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K. K. H (O) F 3 | B L | O T H E K OSTERR. NATIONALBIBLIOTHEK - - - - | | - | | - - - - - - - - K z - - - -. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - -n - - - - - V - - - -\ - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Johann Heinrich Mayrg R e i st e - in a ch K. o. n ft a n t i n op e 1, Aegypten, Jerusalem, und auf den L. i b a. n o n. **- - H er ausgegeben von - Johann Conrad Appenzeller. - - “ – – – - "te verbesserte Auflage. Mit vier Kupfern “*===- --- S t. G a l l e in 1 3 2 O. B eh Hub e r und Co. m p a g in i e. - - - -- - -- - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - --, - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- -- - - - - - - - - - - - - - - r - - - - - - - - - - - - . - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - / - - - - - - - - - -, - - - - - - - - - - s - - - - V. o r r e H e die s H. e r r in V e r fa ff e r's. An den Liefer ! N gab ich etwas unter die Preffe von dem, was niederschrieb. Lange weigerte ich mich des Ge- genwärtigen. Vielfach wiederholte Aufforderungen von Freunden und Verwandten nöthigten mir gleich- in die Einwilligung dazu ab. Den Hauptbeweggrund zu der Reise, die hier erzählt wird, bewirkten die Handel und Wandel er- drückenden Zeitumstände; das Stocken aller Fabri- lin und Manufakturen. Durch etwas Waarenabsatz lach der Levante hofte ich einem Trupp Arbeiter der Meinigen, meistens von Kindheit auf darin beschäft lig, weiter Brod nnd Verdienst zu verschaffen. TV Wie ich immer tiefer in die selten bereisten Länder verschlagen ward, sagen diese Blätter. Das meiste Bedenken bey Herausgabe der folben, trug ich wegen ihrer flüchtigen Bearbeitung. Mein verehrte- fer Freund, Herr Pfarrer Appenzeller, sagt das Mehrere hierüber zu meiner Entschuldigung. Es follte das Ganze nur für Freunde geschrieben feyn. Von diesen verhofft man Nachsicht; nun geht die Sache über in Druck und kommt, so zu sagen, aus vertraulicher Stube auf offenen Markt, also auffer Freundes Hand. - Ueberall Freunde zu finden, durfte sich noch kein Sterblicher freuen. Genug, daß die Mehrheit der Guten es mir fey, und ich wegen den Andern die Beruhigung habe: daß ich keinen davon veranlaßte weder persönlich, noch willkührlich, es nicht zu sein! Arbon, Ende Herbsts, 1814. Johann Heinrich May"r. le ich gl Rechenf haft, D Herausgabe dieser Bruchstücke aus dem Tage- blich eines Reisenden durch die Levante, scheint, bey der Menge von vortrefflichen Schriften, die wir, be- ents aus der neuern Zeit über dieses denkwürdige Land haben, einer Entschuldigung vor der lefenden Welt und einer Rechtfertigung vor dem Richterstuhle der Kritik zu bedürfen; beides getraue ich mir in so fern getrost übernehmen zu dürfen, als ich jener Bil- - ligkeit und diesem Gerechtigkeit zutraue. Ich glaube es unserm verehrtesten Freunde, dem Feren Verfasser, schuldig zu sein, die Erklärung riftlich abgeben zu müssen: daß Er es sich nie Mals einfallen ließ, Ansprüche auf Gelehrsamkeit machen. So wenig er die Absicht und den Plan hatte nach Palästina zu gehen, so wenig dachte er je an, sein Tagebuch in der Absicht niederzuschreiben, im einst dafelbe ganz oder theilweise zur Kenntniß WI des Publikums zu bringen, oder wohl gar bei seiner Anspruchlosigkeit den Gedanken zu nähren: als Be- richtiger früherer Reisenden durch diese denkwürdigen Gegenden einen Commentar zu schreiben. Würde ich dieser feiner Bescheidenheit und An- fpruchlosigkeit nicht gerade dadurch wehe thun oder zu nahe treten, daß ich feine eignen Aeufferungen über die Menge der an ihn ergangenen Aufforderungen „fein Tagebuch drucken zu laffen,“ hier anführte: so wäre in diesem wohl die unzweideutigsten und stärk- ften Gründe vorhanden, ihn gegen die Vorwürfe in Schutz zu nehmen, die man gewöhnlich, und fehr oft mit Grund, unserm schreibfertigen Zeitalter macht. Doch, um nur etwas Weniges aus. Vielem anzu- führen, möge folgende Stelle aus einem seiner Briefe an mich, statt aller weitern Entschuldigungen oder Rechtfertigungen, ihren Platz finden: „Als ich das Vergnügen hatte, Sie bei mir zu sehen, hatte ich, wie ich schon früher gegen alle In eine Freunde mich äußerte, keineswegs einen Ge- danken daran, meine Reise je öffentlich bekannt zu machen. Was ich schrieb sollte blos als Rückerinne v11 er e- fung für mich und als Stoff zu einigen unterhalten- den Stunden für meine Freunde niedergeschrieben sein,“ - - - - „Wenn ich nun aber meine Handschrift zehn Freunden zu lesen gab, so sind es jetzt hundert alte … und neue Bekannte, die sie verlangen, und vielleicht bald fünfhundert aus allen Gegenden meiner frühern und spätern Bekanntschaften, welche sie zu lesen wün- "in werden. Mein Manuscript ginge darüber zu Eurde, und ich bekenne Ihnen die Schwachheit, daß ich die Blätter, welche ich auf der großen Reise über- schrieb und mit Mühe rettete, eben so ungern abg- ist oder gar zerrissen sähe, als ich ungerne zum zweiten Male eine Abschrift von meinem Tagebuche machte. Zum bloßen Abschreiben aber könnte ich es kaum jemanden überlassen.“ „Dennoch erhalte ich von allen Seiten Aufforder- gen: meine Reisegeschichte der Presse zu überlassen. Ich könnte in Versuchung gerathen eitel zu werden, wenn ich Anlage zu dieser Krankheit hätte; oder Gefahr laufen, mir einen neuen Erwerbsquell zu fen, wenn es mir daran gelegen wäre. S v111 „Ich wollte nie etwas davon wissen, daß meine Schrift der Presse sollte übergeben werden. Mir mangelt nach meiner innigsten Ueberzeugung. Alles, was zu einem Schriftsteller gehört: Gelehrsamkeit und Sprachkunde. Selbst die nöthigen Vorkenntniffe, wel- che unnachläßlich von einem Manne gefordert werden können, der eine folche Reife unternimmt oder be- - fchreiben will, gingen mir ab. Ich konnte mich gar nicht auf dieselbe vorbereiten, weil ich nicht ahnte, daß die Pest mich bis auf die Felsenklippen des Liba- nons jagen würde. Noch in Konstantinopel dachte ich nicht daran; höchstens wollt' ich Smyrna sehen, aber das Schicksal führte mich, wohin ich nicht wollte, „Was nicht mein Verdienst , sondern ein Geschenk der Vorsehnng und eine Folge meiner vielen frühern Reisen durch die meisten Staaten Europas war, das mag auch einzig diesen Blättern einigen Reiz und Werth geben: Beobachtungsgabe, Men- fch enntniß und Geistesgegenwart; Vor- züge und Eigenschaften, von welchen ich wohl als Rasender behaupten darf, daß sie mir in entscheiden- IV den Augenblicken weit mehr nisten, als alle tief Gelehrsamkeit. Ohne einen einzigen Begleiter, macht" ich die beschwerliche Reise öfter in Todesgefahr; wird mir meine Errettung, selbst manchmal ein Wun- der, - - „ Daß ich indes noch da bin, ist das Werk der Vorsehung! Denn Menschenkenntniß und Geistesge- genwart reichten nicht immer aus, und Klugheit und Worscht werden oft zu Schanden. Es ist das Auge Geils, das uns bewacht, und seine allmächtige Hand, die uns haltet, -. Wenn ich nun jemand die Herausgabe dieser Filter zu übertragen Willens wäre, so wären Sie aber dann müssen Sie's auch vor der Welt ver- worten, daß ich, ohne ein Alterthumsforscher, ein Botaniker, Mineraloge, Astronome, Na- indiger und dergleichen zu sein, diese Bruchstücke riftlichen Bekanntmachung überließ, ----- Zudem ich mit Vergnügen diese Verantwortung "nich nehme, glaube ich, daß diese Schrift ihren - - E . - - - ganz eigentümlichen Reis für den Leser derselben haben werde; denn gerade der Umstand, daß der Verfasser weder mit einer gelehrten Brille fah, noch mit tiefen, vielseitigen, gelehrten Kenntniffen ausge- rüstet, noch mit vorgefaßten Meynungen, Ansichten, Vorstellungen und Urtheilen über die Gegenstände, welche ihm vorkommen konnten, reiste, machen diese Schrift um so unbefangner und wahrer. An gelehr- ten, scharfsinnigen Untersuchungen und gewagten - Muthmaffungen fehlt es uns ohnehin nicht. Manche könnten vielleicht vergeblich hier etwas Neues über Länder-Völker- und Geschichts- Kunde suchen; aber sollte der ungekünstelte Ausdruck einer gefunden, nüch- ternen, und durch nichts bestochenen Beurtheilungs- kraft, die ein so schönes Mittel zwischen kalter, blos raisonnirender Beobachtung, und zwischen schwärme- rischer Erstase hält, uns nicht einmal eben so willkom- # - - men sein, als das Werk eines gelehrten" akademikers oder eines religiösen Phantasten ! Man erwarte also in diesen Blättern keine scharf finnigen untersuchungen; keine gelehrten, kritischen Bemerkungen oder Berichtigungen über das, was der S - - g X1 infiler Zurückgezogenheit unsern den ufern des Bo- dies in philosophischer Ruhe der Freundschaft und der Wisenschaften lebt, ist auch seine Beschreibung. Die Sprache, in welcher der Verfasser schrieb, ist größtenteils unverändert mit ihrer Gedrungenheit und Eigenthümlichkeit beibehalten; ichlaubte, das durch eine zu grammatisch-strenge Sichtung der Schreibart, Wels weniger anziehend, Manches minder herzlich nd natürlich den Geist und das Gemüth des Lesers ansprechen würden. in jenen Fächern des Wissens, die zu einer auslegen- berichtigenden oder ergänzenden Darstellung die- Weise gehörten, es mir noch weniger begehen f, ein Wort aus mir selbst hinzu oder davon zu hin, oder etwas, gegen den Sinn der urschrift, idern, unter der Aufsicht des Herrn Verfall fes Ward diese Auswahl von Bruchstücken (MUs seinem "tiche getroffen, durchgesehen und verglichen, so Aus eben diesem Grunde konnte ich, selbst fremd - - Herr Verfaser gesehen oder gehört hat. Einfach, - - - - K. Wie der Pilger, der diese Wallfahrt machte und nun - - - - - XII daß nichts Fremdartiges sich beymischen oder einschie- ben konnte. - Nach dieser offenen Erklärung an die Lesewelt, glaube ich meiner Pflicht Genüge geleistet zu haben, indem ich auf den Standpunkt aufmerksam machte, von welchem aus diese flüchtigen Umriffe müffen be- trachtet werden! Ich wünsche, daß die verehrten Leser, denen diese Schrift in die Hände kömmt, eben die süße Erholung von ihren Geschäften dabey finden mögen, welche mir diese unterhaltenden Erzählungen, während der bloßen Durchsicht derselben, gewährten. Kaum wird es noch zu berühren nöthig feyn, warum aus dem Tagebuch von der Reise des Ver- faffers aus feinem heymathlichen Wohnorte bis zur teutschen Kaiserstadt, nichts genommen wurde. Er glaubte, daß die Schweiz, in deren östlichem Theile er sein näheres Vaterland hat, bis Wien herab, be- kannt genug fey, als daß er sich hiebey aufhalten dürfte. Arbon, am Bodensee, im Frühjahr 1S15. J. C. Appenzeller, Pfarrer auf Brütten, Canton Zürich. XIII it- v---------- ***------------------- -------------------- | V or r e de z l weht ein Ausgabe. der verkehrt Rechenschaft, welche be- "erfe Ausgabe dieses selts begleitete, nichts in dieser zweiten behzufügen. Die allgemeine Theil- ne, welche das Publikum diesem Buche schenkte, lichte eine neue Auflage nothwendig, Man ist in "in den Besitzern der frühern Ausgabe die Ver- f herung schuldig, daß keine wesentlichen Verändern, "ich in dieser neuen – einige Zusätze abgerechnet - inn, und es gereicht dem befinden Freude, Reisender durch eben diese "Altran von Genf Intnissen ausgerüstet di Herausgeber zu einer fügen zu können: daß ein neuerer Gegenden, Herr Alle ran- der mit vielen Sprach- ele Länder besuchte, dem ) z- - Mayrischen Werke das Zeugniß gab: „Daß es uns >, e, XIV ter allen ihm bekannt gewordenen Bü- ahern über diese Gegend ein, dasjenige wäre, welches der Wahrheit am treue- ften geblieben feh.“ z: Was die beiden Zusätze selbst betrifft, so be- schränkt sich der eine blos auf die Berichtigung einer irrigen Vorstellung der Cedern des Libanons, wozu die Beschreibung derselben in der ersten Ausgabe mag Veranlassung gegeben haben; der andere Zufah bringt das Heilmittel zur öffentlichen Kunde, das den Herrn Verfasser von feiner, durch viele Jahre dauernden, Krankheit befreite. ) , - Gaiß, Canton Appenzell, den 12. July 4820- > I. C. Appenzelley, Direktor des Gymnasiums, und erster Prediger an der deutschen Gemeinde zu Biel. ------------ R e gift er. *- Seite. “Buch. Reise von Wien bis Konstantinopel . 4. 2tes 3tes 4te stes 6tts Reise von Konstantinopel bis Alexandrien 35, Aufenthalt in Aegypten, bis zur Abreise nach Smyrna und Palästina. . . 173, Reise nach Jerusalem Aufenthalt da- selbst und auf dem Libanon • • • 273, Ausflüge vom Libanon nach Balbeck und dem Cedernwalde . . • • • • 379. Reise von Salonichi zurück nach Wien 479. T-–___ - - - - - - - - E rft es Buch, Reise von Wien bis Konstantinopel. Af : - - d K. a p i t e l 1. Geschrieben in Bojukdéreh am Canal, E hat an ein und zwanzigsten May Eintausend Acht- hundert und Zwölf, als ich von Wien in einem Schiffe abfuhr, welches mit Menschen angefüllt war, aus denen elfth keiner um mich – und ich um keinen aus ih- le mich interessierte. Mein Reifegesellschafter seit acht Wochen – Hr. Dr. Eifenlohr, ein muntrer, braver, iger Mann aus dem Badischen – blieb in der Kaifer- idt zurück. Ich war eigentlich allein, Oft fühlte ich dieß Alleinseyn auf meiner Reife; un- genehm durch Mangel an Mittheilung von Beobachtun- n; an Theilnahme von Freud und Leid; – Genuß wird thlet durch Mittheilung, Verdruß vermindert Ich saß auf dem Verdecke und pfiff für die lange Wille, der Schiffspatron kam zu mir und bat doch nicht Pfeifen, um nicht Wind zu verursachen.“ Ich sah den inn an, ob er mich etwa zum Besten hätte, – keine er meinte es in vollem Ernte. Ich spitzte den und nicht mehr; zu spät! Es scheint, ich hatte fchon in viel gepfiffen. Es kam Gegenwind. - - -“ A 2 4 Erstes Buch. Erstes Kapitel. Mein Aufenthalt in Preßburg dauerte mehrere Tage, während welcher Zeit ich häufige Gelegenheit hatte, mich an der Unreinlichkeit, welche durchgängig in Ungarn, auf dem Lande wie in der Hauptstadt herrscht, zu ärgern. - Vernachläßigte Polizey in jedem Fache scheint ihm eigen- thümlich. Die Einwohner selbst äußern ungescheut diese Meinung. – Die Unzufriedenheit drückt sich unverkenn- har, wenn sich schon durchgehends Wohlstand ankündigt, z. auf den Gesichtern aus. Es kam mir der Sinn an das Sprichwort: wenn es der Gaiß (Ziege) zu wohl wird in so scharret fie. - Der Landtag dauerte seit neun Monaten – ein langer - - Tag – noch wußte man wenig vom Resultate. Die Säle der Magnaten und Stände, zeichnen sich vor andern durch ihre ungeheure Größe aus. Nie sah ich abgeneß , nern, höhern Ton – an Schwulst gränzend al- da ich noch in Wien auf der ungarischen Kanzley mich. Um den Paß bewarb; nie einen demüthigern, als auf der ruf- fischen ebendaselbst; zwey wahre Extreme! Die fliegende Brücke, auf zehn Schiffen schwebend, ist schön; den ganzen Tag führt sie unentgeldlich auf der , schon breiten Donau, Menschen und Wagen über. Die Gegend von Preßburg hat ungemein viel Reizendes. Die weißen Mauern des ausgebrannten Schloffes auf dem F Gipfel des Berges, scheinen etwas Aehnliches mit Neil- g pels unvergleichlichem St. Elmo zu haben. Die Waldung auf der andern Seite des Stroms ist romantisch. Ein prächtiger Baumschlag dichtverschlungener Alete, formt den Sonnenstrahlen undurchdringliche Schattung breit“ und schmale Spaziergänge durchkreuzen den Hain, d # l s d, g ile er ei d d de! Di D des Es d Wafers, Preßburg. 5 Mein ungarischer Paß war in lateinischer Sprache; oft hört' ich diese Sprache in Preßburg. In meiner Ju- gend sollte sie mir durch Prügel eingeimpft werden. Mit Willen ward späterhin, das auf diesem unangenehmen Fuß Erlernte, bald wieder vergeffen. Auf einmal belebte mich die Lust, das Vergeffene wieder zu erlernen"; eine lateinische Grammatik ward gekauft, Tag und Nacht faß ich darüber, der Eifer dauerte beinahe – – – acht Jage! Als ich eines Tages, am nachläßig unterhaltenen Ufer, längs der Donau spazierte, sah ich der Landung eines Schiffes zu. Wie gewohnt sprangen einige Matrosen in's Wort – das Seil in Schnelle mehrere Male um einen Pfo- fien zu schlingen, und dadurch das Schiff vom starken Lilfe, näher ans Land zu ziehen und festzuhalten: aber das Seil riß und das Schiff ward weggefluthet, durch den reißenden Zug des Stromes. Ein Matrose warf sich in das Boot, um das Seil nachzubringen. Er kam zwt- schen die Anfangsjoche der fliegenden Brücke und das Schif. Des Waffers Zug zog es hinunter – zwischen beide würgte es den Kahn. Im Augenblicke der höchsten Mothersah der Mann ein hangendes Seil – in einem Schwung war er hinan und wie eine Katze daran hin- auf eine Sekunde später, oder den Sprung verfehlt, wie er verloren gewesen. Umgekehrt und zerdrückt, kam der Machen weit unten wieder auf die Oberfläche des Ein Augenzeuge dieses Vorfalles, der bey mir stand, erzählte, wie er einst zugesehen hätte, als einen Ma- tosen bey diesem gefährlichen Geschäfte das Seil am Bein erwischte und – wie abgeschnitten – der ganze Fuß und 6 Erstes Buch. Zweytes Kapitel, die Hälfte des Schenkels unterm Seil am Pfahle hängen blieb. Mit folcher Gewalt treibt das Waffer des Schif- In Preßburg erfuhr ich zum ersten Male eine Unan- nehmlichkeit, die mir späterhin öfter zu Theil ward. Ich hatte mich geäußert: meinen Weg nach Bucharest zu nehmen. Dieser Ort war nahe den Kriegsschauplatze, Augenblicklich entstanden tausend Muthmaffungen, daßpo- litische Angelegenheiten der Zweck meiner Reife wären; nun begann: verborgen feyn follendes Forschen – – – unbedeutend sein sollen des Fragen, gleichgültig scheinend feyn follende Akufferungen, um zu erforschen auf feine Art – wie . . wo . . . und wann . . . . . . Es verdroß mich, den wichtigen Politikern nicht ver- ständlich machen zu können, daß man reifen könne, ohne eben diesen Zweck zur Absicht haben zu müffen; dann fchwieg ich entweder zur unschicklichen Zeit, oder ich gab fauertöpfisch - spitzige Antworten. Aus Uebel ward Aer- ger, und immer fchied ich mit Verdruß von diesen Kan- nengießern. - 2. „ Die Donaufahrt bietet einem Schweizer wenig anziehende Gegenden dar; oft ermüdet das Auge, bey dem Anblicke des unangebauten und doch des Anbaues fo fähi- gen Landes. Die Einwohner scheinen fehr träge zu feyn. Ich kann nicht entscheiden, ob vielleicht die Staatsver- faffung Mitursache hievon feyn möchte, wie es an vielen Orten der Fall ist, - " # - - - # Wir d e e, f d Donau fahrt. - 7 Zu Schiffe gings weiter. Das gähe Dach über den- selben war das Lager der Reisenden. Die Einrichtung ist weder bequem noch sicher, und wer das Unglück hat, hin- abzufallen und nicht schwimmen zu können, ist verloren. Dieser traurige Fall ereignet sich öfter, wie der Schiffmei- fer gleichgültig versichert. - - Bei der Festung Komorn vorbey, kam ich den acht und zwanzigsten May in der Dämmerung zu Peth und Ofen an. Nun packte jeder feine Sachen zusammen; ich hatte Mühe im Gedränge alles heraus zu finden; was mir zugehörte, Der Schiffer forderte beim Ausbezahlen mehr, als ich mich bestimmt mit ihm verstanden und abgefunden hat- te; schriftlich war nichts aufzuweisen; ich bezahlte also was er forderte, versicherte ihn aber auf gut teutsch, daß er ein Schurke fey. Er nahm das Kompliment gedultig an und schob das Geld in die Tasche. Es zeigte sich ein Lastträger, wahrscheinlich redete er die Landessprache, Wenigstens verstand ich nichts davon, ich war aber nur froh, Jemand zu finden, der mich weiters förderte, Er nahm das Gepäcke und wanderte mir voran durch ver- hiedene Straßen. An der Ecke von einer derselben fragte durch Pantominen: „wohin ?“ Ich hatte mir vorge- stellt, der Mann führe mich gerade in einen Gasthof; jetzt füber gewahrte ich, daß er in der Meinung stand, daß ich ihm den Ort angeben würde, wo ich hinzielte. Es war mir unmöglich, mich ihm verständlich zu machen – drei bis vier Personen sprach ich an, um mich zurechte zu weisen. Fremdtönte die Antwort; ich wurde nicht verstan- den und verstund nicht. Das Ding war schnakkisch: mitten in einer großen Stadt zur Nachtzeit mit Führer und Ge- -/ Z Erstes Buch. Zweites Kapitel. päcke wandern und nicht wissen wohin; keinen Menschen - kennen und die Sprache nicht verstehen. Zudem hatte - ich genug zu thun, den unbekannten Träger immer im Auge zu behalten, damit es mir nicht gehe wie jenem Hand- - werksburschen, dem bei seiner Ankunft in Wien, durch ei- - nen Jaunerkniff unter dem Vorwande, ihm Arbeit zu . verschaffen, das Felleisen weggekapert wurde. Indeß erblickte ich in der Ferne eine erhellte Kram- … bude und mehrere Personen darin – ich beeilte mich - hineinzukommen und erhielt endlich in italienischer Sprache :: die benöthigte Auskunft. – Der Gasthof zum weißen , Schiffe ward – anempfohlen, mit der Bemerkung, daß … er der Sicherste wäre – so wie ich aber auf der einen , Seite froh war, aus meiner Verlegenheit gekommen zu fern, als ich den Gasthof erreicht hatte, so fand ich denn - wieder auf der andern Seite an meinem Wirthe, der es 4" verstand das Eifen zu schmieden, weil es warm ist, einen Preller, der mich unter dem Vorwand der eintretenden Meßzeit, eine fo starke Zimmermiethe bezahlen ließ, als ich sonst an keinem Orte bezahlen mußte. Pesth und Ofen bilden ein Ganzes, sie sind “ nur getrennt durch die Donau , wie Basel durch den Rhein, Zürich durch die Limmath, beyde verbindet eine schöne Schiffbrücke die über sechshundert Schritte lang ist. " Pesth ist ganz Ebene – Ofen ganz auf gähen Abhängen erbaut. Aufm Gipfel des Berges liegt Schloß und Festung, wo man einer prächtig ausgedehnten Ansicht genießt. Ueber den Grat des Berges ziehen sich die entvölkerten Gaffen der Stadt der Länge nach hin; bei uns könnten sie als Weidgänge dienen, so schönes Gras bedeckt sie. Einen , noch seltsamern Anblick gewährt ein anderer Theil der " P e th, 9 Stadt : kleine Häuser, wie unsere Wachhäuschen, eins dem andern ganz ähnlich, kleben in vielen Gaffen an dem steilen Berge. Nichts giebt diesem einförmigen Liliput Abwechselung – blendend weiß ist der Anwurf aller , kohlschwarz die Schieferdächer aller; in gleichen Reihen hingegoffen – an Abhängen schwebend, wo mir fchwind- licht ward, erinnere ich mich nicht, je etwas ähnlicher Art gesehen zu haben. Unten, längs der Donau, sind warme Schwefelbäder, deren Lage mit der von unserm Baden einige Aehnlichkeit zu haben scheint. Peth blüht durch einen vorübergehen- den Speditionshandel nach der Levante. In dieser Stadt verliert sich das Teutsche; eine Menge anderer Sprachen durchkreuzen sich hier, und in Ungarn dürfte die Verwir- lag der Sprachen einen zweyten babylonischen Thurm un- ausgebautlaffen. Y, Von Wien hatte ich nur eine mündliche Empfehlung nach Pesch, an Hrn, Macher und Comp. und ich ver- sprach mir also um so weniger von der Aufnahme; dennoch Ward ich sehr freundschaftlich empfangen. Der Herr des Hauses, ein alter, rechtschaffener Mann, von ausgebrei- itten Handelskenntniffen, sorgte für mich, wie ein Vater. Welch ein ganz anderes Benehmen, als das gewöhnliche, besonders von den so geheiffenen bedeutenden, ersten Häu- fert, wo man oft wie ein Bittstellender mit feinen Empfeh- lugschreiben auftritt und auch so behandelt wird. 3. Meine weitere Reise war mit Schwierigkeiten ver- hunden. Viele Rücksichten mußten genommen werden, - - 40 Erstes Buch. Drittes Kapitel. wenn ich meinen Zweck erreichen wollte. Meine Empfeh- lung ging nach Bucharest, da aber vom russischen Ge- fandten in Wien kein Paß dieses Gebiet zu bereisen erhält- lich war, so schien es mir mißlich, die walachische Grenze, die durchgehends von Ruffen besetzt war, zu überschrei- ten; aus eben diesem Grunde konnt' ich nicht über Odeffa reifen; der Weg über Brod längs Dalmatien hinunter nach Salonichi war, wenn nicht eigentlich unmöglich, doch ungeheuer kostspielig. Plane wurden gemacht und wieder verworfen. Allein einzig zu reifen ging auf keinen Fall an. Fünf Tage waren in dieser Ungewißheit verstri- chen, als es endlich der freundschaftlichen Bemühung des Hrn. Mach er s gelang, eine Gelegenheit ausfindig zu machen, durch welche ich in den Stand gesetzt ward, meinte Reise fortzusetzen. Es waren zwey Griechen, Kaufleute aus Bucharest, jeder mit eigenen Wagen, mit welchen ich gegen Vergütung des halben Postgeldes reifen konnte. Ich hatte nun Gesellscheft, die für alles sorgte, Sprache und Weges kundig war – Männer, die als angesehene Kaufleute galten – „freylich Griechen“, wie der er- fahrne alte Mann sich mit Achselzucken ausdrückte – „von denen man immer drey Juden auf. Einen rechnen kann“ – Eine Behauptung, die ich späterhin durch Erfahrung oft bestätigt fand. Dennoch war mein Entschluß schnell gefaßt und die Abreise auf Uebermorgen festgesetzt. Aber am Vorabend erhielten die Griechen Nachricht: daß bey Todesstrafe verboten fey, ohne einen russischen, in Petersburg unterzeichneten Paß das Gebiet zu betre- ten. . . , . . und einen folchen Paß hatt' ich nun nicht. Aber fort wollte ich, müde des Aufenthalts in Perth; vor- wärts galt es um jeden Preis ! Ich konnte wenigstens i - i Pest h. 411 mit den Griechen, bis an die Grenze des Banats rei- sen, und von dort bis Orfowa konnte es nicht mehr gar weit sein. Ich zählte auf gut Glück und blieb bey der Abrede. -- Morgens sechs Uhr des dritten Junius sollte die Ab- reif sein, die Pferde kamen aber erst – nach ungari- fcher Bedienung und Postordnung – mehr denn drey Stun- den später; endlich aber gings doch vorwärts, und zwar vier Nächte und fünf Tage durch, ohne einen andern Au- fenthalt zu machen, als denjenigen, der beym Umspannen nöthig war. Habe ich jemals einen einförmigen, langweiligen Strich Landes bereist, so ist es derjenige von Pest h bis Temeswar. Alles nur Eine ermüdende Ebene, durch unbebaute Felder, durch Steppen und tiefen Sand – oft von einer Poststation bis zur andern – Baumlose Oeden! und doch wäre eben dieß Land eines der ergiebigsten (die Sandplätze ausgenommen) wenn es den trägen Einwohneru zuträglich vorkäme, es urbar zu machen. Die angebau- ten Bezirke sind ein Beweis defen. Bäume sieht man keine andere, als Akazien und nirgends als in den Dörfern – die sich gewöhnlich in Einer langen, schönen und geraden Gaffe hinziehen – zwischen jedem Hause zwey bis drei solcher Bäume, was einen niedlichen Anblick gewährt. Die Schönheit und Frische dieser Baumgattung eigt, daß ganze Waldungen davon angelegt und somit dem Holzmangel abgeholfen werden könnte: statt diesem ziehen aber die Einwohner vor, den Kuhmist zu sammeln, dörren und in Ermanglung des Holzes zu brennen; dynahe an jedem Hause sieht man dergleichen Kuchen ge- gen die Sonne aufgehängt. Was diese Gegend – sonst 12 Erstes Buch. Viertes Kapitel. einer Wüste nicht unähnlich – etwelcher Maßen belebt – find die zahlreichen Schafheerden. - Die Posten in Ungarn verursachen dem Reifenden viel Zeitverlust; gewöhnlich mußten die Pferde auf entlege- nen Weiden aufgesucht werden und es verstrichen öfter Ein und eine halbe, bis zwei Stunden, ehe die acht Pferde (vor jedem Wagen viere) zur Abfahrt bereit wa- ren – oft dauerte es noch länger. War man aber einmal von der Stelle, so ging es sehr rasch und nicht selten im Galoppe von einer Station zur andern. Kalte Küche und Weine hatten wir von Peth aus mit uns, und während dem Umspannen Zeit genug zum Genuffe. Während der Nacht erscholl in den Städten und auf den Feldern das Geheul der Schäferhunde, so daß man kaum ein "eigenes Wort hörte. Diese Thiere find fehr gut abgerichtet, aber für den Durchreisenden eben so unangenehm als gefährlich. 4 Temeswar hat Aehnlichkeit mit Mantua. Die verschiedenen Festungswerke, Mauern, Moraftgräben, Um- gebungen u. f. w. erinnerten mich nnwillkührlich an die- fes. Der Ort selbst ist heiter und lieblich, die Gebäude im neuern Geschmacke; breite fonnigte Straßen scheinen – was jedoch nicht ist – einen gefunden Aufenthalt zu gewäh- ren. Die Päffe werden hier untersucht und für weiters unterzeichnet; angenehmer und bebauter wird von hier an die Landschaft. Schnell gings im gewohnten Zuge vorwärts und Morgens um zwey Uhr waren wir in Lugos, dem Orte, wo ich mich von meiner Reisegesellschaft tren- nen mußte; es war die Grenze von Ungarn, dem Bannate und der Walachey. 1: ei lel er - Lugos 43 Meine Griechen waren verschiedenen Charakters. Der Eine, dem feiner Nation nicht entsprechend, war still, kaltblütig, misstrauisch und an's Mürrische grenzend – der Andere, mein Gefährte, ein muntrer, aufgeweckter Kautz, er fahren, listig, verschlagen, sieben Sprachen geläufig redend– – ganz Grieche. Es kam zur Abrechnung; er bewies in derselben eine griechische Natur; ich tröstete mich, die etlichen Dukaten, um welche ich handgreiflich geprellt war, hätten auf andere Weise zu reifen, noch multiplicirt werden können und also dachte ich: „Geduld!“ Trotz der ungleichen Ansichten, die wir nach unfern Grundsätzen und Denkungsweisen hatten, schieden wir den- noch ungerne von einander; ich von ihm – und ich bin überzeugt – auch er von mir, Jetzt war ich wieder ganz allein; in einem Lande, das ich bisher kaum dem Namen nach kannte, ohne Kennt- niß weder der ungarischen, noch der walachischen, noch der ilyrischen Sprache, Das Morgenroth begann höher den Tag anzudeuten, als ich mich auf ein übel beschaffenes Kabriolet fetzte; mein Felleisen unter den Füßen, den Nachtfack als Pol- fler unterm Arme, und den scharfgeschliffenen Hirschfän- ger in der Hand.“ Die beyden Postpferde rannten, als ob sie nichts zu ziehen hätten – was auch im eigentlichen Sinne der Fall war – und ich konnte mich meinen Empfin- dungen ungestört überlaffen. Daß mir meine Lage zuwider gewesen wäre, könnte ich nicht fagen. Der Gedanke: daß ich fortan ganz durch mich wirken müffe; durch Fas fung, Muth und Ausdauer in allen sich möglich ereignen- den Fällen, nur ich durch mich Rath schaffen könne; in Ländern, wo kein Hahn nach mir krähte – ob ich lebe oder 14 Erstes Buch. Fünftes Kapitel. fürbe – mich durchzuwinden; durch alle Ereigniffe, die fo vielfach mich treffen könnten – hier und auf noch wei- term Wege mich durchzuschlagen; überhaupt das Gewagte der Sache, hatte etwas Anziehendes und Reizendes für mich; feste Besonnenheit und Entschloffenheit erwachte, und – ich gestehe es, daß in dieser und andern ähnlichen Lagen ich mich selbst mit Zuversicht fühlte. Von den vierzig Stunden, die ich allein zu machen hatte, war die erste Poststation zurückgelegt ; von den Postknechten allen, die mich führten, verstand keiner ein Wort teutsch und auf der Post selbst war es mehrere Male der Fall, durch Geberdensprache sich verständlich zu machen. Gleich auf der ersten begriff ich, daß ich statt in Kutschen auf Leiterwagen fahren mußte; dennoch kam mich dieß hö- her zu stehen, als wenn ich in jenen gefahren wäre. Kut- fchen fah ich im ganzen Bannate keine, wohl aber em- pfand ich die Leiterwagen. Beym Scheiden von den Griechen ward mir von den Lebensmitteln noch etwas Brod und Käse zu Theil; ich war froh darüber; die Posthäuser sind keine Wirthshäuser, und uln gutes Geld konnte ich auf der meistens einfam gele- genen Post, nichts bekommen. Brod und Käse waren meine Speise, und Wein aus'm Sodbrunnen mein Getränke, 5 Ich war nun schon aus Ungarn und hatte also von der ungarischen Krankheit, mit der man mir oft bange machen wollte, nichts zu befahren. *) – Als Schutzmittel gegen *) Das ungarische Fieber, die ungarische Seuche besteht in ei- nem bösartigen Nervenfieber, das vorzüglich den im Felde r 1: ' k : F Kleider tracht in Ungarn, 15 dieselbe empfahl man mir: „Mäffigkeit im Effen, keine Fische, kein Fett, kein bloffes Waffer, keinen neuen Wein und viel spanischen Pfeffer (Paprika) zu genießen, mich vor Verkältung, besonders zur Nachtzeit zu hüten.“ Das Mittel war probhältig, ich befand mich, so lange ich in Ungarn war, fehr wohl. Den ganzen Tag über war die Reife fehr anziehend für mich, und ich faß felbst auf dem Leiterwagen äußerst vergnügt; es war Sonntag und also alles in Galla; die mir neue wunderliche Kleidertracht, besonders der Wei- ber, konnte ich nicht genug begaffen: ein reines Hemd bis auf die Füße herab, vorn offen, wie bei uns die Männerhemden, mit zierlichen Armspangen geschmückt, wd um die Hüfte ein gewobener Gurt von ein bis zwey Eugen Breite; von derselben dunkeln Farbe des Gürtels fielen Fransen bis auf die Füfe; je nachdem die Be- - wegung es mit sich brachte, flogen sie unordentlich auf dem heißen Gewande umher; die geflochtenen schwarzen Haare zierten Blumen und Büschel von seidenen Bändern. Die Kleidung der Männer hat weniger Auffallendes, doch ist der Schnitt derselben eigenthümlich. Schnurrbärte sind durchgehends an der Tagesordnung und geben dem sonst überhaupt regelmäßigen Gesichte ein wildes Ansehen. Man würde sich aber täuschen, wenn man vom Aeuffern aufs Innere schließen würde, denn die Leute sind freundlich und gut, wenn man sich ihnen verständlich macht, oder auch nur den Willen dazu zeigt. - * - *----- stehenden Soldaten befällt, und sich durch die heftigsten Kopf- schmerzen, Delirien, Diarrhöe und einen Petechial-Ausschlag Auszeichnet, 46 Erstes Buch. Fünftes Kapitel. Die Grenze des Bannats erkennt man an der beffern Anbauung des Landes, als in Ungarn. Man sieht Fleiß, findet lang entbehrte Hügel, Wälder und erfreuende Land- fchaften wieder. Ich hatte eine starke Tagreise von acht Posten ge- macht; noch wollte ich nach Mehadia; dort, sagte man mir, könnte ich übernachten, es war schon tiefer Abend, als ich mich dem Orte näherte: es gieng nun langsam, Schritt für Schritt einen steilen Berg hinan; es muß fehr schlechter, felsigter Weg gewesen feyn; alle Augen- blicke, meinte ich, läge der Leiterwagen am Boden und ich darunter: es war mir daher höchst erfreulich, als endlich der Wagen hielt und ich Licht fah; der Posthal- ter sprach gut teutsch. Ich verlangte blos eine Suppe, etwas Wein und ein Bette, aber alle dreye gut. Er ver- fprachs; der Wein kam und übertraf meine Erwartung – Er war est est est *) , , , , , aber die Suppe wollte nicht ”) Wenn man von Sienna nach Rom reist, kommt man auf die Post Monte fascone, auf dem Hügel eines hohen fpitzen Gebirges, wenige Stunden von der Stadt Viterbo gelegen. Weit und breit rühmt man den Reisenden den 1.reff lichen Wein, bekannt unter dem Namen est est est und wie man hinkömmt, so find Vetturini und Postillons so gut als der Wirth daselbst dafür besorgt, dem Fremden diesen (übrigens nichts weniger als wohlfeilen) Wein zu verschaf- fen – und wer billig feyn will, muß dem Geschmack des deutschen Weinkenners Gerechtigkeit widerfahren laffen, Die Anekdote oder vielmehr die Geschichte ist diese: Ein teut- fcher Prälat, Namens Johannes v. Fuager bereiste Italien; in welchen Geschäften wird uns nicht erzählt, wohl aber, daß er, wie mancher Andere, etwas auf einem Gläschen Guten hielt. Um nicht den Zweck zu verfehlen, r 1: z 4. M eh a dia, - 17 erscheinen, es dauerte wohl eine Stunde; endlich brachte die Wirthin ein fehr gutes, schmackhaftes Gericht von Fleisch, und ich erfuhr, daß man hier zu Land dieß Suppe hieße; der den Tag über entbehrte Wein würzte den Ge- muß des nun Aufgetragenen um so viel mehr, je we- niger mir diese Tage durch ähnliche Erquickung zu Theil wurde. Ich ward sehr munter, und wenn ich fchon feit vier Nächten nicht zu Bette war, so ging ich die fünfte ward der Bediente vorausgeschickt. War die Sache dem Wunsch entsprechend, so war das Wort: »est « die Losung zum Aussteigen, hieß es ,est est“, so bedeutete es schon, da man auf längere Zeit da sich einhausen würde. Bey Monte fiascone nun ging der Bediente ein Stück Wegs feinem Herrn entgegen und rief von weitem: Est! Est! Est! Der Erfolg zeigte, daß er seinen Herrn nicht unbegründet ver- tröstete; er stieg aüs und der Magnet blieb wirksam, nicht nur bis zum Tode, sondern noch über denselben hinaus. Denn fein Leben war zu kurz, um den Geluft nach diesem Nektar zu stillen, noch im Tode folte die Asche darin gebadet wer- den. Der erkenntliche Prälat vergabte eine beträchtliche Summe der Amtsbehörde mit dem Bedingniffe : alljährlich auf den Tag eines Absterbens ein Fäßchen von dem besten Gewächs seines Lieblingsweins auf einem Grabe auslaufen zu lassen. Das Versprochene zu halten, war damals noch Sitte! und his noch vor wenigen Dezennien befeuchtete die anzie- hende Flüssigkeit die ueberreste ihres ehemaligen Liebhabers. Ich war selbst in der Kirche, sie liegt ausserhalb der Stadt, und besah den Grabstein, dessen Innhalt und besonders die Jahrzahl verwaschen, undeutlich und abgeschliffen ist: fie lautet: EsT, EST, EST, pRopTER MINIMUM EST DOMINUS MEUS MORTUUS EST. JoANEs DE FUGGER. B 18 Erstes Buch. . Fünftes Kapitel. ungern darein, schlief aber nichts desto weniger aufs beste bis an den lichten Morgen. Um das Land, das ich bey dunkler Nacht betreten hat, te, bey Tage zu erkunden, streckte ich gleich nach meinem Erwachen den Kopf zum Fenster hinaus, in die frische Morgenluft und . . . o, willkommen mir herrliches Land! ruhige Stille und Einsamkeit! es war ein Schatten von Schweizergegend, wild und romantisch; gegen mir über Felsen und Gebüsche und Wälder, unten klare Quellen, die sich zum Bache vereinten. Mit kindischer Freude durchrannte ich den ganzen Vormittag Berg und Thal; es kam mir kein Sinn an’s Abreifen. Nachmittags führte mich der Posthalter auf ein ver- nachläßigtes Landgut. Zwei Schweizerfamilien müßten darauf innerhalb zehn Jahren zu wohlhabenden Leuten werden, und der Posthalter klagte über Schaden. . Un- glaublich unwiffend, nachläßig, dumm oder liederlich wer- den fo oft die einfachsten Dinge betrieben; bey den ent- schiedensten, sichersten Vortheilen, welche die Natur der Sache darbietet, unbeachtet gelaffen. Es ist dieß aber gut; denn, wie könnten sonst andere bestehen, die jene Vor- theile vermissen. Ich bemerkte also dieses dem Posthalter mit dem Beyfatze: daß er und feine Nachbarn die Landwirth- fchaft betrieben, wie die Tröpfe, was er auch gelten ließ. Abends führte er mich auf die Kegelbahn, es war zugleich der Versammlungsplatz der vornehmen Welt von Mehadia ; galante Damen von Officieren und Be- amteten . . . und Beamtete und Officiere de bon ton. In dieser wichtigen Gesellschaft, die bereits anfing, sich die Köpfe zu zerbrechen: warum ich den ganzen Tag in Me- hadia zubrächte, wollte ich meine Zeit nicht verlieren; t t: Till Alt-Orfowa, 9 ich ließ den Posthalter beim Kegelschieben, welchem Fache er mehr gewachsen war, als der Landwirthschaft, und ging ins Freye. | # 6. d Am folgenden Tage reiste ich ab. Noch wünschte ich die benachbarten, sogenannten Herkulesbäder zu sehen, und " der Posthalter machte sich anheischig, mich zu denselben zu begleiten. Es war aber nicht so fast um meiner als um seinetwillen; es wird in diesen Bädern sehr hoch ge- spielt und ich erfuhr erst späterhin, daß der Posthalter in der Regel mit von der Parthie fey. Das Bad oder die Bäder liegen in einer wildschönen Gegend; die warmen und siedenden, aus der Erde hervor- sprudelnden Quellen ziehen sich stellenweise mehr als eine Viertelstunde in die Länge; das Waffer ist von verschiede- - der Zusammensetzung und Farbe (unter andern auch eines, " das weiß ist) und würde den Platz wahrscheinlich sehr wichtig machen, wenn gehörige Anstalten getroffen wären. " Aber diese scheinen jenen der Landwirthschaft ähnlich zu sein, nnd bringen dem Kaiser, der bauen ließ, mehr " Schaden als Nutzen. - " Ich verreiste Nachmittags, und kam am Abend des " - netten Juni vor sieben Uhr in Alt-Orfowa an. Ich " machte mir von diesem Orte eine große Vorstellung und " faunte daher nicht wenig, statt einer beträchtlichen Stadt " in kleines Dorf zu finden, dessen oberer Theil meist aus " Leimhütten mit Bretterdächern besteht: Bei uns trifft man “ auch in geringern Dörfern auf nichts so schlechtes; unten, “ - der Donau nach, sind einige neue, ansehnliche Häu- fer, Auf der Post, dem einzigen Gasthause in Orlowa, 20 Erstes Buch. Sechstes Kapitel. wo ich abstieg, vernahm ich durch einen Dolmetscher, der ein Grieche war : „ daß kein Platz mehr darinnen sey. “ Sögleich ging ich mit meinem Empfehlungsschreiben zu Hr. Demeter Tyrka und Compagnie, defen Schwa- ger Hr. Dem elids, ein junger, gebildeter, kenntniß- voller Mann, die Güte hatte, mir fein eigenes Haus zur Wohnung anzuweisen, welches freundschaftliche Anerbie- ten ich denn ungefäumt mit Vergnügen und Dank an- nahm. Noch wollte ich die umliegende Gegend besichtigen, es war ein so schöner Abend! Ich wandelte der Donau nach hinunter. Kaum einige hundert Schritte weit, siehe da, ein neuer überraschender Anblick für mich: ein Zug Türken, mit einer Pracht gekleidet, wie mir nie vorkam, zierlich und groß. Eine Gala in europäischer Kleidung, fo glänzend fie auch feyn mag, ist mager und ärmlich da- gegen; in bunten, atlaßnen Talaren mit abstechendem Um- tergewand prangte die Gruppe; ein feiner Kafchemir -Tur- ban umwand das fich stolz umherwerfende Haupt ; von verschiedenen Farben war das zierliche Gewebe; die leichte Flinte mit künstlicher Silberarbeit ganz überzogen auf dem Rücken schwebend, neben ihr die fünf Schuh” lange Ta- backspfeife; im reichen Gürtel zwei blendende Pistolen; in Mitte desselben der Dolch, defen Griff von Brillanten fralte. Der gesetzte feste Gang zeigte Zuversicht zu sich felbst und das Impofante des wilden, aber schönen regel- mäßigen Gesichtes fagte daffelbe. Weiffer Atlaß mit schwat- zem, kostbarem Pelze verbrämt, war die Kleidung des Vornehmsten aus ihnen –– es war der Pascha, Com- mandant von Neu-Orfowa und fein Gefolge, das wie- der zu Schiffe ging, z Seryien, Aufenthalt im Alt-Orfowa. 21 Da war ich nun an der Grenze des Landes, das ich mir zu durchstreifen vorgenommen hatte. Der Eindruck, welchen das zufällige Begegnen des muselmännischen Trupps auf mich machte, war der erste lebhafte, und da er unvermuthet war, ungemein wirksam und stark. Die Sonne war im Untergehen, und prächtig die Beleuchtung der wilden Gebirge des aus der Donau sich hebenden, . eben aufrührischen Serviens. Emsig sah man unter Sang und Klang mehrere hundert Einwohner, Schanzen und Festungswerke errichten und aufführen. Das Getöse und Geschrey bey dieser Arbeit hallte laut herüber. Mein Kopf war voll und eingenommen von all den Neuen, das ich heute sah und späterhin erst noch sehen sollte; mein Blut war in Wallung; man fagte mir von Schwierigkeiten wegen den Durchpaß; ich ging zu Bette; machte Plane auf Plane zur Erreichung meines Ziels. Das Brüllen der servischen und russischen Vorposten tönte hel herüber; ich schlief diese ganze Nacht nicht einen Au- genblick \, Zehn Tage dauerte mein Aufenthalt in Alt-Orfo- wa; wenn ich aber an irgend einem Orte aufgehalten werden mußte, so war mir dieser gewiß der angenehmste; in Gesellschaft der liebenswürdigen Familie. Den elids und ihrer Verwandten, unter welchen auch Hr, Paul Emanuel, ein erfahrner, junger Mann, der zehn Jahre in russischen Diensten eine Officierstelle bekleidete und durch eine großen Reisen, wie durch feine beredte Un- erhaltung alles belebte, verfloß mir diese Zeit sehr schnell; die schöne Gegend bei Sonnen Auf- oder Untergang, 22 Erstes Buch. Siebentes Kapitel, so wie unser unsterbliche Ludwig Heß voll Gefühl die Natur in ihren Beleuchtungen auf feine Landschaftsge- mälde hinzauberte, trug auch vieles dazu bey ! Kurz, ich werde den lieblichen, ruhigen Aufenthalt bey diefen guten Menschen nie vergeffen; es waren Griechen, um so mehr ist eine folche Aufnahme Seltenheit! Mein etwas langer Aufenthalt bey dieser Familie und die Verbindung, in welcher dieselbe mit andern Griechen, stand, gab mir Anlaß, etwas näher mit dieser Nation be- kannt zu werden, 7. Mit ausgezeichneten Geistesgaben, man möchte fast fagen mit angebornen, ist der größte Theil dieses Volks von der Natur ausgestattet; ein glückliches Gedächtniß und ein entschiedenes Talent für die Sprachen, scheinen den meisten aus ihnen eigen, nicht selten findet man Grie- chen, die acht bis neun Sprachen verstehen und sprechen; fie find überhaupt von lebhaftem Charakter, fein, heiter, gesellig; dieß ist der Grundzug derselben ; ausgebildet – fey es durch Verfaffung oder Religion – beherrschen sie sich selbst mit Kraft im Unwillen und Zorn, sie scheinen kalt, wenn es auch in ihnen kocht. Von früher Kind- heit an wirkt das Beyspiel überlistender Verstellung; ver- fchlagen und verschmitzt bedecken sie künstlich die glatte Auffenseite durch die Grimmaffe der Freundschaft und Höflichkeit, sobald es um ihren perfönlichen Vor- theil zu thun ist. Sehr oft hatte ich Gelegenheit, mich hievon in Beziehung sowohl auf meine Person als auf Andere zu überzeugen; ihr Hauptzug, beinahe ohne Aus- Morgenbesuch im Hause Tyrta. 23 ahne, ist Partheygeist, Eifersucht eines Stammes gegen den andern; ist der geringste Anschein vorhanden, daß eine Parthey die andere überflügeln möchte, so finden sich gleich ein halbes Hundert, die es heimlich nach Möglich- keit zu hindern suchen, und ich bin überzeugt, daß, wenn man es auf ein Stimmen mehr ankommen lieffe, eher ziehen Türken auf den Thron gesetzt würden, als daß man sich einverstehen würde, einen Griechen diesen Platz einzu- räumen. Keine Familie, kein Stamm würde groß genug denken, ein Opfer für eine andere Fämilie, einen andern Sann darzubringen: von dem Geiste der alten Griechen hat sich auf die neuen nichts vererbt, als der, der Zwie- tracht und Familienpartheysucht. Das Sprüchwort: „Zehn Griechen eilf Sinne“ soll eines der richtigsten feyn. Dieß offenherzige Bekenntniß habe ich selbst nicht nur von Ei- nen, sondern von mehrern Griechen gehört. Der Grundsatz durch Ehrgeiz und Eifersucht fortdauernd genährt: lieber einen Landsfremden über sich zu fehen, als einen verhaß- ten Nebenbuhler, wird die Griechen bis an den jüngsten Ighindern, ein selbstständiges Volk zu werden. An einem Feyertage der Griechen, ging ich mit noch einen Freunde einen Morgenbesuch im Haufe Tyrka zu machen, nach der Kirche; eine Gesellschaft von acht bis zehn Personen saß schon in der nemlichen Absicht im Kreise herum; die Frau vom Hause kam bis an die Thüre entge- gen und bewillkommte uns auf fränkische Art *) fehr ar- ') Bei den Türken heißt alles Franke, was nicht Türke oder Raya (Unterthan), Grieche und Jude der Levante ist, – Auch bei den Europäeren ist dieß Wort anerkannt und üblich geworden. – Man fagt: er war ein Franke, – nicht ein Euro- päer; – Christ, – – fränkische Sitte: Sitte in Europa e. 24 Erstes Buch. Siebentes Kapitel. tig. Der Kreis der Griechen legte die rechte Hand auf die linke Seite der Brust und neigte das Haupt – der ge- wohnte Gruß der Griechen. Wir vermehrten den Sitzen- den Bogen, - Nun begann das Frühstück nach Landessitte. Die Frau vom Hause bedient auf groffen silbernen Aufwarttellern Eingemachtes – eine Art Latwerge – bald von Pfirsich, bald von Orangen, Trauben u. dgl.; für jeden Anwesen- den findet sich ein Glas Waffer und ein Theelöffelchen auf dem Teller; jeder nimmt einen Löffel voll und trinkt nach Wohlgefallen aus seinem Glase. Ist die Frau in der Reihe herum, so erscheint der Herr mit zwei Auf- warttellern, auf dem einen für jeden Gast ein Gläschert Rosoli, auf dem andern Cybeben und Mandeln. Etwas späterhin erscheint wieder die Frau und bringt den Kaffee, welchen sie wieder jedem in der Reihe herum zubringt. Auf türkische Art – trüb, dick und schwarz – wird die- fes Getränk, ohne Zucker, mit dem Satze getrunken. In der Türkey wird der Kaffee nirgends gemahlen, wohl aber fein, wie Mehl, zerstoffen. Ich könnte nicht sagen, daß er mir, so zubereitet, anfänglich behagte, aber späterhin trank ich ihn auf diese Art sehr gerne. Untere Schaalen sind nirgends üblich, statt derselben dienen silberne Becherchen, in denen eine kleine Obertaffe von feinen Porzellan, bunt bemalt, steht, in welcher der fchwarze Trank ist – oder, wie bey den Türken durchgehends üblich ist – eine zweyte kleine Obertaffe in einander gesteckt – um sich an der einfachen nicht zu brennen – indem der Kaffee überall fiedend heiß serviert wird. Sowohl vor dem Mittag - als Nachteffen wird, ehe man die Suppe aufträgt, Rosoli z - i Ein Schuß in meine Nähe, 25 herumgeboten. Dieses ist eine kurze Charakteristik der Grie- chen und ihrer Lebensart. In der zweiten Nacht ward von einer fervischen Schild- wache jenseits der Donau eine Kugel herübergejagt. Der Schuß fiel keine dreißig Schritte von meinem Bette, in den ich ruhig schlief, nieder, Eines Morgens stand ich am Ufer des Stromes, und sah dem emsigen Schanzen auf der andern Seite zu; all- gemeine Munterkeit war, obgleich wegen der Ferne – unbestimmt vernehmbar; auf einmal erscholl ein helles Gelächter des ganzen Trupps. Wie kommts! ohne wei- tern Beweggrund als den des Gehörs, zog sich maschinen- artig unwillkührlich bei mir der Mund zum Mitlachen, ohne nur einen Schein als Grund zum Lachen zu haben, eine halbe Viertelstunde vom Gelächter entfernt! Ist das moralisch? Ist es Instinkt, Trieb, Einwirkung, Mitgefühl? Seryien wollte sich vor acht Jahren der türkischen Herrschaft entziehen, und balgte sich seit dieser Zeit inner herum. Es gelang unter russischem Schutze; feine Unabhängigkeit scheint für den Augenblick gesichert. Das ganze Land ist verödet und verbrannt – bald durch Tür- k, bald durch Ruffen. Die Einwohner scheinen das Unruhige Leben gewohnt und find bey Elend und Mau- gel immer munter. Man schildert den Anführer und Be- fehlshaber des Landes Tzfcherni George (soviel als der Schwarze) in oder bey Belgrad sich aufhaltend, von festem, strengem Charakter. Nach dem eisernen 26 Erstes Buch. Siebentes Kapitel. A Sinne eines Brutus, verurtheilte er feinen Bruder zum Strang, weil dieser ein Mädchen geraubt und entehrt hatte – freilich waren fechfe ihrer Brüder unter feinen Truppen –; den Gesetzen Genüge zu leisten, stimmte er der Erste zu seinem Tode. - Bei meiner Rückkehr hörte ich nachfolgende Anekdote von Tscherni erzählen: Es starb ein Bauer, der einen Sohn hinterließ, – um jenen zu beerdigen, verlangte der griechische Papa fünfzig Piaster. – In Serbien werden die Leichenbegängniffe mit den Geistlichen gewöhn- lich vorher ausgemarktet, da die meisten nicht fixe Ein- kommen haben. – Der Sohn konnte nicht so viel auf treiben und der Vater blieb unbegraben. – In der Ver- zweiflung geht der Sohn zu Tzscherni, welcher ihm das noch Mangelnde, was der Priester verlangte, auszahlte – mit Auftrag zwey Gräber machen zu laffen, und dem Ver- heißen, den Begräbniß felbst beizuwohnen. Mit einigem Militär traf er wirklich zur he stimmten Stunde ein; als man am Beerdigen war, fragte er den Geistlichen: „ob er bezahlt fey ? – und“ auf bejahende Antwort – „wie viel - Kinder er habe?