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Eine
Sommerreiſe nach Tripolis.
Von
Wilhelm Heine,
Verfaſſer der Reiſe um die Erde nach Japan.
Berlin 1860.
Verlag von Wilhelm Hertz.
(Beſſerſche Buchhandlung.) -
London: WILLIAMs & NoRGATE.
j 0 84 – B
Verfaſſer und Verleger behalten ſich das Recht der Ueberſetzung
in fremde Sprachen vor.
Der
erſten Frau Deutſchlands
iſt
dieſes Buch
gewidmet
vom
Verfaſſer.
Hochverehrte Frau.
Der Zeitraum, welchen die Sommerreiſe um ſich faßt,
war die erſte Trennung junger Gatten. Als das Buch
vollendet, wünſchte ich dasſelbe meiner Lebensgefährtin
als Liebesgabe zu widmen. Der unerbittliche Tod hat
dieſe Abſicht vereitelt. Das Andenken meiner geliebten
Frau glaube ich am beſten zu ehren, wenn die für
ſie beſtimmte Gabe ihren Schweſtern dargebracht wird,
Verſtatten Sie mir, indem dieſe wenigen Blätter der
erſten Frau jener Nation, in deren Sprache dieſelben
geſchrieben ſind, zugeeignet werden, das Buch der
Frauenwelt zu widmen.
Doch noch ein anderer Grund treibt mich zu dieſem
Wunſche.
Der Zweck der Reiſe war das Sammeln von Stu-
dien, um bildlich Schlachten darzuſtellen, welche die
Seeleute Amerika's während einer Geſchichtsperiode und
unter Umſtänden fochten, die denen ſehr ähnlich ſind,
unter welchen ſich jetzt die künftige Marine Deutſchlands
entwickelt. Das erſte Schiff, welches für dieſe letztere
gebaut ward, der Schooner „Frauenlob“, iſt eine pa-
triotiſche Gabe deutſcher Frauen, und dieſes gute Schiff
bildet jetzt einen Theil jenes Geſchwaders, das die
Intereſſen der Nation in fernen Ländern vertreten ſoll.
Auch mir wird die Ehre zu Theil, an der Erfüllung
dieſer Aufgabe mitarbeiten zu dürfen. Ich hege die
hoffnungsvolle Ueberzeugung, daß ein glücklicher Aus-
gang eben ſo gute Folgen für die Marine Deutſchlands
haben wird, als die Thaten jener Seehelden ihrem Vater-
lande eine achtunggebietende Stellung in den Augen
barbariſcher Völker errangen. Möge deshalb auch dieſem
unternehmen die Theilnahme deutſcher Frauen nicht ver-
ſagt ſein; mögen diejenigen, welche jetzt in die Ferne
ziehen, das Bewußtſein mit ſich nehmen, daß die Sym-
pathien verwandter Herzen ihnen folgen.
Berlin, den 18. Februar 1860.
W. Heine.
V or r e d e.
Die Sommerreiſe nach Tripolis wurde unternommen,
um Studien für Darſtellungen aus dem Seekriege der
Vereinigten Staaten von Amerika gegen die Barbarei-
ſtaaten in den Jahren 1801–1805 an Ort und Stelle
zu machen; da dergleichen für die Säle des Capitols in
Waſhington beabſichtigt werden. Der Wunſch, manchem
werthen Freunde nach zehnjähriger Abweſenheit die Hand
zu drücken, bewog mich den Weg über Deutſchland zu
wählen, und ein Brief des hochverehrten Alex. von Hum-
boldt im Februar dieſes Jahres befeſtigte meinen Ent-
ſchluß: „Ich wünſche ſehr Sie noch einmal zu ſehen ehe
ich ſterbe,“ ſchrieb der gütige Greis. „Ich habe mein
neunzigſtes Jahr angetreten und erwarte nicht dasſelbe
zu vollenden. Zwei meiner Reiſegefährten ſind geſtorben
ehe ſie dieſes Alter erreichten, kommen Sie deshalb, wenn
Sie können, bald.“
Leider hatten dieſe Worte des Edlen eine nur zu pro-
phetiſche Bedeutung. Auf die am Abend meiner Ankunft
in Berlin gethane briefliche Bitte, mir die Stunde zu
beſtimmen, in der ich meinen Beſuch abſtatten könne, er-
– VIII –
hielt ich die Antwort: „ Obſchon recht unwohl, wird es
mich doch recht freuen Sie übermorgen Freitag Nachmittag
um zwei Uhr zu ſehen.“ Im Rathe der Vorſehung war
es anders beſchloſſen, das Bett, auf dem er lag, war ein
Sterbebett; als ich kam die theuere Hand zu drücken, hatte
der Geiſt ſeine irdiſche Hülle verlaſſen und ſchwebte jenen
lichten Höhen zu, wo verwandte Seelen ſeiner grüßend
harrten.
Die Welt verlor einen der edelſten Menſchen, die
Wiſſenſchaft einen ihrer erhabenſten Jünger, Deutſchland
ſeinen hochherzigſten Patrioten, ich ſelbſt einen väterlichen
Freund, und betrübt ſetzte ich meinen Wanderſtab weiter.
Die Geſchichte meiner Erlebniſſe bis zur Rückkehr nach
Deutſchland iſt in den nachfolgenden Blättern enthalten.
Außerdem habe ich die Waffenthaten der amerikaniſchen
Seeleute beſchrieben, theils weil dieſelben die Grundlage
meiner Reiſe bildeten, theils weil der Entwicklungszuſtand,
in denen ſich zu jener Zeit die Marine der Vereinigten
Staaten befand, ſehr analog war mit demjenigen, in wel-
chen ſich in unſeren Tagen die deutſche Flotte befindet, die
ſo hoffe und wünſche ich ſehnlich, ſich auf gleich glänzende
Weiſe weiter entwickeln wird.
Im Jahre 1800 exiſtirte in den Vereinigten Staaten
eine Nationalmarine nur dem Namen nach. Die Thaten
der Seehelden des Unabhängigkeitskrieges gehörten ſchon
der Vergangenheit an, Namen wie Paul Jones und An-
dere lebten nur noch in der Tradition, die Zahl der Kriegs-
– IX –
ſchiffe war klein, ein großer Theil des Publikums ſah
den Nutzen und die Nothwendigkeit einer Nationalmarine
nicht ein, die zur Erhaltung derſelben nöthigen Summen
wurden karg zugemeſſen, jede Ausgabe bekrittelt, und der
auf ſo ungerechte Weiſe unpopulär gemachte Dienſt hatte
wenig Anziehungskraft für unternehmende junge Leute.
Durch die Erfolge im Kriege mit den Barbareiſtaaten,
zum Schutze des amerikaniſchen Handels unternommen,
demonſtrirte die Nationalmarine auf glänzende Weiſe die
Nothwendigkeit und Nützlichkeit ihrer Exiſtenz, die heroi-
ſchen Kämpfe aber, die ihrem Charakter nach mehr der
Zeit des romantiſchen Mittelalters anzugehören ſchienen,
als der nüchternen Realität moderner Kriege, umgaben
die Nationalflagge mit einem glorreichen Nimbus, der
auf jugendliche Gemüther einen mächtigen Zauber aus-
übte. Namen wie Decatur, Somers, Caldwell, Wads-
worth, Iſrael, Preble, Rodgers und Andere wurden zum
Kriegsgeſchrei; denn ſie riefen Erinnerungen an Alles,
was groß, heldenmüthig und patriotiſch war, wach, und
durch jenen Krieg hauptſächlich erhielt die Nationalmarine
der Vereinigten Staaten den hohen Charakter, den ſie bis
heute bewahrt hat.
Bei Gelegenheit meines Aufenthaltes in Malta habe
ich der Geſchichte und den Thaten der Johanniterritter
vielleicht etwas mehr Raum gewidmet, als die Tendenz
dieſes Buches rechtfertigt, wie ſie in dem einfachen Namen
„eine Sommerreiſe“ ausgedrückt iſt; allein beinahe jeder
Stein jenes hiſtoriſch berühmten Felſens ruft Erinnerungen
an Heldenthaten jener begeiſterten ritterlichen Mönche her-
– X –
auf, überall iſt der Boden mit ihrem Blute getränkt, das
im Kampfe gegen den Barbarismus des Oſtens zum
Schutz der chriſtlichen Civiliſation vergoſſen wurde, ſo
daß ſelbſt der nüchternſte Realiſt nicht unbewegt am Schau-
platze ihrer Thaten vorübergehen kann.
Die Reiſe hatte die trüben Bilder verſcheucht, die vor
Beginn derſelben um meine Seele ſchwebten. Statt der
drohenden Kriegswolken, die im Frühjahr ſich von allen
Seiten ballten und theils ſchon eingeſchlagen und gezündet
hatten, ſtrahlte bei meiner Rückkehr die Sonne des Frie-
dens; rollt gleich noch in der Ferne unheilverkündender
Donner, ſo hoffe ich und glaube ich, daß der Hauch eines
klaren, thätigen, hingebenden Patriotismus, der erfriſchend
durch alle Schichten des deutſchen Volkes weht, dasſelbe
zum vollen Bewußtſein ſeiner Stärke, ſowie ſeiner
Schwächen bringen, zur Selbſterkenntniß und dadurch
zu einer ſtarken unüberwindlichen Nationalorganiſation
führen wird.
Berlin, im October 1859.
Wilhelm Heine
aus N ew - B or k.
U. S. A.
In h a lt.
I. Von Berlin nach Malta . . . . . . . . . . . S. 1 – 28.
Abfahrt. – Heidelberg. – Die Schweiz. – Lyon. – Truppen-
transport. – Eine geräuſchvolle Nacht. – Le midi de la France. –
Toulon. – Das Arſenal. – Die Docks. – Schiffe und ſchwimmende
Batterien. – Kanonenboote. – Gezogene Kanonen. – Galeerenſclaven.
– Das Hospital St. Mandrier. – Oeſterreichiſche Gefangene. – Eigen-
thümliche Sonntagsfeier. – Abreiſe von Marſeille. – P. O. Companys
Dampfer „Ellora“. – Die Küſte. – Notre dame de la garde. – Cháteau
d'If. – Die Küſte von Corſika. – Paſſage St. Boniface. – Der Leucht-
thurm von Gozo. – Der Hafen von Malta. – Das Victoria-Hötel. –
Nachtruhe.
II. Rückblicke auf die Geſchichte HUalta's bis zum Er-
ſcheinen der Johanniter . . . . . . . . . . S. 29 – 40.
Diodorus Nachrichten über Melita (Malta). – Malta von den
Römern zu einer römiſchen Provinz gemacht. – Man ſucht die Sym-
pathien des Volkes zu gewinnen. – Verſchönerungen durch öffentliche
Bauwerke. – Die Gothen. – Von Beliſar vertrieben. – Verfall des
früheren Wohlſtandes. – Die Araber. – Ermordung aller Griechen. –
Seeräubereien. – Niederlage des Nicetus und Manianus. – Graf Roger.
– Sieg über Michael Comnenus. – Unterdrückungen von Aufſtänden. –
Die deutſchen Kaiſer. – Manfred. – Karl von Anjou. – Konradin,
der letzte Hohenſtaufe. – Schlacht von Aquila. – Peter III. von Arra-
gonien. – Die ſicilianiſche Vesper. – Die Franzoſen aus Malta ver-
trieben. – Die Inſel verpfändet. – Kaiſer Karl V. – Abtretung der
Inſel an den Orden der Johanniter.
– XII –
III. Wie Johanniter in Malta . . . . . . . . S. 41–59.
Verfall des Wohlſtandes der Inſel. – Maßregeln Isle Adams den-
ſelben zu heben. – Verfolgungen durch Heinrich VIII. von England. –
Tod Isle Adams. – Peter Dupont. – Expedition gegen Tunis. –
Didier de Saint Jaille. – Juan d'Omedes. – Selbſtſucht desſelben. –
Expedition gegen Algier. – Eroberung von Mehedia. – Angriff der
Türken auf Malta. – Upton und De Guimera. – Fruchtloſer Verſuch
auf Citta Notabile. – Gozo wird geplündert. – Claude de la Sengle.
– Sucht den Orden zu kräftigen. – Vermehrt die Befeſtigungen. – Jean
de la Valette. – Bereitet ſich zum Widerſtand gegen die Türken vor. –
Ankunft der feindlichen Flotte. – Beginn der Feindſeligkeiten. – Sieg
der Ritter. – Ehrenbezeugungen die La Valette ablehnt. – Gründung
von Valetta. – Tod und Begräbniß La Valette's. – Peter de Monte.
– Schlacht von Lepanto. – La Caſſiera. – De Verdale. – Don
Martin Garzez. – Alof de Vignacourt. – De Paula. – Lascaris.
– Caſtelard. – Raphael Cotoner. – Hülfe der Malteſer beim Erd-
beben von Meſſina. – Verfall des Ordens. – Die Franzoſen be-
mächtigen ſich Malta's. – Werden von den Engländern und Portu-
gieſen blockirt und ergeben ſich. – Der Wiener Congreß ſpricht den
Beſitz der Inſel England zu.
IV. Valetta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 61–80.
Lage der Stadt. – Fort St. Elmo. – Erbauung. – Belagerung
durch die Türken. – Eröffnung der Laufgräben. – Verheerendes Feuer
der Belagerungsgeſchütze. – Die Beſatzung bittet um Erlaubniß ſich zurück-
zuziehen. – Verweigerung des Großmeiſters. – Verſtärkungen. – Piali
Paſcha verwundet. – Muthiger Ausfall. – Ankunft Draguts. – Seine
große Energie. – Die Türken erringen Vortheile. – Schwere Verluſte
derſelben. – De la Gardamp's Heldentod. – Medſan an den Groß-
meiſter geſandt. – La Valette's Strategem, den Muth der Beſatzung an-
zuregen. – Dieſe bittet, nicht abgelöſt zu werden. – Feuerreifen bereitet.
– Neuer Sturm wird abgeſchlagen. – Verluſte beider Parteien. –
Dragut wird verwundet. – Muſtapha Paſcha ſchneidet alle Zuzüge ab.
– Vergebliche Verſuche, der Beſatzung Hülfe zu bringen. – Dieſe be-
reitet ſich zum Tode vor. – Die letzte Nacht. – Der Todeskampf. –
Fall St. Elmo's.
V. Oeffentliche Gebäude Valetta's . . . . . . S. 81–95.
Kathedrale von St. Johannis. – Gründung durch La Caſſiera. –
Plan der Kirche. – Mathias Preti ſchmückt dieſelben mit Frescogemälden.
– Der Moſaikfußboden. – Reiche Architektur. – Die Capellen der ver-
ſchiedenen Provinzen. – Trophäen der Ritter. – Eine Statue Pradiers.
– Die Gräber Isle Adam's und La Valette's. – Kirchen und Klöſter.
– Gebäude, den verſchiedenen Ordenscapiteln gehörig. – Functionen
der Vorſteher jeder Landsmannſchaft. – Der Palaſt des Großmeiſters. –
Darſtellungen berühmter Schlachten. – Rüſtungen Isle Adam's, La Va-
lette's, Vignacourt's und La Caſſiera's. – Portraits. – Die Rüſtkammer.
– Die Bibliothek. – Das Muſeum. – Phöniciſche Inſchriften. –
Statue des Herkules. – Altar der Proſerpina. – Sonderbare Bronce-
ſtatue. – Die Wölfin des Romulus. – Tullias und Claudias Bildniſſe.
– Büſte der Zenobia. – Todtenmaske La Valette's. – Parta Lascaris.
– Capelle von Santiſſimo Sarlvatoe. – Brunnen des Neptun.
VI. Das öſtliche Ufer des großen Hafens . S. 97–124.
Spaziergang nach Fort St. Johns. – Grabmonumente. – Das
öſtliche Ufer des großen Hafens. – Borgo. – Seine Vertheidigung. –
Aufforderung zur Uebergabe. – Entſchloſſene Haltung der Beſatzung. –
Türken bringen Boote von Marſamucetto. – Der Grieche Lascaris warnt
den Großmeiſter. – Verſtärkung der Feſtungswerke. – Vergeblicher Ver-
ſuch, die Sperrung des Hafens zu zerſtören. – Angriff des 5. Juli. –
Faßbrücke zwiſchen Borgo und St. Angelo. – Ankunft Haſſan's von
Algier. – Macht einen vergeblichen Angriff auf St. Michael. – Ein
Belagerungsthurm. – Vergebliche Verſuche, denſelben zu zerſtören. –
Henry de la Valette's Tod. – Seelengröße des Großmeiſters. – Der
Sturm vom 7. Auguſt. – Verzweifelte Anſtrengungen der Belagerer. –
Der Gouverneur von Citta Notabile ſendet Hülfstruppen. – Theilweiſe
Erfolge der Türken. – La Valette vereitelt die Beſtrebungen der Feinde.
– Erfolgloſer Verſuch, Citta Notabile zu nehmen. – Eine Armee aus
Sicilien landet. – Niederlage und Flucht der Türken. – La Cotonera. –
Fort Ricaſoli. – Froberg's Regiment.
VII. Ausflug in den ſüdlichen Theil der Inſel. S. 125–147.
Die Caleſſa. – Vignacourt's Waſſerleitung. – Die Gärten von
St. Antonio. – Dichtgedrängte Bevölkerung. – Citta Vecchia. – Alt-
XIV –
üblicher Magiſtrat. – Die Kathedrale. – St. Pauls Kirche und Grotte.
– Reliquien. – Die Katakomben. – Chriſtliche Gräber. – Das Ma-
donnenfeſt. – Muſik und muſikaliſche Inſtrumente. – Sehenswerthe
Punkte in der Umgegend. – Emthaleb. – Boſchetto. – Der Palaſt des
Inquiſitors. – Tal Mahluba. – Die Höhlen von Ghar Haſſan. –
Die Ruinen von Crendi. – Die Lebensmittel und ihre Preiſe. – Die
Bevölkerung. – Coſtüm.
VIII. Rückblick über die Urſachen und den Beginn des
Krieges der Amerikaner gegen Tripolis.
S. 149 – 170.
Politiſche Verhältniſſe im Mittelländiſchen Meere am Beginn des
Jahrhunderts. – Schwierigkeiten mit den Barbareiſtaaten. – Erſcheinen
eines amerikaniſchen Geſchwaders in Gibraltar. – Blockade des Admirals
von Tripolis. – Die Eſſex nimmt einen feindlichen Kreuzer. – Com-
modore Dale ſchlägt eine Auswechſelung von Gefangenen vor. – Commo-
dore Morris trifft mit einem neuen Geſchwader zur Ablöſung ein. –
Fehlerhafte Ausrüſtung desſelben. – Gefecht der Conſtellation gegen
feindliche Kanonenboote. – Hinderniſſe und Verzögerungen thätiger Ope-
rationen. – Die John Adams nimmt die Meſhboha. – Commodore
Morris treibt elf feindliche Kauffahrer in Alt-Tripolis ans Ufer. –
Lieutenant Porter ſteckt dieſelben in Brand und wird verwundet. –
Capitain Rodgers und Lieutenant Hull zerſtören einen feindlichen Kreuzer.
– Commodore Morris wird zurückberufen. – Commodore Preble über-
nimmt das Commando. – Capitain Bainbridge nimmt die Meſhboha
und befreit die amerikaniſche Brigg Celia. – Commodore Preble ſtellt
das gute Einvernehmen zwiſchen Marocco und den Vereinigten Staaten
wieder her.
IX. Die Paſſage nach Tripolis. . . . . . . S. 171–185.
Die Gloria Carmeli. – Die Mannſchaft. – Die Paſſagiere. –
Die Verpflegung. – Die Abreiſe. – Windſtille. – Günſtiger Wind. –
Ankunft. – Das Riff von Tripolis. – Die Philadelphia jagt einen
feindlichen Kreuzer. – Geräth auf ein Riff. – Anſtrengungen, das Schiff
flott zu machen. – Erſcheinen feindlicher Kanonenboote. – Erfolgloſer
Widerſtand. – Das Streichen der Flagge unvermeidlich. – Barbariſche
Behandlung der Gefangenen. – Menſchenfreundlichkeit des däniſchen
Conſuls.
– XV –
X. Eine glorreiche Waffenthat . . . . . . . S. 187–204.
Die Lage von Tripolis. – Das Wrack der Philadelphia. – Die
Türken machen die Fregatte flott und bringen ſie in den Hafen. – Com-
modore Preble erſcheint vor Tripolis. – Lieutenant Decatur nimmt eine
Priſe. – Sein Plan, die Philadelphia zu zerſtören. – Freiwillige für
das Unternehmen. – Ein Sturm verzögert dasſelbe. – Lieutenant De-
catur's Anordnungen. – Man nähert ſich dem Feind. – Befehl zum
Entern. – Erfolgreicher Angriff. – Die Fregatte in Feuer. – Sieg-
reicher Rückzug.
XI. Tripolis . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 205 – 239.
Hiſtoriſcher Rückblick von Tripolis. – Die Stadt, ihre Straßen
und Gebäude. – Der Handel. – Das Leben. – Die europäiſchen Re-
ſidenten und europäiſchen Reiſenden. – Clapperton, Lang, Richardſon, .
Barth, Vogel. – Betrachtungen über Vogel's Schickſal. – Die Um-
gegend von Tripolis. – Agricultur. – Mr. Gaine's Landhaus. – Die
ſpaniſche Kathedrale von Tajura. – Gazellenjagd. – Das römiſche
Caſtell in Gal-Gariſh. – Frederick Warrington. – Das Volksleben.
– Gaſtmahle. – Die Kameele. – Ein türkiſches Bad. – Ein Volksfeſt.
XII. Der Krieg der Amerikaner . . . . . . S. 241–264.
Commodore Preble's Vorbereitungen. – Die Schiffe. – Die Ka-
nonenboote. – Das Bombardement vom 3. Auguſt. – Lieutenant De-
catur's Angriff, Heldenmuth, Gefahr und Sieg. – Lieutenant Trippe's
Gefahr, Entſchloſſenheit und Erfolg. – Eindruck der verſchiedenen Bom-
bardements auf die Türken. – Plan Commodore Preble's einen kühnen
Handſtreich auszuführen. – Der Intrepid ein Brander. – Capitain Somers.
– Der letzte Abend. – Der Feind. – Die Kataſtrophe. – Trauer um
todte Helden. – Paſcha Juſſuf Caramelli und General Eaton. – Ihr
gemeinſchaftlicher erfolgreicher Angriff auf Derne. – Ende des Krieges.
– Rückkehr nach Malta.
XIII. Die Rückkehr . . . . . . . . . . . . . . S. 265–302.
In Quarantaine. – »En pratique«. – Abſchied von Malta. –
Der Quirinal. – Die Küſte von Sicilien. – Annäherung von Meſſina.
– Der Hafen. – Die Polizei. – Cicerone. – Die Stadt. – Die
– XVI –
Straßen. – Der Schmutz. – Die Kirchen. – Die Umgegend. – Das
Landvolk. – Ausſicht vom Gebirge. – Sonntagabend in der Stadt. –
Weiterreiſe. – Scylla und Charybdis. – Die lipariſchen Inſeln. –
Stromboli. – Ein Gewitter. – Die Bai von Neapel. – Mehr Polizei.
– Das Muſeum der pompejaniſchen Alterthümer. – Pompeji. – Die
Lava des Veſuvs. – Ein gefährlicher Scherz. – Civita Vecchia. –
Livorno. – Ein Ausflug nach Piſa. – Die Kathedrale, das Baptiſte-
rium und das Campo Santo. – Der hängende Thurm. – Eine Revo-
lution ohne Unordnung. – Elba. – Genua. – Aleſſandria. – Lago
Maggiore. – Die Alpenjäger. – Der St. Gotthardtspaß. – Das
Ende der Sommereiſe. – Nachwort.
I.
Von Berlin nach Malta.
Abfahrt. – Heidelberg. – Die Schweiz. – Lyon. – Truppen-
transport. – Eine geräuſchvolle Nacht. – Le midi de la France. –
Toulon. – Das Arſenal. – Die Docks. – Schiffe und ſchwimmende
Batterien. – Kanonenboote. – Gezogene Kanonen. – Galeerenſclaven.
– Das Hospital St. Mandrier. – Oeſterreichiſche Gefangene. – Eigen-
thümliche Sonntagsfeier. – Abreiſe von Marſeille. – P. O. Companys
Dampfer „Ellora“. – Die Küſte. – Notre dame de la garde. – Cháteau
d'If – Die Küſte von Corſika. – Paſſage St. Boniface. – Der Leucht-
thurm von Gozo. – Der Hafen von Malta. – Das Victoria-Hötel. –
Nachtruhe.
Am 26. Juni 1859, Abends 7 Uhr, verließ ich Berlin.
Es war eine traurige, trübe Zeit. – Von allen Seiten
rüſtete man, gewaltige Heere ſtanden ſich in der Lombardei
feindlich gegenüber, blutige Schlachten waren geſchlagen
worden, Tauſende über Tauſende hingeſchlachtet, und kaum
wußte man zu ſagen, ob nicht, ehe das Jahr abgelaufen,
ganz Europa in Feuer und Blut getaucht ſein werde.
Viele fürchteten und wußten nicht zu ſagen, was, wenige
hofften und wagten ſich kaum ſelbſt einzugeſtehen, warum.
Es war eine trübe und traurige Zeit, und trübe und
traurig fühlte ich mich, in dunkler Nacht auf dem Schienen-
weg nach Süden zu rollend.
Mein erſter Haltepunkt war Heidelberg. Wer kennt
nicht das liebe Städtchen am Ausgange jenes lieblichen
Thales, zwiſchen ſanften Hügeln eingeſchmiegt, durch die
das muntere Flüßchen daherrauſcht, wer kennt nicht die
wunderlichen alten Häuſer und Kirchen, die Brücke, die
herrliche maleriſche Ruine und die ſchöne Ausſicht auf
die Ebenen des Rheinthales, in der Ferne von bläulichen
Bergen begränzt, gegen die ſich die Umriſſe des Doms von
1*
– 4 –
Speyer ſcharf abzeichnen. War es deshalb ein Wunder,
daß die düſteren Einflüſſe, die mich drückten, ſchon be-
gannen, ihre Kraft zu verlieren, war es befremdlich, daß
ich am nächſten Morgen froher und heiterer weiter zog,
denn ich hatte den Nachmittag mit einem vou Deutſch-
lands beſten Männern zugebracht, hatte im vertraulichen
Geſpräch mit einem der weitſichtigſten Staatsmänner un-
ſerer Zeit meine eigenen Anſichten berichtigt oder gekräf-
tigt und nahm zum Scheidegruß die Abſchiedsworte des
Weiſen mit, der hier ſeinen Wohnſitz aufgeſchlagen: „Auf
ein baldiges frohes Wiederſehen.“ So zog ich fröhlich
weiter, erſt in Baſel für die Nacht anhaltend, dann durch
die herrlichen Schweizerberge dem Genferſee zueilend,
wo ich am zweiten Abend die Schneegipfel des ſchönen
Montblanc im roſigen Licht ſcheinen ſah und am nächſten
Morgen meinen Weg durch Frankreich weiter fortſetzte.
In Lyon erlitt meine Reiſe eine Unterbrechung von
zwölf Stunden, verurſacht durch die fortwährenden Trup-
pentransporte nach Italien, und ich ſuchte die mir ſo ge-
gebene Friſt beſtmöglichſt zu benutzen und einige Reiſe-
epiſteln abzuſenden. Als ich eben meine Briefe ſchloß,
füllte ſich der Platz vor dem Fenſter des Reſtaurants
(Cours Napoléon) mit Truppen, die auf dem Wege von
Paris nach Marſeille hier campirten und denen das
ſchwere Feldgepäck eine etwas ungewohnte Laſt ſchien.
Auf der Montur und Bewaffnung nebſt Feldkeſſel, Feld-
flaſchen 2c. 2c. trugen die Leute je zu drei ein kleines
– 5 –
Zelt, ſo daß jeder ein Stück Leinewand quer über den
Torniſter und eine Zeltſtange längs desſelben auf der
linken Seite angeſchnallt hatte, die ausſahen, als trüge
ein jeder zwei Gewehre.
Außerordentliche Zeichen von Enthuſiasmus waren
weder unter den Truppen noch unter der Bevölkerung
bemerklich, denn nachdem vielleicht 200.000 Mann vorbei-
gezogen waren, hatte das Schauſpiel den Reiz der Neu-
heit verloren. Die Truppen ſelbſt ſchienen nicht viel
danach zu fragen, wohin ſie gingen, noch ſchien ihnen
überhaupt die Zukunft irgendwie ſchwere Herzen zu ma-
chen; indeß hat die Erfahrung gezeigt, daß, wenn auf
dem Schlachtfelde angelangt, unter der Anſtrengung des
Gefechtes und des Pulverdampfes, dieſe Leute ſich bald
von einer anderen Seite zeigen.
Die folgende Nacht war eine der geräuſchvollſten, die
ich je auf einer Eiſenbahn zugebracht. In dem Zuge
nach Marſeille befand ſich ein ſtarker Transport von
Freiwilligen verſchiedener Regimenter, die ſich auf den
Kriegsſchauplatz begaben, um dort ein neues Regiment
Zuaven zu bilden. Das waren denn allerdings andere
Leute, als die jungen Conſcribirten, die ich am Mittag
geſehen. Eine große Anzahl von ihnen war decorirt, be-
ſonders war die Victoriamedaille aus dem Krimkriege
ſehr ſtark vertreten. Wenn man die langen Reihen dieſer
rothhoſigen, rothbemützten Krieger auf den Baluſtraden
des ſchönen Bahnhofes des Chemin de fer de la Mé-
– 6 –
diterranée in Lyon ſitzen ſah, mußte man unwillkührlich
an Zweige von Kirſchbäumen, mit ihren rothen Früchten
beladen, denken. Die geräuſchvolle Nähe dieſer Reiſe-
geſellſchafter, die fortwährend ſprachen, dabei aber wenig
zu ſagen hatten, war nicht angenehm, die Moral der
Converſation ebenſo ſtörend, als der Geruch des ſchlechten
Tabacks, auf den ihre Löhnung von zwei Sous per Tag
ſie angewieſen hat; allein meiner Pflicht als beobachtender
Reiſender eingedenk, miſchte ich mich unter dieſelben, ſo
oft es die Gelegenheit geſtattete, und fuhr eine geraume
Strecke in dem vollgedrängten Wagen der dritten Klaſſe,
denn vor ſolchen kleinen Opfern perſönlicher Bequemlich-
keit darf man ſich nicht ſcheuen, wenn man reiſt, um
Welt und Menſchen kennen zu lernen. Da wurden denn
nun Schlachten im Voraus geſchlagen und Oeſterreicher
zu Tauſenden niedergeſtreckt, denn die Leute waren vor
gloire ganz duſelig geworden. Die Siegesnachrichten der
Schlacht von Solferino und der ſchlechte Rationswein
hatten auf ſie berauſchend gewirkt. Einige waren im
Beſitz von Briefen vom Kriegsſchauplatz, die der Geſell-
ſchaft zum Beſten gegeben wurden. In dieſen führte
man Beſchwerde über den Mangel an Sympathien des
Landvolkes für ihre Befreier: „Wenn man etwa ein
halbes Dutzend Leute mit einigen italieniſchen Tricoloren
in einem Dorfe vorfindet, iſt es viel, und von gaſt-
freundlicher Bewirthung iſt ſo wenig die Rede, daß man
zur Abwechſelung des ewigen biscuit de ration nur ſelten
– 7 –
etwas Brod erlangen kann. Frauen ſehen wir faſt gar
nicht, denn Alles ergreift die Flucht oder verſteckt ſich.“
Dieſen letzteren Punkt ſchienen ſich unſere Helden ſehr zu
Herzen genommen zu haben, denn in dem Transport war
auch das ſchöne Geſchlecht mehrfach vertreten, die mit-
zogen, „pour faire la guerre en Italie.“ In einem an-
deren Theile des Zuges befand ſich ein Detachement, das
von Toulouſe zurückkehrte, wohin es einen Transport
öſterreichiſcher Gefangener begleitet hatte. Ein alter Ser-
geant theilte den militäriſchen Enthuſiasmus weniger.
„Il y en a quelques-uns de ces gaillards là qui re-
viendront avec des épaulettes et d'autres qui se trou-
veront peut-être tantôt sans épaules pour en porter.“
Einen grellen Contraſt zu dieſen kriegeriſchen An-
blicken bildete am folgenden Tage die Stadt Marſeille,
wo man für das Marienfeſt am Morgen die Straßen
mit Blumen und Kirchenfahnen geſchmückt, und an vielen
Orten Altäre errichtet hat.
So viele literariſche Ergüſſe ſind bereits über den
geprieſenen Midi de la France in die Welt geſandt
worden, daß ich eine weitläufige Beſchreibung desſelben
mir und dem Leſer erſparen zu können glaube. In
Avignon ſchaute das graue Schloß der Päpſte aus ſeiner
grauen Umgebung ſchläfrig in den grauenden Tag hinein,
und weiterrollend auf dem Schienenwege erblickte man
immer wieder dieſelbe monotone Farbe, die ſich ſelbſt auf
die Bäume erſtreckte. Denn da die Olive einen vorherr-
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ſchenden Platz in der Cultur einnimmt, ſo vereinigt ſich
das Graugrüne ſeiner Blätter mit dem lichten Grau der
Kalk- und Sandſteinfelſen und dem röthlich grauen heißen
Erdboden, höchſtens hie und da von einigen ſpärlichen
grünen Reben unterbrochen. Die unendlichen, von rund-
lichen Kieſeln bedeckten Ebenen von Craux, in monotoner
Langweiligkeit ſich dahinſtreckend, ſahen aus, als ob ſie
nur dazu geſchaffen ſeien, um Eiſenbahnen über ihre
Fläche zu legen, denn kaum ein Hälmchen Gras war auf
denſelben wahrnehmbar. Dennoch ſollen ſie im Winter
und Frühjahr einen erträglichen Weideplatz für Schafe
abgeben, denn zu jener Jahreszeit keimt hier eine fette,
kurzblätterige, kleine Pflanze, ähnlich dem Büffelgras der
weſtlichen Ebenen Nordamerikas. Das Land muß wöhl
zu jener Zeit, wo Petrarka an ſeine Laura dichtete, an-
ders ausgeſehen haben, denn unter gegenwärtigen Um-
ſtänden zu ſolchen Verſen angeregt zu werden, erfordert
eine poetiſche Ader von ganz ungewöhnlicher Mächtigkeit.
Von Marſeille ſegelte ein franzöſiſcher Dampfer am
3ten nach Malta, die engliſche Ueberlandspoſt aber erſt
am 6ten. Da ich nun aus verſchiedenen Gründen der
engliſchen Flagge den Vorzug gab, ſo beſchloß ich, die mir
verbleibenden vier Tage zu einem Beſuch in Toulon zu
verwenden, wohin eine Reiſe von 2 Stunde per Eiſen-
bahn führt. Dieſe Stadt kann füglich ein großes Marine-
Arſenal genannt werden, um das ſich einige Häuſer reihen,
denn außer den Beamten, dem Militär und dem Liefe-
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ranten für die Armee und Flotte leben nur wenige Kauf-
leute hier. Die ausgedehnten, zum Theil noch von Vauban
herrührenden Befeſtigungen, mit ihren weitvorgeſchobenen
detachirten Forts, die ſich bis auf die Spitze einer etwa
3 Miles hinter der Stadt gelegenen, dieſelbe halbmond-
förmig umgebende Bergkette von 12–1500 Fuß Höhe
erſtrecken, machen dieſen Hafen außerordentlich ſtark; von
der Seeſeite ſind die militäriſchen Vertheidigungsmaß-
regeln von gleich vollkommener Beſchaffenheit. Im Ar-
ſenal der Marine herrſchte noch immer eine große Thätig-
keit, Mannſchaften, Material, Munitionen und Proviſionen
für die Armee in Italien wurden noch immer unausge-
ſetzt eingeſchifft; auf der Rhede lagen etwa vierzig Schiffe
verſchiedener Größe ſegelfertig, darunter ſechs Linienſchiffe,
ebenſo viele Fregatten, das übrige meiſtens Rad-Dampfer
für Transportation, in den Docks wurden noch viele
andere fertig gemacht, zur See zu gehen, und etwa ein
Dutzend oder zwanzig Linienſchiffe liegen entmaſtet und
eingehauſet in den verſchiedenen Baſſins „in ordinary“
bis auch an ſie wieder die Reihe kommt, zum Gebrauch
herbeigezogen zu werden. Was Geld, Energie und der
feſte Wille, eine tüchtige Flotte zu beſitzen, thun können,
ſcheint hier geſchehen zu ſein, und wer von einer der be-
nachbarten Höhen die muſterhaft angelegten Baſſins, Dock-
yards, die langen Reihen von Schiffsrümpfen und die
zahlreichen in der Rhede ankernde Coloſſe erblickt, oder
an einem ſchönen Abend auf dem Quais, in den Straßen
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die 3 oder 4000 Matroſen ſieht, die ihre Urlaubszeit in
verſchiedenen Kaffeehäuſern oder beim Marchand de vin
zubringen, auch wohl in dichten Gruppen umherſchlendern,
daß die Straßen ſo gedrängt voll von ihnen ſind, als
die Linden in Berlin zu Zeiten von Soldaten, dann ſollte
man meinen, der Zweck ſei erreicht.
Die Mannſchaften ſind gut und reinlich gekleidet und
wohl diſciplinirt, ich habe in den Straßen weniger Un-
ordnung wahrgenommen als an Orten, wo viele engliſche
oder amerikaniſche Seeleute auf Urlaub am Lande waren,
allein ich habe ſpäter doch nicht zu der Ueberzeugung
kommen können, daß die Sardellenfänger des Mittelmeeres
auf dem Salzwaſſer ſo zu Hauſe ſein können, als Wall-
fiſchjäger und Kabeljaufänger der nördlichen Meere; Leute,
die beinahe auf der See geboren, ſtets da leben und
zuletzt darin begraben werden, ſind am Ende doch andere
Krebſe. – Es befanden ſich zur Zeit zwölf öſterreichiſche
Priſen verſchiedener Größe im Hafen.
Wenn ich nicht irre*), war es unter Mr. Thiers
Miniſterium, daß die Regierung Frankreichs daran dachte,
ſeine effective Seemacht im mittelländiſchen Meere zu ver-
größern, jedenfalls wurden im Jahre 1840 bedeutende
Erweiterungen des Arſenals von Toulon vorgenommen.
Zu jener Zeit begann man den Bau der großen Schmiede-
werkſtätte, die drei Jahr ſpäter vollendet ward. Dieſe
*) Für mancherlei Auskunft über das Nachſtehende bin ich einem
Correſpondenten der London Times verpflichtet.
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enthält jetzt 96 Feuerheerde nebſt vier größeren in einem
Nebengebäude, um das Eiſen für den Dampfhammer vor-
zubereiten. Die Bälge und der Hammer werden von einer
20 Pferdekraft ſtarken Maſchine getrieben. Der Raum,
den das alte Arſenal einnahm, genügte nun nicht mehr,
deshalb wurden die Zimmerholz-Niederlagen, die Werfte,
die Sägewerkſtätten c. nach der Faubourg de Mourillon
an der öſtlichen Seite der inneren Rhede verlegt, und als
bald auch dieſer Raum unzulänglich gefunden ward, ſchloß
man ein anderes ſüdweſtlich gelegenes Stück Land (Ca-
stigneau) in die Mauern des Arſenals ein.
An dieſer Stelle befinden ſich die bedeutendſten Ar-
beiten, die meiſt aus der Zeit des zweiten Kaiſerreichs
datiren. Zur Zeit ſind drei große Docks im Bau be-
griffen, deren größter etwa 400 Fuß lang iſt. Die Con-
ſtruction dieſer an einer Stelle gelegenen Werke, wo das
Ufer ziemlich ſteil iſt, ſo daß am Eingang in dieſelben ſich
40 Fuß Waſſer befinden, folglich genügende Tiefe für die
größten Schiffe geben, bot manche Schwierigkeiten dar, da
die Ebbe und Fluth im mittelländiſchen Meere nur wenige
Fuß beträgt. Der Grund, auf den man zu bauen hatte,
erlaubte keine Anwendung der gewöhnlichen Methoden und
das Schlagen von Pfahlroſten würde natürlich bedeutende
Koſten verurſacht haben; man beſchloß deshalb, ein Ex-
periment mit einer Gründung aus Cement zu verſuchen,
ähnlich dem bereits in Breſt gemachten. Nachdem zuerſt
der leichte Schlamm beſeitigt, legte man eine, mehrere
– 12 –
Fuß dicke Schicht von Cement und Kies über das ganze
Terrain, auf dieſem wurden die Formen der verſchiedenen
Docks durch Ausſchüttungen desſelben Materials einge-
ſchloſſen, indem man den Grundplan derſelben durch
doppelte Reihen Pfähle bezeichnete, die mit Platten be-
deckt, die Form für dieſes rohe Mauerwerk bildeten;
ſobald dieſe Mauern nun bis über den Waſſerſpiegel
erhoben waren, begann man das Waſſer aus dem ſo
geformten Baſſin auszupumpen und nun wurden Boden
ſowohl als Seiten ſorgfältig mit ſtarken Granitblöcken
ausgemauert.
Man war gleichfalls beſchäftigt, ausgedehnte Werk-
ſtätten verſchiedener Art zu errichten, wie z. B. Hobel-
maſchinen, weitere Schmieden mit wenigſtens 50 Heer-
den, eine Gießerei 2c. In dieſer letzteren befanden ſich
16 Schmelzöfen, davon jeder 10 Tonnen enthaltend, eine
Metallmaſſe von 160 Tonnen auf einmal ſchmelzen, folg-
lich für die größten Gußſtücke genügen würde.
Die Ankerwerfte ſchien im Verhältniß klein; die vor-
handenen Anker waren gleichfalls klein, kaum für ſchwere
Fregatten genügend und viele derſelben zerbrochen, ich
glaube jedoch, daß das vorhandene Material meiſt für
die kaum beendeten Ausrüſtungen verwendet worden war.
Der Kohlenvorrath war beträchtlich und täglich brachten
Schiffe aus England neue Vorräthe herbei.
In den Sälen des Arſenals befanden ſich 52,000
Feuerwaffen, von denen jedoch die meiſten veraltet, kaum
– 13 –
mehr für den Dienſt anwendbar waren. Es befanden ſich
kaum einige Tauſend gezogene Musketen darunter; Säbel,
Piſtolen, Beile und Dolche waren in verſchiedener Weiſe
zu Decorationen des Saales verwendet, und meiſt war
dies Alles, wozu ſie gebraucht werden konnten. Die Zahl
der gezogenen Kanonen war beträchtlich und ward täglich
vergrößert, da man bereits alle Kanonenboote ſowie die
Schiffe, theilweiſe mit dieſen Geſchützen bewaffnet hatte,
und in Zukunft durchaus bewaffnen will. Die Kanonen
wurden von der Mündung geladen, allein einige wenige
nach einem neuen Modell gegoſſene waren aus der Kammer
zu laden; die Vorrichtung dazu war jedoch nicht am Rohr
befeſtigt und beide Mündungen desſelben wurden ſorg-
fältig verſchloſſen gehalten.
Am öſtlichen Ufer der Rhede befinden ſich gleichfalls
fünf große überdeckte Werfte, in der die Fregatten Gloire
und Invincible ihrer Vollendung nahten. Es ſind das
ſogenannte „Frégates blindées“ d. h. mit Eiſenplatten
überzogen. Die Länge derſelben iſt 250 Fuß, Breite
45 Fuß, Dicke der Seitenwände excluſive der Eiſenplatten
26 Zoll. Balken des Hauptdeckes 16 × 17 Zoll, jede
Breitſeite mit 20 Geſchützpforten. Die Seiten ſollten von
der Waſſerlinie mit Eiſenplatten bekleidet werden, die
5 Zoll dick, 3 Fuß 6 Zoll breit, und an 4 bis 6 Zoll lang
waren, etwa 25 Centner wogen und mittelſt Bolzen be-
feſtigt werden ſollten. Außerdem wollte man das Deck
durch # Zoll dicke eiſerne Platten, zwiſchen zwei Lagen
– 14 –
von Pfoſten gelegt, bombenfeſt machen. Ich ſollte denken,
daß dieſe ungeheuere Maſſe von Metall über dem Waſſer-
ſpiegel das Schiff in einer ſchweren See ſehr unbehülflich
machen müßte.
Außer den erwähnten fünf überdeckten Werften be-
finden ſich noch zehn dergleichen offene auf derſelben Seite,
in denen Schiffe verſchiedener Größe in Arbeit begriffen
Waren.
Unter den auf der Rhede ankernden Schiffen waren
beſonders bemerkenswerth die ſchwimmenden Batterien
und Kanonenboote. Eine dieſer erſteren war 255 Fuß
lang und iſt mit 18 Kanonen, anſcheinend größer als
68 Pfund bewaffnet. Ihre Seiten ſind gleichfalls mit
eiſernen Platten bekleidet, im Gefecht werden die Schanz-
kleidungen niedergelegt, die Maſten werden niedergelaſſen
und die Eſſe ſinkt in den Schiffsraum hinab, ſo daß
nichts als der eiſerne Rumpf dem Feinde zum Ziel dient.
Die Mannſchaften ſind von allen Seiten gedeckt, und
nur der commandirende Officier befindet ſich auf dem
Deck, wo auch er durch einen 7 Fuß im Durchmeſſer
großen, mit Eiſenplatten bekleideten Cylinder in gewiſſem
Grade gedeckt iſt. Leichte Gerüſte für Scharfſchützen kön-
nen auf der einen Seite über Bord gehängt werden, ſo
daß auch hier die Mannſchaft durch die ganze Breite
des Verdecks geſchützt iſt. Dieſe Fahrzeuge gleichen mit
ihrem Eiſenpanzer alten Rittern in voller Rüſtung, und
ich fürchte, daß, gleich jenen, die Mannſchaft durch Dampf
und Hitze nicht wenig beläſtigt wird. Die Kanonenboote
ſind mit gezogenen 30pfündigen Kanonen bewaffnet, deren
Kugeln einem Zuckerhut gleichen, deſſen Seiten etwa drei
Viertheile der Länge gerade ſind. An der Circumferenz
des Schwerpunktes befinden ſich drei Plättchen (ailettes),
die in die Züge paſſen, 2 Zoll lang und Zoll breit
und etwa # Zoll vorſpringend. Dieſe ſind mit Zink
überzogen, um die Züge zu ſchonen. Dieſe Bombe wiegt
etwa 60 Pfund und wird durch ein Loch in der Spitze
gefüllt. Eine bedeutende Zahl ſehr flach gehender Kano-
nenboote wird durch Privatunternehmer auf den Werften
von La Seyne an der weſtlichen Seite der Rhede gebaut,
um ſie baldmöglichſt nach dem Kriegsſchauplatz abzuſenden.
Der ganz ebene Boden ſinkt nur zwei Fuß ins Waſſer,
die Seiten ſind durch eine ſehr ſtarke Combination von
Holz und Eiſen, und das bogenförmige Dach durch eine
ähnliche Verbindung von Eiſen, Holz und einer Lage
Sand bombenfeſt gemacht. Zwei Geſchütze befinden ſich
im Vordertheil, wo das Deck etwas höher iſt, um Ge-
ſchütz und Mannſchaft vollkommen zu decken. Das Ganze
wird vermittelſt zweier im Hintertheil neben einander ſich
drehender Schrauben bewegt, deren jede eine beſondere
Maſchine und einen beſonderen Dampfkeſſel hat. Das
Ganze iſt je nach Verhältniß der Größe in zehn bis
zwölf Sectionen getheilt. Davon bildet die Spitze eine
Abtheilung; der unmittelbar dahinter befindliche, höher
überdeckte, die beiden Geſchütze enthaltende Theil beſteht
– 16 –
aus vier Sectionen, die an den Seiten Schießſcharten
für Infanterie haben. Die drei oder vier hinter dieſen
liegenden Sectionen enthalten die Keſſel, die vermittelſt
einer leicht einzuſchraubenden Röhre den Dampf in die
in der hinteren Section ſtehenden Maſchinen abgeben.
Die letzte Section enthält die Schrauben, die ſich durch
wenig Zeitaufwand mit der Maſchine verbinden laſſen,
und unterhalb und zwiſchen denſelben befindet ſich das
Steuerruder. Jede Section bildet eine Ladung für einen
Wagen, von ſechs Pferden beſpannt, und das Ganze kann
vermittelſt Schrauben und Muttern ſchnell zuſammengeſetzt
oder auseinandergenommen werden. Dieſe Kanonenboote
waren zur Belagerung von Mantua und Venedig beſtimmt,
und Tag und Nacht arbeitete eine Maſſe von Arbeitern
an denſelben, um ſie bald an den Ort ihrer Beſtimmung
abzuſenden. In großen, gewölbten, 5 bis 600 Schritt lan-
gen, mehrere Etagen hohen Gebäuden waren die Seiler
beſchäftigt, das Tauwerk zu beſchaffen, und in jeden ab-
geſchloſſenen Theilen arbeiteten Hunderte Tag und Nacht,
um die mörderiſchen Geſchoſſe zu bereiten, die bald Tod
und Verderben um ſich ſchleudern ſollten.
Als paſſende Begleitung zu allen dieſen, Unheil ver-
kündenden Vorbereitungen tönt unausgeſetzt das Klirren
und Raſſeln der Ketten der Galeerenſklaven, die ent-
weder in Gruppen auf verſchiedenen Punkten arbeiten
oder in langen Reihen Materialien von einem Ort zum
anderen ſchaffen. Welch ein Unterſchied zwiſchen der
– 17 –
Arbeit freier Menſchen und der von Sträflingen! Kein
heiteres Lachen, keine frohen Lieder ſind zu hören, keine
Scherze, keine freudigen Geſichter, nichts als der lang-
ſame, gemeſſene, von der ſchweren Kette gehemmte Schritt,
überall das dumpfe Klirren der ſchweren Ringe. Und
die Arbeit ſelbſt, wie langſam geht ſie von ſtatten, denn
es iſt nur der Zwang, der die Leute treibt, keine Hoff-
nung, kein Troſt für viele derſelben, denen nur der Tod
den letzten langen Raſttag bringt. Die Zahl der da-
mals in Toulon befindlichen Galeerenſklaven belief ſich
auf zwiſchen fünf- und ſechstauſend, denn ſeit die Bagnos
in Breſt und Cherbourg abgeſchafft worden ſind, iſt dies
der einzige Ort, wohin die Sträflinge in Frankreich ge-
ſendet werden. Dieſe Leute waren in Hoſen und Jacken
aus grober Leinewand gekleidet; die auf Lebenszeit Ver-
urtheilten trugen eine niedrige grüne Filzmütze, während
die für eine kürzere Periode hierher Entſandten eine ſack-
förmige rothe Mütze trugen. Sie waren paarweiſe an ein-
ander geſchloſſen und trugen noch überdies eine Kette von
der Hüfte bis zum Knöchel, durch die während der Nacht
eine lange eiſerne Stange geſteckt ward, die eine ganze
Reihe an einander ſchließt. Ihre Nahrung beſteht aus
ſchwarzem Brod, Mehlſuppe und Bohnen; kein Fleiſch,
kein Wein und kein Taback wird ihnen geliefert, doch iſt
es ihren Freunden erlaubt, ihnen derartige Artikel bis
zum monatlichen Betrage von 10 Franken zukommen zu
laſſen. Unter dieſen Verurtheilten befinden ſich viele, die
2
– 18 –
früher eine hohe Stellung in der Geſellſchaft einnahmen,
darunter Col de Cercy, der im Jahre 1851 ein Regi-
ment in Marſeille commandirte und aus politiſchen Grün-
den hierher geſandt ward; Capitän Doineau, Chef du
bureau Arabe, wegen einer Verſchwörung, einen arabi-
ſchen Chef zu ermorden; Lieutenant de Mercey, der einen
Kameraden betrunken gemacht und ihn in dieſem Zu-
ſtande im Duell getödtet; der General-Zahlmeiſter (chef
comptable) der Armee in der Krim; ſechs Abbés 2c.
Ein Maler von hohem Ruf iſt an dieſelbe Kette mit
einem berühmten Advocaten geſchloſſen. Man ſucht die
Zahl der hier befindlichen Sträflinge dadurch zu ver-
mindern, daß man ſie beredet, nach Cayenne oder Lam-
beſſa zu gehen, wo man ihnen die Ketten abzunehmen
verſpricht, allein obſchon bereits drei Transporte von je
500 Mann dahin geſendet worden ſind, ſo füllen immer
wieder neue Ankömmlinge ihre Plätze. Viele ziehen es
vor, trotz der Ketten in Frankreich zu bleiben, weil ſie
ſich vor dem baldigen Tode im tropiſchen Klima fürchten
oder, wie einer der Wächter ſich ausdrückte: Tous ces
assassins et voleurs sont si läches, qu'ils ont peur
de mourir.
Meine Feier des nächſten Sonntags war eigenthüm-
licher Art. In den Kirchen war überall „Te deum“
pour les victoires en Italie, in das ich, trotzdem ich in
dieſem Siegen Werkzeuge zu einem baldigen Ende dieſes
leidigen Krieges ſah, dennoch nicht einzuſtimmen wünſchte;
– 19 –
überdies ging mir das Beten in franzöſiſcher Sprache
nicht von Herzen, und ſo beſchloß ich von den Werken
thätiger chriſtlicher Nächſtenliebe das zu üben, das hier
am nächſten lag: das Beſuchen der Gefangenen und Kran-
ken. In den Hospitälern, den Forts der Umgegend, ſowie
den Feſtungsgräben der Stadt, campirten zu jener Zeit
noch einige Tauſend öſterreichiſcher Gefangener, und ich
benutzte jede Gelegenheit, mir Zutritt zu denſelben zu
verſchaffen; denn ich weiß, wie wohlthuend ſolche Kund-
gebungen von Theilnahme wirken, und wünſchte zugleich,
durch Geſpräch mit möglichſt Vielen mir ein richtiges
Urtheil über die Zuſtände in der Armee Oeſterreichs in
Italien zu bilden.
Wie ſich denken läßt, waren dieſe Männer etwas
niedergeſchlagen, denn trotz der humanen Behandlung iſt
es drückend, ſeiner perſönlichen Freiheit beraubt zu ſein.
Die Leute beſtanden aus Theilen von beinahe allen In-
fanterie-Regimentern, Jägern, Artillerie, allein nur we-
nigen Reitern, und waren bei Montebello, Magenta und
Melagnano gefangen genommen worden. Alle beſchwerten
ſich bitter über den ſchlechten Oberbefehl. Bei Magenta
hatte die grenzenloſeſte Verwirrung geherrſcht, alles Com-
mando hatte zuletzt ein Ende, jeder focht einzeln oder in
kleinen Abtheilungen, aus verſchiedenen Regimentern ge-
bildet, wie es nun eben ging, und wurde getödtet, ver-
wundet oder gefangen genommen, wo er eben ſtand.
Ueber die Stimmung der Leute in Bezug auf den Krieg
kann wohl nur wenig Zweifel herrſchen, trotzdem ſie mit
einer leicht begreiflichen Rückhaltung ſprachen. Was kann
man nun wohl für Reſultate erwarten, wenn Leute ſich
theils nur aus Pflichtgefühl ſchlagen, theils aus militä-
riſchem Ehrgefühl oder weil ſie eben dazu gezwungen
werden.
Wer immer die öffentliche Meinung durch unredliche
Sophiſtik über den wahren Thatbeſtand irrezuführen be-
müht iſt, ladet eine ſchwere Verantwortlichkeit auf ſich.
Der fühlende Menſchenfreund ſieht ſeine Sympathien auf
diejenigen beſchränkt, die die Leiden des Krieges perſön-
lich getroffen haben, und aus dieſem Grunde ſuchte ich
ſie hier ſo kräftig kundzugeben, als in meiner Macht
ſtand. Theilnehmende Geſpräche und kleine Geſchenke
von ſolchen Annehmlichkeiten, wie Früchte, Taback 2c.
waren leider faſt Alles, was ich zu geben vermochte, und
lebhaft bedauerte ich, nicht eine jener Bibelgeſellſchaften
zur Hand zu haben, um mich mit Material zu verſehen,
denn hier war ein dankbares Feld; allein ein jeder hilft
ſo gut, als er kann, deshalb ward eine kleine Taſchen-
bibel und ein Gebetbuch, in viele Stücke zerriſſen, vertheilt.
Alle meine Fragen über die Behandlung wurden mit
großer Zufriedenheit über erwieſene Humanität beant-
wortet, beſonders war für die Verwundeten gut geſorgt
worden. Nur ein vereinzelter Fall war in Magenta
vorgekommen, wo die vom Streit erhitzten Turcos in
ein Hospital gefeuert hatten, ſonſt hatte man ſich ihrer
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überall mit großer Leutſeligkeit angenommen. Im Hos-
pital St. Mandrier waren noch etwa 200 Verwundete,
viele andere aber ſchon als geheilt entlaſſen worden.
Trotzdem die am ſchwerſten Verwundeten in Italien ge-
blieben waren, gab das ſchnelle und vortreffliche Heilen
der Wunden Zeugniß ſowohl für die Trefflichkeit des
Klimas von Toulon, als auch für die ärztliche Behand-
lung und Pflege. Ich fand Leute, die bei Melegnano,
alſo vor etwa vier Wochen verwundet worden, entweder
bereits geheilt oder weit in der Beſſerung vorgeſchritten.
Einem Mann war eine Flintenkugel quer durch den
Backen und zum Hals herausgegangen, die Wunde war
bereits geſchloſſen und der Verband abgenommen; einem
Anderen war ein Bajonnetſtich durch die Bruſt gegangen,
er ging luſtig umher; einem Dritten hatte eine Kugel,
in großer Nähe abgefeuert, am Oberſchenkel und an der
Hüfte ein großes Stück abgeriſſen, die Wunde heilte vor-
trefflich und der Mann begann bereits umherzugehen.
Selbſt gefährlichere Verwundungen, wie Knochenbrüche
durch die Miniékugeln, die, wenn ſie die Knochen einmal
berühren, dieſelben auch faſt zerſtören, heilten auf über-
raſchende Weiſe.
Dieſe Beweiſe von Humanität verurſachten mir die
wohlthuendſten Gefühle, und es gewährt mir große Freude,
dieſe Beobachtungen bekannt zu machen, damit man ſieht,
daß die, wie zu hoffen ſteht, gleich milde Behandlung ge-
fangener Franzoſen, entſprechend wiedervergolten wird.
– 22 –
Die einzige Beſchwerde, welche die Gefangenen aus-
ſprachen, war über Mangel an Beſchäftigung, und da die
Leute Gelegenheit wünſchten, ſich durch irgend eine Arbeit
etwas zu verdienen, ſo ſetzte ich ihnen auf ihren Wunſch
zu dieſem Zweck ein Schreiben an den Commandanten
auf; ich beſuchte dieſen letzteren auch ſelbſt und erhielt
von ihm die beruhigende Verſicherung, daß, ſobald von
den betreffenden Departements die erbetene Erlaubniß ein-
treffen werde, die Leute bei öffentlichen Arbeiten beſchäftigt
werden ſollten. Es hat mir innige Freude bereitet, auf
dieſe Weiſe ſtammverwandten Menſchen ſelbſt in ſo ge-
ringem Grade nützlich zu ſein. Finden ſie erſt Beſchäfti-
gung, ſº verbeſſert ſich auch wohl ihre moraliſche Stim-
mUM9-
Man hatte von den bei Solferino Gefangenen wiederum
6000 Mann nach Toulon dirigirt, die in den nächſten
Tagen erwartet wurden. In den Hospitälern hatte man
proviſoriſche Gebäude von großer Ausdehnung errichtet,
und die Geſunden ſollten weiter ins Innere nach Toulouſe,
Bourges c. geſanº werden, wo bereits viele Erlaubniß
erhalten hatten ſich zum Feldbau um Tagelohn zu ver-
6. Juli 7 uhr Morgens verließ der P. O. Camp.
Ellora“ ſeine Ankerſtätte im Hafen von Mar-
die von England nach Oſtindien und
wählen dazu gewöhnlich die kühleren
wo die Acclimatiſation leichter
Dampfern
ſeille. Perſonen,
China überſiede"
Herbſt- und Wintermonate,
– 23 –
wird; aus dieſem Grunde ſind die während des Sommers
nach dem Orient ſegelnden Packetboote weniger frequentirt,
und im gegenwärtigen Falle belief ſich die Zahl ſämmt-
licher Paſſagiere auf etwa fünfzehn bis zwanzig, wodurch
ein jeder den Vortheil hatte, eine beſondere Cabine für
ſich einnehmen zu können.
Sobald man den Hafen verlaſſen, kann man ſich ſicht-
bar verdeutlichen, weshalb bei ſonſt gleichen Wetterver-
hältniſſen die Atmoſphäre von Toulon angenehmer und
leichter erſcheint, als die von Marſeille. Beide liegen in
einer tiefen Bai, beide ſind von ungefähr gleich hohen
Bergen eingeſchloſſen, allein da die Bai von Marſeille
tiefer eingebogen, die Berge ſelbſt bis an die Enden des
Halbkreiſes ſich nicht abflachen, ſondern ſteil in die See
abfallen, überdies auch mehrere hohe Felſeninſeln den
Durchmeſſer dieſes Halbcirkels einſchließen, ſo wird die
reinere Seeluft ausgeſchloſſen und der dunſtige Qualm,
der in ſich ſelbſt bedeutend größeren Stadt, verdickt von
dem Rauche vieler Werkſtätten und Dampfmaſchinen,
breitet ſich wie ein dunkles Tuch über Stadt und Bai,
an heißen Tagen oft die Baſis der Berge verhüllend,
und ſich in einer dünnen Lage ſelbſt bis in das reine
Blau der See hinausdehnend.
An der öſtlichen Seite des Hafeneinganges auf einer
ſteilen Bergſpitze ſteht die Capelle Notre dame de la
garde, und eine Treppe von vielen Stufen führt über
die grauen heißen Kalkſteinfelſen zu ihr hinauf. Auf dem
Gipfel angelangt, lohnt eine weite Ueberſicht über Land
und Meer für gehabte Mühe. Aber was für wunderliche
Leute das doch ſind, die ihre Kirchen an ſo abgelegenen
Orten bauen, daß ſie nur ſelten beſucht werden! Man
ſollte doch meinen, daß, je näher die Menſchen den
Tempel Gottes haben, je beſſer ſie in demſelben Zuflucht
finden können. An der Seite der alten kleinen Capelle
erbaut man jetzt eine andere von prätentiöſeren Dimen-
ſtonen. -
Zwiſchen dem Felſenvorſprung, auf dem dieſe Capelle
ſteht und der Inſel Dieu-donnée, die ſich quer vor dem
Eingang des Hafens ſtreckt, befindet ſich auf einem gleich
den übrigen weißgrauen und zackigen Kalkſteinfelſen das
Chateau d'If, romantiſchen Andenkens des Monte Chriſto.
Einige Batterien, zur Zeit ohne Kanonen, einige Gebäude
und ein viereckiger Thurm an der Südſeite bilden das
Ganze, das ohne den Umſtand, daß es das Theater von
A. Dumas vielgeleſenem Roman iſt, kaum ſehr beachtet
werden würde. Noch im Jahre 1848 bis 49 verwahrte
man hier politiſche Gefangene, und auf den Mauern der
Plattform befinden ſich eine Menge Inſchriften, wie Vive
la République, mort aux Tyrans etc. mit vielen Namen
darunter, deren Eigenthümer vielleicht noch in Cayenne
ſchmachten, wenn nicht ſchon der Tod ſie einer anderen
Exiſtenz zugeführt, wo diejenigen von ihnen, die den po-
litiſchen Bewegungen, deren Opfer ſie wurden, durch
Streben nach höheren Ideen, und nicht durch das Ver-
– 25 –
brechen zugeführt wurden, zur Einſicht gelangt ſein werden,
daß nichts in der Natur ſich in Sprüngen bewegt, und daß
die geiſtige Entwickelung des Menſchengeſchlechtes durch
Perioden, wo Leidenſchaften die Urtheilskraft ſchwächen
und den klaren Blick über das Ganze verdunkeln, nur
aufgehalten werden kann.
