--- title: Z227668206 author: source: publication-date: layout: narrative --- NATIONALBBLOTHEK N VA/ EN 07563-B Neu- - T º - < º, - S - Nz- U Ä - Tº L. - - Ä -AFX - - - - - - -#- º- ºf YºY-------/ - ÄGeºRA. „V- -- Y. Österreichische Nationalbibliothek +Z227668206 Reiſe in den Brient Europa's und einen Cheil Weſtaſiens. Reiſe in den Orient Europas und einen Theil Weſtaſien's, zur Unterſuchung des Bodens und ſeiner Producte, des Klima's, der Salubritäts-Verhältniſſe und vorherrſchenden Krankheiten. Mit Beiträgen zur Geschichte, Charakteristik und Politik der Bewohner. Von E. W. Wutzer, kgl. Geheimen Ober-Medicinal-Rathe, ord. Profeſſor an der Univerſität zu Bonn c. Zweiter Band. Mit einer Steindruck-Tafel. --><>- ------- -- <>----<>“-"- Elberfeld, Druck und Verlag der Bädeker'ſchen Buch- und Kunſthandlung. (3. Martini & Grüttefien.) 1861. | 07563 – B Inhalt. Zweiter Band. XI. Reiſe auf dem ſchwarzen Meere. – Einfahrt in den Bospo- rus. – Blick auf die Küſten des Pontus und die Krim. – Klima und Bodenerzeugniſſe. – Bewohner. – Verhältniſſe des ſchwarzen Meeres XII. Conſtantinopel. Erſter Eintritt. – Ueberblick der Stadt im Allgemeinen. – Bevölkerung. – Türkiſche Bäder und Waſſerleitungen. – Der At-Meidan. – Moſcheen und chriſtliche Kirchen. – Tanzende Derwiſche. – Freitags-Andacht des Sultans. – Die Mauern und Thore von Conſtantinopel. – Juden - Viertel. – Fanar. – Der Thurm zu Galata und der des Seraskiers. – Das alte und das neue Serail. – Die Bazars und Beſeſtan's. – Pera und Galata. – Die Medicinal- Schule. – Die Barken und ihre Führer. – Die Hunde. – Der Bos- porus, ſeine Ufer und Dörfer. – Böjükdere. – Der Rieſenberg. – Das Genueſer - Schloß. – Belgrad und die Waſſerleitungen. – Kadi- Köi. – Scutari. – Der Bulgurlu. – Der Cypreſſenhain. – Geogra- phiſche Lage und Klima . . . « s • • • • • • • • • • XIll. Das Marmara-Meer und die Prinzen-Inſeln. – Nicomedien und ſein Golf. – Der Gök - dagh. – Nicäa. – Jeniſchehr. – Bruſſa und ſeine Ebene. – Ruinen des alten Schloſſes. – Seidenfabrikation. – Das Erdbeben von 1855 und ſeine Folgen. – Die Stadt und ihre Bewohner. – Volkszahl. – Grabmäler der Gründer der osmaniſchen Dynaſtie. – Waſſerleitung. – Weinerzeugung – Moſcheen. – Be- ſchneidungs-Feierlichkeit. – Warme Bäder von Bruſſa und Tſchekirghe. – Analyſe der Mineralwaſſer. – Klima und geographiſche Lage. – Asklepiades von Bithynien. – Der bithyniſche Olymp. - - Einwohner- zahl der in Weſtaſien durchreiſten Provinzen. – Der Boden der Ebene und ſeine Cultur. – Die Vegetation. – Ein in der Ebene durch Erd- beben zerſtörtes Dorf. – Ritt nach Gemlik. – Das Katerlü-Gebirge. – Die durch Feuersbrunſt in Aſche gelegte Stadt. – Rückkehr nach Con- ſtantinopel. « « • • • • • • • • • d « - e- * * * Seite 17 112 XIW. Gewächſe, welche entweder hervorragenden Einfluß auf die Ve- getationsanſichten üben, oder die von den Einwohnern vorzugsweiſe cul- tivirt werden. – Beiträge zur herbſtlichen Flora . e XW. Rückreiſe von Conſtantinopel nach Marſeille, und über Paris in die Heimath. – Gallipoli. – Die Dardanellen. – Piräus. – Coron. – Modon und Navarin. – Meſſina. – Die lipariſchen Inſeln. – Cor- ſica. – Der Hafen von Marſeille . . . . . . . - * 8 e. XWI. Zur Geſchichte und Charakteriſtik der Osmanen. – Ehedem und jetzt. – Urväter der Osmanen. – Turkomanen. – Seldſchuken. – Kara Osman und Orchan, die Stifter der jetzt regierenden Dynaſtie. – Eroberungen in Aſien. – Eindringen in Europa. – Interregnum durch die Gefangennehmung Bajazid's. – Einnahme von Conſtantinopel. – Charakterzüge der heutigen Osmanen. – Toleranz. – Religiöſer Cul- tus. – Familien- Leben. – Raçe und ihre Veredlung. – Abnahme der türkiſchen Bevölkerung und ihre Urſachen. – Türkiſche Frauen. – Aberglaube. – Fanatismus. – Indolenz. – Ausdauernde Tapferkeit bei richtiger Führung. – Schickſals-Glaube. – Heerweſen. – Marine. – Nationale Sorgloſigkeit. – Pulver-Erploſion. – Häufige Feuers- brünſte. – Volks- Medicin. – Literatur. – Regierungs-Formen. – Hatti-Hümayun. – Municipalweſen 0 0 - & YWII. Zur Geſchichte und Charakteriſtik der Griechen. – Vermiſchung der Raçen. – Urſachen des Steigens und Sinkens der Völker. – Blick auf die Geſchichte des oſtrömiſchen Reiches von Conſtantin I. bis zu ſeinem Sturze. – Politiſche Wichtigkeit der Lage von Byzanz. – Ur- ſachen der Verlegung des römiſchen Herrſcherſitzes nach Oſten. – Erhe- bung des Chriſtenthums. – Angriffe der Barbaren ſeit 378 n. Chr. – Weſtgothen in Attika und Illyrien. – Gräuel in den Kaiſer-Familien von Byzanz. – Erſchlaffung und Entſittlichung des griechiſchen Volkes. – Kreuzzüge. – Kampf der Lateiner mit den Griechen. – Einnahme von Conſtantinopel durch die Franken, 1204. – Religions-Streitigkeiten. – Verſuche zur Vereinigung der griechiſchen mit der lateiniſchen Kirche. – Conſtantin XII., der Paläologe. – Einnahme von Conſtantinopel, 1453. – Charakteriſtik der osmaniſchen Griechen. – Ihre phyſiſchen Eigen- ſchaften in der gegenwärtigen Zeit. – Moraliſche Seite. – Ihre Be- ſchäftigungen. – Unduldſamkeit. – Bilderverehrung in den Kirchen . XWIII, Zur Geſchichte und Charakteriſtik der Armenier. – Blick auf die früheſte Geſchichte. – Vaghaſchabad. – Edſchmiadzin. – König 205 222 238 299 Tiridates. – Sein Uebergang zum Chriſtenthum während der Verfol- gung dieſes unter Diocletian. – Ruinen von Ani. – Unterjochung durch Perſer, Römer, Türken und Ruſſen. – Arianiſcher Religions- Cultus. – Intellectuelle Erhebung des Volkes. – Mechithariſten. – Buchdruckereien. – Ueberwiegender Handelsgeiſt. – Reichthümer. – Dichtkunſt und Muſik. – Talent für Baukunſt. – Gaſtmähler. – Volks- medicin. – Bäder. – Armeniſche Sprache. – Phyſiſche Eigenſchaften. – Kleidung. – Frauen. – Patriarchaliſche Zuſtände der Landleute. – Volkszahl. – Urtheil über die politiſche Befähigung der Armenier . MIM. Zur Geſchichte und Charakteriſtik der Bulgaren. – Umfang und Bevölkerung Bulgariens. – Bodencultur. – Geſchichte. – Krie- geriſche Züge. – Unterjochung. – Körperliche Eigenſchaften. – Mo- raliſche Stellung. – Sittenreinheit. – Kirchliche Unbilden. – Unter- drückung bulgariſcher Literatur. – Vergleichung mit den Nachbarvölkern zum Vortheile der Bulgaren . . . . . . « - e « - - - XY. Zur Charakteriſtik der Tartaren. – Körperliche Eigenſchaften. Fortgeſetztes Hirtenleben. – Widerwille gegen Schulunterricht und jede Neuerung. – Frauen. – Kleidung. – Wohnungen. – Handelsbetrieb. – Moraliſches Leben. – Hunde. – Karaitiſche Juden XX. Politiſche Schluß-Betrachtungen . . . . . . . ZZ3 346 Z55 Z59 XI. Reiſe auf dem ſchwarzen Meere. – Einfahrt in den Bosporus. – Blick auf die Küſten des Pontus und die Krim. – Klima und Bodenerzeugniſſe. – Bewohner. – Verhältniſſe des ſchwarzen Meeres. „Und in dies Grab ſo weltengroß, „Endloſe Waſſerwüſte In dieſe Fremde ſo hoffnungslos, Wagt ſich von blumiger, nährenden Küſte, In dieſe verderbenſchwere, Verlaſſend das ſichere Haus, Erbarmenleere, Voll Zuverſicht, ohne Wanken, In dieſe Alles bezwingende, Das kleine Weſen hinaus Alles verſchlingende,“ Mit ſeinem Gedanken!“ A. Glasbrenner, der neue Reineke Fuchs. 39. Kapitel. Die traurigen Bilder der Sulina-Barre lagen hinter uns; ein friſcher Nordwind trieb uns dem Ziele raſcher entgegen, die Ufer der Dobrudſcha und Bulgariens erſchienen uns bald als graue Nebelſtreifen am weſtlichen Horizonte. Eine kräftige Sonne beleuchtete die klare Atmosphäre noch mehrere Nachmittagsſtunden hindurch; dann aber ſetzte ſich der Wind nach Nordweſt um, die See ging hohl und rollte mächtige Wellen; es wurde früh dunkel. In der Nacht wandelte ſich der Wind in einen Nordweſt-Sturm mit maſſenhaftem Regen um; es gelang mir ſchwer, das kleine runde Fenſter meiner Kajüte in der Dunkelheit feſt zu verſchließen, das ſtrömende Naß benutzte meine Unbehülflichkeit und verſetzte mich bald in eine unangenehme feuchte Lage. Nächſtdem führte das heftige Werfen des Schiffes die Seekrankheit herbei und als die Perſia auf der Rhede von Varna die Anker fallen ließ, ver- mochte ich mich noch ſchwer zu entſchließen, die ſchon bekannte Stadt vom Verdecke aus nochmals zu begrüßen. Weniger noch war dies vor Burg as thunlich, wo das Schiff zum zweiten Male anhielt; die finſtere Nacht würde außerdem den gewünſchten Anblick von Burgas unmöglich gemacht haben. Der von Alters her übel be- rüchtigte Pontus hatte alſo nicht ermangelt, auch mich ſeine Tücke 1 – 2 – empfinden zu laſſen; der ſolide Bau der Perſia hatte indeſſen wei- teren Nachtheilen genügend vorgebeugt. – Erſt am Morgen beruhigte ſich die See und zeigte ſich nach und nach auch von ihrer glänzen- den Seite, denn ſie wurde ſpiegelglatt. Zwiſchen 8 und 9 Uhr am Morgen des 23. September erfreute ich mich ſchon wieder, vom Verdecke aus, des Genuſſes einer anziehenden Ueberſicht des im Weſten verlaufenden bulgariſchen Uferſtriches. Mehrere zum Meere herabtretende weiße Wellenlinien, von Kalk-Gebirgen herrührend, erinnerten an das engliſche Ufer zwiſchen Dover und Haſtings. Den Gebirgszug krönte bald der einem abgeſtumpften Kegel mit rundlicher Spitze darſtellende Monte Babbia. Fortwährend wechſelnde maleriſche Küſtenſtriche, hier und da hervortretende Häuſer- Haufen, verſcheuchten bald die unangenehmen Rückerinnerungen an die ſo eben durchwachte Nacht. Die Strahlen einer flammenden Sonne glänzten von der Spitze Tauſender kleiner hüpfender Wellen zurück, und ſpiegelten den Pontus in der ganzen Liebenswürdigkeit ab, deren er überhaupt fähig iſt, – gleichſam um uns hinſichtlich der Unbilden zu verſöhnen, die er uns in der Nacht hatte empfinden laſſen. So auch fand Hr. v. Grimm*) das ſchwarze Meer auf einer Fahrt von Sebaſtopol nach Conſtantinopel vollkommen ruhig und ſpiegelglatt; während zweier Nächte hintereinander konnte er ſich des Anblickes glänzender Sternbilder am orientaliſchen Himmel erfreuen; – aber Grimm reiſte im Juni. – Die wechſelnden Leiden und Freuden, wie ſie das ſchwarze Meer zu geben pflegt, empfand dagegen Hr. Biernatzki*) in ganz ähnlicher Weiſe als ich, beſchrieb ſie jedoch ungleich ausführlicher. – Der vielen Unfälle hier erwähnen zu wollen, welche das ſchwarze Meer alljährlich veranlaßt, erſcheint unnöthig; halten es doch ſelbſt die öffent- lichen Blätter für kaum der Mühe werth, die häufigen Schiff- brüche im Pontus noch anzuzeigen. Mit den jedem Binnenmeere mehr oder weniger eigenen Gefahren verbinden ſich hier noch in gewiſſen Jahreszeiten die vom Kaukaſus herabwehenden gewaltigen Nordoſt-Stürme. Man darf indeſſen nicht verſchweigen, daß die Gebrechlichkeit der meiſten Schiffe der Uferbewohner, namentlich aber die unerhörte Sorgloſigkeit der türkiſchen Schiffsleute, die auch im *) Wanderungen nach Südoſten. II. Theil. Berlin, 1856. S. 103 u. f. *) Die Länder und Völker der Erde. Stuttgart, 1856. S. 719 u. f. – 3 – Sturme allein auf Allah vertrauen, hieran bedeutenden Theil haben. Hr. v. Callot beſchreibt die Seefahrt, welche er auf einem kleinen türkiſchen Handelsſchiffe von Varna nach Conſtantinopel machte, in ſehr ergötzlicher Weiſe; als man ſich in der Noth des Sturmes nicht mehr zu helfen wußte, erhob man ihn ſogar zum Befehls- haber des Schiffes. – Die höchſt mangelhaften nautiſchen Kennt- niſſe mußten die Fahrt im Alterthume noch viel bedenklicher machen, daher die Schiffer, welche beabſichtigten, aus dem Bosporus hinaus zu laufen, dies nicht wagten, ohne vorher in den an den Uſern deſſelben hierzu vorhandenen Tempeln, zahlreiche Opfer dargebracht zu haben, um den Zeus und den Poſeidon milder zu ſtimmen. Die häufigen Felſen-Klippen, welche ſowohl die europäiſche als die aſiatiſche Seite der Ufer in der Nähe der Mündung des Bosporus, ebenſo die Ufer der Krim an vielen Orten umſtarren, fordern auch noch heutigen Tages von dem erfahrenern Schiffer bei unruhigem Meere beſondere Vorſicht. Die bisweilen urplötzlich hervortretenden überwältigenden Stürme haben bekanntlich noch während des jüngſten Orient-Krieges bei Eupatoria ein franzö- ſiſches Linienſchiff ſcheitern gemacht. – Die gewaltigen Waſſer, welche der Dnjeſter, der Bug, der Dniepr, der Don u. ſ. w. dem Meere zuwälzen, nehmen ihre Richtung nach Süden gegen die nördliche Mündung des Bosporus hin. Hier dringen ſie mit ſol- cher Haſt ein, daß die von Norden her kommenden Schiffe dorthin gleichſam mit Gewalt fortgeriſſen werden. So heftig iſt der Strom, daß die Schiffe, die bei ſcharfem Nordwinde aus dem Bosporus in das Meer vordringen wollten, oft genug zur Umkehr gezwungen wurden. So war es ſchon zur Zeit des Argonautenzuges. – Am heftigſten machen ſich die Strömungen längs der Weſtküſte nach Süden zu geltend, wenn die von Norden herkommenden großen Flüſſe im Frühlinge das Schneewaſſer herbeiführen. Selbſt die flüchtig ſchwebeude Seemöve wagt es während eines Nordſturmes nicht, ſich dem Meere zuzuwenden. Nur des Dampfes Macht ver- mochte, dieſe Lage der Dinge vortheilhafter zu geſtalten, doch keines- wegs die Gefahr völlig abzuwenden. Als die in raſchem Laufe ſüdwärts ſteuernde Perſia ſich dem Feſtlande genügend genähert hatte, glänzte dem begierig ſuchenden Auge zuerſt der befeſtigte Leuchtthurm auf der aſiatiſchen Seite, Anatoli-Fanaraki oder abgekürzt Anatoli - Fener entgegen; 1* – 4 – er liegt jedoch an einer dem Meere concav zugewendeten Bucht, nach links etwas weiter vom Einfahrtspunkte entfernt, als dies nach rechts mit dem auf der europäiſchen Seite liegenden Leuchtthurme, Rumili-Fanaraki oder Fener, der Fall iſt. Beide liegen hoch geuug über dem Meeresrande, um ihr Signal-Licht bei der Dunkel- heit dem Schiffer weithin entgegen ſenden zu können. Beide ſind dnrch Geſchütze vertheidigungsfähig gemacht. Unfern des europäiſchen Leuchtthurmes ſahen wir das kleine Dorf Fenerköi liegen. – Schon näherten wir uns den an der europäiſchen Seite aufſteigenden, bei den Alten übel berüchtigten ſchwarzen Baſaltfelſen, welche von ihnen die cyanäiſchen Felſen oder die Symplejaden genannt wurden. Von einer bläulichen Färbung, auf welche die Benennung der Cyanäen hindeutet, war heute wenigſtens nichts ſichtbar. Aus der Ferne geſehen, ſchienen ſie mit dem europäiſchen Feſtlande vereinigt zu ſein; nach Maßgabe unſerer Annäherung löſten ſie ſich jedoch immer mehr und mehr von dieſem ab. An ihnen vorüberfahrend, konn- ten wir ſogar zwiſchen den einzelnen hindurch ſchauen. Selbſt bei ſtillem Meere brachen ſich die Wellen an ihren Füßen in heftigſter Brandung. Es wurde uns klar, daß ſchwache Barken von unſicheren Händen gelenkt, wohl durch den Wirbel des Waſſers gegen die Fel- ſen angezogen werden konnten, von welchen man fabelte, daß ſie über den in ihren Bereich gerathenen Schiffer zuſammenſchlügen, um ihn zu erdroſſeln. So wurde ihre Tücke von den Argonauten gefürchtet. Wir konnten ſie nicht, wie einſt Großfürſt Conſtantin und v. Grimm, durch heitere Muſik begrüßen; deſto mehr wurde der ernſte Blick ſtets wieder von Neuem den ſtarren Maſſen zuge- wendet, die hier ſeit Jahrtauſenden einer im Sturme ſo übermäch- tigen Brandung trotzen. Heitere Bilder in großer Zahl verdrängten indeſſen die hieran ſich knüpfenden Betrachtungen, ſobald wir den Eingang um das europäiſche Vorgebirge herum, welches die Griechen Panium nannten, in den Bosporus, hinter uns hatten. Das Klima des ſchwarzen Meeres und der an daſſelbe grän- zenden Länder iſt es aber, von dem hier noch einige nähere Notizen gegeben werden ſollen. – Der häufige Wechſel dieſes Klima's ſteht aus alten Zeiten her hiſtoriſch feſt, und hat ſich auch neuerdings wieder, während des Orientkrieges, genugſam fühlbar gemacht. Ein junger franzöſiſcher Marine-Offizier*) ſagt gleichfalls: „En Crimée *) Gazette des höpitaux de Paris. Feuilleton. 1856. Nro. 45. – 5 – les changements de temperature sont d'une brusquerie sans égale.“ Am 27. März 1856 trat in der Bai von Kamieſch Schnee und Froſt ein, nachdem Tages zuvor Frühlingswetter ge- weſen war. Am 7. April ſchrieb Marſchall Peliſſier, daß der Frühling nun anzulangen ſcheine. Die Alles einhüllenden Staub- wolken, welche während des trockenen Sommers zu Odeſſa und in den ruſſiſchen Steppen durch die Luftſtrömungen aufgewirbelt werden, beſchreibt Fürſt v. Demidoff*) als für die Einwohner höchſt qualvoll. Alle Gegenſtände werden mit einer dichten Staub- decke überzogen, die ganze Vegetation verdorrt, und die wohlhaben- deren Einwohner flüchten ſich dann in den Schatten hundertjähriger Bäume auf die Südſeite der Krim. Die Umgebungen aller an und in der Steppe gelegener Städte ſind nackt und kahl; die zur Verbeſſerung ihres Klima's höchſt nöthigen Baumpflanzungen wür- den, wie in der Dobrudſcha, nur dann ausführbar werden, wenn man vorher arteſiſche Brunnen in genügender Zahl angelegt hätte. Gegenwärtig wird der ausgedörrte Boden dieſer Steppen alljährlich durch den anhaltenden Regen des Herbſtes für dieſeu und einen Theil des Winters in einen tiefen Schlammkoth verwandelt, für Menſchen und Thiere, die das Unglück haben, ihn paſſiren zu müſſen, gleich verderblich. Während des Krim-Krieges ſind ſchon durch dieſen Umſtand allein von Rußland unzählige Opfer an Menſchen und Zugvieh gefordert worden. Hier grade iſt es, wo Eiſenbahnen den ſegensreichſten Einfluß üben würden. – Lord Raglan's Kla- gen darüber, die er aus dem Lager vor Sebaſtopol wiederholt er- tönen ließ, ſchweben wohl noch im Gedächtniß der meiſten Zeitungs- leſer. Man hat ſchon früh den Pontus „das ungaſtliche Meer“ genannt, und es ſcheint in der That, daß dieſe wechſelvollen Nach- theile ihm in höherem Grade, als anderen Binnen-Meeren, eigen ſind. – Die Schiffer bleiben dabei, daß ihnen der Kaukaſus die meiſten Stürme aus Oſten und Nordoſten zuſende. Andere be- trachten dieſes Gebirge grade als eine wohlthätige Schutzmauer, und haben bedauert, daß nicht auch die ganze Nordküſte von ihm eingenommen werde. Wahr iſt es, daß vorzugsweiſe die an die Nordküſte gränzenden Steppenländer den fortdauernden Wechſel der *) Reiſe nach dem ſüdlichen Rußland. Deutſche Ueberſetzung. Breslau, 1854. I. Theil. S. 156. – 6 – Temperatur am meiſten empfinden laſſen. Nun iſt es bekannt, daß, wo eiſige Kälte und ſüdliche Wärme feindlich auf einander ſtoßen, aus dem Streben, ſich gegenſeitig auszugleichen, Stürme entſpringen. Aus dem hohen Norden Sibiriens und den angränzenden Ländern, ſtreicht die Luftſtrömung über unabſehbare Schnee-Gefilde, durch keine Bodenerhebung behiudert, unaufhaltſam gegen den Pontus hin. Dort tritt ſie in Conflict mit einer ſüdlicheren Atmosphäre; denn an der Südküſte der Krim, z. B. in Nikita, gedeihet bereits die Weinrebe, ſowie bei Trapezunt der Oelbaum treffliche Früchte bringt. Dennoch beträgt die mittlere Jahres-Temperatur auf der Südſeite des Gebirgszuges, welcher die Krim von Nordoſt nach Südweſt durchſetzt, + 10° R., indem ſie ſich auf der Nordſeite in Simpheropol, nur bis auf +8% ° R. erhebt. Die mitt- lere Jahres-Temperatur von Sebaſtopol iſt nach W. Heinrich + 9° R., die des Januar + 1° R. ſowie des Juli + 17° R. Im Allgemeinen iſt der Winter auf der Hochebene bei Sebaſtopol kalt, regneriſch und ſtürmiſch, der Sommer heiß und trocken, ganz ſo, wie es auch in den Steppen-Ebenen der Nordſeite des ſchwarzen Meeres der Fall iſt. Indeſſen erlebten die Belagerer vor Seba- ſtopol noch am 29. März 1856 eine Kälte von – 12° R. und am 5. April erfolgte ein dichter Schneefall. Um den Einfluß der Step- penländer Rußlands auf die Atmosphäre des ſchwarzen Meeres richtiger zu würdigen, mag hier erwähnt werden, daß ihre Boden- fläche nach Brinken 21,445 CIMeilen umfaßt, die jedoch neuer- dings von Bode*) etwa auf die Hälfte beſchränkt wird. Bode, der dieſe Steppen in Bezug auf ihre Culturfähigkeit unterſuchte, theilt ſie in drei große Abtheilungen, nämlich: 1) in ſolche Flächen, in denen kein Nadelholz fortkommt; 2) wo Erziehung von Laub- holz auf keine große Schwierigkeit ſtößt; 3) wo Holzanpflanzungen überhaupt ſchwer zu beſiegende Hinderniſſe finden. Dergleichen Cultur-Projekte fordern übrigens in Steppenländern ſo coloſſale Auſtrengungen, daß ſie wohl Jahrhunderte noch fromme Wünſche bleiben dürften. Sollten ſie jedoch jemals thatſächlich zur Wahr- heit werden, ſo würde aus einer ſolchen Cultur nothwendig die wohlthätigſte Veränderung im Klima des ſchwarzen Meeres hervor- *) Petermann, geographiſche Mittheilungen. Heft 8. 1858. S. 324. – 7 – gehen müſſen. Möchte die ruſſiſche Regierung es vorläufig dahin bringen, daß Eiſenwege dieſe Steppenländer nach verſchiedenen Rich- tungen durchſchnitten, ſo dürften ſich dieſen zur Seite Anſiedelungen gleichſam von ſelbſt erheben. Zunächſt würden wahrſcheinlich die feſten Eisdecken des Meeres, welche im Winter oft viele Wochen, ja ſogar vom December bis zum März feſt genug bleiben, um die Häfen von Odeſſa und Taganrog, ſowie den Eingang zu dem jetzt ſo hoch wichtig gewordenen Nikolajew zu verſperren, ent- weder ſchwinden oder doch geringfügiger werden. Der Begriff einer Steppe iſt ſo wenig allgemein bekannt, daß er hier etwas näher feſtgeſtellt zu werden verdient, inſofern die Steppen Süd-Rußlands und der nördlichen Krim einen höchſt we- ſentlichen Einfluß auf das Klima der Länder des ſchwarzen Meeres ausüben. Unter Steppe verſteht man „eine offene, weite, waldloſe, mit hohen Kräutern bedeckte, wellenförmige Bodenfläche“. – Die Steppen tragen 6, 8 bis 12“ hohe Kräuter, die ſich während des feuchten Frühlings und im Vorſommer raſch bis zu jener Höhe ent- wickeln, um unter der brennenden Sonne des hohen Sommers, und – indem während deſſelben Regen und ſogar der nächtliche Thau, faſt gänzlich fehlen – ebenſo ſchnell verdorren. In letzterem Zuſtande gewähren ſie den Einwohnern das einzige Feuerungsmaterial für den ſtrengen Winter. Die Veräſtelung der größeren Kräuter beginnt gewöhnlich oberhalb des erſten Dritttheils der Stengel. Den da- durch frei bleibenden Bodenraum nimmt eine niedrige Vege- tation, meiſtens aus Gräſern beſtehend, ein. Die letzteren ver- einigen ſich jedoch nie zu einem wirklichen Raſen, wie ihn die Wie- ſen Mittel-Europa's weithin zeigen; noch viel weniger finden ſich dort jemals die Matten nnſerer höheren Gebirgsthäler. – Der Boden dieſer Steppen erhebt ſich meiſtens kaum einige Fuß über das Meer. Einige ſeltene Hügel können nur eine Höhe bis zu 200“ erreichen. – Die Grundlage dieſes Steppenbodens bewirken Flötzgebilde, und zwar nirgends einer älteren Zeit angehörig. Der hier vorkommende Kalk ſchließt ſich entweder an die Kreideformation, oder an den Steppenkalk an. Ueber dieſem erhebt ſich ein tho- niges Alluvium, welches ſodann nach außen durch eine ſtarke Schicht fruchtbarer, ſchwarzer Dammerde bedeckt wird. Ein ſchmaler Gra- nitſtreifen hebt ſich an den Rändern dieſes gewaltigen Beckens hier und da empor. Von der Meeresküſte aus dringen bisweilen breite – 8 – Sandſtreifen nach innen vor, wo ſie früher oder ſpäter gleichfalls von Dammerde überzogen werden. Der ſo geſtaltete Boden zeigt ſich im Innern wenig zerklüftet, iſt daher auch wenig geeignet, die atmosphäriſchen Niederſchläge aufzunehmen und zu erhalten. Der daraus hervorgehende Nachtheil ſchadet um ſo emfindlicher, als es von Ende Mai's bis Mitte September's gar nicht zu regnen pflegt. In manchen Jahren ſoll ſogar kein Tropfen Regen fallen. In dieſer Hinſicht iſt es auffallend, daß ſich während des Sommers über dem nachbarlichen ſchwarzen Meere nicht ſelten Gewitter bilden, die mit ſtarken Regenſtrömen endigen, von denen jedoch dem ausgedörrten Feſtlande nichts zukommt. – Die Pflanzen, welche, jener Nachtheile ungeachtet, die Vegetation der Steppen darſtellen, kommen in der Mehrzahl auch in Mittel-Europa vor. Hr. Prof. C. Koch*) hat dieſe Pflanzen näher bezeichnet, und ſich um die Charakteriſirung der Steppen ein hervorragendes Verdienſt erworben. – An der Nord- und Nordoſtgränze dieſer weiten Ebenen erhebt ſich eine Waldregion, die man erſt in der neueſten Zeit angefangen hat, zu lichten. Außer jenen Steppen enthält nun Süd - Rußland auch Pampa's und Salz-Wüſten. Dieſe Pampa's ſind jenen am unteren La Plata und in den Ebenen Guiana's vorhandenen ſehr ähnlich. Sie unterſcheiden ſich von den Steppen weſentlich dadurch, daß ſie nur ein Viertheil des Jahres hindurch von einer Vegetation eingenommen werden, die für die übrigen drei Viertheile des Jahres ſo ſpurlos verſchwindet, daß die geſammte Bodenfläche dann nichts, als eine traurige öde Wüſte darſtellt. Sie liegen in der nogaiſchen Tartarei und im tauriſchen Gouvernement. Von den Wüſten finden ſich die mit Steingerölle bedeckten eben ſo wenig, als die Sandflächen in Süd-Rußland vor. Da- gegen erſcheinen Salz- Wüſten am Terek, an der untern Kuma, an der Manytſch und am Elton-See. Das Klima der waldloſen Steppen Süd-Rußlands führt die höchſten Extreme herbei, die ſich irgendwo geltend machen können. Das Thermometer ſteigt im Sommer mitunter bis zu + 32° R., kann aber im Winter bis zu – 26° R. ſinken, alſo eine Differenz *) Die Krim und Odeſſa. Leipzig, 1854. S. 201 u. f. – 9 – von 58° ergeben. Im Januar iſt die Iſotherme des Küſtenſtriches am Meere gleich der von Stockholm, d. h. – 4° R.; im Juli ſteht ſie der von Madeira nahe + 18° R. Die Klimate aller 27 Breitengrade, welche zwiſchen jenen beiden Punkten liegen, können ſich alſo hier im Laufe eines einzelnen Jahres aufeinander drängen. – Der atmosphäriſche Niederſchlag bringt im erſten Frühling, Spätherbſt und Winter, gegen 350–400 Millimeter, im Sommer kaum 100–150 Millimeter. Daher ſind auch die fruchtbarſten Landſtriche in der Nähe der großen Ströme zu finden, welche im Frühlinge, indem ſie enorme Maſſen von Schnee- und Eiswaſſer fortwälzen, ſelbſt bis in die kleinen Steppenflüſſe eindringen und Ueberſchwemmungen weithin veranlaſſen. Je ausgedehnter dieſe waren, je kräftiger erhebt ſich die Vegetation, nachdem die Flüſſe in das gewohnte Bett zurückgetreten ſind. Dieſer kann jedoch im Som- mer noch ein heißer Wind Verderben bringen, der dem der afri- kaniſchen Wüſte nicht unähnlich, jedoch nur ſtrichweiſe und weniger heftig, im Sommer bisweilen plötzlich einbricht. Wie im Sommer der Staub, ſo kann im Winter der Schnee durch Nordoſt- und Nord-Winde zu hohen Säulen aufgewirbelt werden. Da die Tar- taren die üble Gewohnheit haben, ihre Heerden im Winter unter freiem Himmel zu laſſen, ſo werden bisweilen Heerden und Hirten vom Schnee bedeckt, wenn ſie ſich nicht ſchnell zu bergen wiſſen. – Die aus einer vorhiſtoriſchen Zeit her erhaltenen Steinbilder und Tumuli Süd-Rußlands und der nördlichen Krim haben jenem Umſtande vielleicht ihren Urſprung zu verdanken. Man pflegt ſie, eine und dieſelbe Richtung innehaltend, ſo zu finden, daß ſie wohl zur Bezeichnung der Wege dienen konnten, welche die weit ausein- ander liegenden Dörfer mit einander verbinden. Der um Süd- Rußland verdiente Fürſt Woronzow hat noch in der neueren Zeit Pyramiden von Steinen aufſchichten laſſen, durch welche gleichfalls die Wege bezeichnet werden. Auffallend erſcheint es, daß die alten Steinbilder aus Steinen zuſammengeſetzt ſind, die ſich weit und breit heute nicht vorfinden, alſo aus weiter Ferne herbeigeführt ſein müſſen. Sie laſſen ſich vielleicht durch die große Anhänglichkeit erklären, welche die wandernden Hirtenvölker an ihr Geburtsland zu ketten pflegt. Die Don’ſchen Koſaken tragen noch heute ein kleines Säckchen mit heimiſcher Erde auf der Bruſt, wenn ſie in den entfernten Krieg ziehen, damit, wenn ſie dort ihr Grab finden, 1“ – 10 – ſie dieſer Erde nicht völlig entbehren möchten. So will man die erwähnten Tumuli ſelbſt aus einer Erde zuſammengeſetzt gefunden haben, die in der Nachbarſchaft nicht vorliegt. Außer den bisher erwähnten Richtungen der Stürme ſind aber auch die von der armeniſchen Hochebene, von Südoſten her, an- dringenden Stürme mitunter von den bedeutendſten Gefahren be- gleitet, und die meiſten Unglücksfälle ereignen ſich notoriſch an der Weſt- und Südweſt-Küſte, die wenigſten an der Nord- und Süd- Küſte. Man muß ſich hierbei ſtets erinnern, daß das im Südoſten des ſchwarzen Meeres ſich erhebende Ararat-Gebirge bis zu 16,950, im Oſten deſſelben der Elbrus, Elburs oder Elborus ſogar bis zu 18,493 die von ewigem Eiſe bedeckten Scheitel er- heben*). Die geographiſche Lage des ſchwarzen Meeres, von 40° bis zum 46° 37“ nördlicher Breite, bei 45° bis 59° 15 öſtlicher Länge von Ferro, ſollte ein wärmeres Klima erwarten laſſen, als es thatſächlich ſich vorfindet; doch müſſen eben die bedeutende öſtliche Länge, ſowie die ſchon angegebenen Eis- und Schnee-Gefilde der Nachbarſchaft zur Erklärung der oft ſo niedrigen Temperatnr her- beigezogen werden. Bei einer von Weſt nach Oſten gerichteten Länge von 140, einer Breite von 60 Meilen, beträgt die Aus- dehnung der daſſelbe umgebenden Ufer etwa 400 Meilen, die von ſeinen Waſſern bedeckte Oberfläche aber zwiſchen 8–9000 DMei- len. Die Tiefe dieſes Beckens läßt bei 140 Faden oft noch keinen Grund finden; dies iſt ſchon % Meile außerhalb der Donau der Fall. Dennoch kann man aus der Heftigkeit des Stromes nach Süden zu entnehmen, daß der Pontus höher als das mittelländiſche Meer liegen müſſe; man hat berechnet, daß es mit dem atlantiſchen Ocean ungefähr auf gleicher Höhe liegt, wohingegen das mittel- ländiſche Meer, bei der in ihm vorwaltenden Verdunſtung, eine etwas tiefere Lage zeigt, die ſich in dem caspiſchen Meere ſogar bis zu 101“ erſtreckt. – Der Gehalt an feſten Beſtandtheilen iſt im ſchwarzen Meere 17,7 in 1000 Theilen Waſſer bei 1,01418 ſpec. Gewicht. – Der Salzgehalt des ſchwarzen Meeres bleibt, ungeachtet des fortwährenden Zuſtrömens ſo gewaltiger ſüßer Waſſer, *) S. Ueberſichts-Profile von J. Em slie, nach den Planen von Hum- boldt und Ritter. Stuttgart und Leipzig. – 11 – durchſchnittlich ſtets derſelbe, iſt aber nicht ſo anſehnlich als der des mittelländiſchen Meeres, der wahrſcheinlich durch überwiegende Ver- dunſtung des Waſſers bis zu 4,0730 pCt. geſteigert wird. Den- noch bereitet man in der Gegend von Perekop, und einiger Orte an der faulen See, durch Verdunſtung in der Sommerhitze Seeſalz in ſolcher Menge, daß es durch lange Karawanenzüge verſendet wird. Der Reichthum des ſchwarzen Meeres an Fiſchen iſt ein höchſt anſehnlicher. Die von mir beſuchten Fiſchmärkte von Varna und Conſtantinopel zeigen Reihen von Arten, die bei uns noch wenig bekannt ſind. Fürſt v. Demidoff hat ſich durch bildliche Dar- ſtellung von Fiſchen des ſchwarzen Meeres in dem Atlas zu ſeinem Reiſewerke um die Ichthyologie des ſchwarzen Meeres verdient gemacht. Durch die zahlreichen Seeprodukte wird den Anwohnern jener Meere eine wahrhaft unverſiegliche Nahrungsquelle dargeboten. Die Türken genießen indeſſen verhältnißmäßig weniger Fiſche als die Chriſten. Außer den Fiſchen ſah ich auf den Märkten noch Muſcheln, Hum- mern, Seeſpinnen, Sepien in Menge feil bieten. Anſehnlich große Schwertfiſche werden, in viele Stücke zertheilt, beſonders von den ärmeren Klaſſen conſumirt. Das wechſelvolle Klima der Länder, welche in der Nachbar- ſchaft des ſchwarzen Meeres liegen, iſt beſonders für Ausländer, die nicht von Jugend auf an daſſelbe gewöhnt ſind, ſtets mehr oder minder gefahrvoll, beſonders, wenn ſie ſich nicht entſchließen können, die aus ihrem Vaterlande mitgebrachten Lebens-Gewohnheiten abzu- legen. Die Eingebornen erreichen nicht ſelten ein höheres Alter, leiden jedoch auch in manchen Jahren unter der Heftigkeit epidemi- ſcher Krankheiten. – In den niedrig gelegenen Küſten-Gegenden, welche ausgedehnte Sümpfe beherbergen, ſind hartnäckige, mitunter ſoporöſe und comatöſe Wechſelfieber an der Tagesordnung; bei klei- nen Kindern entwickeln ſie ſich nicht ſelten mit Convulſionen und Starrkrampf. Waſſerſucht und Schwindſucht folgen mitunter; Scro- feln ſind aber ſelten. Zu jenen endemiſchen Krankheiten geſellen ſich im Winter und Frühling leicht Entzündungen der Lunge und der Leber; die Grippe oder Influenza geht in manchen Jahren epide- miſch mit ihnen Hand in Hand. – Die typhöſen Fieber der Nord- und Nordweſt-Küſten ſind von Alters her übel berüchtigt, und wur- den es noch mehr, als Kaiſer Alexander 1825 einem ſolchen Fieber in Taganrog ſchnell erlag, welches man Gallenfieber nannte, – 12 – ein Umſtand, der bei Solchen, welche die Gefahr dergleichen klima- tiſcher Fieber nicht kennen, zu unbegründeten gehäſſigen Verſionen Veranlaſſung gegeben hat. Taganrog liegt eben in der unmittel- baren Nähe der ſogenannten Faulen-See. Hr. L. Oliphant*) theilt uns mit, daß ſein Hafen alljährlich mehr verſumpfe, und daß da, wo 1793 noch eine Fregatte vom Stapel laufen konnte, jetzt höchſtens nur Lichterſchiffe noch hinlängliche Waſſertiefe finden. Die Schiffe müſſen ſoweit außerhalb des Hafens auf der Rhede liegen bleiben, daß es von der Stadt aus einer dreiſtündigen Fahrt be- darf, um ſie zu erreichen. Unter ſolchen Umſtänden wird es der Atmosphäre von Taganrog an faulen Dünſten und Miasmen, beſonders wenn Südwind vorherrſcht, gewiß nicht fehlen; ſchnell und gefahrvoll auftretende Erkrankungen laſſen ſich dort alſo, ohne alle geheimnißvolle Beimiſchung ſehr wohl erklären. Selbſt die enge Straße, welche das aſowſche mit dem ſchwarzen Meer verbindet, iſt noch von Jeni-Kale bis nach Kertſch für Schiffe von einigem Tiefgange unfahrbar, und die ſeichte aber geräumige Bai von Kertſch kann bisweilen im Winter, ebenſo wie Taganrog, drei Monate lang vom Eiſe verſchloſſen bleiben. – Kertſch, die alte Haupt- ſtadt des Mithridates, Pantikap äum, liegt dagegen hinſichtlich der Salubrität ſehr vortheilhaft, indem es ſich amphitheatraliſch an eine Berghöhe lehnt. Erſt das ſüdlicher gelegene Kaffa oder Feodoſia (Theodoſia) beſitzt bei ſeiner ſüdlichern Lage am ſchwarzen Meere einen Hafen, der ſtets frei vom Eiſe bleibt. – Die oben erwähnten typhöſen Fieber des ſchwarzen Meeres, welche ſich nach dem Süden hin nur ſelten auszubreiten ſcheinen, ſtehen ihrem Cha- rakter nach dem ungariſchen und dem daciſchen nahe; an Bösartig- keit ſollen ſie jene mitunter noch überwiegen. – Von jenen klima- tiſchen Fiebern iſt der Kriegstyphus ſehr wohl zu unterſcheiden, der der franzöſiſchen, der engliſchen und ruſſiſchen Armee jüngſt in ſo hohem Grade verderblich wurde. In Conſtantinopel war das Sterblichkeits-Verhältniß der tyhuskranken Franzoſen ein wahrhaſt enormes, obgleich ein unpartheiiſcher Engländer*), der die fran- zöſiſchen Hospitäler dort im September 1854, gleichzeitig auch das große engliſche Hospital zu Scutari beſuchte, ſich ſehr zum Vortheile *) Süd-Rußland und die türkiſchen Donauländer. Leipzig, 1854. S. 7. *) Pictures from the Battle-Fields. London, 1855. pag. 70. – 13 – jener ausſpricht. Dies ſtimmt ungefähr mit der Angabe, welche die Times um die Mitte des März 1856 brachte, nämlich daß 18,000 Franzoſen dort in den Hoſpitälern lagen. Im letzten Krim-Kriege ſollen von den Gefallenen 3 Prozent dem Pulver und Blei, 23 Prozent inneren Krankheiten erlegen ſein. Dr. Baudens*) erwähnt unter dem 29. März 1856, daß bis dahin ſchon 25 franzöſiſche Aerzte dem Typhus erlegen waren, noch andere durch ihn in Lebens- gefahr ſchwebten*). Dr. J. Althaus*) theilt die merkwürdige Thatſache mit, daß dieſer mörderiſche Typhus ſich bei den engliſchen Belagerungs-Truppen vor Sebaſtopol nur ſo lange erhalten habe, als ſie in den Baracken eng zuſammengedrängt lagen, daß aber, ſobald ſie in einzelne Hütten von einander geſondert wurden, ihre Sterblichkeit ſogar geringer wurde, als es die der engliſchen Fuß- Garden war, die man in den Kaſernen Englands zurückgelaſſen hatte. Hiermit ſtimmt es überein, daß die geringſte Sterblichkeit in der über die ganze Erde ausgebreiteten engliſchen Armee unter den Seapoy's vorkam, denen man, anſtatt einer feſten Wohnung, Geld gab, wofür ſich jeder Einzelne eine Hütte aus Matten baute. Ein engliſcher Militär-Arzt verſichert, daß ſich vor Sebaſtopol Rind- fleiſch und Porter als die beſten Vorbauungsmittel gegen den Aus- bruch des Typhus bewährten. – Alle dieſe Dinge habe ich ſchon in den Kriegen von 1813/14 vollkommen ähnlich gefunden. – Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſer Kriegstyphus nicht dem Klima der Länder des ſchwarzen Meeres aufgebürdet werden darf; er bleibt in den Kriegen, durch welche große Menſchenmaſſen zuſammengedrängt, zugleich auch Entbehrungen und Anſtrengungen aller Art ausgeſetzt werden, nie- mals aus. Dabei ſoll nicht geleugnet werden, daß der ewige Wechſel der Temperatur, ſowie die von den unabſehbaren Steppen herüber- wehenden Nordwinde, in den Truppen nicht ſollten eine Dispoſition zur Entſtehung von Fiebern erzeugt haben, die unter den obwalten- den Umſtänden leicht den Charakter des Typhus annehmen konnten. Dr. Baudens führt in ſeinem Schreiben an die Akademie der Wiſſenſchaften in Paris ausdrücklich an, daß der Typhus unter den *) Gazette des höpitaux. Paris, 1856. Nro. 43, pag- 172. *) Ausführlichere Angaben lieferte der hochverdiente Dr. Baudens in: La guerre de Crimée. 2me édit. Paris, 1858. pag. 375 sq. ***) S. Deutſche Klinik. Berlin, 1858. Nr. 31. Feuilleton. – 14 – franzöſiſchen Truppen ſich auf der Krim, nach dem Anfange Ja- nuars 1856, hauptſächlich deshalb entwickelt habe, weil die damals herrſchende heftige Kälte ſie nöthigte, ſich in ihre Zelte einzuſchließen, deren Boden feucht und mit unreinen Stoffen aller Art bedeckt war. Im Vergleiche mit dem Typhoid Frankreichs, deſſen Contagioſität ſelten nachweisbar iſt, war die Contagion jenes Typhus bald außer allen Zweifel geſetzt. Die Sterblichkeit unter den Krankenwärtern, barmherzigen Schweſtern, Aerzten, und überhaupt Allen, welche die Typhus-Hoſpitäler beſuchten, wurde bald enorm. – In ähnlicher Weiſe entwickeln ſich während des Winters in den ärmlichen Hütten der Bewohner der Steppenländer an der Nordküſte des ſchwarzen Meeres mancherlei andere Krankheiten, die der Unreinlichkeit und dem Schmutz, welche in jenen vorwalten, zugeſchrieben werden müſſen. Dr. H. v. Martius*) beſchreibt eine ſolche ruſſiſche Wohnung in folgender charakteriſtiſcher Weiſe: „In dem engen Raume einer einzigen Rauchſtube, von ſehr mittelmäßigem Umfange, leben in der Regel zwei bis drei Familien, in häuslicher Eintracht beiſammen, oft zufällig alle drei mit Säuglingen geſegnet, deren nächſte Umgebungen nichts weniger als lieblich duften. Hierzu ge- ſellen ſich bei ſtrenger Winterkälte die ſämmtlichen Hausthiere der kleinen Wirthſchaft: Katzen, Hunde, Ferkel, Schaafe, Lämmer, Zie- gen und Kälber, welche als der Haupt-Reichthum des Landmanns unausgeſetzt Tag und Nacht unter dem Schutze der häuslichen Laren mit ihren Gönnern in einer Stube hauſen, von Zeit zu Zeit von den ſäugenden Mutterſäuen und Stillkühen beſucht. Ferner leben daſelbſt Truthühner, Gänſe, Enten und Hühner gegen das Frühjahr hin mit Schaaren von Brütlingen geſegnet. Dieſe Alle umſchließt des engen Gemaches wirthlicher Raum, ſo daß ein und daſſelbe Behältniß zugleich Wohnſtube, Gaſtzimmer, Schlafgemach, Küche, Keller und Viehſtall, kurz Alles in Allem vorſtellt.“ Ein ſolches Gemach wird gewöhnlich durch einen Backofen ohne Rauch- fang, meiſtens mit trockenem Schilf und Rohr geheizt. Der Rauch hiervon kann nur durch enge Fenſteröffnungen entweichen, die man in dieſem Augenblicke öffnet, wobei jedoch der obere Abſchnitt des Raumes ſtets mit Rauch erfüllt bleiben muß; ſeine Wände ſind daher mit lockerem Ruß überzogen, der bei größerer Hitze, mit der *) Abhandlung über die Krim'ſche Krankheit. Freiberg, 1819. S. 72 u. f. – 15 – Feuchtigkeit der Wände verbunden, auf die Einwohner herabfällt. Die Waſſerdämpfe, welche ſich, während die Weiber waſchen, er- heben, kommen hinzu. Da nun die menſchlichen Bewohner einer ſolchen Arche ſtets in Pelz oder Wolle gekleidet ſind, mithin faſt unaufhörlich ſchwitzen, ſo muß ihre Haut nothwendig mit einer dichten Schmutzkruſte bedeckt werden. Langwierige Haut- und Au- genkrankheiten ſind daher ihre häufigen Begleiter auf dem dunſt- reichen Lebenswege, auf dem ſie ſich übrigens glücklich und zufrieden fühlen, auch fremde Reiſende mit der größten Höflichkeit und Gaſt- lichkeit einladen, an ihrem häuslichen Glücke Theil zu nehmen. – Dr. v. Martius beſchreibt ausführlich eine ſich unter dieſen Men- ſchen bisweilen entwickelnde Ausſatz-Krankheit, die man dort die Krim'ſche Krankheit, Lepra taurica s. chersonesa, auch wohl die ſchwarze Krankheit nennt, weil bei ihrem Beginne die Haut mit dunkelblauen violetten Flecken gezeichnet wird, die ſich allmählig zu dicken, harten Knollen erheben. Dieſe abſchreckende Form des Aus- ſatzes kann nach und nach ſteigend ſechs bis ſieben Jahre andauern, ehe ſie durch ihre Folgeleiden tödtlich wird. Die Einwohner der Umgegend von Cherſon, am Don, an der Wolga, in der Ge- gend von Aſtrachan und am Ural ſollen ihr endemiſch beſonders unterworfen ſein. Dieſe nennen ſie die Krim'ſche Krankheit, weil ſie behaupten, daß ſie ihnen urſprünglich durch Koſaken, die aus der Krim zurückkehrten, zugeführt worden ſei*). Doch ſind die tartariſchen Wohnungen auf der Krim ungleich vortheilhafter, als die eben geſchilderten ruſſiſchen, nämlich aus Backſteinen und Lehm erbaut. In den größeren Städten der Krim ſieht man auch ganz nach weſteuropäiſchem Zuſchnitte aufgeführte ſteinerne Gebäude, mei- ſtens weiß übertüncht. Dieſer helle Anſtrich mag im Sommer zu den häufigen Augenleiden beitragen. Die orientaliſche oder Bubonen-Peſt, welche in früheren Jahr- hunderten unter den Anwohnern des ſchwarzen Meeres mitunter große Verwüſtungen anrichtete, iſt im Laufe des gegenwärtigen Jahr- hunderts dort faſt verſchwunden. Ruſſiſche Aerzte haben zwar be- hauptet, daß es dieſe Krankheit geweſen ſei, welche im Jahre 1829 ihrer Armee zu Adrianopel und Varna ſo empfindliche Verluſte *) Vergl. Krebel über Lepra taurica. – In der mediziniſchen Zeitung Rußlands. 1858, S. 38. – 16 – zugefügt hat. Man ſcheint unter ihrer Aegide die damals vorherr- ſchende große Sterblichkeit in mehr beruhigender Weiſe erklärt zu haben. Das naturgetreue Bild, welches Dr. Witt*) von den zu Adrianopel vorgekommenen Krankheiten entwirft, läßt nur Kriegs- Typhus mit Petechien, erſchöpfenden Diarrhoeen, Geſchwülſten der Ohrſpeicheldrüſen und Anthrax erkennen. Bubonen und Carbunkel wurden bis Ende October's in den Hoſpitälern zu Adrianopel nicht geſehen. Ganz ähnlich verhielt es ſich in demſelben Jahre zu Varna. Nach mündlichen Mittheilungen, die mir der leider früh verſtorbene Regiments-Arzt Dr. Großheim machte, der im Kriege von 1828 bis 1829 als freiwilliger Arzt im ruſſiſchen Heere diente, beſtand die dort ſo verheerend auftretende Seuche gleichfalls aus einem bös- artigen anſteckenden Typhus ohne Bubonen. Der in Varna ebenſo anweſend geweſene C. Peterſen*) ſpricht gleichlautend von einem Typhus contagiosus epidemicus, erwähnt aber doch auch Brand- flecke, Drüſen-Geſchwülſte und Beulen. Unter den endemiſchen Krankheiten jener Gegenden darf endlich der Scorbut nicht unerwähnt bleiben. Die Ruſſen und Tartaren leben in ihren zerſtreut liegenden Wohnungen während des Winters meiſtens von geſalzenem Fleiſche und Fiſchen. Gemüſe bauen ſie nicht, ſie werden durch Haidegrütze erſetzt. Dr. v. Martius ſpricht von der ſcorbutiſchen Mundfäule als von einem in jenen Gegenden nicht ungewöhnlichen Leiden; er vermuthet ſogar, daß der Scorbut mit dem erwähnten Knollen-Ausſatze in urſachlicher Verbindung ſtehe. Ein franzöſiſcher Marine-Offizier theilte 1856 mit, daß die geſammte Mannſchaft des Linienſchiffes „Wagram“ am Scorbut leidend, hatte auf die Inſel Kalchi, einer der Prinzen-Inſeln, aus- geſetzt werden müſſen. *) Ueber die Eigenthümlichkeit der Walachei und Moldau. Leipzig und Dorpat, 1844. S. 101 u. f. *) S. Mediziniſche Geſchichte des ruſſiſch-türkiſchen Feldzugs in den Jahren 1828/29, von Dr. Al. Simon. Hamburg, 1854. S. 151. WII. Conſtantinopel. Erſter Eintritt. – Kleberblick der Stadt im Allge- meinen. – Bevölkerung. – Türkiſche Bäder und Waſſerleitungen, – Der At-Meidan. – Moſcheen und chriſtliche Kirchen – Tan- zende Derwiſche. – Freitags-Andacht des Sultans. – Die Mauern und Thore von Conſtantinopel. – Zuden-Viertel. – Janar. – Der Thurm zu Galata und der des Seraskiers. – Das alte und das neue Serail. – Die Bazar's und Beſeslan's. – Pera und Ga- lata. – Die Medicinal-Schule. – Die Barken und ihre Führer. – Die Hunde. – Der Bosporus, ſeine Klfer und Dörfer. – Böjük- dere. – Der Rieſenberg. – Das Genueſer-Ichloß. – Belgrad und die Waſſerleitungen. – Kadi-Köi. – Scutari. – Der Bulgurlu. – Der Cypreſſenhain. – Geographiſche Tage und Klima. Der 23. September 1856 brachte mir den lange erſehnten Anblick des Bosporus. Schon lagen die beiden Landſpitzen Uſund- ſcha-Burun auf der europäiſchen, das Panium der Griechen, und Jum-Burnu auf der aſiatiſchen Seite, das Promion der Griechen, hinter uns, bald darauf tauchte das freundliche Böjük- dere uns zur Rechten aus den Wellen auf. Nur zu ſchnell ent- ſchwanden die maleriſchen Landhäuſer des Städtchens, mit den den Hintergrund bildenden grünen Gärten, ihren mächtigen Cypreſſen und Platanen u. ſ. w. den Blicken. Weiterhin in ſtets wechſelnden Geſtalten Therapia, Jeni- Köi und Arnaut-Köi. Auf der aſia- tiſchen Seite der jetzt dem Sultan gehörige, von Mehemet-Ali erbaute egyptiſche Marmor-Pallaſt; ſodann Begler- Beg. Aber des Dampfes Kraft, verbunden mit der vom ſchwarzen Meere her wirkenden Strömung, führte uns faſt pfeilſchnell dem ſüdlichen Ende des Bosporus entgegen. Scutari bot ſich uns zur Linken, an – 18 – eine bedeutende Anhöhe lehnend, und endlich rechts die Palläſte Tſchiragan, durch Sultan Mahmud gebaut, und der von Dolmabagdſche, durch den jetzt regierenden Sultan Abdul- Medſchid in der jüngſten Zeit errichtet. Den Pallaſt der Schwe- ſtern des Sultans zu Balta-Liman, vor Arnaut-Köi, der freilich von jenem in hohem Grade verdunkelt wird, hatten wir kaum Muße gehabt zu betrachten. Die faſt ununterbrochene Reihe der Landhäuſer auf der europäiſchen, die mit einer anziehenden grünen Vegetation bedeckten Hügel und Thäler der aſiatiſchen Seite beſchäftigten den Seh-Sinn ſo ununterbrochen, daß vorläufig eine ge- ſicherte Auffaſſung einzelner Gegenſtände faſt unmöglich wurde, und die überraſchend ſchnell einander folgenden fremdartigen Bilder nur einen mehr überwältigenden und verwirrenden als geordneten Ein- druck zurückließen. Ueberblick der Stadt im Allgemeinen. – Um 4 Uhr Nach- mittags ankerte die „Perſia“ im Hafen von Conſtantinopel. Zahlloſe Kaiks (kleine Barken), der Mehrzahl nach mit türkiſchen, der Minderzahl nach griechiſchen oder armeniſchen Führern bemannt, umſchwärmten das Schiff ſogleich. Wildes Geſchrei übertönte die Stimmen unſerer Schiffer, und auch meinem hier bewanderten Dol- metſcher gelang es ſchwer, ſich verſtändlich zu machen, um endlich ein Kaik für mich zu miethen, das uns ſchließlich dem Lande und zugleich dem türkiſchen Zollamte zuführte. Durch richtige Anwen- dung bekannter Beſchwichtigungs-Mittel wußte mein Dolmetſcher das Oeffnen unſerer Effecten zu hintertreiben, und nichts hinderte uns fortan, durch Galata, ſodann aber die ſteilen Straßen von Pera hinan zu ſteigen, um eines der dortigen Gaſthäuſer aufzuſuchen. Die erſte Anſicht auf Conſtantinopel und Pera, vom Bosporus aus, iſt wohl die glänzendſte, die einem menſchlichen Auge Seitens irgend einer Metropole geboten werden kann. Eine faſt unzählige Geſellſchaft von Moſcheen, Minarets, Palläſten, von Domen überragten öffentlichen Bädern, von Grabmälern, denen ſchlanke, düſtere Cypreſſen, ſeltener Terebinthen den Hintergrund verleihen, im Innern aus vielen Höfen der türkiſchen Wohnhäuſer aufſteigende grüne Bäume, überraſchen den Beſchauer, der ſich ver- gebens bemüht, genügende Vergleichungspunkte mit ähnlichen am Meere gelegenen Städten aufzufinden. Schon Andere, z. B. De Vere, haben Neapel, Genua, Venedig und Edinburg – 19 – hierzu gewählt. Nach meiner perſönlichen Anſchauung kann nur von beiden erſteren die Rede ſein; das vielleicht gleichfalls zu be- achtende Stockholm ſah ich nicht. Unter den letztgenannten Städten ſteht meines Erachtens Neapel oben an; aber Conſtantinopel gibt zwei Welttheilen die Hand. Die eigentliche Stadt wird von den Vorſtädten Pera und Galata einerſeits, von Scutari anderer- ſeits, durch das Meer ſo geſchieden und vereinigt zugleich, daß aus einiger Entfernung das getäuſchte Auge eine unabſehbare, zuſammenhängende Häuſermaſſe vor ſich zu haben wähnt; dennoch aber erſcheint das Meer von vielen Punkten aus wie ein vollkommen in ſich geſchloſ- ſener See. Man rechne den fremdartigen Anſtrich hinzu, der für den aus dem Weſten kommenden Europäer alle Gegenſtände um- kleidet, – man betrachte dies Alles durch die klare, durchſichtige Atmosphäre des Orient's, und man wird ſich eine annähernde Idee von dem hier zu erwartenden Eindrucke machen können. Mit Wor- ten dem gewaltigen Bilde jedoch die Farben des Lebens genügend zu geben, halte ich geradezu für unthunlich. Auch der begabteſte Dichter würde immer nur maleriſche Phantaſie-Gebilde entwerfen. Als ſchon das Gebäude des oſtrömiſchen Reiches aus ſeinen Fugen zu weichen begann, trug die unvergleichliche Lage von Byzanz noch für geraume Zeit zum Zuſammenhalten des gelockerten Verbandes utit den Provinzen weſentlich bei, indem die Seemacht den Weg durch den Bosporus und die Propontis zu ſäubern wußte. Theſ- ſalonika, Patras, Korinth hielten lange noch zur Metropole, als bereits die Barbaren an ihre Mauern klopften. Die Aufmerkſamkeit des von Norden her aus dem Bosporus Anlangenden zieht gewöhnlich der Conſtantinopel überragende Hügel von Pera ſpeciell auf ſich. Die dieſen Hügel krönenden hohen, ſteinernen Häuſer der langen Hauptſtraße erinnern durch ihre Bau- art an das, was man in Weſt-Europa zu ſehen gewohnt war. Die Erinnerung wird um ſo lebhafter, als jene Reihe von keiner Mo- ſchee, von keinem Minaret unterbrochen wird. Moſcheen mit ihrem Zubehör finden ſich nur am Fuße jenes zur rechten Haud liegenden Hügels, der durch das ſogenannte „Goldne Horn“, den treff- lichen inneren Hafen von Conſtantinopel ſelbſt geſchieden bleibt. Dieſes dehnt ſich dem Beſchauer gegenüber, von rechts nach links, amphitheatraliſch und über ſieben Hügel ſo aus, daß es durch die oſtwärts gerichtete vordere Landſpitze an den ſchmalen Meeres- – 20 – arm ſtößt, der den Bosporus von dem Marmara-Meer trennt, und zugleich die Weſtküſte von Aſien beſpült, auf der ſich, dem Betrachtenden zur Linken, die Häuſermaſſe von Scutari erhebt. Fremde, denen die gütige Natur Phantaſie und Gefühl nicht ganz verſagt hat, könnten ſich Tage lang hintereinander von Nor- den her dem zauberiſchen Bilde nähern, und immer noch würden ſie nicht geſättigt ſein, – immer noch würden neue Gegenſtände hervortauchen, um ſie mit ungeſchwächter Anziehungskraft zu feſ- ſeln. Möchte darum jeder Ankömmling ſo ſpät wie möglich in das Innere der Stadt eindringen, welches nur dazu gemacht ſcheint, den Zauber-Schleier fortzuziehen, den eine verſchwenderiſche Naturſchöpfung über ihre Außenſeite ausgebreitet hat. Hr. v. Pro- keſch, der langjährige Kenner von Conſtantinopel, ſagt ganz richtig: „Conſtantinopel iſt die ſchönſte Stadt auf Erden, ſo lange man ſie nicht betritt.“ Sobald der Blick ſich zurückwendet auf den oberen Abſchnitt von Pera, wird er unwiderſtehlich gefeſſelt durch einen mächtig her- vorragenden Pallaſt, der Alles, was ſich neben und unter ihm be- findet, beherrſcht. Es iſt das Geſandtſchafts-Hötel Rußlands. Vor ſeinem mittleren Stockwerke dehnt ſich ein von hohen Säulen ge- tragener Portikus hin, um die Wucht der anſehnlichen oberen Stein- maſſe zu ſtützen. Gewiß nicht ohne Abſicht iſt die Stellung und Lage des Gebäudes eine ſolche, daß der von Norden, von Weſten und Oſten den Hügel Betrachtende ſtets wieder auf den Punkt zurückkommen muß, auf welchem Rußland zuerſt feſten Fuß am goldnen Horn faßte. Das dominirende Schloß erinnert gleichſam daran, daß es den Beruf habe, ſeine Herrſchaft von hier aus weiter auszudehnen. Und doch war man, als ich bald darauf in ihn ein- trat, noch damit beſchäftigt, das prachtvolle Gebäude neuerdings zur Aufnahme einer ruſſiſchen Geſandtſchaft einzurichten, indem man ſich zugleich bemühte, alle Spuren des franzöſiſchen Kriegs-Lazareths wegzuräumen, welchem es unlängſt noch hatte dienen müſſen. Wun- derbarer Wechſel des Schickſals! Daſſelbe Frankreich, welches 1854 Rußland dadurch zu demüthigen geſucht hatte, daß es das nämliche Ge- bäude durch ſeine kranken Krieger einnehmen ließ, aus dem kurz zuvor der ſtolze Mentſchikoff ſeine Beſuche bei den Pforten-Miniſtern im Paletot abgeſtattet hatte, bemüht ſich ſeit 1856 wieder, Rußland den Weg dorthin zu bahnen. Man dürfte ſich nicht täuſchen, wenn – 21 – man hierin eine Vorbedeutung für das Wiedererſtehen des ruſſiſchen Uebergewichtes in der Türkei erkennt, welches ſich, allen Zeichen zufolge, in kürzerer Zeit von neuem geltend machen dürfte, als dies von manchen Politikern erwartet wird, die ſich, fern vom Schau- platz dieſer Begebenheiten, hierüber ſo gern, gleichſam gefliſſentlich, Täuſchungen hingeben. Mein Verſuch, für die Zeit des Aufenthalts in Pera eine Wohnung zu erlangeu, die, der Lage nach, ſich an das ruſſiſche Gebäude möglichſt anſchließen möchte, blieb nicht ohne Erfolg. Von der zwiſchen Top-Chané und der vorderen Brücke des goldnen Horn's gelegenen Douane aus führte mein Dolmetſcher mich durch die engen und ſchlecht gepflaſterten Straßen von Galata, ſowie durch das buntſcheckige Gewirr von unzähligen Hunden, Laſtthieren und Menſchen aller Art, zu der ziemlich ſteil nach Pera in die Höhe ſteigenden Straße hin, die zwar etwas breiter, aber womög- lich noch ſchlechter gepflaſtert iſt, als die von Galata. Ein eigenes Thor trennt die beiden Vorſtädte von einander. Man hatte mir das Hôtel de l'Europe empfohlen. In ſeinem oberen Stockwerke mie- thete ich ein nach Südoſt gewendetes Zimmer, aus deſſen Fenſtern mir ſogleich die gegenüber zur Rechten liegende Siebenhügelſtadt mit ihrer Aja-Sophia, den Moſcheen von Sultan Ahmed, Su- leiman und Osman, das alte Serail und ſeinen von dunkeln, ſchlanken Cypreſſen überragten Garten, der Maſtenwald des Hafens und des goldnen Horn's, das aſiatiſche Feſtland mit Scutari, der Bosporus u. ſ. w. in die Augen fiel, – genug der Gegen- ſtände, um Monate lang in ihrem Anblicke zu ſchwelgen. Sie Alle erkannte der erſte Blick ſogleich nach den genauen Beſchrei- bungen früherer Reiſender; andere konnten nur nach und nach, mit Hülfe der von meinem Dolmetſcher ertheilten Fingerzeige und eines vorliegenden Planes der Stadt und Umgegend erkannt werden. Nur der mittlere und hintere Theil des goldnen Horn's, die hinter dem Gaſthofe gelegene lange Straße von Pera, blieben verborgen. Hin- ſichtlich dieſer ungemein glücklichen Lage kann ſich mit dem erwähnten Hötel nur das etwas höher gelegene nahe Hötel d'Angleterre meſſen. Bei der um 6 Uhr ſtattfindenden Mittagstafel meines Hötels hatte ich das Vergnügen, mit drei im Hauſe wohnenden deutſchen Landsleuten zuſammen zu treffen, deren einer aus dem meinem Wohnorte nicht fernen Aachen, ein anderer ein bejahrter deutſcher Arzt aus New-A)ork herbeigekommen war. Leider be- mühten ſich Tauſende von Ratten, die den Boden des Salons unter- wühlt hatten, theils durch den von ihnen verbreiteten widerlichen Geruch, theils durch ihr Pfeifen, das Mahl durch ihre ekelhafte Gegenwart zu verbittern. – Die beiden hier aufgelegten, in fran- zöſiſcher Sprache zu Pera gedruckten Zeitungen erhielten uns in einer ſchwachen Verbindung mit der übrigen Welt. Der Morgen des 24. September fand mich früh am Fenſter, un die von ihm aus ſichtbaren Gegenſtände zu durchmuſtern, zu- gleich für die nachfolgenden Wanderungen eine beſtimmtere Grund- lage zu gewinnen. Auf den erſten Blick erkannte ich ſogleich, daß die vor mir ausgedehnte Stadt mit ihren Vorſtädten längs des europäiſchen und des aſiatiſchen Ufers des Bosporus eine ungleich größere Anzahl von Einwohnern zu beherbergen und zu ernähren im Stande ſein würde, als die, welche nach der damals bekannten Zäh- lung von 1846, wirklich vorhanden ſein mochte. Damals enthielt nämlich Conſtantinopel im Ganzen 813,460 Einwohner, von wel- chen, der Nationalität nach, 400,000 Türken, 250.000 Armenier, 130,000 Griechen, 20,000 Iſraeliten, 7460 Franken verſchiedenſter Nationen, endlich 6000 Hellenen aus dem Königreiche zugegen ge- weſen ſein ſollen. Die Beſatzung beſtand damals aus 20,000 Mann; ſie war in Kaſernen untergebracht. (Drei Jahre nach meiner Anweſenheit, September 1859, manövrirten dort 25,000 Mann vor dem Sultan.) Die Nachrichten aus der Blüthezeit des oſtrö- miſchen Reiches laſſen auf eine ungleich größere Bevölkerung ſchließen. – Nach dieſer Betrachtung fiel mir zunächſt auf der aſiatiſchen Seite das ſich an der Südſpitze Scutari's weithin dehnende, großartige türkiſche Krankenhaus auf, welches vor Kurzem noch den Englän- dern eingeräumt geweſen war. Es umfaßt 2000 Lagerſtellen. In- dem es die lange Fronte dem Meere zuwendet, lehnt es ſich mit der Hinterſeite gegen die Anhöhe an. Genugſam über dem Ufer erhaben, kann die Atmosphäre von allen Seiten frei andringen; es läßt ſich nicht leugnen, daß in ihm den Engländern die glücklichſte Localität für ihre Kranken zugekommen war, welche man hier zu bieten gewußt hatte. Nur die viel zu anſehnliche Menſchenmenge, welche hier untergebracht werden ſoll, läßt ſich von dem Sachkun- digen tadeln; ſie öffnet der weiteren Ausbreitung anſteckender Krank- heiten Thür und Thor. Den hellweißen Anſtrich hat das Hoſpital mit allen öffentlichen Gebäuden der Türken gemein. Nicht fern von dem öſtlichen Ende der vorderen Brücke des goldnen Horn's, nahe dem Meeresufer, feſſelt die Moſchee von Jeni-Dſchami den Blick; jenſeits derſelben macht ſich der an- ſehnliche Ueberreſt eines aufrecht ſtehen gebliebenen Säulenganges aus griechiſcher Zeit bemerklich, welcher parallel mit dem Ufer ver- läuft. – Einen grellen Gegenſatz mit den Ueberreſten aus alter Zeit bildet die am Fuße des Pera-Hügels, nahe am Ufer von Sultan Mahmud elegant erbaute Moſchee von Top-Chané, mit einem daneben liegenden zierlichen Glocken- und Signal-Thurme in mauriſchem Style. Die dazu gehörigen beiden Minarets zeichnen ſich durch zwei Gallerien aus, da faſt alle übrigen deren nur eine tragen, von welcher aus der Prieſter zum Gebet ruft. An dieſen Gebäuden iſt der weiße Marmor nicht geſpart, den die Inſeln und Ufer des nahen Marmara-Meeres im Ueberfluſſe liefern. – Doch unter der feſſelnden Betrachtung dieſer Gegenſtände war die Sonne über den aſiatiſchen Bergen in die Höhe geſtiegen; ſie mahnte, zu den Excurſionen die kühlere Luft des Morgens zu be- nutzen. Die erſtere dieſer Ausflüchte ſollte einem öffentlichen Bade gelten. Türkiſche Bäder und Waſſerleitungen. – Zwei Dinge ſind es, die dem in der Türkei Reiſenden zahlreiche Widerwärtigkeiten zu erleichtern vermögen. Erſtens, die Ehrlichkeit und Rechtlichkeit der Türken, auf welche die liſtigen Griechen gleichſam wie auf eine Thorheit herabſchauen, die ſie dadurch zu entſchuldigen ſuchen, daß es der Koran ſo verſchreibe, uneingedenk, daß die Chriſtusreligion dieſelbe Vorſchrift gibt. Zweitens, die ſorgfältige Unterhaltung der öffentlichen Brunnen und Bäder. „Das Waſſer – ſagt der Koran – gibt allen Dingen Leben“ – oder, wie es v. Hammer überſetzt: „ von dem Waſſer iſt alles Ding lebendig.“ Ein anderer Koranvers lautet: „und wenn ihr befleckt ſeid, ſo reinigt Euch!“ Darum gilt es als ein beſonders verdienſtliches, frommes Werk, auf eigne Koſten an öffentlichem Wege einen Brun- nen oder ein Bad anzulegen, deren an der Außenſeite angebrachte Inſchriften außer dem Namen des Erbauers, gewöhnlich noch einen paſſenden Ausſpruch des Korans enthält. Auf dem Hof einer jeden Moſchee findet ſich ein Springbrunnen, an welchem vor dem Ein- – 24 – tritte zum Gebet die vorgeſchriebenen Waſchungen vorgenommen werden müſſen. In den volkreichſten Straßen von Conſtantinopel haben die Sultane oder ihre Veziere ſich Denkmäler in Fontänen, Tſcheſchme, theils auch in großartigen Brunnen-Häuſern, Se- bilchane, errichtet, aus denen jeder Vorübergehende mittelſt eines an einer dünnen Kette liegenden metallenen Trinkgefäßes den Durſt löſchen kann. Eigene Aufſeher, meiſtens Derwiſche, haben für Ord- nung in ihnen zu ſorgen, reichen auch wohl im Sommer durch Schnee abgekühltes Waſſer den Vorübergehenden heraus. – So bieten ſich Religion und Klima die Hand, zur Beſchaffung von Ueberfluß an Waſſer aufzufordern. – Auch war es nach der Er- oberung von Conſtantinopel eine der erſten Unternehmungen der Türken, für die Reſtauration der großen Waſſerleitungen zu ſorgen, welche die Griechen von Belgrad am Bosporus nach der Stadt, ſieben Stunden weit, geführt hatten, auch ihnen ausgedehnte neue Werke hinzuzufügen, die jetzt noch ſorgfältig unterhalten werden. Sogar von den heißen Quellen zu Mehadia führten ſie eine Leitung fünf Stunden weit bis nach Alt-Orſowa an der Donau, die coloſſalſte Waſſerleitung, die je bei einem Mineralbade gebaut worden ſein mag, die aber die Chriſten, nachdem ſie jenen das Banat wieder abgenommen hatten, bald verfallen ließen. – Daß übrigens die von den atmosphäriſchen Niederſchlägen geſpeiſten Cyſternen Conſtantinopels als Bauwerke weit hinter den der Grie- chen zurückſtehen, beweiſt ſchon ein einfacher Beſuch der alten Cyſterne des Philoxen us, oder der tauſend und einer Säule, welche unter Conſtantin I. gebaut, jetzt trocken liegt. Sie enthält wirklich unter der Erde 672 Säulen in drei Stockwerken. Die Cyſterna Baſilica iſt noch heute im Gebrauch, empfängt aber auch Waſſer aus einer Leitung. Das Brunnenwaſſer, welches eine mittlere Temperatur von 10% ° R. nachweiſt, iſt zum Trinken unbrauchbar, wegen des zu ſtarken Gehaltes an Salzen. Die Einwohner der Stadt ſind daher darauf angewieſen, weiches Waſſer zu trinken, und ſelbſt an dieſem fehlt es bisweilen in heißen Sommern, nach- dem der Inhalt der Cyſfernen verbraucht iſt, die außerdem von der Regierung verpachtet ſind; ein Trunk friſchen Waſſers kann dann koſtſpielig werden. Das weiche Waſſer wirkt hier auf neu ankom- mende Fremde in ähnlicher Weiſe, wie das filtrirte Waſſer der Seine zu Paris, d. h. es erzeugt Abweichen. Da die Türken ſelbſt – 25 – Feinſchmecker des Waſſers ſind, von ihm acht verſchiedene Eigenſchaften fordern, und deshalb auf einen friſchen Quell außerordentlichen Werth legen, ſo leiden ſie durch die mangelhafte Qualität des Trinkwaſſers oft bedeutend. Doch war dies im Orient ſchon von früheſter Zeit her der Fall. Als ein reiſender Grieche einſt zu Amaſia in Cilicien einen öffentlichen Brunnen beſuchte, fragte er die Umſtehenden, ob das Waſſer trinkbar ſei? Allerdings, war die Antwort, denn wir trinken es ja! Ebendarum iſt es nicht trink- bar, erwiederte er, denn ihr Alle zeigt eine blaſſe Geſichtsfarbe. – Bis zum Bohreu von arteſiſchen Brunnen iſt man in Conſtantino- pel noch nicht vorgeſchritten. Die osmaniſchen Leitungen gewähren dagegen den reellen Vortheil, daß ihnen nur Quellwaſſer zufließt, dagegen die griechiſchen auch Regenwaſſer aufnahmen. Die allent- halben hervortretende Großartigkeit der Sorge für den Waſſerbe- darf, noch mehr die hohe Wichtigkeit der den letzteren ſichernden Einrichtungen rechtfertigen es gewiß, wenn dieſen hier eine ausführ- lichere Rückſicht gewidmet wird, als dies bereits an einem anderen Orte*), nach einem früher von mir gehaltenen mündlichen Vortrage geſchehen iſt. Die türkiſchen Bäder zeigen ganz die Einrichtungen, welche uns aus der klaſſiſchen Zeit der Griechen und Römer her von den Bädern dieſer bekannt ſind. Sie gleichen alſo den Anſtalten der Art, welche ſich in den eroberten großen Städten Kleinaſiens, ſpä- ter in Adrianopel und in Conſtantinopel von Alters her vor- fanden. Denn ſeit ihrem Auszuge aus der arabiſchen Heimath haben die Türken nichts Neues erfunden. Selbſt der Aneignung des fremden Brauchbaren ſtehen religiöſe Vorurtheile und alte Ge- bräuche in hohem Grade entgegen und nur das, was ihrer be- ſchränkten Anſchauungsweiſe vorzugsweiſe zuſagte, entging der Zer- ſtörung. Dahin gehörten dann beſonders Bäder und die domartig gebauten chriſtlichen Kirchen. Die erſteren ließen ſich leicht nach türkiſchem Brauch ummodeln, indem man alle etwa vorhandenen Kunſtwerke fortſchaffte und Koranſprüche außerhalb und innerhalb anbrachte. Ebenſo brauchte man aus den chriſtlichen Domen nur jedes Bildwerk ſorgfältig zu entfernen, farbigen Marmor, Granit, *) Verhandlungen des naturhiſtoriſchen Vereins der preußiſchen Rheinlande und Weſtphalens. Vierzehnter Jahrgang. Bonn, 1857. S. 55 u. f. 2 – 26 – Porphyr oder vergoldete Moſaik und Kapitäle mit Kalk weiß zu übertünchen, Marmor-Inſchriften und Kreuze wegzumeißeln, inwen- dig dem Gewölbe nach den vier Weltgegenden vier coloſſale runde Tafeln mit eben ſo vielen Sprüchen aus dem Koran anzuheften, um die Kirche in eine Moſchee umzuwandeln. Unter den gegenwärtigen Bädern Conſtantinopels iſt das größte und ſchönſte das von Mohammed II. nach Eroberung der Stadt gebaute, welches den Namen „Tſchukur Hamam“ d. h. das Bad des vertieften Grundes, führt, weil es in der Vertiefung liegt, die bis dahin die Cyſterne des Arkadius eingenommen hatte. Dieſem lenkte ich die erſten Schritte auf dem Boden der Stadt Conſtantins zu. – Ich fand, daß es aus zwei geräumigen hinter- einander liegenden Sälen, deren jeder mit einer eigenen hohen Kup- pel domartig überwölbt iſt, beſteht. In dieſen Kuppeln befindet ſich eine große Anzahl runder Oeffnungen, welche mit dickem Glaſe gedeckt ſind. Durch ſie allein fällt das Tageslicht ein, denn Fen- ſter ſind nirgends vorhanden. Zur Seite des hinteren Saales fin- det ſich ein kleinerer Anbau, der das heiße- oder Dampfbad in ſich ſchließt. Man hatte mir dieſes als das beſteingerichtete unter den öffentlichen Bädern Conſtantinopels bezeichnet. Was mir nach dem Eintritte zunächſt auffiel, war die voll- kommene Gleichmäßigkeit, mit welcher hier Türken und Chriſten be- handelt wurden. Die letzteren ſchienen zu der gewählten Stunde ſogar die Mehrzahl der Anweſenden zu bilden. Alle gingen, in den dazu verabreichten Bademantel gehüllt, auf Pantoffeln mit höl- zerner Sohle, ſchweigend an einander vorüber, ohne ſich eines Blickes zu würdigen, oder ſonſt eine Notiz von ſich zu nehmen. Nicht immer wurde eine ſolche Liberalität beobachtet. Die große Zahl der während des letzten Krieges hier anweſend geweſenen be- waffneten Chriſten ſcheint, in der That, einen bedeutenden Um- ſchwung in den Ideen der türkiſchen Bewohner der Hauptſtadt ge- ſchaffen zu haben. Nirgends iſt mir bei meinen zahlreichen Be- ſuchen der engen und mit Menſchen überfüllten Straßen irgend eine Beleidigung oder auch nur Rückſichtsloſigkeit zugewendet worden; oft ſchien es mir, daß man mir ſogar mehr Rückſicht, als den neben mir ſchreitenden Türken zollte. Jedenfalls iſt der ehemalige fanatiſche Haß gegen die Chriſten zur Zeit gebrochen, und von dem eigenen Benehmen dieſer wird es abhängig ſein, ob ſie in – 27 – dieſer Hinſicht Fortſchritte machen, und zu der ihnen gebührenden, achtunggebietenden Stellung gelangen ſollen, ſelbſt ohne die Gewalt der Waffen hierzu anzuwenden. – Der erſte große Saal des Ge- bäudes ſtellt das Aus- und Ankleide-Zimmer, Veſtiarium, dar. In ihm läuft, mit Ausnahme der Wand des Einganges, an drei Seiten, eine etwa 2% Fuß hohe, breite hölzerne Bank herum, auf welcher Matten und Teppiche ausgebreitet liegen. Auf dieſen ent- kleidet ſich die Mehrzahl der Beſuchenden, und wird mit dem nöthi- gen Badeanzug verſehen, wenn dieſer nicht, wie gewöhnlich, mitge- bracht wurde. An der dem Eingange gegenüber liegenden Wand erhebt ſich jedoch in der Mitte noch ein hoher, hölzerner Vorbau, eine Art von Eſtrade, zu deren oberen geräumigen Abſchnitt man auf zwei mit Geländer verſehenen Treppen, von zwei entgegengeſetz- ten Seiten her, hinaufſteigt. Dieſer erhöhete Standpunkt ſcheint ſolchen Perſonen vorbehalten zu werden, die man bevorzugen will. Auf ihm nimmt auch der Aufſeher des Wärter-Perſonales ſeinen Sitz ein; er bedient die dorthin Geführten perſönlich, bietet auch den Tſchibuk und ſchwarzen Kaffe denen an, die ein ſolches Bedürf- niß empfinden. Dorthin führte man mich und meinen Dollmetſcher. Oben angelangt, befand ich mich in der Geſellſchaft eines alten Türken mit langem weißen Barte und eines elegant gekleideten jungen Griechen. Nach geſchehener Entkleidung wurde mir ein Tuch um die Hüften und ein zweites um den Kopf geſchlagen, mir Holz- pantoffeln mit zwei Querleiſten unter der Sohle, an die Füße ge- geben, und ich ſodann in den zweiten Raum geführt, den man ſei- ner Temperatur nach, die ich auf etwa 16 – 18 ° R. ſchätzte, das Tepidarium nennen kann. Hier laufen Bänke von weißem Marmor rings herum, die mit Matratzen bedeckt ſind, welche Wolle zu enthalten ſchienen. Ein 14jähriger Knabe, der mich am Ein- gange empfangen hatte, führte mich zu einem ſolchen Sitze, auf den er für mich einen groben Teppich ausbreitete. Man hält ſich hier ſo lange auf, bis man ſich an die Temperatur der hier vorhande- nen Luft gewöhnt hat. Dieſer und der folgende Abſchnitt beſitzen mit weißen Marmor getäfelte Fußböden, unter denen Röhren ver- laufen, welche heißes Waſſer führen, ſo, daß der Boden erwärmt, zugleich aber auch vermöge der Waſſerdämpfe ſehr ſchlüpfrig ge- macht wird. Man muß daher im Gebrauche der hohen Pantoffeln ſehr geübt ſein, um hier nicht auszugleiten; Ungeſchicklichkeit der 2* – 28 – Ankömmlinge hierin erregt ſtarke Heiterkeit bei den aufwartenden Knaben. Bei 20–22 ° R. wird hier die Vorbereitung zu dem Calidarium bewerkſtelligt, in welchem die Temperatur von 24 bis 28 und 30° R. anſteigt. Hier wird ein jeder Badender zu einem Sitze geführt, der ſich dicht bei einem großen Marmorbecken befindet, in welches unaufhörlich warmes Waſſer hineinſtrömt. Der Kopf und der Körper wird wiederholt mit Seife beſtrichen, um ebenſo oft aus dem nahen Becken wieder abgewa- ſchen zu werden. Hierauf folgt ein mäßiges Kneten der Glieder; die Procedur iſt damit beendigt, und das Zurückführen geſchieht mit demſelben Aufenthalte und derſelben gemeſſenen Vorſicht, wie der Eingang. – Die hier herrſchende Stille, in auffallendem Ge- genſatze zu dem unaufhörlich rollenden Geräuſche der nächſten volk- reichen äußeren Umgebung, das ſanfte Plätſchern des Waſſers der Springbrunnen, das durch die ſpärliche Erleuchtung von der Kup- pel aus hervorgebrachte Dämmerlicht bedingen einen eigenthümlich anziehenden Reiz, der durch das einem ſolchen Bade in der Regel nachfolgende behagliche Gefühl erhöht wird. Somit muß man Hrn. Urquhart vollkommen Recht geben, wenn er ſeinen Landsleuten die Errichtung ähnlicher Bäder in der jüngſten Zeit energiſch em- pfiehlt; die widerwärtige und verabſcheuungswürdige Sitte, die Be- dienung durch halbnackte Knaben verrichten zu laſſen, wird er frei- lich in England nicht einführen wollen. Der großen Waſſerbehälter Belgrad's, welche die Leitungen nach Conſtantinopel ſpeiſen, wird in einem folgenden Abſchnitte Erwähnung geſchehen. Der At Meidan, der Hippodrom der Griechen, wurde urſprünglich vom Kaiſer Severus, nachdem das alte Byzanz damals zerſtört worden, angelegt. Von ſeiner Begründung an bis auf den heutigen Tag haben ſich auf ihm die Wechſelfälle des Schick- ſals der Herrſcher Conſtantinopels abgeſpiegelt. Conſtantin I. hatte die berühmteſten Kunſtwerke ſeiner Zeit aus allen ihm zugäng- lichen Städten Europa's und Aſien's wegnehmen und zu ſeiner Ausſchmückung herbeiführen laſſen. Dieſen Kunſt-Denkmälern wurde hernach von dem Aberglauben des Volkes und ſeiner Kaiſer talis- maniſche Kräfte zur Schirmung des Reiches beigelegt. Faſt alle Volks-Aufſtände, Revolutionen, Staatsſtreiche, wurden auf ihm ent- weder begonnen oder durchgeführt. Sie nahmen ſchon unter dem – 29 – Kaiſer Arkadius, 406 n. Chr., den Anfang, und haben mit der blutigen Aufreibung der Janitſcharen vom Jahre 1827, die auf und an dieſem Platze Tauſenden das Leben koſtete, ihren Abſchluß wahr- ſcheinlich noch nicht erreicht. Ehedem gaben die auf ihm abgehal- tenen Rennſpiele der hier repräſentirten vier Volksparteien, durch gegenſeitige Eiferſucht, häufig das Signal zu Streitigkeiten. Bei einer ſolchen Veranlaſſung brannte unter Juſtinian, 532, ein bedeutender Theil der Stadt ab, es kamen 40,000 Menſchen dabei um, und nur mühſam gelang es dem Beliſar, den da- maligen Volks - Aufſtand zu unterdrücken. Mit Empörungen wechſelten hier Kaiſer - Krönungen, mit Triumph-Aufzügen oder Freudenfeuern Scheiterhaufen und Hinrichtungen. – Von der ehemaligen Pracht des Platzes zeugen heute als letzte Reſte drei Monumente, und zwar in der Richtung von Weſt nach Oſt. Sie ſind: 1) die aufrecht ſtehenden drei zuſammengewundenen Schlangen von Bronze. Den erſten ihrer Köpfe hat Mohammed II. nach Er- oberung der Stadt abgeſchlagen; man weiß nicht, wer die andern entwendete. Es geht die Sage, daß dieſes Schlangengewinde einſt den Dreifuß im Tempel zu Delphi getragen habe. 2) Der egyp- tiſche Obelisk, der aus Athen nach Conſtantinopel verſetzt, hier durch ein Erdbeben umgeſtürzt, unter Theodoſius wieder aufge- richtet wurde. Die Spitze der Pyramide dieſes coloſſalen Mono- lithen war ſchon zu Athen abgebrochen; daher erſcheint ſie gegen- wärtig unverhältnißmäßig abgeſtumpft. Aus der egyptiſchen Ge- burtsſtätte her ſind ihre Seitenflächen mit Hieroglyphen bedeckt; eine derſelben, nach Süden gerichtet, zeigt dieſe Schriftzeichen indeſſen geſchwärzt und ſtark verwiſcht. v. Hammer*) glaubt annehmen zu dürfen, daß der über das nahe Meer ſtreichende Süd-Wind dieſe Wetterſeite im Laufe der Jahrhunderte angenagt habe. Der Natur der Sache und der Localität angemeſſener erſcheint es mir, mit Caſtellan*) anzunehmen, daß jene Verwitterung durch langes Liegen der rothen Granitmaſſe am Boden begünſtigt worden ſei, wobei der Umſtand namhaft ſprechend iſt, daß die zwei Längen- kanten der verdorbenen Fläche ihre Politur erhalten haben, weil ſie, *) Constantinopolis und der Bosporos. I. Peſth, 1822. S. 146. *) Lettres sur la Morée. II. Paris, 1820. pag. 98. – 30 – vom Regen unterwaſchen, etwas getrennt vom Boden gelegen hatten. Die geſchichtlich, obgleich nicht künſtleriſch intereſſanten Basreliefs hat v. Hammer*) ſehr gut gedeutet. 3) Der das öſtliche Ende des Platzes einnehmende viereckige, aufgemauerte Pfeiler, welcher 80 hoch ſein ſoll, ſo, daß er den ſeiner Spitze beraubten Obelisk um etwa 20 überragt. Der Kaiſer Conſtantinus Porphyro- genitus ſtellte dieſen Pfeiler her und bekleidete ſeine Außenſeite mit Tafeln von vergoldeter Bronze, welche mit Basreliefs verziert waren; dieſe Tafeln wurden ſpäter von den habgierigen Lateinern, nach ihrem Eindringen in die Stadt, des Metallwerthes wegen, heruntergeriſſen, ſo daß das geſchwärzte Mauerwerk des hohen Pfeilers einen immer noch grandioſen, und zugleich durch ſeine theilweiſe Zerſtörung bedeutungsvollen Hintergrund für den Platz gewährt, welcher bis zum Jahre 1004 der an Kunſtwerken reichſte in der Welt war. Sein Piedeſtal ſtand Jahrhunderte lang unter dem Schutt vergraben; während des letzten Orient-Krieges wurde dieſer, wie man mir ſagte, mit engliſchem Gelde, fortgeräumt, ſo daß die vollkommen gut erhaltene griechiſche Inſchrift wieder an das Tageslicht hervorgetreten iſt. Sie erzählt pomphaft die Geſchichte des Baues und ſingt das Lob des im Purpur geborenen Erbauers. Man hat die jetzt im Boden entſtandene Vertiefung mit einem eiſernen Gitter umgeben, an welchem ich auch eine türkiſche Schild- wache aufgeſtellt fand, die fernerem Andringen kunſtſchänderiſcher Hände vorläufig wehren ſoll. Die Lage des alten Hippodrom's iſt eine ſo ausgezeichnete, daß es ſchwierig ſein möchte, eine ſeinem Zwecke noch mehr zuſa- gende auf der bekannten Erde aufzufinden. Es bedarf nur einer mäßigen Erhebung über ſeinen Boden, um von ihm aus die nach Nordweſt und Weſt gelagerte volkreiche, orientaliſche Metropole, nach Südoſt und Oſt über das Meer, einen andern Welttheil – einen Abſchnitt des vegetationsreichen weſtlichen Aſiens, bis zum Gebirgszuge des ſtolz ragenden bithyniſchen Olymp's hin, nach Nor- den die Windungen des Bosporus und ſeiner mit Landhäuſern und Palläſten bedeckten Ufer bis zum ſchwarzen Meere, mit den ſchwel- genden Augen zu verfolgen. Das Marmara-Meer breitet ſich mit den Prinzeninſeln nach Südoſt und Süd in größter Nähe aus. *) A. a. O. S. 147. Scutari erſcheint mit dem majeſtätiſchen Cypreſſen-Walde und dem dahinter aufſteigenden hohen Bulgurlü nordöſtlich. Zahl- reiche Segel- und Dampfſchiffe kommen und gehen unaufhörlich vorüber, um dem zauberiſchen Bilde eine nicht endende Mannig- faltigkeit zu verleihen. Da der unter 3 erwähnte Pfeiler heu- tigen Tages nicht ohne Gefahr zu erſteigen ſein dürfte, ſo wählen die den Genuß der Fernſicht von hier aus Suchenden dazu jetzt ge- wöhnlich den nachbarlich nach Süden zu gelegenen Thurm des Se- riaskier's, deſſen oberſter, von einer Feuerwache ſtets eingenommene Abſchnitt bequem erreicht werden kann und die Ueberſicht bis in eine weite Ferne unbeſchränkt, nach allen Richtungen hin erlaubt. Den Hochgenuß von dieſem erhabenen Standpunkte aus vermag für den der Geſchichte nicht Unkundigen nur der kaum abzuwehrende Ge- danke zu trüben, daß gerade dieſen Orten, über welche die ſchaffende Natur ihr reiches Füllhorn mit ſo großer Vorliebe ergoſſen hat, längſt ausgeſtorbene Menſchen-Geſchlechter die gebührende Aner- kennung zu Theil werden ließen, ebenſowohl durch ausgezeichnete Cultur des Bodens als durch ſeine Ausſchmückung mit Werken der klaſſiſchen Kunſt. In bejammernswerthem Gegenſatze gehen dagegen die Menſchen der gegenwärtigen Zeit mit kaltem Achſelzucken an dieſen Natur-Reichthümern vorüber, unbekümmert um die bei jedem Schritt auftauchenden trauernden Ueberreſte ehemaliger Größe, ſo laut dieſe auch die Wiedergeburt zu neuem Leben zu erflehen ſcheinen. Die Griechen beſaßen noch einen zweiten Hippodrom außer- halb der Ringmauern in der Nachbarſchaft der Kirche des heil. Mamias, da, wo jetzt die Moſchee des Sultan Ejub ſteht. Die Ausſicht von dieſem Punkte iſt zwar weniger großartig und um- faſſend, dennoch, von beſchränkterem Rahmen umgeben, ein zau- beriſch-liebliches Bild des darunter ſich hindehnenden goldenen Horns und der jenſeits anſteigenden Vorſtädte Galata und Pera dar- bietend. Faßt man die Tendenz der alten Griechen ins Auge, die Lage ihrer Rennbahnen und Amphitheater ſo zu ordnen, daß die Zu- ſchauer jeden Augenblick der nicht durch die Kunſtdarſtellungen oder Kämpfe in Anſpruch genommen worden, zur Fernſicht in ausge- zeichnete Natur-Umgebungen benutzen konnten, ſo wird ſich nicht läugnen laſſen, daß dieſe Verbindung ihrem Weſen nach ſo verſchie- dener Genüſſe ſchon durch die Abwechſelung mehr geeignet war, dauernd zu unterhalten und der Abſpannung vorzubeugen. In der That liegt ſchon hierin eine Gewähr dafür, daß ihr Sinn für das naturgemäße Schöne und wahrhaft Ideale eine Höhe erreicht hatte, die mit ihrem Sturze vielleicht für immer untergegangen iſt. Nur am Buſen der Natur mochte dort die Kunſt ihre Triumphe feiern. Wie kleinlich müſſen dem unbefangen Vergleichenden dagegen unſere heutigen Schauſpielhäuſer und Feſtſäle erſcheinen, in denen ſich Menſchenmaſſen eng zuſammendrängen, um mit gepreßter Bruſt eine verderbliche heiße Luft einzuathmen, und zugleich durch den Dampf oder den fallenden Reflex künſtlicher Flammen hindurch Darſtellungen zu ſehen, die freilich mitunter alle Urſache haben, das Sonnenlicht zu ſcheuen. Der von den Unbilden einer rauheren Witterung und eines kalten Klima's gewöhnlich hergenommene Gegen- grund iſt nur theilweiſe haltbar. Wir wiſſen, daß die Griechen und Römer allenthalben, wo ſich ihre Colonien anſiedelten, Amphi- theater bauten; auch habe ich mich überzeugt, daß die Winter- Monate in Rom, ſelbſt für Deutſche, empfindliche Kälte bringen können; – ſah doch ſchon Horaz von dort aus das Haupt des Soracte mit Schnee bedeckt. Aber freilich unſer Luxusleben iſt bis zur Unnatur in die Höhe geſchraubt; unſere nervöſen Damen und Herren würden ſich auch im heiteren Oriente auf einer offenen Schaubühne dem verderblichen Luftzuge, Erkältungen, Krämpfen u. ſ. w. auszuſetzen fürchten. Ebenſo muß man zugeben, daß zarte muſikaliſche Töne in freier Atmoſphäre zum Theil ungehört ver- klingen möchten, obgleich doch auf der anderen Seite unſere coloſ- ſalen Orcheſter ganz dazu gemacht ſcheinen, Sänger wie Publikum nach friſcher Luft ſeufzen zu laſſen. Vergebens, wohl für immer, rief der Dichter: „Schöne Welt, wo biſt Du? Kehre wieder, Holdes Blüthenalter der Natur!“ Doch nicht Naturſchönheiten und Geſchichte allein, ſondern auch die geſunde, trockene Lage dieſes höchſten Punktes des eigent- lichen Conſtantinopel möchten Diejenigen hier zur Anſiedelung auf- fordern, die in der Stadt ſelbſt wohnen müſſen. Den friſchen See- winden vollſtändig ausgeſetzt, bleiben die Anwohner des heute noch anſehnlichen Platzes von den unangenehmen Dünſten und dem Ge- tümmel der engen, gekrümmten Gaſſen verſchont. Auch die nicht fern von ihm, nach Süden zu gelegene „Hohepforte“, der Pallaſt – 33 – des Groß-Veziers, hat eine für die Salubrität vortheilhafte Lage, die dadurch noch verbeſſert wird, daß ſich hinter dieſem Complex von weitläuftigen Gebäuden, am Abhange des Hügels, ein anſehn- licher Garten des Sultans hindehnt, deſſen grüne Vegetation zur Reinerhaltung der Luft jener Gegend gewiß beiträgt. Außerhalb des At Meidan iſt in der Stadt noch der Ueber- reſt eines merkwürdigen Monumentes aus alter Zeit in der ſoge- nannten verbrannten Säule übrig. Dieſe hohe Porphyr-Säule beſteht aus mehreren Stücken, die ehedem durch Kränze von ver- goldeter Bronze verbunden waren, gegenwärtig aber durch eiſerne Ringe zuſammengehalten werden. Conſtantin I. ſetzte ſie auf das Forum, zu welchem er den ehemaligen Waffenübungsplatz umwan- delte, dem er auch ſeinen Namen beilegte. Von ihm wurde die Säule benutzt, um eine Apollo-Statue aus dem phrygiſchen Helio- polis darauf zu ſtellen, der der heilige Mann an die Stelle ihres eigenen Kopfes den ſeinigen aufſetzte, auch ihn, anſtatt der apolli- niſchen Sonnenſtrahlen, mit einem Kranze von Kreuzesnägeln um- gab. Nimbus und Statue mußten unter dem Kaiſer Julian der Bildſäule dieſes weichen, den eine darunter angebrachte Inſchrift den „großen und religiöſen Julianus“ nannte. Bald aber ver- trieb ihn von dort die Statue des „großen“ Theodoſius, der ſeinerſeits endlich durch ein Erdbeben herunter geworfen wurde. Da erſt ſcheint man den Finger einer waltenden höheren Gerech- tigkeit erkannt zu haben, die ſich einander drängenden Bilder menſch- licher Eitelkeit wichen zuletzt, – freilich ſehr ſpät, dem Kreuze, welches nun von dem hohen Standpunkte aus die große Stadt überragte, ohne ſie jedoch, die auch die ernſteſten Warnungen über- hörte, jemals in Wahrheit zu beherrſchen. – Der heutige Wan- derer, der die Geſchichte predigende Porphyr-Säule aufſucht, findet ihren immer noch hoch anſtrebenden Schaft von zahlreichen Feuers- brünſten angefreſſen und geſchwärzt, des ehemaligen Glanzes voll- ſtändig beraubt, – ein tief melancholiſches Symbol der Vergeb- lichkeit des Widerſtandes von Menſchenwerken gegen die Zerſtörung. Verſchwunden ſind von ihrem Haupte das hohe Kreuz, wie die kleinlichen Menſchenbilder, verſchwunden auch von ihrem Fuße die einſt dort von Theodoſius an den Boden hingelagerten Statuen des Arius und drei berühmter arianiſcher Lehrer, die der große Kaiſer alltäglich von den Auswurfsſtoffen Vorübergehender beſudelt 2** – 34 – wiſſen wollte. Kaum findet ſich auf dem ehemaligen Forum Con- stantini, dem umfangreichſten Platze der alten Stadt, jetzt noch ein Standpunkt, von dem aus der Ueberreſt des geſchichtlichen Monu- mentes ruhig betrachtet werden könnte, denn vier Straßen münden unfern der Baſis der Säule aus. Dort, wo ehedem marmorne Säulengänge den Platz und ſeine zahlreichen Kunſtwerke umgaben, bedecken geſchmackloſe, hölzerne Kaufbuden den ſchmutzigen Boden, ſchreiende Verkäufer und heulende Hunde ſtreiten mit Laſtthieren und Packträgern um die karg zugemeſſene Spanne Raum. Und doch dürfte es kaum einen zweiten Raum der Art geben, der ein Bild des weiten Abſtandes zwiſchen Vergangenheit und Gegenwart frappanter zu verſinnlichen im Stande wäre. Die Moſcheen und chriſtlichen Kirchen Conſtantinopels. Wenn man erwägt, daß der ſtrenggläubige Türke ſein Gebet täg- lich fünf Mal verrichten ſoll, ſo iſt der Ort, wo dies ge- ſchieht, für ſeine Geſunderhaltung um ſo weniger gleichgültig. Nun ſind die Moſcheen, welche den Namen „kaiſerliche“ führen, Dſchami, ſo geräumige Verſammlungsörter, daß ſie von Gläubi- gen gewiß nur ſelten gefüllt werden. Daher fand ich auch ihre Atmoſphäre ſtets rein, und die wahrhaft coloſſalen Verhältniſſe des inneren Raumes vieler derſelben, mögen die geiſtige Sammlung zum Gebete begünſtigen, indem der Betende hier um ſo ſicherer von ſei- ner Geringfügigkeit durchdrungen wird. Es kommt hinzu, daß, der ſtrengen Vorſchrift gemäß, jede irgend zu entbehrende bauliche oder künſtleriſche Ausſchmückung aus dem Innern fortbleiben muß. Des fremden Wanderers Schritte finden in Conſtantinopel kein würdigeres Ziel, als den wundervollen, großartigen Bau der Aja Sophia; hier werden ſie auch deshalb in der Regel zunächſt hingelenkt. Sie liegt außerdem von dem alten Hippodrom ſo wenig entfernt, daß, als der Aufruhr der Rennparteien im Jahre 532 hier einen Brand veranlaßte, die von Conſtantin I. erbaute Sophien-Kirche mit verzehrt wurde. Der Beſuch beider hochwich- tigen Punkte läßt ſich alſo verbinden. – Die vom Kaiſer Juſti- nian neu und ungleich prachtvoller aufgebaute Cathedral-Kirche „der ewigen Weisheit,“ deren Vollendung ſeiner energiſchen Thätig- keit bis 538, alſo innerhalb ſieben Jahre gelang, hat allen Wechſel- fällen, Plünderungen, Beraubungen und Erdbeben bis auf den heutigen Tag widerſtanden. Freilich war der Griechen wohlbegrün- – 35 – dete Verehrung für dieſen Tempel eine ſolche, daß, als im Jahre 1315 die öſtliche Halbkugel der Sophien-Kirche eingeſtürzt war, Menſchen jedes Standes und Alters freiwillig daran arbeiteten, um das Unheil wieder auszugleichen. Andronikus der Aeltere ließ hierauf 1317 das Gebäude durch zwei Pfeiler ſtützen, die, als daſſelbe bereits dem Islam diente, noch vermehrt worden ſind. Die ungewöhnlich flach gewölbte domartige Kuppel, ſoll in dem urſprünglichen Baue des Juſtinian um 15 Ellen höher geweſen ſein. Als nämlich 20 Jahre nach der erſten Einweihung ein hef- tiges Erdbeben die Mauern der Stadt, und zugleich den öſtlichen Theil des Domes eingeſtürzt hatte, wagte man nicht mehr, ihm die frühere Höhe wieder zu geben. Weder die ſeit der Eroberung von Conſtantinopel von den Türken erbauten Moſcheen, noch irgend ein mir in anderen Städten zu Geſicht gekommener Dom bietet eine ſolche Abflachung der oberſten Wölbung dar. Dem Architekten Foſſati war der Ruhm beſchieden, dieſe hoch in der Luft ſchwe- bende zierliche Kuppel von dem Untergange zu retten, der ihr einen Theil des gegenwärtigen Jahrhunderts hindurch drohte. Ihr Bau war durch den Zahn der Zeit gelockert und hatte eine ſchiefe Stel- lung angenommen. Das von Hrn. Foſſati zu London über den Bau herausgegebene Werk ſichert die Pläne und Riſſe deſſelben den kommenden Zeiten auf würdige Weiſe. Dieſem trefflichen Manne hat man es auch zu danken, daß die Kalk-Uebertünchung, durch welche die Türken die Pracht der Gold-Moſaik des inneren Gewölbes und die der Säulen bedeckt hatten, wieder fortgeräumt worden iſt. Auf dieſe Weiſe iſt auch zugleich das coloſſale Moſaik- Bild Conſtantins I. an der innern Seite des hohen Gewölbes wie- der zum Vorſchein gekommen, welches dort auf mattem Goldgrunde tiefer glänzend ausgedrückt iſt; man gewahrt es jedoch nur von ge- wiſſen Punkten der Gallerie aus deutlich. Das reine Gold, wel- ches man zu dieſer das ganze Gewölbe auskleidenden Moſaik be- nutzt hat, widerſtand dem beinahe 400 Jahre auf ihm laſtenden Kalk trefflich; einen ähnlichen Glanz, jedoch nicht in ſo mächtigen Dimenſionen, habe ich nur in San Marco zu Venedig geſehen. Aber nicht leicht wird ein fremder Beſucher die Sophien-Kirche be- treten, ohne daß ihm von dem herumführenden türkiſchen Aufſeher nicht eine Anzahl vergoldeter Glaspaſten zum Kaufe angeboten würden. Mir iſt dies wiederholt geſchehen, und wenn eine ſolche – 36 – Delapidation noch Jahrelang fortdauern ſollte, ſo würde der dortige goldene Conſtantin I. zum zweiten Male, und dann für immer, vor den Augen der Menſchen verſchwinden. – Von der Pracht der zahlreichen Säulen der Kirche wird man eine Ahnung bekom- men, wenn man weiß, daß Juſtinian zu ihrer Beſchaffung alle ihm damals zugänglichen Tempel der alten Welt in Contribution ſetzte. Die Porphyr-Säulen des Sonnentempels zu Baalbek, die Säulen des Dianentempels aus Epheſus von Verde antico, andere Säulen von Roſſo antico u. ſ. w. aus Cyzikus, Athen und den Cykladen, mußten hier gleichzeitig dem großen Zwecke die- nen, und noch gegenwärtig bezaubern ſie den Blick eines kunſtge- übten Auges. Man muß Mohammed II. Dank wiſſen, daß er den erſten Türken mit eigener Hand niederhieb, der, nachdem die Stadt erobert, und alle Gräuel der Plünderung und der Schän- dung in dem vornehmſten Tempel der damaligen Chriſtenheit voll- endet waren, nun auch das Zerſtörungswerk mit Aufreißen des Marmorbodens begann. Bis zu jenem traurigen Zeitpunkte hatten die Griechen die Sophien-Kirche einen irdiſchen Himmel, einen Wshnort der Engel und Gottes ſelbſt genannt. Wenn er jetzt vor ihren Augen zu einem Pfuhl von barbariſchen Gräueln umgewan- delt wurde, ſo empfingen ſie dafür die gerechte Strafe, die ihnen für ihre Zwietracht und moraliſche Verſunkenheit gebührte. Ihr während der letzten Belagerung von 1453 in der Stadt lebender Geſchichtsſchreiber Chalkokondylas verſichert uns, daß, wenn während dieſer dringenden Gefahr ein Engel vom Himmel zu dem Volke mit der Botſchaft herabgeſtiegen wäre, daß die Türken ſogleich weichen würden, wenn man an der Stelle verderblicher Religions-Zwiſtigkeiten chriſtliche Einigkeit ſetzen würde, ſo wäre er der Antwort gewiß geweſen, daß man lieber die Türken, als eine Vereinigung von Griechen und Lateinern haben wolle. Dieſe hatte nämlich der letzte Conſtantin, welcher, heldenmüthig fechtend auf der Mauer fiel, angeſtrebt. Ehedem bedurften Chriſten, welche die Sophien-Kirche beſuchen wollten, dazu eines beſonderen Fermans der hohen Pforte, und die große Mehrzahl der chriſtlichen Bewohner Conſtantinopels hatte ihr Inneres nie geſehen. Daher erklärt ſich der große Andrang, als man 1837 hörte, daß der Großfürſt Conſtantin von Rußland die Kirche beſuchen werde; man hatte ſich in die Hoffnung gewiegt, – 37 – unter ſeinem Schutze den Eintritt zu finden, und ſelbſt Damen der höheren Stände hatten ſich in dieſer Hinſicht eingefunden. Doch vergebens; türkiſche Wachen verwehrten Jedem, der nicht zu dem engeren Gefolge des Großfürſten gehörte, den Eintritt, – Männer und Frauen wurden unter die Füße getreten *). Noch heute er- zählt man in Pera dieſen grauenvollen Vorgang in herber Miß- ſtimmung. Heutigen Tages bedarf es eines ſolchen Fermans nicht mehr. Fremde erlangen den Eingang durch Belohnung eines der hier ſtets gegenwärtigen Aufſeher; nur die Zeit des öffentlichen Gebetes wird man paſſend vermeiden. Staunend wird jeder Be- ſucher den Ausſpruch Winkelmann's unterſchreiben müſſen, daß aus dem klaſſiſchen Zeitalter der Griechen her, die Baukunſt lange noch geblühet habe, als Malerei und Bildhauerei ihrem Untergange bereits entgegen eilten. Gelang es doch ſogar den Osmanen noch im 15. Jahrhunderte, zu dem Baue ihrer großartigen Mo- ſcheen ausgezeichnete griechiſche Baumeiſter zu finden. So über- wältigend bleibt der Eindruck, den die ſeit 538 ſtehende Sophien- Kirche auf jedes empfängliche Gemüth macht, daß die dadurch her- vorgebrachte kurze Abſchweifung von dem Hauptzwecke dieſer Schrift gerechtfertigt erſcheinen mag. Die von den türkiſchen Sultanen neu erbauten Moſcheen tra- gen ſämmtlich den ſaraceniſchen Typus, in welchem auch die Mo- ſcheen der erſten Hauptſtadt der Osmanen zu Bruſſa in Klein- aſien errichtet worden ſind. Man findet deshalb in Allen eine vor- herrſchende Aehnlichkeit des Bauſtyls, der augenſcheinlich nach mög- lichſter Einfachheit ſtrebt. Eine hochgewölbte domartige Kuppel er- hebt ſich ſtets auf vier mächtigen Säulen mehr oder weniger in die Luft. Letztere wird bei größeren Gebäuden der Art gewöhnlich von mehreren kleineren Kuppeln umgeben. Die Ausſchmückung durch Säulen von Granit, Porphyr, Marmor u. dgl. findet man nur da, wo ſie ſich bereits aus früherer chriſtlicher Zeit vorfanden, ſo, daß nur ihre Uebertragung an den paſſenden Ort erforderlich wurde. Der den Hochaltar vertretende Ort muß ſtets nach Mekka alſo nach Süden, gewendet ſein; dorthin hat der Gläubige *) Vergl. v. Grimm, Wanderungen nach Südoſten. III. Theil. Berlin, 1856. S. 48. – 38 – während des Gebetes ſein Geſicht zu wenden, indem er zugleich mit der Stirn den Boden berührt. Zwei, vier oder ſechs Minarets umgeben den Bau, deren jedes auf ſeiner Höhe mit einer, zwei oder drei Gallerien umgeben iſt, von denen der dazu beſtimmte Prieſter, Muezim, die Gläubigen zum Gebet ruft. Der Beſitz von vier Minarets gilt als Beweis großer Auszeichnung, ärmere Moſcheen begnügen ſich mit einem ſolchen. Der Vorzug von ſechs Minarets war bis auf Sultan Ahmed I. nur der Moſchee zu Mekka zugeſtanden worden; als nun letzterer die von ihm zu Con- ſtantinopel erbaute Moſchee in ähnlicher Weiſe ausgeſchmückt hatte, ſo machte man ihm den Vorwurf, daß er dem Propheten gleich zu ſein ſtrebe. Um dieſem zu entgehen, ließ er der Moſchee zu Mekka ein ſiebentes Minaret hinzufügen. Dieſe ungewöhnlich ſchlanken und verhältnäßig hohen Thürme bewirken, zur Seite der Halbkugel der Kuppel, in der Fernſicht eine eigenthümliche Eleganz, die der herabdrückende Vergleich mit dem Löſchhute auf einer Kerze auch nicht zu mindern vermag. Die dem chriſtlichen Cultus eigenthüm- lichen Glocken würde ein ſolcher Thurm freilich nicht zu tragen vermögen; auch läßt ſich gegen ihre Zweckmäßigkeit in einem Lande, welches ſo häufig von Erdbeben heimgeſucht wird, Wichtiges ein- wenden. Das letzte große Erdbeben zu Bruſſa warf ſämmtliche Minarets herunter, ſo daß ſie die Moſcheen ſelbſt, oder andere nachbarliche Gebäude, zugleich mit hinabriſſen. – Gewöhnlich be- findet ſich an der Seite des Haupteinganges ein Vorhof, Harem, welcher zugleich die Fontäne enthält, die das Waſſer zu den er- forderlichen Waſchungen hergiebt. Der entgegengeſetzten Seite iſt mitunter noch ein Garten oder Begräbnißplatz hinzugefügt, welcher die Beſtimmung hat, den Stifter der Moſchee mit ſeiner Familie, nach deren Tode, aufzunehmen. Von dieſem Platze aus dienen dann gewöhnlich einige hohe Cypreſſen dem Ganzen zur Zierde. – In der nächſten Umgebung der von den Sultanen ſelbſt geſtifteten Moſcheen ſieht man gewöhnlich eine Anzahl niedriger Gebäude, ſämmtlich mit flachen Kuppeln ausgeſtattet. Sie dienen Wohlthä- tigkeits-Stiftungen, z. B. der Aufnahme von reiſenden Mohamme- danern, einer Armenküche, einem kleinen Krankenhauſe, oft auch Schulen, Seminarien zur Erziehung von Prieſtern, und Biblio- theken. Alle dieſe Anſtalten pflegen aber nach dem Tode ihrer Stifter, durch ungeregelte Verwaltung bald herunter zu kommen – 39 – und erfüllen dann ihren Zweck entweder gar nicht mehr, oder doch nur dürftig. Unter dieſen Moſcheen war es die von Suleiman dem Großen von 1550–1555 erbaute, die mich zuerſt anzog, weil ſie das großartigſte und prachtvollſte von türkiſchen Händen errichtete Gebäude überhaupt darſtellt. Der über alle übrigen osmaniſchen Sultane hervorragende Geiſt Suleiman's ſcheint ſich gleichſam in ſeiner Moſchee verkörpert zu haben; außerdem ſehen wir hier das Werk eines türkiſchen Baumeiſters, des Sinan. Ihre Kuppel er- hebt ſich um ſieben Ellen höher als die der Sophienkirche; deſſen ungeachtet ragt ſie, nicht ſo vortheilhaft geſtellt als jene, aus der Ferne geſehen, weniger hervor. Dagegen iſt der Eindruck des mäch- tigen Domes vom Boden ſeines Innern aus betrachtet ein über- wältigender. Vier coloſſale Säulen von rothem Granit tragen zur Unterſtützung des mächtigen Domes bei, deren Schaft am Boden im Umfange 13 Fuß mißt, bei richtigem Verhältniſſe zur Höhe. Ich erinnere mich nur, zwei ähnliche Monolithe von Granit rechts und links neben dem Haupteingange innerhalb des Domes zu Mai- land geſehen zu haben. Der Baumeiſter der Suleimanije ließ ſie mit Kapitälen aus weißem Marmor verſehen; ſie tragen nicht wenig dazu bei, das Gefühl des Uebermächtigen, welches den Be- ſchauer in einem ſo gewaltigen Raume zu befallen pflegt, zu ver- mehren. In der That ſcheinen in der Sophienkirche die rings herum laufenden Gallerien, Chöre, Säulen, Gold-Moſaik, ſowie die Form des griechiſchen Kreuzes ſelbſt, gleichſam darauf berechnet, den Eindruck der coloſſalen Dimenſionen herabzuſtimmen; es finden ſich hier der Gegenſtände zu viele, welche würdig ſind, das Auge zu gleicher Zeit anzuziehen. Wenn die einfache hohe Würde des gewaltigen Baues für das Urtheil vorzugsweiſe maßgebend ſein ſoll, ſo würde man der Suleimanije vor der Aja Sophia den Vorrang einräumen müſſen. Ich übergehe die große Zahl der Marmorſäulen und bemerke nur noch, daß die erwähnten vier Gra- nitſäulen zu griechiſcher Zeit Standbilder auf öffentlichen Plätzen trugen. Hiernach ſchreite ich zu einem anderen Gegenſtande vor, der we- ſentlicher zur Charakteriſirung türkiſcher Sitten beiträgt. – In der äußeren Umfaſſungsmauer ſind nämlich Mauerzellen angebracht, in welchen die Negerſclavinnen großentheils aufbewahrt werden, die zum Verkaufe hergeſendet wurden. Mehrere dieſer armen Geſchöpfe – 40 – kauerten vor dieſen Gemächern eines barbariſchen Gebrauches, um die freie Luft und Sonne zu genießen; türkiſche Frauen pflegen ſich hierher zu begeben, wenn ſie das Bedürfniß empfinden, eine ſchwarze Dienerin zu beſitzen. Dieſe Sclavinnen werden in der Regel milde und freundlich behandelt; auf den Verdecken der Schiffe ſah ich ſie öfters das Wort ungleich lauter führen, als die beſcheidene Herrin; ebenſo rauchte die Sclavin den Tſchibuk neben dieſer, welche ihn vermied. Jedenfalls iſt das Loos eines türkiſchen Sclaven ſehr viel glücklicher, als das eines amerikaniſchen. Jener wird ſogar als ein Mitglied der Familie angeſehen und behandelt. – Man führte mich ſpäter zu einem anderen ziemlich weitläuftigen Gebäude, in welchem gleichfalls ſchwarze Sclavinnen zum Verkaufe aufbewahrt werden; es liegt der Umfaſſungsmauer Conſtantinopels, nach der Landſeite zu, näher. Ich wurde hier zuerſt in ein Kaffehaus des Erd- geſchoſſes geführt, in welchem ein alter bärtiger Türke ſich mit Schachſpiel und Tſchibuk unterhielt; ihn bezeichnete man mir als den Aufſeher der unglücklichen Geſchöpfe. Mein Dolmetſcher hatte es inzwiſchen vermittelt, daß mir die Erlaubniß zu Theil wurde, die Sclavengemächer zu beſuchen. Wir ſtiegen eine hohe hölzerne Treppe hinauf, um zu einer Gallerie von ſchmalen Zimmern zu gelangen, welche drei Seiten eines geräumigen Vierecks umgab; in der Regel wird einer Sclavin ein ſolches Zimmer überwieſen. Es wurden mehrere Thüren derſelben für mich geöffnet, und ich ge- wahrte dann in der Regel eine dumpf hinbrütende, ſchwarze, weib- liche Figur, in eine Decke gehüllt. Die Inhaberinnen dieſer Zellen gehörten wahrſcheinlich den niedrigſten Klaſſen an; ſie ſchienen zu abgeſpannt, um noch einen lebhaften Blick erheben zu können; ſie ſpielten in jeder Hinſicht eine wahrhaft bemitleidenswerthe Figur. Ein ekelhafter Geruch war über die ganze Gallerie ausgebreitet, deſſen Quelle ſich in einer Anſtalt vorfand, die hier den Namen einer „heimlichen“ gewiß nicht verdiente. – Der Verkauf weißer Sclaven und Sclavinnen darf ſeit Kurzem öffentlich nicht mehr ſtattfinden; man weiß aber ſehr wohl, daß er verſteckt geduldet wird. – Bezeichnend bleibt es jedenfalls, daß man noch heute in der nahen Umgebung einer Hauptmoſchee, der Suleimanije, einen Sclavenmarkt duldet. Die Moſchee des Sultans Mohammed II., des Eroberers von Conſtantinopel, wurde von dieſem auf dem Platze der ehemaligen – 41 – Kirche der h. Apoſtel errichtet, welche die Begräbniſſe der Kaiſer enthielt. Letztere waren jedoch ſchon von den Lateinern 1204 n. Chr. erbrochen und geplündert worden. Die Moſchee ſoll von dem grie- chiſchen Architekten Chriſtodulos erbaut worden ſein, ihr Dom erhebt ſich vom Grunde bis zum Giebel 87 Ellen hoch. Der Vor- hof iſt von drei Seiten mit Säulenhallen umgeben; die hiezu ver- wendeten prachtvollen Säulen zierten ohne Zweifel ehedem die Apo- ſtelkirche. Die in der Mitte des Hofes angebrachte Fontäne iſt von mächtigen Cypreſſen umgeben, durch deren eng anſchließende Zweige der Luftſtrom faſt beſtändig ein Flüſtern unterhält, welches geeignet iſt, den Beſucher dieſes Platzes, der außer der Zeit des Gebetes ſtets einſam und ſtill iſt, an den wichtigen Theil der Ge- ſchichte zu erinnern, von welcher dieſer eng umgränzte Punkt dieſer Erde Zeuge war. Die Moſchee zeichnet ſich vor anderen von mir geſehenen darin aus, daß ſie auf drei Seiten fünf Reihen Fenſter übereinander beſitzt, wobei noch außerdem jede einzelne Kuppel in ihrem Kranze eine beſondere Reihe kleinerer Fenſter zeigt. Dadurch wird das Junere des mächtigen Gebäudes in hohem Grade hell beleuchtet, wie es mir bei keinem anderen dem Gottesdienſte gewid- meten Gebäude vorgekommen iſt. So erhält der großartige Anblick des mächtigen inneren Raumes zugleich einen überwiegend freund- lichen Charakter. Die Moſchee des Sultan Ahmed L. erregt die Aufmerkſam- keit der fremden Beſucher gewöhnlich, theils durch ihre ausgezeich- nete hohe, dem Meere zugewendete Lage, theils durch die Schätze, die ſie enthält, endlich durch den Umſtand, daß ſie bei großen reli- giöſen Feſten vom Sultan und ſeinem Hofe vielfach benutzt zu wer- den pflegt. Sie nimmt den nördlichen Theil des alten Hippodrom's ein. Den Mißmuth darüber, daß ſie den hiſtoriſch ſo merkwürdigen Platz verkümmert, vermindert jedoch der Umſtand, daß ſchon früher zwei Palläſte türkiſcher Großen hier geſtanden hatten, die man fort- riß, um Raum für die Moſchee zu gewinnen. Da der hervor- ragende Theil dieſes Hügels der Wirkung der Erdbeben beſonders ausgeſetzt iſt, ſo hat man die mächtige Kuppel etwas niedriger, als gewöhnlich gehalten, unterſtützte ſie auch durch vier coloſſale ſtei- nerne Säulen an der Außenſeite des Gebäudes, die an der Baſis 36 Ellen Umfang haben, jedoch aus drei Stücken beſtehen. Das Innere des großartigen, 1608 n. Chr. errichteten Bauwerkes macht – 42 – durch ſeine Einfachheit und richtigen Verhältniſſe einen wohlthuenden Eindruck. Die Moſchee des Sultan Ejub zieht Fremde gewöhnlich nur durch ihre ausgezeichnete Lage an, durch welche man eine vollſtän- dige Ueberſicht des goldnen Horn's, ſowie der gegenüberliegenden ſüdöſtlichen und ſüdlichen Seite von Pera, mit dem Hötel der engliſchen Geſandtſchaft u. ſ. w. gewinnt. Sie iſt auf den Ruinen der ehemaligen Kirche des heil. Mamias erbaut, die nahe an der äußern Seite der Umfaſſungsmauer lag. Sie iſt die einzige Mo- ſchee, welche Chriſten auch heute noch nicht betreten dürfen, weil ſie in ihrem Centrum den Stein enthält, von welchem aus, der tür- kiſchen Sage nach, der Prophet ſeine Himmelfahrt unternommen und auf ihm den Eindruck ſeines Fußes zurückgelaſſen haben ſoll. Hr. v. Grimm genoß, im Gefolge des Großfürſten, das Vorrecht, ſie zu beſuchen. Er fand auf dem berühmten Steine eine Vertie- fung, die an den Huf eines Pferdes erinnerte; das Innere dieſer Moſchee iſt übrigens ſehr einfach gehalten. Sie krönt zugleich den Hügel, welchen amphitheatraliſch die mit orientaliſcher Pracht aus- geſtatteten Gräber der hervorragendſten türkiſchen Staatsbeamten, Muftis, heiliger Derwiſche, ſowie der Frauen aus hohen Familien einnehmen. Die an dieſen zahlreich angebrachten Vergoldungen, die dazwiſchen angelegten Grab-Kapellen, die das Ganze überragenden zahlreichen hundertjährigen Cypreſſen, gewähren einen ſo höchſt un- gewöhnlichen, zugleich reichen und eleganten Anblick, daß mit ihm irgend etwas Aehnliches an einem andern Orte der Erde, ſchwerlich verglichen werden kann. Die myſtiſche Stille, die hier allenthalben herrſchte, als ich, kurz vor Sonnenuntergang den Hügel hinanſtieg, mag dazu beigetragen haben, ein zauberhaftes Licht über die Scene auszubreiten. Da der Fahnenträger des Propheten, Ejub, während der dritten Belagerung Conſtantinopels durch die Osmanen hier an der Mauer gefallen ſein ſoll, und ſein Grabmal auf dem Vor- platze der Moſchee errichtet worden iſt, ſo wurde der heilige Ort ehedem von Janitſcharen ſtets eiferſüchtig bewacht, welche auf jeden Ungläubigen, der ſich ihm zu nähern wagte, ſchoſſen. Dieſe Strenge iſt geſchwunden; ich ſtieg, von meinem Dolmetſcher allein begleitet, den Hügel, vom Ufer des goldnen Hornes aus, ungehindert hinan, trat ebenſo in die einzelnen Abtheilungen der auffallenderen Mouu- mente ein, um ſie genauer zu betrachten, mein Fußtritt wiederhallte – 43 – in der abendlichen Stille des abgelegenen Ortes, aber kein menſch- liches Weſen, welches meinen ernſten Gedankengang hätte ſtören können, ließ ſich blicken. Da vorſchriftgemäß alle osmaniſche Grabſtätten unantaſtbar ſein ſollen, ſo folgt daraus mit Nothwendigkeit, daß die Todten zuletzt die Lebenden, vorzugsweiſe auch bei dieſer volkreichen Stadt, werden verdrängen müſſen, wenn dieſen nicht eine wohlthätige Auf- lockerung jener ſtrengen Sitte zu Hülfe kommen ſollte, wie ſie her- nach im Oktober 1859 thatſächlich eingetreten iſt. Bei einem Ritte um die Landſeite der alten Umfangsmauer überzeugte ich mich, daß der Boden, ſoweit das Auge reicht, mit Grabhügeln und Denk- ſteinen bedeckt iſt. Die letzteren ſind im Laufe der Zeit großen- theils ſchon umgefallen, Spaziergänger uud ſpielende Kinder ſchweifen darüber hin, – aber von einer weitern Störung dieſer Ruheſtätten darf bis jetzt keine Rede ſein. Der einzige Vortheil, den ſie den nachfolgenden Generationen geben, kann wohl nur in der lebendigen Vegetation der Tauſende von Cypreſſen liegen, die ohne Zweifel mit jener heiligen Scheu zugleich dahin ſinken würden, um die wüſte Oede noch zu vermehren, die ſich außerhalb der Landthore allenthalben darbietet. So abſchreckend erſcheint ſie, daß ſich kein Einwohner verſucht fühlt, jenſeits dieſer Grabſtätten Erholung in freier Luft zu ſuchen; man fährt zu dieſem Zwecke gern nach den ſogenannten „ſüßen Waſſern“ Aſien's und Europa's, – erfriſchenden Grasplätzen, erſtere an der aſiatiſchen Seite des Bosporus, letztere an der Nordweſt-Seite des inneren Endes des goldnen Horns. Die Boden-Verhältniſſe der vor den Landthoren der Stadt ſich ausbreitenden großen Ebene zeigen an der Oberfläche verwit- terten Thonſchiefer, hier und da von Quarzadern durchſetzt, in denen ſich Spuren von Kupfer und Blei vorfinden. Süßwaſſer-Kalk und Sandſteine kommen hier und da zu Tage. Die Dammerde iſt zum Theil mit Sand und Lehm gemengt; unter ihr liegt an manchen Stellen ein Kalktuff, der, friſch gebrochen, ſo weich iſt, daß er ſich in Tafeln ſchneiden läßt, die erſt an der Luft erhärten. – Auf jenem Boden fand ich im Herbſte zwei weit verbreitete Pflanzen blühend, die ſich gleichſam die Herrſchaft ſtreitig machen. Das am Boden hinkriechende ſtachelige Poterium spinosum überwiegt; nächſt- dem bringt Erica verticillata wenigſtens den Nutzen, in großer Menge zum Kalfatern der Schiffe zu dienen, auch wohl der Haupt- – 44 – ſtadt Beſen zu liefern. Echium violaceum und plantagineum blühten dazwiſchen noch dürftig. Die Schaafe, welche ich dort wei- den ſah, bewieſen durch ihr kümmerliches Anſehen, wie ſehr ſie unter der ſpärlichen Nahrung litten. – Die Orientalen beſitzen ein zoo- logiſches Wörterbuch, deſſen Verfaſſer der 1403 verſtorbene Do - mairi iſt, welchen man auch den arabiſchen Büffon genannt hat. Die griechiſchen Kirchen des heutigen Conſtantinopels ſind des alten Glanzes in ſo hohem Grade entkleidet, daß ſie nur die fremden Beſucher anziehen, welche den verſchiedenen Formen des chriſtlichen Cultus ſpecielles Intereſſe zuwenden. Bleibt ihnen doch das feierliche Geläute der Glocken bis heute unterſagt, obgleich dieſem rechtlich nichts mehr entgegen ſteht, ſobald der Hatti-Hümayum in volle Kraft treten würde. Ich begnügte mich deßhalb damit, eine dieſer Kirchen zu beſuchen, die ſowohl durch ihre Geſchichte, als durch ihre vortheilhafte Lage Aufmerkſamkeit erheiſcht. Dies iſt die Kirche „unſerer lieben Frau vom Quelle“, die zur Kaiſerzeit, dem Range nach, als die Dritte betrachtet wurde. Sie liegt außerhalb der Mauern der Stadt, nahe vor dem jetzt vermauerten goldnen Thore, unfern des Meeres. In ihrer Umgebung erheben ſich Bäume über griechiſchen Grabſtätten, und der Raum zwiſchen ihr und der nahen Stadtmauer iſt mit Gemüſegärten gefüllt. Dieſe Lage macht ſie an Sonn- und Feſttagen noch gegenwärtig, beſonders Nachmittags, zum Zielpunkte der Wanderungen griechiſcher Familien. Schon als Kaiſer Juſtinian an dieſem Orte die erſte Kirche, bald nach der Sophienkirche, erbaut hatte, hieß ſie die Kirche zum Spazier- gange. Die letztere Bedeutung hat ſich bis heute, ungeachtet aller Wechſelfälle der Jahrhunderte, erhalten, – ein abermaliger Beweis für die hohe Wichtigkeit der Wahl des Ortes für öffentliche Ge- bäude, die in unſerer Zeit oft genug nicht genügend gewürdigt wird. So iſt es geſchehen, daß, als der Bulgaren-Fürſt Simeon i. I. 929 bis Conſtantinopel vorgedrungen war und dieſe Kirche verbrannt hatte, ſie ſo ſchnell aus der Aſche wieder erſtand, daß, nach erfolgtem Friedensſchluſſe die Verbindung des Bulgaren-Fürſten mit der Toch- ter des Kaiſers in ihr gefeiert werden konnte. Der jüngſten Zer- ſtörung unterlag ſie durch die Volkswuth der Türken, als das gegen- wärtige Königreich Griechenland ſich von der Türkei losriß. – Bald nach ihrer erſten Errichtung gerieth ein innerhalb ihrer Um- faſſungsmauer liegender Quell, in welchem man damals Goldfiſche aufbewahrte, in den Geruch der Heiligkeit, den er bis jetzt bewahrt hat. Kein gläubiger Grieche verläßt den Ort, ohne an ihm ſein Gebet verrichtet, und auf der bereit ſtehenden Schüſſel eine Opfer- gabe dargebracht zu haben. Eine