“ – der Priester gab deren mehrere an. Nun, fägte Tzscherni, auf daß sie nicht einst in die Ver- legenheit dieses jungen Bauern kommen, wenn sie nicht so viel Geld haben, dich bestatten zu laffen, so will ich ihnen die Unkosten ersparen und es auf meine Unkosten jetzt thun. Der Papa ward in den Sarg gezwungen, diefer vernagelt und beerdiget; während mehreren Stun- den, daß die Soldaten Wache hielten, konnte man den Unglücklichen nicht befreyen, und als es endlich geschehen, fand man ihn entseelt. - - f Ungebungen von Orfowa. . . 27 Von feiner noch lebenden Mutter ward er, der Schwarze genannt, weil er feinen Vater darum, daß er zur türki- ichen Parthie übergehen wollte, um das Leben brachte. Mässig und arbeitsam, kennt er für sich selbst weder Auf- and noch Pracht; er bleibt in feiner Nationaltracht von grobem Tuche – und, indeß feine Officiere vielen Auf- and machen, arbeitet er felbst auf'm Felde. - - - Die Umgebungen von Orfowa find sehr angenehm firs Auge, aber die Dorfschaften sind in einem elenden Zfande. Ich war auf einer eine Stunde weit entlegenen, und fand unter beiläufig anderthalb hundert Dachungen kaum zwei Häuser, die einem Waschhaus bei uns verglichen werden konnten. Die Einwohner aus der ge- eingern Klaffe find fo höflich, daß sie – einzeln, oder Truppenweise beyfammen sitzend, immer aufstehen, wenn man bei ihnen vorbeigeht. Diese Höflichkeit machte mich zlzt so verlegen, daß ich lieber einen Umweg nahm, als ganze Gruppen, die sitzend beysammen arbeiteten, zu erbrechen oder zu stören. - 8. . Es war am zwölften Junius, als ich endlich einen Schein oder Paß folgenden Innhalts erhielt: „Hr. J. H. Mayr, Handelsmann, kann in das Zeitige passieren.“ Dann unterschrift und Datum. La- bisch genug lautete die Erlaubnis. Doch genügte sie mir. ihre Abreise ward noch mehrere Tage verschoben, da der Kommandant von Neu-Orfowa seine Bewilligung 28 Erstes Buch. Achtes Kapitel. dazu aufzuschieben, für gut fand. Aus welchen Gründen blieb mir unbekannt. .- - Wo sich vor einem Haufe eine Bank fand und Schat- ten war, lagerten sich Griechen mit Brett- und Damen- fpiel. Im Augenblick Zuschauer die Menge rund herum; die Plätze blieben besetzt bis in die Nacht hinein. Wie gleichgültig fie. Unfälle in Würfelspiele ertrugen, die un- fer einem sonst bald Galle erregen, hatt' ich oft Gelegen- heit zu bewundern. Kein Wort der Ungeduld entfuhr, oft änderte sich felbst die Gebehrde nicht, wenn es schon innerlich anders beschaffen feyn mochte. -- Etwelche Strecke über Oxfow a hinaus, ist die fo- genannte Straße Trajans. Der Donau gegen über stan- den die beiden Heere der Griechen und Römer gelagert. In Felsen ausgehauene Wege, nebst vielen andern Merk- würdigkeiten finden sich in der Nähe; oft entdecken die Landleute Münzen und andere Kostbarkeiten, wovon aber die Hälfte immer der Regierung muß ausgeliefert wer- den. Verheimlicht der Finder. Etwas, so hat er eine fehr ? harte Strafe zu erwarten, auf den Fall er entdeckt wird. Den nächsten Sonntag Abend gingen wir in zahlreicher Gesellschaft, die wallachifchen Tänze der Landleute. "Wir von Banat zu sehen. Auf einem freien Platze hatten sie sich versammelt. Drei Musikanten spielten; die Tauzen- '' den bildeten einen Reihen in frappanten Costüme, die Weiber in rothscharlachenem Talare; die Männer in weißen ", Röcken und Beinkleidern, dabei reinliche Wäsche. Jede Person band ein Tuch um die Hüfte, an welchem sie von "g den Nachbarn zu beiden Seiten gefaßt wurde, bis das Wii Ganze eine Kette bildete. Dreimal ward mit dem Fuße aktmässig der Boden geklopft, dann bewegte sich der ganze '- Abreise nach Neu-Or fowa, 29 Zug vier Schritte vorwärts und eben soviel wieder zurück; dann ward derselbe Taktschlag auf'm Boden wiederholt. hl. Nie Bewegung war so fanft, ähnlich dem Wogen des 1, Wafers, und alles war so anständig – eher an das Ernste in gränzend, daß der Abstand zwischen diesen Tanzenden, und W | einer Stube voll unserer mit Schweiß bedeckten, besoffenen | Wallern, mit ihrem wilden, tobenden Walzer, mir unge- - heuer groß vorkam. Ein zweiter Tanz bildete einen Ring, die Bewegung war, wie beim ersten, gleich sanft und an- fündig und eben so taktmässig. Mit Vergnügen verweilten wir einige Stunden bei diesem ländlichen Feste. f, * - " Endlich am achtzehnten Junius kam die Erlaubnis zur Abreise. Das Schiff wurde fchon ein Paar Tage zuvor geldet und feit einigen Stunden vorgefahren. Um vier Uhr war ich an der Quarantaine, nahm Abschied von " stand Demelids – und zwei Schritte vorwärts über die Grenze, war ich auf türkischem Gebiete; was ich von " nun an berührte, durfte ohne Kontumaz nicht in christliche " Eulen über. Wir wurden in ein Einakl – ein Boot " aus. Einen Baumstamme gehöhlt, verpackt, vier Griechen " beten meine Gesellschafter. Einer aus ihnen sprach er, " liche Worte gebrochen teutsch. Dieß sollte mein Schutz- Mit sein; bis weithin machte er dieselbe Reife, aber ich konnte zu dem Manne kein Zutrauen faffen; schon fijer waren wir mehrere Male beisammen, aber immer Mt es der gleiche Fall. - Sympathie – Antipathie ! inneres, gehei es, uner- klitbares Gefühl, und doch fo laut sprechend, so entschie- den anziehend oder zurückstoffend! Welcher Denker, wel- het forschende Weise ist im Stande, mir Auskunft zu 30 - Erstes Buch. Achtes Kapitel. geben über das, was ich hierüber fragen möchte? Wohl, bis ich bessere Erklärung erhalte, möcht ich sagen, ists der Geist, der zum Geiste spricht – das Unendliche zum 1Unendlichen ! Schnell förderte der Strom den schwankenden Kahn hinunter; in einer kleinen halben Stunde waren wir " auf türkischem Boden, in Neu-Orfowa; es soll eine " der stärksten Festungen feyn. Ich verstand nichts hievon : " nur foviel merkte ich, daß die Mauerwerke und die Lauf." gräben, kurz alles, äußerst vernachlässigt war; der Be- fehlshaber spielt, fagt man, fchon feit Jahren eine zwei- deutige Rolle, und man glaubt, daß auch er sich, gleich feinen Nachbarn in Servien, unabhängig erklären, oder ? wenn er dabey zu viel wagte, mit feinen beträchtlichen Schätzen nach der österreichischen Grenze wandern dürfte. Einen Theil meines Gepäcks lud ich mir selbst auf, den andern gab ich einem Türken, nach der andern Seite " der Insel zum Schiffe zu tragen. s Schon im ersten Augenblicke lernt ich hier, die auf fallende Verschiedenheit der Nationalcharaktere kennen. Als ich dem Manne ein Stück Geld nach meinem Gut- dünken gab, fchob er es, ohne nur darnach zu fehen, was oder wie viel es wäre, in die Tasche und ging da- - von. Wär' es aber auch das Doppelte gewesen – oder zu nur halb so viel – ich bin überzeugt, der Türke hätte sich eben so verhalten. Der Stolz gegen Alles, was Franke ist, erstreckt sich bei ihnen bis auf die niedrigste ; Klaffe. Nie würden sie einen anbetteln, eher verhungern. i Bald kam man, um sich nach der Schiffsgesellschaft zu erkundigen. Es waren meistens Griechen – also türkische Unterredung mit dem Pafah a. s Unterhalten. Ich, als der einzige Fremde, mußte mich vor den Pascha stellen. Er war dießmal weniger in Galla, als da er mir in Alt-Orlowa begegnete; – er faß in einem, in die Donau hinaus gebauten, und mit Strauchwerk bedeckten Pavillion, mit bloßen Füßen und kreuzweis übereinandergeschlagenen Weinen, auf einen Teppich am Boden, eine lange Pfeife vor sich hin dampfend; fechs bis acht langbärtige Türken um ihn; ein junger Grieche war fein Dragomann. Er fing nach meinem Vaterlande, dem Zweck meiner Reise 1. a. m.; er konnte nicht begreifen, daß die Schweiz der unter Frankreich noch Oestreich stehe und ver- wechselte lange die Schweiz mit Schweden; endlich fiel der - ihnbei, von diesem Lande gehört zu haben, und er gab sich zufrieden; er erheilte mir die Erlaubniß, überall unge- hindert herum zu gehen und gewährte mir feinen Schutz. Zch nach sehr freundschaftlich entlaffen. Hätte ich gewußt, was ich erst später erfuhr, ich würde ihn um wirkliche Beweise hievon angesprochen haben, um so mehr, da ich dazu berechtigt gewesen wäre. - - 9. Der Kommandant heißt Recep p, nennt sich ab , als politischen Gründen nur Aga – handelt indes ganz als Pascha und übt vielleicht noch höhere Gewalt, als der der letztern. Er ist ein Mann von mittlern Alter, ansehnlicher Figur und frischen, entschloffenen Gesichts- en, daß diese nicht täuschen, beweisen schon verschie- dene Fälle, in denen er diesem Charakter entsprach. Der ein Verehelichung gehört mit unter dieselben. Seine 32 Erstes Buch. Neuntes Kapitel. - - Frau ist die Tochter eines Vorstehers von Servien ; fie soll ein bildschönes Mädchen gewesen feyn, er bewarb sich um sie, und erhielt –– abschlägige Antwort. Wieder- holte Versuche hatten ähnliche Erfolge, Die Unruhen in Servien brachen aus, und die Aeltern der Tochter waren zuerst besorgt, dieselbe in Sicherheit zu bringen, was ih- nen gelang, aber wenig fruchtete. Der Pascha hatte als Feind des Landes freyes Spiel; er machte einen Haupt- zug in die Gegend, wo die Familie ihren Sitz hatte und es gelang ihm, sich aller zu bemächtigen. Nun behielt er sie so lange, bis die geflüchtete Tochter sich stellte und durch ihre Berchlichung mit dem Pascha die Ihrigen befreite er soll vergnügt mit ihr leben. Daß er vorurtheilsfreyer ist, als feine Glaubensge- noffen, beweist, daß er nach der muhamedanischen Lehre die Todsünde beging / sich malen zu laffen. Das Migna- turbild hat, wenn schon nicht das Verdienst von guter Malerey, doch das der Aehnlichkeit. Er soll eine große Freude damit haben, Der Künstler, ein Wiener, erzählte mir selbst, wie daß der Pascha auch einen Bruder ge“ zwungen hätte, sich malen zu laffen und wie dieser ihm während der Arbeit geklagt: » daß, wenn er nun sterben sollte, er von Mahomed verworfen würde, weil er gegen sein Gesetz gehandelt habe und sich malen ließ“ – „doch“ _ meinte er – „fein Bruder würde noch mehr verdammt werden, da er die Ursache fey, und bevor er sterbe, wolle er sein Bild verbrennen, um desto eher Verzeihung zu erhalten. – ." in d Schlimmt e Lage, 33 Mit meiner Reifegesellschaft, den Griechen, welche verschiedene Bekannte hier trafen, besahen wir das Innere der Insel, meistens aus hölzernen, elenden Hütten befte- hend. Bei der Rückkehr zum Schiffe erfuhren wir: daß wir heute nicht abgefertigt würden, und also hier übernach- tei müßten, Man denke ich nun aber mein Erstaunen, als ich hörte, daß kein Gasthaus und kein Obdach für den Frem- den hier zu finden fey. Diese unangenehme Nachricht sollte mir nun recht fühlbar werden, denn der Himmel überzog sich, und gegen die Dämmerung brach Wind und Kigen los; meiner Gesellschaft schien dieß gewohnte Sa- che, denn keiner äußerte ein Merkmal, daß ihm das Dingfend fey. Jeder nahm feine gewobene Decke (deren ich noch nie fah, viel weniger hatte) und wanderte nach dem Sande der Donau, fich auf demselben zu lagern, Mfte sich mit einer zweiten, und ließ dann gelaffen auf sich regnen, was das Zeug halten mochte. Jch, vor Ungeduld über das für mich neumodige Quartier, wollte fast aus der Haut fahren , lästerte an einem Orte zu feyn, wo Tausende von Menschen wohnen, und doch keine Hütte zu finden wäre, sich gegen Wind und Regen zu schirmen; wenn ich das gewußt hätte, ich würde dem Pascha durch den Dragomann meine Meinung unverholen und freymüthig über die Ver- Ichäftigung einer solchen Anstalt gesagt haben u. f. w.; ich fuchte französisch, schwur italienisch, fchimpfte leutsch, alles vergebens. Niemand gab mir Bescheid, denn es war niemand da, der meine unwidersprechlichen Gründe nur verstand, auffer meinem griechischen Schutz- gel, Ich glaubte aber zu bemerken, daß dieser über - C 34 Erstes Buch. Neuntes Kapitel. mich, in dieser Schlafmanier noch unwiffenden Neuling, hämisch den Mund zu einem schadenfrohen Lächeln zu ver- ziehen begann; denn ohne einen Laut zu verlieren, machte er sich nur noch tiefer unter feine Decke, Indeß ward es immer dunkler und stürmte heftiger, Ich merkte, daß mein Unwille gar nichts fruchtete und ergab mich also in mein Schicksal. Auf den kalten Sand an das Waffer mochte ich nicht, obgleich meine Gesellschaft fich dort hingelagert hatte; es fchien mir in jeder Hin- ficht fogar unsicher und mißlich. Ich legte mich also auf die naffen Ballen im Schiff und hüllte mich mit dem Ue- berrocke, der bald durch und durch naß war, so gut ich konnte, ein. Aber noch war keine Stunde vorbey, so merkte ich andere Uebel. Ungeziefer in schrecklicher Menge trachtete sich an mir zu erholen; wäre ich mit die fer Gesellschaft auch im fchönsten Zimmer und be- sten Bette gewesen, ich hätte nicht eine Minute Schlaf gefunden. Nun begriff ich, aus welchem Grunde sich die Mehrheit auf den Sand gelagert hatte. Was mich einigermaffen tröstete, war, daß ich auf'm Schiff we- nigstens nicht Gefahr lief, von den Hunden zerriffen zu werden, wie es mir am Ufer geschehen zu können vorkam; denn stündlich kamen ganze Truppen von her- renlosen Hunden (die in der Türkey zu Millionen herumlaufen), wie das wüthende Heer auf die Schla- fenden losgestürmt. Die lange Nacht verstrich endlich und der Regen war vorbey. Die Sonne erfreute uns und indem sie uns erwärmte, trocknete fiel den Tag über , was während der Nacht durchnäßt worden. Etwas Fleisch, Brod, Käse und Wein, was ich von Alt-Orlowa mit- – Rußischer Priester, - 35 genommen hatte, erfrischte und erlustigte mich; in ei- ner Viertelstunde war alles Uebel der Nacht vergeffen. Ich war großmüthig, theilte mit, wer nur in meine Nähe kam. Frohsinn kennt keine Vorsicht, noch weniger Eigennutz. Vor Abend war mein Brodkorb erschöpft. Es war Freytag und also Sonntag der Türken. War es deswegen, oder war es, weil Herren von kleinen Lande sich gerne als Herren von großer Macht und Gewalt zeigen möchten, genug ! wir bekamen vom Sul- an dieses Bezirkes die Erlaubniß zur Abreise heute wieder nicht, welches mir sehr unangenehm war. Man warnte mich, nicht mehr in das Innere der Insel zu gehen, da es schon Aufsehen machte. Vergeb- lich bezog ich mich auf den vom Pascha zugesicherten Schutz und dessen Erlaubniß, mich dieser Freyheit zu bedienen, - Am Abend dieses Tages, erscholl in der Wohnung gleich neben unterm Schiffe, Musik. Ich ging in den Hof und mischte mich unter die Zuhörer, um dieser dem Pascha veranstalteten Ergötzung beizuwohnen, aber fchnell muß ich mich entfernen, um vor Lachen nicht zu ber- fett, denn einen grellern, betäubendern, alles überschrey- enden Bärentanzton hörte ich in meinem Leben nie; ist möglich, dachte ich, daß das Ohr sich an solche treifende Klänge gewöhnen kann. Abends stieß noch ein russischer Pope zu unserer Gesellschaft. Ein Geistlicher – ein Lehrer der Menschen is möglich! Ists möglich! jagt' ich mir einmal über das andere. Ich mordete etwas Latein mit ihm. Der Mann war so ganz unwissend und unbeholfen, daß ich ihn in einer türkischen Taverne als Dolmetscher dienen C 2 36 Erstes Buch, Neuntes Kapitel. mußte, um ihm etwas Wein von den Griechen zu ver- fchaffen. Auffer in einer Minute ziehen Kreuze zu schla- gen und maschinenmäffig lateinische Gebete herzuplappern, bemerkte ich wenig menschliches an ihm. Die Nacht rückte heran. Ich hatte zeitlich Antal- ten zu einer beffern Herberge getroffen, als in der ver- floffenen; ein schmales langes Schiffchen, das zerlöchert, halb unter Waffer war, follte das Lager werden. Durch Zeichen theilte ich meinen Plan mit. Auf runden Stangen halfen ein Illyrier und ein türkischer Jude es mir heraufziehen und an einen bequemen Ort legen. Es war billig, daß sie Theil am Quartier hatten; ein Platz war übrig und der russische Pope bezog ihn. Ein Haufen Steine, die Hunde zu empfangen, war aufge- fchichtet, und so lagen nun Viere aus verschiedenen Na- tionen, wo keiner den andern ein Wort verstand, der Länge nach im zerlöcherten Boote, als ihrer Ruhestätte, beisammen! Kaum einige Stunden verstrichen, als der heulende Feind heranstürmte ; luftig begann das Bom- bardement mit dem Steinhagel, bald war der Sieg entschieden. Der Feind wurde aus dem Felde geschla- gen, der Hund des Bezirks lagerte unweit dem Schiff, blieb ruhig und muxte sich nicht. *) Zum zweiten Male fürmten die Bestien auf uns los – wieder derselbe Em-, pfang mit größerm Nachdrucke, und wir schliefen nun ru- hig bis an den Morgen, *) Jeder Hund hat seinen Ort, den er als eine rechtmässige Heimath, so lange er lebt, bewohnt. Fallen Junge, so kam- piren diese in der Nähe, aber immer jeder auf seinem eigenen Flecke; dies scheint einverstandene Sitte unter dieser Rase, . k i – ", Abreife und gefährlicher Paß. 37 Am grauenden Tage ertönte wieder jene Bären-Mu- jk, um den Pascha aus seinen Morgenträumen zu wecken; ein lautes Gelächter entfuhr mir, auch meine Kammeraden förte sie auf; vorbey war der Schlaf; wir erhoben uns aus dem hölzernen Sopha; die übrigen aus dem Sande des lfers. 10 Es war sieben Uhr Morgens, als die Erlaubniß zur Abreise anlangte. Ein Türke und ein Ruffe kamen als Schutzwache zu uns auf das Schiff Eine Stunde weiter unten von Orte der Abfahrt, kann ein gefährlicher Paß; ich ward gefragt: „ob ich Furcht hätte und ein kleines Schiff nehmen wolle, um ohne Gefahr durchzukommen? – Als ein guter Schwimmer kannte ich keine Furcht, Stiefel und Rock weg, und ich hoffte mich geborgen. Erst späterhin merkte ich den Kniff, daß die Frage nicht wegen mir an mich geschah, sondern wegen Andern, denen ich das Schiff zahlen sollte. Der Paß war indeß wirklich nicht heimlich, und mein heuchleri- scher Schutzpatron fing an in der Angst Gebete abzu- lehern. Ein bestätigender Beweis der Wahrheit: daß wahrer Muth zur Zeit der Noth sich weder bey Heuch- lern noch Hehlern findet. Indeß ging das Schiff rasch vorwärts; hinüber und herüber wurden wir wechselsweise, bald von Ruffen, bald von Serviern angerufen; späterhin waren die Türken al- ein Meister vom Lande und Waffer. Zwey-Nächte hatten wir am Ufer der Donau zu schlafen; mit Flinten und Pistolen, mit welchen Waffen 33 Erstes Buch. Zehntes Kapitel. jeder in der Gesellschaft versehen war, ging man zur Ruhe. Schon in Linz hatte ich mir ein Leintuch, we- gen der Unreinlichkeit in Ungarn, gekauft; es kam mir die Zeither gut zu statten; während der Nacht zog ich mir es über den Kopf und schützte mich vor Kälte, Thau und Insekten. - Meine Lebensmittel waren in Neu - Orlowa durch meine Gefährten, denen ich gutmüthig ausgetheilt hatte, alle geworden, Unterwegs fand ich etwas schlechten Käfe und Brod zu kaufen; ziemlich fchweres Donauwaffer war mein Trank, meist noch dicker als Limonade. Die letzte Nacht fchnoberte etwas zunächst meinem Kopfe; ich fuhr auf, es war ein großer Schäferhund, der wahrscheinlich durch den Geruch meines kargen Spei- fevorraths, den ich im Nachtfacke hatte, der mir als Kopfkiffen diente, angelockt, herbeykam und mit mir thei- len wollte; ich jagte den ungebetenen Gast von dannen und schlief wieder ruhig ein. Es mochten wenige Stunden vergangen feyn, als neuerdings ein herbes Keuchen mich im Schlafe störte; ich fchlug das Leintuch zurück; der Mond war düster aufgegangen und beleuchtete nur fpar- fam den kohlenschwarzen Büffelkopf, der sich über den mei- nigen hinstreckte; mein blitzschnelles Auffliegen läßt sich er- rathen, und der Schrey des ersten Moments, im Taumel des Schlafes, über die fo nahe Nachbarschaft des krumm- gehörnten Ungethüms, wäre vielleicht jedem Andern eben so gut entfahren! Wir erfchracken beyde vor einander, ohne Roth ! Die Gesellschaft der Griechen gewährte mir den Vor- theil, türkische Worte und Redensarten aufzuschnappen und allmählig eine Art Wörterbuch daraus zu bilden. z d Neckereyen der Griechen. 39 Andere Vorteile, um nicht von Nachtheilen zu sprechen, hatte ich übrigens wenige oder gar keine. . . Je länger ich um den Mann war, defen Empfohl- er ich feyn follte, je mehr fah ich ein, daß wir nicht für einander taugten; ich glaube bey nahe, daß, wenn man ihn zergliederte, fände man da, wo andern ehrlichen Leuten das Herz schlägt, das Einmal Eins. Sinn für etwas anderes fand ich wenig bei ihm. Handwerksmeid und verborgener Haß gegen die Mehrheit feiner Lands- leute – Alles handelnde Seelen gleich ihm, waren die Hauptzüge seines Charakters. Diese Eigenschaften theil- ten aber alle gegenseitig mehr oder weniger brüderlich mit ihm, Scheinbare Plakereyen der Griechen aufm Schiff gaben mir Aufschluß fürs Wichtigere; wie hämisch nenn- lich, und wie ein verborgen bösartiges Wesen unter glat- ter Larve sich bey ihnen entwickelt und äußert! Um vor der schwülen Mittagssonne sich etwelcher Maaffen zu fchü- zen, zog einer ein leichtes Tuch über die hohe, zwecklose, schwarze Mütze (die gewöhnliche Kopftracht der Griechen) vor das Gesicht. Mit einem Stäbchen stieß ein hinter ihn Sitzender das Tuch langsam herab. In der Mey- wung, es fey ihm sonst herabgefallen, bedeckte er das Ge- ficht wiederholt, aber eben so oft fiel das Tuch wieder herunter. Endlich merkte er die Ursache; noch vier - fünf- mal machte er Versuche bedeckt zu bleiben; vergebens! Ohne das mindeste Zeichen von Ungeduld ließ er sich nun von der Sonne brennen. Ein Anderer war im Begriffe etwas zu schlummern, aber gleich fiel man mit Neckereyen von Strohhalmen und Stöcken über ihn her, daß er ge- fört wurde, und aus war's mit dem Schlafe. Ein Teut- 40 Erstes Buch, Zehntes Kapitel. cher, ein Franzose, ein Italiener, ein Schweizer wäre endlich ungedultig aufgefahren: aber an dem Griechen verzog sich keine Muskel im Gesichte; kein Anschein von Unwille zeigte sich; kein Wort ward dabey gesprochen. Augenzeuge von einer Menge Poffen, Neckereyen und Chikanen dieser Art, fah ich, wie all das mit glatter Stirne geduldet, mit ruhigem Munde verschluckt wird: aber im grollenden Innern wards nur ausgekocht bis zu gelegener Gegenvergeltung. Am zwey"und zwanzigsten Junius des Vormittags war unsre Ankunft in Widdin. Das Schiff ward entladen; die sprachkundigen Griechen lieffen fich zuerst fördern, Jeder ging um eine besondern Angelegenheiten zu besor- gen feines Weges. Es war als ob ich diese Gesellschaft von Menschen nie gesehen hätte, und doch war nicht Ei- ner, der nicht mehr oder weniger auf dem Schiffe etwelche Aufmerksamkeit von mir empfangen hätte. Was ich an Lebensmitteln , Taback und dgl. besaß, davon hatte ich ihnen mitgetheilt. Diese Schlechtigkeit verdroß mich fo fehr, daß ich bey mir selbst das Gelübde that, mit keinem dieser Selbstsüchtler nur eine Viertelstunde weiter zu rei- fen. So blieb ich ganz allein auf dem Schiffe zurück, was mir wegen der Unbekanntschaft mit der Sprache und dem Orte, in einer für mich ganz neuen Welt, um so widriger war. Zwey Israeliten, die auch auf dem Schiffe waren und um etwas abzuholen, das sie auf demselben vergaffen, zurück kamen, hatten christlichern Sinn als die Kreuz- fchlagenden Griechen, und geleiteten mich bis an das Haus, an welches ich empfohlen war: die Empfehlung 11 i 1) i g in "# - Widdin. 41 war an einen Türken gerichtet; das beste Haus in Wild- din, Halil Aga fein Name. Ein braver Muselmann; wenn er schon keinen Wein trank, er gab mir dennoch; er nahm mich in seine Wohnung auf, nachdem man am Schiffe meine Sachen fo durchsucht hatte, wie ich noch in keinem andern Lande erfuhr. Jetzt sah ich ganz türkische Wirthschaft. Schon der erste Eintritt in die Schreibstube, kündigte mir dieselbe auffal- lend an. Statt Pulte, Tische und Stühle, saßen die Arbeitenden mit kreuzweise übereinander geschlagenen Bei- nen auf Polstern am Boden, und fchrieben – das Pa- hier auf einem Brette auf den Knieen haltend. Statt mit einen Stuhl zu bieten, ward mir ein Zeichen gemacht, auf dem auf der Erde liegenden Kiffen Platz zu nehmen. Noch seltsamer war für mich das Mittagmahl! In ein Zimmer, in welches schon ein Paar reifende Griechen ein- Quartiert waren, brachte man ein rundes Tischblatt und setzte es auf ein Gestell, dessen Höhe sich kaum einen Schuh vom Boden erhob. Die an den Wänden herum gelagerten Polster wurden um den Tisch herum gelegt; die Tafel mit einen gefärbten Teppich mit Fransen bedeckt und die Spet- fen aufgetragen. Unser achte an der Zahl lagerten sich nun auf den Polstern umher, die Beine kreuzweise auf türkische Art übereinander, welches für europäische Klei- dertracht in den engen Beinkleidern eine fehr unbequeme Sache ist. Jetzt hieß es eigentlich nach den Buchstaben: „Aus Einem Becher trinken wir; aus. Einer Schüffel effen vir!“ Jeder holte sich einen Brocken mit der Gabel heraus. Unser Wirth war sehr aufmerksam, indem er uns noch zum Theil nach der Sitte der gebildeten Welt bediente, denn die Türken langen sonst nur kurz weg mit 42 Erftes Buch. Zehntes Kapitel. den Fingern nach dem Topfe, und machen die Sache von Hand – nach dem Sprichworte: „wie der Bauer die Feigen c.“ Es waren zwei Gläser auf dem Tische; so wie sie leer wurden, forgte gleich ein Mundschenke, der font nichts weiter zu thun hatte, für ihre Auffüllung. Der Wirth des Hauses begnügte sich, feinem Gesetze gemäß, mit Waffer. Die Flasche ward an den Mund gesetzt und nach Lust daraus getrunken; sie kreiste bey den Wafferlu- ftigen und das Glas ward zum überflüffigen Geräthe. Ländlich, fittlich! Die Speisen waren meist sehr stark gewürzt ; bey nahe an allen , fcharfe Gartengewächse, Knoblauch, Zwiebeln, spanischer Pfeffer, Essig, Kap- pern und noch andere bey uns unbekannte, den Gaumen kitzelnde Kräuter; oft wußte ich nicht, ob ich die Sache gut fand oder nicht, so neu war mir diese Küche! Das Ende des Gastmahls, das ineift nicht über eine Viertel- stunde dauerte, beschloß – wie es bey den Osmannen die Gewohnheit ist – so auch hier, saure Milch. Ehe man zu Tische ging, wusch sich jeder Hände , Gesicht und Mund; zu jenen bediente man sich wohlrie- chender Seife." Nach dem Effen brachten zwey Diener in die Runde herum wieder Waffer, Seife und Tuch zum Trocknen. Nach geendigter Wache wurden die Polster wieder an die Wand gelegt, man setzte oder legte sich nach Behagen darauf hin. Schwarzer Kaffee, dicke von Satz, ohne Zucker und Milch, ward“ aufgetragen, dar- geboten und dann aus fünf Schuh langen Pfeifen geraucht bis in die Nacht. Das Nachteffen war dem von Mittage ähnlich – nachdem die Polster wieder an die Wand ge- bracht waren, trank man neuerdings Kaffee und rauchte \ - B3 id hin, » 43 so lange, bis es einem gelüstete, auf den Polstern, auf denen man den Tag über herumkalberte *), fich auszu- strecken und dem Schlaf zu überlassen. Die Türken wie fen nichts von Betten und Auskleiden; fie bleiben des Nachts in der Kleidung des Tages, und schlafen auf dem flben Platze ein, auf welchem sie den Tag über wachen und rauchen; zu meiner Freude bekam ich ein eigenes Zimmer und konnte meine Wache verändern; es half aber zu nichts; es war im Zimmer zehnmal mehr Ungeziefer, als ich mitgebracht hatte; ich konnte keinen Schlaf finden. --- - Widdin war der erste Ort von eigentlich tür- kischer Bauart, den ich fah. Alles hölzerne Häuser, alles im gleichen Geschmacke mit gebogenen Balken, den Vor- schuß des obern Theils des Hauses zu stützen; unten bildet es eine Gattung von Hallen; inwendig findet sich ein ge- räumiger Hof. Die schwarze Farbe dieser Häuser, die Menge Schwibbögen geben der Wohnung einen patriarcha- lischen Schnitt; das Ganze war mir gar nicht unheimlich, Einem Europäer, der zum ersten Male eine türkische Stadt betritt, kommt fo vieles noch nie Gesehenes, Auffallendes vor, daß man sich eigentlich Gewalt anthun muß, um nicht mit aufgesperrtem Munde sich in Stau- nen zu verlieren; schon das Neue der Bauart sowohl des Ganzen, als des Einzelnen, wäre hiezu hinreichend, wenn auch nicht die fonderbar auffallende und fich auszeichnende Tracht der Einwohner dazu beitrüge. Die Weiber scheinen aus dieser Welt verbannt und wenn man je zur Seltenheit " Man verzeihe mir diesen schweizerischen Ausdruck, der nicht feinsinnig gewählt, aber höchst angemeffen und bezeichnend ist ! 4: Erstes Buch. Zehntes Kapitel eine weibliche Gestalt erblickt, so gleicht sie eher einen Gespenst, als einem Menschen. Unter einem bis auf die Füffe gehenden Rocke, über den noch ein langer Talar von gleicher Farbe (gewöhnlich sehr dunkel) fällt – schimmern die rothen oder meist hochgelben Stiefeln, mit den Pan- toffeln von gleicher Farbe darüber, hervor. Mit einem blendend weißen Tuche wird der Kopf eingehüllt, von un- ten bis über die Nase, von oben bis unter die Augenbrau- nen, gewöhnlich noch ein feiner, weißer Schleyer über das Ganze. Von dem blaffen und farbellosen Gesichte blickt kaum ein, ein paar Finger breiter Theil hervor. Es ist einzig wegen dem Gebrauch der Augen, daß diese Blosge- ihung nothgedrungener Weise – gestattet werden muß. Um als Türkinnen sich zu zeigen und der Landessitte zu entsprechen, müffen die Nägel hübsch roth gefärbt feyn; wenn die ganze Bekleidung der Armenerinnen ohne Un- terschied der türkischen ähnlich ist, so macht die Farbe der Nägel den kennbaren unterschied, sie bleiben bei die- fen weiß. . - Der Gang entspricht der Mumiengestalt; er ist lang- fam und schleppend. Anders treten die Männer einher, stolz und verachtend; die des mittlern Schlags mit bar- fchen Gesichtern, Straßenräubern ähnlich. Die Beklei- dung, ohne die Haltung in Anschlag zu bringen, berech- tiget zu diesem harten Ausdrucke. Jeder ohne Ausnahme, der nur dem Knabenalter entronnen, führt im breiten Gürtel zwey glänzende Pistolen; in der Mitte einen drey bis drey und einen halben Schuh langen Dolch. Der Gürtel mit einem Inhalte, wiegt gegen die zwanzig Pfund, öfter mehr. Der Hallunke, der kaum Lumpen zu feiner Bedeckung hat, führt diese Waffen in der Regel Unannehmlichkeiten. 45 mit sich, so gut als der Vornehmste des Ortes; geht ei- er nur hundert Schritte auffer die Stadt, fo trägt er noch eine leichte Flinte auf dem Rücken; jeder Reisende zu Pferde ohne Ausnahme die feinige. Die Kleidung und besonders das martialische Gesicht, das unter dem gelben, rohen, weißen, grünen, gefleck- ten Turban, verbrannt hervorsticht und durch den schwar- zen Bart noch mehr verwildert wird, macht für unser ei- nen, eine unheimliche Gesellschaft. Das Nachsehen der Einwohner, nach Allen, was fich in Frankentracht zeigt; Aeusserungen von witzigen Anspielungen nach ihrem Sin- e; je zuweilen Scheltworte von Troßbuben im Vorbeige- hen, und bisweilen sogar ein Nachwerfen verdorbener Fichte von eben diesen, beunruhigen nicht wenig. Die Lizaroni der Stadt sind grob, verwegen, und scheinen sehr gefährlich. - - Eine andere Unannehmlichkeit, sich frey in der Stadt umzusehen, ist diejenige der unzähligen Menge herrenloser Hunde. Oft liegen vor einem Hause drey dis viere; alle Gafen sind damit überdeckt. Mitten im Gedränge legen fe ich, keiner weicht aus, jedem muß ausgewichen wer- det. Der in Frankenkleidung. Vorübergehende befahrt sehr oft von einem angefallen zu werden; fängt einmal ein Hund an zu bellen, so kommt der nächste zu Hülfe, der dritte, vierte, kömmt auch herbey gelaufen, und oft scht man sich von dem ganzen Bezirke verfolgt, was dann den Türken eine heimliche Freude macht. - Auffer der Menge von Mäufen, Flöhen, Wanzen u. d, welche mir die Nacht fchlaflos machten, gehört auch zu den Unannehmlichkeiten das Geheul der Hunde, das von Zeit zu Zeit ganz erschrecklich tönte, bald oben bald 46 Erstes Buch. Zehntes Kapitel. unten an der Straffe anfing und fich wie ein Lauffeuer von einem Ende derselben zum andern fortpflanzte. Turteltauben nisten so zahlreich, wie bey uns die Schwalben, in allen Häusern, und das einförmige Gir- , ren den ganzen Tag über von vielen Hunderten lang- weilt bald. Fast auf jedem Kamine sieht man ein Stok- chennest. Mit einem Freunde des Hauses ging ich eines Abends, in den Garten des griechischen Erzbischoffes. In einer Ecke desselben lag eine große, geflochtene Strohdecke; augenblicklich brachte man einige, von Wolle gewobene mit Polstern; man setzte sich und ward mit schwarzem Kaffee und Taback, wie gewohnt, bedient. Da die Un- terhaltung griechisch war, konnt' ich wenig Antheil dar, an nehmen, dieselbe aber mir verständlich machen zu las fen, hätte das Gespräch unterbrochen. Der Garten war sehr weitschichtig und von großem Umfange; die Bebauung aber glich einem vernachlässigten Bauerngarten bey uns, besonders die der Bäume; der größte Theil des Bodens fchien eher ein Brachfeld als ein Garten zu feyn. Von dem Aeuffern des Erzbischoffes könnt' ich nicht fagen, daß ich nur einen Zug wahrge- nommen hätte von dem, was ich bey einem Manne von solcher Würde erwartete, oder doch gerne gesehen hätte. Von einem Innern kann ich nicht urtheilen. Was indes das Aeuffere betrifft, so war daffelbe bey andern Geistli- chen, die ich kennen zu lernen den Anlaß hatte, derselbe Fall! . . . - Ein Rosenkranz ( wie ich glaubte) war in der Hand der meisten Griechen; es schien mir dieß um so eher ein Werkzeug der Andacht, als ein silbernes Kreuzchen ber- l r g Abgeänderter Reifeplan, A7 nahe an allen war. Die Unterhaltung war aber, wie ich deutlich merkte, keineswegs von diesem Inhalte, und ich ließ mir späterhin sagen, daß dieß bey den Griechen Gewohnheit fey. Jedes Individuum dieser Confeffion, wie ich Gelegenheit fand mich nachher felbst davon zu überzeugen, führt dieß Zeug beständig mit sich, um da- mit nach unserm Ausdruck zu g'fäterlen. Tiefer gemuth- nast glaubte ich oft, daß dieß Spiel ein feiner Spott über anders denkende Christen fey. Ich laffe indeß meine Antimafung als solche dahingestellt sein, nur ist es schwierig zu erklären, wenn meine Meinung nicht der Grund davon ist, daß eine so wunderliche Gewohnheit sich bei keinem andern Volke auf unserm Welttheile – viel- leicht auch nicht in andern – findet. Der gegenseitige Haß möchte, indeß noch Belege zu meiner Muthmaffung liefern, - Zwey Griechen von Salonich, Einer sprach teutsch, der Andere italienisch, waren auf ihrer Heimreise; so gleich bemühten sie sich, mich zum Gesellschafter anzu- werben. Mein Plan war, über Sophia, Philipo- Polis und Adrianopel, für welche Orte ich Em- fehlungen hatte, zu reifen; die Vorstellung aber, daß diesen Weg keine Karawanen gingen und ich hingegen auf denjenigen nach Salon ich bis Series, damit reisen könnte, bestimmte mich, meinen Weg durch Bulgarien nach Macedonien einzuschlagen; was mich besonders entschied, diesen Entschluß zu nehmen, war der Gedan- k: daß ich doch immer in diesem für mich fremden Lande, zwei Gesellschafter hätte, mit denen ich mich abwechselnd unterhalten könnte. Ich ficherte also meinen beyden Grie- hen die Mitreise zu, was ihnen erwünscht war, und in 4s - Erstes Buch. Zehntes Kapitel. diesem Lande Jedem erwünscht feyn muß, da die ver- größerte Gesellschaft immer entschiedene Vortheile ge- währt. - Wir wurden einig und sahen der Abreise der Kara- yane mit Verlangen entgegen. Sie erfolgte den vier und zwanzigsten Junius Abends nach vier Uhr. *) Es wa- ren zwey Karavanen, welche denselben Weg zu machen hatten. Ich setzte mich mit Hülfe. Anderer auf mein Pferd. Unbeholfen wie auf einem Kameele, faß ich in dem hölzernen Saumsattel, mit allem möglichen Gepäcke überladen. Stricke dienten statt Steigbügel und Zaum; letzterer ward nur um den Kopf des Pferdes, ohne durch das Maul zu gehen, geworfen. Vorwärts hieß es, und nun, .. - - - Zweyerley Ansichten. Des Sommers schwüle Hitze fengte den Schädel, braun gefärbt ward die Haut durch der Sonne stechende Strahlen; es keuchte das Pferd auf holperichtem Wege, bald feil den Weg hinan, bald gähe hinab unter der Schwere drückender Last. Im Schweiße gebadet, er- mattete der Reuter in dem Unbehaglichen seiner Lage; vor Tagesanbruch erfcholl der Aufruf zur Mühe, nach. Sonnenuntergang meist erst das Ende! In unwirthbarer Gegend fehnte man sich vergebens nach Labfal; die Fabel des Hahns mit dem gefundenen Diamante ward hier * Sie bildete sich in Widdin selbst – wie immer an der tür- kischen Grenze, - - - - - Zweyerley Anfichtet, 49 befändlich. Das karge Mahl von eckeln Käse, oft nur trockenem Brode , fandigt, halb Kleye, kaum mehr als Tig, stärkte kümmerlich zu neuen Mühseligkeiten. Schlimmer noch war das harte Lager auf kahlem Boden der Haide, auf ungebrochenem Acker, im Gebüsche, oder Sande am Waffer. In der Mittagszeit, wenn die Pferde sich labten oder ruhten, verstrichen langsam in der schattenlosen Haide die Stunden der sengenden Hitze. Ungeziefer aller Art schien die quälende Länge derselben zu verdoppeln. Die Habseligkeiten unterm Haupte, Flin- it und Pistolen zur Seite, streckte jeder sich aufs un- schre Lager, oft zu mehrerm Schutze gegen Gefahren in die Schanze, -errichtet von Ballen und Kisten, die rund um, einer Wagenburg gleich, aufgethürmt Mrden, Ward es Abend, dann rückte schauerig und kalt die Macht heran und des Tages Hitze ward bezahlt durch den scheidenden Reiff des veränderten Dunstkreises. In den erhöhten Gegenden störte den wenigen Schlummer durch- dringender, unfreundlicher Wind; in der Tiefe der gif- Stich von Millionen Insekten. Von ferne dröhnte der Donner näher und näher zog das Ungewitter, in den dachlosen Wanderer. In erstarrender Kälte ersehnte man wieder die unbequeme Hitze der Mittagsstunde. Auf ehen, wilden Gebirgen, wo keine Spur von Menschen mehr war, wo nichts die einförmige Wüste unterbrach, als der schmale Steig der wandernden Karavanen; in jündigter Einöde oder in unübersehbarem Gebüsche, ver- fegte des Waffers labender Quell. Sparsam, wo es sich zeigte, ward es aufgefaßt in Gefäße bis zur Zeit der Regen und Schloffen ergoß sich das schwere Gewölke auf - - so Erstes Buch. Zehntes Kapitel. Noth. Aus dem trüben Bache ward oft mit Lust der, brennende Durst gelöscht; oft auch mußte schlammigtes- dickes Moratwaffer als Labung gelten ! War auch jezu weilen das feinste, zarteste Fleisch roh in Ueberfluß vor- handen, so mußte man auf den Genuß desselben Verzicht thun, oder es verzehren wie die Hottentotten, weil Mei- len weit auch nicht ein Reischen Holz aufzufinden war. Das Auge verlor sich auf Holz- und Fruchtloser Haide! - An der Spitze der Karawane von hundert Pferden zog der erste Kiraggi, *) mit feinem rothen Turban, auf gewandtem Roffe das Ganze leitend. Die untergeordneten Führer in weißen Turbanen schwebten bald hin, bald her, wo es die Noth erforderte. - Schön war der Anblick der bunten Rotte, die Wild- niß belebend; – das höhere Gold des morgenländischen Himmels beim Sonnenaufgang, verdunkelte die Erin- nerung an gewohnte Beschwerde. Wundersam stärkte die frische Morgenluft, und man vergaß es, daß das Nacht- lager weder Polster noch Flaum gewesen. Die abge- kühlte Luft von balsamischen Düften erfüllt, war Mor- gens wie Abends den Reisenden himmlische Erquickung; besonders der Wohlgeruch der wilden, blühenden Rebe – als Hecke überall sich rankend – die strichweise angenehm vor hundert andern Pflanzen und Gesträuchen sich her- aus hob. Leicht geht das türkische Pferd und die sanfte Bewegung bringt dem Reiter Gesundheit und Frohsinn. Neue Gegenden, neue Gegenstände, neue Verhältniffe, neue Ansichten, machen die Einförmigkeit des Augenblickes *) Wird ausgesprochen Kirgt fchi, it ält i - - ich e, d, d f ett d F Mit z g k, - Ich f fi Bulgarien, 51 weniger bemerkbar. Ungestörter und lebhafter wirkt die Einbildungskraft; sie wiegte in Träume vergangener Zei- ten, vergegenwärtigte den Genuß verfloffener Jahre im Umgange geliebter Freunde, jetzt viele hundert Stunden durch Berge, Thäler und Meere getrennt; die Täuschung durch nichts gehemmt, erreichte allmählig den höchsten Grad, von Bezauberung, und gleich dem Erwachen aus tiefem Schlafe, fchien die Besinnung dem Geträumten Wirklichkeit zu geben. - - Dem kargen Mahle mangelte nie die Hauptwürze, der Hunger, und elende Kost fchmeckte beffer als meist ander- härts Epikurs leckerste Tafel. Nicht immer war Mangel unser Loos, zuweilen wo Glück und Zufall begünstigte, fand sich Speise und Holz; ein Lamm ward gekauft und geschlachtet. Dann theilte man sich in die Geschäfte der großen Küche; Holz zum Feuer suchten die Einen; einen tauglichen Stamm zum hölzernen Bratspieß die Andern, während die Uebrigen sich befiffen, der Eroberung die Haut über die Ohren zu ziehen und in kleinen Stücken das Genießbare vom Eingeweide, künstlich an ein geschäl- li Stäbchen zu ordnen, um es an langsam wirkender Gluth abdampfen zu lassen. Wie bei der Kaiserkrönung in Frankfurt, ward, wie dort der ganze Ochse, hier das ganze Schaaf an den Spieß gesteckt, und zur Freude wie zum Genuße aller Anwesenden am hellen Feuer gedreht, bis es zum goldgelben Braten umgewandelt war. Mit möglichst bester Bequemlichkeit zur bevorstehenden Arbeit, lagerte sich dann Alles in traulichen Kreise umher; gleich den Salomonischen Schwerdte, zerhieb der Hirschfänger in ungleiche Stücke, den dampfenden schmackhaften Gespieß- tei, Ordnung - und regellos sah man bald den Berg D 2 - 32 Erstes Buch. Eilft es Kapitel, von Fleisch zum Hügel herabschmelzen und später auch diesen zum Nichts verschwinden. Froher und heller ward die Gesellschaft bey fleissig kreisendem Becher guten Weins; lustig und munter endete immer das Mahl; der volle Mond erhellte die Gruppe von Auffen, von Innen Noahs Erfindung! . . . . Auf entgegen liegenden Anhöhen flim- merten die Feuer anderer Karawanen; rundum klingelte der Saumpferde Geröll; des Schäferhundes Stimme ertönte von Ferne als Wächter der Heerde: Menschen zeigten sich nur sparsam im weiten Bezirke zerstreut. In frühere, patriarchalische Zeiten glaubte man sich versetzt, oder im fernen Arabien mit nomadischen Horden wanderndes Loos zu theilen. Die frohe Unterhaltung, ohne Argwohn, machte täuschender noch die Sache, heiter das Seyn! Auf die Erde hin preitete jeder die dichtgewobene Decke; durch die Gewohnheit verlor das Lager feine Härte; den klaren Himmel erhellten die leuchtenden Sterne und das aufgeschlagene Auge blinzte in die Mitte der Milchstraße. Beym Gedanken: „So viele Millionen Welten! und ich – kaum einen Theil. Einer noch durchreist“ – erlosch dann gewohnt das Gefühl der Besinnung 11. Bulgarien ist ein elendes Land ! Zu Grunde ge- richtet, abgebrannt. Alles im Kriege, von Ruffen und Türken. Oefter waren wir bey beträchtlichen Dörfern und dennoch mußt ich fragen: wo das Dorffey? Keine Spur von einem Haufe, geschweige Dorfe. Unterm Bo- den, wie die Maulwürfe, wirthschaften die Leute. Die Dachung bildet kaum einen Rasenbedeckten Hügel auf der Oberfläche des Bodens, Bey Nachtzeit könnte man über \ Bulgarien, 53 das ganze Dorf hinstolpern, ohne zu ahnen, daß man über eine Menge Lebender hinschritte. Daß die Einwohner in dergleichen Löchern sich aufhalten, foll zum Theil aus politischen Gründen herrühren, weil sie den habsüchtigen Türken bey diesem Schein von Armuth fich weniger zins- bar machen und diese ihre Bedrücker dadurch in der Mey- nung erhalten werden, als fey wirklich nichts in diesen Höhlen zu finden, obgleich indes der Wohlstand nicht un- beträchtlich feyn foll. Dieser wenig angebaute Strich Landes, in welchen nichts von menschlichen Wohnungen sichtbar ist, fcheint – unlängst den Händen des Schö- fers entronnen – noch den Herrn der Erde und in fei- nem Gefolge die Kultur zu erwarten. Die meisten Ein- wohner Bulgariens sind Griechen; die Mehrheit wanderte nach der Wallachey aus, und das Land ist gar nicht bevölkert. Vor sieben Jahren, ehe der Krieg losbrach, soll das Gegentheit gewesen feyn. Von jenen zweyerley Ansichten ist sicher, daß derje- nige Reisende, der im Geringsten Mühseligkeiten fcheut, Entbehrungen nicht kennt, Hunger und Durst nicht zu er- tragen vermag, oder Gefahren fürchtet, im Tone der er- fen geschrieben haben würde; – ich – bey dem alles dieses nicht der Fall war, darf wohl fagen: daß die Reise mit der Karavane in Absicht des Verhältniffes, in welchem die Annehmlichkeiten zu den Unannehmlichkeiten fanden, und in Konstantinopel die heitern und trüben Stunden gegen einander gehalten, jene diese um neun Zehntheile überwiegen und mich das meiste aus dem hellern Gesichts- Punkte erblicken ließ. Doch etwas ausführlicher von die- fen Tagereisen! - - 54 Erstes Buch. Eilft es Kapitel." Den vier und zwanzigsten Junius ward nach fieben Uhr Abends Halt gemacht. Wir lagerten unweit einem Chan *) und übernachteten unter freyem Him- mel. Die Karavanen trennten sich, da nicht genug Weide für die Pferde war. Die kleinere mußte weiter vor. Den fünf und zwanzigsten ging der Weg durch öde, unfruchtbare Gegenden; gänzlicher Mangel an Be- arbeitung des Landes : zwey Dörfer unterm Boden; im letzten ward ein Lamm gekauft und Nachts bey fchönem Mondschein gebraten und verzehrt. Die Gegend soll sehr unsicher feyn. - Den fechs und zwanzigsten. Durch unüberseh- bares, wildes Gestrüppe von Eichengebüsch zog heute die Karavane. Wir machten keine sieben Stunden Weges und übernachteten an einem Orte, wo es am wenigsten gefährlich feyn follte. Sechs Mann von der Karavane wachten; vier waren als Schutzwache mitgekommen. Gleich- wohl waren die Kir aggis die ganze Nacht fehr unru- hig; alle Kaufmannswaaren wurden als ein Bollwerk auf- einander gewälzt, die geladenen Flinten darauf; in der Mitte drinnen waren wir, Jeder feine Pistolen und Sä- bel neben sich. Es erfolgte nichts, als öftere Störung von wilden Hunden, was aber beynahe alle Nächte der Fall war. Die Fasten der Griechen begann. - Den fiebern und zwanzigsten. Der heutige Marsch war stärker und dauerte bei sechszehn Stunden. Von Türken kauften wir ein rohes Stück Lammfleisch. Die Kiraggis und ihre Knechte genoffen schon nichts mehr als - Kräuter und gesalzene Fische; der Weg führte über wil- *) Eine Art Wirthshäuser. Unficherheit der Straffen. 