Ein Caſtellan zeigt gegen ein Trinkgeld dem gläubigen
Publikum den Kerker Monte Chriſtos, des Abbees, den
Ort, wo er ins Meer geworfen wurde 2c.
Während der ganzen Paſſage kräuſelte nur ſelten ein
leiſes Lüftchen die See, der Himmel blickte ruhig im
reinſten Blau hernieder, der Dampfer bewegte ſich ruhig
und geräuſchlos weiter, ſo daß es eines Blickes in das
azurblaue Waſſer bedurfte, um ſich zu überzeugen, daß
wir nicht im Hafen vor Anker lagen.
Am 7ten vor Tagesanbruch befanden wir uns an
der Küſte von Corſika und ſteuerten durch die Paſſage
von St. Bonifacio. Die Küſten waren von wunderlichen
barrock geformten Felſengebirgen eingeſchloſſen, zackig, grau
und an der Baſis mit gewaltigen, oft excentriſch geſtal-
teten Felsbrocken beſtreut, faſt gänzlich baumlos und nur
ſelten in den Thälern und an den niedrigen Hügelhängen
einige Vegetation zeigend, während die Ferne in zartes
durchſichtiges Grau gekleidet war. Hin und wieder, in
langen Zwiſchenräumen von einander, wurden zerſtreute
Fiſcherhütten ſichtbar, oder ein Trupp Ziegen oder Schafe;
in der That, das Land ſcheint in dieſer Gegend zu wenig
– 26 –
mehr nützlich zu ſein, als Fiſchfang zu treiben, Ziegen
zu hüten, und zum Zeitvertreib etwas Vendetta zu üben.
Dann folgte wieder blaues ruhiges Waſſer, das ſich
bis zum Horizont hin ausdehnte, auf dem zu Zeiten einige
Schiffe träge und faſt bewegungslos ſchwammen. Man
hätte es für eine „gemalte See“ mit „gemalten Schiffen“
halten können, hätte ſich nicht hin und wieder eine Heerde
von Porpoiſen gezeigt, die in munteren Sprüngen ent-
weder vor und um das Schiff her ſpielten, oder in ſüd-
weſtlicher Richtung ſich entfernend, den aus jener Himmels-
gegend zu erwartenden Wind verkündend.
Am 8ten ward die Küſte von Sicilien in der Ferne
ſichtbar, der Aetna zeigte für eine kurze Zeit ſein ſchnee-
bedecktes Haupt. Die Porpoiſen hatten ſich als gute
Wetterpropheten erwieſen, ein leichter Südweſtwind, juſt
genug um die Segel zu ſchwellen, wehte daher, brachte
aber zugleich einen feinen Nebel mit ſich, der zu Zeiten
das Schiff einhüllte und es nöthig machte mit der Glocke
und Dampfpfeife anderen Fahrzeugen das übliche War-
nungsſignal zu geben. Gegen Mittag war See und Luft
wieder ſo rein, als bisher und um 7 Uhr des Abends
zeigte der Leuchtthurm von Gozo ſein Wechſellicht. Es
war eine herrliche Mondnacht, wir konnten uns der wohl-
bekannten Küſte mit unveränderter Schnelligkeit nähern,
um 10 Uhr hatten wir die beiden Leuchtthürme am Hafen-
eingang von La Valette in Sicht, ein blaues Licht nebſt
einigen Raketen ward gezeigt, vom Lootſen am Ufer er-
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wiedert und um Mitternacht ankerten wir im Quaran-
taine-Hafen. Eine Menge Boote mit bunten Laternen
drängte ſich alsbald um das angekommene Schiff, das
Gepäck ward in eines derſelben hinabgeſandt, der Rei-
ſende folgte und in wenigen Minuten landet man auf
dem berühmten Felſen, der während mehr als fünf Jahr-
hunderte der chriſtlichen Welt als Bollwerk gegen den
Barbarismus des Oſtens diente. Die Zollbeamten machen
in der Regel wenig Schwierigkeit mit Durchſuchung des
Gepäckes, im gegenwärtigen Falle vertrat die einfache
Frage nach verzollbaren Gegenſtänden und die verneinende
Antwort die Stelle des Durchſuchens. Am Ufer war
eine dienſtfertige Menge von Laſtträgern bereit, Koffer
und Nachtſäcke nach dem Hötel zu bringen; man nimmt
ihre Dienſte an, ſchreitet über eine Zugbrücke über einen
langen gewölbten Gang und befindet ſich nach einigem
mühſeligen Bergaufſteigen in der Strada reale, wo das
Victoria-Hôtel den Wanderer gaſtlich aufnimmt.
Die Straßenbeleuchtung von La Valette iſt übel be-
ſtellt, eine einzige Lampe an jeder anderen Straßenecke
iſt alles was geleiſtet wird, und kommt einem nicht wie
im gegenwärtigen Falle der klare Mondſchein zu Hülfe,
ſo iſt man in Gefahr Hals und Bein zu brechen. Die
Stadt iſt in und auf dem Felſen gebaut, und obſchon die
Straßen rechtwinklich angelegt ſind, ſo macht dennoch das
unregelmäßige Terrain ein fortwährendes Auf- und Ab-
ſteigen nöthig. In der That ſind in den meiſten Fällen
– 28 –
die Seitenpfade mit Stufen verſehen, was den Verfaſſer
jenes, der Abſchied von Malta benannten, irrthümlich
Lord Byron zugeſchriebenen Gedichtes zu dem Ausruf
veranlaßte: „Adieu, ye cursed Streets of Stairs.“
In vielen Straßen findet man unter den Thorwegen
und entlang der Häuſer Gruppen von Schlafenden, die
in eine leichte Decke eingehüllt das harte Pflaſter zum
Bett gewählt haben, denn der ewig heitere Himmel der
Sommermonate und das milde Klima erlauben ihnen ſich
des Luxus eines Obdaches zu entſchlagen.
Das Hôtel ſah erträglich reinlich aus, der mit Stein-
platten belegte Fußboden und das Plätſchern eines Brun-
nens im Hofe unterſtützten eine gutwillige Phantaſie ſich
in der drückenden Atmoſphäre das Gefühl von Friſche
und Kühle vorzuſtellen; nach einer ſorgfältigen Inſpection
der Bettwäſche und der Mosquitovorhänge giebt man ſich
der Hoffnung hin ſein Lager nicht mit unerbetener Ge-
ſellſchaft theilen zu müſſen und ſo legt man ſich denn zur
Ruhe mit gutem Gewiſſen, Vertrauen in Gott und in
die beſſere Natur des Menſchen.
II.
Rückblicke
auf die
Geſchichte Malta’s bis zum Erſcheinen der
Johanniter.
Diodorus Nachrichten über Melita (Malta). – Malta von den
Römern zu einer römiſchen Provinz gemacht. – Man ſucht die Sym-
pathien des Volkes zu gewinnen. – Verſchönerungen durch öffentliche
Bauwerke. – Die Gothen. – Von Beliſar vertrieben. – Verfall des
früheren Wohlſtandes. – Die Araber. – Ermordung aller Griechen. –
Seeräubereien. – Niederlage des Nicetus und Manianus. – Graf Roger.
– Sieg über Michael Comnenus. – Unterdrückungen von Aufſtänden. –
Die deutſchen Kaiſer. – Manfred. – Karl von Anjou. – Konradin,
der letzte Hohenſtaufe. – Schlacht von Aquila. – Peter III. von Arra-
gonien. – Die ſicilianiſche Vesper. – Die Franzoſen aus Malta ver-
trieben. – Die Inſel verpfändet. – Kaiſer Karl V. – Abtretung der
Inſel an den Orden der Johanniter.
Da bei einer Tour durch die Inſel ſich dem Rei-
ſenden überall geſchichtliche Rückerinnerungen aufdrängen,
ſo dürfte es am Platze ſein, hier einen kurzen hiſtoriſchen
Rückblick einzuſchalten.
Ein claſſiſcher Autor (Diod. Sic. lib. V. c. 12) giebt
uns die folgende Nachricht über dieſe Inſel: „Die Inſel
„Melite (Malta) beſitzt viele ſehr vorzügliche Häfen, und
„ſeine Einwohner ſind reich, denn es befinden ſich unter
„ihnen eine große Anzahl verſchiedener Handwerker, unter
„denen ſich beſonders die Weber einer ſehr feinen und
„weichen Leinwand auszeichnen. Ihre Häuſer ſind ſtatt-
„lich, mit vorſpringenden Dächern und Tünchwerkkunſt-
„reich verziert. Die Inſel iſt eine Colonie von Phöni-
„ziern, die, als Kaufleute bis nach dem weſtlichen Ocean
„ Handel treibend, dieſes Eiland wegen ſeiner guten Häfen
„und paſſenden maritimen Lage zur Einkehr benutzten.
„Durch dieſe Vortheile wurden die Einwohner bald reich
„an Schätzen und Ruhm.“
Hieraus ergiebt ſich, daß die Phönizier, wenn nicht
die erſten Bewohner, doch unter den frühſten Anſiedlern
– 32 –
der Inſel waren. Alle übrigen Nachrichten, die wir über
die Geſchichte Maltas bis zur Zeit des erſten puniſchen
Krieges beſitzen, erſcheinen ſo nebelhaft, daß ſie nicht ohne
vorheriges gründliches Studium, wozu die Materialien
zu ſammeln, zur Zeit unendlich ſchwierig, wenn nicht
unmöglich iſt, wiedergegeben werden können. So viel
ſcheint jedoch gewiß, daß die Karthager zu gewiſſen Pe-
rioden wenigſtens die Inſel im Beſitz hatten.
So groß war der Wohlſtand Maltas unter der Herr-
ſchaft der Karthager geworden, daß es nach Beendigung
des erſten puniſchen Krieges die Habſucht des eroberungs-
ſüchtigen Roms auf ſich zog. Zweimal ward die Inſel
geplündert, zuerſt unter dem Conſul Attilius Regulus und
ſpäter unter Cajus Cornelius. Beim Beginn des zweiten
puniſchen Krieges ward es nebſt Sicilien von den Rö-
mern unter dem Conſul Titus Sempronius erobert.
Durch Decret des Senates ward Malta zu einer
römiſchen Statthalterſchaft gemacht, ſein Präfect ſtand
unter den Befehlen des Prätors von Sicilien, und Mar-
cus Marcellus ließ dieſen für die Vertheidiguug Italiens
und Siciliens ſo wichtigen Hafen befeſtigen.
Die Römer unterließen nichts was die, den Kartha-
gern noch warmanhängenden Einwohner mit ihren neuen
Herrſchern verſöhnen konnte. Sie ließen ihnen die un-
veränderte Ausübung ihrer Geſetze, und ermuthigten die
Manufacturen die ſie verſtanden, beſonders die von Baum-
wolle die ſo berühmt war, daß uns Cicero meldet, ſie
– 33 –
werde ſelbſt in Rom als ein Luxus-Artikel betrachtet.
Außerdem war es den Malteſern geſtattet ihre eigenen
Münzen zu prägen, ihre eigenen Richter zu wählen, das
Stimmrecht als römiſche Bürger ward ihnen zugeſtanden,
und ſie durften im Tempel des Jupiter Capitolinus
opfern.
Die in Malta befindlichen Tempel des Hercules und
der Juno wurden von den Römern erweitert und ver-
ſchönert, man erbaute dem Apollo und der Proſerpina
gleichfalls Tempel und ebenſo ein Amphitheater, deſſen
Trümmer noch in der Nähe von Citta Nottabile ſichtbar
ſind. Römiſche Münzen werden noch jetzt auf der Inſel
gefunden, und verſchiedene Inſchriften bezeugen die Pri-
vilegien die die Malteſer in jener Periode genoſſen.
Die Gothen, nachdem ſie Italien und Sicilien mit
Krieg überzogen, und Karthago geplündert hatten, kamen
etwa um das Jahr 506 nach Chr. in Malta an und nach
einem Beſitz von ſieben und dreißig Jahren wurden ſie
von einer Armee Juſtinians unter Beliſar vertrieben.
Ein Denkmal aus der Zeit der Gothen befindet ſich in
der Bibliothek und in und um Citta Nottabile befinden
ſich mehrere Inſchriften aus jener Periode.
Bis zum Ende des neunten Jahrhunderts blieb Malta
unter der Herrſchaft des öſtlichen Kaiſerreichs, allein da
eine falſche Politik die Einwohner jener Privilegien be-
raubt hatte, die ſie zu Zeiten der Römer genoſſen, ſo
gerieth der frühere Wohlſtand in Verfall. -
3
– 34 –
Ungefähr um das Jahr 879 während der Regierung
des Kaiſers Baſil, gelang es den Arabern die zu jener
Zeit bereits Spanien, Portugal, Italien und einen Theil
Frankreichs erobert hatten auf der Inſel Gozo zu landen,
wo ſie alle daſelbſt befindlichen Griechen umbrachten. Von
hier ſetzten ſie über die Straßen die Gozo von Malta
trennen und griffen letztere Inſel an, die geraume Zeit
erfolgreichen Widerſtand leiſtete, allein zuletzt der Ueber-
macht unterlag. Es ſcheint, daß die Griechen, die auf
Beliſar gefolgt waren, ſich durch ihre Unterdrückungen
den Haß der Einwohner zugezogen hatten, die jetzt hofften
unter neuen Gebietern ihren Zuſtand zu verbeſſern.
Nachdem die Araber Beſitz von der Inſel ergriffen,
ermordeten ſie alle Griechen und verkauften ihre Frauen
und Kinder in die Sklaverei, die Eingeborenen aber wur-
den mit großer Milde behandelt und ihre früheren Vor-
rechte ihnen zurückerſtattet. Da den neuen Herrſchern
bald die Wichtigkeit des Beſitzes ſo vieler vortrefflicher
Häfen für ihre piratiſchen Expeditionen einleuchtete, ſo
errichteten ſie zum Schutz des großen Hafens an der
Stelle von Fort St. Angelo Befeſtigungswerke und ver-
ſtärkten Citta Nottabile, das damals Medina (arabiſche
Stadt) genannt ward.
Während der Regierung der Kaiſer Nicephorus und
Michael Paphlagon wurden die Raubzüge der Araber
nach Italien und dem ganzen oſtrömiſchen Reich ſehr
läſtig, und deshalb rüſtete man eine Expedition unter
– 35 –
den Admiralen Nicetas und Manianes aus, die aber
wegen Mangel an Eintracht zwiſchen den Befehlshabern
fehlſchlug. Die Araber ließen als Zeichen ihrer Herrſchaft
Spuren ihrer Sprache zurück, denn der heutige Dialekt
der auf Gozo und in den verſchiedeneu Caſſals oder
Dörfern Maltas geſprochen wird, iſt dem Arabiſchen
näher verwandt als irgend einer anderen Sprache.
Nachdem die Araber während 220 Jahren im unge-
ſtörten Beſitz der Inſel geblieben, wurden ſie vom Grafen
Roger, Sohn des berühmten Tancrede de Hauteville, in
Gemeinſchaft mit ſeinem Bruder, aus Sicilien, Neapel
Und Malta vertrieben.
Die Einwohner trugen dem Sieger die Oberherrſchaft
über dieſe Inſeln an, die von ihm angenommen ward,
ſo daß trotz des Widerſtrebens des Papſtes und des
Kaiſers in Konſtantinopel ſeine Krönung als König von
Sicilien und Malta ſtattfand. Michael Comnenus ſuchte
die Oberherrſchaft über die Inſeln des mittelländiſchen
Meeres wiederzugewinnen, und entſendete zwei mächtige
Flotten unter Alexis Comnenus und Conſtantin Angelo.
Roger beſiegte beide und machte ſie zu Gefangenen,
trug den Krieg in des Kaiſers eigenes Gebiet und kehrte
beladen mit den Schätzen von Theben und Korinth
zurück, nachdem er Michael gezwungen ſeine Rechte an-
zuerkennen. -
Roger, dem Geiſte ſeiner Zeit folgend, gründete und
bereicherte viele Kirchen in Malta; wo, obſchon er einige
– 36 –
Verſuche machte die zurückgebliebenen Araber zum Chriſten-
thum zu bekehren, er dieſelben dennoch mit großer Milde
behandelte, und ihnen ſogar geſtattete, eine kleine Gold-
münze zu prägen, die auf einer Seite die Inſchriſt: „Es
iſt kein Gott außer Gott, Mohamed iſt ſein Prophet“
und auf der anderen Seite „König Roger“ führte. Nichts-
deſtoweniger fanden mehrere Aufſtände ſtatt und im Jahre
1120 ſuchten die Araber des Diſtrictes Kalat-el Bahrich
die vorzüglichſten Einwohner der Inſel zu ermorden, ſo
daß der König genöthigt war ſeinen Sohn abzuſchicken,
um Ordnung wiederherzuſtellen.
Nach dem Tode Rogers trat ſeine Tochter, Gemahlin
Kaiſer Heinrich VI., die Inſeln Malta und Sicilien an
die Krone der ſchwäbiſchen Kaiſer ab, oh. "achtet des
Einſpruches Tancred's, der ſich mittlerweile des Thrones
ſeines Vaters bemächtigt hatte; allein der frühzeitige Tod
Tancred's und ſeines unglücklichen Sohnes machte dieſem
Streit bald ein Ende.
Unter Heinrich VI. und ſeinen Sohn Friedrich III.
zeichneten ſich die Malteſer zur See aus. Unter dem
Befehl ihres eigenen Admirals zerſtörten ſie ein Geſchwader
der Piſaner, die gekommen waren Syracus zu belagern
und eroberten die Inſel Candia von den Venetianern,
nachdem ſie deren Flotte zerſtört und ihren Admiral An-
drea Dandalo zum Gefangenen gemacht.
Während der nächſten 72 Jahre blieb Malta unter
der Oberherrſchaft der deutſchen Kaiſer, bis Manfred,
– 37 –
der natürliche Sohn Friedrichs II., den ſchändlichen Plan
faßte, ſeinen Vater zu vergiften und ſich zum Herrſcher
ſeines Reiches zu machen. Die grauſamen Unterdrückun-
gen des Uſurpators riefen einen Aufſtand der Sicilianer
und Malteſer hervor und beſtimmten zuletzt den Papſt
Urban IV., alle ſeine Unterthanen des Gehorſams gegen
ihn zu entbinden. Um ſich vor den Folgen dieſes Edictes
zu ſchützen, bot er die Hand ſeiner Tochter Conſtance an
Peter, Sohn König Jacob's von Aragonien, an, allein
dieſe Maßregel hatte keine anderen Folgen, als die Feind-
ſchaft Urban's gegen Manfred zu ſteigern, und ohne ein
anderes Recht, als welches ſich ſeine Vorgänger angemaßt,
ernannte Erſterer Karl von Anjou, König Frankreichs,
zum Herrſcher über Sicilien, Neapel und die dazu ge-
hörigen Inſeln. Sein Nachfolger Clemens IV. beſtätigte
ebenſo unbefugterweiſe dieſe Ernennung, bedang ſich aber
den Beſitz der Herzogthümer Benevento und Ponte-Corvo
in Neapel, nebſt einem jährlichen, am St. Petersfeſt zahl-
baren Tribut von tauſend Kronen.
Eine Schlacht, die zwiſchen den Heeren Karl's und
Manfred's am 6. Februar 1268 in den Ebenen von
Benevento ſtattfand, gab dem Erſteren den Sieg, Man-
fred fand auf dem Schlachtfelde ſeinen Tod, ſein Weib
und ſeine Kinder aber fielen dem Sieger als Gefangene
in die Hände.
Mittlerweile ſchickte ſich Konradin, der legitime Sohn
Friedrichs II., in Gemeinſchaft des Herzogs von Oeſter-
reich an, ſeines Vaters Reich aus den Händen Karl's
wiederzuerobern. Es gelang ihnen, bis nach Aquila in
den Abruzzen vorzudringen, wo in den Ebenen von Lis,
in der Nähe des Celano-Sees, eine Schlacht ſtattfand,
in der Karl abermals Sieger war; bald darauf fiel auf
dem Marktplatz von Neapel das Haupt des letzten Hohen-
ſtaufen und ſeines Freundes Friedrich von Oeſterreich.
Die Tochter Manfred's, deren Gatte unter dem
Namen Peter III. König von Aragonien geworden, bot
jetzt Alles auf, um dieſen zu vermögen, ſein Recht auf
das Königreich Sicilien in Anſpruch zu nehmen. Die
Tyrannei Karls von Anjou hatte bereits alle Gemüther
gegen ihn gekehrt, und die bekannte ſicilianiſche Vesper
brachte allen im Lande befindlichen Franzoſen den Tod.
Peter von Aragonien ward in der Kathedrale von
Palermo zum König von Sicilien gekrönt.
Karl befand ſich zu jener Zeit in Toskana, und ſo-
bald ihn die Nachricht jener Empörung traf, begann er
augenblicklich, zur Wiedereroberung des Landes Anſtalten
zu treffen, allein ſeine Flotte unter dem Commando des
Dauphin ward von derjenigen der Aragonier unter Ad-
miral Rogero geſchlagen. Hierauf ſegelte Rogero nach
Malta, das von den Franzoſen unter Guillaume Cornèr
beſetzt war. Nach einem blutigen Gefecht zwiſchen den
Flotten beider Parteien ſah ſich Letzterer zur Uebergabe
genöthigt, und ſo gerieth die Inſel unter aragoniſche
Oberherrſchaft.
Trotz der feierlichen Verſprechungen, daß Malta für
alle Zeiten als unzertrennlich von der Krone Siciliens
betrachtet werden ſollte, ward es dennoch zweimal ver-
pfändet, zuerſt an Don Antonio de Cordova und ſpäter
an Don Gonſalvo de Monvai.
Ueber die Maßen von dem Drucke, den ſie unter
dieſen Umſtänden zu dulden hatten, bedrängt und ermüdet,
ihre Beſchwerden ohne Reſultat vor den Thron zu brin-
gen, beſchloſſen die Malteſer, die Summe von 30,000 Gul-
den, für die ſie verpfändet waren, zu bezahlen, und ſeit
jener Zeit wurden ihnen neue außerordentliche Privile-
gien zu Theil.
Im Jahre 1516 fiel das ganze Königreich an Kaiſer
Karl V. als Erben aller ſpaniſchen Beſitzungen. – Um
jene Zeit war Rhodus nach langer heldenmüthiger Ver-
theidigung dem Orden der Johanniterritter entriſſen wor-
den, die Ritter unter ihrem heldenmüthigen edlen Groß-
meiſter Isle Adam irrten obdachlos von einem Lande
zum anderen, vergeblich ein Aſyl ſuchend, und ſchon
drohte eine gänzliche Auflöſung dem Orden, als ihnen
die Inſeln Malta und Gozo nebſt Tripolis auf dem Feſt-
lande Afrikas zur Heimath angewieſen wurden. Lange
erwog der Großmeiſter im Rathe mit der Ritterſchaft
dieſe Frage, allein angeſichts des traurigen Looſes der
Templer, die in Frankreich ihren Untergang gefunden,
entſchloß er ſich, auf dieſem entlegenen Felſen Sicherheit
für den Orden zu ſuchen, der ſo lange das Bollwerk der
– 40 –
Chriſtenheit gegen den von Oſten herandrängenden Islam
geweſen.
Die Schenkungs-Urkunde iſt datirt: Caſtel Franco,
Boulogne, den 23. März 1520, und das Document, in
welchem das Ordenscapitel die Annahme desſelben kund-
gab, vom 25. April desſelben Jahres.
III.
Die Johanniter in Malta.
Verfall des Wohlſtandes der Inſel. – Maßregeln Isle Adams den-
ſelben zu heben. – Verfolgungen durch Heinrich VIII. von England. –
Tod Isle Adams. – Peter Dupont. – Expedition gegen Tunis. –
Didier de Saint Jaille. – Juan d'Omedes. – Selbſtſucht desſelben. – -
Expedition gegen Algier. – Eroberung von Mehedia. – Angriff der
Türken auf Malta. – Upton und De Guimera. – Fruchtloſer Verſuch
auf Citta Notabile. – Gozo wird geplündert. – Claude de la Sengle.
– Sucht den Orden zu kräftigen. – Vermehrt die Befeſtigungen. – Jean
de la Valette. – Bereitet ſich zum Widerſtand gegen die Türken vor. –
Ankunft der feindlichen Flotte. – Beginn der Feindſeligkeiten. – Sieg
der Ritter. – Ehrenbezeugungen die La Valette ablehnt. – Gründung
von Valetta. – Tod und Begräbniß La Valette's. – Peter de Monte.
– Schlacht von Lepanto. – La Caſſiera. – De Verdale. – Don Martin
Garzez. – Alof de Vignacourt. – De Paula. – Lascaris. – Caſtelard.
– Raphael Cotoner. – Hülfe der Malteſer beim Erdbeben von Meſſina.
– Verfall des Ordens. – Die Franzoſen bemächtigen ſich Malta's. –
Werden von den Engländern und Portugieſen blockirt und ergeben ſich. –
Der Wiener Congreß ſpricht den Beſitz der Inſel England zu.
Zu der Zeit, wo der Orden in Malta anlangte, war
die Inſel durch langen Druck ſo von ihrem vormaligen
blühenden Zuſtand herabgeſunken, daß im Jahre 1516
die ganzen öffentlichen Einkünfte, die der kaiſerliche Statt-
halter erpreſſen konnte, ſich nur auf einundzwanzig Du-
caten belief. Des edlen Isle Adam Charakterſtärke wurde
auf eine ſchwere Probe geſtellt, als er den ſteilen, dünn
bevölkerten Felſen erblickte, auf den ſein hartes Schickſal
ihn geworfen. Die herrlichen Ländereien von Rhodus,
ſein Korn, Wein, Oel, Wälder, ſeine Städte und Flotten
ſtanden im grellſten Contraſt zu dem neuen Aufenthaltsort,
der außer einer alten halbzerfallenen Feſtung und einigen
elenden Fiſcherhütten kaum ein Obdach darbot. Nichts-
deſtoweniger hatte er bereits zu viele Wechſel des Schick-
ſals erfahren, um ſich hier der Verzweiflung hinzugeben.
Er ließ ſogleich einige Feſtungswerke um den elenden
Flecken errichten, der unter dem Schutz der Kanonen von
St. Angelo entſtanden war, und begann die Lage der
neuen Hauptſtadt abzuſtecken.
– 44 –
Auf dieſe Weiſe erhielten im Jahre 1530, ſieben Jahre
nachdem ſie aus Rhodus vertrieben worden waren, die
Johanniterritter eine neue Heimath in Malta, und von
jener Zeit wurden ſie gewöhnlich als Malteſerritter be-
zeichnet.
Die vielen Sorgen und Mühen, die jetzt wiederum
auf dem edlen Großmeiſter laſteten, waren eine ſchwere
Bürde für ſeine Greiſenjahre; dazu kamen fortwährende
innere Zerwürfniſſe und zuletzt die offene Feindſeligkeit
Heinrichs VIII. von England, der den Orden ſeiner Be-
ſitzthümer in England beraubte und mehrere der vor-
nehmſten Ritter enthaupten ließ. Sein graues Haupt ward
in Sorge zu Grabe gebeugt. Ein heftiges Fieber ſchwächte
die wenigen noch übrigen Kräfte ſeines Körpers, und am
21. Auguſt 1534 ſtarb Isle Adam, einer der hochherzigſten
und berühmteſten Großmeiſter, die der Orden je beſeſſen.
Seine dreizehnjährige Regierung war eine unausgeſetzte
Reihe von Gefahren und Widerwärtigkeiten, allein ſein
Muth, ſeine Weisheit, ſeine Stärke, ſeine Barmherzigkeit
und ſeine Hingebung für den Orden überwanden alle.
Die Ritter begruben ihn mit tiefer Wehmuth, und ſein
Grab ward durch das einfache Epitaph bezeichnet: „Hier
liegt Tugend, ſiegreich über Unglück, begraben.“
Unter der Regierung Peter Dupont's, eines piemon-
teſiſchen Ritters, bekam allmählich der Orden neue Kräfte,
und im Jahre 1535 war man bereits im Stande, mit
vier Galeeren, achtzehn Brigantinen und neun großen
– 45 –
Karaken Theil an einer Expedition Karl's V. gegen Tunis
zu nehmen, wo ſich die Ritter bei Erſtürmung der Breſche
von Goletta auszeichneten. Es befanden ſich zu jener
Zeit in Tunis etwa 10,000 chriſtliche Gefangene, zu deren
Vernichtung durch eine unter ihren Gefängniſſen angelegte
Mine man bereits Anſtalten getroffen hatte. Unter den
Gefangenen befand ſich ein Malteſerritter Namens Paul
Simeoni, der ſich bereits bei der Belagerung von Rhodus
ausgezeichnet hatte. Dieſer fand Mittel, zwei der Gefangen-
wärter zu beſtechen, die Gefangenen zu befreien, die alsbald
das Arſenal erſtürmten, die Garniſon der Citadelle nieder-
hieben und ſo im Stande waren, dem Kaiſer durch eine
weiße Flagge anzuzeigen, daß die Stadt gewonnen ſei.
Karl V., voll Bewunderung ſo ſeltenen Muthes, um-
armte Simeoni und dankte ihm vor dem verſammelten
Heere für ſeine Tapferkeit, die den Sieg gewann und
neuen Ruhm auf den Orden zurückſtrahlte.
Nach dem Tode Dupont's regierte Didier de Saint
Jaille für eine kurze Zeit und auf ihn Juan de Omedes,
ein aragoniſcher Ritter, deſſen Tugenden leider nicht der
hohen Würde, die er bekleidete, entſprachen. Unter ſeiner
Regierung nahm der Orden Theil an jener bekannten un-
glücklichen Expedition Karl's V. gegen Algier. Ein fran-
zöſiſcher Ritter, Ponce de Savignac, der Standartenträger
des Ordens, verfolgte hier einen Haufen flüchtiger Feinde
bis ans Thor der Stadt, und ſeinen Dolch in dasſelbe
ſtoßend, ließ er denſelben zurück als Zeichen, daß nichts
– 46 –
als Schloß und Riegel ihn am weiteren Vordringen ver-
hindert habe; die Ritter und Truppen zeichneten ſich aus,
indem ſie den unglücklichen Rückzug deckten, und die mal-
teſiſchen Galeeren wurden von ihren entſchloſſenen und
tüchtigen Mannſchaften in einem Sturm vor dem Unter-
gang bewahrt, der einen großen Theil der Flotte ereilte.
Bei einem Verſuch, die Stadt Mehedia zu gewinnen, das
alte Adonmetum, zwiſchen Tunis und Tripolis gelegen,
gewannen die Ritter unter Befehl des Großprofoſſen
de la Sengle neue Lorbeeren durch den Muth, mit dem
ſie ſich dem Feinde entgegenwarfen, und der Aufopferung,
mit der ſie die Kranken und Verwundeten pflegten, und
indem ſie ſo im hohen Grade zur endlichen Eroberung
dieſer Stadt beitrugen, zogen ſie die vollſte Wuth des
berüchtigten Corſaren Dragut auf den Orden, ſo daß,
von verſchiedenen Seiten beeinflußt, der Kaiſer Soliman
ſich zu einer Belagerung Maltas vorbereitete.
Leider war der Großmeiſter zu ſehr mit ſeinen ſelb-
ſtiſchen Plänen beſchäftigt, um der Sicherheit und Auf-
rechthaltung des Ordens die genügende Aufmerkſamkeit
zu ſchenken, und ſelbſt der Commandeur de Villegagnon,
der aus Frankreich herbeieilte, um gegen die nahende Ge-
fahr zu warnen, vermochte nicht, ihn aus ſeiner Lethargie
zu erwecken. -
Am 16. Juli 1551 erſchien plötzlich ein türkiſches Ge-
ſchwader vor Malta und ankerte im Port Musceit, dem
heutigen Quarantaine-Hafen, weſtlich von Valetta.
Malta beſaß zu jener Zeit nur zwei Feſtungen, die
einen erfolgreichen Widerſtand zu leiſten vermochten, Borgo,
das durch die Kanonen vom Fort St. Angelo vertheidigt
ward und Citta Notabile, die Hauptſtadt im Innern der
Inſel gelegen. Beide Plätze füllten ſich alsbald mit Flücht-
lingen vom Lande, die, da die Häuſer ſie nicht alle faſſen
konnten, genöthigt waren, in den Straßen zu bivouaquiren.
Ungeachtet des paniſchen Schreckens, der die Ein-
wohner ergriffen, und trotz der blosgeſtellten Lage, in die
ſie ſich durch die Nachläſſigkeit ihres Großmeiſters ver-
ſetzt ſahen, bereiteten ſich dennoch die Ritter vor, einen
energiſchen Widerſtand zu leiſten. Ein braver engliſcher
Ritter, der Commandeur Upton, begleitet von 30 Rittern
und 400 Freiwilligen von den Eingeborenen, die eine
Reiterſchaar bildeten, beſetzte den Theil der Küſte, wo
die Türken zu landen gedachten, während Commandeur
de Guimera ſich mit 100 Rittern und 300 Arquebuſieren
zwiſchen den Felſen von Movent Serberras, wo jetzt
Valetta ſteht, in den Hinterhalt legte, wo er geraume
Zeit erfolgreichen Widerſtand leiſtete, bis er von der
Uebermacht in die Feſtung zurückgedrängt wurde.
Sinam Paſcha, der türkiſche Oberbefehlshaber, fand
es nicht rathſam, Borgo anzugreifen, ſondern zog es vor,
ſich gegen Citta Notabile zu wenden, auf dem Wege
Alles mit Schwert und Feuer verheerend. Dieſe Stadt
ſtand unter Befehl George Adorno's, eines Genueſen, war
aber nur ſchwach garſoniſirt, und obſchon viele Landleute
der Umgegend, die ſich hierher geflüchtet hatten, zur Ver-
theidigung beitragen konnten, ſo fehlte es dennoch an
Rittern, um ſie zu diſcipliniren und zu führen. Adorno
ſandte an den Großmeiſter ein Geſuch um Hülfe, der
mit ſeiner gewöhnlichen Selbſtſucht dieſelbe verweigerte,
und nur, als Villegagnon ihm im offenen Rathe Vor-
würfe machte, erlaubte er dieſem, nebſt ſechs anderen
Rittern ſich in die bedrängte Stadt zu werfen. Vor
Tagesanbruch unter den Mauern angelangt, ward die
kleine Schaar von den Belagerten an einem Seile hinauf-
gezogen. Dieſe großmüthige Selbſtaufopferung der Ritter
belebte den Muth der Garniſon, ebenſo wie die Nachricht,
daß Verſtärkung in die Stadt gelangt war, die Türken
entmuthigte; da überdies durch falſche Nachrichten, daß
eine gewaltige chriſtliche Heeresmacht von Sicilien zum
Entſatz herbeieilte, die Beſtürzung derſelben vermehrt
wurde, und ſie zur Aufgabe der Belagerung beſtimmte.
Um den Unwillen ſeiner Truppen über das mißlungene
Unternehmen zu beſänftigen, erlaubte Sinam Paſcha die
Plünderung der Inſel Gozo, deren einzige Vertheidigung
in einen alten Thurm beſtand, der von dem Gouverneur
Galatin de Seſſa nach einer ſchwachen Vertheidigung
übergeben ward. Ueber 6000 Chriſten wurden bei dieſer
Gelegenheit in die Sklaverei geſchleppt. -
Später ſegelte das ganze türkiſche Geſchwader nach
Tripolis, landete am Cap Tajura Truppen, und entriß
nach kurzer Belagerung dieſe Stadt dem Orden, da die
– 49 –
die Garniſon bildenden geworbenen Truppen in Meuterei
ausbrachen, und den Belagerern die Thore öffneten.
Dieſer unheilvolle Beſuch hatte zur Folge, daß den
Befeſtigungen Malta's etwas mehr Aufmerkſamkeit ge-
ſchenkt ward, und da zu jener Zeit die Caſſe des Ordens
noch zu ſchwach war, um große Auslagen zu rechtfertigen,
ſo erbauten verſchiedene Ritter aus eigenen Mitteln die
Befeſtigungen in Mont St. Julien, ſo wie Fort St. Elmo,
das bei einer ſpäteren Belagerung eine ſo wichtige Rolle
ſpielte.
Nach d'Omedes Tode, im Jahre 1553, ward Claude
de la Sengle zum Großmeiſter erwählt, und unter ſeiner
Regierung begann der Orden wieder in ſeinem alten
Glanz zu ſcheinen. Die Tochter Heinrichs VIII., Mary
von England, erſtattete den Rittern das von ihrem Vater
confiscirte Eigenthum zurück, und über größere Geldmittel
gebietend, dachte der neue Großmeiſter auf das angelegent-
lichſte daran, die Arſenale zu füllen, Truppen zu werben
und die mangelhaften Befeſtigungen auszudehnen und zu
verſtärken. Die erweiterten Befeſtigungen von St. Elmo
und St. Angelo ſtammen aus jener Zeit, und die Halb-
inſel St. Michael ward gleichfalls in den Bereich der
Vertheidigung gezogen, und nach dem Großmeiſter Isle
de la Sengle genannt.
Um jene Zeit erſcheint der Name de la Valette als
Admiral der malteſiſchen Galeeren, der bald zum Schrecken
der türkiſchen und mauriſchen Corſaren wurde, und ſo
4
– 50 –
begrüßen wir zum erſten Male den Helden, deſſen uner-
ſchütterlicher Feſtigkeit der Orden für ſein Fortbeſtehen
ebenſo verpflichtet war, wie dem hochherzigen Isle
Adam.
Die Verwaltung de la Sengles diente dazu, die Miß-
griffe ſeines Vorgängers zu verbeſſern und für ſeinen
Nachfolger die Mittel zu beſchaffen, einem neuen von
Oſten heraufziehenden Sturm zu begegnen. Er ſtarb am
17. Auguſt 1557 und Jean de la Valette ward einſtimmig
zum Großmeiſter erwählt. Von dem Tage, wo er in dem
Orden aufgenommen, hatte dieſer ergebene Streiter un-
ausgeſetzt die Inſel zn ſeiner Heimath gemacht, wenn
ihn nicht die Dienſtpflicht auf andere Poſten der Gefahr
rief, und war ſo langſam von Würde zu Würde empor-
geſtiegen, bis ſeine ritterlichen Tugenden ihm die höchſte
Stelle errungen hatten. Mit Schmerzen hatte er die
vielen Mißgriffe ſeiner Vorgänger beobachtet und kaum
ſah er die Zügel der Regierung in ſeinen Händen, als
er Alles aufbot um den zugefügten Schaden zu erſetzen,
vorhandene Mängel auszugleichen, und dem Orden mög-
lich zu machen ſeine hohe Miſſion zu erfüllen, die chriſt-
liche Welt des Weſtens als Bollwerk gegen den von Oſten
herandrängenden Islam zu dienen.
Es war hohe Zeit, denn ſchon bereitete Sultan Soly-
man eine mächtige Flotte unter den Befehlen der Paſchas
Muſtapha und Piali vor, zu denen ſpäter der algiriniſche
Corſar Dragut ſtoßen ſollte.
– 51 –
Die Ritter waren für ihre Vertheidigung meiſt auf
ſich ſelbſt verwieſen, denn mit Ausnahme Spaniens, das
eine unbedeutende Truppenmacht ſendete, und des Papſtes
der 10.000 Kronen beitrug, zeigte ſich keiner der übrigen
europäiſchen Staaten bereit die geringſte Hülfe zu lei-
ſten; Frankreich war von blutigen Bürgerkriegen erfüllt,
Deutſchland zitterte für ſeine eigene Grenze und England
fühlte kein Intereſſe mehr in dem Kampfe zwiſchen Kreuz
und Halbmond. Das Bewußtſein ihrer vereinzelten Lage
diente jedoch nur dazu, den Muth der Ritter auf das
Höchſte zu ſteigern. Mehrere Hunderte derſelben die in
den verſchiedenen Provinzen zerſtreut waren, eilten auf
den Ruf des Großmeiſters herbei, um im Verein mit
ihren Ordensbrüdern die Miliz der Inſel zu organiſiren,
und diejenigen, welche durch Alter oder Krankheit ver-
hindert waren ſelbſt zu kommen, trugen den größten
Theil ihrer Einkünfte zur Ordenscaſſe bei. Das feſteſte
Bollwerk jedoch war der Großmeiſter ſelbſt, der, in Weis-
heit, in Muth, militäriſchen Kenntniſſen und Feuereifer
den glorreichſten Führern nicht nachſtand, und in dieſem
kritiſchen Augenblick hätte die oberſte Gewalt in keinen
beſſeren Händen ruhen können, als in denen Jean de la
Valette's. Die verſchiedenen Würden mit denen er über-
häuft worden war, hatten, ſtatt ſein Herz von den harten
Pflichten ſeines Berufs abzuwenden, nur dazu gedient,
ſeine höchſten Beſtrebungen dahin zu lenken, ſich unter
allen Umſtänden als ein wahrhaft chriſtlicher Ritter zu
– 52 –
zeigen. Es erſchien ihm leichter den Tod auf den Wällen
ſeiner Feſtung zu ſuchen, denn ſich die Möglichkeit vor-
zuſtellen, daß das Banner, unter dem er ſteht, durch die
Hände des Feindes in den Staub gebeugt werde. Er
erfüllte zu gleicher Zeit die Pflichten des Hospitaliters,
des Soldaten, des Ingenieurs, des Artilleriſten und des
Heerführers der Schaaren. In einer Stunde beſuchte er
die Spitäler, in der nächſten inſpicirte er die neuerrich-
teten Feſtungswerke, und mit derſelben Hand, die die
Pläne der Verſchanzungen entworfen, ergriff er nicht
ſelten Hacke und Schaufel, um die Arbeiter anzueifern.
In voller Verſammlung richtete er eine feierliche An-
rede an die Ritter: „Ein gewaltiger Feind naht ſich,
gleich einer Gewitterwolke und muß das Banner des
Kreuzes vor den Ungläubigen ſtellen, ſo laßt uns be-
denken, daß dies ein Zeichen iſt, daß der Himmel unſer
Leben, das wir ſeinem Dienſt gewidmet von uns ver-
langt. Wer für dieſe heilige Sache ſtirbt, leidet einen
beneidenswerthen Tod, um uns auf einen ſolchen vorzu-
bereiten, laßt uns auf den Stufen des Altars jene Ge-
lübde erneuern, die uns nicht nur dem Tode furchtlos
ins Auge blicken laſſen, ſondern uns im Kampfe unbe-
ſiegbar machen werden.“
Die erhabene Feierlichkeit, die hierauf folgte, war
wohl geeignet die Ritter mit dem feurigſten Eifer zu be-
ſeelen. Von ihren Sünden gereinigt nahmen alle gemein-
ſchaftlich das Abendmahl, und entſagten allen weltlichen
– 53 –
Gedanken bis ihr großes Werk vollbracht ſei. Privat-
ſtreitigkeiten wurden beſeitigt, jeder ſuchte den Anderen
durch doppelte Hingebung zu ſtärken und in ergebener
Bruderliebe vor dem Symbol ihres Glaubens niederkniend,
ſchworen ſie den letzten Blutstropfen zu vergießen, um
dasſelbe vor Entweihung zu ſchützen.
Bei einer allgemeinen Muſterung ſeiner Streitkräfte
fand La Valette, daß dieſelben aus 700 Ritteru und
etwa 8500 Soldaten, zuſammengeſetzt aus den Mann-
ſchaften der Galeeren, fremden Hülfstruppen, ſo wie der
Miliz der Inſel beſtand. Gleichwie bei der Belagerung
von Rhodus unter Isle Adam war jede Landmannſchaft
mit der Vertheidigung eines gewiſſen Punktes beauftragt,
und der dadurch verurſachte Wetteifer war ſo groß, daß
man ſich um die gefährlichſten Poſten ſtritt.
Am 18. Mai 1565 gewahrten die Schildwachen des
Fort St. Elmo die Annäherung der türkiſchen Flotte, die
aus 190 Kriegsſchiffen beſtand, bemannt von 30,000 Kern-
truppen des türkiſchen Heeres, meiſt Janitſcharen und
Spahis, und von zahlreichen Transportſchiffen beladen
mit den Geſchützen und Pferden des Heeres gefolgt war.
Im Laufe der Nacht gelang es trotz der Wachſamkeit des
Gouverneurs, 3000 Türken in St. Thomas zu landen,
und am nächſten Morgen ward der Reſt des Heeres in
der entfernten Bai von Marſa Sirocco ausgeſchifft. Der
Beginn der Feindſeligkeiten war von übler Vorbedeutung
für den Orden, ein portugieſiſcher Ritter auf Kundſchaft
– 54 –
ausgeſendet, fiel durch eine Kugel aus feindlichem Hinter-
halt und ſeinem Freunde de la Riviere, der ſeine Leiche
retten wollte, ward das Pferd unter dem Leibe erſchoſſen,
er ſelbſt aber zum Gefangenen gemacht.
Der türkiſche Befehlshaber ließ ihn foltern, um durch
ihn den ſchwächſten Punkt der Befeſtigungen zu erfahren,
und La Riviere nannte ihm die Baſtion von Caſtilien;
allein kaum hatte der Paſcha die mächtigen Werke der-
ſelben erblickt, als er voll Zorn ſich hintergangen zu ſehen,
den Gefangenen mit eigener Hand umbrachte. Dieſe grau-
ſame Handlung, ſo wie die in allen Theilen der Inſel
angerichteten Verheerungen wurden vom Großmeiſter ſelbſt
gerächt, der mit einem fliegenden Corps 1500 feindliche
Marodeurs niederhieb, wobei er ſelbſt achtzig Soldaten
und einen Ritter verlor. Die weiteren Details dieſer
denkwürdigen Belagerung werden am paſſenden Ort er-
wähnt werden.
Kaum war dieſe dringende Gefahr durch die Feſtig-
keit des Ordens abgewandt, als alle Fürſten, die bisher
mit Händen im Schooß zugeſchaut hatten, die lauteſten
Beifallszeichen gaben, ganz Europa ſtrahlte von Freuden-
feuern, überall erklangen Dankeshymnen und ſoweit der
chriſtliche Glaube reichte, war der Name La Valettes mit
Ruhm erfüllt. Philipp II. von Spanien ſendete dem Groß-
meiſter, als Zeichen ſeiner Bewunderung, ein prachtvolles
Schwert und einen Dolch, deren Griffe von Gold, reich
mit Diamanten beſetzt waren, und der Papſt bot ihm
– OO –
einen Cardinalshut an, eine Würde, die jedoch der ehren-
werthe Soldat, als unvereinbar mit ſeiner Pflicht, be-
ſcheiden ablehnte.
Soliman wüthete über das Fehlſchlagen ſeines Planes,
und bereitete eine neue Expedition unter ſeiner eigenen
Führung vor, die jedoch ſein Tod nicht zur Ausführung
kommen ließ.
La Valette gründete noch die nach ihm benannte Stadt
auf Mount Sceberras, allein ſeine letzten Tage wurden
gleichfalls durch innere Zerwürfniſſe, ſo wie durch Streitig-
keiten des Ordens mit dem Papſt und anderen Potentaten
getrübt. Um ſich zu zerſtreuen, unternahm er einen Aus-
flug in die Umgegend, ſich ſeinem Lieblingsvergnügen der
Falkenjagd hinzugeben, allein die große Hitze des Monats
Juli zog ihm einen Sonnenſtich zu und nach einer Krank-
heit von drei Wochen, die er mit der Ergebung eines
Martyrs ertrug, beſchloß er ſein glorreiches Leben am
21. Auguſt 1568.
Die Beerdigung dieſes ausgezeichneten Kriegers fand
mit großer Feierlichkeit ſtatt; ſeine Leiche die vorläufig
in der Capelle von St. Marie de Phileome in Borgo
beigeſetzt war, wurde in Uebereinſtimmung mit ſeinem
letzten Wunſche nach der Kirche St. Marie de la Victoire
in der neuen Stadt gebracht; die Galeere des Admirals,
ihrer Maſten und Kanonen beraubt, trug den Sarg, die
beiden Galeeren, die ſie im Schlepptau hatten, waren
mit ſchwarzen Stoffen bedeckt, und ſchleppten verſchiedene
– 56 –
türkiſche Feldzeichen im Waſſer hinter ſich her, und zwei
dem Verſtorbenen gehörige Galeeren, auf denen ſich die
Großwürdenträger des Ordens befanden, folgten. In
dieſer feierlichen Ordnung ſegelte der Leichenzug langſam
dem Mount Sceberras entlang nach Port Musceit, wo
der Sarg wieder gelandet ward. Hier erwarteten die
Diener des Verſtorbenen in tiefe Trauer gekleidet, mit
Fackeln in den Händen die Leiche, die unter Grabgeſängen
von Prieſtern nach der ihr beſtimmten Gruft getragen
ward, über der die den Ungläubigen entriſſenen blutigen
Banner aufgehangen wurden.
Unter Peter de Monte, dem Nachfolger La Valette’s,
zeichneten ſich die Galeeren der Malteſer in der Schlacht
von Lepanto aus, ſpäter aber unter La Caſſiere trübten
wiederum unwürdige Streitigkeiten das Gedeihen des
Ordens und unter de Verdale und Don Martin Garzez
fielen nur einige unbedeutende Seegefechte vor. .
Alof de Vignacourt, ein Mann von großen Talenten,
der 1601 die Regierung antrat, wußte zwar den dro-
henden Verfall für einige Zeit aufzuhalten, und ſeine
Nachfolger de Paula, Paul Lascaris, Caſtelard und Ra-
phael Cotoner folgten ſeinen Beſtrebungen mit mehr oder
weniger Geſchick und Glück, allein der hohe Geiſt, der
dieſe kriegeriſche Brüderſchaft früher beſeelt, war gewichen,
und die thätige Hülfe, die der Orden im Jahre 1783
den Einwohnern der durch Erdbeben zerſtörten Städte
Meſſina und Reggio brachte, vergoldete, wie ein letzter
– 57 –
Sonnenſtrahl, die dahinſcheidende Pracht dieſer dem Unter-
gange gewidmeten Inſtitution.
Der franzöſiſchen Nation, die dem Orden ſo viele
hervorragende Mitglieder zugeführt, war es vorbehalten
denſelben zu vernichten. Die erſte Maßregel war ein
Decret der Republik, die jedem franzöſiſchen Ordens-
Mitglied ſeiner Nationalität verluſtig erklärte, und ſpäter
erfolgte die Confiscation des in Frankreich befindlichen
Eigenthums des Ordens. Nicht lange darauf entwarf Na-
poleon Bonaparte den Plan ſeines Feldzuges in Aegypten,
Malta erſchien eine paſſende Zwiſchenſtation und mußte
deshalb in Beſitz genommen werden. Am 9. Juni 1789
erſchien die franzöſiſche Flotte vor Valetta, am Abend
desſelben Tages landeten franzöſiſche Truppen in der
Bai von Sta. Maddalena und nahmen Fort St. George
ohne einen Mann zu verlieren. Am folgenden Tage
trafen Verſtärkungen ein und bemächtigten ſich beinahe
aller wichtigen Poſten außerhalb der Stadt. Der Groß-
meiſter Hompeſch, ein Oeſterreicher, der ſeine Wahl mehr
dem politiſchen Einfluß ſeines Geburtslandes, als ſeiner
eigenen Fähigkeit zu verdanken hatte, beſaß ſelbſt nicht
die nöthige Energie, um wenigſtens ruhmvoll unterzugehen,
und übergab die Stadt an die Sieger. Kaum ſahen ſich
dieſe im Beſitz der Inſel, als ſie allen Rittern befahlen,
binnen drei Tagen das Land zu verlaſſen, wozu ihnen
etwa 70 Thlr. Reiſegeld gegeben wurden. Dem Groß-
meiſter ward eine jährliche Penſion von 300.000 Franken
– 58 –
verſprochen. Doch genoß er dieſelbe nur kurze Zeit, ſchon
im Jahre 1804 ſtarb er in Montpellier. Ein Theil der
Ritter ſuchte und fand in Rußland eine Zuflucht, der
Kaiſer Paul ward zum Großmeiſter des Ordens erwählt,
und einige Verſuche gemacht den Orden zu reorganiſiren,
allein eine veränderte Politik des Kaiſers lenkte bald ſeine
Aufmerkſamkeit nach einer anderen Richtung und ſo fiel
der Orden in Vergeſſenheit.
Die franzöſiſche Flotte verließ Malta am 19. Juni,
und General Vaubois blieb mit einer Garniſon von
4000 Mann zurück. Unter der neuen Regierung begann
ein Syſtem der ſchamloſeſten Plünderung, der öffentliche
Schatz nebſt allen Seltenheiten, die man im Arſenal und
den Kirchen fand, wurden eingeſchifft; ein Theil derſelben
ging in der Fregatte Orient verloren, die bei Aboukir in
die Luft flog, der Reſt ward in der Fregatte Senſible
wieder erobert. Das Leihhaus von Valetta ward nicht
nur allen Geldes, ſondern ſelbſt der darin befindlichen
Pfänder beraubt, und Ungerechtigkeiten aller Art verübt.
Dieſe vielfachen Unterdrückungen verurſachten zuletzt einen
Ausbruch des lange verſtohlen gehegten Unwillens der
Eingeborenen. Bei einem Verſuch die Kathedrale von
Citta Nottabile ihrer Schätze zu berauben, entſtand ein
Volksauflauf, der bald einen ſo gefährlichen Charakter
annahm, daß der Commandant Moſſon Verſtärkung zu
ſenden hatte, allein ehe dieſe anlangte, war er und ſein
Detachement niedergemetzelt worden; der Aufſtand ver-
– 59 –
breitete ſich über die ganze Inſel und bald darauf ſahen
ſich die Franzoſen in der Stadt eingeſchloſſen.
Um dieſe Zeit erſchien eine engliſch portugieſiſche Flotte
und forderte Vaubois auf, ſich zu ergeben, und auf ſeine
Weigerung ließ man das portugieſiſche Geſchwader zur
Blockade zurück. Dieſe dauerte gegen ein Jahr und das
Elend der Belagerten erreichte bald einen hohen Grad,
ſo daß Schweinefleiſch 8 Franken das Pfund koſtete, und
ſelbſt Hunde, Katzen, Pferde, Eſel und Maulthiere ge-
geſſen wurden. Verſchwörungen fanden unter den Ein-
geborenen ſtatt, und in einer dunklen Nacht gelang es
zweihundert Malteſern ſich den Mauern ſo weit zu nähern,
daß nur eine vorzeitige Entdeckung das Gelingen des
Ueberfalls vereitelte; 44 dieſer Leute wurden ſtandrechtlich
erſchoſſen. Als zuletzt die zurückgekehrte engliſche Flotte
die Transportſchiffe genommen, auf deren Ankunft man
die letzte Hoffnung geſetzt hatte, capitulirte die Stadt am
8. September 1800 und General-Major Pigot im Verein
mit Commadore Martin nahmen für England Beſitz von
der Inſel. Der Wiener-Congreß des Jahres 1814 be-
ſtätigte dieſen Beſitz und ſeit jener Zeit iſt Malta unter
engliſcher Oberherrſchaft geblieben.
IV.
P a lett a.
Lage der Stadt. – Fort St. Elmo. – Erbauung. – Belagerung
durch die Türken. – Eröffnung der Laufgräben. – Verheerendes Feuer
der Belagerungsgeſchütze. – Die Beſatzung bittet um Erlaubniß ſich zurück-
zuziehen. – Verweigerung des Großmeiſters. – Verſtärkungen. – Piali
Paſcha verwundet. – Muthiger Ausfall. – Ankunft Draguts. – Seine
große Energie. – Die Türken erringen Vortheile. – Schwere Verluſte
derſelben. – De la Gardamp's Heldentod. – Medſan an den Groß-
meiſter geſandt. – La Valette's Strategem, den Muth der Beſatzung an-
zuregen. – Dieſe bittet, nicht abgelöſt zu werden. – Feuerreifen bereitet.
– Neuer Sturm wird abgeſchlagen. – Verluſte beider Parteien. –
Dragut wird verwundet. – Muſtapha Paſcha ſchneidet alle Zuzüge ab.
– Vergebliche Verſuche, der Beſatzung Hülfe zu bringen. – Dieſe be-
reitet ſich zum Tode vor. – Die letzte Nacht. – Der Todeskampf. –
Fall St. Elmo's.
Die Stadt Lavalette oder Valetta iſt zwiſchen zwei tiefen
Bais auf einer ſchmalen Halbinſel oder Landzunge ge-
legen, von den Alten Shaab-el-Ras, oder das vor-
ſpringende Cap benannt. Die nordweſtliche Bai, früher
Port Musceit oder Marſamucetto genannt, dient als
Quarantaine-Hafen, die ſüdöſtliche wird als Handels-
hafen benutzt. Beide ſind vortrefflich zu dieſem Zweck
geeignet. Die ſteilen Ufer bieten bis dicht am Lande einen
bequemen Ankergrund, verſchiedene kleinere Felsvorſprünge
theilen jedes der geräumigen Baſſins in mehrere Unter-
abtheilungen, und außerordentlich ſtarke Feſtungswerke auf
See- und Landſeite machen den Platz für gewöhnliche
Streitkräfte faſt uneinnehmbar.
Das Fort St. Elmo auf der äußerſten Spitze des
Caps gelegen, beherrſcht den Eingang zu beiden Häfen,
außerdem aber decken den nordweſtlichen Hafen Fort Tigne,
gegenüber Fort St. Elmo auf einer vorſpringenden Land-
ſpitze, und Fort Mauvet etwas weiter zurück auf einer
Inſel gelegen. Der ſüdöſtliche Hafen wird am Eingang
vom Fort Ricaſoli, nächſt der See auf dem ſogenannten
– 64 –
Galgencap vertheidigt, dann folgt St. Angelo auf einer
felſigen Höhe, Batterien über Batterien ſchweren Ge-
ſchützes zeigend, und zuletzt Fort St. Michael auf der
Halbinſel Sanglea. Die Stadt Valetta iſt von allen
Seiten am Ufer mit Mauern und Batterien umgeben,
von denen oft drei und vier Reihen über einander ſtehen.
Den höchſten Punkt nimmt die Citadelle oder Fort
St. John ein, vor der ein an manchen Stellen 150 Fuß
tiefer Graben in den Felſen gehauen, und das außerdem
noch von Außenwerken geſchützt iſt. Vor dieſem Fort
liegt die Vorſtadt Florianna in gleicher Weiſe befeſtigt,
und über den Häfen von Borgo nnd Sanglea, ſüdöſtlich
vom großen Hafen, dehnen ſich die langen Linien von
Cotonera aus.
Zur Zeit, wo der Johanniterorden Beſitz von Malta
ergriff, war Citta Notabile, jetzt Citta Vecchia genannt,
eine beinahe in der Mitte der Inſel gelegene kleine Stadt,
der Hauptort; den Seehafen aber ſchützte Borgo, eine
Anzahl von Häuſern an der ſüdöſtlichen Seite des gegen-
wärtigen Handelshafens gelegen, wo ſpäter Citta Vitto-
rioſa erbaut ward. Auf der Stelle des gegenwärtigen
Valetta befanden ſich zu jener Zeit nur einige Hütten, von
einigen Verſchanzungen am nordöſtlichen Ende vertheidigt.
Am Ende der Halbinſel nach der See zu, ſtand eine
Capelle, dem St. Erasmus oder St. Elmo gewidmet,
und da man hier eine Wacht hielt, um auf der See
die Schiffe in der Ferne zu erſpähen, ſo nannte man
– 65 –
den Platz della Guardia. Der Grundſtein der neuen
Stadt ward am 28. März 1566 vom Großmeiſter La
Valette gelegt, allein dieſer ſtarb, ehe ſeine Pläne aus-
geführt waren, und erſt ſein Nachfolger, Pietro de Monte,
vollendete dieſelben im Jahre 1571. Die Befeſtigungen
von St. Elmo waren ſchon vom Vicekönig von Sicilien
im Jahre 1488 bei Gelegenheit einer Belagerung der
Türken angelegt worden.
Im Jahre 1565, dem achten Jahre nach der Ver-
waltung La Valette's, begann jener ewig denkwürdige
Krieg der Türken. Der Sultan Soliman, gereizt durch
die Wegnahme einer, dem oberſten Eunuchen ſeines
Harems gehörige Galeere, ſchwur dem Orden Verderben,
und entſandte eine beträchtliche Truppenmacht unter Be-
fehl der Paſcha's Muſtapha und Piali, ſowie des Ad-
mirals von Algier, Dragut, gegen die Inſel, wo der-
ſelbe im Anfang des Monat Mai anlangte. Der erſte
Punkt, gegen welchen die Angriffe geleitet wurden, war
St. Elmo, das zu jener Zeit nur ſchwach befeſtigt, von
ſechzig Mann unter Befehl eines Ritters vertheidigt
ward. Allein da man die Wichtigkeit des Platzes alsbald
erkannte, ſo ward eine Verſtärkung von ſechzig Rittern
und einer Compagnie ſpaniſcher Infanterie noch in der-
ſelben Nacht dahin entſandt. -
Die Türken glaubten, daß wenn dieſer Poſten, der
den Hafen von Marſamuscetto beherrſchte, genommen ſei,
ſie eine bequeme Ankerſtätte für ihre Flotte gewinnen
5
würden, und deshalb eröffneten ſie ſofort die Laufgräben.
Da der harte Felſen der Arbeit der Belagerer zu viele
Schwierigkeiten darbot, ſo errichteten ſie Batterieen aus
Brettern und Pfoſten mit Erdaufwürfen verſtärkt, wozu
das Material aus der Ferne mit unendlicher Mühe
herbeigeſchafft ward. Am 24. Mai, 6 Tage nach ſeiner
Ankunft, hatte der Feind eine Batterie von zehn Kanonen
errichtet, deren jede eine ſteinerne Kugel von 80 Pfund
ſchoß, außerdem zwei ſechzigpfündige Culverins und einen
Baſilisken von ungeheurer Größe, der Steinmaſſen von
160 Pfund in das Fort ſchleuderte. Da jeder Schuß der
Feinde traf und unter dieſem verheerenden Feuer bald
die Befeſtigungen zuſammenſtürzten, ſo ſendete der Groß-
profos von Negropont, der den Poſten befehligte, den
ſpaniſchen Ritter La Cerda an den Großmeiſter, mit der
Bitte um Verſtärkung; La Cerda beſchrieb unkluger Weiſe
in voller Verſammlung der Ritter den bedenklichen Zuſtand
des Forts, deſſen Fall er vorausſagte, ehe die Woche zu
Ende ſei. Der Großmeiſter über die Zaghaftigkeit dieſes
Mannes entrüſtet, und in der Hoffnung, daß der Vice-
könig von Sicilien bald mit Hülfstruppen nahen werde,
wünſchte die Vertheidigung zu verlängern, und ein gutes
Beiſpiel ſetzend, erklärte er, daß er ſich ſelbſt nach dem
bedrohten Poſten begeben wollte. Die Ritter erhoben ſich
und baten ihn ſich für die wichtigeren Pflichten ſeines
hohen Amtes aufzuſparen, und zugleich erbot ſich eine
Anzahl der Muthigſten ſich ſtatt ſeiner dahin zu begeben.
– 67 –
Eine Verſtärkung, unter Befehl der Ritter Gonzales
de Medran und La Motte, ward unter dem Schutz der
Kanonen von St. Angelo in das Fort geworfen und
ſpäter verfügten ſich noch von Zeit zu Zeit einzelne Ritter,
von mehr als gewöhnlichem Muth beſeelt, in Booten nach
dieſem Poſten der Gefahr. Unter dieſen muthigen Män-
nern zeichnete ſich der Veteran La Miranda aus, der ſo-
eben aus Sicilien angelangt, ſich mit der Garniſon von
St. Elmo vereinigte, und nicht wenig zu dem entſchloſſenen
Widerſtande, den dieſelbe leiſtete, beitrug.
