzehntägigem Winter wieder
„die Myrte in friſchem Saft trieb,“ gab ihm die Veran-
laſſung dazu. Doch er ſelbſt ſagt ſich: „das Erbe iſt ſchon
vergeben, Byzantiniſch angebaute Fluren gewinnt der
Abendländer heute nicht mehr auf friedlichem Wege;
der Gewalt aber und dem klugen Gedanken haben die
deutſchen Stämme auf immer (?) entſagt.“ Zum Ueber-
fluſſe fügt er noch Beweiſe für die zu Lariſſa damals betriebenen
türkiſchen Unterſchleife und den Raub an öffentlichem Gut hinzu,
wohl um die ehrlichen Deutſchen von dem Gedanken an Ueber-
ſiedelung dorthin um ſo ſicherer zurückzuſchrecken. Selbſt ein Türke
ſagte ihm nämlich: „das Devlet alieh (die hohe Pforte) muß
in dieſer Weiſe elend zu Grunde gehen.“ – Der Türke, der
dies 1843 ausſprach, hat bis 1861 hin vollkommen Recht be-
halten, denn die Finanznoth der türkiſchen Regierung iſt heute
dringender als je; ſie darf als ein Hauptmotiv der in faſt allen
Regionen des Volkes herrſchenden Unzufriedenheit angeſehen wer-
den. Die kurz vor ihrem Ausbruche entdeckte und unterdrückte
*) A. a. O. S. 326.
- 361 -
Revolution vom September 1859 fand einen weſentlichen Stütz-
punkt darin, daß der Armee ſeit vier Monaten kein Sold gezahlt
worden war. Sie hatte ihre Verzweigungen unter hohen Offizieren
und geiſtlichen Würdenträgern, die es ſchließlich darauf abgeſehen
hatten, alle Neuerungen abzuſchaffen und das alte orthodoxe Türken-
thum wieder zur Geltung zu bringen. Die Ausführung des klug
angelegten Planes würde Mord und Verderben über den Sultan,
die Anhänger des Hatti-Hümayun, endlich auch über die Chriſten
gebracht haben, obgleich die Führer des Aufruhrs wirklich die Ab-
ſicht gehabt haben mögen, die fremden Geſandtſchaften und die
Chriſten überhaupt zu ſchonen. Es ſoll außerdem unter dem Namen
der „byzantiniſchen Union“ ein durch alle Provinzen verbreiteter
Bund organiſirt ſein, welcher den Umſturz der beſtehenden Regie-
rungsform, unter Beibehaltung des Sultans, beabſichtigt. Somit
liegt der gähnende Abgrund, an welchem die Regierung des wohl-
meinenden und milden Sultans Abdul Medſchid angelangt
iſt, jetzt vor Aller Augen blos. Die ganze Energie eines Mo-
hammed II. oder Suleiman d. G. würde jetzt erforderlich ſein, um
die vertagte Umwälzung vollſtändig abzuwenden. Die europäiſchen
Mächte, welche mit der Türkei den Frieden von Paris unterzeichnet
haben, richteten in Folge jenes Ereigniſſes an die letztere im Oc-
tober 1859 ein Memorandum, durch welches mehr Energie in der
Durchführung der neuen Einrichtungen, ſowie eine beſſere Finanz-
Wirthſchaft anempfohlen wird. Leider konnten dem guten Rathe
die energiſchen Geiſter nicht hinzugefügt werden, welche hierbei un-
entbehrlich ſein würden. Jedenfalls iſt ein ſo unſicherer Zuſtand
nicht geeignet, fremde chriſtliche Coloniſten herbei zu locken. Aber
die Regierung hat in der neueren Zeit die Hülfe weſteuropäiſcher
Bildung und chriſtlicher Talente ſo häufig in Anſpruch genommen
und benutzt, daß ſie ſelbſt dadurch den Beweis lieferte, es könne
ohne ſolche Unterſtützung fortan nicht mehr regiert werden, wenn
nicht die alte Barbarei wieder zur Herrſchaft gelangen ſoll. Fühlt
man ſich hierzu nicht kräftig genug, ſo muß man die bis jetzt blos
auf dem Papiere ſtehenden neuen Geſetze aufgeben, und die betur-
banten Türken abermals an die Spitze ſtellen, wie es die Partei
des Rückſchritts dort verlangt. Was die chriſtlichen Großmächte
in ſolchem traurigen Falle thun würden, läßt ſich, Angeſichts der
bei ihnen ſtets herrſchenden gegenſeitigen Rivalität, nicht vorher-
16
- 362 -
ſehen. Immerhin würde dann den chriſtlichen Bewohnern der Türkei
Zeit ggnueg gelaſſen werden, die Initiative zu ergreifen, wenn ſie
ihren dann gewiß erhöhten Draugſalen ſelbſtſtändig abhelfen wollten,
wie ſie dazu durch ihr bedeutendes numeriſches Uebergewicht allein
ſchon befähig ſein würden. Es möchte ein unweiſer Gedanke ſein,
unter ſolchen Umſtänden unthätig uneigennützige Hülfe von außen
her, etwa Uu der chriſtlichen Liebe willen, zu erwarten; ſchon die
griechiſchen Kaiſer haben erfahren, was hiermit gewonnen werden