55 des Gebirge, steinigt und kahl; das Waffer fing an zu mangeln; die Hitze nahm schrecklich überhand; es fand sich kein Holz unser Fleisch zu braten, da, wo man über den Mittag speiste; wir genoffen, den Rest von Käse, Brod und Wein; gegen Abend erst fand sich ein Bächgen von ziemlich trübem Waffer. Alles sprang freudig von Pferde und erlabte sich. Erst nach Sonnenuntergang kamen wir an ein griechisches Dorf, wo die Nacht zugebracht wurde. Wir fanden Brod und Wein – auch Holz. Die griechi- fche Reisegesellschaft erachtete es aber für beffer, unser Fleisch in einem Ofen braten zu laffen; es ward einer gefunden; die Griechen gaben sich für Türken aus und die Erfüllung des Wunsches fand keinen Anstand. Wir waren sehr hungrig und konnten die Ankunft des Bratens kaum erwarten, der Ort war entlegen; es dauerte lange; es wurde Nacht, endlich kam der Mann und brachte das Fleisch – roh zurück. Man ward scheint's im Dorfe in- ne, daß es Griechen und nicht Türken wären, die das Fleisch genießen wollten. Die abergläubischen Tröpfe löschten das Feuer im Ofen wieder aus und nöthigten ihre Glaubensgenoffen, wider ihren Willen fromm zu feyn. Es war zu spät auf dem Felde noch Feuer anzuzünden; man begnügte sich mit trockenem Brode, etwas Wein und – Waffer aus dem Bache. Den acht und zwanzigsten. Die Unsicherheit der Straßen war fortdauernd. Oft zogen wir durch Strecken von schönem, fettem Grafe, das weder gedörrt noch gesammelt werden konnte, weil sich Niemand in die entlegene Gegend getraute, und anderwärts Ueberfluß an Weiden für das Vieh der Einwohner sich findet. Da, wo die Kiraggis zur Fütterung ihrer Pferde taugliches Gras 56 Erstes Buch. Eilft es Kapitel. antreffen, machen die Halt; werden die Pferde in wirk- liches Eigenthum der Einwohner getrieben, fo macht die "ezahlung für ein Pferd oft nicht zwey Parahs (unge- fähr einen Kreuzer) aus. Mittags fanden wir Holz, und herrlich fchmeckte der Braten, wenn schon die Kiraggis und die zu ihnen Gehörigen fcheel dazu fahen. Nachmit- tags zogen wir durch eine groffe Waldung von Eichen, deren Stämme größtentheils oberhalb gestutzt waren und auf deren jedem sich ein Storchennest fand. Den neun und zwanzigsten fahen wir vom Gi- pfel eines hohen Gebirges die Ebene von Sophia und in dem Schleyer der Ferne – undeutlich – die Stadt felbst; sie fähien beträchtlich groß zu feyn. Wir lagerten über Mittag auf dem Abhang des Berges; schwüle Gewit- terwolken zogen über uns; gegen den Fuß defelben hin fielen zuweilen schwere Tropfen; kaum im Thale ange- langt, brach aus kohlenschwarzen Gewölke das Unheil los, in Zeit einer Minute Wirbelwind, Regen, Schloss fen; ich fah nicht mehr das vor mir gehende Pferd, nicht mehr den Kopf defen, auf dem ich ritt. Es war ein be- täubender Augenblick; kaum blieb mir so viele Besinnung, daß ich mich vom Pferde, welches. wild und scheu quer Feldein lief, werfen konnte. Ballen und Kisten lagen wie ausgesäet umher; an eine derselben klammerte ich mich fest, warf den schon durchnäßten Mantel über das Gesicht und die Hände, mich vor den Schloffen zu schützen, die mir fehr wehe thaten. Das Ende der Welt schien anzu- rücken. Keineswegs: "Es war nur Spaß! Kaum zehn Minuten dauerte die heillose Verwirrung. So schnell der Orkan begann, so fchnell ging er vorüber ! In kurzer Zeit hatten wir wieder hellen und warmen Sonnenschein. - Karavanfe rai, 5 Indeß waren wir alle bis auf die Haut durchnäßt. Alles Perlorne ward zusammengesucht und die hundert, weit auseinander gerannten Pferde wieder gesammelt. - In Zeit einer Stunde war alles in die schönste Ordnung hergestellt, aber die Nässe und der kalte Wind, der, wie im Winter pfiff, ließ gleichwohl diese Unannehmlichkeit nicht so bald vergeffen, … Nach drey Stunden wurde das Nachtlager auf geschlagen; noch selten fror ich in einen Winter so hef- tig, als in dieser Sommernacht, durchnäßt, unter freyem Himmel, bei heftigem Ostwinde auf kalter Erde liegend. Den dreyßigsten. Die Ebene von Sophia dehnt sich in einer ungeheuern Breite von vielen Stunden lid in einer unübersehbaren Länge aus. Wir durchreis- ten die Breite und ließen die Stadt ungefähr zwei Stun- den zur Linken liegen, den Weg dem Gebirge zu ver- folgend, auf defen Gipfel fernher der Schnee glänzte. Den ersten Juli. Wir übernachteten in einen Chan, dessen Name mir entfiel. Es war das erste und letztemal auf dieser Karawanenreife, daß wir unter Dach schliefen. Die Chans in der Türkey find keineswegs un- fern Wirthshäusern ähnlich; oft findet sich blos ein Ka- tahlanfe rai – ein groffes gleichseitig viereckiges Ge- bäude – in welchem einzig die Pferde und Reisende sich vor Regen schützen können; andere Bequemlichkeit findet sich keine darin, da das Gebäude meist leer und unbewohnt ist. Unsere Beherbergung mitten in einem nicht unbe- nächtlichen Orte, war erträglich und nach Landessitte. So wie man die Treppe hinauf kam, befand man sich auf einer Laube, auf welcher die vorstehende Dachung vor Sonne und Regen schützt, übrigens durgehends ganz of- fit und frei ist. Diese Laube dient dem Fremden als 5s Erstes Buch. Eilft es Kapitel. Wohnung und Schlafgemach ; von Hausrath ist nichts sichtbar, es wäre dann, daß man die Schilfdecken hiezu rechnete, welche auf dem Boden ausgespreitet da liegen. Auf diese legt der Fremde feine eigene wollene, und damit ist denn auch das Bette zugerüstet. Von den Türken erkauften wir einen fchönen Ham- melbraten; er ward kaum zur Hälfte genoffen und auf die Seite gelegt; Morgens fand sich keine Spur mehr davon. Hunde oder Katzen benutzten in der Nacht den offenen Zu- gang, um uns auf einen folgenden Fasttag vorzubereiten. Meine Gesellschaft befund aus drey Griechen und dem Bedienten eines derselben. Wie ich schon früher bemerkte, fprach einer aus ihnen teutsch und ein anderer italienisch; fie waren in Widdin mit mir in demselben Hause und bemühten sich gleich nach meiner Ankunft, mich zu ihrem Gefährten bis Series anzuwerben. Wie ich ebenfalls fchon bemerkte, ist die Vergrößerung der Gesellschaft beym Reisen in diesem Lande höchst erwünscht. Ich opferte darüber meine Empfehlungen, welche ich nach Sophia, Philipp ope is lik und Adrianopel hatte, indem ich, wie gesagt, auf dem Wege nach Seres diese Orte gar nicht berührte, auf. In besonderer Rücksicht auf die zugesichrte Gesellschaft und die Verheißung, mich von Seres weiter zu besorgen, erwählte ich das Letztere. Heute erfuhr ich, was das Sprüchwort: „von grie- chifcher Treu - sagen wolle. ... Der eine, ein aufge- weckter und bisweilen lustiger Kamerade, traf Bekannte, die einen nähern Weg nach Salon ich reisten, und au- genblicklich war er von der Parthie. Der andere, ein feiger, hämischer Filz, überwarf sich mit den Kiraggis und reiste nebst seinem Bedienten (einem Kerl, der, wie h in Griechische Tren. 59 fein Aussehen und feine Aeufferungen es bezeugten, wenn mich nicht der andere Grieche defen versichert hätte, im Stande wäre, Jemand um einen Thaler kalt zu machen) mit den Tartaren weiter. Dieser Mann macht ein bedeu- tendes Haus in Salonich und bildet ein anderes in Wien, Ich, als Landesfremd, glaubte die Kleinigkeit von Auslagen einem folchen Manne wohl anvertrauen zu dürfen, und keinerley Art von Mißbrauch zu befahren; ich konnte dieß um so weniger ahnen, da ich ihm bey einer Unpäßlichkeit, die ihn betraf, Gefälligkeiten ohne allen Eigennutz erwies. Jetzt kam es zur Abrechnung, und er hatte die niederträchtige Schamlosigkeit, mir mehr zu for- dern, als beinahe die Auslagen für alle zusammen betru- gen. Ich warf ihm das Geld hin und wandte ihm den Rücken zu, - - Indem ich mir vornahm, keine Namen in diesen Blät- tern auszusetzen, als die der anerkannten braven Leute, f, wäre derjenige dieses Schuftes der letzte, den ich je niederschreiben könnte. - - Der dritte Grieche, ein Knauer, aß nie genug und war doch ein sehr reicher Mann, dabey voller Neid und Schmutz; dieser war in einem benachbarten Dorfe zu Hause und trennte fich ebenfalls von mir. Somit verblieb ich ganz allein bey der Karavane. Die Kiraggis wußten außer der griechischen und türkischen kein Wort aus einer andern Sprache; von jener verstand ich nichts, von die- fer nur wenige Worte. Man denke ich meine Lage : auf mehrere hundert Stunden keine Empfehlung, keinen Men- schen, der mich, und keinen, den ich kannte. Ich gestehe, die ersten Stunden, in denen ich mich so ganz allein fühl- te, waren herbe. Der Umstand, daß der erste Anführer so Erstes Buch: Eiftes Kapitel zweymal vom Pferde stürzte (was mir früher auch einmal begegnete, weil der Gurt des Pferdes zerriß) – und Scha- den nahm, trug ebenfalls zu meiner Beunruhigung bey, indem ich in einem ähnlichen Unfall weit übler daran ge- wesen seyn würde. Diese Kiraggis beforgen überhaupt blos ihre Pferde und bekümmern sich weit weniger um den Fremden (wie begreiflich) als um jene; gleichwohl waren fie übrigeus ordentliche Leute, was sonst bey weitem nicht immer unter dieser Klaffe von Menschen der Fall ist. Den zweyten Julius. Immer stark bergan führte der Weg. Stillschweigend ritt ich bald vorn, bald zwi- fchen, bald hinten am Zuge. Allmählig wurde ich auch dieser Lage gewohnt. Meine Nahrung bestand in Käse aus dieser Gegend *) und Brod, das kaum genießbar war, An Wein mangelte es niemals. Ein durch Bewegung er- regter Appetit ließ mir das gut fchmecken, was in meinem Hause die Dienstboten verworfen haben würden. Das Nachtlager war fast auf dem Gipfel des Berges; eine halbe Stunde von uns lag Schnee; drey Ballen dienten mir als Zimmer; es fror stark, doch schlief ich gut; der Käs war alle geworden und ich hatte nur noch trocken Brod, - Den dritten Julius. Des Morgens vor Tag ging es, wie gewohnt, vorwärts. Die Last des Pferdes – das Auf- und Abpacken mußt' ich selbst besorgen, was mir anfänglich sehr fremd und mühsam, zuletzt hingegen ganz gewohnt und leicht vorkam. Die Einbildungskraft wirkte thätig und ungestört; oft vergingen Stunden wie *) Einer Gattung Zieger, das Dicke von geschiedener Milch mit Salz vermengt, - - - - - al i N f Musik von Blinden. 6i. Augenblick. Das Versinken in die Vergangenheit oder Zukunft, oder der Flug in eine idealische Welt entschä- digte so oft die kahle Wirklichkeit der augenblicklichen Lage ! - - - Um acht Uhr kamen wir durch ein Dorf, wo eben Markt war; die Kiraggis wollten die Meffe benutzen; man machte Halt, stieg ab und ging in den Chan, O, der Pracht! Mitten darinn ein ungeheurer Keffel überm Feuer voll Suppe für die eßluftigen Meßbesucher; fie war just fertig und ich gab mit Händen und Füßen zu verstehen, daß ich mit von der Parthie fey, Da ward mir für vier Parahs in eine hölzerne Schüffel herausgeschöpft; ich fchlug drey Eyer hinein und frühstückte eigentlich nach dem Sprichworte: wie ein Fürst. Seit zehn Tagen hatt' ich zum erstenmale wieder etwas Warmes und das Gericht war in jeder Hinsicht gut, schmackhaft und reinlich. Meine fne Tafel zog Zuschauer herbey die Menge; Landleute, denen mein Anzug so nett war als mir der ihrige. Die Bekleidung der Weiber ließ nicht übel. Seit einigen Ta- gen schon bemerkte ich als einen Hauptschmuck von Allen- behalt und jung, doppelte Armspangen, schwer von Sil- ber, oft vergoldet; sie fchloffen oberhalb der Hand und hielten meist vier Finger Breite. Die plumpe Arbeit mußte ins Gewicht fallen, und ich bin überzeugt, daß diese Mode nicht wenig beschwerlich ist; indeß huldigt ihr die Aermste wie die Reichste, die Vornehmste wie die Geringste ! Den vierten hatten wir fchlimmen Paß durch Ge- birge, die beinahe, wie der Splügen, sich erheben. Das Wafer war sehr selten und warm; ich litt von Durst. Tiefer unten auf der Landstraße erscholl Musik. Zwey Geiger und ein Dritter, der mit Gesang das Spiel be- 62 Erstes Buch. Eiliftes Kapitel. gleitete, Es war nicht der Ton der Freude; klagend war das Lied, wie seine Weise. Drey Blinde wollten Erleich- terung ihres Daseyns damit erzielen; ein Knabe fam- melte die Gaben der theilnehmenden Vorüberreifenden. Ich war zum Denken gestimmt: blind geworden, herbes Schicksal blind geboren, schreckliche Entbehrung ! Mit aller Beredsamkeit, mit allen Künsten, Wiffenschaften und Erfindungeu sind wir noch nicht fo weit gekommen, einem Blindgebornen, vermittelt seiner übrigen Sinne, einen auch nur einigermaffen befriedigenden Begriff von den Farben beizubringen. Mit allen unsern so geheiffenen fünf Sinnen vermögen wir es nicht, dem, der nur viere hat, eine Vorstellung von dem ihm mangelnden fünften mitzutheilen, in sofern er ohne denselben geboren wurde. Gleichwohl vermeffen wir uns, uns Begriffe und Vorstel- lungen von einer künftigen Welt zu machen – einer Welt, die wir gar nicht kennen, wollen mit unserer Nase - Weis- heit diesen künftigen Zustand erforschen! Nur: Ein Sinn mangelt dem Blindgeborenen, dennoch reichen feine übri- gen viere nicht hin, sich den mangelnden zu verdeutlichen. O, so können in einem andern Zustande auch noch hun- dert andere Sinne statt finden, von welchen wir in un- ferm gegenwärtigen keine Ahnung haben. Diese Wahr- heit lag in diesen Blindgebornen so deutlich vor mir, daß ich in diesem Augenblicke all die Abhandlungen über transcendentale und metaphysische Spitzfindigkeiten, Hirn- gespinste, Träumereyen und Muthmaffungen, die man uns in schulfüchsischer Manier in schweren Foliobänden über unser zukünftiges Seyn, jeder nach feiner Ansicht, Art und Weise, aufzutischen bemüht ist, hätte ins Feuer schmeißen können! Wie soll, wie kann der Verstand er- Durst und verzweifelte Stillung. 63 §rübeln, was für das Herz geschaffen ist? Und wie fo unendlich klar, einfach, allumfaffend lautet nicht der Aufschluß in den wenigen Worten: „Was kein Auge ge- sehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz ge- kommen ist“, das wird die Beschaffenheit unfers künftigen Zustandes ausmachen. Auch in demselben Dorfe, durch welches wir gestern kamen, war eine auffallend große Menge geleiteter Blin- der, die meisten schienen es durch die Pocken geworden zu sein. Alle suchten sich auf ähnliche Weise durch Musik und Gesang ihr Brod zu verdienen. Auch nicht Ei- ner der Führer dieser Unglücklichen wandte sich um eines Almosens willen an mich, obwohl ich ohne anders der bestgekleidete in der Gesellschaft war. Wenn ich nicht einem zuwinkte, so kam er gewiß nicht. Diese Beobach- ung machte ich beinahe ohne Aysnahme an allen Landes- eingebornen, - - 12, Am Morgen des fünften Juli war heißer Son- nenschein, kein Schatten über Mittag; felten Waffer, und das wenige noch warm und schlecht. Zu effen nur trock- des Brod; die Kiraggis hatten, wie ich beinahe glauben mußte, Freude daran, mich, wider meinen Willen, gleich ihnen durch Hunger zu entfündigen, indem sie mir nichts anders verschafften, Der Genuß von Käse und Brod allein reizte den Durst nur um so mehr. Gegen Abend kamen wir über einen Bach, der erträglich klares Wasser führte, aber die 64 Erstes Buch. Zwölftes Kapitel. Kiraggis faßten keines in das gewohnte Fäßchen. Ich . . . hoffte auch befferes. Wir reisten bis neun Uhr; mein Durst stieg auf einen unerträglichen Grad – in einem moorigten Grunde, welcher auf feiner fast unabsehbaren Fläche, keinen Tropfen trinkbares Waffer zu gewähren fchien, machte man Halt. Ich redte mit dem ersten Ki- raggi roh und ernst, da ward einer der Knechte mit dem Fäßchen abgesandt, welches zu holen. Fast eine Stunde verzog sich feine Rückkunft, mir schien sie drey zu dauern! Der höchste Unmuth , wahrscheinlich die Wirkung des brennenden Durstes, vergrößerte das Uebel, und ich zähle diesen Abend unter die verdrüßlichsten während dieser Reise. Endlich kam der Knecht, schon lange war mein Glas bereit: schnell trank ich herunter, das Waffer rann mir, dick wie Morast, über die lechzende Zunge! Ich trank das zweite Glas! das dritte füllte ich halb mit Wein, aber ich war nicht mehr im Stande, ungeachtet allem Reiz dazu, zu trinken. So ungerne ich etwas Böses von den Menschen denke, so habe ich doch alle Ursache zu glauben, daß der Knecht aus Bosheit, weil er das Waffer fo weit herholen mußte, es absichtlich voll Schlamm brachte, denn er äußerte den höchsten Unwillen, als er hiezu abgesandt ward. Unmuthig warf ich mich auf den feuchten Moor- boden, die Schokolade zu verdauen, an den Trost mich haltend, daß ich morgen um diese Zeit mich in Series erholen werde. Den fechsten. Lange vor Tagesanbruch gings wei- ter. Ein ruhiger Schlaf hatte den Unmuth gehoben. Die frische Morgenluft und der Wohlgeruch von tausend an- genehm duftenden Kräutern stärkten mich: allmählig ward ich wieder froher Stimmung, wie gewohnt, und fah mit - - - - “ Verlegenheit, - 65 Verlangen den ersehnten Seres entgegen. Auch von in der Mittagsweide brachen die Kiraggis früher auf; sie liefen die Karawane zurück, um mich noch heute an Ort und Stelle zu bringen. Bei fünf Stunden gings in star- kein Trotte und endlich Abends gegen sieben Uhr war ich in Series. Wie gewohnt, bezogen die Führer ihren Chan und t liefen mich durch einen Türken zu der Wohnung geleiten, an die meine Adreffe gerichtet war. Es war ein fehr grofer, viereckigter Hof mit einer Gallerie oben rund um. Es wimmelte oben und unten von Krämern und Handwerkern aller Art und Gattung; der Wirth unten am Eingange schnitt ein trotziges, unfreundliches Gesicht; das meinige war desto freundlicher, als ich ihn um Auf- nahme in sein Haus ansprach: „Nichts, kein Platz im " Khan?“ Er sagte und fragte mich eine Menge Zeugs, wovon ich keine Sylbe verstand; ich war so zu sagen im Fälle des Papagays, wenn er feine Sache hergesagt hat, fis aus; ich konnte mich nicht weiter verständlich machen. Eine Menge Menschen sammelte sich nach und ich an mich her; bald türkisch, bald griechisch wandte sich jeder an mich; wär' es auch auf chinesisch gesche- he, es wäre gleichviel gewesen. Wie ein fremdes Thier wurde ich begafft. Die Kiraggis waren weit weg in der andern Straße; ich zweifelte den Rückweg dahin zu finden; auch dieß konnte ich nicht verständlich ma- hen. Meine Lage war einzig! Auf den besten Fall konnt' ich meine Herberge im Stalle aufschlagen. Meine Verlegenheit stieg aufs Höchste, In diesem Augenblicke, sieh da, kam durch das Ge- dränge ein junger Grieche! Teutsch redte er mich an. - E 66 Erstes Buch. Zwölftes Kapitel. Wie Musik erscholls in meinen Ohren; er machte eine ehrenvolle Ausnahme von seiner Nation; in seine Kan mer nahm er mein Felleisen und ich konnte bei ihm mit mehrern Hunderten aus verschiedenen fremden Ländern auf dem Boden des Ganges auf der Laube schlafen; ich war herzlich froh, nur wieder Jemand zu haben, mit dem ich ein Wort sprechen konnte und freute mich wieder einmal unter Dach zu schlafen. - Aber diese Freude ward mir garstig zernichtet. Eine Höllennacht hatte ich. In Neffeln zu liegen wäre ein Flaumbette gewesen, gegen das, was ich die Nacht durch von dem Ungeziefer aller Gattung, dem Tausend nach, auszustehen hatte. Ich war am Morgen halb zu Grunde gerichtet; bey vierzehn Tagen blieben die giftigen Stiche fichtbar! - - * - - Der brave, junge Grieche – Giovan Malesko ist sein Name – besorgte eine bessere Lagerstätte und er- wies mir überhaupt so viele Freundschaft während meinem Aufenthalte in Seres, als heut zu Tage selten der Fall ist. Ein Vorschuß der Laube diente jedem als Schlaf- zimmer, ein Stockwerk hoch waren die Bretter; ein paar Latten werden des Abends angeschlagen, um, im Fall man fich des Nachts im Schlaf um wenden sollte, nicht herunter zu fallen; obgleich immer zerfreffen vom Ung- ziefer, gings doch erträglicher als die erste Nacht. " Ser es liegt schon tiefer in Macedonien, und, wie in Bulgarien Elend und Zerstörung herrscht, so ist hingegen in dieser Provinz Wohlstand und Reichthum. Der bessere Anbau des Landes ist schon Beweis davon; die Stadt ist beträchtlich und groß; oft schlen- derte ich mit den Griechen durch die langen und # is # i it Ich d f U in rein lichkeit, 67 eigelt (Gaffen, aber die Kleidungstracht der Franken ver- Irfacht sowohl hier als in Widd in manche Unannehm- lichkeit. Jeder Türke fah einem nach, wie man kaum bey uns den Juden nach sieht. Troßbuben von acht bis zwölf Jahren betrugen sich nach ihrer Art, fogar die Hunde – der fremden Tracht ungewohnt – erheben sich in Menge, den Ungläubigen zu verfolgen. Das Pflaster in den fehr engen Gaffen ist, wie an allen andern Orten in der Türkey, zum Halsbrechen. ", Unbeschreiblich und unglaublich ist die Unreinlichkeit, die Leute haben wegen die fer, die größtentheils aus Machlässigkeit entsteht, am meisten zu leiden. Hier fo- wohl als an mehrern andern Orten sah man gleich auffer den Thoren todte Pferde oder Esel mitten auf der Land- fraße liegen, bis die Fäulniß sie aufgelöst hatte; die wilden Hunde, welche man in Menge um den Braten sah, thaten dann ihr Bestes zur Wegschaffung der Kada- er. Der Geruch bei der Hitze war schon von ferne er- fickend, aber lieber ging, vom Pascha bis zum Bettler herab, jeder einige Monate lang mit verhaltner Nase vorbei, als sogleich in den ersten Stunden dafür zu sor- gen, daß es mit unverhaltner geschehen könne. " Wey so vieler Unreinlichkeit war ich erstaunt, dieje- nige nicht anzutreffen, die in der Christenheit beinahe ausschließlich und durchgehends. Statt findet: nemlich die, jeden Gaffenwinkel als Abtritt einzuweihen, oft wohl die Hauptplätze der Stadt und ihre Kirchen mit dem Ge- kuche erfüllt zu finden, als ob man sich in einem von jenen befände. Nirgends im ganzen türkischen Gebiet wird man diese Art Unreinlichkeit finden; späterhin er- fuhr ich aber, daß dieß eher Folge ihres Gesetzes, als E 2 68 Y, Er fes Buch, Zwölftes Kapitel, Gefühl für Schamhaftigkeit und Anstand, oder Liebe zur Reinlichkeit fey. - - - Der Pafcha wohnt aufferhalb der Stadt, fein bun, ter Pallast, auf einer fchönen Anhöhe gebaut, nimmt sich nicht übel aus; nur von Ferne hatte man den Genuß der Ansicht; in die Nähe zu gehen hielten die Griechen nicht für ratham. - - Seres ist eine Hauptniederlage der Baumwolle und foll nach Smyrna der volktheilhafteste Platz zum Ein- kaufen feyn. Der Pascha benutzt aber die günstige Zeit und macht durch Auflagen, Abgaben und Einkäufe oft eine Erhöhung von fünfzig Prozent dieser Waare, zu fei- nem Vortheile, - Ich war früher schon auf jeden Fall Willens, in Seres auszuruhen und mich, bis ich eine schickliche Gelegenheit fände weiters zu reisen, daselbst zu erholen. Die Beschaffenheit des Aufenthalts war aber hiezu nicht gar günstig. Das Wesentlichste fehlte mir von Anfang bis zu Ende: ein eigenes Zimmer; ein anderer Mangel war die Reinlichkeit, und ein dritter, nicht gute, sondern nur genießbare Speifen. ... Im Chan ward nichts gekocht und nichts zu haben als Lager aufm Boden; alles mußte außerhalb der Wohnung geholt, ge- kauft und gekocht werden. Noch dauerten die Fasten der Griechen; fie affen abgefondert, ich weiß nicht was, fchwerlich aber etwas anders als Brod und Zwiebeln und etwa Fischeyer (Kaviar ). Fische find Sünde, ihre Eyer aber nicht! Eben fo ist Oel, Käse, Butter, kurz alles Genießbare so zu sagen, während der Fasten unge- nießbar; so auch das ganze Jahr durch jeden Mittwoch / Geschrey türkischer Priester in der Kirche. 69 und Freytag. So erforderts der Ernst dieser Religion, die dann in allen andern Schelmenstücken fich um fo duld- janer beweiset, Moral und Tugend ist Nebensache; Fa- ten und Kreuzschlagen hingegen Hauptfache und unerläß- lich zur Seligkeit. Durch einen griechischen Jungen ließ ich mir das Effen, bald da bald dort, von Türken zubereitet, brin- gen, Ausgehungert wie ich war und nur froh, wieder einige Menschen zu haben, mit denen ich ein Wort fchwa- zen konnte. *), übersah ich im Anfang die unreinen, ku- fernen Schüffeln und das oft noch Unreinlichere darinn. Alles war mir noch fo sehr neu ! - Kaum ein paar hundert Schritte vor mir war ein schönes Minaret, das zu nächtlicher Zeit beleuchtet er- schien. In der Dschamie daneben brüllten die türkischen Priester, gleich wilden Thieren die ganze Nacht durch; es sollen ihrer vierzig an einer Kette um den Hals das Geschrey so weit erheben, bis es zum Blutspeyen kömmt und sie ohnmächtig hinfallen; ich hätte. Vieles ge- geben, nur eine Viertelstunde hineinsehen zu dürfen. Vom Morgen bis an den Abend wußte man nicht viel zu thun; Man flackte um einander und führte ein eigentliches Laz- zaroni-Leben; oft kürzte man sich die Zeit durch Kaffee- und Branntwein-Trinken; oft nahm man Zuflucht zum Fachus, es ward so ganz lüderlich und sorgenlos in den Tag hinein gelebt! Obgleich diese Lebensweise mir für einige Tage nicht unlustig vorkam, hatte ich doch bald ihrer att; der Ueberdruß erwachte in kurzer Zeit. *- *) Es fich h einige Griechen und Juden, die italienisch prachen, 70 Erstes Buch, Zwölftes Kapitel. Der kleine griechische Bube, der mir das Effen be- forgte, hatte die listige Gewandtheit feiner Nation. Von Tag zu Tage brachte er für das nemliche Geld wenigere und fchlechtere Nahrung und immer diejenige, welche ich nicht genießen konnte. Er verstand frühe feinen Vor- theil. Der Reiz der Neuheit hatte sich allmählig ver- loren, während, die Wirkung des Ungeziefers bei Tag und Nacht immer fühlbarer wurde; ich faßte Eckel und genoß gar nichts mehr von den herbeigebrachten Speisen. Was Mühseligkeiten und beschwerliche Anstrengungen auf der ganzen Reise nicht vermochten, das vermochten Un- reinlichkeit und Eckel: ich war d krank! Die heftigen Schmerzen, welche ich in den Knieen verspürte, machten mich erst glauben, die Ursache davon läge in dem mir ungewohnten kreuzweifen Sitzen; sie ka- men aber immer stärker, mit Kopf- und besonders Au- genschmerzen verbunden; statt bett- wurde ich bodenläge- rig. Gleichwohl ließ ich mich am Sonntag Morgen von den Griechen überreden, mit ihnen in die Kirche zu ge- hen; aber statt Trost und Erbauung, holte ich heftigen Verdruß über das abgeschmackte, läppische, zurückstoffende Poffenspiel dieses fogenannten Gottesdienstes, Ueberg offen von Schweiß, hatte ich kaum noch fo viele Besinnung, schnell der Thüre zuzueilen, um nicht in der Kirche ohn- mächtig nieder zu fallen. Mit Mühe zu Hause angelangt, .. mehrte sich das Fieber und ich fühlte ganz das Gefährli- che meines Zustandes. - - Der brave, junge Malesko sorgte für mich, wie ein Freund im eigentlichen Sinne des Wortes. Am fol- 11 i. d i N i h Ruhe der Türken. 71 genden Tage reiste eine Karavane, bey welcher ein Grie- che war, der teutsch sprach, ab; ich ernannte mich und war entschloffen mitzureisen. Der biedere Mal esko besorgte alles für mich und begleitete mich mit einigen Andern bis vor die Stadt, wo sich die Karawane befand. Ein herzlicher Abschiedskuß war unser Lebewohl, mit Mühe kroch ich aufs Pferd; - weiter gings, mit fremden Gesichtern und Sprachen, nicht eines war mir kenntlich, kein Wort verständlich, aber ich athmete freye, frische Luft und das Pferd gab mir wohlthätige Bewegung, Nach Verfluß dreyer Stunden war ich wieder hergestellt, munter und heiter. Es waren ungefähr zwanzig Pferde, die meist alle mit Reisenden besetzt waren, nur zwei bis drey mit Ge- 1äck. Griechen und ein paar Rüffen machten die Gesel- schaft aus; dreizehn Tage und Nächte gings wie es frü- hergegangen war, man schlief auf freiem Felde und hatte den Himmel zur Decke; der Grieche, der als Kaufmann in Wien teutsch gelernt hatte, begleitete seine beiden Söhne nach Konstantinopel in die Schule, die sie sehr nöthig hatten. Begreiflich hielt ich mich ausschlieffend, aller Zänkereyen und Spaltungen, die späterhin dieselbe in mehrere Theile theilten, ungeachtet, zu dieser Ge- sellschaft, - Ich erwähne noch mit einigen Worten des Abstandes zwischen der Denkungsart der Türken und der Getauften, Es war Montag und Markttag; im Hofe des Chans wa- ten über hundert Pferde und Esel; nicht eine Menschen-, flimme ließ sich hören; that man die Augen zu, so glaubte man im Gewühle zwey - und vierbeinigter Geschöpfe, am --- 72 Erstes Buch. Dreyzehntes Kapitel. einfamsten Orte zu feyn. Im ganzen übrigen Europa wäre wohl in so engem Raum Lärm gewesen und man hätte mit Noth sein eigen Wort verstanden. Drey Men- fchen aus Neapel übertönen hundert hier Anwesende. Eine Todesstille waltet unter der Menge der Lebenden; regte sich ein Pferd oder Eifel, nicht wie es sich gebührte, so erhob sich stillschweigend die Pantomime des Prügels und man erzielte daffelbe, was bey uns unter lärmendem Ge- fchrey und Fluchen, ohne beffern Erfolg: Ruhe und Stille, Es ist offenbar, daß die Lunge der Türken sehr geschont wird! –T 13. Den dreyzehnten Juli machten wir drey bis vier Stunden in schönem angebautem Lande, und übernachteten auf frischem Umbruche eines Ackers. Den vierzehnten kamen wir fortgehend durch be- bautes Feld. Die Landschaft ist sehr fruchtbar. Eine Menge türkischer Weiber, die zur Arbeit auf das Feld gingen, begegnete uns. Alle und jede hatten ihren weis- fen, wenn schon von grobem Tuche, doch rein gewasche- nen, Schalw über dem Kopf. Bey Annäherung der Karavane stellten sie sich zusammen und zogen ihren Schleyer tiefer über das Gesicht herunter. Um ja recht - sicher zu feyn, blieben die Truppenweise, der Karawane den Rücken zuwendend, stehen, bis der Zug eine Strecke Weges vorgerückt war; erst dann setzten auch sie ihren Weg weiter zu ihrer Arbeit fort und zwar in der Ueber- zeugung, daß Niemand, auch nicht das Geringste, von ih- Erinnerungen. 73 rem Gesichte gesehen hätte. Dieß für mich ganz neue Zartgefühl gewährte mir nicht wenig Spaß; ich dachte nicht an das Wort: „Ländlich, fittlich!“ und lachte also unbilliger Weise; doch war es nicht böse gemeint! Später zogen wir durch die Gegend, wo Alexan- der der Große seinen Aufenthalt hatte. Seit ein paar tau- send Jahren wird das Andenken an diesen berühmten Mace- donier hier unterhalten. Von Ferne fah man weit- schichtige Gebäude. Die Gegend ist äußerst anziehend, Nahe liegende Gebirge bilden einige Thäler; weiterhin dehnen sich Ebenen von großem Umfange aus. Der Him- mel war bewölkt, und wo die Wolken Schatten warfen, schienen diese so dunkel, wie Dintenflecken auf gemalten Landschaften. Ob dieß das dunklere Grün der Pflanzen, oder das heiterere Licht des Tages bewirkte, wußt' ich nicht zu entscheiden. Neben dem blendenden Weiß der Minarets eines Dorfes, in öder felsigter Gegend, erho- ben sich in Menge die dunkeln Cypreffen. Wahrlich ein romantisch schwärmerischer Anblick für den Fremden ! Den fünfzehnten kamen wir durch noch wildere Gegenden; selten fanden wir Waffer, doch zeigten sich hin und wieder Brunnen, den Reisenden zu laben, Ka- rawanen, die nach Ser es gingen, bey achzig Kameelen fark, in fünf bis sechs Züge geheilt, kamen uns ent- gegen. Jeden Zug leitete ein Mohr auf einem Esel sitzend, an der Spitze desselben; auf zehn Schuhe Entfernung Waren die Thiere aneinander gebunden; mit ihren langen, tagenden, ausgestreckten Hälsen, suchten sie rechts und links am Wege an Disteln und schlechten Kräutern ihr Futter, - - 74 Erstes Buch. Dreyzehntes Kapitel. Den fechszehnten entstand Uneinigkeit unter den Griechen; wir rasteten einige Stunden in der Karavan- fe rai eines großen Dorfes; die Zänker theilten sich Gruppenweise zum Schlaf. Ich empfand keine Neigung dazu, und ging in ein benachbartes Kaffee von Türken angefüllt. Ich lagerte mich mitten unter fie; Zucker und Brandtwein bracht' ich mit, und trank Gloria nach ge- wohnter Art. Spaßhaft war die Unterhaltung und es gab auf beiden Seiten Stoff zum Lachen. Schon mehre- remale begab ich mich früher frey und frank mitten in ihre Gesellschaft; immer ward ich von ihnen freundschaftlich aufgenommen. Die Griechen, welche unter ihrem Drucke find, fürchten sie und heucheln vor ihnen, darüber verach- ten die Türken sie hin wieder und behandeln sie auf die- fem Fuß. - Im Kaffee war Musik, das Instrument, eine Gat- tung Guitarre von vier Saiten, wurde mit einem Hölz- chen gestrichen; der Gesang zog sich in lang unterbroche- nen Pausen strophenweise, still, feyerlich, klagend hin; alles war aufmerksam. Keine Poffe von der Menge, kein drolliger Einfall störte die lieblichen, Vergnügen gewähren- den Töne, die nicht dem Gelderwerbe, sondern der Freude der Anwesenden galten. – Abends genoß ich des pracht- vollen, überraschenden Anblicks des Meeres und einer Menge von Inseln. . - Den fieben zehnten. Groffe Baumwollenfelder breiteten sich vor unsern Augen aus. Die Pflanzen wa- ren schön und versprachen eine reichliche Erndte. Je tiefer wir in das ottomannische Reich kamen, desto mehr Brunnen und Karavanerai trafen wir, letztere jedoch größtentheils unbefucht, da zur Sommerszeit alles unter *- Schildkröten kampf, 7 freiem Himmel sich lagert. Das Waffer aber war fade und warm; wir fetzten über einen fehr breiten, trüben Fluß. Auf verschiedenen Wagen, von Büffeln gezogen, wurde die Gesellschaft hinüber gebracht; er war so tief, daß die Thiere beynahe zum Schwimmen kamen. Beym schönsten Sonnenuntergang und stiller Luft ward das Nacht- lager bereitet; ich ging noch nach einer Höhe, die Ge- gend zu übersehen. Ein unregelmäßiges hohles Klopfen 5 in meiner Nähe zog meine Anfmerksamkeit auf sich; ich ging dem Tone nach und fand zwey Schildkröten im Ge- fechte gegeneinander. Der Kampf war sehr ungleich. Die Eine, weit größere, behauptete das Recht des Stärkern. Sie stieß mit überlegener Gewalt und Last so lang an die Kleinere, bis diese umgeworfen ward. War dieß ge- fchehen, so biß sie die Ueberwundene so lange durch die Oeffnung der Schaale in den Fuß, bis diese sich wieder Im wandte, um von neuem wieder über den Haufen ge- worfen zu werden. Ich fah diesem unbilligen Spiele eine Weile zu, dann nahm ich die in der Klemme steckende und trug sie eine gute Strecke weit weg und die andere, ich Wette, kann noch auf den jetzigen Augenblick nicht begrei- fen, durch welches Wunder die Besiegte so plötzlich ver- schwand, Seit mehreren Tagen fanden sich diese Thiere in Menge; die Griechen genießen sie nicht, wohl aber zu jeder Jahreszeit, Schnecken klein und groß; mitunter ganze Frösche. - Jetzt war unser Nachtlager unweit dem Meere. See- räuber, welche zuweilen unvermuthet zur Rachtzeit an das Land kommen und plündern, machen hier immer die größte Vorsicht nöthig, so daß jetzt scharf gewacht wurde, 76 Erstes Buch. Dreyzehntes Kapitel, Am Morgen des achtzehnten, beynahe mit Tages- anbruch , kamen wir durch ein Dorf, in welchem sich die Türken schon bei ihrem Kaffee gelagert hatten, die lange Pfeife im Mund; sie verlöscht nicht bis in die Nacht, eben so wenig als das Feuer zum Kaffee. Wir fanden in diesem Dorfe kein Fleisch, wohl aber Brod und Käse. Die Meisten von der Karavane waren fchon wie- der zu Pferde, als ich noch eine Gaffe durchstöberte und einen herrlichen Fund machte; es waren Fische, die groß und lebend in einem Korbe von einem Manne getragen wurden. Im Triumph führte ich ihn zur Gesellschaft; er ward rein ausgekauft. Mittags fand sich Holz; ein gewaltiges Feuer ward gemacht, und ausgebrannt das Holz, dann unter die glühende Afche die Fische nach militäri- fcher Vorschrift, in gleiche Reihen gelegt und hoch die Asche darüber aufgethürmt; nach. Verfluß einer halben Stunde ward die Armee ans Tageslicht hervorgeholt. Wie herrlich dampfte das neue Gericht; wie die Wach- teln den fleischluftigen Israeliten in der Wüste, so schmeck- ten uns jetzt die Fische. Die eine Hälfte ward aufbewahrt und Nachts kalt mit gleicher Eßlust verzehrt. Die Ki- raggis hatten uns angekündigt, daß wir uns auf zwey Tage mit Brod und Wein versehen sollten, weil wir über diese Zeit nichts finden würden. Nie trank ich fo wohl- feilen und zugleich so trefflichen Wein. Meine hölzerne Flasche hielt etwas über zwey. Maaffe, und ich bezahlte dafür fünfzehn Parahs, ungefähr fieben Kreuzer, nach UN- ferm Gelde. - - - Den neunzehnten durchzogen wir einen Paß durch ein wildes, kahles Gebirge; Holz zeigte sich keines, fel- ten andere Pflanzen. Von ferne, unweit der Landstraße, W Schöne Sitte der Türken, 77 erblickte ich einen Baum, unter dessen Schatten ein Türke rhete; als wir näher kamen, erhob sich der Muselmann und brachte uns zwey Krüge gutes, frisches Waffer ent- gegen; unter dem Baume war der Brunnen. Oft noch fanden sich ähnliche Anstalten edelmüthiger Vermächt- trifft, aus dem religiösen Grundfatze entsprungen: „dem Fremden Gutes zu erweisen,“ werth der schönen patriarch- alischen Vorwelt. Je näher wir der Hauptstadt kamen, desto zahlreicher waren diese Brunnen; auf die Letzte tra- fen wir jede halbe Stunde einen; über jeden derselben war eine Schaale, oder ein Becher, um bequem zu trin- ken. Mehr als Todsünde wäre es bei den Türken, ein solches Gefäß zu entwenden oder zu verderben; bey uns wäre es nicht vier und zwanzig Stunden ficher. – Bey den Muhamedanern, denen der Prophet den Wein ver- bot, sind indes solche Anstalten, oft Waffer zu finden, bei der Hitze dieses Himmelstriches und dem Mangel an Gasthöfen, sehr mothwendig. Die Reise von Seres bis Konstantinopel war zugleich weniger beschwerlich und mühsam, als es die von Widdin bis Seres war. Ich litt beinahe nie von Durst oder Hunger. Die Erfahrung leitet zu Vor- heilen, die der Unerfahrne erst erwerben, oft theuer be- zahlen muß. In Ser es fchaffte ich mir eine kleine Kaffeekanne an; oft, wenn sich nur ein wenig Holz fand, lebte ich mich des Tages zweimal aus derselben; dann hatte ich eine Schachtel, in deren Heubette meine Eyer schliefen; diese, um das Feuer herumgestellt, gewährten ein gutes Mahl; eingesalzene Fische und Oliven waren Festtagsgenüffe. Nicht weniger als diese meine fahrende 7s Erstes Buch. Dreyzehntes Kapitel. s“ Küche, trug auch die größere Reisegesellschaft, wenn sie sich gleich abwechselnd zankte und schmollte, dazu bey, mir Zerstreuung zu gewähren. Kurz dieser letztere Weg hatte ungleich mehr Annehmlichkeiten, als jener erstere. Den zwanzigsten bot sich uns eine fortdauernd unfruchtbare Gebirgskette dar; keine menschliche Woh- nung zeigte sich. Seit zwei Tagen hatten wir heftig anhaltenden Ostwind, der unangenehm fürs Gesicht und fchädlich auf die Augen wirkte. Heute verschwand eine verdächtige Gesellschaft dreyer Wallachen, welche seit einigen Tagen zu der unsrigen gestoffen war; sie sollen, behaupteten einige, Nägel bei sich führen, welche sie den schlummernden Reisenden in die Schläfe hinein schlagen, wenn sie sich denselben überlegen glaubeu. Den ein und zwanzigsten, hatten wir wieder urbares Land. Schon früher bemerkte ich zuweilen auf den Bergen Erhöhungen, die sich rund und nett abschnit- ten. Von ferne sahen die Maulwurfshügeln ähnlich, in der Nähe aber hatten sie die Größe eines beträchtlichen Hauses. Diese Hügel fanden sich hin und wieder oft näher, oft weiter von einander, auch auf ganz flachem Lande bemerkte man welche. In meiner Landessprache erhielt ich von den Griechen darüber folgende Auskunft: „Wenn die türkische Armee im Felde irgendwo lagert, so ward da, wo der Großvezier fein Nachtlager hielt, zum Andenken von jedem Adelichen und Officier" Morgens ein Säckchen Erde auf die Stelle gebracht. Die Menge der Erde bildete endlich den Berg. Vor Jahrhunderten waren diese Denkmäler viel größer; heut zu Tage sind sie weit kleiner und die neuen hatten nur noch das Ansehen von Heuhaufen, während jene der alten Zeit Berge vorstellten. - - - “ - Anblick des Meers von Marmora, T 79 Den zwey und zwanzigsten. Das Meer von Marmara und defen Inseln boten dem trunkenen Auge eine entzückende Aussicht dar. Auf dem Gebirge einer Erdzunge, monte santo, in der Nähe dieser Inseln, erhe- ben sich fünfundzwanzig griechische Klöster; Marmara felbst entdeckte man gegen über. – In der griechischen Kirche eines Dorfes, in welche ich hinein ging, hatte ich neue Beweise von Diebsgesindel und Pfaffentrug! . . . . . Heute und gestern störte uns beim Nachteffen eine - Menge - großer Käfer, weiß und schwarz, etwas kleiner als unsere Hornschröter; sie flogen aufs Effen, ins Gesicht, in die Haare. – Die Griechen trieben ihre Plackereien, so daß die Einen außerhalb dem Dorf, die Andern im Dorfe Mittag mal hielten. - - Den drey und zwanigsten, schleppten wir uns durch geerndtete Felder, Berg auf Berg ab. Nirgends war so viel Holz, um nur einen Kaffee machen zu können. Später genoffen wir wieder einer schönen Ansicht des Meeres. Die Nähe der Hauptstadt verrieth sich durch die häufigen Dörfer und Städte, welche Romelien belehten. Den vier und zwanzigsten. In der verflossenen Nacht zog ein Theil der uneinigen, entzweiten Griechen weg und vorwärts; unser Trupp ward nach und nach zum Trüppchen. Zum letztenmale übernachteten wir auf den Felde, auf dem ich nun bereits so gut schlief, als auf Eiderdunen, : - - - - - - - - - - - -------- 14. - - Es war am Morgen des fünf und zwanzigsten Juli, lange vor Tagesanbruch, als wir uns erhoben. Es sollte G so Erstes Buch. Vierzehntes Kapitel. “ der Tag unsers Einzugs in die Hauptstadt sein. Wir zogen über eine ungeheure lange Brücke, die unlängst ein russischer General als Ueberwinder zu machen nöthigte; ich erinnere mich nicht mehr weder des Namens des Feld- herrn, noch dieses Ortes . . . Unser Mittagsmahl hielten wir noch auf einer Haide; in der Ferne verlor sich in Ungewißheit das Auge, als ob es unzählige Menschenwohnungen erspähte . . . Drey Stunden weiter entdeckte man heller ein Meer von Häusern: „Es ist nicht der vierte Theil von Konstantinopel“ rief mir der Grieche auf teusch zu. Wir näherten, und lange, sehr lange ging der Zug zwischen Leichensteinen, die hier nicht bei hunderttausen- den, sondern bey Millionen gezählt werden müssen, über türkische Begräbnißplätze. Endlich erreichten wir das Thor. Wir wurden untersucht und zwar nicht unhöflich, wohl aber war es Gebrauch, das Bakfis (Trinkgeld) von einem jeden einzuziehen.“ Dieß fiel mir um so mehr auf weil es nur einige Kreuzer auf den Kopf betrug; mehre- remale ward Halt gemacht und ängstlich nachgezählt, ob jeder das Seinige berichtigt habe. . . . . . . . Langsam ging nun durch die schlecht gepflasterten, engen Straffen der Zug; ich konnte mich an der Neu- heit der Gegenstände zur Rechten und Linken nicht satt schauen. Doch ärgerte mich, mitten in diesem Genuffe, das gegenseitige Verhalten der wenigen Griechen, die bey der Karavane noch gegenwärtig waren; auch diese wenigen konnten sich nicht vertragen und ein verstehen. Ich weiß nicht, war es Groll, daß zufälliger Weise (vielleicht auch absichtlich) der Eine vor dem Andern in Zuge zu reiten kam, oder war es wegen etwas andern, - Einzug in Konstantinopel. 81 das ich nicht wußte; kurz, derjenige, der in Mitte des Zugs ritt, stieg ab und ging zu Fuße ! Der Erste des Zugs glaubte sich dadurch gehöhnt und stieg auch ab. Bey anderthalb Stunden arbeiteten sich nun beyde durch di ganze Länge der elend gepflasterten, engen Straßen, ohn die Unbequemlichkeit in Anschlag zu bringen, den tausend Vorbeigehenden mit jedem Schritte ausweichen zu müffen. Zweimal mußte die ganze Karavane in engere Nebengäß- chen einschlagen, ehe sie zum Chan gelangte. Das erste Mal, weil wir einem vornehmen Türken mit feinem Ge- folge begegneten; das zweyte Mal einem vergitterten, ganz übergoldeten, von zwey Ochsen gezogenen und mit ver- mummten, türkischen Frauenzimmern besetzten Wagen. Das Nebengäßchen war so enge, daß die Pferde nicht um wenden konnten; man mußte ganz durch bis zu einem Kehrplatze und dann wieder denselben Weg zurück. Nach ungefähr anderthalb Stunden gelangten wir also in den Chan. Er war mitten in Konstantinopel; jeder der Reisenden hatte einen andern Bezirk zu beziehen im Sinne; ich wollte nach Per a : zwey Griechen nach Galata. Mit diesen konnte ich also noch die Ueberfahrt über den Hafen machen, was mir fehr willkommen war; wir gin- gen zu Fuse. - Der gegenseitige Abschied der Griechen war ziemlich hämisch. Als ich in dem Hofe des Chans anlangte, war mein Fleisen mit dem Pferde von einem andern Griechen, der das feine auch darauf gepackt hatte, fort. „Erst Morgen sollt ichs bekommen“, hieß es, was mir äußerst verdrüßlich war. - - Indeß wanderte ich mit den Beiden, die einen Strich Weges, mit mir zu achten, durch die ungehobelten Gaffen F 82 Erstes Buch. Vierzehntes Kapitel. Berg auf, Berg unter, bei einer halben Stunde; wir gelangten endlich an das Ufer des Hafens, und fuhren in einem der tausend umherschwebenden Kaiks *) über. Jetzt waren wir in Galata, eine Maffe Häuser vom Um- fange einer beträchtlichen Stadt. Die Griechen blieben unten in einem Haufe; ich follte nach Pera, Aber, wo war nun Pera! Das wußte ich nicht. Die beyden Griechen verstanden nur ihre Sprache, und ich kein Wort davon. Es war mir nicht wohl zu Muthe; mein Felleisen in weiter Welt, wo, war mir unbekannt; ich selbst, den Nachtfack und Ueberrock unterm Arm, ohne zu wissen: wohin, wo aus? Unkundig der hier herrschen- den Sprachen, verloren in einer ungeheuern Stadt, war ich hier in derselben, oder noch größern Verlegenheit, als in Pesth! Der Fall war ernsthaft, Indeß half mir auch hier die italienische Sprache wieder durch; unter der Menge von Menschen, die von mir angesprochen wurden, fand sich endlich einer, der mir antwortete. Mit dem Versprechen eines Trinkgeldes bekam ich Jemand, der mich nach einem der beyden Gast- höfe in Pera bringen sollte. Steil, durch enge, gar- istige Straffen, und endlich geraume Zeit zwischen Brand- stätten durch, ging es weiter; nach einem halbstündigen Steigen, vom Schweiße bedeckt, trat endlich mein Füh- rer in den Gasthof. Es ward eine Weile englisch ge- fprochen und dann mir verdeutet: „daß kein Zimmer zu haben fey.“ Da war ich nun wieder auf offener Straffe ! - *) Nachen. Mein Fell eifen ti an gelt, 83 Erst späterhin dachte ich, daß mein Aufzug, der wirklich nicht stattlich war, die Ursache der abschlägigen Antwort feyn mochte; ich vergaß zu fagen, daß Mor- gen ein Felleisen nachfolgen würde; man war jedoch so gefällig und gab mir einen Führer ins zweyte Hotel. Es war Platz. O wie froh war ich! Ich fand – welche Freude! wieder europäische Art zu bedienen, Tische und Stühle, warmes, gutes und reinliches Effen. Einzig Weißzeug mangelte auf der Tafel; ich fchloß, daß es hier so gebräuchlichfeyn müffe. Ich war fo glücklich, fo froh, wieder unter Dach zu feyn und lange entbehrter Lebens- bequemlichkeiten wieder theilhaft zu werden, daß ich laut hätte jauchzen mögen. Raum war genug im Hause, auffer einem Malthefer fand sich Niemand darin. Nachts find ich wieder ein Bette! Meine Freude war indes überflüssig, denn seit vierzig Nächten den Boden zum Wette, konnte ich nicht darin fchlafen ! Nun noch auf einen Augenblick zurück zu meiner griechischen Gesellschaft ! Es ward auf den folgenden Morgen zwischen acht und neun Uhr verabredet, wieder bei ihr einzutreffen, um mein Felleisen abzuholen und sämmtliche Rechnungen in Richtigkeit zu bringen; es war halb neun Uhr, als ich zu ihrer Wohnung kam: „Vor einer Viertelstunde,“ hieß es, „wären sie ausgegangen, drei Stunden harrte ich auf ihre Rückkunft. Auf Mor- gen Mittags um vier Uhr wurde eine neue Zusammen- kunft bestimmt. Aus Besorgniß, es möchte gehen wie gestern, fand ich mich eine halbe Stunde früher an dem Orte ein, wo - F 2 84 Erstes Buch. Vierzehntes Kapitel. sich mein Felleisen und die ganze Gesellschaft finden sollte. Es fand sich Niemand auffer dem Knechte, der das Pferd geritten hatte, auf welchem mein Gepäcke war. „Die Herren werden kommen“, hieß es; es verging eine Stunde, fie kamen nicht. Bald schöpfte ich Verdacht, Endlich fragte mich. Einer kaum vernehmbar auf italienisch: „Ob ich Geld bey mir hätte, um das Felleisen zu lösen? Jetzt lief mir die Galle über; ich packte den Knecht beym Kragen: „Mein Felleisen, Spitzbube !“ rief ich „oder ich steche dich über den Haufen.“ Ich zog das Meffer und ich weiß nicht, was ich in der Wuth gethan, hätte, wenn die andern nicht dazwischen geschrieen und den Knecht gestoffen hätten, das Felleifen zu holen. Ich war auffer mir vor Zorn und fagte ihnen: daß sie alle Schur- ken und Diebe wären. Ich riefs so laut, daß es fünfzig Griechen in der Runde herum hörten. Keiner muckerte sich. Derjenige, welcher teutsch sprach, war ein gescheidter, gewandter Mann; er soll sehr reich feyn, aber auch in gleichem Grade häuslich sparsam. Er war eigenwillig, bitter und stolz gegen die andern. Ich sah ihn nicht wieder, obgleich er wußte, wo ich wohnte; zwey Thaler blieb er mir schuldig. Doch genug! Und nun zu Konstantinopel, Zwe y t es B. u ch. R e il f e 1) D KI. Konstantinopel bis Alexandrien. - K a pit el 1. Geschrieben in Smyrna. A bis neun hundert Stunden Weges waren durch, reist, Konstantinopel erreicht! Ueber dem schönen Son- nenuntergange vergaß ich des unangenehmen Auftritts wegen meinem Felleisen und alles deffen, was ein Ande- rer Unheil genannt haben würde, und machte einen Gang nach dem Ende der Straffe, nachdem ich mich durch ein gutes Essen und trefflichen Wein erquickt hatte. Hier von der Höhe übersah ich einen Theil des Kanals, Skutari gegenüber, Leanders Thurm in der Mitte des Kanals, unten an demselben das Serail und einen Theil Konstan- tinopels; fernher blinkten die Prinzeninseln, und weiter- hin verlor sich die eine Küste des Meers von Marmara. Das nahe, gegenüber liegende Asien, war von der unter- gehenden Sonne unbeschreiblich schön beleuchtet. Ein türkisches Kaffeehaus war auf dem herrlichen Standpunkte dieser Ansicht; ich setzte mich hinein, trank meinen Kaffee und schmauchte aus der mir dargereichten, langen Pfeiffe, Die Unterhaltung begann. Von meiner Seite, in ge- drängter Kürze; zum Lachen für beide Theile. Bald . d 8s Zweytes Buch. Erstes Kapitel. erschienen einige Franken mit ihren verschnittenen Rock- zipfeln, und selbst in der Hanswurstenkleidung, voll Ei- gendünkel und Anmaffung. Vorbey war meine Freude! Die Alltagsfragen: woher? wohin ? wie – wo – wann? verdroffen mich. Ich entzog mich ihrer Zudringlichkeit und ging fort! - Im Gasthofe war nicht Wirthstafel. Jeder fand zu effen, zu welcher Stunde er kam (eine schöne, bequeme Einrichtung !). Jetzt beim Mittagsmahl entschuldigte fich der Wirth, „daß für dießmal kein Weißzeug gegeben werde.“ Warum für dießmal nicht ? fragte ich natürlich, und erhielt die Antwort: „weil die Pest ausgebrochen fey.“ Eine schöne Nachricht! dachte ich, kehrte mich aber für einmal nicht stark daran. Pest hin, Pest her, ging ich fleißig aus; die Wirthsleute sahen freylich bedenklich da- zu, und ein alter, französischer Koch, der da war, trat immer ein halb Dutzend Schritte zurück, wenn ich heim- kehrte, und machte mir dadurch nicht wenig Spaß. In- deffen fiel einige Tage nach meiner Ankunft eine Frau, gleich gegenüber in einem engen Gäßchen, krank; hinter dem Hause war der oberste Stock ganz geschloffen, weil ein Kranker darin gestorben war. Die Küche des Wirths, anstoffend an diese Wohnung, Ward verlaffen und eine andere in der Nähe gemiethet; was zur Thüre hineinkam ward geräuchert; Geld, das eingenommen oder gewechselt ward, in Waffer und Effig geworfen; kurz, es gab über jede Kleinigkeit. Anstände, die mich lachen machten. Frey und frank hatte ich für einmal der Türken Glau- ben *), das heißt, ich ging an alle Orte, wo etwas zu --- - *) Welche, im wahren Widerspruche mit diesen Bedenklichkeiten, gleichwohl sorgenlos umherwandeln. - Englische Gefandt fchaft. 