Eine Kanonenkugel vom Fort St. Angelo zerſchmet-
terte einen Stein in den türkiſchen Laufgräben, deſſen
Stücke Piali Paſcha ſchwer verwundeten, die daraus
entſtehende Verwirrung im feindlichen Lager ward von
La Valette benutzt, eine Galeere an den Vicekönig von
Sicilien mit der Bitte um baldige Hülfe abzuſchicken. Der
Vicekönig verſprach dieſelbe gegen die Mitte Juni, und
dieſe Nachricht erhob den Muth der Vertheidiger von
St. Elmo ſo ſehr, daß ein Ausfall in die türkiſchen Lauf-
gräben den Feind für geraume Zeit im Schach hielt.
Allein die Osmanen, ſich wieder ſammelnd, trieben nicht
nur die Chriſten zurück, ſondern in der Verwirrung und
vom Rauch der Geſchütze verborgen, gelang es ihnen
ſogar auf dem Glacis eine Verſchanzung zu errichten,
von wo aus ihre Arquebuſiere jeden, der ſich über den
Bruſtwerken zeigte, niederſchoſſen.
Um dieſe Zeit traf Dragut im Lager ein, und obſchon
er mit dem Plane, vor dieſem iſolirten Poſten ſo viel
Zeit und Kräfte zu verſchwenden, nicht einverſtanden war,
ſo bot er dennoch Alles auf, dieſe Belagerung zu einem
baldigen Ende zu bringen. Er lebte, ſo zu ſagen, be-
ſtändig in den Laufgräben, und mehrere unter ſeiner Lei-
tung angelegte Batterien eröffneten ihr Feuer mit ver-
derblicher Sicherheit auf das Fort. Auf ſeinen Rath
wurden vier Culverins auf einem Vorſprung an der
anderen Seite von Fort Musceit und eine Batterie er-
richtet, die die Stellung flankirte; die Stelle, wo ſich
dieſelbe befand, wird noch jetzt Cap Dragut genannt.
Uebermüdet von langem Wachen und unabläſſigen
Anſtrengungen ließen eines Nachts die Chriſten etwas
in ihrer Wachſamkeit nach; hieraus Vortheil ziehend,
ſtürmten die Türken bei Tagesanbruch den ſchwach ver-
theidigten äußeren Wall, und würden nicht ermangelt
haben auch das Fort durch einen Handſtreich zu nehmen,
hätte ſich nicht die jetzt zum Bewußtſein der Gefahr er-
wachte Garniſon ihnen muthig entgegengeworfen. Zwei-
mal während ſechs Stunden erneuerte der türkiſche Ge-
neral den Sturm und die Janitſcharen wurden nur durch
die Kürze der Sturmleitern verhindert, auf dem innerſten
Wall feſten Fuß zu faſſen. In dieſem heißen Kampf
verloren die Türken 3000 ihrer beſten Krieger, der Orden
aber 300 Soldaten und 20 Ritter. Der Ritter de la Gar-
damp, durch eine Flintenkugel tödtlich verwundet, wollte
keinem ſeiner Waffenbrüder erlauben, ihn aus dem Gefechte
– 69 –
zu tragen, ſondern alle ſeine noch übrigen Kräfte aufbietend,
kroch er in die Capelle und ſich vor dem Altar nieder-
legend, hauchte er ſeine Seele aus.
Der Verluſt des äußeren Walls, ſo wie die Zahl der
Verwundeten, die nach Borgo zurückgebracht wurden, flöß-
ten dem Großmeiſter lebhafte Beſorgniſſe ein, allein ſeine
Sorge verwandelte ſich in Entrüſtung, als der Spanier
La Cerda wieder vor ihm erſchien, und keine beſſere Ent-
ſchuldigung aufzuweiſen hatte, als eine leichte Wunde.
Dieſe Feigheit ſtand im grellſten Contraſt gegen das
Benehmen der beiden Commandeurs Desguerras und
Broglio, die obſchon beide verwundet, ſich verweigerten
den ihnen anvertrauten Poſten zu verlaſſen, ſondern wie
ſie ſagten, es vorzögen auf den zerſtörten Mauern einen
ehrenvollen Tod zu ſterben.
Die unabläſſigen Angriffe, das unausgeſetzte verhee-
rende Feuer der Belagerer, machten St. Elmo kaum länger
haltbar, und nachdem die Kanonen demontirt, die Vertheidi-
gungswerke in Trümmern lagen und der Poſten nach allen
Seiten von türkiſchen Batterien beherrſcht war, ſandte die
muthige Beſatzung, die vergeblich verſuchte den Platz zu
behaupten, den Ritter Medran an den Großmeiſter, um
ihm ihre traurige Lage vorzuſtellen. Dieſer Mann, deſſen
Muth außer allem Zweifel ſtand, erklärte in voller Ver-
ſammlung, daß längerer Widerſtand unmöglich ſei, und
daß die Vertheidigung eines ſolchen blosgeſtellten Poſtens
nur unnütz die Kräfte aufreibe, die bald zur Erhaltung
– 70 –
wichtigerer Stellungen nöthig ſein möchten, „allein“, fügte
er hinzu, „wenn alſo der Wille des Großmeiſters iſt, ſo
ſind die braven Soldaten bereit, denſelben zu ihrem Grabe
zu machen“. La Valette geſtand zu, daß das Fort nur
mit der größten Gefahr für ſeine Vertheidiger erhalten
werden könne, allein da ſein Verluſt unfehlbar den Vice-
könig von Sicilien abhalten werde, die verſprochene Hülfe
zu ſenden, ſo erlaube ihm ſeine Pflicht nicht dasſelbe auf-
zugeben. Nur durch die Verlängerung der Belagerung
hoffe er endlich den Sieg zu erringen und deshalb trug
er Medran auf, in ſeinem Namen den Rittern im Fort
mitzutheilen, daß es hauptſächlich von ihrem Muthe ab-
hinge, ob dieſe große Schlacht für Freiheit und Leben
gewonnen oder verloren werden ſolle, daß ſie durch ihre
Gelübde gebunden, zu allen Zeiten Tod der Niederlage
vorziehen müßten, und daß ehe er das Fort aufgäbe, er
ſelbſt das Loos ſeiner Vertheidiger theilen wolle.
Als Medran dieſe Botſchaft überbrachte, bereiteten ſich
mehrere im Dienſt des Ordens ergraute Ritter zum Tode
vor, allein ihre jüngeren Brüder waren noch nicht bereit
ihr Leben mit einer ſo bereitwilligen Ergebung in einem
anſcheinend grauſamen Befehl aufzugeben, deshalb ſendeten
ſie dem Großmeiſter eine ſchriftliche Erklärung, in der ſie
gegen deſſen Politik, die ſie einem gewiſſen Tode weihte,
proteſtirten, und drohten, daß, wenn nicht ſogleich Boote
geſendet würden, um ſie nach Borgo zurückzubringen, ſie
eher mit dem Schwert in der Fauſt in den Laufgräben
– 71 –
ihren Tod ſuchen, als ſich ſo hinter ihren Mauern ab-
ſchlachten laſſen wollten. Auf dieſe verzweifelte Drohung
antwortete La Valette, daß, wenn ihnen der Ruhm, den
ſie ſo hoch prieſen, wirklich theuer wäre, ſo würden ſie
ſich denſelben durch Gehorſam gegen ihn eher ſichern, als
wenn ſie der Stimme der Verzweiflung Gehör ſchenkten,
denn ohne Gehorſam gegen ſeinen Vorgeſetzten könne kein
Ordensbruder einen ehrenvollen Tod finden.
Um jedoch den Schein zu vermeiden, daß er ſie ganz
verlaſſe, ſandte der Großmeiſter drei Commiſſare ins
Fort, um ſich über den Zuſtand der Vertheidigungswerke
perſönlich zu vergewiſſern. Zwei derſelben erklärten, daß
ſich der Platz nicht länger halten laſſe, allein ſuchten
zugleich, indem ſie den Muth der Garniſon prieſen, die-
ſelbe zu erneuertem Widerſtande anzueifern. Der dritte,
Namens Conſtantine Caſtriot, der ſich rühmte, von Scan-
derbeg, einem berühmten Feldherrn aus Epirus, abzu-
ſtammen, fand, daß die Gefahr keineswegs ſo groß ſei,
und daß mit genügenden Anſtrengungen neue Werke er-
richtet werden könnten, die die Beſatzung vor den türkiſchen
Kanonen vollkommen ſchützen würden. Die benarbten
kriegsmatten Männer an die dieſe Tirade gerichtet war,
hörten dieſelbe mit Entrüſtung und verſuchten ihn an der
Rückkehr zu verhindern, damit er die von ihm ſo gering
geachtete Gefahr mit ihnen theilen und die Vertheidigungs-
werke ſelbſt aufführen möchte, die er als ſo leicht ge-
ſchildert. -
– 72 –
Caſtriot's Bericht an den Großmeiſter war in dem-
ſelben Geiſt; um darzuthun, daß er aus Ueberzeugung
ſpräche, erbot er ſich mit friſchen Truppen das Fort zu
halten oder ſich unter ſeinen Ruinen zu begraben. La Va-
lette nahm ſcheinbar ſein Anerbieten an und Freiwillige
waren bereit ihm zu folgen.
Der Großmeiſter zeigte jetzt den Rittern in kalter
ſarkaſtiſcher Weiſe an, daß die zehnfache Zahl der zur
Vertheidigung nöthigen Streiter bereit wäre, ihre Stelle
einzunehmen, daß er Männern, die ſich ſo der Verzweif-
lung hingeben, nicht länger mit einer ſo wichtigen Auf-
gabe betrauen könne. „Kehrt in denſelben Booten, die
die Verſtärkung bringen, augenblicklich zurück,“ ſchloß er.
„Die Sicherheit der Inſel und des Ordens hängt von
der Vertheidigung von St. Elmo ab, und ich werde der
Entſcheidung ruhiger entgegenſehen, wenn ich dieſelbe in
den Händen von Kriegern weiß, deren Muth ich ver-
trauen kann.“
Dieſe Sprache verwundete die Unzufriedenen bis ins
Innerſte, denn ſie ſahen alsbald ein, daß es viel härter
ſei, unter dieſen Umſtänden umzukehren, und die kalten
Blicke des Großmeiſters und Spöttereien ihrer Brüder
zu ertragen, als das Leben niederzulegen; ſie beſchwore"
ihren Führer, augenblicklich die Verzeihung La Valette”
anzuflehen und zu geloben, ihren Wankelmuth in un“
widerſtehlichem Widerſtand zu büßen; da ſie»kein Boº
zur Verfügung hatten, ſo ward ein geübter Schwimm"
– 73 –
mit dieſer Botſchaft beauftragt, der ſich derſelben pünkt-
lich entledigte.
La Valette, der dieſen Wechſel vorausgeſehen, nahm
nach einigem Zögern ihre Unterwerfung an, und der
Muth Caſtriot's, der wahrſcheinlich vom Beginn nach
Anweiſung ſeines Vorgeſetzten gehandelt hatte, ward nicht
auf die Probe geſtellt. Man ließ jedoch kein Mittel un-
verſucht, um die noch übrigen Vertheidigungswerke zu
verſtärken und zu vermehren. Unter der perſönlichen
Leitung des Großmeiſters ward eine Art von Feuerreifen
bereitet, die bei ſpäteren Stürmen mit großem Vortheil
benutzt wurden. Reifen aus weichem Holz wurden in
Spiritus oder ſiedendes Oel getaucht, mit Baumwolle,
die mit einer Auflöſung von Pulver und Salpeter ge-
ſättigt war, umwunden, und dieſelbe Operation mehrere
Male wiederholt. Im Gefecht wurden dieſe Reifen an-
gezündet in die feindlichen Reihen geſchleudert, und die
Türken, die ſich ſo von einem Flammengürtel umgeben
ſahen, ſprangen gruppenweiſe ins Meer, um nicht leben-
dig verbrannt zu werden.
Wüthend und empört, alle ſeine Verſuche von einer
Handvoll entſchloſſener Leute vereitelt zu ſehen, beſchloß
endlich der türkiſche Heerführer einen Hauptſturm. Am
16. Juni bei Tagesanbruch begannen die türkiſchen Ga-
leeren eine heftige Kanonade gegen die Wälle der See-
ſeite und zur ſelben Zeit machten die Landbatterien die
Ruinen der Mauern der Erde gleich. Auf ein gegebenes
– 74 –
Signal ſtürzten die Janitſcharen unter lautem Geſchrei
und Lärmen von Hörnern, Trompeten und Pauken in
die Breſche, während 4000Arquebuſiere und Bogenſchützen
den Sturm deckend, jeden Chriſten, der ſich zeigte nieder-
ſchoſſen. Die zuſammengeſchmolzene Schaar der Belager-
ten bildete jetzt mit ihren Leibern einen lebendigen Wall.
Mit kurzen Picken bewaffnet, ſtand zwiſchen je drei Sol-
daten ein Ritter, um ſo den Muth derſelben anzufeuern,
und vergeblich ſtürzten ſich die Türken auf dieſen un-
durchdringlichen Phalanx; wenn Picken und Schwerter
zerbrochen waren, faßten ſich die Streiter gegenſeitig und
beendigten mit Dolchen den Todeskampf. Die brennen-
den Reifen umgürten ganze Schaaren, und das Geſchrei
der Elenden, die ihre Flammen erfaßten, vermehrte die
Schrecken der Schlacht. Es gereichte den Vertheidigern
des Forts zum Troſt, daß der Kampf unter den Augen
ihrer Freunde in Borgo ſtattfand, deren Kanonen von
St. Angelo unausgeſetzt die türkiſchen Laufgräben be-
ſchoſſen, und die, ſo fürchteten ſie, begonnen hatten, ihren
Muth zu bezweifeln. Durch den Donner der Geſchütze
und das Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden
drangen von Zeit zu Zeit ermuthigende Beifallsrufe zu
ihnen herüber. Ein Verſuch der türkiſchen Galeeren, das
Fort von der Seeſeite zu ſtürmen, ward durch die Batte-
rien von St. Angelo vereitelt, die die Feinde in Haufen
niederſtreckten. In der Hitze dieſes erbitterten Kampfes
verſuchten die Türken ſich der Citadelle des Forts, auf
– 75 –
einem hohen ſteilen Hügel gelegen, zu bemächtigen, allein
der Ritter Guigno, ein Italiener, vereitelte den Verſuch,
hauptſächlich mit Hülfe jener Feuerreifen, vor denen ſelbſt
die entſchloſſenſten Feinde entſetzt zurückwichen. Nach
ſechs Stunden hörten die mit Wunden bedeckten, von
der Hitze erſchöpften Streiter den Feind zum Rückzug
blaſen, uud ſahen ihn 2000 Todte in der Breſche zurück-
laſſen. Als die Chriſten ſo den Stolz des feindlichen
Heeres niedergeworfen ſahen, erhoben ſie ein Siegesge-
ſchrei, das von ihren Brüdern in Borgo laut erwiedert
ward. Siebzehn Ritter legten in der Breſche ihr Leben
nieder, außerdem noch 300 Soldaten; unter den Gefal-
lenen befanden ſich de Vagnon, La Motte und de Medran,
der eben einen türkiſchen Befehlshaber getödtet und das
Feldzeichen, das derſelbe trug, erobert hatte, als ihn eine
feindliche Kugel niederſtreckte. Dem Comthur de Morgut,
der eben nach Borgo zurückkehrte, um ſeine Wunden ver-
binden zu laſſen, riß eine Kugel aus den Batterien der
Türken den Kopf ab.
Dieſe Verluſte wurden ſchnell aus Borgo durch Frei-
willige erſetzt, denn der Großmeiſter wollte wegen der
großen Gefahr dieſes Dienſtes ſeine Autorität nicht länger
geltend machen. Da der türkiſche Heerführer nach dieſer
blutigen Niederlage einſah, daß St. Elmo nie einge-
nommen werden konnte, ſo lange fortwährend Verſtär-
kungen in dasſelbe geworfen werden konnten, hielt man
in den Laufgräben einen Kriegsrath, in welchem beſchloſſen
– 76 –
ward, das Fort eng zu blockiren und alle Verbindung
mit Borgo abzuſchneiden.
Dragut und ein Semgiak oder Statthalter, der den
Poſten eines Ingenieurs verſah, war bei dieſer Berathung
zugegen, und um einen fraglichen Punkt zu entſcheiden,
verließ er den Schutz der Werke und begab ſich auf die
offene Stelle vor denſelben. Eine Kanonenkugel von
St. Angelo tödtete in dieſem Augenblick den Semgiaken,
und ein Stück eines zerſplitterten Steines verwundete
Dragut hinter dem Ohr, ſo daß er, in Blut gebadet,
ſprachlos niederfiel. Muſtapha Paſcha, befürchtend, daß
ſein Heer durch dieſen Unfall entmuthigt werden möchte,
ließ einen Mantel über den Verwundeten breiten, der
ſodann in ſein Zelt gebracht wurde, und ſetzte ſelbſt die
Reconnaiſſance an demſelben Punkte ruhig fort. Später
befahl er einer ſtarken Truppenmacht, einen Vorſprung an
der Mündung des großens Hafens zu beſetzen, ſonſt das
Galgencap genannt, wo jetzt Fort Ricaſoli ſteht. Der
Großmeiſter, wohl wiſſend, daß, wenn es dem Feinde
gelänge, ſich in dieſer Stellung feſtzuſetzen, das Schickſal
St. Elmo's bald entſchieden ſein würde, ließ durch einen
Ausfall unter dem Großmarſchall Copier die Ottomanen
vertreiben. Allein dieſer augenblickliche Vortheil ward
bald darauf wieder verloren, denn das beſtrittene Terrain
ward von ſolchen Truppenmaſſen beſetzt, daß keine ent-
ſprechenden Streitkräfte gegen dieſelben aufgebracht werden
konnten, und außerdem führte der Paſcha einen bedeckten
Weg von den Laufgräben bis ans Seeufer, der mit
Arquebuſiern beſetzt, alle Verbindung zwiſchen Borgo und
dem Fort unmöglich machte.
Nun war die kleine Heldenſchaar von aller Hülfe ab-
geſchnitten. Am 24. Juni führte der Feind ſeine beſten
Truppen dreimal zum Sturm und erſt die Nacht machte
dem Gemetzel ein Ende, die von den Ueberlebenden
damit zugebracht ward, ſich gegenſeitig ihre Wunden zu
verbinden. Selbſt der Großprofos von Negropont und
La Miranda, deren Vertrauen in dem Muth der Garniſon
bisher unerſchüttert geblieben war, konnten ſich jetzt die
Größe der Gefahr nicht mehr verbergen und ſie entſen-
deten einen Schwimmer an den Großmeiſter, um ihm zu
melden, daß, wenn nicht augenblicklich Hülfe nahte, ihr
Untergang gewiß ſei. Strenges Pflichtgefühl hatte früher
La Valette taub gegen ihre Bitten gemacht, allein als er
dies Häuflein ſo in der zertrümmerten Citadelle einge-
ſchloſſen ſah, brach ſein ſtarkes Herz und er entſendete
fünf große Boote, mit den muthigſten der Ritterſchaft
bemannt, zu ihrer Rettung; allein ſo vollkommen be-
herrſchten die türkiſchen Batterieen den Hafen, daß nach
mehreren unnützen Verſuchen dieſe kleine Flottille unver-
richteter Sache zurückkehren mußte, und die Belagerten
ſahen ſo ihre letzte Hoffnung verſchwinden.
So lange noch Hoffnung geblieben war, hatten es
manche ſchwierig gefunden, ſich in ihr Schickſal zu ergeben,
allein jetzt, wo ihre letzte Stunde nahe ſtand, ſahen ſie
– 78 –
ihrem Ende mit der feierlichen Reſignation von Märty-
rern entgegen. Im Laufe der folgenden Nacht nahmen
alle in der Capelle des Forts das Abendmahl, und boten
ſich gegenſeitig ein brüderliches Lebewohl; bei Tagesan-
bruch aber begaben ſie ſich auf ihre verſchiedene Poſten,
überzeugt, daß die Türken nach wenigen Stunden über
ihre Leichen ſchreiten würden. Diejenigen, denen ihre
Wunden nicht mehr erlaubten, zu gehen, ließen ſich in
Stühlen nach der Breſche tragen, um mit den Waffen
in den Händen zu ſterben.
Am 23. Juni verließen die Türken die Laufgräben
zu dem letzten Sturm. Leitern und Brücken wurden an
jedem möglichen Punkt gegen die Mauern gepflanzt, und
32 Kanonen eröffneten mit ihrem Donner die Schlacht.
Die ſtürmenden Schaaren fühlten ſich des Sieges ſicher
und ſtürzten ſich mit wildem Geſchrei in die Breſche.
Die Tapferkeit, mit der ſie empfangen wurden, kam der
Wuth ihres Angriffes gleich. Der geringſte Soldat wett-
eiferte mit den Rittern in Tapferkeit und Hingebung, ſo
daß für einige Zeit der Strom der Stürmenden aufge-
halten ward, allein nach vier Stunden blieben nur ſech-
zig Streiter in der Breſche übrig, und es war nöthig die
wenigen Soldaten, die bisher die Citadelle vertheidigt
hatten, herbeizuziehen. Kaum ſahen die Türken dieſen
Poſten verlaſſen, als ſie ſich desſelben bemächtigten und
ein mörderiſches Feuer auf die Belagerten richteten. Der
Großprofos von Negropont fiel zuerſt, dann Mirande
– 79 –
und ihnen folgte Einer nach dem Anderen todt nieder-
ſtürzend. Nicht eher als bis der letzte Mann gefallen
war, gelang es dem Feinde in das Fort einzudringen.
Dragut lebte lange genug, um den Sieg der Otto-
manen zu vernehmen; obſchon er ſprachlos war, drang
der Siegesdonner der Geſchütze und das Triumphgeſchrei
in ſeine Ohren und mit befriedigtem Lächeln gab er ſeinen
Geiſt auf.
Dieſe Waffenthat koſtete dem Orden 300 Ritter und
1300 Soldaten; kann man den Malteſer-Geſchichtsſchrei-
bern Glauben ſchenken, ſo verloren 8000 Türken dabei
ihr Leben. Muſtapha, als er die unbedeutende Feſtung
beſichtigte, rief erſtannt aus: „Was haben wir vom Vater
zu erwarten, wenn es die Bravſten des Heeres gekoſtet,
das Kind zu demüthigen?“ Er ließ den Leichen der Ritter
die Bruſt in Form eines Kreuzes aufſchlitzen, die Herzen
ausreißen und auf Planken gebunden von den Wellen
nach Borgo hinübertreiben, wo ſie von ihren Brüdern
mit thränenden Augen empfangen wurden, die ihren Tod
dadurch rächten, daß ſie ſämmtliche türkiſche Gefangene
niederhieben und die Geſchütze mit den blutigen Köpfen
ladend, dieſelben ins feindliche Lager ſchoſſen.
Der Zweck La Valette's war erreicht, der Muth des
Feindes war gebrochen, die Belagerung ward noch einige
Zeit fortgeſetzt und im nächſten Jahr ſchiffte man ſich
unverrichteter Sache wieder ein.
Zu verſchiedenen Zeitaltern wurden die Befeſtigungen
– 80 –
von St. Elmo erweitert und verſtärkt; die jetzigen Beſitzer,
die Engländer, haben ihren Theil gleichfalls dazu bei-
getragen, und fahren noch fort es zu thun. Zwei kleine
Wachtthürme an den Enden der Wälle, die den Eingang
beider Häfen beherrſchen, haben eine verſchiedene Beſtim-
mung erhalten, der Eingang zu denſelben iſt mit Marmor-
tafeln verſchloſſen, und die auf denſelben befindlichen In-
ſchriften theilen uns mit, daß in dem einen mit einem
eiſernen Gitter umgebenen Grabe die Ueberreſte des Ad-
mirals Sir A. Ball, Exgouverneur von Malta ruhen,
während auf der anderen Seite General Sir Ralph Aber-
crombie begraben iſt, den man mit dem Faß, in welchem
derſelbe einbalſamirt von Aboukir anlangte, beigeſetzt hat.
Den beiden entſchlafenen Helden zu Ehren hat man die
eine Balls-Baſtion, die andere Abercrombies-Baſtion
genannt.
Man kann den Schauplatz ſo edlen Heldenmuthes, ſo
unſäglichen Leidens nicht betreten, ohne daß die lebhafteſten
Sympathien für jene Männer laut werden, die mit ihren
Leibern ein Bollwerk für Religion und Civiliſation bildeten.
Gegenwärtig iſt das Fort von einer Abtheilung Artil-
lerie und einem Bataillon Rifles garſoniſirt; die Kaſernen
ſind geräumig und luftig, allein die dicke europäiſche Uni-
form, die Bärenmütze und die ſchwarze lederne Halsbinde
paſſen wenig zu einem Klima von 95° F. im Schatten.
/
h V.
Oeffentliche Gebäude Valetta's.
Kathedrale von St. Johannis. – Gründung durch La Caſſiera. –
Plan der Kirche. – Mathias Preti ſchmückt dieſelben mit Frescogemälden.
– Der Moſaikfußboden. – Reiche Architektur. – Die Capellen der ver-
ſchiedenen Provinzen. – Trophäen der Ritter. – Eine Statue Pradiers.
– Die Gräber Isle Adam's und La Valette's. – Kirchen und Klöſter.
– Gebäude, den verſchiedenen Ordenscapiteln gehörig. – Functionen
der Vorſteher jeder Landsmannſchaft. – Der Palaſt des Großmeiſters. –
Darſtellungen berühmter Schlachten. – Rüſtungen Isle Adam's, La Va-
lette's, Vignacourt's und La Caſſiera's. – Portraits. – Die Rüſtkammer.
– Die Bibliothek. – Das Muſeum. – Phöniciſche Inſchriften. –
Statue des Herkules. – Altar der Proſerpina. – Sonderbare Bronce-
ſtatue. – Die Wölfin des Romulus. – Tullias und Claudias Bildniſſe.
– Büſte der Zenobia. – Todtenmaske La Valette's. – Parta Lascaris.
– Capelle von Santiſſimo Salvatore. – Brunnen des Neptun.
Die merkwürdigſte Kirche in Valetta iſt die Kathedrale
von St. Johannis, die während der Regierung des Groß-
meiſters La Caſſiera begonnen, ſpäter von verſchiedenen
Anderen, beſonders Nicolas Cotoner, Emanuel Pinto
und verſchiedenen Souveränen Europas erweitert und
verſchönert ward. Don Ludovico Torres, Erzbiſchof von
Montreal, weihte die Kirche ein, und bei der erſten
Sitzung des Ordenscapitels ward den Rittern einer jeden
Nation eine beſondere Capelle eingeräumt. Das Aeußere
der Kirche iſt einfach und etwas monoton, der Effect des
Innern aber ſehr ſchön. Zu beiden Seiten eines Mittel-
ſchiffes von beträchtlichen Dimenſionen reihen ſich eine
Anzahl von Capellen. Im Hintergrunde des Schiffes
befindet ſich um mehrere Stufen erhaben der Hauptaltar,
zur Rechten desſelben ein Thron für den Biſchof von
Malta, zur Linken ein anderer ähnlicher für den Gou-
verneur. Hinter dem Altar iſt eine vorzügliche Gruppe
in weißem Marmor, die Taufe Chriſtus durch Johannes
darſtellend, nach der Zeichnung eines Malteſer Künſtlers,
Melchior Caffa, theilweiſe von demſelben ausgeführt und
nach ſeinem Tode von Bernini vollendet. Das halbzirkel-
förmige Gewölbe des Schiffes iſt von dem Ritter Ma-
thias Preti, dem Calabreſen, mit Fresken, das Leben
Johannes des Täufers illuſtrirend, ausgeſchmückt; von
demſelben Meiſter rühren noch mehrere andere Bilder in
dieſer Kirche her, er ſelbſt aber iſt vor dem Eingang in
die Sacriſtei begraben, ſein Grabſtein führt ſeinen Todes-
tag im Januar 1699 an. Leider haben die ſehr ſchönen
Fresken gegen die Höhe des Gewölbes hin ſehr von der
eingedrungenen Feuchtigkeit gelitten, die unteren Theile
und an den Seiten zeigen jedoch noch das ſchöne reiche
Colorit in voller Friſche. Der Fußboden der Kirche iſt
ganz mit Votiv-Tafeln verſchiedener Ordensritter in ſehr
ſchöner Marmormoſaik bedeckt. Die Seiten, Pfeiler und
Bogen ſind mit reicher Sculptur verziert und theilweiſe
vergoldet, was, wie eine Inſchrift über dem weſtlichen
Eingang uns mittheilt, unter der Regierung von Raphael
und Nicolas Cotoner geſchah. Der ganze Effect iſt
überaus prächtig, beſonders wenn wie an Feſttagen die
Kirche mit Blumen, Teppichen 2c. geſchmückt und mit
Kerzen erleuchtet iſt.
Die erſte Capelle zur Rechten dient als Eingang zu
einer hinter derſelben gelegenen zweiten Capelle, die von
der früheſten Zeit bis jetzt ausſchließlich zum Gottesdienſt
der Geiſtlichkeit beſtimmt iſt. Unter verſchiedenen ſchönen
Gemälden zeichnet ſich hier beſonders eine Enthauptung
St. Johannes von Michael Angelo Caravaggio aus.
– 85 –
Aus dieſer Capelle führt eine Treppe in ein Gewölbe,
das als Grabſtätte für die Großmeiſter des Ordens be-
ſtimmt war.
Zunächſt kommt die Capelle der Ritter von Portugal,
über dem Altar ein Bildniß St. Jakob's, an den Seiten-
wänden zwei andere Scenen aus dem Leben dieſes Hei-
ligen. Zwei vorzüglich ſchön gearbeitete Mauſeleen, aus
ſchwarzem und weißem Marmor und Bronze ſind dem
Andenken Emanuel Pinto's und Manoel de Vilhenna's
errichtet. Auf dem Fuß des letztgenannten Monuments
iſt der Großmeiſter, die Errichtung Fort Manoels leitend,
dargeſtellt, deſſen Plan ein Ritter zu ſeinen Füßen aus-
breitet.
Durch den dritten Bogen führt der öſtliche Eingang
in die Kirche.
Die vierte iſt die Capelle der ſpaniſchen Ritter, über
dem Altar St. Georg mit dem Drachen, an den Seiten-
wänden das Gericht und Märtyrthum des St. Laurenz,
dies letztere Gemälde hat große Verdienſte, beſonders iſt
neben der reichen Compoſition die kräftige Behandlung
und effectvolle Vertheilung von Licht und Schatten ganz
vorzüglich gelungen. Hier befinden ſich vier Monumente
der Großmeiſter: Martin de Redin, Raphael Cotoner,
Perrillos e Roccaful und Nicolas Cotoner. Das Monu-
ment Roccaful's enthält ſeine Büſte in Kupfer, an jeder
Seite die lebensgroße Figur der Gerechtigkeit und Cha-
rität, das Ganze mit Trophäen von Waffen in weißem
– 86 –
Marmor ſehr reich geſchmückt. Das Nicolas Cotoner's
wird von Sklaven in knieender Stellung getragen, deren
einer ein Türke, der andere ein Afrikaner die falſche Aus-
legung des Evangeliums illuſtrirt, die die Baſis aller
Kreuzzüge bildete.
Hierauf folgt die Capelle der Provenzalen, die Kreu-
zigung des Sebaſtian als Altarbild mit Seitenſtücken aus
dem Leben desſelben Heiligen enthaltend. Das Monument
des Großmeiſters Gerſan iſt einfach aus einer ſchwarzen
Marmortafel mit einer Alabaſterbüſte desſelben darüber
gebildet.
Die ſechſte und letzte iſt eine der Madonna gewidmete
Capelle, deren Altar mit einem ſilbernen Gitter umgeben
iſt. Zur Linken desſelben hängen zwei Bündel Schlüſſel,
zur Rechten eines dergleichen, aus den auf ſilbernen Ta-
feln eingegrabenen über denſelben befindlichen Inſchriften
ergeben ſich dieſe als Trophäen, von den Rittern den
Türken abgenommen.
I.
Dei parae Virginiac Divo.
Baptistae tutelari
Oastri Passava in Pelo-
pOnes0 a milibus Hierosonis: oi-
Capto sub F la Dublot vivevio
trinemium praefecto anno
salve humae MDCI. die XVIII. Aug. men-
sis F Alofius Vignacurtis M
– 87 –
Magister tunc primum sui
regimis amnum agens has oppidi
claves ac signa Turcica memoriae
ac pietas erg consecravit.
II.
Anno post captum Passava
ejusdem viverii ejusdemq.
Mensis Ang. felicitate idib!
Orto jam sole excisis partis ac
magno militum impeta muris per
Scalas superatis capto etiam
Hadrymetourbes in Africa vulgo
Hanuheta idem Mag-Alofius eid.
Em. Virgini Matriac D Baptistae
quorum auspiciis hoec gesta
Sunt prognatiarum actione
hoc monumentum posuit.
III.
Duo Castra ad eristodiam
Corinthiaci sinus in ejus
faciba barbaris ultimo
constructa idem Alofius
quo matris tractu sociali belload-
versus Selinium Milesolim pugnave-
rat, nunc, M. Mag. an sui principat: III
et Fascanio Cambriano classis prefecto
a suis capta divipuit. Ingentib! ad-
vectestantae igitur victoriae monumen-
to S. Victori cui auspiciiss die illi sacro
eam acceptum referat ac Dei parae dedicaret-
– 88 –
Zur Linken, gleich neben dem Haupteingange befindet
ſich das ſehr reiche Monument des Großmeiſters Zon-
dadari, und weiterhin in der Sacriſtei Portraits von
Anderen, von Pinto, La Caſſiera, Perillos und Nicolas
Cotoner.
Die zweite Capelle gehörte den Rittern Oeſterreichs;
zum Altarbild: Die Verehrung der Weiſen aus dem
Morgenlande, links die Geburt Chriſti, rechts der Kinder-
mord in Betlehem.
Durch den dritten Bogen führt der weſtliche Eingang.
Die vierte Capelle gehörte den Italienern zu, die
Wände ſind mit zierlicher Bildhauerarbeit bedeckt. Zwei
Bilder, des St. Hieronimus und Maria Magdalena,
werden dem berühmten Caravaggio zugeſchrieben, beſon-
ders das erſte iſt ſehr ſchön kräftig und breit behandelt.
Das Altarbild ſtellt die Ehe des Chriſtkindes mit St. Ca-
tharina dar, und das Monument des Großmeiſters
Carafa aus Marmor und Kupfer beſtehend, befindet
ſich hier.
Zunächſt kommt die Capelle der Ritter Frankreichs.
Das Altarbild „die Bekehrung St. Pauls“ darſtellend,
iſt ganz beſonders ſchön, an den Seitenwänden die heilige
Familie und Johannes in der Wüſte. Hier befinden ſich
zwei Monumente franzöſiſcher Großmeiſter und eine vor-
zügliche Statue des ſterbenden Marquis de Beaujalais,
ein Werk Pradier's, auf Anordnung Louis Philipp's von
Frankreich errichtet.
Die ſechſte und letzte Capelle iſt die der bairiſchen
Ritter; über dem Altar St. Michael und der Drache.
An einer Seite iſt eine kleine Vertiefung, einen dem
St. Carlo de Boromeo gewidmeten Altar enthaltend, die
den engliſchen Ordensrittern zugehörte. Aus dieſer Ca-
pelle führt eine Treppe nach einem unterirdiſchen Ge-
wölbe mit den Grabmälern von L'Isle Adam, erſten
Großmeiſter des Ordens in Malta, La Valette, Vigna-
court, La Caſſiera, Cardinal Verdala, Ludovico Mendes,
de Vasconcelos, Pietro de Monte und Martin de Garzes,
deren Ueberreſte jeder in einem marmornen Sarcopha-
gus eingeſchloſſen ſind, auf dem Deckel die volle Figur
der Begrabenen darſtellend. Auf dem Fußboden befinden
ſich noch drei andere Marmortafeln, die Gräber von
Claudias de la Sengle, Petrino a Ponte und Ioan de
Almedes bezeichnend.
Man rechnet die Zahl der Prieſter und Mönche in
Malta auf Tauſend, die von den Revenuen ihrer re-
ſpectiven Kirchen und Klöſter, den freiwilligen Beiträgen
des Volkes, ſowie dem Ertrag von Todtenmeſſen leben,
außerdem ſind die Abati, die ſich zur Weihung vorbe-
reiten, in die oben genannte Zahl nicht mit eingeſchloſſen.
Die verſchiedene Ordenscapitel, in die ſich die Ritter
der Nationen, aus denen der Orden beſtand, theilten,
beſaßen in verſchiedenen Theilen von Valetta Gebäude,
in denen ſich ebenſowohl das Capitel verſammelte, um
über öffentliche Angelegenheiten, als auch die Sonder-
intereſſen der Landsmannſchaft zu verhandeln, und wo
zugleich jene Ordensbrüder, deren Einkommen nicht groß
genug war, um die Koſten eines beſonderen Haushaltes
zu beſtreiten, aßen und wohnten. Die Koſten dieſer An-
ſtalten wurden theilweiſe aus dem öffentlichen Schatz be-
ſtritten, theilweiſe von begüterten Ordensbrüdern getragen,
die durch einträgliche Aemter und Ehrenſtellen dafür be-
lohnt wurden. Ordensbeamte, deren Einkünfte 1000 Kro-
nen überſtiegen, konnten keine Anſprüche auf dieſe Spei-
ſungen machen.
Die Vorſteher dieſer verſchiedenen Landsmannſchaften
übten gewiſſe Functionen im Orden aus. So war der
Vorſteher der Provence der Groß-Comthur, oder Schatz-
meiſter, Gouverneur des Arſenals und der Vorraths-
kammern, der von Auvergne, der Großmarſchall oder
Militär-Commandant des Ordens, der von Caſtilien
war der Großkanzler und Siegelbewahrer, von Frankreich,
der Groß-Hospitaliter, mit der Aufſicht über die Hospi-
täler beauftragt, von Arragonien, der Großconſervator,
der das Bekleidungs-Departement beaufſichtigte. Der
Superior von England und Bayern hieß der Turcopolier,
und führte den Oberbefehl über ſämmtliche Reiterei und
die Küſtenwächter. Der Großmeiſter der Deutſchen endlich
hieß der Großprofoß, der zugleich die Aufſicht über die
ſämmtlichen Feſtungswerke führte.
Die Sitze dieſer verſchiedenen Capitel waren in mehr
oder minder ausgedehnten, oft ſelbſt prächtigen Gebäuden,
– 91 –
von denen jetzt einige verſchwunden ſind, andere aber,
wie Auberge de Provence in Strada Reale, jetzt vom
Malta-Club, die prächtige Auberge de Caſtile auf den
Wällen, jetzt als Wohnung von Officieren der Garniſon
benutzt, die Auberge von Aragonien; die jetzt der Biſchof
von Gibraltar bewohnt.
Ein Gebäude von impoſanter Structur und groß-
artigen Dimenſionen iſt der Pallaſt des Großmeiſters,
an der Piazza St. Giorgio, dem größten öffentlichen
Platz von Valetta, in dem oberſten Theil der Stadt ge-
legen. Die Front nach dem Platze zu hat zwei Eingänge,
deren einer zu verſchiedenen Verwaltungs-Departements
der Regierung, der andere in die Wohnung des Gouver-
neurs führt. Wahrſcheinlich fand zur Zeit des Ordens
dieſelbe Anwendung ſtatt. Der Haupttreppe nach den
Gemächern des Gouverneurs folgend, gelangt man erſt
in eine lange Halle und mehrere Vorzimmer. Dieſe ſind
mit Waffen aus verſchiedenen Perioden geſchmückt, die
oberen Theile der Wände und Gewölbe enthalten Dar-
ſtellungen der verſchiedenen Schlachten des Ordens von
Matteo da Lecce, ſowie andere Bilder von Caravaggio,
Giuſeppe d'Aſpino und Cavaliere Favrey. In einem der
Gemächer wurden die vier Ecken von Rüſtungen Isle
Adam's, La Valette's, Vignacourts und La Caſſiera's
ausgefüllt, ein vorzügliches Portrait Vignacourt's von
Michael Angelo, ſowie andere von Ludwig XIV., XV.
und XVI. ſchmücken die Wände.
– 92 –
Die Halle, wo der Verwaltungs-Rath von Malta
ſeine Sitzungen hält, iſt mit vorzüglichen franzöſiſchen
Gobelins, Scenen aus Indien und Afrika darſtellend,
decorirt, die, trotzdem ſie bereits 150 Jahr alt ſind,
dennoch viele ihrer Farben in aller Friſche bewahrt haben.
In der Rüſtkammer werden neben etwa 20.000 Büchſen
und Flinten, einigen Tauſend Piſtolen und etwa 30.000
Enterpieken, eine ziemliche Anzahl Rüſtungen, verſchie-
denen Jahrhunderten angehörend, aufbewahrt. Eine der-
ſelben fällt durch ihre ganz beſondere Größe und Gewicht
auf, denn ſie mißt nicht weniger als ſieben Fuß Höhe
mit 3 Fuß Breite in den Schultern. Der Helm, den
dieſer Rieſe trug, wog ſiebenunddreißig Pfund. Bajonette
in ihrer erſten Erfindungs-Periode, werden gleichfalls
hier aufbewahrt, die aus einer ziemlich breiten Meſſer-
klinge beſtehen, welche vermittelſt eines Ringes und
Zapfens an die Mündung des Gewehres befeſtigt wurden.
Einige Trophäen aus den verſchiedenen Türkenkriegen
befinden ſich gleichfalls hier, darunter das Schwert des
Algeriner Feldherrn Dragut, eine Kanone aus getheerten
Seilen, um einen kupfernen Kern gewunden, außen mit
Gyps überzogen und ſchwarz angeſtrichen, die aus der
Belagerung von Rhodus herſtammt.
Neben dem Palaſt des Großmeiſters iſt die öffentliche
Bibliothek, und die der Garniſon, beide in demſelben Ge-
bäude, das, obſchon bereits vom Großmeiſter Rohan er-
richtet, dennoch erſt im Jahr 1811 zu ſeinem gegenwärtigen
– 93 –
Zweck benutzt ward. Der Styl des Gebäudes iſt in großen
gefälligen Verhältniſſen, der offene Raum vor dem Gebäude
an zwei Seiten mit Arcaden umgeben, während an der
dritten ein Brunnen ſteht, enthält eine Anzahl der wenigen
Bäume, welche die Stadt aufzuweiſen hat, und das hier
befindliche Kaffeehaus übt deshalb nicht wenig Anziehungs-
kraft auf die Bevölkerung aus.
Die Bibliothek ſelbſt wurde von Großprofoß Ludovico
Guevin de Tencin gegründet, der alle ſeine eigenen Bücher
derſelben einverleibte, ſo wie eine große Anzahl anderer
durch ſeine Vermittelung anſchaffte; ſpäter ward dieſelbe
weſentlich dadurch vergrößert, daß jeder Ritter verpflichtet
wurde, bei ſeinem Tode alle ſeine Bücher der Ordens-
bibliothek zu vermachen.
Die Benutzung dieſer Sammlung ſteht dem Publikum
jeden Tag während ſechs Stunden offen, auf Verlangen
werden die nöthigen Bücher und ein Leſepult dem Beſucher
eingeräumt, und ich ſelbſt bin dem Bibliothekar für vielen
ſchätzenswerthen Ausweis verbunden.
In Verbindung mit der Bibliothek befindet ſich ein
Muſeum, worin verſchiedene Curioſitäten, ſo wie ſolche
Antiquitäten, wie ſie von Zeit zu Zeit hier und in der
nahegelegenen Inſel Gozo gefunden wurden, aufbewahrt
werden. Die älteſten davon ſind einige phöniziſche Münzen
nebſt irdenen Krügen und Lachrymotorien, gleichermaßen
zwei Marmortafeln mit phöniziſchen Charakteren. Es iſt
nicht bekannt, ob es gelungen iſt, dieſelben in eine neuere
– 94 –
Sprache zu überſetzen. Eine Statue des Hercules von
Marmor in ſehr gutem Stande, ſo wie ein der Proſer-
pine geweihter Altar kommen zunächſt. Auf der einen
Seite des Letzteren ſieht man zwei Männer einen Fiſch
opfern, auf der anderen ein Emblem, womit die Sicilianer
Syracus bezeichnen wollten, einen Kopf darſtellend, aus
dem drei Beine entſpringend die Seiten eines Dreieckes
bilden. Eine in Gozo gefundene bronzene Figur, einen
jungen in einem Korb ſitzenden Bettler darſtellend, iſt
mit einem Gemiſch von griechiſchen und gothiſchen Schrift-
zügen bedeckt, die gleichfalls nicht entziffert worden ſind.
Eine kleine Marmorgruppe, die Wölfin, Romulus und
Remulus ſäugend, darſtellend, ward gleichfalls in Gozo
gefunden.
Auf einer Marmortafel ſind Tullia, die Tochter Ci-
cero's und Claudia, die Gemahlin von Cecilius Metellus,
dargeſtellt, die ſehr deutlich ſichtbaren Inſchriften ſind:
Tuliola, M. Tullii F. und Clavdia Metelli. Ein anderer
viereckiger Block Marmor trägt eine Basrelief-Büſte von
Zenobia, Gemahlin des Königs Odenat von Palmyra,
mit der Umſchrift: Zenobia, Orienti Domina mit dem
Datum An DNI CCLXXVI.
Gleicherweiſe befindet ſich hier ein Gypsabguß der
Maske des Großmeiſters La Valette, deſſen edle regel-
mäßige Geſichtszüge auch im Tode jenen Ausdruck feſter
Entſchloſſenheit tragen, der ihm während ſeines ganzen
Lebens auszeichnete.
– 95 –
Hinter der Bibliothek und dem Palaſt des Gouver-
neurs war früher der Markt, den man jetzt nach einer
Baſtion in der Nähe von St. Elmo verlegt hat, um an
ſeine Stelle eine Ciſterne von gewaltigen Dimenſionen
zu bauen.
Das Zollhaus befindet ſich am großen Hafen. Ein
Felſenvorſprung bis ins Waſſer reichend und mit Bat-
terien gekrönt, verengte hier früher den Weg, allein der
Großmeiſter J. P. Lascaris ließ einen Tunnel durch den
Felſen arbeiten, der jetzt nach ihm Lascaris-Thor benannt
wird. Längs des Quais befindet ſich eine Reihe von
Gewölben, die früher als Marinearſenal des Ordens
benutzt wurden, jetzt aber Kaufleuten als Waarenlager
dienen. Inmitten derſelben erhebt ſich eine kleine Ca-
pelle „Sanctissimo Salvatore“, wo Seeleute die Meſſe
hören. In früheren Zeiten lagen die Schiffe in Quaran-
tainen dieſer Stelle gegenüber, wegen der erhöhten Lage
der Capelle konnte man durch die offenen Thüren den
Gottesdienſt beobachten, und das Erheben der Hoſtie ward
durch Läuten der Glocken angezeigt. Nicht weit von der
Capelle entfernt, ſteht auf einer erhabenen Plattform ein
Brunnen mit der Statue Neptun's, in der einen Hand
das Wappenſchild Alonzo Wignacourt's haltend, unter
deſſen Verwaltung die Statue errichtet ward. Sie iſt das
Werk Giovanni Bologna's, eines Schülers Michel An-
gelo's, und ein gelungenes Werk dieſes Meiſters.
VI.
Das öſtliche Ufer des großen Hafens.
Spaziergang nach Fort St. Johns. – Grabmonumente. – Das
öſtliche Ufer des großen Hafens. – Borgo. – Seine Vertheidigung. –
Aufforderung zur Uebergabe. – Entſchloſſene Haltung der Beſatzung. –
Türken bringen Boote von Marſamucetto. – Der Grieche Lascaris warnt
den Großmeiſter. – Verſtärkung der Feſtungswerke. – Vergeblicher Ver-
ſuch, die Sperrung des Hafens zu zerſtören. – Angriff des 5. Juli. –
Faßbrücke zwiſchen Borgo und St. Angelo. – Ankunft Haſſan's von
Algier. – Macht einen vergeblichen Angriff auf St. Michael. – Ein
Belagerungsthurm. – Vergebliche Verſuche, denſelben zu zerſtören. –
Henry de la Valette's Tod. – Seelengröße des Großmeiſters. – Der
Sturm vom 7. Auguſt. – Verzweifelte Anſtrengungen der Belagerer. –
Der Gouverneur von Citta Notabile ſendet Hülfstruppen. – Theilweiſe
Erfolge der Türken. – La Valette vereitelt die Beſtrebungen der Feinde.
– Erfolgloſer Verſuch, Citta Notabile zu nehmen. – Eine Armee aus
Sicilien landet. – Niederlage und Flucht der Türken. – La Cotonera. –
Fort Ricaſoli. – Froberg's Regiment.
Den angenehmſten Spaziergang in Lavalette bildet das
Plateau und die Wälle vom Fort St. John, von denen
man eine ausgezeichnete Ueberſicht beider Häfen und der
Vorſtadt Florianna, die unter Anleitung des vom Papſt
zu dieſem Zweck entſendeten Ingenieurs Col. P. Floriani
im Jahre 1635 befeſtigt und nach ihm benannt ward, ſo wie
über die umliegende Gegend genießt. Inmitten der Anlagen
befindet ſich ein geräumiges Gebäude von einfacher Bauart,
in dem an Sonntagen für die Garniſon Gottesdienſt der
engliſch biſchöflichen Kirche gehalten wird, in der Woche
aber Schulunterricht ſtattfindet. An verſchiedenen Punkten
befinden ſich mehrere, theils ſehr ſchöne Grabmonumente,
darunter die des Exgouverneurs Sir T. C. Ponſonby, des
Marquis von Haſtings, Sir Thomas Maitland, vom
Capitain Spencer, R. N. Admiral Sir H. Hotham, Vice-
Admiral Sir Th. F. Fremantle, Capt. Sceberras 80. Re-
giment 2c. An der nördlichen und öſtlichen Seite läuft
eine Colonnade entlang der Baſtion von der man eine
ſchöne Ausſicht auf den großen Hafen hat.
Das öſtliche Ufer des großen Hafens wird, wie bereits
– 100 –
bemerkt, durch drei vorſpringende Landzungen in drei
Baſſins abgetheilt, von denen wiederum jedes geräumig
genug iſt, um eine bedeutende Anzahl der größten Schiffe
zu faſſen, die hier vollkommen geſchützt ankern. Hier be-
finden ſich auch die Dockyard und das Arſenal der Re-
gierung. Die Spitzen dieſer felſigen Ausläufer ſind gleich-
falls ſtark befeſtigt. Nach der See zu vertheidigt Fort
Ricaſoli den Hafeneingang, dann folgt Fort St. Angelo
mit vier Reihen Geſchützen von nahe dem Waſſerſpiegel
an bis 250' über demſelben, und zuletzt Fort St. Michael,
welches die dahinter liegende Vorſtadt Senglea oder La
Sengle deckt.
Wie bereits erwähnt, befanden ſich zur Zeit der An-
kunft der Johanniterritter im Jahre 1530 nur wenige
Häuſer an dieſer Stelle, die deshalb Borgo oder Bourgh
genannt ward; nach der ſiegreich abgewieſenen Belagerung
der Türken im Jahre 1565 vertauſchte man dieſen Namen
mit Citta Vittorioſa; bis 1571 war dies der Sitz des
Ordenscapitels, das ſpäter nach Valetta verlegt ward.
Zur Zeit werden Borgo und Senglea von den niederen
Klaſſen der Bevölkerung, meiſt Fiſcher und Bootsleute,
bewohnt, die Straßen ſind eng, unregelmäßig und weniger
reinlich als die von Valetta. Auf einem erhabenen Plateau,
zwiſchen Fort St. Angelo und Fort Ricaſoli, befindet ſich
das Navy-Hospital, ein ſchönes geräumiges Gebäude.
Die Belagerung und Vertheidigung von Borgo bil-
den eine ebenſo glorreiche Seite in der Geſchichte des
– 101 –
Malteſer-Ordens als die von St. Elmo. Nach dem
Fall dieſes Platzes trat eine kurze Pauſe der Erſchöpfung
im Streite ein.
Während einer kurzen Zeit verbreitete das tragiſche Ende
der Beſatzung von St. Elmo einen paniſchen Schrecken unter
den Vertheidigern von Borgo, allein den Anſtrengungen des
Großmeiſters, deſſen männliche Stimme die Ritter gleich
einer Schlachttrompete zum Kampfe ermuthigte, gelang
es ihr Selbſtvertrauen neu zu beleben. Alle erneuerten ihr
Gelübde, eher ihren letzten Blutstropfen auf den Wällen
zu vergießen, als dieſelben in die Hände des Feindes
fallen zu laſſen, und ſelbſt die gemeinen Soldaten, ange-
regt durch La Valette's Aeußerung, daß, wenn auch alle
Ritter gefallen ſeien, ſich unter ihnen noch Führer finden
würden, zeigten Beweiſe der hingebendſten eifrigſten Auf-
opferung. Um ſowohl alle Hoffnungen auf Capitulation
abzuſchneiden, als auch um die durch das Verfahren der
Türken unter den Vertheidigern hervorgerufene Rachbe-
gierde zu befriedigen, befahl der Großmeiſter keine Gefan-
gene zu machen. Ein chriſtlicher Sklave, der vom türkiſchen
Lager abgeſandt war, um zur Uebergabe aufzufordern, ſollte
augenblicklich gefangen werden, und hatte es nur ſeinem
Alter von 70 Jahren zu verdanken, daß man ihm erlaubte
zurückzukehren. Der Ritter, der ihn vor die Außenwerke
brachte, deutete auf den tiefen Graben und ſagte: „Bringe
dem Paſcha die Antwort, daß dies der einzige Platz iſt,
dem wir ihn übergeben können, und daß wir denſelben
– 102 –
zu ſeinem und ſeiner Janitſcharen Grabe aufbewahrt
haben.“
Dieſe kühne Haltung überzeugte den türkiſchen Heer-
führer, wie unnütz es ſein würde, Zeit mit Unterhand-
lungen zu verlieren, und deshalb ſchritt er unverzüglich
zur Blockade von Borgo und La Sengle, indem er ſtei-
nerne Bruſtwerke errichtete, von denen 70 Kanonen die
Stadt beſchoſſen. Ehe jedoch dieſe Werke vollendet waren,
gelang es vierzig Rittern und einigen Hülfstruppen unter
Robles und de Quincy, die aus Sicilien herbeigeeilt und
in einem entfernten Theil der Inſel unbemerkt gelandet
waren, während eines dichten Nebels die Stadt zu er-
reichen, wo ihre Ankunft die lauteſten Freudenbezeugungen
hervorrief. Die Angriffe des Feindes lenkten ſich vorzüglich
gegen Fort St. Michael und La Sengle, die als die ſchwäch-
ſten und außerdem gefährlichſten Poſten von der Blüthe
der Ritterſchaft vertheidigt wurden.
Man beſchloß gleichfalls einen Angriff im franzöſiſchen
Hafen (das mittlere der drei Baſſins) zu machen, allein
da es unmöglich für Fahrzeuge war unter dem Feuer
das Fort St. Angelo zu paſſiren, ſo transportirten die
Türken vermittelſt großer Anſtrengungen, eine Anzahl von
Booten von Marſamucetto (dem heutigen Quarantaine-
hafen) über den ſchmalen Iſthmus, der Mount Sceberras
mit dem Feſtlande verbindet, nach dem großen Hafen.
Der Großmeiſter ward durch einen griechiſchen Deſer-
teur von dieſem Vorhaben in Kenntniß geſetzt, und man
– 103 –
traf alle nöthigen Vorbereitungen den erwarteten Angriff
kräftig zu begegnen. Dieſer Grieche, Namens Lascaris,
ſtammte von einer Familie ab, die dem öſtlichen Kaiſer-
reich mehrere Herrſcher gegeben. In ſeiner Kindheit zum
Sklaven gemacht und im Islam erzogen, hatte er dennoch
den Ruhm ſeiner Vorfahren im Gedächtniß behalten und
war ein geheimer Anhänger des Kreuzes geblieben. Die
Ottomanen hatten ihn wegen ſeiner erhabenen Abkunft zum
Krieger erzogen und er war zur Zeit Befehlshaber der
Spahis. Ehrgeiz hatte ihn bis jetzt taub gegen die Stimme
ſeines Gewiſſens gemacht, allein die heldenmüthige Ver-
theidigung St. Elmo's, der Anblick der blutigen verſtüm-
melten Leichen, die die Breſche füllten und die unerſchüt-
terliche Feſtigkeit der Vertheidiger von Borgo, die ein
gleiches Schickſal erwarteten, rief die in ihm ſchlummern-
den edleren Eigenſchaften ins Leben, und er beſchloß um
jeden Preis dem Großmeiſter von dem beabſichtigten An-
griff zu unterrichten. Einen unbewachten Augenblick be-
nutzend, verließ er ſeinen Poſten und nach dem Ufer,
gegenüber vom Fort St. Michael hinablaufend, ſuchte er
durch das Wehen ſeines Turbans ſeinen Wunſch, die
Feſtung zu erreichen, anzudeuten. – Savoguerre, der
dieſen Poſten vertheidigte, meldete den Vorfall ſogleich
dem Großmeiſter, allein da in der Zwiſchenzeit Lascaris
Verſuch von den Türken bemerkt worden war, ſo ſuchten
ſie ſeine Flucht zu verhindern. Wohl wiſſend, daß ſein
Tod unvermeidlich war, ſprang dieſer in die See, und
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obſchon kein geübter Schwimmer, ſo gelang es ihm den-
noch ſich ſo lange über dem Waſſer zu erhalten, bis drei
malteſiſche Taucher, die Savoguerre ſchnell zu ſeiner Hülfe
abſchickte, ihn halb todt ans Ufer zogen. Sobald er ge-
nügend hergeſtellt, theilte er des Paſcha's Plan dem Groß-
meiſter mit, und dieſer voller Bewunderung und aus
Dankbarkeit für den geleiſteten Dienſt nahm ihn in den
Orden auf. Während des Fortganges der Belagerung
bewies ſich Lascaris durch Offenheit im Rath und Muth
im Gefecht als würdiger Sohn ſeines Geſchlechtes.
Die Mauern der Seeſeite von Senglea wurden er-
höht, verſtärkt und mit zahlreichem Geſchütz beſetzt, während
man von Mount Conradino bis zur Spitze der Stadt
eine Reihe ungeheurer Pfähle in das dort ſeichte Waſſer
trieb, die unter einander durch eiſerne Ketten und an
einander genagelte Maſten und Stämme verbunden, den
Hafen verſchloſſen. Dieſes Hinderniß zu beſeitigen, ent-
ſandte Muſtapha in der Nacht eine Anzahl von geübten
Schwimmern, Aexte im Gürtel tragend, um einen Durch-
gang zu eröffnen, allein da das Geräuſch dieſer Arbeit
die Aufmerkſamkeit der Garniſon auf ſich zog, ſo begann
bald eine heftige Kanonade, und als dieſelbe wegen der
Dunkelheit nicht wirkſam genug werden konnte, entſendete
der Admiral de Monte eine Anzahl malteſiſcher Schwim-
mer, die nach einem blutigen Kampf im Waſſer die An-
greifer zurücktrieben. Später verſuchte man, indem man
Taue an den Pfählen befeſtigte, dieſelben vermittelſt am
– 105 –
Ufer aufgeſtellter Ankerwinden umzureißen, allein auch
dieſer Verſuch ward durch die Kühnheit malteſiſcher Ma-
troſen vereitelt, die hinaus ſchwammen und die Taue
durchſchnitten.
Wüthend darüber, einen ſeiner Lieblingspläne ſo ver-
eitelt zu ſehen, befahl der Paſcha am 5. Juli ein allge-
meines Bombardement, und die ungeheueren Batterien
von Mont St. Margaretha und Conradin begannen eine
fürchterliche Kanonade gegen Fort St. Michael und La
Sengle, während Fort St. Angelo und Borgo ebenſo
heftig aus den Höhen" Mont Sceberras und Salvator
beſchoſſen wurden. Die ganze Inſel zitterte unter dem
fortwährenden Donner der Geſchütze und die Feſtung
erſchien wie mit einem Gürtel von Feuer und Rauch
umgeben. Unter dem Schutz dieſes Eiſenhagels führten
die Belagerer ihre Trancheen bis in den Graben des
Fort St. Michael und griffen eine kleine Redoute, die
ihre Fortſchritte hinderte, mit ſolcher Heftigkeit an, daß
die mit ihrer Vertheidigung beauftragten Ritter dieſelbe
in die Luft ſprengten und ſich in das Fort zurückzogen.
Die Kanonade dauerte, bis in den Außenwerken von
St. Michael und Borgo bedeutende Breſchen eröffnet
waren, und der Paſcha verzögerte den Sturm nur, um
dem Vicekönig von Algier, deſſen Ankunft mit bedeuten-
den Verſtärkungen man täglich erwartete, Gelegenheit zu
geben, daran Theil zu nehmen.
Durch dieſe enge Blockade ward zu Zeiten die Ver-
– 106 –
bindung der beiden Feſtungen gänzlich unterbrochen, denn
die Paſſage in Booten wurde durch die türkiſchen Ge-
ſchütze, wenn nicht unmöglich, doch ſehr gefährlich gemacht.
Auf Anrathen John Antonio Boſio's, eines jungen Rit-
ters und Bruder des Geſchichtſchreibers, deſſen Werk die
Ereigniſſe dieſer Belagerung auf die Nachwelt brachte,
ward eine Brücke aus Fäſſern und Planken zwiſchen
beide Punkte geſchlagen, die ſpäter von großem Nutzen
war, um nach ſehr bedrängten Punkten ſchleunige Hülfe
zu bringen.
Haſſan von Algier traf alsbald mit 2,500 auserleſenen
Kriegern ein. Sohn des berüchtigten Seeräubers Bar-
baroſſa und Schwiegerſohn des eben ſo bekannten Dragut,
hatte dieſer junge Krieger den alten Thatendurſt ſeines
Vaters nach blutigen Siegen geerbt. Als er St. Elmo,
vor dem ſein Schwiegervater die Todeswunde erhalten,
erblickte, drückte er ſeine Verwunderung darüber aus,
daß ein ſo unbedeutender Poſten ſo viele Anſtrengungen
gekoſtet, und erbot ſich, Fort St. Michael mit dem
Schwerte in der Hand einzunehmen, wozu ihm Muſtapha
nicht nur Erlaubniß gab, ſondern auch mit 6000 Mann
unterſtützte. Dieſer Landangriff ſollte von Haſſan's Lieu-
tenant Candeliſſa, einem griechiſchen Renegaten, zur See
unterſtützt werden, indem man nach Muſtapha's erſtem
Plan Boote vom Fort Musceit (Marſamucetto) herüber-
brachte, und mit 4000 Mann den Sturm unternahm.