kann. Frankreich hat durch deu Krim-Krieg ſeine gigantiſche Schul-
denlaſt um 1700 Millionen Fr. vermehrt, dahingegen der jüngſte
italieniſche Krieg nur 300 Millionen gekoſtet haben ſoll. Würde
man hoffen dürfen, daß Frankreich, blos der Glorie wegen, ſein
Schwert abermals in die Waagſchale der Geſchicke des Qrients
geworfen zu haben, zu einem ähnlichen Opfer entſchloſſen ſein
würde? Bei allen den Antipathieen, welche die jetzige maaßgebende
Gewalt Frankreichs gegen die Türken in den letzten Jahren kund gegebeit
hat, läßt ſich dies dennoch gewiß nicht erwarten. Indem nun während
des Sommers 186Q thatſächlich bereits eine Invaſion Syriens
vor ſich gegangen iſt, ſo kaut es ſich hierbei ſchwerlich mehr um
die ideale Machtſtellung Frankreichs, ſondern vielmehr nur um eine
ſchickliche Einleitung zu dem dereinſtigen materiellen Beſitz Syriens
handeln. Eine zweite Expedition nach dieſem Lande der Verheißung
dürfte nicht blos in Frankreich populär, ſondern zugleich die ſolideſte
Initiative für die Unterwerfung des ganzen Küſtenſtrichs von Nord-
afrika ſein. Der kühne Gedanke, das Mittelmeer zu einem franzöſiſchen
Binnenſee zu machen, iſt oft genug ſchon ernſthaft ausgeſprochen
worden. Dies iſt die Gefahr, welche der Türkei von Süden hem
droht. – Ungleich wichtiger noch erſcheint die vom Norden her zu
fürchtende Invaſion. Die zu ihrer Ausführung in Beſſarabien be-
reits angehäuften Truppen ſind des zur geeigueten Zeit etwa erfolr
genden Winkes gewärtig. Iſt doch die gefahrdrohende Aufhebung
der Leibeigenſchaft bis jetzt glücklich gelungen.
An meiſten berufen, die orientaliſchen Angelegenheiten definitiv
zu reguliren, würde Deutſchland ſein. Aber die bejammernswerthe
Zerſplitterung ſeiner Macht hat ſich noch während des jüngſten ita-
lieniſchen Krieges ſo grell und nachtheilig herausgeſtellt, daß der
chriſtliche Orient – mit Ausnahme einiger barmherzigen Schewe-
ſtern für Syrien – vorläufig nichts von ihm zu erwarten hat.
= 3G3 =
Man hat ja in Würzburg, Bamberg, Caſſel u. ſw. mit der Wahrung
dynaſtiſcher Intereſſen vollauf zu thun.
Hr. v. Reden*) vermritther, daß die Serben durch ihre
geiſtigen Anlagen, ihre Lebhaftigkeit und ihre kriegeriſchen Tugenden
der Aufklärung im Oriente Sereinſt zur Brücke dienen werden. Das
der Regierung des Stammes Miloſch überantwortete Fürſten-
thum Serbien zählt etwa eine Million Einwohner, die dem griechi-
fchen Cuktns zugetan ſind. In Oeſterreich keben zerſtreut unker
dem Namen der Slavonier, Morlaken, Iftrier, Dalmaten, Ragn-
ſaner, noch 1,600.000 Serben, die jedoch für den oben als möglich
vorausgeſetzten Fall wohl nicht mitzählen würden. Dagegen findet
ſich noch in Bosnien, Bulgarien und Albanien, alſo auf türkiſchem
Gebiete, eine halbe Million Serben, die mit jenen des Fürſten-
them's zuſammen alſo 1 Millionen ergeben würden. Sie möch-
tet allerdings im Stande ſein, den unkriegeriſchen, aber kräftigen
und zahlreichen Bulgaren als Gährungsſtoff zu dienen und ſie mit
ſich fortzureißen. Dieſe vereinigten 8 Millionen Slaven könnten
unter energiſcher Führung ihren Willen einen kategoriſchen Ausdruck
geben, der auf Byzanz einen mächtigen Einfluß ausüben müßte. –
Die osmaniſchen Griechen würden unter ſolchen Verhältniffen wahr-
ſcheinlich genau ſo, wie ſie es den Kreuzfahrern gegenüber thaten,
aus den ſich ergebenden Wechſelfällen liſtig Vortheil zu ziehen ſuchen.
Die Griechen des helleniſchen Königreichs haben ſich 1854
durch eine kleine franzöſiſche Beſatzung Athens abhalten laſſen,
ihren urſprünglichen Plan, zu Gunſten Rußlands eine Diverſion
gegen die Türkei zu machen, auszuführen. Würden ſie unter ſpäter
eintretenden analogen Umſtänden energiſcher und ſelbſtſtändiger auf-
treten? Damals bot ſich wenigſtens eine günſtige Gelegenheit dar,
zu zeigen, daß noch ein kräftiger Reſt althelleniſchen Blutes in den
Adern der Neugriechen walle. Mit dieſem würden ſie die Köpfe ihrer
Feinde eben ſo wenig gezählt haben, als ihre Vorfahren die der
Perſer. Ohne Zweifel ſtand dabei die Exiſtenz auf dem Spiele.