89 fehen war, fogar ins Gedränge des Marktes (Bafars), das eigentlich stärker nicht feryn konnte. Fremd, neu war mir diese Sache. Unter Hallen, von oben herab beleuch- tet, sparsam, wie Mondschein, finden fich Konstantino- pels Kaufmannswaaren in engem Raume, aufgethürmt, vom kostbarsten bis zum wohlfeilten, vom feinsten bis zum gröbsten; alle und jede mögliche Artikel! Das Gedränge ist unbeschreiblich, und wenn die Pest ansteckend ist, so war es ein Wunder, daß ich heute gesund zurückkehrte. Späterhin konnt' ich meinen Leichtsinn selbst nicht be- greifen, - - Einige Tage nach meiner Ankunft zog der englische Gesandte durch die Straffe des Wirthshauses. Er hatte bey dem Großvezier einen Besuch gemacht, und kehrte jetzt mit der Ehrenwache desselben wieder nach Hause; man kann sich kein närrischeres, bunteres Gemisch denken, als diesen Troß, der eine Wache vorstellt; überhaupt scheint dieser Zug eine Sammlung aller Abgeschmacktheiten zu sein. Es ist unmöglich, eine Beschreibung all des tollen Zeugs zu machen, das da vorging. Der Gesandte foll einen äußerst kostbaren Pelz überreicht, und dafür ein Pferd von erster Schönheit als Gegengeschenk erhalten haben. Im Gasthof war ein einziger Fremder, der Kauf- mann aus Malta. Er äußerte, daß vor wenigen Mona- ten. Alles besetzt gewesen und nun vor der Krankheit ge- flohen wäre; gleichwohl ermangelte ich nicht, täglich in die türkischen Kaffeehäuser zu gehen. Immer setzt' ich mich mitten in die Gesellschaft hinein, und unterhielt mich, so gut es gehen konnte; mitunter wurde gekannengießert, wovon die Türken starke Liebhaber zu sein scheinen. Im Gasthof verschwieg ich natürlich meine Besuche, um nicht 90 Zweytes Buch. Erstes Kapitel. zu beunruhigen. Die kranke Frau starb indeß nach we- nigen Tagen, jedoch nicht an der Pest, sondern an dem Gifte, welches ihr, ihr Mann, ein Grieche, der scheints ihrer überdrüssig war, und sich nach Asien hinüber flüch- tete, beygebracht hatte. - --- Die Spaziergänge in Pera gehen nach dem kleinen und großen Todtenfelde. Auf einem derselben war ich am ersten Abende meiner Ankunft; man genießt da Ansichten, wie man sie nur in Konstantinopel findet. Jeden Abend find sonst beyde Plätze mit Franken angefüllt; jetzt gab es deren wenige, und mit der größten Vorsicht geschah ihre gegenseitige Annäherung. - - s Rund um Konstantinopel, auch in der Stadt felbst, finden sich dergleichen Begräbnißplätze; wo sich nur eine Spange groß leerer Raum zeigt, wird er zur Ruhestätte eines Verstorbenen benutzt, dem man dann Leichensteine mit Innschriften darauf fetzt. Die meisten haben ver- goldete oder bemahlte Buchstaben mit mancherley Schnör- keln und Verzierungen als Zugabe. Die Vornehmen zeichnen sich durch mehrere kostbare Zierlichkeiten aus, da hingegen die Geringern und Aermern, welche oft nicht ein- mal eine Grabschrift vermögen, sich damit begnügen, ein paar Marchsteine dem Andenken des Todten auf das Grab zu setzen. Diese Denkmäler sind übrigens ohne bestimmte Formen hingestellt, und auf denjenigen Plätzen, wo keine Cypreffen sind, sieht es beinahe aus, wie in einem Stein- bruche. - - - Welche ganz andere Gefühle bemächtigten fich meiner auf dem Friedhofe von Herrnhut! Die ernste, ruhige, erhabene Stimmung, die mehr oder weniger jeden ergreift, der diesen lieblichen Platz betritt, mangelt hier gänzlich. Spaziergänge. 91 Es ist hier üblich, dieselbe Begräbnißstätte für Fa- miliengeschlechter benznbehalten. Ich fah Begräbnisse und Grabmäler, die seit drei bis vier hundert Jahren von Geschlecht auf Geschlecht herab dienten. Die schönen Ansichten abgerechnet, konnte ich diesen Spaziergängen keinen Geschmack abgewinnen; dennoch * sind es die einzigen in Pera. Fänden sich bei uns solche liebliche Schattenwäldchen, so würde man fich dadurch jenen süßen Genuß verschaffen, den sie darböten; hier ist der bloße Anblick aus der Ferne bezaubernd; in der Nähe verschwindet die Täuschung! Kein Schritt läßt sich unter den herrlichen Cypreffen thun, ohne daß man über Lei- chenhügel oder Grabsteine hinstolpert; zudem, was ich anfänglich für eine bloffe Wirkung der Phantasie hielt, die auf Todtenäckern ohnehin Nahrung genug erhält, vermeinte ich den Geruch einer Ausdünstung zu verspüren, der mir zuwider war, Bey genauerer Umsicht verwandelte sich aber dieser Widerwille in Abscheu, da ich die Löcher wahr- nahm, welche die wilden Hunde gruben, um sich in die Gräber Bahn zu brechen. Meine Muthmaffung unterlag einem weitern Zweifel. - - Hätte auch der Dunstkreis dieser Todtenfelder mich nicht von fernern Spaziergängen nach diesen sonst so rei- zenden Gegenden abgehalten: fo wäre mir dennoch das be- fändige Räuchern, so oft ich nach Hause kam, immer lä- figer geworden. Mehr als dieß aber bewog mich das An- hören des Jammers, und das fortdauernde Gespräch des Tages, über die Pestseuche und das Sterben zu dem Ent- schluß, nach Bojuk der eh auf das Land zu gehen, und dort die gepriesene Ansicht des Kanals zu genießen. - - - - - 92 Zweytes Buch. Zweytes Kapitel, - 2. - - - Es war ein herrlicher Morgen, als ich mich in Tophana früh um sieben Uhr einschiffte. Kühl und lieblich kräuselte ein sanfter Wind das Gewäffer; leicht schwebte der niedliche, mit Vergoldung und Schnitzwerk verzierte Kaik auf der Fläche des ruhigen Waffers da- hin. Zwei Schiffer, mit rohen Kappen, machten mit vier Rudern in einförmigem Schlage die kaum bemerkbar schnelle Bewegung; gleich einem sich allmählig erheben- den Halbkreise bilden die beiden Ufer des Kanals sich gleichsam als die mittlern Hügel dieser, kaum von der: Breite einer halben Stunde, theilt die benachbarten Welt- theile. Wie bey den Darstellungen einer Zauberlaterne, wandelt sich mit jedem Augenblicke die Gegend; das Auge ist in Verlegenheit, auf welchem der unendlich vielen, neuen, nie gesehenen Gegenständen, die sich fort und fort darbieten. und wieder verschwinden, es weilen soll. Wer das erste Mahl als Fremdling diese Fahrt macht, befin- det sich in einer Art von Betäubung; man ist nicht im Stande, all das Neue und Anziehende in Einem Punkt zusammengedrängt, gehörig aufzufaffen. Eine vorheilhafte Beleuchtung vollendet die Täu- fchung, welche ohnehin im Anblicke der bunten, gelben, rothen, schwarzen, weißen, grauen Häuser, die sich durch- einander und übereinander emporheben, liegt. Bald ist es die Menge engvergitterter Erker *), buntscheckigt über- malt; bald sind es die unzähligen Fenster von ganz ei- genthümlicher Form, Gattung und Farbe; bald die hin *) Die Wohnungen der Frauen, h Anfichten, 93 und wieder zerstreut sich in blendenden Weiß erhebenden, hohen Minarets, die, wie Zuckerstöcke auf dunkelm Grun- de, abstechen gegen die niedrigen Häuser; oder die fchattenreichen, dunkeln Cypreffen, welche fich abwechselnd mit den Pinien bald neben jeder Wohnung empor heben, was gleichsam in eine Feenwelt den Fremdling versetzt. Die Cypreffe ist der Lieblingsbaum der Türken; oft stehen sie in ganzen Gruppen, oft als Lustwäldchen bey- sammen. Unter ihrem Schatten glimmern die vergolde- ten, die weißen und bunt gemalten Leichensteine hervor; dieser Anblick ist unbeschreiblich und einzig. Die kühnste Phantasie vermag sich nichts Aehnliches zu denken. In äßiger Entfernung weiß man oft nicht, ist es Stadt oder Wald, so fließen die Bilder in dem irren Auge in einander. Die Kuppeln der Dschamien *) bilden einförmige Flecke in der seltsamen, wunderlichen Landschaft; die Sommerferail des Veziers und der Menge anderer Gro- ßen vom ersten Range, heben sich an beyden Ufern aus den Gewäffer hervor. Die Bauart derselben gränzt oft an die chinesische; und die gemalten, wie die wirklichen Säulen und Geländer an der Menge von Lufthäuschen in den Kanal hinaus gebaut, gewähren einen Anblick, von welchem wirklich nichts Aehnliches aufzuweisen ist, Beinahe bis Tarapia fährt man gleichsam durch eine ununterbrochene Gaffe, deren eine Seite Europa, die andere Asien angehört. Um das bunte Gemälde zu vollenden, gesellt sich zu den leblosen Gegenständen auch noch das rege Gewühl *---------- *) Kirchen. - - - - 94 Zweytes Buch. Zweytes Kapitel. der Lebendigen. Unzählig ist die Menge der Hin- und Herwandelnden an den beiden Ufern, und von den fie- benzig tausend Kaiks, die man im Kanal rechnet, sieht man immer eine ungeheure Zahl umherschweben, nicht zu gedenken der vielen mittlern, kleinern und größern Schiffe, die sich beständig auf diesem Spiegel herumtrei- ben. Waffervögel aller Art, oft fo zahm, daß sie unter die Ruderschläge kommen, und dem Tausend nach auf den Dächern und Pfählen lagern, erfüllen die Luft mit ih- rem Geschrey; häufig purzelt der Delphin über die Flä- che feines Elements empor. In den ersten Malen, daß fich dieser Fisch mit feinem schwarzen Rücken gleich neben dem Kaik schnaubend emporwarf, war ich etwas ängstlich darüber, späterhin machte es mir aber Vergnügen. Bojuk der eh, das sich eine halbe Stunde weit am Kanale, gegen das schwarze Meer hin, ausdehnen mag, war gegenwärtig der Aufenthalt aller Europäer, die der Pest entrinnen wollten. Der Ort bildet nur eine einzige Reihe Häufer, die sich an den Berg hinlehnt; hier hatten die englischen, ruffischen, deutschen Consuln ihre Wohnsitze aufgeschlagen, während der französische in dem eine halbe Stunde entfernten Tara pia wohnte. Nirgends giebt es wohl in gewissen Sinne zierlichere Wohnungen, schönere Gärten und reizendere Gesichts- punkte, als hier in Bojuk der eh. Auf der Anhöhe des Orts übersieht man auf der einen Seite den Kanal von Konstantinopel, auf der andern die Gegend des fchwarzen Meeres; unübersehbar erheben sich da allmälig die Gärten des Orients, und beherrschen die weite Um- gebung; was wir fogenannte englische Anlagen heißen, das hat hier die Natur in Fülle hervorgebracht. Der - T Die Sophiakirche. $5 Eindruck wirkte fo mächtig auf mich, daß der Entschluß bald zur Reife kam, hier auf längere Zeit zu verweilen. - Den Rückweg nach Konstantinopel machte ich inner- halb zwei Stunden; drey hatte ich gebraucht, um hieher zu kommen. Die Ursache lag in dem Zuge des schwarzen Meeres durch den Kanal in das Meer von Marmara und aus diesem in das Mittelländische; er ist so stark, daß man Mühe hat, in der Nähe des Serails und zwischen Skutari durchzukommen, wenn der Wind im Geringsten entgegen ist; fo zwar, daß die Schiffe bisweilen hinunter genommen und weit weggeriffen werden, Am folgenden Tage wanderte ich nach dem schwarzen Meere und schwaderte am Ufer dieses für mich neuen Gewäfers umher. Seine Lage und Umgebungen gehören zu den schönsten, die ich fah. Im Hafen von Bojukdereh befand sich der größte Theil der türkischen Flotte; zwölf Schiffe von fechzig bis hundert zwanzig Kanonen, waren gleich vor dem Orte selbst geankert, vielleicht das Dop- pelte in der Nähe des Umkreises. - Wieder in Konstantinopel zurück, ging ich noch ein- mal in das Innere der Stadt, durchwanderte mehrere Stunden die beynahe endlosen Gaffen und hatte doch nur einen kleinen, unbeträchtlichen Theil vom Ganzen der größten aller europäischen Städte gesehen! Ich fah die Sophiakirche von Auffen und ward in meiner Erwar- tung getäuscht. Nach dem, was ich über dieses Gebäude gelesen und gehört hatte, erwartete ich unendlich mehr, Wäre auch das Innere in jeder Hinsicht entsprechend so mangelt doch gewiß eine sich erhebende Façade! Wie wenig bietet dieser vermauerte Raum in Vergleichung einer Peterskirche in Rom dar! Auch nicht das Gering- 96 Zweytes Buch. Drittes Kapitel. ste, was nur als Schatte mit dieser verglichen werden, könnte. Mehrere andere beträchtliche Moscheen ging ich blos vorbey; das Innere konnt' ich nur flüchtig beschauen; Um hinein zu gehen brauchte es einen Firman, und ei- nen solchen hatt” ich für den Augenbick nicht. Durch die Fenster eines Gebäudes, welches die Särge eine Sultans und seiner Familie enthielt, sah ich mitten inne den einigen, bedeckt mit rohem Samnnt und Goldborten, um ihn die Särge seiner Angehörigen. All diesen Staub und Moder umhüllte Flitter und Pracht. - 3. Konstantinopel zählt mehrere Fabriken von Taback- pfeiffen und Mundstücken von Bernstein. Auch in diesem Punkte weichen die Muselmänner von uns ab. Bey uns hat gewöhnlich der Pfeiffenkopf den meisten Werth an der ganzen Pfeiffe; das Rohr und Mundstück ist Nebenfache; umgekehrt ists in der Türkey. Die Vornehmsten des Lan- des rauchen aus einem Kopf, der felten mehr als einige Kreuzer kostet; von beträchtlicherm Werthe hingegen ist das Rohr, und das Mundstück“) kann sich gegen die tau- fend Piafter belaufen. Eben so finden sich mehrere Kaffeefabriken. Täglich arbeiten bei vierzig und fünfzig Menschen darinn; der Kaffee wird in großen Mörsern zerstoffen, immer drei *) Dieß ist anders geformt als bei uns, es ist kugelförmig, wie eine mittelmäfig große Kirche, und wird nur an die Lippeu gelegt, nie in den Mund genommen ! . Spazierritt. 57 Arbeiter auf einen Mörfer, jeder mit einem schweren eifer- uen Stöffel beschäftigt, während andere sich mit dem Rö- fien des ungeheuer großen Vorraths abgeben. Das Pul- yer ist zart, wie das feinste Mehl, und daher bleibt der Kaffe auch immer trübe und dick. Ein Grieche war mein Begleiter durch die Irrgänge der Straffen; seit zehn Jahreu war er hier, und doch mußte er sich noch zurecht weisen lassen, um nicht zu fehlen, Am folgenden Tage machte ich mit dem Sohne des Wirths, einen Spazierritt nach den füffen Waffern. Hier lustwandeln gewöhnlich Franken und Türken; letztere üben sich im Wurf mit dem Dschirid *) zu Pferde. Die herrschende Krankheit machte aber den Platz unbesucht, Besondere Annehmlichkeiten fand ich keine an diesem Luft- --- *) Dieses Spiel besteht darinn: Man verfolgt sich zu Pferde; jeder Reuter hat einen leichten, vier bis fünf Schuhlan- gen Stock; dieser nun wird dem Gegner, sobald es ein günstiger Augenblick erlaubt, auf den Rücken geworfen, Um nun bald auszuweichen, bald den Wurf erzielen zu können, geschehen. Schwenkungen und Wendungen des Pferdes, von denen man bei uns keine Vorstellung hat; dadurch erhalten die Pferde eine ausserordentliche Gewandt- heit; bey uns wäre dieses Spiel schon der Sättel wegen nicht möglich; die türkischen sind nemlich meist – vorn wie hinten mit Erhöhungen versehen, an welchen man sich behaglicher als bei uns anlehnen kann. Die Steig- bügel sind so kurz gehalten, daß das Knie hoch hinauf, bis gegen den Hals des Pferdes stark gebogen, kömmt, bei welcher Manier man auch begreiflich viel fester und sicherer auf dem Pferde sitzt, - G 98 Zweytes Buch. Drittes Kapitet. orte. Seinen Hauptreiz machen die schönen Wafferbehäl- ter aus, die fich hier in einer Ebene von beträchtlichem Umfange befinden. - - Ein Juwelier aus Genua, der in den Gasthof zu effen kam und den Sommer über auf den Prinzeninseln wohnte, warb mich, mit ihm dahin zu gehen; es gesellte fich noch ein Kaufmann aus der gleichen Stadt zu uns, und wir verliefen miteinander den Gasthof. Kaum einige hundert Schritte davon entfernt, kamen Träger mit einem Kranken; als ob es brannte, stürzten sich meine Beglei- ter durch eine Nebengaffe hinunter, so weit sie konnten. Die Fläschchen mit Effig flogen aus der Tasche; man wusch sich, verhielt sich anfänglich die Nase, roch dann an den Kampher; kurz Handgriffe, bey denen ich mich zu ihrem Verdruffe, des Lachens nicht enthalten konnte. Schon weit waren die Träger vorbey, als man mit ver- haltenen Nasen sich wieder zurück in die Hauptstraffe wagte. Es ist schwer zu entscheiden, welcher Fahrt rücksicht- lich der Annehmlichkeit der Vorzug gebühre: ob derjenige nach den Prinzeninseln oder jener im Kanale, es ist wieder ein anderer Genuß fürs Auge. Vor sich das Meer von Marmara mit seinen Inseln, rechts Skutari, al- lein so groß, als die größte unserer Hauptstädte in der Schweiz, rückwärts bleibt Stambul in feiner Unermeß- lichkeit. Aus der einen Seite des Hafens hebt sich Ga- Iata gegen den Gipfel des Berges bedeckt Pera, über Tophana sich ausbreitend, den Boden. Am Fuße des Serails vorbey leitet der Weg hin, und unbeschreiblich anmuthig hebt es sich als Halbinsel aus der Fluth . . . - . " Die Prinzeninseln. 99 ein Zauberschloß mitten in Cypreffenwald mit Säulen und Kuppeln, und vergoldeten Dächern und Spitzen; das schwarze Grün blendend überragend und schimmernd in der Morgen- oder Abendsonne, daß das Auge leidet; so dachte ich mir als Knabe, als ich zum ersten Male Wie- lands Dichtungen las, die Feenschlöffer. Was ich im Romane beschrieben fand, erblickt' ich hier in der Wirk lichkeit, es fehlt nur der Ritter und der Drache, die Prinzessinnen sind darinnen. Ungefähr eine Stunde waren wir wegen dem Gegen- winde nahe am Ufer von Asien hingefahren, als der Kauf- mann kläglich rief: vedete una famiglia impestata! y Auf dem Sande des Ufers lagen die Unglücklichen umher, nebenbey eine Gattung von Bretterhütte, wo die Nachts und bey rauher Witterung sich aufhalten konnten. Bey der Ankunft auf der Insel wurden wir stark beräuchert, und nach und nach begann ich doch nun etwas Grauen vor dem Uebel zu bekommen. - Die Prinzen in feln, vier an der Zahl, jede zur etwa eine Viertelstunde von der andern, gewähren einen reizenden, herrlichen Aufenthalt. In einer Stunde geht man von einem Ende zum andern. Berge, die sehr fruchtbar seyn würden, wenn man sich die Mühe nähme sie zu benutzen, bieten Standpunkte dar, um Gegenden zu übersehen, die auch nur hier so zu finden sind. Bey Sonnenaufgang bestieg ich den höchsten Gipfel des Ber- ges. Wie eine Handvoll auf den Tisch hingeworfener Wohnen, so liegen in verschiedener Entfernung unregel- ') Seht eine yyn der Pest angesteckte Familie! - 4"- - - - G 2 - 400 Zweytes Buch. Drittes Kapitel. mäßig die Inseln, klein und groß, in Menge im Meere von Marmara herum. Einige derselben ragen nur als Felsenbrocken kahl und grau aus dem Waffer hervor. Die Küste von Asien bietet in der Nähe einen anziehenden An- blick dar und dehnt sich allmälig, bis das Auge kaum mehr das Waffer vom Lande zu unterscheiden vermag, am Horizonte hin. Als eine halbe Welt blinkt Konstan- tinopel auf feineu Hügeln aus der Ferne; näher gegen die Inseln hin macht das Serail mit seinen Waldungen und Kuppeln und weißen Thürnen mit vergoldeten Spi- zen den Vorgrund; endlich, erhaben über die benachbar- ten Berge, zeigt sich im Hintergrunde mit beschneitem Gipfel des alten Griechenlands Himmelsleiter, der hohe Olymp, in seiner Majestät! Ich beschloß meinen Aufenthalt abzukürzen, um für längere Zeit wieder zu kommen! Die Einwohner, alles Griechen und Armenier (keine Türken), scheinen eigent- lich hier in bester Form, des Lebens zu genießen. Lustig und mynter vom Morgen bis Abend verleben sie den Tag, am Schluffe desselben beginnt an zwey Orten Musik, dann wird getanzt und juchheyet bis in die späte Nacht! Folgenden Tages macht’ ich den Rückweg mit einem Genueser, der sein eigen Schiff hatte. Eine Viertel- funde von den Orte, wo wir im Herfahren die kranke Familie fahen, steuerte er ans Land; ein ihm bekannter Franke war dort mit feiner Haushaltung, bestehend in sieben Kindern, an einem einsamen verlaffenen Orte; feine Frau war vor zehen Tagen an der Pest gestorben; der äl- teste Sohn, achtzehn Jahr alt, hatte seine Mutter bis an die letzten Tage besorgt; man glaubte und wußte nicht, daß es die Pest fey, bis zwei Tage vor ihrem Tode. Der Griechischer Kultus. - 401 Mal, um nicht andere der Gefahr auszusetzen, ange- steckt zu werden, zog sich aus menschenfreundlichen Grund- sätzen mit den Seinigen hieher zurück, um die Quaran- taine, oder eine vierzigtägige Abfönderung in dieser Einsamkeit aus freiem Willen zu verleben. Weder er noch eines von den sieben Kindern ward krank; vor meiner Abreise von Konstantinopel kehrte er, wie man mich ver- sicherte, mit allen gesund und wohl dahin zurück. Wieder in der Stadt, ging ich noch immer aus, ob- gleich mit der nöthigen Vorsicht, die ich früher nicht be- obachtete. Eines Nachmittags ließ ich mich hinüber nach Skutari fetzen und bestieg eines von den dafelbst immer bereit stehenden Pferden. Der Ort ist sehr steil und weit- läufig, so daß man lieber etwas weniges ausgiebt und reitet, als den Weg zu Fuffe macht. In der Meinung, von meinem Begleiter auf die Stelle geführt zu werden, wo eine der schönsten Aussichten der Gegend ist, ritt ich immer bergan und gelangte endlich beym Haitmachen zu einer griechischen Kirche, so wollte und bewirkte es die Verwirrung unserer Sprachen. Der Türke meinte, ich wolle zur Kirche, ich, aber verstand einen ganz andern Platz, Weil ich aber nun doch hier war, so stieg ich ab und ging hinein. Es schien eine Hauptkirche, und es ward gerade Gottesdienst gehalten. Durch die Nase singend ging der Priester von einem Heiligenbilde zum andern, jedem den Gesang unter Knie- beugungen und taufendfältigen Kreuz schlagen zueignend. Einige Buben, die fcheints mit zur Handlung gehörten, fielen zuweilen mit ihrem Geschrey in das des Papa's ein, Unanständigere, nachläffigere und ungezogenere Stellungen“ als diese Bursche zu nehmen beliebten, sah ich noch selten 402 Zweytes Buch. Drittes Kapitel. in einer Bauernstube bey uns würde man sie rügen. In- deß scheint eben diese Haltung und Stellung bey dieser Feyerlichkeit, so wie der schmutzige Anzug dieser Troß- buben, amtliche Kleidung zu feyn. Wie schon andere Male, ging ich auch aus diesem griechischen Andachtsorte mit Unmuth und Verdruß weg; das Judas gesicht des den Dienst versehenden Priesters zeigte im ersten Moment, wie bei den Andern seiner Amtsbrüderu, den verkappten - Schalk, - - In höchsten Grade des Unwillens bestieg ich wieder das Pferd und verdeutlichte dem Eigenthümer desselben, so gut ich konnte, meinen Wunsch, nach jenem erhabenen Standpunkte zu kommen; denn Vergütung mußte ich doch haben für diese Unannehmlichkeit. Er schien mich zu ver- stehen, und nach einer Viertelstunde kam ich an einen sehr besuchten, schattigten Spaziergang, auf welchem es von Türken, Armeniern, Griechen und Juden wimmelte. Fran- ken fah ich keine. Ich trug einzig den Hut. Griechen redeten mich freundlich an, ich verdeutete ihnen aber, daß ich von ihrer Sprache gar nichts verstünde. Im Verfolge unserer Unterhaltung sagten sie mir auf türkisch: „ daß die schöne Aussicht oben auf dem Berge fey,“ und bezeich- neten mir die Stelle; einige Bäume zu oberst waren sicht- bar; „aber es fey über eine Stunde Weges“ setzten sie hinzu; ich sah nach der Uhr, es rückte gegen die sechse! - - 4. Der Mann mit dem Pferde forderte einen unver- fchämten Preis, und ich entchloß mich, zu Fuffe zn gehen Schlimme Lage in Skutari. - 403 Ich sah die Stelle, wo ich hinzielte ja vor mir, und Skutari lag nnter meinen Füfen; es fchien mir unmöglich, den Nückweg zu verfehlen. Rasch rannte ich bergan und nach einer starken Stunde war ich am Ziele und genoß eine der schönsten und ausgedehntesten Ansichten über Asien und Europa, Land und Meer; ich verweilte wohl eine halbe Stunde. Die Sonne sank und näherte sich den Gränzen des Gesichtskreises und somit begann ich noch rascher meinen Rückweg; ich konnte ja nicht fehlen. Skutari lag, wie schon gesagt, zu meinen Füßen; aber jetzt kam es mir viel größer vor, als ich es hielt; ich durchlief mehrere Gaffenbergab, es waren nicht die, durch welche ich gekommen war; ich eilte noch mehr Berg auf, Berg unter; ich kam zu keinem Hafen; in den engen Gäß- chen konnt' ich kaum den Himmel, geschweige etwas vom Meere sehen; noch mehr auffer Athen lief ich durch die engsten Winkel in halbem Galopp. Die Leute fahen mir nach. „Ey der tausend“ ( werden sie gedacht haben) der weiß die Wege gut, daß er fo ficher durch alle die Nebengäßchen rennt“, wenigstens hoffte ich, daß sie dieß denken würden, und hütete mich wohl, ihnen etwas anders merken zu laffen. Die Dämmerung war da; end- lich sah ich das Meer, athemlos kam ich an sein Ufer, aber es war ein für mich ganz fremder Ort. Keine Schiffe zeigten sich; ich war in der größten Verlegenheit. Die Furcht vor der Pest erwachte, und die Hunde, weniger freundlich als die Leute, klafften und sprangen mir oft nach. Nach der Lage von dem gegenüber liegenden Tophana, das ich noch durch die Dämmerung erkannte, mußte ich weit weg, aufwärts, Jetzt erst kam mir Skutari groß A- 104 Zweytes-Buch. Viertes Kapitel. - vor; nachdem ich gegen die zwey Stunden darinn herum gestürmt war, kam ich endlich an den Ort der Ueberfahrt. Wie froh war ich da zu feyn ! In verlorner, aber freudiger Fassung setzt' ich mich in einen Kaik, ohne vor- her mit den Schiffern deutlich den Preis abzumachen; jenseits benutzten diese meine forgenlose Stimmung, um mich zu schröpfen. - Es war dunkel, als ich ausstieg. Vom Hafen in Tophana bis heim nach Pera hatte ich auf nächstem Wege beynahe eine halbe Stunde. Ich hatte den Weg erst ein einziges Mal allein und nur bey Tage gemacht. Es war heute mein Unglücksstern! Kaum war ich eine Viertelstunde bergan durch Gäßchen hinauf- gewandelt, als ich fchon irre zu gehen fürchtete; kein menschliches Wesen war in den engen, dunkeln Gaffen merkbar“), hingegen desto mehr Hunde von der schlimm- ften Art, welche mich bellend und heulend von eiuem Hause zum andern verfolgten. - Athemlos und keuchend fah ich von Ferne Licht; es war ein Kaffeehaus und noch einige Türken darinn; ich floh hinein und die Hunde geleiteten mich bis an die Thüre; ich fragte nach Pera, und es schwindelte mir fast zu hören, daß ich auf dem gleichen Wege wieder zurück müßte. Hier bleiben konnt' ich nicht! ich weiß nicht, welche Angst wegen der Pest mich so plötzlich faßte; und wieder unter das wüthende Heer von Hunden mich zu begeben, war auch keine Kleinigkeit! Gleichwohl blieb mir keine andere Wahl. Ohnehin hatte ich Mittags einen \ , *) Es wohnen in Tophana nur Türken und Armenier, die nach ihrer Neligion mit Sonnenuntergang auch nieder- gehen. Große Verlegenheit. 405 schönen Fisch kaufen laffen, den ich auf den Abend mit einigen Bekannten, die ich erwartete, genießen wollte, Die Wirthsleute und das ganze Haus waren in Auf- ruhr, wenn ich ausblieb; zudem warf ich mir selbst billi- gernaffen meine Unklugheit bey diesen gefährlichen Zeit- punkte vor und dachte, daß es die Hansgenossen im Ge- heim noch mehr gegen mich thun würden, und auch dazu berechtigt wären. Halb ohne Befinnung, stürmte ich wieder hinaus in Nacht und Dunkel. Wo ich einen Stein locker fühlte, ward er als Schutzpatron eilend aufgenom- men, und immer drang ich vorwärts; wann die Noth am größten war, flogen ein Paar gegen die nächsten Verfol- ger, Ich weiß nicht, wie lange ich so in die Kreuz und Quer gelaufen war, es war. Nachts zehn Uhr, als ich end- lich in Pera wieder Lichter erblickte. Beyde Taschen voll- ler Steine, das offene Meffer in der Hand, bedeckt mit Schweiß und Koth, rannte ich zur Thüre des Wirths- hauses hinein. Diese Promenade diente mir für immer zur Lehre, - - Erst jetzt hörte ich noch, daß ich wirklich in Gefahr war, und daß, wenn ich das Unglück gehabt hätte zu fall- le, ich sehr übel davon gekommen seyn würde, die Hunde von Tophana feyen die fchlimmsten, und vor wenigen Jahren fey ein Franke von ihnen zur Nachtzeit zerrissen worden. Daß dieß Loos für alle Zukunft das meinige nicht fyn würde, war nun sicher ! - Ich hatte mir früher vorgenommen, die Bäder von Konstantinopel zu besuchen, und, um an einem Frey- tage den Sultan zu sehen, nach der Sophiakirche zu reis 406 Zweytes Buch. Viertes Kapitel. ten. *) Beydes unterblieb nun aus Furcht vor der Pest, In Konstantinopel fand ich das Gedränge der Volks- maffe“) nicht so ungeheuer stark, als es Murhard so oft beschreibt. Es könnte auch in feinen lebhaftesten Straf- fen, nicht mit dem eines Toledo und Chiaja in Neapel, mit keinem Caffero in Palertho verglichen werden; und Paris, in seinen Hauptstraffen, ist mühsa- mer zu durchwandern, als die engen Gäßchen der türki- fchen Hauptstadt. - Immer auffallend, wenn ich etwa in müffigen Au- genblicken aus dem Fenster sah, blieb mir der große Kon- trast zwischen der türkischen und unserer Kleidung. Der stoffreiche und würdevolle Anzug der breit und ernsthaft einherschreitenden Türken; ihr fliegendes Gewand, über welches noch kostbare Pelze geworfen sind, sticht sonder- bar ab gegen unsere magern, verschnittenen Jacken und Röcke, die weder für die Wärme noch gegen die Kälte dienen. Ein Europäer, welcher Frankreichs allmächtiger Mode huldigt, und an den Muselmännern von Konstan- tinopel vorbeyhüpft, erinnert mich an einen gerupften Vogel unter kalkuttischen Hähnen. - Nicht minder unterhaltend war das verschiedene Be- nehmen, wenn Kranke vorbeygetragen wurden; ficher und ruhig streifte der unbesorgte Türke hart an den Trägern vorbey: während der verschmitzte Grieche sein langes Ge- wand vorsichtig zusammenraffte, und fich geschickt durch- - - - - - - - *) Am Freitage ohne Ausnahme muß er dort erscheinen. “) Den Basar ausgenommen, auf welchem Platz in der L- vante beständiger Markt ist. - -‘ – m- - - - - Kontrast der Kleidung. - 107 wand; voller Schrecken preßte der für seine Haut besorgte Franke den kurzen Rockzipfel noch unter den Ellenbogen, und lief, das Fläschchen vor die Nase haltend, über Hals und Kopf in die nächste Queergase. Häufig zogen Wagen, mit Türkinnen besetzt, vorü- ber. Jene gleichen unsern Hühnerställen, nur daß die Gitter hier doppelt und so enge sind, daß man nicht hin- einsehen kann; die einen sind bemalt und mit allen Far- ben überschlirgt *); viele vergoldet, oft gezogen von Men- fchen, oft von Ochsen, oft von einem, auch wohl zwey Pferden. Begegnet man auf dem Kanal einem Kaik mit Weibern, so meint man, es fey Charon, der eine Lie- ferung von Geistern über den Styx zu bringen beschäftigt sei. Die Vermummung dieser ist ganz wie jene gezeich- net worden. *); das Wenige, was vom Gesichte zu sehen ist, bestärkt durch die blaffe, unreife Farbe die Täusch- Illig, … - . . . . . . " - - - Es war den vierzehnten August, als ich zum zwei- tennale den Weg nach Bojukdereh durch den Kanal machte. Reizend, wie das erste Mal, fand ich die Ge- genden, doch konnte ich nun, weniger überrascht vom Reize der Neuheit, beffer beobachten und vergleichen. Es las- fen sich, scheint es mir, Einschränkungen und nähere Be- stimmungen über die Empfindung machen, welche den Ein- druck, den die Ansicht einer Gegend in uns erzeugt, ziem- - - - - - - lich bestimmt angeben; fo, zum Beispiel, nenne ich eine *) Schweiz. Idiot: unordentlich bemalt, süberschmiert. “) Wer erinnert sich nicht dabei an die letzte Tafel des Ba- jedowschen Elementarwerks - 40s Zweytes Buch. Fünftes Kapitel, Aussicht vom Gipfel des Aetna in das Unermeßliche von Land und Meer ruhig – erhaben. Eine An- ficht von der Höhe unters Rigi's gegen die Kette der Gletscher vom Morgenroth glühend ruhig – er ha- ben. Ein Ausbruch des Vesuvs zur Nachtzeit, die Finsterniß in Tag umwandelnd, fchaurig – erhaben. „Klüfte, wo fich des Waffers Sturz vom Himmel ange- thürmten Felsen hinunterfäubt in den dunkeln Abgrund“) fchaurig – er haben. Bei Sonnen Auf- und Un- tergang vom Golf, Neapel und feine Umgebungen schön; schön bey vortheilhafter Beleuchtung die Gegenden vom Genfer - Boden - und Zürcher fee. Eine Ansicht von Florenz von der Höhe herunter, zierlich; eben fo die Lage einer Villa Borghelfe bey Rom *), ei- nige Parthien des Comer - und etwelche des Langen-Sees. Konstantinopel und feine Umgebungen stehen zwischen bey- den letztern, d. h. zwischen fahön und zierlich, inne. Natur und Kunst haben hier in einem groffen Umfange vereinigt, was anderwärts theilweise und einzeln schon Aufsehen machen würde. Einige Standpunkte zwischen Konstantinopel und den Prinzeninseln gränzen beinahe ans Erhabene. - - - 5. Im Gasthofe von Bojuk der eh fand sich kein Platz mehr; gefangene russische Officiere hatten alles inne. Der *) Wie der mittlere Fall des Reichenbachs im Oberhasli in der Schweiz. *) Durch Kunst und Anbau verschönert gleich der von Florenz. - Morgen gruß der Türken, 109 Wirth legte mich in ein anderes Haus fchlafen; in dem- selben bezog ich ein enges Kämmerchen, in welchem es sehr ärmlich aussah; jedoch war das Weiszeug des Bet- tes, welches auf den Boden ausgebreitet war, reinlich. Nach zehn Uhr legt” ich mich nieder – aber eine Stunde später erwacht' ich, von tausend Wanzen bedeckt. Zum Glücke brannte meine Nachtlampe. Unruhe wollt" ich im Hause keine machen, darum kleidete ich mich auch nur in frische Wache um, und ging hinaus auf die Treppe, welche fehr reinlich war; da lagerte ich mich hin, den Morgen zu erwarten, und vertrieb mir mit Schreiben die Zeit; ich gestehe aber, daß mir die Nacht lang schien, Auf einmal donnerte ein Kanonenschuß. Ich lief ans Fenster; es begann die Morgendämmerung, und was ich hörte, war nichts anders als der tägliche Morgengruß der Türken. Wie froh war ich, diese Nacht überstanden zu haben! Eilends macht' ich mich auf und ging hinaus längs dem Hafen hin. Am Ende des Ortes verfolgte ich einen schma- len Fußsteig nach der Höhe, der mich in einer Stunde Zeit auf den Gipfel eines steilen Berges führte. • Zu mei- nen Füßen schlängelte sich der Kanal wie ein ungeheurer Fluß, vom Morgenroth beleuchtet, zwischen den beyden Welttheilen hin; in weiter Ferne blendete und flimmerte das schwarze Meer; zwölf türkische Kriegsschiffe lagen TU- hig in der Tiefe; viele hundert Kaiks und andere Schiffe durchkreuzten belebend den Wafferspiegel; auf einmal er- tönte Musik von Blasinstrumenten. Es war das Admi- falschiff, welches damit begann; nach einer Weile fie- len die übrigen wechselsweise ein. Die Töne, langsam und feierlich, wie ernste Psalmen, begrüßten die aufge- zende Sonne; hoch wehte die Flagge von der brennen den Farbe der Kapuzinerblume. Es war ein lieblicher genuß für Aug und Ohr! Vergeffen war die harke La- gerstätte auf der Treppe Zwei Wochen verweilte ich hier - es war meine tägliche Freude, einige Stunden auf dem Kanal herum zu fahren. Oft hatte ich das Vergnügen, jener Musik den Sonnen Auf- und Untergang zuzuhören, den letzterer ward auf allen Schiffen das Gebet verrichtet, stille zuerst, daß man nicht den geringsten. Laut vernahm, dann, wie abgelöst, ein Schiff nach dem andern, alle gmannschaft auf jedem derselben mit lauter Stimme wie gzorte; es waren je die letzten des Priesters, welche von allen wiederholt wurden, endlich zum Schluffe er- schallte auf jedem mit wilder Stimme ein Ton, der "süb, lang, und der aus der Kehle vieler Tausenden auf einmal gerufen, eine zum Erschrecken widrige Wir- fung hervorbrachte. die türkischen Kriegsschiffe sind sehr schön und fchei- nen ganz neu, reinlich und gut unterhalten; sie sind weiß und schwärz mit Oelfarbe bemalt, an der Stirne voll jedem ein ausgeschnitzter, kolossaler Löwe, hochgelb ang- strichen, mit aufgesperrten Rachen, was eine hübsche zirkung thut. Das Boot der Kapudan Pafcha ist von zierlichem Schnitzwerk und ganz vergoldet; die der " gefehlshaber desgleichen. Die Matrosen die Boote – oft dreyßig bis vierzig an der Zahl – machen aus dem Ruderschlag eine Gattung Spiel; zwei bis drey- wird stark auf das Wasser geschlagen mit der ganzen seite des Ruders, dann drei bis viermal blos die Luft – - Ausflug des Sultans. 444 durchschnitten, öfter hundert Schritte weit gefahren, oh- ne das Ruder wieder ins Waffer zu bringen. Es geht wie beim Militär aufs Kommando. Still und ernst ist der Türke, wie immer, besonders auf den Schiffe; selten, fast nie, hört man ein Wort, Wenn man auf dem Kaik nahe beym Admiralschiff vorbey fährt, so darf man nicht rauchen, eben so wenig, wenn der Sultan in der Nähe ist, oder auch nur, wenn man auf dem Kanal bey feinem Sommerpalaste vorbey fährt, Ich war bey einer Viertelstunde weit davon entfernt, und hatte die Pfeiffe nur gesenkt in der Hand, dennoch nöthigte mich der Schiffer, die hinunter in den Kaik zu legen, indem er mir durch Zeichen von Kopf abschneiden verständlich machte, was er befahren würde, Der Großherr fuhr eines Morgens in ein asiatisches Dorf Cavachi ö, um dafelbst eine Tuch- und Papierfa- brike zu besuchen. Als fein Kaik erschien, begrüßte ihn unter Kanonendonner die ganze Flotte; die Fenster des Wirthshauses klipperten zusammen. Der Wirth fluchte und wünschte den Sultan und die Fabrike zum T*, Abends bei der Abfahrt ward er wieder so verabschiedet; ich war auf dem Berge; es erbebte die ganze Gegend; Eteine rollten von der Erschütterung herunter und von Asiens Küste schlug der Wiederhall, wie rechter Donner, auf die gegenseitige hinüber. Schiffe, die bis auf zwey Stunden weit entfernt waren, antworteten, und kaum vernehmbar noch, hörte man den Ton des fernten. Eines Tages besuchte ich Belgrad *), ein elendes ') Wohl zu unterscheiden von der berühmten Festung dieses Namens, - - 112 Zweytes Buch. Fünftes Kapitel. - Dorf, mitten in einem Eichenwalde. Der Ort besteht aus schlechten Wohnungen von Lehm und verfaultem Holze, die Lage aber in dieser Wildniß macht es als Landsitz gelten, und zur Zeit der jetzt herrschenden Krank- heit war es ganz von geflohenen Franken angefüllt. Das viele vortreffliche Waffer bietet eine, sich hier selten fin- dende Annehmlichkeit dar. Ganz Konstantinopel wird von hier aus, durch prächtige und kostbare Wafferleitun- gen, mit diesem nöthigsten aller Bedürfniffe versehen, Eine Stunde von hier sind bey hunderten von Bogen, dreyfach auf einander gebaut, noch aus den Zeiten Ju- stinians; neuere, von den türkischen Kaisern erbaute, finden sich auch noch vorhanden; alle schön unterhalten, Angenehm war mir der Aufenthalt in dieser romanti- fchen Gegend; unter einer, viele hundert Jahre alten Eiche, genoß ich im kühlen Schatten das Mittagmahl. Es hatte freylich eine Lok and a Nobile, die aber von so unadelichen zwei und vierfüßigen angefüllt war, daß ich den lieblichen Schatten im Freyen jener weit vor- F09. - Eines Morgens, es regnete, ich war eben zu Hause und schrieb, hörte ich Lernt. Ich fah zum Fenster hin- aus in ein enges Gäßchen, in welchem sich eine Schenke befand. Ein Türke und Grieche waren scheints nicht zu paß, über den Kauf von Lebensmitteln, für wenige Pa- rahs. Der Türke war im Begriff, mit dem Gekauften wegzugehn, der Grieche lief fchreyend und lärmend nach. Der Muselmann schien Gegenvorstellungen zu machen, jener, ohne darauf zu achten, ward noch wortreicher und lauter; heftig und wild, ohne viel Worte zu verwenden, - Etikette, 113 war des Türken. Gebehrde; sie wurden des Handels nicht einig. Ein magerer Hund stand zwischen beyden; der Türke betrachtete ihn, verzog sich das Gesicht und machte das Thier zum Friedensrichter. Während nemlich der Grieche heftig fchrie und mit einem Schwall von Worten und vielen Gebehrden sich Recht zu schaffen suchte, gab dieser stillschweigend den Hund in drey Theilen den gan- zen Kauf zu freffen. Kalt, ohne mehr ein Wort zu ver- lieren, ohne den Griechen eines Blickes zu würdigen, ging er von hinnen, dieser aber ließ nicht ab, nachzubel- fern, bis er jenen aus dem Gesichte verlor, Bojukdereh ist klein; dennoch sind, so zu sagen, alle Staaten Europas in den Personen ihrer Gesandten hier zusammendrängt : Spielraum genug zu Kabalen und po- litischen Kannengießereyen, bey welchen dann der Par- theygeist, durch Etilette und Grimaffe, bald gut, bald schlecht verborgen, in jedem Winkel spuckt; „sous quelle protection vous êtes vous mis?“ ward ich nirgends mehr als hier gefragt; sous Celle du bon dieu! lautete dann meine Antwort. - - Auf hohem Söller, der die ganze Gegend beherrschte, war mein Quartier. In der Tiefe herum, rech: s und links waren Wohnungen türkischer und griechischer Frauen, In welches Fenster ich auch trat, sah ich sie auf ihre Sophas hingedehnt sich pflegen, wenden und faulenzen, Am nächsten Fenster gegen über fah mich ein Türke, ein schon betagter Mann, und, an folgenden Morgen waren die Laden geschloffen. Er hätte diese Vorsicht unterlaffen können, denn seine . . . . . . . war nichts weniger als schön. Die Türkinnen müffen indes ein sehr langweiliges Leben führen. Stundenweis gehen sie Phlegmatisch in ID / 444 Zweytes Buch. Fünftes Kapitel. Zimmer hin und her, und lagern sich dann wieder stun- denweise geschäftlos, auf ihre Sopha's. Auf der an- dern Seite des Hauses waren mehrere beysammen; die Fenster, eng vergittert, gaben ihrer Aufmerksamkeit den ganzen Tag von der Straffe herauf, den einzigen Unter- haltungsstoff. - - W Munterer sind die Griechinnen, sie arbeiteten zuwei- len und hatten öfter Gesellschaft; ich fah welche unter ihnen von hübschen Wuchse und lieblichen Gesichtern. Etwas, das meinen Aufenthalt in Bojukdereh eini- germaßen trübte, war die Tischgesellschaft von ungefähr einem Dutzend gefangener, russischer Offiziere, unter denen ich mein eigenes Tischchen hatte. Es ward diesen guten, ehrlichen, aber nicht unbefangenen Leuten weiß gemacht, daß ich von französischer Parthie wäre. Ich verstund keine der hier gangbaren Sprachen und sie nicht die meinigen, ist aber einmal eine gewisse Spannung vorhanden, über die man sich nicht bald verständigen kann, fo wird aus Uebel, Aerger, Auf die Letzte ward ich auch verdrüßlich, da ich nie mit keinem Worte weder für noch gegen Frankreich, weder für noch wider England mich geäuffert hatte, und das Ganze einer dummen Kabale glich. - Es sollen gegen hundert und zwanzig gefangene Ruf fen, unter welchen auch Officiere waren, den Mahome- danischen Glauben angenommen haben, Einmal noch, ward mir ein Genuß dieser schönen Gegend zu Theil; schon bey dunkler Dämmerung schlen- derte ich längs dem Hafen hin. Ein schwefelgelber, schma- ler Streif schien eine leuchtende Brücke über den Kanal - ", - Die Pest greift um sich. 115 zu ziehen und Asien mit Europa zu vereinigen. Es war der aufgehende Vollmond, der hinter den Hügeln und Gebürgen des andern Welttheils allmählig hervorstieg. Rechtslagen die Kriegsschiffe, alle beleuchtet, jedes auf eine andere Weise, ausgezeichnet; vor allen aber das Admiralschiff; das Ganze schien beynahe das Kunster- zeugniß eines Theaters. Der Abstand des blaffen Mond- scheins und der Tausenden von hochrothen, Lichtern; der Unterschied dieser gegen die Sterne, dann der Mittelton des schwindenden Abendroths auf der entgegengesetzten Seite, alles das im schönen Wiederschein der stillen, hellen See, gewährte mir eine herrliche Stunde, - - 6. Geschrieben auf der Insel Scio, in der Klosterzelle St. Antonio, Den fechs und zwanzigsten August kehrte ich in die Hauptstadt zurück, die Krankheit hatte mehr um sich ge- griffen. Die Familie des Wirths war aufs Land geflüch- let. Selten sah man noch Hüte auf der Gaffe, und zum Essen kam feltner noch, als ehemals, ein Gast. , Todte und Kranke sah man dagegen öfter vorbeytragen. Unter diesen Umständen ward ich unruhiger und vorsichtiger, als früher; oben im Kaffeehaufe bey der schönen Aussicht, wo ich sonst oft Stunden verweilte, tief mir der Wirth von Ferne freundlich zu: O Capi- tani! *) Er hatte gut gerufen und ich blieb ferne. ') Zn Wien war ich „Ihr Gnaden“; in Or fowa : „Hr. v. M gy r“, auf der übrigen Reife: Basarian im - H 2 . 416 Zweytes Buch. Sechstes Kapitel, N Der Rhamazan ( die Fasten) begann um diese Zeit; nicht nur von den Christen, auch von den Türken wur- den die Straffen leerer. Alle und jede Verrichtungen des Magens, des Mundes, der Nase find ihnen während der Tagszeit verboten. Nach Sonnenaufgang und vor Son- nenuntergang dürfen sie weder effen noch trinken, noch rauchen noch schnupfen. Die sonst von Morgen bis Nachts angefüllten Kaffeehäuser, waren den ganzen Tag öde; man fah durch die Glasfenster den Wirth ruhig schlafen, und wenn er gestört ward, so geschah es durch einen Griechen oder Franken; so wie aber die Dämmerung be- gann, ward es darin n lebhafter und tiefer in die Nacht ganz voll. Das ganze Verdienst, scheint mir, bestehe darinn, aus Tag Nacht, und umgekehrt aus Nacht Tag zu machen. Gegen Mitternacht verlaffen sie den Rauch- und Kaffeeplatz, um sich schlafen zu legen. Nach zwey uhr ertönt wunderlich eine dumpfe Trommel durch alle Gaffen, zum Gebete zu wecken. Das Geheul von tausend Hunden begleitet überall den Trommler. Die Minarets find beleuchtet und die Dschaminen belebt. - Vierzig Tage dauert diese umgekehrte Welt als An- denken, während welcher Zeit Mahomed sein Kameel verloren, / - Ich war auf meinem Zimmer, als der Maltheter hineinrief: „venite a veder norire un umpestato!“ Auf die Straße hinaus fah ich, da lag ein Mann, etwa sechzig Jahre alt; er versuchte sich mit feinem Stockt (Kaufmann )“, in Series: „Hr. v. Johann“, und hier: Capitani. (So werden in Konstantinopel und andern Städten alle Franken von den Türken betitelt.) Flucht nach den Prinzen in feln. 117 aufzuhelfen, unsonst; es mangelten die Kräfte; im Schweiß kämpfte er immer, denselben Versuch zu wieder- holen; rund herum beschloffen die Griechen die Thüren; die Franken sahen mit verhaltenen Nafen zum Fenster hinaus; lachend sprang ein türkischer Knabe herbey, ihm aufzuhelfen; ein vorbeigehender, schön gekleideter Türke bot die dienstfertige Hand; der Unglückliche erhob sich mit Mühe; dreyßig bis vierzig Schritte führten sie ihn, er sank aufs neue und mußte weggetragen werden. Schreckhaft sind die Folgen dieser Krankheit, und wenn nicht ein mitleidiger Muselmann, auf ein Glau- bensbekenntniß gestützt , Barmherzigkeit übt, so ist man verlaffen von der ganzen christlichen Welt! Freund und Feind flieht weit weg; nicht einen Trunk Waffer bekömmt, man um alles Gold der Welt ! Müde dieser und anderer ähnlicher Auftritte, floh ich den vierten September nach den Prinzeninseln. Ich mie- thete gerne ein eigenes Schiff, um nicht Gefahr zu lau- fen, durch Gesellschaft angesteckt zu werden. Mit günsti- gem Winde war ich in wenigen Stunden an Ort und Stelle; ich bezahlte den türkischen Schiffer, stieg eine Strecke von dem Orte aus, um mich in der Höhle räu- chern zu laffen. Die Türken fuhren weiters. Ich ließ mein Gepäcke in der Höhle und ging einzig im Ueberrocke, meine Pfeife rauchend in der Hand, gegen den Ort; da stürmten die griechischen Schildwachen auf mich los, fchreyend und lärmend, wovon ich aber kein Wort ver- fand. Ich sagte ihnen auf türkisch, daß ich das Grie- chische nicht verstünde, und verlangte den Dragomann; . sie hörten mich nicht; ich konnte keinen Schritt weiter vorwärts, sie winkten den Schiffern zurück, ich aber & 4- - « - 11s Zweytes Buch. Sechstes Kapitel. machte Gegenzeichen, fest entschloffen, einige Tage hier zuzubringen, und unter freiem Himmel zu schlafen, wenn ich kein Obdach fände. - - Der Dragonann erschien, und auf italienisch be- merkte ich ihm, daß ich vor einigen Wochen hier gewesen wäre, noch Wache da habe, und, wo möglich, noch et- was Zeit mich hier aufhalten möchte. Wirth und Wir- thin wurden heraus berufen, die Wahrheit zu bezeugen, und nun, werfen ich herzlich froh war, von der Repub- lik aufgenommen. '- Die Ursache dieses etwas rohen Verfahrens mochte darinn liegen, daß einige Tage vorher eine zahlreiche Fa- milie mitten im Orte eine Wohnung bezog. Die Pest brach in derselben aus; drey türkische Kaiks kamen Mit- tags darauf an die Insel, um alles einzuladen, die Ge- funden mit den Kranken. Auf einmal war Lärm auf der ganzen Infel: „Die Pest, die Pest ! durch Fremde zuge- bracht!