ſchmale ſteinerne Treppe führt zu der etwas tief liegenden Quelle hinab; doch nur die Prieſter haben den Zutritt bis zu dieſem ſelbſt. Ich gewahrte von dem Ge- länder der Treppe aus eine Anzahl munter umherſchwimmender, dunkler Fiſche, wahrſcheinlich gewöhnliche Forellen. Die dunkele Farbe derſelben leitet indeſſen die Mythe von einem Wunder ab. Sie ſagt, daß, als Mohammed II. durch die Breſche in die Stadt drang, ein Prieſter hier beſchäftigt geweſen ſei, Fiſche zu braten. Als ihm hierbei verkündigt wurde, daß die Türken in dieſem Augen- blicke in die Stadt eindrängen, erwiederte er ungläubig: ſo wenig, als ſeine halbgebratenen Fiſche in den Quell ſpringen möchten, eben ſo wenig würden die Türken die Stadt einnehmen. Aber die halb- gebratenen Fiſche ſprangen urplötzlich aus der Pfanne in den Quell. Seit dieſem Tage ſei das rothe Gold von der Rückenſeite der Fiſche verſchwunden. – Bei dem Eintritte in die Kirche ſelbſt überzeugt man ſich bald, daß es mit dem Verſchwinden des Goldes aus ihr allerdings ſeine Richtigkeit habe; doch fand ich das Gewölbe der Kirche durch Marmorſäulen geſtützt, die in zwei Reihen aufgeſtellt ſind, ſo daß neben dem mittleren Hauptſchiffe zwei ſchmale Neben- ſchiffe vorhanden ſind. Das nach Weſten gelegene Allerheiligſte erſcheint durch eine Scheidewand von den Schiffen getrennt, die mit einer langen Reihe bunter Heiligenbilder beklebt iſt, welche an künſt- leriſchem Werth nicht viel über denen ſtehen, die man auf unſeren Jahrmärkten dem Volke feil bietet. Ein Prieſter machte mich jedoch auf zwei von dem Kaiſer Nikolaus hierher geſchenkte Bilder auf- merkſam, die an der ſüdlichen Seitenwand aufgehängt ſind. Das Eine derſelben iſt ein guter Kupferſtich der Madonna, das andere aber ein werthloſes Oelbild. – Nahe an der Südſeite der Kirche findet ſich ein kleiner mit Mauern umfaßter Begräbnißplatz vor, auf welchem marmorne Leichenſteine liegen, die, mit griechiſchen In- ſchriften verſehen, die Gebeine von Mitgliedern der moldo-wala- chiſchen Fürſten-Familie, oder der ruſſiſchen Geſandtſchaft decken. Eine nach derſelben Seite hin gerichtete Vorhalle der Kirche beher- bergt eine Anzahl Heiligen-Bilder des niedrigſten Geſchmackes. Heiterer und anmuthiger erſchien mir die bunte Volksmenge, welche – 46 – (es war Sonntags), auf den Leichenſteinen der nahen Umgebung lagernd, Erfriſchungen zu ſich nahm. Einige Türken in Uniform ſchienen die Stelle von Polizei-Dienern zu vertreten. Die armeniſche Kirche, welche auf Koſten der Gemeinde im Anfange dieſes Jahrhunderts neu aufgeführt wurde, verdient wegen der Eigenthümlichkeit ihrer innern Einrichtung, die dem darin zu feiernden Cultus entſpricht, nähere Aufmerkſamkeit. Die Altäre, an welchen das Meßopfer durch die hin- und herwandelnden Prieſter verrichtet wird, befinden ſich auf einer Art Emporkirche oder Tri- büne, ſo daß die andächtige Gemeinde das Antlitz zu ihnen in die Höhe richten muß. Männer und Frauen bleiben hier getrennt. Der Gottesdienſt findet mit Anbruch des Tages ſtatt. Tanzende Derwiſche. – Der bis zu den älteſten Zeiten hinauf- ſteigende Gebrauch, die Gottheit tanzend, oder unter eigenthümlichen Drehungen und Wendungen des Körpers zu verehren, findet bei den Osmanen durch die tanzenden, oder Mewlewie-Der- wiſche ihren Ausdruck. Dieſe letzteren ſind wohl kaum der Auf- merkſamkeit irgend eines Reiſenden entgangen; immer aber iſt der Eindruck, welchen ihre Ceremonieen veranlaſſen, von der Individua- lität des Beſuchenden in hohem Grade abhängig; daher ich mir nicht verſagen kann, über das zu berichten, was mir bei dieſem höchſt eigenthümlichen Ritus aufgefallen iſt. Man hatte mir am 25. September mitgetheilt, daß Nachmittags um 2 Uhr die Der- wiſche eines Kloſters zu Scutari tanzen würden. Demnach be- fand ich mich ſchon vor dieſer Zeit an Ort und Stelle. Das Kloſter liegt auf einer etwas erhabenen Stelle der amphitheatraliſch anſteigenden Stadt. Durch das Thor einer hohen Umfaſſungs- mauer gelangte ich mit meinem Dolmetſcher zunächſt in einen ſchmalen Hof und wurde ſogleich ohne irgend eine Weiterung in das Kloſter ſelbſt eingeführt. Am Fuße der hölzernen Treppe mußten die Stiefeln abgelegt werden, worauf ſodann der Eintritt in den oberhalb der Treppe gelegenen Saal der Ceremonie geſtattet war. Dieſer viereckige Raum erſchien nur von mäßigem Umfange und erhielt ſein Tageslicht durch einige Fenſter der dem Hofe und der Straße zugewendeten Wand. In der Mitte dieſer Wand, zwiſchen den Fenſtern, erhob ſich eine niedrige hölzerne Eſtrade, auf welcher zwei ältere Derwiſche ſtanden, die ſich vor den übrigen durch ſchwarze Talare, die bis in die Nähe der Knöchel hinab- – 47 – reichten und durch einen kreisförmigen Bund um die ſpitze Pelz- mütze auszeichneten, alſo augenſcheinlich die Oberprieſter darſtellten- Einer derſelben ſchien 70 Jahre alt zu ſein, und ihm wurde be- ſonders ausgezeichnete Verehrung erwieſen. An die beiden Seiten dieſer Eſtrade ſchloß ſich eine kreisförmige hölzerne Gallerie an, welche einen inneren Kreis in dem Saale darſtellte; ihr Geländer war indeſſen ſo niedrig, daß ſie keine Bewegung der in dem Kreiſe gegenwärtigen Perſonen verbergen konnte, – ſie diente alſo offen- bar nur, die Zuſchauer von den Mönchen ſelbſt abzugränzen. Die anweſenden Gläubigen kauerten an den Wänden herum auf ihren Ferſen; den Chriſten war es geſtattet, auf dem Boden zu ſitzen; Stühle oder Bänke fanden ſich nirgends. Ein kleiner, hölzerner Balkon erregte noch meine Aufmerkſamkeit, der der erwähnten Eſtrade gegenüber, oberhalb der Eingangsthüre lag; er diente einigen Muſikern zum Aufenthalte. – Die Ceremonie begann damit, daß acht Derwiſche eintraten, um in den inneren Kreiſen, langſam vorſchreitend, ſich herum zu bewegen, indem ſie mit auf der Bruſt gekreuzten Armen, ſo oft ſie vor den Oberprieſtern anlangten, ſich tief verneigten, wobei jedoch jedesmal zwei derſelben eine ſolche Stellung einnahmen, daß ſie während der Neigung ihre Geſichter einander zuwendeten. Mehrere dergleichen Umgänge folgten aufeinander mit denſelben Verneigungen. Hierauf ſetzten ſich die acht Derwiſche im Inneren des Kreiſes auf die Fer- ſen nieder, worauf die Muſik begann. Dieſe wurde auf drei In- ſtrumenten hervorgebracht, einer kleinen Oboe mit näſelndem Tone, einer Art Terz-Flöte und einer kleinen Pauke. Dieſe drei Inſtru- mente ließen ſich in der angegebenen Reihenfolge, erſt im Solo, dann vereinigt, hören. Ihre durchaus unmelodiſchen und unharmo- niſchen Töne hatten eine Zeitlang meine Ohren zerriſſen, als zuerſt einer der Derwiſche in den Kreis trat, die beiden Arme horizontal und dann ſchräg rechts und links neben dem Kopfe in die Höhe ſtreckte und hiernach begann, ſich langſam um ſeine Achſe zu drehen; ihm folgte allmählig ein zweiter, ein dritter u. ſ. w., bis ihrer acht waren. Dieſe verbanden nun mit der Achſendrehung ihres eigenen Körpers zugleich eine Kreisbewegung an der inneren Seite der Gallerie herum, indem Einer den Anderen in angemeſſener Ent- fernung folgte. Dieſe Drehungen behielten ſtets ein gewiſſes an- ſtändiges Maß und ſteigerten ſich nie durch ſchnellere Schwenkungen bis zur Verzückung, wie dies von einem andern Orden jener Der- – 48 – wiſche geſchieht. Sie trugen bis zu den Füßen hinabreichende, die Knöchel deckende Talare, theils von dunkelgrüner, theils von dunkel- blauer, theils von weißer Farbe. Zwei von ihnen ſchienen noch ſehr jung zu ſein; einer derſelben, etwa 18 Jahre alt, trug den Ausdruck des Leidens im Geſichte und lehnte den Kopf bei ſeinen Drehungen ſtets an den rechten Arm. Die Neigung zum Schwindel ſchienen. Alle durch ſtete Uebung überwunden zu haben. Ein älterer Derwiſch in ſchwarzem Talar blieb in der Mitte des Kreiſes ſtehen; er gab das Signal zum Anfangen und Aufhören. Sie mochten auf dieſe Weiſe den großen Kreis tanzend fünf bis ſechs Mal umſchrie- ben haben, als auch die beiden Oberprieſter von der Eſtrade in den inneren Kreis traten, um ſich hier um ihre Achſe zu drehen. Ihre kürzeren Talare deckten jedoch die nackten Füße nicht, und ließen daher die Bewegungen dieſer ſehr ungraziös erſcheinen. Da alle dieſe Bewegungen nicht übermäßig ſchnell ausgeführt wurden, ſo kamen die Tanzenden nicht außer Athen, auch ſchienen ſie nicht beſonders erhitzt zu werden. Nach einiger Zeit hörte die Ceremonie und Muſik auf, die Derwiſche zogen ſich an die Wand der Gallerie zurück und der im ſchwarzen Talar, welcher vorher die Aufſicht geführt hatte, hielt jetzt eine Anrede in türkiſcher Sprache an die Verſammlung, die mit großer Aufmerkſamkeit und Stille angehört wurde. Die Würde, welche der Redende ſeinen Worten zu geben wußte, machte ſelbſt auf mich, der ich ſie nicht verſtand, eine wohlthuende Wirkung. Nach ihrer Beendigung trennte ſich die Verſammlung. Es iſt Ge- brauch, daß Fremde am Ausgange ein Geldgeſchenk zurücklaſſen. – In den verſchiedenen Klöſtern deſſelben Ordens ſcheinen Verſchieden- heiten hinſichtlich jener Ceremonieen obzuwalten. Hr. v. Grimm*) wohnte den letzteren in einem Kloſter zu Pera bei, welches, ſeiner bequemeren Lage wegen, chriſtliche Beſucher weit häufiger anzieht. Die von ihm mitgetheilten Beobachtungen weichen von den meini- gen in mehreren Punkten ab. Doch iſt zu bemerken, daß die Tür- ken ſelbſt die Klöſter von Seutari höher, als die von Conſtanti- nopel ſtellen. Es giebt bekanntlich türkiſche Mönchsorden, deren Mitglieder den oben bezeichneten Tanz ſo weit treiben, daß er ſich zuletzt in einne Art wilder Raſerei auflöſt, in welcher die Erſchöpften endlich *) A. a. O. Th. II. S. 180. – 49 – zu Boden ſinken. Andere begleiten ihre Ceremonieen mit einem heulenden, weithin ſchallenden Geſchrei. Hr. v. Hammer*) be- nachrichtigt uns, daß einſt ein ſolcher Mewlewi-Derwiſch zu Con- ſtantinopel ſich in der Extaſe höchſter Begeiſterung vom Redner- ſtuhle herab auf die Köpfe ſeiner Zuhörer geworfen habe, um dann unten noch das Rad eines myſtiſchen Tanzes zu ſchlagen. Ich habe mich niemals bewogen gefühlt, dieſe Auswüchſe einer ver- brannten Phantaſie aufzuſuchen. – Wenn aber ein Urtheil über den Tanz, welcher zur Verherrlichung religiöſer Ceremonieen dienen ſoll, im Allgemeinen verlangt würde, ſo dürften große Schwierig- keiten damit verbunden ſein, es gerecht und billig abzuwägen, ohne vorgefaßten Meinungen Einfluß zu geſtatten. Es möchte hierzu erforderlich ſein, ſich ganz auf die Culturſtufe des Volkes zu ſtellen, für welches ſie berechnet ſind, auch der ungleich leichter anzuregen- den und zu ſteigernden Einbildungskraft der Orientalen ein gewiſſes Recht eingeräumt werden müſſen. – Wenn die heutigen Weſteuropäer den König David vor der Bundeslade tanzen ſehen ſollten, ſo würden ſie ein mitleidiges Lächeln und Achſelzucken ſchwerlich verbergen können; gewiß würden ſie in ſolchem Tanze mindeſtens einen Verſtoß gegen die königliche Würde erblicken. Das Volk David's urtheilte ohne Zweifel entgegengeſetzt. Es wird kaum nöthig ſein, an manche Arten des Tempelgottesdienſtes, wie ſie noch während des klaſſiſchen Zeitalters der Griechen ſtattfanden, an Bachanten-Züge u. ſ. w. zu erinnern. – So kann ich denn jenen Schriftſtellern nicht bei- ſtimmen, die den decenten Tanz eines faſt nur für die niedrigere Sinneswelt lebenden Volkes bei ſeinen religiöſen Darſtellungen rück- ſichtslos verdammen und lächerlich finden. So berechtigt ein ſol- ches wegwerfendes Urtheil erſcheinen würde, wenn man daran denken wollte, eine ähnliche Ceremonie irgend einem chriſtlichen Cultus jemals anzuhängen, eben ſo milde ſollte man auf der andern Seite ſich geſtimmt fühlen, wo es ſich um ein Urtheil über Men- ſchen handelt, in deren Anſchauungen ſich zu verſetzen, mit Erfolg kaum möglich ſein dürfte. Mildes Urtheil wird gerade in Con- ſtantinopel beſonders am rechten Orte ſein, wo, als die Barbaren ſich bereits zum letzten Sturme rüſteten, eine chriſtliche Synode in der Sophienkirche ſich eifrig mit der Frage beſchäftigte, wie religiös *) Conſtantinopolis und der Bosporos. Th. II. Peſth, 1822. S. 205. Z – 50 – Verzückte die Flamme ihrer Erleuchtung aus dem Nabel hervor- ſchlagen ſehen könnten. Zur Erläuterung füge ich noch zwei Wahr- nehmungen hinzu, die als bezeichnend angeſehen werden dürfen. Erſtens, die etwas höher gebildeten Türken der heutigen Zeit ver- ſchmähen den Cultus der tanzenden Derwiſche vollſtändig; kaum zwanzig Individuen der niedern Klaſſen, der nächſten Umgebung des Kloſters angehörig, wie es ſchien, nahmen mit mir zugleich an der Darſtellung Theil. Zweitens, in einer hochgebildeten weſteu- ropäiſchen Familie zu Pera ſetzte mich ein auf langjährige Beob- achtung gegründetes, anerkennendes Urtheil in Erſtaunen, welches ſich von dem Tanze ſelbſt bis auf die Muſik erſtreckte, als ich dieſe mit den erſten Verſuchen unſerer kleinen Kinder auf kreiſchenden Inſtrumenten verglichen hatte. – Sollte der Hatti - Hüm ajun in irgend einer fernen Zeit zur vollſtändigen Ausführung kommen, ſo würde jener mönchiſche Cultus ohne Zweifel von ſelbſt verſinken. Freitags-Andacht des Sultans. – Zweimal nahm ich Gelegenheit, den feierlichen Zug des Sultans Abdul - Medſchid nach der Moſchee zum Gebete zu ſehen. Das erſte Mal geſchah das Gebet in der Moſchee, welche der gegenwärtige Großherr un- fern ſeines neuen Pallaſtes, hart am europäiſchen Ufer des Bos- porus erbauet hat. Der Zug bewegte ſich hier zu Pferde aus dem ſüdlichen Seitenthore des Pallaſtes bis an das große Portal der Moſchee. Der Sultan war von ſeinen Großwürdenträgern gefolgt. Er ſelbſt ſaß merklich gebückt zu Pferde; die Geſichtsfarbe erdfahl, etwas gebräunt; der ſchwarze Bart nicht ſtark; die edlen Geſichts- züge haben den Ausdruck des Wohlwollens, aber auch zugleich der Abſpannung und des Gedrücktſeins. Der orientaliſche Gebrauch erlaubt nicht, daß der Sultan mit der Hand grüßend danke; er er- wiedert die ihm dargebrachten Grüße durch eine leichte Bewegung des Kopfes und ein ſtarkes Aufwärtsziehen der ſchwarzen Augen- brauen, mit welchem zugleich der Blick ſich freundlich belebt. Er trug die militäriſche Uniform der Generale mit einer Stickerei von Juwelen am Kragen, die ſich auch bis auf den oberen Theil des Rückens hinab erſtreckt. Den Kopf deckt der einfache rothe Feß. Das edle arabiſche Pferd war luxuriös aufgezäumt. In ſeinem Gefolge fiel mir zunächſt der Serdar Omer Paſcha auf, eine kräftige, ziem- lich hohe ſoldatiſche Figur mit ausdrucksvollem, ſtark gebräuntem Ge- ſichte, im höheren Mannesalter; eigenthümlich iſt es, daß ſein Backenbart – 51 – auf der einen Seite weiß geworden iſt. Die folgenden Miniſter und Paſcha's zeigten ebenfalls meiſtens hervorragende Figuren; nur der Sohn des Dey's von Egypten, der Schwiegerſohn des Sultans, trat durch eine unbedeutende Perſönlichkeit zu ſeinem Nachtheile zurück. – Die zahlreichen Zuſchauer wurden nicht gehindert, bis nahe an den Zug heran zu treten; von militäriſchen Spalieren mit ſtarren- den Bajonnetten war hier nichts zu ſehen. Auch zeigten die Indi- viduen der niederen Klaſſen ein rückſichtsvolleres Benehmen, als wir es bei uns, unter ähnlichen Umſtänden, zu ſehen gewohnt ſind. – Das Unpaſſende des Mangels eines Schirmes an der mili- täriſchen Kopfbekleidung der Türken zeigte ſich bei dieſem Zuge in ſeinem ganzen lachtheiligen Umfange. Da ſich dieſer Zug nämlich um die Mittagsſtunde in der Richtung nach Süden bewegte, ſo fielen die brennenden Sonnenſtrahlen ſo quälend auf die Augen, daß die Lider und die Brauen möglichſt eng zuſammengezogen werden mußten, um jene zu ſchützen. Man ſagte mir, daß bei der neuen Uniformirung der türkiſchen Armee unter Mahmud die hohe Geiſt- lichkeit ein Veto eingelegt habe gegen die Schirme, weil der Gläubige während des Gebetes den Boden mit der Stirn berühren ſoll, was der Schirm behindern würde. Man ſollte erwägen, daß ein ſolcher Schirm ſich für beſtimmte Gelegenheiten aufklappen läßt. Ein Uebelſtand der Art iſt bei der brennenden Sonne des Orients von doppelter Wichtigkeit. Da der Turban dem Feß faſt allent- halben gewichen iſt, ſo verbreitet ſich jener Nachtheil für die Augen auf alle Volksklaſſen; ſehr oft habe ich meine Barkenführer bedauert, die durch das Zurückſtrahlen der Sonne von der Oberfläche des Waſſers doppelt leiden müſſen. Die Mode ſcheint auch im Orient auf Koſten der Geſundheit allmächtig zu ſein. Ein anderes Mal wohnte ich dem feſtlichen Zuge des Sultans nach der Moſchee der Prinzen, Schehſadeg an dſchamiſſi, die im Voike Jeni-dſchami heißt, bei, die nahe am Ufer des Meeres, unfern des öſtlichen Endes der vorderſten Brücke über das goldene Horn liegt. In dieſem Falle fuhr der Großherr in der kaiſerlichen Gondel von ſeinem Pallaſte am Bosporus aus nach Conſtantinopel hinüber, der eine Anzahl kleiner Barken folgte. Das kaiſerliche Fahrzeug wird von zwölf Ruderern in Bewegung geſetzt; den Wür- denträgern ſind deren nur ſechs erlaubt, und dies gilt auch für die fremden Geſandten, welche ſich dieſer Etiquette fügen müſſen, 3e – 52 – obgleich bei ruhigem Meere ein kräftiger Mann zur Führung der Barke genügt. – Der kaiſerliche Feſtzug bot, da der Himmel heiter war, auf dem Meere ein glänzendes Schauſpiel dar. Die große kaiſerliche Gondel, zum Theil vergoldet, mit einem bunt geſtreiften Zelte verſehen, reich bewimpelt, von weiß gekleideten Matroſen ge- führt, nahm ſich höchſt ſtattlich aus. Die nachfolgenden kleineren Fahrzeuge dienten dazu, den Glanz des an der Spitze einherziehenden noch mehr zu erheben. – Obgleich die Moſchee in kürzeſter Ent- fernung vom Landungspunkte lag, ſo beſtiegen doch der Sultan, ſowie die ſeiner am Ufer harrenden Großbeamten die hier bereit ſtehenden Pferde ſogleich nach dem Anlanden. Bei der vorwalten- den Beſchränktheit des Ortes waren hier auch Soldaten zur Ab- wehrung der Menge aufgeſtellt. Die Geſichtszüge des Sultans zeigten heute mehr Ausdruck und Lebendigkeit, als bei der früheren ähnlichen Gelegenheit; er ſcheint übrigens ungleich älter zu ſein als er wirklich iſt, wozu der tiefe Einſchnitt der Züge und die Falten der Stirn weſentlich beitragen. Auch iſt das Benehmen einiger europäiſchen Mächte gegen die Türkei nicht eben geeignet, die letz- teren zu glätten. Die beiden Schwäger des Sultans folgten ihm zunächſt; unter ihnen imponirte beſonders Mehemed - Ali, ein ſtattlicher, ſchöner Mann. Zur rechten Seite der oben erwähnten Moſchee befindet ſich ein Brunnenhaus, welches ſich durch ſeinen anſehnlichen Umfang vor den vielen andern auszeichnet, die man in der Stadt neben den Moſcheen ſieht. Die hohen Fenſteröffnungen ſeiner Seiten- wände ſind durch eng geflochtene metallene Gitter verſchloſſen, welche an ihrem unteren Ende halbkreisförmige Ausſchnitte beſitzen, in welchen die oben ſchon erwähnten Trinkgefäße ſtehen, die in dieſem volkreichen Theile der Stadt fleißig benutzt werden. Das ele- ganteſte dieſer Brunnenhäuſer befindet ſich in der Nähe der So- phienkirche auf einem freien Platze. Das Flechtwerk ſeiner Metall- gitter iſt beſonders künſtlich. Ihr grüner Anſtrich und die vergol- deten Buchſtaben der Koran-Sprüche, welche um den Giebel herum- laufen, ſchienen mir faſt neu zu ſein, oder deuten jedenfalls auf ſorgfältige Unterhaltung. Die Mauern und Thore von Conſtantinopel. – In der Nähe der Moſchee Sultan Mohammed II. befindet ſich der große Pferdemarkt der Stadt, auf welchem man, als ich dort anlangte – 53 – eine Anction von Pferden hielt, die der Form nach, ganz mit den bei uns üblichen Gebräuchen begleitet war. Das vorgeführte Thier wurde von den Kaufluſtigen genau unterſucht, und dann dem Meiſt- bietenden durch einen öffentlichen Ausrufer zugeſchlagen. Auffallend erſchien mir dagegen der ausgedehnte Gebrauch, den ich hier vom Pferdemiſte machen ſah. Man war beſchäftigt, ihn in dünnen Schichten auf dem Boden an der Sonne auszubreiten. Auf meine Frage, wozu man den ſo ausgedörrten Dünger brauchen wolle, er- hielt ich zur Antwort, daß er allein die Streu der Pferde abgeben müſſe, da das Stroh zu theuer, oder auch nicht zu haben ſei. Auf dieſem Platze miethete ich nun durch meinen Dolmetſcher zwei Pferde, um die Mauern von Conſtantinopel auf ihrer Landſeite zu umreiten. Der Vermiether bewies uns ſoviel Vertrauen, daß er uns die Pferde für eine beſtimmte Anzahl von Stunden ohne Begleitung überließ, um ſie dann an einem fernen Punkte in Pera wieder zu übernehmen, wobei die Zahlung erſt an letzterem Orte geſchah. – Wir ritten von hier aus zunächſt durch das Thor von Adria- nopel, Edrene - Kapuſſi der Türken, Thor der Polyandrü der Griechen, vor welchem ſich noch eine mäßige Anzahl von Häuſern befindet, unter denen verſchiedene Café's. Dieſes wichtige Thor wird rechts und links durch zwei runde Thürme flankirt, von denen der eine in ziemlich gutem Zuſtande, der andere aber vollkommen unfähig zu irgend einer Vertheidigung erſchien. Bald darauf fand ich die ganze Mauer ſo höchſt vernachläſſigt, daß von ihrer Seite her Widerſtand ziemlich nutzlos geweſen ſein würde, wenn der jüngſt beendigte Krieg eine feindliche Macht hierher ge- führt hätte. Tiefe Riſſe, wahrſcheineich von früheren gewaltigen Erdbeben herrührend, die 1592 und 1718 notoriſch Aehnliches be- wirkten, ſpalten ſie an vielen Orten. Grüner Epheu umrankt ſie häufig höchſt maleriſch; aus dem Gemäuer hervorgewachſene Bäume bekunden durch ihre Höhe und die Ausdehnung ihrer Zweige, daß man ihrem Wachsthum ſeit langen Jahren kein Hinderniß entgegen ſetzte. Dieſer ruinenartige Zuſtand gewährt freilich den Mauern für einen Dichter oder Künſtler ungleich mehr Intereſſe, als irgend einem Ingenieur, und darum fand ſie wahrſcheinlich auch Hr. de Lamartine*) bewundernswürdig, und nennt ſie nach denen des *) Voyage en Orient. T. III. Bruxelles, 1838. pag. 315. Parthénon und von Balbek die am meiſten majeſtätiſchen. Wie koſtſpielig übrigens eine den Anſprüchen der Fortifikation entſprechende Ausbeſſerung ſein würde, mag man daraus ermeſſen, daß der Um- fang von Conſtantinopel 1", deutſche Meilen beträgt, und 28 Thore den Eingang gewähren ſollen. Mit nüchternen Augen an- geſehen weichen ſie ſchon anſehnlich hinter den ungleich beſſer erhal- tenen und mächtigeren Mauern von Nicäa zurück. Hierbei iſt frei- lich gar nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Geſchichtsforſcher, der die 24 Belagerungen an ſeinem inneren Sinne vorüberziehen läßt, welche vor dieſen Mauern getobt haben, ſie für wichtiger hält, als alle übrigen Mauern in der Welt. Wenn man ſich von dem erwähnten Thore außerhalb der Mauern links dem Meere zuwendet, ſo bedient man ſich dazu einer ehedem regelmäßig gepflaſtert geweſenen Straße, deren Verfall jedoch dem heutigen Zuſtande des Staats vollſtändig anpaßt. Nach Allem, was mir von türkiſchen Straßen zu Augen gekommen iſt, kann ſie nur altgriechiſchen Urſprungs geweſen ſein. Wahrſcheinlich rührt ſie noch vom Kaiſer Juſtinian her; ſie war es, auf welcher in der Blüthezeit des oſtrömiſchen Reiches die Triumphzüge der Kaiſer den Weg nach dem goldnen Thore nahmen. – Beſondere Aufmerk- ſamkeit fordert aber das nächſtfolgende Thor, welches heute Top- Kapuſſi heißt, das alte Thor des h. Roma nu s, auf welchem der letzte Conſtantin, der Paläologe, tapfer fechtend, mit dem morſchen Kaiſerreiche zugleich fiel. Die heutigen Türken hätten wohl Urſache, dieſen für ihre Geſchichte ſo ruhmvollen Punkt dank- bar in feſtem Zuſtande zu erhalten; nichts was irgend einer beſon- deren Sorgfalt ähnlich ſähe, wird man jedoch hier gewahr. Es würde keiner centnerſchweren Steinkugeln bedürfen, wie ſie Mo- hammed's II. große Kanone geſchleudert haben ſoll, die ein Deut- ſcher geſchmiedet hatte, um dieſe baufälligen Mauern zu erſchüttern. – Aehnlich verhält es ſich mit den noch offenen ſeewärts fol- genden Landthoren. Das den Griechen höchſt wichtige „Goldene Thor“, – war ſchon zwei Jahrhunderte vor der Eroberung durch die Türken, von den letzten ſchwachen griechiſchen Herrſchern ver- mauert worden, weil ſie ſtets das Eindringen der Barbaren fürch- teten. Die Türken haben es mit in die Umfaſſungsmauer ihrer feſten Citadelle, der ſogenannten „ſieben Thürme“, hinein gezogen. Vergebens ſucht alſo das Auge jetzt das Thor, durch welches Theo- – 55 – doſius der Jüngere ſeinen Triumph-Einzug, auf einem von vier Elephanten gezogenen Siegeswagen hielt, vergebens die heid- niſche Siegesgöttin, welche das chriſtliche Kreuz über dem Thore hielt, vergebens auch die Statuen des Theodoſius d. Gr. und des Jüngeren, vergebens endlich die goldenen Inſchriften. Kreuz und Statuen waren ſchon früh durch Erdbeben herunter geworfen wor- den. Verſcheucht wird die goldene Erinnerung durch die rauhe Wirklichkeit der nahen ſieben Thürme, deren coloſſale Mauern von da ab den ganzen Raum bis zu dem Meere ausfüllen. Sie ſtellen das feſteſte Bauwerk dar, welches aus türkiſchen Händen auf griechiſchen Fundamenten hervorgegangen iſt. Ich konnte mich nicht enthalten, über die mächtigen Bauſteine, welche nahe am Ufer im Meere zerſtreut herum liegen, ſo weit hinauszuſteigen, als es das ruhige Waſſer erlaubte. Wer dieſe ſtarken Mauern, von der See- ſeite her, aus der Nähe betrachtet hat, wird ſich nicht verhehlen können, daß ſie ganz dazu gemacht ſind, den Belagerten eine letzte ſichere Zuflucht für längere Zeit zu gewähren, wenn Conſtantinopel die Beſtimmung hätte, dereinſt eine fünfundzwanzigſte Belagerung zu erleben. Die hohen Thürme ſind nämlich ganz aus ſoliden Werkſtücken errichtet, die ſich in abgeriſſenen griechiſchen Bauwerken aller Art zur Genüge vorgefunden haben mögen. Hier und da ſchaut ein weißer Marmorblock hervor als Reminiscenz an ehe- malige Statuen oder Altäre. Auch ruhen dieſe Bauten auf Felſen- grund, den ſchon Juſtinian hatte ſprengen laſſen, als ein gewal- tiger Eisgang im Meere den dortigen Mauern verderblich geweſen war. Wer die inneren Einrichtungen der ſieben Thürme kennen zu lernen wünſcht, mag darüber Hrn. Pouqueville nachleſen, wel- cher mit dem franzöſiſchen Geſandten Ruffin 25 Monate darin gefangen ſaß. – Scheint es doch, als hätten die Osmanen ihre geſammte Baukraft für die Befeſtigungen dieſer Thürme erſchöpft und ſich deshalb der Unterhaltung der Ringmauern der Stadt über- hoben gefühlt, deren Umfang, als Murad IV. ſie im Jahre 1636 ausbeſſern ließ, zu 19,280 Ellen bemeſſen worden war. Ihre letzte Herſtellung geſchah unter Ahmed III. in den Jahren 1721– 1723. Seitdem ſcheinen ſie vergeſſen dazuliegen, und in dem Ge- mäuer der nach innen offenen viereckigen Thürme hauſen Eulen und Geyer ungeſtört, um kreiſchend über geſchehenes Unrecht ſich zu be- klagen, wenn irgend ein Steinwurf ſie aufſchreckte. – 56 – Auf meinem Rückwege längs der Außenſeite der Mauer, ritt ich vor dem Thore von Adrianopel vorüber, um das weiter weſt- lich gelegene Landthor Egri - Kapu, das krumme Thor, zu ſehen, welches die Griechen das charſiſche, nach ſeinem Erbauer, dem Prä- fekten Charſas, genannt hatten. Es ſcheint ſich etwas beſſer er- halten zu haben, als die übrigen. Das Thor Haivan - Serai Kapuſſi, die Hyloporta der Griechen, befindet ſich in der Rich- tung gegen den Fanar und das goldene Horn, von welchem her die erſten Türken durch einen unterirdiſchen Gang in die Stadt ein- gedrungen ſein ſollen, um den Vertheidigern der Mauern in den Rücken zu kommen. – Die genauere Betrachtung dieſer Befeſti- gungs-Mauern läßt keinen Zweifel übrig, daß ſie aus verſchiedenen Zeiten her verſchiedenen Vertheidigungs-Syſtemen angehören. Wenn die Geſchichte berichtet, daß ſchon die älteſten griechiſchen Mauern zwiſchen zwei feſten Thürmen convex-concav, mit der Concavität zweckmäßig nach außen gerichtet, geweſen ſeien, ſo iſt davon heute keine Spur mehr vorhanden; ſie verfolgen ſämmtlich die gerade Richtung, wo nicht etwa die Krümmung des Terrains es anders gebot. Das Majeſtätiſche, welches poetiſche Beſucher in ihm ge- funden haben, mag der etwas erhabenen Lage zuzuſchreiben ſein, die davon herrührt, daß man die Hauptmauer auf einem Erdwalle er- richtete. Die Mauerhöhe ſelbſt iſt nicht ausgezeichnet. Alle Be- ſchreiber dieſer Befeſtigungen ſprechen von drei Mauer-Linien; ich habe aber an einigen Orten deutlich die Spuren von vier ſolcher Linien geſehen. Außerhalb der Haupt-Mauer und ihrer theils vier- eckigen theils halbrunden Thürme verläuft auf etwas niedrigerem Boden eine zweite, von viereckigen nach Innen offenen Thürmen flankirte Mauer, die etwa zehn bis zwölf Fuß hoch iſt; ſie ſoll von Apopankus im Jahre 1344 erbaut worden ſein. Tiefer noch, unmittelbar an dem inneren Rande des tiefen Grabens, läuft eine kaum mannshohe, vielfach eingeſchnittene Mauer ohne Thürme, die offenbar der Hand-Vertheidigung gegen den über den Graben vordringenden Feind beſtimmt iſt. Endlich finden ſich noch außer- halb des Grabens Reſte einer Mauer, die jedoch weithin zerſtört iſt; ſie hat wahrſcheinlich zur Vertheidigung des Grabens ſelbſt dienen ſollen. – Der an manchen Stellen noch anſehnlich tiefe und breite Graben wurde von Leo Bardas, urſprünglich zum Schutze gegen die Angriffe der Bulgaren angelegt. Er iſt – 57 – gegenwärtig allenthalben trocken, und dient zu Gemüſe- und Frucht- Gärten, die jedoch ziemlich verwildert ausſehen. – Die bereits erwähnten verticalen Mauerriſſe gewähren bequem Gelegenheit, die verſchiedenen Formen der Conſtruction, die auf einander gefolgt ſind, genauer zu betrachten. Man überzeugt ſich leicht, daß die ſolidere, ebenmäßigere Grundlage allenthalben griechiſcher Abkunft iſt, woraus ſich denn die Angabe der Türken, daß Mohammed II. nach der Eroberung die Mauern von Grund auf neu gebaut habe, als eitle Prahlerei ergiebt. Daß übrigens die Erdbeben ſpeciell für Conſtantinopel ſtets eine zerſtörende Rolle geſpielt haben, beweiſt die Geſchichte dieſer Mauern ausführlich. Von ihrer Vollendung, am 12. Mai 317 n. Chr. an, befahl Conſtantin I. das Ge- burtsfeſt des neuen Rom an jenem Tage alljährlich zu feiern. Doch ſchon unter Theodoſius dem Jüngeren, im Jahre 413, ſtürzte ein gewaltiges Erdbeben dieſe Mauern um. Conſtantinus Cyrus, der Präfekt, leitete ihren Neubau ſo energiſch, daß er ſchon nach zwei Monaten vollendet daſtand. Als 1718 durch ein hef- tiges Erdbeben nicht nur das Thor von Adrianopel, ſondern auch die rieſigen Mauern der ſieben Thürme zuſammenbrachen, be- trachteten die Türken dieſe Zerſtörung als eine Strafe Gottes für den unrühmlich abgeſchloſſenen Frieden von Paſſarowiz. Immer noch ragt die Mauer auch heute bedeutend genug in die Höhe, um dem an ihrer Außenſeite Wandernden die Stadt, mit Aus- nahme einiger Kuppeln von Moſcheen und von ſpitzen Minarets, vollſtändig zu verdecken. – Nahe an ihrem weſtlichen Ende, an welchem ſie von der Höhe zu dem Juden-Viertel und dem goldnen Horn ſich hinabwendet, erſtiegen wir die Höhe eines kleinen grie- chiſchen Kirchhofes mit friſchen Gräbern und einigen Terebinthen- bäumen, um von dort aus den ſogenannten Pallaſt des Beliſar genauer zu betrachten. Dieſes länglicht viereckige hohe Gebäude liegt mehr an der inneren Seite der Hauptmauer, und erſcheint ſo gut erhalten, daß nur ein neues Dach aufgeſetzt zu werden brauchte, um es von Neuem bewohnbar zu machen. Selbſt die Giebelmauern ſtehen noch, die hohen ſchmalen Fenſteröffnungen liegen ſo dicht neben einander, daß das Ganze ein kaſernenartiges Anſehen erhält. Die Geſchichte dieſes widerſtandskräftigen Baues, der noch jetzt nicht ſelten von obdachloſen Menſchen benutz. werden ſoll, liegt vollſtändig im Dunkeln. Nicht weit davon erhob ſich ehedem der kaiſerliche Zºº – 58 – Pallaſt der Blachernen, in welchem die Paläologen reſidirten; von ihm iſt längſt jede Spur verſchwunden. – Von dieſer letzten Anhöhe ſtiegen wir ſodann zuerſt nordweſtlich, ſpäter in nördlicher Richtung in das Juden-Viertel Balata hinab, welches zwiſchen der gleichfalls nach Norden fortlaufenden hohen Mauer und dem öſtlichen Ufer des goldenen Horns liegt. Enge Straßen, dürftige, ſchmutzig ausſehende Häuſer, herumwandernde ärmliche Figuren mit zerlumpten Kleidern und erdfahlen Geſichtern machen einen nieder- ſchlagenden Eindruck; beſonders widerlich aber erſchien das Bild der höchſten Vernachläſſigung in mehreren jungen Frauen, ſowie in einigen Gruppen von Menſchen jedes Alters und Geſchlechts, die wir durch die offenen Fenſter am Boden ihrer Zimmer kauern ſahen. Neben dieſen Abbildern der höchſten Dürftigkeit fiel es in- deſſen um ſo mehr auf, durch keinen Bettler beläſtigt zu werden, wie dies doch in einigen türkiſchen Quartieren vorkommt, wo ich ſogar mehrmals von vermummten alten Frauen angebettelt worden bin. Auch bewegten ſich einige alte wohlgekleidete Juden im Kaf- tan, mit langem weißen Barte, ebenſo mehrere ganz anſtändig auf- tretende ältere Frauen auf den Straßen herum. So abſchreckend der im Allgemeinen hier empfangene Eindruck auch ſein mag, ſo bleibt doch immer noch ein Reſt von Decenz übrig, welcher den Exceß von Ekel nicht verdient, den T. Gauthier und Andere darauf geworfen haben. Das auf der weſtlichen Seite des goldnen Horns gegen die Anhöhe von Pera hinaufſteigende zweite Juden- Viertel, Chaßköi, konnte ich perſönlich nicht beſuchen. Ober- halb des letzteren auf der Höhe liegt der gemeinſchaftliche Begräb- nißplatz der Juden, deſſen zahlreiche rohe Denkſteine weithin ſicht- bar ſind. Auffallend ſticht der unmittelbar auf das Juden-Quartier fol- gende griechiſche Fanar von jenem ab; er enthält nämlich zahl- reiche aus ſtarken Quaderſteinen feſtungsartig aufgeführte Häuſer nahe am Ufer. Nach der Straße zu ſind ſie mit wohlverſchloſſenen Thüren und eiſernen Fenſtergittern verſehen. Dabei tritt an ihrer Außenſeite das Streben, jeden Glanz zu vermeiden, ſichtlich hervor. Weniger bemerklich iſt dies der Fall bei einer Anzahl neu gebauter Häuſer, welche vor nicht langer Zeit ein großer Brand zerſtört hatte; dieſe machen durch ihre leichteren architectoniſchen Formen, die vorſpringenden- Balcone und lebhafteren Farben einen vortheil- – 59 – haften Gegenſatz zu den Nachbarn aus der grauen Vorzeit. Offen- bar ſpiegelt ſich die größere Sicherheit des Beſitzes in der Neuzeit, im Verhältniſſe zu der Unſicherheit des Erworbenen während der früheren Türken-Herrſchaft, in dieſen verſchiedenen Bauſtylen ab. Selbſt der widerliche Schmutz in den Juden-Vierteln iſt häufig nichts als die Folge einer weit getriebenen Vorſicht gegen äußeren Schein von Wohlhabenheit, der zum Raube reizen könnte. Der Schein von Reichthum, der auf dem Fanar ruht, deutet Seitens der türkiſchen Regierung wahrſcheinlich auf eine Begünſtigung hin. – Nahe an der mittleren Brücke über das goldene Horn traf ich auf das Viertel der Schiffbauer. Von den Docks deſſelben gehen die zahlreichen Barken und Kaiks Conſtantinopels aus. Wir hatten bis hierher immer noch die alte hohe Stadtmauer zur Rechten be- halten, ſo daß wenigſtens zwei Reihen der letzterwähnten Häuſer außerhalb derſelben am Waſſer liegen. Endlich bogen wir von jenen ab und gelangten nun ſehr bald zu der Brücke Mahmud's, welche dieſer, um ſich ein fortdauerndes wohlthuendes Andenken bei den Einwohnern zu erhalten, über das goldene Horn erbaut, auch mit Fonds zur Unterhaltung ſo ausgeſtattet hat, daß hier kein Brückenzoll gezahlt zu werden braucht, wie dies bei den übrigen nachbarlichen Brücken der Fall iſt. – Dem weſtlichen Ende jener Brücke gegenüber liegt, nahe am goldnen Horn, eine große Militär- Caſerne, aus der uns luſtige Muſik entgegen ſchallte. – Von die- ſem Punkte aus ſteigt die Anhöhe von Pera ziemlich ſteil auf- wärts; den beſchwerlicheren Theil dieſes Weges legten wir noch zu Pferde zurück, und erreichten hierbei die von den Genueſen er- baute ſtarke Feſtungsmauer, welche Galata von dieſer Seite her, alſo gegen Pera zu, umſchließt. Sie deckt dieſen ſehr ausge- dehnten und gewerbreichen Stadttheil nach andern Richtungen gegen Kaſſim - Paſcha und Top - Hané, ſo daß ſie nur den gegen das goldne Horn und den Bosporus gerichteten Theil dieſes Em- porium's des Handels freiläßt. Sie wurde Conſtantinopel gegen- über, den ohnmächtigen griechiſchen Kaiſern zum Trotze erbaut, und ihre Feſtigkeit iſt ſelbſt durch Erdbeben noch nicht erſchüttert worden. An die ernſte Mauer hatte ſich ein zum Frohſinn aufforderndes Weinhaus angeſiedelt, in deſſen Nähe ſich eine Geſellſchaft von jungen Maltheſern mit dem Spiele des Kugelwerfens beluſtigte. Der Thurm zu Galata und der Thurm des Seraskiers. – Beide Thürme bilden die höchſten von Menſchenhänden errich- teten Bauwerke, der erſtere für die fränkiſchen Vorſtädte, der letztere für das eigentliche Conſtantinopel. – Der von den Genueſen wäh- rend einer Fehde mit den Byzantinern aufgerichtete Thurm zeichnet ſich durch enorm ſtarke und feſte Mauern aus. In ſeinem Innern führen 146 Stufen bis zu dem Raume hinauf, welchen eine Feuer- wache ſtets einnimmt. Der Thurm liegt auf einem Felſenvorſprunge der öſtlichen Seite der Anhöhe und gewährt daher von ſeinem Höhepunkte eine vortreffliche Anſicht von dem nahen Galata, dem goldnen Horn mit dem Hafen, beſonders aber von dem gegenüber liegenden Conſtantinopel. – Der ſogenannte Thurm des Seras- kiers hat auf der Höhe von Conſtantinopel eine ungleich unehr do- minirende Lage in der unmittelbaren Nähe des Pforten-Pallaſtes. Von ſeiner Höhe aus, die gleichfalls von einer Feuerwache einge- nommen wird, genießt man eine beinahe unumſchränkte Ausſicht, nicht nur auf das ganze Conſtantinopel und die ihm weſtlich gegen- über liegenden Franken-Vorſtädte, ſondern auch auf den Bosporus bis in die Nähe des ſchwarzen Meeres, die Propontis mit den Prinzen-Inſeln und auf die Weſtküſte von Kleinaſien mit Sku- tari, Kadi- Köi, bis zu dem fernen bithyniſchen Olymp und weiter. Man ſieht ſich hier oben alſo im Stande, allmählig eine Reihe von hervorragenden Punkten Europas und Aſien's zu durch- muſtern, die ſowohl an maleriſcher Wirkung als an hiſtoriſchem Intereſſe kaum irgendwo ihres Gleichen haben dürften. Leider iſt die Atmosphäre auf dieſem hohen Punkte ſelten ſo ruhig, als es ein ungeſtörter Genuß fordern muß; ſo wurde dieſer auch mir durch heftigen Luftzug gar ſehr erſchwert. Dagegen kommen die Männer der Feuerwehr den fremden Beſuchern freundlich entgegen, indem ſie Kaffe zur Erfriſchung anbieten. Dieſen ungemein ſoliden Bau hat Sultan Mahmud aufführen laſſen, nachdem er 1749 mit dem nahen Pallaſte zugleich abgebrannt war. – Die große Stadt bildet, von oben herab geſehen, mit ihren vielen engen nnd krummen Gaſſen einen ſchwer zu entwirrenden Kuäuel von Häuſern und Dächern, unter denen ſich jedoch die Moſcheen mit ihren hohen Domen und Minarets, ſowie die zahlreichen Kuppeln der niedrigen öffentlichen Gebäude, welche in ihrer Nähe angelegt ſind, auf ganz eigenthümliche, in keinem andern Orte wiederzufindende – 61 – Weiſe hervorheben. Inſofern iſt dieſer Blick auf Conſtantinopel aus der Vogel-Perſpective ungleich belohnender, als der von der Höhe der Paulskirche zu London, – wobei man noch zu erwägen hat, daß es Meeres-Arme ſind, die man von dem Thurme des Seras- kiers aus Europa und Aſien zugleich umſchlingen ſieht. Das alte und das neue Serail (Serai). – Das alte Serail wurde von dem Eroberer Mohammed II. noch im Jahre der Eroberung ſelbſt auf den weit umfaſſenden Raum gebaut, den das Forum des Theodoſius und das von Leo dem Großen errichtete Palatium oder Capitol bis dahin eingenommen hatten. Der urſprüngliche türkiſche Bau war ein ſo weitläuftiger, daß er denſelben Raum umſchrieben haben mag, den die urſprüngliche Stadt des Byzas auf demſelben Punkte der Erde einnahm. Doch ſchon Sultan Suleiman der Große beſchränkte den übermäßigen Umfang bei Gelegenheit der Errichtung ſeiner Moſchee und der daran ſtoßenden Gebäude. Es mag zweifelhaft bleiben, ob das Vorhandenſein des griechiſchen Capitols die Veranlaſſung gegeben hat, das Serail hierher in die Nähe des Meeres zu legen. Aber nicht verkennen läßt es ſich, daß kaum eine köſtlichere Lage für einen Herrſcherſitz aufgefunden werden konnte, als die hier vorhandene. Indem der Boden Conſtantinopels ein unregelmäßiges Dreieck dar- ſtellt, iſt es die Spitze dieſes, welche jener Bau einnimmt. An jener Spitze gehen die aus dem ſchwarzen Meere hergelangten Waſſer des Bosporus in die der Propontis, des Marmara-Meeres, über, um dem Lande von zwei Seiten des Dreiecks her ſtets er- friſchende Seeluft zuzuführen. Gegenüber in der Nähe breitet ſich die Küſte Kleinaſiens mit Scutari und dem hohen Bulgurlu aus. Sämmtliche Schiffe, die aus dem ſchwarzen in das weiße Meer oder umgekehrt, fahren, müſſen dieſe Landſpitze paſſiren. Ein auf ihr in glücklicher Stellung erbauter Kiosk, der den Namen von Bagdad trägt, mag den Beſuchenden durch ſeine großartigen und zugleich lieblichen Umgebungen wohl zu bezaubern vermögen, wie es Hrn. v. Grimm*) geſchah, der ſo glücklich war, ihn betreten zu dürfen. Aus der Ferne her zieht jeder dieſer, dem Herrſcher gehö- rigen Theile der Stadt, die Aufmerkſamkeit des Beſchauers mehr durch die zahlreichen Bäume, als durch hervorragende Gebäude auf ſich. *) A. a. O. Th. III. S. 26. – 62 – – Der Beſuch des alten Serails ſowie des Pforten-Pallaſtes wird auch jetzt noch nur durch Erlangung eines Ferman möglich, den man durch Vermittelung der Geſandtſchaft einzuholen hat. Die Zeiten ſind vorüber, wo die Beſucher nur „wie Diebe in der Nacht“ den Eintritt finden konnten; eine Expedition der Art, wie ſie uns Hr. Hackländer*) aus dem Jahre 1840 beſchreibt, hat in der That etwas Myſteriöſes. In der erſt erwähnten Weiſe be- ſuchte ich dieſe, eine abgeſonderte Stadt darſtellenden Gebäude in der angenehmen Geſellſchaft von drei Deutſchen Reiſenden, mit denen derſelbe Gaſthof mich zuſammen geführt hatte. Der Eingang wird dadurch erleichtert, daß ſeit Sultan Suleiman der Harem des Großherrn aus dem alten Serail verlegt wurde, wogegen die Frauen der verſtorbenen Sultane bis auf den heutigen Tag, unter der Aufſicht von gleichfalls ausgedienten Eunuchen, ihren Aufenthalt hier nehmen müſſen. Aus dieſem Grunde ſcheint ſeit der Zeit Sultan Mahmud's hier nichts Weſentliches verändert worden zu ſein, denn ich fand die ziemlich ausführlichen Beſchreibungen, welche uns v. Hammer*), Hackländer*) und v. Grimm*) gegeben haben, auch gegenwärtig noch ganz zutreffend. Der Eindruck, den die hier ſich den Eintretenden darbietenden fremdartigen und inter- eſſanten Gegenſtände hervorbringen, muß freilich nach der Individua- lität jedes Einzelnen ein ſehr verſchiedenartiger ſein. Das äußerſte große Thor, durch welches unſere kleine Geſell- ſchaft eingeführt wurde, verdient den Namen einer „hohen Pforte“ vollkommen, der ſich von hier auf die Regierung ſelbſt übertragen hat; diplomatiſche Aktenſtücke bedienen ſich ſeiner ja heute noch ganz gewöhnlich. Dieſe hohe Pforte liegt außerdem auf dem ober- ſten Abſchnitte der verſchiedenen Hügel von Conſtantinopel. Wenn man ſich erinnert, daß die Tempel des Poſeidon und der Aphro- dite, welche Byzas bei der erſten Anlage der Stadt erbaute, wahrſcheinlich auf dieſer Höhe gelegen haben, – weil die Alten ſolche Höhepunkte am Meere für ihre Tempel vorzugsweiſe gern benutz- ten, ſo wird man ſich eines Schauders um ſo weniger erwehren kön- nen, indem man nun die Niſchen betrachtet, in welchen ſeit 1453 ſo *) A. a. O. Bd. I. S. 322 u. f. *) Daguerreotypen. Bd. I. Stuttgart, 1842. S. 210. **) A. a. O. Th. II. S. 12 u. f. zahlreiche abgeſchlagene Köpfe unglücklicher Verurtheilter zur Schau ausgeſtellt wurden. Vier Jahrhunderte lang hat die Barbarei einen der ſchönſten Punkte der Erde zum Henkerplatz umgeſtempelt. Die aus Weſten unaufhaltſam vordringenden milderen Sitten haben indeſſen unter der gegenwärtigen Regierung auch hier eine wohlthuende Veränderung hervorgebracht. Die oben erwähnte hohe Pforte führt in den Complex von Staats-Gebäuden ein, der ſeit Sultan Su- leiman das neue Serail heißt. Die von dem Eroberer Mo- hammed II. urſprünglich angelegten Frauen-Wohnungen haben aber bis heute den Namen des alten Serail behalten. Der unter dem zweiten oder mittleren Thore wohnende Henker mag jetzt ſelten Gelegenheit haben, ſein blutiges Handwerk zu üben; wir ſahen die Grauen erregenden Niſchen leer. – Auf dem weitläuf- tigen erſten Hofe fanden wir nichts, was unſer Intereſſe ſpeciell in Anſpruch genommmen hätte; in Ergebenheit wartende Diener und Thiere nahmen ihn hier und da ein, – wir durchſchritten ihn daher ohne Aufenthalt. Der zweite Hof iſt dagegen mit einer ſchönen Baum- Allee bepflanzt, zum Theil auch gepflaſtert; ein Säulengang um- giebt ſein Inneres. Das Thor, welches in den dritten oder inner- ſten Hof führt, heißt das Thor der Glückſeligkeit, weil auf ihm zur Linken der Audienzſaal des Großherrn liegt, in welchem bei feierlichen Gelegenheiten, z. B. bei dem Empfange fremder Ge- ſandtſchaften, die Vorgeſtellten des Glückes theilhaftig werden ſollen, das Angeſicht des Beherrſchers der Gläubigen zu ſchauen. Jahr- hunderte lang hat ſich indeſſen dieſe Glückſeligkeit unzählige Male in Tod, Gefängniß oder Verbannnng umgewandelt, wenn die Vor- geſtellten das Mißgeſchick hatten, dem Herrſcher zu mißfallen. Der er- wähnte Audienzſaal nahm mithin unſere beſondere Aufmerkſamkeit in Anſpruch; er verdient mehr den Namen eines Audienz-Zimmer's, wegen ſeines verhältnißmäßig geringen Umfanges und ſeiner niedrigen Decke. Dieſes Zimmer empfängt ſein Tageslicht durch ein einziges vergittertes Fenſter, ſo daß man die in ihm vorhandenen Gegen- ſtände nur im Halbdunkel erblickt. Koſtbare Teppiche decken den Boden und den Thron des Sultans, ſowie eine Art Divan mit einem von vier Säulen getragenen Baldachin. Die Säulen ſind mit Edelſteinen eingelegt, jedoch in geſchmackloſer Manier. Daſſelbe gilt von Figuren, die an den Wänden herum mit Perlmutter, La- ſur und Edelſteinen verziert zu ſehen ſind. Alle Gegenſtände – 64 – erſcheinen mit Vergoldungen überladen. Vor dieſem Throne genoſſen bisher die höchſten Beamten des Staates die Ehre, den Staub mit ihrer Stirn reiben zu dürfen, welchen der Fuß des Nachfolgers des Propheten ſo eben berührt hatte. Bei dem Zurückſchreiten durch das dritte Thor ſah ich mich vergebens nach den an dieſer Pforte wachthabenden weißen und ſchwarzen Verſchnittenen um, welche Hr. Hackländer hier noch mit Kaftan und ſpitzer Mütze bekleidet vorfand; letztere erſchien damals mit Pfauenfedern geziert. Die Alles nivellirende Zeit hat ſie hinweg genommen; die Künſtler, für welche ſich ehedem eine Reiſe hierher ſchon durch das Studium pittoresker Trachten belohnte, wandern jetzt faſt vergebens. Eine in der Seitenwand des zweiten Hofes befindliche ſchmale Thür gewährte uns den Eingang zu den Gärten des Serails und zu der Reſidenz der alternden Franen ehemaliger Sultane, ſowie der ſie bewachenden Eunuchen, – deren Amt wahrſcheinlich geringe Schwierigkeit mit ſich führt, denn wir bemerkten nirgendwo irgend eine Bewegung hinter einem Gitterfenſter, welche auf das Lauſchen eines Frauenkopfes hätte hindeuten können. Ueberhaupt hatte ſich eine bedeutungsvolle Stille über dieſe Räume ausgebreitet; kauin der Ton eines Vogels ließ ſich in den Gärten verneinen. Die Benennung des alten Serail, gleichſam des „veralterten“, erſcheint dadurch für dieſe Abtheilung um ſo geeigneter. – Ein großes Vier- eck von niedrigen Gebäuden umſchließt den Garten, welcher der umfangreichſte iſt. Dieſe verſchiedenen Gärten enthalten einzelne ſchöne Cypreſſen und Platanen; aber die Gebüſche von Roſen und Jasminen gewähren ein verwildertes Anſehen, und ſorgfältig unter- haltene Raſen-Parquets würde man hier vergebens ſuchen. Die Lieblingsblume der Türken, die Tulpe, ſoll im erſten Frühling mit der Hyazinthe die vorzüglichſte Zierde bringen. – Unſere Schritte wiederhallten einſam in einem langen und ſchmalen Corridor, der durch runde Fenſter mäßig beleuchtet erſchien. Und doch bedeutete man uns, daß die auf ihn ausmündenden Thüren ebenſo viele Ein- gänge zu den Gemächern der hier in freudenleerer Stille langſam hinſterbenden Damen bildeten. Die den Fenſtern gegenüber liegeude lange Wand fanden wir mit zahlreichen Lithographieen in einer fortlaufenden Reihe bekleidet, die ſämmtlich aus pariſer Werkſtätten hervorgegangen waren. Sie ſtellten großentheils Scenen aus dem Leben Napoleon's I. dar, was wenigſtens auf verſöhnliche Geſin- – 65 – nungen hindeutet, wenn man das Unheil erwägt, welches Napo- leon den Muſelmännern in Egypten zufügte. Da ſchon v. Grimm im Jahre 1837 dieſelben werthloſen Bilder hier vorfand, ſo ergiebt ſich daraus zweifellos, daß man auf wechſelnde Unterhaltung und Zerſtreuung der bei rauher Witterung in dieſen Gängen wandelnden Damen ſehr geringe Rückſicht nimmt. – Die Gemächer des Sul- tans, welcher ſie faſt nie beſucht, werden deſſen ungeachtet in ele- ganter Ausſtattung ſtets unterhalten. Sopha's mit ſchweren Seiden- ſtoffen überzogen, auffallend ſchöne Spiegel, Hängelampen von ver- goldeter Bronze, reiche Fenſtervorhänge, deuten auf ihren Urſprung aus dem fernen Weſten, wahrſcheinlich aus Paris, hin. Weißer Marmor iſt reichlich verwendet, beſonders zu den in eigenen Ka- binetten aufgeſtellten Badewannen und Waſchgefäßen verſchiedener Formen, deren alltäglich mehrmals wiederholter Gebrauch eine der nützlichſten Vorſchriften des Korans iſt. – Durch einen Säulen- gang wurden wir zuletzt in einen zauberiſch ſchön gelegenen, jedoch ſchlecht unterhaltenen Garten geführt, in deſſen Mitte ſich eine einzeln ſtehende hohe Marmorſäule erhebt, die offenbar griechiſcher Abkunft iſt. Die Statue des Theodoſius, welche ſie zu tragen ehedem beſtimmt war, iſt mit dem griechiſchen Reiche gleichzeitig geſtürzt. Ich bin verwundert, dieſes geſchichtlich intereſſanten Mo- numentes ſo ſelten von Vorgängern erwähnt zu finden, – vielleicht weil ihnen der kleine Platz verſchloſſen blieb. Die Säule wurde von Theodoſius zum Andenken an den Sieg über die Gothen im 4. Jahrhunderte errichtet. Sie heißt deshalb auch heute noch die Gothiſche. Hr. G. L. Kriegk*) hat jüngſt eine kleine Skizze von ihr geliefert. Einige herrliche alte Bäume bezeichnen den Raum außerdem. Das Gebäude, in welchem die Berathungen der Miniſter der Pforte abgehalten werden, ſelbſt wenn in ihnen der Sultan per- ſönlich den Vorſitz führt, – in dem auch die einzelnen Miniſter ihre Audienzen ertheilen, liegt ſüdlich von der hohen Pforte, außer- halb der Ringmauern derſelben, doch mit ihr auf der nämlichen Anhöhe. Es iſt ein weitläuftiges, mit langen und breiten Corridoren ausge- ſtattetes Gebäude, in welchen die des Beſcheides Harrenden ſich *) Weſtermann's illuſtrirte Monatshefte. Bd. 4. Braunſchweig, 1858. S. 403. – 66 – - aufhalten. Es entbehrt jedoch faſt ganz des Schmuckes und der ſorgfältigen Ansführung, die wir im Weſten an Bauwerken der Art zu ſehen gewohnt ſind. Man führte uns in den Salon, welcher zur Abhaltung der Miniſterconſeils beſtimmt iſt. In ſeiner inneren Einrichtung fand ich genau dieſelbe Phyſiognomie, welche dergleichen ähnlichen Zwecken beſtimmte Räume bei uns zu zeigen pflegen. Sogar mit Saffian überzogene Seſſel und der ovale, mit grünem Tuche behangene Tiſch fehlte nicht, offenbar ein Reſultat des wieder- holten Aufenthaltes der Mehrzahl der gegenwärtigen Miniſter in den verſchiedenen Hauptſtädten Europas. Der Hügel, welchen dieſes Gebäude krönt, bildet auf der Südweſtſeite einen mit Bäumen bepflanzten Abhang, unter welchen die Pferde und Diener der oben beſchäftigten Herren dieſe zu erwarten pflegen. In der Ebene fol- gen dann die ſchon erwähnten weitläuftigen Gemüſe- und Obſtgärten des Sultans, deren ſaftiges Grün auf eine ſorgfältigere Unterhal- tung in erfreulicher Weiſe hindeutet. – Die große Sammlung von osmaniſchen Waffen und Trophäen, welche Reiſende, die für der- gleichen Dinge ſpecielles Intereſſe haben, zu beſuchen pflegen, be- findet ſich in der ehemaligen Kirche der h. Irene. Dieſe uralte, durch die erſten Andeutungen zum Spitzbogen-Styl architektoniſch beachtenswerthe Kirche verdankt ihre Erhaltung wahrſcheinlich der Beſtimmung, welcher ſie hingegeben wurde. Seitdem die Türken ſelbſt Anfangs 1859 den Kalkanſtrich weggewaſchen haben, mit welchem ſie ein aus Gold-Moſaik in die Wand eingefugtes großes Kreuz, nebſt einer gut erhaltenen goldenen griechiſchen Inſchrift, be- pinſelt hatten, ſo hat der Beſuch dieſes Gebäudes auch für Ge- ſchichtsforſcher mehreres Intereſſe erhalten. Die Bazar's und Beſeſtan's. – Den Beſuch der Bazar's oder offenen Marktplätze, und der Beſeſtan’s, d. h. der mit leichten Gewölben überdeckten langen Gallerieu von Kaufläden, ver- ſparte ich bis zum Tage vor der Abreiſe, um zugleich mit freund- licher Hülfe eines ſachkundigen deutſchen Freundes, des in Ga- lata angeſiedelten Hrn. Fr. Neef aus Solingen, dort einige Einkäufe für die Heimath zu machen. Wer ethnographiſche Stu- dien der verſchiedenſten orientaliſchen Völkerſtämme in einem eng begränzten Kreiſe zu machen wünſcht, wird dazu in dem ſchwer zu beſchreibendeu Menſchengewimmel dieſer Märkte reiche Gelegenheit finden, – ſofern es ihm gelingt, einen dazu geeigneten ruhigen – 67 – Standpunkt zu finden, aus welchem Laſtträger, Pferde, Eſel, zahl- loſe Hunde, berittene Beamte, wandernde Verkäufer, vermummte Weiber u. ſ. w. ihn nicht verdrängen können. Wer das Straßen- gedränge zu London, Neapel und Paris glücklich überwunden hat, darf ſich auf ſeine Kunſtfertigkeit in dieſer Hinſicht nichts zu Gute thun, ſo lange ihm daſſelbe nicht in Conſtantinopel gelungen iſt. In jenen Städten wird der Fußwanderer wenigſtens durch ein geebnetes Straßenpflaſter, wohl auch durch Trottoirs, bei eintretender Dunkelheit ſogar durch Gasbeleuchtung unterſtützt. Von alledem findet ſich hier nichts. Was man hier Straßenpflaſter nennt, ſind einzelne, hier und da unregelmäßig ausgebreitete Steine, zwiſchen denen ſich kothige Pfützen hindehnen, in welchen nicht ſelten Hunde- Familien von ihren nächtlichen Streifereien ausruhen, unbekümmert wegen des ſie umſchwirrenden Lärmens. Der Hauptbeſeſtan von Con- ſtantinopel wurde während der Anweſenheit der franzöſiſchen Trup- pen von deren Arbeitern mit regelmäßigen Steinplatten kunſtmäßig gepflaſtert und mit Trottoirs verſehen. Kaum zwei Jahre waren ſeitdem verfloſſen und ſchon zeigten ſich allenthalben Defekte, an deren Ausbeſſerung keine Straßenpolizei denkt. Das Bedürfniß für dergleichen Bequemlichkeiten iſt in dieſem Volke eben noch nicht erwacht; von Nachahmung in anderen Bazars oder Straßen iſt deshalb auch nirgends eine Spur zu finden. In großer Gelaſſenheit kämpfen mit den daraus entſtehenden Unbequemlichkeiten altgläu- bige Türken mit langem Barte, Turban, Kaftan und Pantoffeln an den bloßen Füßen; neumodiſche Türken in eng anliegender Uni- form, mit dem Feß auf dem Kopfe und Stiefeln an den Füßen; bis über die Naſe vermummte Weiber, mit ſackähnlichem Mantel umhüllt und ſchlurfende Pantoffeln an den Füßen, in ſehr ungra- ziöſer Haltung die offenen Kaufläden neugierig durchmuſternd; ſchlank und hoch gewachſene Perſer mit tief gebräuntem Geſichte und ſcharf geſchnittenen Zügen, die kegelförmige hohe, ſchräg oben abgeſchnittene Pelz-Mütze auf dem Kopfe; den letzteren nicht unähnlich gekleidete Kaukaſier, auf den erſten Blick kenntlich jedoch durch eine Art Waffen- rock, an deſſen vorderer Bruſtſeite rechts und links eine Reihe von Patronen-Futteralen angebracht, auf ſtete Kampfbereitſchaft hin- deutet, – ſämmtlich hochgewachſene ſtark muskulöſe Figuren mit hochgewölbter Bruſt und dem regelmäßigen kaukaſiſchen Geſichts- typis; ernſte Armenier, von der Kopf- bis zur Fußbekleidung – 68 – ſchwarz, den berechnenden, durchdringenden Blick im Auge; ſchnell bewegliche, liſtig umſchauende Griechen, meiſtens mit ſchönen gro- ßen Augen, Augenbrauen, fein geſchnittenem Munde und gerader Naſe, im weſteuropäiſchen Oberrock, langen, engen Beinkleidern, Stiefeln und den etwas hohen rothen Fes mit blauem Büſchel auf dem Kopfe; – alle an ſich vorüberſchreitend, ſcheinbar ohne irgend eine Notiz von ſich zu nehmen. Unterſetzte breitſchulterige Laſtträger tragen keuchend enorme Laſten mittelſt einfacher Vorrichtung auf dem Rücken; oder es haben ſich zwei derſelben durch zwei lange ſtarke Stäbe mit einander verbunden, deren Jeder auf den gleich- namigen Schultern der beiden Männer ruht, ſo daß nun an dieſe beiden Stäbe die ſchweren Laſten angehängt werden können, mit welchen ſie auf den engen krummen Gaſſen ſo eilig daher ſchreiten, daß es keine leichte Aufgabe iſt, ihnen ſtets zu rechter Zeit auszu- weichen. Pathetiſch wandert hier und da ein Derwiſch mit ſpitzer, zuckerhutartiger grauer Pelzmütze auf dem geſchorenen Haupte, im Kaftan dazwiſchen herum. Um das Gedränge zum Uebermaaße zu ſteigern, erſcheint noch eine mit vermummten Frauen oder mit Staats- beamten gefüllte Chaiſe, der ehrerbietig Platz gemacht werden muß; ſie trägt gewöhnlich Spuren von Vergoldung an ſich und ihre Form iſt der ähnlich, welche vor etwa hundert Jahren in den Haupt- ſtädten des weſtlichen Europa's gebräuchlich war. Iſt es gelun- gen, jene unſäglichen Beſchwerden zu überwinden, ſo fragt es ſich, ob man ſich einem türkiſchen, griechiſchen, armeniſchen oder jüdiſchen Berkäufer zuwenden ſoll. Nicht leicht wird ein Weſteuropäer, der Erfahrungen in Conſtantinopel geſammelt hat, hinſichtlich der Beant- wortung einer ſolchen Frage in Zweifel bleiben können. – Der Türke ſetzt einen feſten Preis auf ſeine Waare, von dem er nicht abgeht. Dieſer Preis iſt bisweilen hoch, aber doch in der Regel dem wahren Werthe entſprechend. Ich habe nie bemerkt, daß, wenn man die Forderung unangemeſſen findet, in ſeinen Geſichtszügen ſich nur der mindeſte Unmuth kund gegeben hätte. Mit der größ- ten Ruhe legt er ſeine verſchmähte Waare bei Seite. – Der Grieche iſt dagegen auf Abzüge gefaßt und übertreibt daher gern ſeine For- derung. Er iſt dabei eben ſo redſelig als der Türke ſchweigſam bei ihm muß man auf jede Liſt und Uebervortheilung ſtets gefaßt, ſein. – Bei den Armeniern habe ich in Bruſſa ein ähnliches Verfahren wahrgenommen; doch benehmen ſie ſich meiſtens ruhiger – 69 – und feſter als die Griechen. – Die orientaliſchen Juden ſind den occidentaliſchen in dieſer Hinſicht ganz ebenbürtig. Lautes Gezänk hört man in der Regel nur in den offenen Bazars; es pflegt ſich nur zwiſchen Juden und Armeniern der niedrigſten Klaſſe zu er- heben. – Erleichtert wird dem Käufer die Erreichung ſeines Zweckes durch den Gebrauch, daß die Kaufläden derſelben Waarengattung gewöhnlich in einer Reihe neben einander liegen; daſſelbe gilt von den Handwerkern, die in offenen Buden ihren Arbeiten obliegen und ſo eigene Gaſſen zu bilden pflegen. – Am meiſten auffallend, zugleich aber wohlthuend iſt mir in dieſem Sauſen und Brauſen Tauſender von Menſchenſtimmen die Erſcheinung geweſen, daß, ſo oft der Muezzim von dem Minaret zum Gebete ruft, die toſende Menge, wie von einem elektriſchen Schlage getroffen, plötzlich ſchweigt; die Strenggläubigen begeben ſich eilenden Fußes nach der nächſten Moſchee, um dort ihr Gebet zu verrichten; die, welche einem laxeren Ritus angehören, ſtehen wenigſtens ſtill und mnrmeln einige unver- ſtändliche Worte, indem ſie das Geſicht nach Süden (Mekka) wen- den. Eine ſo urplötzlich eintretende Beſchwichtigung des Lärmens würde kein Donnerruf in einer weſteuropäiſchen Marktſtraße zu Stande bringen können. – Der Prunk von eleganter Anordnung der ausgeſtellten Waaren, von Schaufenſtern, von abſchließenden Spiegelſcheiben, Gasbeleuchtung, iſt bis in die Läden von Conſtan- tinopel noch nicht vorgedrungen. Sie werden, ſobald das Dun- kel des Abends eintritt, verſchloſſen, und gewöhnlich ſind es einſache Tiſche, die ſtraßenwärts geſtellt, einen kleinen Theil der Waaren aufnehmen; der größere Theil derſelben liegt in Kaſten oder in Fachgeſtellen des Hintergrundes. Daß ſämmtliche Verkäufer nur männliche Individuen ſein können, verſteht ſich von ſelbſt. – Unter den gewölbten Hallen erregte meine beſondere Aufmerkſamkeit die den Gewürzen, Wohlgerüchen und Specereien eingeräumte. Sie heißt die Egyptiſche, weil die meiſten der hier ausgeſtellten Gegenſtände über Egypten aus Arabien und Indien kommen. Da die Orien- talen große Freunde von dergleichen Dingen ſind, ſo findet man hier ſtets einen ungemein lebhaften Verkehr. Pera und Galata. – Die Vorſtadt Pera liegt Conſtan- tinopel gegenüber, auf einem die nordweſtlichſte Seite des gold- nen Horns begränzenden Hügel, der ſich 330 über das Niveau des Waſſers des Bosporus erhebt. Die Wände deſſelben laufen nach – 70 – drei Seiten hin anſehnlich ſteil gegen das Ufer hinab und hierin mag der Grund liegen, daß der große Verkehr, namentlich der kauf- männiſche, ſich in Galata erhoben hat, welches zwar an dem- ſelben Hügel, aber dem Meere zunächſt, im Jahre 1082 n. Chr., urſprünglich von den Venetianern, unter Alexius Comnenus begründet wurde. Als dieſe ſich ſpäter übermüthig gegen den Kaiſer Manuel Comnenus benommen hatten, wurden ſie von ihm ver- bannt und an ihre Stelle die Genueſen zugelaſſen. Dieſe traten indeſſen bald in die Fußſtapfen der Venetianer, umſchloſſen, unge- achtet der Proteſtationen des Kaiſers, Galata mit ſtarken Feſtungs- mauern und bauten den ſchon erwähnten hohen Thurm, der durch ſeine große Feſtigkeit noch heute Bewunderung erregt und allen Erdbeben Trotz bot. Die Höhe des Hügels, das eigentliche Pera, ſcheint erſt nach dem Falle des griechiſchen Reiches bevölkert worden zu ſein, indem die Türken dort zuerſt dem Comnenen Drago, nachher auch anderen vornehmen griechiſchen Familien die Anſiedlung erlaubten. Daher heißt Pera bei den Türken auch Beg - joli, die Fürſten- ſtraße. – Erſt 1535, als Franz I. mit dem Sultan Sulei- man einen Handelsvertrag abgeſchloſſen hatte, wurde dort auch die Reſidenz der franzöſiſchen Geſandtſchaft feſtgeſtellt, der ſpäter die andern Geſandtſchaften folgten. Dennoch iſt die lange Hauptſtraße von Pera ſelbſt nur von reichen griechiſchen und einigen arme- niſchen Familien eingenommen, mit alleiniger Ausnahme der ruſſi- ſchen Geſandtſchaft, deren Pallaſt an der Nordoſtſeite der Straße liegt. Seit dem Ende des Jahres 1856 wird dieſe Hauptſtraße mit Gas beleuchtet. Bis dahin war es in Conſtantinopel allein der vor dem ueuen Pallaſte des jetzt regierenden Sultans liegende Quai, deſſen Gasbeleuchtung während der Dunkelheit einen magiſchen Ef- fect, durch den Wiederſchein der langen Reihe von Gasflammen auf dem dunkeln Meere machte. - Das engliſche Geſandtſchaftshôtel iſt maſſiver, ſolider, „abe ohne architektoniſche Eleganz, wenn auch innerlich wohnlicher auf- geführt. Man gelangt aber nur durch eine Nebengaſſe zu ihm und genießt ſeinen Anblick beſchränkter vom goldnen Horn und deſſen füdöſtlichen Ufer aus. Ein Park mit herrlichen großen Bäumen, der dem ruſſiſchen Hötel fehlt, dient ihm zur beſonderen Zierde, iſt jedoch mit einer feſtungsartigen Mauer umſchloſſen, welche an die – 71 – nicht fernen alten genueſiſchen Mauern erinnert. – Die Hötels der öſterreichiſchen und der franzöſiſchen Geſandtſchaft liegen mit kleineren teraſſenförmigen Gärten am nordöſtlichen Abhange des Hügels, nur von einzelnen begünſtigten Punkten aus bequem ſicht- bar. Die meiſten übrigen Geſandtſchaften wohnen zur Miethe; die preußiſche zur Zeit in einem ſchön gelegenen großen Gebäude am ſogenannten petit champ des morts, auf deſſen ehemaligen Grund und Boden es erbaut ſein ſoll, nachdem das Begraben inner- halb der Städte verboten worden iſt. Man genießt von ſeiner Südoſt-Fronte aus eine herrliche Ausſicht auf das goldne Horn, das Arſenal, Kaſſim - Paſcha und auf ganz Conſtantinopel. Die Gaſthöfe Pera's haben ſich während der letzten Zeit- periode zu der Höhe der weſteuropäiſchen zu erheben getrachtet und von dem Hôtel d'Angleterre darf man ſagen, daß es dieſes Ziel er- reicht hat. Es liegt auf einem der höchſten Punkte des Hügels und die Zimmer ſeiner Nordoſtſeite gewähren eine überraſchend ſchöne Ausſicht. Ebenſo iſt für Comfort aller Art, namentlich gute Speiſen, beſtens geſorgt. Aber eben deshalb findet man die beſſern Zimmer faſt ſtets beſetzt und ihre Preiſe ſetzen eine reichlich ge- füllte Börſe voraus. Solche, die auf ſchöne Lage ihrer Wohnung weniger Werth legen, finden leicht ein billigeres Unterkommen. An Speiſehäuſern mit erträglicher Bedienung fehlt es nicht. Die Wirths- häuſer von Galata ſind auf die Bedürfniſſe Geſchäftsreiſender berechnet und uur wenige von ihnen würden unſeren Gaſthäuſern dritten und vierten Ranges gleich geſtellt werden köunen. Im Jahre 1856 hatte ein unternehmender Franzoſe, Hr. Bacq, ein Kaffehaus nach franzöſiſcher Sitte eingerichtet; bei meinem Beſuche war man noch mit dem Ausbauen des oberen Stockwerkes beſchäf- tigt. Bei guter Wittterung verſammeln ſich Gäſte aus den ver- ſchiedenen Nationen auf dem viereckigen inneren Hofe, der nicht blos mit niedrigen Bäumen und Sträuchern, ſondern im Hinter- grunde auch mit einer kleinen Menagerie, beſonders Vögeln in Drahthäuſern, ausgeſtattet iſt, welche ſtets Schauluſtige herbeizieht. Die Bedienung fand ich prompt und billig, und ſo würde dieſes Unternehmen, wenn es guten Fortgang hat, einen anſtändigen Ver- einigungspnnkt für Beſuchende der gebildeten Klaſſen darbieten, eine Fundgrube zugleich für den Freund ethnographiſcher Studien. – 72 – Kaum dürfte man irgendwo auf der bewohnten Erde eine größere Mannigfaltigkeit von Sprachen und Dialekten hören kön- nen, als in dieſen beiden fränkiſchen Vorſtädten. Die italieniſche Sprache iſt ſeit der Zeit der Genueſen die vorherrſchende geblieben; ihr zunächſt folgen neugriechiſch, armeniſch, türkiſch, arabiſch, per- ſiſch, tartariſch, tſcherkeſſiſch, franzöſiſch, deutſch, engliſch, ruſſiſch, bulgariſch, ungariſch, ſpaniſch u. ſ. w. – Wer den Wunſch hegt, ſich praktiſch einen Begriff zu bilden von der Wirkung der Spra- chenverwirrung bei dem Thurmbau zu Babel, dürfte ſeinen Zweck am leichteſten in Pera erreichen. – Die zahlreichen Deutſchen haben in der jüngſten Zeit ein deutſches Caſino errichtet, deſſen Lokale ſich unfern des Hötels der engliſchen Geſandtſchaft, ſüd- weſtlich von der langen Hauptſtraße befindet. Als ich eines Abends dort eingeführt wurde, fand ich eine zahlreiche Geſellſchaft von Da- men und Herren, vor denen durch eine Liebhaber-Geſellſchaft zwei kleine Schauſpiele unter der Direktion eines ehemaligen Schau- ſpielers aufgeführt wurden, von deren Perſonen der Direktor und eine junge Dame ſich vortheilhaft auszeichneten. Drei Dilettanten trugen durch Vortrag eines Trio's für Fortepiano, Violine und Cello, zur Unterhaltung der Geſellſchaft bei. Der Speiſeſaal bot Genüſſe der Art reichlich dar, wie man ſie in Deutſchland zu fin- den gewohnt iſt. Die Munterkeit und Geſprächigkeit der Geſell- ſchaft deutete darauf hin, daß man ſich der Annahme orientaliſcher Sitten nicht ganz hat entziehen können. Jedenfalls iſt den hier zerſtreut lebenden Deutſchen Glück dazu zu wünſchen, daß ſie es vermocht haben, an einem von der Heimath ſo fernen Punkte die traurige Zwietracht deutſcher Stämme zu vergeſſen, die hier faſt ſämmtlich vertreten ſind. Möge die Vereinigung weiter und weiter gedeihen! Die Mehrzahl der Anweſenden ſchien dem Kaufmanns- ſtande anzugehören. Ich hörte den Abgang des ehemaligen preu- ßiſchen Geſandten in Conſtantinopel, Herrn Grafen v. Pourtales, noch heute lebhaft bedauern, weil er ſeine Salons der gebildeten deutſchen Geſellſchaft an gewiſſen Tagen regelmäßig geöffnet hatte. – Auch an einem Theater - Gebäude fehlt es Pera nicht. In der Regel iſt es von einer italieniſchen Geſellſchaft eingenommen. Am 26. September Abends wohnte ich dort einer Aufführung der Oper Sophia Miller von Verdi bei. Der Gegenſtand des Libretto dieſer Oper iſt Schiller's „Kabale und Liebe“ entnommen. – 73 – Zu meiner Ueberraſchung übertrafen die Leiſtungen der darſtellenden italieniſchen Geſellſchaft Vieles, was ich der Art in größeren Pro- vinzialſtädten Italiens gefunden hatte; die Titelrolle wurde ſogar ausgezeichnet geſungen. Dem Saale fehlte es freilich an der Ele- ganz und koſtſpieligen Ausſchmückung, die wir jetzt in unſeren Haupt- ſtädten zu ſehen gewohnt ſind: aber er iſt geräumig genug, und die ſceniſche Einrichtung lobenswerth. Die den Türken abgezwungene Gewährung des Schutzes, wel- chen die Conſuln fremder Nationen ihren Staatsangehörigen ver- leihen dürfen, erſchwert der türkiſchen Polizei ihr Amt ungemein. So konnte es noch Ende April's 1857 in Pera auf offener Straße und bei hellem Tage geſchehen, daß einem ehemaligen franzöſiſchen Militär, Namens Perdrix, der viele Beweiſe von Muth im Er- greifen von Dieben gegeben hatte, von Italienern ins Geſicht ge- ſchoſſen und ſeinem croatiſchen Begleiter der Arm zerſchmettert wurde. Die Angreifenden zogen ſich unaufgehalten durch einen zuſchauenden Menſchenhaufen zurück. Das Gute ging indeſſen aus dieſem zu laut ſchreienden Vorfalle hervor, daß auf Andringen der fremden Geſandten ſich die türkiſche Polizei endlich entſchloß, einen Haufen ſchlechten Geſindels ergreifen, einſchiffen und nach Tri- polis bringen zu laſſen, wo für ihre Feſthaltung geſorgt wird. Im Juni 1857 wurde es nöthig, die Vorſtädte Conſtantinopels in Be- lagerungszuſtand zu verſetzen, um ſich der Räuber bemächtigen zu können, die unter dem Schutze jener Capitulationen überhand ge- nommen hatten. – Die wohlthätigſte Einrichtung, welche die Neu- zeit dieſen Städten bringen konnte, iſt die einer Munizipalität ge- weſen, die aus chriſtlichen Mitgliedern, namentlich mehreren Deut- „ſchen beſtehend, von einem türkiſchen Beamten, Kiamil-Be y prä- ſidirt wird. Dieſer neuen Behörde fällt die ſchwierige Aufgabe zu, das ſich hier hin- und herwälzende Menſchen-Chaos in Ordnung zu bringen. Dringend ſind ihr, nächſt dem vorhandenen guten Willen außergewöhnliche Kräfte zu wünſchen. Die Regierung ſoll die Ab- ſicht hegen, nach den Ergebniſſen dieſer erſten Munizipalität des türkiſchen Reiches, ähnliche Behörden in Conſtantinopel ſelbſt und in andern Städten folgen zu laſſen. Conſtantinopel iſt zu dieſem Zwecke in 14 Kreiſe eingetheilt worden, von denen Galata und Pera den ſechsten Kreis bilden. Sie wird ihre Anfmerkſamkeit zunächſt auf die Verbeſſerung des Straßenpflaſters, auf die Unter- 4 – 74 – ſuchung der Nahrungsmittel, ſodann auf die Sorge für richtiges Maaß und Gewicht, beſonders aber auf die Löſchanſtalten erſtrecken müſſen, bei welchen man bisher vorzugsweiſe Maurer und Zimmer- leute angeſtellt hatte, in deren Intereſſe es lag, daß möglichſt viele Häuſer abbrennen möchten. Daß jene Municipalität ſich das Ver- trauen der Regierung im Laufe der Zeit mehr und mehr zu er- werben gewußt hat, beweiſt der Umſtand, daß ſie es Anfangs Oc- tober 1859 wagen durfte, die türkiſchen Gräber im petit champ des morts*) nivelliren zu laſſen, obgleich der Volks-Unwille ſich dabei in bedenklichem Grade kund gab. Man ſchützte die Arbeiter ſogar durch ein Bataillon Soldaten und Kawaſſen. Ueberhaupt werden die Wohlthaten, welche der Hatti-Hü- majum allen Völkerſtämmen des türkiſchen Reiches verſprochen hat, hier unter der Mitwirkung der fremden Geſandtſchaften am Erſten zur Wahrheit werden. Freilich kann man es den orthodoxen Türken audererſeits kaum verargen, wenn es ihnen, dieſen Neuerungen gegenüber, ſchwer wird, den Namen ihrer Hauptſtadt Iſtambul, d. h. Fülle des Islam's, – zur Unwahrheit werden zu ſehen. Nach- dem nächſt dem griechiſchen und katholiſchen Cultus neuerdings auch dem evangeliſchen ſeine geſonderte Berechtigung von der Regierung zuerkannt worden war, ſind für letzteren mehrere Schulen mit ge- deihlichem Erfolge errichtet worden, zu denen ſogar eine Anſtalt, um Geiſtliche auszubilden, hinzugekommen iſt. Namentlich ſind es Armenier, die ſich ſeit einer Reihe von Jahren dem letzteren Cul- tus zugewendet haben. Die amerikaniſchen Miſſionare haben den Mittelpunkt ihrer Thätigkeit nach Bebek am Bosporus verlegt; dort befindet ſich ein Seminar zur Heranbildung von Seelſorgern, Schullehrern u. ſ. w. Die Frauen der verheiratheten Miſſionare, beſorgen eine Erziehungs-Anſtalt für Mädchen. Zu ſeiner Zeit iſt die Nachricht durch alle öffentlichen Blätter gegangen, daß auf dem allgemeinen evangeliſchen Kirchentage im Jahre 1857 zu Berlin ein zu dieſem geſendeter Armenier einen öffentlichen Vortrag in ſeiner Sprache, mit Hülfe eines Dolmetſchers, gehalten hat. Ein der ſchottiſchen Landeskirche angehörender Geiſtlicher von Salonichi in Macedonien theilte mir jüngſt mit, daß in Pera ein getaufter Türke chriſtliche Vorträge halte. Für dieſen chriſtlichen Türken, der *) Vergl. Gautier, Constantinople. Paris, 1854. pag. 80. – 75 – den Namen Williams angenommen hat, iſt ſogar in der Nähe eines Palaſtes des Sultans ein Miſſionshaus gebaut und 1859 eröffnet worden. Der Aufenthalt eines ſolchen abgefallenen Os- manli iſt dort dadurch möglich geworden, daß, auf den Antrag Lord Stratford's den Ankommenden von der Polizei nicht mehr der Name ihres Vaters abgefordert wird, wie dies ehedem geſchah. Durch dieſe Maßregel wird es der türkiſchen Behörde möglich, über eine ſtattgehabte Converſion hinweg zu ſehen. Man würde ſich in- deſſen täuſchen, wenn man für die verſchiedenen Arten des chriſt- lichen Cultus einen Zuwachs aus den Osmanen erwarten wollte. Was dieſen in der Hauptſtadt ihres Reiches von den Chriſten im Ganzen und Großen praktiſch vor die Augen geführt wird, iſt we- nig geeignet, ſie zu letzteren hinüber zu ziehen. – Im preußiſchen Staate wurde während des Jahres 1856 durch Collecten die Summe von 58,254 Thlr. pr. Ert. zur Errichtung von evangeliſch-deutſchen Schulen und Kirchen zuſammengebracht, deren Schutz von der tür- kiſchen Regierung zugeſagt worden war. – Nachdem bis dahin nur unter dem Schutze der öſterreichiſchen und franzöſiſchen Geſandtſchaft kleine chriſtliche Krankenhäuſer beſtanden hatten, wurde im October 1856 ein ſolches unter dem Schutze der preußiſchen Geſandtſchaft ſtehendes Hospital eingeweiht, welches, in der Nähe der langen Hauptſtraße von Pera liegend, theils in einem angekauften ältern, theils in einem neuerrichteten Gebäude beſtehend, bei meinem Be- ſuche 40 Betten darbot, die auch bereits großentheils mit Kranken verſchiedener Nationen und Religionsbekenntniſſe beſetzt waren; ich bemerkte unter ihnen einen ſchwarzen Matroſen aus Boſton und mehrere Holländer u. ſ. w. Die Pflege fand ich durch drei Dia- koniſſen, die aus der Mutteranſtalt zu Kaiſerswerth a. Rh. hier- her geſendet worden waren, trefflich geleitet. Ebenſo wurde der ärztliche Dienſt damals durch Hrn. Dr. Morris in ausgezeichneter Weiſe beſorgt. Bedauerlich iſt es für die letztere Anſtalt, daß dieſer für ſein Fachwiſſenſchaftlich begeiſterte und humane Arzt ſeitdem nach Berlin zurückgekehrt iſt.– Ein dort zuſammengetretener deutſcher Wohl- thätigkeitsverein beſtand, ſeinem eilften Jahresberichte zufolge, als 254 Mitgliedern; die Zahl der während des letzten Jahres im Hospital verpflegten Kranken war auf 296 geſtiegen, und ſo hatten ſich anch die Verpflegungskoſten ſeit einem Jahre um das Dreifache geſteigert. Ein deutſcher Frauen- und Jungfrauen-Verein nimmt ſich 4- – 76 – der Pflege der Armen und Kranken an, und ſo iſt denn in der letzten Zeitperiode ein trefflicher Anfang gemacht worden, den Türken die Religion der Liebe in ihren wohlthätigen Folgen werkthätig dar- zuſtellen. – Man iſt jetzt im Begriff, chriſtliche Kirchen in Pera und Galata neu zu begründen. Der Gebrauch von Glocken wird indeſſen in ſolchen Provinzialſtädten, wo die chriſtliche Bevölkerung das Uebergewicht hat, wahrſcheinlich eher erlaubt werden, als in der Hauptſtadt, deren fanatiſche Bevölkerung durch die ſeit vier- hundert Jahren dort verſtummten Glockentöne zu bedenklichen Re- actionen könnte aufgeſtachelt werden. – Beſonders erfreulich iſt es, daß um Pfingſten 1858 eine neu erbaute deutſch-evangeliſche Ge- meinde-Schule zu Pera eingeweiht werden konnte, was beſonders durch von Berlin her empfangene Unterſtützungen möglich geworden war. An dem Schulunterrichte nahmen in dieſem Jahre 76 Schü- ler Theil, unter denen, außer den evangeliſchen, ſich auch 28 katho- liſchen und 4 griechiſchen Bekenntniſſes befanden. Die Geiſtlichen der beiden letzteren Bekenntniſſe haben indeſſen ſeitdem Schritte gegen die Benutzung dieſes Unterrichtes Seitens ihrer Angehörigen thun zu müſſen geglaubt, obgleich ſie dieſen keinen Erſatz zu bieten vermögen. Der größere von den beiden chriſtlichen Kirchhöfen zeichnet ſich durch ſeine höchſt maleriſche Lage auf der Spitze des Hügels von Pera vortheilhaft aus, welche eine weitumfaſſende Anſicht der ge- ſammten großartigen Umgebung gewährt. Dieſer urſprünglich dem Frieden und der Ruhe gewidmete Platz iſt gegenwärtig der Ver- ſammlungsort der eleganten und müßigen Bewohner von Pera, welche Erheiterung, geſellſchaftliche Unterhaltung und freie Luft ſu- chen. Bei meinem Beſuche fand ich auf dem, dem weſtlichen Ende der Hauptſtraße von Pera zunächſt gelegenen Theile deſſelben eine zahlreiche Heerde von Kameelen gelagert, welche dort friedlich ihrer weiteren Beſtimmung entgegen harrten. Wenn man ſich erinnert, wie häufig Conſtantinopel ehedem das Opfer peſtartiger Krankheiten geworden iſt, die durch Schiffe von außerhalb eingeſchleppt worden waren, damit auch vergleicht, wie ſelten verhältnißmäßig dieſe jetzt auftreten, wie die echte orientaliſche Bubonen-Peſt dieſe Stadt kaum mehr erreicht, ſo kann man den Nutzen, welchen verſtändig eingerichtete Quarantäne-Anſtalten dem Orient gebracht haben, nicht ableugnen, ſofern man nicht theoretiſchen Spitzfindigkeiten zu Liebe ſich praktiſchen Ergebniſſen verſchließen – 77 – will. Schon der Umſtand, daß der Fatalismus der Türken auf dieſe wohlthätige Weiſe einen harten Stoß bekommen hat, ſollte die Män- ner, welche ein unbedingtes Verdammungs-Urtheil über jede Quarantäne ausſprechen, zu milderem Sinne anmahnen. Von den Auswüchſen, und Uebertriebenheiten der Quarantänegeſetze, wie ſie Hr. Brayer*), der aufmerkſame Beobachter der Contumaz-Anſtalten des Orients von 1826–1835, erfuhr, kann jetzt nicht wohl die Rede mehr ſein; mögen ſie in das Meer der Vergeſſenheit verſenkt werden. Eine milde, humane, zugleich energiſche Handhabung jener Geſetze wird aber namentlich für den Orient, bei der dort vorherrſchenden Mißachtung des Wohles der Nebenmenſchen, wo Handels-Vortheile im Spiele ſind, lange noch am rechten Orte ſein. Im Juli 1858 beſchloß der Sanitätsrath von Conſtantinopel, als ſich die Bubonen-Peſt in Bengazi geäußert hatte, daß die von dort anlangenden Provenienzen ſtatt einer fünftägigen einer zehntägigen Obſervanz in der Quaran- täne unterworfen werden ſollten. Die Provenienzen aus dem ſchwarzen Meere werden von dem Sanitäts-Büreau zu Kavak unterſucht und nach Maaßgabe des Inhaltes ihres Patentes be- handelt. Die Medicinalſchule. – Die Medicinalſchule zu Conſtan- tinopel wurde auf Befehl des gegenwärtig regierenden Sultans durch öſterreichiſche Aerzte gegründet und allmälig ausgebildet. Um die durch eingewurzelte Volks-Vorurtheile äußerſt ſchwierig gewordene erſte Anlage dieſes Inſtitutes hat ſich Hr. Dr. Bernhard das weſentlichſte Verdienſt erworben. Eine ausführliche Beſchreibung deſſelben haben wir dem Hrn. Dr. Spitzer zu danken, der die weitere Ausführung kräftig förderte. Der letzte orientaliſche Krieg hat freilich gezeigt, daß der ärztliche Dienſt des türkiſchen Heeres deſſenungeachtet ſehr mangelhaft war. Man wird jedoch erwägen müſſen, daß die in hohem Grade wünſchenswerthe Erhebung einer ſolchen höheren Bildungs-Anſtalt gar ſehr von der Stufe der wiſſen- ſchaftlichen Schulbildung abhängig bleiben muß, auf der die eintre- tenden Schüler ſtehen. So lange dieſelbe ſo kümmerlich ſich geſtaltet, als dies bisher der Fall war, würde man Unrecht haben, große Erwartungen zu hegen*). Selbſt die türkiſchen Regierungsbehörden *) Neuf années à Constantinople. T. II. Paris, 1836. pag. 367 sq. *) Vergl. Rigler, die Türkei. Bd. 1. S. 403. – 78 – bedienen ſich da, wo es auf ein gründliches ärztliches Urtheil an- kommt, in der Regel nur ſolcher Aerzte, die ihre Ansbildung auf weſteuropäiſchen Univerſitäten erlangt haben. In den meiſten volk- reichen Städten findet man griechiſche, ſeltener armeniſche, häufiger aber italieniſche, mitunter auch deutſche und franzöſiſche Aerzte, die jedoch in der Regel nur von ihren Religionsgenoſſen vollſtändige An- erkennung hoffen dürfen. Die Türken begnügen ſich, ſie in lebens- gefährlichen Krankheiten überhaupt nur einmal zu befragen, mehr, um über die Natur und den wahrſcheinlichen Ausgang des Uebels Auskunft, weniger jedoch Heilung zu erhalten. Der Fatalismus hindert ſie übrigens nicht, bei jeder Gelegenheit zu abergläubiſchen Geheimmitteln und Charlatans ihre Zuflucht zu nehmen*). Die ſeit wenigen Jahren errichtete kaiſerliche Akademie der Medicin zu Conſtantinopel beſteht faſt nur aus fremden Aerzten. Barken und ihre Führer. – Die am Meeresufer bereit liegenden zahlreichen Barken ſind, der Mehrzahl nach, von Türken, in der Minderzahl von Griechen oder Armeniern bemannt. Ein ſolches „Kaik“ iſt verhältnißmäßig zu ſeiner Länge ſchmal, der Kiel ziemlich ſcharf, das Hintertheil ſtumpf und ohne Steuerruder, das Vordertheil zugeſpitzt, ohne jedoch, wie bei den venetianiſchen Gondeln, geſchärft auszulaufen, nicht ſelten mit grobem Schnitz- werk verſehen und braun lakirt. Der Führer erkennt an der Art des Einſteigens ſogleich, ob er es mit einem Einheimiſchen oder Fremden zu thun habe. Man ſteigt zwar nicht, wie zu Venedig, rückwärts ein; dennoch fordert das Einſteigen mit nach vorwärts gewendetem Geſichte eine gewiſſe Gewandtheit Man muß, weit ans- ſchreitend, mit dem vorgeſetzten Fuße möglichſt genau die Mittel- linie des ſchmalen Fahrzeuges zu betreten ſuchen, weil dieſes im Nichtfalle heftig hin- und herſchwankt und allenfalls umſtürzen kann. Mit dem Nachziehen des zweiten Fußes verbindet man gewöhnlich das Niederlaſſen auf die bereit liegenden Kiſſen. Nur zwei Paſſa- giere können nebeneinander im Hintertheile Raum finden, wo ſich der Ehrenplatz befindet: die Dienerſchaft nimmt in der Mitte der Barke auf ähnliche Weiſe Platz. Die Barkenführer ſind in der Regel ſtark muskulöſe kräftige Männer, mit tief gebräunter Haut des Geſichts und der offen daliegenden Bruſt. Da der Kopf nur mit einem Feß bekleidet zu ſein pflegt, ſo finden die Augen ebenſowenig *) Vergl. Bd. I. S. 240. – 79 – Schutz, als wie dies bei den Soldaten der Fall iſt. Das Sehloch der Augen zieht ſich deshalb zuletzt habituell eng zuſammen. Augen- leiden mancher Art können als ſpätere Folgen nicht ausbleiben. – Der „Kaikſchi“ ſitzt an der Spitze ſeiner Barke, mit dem Geſichte ſeinem Paſſagier zugewendet; er muß daher den Kopf faſt ohne Unterlaß nach rückwärts drehen, um das Zuſammenſtoßen mit an- dern Barken zu vermeiden. Er handhabt zwei ungewöhnlich lange und ſchwere Ruder mit beiden Armen zugleich. Der Schwerpunkt eines ſolchen Ruders ruht hier zum Theil in einer eutſprechenden Holz- maſſe, die ihre Befeſtigung auf dem Rande der Barke findet, wodurch in der That die Erhaltung des Gleichgewichtes gefördert wird. Etwas größere Barken haben zwei Führer. Die der höhern Beamten und Geſandten müſſeu herkömmlich ſich durch ihren weißen Auſtrich auszeichnen. – Bei warmer, trockener Witterung ſind die türkiſchen Barkenführer in der Regel bloß mit einem feinen baum- wollenen Hemde und weiten Beinkleidern aus ähnlichem Stoffe be- kleidet. Einige derſelben treiben an Feſttagen den Luxus wohl bis zu leichten ſeidenen Hemden aus Bruſſa. Dieſe Männer führen ihr Geſchäft mit einer großen Sicherheit und Gewandtheit; die ſelten vorkommenden Unfälle, zu denen das übermäßige Gedränge bei der Abfahrt größerer Schiffe, oder die ſtürmiſch bewegte See Veranlaſſung geben können, werden in der Regel mehr dem unver- ſtändigen Benehmen der Paſſagiere zuzuſchreiben ſein. Die Hunde Conſtantinopels.– Die Hunde ſcheinen zu Conſtan- tnopel ihre wichtige Rolle ſchon in ſehr früher Zeit geſpielt zu haben. Denn als Philipp von Macedonien während ſeiner Belagerung die Stadtmauern vou der Seite des Hafens Neo- rium, wo jetzt die türkiſche Hauptmauth liegt, während einer fin- ſteren Nacht untergraben ließ, heulten die Hunde dort ſo ſtark, daß die Belagerten aufmerkſam wurden und, durch ein zugleich plötzlich her- vortretendes Nordlicht begünſtigt, die Arbeiten Philipp’s gewahr wurden und vereitelten. Zum Danke erbauten ſie der Hekate, welcher die Hunde bekanntlich heilig ſind, einen Tempel, den erſt ſpät der erſte Conſtantin in eine chriſtliche Kirche verwandeln ließ. – Gegenwärtig bilden die zahlloſen Hunde Conſtantinopels diejenige Straßen-Polizei, von deren Wirkſamkeit man fortwährend in die Sinne fallende Beweiſe erhält. Da nämlich die Türken ge- wohnt ſind, den Abfall ihrer Nahrungsmittel auf die Straße zu werfen, ſo würde man ohne ſie bald nicht mehr vor aufgehäuftem – 80 – Unrathe dieſelbe paſſiren können. Auf ihren nächtlichen Streifereien räumen aber die Hunde ihn fort, ſo, daß Morgens früh die Stra- ßen erträglich rein erſcheinen. Ihre Unentbehrlichkeit ergab ſich; als Sultan Mahmud ſie einſt in Maſſe einfangen und auf eine unbewohnte Inſel der Propontis ausſetzen ließ, nachdem ſie ſich im Uebermaße vermehrt und die durch ſie jederzeit herbeigeführten Uebel- ſtände coloſſal geſteigert hatten. Bald aber ſah man ſich genöthigt, diejenigen von ihnen zurückzuholen, welche ſich nicht untereinander aufgefreſſen hatten, um ſie mit Jubel zu empfangen. Seitdem be- herrſchen ſie nach wie vor, in gewiſſe Familien getheilt, beſtimmte Viertel der Stadt. Wenn Hunde anderer Viertel ſich in einem ihnen heimathlich nicht zukommenden Stadttheile einfinden, werden ſie von den vierbeinigen Einwohnern dieſer mörderiſch angefallen und wieder vertrieben. Dieſe Zänkereien ſind die gewöhnlichen Ur- ſachen des nächtlichen Straßenlärms, an den man ſich allmählig gewöhnen muß. Hr. Dr. Sandreezki*) klagt beſonders über das eigenthümliche Geſchrei zahlloſer Hunde in Diarbekr, die dort im Heulen zuſammen förmlichen Chorus machten. In der That ſcheint auch nur der Hunger ſie zu dergleichen Excurſionen in fremde Gebiete zu verleiten; er treibt ſie, wie Hr. Dr. Kaliſch in Ruſcht- ſchuk mir verſicherte, des Nachts ſogar an, aus der Stadt in die umliegenden Weinberge einzubrechen, um ſich an reifen Weintrauben zu ſättigen. Die Türken, welche überhaupt mitleidiger gegen Thiere ſind, als man es bei vielen Chriſten findet, werfen, wenn ſie eſſen, bekannten bettelnden Hunden ihrer Straßen wohl einige Brocken zu; wenn man nach der durchſchnittlich auffallenden Magerkeit dieſer ſchließen darf, ſo muß ihnen dieſer Erwerbszweig jedoch wenig einbringen. Hört man in Conſtantinopel einen Hund wehklagend heulen, ſo darf man überzeugt ſein, daß der Hunger ihn zum Dieb- ſtahle verleitet und ein Fußtritt ihn dafür beſtraft hatte. Man hat kein Beiſpiel, daß er unter ſolchen Umſtänden ſchuldbewußt, ſich zur Wehre geſetzt hätte. Unter den 40 Raçen der Hunde, welche Buffon aufgeſtellt hat, kann es nur die Grundform des Schäfer- hundes ſein, welcher die zahlreichen Hunde Conſtantinopels ange- hören. Auch an Größe ſtehn ſie unſerem Schäferhunde ungefähr gleich. Ihr Haar iſt meiſt fuchsbraun, ziemlich lang und grob, *) A. a. O. S. 215. – 81 – die Ohren kurz und hängend, die Schnauze etwas hervorragend, jedoch ſtumpf; der Schwanz lang, nur mäßig behaart, wird ge- wöhnlich hängend getragen. Neben ihnen findet ſich auch, be- ſonders in Galata, ein wenig kleinerer, ſchlankerer ſchwarzer Hund, mit etwas kürzerem feineren Haar, oft mit weißen Abzeichen über den Augenhöhlen und an den Füßen, etwas längeren, gleich- falls hängenden Ohren. Beide Ragen vertragen ſich friedlich mit einander. Dieſe durch nächtliche Abentheuer ermüdeten Thiere ſchlafen den Tag über in der Sonne mitten auf den volkreichſten Straßen und Plätzen in tiefſter Ruhe. Menſchen, Pferde, Eſel, Kameele ſteigen vorſichtig über ſie hinweg. Wehe dem, der den ſchlafenden Hund tritt; entweder fährt ihm das gereizte Thier in die Wade, oder ſein Geheul veranlaßt die umſtehenden Türken, auf den grauſamen Thäter zu ſchmähen. Die Zeiten ſind vorüber, wo Franken von den Hunden auf der Straße förmlich angefallen wur- den und ſich durch Brodvertheilung ſie zu Freunden machen mußten; ſie haben jüngſt ihrer ſo viele Tauſende geſehen, daß ſie ſie nicht mehr für Fremde zu halten ſcheinen. Nicht blos in der Dobrudſcha, ſondern auch in Kleinaſien, hatte ich Gelegenheit, Windhunde zu ſehen, die für eigene Rechnung ungehindert Jagdtrieben; ſie erſchienen jedoch weniger zierlich, größer, als die bei uns gewöhnlichen, zeigten auch weniger ſchlanke Läufe und eine etwas ſtumpfe Schnauze. In Conſtantinopel habe ich mich vergebens nach Windhunden umgeſehen, die Einige dort ge- funden haben wollen. Der Hund hat in der Stadt, da er Nie- manden als Herrn anerkennen darf, wenig Veranlaſſung, ſeine ſprich- wörtliche Treue zu beweiſen; doch hält er ſich auch hier gern an einzelnen Häuſern, von denen aus er vielleicht mitunter Nahrung erhält. Auf dem Lande ſah ich ihn die Heerden hüten, wie er es bei uns thut. Eine Heerde von 2000 Ziegen, welcher ich auf ihrem Zuge aus dem Innern Kleinaſiens nach Scutari begegnete, wurde, außer dem berittenen Führer und einigen Hirten zu Fuße, von wenigen Hunden zuſammengehalten. Und doch darf das ſo unentbehrliche, nützliche Thier nach dem Geſetze des Korans nicht ins Haus genommen werden, weil Mohammed es für unrein er- klärt hat. Ich hörte beſtätigen, daß der Hund im Oriente nie von der Wuthkrankheit befallen werde. 4* Der Bosporus, ſeine Ufer und Dörfer. – Die erſte Durchfahrt durch den Bosporus, welche mich vom ſchwarzen Meere her nach Conſtantinopel leitete, war theils durch die ſüdwärts gewendete Meeresſtrömung, theils durch die Dampfkraft der „Per- ſia“, eine ſo eilige geweſen, daß die höchſt anziehenden Bilder der nahe genug liegenden Ufer mit ihren Dörfern, Landhäuſern, Pal- läſten, Gärten, Vorgebirgen und Buchten, gleichſam wie in einer Zauber-Laterne nur zu ſchnell vorüber ſchwanden. Es war dadurch nothwendig geworden, einzelnen beſonders wichtigen Punkten eine ruhigere Beobachtung zuzuwenden. Am 26. September fuhr ich, in Begleitung einiger lieben deutſchen Freunde, die mich jedoch an demſelben Tage noch ver- ließen, auf einem türkiſchen Dampfſchiffe nach Böjükdere. Die Geſellſchaft, welcher dieſe Dampfſchifffahrts-Linie überlaſſen worden iſt, läßt täglich mehrere Schiffe hin- und her - gehen, die faſt ſtets ſtark beſetzt ſind. Da die Fahrt aufwärts gegen die Strömung lief, auch mehrmals angehalten wurde, um Paſſagiere einzunehmen und ausſteigen zu laſſen, ſo erhielten wir mehr Muße, die Gegen- ſtände der Ufer ruhig zu betrachten. Was mir während der nord- wärts gerichteten Hinfahrt auf der europäiſchen Seite, ſowie wäh- rend der ſüdwärts geſteuerten Rückfahrt auf der aſiatiſchen Seite ſpeciell auffiel, will ich hier kurz niederlegen. Ich bin dem beleh- renden Werke v. Hammer's über Conſtantinopel und den Bos- porus Dank für die unentbehrliche Vorbereitung zu dieſer Excurſion ſchuldig; augenſcheinlich haben viele ſpätere Reiſende aus ihm ge- ſchöpft, jedoch undankbar genug, ſelten ihre Quelle genannt. Der gewundene Meeresarm des Bosporus ſcheint in einer vor- geſchichtlichen Zeit durch gewaltſames Auseinanderreißen des Feſt- landes entſtanden zu ſein, welches in dieſem Falle die Continente von Europa und Aſien bis dahin verbunden haben würde. Für dieſe Anſicht ſpricht wenigſtens der Umſtand, daß den ſieben Vorgebirgen der europäiſchen ebenſo viele Bucht-Einſchnitte der aſiatiſchen Seite entſprechen, und ſo umgekehrt. Die häufigen gewaltigen Erdbeben, welche, ſeitdem die Geſchichte des Landes geſchrieben wurde, Con- ſtantinopel zerſtört haben, ſprechen dafür, daß die Stadt und ihre Umgebung mit einem vnlkaniſchen Boden im Zuſammenhange ſtehen. – Das erſte Vorgebirge, welches dem von Conſtantinopel nord- wärts gehenden Wanderer aufſtößt, iſt das von Top-Chané, wo – 83 – auf eine ehemalige griechiſche Kirche von den Türken eine Kanonen- gießerei gebaut worden iſt. Zwiſchen dieſer und dem mit einer ſteinernen Landungs-Treppe verſehenen Ufer breitet ſich ein geräu- miger Hof aus, auf welchem Geſchütze verſchiedenen Kalibers auf- geſtellt ſind, an denen ich junge Artilleriſten einexerzieren ſah. Als es mir ausnahmsweiſe geſtattet wurde, hier an das Land zu ſteigen, fiel es mir auf, daß die Handhabung der Geſchütze der preußiſchen voll- kommen nachgeahmt erſchien, ſowie ſogar die Schilderhäuſer ſchwarz und weiß angeſtrichen waren. Bekanntlich ſind es ſeit Mahmud II. preußiſche Artillerie-Offiziere, die hier als Inſtructoren wirken; dieſen iſt der gute Zuſtand der türkiſchen Artillerie zu danken, wel- cher ſich in den letzten Kriegen gegen Rußland kund gegeben hat. Noch im Herbſte 1856 waren zwei preußiſche Artillerie-Offiziere in den türkiſchen Dienſt übergegangen, um bei den Artillerie-Schu- len angeſtellt zu werden. Sie ertheilen den Unterricht in deutſcher Sprache, die ein jederzeit gegenwärtiger Dolmetſcher ſogleich in das Türkiſche überſetzt. – Top-Chané zeichnet ſich zugleich durch die ſchon erwähnte zierliche Moſchee Sultan Mahmud's II., mit den zwei dazu gehörigen Minarets und einen, von dieſen getrennten Signalthurm aus. Dieſes Metop on der Griechen bildet ſowohl den Schluß des Hafens vom goldnen Horn, als auch den Anfang des weſtlichen Ufers des Bosporus. – Die in nördlicher Richtung hierauf zunächſt folgende ſchwach eingebogene Bucht iſt die von Dol- mabagdſche. In der Nähe ihres Uferrandes hat der gegenwärtig regierende Sultan Abdul Medſchid den bereits aufgeführten Pallaſt ſaſt ganz aus weißem Marmor gebaut. Sein an arabiſche und mauri- ſche Bauten erinnernder Styl giebt den Bauverſtändigen zu Mißbilli- gungen mancherlei Veranlaſſung. In dunkler Nacht erſcheint indeſſen ſeine dem Meere zugewendete Fronte in der That feenartig, wenn die zwiſchen ihr und dem Meere aufgeſtellten Gasflammen die blei- chen Marmor-Figuren und Linien phantaſtiſch hervortreten laſſen. Seltſam geſchwungene Gebilde, von leichter Phantaſie durchweht, ſcheinen dazu beſtimmt, die Schwere des für ſie verwendeten Ge- ſteins vergeſſen zu machen. Jedenfalls muß man dem Architekten Hrn. Bulyan zugeſtehen, daß er ein Bauwerk geſchaffen hat, wel- ches von allem Vorhandenen weſentlich abweicht, und dennoch den unbefangenen Beſchauer erfreut, der ſich über die Forderung der ſtren- gen Nachahmung irgend eines anerkannten Styles hinwegſetzen mag. – 84 – Nicht blos durch das Ungewöhnliche überraſcht, ſondern durch ſeine gefälligen, ſchmeichelnden Formen zieht es endlich auch zur Anerken- nung hinüber. Das koſtbare Material des etwas ins Bläuliche ſpie- lenden weißen Marmors trägt nicht wenig dazu bei, die Ge- ſammtwirkung des mächtigen Gebäudes zu erhöhen. Hr. Th. Gau- tier*), der den Vorzug genoß, von dem Baumeiſter in dem Schloſſe herumgeführt zu werden, vergleicht das hier zur Anwen- dung gekommene Gemenge verſchiedener Bauſtyle mit dem ſpaniſchen Plater esco. Er ſah hier einen Marmorſaal von einer Kuppel aus rothem Glaſe überdeckt; die durch letztere einfallenden Sonnen- ſtrahlen brachten durch Reflexe von dem glänzend weißen Getäfel der Wände eine wahrhaft magiſche Wirkung hervor. Den Bade- ſaal des Sultans fand er mit gebändertem weißen Alabaſter aus Egypten geſchmückt. Die eiſernen Gitterthore des Pallaſtes tragen vergoldete Arabesken. Das Holzwerk in den Gemächern des Sul- tans iſt Cedern, Paliſander oder Mahagoni entnommen. – Ich füge hinzu, daß die Lage von Dolmabagdſche eine äußerſt glück- liche iſt. Der mittlere lange Körper des Pallaſtes wendet ſeine Fronte nach Oſten dem nahen Meere zu, welches ihm ſtets erfri- ſchende Seeluft zuſendet. Zwei gegen die dahinter liegende Anhöhe nach Weſten auslaufende Seitenflügel ſchirmen den inneren Hof; doch iſt das Gebäude durch Höhenzüge gegen rauhere Luftſtrömungen aus Norden und Weſten außerdem ſchon hinlänglich geſchützt. Ob der ſteinerne Pallaſt den zu Conſtantinopel nicht ſeltenen, zerſtörend auftretenden Erdbeben eben ſo gut widerſtehen werde, als der nahe liegende, großentheils hölzerne des Sultan's Mahmud II., muß die folgende Zeit lehren. Man hatte 1856 ſo eben erſt die letzte Hand an das Werk gelegt, doch bewohnte es der Sultan mit ſeinem Harem bereits ſeit längerer Zeit. – Die Annehmlichkeit des Auf- enthaltes in ihm muß durch die unvergleichliche Ausſicht in hohem Grade geſteigert werden, welche die vordere Seite auf den mit Schiffen gefüllten Hafen, das gegenüber liegende Scutari mit dem Bulgurlu, uuf Conſtantinopel ſelbſt u. ſ. w. gewährt; kein an- derer Punkt der Erde würde Aehnliches beſchaffen können. Eben ſo dürfte ſich an Koſtbarkeit des Materials kaum irgend ein anderes zum Herrſcherſitze beſtimmtes Bauwerk der Gegenwart mit jenem ver- *) Constantinople. Paris, 1854. pag. 291 sq. – 85 – gleichen laſſen. Nur der auf der aſiatiſchen Seite des Bosporus durch den ehmaligen Vice-König von Egypten, Mehemed Ali, errichtete Marmor-Pallaſt kann eine ſolche Vergleichung aushalten; doch tritt er durch viel geringere Dimenſionen zurück. Nicht leugnen läßt ſich indeſſen, daß die Lage des letzteren Bauwerkes gleichfalls als eine vorzügliche betrachtet werden muß. In der Mitte eines lachend grünen Thales erhebt ſich nämlich hier ein mäßiger Hügel, den der prachtvolle Marmorbau jetzt krönt. Eine breite Treppe aus dem- ſelben Material führt zu ihm hinauf und hebt den Pallaſt gleich- ſam in die Luft. Vom Waſſer aus angeſehen iſt die Wirkung eine wahrhaft imponirende. Mehemed Ali ſchenkte das Gebäude dem Sultan, wahrſcheinlich um dieſen wegen ſeines früheren blutigen Abfalles eher zu verſöhnen. – Venedigs Marmor-Palläſte ſind ver- ſchwunden oder vom Zahn der Zeit bis zum Unſcheinbaren benagt. – In Genua's Palläſten iſt das reiche Material großentheils zu inneren Ausſchmückungen verwendet. – Piſa zeigt noch aus ſeiner glücklicheren Zeit einen kleinen Pallaſt mit der Façade aus urſprünglich weißem Marmor; doch hat dieſen die Zeit gelb gefärbt. Von Gebäuden, die der Gottesverehrung gewidmet ſind, ſoll über- haupt kein Vergleich hierher entnommen werden. In der Gegenwart ſtehen alſo dieſe Marmorbaue vielleicht einzig da, – ein merkwür- diger Gegenſatz zu der ſinkenden Größe des Reiches, deſſen Kraft hier mehr auf die Illuſtration ſeines Herrſchers, als auf ſeine Macht- ſtellung nach außen hin verwendet worden iſt. Wenn man zugleich jüngſt las, daß zum Geſchenke für eine Sultanin ein Spiegel in Paris beſtellt worden ſei im Werthe von einer halben Million Franken, wobei man aber der Armee den Sold ſchuldig bleibt, – ſo ſind dieſe Züge für die Beurtheilung türkiſcher Zuſtände zu charakteriſtiſch, als daß ſie hier nicht mit einiger Ausführlichkeit hätten beſprochen werden ſollen. Das darauf folgende Dorf Ortaköi tritt bis unmittelbar an das Seegeſtade hervor. Die im Hintergrunde ſich ausbreitende Vorſtadt Fün düklü iſt als eine unmittelbare Fortſetzung von Top-Chané zu betrachten. Sie enthielt ehedem einen kaiſerlichen Pallaſt Namens Emnabad, der durch ſeine Gärten ausgezeichnet war. Ihn hat der neue Marmor-Pallaſt nicht nur erſetzt, ſondern übertroffen. – Die weiter nördlich hervortretende Landſpitze von Beſchiktaſch ſoll der Punkt ſein, auf welchem der von dem Ar- gonautenzuge zurückkehrende Jaſon mit der Medea landete. Sultan – 86 – Mahmud I. baute hier 1747 ein prächtiges Kiosk mit Marmor- ſäulen, an deſſen Stelle Mahmud II. ſeinen Pallaſt von Tſchiragan ſetzte. Dieſes gegenwärtig wenig benutzte Gebäude ſtößt unmittelbar an das Meer und an eine Landungs-Treppe. Sein höchſt regelmäßiger Bauſtyl läßt es vergeſſen, daß es großen- theils aus Holz conſtruirt iſt, wozu indeſſen auch ein von anſehn- lichen Säulen getragenes Frontiſpiz weſentlich beiträgt. Die hier an ſo vielen Orten hervortretende Neigung der Herrſcher, ſich durch eigenen Pallaſtbau zu verewigen, mag das Ihrige zu dem heilloſen Zuſtande der türkiſchen Finanzen beigetragen haben. Aber ſie wird durch den Aberglauben vielleicht unterſtützt, daß, während an einem Wohnſitze noch gebaut wird, der Erbauer nicht ſterbe. – Das heu- tige Beſchiktaſch nennt Dionyſos den Waudelort der Rho- dier, weil dieſe, als ſie den Handel des Bosporus inne hatten, hier zu landen liebten, ehe noch Venetianer und Genueſer um den Beſitz von Galata ſtritten. Die angelegten kaiſerlichen Gärten ſind von hohen Mauern umfangen; nur höhere Cypreſſen verrathen die hinter jenen gefangen gehaltene Pflanzenwelt. Doch auch kühner Epheu darf, das ſtrenge Verbot mißachtend, es wagen, die düſteren Mauern zu überſteigen- Was indeſſen von den Gärten zu Geſicht kommt, deutet nicht auf geläuterten Geſchmack, weniger noch auf irgend eine entfernte Kennt- niß der Kinder der Flora, die nur von eingeſchloſſenen Schönen verſtanden werden, um einer vertrauten Blumenſprache Schrift- zeichen zu leihen. Die Gärten des großen Dorfes Kuru-Tſchesme beſitzen einen Boden, in welchem der edle Lorbeer beſonders gedeiht. Von ihm fabelten die Griechen, daß Medea hier den erſten Lorbeer ge- pflanzt habe. Wichtiger iſt der Ort in der Geſchichte religiöſer Verirrungen. Hier ſtanden nämlich vom Jahre 433 n. Chr. an die chriſtlichen Styliten oder Säulen-Heiligen Symeon, nach ihm Daniel, Jahre lang auf einer Säule, die zuerſt 12, zuletzt 36 Ellen hoch war. Wenn, wie einige Geſchichtsſchreiber ſagen, durch ihren Anblick viele Barbaren bewogen worden ſein ſollen, zum chriſtlichen Cultus überzugehen, ſo ſcheint dies nur darauf hinzu- weiſen, daß es damals ſehr ſchwierig geweſen ſein muß, das Chri- ſtenthum den Heiden zugänglich zu machen, ohne es zugleich noch mit heidniſchen Gebräuchen zu vermengen. Wurden die letzteren – 87 – doch ſelbſt noch von den griechiſchen Kaiſern, namentlich Conſtan- tin I., den man den Heiligen genannt hat, geraume Zeit unter mancherlei Formen beibehalten. – Was übrigens den Lorbeer be- trifft, ſo erhält er ſich gegenwärtig am europäiſchen Ufer des Bos- porns nur in geſchützten Lagen. Vom Oelbaum ſieht man nur hier und da niedriges Geſträuch, welches aus den Wurzeln ehe- maliger Bäume ausgeſchlagen zu ſein ſcheint und nie Früchte trägt. Hiernach möchte es ſcheinen, daß die mittlere Temperatur der At- mosphäre dort im Laufe der Jahrhunderte eine kühlere geworden ſei. Orangen, die Hrn. Hackländer*) zu Böjükdere eine rege Phantaſie mit den dortigen Cypreſſen und Platanen in poetiſchem Vereine vorgezaubert hat, gedeihen noch ſelbſt im Thale von Bruſſa nicht im Freien. Arnautköi, Albaneſer-Dorf, liegt auf einem in den Meeres- arm hervorragenden Felſenvorſprung, an welchem ſich die Strömung bei hochgehendem Meere beſonders ſtark bricht. Man hat ſie daher die „Teufels-Strömung“ genannt; bei widrigem Winde haben die Barkenführer hier in der That Vorſicht nöthig. – Da der Ge- ſandte Preußens, Hr. General von Wildenbruch, hier ein ma- leriſch gelegenes Landhaus gemiethet hatte, ſo gewährte die mir von dem humanen Manne zu Theil gewordene freundliche Aufnahme eine bequeme Gelegenheit, dieſen Punkt des Bosporus etwas näher kennen zu lernen. Der Fels erhebt ſich nahe hinter den Häuſern ziemlich ſteil bis zu einer Höhe von etwa 200. Dieſe Bergwand iſt durch amphitheatraliſch eingeſchnittene Terraſſen in einen Garten umgewandelt, in welchem hier und da zartere Gewächſe den Winter überdauern. Die Pferde, mittelſt welcher die Land-Communication mit Pera unterhalten wird, ſtehen oben auf dem Gipfel des Hügels. Von dieſem Gipfel aus ſchweift der Blick ungehindert nordwärts bis zum Rieſenberge und dem Genueſer-Schloſſe, ſüdwärts bis zu Conſtantinopel, Scutari, mit dem Bulgurlu, die Propontis u. ſ. w. Die Villa ſelbſt erhebt ſich gleichſam unmittelbar aus dem Meere und enthält geräumige Salons, in welchem die damals ſich dort aufhaltende geiſtreiche Gemahlin des Hrn. Geſandten die Seele der Unterhaltung bildete, an welcher die Offiziere der während des Herbſtes 1856 im Bosporus vor Anker liegenden preußiſchen Cor- *) Daguerreotypen. Th. I S. 169. vette „Danzig“ und Hr. Hauptmann Jungbluth aus Aachen, ſowie der damalige Geſandtſchafts-Attaché, Hr Dr. Blau, gegen- wärtig preußiſcher Conſul in Trapezunt, Theil nahmen. Hr. von Wildenbruch, welcher acht Jahre lang preußiſcher Generalconſul in Egypten und Syrien, ſpäter Geſandter in Athen geweſen war, hatte ſich die umfaſſendſten Kenntniſſe der politiſchen Verhältniſſe, Sitten, Gebräuche und Sprachen erworben; jedenfalls iſt ſein Ab- gang von dort für den Staat, welchen er vertrat, als ein empfind- licher Verluſt zu bezeichnen. Das weiterhin folgende Bebek beſitzt eine für den ländlichen Aufenthalt wichtige Annehmlichkeit, welche dem Dorfe Arnautköi fehlt, nämlich eine Bucht, aus deren Hintergrunde man ein kleines kai- ſerliches Landhaus, von Cypreſſen umſchattet, ſich von dem grünen Boden erheben ſieht. – Wir ſtießen ſodann auf das Fort Ru- mili Hiſſari, welches Mohammed II. im Jahre 1451 erbaute, nm die Eroberung von Conſtantinopel ſicherer einzuleiten. Soweit war die Ohnmacht des ſinkenden griechiſchen Reiches vorgeſchritten, daß der ſchwache Kaiſer die Aufführung eines ſolchen feindlichen Werkes, gleichſam vor den Thoren der Hauptſtadt, nicht zu ſtören vermochte. Die 30“ dicken Mauern und die ſoliden Thürme des unregelmäßigen Werkes zeugen noch heute für die unerſchütterliche Willenskraft des barbariſchen Eroberers. – Auf demſelben Felſen nahm einſt Darius ſeinen Sitz, um die ungeheure Armee den Bosporus paſſiren zu ſehen, die er von Aſien nach Europa über- führte. Die hierzu dienende Brücke war von Androkles aus Samos gebaut worden, wahrſcheinlich in ſchräger Richtung, um dem Andrange der Wogen weniger Preis gegeben zu ſein. Die Stelle war dazu beſonders geeignet, inſofern der Bosporus hier am ſchmalſten iſt. Darius ließ, zum Andenken an dieſes große Ereigniß, Denkſäulen neben ſeinem Sitze errichten, deren Zweck in perſiſcher Keilſchrift und durch griechiſche Inſchriften verewigt werden ſollte. Aber barbariſche Hände haben ſie zum Baue einer Zwingburg gegen Europa verwendet. – Noch früher ſtand dort ein Tempel des Hermes, und das Vorgebirge ſelbſt trug deshalb den Namen Hermäon. Balta Liman wird von Pera aus häufig als Ziel von Land- partieen beuutzt. Die Ausſicht von der ziemlich hohen Spitze ſeines Vorgebirges wird als ſehr anziehend geſchildert. – Das weiter – 89 – hinauf folgende Vorgebirge hieß bei den Griechen, wegen ſeiner aus- gezeichnet ſchönen Cypreſſen Kyparodes. Die Türken haben den Ort Emirgune genannt und legten hier eine Zollſtation für die aus dem ſchwarzen Meere kommenden Handelsſchiffe an. Stenia beſitzt einen ausgezeichneten ſicheren Hafen, der gleich- ſam das zweite Horn von Byzanz darſtellt. In ihm wurde ehedem ſtarker Schiffbau getrieben. Zur Zeit der Blüthe der griechiſchen Kaiſer erhielt Stenia einen kaiſerlichen Pallaſt und andere her- vorragende Gebäude; aber Bulgaren und Ruſſen verwüſteten es wechſelweiſe ſchon früh. Vor dem Hafen wurden mancherlei See- kämpfe ausgefochten. Heutigen Tages erſcheint das vernachläſſigte Stenia dem Vorüberfahrenden ziemlich unbedeutend. – Das darauf folgende Jeniköi bietet ein unanlandbares Geſtade dar, welches die Griechen Komarodes nannten, wegen ſeines Reich- thums an Erdbeerbäumen (Arbutus Unedo), die auch heute noch zu beiden Seiten des Bosporus gut gedeihen. In der Nähe dieſes Ortes wurde das von Demetrius geführte Heer Phi- lipps von Macedonien durch die Byzantiner geſchlagen. Therapia iſt in weiteren Kreiſen als Landſitz fremder Ge- ſandten, namentlich des franzöſiſchen, bekannt. Beſonders haben ſich aber hier hervorragende griechiſche Familien angeſiedelt. Ein von hier aus in das Land eindringendes Thal mit einer Quelle ſpendet in Sommer angenehme Kühlung. Vom Waſſer aus an- geſehen imponirt Therapia durch eine Reihe wohl unterhaltener ländlicher Gebäude. Sein guter Hafen ſteht nur dem von Stenia nach. Die freie und dennoch geſchützte Lage von Therapia ſcheint das wohlthuende Klima zu verbürgen, welches alle Reiſende rühmen, die ſich perſönlich dort aufhielten. Böjükdere, der Rieſenberg, das Genueſer-Schloß und Belgrad. Die Waſſerleitungen. – Wir gelangen endlich zu dem köſtlich gelegenen Böjükdere (Groß-Thal), welches durch ſeine europäiſchen Einrichtungen jeden von außen her Anlangenden daran erinnert, daß hier ſeit geraumer Zeit Ausländer das Ueber- gewicht gehabt haben müſſen. Das Hötel du Croiſſant gewährte mir hier ein erträgliches Unterkommen, von welchem aus ich meine Excur- ſionen in die Umgegend unternahm. Die meiſten Fremden, welche weſt- europäiſche Bequemlichkeiten ſuchen, finden ſich hier zuſammen; doch würde man ſich ſehr täuſchen, wenn man hier einen Gaſthof erſten – 90 – Ranges erwarten wollte. Indeſſen iſt die Lage des Gebäudes unmittelbar am Meere, in nächſter Nachbarſchaft des Landungs- platzes der Dampfſchiffe, unvergleichlich. Aus dem Speiſeſaale ge- nießt man die Ausſicht auf die hier anſehnlich weite Meeresbucht, in welcher häufig größere Schiffe ankern, z. B. bei meiner Anwe- ſenheit der rieſige engliſche Dreidecker Royal Albert. Von dieſem Saale aus ſteigt man über eine Landungstreppe direct in die Barke, welche zu Spazierfahrten ſtets vorräthig iſt. Böjükdere verdient in ſeinem gegenwärtigen Aufſchwunge eine kleine Stadt genannt zu werden. Die Hauptſtraße läuft pa- rallel mit dem Meeresufer. In der dem Meere zugewendeten Reihe ihrer Gebäude befinden ſich einige Kaffehäuſer und Gaſthöfe; die gegenüberliegende Reihe der Häuſer enthält, meiſtens von Grie- chen gehaltene Kaufläden aller Art, deren Waaren dem Ausländer zu höchſten Preiſen verkauft werden. Dieſe Straße verlängert ſich ſüdlich bis zu dem Anfangstheile des Thales, welches dem Orte den Namen ertheilt hat. Jenes unter rechtem Winkel auf das Meeresufer ausmündende Thal erſtreckt ſich eine Stunde weit in das Land hinein, indem ſein inneres Ende ſanft anſteigt. – Das nördliche Ende der Hauptſtraße windet ſich einem felſigten Vorge- birge zu, hinter welchem das Dorf Sarijari liegt, reich an Gär- ten und Früchten. – In früheſter Zeit ſchon trug jene Landſpitze einen Tempel der Aphrodite, in welchen die auf den unwirth- baren Pontus ausziehenden Schiffer zu opfern pflegten. Wohl ver- dient dieſer den damaligen Beinamen Axeuos (des „unwirth- baren“) noch heute; der ihm ſpäter beigelegte Euxinos (das „gaſt- freundliche“ Meer) paßt nur