Aber welche traurige Exiſtenz! Wie wenig war hier mit dieſer
verloren, wie unendlich viel konnte dagegen im glücklichen Falle
gewonnen werden! Sollte es unmöglich geweſen ſein, die Serben
und Bulgaren für die Sache der Befreiung von türkiſchem Soche
zu begeiſtern, und würde in ſolchem Falle fich Rußland nicht haben
*) A. a. O. S. 74. 16*
– 364 –
beeilen müſſen, Waffen und kriegsgeübte Führer über die Donau
zu ſenden, um das Unternehmen zu leiten und zu kräftigen? Doch
die Hellenen haben es nicht verſtanden, den vielleicht nie wieder-
kehrenden Augenblick mit energiſcher Hand zu ergreifen. Sie haben
ſich dadurch den Stempel der wohlverdienten Abhängigkeit von den
Weſtmächten und von einer inſolenten engliſchen Diplomatie aufgedrückt.
– Somit bleiben nur jene 8 Millionen Slaven übrig, von
welchen ſich eine ſelbſtſtändige Einwirkung auf die dereinſtige Neu-
geſtaltung des ehemaligen oſtrömiſchen Kaiſerthum's erwarten läßt.
Inzwiſchen thront der humane, aber weichliche Sultan im
Harem zu Byzanz über dem glimmenden Vulkan des alten barba-
riſchen Osmanenthum's, deſſen Exploſion jüngſt ſchon nahe heran-
gerückt war. Von außen her wird dieſer Thron durch Nachbarn
umgarnt, welche nur mittelſt gegenſeitigen Argwohns und Neides
abgehalten werden, ſich die Hand zum Umſturze der ſchwachen Re-
gierung von Stambul zu reichen. Und als der nordiſche Macht-
coloß näher und näher an die Donau gerückt war, um der faſt
ſchon verfallenen Beute ſicherer Herr zu werden, da waren es
chriſtliche Weſtmächte, welche die Vertheidigung des bedrohten
Osmanenthums unter unſäglichem Aufwande von Blut und von
Gold übernahmen. Die franzöſiſche Regierung hat in der Folge
genügend bewieſen, daß es ihr hierbei nur um die Befeſtigung des
eigenen Thrones, ſowie um Kriegsruhm und einige Marſchallſtäbe
für das Heer zu thun war. England allein entwickelte bei dieſer
Gelegenheit die ernſte Abſicht, Rußland von der türkiſchen Gränze
zurückzudrängen, und hatte hierzu vollwichtige Gründe.
Rußland begnügt ſich vorläufig damit, den Bulgaren und
Griechen Kirchen-Geräthſchaften aller Art und Heiligenbilder als
Geſchenke zuzuſenden, wozu in der letzten Zeit auch einige Glocken
gekommen ſein ſollen. Die für die griechiſche Kirche ſeit dem Concil
von Chalcedon mit ſo nachhaltigem Eifer und ſo großem Erfolge
angeſtrebte geiſtige Verbindung aller ihrer Mitglieder iſt hierdurch
neuerdings vorläufig gewährleiſtet. An dieſe wird dann bei der nächſten
günſtigen Veranlaſſung die materielle Verbindung um ſo leichter
angebahnt werden können. Daß aber im Orient die Augen aller
griechiſchen Chriſten ſtets nach St. Petersburg hingewendet ſind,
erfährt jeder dort Reiſende ſchon in wenigen Tagen. Erwägt man,
welche ſouveräne Stellung im oſtrömiſchen Reiche die Kirche, von
– 365 –
ihrem Begründer Conſtantin an, faſt ununterbrochen eingenommen
hat, ſo kann eine ſolche Thatſache auch keineswegs auffallen. Thront
doch der summus episcopus zur Zeit in der nordiſchen Hauptſtadt.
Rußland hat ſeinerſeits ſchon in den früheſten Phaſen ſeiner
Geſchichte das dringende Verlangen bewieſen, für die Erzeugniſſe
ſeines gigantiſchen Länder-Complexes ſüd- und ſeewärts einen Weg
in das mittelländiſche Meer zu erlangen, über welchen es zu ge-
bieten vermöchte. Von 879–944 erſchienen ſie viermal am Bos-
porus, von wo ſie öfter durch Gold als durch Waffen zurückgetrieben
wurden. Im Jahre 967 empfing ihr Herrſcher Swätoslaw aber
von dem griechiſchen Kaiſer fünfzehn Centner Goldes, um die über-
läſtig gewordenen Bulgaren zu bekriegen und zu zähmen. Swä-
toslaw ſchlug die Bulgaren, ließ 20,000 derſelben pfählen, deren
ganzes Unrecht darin beſtand, daß ſie ſich muthig vertheidigt hatten,
erklärte dann aber in Byzanz, daß er in dem eroberten Lande zu
verbleiben gedenke. Da zog der Kaiſer Johannes Tzimisces
aus, beſiegte ihn, und trieb ihn über die Donau zurück. Für
unſern Zweck erſcheint es indeſſen wichtiger, daß der moscowi-
tiſche Czar Ivan III. eine Nichte des letzten Conſtantin gehei-
rathet hatte und daß hieraus der Papſt Paul II. nach dem Sturze
des Kaiſerthum's Gelegenheit nahm, dem ſchismatiſchen Czaren die
Erbſchaft des erledigten griechiſchen Thrones zu übertragen. Dieſe
Declaration geſchah feierlich, und ſeit jener Zeit nahm Rußland
den griechiſchen Doppeladler in ſein Wappen auf. Seitdem ſcheint
Rußland auch ſtets einen Conſtantin bereit zu halten, der zu rechter
Zeit die Erbſchaft antreten könnte, ohne den Namen wechſeln zu
dürfen. Päpſtlichen Ausſprüchen gehorſame Katholiken ſollten ſich
hiernach über die Manöver Rußlands nicht entſetzen, die auf die
Austreibung der Türken von dort berechnet ſind.