“ und somit ward beschloffen, keinen Fremden mehr aufzunehmen; wäre ich nicht früher da gewesen, fo hätte ich jetzt auch nicht bleiben können. Alle Fahr- niffe und Geräthe des Hauses, worinn die Kranken wa- ren, wurden ins Meer geworfen; ich fah noch welches davon hin und her am Ufer umherschwimmen. Diese Woh- nung wird vielleicht bei einem halben Jahre nicht wieder geöffnet werden. Den Insulanern konnte ich übrigens diese Vorsicht nicht verdenken. - - Mein Aufenthalt von vierzehn Tagen auf dieser In- fel war behaglich. Keine Furcht wegen der Pest plagte mich mehr. Ruhe und Stille bei Tage; kein Geheul der Hunde bei Nacht; reine, gute Luft; frohes, ungezwun- genes Wesen, und keine politischen Kannengießereyen, - Kloster leben, - I 19 was konnte ich auf diesem schönen lieblichen Flecke in Meere wohl besseres wünschen? - Ein Armenier, ehemaliger Dragomann von Holland, machte, ohne die etwelchen Genueser und Griechen, meine meiste Gesellschaft aus. Das Betragen der Erstern ließ mich wahrnehmen, daß, wenn schon das Meer ohne Fische nicht da war, doch das Sprüchvort in beiden Nachsätzen eintraf. *) Auf der Insel sind drey griechische Klöster; ich war erstaunt, sie so bevölkert zu finden, als ob Jahr- markt darin wäre. Man kam und ging, aß und trank als wie in einem Wirthshause, auffer, daß die Wohlan- ständigkeit erheischte, hier doppelt zu bezahlen, weil – (in Voraussetzung dieser Tugend) keine Zeche gemacht wurde. Da finden sich Frauen und Kinder der Papa's, Frauen und Kinder der Fremden, Gesellschaften und Besuche von Frauen und Töchtern aus der Nähe und Ferne; jedoch das weibliche Geschlecht vom männlichen abgesondert, beisammen, unter dem Schatten der Bäum sitzend *) –. So ist hier zu Lande das Klosterleben be, fchaffen! Ein schöneres Leben, fo forgenlos, müffig, frey, ungebunden, ganz nach Willkühr, giebt es kaum, Und auf solchen Fuß haben es diese leiblichen Geist- lichen, eingerichtet! - - Zuweilen machte Fischerey den Zeitvertreib aus, Aus dem Boote warf man das Netz, und nun ging es bald auf Glück und Rechnung von jenem oder diesem. Einer Lotterie glich der Fang, bald die Fülle, bald nichts, - - *) Mare senza pesce, notflini senza fede e donne senza vergogna- ") Die Männer meist zechend, 420 Zweytes Buch. Sechstes Kapitel. Zur Wachtelzeit, welche auch in diese Tage meiner Anwesenheit fiel, ist die ganze Insel von der Morgen- dämmerung an von Jägern übersäet. Bis um acht oder neun Uhr gings wie ein Pelotonfeuer; bey warmem Wind und Regen kommen die Wachteln in Menge aus Asien; bey kalter, heller Witterung nur sparsam; immer blei- ben sie theuer, bis auf sechzig Parahs das Paar. Diese Jagd macht eine Hauptbelustigung der Griechen und Franken in der ganzen Levante aus. - Mitten in diesem Monat – dem September – war die Witterung so kalt, als ich nicht glaubte, daß es un- ter dieser Zone, selbst im Winter, feyn würde. Man zog die Winterkleider an und fror dennoch; die Trauben blieben schlecht und die übrigen Früchte gediehen auch nicht gut. Ich liebe warmes Klima, und ich gestehe, daß mir diese Kälte in die Länge nicht behagt hätte. Mehrere Male machte ich den Weg der Insel nach ihrer Länge und ihrem Umfange, was ungefähr eine bis eine und eine halbe Stunde Zeit fordert. Hin und wie- der waren Trüppchen von Leuten, die wegen Verdacht der Pest verwiefen waren, und nun hier Quarantaine hielten. . Einige hatten Zelte, andere Bretterhäuschen aufgeschlagen, um zur Nachtzeit und bey schlechter Wit- terung ein Obdach zu haben. Q Einige Schüffe entfernt von der Insel, hob sich ein kahler Fleck als Eiland aus dem Meer; sein Umfang mochte kaum eine Viertelstunde betragen, und auch da - lagen mehrere Familien. Sie ernährten sich kümmerlich von Fischen, Austern, Meerfrüchten und Kräutern. Oft beschäftigte mich das Nachdenken über die Einwirkung des Mondes auf Gewächse und Menschen, auf welche man Klima und Aufenthalt. 121 gemeiniglich bei uns diese Einwirkung bezweifelt; offen- bar äußert sich dieselbe auf die Schaalenthiere so stark, daß man sie beym leeren Mond beynahe wegwirft, weil fie dann leer sind, beym vollen Monde hingegen über und über bezahlt, weil dann auch sie voll sind. Zweimal war ich in Gesellschaft in den griechischen- Klöstern, und immer, auch wenn ich allein hinging, hatte ich den Anlaß, den Stand dieser Geistlichen als den bequemsten von der Welt zu preisen. Was ich frü- her bey reisenden Griechen, beynahe ohne Ausnahme, fand: Kenntniß von verschiedenen Sprachen, das man- gelte ihren Lehrern hier ganz, und so stand es verhält- mißmäßig mit ihrer Kenntniß von andern Wiffenschaften; leider scheinen auch ihre Grundsätze diesem entsprechend. Ich war höchst befremdet von einem Manne, dem fürs Allgemeine zu forgen erste Pflicht feyn follte, auf meine Frage: Warum nicht mehr Olivenbäume gepflanzt wür- den, da sie so gut gedeihen? in Antwort zu vernehmen: „Weil diese Bäume langsam wüchsen, so hätte er keinen Genuß mehr davon, da er schon auf Jahren fey, und er sich also Mühe und Kosten deswegen ersparen wolle.“ Keiner wußte, wo in der Welt die Schweiz fey. In- mer nahmen die Suezia (Schweden) für Suizzera. Ich glaube nicht, daß diese Leute nur einen Begriff von einer Landkarte haben. Noch mehr, ich wette darauf, daß die meisten fo in der Unwissenheit versunken sind, daß sie nichts von der Geschichte ihres berühmten Mutterlandes und einer groffen unsterblichen Männer wissen. Ich fragte z. B. mehrere um den Namen und die Beschaffen- heit des dort im Abendroth glänzenden und beschneiten 122 Zweytes Buch. Sechstes Kapitel, Berges *) aber keiner wußte nicht die geringste Aus kunft, und dennoch blendete ihnen dieser Götterfitz der alten Welt tagtäglich die Augen. Einer aus ihnen sprach etwas gebrochen italienisch; unbefangen und ohne Arges zu denken, fragte ihn eine Italienerin: „E voi altri che avete tempo e libri – per- che non studiate?“ . . . Er blieb die Antwort schuldig. Die Griechen überhaupt scheinen ihren äußern Kul- tus als genugthuend und hinreichend anzunehmen, um mit dem obersten Wesen in gutem Vernehmen zu bleiben. Ich war mehrere Male Augenzeuge von den Ceremonien beym Räuchern. Was der Grund davon war, wußte ich nicht, doch es war eine religiöse Handlung; neben der Thüre faffen einige Griechen auf dem Boden beyin Da- menspiel, der Geistliche machte hundert Bücklinge, schlug tausend Kreuze und das Rauchfaß flog fast an den Kopf der Spielenden" andere schäckerten und es ward auch nicht, die mindeste Achtung der ganz in der Nähe vorge- henden Feyerlichkeit geschenkt. Viele Franken, auch meh- rere Griechen ( ich hoffe, es waren alles böse Zungen) behaupteten, daß beim Entwenden, wenn der Raub ge- beichtet werde, vermittelt der Abtretung eines Theils da- von an den Beichtiger, der Fehlgetilget fey! Wegen der Pest ward eine Prozession angeordnet. Das Ganze glich aber eher einem Scharivari *), als ei- *) des Olymps. *) Ein verwirrter Lärm mit Keffeln und Pfannen, welchen der Pöbel in einem Theil der Schweiz vor, dem Hause der Wittwer und Wittwen macht, welche fich heyrathen. Griechen gegen Griechen, 123 ner religiösen Feyerlichkeit, und ein Schwarm von Troß- buben, die den Zug überall durchlärmten, trugen das ih- rige dazu bey, den Fremden in jener Meynung zu bestär- ken. In der Mitte ging der Papa, den ich gestern vor dem Kloster in einem tüchtigen Glanz unter mehrern Aehnlichen und Aehnlichern gesehen hatte. In allen und jeden griechischen Kirchen, in denen ich war, und ich war in vielen, fand ich nicht eine, die nur etwas von dem gewährte, was man auch in mittel- mässigen, der römisch-katholischen findet, etwa schöne Ge- mälde und gute Musik. Jene sind meist Fratzen und letz- tere war für mich zum Ohren verhalten. Durch die Nase geht der widrige Ton, der, wie in jüdischem Dialekt her- geschnattert wird; auch in der Baukunst fehlt das Edle, das den meisten italienischen Kirchen eigenthümlich ist. Die Todten werden in offenem Sarge mit Blumen ge- schmückt zur Begräbniß getragen *); einige Geistliche begleiten den Zug fingend und räuchernd. - In Bojukdereh fah ich einen Mann begraben, der über das mittlere Alter hinaus war; drey Kinder rannten hinter dem Sarge her; ihr Geschrey war durchschneidend; es schien das der Verzweiflung; das Händeringen, die Ausrufungen . . . . dieser Anblick ging mir lange erschüt- ternd nach, und ich begriff, daß der Nasengesang der nach- schlendernden Papa's wenig tröstliches für die armen ver- laffenen Kinder haben mochte, *) Doch genug für im- *-------- -- *) Bedeckt hingegen die an der Pest. Gestorbenen. *) Wie ganz anders, wenn ich mir einen ähnlichen Fall bey den Christen, in Herrnhut denke! - - 124 Zweytes Buch. Sechstes Kapitel. tner und immer von einer Kirche, die wenigstens den Namen einer Kirche trägt. Die Griechinnen auf der Insel kleiden sich elegant, und ich irrte zuweilen im Range der Person um manche Grade, da ich denselben anfänglich nach der Kleidung glaubte errathen zu können. Die feinste Perkale ist hier allgemein; kömmt aber, der Zeitumstände wegen, nicht viel höher als bei uns das gewöhnliche Baumwollentuch. Silber- und Goldstickereyen sind sehr beliebt; auf schwar- zem Sammt prangen oft breite Blätter von Goldflittern, Auf dem Kopf tragen sie ein kleines Käppchen, entweder weiß mit schwarzem Gebrän, oder roth mit einem blauen Zöttelchen in der Mitte; die Haare hängen der Länge nach über den Rücken herunter, weniges davon wird in Zöpfen um Haupt und Käppchen gewunden: ein kurzer Ueberrock ist über das lange Gewand hingeworfen; schö- nes Blut und geistreiche Gesichter sieht man in Menge, die Gestalt ist von schlankem Wuchse. Es ist sehr üblich, auf kleinen Schemmelchen zu ge- hen, die lederne Bande haben, um mit dem Fuße hin- einzuschliefen; es braucht Uebung, um auf diesen Stel- zen fortzukommen; einige sind über einen halben Schuh hoch von der Erde. Ganz eigenthümlich ist die Gesichtsbildung der Män- ner, wie beynahe über einen Leist geschlagen sehen alle fein und listig aus. Die Verschlagenheit kündigt sich über- all deutlich an. Alle tragen goldgelbe Stiefeln, mit Pan- "offeln (Paptutschen) von ähnlicher Farbe darüber; rothe > Griechen gegen Griechen, 125 sind ihnen verboten, wie denn auch Niemand anders, als Türken, rothe Häufer bewohnen dürfen. - Sonntags gehen sie zierlich und kostbar gekleidet; ich konnte aber die nackt geschornen Köpfe und die eben- falls nackten, langen Hälfe, mit dem fchwarzen Kalpack darauf, nicht ausstehen, das meist blaffe Gesicht sticht so widrig davon ab. - Die Gewohnheit des Tabackrauchens erstreckt sich hier bisweilen bis auf die Frauen. Ich war auf einem Abend- besuch bei Bekannten. Die Frau vom Hause, eine leb- hafte Griechin, bediente mit Pfeifen, stopfte sie selbst, zündete sie an, und brachte mir eine solche rauchend zu. Ein wahres Gegenststück, dachte ich, von unsern mit Va- peurs behafteten Damen. Dieser Luxus hat aber wohl in hiesiger Gegend den höchsten Grad erreicht. Der Rauch wird gewöhnlich durch die Nase weggeblasen, und sehr oft findet man Rauchende, die ein bis zwei Minuten fpre- chen, und erst dann den eingeathmeten Dampf plötzlich von sich geben, - - Hier mag noch ein Zug der Denkungsweise der Grie- chen gegen Griechen, und das Urtheil eines Griechen über seine Nation einen Platz finden. Die Erzählung ist von denjenigen, der die Reise von Seres nach Konstan- tinopel mit mir gemacht hatte, und sie als Thatsache verbürgen konnte, weil zwey feiner Brüder mit in die Geschichte verwickelt waren. Ungefähr um dieselbe Zeit, als die französische Revolution ausgebrochen war, oder doch im Anfang derselben, hatte eine geheime Gesellschaft bon Griechen ähnliche Plane zu ihrer Befreyung entwor- fen; ich weiß nicht mehr, ob sich diese Gesellschaft aus Furcht oder gegenseitiger Uebereinkunft, weil es in ihren 126 Zweytes Buch. “ Plan gehörte, nach Wien zurückzog. Genug! Eifersucht und gegenseitig gleichsam angeboren scheinende Gehässig- keit – diese zweite Natur der Griechen – verrieth das Komplott dem Großherrn; es waren nicht nur Lands- leute, Griechen, welche die Verrätherey begingen, son- dern die nächsten Verwandten des Bundes, welche die An- zeige machten. Schnell wurden Maas regeln, um der Verbündeten habhaft zu werden, getroffen. Der Sultan verlangte die Auslieferung derer, welche sich nach Wien zurück gezogen hatten, und Oestreich bewilligte sie. Zwölfe an der Zahl wurden gebunden nach Belgrad geschleppt, und ihnen dort die Köpfe vor die Füße gelegt. Die zwey Brüder des Griechen befanden sich unter diesen. Der Grieche hatte seine Erzählung mit Hitze geendigt: „Wir rechnen auf einen Türken im Lande vielleicht zehn Griechen, aber wenn auch hundert auf einen wären, fo wäre es eben so sicher, daß die Griechen nie eine felbst- ständige Nation würden. Weit eher erhübe man den schlechtesten Türken auf den Thron, als daß die gegensei- tige Eifersucht, der Familienhaß, der persönliche Neid und die Falschheit es gestattete, unser Einen darauf zu fetzen. Einen großen Theil dieser unseligen Bildung des Karakters haben wir unsern Pfaffen zu verdanken, die solche Gesinnungen nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu pflanzen besorgt sind.“ In Absicht der Grundsätze, welche die vornehmen Mahomedaner bei ihrer Verehlichung befolgen, so sind dieselben in einem auffallende u Kontr .. st mit denen welche unter uns angenommen sind. Bei uns nemlich - richt ist, ) i i, Mit Wie – Grundsätze der Türken beym Heyrathen. 127 wird auf Familie, Rang und Reichthum, bey den Groffen auf Staateverhältnisse u. dgl. Rücksicht genommen; nicht so bey den Türken, die meistens Sklavinnen ehelichen *), Ein Hauptbeweggrund hievon foll feyn, daß man nicht befahre, durch Einfluß der Weiber in Regierungssachen unglücklich zu werden, weil dann zumal Kabalen und Intriguen kaum vermieden werden könnten, aus diesem Grunde werden meist Sklavinnen in Fürstinnen verwan- delt, - - - - - - - - - - Wie bey uns das Rindvieh beym Abschlachten erst ge- schlagen wird, so wird in der Levante der Kopf der abzu- schlachtenden Thiere mit einem Handfchiar *) anf einen Schnitt weggehauen. In einem Nu ist der Kopf des stärksten Ochsen vom Rumpfe, - - 7. - Geschrieben auf der Insel Rhodos, in der Klosterzelle von la Vittoria. Nach einem vierzehntägigen angenehmen Aufenthalt auf dieser Insel war es Zeit, wieder zurückzukehren. - - ') Da das weibliche Geschlecht in der Türkei eigentlich im Stand der Sklaverey erzogen wird und lebt; da die Viel- weiberei ohnehin mehrere reiche Parthien schwer macht, weil Glückliche nicht gerne Nebenbuhlerinnen um sich ha- ben, fo läßt sich aus den bereits angeführten und vielen andern Gründen diese Verheyrathung angesehener Musel- männer in die unterm Stände leicht begreifen, *) Gattung Hirschfänger, 428 Zweytes Buch. Siebentes Kapitel, Kaum angelangt im Hafen von Konstantinopel –fieh da! die Folgen der Pest: zwey Kaiks fuhren über nach Sku- tari mit gestorbenen Türken, um dieselben nach ihren Fa- milien-Begräbnissen zu bringen. In Galata hielt man an. Rund um den Hafen waren sonst meistentheils offene Werkstätten von Schneidern und Trödlern; nun fand sich alles reihenweise zugeschloffen; die meisten Besitzer star- ben an der Pest, da sie mit angesteckten Waaren Verkehr hatten, und durch diese die Krankheit erbten. Bey so bewandten Umständen nahm ich lieber den Nachtfack, Ueberrock u. a. felbst unter den Arm, um sie eine halbe Stunde weit Berg auf in den Gasthof zu tra- gen, als durch einen Träger mich anstecken zu lassen. t: Ich war nun wieder in meiner ehemaligen Gefangen- fchaft; selten kam noch jemand zu Tische, doch versicherte mich dieser Tagen. Einer – nicht in teutscher Sprache – daß alles, was in Konstantinopel Hüte trage, Abenthen- rer oder Halunken feyen. Ich fah scharf nach feinem Kopfe und fand einen Hut darauf . . . . avis au Lecteur, dachte ich, und behielt die Moral seiner Behauptung für mich. - - Man erzählte: „Der Sultan habe befohlen, daß jedes Quartier von Konstantinopel ( deren zwey und fie- benzig tausend sein sollen » feine an der Pest Verstorbe- nen eingebe. Er fand die Zahl der Türken unverhältniß- mäßig groß gegen die der Griechen, und diese gegen die der Franken; er befragte den Mufti, den ersten Geistli- chen, über die Ursache dieses Mißverhältnisses. Dieser, aus- weichend einer bestimmten Antwort, sagte blos; Kesmet!““) *) (Prädestination) Vorausbestimmung, Verhängnis, Schicksal. - | Der Sultan und der Mufti. 129 Der Sultan war entrüstet, daß das Verhängniß: „übler den Seinigen mitspiele, als den Fremden“. Der Mufti, aufgeklärter und scheints uneigennütziger als mancher fei- ites Standes, wagte es den Beherrscher der Gläubigen näher auf die Quelle des Uebels zu leiten, und, indem er, nach alter Sitte, feine Lehre in Gleichnisse hüllte, frug er den Sultan: „Wenn im Sommer plötzlich ein starker Regen fällt, was thut man ? Man flieht unter das Dach, warum? Um nicht naß zu werden . . . und doch kömmt der Regen auch vom Himmel und ist eben- falls Verhängniß!“ Machmut soll nichts weniger als von beschränktem Geiste, oder an Vorurtheilen krank sein; etwelche der gesunden Vernunft entsprechende Maasregeln - wurden schnell genommen, um dem Uebel zu steuern. – Dies waren die ersten Folgen dieser allegorischen unter- haltung; so z. B. durfte von nun an dem Großvezier beyn Ausgehen. Niemand mehr (wie es sonst gewöhnlich war) das Gewand küssen u. a. dgl. Vorsichtsregeln mehr. Die Janitscharen, immer unzufrieden und schon vorher nicht im Einklang mit ihrem Herrn, ergriffen diese Gelegen- heit, den Sultan anzuklagen: daß er die Muhamedani- sche Religion zu verletzen sich unterfange;“ und alle Vor- scht noch mehr wegwerfend, starben sie hin, wie die Mücken. Man meinte aber, da sehr viele dieser Aufrüh- ter eingezogen wurden, daß sie entweder stranguliert oder enthauptet worden, und bloß unter dem Vorwand, sie sehen an der Pest gestorben, begraben worden seien. - - - - - . . . . ] Täglich zweymal wird den Garden in den verschiede- nen Quartieren, inn- und außer der Stadt, das Effen ge- I V so Zweytes Buch. Siebentes Kapitel. bracht. Zwei Männer tragen an langer Stange in zwei Keffeln die Speisen. Einer, in Hanswursten ähnlicher Kappe und Kleidung, geht vor den Trägern her; wer fich unter die Keffel flüchtet, findet eine Freystatt, auch wenn er gemordet hätte, und bleibt unverletzt, " Auch von der innländischen Obrigkeit kann er von da nicht be- langt werden. - - Nach mehreren Tagen Regen erhellte sich der Himmel und ich wollte wieder ins Freye, um außer den Mauern Luft zu schöpfen; ich durch stolperte die schlecht gepflaster- ten, engen Gaffen, wich aus rechts und links den Men- fchen und den Hunden, und gelangte endlich zum Begräb- nißplatz der Franken. Zu beiden Seiten, vor und hin- ter mir waren Gruppen, um Verstorbene zu beerdigen; Träger, die kamen oder gingen; bestürzt, irre gemacht war ich nun schon, ich eilte durchzukommen und lief was ich konnte, um die Höhe außer den Todten zu ge- winnen. Zum letztenmale genoß ich den schönen Anblick! Ameineten Ende der Stadt stund ich auf einer mäfi- gen Anhöhe; bald Thal, bald Hügel, von zahllosen Häu- fern befäet, lagen vor mir, weiterhin sich dehnende Gas- fen gegen die Bucht, bis an die Rundung des Hafens sich erstreckend; dann Waffer überdeckt mit Schiffen und Kähnen; jenseits bildet sich ein neues Gewimmel von Menschenwohnungen; weiter verliert sich das Auge in der Gegend der fieben Thürme, und schwimmt, ungewiß oh es wohl das andere Ende der größten Stadt Europas feyn möchte, oder, ob trüglich die Ferne noch weiterhin sich in Gaffen erstrecke, am fernen Horizonte hin. Wunder in der Kirche zu Skutari, 131 Müde vom Gang und der Sonnenhitze fand ich einen Baum, der fchönen Schatten gewährte ; darunter mich zu lagern, war ich im Begriff; aber, nein! fchnell zog ich mich in den heißen Sonnenschein zurück, um nicht im lieblichen Schatten die Pest zu holen. Kein Fleck bewahrt davor; sollt' ich zurückkehren über das Todtenfeld? Hier scharrte man ein, dort grub man zu gleichem Behuf. Genug hatte ich! - - Weg von hier! war mein schneller Entschluß, weg von dem Orte, wo jetzt die Leichensteinhauer, Todten- gräber und Todtenträger den besten Verdienst hatten, Gleich vor den Häusern begegnete ich einem Trupp der letztern; sie kamen zurück vom Begräbnißplatze und eilten schnell in die Stadt, um andere zu holen. Ein Troß von etlichen und zwanzig Buben folgte ihnen lärmend und ruhte nicht, bis sie hielten, einen aus ihnen auf die leere Wahre warfen und mit ihm davon sprangen; lachend und jubelnd und Steine nachwerfend, folgten die übrigen so weit ich ihnen nachsehen konnte! Dieß mag auch ein Beweis sein, wie wenig diese fürchterliche Krankheit hier schreckt, und es ist sich noch zu wundern, daß ihre Opfer nicht noch zahlreicher fallen. Ich war früher willens noch einmal nach Skutari in eine griechische Kirche zu gehen, um das daselbst ver- ehrte Wunder mit eigenen Augen zu sehen. Zur Zeit als Konstantinopel an die Türken überging, und von diesen erobert ward, befand sich der Patriarch in besagter Kirche in Skutari. Er ließ sich nicht überzeugen von der Mög- lichkeit der Eroberung von Konstantinopel, und behaup- itte einen Zweifel mit möglichster Keckheit; durch eine Küche gehend und einen Fisch aufm Roste erblickend, der - J 2 432 Zweytes Buch. Achtes Kapitel. - - halb gebraten war, äußerte er spottend: „So wenig die- fer Fisch vom Rost ins Waffer springt, so sicher ist Kon- stantinopel nicht in türkischer Gewalt!“ - Aber, o Wunder! fieh da, mit einem Sprunge er- hebt sich der Fisch vom Rost und wirft sich ins nächste Wafferbehältniß! Der halbgebratene Fisch ist seit den vie- len Jahrhunderten noch jetzt lebendig und auf der einen Seite gebraten zu sehen. Nun ist das Gedränge in die- fer Kirche eben des Fisches wegen, immer sehr groß, und aus diesem Grunde fand ich es auch mir zuträglicher, gegenwärtig meine Neugierde zu unterdrücken. - 8, Es war den sechs und zwanzigsten September, Mor- gens um zwey Uhr, daß ich wachte und feit einer Stun- de keinen Schlaf finden konnte; ganz gegen meine Ge- wohnheit fund ich auf und ging mit der Uhr an das Fenster. Ich zog den Vorhang. Wunderbar röthlich schien der Gesichtskreis; es war nicht die Helle des par- fam erleuchtenden Mondes . . . . es waren in der Ferne die Wolken, wie in Glut getaucht; eine Feuersbrunst in Konstantinopel! rief ich laut auf, und weckte den Sohn des Wirthes im Zimmer nebenbey. Ich meinte, Alles müßte wie bey uns in Alarm feyn. Dieß war aber hier nicht üblich: „oh, c'est loin d'ici!“ sagte er nach einer Weile, und legte sich auf das andere Ohr. Heller ward der Horizont; röther das Gewölk; ich konnte mich gar nicht in die Gelassenheit der Eingebornen bei einem so schrecklichen Schauspiele finden. In der unruhe S - Feuersbrunst in Konstantinopel. 133 kleidete ich mich an und trippelte im Zimmer herum; stille und ruhig ward's draußen in den Gaffen; ich war der Einzige wach . . . . Jetzt hört' ich von ferne den Feuerwächter; mit dem eisernen Stab schlägt er stark wider die Quadersteine, und er sang dießmal in liebli- chem, gedämmten Tone *). Von den tausend Hunden, die ihn gewohnt jede Nacht mit Geheul verfolgen, war jetzt keiner hörbar. Die röthenden Wolken mehrten sich, und meine Ungeduld bey diesen Schauspiele eingesperrt zu feyn, damit. Ich ging hinunter den Kellner zu we- ken: „ach,“ äußerte er unwillig, „es brennt ja fchon zeit. Nachts neun Uhr, wir haben hier nichts zu fürch- ken.“ Ich verlangte. Jemand, der mich begleiten möchte, um das Feuer zu sehen. „Es schlafe Alles.“ Ich bot Geld, bot einen Piaster für eine halbe Stunde, bot zwey für eine Viertelstunde. Umsonst, niemand wollte fich den Schlaf brechen. So gehe ich allein ! verfetzte ich entschloffen; nahm mein starkes Meffer in die Hand und hinaus in die engen, dunkeln, menschenleeren Gaffen. Was ich am meisten fürchtete, waren die Hunde; die Furcht war überflüssig; ganze Schaaren durchzog ich, es rührte sich keiner; so starken Einfluß scheint selbst auf die Thiere dieß zerstörende Element zu haben! Ein Platz bei einer griechischen Kirche zeigte mehr Helle; bey ge- genauerem Lauschen schien es dumpf in der Ferne zu dröhnen; ich rannte voll Ungeduld noch eine Gaffe durch, noch um eine Ecke, und ich hatte plötzlich unter meinen *-------- *) Singend zeigt er an, wo es brenne, und welchen Gang das Feuer nimmt, welches ich damals nicht wußte, s 434 Zweytes Buch. Achtes Kapitel. - Füßen das Gemälde einer Hölle! Das Unglück wüthete, rund um den Hafen her, wo ich stand, mehr denn eine Stunde vom Schauplatz des Jammers, war’s hell zum lesen; ein Raum von gewaltigem Umfange war roth und glühend; an drei verschiedenen Orten, kaum einer eine Viertelstunde vom andern entfernt, flammten die Feuer- fäulen lichterlohe zum Himmel empor; leckend griff das Feuer mit unglaublicher Schnelle, gleich einem Erguße der Lava des Vesuvs, dem auch einzig dieser Anblick zu vergleichen ist, um sich, und fraß in der Runde herum, was es antraf. Die hölzernen, gediegenen Häuser, alle dick mit Oelfarbe überstrichen, flatterten in hohen Flam- men auf und stürzten dann krachend in einen Augenblick zufammen. Das Quartier der Juden ward ergriffen, Magazine von Oel, Brandtwein, Holz, vermehrten das Schreckliche der Sache. Es war Samstag, sie durften ihrem Gesetz zufolge, nicht einmal ihre Haabe flüchten. Immer furchtbarer dehnte sich an allen drey Orten die Verheerung aus. Mitten inne leuchtete düstere Glmt; den Vorgrund machten Schiffe, Segel, Tauwerk, Schiffs- - magazine. Rabenschwarz hoben sie sich aus dem Feuer- meer; die Minarets fchienen, wie lange weiße Wachsker- zen aus den dunkeln Cypreffenwäldern, das beleuchtete Stambul gab den Mittelton; im Waffer des Hafens wir derspiegelte sich der Brand und die Beleuchtung; nur dumpf und unvernehmlich war der Hall des Gelärms und der Verwirrung aus der Ferne; immer und immer heller ward die Gegend; wenig hörte man von Schrecken ge- lähmt, die Umstehenden. Tschogg, tschogg*)! feufzten ----- *) Zuviel, zuviel! Feuersbrunst in Konstantinopel. 435 leise die Türken; weniger dabey interessiert schnatterten die Griechen untereinander. Es begann zu dämmern. Es tagte; verändert ist die Szene; der rothe Rauch gewann graue Farbe, mit weiß und röthlicht untermischt; die bey Nacht abgebrannten Stellen vom Feuer noch glänzend, stachen jetzt fchwarz wie Kohlen heraus; es ward ganz Tag, ich befand mich auf'm Gipfel eines Schutthaufens, wo vor drey Jahren ganz Pera abbrannte ! Hinunter fah ich noch einmal in das Chaos von Schutt und Asche, Qualm und Glut von acht bis zehntausend Häusern! Das Elend der Menschen trübte und verwirrte meinen Sinn; zu meinen Füßen lag der türkische Todtenhof; tiefer unten der Brand . . . . ich fah um mich, Schaaren von Trägern kamen! Sie kamen zurück vom Begraben derer, welche die Pest“töd- tete, mit Tagesanbruch! Sie eilten. Andere zu holen, Mich schauerte; genug, genug hatt' ich des Elends ge- fchen! Weit, weit weg von hier, war sogleich mein wiederholter Entschluß. Zwei Tage darnach schritt ich zur Ausführung des selben. Ich ging noch um etwas Nöthiges zu besorgen, zu dem Kaufmanne an den ich addressiert ward; vorher unterhandelte ich schriftlich mit ihm, weil der Krankheit wegen Niemand angenommen, oder wenigstens nicht gerne gesehen wurde. Ich ging das lange Pera hinunter nach Galata; ein Sarg nach dem andern begegnete mir, vier Träger bey jeden; der Sarg war überdeckt mit einem gedruckten Teppich, meist fehr greller Farbe, roth um 4.36 Zweytes Buch. Achtes Kapitel. gelb gestreift, und vorne darauf einen Turban, das Wahrzeichen des Muselmanns. - Zurück, schlug ich den kürzern Weg (um weniger dic- fem traurigen Anblicke zu begegnen) über den kleinen Begräbnißplatz der Türken, ein; aber ich kam vom Regen unter die Traufe ! Pestkranke wurden vorbeygetragen, Todte versenkt; der Platz schien ein frischer Umbruch; die Atmosphäre war mit Leichenduft und Dünsten der Ver- wesung angefüllt. Wie konnte es anders sein! In der kurzen Zeit meines Aufenthalts zählte man neunzig tau- fend Menschen als Opfer dieser Krankheit! Das sind Schreckniffe, welche bey uns unbekannt sind. *): Pest, Feuersbrunst und Revolution. Kein Augenblick sichert in der Levante vor allen diesen drey Uebeln! - Erschüttert und matt erreichte ich den Gasthof und beeilte mich, schnell meine Sachen zusammen zu packen. und nun noch einen Rückblick auf Konstantinopels Wirklichkeit, auf diese unermeßliche Stadt! Welch ein prachtvoller, einziger Anblick sind ihre Umgebungen! Wahrlich, wie er nirgends anderswo zu finden ist! Wohl ist es aber auch nur der Anblick und zwar nur der aus der Ferne, nicht die Gegenstände an sich! Anwendbar ist hier das Gleichniß von Freskogemälden oder Dekorations- *) Wenigstens in diesem hohen Grade. Unsere epidemischen Uebel und Feuersbrünste halten keine Vergleichung mit der Pest und einem Brande in Konstantinopel aus, und eine eigentliche Revolution sahen wir nicht." Rückblick auf Ko n fit antinopel, 137 mahlerey, welche in gewisser Entfernung herrliche Wirk- ung thun, aber in der Nähe betrachtet mit groben Pin- fel aufgetragen nur Kleckse und aufgehöhte Schmiere darbieten, und wo, statt höherm Genuß nur Unwille er- folgt. So ist's mit Konstantinopel! Von ferne winkt der Hain mit seinen dunkeln Cypreffen und ladet in seine schwärmerischen Schatten; man eilet hin und findet un- wegsame Steinbrüche; nicht drey Schritte kann man außer den schmalen, sich durchkreuzenden Pfaden, darinn machen; Verwesungsgeruch duftet unter diesen Schatten, und lieber setzt man sich wieder der Sonnenhitze aus. Die lieblichen, amphitheatralischen Höhen, so unbeschreib- lich schön und reizend den Auge, was sind sie, wenn man sich hinbegiebt? Durchmühen zwischen engen Lö- chern, durchschlüpfen zwischen baufälligen Hütten von faulen Holze muß sich der Wanderer, Wohnungen, oft eher Hühnerställen ähnlich, als menschlichen Aufenthalts- orten; überschmiert mit gefärbter Erde, verwittert und Stellenweise abgebleicht, und wenn man sich endlich durch- gearbeitet hat bis zu diesen, von ferne zauberähnlichen Hügeln, so findet man Geschrey und Gelärm; wird ge- stoffen und getreten von der Hefe eines rohen Volkes in den unreinen und engen Straßen; verfolgt von zahllosen Hunden, die oft mehr Recht genießen als der Fremde ; übler Geruch, erzeugt durch Unreinlichkeit, was denn die Luft in diesem Lande, welche die beste sein sollte und könnte, höchst ungesund macht; das Sehenswerthefte der Stadt, die Dschamien und Minarets, verboten zu be- treten; endlich, die fchönsten in die Augen fallendsten Gebäude, weiche aus der Ferne beinahe das Auge blen- den, wie z. B. der Brunnen von Tophana nnd die Menge 438 Zweytes Buch. Achtes Kapitel. andrer mehr: was leisten sie in der Nähe? . . . . Ver- goldete, hölzerne Tülpchen, auf blauem Grunde; Blu- mentöpfe einer Nuß groß und die Pflanze darin einer Ei- che gleich; Fische nach Grappenart; Zweifelstricke und Schnörkel, einer zierlicher als der andere, fo zwar, daß die Kilbi-*) Schmierereien unserer Bauern noch Raphael- fche Arbeit dagegen sind. Alles dieß, wenn man in die Nähe kömmt und das Ganze wie die Theile so völlig an- ders findet, als aus der Ferne, erweckt eine Empfind- ung, wo man nicht weiß, ob man lachen oder weinen foll, sicher aber sich ärgern muß! - Die Armenier, deren es mehrere christliche und ma- hottedanische Sekten giebt, machen in Konstantinopel ei- ne sehr beträchtliche Volksmenge aus. Wie die Griechen sich unter einander haffen, plagen und fo zu sagen selbst vernichten, so halten hingegen die Armenier in Handel und Wandel wie die Juden zusammen. Die größten Reich- thümer befinden sich in ihren Händen. Dennoch ist es bei ihnen stillschweigende Uebereinkunft und Politik, arm zu fcheinen und sich schlecht zu tragen; sie befolgen allge- nein die höchste Oekonomie; auch die reichsten und ange- sehensten aus ihnen begnügen sich beim Frühstück mit ein paar Schaalen Caffee; beym Mittageffen mit etwas Käse und Brod für wenige Parahs, und ihre Hauptsache, das Nachteffen, ist eben so einfach. Gilt es aber zu glänzen, feys auf ihren Landgütern, oder wo sie von den schröpfen- den Türken nicht beobachtet werden, fo wird allem auf *) Kirchweih. \ Türkische Sprache, 139 geboten, um sich zu, zeigen; und auf ein Geburts- oder Namensfest werden für ein Gastmahl fechs- achthundert bis tausend Piaster nichts geachtet; an einen solchen Tage macht man sich aus Dukaten weniger als an jeden gildern aus einem Parah. Die türkische Sprache lautet lieblich fürs Ohr, ist sanft und angenehm; sie wird von den Einwohnern richtig und deutlich gesprochen, und ich glaube, daß in derselben weniger verdorbene Mundarten statt finden, als in jeder andern. So viel ich davon erlernte, fand ich auch nicht ein einziges Wort, daß eine Aehnlichkeit mit dem Latein, oder den Töchtern dieser Sprache, denn italienischen, französischen und eben so wenig mit den deutschen hätte. Die Schrift ist, wie bey den Juden, von der Rechten zur Linken; sie soll äußerst schwierig zit erlernen seyn, welches daher rührt, daß die Sprache keine feste Regeln hat; sie stammt aus der arabischen, und ist so schwierig, daß der Türke, wenn er achtzig Jahre an seiner Muttersprache studierte, dennoch am Ende feines Lebens gestehen müßte: Er wüßte nichts Gründ- liches davon, eben weil keine Sprachlehre vorhanden ist *). - e- - - Die Türken haben es nicht gerne, daß man sie bey diesem Namen nennt; lieber ist ihnen die Benennung Muselmann, oder Oßmannli. ") So versicherte mich einer, der ein Kenner war, und die türkische Sprache geläufig zu reden, zu liefen und zu fchreihen wußte, . - - - 140 Zweytes Buch. Achtes Kapitel. Mahomed *) ist ihr erster, oberster Prophet. Er ward geboren im J. 598. in Mekka, ward Sklave eines fehr reichen Frauenzimmers in Servien und heyrathete fie, nachdem er sich allmählig aus dem Sklavenstande erhob; erbte sie dann und vermählte sich mit verschiede- nen andern, von denen er denselben Vortheil zog. Im J. 621. begann er seine Religionsgrundsätze öffentlich auszubreiten; mit Beyhülfe christlicher Mönche faßte er den Koran ab, und starb im 63sten Jahre seines Alters. Sein Glaubensbekenntniß: „Mahomed ist Prophet und mit Gott verbunden; das alte und neue Testament ist wahr, aber von Juden und Christen verdorben; der Koran hebt beyde auf, und ver- dient als Gottes Wort, Verehrung.“ Die Mahomedaner glauben an das jüngste Gericht; an immerdauernde Strafe oder Belohnung, also an Hölle und Himmel. Letzterer enthaltet alle Reize der sinnlichen Lust. Bilder und Heilige zu verehren ist nicht erlaubt. Verboten von Gott find: Kartenspiel, Wein, Jagd, Schweinefleisch. Die Bielweiberey gestattet; Gebeth fünfmal täglich; Almosen und den Zehenden geben; Fa- ften in Rhamazan von Morgen bis in die Nacht; einmal im Leben nach Mekka wallfahrten, ist Religionsgesetz. Alle Ereigniffe kommen von Gott, das heißt bey ihnen Kesmet ( Vorausbestimmung); sie haben keinen Tag im ganzen Jahr, an welchem ihnen zu arbeiten verboten wäre **). - - - - - - *) Bedeutet fo viel als der Gelobte. **) Da dieß. Alles größtentheils bekannt ist, so enthalte ich mich billig darüber ausführlicher hier zu reden. Abreife nach Smyrna, - 441 9, Geschrieben in Alexandrien. Den dreißigsten September, Nachts um eifuhr, setzte ich mich zu Schiffe. Noch einmal sah ich Konstan- tinopels Pracht, der Rhamazan hatte die ganze Stadt beleuchtet, die hohen Minarets überglimmerten mit ihrem dreifachen Lampenkranze die erhellten niedrigern Gebäude, und Musik ertönte in allen Moscheen, Aber ich ließ jetzt Konstantinopel mit seinen Herrlich- keiten und Schreckniffen hinter mir und segelte über in einen Welttheil, in welchem ich kein athmendes Wesen kannte, - Schon zwei Stunden ging die Fahrt gegen die Mitte des Meeres von Marmara hin und doch schimmerte noch düter das beleuchtete Stambul. Zierlich hell war der Horizont; weit größer als bei uns erschienen die Gestirne; es war so ruhig in mir und nichts störte mich. Der Ja- mitschar, mit dem ich reiste, und noch ein anderer mit Depeschen von Wien, auch nach Smyrna bestimmt, waren nach Landessitte still und Stundenweise sprachlos; bei so vielen Anläffen, gleichsam allein zu sein, fand ich immer für mich erhöhtern Genuß in der Stille, als bei den meisten Unterhaltungen in Gesprächen. Einge- wiegt in die Phantasie, verschwand die Nacht, wie ein ruhiger Traum. Von ferne erkannte ich noch die Prin. zeninseln. Die See ging allmählich hoch, das Kaik war sehr klein; eine Welle schlug oben über und machte mich über den Rücken naß bis auf die Haut. Gegen Abend landeten wir in Anatolien; ein beträchtlich breiter E 142 Zweytes Buch, Neuntes Kapiter. \ Fluß von Malhone herkommend, ergießt sich da ins Meer; wir fuhren ihn mehrere Stunden hinauf, und, da er scheint's, Untiefen in Menge hat, waren an den Mündungen Männer mit Fahnen bis an die Hüften im Waffer, um die Schiffe sicher zu leiten. Weiter vor erblickte ich drei bis vier kleine Schiffe, welche ein beträchtlich Großes umgaben, das bestimmt war, die Melonen, womit die kleinen beladen waren, nach Konstantinopel zu bringen. So wie die Ladung aus den kleinern Schiffen ins Große vor sich ging, schien die Manier zu laden, von den Affen entlehnt. Aus jedem Kaik ward die Frucht von vier bis fünf Personen einander zuge- worfen, und immer sah man ein Dnzend Stück in der Luft fchweben. - - Beym ersten Eintritt in den andern Welttheil, fand ich die ihm zugehörigen, eigenthümlichen Thiere an den Häusern abgemalt; Schlangen, Tiger, Löwen, in der Größe von Ochsen, gebunden mit, der Kette an einem Baum von der Dicke eines Strohhalms. Auffallend war mir das prächtige Geländ: die Tabackpflanze war bis fünf Schuh hoch in zierlichem Flor; alle Bäume, so krüpp- licht sie waren, trugen Früchte; Feigenbäume proßten aus allen Steinhaufen; eben so Oliven, in der Dicke wie Eichen, und doch ist das Ganze der Gegend eigent- lich unangebaut. O wie viele Menschen könnten in dieser fruchtbaren Wildniß pflanzen, leben und glücklich sein: Auf raschem Pferde, das Innere dieses Erdstriches durch rennend, sagte ich mir so oft: diefe und diese Gegend ist nicht in Europa, sie ist unter anderer Zone, hat an, dern Charakter u. f. v. C z Wirthschaft mit den Türken. 443 Mit meinen Türken konnte ich wenig selter haben; flach Landes gebrauch aß ich Anfangs mit ihnen Pillau und Hühner von der Hand weg. Glied für Glied ward abgekneipt, bis das leere Gerippe übrig blieb; dienstfert- ig legte mein Muselmann mir die besten Brocken, die er abreißen konnte, vor. Späterhin brachte man süßes Kalva *) und raren Kaimak *), und zum Beschluffe Jaurt *). Ich schlief ruhig aufm Boden der Hütte der im Hof des Khans, oder im Stalle. Zum Verdruß meiner Begleiter trank ich freilich Wein, den ich bey einem Griechen erfragen konnte und womit ich meine höl- zerte Flasche ganz anfüllte. Späterhin eckelte mir doch vor dieser Manier, die Speisen unter Dach zu bringen; zudem geschah diese Verrichtung von Seite der Türken mit einer solchen Eil- fertigkeit, daß ich weit zurückblieb und anzufangen meinte, wenn sie schon fertig waren. Es ist unbegreiflich, wie schnell diese Menschen überhaupt die Speisen verschlingen, daher denn auch das bei ihnen so gewohnte Aufstoffen “), aus dem sie sich aber so wenig machen, als wir aus dem Nießen; und endlich war's mir fehr unangenehm, sehen zu müssen, daß sie mein Weintrinken wirklich ver- ') Kalva ist von Honig und Oel zubereitet, in der Form eines Käses mittlerer Größe, es krächelt. Anfangs im Munde, und scheint hart, ist aber bald in einen süßen, angenehmen Saft aufgelößt. - ") Kaimak, besonders eingekochter Milchrahm. *) Saure Milch, - - - - - - - - - - - *) Rülpfen, . ." 444 Zweytes Buch. Neuntes Kapitel. droß. Tausend Andre hätten ihnen darüber ins Gesicht gelacht, mich aber störte es, denn ich konnte nun schon - nicht mehr, wie ich's gewohnt war, beym Effen frohfeyn, Was ist aber auch für unser einen, der des Weins be- darf, für Freude: zu effen ohne Wein zu trin - - ken? Das Gesellschaftliche und Erheiternde fällt ganz weg, und durch diesen Umstand läßt sich die Schnelligkeit ihres Abspeisens auch eher erklären. Kurz, es ward nach und nach eingeleitet, daß ich die vollen Schüffeln eine halbe Stunde vorher erhielt und mich mit Weile und nach Belieben bedienen konnte, gleichwohl, wenn sie sich auch späterhin bei mir niederließen, waren sie ge- wöhnlich doch noch vor mir fertig. . . . . Eine Menge großer Karawanen von Kamelen begeg- nete uns. Vor jedem Trupp gewöhnlich ein Mohr aufei- nem Esel, als Anführer. Es ist beinahe unglaublich welche starke Märsche die Pferde dieses Landes ausdauern; eines Tages, von Morgens halb sechs bis Abends neun Uhr, ward kaum eine halbe Stunde Halt gemacht. Die Pferde bekommen nur Gerste und gehacktes Stroh zu fres- fen, und einmal des Tages nur in der größten Hitze, und zwar sehr sparsam, zu trinken. - Ich glaube nicht, daß die bei abgerichteten Reit- pferde unserer Gegend leichter gehen, als die hier gewöhn- lichen. Meistens verreiste man ein oder zwei Stunden nach Mitternacht; wenige Stunden abgerechtert, blieb man bis spät in die Nacht zu Pferde; dennoch empfand ich beim Absteigen auffer der unbequemlichkeit der immer gleichen Haltung, keine andere. Sie klettern und sprin- gen, wie die Katzen, die steilsten Höhen hinan und über die Gräben, Eben so sicher laufen sie in Tiefen und Löcher t Pferde dieses Landes, 445 hinunter, wohin es zu kommen kaum möglich scheint, und doch haben sie an den Hufen keine Zacken zum Aufhalten, wie bey uns, im Gegentheil ihre Eifen find gebogen und gehen verloren aufwärts; in der Mitte des dünnen Hufs ist eine Oeffnung von der Größe eines halben Neuentha- lers. - - Der Janitschar ersah sich gewöhnlich den nähern Weg; und ohne Umstände ritt man mitten durch die schönsten Baumwollenfelder und Pflanzungen, um abzu- kürzen. Wie Schneeflocken drang die reife Wolle elastisch, aus der engen Kapsel und gewährte auf den unübersehba- ren Feldern einen lieblichen Anblick; fchöner noch er- schien der bey uns bewunderte Balluster *), mit den frischgrünen kecken Blättern und prachtvollen rothen Blu- men; ganze Strecken waren als Wildniß von diesen schö- nen Bäumen überdeckt; wild wächst überall der Salbey; wild, der bey uns mühsam zu erhaltende Spargel; wild, aus steinigtem Grunde, in Menge kleine, weiße Jonquil-, len, herrlich duftend. Ueberhaupt der balsamischen Kräu- ter, Blumen und Pflanzen die Fülle. - 10, Geschrieben auf dem Nil. Den zweiten Abend, es war schon dunkel, führte der Weg zwischen enge entgegenstehenden Felsen durch. Der - *) Granatenbaum. Die Blume dieses Baumes heißt lat. Balaustium; die Griechen hatten sie dem Sonnengotte ge- weiht, die Aegypter brauchten die fchöne Form zu Säu- lenverzierungen, daher heißt jetzt noch ein Geländer von folchen Säulen franz. Balustrade. - - K 446 Zweytes Buch. Zehntes Kapitel. Wind sauste und machte Geräusch; auf einmal erscholl ein klägliches Geschrey, wie von einem Kinde von vier bis sechs Jahreu. In dem Gebirge verirret dachte ich es, und lauschte mehr; bald schien es zu sprechen, bald laut zu schreyen; der Wind machte die Töne zweifelhaft. Die rohen Menschen, die Janitscharen, spotteten darüber und äfften es nach; ich wollte mich erkundigen; entweder verstand ich es nicht, mich gehörig auszudrücken, oder man wollte mich nicht verstehen. Plötzlich, auf der an- dern Seite des Berges, erscholl ein ähnlich Geschrey; jetzt begriff ich, daß ich irrig muthmaßte, daß es kein Kind, wohl aber ein Thier sein müsse, und jetzt nannte ein Knecht das Wort: „Schakal,“. Ich war aus dem Wunder. Ein gellenderes, durchdringenderes und der Menschen stimme ähnlicheres Geschrey, als das dieser Schakals, hörte ich felten. Ich befand mich nun in jeder Rücksicht auffer der Christenheit, und aus wars mit Jakob und Johann, mit Peter und Paul, statt dieser klang jetzt Ab- du lah, Achmet, Mustapha, Ali, Jsmael, Mehmet und Osmann a. Auch in gewohntem Ge- spräche machte ich in dieser neuen Lage Druckfehler, die nicht zu entschuldigen waren; so fragte ich einmal: ob wir heute Sonntag hätten ? ein andermal, ob hier ein guter Wein wachse? - So wie bei uns auf der Straße oft angehalten wird, um ein Glas Wein zu trinken, so geschieht es hier um Caffee zu geniefen; kaum ab dem Pferde, so bringt man schon eine Schaale entgegen. Mit Rauchen und Caffee- trinken beschäftigt man sich in den Ruhestunden: ob diese Lebensart nicht vorzüglicher sei als die unsrige, will ich J. iii) Herrliche Polizey in Anatolien, 147 nicht entscheiden, mir will fcheinen, daß sie wenigstens für den Reifenden sicherer fey, als der zu öftere Gebrauch des Weins. Man verliert nicht, wie bei diesem, die halbe oder ganze Besinnung, oder macht sich durch ge- schwefeltes Getränk. Kopfschmerzen. Der Genuß des Caffees macht munter und stärket noch überdieß den Ma- gel, - Was in der europäischen Türkey allgemein üblich ist, Waffen bei sich zu tragen, das findet hier gar nicht statt, Es ist die gute Polizey des Pascha von Anatolien, Co- roßm an Oglu, denn man diese bewundernswerthe Ord- nung verdankt. Jeder Fleck dieser Gegend ist von der Sicherheit der ganzen Provinz bezeichnet, und macht die schwerfälligen Waffen, Pistolen und Flinten überflüßig. Dieß ist ein höchst beruhigender Anblick für den fremden Reisenden, - In weiter Landschaft, bei vielen Stunden im Um- fange, sah man kein Waffer, und doch war die Gegend bergicht, so daß sich muthmaßen läßt, daß beym gering- fen Regen die Waffer austretten, sich vereinen und zu Füßen bilden könnten, und doch sah man nirgends eine Spur davon. Vielleicht, daß in dem fandigten Boden alles Gewäffer versiegt: felten findet sich etwelches zum Trinken. In Man affa ward Halt gemacht und über- lachtet; die Stadt ist beträchtlich groß und lieblich am Abhang von Felsen in romantischer Gegend gelegen; übri- gens, wie alle türkische Städte, von engen und unreinen Gaffen u, f, w. entstellt. - Von einem Türken ließ ich mich hier raffiren. Wenn man die Sitte nicht kennte, fo könnte ein türkischer Bar- hier einem den Angstschweiß auf, Der Kopf wird - 448 Zweytes Buch. Zehntes Kapitel, A von dem Scherer hart an feine Lenden gedrückt und der Bart so scharf und tief genommen, als nie bey uns; am Ende werden mit einer feinen Schere noch die Härchen aus den Nasenöffnungen geschnitten. Drey Stunden vor Ankunft in Smyrna sah man von einer Höhe herab die Stadt mit ihrem von Schiffen angefüllten Hafen. Bey Sonnenuntergang ritten wir durch die weitschichtigen, engen Straßen, aus welchen der üble Geruch der herrschenden Unreinlichkeit mir den Eindruck des ersten Augenblicks schon verdarb. Die Ana ficht der eigentlich nicht unebenen Gegend war nicht ver- mögend, die widrige Empfindung dieser Unannehmlichkeit zu tilgen, besonders bey Jemand, der von Konstantino- pel kömmt und also an jenen Himmel verwöhnt ist. Nicht weniger unangenehm sind die schlechtgepflasterten Stra- fien; und, wenn man sich müde darauf gerennt hat, um etwas freie Luft zu schöpfen, so ist es eine schattenlose, einförmige sich immer gleiche Landschaft. Hohe Mauern beschränken die Aussicht auf Land und Meer ; die be- uachbarten Inseln entschädigen nicht, und sind, wie schon bemerkt, für das in Konstantinopel verwöhnte Auge nicht anziehend genug! - In Smyrna war früher die Pest, immer aber wird die Krankheit auf Sankt Johannisfeyer gebrochen. So wars auch dieß Jahr derselbe Fall. Die Franken waren alle wieder von ihren Landsitzen zurück, wohin sie sich, wie in Konstantinopel, während dem Uebel geflüchtet hatten. Es war mir neu, wieder ins Gedränge gehen zu *, Kamele. - - - - 149 dürfen und nicht schon von ferne ausweichen zu müffen, was ich bereits ganz gewohnt war. - - Smyrna galt für die erste Handelsstadt der Levante, litt aber, gleich jeder andern, ungemein durch die Zeit- umstände und den Wetteifer des augenblicklich vortheil- hafter gelegenen Salon ich s. - Skutari, nur ein Fleck von Konstantinopel, ist viel- leicht größer als Smyrna. – Der Basar ist beträchtlich; der Warenlager gibt es eine Menge, sind aber oft nicht viel beffer als unsere Jahrmarkts-Budengerüste; die ganze Stadt ist von Holz; die Bauart und der herrschende Ton dem in Konstantinopel ähnlich; die Frauenzimmer noch vorsichtiger als dort, bedeckten die wenige Oeffnung um die Augen her, noch mit einem schwarzen Flor, so daß man gar nichts als Vermummung sieht. Die Kaufleute find gesellschaftlicher als die Konsuln und befoldeten Beamteten. Erstere haben ein Kasino, wo man eine gefällige Einrichtung und jeden Abend Gefell- fchaft antrifft, - Die Kamele sind im allgemeinen Gebrauche für die Reisen sowohl, als für die Fortschaffung der Waaren zuf Lande. Diese nützlichen, dauerhaften Thiere, so folgsam, daß ein Knabe von sieben bis acht Jahren fiel durch Worte sogleich auf die Knie und sodann zum Niederliegen bringt, umgeladen zu werden, sind weder mit Güte noch durch Schläge zu bewegen, wieder aufzustehen, wenn sie nur wenige Okka *) über das gewohnte Gewicht beladen wer- den. Sie murren und schreien laut, wenn man sie in - - - - - ) Ein Okka ist zwei Pfund. - - 4150 Zweytes Buch. Zehntes Kapitel. diesem Falle aufzustehen nöthigt; bewegen sich aber nicht von der Stelle. - - Ich besuchte die den Armeniern angehörige Indienne- fabrike; auch hier das Entgegengesetzte von uns. Die Drucker sitzen mit Kreuzweife übereinander geschlagenen Beinen, wo nur ein Platz zum Sitzen sich findet, den ganzen Tag über, und fetzen den Model gleichwohl mit einer Schnelligkeit und Genauheit, die in Erstaunen fetzt. In allen den kostspieligen Farben, mit welchen bei uns fo haushälterisch umgegangen wird, wird hier gegeudet. Bey uns ändert Zeichnung, Model und Farbe immer und unaufhörlich, hier bleiben sie halbe Jahrhunderte durch dieselben. Bey uns trachtet man Gefallendes zu verfertigen auf Kosten des Haltbar-Nützlichen. Hier das Haltbar-Nützliche ohne Rücksicht auf die mindeste Abände- rung zu Gunsten des blos Gefallenden. Bey uns ist man – vorsichtig und geheim mit den chemischen Zubereitungen und Behandlungen, hier werden sie so offen vorgenommen wie in einer Garküche. Smyrna (türkisch Ismir) ist der einzige Platz in der Levante, welchem gestattet ist, mit Glocken, oder vielmehr Glöckchen, zum Gottesdienste einzuladen. Der Pöbel ist hier roher als in Konstantinopel und gegen die Franken barsch und gehässig. Bei der letzten Revolution gegen diese, sollen, wie mir ein Augenzeuge erzählte, unsägliche Greuelszenen statt gefunden haben; die Ur- fache des Aufstands ward aber mehr oder weniger durch die Schuld der Franken bewirkt. Es ward nämlich ein Türke von einem Franken erschoffen. Die Freunde des Erstern verlangten den Thäter und Genugtuung, dieser aber wußte sich bald als ein von dieser, bald als ein von Neckereyen in Smyrna. 