auf die große Minderzahl der Tage des Jahres. – Die Landhäuſer wohlhabender griechiſcher und arme- niſcher Familien nehmen die ſanft ſich erhebende Anhöhe hinter dem Städtchen ein. Durch herrliche Platanen und Cypreſſen zeichnet ſich der Garten der ruſſiſchen Geſandtſchaft beſonders aus, deren Landhaus hier unter ſeines Gleichen ebenſo hervorragt, als es von ihrem Pallaſte in Pera geſchieht. Die oſtwärts gewendete Lage des Ortes in unmittelbarſter Nähe des ſeine erfriſchende Luftſtrömung ſpendenden Meeres, der Schutz, den ihm gegen Norden und gegen das ſchwarze Meer hin das erwähnte Vorgebirge gewährt, das zu Spaziergängen oder Ritten einladende nahe Thal; der leicht erreich- bare Wald von Belgrad – der einzige, welcher weit und breit – 91 – einen ſolchen Namen verdient, – ſind eben ſo viele Annehmlichkeiten, die zur Anſiedelung für die mildere Jahreszeit dringend einladen. Die Dampfſchiffahrt hat aber Böjükdere für die Bewohner der nahen Hauptſtadt zum leicht erreichbaren gemeinſchaftlichen Aus- fluchtsziele gemacht, in ähnlicher Weiſe, wie Brighton es durch die Eiſenbahn für London geworden iſt. Dadurch iſt denn zu- gleich an einladenden ſchönen Tagen das Treiben der Ankom- menden und Abziehenden ein ſo buntes, geräuſchvolles geworden, daß ländliche Stille und Ruhe von Denen hier vergebens geſucht wird, welchen nicht etwa einer der zahlreichen Privatgärten freundlich geöffnet wird. Mich zog aber bald die Sehnſucht nach dem aſia- tiſchen Geſtade fort von hier, um dem gegenüber liegenden Rieſen- berge einen Beſuch abzuſtatten. Ein wohlthätiger Zufall verſchaffte mir einen gutmüthigen, dienſtfertigen Barkenführer, der mich nicht blos über den breiten Meeresarm mit ſicherer Hand ſetzte, ſondern mich auch auf dem beſchwerlichen Marſche zu der Spitze des Berges u. ſ. w. geleitete. Dieſe Geſellſchaft war eine um ſo willkommnere, als mir jede an- dere fehlte, ohne ſie alſo der Gang ein völlig vereinſamter geweſen ſein würde. – Die Türken nennen den Berg Joris-dagh; von Hammer iſt geneigt, das Wort Joris von dem ehemaligen Urios, d. h. dem Herrſcher der günſtigen Winde, abzuleiten, ſo daß ſich alſo Jupiter Urios noch bei den Türken verewigt hätte. Ebenſo nennen ſie ihn auch Juſcha - dagh, weil ſie annehmen, daß der Prophet Joſua hier oben begraben worden ſei. – Der Fuß des Berges läuft in zwei Vorgebirge aus, in ein nördliches, welches die Türken Madſchar - Burun, in ein ſüdliches, welches ſie Se- loi - Burun nennen. An das letztere lehnt ſich ein ſchönes Thal, in deſſen vorderem Abſchnitte Unkiar - Skeleſſi (Chun kiar- Iskelessi) mit einem kaiſerlichen Gebäude liegt, in welchem am 26. Juni 1833 der nach dieſem Orte genannte Vertrag zwiſchen Rußland und der Türkei unterzeichnet wurde. – In einer kleinen Bucht, zwiſchen beiden, Böjükdere gerade gegenüber, liegt das Dorf Umurköi, welches einen geſchützten Landungsplatz beſitzt. Hier legte mein Führer ſein kleines Fahrzeug an. In der Nähe dieſes Landungsplatzes ſtehen vor einem etwas anſehnlicheren Hauſe einige mächtige Terebinthen-Bäume, die an Höhe und Ausdehnung ihrer Aeſte uur von denen übertroffen werden, die ich ſpäter auf dem – 92 – chriſtlichen Begräbnißplatze bei Nicomedien vorfand. In ihrem Schatten huldigten einige ſchmauchende Türken dem dolce far niente. Wir ſchritten raſch vorüber, uns dem ſchmalen Fußwege zuwendend, welcher auf der Weſtſeite des Berges ziemlich ſteil nach oben führt. Leider haben barbariſche Hände die üppig aufſtrebende Vegetation, die jedes Schutzes baar zu ſein ſcheint, in kurzes Geſtrüpp ver- wandelt. Deſſenungeachtet lehrte der erſte Blick auf ſie, daß die aſiatiſche Küſte eine ungleich mannigfaltigere Flora ernährt, als die gegenüber liegende europäiſche. Obgleich der Herbſt vorgerückt war, ſo fand ſich doch eine Reihenfolge blühender Pflanzen vor, die man jenſeit vergebens ſuchen würde. Der Fuß des Berges be- ſteht aus einem Kalk-Gebirge, deſſen man ſich zum Kalkbrennen be- dient. Von jenen Pflanzen wird noch anderweitig die Rede ſein. – Auf jedem Abſatze, der uns der Spitze des 180 Meter, nach Anderen 877“ hohen Berges näher gebracht hatte, erweiterte ſich der Ge- ſichtskreis, um entzückend ſchöne Fernſichten auf Land und Meer, lachende Thäler und Felsſpitzen, friedliche Dörfer und ſtarke Feſtungs- werke, auf- und abwärts eilende Schiffe zu gewähren; doch immer von Neuem zogen den Blick die geſchichtlich ſo wichtigen Ruinen des alten Genueſer-Schloſſes auf ſich, welche nördlich von hier eine etwas niedrigere Felsſpitze umfangreich überdecken. – Nahe unter der Bergſpitze liegt das Wohnhaus der Wächter des Rieſengrabes und der anſtoßenden Moſchee, aus dem tiefen Brunnen deſſelben wurden wir durch köſtliches Trinkwaſſer erfriſcht. Man ſchien an häufigen Be- ſuch von Fremden hier gewöhnt zu ſein, auch fanden wir bald hinter der Moſchee eine dort tafelnde Geſellſchaft von griechiſchen Damen und Herren. Einer der Wächter, der, nach ſeiner Kleidung zu ur- theilen, kein Derwiſch war, öffnete uns bereitwillig das ſogenannte Rieſengrab. Ob und wen dieſes ſeit mehr denn zwei Jahrtauſenden beſtehende Grab in ſeinen Ueberreſten beherberge, verbirgt eine mythiſche Vorzeit. Die Griechen nannten dieſes Grab das Bett des Herakles, und die Türken verſetzen hierher den Propheten Joſua, der, hoch an dem Berge ſitzend, ſeine Füße in dem vor- überziehenden Meere gewaſchen haben ſoll, wie ihre Fabel ſagt. Ein ſchmuckloſes, ſehr einfaches, länglich-viereckiges Gebäude um- ſchließt gegenwärtig eine 20“ lange und 5“ breite Erhebung des Bodens, der man in der äußeren Form Aehnlichkeit mit einem Grabhügel gegeben hat. Die geebnete Oberfläche deſſelben iſt mit – 93 – mancherlei Blumenpflanzen bedeckt, die jedoch durchaus keine ſorg- fältige Wahl verrathen. An dem oſtwärts gerichteten Kopfende erhebt ſich indeſſen ein 10' hoher Buxbaum-Strauch, der ſeine Zweige nach allen Richtungen ausbreitet. Dieſe fand ich mit zahl- reichen kleinen Fetzen von Kleidern umwickelt, welche ehedem am Körper von Kranken getragen wurden; die Kraft des heiligen Gra- bes ſoll nun durch dieſe Kleiderbruchſtücke auf den Körper ihres ehemaligen Beſitzers heilend zurückwirken. Dieſer Aberglaube iſt unter den Türken weit verbreitet uud die erwähnte Fetzen-Verunzierung findet ſich deshalb, ekelhaft genug, an vielen für heilig geachteten Orten. – In die unmittelbar an das Grab angebaute kleine Mo- ſchee ſchaute ich von jenem aus durch ein Glasfenſter hinein; ich ſah in ihrem Innern nichts Auffallendes. Nahe hinter ihr grünen herrliche Lorbeer-Gebüſche; zugleich fand ich hier zum erſten Male eine Pflanze auf ihrem heimathlichen Boden, die ich als Knabe, ungeachtet ihrer ſtarren Stengelbewaffnung, oft mit beſonderem In- tereſſe angeſehen hatte, weil man mir bedeutete, daß aus dieſem Stachelgewächſe die Dornenkrone Chriſti geflochten worden ſei. Es war Zizyphus Spina Christi Willd., der hier oben in 5“ hohen Sträuchen wucherte. Noch einmal genoß ich von dieſem Höhenpunkte des großar- tigen wechſelſeitigen Anblickes des ſchwarzen und des Marmara- Meeres, zugleich mit ſämmtlichen Windungen des Bosporus. Nur Conſtantinopel und Pera mit Galata blieben von hier aus ver- borgen, gleichſam als hätte die Natur einen Punkt ſchaffen wollen, von dem aus man den Geſaumteindruck der reizenden Geſtade dieſes Meeresarmes genießen könnte, ohne durch die Einmiſchung einer Stadt unangenehm geſtört zu werden, die ſich ſo oft der Herrſchaft über dieſen Liebling der Schöpfung unwerth gezeigt hat. Es war ſchwer, ſich von dieſer Scholle zu trennen, die, wohin von ihr aus auch der Blick ſich wendet, auf ſeinen Flügeln die Erinnerung an Hunderte von Ereigniſſen wach ruft, die auf das Geſchick der Na- tionen in ſo hohem Grade entſcheidend eingewirkt haben. Aber der vorgerückte Nachmittag forderte zum raſchen Entſchluſſe darüber auf, ob das nördlich vom Rieſenberge, ſcheinbar nicht gar fern liegende „Genueſer-Schloß“ noch beſucht werden ſollte. Die graue Ruine bot freilich keine anziehende Außenſeite; aber das mit ihr durch eine lange, bergabziehende Befeſtigungsmauer in Verbindung ſtehende Dorf am Ufer winkte ſo einladend, der Gedanke, hier auf einem Boden wandeln zu können, der einſt ſo viel Großes getragen hatte, verſcheuchte bald jedes Bedenken. Der Marſch über die Hochebene wurde auf einem neuerdings gebahnten Wege angetreten, den die Regierung während des vor kurzem beendigten Krieges, Behufs der Transportation von Kriegsmaterial, hatte ebnen laſſen. Späterhin wich dieſer Weg jedoch mehr oſtwärts von unſerm Ziele ab, ein Umſtand, der uns nöthigte, queer über einen mit kurzem ſtarrem Geſtrüpp bewachſenen Bergrücken hinzuſchreiten, der uns, unter vielen Beſchwerden, bis zu einem Thaleinſchnitte führte, auf deſſen jenſeitiger Bodenerhöhung das urſprünglich von Griechen erbaute Schloß in ziemlich gut erhaltenen Ruinen nahe vor uns lag. Keine Spur von Bewegung irgend eines menſchlichen Weſens ließ ſich dort wahrnehmen, was mir inſofern unerwartet war, als v. Ham- mer einer kleinen Colonie von Menſchen erwähnt, die ſich in dem weitläuftigen Gemäuer angeſiedelt habe, ohne daß man von ihrer Abkunft, ihrem Religions-Cultus u. ſ. w. etwas wiſſe. Sie ſcheint ſeitdem verſchwunden. Wir begaben uns aber über ein loſes Stein- gerölle zu dem am Ufer liegenden Dorfe Südlüdſche hinab, von welchem aus die Genueſen, früher die Griechen, den Seezoll er- hoben. Auf dieſem Wege lag Thonſchiefer allenthalben zu Tage, weiter abwärts trat Grauwacke mit Aderu von Quarz hervor. Am Fuße des Berges iſt eine gute Porzellan-Erde häufig; eine hierauf gegründete Fabrik liefert durch die Thätigkeit von deutſchen Ar- beitern recht brauchbare Geſchirre. – Der langweilige Weg ge- währte Muße, einige Züge der Geſchichte des Ortes aus der Erinnerung auftauchen zu laſſen, die wohl geeignet ſind, die Mühen eines langwierigen Marſches erträglicher zu machen. Das nahe Hie- ron oder Fanuln trug ſeinen Namen von dem den zwölf Göttern hier errichteten Tempel. Cicero nennt, in ſeiner Rede gegen den Verres, die am Eingange des Bosporus verehrte Statue des Zeus Urios eines der drei Meiſterwerke der Kunſt, welche dem Zeus überhaupt geweiht worden waren. Von einer ſolchen Pracht war ſein Tempel, daß man ihn mit ſilbernen vergoldeten Ziegeln gedeckt hatte, die, nach Polybius, der König Pruſias von Bithymien fortführte, als er den Ort von den Byzantinern erobert hatte. Ihre Rückgabe war indeſſen eine Bedingung des darauf folgenden Frie- densſchluſſes. Ob Juſtinian, der den Tempel in eine Kirche – 95 – desh. Michael verwandelte, ſie dieſer überlaſſen hat, ſagt die Ge- ſchichte nicht. In dieſem unwahrſcheinlichen Falle würden ſie indeſſen den Ruſſen zur Beute verfallen ſein, welche ſchon im Jahre 866 n. Chr. in den Bosporus bis Hieron vordrangen, ihren Beſuch auch 942 mit zehntauſend ſchnellſegelnden Booten wiederholten, die jedoch damals von der griechiſchen Flotte unter Theophanes bei jenem Orte geſchlagen wurden. Als die Ruſſen ſich dann wieder im Juni 1833 mit einem Landheere in der Nachbarſchaft deſſelben Ortes, Böjükdere gegenüber, gelagert hatten, hielt es Sultan Mah- mud II. für rathſam, den Vertrag von Unkiar-Skeleſſi mit ihnen abzuſchließen, der ihu verpflichtete, engliſchen und franzöſiſchen Kriegsſchiffen die Dardanellen zu verſchließen. Hr. de Lamar- tine*) war perſönlich Zuſchauer bei einem glänzenden Feſte mit Feuerwerk, welches damals der Befehlshaber der ruſſiſchen Land- und Seemacht, Graf Orloff, dem Sultan Mahmud gab, der ihm von ſeinem Schiffe aus zuſah. Die ruſſiſche Flotte ankerte zugleich am Fuße des Rieſenberges, – Sollte jenes Landheer das letzte geweſen ſein, welches Rußland zum Bosporus ſendete? Schon vor nahe tauſend Jahreu gab ſich die Anziehungskraft überwiegend kund, welche es zu dem ſchönen Lande und ſeinen Schätzen hin- wendete; dürfte ſie verſchwunden ſein, ſeitdem die Türken 1854 den Vertrag von Unkiar-Skeleſſi ſo gröblich verletzt haben? – Wohl haben die Türken an die Stelle des ehemaligen Hieron das Fort Anadoli - Kawak geſetzt, welches mit dem gegenüber liegenden Rumili-Kawak ſo correſpondirt, daß beide ſich durch ihre Geſchütze gegenſeitig unterſtützen. Dieſe können aber nur Schiffen gefährlich werden, indem ſie unmittelbar über der Waſſer- ſtraße liegen. Die etwaigen Beſitzer der dahinter aufſteigenden Berg- höhe würden ſie bald zum Schweigen bringen. Unter ſolchen Betrachtungen hatte ich endlich das längſt nach abwärts winkende Dorf erreicht, deſſen ſich munter bewegendes Völk- chen die Kühlung des indeſſen eingetretenen Abends ſorglos genoß, wahrſcheinlich ohne ſich mit Forſchungen über die Stellung oder Lage der zahlreichen ehemaligen Tempel und Altäre zu behelligen. Man glaubt, daß der Tempel des Poſeidon den Hügel geziert habe, welchen jetzt die Schloß-Ruinen einnehmen, wohingegen der *) Voyage en Orient. T. III. Bruxelles, 1838. pag 317. Prachttempel des Zeus dort ſtand, wo jetzt die unförmlich dicken Mauern der Veſte Anadoli - Kawak emporragen. Wie dem auch ſein mag, ſo nöthigte das ſich herabſenkende Dunkel uns, die Schritte längs des Meeresufers ſüdwärts zu beſchleunigen. Bald erreichten wir den ſchmalen Raum, der die Mauern der Veſte von dem Uferrande trennt. In der Veſte ſelbſt herrſchte eine ſo tiefe Stille, daß man ſeine am Abendhimmel in wunderlichen Geſtalten hinziehenden Mauerlinien für die eines verzauberten Schloſſes hätte halten mögen. Von hier aus führte aber der ſchmale Pfad über zackige Felſengeſtade bald auf- bald abwärts, ſo daß jetzt die Wan- derung im Dunkeln nicht gefahrlos war. Dennoch erreichten wir das Dörfchen Umurköi und unſere dort liegende Barke ohne wei- tere Abentheuer. Innerhalb einer halben Stunde geleitete mich die ſichere Hand meines Führers bis zu der Treppe des Halbmondes zu Böjükdere über die ſpiegelglatte See hin. Die Beſorgung der mitgebrachten botaniſchen Schätze und ein ſehr kärgliches Mahl nahmen den Reſt des reichen Tages hin. Am folgenden Morgen beſtieg ich ſchon früh das geſtern ge- miethete Pferd, um den Ritt durch das große Thal nach den Waſſer- leitungen von Belgrad hin zu unternehmen. Auf ſo frühe Wan- derer ſchien der Halbmond nicht eingerichtet, denn er nöthigte mich, das Frühſtück – nach italieniſcher Sitte – in einem benachbarten Kaffehauſe zu ſuchen. Der die Expedition leitende junge Grieche verſtand glücklicher Weiſe einige Worte Italieniſch. Hier nnd da ritten wir unter einem maleriſchen Rebengehänge hindurch, durch welches ſich zwei gegenüber liegende Häuſer die Hand geboten hatten. Wir paſſirten den durch das Thal herabkommenden Bach, ließen die, wenige kleine Segelſchiffe und Barken beherbergende Rhede, welche gegen Stürme ſchutzlos iſt, zur Linken, und wendeten uns dann weſtwärts der weiten Ausmündung des Thales zu. Nicht fern von ſeinem Eingange ſtrebt in einer fruchtbaren Ebene die berühmte Platanen-Gruppe empor, die in er dem Namen der „ſieben Brüder“ allgemein bekannt iſt. Die Sage will, daß unter dem Schirmdache ihrer Zweige ſchon im Jahr 1096 Gottfried von Bouillon mit einer Heeres-Abtheilung Schutz gefunden habe. – Wenn ſie auch keineswegs geſchichtlich verbürgt iſt, ſo iſt doch wenigſtens ſoviel gewiß, daß die orientaliſche Platane, die von der bei uns vorkom- menden occidentaliſchen wohl unterſchieden werden muß, das höchſte – 97 – Alter erreichen kann, was nur für einen Repräſentanten der Baum- welt möglich iſt; auch iſt der Umfang, den die ſieben Stämme an ihrer Baſis zeigen, in der Tat coloſſal. Sie ſind an einander gewachſen und können mit etwa 60 Schritten umkreiſet werden. Leider iſt durch die barbariſche Sorgloſigkeit der Hirten einer früheren Zeit, die ihr Feuer im Schutze dieſer herrlichen Laubdächer anzündeten, eine Höhlung in den Stämmen ausgebrannt, die freilich nicht ſo geräumig iſt, als die einer andern Platane geweſen ſein muß, in der einſt Caligula mit achtzehn ſeiner Gefährten getafelt haben ſoll. Immerhin bietet aber dieſe in der That rieſenmäßige Baum- gruppe einen wahrhaft majeſtätiſchen Anblick; ſie verdient ihren hohen Ruf vollſtändig. Bei meinem Beſuche hatte ein Kaffe-Wirth ſein weitumfaſſendes Zeltdach an ihren Zweigen befeſtigt, einige Er- friſchungen darbietend. Die Platanen lieben feuchten Thalgrund. Ich ſah ſpäter ähn- liche coloſſale Bäume der Art in dem Thale, welches ſich zwiſchen Bruſſa und Keſtel hinzieht, näher dem letzteren Orte. Leider waren auch hier viele der herrlichſten Platanen nahe über dem Bo- den durch Feuer zu Höhlen ausgebrannt, die den Wanderern geräumigen Schutz bieten. Manche von ihnen lagen, endlich durch den Sturm gebrochen, bereits am Boden, ſo, daß man ihre enorme Höhe jetzt leichter abſchätzen konnte. Hr. v. Prokeſch*) fand dergleichen rieſige Platanen unfern Pergamos, wo ſie ſich ſtundenlang an den Ufern des Selinus hinzogen. Ebenſo ſah Derſelbe *) auf der Inſel Thaſſos Hunderte von Platanen, die einige Fuß hoch über dem Boden 40“ Umfang beſaßen. Hr. W. Viſcher*) beobachtete ſchon in Griechenland an Bächen „rieſige orientaliſche Platanen“. Ihr reicher, ausgezeichneter Schmuck von tief eingeſchnittenen dun- kelgrünen Blättern erhebt die Pracht der majeſtätiſchen Bäume um ſo mehr. – Bekanntlich wird England das Land der alten Eichen genannt. Die ſogenannte parlamentariſche Eiche im Park von Clyhton ſoll 1500 Jahre alt ſein. Die Calthorpe-Eiche in Yorkſhire imißt 78 am Boden im Umfange. Die Eiche des Herzogs von Portland beſaß die Höhe der Weſtminſter-Abtei. *) Denkwürdigkeiten aus dem Orient. Th. III. Stuttgart, 1837. S. 303. *) A. a. O. III. S. 627. - *) Erinnerungen aus Griechenland. Baſel, 1857. S. 240. 5 Die ſogenannte Three-Shire-Eiche bedeckt mit ihren Zweigen eine Bodenfläche von 777 engliſchen Quadrat-Ellen, die Elle zu 3' ge- rechnet. Dieſe majeſtätiſchen Eichen ſind indeſſen ſeltene Ausnah- men von der Regel; die coloſſalen Verhältniſſe der orientaliſchen Platane, welche auf feuchtem Thalgrunde ſteht, bilden aber die Re- gel ſelbſt. Die berühmten drei Eichen zu Dallwitz bei Karls- bad, deren Alter man bis auf 500 Jahre rückwärts verfolgen kann, habe ich perſönlich betrachtet und kann daher verſichern, daß ſie neben die Platanen im Thale von Keſtel hingeſtellt, mit dieſen im Vergleich zwergartig erſcheinen würden. Der Ritt zu dem oberen Theile des etwa eine Stunde langen Thales wurde auf einem ſchlecht unterhaltenen Wege längs des rechten Ufers des Baches fortgeſetzt, welcher dem am Meere ſich ausbreitenden Städtchen ſo vielen Reiz verliehen hat. An vielen Stellen ſind ſeine Ufer wallartig erhöht und mit hohem Geſträuch bepflanzt. Bedauernd möchte der Wanderer dem lachenden, aber vernachläſſigten Thale eine ſorgfältigere Eultur wünſchen. – Auf der Anhöhe des oberen Thalendes erhebt ſich der von Sultan Mah- mud I. 1732 erbaute Aquäduct, der, 1000 Klafter lang, das Waf- ſer nach Pera, Kaſſim-Paſcha und Fündüklü führt. Mu- ſtapha III. vermehrte 1766 ſeine Waſſermenge durch Hinzufügung eines neuen Baues. Ein Theil dieſer Leitung ſchließt das Thal ſo, daß der Weg durch einen Bogen derſelben hindurch führt. Sie fällt deshalb ſchon aus weiter Ferne, z. B. vom Rieſenberge aus, anziehend in die Augen. Ich ſtieg an dem Mauerwerk in die Höhe, um die von dort ſich darbietende Fernſicht bequemer zu ge- nießen. Sie iſt wahrhaft entzückend, und muß jedem dort Reiſenden zur Beachtung dringend empfohlen werden. – Der Weg nach dem nahen griechiſchen Dorfe Bagdſche-köi führt. Anfangs neben den Bogen der Waſſerleitung hin, wendet ſich dann aber weſtlich einem angenehmen, maleriſchen Thalgrunde zu, welcher das erwähnte Dorf aufnimmt. Etwaigen Beſuchern aus Böjükdere winkt dieſes Dorf freundlich einladend entgegen. Wir aber ritten vorüber nach dem ſich daran ſchließenden Walde von Belgrad, der einen Um- fang von 5–6 Stunden haben mag. Beſorgt für ihn hat die frühere türkiſche Regierung. Todesſtrafe auf das Niederhauen eines Baumes in dieſem Walde geſetzt, wohl wiſſend, daß eine dichte Vegetation die Menge des atmoſphäriſchen Niederſchlages weſentlich fördert, – 99 – daß auch Bäche und Flüſſe auströckheit, wo ſie fehlt Die Weſt- Europäer, welche ihre Wälder erbarmungslos niederſchlagen, augen- blicklichen ſchnöden Gewinnes wegen, und die dann hinterher thö- richter Weiſe über den ſelbſt verſchuldeten Waſſer-Mangel klagen, können hier von den Türken viel lernen. Doch muß ich mein Lob inſofern etwas beſchränken, als ich eine Anzahl jünger kräftiger Bäume hier ſah, deren Spitze ausgehauen war. Ich känn kaum glauben, daß man hiermit beabſichtigt, die Bäume mitten im Walde zum Treiben von Seiten-Aeſten zu zwingen, wie man es wohl in Alleen zu thun pflegt. Man ſcheint ſich darauf zu ſtützen, daß der gegenwärtige milde Herrſcher die Todesſtrafe ungemein ſelten verhängt. Abgeſehen hiervon zeigen die Bäume dieſes Waldes ein ungemein kräftiges Anſehen, im Gegenſatz zu denen, die man in dei Ebenen einzeln und zerſtreut ſieht; dieſe erſcheinen in der Regel kümmerlich und vom rauhen Nord und Nordoſt des Winters oft ſüdwärts geneigt. Der Wald beſteht überwiegend aus Weißbuchen, nächſtdem aus Eichen (Quercus coccifera) und echten Kaſtanien, an feuchten Orten aus Erlen und Weiden, welche namentlich die Waſſerbehälter umgeben. Auf der Anhöhe befinden ſich an Nadel- hölzern Pinus halepensis und maritima, an Laubholz Tilia ar- genteä, Fraxinus Ornus, Celtis australis, Morus alba; nächſtdem Pistacia atlantica und Lentiscus. Unterholz bilden der Weißdorn (Crataegus Oxyacánthä), Corylustübulosa, Mespilus germanica. Eine maleriſche Eigenthümlichkeit des dichten Waldes bilden Schling- pflanzen aus wild wachſenden Weinrebeit, Geißblatt, Epheu und Waldrebe (Clematis Vitalba), die, gleich Lianen, hoch an die Bäume hinanſteigeid, ſie durch grüne Gehänge verbinden. Unter ihnen am Boden verbietet häufig die Spina Christi das Eindringen – An einer freien Stelle des Waldes erhebt ſich auf leichter Anhöhe das größe Dorf Belgrad, von Linden umgrünt, deſſen Anſehen frei- lich viel verloren hat, ſeitdem die fremden Geſandten es verließen, die ehedem ihren Soitineraufenthalt hier wählten. Der Ort ſoll im Spätſommer und Herbſt durch die Ausdünſtung der nahen Waſſer- Anhäufungen von Wechſelfieber heimgeſucht werden. Die hier vor- herrſchende Abgeſchiedenheit und Stille, mit dem ſeltenen Genuſſe eines anderswo weithin vergebens zu ſuchenden grünen Waldes, dürfte zu geeigneter Jahreszeit aber auch heute noch für den Freund ländlicher Rühe Anziehungskraft genug beſitzen, die mindeſtens hier 5* – 100 – ſicherer zu finden iſt, als an dem nahen Bosporus. Unter den Landhäuſern zeichnet ſich gegenwärtig nur das des reichen Ban- quier's Alléon aus. Ohne uns in dem Dorfe aufzuhalten, wen- deten wir uns den hinter ihm liegenden beiden großen Waſſer-Be- hältern zu. Sie beſtehen aus Thaleinſchnitten, die man da, wo es nöthig ſchien, mit dicken Mauern umfaßt hat. Ein ſolcher Behälter fährt den aus dem Perſiſchen entnommenen Namen „Bend“, etwa unſerm deutſchen „Band“ entſprechend. Ihnen werden außer dem ſich hinabſenkenden Regenwaſſer mehrere kleine Bäche und Flüſſe zugeleitet, die den dort beginnenden Röhren-Leitungen ihren Reich- thum ſpenden. Es ſind mindeſtens ſieben dergleichen große Behäl- ter vorhanden. Der Umſtand, daß der Balkan nord- und oſtwärts von Belgrad ſeinen Fuß dem Meere entgegenſtreckt, mag zu dem Waſſer-Reichthum der hieſigen Gegend das Seinige beitragen. Die Anhöhen, welche hierbei entſtehen, erheben ſich von 350–750 über das nahe Meer, ſo daß die mittlere Höhe noch einen hinlänglichen Fall bis Conſtantinopel und Pera ergiebt, deren höchſter Punkt 410 beträgt. – Hadrian, von deſſen humaner Energie und Macht man längs der unteren Donau, bis zum fernen Orient hin allenthalben wohlthätige Spuren findet, baute hier die erſte Waſſer- leitung; Juſtinian beſſerte ſie aus. – Doch darf nicht uner- wähnt bleiben, daß vor Letzteren ſchon Conſtantin I. von Süd- weſten her der Stadt eine Waſſerleitung zugeführt hatte. Zwei alte Leitungen, von beſonders ſorgfältiger Bauart, die das Waſſer von zwei Flüßchen nach Conſtantinopel führen, heißen noch jetzt die Juſtinianiſchen. Die conſtantiniſche Leitung wurde von Valens oberhalb der Stadt hingeführt. Die türkiſchen Herrſcher haben, von Mohammed dem Eroberer an, dieſe mächtigen Werke theils unterhalten, theils vermehrt. Eine mir hier zuerſt bekannt gewor- dene Conſtruction iſt geeignet, das Intereſſe der Aerzte beſonders in Anſpruch zu nehmen. Dies ſind ſogenannte Waſſerwaagen, obe- liskenartige Pfeiler, von deren Höhe das Waſſer in zwei Abſätzen herabſtürzt, um es mit der umgebenden freien Luft in vermehrte Berührung zu bringen und ihm dunſtartige ſchädliche Stoffe zu ent- ziehen. Gewiß iſt der letztere Zweck weſentlicher als einige Ver- mehrung der Druckkraft, die man gleichzeitig damit zu erzielen ge- dachte. – Hr. Kiepert hat ſich das Verdienſt erworben, den Lauf dieſer Aquäducte auf ſeiner Karte der europäiſchen Türkei zu be- – 101 – zeichnen. Sie ſind außerdem ſo häufig beſchrieben worden*), daß es hier genügen mag, nur noch der großen Waſſerbehälter Mah- mud's I. zu erwähnen, die man den Bend des Sultans und der Valide nennt, und die wir auf dem Rückwege beſuchten. Co- loſſale Mauern ſind an vielen Stellen prachtvoll mit weißem Mar- mor getäfelt. Ueber ihrer Höhe erhebt ſich ein nettes Landhaus des Sultans. Die Mauern ſind breit genug, um auf ihnen einher zu ſchreiten, ein Spaziergang, der durch das Rauſchen der nahen Waſſermaſſen, durch die herrlichen Baum-Gruppen der Umgebung, ſowie durch die Fernſicht auf das ſchiffbedeckte ſchwarze Meer, kaum irgend ſeines Gleichen finden mag. Kein menſchliches Weſen unterbrach die Einſamkeit unſerer Wanderung auf dem rieſigen Werke. Ein Häuschen unten im Thale ſcheint zur Wohnung für den Aufſeher beſtimmt zu ſein. In hohem Grade befriedigt, trat ich den Rückweg durch das Thal nach Böjükdere an. Kadi-köi, Scutari, der Bulgurlu, der Cypreſſenhain. Es war am 2. Oktober, als ich auf ſchnell geflügeltem Kaik über die Meerenge nach Aſien überſetzte, um bei Kadi-köi zu landen. Das ziemlich armſelig ausſehende, aber doch große Dorf, bietet die heutigen Ueberreſte des ehemaligen Chalcedon dar. Dieſes wurde 675 v. Chr. durch den Megarenſer Archias ge- gründet. Es iſt ſchwer, heute noch die Gründe aufzufinden, welche dazu bewogen haben können, in der kurzen Entfernung von einer kleinen halben Stunde neben dem damals ſchon reich blühenden Chryſopolis die neue Pflanzſtadt anzulegen. Als 17 Jahre ſpä- ter Byzas das Orakel befragte, wohin er die von ihm neu anzu- legende Stadt bauen ſolle? – konnte dies vielleicht deshalb ant- worten: „Den Blinden gegenüber!“ Byzas erkannte in den Blinden die Einwohner von Chalcedon, und wählte ſehr richtig den unvergleichlichen Boden von Byzanz. Dennoch erhielt ſich Chalcedon über tauſend Jahre und wurde ſchon früh der Sitz einer chriſtlichen Kirchenverſammlung. Aber der ſchnell wachſende Flor der neuen Kaiſerſtadt erdrückte allmälig die ſchwächere Nachbarin, bis ihr endlich Valens die aus mächtigen Quadern errichteten Mauern raubte, # - *) Man ſehe z. B. v. Hammer, Conſtantinopel und der Bosporos. Th. I. S. 560–583. – White, three years in Constantinopel. II. London, 1846. pag. 21–26. – 102 – um eine Waſſerleitung für Conſtantinopel daraus zu erhauen. Wenn aber irgend ein Umſtand geeignet erſcheint, den hohen Reichthum jenes europäiſch-aſiatiſchen Erdraumes offenkundig dazuthun, ſo iſt es das tauſendjährige Zuſammenleben von drei großen blühenden Städten innerhalb ſo eng zuſammengedrängter Begränzung. Sentari liegt gleichfalls auf ſieben Hügeln; aber ihre Zwi- ſchenräume ſind im Laufe der Jahrhunderte durch den Schutt von Zerſtörungen ſo ausgefüllt worden, daß es mir nicht gelungen iſt, ſie von einander zn unterſcheiden. Uskudar (Poſt-Boten-Anſtalt) nannten ſie die Perſer, welche in älteſter Zeit hier Tribut von Meer und Land erhoben. Noch heute lenkt ihre glückliche Lage alle aus dem Innern Aſiens gegen Europa ziehenden Karawanen hierher, und ihr alter griechiſcher Name Chryſopolis (Goldſtadt) erſcheint deshalb heute noch gerechtfertigt. An ihren Namen kettet die Ge- ſchichte eine große Erinnerung, – die an jene Schlacht, welche über die Herrſchaft der damals civiliſirten Welt entſchied, denn Con- ſtantin I. ſchlug hier 324 n. Chr. ſeinen Schwager Licinius, um ihn bald darauf in den Tod zu ſenden. Ihre Mauern hatte die Stadt indeſſen ſchon viel früher verloren, beſitzt auch jetzt dergleichen nicht, weshalb ſie denn als die aſiatiſche Vor- ſtadt von Conſtantinopel betrachtet wird. Ungeachtet der wohl- habende Ort von den Türken, als ein Theil ihres aſiatiſchen Heimathlandes hochgeachtet wird, fand ich ſeine Außenſeite, im Vergleich zu Conſtantinopel, dennoch dürftig, was ſich nicht blos auf die Privathäuſer, ſondern auch auf Moſcheen, Schulen, Karawanſereis und andere öffentliche Gebäude bezieht. Die Stadt breitet ſich an einem Abhange des Bulgurlu amphitheatraliſch aus, und da dieſer den Fuß anſehnlich ſteil nach Weſten ins Meer ſenkt, ſo iſt der obere Theil der Stadt etwas beſchwerlich zu durch- wandern Wir ſchritteu von Kadi-köi nach Scutari nordwärts auf dem ſchmalen Raume zwiſchen dem Meere und einer hohen Garten- mauer hin, wobei uns die brennende Sonne beſchwerlich genug fiel. Den Landungsplatz Scutari's fanden wir ungemein lebhaft; er befindet ſich ungefähr in der Mitte des unteren ebenen Abſchnittes. Regelmäßig hin und her fahrende Dampfſchiffe unterhalten gegen- wärtig die Communication mit Conſtantinopel; zahlloſe Kaiks ſchwim- men allenthalben umher. – Unfery des Meeres halten auf einem – 103 – öffentlichen beſchränkten Platze die Pferdeverleiher, welche auf die zahlreichen Beſucher des Bulgurlu ſpeculiwen. Dieſe Leute ſcheinen durch das viele engliſche Gold, welches die letzten beiden Jahre hier- her geleitet hatten, dergeſtalt verwöhnt, daß ich ihren unverſchämten Forderungen Widerſtand leiſtete und es Andern überließ, bei ihnen dem griechiſchen Namen der Stadt Ehre zu machen. Dadurch er- gab ſich für mich zugleich der Gewinn, daß der Fußmarſch eine ungleich eingehendere Betrachtung der ſich darbietenden Gegenſtände erlaubte. Oberhalb der Stadt krümmt ſich der Weg auf den Bulgurlu zuerſt von Nordoſt durch Nord nach Oſteu, um Anfangs mäßig, ſpäterhin ſteiler in die Höhe zu ſteigen. Die Special-Karte von Käuffer, welche v. Hammer dem zweiten Bande ſeines Werkes über Conſtantinopel beigefügt hat, iſt hier zum Gebrauche beſonders zu empfehlen. Ein großer chriſtlicher Begräbnißplatz blieb uns zur Linken, wahrſcheinlich gehörte er zur Kirche des h. Johannes. Man war ſoeben beſchäftigt, ein Kind uach armeniſchem Ritus zu beerdigen. Dem offenen Sarge folgte der in eine ſchwarze Toga und Baret gekleidete Geiſtliche; an der Grube nahm man dem Leichnam die zierliche Decke ab, umhüllte ihn mit einem einfachen Leintuche und ſchloß dann den Sarg, indem der Geiſtliche die üb- lichen Gebete verrichtete. Das Hinführen der Leichen nach der letz- ten Ruheſtätte in offenem Sarge, welches ich ehedem in Rom und Neapel beobachtet hatte, iſt alſo auch im Orient weit verbreitet. – Nachdem wir das Dorf Bulgurlu-köi zur Seite gelaſſen hatten, wurde der Weg ſteiler. Die Dörfer Groß- und Klein-Tſcham- lidſche, nahe an einander liegend, folgen ſodann. Eine nicht uu- anſehnliche Zahl von eleganten Landhäuſern durch Gärten mit Mau- ern umgeben, erkannten wir, vermöge ihrer vergitterten Fenſter, für türkiſche. Die Hauptquelle von Tſchamlidſche liefert nach der Meinung der Türken das vorzüglichſte Trinkwaſſer weit und breit; man führt es dem Sultan für ſeine Hofhaltung, ebenſo auch wohl- habenden Familien der Hauptſtadt von hier aus zu. Eine Waſſer- leitung für Scutari und Kadi-köi hat Sultan Selim angelegt. Eilf rieſenmäßige Platanen umgeben oberhalb der Dörfer ein ſtark beſuchtes Kaffehaus, deſſen ausgezeichnete Lage auch mich anzog, unter dem weitverbreiteten Schatten der Platanen eine Erfriſchung einzunehmen, die der anſtrengende Fußmarſch doppelt willkommen – 104 – machte. Etwas weiter oben traten einige große Pinien maleriſch hervor, die hier zu Lande über dem Reichthum an Cypreſſen ver- geſſen zu werden ſcheinen. – Endlich näherten wir uns von Oſteu her der letzten kegelförmigen Spitze, fanden dieſe aber von einer unäſthetiſchen Windmühle eingenommen, deren Beſitzer um ſein Eigenthum in weitem Umkreiſe einen tiefen Graben gezogen hatte, der das Erſteigen des höchſten Punktes abſichtlich verhinderte. Wahr- ſcheinlich waren dem Müller die zahlreichen Beſuche in den letzten beiden Jahren unbequem geworden. Wir mußten uns alſo mit dem Erſteigen eines Seitenhügels begnügen, welches dennoch durch das Ueberklettern von kurzem Dorngeſträuche, z. B. einer Art Wach- holder, Juniperus Oxycedrus, beſchwerlich genug gemacht wurde. Würdiger hatten einſt die griechiſchen Kaiſer Tiberius und Mau- ritius dort oben ein Jagdſchloß errichtet. Lavendel (Lavandula Stoechas), Rosmarin und Thymian nahmen die Seitenflächen der Bergſpitze von allen Seiten ein und müſſen während des Frühlings die Luft weithin durchduften. Aber barbariſche, vegetationsfeindliche Hände bemühen ſich, die ſtrebſamen Pflanzen alljährlich von Neuem zu vernichten. – Graf Andreoſſy*) giebt die Höhe des Bulgurlu zu 240 Meter an. Nach Meſſung des Hrn. Tſchihatſcheff liegt ſeine Spitze 738“ über dem Meere, wobei die nachbarlichen Erhebun- gen eine Höhe von 151–221“ haben. Die Ausſicht von der Spitze des Bulgurlu, des Damatrys der Griechen, iſt weltberühmt, oft und poetiſch beſchrieben worden, wie ſie es in der That verdient. Will man ſich der entſcheidenden Großthaten zugleich erinnern, die innerhalb des hier ſich eröffnenden Geſichtskreiſes vor ſich gegangen ſind, – will man der großen Männer mit den welthiſtoriſchen Namen-gedenken, welche hier vor- überzogen, – erkennt man zugleich, daß man auf der Warte des Erd- theils ſteht, von dem Civiliſation und Humanität urſprünglich aus- gingen, um weit hinein in einen andern Erdtheil getragen zu werden, der das Empfangene nicht blos heilig zu bewahren, ſondern auch zur höchſten Blüthe zu entfalten wußte, – dann freilich muß man ge- ſtehen, daß es keinen zweiten Punkt der Erde giebt, der ſich mit dieſem zu meſſen vermöchte. – Wohl findet ſich ein zweiter erha- bener Gipfel, der die Ausſicht von einem Erdthcil über das Meer *) Constantinople et le Bosphore de Thracie. pag. 90. – 105 – hinweg auf einen andern gewährt, welche ich perſönlich zu durchmeſſen ſo glücklich nicht war; es iſt die Spitze des Felſen's von Gibral- tar. Karthager, Weſtgothen, Vandalen und Saracenen haben frei- lich die Säulen des Herkules überſchritten, – aber kein Darius, kein Xerxes, kein Xenophon, kein Philipp von Macedonien, kein Alexander, kein Conſtantin I. hat jene wilden Schaaren geführt. – Mit dem Blicke vom Veſuv und vom Monte St. Angelo herab, haben Andere den von dem aſiatiſchen Vorgebirge verglichen. Abgeſehen davon, daß an einen außereuropäiſchen Theil unſers Planeten hier nicht gedacht werden kann, birgt die Geſchichte des ſchräg gegenüber ſtolz aus dem Golf auftauchenden Neapel's des wahrhaft Großen, Erhabenen, ſo ungemein wenig und des Un- reinen, Unmenſchlichen ſo viel, daß der auf dem Gipfel des Ve- ſuv's Weilende ſich des Nachdenkens und der Erinnerung des Ver- gangenen beſſer enthalten muß. Wer aber hier am keuſchen Bu- ſen einer ſtets unerſchöpflichen Natur ganz dem Augenblicke, der Gegenwart ſich hinzugeben vermag, das Treiben der Menſchen glück- lich vergeſſend, der dürfte vielleicht mit mir anerkennen, daß am Golf von Neapel das entzückend Schöne, unvergleichlich Dichte- riſche der geſammten Umgebung von Meer und Land, – dort hingegen, wo zwei Erdtheile ſich die Hand reichen, das Majeſtätiſche, Großartige überwiegt. Den Veſuv überragt ein vulkaniſcher Kra- ter, der ſeine Aſche einſt bis Conſtantinopel hinwarf; den Bul- gurlu – – verunziert eine winzige Windmühle. – Beiden hat eine gütige ſchöpferiſche Kraft ihre Gaben überſchwenglich ausgetheilt; beide aber welken und kränkeln mehr oder weniger unter dem eiſer- nen Drucke von Menſchen, die eines ſo hohen Glückes unwerth ſind. Hier, auf Aſiens Vorgebirge weilend, darf man, um der Poeſie der unvergleichlichen Fernſichten ungeſtört zu genießen, den Blick nicht über das jenſeit ausgebreitete Stambul hinausſchweifen laſſen, damit er nicht durch den, numittelbar vor deſſen Thoren in öder Wüſte trau- ernden weiten Landſtrich zur troſtloſeſten Wirklichkeit hinabgezerrt werde. Unaufhaltſam muß dort die Poeſie vor der Verwüſtung durch Barbaren ſinken, unter denen die Cultur verdorrt! Auf dem Rückwege hatten wir im Oſten und Nordoſten das Gebirge des Alem-Dagh vor uns, der nächſt dem bithyniſchen Olymp der Hauptſtadt das ſchon ſpärlich werdende Holz liefert. Wir wählten die Richtung nach dem berühmten Cypreſſenhaine, der 5** – 106 – Zierde eines coloſſalen Todtenfeldes. Auf dieſem Gange paſſirten wir eine wieſenartig bewachſene, baumloſe Stelle des Berg- abhanges, welche wir von zahlreichen, verſchleierten türkiſchen Frauen eingenommen fanden; dieſe erfreuten ſich dort des Ge- nuſſes der ihnen ſo ſpärlich zugemeſſenen Freiheit. Einige Diener und Aufſeher befanden ſich in reſpectvoller Entfernung; mehrere mit Ochſen beſpannte Wagen (Araba's), die Equipagen der Damen, hielten unfern; auch an ärmlichen Verkäufern von Süßig- keiten und Früchten fehlte es nicht. Es erregte Anfangs mein Erſtaunen, unter den letzteren – in ſo mildem Klima – auch ſaure, kleine Holzäpfel zu finden; aber ich erinnerte mich, daß hier nichts dieſer Art unmöglich ſei. Ehe wir in den nördlichen Seitenrand des Cypreſſenhaines eintraten, überſchritten wir eine völlig culturloſe Bodenfläche, deren hart ausgetrockneter Lehmboden am Abhange hin eine tiefe und breite eingeriſſene Furche trug, die offenbar von einem Gießbache hervor- gebracht worden war, den ein heftiger Gewitterregen wahrſcheinlich von Zeit zu Zeit dort erzeugt. Die waſſerloſe Furche ſtellte ſich ſo hindernd entgegen, daß wir einen Umweg machen mußten, um hinüber gelangen zu können. Auf der Karte finde ich hier ein Flüßchen verzeichnet; vielleicht iſt ſein regelmäßiges Beſtehen durch Waſſermangel aufgehoben. So würde alſo auch hier das Land an dem allen Gegenden gewöhnlichen Nachtheile leiden, denen man die Vegetation unverſtändig geraubt hat, – monatelange Dürre der Atmoſphäre und dann kurze plötzlich verheerende Sturzbäche. – Dichteriſche Beſchreibungen hatten mich hier dunkle, ſchattige Gänge, – der einſamen Klage geweihte Bosquet's, – murmelnde Bäche, plätſchernde Fontänen u. ſ. w. erwarten laſſen. Nichts von alle dem! Majeſtätiſch hohe, uralte Cypreſſen haben die unteren Aeſte abgeworfen, welche an den Stamm ſelbſt ſich anlehnend, dem jugend- lichen Baume die pyramidale Form verleihen, die ſie ſo charakteriſtiſch auszeichnet. Hierdurch wird den Sonnenſtrahlen der Eingang um ſo mehr erleichtert. Dennoch erreichen jene hohen Cypreſſen die maleriſche Schönheit der Pinien nicht, wie man ſie z. B. in der Umgebung von Rom findet. Das ganze Todtenfeld iſt mithin nach allen Richtungen durchſichtig. Auch entſpricht dies der allgemeinen Sitte der Orientalen; legten doch ſchon die Griechen und Römer ihre Gräber an die belebteſten Landſtraßen. Sie aber wußten den Blick der Vorübergehenden durch äſthetiſche Formen der Grab-Denkmale – 107 – zu feſſeln; die Einförmigkeit der unter den mächtigen Bäumen zerſtreuten türkiſchen Gräber wird aber nicht blos ermüdend, ſondern zuletzt in hohem Grade langweilig. Ein länglich viereckiges Geſchränk, hier oft den nahen Marmorbrüchen entnommen, umfaßt den Grab- hügel, an deſſen Kopfende ſich die ſenkrecht eingefügte Steinplatte erhebt, die oben breiter wie unten, außer dem Namen noch einen ſinnigen Spruch aus dem Koran, oder aus einem Dichter, darzu- bieten pflegt; v. Hammer*) hat eine Anzahl ſolcher Sinnſprüche in der Urſprache und der deutſchen Ueberſetzung mitgetheilt. Am Ende des Cypreſſenwaldes zog eine bedeutende Anzahl umgeſtürzter Grabſteine männlicher Verſtorbener meine Aufmerkſamkeit auf ſich, denen der Turban, welchen ſie ehedem getragen hatten, abgeſchlagen worden war. Man unterrichtete mich, daß dieſe Grabſtätten Janit- ſcharen angehörten, denen Sultan Mahmud II., der Janitſcharenver- tilger, ſelbſt die ſteinernen Köpfe nach dem Tode noch hatte zertrümmern laſſen. Die Wuth der Barbarei kann alſo auch durch den Tod nicht verſöhnt werden. Dabei erſchien es mir außerdem noch auf- fallend, daß dieſe zertrümmerten Köpfe bereits dreißig Jahre am Boden lagen, ohne daß irgend eine mitleidige Hand gewagt hätte, ſie der Schmach zu entreißen. Wirkt etwa des damaligen Herrſchers Fluch auch noch auf ſpätere Geſchlechter? Aber das dem Fatalismus ergebene Volk ſcheint die Entweihung nicht zu fühlen, welche durch dieſe neue Art der Hinrichtung nach dem Tode der von ihm am meiſten hochgeachteten aſiatiſchen Grabſtätte zugefügt worden iſt. – Weniger von dieſem Todtenfelde befriedigt, als viele meiner Vor- gänger, ſchritt ich eilig dem Ufer zu, um mich dem gegenüber- liegenden ſteilen Hügel von Pera wieder zuzuwenden, von deſſen Höhe herab mir der Cypreſſenhain maleriſcher erſchien, als von den Grabtrümmern mißliebig gewordener Verſtorbenen aus. Unterwegs forderte noch der ſogenannte Leander-Thurn einen kurzen Aufenthalt, der nahe an der aſiatiſchen Küſte eine kleine Felſeninſel einnimmt, welche aber den nöthigen Umfang beſitzt, dem Thurine und einem kleinen Wächterhauſe Raum zu gewähren. Die bekannte Begebenheit zwiſchen Leander und Hero fand zwiſchen Seſtos und Abydos an den Dardanellen ſtatt und hat alſo mit dieſen uralten Bäuwerke nichts gemein. Dennoch knüpfen ſich auch *) A. a. O. Th. II. S. 332 u. f. – Anhang S. LXI. – 108 – an dieſes romantiſche Sagen; die Türken nennen es deshalb den „Mädchenthurm“. – Specielles Intereſſe flößte mir der Thurm und ſein Nebengebäude dadurch ein, daß die Doctoren A. T. Bulard*) und Laye in ihm ihre Verſuche zur Erforſchung der Contagioſität der orientaliſchen Peſt angeſtellt haben. Wenn ich die große Beſchränktheit des Raumes betrachte, den dieſes ganz anderen Zwecken beſtimmte Gebäude darbietet, ſo erſcheint es mir überhaupt auffallend, daß unter den in ſo engem Raume zuſammengedrängten Kranken, abgeſehen von allem Anſteckungsſtoffe, ſich nicht die bösartig- ſten Formen ihrer fieberhaften Uebel unvermeidlich entwickelt haben ſoll- ten. Nur die vom Feſtlande völlig iſolirte Lage der kleinen Felſeninſel ſcheint hierzu Veranlaſſung gegeben zu haben; ſollte man zu dieſem Zwecke nicht eine der Prinzeninſeln haben einrichten können? Ich fand das Gebäude im Zuſtande der traurigſten Vernachläſſigung. Zahlreiche Steinplatten waren aus ihren Fugen gewichen, das Holz- werk zum Theil verrettet. Und doch muß das Auge des Großherrn auf dieſen Thurm treffen, ſo oft er an die Fenſter ſeines Marmor- pallaſtes tritt. Freilich gehört der Blick auf Ruinen hier zu dem Alltäglichen. Die Ausſicht von der mäßigen Höhe des Thurmes herab ſchweift beſonders über den äußeren Hafen mit ſeinen zahl- reichen, auf das neue Serail und die gegenüber, auf der europäiſchen Küſte, prangenden Palläſte; ſcheint es doch, als wolle man das aſiatiſche Heimathland hintanſetzen. Nur zu Seebädern wird die Umgegend des Thurmes jetzt beſonders benutzt. – Unfern der Stelle ſchlug der Athenienſer Chares die Flotte Philipps von Macedonien; nicht fern von dort errichteten nachher die dankbaren Byzantiner auf der aſiatiſchen Küſte den hülfebringenden Bundesgenoſſen Denk- male. Die türkiſche Regierung ſcheint ſeit 1856 eine ähnliche An- erkennung dargebrachter kriegeriſcher Hülfe nicht für zeitgemäß zu halten. Geographiſche Lage und Klima. – Das Klima von Con- ſtantinopel iſt ungleich rauher, als eine nördliche Breite von 41", 00, 20“, bei einer Länge von 26°, 35, 40“ von Paris es erwarten laſſen ſollte. In der That beträgt ſeine mittlere Jahres-Temperatur 13° R. und erreicht mithin beinahe die von Neapel, Liſſabon, mit Nimes und Orange, welche ſämmtlich 13°, 1“ haben. Aber *) De la peste orientale. Paris, 1839. – 109 – Byzanz iſt dem oft herrſchenden Andrange der nördlichen Luft- ſtrömung ausgeſetzt, welche die Wellen des Bosporus aus dem nahen Pontus begleitet, die ſich an dem Felſenfuße der Stadt brechen. Die wechſelvolle, unbeſtändige Witterung des ſchwarzen Meeres, des Pontus axynos der Alten, dehnt ſich, mit einer gewiſſen Vorliebe, gern nach Süden hinaus, gleichſam um die von dort herkommenden Schiffer vor ſeiner Bekanntſchaft zu warnen. Letztere ermangelten deshalb im Alterthume nie, kurz vor dem Eindringen in das ungaſtliche Meer dem Jupiter und dem Poſeidon Opfer dar- zubringen. Auch muß das Klima damals eben ſo wenig anzie- hend als jetzt geweſen ſein, denn Stratonikus ſoll von dem Klima Thraciens im Allgemeinen, beſonders jedoch von der Stadt Aenos (Enos) behauptet haben, der Winter herrſche dort vier Monate des Jahres, und die Kälte während der übrigen acht*). Der 1858 zu Coblenz verſtorbene ausgezeichnete Ingenieur-General Fiſcher, der geraume Zeit im türkiſchen Heere gedient hatte, ſagte mir einſt, als ich über die Veränderlichkeit der Lufttemperatur am Rheine klagte, daß ſie von der zu Conſtantinopel vorherrſchenden in hohem Grade übertroffen werde. – Wer über dieſe Schwankungen ge- nauere Auskunft zu erhalten wünſcht, mag die dort von Hrn. Noé angeſtellten Thermometer- und Barometer-Beobachtungen nachſehen, welche durch Hrn. Rigler*) ausführlich mitgetheilt worden ſind. Hier gebietet der enger an den Raum anzulegende Maßſtab eine Beſchränkung auf allgemeine Bemerkungen. Mir ſelbſt war der Zufall in der öſtlichen Metropole günſtig. Ich fand die Luft im September ſehr milde, was ſelbſt noch für die Zeit des Anfanges der zweiten Hälfte des Oktobers galt. Aber während ich in der erſten Hälfte des letzteren Monats zu Bruſſa eine ſtets heitere, ſonnige Atmoſphäre genoſſen hatte, wünſchte man mir bei der Rückkunft nach Stambul Glück, dem Sturm und Re- gen entgangen zu ſein, der hier vorgeherrſcht habe. Im September pflegt die Temperatur zwiſchen 11° und 17° R., im April zwiſchen 7° und 15° R. zu ſchwanken. Aber ſie kann im Auguſt bis auf + 27° und 28° ſteigen, im Januar, ſelbſt noch bis Mitte Fe- bruar's auf – 5 und 6° R., ausnahmsweiſe noch etwas tiefer ſinken. *) Musaeus, Lib. III, Cap. X, pag. 350. *) Die Türkei und ihre Bewohner. 1. Bd. Wien, 1852. S. 23 u. f. – 110 – Der Schnee kann mitunter ſo ſtark fallen, daß die Verbindung zwiſchen den Wohnungen erſchwert wird, wo denn auch die Zufuhr von Eis für den Sommer von außen her entbehrlich gemacht wird. Dennoch lehrt ein Blick auf die Vegetation, namentlich auf die herrlichen Cypreſ- ſen bald, daß eine Kälte, die man in Mittel-Europa eine ſtrenge nennen würde, dort nie vorkommen kann. Ich bemühte mich vergebens, die edle Cypreſſe am Rhein bei Bonn zu acclimatiſiren; der erſte etwas ſtrenge Winter nahm ſie jederzeit fort. Dagegen gedeiht aber doch der Oelbaum, das vegetative Wahrzeichen für ein den Namen des „milden“ wirklich verdienenden Klima's nicht. In der Vegetations- Anſicht mag ihn, weithin überwiegend, die majeſtätiſche orientaliſche Platane erſetzen. – Jedenfalls iſt der ſtrenge Winter hier kurz, was jedoch leider auch von dem Frühling gilt, der zu ſchnell vor- übereilt. Ohne Regen bleibt nicht leicht ein Monat, und den- noch fand ich die Vegetation der umgebenden Ebene im September verdorrt; auch ſah ich die Luft nur zu häufig mit Dunſt und Staub erfüllt. Dennoch iſt der Spätſommer wohl der genußreichſte Theil des Jahres; ich erinnere mich immer noch dankbar des Behagens, mit welchem ich die laue Abendluft auf dem Hügel von Pera ein- geathmet habe, deſſen Fuß von dem, erfriſchende Kühlung verbrei- tenden Meere gebadet wird. – Dagegen fand Hr. v. Prokeſch*) um die Mitte Novembers das abſcheulichſte Wetter von der Welt, Sturm, Nebel, Kälte, Regen. „Die Gefahren einer um dieſelbe Jahreszeit in die Propontis und die Dardanellen unternommenen Seereiſe“ ſchildert Hr. v. Prokeſch mit ſo ſchwarzen und leben- digen Farben, daß jeder Leſer ſich dadurch angemahnt fühlen wird, zu ſolcher Unternehmung eine günſtigere Jahreszeit abzuwarten. – Hr. Griſebach*) war ſo glücklich, von der zweiten Hälfte des April an dort einer ſtets heiteren Witterung, – nicht einem ein- zigen Regentag – zu begegnen, mit Ausnahme einiger Gewitterſchalter. Die Atmoſphäre war zugleich den größeren Theil des Tages un- gemein durchſichtig. – Auch v. Callot ſah im Winter 1830/31 zu Stambul auf den Straßen eben ſo wenig Schnee, als auf dem Gipfel des bithyniſchen Olymps. Am 3. Januar will er im Hafen ſogar eine Temperatur von + 20° R. beobachtet haben (?). Außer *) A. a. O. I. S. 480. **) Reiſe nach Rumelien. I. Bd. Göttingen, 1841. S. 42. – 111 – ihm finde ich keinen andern Beobachter, der in ſo auffallender Weiſe begünſtigt geweſen wäre. Vom Januar 1858 berichteten die öffentlichen Blätter ſogar: daß die Einwohner genöthigt ſeien, ſich durch enorme Schneemaſſen Wege zu graben, um von einem Hauſe zum andern zu gelangen. Mit einem Worte: „Veränder- lichkeit“ iſt der Name des Klima's von Byzanz. Unter ſolchen Umſtänden kann es nicht fehlen, daß Erkältungs- Krankheiten, und namentlich Entzündungen der Athmungs-Organe, dort an der Tagesordnung ſind. Das weichliche Haremleben und der Widerwille der Türken gegen körperliche Anſtrengungen müſſen das Hautorgan um ſo empfindlicher gegen raſchen Temperatur- Wechſel machen. Die leichte Bauart der meiſten türkiſchen Häuſer und die Theurung des Heizungsmaterials, ſowie Mangel an Oefen kommen hinzu. Am übelſten befinden ſich dabei die armen einge- ſchloſſenen und mit Argus-Augen bewachten Frauen. Langeweile, Gram über ein vertrauertes Leben und erzwungenes Stillſitzen geben wechſelsweiſe die Veranlaſſung zu Nervenzufällen und Blutſtockungen. Hämorrhoidalleiden ſollen in keinem bekannten Orte häufiger als in Conſtantinopel vorkommen. Ebenſo verkürzt Tuberkuloſe dort oft genug das Leben; Augenkrankheiten treten aber weiter gegen Süden mehr und mehr hervor, um in Egypten ihren Culminationspunkt zu erreichen. WIII. Das Marmara-Meer und die Prinzen-Inſeln. – Ricomedien und ſein Golf. – Der Gök-dagh. – Nicäa. – Zeniſchehr. – Bruſſa und ſeine Ebene. – Ruinen des alten Schloſſes. – Seidenfabrikation. – Das Erdbeben von 1855 und ſeine Folgen. – Die Stadt und ihre Bewohner. – Volkszahl. – Grabmäler der Gründer der os- maniſchen Dynaſtie. – Waſſerleitung. – Weinerzeugung. – No- ſcheen. – Beſchneidungs-Feierlichkeit. – RBarme Bäder von Bruſſa und Tſchekirghe. – Klima und geographiſche Lage. – Asklepiades von Bithynien. – Der bithyniſche Dlymp. – Der Boden der Ebene und ſeine Cultur. – Die Vegetation. – Ritt nach Gemlik. – Das Katerlü-Gebirge. – Rückkehr nach Conſtantinopel, Der Theil von Kleinaſſen, deſſen bewohnte Hauptpunkte die Städte Scutari, Nicomedien (Ismid oder Iskimid), Nicäa (Isnik), Jeniſchehr, Bruſſa, darſtellen, hängt mit Conſtanti- nopel und dem Bosporus, ungeachtet der Trennung durch einen Meeresarm, ſo innig zuſammen, daß ſchon um deswillen ihr Be- ſuch für Den unentbehrlich iſt, der die Metropole nicht blos in ihrem Innern, ſondern auch nach ihren nachbarlichen Beziehungen kennen lernen will. Außerdem bietet aber die jene Städte umge- bende Landſchaft, mit dem bithyniſchen Olymp und ſeinen Gebirgs- Verzweigungen, ein hohes naturhiſtoriſches Intereſſe; die Geſchichte zeigt uns ſodann gerade hier, oder in der nähern Nachbarſchaft, das Beginnen mächtiger Staats-Umwälzungen; – das Reich der Os- manen faßte hier feſten Fuß, ehe es die habgierigen Augen auf das reiche Oſtland von Europa zu werfen wagte. So begab ich mich denn am frühen Morgen des 4. Oktober zu dem im äußeren Hafen liegenden Dampfſchiffe, welches die Fahrt nach Ismid, Mudania und Gemlik wöchentlich einmal regel- – 113 – mäßig unternimmt. Eine aus Armeniern und Griechen zuſammen- geſetzte Privat-Geſellſchaft hatte damals von der Regierung die aus- ſchließliche Conceſſion für dieſe Dampfer-Linie erhalten. Das von Engländern gemachte Anerbieten einer Concurrenz, die für das Publikum ohne Zweifel von höchſtem Nutzen geweſen ſein würde, war zurückgewieſen worden. Mein Begleiter und Dolmetſcher auf dieſer Excurſion war ein unirter Grieche, der dieſelbe Reiſe, guten Zeugniſſen gemäß, ſchon mehrmals gemacht hatte. – Wir langten zu der für die Abfahrt beſtimmten Zeit, um 7 Uhr Morgens bei unſerm Dampfſchiffe an, welches wir außerhalb des Einganges zum goldnen Horn, zwiſchen zwei öſterreichiſchen Lloyd-Dampfſchiffen, bereits durch einen dichten Knäuel von Kaiks und Barken aller Art eingeſchloſſen fanden. Ihre unter einander hadernden Führer ver- übten durch Geſchrei, Schelten und Lärmen einen wahrhaft betäu- benden Tumult. Hier und da kam es zwiſchen den Bootsleuten zu Thätlichkeiten, indem jeder zuerſt an die ſchmale Schiffstreppe anlegen wollte. Während eines ſolchen Conflictes kam mein Kopf in eine ſehr unſanfte Berührung mit der Stange eines Kaikſchi, der freilich mein an ſeinem Streite unſchuldiges Haupt gewiß nicht hatte treffen wollen. Von einer beſchwichtigenden oder einſchreiten- den Polizei-Gewalt wurde nichts ſichtbar. Nach Fährlichkeiten man- cher Art war es uns endlich gelungen, die erſehnte Treppe zu er- kämpfen; wir mußten ſie gleichſam im Sturm erſteigen. Das Ver- deck fanden wir von lagernden Menſchen dicht bedeckt; Frauen und Kinder hatten der Zahl nach das Uebergewicht, – hier und da tauchte auch das ſchwarze Geſicht einer Sclavin aus der langen Reihe auf. Alle dieſe Deck-Paſſagiere hatten ſich auf mitgebrachten Decken, Teppichen oder Matratzen möglichſt wohnlich eingerichtet; ſchon dampfte der Kaffetopf im Kreiſe mancher dieſer Familien. – Kurz vor acht Uhr lichtete endlich unſer mit zwei Rädern verſehenes Dampfſchiff die Anker; von dieſem Augenblicke an nahmen vor- läufig die außerhalb des Schiffes befindlichen Gegenſtände die Auf- merkſamkeit vorzugsweiſe in Anſpruch. Nachdem ſich unſer Dampfer mühſam durch Hunderte von Schiffen, Barken und Kaiks hindurch gedrängt hatte, erwartete ich einige Beruhigung des ohrzerreißenden Getümmels. Ich hatte mich verrechnet; neben Kindergeſchrei machten ſich kreiſchende Weiberſtimmen hörbar; das tiefere Gemurmel der Män- ner bildete den anhaltenden Grundton zu dieſem unmelodiſchen – 114 – Schiffs-Concerte. In dieſem maßte ſich aber das Primat ein junger Türke an, der, auf einem Radkaſten thronend, mit einer wahrhaft unver- wüſtlichen Ausdauer, die beſſeren Erfolges würdig geweſen wäre, un- aufhörlich ſang, mit einem Tambourin ſich ſelbſt begleitend. Alle meine Anſtrengungen, aus ſeinen Tönen irgend eine geordnete Mr- ladie heraus zu hören, waren vergebens; ein Chaos von Tönen ſchien auf den Uranfang aller Muſik hinzudeuten. Doch mußte der Sänger auf duldſame Ohren rechnen können, denn ich bemerkte keine Unzufriedenheit in den Phyſiognomieen der Nahefitzenden ausgedrückt, obgleich anderer Seits ihm auch Niemand beſondere Aufmerk- ſamkeit zuwendete; – eben ſo wenig ſah ich ihm Spenden zuflie- ßen. – Leichter ließen ſich die ohrquälenden Töne während des Anſchauens ſo großartiger Naturſchönheiten überhören, wie ſie hier mannigfach wechſelnd an dem Wanderer vorüber gleiten. Unſer Schiff bewegte ſich anfänglich, nahe dem europäiſchen Ufer, längs der Gärten des neuen Serails hin, um ſodann ihre äußerſte öſt- liche Spitze umkreiſend, in das Meer von Marmara einzulenken. Leider war die Atmoſphäre mit Dünſten ſo erfüllt, daß fernere Gegenſtände im Nebel verſchwammen; uähere Punkte aber traten, von der Morgenſonne beleuchtet, glänzend hervor, unter denen rechts die Sophienkirche, der Thurm des Seraskiers und die Moſchee Sultan Ahmed, links der Bulgurlu mit Seutari als fixe Stand- punkte den Blick immer wieder von neuem anzogen. In der Pro- pontis angelangt, blieben mir die aſiatiſche Küſte, ſowie die gewaltigen ſieben Thürme der europäiſchen Seite, mit den ſüdlich weiterhin folgen- den nächſten Dörfern, ziemlich fern. Dagegen fuhren wir an der Nord- oſtſeite der Prinzen-Inſeln ſo nahe hin, daß ich dieſe genau zu über- ſehen vermochte. Man findet gewöhnlich ſieben dieſer Inſeln auf- geführt; ihrer ſind jedoch neun, mehrere von ihnen unbewohnt. Die auf unſerm Wege zuerſt auftretende Inſel Prote oder Proſti, erſchien uns ſehr ſchwach bevölkert. Anders war es zur Zeit des byzautiniſchen Kaiſerthums. In einem früh hier erbaut geweſenen Kloſter endeten zwei griechiſche Kaiſer, einer von ihnen (Romanus Diogenes) ſogar mit ausgeſtochenen Augen, außer ihnen zahlreiche Prinzen und Miniſter das Leben. Die graue menſchenarme Inſel ſchien gegenwärtig über ihren früheren Henker-Beruf ſelbſt zu trau- ern. – Die zweite Inſel Antigona, die bei den Byzantinern Terebiu thos oder Panor mos hieß, iſt bewohnter. Sie trägt nahe am Ufer die Ruinen eines großen Schloſſes, welches durch eine Feuersbrunſt ſchon um dieſelhe Zeit zerſtört worden iſt, als die Perſer Chalcedon vernichteten. An der Anhöhe finden ſich noch die Ruinen eines Kloſters, welches den byzantiniſchen Kaiſern gleichfalls zum Verbannungsorte diente. Hier kerkerte man unter Anderen den h. Methodius ſiehen Jahre in einem Grabe ein, um ihn hernach zum Patriarchen von Conſtantinopel zu machen. Die dritte Inſel Chalki, zeichnet ſich durch Baumgruppen, unten Piuien, ohen Eichen, und mehrere grüne Thäler vortheilhaft aus. Drei griechiſche Klöſter decken die Spitzen von drei Hügeln, wo- durch die ganze Inſel eine dreiſeitige Geſtalt bekommt; unter ihnen liegt das Kloſter St. Georg 550“ über dem Meere. In früher Zeit wurden hier Kupfergruben ausgebeutet; gegenwärtig macht man hierher im Frühlinge und Herbſte häufige Luſtfahrten. Eben deshalb ſind jetzt freundlich einladende Landhäuſer entſtanden und ein in's Meer hinein reichender hölzerner Damm iſt zum Anlegen der Dampfſchiffe beſtimmt, die bei guter Jahreszeit wöchentlich zwei Mal von der Hauptſtadt hierher und wieder zurück fahren. – Von den übrigen Inſeln erwähne ich nur der umfangreichſten unter allen, Prinkipos. Ihre hervortretenden Felsparthieen erſcheinen röthlich; grüne Thäler ziehen ſich aber weithin und dienen beſonders den Griechen der Hauptſtadt häufig zu angenehmen Ausflüchten. Die Reinheit und Milde der hier vorherrſchenden Seeluft wird beſon- ders gerühmt. Auch dieſe Inſel ernährt drei Klöſter, deren eines urſprünglich von der berüchtigten Kaiſerin Irene, der Verbündeten Karl's des Großen, erbaut wurde, ſich ſelbſt zum Aufeuthalte in künftiger wohlverdienter Verbannung. Von nun an ſüdlich ſteuernd, näherten wir uns der aſiatiſchen Küſte mehr. Jetzt fehlte es nicht an Muße, die ſich auf dem Schiffe ſelbſt darbietenden Gegenſtände abermals, und jetzt näher ins Auge zu faſſen. Es ergab ſich, daß für die Paſſagiere des erſten Platzes außer- halb der Kajüte kein beſonderer Raum auf dem Verdecke vorhanden war; jeder Verſuch zur Körperbewegung mußte mit Ueberſteigen von zahl- reichen Beinen ausgeſtreckt Lagernder erkauft werden. Freilich waren ſolcher Paſſagiere nur vier oder fünf vorhanden. – Das Hinter- deck ſchien dem weiblicheu Geſchlecht und den Kindern vorzugsweiſe eingeräumt zu ſein. Unter ihnen zeichneten ſich einige Griechinnen durch regelmäßige Geſichtszüge, glänzende ſchwarze Augen, hochge- – 116 – wölbte Angenbrauen und kleinen Mund vortheilhaft aus. Bei den verſchleierten Türkinnen ſank im Laufe der Reiſe der Schleier mehr und mehr; nur eine alte Frau bemühte ſich, ſelbſt während des Eſſens den zahnloſen Mund dicht verdeckt zu erhalten, wodurch während des Kauens wahrhaft komiſche Figuren entſtanden. Es be- fand ſich unter den jüngeren Türkinnen keine, die eines Malers Aufmerkſamkeit anhaltend auf ſich gezogen haben würde; über die oft angenehmen Geſichtszüge lagerte ſich faſt immer der Ausdruck des Hinwelkens und der Erſchlaffung, – kein aufblitzendes Feuer drang aus den matten Augen hervor. Die Langeweile des Harems übte alſo ihren Einfluß andauernd auch noch während der größeren Freiheit bei der Seefahrt. Eine ungewöhnlich häßliche Negerſclavin von ſtarkem Knochenbau rauchte unaufhörlich in Papier gewickelte Cigarren; die Nägel der dicken Finger hatte ſie ſorgfältig roth ge- färbt. So anmaßend die Sclavin, ſo beſcheiden erſchien die neben ihr ſitzende, nicht rauchende türkiſche Herrin. Ein ähnliches Ver- hältniß ſoll ſich im Innern des Harems nicht ſelten herausſtellen. Unter den Männern wurde einem alten Derwiſch mit langem grauen Barte beſonders achtungsvoll begegnet; er trug die gewöhn- liche ſpitze graue Filzmütze auf dem geſchorenen Haupte. In ſeiner Nähe unterhielt ſich ein griechiſcher Geiſtlicher unaufhörlich mit ſei- ner Frau und einem Kinde, ohne von den Dingen außer ihm je- mals Notiz zu nehmen. Der unter den zahlreichen Gruppen mit offenem Beutel mühſam herumſteigende Schiffs-Conducteur brachte etwas mehr Mannigfaltigkeit in die bewegte Scene, indem er das Fahrgeld einkaſſirte; er ſchien ein Armenier zu ſein. Der Schiffs- Capitän, ein lebhafter kräftiger Mann, war aus Raguſa, welches ſehr vielen Handelsſchiffen des mittelländiſchen Meeres die Führer liefert. – Der erſte Ort der Küſte, bei welchem unſer Schiff an- legte, um Paſſagiere auszuſetzen und einzunehmen, war das Dorf Aridſchi. Von hier aus begaben wir uns zu dem gegenüber lie- genden Ufer, nachdem wir tiefer in den Golf von Ismid vorge- drungen waren, um gegen Mittag vor Kara-Muſſal Anker zu werfen. Dieſes etwas anſehnlichere Städtchen breitet ſich, amphi- theatraliſch aufſteigend, an einer Anhöhe aus und gewährt einen maleriſchen Anblick. Am Ufer ſahen wir einige Küſtenfahrer auf dem Werft liegen; wegen dieſes Schiffsbaues und ſeiner trefflichen Granatäpfel war der Ort ſchon bei den Alten berühmt. Weiter – 117 – ſüdöſtlich am Ufer hinfahrend, boten ſich uns grün bis zur Spitze bewaldete Anhöhen, mitunter von anſehnlicher Höhe dar, an deren Fuß freundliche Dörfer mit rothen Ziegeldächern nahe auf einander folgten. Die auf der europäiſchen Seite ſaſt unvermeidlichen Stroh- dächer waren hier verſchwunden. Die Wirkung hiervon auf den Beſchauer wurde beſonders begünſtigt, als zwiſchen 12 und 1 Uhr die Sonne jede Spur von Nebel aus der Atmoſphäre verjagt hatte. Hell und klar traten nun alle Linien des nahen lachenden Ufers hervor, und es ſchien in der That, als ob hier eine heitere Natur den Druck der Menſchenhände erleichtert habe. Kleine Segelſchiffe zogen gleichzeitig hin und her. Endlich näherten wir uns dem innerſten geſchloſſenen Ende des Golfs, und ließen vor der Stadt, die ihm den Namen gegeben hat, vor Jskimid (Js mid), dem alten Ni- comedia, den Anker fallen. Leider iſt der Golf vor der Stadt ſo ſeicht, daß ſich unſer größeres Schiff der hölzernen Landungs- brücke nicht zu nähern vermochte; wir wurden in Nachen an das Land geſetzt. Die Stadt verdient den Namen eines elenden Dorfes, welchen ihr die Reiſebeſchreiber aus dem Anfange des gegenwärtigen Jahr- hunderts gegeben, zur Zeit keineswegs. Eine etwas ſteile Fels- Anhöhe iſt mit Häuſern recht eigentlich bedeckt; ſogar außerhalb der Ueberreſte ehemals feſter Ringmauern findet ſich noch eine Anzahl von Wohnungen, die freilich den Anſprüchen, welche wir an ſtädtiſche Häuſer zu machen gewohnt ſind, wenig entſprechen. Die wohl- habenderen Einwohner ſcheinen ſich in einige Straßen zuſammen- gedrängt zu haben, welche parallel mit dem Meeresufer, in der ſchmalen Ebene zwiſchen ihm und der Anhöhe verlaufen. Ein leb- hafter Verkehr gab ſich hier kund, der wohl durch die eben erfolgte Ankunft des Dampfſchiffes aus Conſtantinopel vermehrt ſein mochte. Einige unter rechtem Winkel auf jene ſtoßende Straßen, welche vertical den Hügel hinanſteigen, verlaufen etwas zu ſteil. Bei der Nachfrage nach einem Gaſthofe verwies man uns auf ein Kaffe- haus, welches unmittelbar am Meere lag. Der ziemlich geräumige viereckige Saal deſſelben ſchwebte gleichſam über dem Meere, indem ſeine hölzerne Unterlage auf Säulen von weißem Marmor ruhte, die wahrſcheinlich den Ruinen ehemaliger Prachtgebäude entnommen waren. Die Einrichtung deſſelben erſchien ungemein einfach. Die Geräthe beſchränkten ſich auf eine an der Wand herumlaufende – 118 – Bank und einige lange Tiſche. Aber die Ausſicht aus den hoher ſchmalen Fenſtern auf das belebte Meer und die gegenüber liegende Küſte war entzückend ſchön, und ſchaffte reichen Erſatz für den Mängel an Comfort. Eine Anzahl aus- und eingehender Griechen unterhielt rauchend eine ſehr lebhafte Converſation. Nördlich von der Stadt befindet ſich die Rhede, auf welcher 16–12 kleike Han- delsſchiffe lagen. Man treibt Schiffsbau; ein kleines Kriegsſchiff wurde für die Regierung ſo eben hier gebaut. Die geräumige Bucht würde hierzu ausgezeichnet brauchbar ſein, wenn man ſie durcheitert in das Meer hinaus zu ziehenden. Damit gegen die Nord- und Nord- oſt-Stürme ſchützen wollte. Um 4 Uhr Nachmittags machte ich mich zu Pferde auf, um die Ueberreſte der alten Stadt zu beſchauen; unſer Führer wußte viele fabelhafte Dinge von ihr zu erzählen: Der Weg führte an der ſüdlichen Seite der Stadt in die Höhe. Wir paſſirten eine türkiſche Grabſtätte, die mit den prachtvollſten Cypreſſen bedeckt war, zwiſchen denen die rothen Früchte zahlreicher Granatbäume hindurch ſchimmertet. Der Granatbattm gedeiht hier ohne alle menſchliche Pflege beſonders üppig. Auf dem Gipfel der etwas über 300 hohen Anhöhe ſtießer wir auf die Reſte eiltes anſehn- lichen runden Thurmes, der afterdings ſeiner äußeren Bekleidung verluſtig gegangen war, deſſen Bauart jedoch über ſeinen römiſchen“ Urſprung keinen Zweifel übrig läßt. Zwei andere, in regelmäßigen Entfernungen auf einander folgende runde Thürme erſchienen ungleich mehr zerſtört. In der, jene Thürme miteinander verbin- denden ſtarken Mauer treten ſcharf behauene Maſſen von weißem Marmor, ebenſo Bruchſtücke von Säulen hervor. Auf der Spitze folgteit endlich noch Reſte von viereckigen Thürmen, deren einem ein Theil ſeiner aus weißen Quadern beſtehenden Bekleidung noch verblieben iſt. Inſchriften bin ich nicht gewahr geworden. Sie würdeit ſich vielleicht finden, wenn man die üppig wuchernden Schling- gewächſe, Epheu, Brombeeren, Waldrebe u. ſw. hinwegräumen oder Marinor-Fragmente hervorziehen wollte. Der Weg, den wir an der Nordbſtſeite der Stadt außerhalb der Mauerreſte hinab- ſtiegelt, war ziemlich ſteil und unbequem: In der Ebene ange- langt, wendeten wir uns dem ſehr geräumigen chriſtlichen Begräb- nißplatze zu, der mit wahrhaft coloffaler Terebinthenbäumen ge- ſchmückt iſt. Im Schutze des durch ſie gebildeten mächtigen grünen – 119 – Laubdaches dehnen ſich viele Reihen von Grabſteinen aus grobem Marmor hin, die wagerecht den Grabhügel deckend, lange armeniſche oder griechiſche Inſchriften trugen. Mir fiel die Sitte auf, das Geſchäft des Verſtorbenen auf die Steine durch ein Emblem kennt- lich zu machen; ſo finden ſich hier zahlreiche Schneider-Scheeren, Ellen, Winkelmaaße und dergleichen. Unfern dieſes durch ſeinen majeſtätiſchen Baumſchmuck intereſſanten Platzes, unmittelbar am Fuße des Hügels ſah ich eine neu aufgeführte und weiß übertünchte Mauer ein anſehnliches längliches Viereck umſchließen. Auf meine Frage nach ſeiner Bedeutung erfuhr ich, daß dies der Begräbniß- platz der Engländer ſei, die hier während des letzten Krim-Feld- zuges ein bedeutendes Kavallerie-Depot unterhielten. Sie ſtanden bei den Einwohnern fortwährend in gutem Andenken, wozu ihre gefüllten Börſen weſentlich beigetragen haben mögen. – Ungeachtet dev vorgerückten Jahreszeit umfing uns eine ungemein milde Atmoſ- phäre; gewißhatte ſie weſentlich daran Theil, daß der fruchtbare Bodent der Ebene allenthalben mit einer üppig grünenden Vegetation be- deckt war. Zwiſchen zahlreichen, gut bebauten Gärten führte mich endlich ein breiter, ſüdwärts verlaufender Weg zur Stadt zurück. Während dieſes Ganges hatte ich hinlängliche Muße, den wohl- thätigen Einfluß des milden Klimas zu bewundern. Hoch ge- zogene Rebengehänge erſchienen geſchmückt mit einen Fuß lan- gen Trauben, deren ausgepreßter Saft einer feurigen Wein gibt, der ſich unſern Deſſertweinen ebenbürtig anreihen würde. Viele Maulbeerbäume deuten darauf hin, daß man Seidenbau treibt; mehrere dergleichen fand ich ſpäter noch auf der gegenüber liegender Seite des Golfs. Man ſagte mir, daß drei Stunden von hier ſich eine anſehnliche Seidenfabrik befinde. Ebenſo gedeiht der Oel- baum, den ich ſpäter weder in Ricäa noch in Bruſſa fand. Rieſige orientaliſche Platanen verſchönern hier und da die Landſchaſt. In den Marktbuden hatte ich Nachmittags bereits einen großen Reichthum von Früchten ausgeſtellt geſehen, deren maleriſche Zierde Granatäpfel, aufgeſchnittene, ihr rothes Mark darbietende Waſſer- melonen, Liebesäpfel, die Früchte von Solanum Melongena, Melo- nen und Kürbiſſe verſchiedener Form bildeten. Nach dem von Nicomedien gewonnenen Ueberblicke ergriff mich tiefes Bedauern darüber, daß dieſer ſo überreich ausgeſtattete Punkt der Erde durch Barbarei zu ſeinem gegenwärtigen Verfall – 120 – hat herabgewürdigt werden können. Nahe am inneren öſtlichen Ende eines großen Golfes, ähnlich wie das nahe Gemlik, auf dem nördlichen Ufer gelegen, iſt es vom Meere aus cbenſowohl wie vom Lande her leicht zugänglich. Der unerſchöpfliche Reichthum des Bodens ſeiner Umgebungen, des Meeres an Fiſchen, der üppigen feuchten Thäler der Nachbarſchaft als Viehweiden, die zu alledem, gehörige milde, meiſtens reine Atmoſphäre, ſchaffen aus ihm einen Juwel, der jeden Kaiſerſitz ſchmücken würde. In politiſcher Hinſicht kommt noch hinzu, daß Nicomedien beinahe gleich weit vom Aus- fluſſe der Donau, wie von dem des Euphrat entfernt liegt. Auch iſt dies früh ſchon vollſtändig gewürdigt worden, und Scott Waring*), der 1805 hier war, behauptet ſogar, daß Nicomedien nach Conſtantinopel der am vortheilhafteſten gelegene Ort der Welt ſei. Diocletian, derjenige unter den römiſchen Imperatoren, in welchem ſich tiefe Staatsklugheit und Energie mit voller Anerken- nung der Kräfte und der Schönheiten der Natur am meiſten ver- einigte, wählte Nicomedien zu ſeinem Herrſcherſitz, nachdem er von dem weiten römiſchen Reiche die reichen aſiatiſchen Provinzen, Egyp- ten und Thracien in der Theilung für ſich behalten hatte. Der glänzende Hof zog bald zahlreiche Einwohner aus allen Weltgegenden hierher; Gibbon*) behauptet ſogar, daß die Stadt damals an Ein- wohnerzahl nur hinter Rom, Alexandrien und Antiochien zurückgeblieben ſei. Der von den Reſten der Ringmauer heute noch umſchloſſene Raum würde indeſſen nicht im Stande geweſen ſein, eine ſolche Menſchenmaſſe in ſich zu faſſen, und es müßten alſo anſehnliche Vorſtädte vorhanden geweſen ſein, von denen nur wenige Spuren noch ſichtbar ſind. – Palläſte, Tempel und Luxusgebäude aller Art ſproßten üppig empor. Freilich ging damals aus dieſem Orte auch das ſcharfe Edikt zur Verfolgung des Chriſtenthums aus, durch welches der Kaiſer die emporſtrebende Macht deſſelben noch niederbeugen zu können wähnte. Die völlige Fruchtloſigkeit des grauſamen Unternehmens hat, neben langwieriger Kränklichkeit, viel- leicht nicht unweſentlich dazu beigetragen, daß Diocletian 305 *) Voyage de l'Inde à Chyras. Traduit de l'Anglais par M. Paris, 1813. pag. 265. - - *) Geſchichte des Verfalls des römiſchen Reiches. A. d. Engl. von Wenck. I. Leipzig, 1779. S. 419. - – 121 – n. Chr. bei Nicomedien die Krone feierlich niederlegte, um ſich nach Salona in ländliche Ruhe zurückzuziehen, und die dalmatiſche Erde mit eigenen Händen zu bebauen. Der damals 59 Jahre alte Kaiſer befand ſich im 21. Jahre ſeiner Regierung, nachdem er kurz zuvor in Rom den letzten großen Triumph gefeiert hatte, welchen die ewige Stadt in ihren Ringmauern ſah, auf der höchſten Staffel des Glückes ſtehend. Die erſtaunten Völker hatten unter ſolchen Umſtänden nie ein Beiſpiel ſo wohl überlegter, ruhiger Entſagung erlebt, als es damals Nicomedien bewunderte. Auch Conſtantin I. erachtete Nicomedien für würdig, ſich im letzten Abſchnitte ſeines Lebens dorthin zurückzuziehen. Der Ort erfuhr die Gunſt der damals erwachten Bauluſt des Kaiſers mit Byzanz, Trier, Jeruſalem und Helenopolis zugleich. – Unfern des Ortes ſtarb er 337 n. Chr., in dem Schloſſe Anky- ron, von welchem auf einer Anhöhe noch einige Ruinen ſichtbar ſind; die Türken nannten es Hareke. Bald nach ihrem Siege bei Köjan-hiſſar (Bapheum) nahmen ſie unter Aghde-Kod- ſcha auch Nicomedien ein, 14 Jahre nach der entſcheidenden Schlacht von Chryſopolis. – Der Biſchof Euſebius von Nicomedien hatte den Kaiſer bewogen, die Lehren des Arian anzunehmen und meh- rere katholiſche Biſchöfe zu vertreiben. Doch erſt auf dem Todten- bette ließ ſich Conſtantin taufen. Nachdem er Augenzeuge von der Nutzloſigkeit der Chriſtenverfolgungen geweſen war, ſuchte er das Heidenthum nur durch Ueberredung allmälig zu verdrängen und der Erfolg entſprach ſeiner Abſicht. So wurde Nicomedien eine Haupt-Zeugin des gewaltigen Kampfes zwiſchen Heidenthum und Chriſtenthum, ſowie des entſcheidenden Sieges des letzteren. Beide dort reſidirende Kaiſer hatten wohl nicht die entfernteſte Ahnung davon, daß ſpäterhin weder der eine noch der andere Cultus dereinſt daſelbſt regieren, ſondern eine dritte Religionspartei ſich den Weg hierher mit Feuer und Schwert bahnen würde. Mir aber bot das einſt ſo reiche Nicomedien zum Nachtlager nur die hölzerne Pritſche eines Abſchnittes des erwähnten Kaffe- hauſes dar, die denn, mit einem Teppich bedeckt, auch genügte. Es war mir auffallend, daß der Wirth mir ſein Kaffelocal für die Nacht völlig anvertraute, indem er ſelbſt ſich zu ſeiner Familie zurückzog, die in einem andern Gebäude wohnte. Obgleich unſer Nachtlager von allen Seiten ziemlich frei und zugänglich war, ſo 6 – 122 – wurden wir in der Ruhe durch nichts, als nur durch einige Katzen geſtört, die der Geruch einiger Lebensmittel zu Diebereien herbei- gelockt hatte. Am 5. Oktober, Morgens, hatte ich beſchloſſen, die Reiſe nach Nicäa, und zwar auf einem nicht gewöhnlichen Wege, forzuſetzen. Vom öſtlichen Ende des ſüdlichen Ufers des Golfs aus erhebt ſich nämlich eine anſehnliche Berggruppe, welche die Türken, ihrer Höhe wegen Gök-dagh, „Himmelsberg“ nennen. Ueber ſie führt der nächſte, zugleich aber auch der beſchwerlichſte Weg nach Nicäa. Die meiſten Reiſebeſchreiber haben das Gebirge in der Ebene um- gangen. Nur v. Hammer*) wählte denſelben Weg in umge- kehrter Richtung. Doch vermied er augenſcheinlich die ſteilen Höhen, indem er von Nicäa aus erſt das weſtliche Ufer des Sees einige Stunden weit nach abwärts verfolgte, ehe er ſich von dort aus nach rechts dem Gebirge zuwendete. Ebenſo umwanderte v. Hammer, nachdem er gegen den Golf von Nicomedien hinab- geſtiegen war, das geſchloſſene öſtliche Ende deſſelben, um zu der Stadt zu gelangen, wohingegen ich in grader Linie direct über das Meer ſetzte und hernach den kürzeſten Weg über die ziemlich ſteile Höhe verfolgte, welchen die leichter beladenen Laſtthiere zwiſchen beiden Städ- ten zu nehmen pflegen. Ein ſpecieller Grund zu dieſer Wahl lag in meinem Wunſche, das auf der Südſeite des Golf's ſich öffnende Thal von Jalowa zu beſuchen. In dieſem liegen nämlich, eine halbe Stunde vom Meere entfernt, berühmte Mineralbäder, durch deren Gebrauch zur Zeit des Conſtantin deſſen Mutter, die Kaiſerin He- lena geheilt wurde. Zum Andenken dieſes Erfolges nannte der Kaiſer den Ort Helenopolis und ſtattete ihn mit koſtſpieligen Bauten aus. Die Türken nennen das Bad Jalowa-Hamam, auch Kuri- oder Dagh-Hamam. Die byzanticiſchen Waſſer- leitungen wurden mit einer ſolchen Solidität geban daß ſie noch heute brauchbar ſind. Seit dem Jahre 1846 verdankt man einem wohlhabenden Armenier ihre Wiederherſtellung. Wir fiden bei Hrn. Dr. Rigler*) die erſte genauere Nachricht über dieſe wieder auf- gelebte altberühmte Bad, deſſen Waſſer von einem Schüler Lie- big's, Hrn. Smith, chemiſch unterſucht wurde. Nach dieſem *) Reiſe von Conſtantinopel nach Bruſſa. Peſth, 1818. S. 125 u. f. *) Die Türkei und deren Bewohner. Th. 1. Wien, 1852. S. 19. – 123 – Chemiker liefern die hier ſprudelnden 9 Quellen ein ſchwach nach Schwefelwaſſerſtoffgas riechendes warmes Schwefelwaſſer, deſſen Temperatur ſich bis zu 53 und 55° R. erhebt. Das ihm ent- ſtrömende Gas ergibt keine Kohlenſäure, wohl aber 97 pCt. Azot. Spuren von Eiſen fehlen. Das Waſſer iſt dem von Bath in England ſehr ähnlich. – Prof. Griſebach überſchritt, vom Thale von Jalowa aus nach Baſardſchyk gehend, den Sſam anlü, deſſen Höhe er hier zu 2500 ſchätzt. – Als ich am ſüdlichen Ufer des Golfs gelandet war, nöthigte mich leider der gänzliche Mangel an Communicationsmitteln, den Beſuch des Bades aufzugeben, der unter dieſen Umſtänden einen zu anſehnlichen Zeitaufwand gefordert haben würde. Schon die Ueberfahrt über den Golf würde am frühen Morgen unmöglich geweſen ſein, wenn nicht der Capitän einer Handels- Brigg, welche bei Nicomedien Getreide einlud, ſo freundlich geweſen wäre, mir ſeine Barke anzubieten. Er ſelbſt machte die Ueberfahrt mit, indem er am jenſeitigen Ufer eine Jagdpartie beabſichtigte. Die Barkenführer von Nicomedien waren an dieſem Morgen be- ſchäftigt, zahlreiche Paſſagiere und Güter an das geſtern gekommene Dampfſchiff zu führen, welches nach Conſtantinopel zurückfuhr. Unſere offene Barke wurde aber von fünf Ruderern raſch über das ſpiegel- glatte Meer geführt. So konnten die mannigfach wechſelnden ma- leriſchen Anſichten von Nicomedien und ſeiner Umgebung in voller Ruhe genoſſen werden. Zugleich war der Himmel bedeckt, was die Durchſichtigkeit der Luft zu befördern ſchien, indem es eben ſo die Beſchwerden der grellen Sonne abwendete, denen wir ſonſt in dem offenen Fahrzeuge nicht entgangen ſein würden. Das Thermometer zeigte im Schatten um 6% Uhr 14° R. Die angenehme kleine Seefahrt war innerhalb % Stunden beendigt, nachdem die vier oder fünf Min. - Gon Ismid, die ſich längs des Ufers hin- dehnen, allmälig aus dem Geſichte verſchwunden waren. Jenſeits angekommen, legten wir bei einer kleinen, wankenden hölzernen Brücke an und befanden uns ſogleich in einem aus wenigen Häu- ſern beſtehenden L. je, welches mit zahlreichen Maulbeer-Pflan- zungen umgeben war. Dies iſt das ehemalige Eribolus. Es gelang mir, hier einen Laſtträger zu miethen, der es übernahm, meine Effekten bis zu dem nächſten Dorfe bergan zu tragen. Eine Stunde lang zog der Fahrweg gegen die Anhöhe hin durch eine 6° – 124 – Ebene, rechts und links zwar von Hecken eingefaßt, die jedoch ſchlecht unterhalten, an vielen Orten völlig fehlten. Allmälig hob ſich der Boden und wurde zuletzt ziemlich ſteil, ſo daß die endlich hervor- getretene Sonne das Steigen ſehr beſchwerlich machte. Eine halbe Stunde von der rechten Seite unſeres Weges entfernt, alſo nörd- lich, blieb ein anſehnliches Dorf liegen, welches unſer Führer Ie- ni-köi nannte; es ſoll von Griechen allein bewohnt ſein und zeigte eine nette freundliche Außenſeite. Unſer nächſtes Ziel aber war das armeniſche Dorf Bagdſchedſchyk, d. h. Gärtchen, welches wir um 10 Uhr erreichten. Es verdient ſeinen Namen vollkommen. Ein horizontal ſtreichender Vorſprung des Berges iſt mit einer an- ſehnlichen Zahl von hölzernen Gebäuden bedeckt, die großentheils zweiſtöckig ſind. Von jenem Vorſprunge erſtrecken ſich zwei tiefe Thal-Einſchnitte nach abwärts gegen den Fuß des Berges hin, die mit einer reichen grünen Vegetation ausgeſtattet ſind. Auch hier waren Maulbeer-Bäume ſehr zahlreich, und im Thale hatten wir ſchon ein langes hölzernes Gebäude bemerkt, welches zur Zucht der Seiden- raupe beſtimmt war. Da ich an einem Sonntage anlangte, ſo fand ich die armeniſche Bevölkerung im ſonntäglichen Putze. Vor dem Eingange in das Dorf ſchien ſich die geſammte Kinderwelt verſammelt zu haben. Zur Linken des Weges befanden ſich die Mädchen, zur Rechten die Knaben. Sie zeigten durchſchnittlich eine regelmäßige Geſichtsbildung mit ausdrucksvollen Augen; die Farbe mitunter blaß. Schwarzes Haar und ſchwarze Augen mit hochge- wölbten Augenbrauen zeichneten beſonders die Mädchen aus; gerade ſtark hervortretende Naſen erſchienen bei beiden Geſchlechtern. Der Kopfputz der Mädchen beſtand großentheils aus rothbunten Tüchern; eine von ihnen trug jedoch ein goldgeſticktes ſeidenes Kopftuch, ein kurzes Kleid von buntem baumwollenen Zeuge und weite weiße Beinkleider, – eine offene Weſte von gelber Seide vollendete den Putz. Sämmtliche Mädchen waren mit weißen Strümpfen und Schuhen bekleidet. Die Knaben erſchienen zwar barfuß und mit bloßem Kopfe; alle aber waren reinlich und nett gekleidet. Eine kurze weite Hoſe wurde bei ihnen durch eine rothe wollene Schärpe feſt gehalten. – In der Mitte des Dorfes erreichte ich einen engen Marktplatz und auf ihm zahlreiche Männer des Dorfes mit meh- reren Pferden verſammelt. Ein Wirthshaus fand ſich nicht vor. Auf meine Nachfrage danach führte mich indeß ein freundlicher – 125 – Armenier in ſein anſtändiges Haus; hier geleitete mich die Haus- frau ſogleich eine Treppe hoch in das beſte Zimmer. Ermüdet und mit Schweiß bedeckt, wie ich war, ſtreckte ich mich ſogleich auf eine der hölzernen Bänke, die mit Teppich und einem wollegefüllten Kopfkiſſen verſehen war; die geſchäftige Frau deckte mich mit meinem Mantel zu, damit ich von der Zugluft nicht leiden möchte, denn Fenſter waren in den für ſie beſtimmten Oeffnungen nicht zu fin- den; dieſe konnten nur durch hölzerne Laden geſchloſſen werden. Auch beſorgte ſie ein Frühſtück, welches aus Pillaw, gekochten Eiern, Trauben, aus jungem und altem Wein beſtand. Der erſtere hatte einen milden angenehmen Geſchmack, und wurde von mir dem letz- teren, einem feurigen Getränke, vorgezogen. Die vorangegangene Anſtrengung durch das Bergſteigen hatte weſentlich dazu beigetragen, das Mahl trefflich munden zu laſſen; die der Frau dargereichte wohlverdiente Erkenntlichkeit wurde von derſelben mit dem Ausdrucke eines Gemiſches von Freude und Staunen angenommen, – tür- kiſche Reiſende mochten ſie daran gewöhnt haben, ihre Gaſtfreund- ſchaft unbelohnt bleiben zu ſehen. – Mein Dolmetſcher miethete inzwiſchen drei Pferde mit zwei Führern, welche Tags zu- vor Getreide nach dem Golf herunter gebracht hatten. Ein glück- licher Zufall wollte, daß einer dieſer Männer ein Polizei-Diener aus Isnik (Nicäa) war, der den dorthin führenden Gebirgspfad genau kannte. Mit ihm wurde ein Contract für die Reiſe bis zu jenem Orte hin, mit Uebernachten unterwegs in einem türkiſchen Dorfe, für die Summe von 225 türkiſchen Piaſtern, etwa 25 Frs., abgeſchloſſen, eine Summe, die ich ſpäterhin als eine ungemein mäßige erkannte, nachdem ich die Pferde bei dem Ueberſteigen ſo ſteiler An- höhen ungewöhnliche Schwierigkeiten hatte überwinden ſehen. Das von uns zu überſteigende Gebirge, der Gök-dagh der Türken, iſt der Libus der Alten, eine nach Süd-Oſten ſtreichende Fort- ſetzung des Sſamanlü, des Arganthonios der Griechen. Seine Lage iſt von Hrn. Kiepert, auf ſeiner Karte des türkiſchen Reiches in Aſien, 1853, richtig bezeichnet. Der nach Weſten gerichtete Aus- läufer des Sſam anlü in das Meer, bildet das Vorgebirge Bos- borun, welches die Golfe von Iskimid und Jsnik ſcheidet. Der Gök-dagh trennt das öſtliche Ende des Golfes von Iskimid von dem Jsnik-Göl, dem See von Nicäa, deſſen nördliches Ufer durch eine ungefähr halbe Stunde breite Ebene von den ſüd- – 126 – lichen Vorhügeln des Gebirges geſchieden bleibt. Aus ſeinen zahl- reichen Bergbächen empfängt der Sakarija-Fluß, der ſich ſpäter in das ſchwarze Meer ergießt, anſehnliche Zuflüſſe. Ich ſchätze ſeine Höhe auf 3500 Fuß über dem Meere. Indem das Gebirge weiter hin ſich nach Norden wendend, das linke Ufer des Sakarija begleitet, entfernt es ſich von dem öſtlichen Ende des Sees von Nicäa, und läßt hier für die Stadt eine anſehnliche Ebene frei. Der Theil des Gebirgszuges, der weſtwärts ſtreichend, vom Gök-dagh aus, das nördliche Ufer des See's von Nicäa umfaßt, um das weſtliche Ende des Meerbuſens von Gemlik, des cyaneiſchen der Alten zu erreichen, auch von hier das ſüdliche Ufer des letzteren zu bilden, heißt bei den Türken Katerlü. Die letztere Fortſetzung des Gebirges iſt es zugleich, die den nördlichen Saum des Thales von Bruſſa darſtellt und das letztere vom Meere ſcheidet, Es erſtreckt ſich von Mudania aus weiterhin weſtwärts. Der Theil des Katerlü, welcher zwiſchen Gemlik und der Nordſeite des Sees von Nicäa liegt, und deſſen Höhe wahrſcheinlich 1000 niedriger, als der Sſamanlü bleibt, iſt es ferner, welchen die erſten Kreuzfahrer unter Peter von Amiens, von Gemlik kommend, in ein- zelnen Abtheilungen unvorſichtig überſtiegen, um in der Ebene von Nicäa angekommen, von den Osmanen niedergemetzelt zu werden, die aus chriſtlichen Schädeln dort hernach Pyramiden bauten. Dieſer Katerlü iſt ein Uebergangsgebirge, beſtehend aus Grauwacke und Thonſchiefer. Der bequemere Weg von Nicomedien nach Nicäa, welchen z. B. Leake verfolgte, läuft über Kys-Derbend mehr in der Ebene und läßt den hohen Gök-dagh zur Linken; er bildet jedoch einen Kreisabſchnitt und verlängert alſo die Reiſe. Ueber Kys-Derbend (Mädchenpaß), ein allein von Griechen bewohntes Städtchen, führt zu gleicher Zeit die gerade Landſtraße von Conſtantinopel nach Bruſſa. Leake*) durchreiſte von hier bis an den See von Nicäa ein zehn Stunden langes und vier Stunden breites fruchtbares Thal, in wel- chem am 21. Januar Veilchen, Crocus und Tulpen blühten und das Klima dem von England im April und Mai ähnlich ſchien. Bald nachdem wir Bagdſchedſchyk verlaſſen hatten, fanden wir den Weg zu beiden Seiten nur mit niedrigem Gebüſch beſetzt, aus abgehauenen Weißbuchen, Johannisbrodbäumen, echten Kaſtanien *) Journal of a tour in Asia minor. London, 1824. pag. 6. - - - - – 127 – und Eichen emporgeſproßt. Wo ſich irgend ein freier Platz darbot, war er mit vielen Tauſenden einer Art des Johanniskrautes, des Hypericum calycinum, bedeckt, deſſen elegante, große Blüthen wir aber bei der vorgerückten Jahreszeit nur noch höher oben, nahe an der Waſſerſcheide zu ſehen bekamen. Als nach einer halben Stunde Wegs ſich der Pfad mehr bergan erhob, bemerkten wir an vielen Stellen Stufen für die Laſtthiere in den Felſen, der hier aus altem Kalkſteiu beſteht, eingehauen. Wir begegneten mehreren Karavanen von 10 bis 12 Pferden, welche, hintereinander gehend, zuſammengekoppelt waren. Man hatte ſie mit Getreide beladen, das ſie dem Golfe von Nicomedien zuführten; ſelten nur fand ſich ein Maulthier unter ihnen. Nach einem ferneren Ritte von 1 % Stunde befanden wir uns erſt mitten im Hochwalde, den die Art der Menſchen wohl nur wegen ſeiner ſchwierigen Zugänglichkeit bisher verſchont hatte. Ungewöhnlich hohe kräftige Weißbuchen haben allenthalben das Uebergewicht; ihnen zunächſt folgen echte Kaſtanien, ſeltener kleine Eichen. – Quercus infectoria und coccifera. –« Wir erblickten manche dieſer Eichen ſo reichlich mit Galläpfeln beladen, daß ſich ihre Aeſte nach abwärts bogen. Erſt hoch oben gelangten wir in die Region des Rhododendron ponticum, welches hier im Schatten der hohen Bäume ſich ſehr wohl zu befinden ſchien, jedoch jetzt nur reife Saamenkapſeln trug. Zur Blüthezeit dieſes Zierſtrauches muß ein Ritt durch dieſen Hochwald ein doppelt erfreuliches Bild dar- bieten. Auch jetzt noch gewährte das glänzende Grün ſeiner Blätter dem Auge ſteis einen angenehmen Ruhepunkt. Endlich machten wir etwas weſtlich von dem höchſten Bergrücken an einem Brunnen Halt, der mit einem köſtlichen, klaren, ungemein kalten Quellwaſſer gefüllt war. In der Nähe dieſer Quelle fand ſich die Vegetation vorzugsweiſe lebendig erhalten. Schön blühende Campanulaceen erinnerten an die Alpenthäler der Schweiz; ein Helleborus breitete ſeine Blätter aus, und ein Laurus ſäumte unſere Pfade häufig ein. Unſere Raſt durfte nur kurz andauern, wenn wir noch an dieſem Tage das zum Nachtlager beſtimmte Dorf erreichen wollten. Auch jetzt noch waren wir genöthigt, in ſtetem Wechſel bergauf und bergab zu ſteigen. Endlich hatten wir, um 5 Uhr, einen ungemein ſteilen Abhang er- reicht, der uns einer tiefen Waldſchlucht zuführte, durch welche ſich ein waſſerreicher Bach hinwand, der vermöge ſeines Ueberſtrömens zahlreiche kleine Seen gebildet hatte. Unſer Führer nannte dieſen – 128 – Bach Tſchamurlu-Deſch. Ebenſo benannte er die ſumpfige Waldwieſe Uſur-Dſcha, d. h. „lange Wieſe“. Wir waren hier genöthigt, ſechs bis ſieben Mal durch ſeichte Arme des Baches zu reiten. Während des Hinabſteigens in dieſe Schlucht brauchte unſer Polizeimann die Vorſicht, abzuſteigen und mit geſpanntem Piſtol voranzuſchreiten. Jetzt erſt erfuhr ich, daß hier vor Knrzem ein Zug Armenier ausgeplündert worden war. Dieſe armen Leute dürfen bekanntlich in-der Türkei keine Waffen tragen und ſind daher gegen räuberiſche Anfälle völlig ſchutzlos. Wir aber gelangten un- gefährdet jenſeits der ſumpfigen Wieſe in ein etwas höher gelegenes breites Thal. Bei einer Rückſchau auf den von mir überſtiegenen Berg kann ich der Angabe Derer nicht beiſtimmen, welche den nordöſtlichen Abfall desſelben, gegen den See von Nicomedien hin, ſteiler ſein laſſen, als den ſüdweſtlichen*). Auch jener iſt in ſeinen oberen Ter- raſſen beſchwerlich genug zu erſteigen, wie ſchon die zur Erleichterung für die Thiere eingehauenen Treppen beweiſen. Aber auf der ſüd- weſtlichen Seité, fanden wir den Abfall ungleich ſteiler, hier und da beinahe ſenkrecht. Ueberhaupt iſt das Gebirge vielfach zerklüftet, aber auf ſeinen Spitzen keineswegs vegetationslos. Obgleich mein Weg die höchſte Erhebung deſſelben, etwa 400 hoch, zur linken Seite ließ, ſo erſchien doch auch dieſe, ſoweit das Auge reichte, mit Bäumen bedeckt. Wo ſich in der oberen Region kahle Stellen vorfinden, ſind ſie durch Waldbrände veranlaßt worden, die der Sorgloſigkeit der Hirten zuzuſchreiben ſind. Das ſüdweſtlich von dem erwähnten Bergflüßchen erreichte Hochthal trug neben vielen hohen Weißbuchen auch herrliche ſchlanke Rothbuchen, ja ſogar die heimath- liche Kiefer, den Pinus sylvestris. Um die Erinnerung an die Heimath zu vervollſtändigen, ließen auch die Grünſpechte und Holz- heher ihre durchdringenden Töne hören. Hier und da fanden ſchon kleine Getreidefelder Raum, durch niedriges Gebüſch von einander getrennt. Es war indeſſen bereits vollkommen finſter geworden, als wir endlich das lang erſehnte Dorf erreichten, welches mir Gül- muſchlu-Köi genannt wurde. Es enthält 35 Häuſer, die allein durch Türken bewohnt ſind. Das Dorf liegt, wie wir am nächſten Morgen ſahen, auf der Höhe eines Hügels, der ſich ſüdweſtlich zu *) Vergl. Ritter Die Erdkunde. 18. Th. oder: Vergleichende Erdkunde des Halbinſellandes Kleinaſien. 1. Th. Berlin, 1858. S. 657. – 129 – dem See von Nicäa hin allmälig abdacht. – Wir fanden unſer Unterkommen bei dem Vorſteher des Ortes ſelbſt, nächſt deſſen Wohn- haus ſich ein kleiner Chan befand, der ein einziges viereckiges Zim- mer enthielt, zu welchem wir auf einer hölzernen Treppe hinauf- ſtiegen. Wir hatten, um hierher zu gelangen, durch eine Art von Scheune hindurch wandern müſſen, welche mit bunt herum liegenden Ackerwerkzeugen angefüllt war, deren Aeußeres an einen faſt urweltlichen Zuſtand erinnerte. Unmittelbar vor der erwähnten Treppe bemerkte ich eine in der Finſterniß unförmlich erſcheinende ſchwarze Maſſe, die ich vorſichtig umſchritt. In der frühen Morgendämmerung des nächſten Tages wurde ich gewahr, daß dies ein mächtiger Büffel war, der dort auf dem Felsboden die Nacht hindurch unbeweglich ſanfter Ruhe gepflegt hatte. – Mein Chan gewährte den Vortheil, an ſeiner hintern Wand einen Kamin zu beſitzen, in welchem auch ein für die Kühle des Abends ſehr zweckmäßiges Feuer bald aufloderte. Fenſter waren wie gewöhnlich nicht vorhanden; Bretterladen, welche ſie erſetzen ſollten, boten der Nachtluft allenthalben breite Zugangs- ſpalten dar. Dies behinderte jedoch einen tiefen Schlaf auf der Holzbank nicht, die man hier Divan betitelt. Die ſtark ermüdende Gebirgsreiſe hatte ihn genügend eingeleitet. – Der Haupttheil der Abendmahlzeit, bei deren Bereitung mein Dolmetſcher die Leitung übernommen hatte, beſtand in einer Art Ragout aus Hammel- fleiſch, war aber mit Hammeltalg in ſolchem Uebermaaße geſättigt, daß mir ſein Genuß bald widerſtrebte. Hammelfleiſch iſt durch ganz Kleinaſien faſt die einzige Fleiſchart, deren man theilhaftig wird; ſelten iſt ein Huhn zu haben. Der Genuß von friſcher Butter iſt unbekannt; ſelbſt Milch zum Kaffe muß den Tag vorher beſtellt werden, – wenn ſie ſich überhaupt beſchaffen läßt. Hier erhielt ich ausnahmsweiſe ſchon nach einer Stunde Milch; ein Gericht, aus einer Art Nudeln und Gurken zuſammengeſetzt, die man in Hammelfett geſchmort hatte, würde ohne das letztere recht genießbar geweſen ſein. Auch hier in Aſien verſteht man, ebenſo wie in Ru- melien, aus gutem Waizen ſchwarzes Brod zu backen, welches mie- mals gehörig ausgebacken iſt. – Unſer Wirth, dem wir hinſichtlich des Gök-dagh manche Frage vorgelegt hatten, geſtand uns, daß ihn ſelbſt die Würde eines türkiſchen Ortsvorſtehers einige Jahre früher vor einer Ausplünderung im Gebirge nicht geſchützt habe. Die Verwüſtungen durch Waldbrand, die wir an mehreren Orien – 130 – bemerkt hatten, ſchrieb auch er den Hirten zu, die, mit ihrem Feuer im hohen Grade ſorglos, die Herrſchaft im Walde üben. Am Morgen des 6. Oktobers bemerkte ich bei der Weiterreiſe, daß die meiſten Gebäude unſeres türkiſchen Dorfes mit Stroh ge- deckt waren. Sie ſchienen zahlreich bevölkert zu ſein. – Der Weg nach Nicäa führte uns anfänglich über eine waagerechte Hochebene, deren Höhe über dem See ich auf 1500 ſchätzte. Bald aber ſtiegen wir von der Ebene einem Abhange zu, der hier und da auch etwas abſchüſſig wurde. Bäume wurden immer ſeltener; wo es aber der Felsboden geſtattete, nahmen wir Getreidefelder wahr, die gegenwärtig mit Stop- peln bedeckt waren. Kaum waren wir eine halbe Stunde weit von dem Dorfe entfernt, als ſich ſchon bei manchen Windungen des Weges der auſehnliche See von Isnik, der Lacus ascanius der Alten, erblicken ließ. Während des Hinabſteigens zu ihm blieb uns das Dorf Omar-Köi zur rechten Hand liegen; etwas weiter ab- wärts bemerkten wir in der Entfernung noch ein Dorf, dem der Führer den Namen Inikli gab. Der letztere Theil unſeres Weges lief durch einen ziemlich tiefen Felseinſchnitt hin, der in der Vorzeit durch Menſchenhände angelegt zu ſein ſchien. Nahe am Ausgange aus der abwärts geneigten langen Bodenvertiefung trafen wir auch cin anſehnlicheres, nur von Türken bewohntes Dorf, deſſen auch v. Hammer erwähnt und es Elbeili nennt. Im Munde unſeres türkiſchen Führers klang der Name wie Elbelli. Ein Waldbach durchſtrömt mit ſeinem klaren Waſſer das Dorf, um dem See zu- zueilen. Die alte maleriſche Tracht der osmaniſchen Einwohner dieſes Dorfes mit dem dazu gehörigen Turban, deutete auf eine gewiſſe Wohlhabenheit hin, die ich hernach in Isnik ſelbſt verge- bens geſucht habe. Echt orientaliſche, anziehende Phyſiognomien der Männer mit lebhaften ſchwarzen Augen, ihr langer Bart und die ſtolze Würde, welche ſich in ihrem Auftreten kund gab, feſſelten meine Aufmerkſamkeit. Ebenſo ſchien aber auch der weſteuropäiſch gekleidete vorüberziehende Mann bei ihnen Discuſſionen zu erregen. Wahrſcheinlich hatte das von der großen Straße etwas entfernt liegende Dorf noch wenige Ausländer geſehen, obgleich der kaum beendigte Krieg doch viele Tauſende von Fremden in gar nicht weiter Ferne vorübergeführt hatte. Hier wäre meines Erachtens ein Punkt gegeben, auf welchem ſich noch heute Studien urſprünglicher osma- niſcher Sitten machen ließen. – Unſer Ritt bis zu dieſem Dorfe – 131 – hatte, vom Nachtlager aus, zwei Stunden gefordert; eben ſo viele Zeit brauchten wir um Isnik zu erreichen, ſo daß alſo Elbeilt den Mittelpunkt unſeres heutigen Marſches bezeichnete. – Von hier aus erreichten wir nun bald die Ebene, in welcher ſich der See in der Richtung von Weſt-Nord-Weſt nach Oſt-Süd-Oſt weithin erſtreckt, ſo daß ſein breiteres weſtliches Ende dem geſchloſſenen Abſchnitte des Golfs von Gemlik gegenüber liegt, von welchem es, durch einen Gebirgszug getrennt, ungefähr ſieben Stunden entfernt bleibt. Unſer Weg wendete ſich aber dem ſchmaleren und ſeichteren Ende des See's zu, weil an ihm das alte Nicäa liegt. Leake ſchätzt die Länge des See's auf 10 engliſche Meilen, ſeine Breite auf vier und dieſe Angabe ſcheint mir wohlbegründet, nachdem ich den See von der Berghöhe herab überſehen habe, welche auf dem Wege von Nicäa nach Jeniſchehr überſtiegen werden muß. Profeſſor Griſebach gibt ihm jedoch eine Länge von 3 deutſchen Meilen, mithin ein Dritttheil mehr. An ſeinen nördlichen Uferrand tritt ein Gebirgszug nahe heran; auf der Südſeite bleiben aber an vielen Stellen die Vorhügel des Gök-dagh meiſtens eine halbe bis andert- halb Stunden vom Ufer entfernt. – Bei meinem Austritte in dieſe Ebene wurde ich zur Rechten - in der Entfernung von einer ſtarken Viertelſtunde den Obelisk des Cajus Phyliskus gewahr, welchen v. Hammer, Pokoke und Seſtini näher beſchrieben haben. Die Höhe deſſelben gibt Seſtini auf 30, ſeine Entfernung von Nicäa auf 1% Stunde an. Kein Baum oder Gebäude findet ſich weit und breit in ſeiner Umgebung vor, weßhalb er ſich um ſo deutlicher aus der Ferne erkennen läßt. Indem wir bald den Sce zur Rechten und Felſenvorſprünge des Gebirges zur Linken hatten, machte uns der Führer auf den hohen und breiten Eingang zu einer tiefen Höhle aufmerkſam, der ſich ziemlich hoch über die Ebene, an einem dieſer Felſen darbietet. Er knüpfte daran eine abentheuerliche Sage, die ſich hier im Munde des Volkes erhalten hat, und in der ein bis jetzt unerhobener Schatz die Hauptrolle ſpielt. – In der Entfernung von einer Stunde dieſſeits Nicäa beginnen die Ueberreſte einer Pflaſterung des Weges mit Steinplatten, die zur Zeit der Blüthe Nicäa's vortrefflich geweſen ſein mag. An ihr liegt das Grab eines heiligen Derwiſches, welches mit majeſtä- tiſchen Cypreſſen umgeben iſt, der Art derſelben angehörend, die ihre Aeſte horizontal ausbreitet. Sie ſoll auch auf der aſiatiſchen – 132 – Seite des Bosporus vorkommen, aber mir kam ſie hier zuerſt zu Geſicht. Schon Leake*), welcher 1803 reiſte, erwähnte des Baumes und bei J. C. Loudon *) findet ſich eine Abbildung deſſelben. Die Eigenthümlichkeit der Cypreſſe, welche durch das dichte Andrän- gen der Zweige an den Stamm eine Pyramide darſtellt, geht durch die horizontale Ausbreitung der letzteren verloren, und aus der Ferne geſehen, zeigt der äußere Habitus unſeres Baumes einige Aehnlichkeit mit einer jungen libanotiſchen Ceder, die er jedoch an Höhe und Umfang nie erreichen möchte. Durch ſeine Form gewährt er freilich den Vortheil, die Erde, welche ihn ernährt, und etwaige Gräber zu beſchatten, welches die Pyramiden-Cypreſſe nur im hohen Alter, und dann auch nur unvollſtändig thut. Nie aber trägt er ſo nahe an der Wurzel Aeſte, wie dies Loudon’s Abbildung zeigt, die wahrſcheinlich nach einem in engliſchen Gärten gepflegtem Exemplar gezeichnet iſt. – Von hier ab wird die Landſtraße durch einen an ihrer rechten Seite hinfließenden Bach eingefaßt, der ſie weithin begleitet und ohne Zweifel ein Werk aus beſſeren Zeiten darſtellt; gegenwärtig aber, im Spätherbſte, enthielt er ſo wenig Waſſer, daß er faſt ſtagnirte, und einem Botaniker reichliche Gele- genheit gegeben haben würde, Sumpfpflanzen zu ſammeln. Mehrere Arten von Juncus und Iris, ſowie Typha angustifolia ließen ſich an den Blattformen erkennen. Ueberhaupt fand ich in dieſer Herbſtzeit allenthalben beſtaubtes Laub und wenig Blüthen. In dem Theile Weſtaſiens, welchen ich bereiste, hat man erſt nm die Mitte des Oktobers anhaltenden Regen zu gewärtigen, – in Eonſtantinopel iſt dies etwa 10 bis 14 Tage früher der Fall. So war es auch 1856. Als ich in der zweiten Hälfte des Oktobers nach Conſtantinopel zurückkehrte, wünſchte man mir Glück, nicht dageweſen zu ſein, weil man anhaltend mit kaltem Regen zu kämpfen gehabt, von welchem ich in Aſien nur einmal, der Spitze des Olymp nahe, eine Stunde lang etwas genoſſen hatte. Hier erſcheint die Vege- tation mit ihrer vollen Pracht nur im Frühling und Vorſommer, vom März und April an bis Juni. Im letzteren fangen die Quellen allmälig an zu verſiegen und ſelbſt der nächtliche Thauniederſchlag *) A. a. O. S. 5. - *) Arboretum et Fruticetum britanieum. Vol. VIII. London, 1844. pag. 404. „Cupressus sempervirens horizontalis.“ – 133 – vermindert ſich. Schon in den erſten Monaten des Jahres blühen die Liliaceen; die immergrünen Sträucher folgen im März und April. Die feuchten Thäler der Ebenen, welche von Bächen durchſtrömt werden, die im Februar ſtärkeren Zufluß von den Bergen empfangen, pflegen ſchon in dieſem und dem folgenden Monate zahlreichen Schaaf- heerden grünes Futter zu bieten. Die Viehzucht überhaupt muß dadurch weſentlich gefördert werden. – In den Thälern des Katerlü ſah Profeſſor Griſebach Ende Aprils blühende Ranunkeln, Leucaojum aestivum, Doronicum, Thymelaceen, Lorbeer, Paliurus australis; Nußgeſträuche, an den Bächen Erlen und Weiden. Die Cultur des Oelbaumes ſah ich an der dem Meere zugewendeten Seite des Ka- terlü von Gemlik bis Mudania ſchwunghaft betreiben; doch ſcheint ſie ſich nicht über 150 oberhalb der Meeresfläche zu erhebeu. Die Oelbäume, die ich hier in der Nähe von Gemlik ſah, trugen das Gepräge des kräftigſten Gedeihens. Das Geſträuch unter ihnen beſteht aus Wurzelſchößlingen der Coccus-Eiche und der Coira ar- borea. An feuchten Stellen des Ufers erheben ſich Pinus mari- tima und Quercus coecifera zu anſehnlichen Bäumen. – Auf den Ruinen von Nicäa fand ich Anfangs Oktober den Goldlak noch ſo reichlich blühend, daß er Abends die Luft durchduftete. Nächſtdem wuchert zwiſchen dem alten Gemäuer ungemein üppig die Spring-Gurke (Momordica Elaterium). Bald nach 12 Uhr trat ich durch das nordweſtliche Thor von Nicäa in die Ringmauern deſſelben ein. Zur Zeit ſeines Flors fan- den ſich hier drei feſte Thore hintereinander; das äußerſte der- ſelben war bei einer Belagerung wahrſcheinlich zerſtört worden. Die Türken haben dadurch hier Gelegenheit gefunden, ihre Reſtau- rationskunſt bewundern zu laſſen. Sie haben nämlich zwei umgeſtürzt geweſene Granitſäulen wieder aufgerichtet; eine ſolche von grauem Granit ſteht jetzt aufrecht zur rechten, eine von rothem Granit zur linken Hand; über die oberen Enden Beider hat man einfach eine dritte Säule gelegt, um jene miteinander zu verbinden. Die Befeſti- gung der letzteren iſt durch Holz und Ziegelſteine bewerkſtelligt wor- den. Iſt man durch dieſe osmaniſche Oeffnung hindurch geſchritten, ſo folgt das zweite, aus Marmor erbaute, glücklicher Weiſe ziem- lich gut erhaltene Thor. Der Boden ringsum iſt indeſſen ſo hoch von Schutt bedeckt, daß das untere Dritttheil der Thoröffnung damit ausgefüllt erſcheint. Ein Laſtwagen würde jetzt nicht hindurch – 134 – fahren können; einen ſolchen kennt man aber zur Zeit auch hier uicht; man behilft ſich mit niedrigen Karren, laſttragenden Kameelen und Pferden. Jenes Marmorthor trägt oben einen einfachen Archi- trav; ſeine beiden Seitentheile ſind mit drei über einander liegenden Niſchen ſymmetriſch ausgeſtattet, deren unterſte jedoch in der erwähnten Weiſe zur Hälfte verſchüttet iſt. Wahrſcheinlich enthielten ſie ehedem Statuen. An der inneren, der Stadt zugewendeten Seite findet ſich die- ſelbe Einrichtung. Es folgt darauf das innerſte Thor, welches indeſſen faſt ganz zerſtört iſt. Nur die beiden Seitentheile ſind noch in Trümmern vorhanden, aber in coloſſalen Marmorquadern, die theils noch aufrecht ſtehen, theils herumliegen. Große Feigenbäume haben ſich zwiſchen den Steinen eingeniſtet: ihre Wurzeln bemühen ſich vergebens, dieſe Maſſen auseinander zu treiben. An einem hoch oben liegenden Steine ſind Ueberbleibſel eines Thierkopfes zu ſehen, aus denen man mit Hülfe einer geſpannten Phantaſie allenfalls einen Löwenkopf machen könnte. – Innerhalb des Thores gewinnt man einige Ueberſicht der alten Feſtungsmauer mit ihren an vielen Punk- ten gut erhaltenen Thürmen. Letztere folgen in kurzen Zwiſchen- räumen auf einander. Sie bilden einen halbkreisförmigen Vor- ſprung nach außen, erſcheinen nach innen ſenkrecht abgeſchnitten, der Mehrzahl nach aber hier geſchloſſen; nur einige ſind nach innen offen. Die ganze coloſſal ſtarke Umfaſſungsmauer iſt mit enormen Quaderſteinen gekrönt; dieſe befinden ſich an vielen Orten noch ganz an ihrem Platze, an anderen hat man ſie jedoch herunter geworfen und anderweitig benutzt. Die Thürme beſtehen aus römiſchen breiten gebrannten Ziegeln; ihr Unterſatz aber aus behauenen Quadern. Die Mauern haben allenthalben zwei aus Ziegeln horizontal ver- laufende Linien, beſtehen außerdem jedoch aus Bruchſteinen. Die ganze Umfaſſungsmauer könnte noch heute, freilich mit vielen Koſten, wieder hergeſtellt werden. – Das ſüdöſtliche Thor, welches ich Nachmittags ſah, iſt ebenſo gebaut wie das nordweſtliche, dreifach. Auch hier das mittlere von Marmor, in ähnlicher Architektur. Das innerſte enthält an einem aufrecht ſtehenden Seitenpfeiler eine grie- chiſche Inſchrift, die die äußere Seite eines oberſten Krönungsſteines einnimmt. Es war ſchwierig, über die Schultern meiner beiden Begleiter, und über wankende Quadern dort hinauf zu gelangen; auch waren die übrigens tief genug eingeſchnittenen Schriftzüge dicht mit Steinflechten ausgefüllt. Es gelang mir jedoch, den Namen – 135 – des Kaiſers Marcus Aurelius zu leſen, der alſo durch dieſes Thor ſeinen Einzug mag gehalten haben. Mit einer angeſetzten Leiter und einer ſcharfen Steinbürſte würde man die Züge voll- ſtändig herſtellen und bequem leſen können. Indem wir unſern Weg über eine menſchenleere und wüſte Ebene innerhalb des erſten Thores fortſetzten, boten ſich allent- halben zerſchlagene Marmorſtücke dar. Zwei kleine Säulen hatte man wieder aufgerichtet, vielleicht hatte hier ehedem eine türkiſche Fontäne ihrer bedurft. – Der Eintritt in das elende Dorf, welches heu- tigen Tages das prächtige Nicäa erſetzt, gab einen bedauernswerthen Begriff von ihm. Es ſollen hier zur Zeit im Ganzen 125 von Tür- ken und 25–30 von Griechen bewohnte Häuſer vorhanden ſein. Die Armenier ſind nach und nach ganz verſchwunden. Im beleb- teſten Theile, eine Art von Bazar, befanden ſich 4 oder 5 Läden, welche die allereinfachſten Gegenſtände zum Verkauf ausſtellten. Einige Kaffehäuſer, mit obligaten rauchenden türkiſchen Müßiggängern, fehlten freilich auch nicht. – Eine Art Wirthshaus oder Chan exiſtirt hier gar nicht. Wir ſahen uns alſo nach einem Privathauſe um. In einem türkiſchen wurde ein Zimmer angeboten, welches zu einem Drittheil mit Getreide angefüllt war, ein Fenſter, deſſen Oelpapier- ſcheiben ſämmtlich durchlöchert waren, und ein zweites Fenſter mit einem zur Hälfte zerſtörten Eiſengitter zeigte; dabei unreinlich, ſo daß ich es bei möglichſter Beſcheidenheit der Anſprüche verwerfen mußte. In dem ſchräg gegenüber liegenden Hauſe einer griechiſchen Wittwe wurde dagegen ein Zimmer mit Fenſteröffnungen angeboten, die wenigſtens mit hölzernen Laden verſchließbar waren; auch machten ſich reinliche Matratzen und Ueberzüge bemerkbar, – ſo daß ich Urſache hatte, hier ungewöhnlich zufrieden zu ſein. – Die arme Frau klagte bald ihr Leid, daß ſie eine ſchwer kranke verheirathete Tochter habe, eben- ſo, daß die Durchmärſche der türkiſchen Truppen einen großen Theil ihrer Habe verzehrt hätten. Die wohlhabenderen griechiſchen Vor- ſteher hätten ſich die Einquartierung abgewälzt, um ſie den Armen aufzubürden; auch hätten türkiſche Soldaten ihr Lagergeräth geholt, um es nie wiederzubringen. – Die Frau ſchien durch und durch gutmüthig und ehrlich, erwies ſich beim Abſchiede auch ſehr dankbar, als ihr für die Gaſtfreundſchaft ein Aequivalent gegeben wurde. Nachmittags wurde ein Gang durch die Ruinen des alten Nicäa gemacht. Wir wendeten uns dem ſüdöſtlichen und ſüdlichen – 136 – Theile der Mauern zu. Zu dem Ende paſſirten wir mehrere elende Straßen, deren hölzerne Häuſer jedoch ſämmtlich auf gemauerten Unterlagen ruhten. Nur wenige waren vorhanden, welche nicht ent- weder größere Marmorquadern, oder Stücke von theils glatt rum- den, theils canellirten Säulen, oder auch Partien von Kapitälen, von einem Fries, wohl auch den Kopf einer Statue enthielten. Ein Marmor, auf dem eine Roſette, ein anderer, auf dem eine Schnecke in Basrelief dargeſtellt war, diente einer miſerablen Hütte zur Unterlage. Der größere Theil unſeres Weges führte uns über wüſtes Feld; den Umfaſſungsmauern nahe, mehr noch außerhalb, fanden ſich Maulbeerpflanzungen, große Feigenbäume, Nußbäume, Granatſträucher, Mandelbäume, Oliven und dergleichen vor. Auch Me- lonen ſah man hier und da; Trauben aber ſollten hier ſeit drei Jahren nicht gerathen ſein, und ich erhielt am Abende einen ſo ſauren und ſcharfen neuen Wein, daß ich ihn nicht genießen konnte. Alten Wein vermochte man in dem bedauernswerthen Orte nicht zu finden. Nachdem ich das mittägliche Thor paſſirt hatte, umkreiſte ich einen Theil der Mauern nach Oſten und nach Weſten. Ich fand, daß außerhalb der mindeſtens 20 hohen, mit Thürmen verſehenen Hauptmauer eine zweite niedrigere, aus Bruchſteinen und Mörtel gebaute Mauer vorhanden geweſen war, die man indeſſen großen- theils niedergeworfen hatte. Zwiſchen beiden Mauern iſt ein Gra- ben, der jetzt mit Schutt angefüllt, Maulbeerpflanzungen und Gra- natſträuchern diente. Nahe am Thore ſah ich einen coloſſalen Thurm zur Hälfte geſprengt und nach außen hinabgeworfen. Es iſt dieſe Sprengung in einer Art erfolgt, die kaum daran zweifeln läßt, daß ſie durch Pulver bewirkt wurde. Zu welcher Zeit, bleibt freilich zweifelhaft. – Aus einem andern Thurm war außerhalb ein Stück des maſſiven Unterbaues herausgeriſſen. Unſer Führer ſagte uns, daß hier ein Stein geweſen ſei, der das Bild eines Löwenkopfes darſtellte; man habe ihn nach Conſtantinopel transpor- tirt. – Hinſichtlich des Südthores füge ich noch hinzu, daß von dem innerſten Abſchnitt deſſelben nur noch eine Seite aufrecht ſteht, die nämlich, welche die Inſchrift enthält. Das mittlere (Marmor) Thor zeigt zwar dieſelbe Architektur, wie am nördlichen, hat aber keine Niſchen. Der Styl iſt römiſcher Rundbogen. Daß die Mauern zu einer Zeit aufgebaut ſind, wo ſchon andere großartige Bauten zerſtört waren, beweiſt der Umſtand, daß ſich an dieſem Thore eine – 137 – Anzahl von Marmor-Fragmenten eingemauert finden, die früher anderen Zwecken gedient hatten. Vielleicht Reſte von römiſchen Tempeln, welche Conſtantin zerſtören ließ? Die Mauer ſoll nament- lich mit der von Conſtantinopel gleichzeitig ſein. Auf dem Rückwege durch daſſelbe Thor wendeten wir uns zu den Reſten des ehemaligen römiſchen Amphitheaters, die hinlänglich erhalten ſind, um jeden Zweifel an ihrer Beſtimmung zu heben. Ein unter dieſen Ruinen gelegener Eingang in eine Höhle wurde auch von mir, mit Hülfe einer angezündeten Kerze beſucht, indem man mir ſagte, es lagerten dort viele Menſchenknochen. Ich fand, nachdem ich auf beſchwerliche Weiſe hineingekrochen war, nichts als Reſte von Thier-Skeletten, mit einer ſchwarzen, fettigen, glänzenden Erde und Aſche gemengt. Jene Erde ſtammt höchſt wahrſcheinlich von thieriſchen Weichtheilen her, indem man die im Amphitheater getödteten Thiere in dieſen unterirdiſchen Raum hinabzuſtürzen pflegte. Namentlich aber viele Zähne von reißenden Thieren, (wahr- ſcheinlich von Löwen und Tigern), die im Amphitheater hatten käm- pfen müſſen. Mehrere Knochen, die ich hier geſammelt hatte, um ſie in der Heimath mit Ruhe zu unterſuchen, haben in der That ſich als Raubthierknochen erwieſen. Es ſoll aber auch, wie ich von eiuem griechiſchen Prieſter hörte, eine Oeffnung da ſein, wo Men- ſchenknochen gefunden werden, ſeiner Meinung nach von Märty- rern, die man dort im Amphitheater getödtet habe; die Richtigkeit dieſer Angabe vermag ich indeſſen keineswegs zu verbürgen. Der nächſte Beſuch galt den Reſten einer Aja - Sophia, welche die erſte chriſtliche Kirche des alten Nicäa geweſen ſein ſoll. In ihr fanden die beiden Concilien 325 und 787 Statt. Sie iſt höchſt wahrſcheinlich dieſelbe, in welcher die 318 Biſchöfe unter dem Vorſitze Conſtantin's ſelbſt tagten und in welcher die Grund- ſätze der heutigen katholiſchen Kirche feſtgeſetzt wurden. Der Er- oberer Orchan hatte ſie in eine Moſchee umgewandelt und dadurch den Bau für Jahrhunderte erhalten; aber auch dieſe Moſchee iſt ſchon längſt wieder verfallen. Gegenwärtig ſieht man blos noch einen Theil der Umfaſſungs-Mauern und innerhalb des Einganges eine Anzahl großer platter Steine, welche antike griechiſche Grab- ſteine ſein ſollen, zum Theil noch mit dem Zeichen des Kreuzes verſehen. Dieſe Ruine ſteht bei den Griechen im Rufe beſonderer Heiligkeit; man verrichtet dort heimlich ſeine Andacht noch jetzt zuweilen des – 138 – Abends bei Licht; man zeigte uns die Vorrichtungen zur Erhaltung der Flamme gegen den Wind. Eine üppige Vegetation wucherte gegenwärtig ſowohl im Vorhofe als im Innern der Kirche. Unken und Molche niſten dort, wo ehedem der erſte chriſtliche Kaiſer die Narben und Brandmale verſtümmelter Märtyrer küßte. Eine noch jetzt beſtehende Moſchee ſcheint ganz aus den Trüm- mern griechiſcher Kirchen und Gebäude zuſammengeſetzt zu ſein. Jouannin und van Gaver geben eine Abbildung von ihr, mit der Ueberſchrift: „Eglise à Nicée“*). Nur iſt von dem hier gezeichneten ſchönen Minaret nichts mehr zu ſehen und den Vege- tationshintergrund hat der Zeichner wohl nur aus ſeiner Phantaſie entnommen. Zwei ſchöne Säulen aus grün und ſchwarz geflecktem Marmor bilden den Eingang zum Portikus rechts und links. Das Geländer beſteht aus durchbrochenem weißen Marmor in länglich viereckigen Tafeln, die auf ſolche Weiſe mannigfache Figuren dar- ſtellen, z. B. Sterne, verſchlungene Dreiecke u. dergl., aber ſtets verſchieden. Daß ſie einem älteren Gebäude entnommen ſind, be- weißt theils der Umſtand, daß eine dieſer Tafeln aus glattem dich- ten Marmor beſteht, der zu den übrigen nicht paßt, theils beweiſen es die mannigfachen Marmor-Fragmente, mit denen der Fußboden des Portikus belegt iſt. Unter dieſen befinden ſich einige Stücke von ehemaligen Arabesken-Basreliefs; beſonders aber eine große Platte von roth und gelbem Marmor, wie ich eine ſolche ganz ähn- liche hernach noch in der griechiſchen Kirche fand. – Bei der Rück- kehr fiel mir ein ehemaliges großes türkiſches Bad auf, welches jetzt nicht mehr gebraucht wird, – ebenſo ein allmälig verfallender Bau, der dem der Armenküchen neben den Moſcheen zu Conſtantinopel ganz ähnlich iſt, indem er mit einer Anzahl neben einander liegender flachen Kuppeln gedeckt iſt; und in der That wurde mir geſagt, man habe zu der Zeit, als osmaniſche Sultane hier reſidirten, die Armen aus ihnen geſpeiſt. Am 7. Oktober Morgens machte ich dem einzigen griechiſchen Prieſter einen Beſuch, den das heutige Nicäa ernährt, das zur Zeit der Synoden Hunderte von Biſchöfen beherbergte. Dieſer Geiſtliche ging wirklich auf meine vielfachen Fragen bereitwillig ein. Er holte ſogar einen zu Athen im Jahre 1806 in griechiſcher Sprache ge- - *) Turquie. Paris, 1840. pag. 22. – 139 – druckten Chroniſten hervor, um Einiges mit ſeiner Hülfe zu erläu- tern. Die Außenſeite des Mannes ſelbſt ſah ſehr ärmlich aus. Sein ſchwarzer Talar, in welchem er ſo eben aus der Kirche kam, erſchien im hohen, ſogar unwürdigen Grade abgeſchabt. Das ſchwarze Baret zeigte fettige Flecken von jahrelangem Anfaſſen mit den Fingern. Dieſer ärmliche Zuſtand ſeiner Kleidung fand auch ſeinen Wiederhall in der Wohnung – Ich wurde eine hölzerne Stiege hinauf in ein ſcheunenartig großes Zimmer geführt, deſſen Decke durch das bloße durchſichtige Ziegeldach gebildet wurde. Wir ſetzten uns auf einen Teppich nieder und die Converſation begann mit Hülfe meines Dol- metſchers. Eine alte Frau – wahrſcheinlich die Hausfrau – ſetzte ſich eine kurze Zeit gegenüber, und nahm ſogar einigemal Theil. Doch ſchien ſie ſich bald zu langweilen und verließ uns dann. – Das einzige Glasfenſter eines Hauſes in Nicäa ſah ich jedoch bei ihm. – Nach meinem Geiſtlichen fanden die zahlreichen Biſchöfe der erſten Synode ihr Unterkommen in einem großen Kloſter außerhalb der Stadt, von welchem noch heute bedeutende Ruinen vorhanden ſein ſollen. Nicäa ſoll, der Tradition zufolge, blos außerhalb der Ringmauern damals 60.000 Einwohner gezählt haben. Für die jetzt hier wohnenden wenigen Griechen iſt eine Kirche in Gebrauch, die nach der wahrſcheinlich unrichtigen Angabe des Prieſters ſchon zur Zeit der Concilien die Hauptkirche geweſen ſein ſoll. Ihr gegenwärtiger Umfang ſteht außer allem Verhältniß zu einer zahlreichen Bevölkerung und mein Geiſtlicher wußte dieſen Einwürfen nur dadurch zu begegnen, daß er verſicherte, dieſe Kirche habe damals äußerſt geräumige Vorhöfe gehabt. Zu ihr geleitete uns nun der bereitwillige Mann. Ihr Vorhof enthält einige kleine dünne Marmorſäulen, aber noch mehr hölzerne Pfeiler. – Der Boden der Kirche iſt mit einer wahren Muſterkarte von Mar- morarten bedeckt, unter denen auch Fragmente mit Basreliefs und mit ſchöner Moſaik-Arbeit. Ein viereckiges Stück des letzteren ſtellt blaue Nelken dar. Eine kleine Marmorſäule hatte man umgekehrt auf- geſtellt, ſo, daß das Kapitäl ihr zur Baſis diente. – Die Kirche iſt mit Marien- und Heiligen-Bildern überladen, die nach altgrie- chiſcher Weiſe auf Goldgrund gemalt ſind. Drei darunter ſchienen der Bemerkung werth. Eines derſelben ſtellt die Verſammlung des erſten Concils dar. Kaiſer Conſtantin präſidirt. Ihm zur Rechten die Patriarchen. Unten ſieht der Beſchauer links im Vordergrunde – 140 – den Arius, rechts von ihm geſondert 7 oder 8 ſeiner Anhänger, ſämmtlich durch lange ſchwarze Talare von den Uebrigen unterſchie- den, welche ſich durch glänzende Gewänder auszeichnen. In der Nähe der Schwarzgekleideten ſteht ein heiliger Mann, der einen Ziegelſtein in ſeiner rechten Hand hält; indem er ihn zuſammendrückt, ſpringt aus ihm nach oben Feuer, nach unten Waſſer heraus. Als Arius durch dieſes Wunder noch nicht bekehrt war, holt ein ihm zur Linken ſtehender hoher Geiſtlicher mit der rechten Hand aus, um dem Un- verbeſſerlichen einen Backenſtreich zu verſetzen. – Das zweite Bild ſtellt das Bruſtbild einer Maria mit dem Kinde dar, auf Marmor, ziemlich roh gemalt, deren und des Kindes Kleider eigenthümlich, basreliefartig, aus dem Stein ſelbſt erhaben mit dem Grabſtichel gearbeitet und dann colorirt ſind. Es wurde nie reſtaurirt. – Das dritte Bild hat auf die Maria Bezug, welcher die Kirche ſelbſt geweiht iſt, nämlich der Maria im Sarge (Santa Maria alla tomba). Maria liegt noch als Todte im Vordergrund; rings herum Anbetende. Das Feſt dieſer Maria wird von den Griechen 13 Tage ſpäter als von den Lateinern gefeiert, die es auf den 15. Auguſt gelegt haben. Die hier erwähnten drei Gemälde ſtam- men zwar aus einer Periode tiefen Verfalles der Kunſt; hiſtori- ſches Intereſſe iſt ihnen indeſſen nicht abzuſprechen. – In einem Seitengange iſt ein antiker Sarkophag zum Theil eingemauert. Hinter dem Altar ſteht in einer kleinen Kapelle oberhalb einer ſchmalen ſteinernen Treppe ein Marmor-Stuhl, ganz ſo gearbeitet, wie man antike kuruliſche Stühle zu Rom ſieht, mit der Figur einer Muſchel an der Rücklehne. Auf dieſem Stuhle ſitzend, ſoll der heilige Baſilius einen Streit über den Beſitz dieſer Kirche ent- ſchieden haben, der zwiſchen den Armeniern und Griechen ausge- brochen war. Die Thore des Gebäudes wurden von beiden Parteien verſiegelt. Diejenige ſollte Beſitzerin der Kirche ſein, welcher es ge- lingen würde, durch eifriges Gebet die verſiegelten Thore aufſpringen zu machen. Die Arianer beteten einen ganzen Tag inbrünſtig vergebens. Baſilius ſprach von ſeinem Biſchofsſitze aus nur die drei Worte: „Herr erhöre die Deinen!