Abgeſehen von alten und neuen Geſchichten läßt jedoch ein
einfacher Blick auf die Karte erkennen, daß, ſobald Rußland ſeine
unerſchöpflichen Hülfsquellen eröffnet haben wird, es durch die Natur
der Dinge dazu gedrängt werden muß, für Abfluß derſelben in das
Meer nach Süden hin zu ſorgen. Der gegenwärtige humane Herr-
ſcher im Norden trifft weiſe Vorbereitungen dazu durch den innern
Ausbau und die dem heutigen Stande der Civiliſation Europa's
entſprechende Befeſtigung des Staates. Mögen ſich dieſem Unter-
nehmen auch große Schwierigkeiten entgegenſtellen, – früher oder
>
– 366 –
ſpäter müſſen ſie überwunden werden, und, ſobald der freie Bauer
ſein eigenes Land verbeſſernd baut, würde Rußland in ſeinem
Reichthum erſticken, wenn es keine ihm ſelbſt gehörige Abſatzwege
benutzen dürfte. Alſo nicht blos der ſehr verzeihliche Hang eines
oder des andern Herrſchers, den feſten Wohnſitz aus dem eiſigen
Norden in den von einer milderen Sonne beleuchteten Süden Eu-
ropas zu verlegen, – etwa dem maleriſchen Landſitz des Kaiſers
Nicolaus au der Südſeite der Krim mit einem ſolchen am Bos-
porus zu vertauſchen, – ſondern in der That eine Art von Natur-
Mothwendigkeit treibt Rußland gegen Byzanz hin. Fügt man dem
noch hinzu, daß nach vollſtändiger Aufhebung der Leibeigenſchaft
und beendigtem Eiſenbahn-Bau nach dem ſchwarzen Meere hin, ein
ruhmdurſtiger und kriegsluſtiger Kaiſer den Thron einnehme, –
was ſollte ihn hindern, ſeine Legionen zum zweiten Male an die
Oſtſeite des Bosporus marſchiren zu laſſen? Und wenn es Frank-
reich im gegenwärtigen Jahrzehnd ſchon zweimal erlaubt geweſen
iſt, ſeine Heere auf Eroberung von Ruhm auszuſenden, – mit
welchem Rechte will man es hiernach Rußland verargen, dem böſen
Beiſpiele folgend, für ſeine Armee Aehnliches zu thun?
Es gibt nur ein Volk, welches im Stande wäre, dieſem der-
einſtigen Ueberfluthen der Legionen Rußlands einen feſten Riegel
vorzuſchieben. Wer wollte die ſiebenzig Millionen Deutſcher ver-
Ä am linken und rechten Ufer der Donau bis zum ſchwarzen
Äng zu marſchiren, um ſich hier für immer anzuſiedeln und
ſo einen Damm zu bilden, an welchem ruſſiſche wie türkiſche Flu-
then ſich gleichmäßig machtlos brechen würdeu, wenn – – –
Deutſchland, oder auch nur die geſammte deutſche Heeresmacht, von
einem einzigen energiſchen Willen geleitet würde. Aber das Volk
der Denker und der Intelligenz ſpricht weiſe, geflügelte Worte über die
unentbehrliche Einigung der deutſchen Stämme, läßt die Trennung aber
thatenlos ad indefinitum beſtehen, bis von Weſten und von Oſten
her zu den bereits abgeriſſenen Provinzen neuerdings losgelöſte hin-
zugefügt ſein werden. - :
„Gott verzeih mir das Wort, dem nicht die That
- - - - - auf den Fuß folgt!
„Unfruchtbares Weib hab' ich der Kinder geziehn.“
- - Al Buſſiri im Lobgedicht Al Bordg.
- -
ſ -
...