Für den Fall, daß es unmöglich ſein ſollte, die Hafen-
– 107 –
blockade zu ſprengen, hatte ſich Candeliſſa mit vielen
Planken verſehen, um eine Brücke nach dem Ufer zu
ſchlagen, allein ein Verſuch, dieſelbe unter dem heftigen
Feuer der Belagerten herzuſtellen, zeigte, daß das Ma-
terial ungenügend ſei, und für einen Augenblick ſchwankten
die Angreifer. Doch die Stimme Candeliſſa's ſchien ſeinen
Truppen ſchrecklicher, als der Schlachtendonner der Chri-
ſten, ſammelte dieſelben und es gelang, eine Paſſage nach
einem wenig gedeckten Theil des Ufers, am Ende von
La Senglea zu forciren. Eine hier gelegene Batterie
unter Befehl des Comthur de Guimeras, eines alten, er-
fahrenen Ritters, der von einer Schaar von Arquebuſiern
unterſtützt ward, richtete beim erſten Feuer bedeutende
Verheerungen unter den Türken an, denen es nichts-
deſtoweniger gelang, zu landen. Zwei Kanonen mit
Flintenkugeln geladen, ſchmetterten ſie in Schaaren nieder,
doch „Vorwärts“ rief Candeliſſa's gefürchtete Stimme,
als er die Boote vom Ufer zurückbeorderte, dadurch an-
deutend, daß er entſchloſſen ſei, auf jeden Gedanken an
die Rückkehr zu verzichten, und tollkühn legten die Stür-
menden ihre Leitern an, und pflanzten nach fünfſtündigem
Kampfe ſieben ihrer Feldzeichen auf die Mauer.
Dieſer verhaßte Anblick füllte die Ritter mit Wuth
und Entrüſtung, unterſtützt vom Gewehrfeuer ſtürzte ſich
eine friſche Schaar unter Admiral de Monte dem Feinde
entgegen, und als auch dieſe zu ſchwanken begonnen, er-
ſchallte plötzlich der willkommene Kriegsruf eines Zuzuges
– 108 –
aus Borgo, an deſſen Spitze Comthur de Gignon, de
Quincy und Ruiz de Medeica zur Rettung herbeieilten.
Dies entſchied den Kampf, die türkiſchen Feldzeichen
wurden herabgeriſſen und ihre Vertheidiger kopfüber von
den Wällen geſtürzt. Candeliſſa ſelbſt, von der Flucht
ergriffen, drehte der Schlacht den Rücken, und war einer
der Erſten, in den Booten Zuflucht zu ſuchen, durch
welchen Act von Feigheit er in den Augen ſeiner Sol-
daten für immer ſeinen früheren Ruf verlor. Alle Tür-
ken, die nicht die Boote erreichen konnten, wurden hin-
geopfert. Die einzige Antwort, welche man denen, die
im Staube um ihr Leben flehten, gab, war, daß ſie
„St. Elmo's Quartier“ haben ſollten, und zugleich wurden
ſie von der tödtlichen Klinge niedergeſchmettert. Viele,
die die Boote ſchwimmend zu erreichen ſuchten, wurden
im Waſſer niedergeſchoſſen, und manche der letzteren von
den Batterien zertrümmert. Der ganze Hafen war von
Leichen und abgeriſſenen Gliedmaßen beſäet und von den
4000 Mann, die am Morgen das Lager verlaſſen hatten,
kehrten kaum 500 zurück.
Ungefähr 100 Ritter und Laien, die ihr großmüthiger
Eifer nach Malta gebracht, verloren auf dieſem Poſten
ihr Leben, darunter Friedrich von Toledo, Sohn des
Vicekönigs von Sicilien, den der Großmeiſter, aus Rück-
ſichten für ſeinen Vater, in ſeinen eigenen Stab aufge-
nommen hatte. Kaum hörte dieſer Jüngling, daß St. Mi-
chael in Gefahr ſei, als er mit dem Muthe eines caſti-
– 109 –
lianiſchen Ritters zu Hülfe eilte. Eine Stückkugel tödtete
ihn, ein Stück ſeines zerſplitterten Küraſſes ſtreckte an
ſeiner Seite den Chevalier de Savoguerre nieder und
beraubte Gaspar de Ponterez ſeines Armes. Die Ritter
de Gordes, Mello, Cardinez und de Quincy, obſchon
alle verwundet, weigerten ſich, ihren Poſten zu verlaſſen,
und ließen ſich auf der Stelle leicht verbinden.
Der Angriff Haſſan's zu Lande hatte keinen beſſeren
Erfolg als der ſeines Lieutenants. Auf das Feuer einer
Signalkanone ſtürzten ſich die Truppen ſtürmiſch in die
Breſchen am Bornicola Thor und dem Caſtell von St. Mi-
chael, und bald pflanzte eine Schaar Algerinen, die den
Sturm eröffneten, ihr Feldzeichen auf den Wall. Ein
mörderiſches Feuer vom Fort St. Michael, deſſen Ka-
nonen der brave Robles mit Flintenkugeln laden ließ,
und ein anderes, das die caſtilianiſchen und portugieſiſchen
Ritter aus der Flanke in ihre Mitte ſchleuderten, trieb
ſie jedoch bald mit ſchweren Verluſten zurück. Eine andere
Breſche, von den Rittern Carlo Rufo und La Ricca be-
fehligt, ward zunächſt geſtürmt, und bald wurden dieſe
beiden, ſich mit ſeltener Rückſichtsloſigkeit blosſtellenden
Männer verwundet aus dem Kampfe getragen. Admiral
de Monte nahm ihre Stelle ein und wendete mit einem
Phalanx derſelben Krieger, die eben Candeliſſa's Schaaren
in die See getrieben, bald die Fluth des Kampfes. Un-
fähig, ihrem heftigen mörderiſchen Feuer zu widerſtehen,
ließ der Vicekönig zum Rückzug blaſen, nachdem der
– 110 –
Kern ſeiner Truppen leblos am Fuß der Breſche zurück-
geblieben.
Muſtapha Paſcha war von dieſem Ausgang der Schlacht
weder überraſcht, noch ſah er den Stolz ſeines jungen Col-
legen ohne Bedauern gedemüthigt, allein als ein guter
General ermangelte er nicht die erhaltenen Vortheile durch
neue Angriffe weiter zu verfolgen. Kaum hatte ſich des-
halb der Vicekönig nach fünfſtündigem Kampfe zurückge-
zogen, als er ſeine beſten Truppen anrücken ließ. Obſchon
durch den vorhergehenden Kampf und die Hitze zum Tode
ermattet, leiſteten dennoch die Chriſten den entſchloſſenſten
Widerſtand. Die Schlacht löſte ſich in eine Reihe von
Einzelkämpfen auf, Krieger faßte Krieger und nur der
Tod des Einen oder des Anderen trennte ſie. Ein Türke,
die Verheerung wahrnehmend, die das Schwert de Quincy's
anrichtete, ſtürzte ſich in die Mitte der Malteſer und ſchoß,
die Mündung ſeiner Arquebuſe dem Ritter ins Geſicht
haltend, dieſen durch den Kopf, um im nächſten Augenblick
ſelbſt unter einen chriſtlichen Säbel zu fallen. De Gordes
überlebte ſeinen muthigen Kameraden nicht lange. Nach-
dem er an der Spitze der Bürger den Feind vom Wall
vertrieben, befahl er die Breſche mit Schanzkörben und
Wollſäcken zu füllen, und an der inneren Seite dieſelbe
durch einen Graben und Barricade zu decken. Allein
während er mit dieſem wichtigen Dienſt beſchäftigt war,
riß eine türkiſche Kanonenkugel ſeinen Kopf ab. Vierzig
Ritter und zweihundert Soldaten verloren hier ihr Leben.
– 111 –
Unerſchüttert durch dieſe fortwährenden Verluſte und
Vereitlung ſeiner Anſchläge, ließ jetzt der türkiſche Ober-
befehlshaber einen Thurm errichten, von deſſen Fallbrücke
er glaubte, ſeine Truppen mit Leichtigkeit auf die Feſtungs-
mauern bringen zu können. Der Großmeiſter, in dem dieſe
Maſchine gewiſſe Beſorgniſſe für die Sicherheit der Werke
erregte, machte zwei Verſuche dieſelbe bei Nacht zu zer-
ſtören, die durch die Wachſamkeit des Feindes vereitelt
wurden. Zuletzt beſchloß er durch einen Ausfall bei Tage
ſeinen Zweck zu erreichen, und Henry de la Valette, ſein
Neffe, ward mit der Führung beauftragt, hauptſächlich
um den Rittern zu zeigen, daß ihrem Führer das Leben
ſeines Bruderſohnes nicht theurer war, als das jedes
anderen Streiters, der unter dem Banner des Ordens
ſtand. An der Spitze einer Schaar ausgewählter Leute
und begleitet von ſeinem edlen und ergebenen Freunde,
dem Chevalier Polaſtron, drang dieſer muthige junge
Krieger gegen die durch ein mörderiſches Feuer gedeckte
Maſchine vor, in der Abſicht Seile und Ketten an die
Hauptpfoſten zu befeſtigen, und durch dieſe die Maſchine
niederzureißen, allein während dieſes Verſuches fielen
ſowohl La Valette als de Polaſtron und nur mit der
äußerſten Anſtrengung gelang es den Truppen, die Leichen
ihrer Führer den Türken zu entreißen.
So tief der Großmeiſter auch den Tod dieſes geliebten
Verwandten betrauerte, ſo verrieth doch nichts, daß er
dieſen Verluſt für größer halte, als den jedes anderen
– 112 –
Ritters, und denen, die ſich ihm mit Troſtesworten nahe-
ten, antwortete er mild aber feſt: „Alle Ordensbrüder
ſind meine Kinder und deshalb betrauere ich den Tod
Polaſtron's ebenſo ſehr als den La Valette's, weshalb
ſollen wir ihr Schickſal beklagen? ſie ſind uns nur wenige
Tage ins Grab vorausgegangen.“ – Als man ihm ſagte,
daß der türkiſche Heerführer beſchloſſen habe, das Leben
des Großmeiſters zu retten, um ihn gefangen nach Con-
ſtantinopel zu führen, entgegnete er: „Ich werde Sorge
tragen, mich vor einem ſolchen Schickſal zu bewahren,
denn ſollte die Belagerung gegen meine Erwartungen
verderblich für den Orden werden, ſo will ich in der
Kleidung eines gemeinen Soldaten eher meinen Tod im
Gefecht ſuchen, als unter dem Fuße des Siegers getreten
zu werden.“
Nachdem er die Stelle, wo ſein Neffe gefallen war,
ſelbſt beſichtigt hatte, ließ er der Maſchine gegenüber eine
Oeffnung in die Mauer brechen, ſchweres Geſchütz durch
dieſelbe richten, und es gelang ihm auf dieſe Weiſe Thurm
und Brücke zu zerſtören.
So groß war die Beſtürzung des Paſcha's über dieſes
Ereigniß, daß er im Kriegsrath ſeinen Officieren die Frage
ſtellte, ob es nicht rathſamer ſei, die Angriffe auf Fort
St. Michael aufzugeben und ſtatt deſſen Borgo zu be-
ſtürmen; allein der Kriegsrath beſchloß einen gleichzeitigen
Angriff auf beide Punkte, und deshalb ſollte Haſſan in
ſeiner früheren Stellung angreifen, während der Admiral
– 113 –
Piali mit Mannſchaften von der Flotte Borgo ſtürmen
und Candeliſſa mit den Schiffen ſich bereit halten ſollte,
jeden Entſatz abzuſchneiden. Während vier Tagen fanden
unausgeſetzt kleine Gefechte ſtatt, die Belagerungsgeſchütze
donnerten ohne Unterlaß, und obſchon die Chriſten in dieſen
Schlachten, ſowie in einem Hauptſturm am 2. Auguſt
ſiegreich waren, ſo ſchmolz dennoch ihre Zahl täglich mehr
zuſammen.
Am 7. Auguſt drangen die Stürmenden mit mehr
als gewöhnlichem Ungeſtüm vor. St. Michael und die
Baſtion von Caſtilien wurden gleichzeitig angegriffen,
allein der letztere Punkt ſollte nur dazu dienen, die Auf-
merkſamkeit der Garniſon zu theilen. Den Janitſcharen,
die die Spitze der Sturmcolonne bildeten, gelang es, ſich
auf der mit Leichen bedeckten Breſche feſtzuſetzen, und
während vier Stunden allen Anſtrengungen der Belager-
ten, ſie zu vertreiben, Trotz zu bieten. Allein die Größe
der Gefahr ermuthigte Alle zu außergewöhnlichen An-
ſtrengungen, und nicht nur leiſteten Ritter, Soldaten und
Bürger Wunder der Tapferkeit, ſondern ſelbſt Frauen
und Kinder nahmen am Kampfe Theil, entweder ihren
Verwandten Ammunitionen und Erfriſchungen zutragend,
oder Steine und ſiedendes Oel auf die Stürmenden hinab-
gießend. Das Fort und die Breſche waren in eine dichte
Wolke von Feuer und Rauch eingehüllt, und trat manch-
mal eine kurze Pauſe in der Kanonade ein, ſo trug die
leichte Brieſe das Waffengeklirr und das wilde Geſchrei
8
– 114 –
der Kämpfenden, die Mann gegen Mann rangen, nach
der Stadt hinüber; der Paſcha ſelbſt ſtand am Fuß der
Breſche, und während er Worte der Ermuthigung an die
Stürmenden richtete, traf ſein Schwert die Flüchtigen.
Nach einſtündigem Kampfe begann das zuſammengeſchmol-
zene Häuflein der Chriſten am Siege zu verzweifeln und
ſich aufs Schlimmſte vorzubereiten, als plötzlich zu ihrer
nicht geringen Verwunderung und Freude die türkiſchen
Heere zum Rückzug blieſen.
Dieſer willkommene Entſatz ward durch eine muthige
Diviſion des Comthur Mesquita, Befehlshaber von Citta
Notabile, verurſacht, der, den verzweifelten Kampf in und
um St. Michael vernehmend, einige Geſchwader Kavallerie
mit einem Fußſoldaten hinter jedem Reiter im Sattel ab-
ſendete, um die Türken im Rücken zu faſſen. Die Ritter
de Luqui und Vertura führten dieſe Abtheilung nach der
Quelle „La Marza“, wo die Türken ihre Hospitale er-
richtet hatten, und mit mehr Rückſicht auf die bedrängte
Lage ihrer Brüder, als auf die Stimme der Menſchlich-
keit, hieben ſie die Kranken und Verwundeten erbarmungs-
los nieder. Die Flüchtlinge brachten in das türkiſche Lager
die Nachricht, daß eine Verſtärkung aus Sicilien ange-
langt ſei. Muſtapha ſah ſich genöthigt den Sturm in dem
Augenblick aufzugeben, wo er erfolgreich zu werden ver-
ſprach. Mit ſeinen beſten Truppen in La Marza angelangt,
ſah er zu ſpät ein, daß eine Hand voll von Leuten, aus
einem Platz, den er kaum für beachtenswerth gehalten,
– 115
ihm dieſen Streich geſpielt. Seine Wuth kannte keine
Grenzen und hätte es die gänzliche Entkräftung ſeiner
Truppen geſtattet, ſo würde er ſich ſogleich wieder gegen
die Hauptfeſtung gewandt haben.
Am nächſten Morgen hatte ſich des Paſcha's Wuth
gelegt, und zwei Wochen verſtrichen ehe er einen neuen
Sturm wagte.
In der Zwiſchenzeit trieben ſeine Mineure Minen
in die verſchiedenen Theile der Feſtung, die jedoch meiſt
glücklich gegenminirt wurden. Während dieſer Periode
ward der Ritter Robles, der jetzt Fort St. Michael com-
mandirte, während er in der Nacht die Wälle inſpicirte
durch einen Flintenſchuß getödtet.
Am 18. Auguſt hofften die Türken gegen Mittag die
Garniſon zu überraſchen, wähnend dieſelbe hinter den
Mauern ihre Sieſta haltend, zu finden, allein obſchon
die Befeſtigungswerke faſt gänzlich in Trümmern lagen,
ſo bildeten die Vertheidiger mit ihren Leibern eine un-
überſteigliche Barriere. Piali eröffnete ſeinen Angriff auf
die Baſtion von Caſtilien durch das Sprengen einer Mine,
die einen Theil des Walls niederwarf und dieſen Vor-
theil verfolgend, trieb er für kurze Zeit Alles vor ſich
her. Bruder William, ein Caplan des Ordens, als er
die Türken ſo hereindrängen ſah, wähnte die Stadt ver-
loren, und zum Großmeiſter eilend, beſchwor er ihn, mit
gefalteten Händen im Fort St. Angelo Zuflucht zu neh-
men; allein ſtatt dieſem Rathe zu folgen und ſelbſt ohne
– 116 –
ſeine Rüſtung anzulegen, ergriff dieſer eine Pieke und
eilte auf die Stürmer. Eine Schaar von Rittern und
Bürgern folgte ihm, und wiſſend, daß er die Stelle nie
lebendig verlaſſen werde, ſtürzten ſie ſich in die Maſſen
der Feinde und trieben ſie zurück.
Mendoza, der einem neuen Sturm entgegenſah, flehte
jetzt den Großmeiſter an, ſich nach einem ſicheren Orte
zurückzuziehen, allein der entſchloſſene Greis antwortete
ihm: „Kann ich im Alter von ein und ſiebzig Jahren
mein Leben beſſer enden, als indem ich es für die Ver-
theidigung unſerer heiligen Religion in der Mitte meiner
Freunde und Brüder niederlege?“ -
Wie man vermuthet, ward der Sturm gegen Abend
erneuert, allein die Granaten und Feuerreifen der Ver-
theidiger hatten die Angreifer ſo ſcheu gemacht, daß ſie
nur aus der Ferne ein unregelmäßiges Gewehrfeuer unter-
hielten, und mit den Schwertern gegen die Schilder ſchla-
gend, durch das Geräuſch der Schlacht ihrem Befehls-
haber zu täuſchen ſuchten, der nicht ſobald ſich hiervon
überzeugte, als er den Angriff bis zum nächſten Morgen
aufſchob.
Am 19. Auguſt, im Augenblick, wo der Angriff begann,
warfen die Türken einen ungeheueren hölzernen Cylinder
mit eiſernen Reifen umgeben und mit Pulver, Kugeln,
Nägeln und Stücken Eiſen gefüllt in die Breſche. Mehrere
Ritter hatten Entſchloſſenheit genug dieſe Höllenmaſchine
zu ergreifen und unter die Stürmenden zurückzuſchleudern,
– 117 –
wo ſie augenblicklich explodirte, Tod und Verderben um
ſich verbreitend, und die Chriſten, den Vortheil verfolgend,
machten einen ſiegreichen Ausfall.
Auf der Baſtion Caſtilien hatten die Türken auch
diesmal beſſeren Erfolg und wiederum gelang es ihnen
ſich auf dem Parapet feſtzuſetzen, allein auch diesmal
eilte der Großmeiſter an der Spitze friſcher Truppen nach
dem bedrohten Punkt und Tod und Verderben wüthete
nach allen Seiten. Eine bedeutende Anzahl von Rittern
fiel, ſich gegenſeitig durch ihr Beiſpiel aneifernd. Der
Commenthur Bonneſeigne an der Seite La Valette's fech-
tend, verlor ein Auge und ſein Geſicht ward entſetzlich
verbrannt. La Valette ſelbſt ward durch eine ſpringende
Granate gefährlich ins Bein verwundet, allein er wei-
gerte ſich den Poſten zu verlaſſen, bis Cencio, Gasconi,
Bergia, Mendoza, Don Juan und La Roche Pereira
mit bedeutenden Verſtärkungen anlangend, den Kampf
entſchieden. -
Nach zwei anderen vergeblichen Stürmen am 20. und
23. Auguſt gelang es Piali, gegenüber dem Wall eine
Plattform zu errichten, die denſelben ſo vollkommen be-
herrſchte, daß ſich die Kanoniere kaum bei den Geſchützen
halten konnten. Mehrere caſtilianiſche Ritter, geführt vom
Comthur de Claramont, überrumpelten dieſen Poſten in
der folgenden Nacht, und es gelang ihnen, nicht nur alle
Türken von derſelben zu vertreiben, ſondern ihn ſogar
in ein bedeutendes Vertheidigungswerk zu verwandeln.
– 118 –
Ein Sturm am 3. September erwies ſich ebenfalls
als fruchtlos und fürchtend, daß er genöthigt ſein würde,
die Belagerung bald aufzugeben, beſchloß Muſtapha Paſcha
einen Handſtreich auf Citta Notabile zu machen, hoffend,
durch Eroberung dieſes Platzes den Muth ſeiner Truppen
zu beleben, und den geringen Erfolg ſeiner Expedition
etwas zu bemänteln. Viertauſend der beſten Truppen,
von ihm ſelbſt geführt, hofften die unvollkommen be-
feſtigte Stadt mit Sturm zu überrumpeln. Allein Mes-
quita, der Gouverneur, von dem Unternehmen in Kennt-
niß geſetzt, verkleidete und bewaffnete ſelbſt Frauen und
Kinder, und indem er auf dieſe Weiſe eine bedeutende
Truppenmacht auf den Wällen aufſtellte, täuſchte er die
Türken ſo vollkommen, daß ſie nach einer kurzen erfolg-
loſen Kanonade ſich wieder zurückzogen. Eine neue Ma-
ſchine, die die Türken in der Zwiſchenzeit vor Borgo
errichtet, ward wiederum von den Chriſten zerſtört und
der Muth dieſer letzteren ſtieg durch alle Erfolge ſo hoch,
daß trotz ihrer geringen Anzahl und trotzdem ihre Mauern
in Trümmer lagen, ſie faſt täglich Ausfälle gegen ihre
entmuthigten Feinde machten.
Jetzt endlich, nachdem der Kampf beinahe von dem
Orden allein ſiegreich beendet war, nahete ſich der ver-
ſprochene Entſatz. Den langen Verzögerungen des Vice-
königs von Sicilien ward durch die dringenden Vorſtel-
lungen von etwa 200, bei ſeinem Heere befindlichen Jo-
hanniterrittern, ſowie durch einen Aufſtand ſeiner eigenen
– 119 –
Truppen, die ſtürmiſch begehrten, gegen den Feind geführt
zu werden, ein Ende gemacht. Nach einem vorherge-
gangenen, vergeblichen Verſuch wurde am 7. September
die Armee im Hafen von Melecha in der Nähe der
Inſel Gozo gelandet. Bei Empfang dieſer Nachricht er-
griff eine ſolche Beſtürzung die Türken, daß der Paſcha
ſeine Beſatzung aus St. Elmo zurückzog, und ſich, mit
Zurücklaſſung aller ſeiner Belagerungsgeſchütze, einſchiffte.
Später, aus Beſchämung, von einer kleinen Anzahl von
Chriſten (6000 Mann) ſo in Furcht geſetzt worden zu
ſein, wollte er ſeinen Irrthum wieder gut machen, allein
die wenigen Stunden waren von den Rittern ſo gut
benutzt worden, daß die Belagerungswerke der Erde
gleich lagen, und über Fort St. Elmo wieder das Banner
des Kreuzes wehte.
7000 Mann wurden nun in St. Pauls-Bai gelandet,
und 1500 unter dem Vicekönig von Algier zurücklaſſend,
ſuchte er, ſelbſt an der Spitze der Uebrigen, die Armee
der Sicilianer auf. Er fand ſie, auf der Spitze eines
Hügels verſchanzt, und auf den Rath Alvarez de Sandes,
der die neapolitaniſchen Truppen befehligte, ſowie auf
das ſtürmiſche Verlangen der 200 Malteſerritter, ward
der Feind angegriffen, nach kurzem Widerſtand in die
Flucht getrieben und nur mit ſchweren Verluſten gelang
es denſelben, die Schiffe zu erreichen und bald nachher
davon zu ſegeln.
So endete dieſe ewig denkwürdige Belagerung, in der
– 120 –
die Türken 25,000 Mann, der Orden aber 260 Ritter
und zwiſchen 7 und 8000 Soldaten und Bürger verlor.
In der That, ſo zuſammengeſchmolzen war die Garniſon,
daß bei Ankunft des Entſatzes kaum mehr 600 Mann
die Mauern beſetzen konnten.
Der 8. September ward, ſo lange der Orden beſtand,
mit großer Feſtlichkeit begangen; die St. Johanniskirche,
feſtlich geſchmückt, ward von allen Brüdern bei feierlicher
Proceſſion beſucht, und das Banner des Ordens deckte
mit ſeinen blutbefleckten Falten den Altar, in deſſen Ver-
theidigung es ſo ſiegreich geweht hatte.
Die felſigen Hügel, jenſeits von Borgo und Senglea,
ſind von ausgedehnten Linien ſehr ſtarker Befeſtigungen
umgeben und bekrönt, zu denen das hochgelegene Fort
St. Salvador den Schlüſſel bildet. Letzteres ward von
Manoel de Vilhena, die ganze Linie von Befeſtigungen
aber vom Großmeiſter Nicolas Cotoner erbaut, und nach
ihm Cotonera benannt. Er beabſichtigte, dies zu einem
Zufluchtsort für die geſammte Bevölkerung der Inſel zu
machen, ſollten Umſtände einen ſolchen erheiſchen. Augen-
blicklich bildet ein Regiment eingeborener Truppen „Royal
Maltere forcibles“ die Beſatzung. Die Linien der Co-
tonera ſchließen ſich nach der Landſeite an Fort St. Mi-
chael und Senglea, nach der Seeſeite an Fort Ricaſoli,
gegenüber Fort St. Elmo.
Letztere Feſtung war 1670 vom Ritter Gianfrancesco
Ricaſoli erbaut, der dazu eine Summe von 20,000 Thlrn.
– 121 –
aus ſeinen Mitteln verwendete. Der Großmeiſter Cotoner
ſtattete ihm für dieſe Großmuth öffentlich ſeinen Dank
ab, und man nannte das Fort nach ſeinem Erbauer.
Im April des Jahres 1807 war dieſes Fort der
Schauplatz einer bedauerlichen Militärrevolte. Im Laufe
des ſo lange fortgeſetzten Krieges genügten die Reſſourcen
Englands nicht mehr dem ſtets wachſenden Bedürfniß
nach Truppen-Aushebungen, und deshalb griff die Re-
gierung zu dem Aushülfsmittel, mit verſchiedenen Spe-
culanten Contracte abzuſchließen, nach welchen dieſe in
verſchiedenen Ländern Freicorps anwarben. Ein fran-
zöſiſcher Emigrant organiſirte unter dem Namen, Fro-
bergs Regiment, ein Corps, das aus Griechen, Albanern,
Slavoniern und vielleicht auch anderen Nationen zuſammen-
geſetzt war, und nebſt einer kleinen Abtheilung engliſcher
Artillerie nach Fort Ricaſoli in Garniſon verlegt ward,
um dort von engliſchen Officieren und Unterofficieren
excercirt zu werden. Die Stimmung dieſer, aus ſo ver-
ſchiedenem Material zuſammengeſetzten Truppe, als ſie
ſahen, daß nicht alle die glänzenden Verſprechungen, mit
denen man ſie in den Dienſt verleitet hatte, erfüllt wurden,
war keine zuverläſſige, zu häufige körperliche Züchtigungen,
oft nur durch die Laune des Vorgeſetzten verhängt, ver-
ſchlimmerte dieſelbe, und als einſt ein Officier einen
Trommler mit dem Stock übers Geſicht ſchlug, brach
das Regiment in offene Meuterei aus.
Die Mehrzahl der Officiere ward ermordet, die Thore
– 122 –
des Forts gegen die Garniſon von Valetta verſchloſſen.
Ein engliſcher Artillerieofficier aber und mehrere Unter-
officiere wurden gezwungen die Geſchütze gegen die Stadt
zu richten. Der damalige Gouverneur Viletes hoffte die
Meuterer zum Gehorſam zurückzuführen und begnügte ſich
deshalb mit einer engen Blockade des Forts. Der Mangel
an Subordination, ſowie die allmählich ſich einſtellende
Hungersnoth rief bald Streitigkeiten hervor, die in Blut-
vergießen endeten, und zuletzt öffnete ein Theil der Meu-
terer die Thore und ergaben ſich. Die noch übrig geblie-
benen, etwa 150 an der Zahl, hielten ſich noch einige
Zeit. Allein es gelang zuletzt dem Capt. Collius, R. N.
das Fort während einer Nacht zu ſtürmen und mit Aus-
nahme von ſechs Mann alle zu Gefangenen zu machen.
Von dieſem wurden auf dem Plateau Florianna zehn
gefangen und vierzehn erſchoſſen, welche letztere Execution
in einer ſehr unmenſchlichen Weiſe ausgeführt ward. Mit
gefeſſelten Händen, doch unverbundenen Augen mußten
die Delinquenten auf ihren Särgen niederknieen, und da
das erſte Gewehrfeuer nicht alle tödtete, ſah man mehrere,
von den Soldaten gleich Haſen verfolgt und niederge-
ſchoſſen, umherlaufen. Einem gelang es die Baſtion zu
erreichen und 150 Fuß tief über dieſelbe hinabzuſpringen.
Als ſeine Verfolger ihn noch am Leben fanden, ward
auch ſeinem Elend ein Ende gemacht.
Im Fort ſelbſt war es in jener Nacht ſechs Mann ge-
lungen, ſich des Pulvermagazins zu bemächtigen, wo ſie,
– 123 –
hoffend einige vortheilhafte Bedingungen zu erzielen, noch
aushielten. Von Zeit zu Zeit erſchien einer von ihnen
auf der Mauer um zu unterhandeln, allein ohne Erfolg.
Am ſechsten Tage erklärten ſie, daß, wenn man ihre Bedin-
gungen nicht erfülle, ſie ſobald die Vesperglocken von der
Kathedrale geläutet werde, das Fort in die Luft ſprengen
wollten. Man ſchenkte dieſer Drohung keinen Glauben,
allein zur beſtimmten Stunde fand die Exploſion ſtatt
und begrub viele von den Belagerern unter den Ruinen
des Forts.
Geraume Zeit war ſeit dieſem Ereigniß verſtrichen,
und man begann bereits der Aufſtändiſchen zu vergeſſen,
als ein Prieſter eines Abends auf ſeinem Eſel aus einem
abgelegenen Viertel in der Nähe des Forts heimkehrte,
von einem Mann angerufen ward, der in der Uniform
des Froberg-Regiments gekleidet, von hinter einer Mauer
ſeine Flinte auf ihn richtete, deren Ladung er bereit zu
ſein ſchien ihm in den Leib zu ſchießen. Der erſchrockene
Cura machte ſich aus dem Staube, ſo ſchnell ihn ſein
Eſel zu tragen vermochte, zeigte den Vorfall der Polizei
an; man durchſuchte die Umgegend und fand endlich in
einer verſteckten Höhle die armſeligen abgemagerten Men-
ſchen, von denen man glaubte, ſie ſeien mit dem Fort
in die Luft geflogen.
Aus ihren Ausſagen ergab ſich, daß es ihnen gelungen
war, während der Belagerung eine der Minen bis in die
Nähe der äußeren Mauer zu führen, deren letzten Reſt
– 124 –
ſie in der Nacht niederzubrechen gedachten, um zu ent-
fliehen. Bis dahin gaben ſie ſich den Anſchein ferneren
Widerſtandes; als Alles bereit war, legten ſie einen
Zünder, zogen ſich in genügender Entfernung zurück, um
ſelbſt geſichert zu ſein, und zur beſtimmten Zeit führten
ſie ihr Vorhaben aus. Sie ſcheinen darauf gerechnet zu
haben, zu Schiffe zu entwiſchen, und es war ihnen bei
einer Gelegenheit beinahe gelungen ſich eines Bootes zu
bemächtigen, in welchem Unternehmen ſie jedoch geſtört
wurden.
Auch dieſe Elenden endeten ihr Leben auf dem Richt-
platz.
Das Fort Ricaſoli iſt jetzt von einer Abtheilung des
42. Regiments nebſt einer Abtheilung Artillerie garni-
ſonirt, und die Nähe der See, deren friſche Brieſe die
Luft kühlt, macht den Aufenthalt geſund und erträglich.
VII.
Ausflug in den ſüdlichen Theil
der Inſel.
Die Caleſſa. – Vignacourt's Waſſerleitung. – Die Gärten von
St. Antonio. – Dichtgedrängte Bevölkerung. – Citta Vecchia. – Alt-
üblicher Magiſtrat. – Die Kathedrale. – St. Pauls Kirche und Grotte.
– Reliquien. – Die Katakomben. – Chriſtliche Gräber. – Das Ma-
donnenfeſt. – Muſik und muſikaliſche Inſtrumente. – Sehenswerthe
Punkte in der Umgegend. – Emthaleb. – Boſchetto. – Der Palaſt des
Inquiſitors. – Tal Mahluba. – Die Höhlen von Ghar Haſſan. –
Die Ruinen von Crendi. – Die Lebensmittel und ihre Preiſe. – Die
Bevölkerung. – Coſtüm.
Die älteſte Hauptſtadt von Malta war Citta Notabile,
auch Citta Vecchia genannt. Dieſes liegt etwa 7 Miles
(2 Stunde) von Valetta, und eine in gutem Stande
gehaltene Straße führt dahin. Das gewöhnlichſte Trans-
portmittel der Inſel iſt die Caleſſa, ein zweirädriger
Karren, offen oder bedeckt, von einem Pferde in der
Gabel gezogen. Die bedeckte Caleſſa iſt ein etwas ſchwer-
fälliger Kaſten, der auf zwei Stangen etwa halbwegs
zwiſchen zwei Rädern und dem Pferde hängt, das ſo
einen großen Theil der Laſt zu tragen hat; indem der
Kutſcher, wenn er es nicht vorzieht, nebenher zu laufen,
ſich dicht hinter das Pferd auf die rechte Gabel ſetzt und
mittelſt eines Stück Holzes, in das ein oder mehrere
Nägel befeſtigt ſind (niggienza benannt), ſeinen Gaul
zur Eile antreibt. Warum man nicht den Kaſten über
die Räder auf Federn ſetzt, und ſo dem Pferde die Laſt
etwas erleichtert, kann ich nicht einſehen, es müßte denn
deshalb geſchehen, daß man fürchtet, das Gewicht möge
beim Anſteigen der ſehr ſteilen Straßen der Stadt zu
ſehr nach hinten fallen und das Pferd auf der Bruſt
– 128 –
drücken. Die offene Caleſſa iſt leichter gebaut und enthält
gewöhnlich Raum für zwei Reiſende, die entweder auf
einer Matratze ausgeſtreckt ruhen, oder hinten ſitzend, ihre
Füße in den Staub hängen laſſen.
Von der Porta Reale der Stadt bis Caſſal Attard,
einer kleinen Stadt etwa 3 Miles entfernt, läuft die
Straße längs dem Aqueduct, der von einem Ort an
der Weſtküſte „Diar Claudel“ das Waſſer verſchiedener
Quellen vereinigend, dasſelbe ſo die ganze Inſel ihrer
Breite nach durchſchneidend, nach Valetta bringt. Dieſes
bedeutende Bauwerk ward im Jahre 1610 unter der Ver-
waltung des Großmeiſters Alofio Vignacourt begonnen,
und in fünf Jahren vollendet, denn ſchon damals ge-
nügten die im Innern gelegenen Quellen nicht mehr den
Anſprüchen der ſtets im Zunehmen begriffenen Bevölke-
rung, beſonders, wenn während der oft trockenen Sommer-
monate das Regenwaſſer in den Ciſternen erſchöpft ward.
Vom Anfang bis Caſſal Attard läuft das Waſſer unter
der Erde, von da an wird die Leitung von ſteinernen
Pfeilern und Bogen getragen. Das Ganze iſt ſorgfältig
und ſubſtantiell conſtruirt, die Rinne in der das Waſſer
läuft, iſt oben mit großen Steinblöcken vermauert, und
faſt ſcheint es, als ob von der Zeit ihrer Erbauung an
bis auf den heutigen Tag weder geöffnet, reparirt, noch
gereinigt worden ſei, indem das ſehr klare Waſſer das
Letztere unnöthig macht.
Etwa zwei Miles weiter, zur Rechten von der Straße,
– 129 –
ſieht man die Paläſte und die Gärten von St. Antonio,
vom Großmeiſter de Paula erbaut und von ſeinen Nach-
folgern als Sommeraufenthalt benutzt, wozu er auch jetzt
dem Gouverneur dient. In dieſen Gärten ſind beinahe
die einzigen Bäume, die dieſen Namen verdienen, und die
geſchmackvollen Anlagen, ſchattigen Pfade und verſchie-
denen Springbrunnen machen dies zu einem ſehr ange-
nehmen Aufenthalt.
Reitet man ſo durch das Land, denn die meiſt ziem-
lich guten kleinen Berberpferde ſind jedenfalls den un-
bequemen Caleſſas vorzuziehen, ſo hat man Gelegenheit
zu beobachten, daß man ſich in einem der dichtbevölkert-
ſten Länder der Erde befindet, denn dieſe kleine Inſel
von kaum 60 Miles Umfang enthält 180.000 Einwohner.
Man ſagt, daß hier im Verhältniß 10 pCt. mehr Be-
wohner auf die Quadratmeile kommen, als in den be-
völkertſten Theilen China's, und dies ſcheint glaublich
genug, denn ſelten kann man eine ſolche, faſt ununter-
brochene Reihe menſchlicher Wohnungen wahrnehmen, als
im öſtlichen Theile dieſer Inſel. Es iſt in der That nicht
leicht auszufinden, wo eine Stadt oder ein Dorf aufhört
und das Nächſte beginnt, denn die Ausläufer von beiden
vermiſchen ſich miteinander.
Der Boden, d. h. da, wo dergleichen vorhanden, iſt
ziemlich gut und trägt zwei, oder wenn viel Regen fällt,
auch drei Erndten von Mais, Weizen, Gerſte 2c. oder
Gartenfrüchte, ohne daß die Mühe des Bebauens ſehr
9
– 130 –
groß wäre, allein den Acker ſelbſt zu erzeugen, denn der-
ſelbe muß meiſtens künſtlich angelegt werden, koſtet keine
geringen Anſtrengungen. Das meiſte Terrain der Inſel
beſteht aus Felſen, auf dem entweder nur eine dünne
Lage röthlichen Lehmbodens liegt, der mit Felsbrocken
beſtreut iſt, oder die Erde findet ſich nur in den Vertie-
fungen des Geſteins und in kleinen Schluchten vor. Dieſe
wird nun vorerſt auf einer Stelle zuſammengetragen an
der niederen Seite des Hügels, aus den umherliegenden
Felsbrocken eine Mauer aufgeführt, die etwaigen Ver-
tiefungen mit demſelben Material ausgefüllt und terraſ-
ſirt, und zuletzt die vorhandene Erde in einer Dicke von
zwei bis drei Fuß darüber geſtreut. Man kann ſich hier-
aus vorſtellen, wieviel Arbeit erforderlich iſt, um einen
einzigen Acker Landes zu erzeugen.
Trotz alledem habe ich nicht erfahren können, daß
Auswanderungen nach dem herrlichen üppigen Sicilien
ſtattfinden, wo ein unerſchöpflicher Boden die geringſte
Anſtrengung des Menſchen reichlich lohnt, im Gegentheil
finden viele der ſicilianiſchen Seeleute hier eine Heimath,
wo ſie ſich als Bootführer, Handarbeiter oder Werkleute
ihren Lebensunterhalt erwerben. Sicherlich iſt die Liebe
zum heimathlichen Boden, die den Eskimo und den Lapp-
länder in den Eisfeldern des Nordens, den Kaffern und
den Hottentotten in den heißen Ebenen Afrika's den beſten
Wohnſitz erblicken läßt, hierbei gebührend in Rechnung zu
bringen, allein daß der Wunſch, lieber unter den geregelten
– 131 –
Verhältniſſen eines nach liberalen Grundſätzen regierten
Landes zu leben, ſtatt täglich dem Eigenwillen eines des-
potiſchen Herrſchers, der Gier und Habſucht eigennütziger
Beamten ausgeſetzt zu ſein, gleichfalls ſeinen Einfluß
geltend macht, ergiebt ſich aus dem Umſtand, daß die
ſtets und verhältnißmäßig immer ſchneller wachſende
Seelenzahl ſich beſonders von der Zeit her datirt, wo
an England der Beſitz der Inſel für die Dauer be-
ſtätigt ward.
Citta Vecchia liegt auf einem der höchſten Punkte
Malta's und theilt ſich in zwei, dicht bei einander lie-
gende Theile La Notabile und Rabatto. Erſterer iſt kleiner,
compacter gebaut und mit verſchiedenen Befeſtigungen um-
geben, die die natürlich ſtarke Lage noch vollkommener
ſchützen. Vor der Ankunft der Araber auf der Inſel war
ein viel beträchtlicher Theil mit Mauern umgeben, allein
man fand ſpäter einen beſchränkteren Raum leichter zu
vertheidigen. In den früheſten Zeiten trug die Stadt
denſelben Namen, wie die Inſel Melita, wie uns Ptole-
mäus der Geograph mittheilt: „Insulae in alto Mari
Pelagiae haec sunt, Melite Insulae in qua civitas Me-
litae et Chersonesus, et Junonis templum, et Herculis
templum.“ Cicero und Diodorus Siculus geben an, daß
die Hauptſtadt Malta's viele ſtattliche Gebäude von ſehr
reicher Architektur enthielt, und die vielen Ueberreſte an-
tiker Statuen, ſowie die Spuren von Bädern, Tempeln
und Amphitheatern, die man in der Stadt ſowohl als
– 132 –
deren Umgebung aufgefunden hat und noch auffinden
würde, ſetzte man die Nachgrabungen weiter, beſtätigen
dieſen Ausſpruch.
Unter der Oberherrſchaft des Johanniterordens ward
die Stadt von einem Hakim, oder „Herrſcher“ regiert, der
alljährlich vom Großmeiſter erwählt ward, und dem drei
Magiſtratsperſonen oder „Giurati“, durch dieſelbe Be-
hörde angeſtellt, beigegeben waren. Bei der jedesmaligen
Wahl des Großmeiſters fand deſſen Einweihung unter
vielen Ceremonieen, und oft mit großem Pomp in La
Notabile ſtatt, und der Magiſtrat händigte ihm dann die
Schlüſſel der Stadt ein. Ebenſo wurden und werden
noch die Biſchöfe von Malta in der Kathedrale dieſer
Stadt conſecrirt.
Die Kathedrale nebſt dem Palaſt des Magiſtrats ſind
ſehenswerth, und man giebt an, daß an der Stelle des
letzteren der Palaſt des Publius ſtand, der zur Zeit, wo
Paulus auf der Inſel Schiffbruch litt, Statthalter der-
ſelben war.
In der Vorſtadt Rabatto unter einer dem Apoſtel
St. Paul gewidmeten Kirche, befindet ſich eine gleichfalls
nach ihm benannte Grotte, in der, ſo meldet uns die
Tradition, derſelbe begleitet von St. Lucas und Trofimus
gewohnt habe. Man ſagt, daß die Beſcheidenheit der
Apoſtel ſie beſtimmt habe, mit einer ſo geringen Wohnung
vorlieb zu nehmen, wenn ihnen, wie die Apoſtelgeſchichte
Un8 meldet, „die die Inſelbewohnenden Barbaren ſo
– 133 –
freundlich begegneten“; vor allen aber der edle groß-
müthige, für die Heilung ſeines Vaters ſo tief verpflich-
tete Publius ihnen fortwährend Beweiſe ſeines Wohl-
wollens gab. Es iſt jedoch nicht unmöglich, daß Alle oder
wenigſtens Paulus ihre Wohnung im Hauſe des Publius
hatten, allein dieſe entlegene Grotte wählten, um ihren
Gottesdienſt zu halten und die Lehre des Gekreuzigten
zu predigen, um ihrem Beſchützer, deſſen amtliche Stel-
lung eine gewiſſe Vorſicht erheiſchte, nicht Mißhelligkeiten
zu bereiten.
Zu Beginn des ſiebenzehnten Jahrhunderts verließ
ein Bürger Cordova's, Namens Fra Giovanni, ſeine
Heimath und kam nach Malta, wo er über der Grotte
eine dem St. Publius geheiligte Capelle errichtete, die
ſpäter von dem Großmeiſter erweitert, und von ihm ſowie
von den Päpſten reich beſchenkt ward. Ciantar zählt
unter den Reliquien, die ſich hier befanden: „ein Stück
des wahren Kreuzes, etwas Milch der Madonna!!!
Ueberreſte von nicht weniger als ſechs Apoſteln, und
ungefähr fünfzig anderen Heiligen“ auf !!! Der fromme
Anachorith, der die Capelle erbaute, beſchloß in derſelben
ſein Leben.
Aus der Capelle führt eine breite Treppe hinab nach
der Grotte, gegenüber derſelben befinden ſich in einigen
Vertiefungen zwei dem Paulus und Lucas gewidmete
Altäre nebſt einer kleinen Sacriſtei. Die Grotte ſelbſt
befindet ſich rechts vom Eingange, und neben der Thür
– 134 –
zu derſelben befindet ſich folgende, vom Großmeiſter
Emanuel Pinto errichtete Inſchrift:
D. O. M.
Hac dextrum divi Pauli cryptae latus
terrain asportantibus nunquam clausum,
et nunquam deficiens, semper excisum et
nunquam decrescens, ut in majorem
cresceret verationem enimentissimus
H. C. M M et Princeps seren. Fr. D. Emman.
Pinto nobiliori auxit ornatu MDCCXLVII.
Die Grotte iſt etwa 30 bis 35 Fuß im Durchmeſſer
und in der Mitte etwa acht Fuß hoch und in der Mitte
derſelben befindet ſich eine ſchöne Marmorſtatue St. Pauls,
vor der ſtets einige Kerzen brennen.
Es liegt eine eigenthümliche Anziehungskraft in Orten,
in denen große erhabene Menſchen gelebt und gewandelt
haben, und ſo kann man dieſen Ort, wo der herrliche
beredte Apoſtel mit der gottähnlichen Stirne und dem
Feuereifer gelehrt hat, nicht ohne ein Gefühl tiefer An-
dacht und Verehrung betreten. Hat doch dies Decken-
gewölbe einſt von dem Klang ſeiner männlichen, kräftigen
Stimme wiedergehallt.
In kurzer Entfernung von dieſer Kirche befinden ſich
Katakomben in einiger Tiefe unter der Erdoberfläche, zu
denen eine Treppe und Gallerie führen. Dieſe, ſowie
viele andere, nach den Seiten hin abgrenzenden Ver-
tiefungen, die augenſcheinlich als Gräber gedient haben,
– 135 –
einige Vertiefungen für einen, andere für zwei Körper
enthaltend. Eine ziemlich geräumige Halle wird in der
Mitte durch einfach ornamentirte Säulen geſtützt, und
in der Mitte derſelben befinden ſich zwei runde, etwa drei
Fuß im Durchmeſſer haltende Blöcke, deren Oberfläche
mit einem erhabenen Rand eingefaßt iſt. Man vermuthet,
daß hier die Körper vor der Beſtattung abgewaſchen
wurden. Eine andere, gleichfalls ziemlich geräumige Halle
ſcheint zu Zeiten als Capelle gedient zu haben, an einem
Ende findet man die Ueberreſte eines altarähnlichen
Blockes. Es läßt ſich nicht urtheilen, wie weit dieſe
Katakomben ſich ausdehnen, denn viele der Seitengalle-
rien ſind erweitert, andere vermauert worden.
Andere ähnliche unterirdiſche Gemächer finden ſich
noch in der Umgebung der Stadt und viele davon hat
man wieder vermauert. Eins derſelben von den Ein-
geborenen Abbatia genannt, im Diſtrict Bir Shieba ge-
legen, befindet ſich etwa eine Viertelmeile von der Stadt-
mauer, und man gelangt durch eine Oeffnung eines
Brunnens in dasſelbe, wo in einer Tiefe von 15 Fuß
eine Oeffnung, die früher mit einer Thür geſchloſſen zu
ſein ſcheint. Hier iſt gleichfalls ein großes Gemach von
etwa 20 Fuß Länge und 15 Fuß breit, in deſſen Mitte
ſich ein ähnlicher Block, wie die früher beſchriebenen be-
findet. Mehrere Grabmäler befinden ſich an den Wän-
den, und am Ende des Gemachs befindet ſich die fol-
gende ſehr verwitterte und theilweis zerſtörte Inſchrift:
– 136 –
Not
N ITO
BIXITINPAC
PACEMANIST ACV
ATIO POSITAE
INHO CAOCO RECOR
Vom Dach der Kathedrale hat man eine weite
Ueberſicht über die Inſel. Die teraſſenförmige Anlage
der Felder erlaubt dem Auge kaum etwas anderes als
Mauern und Steine zu erblicken, denn ſelbſt wenn die
Felder grünen, ſind ſie hinter den Scheidewänden ver-
borgen, ebenſo zeigen die niedrigen Orangen, Myrthen,
Oliven, Feigen oder Cactusſträucher kaum ihre Spitzen
über denſelben. Noch nie habe ich ein Land geſehen, das
ſo ſehr ausſieht, als ſei es in der Karlsbader Sprudel-
quelle incruſtirt worden.
Dicht an der Kathedrale befindet ſich der Palaſt des
Biſchofs, nebſt dem theologiſchen Seminar.
Am Tage meines Beſuches wurde das Madonnenfeſt
begangen, die Kirchen waren feſtlich geſchmückt, die Stadt
am Abend illuminirt, und auf der Esplanade brannte
man ein Feuerwerk ab. Eine fröhliche Menge hatte ſich
daſelbſt verſammelt oder langte aus der Umgegend an.
Die Inſtrumentalmuſik beſtand aus Tambourins, ver-
ſchiedenen Guitarren oder Zithern mit zwei, drei oder
vier Seiten und dem aus der Haut eines Hundes,
Schweines oder einer Ziege gebildeten Dudelſack mit
– 137 –
einer einzigen Pfeife. Die Geſänge wurden theils Solo,
theils in Chören ausgeführt, die ſich manchmal gegen-
ſeitig antworteten. In der Sprache machten ſich außer-
ordentlich viel Gutturaltöne hörbar, an die Beimiſchung
des Arabiſchen erinnernd; in der That hat die arabiſche
Sprache mehr Beiträge zu dem gegenwärtigen Dialect
geliefert, als die italieniſche, und in einigen Diſtricten
ſoll ſie ſogar ziemlich unverwiſcht geblieben ſein. Auf
der benachbarten Inſel Gozo in Caſa Gharba, wird ein
Dialect geſprochen, den man Braick nennt, und der in
anderen Theilen der Inſel, ſowie in Malta nicht ver-
ſtanden wird; ich habe nicht Gelegenheit gehabt, den-
ſelben zu hören, doch ſoll derſelbe nicht dem Hebräiſchen
gleichen, das hier auch Braick genannt wird.
Die ſüdliche Küſte Malta's enthält viele intereſſante
Punkte, die die Mühe einer kleinen Excurſion reichlich
belohnen. In weſtlicher Richtung unweit Citta Notabile,
befindet ſich ein kleines Thal Emtahleb genannt, das durch
die umgebenden Hügel vor den rauhen Winden geſchützt
und von einem kleinen Bach bewäſſert, das Auge durch
ein friſches Grün und eine Ausſicht auf die See erlabt,
während eine natürliche Grotte mit einer Quelle friſchen
klaren Waſſers einen willkommenen kühlen Ruhepunkt
bildet, der oft zu Pic-nic Partieen benutzt wird. Eine
andere ſehr beliebte Gegend iſt Boſchetto, zwei Miles
ſüdlich von Citta Notabile. Ein tiefes weites Thal iſt
zum Theil mit Gartenanlagen ausgefüllt, die künſtlich
– 138 –
bewäſſert, inmitten der öden Steinwüſte von einer üppigen
Vegetation bedeckt ſind. Eine geräumige künſtliche Grotte,
gleichfalls eine Quelle vorzüglichen Waſſers enthaltend,
iſt mit einem ſteinernen Tiſch und Bänken verſehen und
wird gleichfalls oft zu kleinen fêtes champêtres benutzt.
Auf dem Hügel über dem Garten, Monte Verdale benannt,
befindet ſich ein vom Großmeiſter gleichen Namens er-
bauter Palaſt, und ein wenig weiter ſüdlich auf einem
Hügel, von dem man eine liebliche Ausſicht auf das Thal
hat, ſteht der zweite Palaſt, der früher vom Inquiſitor
zum Sommeraufenthalt benutzt ward. Von einer Quelle
im nahen Thale wird dieſer Diſtrict Ain-il Kbira benannt,
Verfolgt man ſeinen Weg weiter nach Caſal Crendi,
ſo ſtößt man unvermuthet inmitten einer ſteinigen öden
Region auf einen Thalkeſſel von etwa 350 Fuß lang,
200 Fuß breit und 130 Fuß tief, einen Garten voll der
verſchiedenartigſten Fruchtbäume enthaltend. Die beinahe
ſenkrechten Felswände, denen entlang ein treppenartiger
Pfad in die Tiefe führt, deuten darauf hin, daß dieſe
Vertiefung durch eine bedeutende Convulſion der Erde
erzeugt worden ſein muß, vielleicht das Einſtürzen einer
unterirdiſchen Höhle („Macluba“ bedeutet umgeſtürzt), und
unter den Eingeborenen lebt noch eine alte Sage, daß
dieſer Ort früher eine Stadt enthielt, deren Einwohner
durch ihr ſündhaftes Leben gleich jenen von Sodom und
Gomorha den Zorn des Höchſten auf ſich herabgezogen
und ihre Wohnungen das Schickſal der Zelte Dathan's
– 139 –
und Abiram's theilten. Ciantar erwähnt, daß hier vor
Zeiten in einer verfallenen Ciſterne etwas Bitumen ge-
funden ward, dies iſt jedoch gegenwärtig nicht mehr der
Fall. Im Winter während der heftigen Regengüſſe bedeckt
das Waſſer oft den Boden dieſes Keſſels bis an die Aeſte
der Bäume und verläuft ſich im Frühjahr erſt allmählich
durch die Ritzen der Felſen, dadurch die Fruchtbarkeit des
Ortes erzeugend, die auf dieſem trockenen Felſen nur in
ähnlichen Localitäten möglich iſt.
In dieſer Gegend der ſüdlichen Küſte befinden ſich
gleichfalls die früher erwähnten Höhlen von Ghar Haſſan,
in denen ein Saracene dieſes Namens lange Zeit nach
Vertreibung ſeiner Landsleute Zuflucht fand. Der Ein-
gang zu denſelben befindet ſich auf halber Höhe einer faſt
ſenkrechten Felswand gegen die See zu und etwa 200 F.
über der Oberfläche des Waſſers. Man kann dieſelben nur
durch mühſeliges, gefährliches Klettern von oben erreichen.
Das Innere enthält mehrere Abtheilungen, die künſtlich er-
weitert worden zu ſein ſcheinen, und eine gewundene Paſ-
ſage führt zu einem innerſten Gemach, das ſich gegen die
See zu öffnet, ohne wegen der ſteilen Felſen auf eine an-
dere Weiſe zugänglich zu ſein. Der Name Haſſan's wird
in einer in der Inſel gefundenen Inſchrift erwähnt, die
Ciantar in ſeinem Malta Illuſt. Taf. XVII. anführt.
In verſchiedenen Theilen der Inſel befinden ſich
Ueberreſte cyclopiſcher Bauwerke, die wahrſcheinlich der
früheſten Geſchichtsperiode dieſes Volkes angehören. Die
– 140 –
Grabdenkmäler in den Bergen von Bingienna, die mit
den in der Umgegend von Tyrus und Sidon ſo häufig
vorkommenden viel Aehnlichkeit haben, Torretal Giganty
oder der Rieſenthurm auf der Inſel Gozo, ſowie Ruinen
in St. Georges Bai und in Djebel el-Chem in der
Nähe von Crendi hatten alle in der grauen Vorzeit ihren
Urſprung.
Letztere liegen im ſüdöſtlichen Theil der Inſel und
da der amerikaniſche Conſul H. W. Winthrop meine Auf-
merkſamkeit auf dieſelben lenkte, nahm ich Veranlaſſung,
ſie zu beſuchen. Von Valetta aus führt eine ziemlich
gute Straße über Caſſal Luca und Mikabba bis Crendi,
von da läuft ein ſchmaler Fußſteig bis an ein kleines
Wachthaus, und hier iſt man genöthigt, das Pferd zu-
rückzulaſſen und zwiſchen dem mit Felsbrocken beſtreuten
ſteilen Terrain ſeinen Weg zu Fuß fortzuſetzen. Die
Ruinen auf der Spitze eines ſteilen Hügels gelegen,
ziehen bald das Auge auf ſich, durch ihren Umfang,
ihre bizarre Form und die Größe der Felsblöcke, aus
denen ſie beſtehen. Die Situation derſelben dominirt
die umliegenden Hügel.
Da antiquariſche Forſchungen nicht den Zweck dieſer
Reiſe bildeten, ſo fehlte es mir an Zeit und Gelegenheit,
das nöthige Material zu ſammeln, das erforderlich iſt,
um beſtimmte Schlüſſe zu ziehen, und ich mußte mich
deshalb mit der bildlichen Darſtellung und Beſchreibung
begnügen. Obſchon der Boden mit von den Wänden
– 141 –
herabgefallenen Steinbrocken bedeckt iſt, ſo fällt es nicht
ſchwer, die Grundlinien der aus gewaltigen Steinplatten
beſtehenden Gemäuer aufzufinden. Wie der beigefügte
Grundplan zeigt, lagen die Gemächer in zwei parallelen
- zza/.
§
-
Ö
§
SS
S
-
S
S
Reihen. Der jetzige Eingang iſt in A, der in ein ob-
longes Gemach B von mäßiger Größe führt, in deſſen
linker Ecke ſich eine Ciſterne befindet. An den beiden
ſchmalen Seiten dieſes Gemaches befinden ſich zwei halb-
runde Räume CC, von denen der nach Norden gelegene
etwas größer iſt als der ſüdliche. Eine dem Eingange
– 142 –
gegenüberliegende Thür führt nach einer Halle D von
gleicher Breite mit B und der doppelten Länge. In
dieſer ſtehen drei ſteinerne Formen EEE, die entweder
zu Tiſchen oder Altären gedient haben. Der mittlere
derſelben iſt umgeſtürzt, vielleicht ſind auch die beiden
anderen aus ihrer urſprünglichen Lage verrückt, denn
keiner derſelben iſt an dem Fußboden befeſtigt. An der
Nordſeite F iſt wiederum ein mit einem Halbkreis ge-
ſchloſſenes Gemach, größer als die in CC, in dem einige
Stufen zu einer in der Rundung gelegenen Plattform
führen. Ein mit dieſem beinahe correſpondirender Raum
G liegt auf der Südſeite auf derſelben Axe von Bund
CC. Einige kleine Nebengemächer reihen ſich an das
Ganze. Die äußeren Abgrenzungen des Monumentes
verlieren ſich; wahrſcheinlich hat man das Material, aus
dem dieſelben beſtanden, benutzt, um einige in der Nähe
liegenden Felder und Weingärten einzufaſſen, denn die
umherliegenden Felstrümmer eigenen ſich nicht wohl zu
Bauzwecken, während das Mauerwerk aus gewaltigen
Tafeln eines ſchönen feinkörnigen Tuffſteins beſteht. Einige
der Querwände beſtehen aus einer einzigen großen Stein-
platte. Die Oeffnung für die Thür aber iſt durch die
Mitte der Platte geſchlagen. Man findet gleichfalls in
dieſen Thüröffnungen Spuren von den Orten, wo ſich
die Thürangeln und Riegel befunden haben, ob aber
dieſe und ſelbſt die Thüröffnungen ebenſo alt ſind, als
die ganze Structur, iſt ſchwer zu beſtimmen. Das weiche
– 143 –
Material macht es beinahe unmöglich, mit Genauigkeit
darüber zu urtheilen, was für Veränderungen ſpätere
Generationen vorgenommen haben mögen, wenn ſie ſich
der vorhandenen Mauer zu anderen Zwecken bedienten.
In der Thür H befinden ſich im Thürgewände fünf
Löcher, die augenſcheinlich dazu dienten, um Stangen zu
empfangen, die die Thür in horizontaler Lage gitterförmig
ſchloſſen. Dieſe, der geringeren Verwitterung an den
Rändern nach zu urtheilen, ſind neueren Urſprungs,
ebenſo eine Säule I in dem kleinen Gemach, weſtlich von
der Halle D, die zwei gewaltige, das Dach bildende Stein-
platten ſtützt, denn ſie beſteht ausnahmsweiſe aus ver-
ſchiedenen mauerartig aufeinanderliegenden Fragmenten,
deren Bruchkanten noch ziemlich ſcharf ſind. Etwa drei-
ßig Schritt gegen Nordweſten hin findet man Spuren
einiger anderer Gemächer; dieſe, ſowie das Material der
umgebenden neuen Feldmauern deuten darauf hin, daß
der Umfang des Ganzen früher größer war, allein ſpäter
zerſtört worden iſt. Ob das Ganze mit einem Dach ver-
ſehen und auf welche Weiſe dasſelbe gebaut war, iſt
faſt unmöglich mit Genauigkeit zu beſtimmen. Wie aus
einigen noch ſtehenden Mauertheilen erſichtlich, waren die
Mauern viel höher als jetzt, deshalb ſind keine Vertie-
fungen ſichtbar, in denen ſich eine hölzerne Bedachung
geſtützt haben würde, oder Lager, auf denen vielleicht
Gewölbe gefußt hätten, eine einzige ſehr verwitterte Aus-
höhlung iſt in dem großen Block, nahe der Thür H
– 144 –
bemerkbar, allein dieſe kann auch anderer Zwecke wegen
angebracht worden ſein.
Ebenſo ſchwer iſt es zu beſtimmen, zu welchem Zweck
das Ganze diente, ob zur Gottesverehrung, ob zur Be-
feſtigung, ob als Wohnſtätte für Menſchen. Möglicher-
weiſe hat es allen dreien dieſer Beſtimmungen gedient.
Es wäre wünſchenswerth, daß archäologiſche Geſell-
ſchaften dieſe Monumente zum Gegenſtand näherer For-
ſchungen machen wollten, um einiges Licht auf den Ur-
ſprung und Zweck derſelben zu werfen, wenn nicht
bereits viel beſſere Aufſchlüſſe darübere beſtehen, als mir
bekannt ſind.
Zieht man in Betracht, daß die Inſel Malta nur
etwa ein Dritttheil der zu conſummirenden Proviſionen
producirt, ſo ſind die Preiſe der Lebensbedürfniſſe billig
zu nennen. Die Brod- und Hülſenfrüchte, Gemüſe, ſowie
ein vortreffliches Obſt kommen zum großen Theil von
Sicilien, während Schlachtvieh, ſowie Milchkühe, Ziegen
und Schaafe, deren Milch viel zur Bereitung von Käſe
benutzt wird, und Pferde aus den Barbareiſtaaten, beſon-
ders aus Tripolis und Tunis, importirt werden. Weine
aus Sicilien und beſonders Marſalla und ein etwas
herber ölig aber angenehm ſchmeckender Rothwein ſind
billig, etwa zwei bis drei Silbergroſchen die Flaſche.
Arbeitslöhne ſind gleichfalls nicht hoch, für 1 bis 3 Schil-
linge, 10–20 Sgr. kann man gewöhnliche Tagelöhner
miethen, Bootführer erhalten pro Stunde six pence d. i.
– 145 –
5 Sgr. für je zwei Mann. Reitpferde koſten 5 Schilling
p. diem. (1 Thlr. 10 Sgr.) Kaleſchen etwa denſelben
Preis und bedeckte Wagen mit zwei Pferden 8 Schilling.