“ und die Thore ſprangen auf! So weit mein Geiſtlicher. – Die Bauart der Kirche ſtellt übrigens einen einfachen kleinen Dom mit Portikus dar. Außerhalb des nordweſtlichen Thores der Stadt in nördlicher Richtung von dieſem liegt das höchſt merkwürdige Grab-Monument, – 141 – welches Pokoke und v. Hammer*) beſchrieben haben; Letzterer gibt zugleich eine Abbildung davon. Es beſteht aus einem um- fangreichen Monolithen, der durch Menſchenhände auf den Gipfel eines kleinen Hügels hinaufgefördert worden iſt, dem man die erforderliche Ebene dnrch Mauerwerk beſchafft hatte. Die Stein- maſſe iſt inwendig ausgehöhlt, auswendig regelrecht und mit großem Fleiße bearbeitet. Seine nach Oſten gewendete Haupt- Façade ahmt die Form eines griechiſchen Tempels nach, im Giebel- felde ſieht man eine Figur, deren Form durch die Unbilden der Zeit zwar ſehr verwiſcht iſt, in der man jedoch noch deutlich genug eine Sonne erkennen kann, deren Strahlen freilich nicht ſo beſtimmt erſcheinen, wie v. Hammer ſie gezeichnet hat. Der Längendurch- meſſer des Monumentes beträgt 24“; er nimmt die Richtung von Oſt-Süd-Oſt nach Weſt-Nord-Weſt. Die Breite zeigt 12“. Das Monument krönt gleichſam einen Begräbnißplatz, der ſich von ihm aus gegen die Mauer der Stadt hinabzieht und vielleicht ſeit mehr als zwei Jahrtauſenden im Gebrauch geblieben iſt, denn noch heute dient er den türkiſchen Einwohnern, die aus Marmortrümmern des ehemaligen Nicäa ihre rohen Grabſteine meißeln. Ob die gewaltige Maſſe aus den Felſen der näheren Umgebung entnommen ſei, bleibt zweifelhaft; die herumliegenden anſehnlichen Bruchſtücke aus den Bergen der Nachbarſchaft gehören einem andern Ge- ſtein an, und es würde der Unterſuchung eines Fachmannes bedürfen, ob ſich in der Nähe irgend wo ein dem Denk- male ähnliches Geſtein vorfinden möchte. Leider iſt die Maſſe durch allmälige Unterwaſchung der Unterlage von Regengüſſen etwas aus dem Gleichgewicht gekommen, und in Folge deſſen ſchräg von oben und außen, nach unten und innen eingebrochen. – Das Wichtigſte an dem Monumente bleibt jedenfalls die Inſchrift, he ſich auf der öſtlichen Hauptfronte deſſelben, rechts und oben ange- bracht, vorfindet. Sie iſt bisher unerklärt. Hr. v. Hammer hält ſie für eine phöniciſche, und unterſtützt die Annahme durch den Styl des Kunſtwerkes, welcher ſich nach ihm in den Reſten phöni- ciſcher Bauwerke auf der Inſel Cypern und auf der gegenüber- liegenden Küſte Weſtaſiens wieder zeigt. Ich befinde mich in der angenehmen Lage, auf der beigefügten Tafel eine auf genauer Durch- *) A. a. O. S. 122. – 142 – zeichnung beruhende Darſtellung jener Inſchrift, ſowie zugleich mehrere Anſichten des Denkmals mittheilen zu können, die ich der beſonderen Güte meines Freundes, des Hrn. Dr. L. Thirk zu Bruſſa ver- danke, der ſie an Ort und Stelle mit anſehnlichem Zeitaufwande aufnahm. Ich bin Demſelben für dieſen Akt einer nicht gewöhn- lichen Liberalität aufrichtigſt verhunden. Das Klima von Nicäa iſt nicht blos ſehr viel milder als das von Conſtantinopel, ſondern auch als das von Bruſſa, indem es fern genug von dem bithyniſchen Olymp liegt, um den Unbilden, welche von dieſem im Winter auszugehen pflegen, zu entgehen. Hierzu kommt, daß ein nicht unanſehnlicher Gebirgszug ſich an der Südſeite des See's und der Stadt hindehnt, welcher beide um ſo mehr gegen die eiſige Luftſtrömung ſchützt, die während der Winter- monate von dem dann ſtets mit Eis und Schnee bedeckten Haupte des Berges herabwehen. Das nicht ferne Meer trägt zur Er- haltung einer gewiſſen Gleichmäßigkeit der Temperatur weſentlich bei. Am öſtlichen Ende des See's ſah ich noch im Oktober breite Hecken von Oleander und Vitex Agnus castus (keuſches Lamm) in üppigſter Fülle grünen. An den Maulbeerpflanzungen bemerkte man durchaus nicht, daß ihnen im Frühlinge ſämmtliche Blätter theils auch Zweige, zur Fütterung der Seidenraupen geraubt wor- den waren. Der Oelbaum ſchien jedoch nur kümmerlich zu gedeihen. Erwägt man nun noch, daß Nicäa unter 47° 10' öſtlicher Länge von Ferro oder 27 % ° öſtlicher Länge von Paris und 40° 21“ 30“ nördlicher Breite liegt, ſo wird man aus Alledem auf einen Him- melsſtrich ſchließen dürfen, der die Anhäufung bedeutender Maſſen von Einwohnern, wie ſie notoriſch im Alterthume Statt fand, leichter erklärlich macht. Darum konnte Nicäa unter den Römern und den griechiſchen Kaiſern auch mit Nicomedien um den Rang ſtreiten, welche von beiden die Hauptſtadt der Provinz Bithynien ſein ſollte. Die Kaiſer machten – wie ich glaube, mit Recht – Nicomedien zur Provinzial-Hauptſtadt; Nicäa nannten ſie die erſte Stadt der Provinz. – Wenn nun auch unzweifelhaft Nicäa in ſeiner Blüthe durch ſorgfältige Unterhaltung der Waſſerleitungen und Boden- cultur das gegenwärtige armſelige Isnik an Salubrität der Luft übertreffen mußte, ſo hat ſich doch gewiß die letztere nie mit der von Nicomedien und Bruſſa gleich ſtellen können, denn letztere liegen amphitheatraliſch an der Anhöhe, Nicäa in der Ebene. Dagegen – 143 – dürfte die mittlere Jahres-Temperatur zu mindeſtens + 13° R, für Nicäa angenommen werden können, vielleicht auch etwas höher. würde alſo beide Schweſterſtädte hierin überwiegen. Dennoch erklärt ſich das kümmerliche Gedeihen des Oelbaums dadurch hinlänglich, daß mitten im Winter die Temperatur merklich unter den Gefrier- punkt ſinken kann. Hr. Dr. Barth*) fand zu Nicäa am 18. December 1858 einen heftigen Schneeſturm und eiſige Kälte, die ihn nöthigten, den Rückweg nach Stambul zu beſchleunigen. Er be- ſchreibt den hierzu von Nicäa aus über den Gebirgskamm nach Kara Muſſal gewählten Weg, als in hohem Grade beſchwerlich. Der See von Nicäa iſt ungemein fiſchreich, ſein Waſſer aber nicht trinkbar. Aus dem weſtlichen Ende bildet ein Flüßchen den Abzugskanal nach dem Meere; er mündet ſich unfern Gemlik in letzteres ein. Die Länge dieſes Flüßchens beträgt zwiſchen 6 und 7 Stunden. Die durch ihn gebildete Gebirgsſchlucht war es höchſt wahrſcheinlich, durch welche die Griechen bei dem zweiten Angriff der Kreuzfahrer auf Nicäa ihre Schiffe in den See ſchafften, um ſo weſentlich zur Eroberung der feſten Stadt beizutragen. Aus der Geſchichte der letzteren ergibt ſich ferner, daß der See Tiefe genug beſitzt, um große Schiffe bis nahe an die Mauern heranzubringen. Der heutigen Ingenieur-Kunſt würde es wahrſcheinlich nicht ſchwer fallen, das erwähnte Flüßchen in einen ſchiffbaren Kanal umzuge- ſtalten. Auf ſolche Weiſe würde das Becken des See's einen höchſt geräumigen und durch die nahen Gebirgszüge trefflich geſchützten Hafen bilden, der allein ſchon genügen könnte, um bei einer etwaigen Rege- neration Nicäa's der Stadt ihren alten Glanz wieder zu verſchaffen. Der Verfall der alten Waſſerleitungen und die Sorgloſigkeit, mit welcher die türkiſche Regierung der Verſumpfung des an die Stadtmauern gränzenden Theiles des See's zugeſehen hat, übte auf die Salubrität des Ortes einen ſehr nachtheiligen Einfluß. Durch dieſe Sumpf-Ausdünſtungen entſtehen dort während des Spätſommers und Herbſtes häufig Wechſelfieber. Die Tochter meiner griechiſchen Wirthin, eine junge Frau, litt daran ſeit geraumer Zeit in be- trächtlichem Grade. Mir ſelbſt hat das Herumſteigen unter den Ruinen keinen Nachtheil gebracht, trotz einer ſeit der Jugend bei *) Geographiſche Mittheilungen von Dr. A. Petermann. Ergänzungsheft. Gotha, 1860. S. 100. – 144 – mir übrig gebliebenen Hinneigung zu kalten Fiebern. Auch fand ich die Atmoſphäre bei Weitem nicht ſo widerwärtig und drückend, als Hr. v. Hammer*) und ſeine Gefährten. Doch muß erwogen werden, daß dieſe Reiſenden ſich dort vier Wochen früher, alſo in einer ſchwüleren Jahreszeit befanden. Seſtini ließ ſich durch die böſe Luft von Nicäa ſo ſchnell vertreiben, daß er, obgleich Geiſt- licher, ſich nicht einmal Zeit nahm, die Reſte der Kathedrale zu be- ſuchen, in welcher das erſte chriſtliche Concil gehalten worden iſt. Anfangs Oktober war die Temperatur bereits eine kühlere, friſchere geworden, die mir ganz angenehm erſchien. Es kommt hinzu, daß das heutige Dorf Isnik beinahe eine kleine halbe Stunde vom öſt- lichen Ende des See's entfernt liegt. Am 7. Oktober Mittags brach ich von Nicäa nach Jeniſchehr auf, um dieſen Ort noch vor Untergang der Sonne zu erreichen, was auch gelang. Mein türkiſcher Kawaß hatte ſich bereit gefunden, mit Hülfe hier gemietheter Pferde mich bis nach Bruſſa zu geleiten. Der Weg führte uns durch das ſüdliche Thor von Nicäa dem öſt- lichen Ende des See's zu, auf deſſen ſandigem Ufer ich zahlreiche Bruchſtücke ehemaliger Landhäuſer herum liegen ſah, erkenntlich an durch feſten Mörtel verbundenen Ziegelſteinen. Nach einem halb- ſtündigen Ritte in ſüdlicher Richtung waren wir an dem Fuße eines felſigten Gebirgszuges angelangt, über den ſich der erträglich erhal- tene Weg hinauf wandte. Von den einzelnen Abſtufungen des Ber- ges ergaben ſich genußreiche Rückblicke auf die Ruinen von Nicäa und den See. Von dem Gipfelpunkte des Berges, deſſen Höhe ich hier 1600 über dem See ſchätzte, vermochte ich den letzteren, mit Hülfe von Gläſern, bis an ſein weſtliches Ende zu überſchauen. Aus dieſem Umſtande bin ich geneigt, die Angabe Leake's über die Länge des See's als die richtigere zu betrachten. Selbſt die ange- ſtrengteſte Aufmerkſamkeit ließ weder mich noch meine Begleiter irgend ein Segel oder eine Barke gewahr werden; öde und leer dehnte ſich die anſehnliche Waſſerfläche vor uns hin, die in alten Zeiten gewiß Hunderten von Schiffen Beſchäftigung gegeben haben mag. Wäh- rend bei der Belagerung von Nicäa durch die Kreuzfahrer dieſe ſich zum letzten Sturme rüſteten, erſchien plötzlich die erwähnte griechiſche Flotte vor der Stadt, und raubte Jenen durch liſtige Kapitulation mit den Osmanen die Früchte ihrer blutigen Anſtrengungen. Am Berg- *) A. a. O. S. 111. – 145 – Abhange ziehen ſich etwa mannshohe dichte Geſträuche verſchiedener Art hin, aber die von rohen Fäuſten geführte Axt geſtattet keinem Baume, aufzuſtreben. Die kurz andauernde geringe Win- terkälte läßt Reiſerbündel als zur Feuerung genügend erſcheinen. – Wir begegneten während des Hinaufſteigens einer aus etwa 2000 Ziegen beſtehenden Heerde, die einer großen ſchönen Raçe angehörten, wie ich ſie in Europa nirgends zu ſehen Gelegen- heit fand. Die Regierung hatte ſie in bedeutender Ferne von hier angekauft, um ſie zur Verproviantirung des Heeres nach Scutari ſchaffen zu laſſen. Ein berittener Führer und einige Treiber zu Fuß hielten die Thiere, mit Hülfe gelehriger Hunde in Ordnung, obgleich die Ziegen, Nahrung ſuchend, weithin durch das Gebüſch ſtreiften. – Auf der Höhe des Berges befindet ſich ein Kaffehaus, wo geraſtet wurde. Der Altan des Hauſes iſt Nicäa und feinem See zugewendet; er gab mir zum letzten Male Gelegenheit, die von der Natur ſo reich ausgeſtattete und durch hiſtoriſche Thatſachen ſo höchſt intereſſante Gegend zu überſchauen. Indem wir von der Waſſerſcheide des Gebirgszuges ſüdwärts hinabſtiegen, dachte ſich der Abhang viek allmäliger ab, als auf der von uns hinangeſtiegenen Seite. So erreichten wir denn auch den Fuß des Gebirges und die Ebene, in welcher Jeniſchehr liegt, erſt eine Stunde vor dieſem Orte. Von jenem Punkte aus behielten wir die vier oder fünf Minarets der kleinen Stadt ſtets vor uns im Auge. Ein ziemlich langer Karavanenzug von Kameelen war uns noch am Bergabhange begegnet: er führte Waaren, großentheils Seide, von Bruſſa nach Ismid. Ich bewunderte die Leichtigkeit, mit welcher die Thiere den Berg hinaufſtiegen, indem ſie eine lange Linie bildeten und dem an der Spitze einherſchreitenden Kameele, welches eine Glocke am Halſe trug, genau folgten. Aus einiger Entfernung geſehen, bildete die Karawane eine höchſt maleriſche und für das europäiſche Auge überraſchende Staffage der Windungen des Bergweges. – In der Ebene machten die ſich weit ausdeh- nenden Stoppelfelder den Weg um ſo eintöniger; nur die allmälig am Horizonte vor uns ſich deutlich hervorhebenden Linien von Ie- niſchehr gewährten dem Blicke einen Ruhepunkt. – Wir erreichten den Ort eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, und indem wir ihn der Länge nach durchzogen, bot ſich uns volle Gelegenheit dar, den größe- ren Theil der die Abendkühle genießenden männlichen Bevölkerung 7 – 146 – auf den Straßen, und namentlich auf dem in der Mitte des Ortes liegenden Bazar zu ſehen. Nach einer hier eingezogenen Erkundi- gung enthält der Ort 500 türkiſche und 10 armeniſche Häuſer. Daher begegneten wir denn auch nur Türken, die beſonders auf dem Bazar in lebhafte Bewegung geriethen, als ſie unſeres fremdartigen Zuges anſichtig wurden. Man legte uns jedoch keinerlei Hinder- niſſe in den Weg; vielmehr überwies uns der türkiſche Ortsvorſteher auf den Antrag meines Kawaſſen bereitwillig einem der wenigen armeniſchen Häuſer, die das ſüdliche Ende des Städtchens einnehmen. Die Türken folgen hier in der Kleidung und dem äußeren Habitus der alten osmaniſchen Sitte viel mehr, als ich es bisher – mit Ausnahme von Elbeili – noch gefunden hatte. Turban, langer Bart, weiter Kaftan, der die Bruſt blos läßt, Pantoffeln an den Füßen, gaben dem Menſchengewimmel einen maleriſchen Anſtrich. Die meiſt ausdrucksvollen Phyſiognomien, die ſchwarzen leuchtenden Augen, trugen das Ihrige hierzu weſentlich bei. Dieſes Jeniſchehr iſt geraume Zeit die Reſidenz des Stifters der osmaniſchen Dynaſtie, des Kara- Osman, geweſen. Von hier aus wurden die Angriffe theils auf kleinere befeſtigte Punkte der Griechen in der Nachbarſchaft, theils nach deren Falle, auf die da- mals mächtigen Städte Nicäa und Bruſſa organiſirt, denen endlich die erſchlafften Griechen nicht mehr zu widerſtehen vermochten. Beide fielen dem Sohne und Nachfolger des Osman, dem Orchau, in die Hände. Das Bewußtſein der früheren Wichtigkeit des Ortes mag die heutigen Einwohner um ſo mehr zum Widerſtande gegen die von Conſtantinopel ausgehenden Neuerungen kräftigen. Die armeniſche Familie, unter deren Dach wir die Nacht hin- bringen ſollten, erſchien ſehr ärmlich. Mein Dolmetſcher mußte„ſch auf den Bazar begeben, um die Materialien zu einem frugalen Abendmahle, ſowie zu dem morgenden Frühſtücke aufzukaufen. Wir ſtiegen auf einer leiterähnlichen Treppe zu einem viereckigen Ge- mache in die Höhe, deſſen Fenſteröffnungen für die Nacht mit Tü- chern verhängt werden mußten, weil es ſelbſt an hölzernen Laden fehlte. Die an der Wand herumlaufende hölzerne Bank mußte mit meinen eigenen Effecten gepolſtert werden, um ein dürftiges Lager herzuſtellen, deſſen Härte und unzählige Inſekten nur durch die große Ermüdung überwunden werden konnten, die den Schlaf trotz alledem endlich herbeiführte. Die Temperatur der Luft erhielt ſich – 147 – während der Nacht auf + 14° R., und machte ſo das luftige Gemach erträglich. Mein Kawaß und ein zweiter Pferdetreiber ſchliefen vor dieſem auf einem offenen hölzernen Altan, der jedoch ein Dach beſaß. – Die untergehende Sonne vergoldete den Saum zahlreicher, den Horizont deckender Wolken ſo zauberiſch ſchön, daß ſelbſt die Müdigkeit mich ſpät erſt von der weſtlichen Fenſteröffnung zu verſcheuchen vermochte. – Nach eingetretener Dunkelheit ließ ſich eine unmelodiſche Schalmeie mit obligatem Tambourin vernehmen; ja ſogar eine Mandoline begleitete männ- lichen Geſang, dem ich jedoch vergebens irgend eine Melodie abzu- lauſchen trachtete. Das Ohr dieſer Türken muß anders organiſirt ſein, als das unſrige, um dergleichen angenehm unterhaltend zu finden. Leider wurde ich für meine Unzufriedenheit mit dem Ge- ſange bald durch ein ſo entſetzliches Hundegeheul beſtraft, wie es mir ſelbſt im Orient noch nicht vorgekommen war. Es hielt die ganze Nacht an, und es gehörte in der That die narkotiſche Wir- kung einer zwölf Stunden lang ununterbrochen fortgeſetzten Körper- bewegung dazu, um mit europäiſchen Ohren auch noch dieſes aſiatiſche Hinderniß des Schlafes zu überwinden. Am Morgen des 8. Oktober's mußte ſchon um 5 Uhr früh zur Weiterreiſe gerüſtet werden, obgleich der Tag noch nicht angebrochen war, denn die Tagesreiſe nach Bruſſa beträgt von hier aus 10 Stunden. Der Aufbruch erfolgte um 6 Uhr. Vor dem ſüdlichen Ende von Jeniſchehr erreichten wir bald einen hohen Steindamm, der mit einer Anzahl brückenartiger Durchläſſe verſehen war. Theils aus dieſen, theils aus, den rechts und links erſcheinenden vertrock- neten Binſen, Seggegräſern und Rohr ergiebt ſich, daß zur Regen- zeit Waſſer die Gegend überſchwemmen mag. In dieſem Augenblick war aber keine Spur von einem See zu erblicken, ſelbſt nicht mit Hülfe eines Fernglaſes. Ein See von Jeniſchehr findet ſich jedoch auf allen mir zugänglichen Karten verzeichnet. Seine Lage iſt mei- nes Erachtens am richtigſten auf der von Hrn. Kiepert gezeich- neten Karte der aſiatiſchen Türkei angegeben. Auf der von Hrn. v. Hammer ſeiner Reiſe nach Bruſſa beigegebenen Karte, die in vielen Dingen unzuverläſſig iſt, liegt der See mindeſtens eine Stunde weſt-ſüdweſtlich von Jeniſchehr entfernt, nahe an dem Dorfe Tſchardagh, deſſen Namen Hr. v. Hammer Tſchardakköi ſchreibt. Da ich nun in dieſem Dorfe geraſtet habe, ſo müßte ich 7 – 148 – etwas von dem See bemerkt haben, wenn er hier läge, um ſo mehr, als ich danach ſuchte. Nicht unwahrſcheinlich iſt es jedoch, daß in alten Zeiten, als die jetzt völlig baumleere Ebene ven Je- niſchehr noch Wald und Gebüſch ernährte, dieſer See Jahr aus Jahr ein ſeichtes Waſſer enthalten haben mag, welches ſich jetzt nur nach den Regengüſſen des Herbſtes vorfinden dürfte. Auch von dem Flüßchen, durch welches v. Hammer den See ſeinen Abfluß nach Jeniſchehr hin uehmen läßt, fand ich nirgend etwas. Der ſehr ſchlecht gepflaſterte Steindamm hörte da auf, wo der Boden der Ebene ſich allmälig erhebt. Niedrige Gebirgszüge, die ſich rechts und links in anſehnlicher Entfernung vom Wege hin- ziehen, nähern ſich einander erſt weiterhin, 22 Stunden weſt- ſüdweſtlich von Jeniſchehr; v. Hammer hat die Richtung dieſer Ge- birgszüge, ſowie den Weg nach Bruſſa auf ſeiner Karte ganz gut angegeben. – Wir hatten zwei Stunden gebraucht, um das anſehn- liche Dorf zu erreichen, welches mir die Einwohner Tſchardagh nannten, deſſen Namen auf Hrn. Kiepert's Karte Tſchardakly lautet. Das Dorf beſitzt eine ziemlich anſehnliche Moſchee, in deren Vor- hof die Dorfjugend verſammelt war, um unisono und laut ſchreiend auf die von einem Lehrer vorgelegten Fragen zu antworten. An dem Café des Dorfes ſtillhaltend, war ich überraſcht, vor demſelben einen kleinen Garten zu finden, der ganz die Blumen und Sträucher enthielt, welche wir unter ähnlichen Umſtänden in Deutſchland zu finden gewohnt ſind. Tagetes patula blühte ſocbeu üppig. Roſen, eine Syringa und mehrere Dahlien füllten außerdem den beſchränk- ten Raum. – Den Weg weiter verfolgend, boten ſich uns nur eintönige Stoppelfelder, ſelten ein am Wege ſtehender, von der Sonne gedörrter Baum dar. Endlich wurde die einförmige Scene durch eine zahlreiche Heerde von einhöckerigen Kameelen belebt, die nur mit leeren Packſätteln beladen, offenbar nach der Heimath zurückkehrten, nach- dem ſie ihre Ladungen an das Meer befördert hatten. Man hatte ſie von jedem Zwange befreit und ſie benutzten dies, um ſich, vor- wärts ſchreitend, über die leeren Felder auszubreiten und ſpärliche Grashalme für ſich zur Nahrung herauszuſuchen. Aber auch hierbei folgten ſie geduldig den von dem vorderſten Thiere ausgehenden Glockentönen. – Bei einer andern Gelegenheit fand ich am öſt- lichen Fuße des Katerlü-Gebirges Abends ſpät eine ſolche entfeſſelte – 149 – Kameelheerde, die wahrſcheinlich dort übernachten ſollte. Die Thiert hatten ſich ſämmtlich einer langen Dornenhecke genähert, um die grünen Blätter aus dieſer heraus zu holen. Die hungrigen Thiere ließen ſich durch die unzähligen ſpitzen Dornen in ihrem Eifer nicht behindern; der hornartige Ueberzug ihrer Lippen kommt ihnen da- bei trefflich zu Statten. Die ruhenden Kameele verſchränken ihre Beine eigenthümlich, und ich bin geneigt, anzunehmen, daß die Tür- ken ihr Kauern auf den Ferſen den Kameelen abgelernt haben. – Das „Schiff der Wüſte“ zeigt zwar keine eleganten äußeren For- men; aber eine nähere Betrachtung ſeiner einzelnen Theile beweiſt, daß ſie ſämmtlich höchſt paſſend zuſammen geſtellt ſind, um einem beſtimmten allgemeinen Zwecke gleichmäßig zu dienen. Die unge- ſchlachten breiten ſchweren Hufe ſind offenbar dazu gemacht, be- quemer über das Steingerölle oder den Sand der Steppen und Wüſten hinzuſchreiten, ohne einzuſinken. Der Höcker des Rückens, mehr noch der Doppel-Höcker einer zweiten Species des Kameels, eignen ſich zur Befeſtigung von Laſten ganz beſonders, und es iſt bei dieſer nur auf eine möglichſt gleichartige Vertheilung des Ge- wichtes der Ladung für beide Seiten zu achten. Die ungemein ſtarken einzelnen Knochen des Skeletts ſprechen Feſtigkeit und Aus- dauer aus. Der ſchlanke, lange, im Gehen rückwärts gebeugte Hals ſcheint von dem Thiere zu der Erhaltung des Gleichgewichtes mit- benutzt zu werden. Das große Auge beſitzt zwar nicht den Glanz des Gazellen-Auges; etwas Starres, was dem Blick anklebt, iſt gewiß der ewigen Plage des Laſttragens zuzuſchreiben, zu welchem das Thier von der früheſten Lebenszeit an gezwungen wird. Aber es ſpiegelt ſich Sanftmuth und Geduld in dieſen Augen, und wenn ihr Beſitzer hartnäckig widerſtrebt und nicht vorwärts zu bringen iſt, ſobald er ſich überladen fühlt, ſo iſt er vollkommen in ſeinem Rechte und bedient ſich hierbei der einzigen Waffe gegen den Mißbrauch Seitens fühlloſer Menſchen, die ihm zu Gebote ſteht. Wenn der Berichterſtatter der Times, Hr. W. Ruſſel, jüngſt aus Indien her eine Fluth von Schmähungen auf das nütz- lichſte Thier der aſiatiſchen und afrikaniſchen Welt gehäuft hat, ſo führte er dadurch nur den Beweis, daß in ihm auch nicht die kleinſte Ader eines Naturforſchers lebendig iſt. Mit dem Untergange des Kameels würden gleichzeitig auch die jetzt noch vorhandenen Reſte des einſt ſo hoch blühenden Handels und Verkehrs in Aſien zu- ſammenſtürzen, und England möchte dann Indien den Rücken zuwenden. Indem unſer Weg ſich mehr und mehr dem Saume des zur rechten Hand ſtreichenden Gebirgskammes näherte, bot ſich ein Vor- hügel deſſelben dar, welcher mit einer Tabakspflanzung bedeckt war, die ſich zum Theil noch in der Blüthe befand, und, trotz einer lang anhaltenden Dürre nur kräftige Pflanzen zeigte. Es war die bei uns in Europa cultivirte Species, Nicotiana Tabacum. – End- lich begann der Weg ſich an dem erwähnten Gebirgskamm hinauf zu ziehen. Wir behielten hier rechts und links etwa mannshohe Geſträuche, unter welchen der dornigte Zizyphus australis vor. herrſcht. Die Coccuseiche, der Johannisbrodbaum, Pinus maritima und unſer gemeiner Wachholder ſammt dem Kreuzdorn, folgten. Ein Spartium wucherte auf dem Felsboden weit hin. Während des Hinaufſteigens fanden wir nördlich vom Gipfel, eine halbe Stunde dieſſeits, nur ein einziges Haus neben einer Bergquelle, welches als Halteplatz für Reiſende dient. Auf dem Gipfel des Berges liegt das kleine Dorf, welches mir von den Einwohnern Dimboſar genannt wurde. Auf der Karte der europäiſchen Türkei des Hrn. Kiepert heißt es Dimbos und auf der Karte v. Ham- mer's Timbos. Es war Mittags 12 Uhr, als wir bei dem un- gewöhnlich geräumigen Kaffehauſe des Dorfes anlangten. Wir hatten alſo, mit ſehr kurzer Raſt, ſechs Stunden gebraucht, um von Jeniſchehr hierher zu reiten. Ein ſehr geräumiger hölzerner Altan lud zur Ruhe ein, die wir für eine Stunde uns und unſern Thieren gönnten. Das Thermometer zeigte im Schatten + 15° R. Die Höhe, welche wir erſtiegen hatten, ſchätzte ich auf 1000 über der Ebene. In dem Kaffehauſe befand ſich eine mit Tabakrauchen und Kaffetrinken beſchäftigte, zahlreiche Geſellſchaft von Türken. Auffallend war es mir, daß ſie in dieſer wärmſten Stunde des Tages die mit einem ſchwülen Dunſt erfüllte Atmoſphäre des in- neren Raumes dem luftigen Altan vorzogen. Auch in Conſtantinopel hatte ich mehrmals Gelegenheit, dieſelbe Bemerkung zu machen. – Um 1 Uhr fingen wir an, den Berg hinabzuſteigen. Auch hier wiederholte ſich der bei dem Ueberſchreiten des Gebirges zwiſchen Jeniſchehr und Nicäa wahrgenommene Umſtand, daß der nördliche Abhang ſteiler ausläuft, als der ſüdliche. Während des allmäligen Hinabreitens öffneten ſich dem Blicke mehrere maleriſche Seiten- – 151 – thäler und Schluchten. Das geräumigſte unter dieſen Thälern, welches ſich in der Richtung von Norden nach Süden über eine Stunde hindehnt, blieb unſerm Wege zur rechten Hand. Den feuchten Thalgrund deckte eine üppige grüne Vegetation. Unfern des nördlichen Endes dieſes Thales zeigt ſich ein kleiner See, der einen von Oſten herkommenden Gebirgsbach aufnimmt. An ſeinem ſüdlichen Ende bemerkten wir 5 bis 6 Häuſer, von hohen Bäumen umgeben. Mein Begleiter nannte mir den kleinen Ort Baſchi, und den See Baſchi-Göl. Auf der Karte v. Hammer’s heißt letzterer Kuſchkonmas, auf der des Hrn. Kiepert Kuſch-Göl. Die Einwohner des Ortes ſollen ſich vorzugsweiſe dem Gartenbaue widmen, wozu ſich der Boden ganz beſonders eignet. Die Früchte werden nach Bruſſa abgeſetzt. – Wir hatten 1 , Stunde gebraucht, um von der Spitze des Felsgebirges in die Ebene hinabzuſteigen. Im letzten Abſchnitte des Abhanges behielten wir lange noch zur Linken einen niedrigen Gebirgskamm, der großentheils mit Eichen- gebüſch beſetzt war. Rechts gewährte das angeführte ſchmale Thal durch ſein friſches Grün in der vorgerückteu Jahreszeit dem Auge einen beſonders freundlichen Ruhepunkt. In der Ebene angekommen, fand ich bei vollkommener Windſtille die Sonnenſtrahlen viel kräf- tiger drückend, als es ſich bei einer Lufttemperatur von + 15° R. im Schatten hatte erwarten laſſen. – Es begegneten uns nun mehr und mehr Reiter und Laſtthiere, zum Beweiſe, daß wir uns einer größeren und geſchäftigeren Stadt näherten. Um 2 Uhr erreich- ten wir in der Ebene das Dorf Keſtel. Unmittelbar vor dem Dorfe treibt ein kleiner Bach durch ſein klares Bergwaſſer eine Mühle. Er ergießt ſich von einem zur linken Hand ſtreichenden niedrigen Gebirgszuge herabkommend in das Thal. Das erſte Haus iſt abermals ein geräumiges Kaffehaus, welches ich wieder mit vielen Menſchen, zum Theil Reiſenden, angefüllt fand. Neben dieſem Hauſe zogen drei rieſige, orientaliſche Platanen meine Aufmerk- ſamkeit auf ſich; ich hatte ſie in ſolchen Dimenſionen nur zu Bö- jükdere geſehen. In dem langen feuchten Thale, welches ſich von hier aus ununterbrochen bis Bruſſa hinzieht, traten ſie nun aber häufig auf. Leider lagen nicht wenige dieſer herrlichen Bäume umge- ſtürzt am Boden, offenbar durch die Gewalt des Feuers gebrochen, welche viehweidende Barbaren an ihren Stämmen abſichtlich an- zünden, um ſie künſtlich auszuhölen und Schutz in ſolchen Höhlen – 152 – gegen böſe Witterung zu finden. Einige dieſer coloſſalen Stämme ſchienen, ungenützt, ſeit Jahren der Verwitterung preißgegeben zu ſein. Andere Platanen hatte man durch Abhauen ſämmtlicher Aeſte mitleidslos verſtümmelt. Allmälig traten neben den mächtig Vorherrſchenden echte Kaſtanienbäume auf, und zwiſchen 3 und 4 Uhr gelangten wir in einen anſehnlichen Wald derſelben, deſſen einzelne Stämme an Umfang und Höhe den Platanen wenig nach- gaben. Beide Bäume bilden die Rieſen der Vegetation Weſtaſiens, in welcher die Platane den erſten, die Kaſtanie den zweiten Platz ein- nimmt. Sehr bekannt iſt die Rieſen-Kaſtanie am Aetna; aber auch dieſer Baum zieht gleich der Platane feuchte Thäler vor, denn geſunder, kräftiger, höher und umfangreicher kann man ihn gewiß nirgends finden als hier. Es war die Zeit der Kaſtanien-Erndte, weshalb denn zahlreiche mit Säcken beladene Eſel herumſtanden, um die Früchte aufzunehmen, welche Männer und Knaben von den hohen Bäumen herabholten, während Frauen ſie aufhoben und verpackten. Die glü- henden Sonnenſtrahlen bemühten ſich vergebens, das gewaltige Laub- dach zu durchdringen. Das Alter dieſer Bäume kann offenbar nur nach Jahrhunderten geſchätzt werden; der von ihnen zu ziehende Nutzen iſt zu überwiegend, als daß man ihr Holz hier nicht ſcho- nen ſollte, und ſo bilden ſie einen erfreulichen Contraſt mit den erbarmungslos verſtümmelten Platanen. An den Felswänden der erſten Region des Olymps iſt ihre Ertragsfähigkeit wahrſcheinlich eine viel geringere, deshalb fällt man ſie dort unbarmherzig, um die jungen ſchlanken Stämme zu leichten Bauten und Pfählen zu benutzen, wie man dies auch auf den Vorhügeln der Apenninen zu thun ge- wohnt iſt. Die Vegetationskraft dieſer Kaſtanie iſt eine äußerſt anſehnliche; ſchon nach 6–7, höchſtens 10 Jahren ſind ihre Wurzel- ſchößlinge wieder ſtark genug, um abermals zu ähnlichem Zwecke verwendet zu werden. Zahlreiche, von den Vorhügeln des Olymp herabſtrömende Bäche durchziehen das lange Thal in der Richtung von Nordoſten nach Südweſten, waren aber jetzt, Anfangs Oktober, großentheils ausgetrocknet. Als wir ſüdwärts weiter ſchreitend, aus dem Kaſtanienwalde hervorgetreten waren, behielten wir ein Flüß- chen zur Rechten, deſſen Waſſer uns entgegen, alſo nordwärts ſtrömte. Nach v. Prokeſch ſoll es ſich in den Baſchi-Göler- gießen. Es iſt mir indeſſen viel wahrſcheinlicher, daß wir uns hier an der letzten nördlichen Krümmung des Nilufer's ſelbſt befanden, – 153 – der, wie es v. Hammer auf ſeiner Specialkarte von Bruſſa ganz richtig gezeichnet hat, ſüdweſtlich vou Tſchekirghe hach im Gebirge entſtrömt, um dem Thale zuzueilen. In dieſem läuft er vor Bruſſa vorüber, in der Richtung nach Norden, um den Jök-Der euud mehrere andere Bergſtröme aufzunehmen, ſich hierauf umzubiegen und, ſeinem früheren Laufe entgegengeſetzt, in der Richtung nach Weſten dem Rhyndakus, dem Suſurly oder Mualitſch-Tſchar (nach Kiepert) der Türken, zuzueilen, der ſich zwei Stunden unterhalb dieſer Vereinignng in das Meer von Marmara ergießt. Durch jenes ausgezeichnet günſtige Flußſyſtem würde das Thal das ganze Jahr hin- durch hinlänglich bewäſſert ſein, wenn man es zu benutzen verſtände, Dieſe Ebene heißt bei den Türken das Feld von Filah dar. Seiue Flußufer erſchienen gegenwärtig in weitem Umfange verſumpft; hohes Rohr, Binſen und Typha bedeckten weſtwärts von unſerem Wege eine ſehr ausgedehnte Bodenfläche. Es kann nicht fehlen, daß dieſe, gewiß durch vernachläſſigte Uferbauten entſtandenen Sümpfe bei großer Hitze Dünſte entſenden müſſen, die den Einwohnern des nahen Bruſſa verderblich werden, ſo oft die Luftſtrömung dieſen zugewendet iſt. Daher herrſchen Wechſelfieber dort auch im Spätherbſte häufig, deren Vorkommen ſich ſonſt, bei der erhabenen und trockenen Lage der Stadt auf Kalktuff kaum erklären laſſen würde. Eine intelli- gente Regierung würde wahrſcheinlich bald im Stande ſein, den verſumpften Boden wieder in fruchtbares Land umzuwandelu. Nachdem das erwähnte Flüßchen unſern Weg verlaſſen hatte, traten wir in das weite reiche Thal von Bruſſa ſelbſt ein. Die Pflanzungen von Maulbeerbäumen, die wir bereits von Isnik her in der Nähe bewohnter Häuſer faſt allenthalben getroffen hatten, wurden von jetzt an umfangreicher und deckten, beſonders in der Nähe der Stadt, einen anſehnlichen Theil des Feldes. Dieſe Bäume werden trefflich gepflegt; für den Gebrauch ſchneidet man die jungen Zweige ab und verkauft ſie bündelweiſe mit den Blättern. Schon hieran konnte man erkennen, daß Seidenfabrikation und Handel die Hauptbeſchäftigung der hieſigen Induſtriellen abgeben. Außerdem fanden wir noch viel Mais und Hanf auf dem Felde. Unabſehbare Stoppelfelder zeigten uns außerdem, daß das Thal dem Getreidebau vorzugsweiſe dient. In Deutſchland würde man um dieſe Jahres- zeit den Schooß der Erde an vielen Stellen durch den Pflug ſchon wieder aufgeriſſen gefunden haben. Hier war davon keine Spur 7es – 154 – zu entdecken; man begnügt ſich mit einer Sommererndte und düngt nicht. Nächſtdem wird der Weinbau nicht blos an der Anhöhe, ſondern auch in der flachen Ebene ſchwunghaft betrieben. Ich ſah weite Felder mit Reben bedeckt. Die Trauben fand ich hernach ungemein zuckerhaltig, die Beeren dickhäutig, länglich; von der Würze des Muskatellers iſt in ihnen nichts bemerkbar. Der Wein von Bruſſa iſt feurig und gelinde zuſammenziehend. Er iſt zu Con- ſtantinopel ſehr beliebt und wird dort in großen Quantitäten con- ſumirt. Der Oelbaum gedeiht am Fuße des Olymps ſelbſt nicht; erſt in der Nähe des Meerufers, am Golfe von Gemlik und Mudania ſieht man ihn üppig vegetiren. Noch viel weniger kann hier eine Citrone oder Orange im Freien ausdauern. Die Feigen- bäume erreichen jedoch einen anſehnlichen Umfang und liefern gute Früchte. Schon von der Höhe des Gebirgszuges bei dem Dorfe Dim- boſar hatte ich den bithyniſchen Olymp vor mir geſehen; ich hatte von dort aus zwölf Spitzen deſſelben gezählt. Aber erſt von dem Austritte aus dem Dorfe Keſtel an lag er in ſeiner ganzen Ma- jeſtät vor mir. Gegen das Thal von Bruſſa hin bildet das Ge- birge einen flachen Kreisabſchnitt, deſſen beide Endpunkte gegen die Ebene herabgebogen erſcheinen. Eine beide Endpunkte ſchneidende gerade Linie ſtreicht von Nordweſt nach Südoſt, oder genauer von Weſtnordweſt nach Oſtſüdoſt. Zahlreiche Vorhügel treten aus der Concavität des Kreisabſchnittes hervor; die einzelnen werden durch Schluchten von einander getrennt, mittelſt welcher kleine Bergſtröme dem Thale zueilen; in der gegenwärtigen Jahreszeit waren ſie je- doch, mit geringer Ausnahme, ausgetrocknet. Der erſte jener Vor- hügel, der ſich dem von Nordweſt herkommenden Wanderer dar- bietet, trägt an ſeinem Fuße das Dorf Keſtel. Ein oberhalb dieſes Dorfes, in kurzer Entfernung liegender Gebirgsvorſprung zeigt die Ruinen eines feſten Schloſſes. Eine Volksſage nimmt an, daß es dieſes Schloß geweſen ſei, welches Hannibal be- wohnte, als der König Pruſias von Bithynien den Römern ge- ſtattete, ſeinen Gaſtfreund und Heerführer dort wo möglich heraus- zuholen. Dieſe Sage wird jedoch durch keine hiſtoriſche Thatſache beſtätigt; der Umſtand, daß Hannibal in dem weit entfernten alten Libyſſa, da, wo heute Malſum, begraben liegt, macht ſie ſogar ſehr unwahrſcheinlich. In der Nähe des ſüdöſtlichen End- – 155 – punktes des Kreisabſchnittes liegen die berühmten heißen Quellen von Bruſſa, eine halbe Stunde lang neben der großen Landſtraße ſich hinziehend. Sie entſpringen aus demſelben Kalktuff neuer For- mation, der den anſehnlichen Vorhügel bildet, auf welchem die Stadt Bruſſa ſelbſt liegt. Letzterer tritt aus der concaven Linie etwas hervor, jedoch bei weitem nicht in dem Grade, wie v. Hammer dies gezeichnet hat. Die Lage dieſes wichtigen Vorhügels kann näher ſo beſtimmt werden, daß er den Punkt einnimmt, in welchem ſich das mittlere Dritttheil der oben angenommenen Linie mit dem ſüdöſtlichen Drittheil verbindet. Hr. v. Prokeſch, der ſich der Stadt von Süden her näherte, ſpricht ſich über den Eindruck, wel- chen der Anblick des Fußes des Olymp hervorbringt, ſo aus: „Wenige Bergketten ſind ſo rein geſchwungen, als dieſe; ich weiß ihnen nur den Abfall des Anchesmos an die Seite zu ſetzen“*). Mehrere Reiſende haben die vorzügliche Lage von Bruſſa nur mit der der beiden Städte Damaskus und Gra- nada vergleichen zu dürfen geglaubt, worüber mir kein Urtheil zu- ſteht. Wohl aber darf ich nach eigener Anſicht den Ausſpruch ver- theidigen, daß wenige Städte ſich zur Aufnahme eines Herrſcher- ſitzes mehr eignen möchten, als Bruſſa, ſofern man die unmittel- barſte Nachbarſchaft des Meeres hierbei entbehren will. Die Ent- ſernung deſſelben beträgt hier 5–7 Stunden, wie man ſie heutigen Tages durch Eiſenbahnen und Dampfkraft faſt zum Verſchwinden bringen kann. Den ungefähr 8000 hohen rieſigen Berg im Rücken ſchwebt der Fuß ihres Felſenbodens gerade hoch genug über der Ebene, um ſich mit ihr nicht zu vermiſchen, ſie deutlicher alſo zu beherrſchen. Der Felsabhang, welchen ſie bedeckt, iſt nur dort ſteil, wo die jetzt durch Erdbeben in Ruinen geſtürzte feſte Cita- delle liegt. Kaum gibt es einen Punkt der Stadt, von welchem aus man nicht die etwa ſechs Stunden lange nud zwei Stunden breite Ebene zu überſchauen vermöchte. Sie würde, etwa mit deutſchem Fleiße cultivirt, einen ununterbrochenen Garten darſtellen, der dann der Stadt einen Vordergrund darbieten müßte, wie ihn die Phantaſie ſich kaum reicher vorſtellen könnte. Einen Vorgeſchmack erlangt man ſchon durch die üppigen Maulbeer-Pflanzungen der unmittelbaren Nachbarſchaft des Ortes, ſo wie durch ſeine coloſſalen *) Denkwürdigkeiten. Bd. III. S. 82 u. f. – 156 – Platanen und Cypreſſen. Der die Ebene der Länge nach durchſtrö- mende Nilufer würde, wenn ſeine Zuflüſſe gehörig regulirt wür- den, es jener Ebene ſelbſt im heißeſten Sommer nicht an dem erfor- derlichen Bewäſſerungsmaterial fehlen laſſen. Das Katerlü-Ge- birge, eine Fortſetzung des Argan thonios, welches die weſtliche Seite des Thales vom Meere ſcheidet, beſchützt die Ebene nicht blos gegen Seeſtürme, ſondern gibt der von Bruſſa aus geſehenen Landſchaft durch ſeine maleriſchen Linien auch einen unvergleichlichen Hintergrund. Wir hatten bei der Annäherung an Bruſſa auf der Land- ſtraße eine Anzahl von ausgetrockneten Bergſtrömen überſchreiten müſſen, die jetzt mit Steingerölle ausgefüllt waren. Nur einer derſelben fand ſich überbrückt, vielleicht nur darum, weil ſein Strom während des Schmelzens des olympiſchen Schnee's zu heftig iſt, als daß er von Laſtthieren durchwatet werden könnte. Die vor- handene Brücke beſtand aus locker zuſammengefügtem Holzwerk, deſſen obere Fläche man mit einem möglichſt ſchlechten Steinpflaſter bedeckt hatte. Es läßt ſich nicht bezweifeln, daß hier während der Winterzeit oder an finſteren Abenden zahlreiche Unglücksfälle vor- kommen müſſen. Erwägt man, daß wir eine der lebhafteſten Hau- delsſtraßen Aſiens vor uns haben, die außerdem der Hauptſtadt des Reiches nahe genug liegt, ſo muß man über die barbariſche Rück- ſichtsloſigkeit der Regierung gegen die Staats-Angehörigen billig erſtaunen. – Von der Stadt ſelbſt kamen mir zunächſt einige große Moſcheen des ſüdlichſten Endes derſelben zu Geficht. Wir waren dem Orte bereits ziemlich nahe, als er ſich in ſeiner ganzen Aus- dehnung darſtellte. Die zahlreichen Ziegeldächer, die vielen Mo- ſcheen, zuſammengeſtellt mit den Ruinen des alten Schloſſes auf der Höhe, gewährten mir von der Ferne aus einen impoſanten Anblick. Aber das „Meer von Minarets“, deſſen ältere Reiſende erwähnen, war verſchwunden. Das Erdbeben von 1855 hatte ſie fämmtlich umgeſtürzt. Man ſchien nicht geſonnen, ihre Spitzen wieder auf- zurichten; der Schaden, welchen ſie im Sturze den Moſcheen und Häuſern zugefügt hatten, war zu anſehnlich. Dieſe ſchlanken hohen Bauwerke wichen den Erſchütterungen früher als alle andern. Kurz vor 6 Uhr wendeten wir uns aus den dichten Maul- beerpflanzungen der Anhöhe zu, indem wir den Gaſthof des Hrn. Giuſeppe Loſchi zu gewinnen trachteten, der damals als der vor- – 157 – züglichſte in Bruſſa galt. Er liegt im Südtheile der Stadt auf einer Anhöhe; die Ausſicht aus den Fenſtern meines zwei Treppen hoch gelegenen geräumigen Zimmers auf die von der allmälig unter- gehenden Sonne beleuchteten Gebäude der Stadt und auf die vor mir ausgedehnte Ebene war eine ſo höchſt anziehende und überraſchende, daß ſelbſt der Ruf zur Tafel mich nur ſchwer von ihr zu trennen vermochte, obgleich nach ſo langem Ritte die Natur ihr Anrecht auf eine ſolche Einladung längſt ſchon laut genug geltend gemacht hatte. Glücklicherweiſe bot der Tiſch meines italieniſchen Wirthes Entſchädigung für die unausgeſetzten Entbehrungen meines aſiati- ſchen Ausfluges dar. – Ein zweiter Gaſthof, der von einem Deut- ſchen, Hrn. Stock, eingerichtet worden iſt, liegt weniger angenehm, auch ſoll ſein Beſitzer zur Zeit ſich mehr mit Weincultur be- ſchäftigen. - Am 9. Oktober erſtieg ich vor allen Dingen die Ruinen des uralten feſten Schloſſes von Bruſſa, um von dieſem hochgelegenen Punkte aus einen vollſtändigen Ueberblick über die Stadt und ihre Umgebung zu erhalten. Der von Süden aus hinaufführende Weg verläuft etwas weniger ſteil als der nördliche, zieht ſich aber länger hin. – Auf dieſem Wege kam ich an einer großen Filanda vow- über, in welcher Seidencocons abgehaspelt wurden; ich trat in die offen ſtehende Thür ein. Es waren hier 56 in zwei Reihen auf- geſtellte kleine Räder in Bewegung, die durch Waſſerkraft vermittelt wurde. An jedem dieſer Räder war ein junges Mädchen angeſtellt. Nur wenige von dieſen Arbeiterinnen hatten das Geſicht verhüllt und erwieſen ſich dadurch als Türkinnen; die übrigen waren der Mehrzahl nach Armenierimen, in der Minderzahl Griechinnen. Die erſteren zeichneten ſich vor den letzteren durch etwas höhere kräftigere Körpergeſtalt aus; ein gewiſſer Ernſt breitete ſich über die meiſtens regelmäßigen Geſichtszüge der jungen Weſen aus, wie er in dieſem Lebensalter ungewöhnlich iſt; das große ſchwarze Auge und die bleiche Geſichtsfarbe erinnerten mich an die Venetianerinnen, aber der belebende Glanz der venetianiſchen Augen fehlte. Vielleicht iſt der Druck der täglichen mechaniſchen Arbeit hier zum Theil im Spiele, aber der größere Theil davon iſt über das geſammte ar- meniſche Volk ausgebreitet. Eine dieſer Armenierinnen, deren ſchlan- ker hoher Wuchs uud die ſtreng regelmäßige Geſichtsbildung an den rein kaukaſiſchen Typus erinnerten, wäre ſicher für jeden Künſtler – 158 – ein willkommenes Modell geweſen. – Jene Filanda gehört der Re- gierung; der Aufſeher erbot ſich, mich in allen Räumen des gegen- überliegenden größern Fabrikgebäudes herumzuführen, was ich jedoch ablehnte, da mir die Sachkenntniß"in dieſen Dingen fehlt. – Die erſte Veranlaſſung zur Anlegung ſolcher Seidenfabriken mit vervoll- kommneten mechaniſchen Apparaten hat ein Hr. v. Muralto aus Zürich, in Verbindung mit Hrn. Falkeyſen aus Baſel gegeben; ihre Fabrik brannte indeſſen ab. Den erſten Verſuchen folgten aber bald mehrere. Ein armeniſcher Banquier von Conſtantinopel förderte dieſe Fabrikation zunächſt, machte jedoch Banquerut, und ſo gelangte ein Theil derſelben in die Hände der Regierung, welcher der Ar- menier Summen ſchuldig geblieben war. – Während des Erdbebens von 1855 wurde eine ſolche Filanda, die des Hadſchi Anaſtaſu, in welcher 28 junge Mädchen arbeiteten, ſammt dem Eigenthümer, einem Armenier, durch einen herabſtürzenden Felsblock bedeckt. Von Allen rettete ſich nur ein Mädchen, welche ausſagte, daß nach dem erſten ſchwächeren Stoße die Arbeiterinnen den Herrn gebeten hätten, ſie zu entlaſſen, aber vergebens. Alle fielen dieſer Hartnäckigkeit zum Opfer. – Die Seidenfabrikation iſt der Haupt-Erwerbszweig von Bruſſa und für alle nahe gelegenen Orte, bis zu anſehnlicher Entfernung. Ich beſuchte ſpäterhin einen in der Stadt belegenen Beſeſtan, welcher dem Seidenhandel ausſchließlich dient. Hier fand ich bedeutende Maſſen von geſponnener roher Seide aufgethürmt. Da nicht leicht ein Ausländer dieſe Hallen betritt, als nur zu Handels- zwecken, ſo beſtürute man mich von allen Seiten mit Kaufanträgen. Das Geſchäft ging damals, wie man mir ſagte, flau, und ein ſpe- culativer Handelsmann würde in dieſem Augenblicke vortheilhafte Geſchäfte haben treiben können. Die leichteren Gewebe von Bruſſa werden wegen ihrer Solidität und Eleganz ſehr geſucht. Ich ſah zwei lange Reihen von Buden, in denen Seidenwaaren lagern; jede einzelne jedoch nur von geringerem Umfange. Der Hauptſtapelplatz für dieſe Waaren bleibt freilich Conſtantinopel. Das Erſteigen des Felſens, welcher die Ruine der Citadelle trägt, gewährte mir reiche Gelegenheit, die Wirkungen der beiden Erdbeben vom 28. Februar und 11. April 1855 zu beobachten. Einzelne ſchwache Stöße haben ſeitdem von Zeit zu Zeit fortgedauert; den letzten bemerkte man vor drei Wochen. – Gewaltige Maſſen des lockeren Kalktuffs, der verſchiedenen Abſtufungen des Vorhügels – 159 – des Olymp, auf welchen Bruſſa erbaut iſt, haben ſich losgelöſt, indem ſie entweder die auf ihnen erbauten Häuſer mit ſich nach abwärts riſſen, oder die unten ſtehenden begruben. Man zeigte mir eine ſolche gewaltige, an einer Straße unterhalb des Haupteingangs- Thores zu dem ehemaligen Schloſſe liegende Maſſe, unter welcher ein kleines Haus mit fünf Menſchen ſo tief vergraben wurde, daß man bis jetzt noch nicht daran hat denken mögen, die deckenden Felstrümmer fortzuräumen. Ein daneben ſtehendes Haus war weniger tief verſchüttet worden; man war ſo eben beſchäftigt, es in leichtem Holzbaue an derſelben Stelle von neuem zu errichten. – An der Süd- ſeite des alten Schloſſes ſah ich die ſüdliche Seitenhälfte eines alten runden Thurmes, deſſen Mauern mingeſtens 6' dick waren, von der nördlichen Hälfte durchweg bis unten losgeriſſen und in der Richtung nach Süden queer über den Weg geſtürzt. Die auseinandergeriſſenen Mauerflächen gaben eine treffliche Muſterkarte aller der Steinarten, deren man ſich ſeit den älteſten Zeiten, vielleicht ſeit denen des Königs Pruſias und Hannibal's, zum Bauen bedient hat. Die ſorgloſe Bauart des Thurmes läßt ſchließen, daß wir es hier mit einem türkiſchen Bauwerke zu thun haben, welches alſo mindeſtens nach 1326 geſchaffen worden ſein muß. Die Türken haben be- kanntlich ſtets das Material älterer Bauwerke nach Möglichkeit zu ihren Werken benutzt, ohne dabei irgend eine Rückſicht auf Kunſt- werth oder auf religiöſe Beſtimmung deſſen, was ihrem Zwecke die- nen ſollte, zu nehmen. So findet ſich z. B. in der umgeſtürzten Mauerhälfte ein Stück basreliefartig bearbeiteten Marmors, den ich nach der Art des Glanzes auf ſeinem Bruche für pariſchen halten möchte. Leider hielt der alte Mörtel es ſo feſt, daß meine ſchwachen Verſuche, es loszubringen, vergeblich blieben. – Eine dieſem Thurme gegenüber in Trümmern liegende Moſchee war da- gegen theils in ſich ſelbſt, theils nach Norden umgeſtürzt. Es war dies die Moſchee Murad I. im Hiſſar (Schloſſe), die einen ſehr bedeutenden Umfang beſaß. Ihr Flächeninhalt nimmt genau eine beſtimmte Anzahl Arſchinen (oder vielmehr das türkiſche D Flächen- Maaß in Steinplatten) ein; für ſtreitige Fälle galt das hier ge- brauchte Quadratmaaß zur Entſcheidung. Eben ſo befand ſich dort ein in Stein ausgehauenes Brod, welches den geſetzmäßigen Brod- umfang andeutete. Bei dieſer Moſchee hatte man noch keinen An- fang zum Aufräumen des Schuttes gemacht. In der nordöſtlichen – 160 – Hälfte der Schloßruine hat man einen Garten angelegt, durch wei- chen man auf die äußerſte, gleichſam über die Stadt hängende Spitze derſelben hingelangt. Von dieſer aus ſieht mau faſt ſenkrecht auf den mittleren ſehr ſchmalen Theil der Stadt, zugleich aber auch auf die breiteren und volkreicheren beiden Seitenhälften derſelben hinab, endlich noch auf das gegenüberliegende Katerlü-Gebirge. Für den, der nicht etwa den Olymp ſelbſt zu erſteigen gedenkt, gibt es uur dieſen einen Punkt, der das vollſtändige Panorama von Bruſſa in allen ſeinen Theilen zugleich überſehen läßt. Die Mineralbäder ſchließen es weſtlich und einige domartige Moſcheen öſtlich ab. Kein Theil der etwa 2", Stunden lang ſich hindehnenden Stadt kann von hier aus dem Blicke entgehen; man muß die richtige Wahl deſſen, der das Schloß zuerſt hier anlegte, preiſen; der Sage nach war es Hannibal. – Leider wird der hohe Genuß, der ſich von hier aus darbietet, durch die Betrachtung getrübt, daß man auf einer ſehr unſicheren Mauer-Hevorragung ſteht, die von dem übrigen Gemäuer durch einen mehrere Fuß breiten Riß getrennt iſt, den man mit einigen wankenden ſchwuchen Brettern überdeckt hat. Doch ſtehen auf jenem Vorſprunge neben einer Flaggenſignalſtange zwei Dreipfünder auf Laffetten, auch liegeu außerdem noch etwa acht eiſerne Geſchütz- röhren am Boden; bei der hier allenthalben vorherrſchenden grän- zenloſen Sorgloſigkeit würde man indeſſen aus ſolchen Dingen kei- neswegs auf irgend eine Sicherheit des Standpunktes ſchließen dürfen. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß der nächſte einiger- maßen bedeutende Erdſtoß das bereits überhängende Gemäuer auf die tief unten liegenden, unglücklichen Häuſer hinabſtürzen wird. – Bei weiterer Fortſetzung meines Weges nach Oſten gelangte ich zu dem Hauptthore des alten Schloſſes, wahrſcheinlich der Porta triumphalis. Es iſt aus weißem Marmor im römiſcheu Rundbogenſtyle erbaut und anſehnlich hoch. Den Türken erſchien es für ihre Laſtthiere und kleinen Karvanen viel zu erhaben und ſo haben ſie es denn für paſſend erachtet, innerhalb einen flach gewölbten Bogen herüber zu ſchlagen und Ziegelgemäuer darauf zu pflanzen, welcher nun eine türkiſche Inſchrift dem Beſchauer entgegen hält, die wahrſcheinlich die Stelle der urſprünglichen alten Infchrift ver- treten ſoll. Rechts und links neben den Thorpfeilern befinden ſich anſehnliche Marmorquadern, die ſich durch die letzten Erdbeben nicht im Geringſten verrückt haben. Dagegen hatte man unter rechtem – 161 – Winkel von dieſen beiden Thorſeiten rechts und links zwei Mauern in ſpäterer Zeit abgehen laſſen, deren Arbeit freilich traurig abſticht gegen den alten Marmorbau. Beide ſind zuſammengeſtürzt und haben tiefer ſtehende Häuſer zerſchmettert. – Ein kleiner nach Weſten ge- wendeter Theil der Schloßruine zeigt noch heute eine aus viereckigenge- brannten Ziegeln nach römiſcher Art angebrachte ſolide Mauerbekleiduug. Will man ſich indeſſen einen richtigen Begriff von der maſſen- haften Zerſtörung verſchaffen, welche Bruſſa durch die Erdbeben von 1855 erlitten hat, ſo muß man die Moſcheen, die Beſeſtaus und die großen Chans (türkiſchen Wirthshäuſer) beſuchen. Die mit Recht ihres rein arabiſchen Bauſtyls wegen berühmte Hauptmoſchee Ulu-Dſchami, welche der erſte türkiſche Eroberer Orch an ſchon anfing zu bauen, hat ihre zwanzig Dome, ſowie die Spitzen der Minarets verloren. Jene ſchienen, ſo viel ſich jetzt noch beurtheilen läßt, in ſich ſelbſt zuſammen geſunken zu ſein. Ulu-Dſchami hatte 20 Dome, je fünf in vier Reihen hinterein- ander, – nicht 25, wie Hr. v. Hammer irrthümlich gezeichnet hat. Die nördliche Umfaſſungsmauer, mit dem Hauptthore, ſowie die ſüdliche, trugen fünf, die öſtliche und die weſtliche jede vier Dome. Der Hauptdom lag alſo nicht in der Mitte des Ganzen, ſondern er war der mittlere in der zweiten Reihe von Norden her. Die öſtlichen und weſtlichen Dome ſind immer die kleinſten, dann folgen etwas größere, der mittlere iſt ſtets der größte. – Die vier mächtigen Pfeiler der ſechs mittleren Dome, die auch zugleich den Hauptdom tragen und welche in kleinem Maaßſtabe denen der Peterskirche in Rom ähnlich ſind, blieben vom Erdbebeu unangetaſtet. Das Ge- bäude bildet ein längliches Viereck. Der mittlere große Dom der zweiten Reihe von Norden her, übertraf alle übrigen an Umfang und Höhe; er war nur mit Gitterwerk bedeckt und ließ alſo den atmoſphäriſchen Niederſchlag durchdringen. Ihm entſprechend war deshalb auf dem Boden der Moſchee ein Waſſerbehälter mit zier- licher Umfaſſung angebracht; letztere war jetzt zerſtört. Dieſe mäch- tichen Gewölbe ſind ſämmtlich ſo zuſammengeſtürzt, daß man jetzt von innen heraus den blauen Horizont durch eben ſo viele runde Decken-Oeffnungen gewahr wird. Doch iſt man zur Zeit fleißig beſchäftigt, das herrliche Gebäude wieder herzuſtellen. Drei Dome der ſüdlichen Umfaſſungsmauer ſind ſogar ſchon wieder aufgebaut, einer derſelben auch bereits wieder mit Blei gedeckt. Ob und – 162 – welche Riſſe in den Umfaſſungsmauern vorhanden geweſen ſind, läßt ſich jetzt, da die Reparatur vorſchreitet, nicht mehr beurtheilen. – Die Fenſter- und Thür-Oeffnungen ſtellen in ihren oberen Ab- ſchnitte Rundbogen dar, die in der Mitte wenig bemerkbar nach oben zugeſpitzt erſcheinen. – Dieſe Moſchee liegt im Innern der Stadt, nicht außerhalb, wie die meiſten andern anſehnlichen Moſcheen. Die gewölbten Decken der Beſeſtane ſind allenthalben, wo ſie aus Mauerwerk beſtanden, zuſammengeſtürzt und haben zahlreiche Waarenlager mit niedergeriſſen. Man iſt jetzt beſchäftigt, ſie aus leichtem Holzwerk wieder herzuſtellen. Die meiſten Bazar-Buden, die immer aus Holz gebaut waren, ſind bereits wieder aufgerichtet; mehrere liegen jedoch auch noch zerſtört. Der größte Chan von Bruſſa iſt in ſich ſelbſt zuſammenge- ſtürzt. Man hatte noch keine Hand an ihn gelegt, obgleich ſeine Umfaſſungsmauern großentheils ſtehen geblieben ſind. Es iſt dadurch Gelegenheit gegeben, die innere Einrichtung eines ſolchen Gebäudes genauer kennen zu lernen. Eine Treppe hoch lag an einem inner- lich rings herumlaufenden Corridor eine Anzahl kleiner Kammern, die zur Aufnahme von Reiſenden beſtimmt waren. Die Lage mitten zwiſchen den frequenteſten Bazar's deutet darauf hin, daß wohl in der Regel nur Kaufleute davon Gebrauch machten. Eine beträchtliche Zahl umgeſtürzter Privathäuſer iſt entweder ſchon wieder hergeſtellt, oder man iſt im Begriff, ſie wieder auf- zubauen. Nur ihr Fundament, bis zu geringer Höhe über der Erde, beſteht aus Bruchſteinen; der Oberbau, oft von zwei oder drei Stock- werken, wurde aus Holz hergeſtellt, ſeine hölzernen Seitenwände mit Lehm verſtrichen und abgeputzt. Man liebt lebhafte Farben und ſo ſieht man viele Häuſer karmin- oder violett-roth, andere ultramarinblau, noch andere orangegelb angeſtrichen. Im Ganzen geben dieſe vielen neuen Häuſer mit ihren rothen Ziegeldächern und Glasfenſtern der Stadt ein zierliches Anſehen, welches ſie in dieſem Grade vor dem Erdbeben gewiß nicht beſaß. Wer Bruſſa einige Jahre ſpäter ſollte beſuchen wollen, wird ſchwerlich mehr im Stande ſein, ſich noch einen richtigen Begriff von der durch daſſelbe hervorgebrachten maſ- ſenhaften Zerſtörung zu bilden. Nur die zahlreich eingeſtürzten Mo- ſcheen werden wahrſcheinlich noch am längſten Zeugen der über ſie hereingebrochenen furchtbaren Kataſtrophe bleiben. Ueber die Zahl der durch die Erdbeben Umgekommenen lauten – 163 – die Angaben ſehr verſchieden. Hr. Falkeyſen ſchlägt ſie auf 500 an. In der erſten Beſtürzung hatte man von 4–5000 Getödteten gefabelt*). Zu meinem Erſtaunen war man in einer Hauptſtraße beſchäf- tigt, ſie neu zu pflaſtern, freilich nach weſteuropäiſchen Begriffen ſchlecht genug; ſie führt durch das Viertel der Hebräer. Die Ab- zugsrinne befindet ſich bei hieſigen Straßen ſtets in der Mitte. Ob- gleich es ſehr lange nicht geregnet hatte, ſo waren doch viele Stel- len der Art mit Koth gefüllt, – natürlich, weil Jeder ſich heraus- nimmt, ſein unreines Waſſer auf die Straße zu gießen. Man ſchlachtet außerdem in der Stadt; das Blut der Thiere läuft dem- nach mitten durch belebte Straßen. An der Polizei der Straßen, der Lebensmittel, der Wege, der Forſten, der Arzneimittel, der Gewerbe u. ſ. w. – fehlt es gänzlich. Jeder mag es treiben, ſo gut es eben geht. Waldbrände entſtehen ungemein häufig und verzehren beträchtliche Strecken der Forſten. Ein ſolcher Waldbrand griff vor nicht langer Zeit bis nahe an Bruſſa um ſich, welches bereits davon Gefahr lief. Von Gränzen ſetzen iſt hierbei keine Rede. Iſt doch Allah groß! – Jedermann kann aber im Walde Feuer anzünden, wo es ihm beliebt, auch im Nadel- holze; die Viehhirten am Olymp ſtehen ſogar in Verdacht, ſolche Waldbrände abſichtlich zu erregen, damit ihre Heerden um ſo freiere Weideplätze gewinnen. Bei einer ſo unverantwortlichen Wirthſchaft wird der Olymp alljährlich ärmer an Bäumen. Er muß auch jetzt den Bedarf zu den vielen Neubauten liefern; jeder holt ſo viel davon, als er zu brauchen gedenkt. Da man keine ſchweren Balken zu den leichten Bauten benutzt, ſo ſind es die jungen ſchlanken Stämme, welche man vorzugsweiſe abhaut; man pflegt einfach ſechs bis acht dergleichen einem Laſtthiere an jede Seite des Packſattels zu befeſtigen, welche nun die Bänme, die großentheils ſchon im Groben behauen ſind, nachſchleppt. Dergleichen Zügen begegneten wir häufig. Man geht alſo gleichſam abſichtlich darauf aus, den jungen Nachwuchs gründlich zu zerſtören. Am 10. Oktober ſuchte ich Hrn. Dr. Thirk auf, der hier ſeit zwölf Jahren als praktiſcher Arzt wirkt. Aus Siebenbürgen gebürtig, hat er in Erlangen ſtudirt und promovirt. Er ließ ſich *) S. Beilage zur Augsburger allg. Zeitung vom 28. März 1855. Nr. 27. – 164 – zunächſt in Conſtantinopel nieder, ſiedelte für kurze Zeit nach Bruſſa über, begab ſich dann aber nach Bukareſcht, wo er zum Mitgliede des aus fünf Perſonen beſteheuden Medicinalcomités ernannt wurde. Der Widerwille gegen die dortige Bojarenwirthſchaft trieb ihn in- deſſen von dort wieder zurück nach Bruſſa. Er beſitzt jetzt ein Haus mit Garten in der nordöſtlichen Vorſtadt des Ortes. Zugleich hatte er ſeit einem Jahre eine kleine Apotheke im Centrum der Stadt angelegt, weil er Urſache fand, mit den von den Apothekern gelie- ferten Droguen unzufrieden zu ſein. Ich erkannte in ihm einen trefflich unterrichteten Arzt, dem ich für viele ſchätzenswerthe Mittheilungen über Bruſſa und deſſen Einwohner ſtets dankbar verpflichtet bleiben werde. Die langjährige Kenntniß der Lokalität, der Einwohner und ihrer Sprachen ſetzte ihn hiezu beſonders in den Stand. - Herr Dr. Thirk iſt hinſichtlich des mehrfach erwähnten Erd- bebens Berichterſtatter für die allgemeine Augsburger Zeitung*) geweſen. Zu jenem ausführlichen Berichte dürfte aus ſeinen No- tizen hierüber noch Folgendes hinzugefügt werden können. – Am 28. Februar 1855 war Nachmittags ein Gewitter geweſen; es reguete heftig. Plötzlich ertönte ein rollendes Geräuſch, welches die Richtung von Süd-Weſt nach Nord-Oſt nahm. Sein Haus, in deſſen erſtem Stockwerke er ſich befand, wurde in derſelben Rich- tung ſchwach bewegt. Bald darauf kam ein zweiter heftigerer Stoß, der ihn und ſeine Familie nöthigte, das Haus raſch zu verlaſſen. Er glaubt, daß die Atmoſphäre hierbei etwas dunkler geweſen ſei. Ein Blick nach abwärts gegen Weſten belehrte ihn, daß die Mina- ret's der dortigen Moſcheen bereits eingeſtürzt waren. Ein an das Haus anſtoßender ſolide aufgemauerter Thurm erwies ſich ſo be- ſchädigt, daß er nachher abgetragen werden mußte. – Viel zer- ſtörender wirkte aber das am 11. April wiederholte Erdbeben. Bei dieſem ließ ſich keine waagrechte Bewegung nachweiſen, vielmehr ſchien die unterirdiſche Macht ſich vertical von unten nach oben zu entladen. – Das Haus wurde hin und her gerüttelt. Deshalb fielen auch die Dome der Moſcheen ſenkrecht herunter, die vier Um- faſſungsmauern vieler Chans ſtürzten zu gleicher Zeit in ihren innern Hof; die coloſſalen Mauern des alten Schloſſes, welche ſo vielen Erdſtößen Jahrhunderte hindurch getrotzt hatten, wurden förmlich *) S, Jahrg. 1855. Beilage zu Nr. 109. Seite 1737, – 165 – auseinander geriſſen. Von ihrem Felſengrunde löſten ſich enorme Blöcke los, die wahrſcheinlich auch ſpätere Beſucher noch am Abhange zer- ſtreut vorfinden werden. In Conſtantinopel verſpürte man an denſelben Tage Nachmittags 3% Uhr, 30 Sekunden lang Erdſtöße. Daſſelbe geſchah am 1. März Nachmittags 5 Uhr, 10 Sekunden lang; don- nerartiges Rollen war voran gegangen. Man kam indeſſen hier mit dem bloßen Schrecken davon. Umgekehrt verhielt es ſich vor neunzig Jahren, wo die Hauptſtadt bedeutend litt, die Einwohner von Bruſſa aber, indem ſie ſich mehrere Tage im Freien unter Zelten aufgehalten hatten, mit geringem Nachtheile ausgingen. Das Erdbeben vom 28. Februar ſcheint ſich von Caramanien bis Con- ſtantinopel fühlbar gemacht zu haben. Auf Rhodus und in Gallipoli ſtürzten zugleich Häuſer ein; an letzterem Orte kamen dabei zwei Menſchen um. In Mualitſch und Kirmaſto fanden gleichfalls bedeutende Zerſtörungen ſtatt. Bedauernswerth iſt be- ſonders der Sturz der alten Moſchee Daud-Monaſtir, welcher viele Türken das eigentliche Grab Osman's zuſchreiben. Sie war nämlich urſprünglich eine 600 Jahre n. Chr. gebaute, der hl. Jungfrau gewidmete griechiſche Kirche, welche die ſchönſte und größte nach der Sophia geweſen iſt. – Man hatte in Bruſſa mitunter noch unter- irdiſches Rollen gehört, als am 28. April 1855 des Morgens früh erſt ein horizontaler und 20 Minuten ſpäter ein heftiger ver- ticaler Stoß folgte. Zwei Minuten vor dem erſten heulten alle Hunde fürchterlich, – zur Beſtätigung der alt bekannten Wahr- nehmung, daß viele Thiere eine Art Vorgefühl hinſichtlich der nahe drohenden gefährlichen Naturerſcheinung beſitzen. Aehnliches hat man auch am Veſuv beobachtet und Hr. Bulwer hat daraus Veranlaſſung genommen, ſeinem Romane „the last days of Pom- peji“ die intereſſante Epiſode einzuflechten, gemäß welcher der zum Kampfe mit einem Löwen verurtheilte Held ſeiner Geſchichte dem ſichern Tode nur dadurch entrinnt, daß der ihm gegenüber losge- laſſene Löwe ſich ängſtlich an den Boden ſchmiegt und wenige Mi- nuten nachher der bekannte Ausbruch des Veſuv's erfolgte, welcher Pompeji unter glühender Aſche begrub. – Ein heftigerer Erdſtoß des Jahres 1855 wurde zu Bruſſa noch am 16. Mai verſpürt. In die Zeit meines dortigen Aufenthaltes fiel das durch die öffentlichen Blätter bekannt gemachte Erdbeben, welches in der Nacht vom 11. zum 12. Oktober gegen 3 Uhr Morgens die Inſel Rhodus ſtark heimſuchte. – 166 – Ich kann verſichern, daß in dem gar nicht fernen Bruſſa keine Spur davon bemerkt worden iſt. Doch hatte man hier von Zeit zu Zeit während des Sommers noch ſchwache Stöße beobachtet, die den bis dahin in Bruſſa wohnenden Abd-el-Kader veranlaßt hatten, ſeine Reſidenz nach Damaskus zu verlegen. Gleich ihm hatten viele Einwohner die Stadt verlaſſen. Ein Augenzeuge des Ereigniſſes auf Rhodus berichtet*), daß dort die Schwankungen von Nord-Weſt nach Süd-Oſt gingen, woraus ſich denn ergibt, daß Bruſſa außerhalb der Längenaxe des erſchütterten Erdabſchnittes liegen bleiben mußte, wohingegen in Cairo um dieſelbe Zeit deut- liche, wenn auch nur mäßige Stöße wahrgenommen worden waren. Und doch blieb damals in der Hauptſtadt der Inſel kaum ein Haus unbeſchädigt, mehrere nahe Dörfer wurden total zerſtört und 60 Menſchenleben waren zu beklagen. – Im Herbſte 1856 ſchätzte Hr. Thirk die Zahl der Bevölkerung von Bruſſa wieder an- nähernd auf 50 bis 60,000. Etwas Genaueres läßt ſich hierüber nicht augeben. Dr. Bernard **) gibt für das Jahr 1842 die Einwohner auf 100,000 Türken, 6000 Armenier, 3500 Griechen und 1200 Juden an; doch hält er die erſtere Zahl ſelbſt für übertrieben. Die große Mehrzahl der Einwohner wird auch heute noch durch Türken gebildet. Ihneu zunächſt folgen an Zahl die Arme- nier, dann die Griechen, endlich die Juden. Die Zahl der euro- päiſchen Chriſten iſt unbedeutend; doch befinden ſich unter ihnen mehrere, die durch Wohlhabenheit hervorragen. Am 12. Oktober beſuchte ich die Ruinen des alten Schloſſes zum zweiten Male, um die Ueberbleibſel der ehemaligen griechiſchen Kathedrale zu betrachten. Der Eroberer Orchan hatte ſie in ein mäch- tiges Mauſoleum für ſeinen Vater Osman, der unmittelbar nach dieſer Eroberung ſtarb, ſowie für die nachfolgende Dynaſtie um- wandeln laſſen. Die Türken hatten ſich die möglichſte Mühe ge- geben, die zahlreichen griechiſchen Inſchriften und Kreuze wegzu- meißeln, Mauern und Säulen aber weiß zu übertünchen, wie es ihr Cultus fordert. Wie wenig ihnen das Unternehmen gelungen iſt, erweiſt ſich jetzt nach dem Erdbeben. Kein Punkt Bruſſa's iſt *) Weſtermann's illuſtrirte deutſche Monatshefte. April 1856. S. 35. *) Les Bains de Brousse. Constantinople, 1842. pag. 67. – 167 – ſo ſehr geeignet, die furchtbare Wirkung des letzteren ermeſſen zu laſſen, wie dieſes Gebäude. Es ſcheint vollſtändig zuſammengerüttelt worden zu ſein. Die Fragmente der herrlichſten Säulen von Porphyr, von Verde antico, weißem Marmor u. ſ. w. liegen am Boden herum; zahlreiche Marmortafeln mit dem griechiſchen Kreuze ſind dabei neuerdings zum Vorſcheine gekommen, erregen aber die Aufmerkſamkeit der heutigen Türken nicht mehr. Mein Dolmetſcher, der bald nach dem Erdbeben hier geweſen war, ver- ſicherte, daß die anſehnlichſten Säulenſchäfte jetzt ſchon verſchwunden ſeien. Das Gerücht ſagt, daß reiſende Engländer bei dieſem Ver- ſchwinden nicht unbetheiligt geweſen ſeien; man ſoll dieſe koſtbaren Ueberbleibſel an das Meer geführt und von dort weiter gebracht haben. Seſtini beſchreibt noch die drei Schiffe der Kirche, den mit Moſaik trefflich gezierten Fußboden und die Marmortafeln der inneren Wandfläche. Die erwähnten Gräber der Begründer der osmaniſchen Dynaſtie ſind durch das großartige Naturereigniß vollſtändig aufgedeckt und den Unbilden jeder Witterung preisgegeben. Das Grab Sultan Osman's hatte man in dem Schiffe der ehemaligen Kathedrale errichtet; es ſteht noch heute allein, indem der Körper von außerhalb hierher gebracht wurde, ſeine Frauen und Kinder aber zurückblieben. Gegenwärtig iſt der einfache Grabhügel nur äußerſt dürftig mit einem ſchlechten Zelte überdeckt worden. Eine frühere Seitenkapelle der Kirche beherbergt noch ein anderes hervorragendes Grab, welches zur Zeit völlig unbedeckt dalag. Das Grabmal des zweiten Sultans, des Orch an, ſieht man in einem benachbarten Raume, geſondert von jenem; es iſt von einer Reihe Gräber ſeiner Familien-Mitglieder umgeben, theils von Er- wachſenen, theils von Kindern. Orchan’s Ueberreſte fand ich nur durch übergelegte Bretter ungenügend geſchützt. Die unverkennbare Rückſichtsloſigkeit, mit der man die Stifter der osmaniſchen Dy- naſtie hier noch ein und ein halbes Jahr nach dem Erdbeben be- handelt, iſt ganz geeignet, in dem Beſchauer eine unheimliche Ahnung hinſichtlich der ferneren Geſchicke dieſer Dynaſtie zu erwecken. Sie hat die Ehrfurcht vor ihren tapfern und energiſchen Voreltern eingebüßt, – denn ihr ſelbſt iſt die Energie abhanden gekommen. In der Nähe des Südthores des alten Schloſſes fand ich noch einen geringen Ueberreſt einer anſehnlichen Marmortafel an einer Hauptmauer befeſtigt, welche das Basrelief eines Reiters zu Pferde – 168 – getragen hat, unter deſſen Füßen ſich ein unkenntlich gewordenes Thier zu winden ſcheint, – alſo wahrſcheinlich ein St. Georg mit dem Drachen. – Nach den ſehr umfangreichen Umfaſſungsmauern, welche jetzt noch ſtehen, zu urtheilen, muß der innere Raum ein ſehr anſehnlicher geweſen ſein. Einer alten Sage nach ſollen hier hundert- tauſend Mann Platz gefunden haben. Wahrſcheinlich iſt es, daß ſich dieſe unverbürgte Sage auf den von den Stadtmauern zugleich eingefaßten Raum beziehen ſoll, der zur Zeit des Königs Pruſias allerdings ein höchſt anſehnlicher geweſen ſein mag. Viele dieſer Mauern laſſen durch ihre ſorgfältig behauenen Quadern keinen Zweifel an ihrer altgriechiſchen Abkunft. Der ſüdöſtliche Theil dieſer Mauer ſchützt jetzt zum Theil einige Maulbeerpflanzungen. Von ihnen aus wendete ich mich in derſelben Richtung auf weichem Thonboden einem am Fuße des Berges mit Stein umfaßten anſehnlichen Waſſerbecken zu, welches das trefflichſte Quellwaſſer enthält. Ein offener Kanal leitet es den Schloßruinen und von dort der Stadt zu. Aber längs des Kanals waren Frauen beſchäftigt, ſchmutzige Leinwand zu waſchen; daſſelbe Waſſer wird muthmaßlich in der Stadt zum Trinken benutzt. Der auliegende feuchte Boden ernährte in dieſer ſpäten Jahreszeit maſſenhaft Brunnenkreſſe in üppigſter Fülle. – Bei dem Hinab- ſteigen in ſüdlicher Richtung paſſirte ich einen tiefen Felseinſchnitt, offenbar ehedem durch einen ſtarken Bergſtrom ausgewaſchen. In dieſem Augenblicke ſchlich nur ein ſchwacher Bach in ihm hin. Am 10. Oktober beſuchte ich Hrn. Falkeyſen aus Baſel, der ſich ſeit 20 Jahren hier aufhält. Er beſchäftigt ſich gegenwärtg allein mit der Cultur des Wein's. Leider fand ich ihn ſchmerzhaft leidend. Seine Familie wohnt ſeit dem Erdbeben in Conftantinopel, er ſelbſt aber reiſte hin und her. Hr. F. war ſo freundlich, mich durch ſeinen Kellermeiſter, einen Deutſchen, in die weit- läufigen Keller einführen zu laſſen, die er in dem Kalktuff des Berges hatte aushöhlen laſſen. Einer dieſer Keller war durch das Erdbeben zuſammengeſtürzt und hatte unter feinen Trümmern 2O,000. Okka Wein begraben. Dieſe Keller ſind geräumig genug, um ſich aufrecht darin bequem bewegen zu können. Sie ſind außerdem kühl und ziemlich trocken. Der Führer ſagte mir, daß die hier verwendeten großen Stückfäſſer aus Ungarn über Peſth bezogen würden, indem hier kein dazu taugliches Holz zu beſchaffen ſei; man könne hier nur kleine Fäſſer fertigen. Der älteſte – WRS – deº hier lagernden Weines war vom Jahre 1846 Die mir am Faſſe davon gereichten Proben waren alle reich an Weingeiſt, an Geſchmack, aber mehr ſcharf als lieblich Bom.rothen Weine ſind zwei Sorten da, ein herber und ein ſüßer; der letztere ſchien mir vorzüglicher. Man verſicherte, daß die dnukelrothe Färbung keines- wegserkünſtelt ſei. Der weiße Wein iſt milder. Bei Hrn. Dr. Thirk wurde mir ſpäter ein ſeit 20 Jahren lagernder Sect von gekochtem hieſigen Weine vorgeſetzt, der mit dem Tokayer-Ausbruch viel Aehn- lichkeit darbot. – Der Garten des Hrn. Falkeyſen erſtreckt ſich an den Felſen hin, auf welchem das Schloß ruht, bis zu einem Punkte in die Höhe, von dem aus man eine der ſchönſten Ausſichten in Bruſſa genießt. Freilich darf man von hier aus nicht die Augen nach aufwärts, nach dem überhangenden Schloßfelſen werfen; un- willkührlich würde die Erinnerung an die Erdſtöße vege und die Poeſie vielleicht durch den Wunſch verjagt werden, der entflohenen Familie des Beſitzers folgen zu dürfen. Längſt ſchon hatten mich zwei beſonders in die Augen fallende Moſcheen am Nordende der Stadt angezogen, die außerhalb der Häuſermaſſe um ſo deutlicher hervorragen. Der nächſte, zugleich auch der angenehmſte Weg dorthin zieht ſich längs des Fußes des Vorhügels im Thale, auf der Schne des flachen Kreisabſchnittes hin, wenn man von dem Gaſthofe Loſchi auswandert. Ihm folgte ich Morgens früh. Er führte mich zunächſt durch zahlreiche Maul- beerpflanzungen, dann über einen weitläufigen Kirchhof, auf deſſen zahlreichen Hügeln unzählige gelbblühende Herbſt-Crocus, Stéra- bergia lutea, im vollen Floreſtauden. Helianthus tuberosus bemerkte ich hier und da cultivirt. Die weiße Weide erreicht in dieſem Thale, wenn mau ſie durch Abhauen ihrer Zweige nicht verkrüppelt, eine Höhe von 40 und darüher. Leider hatte die Sommer- hitza den größeren Theil der Vegetation bereits zum Abſterben gebracht; dicht bebaubte Kaſtanien- und Nußbäume hatten jedoch hier und da widerſtanden. In den Hecken fand ſich beſonders Poterium spino- sum, Paliurus australis. Außerdem noch Jasminum fruticans, Rhamnus Frangula, Convallaria Polygonatum, Tamarix gallica. Der etwa anderthalb Stunden lange Marſch wurde Anfangs durch erfri- ſchende Morgenkühle ſehr begünſtigt; umſo drückender machte ſich her- nach die Mittagshitze geltend,– es war der 14. Oktober. Dem Ziele nahe 8 – 170 – hatten wir das jetzt vollſtändig ausgetrocknete, breite Flußbett des Gök-Dere zu überſteigen. Ein ganzes Meer von rundlich abge- ſchliffenem Felsgerölle deckt den Boden. Dieſer Gök-Dere iſt der anſehnlichſte unter den Bergſtrömen des Abhanges von Bruſſa. Er kann zur Zeit des Schmelzens des Schuees, oder, wenn ſtarke Ge- witterregen im Olymp fallen, plötzlich im Uebermaße anſchwellen und dann wüthend ſeine Wogen der Ebene und dem dort vorüber- ziehenden Nilufer zuwälzen. Weiter oben trennt ſein tief in den Fels eingeſchnittenes Bett die Stadt von der nördlichen Vorſtadt, die den Namen eines hl. Scheichs, der hier begraben liegt, trägt. Dort war der tiefe Felseinſchnitt ehedem durch eine ſteinerne Brücke überdeckt, deren Bögen aus griechiſcher Zeit herſtammten; Hr. v. Prokeſch fand 1823 auf ihr noch Marktbuden. Vor wenigen Jahren riß der plötzlich angeſchwollene Bergſtrom ſie fort. Man hat vor Kurzem eine leichte hölzerne Brücke an ihre Stelle geſetzt. Hr. Griſebach, der den Olymp Anfangs Mai beſtieg, ſah auf dem Berge die einzelnen Zuflüſſe für den Gök-Dere cascadenartig diefem zueilen; mir erſchienen ſie, gegen die Mitte des Oktobers, waſſerarm. Es hatte ſeit Monaten nicht geregnet. - Die Moſchee Bajazid A)ildirim liegt unfern des rechten Ufers des Gök-Dere auf einer mäßigen Anhöhe, der letzten, welche nach abwärts das Thal beherrſcht. Den Hügel erſteigend, gelangte ich zuerſt zu der Ruine eines antiken griechiſchen oder römiſchen Thores, deſſen beide Seitentheile, mit ihren Niſchen, zur Zeit noch aufrecht ſtehen; das Deckengewölbe iſt jedoch herabgeſtürzt. Auch weiter oben ſieht man eben ſo einen Reſt römiſchen oder griechiſchen Bauwerkes. Hr. v. Prokeſch *) fand hier 30 Jahre früher noch Refte einer großen Waſſerleitung; es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die erwähnten Ruinen ihr angehört haben mögen. Die Lage der Moſchee Bajazid's iſt eine ſo ausgezeichnete, daß es ſich kaum denken läßt, ſie ſollte während der Blüthe der Stadt nicht benutzt geweſen ſein. Wahrſcheinlich fanden die Türken hier irgend ein ausge- zeichnetes Gebäude, deſſen Material ſie, nach ihrer Gewohnheit, nur zu einer Moſchee umzuwandeln brauchten. Gegenwärtig liegt dieſe Moſchee zwar vereinſamt, getrennt von der nachbarlichen Vorſtadt; aber es iſt glaublich, daß ehedem die Stadt bis hieher reichte. – – 5 *) A. a. O. III. S. 87. – 171 – Von der Ebene aufſteigend gelangt man zuerſt zu dem ſchmuckloſen, einen kleinen Dom darſtellenden Grabmale Sultan Bajazid's, dem ſeine Zeitgenoſſen den Beinamen „A)ildirim“ (Blitz) beigelegt hatten. Er war es, der in der Schlacht von Nikopolis im Jahre 1396 mit Aufopferung von 60.000 Mann feines Heeres die Chriſten ſchlug, nach erfochtenem Siege aber 10.000 Gefangene umbringen ließ, um die Zahl der Gefallenen auf beiden Seiten auszugleichen, derſelbe, der hernach 1402 durch die Tartaren unter Tamerleng bei Angora (Ancyrum) geſchlagen wurde und in der Gefangenſchaft ſtarb. Schon J. G. Eichhorn *) fand 1804 dieſes Grabmal verwahrloſt. In der That iſt zur ſorgfältigeren Unterhaltung dieſes Monumentes wenig Veranlaſſung vorhanden; Karaman, Sultan von Iconium, eroberte nämlich 1414 Bruſſa, ließ die Gebeine Bajazid's herausnehmen und verbrannte ſte aus Rache, weil dieſer ſeinem Vater hatte den Kopf abſchlagen laſſen. Das ihn ehemals umgebende unſcheinbare ſteinerne Haus iſt aber von den gewaltigen Erderſchütterungen verſchont geblieben, dahingegen die etwas höher, nach Oſten zu, von ihm erbaute anſehnliche Moſchee durch das herabſtürzende Minaret eingeſchlagen, auch das weſtlich daneben liegende Collegium für Geiſtliche großentheils zerſtört und unbewohnbar gemacht worden. Zu den beiden Seiten des zerſtörten Portikus ſind zwei prachtvolle Porphyrſäulen aufrecht ſtehen geblieben, deren Herrlichkeit erſt wieder offenbar geworden iſt, ſeitdem das Erdbeben ſie von dem türkiſchen Kalkbewurfe befreit hatte. Einige höchſt majeſtätiſche Platanen zieren den Vorplatz. Zwiſchen dieſem und dem erwähnten Mauſoleum zieht ſich ein Begräbnißplatz hin, der mit herrlichen Cypreſſen ausgeſtattet iſt. In ihrem dichten Schatten fand ich einen zur Erholung im hohen Grade geeigneten Ruheplatz, der mir im Rücken und zur Seite die Nichtigkeit aller Menſchenwerke, zu meinen Füſſen aber die ewige Jugend einer ſo begünſtigten Ratur aufſchloß. Eine dem Orte und der Zeit ungemein ange- meſſene Staffage belebte in dieſem Augenblicke das vor mir liegende Landſchaftsbild. Ein feſtlicher Hochzeitszug bewegte ſich von der Stadt einem in der Ferne ſichtbaren Dorfe zu; geputzte türkiſche Reiter begleiteten zwei offene Wagen, auf welchen verſchleierte Frauen *) Geſchichte der Literatur. Band 3. Abth. 2. Göttingen, 1812. S. 1126. - 8* – 47? – ney zeichnenden Contra - Das Portal der Moſchee wurde mir durch einen herbeigeholten eiſchenahne inſtand aufgeſchloſſen un- behindertrat ich in den Bau eines der grauſamen Chriſtenverfolger in Die Woche beſteht wie die weſtaffel drehen aus zwei hintereinanderliegenden Domen, deren hinterer etwas höher und un- fangreicher als der vorder in trºn befindet ſich der in arabiſchen Style zierlich errichtete Mihrab. Die vier ſtarken Eckpfeiler der Umfaſſungsmauer, welche den Dom feſthalten, er ſcheinen in den vier Ecken des inneren Raumes treppenförmig, nach innen concav. Man zeigte mir die geräumige Tribüne zur in ken, auf Ä der Sultan Abdul-Medſchid bei ſeiner An- weſenheit das Gebet verrichtete. Das höchſt einfache Gebäude weiſt keinerlei Zierrahen auf. Nur beſtehen die die Fenſteröffnungen per ſchließenden Gitter aus koſtbar damasertem Eiſen, welches jedoch ſeit langen Jahren nicht mehr geputzt geweſen zu ſein ſchien - Das ruinenhaft daliegende Collegium der Geiſtlichen läßt zahlreiche Zwiſchenwände, um einzelne Kammern zu bilden, erblicken. Wenn F beſetzt waren, ſo läßt es ſich leicht erklären, wie von m Fundations-Vermögen ſo wenig für die Erhaltung der Gebäude übrig blieb. Indem ich von hier aus weiter die Anhöhe hinaufſtieg, ſtieß ich auf einen edlen Lorbeer, der reife ſchwarze Beeren und Knospen fiz die zweite Blüthe zugleich trug. Die Eultur des Lorbeers Ä gewiß eine lohnende ſein; man ſcheint ihn jedoch nicht achten. Denſelben Hügel oſtwärts, weiter nach oben, erſteigend, gelangt man in die nördliche Vorſtadt, welche den Namen Emir-Sultan führt, nach einem für heilig gehaltenen Verkünder des Propheten aus der erſten Periode des osmaniſchen Reiches, der hier eine kleine Moſchee erbaut hat und ein Grahmal beſitzt. In dieſer liegt die Moſchee Sultan Mohammed I. (Mohammed Tſchelebi). Sie hat nicht den Umfang der oben erwähnten Moſchee; aber ſie beſitzt, einen im reinſten arabiſchen Style aufgeführten zierlichen Portikus, wie ich ihn bis dahin nie Ä Zwei ſchlanke Säulen von weißem Marmor mit paſſender Baſis und Kapität tragen einen kleinen marmornen Baldachin, wie man ihn ſonſt in der Moſchee am Hochaltare nur zu finden gewohnt iſt, mit vielen treppenartigen – ºk – Abſtufütigen. An der äußern. Selte beider Säulenfölgt eine die ganze Läge derſelben elehmende ſchmäle Marmorplatte iſt Sn. ſchriften – neben ihr weiter ääh außen eine breitere Längenblätte mit Arabesken, ſodaſſ endlich äüf jeder Seite an beiteſten Ä außen eine doppelt ſobreite, die von oben nähütte berlaufe mit türkiſchen Sitſchriften in größeren Buchſtaben bedeckt iſt. Das Gäne nachteilen angenehmen Eindruck ueber dieſen Portikus tritt oben zu ſeinem Schütze ein breiter Balkon herbör. – Ihr Vorplatz enthält eine ſprudelnde Fontäne mit Marinörbecken, in deren Umfänge ſehr alte Platanen, ungewöhnlicher Weiſe auch eine alte Linde ſtehen. – Die Moſchee ſelbſt hat durch das Erdbeben bedauerliche Riſſe bekommen, die ſchwerlich wieder jemals ausge- glichen werden dürften; ſie ſtellt eines der ſchönſten arabiſchen Bau- denkmäle aus der Zeit ihres Erbauers dar. Noch mehr Ä iſt das etwas höher liegende, eben ſo zierliche Grabital des Letzteren, welches ſich durchbeiße perſiſche Schriftzüge auf blauem Gründe in gebranntem Thon auszeichnete, die Sprüche aus den Sunna oder den mündlichen ueberlieferungen des Propheten darſtellten. Moham- med hatte auch ein Muſterbild arabiſcher Baukunſt in einer von innen und außen mit geſchliffenem vielfarbigen Marmor überdeckten Arielikche, aufgeführt. – Dieſer Mohairmedi, der jüngſte Sohn Bajazids, ſchaffte den nach des Letzteren Gefangennehütung länge geſtört gebliebenen Frieden wieder herbei. Er erhielt den Beinamen „Tſchetebi“, der Edelmann, wegen ſeiner Humanität und eines ge- bildeten Geſchmackes, den er leider nur zu kurze Zeit dem Aufblühen der Künſte und Wiſſenſchaften zuzuwenden vermochte. Es mag noch erwähnt werden, daß Mohammed H. durch ſeinen Arzt Ä von einer Gemütskrankheit zu Angora geheilt worden war dieſer Arzt war zugleich Dichter und ueberſetzer aus dem Perſiſchen Die auf der entgegengeſetzte, der ſüdlichen Seite der Städt liegende Borſtädt führt den Maniel Sultan Mürad II, weil dieſer hier eine großartige Moſchee erbällt hat. Mein Gaſthof befand ſich in derſelben Vorſtadt, nicht fern von dieſer Moſchee, etwas mehr deſ mittleren Teile der Städt zugewendet. – Die Möſche Mütäd II bildet einen arabiſche Prachtbau, der, wie gewöhnlich, aus zwei hüter einander liegenden Dömien beſteht, die durch eine offenen Verbindungsraum, der einen großen Theit der Breite ein nimmt zuſammenhängen. Der vordere Döm, eine Vorhalle bil- – 174 – dend, erſcheint weniger hoch und geräumig; der hintere aber impº- nirt durch ſeine gewaltige Maſſe in hohem Grade. Die vordere Seite des Gebäudes iſt durch einen Portikus geſchmückt, deſſen oberes Gebälke durch zwei mächtige Säulen aus grauem Granit ge- ſtützt wird, deren Pracht gleichfalls erſt jüngſt wieder durch das Erd- beben zu Tage gekommen iſt, welches den barbariſchen Kalkbewurf auch hier großentheils abgeſchüttelt hat. – Die Architektur beider Dome iſt eine großartige, die des vorderen jedoch einfacher, ſchmuckloſer. Der hintere erſcheint dagegen ungleich mehr ausgeſchmückt, als es bei den aus einer ſpäteren Periode herrührenden Moſcheen, ua- mentlich in Conſtantinopel, ſich findet. Die innere Seite der Kuppel beider zeigt Laubwerk, welches von einem gemeinſchaftlichen Centrum des Kreiſes nach der Peripherie hin ſich ausbreitet; der Botaniker würde dieſe Blätter breit lancettförmig nennen. Sie ſind hell- und dunkelbraun, mit ſchwarzer Schattirung gefärbt. Eigenthümlicher ſind aber die vier Ecken des Gebäudes da verziert, wo ſich die Kuppel des Doms auf die vier Umfaſſungsmauern, welche ein rechtſeitiges Viereck darſtellen, ſtützt. Sie haben offenbar den Zweck, die Unterſtützungsbalken der Kuppel zu bedecken. Die Figur einer jeden dieſer vier Eck-Verzierungen mußte alſo einen bedeutenden Umfang haben. Ich weiß ſie nicht ſchicklicher, als mit einem Füll- horn zu vergleichen, welches mit ſeinem breiteren Durchmeſſer oben in die Concavität der Kuppel hineinreicht, mit ſeinem geradlinigten (nicht gewundenen) zugeſpitzten unteren Ende aber die entſprechende Ecke der Umfaſſungsmauern einnimmt, ſo jedoch, daß das letzte Ende vom Boden etwa noch 30“ entfernt bleibt. Die dem Innern des Gebäudes zugewendete Seite jener füllhornartigen Maſſen iſt mit zierlichen Schuppen und Blättern geſchmückt, die in der Art des oberſten Schluſſes der Kuppel gefärbt ſind. Säulen oder Pi- laſter zur Unterſtützung des Gewölbes ſieht man von innen nir- gends; ſie ſind außerhalb an dem Gebäude angebracht. Indem auf dieſe Weiſe der innere Raum des ganzen Gebäudes frei von jeder Maſſe geblieben iſt, die ihn hätte verringern oder beſchränken können, wird eine gewiſſe Nachahmung des nirgends unterſtützten Himmelsdomes herbeigeführt, deren Wirkung auf den Beſchauer überraſchend und großartig iſt, Auffallend iſt es hierbei noch, daß das Erdbeben an dieſem Dome nicht den geringſten Schaden an gerichtet hat da doch viele andere, durch ſtarke Säulen unterſtütze, – 175 -– zuſammengeſtürzt ſind. – Der vordere Dom derſelben Moſchee hat genau dieſelbe Architektur in etwas kleinerem Maßſtabe. Die vier Eckenträger des Domes ſind daher auch minder maſſenhaft; ebenſo ſind ihre dem Beſchauer zugewendeten Seiten weniger zier- - lich ausgearbeitet und colorirt. Der innere Raum beider Dome ſteht - durch einen breiten Eingang in unmittelbarer Verbindung, durch welchen die Tragkraft der hier unterbrochenen Umfaſſungs- mauern noch vermindert werden mußte. - - Während ich meine Rundſchau in dem Gebäude ohne Führer hielt, ſaßen acht oder neun junge Türken auf dem mit Binſen- matten bedeckten Boden des hinteren Domes und wurden, wie es ſchien, von einem vor ihnen ſitzenden jungen Manne katechiſirt. Dieſer nämlich frug, die Anderen antworteten einſtimmig. Von meiner «fremdartigen Erſcheinung ließen ſie ſich nicht im Geringſten ſtören; ich war, ohne Jemand zu fragen, hineingetreten. . Auf dem geräumigen Vorplatze der oben erwähnten Moſchee hatte ich Gelegenheit, den Vorbereitungs-Feierlichkeiten zu einer - Beſchneidung beizuwohnen, die bei den Knaben zwiſchen dem 10. und 12. Jahre vorgenommen zu werden pflegt. Auf jenem Vor- platze hatte ſich viel Volk, Männer wie Weiber, verſammelt. Ein Knabe von etwa 10 bis 11 Jahren ſaß auf einem Pferde, welches von einem Manne geführt wurde. Der Knabe hatte Feierkleider in lebhaften Farben an; ein rothbuntes Tuch war um den Kopf gewunden; von dieſem Tuche hingen zwei lange Stränge von Gold- geflechte, vielleicht auch mit eingeflochtenen Goldmünzen, wie ſie junge Mädchen häufiger um den Kopf zu ſchlingen pflegen, längs des Rückens herab. Dem reitenden Knaben folgten zwei bärtige Türken, deren einer, mit einem ſcharlachrothen Talar umhüllt, auf einer Schalmeie wahrhaft ohrzerreißend bließ. Ein anderer, weniger auffallend gekleidet, bearbeitete ein Tambourin dazu. Dies erinnerte mich daran, daß ſchon Seſtini die Muſik von Bruſſa wahrhaft „écorchante“ fand. Den beiden Männern folgte ein junger Menſch, der eine Flaſche mit Getränk trug, von welchem zu trinken er eine Reihe von etwa ſechs anderen jungen Burſchen aufmunterte, die die Arme ineinander geſchlungen, hatten und der Mehrzahl nach ſchon taumelten. Jenes Getränk war nämlich nichts anderes als Branntwein, Raki. Dem unanſtändig jauchzenden und taumelnden Zuge folgte ferner eine altmodiſche kleine vergoldete Kutſche, von – EM6 – zwei Pferden gezogen, in welcher, wie man mir ſagte, die weiblichen Verwandten bcs Knaben faßrn. Die Vorhänge dieſes Wagens waren zugezogen. Ein zweiter weniger geſchmückter Wagen mit Frauen hielt zur Seite. Der Knabe verſchwand endlich in der Moſchee. Die Scene außerhalb aber dauerte fort und war für mich ſo widerlich, daß ich mich nach Hauſe begab. Bald dar- auf kam ein Zug von drei ſolcheu reitenden Knaben, aus der Ge- gend jener Moſchee, an meiner Wohnung vorüber, ſich der Stadt zuwendend. Die jungen Burſcheu waren jetzt mit Gewehren ver- ſehen und ſchoſſen damit nach allen Seiten. Offenbar war der Hauptact der Feier noch nicht erfolgt, weil die Knaben noch zu Pferde ſaßen. Die letzte der von mir beſuchten Moſcheen iſt die in dem nahen Dorfe Tſchekirghe von Sultan Murad I. erbaute. Sie ſtellt ein ſehr anſehnliches Gebäude mit einem Portikus dar, der Bauart nach jener von Murad II. ähnlich, aber merklich höher und umfangreicher. Es war Riemand zu finden, der mich hätte hineinführen können; doch ergab ſich endlich, daß die große Thüre nur angelehnt war. Ich teat daher ohne Weiteres ein und fand den anſehnlichen Dom völlig menſchenleer. Auch hier befindet ſich im Mittelpunkte der inneren Fläche der Kuppel eine Verzierung von Blattwerk. In den vier oberen Ecken der Umfaſſungsmauer fehlen aber die ſchönen Verzierungen der Moſchee Sultan Murad II. Die urſprüngliche Stiftung ſoll zugleich ein Seminar zur Ausbil- dung junger Geiſtlicher enthalten haben. Das Gebäude war der Moſchee ſo angefügt, daß die Schüler unmittelbar aus ihren Zellen in die letztere hineingehen konnten. Die Gitter vor den Fenſter- öffnungen ſind auch hier, wie bei der Moſchee Bajazid's, aus ſorgfältig damascirtem Eiſen gefertigt. Klima und geographiſche Lage. – Bruſſa liegt 40* 9“ 30“ nördlicher Breite und 46° 50“ öſtlicher Länge von Ferro oder öſtlicher Länge von Paris 26° 49. Sein Klima wird durch die unmittelbare Nachbarſchaft des rieſigen Olymp, und durch den Uni- ſtand, daß der Gipfel deſſelben während eines Theiles des Jahres mit Schee bedeckt iſt, ſodaan vermöge ſeiner Bodenerhebung von 800 par. Fußüber dem Meere, rauher als die geographiſche Lage vermuthen laſſen ſollte. Dennoch iſt die Lufttemperatur durchſchnittlich eine nngleich mildere, als die von Eenſtaattinopel, obgleich die mittlere – 177 – Jahrestemperatur von Bruſſa doch nur + 12° 1“ R. beträgt. Die nach Weſten fortgeſetzte Iſotherme fällt zwiſchen Piſa und Florenz, die eine Jahrestemperatur haben von 12° 2“ einerſeits, und Verona mit 12° andererſeits. Trapezunt und Vendome zeigen mit Bruſſa die nämliche Jahrestemperatur. Aber des letzteren nach Oſten vorgerückte Lage und die vorerwähnten Local-Verhältniſſe drücken die Vegetation mehr herab, als man außerdem erwarten ſollte. Die im Frühjahr bei dem Schmelzen des Schnee's vom Olymp herabſtürzenden Gießbäche tragen dazu bei, daß die Vegetation Anfangs Mai noch wenig entwickelt iſt, während ſie bald darauf, vermöge der raſch geſteigerten mittleren Tagestemperatur auffallend ſchnell vorrückt. Bis zum 15. Oktober hatte ich in Bruſſa nur heitere ſonnige Tage gehabt. Schon in einer vorhiſtoriſcher Zeit ſcheint dieſer ungewöhnlich vortheilhaft gelegene Punkt der Erde die Menſchen zur Bildung einer Stadt angezogen zu haben, welche Bebrizia hieß. Die Bithynier eroberten indeſſen dieſe und ihr Gebiet; ſie wurde fortan Königsſitz jener Eroberer, und ſcheint während der Regierung des Königs Pruſias ihren höchſten Glanz erreicht zu haben. Dieſer durfte es wagen, den Bundesgenoſſen der Römer, den König Eumenes von Pergamos anzugreifen; auch gelang es ihm mit Hülfe Hannibal's, ihn zu ſchlagen. Nach dem Zeugniſſe des Plinius ſoll das die ganze Stadt dominirende feſte Schloß unter dem Könige Pruſias-Hilas nach dem Plane von Hannibal angelegt worden ſein. Von da ab erhielt die Stadt auch den Na- men des Königs, hieß jedoch, mit Bezug auf ſeine Lage am Berge Prusias ad Olympum im Gegenſatze zu Prusias ad Mare, dem Gemlik der Türken, dem Kios der Alt-Griechen oder Chio der Neu- Griechen. Plinius *) ſagt: „Mox oppida Placia, Ariacos, Scylace, quorum a tergo mons Olympus, Moesius dictus: civitas Olympena. Amnes Horisius et Rhyndacus, ante Lycus vocatus.“ Jene vorzugsweiſe „Olympena“ genannte Stadt kann kaum eine andere ſein, als unſer Bruſſa, da am Olymp keine Spur irgend eines Or- tes übrig geblieben iſt, die auf eine ſolche Bevorzugung Anſpruch *) Historia naturalis. Libr. V. Cap. XXXII. Coloniae Allobrogum, 1615. pag. 87. 8** – 178 – gehabt haben konnte. Auch theilen noch heutigen Tages die erwähnten Felseinſchnitte Bruſſa in drei große Abtheilungen, von denen die an beiden Flügeln liegenden jetzt Vorſtädte heißen. Nachdem Mithri- dates, der ſpätere Beherrſcher von Pruſa, bei Cyzikus von den Römern geſchlagen worden war, eroberten dieſe Bruſſa, ihr Pro- conſul nahm fortan hier ſeinen Sitz. Welchen großen Werth die griechiſchen Kaiſer auf die Stadt legten, beweiſen ſchon die noch aus ihrer Zeit vorhandenen gewaltigen Mauerreſte. Sogleich ncch der Eroberung durch die Osmanen, 1325, wurde ſie zur Hauptſtadt ihres aufſtrebenden Reiches gemacht und noch heute iſt ſie dem Range nach die dritte Stadt in der Türkei. – Leider hat ſich Bruſſa nach der Eroberung durch das Tartarenheer des Tamer- leng (Tamerlan) vom Jahre 1402 nie wieder erholt. Die Plün- derung war allgemein, darauf wurde die Stadt niedergebrannt, Schu- len und Moſcheen wurden in Viehſtälle verwandelt. Ganz ebenſo wurden auch Nicäa und Gemlik um dieſelbe Zeit barbariſch entvöl- kert und zerſtört. – Ihre heutigen lebhaften Einwohner ſind gewerb- thätig und arbeitsſam; ſelbſt die Frauen arbeiten in den Maulbeer- pflanzungen, den Seidenſpinnereien u. ſ. w. unverdroſſen. Doch erwer- ben die Armenier und Griechen hierin vor den Türken bei Weitem den Vorrang. Wie wenig die letzteren geeignet ſind, da wo ſich Handels-Intereſſen berühren, erſteren die Waage zu halten, erfuhr ich während meiner Anweſenheit gelegentlich an folgenden Beiſpielen. – Mein Tiſchnachbar, ein griechiſcher Kaufmann aus Conſtantinopel, theilte mir geſprächsweiſe mit, daß er ſich hier befinde, um den Transport großer Maſſen von chromhaltigem Erz an das Meer zu leiten, welches ein franzöſiſcher Reiſender weiterhin im Innern des Landes entdeckt hatte. Die türkiſchen Kameeltreiber hatten ſich ge- weigert, ihren Thieren die drückenden Erzmaſſen aufzuladen. Der liſtige Grieche hatte es aber durch allerhand Vorſpiegelungen bei den Paſcha's der einzelnen Provinzen dahin zu bringen gewußt, daß die Treiber zur Aufnahme der nachtheiligen Fracht gezwungen wurden. – In der Kajüte des Dampfſchiffes, auf welchem ich die Rückfahrt nach Conſtantinopel machte, erzählte ein junger Grieche dem Schiffs-Capitän, daß er ſo eben ein glückliches Geſchäft mit einer engliſchen Geſellſchaft abgeſchloſſen habe, welche in Weſtaſien Schiffs-Bauholz zuſammen kauft. Da nun die Türken der Ebene den Gebrauch haben, einige große Bäume in ihren Dörfern zu – 179 – pflegen, ſo ſei er von Dorf zu Dorf gewandert, um ihnen dieſe Bäume abzukaufen, dies ſei um einen wahren Spottpreis geſchehen, weil die Türken gar keinen Begriff davon hatten, welcher Werth in ſo ſtarkem Bauholze liege. Auf dieſe Weiſe erſparte der klug berechnende Grieche die Transportkoſten des Holzes von den Bergen herab, entkleidete aber freilich zugleich auch die an ſich ſchon baum- leere Ebene noch immer mehr vom Baumwuchſe. Nanik-Paſcha, der 1856 Gouverneur von Bruſſa war, hat ſich in den größeren Haupt - Städten Europas bei den dortigen Geſandtſchaften lange genug aufgehalten, um zu wiſſen, was zur Erhebung einer ſolchen Stadt Noth thut. Er iſt außerdem ein durch Intelligenz und Humanität hervorragender Mann. Ich fand ihn in der Moſchee Ulu-Dſchami beſchäftigt, die dortigen Ar- beiter zu inſpiciren. Wahrſcheinlich wird man es ihm aber an Fonds fehlen laſſen. Wäre es anders, ſo würde die Vernachläſſi- gung der Wiege der osmaniſchen Dynaſtie unbegreiflich ſein. Man ſchmeichelte ſich bei uneiner Anweſenheit mit dem bevorſtehenden Beſuche des Sultans Abdul Medſchid; dieſer iſt jedoch nicht zur Wirklichkeit geworden. Warme Bäder von Bruſſa und Tſchekirghe*). – Die Verehrung, welche die Thermen in Weſtaſien genießen, läßt ſich ge- ſchichtlich bis zuin trojaniſchen Kriege hinauf verfolgen. Plinius*) ſpricht zwar ſeine Verwunderung darüber aus, daß Homer der warmen Bäder nicht erwähne; er vermuthet ſogar, daß die damalige Medicin zu ihnen keine Zuflucht genommen habe. Philoſtratus†) verſichert dagegen ausdrücklich, den bei Troja verwundeten Achvern ſeien durch Orakelſpruch die joniſchen Thermen als heilſam bezeichnet worden, welche 40 Stadien von Smyrna entfernt liegen und welche hernach die „agamemnoniſchen“ genannt wurden F). So wäre denn bereits in dem grauen Alterthuln bekannt geweſen, was ich perſönlich in den Jahren 1813 zu Warmbrunn und Landeck in Schleſien, 1814 zu Burtſcheid bei Aachen beſtätigt gefunden *) Ueber dieſe Bäder iſt vorläufig eine kurze Mittheilung gegeben worden in den „Verhandlungen des naturhiſtoriſchen Vereines der preußiſchen Rheinlande und Weſtphalens“. 14. Jahrgang. Bonn, 1857. S. LVII. *) Historia nat. Lib. XXV. Cap. IV. †) Heroic. Protesil. p. m. 150. edit. Venet. ††) Vergl. J. H. Schvlzii Historia medicinae. Lipsiae, 1728. pag. 167. – 180 – habe, – daß nämlich zweckmäßig gewählte warme Mineralbäder zur Heilung von mancherlei nach Verwundungen übrig gebliebenen Uebeln, z. B. Gelenkſteifheit, langwierige Anſchwellungen, Schmerz in Narben u. dergl. in hohem Grade heilſam werden können. – Zur Zeit der griechiſchen Kaiſer wurden die Bäder von Bruſſa aus Conſtantinopel häufig beſucht. Sultan Suleiman der Große wurde hier vom Podagra geheilt, und ließ zum Danke die Bäder von Jeni-Kaplidſcha durch ſeinen Großweſir Ruſtem prachtvoll neu aufbauen. Noch heute ſtehen ſie bei dem Volke in dem An- ſehen wunderthätiger Wirkung. Von vielen werden ſie deshalb ohne ärztlichen Rath, bei den verſchiedenſten Gebrechen, ſo benutzt, daß ſie mitunter nothwendig Unheil ſtiften müſſen. Weſentlich mag hierzu beitragen, daß die meiſten Türken der Meinung ſind, je heißer das Bad genommen werden könne, je wohlthätiger müſſe es werden. Doch alle dieſe und ähnliche Thorheiten haben den weit ausgebreiteten Ruf dieſer Bäder nicht zu beſchränken vermocht. – Sie liegen außerhalb der Stadt, an der Südweſtſeite derſelben, theils neben dem Wege, welcher nach dem eine halbe Stunde ent- fernten Dorfe Tſchekirghe führt, theils in dem letzteren ſelbſt Von jenen iſt das der Stadt zunächſt liegende: Jeni-Kaplidſcha (Neubad), zugleich das anſehnlichſte von Allen. Man nennt es auch Eiſenbad, weil ſeine Quelle in der That etwas mehr kohlenſaures Eiſenoxidul zu enthalten ſcheint, als die übrigen. Seine Einrichtung hat mit der des in Conſtantinopel beſchriebenen Bades (S. 27) große Aehnlichkeit. Zwei domartige Kuppeln erheben ſich in der Richtung nach Norden, hintereinander über zwei zuſammenhängenden großen viereckigen Sälen; dieſe ſind nahe unter der Decke mit Fenſtern ausgeſtattet, die Außenſeite der Kuppeln mit Blei gedeckt. Mehrere an der Oſtſeite jener an- gebaute kleinere Räume, welche ein Baſſin, ſowie einzelne Bade- kabinette enthalten, empfangen dagegen ihr Licht durch kleine glas- gedeckte Oeffnungen ihrer Kuppeln. Die Badewannen, ebenſo die Umfaſſungswand und die Bänke des großen Baſſins, auch der Fußboden ſind von weißem Marmor. Dieſer ſoll von Cyzikus her- kommen. – Indem ich von der Landſtraße aus auf dem ſich nord- wärts abſenkenden Boden zu dem nahen Bade hinabſtieg, gelangte ich in der Nähe deſſelben zu ſeinem Haupt-Reſervoir; der aus ihm aufſteigende heiße Waſſerdampf leitete mich zu ihm hin. Ich fand – 181 – den Behälter nur ungenügend mit Brettern gedeckt, ſo, daß ich die Waſſerfläche mit der Hand und dem Thermometer zu erreichen vermochte. Es ergab ſich hier eine Temperatur von + 59° R. Dr. Thirk aus Bruſſa und Prof. Griſebach aus Göttingen erhielten indeſſen früher in einem damals tiefer gelegenen Reſervoir + 66° R. Das Erdbeben von 1855 hatte ein gänzliches Ver- ſiegen der Quelle bewirkt, während die zahlreichen Quellen zu Tſchekirghe zugleich überſprudelten, den Ort überſchemmteu und eiliges Anlegen von Abzugskanälen nöthig machten. Durch tieferes Nachgraben hat man indeſſen die Quelle von Jeni-Kaplidſcha wieder gefunden; doch liegt ihr Reſervoir jetzt frei an der Oberfläche und einiger Temperaturunterſchied ließe ſich ſchon hieraus erklären. Den Geſchmack des aus dem Behälter genommenen Waſſers fand ich ſchwach ſäuerlich und gelind zuſammenziehend. – Die von mir gefundene Temperatur iſt alſo ganz die des Sprudels der Hygea-Quelle zu Carlsbad oder des oberſten Baſſins zu Burtſcheid. Der Geruch des hieſigen Waſſerdampfes erinnerte mich lebhaft an den des heißen Waſſers von Burtſcheid. Bei dem Hervorſtrömen des klaren Waſſers aus der Röhre entwickelten ſich hier aus ihm ſo ſtarke Gas- blaſen, daß es zu kochen ſchien. Die Abzugsröhren zeigten einen ſchwachen Anflug von rothbraunem Eiſenoxyd; auch dieſer ſoll nicht immer vorhanden ſein. Von Schwefelwaſſerſtoffgas bemerkte ich keine Spur; Hr. Dr. Thirk will jedoch dergleichen wahrgenommen haben. – Die durch das letzte Erdbeben herbeigeführte Erſcheinung, deren ſo eben gedacht wurde, läßt kaum irgend einen Zweifel daran zu, daß ſämmtliche Quellen tief unter der Oberfläche einen gemeinſchaft- lichen Zuſammenfluß haben. Demnach wird der Gehalt des her- vortretenden Waſſers nur weniger bedeutende Varianten darbieten können, die ſich nach den Schichten richten müſſen, durch welche ſie den Ausfluß gewinnen. Die Bäder liegen auf einem weit ausge- breiteten Lager von Kalktuff jüngerer Formation, deſſen Pflanzenab- drücke auf nahe Beziehung zu der noch gegenwärtig dort vorhandenen Vegetation hindeuten (vergl. S. 194). Als ich mich in das Gebäude ſelbſt begab, trat ich durch den Haupteingang unmittelbar in einen kirchenartig großen, länglich-viereckigen Raum ein, in deſſen Mittel- punkt ein dort aufgeſtelltes Marmorbecken einen Waſſerſtrahl hervor- ſpringen ließ. Zum Abfluſſe des Waſſers aus dem Becken dienten in ihm angebrachte Seitenöffnungen. Ueber dem ſo ausgeſtatteten – 182 – Mittelpunkte wölbt ſich der erwähnte Dom. Rings an den Wän- den herum erheben ſich zwei Fuß hohe, breite hölzerne Bänke mit Binſenmatten und Teppichen bedeckt. Man reichte mir indeſſen noch eine dünne Matratze und überdeckte dieſelbe mit einer weißen baumwollenen Decke. Auf dieſem Sitze wurde die Entkleidung langſam vorgenommen. Die Lufttemperatur fand ich hier + 17° R., indem ſie außerhalb + 15° R. gezeigt hatte. Hiermit war alſo eine ziemlich paſſende Vorbereitung zum Bade ſelbſt gegeben. Mit einem um die Hüften gewundenen Tuche und Holzpantoffeln an den Füßen wurde ich dann in den zweiten großen, gleichfalls mit einer Kuppel überwölbten Raum geführt, der vollkommen viereckig iſt und bei einer Temperatur von + 21° R. als Tepidarium zur weiteren Vorbereitung für eine noch höhere Temperatur dient. Hierauf erſt wird man in einen dritten, gleichfalls viereckigen, aber beſchränkteren Raum, das Calidarium, geführt, der ein großes ſteinernes Baſſin enthält, deſſen dampfendes Mineralwaſſer eine Temperatur von + 32° R. ergab. Im Innern des Baſſin's laufen an dem Rande rings herum ſteinerne Bänke unter der Waſſerfläche; der Raum würde hier für vierzig gleichzeitig Badende genügen. Ich fand jedoch bei meiner Anweſenheit Keinen in dieſem Bade. An den Seitenwänden des Saales befinden ſich marmorne Waſſerbecken, aus denen man lau- warmes Waſſer zum Abſpülen hervorſpringen laſſen kann. Außer jenen beiden größeren Räumen enthalten nun kleinere, beſonders überwölbte Zimmer, große ſteinerne Badewannen für einzelne Per- ſonen. Ich fand die Temperatur des Waſſers in einer ſolchen Wanne + 29° R., und als ich dem Wärter begreiflich machte, daß mir dies zu heiß ſei, drehte er einen Hahn herum, um kaltes Waſſer hinzuſtrömen zu laſſen; ich erfuhr bald, daß dies reines Quellwaſſer war. Als ich bei + 27° R. hineingeſtiegen war, erſchien mir dies, indem zu gleicher Zeit heiße Waſſerdämpfe den ganzen Raum erfüllten, ſo erhitzend und beklemmend, daß ich nicht über zehn Mi- nuten darin auszuhalten vermochte. Das allmälige Abkühlen des erhitzten Körpers und Zurückführen in den Bekleidungsraum ge- ſchieht hier mit lobenswerther Vorſicht. Nachdem ich in letzterem die Transpiration gehörig abgewartet hatte, fand ich die nachfol- gende Wirkung ſehr wohlthuend. Der Pächter des Bades, ein Türke, ſaß auf einem Comptoir, innerhalb des Einganges, ſchien ſich indeſſen nur um das Rechnungsweſen zu kümmern. – 183 – Wir beſitzen zwei öffentlich bekannt gemachte Analyſen des Waſſers von Jeni-Kaplidſcha. Die eine iſt das Reſultat der Arbeit des Hrn. Dr. Himly in Göttingen, welcher das von Hrn. Prof. Griſebach aus Bruſſa mitgebrachte Waſſer dort hierzu benutzte. Die zweite Analyſe rührt von Hrn. Noé her, welcher theils in Bruſſa, theils in Conſtantinopel gearbeitet zu haben ſcheint. Erſtere Analyſe iſt von Hrn. Prof. Griſebach, letztere durch die Hrn. Dr. Bernard*) und Rigler*) bekannt ge- macht worden. Beide Analyſen ergeben jedoch bedeutende Differenzen, ſo, daß eine abermalige entſcheidende, auf die neueſten Fortſchritte der Chemie gegründete Unterſuchung dringend wünſchenswerth er- ſcheint. Die erwähnten Analyſen mögen zur Vergleichung hier neben einander geſtellt werden. Herr Dr. Himly. Herr Noé. In 1000 Theilen. Kohlenſaures Natron . 