– 367 –
Wir hatten zwar eine Zeit, in welcher der Philoſoph von
Sansſouci, ja noch ſein Nachfolger im Jahre 1790, den gegen
die Türken gewendeten Waffen Halt gebieten konnten; aber dieſe
Zeit liegt hinter uns. Des zerriſſenen Dentſchland's Blicke ſind
gegenwärtig nur nach dem Weſten hin gewendet, wo man einem
vorherrſchend energiſchen Charakter geſtattet hat, ſich einen maaßge-
benden Einfluß auf Europa anzueignen. Um das, was im Oſten
geſchieht, kümmern ſich die heutigen Politiker Deutſchlands wenig;
ſie ahnen nicht, daß die Geſchicke ihres herrlichen Baterlandes end-
gültig nur dort können entſchieden werden. Vollkommen wahr, aber
nnbeachtet von Deutſchland, ſchreibt Hr. Thiers: „Quand le
colosse russe aura un pied aux Dardanelles, un autre
sur le Sund, le vieux monde sera es clave, la liberté
aura fui en Amerique: chimère aujourd'hui pour
1es esprits bornés! ces tristes prévisions seront un
jour cruellement realisées, car l’Europe maladroi-
tement di wisée, comme 1es will es de la Grèce .de-
vant 1 es rois de Macedoine, aura probablement le
méme sort.“
Somit bleibt nur England übrig, welches, im vollen Be-
wußtſein der hohen Wichtigkeit des europäiſchen Orients für ſeine
Machtſtellung gewiß Alles aufbieten wird, Rußland dort Hinder-
niſſe aller Art entgegen zu thürmen. Sir John M'Neill ſagt:
„Die Politik Rußland's ruht auf der Gewißheit, Eng-
land ſeine indiſchen Beſitzungen zu rauben;“ – daſſelbe
behauptet Hr. Urquhart*): „den Eingang in's ſchwarze
Meer verſchließen, heißt nichts Anderes, als für Ruß-
land einen Weg nach Indien zu öffnen.“ Und wenn Lord
Palmerſton alle Kräfte aufbietet, den Bau des Suez-Kanals zu
hintertreiben, den das Intereſſe des ganzen übrigen Europas drin-
gend wünſchen muß, ſo kann nur die Abſicht England's angeſchul-
digt werden, keinen neuen, kürzeren Zugang nach Oſtindien eröffnen
zu laſſen. Auch der Weheruf über die Gefangennehmung Scha-
myl's und über die maſſenhafte Auswanderung der Tſcherkeſſen
ans dem Kaukaſus, welcher durch alle engliſche Tagesblätter drang,
fand ſeine Berechtigung in der Ueberzengung, daß ein Felſendamm
*) A. a. O. S. 153.
– 368 –
mehr gegen Rußland's Ueberfluthen nach Indien mit jenem Ereig-
niß gebrochen ſei. -
Die Ruſſen haben mit den Engländern das gemein, daß ſie
ihre Macht und Thätigkeit nach allen Seiten hin auszudehnen
ſtreben. England hat das rechte Maaß hierin (wenn es irgend ein
ſolches gibt) bereits überſchritten und läuft Gefahr, rückwärts
gehen zu müſſen. Das mit ihm wetteifernde Rußland verſteht, der
energiſchen Jugendkraft ſeines Länder-Coloſſes von Zeit zu Zeit mit
weiſer Mäßigung einen Zaum anzulegen, um ſie vom Ueberſtürzen
zurückzuhalten. Aber es verliert ſein Ziel nie aus den Augen.
Während England die Ruſſen auf der Krim und an den Ufern
des ſchwarzen Meeres hinlänglich beſchäftigt zu haben wähnte, be-
feſtigten ſich dieſe am Amur. Sie erwarben dort in friedlicher
Stille ein Areal von 10,000 DMeilen und zugleich den wichtigen
Eintritt in das übervölkerte himmliſche Reich, um ſeinen daſſelbe
Ziel im Auge haltenden Bemühungen an der entgegengeſetzten Gränze
zu Kiachta und Buchara die hülfreiche Hand zu bieten. Freilich
fordert Kiachta auch Menſchen, die möglicher Weiſe eine Kälte zu
ertragen im Stande ſind, bei welcher beinahe das Queckſilber feſt
wird, denn wir erfahren, daß die Temperatur dort am 30. De-
cember 1856 auf – 25 ° R. ſank. Das hindert aber Rußland
nicht, nach einem ſeit 1728 mit China beſtehenden Vertrage in
dieſem Lande eine geiſtliche Miſſion zu unterhalten, welche ſich ſeit
1849 in Pecking aufhält und 1857 über Kiachta abgelöſt werden
ſollte. Könnte England ſich wirklich mit der Hoffnung ſchmeicheln
dürfen, durch ſeine Unternehmung auf dem Peiho-Fluß ſolchen Fort-
ſchritten der ruſſiſchen Nebenbuhler Einhalt gethan zu haben? Doch
– viel mehr handelt es ſich hier um die Donau. War es 1812
nicht England, welches, um Frankreich möglichſt zu ſchaden, die
Türkei verleitete, mit Rußland in demſelben Augenblicke Frieden
zu ſchließen, wo ſich ihm die günſtigſte Gelegenheit darbot, letzteres
von der Donau und dem ſchwarzen Meere zurückzudrängen? Ver-
dient dieſer Mißgriff nicht, in noch höherem Grade „an unto-
werd event“ genannt zu werden, als die mit ruſſiſcher Hülfe
bewirkte Zerſtörung der egyptiſch-türkiſchen Flotte zu Navarin,
welche Georg IV. in ſeiner bald darauf gehaltenen Thronrede mit
jenem für die engliſche Flotte ſo wenig ſchmeichelhaftem Ausdrucke
begrüßte? Würde England damals der durch jenen Vorfall vor-
– 369 –
bereiteten Befreiung Griechenland's ſeinen energiſchen Beiſtand ge-
leiſtet haben, wenn es die bald darauf hervorgetretene überwiegende
Hinneigung Griechenland's zu Rußland weiſe vorher berechnet hätte?
Und doch beruht dieſe auf einer nicht ſchwer zu enträthſelnden
naturgemäßen Grundlage, der ſich ſelbſt König Otto während des
jüngſten Krieges nicht zu entäußern vermochte. Die Folge davon
war, daß die Alliirten ihre Macht zerſplittern und Truppen im
Piräus ausſchiffen mußten, um die Türkei gegen die Schutzbefoh-
lenen England's und Frankreichs zu ſchirmen.