154 jener Nation Beschützter anzugeben, und der venetianische, freichische und noch ein anderer Gesandter, spielten so lange nach ihrer Meinung mit europäischer Politik, bis die türkische Geduld brach und sich engend und brennend in einem Aufstande, durch den Mord einer Menge Fran- ken, selbst Genugthuung verschaffte. - Ich ging eines Abends gegen die zerstörte Festung oben auf dem Berge, um die Aussicht zu genießen; in einer entlegenen Gaffe fand sich ein Trupp Mohren bey- derley Geschlechts, die mit Musik begleitet, ihre Tänze tanzten. Ohne mich aufzuhalten ging ich vorbey; ward aber nichts desto weniger mit Steinen verfolgt; ein Glei- ches begegnete mir von türkischen Buben in einer Haupt- straße. Niemals erfuhr ich das geringste Aehnliche in Konstantinopel. 11, - Geschrieben im Groß - Kairo, Nach acht Tagen Aufenthalt , ging ich den siebzehn- ten Oktober zu Schiffe, um die Inseln Griechenlands zu besuchen. Die Rückerinnerung ehemaliger Unfälle auf frühern Seereisen im mittelländischen Meere; der ausge- standenen Stürme auf dem adriatischen, die ganze Länge von Dalmatien herunter, ward erneuert; ich bestieg nicht ganz gerne dieß mißliche Element. - In heftigem Sturm ward abgefahren; in dreyviertel Stunden hatten wir mehr als eine deutsche Meile zurück- gelegt; plötzliche Windstille trat ein; das Schiff blieb, 452 Zweytes Buch. Eilft es Kapitel. wie angenagelt; es ward Nacht. Donner und Blitz roll- ten und zuckten in einem fort, und ich hatte Angst die schlimme Nacht zu überstehen. Sie war unnöthig! Das Gewitter dauerte bis am Morgen mit vollkommenster Windstille; dann erhoben sich später Gegenwinde; mit mühsamem Lavieren ging es langsam vorwärts. Die Reife dauert gewöhnlich zwei Tage ; mein Vorrath von Lebens- mitteln war für nicht viel länger eingerichtet, und ich mußte mich die drey übrigen Tage mit Brod allein begnü- gen. – Noch hatte ich Caffee und Wein und war fomit nicht zu beklagen! – Seitwärts in einer mäßigen Ent- fernung von uns, lagen bald Infeln, bald fllaches Land, auf welchen letztern kleine weiße Hügel, wie sehr großt Heuhaufen, dem Dutzend nach, einer am andern sich zeigt ten. Schnee konnte es in diesem warmen Lande nicht feyn, und doch war es so blendend weiß! Es war Salz das hier auf der ganzen Oberfläche und in den Tiefen sich so häufig findet, daß man nur mit Schaufeln es zusammenfcharren kann, um ganze Schiffs- ladungen im Augenblick aufzuhäufen; ich wäre gerne ans Land gegangen, aber die See ging hoch und ich war we- nigstens noch eine halbe Stunde davon entfernt. Delphi- nen geleiteten das Schiff in Menge; oft zählte man gegen ein Dutzend auf einmal in der Nähe desselben. Türken, Creolen und Mohren waren meine Schiffsgesellschaft. Ich war der einzige Getaufte, doch kam ich erträglich mit diesen fremden Gesichtern und Farben aus. , Seio. 453 12. Seio ist als eine der schönsten und größten Inseln des Archipels beschrieben. Die Einwohner sind thätige, spekulative Kaufleute; alle reifen, und in den meisten entfernten Handelsplätzen findet man Seioten. Die Insel scheint wenig urbar und bietet von Außen längs dem Meere nur kahle Felsen dar, aber in ihrem Innern findet sich prächtiges Gelände. - Fast nirgends in Griechenland sind Wirthshäuser üb- lich; ich ward demnach in ein Kapuzinerkloster einquar- irt, in welchen sich gegenwärtig ein einziger Pater auf- hielt. Er war aus dem italienischen Tyrol; ein ver- nünftiger, aufgeklärter, einsichtsvoller Mann, defen Um- gang mir Vergnügen machte; als Gast befand sich gerade ein junger Arzt von Lukka gegenwärtig, der mehrere Jahre in Aegypten zugebracht hatte, und beynahe zur gleichen Zeit mit mir wegen der Pest aus Konstantinopel entwich. Die Zelle, die mir zur Wohnung diente, war enge und dunkel, oben aber war ein großer, geräumiger Saal und ganz oben ging man auf'm Dache spazieren, Welche Aussicht! Welches Vergnügen für mich! Italiens Klima und Asiens Produkte. Aus den gleich unten liegenden duftenden Orangenwäldchen tönten die Stimmen einer Menge von Nachtigallen; weiter, in der Ferne, un- fruchtbare, kreidenartige Felsen; romantische Parthien von Homers Vaterland; auf der andern Seite beschifftes Meer, belebte Küsten, und des Archipels reizende Ansicht mit den fernen Inseln ! - - Auf der Teraffe dieses stillen, ruhigen, mir so an- gemessenen Aufenthalts, genoß ich eigentlich glückliche 454 Zweytes Buch. Zwölftes Kapitel. Stunden. Bald war es die Einsamkeit, bald die anzieh- enden Gespräche der beyden Einsiedler und öfter noch das belehrende Buch, was mir diesen Aufenthalt so theuer und lieb machte, Ueber Klöster und Klosterleben an einem solchen Orte Betrachtungen anzustellen, ist ganz begreiflich. Durch den Gang und Drang der Zeiten und Zeitumstände find diese Institute beynahe durchgehends aufgehoben und von Vor- urtheilsfrey feynwollenden Menschen in unserm aufge- klärten Zeitalter für überflüßig erklärt worden. Jede Einrichtung, Anlage, Anstalt in der Welt artet endlich von ihrer ursprünglichen Bestimmung aus, und es ist nicht zu leugnen, daß auch die Klöster nach und nach den Geist ihrer Stiftung verloren; aber, indem man den Stab über fie brach, schüttete man auch das Kind mit dem Bade aus! . . . . Wer hat denn jetzt den Genuß, den vorher oder ehmals die Klöster hatten ? Einst ward an geist- liche Behörde erstattet, was jetzt an weltliche, an Civil- oder Militairbehörden muß abgegeben werden: gutwil- lig, wenn auch oft durch Vorurtheil mehr oder weniger geleitet, trug ehemals jeder fein Schärfchen nach der Opferbüchse in Tempel, und hatte noch die Freudigkeit zu wähnen, ein gutes Werk verrichtet zu haben. Mit Zwang wird jetzt das Gleiche und noch mehr erhoben, mit Widerwillen bringt das Volk feinen Tribut nun als ein Muß dar, und zwar an beide, die geistlichen und weltlichen Behörden, wo dann noch bisweilen nach Will- kühr, Laune und augenblicklicher Stimmnng, zufolge dem Recht des Stärkern, verfahren wird. Die Sache hat den Namen nur verändert, nicht aber ihre Natur, vorher be- zog Hinz, jetzt Kunz! Mögen immerhin tenter hundert Mahomeds Wunder. 155 dieser vertilgten Anstalten neun und neunzig nicht dem Zwecke der ersten Stiftung entsprochen haben, so ward es doch vielleicht die hundertste! Wie vieles in beinahe allen wissenschaftlichen Fächern ward nicht in stillen Klo- ferzellen gethan und gearbeitet! Wie viele Entdeckungen felbst in der Sternkunde, Scheidekunst, Größenlehre, Sprach- und Länderkunde u. f. w. verdankt man ihnen nicht! - *- Und endlich fand sich doch in dieser Abgeschiedenheit eine Zufluchts- und Ruhestätte für den Unglücklichen; für den, der sich zurückziehen wollte vom Gelärm und Gewühl der Welt, um sich selbst und Erhabnerm zu leben, als jene gewähren konnte, in ruhiger, religiöser Stille sich zu bilden für Zukunft und Ewigkeit! --- Der vorurtheilsfreye und belesene Pater äußerte selbst: „daß durch die Diener der christlichen Kirche, durch die Geistlichen selbst, das, was man äußere Religion und Christenthum heiße, untergraben und je länger je mehr vertilgt werde, weil sie den Geist der Lehre Jesu nicht kennen und der bloße Buchstabe tödte. Es war die Schuld der Christen, sagte er, daß der muhamedanischen Religion auf die Beine geholfen ward, und er erzählte mir bey Gelegenheit dieser Unterhaltung eine Anekdote, die nich“ allgemein bekannt sein dürfte; sie betrifft den Ursprung jenes Berges bey Mekka, der noch jetzt täglich - an- Wachst, - Mahomed, der nicht fchreiben konnte, bediente sich zu Bewirkung seiner Wunder eines gewandten christlichen Mönchs, dessen Gewinn es war, die Vortheile mit seinem 156 Zweytes Buch. Zwölftes Kapitel, Herrn zu theilen, ohne das Ende der Belohnung zu ahnen, Der Koran soll von diesem Mönch geschrieben worden feyn. Mahoned aber, um sich allein geltend zu machen, fuchte ihn für immer zum Schweigen zu bringen und sich feiner zu entledigen. Der verschmitzte Türke ergriff bey Anlaß des Hauptwunders, welches er ä wollte, die Gelegenheit, seinen bisherigen Gehülfen zu verderben. In öder, steinigter Gegend bey Mekka war ein tiefer Brunnen; mit zahlreicher Menge Volks ging der Pro- phet dahin; ein weißes unbeschriebenes Buch hielt er hoch empor: „wenn es trocken und beschrieben wieder aus dem Brunnen herauskommt: so ist es Gottes Wort!“ rief Mahomed. In der Tiefe war der Mönch versteckt und wechselte feine Handschrift mit dem weißen Buche, die ihm fonst in Allem ähnlich war; heraufgezogen ward das Seil, und – o Wunder! – beschrieben war das vor- her weiße Papier. Es war der Koran *)! „Zum An- denken des Wunders,“ – rief der Prophet der erstaunten Menge zu, „werfe jeder einen Stein in den Brunnen,“ Im Augenblicke flogen unzählige Steine in den Brunnen hinab, und bis auf den heutigen Tag hat der Bewirker des Wunders keinen Laut mehr von sich gegeben. Jeder Pilger wirft zum Andenken noch jetzt einen Stein auf " . - - - - *) Sonst wird auch erzählt, „daß auf himmelblauem Papier mit goldenen Buchstaben die Blätter des Korans vor al- lem Volke einzeln, vom Himmel herabgefallen wären,“ was Mahomed in gewissen Tempeln, wo das Licht von oben herabfällt, gewiß einrichten konnte. - - - - - - - - - Sympathie. 457 den Berg von Steinen, und es hat also keine Roth, daß der Mönch zum Verrathe wieder herauskomme. Es ist sonderbar , wie der Mensch durch einen gehei- nen unerklärbaren Zug unwillkührlich zu Menschen hinge- zogen wird, mit denen er, wäre es auch nur kurze Zeit, gleiches Schicksal hatte. Ich ging durch eine Gaffe von Scio, vier bis fünf Neger faßen beyfammen unter der Menge; plötzlich erhoben sie eine Gattung von Freuden- geschrey und winkten mir zu: als ich näher kam, erkannte ich sie für dieselben, welche mit mir auf dem gleichen Schiffe waren. Ich hatte nie ein Wort mit ihnen ge- wechselt, aber durch Gebehrdensprache gaben sie mir zu verliehen, daß sie mir hold wären! Früher und später hatte ich den gleichen Fall mit Türken und Armeniern, 13, Um die weitere Reise von Scio mußte ich mich selbst kümmern. Niemand that nur einen Schritt für mich. Ich wollte nach Rhodos, und es war schwierig, mit meiner wenigen Sprachkenntniß in einem lebhaften, g"- drängvollen Hafen nach Wunsch ein taugliches Schiff auszufinden. Da nur die türkische Flagge nichts zu be- fahren hatte, so wollte ich auch keine andere wählen, Der Anblick eines französischen Korsars im Hafen felbst, der ein englisches Schiff weggenommen hatte, empfahl Vorsicht. » - - Endlich fand sich eines, und ohne an weitere Be- deutlichkeiten mich zu kehren, war in fünf Minuten der 158 Zweytes Buch. Dreizehntes Kapitel, Vertrag abgeschloffen. Ich bestieg das Schiff. Aber ein heftiger Syrokowind verhinderte, während vier bis fünf Tagen, die Abreise; der Regen drang durch die Kajüte; die Mäufe fraßen einen Theil meiner Lebensmittel, das übrige des Vorraths veraltete, und eine Menge verschiede- nen Ungeziefers raubte mir Ruhe und Frieden. Endlich änderte der Wind und eine frische Tramontana machte die Anker lichten, - Jetzt erschien ein Troß noch nie gesehener Mitreisen- der; schwarzgelbe, wilde Gesichter aus den südlichen In- feln des Archipels und von der Küste der Barbarey, Al- baneser und Mohren; ich war in übler Gesellschaft! Am meisten unheimlich war mir ein Kerl aus Tripoli, der sich in der Kajüte eingenistet hatte; nach feiner eigenen Aus- sage mordete er. Mehrere in Konstantinopel und war also auf der Flucht. Immer erkundigte er sich nach dem Werthe meiner Uhr; fragte wohl auch: „, ob ich viel Geld bey mir hätte?“ Ich fagte ihm: daß ich Depeschen an den engli- fchen Konsul nach Rhodos hätte, ohne zu wissen, daß ei- ner daselbst war, und anders mehr, das mich sichern und ihn schrecken konnte. Am meisten beunruhigte mich die Einigkeit und das öffentliche Leifereden der ganzen Bande unter sich. Ein Jude und feine Familie waren, ohne jene Gesellschaft, die einzigen Paffagiere in einem Winkel des Schiffs, - Es mochte Nachts zehn bis eilf Uhr feyn, es war die zweite der Reise, und ich schlief ruhig, als Lärm aufm Verdeck entfund. Der Tripolitaner kam eilends daher schnaubend, und richtete bey zwanzig Schießgewehre, die sich in der Kajüte befanden, in Ordnung. Ich war noch im Taumel des Schlafes und konnte von ihm den Zweck W 14, Vergebliche Beforgniß. 459 dieser Manipulation nicht erfahren; zum Loch aus der Kajüte heraus kriechend, fah ich, wie man auf'm Ver- deck beschäftigt war, zwey kleine verrostete Kanonen Schuß“ fertig zu machen. Diese Aussichten beruhigten mich nicht; noch weniger, als mir ein Matrose ins Ohr raunte: „Al- gier!“ Jetzt hatte ich auf einmal das Räthel gelöst: Seeräuber *)! - Das Unerwartete dieses Ereigniffes ergriff mich; ich hatte früher keinen Gedanken an dieß Uebel. Ich fing an zu zittern, daß die Zähne klapperten ! In Sklaverey zu gerathen, war mehr als ich ertragen mochte; indeß war ich bald getröstet, da man mir zu verstehen gab: „daß Alles niedergehauen würde.“ Der erste Schreck hatte fieh gelegt; ich kroch wieder hinunter in die Kajüte; die Helle brachte auch Licht in meine Seele, vorbey war die Furcht; ich stürzte ein Glas Wein herunter; siedend heiß überliefs mich; – mit dem Säbel arbeitete ich mich wieder aufs Verdeck; jetzt waren die meine Bundesgenoffen, vor de- nen ich kurz vorher nicht sicher zu feyn glaubte. Es galt zu siegen oder zu sterben! Es war mir, ich weiß nicht, wie fo lustig, und ich war Tropfs genug, es mich ver- driefen zu laffen: nicht fchon Schiff an Schiff zu seyn ! Auch diese Hitze verlor sich und eine Stunde später lachte die ganze Schiffsmannschaft. Der gefürchtete Feind war ein freundliches, türkisches Schiff, das sich wegen uns so fehr ängstigte, als wir uns wegen ihm. Der Paß war übrigens berüchtigt, wegen Gefahren dieser Art. *) Mit Algier war indeß die türkische Flagge befreundet; es waren eigentlich Piratten, die man befürchtete, eine Gat- tung Filibustier, fo nichts fchonten. 460 Zweytes Buch. Dreizehntes Kapitel. Die Fahrt auf'm Archipel ist fast wie auf einem See, nie verliert man das Land aus dem Gesichte, und Inseln, groß und klein, nicht den Hundert, sondern dem Tau, fend nach, eine an der andern, oft nur Felsenbrocken steigen aus dem Gewäffer empor, unaufhörlich ist das Auge mit neuen Gegenständen beschäftigt. - Das Aeuffere dieser Inseln, den Küsten nach, scheint rauh und wild, die Ufer bilden steile Felsenwände; we- nig oder kein Anbau des Landes ist sichtbar, auffer wo ein Hauptort als Hafen gilt; wo sich kein solcher findet, kann auch nicht gelandet werden; zuweilen bey heftigem Gegenwinde sieht sich der Schiffer genöthigt, obgleich scheinbar überall mit Land umgeben, bey zwanzig und dreyßig Stunden rückwärts zu fahren, um nur Anker werfen zu können. Tiefer im Lande schüfe man Para- diese, wenn man sie schaffen wollte, wie man könnte; denn das Klima ist herrlich und die Erde unvergleichlich. Die Reise zog sich wegen Gegenwinden sehr in die Länge; man landete zweimal, fand aber wenig oder nichts. Die Judenfamilie war am übelsten dran; ver- stoffen in ein Loch, wo sie von den Mäusen fast aufge- zehrt ward und gar nichts mehr zu effen hatte, befand fie sich in der traurigsten Lage; zwei Kinder von ein und zwei Jahren, elend und ungesund; ein Bube von ungefähr fünf, schon frech und unverschämt, machte das Trio der Kinder aus, welche alle, so wie ihr Vater und Mutter, die Köpfe mit schmutzigen Lumpen siebenfach umwunden hatten. So auferzogen, wie wäre es möglich sich an Reinlichkeit zu gewöhnen? Es scheint diese Tu- gend aber bey diesem Volke eine ganz unbekannte Sache, wenigstens im Allgemeinen, zu seyn, Wie der Körper, –-m- --- Juden familie in Schiff, 461 so ist die Seele bey ihm! Ich gab ihnen Anfangs ge- salzene Fische; das erste Mal ward gedankt; späterhin nicht mehr; eben so wenig, als ich in der äußersten Noth ihnen Brod mittheilte. Dieß war ganz aufgegan- gen; ich hatte schlechterdings felbst nichts mehr als Kalva; die letzte Nacht gab ich ihnen den Rest, um die Kinder, die fast verhungerten, zu erfreuen. - Damit fiel doch auch fähen, was ich ihnen darreichte, gab ich dem Juden mein Wachslicht; er nahm es ohne ein Wort zu verlieren an, und ich blieb im Dunkeln in der Kajüte, in der Meinung, daß dieß ein Beweggrund für sie feyn würde, ihr Mahl zu beschleunigen, wozu keine Viertelstunde nöthig war. Keineswegs! Vergeblich nahm ich mir vor, es abzuwarten, wie weit die Unver- fchämtheit gehen würde. Nach Verfluß von mehr dann einer Stunde verging mir die Geduld; ich rief hinunter: mein Licht!“ endlich brachte ers, nebst der leeren, ungewaschenen Schüffel; ich erwartete, daß er wenigstens eine Aeufferung von Zufriedenheit zu erkennen geben würde, „daß es den Kindern geschmeckt“ oder so etwas; aber nichts von alle den ! Kein Ton dieser Art kam aus seinem Munde, sondern einzig die Frage: „Na, hat der Herr nicht ein Gläschen Schnapps?“ Dieses Volk überhaupt hat noch wenig aus der Art, oder vielmehr Unart, geschlagen. Wie wir es im alten Testamente finden, so ist es noch! Feigheit, Nie- derträchtigkeit und Unverschämtheit scheinen die, es eigen- thümlich bezeichnenden, Eigenschaften zu feyn! *) *- -- *) Einen ähnlichen Beweis hiervon erfuhr ich früher auf dem s 482 Zweytes Buch. Dreizehntes Kapitel, Mit inniger Freude erblickte ich endlich das berg- igte Rhodos; ich hatte in jeder Rücksicht Ursache froh zu feyn, dieses Schiff und die darauf befindliche Gesellschaft verlaffen zu können. Ich fand wieder Platz in einem Kloster; es waren zwey Geistliche darinn, aber weder an Geist noch Herz dem von Scio gleich. Ich hatte den Anlaß hier, - und späterhin anderswo, tiefer in den , diese Anstalten eigentlich beherrschenden Geist zu blicken, und ich fand ihn verhältnismäßig eben so ausge- artet, als den Charakter der Juden unausgeartet! Rhodos ist wie Scio ganz von Stein aufgeführt; wahre Gegenstücke von Konstantinopel und Smyrna; übrigens, wie alle türkische Städte, enge ineinander ge- baut. Die hohen Häuser werden, wo die Gaffen am eng- fen sind, durch Schwibbogen oberhalb, wie durch schmale Brüggen miteinander verbunden und befestigt; die Länge beyder Städte mag jede etwa eine kleine halbe Stunde Schiffe, das mich von Regensburg nach Wien führte Fünf bis sechs Juden, die nichts zu effen hatten, erreg- ten Mitleiden, da sie in Schnee und Kälte viel rudern mußten. Wir ließen ihnen zukommen; die Bursche besof- fen sich, arbeiteten späterhin nicht mehr; wurden frech und trotzig und zuletzt fand ich, daß mir eine seidene Kappe entwendet ward, was nur beim Durchwaß durch die Kajüte von einem derselben geschehen konnte. Was ich aber hier von diesem Rolke überhaupt urtheile geht den beffern Theil und die Edlen dieser Nation nichts an, . - V Aufenthalt in Rhodos, 163 betragen, die Vorstädte mit innbegriffen. Man findet hin und wieder Merkmale ihrer frühern Besitzer, der Genuefer und Venetianer. Ein in Stein gehauener St. Paolo ist mit fammt der Innschrift in den Thurm einer türkischen Festungsmauer angemauert; aus viereckigten, christlichen Kirchthürmen ragen runde, türkische Minarets höher empor. - Die Hausgänge und Galerien der meisten Häuser, find mit Steinen einer Hafelnuß groß, von zweyerley Farbe, besetzt, und bilden eine niedliche in das Auge fallende Mosaik-Arbeit. Am Ufer des Meeres, wo der Million nach folcher Steinchen aufgehoben werden können, ist die Auffindung derselben eine leichte Sache; so wie man länger auf diesem Pflaster geht, fchleifen sich die fchwarzen sowohl als die weißen Steine ab, und bald er- fcheint der Boden, wie von Zuckerzeug gegoffen. Auf Rhodos waltet ein herrliches Klima; felten ver- geht ein Tag im ganzen Jahr, daß man die Sonne nicht genieße; der Boden ist zur Erzeugung aller Gewächse, wenn man sich nur die Mühe nimmt sie zu pflanzen, geschickt Und überaus fruchtbar. Im Garten des Klosters fand ich in der Mitte No- bembers, kaum halbreife Trauben an denselben Stöcken wo zwei Monate früher schon überreife hingen. – Die Frucht des Nektars, den die alten beschrieben, soll in die für Gegend den Ursprung gehabt haben! Zum Erstenmale feh ich auf dieser Insel die Frucht des Palmbaums, die süße Dattel, von ferne wie Kirschkörbchen aussehend, bringt sie unter den fünfzehn bis zwanzig Schuhe langen Wien rund um den Stamm herunter; goldgelb sind die L 2 164 Zweytes Buch. Dreizehntes Kapitel. Stiele und zinnoberroth die Früchte, dem Tausend nach an einem Büschel. Wie Federbüsche ragen die schönen Bäume, auf unglaublich hohem Stamme, bis achtzig Fuß Höhe und in gleicher Dicke, oben wie unten, über alles die Umgebende empor; ein fanftes Grün schmückt das Blatt, und der Baum bringt alles mögliche Nützliche, Die bei uns so seltenen Orangen verkauft man hier Halb- dutzendweise um einen Kreuzer, die Zitronen find noch wohlfeiler. Nicht einmal eine Spur mehr, konnt' ich von dem ehmaligen Wunder der Welt, dem Koloffen, erfahren; nicht einmal eine Muthmaßung, wo er gestanden haben - möchte; wahrscheinlich aber über der Einfahrt in den Ha- fen, welche wenigstens die Möglichkeit andeutet, voraus- gefetzt, daß das Oertliche feit der langen Zeit keine Ver- änderungen erlitten habe. - - Hier sowohl als in Scio - findet sich das Ufer des Meeres von Windmühlen besetzt. Da sie aber nur von Einem Winde in Bewegung gebracht werden können, fo entsteht oft große Theurung und Seltenheit des Bro- des aus Mangel an Mehl; auf beyden Plätzen bezahlte nuan dieß zu ungeheuerm Preiß aus eben erwähnter Ur- fache. Auch in den Gärten finden sich Windmühlen, um Waffer aus den Sodbrunnen heraufzupumpen, damit aus den oberen Behältern das Gelände bewäffert werden könne Hier erfuhr ich eine zweite Probe türkischer Ehrlichkeit“ der in Srio ähnlich; ich kaufte nämlich an letzter in Orte Orangen, frug nach dem Preife und vernahm „zwey“ umt einen Parah; ich aber verstund ein um zwey Parah, bezahlte so viel und ging. Der Mann rief mir nach, ich kehrte um, und er bot mir noch drey andere, die mir nach feiner Rechnung noch gehörten, Aufenthalt in Rhodos. 165 Hier kaufte ich benöthigte Tellerchen aufs Schiff; ich befah zwey und wählte eines. Ich frug nach dem Preife, er war zehn Parahs, ich bezahlte neun; es ward angenommen. Ich ging mit dem Blättchen weiters, schon mehrere Schritte von dem Kramladen entfernt, ward ich zurückgerufen und erhielt das zweyte auch noch. Ich glaubte, der Preis verstünde sich fo von einem und be- käme das andere geschenkt. - - Etwas Aehnliches im Größern ward mir von einem Geistlichen des Klosters, als Augenzeugen, erzählt; öfters entlehnte ein Türke (Geld von einem Franken; als fein Bekannter geschah dieß ohne Schein und Verschreibung. Der Franke, ein Kaufmann, ward auf weiter Reife umgebracht; der Türke fiel späterhin krank und starb. Nach geraumer Zeit brachte der Sohn des Türken dem Sohne des Europäers die entlehnte, nicht unbeträchtliche Summe, von welcher dieser nichts wußte, und die An- fangs gar nicht annehmen wollte, – Christliche Sitten- lehre und türkische Ausübung ! 14. Im Basar von Konstantinopel, von Smyrna, Seres, Scio und allen übrigen levantischen Märkten, ist's Landes- fitte gemäß, dunkel. Die Kleinwaaren liegen unter ein- ander, als ob sie. Niemand angehörten, und ein mittelmä- figer, europäischer Schelm könnte hier sicher in einem Tage sein Glück auf Jahre machen. Nichts dergleichen hört man hier; als wie streng bewahrt, bleibt hier un- verwahrt das Geringste wie das Wichtigste; und was z 166 Zweytes Buch. Vierzehntes Kapitel. dem Herzen wohl macht, ist, daß es nicht die Furcht vor der Strafe des Diebstahls als vielmehr guter Grund- fatz zu feyn scheint, fremdes Eigenthun als heilig zu achten, obschon denn doch auch nebenbey sich bey aller fcheinbaren und wirklichen Ehrlichkeit vieles findet, wel- ches nicht sogar heimlich macht. Die Vögel sind auf dieser Insel wegen ihrem Futter weniger fchlimm daran, als die Menschen; oft ist dieß aber in dem größten Theil der Türkey der Fall. Vor allen Kramläden, wo Reis, Korn und dergleichen ver- kauft wird, find aufferhalb Gefäße voll dieser Lebens- mittel, und bisweilen ganze Flüge von Spatzen darauf, welche sich nach Lust sättigen, ohne daß jeder Türke sie zu stören sich unterfänge. Das gleiche ist beim Aussäen der Frucht; ganze Schaaren folgen nach und freffen einen nicht unbeträchtlichen Theil weg. Der Säemann würde es für Sünde halten, nur einen dieser Diebe zu ver- jagen. " Nie fah ich in einem Lande, wo Alles in ueberfluß zu haben feyn sollte, ein solches Reißen und Kämpfen um Lebensmittel, wie in Rhodos, nicht anders als wäre, die größte Theurung eingeriffen! Vor einer Krambude war ein Gedräng von dreißig bis vierzig Menschen; ich mischte mich unter fie, um zu fehen, was es gäbe. Trau- ben waren zu kaufen, und nichts anders; unweit davon derselbe Lärm, schlechter Kohl ward feilgeboten und je des Blatt auf die Wage gelegt. - Entschluß nach Cypern zu reifen. 167 Bald dachte ich an das Weiterreisen. Meinem frü- hern Plane zufolge follte Griechenland gelten, um in den Ruinen des neuen, die Größe des alten aufzufuchen, Aber das lebhafte Gefühl, daß ich nicht genug mit der Geschichte des letztern bekannt, oder vielmehr vertraut war; dann, die Abneigung gegen die Neugriechen, deren Denkungsweise ich bis jetzt nur von schlechten Seiten ken- nen lernte, schreckten mich davon ab. Ich wählte anders um so mehr, da ich ohnehin nicht genug Begeisterung in mir fühlte, zerstörte Meisterwerke und traurige Ueber- bleibsel ehmaliger Größe mit poetischem Sinne zu betrach- ten; dieser war schon früher durch das, was ich in Rom und Sizilien fah, etwas abgekühlt, und was Scio und Rhodos in diesem Fache mir darboten, war nicht geeignet, ihm einen neuen Schwung zu geben. Mein Entschluß war: nach Cypern und dann von dort aus nach den merkwürdigen Aegypten hinüberzusetzen, um inter feinem Himmelstriche statt einen Winter, einige Frühlingsmonathe zu verleben. Es war seit acht bis zehn Tagen schrecklich stürmi- fche Witterung, kein Schiff konnte abfahren. Alles harrte auf mehr Ruhe und veränderten Wind. Jeden Tag wanderte ich nach dem Hafen, um eine Gelegenheit nach Cypern ausfindig zu machen. Mit Mühe fand ich zwey auf einmal; das eine Schiff war aber unlängst mit der Pest behaftet gewesen, und das andere verlangte ei- nen unverschämten Preiß. Der Wind änderte. Es galt abzufahren; die beiden Patres im Kloster waren ohne Bediente, ich mußte also den Einkauf meines Vorraths von Lebensmitteln und die Fortschaffung desselben in das Schiff selbst besorgen. 168 Zweytes Buch. Fünfzehntes Kapitel. Mit meinem Korb im Arme, wanderte ich von einem Ende der Gaffe zum andern. Hier kaufte ich Butter zum Pillau, das ich felbst zu kochen hatte, dort Käfe; hier Kastanien, dort gesalzene Fische. Fleisch fand sich keines um alles Geld, das ich bot; ähnliche Beschaffenheit hatte es mit den Eyern und dem Geflügel; schlechtes Brod mußte man mit Kämpfen erwerben, nichts anders. Genießbares fand fich; der Vorrath ward gemacht, aber mit welcher Gelegenheit ich weiters konnte, das wußte ich noch selbst nicht! Um zehn Uhr noch wollte ich abfahren nach Cy- pern, und um eilf Uhr flieg ich ein, um – nach Alexandrien zu fegeln! --- 15. Wenn je die Extreme sich berühren, so geschieht's bey einer Seereise, höchst gefällig, und höchst ungefällig: zur guten oder bösen Stunde, kann man es treffen. – Das italienische Sprüchwort: „In hundert Meilen nicht ein Brod, und mit hundert Broden nicht eine Meile,“ ist nicht unpaffend. Geld und Zeit-Ersparniß bey dem, 1welchen das Glück begünstigt; Geld und Zeit-Verschwen- dung und obenein unbehagliche Lage, wo es fehlt. Der rasende Sturmwind, der fo günstig, eigentlich mit Pfei- leschnelle uns vorwärts jagte, fchien uns für das lange Warten schadlos halten zu wollen, doch durfte man nicht voreilig laut thun, da ein anderes Schiff gleich vor uns herfuhr, das vor acht Tagen unweit Alexandrien war und dennoch wieder, die ganze Meeresbreite des Busens zurück, in den Hafen von Rhodos verschlagen wurde. "Schiffs gefellfchaft. 169 Die See ging die Nacht über gewaltig hoch, das Schiff fuhr mit schwindelnder Schnelligkeit in die Tiefe der Wogenthäler und schwebte dann in Abgrunde, wie zwischen hohen Felsen. Es war warm und das Waffer sprühte elektrische Funken *). Es ist eine sonderbare Em- pfindung, keinen festen Standpunkt mehr für das Auge zu finden; nichts als Himmel und Waffer und die Spam- genbreite der zusammen genagelten Bretter, welche den frechen Wanderer vom Tode scheiden. Der Anblick der stürmischen See ist ungemein erhe- bend für den, den das Gewagte der Sache nicht schreckt. Stundenlang bey Tag, wie bey Nacht, genoß ich des er- greifenden Schauspiels, und ich hätte es wahrlich, mit keinen andern vertauscht. Die Schiffsgesellschaft bestand aus türkischen Kauf- lenten, Mohren und Arabern, zu meiner Freude war noch ein Jude von Livorno *, darauf, mit dem ich we- nigstens sprechen konnte. Obgleich ich in mancher meiner Lebenslage, so zu sagen gewohnt war, gesellschaftslos zu feyn, oder, wenn Andere sprachen, halb stumm zu blei- ben und den Wahlspruch bestätiget fand: „ meglio solo, che mal accompagnato;“ so gestehe ich auch gerne, daß mir jetzt die Unterhaltung eine eigentliche Annehmlichkeit gewährte. *- - *) Zuweilen bey farkem Ungewitter Sommerszeit soll das f Feuer durchs ganze Dauwerk hinaufkriechen und fo helle - machen, als ob das Schiff beleuchtet wäre. ") Der es aber für aerathen und aut fand, fein Glaubens- bekenntniß zu verleugnen und sich für einen Christen geltend zu machen. - 470 Zweytes Buch. Fünfzehntes Kapitel. Ich hatte Bücher und Papiere, also unterhaltung in fo weit genug. Oft störte mich aber auch hierinn das Mißtrauen der Türken; ihnen, die nicht gewohnt find zu liefen oder zu fchreiben, kommt diese Beschäftigung an Fremden höchst seltsam vor, und bald schöpfen die Arg- wohn und mennen, es geschehe oder entstehe dadurch et, was Nachtheiliges für sie oder ihr Land, Als der gelehrte Pater Sicard seiner Zeit als Emiffär Aegypten durchreiste, hinterbrachte man dem Gouverneur: „ dieser Mann ginge damit um, vermittelt Zaubernägeln den Ausfluß des Nils zu vernageln und den Strom rückgehend zu machen.« Der arabische Fürst gerieth in die größte Verlegenheit über die Gefahr feines Landes, und Sieard würde nicht durchgekommen feyn, wenn nicht feine Janitscharen sich für ihn verbürgt hätten, Mehr oder weniger ist es auch jetzt noch ein Leich- tes, den Levantinern einen Floh dieser Art ins Ohr zl fetzen, da diese gänzlich ungebildete und gegen alle Euro- päer Mißtrauen hegende Nation bald Alles, was sie nicht verstehen, als Hexerey und Zauberer ansehen, Ging ich auf einen Berg, um die Gegend zu betrachten, so meyn- ten fie, es geschehe um ihr Land auszuforschen *); las ko “) Jeder Maya (eingeborner Grieche oder Fude der geplant) - muß auf der Reife fein Patent bey sich führen, um es - bewm Anfragen aufzuweisen. Diese Patente oder Kopf- feuerfcheine werden alle Jahre umgeändert und wechsels weife auf arün, gelb, roth Pavier, jedes Jahr von einer andern dieser drei Farben erneuert. Jeder Raya, vom fünfzehnten Jahr an, hat diese Abgabe der Kopfsteuer zu zahlen. Namen und Geschlecht, Aeltern und Wohnort d Landung in Afrika, 471 ich, fo konnten sie nicht begreifen, wie man fo lange still da sitzen könnte; schrieb ich, fo fchöpften die Argwohn und zeichnen durfte ich nun gar nicht. Auf den heftigsten Sturm erfolgte Windstille; zwey Tage blieb man auf den gleichen Flecke, endlich am fünf ten des Morgens fah man flaches Land, und freudig betrat ich Afrika! - - des Vorweiler befinden sich auf dem Zettel. Dieser Ge- nauigkeit ungeachtet, versicherte mich ein Grieche, foll denuoch manche List, sich durchzustehlen, statt finden. - - - - Drittes Buch. Aufenthalt in Aegypten s s bis zur Abreise nach Syrien und Palästina, K. a p i t e l 4. T- Geschrieben in Fajun, ehmals Arfinor, in Oberägyptet. , S war Aegypten *), das Land, das ich in frühester Jugend besser kannte, als St. Gallen, und wo ich vom roten Meere, mehr zu erzählen wußte, als vom Bodensee f erreicht und betreten. Wie viele Rückerinnerungen, durch Länge der Zeit halb vergeffen, erneuerten sich! Lebhaft schuf die Einbildungskraft Szenen vergangener Zeiten, die Zeiten der Patriarchen (wie dieselben uns das alte Testament beschreiben ); und sie leitete mich fort auf die Geschichte der Drangsale des jüdischen Volkes; fort in die Zeiten des neuen Testaments, die Tage fo vieler Er- eigniffe, die billig intereffiren, und bis auf die neueste Zeit: die Besetzung dieses Landes durch die Franzosen und ihren Rückzug, die diese Gegend so denkwürdig mach- len; aber, wie die Geschichte des Volkes, so find feine Denkmäler aus der grauen Vorzeit, welche sich in Pyra- miden und Obelisken erhielten, und dem Zahne der Zeit Jahrtausende widerstanden, jetzt noch als Wunder der *) Türkisch Elkohit. 476 Drittes Buch. Er ist es Kapitel, alten Welt in zusammengestürzten Säulen und andern Werken der Baukunst zu bewundern, indem sie von jenem kühnen Geiste zeugen, der ihr Schöpfer war. In Alexandrien *) ward gelandet. Beynahe tiefer als das Meer fcheint das Land zu liegen; man kann von diesem nichts entdecken, bis man es erreicht hat. Die Einfahrt in den Hafen ist wegen den Untiefen sehr miß- lich. - Nichts als gelbe Sandhügel und etwelche Einfägge, von Palmbäumen beschattet, bieten sich beim Aussteigen im Hafen dem Blicke dar, hoch über die Palmen aber reicht die Pompejusfäule, und die Obelisken der Kleopa- tra winken hart am Ufer. Weiterhin liegen ganze und zerbrochene Marmorsäulen. Uebelbeschaffene Wohnungen machen mitten unter diesen Ruinen das jetzige Alex- an drien aus. - Es war am achtzehnten November, als ich diese, mir dem Anblicke nach, eigentlich neue Welt, nach Klima, Einwohnern, Thieren, Pflanzen und Sprachen mir neu, betrat. Bald nach meiner Ankunft ging ich außer die Stadt und wandelte auf und über den Trüm- mern des alten Alexandriens, das sich zu dem heutigen verhält, wie der Prachtanzug eines persischen Prinzen gegen die Lumpen eines halbnackten, mit Koth bedeckten ägyptischen Bettlers unserer Zeit, Ein Platz im Umfang von mehrern Stunden enthaltet Zeugniffe davon. Säulen und Marmorblöcke ohne Zahl, von aller Größe, ragen unter Schutt und Sand hervor, *) Türkisch Sandria. Alexandrien, 177 - - Einst Tempel und Paläste, jetzt Fußboden dem staunen- - den Wanderer; oft tönt es hohl beim Auftreten oder wenn man einen Stein stark auf die Erde und den Schutt wirft. Klaftertief unter meinen Tritten, wer weiß, wie viel Schätze verborgen für Kunst und Wissenschaft, wie It - viel von Gold und Silber! dachte ich, Die verwilderten, braun-schwarzen Einwohner, in ih- ten Anzuge Mumien gleich, den schmutzigen, verlöcher- ten Mantel über den Kopf bis auf die Füße fallend, ha- ben keine Ahnung mehr von der Größe ihrer Vorgäuger. Die höchste Stumpfheit folgte der höchsten Verfeinerung! | Das Wichtigste, was für sie aus der alten Zeit übrig id blieb, sind die Zisternen *), ihre Kamele, ihr übriges Vieh und sich selbst zu tränken. Unter diesen ist wenig Abstufung in moralischer Rickicht von den Einwohnern felbst wahrzunehmen! Diese Zisternen sind so häufig, daß ein großer Theil „h des Platzes davon unterhöhlt ist, und es scheint, daß beinahe jedes bedeutende Haus feine eigene hätte; um die Oeffnung oben bequem zu haben, dienen die Capitäler z- von Prachtsäulen, die Zierden ehmaliger Tempel und Pal- läste, jetzt ausgehöhlt und von den neuern. Bewohnern haushältrisch auf den Sodbrunnen gepflanzt, der ganzen Tag von Kameelen und Eseln umringt, um das Waffer in Ziegenfelle zu faffen und in der Stadt zu verkaufen; ich sah oft, wie der Treiber seinem Vieh zu trinken gab und den Ueberrest in den Schlauch schüttete, um später die Menschen damit zu tränken. - *------ ') Waffer oder Sodbrunnen in der Erde. M / 47s Drittes Buch. Erstes Kapitel. Die Pompejusäule ist die schönste und größte, die ich je fah. Alle die von Rom, Sizilien und der Türkey reichen nicht an dieses gewiß erste Werk feiner Art in der Welt. Man kann sich heut zu Tage nicht einmal die Möglichkeit denken, wie eine folche ungeheure Maffe, aus einem Stücke verfertigt, fortgefchaft und aufgerichtet werden konnte. Die Höhe mit den Fußgestelle foll hundert und zehn Schuhe betragen. Tiefer unten ragen gleichfalls drey ungewöhnlich große Säulen von feinem Gestein bey etlichen fünfzig Schuhen aus der Erde hervor. Ich über- gehe die Menge kleinerer von verschiedener Marmorfarbe, welche bald Gänge , bald Tempel gebildet zu haben schei- nen. Von den "Obelisken der Kleopatra liegt einer um- gestürzt; der Granit des andern ist angegriffen durch die alles zerstörende Zeit, und die Hieroglyphen sind auf bey- den Seiten stark verwittert und ausgewaschen. Gelber Sand und Sandhügel überdecken die Gegend, aber vor Jahrtausenden, als die Säulen und Obelisken in Tempeln, Palästen und auf Hauptplätzen prangten, war wohl diese Gegend anders beschaffen, als diese Sand- wüste! Aus dem heißen Sandboden hebt sich einzig die Palme empor; feine Frucht, erst grün, dann gelb wie Seide, dann fcharlachroth, Und jetzt reif braunschwarz, schmeckt herrlich und erfrischend. Einige Einfänge von Pflanzungen dieses nützlichen Baumes, unter dessen Schat- ten Gartenanlagen sind, befinden sich in der Nähe der Stadt, den einzigen Stellen, wo kühlende Schatten sich ausbreiten. Ich ward von Arabern in ihren Garten ein- geladen, um diese Frucht zu genießen; einer aus ihnen sprach etwas italienisch, und konnte nicht genug über die Türken, über die Abgaben, welche sie erpreßten, und die Einwohner in Alexandrien. 479 Behandlung klagen, die sie von ihnen zu dulden hätten. Die Abgaben schienen mir indeß nicht so ganz unbillig, sie waren auf die Anzahl der Bäume verheilt; war es ein fruchtbares Datteljahr, so bezahlte man mehreres vo Baum, war es nicht gut, weniger. - - Die gemeine Klaffe der Einwohner ist übrigens ein fo garstiges Gesindel, wie man es selten anderswo an- trifft. Ein Theil aus ihnen von schwarzgelber, ein ande- rer von Eisen- Farbe *). Die meisten tragen kaum ei- nige Lumpen um die Lenden, die übrigen einen schwarzen, oder dunkelblauen, oder braunen Teppich, schmutzig und zerlöchert über die ganze Figur geworfen. Die Lazaroni von Neapel sind neben diesen wahre Mobili!" . . So die Weiber. Sie entsprechen in ihrem Costüme dem der Männer; sie sind im Gesichte, besonders am Kinn, auf den Armen und an den Händen tatuiert; viele " aus ihnen, um sich gefallender zu machen, tragen einen Ring von der Größe eines Neuthalers an der Nase, über die Lippen herunter, fällt die beschwerliche Zierrath. Kein Biffen kann in den Mund gebracht werden und an . . . Ort und Stelle gelangen, bevor der Nasenschmuck in die Höhe gehoben wird. Die enge Oeffnung, wo das Auge noch etwelchen Spielraum hat, wird, um das Tuch oder den Lappen, der über und unter den Augen durchgeht, zusammen zu halten, bey den Reichen durch gute Perlen- schnüre oder eine Kette von Dukaten verbunden; bey den Aernern versieht denselben Dienst auch Silbergeld, mit- ") Woher dieß unter demselben Himmelstriche 2 etwa durch Vermischung angränzender Völker? - - - - - - M 2 - - - 4so Drittes Buch. Erstes Kapitel. unter sogar Parahs-Geldstücke, wie wir schon früher bemerkten, von dem Werthe eines halben Kreuzers, Armspangen und Fußringe, je nach dem Stand der Personen, vom beßten Golde bis auf Glasringe von allen Farben herunter, zieren mehr oder weniger alle diese verbrannten Gesichter und halbnackten Einwohnerinnen, die meisten bedecken sich mit einem hellblauen, groben leinenen Tuch, das im Lande felbst verfertigt und gefärbt wird, - Das Klima ist herrlich, immer Sonnenschein, nie ein völlig trüber Tag im ganzen Jahr, und bey Sonnen- untergang ein so lebhaftes brennendes Abendroth, als ich fogar im mittäglichen Italien nicht fand. Aber dieß lieb- liche Klima wirkt schädlich auf die Augen. Oft beobach- tete ich die Vorbeygehenden, und immer fand ich, daß wenigstens der Dritte, wo nicht blind, doch einäugig, oder mindestens fehr angegriffene und leidende Augen hatte, Nicht mehr gehört war die sanfte türkische Sprache; die hier herrschende ist die arabische, hart für Schlund und Ohr. Der Pöbel fchreyt, daß einem die Ohren gäl- len; die Geber den entsprechen dem Tone, und Mord und Todtschlag ist das Wenigste, was man erwartet. Aber, wie bey einem Zweykampfe oder Gefecht im Schauspiel- hause, wo keiner dem andern im Ernst etwas zu leid thut, endigt auch hier das Toben und Wüthen mit einem grol- lenden Auseinandergehen, Indeffen ist doch auch dieses Charakteristische in einer auffallenden Verschiedenheit mit dem der Türken. Sel- ten, heynahe möchte man sagen, nie, hört man bey die- Z) ". 181 fen folch unbändiges Toben: sehr oft hingegen statt Wor- ten – That, fey es mit Pistolen oder Dolch. Die französische Sprache ist in Aegypten gemeiner als in der Türkei. Auffer Konstantinopel hört' ich kein Wort davon, hingegen sehr oft italienisch. Beynahe alle Griechen und Juden sprechen dieß letztere, felten aber das erstere. - Die Straße, in welcher in Alexandrien die Franken wohnen, ist gleich der in Smyrna längs dem Meere hin Die Menge der sich hier aufhaltenden ist nicht unbeträcht- lich. Die Wohnungen der verschiedenen Konsuln sind dicht aneinander. Alexandrien hat zwey Hafen. Der eh- mals so berühmte Pharus ist fast ganz zerstört. An der Spitze der Einfahrt ist ein Festung ähnliches Werk, und die Laterne bedeutet den nächtlichen Schiffer die Ge- gend, Acht Tage Aufenthalt genügten mir hier; ich mißte das Angenehme einer schattigten Gegend, und, um eine solche zu genießen, muß man beynahe eine halbe Stunde über Ruinen und brennenden Sand. Ein Kaufmann aus Venedig und ein Mahler aus Pisa schloffen sich als Gesellschaft an mich an, als ich den sechs und zwanzig- sten November verreiste. s Klima in Alexandrien. =---- 2. Geschrieben in Groß - Kairo, - Nach Rio fette *) ging die Reise, Begreiflich war *) Türkisch Raschid. - - 182 Drittes Buch. Zweytes Kapitel. ich entschloffen, etwas mehr von Aegypten, als blos die äufferte Grenze zu sehen! . . . . Morgens vor Tag stieg man statt zu Pferde, nach Landes gebrauch zu Esel, und trabte weiters. Beynahe eine Stunde reitet man über oder zwischen Ruinen des neuen Alexandriens, das Fran- zosen und Engländer in die Wette zerstörten. Oft tönte es unterm Huf der Thiere als ritte man über Brücken oder Gewölbe. - - Weiterhin kömmt man an einem Damme, der einst viele Millionen gekostet haben mag, vorbey. Das Werk war eine Brustwehr gegen einen Theil des Meers, und follte dazu dienen, das Waffer des Nils zu benutzen. Durch die militärischen Verfügungen neuerer Zeit ward dieses schöne Werk zerstört, und das ehmals fruchtbare Land in einen Sumpf verwandelt, der durch seine Aus- dünstung ungesunde Luft und durch diese ansteckende Krank- heiten verbreitet. - - Zweymal kamen wir zu Schiffe über Mündungen des Nils, die mehrere Stunden dauerten, den nähern, wohl feilern Weg zu Waffer machten wir nicht, weil die Ue berfahrt des Bogafo *) gefährlich ist, sobald sich der geringste Wind bey dieser Vereinigung des Stroms mit den Meere erhebt; man zählt in jedem Jahre eine Menge Dscherme *), die zu Grunde gehen und ver- finken. Die Reise dieses Tages war für mich höchst interes- fant. So vieles noch nie Gesehene, Neue, Fremde in *) Mündung, Hauptausfluß des Niks. *) Schiffe der Ueberfahrt. | | t d d i d h z Erfcheinungen in der Sandwüste. 183 allen Gegenständen, die sich mir darboten. Ich war in meinem Elemente ! Meine beiden Reisegesellschafter fürch- teten bei etwas hohen Wellen Gefahr und wollten das Schlimmste zu Land machen; unsere Efel wurden über Bord geworfen und wir durch entkleidete Schiffer auf den Schultern an das Ufer getragen, weil das Schiff wegen Untiefen nicht nahe an das Land konnte. - Nun führte der Weg längs dem Meeresstrande hin, der mit schönen Muscheln besäet war. An mehrern Or- ten lagen todte Fische von zwölf bis fünfzehn Pfund fchwer, die wahrscheinlich der heftigen Gewalt der Bran- dung in einem Sturme nicht widerstehen konnten, und an das Ufer geworfen wurden. Ueber heißen Sand trabten unsere Thiere einige Stun- den, als ich eine für mich ganz neue charakteristische Gegend durchwanderte. Von gelben Sandhügeln war die Aussicht beengt. Weder Strauch noch Gras war hier sichtbar. Die Hitze flackerte wie die Bewegung über ei“ nem Feuer, man sah nichts als den grellen, abstechenden, blauen Himmel von dem zwitzernden Gelb des Sandes, noch eine Wendung um einen Hügel, und siehe ! auf dem Gipfel des nächsten ein Beduine mit der Flinte auf dem Rücken, Pistolen und Dolch im Gürtel, nackt bis auf denselben, mit langem Barte und wildem Ansehen, also bot sich diese Erscheinung unserm beunruhigten Blicke dar. Alle Waffen hatten wir im Schiffe, und wir befanden uns in seiner Gewalt, wollt er als Feind sich zeigen, aber er war Freund! Der Treiber rief ihm zu, er näherte sich und grüßte uns auf arabische Art *), dann , ') Man berührt sich gegenseitig die flache Hand, legt sie auf \, 484 Drittes Buch. Zweytes Kapitel. führte er uns nach feinem Zelte. Wunderlicher Anblick, einziger in feiner Art! Zwischen diesen gelben Sandhü- geln, wie vom Winde ungleich zusammen geworfene Schneehaufen, die das Einförmige dieser Welt unterbra- chen, erhoben sich zwey Zelte, die Wohnungen des Bedui- nen und feiner Familie. Das eine schien einzig für ihn und allenfalls für einen Fremden bestimmt, das andere für die Haushabe. Man konnte nur darinnen sitzen, und um hinein zu kommen, mußte man sich stark bücken, in- deß war zahlreiche Wirthschaft darinn: Hunde, Tauben, Kaninchen lagerten hier friedlich nebeneinander, die letz- tern in Höhlen unterm Boden; statt einem Kaninchen guckte plötzlich ein großer Katzenkopf aus dem Loche her- aus; daneben auf dem Boden brüteten zwey Tauben in Körben. - - - Etwas Fischergeräthe war zu sehen, von Hausrath hingegen nichts, weder Stuhl noch Tisch; es fand sich nicht einmal Platz dafür, als Bette lag eine Decke Von Schaaffellen in einem Winkel, anders verhielt es sich mit dem Kaffee-Apparate, die acht Schaalen, ein befremden- der Anblick in dieser Wüsteney, nahmen reichlichen Platz ein. Wir hatten uns nach Möglichkeit auf unsere unter- fchlagenen Beine enge zusammen gelagert. Aus einem tiefen in das Sand gegrabenen Loch ward Waffer ge- reicht; jeder Gast mußte zum Willkomm trinken; es wäre Unhöflichkeit gewesen, es nicht zu thun. Das Waffer war dem Klima entsprechend, mehr als lau, dick von die Brust und neigt den Kopf, will man sehr höflich oder unterthänig feyn, fo wird sie vorher noch auf die Stirne gebracht. f --- - - Ankunft in Rosette. - 185 Sand und üblen Geschmacks. Der Beduine, der uns an- fänglich so sehr schreckte, war ein Mann von achtzig Jahren, aber gesund und stark, und schien bey zwanzig Jahren jünger. - - So wie wir bey ihm eintraten, röstete er fogleich Kaffee, stampfte ihn hernach mit einem gewichtigen Stocke zu Staub und bot uns denselben nach der Weise der Tür- ken zubereitet gastfreundschaftlich dar. Von ihm weg besuchten wir das andere Zelt; eine alte Frau und zwey Töchter, mit tatuierten Kinn, Hals und - Arme, waren beschäftigt, Mehl zwischen abgeschliffenen Steinen zu reiben. Die Familie verbarg das Gesicht und fah züchtig nach Landessitte auf die Seite; ein paar nackte Buben wälzten sich in Sand; das bewegliche Ge- täthe war wie im andern Zelte beschaffen. - " Was mir sonderbar schien, war: daß diese Leute alle, mitten in der Sandwüste, frische, helle und gesun- de Augen hatten; ich erwartete sie schlimmer als in der Stadt, und fand das Gegentheil. - - - - Wir durchzogen andre Sandwüsten, nichts Grünes war auf ihnen zu sehen als Palmbäume, mit reichlicher Frucht beladen. Spät in der Nacht langten wir in Ro- fette an. Gleich vor dem Gasthof war ein Einfang von Schilf- rohren; mitten in demselben helles Feuer und ein Dutzend Aegyptier darum gelagert. Lauter Gesang, mit taktmä- sigen Händeklatschen der ganzen Menge, kürzte ihnen die Zeit. Von ferne schon vernahm man den Lärm; es waren Arbeiter, die den Tag über auf dem Platze Reis zubereiteten und jetzt ausruhten und sich lustig mach- ken. , - . 