0,739 Doppelkohlenſaures Nat- Schwefelſaures Natron . 0,389 ron . . . . . . 0,721 Kohlenſaurer Kalk . . 0,220 Schwefelſaures Natron . 2,395 Chlornatrium . . . . 0,193 Kohlenſaure Kalkerde . 0,118 Salzſaures Natron . . 0,945 Kieſelſäure . . . . . 0,085 Doppelkohlenſaure Kalk- Beigemengtes Eiſenoxyd erde . . . . . . 3,352 mit kohlenſaurem Ei- Silicium . . . . . 0,003 ſenoxydul . . . . 0,087 1,831 Schwefelſaure Magneſia 1,494 Schwefelſaure Thonerde 0,918 Freie Hydrothionſäure . 0,552 Freie Kohlenſäure . . 1,521 Das ſpecifiſche Gewicht beträgt 1,0121. Bemerkungen. Der in der Analyſe des Hrn. Noé fehlende Eiſengehalt ergibt ſich, wie oben bemerkt, ſchon aus dem Nieder- ſchlage von rothbraunem Eiſenoxyd an den Abzugsröhren, obgleich dieſe erſt nach dem Erdbeben neu gelegt worden waren. Der Name *) A. a. O. S. 52. *) Die Türkei und deren Bewohner. I. Bd. Wien, 1852. S. 15. – 184 – „Eiſenbad“, welchen dieſe Quelle von alter Zeit her führt, wäre ſomit gerechtfertigt, obgleich das Quantum des Eiſengehaltes ſehr geringfügig iſt. Der ſchwache Gehalt an freier Kohlenſäure konnte von Hrn. Himly wohl nicht gefunden werden, indem er entweder bei der Füllung oder während des weiten Transportes verloren gegangen war. Hinſichtlich des fehlenden Schwefelwaſſerſtoff's ſtimme ich Hrn. Himly bei. Den Geſchmack fand Hr. Noé hepatiſch und geſalzen; ich fand keines von Beiden. Das Quantum der feſten Beſtandtheile, welches nach Hrn. Himly 14,0654 Gran in einem Civilpfunde Waſſers beträgt, ſtellt es in die Reihe der zahlreichen Thermen, die durch ihre feſten Beſtandtheile allein, oder auch nur zum größeren Theile, ihre eigenthümliche Wirkung gewiß nicht hervorbringen. Wenn nun einige Jahrhundertee lang fortgeſetzte Erfahrung keinen Zweifel übrig läßt, daß die letztere des hieſigen Mineralbades von der des gewöhnlichen Waſſerbades unterſcheidet, ſo müſſen wir von den Fortſchritten der analytiſchen Chemie ſpäter- hin hierüber Aufklärung erwarten. – Zum Trinken wird das Waſſer von Jeni-Kaplidſcha eben ſo wenig, als irgend ein anderes hieſiges Mineralwaſſer benutzt. Den Namen ſeines Erbauers Kara-Muſtafa, eines Groß- weſirs, trägt ein, wenige hundert Schritte von Jeni-Kaplidſcha entfernt, etwas weiter abwärts nahe am Alluvium der Ebene liegendes kleineres Bad. Der chemiſche Gehalt ſeines Waſſers iſt dem des ſchon beſchriebenen ähnlich, doch quantitativ merklich geringer, ſeine Tem- peratur nur + 36° R. Man benutzt es beſonders zum Baden bei ſolchen Krankheiten, die durch Geſunkenſein der Energie des Nerven- ſyſtems entſtanden ſind. Zu ſolchem Zwecke hatte es Hr. Dr. Thirk bei einem bekannten engliſchen Diplomaten kurz vor meinem Ein- treffen in Bruſſa nicht ohne Nutzen in Anwendung gebracht. In dieſer Hinſicht will es Hr. Dr. Rigler mit Gaſtein auf eine Stufe geſtellt wiſſen. Doch iſt hierbei nicht erwogen worden, daß Gaſtein zugleich durch ſeine erfriſchende Alpenluft nervenſtärkend wird, da hingegen die hieſige Luft, beſonders für den nicht Acclima- tiſirten erſchlaffend wirken kann. Auf gleicher Höhe mit dem von Jeni-Kaplidſcha, aber weiter ſüdweſtlich, liegt das ſogenannte Schwefelbad, Kökürdli. Es befin- den ſich gegenwärtig hier zwei dicht aneinander gebaute Badehäuſer, deren eines gelb das andere grün angeſtrichen iſt; nach dieſer Fär- bang pflegt man ſie in der Rede von einander zu unterſcheiden. Bis zum Jahre 1844 ſoll hier nur ein Badehaus vorhanden ge- weſen ſein. Damals ſprang aber bei dem Wegräumen eines Fel- ſeid eine zweite heiße Duelle hervor, die zum Erbauen eines zwei- ten Badehauſes Veranlaſſung gab. Nach der durch das letzte Erb- beben hervorgebrachten Revolution iſt es wieder eine gemeinſchaft- liche Quelle geworden, welche zwiſchen beiden Häuſern liegend ihnen nach beiden Seiten hin Waſſer zutheilt. Das gelbe und zugleich ältere von beiden Gebäuden iſt ähnlich wie Jent-Kaplidſcha mit gewölbter Decke über den Sälen u. ſ. w. ausgeſtattet und heißt jetzt auch das größere. Doch iſt das Ganze in kleinerem Maß- ſtäbe angelegt als das vorerwähnte, obgleich doch das Waſſer dieſer Schwefelquels von Alten am berühmteſten iſt. Das zweite, grüne Haus, hat eine einfache platte Decke über ſeinen Räumen, und wird deshalb auch das kleinere genannt, käßt jedoch im Uebrigen keine der ſchon beſchriebenen Einrichtungen vermiſſen. Dieſes letztere wird von einem Armenier, das erſtere von einen Türken gehalten. Ich begab mich zu dem Armenier, um don ihm mit einem Bade bedient zu werden. In dem gelben Hauſe fand ich zum erſten Male außer den großen Marmorbadewannen auch eine Anzahl hölzerner Waltnen, in welche man des Abends das heiße Waſſer einläßt, um es dts zur Stunde des Gebrauchs am nächſten Morgen abkühlen zu laſſen. Alle übrigen Bäder kühlen das heiße Mineralwaſſer einfach durch Zufluß von kaltem Quellwaſſer ab, welches vom Olymp herab- geleitet wird. – Die Reiſenden, welche dieſe Quelle vor dem Erd- beben 1855 beſucht haben, verſichern ſämntlich, einen Geruch nach Schwefelwaſſerſtoffgas deutlich wahrgenommen zu haben; nur Ht. Griſebach meint, der Gehalt an dieſen Gaſe könne untöglich bedeutend ſein. Hr. Noé *) gibt ih feiner Analyſe dieſes Schwefel- waſſers in 16000 Grammen, Hydrothionſäure 3,32i an, nennt auch den Geſchmack pikant und ſchwefelig. Hiernach erſchien es mir auffallend, weder während meines Aufenthaltes in Bade, noch ih den Räumen, welche der Waſſerdampf füllt, irgend eine Spur von Geruch nach Schwefelwaſſerſtoffgas wahrnehmen zu können. Ich war alſo begierig, die Quelle dort aufzuſuchen, wo ſie unſittelst: aus dem Geſtein hervorbricht. Man führte mich bereitwillig dörkhtn. *) S. Kigter u. a. O. 1. Bd. S. 14. Hrr. Griſebach hatte hier die Quelle in der Dicke eines Men- ſchenarmes 1,“ hoch in die Höhe getrieben hervorbrechen geſehen, ohne jedoch Gasentwicklung zu bemerken. Ich ſah einen etwa 1”.“ im Durchmeſſer haltenden Waſſerſtrahl ziemlich lebhaft aus einer Spalte des Kalktuffs hervorſprudeln, ohne daß ſie jedoch in die Höhe getrieben wurde. Da die Quelle nahe unter der Oberfläche des Bodens liegt, ſo wurde es mir leicht, das Geſicht dem Waſſer ſo weit zu nähern, als es der heiße Waſſerdampf erlaubte. Aber vergebens beſtrebte ich mich, Schwefelwaſſerſtoffgas durch den Geruch wahrzunehmen. Es mag nicht überflüſſig erſcheinen, zu bemerken, daß mein Geruchsorgan damals vollkommen normal fungirte. Das in die Quelle ſelbſt geſenkte Thermometer zeigte eine Temperatur von +56" R. Hr. Dr. Thirk verſicherte jedoch, noch nach dem Erdbeben hier +67" R. gefunden zu haben; andere Beobachter nahmen + 66° R. wahr. Während meiner Unterſuchung der offen ſtehenden, durch einen Behälter von geringem Umfange ab- fließenden Duells betrug die Lufttemperatur im Schatten. + 15° R. Wenn ich auch anerkenne, daß gewiſſe Gasentwickelungen mehr oder weniger von atmoſphäriſchen Veränderungen abhängig ſein können, ſo müſſen ſie hier wenigſtens quantitativ ſehr gering ſein und dürfen ſich jedenfalls mit denen des Waſſers zu Aachen nicht entfernt meſſen. Da ich früher Gelegenheit gehabt hatte, in den Abzugsröhren des Mineralwaſſers zu Aachen einen Anflug von Schwefel wahrzunehmen, ſo forſchte ich auch in den hieſigen Leitun- gen darnach, – jedoch vergebens. In dem Geruche des Waſſer- dampfes fand ich eine auffallende Aehnlichkeit mit dem des Spru- dels zu Carlsbad. Doch möchte ich nicht Hrn. Griſebach bei- ſtimmen, welcher eine ſolche Aehnlichkeit mit Carlsbad auf das Waſſer ſelbſt ausdehnt, denn Carlsbad enthält 41 Gran, Bruſſa nur 14 Gran feſter Beſtandtheile in einem Pfunde Waſſers gelöſt, kohlenſaures Natron nach Noé gar nicht, ſchwefelſaures und kohlen- ſaures Natron auch nach Himly nur in ſehr geringem Quantum. Aus letzteren Verhältniſſen läßt ſich einigermaßen erklären, warum man Ä zu trinken. In dem Geſchmacke des aus der Quelle genommenen Waſſers fand ich nichts Pikantes, nichts Schwefeliges; nur eine ſchwache Andeutung von Salzigem mochte herrortreten Das Waſſer fand ich übrigens an der Quelle vollkommen klar. Dichtigkeit beträgt nach – 187 – Noé1.01.11,– Einer beſonderen Erwähnung verdient noch ein Anflug von Kalkſinter, der ſtalaktitenförmig von einem Geſimſe herabhängt, welches flach hervorſpringend nahe unter der Decke des Salons herumläuft, in dem die meiſten warmen Bäder bereitet werden. Der Aufſeher des Bades, der ungern mein Mißtrauen hinſichtlich des Schwefelgehaltes ſeines Mineralwaſſers wahrgenommen hatte, holte gern etwas von dieſem Anfluge herab, fügte auch Kalk- ſinter aus einer Abzugsröhre hinzu; Beides werde brennen, wenn ich es der Flamme einer Kerze nähern wolle. Daß Letzteres nicht der Fall war, brauche ich Sachverſtändigen kaum zu bemerken. Der Anflug von der Decke beſtand aus einem Aggregat von zarten Na- deln, welches, aus der Ferne betrachtet, ein baumwollenartig lockeres Anſehen ergab. Mehrerer Sicherheit wegen bewahrte ich einen Theil deſſelben ſorgfältig auf, und übergab ihn ſpäter in Bonn meinem verehrten Freunde, Hrn. G.-R. Guſtav Biſchof, welcher die Maſſe für kohlenſauren Kalt erklärte. Dieſelbe Erſcheinung wird bekanntlich an manchen feuchten Mauern öfter wahrgenommen, ſo fand ich ſie z. B. im Juni 1859 an der inneren Seite eines maſſiven runden, Thurmes der Schloß-Ruine von Blankenberg an der Sieg, hier aber freilich in derber Geſtalt, - Eski-Kaplidſcha oder Altbad heißt ein unmittelbar an dem Eingange in das Dorf Tſchekirghe zur rechten Hand lie- gendes anſehnliches Badehaus. Der Name rührt davon her, daß es zu den Zeiten der Griechen bereits beſtand, doch hat Sultan Murad I. den gegenwärtigen Dom darauf ſetzen laſſen, der zwar an Umfang den von Jeui- Kaplidſcha nicht erreicht, doch aber bei ſeiner hervorragenden Lage eine impoſante Wirkung hervorbringt Unterhalb des Geſimſes der domartigen Kuppel fand ich einen Frieß von blauen Arabesken auf weißem Grunde angebracht. Die innere Einrichtung des Bades iſt einfacher als die, welche man in den neueren Bädern vorfindet, und wird hauptſächlich von der ärmeren Volksklaſſe benutzt. Das hier zur Anwendung kommende Mineral- waſſer entſtrömt derſelben Quelle, welche gemeinſchaftlich die ſämmt ichen Badeanſtalten des Dorfes Tſchekirghe etwa 11 bis an der Zahl, peiſet. Der hier in der Abzugsröhre maſſenhaft Ä Kalkſinter, beſitzt eine marmorartige Härte und nimmt Po itur an - rr. ºtſ. ::: – 188 – B wir häuptſääh daran lag, die erwähnte gehellſchaftliche Güele der Bäder vön Tſchekitghe an ihren Ä unterſuchen, ſo ließ ich mich vor Allein zu ihr hinführen. Sie # ſich an einer mäßigen Anhöhe in einen kleinen, iſt einigen Bäu- üten ausgeſtätteten Garten. Sie tritt etwa zehn Füßunter der Ober- ſºlche hervor, welche mit zwei Oeffnungen verſehen iſt, einer ſenkrech- eh und einer ſchräg ausmündenden. Die letztere diente ihr dazu, auf durchfeuchtetem Thonböden den Eingang bis zur Waſſerfläche zu finden. Das mehrmals eingetauchte Thermometer zeigte + 34° R. Das Waſſer ſelbſt erſchien voükommen klar und ergab weder mir hoch meiñei Dragoitän einen irgend hervorragenden Geſchmäck; es dürfte alſo qualitativ dem von Kara-Muſtafa nicht ſehr fern ſtehen. – Die Badhäuſer des ſüdweſtlichen Endes des Dorfes entfernen ſich von den bisher genannten durch eine der weſteurö- päiſchen ähnlichere Einrichtung. Namentlich befindet ſich dort di weſtlichen Ende der Hauptſtraße zur rechten Hand ein caſernenart aufgeführtes anges Gebäude mit zahlreichen Zimmern zur Aufhähne von Badegäſten, äh ſeiner Außenſeite mit langen hölzernen Altanen ÄÄÄÄ Süd-Weſt, die ſchmalere nach Nord-Weſt gewendet. Seine das nähe That beherrſchende Lage auf einer Athöhe zeichnet ſich ſehr vor- heilhaft aus. Sie gewährt zugleich eine überraſchend ſchöne Äis- ſcht über das reiche Thal hinaus auf das gegenüber liegende K. tertä-Gebirge, in der Richtung auf judäitia. Mehrere ältere zur linken Hand der Hauptſtraße gelegene Anſtalten der Art eigen Ä # iche Ausſtattung freilich von den Luxus der weſteuröpäiſchen Bäder ſehr entfernt bleibt Alich letztere Quellen werden bis jetztlicht zum Trinken, ſonderk allein zum Baden benutzt. – Die verhältlißmäßig hohe Temperatur, in welcher die Bäder hier genommen zu werden pflegt, der Wäſſer- dämpf, in welchem der Badende während der gänzth Öperation eingehüllt bleibt, ſeien ſie zu wahren Dämpfbäder, die dör. jugsbeiſe durch eine bedeutende der Häut Müsdünſtill wirkſam werden. Auf die an und für ſich nicht anſehlichen miät- räliſchen Beſtandtheke dürfte es hierbei uñt ſo weniger änkbilatei, als man ſie in der Regel noch durch den Zuſatz von kaltem - waſſer ſtark verdünnt. Mit Rückſicht auf das weſt-aſiatiſche Klima, ſowi: bei der myſterhaften Vorſicht, welche die prt angeſtº Badewärte, entwickeln müſſen ſie deſſen ungeachtet als höchſt hänswerth Hülsmitte bei zahlreichen ſchºsſen abryºledº betrachtet werden, wenn die ſich überhaupt für ein ſo kräftige Ä 1 angjähre umſtand, daß das Erdbº ben von 1855 die Quellen von Tſchetixghe unueberfuhen, die von Bruſiº aher um Ätock bracht es freilich die Vermutung ſehr nahe, daß all dieſe Mineralwaſſer in den enºrien des Kaufes, aus welchem ſie hervorſprudeln, einen gemeinſchaftlichen Zuſammenhang haben, der ſie ihrer chemiſchen Conſtitution nach einander nähren muß, wie dies ſich in der That auch durch die Analyſe bewährt hat, Es iſt ſogar nicht unwahrſcheinlich, daß ſie urſprünglich aus dem gra nitiſchen Gebirgeock des Olymp den Urſprung nehme, um hernach den auſgelagerten auf zu durchdringen. Die Achnitt mit den berühmten Quellen von Teplin Bºhnen, auf welche Hºr Riger ſchon hingedeutet hat, allerdings vorhanden, Gich veraltete ſicherloſe Rheumatiºnen, langwierige Hautkrankheiten wer- den ſich vorzugsweiſe zur Behandlung durch die Bäder eignen, Die an feſten Beſtandtheilen ärmeren Quellen, dürften in ähn- licher Weiſe wie Pfäffers und Gaſtein zur Anregung geſunkener Nervenkraft benutzt werden können, mithin auch auf lähmungsartige Zuſtände vortheilhaft einwirken, die mit ſolchen Nervenübeln ver- hunden ſind. Für leztere wird indeſſen die heißer Zeit des Som- mºr zu vermeiden und der beginnende Hºrſt oder der Frühling z. Äuº ſº mInnen des Fºyers bereits Ägeren Zerſtörungen ſchliefen den Gebrauch dieſer warmen ºder aus doch würde zu unterſuchen ſº ab unter ſºlchen Umſtänden nicht das Ägº Tintºn die Mineralwaſſer Nuºn hanönnt, – Bekanntlich haben manche Aerzte das endemiſche Vorkommen des Kropfes einiger Gegenden aus dem Kalkboden derſelben ableiten wollen; ich bemerke dazu, daß ganz Bruſa auf Kalktuff liegt mir deſſen ungeachtet keine Kröpfe hier aufgefallen ſind. Asklepiade von Bithynien. – Sowie die höchſte ſtaatliche und politiſche Blüthe der Völker jeder Zeit durch die Erhebung der Künſte und Äſſenhaften erkennbar geworden iſt, ſo war dies auch mit Bruſa der Fall, als die König von Bitynen dort ihre Re- ſidenz aufgeſchlagen hatten. Das Anſehen und die Macht dieſes Känigthums läßt ſich ſchon daraus einigermaßen entnehmen, daß – 190 – Hannibal, als ihn die Römer allenthalben verfolgten, dorthin zuletzt ſeine Zuflucht nahm. Unter den dortigen Männern der Wiſſenſchaft damaliger Zeit iſt es beſonders Einer geweſen, deſſen Thätigkeit mit den Gegenſtänden, welche dieſe Schrift berührt, in näherem Zuſammenhange ſtand. Es iſt Asklepiades von Bi- thynien, der Gründer einer berühmten mediciniſchen Schule zu Rom. Von ihren Lehrſätzen iſt wenigſtens ſo viel bis auf uns gekommen, daß wir ihre Reſultate noch heute dankbar anerkennen müſſen. – Asklepiades lebte in Rom zu Ende des zweiten und im Laufe des erſten Jahrhunderts v. Chr. Er war der Schöpfer eines mechaniſchen Syſtem's der Heilkunde, gegründet auf die Corpuscularphiloſophie Epikur's. Sein Schüler Themiſon bildete es ſpäter zu dem ſogenannten methodiſchen Syſteme aus, welchem die meiſten wiſſenſchaftlichen Aerzte der damaligen Zeit drei Jahrhunderte lang huldigten. Er gelangte durch zahlreiche glückliche Kuren, durch hinreißende Beredtſamkeit und liebenswürdiges Be- nehmen in Rom zu dem höchſten Anſehen. Von erſteren iſt uns der intereſſante Fall aufbewahrt worden, daß er eine Scheintodte wieder zu erwecken verſprach, die bereits auf dem Scheiterhaufen lag, und hierin Wort hielt. Daß wir eines ſolchen den Einfluß auf Jahrhunderte erſtreckenden Arztes Bildungsgeſchichte nicht näher kennen, muß wahrhaft bedauert werden. Jedenfalls läßt ſich aber anneh- men, daß die mediciniſche Schule ſeiner Vaterſtadt einigen Einfluß auf ihn werde geübt haben, obgleich ihm Athen und Alexandrien die hö- heren Wehen gaben. Wahrſcheinlich darf ſich aber Bruſſa einen Theil des Ruhmes ſeines Schülers zuſchreiben, deſſen Lehren heutigen Tages bei den Aerzten um ſo mehr Aufmerkſamkeit erregen mögen, als ihre Grundlagen mit denen der gegenwärtig geltenden exacten Me- diein manche Aehnlichkeit nachweiſen. Seine Atome nennt man zur Zeit Molecüle, und wenn er dieſe Atome aus bloßer Naturnoth- wendigkeit ſich durch unſichtbare Kanäle bewegen, auch von der ungehinderten, freien Strömung jener in dieſen den geſunden Zuſtand abhängig ſein läßt, ſo darf man ihm ſolchen Verſtoß gegen die feinere Anatomie doch wohl jetzt nicht zu hoch anrechnen. Läßt doch ein Mann, der ſich zu einem der Führer heutiger exacter Naturforſchung aufzuwerfen ſtrebte, unſere Gedanken und Vor- ſtellungen durch Hirnorgane ſecerniren, die noch kein Unbefan- gener geſehen, und ſie durch Kanäle wirkſam werden, die noch kein – 191 – Mikroſkop nachzuweiſen vermocht hat. Wenn aber Asklepiades ſehr weiſe den Wuſt ſpecifiſcher und abergläubiſcher Heilmittel, welche die damalige alexandriniſche Schule anpries, verurtheilte, ſo wußte er doch ſehr wohl die einfachen und durch vorurtheilsfreie Beobachtung erprobten Mittel zur Erreichung ſeiner Heilzwecke zu benutzen. Er war der erſte, der ein zweckmäßiges diätetiſches Ver- halten in der Krankenbehandlung obenan ſtellte, der durch kalte oder warme Bäder, durch geordnete tägliche Körperbewegung, durch Reiben der Haut, richtige Wahl der Speiſen und Getränke, ſowie der Beſchäftigungen, Krankheiten zu beſeitigen wußte. Dabei ſpannte er ſeine Phantaſie keineswegs bis zu der Viſion, daß es für den menſch- lichen Körper einerlei ſei, ob man ihm Blut entziehe, ihm Brech- mittel reiche, oder gar nichts thue, wie es eine gewiſſe Schule jüngſt lehrte, die ſo das Princip mephiſtopheliſcher Verneinung auf die Spitze trieb und nothwendig Schüler ſchaffen mußte, die her- nach, von einem ſolchen Princip durchdrungen, rathlos am Kranken- bette ſtehen. Wie überhaupt die Wiſſenſchaften dort gern gedeihen, wo ſie mächtigen Schutz finden, ſo ſcheint die höhere Ausbildung des Asklepiades mit der höchſten Blüthe des alten Pruſa der Zeit nach zuſammen zu fallen. Denn damals war die Stadt nicht blos die Reſidenz der Könige von Bithynien, ſondern ihr König Pru- ſias hatte es auch gewagt, den Todtfeind Rom’s, den Hanni- bal, an die Spitze ſeines Heeres zu ſtellen. Dem oſtrömiſchen Reiche wurde Pruſa ſchon im Jahre 941 n. Chr. durch Seifed-dewlet, nach einjähriger Belagerung abgenommen, und von jener Zeit ab folgten ſich barbariſche Zer- ſtörungen, die nicht ſelten noch durch Erderſchütterungen begleitet wurden, dergeſtalt auf einander, daß man die Zähigkeit des Bo- dens billig bewundern muß, der noch heute eine ſo bedeutende Stadt trägt. Der bithyniſche Olymp. – Der bithyniſche oder myſiſche Olymp, welchen die Türken Keſchiſch-Dagh oder Mönchsberg nennen, iſt nach den Meſſungen des Marſchall's Marmont 6920“ hoch, mit denen die ſpäterhin von Hrn. Moritz Wagner unter- nommenen, zu 7000“, nahezu übereinſtimmen. Hr. C. Ritter“) *) Die Erdkunde. 18. Th. oder: Vergleichende Erdkunde des Halbinſel- landes Klein-Aſien. 1. Th. Berlin, 1858. S. 658. – 192 – hält eine Höhe wm 7800 für die richtiger. Hr. J. Emilie”) gibt ihm neuerdings eine Höhe von 9100 engl. Fuß. Es iſt dabei zy bemerken, daß nach ihm den engliſche Fuß=135,1 pariſer Linien, der preußiſche Fuß=139,1 par. Linien beträgt. Hr. Kiepert hat auf ſeiner Karte der aſiatiſchen Türkei die Ziffer an 8000 für die Hºt des Olymp angegeben und dieſe dürfte nahezu das richtige Mittel halten, ſo lange, bis einec trigonºme triſche Meſſung dereinſt die Höhe dieſes wichtigen Punktes ſicher beſtimmt hahen wird. – Die Hauptmaſſe des weſtlichen Aſiens iſt ein Plateau von 3000 bis 6000 Höhe über dem Meer. Mit dieſem ſteht der Olymp durch einige Mittelglieder in Verbindung von welchen der ſich an ihn nach Süd-Oſt zu anſchließende Du- manytſch Dagh das nächſte und maſſenhafteſte iſt, ohgleich es den Olymp au Höhe bei weitem nicht erreicht. Ungeachtet ſeiner anſehnlichen Höhe kann man den Scheitel des Olymp, keineswegs den Träger ewigen Schnees nennen, wie es von einigen poetiſchen Reiſebeſchreibern, z. B. de Lamartine*) geſchehen iſt, v. Hammer*) ſchenkt dem Berge ein Haupt, „welches die Stirnbinde ewigen Schnees ſchmückt.“ Als ich ihn am 15. Oktober zum letzten Male in der Nähe ſah, befand er ſich noch vollkommen. frei von ſolchem Schmucke. Daß dies in einzelnen Jahren aus- nghmsweiſe ſich anders verhalten mag, verſteht ſich van; ſelbſt. Er iſt übrigens alljährlich lange genug mit Eis bedeckt, um faſt vege- tationslos zu ſein und Conſtantinopel zugleich, als Haupt-Lieferant vºn Eis und Schnee zu dienen. Die Schiffsherren von Boſton, welche ſeit 1802, ſo ſchwunghaften Eishandel mit China und Oſt-, indien treiben, werden deshalb freilich mit Conſtantinopel niemals derartige Geſchäfte zu machen haben, obgleich ſie doch 1847 ſchon mehr wie 300 Schiffe damit beſchäftigten. Hx Gºiſebach fand dem Olymp Anfangs Mai noch mit Schnee Leweckt, und ritt um, dieſelbe Zeit in der Ebene von Bruſſa durch eine vom Nilufer- überſchwemmte Niederung, zugleich durch ein Sºhnpf-Strecke. Dem *) Ueberſichts-Profile über das Relief der Continenese und deren Erhebung über den Meeresſpiegel. Nach dem Plane von Humboldt und Ritter. Stuttgart und Leipzig, 1858 *) L. c. pag. 230. **) Reiſe nach Bruſſa und dem Olymp. 18183 S. 5. – 193 – Marſchall Marmont*) verſicherten die Hirten, welche von ihm oben angetroffen wurden, daß der Schnee durchſchnittlich am 10. Juni von dem Berge fortgehe. Höchſtens kann dann in den tiefen Spalten des nördlichen Abhanges des Berges ſich noch einiger Reſt davon erhalten. In manchen Wintern fällt zu Conſtantinopel ſo viel Schnee, daß man gar nicht nöthig hat, ihn von außerhalb herbei zu holen. In anderen muß der Olymp freilich den Hof des Sultans vorzugsweiſe damit verpflegen. Es bezieht ſich darauf eine geſchichtliche Notiz, die ſo bezeichnend für die türkiſche Regie- rungs-Wirthſchaft iſt, daß ihr hier ein kleiner Raum nicht verſagt werden kann. Unter dem wetterwendiſchen und grauſamen Sultan Ibrahim, gegen 1647, bemühte ſich Idris - Efendi, der Richter von Bruſſa, ſo eifrig, dieſer Pflicht zu genügen, daß er bei einer perſönlichen Beſteigung des Olymp ſich einſt verirrte und man ihn bereits für umgekommen hielt. Als er endlich nach Bruſſa zurück- kehrte, fand er ſein Amt beſetzt durch einen Schützling der Wä- ſcherin des Harems des Sultans! - Der 11. Oktober wurde von mir dazu gewählt, die Spitze des Olymp zu beſteigen. Ein heiterer, ſonniger, wolkenloſer Hori- zont verſprach die dazu erforderliche Witterung. Drei kräftige Maulthiere trugen außer mir meinen Dragoman und einen mit dem Berge wohlbekannten italieniſchen Diener, der ſeit Jahren in Bruſſa lebte. Wir machten uns um 6 Uhr Morgens, als es eben vollkommen hell geworden war, auf den Weg, und durchritten den Haupttheil der Stadt, ſeiner Länge nach, in der Richtung von Weſten nach Oſten. An vielen Orten hatten ſich bereits die Ar- beiter an den zahlreichen Bauten, namentlich an der Moſchee Ulu- Dſchami, verſammelt; doch fehlte es auch jetzt ſchon nicht an tabuk- rauchenden Müſſiggängern. Vor der Oſtſeite der Stadt allmälig anſteigend, bemerkte ich einen ziemlich breiten Erdriß, wahrſcheinlich eine Folge des letzten Erdbebens. Wir paſſirten dann über einer zicmlich ſchlechten hölzernen Brücke den jetzt vollſtändig ausgetrock- neten Gök-Dere, der ſich hier ein anſehnlich tiefes Felſenbett ausgehöhlt hat. In dieſem fand Hr. Griſebach**) Anfangs Mai zwei Pflanzen, die bis dahin dort nirgend anderswo vorgekommen *) Voyage du Maréchal Duc de Raguse. V. II. pag. 155. **) A. a. O. I, S. 59. – 194 – ſein ſollen, Aubrietia purpurea Dec., Lamium veronicaefolium Benth. – Oberhalb des öſtlichen Theiles der Stadt dehnen ſich am Bergabhange zahlreiche türkiſche Begräbnißplätze hin, die mit zahlreichen rieſenhaften Cypreſſen geſchmückt ſind, unter denen hier und da eine umfangreiche orientaliſche Platane ſich erhebt, welche die Cypreſſen überragt. Man erkennt an dieſen Bäumen deutlich, welche Vegetation auf dem Kalkboden unter dieſem Himmel durch einen zweckmäßig geleiteten anhaltenden Fleiß beſchafft werden könnte. – Wir behielten die Vorſtadt Emir Sultan zur Linken und ver- folgten den Weg ſchräg nach aufwärts, den Gök-Dere hinter uns laſſend. Auf dieſe Weiſe hatten wir endlich den Vorhügel oder Fuß des Olymp überſchritten, an welchen ſich Bruſſa anlehnt. Die feſte Grundlage dieſes Vorhügels wird durch Kalktuff neuer Formation gebildet, welcher häufige Blattabdrücke ent- hält. Die letzteren ſind namentlich in den 1855 durch das Erd- beben abgeſprengten enormen Blöcken des Kalktuffs zu Tage ge- kommen. Mehrere von mir dem Muſeum zu Poppelsdorf übergebene Stücke deſſelben enthalten deutlich erkennbare Abdrücke der Blätter von Rhamnus Frangula, einer Prunus-Art (wahrſcheinlich P. Padus), mehreren Weiden-Arten u. ſ. w., von lauter ſolchen Gewächſen, wie ſie der untere Abſchnitt des Olymp noch heute trägt. Dieſe Region des Kalktuff's läßt ſich von dem Alluvium der Ebene Bruſſa's bis oberhalb der Ruinen ſeines alten Schloſſes mit Sicherheit verfolgen. Die vielgeſtalteten Klüftungen und röhren- artigen Höhlen laſſen nicht zweifeln, daß hier eine maſſenhafte Vegetation zu Grunde gegangen iſt, indem ſie durch einen Süß- waſſer-Niederſchlag überdeckt wurde. Die Mächtigkeit des letzteren läßt ſich ungefähr ermeſſen, wenn man weiß, daß die Höhe der Schloß-Ruine über der Ebene mindeſtens 500 beträgt. Da nun die Stadt 800“ hoch über dem Meere liegt, ſo darf man annehmen, daß der durch den Kalktuff begründete Vorhügel des Olymp bis zu einer Höhe von etwas über 1000 hoch über dem Meere an den Fuß deſſelben hinauf reicht. Inſofern es aber zweckmäßig erſcheint, die Regionen des Berges ſelbſt oberhalb der Stadt beginnen zu laſſen, ſowie es auch von Seiten meiner Vorgänger in der Beſchreibung deſſelben geſchehen iſt, ſo würde die Eintheilung dem Maße von 7000 angepaßt werden müſſen. Hiernach ſind die folgenden Be- ſtimmungen zu beurtheilen. – 195 – Erſte oder Kaſtanien-Region. – Subſtrat des Bodens: dichter Kalk. Der für die Saumthiere gebahnte Pfad, welcher von dem rechten Ufer des Gök-Dere aus ſchräg über den Vorhügel zur erſten Region hinanſteigt, wird ſchon bald etwas unbequem ſteil. Ein derber körniger Kalk tritt allenthalben zu Tage, und bedeckt in abgeſprengten und zerbröckelten Bruchſtücken rechts und links neben dem Pfade einzelne humusloſe Abſätze an vielen Stellen. Die Humusdecke ſcheint an dem Abhange ſelbſt ziemlich dünn zu ſein, was von den während des Schmelzens des Schnee's mit Macht herabſtürzenden Bergwaſſern herrühren mag, welche von dieſer Erdkruſte alljährlich Vieles nach abwärts herunter ſchwemmen. Die Mächtigkeit dieſer Region des Kalkes läßt ſich ohne Ueber- treibung auf eine Höhe von 2000“ feſtſtellen. Hr. Griſebach hat hier an einigen Stellen einen der künſtleriſchen Bearbeitung voll- konmen würdigen Marmor geſehen. In der zweiten Region iſt es ein Gürtel von Gneiß, der den Granit umgibt. – Die Vegeta- tion dieſer Region des Kalkes iſt ungemein üppig, und erſchien gegen die Mitte des Oktobers noch in friſcheſtem Grün. Im unterſten Abſatze herrſchen die echten Kaſtanien bei Weitem vor, meiſtens jedoch junger Ausſchlag, da man den Bäumen keine Zeit gönnt, ſich zu mächtigeren Stämmen zu entwickeln, deren verhältniß- mäßig nur wenige da, wo ſie von der Stadt nicht zu fern liegen, übrig geblieben ſind. Es mag hinzukommen, daß die Kaſtanie in der feuchten Ebene ungleich üppiger gedeiht, und daß der ſchon beſchriebene Kaſtanienwald Früchte in ſolcher Menge liefert, daß Bruſſa das ganze Land weit und breit damit verſorgen kann. Ober- halb der Kaſtanien treten dann vorherrſchend Weißbuchen, darauf Linden, Eſchen, Haſelnuß-, Cornelkirſchen-, und Kreuzdornſträucher in buntem Gemenge hervor. Bei Abdalla Murad finden ſich Styrax officinalis und Perip loca grae ca. Unſer gemeiner Wachholder läßt ſich hier nur ſelten ſehen, dahingegen in der folgenden Region, bis zu dem Fuße des höchſten Kegels hin Ju- niperus Oxycedrus und nana weite Flächen bedeckt. Seſtini*) wollte deshalb eine Wachholderregion am Olymp feſtſtellen. Er und Sibthorp fanden auch Juniperus Sabina, welches Hr. *) Voyage dans la Grèce asiatique. Traduit de l’Italien. Londres et Paris, 1789. pag. 144. sq. 9" – 196 – Griſebach als JuKniperus sabinoides aufgeführt hat. Un- gefähr in der Mitte dieſer Region dehnt ſich ein geräumiger Abſatz hin, den die Türken „Sieger-Alpe“ nennen, weil Sultan Orchan von hier aus die Belagerung geleitet haben ſoll, welcher endlich Bruſſa erlag. Wer die türkiſchen Namen dieſer und zahlreicher anderer Alpen und Schluchten zu erfahren wünſcht, findet ſie bei v. Hammer*) ausführlich. Man gewinnt von dieſem erſten Hauptabſatze aus eine überraſchend ſchöne Ausſicht auf die am Fuße des Berges liegende Stadt, die reiche Ebene und das gegenüber liegende Katerlü-Gebirge. Er iſt während der Sommerzeit zu- gleich der Hauptſitz der turkomaniſchen Hirten, welche ihre Heerden hier weiden, indem ſie mit jenen bis an den Fuß des oberſten Kegels aufſteigen. Dieſe Horden waren bei meiner Anweſenheit mit ihren Heerden bereits wieder in die Ebene hinabgeſtiegen. Sie pflegen nämlich während der ſtrengeren Jahreszeit in Mualitſch und Um- gegend zuzubringen wo, auch der ihnen von der Pforte geſetzte Vor- ſteher wohnt. Ihre körperlichen Eigenthümlichkeiten, Sitten und Gebräuche ſind von v. Hammer u. A. beſchrieben worden. Leider tragen ſie zur Entwaldung des Olymp weſentlich bei, nicht blos durch Ausbrennen des Harzes aus den Tannen, ſondern auch durch den böſen Gebrauch, daß ſie wirklich einzelne Waldſtrecken abſichtlich ausbrennen, wenn es ihren Thieren an Weideplätzen mangelt. – Dieſe Turkomanen bilden, wo ſie durch Verbindung mit anderen Völkern, z. B. mit den Bewohnern von Stambul, noch nicht ver- dorben ſind, einen moraliſch höher ſtehenden Stamm, als es der der ſchlauen Araber iſt. Sie ſind gaſtfreundlich und bieder in Wort and That, obgleich unwiſſend und roh. Je entfernter ſich ihre Dörfer von den Paſchaſitzen befinden, je wohlhabender und volk- reicher ſind ſie*). Zweite oder Buchen- und Eichen-Region. – Weiß- buchen und unter den Eichen Quercus infectoria vorherrſchend. Subſtrat: Gneiß. In ihr tritt dieſer Gneiß anfänglich durch den Kalk hier und da hervor, drängt aber etwas höher jenen vollſtändig *) Umblick auf einer Reiſe nach Bruſſa und dem Olympos. Peſth, 1818. S. 76. **) Vergl. Ruſſegger, Reiſen. Stuttgart, 1843. Bd. 1. Th. 2. S. 534–41. – 197 – zurück, ſo daß man dieſe Region mit Recht die des Gneiß nennen kann. Einzelne Strecken des aufwärts ſteigenden Pfades werden anſehnlich ſteil, ſchräg abgeflachte und horizontale Abdachungen zeigen ſich ſeltener. – Im oberen Abſchnitte dieſer Region treten die bis dahin überwiegend geweſenen Laubhölzer allmälig immer mehr und mehr zurück, um immergrünen Coniferen Platz zu machen, die end- lich die dritte Region vollſtändig einnehmen. Unter ihnen zeichnet ſich beſonders Pinus Laricio durch ſeine gedrängten Büſchel mit drei Zoll langen Nadeln vortheilhaft aus; weiter oben wird er durch die Weißtanne, Pinus picea, verdrängt, aus welcher man Terpenthin und Harz in bedeutender Maſſe gewinnt. Dieſe Tanne bedeckt noch die oberſte Platte der dritten Region bis zur Baſis des vegetations- loſen höchſten Kegels, deſſen Höhe ſich auf 1500 über jener Platte ſchätzen läßt. In einer Höhe von 3500 geſellen ſich zu den Weiß- buchen einzelne Rothbuchen hinzu, und vereinzelte feuchte Stellen ſind mit Erlengebüſch reichlich bewachſen. Unter ihnen grünt Par- nassia palustris, Hypericum rhodopeum und olympicum. Die hier allgemein verbreiteten Ciſten müſſen im Frühlinge durch ihre ſchönen Blüthen zum Schmucke des Berges weſentlich beitragen; mit Saamenkapſeln maſſenhaft ausgeſtattet fand ich Cistus villosus, salvifolius und lancifolius. Außerdem ungemein häufig Alche- milla vulgaris, Trigonella und Viola montana. Die im Norden von Europa überwiegende gemeine Kiefer, Pinus sylvestris, zeigt ſich hier nur ſelten und bleibt in dem unteren Abſchnitte der Nadel- holz-Region. – Die Höhe dieſer zweiten Region läßt ſich gleichfalls auf 2000 ſchätzen. Dritte oder Coniferen-Region. – Subſtrat: Granit, der hier grobkörnig allenthalben zu Tage tritt. – Sie bildet in ihrem oberſten Abſchnitte eine anſehnlich breite faſt horizontale Fläche, die mit zahlreichen, zerſtreut herumliegenden, mächtigen Gra- nitblöcken an manchen Stellen gleichſam überſäet iſt, zwiſchen denen ein weißglänzender Quarz in unzähligen Fragmenten ausgeſtrent den Bo- den deckt. Die ſchon erwähnten Wachholder-Arten nehmen, in großen Neſtern zuſammengeſtellt, einen bedeutenden Theil der ſteinfreien Boden- fläche ein. Die Tannen ſtehen in dieſer Hochebene weniger dicht zuſam- men; augenſcheinlich ſind ſie der zerſtörenden Hand der Menſchen hier leichter zugänglich geweſen, als an den ſteileren Bergabhängen. Die vereinzelten Bäume werden gleichzeitig niedriger, verkümmerter, – 198 – aber eigentliches Knieholz trifft man nirgends an. Auffallend bleibt es immer, daß hier unter dem 40. Grade nördlicher Breite ſchon mit einer Höhe von 6500 jede Baum- und Strauch-Vegetation aufhört. Der gänzliche Mangel einer Humus-Decke auf dem derben Sandſtein ſcheint hierbei beachtet werden zu müſſen. – Die dem äußeren Rande der Ebene zunächſt liegenden Granitblöcke zeigen hier und da ſo barocke Formen, daß die rege Phantaſie eines Märchen- ſchreibers hier reichen Stoff zu neuen Dichtungen finden könnte. Einen Verſuch der Art hat Hr. v. Hammer*) bereits geliefert. Man kann dieſe Region des vorherrſchenden Granit's auf 2500' Höhe ſchätzen. Sie erhebt ſich ſehr langſam bis zu dem Fuße des letzten Kegels. Dieſer bildet demnach die vierte Region oder die Bergſpitze. Sie iſt faſt vegetationslos; Seſtini fand hier oben außer Steinflechten nur noch Nardus stricta und andere verküm- merte Gramineen. Als wir in dieſer Höhe angekommen waren, ſank die Luft- Temperatur, welche in der Ebene um 6 Uhr Morgens + 8° R. betragen hatte, bis auf + 2° R. herunter. An dieſem höchſten Rande der Granit-Region hatte ich mit einem frugalen Frühſtücke die letzte Vorbereitung zur Erſteigung der Spitze des Berges ge- macht, als dieſe ſich unerwartet mit einer dunkeln runden Wolke hutförmig bedeckte. Dieſe Nebelkappe überzog den vor uns liegenden Kegel in raſchem Fortſchreiten bis zum Fuße, und wickelte uns endlich in einen zwar feinen aber dichten Regen ein. Da dieſer es unmöglich machte, umher zu ſehen, ſo blieb uns nichts weiter übrig, als die erſehnte Erſteigung der Bergſpitze aufzugeben. Doch war ſo viel Zeit vorhanden, die Ueberzeugung zu gewinnen, daß der noch vor uns liegende letzte Kegel aus dichtem Sandſtein und aus Quarz beſteht. Letzterer ſoll, wie Hr. Dr. Thirk verſicherte, hier und da Goldadern zeigen. Es wird ſomit ſehr wahrſcheinlich, daß in einer frühern Bildungs-Periode vulkaniſche Gewalten die coloſſale Granitmaſſe des Olymp's in die Höhe getrieben, mit ihr aber zu- gleich auf ihrem Scheitel eine 1500 hohe Sandſteinmaſſe gleich einer Krone nach oben gehoben habe. Auf dieſe Weiſe läßt ſich auch die Umhüllung der erſten Region mit einem Mantel von dichtem Kalk genügend erklären. – Der Regen begleitete uns nach *) A. a. O. S. 79. – 199 – abwärts bis in den obern Abſchnitt der erſten Region. Von dort ab trafen wir wieder dieſelbe heitere Atmoſphäre, welche uns am Morgen nach oben geleitet hatte. Doch behielt die von der Ebene aus betrachtete Bergſpitze den größeren Theil des übrigen Tages hindurch ihre ſchwarze Kappe, und ließ es alſo nicht bedauern, daß wir oben nicht im Regen ausgeharrt hatten, um eine etwaige Luft- klärung abzuwarten. – Proben der erwähnten Geſteine ſind in dem - mineralogiſchen Muſeum der Univerſität zu Bonn von mir nieder- gelegt worden. Von der Spitze des Olymp ſagt v. Hammer, daß dort die Ruinen eines ehemaligen griechiſchen Kloſters ſichtbar ſeien; neuere Reiſende wollen dergleichen nirgends bemerkt haben. Der türkiſche Name „Mönchsberg“ würde ſich leichter erklären laſſen, wenn ſie auf ſeiner Spitze ein ſolches Gebäude etwa gefunden haben ſollten. Nun iſt es aber hiſtoriſch gewiß, daß ein Kloſter auf dem Olymp vorhanden war; nicht ſo gewiß iſt ſein ehemaliger Standpunkt. Kaiſer Conſtantin II. beſuchte es und der Abt des dem Märtyrer Athenogenes geweihten Kloſters zeigte ihm ein Diplom des Kaiſers Leo, ſeines Vaters, vor, welchem vorausgeſagt worden, daß ſein Sohn bald nach ſeinem Beſuche des Olymp ſterben werde. Letzterer Umſtand trug vielleicht dazu bei, daß Conſtantin II. wirklich bald darauf ſtarb. Der oberſte Abſatz des Berges läuft in zwei Spitzen aus, zwiſchen denen ſich eine ſattelförmige Vertiefung vorfindet. Einige Türken behanpten, daß ſich hier oben das Grab eines Mön- ches vorfinde. – Den Nilufer, welcher während ſeines Laufes durch die Ebene von Bruſſa die Waſſer des Olymp aufnimmt, läßt v. Hammer nicht aus dem Olymp ſelbſt, ſondern aus dem Ge- birge Boſaghan entſpringen, welches durch das Thal von Adra- nos vom Olymp getrennt iſt. Letzteres trägt ſeinen Namen davon, daß Kaiſer Hadrian hier eine Stadt anlegte, welche ſeinen Na- meu trug. Einwohnerzahl der in Weſtaſien durchreiſten Provinzen. – Der Boden der Ebene und ſeine Erzeugniſſe. – Ein in der Ebene durch Erdbeben zerſtörtes Dorf. – Ritt nach Gemlik. – Das Katerlü-Gebirge. – Die durch Feuers- brunſt in Aſche gelegte Stadt. – Rückkehr nach Stambul. Den 15. Oktober hatte ich zur Rückreiſe von Bruſſa nach Conſtantinopel beſtimmt, indem ich mich des an dieſem Tage – 200 – von Gemlik abgehenden Dampfſchiffes zu bedienen beabſichtigte. Vorher veranlaßte mich ein Umblick auf die durchwanderten Gegen- den Weſt-Aſien's, die im Berhältniſſe zu früheren beſſeren Zeiten ärmliche Bevölkerung derſelben näher ins Auge zu faſſen. Die türkiſche Regierung hatte im Laufe des Jahres 1856 eine Volks- zählung im Staate angeordnet. Einen Theil der Reſultate derſelben hat ſpäterhin Hr. Dr. Mordtmann*) veröffentlicht. Hiernach zählt: 1. Der Diſtrict Brufſa in 128 Gemeinden 152,907 Einwohner. 2. Die Provinz Bruſſa im General-Gouvernement Chudavendigiar (Chodawendkar nach v. Hammer), deſſen Haupt- ſtadt Bruſſa iſt, enthält in 858 Gemeinden 395,925 Einwohner. 3. Der Diſtrict Iskimid (Jsmid, Iznikmid, Nikomedien) umfaßt in 80 Gemeinden 35,400 Einwohner. 4. Der Diſtrict Isnik (Nicäa) in der Provinz Bruſſa wird durch 34 Gemeinden mit 13,899 Einwohnern zuſammengeſetzt. Vergleicht man jene dürf- tigen Ziffern mit dem Reichthum des Bodens und der Gunſt des Klima's, wirft man zum Ueberfluſſe auch wohl noch einen Blick auf die geſchichtlichen Ueberlieferungen über die in früher Zeit hier zahlreich blühenden Städte mit ihren maſſenhaften Einwohnerzahlen, ſo muß man zu dem niederſchlagenden Reſultate gelangen, daß das herrliche Land unter der Herrſchaft der Türken entvölkert und in einen Zuſtand von Marasmus verſetzt worden iſt. – Die gegenwär- tigen Bewohner ſind durchſchnittlich milde geſinnt, kommen den Fremden freundlich entgegen, und ich habe der Schutzwaffen hier nirgends bedurft, ohne welche ich in der europäiſchen Türkei zu reiſen nicht wagen durfte. – Die Atmoſphäre von Bruſſa fand ich in der dort verlebten erſten Hälfte des Oktobers ausgezeichnet rein, elaſtiſch und milde. Sonnen-Auf- und Niedergang warfen täglich eine ſolche zauberiſche Beleuchtung auf die Landſchaft, daß ich, in ihr Anſchauen verſenkt, oft jede andere Beſchäftigung darüber vergaß. Auch Hr. Dr. Thirk erklärt den Herbſt für den genuß- reichſten Jahres-Abſchnitt. Aber Hr. Prof. Griſebach*) hatte das Glück, in der erſten Hälfte des Mai durch ganz Bithynien eine Durchſichtigkeit der Atmoſphäre und Bläue des Himmels zu finden, welche die Conturen ferner Berge ſcharf erſcheinen ließen, und wobei eine milde, liebliche, friſche Luft den ganzen Tag gleichſam *) Petermanns geographiſche Mittheilungen. Jahrgang III. S. 89. *) A. a. O. S. 98. - 201 – in einen fortgeſetzten Sonnenaufgang verwandelte. Aus dem dunklen elaſtiſchen Laube blühender Sträucher ſchlugen zahlloſe Nachtigallen. Auf dem Olymp fingen damals die Kaſtanien freilich erſt an aus- zuſchlagen. Seſtini traf Ende Mai's und Anfangs Juni abwech- ſelnd Regengüſſe und unwiderſtehliche Hitze an, auch nennt er die Luft drückend und ſchwül; er wohnte aber in einem türkiſchen Chan mitten in der Stadt. – Die zum Lebensunterhalte unentbehrlichen Materialien kann man ſich mit geringem Aufwande leicht verſchaffen. Das Fleiſch der auf dem Olymp geweideten Thiere iſt beſonders ſaftig. Forellen liefern die Bäche des Olymp in Menge; die der ſogenannten vierzig Quellen ſollen die ausgezeichnetſten ſein. Hechte und Karpfen ernährt der anſehnliche See von Mualitſch reichlich. Die von dieſem See aus ſich nach Bruſſa hindehmende ſchöne Ebene hat in der Richtung von Süd nach Nord ſechs Stunden Länge und faſt eben ſo viel Breite; ſie geht unmittelbar in die von Bruſſa über. Die Türken nennen die Ebene von Bruſſa das Feld von Filah dar. Ich durchritt dieſe Ebene auf dem Wege nach Gem- lik, zum Theil im Trabe, bis an das Gebirge innerhalb zwei Stunden; zum Ueberſteigen des Katerlü-Gebirges, des Argantho- nios der Griechen, welches etwa 1000 hoch iſt, brauchte ich drei Stunden; während dieſer war zwanzig Minuten geraſtet worden. Wir haben es hier mit einem Uebergangs-Gebirge zu ihun, welches aus Grauwacke beſteht, die an vielen Stellen von Thonſchiefer über- lagert wird. Es iſt ein Ausläufer des höheren Sſamanlü-Ge- birges, deſſen Höhe Hr. Griſebach, der es zwiſchen Jalova und Baſardſchyk überſtieg, auf 2500 ſchätzt. Es umkränzt das nord- weſtliche Ufer des See's von Nicäa und bildet auf dieſem Wege mehrere Nebenketten. Dieſer Hauptſtock des Gebirges ſcheint bei den Griechen vorzugsweiſe den Namen des Arganthonios ge- tragen zu haben. Die Landſtraße von Bruſſa nach Gemlik iſt über eine halbe Stunde lang, rechts und links durch Bäume und Hecken angenehm eingefaßt. Von dort aus windet ſie ſich aber ohne irgendeinen Schutz von Seiten einer Vegetation über die Ebene hin. Nicht blos Stoppelfelder, die Getreide getragen hatten, fanden wir, ſondern auch weit ausgedehnte Weingärten. Den Nilufer, welcher in dieſem Augenblicke vollſtändig ausgetrocknet war, überſtiegen wir auf einer – 202 – ſchlechten hölzernen Brücke. Hr. Griſebach fand Anfangs Mai die Ufer dieſes Fluſſes weithin überſchwemmt und mußte auf dem- ſelben Wege eine verſumpfte Strecke durchreiten. – Das ungefähr in der Mitte der Ebene liegende Dorf Demirtaſch fanden wir vom vorjährigen Erdbeben noch ſtärker heimgeſucht als Bruſſa ſelbſt. Kaum eines ſeiner hölzernen Häuſer war ſtehen geblieben und erſt jetzt hatte man ſich ſo weit ermannt, zum Wiederaufbau zu ſchreiten. Andere Häuſer lagen noch in Trümmern. – Die Landſtraße über den Berg fanden wir gut unterhalten; auch begegneten wir meh- reren Zügen von beladenen Laſtthieren, die die Erhaltung der Land- ſtraße um ſo nothwendiger erſcheinen laſſen. Zu beiden Seiten derſelben treten anſehnliche Strecken bloßliegenden Geſtein's hervor, denen eine Humusdecke gänzlich fehlt. Der nach Bruſſa hinſchauende ſüdweſtliche Abhang des Berges iſt weniger ſteil als der nordweſt- liche. Auf der Höhe des Berges findet ſich eine Mühle, mit einigen Nebenhäuſern angebaut. Ungefähr in der Mitte des nördlichen Abhanges folgt dann ein Derwend mit einem Militärpoſten, der zugleich als Kaffehaus dient. Während des Raſtens in demſelben fielen mir einige Marmor-Fragmente auf, die man zu häuslichen Zwecken benutzte, weil ſie das griechiſche Kreuz ſo eingegraben trugen, daß die gute Arbeit einer vortürkiſchen Zeit angehören mußte. Viel- leicht hatten ſie einer jetzt verſchwundenen griechiſchen Kirche ange- hört. Am Ufer des Meeres angekommen, fanden wir das erwartete Dampfſchiff bereits unfern eines großen Hofes mit mehreren Ge- bäuden vor Anker liegen. Der Gedanke lag nahe, ſich direct in eine der vorhandenen Barken einzuſchiffen, um den Dampfer in wenigen Minuten zu erreichen. Ein hier ſtationirter alter Po- lizei-Soldat machte uns jedoch begreiflich, daß wir durchaus nach dem eine kleine halbe Stunde von hier entfernten Gemlik reiten müßten, um dort unſere Päſſe vorzuzeigen. Dort überzeugten wir uns freilich, daß es ſich nur darum gehandelt hatte, auf dem Paß-Bureau eine Abgabe zu zahlen, die wir in dem erwähnten Hauſe gern doppelt entrichtet haben würden, wenn man uns den anſehnlichen Umweg erſpart hätte. Dennoch gewährte dieſer Umſtand den Vortheil, daß die Seeküſte in genaueren Augenſchein genommen werden konnte. Ihre ganze Außenſeite deutete darauf hin, daß das hieſige Klima ein merklich milderes, als das von Bruſſa ſein muß. Herrliche kräftige Oelbäume decken den unteren Saum des Bergabhanges – 203 – allenthalben; ſie erinnerten mich an ähnliche ſchöne Bäume, die ich ehedem bei San Remo, zwiſchen Nizza und Savona geſehen hatte. Bekanntlich entwickelt der Oelbaum das Bild der Kraft nur ſelten an ſolchen Stellen, die ſeinem Gedeihen ganz beſonders zuſagen. Unter den Oelbäumen grünt hier Piſtaziengebüſch behaglich. Die von der Cultur nicht eingenommenen Strecken werden von der graziöſen Pinus maritima eingenommen, zwiſchen deren Stämmen ſich aber auch der dornige Paliurus australis hervordrängt; Pyrus salicifolia gewährt dazwiſchen eine angenehme Abwechſelung, auch zeigt ſich Quercus coccifera mitunter. Die allenthalben ſichtbar werdende fleißige Garten-Cultur veranlaßte mich, nach den Ein- wohnern zu forſchen, die dieſen Fleiß entwickeln und erfuhr, daß ſie vorherrſchend Griechen ſeien. Das Städtchen Gemlik, welches etwa 8000 Einwohner zählt, die von Schiffahrt und Handel leben, iſt faſt nur von Griechen bewohnt. Es lehnt ſich maleriſch gegen die Berghöhe des innerſten geſchloſſenen Endes des Golfes von Mudania oder Gemlik. Dieſe Griechen nennen es Kios, bei den Kreuzfahrern hieß es Kibotos; es ſoll zur Zeit der Blüthe Bruſſa’s eine anſehnliche Handelsſtadt geweſen ſein. König Pru- ſias hatte es nämlich wieder aufgebaut, als es durch die Perſer zur Zeit des Darius zerſtört worden war. Auch war der Ort ſo ſtark befeſtigt, daß er nach dem Falle von Bruſſa dei Türken noch drei Jahre widerſtand. Er liegt, wie oben bemerkt, 7000 Schritte von dem ſüdlichen Ende des See's von Nicäa entfernt. Leider fand ich ihn durch eine Feuersbrunſt, die vor wenigen Monaten hier gewüthet hatte, dem größeren Theile nach in Aſche verwandelt. Der Anblick dieſer Zerſtörung war ein höchſt trauriger; nur eine geringere An- zahl der dem Meere nahe gelegenen Häuſer war bereits aus der Aſche wieder erſtanden. Unter dieſen hob ſich ein zweiſtöckiger Gaſt- hof beſonders hervor, der durch die lebhaften Farben ſeines An- ſtriches, weiß und blau, weithin leuchtete. Die meiſten Einwohner lebten jedoch noch unter Zelten oder Baraken, die man vor der Stadt aufgeſchlagen ſah. – Die Sonne ſank bereits hinter das Gebirge, als wir endlich, mit einer anſehnlichen Geſellſchaft zu- ſammen, die Barke beſteigen durften, welche uns dem fernliegenden Dampfſchiffe zuführen ſollte. Auf dieſem trafen wir bereits eine ſehr lebhafte Bewegung; doch lichtete es die Anker erſt ſpät. Nach Mitternacht hielt es bei Mudania, dem alten Apamaia, an. – Z04 – Die Dunkelheit verhinderte, etwas von ihm gewahr zu werden; doch ſoll die Umgegend fleißig cultivirt ſein. Da der Weg von Bruſſa nach Mudania um etwa eine Stunde kürzer iſt, als der nach Gemlik, ſo ſuchen die dortigen Pferdeverleiher die Reiſenden zu dieſem kürzeren Ritte zu veranlaſſen. Hiermit iſt indeſſen der Nachtheil verbunden, während der Nacht entweder am Meeresufer des Dampfſchiffes harren zu müſſen, oder Unterkommen zu ſuchen in einem ſchlechten, theuern Wirthshauſe, welches von Inſecten aller Art ſchon hinlänglich bevölkert iſt. In der erſten Kajüte des Schiffes ging dagegen die Nacht ganz erträglich, und nicht ohne lebhafte Unterhaltung, hin. Das Meer blieb eben ſo ruhig, als es ſich früher, bei der Ueberfahrt nach der aſiatiſchen Küſte, gezeigt hatte. Bei dem Herannahen an Conſtantinopel entwickelte die Stadt abermals mit ihren herrlichen Umgebungen den Glanz, welcher ſie zu einem der hervorragendſten Punkte der bewohnten Erde macht. WW. Gewächſe, welche entweder hervorragenden Einfluß auf die Begeta- tionsanſichten üben, oder die von den Einwohnern vorzugsweiſe cul- tiwirt werden. – Beiträge zur herbſtlichen Plora. Bie dem Gebiete der herbſtlichen Flora entnommenen fol- genden kurzen Notizen können nur inſofern auf einige Beachtung Anſpruch machen, als ſie ſich auf ſelbſt Geſehenes beziehen. Die Naturforſcher, welche die üppige Fülle der Vegetation des Orients kennen lernen wollen, müſſen dazu den Frühling und Anfang des Sommers wählen; auch iſt dies in der Regel geſchehen, und ſol- chen Beobachtungen verdanken wir u. A. das treffliche Werk des Hrn. Prof. Griſebach. Die herbſtliche Flora zieht ſich vor den ſengen- den Strahlender Sonne des hohen Sommers entweder in den Schutz der wenigen Waldungen zurück, die der zerſtörenden Hand der Menſchen bisher entgangen ſind, oder ſie ſuchen feuchte Gründe an den Ufern der Flüſſe, die Inſeln der Donau u. ſ. w. auf. Es iſt mühſam, und bietet in der Regel nur ſpärlichen Lohn, ihr dorthin zu folgen. Nur in dieſer Hinſicht dürfen an und für ſich geringfügige Beobachtungen der Art vielleicht auf Nachſicht rech- nen. – Einige Gewächſe, die auf die Phyſiognomie der bereiſten Länder weſentlichen Einfluß ausüben, konnten nicht übergangen werden, obgleich ihre Blüthe in eine andere Jahreszeit fällt, alſo höchſtens ihre Früchte beobachtet werden mochten. Die Beachtung an- derer wurde durch ihren allgemeinen Gebrauch wünſchenswerth und mit ihnen wird hier der Anfang gemacht werden. Die wilde Rebe. – Nach dem einſtimmigen Urtheile der Botaniker, welche die Hochebenen Armeniens durchwandert haben, findet ſich die wilde Rebe dort am weitverbreitetſten und üppig- ſten vor, um ſich über Gruſien, Kachetien and Lesghien auszu- – 206 – breiten. Tournefort, Güldenſtedt, Biberſtein und Parrot fanden ſie zwiſchen dem Ararat, dem Kaukaſus und Taurus. Von dort aus ſcheint die Rebe ohne menſchliche Beihülfe den Weg über die ſüdlichen Ufer des ſchwarzen Meeres hinaus, über den Bos- porus, an die Ufer der Donau hingefunden zu haben. Der nörd- lichſte Punkt, an welchem ich die wilde Rebe vorfand, boten die Gebirge in der Umgebung von Mehadia dar, wo ihrer bereits er- wähnt wurde (Bd. I, S. 59). Ebenſo ſah ich ſie dann in dem Walde von Belgrad und an den Ufern des Bosporus, wo ihr irgend Schutz ge- währt wird, häufig. Dieſe wilde Rebe bringt ſaftloſe, für Men- ſchen ungenießbare Trauben. Die untere Seite ihrer Blätter iſt mit einem grauen weichen Filz überzogen. Durch die Cultur kann dieſe Filz-Bedeckung vermindert, oder zuletzt auch bis auf einen unmerklichen Reſt vertilgt werden. Die durch ſorgfältige Cultur hervorgebrachten edleren Sorten der Rebe ermangeln jenes Filzes. Hr. Prof. Koch*) fand eine große Aehnlichkeit zwiſchen dieſer wil- den Rebe des Orients und der nordamerikaniſchen Vitis Labrusca L. Ihre Ranken ſind kurz, befähigen ſie aber dennoch, an den Bäu- men hoch aufzuſteigen und maleriſche, lianenartige Gehänge zu bil- den. Hr. Kolenati *) zählt 1400 Spielarten von Reben auf der Erde. Unter dieſen befinden ſich 48 kaukaſiſche und gruſiſche. Er beſchreibt die ſeit uralter Zeit dort gebräuchliche Art der Wein- Bereitung, führt auch die Vorzüge auf, welche die aus Büf- fel- oder Ziegenfell bereiteten Schläuche vor den Tonnen voraus haben. Die araratiſchen oder armeniſchen Weine ſind pomeranzen- gelb, ſüß-balſamiſch, von durchdringendem Geruche. Die edelſte kachetiſche Rebe, sapiranica praecox und major, liefert in den Gärten von Tiflis einen dunkeln Saft, mit dem die Damen dort zu ſchreiben pflegen. Die Herrſchaft des Korans, welcher den Wein-Genuß den Gläubigen verbietet, hat die Cultur der Rebe allenthalben, wohin jene ſich ausbreitete, entweder vertilgt oder doch auf eine niedere Stufe hinabgedrückt. Daß der Prophet volle Ur- ſache hatte, ſeinen Anhängern den Weingenuß zu verbieten, wird Niemand leugnen wollen, der die damals allgemein vorherrſchende - - s *) Reiſe in den Orient. S. 76. - *) Bereiſung Hoch-Armeniens und Eliſabethopols. Dresden, 1858. Mit 10 Holzſchn. S. 122 u. f. - - - - Unmäßigkeit in demſelben kennt. Petrarca*) hat uns u. A. ein kurzes, aber ſprechendes Bild der Wirkungen des Weins hinter- laſſen, wie ſie ſich bei einem hohen Geiſtlichen ſeiner Zeit äußer- ten, der zu dem Entſtehen des Sprichwortes Veranlaſſung gab: „bibamus papaliter!“ Von dieſem ſagt er: „Vinomadidus, aevo gravis, ac soporifero rore perfusus, jamjam nutitat, dor- mitat, jam somno praeceps, atque (utinam solus) ruit“. – – – Den chriſtlichen Bewohnern des Landes, welche bis heute fortfah- ren, ſich mit der Cultur der Rebe zu befaſſen, fehlt es an Abſatz- Wegen, um ihr Product zu verwerthen, dem ſie deshalb geringe Sorg- falt zuwenden. Dieſer Sorgloſigkeit zum Trotz liefert die Rebe dennoch in der Nähe ihres urſprünglichen Vaterlandes ſehr aner- kennenswerthe Producte. Da die Schläuche, in welchen man den Rebenſaft aufbewahrt, inwendig in der Regel geharzt ſind, ſo löſt der Wein einen Theil dieſes Harzes auf. Der echte Cypern-Wein wird an ſeinem Harzgeſchmack erkannt. Man ſagte mir, daß die- ſer Harzgehalt bei den Griechen nicht ſelten die Bright'ſche Nie- renkrankheit hervorbringe. – Was deutſcher Fleiß hier aus der Rebe zu machen verſteht, beweiſt in der jetzigen Zeit beſonders der Wein von Bruſſa. Tabak, Opium und Hadſchiſch. – Der unter den Türken jetzt bis zum höchſten Exceß ausgedehnte Gebrauch des Tabakrau- chens hat erſt im 17. Jahrhundert unter ihnen begonnen. Noch 1633 verbot Sultan Amurad ihn bei Todesſtrafe, mit eben ſo geringem Erfolge, als dies früher ſchon in Perſien geſchehen war. Nur die Sihks, eine religiöſe Secte in Lahore, verachten den Ta- bak als verunreinigend. Ebenſo die Wahabiten. – Der etwas wohlhabende Türke legt ſeinen Tſchibuk vom frühen Morgen bis zum Abende nur während des vorgeſchriebenen Gebetes, oder bei unabwendbaren Abhaltungen zur Seite. Schon um 7 Uhr Mor- gens ſah ich die Muſelmänner häufig vor oder in den Kaffehäu- ſern ſitzend, den Rauch von ſich blaſen, indem der dämmernde Blick in eine unbeſtimmte Ferne hinausſchweift. Auch iſt dies allenthalben ebenſo, wohin ſich die Türken ausgebreitet haben. Hr. - *) Sadé, Mémoires sur la Vie de Petrarque. T. I. pag. 259. II. not. XV. pag. 13–16. - - - - 208 = Aubert-Roche*) ſchreibt: „Je me bornerai, seulement à dire, que fumer etprendre du café, est aussi indispensable pour le habitant de la mer rouge, que manger et dormir.“ Ein unberechenbarer Verluſt an Zeit und Arbeits-Kapital wird auf dieſe Weiſe geſchaffen und man übertreibt gewiß nicht, wenn man dieſe allgemein verbreitete Manie für das Rauchen als eine der bedeuten- deren Urſachen des Sinkens des türkiſchen Reiches betrachtet. Wo ich in Kleinaſien auf Tabaks-Pflanzungen ſtieß, war es immer nur Nicotiana Tabacum, welches man hier, wie in einem großen Theile Europa's, angepflanzt hatte. Die beſte Sorte deſſel- ben ſoll von Ladakieh, dem alten Laodicea, herkommen. Dieſer tür- kiſche Tabak, Tutun, kann indeſſen für das Narghilé nicht gebraucht werden. Man bedient ſich dazu des perſiſchen Tabaks, der nach Lindley von der Nicotiana persica gewonnen wird*), deren grünlich weiße Blüthe ein feines Aroma ausduftet. Die Perſer ſind aber auch die Feinſchmecker unter den Tabaksrauchern. Sie pflegen ihren Tabak vor dem Gebrauche mit Roſenwaſſer anzufeuch- ten, vermengen ihn auch wohl mit Specereien oder aromatiſchen Kräutern. Ebenſo ſind ſie es, welche die Waſſerpfeife, das Narghilé (Nargil, Nardschili, Galyoun, Khalioun) zuerſt in Gebrauch brach- ten; von ihr iſt die Hucka der Hindu's, Gurgorri oder Gurguru, wenig verſchieden. Den Perſern iſt der Tabak noch weniger ent- behrlich geworden, als den Türken. Jacques Morier *) bil- det einen reitenden Perſer ab, neben deſſen Pferd ein das Narghilé tragender Diener her läuft, indem der Reiter, mit Hülfe eines lan- gen biegſamen Rohres, ununterbrochen fortfährt, den Rauch durch das Waſſer des dazu beſtimmten Gefäßes nach aufwärts zu ziehen. Die Einrichtung einer ſolchen Waſſerpfeife iſt ſo häufig beſchrieben und abgebildet worden, daß dies hier nicht wiederholt zu werden braucht. Jedenfalls gewährt ſie den Vortheil, daß der Tabaks- dampf nicht blos abgekühlt, ſondern auch mit etwas Feuchtigkeit be- *) Essaisur l'acclimatement des Européens dans les pays chauds. Paris, 1854. pag. 97. *) S. Edwards botanical Register. New Series. Vol. VI. Plate 1592. *) Voyage en Perse, en Arménie, en Asie-mineure etc. à Constan- tinople. Enrichi de XXIV planches. Traduit de l'Anglais par M. E... Paris, 1813. Tab. L. – 269 - laden, dem Munde zugeführt wird. Hierin mag es liegen, daß die meiſten Europäer im Orient das Narghilé dem Tſchibuk vorziehen. Mir iſt indeſſen das gurgelnde Geräuſch ſtets widerwärtig aufge- fallen, welches die durch das Waſſer aufſteigenden Dampf-Blaſen erzeugen. – Die Species des Tabaks, welche das meiſte Nicotin enthält, ſoll übrigens nach Batſch Nicotiana glutinosa ſein. Zum Schnupfen wird der Tabak nur von Wenigen gebraucht. – In der Regel bringt das übermäßige Tabakrauchen zuletzt Mangel an Eßluſt, Trägheit der Darmverrichtungen, einen hohen Grad von Gleichgültigkeit, Widerwillen gegen körverliche und geiſtige Anſtren- gungen hervor. Der Gebrauch des Opium's, der ehedem zu Conſtantinopel in erſchreckender Weiſe überhand genommen hatte, iſt durch die ſtren- gen Maßregeln der Regierung jetzt wenigſtens ſo weit beſchränkt worden, daß man in den öffentlichen Café's nichts mehr davon gewahr wird. Doch ſoll es noch Schlupfwinkel für dieſen im höch- ſten Grade entnervenden Genuß geben, die der ſchwachen Polizei zu entgehen wiſſen. Immerhin iſt es erfreulich, zu ſehen, daß es den Türken gelungen iſt, zu derſelben Zeit den depotenzirenden Ge- nuß des Opiums zu beſchränken, in welcher die Engländer China durch Waffengewalt zwangen, ihnen die Einfuhr des berauſchenden Giftes zu geſtatten, damit engliſcher Handel das Uebergewicht über Menſchenwohl davontragen möge. Sind es doch nur Barbaren, deren Vergiftung man auf ſolche Weiſe begünſtigte. – Erwähnens- werth ſcheint es noch, daß man im Orient Betrübten die Mohn- pflanze als ein Sinnbild der Theilnahme darbietet, welche den Schmerz ähnlich dem Opium lindere. Hr. Dr. Rigler*) hat ſich das Verdienſt erworben, den Stand des Opiumgenuſſes in Con- ſtantinopel, wie er ſich um die Mitte des gegenwärtigen Jahrhuu- derts geſtaltet hatte, genauer darzuſtellen. Es gibt immer noch unverbeſſerliche Opiumraucher, die entweder ein reines Stück einge- dickten Mohnſaftes auf ihren glimmenden Tabak legen, oder ihm eine Unterlage von Ambra, Moſchus, Roſenöl und Gummiſchleim zuvor geben, die man Kurs nennt. Andere bringen das Opium unter Pillenform in den Magen; man nennt ſie Tiraki. Wenn dieſe Menſchen durch fortgeſetzten mehr und mehr geſteigerten Ge- *) A. a. O. Eh. I S. 222 u. f. – 210 – nuß in einen Zuſtand tiefer Erſchlaffung gefallen ſind, ſo haſchen ſie nach neuen Reizmitteln, welche die Wirkungen des Opiums noch höher treiben ſollen. Wir erfahren durch Hrn. Dr. Rigler, daß dazu ſogar der Queckſilber-Sublimat benutzt wird. Man läßt ihn mit dem Opium entweder zu Pillen formiren, oder verſchlingt beide Sub- ſtanzen von einander geſondert. Der Magen kann ſich nach und nach auch an die Wirkung des ätzenden Giftes gewöhnen. Man weiß ja, daß es in Steyermark Menſchen gibt, welche Arſenik ver- ſchlucken, – um fett zu werden oder das jugendliche Anſehen zu verlängern! Dies kann Jahre lang ertragen werden; das letzte Ende eines ſolchen das innerſte Mark des Lebens unterwühlenden Gebrauches iſt aber endlich die höchſte Apathie und unheilbare Waſ- ſerſucht. Daß der Gebrauch des Opiums unter allen Schichten der Geſellſchaft bekannt iſt, beweiſt der Umſtand, daß mehrere Solda- ten invalidiſirt werden mußten, die ſich dadurch zu Grunde gerichtet hatten. Von dem Gebrauche des Hanfs als Berauſchungsmittel, dem Hadſchiſch, iſt mir in der Türkei keine Kunde zugekommen. Auch vermochte Hr. Dr. Rigler*), als er ſich des Harzes des Hanfes als Heilmittel bedienen wollte, es dort nicht aufzufinden. Doch verſichert er, daß es zu ſeiner Zeit drei Kaffehäuſer gegeben habe, in welchen Hadſchiſch geraucht wurde. Bekanntlich liefert nur die in Indien und Arabien wachſende Cannabis indica das berau- ſchende Harz. Sie iſt höchſt wahrſcheinlich nichts als eine Varietät unſeres gemeinen Hanfes, der Cannabis sativa, welche im heißen Klima jenes Harz ausſchwitzt. Der Nachtheil, welcher von dem Gebrauche dieſes Berauſchungsmittels ausgeht, iſt leichter vorüber- gehend als der des Opiums, äußert auch keine verſtopfende Wirkung und ſoll ſogar die Eßluſt ſteigern. Es giebt Betrüger, welche dem Volke vorſpiegeln, das Geheimniß (Esrar) zu beſitzen, durch wel- ches ihnen die Freuden des Paradieſes ſchon hier auf Erden für 24 Stunden verſchafft werden könnten. Den Kern dieſes Geheim- niſſes bildet ſtets der Hadſchiſch, der auch ſchon zu den Zeiten des Herodot demſelben Zwecke gedient zu haben ſcheint. Kaffee, Branntwein. – Der Kaffe iſt den Orientalen ein eben ſo großes Bedürfniß geworden, als der Tabak. Kaum kann *) Die Türkei und deren Bewohner. Bd. 1. Wien, 1852. S. 217uf.. – 211 – eine freundſchaftliche Begegnung ſtattfinden, ohne daß ſie durch eine Taſſe Kaffe gefeiert würde. Bei Beſuchen wird den Fremden als Zeichen der Gaſtfreundſchaft unabänderlich eine Taſſe Kaffe und der Tſchibuk dargeboten. Es wäre beleidigend und unvorſichtig, ein ſolches Anerbieten ablehnen zu wollen. Es iſt daher nichts Selte- nes, daß in einem Tage 20–30 Taſſen Kaffe genoſſen werden, aber dieſe Taſſen ſind freilich nur halb ſo groß, als die im übri- gen Europa gebräuchlichen. – Das Material zu dieſem Getränke iſt in der Regel dem, welches man im übrigen Europa benutzt, weit vorzuziehen. Der Java-Kaffe ſcheint ſeinen Weg hierher bis jetzt noch ſelten gefunden zu haben. Der zerſtoßene arabiſche Kaffe wird einfach gekocht und, ohne durchgeſeihet zu werden, in die Taſſe geſchüttet, welche gewöhnlich aus Metall, häufig von Silber, verfer- tigt iſt und auf einem kleinen Geſtelle ruht. Zucker wird zu dem Kaffe nicht gereicht; er muß in den Kaffehäuſern beſonders begehrt wer- den, iſt auch meiſtens ſchlechter Qualität. Milch findet man nirgends. Mir iſt der Genuß der zerſtoßenen Bohnen mit dem Aufguſſe ſelbſt ſtets zuwider geblieben; andere Europäer gewöhnen ſich daran, ihn wie die Türken mitzuſchlürfen, vermehren aber auch dadurch die aufregende Wirkung des Kaffe's. Auf Reiſen darf man hoffen, ſelbſt in den elendeſten Chans, die kein genießbares Brod darbieten können, wenigſtens mit einer Taſſe Kaffe gelabt zu werden. Der durch den Koran bekanntlich verbotene Genuß des Wei- nes wird von den heutigen Türken in der Regel auch jetzt noch vermieden. In den höchſten Schichten der Geſellſchaft hat er hier und da Eingang gefunden, beſonders bei den mit den Sitten des Occident's bekannt gewordenen Männern. Dagegen konnte der Branntwein von dem Propheten nicht verboten werden, weil man ihn als Genußmittel eben ſo wenig als den Tabak und den Kaffe zu ſeiner Zeit kannte. Daher wird er auch ziemlich weit verbrei- tet, unter mancherlei Formen getrunken. Der Gebrauch der Kar- toffel zu ſeiner Bereitung iſt indeſſen hier noch unbekannt; daher kommt auch die nachtheilige Vermiſchung mit Solanin nicht vor, wie man ſie allenthalben dort zu befürchten hat, wo man ſich ge- keimter Kartoffeln zum Brennen bedient. Man brennt ihn hier aus Getreide, Trauben, Pflaumen und Birnen. Mit mancherlei aromatiſchen Stoffen verſetzt, wird er dann unter dem Namen Raki verkauft. Glücklicherweiſe ſcheint ſein Genuß indeſſen immer – 212 – noch nicht ſo weit zum Exceß getrieben zu werden, als dies in vie- len Theilen des übrigen Europa's geſchieht; ich erinnere mich nicht, außer dem oben (S. 175) erwähnten Falle taumelnde Menſchen auf der Straße angetroffen zu haben. Dem beliebten Scherbeth wird für Männer der wohlhabenderen Klaſſen auch wohl ein feiner Liqueur hinzugeſetzt. Der Säuferwahnſinn ſoll kaum jemals vor- kommen. – Man genießt den Raki gewöhnlich nicht vor, ſondern nach der Mahlzeit. Salep. – Bekanntlich die Wurzel verſchiedener Arten von Orchis, wird der Salep in vielen Theilen des türkiſchen Rei- ches häufig zum Frühſtück benutzt, ebenſowohl um ſeines durch Stärkemehl bedingten kräftigeren vegetabiliſchen Nahrungsſtoffes wil- len, als auch um die durch Mißbrauch geſunkene männliche Kraft anzuregen. Man kocht das Saleppulver mit etwas Ingwer; am- bulante Köche der Art rufen den Brei ſchon ganz früh auf der Straße aus, auf der Kohlenpfanne ihn warm haltend. In Lariſſa und ganz Theſſalien fand Hr. Fallmerayer den Gebrauch allge- mein verbreitet. Dieſer ſchreibt ſich indeſſen im Orient aus dem. grauen Alterthume her; das Satyrion des Diose orides war wahrſcheinlich nichts als Salep. Man pflegte die gepulverte Wur- zel mit Ambra, Moſchus, Zimmet und Gewürznelken zu verbinden und dieſe Zuſätze ſind es, welche ihr die ſtimulirende Wirkung noch heute verleihen. In der Pharmacopoea Wirtenbergica *) befindet ſich die Vorſchrift zu einem Electuarium diasatyrium Nicolai, welchem außer jenen Gewürzen noch der Stincus marinus zugeſetzt iſt. Noch jetzt ſteht das „Knabenkraut“ in Deutſchland bei man- chen Landleuten in Anſehen; auffallend bleibt die Mittheilung Lin- né’s**), daß man in Dalekarlien mattgewordene Zuchtochſen mit den Wurzeln der Orchis bifolia zu füttern pflegt, um ihrer geſun- kenen Kraft aufzuhelfen. Die geſchätzteſten Wurzeln kommen aus Perſien, namentlich von Orchis rubra und papilionacea; der Salep von Kaſchmir wird nach Royle aus einer Eulophia ge- WOMMEN. Cypreſſen und Cedern, – Die herrlichen, im Oriente hei- miſchen Cypreſſen würden dort durch die verwüſtende Hand der *) Lausannae, 1785. T. II. pag, 50. *) Flora Suecioa, pag. 309, – 213 – Menſchen wahrſcheinlich längſt vertilgt worden ſein, wenn ſie ſich nicht unter dem Schilde frommen Glaubens hätten zu den Gräbern der Türken flüchten dürfen. Die Hügel, welche die Bucht von Balta - Liman (ehedem Phidalia) im Norden umgeben, waren vor Zeiten mit dichten Cypreſſenhainen bedeckt, und hießen deshalb Kyparodes. Ihre Spuren ſind verweht. – Das düſtere Grün und die ſtarre, regungsloſe Form der Cypreſſennadeln mag die erſte Beranlaſſung gegeben haben, ſie zum Sinnbilde des Todes zu ſtemt- peln. Eine edlere Poeſie erblickt in der trauernden Freundin der Gräber das Symbol der Freiheit, mit welcher der vom Körper ge- trennte Geiſt zum ewigen Lichte aufſtrebt. Die tadellos ſchlanke Geſtalt, welche die Cypreſſe dort ſtets behauptet, wo ſie einen ihr zuſagenden Boden fand, hat den Orientalen häufig Gelegenheit dar- geboten, ſchlanke Jungfrauen poetiſch mit ihr zu vergleichen. We- niger einleuchtend erſcheint der Gebrauch der alten Griechen, unnütze Schwätzer mit Cypreſſen zu vergleichen, deren Früchte ungenießbar ſind; letztere Eigenſchaft theilen ja tauſend andere Gewächſe mit der Cypreſſe. Leider darf ſich die edle Ceder eines ähnlichen Schutzes bei den Muſelmännern nicht rühmen. Die Ceder, welche ſich außer dem Libanon noch nirgends einheimiſch vorgefunden hat, ſchreitet dort, unter der Sorgloſigkeit der Menſchen, ihrem Ausſterben ent- gegen. Seitdem Salomo das Holz zu ſeinem Tempelbaue in Ie- ruſalem vom Libanon holen ließ, ſind ſich im Laufe der Jahrhun- derte ähnliche Cederzerſtörungen häufig genug gefolgt. Ueppige Ve- netianer ließen Cedern vom Libanon herbeiführen, um ſie in den Sumpf ihrer Lagunen zu verſenken, damit ihre Marmorpaläſte einen ſicheren und zugleich koſtbaren Boden bekämen. Ballonius fand im Jahre 1550 noch 28 Cedern auf dem Libanon, Pococke 1738 deren fünfzehn, Lamartine 1832 noch ſieben. – Im fremden Vaterlande habe ich die mächtigſten Cedern in England geſehen, na- mentlich im Garten von Kew, und in Ealing - Park bei Rich- mond. Auch im botaniſchen Garten bei Bonn gedeihen zwei jün- gere Exemplare in etwas geſchützter Stellung gut. Aber die von der Eeder gerühmte Eigenſchaft, daß ſie vor dem Schneefalle die Aeſte in die Höhe richte, genügt in England nicht, die letzteren vor dem Zuſammenbrechen unter der Wucht des Schnee's zu bewahren; in Ealing-Park hatte eine majeſtätiſche Ceder auf dieſe Weiſe einige – 214 – der ſtärkſten Aeſte verloren. Ihr ungemein dichtes Nadellaub be- günſtigt ſolche Unfälle *). Sollte vielleicht der unheimathliche Bo- den dem edlen Baume die inſtinctartige Kraft geraubt haben, die Aſtſtellung gegen den Winter hin zweckmäßiger einzurichten? Die phantaſiereichen Araber erblicken in dieſem Vorgange eine Art von Vorgefühl, ſogar von Intelligenz, des Baumes. – Jedenfalls würde es die geſchichtlich wie naturhiſtoriſch wichtige Ceder verdienen, daß eine humanere Regierung ſie auf dem Libanon fortan beſchütze. Den Rieſen unter den Nadelhölzern, die Wellingtonia, beeilt man ſich gegenwärtig, über Europa auszubreiten, um ſie vor dem Untergange durch die Barbaren ihrer Heimath zu bewahren, dem ſie bereits nahe war. Um den heilkräftigen Chinabaum hat ſich die holländiſche Regierung das große Verdienſt erworben, ihn aus Süd-Amerika, wo man einen Vertilgungskrieg gegen ihn führt, nach Java auf geſicherten Boden zu verpflanzen. Sollte nicht die herr- liche und zugleich hoch nutzbare Ceder eine ähnliche Berückſichtigung verdienen? Der Oelbaum. – Die kräftigen Oelbäume, welche ich auf dieſer Reiſe allein nur am Meerbuſen von Gemlik gefunden hatte, erinnerten mich daran, daß die Alten in ihnen die Symbole der Fruchtbarkeit, der Wohlhabenheit, des Friedens und des Glückes ver- ehrt haben. Somit iſt es charakteriſtiſch, daß ſie gegenwärtig in ſo vielen Gegenden des türkiſchen Reiches verſchwunden ſind, wo ſie ſonſt fleißig cultivirt wurden. Es war mir ſchon auffallend gewe- ſen, daß ich weder bei Nicomedien, noch bei Nicäa eines Oelbau- mes anſichtig geworden war; wahrſcheinlich fordert er an dieſen Orten eine etwas ſorgfältigere Pflege. – Schon im 52. Pſalm geſchieht des auf die Gräber gepflanzten Oelbaumes als eines Zei- chens Erwähnung, daß der hier ruhende Menſch nach dem Willen Gottes gelebt habe. Im ſüdlichen Frankreich ſoll man noch gegen- wärtig die Weihwedel hier und da aus Oelbaumzweigen bereiten, um bei der Einſegnung der Todten gebraucht zu werden. – Den Gebrauch der Römer, ihre Gränzmarken durch herum gepflanzte Oelbäume zu bezeichnen, erinnere ich mich nicht, in Italien irgend wo aufrecht erhalten geſehen zu haben. Das „extra oleas vagari“. *) Eine charakteriſtiſche Abbildung in kleinem Maßſtabe, ſ. bei Thomas Milner the Gallery of Nature. New edit. London, 1849. pag. 559. – 215 – würde dort heute kaum Jemand verſtehen. Sorgfältig gepflegte Oelbäume ſah ich auf Sicilien und in Neapel häufig mit hohen Mauern umſchloſſen und geſchützt. – Einer Landſchaft gereicht das graue Laub der Oelbäume meines Erachtens nicht zur Zierde; nur wechſelsweiſe mit grünem Laubholze angepflanzt vermögen ſie dem Auge angenehme Gegenſätze darzubieten. – Hr. Aubrey de Vere *) findet dagegen die einförmige graue Färbung der Landſchaft, welche nur Olivenbäume zeigt, ganz paſſend, um einen ernſten, nüchternen Gegenſatz zu der glänzenden Beleuchtung der ganzen übrigen Scene zu liefern; dem Auge werde es dadurch möglich, die dort ſo aus- gezeichneten Abſtufungen von Licht und Schatten beſſer zu würdigen. Mir ſind hingegen die dunkelgrün belaubten Baumgruppen ſtets als ungleich mehr geeignet erſchienen, dergleichen dem Auge wohlthuende Abſtufungen zu liefern. In der Regel kommt dieſem hierbei die Mannichfaltigkeit der grünen Färbung verſchiedenartig geformter Blätter zu Hülfe, die den Olivenpflanzungen völlig abgeht. End- lich bieten viele gealterte Oelbäume eine krüppelhafte Form dar, welche die Phantaſie unangenehm anſpricht. – Für den Naturforſcher hat außerdem der Oelbaum die weſentliche Bedeutung, daß, wo er gut gedeiht, ſicher ein mildes Klima anzunehmen iſt. Wenn er unter der Herrſchaft der Osmanen weiter ſüdwärts getrieben wor- den iſt, ſo läßt ſich daraus freilich noch nicht entnehmen, daß das Klima dort ſeit einem halben Jahrtauſend rauher geworden ſei; der Baum iſt vielleicht gegen den Verluſt „des Friedens und des Glückes“ ebenſo empfindlich, als gegen den Nordwind. Granatbäume. – Wenn die Granatbäume am Golf von Nicomedien ſo ausgezeichnet gedeihen, und der Granatapfel ſchon in uralter Zeit als ein Symbol der Liebe und der Fruchtbarkeit galt, ſo möchte man ſich geneigt fühlen, hiernach zu vermuthen, daß letz- tere an dem herrlichen Golfe ihren Lieblingsſitz aufgeſchlagen haben dürfte. Mit Unrecht; auch hier iſt ſie vor barbariſchen Machtha- bern geflohen. Indem in dieſer Hinſicht die Alten mit der „Liebe“ zugleich die „Fruchtbarkeit“ zuſammen ſtellten, verwieſen ſie die er- ſtere zugleich in die materielle Sphäre. In der That iſt des Gra- natapfels äußere Seite, mit ihren rothen Wangen, anziehender als *) Picturesque sketches of Greece and Turkey. Vol. I. London, 1850. pag. 9. - – 216 – das innere Mark. Auch habe ich im Orient, wie in Italien, den Granatapfel wohl als Schaugericht, ſelten aber zum wirklichen Ge- auſſe, auf die Tafel ſetzen ſehen. Auffallend iſt es mir daher ge- weſen, daß die Moſaiſten den Granatapfel zum Symbol des Wor- tes Gottes gemacht haben. Gleichwie die Granatfrucht der Apfel der Aepfel iſt, ſo ſoll auch das Wort Gottes das Wort der Worte ſein. Der Hoheprieſter trug deshalb an ſeiner Amtstracht eine Ein- faſſung von Granatäpfeln. Die Linde. – Vor dem Portal der Moſcheen fand ich neben der orientaliſchen Platane, welche die geſammte Umgegend beherrſcht, auch die Linde gepflanzt. Sie iſt bei den Orientalen, wie bei den germaniſchen Völkern, ein Sinnbild des Heiligen und Erhabenen. Bei den Süddeutſchen finden noch heute öffentliche Feierlichkeiten häufig „unter der Linde“ Statt. Der noch öfters vorkommende Ortsname „Heiligelinde“ ſpricht noch mehr für die Bedeutung des Baumes, den ich ſelbſt in Norddeutſchland, an geeignetem Stand- orte, die Eichen zwar nicht an Höhe erreichen, an Umfang aber überragen geſehen habe. Nur bei den Norddeutſchen und den Dä- nen ſcheint die Eiche ſymboliſch von je an das Uebergewicht gehabt zu haben. Tamariske. – Von den Egyptern wurde die Tamariske als Lebensbaum verehrt; ſie beſchattete das Grab des Oſiris. Die Auguren hielten bei ihren Amtsverrichtungen einen Tamarisken- Zweig in der Hand; daher kam es aber auch, daß der ſchöne Baum endlich zum Symbol des Betruges herabgewürdigt wurde. Sein leichtes, zartes Laub, welches mit den langen, ſchlanken Zweigen durch die baiſeſte Luftſtrömung in zierliche Schwankungen verſetzt wird, macht den Baum zu einer höchſt anziehenden Erfcheinung, die im Frühling durch zahlloſe kleine Blüthen verherrlicht wird, welche dann gleich einem leichten Dufte über das Ganze ausgegoſſen ſind. Die libanotiſche Art der Tamariske, welche ſich von der gewöhnli- chem (Tamarix gallica) auszeichnet und am Rhein gut gedeihet, wird bereits hier und da bei uns an die Gräber gepflanzt, ohne daß man ſich dabei des egyptiſchen Vorbildes bewußt ſein dürfte. Agnus castus. – Das keuſche Lamm war ehedem ein Sinn- bild der Keuſchheit, die man zu fördern glaubte, wenn man junge Leute auf Kiſſen ſchlafen ließ, die mit ihrem Laube gefüllt waren. Das Bild des Aeskulap ſoll in einem Tempel von Lakonien aus – 217 – ſeinem Holze bearbeitet geweſen ſein, – gewiß nicht ohne Beziehung auf jene Bedeutung. Den wild wachſenden Agnus castus habe ich übrigens in Weſt-Aſien nie anders als in Strauchform gefunden, höchſtens 10–12“ hoch. Burbaum. – Der immergrüne Buxbaum wird als ein Sinnbild des Lebens und der Freude betrachtet. Jeſaias nennt den Bux unter den Bäumen, welche der Herr für die Kinder Iſrael in der Wüſte wolle wachſen laſſen. Noch heute pflanzen die Orien- taei ihn gern an heilige Oerter, bedienen ſich ſeiner auch, um an ſeine Zweige Votivzeichen anzuheften, meiſtens freilich in ſehr unzarter Forn (vergl. oben S. 93). In manchen Gegenden Deutſchlands bedeckt an die Särge von Kindern oder unverehelicht geſtorbenen jungen Leuten mit Buxbaum-Zweigen, als Symbol des durch den Tod eröffneten neuen Lebens. Terebinthe. – Wegen ihrer mächtigen, erhabenen Geſtalt und des immergrünen Laubes hat unan ſie als ein Sinnbild des Göttlichen, ſowie des menſchlichen Glückes angeſehen. Den Propheten war ſie heilig, weil der Engel des Herrn zu Gideon aus ihren Zweigen geſprochen haben ſollte. Hierin finden ſich die Anhaltspunkte für den im osmaniſchen Reiche ſo weit verbreiteten Gebrauch der Chriſten, die Terebinthe auf ihre Gräber zu pflanzen, nachdem ihnen die Cypreſſe von den Türken verboten worden iſt. Beide Bäume bil- den auch in ihrer äußeren Geſtalt ſo auffallende Gegenſätze, daß die tiefe Kluft, welche zwiſchen lebenden Türken und Chriſten bis heute beſteht, durch ſie auch noch nach dem Tode verewigt wird. Als blühende Repräſentanten der herbſtlichen Flora wurden folgende von mir an Ort und Stelle geſammelt. 1. In Bulgarien. A. Auf der Hochebene ſüdlich von Ruſchtſchuk. Werbascum phºlomoides. – Chondrilla juncea. – Althaea cannabina. – Ononis spinosa. – Salvia pra- tensis. – Centaurea Jacea. – Salvia sylvestris. – Thymus Calamintha. – Ballota nigra. – Centaurea diffusa, Lamk. – Chymas Calamintha. B. Bei Schumla. Helleborus officinalis (üppig wuchernd, ohne Blüthe). – 10 – 218 – Marrubium peregrinum. – Nigella arvensis. – Sam- bucus Ebulus. . Bei Jeni-Bazar. Teucrium Chamaedrys. – Salvia Sclarea. – Eryngium campestre. – Datura Stramonium, in der Nähe vieler bulgariſcher Dörfer auf Schutthaufen ungemein häufig und üppig. . Am Ufer des Dewna- (Dewnos-)See's. Cerinthe minor. – Lotus corniculatus. – Daucus Carota. – Eupatorium syriacum. – Agrimonia Eupatoria. – Chenopodium ficifolium. – Stachys recta. – Ajuga Chamaepitys. – Echium italicum. – Conyza squarrosa. L. – Anthemis Cotula. – Sisymbrium Columnae. – Senecio Jacobaea. – Anthemis tinctoria. – Mentha sylvestris. – Xeranthemum annuum. – Teucrium Polium (angustifolium. Benth.). – Atriplex roseum. L., nahe an dem Ausfluſſe des Dewna-See's bei Varna. Ulva Lactuca, aus dem ſchwarzen Meere in der Bucht von Varna. - 2. In der Dobrudſcha. Im Walde ſüdlich von Baſardſchyk. Quercus Cerris. – Lavatera Thuringiaca. – Sca- biosa transsylvanica. – Chrysanthemum Leucanthemum. – Pyrethrum inodorum. . Auf der Ebene zwiſchen Baſardſchyk und Raſſowa. Centaurea solstitialis. – Linum perenne. – Senecio Jacobaea. - . Im Walde zwiſchen Kol-Punar und Adam-Kelſſi, ſüdlich von Raſſowa. , - Asparagus verticillaris. – Centaurea Scabiosa. – Evonymus latifolius. – Rubus caesius. – Aster Amel- lus. – Hieracium foliosum. – Euphrasia lutea. – Viburnum Lantana. – Dianthus Carthusianorum. – Campanula rapunculoides. – Berteroa orbicularis Dc. – Seseli annuum. – 219 – . Südlich von Raſſowa. Artemisia Absinthium. – Convolvulus arvensis. – Veronica longifolia. – Nonnea ventricosa Griseb. – Delphinium Consolida. – Euphorbia Gerardiana. – Ajuga Chamaepitys. - . Auf einer Donauinſel ſüdweſtlich von Braila. Polygonum Persicaria. – Sonchus arvensis. – Wicia polyphylla. Salix fragilis, am linken Donauufer gegenüber Hirſowa. 3. Weſt-Aſien. . Am Rieſenberge. Marrubium peregrinum. – Crataegus Pyracantha. – Mentha sylvestris. – Buxus sempervirens, auf der Spitze des Berges in der Nähe des Rieſengrabes. Ebendaſelbſt: Zizyphus spina Christi und Laurus nobilis. . In der Gegend von Nicomedien und Nicäa. Osyris alba und Salvia pratensis, am Ufer des Golfs von Nicomedien. – Momordica Elaterium, um Nicomedien und häufig in den Ruinen von Nicäa. – Glaucium luteum und Vitex Agnus castus, am Ufer des See's von Nicäa. – . Am Gök-Dagh. Lepidium graminifolium, an der Nordſeite. – Seseli mon- tanum und Lactuca Scariola, auf den Vorhügeln. – Artemisia annua, in den untern Regionen. – Quercus Toza Bosc. Strauchartig an der Oſtſeite von 100–500 Höhe des Ber- ges. – Plumbago europaea, an der Nordſeite bei 200–1200 Höhe. – Epilobium grandiflorum, bei 600–800 Höhe. – Leontodon Taraxacum, bis zu 1000 Höhe. – Crataegus Oxyacantha, ſteigt von der Ebene bis zu 1800 Höhe hin- auf. – Rhamnus Alaternus, an der Nordſeite bis zu 2000“ Höhe; als 6–10“ hoher Strauch. – Arbutus Unedo, bei 2–3000 Höhe ſehr häufig. In derſelben Höhe Celtis australis und Hypericum calycinum, welches den Gebirgszug an baumleeren Stellen in Millionen von Exemplaren bedeckt. Die großen gelben Blüthen, deren Anfangs Oktober nur noch wenige vorhanden waren, dienen der Gegend zur wahren Zierde. Die Pflanze wird hier 1%–2“ hoch. – Diospyros 10* – 2L0 – Lotus,– Staphylea pinnata, – Ruscus Hypoglossum und Erythraea Centaurium 3000 hoch über dem Meere. Ebenſo Quercus pubescens in 25–35' hohen Bäumen. – Helle- borus officinalis Salisb. und Daphne pontica, in einer Höhe von 3–4000. – Rhododendron ponticum, im Schatten der Weißbuchen und Eichen bei 4000 Höhe umge- mein häufig. . In der Ebene von Jeniſchehr. Salvia verticillata. – Senecio erraticus, Anfangs Ok- tober reichlich blühend. – Cirsium lanceolatum, hier ſehr häufig, ſeltener bei Bruſſa. . In der Ebene bei Bruſſa. - Salix alba, hier und da in Bäumen von 30–40 Höhe. Daneben eine ſtrauchartige Salix mit ungewöhnlich breiter Blattform. – Celtis australis, die Blätter ſind etwas breiter und ihr weicher Filz weniger ſtark als auf der Höhe des Gök-Dagh. – Salix fragilis, ein bis zu 30 hoher Baum. – Clematis Vitalba, häufig. – Smilax excelsa, durchzieht die meiſten Hecken, ſteigt bis zur Höhe von 6–8' an ihnen hinauf und kann durch ihre kurzen aber ſtarken Dornen ſehr unangenehm werden. – Polygonum Persicaria. – Ballota nigra. –Paliurus vulgaris (Rhamnus Paliurus L.). – Inula dysenterica. – Physalis Alkekengi. – Solidago Virgaurea. – Mentha sylvestris, in feuchten Boden - Einſchnitten Bruſſa's noch im Oktober blühend. – Heliotropium euro- paeum. – Erigeron canadense. – Solanum nigrum. – Althaea pallida. – Oxalis oorniculata. – Thymus Nepeta. – Plumbago europaea. – Platanus orientalis. – Sternbergia lutea, auf den Kirchhöfen von Bruſſa be- ſonders in den Ebenen. Anfangs Oktober allgemein blühend. – Cyaanchum erectum, in der Ebene und auf den Hügeln. von Bruſſa bis zu 200 Höhe. 2–3“ hohe Staude. Ziert den Rand der Wege. – Imperatoria (Angelica) sylvestris. – Laurus mobilis, außerhalb der Gärten Bruſfa's ſelten Trug Anfangs Oktober reife Beeren und Blüthenknospen zu- gleich. – Antirrhinum majus, in den Ruinen des Schloſſes von Bruſſa, – 221 – F. Am Olymp. Digitalis ferruginea, am Fuße des Berges. – Salvia grandiflora, Achillea nobilis und Juniperus communis in der untern Waldregion, letzterer ſelten. – Hypericum calycinum, auf freien Plätzen der Waldregion im mittleren und unteren Abſchnitte. – Cistus laurifolius, 2–3000“ hoch. – Pinus Laricio, (forma olympica Grisebach) 4–5000 hoch. – Pinus Picea, 5–7000 hoch. – Juni- perus nana und Oxycedrus, ſehr häufig bei einer Höhe von 5–6500“. WW. Rückreiſe von Conſtantinopel nach Marſeille, und über Paris in die Heimath. – Gallipoli. – Die Bardanellen. – Piräus. – Coron. – Modon und Ravarin. – Meſſina. – Die lipariſchen Inſeln. – Corſica. – Ber Hafen von Marſeille. Kurz vor der bereits beſchloſſenen Abreiſe gewährte mir die Stadt noch eines jener traurigen Schauſpiele, von welchen ſie durch die maaßloſe Gleichgültigkeit der Türken ſo häufig heim- geſucht wird. Um 9 Uhr Abends am 18. Oktober erſcholl Feuer- lärm, den man dadurch erzeugt, daß Polizeimänner mit eiſen- beſchlagenen ſtarken Knitteln das Straſſenpflaſter bearbeiten. Gleich- zeitig dröhnten Kanonenſchüſſe von der Feuerwache des Thurm's des Seraskiers aus Conſtantinopel herüber. Es gelang diesmal, durch zeitiges Eingreifen des Feuers Herr zu werden. Am andern Morgen aber erfuhr ich, daß an fünf verſchiedenen Orten zugleich Feuer ausgebrochen war, – ein Umſtand, den man, gewiß nicht mit Unrecht, der Böswilligkeit Unzufriedener zuſchreiben zu müſſen glaubte. Dies wurde um ſo mehr noch dadurch beſtätigt, daß dieſe Feuersbrünſte, raſch einander folgend, ſich wiederholten. Am 21. entſtand ſogar Feuer in einem am Bosporus gelegenen Palaſte des Sultans. Schon im nächſten Winter erhielt ich die briefliche Nach- richt aus Pera, daß dort 600 Häuſer abgebrannt ſeien. Dieſe ſich fortwährend wiederholenden Zerſtörungen laſſen der Stadt kaum Ruhe zu einem ſtetig fortſchreitenden Aufblühen. Ich hatte beſchloſſen, die Rückreiſe zu Waſſer durch die Fahrt von Conſtantinopel nach Marſeille einzuleiten. Hierzu wählte ich das franzöſiſche Dampfſchiff „le Danube“, deſſen Capitän Mr. Va“ lance, mir wegen ſeiner Umſichtigkeit beſonders gerühmt worden war. Die Dimenſionen des Schiffes luden außerdem zu ſeiner Benutzung ein; das Schiff hat nämlich 75 Meter Länge bei – 223 – 15 Meter Breite, wodurch wenigſtens einige Garantie gegen die heftigen Schwankungen auf dem Meere dargeboten wird. Bei der Ankunft im Hafen von Marſeille überzeugte ich mich hernach, daß jene Dimenſionen die von zwanzig anderen Dampfſchiffen, welche hier vor Anker lagen, hinlänglich übertrafen, um neben ihnen nicht Raum finden zu können; unſer Schiff mußte ſich queer vor ihnen lagern. Auch genießen die Schiffe der Messageries impériales im mittel- ländiſchen Meere wegen ihrer ausgezeichneten Einrichtung und Ord- nung eines vorzüglich guten Rufes, den ich unterwegs vollkommen beſtätigt fand. Der Capitän dieſer Schiffe muß jedesmal ein Lieu- tenant der kaiſerlichen Marine ſein, zu welcher Bedingung die Ge- ſellſchaft vom Staate durch eine jährliche Subvention von drei Mil- lionen Francs verpflichtet worden iſt, wobei ſie zugleich im Falle des Krieges ihre Schiffe dem Staate darbieten muß. – Am 20. Oktober des Nachmittags 4 Uhr befand ich mich am Bord des Danube. Mein Platz der erſten Kajüte war, mit Einſchluß der Beköſtigung, mit 472 Francs bezahlt worden. Die Küche des Schiffes fand ich vollkommen zufrieden ſtellend und auch die für die Ueberfahrt nach Marſeille feſtgeſetzte Zeit von 6 bis 7 Tagen hielt das Schiff ziemlich inne, indem wir am 28. Oktober Morgens 5 Uhr am Beſtimmungsorte anlangten; am 20. Oktober um 7 Uhr Abends waren im goldenen Horn die Anker gelichtet worden – Die mir angewieſene Kajüte hatte ich mit einen jungen Engländer zu theilen, deſſen ruhiges und gemeſſenes Verhalten ich nur rühmend anerkennen konnte. Dagegen fordert es ſchon einige Gewöhnung an das Geräuſch, welches die die Schraube des anſehnlichen Schif- fes in Bewegung ſetzende Maſchine hervorbringt, um ruhig ſchla- fen zu können. Dieſes Geräuſch weiß ich nicht beſſer zu verglei- chen, als mit dem, welches von einer Holzſäge-Mühle ausgeht. – Da wir das Marmara-Meer während der Dunkelheit durchſchifften, ſo ging die Anſicht der Inſeln deſſelben und ſeiner beiden Ufer für uns verloren. Ein günſtiger Nordweſtwind hatte unſere Fahrt ſo raſch gefördert, daß wir am 21. ſchon um 7 Uhr Morgens vor Gallipoli die Anker fallen laſſen konnten. Man hatte, wie dies bei günſtigem Winde immer geſchieht, einige Segel aufgeſetzt und das Schiff ſtöhnte und ächzte aus allen ſeinen Fugen nun derge- ſtalt, daß der Schlaf oft unterbrochen wurde, indem zugleich das erwähnte Säge-Geräuſch bisweilen dicht hinter meinem Ohre her- – 224 – vorzutreten ſchien. Ich begab mich daher Morgens, ſobald es hell wurde, auf das obere Verdeck, da ich dem Tag ſchon mit Sehnſucht entgegen geſehen hatte. Dieſes das Schiff überragende hohe Verdeck iſt rings mit einer Gallerie umgeben, und trefflich geeignet, nach allen Rich- tungen in die Ferne zu ſchauen. Da wir vor Gallipoli drei Stunden liegen blieben, um Waaren an Bord zu nehmen, ſo ergab ſich hinlänglich Gelegenheit, dieſen durch ſeinen lebhaften Handelsverkehr bekannten Ort näher zu betrachten. Die Stadt gewährte durchaus nicht das äußere Anſehen, welches ihre Bedeutung in der Handelswelt ver- muthen läßt; ſelbſt ihr Umfang iſt ein ſehr mäßiger. Ihre an- phitheatraliſche Lage an einem Bergabhange, zu welchem ſie ſich vom Ufer aus erhebt, ſodann die unmittelbare Nachbarſchaft des Einganges in die Dardanellen, müſſen jedenfalls als ſehr begünſtigende Umſtände angeſehen werden. Einige dem Meere näher gelegene weiß ange- ſtrichene Häuſer, die rothen Ziegeldächer der Gebäude, die ſchlanken Minaret's einer Anzahl von Moſcheen, ein Leuchthurm in der Nähe, geben dem Bilde faſt allein Lebhaftigkeit. An grüner Vegetation fehlt es in der Umgegend faſt ganz; der graue Boden, auf welchem der Ort ruht, gewährt ihm keine maleriſche Unterlage. – Die Zahl der hier vor Anker liegenden Segelſchiffe erſchien auffallend beſchränkt. – Die Marmara-Inſel lag bei Anbruch des Tages ſchon ſo weit hinter uns, daß ich ſie nicht zu Geſicht bekommen habe. Eine trübe kalte Atmoſphäre, ſowie ein mit Wolken bedeckter Himmel waren nicht geeignet, uns in die heitere Stimmung zu verſetzen, die den Voll- genuß paſſend eingeleitet haben würde, welchen uns die herannahende Betrachtung der Ufer der Dardanellen-Meerenge verſprach. Dieſe nahm von der grauen Vorzeit her bis heute hiſtoriſch wie maleriſch die geſpannteſte Aufmerkſamkeit der Wanderer in Anſpruch, welche das Glück hatten, die Windungen des ſchmalen Meerarmes zu durch- kreuzen, der die Propontis mit dem ägeiſchen Meere verbindet. Freilich hat ſich die Hand ängſtlich beſorgter Menſchen bemüht, die majeſtätiſche Schönheit dieſer Felſenufer Europas und Aſien's durch ſtarre Feſtungsmauern zu verdunkeln, deren hervorlugende Geſchütz- mündungen dem Hindurchfahrenden Tod und Verderben zu drohen ſcheinen. Im Oktober 1856, wo die Kriegsſchiffe der beiden vor- herrſchenden Seemächte Europa's ſo eben den Schutz der Türkei verfochten hatten, welchem dieſe kriegeriſchen Vorbereitungen gewidmet ſind, war von der Armirung der Dardanellenſchlöſſer nur wenig zu - 225 - ſehen. Anders mag es ſich im Juni 1859 verhalten, wo uns der Moniteur de la Flotte aus Paris her verkündigt, daß die Armirung dieſer Schlöſſer erneut und faſt um das Doppelte vermehrt worden ſei. Wer dieſe enge Straße durchſchifft hat, muß es erkennen, daß für Kriegsſchiffe jeder Art unmöglich ſein werde, in einer Länge von 13 Kilometer dem Kreuzfeuer dieſer zahlreichen Batterien zu wider- ſtehen, die großentheils im Niveau des Meeresſpiegels angebracht ſind, – ſofern nicht die Arme der Bedienungsmannſchaft durch ſchlafmachenden Mohn oder durch blendendes Gold gelähmt worden waren. Nur von der Landſeite her würden dieſe feuerſpeienden Fels- neſter, mittelſt ausgeſchiffter Truppen, angegriffen werden können. Doch auch gegen einen ſolchen Angriff ſind kräftige Werke errichtet worden, namentlich durch die den Türken zu Theil gewordenen Hülfe eines ausgezeichneten, leider zu früh verſtorbenen preußiſchen Inge- nieurs, des Generals Fiſcher. Gelegentliche Aufſchlüße, die der viel erfahrene Mann, als er ſich ſpäter zwei Jahre lang in Bonn aufhielt, hier über jene Befeſtigungswerke ertheilte, die von der Natur des feſtungsartig geſtalteten Felsbodens ſchon äußerſt zweckmäßig eingeleitet und vorbereitet worden ſind, ließen ſie bei energiſcher und intelligenter Vertheidigung, den am ſchwerſten zu überwindenden der gegenwärtigen Zeit zuzählen. Eine halbe Stunde nach der Abfahrt von Gallipoli hatte unſer „Danube“ die Einfahrt der Dardenellen erreicht. Trotz der mächtigen Strömung von Nord nach Süd bewegte ſich das Schiff ſo ruhig, als befinde es ſich auf einem Strome des Continents. Von dieſer Seite her würde ſich alſo nicht das geringſte Hinderniß dargeboten haben, jeden Punkt der beiden Ufer auf das Genaueſte zu betrachten; leider klärte ſich aber die Luft auch Nachmittags nicht auf. Vergebens ſchaute ich mich hier nach dem rieſigen Olymp um; ſeine Scheitel waren in tiefes Dunkel gehüllt. Daſſelbe war, als wir den Ausgang erreicht hatten, mit dem Ida der Fall; unſicherer ſchienen uns, ſelbſt durch gute Fernröhre, Troja's Ebene, des Achill und des Patroklus Grabhügel, undeutlich auch die ſchmale Schlucht, durch welche ſich der Scamander in das Meer ergießt. Klar traten dagegen die Uferlinien mit den hinter ihnen liegenden Höhen- zügen hervor. Die aſiatiſche Küſte zeigt auch hier anziehendere, zum Theil in der That liebliche Landſchaftsbilder, in welchen häufige Thalgründe durch eine lebhaft grüne Vegetation wohlthuend einwirken, 10** – 226 – aus der ſich Platanen, Cypreſſen, Pappeln, Feigen, Sycomoren, Terebinthen und Piſtazien beherrſchend hervorheben. Grau belaubte Oelbäume, gruppenweiſe geſtellt, bringen Abwechſelungen in das Bild. Reben bekränzen in der Nähe armer griechiſcher Dörfer hier und da die Hügel; aber dem aus der Ferne Hinblickenden er- ſcheinen ſie unmaleriſch und geringfügig. Kleine Flüßchen, gegenwärtig ziemlich waſſerleer, drängen ſich durch Felsſchluchten zu dem ſie verſchlingenden Meere, unter ihnen der Simois der bedeutendſte, der Rhodius zunächſt folgend. Graue oder rothbraune Felſen treten nackt aus dem Ufer hervor. Anſtatt grüner Bewaldung, die ſie in der Urzeit getragen haben mögen, wo die verwüſtende Betriebſamkeit der Menſchen ſie noch nicht vertilgt haben mochte, ziehen jetzt Seeadler, über den Felszacken Kreiſe beſchreibend, den Blick auf ſich. Noch vegetationsloſer, kahler und ſchroffer erſcheint das europäiſche Ufer. Faſt könnte das vom ſchwarzem Meer her offenbar bevorzugte aſiatiſche Uferland auf den Gedanken bringen, als ſei das hervorragende Wohlwollen der ſchaffenden Na- tur für die Wiege des Menſchenlebens heute noch nicht erſchöpft. Schon drängte ſich unſer Schiff durch die ſchmalere Furth zwiſchen dem aſiatiſchen Abydos und dem europäiſchen Seſtos, deſſen Stellung wir mit Hrn. v. Prokeſch *) in die Bucht von Zemenik legen. Die Betrachtung der ſo gegenüber liegenden Punkte macht die gegenſeitige Entfernung beider von 875 Schritten, die Strabo hier feſtſtellt, wahrſcheinlich. Hier alſo hätten Phönizier und Egypter auf den Wink des Xerxes dem Meere das Joch der Brücke aufgelegt, über welche die 1,700,000 Fußgänger und 80,000 Reiter während ſieben Tage nach Europa hinzogen, um das kleine Häuflein der Griechen zu ſchlagen. Hier auch würde der beſiegte Xerxes, auf einſamer Barke flüchtend, den Rückweg gefunden haben. Auf dem aſiatiſchen Ufer am Vorgebirge Nagara erhebt ſich der Felſen, auf welchem Xerxes den Sitz nahm, um ſein Heer, die Schiffe, das herbeigeſtrömte Volk und das Meer gleichzeitig zu überſehen. Nur das heutige Maltepeh gewährt allein die Möglichkeit einer ſo um- faſſenden Ueberſicht und muß daher als ehemaliger Königsſitz be- zeichnet werden. Wie ärmlich erſchienen die gegenwärtig menſchen- leeren Ufer, denen gegenüber, welche in jener frühen Zeit von *) Denkwürdigkeiten. Th. 1. S. 128. – 227 – einem ſo unerhörten Menſchengewimmel bedeckt wurden. Ein Jahr- hundert nach Xerxes dürfte Alexander, perſiſchen Uebermuth ſtrafend, in umgekehrter Richtung mit ſeinen Macedoniern den- ſelben Weg genommen haben. In der That erſchien der Mangel an Verkehr zwiſchen den beiden Ufern, hervorgehend aus der Schwäche ihrer Bevölkerung, der Anblick winziger Barken, die ſich hier und da in den Buchten bemerken ließen, wohl geeignet, dieſe maleriſchen Ufer zu bedauern, denen man als Erſatz für ihre große Vorzeit, von Seiten der Osmanen nichts zu geben gewußt hat, als ſtarre Feſtungsmauern. Einige vorüberziehende größere Schiffe trugen meiſtens die Flagge fremder Nationen; der Halbmond war wenig vertreten. – Unſer Schiff folgte den Krümmungen des Kanals, durch die Strömung ſüdwärts getragen, mit großer Leichtigkeit und ſchwankungslos. Erſt als wir ihn verlaſſen hatten, hoben die mächtigen Wellen des ägeiſchen oder weißen Meeres, wie es die Türken nennen, das Schiff; wir durchſchnitten ſie raſcher, als unſer Capitän am Beſan- und Hauptmaſte viereckige Segel („la mizaine quarrée“) hatte aufſpannen laſſen. Von jetzt an wurde ange- ſtrengtere Aufmerkſamkeit nöthig, um auf der aſiatiſchen Seite die Ebene Troja's zu erſpähen. Die Beſchreibung, welche Hr. v. Prokeſch *), der einſt in einer griechiſchen Barke längs des Ufers hinfuhr, von dieſen Geſtaden gibt, iſt jedem Reiſenden, der ſich über ſie zu belehren wünſcht, zu empfehlen. Durch ſie geleitet, vermochte ich das felſige höhere Ufer des Gebietes Troja's von der ſandigen Ebene (Kum-burun) zu unterſcheiden, die ſüdlich da- rauf folgt. Die Strahlen einer bleichen Abendſonne beleuchteten die weißen Feſtungsmauern des ſüdlichſten der Dardanellenſchlöſſer auf der aſiatiſchen Seite. Aber ein friſcher, unangenehm kalter Nordwind ſtrich über das Verdeck und die von ihm aus unbeweglich Schauenden hin, und ließ nichts von der ſüdlichen Gluth erkennen, welche dieſe Gegend ſo häufig bezeichnet. Sie bereitet dem feurigen Wein der Inſel Tenedos, die wir bereits zu unſerer Linken als einen hochragenden grauen Felſen gewahrten. Die Geſtalt derſelben, wie ſie ſich dem den Hellespont Verlaſſenden darſtellt, möchte ich mit der der Inſel Capri vergleichen, wenn man dieſe von Cap Campanella aus betrachtet. Zwei höher anſteigende Endpunkte *) A. a. O. S. 116 u. f. – 228 – werden durch eine ſattelförmige, flache Vertiefung, mit einander ver- bunden; doch erſchien mir ihre Maſſe viel bedeutender. Der Cours unſeres Schiffes, der ſich zur Rechten nach Süd-Weſten wendete, entfernte uns indeſſen von der Inſel ſo ſchnell, daß wir nichts von ihrem Städtchen, ebenſo wenig von ihren grünen Schluchten zu ſehen vermochten. Bald zwang uns auch die trübe Abendluft im Vereine mit dem ſcharfen Nord, das Verdeck zu verlaſſen. Unſer Capitän war grauſam genug, uns an den maleriſchen Inſeln und Küſten Griechen- lands in dnnkler Nacht vorüber zu führen. Inzwiſchen ſchaukelten die hohen Wellen unſer großes Schiff gleich einem Spielballe, als deſſen Flanke vom ſtarken Winde gefaßt worden war. Dennoch muß ich dankbar erkennen, daß das „weiße Meer“ gnädiger mit mir umgegangen iſt, als das „ſchwarze“. Als ich um 8'2 Uhr Morgens das Verdeck wieder beſtieg, wurde ich gewahr, daß das Schiff fich beeilt hatte, uns ſchon bis an den Eingang des Piräus zu fördern. Der erſte Blick fiel ſogleich in nordweſtlicher Richtung auf die von einer kegelförmigen Anhöhe getragene Akropolis Athen's. Die klare Morgenluft erlaubte mir, die edlen Linien wieder zu er- kennen, welche ich ehedem im Muſeum zu London an dem dort auf- geſtellten umfangreichen Modelle bewundert hatte. Damit verband ſich noch der Vortheil, daß ich aus der Ferne keine Spur von dem frevelnden Raube gewahr werden konnte, durch den die „Elgin marbles“ nach dem Muſeum von London hingeſchafft worden ſind, wo ich ſie freilich in der unmittelbarſten Nähe zu betrachten Ge- legenheit gefunden hatte. Dankbar erkannte ich hier die dunſtfreie klare Atmoſphäre, die mir geſtattete, mit Hülfe eines mäßig ſcharfen Glaſes, das hervorragendſte architektoniſche Monument in einer Entfernung von vier Stunden zu betrachten, welches uns aus dem klaſſiſchen Zeitalter der Kunſt übrig geblieben iſt. Ihm ſo nahe zu ſein, und es nicht erreichen zu ſollen, war freilich ungemein hart. Aber die griechiſche Regierung hatte für alle aus der Türkei ankommenden Reiſenden eine Quarantäne von vier Tagen angeordnet, weil ſich dort die Cholera irgendwo gezeigt haben ſollte, von der man jedoch in Conſtantinopel nichts wußte. Hier war ich von einem Herrn, der in Athen unter Verhältniſſen gelebt hatte, die ihm erlaub- ten, es gründlich kennen zu lernen, dringend gewarnt worden, jemals eine griechiſche Quarantäne zu betreten, welche nur dazu gemacht ſei, Krankheiten zu erzeugen, nicht aber ſie abzuwenden. Mit bedauern- – 229 – der Theilnahme ſah ich auch deshalb bald darauf eine junge Griechin mit ihrem dreijährigin Kinde ausſteigen, welche unſer Schiff hierher geführt hatte. Sie wurde in einem Nachen dem Ufer des Piräus zugeführt, welches der gleichnamigeu Stadt gegenüber liegt und einen ziemlich ſterilen Anblick darbietet. Sie verſchwand bald darauf in eines der kleinen einſtöckigen Häuſer, die man zu dieſem Zwecke hier gegen die Anhöhe erbaut hat. Die einzelnen Gebäude ſind zweckmäßig durch einige Entfernung von einander geſondert. Die Cholera hatte vor einem Jahre die Einwohner Athen's hart deci- mirt und die Regierung mochte ſich wohl dadurch veranlaßt geſehen haben, den beſorgten Gemüthern eine Coneeſſion zu machen. Daß man indeſſen durch eine ſolche Maßregel jene Krankheit wirkſam zurückgewieſen haben würde, im Falle ſie ſich gemeldet hätte, ſteht billig zu bezweifeln, nachdem die Cholera bereits ſo vieler Quaran- tänen geſpottet hat. Hr. Oubrey de Vere*), der früher hier eine Quarantäne überſtand, äußerte ſich über ſie in ziemlich mildem, zum Theile ſcherzhaften Tone, indem er ſich mit philoſophiſcher Ruhe in das Unabwendbare zu finden wußte. Und in der That mag die griechiſche Quaratäne vor einer ruſſiſchen einige Huma- nität voraus haben; aber ein Unheil bleibt ſie für den darin Ein- geſperrten deshalb nicht minder. Um 9 Uhr raſſelte unſere Ankerkette in dem ausgezeichneten Hafen des Piräus, deſſen Mitte wir ungefähr einnahmen. An Muße, die gegenüber liegende Hafenſtadt genau zu betrachten, fehlte es nicht. Nach ſo langer Entbehrung des Anblickes einer regel- mäßig gebauten europäiſchen Stadt machte ſie eine um ſo ange- nehmere Wirkung. Die vom Hafen aus ſichtbaren Häuſer zeigen regelmäßige Fenſter, flache Dächer, ſind reinlich abgeputzt und laſſen Wohlſtand ihrer Bewohner vermuthen. Aus der Stadt tönten die Hörner des damals hier garniſonirenden franzöſiſchen Militärs her- vor. Ein Quarantäne-Boot mit der griechiſchen Flagge legte ſich uns zur Seite und verließ uns nicht eher, als bis in dieſer Hin- ſicht Alles geordnet war. Die griechiſchen Ruderer ſitzen in der Mite ihres Bootes, wohingegen die meiſten andern Nationen das Vorder- oder Hintertheil deſſelben einnehmen. Es fiel mir auf, daß die griechiſchen Bootsführer, ungeachtet ihrer großen Lebendigkeit, bei Weitem nicht ſo betäubendes Geſchrei erheben, als die ernſthaften *) A. a. O. – 230 – Türken im Hafen des goldenen Horn's. Doch mag der hier viel weniger lebhafte Verkehr, der den Zuſammenſtoß der einzelnen Barken nicht leicht fürchten läßt, hierzu weſentlich beitragen. Wir blieben bis 4 Uhr Nachmittags hier liegen; aber der 22. Oktober führte hier eine ſo durchdringend kalte Luft herbei, wie ich es unter einer nördlichen Breite von 37° 50“ in ſolcher Jahreszeit nicht erwartet hatte. – Wenn man den gegenwärtigen Zuſtand der Piräus mit dem vergleicht, welchen v. Prokeſch*) unmittelbar nach dem Kampfe zwiſchen den Türken und Griechen im Juli 1827 hier vorfand, ſo muß man bekennen, daß die Stadt ſeitdem ſchnell genug aus ihrer Aſche wieder emporgeſtiegen iſt. Freilich wird ſie den Glanz, den einſt Sylla hier zerſtörte, ſchwerlich jemals wieder erreichen. Aber der Umſtand, daß ſie das Haupt ſtets wieder erhebt, ſo oft es auch niedergedrückt worden war, ſpricht dafür, daß eine Art von Natur-Nothwendigkeit die Völker auf die Benutzung des ſeinem Zwecke in ſo hohem Maaße entſprechenden Hafens hinweiſet. Sollte Athen in der Folge einen Theil ſeines alten Ruhmes wieder erobern, ſo würde auch ſein naher Hafen in gleichem Maße an Bedeutung ſteigen müſſen. Noch heute würde ſein Eingang durch eine Kette geſperrt werden können, wie es zur Zeit der alten Griechen geſchehen ſein ſoll. So bald wir bei der Fortſetzung der Fahrt das hohe Meer erreicht hatten, wurde es von den hohen Wellen zu mächtig ge- peitſcht, als daß ich das Verdeck hätte halten können. Erſt als es am folgenden Tage zwiſchen einigen zu Griechenland gehörenden kleineren Felſeninſeln und dem Feſtlande ein ruhigeres Fahrwaſſer gefunden hatte, wurden die Schwankungen mäßiger. Am Nach- mittage des 23. wurde mir, als wir nahe an der Küſte des Feſt- landes hinfuhren, der Genuß zu Theil, die Feſtung Modon und bald nachher Navarin aus der Nähe zu betrachten, deſſen Namen durch die in neuerer Zeit dort ſtattgehabte Zerſtörung der türkiſchen Flotte ein welthiſtoriſcher geworden iſt. Damals hatten ſich die drei ſtärkſten europäiſchen Seemächte mit einander vereinigt, um den Halb- mond zu demüthigen, dieſelben, welche nun unlängſt im blutigen Streite gegen einander entbrannten. Ich ſah die ziemlich breit ſich hin- ſtreckende Felsinſel vor mir, auf welcher damals der ruſſiſche Ad- *) A. a. O. III. Th. S. 504 u. f. – 231 – miral, Gr. Heyden, einen Theil ſeiner Geſchütze aufpflanzte, um das Zerſtörungswerk bequemer vollenden zu helfen. In richtiger Vorausſicht deſſen, was künftighin folgen möchte, tadelte Georg IV. in ſeiner nächſten Parlamentsrede den braven Admiral Codrington wegen ſeiner Theilnahme an dem „untowerd event“. Das kleine Griechenland war aber von hier aus dem ſichern Verderben ent- riſſen, welches Ibrahim Paſcha gedrohet hatte. Gegenwärtig möchte England vielleicht gern die zerſtörte türkiſch-egyptiſche Flotte wieder beleben, damit ſie mächtig genug wäre, Rußland und Frank- reich zugleich zu widerſtehen. – Im Hintergrunde der Bai lehnt ſich die kleine Stadt Navarin, von einer hohen Mauer umgeben, gegen die Anhöhe. Hinter dieſer Mauer hatten ſich damals die Griechen ungemein tapfer gegen die Uebermacht Ibrahim Paſcha's vertheidigt. Tiefer Frieden ſchwebte über das am 13. Mai 1825 mit ſo vielem Blute gedüngten Gefilde. Von der Citadelle fällt jetzt wenig in die Augen. Die ganze Strecke zwiſchen Modon und Navarin, die wir hinter uns hatten, erſchien baumlos und öde. – Die Feſtungswerke von Modon, welche die Venetier er- baut haben, verkünden durch ihre große Solidität und gute Erhal- tung den Ruhm ihrer Erbauer. Noch jetzt zeigten ſie an vielen Stellen ein neues, faſt zierliches Anſehen, ungeachtet der großen Sorgloſigkeit, mit welcher eben ſo wenig die Türken als die Griechen für ihre Unterhaltung etwas gethan haben. Das Mauerwerk, wel- ches die Türken hier und da angeklebt hatten, erſcheint zerbröckelnden Schwalbenneſtern ähnlich. Der befeſtigten ſchmalen Erdzunge, welche fich weit ins Meer hinaus erſtreckt, ſteigt unfern gegenüber die fel- ſige Inſel Sapienza aus dem Meere; zwiſchen dieſer und dem Feſtlande fuhr unſer Schiff hin. Der oſtwärts gelegene Hafen iſt nicht ſehr geräumig, ſcheint aber ſehr ſicher zu ſein. Der Hafen von Navarin iſt dagegen ſo geräumig, daß er 1825 die vier verſchiedenen Flotten bequem aufzunehmen vermochte. Hr. v. Prokeſch ſah am Ende Juni's 1825 die geſchwärzten Leichname der dort Erſchlagenen, unvollkommen von Wellen oder Sand gedeckt, zerſtreut am Geſtade herumliegen. Die Egypter hatten ſelbſt ihren Kampfgenoſſen kein Grab zubereitet und in dem unglücklichen Na- varin war die Peſt ausgebrochen. Ein am Bord befindlicher gebildeter Grieche, mit dem Bande des Erlöſer-Ordens im Knopfloche, ſchien mit dem vor uns liegen- – 232 – den Feſtlande ſehr vertraut zu ſein. Er war ſo freundlich, uns die einzelnen Punkte deſſelben, mit ihrem Hinterlande, näher zu deu- ten. Das rauhe Lakonien mit dem ehemaligen Sparta, ſo auch das reicheultivirte Arkadien, hatten wir nach Norden zu im Hin- tergrunde wechſelsweiſe vor uns. – Bald jedoch verließen wir den ſchützenden Canal, weſtwärts uns Sicilien zuwendend, wo der Danube in Meſſina anlegen ſollte. Die Inſel Zante blieb uns ſchon ſehr fern; bald umfing uns das hohe Meer. Am 26. Oktober fiel ſchon Morgens 1 Uhr der Anker im Hafen von Meſſina. Sein erſehntes Geräuſch trieb mich raſch aus der engen Kajüte auf das Verdeck. Eine wohlthuende, reine, laue Luft empfing mich ſchmeichelnd. Längs des Ufers dehnte ſich vor der Stadt eine anſehnliche Reihe von Gasflammen hin, ma- giſche Streiflichter theils über die ſeewärts gewendete ſchönere Seite der Stadt, theils über den Hafen und ſeine Schiffe hinſendend. Derſelbe azurne Himmel, den ich bereits hier 1843 bewundert hatte, begrüßte mich von Neuem; unzählige Sterne funkelten an ihm glühender, als an dem bleichen nordiſchen Himmel. Fiſcher- barken, mit brennenden Kienfackeln an Bord, durchſchwärmten die Meerenge, gleich Leuchtwürmern die ruhige See belebend. Das gegenüber liegende Reggio hob ſich gleichfalls durch eine helle Be- leuchtung, wahrſcheinlich von Gas, aus der Dunkelheit hervor. Die Ruderſchläge der Barten entlockten, durch Reizung unzähliger Weich- thiere, dem Meerwaſſer das bekannte Leuchten, – freilich nicht in ſo großartigem Maßſtabe, als ich es in der warmen Jahreszeit des Auguſt einſt an den Schaufelrädern des Dampfſchiffes Peloro hier bewundert hatte. Der zauberiſche Anblick entſchädigte mit einem Schlage für tauſenderlei von der Reiſe unzertrennliches Ungemach. Erſt der kühlere Morgenwind, welcher die herauf ſteigende Morgen- ſonne ankündigte, vermochte mich von dem unvergleichlichen, großar- tigen Bilde fortzureißen. Um 9 Uhr Morgens ließ ſich eine kleine Geſellſchaft Reiſen- der an das einladende Ufer ſetzen; Hr. Dr. Berthet, unſer hu- maner Schiffsarzt, regulirte am Lande die Paß-Formalitäten, und führte uns, der Stadt kundig, zuerſt nach der beherrſchenden An- höhe, welche die Kirche S. Gregorio Papa trägt. Bei dem Heranſteigen erinnerte ich mich, irgendwo geleſen zu haben, daß hier die mit goldenen Früchten beladenen Orangenbäume, welche zur – 233 - rechten Hand einen tieferen Felseinſchnitt ausfüllen, einft Göthe zur Dichtung des bekannten herrlichen Liedes der „Mignon“ ent- flammt haben ſollen. So maleriſch nun auch das dunkelglänzende Grün der Blätter von den umgebenden Mauern und Felſen abſticht, ſo beſchränken die letzteren jedoch die freie Anſicht der herrlichen Bäume zu ſehr. Als mehr geeignet, poetiſche Begeiſterung hervorzmlocken, möchte ich die Orangengärten von Sorrent bezeichnen. Dort fand ich 1843 einen talentvollen deutſchen Maler, Hrn. Vogel, beſchäftigt, unter einem fruchtbeladenen mächtigen Orangenbaum eine jugendliche Schönheit aus Sorrent zu malen. Nie habe ich eine der heiteren Kunſt würdigere Situation geſehen, als dieſe; man denke ſich das ſchmeichelnde Plätſchern der Wogen des nahen Meeres, die die ganze Scene umhüllende balſamiſche Luft hinzu. Damals wurde mir klar, wie Torquato Taſſo's empfängliches Gemüth in dieſen Orangenhainen unſterbliche Dich- tungen hatte vorbereiten können. Wie viel leichter mag es der klaſſiſchen Kunſt unter ſolchen Umgebungen in Griechenland gewor- den ſein, ſich zu einer nicht wieder erreichten Höhe empor zu ſchwin- gen. – Oben angelangt, überließ ich einem ſchwatzhaften Meſſine- ſen die Gefährten, denen der vielfarbige reiche Marmor des Innern der Kirche angeprieſen wurde, während ich auf die Höhe des Vor- platzes hinaustrat, um mir das zauberhafte Bild möglichſt dauernd einzuprägen, welches die zu unſern Füßen ſich hindehnende anſehn- liche Stadt, der Meeresarm, welcher ſo eben in der Sonne ſein prachtvollſtes Feierkleid angethan zu haben ſchien, auf die mannich- fach beflaggten Schiffe des Hafens, auf das bunte Menſchengewim- mel in ihm, endlich auf den gegenüber ſich hinſtreckenden Saum des calabriſchen Feſtlandes mit ſeinen Städten vor mir ausbrei- tete. – Hinabgeſtiegen zur Ebene der Stadt, bewunderte ich die mit dem Ufer parallel laufenden Straßen wegen ihres vorzüglichen Steinpflaſters und der vielen ſchönen Häuſer, die ſich an ihren Seiten erhoben. Ich hatte gefürchtet, noch Spuren des Bombarde- ments der Citadelle zu finden, welches durch die Revolution von 1848 veranlaßt worden war. Sie waren glücklich verwiſcht; aber Stra- ßenbettelei, die Plage der meiſten ſiciliſchen Städte, war nach wie vor zudringlich geblieben. Der reiche Handel des Ortes hat den Schutt zerſtörter Gebäude zwar bald beſeitigen laſſen; die Verſun- kenheit der unteren Volksklaſſen würde jedoch nur eine energiſchere, – 234 – wohlmeinendere Regierung zu beſeitigen im Stande ſein. – Wir ſtatteten der merkwürdigen Kathedrale, der Reiterſtatue des Don Juan d'Auſtria, endlich dem am nördlichen Ende der Stadt liegen- den öffentlichen Garten unſern Beſuch ab. Die Pfeiler der Gitter- Umgebung des letzteren ſind mit Craſſifolien mancher Art gekrönt, wie man dies auch häufig in Neapel ſieht; zahlreiche andere Re- präſentanten der Vegetation eines ſüdlichen Klima's konnten in dem Garten nur eines flüchtigen Blickes gewürdigt werden, denn wir ſollten uns noch Vormittags wieder am Bord einfinden. Die Witterung blieb uns den ganzen Tag über ungemein günſtig; vollſtändige Windſtille herrſchte, kaum kräuſelte ſich hier und da die Meeresfläche. Dabei erhielt die Atmoſphäre ſich ſo durchſichtig, daß wir jeden Punkt der uns zur Seite bleibenden Küſten mit Hülfe der Gläſer klar überſchauen konnten. Der runde Wachthurm am nördlichen Ende einer flachen ſandigen Landzunge, den ich einſt von Meſſina aus beſucht hatte, erinnerte mich an die zu ſeinen Füßen wirbelnde Charybdis, die jetzt kaum noch ein un- vorſichtiger Barkenführer zu fürchten hat. Gegenüber am Feſtlande bezeichnete man mir den Punkt, wo die zur Zeit der Kindheit der Schifffahrt eben ſo gefährliche Scylla liegt. Meſſina und Reg- gio, dann das nördlicher auf dem Feſtlande hervortretende kleine S. Giovanni hatten wir bald hinter uns. Unſer Schiff wen- dete ſich um das Cap Peloro herum den lipariſchen Inſeln zu, zwiſchen welchen es ſo hindurch fuhr, daß uns die nördlichſte der- ſelben, Stromboli, nahe zur rechten Hand blieb. Der kegelför- mige Gipfel dieſer Inſel ſtieß, wie immer, graue Dampfwolken aus. Aber die feurige Gluth dieſes Dampfes, die ich früher in dunkler Nacht vorüber fahrend geſehen hatte, wurde heute durch die Strah- len der Sonne verſcheucht. Dagegen vermochte ich heute aus un- mittelbarer Nähe mich davon zu überzeugen, daß nur wenige gegen das Meer hinab laufende vertiefte Streifen des Felſens eine mit ſchwacher Vegetation ausgeſtattete Humusdecke trägt. Wohl gehört die ganze gemüthliche Heimathsliebe der Liparioten, wie ſie Spa- lanzani mit lebhaften Farben ſchildert, dazu, um hier zufrieden leben zu können. Die ſchräg gegenüber ſich erhebende Inſel Vac- cheluce zeigt etwas breitere grüne Thäler. Die Inſel Strom- boli wird, nach Spalanzani *), durch einen Porphyrkegel gebil- *) Voyage dans les deux Siciles. T. II. Berne, 1795. pag. 56. – 235 – det, deſſen Außenſeite jedoch allenthalben dicht mit vulkaniſchen Aus- würfen, nämlich Schlacken, Laven, Tuff, Bimsſtein und Eiſenglanz bedeckt iſt. Die Thätigkeit des Vulkans von Stromboli iſt ſeit undenklichen Zeiten dieſelbe geblieben. Seine Dämpfe führen un- unterbrochen ſchweflichte Säure ſo maſſenhaft mit ſich, daß ſie für Menſchen und Thiere leicht gefährlich werden können. Aſchenregen fällt mitunter auf die ſpärlichen Häuſer herab. Die Einwohner vermögen nach der verſchiedenen Stellung, Schwäche oder Heftig- keit der Dampfwolke, welche die Spitze ihres Berges einnimmt, Wind und Wetter ziemlich genau vorher zu beſtimmen. Daß dies in den älteſten Zeiten ſchon ebenſo geweſen ſein mag, ſcheint daraus her- vorzugehen, daß die Alten den Wohnſitz des Gottes der Winde hierher verlegt hatten. – Schwefel ſcheint hier nie geſammelt wor- den zu ſein. Dagegen iſt dies Jahrhunderte lang auf Volcano, der ſüdlichſten der lipariſchen Inſeln, geſchehen. Dieſe Inſel bringt periodiſche Ausbrüche ihres Vulkans von glühender Aſche, Steinen und Lava. Die Einwohner der nachbarlichen Hauptinſel Lipari beuteten ehedem den Erwerbszweig des Einſammelns von Schwefel auf ihr aus, ſcheinen ihn aber in der neueren Zeit, wegen mancher mit dem Einſammeln verbundener Bedenken, aufgegeben zu haben. Dagegen hat der Name des feurigen Weins von Lipari durch ganz Italien einen guten Klang. Glücklich hatten wir die Inſelgruppe durchſchifft, und immer noch dauerte die Windſtille an. Die Luft aber war ſchwül und hatte die geſammte Schiffsgeſellſchaft auf das Verdeck getrieben. Man erfreute ſich eines faſt ununterbrochenen Wetterleuchtens, wel- ches das feuchte Element oft ſo klar beleuchtete, daß wir, trotz der eingetretenen Dunkelheit und des Mangels an Sternenlicht einzelne auftauchende Delphine gewahr werden konnten. Nicht ſo ruhig, als die Paſſagiere, zeigte ſich die Schiffsmannſchaft, wie wir aus mancher von ihr getroffenen Vorrichtung entnehmen konnten. Und in der That, bald nach 10 Uhr erfuhren wir, weshalb die eben verlaſſenen Inſeln von den Alten die „äoliſchen“ genannt worden ſind. Urplötzlich ſchien das tyrrheniſche Meer zu kochen; bald wühl- ten haushohe Wellen unter uns, die mit dem „Danube“ ein leich- tes Spiel trieben. Wer vom Dienſte nicht oben feſtgehalten wurde, flüchtete in die unteren Räume. Aber auch hier verwandelte ſich die horizontale oft faſt in eine verticale Lage, indem das gepeitſchte – 236 – Schiff ſich auf die Seite legte; mir ſchien die Zeit wiedergekom- men, wo der ſpielende Knabe ſich wohl einmal auf den Kopf ge- ſtellt hatte. Die ganze Nacht hindurch fuhr der Sturm fort zu toben; erſt am andern Bormittage, nachdem wir die Meerenge von S. Bonifazio dmrchmeſſen hatten, hörte ſeine Wuth auf. Nach- mittags begegneten ſich endlich die bleichen, leidenden Phyſiognomieen der Reiſenden auf dem Verdecke wieder, das harte nächtliche Aben- teuer deutlich anklagend. Aber unſerm Laufe war der Sturm för- derlich geweſen. Schon lag uns die Südweſtſeite der Inſel Cor- ſica mit ihren ſchroff anſteigenden Felſenhäuptern gegenüber. Mit doppeltem Intereſſe betrachtete ich dieſe Wiege des Geſchlechtes der Napoleoniden. Und wenn ſich nicht läugnen läßt, daß die Boden- oberfläche eines Landes beſtimmend auf den Charakter ſeiner Bewoh- ner wirkt, – und wenn die Bergbewohner im Allgemeinen feſter, härter, thatkräftiger, energiſcher zu ſein pflegen, als die der Ebeue, ſo wird man ſich manche Charakterzüge Napoleons I. ungezwun- gener erklären können, nachdem man die gewaltige Felsmaſſe mit ihren tiefen dunkeln Schluchten-Windungen vor ſich hat aufſteigen ſehen. Gerade die Bucht von Ajaccio war es, der gegenüber nahe ge- nug unſer Schiff hinfuhr, um die Stadt gleichen Namens im Hin- tergrunde gewahr zu werden; vielleicht ſchweifte unſer Blick unbe- wußt über das Geburtshaus Napoleons hin. – Der den bei weitem größeren Theil der Inſel einnehmende Höhenzug läßt es nicht auffallend erſcheinen, daß hier auf 178 Quadratmeilen kaum 200,000 Menſchen leben. Die beiden hervorragendſten Spitzen, welche mit 8 bis 9000“ Höhe die Schneelinie erreichen, erſchienen mir von Mitgliedern derſelben Felſenfamilie ſo nahe umgeben, daß bis dort hinauf fruchtbare Thäler nicht hinreichen können. Dage- gen dürften viele bewaldete Höhen dadurch, daß ſie ſchwer zugäng- lich ſind, des Glückes theilhaftig geworden ſein, daß die gewinn- ſüchtigen Menſchen ihr Holz bis jetzt nicht vertilgen konnten. Wir genoſſen alſo hier noch des erfreulichen Anblickes wirklicher Wälder. Corſica iſt ſeinem Umfange nach die dritte unter den Inſeln Italiens und ſeine italieniſch redenden Einwohner waren ſtets freiheitdür- ſtend. – Obgleich nun Corſica ſeit 1811 ein Departement Frank- reichs bildet, ſo könnte man doch jetzt (1859), wo Napoleon III. ſo maſſenhaft franzöſiſches Blut vergießt, um – wie er ſagt – Ita- lien ſeine Freiheit wieder zu verſchaffen, wohl fragen, ob er nicht – 237 – mit der Befreiung Corſica’s vom franzöſiſchen Joche anfangen wolle? Eine andere Frage iſt es, ob den Corſicanern mit dem Verluſte des franzöſiſchen Schutzes gedient ſein könnte. Sie ſollen der franzöſiſchen Regierung mehr koſten als einbringen. – Wir behielten die Inſel den größeren Theil des Nachmittags im Geſichte, und es wurde ſpät, ehe wir Frankreichs Südküſte als einen fernen Nebelſtreifen erblickten. Es war am frühen Morgen des 28. Oktobers, als wir im innern Hafen von Marſeille Anker warfen. Indeſſen wurde es 8 Uhr, ehe ich nach Erfüllung der nöthigen Formalitäten in den ruhigeren Hafen des Hötel de l'Empereur, Rue Canne- bière, einlief, um nach einigen wohlverdienten Raſttagen den Weg über Paris in die Heimath anzutreten. Den äußerſt zweckmäßig angelegten innern Hafen des reichen Marſeille kann ich jedoch nicht verlaſſen, ohne mein Befremden darüber auszudrücken, daß ihm damals, am Ende des Spätſommers, faule Dünſte maaslos genug entſtiegen, um das Geſundheitswohl der zahlreich dort ange- häuften Schiffsmannſchaften, ſo wie der Anwohner der Quai's, in Frage zu ſtellen. Die enorme Maſſe der Auswurfsſtoffe, welche aus Hunderten von Schiffen alltäglich dem Waſſer übergeben wer- den, – im Verein mit der hier lange andauernden Sommerhitze, laſſen das Entſtehen der Mephitis leicht erklären. Aber ſollte es nicht möglich ſein, vermöge eines von Zeit zu Zeit hindurchzulei- tenden Waſſerſtromes den Hafen ſeewärts auszuſchwemmen? Der heutigen Waſſerbaukunſt iſt nichts der Art unmöglich. WWI. Bur Geſchichte und Charakteriſtik der Bsmanen. – Ehedem und jetzt. – Urväter der Dsmanen. – Turkomanen. – Seldſchucken. – Kara Bsman und Brchan, die Stifter der jetzt regierenden Dynaſtie. – Eroberungen in Aſien. – Eindringen in Europa. – Interregnum durch die Gefangennehmung Bajazid's. – Einnahme von Conſtantinopel. – Charakterzüge der heutigen Dsmanen. – Toleranz. – Religiöſer Cultus. – Familien- Leben. – Raçe und ihre Beredlung. – Abnahme der türkiſchen Bevölkerung und ihre Urſachen. – Türkiſche Frauen. – Aberglaube. – Fanatismus. – Zndolenz. – Ausdauernde Tapferkeit bei richtiger Führung. – Schickſals-Glaube. – Heerweſen. – Marine. – Rationale Sorg- loſigkeit. – Pulver-Exploſion. – Häufige Feuersbrünſte. – Volks- Medicin. – Literatur. – Regierungs-Formen. – Hatti-Hümajun. – Municipalweſen. Fachdem vierhundert Jahre verfloſſen ſind, ſeitdem die Os- manen die Hauptſtadt des oſtrömiſchen Reiches, das „erdverbin- dende“ Conſtantinopel erobert und bisher beſeſſen haben, iſt es an der Zeit, wiederholt und immer von neuem zuzuſehen, wie das aſiatiſche Volk mit dem ihm von der Vorſehung in Europa anver- trauten edlen Pfande umgegangen iſt, und wie es jetzt endlich mit dieſem noch zu wuchern im Stande ſein möchte, um das Glück der unterjochten Völker zu fördern. Die gegenwärtige phyſiſche und moraliſche Geſtaltung der Os- manen in Europa und Aſien wird aber unmöglich folgerichtig be- urtheilt werden können, wenn man ſich nicht entſchließen will, ſich der Leitung der Geſchichte ihres Urſprungs, Vorſchreitens, wie ihrer Machtentwicklung, anzuvertrauen. Manche übelbegründete Aus- – 239 – ſprüche über ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, würden nicht vermocht haben, ſich bei den Zeitgenoſſen Geltung zu verſchaf- fen, wenn man den von der Wiſſenſchaft vorgeſchriebenen Weg der Unterſuchung nicht zu oft verſchmäht hätte. Hiermit ſoll aber nicht behauptet werden, daß Wiſſen die Weis- heit nothwendig einſchließe. Wäre dies der Fall, ſo müßte unſer vielwiſſendes Zeitalter ſehr weiſe ſein. Aber unweiſe Maßregeln in Fülle, die wichtigſten Angelegenheiten der Menſchen und des Le- bens unſanft berührend, folgen ſich raſch aufeinander. Unſere ab- gelebte Zeit mag ſie wohl verdient haben. – Für manche Regie- rungen würde es aber eine der unweiſeſten Unternehmungen ſein, Kleinaſien jetzt aus den Feſſeln der Barbarei erlöſen zu wollen; die zu ſolchem Zwecke dorthin geſendeten Männer würden ſich nicht enthalten können, bei jedem Fußtritte das gefährliche Studium der Geſchichte zu treiben. Der mögliche Rückſchlag davon auf das al- tersſchwache Europa läßt ſich nicht berechnen. Kein Dorf bezeichnet die Stelle, wo die Stadt des Kröſus, die Königin Lydiens, einſt ſtand. Sardis iſt von der Erde ver- tilgt. Es iſt nicht nöthig, bis zu den coloſſalen, dennoch aber zu- letzt lächerlich endigenden Unternehmungen des Darius und des Xerxes aufzuſteigen, um ſich Rechenſchaft über die Urſachen eines ſo unerhörten Verſchwindens zu verſchaffen. Die einzige Thatſache genügt, daß Herodot *) zu Sardis noch an dem Grab-Tumulus des Alyattes, des Vaters des Kröſus, Inſchriften fand, aus denen hervorging, daß die Luſtdirnen (!) den größten Theil deſſelben auf ihre Koſten gebaut hatten. Die Nothwendigkeit des Unterganges des weltbeherrſchenden Rom’s kann mit kurzen Worten kaum treffender nachgewieſen wer- den, als es durch Hrn. J. J. Ampère.