Durch die Mitwirkung ſolcher und ähnlicher Mißgriffe gelang
es Rußland, 1829 im Frieden von Adrianopel die Türkei zur
Abtretung des einzigen noch fahrbaren Ausfluſſes der Donau in's
ſchwarze Meer zu zwingen. Die deutſchen Mächte, denen am meiſten
daran hätte liegen ſollen, ein ſolches Ereigniß zu verhindern, dem
man eine weltgeſchichtliche Bedeutung einräumen muß, begünſtigten
ahnungslos jenen Frieden, mit ihm zugleich die Abtretung der Mün-
dung der Hauptlebensader von Deutſchland. Die böſen Folgen davon
ließen nicht auf ſich warten. Schon 1836 errichtete Rußland eine
Quarantäne an der Sulina-Mündung, durch welche es die den
Einlaß begehrenden Schiffe zwang, umzukehren und nach Odeſſa zu
gehen, um dort Quarantäne zu halten. Mehr und mehr traten
ſeine Pläne in die Oeffentlichkeit. 1838 gelang es Rußland, einen
Vertrag zwiſchen der Türkei, England und Oeſterreich ſcheitern zu
machen, der die Donau-Schifffahrt befreit und geſichert haben würde.
1844 und 1850 wußte es den Vorſchlag Oeſterreichs zur Anlegung
eines Donaukanals zu vereiteln. Ebenſo vermochte es 1841, einen
Vertrag zu London unterzeichnen zu laſſen, durch welchen die Kriegs-
ſchiffe aller Nationen im Kriege und im Frieden von dem ſchwar-
zen Meere ausgeſchloſſen bleiben ſollten, dem 1849 der das
Ganze krönende Vertrag folgte, durch welchen die Türkei ſich die
Beſetzung der beiden Donau-Fürſtenthümer durch ruſſiſche Truppen,
mithin die möglichſte Sicherung der ruſſiſchen Herrſchaft über die
Donau gefallen ließ. Endlich iſt es nun durch Rußlands und
Frankreichs Betreiben dahin gekommen, daß die türkiſche Regierung
ihren Proteſt gegen die Doppelwahl des Fürſten Couza zum Herr-
ſcher beider Donau-Fürſtenthümer zurücknahm und ihm die Inve-
ſtitur ertheilte. Bei dieſer hielt es Fürſt Couza nicht einmal mehr
für nöthig, den kaiſerlichen Geſandten in feierlicher Audienz zu
– SRO –
empfaugen. Die Suzeränetät der Pforte iſt hiermit tief hinab-
gedrückt und Rußlands Diplomatie hat einen Sieg mehr über Eng-
land davon getragen.
Aus alle dem geht unwiderſprechlich hervor, daß, wenn auch
der Nationalruſſe einer höheren moraliſchen Civiliſation weniger
zugänglich und ſchwerbeweglich iſt, doch die ruſſiſche Regierung
unausgeſetzt thätig, leichtbeweglich und in der richtigen Auswahl
hervorragender diplomatiſcher Kräfte ungemein glücklich iſt. Nament-
lich wird ſie durch Männer deutſcher Abkunft bei derartigen Unter-
nehmungen beſtens unterſtützt, denen das Wohl und Wehe des
Adoptivvaterlandes unendlich mehr als das ihres Stammlandes
dabei am Herzen liegt.
Welche Stimmung gegen England in Rußland herrſcht, be-
darf hier der Auseinanderſetzung nicht; wer darüber Zweifel hegen
könnte, mag die Schrift von Wernadski*) darüber zu Rathe
ziehen, welche viel brauchbares Material enthält.
Den Einfluß anf den Handel nach Mittelaſien und nach Oſt-
indien, welchen das dereinſt bis an das caspiſche Meer und von
dieſem bis an den Aralſee zu vollendende ruſſiſche Eiſenbahnſyſtem
ausüben wird, hat bereits im voraus der ruſſiſche General Ge-
rebtzkow*) näher nachgewieſen. Er berechnet die Zeit, welche ein
von Paris abgeſendeter Waarenballen nöthig hat, der auf franzöſiſchen,
deutſchen und ruſſiſchen Eiſenbahnen befördert wurde, auf zwölf
Tage bis nach Perſien, auf zwanzig Tage bis nach Taſchkend;
er würde nach vierzig Tagen die entfernteſten Punkte Mittelaſiens
erreicht haben.
In England kennt man die von dort her drohende Gefahr
ſehr wohl. Auch weiß man dort, daß die Türken unter Füh-
rung des tapfern General Williams während der Belagerung
von Kars Wunder der Tapferkeit gethan und eine unerhörte Opfer-
bereitſchaft an den Tag gelegt haben. Dieſe ausgezeichneten Eigen-
ſchaften würde man von Seite Englands bei dem nächſten blutigen
Zuſammenſtoße an ſchwarzen Meere benutzen müſſen, wenn es ſich
darum handelt, Rußlands Vordringen nach Süden zu hemmen.
*) Die Weltherrſchaft Englands und das politiſche Gleichgewicht. Leipzig
mnd Mitau, 1856.
*) Les trois questions du moment. Paris, 1857.