(2 Thlr. 10 Sgr.) Die niederen Klaſſen führen ein ſehr
frugales Leben; ein Puddingsartiges den Maccaroni von
Neapel nicht unähnliches Gericht aus Mehl, Waſſer und
etwas Fett, große rothe Bohnen mit etwas Fett, ſelten
ein Stück Fleiſch und zu Zeiten ein Glas jener billigen
Weine bilden die ganze Speiſekarte, die keine große Ans-
lagen erfordert. Viele der Handarbeiter leben mit ihren
Familien auf dem Lande, wo ſie entweder kleine Hütten
ſelbſt beſitzen oder für ein Billiges miethen. Während
der Woche, wo die Männer in der Stadt ihrem Erwerb
nachgehen, ſchlafen dieſelben, wie bereits erwähnt, im
Gaſthof zum blauen Himmel. Die Kleidung macht gleich-
falls keine großen Anſprüche auf die Börſe des Malteſer,
ein grobes Hemd und eine dito Hoſe, eine gewirkte wol-
lene Mütze in einen viereckigen, oft bis auf die Mitte
des Rückens herabhängenden Sack endigend, der in der
Regel dazu dient allerlei Kleinigkeiten, wie Taback, Pfeife,
etwas Geld, ein Päckchen Karten, auch wohl einige Lebens-
mittel darin aufzubewahren, und eine Schärpe um den Leib,
die, wenn aus baumwollenen Stoff gemacht, terha, wenn
aus Seide, bushacca genannt wird, bilden das Coſtüm
der Männer, dem vielleicht bei Galla-Gelegenheiten
eine ſeidene Weſte (sedria) hinzugefügt wird, die meiſt
mehrere Reihen ſilberne Knöpfe, manchmal aus Münzen
10
– 146 –
beſonders Viertel-Dollars beſtehend, enthält. Das Haar
wird in der Regel kurz geſchoren mit Ausnahme zweier
Locken, die an den Schläfen herabhängen.
Schuhleder wird von beiderlei Geſchlechtern, nicht in
ſehr hohem Grade patroniſirt, in den meiſten Fällen geht
man baarfuß, wenn nicht etwa ein Dorfſtutzer ſich den
Luxus eines Paares Sandalen erlaubt, die aus einem
Stück ungegerbten Leders von der Form der Fußſohle
mit vier Löchern, um zwei Riemen darin zu befeſtigen,
beſteht. Als Illuſtration, wie wenig die Schuhmacher-
rechnungen der geringen Klaſſen betragen mag, dient eine
Anecdote, die man hier erzählt. Zwei Frauen aus einem
Dorfe nach der Stadt gehend, legten ihren beſten Staat
an. „Wie lange haben ſie ihre Schuhe ſchon Gevatterin“
fragte die Eine. „Seit der Zeit, wo wir die Peſt hatten“
(1813) lautete die Antwort. „Ach“ erwiederte die Erſte
„die meinigen ſind viel älter, denn ich kaufte ſie während
der Blockade der Franzoſen.“
Die Frauen von Malta könnten einen Fremden leicht
zu dem Glauben verleiten, die ganze Inſel ſei von Nonnen
bewohnt, denn ihre Kleidung ähnelt der der frommen
Schweſtern ſehr. Ueber einem Leibchen von Seide oder
Colico wird ein Rock von ſchwarzer Seide gebunden.
Ein anderes Stück desſelben Stoffes wird an einem Ende
in enge Falten gezogen, die ſich in der Mitte um ein
dünnes Stückchen Fiſchbein reihen, das über der Stirn
einen Halbkreis bildet. Das Ganze „Onnella“ benannt
– 147 –
wird über den Kopf getragen, der linke Arm ganz in das-
ſelbe eingewickelt, während der rechte einen Zipfel des
Tuches faßt und durch Verſchieben desſelben, Geſicht
und Hals entweder frei läßt oder gänzlich verhüllt. Das
Ganze ſieht ſehr nett aus, erfordert aber eine ziemliche Ge-
wandheit, um es auf eine graciöſe Weiſe zu tragen, was
jedoch die Malteſinnen ziemlich wohl verſtehen. Die Frauen
der niederen Klaſſen und auf dem Lande tragen dasſelbe
Coſtüm, nur ſubſtituiren ſie geſtreiften Baumwollenſtoff
für die theuere Seide und nennen dann ihren Kopfputz
tshatkawa. Bei feſtlichen Gelegenheiten, wie Hochzeiten,
Kindtaufen 2c. trägt man noch ein anderes Kleidungsſtück
gezuira genannt. Dies iſt ein aus blau und weiß ge-
ſtreiften Baumwollenſtoff beſtehender, in dichten Falten
gelegter Unterrock, an der einen Seite offen, wo er von
einer Anzahl Bänder und Schleifen zuſammengehalten
wird. Darunter trägt man einen anderen kürzeren Rock
der „deil“ genannt wird. Die Onnella iſt jedenfalls
ein Ueberreſt der orientaliſchen Tracht, und oft ſehr kleid-
ſam. Leider ziehen viele Frauen der wohlhabenderen
Klaſſe vor, die weniger graciöſen Moden von Paris und
London nachzuahmen.
VIII.
Rück h | i ck
über
die Urſachen und den Beginn des Krieges
der Amerikaner gegen Tripolis.
Politiſche Verhältniſſe im Mittelländiſchen Meere am Beginn des
Jahrhunderts. – Schwierigkeiten mit den Barbareiſtaaten. – Erſcheinen
eines amerikaniſchen Geſchwaders in Gibraltar. – Blockade des Admirals
von Tripolis. – Die Eſſex nimmt einen feindlichen Kreuzer. – Com-
modore Dale ſchlägt eine Auswechſelung von Gefangenen vor. – Commo-
dore Morris trifft mit einem neuen Geſchwader zur Ablöſung ein. –
Fehlerhafte Ausrüſtung desſelben. – Gefecht der Conſtellation gegen
feindliche Kanonenboote. – Hinderniſſe und Verzögerungen thätiger Ope-
rationen. – Die John Adams nimmt die Meſhboha. – Commodore
Morris treibt elf feindliche Kauffahrer in Alt-Tripolis ans Ufer. –
Lieutenant Porter ſteckt dieſelben in Brand und wird verwundet. –
Capitain Rodgers und Lieutenant Hull zerſtören einen feindlichen Kreuzer.
– Commodore Morris wird zurückberufen. – Commodore Preble über-
nimmt das Commando. – Capitain Bainbridge nimmt die Meſhboha
und befreit die amerikaniſche Brigg Celia. – Commodore Preble ſtellt
das gute Einvernehmen zwiſchen Marocco und den Vereinigten Staaten
wieder her.
Ehe wir uns dem Ziele meiner Reiſe in Tripolis nähern
und den Schauplatz des Seekrieges der Amerikaner gegen
die Piraten beſuchen, erſcheint es nöthig, die Ereigniſſe,
die dieſem Kriege unmittelbar vorangingen und ihn herbei-
führten in der Kürze zu erwähnen.
Bald nachdem die Vereinigten Staaten von Nord-
amerika ihre Unabhängigkeit erlangt hatten und als
ſelbſtſtändiger Staatenverband anerkannt worden waren,
ſchloſſen dieſelben mit allen Handeltreibenden Nationen
Handelsverträge ab. Zu Ende des vergangenen Jahrhun-
derts waren beinahe alle europäiſchen Nationen in Kriege
gegen einander verwickelt, beſonders war das mittellän-
diſche Meer faſt täglich Zeuge blutiger Kämpfe. Die ver-
ſchiedenen Staaten von Marocco, Algier, Tunis und Tri-
polis waren zu verſchiedenen Perioden durch die chriſtlichen
Mächte vermittelſt kriegeriſcher Expeditionen ſowohl, als
auch durch Beſtechung einzelner Machthaber endlich dahin
gebracht, gegen Bezahlung eines gewiſſen Tributs ihre
Feindſeligkeiten einzuſtellen. Dies Uebereinkommen war
vielleicht zu keiner Zeit ſehr ſtreng beobachtet worden, und
– 152 –
da durch die oben erwähnten Zuſtände die moraliſchen
Bande zwiſchen den verſchiedenen Nationen ſehr gelockert
waren, ſo machten ſich die Piraten der Berberei dies zu
Nutze, um den beſten Vortheil daraus zu ziehen. Der
Abſchluß der Handelsverträge war, wie üblich, von
Seiten der amerikaniſchen Staaten mit Geſchenken be-
gleitet worden, die nach Verhältniß der Macht und des
Einfluſſes der verſchiedenen Regierungen größer oder ge-
ringer ausgefallen waren.
Im Jahre 1800 war der Paſcha von Tripolis,
Juſſuf Caramelli, durch ſeinen Bruder Hamet vom
Throne geſtoßen worden, und dieſer letztere, unzufrieden
damit, daß er weniger als die Uebrigen erhalten hatte,
fing an, mit ziemlich unverſchämten Forderungen aufzu-
treten. Mit den übrigen Staaten der Berberei fingen
die Verhältniſſe gleichfalls an ſich zu verwickeln, Algier
beſchwerte ſich, und der Kaiſer von Marocco, obſchon
er noch nicht entſchieden auftrat, fing an ſchwierig zu
werden. Zuletzt erklärte der Paſcha von Tripolis, daß,
wenn man ihm innerhalb ſechs Monaten nicht eine be-
deutende Summe auszahlte, er den Krieg erklären würde,
und da man von dieſer Drohung keine Notiz nahm,
ließ er am 14. Mai 1801 die vor dem Conſulat in
Tripolis befindliche Flagge niederreißen und erklärte da-
durch den Krieg.
So ſchüchtern und zaghaft zu jener Zeit die Politik
der jungen Republik gegen die Berbereiſtaaten war, und
– 153 –
ſo unwürdig die Haltung aller übrigen chriſtlichen Na-
tionen gegen dieſelben, ſo ſträubte ſich dennoch der Na-
tionalſtolz zu ſehr gegen ſolche unwürdige Behandlung,
um ſich ohne Widerſtand zu unterwerfen, und noch ehe
die Nachricht von dieſer letzten Beleidigung in Amerika
anlangte, hatte man bereits beſchloſſen, ein Geſchwader
gegen Tripolis auszurüſten.
Das nach dem mittelländiſchen Meere zu entſendende
Geſchwader beſtand aus folgenden Schiffen: der Prä-
ſident 44, Capitain J. Barron; Philadelphia 38, Ca-
pitain S. Barron; Eſſex 32, Capitain Bainbridge und
Enterpriſe, 12 Kanonen, Lieutenant Sterrett. Den Ober-
befehl über das Geſchwader führte Capitain Dale, der
ſein Pennon auf der Fregatte Präſident hißte und von
Hampton rouds, Virginien, wo ſich die Schiffe verſam-
melt hatten, ſegelten ſie an den Ort ihrer Beſtimmung.
Am 1. Juli ankerte das Geſchwader in Gibraltar,
wo man den Admiral von Tripolis, einen Renegaten,
Namens L'Isle, in einem Schiff von 26 Kanonen, be-
gleitet von einer Brigg von 16 Kanonen vorfand. Das
rechtzeitige Erſcheinen der amerikaniſchen Escadon ver-
hinderte dieſe zwei Schiffe, in den atlantiſchen Ocean
zu entkommen, wo ſie dem Handel des Landes empfind-
liche Verluſte zugefügt haben möchten. Obſchon der Ad-
miral den Kriegszuſtand in Frage ſtellte, ſo traute dennoch
Commodore Dale dem Zuſtand der Dinge nicht, die
Eſſex ward entlang der Nordküſte geſendet, um die ameri-
– 154 –
kaniſchen Handelsſchiffe zu verſammeln und zu convoyiren,
die Philadelphia blieb in den Straßen von Gibraltar,
um die beiden Tripolitaner zu beobachten, während der
Präſident und die Enterpriſe nach Algier ſegelten, letzteres
Schiff ward jedoch durch andere Ereigniſſe verhindert,
das Flaggenſchiff bis zu dieſen Hafen zu begleiten.
Das Erſcheinen eines ſolchen großen Schiffes in Al-
gier und Tunis übte einen ſehr beruhigenden Einfluß
auf die erregten Gemüther dieſer beiden Fürſten, und
Mr. O'Brian, der amerikaniſche Conſul, verſicherte, daß
das rechtzeitige Erſcheinen des Geſchwaders im mittel-
ländiſchen Meere mehr dazu beigetragen habe, den Frieden
aufrecht zu erhalten, als wenn der George Waſhington,
ein Schiff, daß die Geſchenke überbringen ſollte, früher
eingetroffen wäre.
Am 1. Auguſt auf dem Wege nach Malta traf die
Enterpriſe 12, Lieutenant Sterret, mit einem Pollacre-
mäßig betakelten Schiffe aus Tripolis von 14 Kanonen
und 80 Mann zuſammen, der den amerikaniſchen Kauf-
fahrteifahrern nachſtellte; das Gefecht fvard auf Piſtolen-
ſchußweite begonnen und dauerte drei Stunden, an deren
Ende ſich der Türke ergab.
Während des Kampfes ſtrich der Feind dreimal, be-
gann aber ſein Feuer ſtets von Neuem, wenn er dachte
die Amerikaner unvorbereitet zu finden. Irritirt über
dieſe Hinterliſt begann die Enterpriſe ihr Feuer von
Neuem, um den Feind zu ſenken, als der türkiſche Ca-
– 155 –
pitain ſich zeigte, ſeine Flagge in die See warf und ſich
niederbeugend, durch Zeichen ſeine Unterwerfung andeutete,
worauf das Feuer eingeſtellt ward.
Der Name des erbeuteten Schiffes war Tripolis, der
des Rais oder Befehlshabers Mahomed Sous.
Obſchon die Türken Muth oder beſſer Deſperation
zeigten, ſo machte dieſer erſte Kampf mit ihren trans-
atlantiſchen Feinden ihnen doch wenig Ehre als geſchickte
Seeleute. Die Enterpriſe beſtrich den Feind mehrmals
der Länge nach, und das Reſultat zeigte die ſchrecklichen
Folgen davon. Der Corſar war ein Wrack, funfzig ſeiner
Leute getödtet und verwundet, während die Enterpriſe
ſelbſt in Segeln und Maſten nur wenig beſchädigt war
und keinen Mann verlor. -
Da Lieutenant Sterret durch Inſtructionen verhindert
war, die Priſe mit ſich zu nehmen, ſo begnügte er ſich,
den Armament über Bord zu werfen, und nachdem die
Verwundeten verbunden worden waren, ließ man das
feindliche Schiff frei, das erſt nach geraumer Zeit Tri-
polis erreichte. Dem unglücklichen Rais ward ein übler
Empfang zu Theil, ſeine Wuuden ſchützten ihn nicht, er
ward auf einem Eſel durch die Straßen paradirt, und
erhielt die Baſtonade. Augenſcheinlich ſollte dieſe ſtrenge
Strafe die übrigen Corſaren zu größerem Heldenmuthe
aneifern, allein das Reſultat war ein ſehr verſchiedenes,
denn unter den Seeleuten verbreitete ſich ein ſolcher
paniſcher Schrecken, daß es ſchwer ward, genug Leute
für die Kreuzer zu finden, die man damals ausrüſtete.
Obſchon der Krieg drei Jahre währte und ſpäter ſehr
animirt ward, wagten ſich doch wenig Corſaren während
desſelben aus dem Hafen, oder wenn ſie es thaten, ſo
waren ſie ſtets ſo vorſichtig, ſich nicht weit vom Lande
zu wagen.
Der Präſident erſchien am 24. Auguſt vor Tripolis,
ein Verſuch, Verhandlungen anzuknüpfen, ſchlug fehl, und
da während achtzehntägiger Blockade des Hafens keine
beſondere Thätigkeit in demſelben wahrzunehmen war,
ſo ſegelte Commodore Dale entlang der Küſte, dann
aber nach Malta, um Waſſer einzunehmen. Zurückkehrend
ward ein türkiſches Schiff aufgebracht, das die Blockade
zu brechen beabſichtigte, und am Bord desſelben fand
man zwanzig tripolitaniſche Soldaten nebſt einem Officier
und zwanzig anderen Unterthanen des Paſchas. Durch
Vermittelung des Herrn Niſſen, däniſchen Conſuls, eines
Mannes, der während des Krieges durch ſein wohl-
wollendes menſchenfreundliches Benehmen ſich hohe Ver-
dienſte erwarb, verſuchte man, dieſe Gefangenen gegen
Amerikaner auszuwechſeln, die an Bord von Kauffahrern
den Türken in die Hände gefallen waren. Der Paſcha
erklärte, daß er nicht einen Amerikaner gegen alle Sol-
daten austauſchen wolle, zeigte ſich jedoch ſpäter bereit,
für die Soldaten drei Amerikaner und ebenſo viel für
acht der Kaufleute geben zu wollen. Die Uebrigen er-
kannte er nicht als ſeine Unterthanen. Commodore Dale
– 157 –
drückte ſeinen Unwillen über dieſen unwürdigen Handel
aus, nahm aber zuletzt die drei Amerikaner für die Sol-
daten, während er die Kaufleute als Non-Combattanten
frei ließ.
- Später fand der Commodore es nöthig nach Gibraltar
zu ſegeln und die Eſſex ſetzte die Blockade fort.
In der Zwiſchenzeit waren die beiden Corſaren in
Gibraltar, die zu eifrig bewacht wurden, um ein Ent-
kommen möglich zu machen, abgetakelt, ihre Mannſchaften
aber heimlich in Booten nach Tetuan übergeſetzt worden,
um den Weg nach ihrer Heimath auf die beſtmöglichſte
Weiſe ſortzuſetzen, und man hatte nur eben genug Leute
zurückbehalten, um die Schiffe ſegeln zu können, ſollte ſich
ſpäter Gelegenheit zum Entkommen finden. Der Paſcha
beſchwerte ſich laut über dieſe Blockade und die Regierung
von Tunis und Algier waren bereit, ihn darin zu unter-
ſtützen, letztere ging ſelbſt ſo weit, Päſſe für die Mann-
ſchaft zu verlangen, die jedoch verweigert wurden.
Commodore Dale's Geſchwader ſollte am 1. December
abgelöſt werden, deshalb ſegelte er in ſeinem Schiff und
der Entrepriſe heim, ließ aber die Eſſex in den Straßen
von Gibraltar zurück, um die Corſaren zu blockiren, wäh-
rend die Philadelphia die Küſte von Tripolis bewachte,
und von Zeit zu Zeit in Syracus, Sicilien, die nöthigen
Vorräthe einnahm.
Als der Präſident und die Enterpriſe in den Ver-
einigten Staaten anlangten, und zugleich die, ſich nur
– 158 –
ein Jahr erſtreckende Dienſtzeit der Mannſchaft der beiden
anderen im mittelländiſchen Meer zurückgebliebenen Schiffe
ihrem Ende nahte, bereitete man ſich vor, ein anderes
Geſchwader abzuſenden, die Dienſtzeit der Mannſchaften
aber ward auf zwei Jahre feſtgeſtellt. Die folgenden Schiffe
rüſteten ſich nun, um zur See zu gehen: Cheſapeake 38,
Capitain Chauncey; Conſtellation 38, Capitain Murray;
New-A)ork 36, Capitain James Barron; John Adams 28,
Capitain Rodgers; Adams 28, Capitain Campbell und
Enterpriſe 12, Lieutenant Sterret. Commodore Morris
führte den Oberbefehl über dieſes Geſchwader, da aber
nicht alle Schiffe zugleich mit ihrer Ausrüſtung fertig
wurden, ſo ſegelten ſie zu verſchiedenen Perioden an den
Ort ihrer Beſtimmung ab. Die Enterpriſe im Februar,
die Conſtellation im März, die Cheſapeake im April, die
Adams im Juni, die beiden letzten Schiffe aber erſt im
September. Für eine kurze Zeit fand ſich noch die Boſton,
Capitain Niel im mittelländiſchen Meer, der Mr. Robert
R. Livingſton, als Geſandten nach Frankreich gebracht
hatte. Der Officier, der dieſes Schiff befehligte, gefiel
ſich in allerhand Excentricitäten, ſegelte von Hafen zu
Hafen, ſeine Vorgeſetzten ſtets ſorgfältig vermeidend und
gelegentlich Kauffahrteifahrer convoyirend. Nach der Rück-
kehr in die Vereinigten Staaten trat dieſer Officier in
den Ruheſtand.
An Commodore Morris wurden vom Congreß die
ausgedehnteſten Vollmachten ertheilt und Mr. Cathcart,
– 159 –
früher Conſul in Tripolis war ihm zu dieſem Zweck bei-
geſellt worden. In Betracht jedoch, daß der Paſcha von
Tripolis nur durch ſtrenge Blockade und Bombardements
dahin gebracht werden konnte ſein hochmüthiges Benehmen
etwas zu mildern, hatte man in der Ausrüſtung dieſes
Geſchwaders mehrere weſentliche Irrthümer begangen.
Keine der Fregatten hatte lange Kanonen größeren Ca-
libers als 18 Pfund, ebenſo fehlte es an Bombarden für
Mörſer. Man hatte zwar eine Menge ſchwerer Carronaden
am Bord von mehreren der Schiffe, allein dieſe ließen ſich
nicht mit Erfolg gegen Feſtungswerke verwenden, denen
man ſich wegen der vielen davorliegenden Felſenriffe nur
bis auf eine gewiſſe Entfernung nähern konnte.
Gleicherweiſe wurde der Mangel an kleinen Schiffen
bei der Blockade eines Hafens wie Tripolis ſehr fühlbar,
denn mit Ausnahme der Enterpriſe waren alle übrigen
Schiffe Fregatten. Später ſuchte man dieſen Uebelſtand
durch den Bau verſchiedener leichter Schiffe abzuhelfen,
allein dieſelben zu vollenden, erforderte geraume Zeit, und
ſie konnten deshalb erſt zu einer viel ſpäteren Periode am
Kriege Theil nehmen.
Als die Enterpriſe und Conſtellation im Mai vor
Tripolis anlangten, fanden ſie daſelbſt eine ſchwediſche
Fregatte vor, die an der Blockade Theil nahm, denn
Schweden hatte zu jener Zeit gleichfalls Schwierigkeiten
mit dem Paſcha, die jedoch im Laufe des Sommers be-
ſeitigt wurden.
– 160 –
Bald nach der Ankunft hatte eines Tages die Con-
ſtellation 8–10 Miles von der Stadt beigelegt, als man
in weſtlicher Richtung verſchiedene kleine Fahrzeuge be-
merkte, die dicht an der Küſte ſegelnd den Hafen zu er-
reichen ſuchten. Der Wind war leicht, die ſchwediſche Fre-
gatte zu weit entfernt, um derſelben Signale zu machen,
allein die Conſtellation ſetzte alle Segel und gegen Mittag
erkannte man die Fremden als ſiebzehn Tripolitaner Ka-
nonenboote, die aus der Stadt geſegelt waren, um eine
amerikaniſche Priſe, die man in Tunis erwartete, zu con-
voyiren. Als die Conſtellation ſich dem Lande näherte,
friſchte der Wind etwas, und man begann zu hoffen, daß
ſich Gelegenheit bieten würde den Feind ganz oder theil-
weiſe abzuſchneiden. Die Kanonenboote waren in zwei
Diviſionen abgetheilt, deren erſte, windwärts rudernd,
entkam, die zweite jedoch, aus zehn Fahrzeugen beſtehend,
war weniger glücklich, und es gelang der Conſtellation
dieſelben während einiger Zeit unter ihr Feuer zu bringen,
Der Wind wehte gerade von der Richtung her, in
welcher die Stadt lag und die Tripolitaner ſuchten vor
der Fregatte vorüber zu rudern, allein Capitain Murreh,
der mittlerweile bis in zehn Faden Waſſer geſegelt war,
eröffnete das Feuer; es gelang ihm, mit Ausnahme
eines einzigen, alle Boote abzuſchneiden, und er zwang
dieſelben, ihres Widerſtandes ungeachtet, hinter den Felſen
der Küſte einen Zufluchtsort zu ſuchen, wohin die Fregatte
nicht folgen konnte. Da mittlerweile auf den Sandhügeln
– 161 –
über denſelben zahlreiche Reiterſchaaren ſichtbar wurden, ſo
ſchien es nicht rathſam die Boote gegen eine ſolche Ueber-
macht zu entſenden, zumal der Schwede nicht zeitig genug
eintreffen konnte, um an dem Gefecht Theil zu nehmen.
Dies war die erſte Action, die während dieſes Krieges
Angeſichts des Hafens ſtattfand; die Kanonenboote, ſo-
wie die Reiter litten weſentlich, und man ſagte, daß
unter letzteren ein Officier von hohem Rang, ein Ver-
wandter des Paſcha's getödtet worden ſei, die genaue
Anzahl der Getödteten und Verwundeten iſt jedoch nie
genau bekannt geworden.
Die Conſtellation war etwas in Sparren und Segeln
beſchädigt, verlor aber keinen Mann, denn die Boote
wurden ſo heftig verfolgt, daß ihr Feuer dadurch unſicher
wurde. Die Batterien der Stadt eröffneten ihr Feuer
gleichfalls, allein ihre Geſchütze konnten das Schiff nicht
erreichen. Mangel an Waſſer nöthigte ſpäter Capitain
Murray nach Malta zurückzuſegeln, und für kurze Zeit
befand ſich wieder Tripolis ohne feindliche Streitmacht
davor.
Die Cheſapeake Capitain Chauncey, das Flaggenſchiff
von Commodore Morris, langte am 20. Mai in Gibraltar
an, wo ſie die Eſſex 32, Capitain Bainbridge vorfand,
die immer noch die beiden im Hafen befindlichen Tripo-
litaner blockirte. Dieſes letztere Schiff wurde heimgeſandt,
und die Cheſapeake nahm ſeine Stelle ein, um ſowohl
den Feind zu bewachen, als auch einigen Schaden in
11
– 162 –
Maſten und Sparren, den dieſelben in einem Sturm
erlitten, auszubeſſern. Da die Regierung Marocco's
neuerdings wieder ſchwierig zu werden begann, ſo ergriff
Commodore Morris gleich nach Ankunft der Adams 28,
Capitain Campbell, Gelegenheit in Geſellſchaft der Enter-
priſe ebenſowohl die Bewegungen des Feindes zu beob-
achten, als auch verſchiedene Kauffahrer nach Häfen der
Nordküſte zu convoyiren. Dieſe langen Verzögerungen,
ehe alle Schiffe eingetroffen waren, machten es unmöglich
vor Eintritt der ſtürmiſchen Jahreszeit etwas Entſchei-
dendes zu unternehmen. Der Fehler lag aber mehr auf
Seiten der Behörden, die die Ausrüſtungen daheim zu
betreiben hatten, als auf Seiten des Commandanten des
Geſchwaders, da die verſchiedenen Verzögerungen in Gi-
braltar durch die Umſtände hervorgerufen wurden. Erſt
im Januar 1803 trafen die Cheſapeake 38, New-A)ork 36,
John Adams 28 und Enterpriſe 12, in Malta ein, von
wo man am 30. Januar nach Tripolis ſegelte. Ein hef-
tiger eilf Tage dauernder Sturm nöthigte das Geſchwader
erſt in Tunis, dann in Algier Zuflucht zu ſuchen, und
am 23. März ankerten alle Schiffe wiederum in Gibraltar.
Als Grund, weshalb das Geſchwader anſtatt vor
Tripolis zu erſcheinen, nach Gibraltar zurückkehrte, gab
Commodore Morris die Schwierigkeit an, ſich die nöthigen
Proviſionen zu verſchaffen, als auch die Nothwendigkeit,
gewiſſe vom Navy-Departement befohlene Veränderungen
vorzunehmen, und ſo kam es, daß am 3. Mai die John
– 163 –
Adams wieder vor Tripolis erſchien, wo ſie alsbald ein
Schiff caperte, das ſich als die Meſhboha erwies, einer
der Corſaren, die ſo lange in Gibraltar blockirt worden,
ſpäter an den Sultan von Marocco verkauft, von ihm
nach Tunis geſchickt und jetzt unter einem angenommenen
Namen nach Tripolis entwiſchen wollte.
Gegen Ende des Monats erſchien Commodore Morris,
begleitet von der Adams und Enterpriſe. Als ſich das
Flaggenſchiff der Küſte näherte, bemerkte man eine Anzahl
kleiner Fahrzeuge, von einer Menge Kanonenboote con-
voyirt, man machte ſogleich Jagd, trieb die Kanonenboote
in die Stadt, während die elf Kauffahrer im Hafen von
Alt-Tripolis Zuflucht ſuchten, wo dann der Feind Anſtalt
machte, ſie zu vertheidigen. Ein großes ſteinernes Ge-
bäude, auf einem Felſen nur 12 bis 15 Fuß vom Ufer
gelegen, ward von einer ſtarken Truppenmacht beſetzt,
man errichtete aus den Waizenſäcken, mit denen die Fe-
luccas beladen waren, Bruſtwerke, die von den fort-
während eintreffenden Verſtärkungen bemannt wurden,
und die Schiffe ſelbſt brachte man auf dem Ufer in
Sicherheit.
Mr. Porter, der erſte Lieutenant des Flaggenſchiffes,
erbot ſich, mit den Booten des Geſchwaders in der
Nacht die feindlichen Boote zu zerſtören, allein der Com-
modore, der ſeine Leute nicht in der Dunkelheit blosſtellen
wollte, entſchied ſich dahin, daß Tagesanbruch abgewartet
werden ſolle, wo die Schiffe am Gefecht Theil nehmen
– 164 –
und die Boote decken könnten. Nichtsdeſtoweniger und
ungeachtet des heftigen Feuers der Türken recognoſcirte
Mr. Porter noch in der Nacht die Stellung.
Am nächſten Morgen fand der Bootsangriff unter
Befehl von Lieutenant Porter und Lieut. James Lawrence
von der Enterpriſe ſtatt; trotz der Uebermacht der Türken,
die ſie mit heftigem Gewehrfeuer empfingen, landeten die
Leute, ſteckten die feindlichen Schiffe in Brand und zogen
ſich in beſter Ordnung zurück. Die beiden Parteien kamen
ſich ſo nahe, daß die Türken Steine nach den Amerikanern
ſchleuderten, von denen 12 bis 15 getödtet und verwundet
wurden. Unter letzteren befand ſich Lieutenant Porter,
der in beiden Schenkeln durch Flintenkugeln verwundet,
nichtsdeſtoweniger bis zuletzt commandirte, Lieut. Lawrence
ſowie Midſhipman John Downes von der New - A)ork
zeichneten ſich gleichfalls ſehr aus.
Commodore Morris verſuchte gleichfalls einen Angriff
auf die Kanonenboote, gegen die Capitain Rodgers in
der John Adams entſendet ward, der leichte Wind er-
laubte dieſem nicht, ſeine Gegner bis hinter die Felſen
zu verfolgen, die ſie mit Hülfe ihrer Ruder erreichten,
und die Nacht machte dem Kampf ein Ende.
Am nächſten Tage verſuchte Commodore Morris
wiederum Verhandlungen anzuknüpfen, in Folge deren
der Paſcha einen ſeiner Miniſter beauftragte, ſich mit
Commodore Morris, der zu dieſem Zweck gelandet war,
in Verbindung zu ſetzen. Jeder der beiden Bevollmäch-
– 165 –
tigten legte die Grundzüge eines Friedensvertrages vor;
die aber ſo wenig übereinſtimmten, daß die Unterredung
ein baldiges Ende fand. Am 10. Juni erhielt der Com-
modore Nachricht über gewiſſe Bewegungen von Algeriner-
und Tunis-Corſaren, die ihn veranlaßten, nach Malta
zurückzukehren, von wo aus er an Capitain Rodgers in
der Adams Befehl ſandte, die Blockade zu ſuspendiren
und ſich ſo ſchleunig als möglich mit ihm zu vereinigen.
Ehe aber dieſer Officier den Befehl ausführen konnte,
gelang es ihm, dem Feinde einen erheblichen Verluſt
beizufügen. -
Eines Tages, ungefähr ſieben Uhr Morgens, ſignali-
ſirte die dem Ufer nahe befindliche Enterpriſe, der John
Adams: „Ein Feind in Sicht“, um acht Uhr, als beide
Schiffe ſich auf Sprachweite genähert hatten, fand Ca-
pitain Rodgers, daß ein großes dem Paſcha gehöriges
Schiff in einer engen tiefen Bai etwa 15 Miles öſtlich
von Tripolis geankert ſei, und eine zur Vertheidigung
wohlgeeignete ſtarke Stellung einnahm. Zugleich bemerkte
man neun Kanonenboote, vom Hafen aus ſich nähernd,
während wie gewöhnlich eine ſtarke Reiterſchaar ſich längs
der Küſte zeigte, um einem etwaigen Angriff der Boote
Widerſtand zu leiſten. Das Schiff ergab ſich als der
größte von des Paſchas übriggebliebenen Kreuzern, hatte
22 Kanonen und ſchien voller Leute zu ſein.
Capitain Rodgers verdankte dieſe Gelegenheit, den
Feind angreifen zu können, dem Muth und der Geſchick-
– 166 –
lichkeit Lieutenant Hull's, der jetzt die Enterpriſe com-
mandirte. Bei Tagesanbruch hatte dieſer Officier den
dreifach überlegenen Feind erblickt, und mit einer Ent-
ſchloſſenheit, die ihm die größte Ehre machte, von der
Stadt abgeſchnitten. Hätte letzterer beſchloſſen ihn anzu-
greifen, ſo wäre vielleicht Lieutenant Hull genöthigt ge-
weſen, ſein kleines Fahrzeug zu opfern, um den Feind
zu hindern den Hafen zu erreichen. -
Capitain Rodgers Dispoſitionen waren bald getroffen,
er manövrirte, begleitet von der Enterpriſe, die landein-
wärts einen Standpunkt genommen, bis ſich die John
Adams in halber Kanonenſchußweite vom Feinde befand,
eine ſcharfe Kanonade begann, die 45 Minuten währte,
worauf die Corſaren ihr Schiff plötzlich in ſo großer Eile
verließen, daß viele über Bord ſprangen, um das Ufer
ſchwimmend zu erreichen. Da die John Adams ſich jetzt in
weniger als fünf Faden Waſſer befand, ſo wendete ſie ſich
wieder ſeewärts, die Enterpriſe ward ſignaliſirt, die Feinde
am Ufer in Schach zu halten, und man bereitete ſich vor,
Boote zu bemannen, um Beſitz von der Priſe zu nehmen;
als plötzlich ein Boot nach dem Corſaren zurückkehrte,
begann die John Adams wieder ihr Feuer, wenige Mi-
nuten ſpäter ſtrich der Corſar die Flagge, alle ſeine Ka-
nonen, ſowohl die ſeewärts als die dem Ufer zugekehrten
entluden ſich, und im nächſten Augenblick flog er in
die Luft.
Die Exploſion riß den Rumpf des Tripolitaners in
– 167 –
Stücke, der große und Beſanmaſt mit den Raaen und
allem Tauwerk wurden hoch in die Luft geſchleudert.
Man würde glauben müſſen, daß das Schiff ge-
fliſſentlich in die Luft geſprengt worden ſei, hätte man
das Boot, das zuletzt an Bord ging, wieder ans Ufer
zurückkehren ſehen, allein es iſt auch möglich, daß das
Schiff zufällig Feuer fing, die Mannſchaft, die ſich erſt
in wilder Flucht zu retten ſuchte, zurückkehrte, in ihren
Verſuchen das Feuer zu löſchen aber durch die Exploſion
verhindert ward. Jedenfalls erlitt der Feind bei dieſer
Gelegenheit einen empfindlichen Verluſt.
Beide Schiffe verſuchten nun die Kanonenboote ab-
zuſchneiden, das ſeichte Waſſer aber, vereint mit des
Feindes genauer Bekanntſchaft mit der Küſte vereitelten
dieſes Vorhaben, und die Boote entkamen.
Commodore Morris ward bald darauf zurückberufen
und da die Rechenſchaft, die er über ſein Commando ab-
legte, nicht zufriedenſtellend ſchien, ſo ward er vor ein
Kriegsgericht geſtellt, deſſen Ausſpruch dahin lautete, daß
er während der Dauer ſeines Commandos nicht genügende
Thätigkeit in Verfolgung des Krieges gezeigt habe, und
deshalb entließ ihn der Präſident aus dem Dienſt.
Dieſe Entlaſſung ward vielfach gemißbilligt, denn
ſicherlich lag die Urſache davon, daß der Krieg auf ſo
flaue Weiſe verfolgt ward noch in einer anderen Richtung.
Man bemühte ſich jedoch aus den Vorgängen einigen
Nutzen zu ziehen. Das neue Geſchwader, das man jetzt
– 168 –
nach dem mittelländiſchen Meere abſchickte, beſtand aus
Schiffen, die beſſer geeignet waren den gewünſchten Zweck
zu erfüllen; nämlich Conſtitution 44, Philadelphia 38,
Argus 16, Siren 16, Nantilus 12, Vixen 12 und Enter-
priſe 12, über die Commodore Preble den Befehl führte.
Das letzte Schiff des Geſchwaders langte jedoch erſt am
13. November in Gibraltar an.
Die Philadelphia kaum in Gibraltar angelangt, erhielt
Nachricht, daß zwei Tripolitaner am Cap de Gatt kreuzten,
und Capitain Bainbridge, ohne Zeit zu verlieren, ſuchte
dieſelben auf. In der Nacht des 26. Auguſt entdeckte man
in der Nähe des Cap zwei Segel, deren größtes, ein
Dreimaſter, nur ein Vorſegel führte. Capitain Bainbridge
erfuhr, daß dies die Meſhboha 22, ein dem Sultan von
Marocco gehöriges Schiff, unter Befehl von Ibrahim
Lubarez war und 125 Mann am Bord hatte. Da die
Mauren die Philadelphia für ein engliſches Schiff hielten,
ſo geſtanden ſie, daß das zweite Schiff eine amerikaniſche
Brigg ſei. Capitain Bainbridge's Argwohn ward dadurch
rege, er ſendete einen Officier an Bord der Meſhboha,
der ſich mit Gewalt Zutritt verſchaffen mußte, und man
erfuhr, daß es die Brigg Celia von Boſton ſei, die neun
Tage vorher gecapert war, und deren Capitain und Mann-
ſchaft ſich gefangen am Bord befanden. Es erlitt keinen
Zweifel, daß die Mauren auf andere amerikaniſche Schiffe
lauerten, denn der ganze Handel an der Nordküſte des
mittelländiſchen Meeres führt am Cap de Gatt vorüber.
– 169 –
Es kam jetzt darauf an, herauszufinden auf weſſen
Befehl die Brigg gecapert worden war. Der Befehlshaber
der Mauren ſagte, er habe dieſen Schritt in Erwartung
eines baldigen Krieges gethan, da als er Marocco ver-
ließ eine gefahrdrohende Spannung zwiſchen dem Kaiſer
und dem amerikaniſchen Conſul exiſtirte. Allein man
ſchenkte dieſer unwahrſcheinlichen Erzählung keinen Glau-
ben, und um die Wahrheit zu entdecken, drohte Capitain
Bainbridge ſeinen Gefangenen als Piraten hängen zu
laſſen, wenn er nicht die Commiſſion vorzeige, unter der
er ſegle. Dies hatte die gewünſchte Wirkung und Ibrahim
Lubarez zeigte einen Befehl des Gouverneur von Tangier
vor, alle Amerikaner deren er habhaft werden könne auf-
zubringen.
Sobald Commodore Preble hiervon unterrichtet ward,
fand er es nöthig dieſe Frage mit Marocco zu erledigen,
ehe er weitere Operationen begann, und ſegelte deshalb
am 6. October 1803, mit der Conſtitution 44, New-Y)ork
36, John Adams 28, Nantilus 12, in die Bai von
Tangiers.
In einer Unterredung mit dem Kaiſer zeigte dieſer
Officier jene Umſicht, Entſchloſſenheit und Vorſicht, durch
die er ſich ſpäter in ſo hohem Grade auszeichnete; es
gelang ihm das gute Einverſtändniß zwiſchen beiden Län-
dern wiederherzuſtellen, indem der Kaiſer das Verfahren
des Gouverneurs von Tangier's desavouirte, ein ameri-
kaniſches Schiff, das in Mogadore angehalten worden,
– 170 –
wieder herausgab, und dafür ſeine eigenen Schiffe wieder
zurückerhielt. Dieſe Schwierigkeit beſeitigt, konnte ſich jetzt
Commodore Preble mit aller Energie und Vorſicht den
Vorbereitungen ſeines Feldzuges gegen Tripolis widmen,
und am geeigneten Ort werden wir ihn dort wieder-
finden.
IX.
Die Paſſage nach Tripolis.
Die Gloria Carmeli. – Die Mannſchaft. – Die Paſſagiere. –
Die Verpflegung. – Die Abreiſe. – Windſtille. – Günſtiger Wind. –
Ankunft. – Das Riff von Tripolis. – Die Philadelphia jagt einen
feindlichen Kreuzer. – Geräth auf ein Riff. – Anſtrengungen, das Schiff
flott zu machen. – Erſcheinen feindlicher Kanonenboote. – Erfolgloſer
Widerſtand. – Das Streichen der Flagge unvermeidlich. – Barbariſche
Behandlung der Gefangenen. – Menſchenfreundlichkeit des däniſchen
Conſuls.
Nachdem die Geduldsprobe eines langen Wartens auf
das Segeln des Schiffes glücklich überſtanden, ſteuerte
dann endlich eines ſchönen Morgens die „Gloria Carmeli“
ſo hieß das Fahrzeug, das „Cäſar und ſein Glück“ tragen
ſollte, zum Hafen von Valetta hinaus. Beſagte Gloria
war ein Schooner mit Querſegeln am Vordermaſt von
60 Tonnen, der unter günſtigen Umſtänden, d. h. bei einem
mäßigen Sturm und vor dem Winde etwa 5–6 Knoten
zu ſegeln im Stande war. Der Kiel war nicht mit Kupfer
beſchlagen, da hingegen hatte eine ziemlich zahlreiche Co-
lonie Barnackels und Muſcheln ihren Wohnſitz daſelbſt
aufgeſchlagen, die dem Schiffsrumpf das Ausſehen einer
alten Kleiderbürſte gaben, die einen gefährlichen Anfall
der Blattern überſtanden hat. Dies erhöhte natürlich die
Segelqualität des Schiffes nicht, und gewährte den Vor-
theil bei Seitenwinden für jeden Fuß vorwärts zwei Fuß
leewärts zu treiben. Die Cajüte im Hintertheil enthielt
einen Schreibtiſch für den Capitain und ein Bett, war
aber ſo heiß und ſchmutzig, daß es ein unerträglicher
Aufenthaltsort war, auf dem Deck war im Stern ein
– 174 –
Kaſten ſechs Fuß lang und vier Fuß breit, den beiden
Steuerleuten zum Aufenthalt dienend, angebracht, die
Küche hinter dem Vormaſt gelegen war vier Fuß in jeder
Richtung; brannte das Feuer auf dem Herde, ſo mußte
der Koch hinausgehen und ſeine culinariſchen Operationen
durch die offene Thür vornehmen.
Der Capitain, ein Malteſe, ſprach etwas engliſch,
verſtand durch den Sextanten zu entdecken, wann die
Sonne am höchſten ſtand, folglich Mittag war, und konnte
innerhalb 50 Miles den Ort beſtimmen, wo ſich das
Schiff befand. Chronometer, Formgläſer c. waren nicht
für nöthig erachtet, eine Taſchenuhr im Compaßhäuschen
aufgehangen genügte, ſtatt des Tagebuches diente die Ca-
jütenthür, auf der mit Kreide die nöthigen Bemerkungen
eingetragen wurden. Der Mann am Steuer hatte ein
kleines Brett darauf eine Windroſe mit einem kleinen
Loch am Ende jedes Punktes des Compaſſes, um mittelſt
eines Holzpflöckchens den Cours, den man ſteuern ſollte,
zu markiren. Darüber waren drei Reihen von je acht
Löcher gebohrt, die acht halben Stunden der drei Wachen
bedeutend, die jedesmal wiederum durch ein eingeſtecktes
Pflöckchen angezeigt wurden. Statt der Glocke um die
Stunden anzuſchlagen diente eine hölzerne Klapper.
Die Mannſchaft beſtand nebſt Capitain und den zwei
Steuerleuten aus acht Matroſen und einem Jungen,
theils Malteſern, Sicilianern, Griechen und Tripolita-
nern, die alle Manöver mit vielem Geſchrei und Lärmen
/
– 175 –
ausführten und ungefähr ſoviel Arbeit verrichteten, als
zwei gute Seeleute.
Die Paſſagiere waren eine ältliche Dame aus Kopen-
hagen, die ihrem Sohn, Quarantainearzt in Tripolis
folgte, Herrn Aquilina, brittiſchen Vice-Conſul in Derne
mit ſeinem Sohn und zwei jungen Söhnen von Mrs. D.
aus Tripolis, die die Ferienzeit ihres Gymnaſiums in
Malta, bei ihrer Familie in Tripolis zubringen wollten.
Die kleine Cajüte ward natürlicherweiſe der Dame über-
laſſen, die männlichen Paſſagiere blieben auf dem Verdeck
und bereiteten ihre Betten in dem großen Boot auf dem
Gipfel einer in demſelben aufgehäuften Ladung Stühle,
unter einem Zelt aus Segeltuch. Die Küche beſtand aus
den gewöhnlichen Ingredienzen, aus denen die Küſten-
bewohner des mittelländiſchen Meeres ihre Nahrung be-
reiten, Bohnen, Reis mit etwas ranzigem Oel gekocht,
Salat aus Tomatoes und Zwiebeln mit einigen ranzigen
Oliven, und das ſchlechte lauwarme Waſſer vermiſchte
man mit etwas billigem Wein. Dieſer letztere lag in
einem Faß auf dem Verdeck, bei jeder Mahlzeit tauchte
der Koch ein langes Rohr in das Spundloch, ſaugte das-
ſelbe voll und ließ dann den herausgezogenen Wein in
einen Krug. Natürlicherweiſe konnte er nicht immer die
nöthige Saugkraft ſo genau berechnen, deshalb befand er
ſich den größten Theil des Tages in einem Zuſtand, der
verrieth, daß er mehr als ſeinen Antheil an der Wein-
ration genoſſen. Da ich glücklicherweiſe meine eigenen
– 176 –
Proviſionen mit mir führte und die in Blechbüchſen ver-
ſchloſſenen Speiſen auf einer Spirituslampe wärmte, ſo
war ich dieſer unangenehmen Koſt nicht ausgeſetzt.
Die leichte Süd-Oſt-Brieſe, die uns am Morgen be-
gleitete und mit deren Hülfe wir die Weſtſpitze von Malta
zu doubliren hofften, verließ uns etwa um zehn Uhr des
Vormittags, ehe wir die Paſſage zwiſchen der Inſel Gozo
und Malta erreicht hatten, ſprang nach einiger Zeit gegen
Norden um und mit Ausnahme weniger Puffs, die uns
ſtoßweiſe und in langen Zwiſchenräumen, über die ganze
Strecke, die wir ſeit dem Morgen zurückgelegt, zurück-
trieben, hatten wir Windſtille. In einem kleinen unbe-
quemen Fahrzeug, unter einer heißen Sonne, während
zweier Tage, Angeſichts des Hafens, den man ſoeben ver-
laſſen hat, zu verweilen, und nichts zu ſehen, als in der
Ferne die weißen Häuſer und röthlichen Felder von Va-
letta, rings umher Waſſer, Luft und Schiffe ſo bewegungs-
los, als ſeien es „gemalte Schiffe auf gemaltem Waſſer“
iſt jedenfalls eine Geduldsprobe, und dabei rollte das
miſerable Fahrzeug ſo erbärmlich, daß man weder ſchrei-
ben, noch leſen, ja ſelbſt kaum denken konnte, und nichts
übrig blieb, als ſich auf den Rücken zu legen und die
flaggenden Segel über ſich zu beobachten, denn ſelbſt zu
ſchlafen war in der Hitze unmöglich. Deshalb ward der
am Abend des zweiten Tages aufſpringende Nordwind
mit Freuden begrüßt; zwei Tage mehr verliefen in großer
Unbehaglichkeit, nur in etwas gemildert, durch das Bewußt-
– 177 –
ſein dem Ziel der Reiſe, wenn auch langſam ſich zu nä-
hern, wenn am Abend des vierten Tages lange noch ehe
das Land in Sicht kam, unſer furchtſamer Capitain für
die Nacht beilegte. Wie zu erwarten ſtand, trat in der
Nacht wiederum Windſtille ein, und erſt um zehn Uhr
Morgens brachte uns eine öſtliche Brieſe der Küſte ſo
nahe, daß wir Gegenſtände am Ufer unterſcheiden konnten.
Dieſes letztere bot wenig Beachtenswerthes, zuerſt ein
Strich röthlichen Sandes, am Rande des Waſſers zeit-
weilig von einer Gruppe ſchwärzlicher Felſen unterbrochen,
dann folgt ein ſich lang hindehnender Palmenhain, einige
Tauſend Schritt breit, aus dem hie und da ein weißes
Gebäude hervorblickt, dann gegen Südoſten hin die rothe
heiße grenzenloſe Sandwüſte, und nach Süden und Süd-
weſten hin in der Ferne eine Gebirgskette, Ausläufer
des Atlas.
Wir machten das Land weſtlich von Cap Tajura,
alſo nur 15 Miles von der Stadt, auf die wir los-
geſegelt waren, die öſtliche Brieſe war leicht, und mit
den ausgezeichneten Segelqualitäten der Gloria Carmeli
konnten wir hoffen, dieſe Strecke im günſtigen Fall vor
Sonnenuntergang zurückzulegen, wären wir aber durch
eine Windſtille verzögert worden, ſo hätte ſich vielleicht
unſer Capitain wiederum bewogen befunden, für die
Nacht beizulegen, oder wären wir angekommen, nachdem
das Waſſerthor verſchloſſen worden, was bei Sonnen-
untergang geſchieht, ſo hätten wir die Nacht am Bord
s 12
– 178 –
zubringen müſſen. Es war uns jedoch kein ſo ſchlimmes
Loos beſchieden, wir ankerten in guter Zeit, die Quaran-
taineformalitäten waren bald vollzogen, und die nächſte
halbe Stunde fand die Gloria Carmeli verlaſſen von
Allen, die ſie übers Meer gebracht, mit Ausnahme des
zweiten Steuermannes und des weißen arabiſchen Hundes
Clipp, erſterer ſchlafend, letzterer auf dem Dach der Küche
liegend, Wache haltend gegen innere und äußere Feinde.
Jedenfalls ein zuverläſſiger Wächter, der ein Vorurtheil
hatte gegen Leute, die auf Kiſten hinaufkletterten, wie
die Waden des alten Herrn Aquilina erwieſen, dem er
des Abends den Zugang in ſein Bett auf hartnäckige
Weiſe ſtreitig gemacht hatte.
Vom Cap Tajura aus, entlang der Küſte nach Tri-
polis ſegelnd, kann man während mehrerer Miles ein Riff
bemerken, das ſich in geringer Entfernung vom Lande
hinzieht, an einigen Stellen von 10 bis 15 Faden
Waſſer bedeckt iſt, an anderen ſich bis wenige Fuß von
der Oberfläche erhebt, zuletzt aber in einer Reihe von
Felſen am Eingange des Hafens endet. Dieſes Riff
gewährt einen gewiſſen Schutz gegen eine ſtürmiſche See
und würde mit Hülfe einiger Steindämme, die die Zwiſchen-
räume zwiſchen den einzelnen Felſengruppen ausfüllen,
den Hafen nach der Seeſeite zu mit einem vortrefflichen
Bollwerk umgeben; ſelbſt in dem gegenwärtigen unvoll-
kommenen Zuſtande bildete es während des Krieges eine
militäriſche Vertheidigungslinie gegen die Angriffe der
– 179 –
Amerikaner, die durch eine Reihe der heldenmüthigſten
Kämpfe ewig denkwürdig gemacht wurde. Der Theil des
Riffes, in deſſen Nähe wir das Land machten, war Zeuge
und Urſache eines Unglücksfalles, der den Verluſt der
Fregatte Philadelphia zur Folge hatte, und der, wären
die Officiere und Mannſchaften der amerikaniſchen Streit-
macht von weniger entſchloſſenem Muth beſeelt geweſen,
noch viel verderblichere Nachtheile herbeigeführt haben
würde.
Kurze Zeit nachdem Commodore Preble das Com-
mando des Geſchwaders übernommen, ſahen wir, wie
bereits erwähnt, die Fregatte Philadelphia den marocca-
niſchen Corſaren Meſhboha in der Nähe vom Cap de Gatt
nehmen, ſpäter aber, begleitet vom Schooner Vixen 12,
Lieutenant Smith, nahm die Fregatte die Blockade von
Tripolis auf, letzteres Schiff ward bald darauf zur Ver-
folgung eines feindlichen Kreuzers abgeſendet, der, wie
Capitain Bainbridge durch ein neutrales Fahrzeug benach-
richtigt wurde, Gelegenheit gefunden hatte, zur See zu
entkommen, und deshalb blieb die Fregatte allein zurück.
Gegen das Ende des October hatten fortwährende
weſtliche Winde die Philadelphia auf einige Entfernung
öſtlich von der Stadt getrieben, und Montag den 31. Oc-
tober als ſie mit einer guten Brieſe wieder nach ihrer
Station hinabſegelte, gewahrte man um etwa 9 Uhr des
Morgens ein Segel windwärts, das nahe der Küſte den
Hafen zu gewinnen ſuchte. Die Jagd ward ſogleich be-
– 180 –
gonnen und ſich in genügender Nähe wähnend, eröffnete
Capitain Bainbridge das Feuer in der Hoffnung den
Feind zu verkrüppeln und ſo am Entkommen zu ver-
hindern; die Jagd wie das Feuer hatten eine Stunde
gewährt, das Senkblei, das man fortwährend im Gange
erhalten, zeigte aber noch ſtets eine Tiefe von ſieben bis
zehn Faden und das Schiff näherte ſich der Küſte oder
entfernte ſich von derſelben, je nachdem es die Umſtände
erheiſchten. Um 11 Uhr war das etwa eine Stunde ent-
fernte Tripolis voll in Sicht und die Unmöglichkeit er-
kennend, das feindliche Segel abzuſchneiden oder aufs
Ufer zu drängen, die Verfolgung aufgebend, befahl Ca-
pitain Bainbridge den Helm ſcharf Laarboard zu legen,
um tiefes Waſſer zu gewinnen; beim nächſten Werfen
des Senkbleis fand man nur acht Faden, gleich darauf
ſieben und ſechs und ein halb, während das Schiff mit
einem Seitenwind acht Knoten ſegelte. Sobald der Ruf
„halb und ſechs“ ertönte ward der Helm ſcharf nieder-
gedrückt und die Raaen gewendet, allein während das
Schiff ſchnell in den Wind fiel und ehe noch ſeine Ge-
ſchwindigkeit vermindert ward, rann dasſelbe plötzlich auf
ein Riff, auf das es hinaufgedrängt ward bis es fünf
bis ſechs Fuß gehoben war.
Dies war ein verzweifelt unglücklicher Zufall an einer
feindlichen Küſte zu dieſer Jahreszeit und mit keinem
anderen Kreuzer in der Nähe. Während das tiefſte Waſſer
ſeewärts lag, verſuchte man zuerſt das Schiff über das
– 181 –
Riff hinweg zu forciren, allein man fand bald, daß der
Stoß ſo heftig geweſen war, um dasſelbe ſeiner ganzen
Länge nach auf den Felſen zu heben, unter dem Vorder-
theil, wo das Schiff 18 Fuß Waſſer brauchte, ſtand es
nur in 14 Fuß Waſſer, während am Stern ſtatt 20 Fuß
nur 18 Fuß ſich vorfanden. Dies ließ ſich nur durch
den Umſtand erklären, daß das Riff an dieſer Stelle ſehr
allmählich anſtieg, ſeine Oberfläche durch das fortwährende
- Waſchen der See glatt geworden, das Schiff aber von
einer jener langen faſt unmerklichen Wogen, die fort-
während die See bewegen, auf das Riff emporgehoben
worden war.
Das von der Philadelphia verfolgte Fahrzeug war
eine große Schebecke, deren Befehlshaber, genau mit der
Küſte bekannt auf der inneren Seite des Riffs hinſegelnd,
Tripolis in Sicherheit erreichte, allein durch das Feuern
herbeigezogen, erſchienen jetzt neun Kanonenboote, und -
deshalb war kein Augenblick zu verlieren, denn bald konnte
es dieſen möglich werden die Fregatte ungeſtraft anzu-
greifen. Da man näher dem Ufer tieferes Waſſer fand,
ſo wurden die Raaen rückwärts gebraßt und die Kanonen
nach dem Stern gebracht, hoffend ſo das Schiff von den
Felſen loszumachen, und da dies das beſte Mittel ſchien,
ſich aus der unangenehmen Lage zu befreien, ſo dauerte es
geraume Zeit, bis man den Verſuch als vergeblich aufgab.
Nach einer Berathung mit ſeinen Officieren befahl
Capitain Bainbridge die Kanonen über Board zu werfen,
– 182 –
mit Ausnahme einiger weniger, die man zur Vertheidi-
gung aufbewahrte, gleichermaßen wurden die Anker ge-
kappt, ehe dies jedoch bewerkſtelligt werden konnte, hatte
ſich der Feind bis auf Kanonenſchußweite genähert und
eröffnete ſein Feuer. Glücklicherweiſe erkannten die Tri-
politaner nicht ſogleich die verzweifelte Lage der Phila-
delphia und es war möglich ſie mittels der wenigen übrig
gebliebenen Kanonen in ehrerbietiger Ferne zu halten,
ſonſt möchten ſie wohl erheblichen Schaden zugefügt haben,
denn ſo lange die geringſte Hoffnung blieb, das Schiff
flott zu machen, dachte Niemand daran ſich zu ergeben.
Dieſe durch die Entfernung unwirkſam gemachte Kanonade,
ſowie die Bemühungen die Fregatte flott zu machen, währ-
ten mehrere Stunden, bis zuletzt der Feind Muth faßte
unter dem Stern zu paſſiren, von wo aus allein gefeuert
werden konnte, und eine Stellung am Steuerboard oder
Wetterquartier einzunehmen, wo es unmöglich war ihnen
beizukommen, da das Schiff ſich ſo nahe nach Laarboard
geneigt, daß es unmöglich war die Kanonen der Breitſeite
zu benutzen.
Nach einer zweiten Berathung mit ſeinen Officieren,
befahl Capitain Bainbridge das Waſſer auszupumpen,
alle ſchweren Gegenſtände wurden über Board geworfen,
der Vormaſt gekappt, der einen Theil des großen Maſtes
mit über Board riß, allein nichtsdeſtoweniger blieb das
Schiff ſo unverrückt feſt, als die Felſen, auf denen es lag.
Da die Kanonenboote jetzt kühner wurden, andere von
– 183 –
der Stadt her herbeieilten, die Nacht aber nicht mehr fern
war, ſo erkannte Capitain Bainbridge die traurige Noth-
wendigkeit ſich zu ergeben, um ſeine Mannſchaft vor einem
fruchtloſen Tode zu bewahren, ehe dies jedoch geſchah
ward das Magazin unter Waſſer geſetzt, Löcher in dem
Boden gebohrt, die Pumpen unbrauchbar gemacht, kurz
Alles gethan, um das Schiff vollkommen zum Wrack zu
machen.
Ungefähr um fünf Uhr ward die Flagge geſtrichen,
und kaum war dies geſchehen, ſo kamen die Kanonen-
boote herbei, die Türken ergriffen vom Schiff Beſitz und
begannen ihre Feinde zu plündern. Man beraubte die
Amerikaner nicht nur der Kleider, die ſie in Bündel zu-
ſammengerafft, ſondern viele der Officiere und Matroſen
wurden halb nackt in Boote getrieben und nach Tripolis
geſandt, wo ſelbſt unterwegs noch die Plünderung fort-
geſetzt ward. Die Officiere fuhren hierbei nicht beſſer, als
die Mannſchaft, Capitain Bainbridge ward ſeiner Epau-
letten, Handſchuhe, Uhr und ſeines Geldes beraubt, ſein
Halstuch wurde ihm abgeriſſen und als man ein Miniatur-
portrait ſeiner Frau wahrnahm, das er um den Hals
trug, ſuchte man ihm auch dieſes zu entreißen, allein der
junge zärtlich liebende Gatte leiſtete ſo energiſchen Wider-
ſtand, daß man davon abſtand.
Gegen 10 Uhr des Abends langten die Boote in der
Stadt an, man landete die Gefangenen in der Nähe
vom Schloß des Paſcha's, der ſie im Audienzzimmer in
– 184 –
großem Staat, umgeben von ſeinem Divan, empfing.
Mit Hülfe des Miniſters der auswärtigen Angelegen-
heiten, Mohamed D'Ghins, der franzöſiſch ſprach, unter-
hielt ſich der Paſcha mit Capitain Bainbridge und ſeinen
Officieren, richtete verſchiedene Fragen über die Phila-
delphia, die Stärke der Amerikaner im mittelländiſchen
Meere an dieſelben, und tröſtete ſie über ihre Gefangen-
ſchaft, als einen Zufall, wie ihn das Kriegsglück mit
ſich brächte.
Als dieſe Unterhaltung beendet war, geleitete man
die Officiere in ein anderes Gemach, wo eine Mahlzeit
für ſie bereitet war, und als diejenigen von ihnen, die
unter dieſen Umſtänden noch Appetit verſpürten, gegeſſen
hatten, kehrte man zur Audienzhalle zurück, um Abſchied
vom Paſcha zu nehmen. Mohamed D'Ghins, deſſen
Obhut die Gefangenen anvertraut worden waren, führte
dieſelben nach dem Hauſe, das früher das amerikaniſche
Conſulat geweſen, ein Gebäude, das, obſchon geräumig
und bequem, dennoch ohne Meubel und andere Bequem-
lichkeiten war. Mittlerweile war ein Uhr des Morgens
herangekommen, allein ungeachtet dieſer vorgerückten Zeit
der Nacht erſchien Herr Niſſen, der däniſche Conſul,
der Troſt und Hoffnung mit ſich brachte. Sidi Moha-
med D'Ghins ſtellte dieſen edlen wohlwollenden Mann
als ſeinen perſönlichen Freund vor. Seine offene leut-
ſelige Weiſe flößte vom erſten Augenblick an ein unbe-
dingtes Vertrauen in ſeine Ehre und Humanität ein,
– 185 –
und Herr Niſſen bemühte ſich ſofort, alles für die Ver-
pflegung der Gefangenen zu thun, was die Umſtände
geſtatteten. Dies war jedoch nur der Anfang einer Reihe
von Kundgebungen der unermüdlichſten unveränderlichſten
Güte, die bis zum Ende der Gefangenſchaft der Ameri-
kaner dauerte.
Dieſer Verluſt der Philadelphia veränderte die Kriegs-
zuſtände weſentlich. Bisher hatte der Paſcha wenig gehabt,
um ſich für die Unannehmlichkeiten einer Blockade, ſowie
für den Verluſt ſeiner Kreuzer ſchadlos zu halten, wenig
Kauffahrteiſchiffe waren gecapert worden, und die Stadt
war täglich der Gefahr eines Bombardements ausgeſetzt.
Jetzt waren mit einem Male 315 Gefangene in ſeine
Hände gerathen, unter denen 22 Officiere, für deren
Wohlfahrt man ohne Zweifel in Amerika ein hohes In-
tereſſe fühlte. Unter dieſen Umſtänden faßte der Divan
von Tripolis neuen Muth den Krieg fortzuſetzen, denn
nicht nur erwartete man ein bedeutendes Löſegeld für die
Gefangenen, ſondern hoffte auch, das Beſorgniß für das
Schickſal derſelben die Energie der ferneren Maßregeln
ſchwächen würde.
X.
Eine glorreiche Waffenthat.
Die Lage von Tripolis. – Das Wrack der Philadelphia. – Die
Türken machen die Fregatte flott und bringen ſie in den Hafen. – Com-
modore Preble erſcheint vor Tripolis. – Lieutenant Decatur nimmt eine
Priſe. – Sein Plan, die Philadelphia zu zerſtören. – Freiwillige für
das Unternehmen. – Ein Sturm verzögert dasſelbe. – Lieutenant De-
catur's Anordnungen. – Man nähert ſich dem Feind. – Befehl zum
Entern. – Erfolgreicher Angriff. – Die Fregatte in Feuer. – Sieg-
reicher Rückzug.