**) geſchehen iſt. „Nach- dem Rom ſich einmal als Sclavin dem Despotismus der Kaiſer hingegeben hatte, ſo behandelte der Sieger ſeine Gefangenen zwar anfänglich noch milde; bald aber ließ er ſie die Schande ſeiner Launen und ſeine Grau- ſamkeiten empfinden; zuletzt ihrer überdrüſſig, ver- tauſchte er ſie, durch Conſtantin, mit einer jüngeren *) Klio. 93. **) Revue des deux mondes. Aoüt, 1857. -pag. 600. lebensfriſcheren Selavin im Orient. Rom wurde zu - erſt unterjocht, dann unterdrückt, zuletzt verlaſſen; die Barbaren fanden endlich dort nicht viel mehr zu zer- ſtören.“ Aber vermochte Hr. Ampère ſo zu ſchreiben, ohne ſich zu erinnern, daß er mit dieſen Worten zugleich ein ſtrenges Urtheil über das eigne Vaterland ſprach? Ein Land, deſſen Männer, der großen Mehrzahl nach, ſich im Durſt nach Gold und Ehrenzeichen verzehveu, iſt unfähig, den ungemeſſenen Egoismus der Einzelnen auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern. Was auch eine kleine Schaar von Brauſeköpfen dagegen thun mag, – eine Republik iſt dort unmöglich. Starrer Despotismus iſt dort zur Natur-Noth- wendigkeit geworden; von ſeiner Herrſchaft befreit, würden die Par- teien ſich ſo lange gegenſeitig zerfleiſchen, bis ſie zu ihm abermals zurückgekehrt, ſein Joch ſchmiegſamer zu ertragen gelernt haben würden. Die ſpätere Conſequenz von einem ſolchen Zuſtande hat Hr. Am- père ſo richtig gezeichnet, daß es unnütz erſcheinen dürfte, das Bild hier weiter ausmalen zu wollen. Einzelne treffliche Männer, an denen es auch Rom nicht fehlte, ſind unfähig geweſen, das Ver- hängniß zu beſchwören, welches die Sünden Einzelner durch Be- ſtrafung ganzer Völker ſühnt, ſobald dieſe ſich zum Fußſchemel Je- ner herabgewürdigt hatten. Denn Beiſpiele des alten folgte das neue öſtliche Rom willenlos. Geſchichte. – Die Völkerſtämme, welche als die Urväter der heutigen Osmanen betrachtet werden müſſen, bewohnten eine rauhe Hochebene Aſiens, das heutige Turkiſtan. Die alten Per- ſer, die Bewohner von Iran, nannten jene Landſchaft Turan und ihre Bewohner „Turanier“, d. h. Türken. Als Geſammt- name bedeutete er zugleich ſo viel, als bei den Römern und Griechen der Ausdrck „Skythen“, d. h. durch Rohheit und Barbarei kenntliche Menſchen. Auffallend iſt es, daß ſelbſt den Osmanen unſerer Zeit das Wort „Türke“ ungefähr ſo viel als „Barbar“ gilt. – Jene Turanier waren durch die Rauhheit und die Unbilden ihres Kli- ma's abgehärtete Menſchen, die durch den ſtarken Widerſtand gegen Hinderniſſe, welche die Natur ſelbſt ihnen bereitete, eine ungewöhn- liche, zugleich freilich auch wilde, unbändige Thatkraft erlangt hat- ten. – Aus Turkiſtan ſtammen gleichfalls die Turkomanen, welche jetzt das öſtliche und das weſtliche Ufer des caspiſchen See's hewohnen; ihre Sitze bezeichnen denn auch daſ eigentliche „Turk- manenland“. D9ch belegen. Viele auch das tägkiſche Armenien mit dem Namen „Turkmanien“. – Zwiſchen dem Jaxartes und dem Oxus herrſchten in jener frühen Zeit zugleich die Oghuſen. Beide nahmen einhundert und fünfzig Jahre nach Mohammed den Islam an und hießen ſeitdem „gläuhige“ Türken. Aus dem Volke der Oghuſen ging aher der mächtige Stamm der Seldſchuken hervor. Dieſe bewohnten am Ende des zehnten Jahrhunderts das Land von Buchara, von wo ſie ſpäter ihr Herrſcher Mohammed üher den Oxus nach Chorajaj führte. Hier hatte ſich ſein Pa- ter Sebektegin nämlich zum Könige erhoben, nachdem es ihm zuvor gelungen war, ſich von der Stelle eines türkiſchen Sclaven in der perſiſchen Leihwache zum Statthalter von Ghasna empor- zuſchwingen. Mohammed war der Erſte, der den Titel „Kö- nig“ mit dem eines „Sultan“ vertauſchte. – Der letzte Khalife aus dieſem Stamme ſtarb im Jahre 1063 n. Chr. Ihm folgte ſein Neffe Alparslan, der Seldſchuke, der im Auguſt 1071 den griechiſchen Kaiſer Romanus Diogenes in der Schlacht beſiegte, gefangen nahm und tributpflichtig machte. Sein Sohn Melek- Schah, der größte und berühmteſte aller ſeldſchukiſchen Fürſten, beherrſchte ein Reich, welches ſich vom caspiſchen bis zum mittel- ländiſchen Meere und vom Lande der Chaſaren bis zur Spitze Ie- men's erſtreckte. Er errichtete in den Hauptſtädten Schulen und Akademien, von denen die berühmteſte die zu Bagdad war; dadurch erwarb er ſich den Namen eines Beſchützers der Gelehrten, heſon- ders der Dichter. Auch war er der Begründer einer verbeſſer- ten Zeitrechnung. – So ſtellt p. Hammer *) den Hergang bei der Gründung des Seldſchuken Reiches dar, zu deſſen Hauptſitz ſpäter Ikonium, Koniah der Türken, erhoben wurde. Etwgs abwei- chend erzählt den Verlauf dieſes für die Begründung der Herrſchaft der Osmanen in Aſien ſo wichtigen Geſchichts-Abſchnittes Wil- tenº). Nach ihm gte Meet-Schah, welcher in Bagdad reſidirte den Feingº, den Sohn des Kutilmiſch, des Rut- wmºs der rämiſcheſ Schiffer, nach Kleinaſien geſchickt, um den Mord des griechiſchen Kaiſers Romanus Diogenes zu rächen. *) Geſchichte der Osmanen. I. S. 12. **). Geſchichte der Kreuzzüge. Th: I. Leipzig, 1807. S. 272. 11 – 242 – Dies geſchah wahrſcheinlich 1073 n. Chr. Suleiman bekriegte und vertrieb die verrätheriſchen Griechen, nachdem er ihnen Ikonium abgenommen hatte. Da aber jener Kutulmiſch ein Sohn des Arslan, ein Enkel des Seldſchuk war, ſo wurde das von Su- leiman in Aſien geſtiftete ſelbſtſtändige Reich das Reich der Scld- ſchuken genannt. Letzteres erloſch im Jahre 1307, indem der letzte Fürſt dieſer Dynaſtie, Aladdin II., ſammt ſeinem Sohne von Ghaſan, dem Chan der Mongolen, im Treffen überwunden und getödtet wurde. – Eine nicht unwichtige Rolle ſpielten während dieſer kriegeriſchen Umwälzungen die Hadſchiſchi, welche von den Abendländern Aſſaſſinen genannt wurden. Die Mitglieder dieſer Rotte Ismaels verbanden ſich durch Gelübde zu jedem Meuchel- morde, der ihnen von ihrem Scheich aufgegeben werden würde. Dieſer Scheich, welcher um die Zeit der Annäherung der erſten Kreuzfahrer an Jeruſalem im Juni 1099, Haſſan hieß, wußte ſeine Anhänger durch den Gebrauch des Hadſchiſch (vergl. oben S. 210) ſtets in künſtlicher Aufregung und Begeiſterung zu erhalten, indem er ihnen zugleich vorſpiegelte, daß die in ſeinem Dienſte Umgekommenen aus den von ihm ſchon hier geſchaffenen paradieſiſchen Freuden nach dem Tode direct zu jenen des ewigen Paradieſes übergehen würden. Auch wurden ſie von den Ueberlebenden als Märtyrer und Heilige verehrt. Dieſe mit islamitiſchem Religionshaſſe verbundene dämo- niſche Macht hat ſich durch ihre künſtlichen Getriebe geraume Zeit zu erhalten gewußt. Bei dieſem Punkte der Geſchichte angekommen, kann der vor- urtheilsfreie Beobachter kaum mehr daran zweifeln, daß die wilden barbariſchen Söhne der rauhen Hochebene von Turan im Kampfe mit den durch Despotie, Sclaverei und Luxus bereits tief geſunke- nen Griechen ſchließlich das Uebergewicht behalten würden. – Ziemlich allgemein wird angenommen, daß es Strabo geweſen, welcher den Satz zuerſt wiſſenſchaftlich begründete, daß es haupt- ſächlich das Klima ſei, dem der wichtigſte Einfluß auf die Ver- ſchiedenheit der entfernt von einander wohnenden Menſchen in phy- ſiſcher und moraliſcher Hinſicht eingeräumt werden müſſe. Indeſſen war dies ſchon vierhundert und ſiebzig Jahre vor Strabo durch Hippokrates weit ausführlicher und gründlicher dargeſtellt wor- den. Seine höchſt ausgezeichnete Schrift „von der Luft, den Waſ- ſern und den Gegenden“ kann den ſpäteren Schriftſtellern unmög- – 243 – lich unbekannt geblieben ſein; durch ihn ſind ſie wahrſcheinlich zu ähnlichen Unterſuchungen angeregt worden. Hippokrates drückt ſich in dieſer Hinſicht ſo aus*): „Diejenigen nämlich, die eine bergigte, unebene, hohe und an Waſſer arme Gegend bewohnen und große Abwechſelungen der Jah- reszeiten erleiden, ſind große, ſehr arbeitſame, muth- volle Menſchen und pflegen zugleich ſehr wilde und rauhe Sitten zu haben.“ – „Diejenigen dagegen, die in tiefen, grasreichen und heißen Thälern leben, die mehr warmen als kalten Wintern ausgeſetzt ſind und ſich warmer Waſſer zum Getränke bedienen, ſind we- der groß, noch ſchlank, ſondern vielmehr dick und flei- ſchig.“ „ Von Natur ſind ſie weder muthig, noch ar- beitſam, obgleich ſie beides werden könnten, wenn ſie durch Geſetze dazu gebildet würden.“ Für den Zweck der gegenwärtigen Schrift iſt beſonders wichtig, was Hippokrates über den Unterſchied zwiſchen Europäern und Aſiaten ſeiner Zeit ſagt **). Die Erſteren hält er für muthiger und kriegeriſcher, räumt aber ihrer körperlichen Conſtitution dabei den gebührenden Einfluß ein. In letzterer Hinſicht heißt es von den damaligen Aſiaten bei ihm: „Bei einer ſclaviſchen Denkungsart ſetzt man ſein Leben nicht gern für die Vergrößerung der Macht eines Dritten in Gefahr.“ – Sodann hatte Polybius ***) ſchon zwei Jahrhunderte vor Strabo aus ähn- lichen Urſachen ähnliche Wirkungen abgeleitet. In Arkadien, einer an trefflichen Viehweiden in wellenförmigen Thälern reichen Hochebene geboren, fand er ein rauhes Klima hier vor. Den Un- bilden eines häufigen Wechſels der Lufttemperatur ausgeſetzt, herrſch- ten durch die die Ebene rings umgebenden ſchroffen und zerklüfteten Gebirge dort außerdem ſcharfe Winde und heftige Regengüſſe. Dieſen Umſtänden ſchreibt Polybius es zu, daß ſeine Landsleute den verfeinerten Sitten und Gebräuchen des helleniſchen Lebens wenig zugänglich waren. – Der weſentliche Charakter-Unterſchied zwiſchen *) Nach der deutſchen Ueberſetzung der Ausgabe von Coray durch Hö- gelmüller. Wien, 1804. § CXX und CXXI. S. 225. *) A. a. O. §§ 115, 116 und 117. S. 223 und 24. *) Iv. 21. 1. 110 – L44 – den Bewohnern der Gebirge und der Ebene in den Donau-Für- ſtenthümern iſt früher (Bd. I. S.186) bereits erwähnt worden. Ertoghrul, Schah eines Stammes der Oghuſen, war durch den Mongolenführer Dſchengis - Chan aus Choraſſan nach Armenien vertrieben worden; er wendete ſich hierauf mit 400 Familien nach Weſten, zu dem Seldſchuken-Fürſten Aladdin I., um Schutz bittend. Dieſem ſtand er, tapfer kämpfend, wider die mongoliſchen Tartaren, ſowie gegen die Griechen, bei. Dafür wurde ihm der Diſtriet Sultan -öni, noch heute ein Sandſchak gleichen Namens, zum Lehen angewieſen und ihm fortan die Grenz- bewachung gegen die Griechen anvertraut. Ertoghrul’s älteſter Sohn, Osman, wurde 1258 n. Chr., im Jahre 657 der Hed- ſchra, geboren; er erhob ſich zum Stammvater der heutigen os- maniſchen Herrſcher. Osman, mit dem Beinamen Kara, der Schwarze, durch den letzten Sultan der Seldſchuken mit der Fürſtenwürde belehnt, wurde durch den im Jahre 1307 (707 der Hedſchra, richtiger Hidſchret) erfolgten Umſturz des Seldſchuken-Reiches ſelbſtſtändig. Das ſeldſchukiſche Reich war in zehn unabhängige Theile zerfallen, die erſt nach 150 Jahren unter einem Seepter wieder vereinigt wurden, um jetzt eine Statthalterſchaft des osmaniſchen Reiches zu bilden, Anatoli nämlich, Kleinaſien. Jene zehn unabhängigen Staaten wurden von islamitiſchen Häuptern regiert. Unter ihnen war es jener Osman, der in Galatien und Bithynien bis an den Olymp herrſchte. Er überwinterte mit ſeinen Völkern in Städten, überſommerte aber auf Berghöhen und Alpen, um ſeine zahlreichen Heerden zu weiden. Dieſe aus Turkiſtan mitgebrachte Sitte iſt in den von dort her ausgewanderten Volksſtämmen ſo tief eingewurzelt, daß ſie noch heute von den Turkmanen allenthal- ben, namentlich an dem bithyniſchen Olymp, geübt wird. Schon vorher hatte Osman mehrere griechiſche Schlöſſer in der Nähe des bithyniſchen Olymp erobert. Jetzt machte er ſich zum unab- häugigen Fürſten der Umgegend des Olymp und ſchlug als ſolcher ſeine Reſidenz zu Jeniſchehr (Neuſtadt), zwiſchen Nicäa und Bruſſa, auf. Die unter den griechiſchen Befehlshabern der um- liegenden feſten Punkte herrſchende Zwietracht begünſtigte die Er- oberung derſelben. Es kann hinzu, daß der Kaiſer Michael, der Paläologe, nach der Zurückeroberung Conſtantinopels von den - 245 - Franken, den Grenzbefehlshaberw nicht nur den bisher genoſſenen Soldº entzog, ſondern ſie ſogar ndch mit Auflagen plagte und das durch thörichter Weiſe in ihnen die Neigung zur Bertheidigung der ihnen anvertrauten Veſten abkühlte. So konnte es ſchon 1301 in der Nähe von Nieomedien (bei Bapheum), alſo gleichſam im Ans geſichte von Conſtantinopel, zu einem Treffen zwiſchen Osman und den byzantiniſchen Leibwachen kommen, in welchem erſterer Sieger blieb. Dann ſiegte er 1307 ſogar in offener Feldſchlacht gegen den Befehlshaber von Bwuſſa und gelangte dadurch in den Beſitz der letztere wichtige Stadt ſchützenden nachbarlichen Schlöſſer, wagte auch hierauf die vor dem Eingange in den Meerbuſen von Mudania (dem kianiſchen) liegende reiche Inſel Kalolimne, das heutige Galios, wegzunehmen. Die Osmanen legen großen Werth auf die prophetiſche Be- deutung. von machtweiſſagenden Träumen Ertoghrul's und Os- man’s. Dies beruht auf einer im Morgenlande allgemein ver- breiteten Sitte, der deshalb hier ein Raum gegönnt werden mag.– Nach dem Worte Mohammed's des Propheten kommen „die gu- ten Träume vom Herrn“. Der Morgenſchlaf iſt der der wahren Zeit prophetiſcher Traumerſcheinungen. Die vomantiſche Sage bo- mächtigt ſich bald der patriarchaliſchen Ueberlieferung; dichteriſche Kunſt ſchmückt ſie weiterhin aus. – Die Träume Evtoghrul’s und Osman’s ſcheinen dem bekannten Traume Jakobs nachge- bildet zu ſein, wie dies auch mit den Träumen des Großvaters des Cyrus, der Mutter des Dſchengis - Ehan u. ſ. w. der Fall geweſen ſein mag. Sie thun dar, daß der Sinn für Pro- phezeiungen, der die Morgenländer ſeit der grauen Vorzeit her be- herrſcht, nicht untergegangen iſt im Laufe der Jahrhunderte. Oft ſtützen ſie ſich auf geſchichtliche Begebenheiten, oder ſtehen mit dir- ſen in Zuſammenhang. Der dort durch eine lebhafte Phantaſie leichter entflammte Enthuſiasmus, der an und für ſich ſchon die Klar- heit ruhigen, verſtändigen Nachdenkens ſtört, ſpornt, auf ein ſol- ches Gewebe von Wahrheit und Dichtung weiter bauend, zu großen und leidenſchaftlichen Unternehmungen an, welche die Geſchichte morgenländiſcher Völker ungleich häufiger durchziehen, als die der Abendländer. Ob und was der Traum Osman’s, von einem aus ſeinen Lenden emporſtrebenden Baume, der die Meere, Berge und Flüſſe der Erde überſchattete, wie ihn die meiſten Werke über die Ge- – 246 - ſchichte der Osmanen wiedererzählen *), dazu beigetragen haben mag, ſeinen Enthuſiasmus zu entflammen, würde ſich freilich kaum durch Zeitgenoſſen haben nachweiſen laſſen. - - - Eine in der eigenen Familie verübte Mordthat Osman's wirft ein blutiges Streiflicht auf das in ihm lodernde wildbarba- riſche Feuer, durch welches angeſtachelt er jeden ſich ihm entgegen- ſetzenden Widerſtandsverſuch augenblicklich niederzuwerfen vermocht wurde. Sein beinahe neunzig Jahre alter Oheim Dindar rieth nämlich einſt im Kriegsrathe, welchem Osman einen Plan zur Er- oberung des dicht vor ſeiner Reſidenz (Jeniſchehr) liegenden Schloſ- ſes Köpri-hiſſar vorgelegt hatte, zum Verſchieben der Ausfüh- rung. Wüthend über ſolche Durchkreuzung ſeines Lieblingsplanes, ſchoß Osman den klugen Alten auf der Stelle mit einem Pfeile nieder. Als Alexander der Macedonier ſich durch die an dem Sohne eines ſeiner Gefährten verübte ähnliche Mordthat beſudelte, war er durch Wein berauſcht. Osman aber war es durch unge- bändigten Stolz und grenzenloſes Selbſtvertrauen, vor welchem jede Regung der Pietät verſtummen mußte. Sehr bezeichnend für die in den Osmanen vorherrſchenden Geſinnungen hierüber erſcheint es, daß osmaniſche Geſchichtsſchreiber, unter ihnen beſonders der be- rühmte Edris, jenen Familienmord zu den rühmlichen Thaten Osman’s rechnen. So ſteht denn wirklich jene geſchichtlich con- ſtatirte Gräuelthat als blutiges Wahrzeichen an der Pforte des Einganges zur Geſchichte der osmaniſchen Dynaſtie ; Bruder- und Vatermord ſind ſeitdem in ihr an der Tagesordnung ge- weſen. – Dem Naturforſcher mag es auffallen, wie die Orientalen es dem Osman als einen körperlichen Vorzug anrechnen konnten, daß er lange, mit den Händen bis über die Kniee hinabreichende Arme hatte, obgleich dieſe eine Eigenthümlichkeit des Affengeſchlech- tes bilden. Doch ſchon lange vor ihm war aus einer ſolchen Kör- pereigenſchaft dem perſiſchen Artaxerxes Longimanus Ruhm und Beiname erwachſen. Die in dieſer Weiſe erreichte Verkörpe- rung der altrömiſchen Behauptung: Regibus longas esse manus – dürfte freilich nicht allenthalben eine gleich bereitwillige Aner- kennung finden. Doch bei Osman galt ſogar die arabiſche Wort- «. *) Vergl. z. B. v. Hammer, a. a. O. I, S. 47. – 247 – bedeutung der Wurzel ſeines Namens: „Beinbrecher“ – als gün- ſtige Vorbedeutung *). Osman nahm die beiden vornehmſten Souverainetätsrechte des Islam, die Erwähnung ſeines Namens im Kanzelgebete am Freitage - und das Münzrecht, bei dem Tode Aladdin's II. des Seldſchuken, an. – Die Abkunft der Osmanen von den Seld- ſchuken, ihren Vorgängern, ſteht nicht blos durch jene hiſtoriſchen Data, ſondern auch durch Gleichheit der Sprache feſt. Die Sprache der heutigen Osmanen iſt nämlich die neu -türkiſche oder ſeld- ſchukiſche, im Gegenſatze zu der alt - türkiſchen oder tſcha- gataiſchen, d. h. der Sprache der Uiguren oder Usbegen, welche noch heute das öſtliche Turkiſtan bewohnen. Orch an, oder Urchan, der älteſte Sohn Osman’s, trat ſchon früh in die Fußtapfen des Vaters, dem er noch kurz vor ſei- nem Tode die Genugthuung verſchaffte, im Jahre 1326 n. Chr. das lange vergeblich belagerte Bruſſa durch friedliches Ueberein- kommen mit dem Befehlshaber der wichtigen Stadt einzunehmen. Dieſer zahlte für die Erlaubniß, frei nach Gemlik an das Meer abziehen zu dürfen, noch außerdem dreißigtauſend Ducaten. Die uralte Hauptſtadt der Könige Bithyniens wurde von jetzt an die Reſidenz der Osmanen; ſie blieb es bis zur Verlegung des Thron- ſitzes nach Adrianopel, mit welchem ſie fortan jenen Vorzug theilte. Orchan, der blonde und blauäugige Sohn des ſchwarzen Osman, von der ſchönen Malchatnn, war von hoher Statur und Stirn, mit breiter Bruſt und kräftiger Fauſt ausgeſtattet. Er war mit einem angebornen Muttermale unter dem rechten Ohre gezeichnet, was nach morgenländiſchem Schönheitsbegriffe als gro- ßer Vorzug gilt. Er ſcheint mit etwas milderen Geſinnungen die Herrſchaft angetreten zu haben, als ſein Vater. Nachdem ſein jün- gerer Bruder Aladdin die ihm angebotene Hälfte der vom Vater zurückgelaſſenen Heerden beſcheiden ausgeſchlagen hatte, erhob ihn Orch an zu ſeinem Vezier. – Dieſer erwarb ſich durch Einfüh- rung einer geregelten Geſetzgebung und feſter Heeres-Einrichtung großes Verdienſt um das Aufblühen des türkiſchen Reiches. Be- ſonders bemerkenswerth bleibt aber die unter Orchan ſtattgehabte *) Vergl. v. Hammer a. a. O. I. S. 64. – 248 =- Begründung des erſten ſtehenden Heeresini Mittelalter Cärk VII. von Frankreich folgte damit erſt um ein ganzes Jahrhundert ſpä- ter. Neben den turkomaniſchen Reitern, den Rennern söer Strei- fern, Akindſchi, die nur zur Zeit kriegeriſchen Bedürfniſſes eif- berufen wurden, forüfirte man jetzt zuerſt ſtehend beſoldete Füß- trafpen, Piade oder Jaja, benen bald die Janitſcharen (Jeni - Tſcheri, d. h. neue Truppe) folgten, die zu charakteriſtiſch für das Türkenthum erſcheinen, als daß ſie nicht an dieſem Orte etwas näher ins Auge gefaßt werden ſollten. Nür aſiatiſche teufliſche Grauſamkeit konnte mit kalter Berech- nung den furchtbaren Plan entwerfek, ben beſiegten und zu Selä- ven herabgewürdigten Chriſten ihre Knäben gewältſam zu entreißen, dieſen ſchon früh mit den Eltern zugleich Religiön und Vaterland ja räuben, ſie dann zur Annähme des Islam zu zwingen üñd eid- lich zu Soldaten, als ſolche auch zu den wildeſten Widerſachern des Chriſtenthüffis heranzuziehen. Was ließ ſich nicht von Meſſ- ſcheit erwartet, deren Bruſt várch das ſüße Gefühl der Liebe zu den Eltern, der Familie, dem Vaterlande nicht erwärmt, denen äſßerdem der wüthendſte Religiöſishäß gegen Andersdenkende vom järteſten Lebensalter her methodiſch, mit eiſerner Conſequenz, ein- geprägt worden wät. Män verſäumte dabei nicht, ſié mit äff- mälig ſteigenden Soldé und mit ausgezeichneter Verpflegung aus- zuſtatten. – Indeſſen wurden die geraubten Chriſtenkinder nicht blöß zi Soldaten erzogen, ſondern die begabteren unter ihnen auch in den Cibil-, fögar in den Kirchendienſt entlaſſen. Dieſekbe kai- ſerliche Hand jedoch, belche dieſe gläſernen Standbilder – ſo nennt ſie ein türkiſches Sprichwört – erhoben hätte, könnte ſie auch, ſobald ſie mißfällig würden, zerbrechen. – Den in der Ex- führung ſich ſtets bewährenden Grundſatz, daß, wer gut fechtende Söldäten haben wolle, bör allen Dingen für ihren Magen ſorgen iñüſſe, erkänfte män dört ſchöi früh in ſolchem Grade an, daß die Offiziere der Jänitſchären ſogär ihre Namen nach Verpflegungs- Bedürfniſſen führten. Der Oberſte des Regiments (der „Kam- mer“) hieß z. B. Tſcharbadſchi, d. h. der Suppenmacher, die räch ihm folgenden Oberoffiziere „der oberſte Koch", „der Waffet- träger“ u. ſ. rd. Der Fleiſchkeſſel diente nicht blöß zitin Mittel- punkte der Verſammlung während des Eſſens, ſondern auch wäh- rend der Berathung. Unſer civiliſittes Zeitalter mag über ſolche Gebräuche ſtarke Heiterkeit empfinden; daß ſie aber ſehr geeignet waren, für rohe Menſchen ein kräftiges argumentum ad homi- nem abzugeben, läßt ſich dennoch nicht in Abrede ſtellen. In dem türkiſchen Ogusname (der Väter Worte) findet ſich der Spruch: „Dem, der mit dem Löffel Speiſe austheilt, ſtich mit dem Löffel die Augen nicht aus.“ Hatten doch auch ſchon die Römer ihr: „Bovitriturantios ne clauseris.“ – Erwägt man ferner, daß der gemeine Janitſchar licht bloß wohlbegründete Ausſicht hatte, durch Tapferkeit zu den höchſten Ehrenſtellen aufzuſteigen, in ſpäte- ren Zeiten ſogar Einfluß auf die Thronfolge und die oberſten Re- gierungsbeamten auszuüben, ſo erſcheint es erklärlich, wie hier durch klug berechnete Zuſammenfügung mächtig auf die Menſchen wirken- der Motive die großen Erfolge der türkiſchen Heere, äußerſt zweck- mäßig vorbereitet, die Söldner des altersſchwachen Europa's dagegen mehrere Jahrhunderte lang durch die jugendlich wilde Kraft jenen in Erſtaunen geſetzt und erſchüttert werden konnten. – Die Zahl der alljährlich zu ſolchem Zweck ausgehobenen Chriſtenknaben betrug anfänglich tauſend, unter Mohammed II., dem Eroberer Conſtan- tinopels, zwölftauſend, unter Mohammed IV. vierzigtauſend. Un- ter des Letzteren Regierung fing man an, die eigenen Kinder der Janitſcharen zu Hülfe zu nehmen, und von dieſer Zeit an datirt der Verfall der ſonſt ſo mächtigen Inſtitution, der von da ab die frühere ununterbrochene Verjüngung durch eltern- und heimathloſe: Menſchen fehlte. In demſelben Maße, als ihre Energie nach au- ßen hin abnahm, ſteigerte ſich die nach innen gerichtete Thätigkeit, und ihr Uebermuth. – Nach Art der römiſchen Prätorianer maß- ten ſie ſich allmälig die Herrſchaft über das Staatsoberhaupt an, ſetzten Sultane ab und wählten Andere an ihre Stelle. So un- erträglich war endlich ihre Anmaßung geworden, daß Sultan Mah- mud endlich 1826 ihre Vernichtung beſchloß. Mangel an Disci- plin und zahlloſe Beeinträchtigungen der ruhigen Einwohner in ih- rem rechtlichen Erwerbe hatten ihnen längſt ſchon den allgemeinen Haß zugezogen, als ſie ſich endlich in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni 1826 auf dem At-Meidan (dem alten Hippodrom) ver- ſammelten, um von dem Sultan die Beſeitigung der ihnen ſeit drei- Tagen zugeſchickten egyptiſchen Inſtructions-Offiziere zu verlangen. Gütliche Aufforderungen, zum Gehorſam zurückzukehren, blieben ohne Erfolg; als Antwort darauf zerſtörten ſie den Palaſt des 11es – 250 – Großveziers. Da ließ man die auf ſie gerichteten Geſchütze wirken; ein Theil von ihnen ſuchte ſich nun vergebens in die Kaſernen zu retten, die man anzündete. Man berechnet, daß 5- bis 6000 Janit- ſcharen an dieſem und dem nächſtfolgenden Tage theils niederge- ſchoſſen, theils verbrannt, theils hingerichtet worden ſind; 15,000 wurden nach Aſien exilirt. Sultan Mahmud ließ ſich vom Zorn gegen ſie ſo weit fortreißen, daß auf ſeinen Befehl den Grabſteinen der Janitſcharen auf dem großen Begräbnißplatze zu Scutari der mit dem Turban gezierte Kopf abgeſchlagen wurde; noch heute be- zeugen die verſtümmelten und herumliegenden Steine dort, daß der Grundſatz, von den Todten nur Gutes zu ſprechen, dem Sultan fremd war, obgleich doch die Osmanen die Gräber ihrer Vorfahren heilig zu halten pflegen. Jouannin und van Gaver geben eine gedrängte aber ge- nügende Ueberſicht jenes geſchichtlich bedeutenden Ereigniſſes*). Bis zu dem tragiſchen Ende der Janitſcharen hin überboten ſich die osmaniſcher Geſchichteſchreiber einſtimmig in anerkennenden Ausſprüchen über die Weisheit jener Inſtitution. Nach ihrer blu- tigen Vertilgung wagt kaum noch einer von ihnen zu ſprechen; aber die orthodoxen Türken, welchen die Geſchichte ihres Stammes nicht ganz fremd iſt, werfen ſehnſüchtige Rückblicke auf jene Zeiten, in denen die Janitſcharen ihre ſiegreichen Waffen bis nach Wien tragen durften und das Abendland vor ihnen zitterte. Die oben erwähnten Piade wurden noch unter Orchan mit Landgütern belehnt und übernahmen damit die Verpflichtung, wäh- rend des Krieges dem Heere die Straßen und Brücken zu bauen, auch bei Belagerungen dienſtbar zu ſein. Sie gaben alſo ſchon ein Vorbild für unſere Pioniere. Auch dieſe Inſtitution verfiel ſpäter; mit den frei gewordenen Gütern belehnte man verdiente Janitſcharen-Offiziere. – Eine entfernte Aehnlichkeit mit ihnen haben die ruſſiſchen Militär-Colonien unſerer Tage gehabt. Doch auch ſie ſcheinen bekanntlich den von ihnen gehegten Erwartungen nicht entſprochen zu haben. Der einzige Verſuch, den griechiſcher Seits der Kaiſer An- dronikus der Jüngere im Jahre 1330 machte, ſich den Osmanen entgegen zu ſtellen und namentlich das längſt bedrängte hochwichtige *) Turquie. Paris, 1840. pag. 402. sq. – 251 – Nicäa zu retten, lief traurig ab. Das Gefecht bei Pelekanon (dem heutigen Maltepeh) endete mit einem Rückzuge; auf dieſem wurden die verwirrt ziehenden Griechen bei Philokrene (Taw- ſchandſchil) von den Reitern Orchans ereilt und mit bedeutendem Verluſte geſchlagen. Bald hernach fiel das durch Hunger und Peſt erſchöpfte Nicäa zum dritten Male mittelſt Vertrages in die Hände der Türken. Seine feſten hohen Mauern hatten aber früher, von dieſen vertheidigt, dem großen Heere der Kreuzfahrer und den be- rühmteſten chriſtlichen Führern der damaligen Zeit ſieben Wochen lang widerſtanden. Nach jenen Vorfällen verhielt ſich Orchan ruhig. Außer den erwähnten Staatseinrichtungen beſchäftigten ihn die Gründung von Schulen, Moſcheen, Klöſtern und Armenküchen, zuerſt 1327 zu Aidos nach deſſen Eroberung, dann drei Jahre ſpäter zu Nicäa, endlich 1335 zu Bruſſa. – Als er 60 Jahre alt war, warb er um die Tochter des Kaiſers Kantakuzeno; er ſcheint durch die 1346 wirklich erfolgte feierliche Vermählung mit der Prinzeſſin Theodora von weiteren Unternehmungen gegen die Chriſten perſönlich abgehalten worden zu ſein. Doch war er nicht im Stande, den räuberiſchen Ueberfällen ſeiner wilden Osmanen genügend zu wehren, die ſchon 1348, fortan aber immer häufiger die gewohnten Uebergänge über den Hellespont nach Europa fort- ſetzten und mit Beute beladen zurückzukehren pflegten. Für die Geſchichte der Dobrudſcha iſt es wichtig, daß der erſte türkiſche Verſuch, ſich in Europa anzuſiedeln, dieſer Landſchaft ſich zuwendete, die im letzten Kriege durch Unvorſichtigkeit franzöſi- ſcher, nicht minder auch ruſſiſcher Führer, einen ſo unheilvollen klimatiſchen Einfluß auf die dorthin geführten Heeresſäulen aus- geübt hat. Zehn- bis zwölftauſend Turkmanen ſetzten ſich 1263 n. Chr. unter Anführung von Saltukdede am weſtlichen Ufer des ſchwarzen Meeres feſt. Mit ihrer Hülfe ſtreifte hernach Ber- kechan, der Beherrſcher der Tartaren der Krim, bis unter die Mauern Conſtantinopels, führte aber ſpäter die ganze Colonie mit ſich nach der Krim zurück, – wie 1855 umgekehrt die Türken eine tartariſche Colonie aus der Krim nach der Dobrudſcha über- geſiedelt haben. – Jener „heilige Saru Saltukdede“ hat zu- gleich eine Geſchichte der Seldſchuken verfaßt, die einen Theil des älteſten, unter dem Namen „Ogus name“ berühmten türkiſchen – 252 – Sitten- und Geſchichtsbuches ausmacht*). – Erſt 1307 folgte ein zweiter Uebergang. Diesmal waren es die durch den griechiſchen Kaiſer bedrängten Katalanen (Almogabaxen, Mogabaren), welche den aus den Trümmern des Seldſchuken-Reiches in ähnlicher Art wie Osman hervorgegangenen Herrſcher von Aidin um Hülfe erſuchten. Dreitauſend Turkmanen gingen nahe bei Conſtantinopel nach Europa über; ſie, und der Verrath der Turkopolen, d. h. zum Chriſten- thum bekehrten Türken, im Heere des Kaiſers, bewirkten für dieſen - den Verluſt der Schlacht von Kypſella (jetzt Ipſala), nach welcher die Türken Thracien, von Rodoſto bis Biſa am ſchwarzen Meere durchſtreiften. Der Kaiſer Andronikus wußte ſich ihrer nicht anders zu erwehren, als daß er eine Mauer vom Gebirge bis ans Meer zog. Beſſer gelang dies den Katalanen, die die Führer der Türken hinrichteten,–ſowie dem König der Serben, Milutin Uroſch, der 1500 in ſeinen Sold übergetretene, ſpäter ſich wider ihn empörende Türken großeutheils niederhauen ließ und die Uebriggebliebenen zwang, nach Kleinaſien zurückzukehren. - Der erſte Zug osmaniſcher Türken fällt in das Jahr 1321; ſie ſetzten nach der thraciſchen und macedoniſchen Küſte über und brachten brennend und verheerend Städte und Land achtzehn Monate lang in ſchweren Verluſt. Als aber der Kaiſer Andronikus der- Aeltere ſich nicht ſcheute, gegen ſeinen empörten Eukel Andronikus den Jüngeren im Jahre 1327 die Osmanen zu Hülfe zu rufen, dieſer dagegen in Folge deſſen ſich mit den turkmaniſchen Beherr- ſchern Joniens und Lydiens verbündete, da erſchien ihr Eindringen in Europa durch die chriſtlichen Herrſcher ſelbſt genügend gerecht- fertigt. Fortan kann es nicht mehr befremden, daß die Osmanen aus der heilloſen Verwirrung des tief demoraliſirten griechiſchen Kaiſerreiches Nutzen zu ziehen, ſtrebten. Es muß vielmehr Ver- wunderung erregen, daß die Reſte des zuſammenbrechenden Staates ſich noch über ein Jahrhundert lang nach der letzterwähnten unheil- vollen Kataſtrophe aufrecht zu erhalten vermochten, wenngleich nur in der Metropole concentrirt, - , , Ein ſolches Hülfsbegehren Kantakuzeno's war es auch, dem Orch an 1349 Folge leiſtete, als er dem Schwiegervater Hülfs- - - - - * - *) Vergl. Eichhorn, Geſchichte der Literatur. 3. Bd. 2. Abth. Göttingen, 1812. S. 1107. – 253 – truppen gegen die Serben unter ſeines Sohnes Suleiman Befehl ſendete. Die Serben wurden beſiegt. Dies hinderte indeſſen nicht, daß Orchan ſchon 1353, durch genueſiſches Gold gewonnen, den Genueſen gegen den Kaiſer, in der Vorſtadt der kaiſerlichen Reſi- denz zu Galata.thätig beiſtand. Von da ab leiſtete er bald ſeinem Schwager Joannes dem Paläologen, dem Mitregenten Kanta- kuzeno's, bald dieſem, ſeinem Schwiegervater, Hülfe. Dieſe zwei- deutige Politik Orchan's macht es ſehr wahrſcheinlich, daß er den Plan ſeines Sohnes Suleiman, auf europäiſchem Boden feſten Fuß zu faſſen, gutgeheißen und befördert habe. Dieſer ſetzte näm- lich im Jahre 1356 von Cyzikus aus über den Hellespont, über- rumpelte das feſte Schloß Tzympe oberhalb Gallipoli und ließ von dort aus, durch ein heftiges Erdbeben unterſtützt, ſeine Ge- fährten durch die geborſtenen Mauern der nachbarlichen Städte in dieſe eindringen und ſie beſetzen. Außer Gallipoli fielen Rodoſto, Ipſala, Konur und Bulair noch während des nämlichen Jahres in ihre Hände. Indem Kantakuzeno und ſein Mündel Joannes um die griechiſche Herrſchaft ſtritten, ſtrömten ſtets neue Horden von Türken und Arabern über den Hellespont, oft nur um im Sommer zu rauben und zu zerſtören und dann im Winter mit ihrer Beute nach Aſien zurückzukehren, Suleiman aber ſtürzte 1358 auf der Jagd ſo, daß er zur Stelle todt blieb. Dieſem Sohne hatte Orchan, ſowie früher ſeinem Bruder Aladdin, die Würde eines Paſcha verliehen. Das perſiſche Pai Schah, aus welchem das Wort zuſammengezogen entſtanden, heißt Fuß des Schahs*). Nach altperſiſcher Sitte hatte man nämlich dort die hohen Staatsbeamten Füße, Hände, Augen und Ohren des Herrſchers genannt. Orchan ſelbſt ſtarb, 75 Jahre alt, im Jahre 1359. Ihm folgte ſein zweiter Sohn Murad I. (Amurat I.). Als Krieger hat er ſich durch weitausgedehnte Eroberungen in Europa bekannt gemacht, die ihm durch die Feigheit und Zwietracht der geſunkenen Griechen leicht wurden. An humaner Bildung erreichte er aber weder den Vater, noch die meiſten ſeiner Nachfolger. Er ſcheint zuerſt die in rothe Dinte getauchte Hand anſtatt des Namenszuges unter amtliche Artenſtücke gedruckt zu haben; die Gelehrten wan- derten unter ihm aus ſeinem Reiche aus. Doch baute er nach- *) Vergl. v. Hammer. I. S. 157. – 254 – ahmend Moſcheen und Collegien, z. B. die durch eine eigenthüm- liche architektoniſche Verbindung beider ausgezeichnete große Moſchee zu Tſchekirghe bei Bruſſa, verſah auch das berühmte alte grie- chiſche Bad daſelbſt mit einem neuen Dom, indem er ſich dazu eines ausländiſchen (wahrſcheinlich griechiſchen) Baumeiſters be- diente. Für ganz Europa mußte es bedeutungsvoll erſcheinen, daß die zweite Stadt des griechiſchen Reiches in Europa, Adrianopel, 1361 ohne ernſte Vertheidigung in die Hände Murad's fiel. Durch einen ſeiner Heerführer, Lalaſchahin, waren die Griechen vor der Stadt geſchlagen worden und ihr feiger Befehlshaber dar- auf entflohen. Nachdem dieſe durch Natur und Kunſt reich aus- geſtattete Vormauer Conſtantinopels, die zweite Stadt des Reiches, nicht hatte erhalten werden können, ließ ſich der nachfolgende Fall der Hauptſtadt ſelbſt bereits mit Sicherheit vorherſehen. Murad begriff die Wichtigkeit der neuen Eroberung vollkommen, indem er ſeine Reſidenz 1365 nach Adrianopel verlegte; zwei Jahre vor- her war ſeine Macht in Europa nämlich noch durch eine Nieder- lage der gegen ihn verbündeten Serben, Ungarn, Bosnier und Walachen befeſtigt worden, aus der der König Ludwig von Un- garn ſein Leben nur kümmerlich gerettet hatte. Lalaſchahin hatte indeſſen Philippopolis (Filibe) beſetzt und ſich von dort aus der Bergpäſſe des Balkan (Haemus, Orbelos, Soardius der Alten, – Schardagh, Egriſſudagh der Türken) bemächtigt. Die damals wichtige Stadt Giustendil (ehedem Ulpiana) wurde 1371 von einem bulgariſchen Fürſten gegen Erlaſſung des Tributs übergeben, das ſehr feſte Naiſſos, das heutige Niſſa, der Geburtsort Con- ſtantin I., durch 25-tägige Belagerung genommen; das noch feſtere Sofia folgte 1382 durch Liſt nach mehrtägiger Einſchließung. Schon dehnte ſich des Sultans Macht vom ſchwarzen Meere bis zum ägeiſchen, über den größten Theil Bulgariens und Thraciens, aus, als die türkiſche Macht eine neue Gewähr erhielt durch die 1389 gegen den Kral der Serben, Lazar und deſſen Bundes- genoſſen, die Bosnier und Bulgaren, auf dem Felde von Koſſowa gewonnene entſcheidende Schlacht. Mit ihr ſchloß jedoch zugleich die Laufbahn Murad's ab, der hier durch die kühne That des ſich opfernden Serben Miloſch Kobilovich fiel, der in ſerbiſchen National- Liedern noch heute gefeiert wird. – 255 – Bajazid A)ilderim (d. h. der Wetterſtrahl), der älteſte Sohn Murad's, beſiegelte die Thronbeſteigung ſogleich durch den Mord ſeines Bruders Jacub, obgleich dieſer neben ihm ſoeben in der Schlacht geſiegt hatte. Dieſe barbariſche Sitte des Bruder- mordes wurde durch osmaniſche Geſetzes-Gelehrte ſogar mittelſt des ſophiſtiſchen Grundes vertheidigt, daß „Gottes Schatten auf Erden, der Herrſcher der Gläubigen, ebenſo ohne Nebenbuhler, ein- zig, auf dem Throne ſitzen müſſe, als Gott ſelbſt, denn „Unruhe ſei ärger als Hinrichtung.“ Eine Jahrhunderte lang fortge- ſponnene Reihe von Brudermorden iſt jenem gefolgt; es deutete ſchon auf ungleich humanere Geſinnungen hin, wenn bei der Thron- beſteigung die Brüder des Regenten blos eingeſperrt oder exilirt wurden, z. B. nach den Prinzen-Inſeln. Ein wahres Jammerbild ſclaviſcher Verworfenheit bot ſich dem Bajazid von Seiten der griechiſchen Herrſcherfamilie bald nach jener blutigen That dar. Der Kaiſer Joann es der Paläologe hatte ſeinen rebelliſchen Sohn Andronikus, ſowie deſſen Sohn (ſeinen Enkel) Joannes, nach dem Rathe von Murad, blenden laſſen, weil beide mit des letzteren Sohn Saudſchi ein Complot zur Thronentſetzung der Väter geſchloſſen hatten. Die durch heißen Eſſig nur unvollkommen geblendeten Rebellen wendeten ſich an Ba- jazid um Hülfe. Dieſer begab ſich, um Nutzen aus dem Zwiſt zu ziehen, mit 10.000 Kriegern nach Conſtantinopel, fing den Kaiſer ſammt ſeinem Sohne Manuel, ſetzte den Andronikus auf den Thron, der nun ſeinerſeits den Vater wieder mit dem Bruder ein- kerkern ließ, auch dem Bajazid einen jährlichen Tribut von vielen Zentnern Silbers und Goldes entrichtete. Der Vater entkam in- deſſen mit Manuel aus dem Kerker, floh zu Bajazid und verſprach dieſem nicht bloß denſelben jährlichen Tribut an Silber und Gold, welchen Andronikus bereits zahlte, ſondern auch außerdem in jedem Frühjahre mit 12,000 Kriegern ſich vor dem osmaniſchen Herrſcher zu deſſen Dienſte zu ſtellen. Dieſer Vertrag wurde beſchworen, worauf dann der alte Kaiſer wieder auf den Thron geſetzt, neben ihm aber auch ſein Sohn Manuel zugleich gekrönt wurde. An- dronikus aber erhielt zur Abfindung den kleinen Reſt des griechi- ſchen Staates, der außerhalb Conſtantinopel noch übrig war. – Doch die Schande ſollte bald noch gehäuft werden. Bajazid beſchloß, die einzige damals in Aſien noch übrige griechiſche Beſitzung, die – 256 – feſte Stadt Philadelphia, jetzt Alaſchehr, durch ſeine neuen Bundesgenoſſen einzunehmen. Der griechiſche Befehlshaber, ehren- hafter als ſein ſclaviſcher Kaiſer, verſicherte, die Stadt nicht an - barbariſche Türken übergeben zu wollen. Da erſtürmten Griechen - unter des Kaiſers Befehl die griechiſche Stadt und lieferten ſie darauf den Barbaren aus. Mit jenen Schandthaten war nun das Maß griechiſcher Verworfenheit überfüllt; die faule Frucht war zum Abfallen längſt reif. Kaum verlohnt es ſich der Mühe, von da ab. das widrige Schauſpiel der letzten Zuckungen des hinſterbenden - Leichnam's des griechiſchen Kaiſerreiches noch zu verfolgen. Nachdem Bajazid fortgefahren hatte, ſeine Beſitzungen in Aſien weithin auszudehnen, auch ſelbſt Konia, die ehemalige Reſidenz der ſeldſchukiſchen Khalifen, in ſeine Hände gefallen war, ſammelte er ein großes Heer, um nach Europa überzugehen und dort die Eroberungen fortzuſetzen. Zu ſpät, ſchien es dem Kaiſer Joannes an der Zeit zu ſein, die Befeſtigungen Conſtantinopel's zu ver- ſtärken; er baute zwei neue ſtarke Thürme aus drei zu dem Zwecke niedergeriſſenen Kircheu. Als Bajazid hiervon Kunde bekam, befahl er ihm, die Thürme wieder zu ſchleifen, widrigenfalls er ihm ſeinen Sohn Manuel, der ſich in Bruſſa aufhielt, mit ausgeſtochenen Augen zurückſchicken würde. Joannes gehorchte, ſtarb aber 1391 aus Gram. Manuel entfloh den Türken und gelangte nach Con- ſtautinopel, welches hierauf von dem Heere Bajazid's ſieben Jahre lang eingeſchloſſen wurde. In demſelben Jahre wurde auch die Walachei den Türken zuerſt tributpflichtig. - - - - Noch einmal flammte Bajazid's Glücksſtern hoch auf, als der König Sigismund von Ungarn, dem ihm drohenden Ungewitter zuvorzukommen, ein großes Heer zuſammen gebracht hatte. Der König von Frankreich ſendete die Blüthe franzöſiſcher Ritterſchaft - unter erfahrenen und tapferen Führern zu Hülfe. Ihnen ſchloſſen ſich Friedrich Graf zu Hohenzollern mit deutſchen Heeren, der Groß- meiſter der Johanniter von Rhodos her, bairiſche Ritter unter An- führung des Kurfürſten von der Pfalz u. ſ. w. an. Bei Nico- polis erfolgte 1396 der blutige Zuſammenſtoß. Sechzigtauſend Türken bedeckten das Schlachtfeld, und denuoch wurde das chriſtliche Heer in wilde Flucht aufgelöſt. Durch ſein Glück übermüthig gemacht, ſchwelgte hierauf Ba- jazid zu Bruſſa in einem bei den Osmanen bis dahin unerhört . – 257 – geweſenen Luxus, auch dem Wein fröhnte er, ſeinen Gläubigen zum Aerger. Da zog in Timur (Tamerleng, Tamerlan) ein drohendes Ungewitter gegen ihn heran; verblendet, wie er war, ſchätzte er es gering. Im Jahre 1402 kam es bei Angora zwiſchen den Tar- taren und den Osmanen znr Schlacht. Die letzteren wurden ge- ſchlagen und Bajazid gerieth mit ſeinem Sohne Muſa und den vornehmſten Offizieren ſeines Hofes in Gefangenſchaft, in der er 1403 ſtarb. Dem Tode Bajazid's folgte ein zehnjähriges Interregnum, während welches die aus der Schlacht bei Angora entkommenen vier Söhne deſſelben, Suleiman, Iſa, Muſa und Mohammed um die Herrſchaft in Aſien und Europa kämpften, bis endlich der letztere den Sieg über die Brüder davon trug. Hierbei wnrde er von den chriſtlichen Serben unter ihrem tapferen Kral Stephan ünter- ſtützt, dem auch ſchon bei Angora die Rettung der Reſte des osma- niſchen Heeres großentheils zu danken war. Selbſt nach ſeinem über Muſa, den letzten der Brüder, bei Tſchamurli im Jahre 1413 erfochtenen Siege hatte Mohammed, während ſeiner nach- folgenden achtjährigen Alleinherrſchaft, hauptſächlich gegen Empös rungen zu kämpfen. Der Kaiſer Manuel, der zehn Jahre lang im weſtlichen Europa herumgereiſet war, um Unterſtützung gegen die Osmanen zu erbitten, deren er ſich ſo unwürdig gezeigt hatte, war nach Conſtantinopel zurückgekehrt. Mit reicher Lebenserfahrung ausgeſtattet, würde er jetzt den blutigen Bruderzwiſt zur Wieder- eroberung der verlorenen Macht vorkheilhaft haben benutzen können. Großer Entſchlüſſe unfähig, fuhr er ſtatt deſſen fort, die bisher befolgte perfide griechiſche Politik beizubehalten. Er verband und ver- ſchwägerte ſich mit Suleiman, den er in ſeine Reſidenz aufnahm, rief aber, nach des letzteren Fall, Mohammed aus Bruſſa gegen Muſa nach Europa zu Hülfe, – zur Selbſterhebung zu ohn- mächtig. Anch die abendländiſchen Chriſten ließen ſich durch Kik- chenſpaltungen und innere Streitigkeiten abhalten, gegen die Wie- dervereinigung der feindlichen Brüder aufzutreten. Hätten ſie die Meerenge von Gallipoli mit einer verbündeten Flotte be- ſetzt, ſo würden die Osmanen, wenigſtens in Europa, bald ver- tilgt geweſen ſein. Aber ſie genoſſen der augenblicklichen Ruhe, ohne an die Zukunft zu denken. Glücklich für den ſchwachen Kai- ſer war Mohammed I., Tſchelebi, ebenſo an humaner gei- – 258 – ſtiger Bildung, wie an körperlicher Kraft und Wohlgeſtalt ausge- zeichnet; er zeigte ſich ſtets als Freund der Griechen und hielt ſeine Bündniſſe mit Treue aufrecht. Das Kaiſerreich athmete noch ein- mal freier auf. Als aber Mohammed I. geſtorben war und ſein Sohn Murad II. im Jahre 1421 den Thron beſtiegen hatte, er- ſchien es der griechiſchen Politik geeignet, ihm den Thronanmaßer Muſtapha, der ſich den bei Angora verloren gegangenen älteren Bruder Murad's nannte, entgegen zu ſtellen. Muſtapha aber wurde mit Hülfe der Genueſer, welche Murad und ſein Heer auf ſieben Galeeren, von ihrer aſiatiſchen Colonie zu Phocaea aus, nach Europa überſetzten, geſchlagen und aufgehängt. Zweitauſend Italiener begleiteten ihn ſogar zur Eroberung von Adrianopel. Zur Vergeltung wurde bald darauf Phocaea von den Türken zerſtört. – Schon 1422 belagerte Murad II. Conſtantinopel zwei Mo- nate lang, um den Kaiſer Manuel für ſeine Aufwiegelung zu ſtrafen. Doch wurde er durch die für ihr Leben ſtreitenden Ein- wohner damals noch zurückgetrieben, obgleich die Türken ſich hierbei zum erſten Male des Geſchützes bedienten, welches Genueſer ihnen zugeführt hatten. Manuel, dem Tode nahe, theilte aber nun thörichter Weiſe ſein Reich unter ſieben Söhne, deren älteſter Joannes, Conſtantinopel erhielt. – In dieſer Zerſplitterung wurden die Griechen nur noch durch die Angriffe aufrecht erhalten, welche die Ungarn, Polen, Serben, Walachen und deutſche Kreuz- fahrer gegen die Türken richteten. Unter des tapfern Hunyad Leitung überſtiegen ſie gegen Weihnachten 1443 den durch Eis und Schnee verſperrten ſteilen Slatina-Paß des Hämus und ſchlugen die Türken auf den Feldern von Jalovaz. Der König Wla- dislaus war hierbei zugegen; dieſer ſchloß im folgenden Jahre, nachdem Murad eine Geſandtſchaft zu ihm nach Szegedin geſchickt hatte, einen für Ungarn vortheilhaften Frieden ab, der von beiden Seiten feierlich beſchworen wurde. Schon zehn Tage nachher wußte aber der päpſtliche Legat, Cardinal Julian Ceſarini, den König zum Bruche des Friedens zu bewegen, indem er dieſen vorſtellte, daß ein ohne Zuſtimmung der apoſtoliſchen Kirche mit Ungläubigen geſchloſſener Friede ungültig und rechtlos ſei. Die wahre Urſache der Aufwiegelung zum neuen Kriege lag aber in der durch den Kaiſer Johann dem Paläologen eingeſendeten Nachricht von Auf- ſtänden in Aſien, mit deren Bekämpfung der Sultan hinlänglich – 259 – beſchäftigt ſei, ſowie die Ankunft eines Haufens von Kreuzfahrern an der Donau und der päpſtlichen Flotte im Hellespont. So gab denn ein in Folge deſſen unternommener unkluger Zug des chriſt- lichen Heeres längs der Donau durch Bulgarien bis nach Varna dem Sultan Gelegenheit, die bei Jalovaz erlittene Schmach zu rächen. Das chriſtliche Heer war nämlich ſchwach an Zahl der Streiter, aber reich an vornehmen Geiſtlichen, unter denen ein Car- dinal und zwei Biſchöfe. Murad ſchlug im Juli 1444 dieſes Heer bei Varna; der König Wladislaus und die Geiſtlichen fielen unter dem türkiſchen Schwerte, Hunyades entkam. Unter Murad II. fing die türkiſche Sprache an, ſich auszu- bilden, wozu er dadurch beitrug, daß er Geſchichtsſchreiber und Dichter beauftragte, ihre Werke niederzuſchreiben und ſie belohnte. Auch übte er ſelbſt die Dichtkunſt und verſammelte zweimal wöchent- lich. Gelehrte und Dichter bei ſich, um in ſeiner Gegenwart wiſſen- ſchaftliche Gegenſtände verhandeln zu laſſen. Doch ſelbſt der grau- ſame Timur (Tamerlan) ließ ſich witzige Einfälle und Scherze der Dichter und Gelehrten gern gefallen, erkannte ſie auch durch Be- lohnungen an. – Zweimal legte indeſſen Murad die Regierungs- geſchäfte in des Sohnes Hand, ohne deshalb Verjagung vom Throne zu fürchten, und eben ſo wenig nahm er zu der barbariſchen Sitte des Brudermordes die Zuflucht. Mohammed II., der einundzwanzigjährige Sohn Murad's, beſtieg den durch des letzteren Tod erledigten Thron im Februar 1451. Schon im März 1452 begann er den Bau eines feſten Schloſſes auf der europäiſchen Seite des Bosporus. Ohne die geringſte Rückſicht auf des Kaiſers Conſtantin des Paläologen Gegenvorſtellungen zu nehmen, vollendete er es in drei Monaten; der Krieg ſelbſt begann ſchon im Juni, veranlaßt durch die Ver- heerungen der Türken im nächſten Umfange der griechiſchen Reſi- denz. Der Paläologe kämpfte jetzt - mit dem ſiebenten Osmanen um den Beſitz von Conſtantinopel, dem Schlüſſel des Orients. – Am 6. April 1453 erſchien endlich Mohammed II. vor den Mauern Conſtantinopel's - mit einer Armee, deren Kopfzahl auf 250,000 berechnet ward. Zur Vertheidigung der Stadt hatte der ohnmächtige Kaiſer kaum 5000 Griechen zuſammenbringen können. Durch Fremde, großentheils Venetianer und Genueſer, wurde die ſchwache Beſatzung bis auf 7–8000 Mann ergänzt. Auch waren – 260 – unter den Befehlshabern der zwölf Hauptpoſten der Bertheidigung nur zwei Griechen; die übrigen waren Venetianer, Genueſer, Spa- nier, ein ruſſiſcher Eurdinal, ein Deutſcher (Johann Grant, ein Geſchützkundigev) und ein Dalmatier – Noch einmal lächelte den Griechen die Sonne des Sieges; am 15. April würden 15B tür- kiſche Schiffe von einem großen griechiſchen und vier genueſiſchen Schiffen geſchlagen und zum Theil verbrannt. Mohammed wußte darauf aber achtzig ſeiner Schiffe über das feſte Land auf einer hölzernen mit Fett beſtrichenen Bahn in den Hafen des goldenen Horn's zu ſchaffen, um die geängſtigte Stadt auch von dieſer Seite anzugreifen, – wie dies durch ein ähnliches Manöver ſchon vor ihm an anderen Orten ausgeführt worden war. – Am 29. Mai, nach ſiebenwöchentlicher Belagerung, erſtürmte Mohammed endlich die tapfer vertheidigten Mauern. Conſtantin, der im Augenblicke der dringenden Gefahr, leider zu ſpät, viel Entſchloſſenheit und Muth gezeigt hatte, fiel fechtend; Mohammed zog erſt ein, als die Seinigen ihm eine ſichere Bahn gebrochen hatten und überlieferte die Stadt der Plünderung, die Gefangenen der Sclaverei, erhielt aber die kaiſerlichen Paläſte und die Kirchen für ſich. Das alte Byzanz gerieth ſomit 1125 Jahre nach ſeiner Neu- begründung durch Conſtantin I., nach neunundzwanzig ſeit ihrer erſten Begründung ausgehaltenen Belagerungen, von denen ſieben frühere ihren Fall nach ſich gezogen hatten, durch die achte und bis jetzt letzte in die Hände der Türken. Ihnen iſt dieſer Edelſtein unter den Städten Europa's, die Erdtheilſcheidende, durch die ſtete Zwie- tracht der Chriſten bis heute verblieben. Kraft ihres Beſitzes durften die Türken es wagen, in das Herz von Europa bis nach Wien, mit ihren herumſtreifenden Rennern ſogar bis in die Ge- gend von Regensburg, vorzudringen. Die Griechen hatten durch ihre ſchwächliche Verkommenheit und Feigheit den tiefen Fall längſt ſchon vollkommen verdient. Dennoch hatte am meiſten der ent- artete griechiſche Hof mit ſeinen den Türken ſchon früh Tribut zahlenden, ſogar an ihrer Pforte in Aſien zu Dienſten herabgewür- digten, Herrſchern hierzu beigetragen. Die Humanität aber verhüllt dert gern ihr Antlitz, um nicht Zeuge zu ſein von der Zerſtörung und Entvölkerung, welche eine barbariſche Nation über Länder ge- bracht hat, die Gott zu Paradieſen für die Menſchen geſchaffen zu haben ſchien. Indeſſen – hätten weichliche Klagen über das tiefe – 261 – Hinſinken der reichſten Erdſtriche zu Wüſteneien und Einöden irgend- wie Nutzen bringen können, ſo wären dieſe freilich ſchon längſt aus der Barbarei gerettet. An Thatkraft zum Widerſtande fehlte es aber nicht blos damals. Auch in den folgenden Jahrhunderten ſehnte ſich Europa's Orient vergebens nach genügend energiſcher Hülfe. Indem man noch heute ein Gleichgewicht unter den Mächten Europas erhalten zu müſſen wähnt, welches noch nie be- ſtanden hat, auch ebenſo wenig künftighin wird beſchafft werden können, dürften die herrlichſten Länder der Erde ihrer Auferſtehung von einem tiefen phyſiſchen und moraliſchen Siechthum lange noch traurnd entge- genſehen müſſen. Hier aber galt es nicht, alte Klagelieder zu wiederho- len, ſondern nur den allmähligen Untergang des griechiſchen Kaiſerrei- ches ſammt der Erhebung des Osmanenreiches auf den Trümmern jenes hiſtoriſch kurz anzudeuten, um von dieſer ſicheren Grundlage aus Anknüpfungspunkte für ſpäter zu entwickelnde Folgeſätze zu begrün- iden. Wie das Osmanenreich ſich nach der Beſitznahme des grie- chiſchen Kaiſerthum's weiter in Europa befeſtigt hat, wie es dieſem ſeine Central-Lebensader, die Donau, umgarnen und gleichſam ab- binden konnte, liegt nicht in der Abſicht, an dieſem Orte geſchicht- lich zu verfolgen. Charakteriſtik. – Wer die aus der Geſchichte der Osmauen bis zu ihrer Eroberung Conſtantinopel's hervortretenden Charak- terzüge beſonnen verfolgt, und gegenwärtig, nachdem ſich jener Edelſtein unter den Städten Europa's 400 Jahre lang in den Händen der Türken befunden hat, dieſe beſucht, und ihnen die Züge abzulauſchen trachtet, durch welche ſie ſich von andern Völkern un- terſcheiden, mit denen ſie in ſo nahe Berühruug getreten ſind, – der wird über die Kluft ſtaunen müſſen, welche ſich zwiſchen dem Volke von ehedem und von jetzt aufgethan hat. „Suche nicht die Freundſchaft der Ungläubigen, du wirſt ſonſt ihnen gleichen; meide ſie, ſie könnten dich verwirren.“ So ſchreibt der Koran vor. Aber ſo ſehr auch die Türken ihrer großen Mehrzahl nach ſich bemühen mochten, das Wort des Propheten zu befolgen, ſo iſt ihnen dies doch im Laufe der Zeit immer weniger, am menigſten jüngſthin gelungen, als franzöſiſche und engliſche Heeresmaſſen Ungläubiger nicht nur vor ihren Augen vorüberzogen, ſondern ſelbſt als Freunde des Padiſcha in deſſen Reſidenzſtadt ver- weilten, – ja noch mehr – für ihn kämpften. Der von religiöſem – 262 -– Fanatismus berauſchte wilde Barbar, der das neue Rom ſtürmte und ſtürzte, ſitzt jetzt kauernd, total umgewandelt, – wo irgend möglich – vom Morgen bis zum Abend auf den Ferſen, um Rauchwolken von ſich zu blaſen! Schon die äußere Form hat eine frappante Umgeſtaltung erfah- ren. Wer in den erſten Jahrzehnden des laufenden Jahrhunderts die Türken als Männer kennen gelernt hat, die durch langen Bart, Turban auf dem Kopfe, weiten pelzverbrämten Kaftan, Pantoffeln au den nackten Füßen ausgezeichnet ſind, mag nicht wenig betroffen ſein, dieſelben Männer jetzt zu Tauſenden in eng anliegendem Tuchrocke, Pantalons mit Stiefeln, faſt ohne Bart, mit dem Fes auf dem Kopfe herumwandern zu ſehen. Die Kreiſe dehnen ſich vom Mittel- punkte der Hauptſtadt her fortwährend weiter aus, innerhalb wel- cher die Neuerungen vorherrſchen, für deren Abwendung die Janit- ſcharen ihr Leben vergebens geopfert haben. Wenn Hr. de La- m art in e*) bald nach jener gewaltigen Umwälzung ausrufen konnte, „die Türkei hängt von dem Leben Mahmud’s ab; er und das Reich werden an demſelben Tage ſterben,“ ſo iſt dieſe Prophezeihung des Dichters im Reiche der Dichtung ver- blieben. Der Ethnograph, welchem daran liegt, das alte orthodoxe Türkenthum zu ſtudiren, ſollte ſich nach den entfernteren Provinzen Aſiens begeben, wo die Türken noch in frommem Wahn an dem Satze des Korans feſthalten, „der Muſelmann bedarf keines Freundes oder Beſchützers unter den Ungläubigen.“ Der heutige Osmanli leugnet nicht das Uebergewicht des Ge- nie's und Talent's der Franken; er ſcheint jedoch hierbei das Auge nur auf die hervorſtechenden Produkte der großen Fortſchritte der neueren Mechanik zu werfen, welche ihm während des letzten Orient- krieges in erſtaunenswerthem Umfange vorgeführt worden ſind. Die religiöſe Seite der Chriſten konnte es bisher nicht ſein, welche ihn zur Anerkennung irgend eines ſolchen Uebergewichtes bewegen mochte, denn man bemüht ſich, ihn täglich Zeuge ſein zu laſſen, von dem hohen Grade der Anfeindung zwiſchen den einzelnen Be- kenntniſſen und Secten der Chriſten. Nicht leicht kann es an einem anderen Orte ſo klar werden, als zu Conſtantinopel, daß die lautere Religion der Liebe durch unlautere Menſchenſatzungen zur Religion des Haſſes und der Verachtung verſtümmelt wird. Griechen und *) A. a. O. T. III. Bruxelles, 1838. pag. 294. – 263 – Armenier verabſcheuen ſich gegenſeitig bis zum Extreme. Wo in einem Dorfe Türken, Griechen und Armenier zugleich wohnen, halten ſich die beiden Secten der Chriſten ſicherlich viel eher zu den Türken, als unter ſich zuſammen. Die Armenier haben ihren Hauptſitz zu Conſtantinopel im Oſten der Stadt errichtet; die Griechen wohnen im Weſten durch die ganze Stadt von jenen ge- trennt, obgleich ſie doch die Juden dicht neben ſich wohnen laſſen. Kein Armenier würde von der Speiſe genießen, welche ein Grieche zubereitet hat, aus Beſorgniß, daß ſie abſichtlich verunreinigt ſein möchte. Im Juni 1856 machte man dem Journal des Debats die Mittheilung, daß zu Harput in Kleinaſien das Kind einer ar- meniſchen Familie geſtorben war, die den proteſtantiſchen Cultus angenommen hatte. Man begrub das Kind auf dem einzigen dort befindlichen chriſtlichen Kirchhofe, dem armeniſchen; in Folge deſſen begab ſich der armeniſche Biſchof an der Spitze ſeiner Gemeiude auf den Kirchhof, ließ das Kind ausgraben und auf das Feld werfen. Der Gouverneur mußte die Leiche polizeilich begraben laſſen, ſendete darüber einen Bericht an die Regierung zu Conſtantinopel und dieſe be- deutete den armeniſchen Patriarchen, daß der intolerante Biſchof ab- geſetzt werden müſſe, ſendete auch Fonds nach Harput, um den dortigen Proteſtanten einen geſonderten Kirchhof zu beſchaffen. Wie könnten auch die Türken ohne Empörung die Schlägereien mit an- ſehen, die zwiſchen griechiſchen und katholiſchen Chriſten in der Kirche des heiligen Grabes am hohen Oſterfeſte vorkamen, und die nur durch türkiſche Soldaten geſchlichtet werden konnten. Als erſtes großes Beiſpiel des Religionshaſſes unter den Chriſten mag ange- führt werden, daß bei dem Eroberungszuge des Chosroes, 603 u. f. n. Chr., Juden, Neſtorianer und Jacobiten ſich mit ihm gegen die Orthodoxen verbanden *). Die Jacobiten oder Syrer ſollen 30,000 Familien in Vorderaſien ſtark ſein. Ihr Patriarch wohnt im Kloſter Saferan bei Mardin, und etwa 12 Biſchöfe ſtehen unter ihm, einer zu Jeruſalem. Zu den Jacobiten halten ſich die Schemſich in Mardin und werden von jenen geſchützt. Sie ſind indeſſen einem in Dunkel gehüllten Sonnendienſt ergeben nnd ſollen ohne heiliges Buch ſein. Die Labier oder ſog. Johannischriſten beſitzen einige Bücher oder Pſalmen. Was würden die Türken aber erſt urtheilen *) S. Gibbon, a. a. O. Cap. 46. – 264 – müſſen, wenn ſie den Umfang des geiſtlichen Hochmuths und Stolzes ermeſſen könnten, welcher ſo manche Bekenntniſſe des Chriſtenthums im Weſten Europas beſeelt und ſie unfähig macht, ſich gegenſeitig Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen. - - „ Freilich werden die Türken zugleich anerkennen müſſen, daß es auch bei ihnen an ähnlichen Gegenſätzen nicht fehlt. Die Schiiten und Sunniten haſſen ſich einander tädtlich und hierin liegt der Hauptgruud, daß eine vom Weſten etwa zu beſorgende thatkräftige Vereinigung Perſiens und der Türkei niemals zu Stande gekommen iſt. Moavie, das Haupt der Ommejaden, ließ den Alimenchelmör- deriſch umbringen, der der bevorzugte Liebling Mohammeds war. Seit jener That ſind die Mohammedaner zerfallen in Aliten oder Schiiten und Sunniten. Zu erſteren gehören die Perſier und Tartaren, zu letzteren die Osmanen: zwiſchen ihnen herrſcht unver- tilgbarer Religionshaß. „Schmutz, Fluch und Verderben auf die Häupter der Sunniten, welche den Ali verfolgt und getödtet!“ So rief der Mullah vom Predigerſtuhl in der Moſchee zu Eriwan, als Bodenſtedt*) dort ſein Zuhörer war. Aber die Bekenner des Korans haben wenigſtens die „Liebe“ nicht auf ihr Banner geſchrieben; ſie geſtehen ihren Haß gegen alle anders Glaubende frei, – ſie ſind ſo wenig Heuchler, daß ſie oft genug öffentlich bekannt haben, jeder Giaur müſſe mit Feuer und Schwert von der Erde vertilgt werden und in ihren früheren Kriegen haben ſie dieſen Grundſatz leider blutig zur Wahrheit zu machen getrachtet. – Jener tief greifende Seetenhaß zieht ſich, gleich einem rothen Faden, durch die Geſchichte der Türken von ihrem erſten Auftreten her. Wären die Chriſten nicht in ganz ähnlicher Weiſe ſtets unter ſich zerfal- len geweſen, ſo würde es ihnen deshalb leichtes Spiel geworden ſein, die weite Ausbreitung des Mohammedanismus zu beſchränken. Den- noch haben ſie ohne ihr Zuthun hieraus mitunter Nutzen gezogen. Bei Erzählung der Geſchichte der Annäherung der erſten Kreuzfahrer an Jeruſalem, Juni 1099, ſagt Fr. Wilken*): „Aber der Haß unter den beiden Seeten, in welche ſich die Gläubigen Mohammed's get heilt hatten, gegeneinander ſelbſt war viel heftiger, als der Haß, mit welchem beide gemein- *) Tauſend und ein Tag im Orient. I. Berlin, 1853. S. 243. *) Geſchichte der Kreuzzüge. 1. Theil. Leipzig, 1805., S. 272. – 265 – ſchaftlich die Chriſten verfolgten. Darum wünſchten die ſeldſchukiſchen Sultane in Bagdad und ihre Verwandte, welche die egyptiſchen Moslem als Ketzer haßten, daß Jeruſalem jenen Ketzern entriſſen würde.“ So konnte denn die Einnahme von Jeruſalem, am 15. Juli 1099, nach 432jähriger Beherrſchung durch die Muſelmänner, um ſo leichter erfolgen. – Doch welcher Secte der gläubige Moslem auch angehören möge, er verrichtet zur beſtimmten Stunde knieend ſein Gebet mit nach Mekka gewendetem Geſichte. Der Ruf des Muezzim von der Galerie des Minaret's verfehlt ſeine Wirkung ſelten. Mitten im Gewühle des Bazars ſah ich bei dieſem Rufe die Muſelmänner ſtill ſtehen, und geſenkten Hauptes wenigſtens ein kurzes Gebet murmeln. Ebenſo bemerkte ich, daß die türkiſchen Deck-Paſſagiere ſich bei dem Auf- gange der Sonne auf die Knie warfen und auf untergelegtem Tep- piche während des Gebetes mit der Stirn den Boden berührten. Die vorſchriftsmäßige Waſchung geſchieht vorher. Das rege Getüm- mel rings umher hindert ſie hierbei nicht immer. Wenn der Sultan am Freitage nicht in feierlichem Aufzuge ſein Gebet in der Moſchee verrichtet, ſo darf man mit Recht vorausſetzen, daß ihn wirklich Krankheit dazu unfähig gemacht habe und man hat Beiſpiele, daß dann Unruhen unter der Bevölkerung der Hauptſtadt ausbrechen, namentlich, wenn Unzufriedene einen ſolchen Vorfall benutzen, das Gerücht zu verbreiten, der Sultan werde gefangen gehalten. – Der Chriſtenhaß hat ſich allenthalben dort am meiſten vermindert, wo- hin engliſche und franzöſiſche Truppen gekommen ſind, und ich möchte den von anderer Seite bereits ausgeſprochenen Satz unter- ſchreiben, daß 50,000 weſteuropäiſche Truppen, in der Türkei zu- rückgelaſſen, mehr zur Annahme des Hatti-Hümayum würden beige- tragen haben, als alle Decrete von oben herab. Das Wort „Giaur“, mit dem jeder anders gläubige Menſch betitelt wird, hört man in der Regel nur dort noch, wo bisher Fremde ſelten ge- ſehen worden ſind. Als bei meiner Dampfſchifffahrt nach Iskimid das Wort Giaur laut ausgeſprochen worden war, ereiferte ſich mein Dollmetſcher, ein katholiſcher Chriſt, darüber ſtark und führte den uns umgebenden Türken den Befehl des Sultans hiergegen in heftigſter Rede vor. Der eifrige Mann erlebte die Genugthuung, daß kein lautes Wort dagegen aufgebracht wurde. Und doch waren nur fünf oder ſechs Chriſten nnter mehreren Hunderten von Türken 12 – 266 – am Bord; ſelbſt an Derwiſchen fehlte es nicht, die ſonſt jede Ge- legenheit gerne ergreifen, als laute Wortführer gegen die Ungläu- bigen aufzutreten. Ob in entferntern Theilen Aſiens ſtatt deſſen nicht Steinwürfe die Antwort gebildet haben würden, muß ich frei- lich dahin geſtellt ſein laſſen. Man darf übrigens nicht annehmen, daß der Türke in jenem Ausdrucke ſtets eine Beleidigung aus- ſprechen wolle; die Gewohnheit ſcheint die Bedeutung des Wortes dahin gemildert zu haben, daß damit faſt jeder Ausländer, ohne böſe Nebenabſichten bezeichnet wird. Ich habe Nächte in türkiſchen Dörfern ohne Beläſtigung verlebt, in denen ſich außer mir und meinem Dollmetſcher kein Chriſt befand. Die Moſcheen wur- den von mir beſucht, ohne daß ich den ehedem erforderlichen Ferman beſaß. Nur mit der einzigen Moſchee Sultan Ejub habe ich eine Ausnahme gemacht, jedoch nicht blos, weil ſich dort Schwierigkeiten entgegengeſetzt haben würden, ſondern mehr noch, weil nach der durch Hrn. v. Grimm gegebenen Notiz über dieſe Moſchee durchaus kein Verlangen in mir übrig geblieben war, ſie zu betreten. Ich habe mich unbedenklich in das dichteſte Ge- dränge der Bazars, in die mit Türken überfüllten Kaffehäuſer, in die türkiſchen Bäder begeben und glaube bemerkt zu haben, daß ich von ihnen in der Regel ſogar mit mehr Rückſicht behandelt wurde, als ihre eigenen Glaubensgenoſſen. Auch war dies nicht blos in der europäiſchen Türkei der Fall, die von fremden Chriſten verhältnißmäßig viel häufiger beſucht wird, ſondern auch in der aſiatiſchen, in Dörfern wie in Städten. Freilich habe ich mich ſo viel wie möglich in ihre Gebräuche zu fügen geſucht, und muß an- nehmen, daß häufig genug ein entgegengeſetztes Verfahren die Ver- anlaſſung zu Streitigkeiteu gegeben haben mag. Wenn die Türken ſelbſt jedesmal vor dem Eintritte in eine Moſchee die Schuhe aus- ziehen, ſo kann man es ihnen ſchwerlich verargen, daß ſie den Chriſten ausweiſen, der den geheiligten Ort mit ſchmutzigen Stie- feln betritt. Wenn kein Türke die verſchleierten Frauen auf der Straße oder an öffentlichen Orten auch nur mit Blicken zu verfolgen wagt, ſoll er es ſich ungerügt gefallen laſſen, wenn Chriſten ſie frech lorgnettiren? Ueber die von mir nicht beſuchten türkiſchen Provinzen enthalte ich mich in dieſer Hinſicht des Urtheils; es dürften vielleicht noch Jahrhunderte darüber hingehen, ehe es einer türkiſchen Regierung gelingen wird, alle ihre wilde Horden zu zügeln. Die große Maſſe der Türken entwickelt dagegen im Privat- verkehr ein würdiges Entgegenkommen und eine Zuverläſſigkeit, die beſonders im Orient ſchätzenswerth erſcheinen. Sobald man jedoch ihr Osmanenthum antaſtet, regt ſich ihr Stolz, der, mißachtet, zu unangenehmen und ſelbſt gefährlichen Scenen ausſchreiten kann. Tür- kiſche Beamte, namentlich Diplomateu, ſcheuen ſich in der Regel nicht, ihren Nationalcharakter zu verleugnen; nicht leicht laſſen ſie irgend ein Mittel unverſucht, ſelbſt Wortbruch und Unwahrheit nicht ganz ausgenommen, um ihren Gegner im amtlichen Verkehr zu beſiegen. Bilderverehrung iſt dem Türken ein Gräuel; Heiligenverehrung hält er für Vielgötterei und den Sinn des Ausdruckes „Sohn Gottes“ iſt er unfähig zu begreifen. Er nennt deshalb auch den Chriſten einen Muſchrikin, d. h. einen Menſchen, der Gott Ge- - noſſen gibt. Deſſenungeachtet verehren auch die Türken ihre heiligen Derwiſche und wallfahrten nach ihren Gräbern, um dort zu beten. Die reellen Gefährlichkeiten der Reiſe bleiben dabei ungeſcheut. Die alljährlichen Pilgerfahrten in zahlreichen Karawanen nach Mekka, zu dem Grabe des Propheten, ſind allgemein bekannt; ſie unter- bleiben in keinem Jahre, obgleich man ſehr wohl weiß, daß dieſe Züge in dem fernen Süden ſehr häufig durch Raub und Mord von den Völkern der Wüſte, oder noch gefährlicher durch anſteckende Krankheiten decimirt werden. - Klöſter und Mönche ſcheinen die Türken ſchon in ſehr früher Zeit durch Nachahmung von den Chriſten ererbt zu haben. Die Gebrechen des beſchaulichen Lebens unter Trennung von der menſch- lichen Geſellſchaft, welche v. Zimmermann *) mit ſo lebhaften Farben gemalt hat, fallen in ſolchem Maaße den Derwiſchen nicht " zur Laſt, denn ſie nehmen keinen Anſtand, ſich häufig im Volksge- wühle zu zeigen, wo man ihnen in der Regel mit einer gewiſſen Achtung begegnet. Beleidigung eines ſolchen Derwiſches durch Chriſten hat für Letztere oft unangenehme Folgen herbei gezogen, Die glänzenden Grabſtätten der Vorſteher von Mönchsorden, die man bei der Moſchee Sultan Ejub zu Conſtantinopel ſieht, ſpre- chen gleichfalls für dieſe Verehrung. Doch ſcheint dieſe während der letzten Jahrzehnte weſentlich abgenommen zu haben, wenn man nach der faſt allgemeinen Vernachläſſigung ſchließen darf, welche *) Von der Einſamkeit. Th. I. Leipzig, 1784. 12 * – 268 – die religiöſen Uebungen in den türkiſchen Klöſtern erfahren. Auch habe ich nicht gehört, daß neue Gemeinſchaften der Art errichtet wor- den wären, wohl aber, daß ältere zu Grunde gegangen ſind. Die erſten Strahlen der Morgenröthe der Eiviliſation werden im Oriente dem Abſchließen von der Menſchengeſellſchaft bereitsfeindlich. Sollte ſich bei fernerem Fortſchreiten dieſer dort das Sinken jener religiöſen Inſtitute erhalten, ſo dürfte ſich daraus für chriſtliche Länder, in denen die Klöſter, welche des praktiſchen Nutzens für ihre Mitmen- ſchen entbehren, wieder überhand nehmen, kein vortheilhafter Schluß ergeben. – Die eigenthümliche Form der Gottesverehrung durch Körper-Drehungen, welche die Mewlewie-Derwiſche üben, können auf den erſten Anblick ſchwer begreiflich erſcheinen. Doch glaubt v. Hammer dieſe feierlichen Drehungen als eine Wiederholung der Planetenwanderung um die Sonne betrachten zu dürfen, durch welche die vier Jahreszeiten nachgeahmt werden ſollen, indem der Rundgang der Derwiſche viermal wiederholt wird. Somit könnten ſie den ſamothrakiſchen Myſterien nachgebildet erſcheinen. Ob von letzteren der Stifter jener Derwiſche etwas gewußt hat, dürfte jeden- falls ſehr zweifelhaft bleiben. Hr. Quitzmann*) beſchreibt den Tanz genauer, als es mir oben möglich wurde. – Von den Rufai- oder heulenden Derwiſchen ſpricht Dr. Sandreczki *) aus- führlicher in folgender Weiſe: „Aus der Moſchee in unſerer Nähe (zu Moſul) hörten wir den wirklich dämoniſchen Chor heulender Derwiſche. Zuerſt fing einer das „la Illah illah Allah“ into- nirend an, worauf nach und nach immer mehr einfielen 2c. 2c. Allmälig aber wurden die Stimmen der ganzen Schaar immer ſtärker und raſcher, bis ſie zuletzt wie von Raſenden hervorgeſtoßen wurden.“ – „Man kann ſich kaum eines Schauers erwehren, wenn man dieſen Chor hört.“ Um billig zu ſein, müßte man ſich einem ähnlichen Schauer hingeben, wenn man ſich der chriſtlichen Säulen- Heiligen lebhaft erinnert, die ehedem am Bosporus in hoher Ver- ehrung ſtanden (vergl. oben S. 86). Jeder Familienvater beſitzt im Orient eine abſolute Gewalt über ſeine Frau, Kinder und Sclaven. So wie er ſelbſt despotiſch beherrſcht wird, despotiſirt auch er ſeinerſeits innerhalb des Hausweſens. Kein Agent der öffentlichen Macht würde ihn hieran *) Reiſebriefe aus Ungarn, dem Banatu. ſ. w.aStuttgart, 1850. S. 398. *) A. a. O. II. Th. S. 22. – 269 – hindern dürfen. Man läßt ihn heraus rufen, oder wartet, bis er ausgeht, wenn Eiuſchreiten nöthig werden ſollte. – Die Sclaverei verliert im Oriente Vieles von dem Gehäſſigen, welches ihr im Occidente allenthalben anklebt; der Türke iſt in dieſer Hinſicht der directe Gegenſatz zum Amerikaner, – er erhebt ſeine Sclavin ohne Bedenken zur rechtmäßigen Gemahlin, wenn ſie es ihm zu verdienen ſcheint. Ebenſo heirathet die Tochter des Hauſes einen Sclaven mit Bewilligung ihres Vaters, deſſen Vermögen nun auf den Schwiegerſohn übergehen kann; kein Türke findet darin etwas Herab- ſetzendes. Napoleon I. *) nahm an, daß Mohammed jedem Türken vier Weiber zu nehmen erlaubt habe, damit er um ſo mehr geneigt werde, Frauen verſchiedener Stämme und Farbe, weiße, braune, ſchwarze und ihre Miſchlinge an ſich zu ziehen, und ſo dem Haß, der zwiſchen den Menſchen verſchiedener Hautfarben leider ſo häufig entſteht, in ſeinem Reiche gründlich vorzubeugen. Ich kann nicht glauben, daß der Prophet hierbei von ſo weit reichendem propheti- ſchem Inſtinct geleitet worden ſein möchte; die Vielweiberei war von den älteſten Zeiten in Aſien allgemein angenommen und Mo- hammed war klug genug, die Zahl ſeiner Anhänger nicht etwa durch Rigorismus hiergegen zu vermindern. Die feine Ueberlegung, welche aus der Benutzung jener eingewurzelten Landesſitte hervor- geht, drückt ſich noch ſtärker dadurch aus, daß er ſeinen Gläubigen ſogar, nach dem Tode, ein Paradies verſprach, in welchem ſie von ſeeligen Houri's ſtets umgeben ſein würden. – Ein gern benutzter Titel des Sultans iſt Kiuloglu, Sohn der Sclavin; dies ſoll auf die bibliſche Tradition von der Geburt des Ismael beruhen, der als Stammvater der Araber, alſo auch als Vorfahr Moham- med's angeſehen wird. – Deshalb hat auch die Sclavin, ſobald ſie Mutter wird, das Recht einer Frau, – und die Beſchaffung von Sclavinnen, die mit Gold bezahlt oder geraubt werden, hat des- halb einen beſonderen Werth für die Türken. Da die wohlhaben- deren Türken Jahrhunderte lang Gelegenheit gehabt haben, auf reich beſetzten Sclavenmärkten ſchöne Frauen aus Kaukaſien, Geor- gien u. ſ. w. für ihre Harems zu erkaufen, ſo mußte dadurch all- mälig eine Veredelung ihrer Raçe hervorgehen. Gewiß ſind Phy- ſiognomie und Schädelbildung der Osmanen, welche zuerſt nach *) Mémorial de S. Hélene. A- Europa überſetzten, durchaus anders geſtaltet geweſen, als wir ſie in Folge jener Veredelungen gegenwärtig an ihnen wahrnehmen. Phyſiog- ſnomien, welche abſtoßend häßlich waren oder den deutlichen Ausdruck von Wildheit und Barbarei an ſich trugen, ſind mir dort viel ſeltener aufgeſtoßen, als in den meiſten anderen Theilen Europas. Daß die ſchönen Kaukaſierinnen ſich in den türkiſchen Harems nicht gar zu übel befunden haben müſſen, ſcheint daraus hervorzugehen, daß, als der Sultan Abdul-Medſchid den Handel mit weißen Sclavinnen verbot, er dadurch die kaukaſiſchen Völkerſchaften in ſolchem Grade von ſich abwendig machte, daß ſie die von ihnen erwartete Hülfe gegen Rußland im letzten Orientkriege nicht leiſteten. Man hatte wenig- ſtens erwartet, daß ſie das nur ſchwach beſetzt gebliebene Tiflis überfallen würden, ſah ſich aber hierin getäuſcht. – Unter den afrikaniſchen Sclavinnen ziehen die heutigen Türken mit Recht den Negerinnen die Abyßinierinnen bei Weitem vor, welche ſtärker und höher als jene, auch durch edlere Geſichtszüge vor ihnen ausge- zeichnet ſind. – Nicht ungeeignet mag es erſcheinen, wenn an dieſem Orte die einige innere Wahrſcheinlichkeit an ſich tragende Erzählung eingefügt wird, nach welcher, wenn ſie die Probe jener ferner beſtehen ſollte, eine Verwandtſchaft zwiſchen dem Sultan Abdul Medſchid und dem Kaiſer Napoleon III. vorhanden ſein würde. Eine 17jährige ſchöne und fein gebildete franzöſiſche Dame aus Martinique nämlich, Madem. Aimée Dubuc de Rivery, wurde 1784 in der Nähe der Inſel Majorca von einem algie- riſchen Corſaren gekapert, und gelangte nach mancherlei Wechſel- fällen in den Harem des Sultan Abdul Hamid nach Conſtantinopel. Von dieſem wurde ſie die Mutter des bekannten Janitſcharen-Zer- ſtörers Mahmud II., dem ſie früh ſchon Züge weſteuropäiſcher Civiliſation einzuprägen wußte. Mahmud's Sohn iſt bekanntlich der gegenwärtig regierende Sultan, ein Enkel der Mad. Dubuc. Auf der andern Seite war die letztere Dame nahe verwandt mit der auf Martinique lebenden Familie Taſcher de la Pagerie, welcher bekanntlich Joſephine entſproſſen war, die den Grafen Al Beau- harnais heirathete, nach deſſen Hinrichtung aber die Gemahlin Napoleons I. wurde. Ihre Tochter erſter Ehe, Hortenſe, verband ſich mit Louis Bonaparte, dem Könige von Holland, und wurde Mutter des gegenwärtigen Kaiſers Napoleon III. Die Verwandt- ſchaft der beiden Kaiſer würde jedenfalls etwas fern liegen, dennoch – 271 – durch Subtilitäten nicht ungeſchehen gemacht werden können. Das Verhalten Frankreichs gegen die Türkei hat freilich, ſeit der Ein- nahme von Sebaſtapol, durchaus keinen irgendwie verwandtſchaft- lichen Charakter, obgleich nach A. v. Humboldt in demſelben „Frank- reich jetzt die ganze Türkei ausgebrochen iſt“*). Obgleich nun die große Mehrzahl der Türken nur eine Frau zu erhalten im Stande iſt, ſo gibt es doch auch wohlhabende, die deren vier ernähren; es finden ſich eben ſowohl Harems der Reichen und Hochſtehenden, welche zahlreich beſetzt ſind. Daß die Lebensweiſe in den letzteren unabwendbar große Inconvenienzen mit ſich führen müſſe, braucht kaum bemerkt zu werden. Der Natur- kundige darf aber nicht ungerügt laſſen, daß mit den zahlreichen Frauen jener Harems oft in hohem Grade rückſichtslos verfahren wird. Dies ſcheint, namentlich in Egypten, nicht ſelten in das Maaßloſe hinaus zu gehen. Aerzte, welche die dortigen Zuſtände genauer in das Auge gefaßt haben, gaben mir die Verſicherung, daß dort alle Weiber darauf abgerichtet ſeien, die Kunſt, Frühgeburten zu bewirken, auszuüben, wie ſie die europäiſchen Geburtsärzte der heutigen Zeit wiſſenſchaftlich ausbilden. Aſien ſcheint das Geburtsland eines wahrhaft verbrecheriſchen Treibens der Art von frühe an geweſen zu ſein, denn ſchon das Zend-Aveſta bezeichnet unnatürliche Laſter, Knabenliebe, Schädigung der Leibesfrucht als unſühnbare Handlungen, durch die der Schuldige die Beute der böſen Geiſter wird. – Der Beſitzer eines reichen Harems in Egypten fand es geradezu lächerlich, daß man ihm ſollte zumuthen können, von ſeinen ſämmtlichen Frauen Kinder zu erziehen; er meinte, in ſolchem Falle würde ja ſein Wohlſtand bald dem völligen Ruin entgegen gehen. – Durch Hrn. Dr. Rigler **) erfahren wir außerdem noch, daß man ſich in Con- ſtantinopel für berechtigt hält, Schwangerſchaften künſtlich zu unter- brechen, wenn dieſe oder die nachfolgende Entbindung der Frau irgend einen Rachtheil zu bringen droht, ja, daß es dort ſogar Prieſter gibt, welche unter ſolchen Umſtänden Amulette verkaufen, durch deren zauberiſchen Einfluß jene Unterbrechung bewirkt werden ſoll. Hierin ſowohl als in dem höchſt unverſtändigen Benehmen der Frauen, welche bei Entbindungen helfen ſollen, liegt eine ſo reiche Urſache des Mangels einer Zunahme der türkiſchen Bevölkerung, daß *) Briefwechſel und Geſpräche A. v. Humboldt's. Berlin, 1864. S. 89. **) A. a. O. 1. Bd. S. 211 ff. – 272 – ſie hier nicht übergangen werden durfte. Es kommt indeſſen noch hinzu, daß die Vielweiberei, ſowie der Umſtand, daß der Türke oft ſchon im 16. oder 17. Lebensjahre heirathet, eine früh- zeitige Erſchöpfung der Manneskraft nothwendig bedingen muß. Auch ſtimmen alle europäiſchen Aerzte darin überein, daß ihnen Anforderungen, die letztere wieder zu ſchaffen, alltäglich vorgekom- men ſeien. Sodann iſt der Koran ſelbſt nicht unſchuldig an dem ſo höchſt verderblichen Umgange der Männer mit Knaben, denn er verſpricht den Männern im Paradieſe, außer nie alternden ſchönen Frauen, auch „Gülmen“, d. h. reizende Knaben oder Jüngliuge zur Bedienung*). Man hat daher Unrecht, den Griechen die Mit- theilung jenes ſchändlichen Mißbrauches an ihre Eroberer, die Tür- ken, aufzubürden; er war lange vor Mohammed über einen großen Theil von Aſien, ganz Griechenlaud, Rom u. ſ. w. verbreitet. Doch ſcheint der Koran einen ſchwachen Unterſchied zwiſchen dem Umgange mit Männern und dem mit Knaben zuzugeſtehen; er ſagt nämlich auch: „Wenn zwei Männer unter ſich durch Unzucht ſich vergehen, ſo ſtrafet Beide, wenn ſie aber bereuen und ſich beſſern, dann laſſet ab von ihnen“*). Wie weit es mit der Knabenliebe im alten Rom gekommen war, beweiſen die dagegen erlaſſenen Geſetze. Die Scantinia lex verurtheilte die Ueberwieſenen zu einer Buße von 10,000 Seſterzien (250 Thaler). Nachdem ſich das Geſetz ungenügend erwieſen hatte, verfügte die ſpätere lex Julia ſogar die Todesſtrafe gegen dergleichen Schandthaten. Der Koran ſcheint die letzteren endlich noch im Paradieſe verewigen zu wollen. Nur auf dieſe Weiſe kann man es ſich erklären, daß die Türken Jahrhunderte lang den fünften Theil aller chriſtlichen Kna- ben, zur Erfriſchung ihres Janitſcharenthums, gewaltſam wegnehmen konnten, – daß ſie ferner bis auf den heutigen Tag die ſchönſten Jungfrauen von ferne her entweder durch Kauf oder durch Raub in ihre Harems ſchleppen ließen, ohne dadurch ihrem eigenen Stamme an Zahl aufzuhelfen. Endlich darf auch das unter den Türken weitverbreitete Mißbehagen nicht unerwähnt bleiben, welches ſich ihrer bemächtigen muß, wenn der Augenſchein"ſie von dem all- mäligen Hinſinken ihrer Macht überführt. Dieſe moraliſche Nieder- *) Der Koran. 56. Sure. ſ. Ueberſ. v. L. Ullmann. Crefeld, 1840. S. 467. *) Vierte Sure. – Ebend. S. 56. – 273 – geſchlagenheit, dieſes Mißtrauen in ihre ſich den Chriſten zuneigende Regierung können unmöglich erfriſchend auf die Nation wirken. Doch es iſt nöthig, dieſen Worten die beweiſenden Ziffern hinzu- zufügen. Nach den neueſten von Hrn. Dieterici *) angeſtellten Berechnungen leben in der aſiatiſchen Türkei, namentlich in Kleinaſien, Syrien, Armenien und Meſopotamien auf 31,582 DMeilen 15,150,000 Einwohner, woraus ſich für jede Quadratmeile eine Bevöl- kerung von 476 Menſchen ergibt. Alſo 476 dort, wo im Anfange der chriſtlichen Zeitrechnung zwiſchen drei bis zehntauſend Menſchen ſich des Lebens erfreuten. Wir wiſſen ſehr wohl, daß dieſe grauenhafte Entvölkerung ſo reicher Länder nicht allein den Osmanen zur Laſt gelegt werden darf. Der fürchterliche blutgierige Tamerlan hat vielleicht auf einem einzigen Raubzuge mehr gemordet, verbrannt und geraubt, als es die Osmanen Jahrhunderte lang vermochten. Aber wir fragen, was haben die Osmanen, ſeitdem ſie in unbe- ſtritten ruhigem Beſitze jenes hochwichtigen Theiles von Aſien ſind, gethan, um jene erbarmungswerthen Zuſtände zu verbeſſern? Und die traurige Antwort hierauf iſt: gar Nichts! – Ja, es darf als unbeſtritten angeſehen werden, daß, mit Ausnahme einiger durch ihre Lage bevorrechteten, ſich ſelbſt aufhelfenden Handelsſtädten, die Bevölkerung des türkiſchen Aſiens im letzten Jahrhunderte noch abge- nommen hat. – In der europäiſchen Türkei ſtellt ſich das Ver- hältniß etwas vortheilhafter, nicht, ſoviel ſich ſehen läßt, durch Hin- zuthun der Türken, ſondern durch den widerſtandskräftigeren Charakter der Europäer, ſowie durch die Anfriſchungen und Hoffnungen, welche ihnen ſtets mehr oder minder aus Nachbarſtaaten zu Theil wurden. Nach den erwähnten Berechnungen ernährt die europäiſche Türkei auf 9545 DMeilen, 18,700,000 Einwohner, mithin auf die Quadrat- meile 1963 Köpfe. Wir müſſen den Vergleich mit der Bevölkerung zur Zeit der höchſten Blüthe des oſtrömiſchen Kaiſerreiches anderen Forſchern überlaſſen. Wenn wir aber die abſolute Einöde, welche den Hauptſitz des Türkenthums, ihr geprieſenes Iſtambul, von der Landſeite rings umgibt, in ernſte Betrachtung ziehen, ſo gelangen wir zu der Ueberzeugung, daß es den Osmanen bis heute noch wenig am Herzen gelegen hat, auch nur den äußeren Schein einer regen Sorge um den Wohlſtand und das Gedeihen der von ihnen eroberten Länder zu retten. *) S. Petermann's geographiſche Mittheilungen. 1859. Nr. 99. S. 7 und 8. – 274 – Das Geſetz heiligt die Frau; ſie wird im Kriege geſchönt, und der Mann iſt verpflichtet, ſie ſtandesmäßig zu unterhalten. Letzteres iſt um ſo wichtiger, als die Frau in der Regel geringes Heirathsgut mitbringt; die Anſprüche der Knaben und der Moſcheen ſind vor denen der Töchter an das Vermögen bevorzugt. Selbſt nach der Trennung von der Frau muß für dieſe noch geſorgt wer- den. Jede Sclavin, die von ihrem Herrn zur Mutter wird, iſt dadurch zugleich geſetzlich zu ſeiner rechtmäßigen Frau erhoben worden. Das Leben einer türkiſchen Frau im Harem muß nothwendig ein höchſt einförmiges und langweiliges ſein. Erträglich wird es nur dadurch gemacht, daß ſie in der Regel auf einer ſehr niedrigen Stufe geiſtiger Ausbildung ſteht; höchſt ſelten hat ſie Leſen und Schreiben gelernt. Auch kommt es ihr zu Gute, daß der Türke, außer dem Beſuche des Kaffehauſes, kaum eine Gelegenheit findet, an öffentlichen Ver- gnügungen Theil zu nehmen; für dieſe iſt er alſo auf den häuslichen Kreis angewieſen. Immerhin vermag alſo die Frau, durch angeborne Liebenswürdigkeit oder freundliches Entgegenkommen den Manit dauerhaft an ſich zu feſſeln. Das ſie ſtets umlagernde Mißtrauen, die fortgeſetzte Bewachung durch ältere Frauen oder Eunuchen, das Eingeſchloſſenſein hinter eng vergitterter Fenſtern, die ſtete Ver- ſchleierung und Umhüllung, welcher die Frau unterworfen iſt, ſo oft ſie den Harem verläßt, dürfte daher für eine dazu nicht erzogene Weſt - Europäerin, beſonders wenn es ihr an geiſtiger Bildung nicht fehlt, wahrhaft unerträglich, ja lebensabkürzend ſein. Und dennoch hat es nicht an Europäern gefehlt, die dieſe Exiſtenz der Frauen für eine mehr als blos erträgliche hielten. Hr. Brcher*) z. B., der als Arzt häufige Gelegenheit fand, Harems und ihre Einwohnerinnen zu beſuchen, gibt zwar zu, daß jugendliche Frauen mit einigen wohlbegründeten Anſprüchen, ſich hier weniger behaglich fühlen dürften, meint aber doch, daß, wenn das Alter der Leideft- ſchaften fern hinter ihnen liegt, wenn eine traurige Erfahrung jedem Lebensereigniſſe ſeinen richtigen Werth verleiht, man dann im All- gemeinen ſagen müſſe, daß ſich die Türkin einer größeren Stimme von Glück erfreuet, als die Nichttürkin (la Franque). Man ſieht, daß Hr. Brayer diejenigen Frauen ſeines Vaterlandes im Auge gehabt *) Neuf années a Constantinople. T. I. Paris, 1836. pag. 368. sq. – 275 – haben mag, welche, nachdem ſie in der Jugend war der Gefallſucht und Eitelkeit gelebt haben, im vorgerückteren Lebensalter ſich durch den Verluſt ihrer Reize über die Gebühr unglücklich fühlen. Hier- über läßt ſich mit Hrn. Brayer nicht rechten. Mit der echten Würde der Frauen, welche auf einer Stufe der Bildung ſtehen, die ihneu nicht erlaubt, blos eitlem Tand und Prunk zu leben, iſt die erniedrigende Stellung der eingeſperrten türkiſchen Frauen durch- aus unvereinbar; eine der hervorragendſten und eingreifendſten Er- rungenſchaften des Chriſtenthums iſt eben die Erhebung der Frau zur gleichberechtigten Gefährtin des Mannes. Wie kann man hoffen bei den Muſelmännern jemals die Sclaverei abzuſchaffen, ſo lange ſelbſt die edelſte Blüthe des häuslichen Lebens, die Frau, noch in ſclaviſcher Erniedrigung ſchmachtet? Auch bemerkt man, aller Ge- wohnheiten ungeachtet, an den ſchlaffen, theilnahmsloſen Geſichts- zügen und dem frühen Hinwelken der Jugendfriſche bei den Frauen, die man auf der Straße oder in den Kaufläden ſieht, daß ſie, meiſtens unbefriedigt, das Erniedrigende ihrer Lage genugſam fühlen. . Selbſt der ſackförmig weite Mantel und die ſchlotternde Fußbe- kleidung, mit denen ſie öffentlich erſcheinen müſſen, iſt darauf berechnet, etwa vorhandene körperliche Vorzüge nicht einmal ahnen zu laſſen und ſo dem angebormen und eben darum wohlberechtigten Schönheitsſinn der Frauen unaufhörlich wehe zu thun. So um- ſchleiert der Ausdruck des Ueberdruſſes und der Langweile die mei- ſtens edel geformten Geſichtszüge, das dunkle Auge mit der regel- mäßig geſchlitzten Augenlidſpalte, die hochgewölbten Augenbrauen, die gerade, griechiſche, gewöhnlich etwas zu ſcharf zugeſpitzte Naſe, die flachgewölbten Wangenbeine, – angeborne Vorzüge, welche die gebräuchliche Art der Verſchleiernng unverdeckt laſſen muß; und doch iſt es der lebendige, ausdrucksvolle Blick, der dieſen Vorzügen erſt den geiſtigen Stempel aufdrücken ſollte. Erwägt man nun noch, daß die kritiſche Lebensperiode der muſelmänniſchen Frauen gewöhn- lich ſchon vom 38. bis 40. Lebensjahre eintritt und dann gleichzeitig verrätheriſche Runzeln die erſchlafften Geſichtszüge noch mehr ver- unzieren, ſo erkennt man mit tiefem Bedauern, daß deſpotiſche Un- ſitte die kurze Blüthenzeit auf ihr Minimum zu beſchränken gewußt hat. Bis zu welcher ſcheuslichen Barbarei jene Deſpotie über die Frauen geſteigert werden kann, beweiſt ſchon die Thatſache, daß Mohammed III. bei ſeiner Thronbeſteigung, 1595, nicht bloß ſeine – 276 – 19 Brüder umbringen, ſondern auch 10 ſchwangere Frauen ſeines Vaters erſäufen ließ. – Faſt muß man erſtaunen, daß allen jenen Unbilden zum Trotze türkiſche Frauen ſich dennoch mitunter einen weithin reichenden Einfluß auf ihre Männer erworben haben. Die Gräfin Dora d'Iſtria*) hat mit der den wahrhaft gebildeten Frauen eigenthümlichen Feinheit eine ſehr belehrende Sammlung charakteriſti- ſcher Züge dieſer Art veröffentlicht. Will man erfahren, was, jener Bar- barei gegenüber, der orientaliſchen Frau die ſchaffende Natur mit ver- ſchwenderiſcher Hand geſpendet hat, ſo bleibt es allein übrig, die 12 und 13jährigen jungen Mädchen aufmerkſam zu beobachten, welche der Mutter noch unverſchleiert folgen dürfen. Dieſe verbin- den in der großen Mehrzahl mit graciöſen Körperformen, mit einer etwas dunklen Hautfarbe, wie ſie den ſüdeuropäiſchen Frauen eigen zu ſein pflegt, ein dunkles, ausdrucksvolles Auge und eine friſche, roſige Geſichtsfarbe, – mit einem Worte, ſie tragen alle Naturanſprüche auf eine vortheilhafte Entwicklung an ſich. Wenn aber dieſe Anſprüche der heranreifenden Jungfrau durch Vorent- halten jeder geiſtigen Cultur, durch ſtete Beſchränkung ihres Um- ganges auf Weiber und Kinder, ja ſogar durch Verſagung der uothwendigen körperlichen Bewegung in freier Luft, verkannt und mißachtet werden, ſo muß endlich die die herrlichſte Blüthe ein- ſchließende Knospe ſchon bei halber Entwicklung zu welken beginnen. „Der Menſch iſt in einſamem Müſſiggange wie ein ſtehen- des Waſſer, das keinen Abfluß hat und fault. So ver- wittert auch der Geiſt deſſen, der tmmer nur Eins thut, immer die nämlichen Gegenſtände ſieht, immer die gleiche Arbeit hat, immer zieht an dem nämlichen Laſtwagen. Die weibliche Einbildungskraft iſt viel empfänglicher, als die der Männer, daher die Hinneigung zu Thorheiten, die einzelne zuerſt begehen, – die Fortpflanzung von Vervenübeln in Klöſtern, Waiſenhäuſern, Hoſpitälern. Plato hält die Weiber für Urheberinnen des Aberglau- bens und der Schwärmerei.“ So ſpricht der tief erfahrene Zim- mermann **), und er wird ewig Recht behalten. Was ſeiner Zeit wüthende Rigoriſten, unnatürliche Abſperrung vertheidigend, gegen ihn *) Les femmes en Orient. Zurich, 1860. T. I. pag. 443. **) A. a. O. II. S. 4. - – 277 – vorgebracht haben, iſt zu unſeren Zeiten längſt ſchon von Neuem wieder durch die Strafe der Einzelhaft nach dem penſylvaniſchen Syſtem gründlich widerlegt worden. Bei dergleichen unglücklichen Gefangenen entwickelt ſich nach und nach eine Neigung zum Irr- ſein, von welchem ſtatiſtiſche Berechnungen ein wahrhaft erſchrecken- des Verhältniß nachweiſen. Auch ſollen die alljährlich nur einmal ſprechenden Karthäuſer frühkindiſch werden. – Es gab eine frühere Zeit, in welcher die jungen Männer es liebten, ihr Leben für die Ehre der Frauen gern ritterlich in die Schanze zu ſchlagen; dieſe Sitte ſcheint unſerer Zeit ziemlich abhanden gekommen zu ſein, – man ſucht ſich mit tönenden Phraſen zu behelfen. Da aber mit dieſen den türkiſchen Frauen wenig genützt werden dürfte, ſo will ich mich ihrer enthalten, um zu anderen Dingen überzugehen. Der Orient ſcheint mehr geeignet, den Sinn für das Ueber- triebene, das Maaß des Schönen Ueberſchreitende zu nähren, als der Occident; man erinnere ſich der coloſſalen Kunſtwerke aus der Blüthezeit Egyptens, des früheſten Auftretens der Asceten und Anachoreten u. ſ. w. So hat auch die höchſte Ungebundenheit der Frauen, wie ſie in der Stadt des Kröſus und des Xerxes vor- herrſchte, dort mit ihrer vollſtändigen Abgeſchloſſenheit wechſeln kön- nen. Es würde hiſtoriſch nicht unintereſſant ſein, den Motiven nachzuſpüren, durch welche Mohammed und ſeine Muſelmänner zu ihrer Frauen-Despotie gelangt ſind. Anſtatt einer hiſtoriſchen Di- greſſion, die an dieſem Orte zu weit führen würde, beſchränke ich mich darauf, die zu einer ſolchen Geneigten auf die Art und Weiſe hinzuleiten, in der ein Orientale etwa den Uranfang mancher tür- kiſchen Mißbräuche aufſuchen könnte. – Nach der heiligen Sage im Vendidad ſchuf Ormuzd den Ort der Anmuth auf dem Hochlande Iran’s, im Quellengebiete des Oxus und Jaxartes. Die Sonne, welche den Winterfroſt und die Schneemaſſen auf den Bergen ſchwinden macht, die Morgenröthe, welche die Ne- bel der Nacht vertreibt, das auflodernde Feuer, der irdiſche Ab- glanz der himmliſchen Lichtkraft, in deſſen aufſteigender Flamme der Zug der Menſchenſeele zu der ewigen Lichtquelle ſymboliſch an- gedeutet iſt, wurden von den Hirtenvölkern Oſt-Iran's, wie von den Ariern am Indus als göttliche Weſen verehrt. Aber der Bö- ſes ſinnende Ahriman verdarb die Welt durch die Nebel des Winters, durch Schneefälle und Waſſerfluthen, ſo, daß die Kälte – 278 - in der Erde Herz drang. Im Reiche Turan, im kalten, nebeli- gen Norden, wo das Leben aufhört, und im Weſten, am Un- tergange der Sonne, von woher der Steppenſand die Fruchtthäler von Baktrien und Sogdiana verſchüttete, da herrſchten nun die böſen Geiſter in Höhlen und Schlünden, ſtets bedacht, den Men- ſchen das „böſe Auge“ anzuthan, – da iſt das Land der Finſter- niß, der Nacht, des Todes *). – Wie weit die Herrſchaft des „böſen Auges“ – des Malocchio der Neapolitaner – in un- ferem mit ſeiner Erleuchtung prunkenden Jahrhundert noch über die Phantaſie der Naturmenſchen hinreicht, bewies u. A. bei dem feſtlichen Einzuge der italieniſchen Armee in Paris, am 14. Auguſt 1859, die von den Turko's entfaltete Fahne, welche neben dem Halbmonde die ausgeſtreckte Hand darbot, die den „böſen Blick“, das „böſe Auge“ abzuwenden beſtimmt iſt. – Aus jenem Reiche Turan ſind nun auch die ſeldſchukiſchen und osma- niſchen Stämme hinabgeſtiegen in die ſonnenreichen und fruchtbaren Thäler Kleinaſiens, um den heimathlichen böſen Geiſtern zu ent- fliehen. Aber die böſen Geiſter der Despotie über die mit gleichen Rechten gebornen Frauen, ſowie des Durſtes nach dem Blute an- dersglaubender Menſchen, haben ſich an ihre Ferſen geheftet und verfolgen ſie bis heute, nachdem der Koran beide gleichſam heilig geſprochen hat. Mit der regen Sorgſamkeit für die Erhaltung des eigenen Lebens, mit der aufmerkſamen Pflege, welche ſie ſelbſt ihrem Vieh angedeihen laſſen, ſteht der grauſame Charakterzug der Türken in ſchneidendem Contraſte, welcher ſie das Leben ihrer Mitmenſchen mißachten oder mit Leichtigkeit opfern läßt. Wenn irgend etwas ihre aſiatiſche Abkunft bezeugt, ſo ſind es die unſäglichen Grau- ſamkeiten, welche ſie auf ihren Eroberungszügen gegen wehrloſe Männer, Weiber und Kinder begangen haben, jene Sucht, menſch- liche Weſen zu vertilgen, in deren Folge noch heute weitgedehnte Länderſtrecken in Europa und in Aſien menſchenleer und wüſt lie- gen, welche ſonſt von Tauſenden betriebſamer und glücklicher Ein- wohner bebaut wurden. Des grauſamen Tamerleng menſchenver- tilgende Züge, die ihm den Beinamen „Geißel Gottes“ zugezogen *) Vergl. Georg Weber, allgemeine Weltgeſchichte. 