England würde ſein Gold nicht nützlicher anwenden können, als
wem es mit ihm in ſolchem Falle der türkiſchen Armee kriegs-
kundige, energiſche Führer, Sold und Proviant verſchaffte. Denn
nur dort laſſen ſich Rußlands Pläne noch durchkrenzen. Mit dem
Uebergange Conſtantinopels in den Beſitz Rußlands würde die
Achillesſehne Englands verwundet, – Oſtindien würde in dringender
Gefahr ſein! – Wir gelangen endlich zur Beantwortung der ernſten
Frage: werden Unterſtützungen von außen her auf die Dauer
hinreichen, die innere Auflöſung des osmaniſchen Reiches abzu-
wenden?
Allenthalben, wo ein höher eiviliſivtes Volk mit einem im
Zmſtande der Uncultur befindlichen in dauernde Berührung tritt,
muß das letztere früher oder ſpäter der überwiegend ausgebildeten
Intelligenz nothgedrungen ſeinen Tribut zollen. Verweigert es
dieſen, wie die Osmanen, wenn ſie dem Koran gehorſam bleiben
wollen, es thun müſſen, – ſo wird es entweder unterjocht oder
muß ſich, kämpfend mn ſeine Exiſtenz, in immer engere Gränzen
zuwückziehen, bis es endlich aus der Reihe der Bötker verſchwindet.
Dffenbar waltet hier ur ein Naturgeſetz mit Nothwendigkeit,
welches ſich bereits in den älteſten Zeiten, bis zu denen die Ge-
ſchichte hinaufreicht, kund gab. Der ernſte Geſchichtsforſcher be-
darf daher zur Würdigung jenes Geſetzes nicht der in unſerer Zeit
oft wiederholten Hinweiſung auf die Ureinwohner des weſtlichen
Continents, welche man dort „Wilde“ betitelt. Dieſe ungerecht-
fertigte Bezeichuung von Menſchen niederer Eulturſtufe mag viel
dazu beigetragen haben, daß jene Bedauernswerthen von ihren
europäiſchen Drängern leider oft genug gleich Beſtien behandelt
worden ſind.
Aehnlich, wenngleich weniger ſchnell und auffallend, wirkt das
Naturgeſetz auf Völker ein, die ehedem im Beſitze der höchſten
menſchlichen Cultur, ſich durch Mißbrauch dieſer unwürdig gemacht
hatten. Sobald hohe Intelligenz nicht mehr ihrer uranfänglichen
wahren Beſtimmung, der fortſchreitenden Erkenntniß der göttlichen
Geſetze der Veredelung des Menſchengeſchlechts zugewendet, ſondern
zur Erreichung inhumaner, ſelbſtſüchtiger, ſchändlicher Zwecke er-
niedrigt und herabgezogen wird, ſo folgt der Verſündigung die
Strafe auf dem Fuße. Die fort und fort über uns waltende
höchſte Macht fordert den dem Menſcheugeiſte zu weiſer Benutzung
– 372 –
dargeliehenen göttlichen Funken nach Maaßgabe ſeiner Entwürdigung
allmählig zurück. Sein belebendes Feuer erliſcht bis zu kleinlichem
Reſte. Unter dem Gewichte wohlverdienter Rüge langer aufge-
häufter moraliſcher Verſündigungen erſchlaffen und erlahmen ganze
Nationen, ſinken und verſchwinden von der Weltbühne. Von jugend-
lich friſcher Energie durchwärmte Völker treten in das verwirkte
Erbe jener entnervten. Auf den Schultern ermattet hinwelkender
Stämme erheben ſich aus ihrem bisherigen Dunkel neue, kräftigere
zum Lichte empor. Wie im Kleinen die körperliche Krankheit des
Vaters häufig ſich überpflanzt in den Keim des Sohnes, um mit
dieſem aufzuwachſen, ſo auch muß im Großen und noch viel ſicherer,
die in ganzen Völkern weit verbreitete moraliſche Verderbniß auf
deren Nachkommen übergehen und den Ruin dieſer endlich herbei-
führen. -
Ein großes belehrendes Beiſpiel für dieſe Wahrheit bieten uns
die Griechen dar. Nachdem ihre Republiken auf dem Höhepunkte
damals möglicher menſchlicher Cultur angelangt waren, vermochten
ſie, gering an Zahl, unzählbaren Perſerheeren kühn zu trotzen. Durch
den Sieg übermüthig und eitel, durch die Beute habſüchtig und
ſittenverderbt geworden, zerſtörten ſie thöricht das ſie durch gemein-
ſame Cultur zuſammenhaltende nationale Band, bekämpften, entkräf-
teten ſich gegenſeitig, beſudelten ſich mit blutigem Bruderverrath,
bis ſie endlich der Römer leichte Beute wurden. Als die letzteren
durch gigantiſch entwickelte, heroiſche Thatkraft Gebieter der damals
bekannten Erde geworden waren, ſanken ſie unter der Deſpotie, dem
Luxus und der Ungerechtigkeit ihrer Kaiſer tiefer und tiefer. Ein
richtiger Inſtinkt und weiſe Berechnung lehrte den erſten Conſtantin
erkennen, daß der Sturz Roms und ſeiner falſchen Götter unab-
wendbar geworden ſei. So verlegte er den Sitz ſeiner Regierung
in den damals noch lebensfriſchen Oſten, indem er ihn zugleich
durch großartige Benutzung der immer noch mächtigen wiſſenſchaft-
lichen und künſtleriſchen Kräfte Griechenlands und Kleinaſiens zu
ſtützen und zu beleben trachtete. Und in der That gelang es ſeinem
ſchöpferiſchen Geiſte, Conſtantinopel für ein volles Jahrtauſend zum
Centralpunkte menſchlicher Cultur zu erheben. Aber die erſchlafften
Hände ſeiner moraliſch verſunkenen ſpäteren Nachfolger vermochten
nicht mehr die feurigen Roſſe des Wagens der Intelligenz zu lenken.