In dem Grade, in welchem man ſich der Stadt nähert,
wird es möglich, ſich über die Lage derſelben zu ver-
gewiſſern. Tripolis liegt am Ende einer Bai, welche
nach der Seeſeite hin durch das oft erwähnte Riff ein-
geſchloſſen wird. Da, wo die Felſengruppen ſich an eine
ſchmale Landzunge reihen, beginnt eine Reihe von Feſtungs-
werken und Batterien, die ſich an die Stadtmauern an-
ſchließen. Letztere bilden ein längliches Viereck, in welchem
auf einem ſanft anſteigenden Hügel die Stadt eingeſchloſſen
iſt, nach der Seeſeite zu ſind die Mauern durch die ſteilen
Felſenklippen, auf denen ſie erbaut, bedeutend verſtärkt,
und hier bildet die Citadelle auf dem höchſten Punkt des
Hügels in der Ecke der Mauer gelegen, den Schlüſſel
der Stellung. Die zwei Seiten des Viereckes nach dem
Lande zu ſind durch einen Graben vor denſelben gedeckt,
an dem Punkt aber, wo die dritte Seite ſich dem Ufer
nähert, befindet ſich das Schloß des Paſcha's, das nach
vorſündfluthlichen Begriffen von Kriegskunſt, als eine
ſehr ſtarke Feſtung betrachtet werden konnte. In der
langen Mauer, die die Stadt nach dem Hafen hin um-
– 190 –
giebt, befindet ſich ein einziges Thor; ein anderes iſt in
der Landſeite in der Nähe des Palaſtes des Paſcha's.
Beide werden mit Sonnenuntergang geſchloſſen, und für
etwa eine Stunde länger bleiben zwei kleine Ausfalls-
pforten im Schloß offen, die ſodann auch verſchloſſen
und bis Sonnenaufgang nicht mehr geöffnet werden.
Nächſt dem Schloſſe des Paſcha's erſtreckt ſich eine
etwa eine Mile lange und ebenſo breite ſandige Ebene,
jenſeits derſelben zieht ſich ein Palmenhain bis nach Cap
Tajura, und zwiſchen dieſen Bäumen wechſeln Gärten,
Häuſer, Felder mit Pflanzungen von Olivenbäumen in
maleriſcher Weiſe.
Rudert man bei ruhigem Waſſer über die Bai, und
gelangt in die Nähe eines runden Thurmes, nahe dem
Ende der Befeſtigungen nach der Seeſeite hin, ſo kann
man auf dem Sandboden eine Anzahl ſich kreuzender
ſchwarzer Linien wahrnehmen, an deren Ende nach der
See zu ein Fregattenanker ganz dicht mit kleinen Muſcheln
bedeckt, ſichtbar iſt. Dieſe Streifen ſind das Geripp der
Philadelphia, von dem die leichteren Planken abgefault
ſind, der Ort ſelbſt aber bildet den Schauplatz eines
der heldenmüthigſten, kühnſten Unternehmen des ganzen
Krieges.
Die Philadelphia ward, wie früher bemerkt, am
31. October auf dem Riff verloren, die Mannſchaft aber
am Abend desſelben Tages gelandet. Am nächſten Morgen
begannen die Tripolitaner Anſtalt zu machen, das Schiff
– 191 –
womöglich in den Hafen zu bringen, und da ſie dem-
ſelben ſo nahe waren, viele Kanonenboote und Galeeren
zur Verfügung hatten, und kein feindlicher Kreuzer ſie be-
läſtigte, ſo glaubte man die Fregatte retten zu können.
Am 2. November ſtellte ſich ein heftiger Wind aus dem
Nordweſten ein, der das Waſſer nach der afrikaniſchen
Küſte hintrieb, und gegen das Steuerboardquartor der
Fregatte drückend, den Stern derſelben in ein tieferes
Waſſer brachte, wo ſie durch Auswerfen von Ankern und
mit Hülfe aller Mannſchaft aus der Stadt flott gemacht
wurde. Mittels Hülfe der Pumpen und durch das Ver-
ſtopfen der Lecke ward das Schiff am 5. November in
den Hafen gebracht, denn man hatte in der Eile nur
Löcher in den Boden gebohrt, ſtatt die Planken aufzu-
reißen, wie der Befehl lautete. Das ruhige Wetter der
folgenden Tage machte es den Türken möglich, nicht nur
alle zur Fregatte gehörigen Anker und Kanonen aufzu-
fiſchen, ſondern beinahe auch aller anderen über Bord
geworfenen Gegenſtände habhaft zu werden, das Schiff
nothdürftig zu repariren, zu bewaffnen und an dem oben
beſchriebenen Punkt zu ankern.
Als Commodore Preble am 21. November in Malta
eintraf, erhielt er die erſte Nachricht von dem Unglück,
das Capitain Bainbridge getroffen, er traf ſogleich die
nöthigen Dispoſitionen für das Geſchwader und ſegelte,
nachdem alle Vorbereitungen getroffen, am 17. December,
begleitet von der Enterpriſe 12, Lieutenant Decatur, nach
– 192 –
Tripolis. Letztere nahm am 23ſten eine Priſe. Dies
war ein Brigg-Schooner mit 74 Mann, der früher ein
franzöſiſches Kanonenboot, in Egypten von den Engländern
genommen worden, und zuletzt in den Beſitz der Tripoli-
taner gelangt war. Zur Zeit war ſie auf dem Wege
nach Conſtantinopel, eine Anzahl von Sklavinnen dem
Sultan zum Geſchenk zu überbringen.
Einige Tage ſpäter trat einer jener im Winter ſo
häufigen Nordſtürme ein, und nöthigte die Escadon, nach
Syracus zurückzukehren, jedoch nicht eher, als bis Com-
modore Preble den Feind recognoſcirt und Pläne für den
weiteren Feldzug gefaßt hatte.
In der Zwiſchenzeit hatte Capitain Bainbridge Mittel
gefunden, an den Commodore zu ſchreiben, und in einem
Briefe vom 5. December 1803 deutete er auf die Möglich-
keit hin, die Philadelphia, die man ausrüſtete zur See
zu gehen, zu zerſtören.
Commodore Preble, dem dieſer Plan ausführbar ſchien,
erwähnte denſelben in Gegenwart Lieutenant Decatur's,
und da das Unternehmen juſt dem Unternehmungsgeiſt
dieſes feurigen jungen Officiers zuſagte, die genommene
Priſe aber die Mittel zur Ausführung bot, ſo ward der
Brigg-Schooner unter dem Namen „Intrepid“ bewaffnet
und bemannt. Als Lieutenant Stewart von der Siren
der bald darauf eintraf, von dem Unternehmen hörte,
wünſchte er als älterer Officier dasſelbe zu leiten, allein
da Lieutenant Decatur bereits das Verſprechen des Com-
– 193 –
madores erhalten hatte, ſo konnte Lieutenant Stewart nur
Erlaubniß erhalten, mit ſeinem Schiffe den Intrepid zu
begleiten, um nöthigenfalls den Rückzug zu decken.
Als Lieutenant Decatur der Mannſchaft der Enter-
priſe ſeinen Plan mittheilte, waren Alle bereit, ihn als
Freiwillige zu begleiten, und man ſah ſich genöthigt, 62
der tüchtigſten Leute auszuwählen, während die Uebrigen
befehligt von einigen Officieren in ihrem Schiffe zurück-
blieben. Die Ordres beſtimmten ausdrücklich, daß kein
Verſuch gemacht werden ſollte, die Fregatte aus dem
Hafen zu bugſiren, ſie war in Brand zu ſtecken, deshalb
brachte man ſogleich die nöthigen Zündſtoffe an Bord des
Intrepid, der noch am ſelben Abend unter Convoi der
Siren 16, Lieutenant Stewart, ſegelte. Dieſer letztere
Officier hätte ſeiner Seniorität halber das Commando
führen ſollen, allein unter obwaltenden Umſtänden war
es Lieutenant Decatur geſtattet worden, die unmittelbare
Ausführung des Planes nach eigenem Gutdünken zu
leiten, und es befanden ſich deshalb unter ſeinem un-
mittelbaren Commando: Lieutenant Lawrence, Bainbridge
und Thorn, Midſhipman Thomas, Mc. Donough und
Dr. Heerman, nebſt 62 Unterofficieren und Matroſen,
was nebſt den Midſhipman Jeard, Morris, Laws, Davis
und Rowe von der Conſtitution, was mit Einſchluß des
Lootſen Salvador Catalano die Zahl auf 74 Seelen
brachte.
Eine ſo ſtarke Bemannung für ein Fahrzeug von
13
– 194 –
weniger als 50 Tonnen machte den Aufenthalt eines
Jeden natürlich nichts weniger als angenehm, überdies
fand man bald, daß das am Bord befindliche geſalzene
Fleiſch verdorben war, folglich wenig mehr, denn Brod
und Waſſer, als Subſiſtenzmittel übrig blieben.
Am Abend des 9ten befanden ſich beide Schiffe auf
der Höhe von Tripolis, ein plötzlich losbrechender Sturm
jedoch vereitelte das Unternehmen für dieſe Nacht, mit
den größten Anſtrengungen gelang es Midſhipman Morris
und den Lootſen, die in einem Boot den Hafeneingang
recognoscirt hatten, wieder an Bord zu nehmen; die
Schiffe begannen die Anker zu ſchleppen, die das Intre-
pid zerbrachen, und in der Siren war man genöthigt,
nach mehreren vergeblichen Verſuchen dieſelben zu lichten,
ſie zu kappen. Glücklicherweiſe kam der Sturm von Weſten,
es gelang die hohe See zu gewinnen, allein ſpäter ſprang
der Wind nach Norden um und beide Schiffe wurden in
den Golf von Sydria getrieben; erſt am 16ten gegen
Mittag gelang es, die Höhe von Tripolis wieder zu ge-
winnen. - -
Wind und Wetter waren diesmal günſtig und Lieute-
nant Decatur begann nun ſeine Anſtalten für einen nächt-
lichen Angriff zu treffen. Da man möglicherweiſe vom
Feinde entdeckt ſein konnte, ſo ſendete Lieutenant Stewart
ein Boot unter Befehl von Midſhipman Anderſon an
Board, was die Geſammtzahl der Bemannung auf 82
brachte; der Intrepid aber ſegelte nun in großer Ent-
– 195 –
fernung vor der Siren, damit man am Ufer nicht arg-
wohnen möge, daß beide Schiffe zu einander gehörten.
Die Anordnungen Lieutenant Decatur's waren ein-
fach und ſachgemäß. Bis auf ein verabredetes Zeichen
ſollten ſich Alle ruhig und bewegungslos verhalten, dann
plötzlich entern, ein Deck nach dem anderen beſetzen und
ſich in folgender Ordnung über das Schiff vertheilen:
Mr. Decatur, unterſtützt von Mr. Rowe und 15 Mann,
wollte das obere Deck halten, Mr. Lawrence mit Mr.
Laws, Mc. Donough und 10 Mann ſollte ſich in die
Batterie und die Vorrathskammer nach vorn begeben und
ſie in Brand ſtecken, Mr. Bainbridge mit Mr. Davis und
10 Mann dasſelbe in der Cajüte thun, Mr. Morris und
8 Mann die Zündſtoffe in den unteren Raum und die
hinteren Vorrathskammern bringen, während Mr. Thorn
mit dem Geſchützmeiſter, dem Arzt und 13 Mann den
Intrepid bewachen, Mr. Izard aber im großen Boot und
Mr. Anderſon im Kutter der Siren ſollten ſich aller feind-
lichen Boote bemächtigen und verhindern, daß irgend
Jemand ans Ufer entwiſche. Sobald dieſer Befehl aus-
geführt, ſollten auch die Mannſchaften der Boote entern,
Schußwaffen ſollten nur im äußerſten Fall gebraucht
werden, das Feldgeſchrei aber war Philadelphia.
Als der Intrepid ſich der Stadt näherte, ward die
Fregatte ſichtbar; ſie lag hinter dem Felſenriff unter den
Kanonen der Hafenbatterien, ihr Vormaſt, der als ſie
ſtrandete, gekappt worden, war noch nicht wieder erſetzt,
– 196 –
ihre Topmaſten waren geſtrichen, die Raaen lagen auf
der Schanzkleidung, das ſtehende Tauwerk war jedoch in
Ordnung, ſowie die Geſchütze in der Batterie, und wie
man ſpäter fand, geladen. Da Lieutenant Decatur erſt
nach Eintritt der Dunkelheit angreifen wollte, gleichwohl
aber durch das Einziehen von Segeln Argwohn zu er-
regen fürchtete, ſo ließ er Eimer, Lukengitter und andere
Gegenſtände an Seilen nachſchleppen, um ſo die Ge-
ſchwindigkeit des Schiffes zu vermindern, als jedoch ſpäter
der Wind ſich allmählich legte, ſo wurden dieſelben als
überflüſſig wieder eingezogen.
Das Wetter war ungewöhnlich mild für die Jahres-
zeit. Ungefähr 10 Uhr des Abends langte der Intrepid
am öſtlichen Eingang des Hafens, an der Paſſage zwiſchen
den Felſen und einer Sandbank, an. Der Wind war
öſtlich und man ſteuerte direct nach der Fregatte; die
Sichel des Neumondes glänzte über den weißen Häuſern
der Stadt, und als die kühnen Abenteurer ſich ſo langſam
dem Feinde näherten, ſchien es, daß ringsum Alle in
ungeſtörter Sicherheit ſchlummerten. Während der näch-
ſten Stunde trieb das Schiff vor der beinahe unmerk-
lichen Brieſe dahin, bis die Bewegung zuletzt kaum be-
merkbar war.
Die meiſten Officiere und Matroſen lagen auf dem
Verdeck hinter den Bollwerken, oder von Waſſerfäſſern
oder anderen Gegenſtänden, wie ſie auf einem Schiffe
vorkommen, verdeckt, und zehn oder zwölf zeigten ſich,
– 197 –
denn da im mittelländiſchen Meere die meiſten Schiffe
ſtark bemannt ſind, ſo erregte dieſe Anzahl keinen Arg-
wohn. Lieutenant Decatur ſtand neben dem Lootſen,
Mr. Catalano, der zugleich als Dolmetſcher diente, der
Mann am Helm ward angewieſen nach dem Bugſprit
der Fregatte zu ſteuern, denn man gedachte das Schiff
an dieſem Punkt zu entern, da man ſo dem feindlichen
Feuer am wenigſten ausgeſetzt war. -
Die Amerikaner befanden ſich noch beträchtlich ent-
fernt, als ſie von der Fregatte angerufen wurden. Der
Lootſe antwortete, daß das Schiff aus Malta komme,
um zu handeln, in dem letzten Sturme beinahe zu Grund
gegangen ſei und ſeinen Anker verloren habe, deshalb um
Erlaubniß bitte, während der Nacht an der Fregatte feſt
machen zu dürfen. Dieſe Unterhaltung dauerte geraume
Zeit, denn Lieutenant Decatur wies dem Lootſen an, mit
einem Bericht über die Ladung des Fahrzeuges die Mann-
ſchaft der Philadelphia zu unterhalten; der Intrepid nä-
herte ſich in der Zwiſchenzeit und man erwartete bereits
im Laufe der nächſten Minute zu boarden, als ſich plötzlich
der Wind wendete, wodurch der Schooner von ſeinem
Cours abfiel und in einer Entfernung von fünfzig Schritt
und dem Feuer der ganzen Laarboard Batterie ausgeſetzt,
langſam gegen den Stern hintrieb.
Das Glück ſchien jedoch dem Unternehmen hold zu
ſein, denn obſchon mehrere von der Mannſchaft der Fre-
gatte über die Schanzkleidung lugten, ſo waren ſie doch
– 198 –
ſo vollkommen über den Charakter des Ankömmlings
getäuſcht, daß ſie ein Boot mit einem Tau abſchickten.
In der Zwiſchenzeit hatten die Amerikaner gleichfalls ein
Boot mit einem Tau nach der Fregatte abgeſchickt, zurück-
kehrend begegneten ſie dem der Türken und nahmen das
Tau, das dieſelben brachten, an Bord ihres eigenen
Schiffes, wo die Enden beider in die Hände der auf dem
Deck liegenden Matroſen gegeben und von dieſen langſam
angezogen wurden. Kaum jedoch hatte man ſich den Türken
genügend genähert, daß jene die Anker ſehen konnten, als
ſie ungehalten darüber, getäuſcht worden zu ſein, das
fremde Segel zurückwieſen und ſich daran machten die
Taue, an denen dasſelbe hing, zu kappen. Alles dies
geſchah in weniger Zeit, wie erforderlich iſt, um es zu
erzählen, als plötzlich der Ruf: Americanos erſchallte.
Mit einem ſchnellen Ruck brachte man beide Fahrzeuge
an einander und jeder ſtand zu dem entſcheidenden Sprung
bereit; allein noch verrieth kein Laut die Gegenwart ſo
vieler Leute, der Befehl, ſich ruhig zu verhalten, ward
ſtreng befolgt und bis zum letzten Augenblick ſtörte nicht
die geringſte Uebereiluug die glückliche Ausführung des
Planes.
Endlich war der entſcheidende Augenblick gekommen,
Lieutenant Decatur ſtand bereit, den verhängnißvollen
Sprung zu wagen, M. M. Laws und Morris an ſeiner
Seite. Sobald er ſich nahe genug glaubte, ſprang er
nach dem ſtehenden Tauwerk des Vormaſtes, und ſo an
D:
– 199 –
der Seite des Schiffes hängend, gab er den Befehl zum
Entern.
Alsbald waren die beiden Midſhipman neben ihm,
während die übrigen Officiere und Matroſen folgten.
Lieutenant Decatur und Mr. Morris ſprangen nun nach
dem Bollwerk über ihnen, während Mr. Laws durch eine
Geſchützpforte einzudringen verſuchte; ohne Zweifel wäre
letzterem die Ehre zu Theil geworden, der Erſte auf dem
feindlichen Verdecke zu ſein, hätten ſich nicht die Kolben
der Piſtolen, die er im Gürtel trug, in ein loſe über Bord
hängendes Tau verwickelt. Lieutenant Decatur ſtrauchelte
im Sprunge, und deshalb ſtand Mr. Charles Morris
zuerſt auf dem Verdecke der Philadelphia. Im nächſten
Augenblick waren Mr. Decatur und Mr. Laws an ſeiner
Seite, während von allen Seiten Köpfe und Arme ſich
durch die Geſchützpforten und über das Bollwerk drängten.
Die Ueberraſchung des Feindes ſchien der Schnellig-
keit und Wuth des Angriffes gleich zu kommen, die meiſten
Türken drängten ſich in das Vordertheil des Schiffes
und in dem Grade, wie ihre Gegner über die Laarboard-
Seite kamen, flüchteten ſie ſich nach der Steuerboard-Seite.
Die Wenigen, die Widerſtand verſuchten, wurden alsbald
geworfen, und zahlreiche Sprünge ins Waſſer gaben
Zeugniß, daß ſich die Zahl der Feinde jeden Augenblick
verringerte. In der Batterie fand man etwas mehr
Widerſtand, der jedoch auch bald glücklich überwunden
ward, und in weniger als zehn Minuten ſtand Lieutenant
– 200 –
Decatur auf dem Quaterdeck im vollen unbeſtrittenen
Beſitz der Priſe.
Ohne Zweifel fühlte dieſer brave Officier jetzt tiefes
Bedauern, daß es ihm nicht möglich ſei, das Schiff zu
retten, das er auf ſo muthige und entſchloſſene Weiſe
wieder erobert hatte, allein nicht nur waren in dieſer
Beziehung ſeine Inſtructionen ſehr entſchiedener Natur,
ſondern die Fregatte hatte weder Segel noch Raaen an
gehöriger Stelle, und der Vormaſt fehlte gänzlich, es
war deshalb unmöglich davon zu ſegeln, und man brachte
ohne Zeit zu verlieren die Zündſtoffe herbei.
Das Verbrennen der Priſe wurde mit derſelben Ord-
nung und Schnelligkeit ausgeführt, wie der Angriff. Die
Officiere mit ihren Mannſchaften vertheilten ſich nach den
ertheilten Inſtructionen, jede Abtheilung agirte für ſich
ſelbſt und in dem Maße, wie ſie bereit war. In der That
wurden alle Anordnungen ſo ſchnell ausgeführt, daß, als
die Abtheilungen mit den Zündſtoffen kaum den Schiffs-
raum erreicht hatten, die Feuer ſchon über ihren Häup-
tern brannten, und nachdem ſie ihren Theil des Dienſtes
vollbracht, gelang es ihnen nur mit Schwierigkeit, durch
Rauch und Feuer das Quartordeck zu erreichen.
Die Amerikaner verweilten 20 bis 25 Minuten im
Schiff, und wurden zuletzt durch die Flammen aus dem-
ſelben vertrieben. Die Zündſtoffe waren ſo zweckmäßig
vertheilt, das Holz und Tauwerk waren ſo trocken ge-
worden, daß Alles wie Zunder brannte. Als die Ab-
– 201 –
theilungen aus dem Schiffsraum das Deck erreichten,
fanden ſie die meiſten ihrer Kameraden bereits am Bord
der Intrepid, und als ſie denſelben ohne Verzug gefolgt
waren, ward der Befehl gegeben, die Taue, die beide
Schiffe aneinander hielten, zu kappen.
Jetzt nahete ſich ein Augenblick der größten Gefahr,
denn als man eben das vordere Tau gekappt und der
Schooner mit flappenden Segeln ſich nach dem Stern
zu ſchwang, drangen die Flammen bereits aus den Ge-
ſchützpforten hervor und leckten durch die Cajütenfenſter,
unter denen die ganze Ammunition des Schooners, nur
mit einem Stück getheerter Leinewand bedeckt, lag. Es
gelang nicht gleich, das andere Tau zu kappen, und das
Feuer ziſchte am Tauwerk empor wie Raketen. Da keine
Axt vorhanden war, brauchte man Säbel; es gelang,
den Schooner frei zu machen, und ein kräftiger Stoß
entfernte denſelben aus der gefährlichen Nachbarſchaft.
Jetzt griff man zu den Rudern, deren der Schooner
auf jeder Seite acht hatte, und bald gelang es mit Hülfe
einer leichten Brieſe, das Fahrzeug zu bewegen. Bisher
war Alles eilig und in tiefſter Stille vollbracht worden,
allein kaum ſah man Alles vollbracht, als die geſammte
Mannſchaft ſich erhob und den Sieg mit drei Hurrah's
begrüßte. Das ſchien die Türken aus dem Schlafe zu
wecken, denn kaum hatte der Ruf geendet, als die Batte-
rien der Stadt, des Hafens, das Caſtell, die Corſaren
und die Kanonenboote im Hafen ihr Feuer eröffneten.
– 202 –
Das Schauſpiel, das nun folgte, ward von Augen-
zeugen als erhaben und herrlich geſchildert. Die ganze
Bai war von der Feuersbrunſt tageshell erleuchtet, der
Geſchützdonner rollte ununterbrochen und ganz Tripolis
ward in Aufruhr. Das Schiff, jetzt ein Feuermeer, zeigte
ſein Profil in den Linien des brennenden Tauwerkes, die
Maſten waren Feuerſäulen, an denen die Flammen empor-
ſtrömten, ſich ſeitwärts biegend feurige Capitäle bildeten
und in dem Maße, wie die Geſchütze glühend wurden,
entluden ſie ſich theils gegen die Stadt, theils gegen die
Hafenbatterien.
Unter gewöhnlichen Umſtänden würde man vielleicht
die Lage des Schooners als kritiſch erachtet haben, allein
nach einem erfolgreichen Unternehmen, wie das oben ge-
ſchilderte, ſah man Alles im Lichte eines triumphreichen
Ausganges an. Die fortwährend über die Köpfe der
Abenteurer ſauſenden und rechts oder links einſchlagenden
Kugeln wurden zu Urſachen von Scherzen, über die auf-
ſpritzenden Waſſerſchauer oder die wilden Sprünge, mit
denen ſie dahinhüpften, und merkwürdiger Weiſe, obſchon
man ſich während geraumer Zeit im Bereich des feind-
lichen Feuers befand, war eine Kugel durch das Vortop-
ſegel der einzige Schade, den man erlitt.
Sechszehn Ruder, in den Händen von achtzig durch
den gehabten Erfolg begeiſterte Männer, trieben das kleine
Fahrzeug ſo ſchnell vorwärts, daß die feindlichen Kanonen-
boote bald die Verfolgung als fruchtlos aufgaben. Am
– 203 –
Eingang des Hafens begegnete man den Booten der Siren,
die gekommen waren den Rückzug zu decken, was jetzt
kaum nöthig war, deshalb, ſobald alle Gefahr beſeitigt
war, begab ſich Lieutenant Decatur in eines derſelben,
um Lieutenant Stewart ſeinen Bericht über den glück-
lichen Ausgang der Expedition abzuſtatten.
Die Siren war etwas ſpäter als der Intrepid ein-
getroffen, und hatte laut Uebereinkommen etwa 3 Miles
außerhalb der Felſen geankert. Von hier entſendete ſie
das große Boot und den Kutter unter Befehlen Lieute-
nant Caldwell's und ſpäter näherte man ſich noch mehr,
bis acht Faden nöthig machten zu ankern. Nach einer
Stunde peinlicher Ungewißheit ſah man vom Verdeck der
Philadelphia eine Rakete emporſteigen (das verabredete
Signal, daß das Schiff genommen ſei) und kaum hatte
man Zeit zu antworten, ſo zeigten ſich auch ſchon die
Flammen in den Geſchützpforten, von wo ſie wenige
Minuten ſpäter im Tauwerk hinaufliefen. Dann folgte
die Kanonade und Ruderſchläge wurden hörbar, plötzlich"
ſchoß ein Boot ans Schiff heran, ein Mann in einer
Matroſenjacke ſchwang ſich auf das Verdeck empor. Es
war Lieutenant Decatur, der die Siegesbotſchaft ſelbſt
überbrachte.
So endete eine denkwürdige Waffenthat, in der einer
der muthigſten Seehelden Amerika's den Grund zu dem
hohen Ruf legte, den er ſpäter genoß. Den Erfolg aber,
den dieſelbe auf die Mannſchaft der Escadon hatte, war
– 204 –
außerordentlich; die Matroſen begannen ſich für unbe-
ſiegbar zu halten und waren zu Allem bereit, was Men-
ſchen unternehmen konnten.
Oft bei ruhigem Wetter bin ich über den Schauplatz
dieſer Heldenthat gerudert oder habe im ſtilleu Mondlicht
die weißen Thürme der Stadt, die dunklen Felſen und
gähnenden Batterien beobachtet, um der Nationalgallerie
des Capitols davon ein ſo treues Bild als möglich zu
geben.
XI.
Trip o l i s.
Hiſtoriſcher Rückblick von Tripolis. – Die Stadt, ihre Straßen
und Gebäude. – Der Handel. – Das Leben. – Die europäiſchen Re-
ſidenten und europäiſchen Reiſenden. – Clapperton, Lang, Richardſon,
Barth, Vogel. – Betrachtungen über Vogel's Schickſal. – Die Um-
gegend von Tripolis. – Agricultur. – Mr. Gaine's Landhaus. – Die
ſpaniſche Kathedrale von Tajura. – Gazellenjagd. – Das römiſche
Caſtell in Gal- Gariſh. – Frederick Warrington. – Das Volksleben.
– Gaſtmahle. – Die Kameele. – Ein türkiſches Bad. – Ein Volksfeſt.
Obgleich Tripolis ſchon von den Phöniciern als See-
hafen benutzt worden und ſpäter den Römern zu gleichem
Zwecke diente, ſo erhielt es dennoch den Stempel ſeines
jetzigen Charakters erſt im 16. Jahrhundert, wo es von
Kaiſer Karl V. unter ſeine ſpaniſchen Eroberungen ge-
rechnet ward.
Wie bereits erwähnt, wurden die Johanniterritter
nach einer heldenmüthigen aber leider vergeblichen Ver-
theidigung von Rhodus genöthigt, dieſe Inſel aufzugeben,
von Karl V. mit Malta belehnt. Allein an dieſes Lehen
war die Bedingung geknüpft, daß der Orden Tripolis
beſetze und vertheidige. Nur nach langem Zögern ent-
ſchloß ſich der Großmeiſter zur Annahme dieſer Be-
dingung, denn der heldenmüthige und umſichtige Isle
Adam ſah, mit welchen Schwierigkeiten die Vertheidi-
gung eines ſo weit entlegenen Poſtens am afrikaniſchen
Feſtland, umgeben von feindlich geſinnten Araberſtämmen,
verbunden war. Von einem Lande nach dem anderen
umherirrend, nirgend einen bleibenden Wohnſitz findend,
gerieth der Orden in die größte Gefahr einer gänz-
– 208 –
lichen Auflöſung, und deshalb entſchloß man ſich endlich
zur Annahme dieſer harten Bedingung. Dies geſchah im
Jahre 1528.
Bis zum Jahre 1551 gelang es den allmählich ſich
wieder kräftigenden Rittern, ſich im Beſitz ihres neuen
Eigenthumes zu erhalten. Allein im Sommer dieſes
Jahres erſchien jene türkiſche Flotte unter den Befehlen
Sinam Paſcha's und des berüchtigten algeriner Corſaren
Dragut vor Malta, verheerte dieſe, ſowie die berühmte
Inſel Gozo, und da es ihnen nicht gelang, hier feſten
Fuß zu faſſen, ſo ſegelten ſie nach Tripolis. Sinam
landete ſeine Truppen nahe Cap Tajura; Morat Aga,
der Beherrſcher der Provinz, empfing ihn mit offenen
Armen, und die Beſatzung von Tripolis ward aufge-
fordert, ſich auf der Stelle zu ergeben oder in Stücken
gehauen zu werden.
Zu jener Zeit beſtand Tripolis nur aus der Citadelle,
jetzt das Schloß des Paſcha's, das in der beifolgenden
Illuſtration (ſiehe Vignette) in der Mitte ſich über der
Stadt erhebend, ſichtbar iſt. Um dasſelbe reiheten ſich
einige Wohnungen, und dieſe waren mit leichten Außen-
werken umgeben; auf dem Hügel in der Ferne, den jetzt
auch die Stadt bedeckt, befand ſich ein mauriſches Fort-
Der Gouverneur war Gaspard La Vallier, Marſchall
des Ordens, ein erprobter und erfahrener Ritter, deſſen
Antwort eben ſo lakoniſch war, als Sinam's Aufforderung
zur Ergebung: „Er ſei vom Orden mit der Vertheid-
– 209 –
gung von Tripolis beauftragt und werde es deshalb bis
zum letzten Mann halten.“
Sobald Sinam dieſe entſchloſſene Antwort empfangen,
landete er ſein Belagerungsgeſchütz und eröffnete die
Laufgräben. Der franzöſiſche Geſandte für Conſtantinopel,
Gabriel d'Aramont, erſchien um dieſe Zeit und erſuchte
den Paſcha, wiewohl vergeblich, von der Belagerung ab-
zuſtehen, und als er nach Conſtantinopel ſegeln wollte,
um ſeine Vorſtellungen dort zu erneuern, ward er mit
Gewalt zurückgehalten. Für einige Zeit gelang es der
Beſatzung, erfolgreichen Widerſtand zu leiſten, bis zuletzt
ein Ueberläufer einen ſchwachen Punkt der Feſtung an-
deutete, in welchem es gelang Breſche zu ſchießen. Der
Commandant verſuchte nun Barricaden hinter derſelben
zu errichten, allein die Sklaven verweigerten, unter
dem verheerenden Feuer der Türken zu arbeiten, und
der Schrecken, der ſie ergriffen, theilte ſich zuletzt der
Garniſon mit, die aus etwa 200 Recruten aus Calabrien
und etwa einer gleichen Anzahl osmaniſcher Verbündeten
beſtand. Die Calabreſen hatten ein kleines Außenwerk,
„Chatelet“ benannt, beſetzt, und nach kurzer Zeit entſpann
ſich unter ihnen eine Verſchwörung, die um ſich griff
und die ganze Beſatzung mit ſich fort riß, ſo daß zuletzt
der Commandant und die wenigen ihn umgebenden Ritter
ſich genöthigt ſahen, Unterhandlungen anzuknüpfen.
Geſandte wurden in das türkiſche Lager entſendet und
ein Vertrag abgeſchloſſen, als jedoch der Commandant im
14
– 210 –
Perſon denſelben ratificiren wollte, ſah er ſich als Ge-
fangener zurückgehalten. Er ſendete nun an ſeinen Lieu-
tenant Copier den Befehl, ſich nicht um ſein Schickſal
zu bekümmern, ſondern für die Sicherheit der Stadt
Sorge zu tragen, allein hiergegen widerſetzten ſich aber-
mals die Meuterer, die die Thore öffneten und die Feinde
in die Stadt ließen. Dem Commandanten des Chatelet,
des Roches gelang es allein ſich mit 30 Mann zu halten,
bis der Poſten ein Trümmerhaufen geworden, und dann
in der Nacht auf einem kleinen Fahrzeug zu entkommen.
Seit jener Zeit bewahrte Tripolis unter dem Schutz
der Pforte einen gewiſſen Grad von Unabhängigkeit, und
nur von Zeit zu Zeit unterſtützte es der Sultan in ſeinen
Kriegen mit Schiffen und Truppen. Seine Lage machte
es zu einem vortrefflichen Zufluchtsort für Seeräuber,
die von hier aus das mittelländiſche Meer und die Küſten-
länder desſelben beunruhigten. Neapel und Genua machten
einige vergebliche Verſuche dieſen Unfug zu ſteuern, bis
zuletzt die junge Republik der Vereinigten Staaten nach
einem dreijährigen Krieg im Jahre 1804 die Barbaren
nöthigte, ihrem Seeräuberleben zu entſagen. Seit jener
Zeit blieb Tripolis zwar im Frieden mit dem Auslande,
allein Bürgerkriege verheerten dasſelbe von Zeit zu Zeit,
bis im Jahre 1835 der Capudan Paſcha im Namen des
Sultans ſich der Stadt und des Landes bemächtigte und
ſo die Regentſchaft unter die Botmäßigkeit der Pforte
brachte.
– 211 –
Türkiſche Städte pflegen ihre Phyſiognomie nur lang-
ſam zu wechſeln, außer wenn eine Feuersbrunſt große
Theile derſelben hinwegrafft, und da dies in Folge der
Bauart der Häuſer von Tripolis nicht leicht möglich, ſo
iſt kaum anzunehmen, daß der Charakter der Stadt inner-
halb der letzten fünfzig Jahre einem großen Wechſel unter-
legen hat. Das große von den Stadtmauern umſchloſſene
Parallelogramm zerfällt durch viele ſich kreuzende Straßen
in eine große Anzahl Unterabtheilungen von ungleicher
Größe; öffentliche Plätze giebt es kaum, wenn man nicht
zwei oder drei Erweiterungen der etwa 6–8 Fuß breiten
Straßen auf 15–20 Fuß, während einer Länge von
30–40 Fuß, ſo nennen will. Das undauerhafte Bau-
material aus kleinen verwitterten Steinen mit etwas
Mörtel dazwiſchen gegoſſen macht es nöthig die Mauern
in Entfernungen von 20–30 Fuß vermittels über die
Straßen geſpannter Bogen gegenſeitig zu ſchützen, was
jenen das Ausſehen langer Bogengänge giebt. Pflaſter,
Straßenbeleuchtung und Schleuſen kennt man nicht, und
da die Straßenpolizei ein mildes Regiment zu führen
ſcheint, ſo hängt die öffentliche Reinlichkeit vom guten
Willen und der Ordnungsliebe der Einwohner ab; wie
ſich leicht vorſtellen läßt, ſind nur einige Stadttheile in
einem erträglichen, der größte Theil aber in einem ab-
ſcheulichen Zuſtande, unter welchem letzteren ſich beſonders
der ſüdliche Theil auszeichnet.
Die Häuſer, wie im Orient gebräuchlich, haben außer
– 212 –
einem Thor und nur wenigen Fenſtern keine Oeffnungen
nach der Straße zu, enthalten aber ſtets ein oder mehrere
geräumige, meiſt von Gallerien umgebene Hofräume, die
in den Wohnungen der wohlhabenden Claſſen mit buntem
Steingetäfel gepflaſtert, in der Mitte mit einem großen
von Zierpflanzen überragten Sitz verſehen ſind. Die Um-
gebung von Tripolis hat mit Ausnahme von Palmen
und Fruchtbäumen keine Waldungen, deshalb findet man
Mangel an Bauholz und da die Palmenſtämme, die man
meiſt zu Ueberdachungen benutzt, nicht ſehr feſt ſind, folg-
lich keine große Spannweite erlauben, ſo ſind die Stämme
entweder klein oder in Fällen, wo man dieſelben ver-
größern will, begnügt man ſich der Länge zuzufügen, was
der Breite abgeht. Einige Häuſer, wie zum Beiſpiel das
Caſtell des Paſcha's, und einige der Wohnungen der
fremden Conſule haben größere Zimmer, zu denen man
das Bauholz aus Sicilien herbeigebracht hat. Moſcheen
aber ſind mit einer großen Menge Säulen verſehen, die
je vier eine kleine Kuppel ſtützen; dieſe ſind auf eine ſehr
primitive Weiſe gewölbt, indem man aus Planken die
Form des Gewölbes zuerſt erbaut, dieſe mit einer Lage
leichten Gerölls von Tuffſtein überdeckt und das Ganze
mit Mörtel übergießt. Erhärtet letzterer, ſo bäckt Alles
in eine Maſſe zuſammen, die bei trockenem Wetter ziemlich
dauerhaft iſt, während der anhaltenden Regenzeit der
Wintermonate aber wieder aufweicht und oft umſtürzt.
Deshalb ſieht man einen Theil der Häuſer ſtets in Trüm-
– 213 –
mern, denn die indolenten und meiſt auch armen Bewoh-
ner denken ſelten eher daran, ihre Wohnungen zu repa-
riren, bis das Ganze über ihren Köpfen zuſammenſtürzt.
Die Feſtungswerke, beſonders nach der Seeſeite hin, ſind
in etwas ſubſtantiellerer Weiſe erbaut, allein da man nicht
die geringſte Sorgfalt auf ihre Erhaltung verwendet, ſo
bieten auch ſie einen traurigen ruinenhaften Anblick dar.
Neuerdings hatte der Paſcha den Einfall gehabt, das Caſtell,
das ſeine Wohnung enthält, zu repariren, und zu dieſem
Zweck waren eine Anzahl Arbeiter, auf Brettern ſtehend,
die an Stricken über die Mauer herabhingen, beſchäftigt,
die durch herausgefallene Steine entſtandenen Lücken mit
Schmutz und Mörtel auszufüllen und das Ganze zu über-
tünchen.
Die Umgebung von Tripolis hat weder Bäche noch
Flüſſe, deshalb fehlt auch hier die ſonſt in den Städten
des Orients häufige Waſſerleitung, und Brunnen und
Ciſternen müſſen die Einwohner mit dieſem nothwendigen
Lebensbedürfniſſe verſehen.
Seit den früheſten Zeiten bildete Tripolis den bedeu-
tendſten Export- und Importshafen einer beträchtlichen
Strecke der Nordküſte Afrika's. Seit der Zeit aber, wo
es verboten ward Sklaven aus dem Innern der Regent-
ſchaft zu bringen, haben ſich die Karavanen aus dem
Innern entweder öſtlich nach Aegypten oder weſtlich nach
der Küſte von Marocco gewandt, und da ſich hierdurch
die Transportmittel vermindern, ſo iſt natürlich auch die
– 214 –
Einfuhr bedeutend verringert worden. Einen anderen
Stoß erhielt der Handel durch die mehrere Jahre wäh-
rende Hungersnoth und das dadurch hervorgerufene Aus-
fuhrverbot von Schlachtvieh und Cerealen, welche Artikel
ſonſt viel nach Malta verſchifft wurden, und die Lang-
ſamkeit, mit der ſich der damals eingetretene Mangel
wieder erſetzen läßt, bietet keine Ausſicht dar, daß die
alten Verhältniſſe bald wieder eintreten werden.
Dennoch finden ſich jeden Dienſtag etwa 20.000 Araber
auf dem öffentlichen Markte ein, der auf der ſandigen
Ebene am Seeufer, ſüdöſtlich von der Stadt, gehalten
wird, um dort außer den Producten ihrer Felder und
Gärten, Elephantenzähne, Farbeſtoffe, Häute, Talg,
Schlachtvieh, Kameele, Pferde 2c. zum Kaufe auszubieten,
und ſich für den Erlös mit den nöthigen Haushaltungs-
mitteln zu verſehen. In den Straßen der Stadt ſind
die Verkaufsläden meiſt in den Straßen nahe dem See-
ufer und dem Caſtell gelegen, und zwar ſo, daß Schuh-
macher, Waffenſchmiede, Sattler, Tabackshändler 2c. immer
eine Reihe bilden. Das Fleiſch iſt erträglich, der Frucht-
und Gemüſemarkt aber reichlich verſehen, und in den
verſchiedenen Jahreszeiten ſind Orangen, Granatäpfel,
Melonen verſchiedener Art, viele Gattungen vortrefflicher
Feigen, Datteln, Pfirſiche und zur Zeit meines Beſuches
ganz köſtliche Trauben zu billigen Preiſen zu haben. Bäcke-
reien befinden ſich in verſchiedenen Theilen der Stadt, und
da wegen des Holzmangels man ſich bemüht, das Feue-
– 215 –
rungs-Material zu ſparen, ſo wird gewöhnlich ein ge-
räumiger Ofen von einem Unternehmer geheizt, und wer
ihn zu benutzen wünſcht, entrichtet je nach der Quantität
ſeiner Brode ein beſtimmtes Entgeld für den Gebrauch
desſelben. Man ſieht deshalb während des Vormittages
von allen Seiten halbnackte Männer herbeieilen, deren
jeder auf dem Kopfe ein langes Brod trägt, mit Reihen
der kleinen kuchenartigen Laibe von ungeſäuerten unge-
ſalzenen Waizenbroden bedeckt, dabei unausgeſetzt „baleck,
baleck“ rufend, um etwanige Colliſionen mit dem Publi-
kum zu vermeiden.
In Folge des Mangels an fließendem Waſſer wird
das nöthige Mehl in von Kameelen in Bewegung ge-
ſetzten Mühlen gemahlen. In verſchiedenen Theilen der
Stadt findet man ſolche einfache Apparate aufgeſtellt;
vor der Thür der Häuſer, in denen ſich dieſelben be-
finden, warten Frauen und Mädchen, die eine auf die
andere, ihr Körbchen voll mit Waizen oder Gerſte dem
Müller reichend, der den Vorrath auf den Stein ſchüttet,
welchen das Kameel an eine in der Axe des Steines
befeſtigte Stange geſpannt, in Bewegung ſetzt. Iſt das
Thier nicht ſchon vor Alter blind, ſo bindet man ihm
kleine Strohmatten über die Augen; ein Glöckchen, von
den Zahnrädern der Mühle geläutet, bildet die Muſik,
die dieſe Thiere ſo lieben, oder der Müller ſpielt auch
wohl auf einer kleinen hölzernen Pfeife kurze wilde me-
lancholiſche Weiſen. Das Mehl wird in dem unter dem
Stein aufgeſtellten Körbchen der Eigenthümerin aufge-
fangen und nach gethaner Arbeit vom Müller zurück-
gegeben, der einen beſtimmten Antheil davon als Be-
zahlung für ſich zurückbehält.
Die europäiſche Bevölkerung beläuft ſich, mit Aus-
nahme einer Anzahl malteſiſcher oder italieniſcher Kauf-
leute, meiſt nur auf die verſchiedenen Conſuln nebſt ihren
Familien, einem kleinen Hospital, von barmherzigen
Schweſtern unterhalten, mit dem eine katholiſche Miſſion
verbunden iſt, und einigen Aerzten in türkiſchen Dienſten,
die die Militärhospitäler und Quarantaine beaufſichtigen.
Als ich darnach fragte, wie es mit der ärztlichen Hülfe
beſtellt ſei, theilte man mir mit, daß ſich die Schüler
des Aesculap hier in zwei Theile theilen, deren einer
die Patienten ſterben läßt, während der andere ſie um-
bringt; da letztere zweifelhafte Fälle ſchneller zur Kriſis
führen, ſo ſind ſie beim Publikum in größerer Gunſt.
Natürlich ſind die Vergnügungen beſchränkt und meiſt
im Kreiſe der Familien zu ſuchen. Spazierritte entlang
dem Meeresufer in der Kühle des Abends bilden faſt
Jedermanns Erholung, und zwar zieht man hierzu, der
bequemeren Gangart wegen, die hier oft ziemlich guten
und ſtarken Eſel den Pferden vor. Sonntags iſt der
Tag, um ſich gegenſeitig zu beſuchen, und außerdem trifft
man ſich gelegentlich bei Diners oder Soupers. Wie in
den meiſten Orten, wo Fremde ſelten erſcheinen, finden
Ankömmlinge die wärmſte Aufnahme, und wenige, die
– 217 –
hier geweſen ſind, werden Urſache haben, ſich ihres Aufent-
haltes anders als in dankbarer Anerkennung offener und
gerngeübter Gaſtfreundſchaft zu erinnern. Ich ſelbſt wurde
vom Herrn Gaines, dem amerikaniſchen Conſul, auf die
liebevollſte Weiſe bewillkommt, und bin dieſem Herrn,
ſowie Mad. G. für die mir in ihrem Hauſe, das ich
während meines ganzen Aufenthaltes bewohnte, erwieſene
Freundſchaft aufs tiefſte verpflichtet, ebenſo Col. Herrmann,
H. B. M. Conſul, Herrn und Madam Gagliuſi, Herrn
F. Warrington, Reade, Mrs. E. E. Dickſon, Dr. Blau
und Anderen.
Das Leben in einer ſo entlegenen und mit der civi-
liſirten Welt nur auf beſchränkte Weiſe in Berührung
kommenden Stadt iſt nothwendiger Weiſe ziemlich ein-
förmig. Da im Sommer die Tage ſehr heiß ſind, ſo
ſteht man gewöhnlich vor Tagesanbruch auf, wenn der
Ruf des Marabout zum Gebete von der Höhe der Mi-
narets ertönt; eine Taſſe Kaffee dient als Vorbereitung
zu einem Bade in der See oder einem Spazierritt in
der Kühle des Morgens, auf den um 10 Uhr das Früh-
ſtück folgt. Bis 4 Uhr Nachmittags iſt es rathſamer, ſich
im Hauſe zu beſchäftigen oder, was bei der großen Hitze
oft unwillkührlich geſchieht, eine Sieſta zu halten. Der
ſpätere Nachmittag wird von den meiſten Europäern zur
Vollendung ihrer Tagesgeſchäfte angewandt, und ein
Spazierritt entlang dem Seeufer ſchließt gewöhnlich den
Tag. Hat man ſich erſt an den etwas ſonderbaren Anblick
– 218 –
gewöhnt, ſo findet man ein ſolches Langohr durchaus nicht
unangenehm zu beſteigen; beſonders wenn man einen
etwas langbeinigen Paßgänger erhalten kann. Mehrmals
gelang es mir, einen ſo großen Eſel zu finden, daß meine
Fußſpitzen mindeſtens drei Zoll vom Erdboden entfernt
WMYEM.
Am Abend ſpielt gewöhnlich die Muſik der türkiſchen
Garniſon vor dem Schloß des Paſcha's, da hierbei nicht
Harmonie der Hauptzweck zu ſein ſcheint, ſondern vielmehr
Geräuſch, und überdies ein Beſtreben jedes einzelnen
Muſikers ſich bemerkbar macht, mit dem ihm zukommenden
Theil ſchnell fertig zu werden, ſo bildet dieſes Concert
keinen weſentlichen Anziehungspunkt.
Das Diner findet gewöhnlich um 8 Uhr ſtatt, und
die darauf folgende Stunde, die man meiſt auf der Ter-
raſſe des Hauſes zubringt, die kühlende Seebrieſe zu ge-
nießen, iſt eine der angenehmſten. Es iſt wiederum die
Stimme des Marabouts, zum Gebet rufend, die den
Tag beſchließt, und wenn ſie ſich in einer mondhellen
Nacht melodiſch in das Rauſchen des Meeres miſcht,
liegt ein eigenthümlicher poetiſcher Reiz in dieſen lang-
gezogenen melancholiſchen Tönen; ſo daß man zu Zeiten
vergeſſen kann, man befinde ſich inmitten eines armen
unwiſſenden unterdrückten Volkes, für deſſen Erhebung
zu einem höheren Standpunkt der Civiliſation wenig
Hoffnung vorhanden iſt.
Diejenigen europäiſchen Reiſenden, die ihre Erfor-
– 219 –
ſchungen Afrika's vom mittelländiſchen Meere aus be-
gannen, haben, ſeit den Zeiten Clapperton's, meiſt Tripolis
zum Anfangspunkt ihres Unternehmens gewählt, und man
findet in den Händen europäiſcher Familien kleine Reli-
quien von den meiſten derſelben. Vor allen Uebrigen
haben ſich zwei Familien durch rege Theilnahme am Schick-
ſal jener Reiſenden und durch die gaſtliche Theilnahme
und rege Hülfe, mit der ſie ihnen entgegen kamen, große
Verdienſte erworben und faſt mit allen Explorationen,
die im gegenwärtigen Jahrhundert nach jener Richtung
ſtattfanden, identificirt; dies ſind die Familien Warrington
und Dickſon. -
Col. Warrington war während mehr als 30 Jahren
brittiſcher Generalconſul in Tripolis, Clapperton wohnte
in ſeinem Hauſe und traf daſelbſt ſeine Vorbereitungen
für ſeine Reiſe; ebenſo Major Lang.
Das tragiſche Ende des Letzteren iſt ſeit Dr. Barth's
Reiſe nach Timbucto genügend bekannt geworden, weniger
jedoch ſeine romantiſche Ehe mit Miß Warrington, die
eine Stunde vor ſeiner Abreiſe ſtattfand. Sein Abſchied
war auf Ewigkeit und Mrs. Lang wurde Wittwe, ohne
jemals Gattin geweſen zu ſein.
Col. Warrington's Sohn, Mr. R. Warrington be-
gleitete Mr. Richardſon auf jener unglücklichen Expedition
in der mit Ausnahme Dr. Barth's alle Europäer zu Grunde
gingen, darunter der talentvolle Dr. Vogel, deſſen Schickſal
ſo große Theilnahme erregt hat. Im Hauſe der Madame
– 220 –
Dickſon, Wittwe von Dr. Dickſon, befindet ſich Clapper-
ton's Portrait, Mrs. E. Dickſon, Tochter Col. Warring-
ton's, bewahrt das Portrait Maj. Lang's, das nach dem
Tode der Wittwe in die Hände der Schweſter überge-
gangen, Mr. Frederick Warrington aber, der mit Dr. Vogel
ſehr befreundet war, beſitzt ein Portrait des letzteren.
Getreu dem Verſprechen, daß ich dem verehrten Vater
Dr. Vogel's in Leipzig gegeben, und geleitet von dem
großen perſönlichen Intereſſe, das ich am Schickſal dieſes
Märtyrers der Wiſſenſchaft nahm, ſuchte ich zuverläſſige
Erkundigungen einzuziehen, was geſchehen ſei um Nach-
richt über Dr. Vogel's Schickſal zu erlangen und wie weit
den Gerüchten über dasſelbe Glauben beizumeſſen ſei.
Leider kann die Hoffnung, daß der Vermißte noch am
Leben ſei, nur gering ſein, denn ein langer Zeitraum iſt
ſeit ſeinem Verſchwinden verſtrichen, ohne daß auch nur
das geringſte Lebenszeichen über ihn erlangt worden ſei,
allein nichtsdeſtoweniger hat ſich noch Niemand gefunden
der Zeuge ſeines Todes geweſen, ja nicht einmal Jemand,
der poſitiv behauptet hat, daß er geſtorben ſei. Dr. Vogel
ward zuletzt von einem Bewohner Bornou's geſehen, als
er in die Wohnung des Sultans von Wadai ging; hier
verliert ſich ſeine Spur. Später wurden Gerüchte laut,
daß der Sultan von Wadai Dr. Vogel aufgefordert habe,
Mahomedaner zu werden, und in Folge ſeiner Verweige-
rung ihn enthaupten ließ, es iſt jedoch nicht gelungen
dieſe Gerüchte bis zu einer beſtimmten Form zurückzu-
– 221 –
führen; deshalb und ſo lange nicht ein mäßiger Grad
von Gewißheit über dieſen Punkt erlangt iſt, dürfen die
Anſtrengungen, die man zu dieſem Zwecke macht, nicht
verringert werden.
Glücklicherweiſe hegt der gegenwärtige brittiſche Conſul
in Tripolis, Col. Herrmann ein hohes Intereſſe für
Dr. Vogel und läßt keine Gelegenheit, ſich Auskunft zu
verſchaffen, unbenutzt vorübergehen. Zu verſchiedenen
Zeitpunkten wurden Botſchaften und Briefe an den Sul-
tan von Bornou, an Si Mahomed Titewy, einem ein-
flußreichen intelligenten Kaufmann von Bornou, beide ſehr
freundlich und den Chriſten günſtig geſtimmte Männer,
ſowie an verſchiedene Häuptlinge der Tuarick's, entſendet,
jedoch ohne irgend welches Reſultat zu erlangen. Allein
neuerdings bot ſich eine günſtige Gelegenheit direct mit
Wadai zu verkehren, und dieſe ward von Col. Herrmann
auf folgende Weiſe benutzt.
In Folge gewiſſer Mißhelligkeiten mit dem Sultan
von Wadai, der zu verſchiedenen Zeiten Güter, die Kauf-
leuten der Provinz Tripolis gehörten, geraubt hatte, ward
vor etwa fünf Jahren in Ben Ghazi eine demſelben zu-
gehörige Karavane mit Beſchlag belegt. Im Monat De-
cember des vergangenen Jahres langte in Morzouk eine
Geſandtſchaft des Sultans mit Briefen und Geſchenken an
den Paſcha von Tripolis an, um ſowohl eine Schadlos-
haltung für die Wegnahme der Karavanen zu erhalten,
als auch einen Vertrag für den künftigen Verkehr zwiſchen
– 222 –
beiden Ländern zu negociren. Da es Col. Herrmann ge-
lungen war, auch den Paſcha für Dr. Vogel's Schickſal
zu intereſſiren, ſo wurde der Caimacan von Morzouk,
ſowie der britiſche Vice-Conſul Mr. Fremeaux inſtruirt,
von dieſer Geſandtſchaft auf verſchiedene Weiſe Auskunft
über Dr. Vogel zu verlangen. Leider führten dieſe mit
großer Geduld, Tact und Geſchicklichkeit geleiteten Ver-
handlungen nicht zu dem gewünſchten Reſultat, denn vom
Beginn bis zu Ende leugneten die Geſandten jede Kennt-
niß ab, daß Dr. Vogel oder irgend ein Chriſt jemals in
Wadai geſehen worden ſei.
Man ſchlug nun einen anderen Weg ein, um zum
Ziel zu gelangen. Die Geſandten wurden mit Geſchenken
entlaſſen, in einem Brief aber an den Sultan erklärte
ſich der Paſcha bereit auf ſeine Vorſchläge einzugehen.
Ehe jedoch an weitere Verhandlungen zu denken ſei, müſſe
man genaue Auskunft über Dr. Vogel's Schickſal erlangen,
und das hohe Intereſſe, welches nicht nur die Regierung
von Tripolis, ſondern die ganze civiliſirte Welt für den
Vermißten fühle, ward auf die nachdrücklichſte Weiſe ge-
ſchildert.
Zu gleicher Zeit entſendete Mr. de Fremeaux zwei
vertraute zuverläſſige Araber mit Inſtructionen, nichts
unverſucht zu laſſen, um die gewünſchte Auskunft zu er-
langen.
Alle dieſe Perſonen verließen Morzouk gegen Ende
des vergangenen Juni und natürlicher Weiſe müſſen viele
– 223 –
Monate verſtreichen, ehe etwas über das Reſultat ver-
lauten kann. Leider iſt das Maximum der Hoffnungen
Col. Herrmann's, daß vielleicht einige Bücher und Pa-
piere des Vermißten, der von dem Zeitpunkt an, wo er
das Territorium von Wadai betrat, keine Nachricht mehr
von ſich gegeben, Alles ſein wird, was man erlangen
kann, und die meiſten Perſonen, mit denen ich in Tripolis
über den Gegenſtand ſprach, theilen Col. Herrmann's
Anſicht, mit Ausnahme Mr. Frederick Warrington's, der
die Hoffnung noch nicht aufgegeben, und dieſelbe darauf
ſtützt, daß Major Lang lange vor ſeinem Ende als Tod
ausgegeben ward, und Dr. Barth bereits zwei Jahre vor
ſeiner endlichen Rückkehr todt geglaubt ward. Leider iſt
im gegenwärtigen Fall der verſtrichene Zeitraum ein viel
längerer, als bei einem der früheren Reiſenden und ob-
ſchon meine wärmſten Wünſche und Gebete auf der Seite
der Hoffnung ſind, ſo verſchwindet in Betracht der That-
ſachen dieſelbe vor dem Tribunal der Urtheilskraft dennoch
beinahe zum Schatten des Schattens.
Früher erwähnte ich, daß von der Stadt bis nach
Cap Tajura ein etwa ein oder zwei Miles breites Gehölz
von Palmen hinzieht, und dies enthält beinahe das ganze
bebaute Ackerland der Umgegend; denn ſüdlich von dem-
ſelben dehnt ſich der gelbe Wüſtenſand, nur ſelten von
Oaſen unterbrochen, bis an die den fernen Horizont be-
grenzenden Berge, nördlich aber ſtößt der Palmenhain
an das Meer.
– 224 –
Weder Bach noch Fluß bewäſſert das Land, und die
Felder oder beſſer Gärten müſſen auf künſtliche Weiſe
mit dem nöthigen naſſen Element verſorgt werden. In
einer Tiefe von 15 bis 20 Fuß findet man überall
Waſſer, deshalb hat jeder Garten einen oder mehrere
Brunnen, daneben große gemauerte Behälter, aus denen
das Waſſer über die Felder je nach Bedürfniß vertheilt
wird. Der Apparat, das Waſſer zu heben, iſt ziemlich
primitiver Natur: Ueber dem Brunnen erheben ſich zwei
Pfeiler, die die Axe eines etwa 2 bis 2 Fuß im Durch-
meſſer haltenden Rades tragen, über das ein Seil läuft,
an deſſen einem Ende ſich ein lederner Eimer befindet,
während das andere am Joch des Ochſen oder der Kuh
befeſtigt iſt, die das Waſſer heraufzuziehen hat. Der
Eimer ſelbſt endet in einem Schlauch, an den ein zweiter
Strick gebunden über eine etwa 3 Fuß unterhalb des
Rades in den Pfeilern befeſtigte Walze läuft, und gleich-
falls am Joch des Zugthieres feſtgemacht iſt. Vor dem
Brunnen hat man ein Loch in die Erde gegraben, um
ſo eine in ſteilen Winkeln ſich ſenkende Ebene zu erzeugen,
die das Thier hinabläuft, und einige an den Rand ge-
pflanzte Bäume bieten demſelben und dem Mann, der
dasſelbe treibt, den nöthigen Schatten. Durch das An-
ziehen des Thieres wird der Eimer gehoben, allein da
der an dem Schlauch befeſtigte Strick kürzer iſt, als der
den Eimer hebende, ſo wird zuerſt das Ende des
Schlauches auf gleicher Höhe mit dem Rande des Eimers
– 225 –
gehalten; folglich kann ſich letzterer füllen, dann aber
geht der Schlauch über die Walze, öffnet ſich dadurch
und läßt ſo das ganze Waſſer aus dem Boden ſtrö-
men, ohne daß ein Umſtürzen des Eimers nöthig wird.
Das ſo heraufgehobene Waſſer fällt in einen vor den
Pfeilern befindlichen Behälter, wird von dieſem in an-
dere größere und dann durch kleine Kanäle über die
Felder geleitet.
Die Producte, die man in dieſen Gärten erzeugt,
ſind Mais, Hirſe, etwas Reis, ein wenig Waizen,
einige Wurzelfrüchte und Gemüſe, und trotz des trockenen
ſandigen Bodens iſt die Fruchtbarkeit an allen Stellen,
die fleißig bewäſſert worden, ſehr groß. Die Mehrzahl
der zwiſchen den Feldern und Gärten gepflanzten Bäume
ſind Dattelpalmen, und zwar in ſo großer Anzahl und
von ſolcher Größe und Schönheit, daß ich ſie mit dem
Ausdruck Hain bezeichnete. Im Juli hingen bereits die
Früchte in großen ſchweren Trauben aus der Krone
herab; allein noch waren ſie grün, ſpäter werden ſie gelb
und in einigen Wochen braun, wo die Zeit der Erndte
und des Trocknens der Datteln eintritt. Bei einigen
Bäumen waren die Blätter abgeſchnitten, in der Krone
aber eine Vertiefung angebracht, in der ſich der Palmen-
wein (Lagby) ſammelte, und durch eine kleine Röhre in
ein am Stamm befeſtigtes Gefäß geleitet ward. Des
Morgens, wenn friſch, iſt dieſer Saft ein angenehmes
kühlendes Getränk, nicht unähnlich der Milch unreifer
15
– 226 –
Kokosnüſſe mit dem angenehmen Aroma der Dattel; wird
er aber während einiger Zeit der Sonnenhitze ausgeſetzt,
ſo geht er in Gährung über, wird berauſchend und ſchmeckt
unangenehm ſäuerlich. Die Araber geben ihm in dieſem
letzteren Zuſtand den Vorzug, und dieſer Wein nebſt dem
„Maſtico“ ein aus Maſtixharz deſtillirter Branntwein,
bilden ihre geiſtigen Getränke, deren Genuß der Koran
nicht verbietet. Das Abzapfen des Weines ſchadet dem
Baume ſehr, während dreier Jahre trägt derſelbe keine
Frucht, für die barbariſche Verwendung des Maſtix aber
werden, ſo glaube ich, dieſe Leute die Verachtung der
Maler der geſammten Chriſtenheit erndten, die ſo auf
die illegitimſte Weiſe des ohnedies ſparſam vorhandenen
Materials für guten Firniß beraubt werden.
Zwiſchen den Palmen ſind an einigen Stellen Ge-
büſche von Olivenbäumen, Mandeln oder Feigenbäumen.
Letztere liefern ganz herrliche Früchte, die eben reif wurden,
und es iſt ein wahrer Genuß, am frühen Morgen, wenn
der Thau in Perlen auf den mit einem bläulichen Reif
überzogenen Früchten liegt, die aufplatzend ihre röthliche
Kerne zeigen, ſich ſein Frühſtück vom Baum zu pflücken,
ohne aus dem Sattel zu kommen.
Die Umzäunungen der Gärten beſtehen aus Erd-
wällen oder Hecken von Cactus, deſſen Feigen im Juli
gleichfalls reif, eine angenehme kühlende Frucht bilden.
Die Häuſer ſind meiſt aus Lehm gebaut, und die heftigen
Regengüſſe des vergangenen Winters hatten das leichte
– 227 –
Material ſo aufgeweicht, daß viele Gebäude ganz oder
theilweiſe umgeſtürzt waren.
In der Nähe vom Cap Tajura beſitzt Mr. Gaines,
U.S. Conſul, ein kleines Landhaus, das am Ufer eines
kleinen Sees gelegen, während der Schnepfenzeit einen
allerliebſten Aufenthalt für den Jagdliebhaber bildet. Die
Ränder des Sees bieten den beſten Schnepfengrund, den
ich geſehen; der Boden iſt nicht ſo ſumpfig, um nicht
mit Leichtigkeit darüber gehen zu können, bietet den
Schnepfen vorzügliche Nahrung und das Binſengras eine
gute Deckung. Mr. Gaines hat in einem Tage ſchon
65 Schnepfen erlegt, und zu Zeiten dabei noch mehrere
Becaſſen (Holzſchnepfen). Leider war jetzt nicht die Jagd-
zeit für Schnepfen, die nur im Winter ſich hier aufhalten,
und deshalb mußte ich mich mit einigen Dutzend wilden
Tauben begnügen.