1. Bd. Leipzig, 1857. S. 331-32. – 279 - haben, waren von der gegenwärtigen Generation beinahe vergeſſen, als die furchtbaren Grauſamkeiten der wuthentbrannten Hindus nnd Mohammedaner in Bengalen ſie 1857 wieder auffriſchen muß- ten. Auch ſie würden wahrſcheinlich Pyramiden von engliſchen Schädeln gebaut haben, wenn dieſe zahlreich genug dazu geweſen wären. Lange vor dem gräßlichen Timur hatten ſchon die Türken dergleichen Pyramiden aus den Schädeln der Kreuzfahrer erbaut, welche Peter von Amiens bei ihrem erſten Zuge von Gemlik nach Nicäa führte. Die heiße Sonne Aſiens ſcheint dort, wo der Tiger hauſt, etwas Tigerähnliches in dem Hirn der Menſchen auszubrü- ten, welches durch europäiſche Cultur wohl übertüncht, aber nicht vertilgt werden kann. Nena Sahib wußte ſich in den geſell- ſchaftlichen Cirkeln der Engländer vollkommen als europäiſcher Gent- leman zu benehmen; dennoch übertraf bald darauf ſeine entfeſſelte Grauſamkeit Alles, was ſeine roheren Landsleute der Art erdenken mochten. Man täuſche ſich darüber nicht; wäre es denkbar, daß ein neuer Suleiman oder Bajazid A)ilderim aus dem ſchwächlich gewordenen Herrſchergeſchlechte der Osmanen hervorginge, ſo würde es ihm leicht werden, die große Maſſe der heutigen Türken zu ähnlichen Metzeleien und Abſchlachtungen zu entflammen, durch die jener ſein Andenken beſudelt hat. Fordert doch ihr höchſtes Geſetz- bnch, der Koran, oft wiederholt zur Vertilgung der Ungläubigen auf; ſchon dadurch iſt ſein Urſprung aus aſiatiſchem Boden blutig gewährleiſtet. Naturam furca expellas – – Umgekehrt verhält vs ſich mit der ſtolzen Schwerbeweg- lichkeit, welche den meiſten wohlhabenden Türken der jetzigen Zeit eigenthümlich iſt. Nur durch eine äußerſt thatkräftige Beweglichkeit konnte es ihnen ehedem gelingen, die erſchlafften Griechen in Aſien und Europa niederzuſchlagen. Die Sprache der Hände indeſſen, welche der Neapolitaner bis zur höchſten Vollkommenheit, ja bis zur Grimaſſe ausgebildet hat, kannte der Türke wahrſcheinlich nie. Leſſing, der auf dieſe Cheironomie für den Dramaturgen ſo großen Werth legte, würde in Verzweiflung geweſen ſein, wenn ihm die Anfgabe geſtellt worden wäre, aus den Türken einen ſol- chen hervorzuſuchen. Unbeweglich auf den Ferſen hockend, findet er, falls er wohlhabend genug iſt, ſich ununterbrochen bedienen zu laſſen, eine ſeine Aufmerkſamkeit ſtark in Anſpruch nehmende An- ſtrengung des Tages darin, ſorgfältig jede Körperbewegung zu ver- – 280 – meiden. Das wichtige Geſchäft des Tabakrauchens und des Kaffe- trinkens erhält einen eigenen Diener in Athem, der ſo abgerichtet iſt, daß er die Pfeife und die kleine Kaffeſchale in einer Weiſe darreicht, welche die Hand des Herrn in möglichſter Ruhe zu ver- harren erlaubt. Ein türkiſches Sprichwort lautet: „Sprich ge- rade – ſitz krumm“. Man will dadurch andeuten, daß man auch im Sitzen vermöge, höher ſtehenden Männern Verbindlichkeit zu äußern, ohne daß man ſich dabei zur Lüge herabwürdigen ſoll. Ein anderes bemerkenswerthes Wort der Orientalen lautet: „Es gibt eine Alchemie des Betragens, die Alles in Gold zu verwandeln im Stande iſt.“ Mohammed huldigte vielleicht zum Theil einer diätetiſchen Rückſicht, wenn er das fünfmal am Tage zu verrichtende Gebet anordnete; es fordert wenigſtens eine kurze Bewegung und das dabei vorgeſchriebene Berühren des Bo- dens mit der Stirn würde ſelbſt einen ſtets beweglichen weſteuro- päiſchen Touriſten in Verlegenheit ſetzen. – Die Bewegung der Füße zum Tanze würde für einen Türken in hohem Grade unan- ſtändig ſein. Ich erinnere mich nicht, jemals einem fußreiſenden Türken begegnet zu ſein, wenn er nicht etwa Thiere vor ſich her zu treiben hatte. Er reitet und benutzt dazu nur das Pferd; Ka- meel und Eſel überläßt er gern den Frauen. Und doch iſt er gro- ßer Körperanſtrengungen fähig, wenn ihn die Noth dazu treibt. Die türkiſchen Laſtträger (Hamals) ſchleppen enorme Laſten auf den Schultern oder auf dem Rücken durch die eng gewundenen, ſchlecht oder gar nicht gepflaſterten Gaſſen Conſtantinopels bergauf und bergab, mit tauſend Hinderniſſen kämpfend. Die Barkenführer des Bosporus und des goldenen Horns dürfen ſich dreiſt an Kraft und Geſchwindigkeit mit den Venetianern meſſen, die in ihren Lagunen keine Schwierigkeiten zu bekämpfen haben, die ſich mit der Gewalt des Stromes aus dem ſchwarzen nach dem Marmara-Meere, oder mit dem Nordoſtſturm, der von erſterem aus nicht ſelten hinein bricht, vergleichen ließe. Die türkiſchen Soldaten marſchiren nöthi- genfalls mit den meiſten europäiſchen Truppen um die Wette, und hungern zur Faſtenzeit dabei noch den ganzen Tag. Augenſchein- lich iſt es das übel verſtandene, ſtolze Bewußtſein des Eroberers, welches den eingebildeten Türken veranlaßt, Alles, was der Arbeit und Mühe ähnlich ſieht, dem Ureinwohner des eroberten Landes zu überlaſſen, der in ſeinen Augen wenig über dem Sclaven erhaben – 281 – iſt, da er ihn ja täglich dazu machen könnte, wie dies dem aſiati- ſchen Eroberer allenthalben zuſteht. Welche Ausdauer im Ertragen von Körper-Anſtrengungen und Hunger der türkiſche Soldat beſitzt, hat der letzte Orient - Krieg mehrfach dargethan. Die erſten zur öffentlichen Kunde gekommenen Beweiſe von muthiger Ausdauer und Tapferkeit lieferte bekanntlich während des ſtrengen Winters 1854 – 55 das bei Kalafat in Erdhöhlen lagernde türkiſche Corps, welches, unter der Führung des polniſchen Grafen Ilinski, endlich die Ruſſen nöthigte, die kleine Walachei zu verlaſſen. Die berühmt gewordene Vertheidigung von Siliſtria, die großentheils von Erdwerken aus geführt werden mußte und die den Abzug der Belagerer zum Reſultate hatte, folgte. Die türkiſchen Artilleriſten, befehligt von dem aus der preußiſchen Schule hervorgegangenen trefflichen Oberſten Grach, verdienen hier eine beſonders rühmliche Erwähnung. Das Höchſte aber, was unter ſolchen Umſtänden von Menſchen erwartet werden darf, die wäh- rend einer ſechsmonatlichen Belagerung, unter einem rauhen win- terlichen Himmel, mit Mangel an Subſiſtenzmitteln aller Art käm- pfen, hat die türkiſche Garniſon von Kars unter dem tapferen General Williams geleiſtet. Nicht eher öffnete ſie dem Feinde die Thore, als bis Hunderte von Verhungerten den erſtarrten Bo- den bedeckten. Die dem Tode nahen, kraftlos Hingeſtreckten ver- weigerten den eingedrungenen Ruſſen ſogar die Annahme von Spei- ſen, auf die in gleichem Zuſtande daliegenden Frauen und Kinder zeigend. Mr. H. Sandwith *) hat ſich ein weſentliches Verdienſt durch die Aufbewahrung der Einzelnheiten dieſer glänzenden Ver- theidigung erworben, die eines beſſeren Erfolges würdig geweſen wäre. – Aber auch ohne dieſe hervorragenden Züge würde es feſt- ſtehen, daß der heutige türkiſche Soldat, obgleich ihm die fanatiſche Wuth früherer Jahrhunderte gegen Ungläubige abgeht, dennoch un- ter einer intelligenten und energiſchen Führung hinter dem Militär anderer Nationen ſchwerlich zurückſtehen würde. Wenn Frankreich es verſtanden hat, Turko’s aus Afrika auf europäiſchem Boden mit großem Nutzen für ſich fechten zu laſſen, warum ſollte die Tür- kei nicht Aehnliches vermögen, der es in der That an dem natio- nalen Material zu Turko's noch weniger fehlt. Aber ihr mangeln *) A Narrative of the Siege of Kars. Third edit. London, 1856. - 282 – die wiſſenſchaftlich gebildeten Offiziere, um dergleichen Pläne zu rea- liſiren. Schon der Umſtand, daß der Sultan einen zum Islam übergetretenen Chriſten, Omer Paſcha, wählte, als er 1855 ſei- ner Armee einen Serdar vorſette, ſpricht für jenen Umſtand, – eine Wahl, der in früheren Jahrhunderten ähnliche Beiſpiele zahlreich voran- gegangen ſind. Die in Conſtantinopel errichtete Kriegsſchule genügt nicht; blos die Artillerie-Schule, an welcher preußiſche Offiziere leh- ren, hat die türkiſche Artillerie auf einen reſpectabeln Fuß gebracht. – Die irregulären türkiſchen Truppen, die Baſchi - Bozuks, haben in dem letzten Kriege ſo viele Beweiſe von Indisciplin und Widerſetzlichkeit gegeben, daß Omer Paſcha ſich zuletzt nothge- drungen ſah, ſie gewaltſam aufzulöſen. Hiernach durchſtreiften ſie in Banden das Land, um chriſtliche Unterthanen des Sultans zu plündern. Ich habe in der Dobrudſcha die Brandſtätten der Häu- ſer geſehen, welche ſie, vor den Koſaken fliehend, angezündet hatten, um bequemer rauben und morden zu können (vergl. Th. 1, S. 248). Noch im Herbſt 1856 trieben Einzelne von ihnen das Banditen-Hand- werk. Mir iſt nicht bekannt geworden, ob man Maßregeln ergriffen hat, um ähnliche tief eingreifende Uebelſtände für die Folge zu vermeiden. Nach den letzten Nachrichten beſtand 1858 die reguläre Armee aus 178,680 Mann, die Reſerve, Redifs, aus 125,880 Mann. Hierin ſind die Hülfstruppen aus den tributpflichtigen Provinzen und aus jenen Gegenden nicht mitgerechnet, welche dem Rekruti- rungs-Geſetze noch nicht unterworfen ſind; dieſe ſchlägt man, mit den irregulären Truppen zuſammen, auf 100- bis 110,000 ſtreit- bare Männer an. Welche Zuverläſſigkeit den letzteren beigemeſſen werden darf, wird ſich danach richten müſſen, ob man ſich in den Stand geſetzt ſieht, durchgreifende Verbeſſerungen bei ihnen eintre- ten zu laſſen. Leider ſcheitern hier gute Vorſätze nur zu oft an dem traurigen Zuſtande der Finanzen. Dieſem letzteren hat wohl auch das Mißlingen der Expedition Omer Paſcha's nach Georgien und Lesghien zugeſchrieben werden müſſen. Ueber den gegenwärtigen Zuſtand der türkiſchen Kriegs-Marine ſind mir nähere Aufſchlüſſe nicht zugänglich geworden. Ihr letztes Zuſammentreffen mit der ruſſiſchen Flotte zu Sinope lief bekannt- lich für ſie ſehr unglücklich ab, indem man ſich in ſchlecht gewähl- ter Stellung überfallen ließ. Aber im Allgemeinen ſtehen die tür- kiſchen Schiffsführer auf einer ſehr niedrigen Stufe der Ausbildung; auch fehlt es ihnen oft an den nöthigſten Inſtrumenten und Kar- ten, oder man weiß ſich dieſer nicht zu bedienen. Unter den zahl- weichen traurigen Folgen hiervon zeichnete ſich noch neuerdings, im Juni 1859, ein Schiffbruch des Dampfers „Siliſtria“ aus, der offenbar nur durch die Unwiſſenheit und Barbarei des türkiſchen Capitäns herbeigeführt, 77 Paſſagierea das Leben koſtete*). Die einzelnen hiermit verbundenen Umſtände ſind im höchſten Grade empörend und ſollten Jeden, für den ſein Leben noch einigen Werth hat, warnen, ſich irgend einer türkiſchen Schiffsführung an- znvertrauen. Die Sorgloſigkeit der Türken, ein unvermeidlicher Sprößling ihres Schickſalsglaubens, offenbart ſich in den Ruinen alles Gro- ßen und Schönen, was ihnen durch Eroberung jemals in die Hände fiel. Ein wahrhaft zum Himmel ſchreiender Beweis für den hohen Grad derſelben, den die neueſte Zeit geliefert hat, iſt die Pulver- Exploſion auf Rhodus, welche dort am 6. November 1856 einen großen Theil der Hauptſtadt der Inſel zerſtörte und den Verluſt von 800 bis 1000 Menſchenleben herbeiführte, – ein um ſo tiefer eindringendes Unglück, als ſich die geängſtigten Bewohner damals von dem Jammer noch nicht erholt hatten, den drei Wochen früher das Erdbeben über ſie brachte. Und die Veranlaſſung zu dieſem namenloſen Unheil? Es klingt faſt unglaublich, iſt aber doch wahr, daß ſeit der Eroberung von Rhodus durch Suleiman (1647) in dem Glockenthurne der auf der Spitze des Hügels liegenden Jo- hanniskirche 6000 Centner veretianiſchen Pulvers lagerten. Dieſer Thurm iſt der erhabenſte Punkt der ganzen Gegend; er war frü- her ſchon zweimal vom Blitz getroffen worden, – er hatte durch die Erdbeben tiefe Riſſe bekommen, – vor nicht langer Zeit hatte ein aus Conſtantinopel kommender Coinmiſſar es für die Stadt gefahvvoll erklärt, dort ſo viel Pulver aufgeſpeichert liegen zu laſſen. Bergebens; die Localbehörden blieben allen Vorſtellungen unzugäng- lich; – endlich drang denn der Blitz bis in das Gewölbe des Thurmes und veranlaßte die Kataſtrophe, deren Folgen die Be- hörde nachher möglichſt glimpflich darzuſtellen ſuchte, indem ſie blos 3000 Centner Pulver und 100 Menſchenopfer der Exploſion, eine Kleinigkeit, zugeben wollte. – Doch nicht genug! Noch jetzt ſollen *) Nach der „Preſſe d'Orient“ von Conſtantinopel. – 284 – drei große und mehrere kleine Pulvermagazine der Stadt 20- bis 25,000 Centner Pulver enthalten. Ein türkiſcher Ingenieur hat dies für gefahrlos erklärt, weil – die Mauern der Gewölbe ſtark ſeien. – Eine der Wahrheit näher liegende Erklärung ſcheint je- doch darin zu liegen, daß die Aufſeher dieſer Magazine in wenigen Jahren reiche Leute zu werden pflegen, – indem ſich die bedeu- tende Quantität des „jährlich verfliegenden“ Pulvers nicht genau berechnen läßt *). - Der in den unzähligen Brand- Zerſtörungen Conſtantinopels liegende Beweis für jene unheilbare Sorgloſigkeit iſt um ſo ſchla- gender, als er ſich unter den Augen des Sultans und der Cen- tral-Regierung ſelbſt alljährlich wiederholt erneuert. Unter Se- lim II. (etwa 1569) brannte das Feuer in Conſtantinopel ſieben Tage lang. Man würde es komiſch finden müſſen, wenn es nicht zugleich gar zu niederdrückend wirkte, daß bis in die jüngſte Zeit die Löſch-Mannſchaft Conſtantinopels aus Maurern und Zimmer- leuten beſtand, in deren dringendem Intereſſe es liegt, daß mög- lichſt viele Neubauten nöthig werden möchten. Volksmedicin. – Wenn es wahr iſt, was der verdienſtvolle Tiſſot *) von dem Einfluſſe der Quackſalberei auf Verminderung der Menſchenzahl ſagt, ſo würde ſich die Abnahme dieſer unter den Mohamedanern um ſo leichter erklären laſſen. „Il me reste à parler d’un fleau, qui fait plus de ravage, que tous les maux que j'ai d’écrits, et qui, tant qu'il subsistera, rendra inutiles toutes les précautions qu'on prendra pour la conservation du peuple; ce sont les Charlatans.“ – Seit Jahrhunderten eingewurzelte Vorurtheile ſind die Mutter jener unter den Türken in Europa und Aſien allmächtig herrſchenden Quackſalberei. Dr. L. Rigler*) hat ſich das Verdienſt erworben, ſie unter dem beſchwichtigenden Namen der „Volksmedicin“ nach allen ihren mannigfachen mäandriſchen Windungen zu verfolgen und ſie ſyſtematiſch zu ca- *) Vergl. Weſtermann's illuſtrirte deutſche Monatshefte. April 1857. S. Z6. *) Avis au peuple sursa santé. 5. édit. T. II. Lausanne, 1770. pag. 302. *) A. a. O. Bd. I. S. 351 u. f. – 285 – talogiſiren. Man darf hierbei nicht vergeſſen, daß Mohammed, der Prophet, auch als Arzt bei den Seinigen bereits viel gegolten haben ſoll*). „ Vielen gab er das Heil durch ſeine berührenden Hände, Von des Wahnſinns Joch rettet er Vielen das Haupt.“ Al Buſſiri im Lobgedicht Al Borda*). So hat denn Mohammed früh ſchon die Sitte geübt, welcher in ſpäteren Jahrhunderten auch die Könige von Frankreich und Eng- land folgten. Die von Hrn. Dr. Rigler mit ſeltener Ausdauer angeſtell- ten Beobachtungen der Art ergeben ein ſo vollſtändiges Reſultat, wie es früherhin noch nicht zur allgemeinen Kunde hatte gelangen können. Der für ſolche Studien empfängliche Leſer möge ſich da- her für dieſe Gegenſtände der Lectüre des angeführten Ortes zu- wenden. Für den kalt betrachtenden Sachkenner erſcheinen ſie nicht ſelten ergötzlich; für den lebhaft empfindenden Menſchenfreund müſ- ſen ſie jedoch zu tiefer Trauer über die gigantiſche Macht des Vor- urtheils, dem geſunden Menſchenverſtande gegenüber, hinreißen. „Quid miserius misero non miserante se ipsum!“ Vor alten Zeiten übte Montpellier das Recht, die Char- latans, welche ſich in der Stadt betreten ließen, mit der Strafe zu belegen, welche ſeiner Zeit ein deutſcher Kaiſer dem Abt von St. Gallen angedroht haben ſoll, d. h. man ſetzte den Charlatan auf einen Eſel, mit dem Geſichte gegen deſſen Schwanz, und führte ihn unter dem Hohngeſchrei der Gaſſenbuben durch alle Straßen der Stadt; während dieſer Promenade wurde er reichlich durch Kothwürfe decorirt*). Dieſer nützliche Gebrauch iſt den Uni- verſitäts-Städten ſeitdem abhanden gekommen, obgleich er ihnen in glänzenden Reſidenzen auf gleiche Weiſe, wie in den beſcheidenern der Provinz noch heute vielleicht wohlthätig ſein könnte. „Vielleicht“! *) S. Reiske et Fabri opuscula medica ex monumentis Ara- bum. Halae, 1776. pag. 13 sq. *) v. Hammer, Conſtantinopolis und der Bosporos. 1. Bd. Peſth, 1822. S. LXVI. *) Vergl. Tiſſot a. a. O. S. 314. – 286 – Der Unverſtand pflegt dergleichen Beſtrafte zu Märtyrern zu ſtem- peln; er umgibt ihr Haupt mit einem myſtiſchen Heiligenſchein. Durfte doch Racine es wagen, Ludwig XIV. um das Verbot ſeiner Schriften zu bitten, „damit ſie um ſo fleißiger ge- kanft werden möchten!“ Können wir es dem rohen Türken verargen, wenn ihm die ſpitze Mütze eines Derwiſches mehr Ver- trauen einflößt, als irgend ein weſteuropäiſches Diplom, von deſſen Bedeutung ihm jede Ahnung abgeht? Der Derwiſch erſcheint ihm aber als ein Menſch, bei dem er einige, wenn auch noch ſo ſchwache, Geiſtes-Cultur vorausſetzen darf, der alſo über ihm ſteht. Wie wollten wir es auch wagen, in dergleichen Dingen über die Türken zu Gericht zu ſitzen, wenn gleichzeitig das hochgebildete Europa mit Amerika um den Vorrang in Begünſtigung der Quackſalberei ſtrei- tet? In keiner früheren Zeitperiode hat ſie es wagen dürfen, die längſten Spalten der öffentlichen Blätter mit ekelhaften Anpreiſun- gen alltäglich zu füllen, die jedem Menſchenverſtande frech Hohn ſprechen, die aber damit endigen, ihre Verfaſſer in kurzer Friſt zu reichen Geldmännern zu erheben, – nicht etwa durch Beiträge, die aus den urtheilsloſen unterſten Volksſchichten allein hervorſtei- gen, ſondern die ſelbſt aus maaßgebenden Regionen herabfließen. Dies ſind die Auswüchſe jener Cultur, welche wir neuerdings den Türken einzuimpfen wünſchen. Bedauernswerther Tiſſot ! „Ach, was giebt es der Eſel noch viel, die, gleißenden Worten gläubig zu trauen geneigt, fiche- rem Verderben ſich weih'n.“ Carl Simrock. Die Eſelbeichte. Einer näheren Unterſuchung dürfte hierbei der bemerkenswerthe Umſtand nicht unwürdig ſein, daß ſelbſt der eingefleiſchte Fatalis- mus, welcher ſeine Bekenner die ſeidene Schnur des Padiſchah in ſtiller Ergebung um den Hals legen läßt, die Feuersbrunſt mit untergeſchlagenen Armen das Eigenthum wegfreſſen ſieht, dem aus gebornen rein menſchlichen Inſtinct nicht zu widerſtehen vermag, vermöge welches jedes durch Krankheit bedrohte Leben – mit ſel- tenen Ausnahmen – um Hülfe ſchreit. Wenn der Verfaſſer des „Malade imaginaire“ bei leichten Uebeln nicht ſchnell genug Aerzte um ſein Bett verſammeln konnte, ſo läßt ſich das allenfalls erklä- ren. Der ſpöttelnde Molière war kein Fataliſt. Wenn aber der in den Willen Allah's ſo leicht ſich ergebende Türke bei jedem – 287 – Anlaſſe nach kindiſchen Mitteln haſcht, die das körperliche Verder- ben abwenden ſollen, ſo dürfte dies mehr für den dem Menſchen tief eingepflanzten Selbſterhaltungstrieb ſprechen, als alle philoſo- phiſche Deductionen. Man ſollte kaum glauben, daß die meiſten Bazars und Be- ſestans irgend einen weiſen Mann beherbergen, der die ſchwarze Kunſt oder den nicht ganz ſo nebelvollen Magnetismus übt, ja, daß deſſen Manipulationen denen der weſteuropäiſchen Magnetiſeurs nicht unähnlich ſind, obgleich er mit dieſen niemals in Verbindung geſtanden hatte. Nur iſt der Orientale von der Würde und der Wirkſamkeit ſeines Berufes mehr durchdrungen, als dieſe es zu ſein pflegen. Hr. Charles White *) beobachtete einige dieſer Männer. Sie bedienten ſich entweder eines Glaſes Waſſer, des Schulterblattknochens eines Schafes, eines magnetiſirten Meſſers u. dgl.; auch ſpielt der türkiſche Roſenkranz dabei bisweilen eine Rolle, indem ſeine Kugeln zwiſchen den Fingern hindurchgleiten, während ihr Beſitzer ſich, die Augen nach oben wendend, bedeckt. Es werden auch Striche mit der Hand von der Stirn über die Bruſt nach abwärts geführt und zuletzt, wenn der Hülfeſuchende körperlich leidend iſt, ein Abſchnitt des Korans, der von Hexen und böſen Geiſtern handelt, leiſe in's Ohr geſprochen. Meiſtens ſind es aber geſtohlene oder abhanden gekommene Gegenſtände, die ver- lorene Gunſt des Eheherrn, der gewünſchte Abſchluß eines zarten Bündniſſes u. dergl., welche gläubige Frauen durch den Aſtrologen, Magnetiſeur, oder Beſchwörer von Dämonen und Hexen, zu erlan- gen wünſchen. Die langen und ſtrengen Faſten der Muſelmänner werden die Veranlaſſung, daß unmittelbar nach dem Aufhören derſelben unmäßige Mahlzeiten verzehrt werden, woraus zahlreiche Unterleibs- Krankheiten hervorgehen, um ſo mehr, als der Türke es liebt, zugleich Stunden lang auf den Ferſen zu hocken. – „Der Araber ißt ſich ſatt, der Türke frißt ſich ſchachmatt.“ So heißt es in dem türkiſchen „Ogus name“, dem Worte „der Väter“. Literatur der Türken. – Schon Murad II. begünſtigte Literatur und Dichtkunſt, indem er in ſeinen beiden Reſidenzen, Adrianopel und Bruſſa, neben den Moſcheen auch Collegien ſtif- *) Three years at Constantinople. Vol. I. pag. 15–22. – 288 – tete und zweimal wöchentlich Gelehrte und Dichter um ſich ver- ſammelte. Doch erſt unter ſeinem Sohne Mohammed II. trat für die Türken die Blüthezeit ihrer Literatur ein. Der Eroberer Conſtantinopels vermochte den Eindrücken des Glanzes, welchen dort die Künſte ausgebreitet hatten, nicht zu widerſtehen. Als er bei ſeinem erſten Eintritte in die Aja Sophia, erſtaunt über den Triumph, welchen Architektur und künſtleriſche, reiche Ausſtattung in ihr feierten, einen Soldaten beſchäftigt fand, den marmornen Fußboden aufzubrechen, hieb er ihn mit eigner Hand nieder; nnd als ſpäter der Architekt, welchem er den Bau ſeiner Moſchee in der jüngſt eroberten Stadt auf dem Grunde der Kirche der heil. Apoſtel aufgetragen hatte, eine ihm überwieſene Granitſäule von ſeltener Höhe verkürzte, ließ er ihm beide Hände abhauen. Wenn jene Strafen auf der einen Seite die Macht der aſiatiſchen Bar- barei andeuten, welche ſich in ſeiner Bruſt erhielt, ſo laſſen ſie auf der anderen doch auch zugleich den achtunggebietenden Eindruck nicht verkennen, den der Anblick von Kunſtwerken in ihr hervorge- bracht hatte. Die Ueberreſte höherer humaner Cultur, welche die griechiſchen Gelehrten bei ihrer Flucht nach Italien in dem zerſtör- ten Conſtantinopel zurückgelaſſen hatten, reichten noch hin, in den eingedrungenen Barbaren eine Hinneigung zu ihr anzufachen. Mo- hammed ſuchte Gelehrte wieder herbei zu ziehen, ohne Rückſicht auf ihre Religion und Herkunft, Griechen und Italiener, wie Per- ſer, Araber und Türken. Die neue Moſchee wurde mit acht Colle- gien und eben ſo vielen Gebäuden zur Aufnahme von Schülern ausgeſtattet. Mohammed, der arabiſch und perſiſch verſtand, be- ſoldete die Lehrer reichlich und beförderte ſie zu den höchſten Staats- ämtern. Freilich war die hier gepflegte Literatur nicht die abend- ländiſche, ſondern die perſiſche und beſonders die arabiſche, welche, ſchon früher durch die Omejaden nach Spanien übertragen, von dort aus ſo befruchtend auf das Abendland gewirkt hatte. Unter Bajazid II., dem Sohne Mohammeds, erfreuete ſich die Literatur fortwährender Förderung; der Sultan war, ebenſo wie ſein Bruder Dſchem, ſelbſt Dichter. Er beſoldete zuerſt einen Reichs-Geſchichtſchreiber und einen Hofdichter. Daſſelbe war unter Selim I. der Fall, der in perſiſcher Sprache, ſowie ſein Bruder Korkud in türkiſcher, dichtete. Ihre höchſte Blüthe erreichten die Wiſſenſchaften bei den Türken – 289 – jedoch erſt da, als ſie von der Sonne der höchſten politiſchen Machtentwicklung unter Suleiman I. befruchtet wurden. Die zarte Pflanze bedarf des wohlthätig erwärmenden Schutzes zu ihrem Gedeihen allenthalben. - Snleiman vereinigte das Talent des Herrſchers mit dem des Dichters in ausgezeichnetem Maaße. Seine Gedichte ſind durch inneren Werth vor dem Tode bewahrt worden, als dieſer längſt ſchon den Sultan ereilt hatte. Zahlreiche und gute Ueberſetzungen aus dem Arabiſchen und Perſiſchen machten den Türken die fremde Literatur zugänglich. Eine Sammlung von Geſetzen bildete von da ab die Grundlage der osmaniſchen Staatsverwaltung; ſie be- ſteht in ihren Hauptformen noch heute. Die Bücherliebe nahm ſo zu, daß der Großvezier Ruſtem Paſcha allein über achttauſend Korane, von verſchiedenen Meiſtern geſchrieben, hinterließ. Auch die Sultaninnen bauten Collegien. Mit Suleiman’s Tode, im Jahre 1566, begann eine bei- nahe hundertjährige Periode des Stillſtandes in der Machtſtellung, wie in der Literatur der Türken. Sie fing mit Selim II. an und ſchloß mit dem kräftigen Murad IV. In dieſer Periode leb- ten Saadeddin, der größte Geſchichtſchreiber, Abdalbaki, der größte Dichter, welche im Jahre 1599 n. Chr. ſtarben, und Had- ſchichalfa, Geograph und Hiſtoriker, der gegen den Abſchluß die- ſes Zeitabſchnittes blühte. Ihr folgt unter Ibrahim, von 1640 an, die Periode des Sinkens des Staates und ſeiner Einrichtun- gen. Zwar fand unter Ahmed III. im Jahre 1727 die Einfüh- rung der Buchdruckerei ſtatt, mit der man auch anfing, einige Notiz von abendländiſchen Sprachen zu nehmen, wozu die fremden Ge- ſandtſchaften das Meiſte beitrugen. Sogar ein Meiſter in der Muſik, Kutſchuk Murſin, gelangte 1695 durch ſie zu politiſchen Ehrenämtern. Daß indeſſen die Druckerei keinen fruchtbaren Bo- den gefunden hatte, beweiſt ihr Untergang nach zwölfjähriger Dauer. Späterhin unter Abdul-Hamid und Selim III. wieder herge- ſtellt, ging ſie 1807 nochmals bei der Entthronung dieſes Sultans zu Grunde, der die Einführung abendländiſcher Cultur zum Miß- vergnügen der orthodoxen Türken, beſonders der Janitſcharen, mehr- fach begünſtigt hatte. Erſt Mahmud II. gelang es, ſie einige Jahre ſpäter dauerhaft wieder herzuſtellen. Regierungsformen der Osmanen. – Montesquieu hat 13 - 290 – bekanntlich den Grundſatz aufgeſtellt, daß für die Orientalen, we- gen ihrer Weichlichkeit und Arbeitsſcheu, der Despotismus die na- türlichſte Regierungsform ſei; Hunderte von Schriftſtellern haben ihm ſeitdem nachgeſprochen. So lange die tiefe Unwiſſenheit und Barbarei der großen Mehrzahl der Muſelmänner fortdauert, dürfte Montesquieu Recht behalten. Von dem Augenblicke an, der hu- mane Bildung und wiſſenſchaftliche Erleuchtung über ſie zu ver- breiten vermöchte, würde es ſich jedoch ſicherlich anders verhalten. Ich folge dem trefflichen Volney *), wenn ich annehme, daß jene Unwiſſenheit hauptſächlich dem Mangel an hinlänglich unterrichte- ten Lehrern und der Schwierigkeit, ſich Bücher zu ſchaffen, geſucht werden müſſe. Dem letzteren Mangel hat die gegenwärtige Regierung bereits dadurch abzuhelfen getrachtet, daß ſie im Jahre 1859 die Ein- fuhr der Bücher zollfrei machte. Dagegen hat ſie im Jahre 1857 ein Preß- und Cenſurgeſetz veröffentlicht, durch welches die Buch- drucker unter Aufſicht der Polizei geſtellt und zugleich für Alles verantwortlich gemacht werden, was ſie über fremde Staaten ſagen. Seit Sultan Mahmud II. hat man den Nachtheil wohl erkannt, der aus dem Mangel an tüchtigen Lehrern hervorgeht, aber – die Abhülfe ſtößt auf unſägliche Schwierigkeiten, deren Beſeitigung, falls man ſie ernſthaft verfolgen wollte, Jahrhunderte an Zeit for- dern dürfte. Diejenigen, welche den Muſelmännern abendländiſche Bildung beizubringen trachten, müſſen ſie vor allen Dingen nüch- lern und frei machen von den Reſten ihrer ſpecifiſch religiöſen Be- geiſterung; dadurch werden ſie aber zugleich entkleidet von dem, was ihnen Jahrhunderte lang überwiegende rohe Thatkraft verlie- hen hatte; der den ganzen Körper belebende Nerv ſoll abgebunden werden, das trockene Skelet bleibt übrig. Wird die abendländiſche Eultur ihnen jemals neues Leben einzuhauchen vermögen? Ich zweifle daran ſehr, – und die große Mehrzahl der Männer, welche an Ort und Stelle beobachtet haben, theilt dieſen Zweifel. Nicht, als ob etwa den Türken Bildungsfähigkeit abgeſprochen werden ſollte; die auf abendländiſchen Lehranſtalten Unterrichteten, ebenſo ihre durch preußiſche Offiziere ausgebildeten guten Artilleriſten, haben ſie „hewieſen. Aber die graße Maſſe des Volks iſt dieſer ihrem in- nerſten Weſen völlig fremden Culturabhold; ſie ahnt inſtinemäßig, - *) Voyageen Keypte ehren Sanie F-Ikpas. Sß-rºß. – 291 – daß jeder Schritt dieſer Cultur vorwärts eben ſo viel bedeutet, als ein Rückſchritt des Türkenthums. Letzteren von ganzem Herzen zu wünſchen, mag ſich das Abendland vollkommen berechtigt fühlen. Nicht ſo der Muſelmann, den die ihm heiligen Erinnerungen auf Zeitperioden einer verſchwundenen Macht und Herrlichkeit zurück- weiſen, die allem abendländiſchen Weſen im höchſten Grade feind war. Darum betrachten auch die orthodoxen Türken ihre gegen- wärtigen Machthaber als Abtrünnige, als verkappte Chriſten. Das Vertrauen zwiſchen Regierung und Regierten iſt dahin; die Bande, welche die weithin ausgedehnten Provinzen des Reiches zuſammen hielten, ſind gelockert. Das Volk grollt, die Regierung ſchwankt durch häufigen Wechſel in der Beſetzung der oberſten Verwaltungs- ſtellen hin und her; diplomatiſche Rathgeber benutzen ihren Einfluß zunächſt im Intereſſe der von ihnen vertretenen Staaten, die be- greiflich mit denen der Türkei ſelten Hand in Hand gehen kön- nen, – öfter noch es gar nicht wollen. - Eine Regeneration des bisher durch Chriſten aufrecht gehalte- nen türkiſchen Staates, die vor allen Dingen England am Herzen liegen muß, würde nicht von oben herab, ſondern nur von unten herauf bewirkt werden können. Zahlreiche, über alle Dörfer und Flecken verbreitete Schulen müßten die aufwachſende Generation durch eifrigen Unterricht allmählig zur Civiliſation heranziehen. Wer ſoll nun dieſe Tauſende von Lehrern ſchnell genug herbeiſchaffen? Ha- ben die Regeneratoren wohl erwogen, daßJahrhunderte erforderlich waren, um die Barbarei des Mittelalters zu vertilgen? – die doch bis heute noch ihr Haupt an mehr als einem Punkte Europa's ſtets von Neuem zu erheben trachtet. Schmeichelt man ſich etwa mit der eiteln Hoffnung, daß der nordöſtliche Machtcoloß, der mit unſäglichen Opfern von der Gränze der Türkei jüngſt um einen ſchwachen Schritt zurückgedrängt worden iſt, Jahrhunderte lang den ruhigen Zuſchauer der langſam vorwärtsſchreitenden Civiliſatign der Türken machen werde? Iſt es nicht eine wahre Satyre auf die elaſtiſche Theorie vom Gleichgewichte der europäiſchen Staaten, wenn wman von vielen Seiten her Pläne und Entwürfe freundnachbarlich herheitragen ſah, lyn Rußland das ihm unentbehrliche Eiſenhahnnetz zu ſchaffen, durch deſſen Hülſees fortan ſeine Armeen mit größt- möglichſter Eile an das ſchwarze Meer und die türkiſche Gränze würde ſenden und ſchnell an jedem beliehigen Punkte ºtº con- – 292 – centriren können? Bis zu dieſem Augenblicke ſind weitgedehnte un- fruchtbare Steppen und grundloſe Wege die ſicherſten Verbündeten der Türkei; man hat jetzt das rechte Mittel entdeckt, ſie allmählig in einer nicht fernen Friſt zu beſeitigen. Der ruſſiſche General Gerebetzkow *) hat eine intereſſante Schrift veröffentlicht, die den Titel führt: „Les trois questions du moment.“ Eine dieſer Fragen betrifft die ruſſiſchen Eiſenbahnen. Der General ver- ſichert, daß in zwei bis drei Jahren der Schienenweg von Ruß- lands Weſtgränze mit der 400 Kilometer langen Eiſenbahn von Niſchnei-Nowgorod in Verbindung gebracht ſein könne, und dann ein Waarenballen von Paris durch Deutſchland und Rußland in zwan- zig Tagen nach Taſchkend, dem Thore von Central-Aſien, werde gelangen können. Auf der Wolga wird man von Aſtrachan bis an die Oſtküſte des kaspiſchen Meeres zwei Tage brauchen. Die ruſſiſche Regierung beabſichtige, einen 300 Kilometer langen Schie- nenweg von dort nach dem Aralſee zu bauen. Dieſer wird mit Schleppbooten befahren, indem man ſich an der Mündung des Syr- Daria zu Bainsk einſchifft. Somit wäre dann der Karavanen- Weg nach Afghaniſtan, Kandahar, Kaſchmir, Kabul bis Delhi er- reicht. – Die Ausführung dieſer ungemein weitſchichtigen Plane wird freilich noch geraume Zeit auf ſich warten laſſen; mit ihr würde aber das engliſche Indien umgangen ſein. – Im Falle nun aber Rußland durch innere Zerwürfniſſe, oder durch eine ſeinem bisher entwickelten Charakter völlig fremde Langmuth dahin gebracht wer- den ſollte, dem Gährungs- und Veredelungs-Proceſſe der Türkei einige Jahrhunderte lang ruhig zuzuſchauen, ſo würde ſich doch Aehnliches von dem Machthaber Frankreichs und von ſeinem ſtets gährenden Volke nicht erwarten laſſen dürfen. Wenn Frankreich jemals die gewaltige Idee, das mittelländiſche Meer zu einem fran- zöſiſchen Binnenſee zu machen, zur Thatſache ſollte erheben wollen, ſo würde es vor allen Dingen Egypten und die Weltſtraße zum rothen Meere beſetzen und feſthalten müſſen. Der Ton, welchen die franzöſiſche Regierung ſeit dem Orient-Kriege gegen die Türkei, auffallend ſchon in Montenegro, deutlicher ſodann in Syrien, angeſchla- gen hat, läßt mit Sicherheit erkennen, daß es ihr an einem plauſiblen Grunde, die Hand nach Egypten auszuſtrecken und die verunglückte Un- *) Vergl. S. 734 der illuſtr. Leipziger Zeitung v. 25. Juli 1857. – 293 – ternehmung des Onkels durch den kaiſerlichen Neffen dauerhafter aus- führen zu laſſen, nicht fehlen würde. Nur möchte eine innigere Ver- bindung mit Rußland, als die bisherige, vorangegangen ſein müſſen. Man muß zwar anerkennen, daß auch in dieſer Hinſicht die wohlunter- richteten Männer Frankreichs nicht immer die an maaßgebender Stelle bei ihnen vorwaltenden Anſichten theilen; doch wiſſen ſie ſich zu fügen. Mr. Hommaire de Helle*) hält u. A. nach eigener An- ſicht der Sachlage die Auferweckung und Verbeſſerung des türkiſchen Stammes für ausführbar und traut dieſem in ſolcher Hinſicht mehr zu, als den chriſtlichen Stämmen. Er erachtet es ſogar dem In- tereſſe Frankreichs für angemeſſen, die Türken in ihrer Erhebung zu unterſtützen. Wahrſcheinlich wird er hierin eine „vox cla- mans in deserto“ bleiben. Doch auch mit ſeiner Geſinnung kann er ſich nicht enthalten, die unter den Barbaren zu Stande ge- kommene Entvölkerung Kleinaſiens tief zu bedauern, wo eine Menge Dörfer ebenſowohl als im türkiſchen Rumelien total verſchwunden oder auf wenige Hütten herabgeſunken ſind. Wahrlich, die wan- kende Türkei dürfte dreifache Urſache haben, ihren Neubelebungs- Proceß gleichſam mit Dampfkraft vorwärts zu treiben, wenn ſie den gegen ſie vielleicht ſchon heranreifenden Ungewittern gewach- ſen ſein wollte. - Wie dem auch ſei, die europäiſche Geſittung wird ſich nicht mehr auf die Dauer verhindern laſſen, den von der Natur wunder- bar reich ausgeſtatteten Theil Europa's und das ihm gegenüber lie- gende noch reichere Kleinaſien einzunehmen, von welchen die Türken ſie jetzt noch zurückhalten. Scheint es doch, als ob die Osmanen ſich auf dem von ihnen eroberten Boden noch immer nicht heimiſch fühlten, denn noch bis heute haben ſie nirgends Landſtraßen ge- baut. Sie nennen einen zum Hals- und Beinbrechen eingerichteten rauhen Pfad „Näldüken“ – d. h. die Hufeiſen abſchlagend. – Auch iſt es ein übles Zeichen, daß man Moſcheen zerfallen läßt, an die ſich wichtige hiſtoriſche Erinnerungen knüpfen. Nicht bloß in Bruſſa geſchieht dies; Hr. Sandreczki **) ſah in Siwas zwei alte Moſcheen von edler arabiſcher Bauart zuſammenbrechen. Humane *) Voyage en Turquie et en Perse, exécuté par ordre du Gouverne- ment français pendant les années 1846–48. **) A. a. O. S. 121. – 294 = Geſittung würde ſicherer im Stande ſein, fremdartigen tleberfluthungen zu begegnen, als Koran und Fatalismus. Ob ſie aber von den jetzigen Beſitzern des Landes freiwillig angenommen, oder ihnen gewaltſam aufgedrungen werden ſoll, iſt nicht gleichgültig; im letzteren Falle würde ſie wohl nur über Blut und Ruinen einherſchreiten können und die weſtliche Eiviliſation fordert daher gebieteriſch das verſuchsweiſe Beſchreiten des erſteren, milderen Weges. Die gegenwärtigen Macht- haber in Conſtantinopel ſind hiermit einverſtanden; aber ſie ſind ener- gielos. – Der Hatti-Hümayun, welchen der gegenwärtige milde Herrſcher der Osmanen am 18. Februar 1852 für alle Bewohner ſeiner Länder erlaſſen hat, würde ſelbſt ausſchweifenden Forderungen an eine liberale Staats-Verfaſſung zu genügen im Stande ſein, wenn man ihn einſt zur allgemeinen Geltung zu bringen vermöchte. Er darf als ein Beweis des mächtigen Einfluſſes angeſehen werden, welchen damals Lord Stratford in Conſtantinopel ausübte. Von ihm ſagt Hr. F. Eichmann*), welcher ſich dort in der Lage befand, die Fäden der Diplomatie zu verfolgen: „er vertrat nicht blos England's Regierung im Orient, er war dieſe Regie- rung ſelbſt.“ Schon der § 1 jenes Staatsgeſetzes ſichert allen Unterthanen die nämlichen Rechte der perſönlichen Sicherheit, Ehre, des Beſitzes, des Cultus u. ſ. w. zu. Die §§ 2, 3, 4, 5, beſon- ders aber 6, ſtellen die Freiheit der Ausübung jedes chriſtlichen Cultus unter die ſichere Garantie der hohen Pforte. § 10 ſchreibt vor, daß die öffentlichen Aemter jedem Unterthanen nach ſeinen Fähigkeiten gleich zugänglich ſein ſollen, ohne Rückſicht auf ſeine Nationalität. § 12 autoriſirt jede bürgerliche Gemeinſchaft, öffent- iche Schulen zu errichten. § 13 ordnet gemiſchte Gerichte an für ſtreitende Parteien verſchiedener Confeſſionen; die Sitzungen dieſer Gerichte ſollen öffentlich ſein. § 17 läßt chriſtliche Unterthanen zum Dienſte in der Armee zu. Hätte nun einer der jüngſten Vertheidiger der türkiſchen In- ſtitutionen, Hr. Ernſt Hollander*), nachweiſen können, daß der Hatti-Hümayun innerhalb einer beſtimmten, nicht ad calendas graecas hinauszuſchiebenden Friſt zur Ausführung kommen würde, *) Die Reformen des osmaniſchen Reiches. Berlin, 1858. S. 143. *) La Turquie devänt PÖpinion publique. Paris, 1858. – Die kleine Schrift enthält einen officiellen Abdruck des Hatti-Hümayun. – 295 – fo wäre mit einem großen Schlage die wahre Regeneration des türkiſchen Volkes angebahnt geweſen. Leider ſind ſeit jenem Erlaſſe neun Jahre in das Meer der Ewigkeit hinabgefloſſen, ohne daß die Ausführung in den weſentlichſten Punkten zur Wahrheit gewor- den wäre. – Möge der Regierung der ſchwere Wurf gelingen, ihren bunten Völker-Complex empfänglich für die Durchführung einer ſo höchſt nöthigen, wohlthätigen Reorganiſation zu machen und ſo die wohlbegründeten Zweifel gegen die Möglichkeit eines noch recht- zeitigen und auch genügenden Vorſchreitens derſelben niederzuſchlagen, denn ſchon dröhnt aus der Ferne der ſchwere Tritt des heran- nahenden eiſernen Verhängniſſes! Am directeſten iſt freilich Hr. Pitzipios-Bey*) der Eman- cipirung des Türkenthums entgegen getreten, indem er auf den gro- tesken Einfall kam, den Sultan ſelbſt zum Chriſtenthum übergehen zu laſſen. Als eine Antwort hierauf mag der Umſtand gelten, daß der Sultan Ende Auguſt's 1859 das Feſt ſeiner Wiedergeneſung unter Kanonendonner in der Moſchee Sultan Ejub feierte, bekannt- lich der heiligſten unter den türkiſchen Gotteshäuſern Conſtantinopel's, die ſonſt nur zur Umgürtung eines neuen Sultan's mit dem Schwerte des Propheten benutzt zu werden pflegt. Der mit dem Oriente ſo vollkommen vertraute Hr. v. Prokeſch**) iſt der Anſicht, daß den Türken durch das Chriſtenthum nicht aufzuhelfen ſei und ich muß ihm hierin vollſtändig beiſtimmen. Nachdenkende Türken haben, indem ſie die Gebräuche der Chriſten in Conſtantinopel beobachteten, ſogar behauptet, das Chriſtenthum habe ſich bereits zu ihnen in den Koran geflüchtet. Bei anderen Türken hat ſich folgende eigenthümliche Anſicht von den Charakter der verſchiedenen chriſtlichen Glaubensgenoſſen eine Art von Anerkennung geſchaffen. „Wenn Chriſtus, der größte Prophet nach Mohammed, heutigen Tages im Ge- fängniß ſäße, ſo würden die um ſeine Rettung beſorg- ten Religionsparteien, eine jede nach ihrer eigenthüm- lichen Form, in folgender Weiſe Hülfe angeboten haben: ſ - 1) Die chriſtlichen Europäer (mit Ausnahme der Ruſſen *) L'orient. – Les Reformes de l'empire byzantin, Paris, 1858. *) Denkwürdigkeiten. Bd. III. S. 142. – 296 – und Griechen) treten vor ihm hin und bieten ihm an, ihn mit allen Gründen der Wiſſenſchaft und der Weisheit vor ſeinen Richtern zu vertheidigen, wenn dies aber nicht genügen ſollte, ſelbſt zur Magie die Zuflucht zu nehmen. 2) Die Ruſſen bieten ihm Kanonen und Koſaken zur Ver- theidigung an. 3) Die Griechen laſſen den Hülfsmitteln der beiden vorigen Parteien alle Gerechtigkeit widerfahren, theilen ihm aber mit, daß ſie die Kenntniß eines Feuers beſitzen, welches in den Palaſt der vornehmen Juden getragen, dort ſicherlich eine mächtigere Wirkung hervorbringen würde, als alle jene. 4) Die Armenier endlich ſtellen ihm vor, daß ſie, im Beſitze goldgefüllter Truhen, zunächſt die Diener und Zofen be- ſtechen, durch dieſe ſich den Weg zu den höchſten Herr- ſchaften bahnen, in die Gunſt dieſer einniſten uud ſcheinbar ohne alle äußere Macht dieſe zu ſeiner Rettung hinlenken würden. „Und Chriſtus der Herr verwirft ſie alle, indem er nur ſeinem himmliſchen Vater die Rettung anheim ſtelle.“ Die Raja's empfingen ihre jetzigen Inſtitutionen von der tür- kiſchen Herrſchaft. Soviel Erniedrigendes dieſe auch für ſie haben mögen, ſo läßt ſich doch nicht leugnen, daß das griechiſche Kaiſer- reich in der letzten Zeit ſeines Beſtehens moraliſch und politiſch zu tief geſunken war, um nicht den Uebergang zu den Geſetzen der neuen Herrſcher von ſeiner Härte dadurch weſentlich verlieren zu laſſen. Eine in hohem Grade demoraliſirende Ariſtokratie, eine tyranniſche und zahlloſe Geiſtlichkeit, ſtets unter ſich in ärgerlichem Sectenſtreite befangen, ein Syſtem von Monopolen, Fiskalität, Auflagen, mit einer Armee von Zöllnern, vor Allem eine ſchwache, gerechten Be- ſchwerden ſchwer zugängliche Regierung, die Jahrhunderte lang ver- gebens auf Verbeſſerungen hatte warten laſſen, – dies waren die grie- chiſchen Zuſtände. Dieſe wurden nun umgetauſcht gegen eine vollſtän- dige Rechts-Gleichheit der Raja's unter ſich, einen einfachen, der Zahl nach auf das Bedürfniß beſchränkten Prieſterſtand, der, weil er in ſeinem Verbande wenig Zuſammenhang und Berührungspunkte findet, faſt aufgehört hat, Haß und Zwietracht gegen alle Andersdenkende zu predigen, – Unabhängigkeit von den aus den Satzungen des Ko- - 297 – rans ausgehenden Civil-Geſetzen, einen Grad der religiöſen Duldung, wie er ſich im übrigen Europa nicht finden läßt, endlich ein höchſt einfaches, leicht verſtandenes Syſtem der Abgaben, welche großen- theils durch Beamte der Gemeinde ſelbſt erhoben werden. Wenn die griechiſchen Prieſter glauben könnten, in der er- wähnten Weiſe an Macht eingebüßt zu haben, ſo können ſie auf der andern Seite die Augen gegen die Wahrheit nicht verſchließen, wie ihr Anſehen in der Gemeinde dadurch bedeutend gewonnen hat, daß die Mitglieder dieſer ihre Privatſtreitigkeiten durch ſie ohne Appell entſcheiden laſſen, obgleich ſie mit einer geſetzlichen Autorität dazu nicht ausgeſtattet ſind. – In Conſtantinopel iſt es der Pa- triarch, in den Provinzen der Biſchof, welcher in letzter Inſtanz entſcheidet. – Die Befreiung von den mannigfaltigen Vexationen einer Polizei, wie ſie den weſteuropäiſchen Staaten unentbehrlich geworden iſt, darf als eine nicht geringe Wohlthat anerkannt werden. Freilich wird Hr. Urquhart*) wahrſcheinlich Recht behalten, ſo lange das türkiſche Gouvernement aufrecht ſtehen bleibt, wenn er ſagt: „die Gleichheit der Muſelmänner und der Chriſten iſt letzteren oft genug verſprochen worden, theils durch die türkiſchen Gouverneurs, welche nach Unabhängigkeit trachteten, z. B. Ali Paſcha, theils durch die zur Erſtickung von Revolten hingeſendeten Paſcha's; aber dieſe Verſprechungen ſind nie gehalten worden, der Sultan iſt niemals ſtark genug dazu geweſen.“ – Jedenfalls ſtößt jeder Reform-Verſuch bei den Türken auf die eingewurzelte Ge- wohnheit der Anarchie und die Neigung zu Gewaltthätigkeiten, die ſich bei einzelnen Veranlaſſungen ſtets von neuem kund gibt, was auch die Regierung zu ihrer Unterdrückung thun mag. Aber die alte hergebrachte Willkühr-Herrſchaft hat wenigſtens einen mächtigen Stoß erhalten, die auffallendſten Veränderungen in dem Verhalten der Türken gegen die reiſenden Fremden geben ſeit den letzten Jahren allein ſchon einen nicht zu verkennenden Beleg dafür. Die orientaliſche Achtung vor Gaſtfreundſchaft hat ſich durch den Schutz bewährt, den die aus Spanien vertriebenen Juden eben ſowohl, als die Proteſtanten aus Ungarn empfingen, und die noch *) La Turquie, ses ressources, son organisation municipale etc. Tra- duit de l'Anglais. T. II. Bruxelles, 1837. pag. 14. – 298 – vor Kurzem ſelbſt durch Oeſterreichs Drohungen von ſeinen politi- ſchen Flüchtlingen ſchwer abgewendet werden konnte. Nicht in Griechenland allein haben übrigens die Muſelmänner die vorgefundene Municipal-Einrichtung möglichſt zu ſchonen geſucht, auch in Indien haben ſie es ihren Intereſſen angemeſſen erachtet, den Hindu's ihre Civil-Adminiſtration zu belaſſen, wie dies Oberſt Briggs ausführlich auseinanderſetzt. So kann denn die Zu- ſtimmung der gegenwärtigen Regierung zur Begründung einer Municipalität in Pera und Galata nicht als etwas Außerordent- liches angeſchlagen werden. Wie die Raja's die hieraus hervor- gehenden Vortheile zu würdigen wiſſen, hat ſich mehrmals daraus ergeben, daß ſie die Regierung gegen die Aufſtände ihrer muſel- männiſchen Unterthanen, z. B. die Albaneſen, unterſtützt haben. Dieſe Municipal-Inſtitutionen konnten von den Türken um ſo eher aufrecht erhalten werden, als ſie zugleich einen Grundpfeiler der arabiſchen Geſetzgebung darſtellen, die von den erleuchteten Türken traditionell mit Recht verehrt wird. Die Griechen, Armenier und Bulgaren beſitzen die nämliche Municipal-Einrichtung; nur die Albaneſen und Slavonier ſind von je her ihren Kneſen oder Militärchefs unterworfen geweſen. Ein Theil jener Nationen hat ſich den Türken in religiöſer Hinſicht untergeordnet; dies gilt von dem größeren Theile der Albaneſen, einem Drittheile der Bosnier und den die höheren Gebirgszüge bewohnenden Bulgaren. Hr. Urquhart iſt mit anderen Reiſenden darüber einver- ſtanden, daß dieſe Gebirgs-Bulgaren einer in hohem Grade ausge- zeichneten Menſchen-Raçe angehören. Eine höchſt auffallende Erſcheinung iſt es nun, daß im Allgemeinen jene chriſtlichen Stämme, welche unzugängliche Gebirgsſchluchten und von der Natur befeſtigte Poſitionen bewohnen, ſich leichter dem Islam zugewendet haben, als die Bewohner der thraciſchen Ebenen, die faſt unaufhörlich dem Durchzuge fanatiſcher Türken- Horden und dem Drucke hin und her ziehender türkiſcher Beamten ausgeſetzt geweſen ſind. In der That ſcheint die unaufhörlich von oben ausgeübte Druckkraft die Elaſticität des Widerſtandes von unten her gleichſam geſtählt und hartnäckiger gemacht zu haben. Die Juden allein haben ſich in der Türkei eben ſo fern von jeder Vermiſchung gehalten, als in dem übrigen Europa und Aſien. YWII. Zur Geſchichte und Charakteriſtik der Griechen. – Vermiſchung der Raçen. – Alrſachen des Steigens und Sinkens der Bölker. – Blick auf die Geſchichte des oſtrömiſchen Reiches von Conſtantin I. bis zu ſeinem Sturze. – Politiſche Wichtigkeit der Tage von By- zanz. – Arſachen der Verlegung des römiſchen Herrſcherſitzes nach Bſten. – Erhebung des Chriſtenthums. – Angriffe der Barbaren ſeit 378 n. Chr. – Weſtgothen in Attika und Illyrien. – Gräuel in den Kaiſer-Familien von Byzanz. – Erſchlaffung und Entſitt- lichung des griechiſchen Volkes. – Kreuzzüge. – Kampf der Ta- teiner mit den Griechen. – Einnahme von Conſtantinopel durch die Franken, 1204. – Religions-Streitigkeiten. – Verſuche zur Vereini- gung der griechiſchen mit der lateiniſchen Kirche. – Conſtantin XII., der Paläologe. – Einnahme von Conſtantinopel, 1453. – Charak- teriſtik der osmaniſchen Griechen. – Ihre phyſiſchen Eigenſchaften in der gegenwärtigen Beit. – Moraliſche Zeite. – Ihre Beſchäftigungen. – Anduldſamkeit. – Bilder-Berehrung in den Kirchen. Eine für den unbefangenen Forſcher im höchſten Grade merk- würdige Thatſache iſt das allmälige Hervortreten, Erſtarken, Blühen einzelner Völker, dem ebenſo ſicher, früher oder ſpäter, ihre Kraft- abnahme, ihr Hinſinken, ihr Verſchwinden von der Weltbühne, folgt. Sowie der einzelne Menſch die ihm vorgeſchriebenen Stufen- alter, bis zum Tode, durchwandert, ſo auch der Aggregatzuſtand der Menſchen, welchen wir Volk nennen. Einzelne Menſchen und einzelne Völker erheben ſich nie über das Kindesalter; ſie zahlen den der ſchaffenden Natur ſchuldigen Tribut früh. Andere wachſen, tauſend Hinderniſſen zum Trotz, oder eben durch ſie geſtählt, kräftig bis zur höchſten Blüthe heran, übertreffen die Genoſſen an That- kraft und Ausdauer, ragen auch endlich über dieſe weit genug her- – 300 – vor, um ſie im Beſonderen und Kleinen, oder im Ganzen und Großen zu beherrſchen. Für eine ſolche Entwicklung iſt die an- geborene Kraft von der höchſten Wichtigkeit; die germaniſchen Völkerſtämme z. B. zeichnen ſich in Europa, ſowie in Amerika, durch Energie, Unternehmungsgeiſt und zähe Ausdauer, überwiegend vor den meiſten anderen Stämmen, aus, und dies iſt nicht blos gegenwärtig, ſondern es war ſchon damals ebenſo der Fall, als die Uranfänge der Geſchichte ihrer zuerſt erwähnen. Aber auch die äußeren Verhältniſſe, Klima, Boden, Nahrung, vor Allem Pflege und Erziehung, ſind für die Entwicklung der Individuen wie der Völker von hochwichtigſtem Einfluſſe. Der Araber, welcher in einem warmen Klima ſein ganzes Dichten und Trachten auf die veredelnde Cultur ſeines Pferdes ſetzt, erzielt dort die edelſte Rage; dieſelbe Cultur würde in Lappland ungefähr erfolglos bleiben. Die Menſchen werden erlauben müſſen, daß man das ſich hieraus er- gebende Geſetz, nach Daubenton's Vorgange, auch auf ſie an- wende. Wer die erfreulichen Folgen einer ſorgfältig geregelten körperlichen und geiſtigen Pflege, die durch eine Reihe von Genera- tionen zur Anwendung kam, perſönlich kennen lernen will, dem empfehle ich, nach England zu wandern und zu geeigneter Jahres- zeit, entweder im Hyde Park am Serpentin River, oder zu Brigh- ton am Meeresufer, die jugendlichen Sprößlinge ſolcher Familien zu beobachten, denen der Wohlſtand ſeit einigen Jahrhunderten andauernd erlaubte, es an nichts fehlen zu laſſen, was dem phyſi- ſchen und moraliſchen Gedeihen förderlich ſein konnte. Der Beob- achter wird ſich genöthigt ſehen, die überraſchend wohlthätigen Erfolge eines ſolchen Zuſammenwirkens günſtiger Umſtände anzu- erkennen. In ähnlicher Weiſe erreichten den Gipfelpunkt humaner Civiliſation nur ſolche Völker, deren Individuen, in ihrer großen Mehrzahl, die Sorge um die zunächſt liegenden materiellen Bedürf- wiſſe überwunden haben, d. h. die durch erfolgreichen Gewerbfleiß und Handel wohlhabend geworden ſind. – Ein ungemein wohl- thätiges Naturgeſetz wirkt ſodann dahin, daß bei der Kreuzung der Raçen die edlere, höher ſtehende, das Uebergewicht in dem Pro- ducte derſelben erkennen läßt. Der Mulatte verdankt dem weißen Vater mehr Eigenſchaften als der ſchwarzen Mutter, der Meſtize läßt ebenſo den Einfluß des Weißen mehr erkennen, als den der Mulattin, der Quarteron ſteht endlich dem Weißen bereits unge- – 301 – mein nahe. Die Miſchlinge von Weißen und farbigen Eingebornen haben ſich in Braſilien und auf den Philippinen als ausgezeichnet tüchtig in Handwerken und Künſten, an Tapferkeit und Arbeitſam- keit bewährt. Hr. Etwick hat dies in ſeiner Geſchichte von Ja- maika noch überzeugender dargethan, als es vor ihm bereits ge- ſchehen war. Wenn es richtig iſt, daß, wie die Herren DD. Pru- ner und Rigler*) behaupten, das Product einer Vermiſchung zwiſchen einer Frau von lichter Hautfarbe mit einem dunkleren Manne ſtehe in der Regel der Mutter näher, als dem Vater, ſo rührt dies nicht von der Hautfarbe, ſondern von dem edleren Standpunkte der Rage der Mutter her. Hr. de Gobineau*) gibt jener wichtigen Thatſache indeſſen eine übertriebene Anwendung, wenn er annimmt, daß die Degeneration der Völker durch Tilgung ihres urſprünglich reinen Blutes vermöge der Kreuzung mit andern Ragen entſtehe und es erſcheint auffallend, daß ihm Hr. A. de Quatre fages***) hierin beiſtimmt. Wenn zu einer ſolchen Degeneration doch wohl nur die Vermiſchung mit einer weniger edlen, tiefer ſtehenden Raçe Veranlaſſung geben konnte, ſo hätten dieſe Herren erwägen mögen, daß das türkiſche Volk tiefer und tiefer ſinkt, obgleich es ſeit Jahrhunderten bemüht war, durch ſtets wiederholte Vermiſchung mit Frauen der edelſten Ragen das Blut ſeines urſprünglichen Stammes zu verbeſſern, – was ihm in Bezug auf die äußere Körperform auch in der That gelungen iſt. Aehn- liches geſchah bei den Magyaren. Als dieſe von Ungarn aus das ſüdliche Deutſchland bis nach Augsburg hin überflutheten, zeigten ſie die mongoliſche Geſichtsbildung in ſehr widerwärtiger Weiſe. Fortwährende Kreuzungen mit den Nachbarvölkern haben dieſe gänzlich verwiſcht; ſie hat einer ungleich edleren Platz gemacht. Ungeachtet nun die Magyaren ihr urſprüngliches Blut gewiß nicht rein erhalten haben, ſo ſind ſie doch weder phyſiſch noch moraliſch entartet, ſie erhalten ſich – den Türken hierin zu ihrem Vortheile ungleich – in dieſer doppelten Hinſicht nicht blos aufrecht, ſondern dürfen jetzt den edelſten Stämmen Europas zugezählt werden. *) A. a. O. I. S. 154. *) Essai sur l'Inegalité des raçes humaines. *) Du croissement des rages humaines. – V. Revue des deux mondes. Mars., 1857. pag. 159. – 302 – Somit muß man zu dem Schluſſe gelangen, daß der Sturz der Völker und ihrer Civiliſation ungleich mehr noch von moraliſchen als von phyſiſchen Urſachen ausgeht. Schlechte Sitten, Ausſchwei- fungen, maaßloſer Luxus, Fanatismus mit Irreligiöſität gewöhnlich Hand in Hand gehend, Verluſt freiſinniger Staats-Einrichtungen, Deſpotie, die Erzeugerin ſclaviſcher Geſinnungen, der Erſchlaffung und der Feigheit – vor Allem aber die Peſt der Ungerechtigkeit und des böſen Beiſpieles, welche ſich von den Regierenden über die Regierten ausbreitet, – dieſe ſind es, welche ganze Völker ſtürzen und welche aus den Ruinen von Babylon, von Ninive, von Carthago, Rom und Conſtantinopel, den Menſchen vergeblich Buße predigen. – Freilich iſt an die Lebensdauer ganzer Na- tionen, wie ſie ſich ſelbſt unter ſo traurigen Umſtänden geſtaltet, ein durchaus anderer Maaßſtab anzulegen, als an die der Individuen. „Tauſend Jahre ſind vor Ihm wie ein Tag.“ Es waltet eine ewige Gerechtigkeit, durch welche die Verbrechen der großen Gemeinſchaften oft ſpät erſt, aber ſicher, geſühnt werden. Sie ſtraft ſie vielleicht erſt an den Kindern, Enkeln oder Urenkeln „bis in das vierte Glied“, – aber ſie ſtraft! Die Geſchichte, welche ſolche Wahrheiten in das klarſte Licht ſtellt, iſt den heutigen Men- ſchen höchſt unbequem; nach modiſchem Zuſchnitte könnte man ſie wohl ungezogen ſchelten. Denn, ſelbſt in den Winkel geſtellt, fährt ſie fort, laut zu rufen. Geſchichte. – Doch – die Geſchichte der Griechen? Ja, ſie iſt es, die ernſter und eindringlicher als irgend eine andere lehrt, daß die Verbrechen der Fürſten gegen ihre Nation, ſowie die Miſſethaten der Völker, welche ſich zu Mitſchuldigen unwürdiger Fürſten machen, durch eine für uns wenig verſtändliche Langmuth der über ihnen waltenden Macht wohl ein Jahrtauſend lang fort- dauern können, daß ſie dann aber von der ſtrengſten Vergeltung erreicht werden. Auch die Art dieſer Vergeltung iſt charakteriſtiſch. Dieſes Volk, zu welchem hin die Künſte und Wiſſenſchaften in einer unſäglich finſteren Zeit ſich geflüchtet hatten, zeigte ſich einer ſolchen Bevorzugung ſo unwürdig, daß coloſſalere Gräuel und widerlichere Verſtöße gegen die Humanität kaum irgendwo anders, als bei ihm verübt worden ſind; darum mußten die roheſten Bar- baren das civiliſirteſte der damaligen Völker endlich unter die Füße treten. Hierbei iſt es eine anffallende Erſcheinung, daß der älteſte – 303 – proſaiſche Schriftſteller der Griechen, Herodot, ſeinem Volke das endliche Schickſal gleichſam vorausgeſagt hat. Gleich einem rothen Faden zieht ſich durch ſein ganzes Werk die herrſchende Idee von einer gerechten Weltregierung hin, welche nicht blos Verbrechen und Miſſethat, ſondern auch ſchon ſtolzes Ueberheben durch maaßloſe Benutzung von Reichthum und Macht, mit Untergang und Ver- derben ſtraft. Herodot's Dämonion rächt den Uebermuth und den Leichtſinn der Vorfahren oft an den ſpäten Enkeln. Aber die Griechen beachteten den bedeutſamen Wink ihres trefflichen Ge- ſchichtſchreibers nicht. – Einem Deutſchen der heutigen Zeit ziemt es freilich wenig, mit ihnen darüber zu rechten. Wer ſollte ſich aber nicht des altteſtamentariſchen Ausſpruches*) hierbei erinnern: „Ich der Herr dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimſuchet der Väter Miſſethat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied.“ Und wiederum iſt die Thatſache auffallend, daß die von den Eltern aus- gehenden erblichen Krankheiten ſich oft genug bis in das vierte Glied der Nachkommenſchaft, faſt niemals weiterhin, verfolgen laſſen. – Nicht minder bejammernswerth bleibt deshalb der mit dem Falle des griechiſchen Kaiſerreiches verbunden geweſene Sturz der Civili- ſation, nicht minder beweinenswerth der zugleich herbeigeführte Ruin von Millionen betriebſamer, unſchuldiger Menſchen, die Entvölkerung und Verwüſtung der cultivirteſten Theile von Europa und Aſien. Es hat ſich jüngſt eine abermalige Discuſſion über die Urſache des Sturzes des griechiſchen Kaiſerthum's erhoben, die hier nicht ganz übergangen werden darf. Hr. Dr. A. D. Mordtmann*) hat als einen Hauptgrund jenes Falles die centrifugale Neigung der Provinzen des Reiches angeſehen, indem die Regierung nicht ver- ſtand, den Verband der ihr gehörigen Länder durch centraliſirende Thätigkeit zu befeſtigen. Auch unnatürliche, durch die geographiſche Lage der Länder, durch Verſchiedenheit der nationalen Charaktere herbeigeführte Verhältniſſe werden angeſchuldigt. Endlich glaubt Hr. Dr. Mordtmann die Männer zurecht weiſen zu müſſen, „welche die göttliche Vorſehung gleichſam zur Mitſchul- digen der fehlerhaften europäiſchen Staatenpolitik zu *) Exodus. Cap. 20, Vers 5. *) Belagerung und Eroberung Conſtantinopel's. Stuttgart und Augsburg, 1858. S. 106 u. f. – 304 – machen ſich nicht entblöden.“ Hr. Mordtmann, der als hanſeatiſcher Conſul in Conſtantinopel gründliche Unterſuchungen an Ort und Stelle anzuſtellen vermochte, und den ich dort perſönlich achten zu lernen Gelegenheit fand, iſt in Folge deſſen durch eine in bittere Galle getauchte Feder, unter Vermittelung eines vielgele- ſenen Tageblattes, kritiſch angegriffen worden; auch dieſe Feder wurde augenſcheinlich von einer früher in Pera ſelbſt thätig gewe- ſenen Hand geleitet. Mir hat es rathſamer geſchienen, den An- ſichten Hrn. Mordtmann's an der Hand der Geſchichte entgegen zu treten und dieſe zugleich zur Begründung der ſo eben im Ein- gange aufgeſtellten Sätze zu benutzen. Außerdem halte ich es für unthnnlich, ſich den Charakter der heutigen osmaniſchen Griechen anſchaulich zu machen, ohne deren Geſchichte wenigſtens nach ihren Hauptzügen zu kennen. Dazu bedarf es jedoch nur eines Blickes auf die Neubegründung des oſtrömiſchen Reiches durch Conſtantin; der auf das Steigen oder Sinken dieſes Staates, von beſonders einflußreicher Wirkung geweſenen Begebenheiten und einer Hinwei- ſung auf die theils ſchwächlichen, theils verkehrten Maaßregeln, welche ergriffen wurden, als die Kataſtrophe bereits heranrückte. Dieſe kurz gehaltenen Andeutungen wünſchen nur als Grundlage für den Ausſpruch angeſehen zu werden, der auf die Frage folgen müßte, welche Nation berufen ſein würde, das Steuerruder zu Conſtanti- nopel in die Hand zu nehmen, wenn es dereinſt der erſchlafften türkiſchen Regierung entſinken ſollte. Hr. de Lamartine*) iſt ſchon vor beinahe einem Menſchenalter mit jenem Ausſpruche keck vorgeſchritten; er ſagt: „die Griechen werden zurückkehren, aber unter dem Namen und in der Uniform der Ruſſen.“ Auch heute noch kann man einer ſolchen Anſicht eine überwiegende Berechtigung nicht abſprechen. Ebenſo erkennen die heutigen Griechen dieſe augenſcheinlich an, – denn als 1854 ſich die Alliirten mit den Türken gegen Rußland verbanden, nahmen ſie für letzteres offenkundig Partei. Nicht nur machten die von Athen ausgegan- genen Feindſeligkeiten gegen die Türkei eine militäriſche Beſetzung der Stadt nöthig, ſondern es fingen in Südrußland bereits grie- chiſche Frei-Bataillone an, ſich für den ruſſiſchen Dienſt zu bilden. Aber Hr. de Lamartine iſt dennoch mit ſeinen politiſchen Ahnungen *) A. a. O. S. 245. – 305 – nicht ganz glücklich. Schon 1833 rief er aus: „la Turquie tient à la vie de Mahmoud; l'empire et lui périront le méme jour. Grande et fatale destinée etc.“ *). Und dennoch lebt die Türkei, wenn auch kränkelnd, noch heute. Aber die Griechen, welche ſeit der Eroberung von Conſtantinopel nichts gelernt, aber viel vergeſſen haben, ſind ſtolz und eitel genug, zu glauben, daß ſie hinlängliche Kraft beſäßen, in eigener Uniform zurückzukehren. Den hierin liegenden Irrthum nachzuweiſen, bietet zwar keine ſonderliche Schwierigkeit dar, muß aber doch mit Grün- den belegt werden. Die Geſchichte und ein Charaktergemälde der heutigen Griechen werden zu dieſem Material zugleich auch den Beweis liefern, daß die Forſcher, welche das Schickſal der Griechen ein wohlverdientes, wenn auch tief zu beklagendes nennen, die ewige Gerechtigkeit nicht zur „Mitſchuldigen“ tauſendfacher griechiſcher Sün- den machen, ſondern die über den Völkern waltende hohe Weisheit in ihrem Glanze hinſtellen. Dieſe ſtraft ſie zum abſchreckenden Bei- ſpiele und zur Nachachtung für Andere, ſobald ihr Maaß voll und die rechte Zeit gekommen iſt. Für die Urſachen, welche Conſtantin bewogen haben, eine neue Weltſtadt, eine zweite Roma, auf das alte Byzanz anzulegen, bedarf es meines Erachtens aus moraliſchen Gründen keiner tiefen Divinationsgabe. Ueber die hohe politiſche Wichtigkeit jenes Punktes der Erde hatte ſchon lange vor Conſtantin kein Zweifel mehr obgewaltet. Polybius z. B. erkannte die Poſition von Byzanz als eine ſo hervorragend vortheilhafte, daß ſeine Bewohner für die Wohlthäter von ganz Griechenland betrachtet werden müßten und gemeinſchaftlichen Beiſtand verdienten gegen die Angriffe, denen ſie von Norden her ausgeſetzt ſind. – Erwies ſich nicht in der That Conſtantinopel ſpäter als das letzte Bollwerk Griechenlands gegen die Türken? Würde es zu Grunde gegangen ſein, wenn die entarteten Griechen jene von ihrem weiſen Landsmanne ausgeſprochene Wahrheit zur rechten Zeit gehörig zu würdigen gewußt hätten? Entſcheidender noch mochten bei Conſtantin andere Umſtände wirkſam geworden ſein, welche ſeine innerſte Perſönlichkeit tief berührten. Die Schlacht von Chalcedon, Byzanz gegenüber, in welcher Licinius mit ſeinem 125.000 Mann ſtarken Heere am 18. Septbr. 324 von *) Ebend. pag. 294. – 306 – ihm ſo auf's Haupt geſchlagen worden war, daß jenem nur übrig blieb, ſich durch Vermittlung ſeiner Gemahlin, einer Schweſter Conſtan- tins, dieſem von Nicomedia aus zu ergeben, hatte ihn zum un- umſchränkten Herrſcher des ganzen ungeheuren römiſchen Reiches in Europa, Aſien und Afrika gemacht. Seine Hinneigung zum Chriſtenthume war aber nach der Beſiegung des Maxentius an der Tiber, im Jahre 312 n. Chr., bereits offenkundig geworden. Die Römer konnten ihm die Hintanſetzung der vaterländiſchen Götter niemals ganz verzeihen; im Jahre 326, als er ſein zwan- zigſtes Regierungsjahr zu Rom feierte, erregte er außerdem ihren Unwillen dadurch noch in höherem Grade, daß er gegen ſeine eigene Familie barbariſch wüthete. Auf die Anzettelung ſeiner zweiten Ge- mahlin, der Fauſta, ließ er nämlich ſeinen einzigen Sohn erſter Ehe, den allgemein hochgeachteten und talentvollen Crispus, der als Anfüh- rer der Flotte noch vor kurzem ſo weſentlich zur Beſiegung des Licinius beigetragen hatte, zu Pola ermorden, mit ihm auch zugleich den elfjährigen Sohn ſeines Schwagers Licinius umbringen. Als indeſſen ſeine Mutter Helena ihm die Größe ſeiner Unthat, eben ſo die Schuldloſigkeit des Crispus klar gemacht hatte, wurde die Fauſta im heißen Bade durch Dämpfe erſtickt. Die Römer ergingen ſich hierauf in wohlverdienten ſatyriſchen Witzſpielen gegen ihn: das Neroniſche Zeitalter ſei wiedergekehrt und er habe nur deshalb die chriſtliche Religion angenommen, weil dieſe die einzige ſei, welche für dergleichen Verbrechen. Vergebung ſchaffen könne. Der der neu- platoniſchen Schule angehörige weiſe Sopater und die heidniſchen Prieſter zu Ront ſollen ihm ſogar die Sühnopfer verweigert haben. Somit wirkten drei mächtige Hebel dahin, ihn von Rom fortan fern zu halten, einmal der beleidigte Stolz, vielleicht ebenſo die am Orte dev That lauter rufenden Gewiſſensbiſſe; zweitens die einem ſo in- telligenten Machthaber ungemein nahe liegende Ueberzeugung, daß es für den, der Europa und Aſien zugleich beherrſchen will, keinen dazu geeigneteren Wohnſitz irgend wo gebe, als Byzanz; drittens die Abſicht, dem Chriſtenthume eine ſichere Stätte auf geeigneterem Boden zu bereiten. Ob letztere Abſicht aus wahrhaft chriſtlichem Sinn hervorgegangen, gleichſam der Erguß einer tief im Innern wurzelnden Ueberzeugung war, iſt nicht bloß ungewiß, ſondern ſogar unwahrſcheinlich. Wenn man erwägt, daß die oben erwähnten Mord- thaten begangen wurden, als er einer großen chriſtlichen Kirchenver- ſammlung bereits präſidirt hatte, daß auch ſchon vor dem Kriegs- zuge nach Rom die gefangenen Franken und Brukterer, ſammt den beiden Königen der letzteren, auf ſeinen Befehl in der Arena zu Triertheils den wilden Thieren vorgeworfen, theils niedergemetzelt worden waren, zu einer Zeit, wo ihm die Lehren des Chriſtenthums von dem Hofe ſeines Vaters Conſtantius her bekannt ſein mußten, – ſo wird man nothgedrungen von ſeiner chriſtlichen Geſinnung eine geringe Meinung erhalten. Noch geringer muß dieſe werden, wenn man hinzufügt, daß Conſtantin zwei Jahre nach der Beſiegung des Maxentius, ſeinen ihm verdächtig gewordenen Schwager Baſſianus; zwölf Jahre nach derſelben, alſo ebenſo lange nach dem von ihm öffentlich beſtätigten chriſtlichen Bekenntniſſe, auch ſeinen Schwager Licinius in der Verbannung ermorden ließ, ungeachtet des auf Vermittlung der eigenen Schweſter für deſſen Lebenserhaltung abge- legten Eides. Es kommt ferner aber hinzu, daß, indem er chriſtliche Kirchen zu Conſtantinopel, namentlich zuerſt die der heiligen Apoſtel mit dem Kaiſergrabe baute, er zugleich ſeine Statue von vergoldetem Holze dem Volke zur Verehrung aufſtellen ließ und anordnete, alle künftigen Kaiſer ſollten ſich vor ihr anbetend niederwerfen *), wo- bei auch manche andre heidniſche Gebräuche in Conſtantinopel auf- recht erhalten wurden. – Die letzte, von Diocletian im Jahre 303 angeordnete allgemeine Chriſten-Verfolgung, welche von Galerius, Maximiuus, Licinius, Maxentius acht Jahre lang ſtreng durchge- führt worden war, hatte den Beweis geliefert, daß das Chriſtenthum durch ſie nicht blos keine Unterdrückung, ſondern vielmehr in hohem Grade Kräftigung erfahren hatte. Es waren bedeutſame Zeichen hervorgetreten, daß die Zeit der ſtillen Ergebung der zahlreichen Chriſten in die über ſie verhängten Verfolgungen vorüber ſei. Ein zweimaliger Brand im Palaſte zu Nicomedien, den damals Diocletian und Galerius zugleich bewohnten, wurde ihnen wohl nicht mit Unrecht zugeſchrieben, denn auch die Verfolgungsbefehle wurden öffentlich von den Mauern heruntergeriſſen; Galerius entfloh eilig. In Syrien brachen Em- pörungen aus. So ſchien es denn einer die Umſtände ruhig erwägen- den Staatsklugheit, wie ſie Conſtantin in reichem Maaße entwickelt hat, vollkommen angemeſſen, wenigſtens zunächſt Duldung eintreten zu laſſen. Das erſte, ſchon 312 ausgegangene Duldungsgeſetz ent- *) Vergl. Manſo, Leben Conſtantins des Großen. Breslau, 1817. S. 77. – 308 – hält noch die Beſchränkung, daß Niemand den von ſeinen Eltern übertragenen Glauben aufgeben ſolle. Ein Jahr ſpäter kam aber Conſtantin mit Licinius, bei des letztern Verheirathung, zu Mailand überein, daß fortan Jeder den Glauben, zu dem ſich ſein Herz neige, ſolle annehmen und den damit verbundenen Cultus ſolle ausüben dürfen. Die den Chriſten entriſſenen Güter und Verſammlungs- örter ſollten zurückerſtattet werden *). Bei alledem nannte ſich Con- ſtantin noch im Jahre 312 auf Münzen Pontifex maximus, auch ſah man auf dieſen ſein Bildniß neben denen des Jupiter, des Hercules und der Sonne; ebenſo wohnte er noch hergebrachten Opfern bei und holte ſelbſt bei den Zeichendeutern (den Haruspices) Rath. – Wahrhaft zu bedauern iſt es, daß die Streitigkeiten der Chriſten unter ſich ſie verhinderten, die ihnen günſtige Stimmung ſo anzuerkennen und zu würdigen, wie ſie es verdiente. Bereits 314 ſah ſich Conſtantin durch die Donatiſten in Afrika veranlaßt, eine Kirchenverſammlung nach Arelatum (Arles) zu berufen. Die Arianiſchen Streitigkeiten über die Dreieinigkeitslehren führten ſodann 325 die allgemeine Kirchen- verſammlung zu Nicäa herbei, in welcher Conſtantin ſelbſt den Vorſitz führte; Arius und ſeine Anhänger wurden mit der Verbannung beſtraft, um ſpäter von Conſtantin ſelbſt wieder zurückgerufen zu werden; noch heute leben zahlreiche Nachfolger des Arius. Länger zu leben, ja für immer in allen Verſammlungsorten der verſchie- denen chriſtlichen Parteien mit goldenen Buchſtaben angeheftet zu werden, verdient aber Conſtantin’s damaliges Sendſchreiben an ſeine heidniſchen Unterthanen. Es heißt darin: „Wer etwas einge- ſehen und erkannt hat, der nutze damit, wenn es mög- lich iſt, ſeinem Nächſten; gelingt es ihm nicht, ſo gebe er es auf; denn ein Anderes iſt, den Kampf für die Un- ſterblichkeit freiwillig übernehmen, ein Anderes, mit Strafe dazu nöthigen“*). Soviel aber läßt ſich aus der Geſchichte der ſpäteren Regie- rungsjahre Conſtantin's mit Sicherheit entnehmen, daß ihm das Chriſtenthum allmählig mehr und mehr zur Sache des wahren Glaubens und der Erkenntniß wurde. Gar ſehr ſpricht hierfür die *) Man ſo a. a. O. S. 93. **) Eusebius, Histor. eccles. II. 48, 60. pag. 466. – 309 – aus dieſer Periode von ihm allgemein gerühmte große Milde, die nicht allein der Hinfälligkeit des Alters zugeſchrieben werden darf, denn er bekriegte noch, 59 Jahre alt, die Gothen in den jetzigen Donaufürſtenthümern mit Glück, indem er dabei eine Brücke über die Donau ſchlagen ließ. Lauter zeugen dafür noch die in ſeinen letzten Lebensjahren ergangenen Verbote des Opferns der Heiden, ſowie die ſeit 333 ungeahndet gebliebenen Entweihungen und Zer- ſtörungen heidniſcher Tempel und Grabmäler*). Zu dieſer Zeit bewohnte er großentheils Nicomedien uud beſuchte nur häufig das nahe Byzanz, um die Arbeiten, namentlich die Ringmauern, dort zu fördern. Zu Nicomedien fand er endlich im Mai 337 auch das Ziel eines Lebens, dem der Ruhm eines überlegenen energiſchen Geiſtes, einer weiſe berechnenden Regierungskunſt, der Tapferkeit, des Feldherrntalentes, ſowie großer Verdienſte um die Ausbreitung des Chriſtenthums nicht verſagt werden kann. Bei dem Anblicke ſeines coloſſalen Moſaikbildes, welches in der jüngſter Zeit in der Sophien-Kirche der von ihm hochgeſtellten Stadt von neuem glanz- voll auf Goldgrund hervorgetreten iſt, fühlt man ſich genöthigt, ein- zugeſtehen, daß ihm dieſer großartige monumentale Platz vor Allen mit vollem Recht gebührt. Die antike Statue des Conſtantin, welche man in den Ruinen ſeiner Thermen fand, ziert gegenwärtig ganz paſſend den Portikus der Kirche des hl. Johannes im Lateran, weil dieſe in der That die erſte von Conſtantin zu Rom gegründete chriſtliche Kirche war. Conſtantin erſcheint in dieſer Statue, die das Kreuz in der Hand hält, nicht groß und majeſtätiſch, wie ſein Biograph Euſebius ihn ſchmeichelnd nennt, ſondern vielmehr kurz gedrungen, mit breiter Bruſt und großen Füßen, ſoldatiſch ausſehend. Er ſcheint den feſten Blick in die Ferne zu richten. Wahrſcheinlich war es im Mai 330, als die neuerbaute öſtliche Siebenhügelſtadt eingeweiht wurde, unmittelbar nach Vollendung ihrer Ringmauern. Aber die weihenden Hände waren mit dem Blute zahlreicher Familien-Mitglieder beſudelt, welche durch die heiligſten Bande der Natur vor dem Morde hätten geſchützt ſein ſollen. Dieſe Hände habeu ſchon bei der Weihe zugleich eine blutige Saat ausgeſtreut, die innerhalb der Ringmauern, bis zu dem letzten - - . . *) Manſo, a. a. O. S. 116. – 310 - coloſſalen Morde von 40,000 Janitſcharen hinab, in Tauſenden blutiger Gräuel aufgegangen iſt. Ebenſo ſind jene conſtantiniſchen Stadtmauern das Grab zahlloſer Angreifer und Vertheidiger ge- worden, bis endlich ihre Eroberung durch muſelmänniſche Barbaren ein bis heute noch dauerndes Grabesſchweigen über ſie verbreitete. Denn kaum waren 48 Jahre nach der Einweihung verfloſſen, als ſchon (379 n. Chr.) die Gothen an den Mauern tobten, um nicht ſowohl durch die Griechen, als vielmehr durch arabiſche Reiter, welche im Solde des Kaiſers ſtanden, zurückgeſchlagen zu werden. Und wieder überſchritten 559 unter Juſtinian die Bulgaren und -Slavonier die gefrorene Donau, um vor Conſtantinopel zu erſcheinen. Sie wurden durch den hochbejahrten Beliſar, und zwar mit raſch zuſammen gerafften Bauern und Bürgern, zurückgetrieben. Die Geſchichte der merkwürdigen Stadt, welche mit einem Arm durch die Dardanellen in das weiße, mit dem andern Arm durch den Bosporus in das ſchwarze Meer hineinreicht, iſt von zahlreichen Geſchichtſchreibern auf das Filtrum ihrer jedesmaligen Anſicht gebracht, freilich mitunter auch verdunkelt worden. Bei ihrer Betrachtung wird uan dem Staunen kaum entgehen können, wie dieſer ehrwürdige Zeuge ſo vieler Ereigniſſe, die Einfluß auf die Geſtaltung von drei Welttheilen übten, – ſelbſt in der heu- tigen Erniedrigung, noch beredt durch ſeine Ruinen, T- dem Allen bis heute Trotz bieten konnte. Dieſe unendliche Zähigkeit ſeines Beſtehens gewährt Ausſicht darauf, daß, wenn dereinſt dort eine thatkräftige, belebende Regierung einzöge, welche über alle Mittel der heutigen Civiliſation zu gebieten verſteht, dann das uralte Byzanz ungleich kräftiger, als die weſtliche Schweſter zu Ram, die frühere Gewalt über die Erde von Neuem ausüben könnte. Unmittelbar nach dem Tode Conſtantins ſchon geriethen die drei entarteten Söhne, die er zu Ewhen eingeſetzt hatte, in Hader. Erſt nach unſäglichem Blutvergießen gelangte Conſtantius zur Alleinherrſchaft, aher – zu dem Preiſe des Ruins. Von Glück und Wohlſtand Millionen niedergetretener Menſchen, ... ... Sein Nachfolger Julian ſtellte zwax, ºß61 cm. Ehr, mit großer Energie die geſunkene Gerechtigkeitſpflege und die Zucht im Heere wieder her; aber indem er, ein Verehrer der alten Philoſophen und Klaſſiker, dem Heidenthume ſein früheres Anſehen wieder zu ſchaffen trachtete, auch die Chriſten aus ſeiner Umgehung und den – 311 – Aemtern entfernte, ſchürte „der Abtrünnige“ die Zwietracht und ver- dunkelte ſeine übrigen Verdienſte. Es bedurfte eines todtbringenden per- ſiſchen Pfeiles, um den Sterbenden unter dem Ausrufe „Galiläer, du haſt geſiegt!“ zur Anerkennung der Wahrheit zu nöthigen, daß die Macht des Heidenthums für immer gebrochen ſei. Der Kaiſer Valens ſuchte um 363–378 der arianiſchen Lehre die Alleinherr- ſchaft im Oriente zu verſchaffen, indem der tapfere und gediegene Valentinian, von 346–374 im Occidente die Gewiſſensfreiheit beſchützte. Mit ihm zugleich ſank dieſer Schutzgeiſt des freien Ge- dankens in das Grab. Mit Theodoſius, alſo von 378an, flohen Dul- dung und Gleichberechtigung von Glaubensanſichten das bedauerns- werthe Reich für immer. Die Anhänger des noch jüngſt hochver- ehrten Arius wurden nicht allein proſeribirt, ſondern auch allent- halben inhuman behandelt; die heidniſchen Tempel, ihre Statuen und Kunſtwerke wurden mit Wuth zerſtört, aber dieſer Theodoſius, den man mit ſo vielem Unrechte „den Großen“ genannt hat, duldete, daß man den eiteln Prunk und Tand aus den geplünderten Tempeln in die chriſtliche Kirche übertrug. Die Demuth und einfache Würde, unter deren Einfluß dieſe Kirche zur triumphirenden geworden war, verſchwanden von da ab, und das Volk mußte ſich daran gewöhnen, ununterbrochene Streitigkeiten, einen Uebermuth von hoffärtigen Prieſtern und von ſtörriſchen, meiſtens unwiſſenden Mönchen als die wichtigſten Angelegenheiten des Staatslebens zu betrachten. Glaubensartikel wurden ihm der Reihe nach aufgedrungen, welche die, von denen ſie erſonnen worden waren, kaum ſelbſt verſtanden. Innere und äußere Verfaſſung des Staates mußten ſich durch der- gleichen Thorheiten zurückdrängen laſſen und wenn ſich bei dem Eindringen der Türken in die Hauptſtadt, 1453, das bejammerns- werthe Schauſpiel darbot, daß ſich Tauſende von wehrkräftigen Griechen in die Sophienkirche zuſammengedrängt hatten, um in ihrer Ohnmacht unverdiente Hülfe von oben herab zu erflehen, indem ſie durch energiſche Unterſtützung ihres tapfer kämpfenden Kaiſers den Sturz vielleicht noch hätten abwenden können, ſo muß man zugeben, daß dieſer „große“ Theodoſius dazu früh ſchon den eigentlichen Grund gelegt hatte. Seine geiſtige Kleinlichkeit gab er außerdem noch dadurch kund, daß er der Bildſäule Conſtantins I., welche die heute noch aufrecht ſtehende Porphyrſäule krönte, den Kopf ab- nehmen und ihr denſeinigen dafür aufſetzen ließ, – 312 – Noch einmal vereinigte dieſer Theodoſins den Weſten mit dem Oſten zum Weltreiche, um daſſelbe bei ſeinem Tode, 395, wieder unter ſeine beiden Söhne zu theilen. Hierdurch ſchwächte er die Widerſtandskraft gegen die immer mehr herandringenden Barbaren dergeſtalt, daß es die Weſtgothen bereits 396 wagen durften, die reichſten Provinzen des alten Griechenlands, Attika und den Peloponnes, mit eingeſchloſſen, plündernd und zerſtörend zu überziehen, bis ihr König Alarich von Byzanz aus zum Statt- halter von Illyrien ernannt wurde. Durch letzteren Umſtand wird es ſogar höchſt wahrſcheinlich, daß jener Einbruch der Weſtgothen durch den perfiden Rufinus, der damals den jungen Kaiſer Ar- cadius leitete, veranlaßt worden war, blos, um den Stilicho, welcher dem elfjährigen Kaiſer Honorius in Rom zur Seite ſtand, durch die drohende Stellung der Weſtgothen hinlänglich zu beſchäf- tigen, die denn auch in der That bald nach Italien überſetzten. Aber den Barbaren war nun der Weg nach der ewigen Roma, nicht ohne Schuld der Machthaber in Byzanz, gezeigt; ſie über- flutheten fortan den civiliſirteſten Theil Europa's und ſchonten da- bei des oſtrömiſchen Reiches keineswegs. Der ſchwache Arcadius vermochte ebenſo wenig, als ſein Sohn Theodoſius II., jenen ent- völkernden Gräueln ein Ziel zu ſetzen, bis der kriegeriſche Martian 450–56 wieder einige Ordnung herbeiführte. Schon war es da- hin gekommen, daß jenem Thracier ein Bulgare von niedriger Herkunft, alſo ein Barbar, auf den Thron folgen konnte, was aber noch mehr iſt, viele ſeiner aus reinem griechiſchen Blute herſtam- menden Vorgänger durch kräftige Regierungsmaaßregeln beſchämte. Dieſem Leo I. widmete das leicht zufriedengeſtellte, dankbare Volk auch nachmals den Beinamen des Großen, den er in der That mehr als Theodoſius verdient hatte. Sein Tod, 474, öffnete jedoch dem hinterliſtigen, verrätheriſchen Zeno die Thore der Macht, welche er 17 Jahre lang mißbrauchte. Der Kaiſer Anaſtaſius behauptete ſich hierauf mühſam gegen Aufſtände im Innern, wie gegen Angriffe von außen, denn zu beiden reizt die Schwäche auf dem Throne. Dem 518 hochbejahrt dieſen Thron durch Liſt und Gold einnehmenden Juſtinus I. gebührt das Lob, daß er das zerrüttete Reich noch einmal zweckmäßig geſtaltete. Schon aus dieſer einzelnen Thatſache darf man folgern, daß es für die damaligen Machthaber zu Byzanz nicht ſo übermäßig ſchwer fiel, – 313 – die von Hrn. Mordtmann ſo hart angeſchuldigte eentrifugale Tendenz der Provinzen zu zügeln, ein um ſo mißlicheres Unterneh- men, als ja eine ſo wichtige Provinz wie Illyrien längſt ſchon von den Gothen eingenommen geweſen war. So konnte es denn auch dem unmittelbaren Nachfolger Juſtinian, 527–65, leicht werden, der Regierung neuen Glanz und Ruhm zu erwerben. Ihm gelang es, den gelehrten Tribonian an den ihm gebührenden Platz zu ſtellen, um den Codex Juſtinianeus, die Inſtitutionen, die Pandekten, und die Novellen auszuarbeiten, welche für alle Zeiten rühmliches Zeugniß für die wiſſenſchaftliche Thatkraft der damaligen Griechen ablegten. Die noch heute als ein Wunderwerk der Baukunſt da- ſtehende Sophienkirche verdanken wir ſeiner unermüdlichen Thätigkeit und Bauluſt, die jedoch auch die Anlegung von feſten Kaſtellen läugs der Grenze nicht verſäumte. Aber der Rennbahn-Aufruhr von 531, während welches die ältere, von Conſtantin erbaute So- phienkirche, ein Theil der Stadt und des kaiſerlichen Palaſtes durch die Flammen verzehrt wurde, hatte nur durch ſeine parteiiſche Hin- neigung zu einer der beiden ſtreitenden politiſchen Parteien, durch deren Einfluß die andere ſich jeden Rechtsſchutzes förmlich beraubt ſah, auf- lodern können. Er konnte zuletzt nur durch die Hinmetzelung von 30,000 Menſchen gedämpft werden, die größtentheils der durch den Kaiſer zur Verzweiflung getriebenen, einer früheren Dynaſtie zuge- neigten Partei angehörten. Auch hatte Juſtinian ſich in dieſer dringen- den Gefahr bereits feiger Verzweiflung hingegeben, als ſeine heroiſche Gemahlin Theodora ihm den Muth wieder erweckte und die Tapferkeit der Garden von neuem anſpornte. In Folge des auf ſolche Weiſe heraufbeſchwornen unſäglichen Elendes brach in dem nämlichen Jahre die orientaliſche Peſt zum erſten Male in Conſtantinopel aus, und verſchwand in 63 Jahren nie ganz. – Außerdem erlag das Volk der Provinzen dem Drucke der Steuern und Monopole, welche dem Glanze des ſchwelgeriſchen Hofes und der Hauptſtadt dienen mußten. Wenn man die die Hülfskräfte des Staates übermäßig in Anſpruch nehmenden ausgedehnten Kriege hinzufügt, welche Juſti- nian durch ſeine kriegserfahrenen, tapferen Heerführer Beliſar und Marſes gegen die Vandalen, Gothen, Perſer u. ſ. w. führen ließ, wenn man weiß, daß dieſe Kriege großentheils nur unternom- men worden waren, um die der Lehre des Arius huldigenden Vandalen und Gothen zur Annahme der Beſchlüſſe des letzten Con- 14 – 314 – ciliums von Conſtantinopel zu zwingen, daß alſo, um geringer Ab- weichungen in der äußern Form chriſtlicher Glaubensſätze willen, auf ſeinen Befehl das Blut vieler Tauſende von Menſchen ver- goſſen, der Flor ganzer Provinzen unter die Füße getreten werden mußte, ſo würde dies genügen, jenem hochgerühmten Juſtinian einen großen Theil der Schuld an den bald auf ihn folgenden jähen Sturz des Reichs zuzuſchreiben. Aber es kommt auch noch hinzu, daß ſein unter den Einfluſſe von ſchmeichleriſchen Höflingen, Eunuchen und Weibern ſtehender Hof die Sittenverderbniß zunächſt in die Hauptſtadt, von dieſer aus endlich bis zu den Grenzen des Reiches ausdehnte. Und ſo leidet es keinen Zweifel, daß dieſer mit der Kraft der höchſten Erhebung des Staates ausgerüſtete, von weiſen und tapfern Männern unterſtützte Kaiſer jene Macht unweiſe benutzt und im Ganzen dem Reiche zwar äußeren Glanz, aber im Innern langſam um ſich freſſendes Verderben bereitet hat. In der dem Juſtinian folgenden langen Reihe griechiſcher Kai- ſer finden wir keinen, der im Stande geweſen wäre, jene ſtrenge Zucht und haushälteriſche Ordnung wieder herzuſtellen, deren Ver- nachläſſigung das Sinken des Staates beſchleunigten. Am wenigſten vermochte dies Juſtinian's ſchwächlicher Neffe, Juſtinus II. Unter Gräueln der empörendſten Art, Blendung, Ausſtechen der Augen, Gift und hinterliſtigen Mord, beſtiegen fortan in der Regel Unwürdige den beſudelten Thron zu Couſtantinopel, deren Mehrzahl nur zu nennen, oder die lange Reihe ihrer Frevel aufzuzählen, ein zu widerſtrebendes Unternehmen iſt, als daß es hier zur Anwendung kommen dürfte. Das Volk wurde vom laſterhaften Hofe aus methodiſch zu Grunde gerichtet, und vermochte darum freilich, als die Stunde der Entſcheidung ſchlug, jenem nicht mehr aufzuhelfen. Der ehemalige Hauptſitz griechiſcher Gelehrſamkeit, die Schule zu Alexandrien, war ſeit mehreren Jahrhunderten bereits zum Schat- ten ihrer früheren Größe herabgeſunken, als ſie endlich im Jahre 640 n. Chr. bei Eroberung der Stadt durch Omar zerſtört, ihre ſeit einem Jahrtauſende aufgeſpeicherten literariſchen Schätze verbrannt und ſo die meiſten von dieſen der Nachwelt für immer entzogen wurden. Zugleich gefielen ſich die zahlreichen und herrſchſüchtigen Geiſtlichen in ſcholaſtiſchen Spitzfindigkeiten und in ſchroffeſter Un- duldſamkeit gegen Andersdenkende. Es läßt ſich nicht behaupten, daß nicht noch einzelne griechiſche – 315 – Herrſcher das Hinſinken ihres Volkes zum allmähligen Untergange er- kannt, auch ihm entgegen zu treten nicht den guten Willen gehabt hätten. Leo, der Iſaurier, verbot im Jahre 726 n. Chr. den Bilderdienſt ſei- ner Kirche, der bis zur ſtumpfſinnigen Anbetung materieller Idole entar- tet war. Aber er hatte nicht beachtet, daß das Volk nur von der Schule aus, und nur durch rationelle Erziehung allmählig zu höherer Einſicht und reinerer Sitte empor gehoben werden kann. Die plötzlich ein- geführte Neuerung ſtieß deshalb auf den vereinten Widerſtand der rohen Volksmaſſe und der auf ihre Rechte eiferſüchtigen Lehrer und Geiſtlichen, – ganz ſo, wie es in einem ſpät folgenden Jahrhun- derte dem wohlmeinenden Joſeph II. in Wien geſchah. Leo, dem man bald den Namen des Bilderſtürmers beilegte, ſuchte die Urſache des Mißlingens ſeiner Verbeſſerungspläne in den verderbten Schulen; anſtatt ſie zu veredeln, unterdrückte er ſie rückſichtslos und machte ſo die moraliſche Erhebung des Volkes un- möglich. – Sein Nachfolger Conſtantin Copronimus bemühte ſich von 741 an ſogar, dem Bilderdienſt die mächtige Stütze zu rauben, die ihm die Klöſter gewährten; er hob ſie auf und nöthigte die Mönche und Nonnen, ſich zuſammen trauen zu laſſen und dann zu arbeiten. Er wagte es endlich, das Anrufen der Apoſtel und der Heiligen zu verbieten. Die große Maſſe des Volkes ſpendete ſeiner Regierung Beifall, ſo daß dieſe 35 Jahre lang dauern konnte. Indem aber zugleich die Kloſter-Bibliotheken zerſtreut wurden, ent- zog er der Wiſſenſchaft den feſten Boden, von welchem aus ſie ſich ſpäter, unter günſtigeren Verhältniſſen, hätte regeneriren kön- nen. Leo IV., der Sohn jenes Bilderhaſſers, folgte dem Beiſpiele des Vaters ſtreng. Als er aber mit ſeiner Gemahlin Irene zer- fiel, die dem Bilderdienſt heimlich anhing, ſo ſtarb er ſchnell unter verdächtigen Umſtänden. Irene übernahm im Namen des unmün- digen Sohnes die Regierung, ſtellte die Bilderverehrung, ungeachtet des Widerwillens der Soldaten und des Volkes gegen ſie, wieder her. Als ſie fortfuhr, den mündig gewordenen Sohn einzuſperren und unwürdig zu behandeln, ſtieß man ſie vom Throne und erhob den Sohn auf denſelben. Dieſer benahm ſich ehrenhaft gegen die Mutter und tapfer gegen die Feinde. Die barbariſche Mutter wußte ihn indeſſen durch beſtochene Räthe zu Grauſamkeiten zu verleiten, und ließ ihm endlich durch feile Soldaten die Augen ausſtechen, während ſie ſich in der Nähe der Gräuelſcene befand. Sie ſchwang ſich dann 14* – 316 – wieder auf den Thron. Bald aber wurde das Volk der Ränke des mordluſtigen, herrſchſüchtigen Weibes müde, welches 801 ſogar eine Heirath mit Carl dem Großen anſtrebte. Zum zweiten Male entthront, ſtarb ſie endlich in der Verbannung. So hoch aber war die Macht des Bilderdienſtes bei den entarteten Griechen bereits geſtiegen, daß der fortdauernde Streit um ſeine Zulaſſung, die unter der Kaiſerin Irene von 792–802 Statt fand, oder ſein 815 durch Leo den Armenier erneutes Verbot, genügend war, den Sinn für eine reinere religiöſe Erkenntniß ſelbſt in der großen Maſſe mehr und mehr zu verfinſtern und zu unterdrücken. So ſah man ſich endlich 842 genöthigt, die übermächtige Bilderverehrung wieder herzuſtellen, und ſeitdem hat ſie bis auf den heutigen Tag ihre Herrſchaft unter den Griechen aufrecht erhalten. Zu ſpät er- griffen Bardas und ſein Neffe Michael III. von 860–67 das richtige Mittel zur Volkserhebung; ſie ſtellten die Schulen im gan- zen Reiche wieder her. Der Kaiſer Baſilius I. begünſtigte in den Jahren 867–886 ebenſo die geiſtige Erhebung des Volkes nach Kräften; er ging mit gutem Beiſpiele voran, indem er dem be- rühmten Photius die Leitung des Unterrichtes in der kaiſerlichen Familie übertrug. Sein Sohn Leo VI., der Philoſoph, fuhr, ſelbſt als Schriftſteller thätig, von 886–911 auf dieſem Wege fort. Unter ſeinem Sohne Conſtantin Porphyrogenitus, von 911–959, blühten ſogar höhere Schulen für Philoſophie, für Rhe- torik, für Geometrie, für Aſtronomie zu Conſtantinopel. Er wen- dete ſeine ganze Thätigkeit auf, um dieſe Schulen nicht allein dem Religionsunterrichte dienſtbar ſein zu laſſen, wie dies bis dahin großentheils der Fall geweſen war, ſondern er ſuchte ſie allen Volks- klaſſen zugänglich zu machen, pflegte auch die Wiſſenſchaften um ihrer ſelbſt willen. Dieſer „im Purpur geborne“ Conſtantin lieferte zugleich als Schriftſteller einen kläglichen Aufſchluß über die Art der Beſchäftigungen griechiſcher Kaiſer ſeiner Zeit. Er wußte nichts ſeiner hohen Würde Angemeſſeneres zu ſchreiben, als ein Buch über die Ceremonien des byzantiniſchen Hofes. – Dem Naturforſcher mag es ergötzlich ſein, daraus zu erfahren, daß es des Garderoben- Meiſters Pflicht war, den Theriak, das Hinidſchin (Aſand) und andere „giftwidrige“ Mittel, ſowie Oele, Pflaſter und Salben. – 317 – zu bewahren und zu beaufſichtigen*). Daher konnte auch wohl ein Arzt ſo bedeutungsſchwerem Amte vorgeſetzt werden, wie das wirk- lich mit Theophanus oder Nonus und Symeon Seth ge- ſchehen iſt *). Unwillkührlich ſieht man ſich zu dem Vergleiche mit dem Zeitalter Ludwig’s XV. in Paris und mit der aus ihm aufgeſproßten Saat von Pomadentöpfen und Puderquaſten hinge- drängt, die damals bei der Flucht vom Schlachtfelde bei Roßbach durch die eleganten Krieger Ludwig's ausgeſtreut wurde. Die gründlichſte Ueberzeugung, der wohlwollendſte. Sinn, der mächtigſte Wille genügten indeſſen nicht mehr, der Erſchlaffung und Entſittlichung des Volkes Grenzen zu ſtecken. Frömmelei war an die Stelle der Frömmigkeit getreten, abergläubiſches Formelweſen hatte ſich in das Gewand der Gottesverehrung gekleidet, zahlloſe Mönche und Weltprieſter erfüllten Kirche und Gemeinweſen mit dem Geſchrei nutzloſer Streitigkeiten und ſcholaſtiſcher Subtilitäten, die durch häufige Concilien mehr genährt als vermindert wurden. Unter dem Kaiſer Johannes, der 45 Jahre lang die Zügel der Regierung in ſchwachen, zitternden Händen hielt, mußte man den Einbruch der Ge- nueſer und der Barbaren in der Stadt zugleich fürchten. Und – als dieſe Noth am dringendſten war, hielten ehrwürdige Väter zahl- reiche Verſammlungen, um über die Bedeutung der Ausſage hirn- verbrannter Mönche zu disputiren, welche eine heilige Flamme aus ihrem Nabel hatten emporſchlagen ſehen. Augenſcheinlich hatte der Wahnſinn der Mönche anſteckend auf die Männer gewirkt, die ſich ernſtlich mit ihm beſchäftigen konnten. Haß gegen anders denkende Bekenner der Religion der Liebe wurde von allen Kanzeln gepre- digt und ſo konnte es geſchehen, daß, als im Jahre 1096 die abendländiſchen Chriſten, angefeuert durch die Reden des Mönches Peter von Amiens und des Papſtes Urban II. ſich zu Heeren von Kreuzfahrern und zu oft wiederholten Zügen nach den Geburts- ſtätten des Chriſtenthums vereinigten, ſie von ihren morgenländiſchen Glaubensbrüdern nicht nur lau und mit Mißtrauen empfangen, ſondern auch mit Hinderniſſen aller Art umgeben wurden. Dieſe, anſtatt zu begreifen, daß ihnen in ſolchen, gleichſam vom Himmel *) De cerimoniis aulae Byzant. Ed. Reiske. Lips., 1751. Append. ad libr. I. pag. 270. *) S. K. Sprengel, Beiträge zur Geſchichte der Medicin. 1. Bd. 1. Stück. Halle, 1794. S. 208 u. f. – 318 – unerwartet und unverdient zugeſendeten gewaltigen kriegeriſchen Zu- zügen die letzte Ausſicht erblühte, mit vereinten Kräften die längſt die Weſtküſte Aſiens ſchon einnehmenden Türken nach ihrem Hei- mathslande zurückzudrängen, bemühten ſich vielmehr, ſie für ihre kleinlichen Zwecke liſtig auszubeuten, unfähig, ſich für eine erhabene Idee zu begeiſtern. Die Kreuzfahrer empfingen ſchon bei ihrer erſten gelungenen größeren Waffenthat in Aſien, der Eroberung von Nicäa, den Beweis von dem, was ſie von den Griechen zu erwarten haben würden (vergl. oben S. 144). Dieſe gedachten, mit dem Blute abendländiſcher Chriſten zwar ihre ehemaligen Beſitzungen in Aſien für ſich zurückzuerobern, dazu aber von eigenem Blute möglichſt wenig und nur ſoviel beizutragen, als unentbehrlich war, um den äuße- ren Schein zu retten. Den Kreuzfahrern konnten die Wirkungen einer ſolchen perfiden Politik nicht verborgen bleiben, um ſo we- niger, als der Kaiſer Alexius der Com n e n e , der die Nachkommen des Theodoſius vom Throne gedrängt hatte, mit den Führern der Pilgerheere nicht klug, ſondern hinterliſtig, nicht behutſam, ſondern betrügeriſch und heuchleriſch umging*). Im Laufe der Zeit kam es ſogar dahin, daß dieſe die Griechen mehr, als die Türken und Saracenen fürchten zu müſſen glaubten. Blu- tiger Kampf zwiſchen den Lateinern und Griechen folgte 1137, als erſtere das von ihnen eroberte feſte Antiochien dem Kaiſer Joan- nes, dem Nachfolger des Alexius, nicht herausgeben wollten; die Uebergabe Antiochiens erfolgte erſt nach vielem Blutvergießen. Ob- gleich hierauf Joannes, dem ſich die lateiniſchen Fürſten vertrags- mäßig angeſchloſſen hatten, ein Heer von 200,000 Mann zuſam- men brachte, ſo blieben ſeine Erfolge gegen die Türken doch gering- fügig, weil die durch griechiſche Hinterliſt oft genug betrogenen La- teiner ihm mehr hinderlich als nützlich waren, endlich ihn ſogar durch Schlauheit zum Abzuge aus Syrien und zur Rückgabe von Antiochien zu bewegen wußten. Unverrichteter Sache zog er 1130 nach Conſtantinopel zurück, indem er die Frucht erntete, welche aus der Saat des unwürdigen, jedes Vertrauen ſchon im Keime er- ſtickenden Benehmens der Griechen erwachſen war. So mißlang die letzte große kriegeriſche Unternehmung der Griechen; ihre Glau- *) Vergl. F. Wilken, Geſchichte der Kreuzzüge, 1. Th. Leipzig, 1807. S. 109. – 319 – bensgenoſſen hatten ſie von ſich geſtoßen, – wie ſie es ver- dienten. Mehr und mehr entbrannte fortan der Hader zwiſchen latei- niſchen und griechiſchen Chriſten, bis denn endlich im April 1204 die Plünderung und Zerſtörung Conſtantinopels durch die fränkiſchen Kreuzfahrer als die bedauernswertheſte Folge davon eintrat. Selbſt die Eroberung Alexandriens durch Omar's barbariſche Horden war ſo verderblich für Wiſſenſchaft und Kunſt, ſo erſchütternd für die Herrſchaft des Chriſtenthums nicht geweſen, als dieſes Ueberfluthen der Ausgeburt des roheſten Mittelalters über die in Conſtantinopel aufgehäuften letzten Reſte humaner Bildung, klaſſiſcher Kunſt und Wiſſenſchaft aus einer vorübergegangenen beſſeren Zeit. Der Zeit- raum dieſer Eroberung iſt der der eigentlichen Vernichtung ihrer Kunſtſchätze, – und hierin ſtimmen alle Geſchichtforſcher überein. Die verhältnißmäßig kurze Friſt, welche bis zur Wiedereroberung durch Michael den Paläologen, 1261, verlaufen war, hatte hingereicht, die Blüthe und den Glauz der damaligen Metropole der Wiſſenſchaft und Kunſt abzuſtreifen. Man darf freilich nicht verſchweigen, daß die Einwohner der Stadt, ſoweit es ſie perſönlich betraf, ihr trauriges Loos durch zügelloſen Uebermuth und feige Grauſamkeit heraufbeſchworen hatten. Den letzten Kaiſer aus dem Geſchlechte der Commenen, den Andronikus, hatten ſie 1185 langſam zu Tode gemartert. Dem ihm folgenden Iſaak II. ſtieß ſein eigener Bruder Alexius III. vom Throne und ließ ihn blen- den. Da entfloh des Geblendeten Sohn, der junge Alexius, bewog ein ſich damals neu ſammelndes, aus Venetianern und Fran- zoſen beſtehendes Kreuzfahrerheer durch große Verſprechungen, ihn nach Conſtantinopel zu führen und ihn auf den Thron zu ſetzen. Der Zug gelang. Welcher Art die damalige griechiſche Kriegszucht geweſen iſt, ergibt ſich aus der Thatſache, daß, ungeachtet dem an- gegriffenen Kaiſer eine Armee von 70,000 Mann zu Gebote ſtand, dieſer dennoch bald zur Flucht genöthigt wurde. Der junge Ale- xius beſtieg nun zwar den erledigten Thron; als er aber den Kreuzfahrern die ihnen gegebenen Verſprechungen erfüllen wollte, erſchlugen ihn die Griechen mit allen Angehörigen des Herr- ſcherhauſes. – Die Art des Todes des unglücklichen jungen Ale- xius bezeichnet die feige Grauſamkeit, welche damals die Herr- ſchaft zu Conſtantinopel übte, ſo charakteriſtiſch, daß ſie auch an – 320 - dieſem Orte erzählt zu werden verdient. Die Aufrührer hatten den rohen und unfähigen Alexius Murzuphlus kaum auf den Thron gehoben, als er es eine ſeiner erſten Regententhaten ſein ließ, in den Kerker des ſo eben Entthronten hinabzuſteigen, um ihm mit eigener Fauſt durch eine eiſerne Keule die Rippen zu zerſchmettern (!!). Eine ſo grauenvolle That mußte auf der Stelle geſühnt werden. Die Lateiner ſchlugen die Thore ein, eroberten die Stadt im erſten Anlaufe, plünderten mit wahrhaft kannibaliſcher Habſucht nicht blos die Einwohner, die ſie nöthigenfalls durch Foltern zur Angabe ihres Geldes zwangen, ſondern beraubten auch die Kirchen, die Heilig- thümer, die von ihnen aufgebrochenen Kaiſergräber, zerſtreuten die Gebeine des großen Conſtantins und ſeiner Nachfolger, ebenſo wie die von ihnen geſammelten Bücherſchätze, verſtümmelten endlich die herrlichſten Denkmäler der Kunſt aus Muthwillen und bloßer Zer- ſtörungsſucht, oder, um Geld aus ihrem Metall zu ſchlagen. – Graf Balduin von Flandern wurde ſodann zum Kaiſer ausgerufen. Indeſſen hatten die Griechen ihrerſeits den Theodor Laskaris zum Kaiſer erhoben. – Das von den Eroberern über die Stadt, damals die erſte der civiliſirten Welt, gebrachte Verderben konnte nie mehr ausgeglichen werden; der traurige Ruf folgte ihnen außerdem für immer nach, daß ſie ungleich roher und nachhaltiger als die ihnen ſpäter folgenden Türken zu zerſtören wußten, nicht aber, wie dieſe, Einiges wieder aufzubauen oder auszugleichen verſtanden. So innig waren ſtete Religionsſtreitigkeiten mit dem Weſen des Staates verbunden, daß Johann VII., der Paläologe, wie ſein Vater Manuel, glaubte, den Sturz deſſelben noch durch Unterſtützung von Seiten der Abendländer abwenden zu können. Er unternahm zu dem Ende in Begleitung des Patriarchen von Conſtantinopel und zahlreicher Biſchöfe und Geiſtlichen eine Reiſe nach Italien. Es kam ein Concilium zu Ferrara, ſpäter in Florenz zu Stande, auf welchem mit dem Kaiſer zugleich der Papſt Eugen IV. erſchien. In der That erfolgte im Jahre 1438 in der Kathedrale zu Florenz eine wenigſtens äußerliche Vereinigung der griechiſchen und der la- teiniſchen Kirche, nach ſechshundertjähriger Trennung beider. Die Ver- einigungsaete wurden von dem Kaiſer, dem Papſte und der Mehrzahl der dazu berufenen Geiſtlichen feierlich unterzeichnet. Demetrius, des Kaiſers Bruder und Markus, der Patriarch von Epheſus, hatten ſich aber des Unterzeichnens enthalten. Als die Griechen nun nach – 321 – Conſtantinopel zurückkehrten, wurden ſie von fanatiſchen Prieſtern und dem großen Haufen des Volkes mit Mißtrauen und Verachtung empfangen. Die Anhänger der Vereinigung waren bald auf den Palaſt zu Conſtantinopel beſchränkt. Die von dem Papſte verſpro- chene materielle Hülfe blieb außerdem ans und ſo erhielten den Kaiſer Johann nur noch die Angriffe der Türken auf dem Throne, durch welche der thörichte Volkshaufen eingeſchüchtert wurde. Viele der zurückgekommenen Geiſtlichen bekannten, daß ſie das unbefleckte Opfer verrathen und verdammliche Azymiten geworden ſeien (d. h. das Abendmahl mit ungeſäuertem Brode Genießende). Andere geſtanden, daß die Hand, welche die Vereinigung unter- zeichnet, abgehauen, die Zunge, welche das lateiniſche Glaubensbe- kenntniß ausgeſprochen, ausgeriſſen werden ſollte. Der ruſſiſche Primas, Kardinal Iſidor zu Moskau, wurde durch eine Synode verdammt und entging dem fanatiſirten Volke kaum. Auch der zwölfte Conſtantin, der Paläologe, der letzte grie- chiſche Kaiſer, hatte wohlmeinend geglaubt, der ſinkenden Macht des Chriſtenthums im Oriente eine Stütze verleihen zu können, wenn er die Anhänger des griechiſchen und des lateiniſchen Cultus zu einem gemeinſamen Bekenntniß vereinigte. In dieſem Sinne hatte er das Henotikon mit dem Papſte abgeſchloſſen, – leider mit einem ſeinem Wunſche ganz entgegengeſetzten Erfolge. Der Kaiſer Zeno hatte in einer früheren, dazu viel geeigneteren Zeit Aehnliches bereits vergebens verſucht. Ducas *), der Augenzeuge von der Eroberung Conſtantinopels, ſagt hierüber in hohem Grade bezeich- nend, indem er die von den Türken in der Aja Sophia verübten viehi- ſchen Gräuel beſchreibt: „Wäre in dieſem Augenblicke wirklich ein Engel vom Himmel geſtiegen und hätte er die Worte verkündet: Nehmet die Kirchenvereinigung an, und ich will die Feinde aus der Stadt treiben, – ſie würden ſich dennoch nicht dazu bekannt und ſich lieber den Türken, als der römiſchen Kirche überliefert haben.“ Unter ſo maßlosthörichtem Zwieſpalte rückte die letzte, entſchei- dende Kataſtrophe heran. Mohammed II. und ſeine Türken, welche vertragsmäßig ſchon längſt Moſcheen in der Stadt beſaßen, wußten genau, daß deren Bewohner ſich in einem Zuſtande der Auflöſung und *) Historia byzantina. Bonnae, 1834. Chronikon. XXXIX. pag. 163. 14** – 322 – Zerſetzung befanden. Die Frucht war überreif zum Abſchütteln. Vergebens ermannte ſich der vom Volke verlaſſene Kaiſer; tapfer kämpfend fiel er auf der Mauer. Nur zwei Thore waren von Griechen, die andern von fremden Hülfstruppen vertheidigt worden. Die Seele der Vertheidigung war der Genueſer Giuſtiniani. Das feige Volk, deſſen Hunderttauſende immer noch ſo viele ſtreit- bare Männer hätte ſtellen können, um die Türken ſchon durch ihre Maſſe zurückzudrängen, flüchtete ſich, anſtatt zu fechten, in die Kirchen, um unverdienten Schutz von oben herab zu erflehen. Die Sophienkirche war namentlich in allen ihren Räumen von Männern und Weibern überfüllt. Jene ließen ſich von hier aus paarweiſe an einander gebunden in die Sclaverei treiben, mußten jedoch bei dem Abzuge vor ihren Augen die Frauen und Jungfrauen noch viehiſch ſchänden ſehen, ohne daß auch nur einer dieſer Elenden den Kam- pfestod ſo unermeßlicher Schmach vorgezogen hätte. Einzelne an- erkennenswerthe, aber ſpärliche Ausnahmen ſind vorgekommen. Der Venetianer Nic. Barbaro*) erzählt als Augenzeuge, daß Weiber und Kinder während des Kampfes Steine auf die Mauer getragen haben, damit die Streiter mit dieſen die Feinde empfangen konnten. Das hiermit verdiente Lob ſchwindet jedoch wieder vor der Thatſache, daß die erſten Türken nicht über die Mauer, ſondern durch einen verdeckten Gang vom goldnen Horn her, bei dem Holzthor, ein- drangen, was nur durch Beihülfe ortskundiger Griechen hatte ge- ſchehen können. Der Umſtand, daß die dort am Waſſer wohnenden Fanarioten unmittelbar nachher von den Siegern ausgezeichnet milde behandelt, ja bis auf den heutigen Tag vielfach bevorzugt worden ſind, macht es wahrſcheinlich, daß ſie Verrath getrieben und ihrem Kaiſer Feinde in den Rücken geführt hatten. So war denn das griechiſche Volk von ſeinem wohlverdienten Schickſal endlich ereilt worden. Die Barbarei hatte ihren Ein- zug in die Königin der Städte gehalten. Ihre Entvölkerung konnte nur durch Ueberſiedelung von 5000 türkiſchen Familien aus Aſien und Thracien einigermaßen verdeckt werden. Wenn „centrifugale Ten- denz der Provinzen“ hierbei wirklich im Spiele geweſen wäre, ſo muß man doch geſtehen, daß ſie ja durch mehrere Kaiſer abſichtlich veranlaßt worden war. Der Vater des letzten Conſtantin, Manuel, theilte *) Giornale dell' assedio di Constantinopoli. Vienna, 1856. – 323 – den Reſt des ſchwachen Reiches unter ſechs Söhne, von denen der älteſte Conſtantinopel allein, mit ſeiner nächſten Umgebung erhielt. Man ſchuf alſo, als die letzten Zuckungen des hinſterbenden Staats- körpers bereits eingetreten waren, noch die Kleinſtaaterei, welche Deutſchlands Verderben von je an geweſen iſt. – Die oben ge- lieferte kurze hiſtoriſche Ueberſicht dürfte bei unbefangenen Leſern genügen, um das Urtheil zu begründen, daß bei jenem Sturze kein blinder Zufall obwaltete; denn tauſend Jahre lang hatte die ewige Gerechtigkeit dem Reiche Conſtantins I. langmüthig – aber ver- gebens – Friſt gewährt, ſeine lange Reihe von Miſſethaten zu ſühnen, die andere Staaten weder in ſo widerwärtiger Geſtalt, noch mit ſo klarem, durch geiſtige Bildung erhöhten Bewußtſein vollbracht hatten. Charakteriſtik. – Wenn es im Allgemeinen ſchon eine kaum zu löſende Aufgabe iſt, die Charakteriſtik einer ganzen Nation ſo zu zeichnen, daß ſie auch nur mäßigen Anſprüchen genügt, ſo iſt ſie bei der griechiſchen Nation mit zwiefachen Schwierigkeiten umgeben. Die Grie- chen ſind von anderen Volksſtämmen ſo oft überfluthet, ſie haben ihren urſprünglichen klaſſiſchen Typus durch vielfache Kreuzung mit jenen ſo weſentlich umgeſtaltet, daß es nöthig ſein würde, die einzelnen zer- ſtreuten Abtheilungen des Volks in den verſchiedenen Provinzen zu ſtudiren, um eben ſo viele geſonderte Zeichnungen zu entwerfen. Wem hierüber noch Zweifel übrig bleiben ſollte, der würde dieſen wahrſcheinlich ablegen, ſobald er Hrn. Fallmerayer's *) gründliche Unterſuchungen über dieſen Gegenſtand näher kennte. Am reinſten haben ihr Blut offenbar die im Fanar zu Conſtantinopel ſelbſt lebenden Griechen erhalten, deren Wohnungen von Galata und Pera durch den Hafen des goldenen Horns getrennt ſind. Dieſe auch im übrigen Europa wohlbekannten Fanarioten lehnen jede Verwechſelungen mit den Peroten ſtolz ab. Sie mögen ſich hier- bei auf den Einfluß ſtützen, der ihnen von der Pforte durch häufige Benutzung ihrer Talente eingeräumt worden iſt, indem man ſie zu politiſchen Miſſionen in das Ausland, als Pforten-Dolmetſcher be- nutzte, ja geraume Zeit hindurch ihnen ſogar die Verwaltung der Donau-Fürſtenthümer anvertraute. – Hier ſoll nur von den Grie- chen im Allgemeinen die Rede ſein, die, zur Zeit im osmaniſchen *) Fragmente aus dem Orient, 2. Bd. Stuttgart, 1845. S. 372. – 324 – Reiche leben, – deren Zahl man auf etwa zwei Millionen angibt, die gleichmäßig auf Europa und Aſien vertheilt wohnen ſollen. Doch dürfte dieſe Zahl etwas zu gering geſchätzt ſein; Hr. v. Reden*) zählt in Europa 1,050,000 Griechen unter türkiſcher Herrſchaft. Die Hellenen des Königreichs habe ich perſönlich nicht beſucht under- kläre deshalb, daß die nachfolgende Schilderung auf ſie keinen Bezug hat. Mit den körperlichen Eigenſchaften beginnend, bemerke ich zu- vörderſt, daß die mir in Europa und Aſien vorgekommenen griechiſchen Männer der Mehrzahl nach eine Körperlänge von 5 4“–6“ nicht überſchritten. Ausnahmen von 5 8“ oder 9“ ſah ich ſelten. Die Ver- hältniſſe der einzelnen Theile des Körpers ſind jedoch vollkommen gün- ftig, Hände und Füße meiſtens klein, die Bewegungen der Glieder ge- meinhin lebhaft, oft zierlich, ſo, daß ſich ſchon hieraus Geſchmack und Feinheit entnehmen läßt. Von den andern Volksftämmtett unter- ſcheidet man ſie dadurch leicht, am ſicherſten von dem gravitätiſchen Türken. – Große, ſchwarze Augen mit geiſtvollem, oft ſtechendem Blick, hochgewölbte Augenbrauen, vortheilhafter Geſichtswinkel, mäßig hervorragendes Kinn, kleiner Mund, reiches ſchwarzes Haar, ſchmücken beſonders die Frauen. Die Naſe iſt etwas ſtärker, als zur klaſſiſchen Zeit; auch entbehrt ſie des damaligen geraden Rückens und des unmittelbaren Ueberganges der geraden Linie von der Stirn aus; die gewöhnliche Einbiegung der Naſenwurzel nach innen fehlt nie. Schlanke, hohe Figuren bemerkte ich aber auch unter den Frauen nur ausnahmsweiſe. Da dieſe, nebſt den fränkiſchen und jüdiſchen Frauen, allein völlig ohne Schleier einhergeheu, ſo ſind ſie der Beobachtung um ſo eher zugänglich. Der Sonntag gewährt hierzu die bequemſte Zeit; Männer und Frauen lieben es, an dieſem Tage die ausgeſuchtere Toilette in den Kirchen und auf Spaziergätigen außerhalb der Stadt zu zeigen. - Mit den Idealen des Apollo von Belvedere, der mediceiſchen Venus, der Niobe u. ſ. w. in friſchem Gedächtniß, die ich in ver- ſchiedenen Lebensaltern zuerſt in Paris, dann zu Rom und zu Flo- renz zu bewundern Gelegenheit gehabt hatte, iſt es mir nicht ge- lungen, die Erinnerung an dieſe Ideale im Orient lebendig aufzu- friſchen, wie es den Hrn. Pouqueville, v. Grimm *) u. A. mög- *) Die Türkei und Griechenland. Frankfurt, 1856. S. 78. **) A. a. O. Th. III. S. 111. lich war. Wenn der letztere ſagt: „Alle Eigenſchaften, durch die ſie im Alterthume glänzten, ruhen in dem Volke, wie der Keim in der Saat, und erwarten nur freie Luft und warmes Sonnenlicht, um wie einſt empor zu blühen,“ – ſo muß man erwägen, daß dieſer Gedanke zu einer Zeit niederge- ſchrieben worden iſt, in welcher man durch ganz Europa begeiſterte Hoffnungen hegte von dem Auferſtehen des klaſſiſchen Griechenlands im helleniſchen Königreiche. Nachdem letzteres jetzt bereits die mitt- lere Dauer eines Menſchenlebens hindurch beſtanden hat, ſo ſind dieſe Hoffnungen leider bedeutend geſunken; das geiſtige Ringen zu Athen, obgleich von einzelnen trefflichen Männern geſtützt und ge- hoben, hat immer noch nicht vermocht, die große Maſſe des ſeit vielen Jahrhunderten methodiſch niedergedrückten Bolkes zu durch- dringen und zu höherer'Thatkraft zu entflammen. Würde es anders und beſſer werden, wenn die im osmaniſchen Staate zerſtreut le- benden zwei Millionen Griechen dem Königreiche hinzugefügt würden? Nach dem was ich geſehen, fühle ich mich geneigt, das Gegentheil zu vermuthen. Hr. v. Grimm wurde durch das Anſchauen einer mit Lumpen bedeckten griechiſchen jungen Bettlerin zu einem poetiſchen Erguſſe begeiſtert. Die phantaſiereiche Empfänglichkeit, die ſich hierdurch bekundet, mag Den, welcher ſie beſitzt, glücklich machen; aber dem nüchtern beobachtenden Naturforſcher wird man es auf der andern Seite nicht verargen, wenn er der Phantaſie weniger Raum vergönnt, und ſich an das vor ihm liegende Reale hält. Die Reiſe des Hrn. Pouqueville *) durch die helleniſchen Provinzen fällt in die Zeit der faſt durch ganz Europa verbreiteten glühenden Theilnahme für die damals unter den Griechen auflodernden Frei- heitsflammen. Wer hätte damals nicht gerne das Möglichſte ge- than, um die Nachkommen des großen Volkes in ihren politiſchen Beſtrebungen für die Unabhängigkeit von einer barbariſchen Regie- rung zu unterſtützen? Aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet, erklären ſich manche Ausſprüche des begeiſterten Schriftſtellers leicht, die er nach einer vierzigjährigen Abkühlung heute vielleicht nicht wiederholen würde. Damals ſah Hr. Pouqueville die Züge des ſchönen Ideals auch in dem zweimal unterjochten Volke; heute würde er erkennen müſſen, daß auch der Genuß der Selbſtſtändigkeit nicht im Stande *) Voyage dans la Grèce. Paris, 1826. pag. 187. – 326 – geweſen iſt, jenen hohen Sinn wieder zu erwecken, der zu unſterb- lichen Thaten begeiſterte. – Um jedoch zu zeigen, daß der ruhige Beobachter des regen Sinnes für griechiſche Schönheit aus der klaſſiſchen Zeit nicht baar iſt, will ich bei dieſer Veranlaſſung mit- theilen, daß mir auf meinen Wanderungen zwei Orte aufgeſtoßen ſind, die den Urtypus altgriechiſcher Schönheit unvermiſchter bewahrt haben, als vielleicht irgend ein Ort im heutigen Griechenland. Es ſind die Städte Amalfi und Syrakus, beide urſprünglich groß- griechiſche Colonien. Das gegenwärtige Amalfi zeigt außer ſeiner Kirche kaum einige Spuren ſeiner ehemaligen Größe, die in das 10. und 11. Jahrhundert n. Chr. fällt. Damals war es durch ausgedehnten Handel und Schiffſahrt reich, macht auch ſogar auf die Erfindung des Compaſſes Anſpruch. Gegenwärtig fabricirt es Macaroni und geringe Papierſorten. Hier nun war es, wo mir ſchon der Sohn des Gaſtwirthes, ein 14jähriger Knabe, an Körper- geſtalt, Geſichts- und Schädelbildung als ein vollendeter Altgrieche auffiel. Mein Erſtaunen wuchs aber nicht wenig, als mir, indem ich eine ſchmale Bergſchlucht hinter dem Städtchen hinauf wandernd einer Zahl von zehn bis zwölf Knaben und junger Mädchen begeg- nete, die aus den oberhalb gelegenen Papiermühlen Ballen auf dem Kopfe nach den Magazinen der Stadt trugen. Die durch dieſe Be- ſchäftigung nöthig werdende aufrechte Haltung begünſtigte meine aufmerkſame Beobachtung. Ihre Mehrzahl trug dieſelben körperlichen Merkmale an ſich, welche ich vorher an dem Gaſtwirthsſohne be- wundert hatte. Namentlich erreichte der Geſichtswinkel das möglichſt vortheilhafte Maaß von 85–90°; die Schädelform erſchien als ein tadelloſes Ovoid gewölbt; die gerade griechiſche Naſe ließ an ihrer Wurzel kaum eine ſchwache Einbiegung bemerken; die Augen ſchienen weniger voluminös, als die vieler Neapolitaner, aber die Augenlidſpalten waren weit geſchlitzt, und aus ihnen blickte ein glän- zendes dunkelbranues Auge intelligent und in einer Weiſe anziehend hervor, die ſich beſſer empfinden, als in Worten ausdrücken läßt. Man rechne noch ſchön geſchwungene Augenbrauen und ein voll- ſtändiges Ebenmaaß der Glieder hinzu, und man wird dann das Staunen des Beobachters gerechtfertigt finden, welches auch durch deſſen Freund und Begleiter, Hrn. Geh. Rath Krüger (der jetzt zu Liegnitz in Schleſien lebt), getheilt wurde. Dieſe Perſonen gehörten den niederen Ständen an, die ſich dort vielleicht um ſo – 327 – unvermiſchter erhalten haben, als das Städtchen von den großen Straßen fern liegt und ſelbſt von Touriſten nicht häufig berührt wird; ebenſo läßt der jetzt verſandete Hafen auch keinen Seehandel mehr zu, der den Namen verdiente. – Der zweite Ort, der Aehn- liches, jedoch in viel geringerer Zahl, darbietet, iſt Syrakus. Aber hier darf man die klaſſiſchen Formen, welche an den griechi- ſchen Urſprung von Syrakus erinnern, nicht mehr bei dem gemeinen Volke, nicht bei den Weibern ſuchen, die heute im blanduſiſchen Quell ihre Wäſche ſäubern, indem ſie dem hinabſchauenden Fremden widerwärtige Rufe zuſenden. Jedoch in der höheren Geſellſchaft bin ich einzelnen Frauengeſtalten begegnet, welche dem Profil und der Körpergeſtalt nach, mich unwillkürlich an die unter dem Namen einer Venus im Muſeum zu Neapel vorhandene Statue erinnerten, die eine Jungfrau darſtellen ſoll, welche ihren Rücken im glänzenden Meere bei Syrakus abſpiegelt. Nach dem dort Beobachteten muß ich mich mit Blumenbach*) einverſtanden erklären, welcher behanptet, daß die Geſichts- und Schä- delbildung altgriechiſcher Statuen nicht, wie Viele gemeint haben, von den Künſtlern blos idealiſirt, ſondern den täglich ihnen vorſchwebenden Modellen wirklich nachgebildet ſind, wenngleich die geziemende Rückſicht darauf, ſtets nur die ſchöneren Formen zur Geltung zu bringen, nir- gends zu verkennen iſt. Blumenbach**) ſtützt ſeine Anſicht auf den von ihm abgebildeten altgriechiſchen Schädel, dem leider der Unterkiefer fehlt. Mir ſcheinen die erwähnten lebenden Köpfe nicht blos treffendere, ſondern auch anziehendere Beweiſe für Blumen- bach's Behauptung zu liefern. Hr. Pritchard*) bildet übrigens einen altgriechiſchen Schädel ab, der hinſichtlich des Geſichtswinkels den Blumenbach'ſchen noch etwas übertrifft. Leider findet ſich die Abſtam- mung des Schädels nicht angegeben; iſt er vielleicht ideal? – Es galt, den Meiſterwerken des Phidias und Praxiteles ihre Geltung als gelun- genſte Nachbildungen wirklich vorhanden geweſener ausgezeichneter Körperformen zu ſichern, auch bildende Künſtler auf die ſich ihnen vielleicht in Amalfi darbietende Fundgrube aufmerkſam zu machen, weshalb die ausgedehntere Behandlung des intereſſanten Gegenſtan- des entſchuldigt werden mag. *) Decas sexta collectionis craniorum. Gottingae, 1820. pag. 7. *) Eod. 1. Tab. LI. ***) The Natural History of Man. III. Edit. London, 1848. pag. 199. – 328 – Indem ich mich nun zur Schilderung der geiſtigen Seite der osmaniſchen Griechen wende, empfinde ich das Widerſtreben, welches dem Bewußtſein folgt, wenn man eine Arbeit unternimmt, die wenig Dank, bei dem Geſchilderten vielmehr das Gegentheil, erndten wird. Aber der Plan der Schrift fordert dieſe Arbeit, bei der ich übrigens nur einen breit getretenen Weg beſchreiten kann. – v. Hammer*) fand in den Griechen ein Gemiſch von glänzenden Eigenſchaften und dunkeln Schwächen, – von Geſchmack und Fein- heit mit Hinterliſt und Schlauheit. – So iſt es noch heute. Aber die Griechen beſitzen eine Art des Stolzes, die kaum bei einer andern Nation, in ſolchem Grade ſelbſt bei den Römern nicht, zu finden iſt, nämlich den Stolz auf den Ruhm der Voreltern aus einer längſt untergegangenen, frühen Zeit. Es finden ſich wenige Griechen, die nicht der Meinung wären, daß ſie dieſe große Vorzeit mit mäßiger Anſtrengung wieder heraufbeſchwören würden, ſofern die maaßgebenden europäiſchen Regierungen ſie nur frei handeln laſſen möchten. Freilich gibt es auch außerhalb Griechenland Regionen, in denen ein ſolches eigenthümlich hoffärtiges Weſen verwandtſchaftlichen An- klang und Nachſicht finden mag; aber wo es auf einer ſo gebrech- lichen Grundlage ruht, als bei der unermeßlichen Mehrzahl der Grie- chen, da ſtreift es gar hart an das Lächerliche. Außerdem zeigen ſich die mit Macht bekleideten Griechen ſtets befehlshaberiſch und hochfahrend. Sie übertreffen hierin faſt ihre Herren, die Türken, um ihre Mitbürger die erlangte hohe Stellung empfinden zu laſſen. Was das Keimen der edlen Saat betrifft, die nach Hrn. v. Grimm *) „nur der freien Luft und des warmen Sonnen- ſcheins bedürfen würde,“ um fröhlich zu gedeihen, ſo ſcheint der Grund und Boden ſtark überſchätzt worden zu ſein, in welchem verſchloſſen jene Keime jetzt ruhen. Jener „warme Sonnenſchein“ würde, nach der gegenwärtigen Lage der Dinge, doch wohl nur aus Norden, über ruſſiſches Eis her, zu den Griechen gelangen können, und dieſe ſcheinen dergleichen in der That zu erwarten, auch ſogar zu wünſchen. Hierin ſpiegelt ſich indeſſen eben die mächtige Kluft ab, welche die klaſſiſche Zeit von der Gegenwart weit gähnend trennt. Die alten Griechen entwickelten ihre bis zur höchſten Stufe der da- mals möglichen Civiliſation hinaufreichende Macht aus der ihnen *) Conſtantinopel und der Bosporus. II. S. 392. **) A. a. O. Th. 3. S. 111. – 329 – innewohnenden ſchöpferiſchen Kraft; mit friſchem Jugendfeuer wuß- ten ſie die ihnen von den Egyptern und Indern zugekommenen Schätze der Kunſt und Wiſſenſchaft aus ſich ſelbſt zu veredeln und in ihr Eigenthum zu verwandeln. Fremde Geſetze wieſen ſie ſelbſt dann tapfer zurück, wenn ſie ihnen mit Hülfe unzählbarer Heeres- ſäulen aufgedrungen werden ſollten. Jene ſchöpferiſche, göttliche Kraft iſt altersſchwach dahingeſunken. Die heutigen Griechen wan- deln auf den Pfaden der letzten oſtrömiſchen Kaiſer fort. Sie klammern ſich an fremde Hülfe an, obgleich ihre eigene Geſchichte ſie auf jedem Blatte belehrt, daß die wahre Hülfe nur von innen heraus beſchafft werden kann. Die meiſten osmaniſchen Griechen widmen ſich gegenwärtig dem Erwerbe durch den Handel. Dennoch ſtehen ſie in dergleichen Geſchäften den ruhig berechnenden Armeniern ſo weit nach, daß die Suprematie der letzteren hierin im Oriente ziemlich allgemein anerkannt iſt. Der unbeſtritten mit dem durchdringendſten Geiſte ausgeſtattete Miniſter v. Stein *) nannte in ſeiner derben Ausdrucksweiſe die Griechen „ein in allen Künſten der Hinterliſt und Ränke- ſucht zur Meiſterſchaft gelangtes Volk.