So gerieth dieſer auf Irrwege und in Abgründe, bis er endlich
– 373 –
von barbariſchen Horden mit leichter Mühe umgeſtürzt wurde, die
ſich von den Hochebenen Aſiens auf ihre Beute herabgeſtürzt hatten.
Dieſe Osmanen haben indeſſen die ihnen vom Geſchicke über-
wieſene wichtige Miſſion niemals erkannt. Immer noch fahren ſie
fort, von der reichen Beute zu zehren, gleich als ahnten ſie, daß
ſie für ſolchen Beſitz zu leicht befunden, ſie endlich würden zurück-
geben müſſen. Aber ſchon ſeit anderthalb Jahrhunderten klopft der
Engel der ſtrafenden Vergeltung deutlich hörbar an die Pforten
ihrer Macht. Gegenſeitiger Neid, Mißgunſt und Zwietracht unter
den europäiſchen Trägern einer höheren Civiliſation haben die Exi-
ſtenz der aſiatiſchen Eindringlinge zwar bisher gefriſtet, ja für ihre
Erhaltung ſogar noch jüngſt Ströme Blutes vergießen laſſen. Aber
als ob die fortdauernde Verſündigung an der Humanität ihre
ſicherſte Strafe ſtets mit ſich herum trüge, ſo verzehren ſich die
Osmanen gleichſam in ſich. Ihre Volkszahl verringert ſich von
Jahrzehnd zu Jahrzehnd, und wenn es möglich wäre, ihnen jede
Zufuhr neuer Lebenskraft von anderen Menſchenſtämmen her abzu-
ſchneiden, ſo würden ſie in nicht zu ferner Friſt in ſich verſiecht
und hingewelkt ſein.
Alſo auch in dieſem mächtigen und warnenden Beiſpiele läßt
ſich der todtbringende Hauch deſpotiſchen Darniederhaltens freierer
Geiſtesentwicklung deutlich erkennen. Es gibt keinen Stillſtand
in menſchlichen Dingen. Die Nationen, welche nicht mehr ſteigen,
ſinken gewiß. Schon darum muß die heutigen Tages hochgeſtellte
Lehre vom politiſchen Gleichgewichte der Nationen, die gewiſſer-
maaßen ein Stagniren auf der Stufe des Völkerlebens fordert,
welche zu einer beſtimmten Zeit erreicht worden war, als durchaus
unpraktiſch, auf die Dauer nicht durchführbar, angeſehen werden.
In der geſammten organiſchen Natur macht ſich die überwie-
gende Kraft geltend über die untergeordneten Kräfte. In jedem
Walde ſtrebt der kräftigere Baum zum Nachtheil des neben ihm
ſtehenden Schwächlings in die Höhe, dem er Nahrung und Licht
entzieht, bis der ſiechende endlich verkümmert. Nur des Menſchen
mächtiger, freier Wille kann dem Naturgeſetze für den Augenblick
Einhalt thun; er kann freilich den überſchattenden, rieſigen Baum
fällen, um ſeines ſchwächlichen Nachbars Gedeihen zu fördern. Aber
im Kampfe mit Naturgewalten nutzt ſich des Menſchen Kraft bald
ab; ſie unterliegt endlich. Die reif gewordene Frucht wird von
– 374 –
ihrem Mutterboden ausgeſtoßen; ſie muß den Geſetze des ewigen
Kreislauf's organiſcher Weſen mit Nothwendigkeit gehorchen. -
Demſelben Geſetze ſind aber auch die Völker im Ganzen und Großen
unterthau. Sie werden geboren, wachſen und gedeihen bis zu einer
beſtimmten Höhe, nach Maaßgabe der ihnen innewohnenden Kräfte
Sie erhalten ſich aufrecht, je nach dem Gebrauche, den ſie mit
Mäßigung und Weisheit, oder den ſie mit Uebermuth und Leicht-
ſinn von dieſen Kräften machen.
Der wahrſcheinliche Gang der Ereigniſſe im europäiſchen Orient
iſt für die nähere Zukunft hierdurch verſuchsweiſe augedeutet wor-
den. Möchte auch irgend ein wohlthätiger Genius unerwartet ans
dem Osmanenthum hervortreten, um ihn für den Augenblick neuen,
erfriſchenden Odem einzuhauchen, – früher oder ſpäter wird das
Naturgeſetz ſeine Macht üben. Ein neues, jugendkräftiges, huma-
nere Zwecke verfolgendes Geſchlecht wird, dann hoffentlich Land und
Leute des Orients wieder befruchten, verjüngen, zur Blüthe treiben,
und ſo den Dank nachhaltig abtragen, welchen wir der Wiege
europäiſcher Civiliſation in ſo hohem Maaße ſchulden.
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