186 Drittes Buch. Zweytes Kapitel. Tags darauf erfreute mich die Ansicht des prächtigen Nils und die schöne Lage Rosettens am Ufer desselben. Fremd und neu waren mir die Gruppen der Palmen und unter diefen die Hütten der Landbewohner ; ruhig und fanft wogte der merkwürdige Strom sich ins Meer. Auf der andern Seite lag das fruchtbare Delta ; unzählig Vieles, das mich als Neuling intereffirte, sprach mich fowohl im Pflanzen- und Thierreich, als in der politi- fchen Verfaffung des Landes an. Der immer helle Him- mel trug, das Seine zum Frohsinn bey; es war mir ei- gentlich wohl. - Im Ueberfluffe ist hier die süße Dattel, und die feltne Banane das ganze Jahr durch einheimisch. Nach der Ananas mag wohl die Banane die schmackhafteste Frucht feyn; ihr Geruch ist der der Erdbeer - Melonen und Pfirsiche; die Gestalt der Pflanze ist prächtig, die Blätter Klafterhöhe, ein paar Schuhe breit, mastig und von lebhaftem Grün, vom ersten Monat des Jahres bis zum letzten. - - - - Rosette hat wohl doppelte Größe von Alexandrien, Längs dem Nile erstreckt sich der lebhafte Ort, der mit ganzen Reihen von Schiffen geschmückt ist, am Ende war der Gasthof, und nicht weit von diesem war man am ufer dieses schönen Fluffes und genoß höchstinteressante Aussichten in das Freye; ein Vergnügen, das für mich von hohem Werthe ist. - - - Der Anbau von Reis macht einen Hauptnahrungs- - - und Erwerbzweig der Stadt und des Landes aus. Wie bei uns das Heu, so wird hier diese Frucht behandelt; auf eigenen Plätzen, die mit Schilfrohr eingehägt werden, liegt diese Frucht Schuh hoch. Reihen von Einwohnern, i Die Behandlung des Reifes. 157 " nackt bis an den Gürtel und beinahe so schwarz wie die Mohren, spazieren der Länge nach durch den Reis und d wenden ihn mit den Füßen, Die Mode will, daß jeder der Hand LN dünnes Spazierstöckgen hat, die Roth- - wendigkeit davon fah’ ich nicht ein, doch hatte es jeder, – also Mode! – - " , Abends wird auf dem ganzen Platz der Reis in hohe Haufen zusammengezogen, um, gleich bei uns das Heut, hier den Reis vor dem Einfluß des Thaues soviel als möglich zu bewahren. Aller Reis wird mit Salz stark vermengt, um fich in diesem warmen Klima zu erhalten Die Dächer dieses Landes sind flach und dienen statt einen Boden, auf allen wird Reis gereinigt und zUg- rüstet, Zieht der Wind, so ist es bey nahe unmöglich, durch die Straßen zu kommen, denn der Staub und Ab- gang des Reises, welcher von den Dächern weggeweht Und fortgetragen wird, thut den Augen so wehe, daß man sich oft lange nicht von den Schmerzen erholen kann. – Wer weiß, wie viele Augenkrankheiten nur - hierdurch verursacht werden! " . . - 3, s e Geschrieben in Rosette. - - - - . - . . . - - "A g. s - - - - - Immer war mir die Ansicht des Nils merkwürdig, * so ganz verschieden gegen die von unserer Schweiz. Es ist nur Eine Ebene, so weit man diesen Strom bereitet, und nur Sandhügel unterbrechen zuweilen die immergleiche Fläche, einzig die lieblichen Gruppen von Palmenwäld- - 188 Drittes Buch. Drittes Kapitel, chen, unregelmäßig zu beyden Seiten des Nils hingebaut, in deren Schatten die Landeseinwohner in sogenannten Dörfern leben, unterbrechen das Einförmige der Sand- wüsten. Oft finden sich Einfänge, wo unter den Palmen die Banane, Zitrone und Orange wächst. Die Oberflä- che des Nils selbst beleben tausend Schiffe und Schiffchen, während in feinen Tiefen ein Heer von Fischen wimmelt, an denen hier ein Ueberfluß ist, wie selten in andern Gewäffern. Vom Morgen bis in die Nacht ist dem Ufer nach ein Fischer am andern. Diese Leute haben ein run- des Netz, das sechs bis acht Schuhe weit in das Waffer hineingeworfen wird, womit sie ihre Fänge machen; nie fah ich eines ganz leer herausziehen. Der Genuß der Nilfische ist übrigens wegen ihrem Fette weder gesund, noch wegen dem morastigen Grunde des Flußbettes al- genehm. - - Alles Waffer, das hier zu Lande getrunken wird, ist aus dem Nil. Eine große Menge von Menschen erhält fich einzig von der Beschäftigung, das Wafer in Schläu- che zu fchöpfen und dann in der Stadt zu verkaufen, Bey dieser Arbeit des Schöpfens geschieht es nicht selten, daß Fische mit dem Waffer in den Schlauch oder viel- mehr in die Ziegenhaut gebracht werden. So geschah es eines Morgens, als mit Waffer zum Waschen gereicht wurde, daß im Becken ein Fischchen schawmm. Die Trinklust selbst aber verliert sich, wenn man am ufer steht und so zusieht, was man zu trinken bekömmt. Alles Waschen längs dem Ufer nach, alles Baden, alle weggeworfene und fortgeschafte Unreinigkeiten und noch fo vieles andere, dem Landesgebrauche hier entsprechend, und was ich nicht anführen mag, machen eine Mischung, z- Ueber das Nil - Waffer. 189 die fast zum Brey wird. Das Waffer, welches auf den Tisch kömmt, wird zwar gesichtet durch Gefäße von einer Erde, welche fogleich die Flüßigkeit durch schweißen läßt, aber was zum Kochen gebraucht wird, wird wohl dieser Mühe überhoben bleiben und dick gebraucht werden. Auch mit Beymischung von Staub und bittern Mandeln setzt sich in kurzen alle Unreinlichkeit. Bey alle dem ist das Wasser gleichwohl gut und gesund, nur ist es wohl- gethan, während dem Trinken die Augen zuzuschließen. Oft ließ ich mich, bald allein, bald in Gesellschaft auf die Seite jenseits hinübersetzen, dann ging ich nach den entlegenen Hütten der Landbewohner oder Araber. Aber welche Wirthschaft in diesen Hütten, wie Bienen- körbe geformt und von Koth erbaut! Auf allen Vieren muß man hineinkriechen; im Schneckengange herum find Abtheilungen zu verschiedenem Behufe und noch ziemlich rein unterhalten. Wir waren diesen Menschen so neu, als uns ihr Thun und Laffen. Alles an uns erregte die höchste Bewunderung bey ihnen, hauptsächlich die Beweg- ung der Uhrfeder. In der Runde herum ward die Uhr geküßt zum Zeichen des Erstaunens. - Oft sah ich Aegyptierinnen mit beiden Händen be- fchäftigt und ihren Weg fortwandelnd, indem ihr Kind, noch kein Jahr alt, auf ihrer Schulter nach Affenart saß, sich um den Kopf festklammerte und ohne Beyhülfe sich ganz frey und frank schwebend hielt. Vergebens suchte - man in Europa solche Gewandtheit in diesem Alter! Die hierischen Kräfte erhalten hier mehr Entwicklung als bey uns, und sind daher vorherrschend. - ------- * 490 Drittes Buch. Drittes Kapitel. Man zieht hier viele Büffel, die weit größer und schöner sind, als die in Europa, aber auch weit wilder, " Wenn die Kuh ihr Junges bey sich hatte und wir näher, ten uns mit den diesen Thieren fremden Kleidern, so wurden sie so unbändig, daß nur ein schnelles Entfernen vor der Wuth, mit welcher sie die Seile zerriß, an die fie gebunden war, sichern konnte. Die Milch ist sehr gut und das Fleisch schmackhaft. Nun in Aegypten selbst, erinnerte ich mich jener vergangenen Zeit, in welcher ich als Bube oft dachte: wie schrecklich viele Ziegel die Kinder Israels doch müß- ten gemacht haben. Hätte ich damals gewußt, was ich jetzt fah, kein einzige s Ziegeldach in ganz A- gypten, ich hätte frischweg die ganze Historie der Zie- gelfabriken bezweifelt, aber ich fah etwas anders, was die heiligen Urkunden rechtfertigt: Mauerstöcke , Kanäle, Ruinen, durch Jahrtausende verwittert und zum Theil versunken, dem Nile nach, Werke von ungeheuerm Ko- stenaufwand, kaum noch erkennbar, sind von Backstei- nen, und beweisen die Wahrheit der alten Ueberliefe- rung. Die vermoderten Ueberreste, die den Wanderer jetzt noch in Erstaunen fetzen, sind vielleicht noch Erzeug- niffe der erzwungenen Arbeit vom jüdischen Volke wäh- rend seiner Knechtschaft. - Seit langem befand ich mich nun wieder zum ersten- male in Gesellschaft. Diefe hat unstreitig ihre Annehm, lichkeiten; aber allein feyn, ganz für sich, hat sie nicht minder, besonders, wenn etwelche Angewöhnung an die felbe, (wohl bey fast Allem in der Welt nöthig!) die Einleitung machte. Gebunden ist und bleibt man doch in Gesellschaft mehr oder weniger immer; man hat Verpflich- ueber gesellschaftliches Reifen, ist tungen auf sich, auch wenn es Unannehmlichkeiten gibt, die der Gesellschafter ohne unsere Theilnahme verschuldete, Unannehmlichkeiten, die man, wenn man allein ist, nicht kennt, und doch muß tragen helfen. Gefälligkeitshalber, wenn man auch lieber allein wäre, muß man mit auf die Jagd, mit spazieren, Gespräche unterhalten u. a. m. Dadurch wird man so oft in den Träumen einer fruchtba- ren Einbildungskraft gestört: dann entschädigt die Wirk- lichkeit nicht für die entriffene süße Täuschung. Physische Bedürfniffe kommen hinzu: oft wollte ich effen, oft trin- ken, jetzt, es ist eigentlich nicht die Zeit dazu, weil die Anderen nicht dasselbe Bedürfniß fühlten; dann hielt ich die launige Begierde meinen Gefährten zurück, schwieg: weil sie eigentlich launigt war; aber, wär' ich allein, Niemand hätt' ich Rechenschaft abzulegen, auch nicht von Launen! hiezu kömmt, daß man gerne genereus feyn möchte , , , mit Lappereyen von Kleinigkeiten –– beym Effen und Trinken . . . sich genirt wegen Gesellschaf- ter . . . oder den Gesellschafter großmüthig damit umgehen sieht, ohne daß man Intereffe dabey hat u. f. w. Kurz, es find tausenderley Dinge, die sich eher fühlen als fagen laffen. Demnach fällt es schwer zu entscheiden, welche Art zu reisen, ob allein oder in Gesellschaft, die wählens- und wünschenswerthere ey. Es versteht sich wohl, daß hier nicht davon die Rede sein kann, was vorzüglicher fey, ob in Gesellschaft eines vertrauten Freundes oder in blos zufälliger Reisegesellschaft, was denn ein schon himmel- weiter Unterschied ist. * - - Es war die Zeit der reifen Datteln; im Ueberfuß fanden sie sich und in äußerst geringem Preise in dieser Gegend, wo so viele wachsen. Der Stamm des Baumes 192 Drittes Buch. Drittes Kapitel. - ist beinahe bis oben mit stark aufgeworfenen Ringen (die Wirkung der allmählig abgehauenen Blätter) versehen, Wie Katzen klettern oder vielmehr springen die Landes- einwohner den hohen Stamm hinan, indem sie ein Seil um den Leib befestigen, das im geschickten Schwung im- mer wieder um etliche Ringe höher am Stamme hinauf sich fchlingt. Ein flacher Korb hängt um die Hüfte, zum Sammeln der Frucht. - Alles Mögliche an diesem gesegneten Baume wird be- nutzt; die Frucht, noch unreif, wird zum Theil ein- gemacht zu Confitüren; oder roh und reif gegessen, oder auch gekocht; fie giebt einen Wein, der nicht übel feyn foll, und trefflichen Branntwein; in großer Menge werden die Datteln gedörrt und ins Ausland versandt. Der Stein wird zur Koralle ge- fchnitzt, um an einer Schnur nach Landesfitte damit zu tändeln; das Holz taugt zu der gröbsten wie zur feinsten Arbeit; aus den Blättern werden Körbe geflochten und auß. dem Baste Seile gedrehet. Da, wo jetzt Rofette steht, fey vor noch keinen zwey- hundert Jahren der Ausfluß des Nils (der Bogaso) gewe- fen. Neues Land wird hier Strichweife angesetzt, ande- res weggefluthet. Den letzten November setzten wir uns zu Schiffe, um nach Groß-Kairo zu reisen. Wir Dreye hatten die Kajüte einzig für uns auf dem Maas *) gemiethel. Die Reise dauerte neun Tage; meist hatten wir Gegen- *) Name dieser Gattung von Schiffen. Z f, - Nilfahrt. 133 ihind; mir war damit gedient. Das Wetter war immer hell und schön, und je mehr wir uns Kairo näherten, je wärmer wurden die Tage, obgleich die Nächte frisch, ich möchte sagen, kalt waren. Der Thau fiel so stark, daß alles, wie von einem geringen Regen naß war. Die Fahrt auf dem Nile ist sehr angenehm; der Fluß gleitet, wenn kein Wind geht, so ruhig dahin, daß man keine Bewegung fühlt und dabey schreiben und zeichnen kann. Können die Segel nicht benutzt werden, so wird das Schiff durch eine Reihe von Schifleuten gezogen, so daß es noch ziemlich schnell wider den Strom läuft, Unaufhörlich beschäftigen stets wechselnde neue Ansichten und Gegenstände das Auge. Dieß- und jenseits des Nils, beinahe ununterbrochen erstrecken sich nämlich Dörfer auf viele Hunderte an der Zahl; niedlich nehmen sie sich aus der Ferne, von Palmen beschattet, aus, aber in der Nähe sind es elende Kothmauern; Löcher, die den Namen von Häusern nicht verdienen; weder Holz noch Stein ist an ihnen, denn sie sind einzig vom Nilschlamme zusammen- gepappt. Nie regnet es eigentlich hier, sonst würden diese Barracken bald wieder in Schlamm zusammenrin- nen, was indeß oft der Fall mit ganzen sogenannten Dorfchaften ist, wenn der Nil über eine gewöhnlichen Schranken austritt, und überschwemmt. Seit etwa sie- ben Wochen war das … Waffer wieder im Fallen, und bald alle hundert Schritte weit, waren der ganzen Länge nach, wo urbares Land ist, Schleusen. Einen sonderba- ren Anblick gewährten die Fellahs *), welche, wie Kunst- *) Bauern. / - S - . " 194 Drittes Buch. Drittes Kapitel. bereuter, übereinander stunden vom Morgen an bis in die Nacht, um das Waffer in die Gräben ihrer Aecker zu fchöpfen; wie man bey uns den wilden Mann mahlt, so ist ihr Aussehen schwarz, verbrannt, nackt bis an den Gürtel, nur statt dem Eichenkranze einen Turban um den Kopf gewunden. Bald wird das Waffer in Gefäffen, vermittelt eines Gegengewichtes, heraufgezogen; bald, wo das Gelände nicht hoch liegt, in einer Gattung Korb von Zween im Schwunge gefaßt, und unter lautem Sin- gen der Zahl, welche die Menge des herausgeschwunge- nen Waffermaßes bezeichnet, in den obern Graben ge- schüttet. Den Danaiden gleich, sind sie verdammt, ihr ganzes Leben durch, Nilwaffer zu schöpfen. Aus den grö- ßern Gräben wird dieses in die kleinern, die zu Millio- nen das ganze Gelände in Abtheilungen kaum eines Zit, mers groß durchkreuzen und bewäffern, geleitet. Wie bereits bemerkt, mußte das Schiff wegen dem Gegenwinde immer gezogen werden, und ein mittelmäßi ger Fußgänger kam ihm leicht zuvor. Stundenweise oft wanderten wir mit der Flinte dem Schiff zur Seite, und machten auf die Waffervögel Jagd, welche in unzähliger Menge ruhig den Schuß abwarteten; da sie hier fo wenig durch Feuergewehre gestört werden, lagern sie sich unbe- forgt dem Ufer entlang. – Aufm Lande selbst sind die wilden Tauben und Turteltauben so häufig, daß vier und noch mehrere auf einen Schuß fielen. Alle Tage hatten wir das Pillau von unserer Jagd garniert, fettes zartes und schmackhaftes Geflügel. Oft gingen wir in benachbarte Dorfschaften aus Neu- gierde theils, theils um Brod und Eyer zu kaufen, dann flohen fchen ganze Truppen von Kindern und Weihern, i »- Schiffsgebet. 495 schon von weiten ihrer Heimath zu, und im Orte selbst geschah es mehrmals, daß Büffel und anderes Hornvieh, durch die europäische Kleidung geschreckt, den Reißaus nahmen und die Hunde heulend davon liefen. Eines Tages ward unweit einem Dorfe gehalten, gleich am Ufer war der Begräbnißplatz; da saß ein jun- ges Weib, weinend und klagend, ein fehr alter Mann neben ihr, der fie zu trösten schien. Aber immer hefti- ger übernahm sie der Schmerz. Zuspruch, Trost und Kuß von feiner Seite, nichts störte sie in ihrer Trauer. Es war die Tochter des Mannes, welche über den Verlust ihres Gatten, der schon lange verstorben war, sich dem Ergufe ihrer Klagen hingab, über welche fiel der Vater nach Sitte der Araber vergeblich tröstete. - Der immerwährende Gegenwind veranlaßte vieles Bethen bey unsern Schiffleuten, und als er gar zu heftig wurde, ward gelandet, der Keiß *; nebst feinen Haupt- leuten stiegen aus, fpreiteten ihre Mäntel auf die Erde, und – er an der Spitze – gegen Morgen gewendet, bei gann ein lange dauerndes Gebeth, r - Die übrige Reisegesellschaft befund, außer einigen türkischen Kaufleuten, in einem Trupp Soldaten von bey- läufig zwölf Mann, nebst ihrem Offizier; meist Albanefer, Auswürfe dieser Provinz, die ein Auswurf von den übri- gen Provinzen der Levante ist. - Eines Abends, ich war auf dem Verdecke, meine bey, den Gesellschafter waren an dem Ufer des Nils dem Schiff- vorgelaufen, entstund zwischen dem Militär etwas Wort- wechsel, der nicht bedeutend schien, bald aber rannte ') Schiffmeister, - 496 Drittes Buch. Drittes Kapitel. der Offizier neben mir vorbey und wieder zurück mit ei- nem Leder von Elephantenhaut, (eine Gattung Peitsche, doch schärfer als diese ), auf den Soldaten los, und schlug unbarmherzig auf Kopf und Gesicht, wo es hintraf, lall- ge auf ihn los. Der Soldat wehrte sich losfchlagend auf den Offizier, und nur mit Mühe riß man sie auseinan- der. Der Zorn verzog das Gesicht des Geschlagenen ; er rief ihm einen Schimpfnamen nach; der Offizier wandte sich um die Schläge zu wiederholen, noch mehr blitzte die Wuth aus den Soldaten; rasch zog er aus feinem Gürtel eine Pistole, zielte und schoß – es versagte; zum zwei- tenmale ward losgedrückt; die Kugel pfiff dem drei Schritte von mir entfernten Offizier durch das Oberkleid, ohne ihn zu verletzen. Zum Schiffe hinaus setzte der Soldat mit einem Sprunge an das nahe Ufer; ihm nach der Of- fizier und fein Gefolge. Etwa eine Viertelstunde wurde ihm nachgesetzt, ein Sumpf hemmte seine Flucht, oben auf einem Sandhügel fah ich nach; mit ungezogenem, meffingenem Säbel hieb der Offizier mit aller Macht über den Schädel des Erreichten, er stürzte blutend und finn- los zu Boden; ohnmächtig ward er aufs Schiff gebracht; ich glaubte nicht, daß er davon kommen würde; indeß erholte er sich am folgenden Tage in etwas und ward bald darauf in einem Dorfe abgegeben. Der ganze Auftritt er“ folgte so still und gelärmlos, daß man nicht einmal Unei- nigkeit akf dem Schiffe muthmaßte. Meine beiden Reisegesellschafter und der Bedient bekamen Ausschläge in Gesicht und Härden. Das Milwa, fer soll dieß bei den Fremden verursachen; ich blieb in- deß davon befreit, wovon die Ursache wohl sein mag - - - >- st K g i d d Ansicht der fernen Pyramiden. 197 daß ich felten oder nie dieß Waffer blos trank, sondern fatt desselben öfter gebrannte Waffer genoß, Zwei Tage vor unserer Ankunft in Kairo, sieh da, die Pyramiden von Gizeh in blauer Ferne ! Aus der kahlen Ebene durch nichts unterbrochen als von platten, gelben Sandhügeln, hoben sich lustig und kühn die schar- fen Spitzen und lieblichen Formen aus den einförmigen Umgebungen empor ! - Welch einen erfreulichen Anblick gewähren diese Mei- sterstücke vereinter Menschenkräfte aus vergangenen Jahr- tausenden! Lange sah ich nur die beiden Hauptpyramiden, näher entdeckte ich auch die dritte kleinere, und bey Son- nenuntergang, bey unaussprechlich lebhaftem und buntem Kolorite des leichten Gewölkes, hoben sie sich dunkelblau aus der vergoldeten Abendgegend höher als alle anderu Gegenstände in der dem Auge erreichbaren Ferne empor. Den achten Dezember kamen wir in Bulak an. Auf Eseln reitend machten wir den Weg nach der Stadt, in einer halben Stunde erreichten wir das Thor, und ge- langten gleich innert demselben auf einen freien Platz, der voll Waffer einen kleinen See bildete, umkreist vön Wohnungen, - 4. Groß-Kairo *) ist nach Konstantinopel wohl die größte und volkreichste Stadt des ottomanischen Reiches. *) Türkisch Maßr. 498 Drittes Buch. Viertes Kapitel. Verhältnißmäßig ist sie noch volkreicher als Byzanz, we- nigstens lebhafter, denn ein größeres Gedränge und Ge- wühl fand ich fonst nirgends. Schwerlich vergeht eine halbe Stunde, in welcher nicht entweder ein vornehmer Türke mit feinem Gefolge, oder... eine pompöse Hochzeit, oder eine Leiche, von heulenden Weibern begleitet, und dgl. vorüberzieht. Die Gaffe der Franken ist so ziemlich in der Mitte der Stadt. Ich durfte mich nicht gleich in das Getüm- melwagen, das einem überall entgegendröhnt, ich hätte Gefahr gegangen den Rückweg nicht mehr zu finden; ut- ter tausend Einwohnern verstund nicht einer türkisch, noch weniger eine andere als die innländische Sprache, und es wäre eine weit üblere Lage für einen Fremden, sich hier zu verlieren, als in Konstantinopel, Bediente oder Bur- fche, welche den Fremden als Wegweiser dienen, sind hier nicht üblich; man ist gezwungen, wenn man in die- fer großen Stadt noch unbekannt ist, zu Esel feinen Weg zu machen, welches auch wieder feine Schwierigkeiten hat, denn in schnellem Trabe oder Galoppe jagt einert der Eseltreiber durch die engen Straßen, und man befährt jeden Augenblick jemand umzubringen oder umgebracht zu werden. Das Erstere wegen der ungeheuren Men- fchenmaffe, die, wie bei uns an Jahrmärkten, die Gast fen füllt; das zweyte vom Troß der Kamele und Drome dare, oder von vorbeystürmenden Türken zu Pferde, haupt- sächlich vom Militär oder von Eifel-Reitern, die wie ra- fend durch die Straßen galoppieren, - Die hohen Häuser der Stadt sind ganz von Stein aufgeführt, und man kennt hier das Unglück der Feuers- brünste nicht, Die Hauptstraßen sind meist geräumig Josephsbrunn. 199 und breit, die Nebengaffen hingegen so enge, daß man wieder zurück muß, wenn einem ein beladenes Kameel be- gegnet. Je Judenquartier sind mehrere Gäßchen, durch welche zwei Menschen nur gegen einander gepreßt, durch“ schlüpfen können. Mehrere Hauptstraßen sind bedeckt mit Bast- oder Stroh-Decken, welche auf Stangen an den obersten Stockwerken der Häuser von einem zum andern hinüber befestigt, gelegt werden, um die drückende Hitze zu mildern. Diese Bedeckung macht ein gewisses heimli- ches Helldunkel, man glaubt sich in einem Gewölbe, in welchem der Sonnenglanz zur Mondhelle umgewandelt wird, --- Unser erste Ausgang war nach den fogenannten Jo - fephsbrunn, der auf der höchsten Anhöhe dieser Ge- gend sich befindet und die ganze Stadt im Gesichtskreise hat: um ihn ruht, eine Ebene, auf welcher sich das Auge verliert; – hier ist eine zerstörte Burg oder Festung welche von dem berühmten Salahd in oder Salah-Hed din erbaut worden feyn soll, und da findet sich dieser Josephsbrunn. In eine ungeheure Tiefe hinunter führt gähe ein breiter Weg; mit Fackeln wird die Finsterniß erhellt. Wir kamen bis an die Tiefen, wo sich Waffer befindet, das ist aber erst die Hälfte des Wegs nach dent Antersten Grunde. Uns genügte an dieser ersten. Von hier aus liefen wir einen Stein die letzte Hälfte machen, erst nach langer Zeit vernahmen wir feinen Fall in das tiefste Becken, - Auch dieses Werk gehört unter jene, welche den je- zigen Erdbewohnern als eine unbegreifliche Schöpfung menschlicher Kräfte erscheint. Oben wird Jahr aus Jahr ein vom Hornvieh das Rad getrieben, um das Waffer an - --- - - - 200 Drittes Buch. Viertes Kapitel. einem Seil, das bis hinunter reicht, in die Höhe zu brin- gen *). - Späterhin besuchten wir den Sklavenmarkt, deren es mehrere in Kairo hat. Das Gebäude, in welchen sich diese Unglücklichen befinden, ist mit einer Art von Gallerie, die wieder ihre Abtheilungen hat, umgeben. Gegenwärtig wurden keine Sklaven feilgeboten, die ganze Lieferung der letzten Karavane war bereits verkauft, eben fo alle, welche die Stadt aus Spekulation kauft und wie- der verkauft. Mein Wirth, ein Franzose , erzählte mir: "daß er vor ein paar Wochen eine Sklavinn verkauft habe, weil sie es verlangte, und es dann rathsam fey, solchen Wünschen zu entsprechen, indem sie späterhin nicht mehr gut thun. Er habe sie um denselben Preis, wie er fit gekauft habe *), auch wieder weggegeben, obgleich sie mehr werth gewesen wäre, da sie bei ihm waschen und plätten gelernt habe. Die Sklaven, welche in die Hände der Türken fallen, haben ein besseres Loos, als die, welche in christliche Dienstbarkeit gerathen. Meist werden sie bey jenen bald als Mitglieder der Familie betrachtet, die Mädchen be- kommen Männer und es ist nichts Seltenes, daß aus den geraubten oder erkauften Knaben - späterhin Paschas werden. - - - - Zufälligerweise begegnete ich einst dem Pascha von Kairo , Mehmet-Ali; er machte seinen gewöhnlichen Zug, doch nicht in Gala; gleichwohl imponierte der ihn *) Dieses Seit ist Stellenweise mit irdenen Gefäßen bis - hätgt, die im Herunterlaffen das Waffer aufnehmen. *) um 300 Piaffier, ungefähr 1.130 unfers Geldes. " Der Pafcha Mehmet-Ali und Gefolge. 2011 begleitende Kavallerietroß. Eine herrliche Wirkung für das Auge thun die unvergleichlichen Pferde, jedes berit- ten von einem Reuter in anderm Costüme, andrer Haltung; die bunten Farben der fliegenden Gewänder; die ver- brannten Gesichter und fchwarzen Bärte; die Turbane von allen Farben, die so fest auf den Köpfen saßen, wie die Reuter auf den Pferden; die Gewandtheit, mit welcher Pferd und Mann sich benahm. Da nimmt sich ein blitzender Dolch mit schönen Hefte , zwischen polir- ten Pistolen im kostbaren Gürtel, dort ein fchwarzes Ae- thiopiergesicht vor den übrigen aus; der Glanz von Sil- ber und Gold blendet das Auge; nicht weniger schim- mern die reichen Faltenwürfe der langen, wallenden Aermel von Seidengewebe köstlich und bunt. Welch ein Unterschied zwischen unserer steifen Pappenkavallerie und dieser gelenkamen, welche ihre Flinten wie Federkiele regiert, und leicht und gewandt auf den zierlichen Ros- fen, so wie sich ein jeder am besten fühlt, drohend da.- herschwebt? So ists hier Brauch und Sitte! - Ein Herr von Dienern zu Fuß und zu Pferde vollenden den Pomp des Ganzen ! - Andrer, minder brillanten Kavallerie begegnet man oft; es ist die der Santons, der Heiligen dieses Lan- des. Ganz nackend auf einem Esel, die Füße auf dem Sattel und so sitzend, war der erste Heilige dieser Art, den ich fah; es mochte ein Kerl von 26 bis 28 Jahren fehn. Dumm- zufrieden waren die bedeutungslosen Züge feines Gesichts; neben ihm ging ein Führer mit einem Sacke um Almosen und Lebensmittel von den Verehrern des Heiligen einzuziehen. Einige Tage darauf begegnete ich einem andern von fchwerern Kaliber. Dieser fa 202 Drittes Buch. Viertes Kapitel. auf einem schönen Schimmel; ein leichter Gürtel um, gab seine Hüften, sonst war er auch ganz nackt wie je- ner; rasch ritt er durch das Gewühl, das sich ihn zu berühren um ihn drängte. Von ferne fchon hob man ihm die Kinder entgegen, die er dann fegnete und im Vor beyeilen die Hand über ihr Köpfchen hob. Er schien ein Mann von etwas über die fünfzig Jahre, und ein wah- res Gegenstück von jenem jüngern. Gescheut und heiter, gewandt und frohmuthig lenkte er das hübsche Roß und entzog sich der Menge. Solcher Heiligen gibt es in Kairo felbst wie auf dem Lande ganze Schwärme; die gemeinsten aus ihnen tra- gen am Ende einer Stange Riemen von Tuch und der- gleichen in Büscheln gebunden von verschiedener Farbe ; diese gemeinere Klasse geht aber zu Fuße, ist bekleidet und von weniger Bedeutung. Eines Abends ritten wir nach Alt- - Kairo. Von In einem Wirthshause bis an das Thor dieser volkreichen Stadt mag es beiläufig eine Stunde feyn, in einer hal- ben Stunde von da hat man Alt- Kairo erreicht. Auf der Hälfte des Weges dahin ist eine prächtige Wafferlei- tung, die sich in ihrer ganzen Länge dem Nile nach, als Ruine und halbzerstörte Mauer hindehnt. Seitwärts liegt die jetzt bewohnte Stadt, deren enge, finstere und schmutzige Gaffen einen höchst melancholischen Anblick ge- währen; anziehender sind die Umgebungen, und die Aus- ficht über den Nil ist sehr interessant; man ist den gleich gegenüber stehenden Pyramiden näher und die schöne In- fel Raou da hat man von ihrer Vorderseite. Eine Allee von Sykomorn, oder sogenannten Pharaosfeigen, erstreckt sich fast eine Stunde in die Länge und dieser Baum ist . (Grotte der Maria, 203 der schönste der Gegend; die Frucht proßt aus dem Stamme und gleicht den andern Feigen, doch nicht an Güte. - - Im Kloster der Kopten zeigt man die Grotte, in - welcher Maria mit ihrem Kinde auf ihrer Flucht nach Aegypten übernachtet haben soll. Man geht, etwa zwölf Stufen in die Tiefe hinab, Fackeln beleuchten den Weg. Man findet ein ziemlich geräumiges Zimmer, fimetrisch mit gegenüber stehenden, kleinen Säulen besetzt, da zeigt man eine Vertiefung, in welcher sie gewaschen haben soll, und andere Lappereyen mehr. Das alles sieht aber einer Geldprellerey so ähnlich, wie ein Ey dem andern. Wenn Maria auf der Flucht war, so ward fiel schwerlich in einem Gemach von Mar- morsäulen einquartiert; wo keine Berge find, da giebt es auch keine Grotten, und hier ist nichts als eine Ebne von Ruinen. Indeffen mag das Kloster sich wohl dabey befinden, da die Wallfahrt dahin sehr stark ist. ueber die berüchtigte Stelle ist eine Kirche gebaut; die Gemälde in derselben sind Frazzen und Karrikaturen nach neu grie- hischer Manier, - - 5, An der Spitze der Insel Raouda befindet sich in einem zerstörten Palaste der Mekias oder Nilometer. Eine viereckigte Säule steigt aus der Mitte einer gevier- ten Einfassung, welche die Größe eines beträchtlichen Zimmers hat, aus dem Waffer empor. Die Säule ist von regelmäßigen Stücken, deren jedes anderthalb 204 Drittes Buch. Fünftes Kapitel, Schuhe ins Gevierte beträgt, auf einander gesetzt; in jedem Stück sind Striche“) ungefähr zollbreit eingehauen, und dienen als Maasstab des Steigens und Fallens des Nils, nach welchem denn auch das Wachsthum der Feld- früchte sich bestimmen läßt, welches täglich dem Volke durch Ausrufer angekündigt wird. Hat der Maaßstab eine gewiffe Höhe erreicht, so begiebt sich unter Beyseyn des Pascha eine Art von Gefandtschaft dahin, um den Auf- genschein als Zeugen einzunehmen, und das Volk zu ver- sichern: daß die Höhe des Waffers das bestimmte Zieler- reicht *) habe, dann erfolgen Freudenfeste und – ohnt *) Während ich dieß in Nofette niederschrieb, ward ich durch ein Jammergeschrey im gegenüber liegenden Zime mer unterbrochen. Die Wirthin war krank und ihr Mann fiechte an der Schwindsucht. Ich, der einzige Fremde im Haufe, springe nach dem Wohngemache, Da lag der Wirth und konnte nichts hervorbringen, als: „O die Brust!“ Der Athen mangelte ihm; ich war in der Erwartung, ihn - in meinen Armen sterben zu fehen, die Frau, welche im Bette lag, schrie und weinte, daß es durch Mark und Bein ging. Nur ein Araber, der als Koch im Haufe fand, und kein ita- lienisch verstund, war da. Ich wußte weder aus noch an, rannte endlich zu einem franz. Wundarzte und sprach diefen um Hülfe an. Es ergab sich, daß der gute Wirth die steinerne Treppe herunter gefallen war und so Scha- den nahm, daß er nicht mehr reden konnte. *) Ehmals, wenn das Waffer nicht die bestimmte Höhe er- reichte, mithin die Felder, meist unbewäffert und also unfruchtbar blieben, wurden - keine Abgaben erhoben, Heut zu Tage gehts anders! i le, # , h | | - ü z - d s Der Nilmeffer. 205 Wein – halbe Bachanalien. Ganz Aegypten ist dann meist unter Waffer und die Verbindung eines Dorfes mit dem andern wird nur durch Schiffe unterhalten; eine scheinbare Sündfluth droht das Land zu verheeren, aber beim Abnehmen des Waffers bleibt eine solche Menge fet- ten Schlamms zurück, daß der Landmann feine Saamen Und Früchte nur hinein werfen darf, um in wenigen Mo- naten fie hundertfältig zu erndten. - Anfangs Juni fängt der Nil an zu wachsen, und nimmt bis Ende Septembers und Anfang Oktobers immer zu. Dann ist die Ueberschwemmung am stärksten, und er beginnt allmählig wieder gleichförmig zu fallen. - - Vor alten Zeiten soll ein Nilometer auf der Insel Elephantine von Einem Stück Marmor gewesen sein, an dem man noch früher bemerken und wissen konnte, wie hoch das Waffer steigen würde. In Kairo, fo wie in Aegypten überhaupt, fieht man weder Wagen noch Kutschen; Alles wird durch Kameele und Dromedare bisweilen und mitunter auch durch Esel weiter geschafft; was zum Aufladen zu schwer ist, wird durch Träger fortgeschafft. Ich fah Fäffer, die vielleicht dreißig Centner Gewicht hielten, von Bulak bis Kairo durch dergleichen Lastträger, zwölf bis fünfzehn Mann hoch, welche die Last auf Stangen trugen und gewöhnlich, Takt im Schritte haltend, bey dieser Arbeit fangen, . weiter bringen. - - - - . . . . . ." Alle Frauenzimmer von Bedeutung reiten verschleiert auf Pferden, Eseln oder Maultieren, auf äußerst hohen 905 Drittes Buch. Fünftes Kapitel. Sätteln, mit ihren Bedienten zur Seite. Die Pferde werden hier nicht, wie bey uns, zum Ziehen oder Last- tragen gebraucht, sondern edler geachtet, nur beritten. Die Türken reiten beynahe alles Hengste, die Araber hin- gegen nur Stuten. Jene reinigen, putzen und pflegen sie beständig; diese, die immer unterm Sattel haltend, ge- wöhnen sie an Hunger und Durst. Unscheinbar, aber ausdauernd bis aufs Ungläubliche, ist in diesem Lande dieß Thier, wie fein Bereuter. Bald einzeln, bald zahl- reich durchstreift das Freyheit liebende Volk der Araber die Sandwüsten, und lauert auf Raub, jeder auf die Weise, wie er ihn am sichersten zu erringen glaubt. Tage und Nächte durch sprengen sie auf ihren Rennern über die Meere von Sand; am Tage von der Sonne und den Sandhügeln ungewiß geleitet, weil letztere sich immer wieder verändern; sicherer bey Nacht durch die Lage der Gestirne in den immer heitern Nächten. Nie legen sich die Pferde; eine gewohnte Sache ist es, über vier und zwanzig Stunden ohne einen Tropfen Waffer auszuhalten; eben so ist der Reuter an ähnliche und noch weit stär- kere Entbehrungen von Kindheit auf gewöhnt. . . Wenige Wochen bevor ich hieher kam, ward eine Karavane, von Sue s kommend, mehr denn tausend Ka- meele stark, von den streifenden Arabern rein ausgeplün- dert. Die Ladung gehörte größtentheils den Pascha von Aegypten. - Eben als ich dieß vernahm, erzählte mir ein alter Mann, Grieche von Geburt, wie er in seinen jüngern Jahren mit einer Karavane aus Aethiopien mitten in der Wüste überfallen und geplündert worden sei: „Die Ebene wäre unabsehbar gewesen, man hätte keine Spur weder Französische Renegaten in Kairo. 207 hon Kameelen noch Pferden gehabt. Alle hätten sich in der größten Sicherheit geglaubt: aber auf einmal, ganz in der Nähe, habe sich der Boden zu beleben geschienen; ein Schwarm von Arabern, auf dem Bauche der Länge nach im Sande liegend, erhob sich und stürzte auf die Ka- ravane. Alles wurde geplündert und bis auf das Hemde ausgezogen.“ . So erzählte der Alte. Auch die Fahrt auf dem Nile ist nicht ganz sicher, besonders in Oberägypten; und wenn ein Schiff mit einiger Uebermacht kann angegriffen werden, so schützt selbst das Waffer nicht; denn mit ihren leichten Pferden setzen sie tief in die Flüffe hinein. In Kairo gibt es viele Renegaten aus der franzö- fischen Nation, welche bei dem Rückzuge ihrer Lands- leute hier blieben. Ich machte die Bekanntschaft mit mehreren und vernahm von ihnen das eint und andere über türkische Sitten und Gebräuche. Einer derselben war kaum Türke geworden, alsohne sein Wissen schon seit Monathen die ganze Gesellschaft der Weiber seiner Gaffe sich damit beschäftigte, ihm eine Frau zu verschaffen. Er nahm sie, ohne sie vorher gef- hen zu haben, obgleich das Gesetz es gestattete, fiel in Beisein der Verwandten zu sehen. Fünf Jahre lebte er vergnügt mit ihr : „ aber plötzlich“, fagte er, „that sie kein gut mehr.“ Er litt sich ein Jahr lang, und als es nicht befferte, jagte er sie ohne Umstände fort und nahm bald darauf eine andere, Wie bey der ersten, ward auch bei der zweiten um das Heyrathsgut gemarktet, so . 20s Drittes Buch. Fünftes Kapitel, wie man bey uns um ein Stück Vieh handelt. Wird man nämlich Kaufs nicht Eins, so geht die Heyrath nicht vor fich, - Die Meisten halten Sklavinnen neben den Frauen; - wird eine Mutter, so kann sie nicht mehr verkauft wer- den und das Kind wird den ehelichen gleich gehalten. „Mehrere Frauen in Einem Hause, sagte der Franzose, „thun nicht gut“. Die Mädchen werden hier meist vor dem zwölften Jahre verheyrathet. . - - - - In Kairo allein sollen vier von einander abweichende Sekten seyn, welche sich durch ihr Fasten, Waschen u. dgl. Dinge von einander unterscheiden. Eine derselben ist so strenge, daß, wenn die Bekenner derselben nur vom Schatten eines Hundes befallen werden, sie sich schön für verunreinigt halten und sich waschen müssen; diese Hand- lung ist sehr weitläufig und ist ebenfalls von verschiedener Art. Oefter sah ich derselben zu; erst kams an die Hände, dann allgemach zurück bis an die Ellenbogen; jetzt an die Füße, Zehen für Zehen bis gegen die Knie; dann an den Kopf, zuerst hinter den Ohren, so allmälig vor, gerückt an die Schläfe, Augen, Hals. Dabei kämmten fie den Bart, spühlten den Mund, und die Feierlichkeit dauerte nicht unter einer Viertelstunde; sie gehört unter ihre wichtigsten religiösen Gebräuche. Ist – nach dem Gesetze – recht gewaschen, so ist jede Sünde getilgt. - Wegen der Eroberung von Medina, und, wie einige sagten, auch von Mekka, war drei Tage und Nächte durch auch öffentliches Fest und Beleuchtung. Von den Wecha- d h # g # f l Feste wegen der Eroberung Medina’s. 209 biten *) waren diese beiden Plätze früher genommen; an letzterm Orte sollen sie unermeßliche Schätze gefunden haben. - - - „Die Wiedereroberung dieser beiden denkwürdigen Orte hätte kaum statt gefunden“ (so hörte ich behaup- ten), „wenn die Araber nicht durchs Gold der Muhame- daner geblendet, Parthie für diese genommen hätten. Der Tag ward mit militärischen Uebungen von den Soll- daten gefeiert. Ich hörte, daß gleichwohl scharfe Pa- tronen geladen und, um nicht zu schaden, die Flinten blos in die Höhe gehalten würden. Ob dieß wirklich der Fall war, weiß ich nicht, aber in einem Tage fol, len gegen die zwanzig verwundet worden feyn; mehrern davon begegnete ich in der Stadt. Dieser Anblick ermun- terte mich nicht, besonders als Franke, unter die Zu- schauer mich zu mischen. Die Illumination zur Nacht- zeit wollte nicht viel fagen ; nirgends fand man das ge- ringste Bemerkenswerthe, und war für den Fremden eben so wenig rathsam, sich in das Gedränge entfernter Hauptstraßen zu begeben, als unter jene Manöver bey Tage. - Ein Türke äußerte mir zwar, daß von Seite der Einwohner nichts zu besorgen sey, wohl aber von den Landleuten, welche bei solchen Gelegenheiten sich häufig *) Eine Sekte, die seit wenigen Jahren entstanden ist, und ungläubliche Fortschritte in dieser Gegend machte; ihr Stifter, Abdullah Wahab, auf blos sittliche - Grundsätze sich beschränkend, verwirft alle Religionsbe- kenntnisse anderer Völker. Das einzige Rettungsmittel der Besiegten ist, sich gutwillig zu ergeben, "N --- - - - 210 Drittes Buch, Fünftes Kapitel. in der Stadt einfänden und durch ein auffallendes Co- stüme leicht zu Grobheiten gereizt würden. Indeß wa- ren doch vom Militär die meisten Unannehmlichkeiten zu befürchten; es besteht meist aus Janhagel der ersten Klaffe. Im Vorbeigehen ward von einem solchen Helden, dem, der mich begleitete, der Hut vom Kopf gestoßen. Zur Nachtzeit hatte der Soldat noch mehr Spielraum zu fol- chen und ähnlichen Großhaten, denen man bei Tage kaum ausweichen konnte. So erzählte mir ein Amerikaner, was ihm vor weni- gen Tagen begegnete. Er wollte nach Bulak reiten, Mitten auf der Straße ward er von einem Janitscharen angehalten. Dieser wollte aufsitzen, jener bedeutete ihm, daß er das Thier für sich gemiethet habe, der Janitschar ohne weitere Worte, packte ihn bey einen Beine und warf ihn herunter, im nämlichen Augenblick schwang er sich auf den Esel und ritt davon. Dieser Vorfall ereignete sich in der Nähe einer Hauptwache. Der Amerikaner ging hin sich zu beklagen, allein man gab ihm zu verstehen: dieser Soldat wäre bisweilen halbnärrisch, und damit war er abgespeist. Der Erzähler machte noch die Be- merkung: „Was ist zu machen in folchen oder ähnlichen Fällen, wo man verhöhnt wird !“ Diese Halunken tra- gen immer ein paar geladene Pistolen und einen Dolch im Gürtel, den sie gleich von Leder ziehen. Würde man auch Einen niederstoßen, oder über den Haufen schießen, gleich wäre man von hundert andern umringt und verlo- ren, und wer wollte am Ende um eines solchen Sch** willen fein Leben einbüßen, / d Schädlicher Staub, 244 Späterhin ward ich in der Stadt etwas bewander- ter, und oft ging ich ins Freye hinaus, um mein Auge an dem frischen Grün des hohen Getreides und des üppi- gen Klees, in welchem das Vieh weidete, zu laben. Schöne liebliche Frühlingstage gingen hier im December auf. Und am kürzesten Tage, den 21. Dezember beob- achtete ich, daß die Tagszeit hier bey drey Stunden länger feyn mochte, als bey uns. Abends 5 Uhr war noch heiterer Sonnenschein und Morgens bald nach 7 Uhr begann er wieder. - Kaum geht aber die Sonne unter, so verbreitet sich ein dichter Nebel über das große Kairo, und eine Gat- tung scharfer Staub, schädlich für die Brust und anste- ckend für die Augen, belästigte mich jedesmal um die Dämmerungszeit. - Zur Zeit der Anwesenheit der Franzosen waren alle " Hunde weggeschoffen, jetzt fanden sie sich wieder überall wie in großer Menge; hauptsächlich in den entlegenen Gas- en fallen sie nicht wenig beschwerlich. Einst von einem die Truppe verfolgt, wanderte ich gleichwohl ruhig meine Straße fort, auf das Sprüchwort trauend: „Ein Hund der bellt, beißt nicht.“ Aber diese Redensart ist betrüg- lich. Der Hund riß mir ein großes Stück aus meinem Kleide; ein paar Tage darauf, mit einem Sack voller Steine beschwert, rächte ich mich desto kräftiger an die- en Bestien. - Auch auf eine Menge von Höckerweiber stößt man z" immer in Kairo, die ihre Pfeiffe rauchen; ich könnte wicht sagen, daß mir ihr Schmuck, die Ringe durch Nase und Ohren, gefallen hätte. Beim Anblick eines Fremden wenden sie sich weg und bedecken ihr Gesicht, O 2 212 - Drittes Buch. Sechstes Kapitel. wenn sie übrigens auch nichts anders zu bedecken haben. Viele Raubvögel lagern und schweben über den höchsten Gebäuden der Stadt und ihrer Umgebungen, da sie an dem häufig und überall herumliegenden Aafe genug am Nahrung finden. Ich beobachtete oft auf der Teraffe mei- ner Wohnung ganz in der Nähe ziemlich große Adler, - - - - 6, Einen Ausflug nach den Pyramiden in Gesellschaft zu machen, war bereits verabredet, aber von Tag zu Tage verschoben. Bald schickte es sich diesem, bald je- nem nicht; wie's gewöhnlich geht, wenn jeder auf sich und nie aufs Ganze Rücksicht nimmt. - Ich hatte große Lust, Oberägypten, wenigstens ein nen Theil davon, zu sehen, und war zu dieser Reise entschloffen; aber die Unsicherheit des Landes, und die gänzliche Unkunde der arabischen Sprache waren große Hindernisse. Endlich sollte ich mit der Karavane, und der Tag ward festgesetzt. Ich ward aber gespielt, statt einer Karavane bekam ich nur zwey Araber zur Gesellschaft, mit denen ich kein Wort wechseln konnte. Indeß an dergleichen widrige Umstände fchon gewöhnt, fügte ich mich auch in diese Unannehmlichkeit, und verreiste. Abends den 22. Dezember von Kairo nach der Provinz Fajum, ehemals Arsino, in Oberägypten. *) *) Dieß Land wird von den Arabern allgemein der Sai" genannt, Arabische Wohnung. 213 Der Weg führte über Alt-Kairo, zweyttal mußten wir über den Nil; spät in der Nacht kamen wir nach Gizeh; einer meiner Führer war da zu Hause und ich wurde bey ihm einquartiert. v, * Ich bestieg eine Treppe der Wohnung dieses Argbers und ich befand mich auf dem Dache des Hauses. Der unerwartete Gast machte im Hause und im Orte eine halbe Staatsumwälzung. Ueber das Dach ragte eine Gattung Kammer; man ging gebückt zur Thüre hinein, eine Schilfdecke ward “ über den Boden ausgespreitet; die Frau des Hauses, " etwa vierzehn Jahre alt, brachte, indem sie ihr Gesicht nach Landessitte mit einem groben, hellblauen Tuche be- - “ deckte, eine Kohlpfanne, angefüllt mit Kolben vom In- nern des türkischen Korns, die bald in helle Flammen aufoderten. Man lagerte sich auf dem Boden um dieselbe herum und in Zeit einer halben Stunde war das Ge- er nach von Bekannten verschiedenen Alters und Geschlechts als angefüllt. Ein Dutzend Eyer wurden in eine Pfanne eingeschlagen und gleich auf dem Feuer in Kuchen ver- wandelt; Honig *) und Zwieback von Dura erquickten - - g Der Aegyptische Honig ist sehr berühmt. Im obern - Said, näher den Katarakten, verladen die Araber ihre -, z Bienen auf ein Schiff, das ganz damit angefüllt wird. z Nachts wird ein Stück Wegs Nil abwärts gefahren, Morgens wird dann am Ufer gehalten, und wenn die Gegend für die Bienenweide gut ist, 3–4 Tage ver- weilt, bis sie abgenützt ist. So geht es einige Monate z lang den Mile abwärts fort, bis endlich die Bienenweide vollendet ist und bei der Ankunft in Groß-Kairo die 214 Drittes Buch, Sechstes Kapitel, mich. Meine hölzerne Weinflasche fand, obgleich anfäng- lich abgelehnt, doch späterhin den besten Zuspruch, und ermunterte die Republick, Die Frau vom Hause entledigte sich nach und nach des Schleyers, allmählig kamen die fchwarzen Augen des fchwarzen Gefichts und blendend weiße Zähne zum Vor- fchein. Um uns gegenseitig verständlich zu machen, war die Zunge eigentlich ganz überflüßig, doch lachten wir eben über diesen Umstand nicht wenig. Und, o welch ein Wunder, meine Taschenuhr und die Knöpfe von Perlmutter, noch mehr Spaß machte das Meffer mit einer Schnellfeder, und als ich aus meinem Nastuch einen Hafen bildete, floh Alles, und die Kinder fchrieen laut auf. Spät in die Nacht hinein zog sich jedes zurück auf fein Lager. Es war voller Mond; ein hoher Palmbaum stieg dicht an der Hütte empor; die Hälfte des Daches lag in den langen Schatten der prachtvollen Zweige, ich lagerte mich hin, noch wachend in poetische Träume ge- wiegt. Aber bald unterbrach die kahle Wirklichkeit den pot- tischen Schwung! Rauch und Dampf wogte in dem Ge- mache oder Loche, in welchem ich schlafen sollte; ärger und schlimmer aber, als alles andere, war das Heer von Flöhen, von welchen alles schwarz überdeckt schien *). Bienen schwer und gut an diesem letztern Ort mit gro- J ßem Vortheil verkauft werden. *) Im Sommer sterben in Aegypten wegen der großen Hitze diese Insekten. Nur im Winter plagt und quält dort dieß Ungeziefer. fit, is N z s" - - Fernsicht der Pyramiden. 245 Nothgedrungen legte ich mich am Ende unter die Schatten der Palme, aber ich fror die ganze Nacht über eben so stark, als hätte ich unter einem Birnbaume der Schweiz geschlafen. Am Morgen verschwand der Zauber der nächtlichen Beleuchtung. Mir eckelte vor dem Schmutze und der Unreinlichkeit, die sich in der ganzen Wirthschaft ankündigte; noch mehr empörte mich die Schaamlosigkeit der Forderung, als ich eigentlich schon zu gutmüthig und mehr als genug bezahlt hatte. Beynahe vor Tag ward ich um Wein, den sie schon getrunken hatten, und um Brandtwein und andere Dinge, mit dem abstoffendsten Eigennutz angebettelt. Daher bestieg ich zeitlich meinen Eifel, um weiter zu kommen. Die heitere Morgenluft, ein Stück Brod , das ich von einem der fünf mitgenommenen abriß, und ein Schluck Rum verjagten den Unmuth; ich ward wieder heiter. Die nahen Pyramiden entzückten mich ; ich glaubte fie kaum eine Viertelstunde von mir entfernt, aber später erfuhr ich, daß noch über zwey Stunden Weges dahin erforderlich wären. Meine beiden Begleiter, die Araber *), blieben meist eine Strecke hinter mir bey dem Esel, der mein Gepäcke und den Mundvorrath trug. - Ich hatte meinen Säbel an der Seite, und der eine der beiden Bursche trug eine Flinte. Dieß war unser ganzes Zeughausgeräthe in dieser gefährlich sein sollenden Gegend. Vor meiner Abreise aus Kairo traf ich aber meine Vorsichtsmaßregeln, indem ich fast gar kein Geld f s *---------- '). Der Kaufmann und der Mahler, die mich nach Kairo begleitet hatten, blieben in dieser Stadt zurück. 216 Drittes Buch. Sechstes Kapitel. zu mir nahm. Meine Repetieruhr hatt' ich schon früher an eine schlechtere goldene ausgetauscht. Uebrigens hatte ich keinen Augenblick Zeit, an die abschreckenden Sagen zu denken, das Neue der Umgebungen verscheuchte jeden Gedanken an Gefahr und beschäftigte mich ganz; denn kaum eine Strecke weiter vorwärts geritten und die drey Pyramiden von Gizeh rechter Hand gelassen, erschienen die von Sakara und in weiterer Ferne die von Da- chour. Eine ganze Reihe dieser zugespitzten, künstlichen Berge, dehnt sich da der Länge nach vor dem Auge hin und gewährt einen in dieser Art einzigen Anblick in der Welt. Den ganzen Tag über blieben sie mir im Gesichte; mehrere waren angegriffen von der alles zerstörenden Zeit; aber diese Gegenstände sind wahrscheinlich diejenigen, die von allen menschlichen Werken am wenigsten davon litten. Die Jahrtausende, welche seit ihrer Errichtung hinroll- ten, find unbestimmt. Ich hörte wohl Muthmaßungen, daß es noch Arbeit von den Israeliten feyn könnte; daß die Pharaone nicht einzig aus Eitelkeit diese ungeheuern Riesenwerke aufhürmten, sondern wichtigere Beweggründe mitwirken mochten, um ein zahlreiches, unruhiges Volk fortdauernd zu beschäftigen, als dem einzigen Mittel, es im Zaum zu halten. Je herber und niederdrückender die Arbeit war, je weniger folte der Gedanke an eine Be- freiung aus dieser Sklaverei, Raum und Nahrung für den. - - von Backsteinen aufgeführt, und nur diese, aus vielen Millionen zusammengesetzt, war fchon für die Juden eine kecke Nuß zu knacken. - Eine der größten Pyramiden von Dachour ist ganz # - M Plünderung meines Mundvorraths. 