Im Speiſeſaal von Mr. Gaines ſtieß ich auf ein
anderes Souvenir Vogel's. Die Araber pflegen als
einen Zauber gegen den böſen Blick die Hand in die
Aſche des Heerdes getaucht, gegen die Wand über Thüren
und Fenſter zu ſchlagen, ſo den Abdruck ihrer fünf Finger
zurücklaſſend. Zum Scherz hatte Vogel bei einem Beſuch
dasſelbe Zeichen über Thüre und Kamin gemacht, ſpäter
aber, beim Uebertünchen des Zimmers, hatte Mr. Gaines
die Abdrücke aufſparen laſſen, ſo daß ſie noch in leichten
Conturen ſichtbar ſind.
In nicht zu großer Entfernung von dieſem Ort be-
– 228 –
findet ſich eine große alte ſpaniſche Kirche, die jetzt zur
Moſchee benutzt wird.
Zu der Zeit, wo Kaiſer Karl V. Malta und Tripolis
an den Johanniterorden abtrat, befand ſich eine kleine
ſpaniſche Anſiedelung in der Nähe von Cap Tajura, und
wie überall wo Spanier eine Niederlaſſung bilden, erhob
bald eine Kirche ihren hohen Thurm über den Gipfel
der Palmen Afrika's.
Als im Jahre 1551 Tripolis den Chriſten entriſſen
wurde, fiel auch die Colonie von Tajura unter dem
Schwerdte der Türken, und die kleine Stadt ging in
Flammen auf, denen jedoch die feſte Bauart der Kirche
widerſtand. Selbſt im Zerſtören indolent, blieb ſie von
den Arabern geraume Zeit unbeachtet, und wurde zu einer
ſpäteren Zeit zur Moſchee benutzt, wozu ſie noch jetzt
dient. Das Gebäude iſt etwa 150 Fuß lang, 75 breit,
und das Gewölbe wird von zahlreichen Marmorſäulen
getragen, die theils aus Spanien, theils aus den rö-
miſchen Ruinen von Lebdah herbeigebracht wurden.
Von der Spitze des Thurmes, von der jetzt ſtatt des
Glockengeläutes der Ruf des Marabout zum Gebete ruft,
hat man eine weite Umſicht über Land und See, und
als im vergangenen Winter heftige Regengüſſe die Lehm-
hütten der Araber zerſtörten, fand ein großer Theil der
Bevölkerung Zuflucht in der Kirche und dem Thurm.
In vielen Häuſern der Stadt hatte ich zahme Gazellen
bemerkt und hegte deshalb den Wunſch dieſes graciöſe
– 229 –
Wild in ſeinem Naturzuſtand zu beobachten. Mr. Gaines
war ſo freundlich mich mehrmals zu begleiten, und ob-
ſchon die Thiere durch häufige Verfolgung der Araber
ſo ſcheu geworden, daß ich nicht zum Schuß kommen
konnte, ſo hatte ich dennoch Gelegenheit mehrere zu ſehen.
Es iſt dies unſtreitig eines der zierlichſten Thierchen und
läßt ſich ſo leicht zähmen, daß man oft dergleichen in
den Häuſern durch alle Zimmer laufen, bei Tiſch Stück-
chen Brod ſtehlen und im Winter vor dem Feuer des
Kamins liegen ſieht. Das glatte reinliche Fell, die zier-
lichen Füßchen, die ſchönen vollen ſchwarzen Augen und
die poſſierlichen Sprünge verleihen dieſem kleinen Weſen
einen ganz beſonderen Reiz.
Ich hatte jedoch mein Vergnügen mit einem mühſeligen
Marſch durch die Sandhügel zu erkaufen, was bei einer
Temperatur von 105"Fahrenheit im Schatten keine Klei-
nigkeit war, denn trotzdem ich lange vor Tagesanbruch
an Ort und Stelle war, kehrte ich dennoch erſt am Nach-
mittag nach der Stadt zurück.
Einſtmals begegneten wir einem Araber, der mit ſeiner
ſieben Fuß langen Flinte gleichfalls auf der Jagd war,
wobei ihn ſein kleiner Knabe mit einem Waſſerſchlauch
auf dem Rücken begleitete. Er ſchien entſchloſſen, nicht
ohne Beute heimzukehren, ſelbſt wenn er mehrere Tage
warten müßte. Natürlich folgte ich ihm nicht ſo lange,
glaube aber, daß das Reſultat wahrſcheinlich darin be-
ſtanden hat, daß er 25–30 Miles gegangen, dann viel-
– 230 –
leicht 2–3 Miles auf dem Bauche gekrochen, eine halbe
Stunde im Anſchlag gelegen und zuletzt möglicher Weiſe
einen Fehlſchuß gethan hat.
Einer dieſer Wüſtenzüge brachte mich nach Gal-Gariſch,
etwa 6 Miles weſtlich von der Stadt am Seeufer gelegen.
Man findet hier, die Ruinen eines prächtigen Caſtells,
deſſen Mauern, obſchon vielleicht 2000 Jahre alt, dennoch
in beſſerem Stande ſind, als die Befeſtigungen der Stadt.
Das Caſtell liegt auf der Spitze eines Felſens, deſſen
Seiten künſtlich noch ſteiler gemacht worden ſind, als
ſie von Natur waren. Ein Graben umgiebt das Ganze,
in kurzer Entfernung gegen Weſten ſind in den Felſen
tiefe künſtliche Aushöhlungen gemacht, die wahrſcheinlich
dazu dienten, allerhand Vorräthe aufzuſpeichern, jetzt aber
theilweiſe vom Wüſtenſand verſchüttet ſind.
Gleichwie in Aegypten drängt die Wüſte die Cultur
immer weiter zurück, nach allen Seiten hin ſieht man
aus dem Sande Trümmer eingeſtürzter Brunnen ragen
und ſoweit ich in die Wüſte vorgedrungen, fand ich den
harten Boden mit Fragmenten von Gefäßen aus rothem
Thon gebrannt bedeckt. Fände dies nur an den die Wüſte
durchkreuzenden Heerſtraßen ſtatt, ſo könnte man anneh-
men, daß dieſelben von Karavanen herrühren; wie ſie
liegen, erregen ſie Vermuthungen, daß einſt dieſen ganzen
Sandſtrich blühende Felder bedeckten, deren Eigenthümer
im Laufe der Zeit durch Bürgerkriege, Verfolgung und
Krankheit aufgerieben worden, und da keine ſchützende
– 231 –
Hand mehr da war, die Felder zu bewäſſern, ſo wurden
dieſelben allmählich vom Wüſtenſand überdeckt.
Etwa zwei Miles weſtlich von Gal-Gariſch befindet
ſich eine Höhle in den Felſen der Küſte, die uns auf
Fiſchzügen während der Nacht Obdach gegeben hat.
Man fängt hier mit Nachtſchnüren mehrere vortreffliche
Seefiſche, darunter eine Art ganz gewaltig großer See-
aale, und die Herren F. Warrington und Read nebſt
Herrn Gaines machen in der geeigneten Jahreszeit meiſt
wenigſtens einmal wöchentlich einen Ausflug nach dieſer
Gegend. Am Abend finden ſich meiſt einige Araber der
Umgegend ein, die mit den Dienern und Kameeltreibern
dieſer Herren ſingen oder tanzen. Ein alter Diener Herrn
F. Warrington's ſpielte häufig dazu auf einer arabiſchen
Pfeife und wußte durch allerhand Späße die Geſellſchaft
zu beluſtigen.
Dieſer alte Schwarze hatte Herrn R. Warrington auf
Richardſon's unglücklicher Expedition begleitet, war ſeinem
Herrn bis ans Ende gefolgt, hatte ſeine Leiche im Wüſten-
ſand begraben und brachte die letzten Grüße an die Fa-
milie zurück. Seit jener Zeit iſt er bei dem Bruder des
Verſtorbenen geblieben, der bei den Arabern in hoher
Achtung, ja im Rufe eines Heiligen ſteht. Herr F. War-
rington in Tripolis geboren, hat von ſeiner früheſten
Jugend viel Sympathie für die Eingeborenen gefühlt;
ſelbſt ein Chriſt, hat er gelernt ſich aller Handlungen zu
enthalten, durch die oft Chriſten das Gefühl des ortho-
– 232 –
doxen Mahomedaners verletzen. Das Einkommen des von
ſeiner Mutter ererbten bedeutenden Vermögens überſteigt
die Bedürfniſſe ſeines einfachen Lebens ſo beträchtlich, daß
er im Stande iſt, große Summen zu philantropiſchen
Zwecken zu verwenden. Er läßt ſtets einige arme Knaben
auf ſeine Koſten erziehen, eine ziemliche Anzahl Armer
empfängt von ihm regelmäßige Unterſtützung, vor der
Thür ſeines Gartenhauſes an der Heerſtraße, ins Innere
ſtehen ſtets Gefäße mit Waſſer für den durſtenden Rei-
ſenden und ſeine Kameele, Zelte und Diener ſtehen ſtets
demjenigen, der ihrer bedarf, zu Dienſten. Verſchiedene
Dialekte der Stämme des Innern ſprechend, das er oft
beſucht, hat ſich durch dieſe Lebensweiſe ſein Name und
Einfluß weit verbreitet, die Gläubigen betrachten ihn als
einen Marabout oder Heiligen, deſſen Namen ſie ſegnen,
und ich halte bei den Stämmen der Tripolitaner eine
Empfehlung von F. Warrington an den Scheik für ein
wirkſameres Schutzgeleit als einen Firman des Paſcha's.
Es iſt deshalb nicht befremdlich, daß, wo immer F. War-
rington's Zelt ſteht, ſich die Araber der Umgegend ein-
finden.
Bei einer jener Gelegenheiten führte ein alter Araber
verſchiedene Gaukelſtückchen auf, tanzte mit einem gefüllten
Glas Waſſer auf dem Kopf in den wunderlichſten Sprün-
gen umher, und endete die Vorſtellung damit, daß er
eine gefüllte Waſſerflaſche mit der offenen Mündung nach
unten auf dem Kopf balancirte; dies Kunſtſtück wurde von
– 233 –
einem Anderen, der ſich hinter ihn geſchlichen, unterbrochen,
indem er die Flaſche in die Höhe hob, worauf das her-
ausſtrömende Waſſer den beſtürzten Tauſendkünſtler über-
ſtrömte. Einige Anderen ergötzten ſich mit einem Spiel,
ähnlich dem Damenſpiel, wozu ſie die Felder in den Sand
zeichneten; ſtatt der Figuren aber der Eine Kieſel vom
Strande, der Andere die runden Ballen des Kameel-
miſtes benutzte.
Notizen über das Volksleben in Tripolis müſſen natür-
licher Weiſe mager ausfallen, denn das Ganze bietet ſeines
monotonen Charakters wegen, wenig Abwechſelung dar.
Die verſchiedenen Beſuche beim Paſcha und beim Scheik
Ali Gergang Effendi (dem Bürgermeiſter der Stadt) und
anderen vornehmen Türken wichen in nichts von der Art
ab, wie andere aſiatiſche Feſtivitäten beſchrieben worden ſind,
Pfeifen, Kaffee, Confect, Limonade, Früchte, Gebratenes
Fleiſch, Pillau, Scherbet 2c. nebſt einſilbiger Unterhaltung.
Der große Wochenmarkt der Araber bietet gleichfalls
wenig Intereſſe, der Artikel ſind wenige und dieſe liegen
in großen Maſſen aufgehäuft, worunter, ſollte es ein
windiger Tag ſein, die gewaltigen Berge rothen Pfeffers
ſich den Geruchsorganen durch einen bedeutenden Kitzel,
ein häufiges Nießen hervorrufend, bemerkbar machen.
Die Kameele und Pferde, die die Araber mit ſich bringen,
ſind meiſt geringer Gattung, denn man läßt die beſſeren
Hengſte und Stuten daheim, aus Furcht, daß ſie die Hab-
ſucht türkiſcher Beamten erregen möchten.
– 234 –
Natürlich werden die niedrigen Stände hier ebenſo
geſchunden, wie im ganzen Orient, ſo daß der Feldbauer
vielleicht kaum 10 pCt. ſeiner Ernte für ſich behält, ſieht
man aber die Leute an, ſo kann man ſich kaum denken,
daß Jemand das Herz haben kann, dies arme Volk noch
mehr auszuſaugen, denn außer einem zerlumpten Bara-
kan oder Bournous, als einziges Kleidungsſtück, etwas
Gerſte und Datteln, einigen Ziegen, eine Kuh oder einen
Ochſen, das Land zu wäſſern, und vielleicht ein oder zwei
alten Kameelen beſitzen die Leute nichts.
Der Anblick der Kameele iſt mir ſtets eine Quelle
der Unterhaltung geweſen. Die ſprüchwörtliche Geduld
des Kameeles iſt bekannt, d. h. es iſt im Stande, bei
kargem Futter und der ſchlechteſten Behandlung fort-
während die ſchwerſte Arbeit zu verrichten, deshalb ſoll
man aber ja nicht daraus ſchließen, daß das Kameel ein
ſanftes Thier ſei. Es duldet, was über es verhängt
wird; allein dabei grollt es und brummt es bei der ge-
ringfügigſten Veranlaſſung ohne Unterlaß. Es iſt der
mürriſche Philoſoph der Thierwelt, deſſen paſſiver Wider-
ſtand gegen zugefügte Unbilden fortwährend in tiefen
Gutturaltönen ſich ausdrückt. Es kommt z. B. eine Reihe
beladener Kameele, und am Beſtimmungsorte angelangt,
läßt der Führer das erſte niederknieen. Sogleich ertönt
ein Geſchrei, als ob ein ſchwindſüchtiger Eſel im Sterben
läge, das von einem zum anderen wiederholt, ſich bis
ans Ende des Ganges fortpflanzt. Wird eines der
– 235 –
Thiere abgeladen, ſo ſchreit das andere, bis es auch
ſeiner Bürde entledigt iſt; erhält eines ſein Futter früher
vorgeſchüttet, ſo blöken alle Uebrigen, bis ſie auch be-
friedigt ſind, und das Aufladen und Aufſtehen ruft neue
Proteſtationen hervor. Hat man vielleicht vergeſſen, ein
Thier zu feſſeln, indem man ihm das Halfterſeil um
das Kniegelenk bindet, um es ſo am Aufſtehen zu ver-
hindern, ſo macht ſich dasſelbe los, und ſollten mehrere
ſich in gleicher Lage befinden, ſo iſt des Umherſpringens,
Blökens, Ausſchlagens, Beißens und anderen Unfugs
kein Ende. Hat ſich vielleicht in der Verwirrung noch
ein Hengſt losgeriſſen, dann iſt das Unglück gar fertig;
derſelbe macht ſich gleich über eine Stute her, die vor
ihm davonläuft, beide Pferde fangen an auszuſchlagen,
andere Araber laſſen in der Beſtürzung auch die Halftern
los, und entſetzlicher Wirrwar von ſchreienden Menſchen,
blökenden Kameelen, beißenden und ſchlagenden Pferden,
umgeworfenen Zelten, zerborſtenen Waarenballen und zer-
trümmerten Tiegeln und Pfannen füllt für die nächſte
halbe Stunde die Scene.
In einer Ecke des Marktes ſind gewöhnlich eine
Anzahl von Schmieden beſchäftigt, entweder Pferden die
kleinen flachen runden Hufeiſen aufzunageln oder Waffen
auszubeſſern und ihre Schmiede iſt gewißlich eine von
der primitivſten Art.
Als Amboß dient entweder ein Stein oder ein Stück-
chen Eiſen, oft nur wenige Pfund ſchwer, ein kleines
– 236 –
Loch im Sande, in das eine Handvoll Holzkohlenge-
worfen, bildet den Heerd; die Bälge aber ſind zwei Leder-
ſäckchen, deren er in jeder Hand eins hält, das durch
Oeffnen und Schließen der Hand einen kleinen Luftſtrom
durch eine im Sande bis unter das Feuer geführte Röhre
entſendet.
Dem Beiſpiel des Geſchichtsſchreibers folgend, der,
um ſich eine lebhafte Vorſtellung von dem Leiden der
franzöſiſchen Armee auf dem Rückzuge aus Rußland
1812 bis 1813 zu machen, in einer kalten Winternacht
im Hemd in ſeinem Garten ſpazieren ging, beſchloß ich,
die Wolluſt eines orientaliſchen Bades aus eigener Er-
fahrung kennen zu lernen, und wählte deshalb die beſte
der öffentlichen Badeanſtalten der Stadt. Es war mir
nicht beſchieden, eine Scene aus Tauſend und Einer
Nacht zu erleben.
Durch eine kleine ſteingetäfelte Vorhalle, deren Wände
mit abenteuerlichen Darſtellungen von Löwen, Gazellen
und Palmenbäumen in gelber, ſchwarzer und grüner
Farbe verziert waren, gelangte ich in eine geräumige,
von einer Kuppel überragte Halle, die von oben erleuchtet,
im Halbdnnkel einer blauen feuchten Atmoſphäre auf den
niedrigen Plattformen, die längs der Wände hinliefen,
ein halbes Dutzend Türken enthielt, die rauchend und
aus kleinen Taſſen Kaffee ſchlürfend, die Zeit verduſelten,
bis ihre Reihe gekommen ſei.
Weder rauchend noch Kaffee trinkend, blieb mir nichts
– 237 –
übrig, als mich zu entkleiden und in einige nicht ſehr
reinliche Tücher gewickelt, auf der Plattform hockend, der
Dinge zu warten, die da kommen ſollten. Nach einiger
Zeit kam ein halbnackter ſchmieriger Burſche, der mir
ein Paar hölzerne Pantoffeln brachte und andeutete, ich
ſolle ihm folgen. Mit einiger Schwierigkeit balancirte ich
über das ſchlüpfrige Steingetäfel und ward von meinem
Führer in ein inneres Gemach geleitet, in welchem Dunkel-
heit, Feuchtigkeit und Hitze mich etwas confus machten, ſo
daß ich mich nur langſam orientiren konnte. Ein Schüt-
teln an meiner rechten Schulter, nebſt einigen gegrunzten
arabiſchen Worten lenkten meine Aufmerkſamkeit nach
jener Seite, und ich ſah im Halbdunkel der heißen Dünſte,
daß ein neuer deus ex magina die Scene betreten hatte.
Dies war ein langer, magerer, einäugiger, glatzköpfiger,
alter Kerl mit einem einzigen Zahn in der Oberkiefer,
der in der unheimlichen Umgebung eher einem peinigenden
Dämon der Unterwelt glich, als einer Perſon durch deren
Vermittelung wir Erholung und Stärkung erwarteten.
Mein Peiniger deutete durch einige unverſtändliche Worte
und mehrere ſehr verſtändliche Stöße an, daß ich die
Tücher abſtreifen und mich auf eine in der Mitte des
Raumes befindliche ſteinerne Plattform legen ſollte. Das
Ding ſah aus, wie ein heidniſcher Opferheerd, und als
ich ſeiner Anweiſung Folge leiſtete, konnte ich mich nicht
des Gedankens erwähren, da jetzt nur noch das Opfer-
meſſer über mir zu blitzen brauchte, um die Scene melo-
– 238 –
dramatiſch zu machen. Statt beſagten Opferinſtrumentes
aber, bewaffnete ſich mein Peiniger mit einer alten groben
Bürſte, die in ihrer Jugend ſtark die Blattern gehabt zu
haben ſchien, drehte mich mit einem kräftigen Ruck auf
das Geſicht (ich hätte dem alten Kerl kaum ſoviel Kraft
zugetraut) und begann mit Seife und Bürſte mich ſo
kräftig zu bearbeiten, daß ich fühlte, wie ſich die Rücken-
haut ablöſte. Von Zeit zu Zeit hielt er mir mit dämo-
niſchem Grinſen Hautfetzen vors Geſicht, und goß dann
Kübel heißen Waſſers über mich, daß ich wähnte die
Zeiten der Inquiſition ſeien zurückgekehrt.
Die Operation des Frottirens hatte an den Ferſen
begonnen und endete am Kopf, welches Ereigniß mir
durch einen Stoß mit dem Holze der Bürſte gegen das
Ende meines Craniums angekündigt ward, dann folgte
eine neue Umdrehung, wobei mir ein mit Seifenſchaum
gefüllter Lappen in den Mund gerieth, der Reinigungs-
proceß ward auf die andere Seite ausgedehnt und zu-
letzt mit dem Uebergießen mehrerer Kübel Waſſers be-
ſchloſſen. In dem Grade, wie die Operation fortſchritt,
wurden die Eindrücke, die ich empfing, ſchwächer und ich
erinnere mich nur noch undeutlich, wie mein Peiniger
mich emporrichtete, einige Worte, unter denen oft „back-
scheesch“ vorkam, mit beſonders zufriedenem Grinſen
an mich richtete und mich zuletzt dem dienſtbaren Geiſt
übergab, der mich aus dem vorderen Gemach hierher ge-
leitet.
– 239 –
Als meine Ideen wieder eine beſtimmtere Form an-
nahmen, befand ich mich im anderen Saale, auf Kiſſen
liegend, in wollene Decken eingewickelt in einem ange-
nehmen Gefühle der Erſchlaffung und einer dunklen Rück-
erinnerung, daß etwas ſehr Unheimliches mit mir vor-
gegangen ſei.
Die einzige einem Volksfeſte ſich nähernde Ceremonie,
die ich hier ſah, fand am 10. Auguſt ſtatt. Seit Tages-
anbruch waren die Kirchhöfe mit Leuten, meiſt Frauen
gefüllt, die an den Gräbern niederhocken und mit einander
discuriren, dann kommt eine andere Geſellſchaft, man
begrüßt ſich und zwei Perſonen ſich gegenſeitig umarmend,
beginnen ein abſcheuliches Geheul auszuſtoßen; ſind ſie
damit fertig, ſo unterhält man ſich ein Weilchen, bis ein
neues Paar anfängt zu heulen und ſo fort bis alle an
der Reihe geweſen ſind. In den Straßen der Stadt
promeniren ſich kleine Gruppen Vermummter, die vor
den Häuſern tanzen. Zwei derſelben, mit Hülfe von etwas
Leinewand und eines Kameelſchädels, ſuchen ein Kameel
zu imitiren. Was die Bedeutung dieſes Kameels iſt, habe
ich nicht verſtehen können.
XII.
Der Krieg der Amerikaner.
Commodore Preble's Vorbereitungen. – Die Schiffe. – Die Ka-
nonenboote. – Das Bombardement vom 3. Auguſt. – Lieutenant De-
catur's Angriff, Heldenmuth, Gefahr und Sieg. – Lieutenant Trippe's
Gefahr, Entſchloſſenheit und Erfolg. – Eindruck der verſchiedenen Bom-
bardements auf die Türken. – Plan Commodore Preble's einen kühnen
Handſtreich auszuführen. – Der Intrepid ein Brander.– Capitain Somers.
– Der letzte Abend. – Der Feind. – Die Kataſtrophe. – Trauer um
todte Helden. – Paſcha Juſſuf Caramelli und General Eaton. – Ihr
gemeinſchaftlicher erfolgreicher Angriff auf Derne. – Ende des Krieges.
– Rückkehr nach Malta.
16
Ein jedes Ding in der Welt hat ein Ende, ſo auch
mein Aufenthalt in Tripolis. Alles, was ich bezweckt
hatte, war erreicht, und da juſt ein kleiner türkiſcher
Schooner von 30 Tonnen nach Malta ſegelte, ſo nahm
ich Paſſage, und mit Tagesanbruch war das Fahrzeug
unterwegs. Da ein ſtarker öſtlicher Wind wehte, ſo war
es nicht möglich, das Ende des Riffes zu machen; da
aber der Schooner nur 7 Fuß Waſſer brauchte, ſo ſe-
gelten wir zwiſchen dem Ende der Hafenbatterie und der
erſten Felſengruppe. So bei der Abreiſe berührte ich
den Punkt, wo das Drama, das den Krieg mit Tripolis
beſchloß, ſtattfand.
Ehe wir jedoch bei demſelben verweilen, wird es
nöthig, einen Rückblick auf die Ereigniſſe zu thun, die
ſtattgefunden hatten, ſeit Lieutenant Decatur die Fregatte
Philadelphia im Hafen von Tripolis verbrannte.
Es war im Monat Auguſt des Jahres 1804, daß
der Krieg mit Tripolis endlich zur Entſcheidung kam,
und während der Zeit von drei Wochen fanden nicht
weniger als fünf allgemeine Bombardements nebſt meh-
reren kleineren Actionen ſtatt.
– 244 –
Die Siren und Intrepid kehrten nach Syracus zurück,
wo ſie Commodore Preble vorfanden, der bereits einige
der kleineren Schiffe nach Tripolis entſandt hatte, um die
Blockade fortzuſetzen, und jetzt emſig beſchäftigt war, ſich
ſolche kleine Fahrzeuge zu verſchaffen, als zur erfolgreichen
Beendigung des Feldzuges durchaus erforderlich waren.
Die Siren 16 und der Nantilus 12 hatten vor Tripolis
eine Brigg (der Transfer) von 16 Kanonen und 80 Mann
genommen, die verſucht hatte die Blockade zu brechen, die
obſchon ſich für einen engliſchen Caper ausgebend und
mit einem britiſchen Caperbrief verſehen, dennoch dem
Paſcha von Tripolis zugehörte, der Schiff und Papiere
durch Vermittelung ſeines Conſuls in Malta, eines Mal-
teſen, erhalten hatte; dieſe Brigg wurde bemannt und
unter dem Namen Scourge, vom Lieutenant Dent com-
mandirt.
Neapel befand ſich zu jener Zeit gleichfalls in Krieg
mit Tripolis, und auf Vorſtellung Commodore Preble's
bewilligte die Regierung zwei Bombarden und ſechs
Kanonenboote, die von den Amerikanern ſogleich ausge-
rüſtet und bemannt wurden.
Am 25. Juli endlich langte die ganze Flotte vor
Tripolis an. Sie beſtand aus der Conſtitution 44,
Commodore Preble; Siren 16, Lieutenant Stewart;
Argus 16, Lieutenant Hull; Scourge 14, Lieutenant Dent;
Vixen 12, Lieutenant Smith; Nantilus 12, Lieutenant
Somers; Enterpriſe 12, Capitain Decatur, der mittler-
–– 245 –
weile zu dieſem Range befördert worden; nebſt den zwei
Bombarden und ſechs Kanonenbooten. Leider waren die
Geſchütze der Flotte außer allen Verhältniſſen mit der
ihnen entgegenſtehenden Streitmacht. Im Ganzen be-
fanden ſich an Bord 28 ſchwere lange Geſchütze, von
denen die größten 26pfünder in der Conſtitution waren,
und außerdem waren noch etwa 20 andere von genügen-
dem Caliber, um bei einem Bombardement von Nutzen
zu ſein. Die geſammte Mannſchaft belief ſich auf 1060
Mann. Die Stärke des Feindes beſtand aus 115 ſchweren
Geſchützen, eine Batterie im Hafen, vier Galeeren, zwei
Schooner, einer Brigg; alle ſtark bemannt und ſchwer
bewaffnet, und 19 Kanonenboote, die ihrer Bewaffnung
nach ſelbſt ſchon die Fregatte aufwogen, 25.000 Araber
und Türken bildeten die Garniſon.
Den einzigen Vortheil, den die Amerikaner hatten,
beſtand in ihrer vorzüglichen Disciplin.
Am 3. Auguſt 1804 um halb ein Uhr machte der
Commodore das Signal für alle Commandanten, an
Bord des Flaggenſchiffes zu kommen. Jeder empfing
ſeine letzten Inſtructionen, die Bombarden und Kanonen-
boote wurden bemannt und die folgenden Officiere über-
nahmen reſp. deren Commando. Die Bombarden Lieute-
nant Dent von der Scourge und Lieutenant Robinſon
von der Conſtitution. Die erſte Diviſion der Kanonen-
boote Nr. 1 Lieutenant Somers vom Nantilus; Nr. 2
Lieutenant James Decatur vom Nantilus; Nr 3. Lieute-
– 246 –
nant Blake vom Nautilus. Zweite Diviſion Nr. 4 Ca-
pitain Decatur von der Enterpriſe; Nr. 5 Lieutenant
Bainbridge von der Enterpriſe; Nr. 6 Lieutenant Trippe
von der Vixen. In weniger als einer Stunde waren
alle Vorbereitungen getroffen, um halb zwei begann man
gegen die Stadt vorzurücken, um zwei Uhr wurden die
Schlepptaue der Kanonenboote losgelaſſen und eine halbe
Stunde ſpäter wehte vom Maſte der Conſtitution das
Signal: „Feind auf Kartätſchenſchußweite engagiren.“
Der Angriff begann, indem die beiden Bombarden an-
fingen, Bomben zu werfen; augenblicklich verwandelten
ſich die feindlichen Batterien in einen Feuerſtrom, und
die Schiffe von beiden Seiten begannen die Kanonade
in dem Maße, wie ſie ſich näherten.
Da die öſtliche oder windwärts befindliche Diviſion
der feindlichen Kanonenboote, neun an der Zahl, am
wenigſten gedeckt war, ſo ſuchten die amerikaniſchen Ka-
nonenboote vorzugsweiſe ſich ihnen zu nähern, allein die
mangelhafte Beſchaffenheit dieſer letzteren machte es äußerſt
ſchwierig für Alle dies gleichzeitig zu thun. Sobald Ca-
pitain Decatur mit ſeiner Diviſion auf den Feind los-
ſtürmte, um ihn zu entern, fand es Lieutenant Somers,
der ſich etwas leewärts befand, ſchwierig mit ſeiner Di-
viſion zu folgen. Da dieſer letztere Officier nach ver-
ſchiedenen vergeblichen Verſuchen davon abſtehen mußte
den Feind auf dieſem Punkt anzugreifen, ſo wählte er
ſich eine zweite Diviſion von fünf Booten, etwas weiter
– 247 –
leewärts. Nr. 5 hatte durch eine Kugel ſeine Raae ver-
loren, konnte folglich nicht Schritt halten, ſtatt deſſen
jedoch war es Nr. 2 Lieutenant James Decatur von Lieu-
tenant Somers Diviſion gelungen, ſich mit ſeinem Bruder
zu vereinigen, der jetzt mit Nr. 4, 6 und 2 mit Hülfe von
Rudern und Segeln ſich dem Feinde ſchnell näherte, auf
Piſtolenſchußweite ſeine erſte Kartätſchenlage feuerte und
gleich darauf Befehl zum Entern gab.
Bis jetzt war das Verhältniß der Amerikaner zu den
Feinden wie 1 zu 3 geweſen, jetzt aber, wo ſie nicht länger
vom Feuer ihrer eigenen Schiffe unterſtützt werden konn-
ten, die Batterien des Feindes dahingegen auf ſie zu
ſpielen begannen, ward das Mißverhältniß noch größer,
denn die feindlichen Briggs und Schooner nahmen jetzt
am Gefecht Theil und die türkiſchen Kanonenboote waren
nicht nur bei weitem die größten und beſten, ſondern auch
ſtärker bemannt worden. Der ſich jetzt entſpinnende Kampf
nahm einen Charakter ritterlichen Muthes und verzwei-
felter perſönlicher Anſtrengungen an, die mehr den Kämpfen
des Mittelalters glichen, als dem gemeſſenen Ernſt mo-
derner Schlachten und die Schilderung der Details gleicht
mehr einer romanhaften Erzählung, als der Beſchreibung
nüchterner Thatſachen.
Capitain Decatur in Nr. 4 führte, und kaum hatte
er ſeinem Gegner mit einem plötzlichen Kugelregen über-
ſchüttet, als auch ſchon ſein Boot neben dem des Feindes
lag, und er ſelbſt, gefolgt von Lieutenant Thorn, Mr.
– 248 –
Mc. Donough und ſeiner ganzen Mannſchaft, an Bord
desſelben ſprang. Eine lange offene Luke theilte das feind-
liche Verdeck der Länge nach in zwei Hälften und als die
Amerikaner auf der einen Seite angriffen, zogen ſich die
Türken auf die andere Seite zurück. Dies verurſachte
eine kurze Verzögerung, welche die Amerikaner benutzten
ſich zu ſammeln, dann an beiden Enden die Feinde an-
zugreifen, einen Theil von ihnen zu tödten oder zu ver-
wunden, während der Reſt ins Waſſer ſprang oder ſich
ergab.
Kaum ſah ſich Capitain Decatur im Beſitz ſeiner Priſe,
als er ſie ins Schlepptau nahm und ſogleich das nächſte
Boot angriff, enterte und mit dem größten Theil der
Mannſchaft an Bord ſprang. Der türkiſche Capitain war
ein athletiſcher Mann und zwiſchen ihm und Capitain
Decatur entſpann ſich ein Zweikampf; letzterer war mit
einer Enterpike bewaffnet, die ihm von ſeinem herkuliſchen
Gegner entriſſen und von dieſem gegen ihn gewandt ward.
Der Stichward mit dem Schwert parirt, allein bei einem
Verſuch das Eiſen vom Schaft abzuhauen brach die Klinge
und da der muthige Decatur jetzt nur noch mit dem Arm
pariren konnte, ſo empfing er den Stoß in die Muskeln
der Bruſt. Es gelang ihm durch eine geſchickte Wendung
ſich wieder frei zu machen und mit dem Türken um den
Beſitz der Waffe zu ringen, dieſer aber warf ſeinen Gegner
nieder, beide kamen nebeneinander auf das Verdeck zu
liegen und der ſtärkere Mann ſuchte eben nach ſeinem
– 249 –
Dolche, um dem Kampfe ein Ende zu machen. In dieſem
kritiſchen Moment, wo Leben und Tod an einer geſchickten
Benutzung des Augenblicks hingen, gelang es Capitain
Decatur ein kleines Piſtol aus der Weſtentaſche zu ziehen,
ſeinen Arm um den Gegner zu bringen und die Mündung
nach Innen wendend, den tödtlichen Schuß abzufeuern.
Die Kugel drang durch den Körper des Türken und blieb
in Decatur's eigenen Kleidern ſtecken, im nächſten Augen-
blick ward der eiſerne Griff, der ihn zu Boden drückte,
ſchwächer, Decatur ſprang auf und der Türke lag todt
zu ſeinen Füßen.
Natürlich ging dieſer Zweikampf der Führer nicht un-
bemerkt vorüber. Einer der Feinde holte aus, um durch
einen Säbelhieb Decatur den Kopf zu ſpalten, während
dieſer mit ſeinem eigenen Gegner beſchäftigt war; ein
junger Matroſe von der Enterpriſe nahm die Gefahr
früh genug wahr, um mit ſeinem Arm den Hieb aufzu-
fangen, es gelang ihm das Leben ſeines Capitains mit
dem Verluſt ſeines Armes zu retten. – Bald nachher
war auch dieſes zweite Boot genommen.
Die zwei von Capitain Decatur eroberten Boote,
hatten ungefähr 80 Mann an Bord, von denen 52 Mann
getödtet und verwundet wurden, von den Gefangenen
waren nur 8 unverwundet und mehrere ertranken, als
ſie verſuchten die Felſen ſchwimmend zu erreichen.
Mittlerweile hatten ſich ſämmtliche feindliche Boote
hinter das Felſenriff zurückgezogen, Capitain Decatur nahm
– 250 –
deshalb auch ſeine zweite Priſe ins Schlepptau und ver-
einigte ſich wieder mit dem Geſchwader.
Während Capitain Decatur ein ſo heldenmüthiges
Beiſpiel gab, bemühte ſich ſein Bruder James Decatur,
der erſte Lieutenant vom Nantilus im Boote Nr. 2,
dasſelbe nachzuahmen. Gleichwie Nr. 4 ſein Feuer bis
zuletzt ſparend, ſprang er nach dem Bord des Feindes,
allein im Augenblick, wo die Boote zuſammenſtießen und
wieder von einander prallten, empfing er eine Flinten-
kugel in die Stirn und in der darauf folgenden Ver-
wirrung gelang es den Türken zu entkommen.
Mittlerweile war Lieutenant Trippe in Nr. 6 nicht
müßig. Gleich den Uebrigen feuerte er auf Piſtolenſchuß-
weite und ſprang mit einem Theil der Mannſchaft an
Bord des Feindes, allein durch die Heftigkeit des Bootes
prallten die Boote wieder von einander, ohne daß alle
Amerikaner ihrem Führer folgen konnten, und ſo ſah ſich
Lieutenant Trippe mit J. D. Henley und neun Mann
allein dem Feinde gegenüber. Hier gleichfalls waren die
beiden Befehlshaber auf einander geſtoßen; der große
athletiſche Türke war ſeinem ſchwächlichen Gegner phy-
ſiſch weit überlegen und es gelang ihm, dieſem nicht
weniger als acht Hiebwunden am Kopf und an der
Bruſt beizubringen, und ihm mit einem neunten über
die Stirn auf die Knie niederzuwerfen, als dieſer letztere
mit einer verzweifelten Anſtrengung ihm die kurze Pike,
mit der er bewaffnet war, durch die Bruſt rannte. So-
– 251 –
bald die Türken ihren Befehlshaber fallen ſahen, ergaben
ſie ſich.
Dies Boot war eines der größten; wie ſtark die Mann-
ſchaft war konnte nicht ermittelt werden, die Zahl der
Todten und Gefangenen war 36, von denen 15 unver-
wundet waren, und zieht man in Betracht, daß dieſen
nur 11 Amerikaner entgegenſtanden, ſo ſtellt ſich dies
Gefecht als eine der heldenmüthigſten Waffenthaten dar.
Während dieſer ganzen Zeit dauerte das Bombarde-
ment unausgeſetzt fort. Lieutenant Somers in N. 1 unter-
ſtützt von den Briggs und Schoonern hatte alle feindlichen
Boote zurückgetrieben und ſo hart verfolgt, daß er ge-
nöthigt war, bei der Rückkehr dicht unter einer Batterie
von 12 Kanonen zu paſſiren, der Wind war leicht und
die Vernichtung des Bootes ſchien uuvermeidlich, als
glücklicher Weiſe eine Bombe in die Batterie fiel, platzte
und die Bemannung von den Kanonen trieb. Ehe ſich
der Feind von ſeiner Beſtürzung erholt hatte, war das
Boot von einem der kleineren Schiffe ins Schlepptau
genommen. -
Eine feindliche Diviſion von fünf Booten, die hinter
dem Riff in Reſerve gehalten worden war, ſuchte den
Rückzug der Amerikaner mit ihren Priſen abzuſchneiden,
wurden aber durch das Feuer der Fregatte daran ver-
hindert.
Um halb fünf Uhr wendete ſich der Wind gegen Nor-
den, das Flaggenſchiff machte Signal für die Kanonen-
– 252 –
boote und Bombarden ſich mit dem Geſchwader zu ver-
einigen, und nachdem während einer Viertelſtunde die
Fregatte allein den Rückzug gedeckt, ſegelte auch ſie außer-
halb der Schußweite.
So endete der erſte Angriff, der auf die Stadt und
die Batterien von Tripolis ſtattfand, und der Eindruck,
den derſelbe auf den Feind machte, war ein ſehr heil-
ſamer. Die Ueberlegenheit der Chriſten im Segeln und
im Gebrauch der Kanonen war früher bereits eingeſtanden
worden, allein hier wurden die Türken zum erſten Male
von einer geringen Anzahl im Gefecht mit der blanken
Waffe, mit der ſie ſich ſo überlegt geglaubt, überwunden.
Außer den drei genommenen Booten wurden noch drei
im Hafen geſunken und der Verluſt in den Batterieen
muß beträchtlich geweſen ſein.
Der Verluſt der Amerikaner betrug vierzehn Todte
und Verwundete, die alle mit Ausnahme eines einzigen
zu den Kanonenbooten gehörten.
Im Laufe des Monats fanden noch fünf Bombarde-
ments, ſowie mehrere kleine Gefechte ſtatt, in denen die
Türken ſtets beträchtliche Verluſte erlitten; allein da es
an kleinen Schiffen, ſowie an Landungstruppen fehlte die
errungenen Vortheile zu benutzen, ſo gelang es nicht den
Schluß dieſes Krieges augenblicklich herbeizuführen.
Dieſe mehrfachen Bombardements, ſowie die beſtän-
digen Verluſte, die die Tripolitaner erlitten, hatten jedoch
nicht verfehlt, Eindruck auf den Paſcha zu machen, der
– 253 –
jetzt bereits alle Hoffnungen auf einen zukünftigen Tribut
aufgegeben hatte und nur noch darauf beſtand, für jeden
der Gefangenen ein Löſegeld zu erhalten. Commodore
Preble verweigerte jedoch, den Frieden auf anderer Baſis
zu verhandeln, als unter civiliſirten Nationen gebräuchlich,
und Jedermann hoffte, daß wenn es gelänge, einen ein-
zigen empfindlichen Schlag auszuführen, die Feindſelig-
keiten bald ein Ende haben würden.
Der Brigg-Schooner, den Capitain Decatur zur
Verbrennung der Philadelphia benutzt hatte, war von
dem Geſchwader bis jetzt als Transport zwiſchen Tri-
polis und Malta benutzt worden. Man verwandte jetzt
dieſes Fahrzeug als einen Brander, der in den Hafen
geſendet, zwiſchen den Kreuzern des Feindes explodiren
ſollte.
Zu dieſem Zweck war vor dem Hauptmaſt ein Ma-
gazin errichtet worden, das hundert Faß Pulver enthielt,
und auf dem Verdeck darüber befanden ſich 50 Bomben
von 13 Zoll und hundert dergleichen von 9 Zoll Durch-
meſſer, ſowie eine Quantität von Steinen, Stücken Eiſen
und dergleichen. Außerdem war eine andere Abtheilung
mit Holzſpähnen und anderem leicht brennbaren Material
gefüllt; dieſe hatten den doppelten Zweck, entweder das
Pulver zu entzünden, wenn durch Zufall die Lunten ver-
löſchen ſollten, gleichfalls aber durch die Feuersbrunſt den
Feind, eine augenblickliche Exploſion befürchtend, vom
Entern abzuhalten.
– 254 –
Der Plan war gut ausgedacht und man hoffte die
erſte dunkle Nacht zu benutzen, um den Brander ſo weit
als möglich in den Hafen zu bugſiren und das Feuer
in dem hinterm Magazin zu zünden; dann ſollte ſich die
Mannſchaft in den Booten zurückziehen. Ebenſo waren
die Anſtalten zur Ausführung mit Vorſicht und Umſicht
getroffen, allein nichtsdeſtoweniger war das Unternehmen
ein Verzweifeltes. Es war erforderlich, mit einem lang-
ſam ſegelnden Schiffe mit leichtem Wind in der Nacht
durch die weſtliche oder kleinere Paſſage direct unter die
feindlichen Batterien zu ſteuern, deren Feuer man nur
dadurch vermeiden konnte, daß man für ein Schiff ge-
halten wurde, das die Blockade zu forciren gedachte. Es
war gleichfalls nöthig, dicht unter die Batterien hinzu-
ſegeln, um in die Mitte der Kanonenboote und Galeeren
zu gelangen. Die verſchiedenen Gefahren, denen die Be-
mannung ausgeſetzt war, ſind nicht nöthig zu ſpecificiren;
denn eine Kanonade in ſo geringer Entfernung gegen
ein mit Pulver gefülltes Fahrzeug gerichtet, wäre an ſich
ſchon äußerſt gefährlich, und ſelbſt nachdem das Unter-
nehmen glücklich ausgeführt, war der Rückzug ein gefähr-
licher, denn bei dieſem Dienſt ließ ſich nicht erwarten,
daß der Feind Quartier geben würde.
Nur ein muthiger Officier, von der größten Kalt-
blütigkeit beſeelt, konnte mit dem Commando dieſer Ex-
pedition beauftragt werden; ein ſolcher war Capitain
Somers, der ſich zuerſt für dieſen Dienſt gemeldet, dem
– 255 –
es aber auch außerdem als älteſter Officier zukam, und
der durch die Großmuth, mit der er Capitain Decatur
den Vorrang beim Verbrennen der Philadelphia geſtattet,
ſich die gerechteſten Anſprüche auf dieſe Ehre erworben
hatte. Lieutenant Wadsworth von der Conſtitution durfte
ihn als zweiter im Commando begleiten, allein da dieſe
beiden Officiere mit einigen Matroſen genügten, um das
Fahrzeug zu dirigiren, ſo wurden alle weiteren Geſuche
abgewieſen.
Am 3. September hatte das fünfte und letzte Bom-
bardement ſtattgefunden, und da der 4te eine dunkle Nacht
verſprach, zugleich auch der gewünſchte öſtliche Wind
wehte, ſo wählte man dieſen zur Ausführung des Vor-
habens. Commodore Preble, der dem Gelingen dieſes
Streiches viel Wichtigkeit beilegte, hatte alle Vorberei-
tungen bis in die geringfügigſten Details ſelbſt überwacht,
und ſeine Vorſorge ward womöglich noch erhöht durch
ſeine Kenntniß des Charakters der Officiere, die mit der
Ausführung beauftragt wurden, und die wiederholt aus-
geſprochen, daß ſie ſich weder gefangen nehmen, noch die
Ammunition in die Hände der Feinde fallen laſſen würden.
Letzterer Punkt war von großer Wichtigkeit, da die Tri-
politaner gleich den Amerikanern anfingen, Mangel an
Pulver zu leiden. Am Vorabend des vierten ſtellte der
Commodore in ſeiner Cajüte mit Capitain Somers und
einigen anderen Officieren Verſuche mit den Zündern
an, und fand, daß dieſelben etwas zu langſam brannten
– 256 –
Und daß dadurch der Feind Zeit gewinnen möge, dieſelben
auszulöſchen. Capitain Somers bemerkte ruhig: „Ich
brauche gar keine Zünder.“ Die zwei ſchnellſten Boote
des Geſchwaders waren ausgewählt worden, die Be-
mannung zurückzubringen; eines von der Conſtitution
mit ſechs Rudern und eines von der Siren mit vier
Rudern die mit Freiwilligen von der Conſtitution und
dem Nautilus bemannt waren. Im letzten Augenblick
fand Midſhipman Iſrael, deſſen Geſuch, die Expedition
mitzumachen, abſchlägig beantwortet worden war, Ge-
legenheit ſich an Bord zu ſchmuggeln, und wegen ſeines
oft bewährten Muthes ward ihm geſtattet, dort zu
bleiben.
Um acht Uhr Abends war Alles bereit, und der Intre-
pid, begleitet vom Argus, Vixen und Nautilus ſegelte
ab, ſpäter folgte auf Befehl des Commodores noch die
Siren. Der Nautilus, Capitain Somers eigenes Schiff,
blieb am längſten bei ihm, bis nahe am Eingange des
Hafens, wo man dann hinter den Felſen ankerte, um
nicht Argwohn zu erregen. Die letzte Perſon des Ge-
ſchwaders, die mit Capitain Somers ſprach, war Mr.
Waſhington Reed, erſter Lieutenant des Nautilus, der
ihn ungefähr um 9 Uhr verließ, und bis zu dieſer Zeit
war Alles am Bord des Branders in beſter Ordnung.
Man bemerkte jedoch nahe der Paſſage, durch die man
zu ſegeln hatte, drei feindliche Kanonenboote, und die
letzten Worte, die der erfahrene Decatur an ſeinen
– 257 –
Freund richtete, ehe er ihm Lebewohl ſagte, waren eine
Ermahnung zur Vorſicht gegen dieſelben.
Die See war mit einem dichten Nebel bedeckt, doch
konnte man die Sterne wahrnehmen, und das Letzte, was
man vom Intrepid ſah, war die ſchattenähnliche Form
ſeiner Segel, als das Schiff langſam aber ſtätig in das
Dunkel hineinſteuerte, in dem die Augen ſo vieler be-
ſorgter Zuſchauer nach ſeine Umriſſe zu ſehen wähnten,
als ſie ſchon lange für immer ihren Blicken entſchwunden
waren. Dieſes Verſinken im Schatten der Nacht war
eine traurige Verkündigung des undurchdringlichen Ge-
heimniſſes, das das Schickſal der muthigen Männer, die
dahin ſegelten, für alle Zukunft einhüllte.
Der Intrepid, als man ihn zuletzt ſah, befand ſich
etwa einen Büchſenſchuß vom Ende der Hafenbatterie,
ein Officier jedoch des Nautilus, des nächſten Schiffes,
behauptete ihm mit dem Nachtglas bis zuletzt gefolgt zu
ſein. Es verbreitete ſich ſpäter das Gerücht, daß er auf
den Felſen geſtrandet ſei, allein dasſelbe ward nicht ge-
nügend bekräftigt, um Glauben zu verdienen, im Gegen-
theil es ſcheint, daß man bis zum letzten Augenblick unter
Segel geweſen ſei. Jetzt begannen die Batterieen nach
jeder Richtung zu feuern, aus der ſich ein Feind erwarten
ließ und wahrſcheinlich war dasſelbe zugleich auf den
Brander gerichtet. Es folgte nun eine kurze Zeit athem-
loſer Erwartung, deren Dunkel und Stille nur durch die
Blitze und das Gedröhn der feindlichen Kanonen unter-
17
– 258 –
brochen wurde; plötzlich erleuchtete ein gewaltiger Blitz
Land und Meer, ein Feuermeer ſtrömte empor und der
darauf folgende Knall erſchütterte die Schiffe der Rhede
bis zum Kiel.
Dieſer Blitz ward von einer noch viel tieferen Dunkel-
heit gefolgt, die Batterieen verſtummten plötzlich, als ob
ſie vernichtet ſeien, der Maſt des unglücklichen Fahrzeuges
mit brennenden Segeln erhob ſich hoch in die Luft, um-
geben von vielen brennenden Bomben, die theilweiſe auf
die Felſen fielen, während andere im Waſſer erlöſchten,
einige Schreckensrufe wurden aus der Stadt hörbar, dann
folgte tiefe Stille, als ob Tripolis eine große Grabſtätte
geworden ſei.
Hatte ſchon vorher jeder mit angeſtrengter Aufmerk-
ſamkeit gelauſcht, ſo blickte jetzt jedes Auge mit doppelter
Spannung in das Dunkel der Nacht. Matroſen mit La-
ternen ließen ſich an Seilen über Bord und hielten das
Ohr nahe der Oberfläche des Waſſers, um aus der Ferne
die Ruderſchläge zu hören, und oft wähnte man, daß ſich
die kühnen Abenteurer näherten, allein ſie erſchienen nicht.
Stunde nach Stunde ſchwand dahin und immer ſchwächer
ward die Hoffnung. Gelegentlich ziſchte eine Signalrakete
in die Luft oder ein Kanonenſchuß dröhnte dumpf von
der Fregatte herüber, als Signal für die Boote, allein
die Augen, die die erſteren ſehen ſollten, hatten ſich für
immer geſchloſſen, und der Schall der letzteren traf das
Ohr von Todten. -
– 259 –
Die drei den Brander begleitenden Schiffe blieben bis
Tagesanbruch dem Schauplatz des Dramas nahe, allein
nur einige Trümmer des Intrepid waren ſichtbar, keine
Spur jedoch von der Mannſchaft. Das Wrack des Maſtes
lag auf den Felſen, nahe dem weſtlichen Eingang, und
hier und da ſchwammen Fragmente des Fahrzeuges umher.
Das größte der feindlichen Kanonenboote war verſchwun-
den und zwei andere, die ziemlich beſchädigt ſchienen,
wurden eben aufs Ufer gezogen, die drei aber, welche
am Abend vor dem Hafen gelegen, waren nicht mehr zu
ſehen. Der Stadt und dem Schloß des Paſcha's war
keinerlei Schaden widerfahren, ſo daß der traurige Verluſt,
den die Amerikaner erlitten, durch keinen entſprechenden
Vortheil aufgewogen ward.
Das tragiſche Ende des Intrepid und ſeiner Be-
mannung war der Schlußact der Kämpfe vor Tripolis.
Die ſtürmiſche Jahreszeit nahte ſich wieder, in der es
nicht räthlich, ein zahlreiches Geſchwader an einer feind-
lichen Küſte bloszuſtellen; überdies waren die Ammuni-
tionen beinahe aufgebraucht, deshalb ließ Commodore
Preble die Mörſer und Kanonen aus den kleinen Fahr-
zeugen herausnehmen, entſendete den größten Theil des
Geſchwaders nach Syracus und ſetzte nur mit der
Conſtitution, begleitet vom Argus und der Vixen, die
Blockade fort. -
Am 10. September erſchien die Fregatte Präſident 44,
Commodore Barron, der Commodore Preble in der Con-
– 260 –
ſtitution ablöſen ſollte, und dieſer letztere übergab ihm
ſofort das Commando, um nach den Vereinigten Staaten
zurückzukehren. Bei ſeiner Heimkehr ward er mit großen
Ehren empfangen, mit einem Ehrenſäbel beſchenkt und
der Congreß ſtattete dem Commodore, ſeinen Officieren
und der Mannſchaft ein einſtimmiges Dankesvotum ab;
zugleich die Theilnahme der Nation am Verluſt den Ver-
wandten von Capitain Richard Somers, Lieutenant Henry
Wadsworth, James Decatur, James R. Caldwell und
den Midſhipman Joſeph Iſrael und John Sword Dorſey
ausdrückend. Ein dem Andenken dieſer Officiere gewid-
metes Denkmal ſteht vor dem öſtlichen Hauptportal des
Capitols in Waſhington; die Geſchütze aber der in dieſem
Kriege genommenen Kreuzer befinden ſich in der Waſhing-
ton Navy-A)ard.
Die Bereitwilligkeit des Paſcha's, jetzt zu unterhan-
deln, hatte noch einen anderen Grund, als die energiſche
Weiſe, in der Commodore Preble die Stadt bedrängte.
Juſſuf Caramelli, der regierende Paſcha, war ein Uſur-
pator, der einen ſeiner älteren Brüder ermordet hatte,
während der andere bei den Mamelucken in Egypten
Zuflucht gefunden hatte. Dieſer Letztere ſah in dem
Kriege ein Mittel, ſeinen verlorenen Thron wieder zu
erobern, in welchem Glauben er von Mr. Eaton, früheren
amerikaniſchen Conſul in Tripolis, beſtärkt ward. Letzte-
rem gelang es, ſeine Regierung für die Unterſtützung des
vertriebenen Fürſten zu intereſſiren. Einem kleinen Trupp
– 261 –
von Abenteurern aller Nationen, die Mr. Eaton, der
früher Officier in der Armee der Vereinigten Staaten
geweſen, in Egypten geworben, ſchloſſen ſich täglich Ein-
geborene an, und es wäre ein Leichtes geweſen, ihre Zahl
auf 30,000 zu bringen, hätte man Subſiſtenzmittel für
ſie gehabt, ſo viele Bewohner von Tripolis hatten ſich
vor der Grauſamkeit Juſſuf Caramelli's geflüchtet. Dieſe
kleine Armee marſchirte durch die Wüſte von Barka nach
Derne, und in der Nähe der Stadt angelangt, ſtießen
zwei amerikaniſche Kriegsſchiffe zu derſelben, um ſie ſo-
wohl mit Waffen und Ammunition, als auch durch thätige
Theilnahme zu unterſtützen. Der Angriff ward ungefähr
von 1200 Mann gemacht, von den beiden Schiffen unter-
ſtützt, der etwa 4000 Mann ſtarke Feind aus der Stadt
getrieben und zum erſten und einzigen Male wehten die
Sterne und Streifen Amerikas über einem eroberteñ
Theil der alten Welt. Kurze Zeit darauf kam der Friede
zu Stande, die Gefangenen wurden Mann für Mann
ausgelöſt und die noch in der Sklaverei befindlichen
Amerikaner mit einer Summe von 60,000 Dollars frei-
gekauft. Von einem Tribut war keine Rede mehr.
Tripolis blieb eine Beute innerer Unruhen und in
den Jahren 1833–35 währte ein hartnäckiger Bürger-
krieg; während eines Zeitraums von beinahe drei Jahren
wurden die Thore der Stadt nicht geöffnet und die meiſten
europäiſchen Kaufleute waren genöthigt, in der Umgegend
Zuflucht zu ſuchen. Endlich bot der Sultan in Conſtan-
– 262 –
tinopel ſeine Vermittelung an, die von der Partei in der
Stadt angenommen ward; eine türkiſche Flotte erſchien,
man lud den Paſcha ein an Bord zu kommen, und als
er der Einladung Folge leiſtete, ſah er ſich plötzlich ein
Gefangener; die Stadt ward beſetzt und die Bewohner
nach einiger Zeit gleichfalls unterworfen. Seit jener Zeit
iſt Tripolis ein Theil des ottomaniſchen Reiches gewor-
den, ein Paſcha regiert im Namen des Sultans, und
ſpätere Verſuche der entfernteren Araberſtämme, ſich un-
abhängig zu machen, endeten ohne Reſultat. Die Gar-
niſon der Stadt beſteht etwa aus 5000 Mann, theils
Infanterie, die in der Stadt garniſonirt, theils Caval-
lerie und Artillerie, die der größeren Bequemlichkeit halber
außerhalb derſelben ihre Caſernen hat. Für die Mehr-
zahl der Einwohner iſt es eine gleichgültige Sache, ob
ſie von einem türkiſchen Paſcha im Namen des Sultans
geplündert werden, oder ob ihr Herrſcher ſie in ſeinem
eigenen Namen plündert, der Plünderung können ſie doch
nicht entgehen. -
Eine friſche öſtliche Brieſe brachte uns ſchnell genug
über die erſten 60 Miles, dann kamen leichte Brieſen,
Windſtille und contraire Winde. Ein ſo kleines Fahr-
zeug iſt bei einer bewegten See ein böſer Prüfſtein für
die Geduld und den Magen des Reiſenden. Wer dieſen
Zuſtand kennen zu lernen wünſcht, ohne zur See zu
gehen, der nehme ein leeres Faß von mäßiger Größe,
– 263 –
werfe es ins Waſſer und verſuche ſich auf dasſelbe zu
ſetzen. Am vierten Tage waren wir in Sicht von Malta.
Unſer Capitain hatte nicht einmal einen Sextanten an
Bord, konnte alſo nicht, gleich dem Capitain der Gloria
Carmeli, jeden Mittag die Operation vornehmen, zu
ſehen, wenn die Sonne am höchſten ſtand. Seine Zeit-
eintheilung richtete ſich mehr nach ſeinem Appetit, als
nach dem Stande der Geſtirne, allein „der Herr nimmt
ſich der Spatzen und der Schneider an“, und ſo trafen
wir nicht nur die Inſel Malta, ſondern auch juſt die
Paſſage zwiſchen Malta und Gozo. Herzlich freute ich
mich, wieder in der Nähe von chriſtlichem Land zu ſein,
denn mit Türken zur See zu gehen, heißt ſich muthwillig
in Gefahr begeben. Das Verzehren von Schinken und
Trinken von Wein verfehlte niemals einen frommen Ab-
ſcheu zu erregen und gab ſpäter zu allerhand unange-
nehmen Bemerkungen und Grimaſſen Veranlaſſung. Es
iſt am Lande nicht angenehm, in Unfrieden mit Denen
zu leben, in deren Umgebung man ſich befindet, noch
viel weniger aber zur See, wo, wenn es zum Aergſten
gekommen wäre, ein halbes Dutzend Mahomedaner leicht
einen Einzelnen über Bord drängen können, ohne daß
Jemand groß nach ihm fragt. Der Reſt meiner Pro-
viſionen beſtand aus Tomatoes, Zwiebeln, Brod und
Früchten, und da erſtere und letztere bald verdarben, ſo
war ich während der letzten drei Tage auf Brod und
Zwiebeln angewieſen, denn erſt am Abend des fünften
– 264 –
Tages gelang es uns, die Paſſage zu vollenden. Leichte
und contraire Winde erlaubten uns nicht, durch die
Paſſage zu gehen, und bei Einbruch der Nacht glaubte
ſich unſer haſenherziger Capitain nicht ſicher und ſteuerte
auf die See hinaus. Am Nachmittag des fünften Tages
wehte uns eine leichte Brieſe glücklich auf die Nordſeite
der Inſel, allein noch waren wir 20 Miles von Valetta;
der Capitain wünſchte für die Nacht zu ankern, allein
fürchtend, daß am nächſten Morgen der Wind weniger
günſtig ſein möge, wußte ich ihn glauben zu machen, daß
ich genau mit der Küſte bekannt, kein guter Ankergrund
nahe ſei, und erbot mich, das Schiff auf meine eigene
Verantwortung in den Hafen zu lootſen. Nach einigem
Zögern ward mein Anerbieten angenommen, und mit
Hülfe einer kleinen Karte von Malta, die ich beſaß,
ſteuerte ich ohne weiteren Unfall in den Quarantaine-
Hafen, wo wir gegen Mitternacht vor Anker gingen.
XIII.
Die Rückkehr.
In Quarantaine. – »En pratique«. – Abſchied von Malta. –
Der Quirinal. – Die Küſte von Sicilien. – Annäherung von Meſſina.
– Der Hafen. – Die Polizei. – Cicerone. – Die Stadt. – Die
Straßen. – Der Schmutz. – Die Kirchen. – Die Umgegend. – Das
Landvolk. – Ausſicht vom Gebirge. – Sonntagabend in der Stadt. –
Weiterreiſe. – Scylla und Charybdis. – Die lipariſchen Inſeln. –
Stromboli. – Ein Gewitter. – Die Bai von Neapel. – Mehr Polizei.
– Das Muſeum der pompejaniſchen Alterthümer. – Pompeji. – Die
Lava des Veſuvs. – Ein gefährlicher Scherz. – Civita Vecchia. –
Livorno. – Ein Ausflug nach Piſa. – Die Kathedrale, das Baptiſte-
rium und das Campo Santo. – Der hängende Thurm. – Eine Revo-
lution ohne Unordnung. – Elba. – Genua. – Aleſſandria. – Lago
Maggiore. – Die Alpenjäger. – Der St. Gotthardtspaß. – Das
Ende der Sommereiſe.
Den aus den Barbareiſtaaten zurückkehrenden Reiſenden
iſt es zur Zeit nicht geſtattet ſeinen Weg ſogleich von
Malta aus weiter fortzuſetzen, ſondern er fällt vorerſt
einer gewiſſen Anſtalt, „Quarantaine“ benannt, in
die Hände, die weder Rückſicht auf Alter noch Geſchlecht
nimmt, ſondern alle mit gleicher Unparteilichkeit ins Ge-
fängniß ſchickt. Am Bord unſeres Schooners waren alle
geſund, in Tripolis, von wo wir kamen, hatte man ſeit
fünfzehn Jahren keinen Fall von Peſt wahrgenommen,
und in Ben-Ghazi 500 Miles von Tripolis, wo während
der letzten zwei Jahre dieſe Krankheit geherrſcht, brachte
eine eben angelangte engliſche Brigg die Nachricht, daß
auch dort ſeit 45 Tagen kein Fall mehr vorgekommen.
Nichtsdeſtoweniger wurden wir zur fünfzehntägigen Ein-
ſperrung verurtheilt und es blieb nichts übrig, als dieſe
neue Geduldsprobe mit philoſophiſchem Gleichmuth zu
ertragen.
Die Quarantaine in Malta iſt eine Municipal-Ein-
richtung, die unter eine beſondere Commiſſion geſtellt,
und von ihren eigenen Beamten verwaltet wird. Die
– 268 –
großen weitläuftigen Gebäude mit Hospitälern, Waaren-
häuſern und Häfen, in denen 20,000 Stück Vieh unter-
gebracht werden können, geben Zeugniß, daß in früheren
Zeiten, wo oft alle aus dem Orient kommenden Schiffe
hier einige Zeit zuzubringen hatten, Raum für mehrere
tauſend Perſonen war. Gegenwärtig, wo ſich der Umfang
des mit Quarantainen belegten Länderſtriches immer mehr
verringert, hat die Regierung einen Theil der Gebäude
als Vorrathshäuſer für Kriegsmaterial benutzt, und nur
der älteſte und am wenigſten dazu geeignete Theil iſt für
Sanitätszwecke übrig geblieben. Dies macht nun den
Aufenthalt äußerſt unangenehm für den Reiſenden, zumal
wenn wie im gegenwärtigen Fall der größte Theil der
hier befindlichen Perſonen aus Türken und Arabern beſteht.