“ Hr. v. Reden **) zieht aus ſeinen Völker-Vergleichungen den Schluß, daß „kein Volk ſo geſchickt zur Intrigue und zum Verrath iſt, als die griechiſche Bevölkerung der Türkei“. Aehnlichen Urtheilen begegnet man im Oriente allenthalben; dadurch muß mit dem Schuldigen auch der Unſchuldige leiden, und ſo kann es nicht aus- bleiben, daß für ſie im Handel und Wandel Nachtheile hieraus hervorgehen. In erhöhter Potenz huldigen dem Geiſte der Intrigue die wohlhabenden Fanarioten, die den Handel in das Reich der Politik einzuführen gewußt haben. Zu den glänzenden Eigenſchaften der Griechen darf man die große Leichtigkeit zählen, mit der ſie ſich fremde Sprach-Idiome an- eignen. Viele von ihnen ſprechen, außer der unvermeidlichen türki- ſchen, auch die italieniſche und franzöſiſche Sprache geläufig. In dem Buchladen des Hrn. Köhler zu Pera traf ich mit zwei jungen griechiſchen Damen zuſammen, die ſich im geläufigſten Franzöſiſch *) S. Pertz, das Leben des Miniſters v. Stein. VI. Berlin, 1855. S. 860. **) A. a. O. S. 87. – 330 – nach den Producten der neueſten franzöſiſchen Romanen-Literatur erkundigten und hierbei eine nicht geringe Kenntniß derſelben verriethen. Meine Aufmerkſamkeit nahmen freilich in höherem Grade die leb- hafte Ausdrucksweiſe, das ſprechende Auge mit ſeinem intelligenten Blicke, die graziöſe Haltung in Gang und Geberde, in Anſpruch, – Eigenſchaften, die den Griechinnen ſelten fehlen. Man muß ihnen lie- benswürdiges, anziehendes Benehmen zuerkennen, ſelbſt wenn man die antike Schönheit bei ihnen vergebens ſucht, die den helleniſchen Frauen ungeſucht eine ſo unbeſtrittene Macht im bürgerlichen Leben verlieh. Gewöhnlich ſind jetzt die griechiſchen Frauen mehr unter- ſetzten, als ſchlanken Körperbaues, erlangen früh eine Fülle der äußeren Formen, die nur durch die graziöſen Bewegungen anziehend bleiben können. Die Toilettenkünſte ihrer Vorfahren haben ſie bis heute treu bewahrt; Schminken der Wangen, Augenbrauen und Wimpern, der Lippen ſind an der Tagesordnung. Die an der Oberlippe und dem Kinn bei ihnen mitunter ſchon früh hervor- tretenden feinen Haare wiſſen ſie durch die Wirkung eines zwiſchen den Fingern gerollten Fadens geſchickt auszureißen. Hr. Brayer*) beſchreibt dieſe Künſte näher. Fanatismus und Unduldſamkeit gegen abweichende religiöſe Anſichten kleben der großen Maſſe der Griechen eben ſo heute noch an, als vor dem Falle des oſtrömiſchen Reiches. Bei ihnen heißen nur die Verehrer des griechiſchen Cultus Chriſten; daher nennen ſich auch die unirten Griechen, ebenſo wie die unirten Armenier, Katholiken. Die Katholiken nehmen ihrerſeits wiederum keinen An- ſtand, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die Zahl der unirten Griechen berechnet Hr. v. Reden*) auf 25,000; ihr Patriarch reſidirt zu Damas. Die katholiſchen Geiſtlichen ſtehen aber in der Levante durchſchnittlich auf einer höheren Culturſtufe, als die griechiſchen, weil ſie in ſteter Verbindung mit Rom bleiben. Hr. Sandreczki fand in Aſien eine griechiſche Gemeinde, welche ihren Gottesdienſt in türkiſcher Sprache verrichtete, weil ſie der griechiſchen nicht mehr mächtig war. – Weſteuropäiſche Beſucher griechiſcher Kirchen wer- den in der Regel unangenehm berührt durch die unäſthetiſchen Zerr- bilder des Angeſichtes des Erlöſers. Man wähne indeſſen nicht, *) A. a. O. I. pag. 390 n. f. *) A. a. O. S. 81. – 331 – daß dieſe ausgeſucht häßlichen Formen den Künſtlern allein zur Laſt zu legen ſeien. Auch in ihnen ſpiegelt ſich der Geiſt der Spitz- findigkeiten wieder, welcher die meiſten orientaliſchen Concilien belebte. Es war der hl. Baſilius, welcher auf einem der- ſelben den Satz zur Geltung brachte, daß das Angeſicht des Erlöſers den Glärbigen in keiner ſolchen Form zur Anſchauung gebracht werden dürfe, durch die ſie zu ſinnlichen Betrachtungen angeregt, oder gar von der Innigkeit des Gebetes abgezogen werden könnten. Seitdem fordert der griechiſche Kirchenſtyl, daß das Haupt voll Blut und Wunden mit ſtruppigen Haaren und abgemagerten Geſichtszügen zum wahren Schreckensbilde umgewan- delt werde. So findet es ſich denn heute in allen griechiſchen Kir- chen und auch die leiſeſte Annäherung des Gedankens an ein gött- liches Ideal in menſchlicher Form wird hier auf den erſten Blick vernichtet. Es kann hier nur kurz berührt werden, daß Baſilius d. Gr. in jener Anſicht unterſtützt wurde durch die Kirchenväter Cyrillus, Origenes, Tertullian und Mehrere, welche ſich ihrerſeits die Beſchreibung des Heilandes zum Muſter nahmen, die Jeſaias, Cap. 53, v. 2 gibt. Ihre Gegner, an deren Spitze die Kirchenväter Gregor von Niſſa, Hieronymus, Ambroſius und Auguſtinus ſtanden, zogen mit Recht die Verſionen des Pſal- miſten, v. 2 und 3 vor, welcher dem Gottesſohn auch eine gottähn- liche Form verleiht. Glücklich genug hat der Ausſpruch dieſer letz- teren die Anerkennung der römiſch-katholiſchen Kirche erhalten; dieſem Umſtande verdanken wir die mit Begeiſterung gedachten und ausge- führten Bilder der Schulen von Rom und Florenz, deren Anſchauung gläubige Seelen zur Andacht entflammen kann, dagegen die Chri- ſtusköpfe der griechiſchen Kirche Widerwillen und Abſcheu erregen. – Pouqueville *) fand, daß die chriſtlichen Heiligen ganz in derſelben Weiſe angerufen werden, wie ehedem die Götter des Olymp's. Daſſelbe fand ich bei den osmaniſchen Griechen. Freilich muß man geſtehen, daß es nicht nöthig ſein würde, nach Conſtantinopel zu wandern, um Zeuge von übelverſtandener Heiligen-Verehrung zn ſein. Die Anerkennung kann man den heutigen Griechen nicht ver- ſagen, daß ſie ſich unter unſäglichen Bedrückungen und Herabwür- digungen immer noch auf einer humanen Stufe erhalten haben, *) A. a. O. T. IV. pag. 406. – 332 – unter welche viele, weniger elaſtiſche Volksſtämme, bei ähnlichen Verhältniſſen, tiefer hinab geſunken ſein würden. An Nachweiſungen despotiſcher Gräuel ſind die meiſten Reiſe-Erzählungen aus den letzten Jahrhunderten reich. Beſonders eindringlich hat die von den Türken gegen ſein Volk verübten Bedrückungen Gregor Paläo- logus *) dargeſtellt. Der in Conſtantinopel geborene und erzogene fürſtliche Abkömmling hat ſeine Feder freilich nicht ſelten in die Galle gerechter Entrüſtung getaucht. Indeſſen muß man dieſe als eine wohlbegründete anſehen und ſich für jetzt mit der Wahrnehmung tröſten, daß die dort geſchilderten Scenen gegenwärtig entweder gar nicht mehr, oder doch nur in ſelteneren Ausnahmen vorkommen können. Der Mord eines geraubten griechiſchen Mädchens, auf Veranlaſſung des Paſcha's von Varna verübt, hat vor Kurzem den Ruf der Entrüſtung durch ganz Europa rege gemacht. Daſſelbe iſt der Fall hinſichtlich der am 21. März 1857 ſtattgehabten Ermordung des würtembergiſchen Meierei-Pächters Rieber aus Ebingen und ſeines Weibes. Dieſe Gräuelthat war wahrſcheinlich von türkiſchen Sol- daten ausgeübt worden, die an demſelben Tage aus Bukareſcht ausgerückt waren. Der preußiſche General-Conſul, Hr. v. Meuſe- bach, forderte ſogleich die ſtrenge polizeiliche Unterſuchung. Schon dieſe Umſtände beweiſen, daß ſolche Miſſethaten jetzt nicht mehr, wie ſonſt, ohne Rüge verübt werden können; aber es iſt genug, daß ſie ſich immer noch wiederholen. *) Esquisses des moeurs Turques au XIX. siècle. Paris, 1827. YWIII. Bur Geſchichte und Charakteriſtik der Armenier. – Blick auf die früheſte Geſchichte. – Bagharſchabad. – Edſchmiadzin. – König Tiridates. – Sein Klebergang zum Chriſtenthume während der Ver- folgung dieſes unter Biocletian. – Ruinen von Ani. – Knterjochung durch Perſer, Römer, Türken und Ruſſen. – Arianiſcher Religions- Cultus. – Intellectuelle Erhebung des Volkes. – Mechithariſten. – Buchdruckereien. – Kleberwiegender Handelsgeiſt. – Reichthümer. – Dichtkunſt und Muſik. – Talent für Baukunſt. – Gaſtmähler. – Bolksmedicin. – Bäder. – Armeniſche Iprache. – Phyſiſche Eigen- ſchaften. – Kleidung. – Frauen. – Patriarchaliſche Buſtände der Landleute. – Bolkszahl. – Artheil über die politiſche Befähigung der Armenier. Üohin der den Oſten Europa's, der den Weſten Aſien's Durchwandernde auch den Fuß ſetzen mag, – ſicher trifft er mit Armeniern zuſammen; was aber noch mehr iſt, dieſe Armenier wiſſen ihm in vielfacher Hinſicht Achtung abzugewinnen und der uahe liegende Vergleich mit den Nachbarvölkern fällt in der Regel zu ihrem überwiegenden Bortheile aus. Jedenfalls verdienen ſie die Aufmerkſamkeit des Beobachters ſtets in hohem Grade. Wenige Völker, welche eine Geſchichte beſitzen, können ſich gleich den Armeniern rühmen, allen nationalen Unglücksfällen zum Trotze den urſprünglichen Boden ihrer Anſiedelungen, von der früheſten Zeit her bis auf den heutigen Tag feſtgehalten zu haben. Sie ſelbſt halten ſich für directe Nachkommen Noah's, der am Fuße des Ararat zu Erivan (Eravan) zuerſt wieder trockenes Land erblickt und dort dem Herrn einen Altar errichtet haben ſoll. Auffallend erſcheint es immerhin, daß dort an vielen Punkten ſich im Munde des Volkes Sagen erhalten, die auf die Geſchichte Noah's hindeuten. Man zeigt z. B. das Grab des Weibes von Noah. Ihr König Haigh ſoll, der Volksſage nach, ein Urenkel Japhet's geweſen ſein. Er ſchlug und tödtete den ihn verfolgenden Nimrod am Salzſee – 334 – nnd begründete hierauf das Königreich Hajaſtan. Der ſechste König oder Patriarch ſoll Arai oder Aram geweſen ſein, nach welchem das Land fortan Aramenien, Armenien genannt wurde. So lautet die Verſion der Armenier ſelbſt; die Griechen haben eine andere. Während des Ueberganges der Armenier zum Chriſtenthume, der, merkwürdig genug unter den Gräueln der durch Diocletian eingeleiteten großen Chriſtenverfolgung ſtattfand, war die Hauptſtadt Armeniens und die Reſidenz des Königs Tiridates: Vagharſchabad, früher Ardimet, Khaghakh auch Norkhakh genannt. Der Byzantiner Fau- ſtus verſichert, daß, als 354 n. Chr. der Perſerkönig Sapor II. ſie zer- ſtörte, 19,000 Häuſer vorhanden geweſen ſeien. Das durch den Apoſtel der Armenier, Gregor den Erleuchteten, geſtiftete Kloſter Edſchmiadzin liegt auf dem Boden derſelben und ein Theil der dieſem Patriarchen- Sitze gezollten großen Verehrung mag auf jenem Grunde beruhen. Ge- genwärtig liegen 360Höfe um das Kloſter herum. Ker Porter*) fand an dieſem von den Armeniern als Vereinigungspunkt betrachteten Orte Ende Novembers die Luft noch milde, aber im Januar kann das Thermo- meter bis auf – 18° R. ſinken. Im Sommer wird dagegen die Hitze und Trockenheit der Atmoſphäre in hohem Grade drückend. Schon dieſe wenigen Thatſachen halten den Gedanken ſehr fern, daß dort, am Fuße des Ararat, noch heutigen Tages ein irdiſches „Paradies“ gegründet werden könnte, obgleich Tourne fort **) durch den rei- chen Blumenflor, welchen er daſelbſt vorfand, ſich zu einer ſolchen Annahme bewegen ließ. Auch erklärt ſich jener unangenehme Wechſel der Temperatur, wenn man erwägt, daß Tiflis am Kur in einer Ebene liegt, welche ſich ſchon 1100 über das Meer erhebt. In- dem man von dort aus gegen das im Süden aufſteigende Ararat- Gebirge hin wandert, ſo muß man drei niedrige Bergzüge über- ſteigen, um die armeniſche Hochebene zu erreichen, welche Erivan mit dem nahen Edſchmiadzin trägt. Nach der erwähnten Kataſtrophe der Stadt des Tiridates erhob ſich allmählig Ani zur Hauptſtadt Armeniens. Sie läßt noch heute durch gut erhaltene Reſte gewaltiger Gebäude, Thürme und Mauern auf große Macht und Kunſtliebe der einſt hier herr- ſchenden Familie der Bagratiden (Bagration) ſchließen. Dieſe Ba- *) Travels. I. pag. 186. *) Relation L. C. II. pag. 139. 151. – 335 – gratiden regierten ſeit Achod 748 n. Chr. bis auf Kakig II. 1079. Ker Porter *) und W. Hamilton *) beſchrieben jene Baureſte genauer und letzterer betrachtete ſie ſogar als den früheſten Typus mauriſcher und gothiſcher Bauart. Ani liegt 24 engl. Meilen oſtwärts von Kars, am rechten Ufer des Arpatſchai, im heutigen Schiraghel. Nachdem es 1064 n. Chr. durch den Seldſchuken Alp-Arslan zerſtört worden war, unterlag es noch mehreren anderen Eroberun- gen, bis endlich 1319 ein übermächtiges Erdbeben die Reſte der Einwohner zum Fliehen nöthigte. An den Mauern der gut erhal- tenen Ruinen bekunden zahlreiche armeniſche Inſchriften die ehema- lige Größe und Pracht der Stadt. Der armeniſche Geſchichtſchreiber Moſes von Khorene nennt nun den Ararat den Mittelpunkt Armeniens, zugleich aber auch der Welt ſelbſt. Dieſe Anſicht gewinnt dadurch ungemein, daß ihr C. Ritter *) in gewiſſer Hinſicht beiſtimmte, indem er, nach dem Vorgange von Hrn. K. v. Raumer †), dem Ararat wirklich eine centrale Geltung in der alten Welt zuweiſt, wofür ſeine geogra- phiſche Stellung auch allerdings ſpricht. Bei den Armeniern heißt der Ararat: „Agherhdagh, Dagherdagh, Aghridagh“. Die Perſer und Meder betrachten in ihren Sagen den Ararat gleichfalls als ihre Stammburg. Auf vollkommen unzweifelhafter hiſtoriſcher Baſis ruht indeſſen der armeniſche König Tigranes, der Schwiegerſohn des Mithri- dates, mit dem zugleich er im letzten Jahrhundert v. Chr. die Römer bekämpfte, auch ſeine Herrſchaft bis nach Syrien hin aus- dehnte, ſpäter aber, nach dem Falle des Mithridates als Bundes- genoſſe und Freund der Römer hochbejahrt ſtarb. In der Folge kämpften Parther und Römer um Armenien, bis es endlich unter Trajan zur römiſchen Provinz wurde. Bei dem Sinken der Römerherrſchaft traten jedoch noch einmal ſelbſtſtändige Könige bis 650 n. Chr. auf. Von dort ab wurden die Armenier wechſelnd die Beute der Tartaren, Mongolen, Perſer und Türken, zu denen endlich Rußland kam, welches 1827 den Perſern mit Erivan zu- gleich den Sitz des armeniſchen Patriarchen zu Edſchmiadzin ab- *) A. a. O. I. pag. 173. *) Asia minor. I. pag. 196. ***) Erdkunde. X. S. 364 u. f. †) Der Ararat. S. Hertha. Bd. XIII. 1829. S. 333–340. – 336 – nahm. Mit letztern gelangte Rußland in den Beſitz des Mittel- punktes armeniſchen Lebens, zu welchem hin die dem Volke innewohnende religiöſe Begeiſterung Alle gleichmäßig anzieht. Eine Wallfahrt nach Edſchmiadzin, der Wunſch, in der dortigen Me- tropolitankirche den Segen des Patriarchen ſelbſt empfangen zu haben, liegt dem Armenier ebenſo nahe, als dem Muſelmanne die Pilgerfahrt zu dem Grabe des Propheten. Dem Patriarchen fließen reiche Geſchenke zur Inſtandhaltung des Cultus und zur Förderung armeniſcher Schulen, ſowie nationaler Zwecke überhaupt, zu. Die über die Erdoberfläche weithin verbreiteten, durchſchnitt- lich wohlhabenden Armenier ſenden dorthin Spenden aus Calcutta, Bombay, London, Moskau, Wien, Venedig, Alexandrien, Smyrna, Conſtantinopel u. ſ. w. Ein nicht unbeträchtlicher Theil des Erd- kreiſes wird in ſolchem Sinne tributär. Die Armenier wendeten ſich ſchon im Jahre 303 n. Chr. unter ihrem Könige Tiridates d. Gr., der durch den hl. Gregor im Euphrat getauft wurde, dem chriſtlichen Cultus zu. Die Nation folgte ihm in Maſſe und Gregor ſoll auf einmal 400 Biſchöfe geweihet haben. Nach dem Concilium zu Chalcedon, um 536, blieben ſie der Lehre des Arius treu, d. h. ſie ſind Monophiſiten, die nur einerlei Natur in der Perſon Chriſti erkennen. Bekanntlich hing ſelbſt Conſtantin I. in ſeinen letzten Lebensjahren dieſer Lehre an; kurz vor dem Tode ließ er ſich zu Nicomedien von einem arianiſchen Biſchofe taufen. Die große Feſtigkeit und Ruhe, welche in dem Charakter der Armenier vorwalten, haben ſie vor religiöſen Schwankungen bewahrt. Verhältnißmäßig wenige haben ſich durch den Drang der Umſtände bewegen laſſen, Muſelmänner zu werden. Auch iſt der Theil der Armenier, der ſich mit den Katholiken uuirt hat, der an Zahl geringere; die Kopfzahl dieſer unirten beträgt nach Hrn. v. Reden 75,000 mit einem Patriarcheu in Bezummar im Libanongebirge. Um ſo auffallender erſcheint es, daß es, wie oben (S. 74) ſchon bemerkt, in den letzten beiden Degennien amerikaniſchen Miſſionaren gelungen iſt, proteſtantiſche Gemeinden unter den Armeniern Kleinaſiens zu bilden, namentlich zu Bruſſa, Nicomedien, Ader-Bazar, Trapezunt, Erzerum, Smyrna, Diarbekr, Tokat, Siwas. Ihre überwiegende Hinneigung zu tieferem, ſelbſtſtändigen Nachdenken iſt hierbei offenbar wirkſam geweſen. Daß hiergegen eine Reaction von Seiten der armeniſchen – 337 – Geiſtlichen eintreten werde, die ſich der großen Mehrzahl nach auf einer bedauernswerth niedrigen Stufe der Cultur befinden, ließ ſich nicht anders erwarten. Der armeniſche Biſchof von Bruſſa ging ſchon 1839 ſo weit, daß er es für unerlaubt erklärte, einen Katho- liken oder Proteſtanten in der Nähe einer armeniſchen Kirche wohnen zu laſſen oder gar in eine armeniſche Wohnung aufzunehmen*). Die Geiſtlichen der unirten Armenier zeichnen ſich durch gediegenere wiſſen- ſchaftliche Bildung und durch Gewandtheit vor den nichtunirten aus, weil ſie ihren Unterricht großentheils im Auslande empfingen. Um die Geſchichte des gegenwärtigen Patriarchen von Edſch- miadzin, Narſes, hat ſich Hr. v. Haxthauſen **) durch beleh- rende Mittheilungen verdient gemacht. Jener würdige Geiſtliche hatte ſchon, als er noch Vicar des vorigen Patriarchen Ephrem war, den Plan zu einer Schule für junge Armenier in Tiflis zur Aus- führung gebracht, welche bereits 400 Schüler zählte; ihr ſollte eine hohe Schule am Sitze des Patriarchen ſelbſt folgen. Aber Narſes wurde bei der ruſſiſchen Regierung verdächtigt und nach Kiſ cheneff in Beſſarabien exilirt. Die ruſſiſche Regierung ſcheint eine Ahnung von der dereinſt zu erwartenden nationalen Stellung der Armenier gehabt zu haben, welche möglicherweiſe unbequem werden könnte. Fünfzehn Jahre ſpäter, als er zum Patriarchen gewählt worden war, beſtätigte man ihn indeſſen in dieſer hohen Würde. Der feurige Muth, mit welchem er früher die intellectuelle Erhebung ſeines Volkes betrieben hatte, ſcheint durch jene traurigen Lebenserfahrungen zumöglichſter Vorſicht herabgeſtimmt worden zu ſein. Die Armenier werden vorläufig ihre höhere, wiſſenſchaftliche Ausbildung noch im Auslande ſuchen müſſen. Und doch verdienen ſie vollkommen, daß man ihnen dieſe auf alle Weiſe zugänglich mache. Als ſpecifiſch armeniſche hohe Schule beſtehen die Klöſter der Mechithariſten zu Venedig und Wien, die von vielen jungen Arme- niern wohlhabender Familien beſucht werden. Ihr Stifter hieß Mechithar. Die Jeſuiten hatten nämlich im Anfange des 18. Jahr- hunderts ihre eifrigen Bemühungen dahin gewendet, die Armenier zum katholiſchen Cultus überzuführen, indem ſie den der Armenier für einen heidniſchen erklärten. Dies gelang ihnen damals mit einer *) Vergl. Griſebach a. a. O. I. S. 74. *) Transkaukaſia. Bd. 1. Leipzig, 1856. S. 261 u. f. 15 – 338 – nicht geringen Auzahl derſelben, unter denen ſich auch wohlhabende be- fanden. Bald jedoch erließ die mißtrauiſche türkiſche Regierung ſtrenge Verbote gegen dieſe Converſionen; es folgten ſogar einige Hin- richtungen übergegangener Armenier. Einer dieſer Bekehrten, Me- chithar, erſtrebte in der That eine höhere nationale Erhebung der Armenier. Dadurch wurde ſeine Stellung bald eine für ihn ge- fährliche und er ſah ſich genöthigt, ſeinen Wohnort Aleppo zu fliehen. In Venedig nahm man ihn freundlich auf und räumte ihm in den Lagunen eine kleine Inſel zur Erbauung eines Kloſters ein, welches er nach den Regeln des hl. Benedict hier einrichtete. Letz- teres hat bis zum gegenwärtigen Augenblicke auf die Cultur und Literatur der Armenier höchſt wohlthätig eingewirkt. – Aber ſchon früh hatte ſich das Anſtreben der Armenier zu geiſtiger Erhebung durch Anlegung von Buchdruckereien kund gegeben, z. B. zu Lem- berg, dann in Mailand, Paris, Amſterdam, Leipzig, Padua, bis Conſtantinopel 1777. In Edſchmiadzin ſollen gegenwärtig nur armeniſche Kalender und Gebetbücher gedruckt werden. – Auch ſieht man in den weſtlichen Hauptſtädten Armenier nicht ſelten ihre wiſſenſchaftliche Bildung vervollkommnen. Eine von dem ruſſiſchen Oberſten Lazareff zu Moskau eingerichtete armeniſche Bildungs- anſtalt erzieht junge Armenier zu Dollmetſchern oder bereitet ſie zu Univerſitätsſtudien vor. – Auch zu Culcutta befindet ſich ein arme- niſches Collegium mit einer Buchdruckerei. Und wir erfahren aus der Reiſe des Prinzen Waldemar *) von Preußen nach Indien, daß ſich im Jahre 1832 zu Calcutta 636 Armenier befanden, gegenüber 509 Mongolen, 203 Juden, 40 Perſer und 35 Araber. Unter den Künſten, welchen ſich die heutigen Armenier hingeben, ſteht die Baukunſt oben an. Es gibt zur Zeit nicht wenige Architekten, die von den Türken beſonders hoch geachtet werden. Dieſen wohlunterrichteten Männern ſollten die Regierungen die Mittel verſchaffen, die Ruinen der wichtigen altarmeniſchen Denkmäler an Ort und Stelle zu unterſuchen; leider iſt hierzu wenig Ausſicht vorhanden. Hr. Bodenſtedt*) fand in den Ruinen des alten Manglis in Georgien eine wohlerhaltene Kirche aus dem 4. Jahrhundert n. Chr, welche die Ruſſen in einen Kuhſtall umgewandelt hatten. Die gehörnten Vierfüßler hatten die *) Im Auszuge von Kützner. Berlin, 1857, S. 134. Anmerk. **) Tauſend und ein Tag im Orient. Bd. 2. S. 23. – 339 – Inſchriften und Heiligenbilder rings herum abgerieben. Solche Vorkommniſſe ſind unter der ruſſiſchen Herrſchaft nach Hrn. Boden- ſtedt nicht Ausnahmen, ſondern Regel. Die in den Städten leben- den Armenier widmen ſich jedoch großentheils dem Handel. Man hat ſie deßhalb die Juden der Türkei genannt. Daß die letzteren ſich ihnen nicht haben gleichſtellen können, beweiſt der tief geſunkene Zuſtand, in welchem man die meiſten Juden der Türkei vorfindet. Die armeniſchen Handelsleute treten dagegen durchſchnittlich mit Würde, Ruhe und Anſtand auf. Ihre Banquiers haben denn auch da- durch in Conſtantinopel eine ungemein einflußreiche Stellung gewonnen; bei ihren häufigen Geldverlegenheiten pflegt die türkiſche Regierung ſich faſt nur an ſie zu wenden. Ihr Rechnungstalent iſt ein allgemein anerkannt überwiegendes. – Wenn die Juden ſich dort mit kleineren Wechſelgeſchäften begnügen, ſo haben die Armenier großentheils den Karavanen-Handel in der Hand. Mitglieder ar- meniſcher Handlungshäuſer durchſtreifen nicht ſelten den ganzen Orient bis nach Bombay und Calcutta; in den Hauptſtädten Weſt - Europa's ſieht man ſie häufig. Man hat ſie eigennützig und geizig geſcholten. Aber in der Türkei hatten ſie von jeher die gewichtigſten Urſachen, ihre Reichthümer zu verbergen. Unterneh- mungen zur Förderung des Wohles ihres Volkes unterſtützen ſie dagegen gern in liberaler, großartiger Weiſe, wo dies, ohne Auf- ſehen und Mißtrauen zu erregen, geſchehen kann. – Hr. v. Hammer“) rühmt von den Armeniern zwar Fleiß, Ausdauer, Erwerbſam- keit und Mäßigkeit; aber er rügt an ihnen zugleich Geſchmacks- Barbarei, Unverſchämtheit und göttliche Grobheit. Höchſt wahr- ſcheinlich ſpricht Hr. v. Hammer nur von den Kaufleuten in Con- ſtantinopel, die ſich im täglichen Umgange mit dem aus allen Nationen zuſammengewürfelten Geſindel von Galata und Pera einige Grobheiten wohl nicht ohne guten Grund angewöhnt haben mögen. Die Muſen und die Grazien gedeihen aber nirgends unter der Herrſchaft der Despotie. Dichtkunſt, Malerei, Bildhauerei und Muſik ſcheinen den gegenwärtigen Armeniern im Ganzen freilich fern zu liegen. Hr. Rigler*) gibt indeſſen den Armeniern das Zeugniß, daß ſie das gebildetſte Volk im Orient ſind, mit welchem die dort gebornen Franken “) Conſtantinopel und der Bosporus. Bd. 2, S. 391. - *) A. a. O. I. S. 169. - - - - 15* – 340 – ſich in der Regel nicht meſſen können. Es dürfte hier freilich über- wiegend auf die Einwohner von Conſtantinopel und Smyrna Rück- ſicht genommen worden ſein. – Ihre Geſänge ermangeln nach tür- kiſchem und perſiſchem Muſter der Melodie und der Harmonie zu- gleich. Und doch hörte Hr. v. Grimm *) in der armeniſchen Kirche zu Conſtantinopel einen durch Knaben gut ausgeführten vierſtimmigen Choral-Geſang, welcher ihm aus Amſterdam hierher gelangt zu ſein ſchien. In Hoch-Armenien ziehen blinde Sänger umher, die bei Volks- und Familienfeſten nicht füglich fehlen dürfen. Ihnen wird in den Häuſern ein erhabener Platz eingeräumt; auch bedient man ſie beſonders aufmerkſam. Zu ihren Geſängen benutzen ſie häu- fig die tartariſche Sprache; ſie begleiten ſie mit einem einfachen Saiten-Inſtrumente, der „Saß“, welches der ruſſiſchen Balaleika und dem ſlaviſchen Gurli ähnlich iſt. Hr. Dubois de Mont- peraux *) hatte die ſeltene Gelegenheit, verſchiedene orientaliſche Geſangsweiſen zu Kulpe in Armenien nach einander zu hören und ſie mit einander zu vergleichen. Er fand beſonders kurdiſche Lieder durch einen ernſthaft melancholiſchen Charakter ausgezeichnet, har- moniſch und rhytmiſch wohltönend; ihnen ähneln die kaukaſiſchen und lesghiſchen; die letzteren ſagten ihm durch Einfachheit und Harmonie beſonders zu. – Den Geſang halten indeſſen die gebildeten Orien- talen allgemein für unentbehrlich zur Erhebung der Dichtkunſt. Hr. Bodenſtedt *) läßt deshalb den Mirza-Juſſuf, der ſeine Studien des Arabiſchen in Bagdad gemacht hatte, den Mirza- Schaffy in Tiflis einen „Iſche kj“, einen Eſel unter den Trä- gern der „Wiſſenſchaft“ nennen, denn „ſingen kann er gar nicht! Nun frag' ich dich: Was iſt Wiſſen ohne Schrift? Was iſt Weisheit ohne Geſang?“ Wenn aber die Armenier des Kunſttalentes ſo ganz ermangelten, ſo würden ihre in der Baukunſt neuerdings erzielten Erfolge ſchwer erklärlich ſein; freilich muß hierbei erwogen werden, daß ſich auch bei den Griechen und Römern, zur Zeit des Verfalles der Künſte, die Architektur am längſten erhalten hat. – Von den Kaufleuten rühmt Hr. v. Haxthauſen +) übrigens noch ſpeciell, daß, ſobald ſie von dem *) A. a. O. Th. 3. S. 128 u. f. *) Kaukaſiſche Reiſe. Bd. 2. S. 141. *) A. a. O. Bd. 1 S. 94. †) A. a. O. Bd. 1. S. 492. – 341 – / Geſchäftsverkehr in die Familie zurückgekehrt ſind, ſie jederzeit in dieſer die urſprüngliche patriarchaliſche Liebenswürdigkeit ſtets von neuem entwickeln. Den Freuden der Tafel und des Wein's ſind die Armenier durchaus nicht abhold. Hr. Kolenati*) wurde zu einem arme- niſchen Gaſtmahle geladen, deſſen zahlreiche Gänge er gewiſſenhaft beſchreibt. Auffallend iſt es mir geweſen, daß ein Gericht aus Neſſeln den Schluß deſſelben bildete. Da ich nämlich eine Anzahl bei uns wildwachſender Kräuter, in der Form von Gemüſen, an mir ſelbſt verſucht habe, ſo muß ich bekennen, daß ich unter allen die Neſſel (Urtica dioica und urens) am wenigſten ſchmackhaft gefunden habe; ſie wurde indeſſen von den Alten als auflöſendes Mittel häufig genoſſen und iſt in dieſer Hinſicht nicht unwirkſam, wenn man ſie im Frühlinge friſch und Wochen lang in gehöriger Menge benutzt. Sollten die Armenier ein überreiches Mahl aus ſolcher mediziniſchen Rückſicht mit der Neſſel ſchließen? Der Maul- beer-Brantwein, Tuta, ſoll den Armeniern gefährlich ſein, wo ſie keinen Wein haben. Ueber armeniſche Aerzte, Chirurgen und Barbiere hatte Hr. Kolenati gleichfalls Gelegenheit, ſich zu unterrichten. Mittheilungs- werth erſcheint mir, was er von armeniſchen und tartariſchen Bä- dern ſagt. Sie ſind zum Schwitzen und Champoigniren eingerichtet. Der Badende legt ſich auf den Bauch und der Wärter tritt auf ſeinen Rücken, indem er, ſich mit den Händen ſtützend, ſein Ge- wicht vermindert. Er beugt ſich zu den Schultern hinab, welche er mit den Händen faßt und rutſcht dann mit ſeinen Zehen zu beiden Seiten nach abwärts, kehrt ſich hernach um und rutſcht wieder auf- wärts, die Muskeln knetend. Ihre Sprache war in vergangener Zeit die alt-armeniſche, welche heute nur noch von den Schriftgelehrten verſtanden, aber nicht mehr geſprochen wird; gegenwärtig iſt die neu-armeniſche die gewöhnliche Sprache des Volkes. Jene verhält ſich zu dieſer, wie etwa die altrömiſche Sprache zu den romaniſchen Dialecten, iſt je- doch ungleich weiter von der neuen Sprache entfernt und legt ſelbſt dem Studium der ſprachgewandten Armenier ungewöhnliche Hinder- niſſe in den Weg. Ehedem hielt man ſie für eine ſemitiſche, der *) Ueber aſiatiſche Medicin. ſ. Prager Vierteljahrsſchrift. Bd. 34. S. 49. – 342 – mediſchen nahe ſtehende Sprachform. Die Hrn. Petermann und Neumann vindiciren ihr aber nach gründlichen Unterſuchungen die indo-germaniſche Abkunft. Das erſte armeniſche Alphabet erfand der hl. Mesrop um 406 n. Chr. mit 38 Buchſtaben, deren Zahl durch viele Kehl- und Ziſchlaute geſteigert wird. – Auffallend erſcheint es, daß ſich in der weſtaſiatiſchen Hochebene und in Hoch-Armenien die tartariſche Sprache ein Bürgerrecht erworben hat, welches ſie für den Gebrauch in der Unterhaltung der franzöſiſchen, wie ſie in Europa gilt, nahe ſtellt. – Am ungünſtigſten urtheilen in der Regel Geiſtliche und Miſſionäre, welche unter den Armeniern reiſten. Schon vor hundert Jahren rügte de la Croix *) Geiz, Wucher, Simonie und Miß- trauen, nachdem er jedoch auch ihren rühmenswerthen Eigenſchaften Gerechtigkeit hatte widerfahren laſſen. Am wenigſten liebenswürdig fand die Armenier der amerikaniſche Miſſionär Eli Smith*). Doch ſcheint ſich ſein Urtheil beſonders auf größere Städte, z. B. Erzerum, Erivan, Tauris zu beziehen. Er klagt ihre Prieſter der größten Unwiſſenheit und der Simonie, die Eltern der Verkäuflichkeit ihrer Töchter, den Kirchendienſt der Unordnung an, welche bis zum Theetrinken und zu Prügeleien während der Meſſe ſteigen könne. Abge- geſehen von dem bei den Kaufleuten freilich nicht ſeltenen Wuchergeiſte und der Verkäuflichkeit geiſtlicher Aemter, mag der proteſtantiſche Eiferer in verderbten Vierteln großer Städte Ausnahmen von der Regel entdeckt haben, wie ſie ſich leider faſt an allen ſolchen Orten vorfinden. Die mir zu Geſicht gekommenen armeniſchen Männer ragten in der Mehrzahl über die mittlere Körpergröße hervor. Ein feſter Schritt zeichnet ſie aus; ſchon durch ihn unterſcheidet man ſie leicht, von dem mehr beweglichen, nach rechts und links ſich wendenden Griechen. Ihre Phyſiognomie zeigt edle Züge des kaukaſiſchen Typus. Die Stirn iſt breit, die Naſe in der Regel hervorragend groß, oft convex, die Farbe des reichen Haupthaares und der Augenbrauen iſt ſchwarz, die Augen liegen etwas tief und ſenden eindringliche feſte Blicke unter den vorragenden Augenbrauenbögen aus; die Lippen etwas zu dick, der Mund meiſtens weit. Die Schultern breit, das Knochengerüſt ſtark. – Blumenbach***) bildet den Schädel eines *) La Turquie chrétienne. I. pag, 195. *) Missionary Researches in Armenia. London, 1834. pag. 325 und 385. **) Decas quinta collectionis craniorum. Gottingae, 1808. Tab. XLI. Armeniers ab, der hinſichtlich der beſonders ſtark ausgebildeten Naſe und der weiten Riechhöhlen, auch wegen der ſenkrecht herab- ſteigenden Zahnfortſätze der Oberkiefer, ebenſo wegen der geräumigen Augenhöhlen, charakteriſtiſch genannt werden kann. Doch die zurück- gedrängte flache Stirn der Abbildung bewirkt eine Ausnahme von der Regel, ſie würde einen unvortheilhaften Geſichtswinkel ergeben. Letzteren habe ich bei den meiſten Armeniern viel günſtiger geſehen. Der Reſt des abgebildeten Schädels erſcheint indeſſen geräumig und kuglicht. Die zurückgedrängte, abgeflachte Stirn würde unter ſolchen Nebenver- hältniſſen auch an und für ſich kein nachtheiliges Zeugniß für die hinter der Stirn thronenden geiſtigen Fakultäten ergeben können. Der treffliche E. M. Arndt*) erwähnt einer ganz ähnlichen Stirn – „Eſelsſtirn“ – bei dem geiſtreichen Miniſter v. Stein, und da ich den letzteren in der Nähe zu beobachten mehrfache Gelegenheit fand, ſo kann ich die meiſterhafte Zeichnung M. Arndt's nur vollkommen beſtätigen. – Die von Blumenbach auf den Märkten zu Amſterdam und London beobachtete Aehnlichkeit zwiſchen Armeniern und Juden habe ich nicht beſtätigt gefunden; die Armenier dürften ſie im Orient am wenigſten zulaſſen wollen. Man ſieht die Männer nicht anders als ſchwarz gekleidet und ſelbſt die Frauen lieben dunkle Farben; letztere erſcheinen auf der Straße ſtets halb verſchleiert. Die Männer tragen einen Kalpak, d. h. einen randloſen, oben ausgebogenen ſchwarzen Hut. – Die armeniſchen Frauen zeigen durchſchnittlich ſchlanke, wohlgebildete, volle Formen. Unter ihnen finden ſich nicht ſelten ſelbſt ſolche, die man für voll- endete Schönheiten nach cirkaſſiſchem Typus würde erklären müſſen, wenn ſie ihr unbewegliches ſtarres Weſen ablegen könnten, welches ihnen ſicherlich nicht angeboren, ſondern anerzogen worden iſt. Ihr großes ſchwarzes Auge ſtreitet durch ſeinen lebhaften offenen Blick zu ſehr gegen die damit nicht harmonirende ſchwere Beweglichkeit der Glieder. – Die armeniſche Jungfrau beſtimmt über ſich zwar frei und ungehindert. Vom Augenblicke der Verheirathung ab darf ſie aber ein Jahr lang nur mit ihrem Manne, die nächſt folgenden ſechs Jahre nur mit Frauen leiſe flüſternd ſprechen. Erſt die ältere Matrone unterhält ſich wieder gleich der Jungfrau frei. Wo ſie öffent- lich erſcheinen, pflegen ſich beide Geſchlechter von einander geſondert *) Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn von Stein. 2. Abdr. Berlin, 1858. S. 61. – 344 – zu halten. Hr. Griſebach*) hatte Gelegenheit, bei Bruſſa auf einem Vorhügel des Olymp einem armeniſchen Volksfeſte beizuwohnen, indem am 6. Mai der St. Gregorstag gefeiert wurde. Die Ar- menier ſaßen faſt unbeweglich, die flüſternden Frauen ſchienen in der Entfernung lautlos zu ſein. Der Beobachter aus der Ferne würde ſich durch dieſe Scene zu der Annahme verleiten laſſen kön- nen, daß hier unbelebte oder erſtarrte Menſchen verſammelt ſeien. Ein Armenier hielt dort in einer Geſellſchaft von Europäern, ſeine Pfeife rauchend, eine Stunde lang aus, ohne von den hierbeigeredeten Sprachen ein Wort zu verſtehen. Die patriarchaliſche Einrichtung der Bauernhöfe in Central- Armenien beſchreibt Hr. v. Haxthauſen ſehr anziehend. Dem Oberhaupte der Familie wird unbedingter Gehorſam gezollt; ſelbſt die verheiratheten Söhne verbleiben mit ihren Kindern auf dem Hofe. Der Betrieb des Feldbaues und der Obſtzucht hat mit dem, wie er in vielen Theilen Deutſchlands gefördert wird, große Aehnlichkeit. Ueberhaupt finden die Vertheidiger der Behauptung, daß die Armenier einen indo-germaniſchen Stamm bilden, dort zahlreiche Anhaltspunkte. – Es gibt kei den Armeniern in ihrem Heimathlande keinen erblichen Adel, auch keine Leibeigene. Wohl aber befinden ſich in jedem Dorfe bevorzugte Familien, deren Oberhaupt die Po- lizeigewalt zu üben pflegt; Dienſte oder Naturalabgaben werden aber dafür nicht entrichtet. Das armeniſche Viertel in Conſtantinopel zeichnet ſich durch Reinlichkeit der Straßen und Nettigkeit der übrigens im orienta- liſchen Style gebauten Häuſer zu ſeinem Vortheile aus. Durch die ſorglos geöffneten Gitterfenſter ſieht man die Frauen häufig mit häuslichen Arbeiten beſchäftigt. Die Zahl der unter türkiſcher Oberherrſchaft lebenden Arme- nier ſchlägt Hr. F. Eichmann zu 2,400,000 an. Die in der europäiſchen Türkei und hier in Städten lebenden Armenier be- rechnet Hr. v. Reden *) auf 150,000. Der Patriarch Narſes gab die Zahl der über der Erdoberfläche zerſtreut wohnenden Ar- menier zu 7–8,000,000 an. Nach Allem, was ich aus eigenen uud fremden Beobachtungen *) A. a. O. I. S. 74. *) Die Türkei und Griechenland. Frankfurt, 1856, S. 77. über die phyſiſchen und moraliſchen Eigenſchaften der Armenier zu ſammeln im Stande war, muß ich ſie für einen von der Natur ganz beſonders begünſtigten Menſchenſtamm erklären, der es voll- kommen verdient, dereinſt wieder eine ſelbſtſtändige, nationale Stel- lung einzunehmen. Würde mir etwa bei dem Untergange des tür- kiſchen Reiches in Aſien die Frage vorgelegt, welche Nation dort fortan zu herrſchen berufen ſei, ſo würde ich ohne Bedenken die Armenier nennen. Zwar ſind ſie ſeit mehr als einem Jahr- tauſend ſtets anderen Völkern unterworfen geweſen und waren allenthalben die gefügigſten und ruhigſten Unterthanen. An mili- täriſchen Unternehmungen haben ſie ſich auch in dieſer langen Zeit- periode, ſoviel bekannt, nicht betheiligt, doch entnehmen wir aus ruſſiſchen Berichten, daß ſie als Leibwachen türkiſcher Paſcha's ungemein tapfer kämpften, namentlich gegen ihre Todtfeinde, die Kur- den. Ihr Dichten und Trachten war jedoch bisher ein überwiegend friedliches. Deshalb ſcheint auch die Pforte den Verſuchen, die Ar- menier zu einem andern Cultus hinüber zu ziehen, früher ſo ſtrenge entgegen getreten zu ſein. – Ferner darf nicht verhehlt werden, daß ſchon vor dem Uebergange zum Chriſtenthum unter den Königen zahlreiche Statthalter ſtanden, die ſich möglichſt unabhängig zu machen ſtrebten und häufig unter ſich in Fehde lagen. Noch im 10. Jahrhundert ſollen 170 ſolcher Dynaſten vorhanden geweſen ſein. – Ein ſolcher Vorgang iſt nun freilich nicht geeignet, einem etwa dereinſt neu zu gründenden arme- niſchen Reiche große Dauer zu verſprechen, – beſonders wenn man die Zähigkeit beachtet, mit welcher die Armenier die aus grauer Vorzeit hergebrachten Sitten bei ſich heilig halten. Aber der ener- giſche Charakter dieſes Volkes, die vorwiegende Hinneigung, ſich auf eine höhere Culturſtufe zu erheben, die ihm innewohnende ungewöhn- liche Leichtigkeit der Auffaſſung, endlich ſeine unerſchütterliche Ausdauer laſſen keinen Zweifel daran zu, daß es einer hohen nationalen Be- geiſterung fähig ſein würde, wenn ſich ſeinem berechnenden Verſtande eine Ausſicht auf günſtigen Erfolg darböte. Nicht darf dabei über- ſehen werden, daß der in armeniſchen Händen befindliche Reichthum an edlen Metallen und an Credit ganz geeignet ſein würde, eine ſolche Erhebung zu begünſtigen, ſofern man ſo mächtige Mittel in richtige Bahnen zu lenken verſtände. YIX. Bur Geſchichte und Charakteriſtik der Bulgaren. – Amfang und Bevölkerung Bulgariens. – Bodencultur. – Geſchichte. – Kriegeriſche Züge. – Anterjochung. – Körperliche Eigenſchaften. – Moraliſche Stellung. – Sittenreinheit. – Kirchliche Anbilden. – Anterdrückung bulgariſcher Literatur. – Bergleichung mit den Rachbarvölkern zum Vortheile der Bulgaren. - Gn der Beachtung in hohem Grade werther Volksſtamm des osmauiſchen Reiches in Europa iſt der der Bulgaren- Das ſogenannte Königreich Bulgarien beſteht heute aus den Paſchaliks Niſſa, Sophia, Siliftria und Widdin. Die Bodenfläche dieſer Länder beträgt 1839 DMeilen. Bulgarien bildet außerdem das Ejalet (Statthalterſchaft) von Siliſtria. Der Sitz des Statthalters Said Paſcha iſt jedoch zur Zeit Ruſcht- ſchuk. Dieſes Laud ſoll nach der oberflächlichen Zählung der Türken, die bekanntlich nur nach Familien und nicht nach Köpfeo geſchieht, 3 Millionen Einwohner enthalten. Aber die große Gewerbthätigkeit der Bulgaren hat ihre Ausbreitung in die nach- barlichen Provinzen weithin begünſtigt. Sie bevölkern einen gro- ßen Theil der Dörfer und kleinen Städte bis in die Gegend von Varna und zur Dobrudſcha hin nach Oſten, ſowie beſonders am ſüdlichen Abhange des Balkan nach dem helleniſchen König- reiche, nach Albanien, nach Theſſalien, Macedonien, das ſüd- liche Serbien und nach Rumelien. Sogar im ſüdlichen Rußland ſollen noch 80,000 Bulgaren leben. Hr. v. Reden *) berechnet die Geſammtzahl der Bulgaren auf 4% Millionen, dergeſtallt, daß auf die DMeile des Bodens 1631 Einwohner kommen, und dieſe von der Geſammtbevölkerung der Türkei einen Prozentantheil von *) A. a. O. S. 67. – 347 – 8,2« bilden würden. Warrington W. Smyth *) ſah ſie in der Gegend von Salonika fleißig den Acker bauen. Eine auffallende Erſcheinung iſt es, daß ſie, gegen Griechenland vordringend, die Griechen vom flachen Lande langſam, aber ſicheren Schrittes, im friedlichen Kampfe um den Boden zurückdrängen. Nicht allein die Türken, ſondern auch ihre chriſtlichen Nachbarſtämme, geben ihnen einmüthig das Zeug- niß, daß ſie hinſichtlich der Bodencultur, namentlich aber der Gärtnerei, unter ihnen am höchſten ſtehen. Ein ausgezeichnetes Bewäſſerungs- ſyſtem zeichnet ihre Ackerbeſtellung aus; ſie konnten es urſprünglich nur von den Griechen kennen gelernt haben, die es ihrerſeits von den Chaldäern empfingen. Leider nöthigt ſie der Mangel an Abſatz- wegen, dem Boden nur ſo viel abzugewinnen, als zu dem eigenen Gebrauche und zur Entrichtung der Abgaben erforderlich iſt. Der Umſtand, daß ihre Mehrzahl dem griechiſchen Cultus anhängt, mag außerdem die Ausbreitung unter den Griechen begünſtigt haben. So iſt es dahin gekommen, daß man die Kopfzahl der geſammten Bulgaren heutigen Tages auf 5 – 52 Millionen anſchlagen darf, ohne ſich der Uebertreibung ſchuldig zu machen. Ihr Stamm iſt mithin in der europäiſchen Türkei der numeriſch überwiegende. Die Kopfzahl ſämmtlicher ſlaviſchen Stämme, welche in der europäiſchen Türkei leben, nimmt Hr. v. Reden zu 7,700,000 an. Bedenkt man, daß die Zahl der Osmanen 1,100,000 beträgt, ſo bedurfte es gewiß der ganzen Gutmüthigkeit dieſer ſeit ungefähr einem hal- ben Jahrtauſend zum größten Theile entwaffneten Slaven, um den Türken die Uebermacht unbeſtritten zu überlaſſen. Die Bulgaren ſind urſprünglich gegen Ende des 5. Jahr- hunderts n. Chr. von der Wolga und dem Kuban herab zum ſchwar- zen Meere und zum linken Donauufer niedergeſtiegen. Man nannte ſie deshalb Wolgaren, Bolgaren u. ſ. w. Bald nach dem Ueberſchreiten der Donau machten ſie ſich als ein unternehmendes, kriegeriſches Volk den Griechen furchtbar. Um die Mitte des 6. Jahrhunderts erſchienen die aus Aſien vertiebenen Avaren, unterjochten die Bulgaren auf ihren verwüſtenden Zügen durch Dacien, Pannonien und das ſüdöſtliche Deutſchland. Doch ermannten ſich die Bulgaren, geſtärkt durch Zuzüge aus dem Heimathlande; das Joch der Avaren wurde 635 abgeſchüttelt. Um das Jahr 678 *) Reiſe durch Albanien, Bulgarien und Serbien. In: Südrußland und die türkiſchen Donauländer. Leipzig, 1854, S. 229. / 4 /* V / – 348 – gründete ihr Chan Asparuch in Nieder-Möſten ein feſtes Reich. Ob dieſe Bulgaren nun bei ihrem erſten hiſtoriſchen Auftreten ein tartariſcher, ein ugriſcher, oder, wie einige ſogar wollen, ein türki- ſcher Volksſtamm geweſen, dürfte zweifelhaft bleiben. – Im 9. Jahr- hundert waren ſie in Möſien das herrſchende Volk. Als ſolches befehdeten ſie das oſtrömiſche Reich faſt ununterbrochen. Der Kaiſer Nicephorus wurde 811 von ihnen in der Schlacht erſchlagen. Sie erſchienen zweimal vor den Mauern von Conſtantinopel. Zum erſten Male bildeten ſie einen Theil des von Vitalian geführten Heeres, welches den erſten chriſtlichen Religionskrieg gegen den Kaiſer Anaſtaſius führte und dieſen 518 n. Chr. zwang, mit dem Frieden das chalcedoniſche Glaubensbekenntniß zu unterzeichnen. Der ſchwache Anaſtaſius baute ſchon in dieſer frühen Periode eine Mauer, die von der Propontis bis zum ſchwarzen Meere reichte, um Conſtan- tinopel zu ſchützen. Der jenſeits derſelben liegende Theil Thraciens wurde den Einfällen der Bulgaren überlaſſen. In der That ver- ging unter der gefeierten Regierung des Juſtinian, von 527 an, kaum ein Jahr, welches nicht durch Einfälle der Bulgaren und anderer Barbaren bezeichnet worden wäre. Endlich drangen ſie 559 bis Conſtantinopel vor, wurden aber hier noch durch den greiſen Beliſar zurückgeſchlagen. Ein Bulgaren-König war es ferner, der den tyranniſchen Juſtinian II. zum zweiten Male auf den verwirkten Thron ſetzte. – Im Jahre 929 n. Chr. verheerten ſie unter Führung ihres Fürſten Simeon auf ihrem Zuge das Land weit und breit. Während der Belagerung von Conſtantinopel brannten ſie die vor dem goldenen Thore liegende Kirche unſerer lieben Frau vom Quell (ſ. oben S. 44) nieder und brachten den Kaiſer dahin, daß er nach dem Frieden demſelben Simeon in der wieder aufgebauten Kirche ſeine Tochter antrauen ließ. Nicht glücklicher waren die erſten Kreuzfahrer gegen ſie, deren ungeordnete Haufen von ihnen nicht ſelten überfallen und erſchlagen wurden. Sogar der erſte lateiniſche Kaiſer von Conſtantinopel, Balduin, fiel in der Schlacht gegen die Bulgaren. Es ſcheint, daß die Bulgaren jener frühen Periode außer dem kriegeriſchen Ruhm nichts hatten, was ihre Herrſchaft ſelbſtſtändig aufrecht zu erhalten vermocht hätte. Gefetzliche Ordnung und die Künſte des Friedens bauten ſie nicht an. So geſchah es denn daß ſie unter dem König Ludwig d. Gr. von Ungarn um 1342 – 349 - zu einer Provinz Ungarns herabſinken und endlich nach der ent- ſcheidenden Schlacht von Koſſova, 1389, dem osmaniſchen Reiche einverleibt wurden. Mit dem Verluſte der Freiheit iſt bei den Bulgaren die wilde Kampfesluſt geſchwunden. Sie zählen jetzt zu den fügſamſten und ge- ſchmeidigſten Unterthanen des Sultans. Beſonders gilt dies von den in der Ebene und in den Thälern des Balkan's wohnenden. Hinſichtlich der auf den Berghöhen, in den Bezirken von Niſſa und Sophia An- geſiedelten bewährt ſich der an andern Orten (Bd. I, 186u. Bd. II, 243) ausgeſprochene Satz, daß die Bewohner der Gebirge an Muth und Tapferkeit die der Ebene zu übertreffen pflegen. In der That haben ſich die Gebirgs-Bulgaren an Auflehuungen einzelner Paſcha's gegen die osmaniſche Regierung betheiligt. Es kann dies weniger auffallen, wenn man erwägt, daß dieſe Söhne der Berge zum Theil den Islam angenommen haben, mithin Waffen tragen und den Gebrauch dieſer ſtets üben dürfen. Für die chriſtlichen Bulgaren gilt noch immer das ſchon erwähnte alte Geſetz, daß kein Ungläubiger Waffen führen darf. – Paswan-Oglu, der in ſeiner Auflehnung gegen Sultan Selim III. 1797 u. f., die Regierung zwang, ihn zum Statthalter des von ihm eroberten Widdin und zum Paſcha von drei Roßſchweifen zu machen, ſoll ein geborner Bulgare geweſen ſein. In ihm ſprach ſich eine ſeltene Verbindung von Tapferkeit und Schlauheit aus. Die Bulgaren der Dörfer der Ebene, ſowie die von Schumla und Ruſchtſchuk, welche ich mit Muße beobachten konnte, zeigen in ihren körperlichen Eigenſchaften eine nicht zu verkennende Stammes- Gemeinſchaft. Dieſe läßt ſich um ſo eher erklären, als ſie ſich in der Regel nur unter ſich verheirathen, Kreuzungen mit andern Stämmen alſo ſelten ſind. In den Städten bewohnen ſie ein eige- nes Viertel und halten ſich ſelbſt von griechiſchen Glaubensgenoſſen meiſtens fern. Daß dies ſich nicht auf die bulgariſchen Moham- medaner ausdehne, braucht kaum angedeutet zu werden. Der ſlaviſche Typus ſpricht ſich in der Phyſiognomie der Bul- garen vorherrſchend aus, doch darf man ſie den edleren Varietäten dieſes Typus zuzählen. Es gibt einzelne Provinzen Rußlands und Polens, in welchen man Bulgaren anſiedeln könnte, ohne ſie äußer- lich als Fremde erſcheinen zu laſſen. Ebenſo finden ſich ruſſiſche Regimenter, aus welchen ſich etwa eingeſtellte Bulgaren ſchwerlich & = 350 = herausfinden laſſen würden. Die größere Lebhaftigkeit und Beweglich- keit des Polen fehlen jedoch dem Bulgaren; er ſchreitet ruhig, mit einer gewiſſen Würde einher, ohne hierin dem Armenier gleich zu kom- men. Seine Gedanken weiß er verſtändig und geordnet auszudrücken; die Unterhaltung mit Bulgaren, wenngleich ſie uur durch einen Dolmetſcher vermittelt werden konnte, erweckte ſtets das Gefühl des Vertrauens und des Behagens in mir. Man bemerkte nichts Ge- ſuchtes, Gekünſteltes oder Verſtecktes. Der Geſammtausdruck iſt der der Wahrheit. Ob die Unterredung mit einem türkiſchen Macht- haber eben ſo geführt werden möchte, muß ich indeſſen bezweifeln. Der Bulgar fühlt ſich begreiflich zu dem Fremden, in welchem er einen Mitchriſten erkennt, mehr hingezogen; er weiß, daß er von dieſem richtiger gewürdigt wird. Wie ſehr die Bulgaren dankbar für eine ihnen gewährte milde, gute Behandlung ſind, beſchreibt Warrington Smyth *) in einer von ihm mitgetheilten Scene des Empfanges, welcher einem türkiſchen Gutsherrn bei ſeiner Rückkehr von einer Reiſe zu Theil wurde. Seine bulgariſchen Arbeiter liefen ihm ſämmtlich mit dem ungeheuchelten, lauten Aus- drucke wahrer Theilnahme entgegen; auch ſelbſt die Frauen bethei- ligten ſich an der allgemeinen Freude. Ganz beſonders verdient es hervorgehoben zu werden, daß die Bulgaren an Sittenreinheit alle andern Völker des Orients übertreffen. Bald nach dem erſten Eintreten in ein bulgariſches Haus gewinnt man die Ueberzeugung, daß hier tiefer Friede und gegenſeitiges Vertrauen herrſcht. Unglückliche Ehen ſind ſeltene Ausnahmen; daher ſind ſie auch in der Regel fruchtbar. Hr. Ad. Stade *) erkannte dies vollkommen richtig, wenn er ſagt: „er habe unter den bulgariſchen Landleuten mehr Glück gefunden, als unter den meiſten übrigen Europa's. Und doch iſt der nördliche Saum des eigentlichen Bulgariens nur durch die Donau von den Fürſten- thümern getrennt, in denen der Gegenſatz, die Unſittlichkeit zu Hauſe iſt. Obgleich ferner die Bewohner des ſüdlichen Abhanges des Bal- kan's mit ihren Landsleuten auf der Nordſeite kaum noch in einem nennenswerthen Zuſammenhange ſtehen, auch durch den Contact mit den Griechen ihren ſlaviſchen Sprach-Dialect in einer Weiſe aus- - z, *) A. a. O. S. 243. *) Turkey, Greese and Malta. Lendon. 1837. II. pag. 97. – 351 – gebildet haben, die ſie den Stammgenoſſen nur mit Mühe verſtänd- lich macht, – ſo hat ſich doch der ſtreng moraliſche Charakter der Voreltern auch bei ihnen erhalten, allen böſen Beiſpielen vom Ge- gentheile, die man ihnen zur Schau ſtellt, gleichſam zum Trotze. Daher geſchieht es auch, daß die Bulgaren von Krankheiten über- haupt wenig, ſelbſt von epidemiſchen Uebeln weniger heimgeſucht werden, als ihre Nachbarvölker, namentlich die fataliſtiſchen Türken. Hr. Charles Robert *), der längere Zeit unter ihnen verweilte, beſchreibt ihre Sitten und Gebräuche nicht blos auf eine die Theil- nahme erregende Weiſe, ſondern auch ſo naturgetreu, daß ſeine Darſtellung der Beachtung beſonders empfohlen werden darf. Er ſieht in der Vereinigung der Bulgaren und der Griechen das wahre Heil des Orients. Die letzteren ſuchen ſeit den älteſten Zeiten Städte zu bauen, das Meer zu beherrſchen und Colonien zu grün- den; der Bulgare erwartet den Segen von dem Boden, den er mit unermüdlicher Beharrlichkeit bearbeitet. Doch ſind die Bulgaren auch bereits bis an das Meer vorgedrungen, im Norden nämlich bis Burgas, im Süden bis an den griechiſchen Archipel. – Mit Hrn. Robert vindicire ich dem Bulgaren unbedenklich die Superiorität in der Geduld und in der Arbeit unter den Bewohnern des euro- päiſchen Orients; an Ehrenhaftigkeit fand ich eben ſo kein Volk, wel- ches ſie übertreffen könnte. In den häuslichen Frieden der Bulgaren fällt nun ein greller feindlicher Mißton von einer Seite her, die dergleichen am wenigſten erwarten laſſen ſollte. Es ſind die griechiſchen Geiſtlichen, welche das gutmüthige Volk auf eine unverantwortliche Weiſe tyranniſiren. Selbſt auf einer niedrigen Culturſtufe ſtehend, ſind ſie bemüht, die des Volkes möglichſt hinabzudrücken, damit dieſem ihre eigene Un- fähigkeit weniger klar werde. So weit gehen ſie hierin, daß ſie ſelbſt den Druck religiöſer Schriften in bulgariſcher Sprache zu hintertreiben ſuchen, um dem Neugriechiſchen mehr und mehr Ein- gang zu erzwingen. Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß der Anſtoß hierzu vom griechiſchen Patriarchate im Fanar zu Conſtantinopel ausgeht; auch kann es nicht ſchwer fallen, das politiſche Gewicht einer ſolchen Maßregel hindurch zu fühlen. Um die Zeit meiner *) Die Slaven der Türkei. A. d. Franz Stuttgart, 1851. 2. Abt. S. 242–47. – 352 – Anweſenheit daſelbſt hatte der Metropolit von Ternova eine Samm- lung vou bulgariſchen Manuſcripten verbrennen laſſen, welche ſchätz- bare Beiträge zur Geſchichte des Volkes vom 7. bis znm 16. Jahr- hundert enthielten. Dieſer Barbar heißt Neofit. Er wagte es ſo- gar, Männer, bei denen bulgariſche Bücher gefunden wurden, mit Geld- und Kerkerſtrafen zu belegen. Höchſtens duldet er aus dem Neugriechiſchen zu Conſtantinopel überſetzte Bücher. Da er aber zugleich die niederen Geiſtlichen förmlich zu Frohndienſten verwendete, ſo wurde er endlich zur Verantwortung nach Conſtantinopel gerufen, wo ihm dieſe nicht ſchwer gefallen ſein dürfte. Man wird dieſe Gräuel erklärlich finden, wenn man weiß, daß die geiſtlichen Aemter meiſt erkauft werden müſſen. Daher werden auch ſelbſt von Armen die Gebühren für kirchliche Acte mit unerbittlicher Strenge eingetrieben und mancher Ehebund iſt auf dieſe Weiſe ſchon hinter- trieben worden. Aller Hinderniſſe ungeachtet, mit welchen die Bulgaren umgeben ſind, ſchützt ſie ihr reger Fleiß vor Mangel; auch ſteigert ſich ihre Kopfzahl fortwährend, indem die der Türken abnimmt. Mir iſt nirgends ein bulgariſcher Bettler aufgeſtoßen. Ich ſah die Land- leute ſtets paſſend bekleidet, auch fehlte es nicht an reinlichen Tep- pichen und Matten. Ganz ſo fand es früher auch Hr. Urquhart *). Nach Allem, was mir und anderen Reiſenden von ihnen zu erfahren vergönnt war, bilden die Bulgaren den Kern der Be- völkerung der europäiſchen Türkei, aus welchem unter einer humanen, das wahre Wohl des Volkes energiſch fördernden Regierung der Baum emporſteigen kann, in deſſen Schatten das herrliche Land ſich zu der Bedeutung wieder emporſchwingen würde, die man ihm im Alterthume mit Recht zuerkannte. Freilich muß dieſes Volk erſt erzogen, es - müſſen vor allen Dingen Schulen angelegt und dieſe mit wohlunterrichteten Lehrern ausgeſtattet werden, die nicht den Maßregeln fanatiſcher Prieſter unterliegen, welche, faſt ſo lange, als das Chriſtenthum im Orient zur Geltung gekommen war, durch Hader und Zwiſt unter ſich, wie Unduldſamkeit gegen Andere, mehr an dem Ruin ihres Volkes gearbeitet haben, als irgend ein anderer Stand. Sodann würde man durch fortgeſetzte Waffenübungen den ehemaligen kriegeriſchen Sinn wieder zu wecken ſuchen müſſen, der *) A. a. O. S. 142. = 353 – jetzt durch Despotie in tiefen Schlummer geſunken iſt. Hätten die Bulgaren es im Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts gewagt, den kühnen Paswan-Oglu kräftig zu unterſtützen, ſo hätten ſie viel- leicht damals ſchon ihre Freiheit erringen können. Denn die Pforte, welche ſich von dem nachtheiligem Kriege mit Oeſterreich und Rußland noch nicht erholt hatte, wurde unerwartet von Frankreich in Egypten an- gegriffen, ſo daß in Europa wenig Truppen zur Dispoſition blieben. Der günſtige Augenblick wurde verſäumt. Ohne Muth und Ta- pferkeit kann aber keine Selbſtſtändigkeit beſtehen. Hr. Rigler*) behauptet, daß die Türken Europa's von den Slaven körperlich nicht zu unterſcheiden ſeien. Ein Schädelſtudium ſei daher unfruchtbar. Man könne die Türken nur an ihren Sitten, im Benehmen 2c. erkennen. – Richtig iſt es wohl, daß ſich die Os- manen in Aſien reiner erhalten haben, dieſe auch den europäiſchen Türken etwas fremd gegenüber ſtehen. Eben ſo muß man erkennen, daß die letzteren durch die große Leichtigkeit, mit welcher ſie Frauen der verſchiedenſten Nationen aufnehmen konnten, zu einem Miſchlings-Volke geworden ſind, welches von den urſprünglich aus Aſien herübergebrachten Eigenthümlichkeiten die meiſten eingebüßt haben mag. Und in der That findet man unter den Türken Con- ſtantinopels große Verſchiedenheiten der Phyſiognomie und der Schädelbildung. Anders verhält es ſich jedoch mit den Bulgaren, namentlich den Landleuten. Einem aufmerkſamen Beobachter kann es nicht ſchwer werden, ſie von den Türken, ebenſo von den Grie- chen zu unterſcheiden. Den letzteren übertrifft der Bulgare meiſtens etwas an Körperlänge, ſowie an kräftigerem Gliederbaue; auch ent- wickelt er eine kaum zu ermüdende Arbeitskraft. Die etwas enger geſpaltenen Augenlider laſſen die Augen kleiner erſcheinen, denen auch das Feuer der Griechen fehlt; dagegen erfreut der Blick durch ſeine Feſtigkeit und durch den Ausdruck einer vertrauenerregenden Gutmüthigkeit. Je mehr man die letztere im Oriente vermißt, je willkommener iſt ſie hier. – Das reiche ſchwarze Haar ſcheeren die Männer nach alter tartariſcher Sitte, ſo, daß nur eine Locke übrig bleibt; die im Süden des Balkans den Griechen nahe Woh- nenden haben dieſen Gebrauch der Väter zum Theil ſchon aufge- geben. Die Frauen flechten das Haar zu langen Zöpfen. Hr. Ro- *) A. a. O. I. S. 175. 15- D bert ſah, daß das aufgelöſte Haar junger Frauen über die Wieſen hinſtreifte und im eigentlichen Sinne des Wortes den Körper um- hüllen konnte. Unter ihnen habe ich manche edlere, hohe, weibliche Geſtalt mit regelmäßigen Geſichtszügen ausgeſtattet, wahrgenommen, der nichts mangelte, als das geiſtige Leben, welches nur durch eine ſorgfältige humane Cultur erlangt werden kann, um zu einer mehr als gewöhnlich anziehenden Erſcheinung zu werden. An Schön- heit ſtehen ſie überhaupt von den Griechinnen nicht fern. – Noch wei- ter geht die Gräfin Dora d'Iſtria*), wenn ſie verſichert, daß die bulgariſchen Mädchen, ſo lange ſie noch nicht verheirathet ſind, oder ſchwere Arbeiten die Reinheit ihrer idealen Formen zerſtört haben, den von Fra Giovanni da Fieſole aufgeſtellten engelartigen Typen ähnlich ſehen. Ich ſchließe dieſen Abſchnitt mit dem regen Wunſche, daß die Bulgaren in einer nicht zu fern liegenden Zeit einer Re- gierung theilhaftig werden möchten, deren Trachten nicht allein darauf hingerichtet iſt, ſie auszubeuten, ſondern die auch der Pflicht nachkommt, die Regierten auf geſetzlichem Wege zu wohl- verſtandener Freiheit und auf eine höhere Culturſtufe zu erheben. Die nachhaltige Widerſtandskraft und Zähigkeit des Charakters, welche allen Slaven-Stämmen eigen iſt, hat ſie bisher vor dem Verſinken bewahrt; dieſelben Eigenſchaften werden, richtig geleitet, auch die Hinderniſſe zu überwinden wiſſen, welche ſich ihrer Erhe- bung entgegen ſtellen könnten. Niemals hat ſich einem intelligenten und thatkräftigen Herrſcher ein bildſamerer und ſittlich mehr geeig- neter Stoff dargeboten, um aus ihm ein Volk heranzubilden, welches mit erneuter Jugendkraft das gemißhandelte herrliche Land auf eine glän- zende Höhe zu erheben vermöchte, von wo aus es auf manche alters- ſchwach gewordene europäiſche Regierungen erfriſchend wirken könnte. *) Les femmes en Orient. T. 1, Zurich, 1860. pag 138. YY. Bur Charakteriſtik der Tartaren. – Körperliche Eigenſchaften. – Fortgeſetztes Hirtenleben. – Widerwille gegen Schulunterricht und jede Reuerung. – Frauen. – Kleidung. – Bohnungen. – Han- delsbetrieb. – Moraliſches Leben. – Hunde. – Karaitiſche Juden. Da die Tartaren gegenwärtig nicht blos in der Dobrudſcha zahlreich ſind, ſondern auch den größeren Theil der Bevölkerung der Krim und eines Theiles der Ufer des ſchwarzen Meeres her- geben, ſo wird eine etwas nähere Betrachtung ihrer Eigenthüm- lichkeiten hier erforderlich. Die Tartaren bilden in der Gegenwart einen Menſchenſtamm, in welchem häßliche Körperformen die ſeltenere Ausnahme machen. Sie ſind meiſtens hoch und ſchlank gewachſen. In ihrer Haltung zeigt ſich eine Art von Selbſtbewußtſein, die auf Ueberſchätzung ihrer eigenen Perſon hindeutet. Ein großes, ſchwarzes Auge, eine lange, ſchwach gebogene Naſe, ſtarker Bart an der Oberlippe, glat- tes Kinn, bilden eine vortheilhafte äußere Erſcheinung. Aber der Tartar iſt unreinlich nnd unordentlich. Ein tartariſches Dorf läßt ſich von ferne her durch den Geruch erkennen. Die Fortſchaffung von Thierleichen, die auf der Straße herumliegen, wird den Hun- den und Raubthieren überlaſſen. Die Trägheit der Tartaren iſt in Rußlandſprüchwörtlich. Sie ſind unſäglich faul. Der arme Tartar arbeitet nie für Tagelohn. Leibeigenſchaft exiſtirt bei den ruſſiſchen Tartaren nicht. Außer den vorgeſchriebenen Gebeten in der Moſchee beſorgen ſie nur den Vieh- ſtand. Bodencultur liegt ihnen ſehr fern. Die Steppe gewährt Viehfutter ohne ſie. Getreide, Reis, Tabak und Kleider kaufen ſie wohlfeil. Sie ſind alſo von der Urzeit her ein Hirtenvolk geblie- ben, obgleich ſie doch längſt ſchon die herumziehende Lebensweiſe – 356 – mit feſten Anſiedelungen vertauſcht haben. Abgaben ſind gering und aus ſämmtlichen Tartarenſtämmen zieht die ruſſiſche Regierung im Frieden nur 150 Recruten zur Unterhaltung einer Escadron Garde-Reiter in St. Petersburg. Dem Schulunterrichte ſind ſie bis jetzt ſehr abhold geweſen. Fürſt Woronzoff hatte in Baktſchi- Serai ein tartariſches Schullehrer-Seminar anlegen laſſen, jedoch mit ſehr geringem Erfolge. Man würde ſie zur Schule zwingen müſſen. Ebenſo wie der Schule, ſind ſie auch jeder Neuerung entgegen. Die Kleidung der Männer beſteht in einer Jacke mit langen Aermeln und einer kurzen Hoſe, entweder aus Kameelhaartuch oder Seide mit lebhaften Farben, gelbledernen Strümpfen und ſchwarzen oder rothen Leder-Schuhen. Die Mädchen ſind vom 10. Jahre an mit einem weißen Tuche verſchleiert, welches nur das rechte Auge freiläßt. Sie tragen das Haar in langen Flechten; junge Weiber und Mädchen färben ſie roth, alte zeigen ſie dunkelbraun oder ſchwarz; daſſelbe geſchieht mit den Nägeln. Vom 14. Jahre ab ſtrebt man das junge Mädchen zu ver- heirathen oder – zu verhandeln. Sie darf das Geſicht von da ab nur Weibern, etwa Tanten und Baſen, ſpäter dem Gatten, zei- gen. Sie tragen oft rothe Käppchen, mit Treſſen beſetzt, auf dem Kopfe. Die Frauen tragen ärmelloſe Jacken und weitfaltige Beinklei- der mit treſſenbeſetztem Gürtel. Sie zeichnen ſich durch große, ſchwarze Augen und kleine Füße vortheilhaft aus. Letztere ſtecken in gelbledernen Strümpfen. Amulets werden von Allen am Halſe getragen. Tabak wird von Männern, Frauen und Kindern, ſobald dieſe ihn ertragen kön- nen, faſt ununterbrochen geraucht. Ihr Vieh behandeln die Tartaren milde; ſie ſchlagen es nicht, ſtrengen es auch nicht übermäßig an. Ich begegnete langen Zügen von Wagen, die durch Ochſen gezogen wurden. Ihre tartariſchen Begleiter ſchritten mit unverwüſtlicher Ruhe nebenher, ohne die langſamen Thiere auf irgend eine Weiſe anzutreiben; ſchon das abſcheuliche Knarren der Räder auf Axen, die niemals geſchmiert werden, würde mich haben zur Verzweiflung bringen können. – – 357 – Ihre Kinder füttern ſie mit Waſſermelonen und kaltem Hammel- fleiſch auf, ſobald ſie zu kauen im Stande ſind. Ihre Häuſer legen ſie gern am Abhange von Höhenzügen ſo an, daß die hintere Wand vom Berge ſelbſt gebildet wird und man alſo nur drei Wände zu bauen braucht. Das flache Dach verſtehen ſie für den Regen undurchdringlich zu machen. Auf ihm verſammelt ſich die Familie und dort werden die Früchte getrocknet. Die meiſten Tartaren leben vom Handel mit Vieh und Häu- ten. Ihre Schaafspelze ſind ſelbſt in Deutſchland unter dem Na- men der Baranken allgemein bekannt. Dieſe werden von neuge- bornen oder ungebornen Schaafen entnommen. Im Handel ſchlägt der Tartar nie vor, ſondern bleibt, wie der Türke, bei ſeinem Preiſe. Die Tartaren leben unter einander ſehr friedlich und verträg- lich. Von Streit, Zank, Trunkſucht, Ehebruch hört man unter ihnen niemals; auch betrügen ſie nicht. Abgaben bezahlen ſie pünkt- lich. Gaſtfrei ſind ſie nur gegen Glaubensgenoſſen. Mit Schiff- fahrt befaſſen ſie ſich nicht. – Sie beherrſchten ehedem Südruß- land und die Krim. In letzterer ſind ſie noch heute der überwie- gend vertretene Stamm. Die Tartaren der Krim gingen 1855 nach Landung der Alliirten ſogleich, wo ſie es mit Sicherheit thun durften, zu dieſen über. Die Ruſſen wollen dies aus einer unter den Tartaren allgemein verbrei- teten Anſicht erklären, nach welcher der letzte Khan der Krim ſein Land nur für die Zeit von 50 Jahren den Ruſſen abgetreten habe. Nun iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß es der ruſſiſchen Regierung in- nerhalb 50 Jahren hätte leicht werden können, eine ſolche Idee durch wohlwollendes und mildes Verfahren allmählig zu tilgen. Liegt es denn nicht viel näher, anzunehmen, daß die mohammeda- uiſchen Tartaren die erſte große Gelegenheit mit Freuden ergriffen, die Regierung des Beherrſchers der Gläubigen wo möglich ſtatt der des Czars einzutauſchen? Jener hatte ihnen doch ihren Khan, mit dieſem auch wenigſtens einen Schein eigener Herrſchaft belaſ- ſen; das Maaß der Autokratie des letzteren haben ſie gewiß eben- ſo, als alle anderen unter dieſelbe gebeugten fremden Völkerſtämme empfunden und beurtheilen gelernt. Die tartariſchen Hunde bilden eine nicht zu unterſchätzende Macht. Sie ſind ſo groß wie ein ausgewachſener Neufoundlän- – 358 – der, zeigen ein ſchmutzig grau oder röthliches, langes zottiges Haar, ſpitzige Schnauze, kleine Augen, ſcharfes Gebiß, verbunden mit einem kräftigen Baue. – In jedem tartariſchen Dorfe ſind ſie häufig, beſonders nach Untergang der Sonne, denn am Tage jagen ſie in der Steppe nach Kaninchen und Haſen. – Der Wohnung ihres Herrn ſind ſie treu, nicht aber ihm ſelbſt (alſo wie in der Türkei). Stets mürriſch, können dieſe Hunde dem Reiſenden ebenſo gefährlich als dem Wolfe werden. Die Karainen oder karaitiſchen Juden ſind zwar im Drange der Umſtände äußerlich Mohammedaner geworden, halten ſich aber von allen anderen Stämmen abgeſondert, und laſſen deshalb auf den erſten Blick ihre nationale Abſtammung in einer ihnen vor- theilhaften Weiſe erkennen. Sie ſind in der Krim häufig. Durch Kleidung, Sitte und Gebräuche unterſcheiden ſie ſich wenig von den Tartaren, mehr aber durch Luſt am ausgebreiteten Handel mit den verſchiedenſten Gegenſtänden. Die zähe Ausdauer der Tartaren bei ihrem Hirtenleben, ſowie ihr angeborner Widerwille gegen jede Veredelung durch geiſtige Cultur, laſſen nicht annehmen, daß ſie berufen ſein könnten, dereinſt wieder eine hervorragende Rolle unter den Völkern zu ſpielen. Wo dies in früher Zeit geſchah, als ſie zuerſt von den Hochebenen Aſiens herabſtiegen, verdankten ſie die Erfolge ſtets nur der erdrückenden Gewalt ihrer unzählbaren Schwärme, die gleich Heuſchrecken vor ſich her, gleichſam durch das Gewicht der Maſſe, alles Lebende ver- zehrten, zerſtörten, oder ſich dienſtbar machten. Der einzige Weg zu ihrer Erhebung würde durch die Schule gehen müſſen, zu der ſie durch Gewaltmaßregeln heran zu treiben wären. An dergleichen iſt im Orient nicht wohl zu denken, ſo lange es dort zahlreiche Stämme gibt, die für den Unterricht in hohen Grade dankbar ſein würden, wenn man ihnen denſelben ſchaffen wollte. Hinter dieſen werden die Tartaren von Rechtswegen zurückſtehen müſſen, obgleich ſich ihre Sprache in mehreren Gegenden Kleinaſiens eine hervorragende Gel- tung erworben hat. WWI. Politiſche Schluß-Betrachtungen. Einen Rückblick auf die durchwanderten reichen Gebiete wer- fend, vermag ich ſie nicht zu verlaſſen, ohne einige ſummariſche Folgerungen aus dem dort Erlebten und dem Mitgetheilten zu ziehen. Kein ruhig beobachtender Wanderer dürfte das Oſtland Eu- ropa's oder das Weſtland Aſien's betreten können, ohne von dem tiefſten Mitleid durchdrungen, – ohne endlich von brennendem Unmuth erfaßt zu werden, wenn er viele Strecken des fruchtbarſten Bodens in menſchenleere Einöden verwandelt, wenn er Städte, deren Glanz und Reichthum ehedem hoch geprieſen wurde, gegen- wärtig zu elenden Dörfern herabgeſunken vor ſich ſieht. Den höchſten Grad muß aber das Mißvergnügen erreichen, wenn ein näheres Eingehen in dieſe Zuſtände keinen Zweifel darüber läßt, daß ſeit vier Jahrhunderten von einem blos zehrenden, niemals befruch- tenden Volke ſo ganz und gar nichts geſchehen iſt, um den von ihm veranlaßten Ruin des Landes allunählig durch humane, für Alle gleich wohlthätige Geſetze wieder auszugleichen, oder – mit andern Worten – das Land und ſeine Bewohner der Stufe der Cultur und des Wohlſtandes wieder zuzuführen, für welche eine mit verſchwenderiſcher Hand ſpendende Natur ſie urſprünglich be- ſtimmt hatte. Man hat oft wiederholt, daß die Türken ſich in den von ihnen eroberten Ländern nicht heimiſch fühlen, weil ſie keine Landſtraßen bauen. Viel mehr noch würde ſich dies aus dem Umſtande folgern laſſen, daß ſie nichts thun, um dem entvölkerten Boden die vertriebenen oder ausgerotteten Bewohner wieder zu ſchaffen. Man würde dem Lande ſchon Glück wünſchen müſſen, wenn die Kopfzahl ſeiner Einwohner nicht immer noch tiefer ſänke*). *) Vergl. v. Reden, a. a. O, S. 88, 89. – 360 – Ich wurde einſt von einem Staats-Oekonomen befragt, ob ſich das menſchenleere Weſtaſien nicht eignen dürfte, deutſche Colonien dort anzuſiedeln? Meine Antwort war: daß ſich kein Land der Welt mehr zur Förderung deutſcher Anſiedelungen eignen würde als Weſtaſien, nördlich von Smyrna beginnend, über das ehemalige trojaniſche Gebiet, längs der Dardanellen, des Marmara-Meeres und des Bosporus bis zum ſchwarzen Meere, – ſobald man dahin gelangt ſein werde, den Arbeitern geſetzlichen Schutz und Sicherheit gewähren zu können. Bis zu dieſer vielleicht noch ſehr fern lie- genden Zeit möge man indeſſen brave und arbeitſame Landsleute nicht dem Verderben ausſetzen. – Hr. Fallmerayer*) gelangt für die europäiſche Türkei zu einem ähnlichen Reſultate. Er ließ ſich, Anfangs Februar auf dem Kaſtellhügel zu Lariſſa ſitzend, zu dem Gedanken hindrängen, daſ, wenn bei überzähliger und unzufriedener Bevölkerung irdiſches Gedeihen allein die Wahl neuer Sitze beſtimmen ſoll, für die „Temperatur des deut- ſchen Blutes“ ohne Zweifel Theſſalien der geeignetſte Him- melsſtrich wäre. Der wiederholte Anblick des prachtvollen Teppichs der peneiſchen Ebene, auf der nach vierzehntägigem Winter wieder „die Myrte in friſchem Saft trieb,“ gab ihm die Veran- laſſung dazu. Doch er ſelbſt ſagt ſich: „das Erbe iſt ſchon vergeben, Byzantiniſch angebaute Fluren gewinnt der Abendländer heute nicht mehr auf friedlichem Wege; der Gewalt aber und dem klugen Gedanken haben die deutſchen Stämme auf immer (?) entſagt.“ Zum Ueber- fluſſe fügt er noch Beweiſe für die zu Lariſſa damals betriebenen türkiſchen Unterſchleife und den Raub an öffentlichem Gut hinzu, wohl um die ehrlichen Deutſchen von dem Gedanken an Ueber- ſiedelung dorthin um ſo ſicherer zurückzuſchrecken. Selbſt ein Türke ſagte ihm nämlich: „das Devlet alieh (die hohe Pforte) muß in dieſer Weiſe elend zu Grunde gehen.“ – Der Türke, der dies 1843 ausſprach, hat bis 1861 hin vollkommen Recht be- halten, denn die Finanznoth der türkiſchen Regierung iſt heute dringender als je; ſie darf als ein Hauptmotiv der in faſt allen Regionen des Volkes herrſchenden Unzufriedenheit angeſehen wer- den. Die kurz vor ihrem Ausbruche entdeckte und unterdrückte *) A. a. O. S. 326. - 361 - Revolution vom September 1859 fand einen weſentlichen Stütz- punkt darin, daß der Armee ſeit vier Monaten kein Sold gezahlt worden war. Sie hatte ihre Verzweigungen unter hohen Offizieren und geiſtlichen Würdenträgern, die es ſchließlich darauf abgeſehen hatten, alle Neuerungen abzuſchaffen und das alte orthodoxe Türken- thum wieder zur Geltung zu bringen. Die Ausführung des klug angelegten Planes würde Mord und Verderben über den Sultan, die Anhänger des Hatti-Hümayun, endlich auch über die Chriſten gebracht haben, obgleich die Führer des Aufruhrs wirklich die Ab- ſicht gehabt haben mögen, die fremden Geſandtſchaften und die Chriſten überhaupt zu ſchonen. Es ſoll außerdem unter dem Namen der „byzantiniſchen Union“ ein durch alle Provinzen verbreiteter Bund organiſirt ſein, welcher den Umſturz der beſtehenden Regie- rungsform, unter Beibehaltung des Sultans, beabſichtigt. Somit liegt der gähnende Abgrund, an welchem die Regierung des wohl- meinenden und milden Sultans Abdul Medſchid angelangt iſt, jetzt vor Aller Augen blos. Die ganze Energie eines Mo- hammed II. oder Suleiman d. G. würde jetzt erforderlich ſein, um die vertagte Umwälzung vollſtändig abzuwenden. Die europäiſchen Mächte, welche mit der Türkei den Frieden von Paris unterzeichnet haben, richteten in Folge jenes Ereigniſſes an die letztere im Oc- tober 1859 ein Memorandum, durch welches mehr Energie in der Durchführung der neuen Einrichtungen, ſowie eine beſſere Finanz- Wirthſchaft anempfohlen wird. Leider konnten dem guten Rathe die energiſchen Geiſter nicht hinzugefügt werden, welche hierbei un- entbehrlich ſein würden. Jedenfalls iſt ein ſo unſicherer Zuſtand nicht geeignet, fremde chriſtliche Coloniſten herbei zu locken. Aber die Regierung hat in der neueren Zeit die Hülfe weſteuropäiſcher Bildung und chriſtlicher Talente ſo häufig in Anſpruch genommen und benutzt, daß ſie ſelbſt dadurch den Beweis lieferte, es könne ohne ſolche Unterſtützung fortan nicht mehr regiert werden, wenn nicht die alte Barbarei wieder zur Herrſchaft gelangen ſoll. Fühlt man ſich hierzu nicht kräftig genug, ſo muß man die bis jetzt blos auf dem Papiere ſtehenden neuen Geſetze aufgeben, und die betur- banten Türken abermals an die Spitze ſtellen, wie es die Partei des Rückſchritts dort verlangt. Was die chriſtlichen Großmächte in ſolchem traurigen Falle thun würden, läßt ſich, Angeſichts der bei ihnen ſtets herrſchenden gegenſeitigen Rivalität, nicht vorher- 16 - 362 - ſehen. Immerhin würde dann den chriſtlichen Bewohnern der Türkei Zeit ggnueg gelaſſen werden, die Initiative zu ergreifen, wenn ſie ihren dann gewiß erhöhten Draugſalen ſelbſtſtändig abhelfen wollten, wie ſie dazu durch ihr bedeutendes numeriſches Uebergewicht allein ſchon befähig ſein würden. Es möchte ein unweiſer Gedanke ſein, unter ſolchen Umſtänden unthätig uneigennützige Hülfe von außen her, etwa Uu der chriſtlichen Liebe willen, zu erwarten; ſchon die griechiſchen Kaiſer haben erfahren, was hiermit gewonnen werden kann. Frankreich hat durch deu Krim-Krieg ſeine gigantiſche Schul- denlaſt um 1700 Millionen Fr. vermehrt, dahingegen der jüngſte italieniſche Krieg nur 300 Millionen gekoſtet haben ſoll. Würde man hoffen dürfen, daß Frankreich, blos der Glorie wegen, ſein Schwert abermals in die Waagſchale der Geſchicke des Qrients geworfen zu haben, zu einem ähnlichen Opfer entſchloſſen ſein würde? Bei allen den Antipathieen, welche die jetzige maaßgebende Gewalt Frankreichs gegen die Türken in den letzten Jahren kund gegebeit hat, läßt ſich dies dennoch gewiß nicht erwarten. Indem nun während des Sommers 186Q thatſächlich bereits eine Invaſion Syriens vor ſich gegangen iſt, ſo kaut es ſich hierbei ſchwerlich mehr um die ideale Machtſtellung Frankreichs, ſondern vielmehr nur um eine ſchickliche Einleitung zu dem dereinſtigen materiellen Beſitz Syriens handeln. Eine zweite Expedition nach dieſem Lande der Verheißung dürfte nicht blos in Frankreich populär, ſondern zugleich die ſolideſte Initiative für die Unterwerfung des ganzen Küſtenſtrichs von Nord- afrika ſein. Der kühne Gedanke, das Mittelmeer zu einem franzöſiſchen Binnenſee zu machen, iſt oft genug ſchon ernſthaft ausgeſprochen worden. Dies iſt die Gefahr, welche der Türkei von Süden hem droht. – Ungleich wichtiger noch erſcheint die vom Norden her zu fürchtende Invaſion. Die zu ihrer Ausführung in Beſſarabien be- reits angehäuften Truppen ſind des zur geeigueten Zeit etwa erfolr genden Winkes gewärtig. Iſt doch die gefahrdrohende Aufhebung der Leibeigenſchaft bis jetzt glücklich gelungen. An meiſten berufen, die orientaliſchen Angelegenheiten definitiv zu reguliren, würde Deutſchland ſein. Aber die bejammernswerthe Zerſplitterung ſeiner Macht hat ſich noch während des jüngſten ita- lieniſchen Krieges ſo grell und nachtheilig herausgeſtellt, daß der chriſtliche Orient – mit Ausnahme einiger barmherzigen Schewe- ſtern für Syrien – vorläufig nichts von ihm zu erwarten hat. = 3G3 = Man hat ja in Würzburg, Bamberg, Caſſel u. ſw. mit der Wahrung dynaſtiſcher Intereſſen vollauf zu thun. Hr. v. Reden*) vermritther, daß die Serben durch ihre geiſtigen Anlagen, ihre Lebhaftigkeit und ihre kriegeriſchen Tugenden der Aufklärung im Oriente Sereinſt zur Brücke dienen werden. Das der Regierung des Stammes Miloſch überantwortete Fürſten- thum Serbien zählt etwa eine Million Einwohner, die dem griechi- fchen Cuktns zugetan ſind. In Oeſterreich keben zerſtreut unker dem Namen der Slavonier, Morlaken, Iftrier, Dalmaten, Ragn- ſaner, noch 1,600.000 Serben, die jedoch für den oben als möglich vorausgeſetzten Fall wohl nicht mitzählen würden. Dagegen findet ſich noch in Bosnien, Bulgarien und Albanien, alſo auf türkiſchem Gebiete, eine halbe Million Serben, die mit jenen des Fürſten- them's zuſammen alſo 1 Millionen ergeben würden. Sie möch- tet allerdings im Stande ſein, den unkriegeriſchen, aber kräftigen und zahlreichen Bulgaren als Gährungsſtoff zu dienen und ſie mit ſich fortzureißen. Dieſe vereinigten 8 Millionen Slaven könnten unter energiſcher Führung ihren Willen einen kategoriſchen Ausdruck geben, der auf Byzanz einen mächtigen Einfluß ausüben müßte. – Die osmaniſchen Griechen würden unter ſolchen Verhältniffen wahr- ſcheinlich genau ſo, wie ſie es den Kreuzfahrern gegenüber thaten, aus den ſich ergebenden Wechſelfällen liſtig Vortheil zu ziehen ſuchen. Die Griechen des helleniſchen Königreichs haben ſich 1854 durch eine kleine franzöſiſche Beſatzung Athens abhalten laſſen, ihren urſprünglichen Plan, zu Gunſten Rußlands eine Diverſion gegen die Türkei zu machen, auszuführen. Würden ſie unter ſpäter eintretenden analogen Umſtänden energiſcher und ſelbſtſtändiger auf- treten? Damals bot ſich wenigſtens eine günſtige Gelegenheit dar, zu zeigen, daß noch ein kräftiger Reſt althelleniſchen Blutes in den Adern der Neugriechen walle. Mit dieſem würden ſie die Köpfe ihrer Feinde eben ſo wenig gezählt haben, als ihre Vorfahren die der Perſer. Ohne Zweifel ſtand dabei die Exiſtenz auf dem Spiele. Aber welche traurige Exiſtenz! Wie wenig war hier mit dieſer verloren, wie unendlich viel konnte dagegen im glücklichen Falle gewonnen werden! Sollte es unmöglich geweſen ſein, die Serben und Bulgaren für die Sache der Befreiung von türkiſchem Soche zu begeiſtern, und würde in ſolchem Falle fich Rußland nicht haben *) A. a. O. S. 74. 16* – 364 – beeilen müſſen, Waffen und kriegsgeübte Führer über die Donau zu ſenden, um das Unternehmen zu leiten und zu kräftigen? Doch die Hellenen haben es nicht verſtanden, den vielleicht nie wieder- kehrenden Augenblick mit energiſcher Hand zu ergreifen. Sie haben ſich dadurch den Stempel der wohlverdienten Abhängigkeit von den Weſtmächten und von einer inſolenten engliſchen Diplomatie aufgedrückt. – Somit bleiben nur jene 8 Millionen Slaven übrig, von welchen ſich eine ſelbſtſtändige Einwirkung auf die dereinſtige Neu- geſtaltung des ehemaligen oſtrömiſchen Kaiſerthum's erwarten läßt. Inzwiſchen thront der humane, aber weichliche Sultan im Harem zu Byzanz über dem glimmenden Vulkan des alten barba- riſchen Osmanenthum's, deſſen Exploſion jüngſt ſchon nahe heran- gerückt war. Von außen her wird dieſer Thron durch Nachbarn umgarnt, welche nur mittelſt gegenſeitigen Argwohns und Neides abgehalten werden, ſich die Hand zum Umſturze der ſchwachen Re- gierung von Stambul zu reichen. Und als der nordiſche Macht- coloß näher und näher an die Donau gerückt war, um der faſt ſchon verfallenen Beute ſicherer Herr zu werden, da waren es chriſtliche Weſtmächte, welche die Vertheidigung des bedrohten Osmanenthums unter unſäglichem Aufwande von Blut und von Gold übernahmen. Die franzöſiſche Regierung hat in der Folge genügend bewieſen, daß es ihr hierbei nur um die Befeſtigung des eigenen Thrones, ſowie um Kriegsruhm und einige Marſchallſtäbe für das Heer zu thun war. England allein entwickelte bei dieſer Gelegenheit die ernſte Abſicht, Rußland von der türkiſchen Gränze zurückzudrängen, und hatte hierzu vollwichtige Gründe. Rußland begnügt ſich vorläufig damit, den Bulgaren und Griechen Kirchen-Geräthſchaften aller Art und Heiligenbilder als Geſchenke zuzuſenden, wozu in der letzten Zeit auch einige Glocken gekommen ſein ſollen. Die für die griechiſche Kirche ſeit dem Concil von Chalcedon mit ſo nachhaltigem Eifer und ſo großem Erfolge angeſtrebte geiſtige Verbindung aller ihrer Mitglieder iſt hierdurch neuerdings vorläufig gewährleiſtet. An dieſe wird dann bei der nächſten günſtigen Veranlaſſung die materielle Verbindung um ſo leichter angebahnt werden können. Daß aber im Orient die Augen aller griechiſchen Chriſten ſtets nach St. Petersburg hingewendet ſind, erfährt jeder dort Reiſende ſchon in wenigen Tagen. Erwägt man, welche ſouveräne Stellung im oſtrömiſchen Reiche die Kirche, von – 365 – ihrem Begründer Conſtantin an, faſt ununterbrochen eingenommen hat, ſo kann eine ſolche Thatſache auch keineswegs auffallen. Thront doch der summus episcopus zur Zeit in der nordiſchen Hauptſtadt. Rußland hat ſeinerſeits ſchon in den früheſten Phaſen ſeiner Geſchichte das dringende Verlangen bewieſen, für die Erzeugniſſe ſeines gigantiſchen Länder-Complexes ſüd- und ſeewärts einen Weg in das mittelländiſche Meer zu erlangen, über welchen es zu ge- bieten vermöchte. Von 879–944 erſchienen ſie viermal am Bos- porus, von wo ſie öfter durch Gold als durch Waffen zurückgetrieben wurden. Im Jahre 967 empfing ihr Herrſcher Swätoslaw aber von dem griechiſchen Kaiſer fünfzehn Centner Goldes, um die über- läſtig gewordenen Bulgaren zu bekriegen und zu zähmen. Swä- toslaw ſchlug die Bulgaren, ließ 20,000 derſelben pfählen, deren ganzes Unrecht darin beſtand, daß ſie ſich muthig vertheidigt hatten, erklärte dann aber in Byzanz, daß er in dem eroberten Lande zu verbleiben gedenke. Da zog der Kaiſer Johannes Tzimisces aus, beſiegte ihn, und trieb ihn über die Donau zurück. Für unſern Zweck erſcheint es indeſſen wichtiger, daß der moscowi- tiſche Czar Ivan III. eine Nichte des letzten Conſtantin gehei- rathet hatte und daß hieraus der Papſt Paul II. nach dem Sturze des Kaiſerthum's Gelegenheit nahm, dem ſchismatiſchen Czaren die Erbſchaft des erledigten griechiſchen Thrones zu übertragen. Dieſe Declaration geſchah feierlich, und ſeit jener Zeit nahm Rußland den griechiſchen Doppeladler in ſein Wappen auf. Seitdem ſcheint Rußland auch ſtets einen Conſtantin bereit zu halten, der zu rechter Zeit die Erbſchaft antreten könnte, ohne den Namen wechſeln zu dürfen. Päpſtlichen Ausſprüchen gehorſame Katholiken ſollten ſich hiernach über die Manöver Rußlands nicht entſetzen, die auf die Austreibung der Türken von dort berechnet ſind. Abgeſehen von alten und neuen Geſchichten läßt jedoch ein einfacher Blick auf die Karte erkennen, daß, ſobald Rußland ſeine unerſchöpflichen Hülfsquellen eröffnet haben wird, es durch die Natur der Dinge dazu gedrängt werden muß, für Abfluß derſelben in das Meer nach Süden hin zu ſorgen. Der gegenwärtige humane Herr- ſcher im Norden trifft weiſe Vorbereitungen dazu durch den innern Ausbau und die dem heutigen Stande der Civiliſation Europa's entſprechende Befeſtigung des Staates. Mögen ſich dieſem Unter- nehmen auch große Schwierigkeiten entgegenſtellen, – früher oder > – 366 – ſpäter müſſen ſie überwunden werden, und, ſobald der freie Bauer ſein eigenes Land verbeſſernd baut, würde Rußland in ſeinem Reichthum erſticken, wenn es keine ihm ſelbſt gehörige Abſatzwege benutzen dürfte. Alſo nicht blos der ſehr verzeihliche Hang eines oder des andern Herrſchers, den feſten Wohnſitz aus dem eiſigen Norden in den von einer milderen Sonne beleuchteten Süden Eu- ropas zu verlegen, – etwa dem maleriſchen Landſitz des Kaiſers Nicolaus au der Südſeite der Krim mit einem ſolchen am Bos- porus zu vertauſchen, – ſondern in der That eine Art von Natur- Mothwendigkeit treibt Rußland gegen Byzanz hin. Fügt man dem noch hinzu, daß nach vollſtändiger Aufhebung der Leibeigenſchaft und beendigtem Eiſenbahn-Bau nach dem ſchwarzen Meere hin, ein ruhmdurſtiger und kriegsluſtiger Kaiſer den Thron einnehme, – was ſollte ihn hindern, ſeine Legionen zum zweiten Male an die Oſtſeite des Bosporus marſchiren zu laſſen? Und wenn es Frank- reich im gegenwärtigen Jahrzehnd ſchon zweimal erlaubt geweſen iſt, ſeine Heere auf Eroberung von Ruhm auszuſenden, – mit welchem Rechte will man es hiernach Rußland verargen, dem böſen Beiſpiele folgend, für ſeine Armee Aehnliches zu thun? Es gibt nur ein Volk, welches im Stande wäre, dieſem der- einſtigen Ueberfluthen der Legionen Rußlands einen feſten Riegel vorzuſchieben. Wer wollte die ſiebenzig Millionen Deutſcher ver- Ä am linken und rechten Ufer der Donau bis zum ſchwarzen Äng zu marſchiren, um ſich hier für immer anzuſiedeln und ſo einen Damm zu bilden, an welchem ruſſiſche wie türkiſche Flu- then ſich gleichmäßig machtlos brechen würdeu, wenn – – – Deutſchland, oder auch nur die geſammte deutſche Heeresmacht, von einem einzigen energiſchen Willen geleitet würde. Aber das Volk der Denker und der Intelligenz ſpricht weiſe, geflügelte Worte über die unentbehrliche Einigung der deutſchen Stämme, läßt die Trennung aber thatenlos ad indefinitum beſtehen, bis von Weſten und von Oſten her zu den bereits abgeriſſenen Provinzen neuerdings losgelöſte hin- zugefügt ſein werden. - : „Gott verzeih mir das Wort, dem nicht die That - - - - - auf den Fuß folgt! „Unfruchtbares Weib hab' ich der Kinder geziehn.“ - - Al Buſſiri im Lobgedicht Al Bordg. - - ſ - ... – 367 – Wir hatten zwar eine Zeit, in welcher der Philoſoph von Sansſouci, ja noch ſein Nachfolger im Jahre 1790, den gegen die Türken gewendeten Waffen Halt gebieten konnten; aber dieſe Zeit liegt hinter uns. Des zerriſſenen Dentſchland's Blicke ſind gegenwärtig nur nach dem Weſten hin gewendet, wo man einem vorherrſchend energiſchen Charakter geſtattet hat, ſich einen maaßge- benden Einfluß auf Europa anzueignen. Um das, was im Oſten geſchieht, kümmern ſich die heutigen Politiker Deutſchlands wenig; ſie ahnen nicht, daß die Geſchicke ihres herrlichen Baterlandes end- gültig nur dort können entſchieden werden. Vollkommen wahr, aber nnbeachtet von Deutſchland, ſchreibt Hr. Thiers: „Quand le colosse russe aura un pied aux Dardanelles, un autre sur le Sund, le vieux monde sera es clave, la liberté aura fui en Amerique: chimère aujourd'hui pour 1es esprits bornés! ces tristes prévisions seront un jour cruellement realisées, car l’Europe maladroi- tement di wisée, comme 1es will es de la Grèce .de- vant 1 es rois de Macedoine, aura probablement le méme sort.“ Somit bleibt nur England übrig, welches, im vollen Be- wußtſein der hohen Wichtigkeit des europäiſchen Orients für ſeine Machtſtellung gewiß Alles aufbieten wird, Rußland dort Hinder- niſſe aller Art entgegen zu thürmen. Sir John M'Neill ſagt: „Die Politik Rußland's ruht auf der Gewißheit, Eng- land ſeine indiſchen Beſitzungen zu rauben;“ – daſſelbe behauptet Hr. Urquhart*): „den Eingang in's ſchwarze Meer verſchließen, heißt nichts Anderes, als für Ruß- land einen Weg nach Indien zu öffnen.“ Und wenn Lord Palmerſton alle Kräfte aufbietet, den Bau des Suez-Kanals zu hintertreiben, den das Intereſſe des ganzen übrigen Europas drin- gend wünſchen muß, ſo kann nur die Abſicht England's angeſchul- digt werden, keinen neuen, kürzeren Zugang nach Oſtindien eröffnen zu laſſen. Auch der Weheruf über die Gefangennehmung Scha- myl's und über die maſſenhafte Auswanderung der Tſcherkeſſen ans dem Kaukaſus, welcher durch alle engliſche Tagesblätter drang, fand ſeine Berechtigung in der Ueberzengung, daß ein Felſendamm *) A. a. O. S. 153. – 368 – mehr gegen Rußland's Ueberfluthen nach Indien mit jenem Ereig- niß gebrochen ſei. - Die Ruſſen haben mit den Engländern das gemein, daß ſie ihre Macht und Thätigkeit nach allen Seiten hin auszudehnen ſtreben. England hat das rechte Maaß hierin (wenn es irgend ein ſolches gibt) bereits überſchritten und läuft Gefahr, rückwärts gehen zu müſſen. Das mit ihm wetteifernde Rußland verſteht, der energiſchen Jugendkraft ſeines Länder-Coloſſes von Zeit zu Zeit mit weiſer Mäßigung einen Zaum anzulegen, um ſie vom Ueberſtürzen zurückzuhalten. Aber es verliert ſein Ziel nie aus den Augen. Während England die Ruſſen auf der Krim und an den Ufern des ſchwarzen Meeres hinlänglich beſchäftigt zu haben wähnte, be- feſtigten ſich dieſe am Amur. Sie erwarben dort in friedlicher Stille ein Areal von 10,000 DMeilen und zugleich den wichtigen Eintritt in das übervölkerte himmliſche Reich, um ſeinen daſſelbe Ziel im Auge haltenden Bemühungen an der entgegengeſetzten Gränze zu Kiachta und Buchara die hülfreiche Hand zu bieten. Freilich fordert Kiachta auch Menſchen, die möglicher Weiſe eine Kälte zu ertragen im Stande ſind, bei welcher beinahe das Queckſilber feſt wird, denn wir erfahren, daß die Temperatur dort am 30. De- cember 1856 auf – 25 ° R. ſank. Das hindert aber Rußland nicht, nach einem ſeit 1728 mit China beſtehenden Vertrage in dieſem Lande eine geiſtliche Miſſion zu unterhalten, welche ſich ſeit 1849 in Pecking aufhält und 1857 über Kiachta abgelöſt werden ſollte. Könnte England ſich wirklich mit der Hoffnung ſchmeicheln dürfen, durch ſeine Unternehmung auf dem Peiho-Fluß ſolchen Fort- ſchritten der ruſſiſchen Nebenbuhler Einhalt gethan zu haben? Doch – viel mehr handelt es ſich hier um die Donau. War es 1812 nicht England, welches, um Frankreich möglichſt zu ſchaden, die Türkei verleitete, mit Rußland in demſelben Augenblicke Frieden zu ſchließen, wo ſich ihm die günſtigſte Gelegenheit darbot, letzteres von der Donau und dem ſchwarzen Meere zurückzudrängen? Ver- dient dieſer Mißgriff nicht, in noch höherem Grade „an unto- werd event“ genannt zu werden, als die mit ruſſiſcher Hülfe bewirkte Zerſtörung der egyptiſch-türkiſchen Flotte zu Navarin, welche Georg IV. in ſeiner bald darauf gehaltenen Thronrede mit jenem für die engliſche Flotte ſo wenig ſchmeichelhaftem Ausdrucke begrüßte? Würde England damals der durch jenen Vorfall vor- – 369 – bereiteten Befreiung Griechenland's ſeinen energiſchen Beiſtand ge- leiſtet haben, wenn es die bald darauf hervorgetretene überwiegende Hinneigung Griechenland's zu Rußland weiſe vorher berechnet hätte? Und doch beruht dieſe auf einer nicht ſchwer zu enträthſelnden naturgemäßen Grundlage, der ſich ſelbſt König Otto während des jüngſten Krieges nicht zu entäußern vermochte. Die Folge davon war, daß die Alliirten ihre Macht zerſplittern und Truppen im Piräus ausſchiffen mußten, um die Türkei gegen die Schutzbefoh- lenen England's und Frankreichs zu ſchirmen. Durch die Mitwirkung ſolcher und ähnlicher Mißgriffe gelang es Rußland, 1829 im Frieden von Adrianopel die Türkei zur Abtretung des einzigen noch fahrbaren Ausfluſſes der Donau in's ſchwarze Meer zu zwingen. Die deutſchen Mächte, denen am meiſten daran hätte liegen ſollen, ein ſolches Ereigniß zu verhindern, dem man eine weltgeſchichtliche Bedeutung einräumen muß, begünſtigten ahnungslos jenen Frieden, mit ihm zugleich die Abtretung der Mün- dung der Hauptlebensader von Deutſchland. Die böſen Folgen davon ließen nicht auf ſich warten. Schon 1836 errichtete Rußland eine Quarantäne an der Sulina-Mündung, durch welche es die den Einlaß begehrenden Schiffe zwang, umzukehren und nach Odeſſa zu gehen, um dort Quarantäne zu halten. Mehr und mehr traten ſeine Pläne in die Oeffentlichkeit. 1838 gelang es Rußland, einen Vertrag zwiſchen der Türkei, England und Oeſterreich ſcheitern zu machen, der die Donau-Schifffahrt befreit und geſichert haben würde. 1844 und 1850 wußte es den Vorſchlag Oeſterreichs zur Anlegung eines Donaukanals zu vereiteln. Ebenſo vermochte es 1841, einen Vertrag zu London unterzeichnen zu laſſen, durch welchen die Kriegs- ſchiffe aller Nationen im Kriege und im Frieden von dem ſchwar- zen Meere ausgeſchloſſen bleiben ſollten, dem 1849 der das Ganze krönende Vertrag folgte, durch welchen die Türkei ſich die Beſetzung der beiden Donau-Fürſtenthümer durch ruſſiſche Truppen, mithin die möglichſte Sicherung der ruſſiſchen Herrſchaft über die Donau gefallen ließ. Endlich iſt es nun durch Rußlands und Frankreichs Betreiben dahin gekommen, daß die türkiſche Regierung ihren Proteſt gegen die Doppelwahl des Fürſten Couza zum Herr- ſcher beider Donau-Fürſtenthümer zurücknahm und ihm die Inve- ſtitur ertheilte. Bei dieſer hielt es Fürſt Couza nicht einmal mehr für nöthig, den kaiſerlichen Geſandten in feierlicher Audienz zu – SRO – empfaugen. Die Suzeränetät der Pforte iſt hiermit tief hinab- gedrückt und Rußlands Diplomatie hat einen Sieg mehr über Eng- land davon getragen. Aus alle dem geht unwiderſprechlich hervor, daß, wenn auch der Nationalruſſe einer höheren moraliſchen Civiliſation weniger zugänglich und ſchwerbeweglich iſt, doch die ruſſiſche Regierung unausgeſetzt thätig, leichtbeweglich und in der richtigen Auswahl hervorragender diplomatiſcher Kräfte ungemein glücklich iſt. Nament- lich wird ſie durch Männer deutſcher Abkunft bei derartigen Unter- nehmungen beſtens unterſtützt, denen das Wohl und Wehe des Adoptivvaterlandes unendlich mehr als das ihres Stammlandes dabei am Herzen liegt. Welche Stimmung gegen England in Rußland herrſcht, be- darf hier der Auseinanderſetzung nicht; wer darüber Zweifel hegen könnte, mag die Schrift von Wernadski*) darüber zu Rathe ziehen, welche viel brauchbares Material enthält. Den Einfluß anf den Handel nach Mittelaſien und nach Oſt- indien, welchen das dereinſt bis an das caspiſche Meer und von dieſem bis an den Aralſee zu vollendende ruſſiſche Eiſenbahnſyſtem ausüben wird, hat bereits im voraus der ruſſiſche General Ge- rebtzkow*) näher nachgewieſen. Er berechnet die Zeit, welche ein von Paris abgeſendeter Waarenballen nöthig hat, der auf franzöſiſchen, deutſchen und ruſſiſchen Eiſenbahnen befördert wurde, auf zwölf Tage bis nach Perſien, auf zwanzig Tage bis nach Taſchkend; er würde nach vierzig Tagen die entfernteſten Punkte Mittelaſiens erreicht haben. In England kennt man die von dort her drohende Gefahr ſehr wohl. Auch weiß man dort, daß die Türken unter Füh- rung des tapfern General Williams während der Belagerung von Kars Wunder der Tapferkeit gethan und eine unerhörte Opfer- bereitſchaft an den Tag gelegt haben. Dieſe ausgezeichneten Eigen- ſchaften würde man von Seite Englands bei dem nächſten blutigen Zuſammenſtoße an ſchwarzen Meere benutzen müſſen, wenn es ſich darum handelt, Rußlands Vordringen nach Süden zu hemmen. *) Die Weltherrſchaft Englands und das politiſche Gleichgewicht. Leipzig mnd Mitau, 1856. *) Les trois questions du moment. Paris, 1857. England würde ſein Gold nicht nützlicher anwenden können, als wem es mit ihm in ſolchem Falle der türkiſchen Armee kriegs- kundige, energiſche Führer, Sold und Proviant verſchaffte. Denn nur dort laſſen ſich Rußlands Pläne noch durchkrenzen. Mit dem Uebergange Conſtantinopels in den Beſitz Rußlands würde die Achillesſehne Englands verwundet, – Oſtindien würde in dringender Gefahr ſein! – Wir gelangen endlich zur Beantwortung der ernſten Frage: werden Unterſtützungen von außen her auf die Dauer hinreichen, die innere Auflöſung des osmaniſchen Reiches abzu- wenden? Allenthalben, wo ein höher eiviliſivtes Volk mit einem im Zmſtande der Uncultur befindlichen in dauernde Berührung tritt, muß das letztere früher oder ſpäter der überwiegend ausgebildeten Intelligenz nothgedrungen ſeinen Tribut zollen. Verweigert es dieſen, wie die Osmanen, wenn ſie dem Koran gehorſam bleiben wollen, es thun müſſen, – ſo wird es entweder unterjocht oder muß ſich, kämpfend mn ſeine Exiſtenz, in immer engere Gränzen zuwückziehen, bis es endlich aus der Reihe der Bötker verſchwindet. Dffenbar waltet hier ur ein Naturgeſetz mit Nothwendigkeit, welches ſich bereits in den älteſten Zeiten, bis zu denen die Ge- ſchichte hinaufreicht, kund gab. Der ernſte Geſchichtsforſcher be- darf daher zur Würdigung jenes Geſetzes nicht der in unſerer Zeit oft wiederholten Hinweiſung auf die Ureinwohner des weſtlichen Continents, welche man dort „Wilde“ betitelt. Dieſe ungerecht- fertigte Bezeichuung von Menſchen niederer Eulturſtufe mag viel dazu beigetragen haben, daß jene Bedauernswerthen von ihren europäiſchen Drängern leider oft genug gleich Beſtien behandelt worden ſind. Aehnlich, wenngleich weniger ſchnell und auffallend, wirkt das Naturgeſetz auf Völker ein, die ehedem im Beſitze der höchſten menſchlichen Cultur, ſich durch Mißbrauch dieſer unwürdig gemacht hatten. Sobald hohe Intelligenz nicht mehr ihrer uranfänglichen wahren Beſtimmung, der fortſchreitenden Erkenntniß der göttlichen Geſetze der Veredelung des Menſchengeſchlechts zugewendet, ſondern zur Erreichung inhumaner, ſelbſtſüchtiger, ſchändlicher Zwecke er- niedrigt und herabgezogen wird, ſo folgt der Verſündigung die Strafe auf dem Fuße. Die fort und fort über uns waltende höchſte Macht fordert den dem Menſcheugeiſte zu weiſer Benutzung – 372 – dargeliehenen göttlichen Funken nach Maaßgabe ſeiner Entwürdigung allmählig zurück. Sein belebendes Feuer erliſcht bis zu kleinlichem Reſte. Unter dem Gewichte wohlverdienter Rüge langer aufge- häufter moraliſcher Verſündigungen erſchlaffen und erlahmen ganze Nationen, ſinken und verſchwinden von der Weltbühne. Von jugend- lich friſcher Energie durchwärmte Völker treten in das verwirkte Erbe jener entnervten. Auf den Schultern ermattet hinwelkender Stämme erheben ſich aus ihrem bisherigen Dunkel neue, kräftigere zum Lichte empor. Wie im Kleinen die körperliche Krankheit des Vaters häufig ſich überpflanzt in den Keim des Sohnes, um mit dieſem aufzuwachſen, ſo auch muß im Großen und noch viel ſicherer, die in ganzen Völkern weit verbreitete moraliſche Verderbniß auf deren Nachkommen übergehen und den Ruin dieſer endlich herbei- führen. - Ein großes belehrendes Beiſpiel für dieſe Wahrheit bieten uns die Griechen dar. Nachdem ihre Republiken auf dem Höhepunkte damals möglicher menſchlicher Cultur angelangt waren, vermochten ſie, gering an Zahl, unzählbaren Perſerheeren kühn zu trotzen. Durch den Sieg übermüthig und eitel, durch die Beute habſüchtig und ſittenverderbt geworden, zerſtörten ſie thöricht das ſie durch gemein- ſame Cultur zuſammenhaltende nationale Band, bekämpften, entkräf- teten ſich gegenſeitig, beſudelten ſich mit blutigem Bruderverrath, bis ſie endlich der Römer leichte Beute wurden. Als die letzteren durch gigantiſch entwickelte, heroiſche Thatkraft Gebieter der damals bekannten Erde geworden waren, ſanken ſie unter der Deſpotie, dem Luxus und der Ungerechtigkeit ihrer Kaiſer tiefer und tiefer. Ein richtiger Inſtinkt und weiſe Berechnung lehrte den erſten Conſtantin erkennen, daß der Sturz Roms und ſeiner falſchen Götter unab- wendbar geworden ſei. So verlegte er den Sitz ſeiner Regierung in den damals noch lebensfriſchen Oſten, indem er ihn zugleich durch großartige Benutzung der immer noch mächtigen wiſſenſchaft- lichen und künſtleriſchen Kräfte Griechenlands und Kleinaſiens zu ſtützen und zu beleben trachtete. Und in der That gelang es ſeinem ſchöpferiſchen Geiſte, Conſtantinopel für ein volles Jahrtauſend zum Centralpunkte menſchlicher Cultur zu erheben. Aber die erſchlafften Hände ſeiner moraliſch verſunkenen ſpäteren Nachfolger vermochten nicht mehr die feurigen Roſſe des Wagens der Intelligenz zu lenken. So gerieth dieſer auf Irrwege und in Abgründe, bis er endlich – 373 – von barbariſchen Horden mit leichter Mühe umgeſtürzt wurde, die ſich von den Hochebenen Aſiens auf ihre Beute herabgeſtürzt hatten. Dieſe Osmanen haben indeſſen die ihnen vom Geſchicke über- wieſene wichtige Miſſion niemals erkannt. Immer noch fahren ſie fort, von der reichen Beute zu zehren, gleich als ahnten ſie, daß ſie für ſolchen Beſitz zu leicht befunden, ſie endlich würden zurück- geben müſſen. Aber ſchon ſeit anderthalb Jahrhunderten klopft der Engel der ſtrafenden Vergeltung deutlich hörbar an die Pforten ihrer Macht. Gegenſeitiger Neid, Mißgunſt und Zwietracht unter den europäiſchen Trägern einer höheren Civiliſation haben die Exi- ſtenz der aſiatiſchen Eindringlinge zwar bisher gefriſtet, ja für ihre Erhaltung ſogar noch jüngſt Ströme Blutes vergießen laſſen. Aber als ob die fortdauernde Verſündigung an der Humanität ihre ſicherſte Strafe ſtets mit ſich herum trüge, ſo verzehren ſich die Osmanen gleichſam in ſich. Ihre Volkszahl verringert ſich von Jahrzehnd zu Jahrzehnd, und wenn es möglich wäre, ihnen jede Zufuhr neuer Lebenskraft von anderen Menſchenſtämmen her abzu- ſchneiden, ſo würden ſie in nicht zu ferner Friſt in ſich verſiecht und hingewelkt ſein. Alſo auch in dieſem mächtigen und warnenden Beiſpiele läßt ſich der todtbringende Hauch deſpotiſchen Darniederhaltens freierer Geiſtesentwicklung deutlich erkennen. Es gibt keinen Stillſtand in menſchlichen Dingen. Die Nationen, welche nicht mehr ſteigen, ſinken gewiß. Schon darum muß die heutigen Tages hochgeſtellte Lehre vom politiſchen Gleichgewichte der Nationen, die gewiſſer- maaßen ein Stagniren auf der Stufe des Völkerlebens fordert, welche zu einer beſtimmten Zeit erreicht worden war, als durchaus unpraktiſch, auf die Dauer nicht durchführbar, angeſehen werden. In der geſammten organiſchen Natur macht ſich die überwie- gende Kraft geltend über die untergeordneten Kräfte. In jedem Walde ſtrebt der kräftigere Baum zum Nachtheil des neben ihm ſtehenden Schwächlings in die Höhe, dem er Nahrung und Licht entzieht, bis der ſiechende endlich verkümmert. Nur des Menſchen mächtiger, freier Wille kann dem Naturgeſetze für den Augenblick Einhalt thun; er kann freilich den überſchattenden, rieſigen Baum fällen, um ſeines ſchwächlichen Nachbars Gedeihen zu fördern. Aber im Kampfe mit Naturgewalten nutzt ſich des Menſchen Kraft bald ab; ſie unterliegt endlich. Die reif gewordene Frucht wird von – 374 – ihrem Mutterboden ausgeſtoßen; ſie muß den Geſetze des ewigen Kreislauf's organiſcher Weſen mit Nothwendigkeit gehorchen. - Demſelben Geſetze ſind aber auch die Völker im Ganzen und Großen unterthau. Sie werden geboren, wachſen und gedeihen bis zu einer beſtimmten Höhe, nach Maaßgabe der ihnen innewohnenden Kräfte Sie erhalten ſich aufrecht, je nach dem Gebrauche, den ſie mit Mäßigung und Weisheit, oder den ſie mit Uebermuth und Leicht- ſinn von dieſen Kräften machen. Der wahrſcheinliche Gang der Ereigniſſe im europäiſchen Orient iſt für die nähere Zukunft hierdurch verſuchsweiſe augedeutet wor- den. Möchte auch irgend ein wohlthätiger Genius unerwartet ans dem Osmanenthum hervortreten, um ihn für den Augenblick neuen, erfriſchenden Odem einzuhauchen, – früher oder ſpäter wird das Naturgeſetz ſeine Macht üben. Ein neues, jugendkräftiges, huma- nere Zwecke verfolgendes Geſchlecht wird, dann hoffentlich Land und Leute des Orients wieder befruchten, verjüngen, zur Blüthe treiben, und ſo den Dank nachhaltig abtragen, welchen wir der Wiege europäiſcher Civiliſation in ſo hohem Maaße ſchulden. Druckfehler im I. Bande: Seite 7 Zeile 10 v. u. anſtatt 10 Fuß lies: 10 Mètres. „ 7 „ 10 v. u. „ 133 Fuß „ : 133 Métres. „ 10 „ 6 v. „ 120 Fuß „ : 120 Mètres. „ 10 „ 5 v. „ 136 Fuß „ : 136 Métres. „ 13 „ 8 v. 117 Fuß „ : 117 Mètres. „ 13 „ 7 v. „ 155 Fuß „ : 155 Métres. „ 16 „ 6 v. „ 246 Fuß „ : 246 Métres. „ 86 „ 14 v. „ 110' „ : 110 Métres. Zw |///////:ç stø7&o in (/c// (/rfcn/ /}, / 9. / 7 737 U / 5 ベ/AZ/ 7/7/分 LU 入/_ア人 , Z//7/ /Lo_Z/ Ø7タ分人 7 . 7. V/ 7 tx// / 7 _7_Z//7 Y7 /7737しý五 /v/7/7/7/分u / /7/_7入U7//7/ /LU_7_/757ク人7 J, y/ 7 u//~/二7 工_7_// 7 YI - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - ---- | T. 之。7 D․ . LŮČ7 , ZC啉ry { ) * - Ä. 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