Sobald der Arzt das Schiff inſpicirt hat, erſcheint für
das Schiff ſowohl als für jeden Reiſenden ein Wächter,
der einem, wie ſein Schatten folgend, Sorge dafür trägt,
daß man keine Perſon, keinen Gegenſtand berührt, der
nicht in der Quarantaine am ſelben Tage mit uns an-
gelangt iſt. Sollte man einem früher Angelangten be-
rühren, ſo wird ſein Aufenthalt bis zur Zeit unſeres
Austritts verlängert, berührt man einen ſpäter Angelang-
ten, ſo muß man ihm für die Dauer ſeines Aufenthaltes
Geſellſchaft leiſten. Briefe, die man abſendet, werden vom
Wächter erſt geräuchert und dann mit einer Zange dem
Boten übergeben, empfängt man Beſuche, ſo geſchieht dies
in einem Sprachzimmer, wo zwei, ſechs Fuß von ein-
– 269 –
ander, befindliche Barrieren die betreffenden Theile trennen.
Wie ſich leicht denken läßt, iſt dieſe gänzliche Abſperrung
unangenehm genug, um ſo mehr, als Mangel an allen
möglichen Bequemlichkeiten, ja ſelbſt oft von nothwendigen
Bedürfniſſen denſelben oft noch unerträglicher macht. Die
Verwaltung giebt dem Reiſenden nichts als ein Zimmer,
eine hölzerne Bettſtelle, zwei hölzerne Stühle, einen Tiſch
und zwei hölzerne Geſtelle, um die Kleider aufzuhängen
und zu lüften, will man mehr und beſſere, als die an-
geführten rohen Meubles, ſo hat man dafür zu zahlen
und zwar ziemlich hohe Preiſe, wie z. B. ein Bett 10 penny
(8 Sgr.) p. diem, ein Armſtuhl six pence (5 Sgr.) 2c.
Der Wächter wird gleichfalls vom Reiſenden mit 1 Schil-
ling 7 penny (16 Sgr.) p. diem bezahlt. – Ein Reſtau-
rant iſt nicht im Local, man hat daher entweder ſeine
Nahrung aus einem Hôtel zu beziehen, was mit Trans-
port 2c. beinahe 3 Thlr. p. diem koſtet, ſein eigener Koch zu
ſein oder Hunger zu leiden. In Geſellſchaft von Herrn A.,
dem britiſchen Conſul aus Derne, der mit mir dasſelbe
Zimmer bewohnte, zog ich vor eigener Koch zu ſein, was
uns wenigſten den Vortheil gewährte unſere Speiſen
warm zu eſſen, denn natürlich mußten wir alles Nöthige
vom Lieferanten der Quarantaine zu hohen Preiſen kaufen.
Der größte Uebelſtand war der Mangel an einem Bade
und dies iſt in einer Sanitätsanſtalt ſchon aus Reinlich-
keits-Rückſichten um ſo auffallender, wer deshalb Anſtand
nimmt in dem aus den Schiffen geworfenen Unrath be-
– 270 –
deckten Seewaſſer zu baden, hat ſeine Abolutionen auf
den Umfang eines Waſchbeckens einzuſchränken.
Endlich ſchlug der Tag der Befreiung, der Arzt
machte einen letzten Beſuch, überzeugte ſich von dem Ge-
ſundheitszuſtand der zu Entlaſſenden und am nächſten
Morgen bei Tagesanbruch erſchien der Director, um an-
zuzeigen, daß Schiff und Paſſagiere „en pratique“ ſeien.
Natürlich vergißt man alsbald die überſtandenen Unan-
nehmlichkeiten; allein ich halte es für nöthig, dieſelben
hier zu erwähnen, theils um ſpätere Reiſende zu unter-
richten, was ihrer wartet, und ihnen möglich zu machen,
ſich durch paſſende Vorbereitungen den Aufenthalt zu er-
leichtern, theils weil dergleichen Erwähnungen in vielen
Fällen zur Abhülfe der Uebelſtände geführt haben.
Die Behörden von Malta können jedoch nur den
Zuſtand der Anſtalt verbeſſern, denn ein Verſuch, die
Zeit der Quarantaine zu kürzen, würde verurſachen, daß
die Inſel ſelbſt von den übrigen an das mittelländiſche
und adriatiſche Meer grenzenden Staaten in Quarantaine
erklärt und ihr Handel dadurch den Todesſtoß erhielte.
In vielen Ländern dient die Quarantaine, um politiſche
Ueberwachung zu erleichtern und um die öffentlichen
Einkünfte zu vermehren, und mit aller Mißbilligung des
erſten Grundes und Bedauern für Regierungen, die ihre
Exiſtenzmittel auf ſolche Weiſe beziehen, können dennoch
von vereinzelten Communen keine umſtoßenden Reformen
in dieſer Angelegenheit gemacht werden.
– 271 –
Ich nahm Paſſage auf dem erſten Dampfer für
Italien, dem „Quirinal“, ein paſſender Schluß für das
katholiſch-muhamedaniſche Schiffs-Trifolium, in das mich
meine Reiſe geführt, viz: Gloria Carmeli von Malta
nach Tripolis, der türkiſche Schooner Mecca von Tri-
polis nach Malta und jetzt bis Genua der „Quirinal.“
Der Dampfer war voller Paſſagiere, Touriſten und Ge-
ſchäftsreiſenden, mit einem gebührenden Quantum Prieſter
und Mönche, deren Zahl ſich in jedem italieniſchen Hafen
ſteigerte; nebſt einem verrückten Weibe aus Malta, die
ſich vom Teufel beſeſſen wähnte und auf den Rath ihres
Beichtvaters in Rom beim Papſte Hülfe ſuchte. Nachdem
die letzten Strahlen der untergehenden Sonne mir noch
einen letzten Blick auf die in der Ferne verſchwindenden
Hügel Malta's und Gozo's verſtattet, beleuchteten die
erſten Schimmer des nächſten (Sonntag) Morgens die
zackigen Gebirge Siciliens, über die ſich der Aetna in
ſtiller Majeſtät erhob, und kürzte die drei Stunden, nach
deren Ende wir in Meſſina anlangten, auf die ange-
nehmſte Weiſe; denn der beſtändige Wechſel ſchöner For-
men gewaltiger Gebirgsmaſſen, pitoresker Felſenwände
oder einzelner Gruppen, auf deren Höhe Städte, Dörfer
oder Ruinen lagen, und an deren Fuß die Brandung
kochte, feſſelten Auge und Aufmerkſamkeit beſtändig.
Nähert man ſich den Straßen von Meſſina, ſo werden
die hohen, ſich weit verſchiebenden Gebirge Calabriens
allmählich ſichtbar, und vor dem Hafen angelangt, ſieht
– 272 –
man ſich von einem Halbkreis zackiger Höhen umſchloſſen.
Auf der öſtlichen oder calabreſiſchen Seite der Straßen
ſind dieſe Gebirge weniger ſteil, werden von langen
nach der See zu ſich abflachenden Plateaus unterbrochen,
und ſind oft bis zu einer beträchtlichen Höhe angebaut,
während einzelne Häuſergruppen, Dörfer oder Städte
ſich an dazu geeigneten Stellen des Ufers erheben. Das
weſtliche oder ſicilianiſche Ufer iſt ſchroffer, die ebenen zum
Ackerbau ſich eignenden Stellen ſind weniger vorhanden,
und ebenſo ſind die Wohnungen der Menſchen ſpar-
ſamer verſtreut. Die Stadt iſt auf einer etwas größeren
Ebene erbaut, auf die mehrere Gebirgsſchluchten aus-
münden, und ein Theil der Häuſer verliert ſich in dieſe
oder iſt über die niedrigeren Vorhügel zerſtreut. Drei
oder vier unbedeutende Forts, weniger dazu geeignet, die
Stadt zu vertheidigen, als vielmehr dieſelbe zu beherrſchen,
bezeichnen die dominirenden Punkte der Umgegend. Der
Hafen wird durch eine ſich kreisförmig windende Erd-
zunge eingeſchloſſen, und der zu demſelben führende Ein-
gang zwiſchen dem Ende der Zunge und dem Ufer iſt
etwa tauſend Schritt breit. Die Uferbefeſtigungen ſind
nicht ſehr ausgedehnt. Am Eingang iſt ein großes Fort
mit mehreren Reihen Geſchützen über einander, im hinteren
Theile des Hafens die noch etwas größere Citadelle, auf
der zwiſchen beiden liegenden beträchtlichen Ebene aber
nur ein vereinzelter viereckiger Thurm, aus der Vorzeit
herrührend und nicht zu militäriſchen Zwecken geeignet.
– 273 –
Die Uferſeite der Stadt bildet eine uniforme Front großer
Gebäude, zu wenig von einander in Dimenſionen und
Structur verſchieden, um es aus der Ferne wahrnehmen
zu können; an dem längs derſelben hinauflaufenden
Ouai ankern die Schiffe, aber kleine Küſtenfahrzeuge,
die Dampfer und die zuweilen einſprechenden größeren
Schiffe halten ſich mehr gegen die Mitte des Hafen-
beckens, ebenſo die Kriegsſchiffe.
Um zu landen bedarf es einer polizeilichen Erlaubniß,
dieſe kam erſt nach einiger Verzögerung und wenn alle
Päſſe unterſucht und richtig befunden waren. Sollte Je-
mand wünſchen, den Weg nach Malta, Conſtantinopel
oder Alexandrien über Genua zu nehmen, und beabſich-
tigen, ſich, wenn auch noch ſo kurze Zeit, in den am
Wege liegenden Häfen aufzuhalten, ſo wird er wohl
thun, ſeinen Paß von den Geſandten aller Potentaten,
deren Länder er beſucht, viſiren zu laſſen; ſonſt iſt
ſelbſt ein bloßes Landen mit Schwierigkeiten verknüpft,
wenn nicht ganz unmöglich. Langt dieſe Erlaubniß an,
ſo ſtellt ſich ein Polizeiſoldat mit einer Liſte an den
Gangweg; der Reiſende giebt ſeinen Namen an, und
wird derſelbe nicht etwa mit einem Kreuz bezeichnet ge-
funden, ſo darf er in's Boot ſteigen, das ihn an dem
Werft des Zollhauſes landet. Hier findet nun eine Exa-
mination ſtatt, und man hat ſeinen Paß aus dem Bündel
Papiere, das der betreffende Beamte in der Hand hält,
herauszuſuchen; iſt auch dieſe Formalität auf befriedi-
18
– 274 –
gende Weiſe erfüllt, ſo gelangt man endlich ins Freie*)
auf Terra firma.
Hier fällt man alsbald einem Haufen Ciceroni, valets
de place, guides, Lohnbedienter oder welch andere Namen
einen dieſer Haufen Plagegeiſter in die Ohren ſchreit, in
die Hände, die ſich gegenſeitig ihre Beute ſtreitig machend,
die Luft mit Lärmen erfüllen. Pferde, Eſel, Hôtels, Boote
werden von allen Seiten offerirt und recommandirt, zu
oberſt aber auf der Liſte dieſer Accommodation figuriren
ſtets Adreſſen von Damen, die die meiſten dieſer Leute
mit unverſchämter Aufdringlichkeit zur Notiz bringen, und
dabei den Gleichmuth des Reiſenden auf eine harte Probe
ſtellen. In Betracht jedoch, daß man ſich unter der väter-
lichen Fürſorge einer Polizei des Königreichs Neapel be-
findet, die mittels neapolitaniſcher Unparteilichkeit Leute
aller Nationen ins Loch ſperrt, in das viele Fußtapfen
hinein, doch wenige herausführen, in Betracht der unan-
genehmen Folgen, welche praktiſche Beſtrebungen, die
Landesſitten zu verbeſſern, nach ſich ziehen, begnügt man
ſich die Fauſt in der Taſche zu ballen. Ich entging dem
lärmenden Troß, indem ich einen miethete, um mich nach
der Wohnung des amerikaniſchen Conſuls zu führen. In
dieſem fand ich einen Doppellandsmann (naturaliſire"
Deutſchen) und erfuhr zu meiner Beruhigung, daß der
von mir aufs Geradewohl angenommene Führer mit
*) Dieſer Ausdruck ſoll nur eine phyſikaliſche, keineswegs eine ”
litiſche Bedeutung haben. W. H.
– 275 –
ſchlechter war, als alle Uebrigen; es ward ihm eine Er-
mahnung ertheilt, mir die merkwürdigſten Punkte zu zeigen
und Sorge zu tragen, daß ich nicht übertheuert werde,
und ſo trat ich meine Wanderſchaft durch die Straßen
von Meſſina an.
Ich hatte weder Zeit noch Gelegenheit gehabt mich
auf dieſe Reiſe durch Italien vorzubereiten, konnte nicht
erwarten in der mir geſtellten Friſt von 24 Stunden viel
zu ſehen und kann deshalb nichts weiter verſuchen, als
eine flüchtige Schilderung des Geſammteindruckes, den
Meſſina auf mich gemacht. Außer dem ſchönen breiten
wohlgepflaſterten Corſo mit der ſtattlichen etwas eintönigen
Häuſerfronte am Ufer, läuft parallel mit demſelben eine
zweite gleich breite und gleich gut gepflaſterte Straße mit
ebenſo monotonen ſtattlichen Häuſern, ſowie mehrere min-
der ſtattliche ſchlechter gepflaſterte; eine große Anzahl
anderer Straßen, theils breit, theils ſchmal und die ver-
ſchiedenſten Nüancen von gutem und ſchlechtem Pflaſter,
ſtattlichen und armſeligen Häuſern zeigend, kreuzt die vor-
erwähnten entweder rechtwinklig, oder verfolgt in gerader
oder krummer Linie ſolche Richtungen, wie Terrainver-
hältniſſe oder Bedürfniſſe ſie vorgezeichnet haben. Je
weiter man ſich vom Ufer entfernt, deſto mehr nehmen
Schmutz und Unordnung in den Straßen überhand, be-
ſonders zeichnen ſich hierin die engen Stadtviertel der
Hügel aus, allein ſelbſt die beſten Theile der Stadt, ſelbſt
der Corſo am Ufer erregten ein unangenehmes Mißbe-
– 276 –
hagen durch ihre Unreinlichkeit. Dies mag ſeltſam klingen
im Munde eines New-A)orker's, welche Stadt ſich bekann-
termaßen einer der ſchlechteſten Municipalverwaltungen
und der ſchmutzigſten Straßen erfreut, allein ich analyſire
den Eindruck folgendermaßen. In New-A)ork drängt ſich
auf einem gegebenen Terrain der Welthandel und die den-
ſelben betreibende geſchäftige Menge zuſammen, die Quan-
tität des jeden Tag in die Straßen geworfenen Abfalls
iſt unglaublich und obſchon jährlich gegen 200.000 Dol-
lars für die Straßenreinigung verausgabt werden, und
eine bedeutende Anzahl von Leuten ſtets mit derſelben
beſchäftigt iſt, ſo füllt ſich doch der Augiasſtall ſo unauf-
hörlich von Neuem, daß es ſcheint, als wollte die Schmutz-
decke ewig denſelben Durchmeſſer behalten. In Meſſina
und ſpäter in Neapel fand ich weniger Unrath vorhanden,
allein was vorhanden, trug ein älteres Datum, in der
That ſchien es, als ob man ſich gänzlich auf Wind und
Regengüſſe verließe die Straßen zu reinigen, deshalb lag
in allen Winkeln der abſcheulichſte Unrath. Dazu kommen
noch die ſchmutzigen Gewohnheiten der Eingeborenen.
Gewiſſe nothwendige Bedürfniſſe, die anſtändige Menſchen
insgeheim beſeitigen, ſieht man dieſe Leute am hellen Tage
auf offener Straße oder wo es ihnen ſonſt gefällig iſt
verrichten, ſo daß die Eingänge, Höfe, Treppen, ja ſelbſt
Corridors der Häuſer fortwährend beſchmutzt werden, und
dies thuen nicht nur die niedrigen Claſſen, ſondern Leute
die auf Bildung und Stellung Anſpruch machen. Dieſes
– 277 –
Gefühl von Ekel verleidete ein langes Verweilen in den
Straßen und deshalb konnte ich nur einen flüchtigen Blick
auf die verſchiedenen öffentlichen Plätze und Monumente
werfen. In den meiſten Reiſebeſchreibungen von Italien
verſchlingt der Enthuſiasmus des Reiſenden über die ſchöne
Natur und die Kunſtwerke alle dieſen unangenehmen Bei-
geſchmack, ſo daß es zumal dem Künſtler leicht als Ketzerei
ausgelegt werden kann, wenn er ſich hier mit ſolchen
Trivialitäten beſchäftigt, allein ich würde es für Arroganz
halten, wollte ich nach den vielen gediegenen Schriften
über die Kunſtwerke Italiens, die das Publikum bereits
beſitzt, mir anmaßen in den wenigen Tagen, auf die mein
Aufenthalt in dem herrlichen Lande beſchränkt war, Neues
über dieſen Gegenſtand mitzutheilen. Ich bleibe deshalb
meinen alten Anſichten über die Pflichten des gewiſſen-
haften Reiſenden getreu, Land und Leute ſo neben und
miteinander zu beſchreiben, wie ſie ſich allmählich dar-
ſtellten, zumal es ſich hier um ein Volk handelt, daß eine
Periode der Wiedergeburt für ſich in Anſpruch nimmt.
Nachdem ich der broncenen Statue Johann von Oeſter-
reich's, auf deren Fußgeſtell eine vor und in dem Hafen
von Meſſina ſtattgefundene Seeſchlacht dargeſtellt, einige
flüchtige Augenblicke geſchenkt, durchwanderte ich einige
Kirchen, deren verſchiedene von impoſanter Architektur
und auch an Meiſterwerken der Bildhauerei und Malerei,
ſowie hiſtoriſchen Denkwürdigkeiten ſind; vor allen an-
deren die uralte ſchöne byzantiniſche Kathedrale mit ihren
– 278 –
maſſiven Säulen, zierlichen Capitälen, kunſtreichem, ſchön
geſchnitztem hölzernem Dachſtuhl, meiſterhafter Sculptur
an Kanzel und anderen Theilen, prachtvollen Moſaik-
arbeiten auf Goldgrund im Sanctuarium und am Hoch-
altar und ihren wunderbaren Pergament-Manuſcripten
alter Kirchenmuſik des 15. Jahrhunderts. In manchen
der Kirchen wurde Meſſe geleſen, dies hielt jedoch den
Cicerone nicht ab, mich ohne weitere Ceremonie zwiſchen
den knieenden Betern umherzuführen, um Bilder und
Sculpturen im beſten Lichte zu zeigen; in der Kathedrale
aber, wo man bald das Hochamt beginnen wollte, führte
mich der überaus dienſtfertige Sacriſtan die Stufen des
Hauptaltars, auf dem ſchon die Kerzen brannten, hinauf,
um mir die koſtbaren getriebenen und eingelegten Ar-
beiten, ſowie die Muſik-Manuſcripte zu zeigen. Dieſe
Gleichgültigkeit des wahrſcheinlich auf ein gutes Trinkgeld
rechnenden Mannes, ſowie der in der Kirche verſammelten
Gemeinde, die ſo etwas duldete, empörte mich und ich
verließ die Kirche, vom Sacriſtan, dem ich ſein Trink-
geld verweigerte, mit anzüglichen Reden verfolgt. Von
Rechtswegen hätten die anzüglichen Reden von der Ge-
meinde ausgehen und den Sacriſtan mittreffen ſollen.
Der Conſul hatte mir gerathen, den Gebirgskamm
hinter der Stadt zu beſteigen, und da der Weg 1 deutſche
Meile weit war, ſo führte mich der Cicerone nach einem
Stall, wo Eſel zu vermiethen waren; denn ſelbſt ein-
ſpännige Wagen waren des Feſttages wegen kaum für
– 279 –
15 oder 20 Franken zu haben. Man präſentirte mir
hier ſolche armſelige, magere, abgehungerte Langohre
voller Beulen und Geſchwüre, daß ich es nicht über
mich gewinnen konnte, ein ſolches armes Thier ferner zu
quälen, und unter lebhaften Proteſtationen des Cicerone
beſchloß ich den Weg zu Fuß zu machen. Der Mann
war mir bisher ſchon läſtig geweſen, deshalb zahlte ich
ihm für eine Stunde, die er mit mir umhergegangen,
drei Franken und verabſchiedete ihn. Natürlicherweiſe
war er hiermit nicht zufrieden, welcher von dieſer Art
Leute wäre auch wohl mit irgend etwas zufrieden; da
er aber ſah, daß nichts weiter zu erlangen ſei, ſo ließ
er mich nach verſchiedenen lebhaften Exhortationen, die
ich nicht für Complimente hielt, in Frieden. Ich ver-
folgte nun meinen Pfad allein weiter, und gelangte zuerſt
auf eine Anhöhe an ein ausgedehntes Nonnenkloſter mit
vergitterten Fenſtern, von deſſen Kirchenſtufen man bereits
eine ſchöne Ausſicht auf Stadt und Hafen genoß. Dann
folgte ich dem längs der Stadtmauer hinlaufenden Weg
und durch das erſte Thor ins Freie gelangend, begann
ich die Berge zu erſteigen. Hier war ich irre gegangen,
ſtatt auf die große Landſtraße zu gelangen, kam ich in
eines der Forts, und von den daſelbſt ſtationirten Sol-
daten zurecht gewieſen, hatte ich durch Weingärten und
über Felſen erſt hinab und auf der anderen Seite hinauf-
zuklimmen. Glücklicherweiſe wurde dem Cicerone nicht
die Genugthuung, mich in der heißen Sonne ſo mühſam
– 280 –
klettern zu ſehen, denn ich war ihm ſchon lange aus dem
Geſicht verſchwunden. Der Pfad war rauh, die Berge
ſteil, die Hitze groß, und als ich auf halber Höhe ein
dem Anſcheine nach etwas beſſeres Bauernhaus ſah, trat
ich ein und bat um etwas Waſſer und Wein. Die Ge-
ſellſchaft, die ich hier fand, beſtand aus drei Männern
und zwei Frauen, davon eine ſehr alt; man reichte mir
eine Weinflaſche, allein da deren Inhalt ziemlich ſcharfem
Eſſig zu nahe kam, ſo ſendete ich einen der Männer
nach der etwas tiefer unten gelegenen Locanda, um beſſeren
Wein zu holen. Mittlerweile unterhielt ich mich mit den
Anderen. Der vernachläſſigte Zuſtand der Weingärten
und Felder erregte bei dem ſonſt anſcheinend ergiebigen
Boden meine Verwunderung, ebenſo die große Anzahl
der Bettler, die mich den ganzen Tag beläſtigt hatten.
„Wie ſoll es anders ſein,“ entgegneten die Bauern,
„Steuern und Gaben freſſen mehr, als den dritten Theil
unſerer Ernten, von dem was bleibt, wiſſen der Grund-
herr und die Beamten immer auch noch einen Theil an
ſich zu ziehen; weshalb alſo ſollen wir uns plagen, unſere
Felder und Gärten in gutem Stand zu halten, wir
haben doch keinen Nutzen davon; wie viel beſſer ſind die
Bettler daran, ſie haben keine Abgaben, finden ſtets zu
eſſen und zu trinken, eine Schlafſtelle unter freiem Himmel
oder in einem Hausflur, und Niemand kümmert ſich um
ſie.“ Der Wein machte Alle etwas geſprächiger, und
als ſie hörten, ich käme aus Amerika, war des Fragens
– 281 –
kein Ende, ob es wahr ſei, daß man da Land umſonſt
haben könne, ob Bauern wirklich keine Abgaben für ihre
Ernte zahlen 2c. Ich ſuchte ihnen die Sachen ſo faßlich
als möglich zu erklären, und verbrachte eine angenehme
Stunde mit den Leuten; denen es anſcheinend weder an
Intelligenz, noch an Arbeitsluſt fehlte, die aber von den ſie
umgebenden Einflüſſen niedergedrückt, endlich verdumpfen.
Iſt es in Italien nöthig ſich einer übermäßigen Be-
völkerung nach Amerika zu entladen, ſo wäre es wünſchens-
werth, daß ſolche Leute wie dieſe Bauern kämen, ſtatt
jener Haufen nichtsnutziger Vagabonden, die aus Neapel,
Rom und anderen großen Städten entſendet, die Straßen
New-A)ork's, Boſton's und Philadelphia's mit ihren ab-
ſcheulichen Drehorgeln heimſuchen und die Zuchthäuſer der
verſchiedenen Staaten füllen helfen.
Beim Weiterziehen begleitete mich einer der Männer
und brachte mich bald auf eine ſchöne breite mecadamiſirte
Straße, die in vielen Windungen längs des Abhanges
hinlaufend bis auf den höchſten Kamm des Gebirges und
darüber hinaus nach Palermo führt. Auf der höchſten
Spitze dieſes Paſſes ſteht ein verfallener Wachtthurm
ſaraceniſcher Structur und von dieſem hat man eine ſchöne
Ausſicht über den weſtlichen Theil Siciliens, die lipariſchen
Inſeln und weithin in der Ferne die vulkaniſche Inſel
Stromboli mit der ewig über derſelben ſchwebenden Rauch-
wolke, während man nach Oſten blickend zu ſeinen Füßen
am Ausgange der gewaltigen Schlucht Meſſina liegen
– 282 –
ſieht, jenſeits der Straßen aber die langen Bergrücken
des herrlichen Calabrien's ſich ausbreiten.
Nachdem ich mich dieſes Anblickes lange genug erfreut,
trat ich den Rückweg an, von meinem neuen Bekannten
Abſchied nehmend, der mich noch mit einigen Feigen aus
ſeinem Garten beſchenkte. Gegen ſechs Uhr Abend langte
ich auf dem Corſo am Ufer an, der jetzt mit einer bunten
Menge gefüllt war, zwiſchen der viele Caroſſen rollten
und ein Militärmuſikchor ſpielte. Die Toiletten der Da-
men fielen mir durch ihre Eleganz und ihren Reichthum
auf und faſt wähnte ich mich für einen Augenblick in die
Mitte der extravaganten Frauenwelt New-Y)orks's zurück-
verſetzt; ſelbſt in unanſehnlichen Häuſern waren die Bal-
kons mit Frauen und Mädchen in reichen Seidenkleidern
gefüllt und in den Equipagen trugen viele Frauen koſt-
baren Schmuck. Als ich den Conſul ſpäter über dieſen
Punkt befragte, antwortete er mir: „Das iſt auch beinahe
der ganze Luxus dieſer Leute. In ihren Häuſern iſt ein
einziges Zimmer mit Prunk überladen, die anderen ſind
vielleicht kaum mit den nothdürftigſten Meubles verſehen.
Sollten Sie morgen in der Stadt Beſuche machen, ſo
würden Sie vielleicht viele dieſer eleganten Damen in ſo
abſchreckender Toilette finden, daß Sie nicht gern in ihrer
Nähe bleiben würden.“ Eine Spazierfahrt auf dem Corſo,
eine Loge im Theater und zu Zeiten eine Soiree mit
Limonade und Eis bilden die Hauptluxusartikel, und damit
begnügen ſich die Leute.
– 283 –
Der franzöſiſche Dampfer, der „Meſſageries Impe-
riales“ aus Conſtantinopel, brachte eine ziemliche Anzahl
von Paſſagieren für italieniſche Häfen, die mit dem
Quirinal ihre Reiſe weiter fortſetzten und am Montag
Mittag verließ derſelbe Meſſina. -
„ Wer der Scylla entgeht, fällt in die Charybdis“,
ſo hört mit Schaudern der gläubige Gymnaſiaſt, und da
dieſes Sprichwort ſich meinem Gedächtniß tief eingeprägt
hatte, ſo ſtrengte ich meine Augen an, um dieſe Schrecken
der Seeleute der Alten zu erſpähen. Obſchon dieſe Ge-
fahren von den Seefahrern unſerer Tage nicht mehr als
bedeutend betrachtet werden, ſo iſt es demnach nicht ſchwer
die Localität derſelben auszufinden. Der Gebirgszug, der
durch die Straßen von Meſſina unterbrochen wird, ver-
folgt ſeinen Lauf unter dem Waſſer, die Gipfel dieſer
unterſeeiſchen Gebirgskette bilden eine Reihe von Felſen-
riffen, die Scylla und ein dicht bei Meſſina gelegener
Thalkeſſel, in Form wahrſcheinlich dem Hafenbaſſin nicht
unähnlich, fängt die Strömung, die man ſtets je nach
Verhältniß der vorherrſchenden Winde in den Straßen
mehr oder minder heftig findet, und bildet dadurch einen
Wirbel, die Charybdis. Dieſer, ſowie die Felſenriffe
können kleinen Fahrzeugen bei Windſtille und heftiger
Strömung gefährlich werden, allein ſelbſt bei leichten
Winden iſt es leicht dieſelben mit einiger Vorſicht zu ver-
meiden. Als der Quirinal den Hafen verließ, paſſirte
eben ein engliſches Geſchwader von vier Linienſchiffen
– 284 –
und einem kleinen Dampfer die Straßen, eines der Schiffe
ſegelte mitten durch den gefürchteten Wirbel der Charibdis,
ohne daß ſein Cours weſentlich durch denſelben beeinflußt
ward. Zwiſchen den Felſenriffen der Scylla aber, die
man an den kleinen ſie bedeckenden Wellen leicht erkannte,
ſegelte eine Anzahl Briggs und Schooner mit friſchem
Winde nach jeder beliebigen Richtung. In dem Sattel
des felſigen Ufers, nach dem die Riffe ihren Namen er-
halten haben, liegt ein pitoreskes Städtchen (ich denke es
heißt Antivari) mit einigen Befeſtigungen auf der Felſen-
ſpitze, in die der Sattel endet.
Tritt man an der Weſtſeite aus den Straßen heraus
und gewinnt das freie Meer, ſo ſieht man ſich von
einem herrlichen Panorama umgeben. Oeſtlich ziehen ſich
die Gebirge Oberitaliens nach den Straßen hin, die wir
eben verlaſſen, ſüdlich kann man einen beträchtlichen Theil
Siciliens überblicken, das von der majeſtätiſchen Spitze
des Aetna bekrönt wird. Weiter gegen Weſten dehnt ſich
die Kette der lipariſchen Inſeln, ihren Contour verändernd,
je nachdem wir unſere Stellung veränderten; während
im Norden die vulkaniſche Inſel Stromboli ſich als eine
einzige koniſche Spitze aus dem Meere erhebt. Es war
ein milder ſonniger Nachmittag, der ſcharfe Bug des
Dampfers durchſchnitt ſchnell die leichten blauen Wogen,
und bei Sonnenuntergang waren wir Stromboli nahe
genug gekommen, um die Felder und Gärten nebſt den
zwiſchen ihnen verſtreuten weißen Häuſern, inmitten der
– 285 –
ſie umgebenden Waldungen und Lavafeldern zu erkennen.
Die ſüdliche und öſtliche Seite der Inſel zeigt die obere
Hälfte mit alten Lavaſtrömen bedeckt, die theilweiſe ſich
tiefer hinab erſtrecken, während ſie an anderen Stellen
von leichter Vegetation bedeckt ſind. Der Krater befindet
ſich nahe der Spitze an der Nordſeite. Der obere Theil
der unteren Hälfte ſcheint, ſoweit ſich in der Entfernung
erkennen ließ, aus einem bewaldeten Gürtel zu beſtehen;
während die weniger ſteilen Abhänge nächſt dem Ufer
mit Feldern und Weingärten bedeckt ſind. Zwiſchen dieſen
letzteren ſind etwa hundert Gebäude verſtreut, darunter
anſcheinend eine oder zwei Kirchen oder Capellen. Dieſe
kleine Anſiedelung, in der ſpäter die Fenſter erleuchtet
erſchienen, inmitten des weiten einſamen Meeres, auf
dem mit Ausnahme unſeres Dampfers weder Schiff noch
Boot zu ſehen war, machte einen wunderbaren Eindruck
tiefer Einſamkeit. Was mochte wohl die erſten Anſiedler
beſtimmt haben, ſich eine Heimath in dieſer Waſſermaſſe
zu ſuchen, am Buſen eines Vulkanes, der ununterbrochen
Feuer und Rauch auswirft, juſt über dem Heerd der
unterirdiſchen Flammen, die über den friedlichen Bewohner
jeden Augenblick Verderben bringend hereinſtürzen können;
waren es Flüchtlinge, die Gerechtigkeit oder Ungerechtig-
keit der Menſchen fürchtend? ſo dachte ich, als die
Schatten der Nacht ſich über See und Land ſenkten,
Stromboli nur noch als ein rieſiger Kegel ſichtbar war,
an deſſen Fuß vereinzelte Lichter ſchimmerten, während
– 286 –
der Krater in Intervallen von einigen Minuten eine
kleine Flammenſäule ausſeufzte, die entweder hell und
klar ſichtbar war, oder wenn juſt von einer Rauchwolke
umhüllt, dieſelbe ſanft erglühen machend, einen großartigen
Leuchtthurm bildete.
In der Cajüte war es heiß und ſchwül, dazu ver-
breitete ſich ein übler Geruch, der entweder von nicht
gehörig getrockneten Häuten herrührte, die ſich unter der
Ladung befanden oder durch das in jedem Schiff vor-
handene Waſſer im unterſten Raum verurſacht wurde,
das ſeit mehreren Tagen nicht ausgepumpt worden war,
deshalb zog ich es vor, die Nacht, in eine Decke gewickelt,
auf dem Verdeck zuzubringen. Bis drei Uhr befand ich
mich daſelbſt ganz angenehm, allein um dieſe Zeit brach
ein ſchweres Gewitter, begleitet von heftigen Regengüſſen
los, die alle, welche gleich mir Zuflucht auf dem Verdeck
ſuchten, unter Dach trieb. Mit dem Schlaf war es nun-
mehr vorüber, deshalb kleidete ich mich an, und als der
Regen nachließ, ging ich wieder aufs Deck, um den viel-
verſprechenden Sonnenaufgang zu ſehen. Um dieſe Zeit
befanden wir uns in der Paſſage zwiſchen der Inſel
Capri und dem Feſtland, vor uns lag die Bai von
Neapel, in der ſich die Spitze des Veſuv's aus dem
zarten Duft, der den Fuß der Gebirge umhüllte, empor-
hob; denn noch rang die Nacht mit dem anbrechenden
Morgen, nach Süden hin ballten ſich die ſchweren Ge-
witterwolken und ein ſchwacher Schein über den Ge-
birgen verkündete den herrannahenden Tag. Jemehr der
Dampfer in die Bai eintrat, deſto ruhiger ward das hier
durch die verſchiedenen Inſeln: Capri, Isſchia c. beſſer
geſchützte Meer, und in dem Maße, wie der Morgen
anbrach, enthüllte ſich allmählich das ganze herrliche
Schauſpiel; hier Capri mit ſeinen ſchroffen barrokge-
formten Felswänden und Ruinen, dort Isſchia und
weiterhin Sorrento, während zur Rechten am Fuße
maleriſcher Gebirge Caſtelamare und zahlloſe andere
Städte und Dörfer lagen. Im Hintergrunde ward jetzt
die Stadt ſichtbar mit ihren Kirchen, Paläſten, Klöſtern
und Feſtungswerken, Alles von einem Rahmen von Wein-
gärten umgeben und bekrönt von dem ewig ſchönen Veſuv.
„Wie ſchön, wie unendlich ſchön,“ rief ich aus und wieder-
holte im Laufe des Tages noch oft denſelben Ausruf,
auf den leider nur zu oft beim Anblick der Menſchen ein
anderer „wie ekelhaft“ folgte.
Die Sonne war bereits aufgegangen, als wir hinter
dem zweiten Molo ankerten und mit Ungeduld wartete
ich auf die Erlaubniß zu landen, denn beſucht man Neapel
zum erſten Male und kann ſich nur zehn Stunden auf-
halten, ſo iſt jede Minute koſtbar. Endlich erſchien der
erſehnte Polizeimann, und ich beeilte mich, einer der erſten
am Ufer zu ſein. Die Formalitäten im Zollhaus und
die Unverſchämtheit der Lohndiener waren dieſelben, wie
in Meſſina, letztere vielleicht noch etwas geſteigert; ich
entging aber letzteren, indem ich einen Miethwagen auf
– 288 –
Zeit miethete, und mich auf dem Wege nach Sorrento
hinfahren ließ. Es war noch zu früh, um den Conſul
oder Geſandten der Vereinigten Staaten zu beſuchen,
und ſo verwendete ich die Morgenſtunden, um die Grotte
des Pauſilippo und das Grab Virgil's zu ſehen. Durch
erſtere führt die Heerſtraße nach Sorrent, und es iſt
unſtreitig der pitoreskeſte Tunnel, den ich geſehen; zumal
die von reichem Buſchwerk überhangenen von Bäumen
bekrönten Eingänge, an deren Wänden man noch Reſte
von antiken, ſowie gemalten byzantiniſchen Sculpturen
ſieht; blickt man an einem der beiden Enden von einer
mäßigen Entfernung aus der Grotte ins Freie, ſo bietet
ſich dem Auge ſtets ein ſchönes Bild im ſchönen Rahmen,
denn der das Innere erfüllende Staub und Dunſt hüllen
alle Gegenſtände, die man ſieht, in einen zarten Schleier,
daß ſie mehr den Anſchein von Malerei haben als von
Realität.
Nächſt dem Eingange nach der Stadt zu befindet ſich
das Grab Virgil's, zu dem man durch einen Garten
voller Weinreben und Feigenbäume gelangt. Etwa in
halber Höhe zwiſchen Fuß und Dach der Grotte befinden
ſich mehrere in den Felſen gehauene Begräbnißplätze,
deren einer durch eine im Innern gefundene, jetzt nahe
dem Eingange befeſtigte Inſchrift als das Grab des
Dichters bezeichnet wird. Um dasſelbe zu erreichen, hat
man die Höhe zu erſteigen und einen kleinen mit Stufen
verſehenen Pfad hinabzuklimmen, wenige Schritte von
– 289 –
dieſer Stelle findet man an einem ziemlich verſteckten,
von Bäumen überſchatteten Ort eine Anzahl von Gräbern,
in denen, wie die Inſchriften zeigen, worunter viele deutſch,
Perſonen iſraelitiſchen Glaubens ihren langen letzten Schlaf
ſchlafen. Blickt man von dieſem Ort herab nach dem
Grabe, ſo bilden die buſchbedeckten Felswände, die Grotten,
der ſich hinabwindende Weg, weiterhin die Stadt, das
Meer und in weiter Ferne der ſchöne Veſuv ein lieb-
liches Bild.
Bei meiner Rückkehr nach der Stadt war der Tag
weit genug vorgerückt, um Beſuche machen zu können,
und nach meinem Frühſtück im Victoria-Hôtel machte ich
dem Conſul und Geſandten meinen Beſuch, um Informa-
tion einzuholen, wie ich in der mir geſtellten kurzen Friſt
möglichſt viel ſehen könne, mir einen etwas zuverläſſigen
Cicerone zu verſchaffen, denn die welche den Fremden
am Landungsplatze anfallen, ſtehen meiſt im Solde der
Polizei; nimmt man die Dienſte eines derſelben an, ſo
hat man die Satisfaction dafür zu bezahlen, daß er einen
ausſpionirt; auch wünſchte ich die Repräſentanten Ame-
rika's von meiner Gegenwart in Kenntniß zu ſetzen, damit,
ſollte mich mein Unglückſtern der neapolitaniſchen Polizei
in die Hände führen, ich mich wenigſtens einer ſchleunigen
Befreiung verſichert ſähe. Ich fand das Gewünſchte und
begann den Tag mit dem Muſeum der pompejianiſchen
Alterthümer. Der Weg dahin führte durch verſchiedene
enge Straßen, in denen die darin wohnenden Leute alle
19
– 290 –
möglichen häuslichen Verrichtungen, wie ſie ſich die frucht-
barſte Phantaſie nur vorſtellen kann, unter freiem Himmel
verrichtet wurden. Die Unreinlichkeit (um einer abſcheu-
lichen Sache einen höflichen Namen zu geben) iſt hier
womöglich noch größer und ihr Anblick ekelhafter als in
Meſſina, denn der Verkehr iſt lebhafter, die Einwohner-
zahl auf engeren Raum beſchränkt, die Nachläſſigkeit aber
ebenſo groß als an erſterem Ort. Die bunte lärmende
Menge iſt ſchon oft und vortrefflich beſchrieben, ebenſo
die zahlreichen Soldaten in ihren altmodiſchen Uniformen,
die Promenaden am Meer, die Paläſte, die Märkte, öffent-
liche Plätze, Wachen mit Kanonen hinter den Gittern und
die Forts St. Elmo, Caſteluovo u. ſ. w. deshalb übergehe
ich ſie mit Stillſchweigen. Das Muſeum der Alterthümer
von Pompeji erſchien mir ziemlich einfältig, und ich konnte
ſelbſt den ſchönen Kunſtwerken, die hier ſo maſſenhaft
aufgehäuft ſind, bei weitem nicht das Intereſſe abgewin-
nen, das ſie verdienen. Welch ein Mißgriff, dieſe Sachen
aus der Umgebung zu reißen, die ihnen ſo unendliches
Intereſſe verleihen, wie ungleich anziehender erſchienen
mir die unbedeutendſten Fragmente, die ich ſpäter in Pom-
peji und Herculanum ſelbſt ſah, denn jedes derſelben ſtellte
in ſeinen mannichfachen Beziehungen ein Stück der Ge-
ſchichte ſeiner Zeit und ſeiner Umgebungen dar. Wieviel
mehr wird die Aufmerkſamkeit des Beſchauers durch die
alte Stadtmauer von Herculanum gefeſſelt, mit ihrem
Thor, dem Gefängniß dicht dabei, deſſen Gitter halb zer-
– 291 –
ſchmolzen ſind, und nicht weit davon den Brunnen, deſſen
Rand die Einſchnitte zeigt, die durch langjährigen Gebrauch
die zum Heraufziehen des Waſſers nöthigen Seile gemacht,
oder von den Straßen Pompeji's, von den Häuſern, aus
denen man das Leben ſeiner Bewohner errathen kann und
den Tempeln, in denen der Tod diejenigen überraſchte,
die hier Zuflucht zu finden hofften, als im Muſeum, von
ſelbſt den ſchönſten Gefäßen, den reichſten Moſaikkaſten,
die ihrer Umgebung entriſſen, mehr den Eindruck künſt-
licher Imitationen machen.
Die nach Pompeji führende Eiſenbahn erlaubte nur
einen flüchtigen Beſuch daſelbſt, ebenſo wie in Herculanum.
Von letzterem liegt nur ein kleiner Theil nahe dem Meeres-
ufer zu Tage, wo ein Brei aus Aſche und heißem Waſſer
die Ruinen bedeckte, denn da die beiden Städte Reſina
und Portici über der alten Stadt erbaut ſind, ſo ward
das Terrain zu koſtſpielig, um weitläuftige Ausgrabungen
zu machen; in den Theilen aber, wo glühende Lava die
Stadt übergoß, wurde die Arbeit zu ſchwierig, um ſie
ohne ſehr große Koſten fortzuſetzen. Dadurch, daß das
Theater unterirdiſch iſt und man dasſelbe nur ſtückweiſe
beim Kerzenlicht betrachten kann, verliert der Eindruck ſehr
an Macht.
Es blieb noch Zeit übrig, um die zu dem Eremiten
des Veſuvs führende Straße bis dahin zu beſteigen, wo
ſie von einem Lavaſtrom des Ausbruches vom Jahre 1857
überfluthet worden iſt. Dieſer verfolgt ſeinen Weg thal-
– 292 –
wärts noch immer weiter, und es iſt nicht abzuſehen,
wann ſein Lauf gehemmt werden wird. Das Fließen der
Lava iſt hier mehr ein langſames Fortſchieben. Die glü-
hende Maſſe iſt an der Außenſeite erkaltet und dieſe
blättert ſich fortwährend ſchieferartig los, zu Zeiten durch
die Ritzen und Sprünge das rothglühende Innere ſehen
laſſend. Die von oben nachdrückenden Maſſen ſchieben das
Ganze weiter, und die Zufälligkeiten des Terrains, je
nachdem dasſelbe ſteil iſt oder manchmal kleine Keſſel bildet,
die ſich langſam füllen, befördern die Bewegung oder halten
dieſelbe auf. Jetzt iſt dieſelbe ſo langſam, daß man Zeit
genug findet, um die Weinreben, Pfähle und diejenigen
Bäume, die ſich zu Nutz- oder Brennholz eigenen, bei
Seite zu ſchaffen, ſo daß nur Gras, Geſtrüpp und kleine
nicht anderweitig verwendbare Bäume von der Gluth
verzehrt werden. Als ich den Ort beſuchte, ward juſt ein
junger Feigenbaum von den Flammen erfaßt, derſelbe
loderte hell, wie eine Fackel brennend, empor und war
in wenigen Minuten zu Aſche verwandelt. – Und trotz-
dem, daß das Verderben täglich über ihren Häuptern
hängt, kaufen ſich die Leute hier Land und Häuſer, bauen
auf den Ruinen Herculanum's und Pompeji's neue Städte
und ſehen gelaſſen demſelben Schickſal entgegen, das jene
ereilte. Der letzte Ausbruch bildete einen Krater auf etwa
zwei Drittheile der Höhe des Berges, daraus läßt ſich
ſchließen, daß die Seiten durch fortwährendes Einſtürzen
nach Innen ſehr geſchwächt ſein müſſen, und früher oder
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ſpäter wird der ganze Kegel einſtürzen; wie dies ſchon
früher einmal der Fall geweſen. Der Mann, von dem
man bei der Beſteigung des Berges gewöhnlich die Eſel
miethet, hatte ſich kürzlich in der Nähe der Lava einen
Weingarten gekauft. Auf meine Frage, ob er nicht für
die Sicherheit ſeines Grundeigenthums fürchte, antwortete
er mir: „Oh nein, ich habe einen ſehr guten Schutz-
heiligen.“
Da der nächſte Eiſenbahnzug zu ſpät ging, um die
Stadt vor Abfahrt des Dampfers zu erreichen, ſo fuhr
ich von Portici in einem Miethwagen. Auf halbem Wege
paſſirte ich eine Reihe ausgedehnter Caſernen, in denen
zwei Regimenter Jäger, eines dergleichen Artillerie und
drei Cavallerie-Regimenter quartirt ſind, die ſich alle
für das Feſt des nächſten Tages putzten. Zur Stadt
zurückgekehrt, mußte ich mir von der Polizei eine ſchrift-
liche Erlaubniß holen, an Bord zu gehen. Ein ganzer
Tiſch war mit dieſen auf wunderliche fünfeckige Zettel
geſchriebenen Documenten bedeckt, aus denen man ſich das
ſeinige herausſuchte. Ich war eben im Begriff, meinen
Zettel zu ergreifen, als man mich nach meinem Namen
fragte. „Mazzini“ lautete meine Antwort. „Wie?“ fragte
der entſetzte Polizeimann. „Mazzini Napoleon Bernhard
Wilhelm Heine ſind meine Tauf- und Familiennamen“,
dann aber ergriff ich ſchnell meinen Zettel und eilte an
Bord zu kommen; denn die Mienen der Leute ſchienen
zu verkünden, daß mein Scherz mir nähere Bekanntſchaft
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mit dem Innern neapolitaniſcher Gefängniſſe zuziehen
könne, als wünſchenswerth ſchien; indem ich mich mit
der Außenſeite derſelben begnügen zu können glaubte.
Um ſechs Uhr des Abends verließ der Dampfer die
Bai von Neapel und entlang der mit Orangenhainen
bekrönten Felſenküſte von Sorrento hinſegelnd, glitten
wir durch die ſchönen Inſelgruppen nördlich von Capri
hin, unter denen Isſchia durch ſeine maleriſche Lage ſo
leicht zu erkennen iſt.
Am nächſten Morgen bei Tagesanbruch befanden wir
uns der Küſte nahe genug, um die Kuppel von St. Peter
in Rom aus der Ferne wahrnehmen zu können, allein
dies war leider Alles, was ich von der „ewigen Stadt“
zu ſehen bekam; denn obſchon man von Civita Vecchia
per Eiſenbahn in einer Stunde dahin gelangen kann, ſo
ſind dennoch die verſchiedenen Züge ſo unzweckmäßig ver-
theilt, daß es nicht möglich iſt, am ſelben Tage zeitig
genug für die Weiterreiſe mit dem Dampfer zurückzu-
kehren. In Civita Vecchia ſelbſt iſt wenig Sehenswerthes,
ein kleiner Hafen, eine kleine mit Wällen umgebene un-
intereſſante Stadt, und die Umgegend von niedrigen ſan-
digen Hügeln ohne Baumwuchs gebildet. Ich hatte kaum
erwartet, in Italien eine ſo monotone Gegend, Stadt
und phlegmatiſche Einwohner zu finden, ſelbſt die fran-
zöſiſchen Soldaten, die hier in Garniſon liegen, ſchienen
von den ſie umgebenden Einflüſſen niedergedrückt zu ſein,
denn noch nie habe ich die Krieger der „grande nation“
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ſo ruhig und ohne Lärmen ſich bewegen ſehen. Ich be-
dauerte den zwölfſtündigen Aufenthalt ſo unprofitabel zu
finden, und war froh, als der Abend hereinbrach und
der Dampfer ſich wieder entfernte.
Am nächſten Morgen langten wir in Livorno an.
War ſchon ein merklicher Unterſchied zwiſchen den rein-
licheren Straßen und ruhigeren Bewohnern von Civita
Vecchia gegen den Schmutz und Lärmen von Neapel
bemerkbar, ſo war der Contraſt hier noch auffälliger.
Ein großer geräumiger Hafen, den man noch künſtlich
zu erweitern ſucht, war gedrängt voll von Schiffen aller
Nationen; eine rege geſchäftige Menge drängte ſich eilig
umher, ohne dabei einen ſolchen Lärmen zu machen, wie
die Lazzaroni, und die Phyſiognomieen der Leute waren
offener und intelligenter, als ich bisher wahrgenommen.
In der Stadt waren wenig prachtvolle Paläſte, auch
nicht viel alte Bauwerke von großem Kunſtwerthe, allein
die Straßen ſind breit, wohl gepflaſtert, die öffentlichen
Anlagen in gutem Stande, die Häuſer angenehm und
wohnlich, von der Art, wie man ſie in bedeutenden
Handelsſtädten zu finden pflegt, und Alles deutete an,
daß die Bevölkerung hier aus fleißigeren, lebendigeren,
intelligenteren Leuten beſteht, als man in Unteritalien
antrifft. Es fiel dies nicht nur mir ſelbſt auf, ſondern
Judge Forſyth aus Troy (New-A)ork), der mit Herrn
Reymond von der New-A)ork Times erſt den Kriegs-
ſchauplatz in der Lombardei und ſpäter Unteritalien beſucht,
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jetzt eben von Neapel in demſelben Dampfer zurückkehrte
und in deſſen Geſellſchaft ich umherwandelte, machte
gleichzeitig die Bemerkung „die Leute ſehen eher aus
wie A)ankee's, denn wie Italiener.“ Schiffe, öffentliche
Gebäude und viele Privathäuſer waren mit der italie-
niſchen Tricolore geſchmückt und überall Anſchläge mit
fingerlangen Buchſtaben zu ſehen: Viva Vittor Emanuel
nostre Re, denn die Legislatur hatte eben den einſtim-
migen Beſchluß gefaßt, Toscana mit Sardinien einzu-
verleiben.
Die Sehenswürdigkeiten der Stadt ſind auch hier
bald erſchöpft, allein da auf der Eiſenbahn nach Florenz
täglich mehrere Züge gehen, ſo iſt es wenigſtens möglich,
einen kurzen Beſuch in Piſa zu machen, das man in
40 Minuten erreicht. Die Felder, durch die der Weg
führt, tragen denſelben Stempel, der auf eine intelligente,
fleißige, thätige Bevölkerung ſchließen läßt, und ebenſo
Piſa, das, obſchon ſeine Einwohnerzahl ſeit dem Mittel-
alter nicht zugenommen hat, dennoch nicht die Spuren
von Verfall zeigt, wie die Städte Unteritaliens. Der
ſchöne Dom mit ſeinen meiſterhaften Moſaiken, Bildern,
Sculpturen, beſonders die koſtbaren broncenen Thüren,
das Baptiſterium, dies Muſterſtück italieniſcher Gothik,
und der zu Beiden gehörige Campanile, der ſchiefe
Thurm, ſowie das dicht dabei liegende Campo Santo,
nahmen natürlich den größten Theil der Zeit in An-
ſpruch, und dennoch konnte ich dieſen herrlichen Meiſter-
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werken der Baukunſt wenig mehr als einen flüchtigen
Blick widmen. Die Gruppe, welche dieſe vier Bauwerke
bilden, der Dom, der ſchiefe Thurm, das Baptiſterium
und das Campo Santo, iſt einzig in ihrer Art, und da
gewaltſame Zerſtörung derſelben fern geblieben, außerdem
noch viele Sorgfalt auf ihre Erhaltung verwendet worden
iſt, ſo ſtehen ſie da, ein reines unverfälſchtes Zeugniß
der Periode, welcher ſie ihren Urſprung verdanken. Der
ſchiefe Thurm erzeugt ganz eigenthümliche Gefühle im
Beſchauer. Man iſt ſo daran gewöhnt, in einem Thurm
ſtehend, nach oben blickend, alle Seiten ſich gleich-
mäßig perſpectiviſch verjüngen zu ſehen, daß man auch
hier nach der im oberen Theil befindlichen Oeffnung
blickend, den Kopf dreht und wendet, um eine gleiche
Anſicht zu gewinnen; allein bei dem nach einer Seite ſich
ſenkenden Fußboden und den überhängenden Mauern des
Thurmes wird man dadurch in eine ſolche Stellung
gebracht, daß man ſeinen Schwerpunkt verliert und zu
taumeln anfängt. Dies iſt beſonders der Fall, wenn
man auf dem Wege zur Treppenthür nach oben blickt,
da man ſich in dieſer Stellung ſehr nach hinten über-
biegen muß, um das Dach zu erblicken. Einen ebenſo
ſonderbaren Eindruck macht das Erſteigen der ſpiral-
förmig in der Peripherie des Thurmes ſich windenden
Treppe, deren Stufen von unten bis oben von gleichen
Dimenſionen ſind, die aber, je nachdem man ſich dem
überhängenden Theile zuwendet oder abwendet, ſchwerer
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oder leichter zu erſteigen ſind. Da nun die Treppe
keine Ausſicht geſtattet, ſo fühlt man zu Zeiten, als ob
man ſchwere Gewichte an den Füßen zu hängen habe,
dann aber wieder, als ob man von einer unſichtbaren
Hand geſchoben würde, ohne die Urſache davon wahr-
nehmen zu können. Die Urſache des Ueberhängens dieſes
Thurmes iſt nicht ſo ſchwer aufzufinden. Aus den oft
ziemlich bedeutenden Senkungen anderer Gebäude in Piſa
iſt erſichtlich, daß entweder der Grund und Boden weich
und ſchwammig oder ſonſt mangelhaft beſchaffen ſein
muß oder, daß man bei dem Legen des Grundes leicht-
ſinnig zu Werke gegangen iſt. Es ſcheint, daß das
Senken des Thurmes erſt angefangen, als derſelbe
bereits eine beträchtliche Höhe erreicht hatte; da man
nun wahrſcheinlich nicht rathſam fand, den ganzen Bau
einzureißen, ſo hat man in den oberen drei Stockwerken
die Säulen auf der überhängenden Seite etwas höher
gemacht, um ſo den Schwerpunkt noch im Innern des
Thurmes zu erhalten; daß der Thurm nicht überhängend
gebaut worden iſt, darauf deutet der Fußboden des un-
terſten Geſchoſſes hin, der auch abſchüſſig, und ent-
ſchieden erſt im Laufe der Zeit ſo geworden iſt. Es
wäre abſurd anzunehmen, daß ein Architekt von ſo
großer Geſchicklichkeit wie der Erbauer dieſes Thurmes,
ſich eine ſolche kleinliche Spielerei erlaubt haben würde,
die den Geſammteindruck dieſes ſchönen Bauwerks nur
ſtören kann.
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Die Ausſicht von der Höhe des Thurmes iſt überaus
lieblich, rings um die Stadt dehnen ſich die friſcheſten
grünſten Felder und Gebüſche, nach Norden aber und
Nordoſten ſchließen die eleganten Formen der Apenninen-
kette den Geſichtskreis ab.
In Piſa herrſchte ebenſo volkommene Ruhe und Ord-
nung als in Livorno. Man konnte kaum wahrnehmen,
daß irgend welche außerordentliche Ereigniſſe ſtattgefunden
hätten oder erwartet würden, wäre es nicht vielleicht die
gänzliche Abweſenheit regulärer Truppen, deren Stelle die
Nationalgarde vertrat, oder die Abtheilungen junger Leute,
die hie und da auf öffentlichen Plätzen oder den Wällen
ſich in den Waffen übten. Jene als unvermeidlich ge-
dachte Begleiter von Revolutionen, wie eingeſchlagene
Fenſterſcheiben, umgeriſſene Laternenpfähle und die In-
ſchrift „National-Eigeuthum“ an öffentlichen Gebäuden
fehlte hier, ſelbſt die Wappenſchilder des Hauſes Eſte
waren nicht abgenommen, ſondern nur mit Tüchern zu-
gehangen; vielleicht hatte man ſie aus ökonomiſchen
Gründen nicht entfernt, um ſie im nöthigen Falle bei
der Hand zu haben.
Den Hafen von Livorno um fünf Uhr verlaſſend,
paſſirten wir in der Nacht bei hellem Mondſchein die
Inſel Elba, und langten um zwei Uhr in Genua an.
Leider war mir auch hier nur ein Aufenthalt von einigen
Stunden geſtattet, und die ſchöne Stadt mit ihren vielen
Paläſten am Buſen der Hügel hingeſchmiegt, und den
geräumigen Hafen im Halbkreis umgebend, ſchwebt mir
noch wie ein Traumbild vor. In Folge des kaum be-
endeten Krieges war der Hafen noch voller Kriegs- und
Transportſchiffe, jeder geeignete Ort zum Aufſpeichern
der ungeheueren Munition-, Material- und Proviſions-
vorräthe benutzt, die für den Gebrauch des franzöſiſchen
Heeres beſtimmt geweſen, und auf der Eiſenbahn begeg-
nete man gelegentlich Zügen von eben aus den Hospitälern
entlaſſenen Verwundeten und Kranken, die nach ihrer Hei-
math zurückkehrten. Die bleichen Geſichter und die ver-
krüppelten Geſtalten dieſer vielleicht noch vor wenig Mo-
naten ſo friſchen und lebensmuthigen Leute erzählten mit
größerer Eloquenz, als Worte können, die beklagenswerthe
Geſchichte des Krieges.
Um Mittag paſſirte der Zug Alexandria, das im Vor-
überfahren geſehen, mehr einer in der Eile befeſtigten
offenen Stadt gleicht, als einer ſo bedeutenden Feſtung,
und um drei Uhr befand ich mich bereits am Bord des
Dampfers vom Lagomaggiore. Land und Leute, die ich
bis dahin geſehen, waren noch weiter verſchieden von den
Unter-Italienern, als die Bewohner Toscana's, und mit
Feldern wie Menſchen ſchien es gleich wohl beſtellt zu ſein.
Glichen alle Wege des Reiſenden einer Fahrt über
den Lago maggiore, ſo könnte man ſich verſucht fühlen
ein wanderndes Nomadenleben zu führen, denn ſchnell
auf dem zwar kleinen, doch bequemen Dampfer dahin-
gleitend, verliert man eine ſchöne Ausſicht nur aus den
– 301 –
Augen, um im ſelben Augenblick in einer anderen Richtung
eine noch ſchönere zu erblicken. Die gewaltigen maſſen-
haften Gebirge ſind von mit Weingärten und Kaſtanien-
wäldern bedeckten Vorhügeln umgeben, über die niedliche
pitoreske Dörfer und Städtchen verſtreut liegen und in
der Ferne werden zuweilen die weißen Häupter der Glet-
ſcher ſichtbar. Im Fort von Lavenno befand ſich noch
eine kleine Abtheilung von Garibaldi's Alpenjägern als
Garniſon. Dieſer Ort, der den öſterreichiſchen Dampfern
als Zufluchtsort diente, iſt ziemlich ſtark befeſtigt. Zwei
Thürme nebſt einigen ſtarken Verſchanzungen mit ſchwerem
Geſchütz beſetzt, decken die Seeſeite vollkommen, an der
Landſeite führen nur einige Fußpfade durch das ſteile
Gebirge und ein Fort auf der Spitze eines außerordentlich
ſteilen Hügels gelegen, iſt ohne Artillerie kaum einzu-
nehmen, dieſe aber nur über den See herbeizuſchaffen,
wo die gute Vertheidigung des Ufers eine Landung faſt
unmöglich macht. Die Alpenjäger waren meiſt junge Leute
in einfache leichte graue Tunica und Beinkleider gekleidet
und ſahen der populären Darſtellung dieſes Corps ebenſo
wenig ähnlich, als ihr einfach gekleideter anſpruchsloſer
glatt gekämmter und raſirter Führer dem Räuberhaupt-
mann gleicht, der gleich Karl Moor mit einem Dutzend
Dolchen und Piſtolen im Gürtel in den Bilderläden unter
dem Titel Garibaldi zum Verkauf ausgeboten wird.
Von Bellinzona aus fuhr ich in der Diligence aus
Mailand, überſtieg am nächſten Tage den „Berg der
– 302 –
Berge“ jenen herrlichen großartigen St. Gotthard's-Paß
und über den ewig ſchönen Vierwaldſtädter See nach den
Ebenen Nord-Deutſchlands zurückkehrend, fand meine
Sommerreiſe ein Ende.
NT a ch w or t.
Die Sommerreiſe iſt zu Ende, und ſo noch manches Andere.
Ob die Bilder, für welche ich während jener Zeit die Studien
ſammelte, jemals von mir gemalt werden, weiß Gott allein.
Ich fühle mich nicht fähig, während der nächſten Jahre das
Leben in Städten zu ertragen, mein Haus iſt verödet, Weib
und Kind dahin. Es iſt kaum zu erwarten, daß die Wände
des Capitols in Waſhington ſo lange für mich leer gehalten
werden ſollen.
Doch wo Gott dem Menſchen etwas nimmt, giebt er ihm
auf andere Weiſe Erſatz dafür. Wünſche, deren Erfüllung noch
vor einem Jahre im Reiche dunkler Zukunft zu liegen ſchienen,
nähern ſich ihrer Verwirklichung. Ein deutſches Geſchwader ſoll
eine Weltfahrt beginnen, deutſche Intereſſen in überſeeiſchen
Ländern kräftig vertreten werden. Es iſt mir Gelegenheit ge-
boten, dem Lande das mich geboren ſelbſt als Bürger eines
Freiſtaates einen Dienſt zu erzeigen; meine Sympathien regen
ſich warm für den Volksſtamm, dem ich entſprungen. Ich bin
entſchloſſen, das Gewiſſe dem Ungewiſſen zu opfern, denn ſo
Gott will, wird dies Unternehmen zum Wohle Vieler beitragen.
Das walte Gott!
Berlin, den 15. Februar 1860.
Berlin, Druck von Guſtav Schade, Marienſtr. 10.
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---- ETTS Tºr Hollnsteiner
3. I Ä der
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- S><F. - - -
Alzervorstadt, am Gae
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- arena. „ „fer, Hause