217 Aber auch nirgends konnte der Ort zur Ausdauer solcher Werke beffer gewählt werden, als gerade hier in Ober-Aegypten, wo man nicht weiß, was Regen ist, und in einem Jahre vielleicht kaum ein paarmal die Erde davon befeuchtet wird. - Das Land, welches ich nun bereiste, war durchge, hends herrlich; alle Pflanzen trieben wie bey uns im Sommer. Zur Linken blieb mir der Nil, zur Rechten die Sandhügel der Wüste, und die Pyramiden ragten daraus hervor, - Von Morgens früh bis gegen drei Uhr Abends ward anhaltend geritren; ich hielt meinen Esel bald für ein Perpetuum Mobile ; ich versuchte es, mich zu erkundi- gen: wo Halt gemacht würde? konnte mich aber nicht verständlich machen. Ich stieg also ab, lagerte mich in den Klee, und deutete: mir den Korb, in welchem mein Speisevorrath lag, herbey zu bringen, denn ich fühlte guten Appetit. Aber, sieh da, jetzt erhellte es: daß es wirklich an Dieben hier nicht mangelt; ich war mit Arabern, und dieß war genug! Die Schufte blieben fo oft zurück, um ungestört meinen noch geringen Mund- vorrath zu freffen, und Rum zu uachen. Von meinen fünf Broden fand ich noch eines und von meinem Huhn noch einige Ueberreste ! - Meinen Durst stillte ich nun aus dem nahen Bächlein. Die Kerls zu Rede setzen konnt' ich nicht, da ich kein Wort ihrer Sprache redete: was hätte ich aber auch ma- chen wollen in dieser Lage? ich hat also als ob Alles in gehöriger Ordnung wäre; fand das noch wenige Vorrä- hige vortrefflich, und bald saßen wir wieder auf 218 Drittes Buch. Sechstes Kapitel. - Nach ein paar Stunden, es war schon Nacht, ge- langten wir an ein Dorf, wo wir vor einem nicht unbe- deutend scheinenden Bauernhof abstiegen. In einer Gat- tung Schopf wurden wir auf dem Boden hingelagert. Die arabische Gastfreundschaft erheischt es, den Fremden zu bewirthen und zu beherbergen. Pillau und Kuchen von Dura wurden aufgetischt und meine beyden Gefell- fchafter oder Geleiter lieffen sich's nicht übel schmecken; ihre Thiere im Stalle wahrscheinlich noch mehr, da sie den ganzen Tag über nur gearbeitet und gar nichts ge- freffen hatten, Diese Bauersleute, – Fellahs, wie sie hier hei- ßen, – fchienen fehr wohlhabend zu feyn. Eine Menge Vieh aller Gattung und Schaafe, gegen die Hundert, lagerten unter freiem Himmel, letztere mit Strohdecken über den Rücken bedeckt, welches nach der Schur immer einige Monathe geschieht; ein ähnliches Verfahren in der Bedeckung des Rückens der frisch geschornen Schaafe, fah ich fehr häufig, es foll dazu dienen, die Wolle zu verbeffern. - Ruhig entschlief ich auf dem Boden der Baracke; etwas Stroh unterm Kopf diente als Kiffen. Noch hatte ich auf den folgenden Tag gesorgt. Beym Ankommen gab nämlich der eine Geleiter zu verstehen: ob ich nicht et- was Geflügel kaufen wollte? Ich gab ihm einen Piaster, die zwey abgerechnet, welche ich ihm noch bey der Ab- reife gab. Ich glaube überzeugt zu seyn, daß der Schurke nicht die Hälfte dem Wirthe gab, sondern für sich be- hielt; das konnte ich am Benehmen des Wirths merken, auch lag die Prellerey unverhüllt da, als Abends dar- üt is i Wanderung durch die Wüste. 21) z, , , auf nur eine gebratene Taube sich im Korbe fand, die i, hier nur wenige Kreuzer kosten. l, --- < - 7. - Am Morgen zeitlich brachen wir auf. Das Dorf lag hart an der Sandwüste. Es war ein hübscher, küh- ler Morgen. Bei uns klänge dieser Ausdruck Ende De- zembers ironisch; hier gilt er im Ernst. Ein Trupp von ein paar hundert leeren Efeln, mit ihren Treibern, bil- dete eine Karavane, an welche wir uns nun anschloffen, Ein einziger Janitschar diente als Beschützer des Zuges. . Ein immer neues Gelände eröffnete sich mir, ob auch im Ganzen höchst einförmig, doch Strichweise ver- schieden abwechselnd; bald sind es kleine Hügel von Stein und Sand, enge aneinander gereiht, bald größere “ in ungleicher Ferne zerstreut, bald Ketten bildend, bald " unabsehbare Ebenen; zuletzt Felsen ähnliches Gebürg von " zusammengepapptem Sande; mitunter sehr schöne, braune Kieselsteine von lebhafter Farbe, bisweilen himmelblau und innerhalb zierlichem Marmor. - . Sieben bis acht Stunden durchwandert man diese Oede ; wie auf dem Waffer nur Meer und Himmel, so ist hier nur Sand und Himmel sichtbar; kein anderer Ge- genstand, kein Strauch, kein Gräschen belebt die Ge- gend; kein Geschöpf, kein Mensch begegnete uns, kein Vogel in der Luft als Zeichen der lebenden Welt. Nur hin und wieder gebleichte Knochen von Kameelen oder Dromedaren, Pferden oder Eseln hoben sich weiß aus dem gelblichten Sande. Vorbey war nun zehn Uhr Mor z 220 Drittes Buch. Siebentes Kapitel, gens die liebliche Kühle, der Schweiß trof wie bei uns in fchwülen Julius - oder Augusttagen. - Es mochte ungefähr zwey Uhr Mittags feyn, als i am Horizont der Oede etwas bemerkte, das wie etwas Lebendiges aussah *). Ich irrte nicht. Allmählig stieg es herauf und bildete einen Reuter; ich theilte meine Beobachtung mit, bald war. Alles in Alarm und die Eifel in Galopp gejagt; ein zweiter Reuter ward bemerkbar, doch mochte die Entfernung wohl eine halbe Stunde aus- machen; nicht viel weiter rechneten wir, bis wir wieder Land *) hatten; es schien, als wären's Beduinen, Die Eile, mit welcher vorwärts gejagt wurde, ließ zu keinen weitern. Beobachtungen Zeit, und meinen Trei- bern war bänger als mir. Das Warum konnt' ich mir, nicht erklären, da an ihnen nichts zu plündern war, ich hätte keinen Kreuzer für den Anzug beyder gegeben, Der ) - v) Es ist unmöglich, eine Beschreibung dieses sonderbaren Anblicks zu machen; man folte glauben, weil in der vermeinten Ebene nichts die Aussicht hemmt, man fähe ins Unendliche, und doch ist der Gesichtskreis beengt durch nicht in die Augen fallende Sandhöhen und Hü- gel, die man nicht unterscheiden kann, es ziehen die Gegenstände von ferne allmählig in die Höhe wie opti- fche Erscheinungen, und durch die erhitzte flatternde Luft wie magische Schatten, undeutlich und eher vergrößert, fchwebend und ruhig beweglich, in dieser durch nichts anders belebten und bewegten todten Stein- und Sand- Welt. . Das heißt: bis wir aus der Wüste wieder Vegetation hofften. ist it! d # E Gränze von Fajin m, 221 Gedanke kam mir nicht zu Sinne, daß ich auf ihrem Hab und Gut saß, auf dem Esel. – - Der eine meiner Araber blieb lange zurück, und als er mit den Janitscharen den Zug wieder erreicht hatte, glaubt' ich, er wolle mir zu verstehen geben, daß mit den Beduinen unterhandelt würde und es für meine Person zwey Piaster koste, die er sogleich verlangte. Ich merkte die Prellerey; wir waren indes dem urbaren Lande näher gekommen; ich zog meinen Säbel und deutete, daß dieß für die Beduinen wäre, sie sollten nur kommen. - - Die Araber sind feiges Diebsgesindel; er glaubte, daß der halbgezogene Säbel ihn gelte, und sprang weit zurück. Nach Verfluß einer halben Stunde waren wir der Hauptwüste entronnen und langten in Damieh an; wie eine Erdzunge ins Wasser hinein, so erstreckte sich hier ein schmaler langer Strich Grün in den gelben Sand hinaus; an der äußersten Spitze ist dieser Ort. Dem Auge thut es sehr wohl, wieder auf etwas Grünen zu ruhen. Hier war die äußerste Gränze der Provinz Fajum, ehmals Arsinoe, die schönste und fruchtbar- fe in Aegypten. Noch fast zwei Stunden tritt man ab- wechselnd durch Sand, der von Strecken. Landes, welche angebaut sind, unterbrochen war und sich heraushob. Aber gegen Abend war aller Sand durchzogen, und ich befand mich in einer Gegend, die Italien im May kaum auf- weisen kann. Blühende Bohnenfelder mit dem wohlrie- chenden Duft; in Halmen schieffendes Korn; Aecker mit Rosenstauden “ bepflanzt; Zuckerrohr reif zum Genuß; Pflanzungen von Indigo, Einfänge von Orangen; Citro- nen und Cedernfrucht; Felder von Flachs in voller Blü- the; Palmen, welche ihre neuen Zweige zur künftigen z 222 Drittes Buch. Sie beutes Kapitel, " Dattel schon proßten; fette Wiesen und Kleematten, in denen das Vieh bis an den Bauch watete. So war jetzt die Landschaft dieses Bezirks beschaffen; die Felder von tausend Gräben mit laufenden Waffer durchkreuzt, welche vom Nil her durch Nebenkanäle gefüllt werden. Medini heißt jetzt der Hauptort der Provinz. Die Ruinen des ehemaligen Arfino e, sind eine halbe Stunde von hier, aufgethürmt wie Berge, Stunden im Umkreis haltend, erheben sich die ueberbleibsel auf dem Schutte dieser einst fo bedeutenden Stadt. Noch jetzt findet man Münzen, Urnen und kleine metallene Götzen jeder Gattung *) unter diesen Trümmern herrlicher Wer- ke. Ich kaufte mir einen, der seit wenigen Tagen ge- funden ward. - Plinius fagt: „daß diese Provinz das Crokodil ver- ehre “; die Priester nährten dieses Thier mit gebratmen Fleischkuchen und Wein, indem ihnen jene in den Schlund geschoben wurden, den man ihnen öffnete. Laugam nä- herten sie sich dann dem See, und ließen sie hinein, um das Mahl zu verdauen. - Ich ward bey einem Griechen, dem einzigen Fran- ken in Fajum, aufgenommen und beherbergt; von einem Griechen ward ich an diesen empfohlen, und von einem englischen Haufe in Alexandrien - an einen dritten in Kairo. Alle drey waren Griechen im eigentlichen Sinne des Wortes, wie ich schon so viele Erfahrungen machte. Oft durchwanderte ich die schöne Gegend dieses Be- zirkes. Dem Kafchef gehören mehrere große Accker, die nur von Rosenstauden bepflanzt sind. Die Zeit ihrer *) Die Araber nennen sie Egytti. Der Kafchef 223 Blüthe ist ein ganz unbeschreiblicher Genuß für Auge und Geruch! - - Das beste Rosenwasser und die vorzüglichste Rosen- effenz wird hier verfertigt; es wird beym Waschen häu- fig gebraucht, besonders von dem Frauenzimmer. Jeden Morgen werden die reifen Rosen gepflückt und sogleich gebrannt; in Kairo wird Zucker damit gefärbt und da- durch auch dem Geschmacke beygebracht. Mit diesem Ar- tikel wird sehr ins Große gehandelt. Ich sah bey einen Dutzend Buden, wo dieser Rosenzucker Kistenweis verpackt und ins Ausland versandt wurde. - Den Kaschef wurde ich vorgestellt, er erheilte eben Audienz; höflich von ihm empfangen, setzt' ich mich auf einen Polster am Boden; ich wollte ihn in seinem Amte nicht stören, das er eben verwaltete, Sehr stille und ehrerbietig betrug sich das volle Zimmer der Anwesenden, und wenn er sprach, vernahm man keinen andern Laut. Immer sprach nur Einer allein; nie fiel ein Andrew ins Wort. - Rasch brach er auf. Alles folgte. Nach Verfluß ei- ner Viertelstunde, während welcher einem Janitscharen die Bastonade so ertheilt wurde, daß er von zweyen ge- führt werden mußte, kam die Prozession zurück. ------- -------- Unweit meiner Wohnung befand sich ein Hühner- Brut-Ofen, deren es in Aegypten so viele gibt. Ich ließ mir das Gebäude öffnen, um die Anstalt deutlich zu sehen. Das Gebäude, oder, was beynahe dasselbe ist, der Ofen, war bey etwa fechszig Schritten lang; die Mitte durchschnitt ein Koridor, damit man rechts und 224 Drittes Buch. Siebentes Kapitel links zum Feuer sehen und den Eyern die nöthige Beweg- ung und Wendung geben könne. Nie wird helles Feuer gemacht; nur Rauch oder Dampf von Staub und Kuh- mit gemengt, erzeugt die erforderliche Wärme. Der Rauch wird durch zwei Kanäle auf beiden Seiten gelei tet, und die Eyer schichtenweise darüber gelegt; ohne Termometer kennen diese Leute den nöthigen Wärmegrad, und auf den bestimmten Tag der dritten Woche fängts an im Ofen zu wimmeln, zu leben und weben; fechs bis achttausend Eyer durchbohren sich beinahe auf eine Stunde und jedem entwindet sich ein Gefangener. Oft sollen die Hühnchen beim Verkaufe beim Vier- tel weggegeben und nicht gezählt werden. Das Maaß des Viertels ist oben und unten offen; was es in einer Rundung einfaßt, kostet so und so viel; diese Manier geht schneller von Statten als das Zählen; auch in diese Anstalten mischt sich die Regierung, und bezieht ein Ge- wiffes von jedem Ofen. Ich war nun entschloffen, meine Reise durch Ober- ägypten noch weiter hinauf fortzusetzen. Dieser Entschluß ward mir durch die Bekanntschaft mit einem französischen Renegaten, den ich hier fand, sehr erleichtert. Zur Zeit der Beys diente er als Mamelucke, und hatte das Glück, bey der Ermordung seiner Waffenbrüder abwesend zu seyn, Haffan nannte er sich nun; sein Gesicht und der rothe Bart bis auf die Brust hinunter bildeten einen halben Judaskopf. Gescheut und gewandt hing er scheinbare Grundsätze von Billigkeit aus. Dieser Umstand milderte das Nachtheilige, daß ich bey feinem ersten Anblicke em- - - - t d g z? z Hassan, ein französischer Renegat. 225 pfand. Er hatte den ganzen französischen Feldzug mitge- macht, war oft verwundet, und hatte ungemeine Kennt- niffe von den Oertlichkeiten des Landes; überdieß hatte er eine Unterhaltungsgabe, die mir oft fehr intereffant war. In der Länge der Zeit von beynahe zwölf Jahren, während denen er seine Sprache nicht üben konnte, ver- gaß er freilich das eint und andere oder verwechselte die Ausdrücke, was denn bisweilen lächerliche Mißverständ- niffe absetzte, Vom Kaschef erhält man einen Zettel, vermittelt deffen, man bey den Fellahs Wohnung und Kost findet, Auf zwey Eseln und mit einem Knechte ging's bey immer gleich fchön anhaltendem Wetter vorwärts. Etwa eine Meile weit von dem Orte meiner Abreise, kamen wir durch ein Dorf, Fiddem i geheißen; es hat die schönste Lage in dieser reizenden Gegend. Dieses Dorf ist in zween Theile geheilt, von denen der eine von Türken, der andere von Kopten bewohnt ist; fo find die Wohnun- gen geheilt, wie die Meinungen: Mahomed und Christus, heyde Partheyen leben abgesondert, Hier herrscht ein immerwährender Frühling den Winter durch. Von den Sommermonathen in dieser Gegend kann ich nicht urtheilen, doch müssen diese auch nicht unerträglich sein. Auf lieblichen Hügeln schatten hinreichend niedre Palmen, Oliven, Reben, welche ei- nen vorzüglichen Wein liefern, Cedernfrucht, Citronen, saure und süße Pomeranzen: wohlriechendes Gesträuch, - das ganze Jahr durch blühend, – All das – und unter diesem Allem findet sich wohl Erleichterung und Zuflucht gegen die stärkste Hitze; zu diesem Allem kommen noch ; P -, 226 Drittes Buch. Siebentes Kapitel. SA lieblich rauschende Bäche, die das Ganze beleben und den Zauber dieses Paradieses vollenden, Haffan fagte mir viel von dem „Chrétien des Ka- fchefs und machte große Lobprüche von ihm; ich konnte mir nicht recht vorstellen, was der Kaschef für einen Christen in feinem Dienste haben könnte und mochte auch nicht weiter fragen. Jetzt begegnete uns ein Trupp von Landleuten “), und Haffan rief mir zu: „ce sont tous des écrivains;“ Schreiber, dachte ich, und doch gleichen fie Bauern der Gegend wie ein Ey dem andern. Auf einmal löste sich der Mißverstand; Haffan verwechselte Chretien mit Ecrivain und deswegen war mir die Sache fo spanisch. In wenigen Stunden darauf kamen wir nach Senn- hour. Kraft meiner Zettels nahm ich Duartier beytt Vorsteher des Orts. Er war eben beschäftigt, auf ei- nem großen, freyen Platz Dura “) zuzurüsten und zu besorgen. Mit zwei andern kam er, fowohl den An- kömmling als den Zettel bey Nahem zu befehen. In ei- ner Hausflur, welche sich in den meisten türkischen Woh- hungen gleich beim Eingange befindet, wurde uns Her- berge angewiesen. Nach Landessitte kam bald Kaffee, der aber nach Haffan’s Aeufferung zur Hälfte mit Reis verfälscht war, zum Vorschein. Späterhin ein Brey von Dura, faure Milch und dünne Kuchen, halb gebacken, und Honig. Den Thieren ward ein großer Kleehaufen *) Koptischen Christen. - *) Eine Gattung Maiß, wovon Brod und Mehl überhaupt zubereitet wird, besonders aber zur Fütterung für Vieh und Geflügel dient. ' (MS Der See Myeris, 227 vorgeworfen; einen kleinern Haufen von Klee ähnlichem Futter schüttete man vor dem Herrn des Hauses und seinen Begleitern auf. Die vier- und zweibeinigten bissen gleich lustig an, und der Haufe der letztern war alle, ehe die erfern mit dem ihrigen fertig waren, Dieses Kraut, welches von dem Wirthe und feiner Gesellschaft verzehrt wurde, ist dem Klee fehr ähnlich, außer daß es spitzere Blätter und weißlichte Blüthe hat, Unbeschreiblich häufig wird es von den Einwohnern ge- effen; es ist nicht unangenehm; ich war späterhin, als ich hungerte, im Falle, auf solchen Aeckern mich hin zu lagern und nach Lust zu grasen. Noch mehrere Stunden leitete der Weg über Sand, Der See, ehmals Moeris – jetzt der Charon genannt, war erreicht. Nie in meinem Leben sah ich eine ähnliche Menge Vögel, wie hier auf dieser blauen Fluth und an deren Ufern. Strecken von einer halben Stunde im Umfange waren von ihnen, wie mit Schnee, bedeckt, Nach und nach hob sich's und Strichweise war der Him- mel verdunkelt von Schwärmen, die Millionen enthielten, Dieser See von vierzig Stunden im Umkreis, ist von Menschenhänden gegraben. Ein Pharao soll dieses verdienstvolle Werk, für unser Zeitalter ein unbegreifli- ches Unternehmen, begonnen und vollendet haben. Der See ward vom Nilwaffer zur Zeit der Ueberschwemmung dieses Stroms gefüllt, und bewäfferte das Jahr über die ganze umliegende Provinz. Die Segnungen des Volks folgten dem Namen des Pharao-Moeris; wer für feines Volkes Wohl Wunder thut, der allein ist unsterblich ! - P 2 228 Drittes Buch. Siebentes Kapitel. und jenseits am Ufer dieses Wundersees, ein paar Stunden tiefer in der Wüste, ruhen die Ruinen eines andern Wunders der alten Welt. Ein Berg von Ruinen bedeckt in einer stundenlangen Strecke den Schutt des Labyrinthes mit seinen zwölf Palästen unter Einem Dache. Zwei Stockwerke, jedes anderthalbtausend Ge- mächer enthaltend, machten nach Herodots Beschreibung die Füllung dieses einzigen Werks seiner Art aus. Wer sich ohne Führer hinein wagte, war verloren ohne den Faden der Ariadne. An keinen Ausweg war in dieser künstlich verworrenen Schöpfung von dreitausend Gen- chern, deren jedes mehrere Thüren gehabt haben soll, zu - denken. Noch jetzt sieht man eine Gattung Zellen, sehr lang, aber nieder und schmal, hier mochten die Körper der geheiligten Krokodile verwahrt worden sein. Gegen- # wärtig noch, in ihrer Zerstörung, sind diese Werke ein Wunder der Welt, jetzt in Schutt, Moder und Sand ver- funken. Welch ein Abstand zwischen denselben in ver- gangenen Jahrtausenden und dem gegenwärtigen Augen. " blicke. Es engte und drängte sich in mir. uebers Sand- meer hinblickend, stand ich an der Gränze der Sandöde Lybiens, heißer Wind wehte daher, ich eilte zurück. Gerne wäre ich weiter vorgedrungen nach dem Schutt- haufen von Theben mit feinen hundert Thoren, und nach so vielen andern Ueberbleibseln einst so merkwürdiger Orte; gerne wäre ich noch hinauf zu den Katarakten des Nils, weiter zu sehen das noch so viele Sehenswerthe der alten Welt, denn auf keinem andern Fleck der Erde findet " man in größerer Menge so beisammen vereint das, was Menschen Kühnes, Großes und Erhabenes schufen, als - Salzlager. " 229 hier unter diesem Himmelstriche, hier, wo einst die Leh- wer von Griechenland und Karthago und Rom athmeten. Entbehrung von Bequemlichkeiten, so wenig, als Furcht vor Gefahren und Mühfalen hielten mich ab, wei- ter zu reisen, dieß alles scheute ich nicht; aber meine Fi- znzen waren nicht die eines englischen Lords. Diese Be. trachtung gebot Rückkehr, wenn ich auch fonst nicht an die Heimreise gedacht hätte. , - - - Z, Schon in Kairo fand sich hin und wieder der Boden, weißlicht, wie mit Reif bedeckt. Es war Salz. In der Gegend des Sees Moeris aber lag Strichweise das baa- te, feine, gereinigte Salz, oft zwei Finger hoch. - In diesen Einöden mangelt es nicht an wilden Thie- ten, verschiedener Art. Unweit von uns sprang ein Wolf vorbey. Haffan bedauerte es sehr, statt einem Esel nicht ein Pferd unter sich zu haben, um ihn zu verfolgen. Dieser Wunsch war indeß übel angebracht, denn kurze Zeit darauf legte er auf ein Dutzend wilde Gänse an, die in einer Reihe ruhig auf dem Boden la- gen und den Schuß abwarteten; er drückte vielleicht zehn- male los, aber die Flinte versagte, und wir wären übel daran gewesen, wenn der Wolf, statt zu fliehen, auf uns losgestürzt wäre. - . . .“ - An der Gränze längs der Sandwüste war ein Trupp wandernder Araber, die sich da gelagert hatten. Etwas Neues für mich, das ich gerne in der Nähe zu sehen '- 230 Drittes Buch. Achtes Kapitel. - wünschte. In Gruppen abgeheilt, lagen die Zelte dieser untäten Völkerschaft beyfammen; je zwanzig bis dreißig Zelten hoch, machten eine Verwandtschaft aus und bil- deten ein kleines Dorf; so lag Bezirksweise ein Dorf von Zelten am andern, und man fagte mir: daß das Ganze viele taufende ausmache. Diese herumziehenden Horden erkaufen das Recht, ihr Vieh zu weiden, von den Best- tzern des Bodens, und bleiben mit ihren Heerden von Schaafen, Ziegen, Rindvieh und Kameelen so lange, bis der Boden abgeäzt ist. Dann verpacken sie ihr Haab und Gut, Weiber und Kinder wieder auf die Kanzteele, und beziehen einen neuen tauglichen Platz, bis auch dieser, wie der vorige, abgeweidet ist. Haben sie im geringsten etwas zu befahren, oder werden sie beleidigt, so ziehen sie sich in die Wüste zurück und lauern da auf Gelegen- heit, sich durch Räuber eyen und Streifzüge in die ihnen bekannte Gegend zu rächen; auch ohne dazu gereizt zu werden, follen sie zu Diebereyen geneigt feyn und die Gegend unsicher machen; auf jeden Fall sind sie eine g- fährliche, mißliche Nachbarschaft. Während dem Aufent- halte der Franzosen, waren diese arabischen Horden au- genblicklich verjagt, wo sie sich ansiedeln wollten. Ihre Verfassung soll eine Gattung von Monarchie und je der Aelteste einer Familie Vorsteher und Befehls- haber derselben feyn. Die Wirthschaft in den Zelten *) ist bunt genug; in dem engen Raume derselben ist eine *) Alle sind einander gleich, zehn bis zwölf Schuhe lang, fechs bis sieben hoch; von Tuch, das sie selbst verferti- gen; Riemenweife, braun und weißlicht, dichter und stärker als Zwilltch aneinander genäht. . . . h d g" - Argwohn. - 23. ganze Haushaltung mit Mobilien, den nöthigen Werkzeu- gen und Geräthschaften, Animalien und Vegetabilien zu- fammengepreßt. Die Weiber sah ich alle sehr thätig, nicht nur ver- richten sie alle möglichen Arbeiten, sondern sie weben machen Netze, spinnen Kameelwolle u. a. dgl. Dinge. Ihre Kleidung ist in diesem so milden Klima so leicht, daß sie kaum Kleidung genannt werden kann; doch ward auch hier Sitte, schnell das Gesicht zu verbergen, wenn auch sonst nichts anders verborgen blieb. - Indeß ward, als ich die Länge des Zeltes beschritt, um den Raum abzumeffen, dieß für verdächtig gehalten; es schien, als ob die Männer es nicht gerne sähen. Deutlicher bewies es aber das Gelärm und Gekeif eines alten, schwarzgelben Weibes, das mich mitten im Ab- meffen unterbrach, sich mir in den Weg stellte, und durchaus keine nähere Untersuchung des tüchenen Palla- fes zugeben wollte. Ich beschied mich deffen um so viel schneller, da die Hunde als ihre Bundesgenoffen ein In- termezzo anstimmten, das mit dem ihrigen abwechselnd, mich bald überzeugte: es fey rathsamer, mich mit heiler Haut zurückzuziehen, als auf Gefahr und Unkosten fol- cher meine Neugierde zu befriedigen. Wahrscheinlich vührt dieß Mißtrauen von dem Aberglauben her: daß die Franken in Zaubereyen und geheimen Künsten bewandert feyen. - Hier werden die Pferde, die zu nichts andern als zum Rennen und Strapazieren gebraucht werden, abge- richtet, um recht lange auszudauern. Die Menge wacht- barer Hunde umgeben überall die Zelte. Ich ward übri- gens von diesen Halbmohren freundlich aufgenommen; 232 Drittes Buch. Achtes Kapitel. man anerbot, wie üblich, die Pfeife, indeß man sich in Kreis herum an die Sonne setzte. Dieß forgenlose, „pa- triarchalische Leben hat gewiß vielen Reiz; es liefert den Beweis, daß dieß freyheitsliebende Volk lieber auf alles andere Verzicht thut, als auf diese Lebensart. Es traf sich im Rückwege in Fiddimi zu übernach- ten. Haffan frug mich: „, ob ich lieber bey einem Tür, –ken oder bey einen Christen Herberge nehmen wollte?“ All eins, war meine Antwort, wo man beffer, und der Hauswirth ein ehrlicher Mann ist. Er machte nicht die beßte Schilderung von den Türken, und man bezog also das Quartier der Kopten; ich bemerkte, daß unsere Erscheinung neu, und eine folche ungewohnt feyn müffe, da alle Einwohner zusammenliefen. Ich bemerkte ferner einen festen, hämischen Blick, den Haffan beym Absteigen dem türkischen Treiber zuwarf; dieß genügte, um mich Kabale muthmaßen zu laffen. Der Hausherr war nicht zugegen, man mußte ihn suchen; indessen fagte mir Haff an, daß vor einigen Tagen ein Bruder desselben gestorben wäre. Ich äußerte meine Unzufriedenheit, unter folchen Umständen die Leute zu stören, und ihnen beschwerlich zu fallen. „O,“ sagte er, „einmal einer verscharrt, denkt niemand mehr an ihn – c'est comme les chiens!“ Diese Aenfferung war nicht empfehlend. Der Mameluk fluchte, daß man so lange warten müffe; ich entschuldigte den Wirth , daß er van unferm Besuche nichts geträumt habe. Endlich kam er, es war ein Blaufärber; man erkannte im ersten Augenblick einen arbeitsamen Mann; fein An- zug war anständig, so wie sein ganzes Benehmen; aber Verlegenheit über den unerwarteten Besuch, Scheue und d k, | Herberge bei einem koptischen Christen. 233 Furcht blickten aus ihm: „Salaman! Salaman!“ grüßte er und bewillkommte auf arabische Art. Er schloß die Thüre des benachbarten Hauses auf, als unser Quartier; es war ein Arbeitsgemach; sechs kleine Blaukippen, wie fie hier üblich sind, nebst den Geräthschaften und um ein- ander liegendes Tuch, nahm den größten Theil des Platzes ein; er redete mit Haffan. Es schien mir, als ob er sich ent- schuldigte uns nicht bessere Wohnung anweisen zu können. Haffan aber bemühte sich mir im Gegentheil das schlechte Quartier anschaulich zu machen und auf ein solches Loch zu schimpfen. Wie zufällig fragte er mich: „ob ich gerne Oliven äße?“ Auf mein Bejahen ward fogleich Kontribution ge- macht; ich wußte nichts davon, bis man sie nebst einer Flasche Brandtwein herbeybrachte. Der Hauswirth schenkte ein und trank zuerst: fo wie er auch von allen Speisen zuerst genoß, dann mir und dann Haffan bot. Bald kam ein Bruder von ihm zur Gesellschaft, und es ward die Rede von dem Verstorbenen Dritten. Er ward von zwey Beduinen auf dem Wege, als er aus der Stadt etwas Geld holte, ermordet. Drei Wochen waren seither ver- floffen, dennoch weinten beyde Brüder herzliche Thränen beim Erzählen, und die frühere Aeufferung Haffans ward dadurch widerlegt. . . . . . . . . . . . Der Brandtwein erheiterte den Hausherrn; zwey Gläschen, die er schnell, gewiß nach anhaltender Arbeit, und wahrscheinlich in nüchternen Magen hinunter schüt- tete, machten ihn gesprächig, Haffan ward es nicht we- niger, und der Flasche ward immer mehr zugesprochen, als ich gerne sah. Zwey Knaben von sechs bis acht Jah- ren mußten auch trinken, und als ich es tadelte, über- fehlte mir Haffan: „daß dieß Kinder des ermordeten Bru- 234 Drittes Buch. Achtes Kapitel. ders wären, und daß er (der Hauswirth) sie lieber ha- ben müffe als feine eigenen, indem er den letztern keinen Brandtwein gebe.“ Es fammelten sich nach und nach eine Menge Nach- baren; einige fetzten sich bey uns nieder; andere blieben an der Thüre stehen. Der Brandtwein wirkte und Haf- fan ward wild lustig. Schon früher äußerte er: „Die Christen seien immer betrunken, “ und jetzt wiederholte ers, den Gastwirth meynend, und forderte Wein zum Nachteffen; ich fah die Folgen voraus. Noch ein paar andre Kinder traten herein. Haffan bot ihnen das Glas und nöthigte sie zu trinken; anfänglich lachend, späterhin zudringlich; ich merkte feine Absicht fie betrunken zu machen, und als das jüngste sich sehr weigerte, noch mehr zu trinken, gab ich ihm durch Zei- chen Beyfall, da ich schon früher merkte, daß der Ma- neluk meine Worte anders verdolmetschte, als nach dem Sinne. Das Kind mißverstand mich und glaubte, ich wolle, daß es trinke. Als es im Begriff war anzuse- zen, nahm ich das Glas, und um auch Haffan meine Willensmeymung zu verdeutlichen, leerte ich es auf den Boden. Ich ward wieder mißverstanden, wie schon so oft; das Kind fing an zu weinen, und ging weg, in der Meinung, ich wolle ihm übel. Mein etwas ernstes Ge- ficht gegen den Renegaten bewirkte Stille. - - In diesem Augenblicke trat ein alter Mann, schwach auf den Füßen, herein; stillschweigend fetzt" er sich in den Kreis; er schien gegen die achtzig; die Züge seines Gesichts waren ausdrucksvoll, herbe und düster. Der Hauswirth sagte: „daß der Alte am Gehör und an den Augen litte.“ Gegen das erstere Uebel wußte ich nichts, "A # # z # l „ h # z # Rührender Auftritt. 235 für letzteres hingegen, sagte ich, brauche man bey Uns das Rosenwaffe. Der Mann wollte fcheints denjenigen fchen, der ihm einen Rathgeben wollte zur Erleichterung seiner Beschwerde. Man gab ihm ein Licht; er setzte sich hart bei mir an den Boden, das Licht ganz nahe an mein Gesicht haltend. Sein Auge, kaum eine Spanne breit von dem meinen, heftete sich mit angestrengter Aufmerk- famkeit, vielleicht ein paar Minuten auf mich, dann, nach einem durchdringenden Blicke, ergriff er plötzlich meine Hand und küßte sie; freundschaftlich drückt' ich die feinige. Er wollte zu mir sprechen und konnte nicht; ich fah ihn tief gerührt, und Thränen rannen in den weißen Bart; er neigte sich, küßte mein Knie, mein Kleid; der Schmerz schien ihn zu übermannen; er weinte noch heftiger. Noch einmal küßte er meine Hand mit Herzlichkeit; wiederholte seine Zeichen, nicht sprechen zu können; stürzte ein Gläschen Brandtwein hinunter, deu- tete auf seine Fußsohlen, und ging unter lautem Schluch- zk weg. Ich war ergriffen von dem unerwarteten Auftritte; die wärmste Theilnahme an dem Mißgeschicke des Grei- fen regte sich in mir. In dieser Stimmung äußerte Haffan: „vous voyez ils sont tous soüls!“ ich erwie- derte aber ernst: daß ich für einmal, ihn selbst ausgenom- men, Niemand in diesem Zustande sähe. - Jetzt erzählten die Anwesenden die Geschichte des al- ken Mannes: „Er hatte, wie es scheint, durch Fleiß und Arbeitsamkeit, und als ein rechtschaffener und geschickter Mann sich ein ordentliches Vermögen erworben, als er vor neun Jahren von einem Bey berufen ward. Ohn“ Wirges zu denken, ging er hin. Da ward er vierzig 236 Drittes Buch. Acht es Kapitel Tage lang in ein Gefängniß geworfen und während die fer langen Zeit täglich grausam auf die Fußsohlen ge- fchlagen. Zwar kam er mit dem Leben davon; aber das Vermögen ward ihm genommen. Er erblindete und verlor das Gehör und noch jetzt, nach Verfluß von neun Jahren, fchmerzen ihn die Füße.“ Ich erwachte, wie aus einem Traune, zu brennen- dem Unwillen. Christen fah ich um mich – Mitbrüder – Christen, wie ich sie in meinem Leben nie noch in diesem Lichte fah, bedrückte, nnterdrückte Glaubensgenoffen. Die Zeiten Diokletian"s und Szenen aus Chateau- bria nd's Märtyrern drängten sich vor meine Seele. Auch ich ward vom Schmerz übermannt, und kein Wort des Trostes konnt' ich meinen Mitbrüdern sagen, die mehr oder weniger noch immer darum, daß sie Christen find, von einer barbarischen, rohen, unwissenden Nation gedrückt und zertreten werden. Es war begreiflich, daß dem hämischen, feinen ehe- maligen Glaubensgenoffen gehäffigen, und nunmehr be- foffenen Renegaten, Haffan, nichts von dieser Sache zu fagen war. Was hätte ich nicht darum gegeben, um mit diesen guten Leuten, meinen Glaubensbrüdern, nur ein Viertelstündchen sprechen zu können. Denn, wie bedeutungslos ist mitten in der Christen, heit der Name Chrift; wie oft ist die fer Name sogar Stoff zur Ironie, weil mancher fittlich Gute zehnmal beffer ist, als Christen dem Taufend nach, wie wir sie u nter uns finden, deren Leben diesen Namen ent Jrrth um. 237 z, weiht! Wie ganz anders aber erscheint das Christen- thum und der Christ da, wo man nur selten diese Na- men findet, und wie interessiert man sich dafür, wenn man seines Gleichen bedrückt sieht, eben weil sie seines Gleichen sind - - es , Zu meinem höchsten Verdruffe erfolgte, was ich frü- her befürchtete. Haffan ward zänkisch und fuchte Händel; - - - - - - w - sie konnten nur durch alle Nachgiebigkeit der in Angst ge- jagten Hausbewohner vermieden werden; um Uebel nicht ärger zu machen, mußt' ich schweigen. Einmal, als ich losbrannte, um ihn heraus zu schmeißen, warfen sich die " erschrockenen Leute um mich und flehten: daß ich mich doch möchte besänftigen lassen. Ich dachte im Zorne gar nicht daran, daß der Mamelucke hier in der Nähe wohnte, und vermittelt des Kalchefs oder durch Kabale, früher " oder später sich an diesen wehrlosen Menschen auf eine “ entsetzliche Weise rächen könnte, - - Aus diesem Beweggrunde verabschiedete ich Haffan " auch späterhin nicht: und als er mir Tages darauf Ab- bitte that und beyfügte: „daß er sich in Zukunft wohl hüten werde, zweierlei Getränke zu sich zu nehmen, wie seien, erwiderte ich ganz trocken: daß er wohl dar, " an ihun würde. - - - m-wa - - - 9. - - - - - - - Morgens vor der Abreise kamen mehrere Kranke in , % der Meinung, ich fey Arzt, weil ich gestern Abend den 23s Drittes Buch. Neuntes Kapitel. alten Manne das Hausmittel wegen feinen Augen gab. Mein Wirth mußte sich alle Mühe geben, es einem Je- den zu fagen: daß dieß nicht mein Beruf wäre; ohnehin, wenn nur ein Europäer sich zeigt, meynen die Eingebor- nen, er fey in der Arzneykunde erfahren. Es ist aber auch unbeschreiblich, wie es in der Levante überall von Aerzten wimmelt; meist die traurigsten Quacksalber, und ich glaube keinem Unrecht zu thun, wenn ich unter fünf zigen neun und vierzig zu dieser Klaffe zähle. Versteht ein Arzt bei uns ein Fach nicht und geht er darüber in Europa zu Grunde, so wird er dessen ungeachtet hier, wenn er nur in Etwas ein gutes Mundstück hat, bald zum reichen Manne. Versuche und Probestücke macht man hier am Menschenleben, wie wir Fabrikanten hierzu Lande an Musterblätzen; und ein gewandter Franzose ver- sicherte mich, daß er die Pest mehr als einem Dutzend Araber eingeimpft habe, um darüber Beobachtungen an- zu stellen. Als ich ihm darüber mein Erstaunen äußerte, glaubte er, weil er den Arabern Geld bot, und jeder sich um zwey oder drey Piafter die Pest einpfropfen ließ, er fey dadurch quitt, er hätte es ihnen vorhergesagt, daß sie die Krankheit bekommen würden, aber sie hätten es nie glauben wollen, daß ein so kleiner Faden dieses Uebel bewirken könne; - sie hätten ohnehin schon auf ihre Lehre von der Vorausbestimmung (Prädestination) ge- baut. Ehe ich abreiste, wollte ich doch etwas Geld für das Genoffene hinterlaffen; ich wunderte mich, auch beh den Kopten den Gebrauch der Türken zu finden. Mein Wirth legte feine Hand auf den Bart *) und machte *) Soviel als die höchste Beteuerung. i M l, # # l Türkische Musterungen. 239 Zeichen, daß er kein Geld nehmen würde. Die Sitte will's, daß ein Gast bis vor den Ort hinaus begleitet werde. Als ich dem wackern Manne mit Innigkeit beym Lebewohl die Hand drückte, traten ihm die Thränen in die Augen! Die Türken felbst geben den Kopten das Lob, daß sie fleißige und arbeitsame Leute feyen; "ihre Kinder lernen Lesen und Schreiben; frühe helfen diese den Aeltern in ihrem Berufe ihr Brod verdienen, - Wieder in Medini zurück, fah ich eines Morgens den türkischen Musterungen zu. Die Manöuver der Ka- vallerie sind, wie ich schon früher äußerte, für einen Europäer sehr interessant, mitten im stärksten Galoppe halten die Pferde beynahe auf den Schritt an, und un- streitig haben die Muselmänner hierin eine Gewandtheit in Schwenkungen und Uebungen, die bei uns nicht zu fin- den ist, auch wegen dem Sattel und der Verschiedenheit der Lage des Reuters nicht möglich wäre; die Knie des türkischen Reuters reichen bey den kurzen Steigbügeln fast bis an den Hals des Pferdes. Desto unbeholfener hinge- gen ist die Infanterie; jeder steht und geht, wie's ihm am tauglichsten scheint, ladet und feuert nach Bequem- lichkeit. Ohne selbst militärische Kenntniffe zu besitzen, fiel mir gleichwohl die Verwirrung dieser Taktik auf. Der Kalchef selbst war Anführer der Kavallerie; er saß fest und mit Zuversicht auf feinem herrlichen Roffe. Indeß dieser auf dem Felde feine Mannschaft in den Waffen übte, starb zu Hause feine Tochter, welche auch 240 Drittes Buch. Neuntes Kapitel, des Nachmittags sogleich begraben ward. Der ganzen Länge der Gaffe nach, waren auf beiden Seiten zerfetzte Krüppel und Lahme, die den Leichenzug begleiteten, um Almosen zu erhalten. Die Vornehmen haben den Lärm und das Geheul der Trauerweiber, so viel es hier zu Lande anging, abgeschaft, da hingegen die gemeinen Leute den höchsten Werth darauf setzen. Der Zug dieser Armen war beträchtlich; in denselben Kleidern, wie am Mor- gen auf dem Exerzierplatze, erschien der Kaschef; den Sarg des dreijährigen Mädchens überzogen bunte Tep- piche. Die geliebte Todte selbst soll in einen Kaschemir- Schawl, von mehr als tausend Piafter am Werthe, ge- kleidet und in demselben in die Erde versenkt worden sein. Auf dem Rückwege aus der Moschee theilte der Kaschef rechts und links den deßwegen erschienenen Alt- mein Geld aus, In Oberägypten haben die Grabmäler eine andert Beschaffenheit als im untern Theile dieses Landes. In der Größe eines mittelmäßigen, gleichzeitig - viereckten Zimmers *), werden bald von Koth, bald von ung- brannten Backsteinen diese Grabmäler erbaut. Der Be- gräbnißplatz nimmt oft einen größern Raum ein, als das Dorf. In der Mitte des Thurms wird das Grab ges, *) ueber welches dann eine runde Kuppel zur Bedeckung kömmt. Auch die Backsteine sind aus leimartigem Koh 1. zusammengeknetet. - - # N „ g f Obelisken, Hieroglyphen. 24 hen, dieses aber, wie die Oeffnung im Grabmale, bleibt vermauert bis auf einen gewissen Tag im Jahr, an wel- chen dann, die Gebete der Verwandten auf dem Grabe selbst verrichtet werden. . . . . . . . . - - - . . . . . . . . . " , ungefähr eine Stunde auffer Medini, liegt mitten in einem Bohnenacker ein sehr schöner Obelisk; er ist kleiner als die von Alexandrien, aber wohl fanden sich oft die nämlichen Hieroglyphen auf diesem wie auf je- nen. *). Diese für uns größtentheils, wenigstens in ih- rem Zusammenhange, unverständlichen Figuren lasen die alten Aegypter, wie wir die Buchstaben-Inschriften. Auch hier auf diesem Bohnenacker, dachte ich, war also ebenfalls eine andere Welt, als man diesen Obelisken fetzte! - Auffer, über die Minarets und Moscheen, findet man in ganz Aegypten kein Dach, und im ganzen Said keine Glasfenster mehr. - - - - - Ich traf auf ganze Dorfchaften, die blos aus Ein- fängen von Schilfrohr befunden *), Jahr aus, Jahr ein lagern die Einwohner in denselben unter freiem Him- Intel, wie ihr Vieh. - - : " - ) Von diesen Hieroglyphen hab' ich eine sehr getreue Zeiche nung gerettet. - *) Auf mehreren sind Querstangen mit Stroh bedeckt als Dachung überlegt, fehr viele sind aber ohne Bedach- ung. r - - HIN 22 Drittes Buch. Neuntes Kapitel Auf dem Wege nach Benifouef kömmt man nahe an zwey, unweit von einander entlegenen, zugespitzten Bergen, die aus dem Sande wie Zuckerstöcke hervorragen, vorbey. Es waren einst auch Pyramiden, und jetzt sind sie in besteigbare Berge verwandelt. - - Am letzten Tage im J, 1812 verreiste ich von M- dini, um, wie ich eben bemerkte, nach Benifouef zu reiten. Es war ein Prachttag und in jeder Rücksicht Sommer. Statt einer Pfeife im Mund, nagte ich auf einem fechs Schuhe langen Zuckerrohr, und eine andere Portion hielt ich unterm Arme. Die reine Süße ist sehr angenehm, und endet nicht widerlich im Geschmack, wie heym Genuße des kristallisierten Zuckers. Daß die Zähne durch diesen Genuß im Geringsten nicht leiden, beweist das zierliche Elfenbein im Munde von beinahe allen Ein- wohnern des Landes. Von diesem Zuckerrohre, das den ganzen Tag über als angenehme Nahrung dient, kauft man zur Zeit feiner Reife im Said, mehrere Stangen um einen Parah. Ich dachte nicht, daß der Weg so weit wäre, aber die Thiere waren schlecht. Erst Nachts kam ich in Be- nifouef an; stieg im Khan ab, mit Noth fand ich etwas gesalzenen Zieger *) und Brod von Dura, grob, wie von Türkenmehl, aber da ich den ganzen Tag nichts ge- geffen hatte, schmeckte es trefflich. Eine Gattung Loch - - *) Das frisch Geschiedene von der Schotte, Bestandteile des türkischen Käfers, ist f M F js g Neujahrstag Morgen. 243 ward mir als Zimmer angewiesen; sanft schlief ich auf kahlen Boden und träumte in Afrika, von Europa, - - - Es war der Neujahrstag Morgen 1813 welch ein Erwachen! Zwölf Monathe früher, welcher Unterschied, welch andere und fremde Welt, in Menschen und Thie- ren, Pflanzen, und Klima, und Verhältniffen! Allein stand ich in dieser neuen Welt, auffer ja und nein, der Benennung von Zahlen, von Brod und Was fer, wußte ich auch nicht ein Wort von der Landessprache, Dennoch kam ich gut durch; ich weiß oft selbst nicht wie! - - Ich dachte an meine Freunde in der Schweiz, an diesem Festtag; nur ein Stückgen Brod von ihrem Ueber-, fluffe wünscht' ich mir. Ich war mitten in einer Stadt und hatte nicht einen Brosamen; ein Trupp Militär, der durchzog, nahm Alles rein weg. - - Ich ging heraus an den Nil; gegenüber lag ein Dorf unter Palmenbäumen auf grünen Wiesengrunde, das Ue- brige war unübersehbare Wüste, dieser angebaute Fleck in dieser Sandöde erhob sich wie eine Insel aus dem Meere, In der Bibel findet sich Manches, das uns, beson- ders in den Kinderjahren, unverständlich ist, weil andre Sitten und Gebräuche da herrschen, wo sie zum Theil gefährieben ward, als bey Us, mitunter gibt es wohl - Q 2 244 Drittes Buch. Neuntes Kapitel. auch unwissende Lehrer, die ihren Schülern das nicht sagen könneu, weil sie selbst in der Völker- und Län- derkunde der alten, manchmal auch der neuen Welt Fremdlinge sind. Hier fand ich die Klageweiber, die in der Bibel mehrmal vorkommen, und von denen ich mir keinen rechten Begriff machen konnte. Die alte Sitte ist in diesen Gegenden bis auf unsere Zeiten beyhehalten; oft fah ich die Ceremonie, hier in Medini aber am deutlichsten, und in der Nähe. - Vor dem Hause des Verstorbenen. versammeln sich fünfzehn bis zwanzig Weiber, dunkel gekleidet, und mit einem schwarzen oder dunkelblauen Tuch über den Kopf Eine Handtrommel wird von einer aus ihnen geschlagen, die übrigen bewegen sich im Kreise herum nach dem Takte derselben, indem sie laut das Lob des Verstorbenen be- fingen; in einer einzigen Minute schlagen sie vielleicht zwanzig- bis dreißigmal die Hände vor dem Gesichte zu- sammen, und laffen sie dann bis auf die Knie sinken, Die anhaltende, heftige Bewegung wandelt die Ceremonie zum Tanze, alle Augenblicke ertönt von einer oder mehr rern ein heller, durchdringender Schrey, fast wie ein Pfiff. Das Geberdenspiel, die Kleidung, Haltung erin- nerte mich an die drey Hexen aus Shakespears Macbeth, den ich in Wien aufführen fah. - Die Trauer dauert sieben Tage, während welchen die nächsten Verwandten weiblichen Geschlechts, in Begleit- ung mehrerer Klageweiber, das Grab des Verstorbenen besuchen, und während ihrem Zuge durch die Gaffen wech- felsweise diesen hellen und durchdringenden Schrei von sich geben; selbst am Grabe wiederholt sich dieß Ge- f '- it F s - Benifouef 245 lärm, das jedoch, wie gesagt, nur unter den Gemeinen des Volks häufigere Uebung ist. e Seit Monathen wußte ich nicht, was Regen war; zur Seltenheit war der Himmel etwas überzogen. Wie doch der Mensch auch des Guten sobald überdrüßig wird Was mich anfänglich entzückte, begann ich späterhin als eine gewohnte Sache anzusehen; noch mehr, ich mißte ungern das Gefühl, das einem bey uns in den stürmischen November - und Dezember-Tagen fo heimlich macht; das Eingeschloffenfeyn im stillen, ruhigen, häuslichen, war- men Stübchen, wo das eingesperrte Leben, alldieweil draußen der Wind tobt und das Schneegestöber an die Fenster schlägt, ein behagliches Wohlfeyn gewährt, durch das Bewußtseyn: man habe von all diesem Ungemach nichts zu befahren. - - Benifouef liegt hart am Nile; ich dachte mich Tags darauf einzuschiffen, da immer eine Menge Fahr- zeuge vom Said herunterkommen *); es lag aber am Morgen ein dichter Nebel auf dem Strome. *), was in dieser Jahrzeit sehr oft der Fall ist, und die beladenen Schiffe dann hindert, weiter zu fahren. Späterhin er- hob sich Sturmwind, der Nebel lüftete sich und bildete nur leichtes Gewölke; von der Wüste hingegen erhob sich der Sand und verdunkelte den Himmel; es war düster, '). Die meisten sind mit Korn befrachtet, gehören dem Pa- fcha, und werden nach Rosette gebracht, wo es von ihm, der aus diesem Artikel einen Alleinhandel für sich macht, verkauft wird. - ") Der sich aber kaum eine Viertelstunde Landeinwärts erstreckt, - - " . . " 46 Drittes Buch. Neuntes Kapitel. wie bey uns in den trübsten Tagen. Oft sah man durch die Säulen des emporwirbelnden Sandes den blauen Him- mel über sich und im nämlichen Augenblicke ward die Helle wieder verdunkelt; auf der andern Seite fah man keine dreißig Schritte vor sich, und wenige Stunden fo find hinreichend, ganze Karawanen zu verlieren. Die Lage muß schrecklich feyn! - Bey drey Tagen dauerte heftiger Gegenwind; kein Schiff fuhr ab; ich mußte mich während dieser Zeit be- helfen so gut ich konnte. In meiner Wohnung, wo, wie in allen Khans, nichts zu haben war, als Wohnung, mangelte. Alles. Sprechen konnte ich nicht ein Wort: ich nahm zu meinen fast vergeßnen Zeichen die Zuflucht, d. h. ich mahlte Eyer, Fische , Citronen u. dgl. aufs Pa- pier, oder zeichnete sie in den Sand auf den Boden, dann schafften die Araber es lachend herbey. Nachts sperrte ich mit einem Steine die Thüre zu und verstopfte die Löcher vor den Hunden und Katzen, die aber dennoch oft ihre Besuche abstatteten, streckte mich auf den Boden und zog den Rock als Decke über mich. Der Kafchef war auf der Contributions-Jagd. Eine geraume Zeit im Jahr wird von den Befehlshabern dieses Landes auf diese verwendet. Mit einem Trupp Sol- daten, meist Halunken erster Klaffe, zieht er in feinem Bezirke von Dorf zu Dorfe; vor jedem derselben wird Lager geschlagen, die Zelte bezogen und fo lange kaltpirt, bis unter Drohungen und Mißhandlungen von den Ein- wohnern das Verlangte erpreßt ist; sodann wird weiter gezogen vor das nächste Dorf und so fort, bis man die Reihe im Lande herum ist. … ill v Krokodilfang. 247 Die meisten Dörfer in Oberägypten gleichen einer Sammlung von Taubenschlägen; der obere Theil ist rund, in Form eines Thurms, und die ganze Rundung mit Lö- aehern angefüllt. Bei uns findet man zuweilen in Bau- ernhäusern dergleichen Kachelöfen; die Kuppel ist diesen Taubenfällen ähnlich. Bey Tausenden umschwirren sie ihre Wohnungen; sie sind kleiner als bei uns und schei- nen eine halbwilde Art zu feyn. Den untern Theil des Taubenstalles bewohnen die Menschen. Die Schlüffel in Aegypten sind fehr ökonomisch und nicht von Eifen, wie bey uns. In ein viereckigtes Hölz- chen werden in ungleicher Zahl und in ungleicher Lage Messing-Drähe geschlagen, diese paffen genau mit an- dern ähnlichen und beweglichen im hölzernen Riegel Durch einen Druck werden die auf einander paffenden Dräthchen gehoben, und der Riegel kann geschoben und gezogen werden. Endlich legte sich der heftige Wind und ich begab mich auf das nächste, beste Schiff; es war mit Zucker- rohr beladen, und zwar fo stark, daß, wie bey den mei- fen andern Schiffen, auf beiden Seiten desselben Bü- fcheln von dürrem Schilf befestiget waren, um eher fort- zuschwimmen und vor untergehen zu sichern. -, Gerne hätte ich Krokodile gesehen ; ich Walt“ nun in der Gegend, wo sie sich häufig finden follen, fah aber keine; hingegen ward mir erzählt, wie sie noch weiter oben in Aegypten im Nil gefangen würden. Mit einem Brette von sehr weichem Holze, wagt sich ein gewandter Schwimmer in den Fluß; das Krokodil, wie es ihn er- blickt, schießt gegen ihn, und wie es den Rachen öffnet, ihn zu verschlingen, wird ihm das Brett hineingestoffen. - 248 Drittes Buch. Zehntes Kapitel. - Die scharfen Hauer beißen sich so stark ein, daß sie ein, geklemmt bleiben. Die aufpaffenden Helfer am Ufer stür, zen sich ins Wasser, das eingebiffene Ungeheuer wird ge- meinschaftlich aufs Trockene gezogen und todt geschlagen. Verfehlt aber der Wagehals den Stoß in den Rachen: fo hat die Jagd gefehlt, und er büßt sein Leben, was jedoch fehr felten der Fall seyn soll, - 10, - - Die Fahrt ging fehr langsam von Statten und dau- erte fechs Tage bis nach Kairo zurück. Morgens vor neun oder zehn Uhr konnte man wegen dem Nebel nicht abfahren und Abends gegen vier bis fünf Uhr mußte man wegen dem Gegenwinde landen. - Wie oft wünschte ich, daß meine Freunde einen Blick, auch nur eine Minute lang, in meine Lage thun könnten. Dieser Wunsch stieg auch eines Abends auf, als, wie gewohnt, das Schiff am Ufer hielt; es war kalt, und das Fahrzeug mit einer Gattung von Zelt be- deckt; da lagerte ich zu hintert auf etwas Streue, die man über die harten Zuckerrohre ausgespreitet hatte. Der Ueberrock diente als Decke, und ein geflochtener Reise, korb als Kiffen. Dicht vor mir verrichtete ein Derwisch auf einem ausgebreiteten Mantel das lange Abendgebeth mit lauter Stimme; alle Augenblicke stürzte er sich nie der aufs Verdeck, um den Boden gesetzlich und regelmä- ßig zu kiffen. Vielleicht tausendmal wiederholte er das felbe Wort, so viel und so schnell, als er's in Einem Althemzuge konnte, - i # s V Nachtfülck auf dem Nile. - 249 Gleich vor den Derwische hin rauchte der Kaufmann, der Besitzer der Ladung, ruhig die lange Pfeife; ein Lämpchen erhellte sparsam die Nacht in dem düstern Zelte; im Vorgrunde am Ufer hohes, helles Feuer von Schilfflackernd, um dasselbe hier eine Gruppe von Schiff- leuten, Aegypter und Araber, in ihren weißen, gefarb- ten und scheckigten Turbanen, plaudernd, singend, rau- chend. – Ein herrliches Effektstück für einen Reim- brand. Durch die Helle hoben sich die gelblicht - weis- fen Sandhügel der Wüste längs dem Strome hin; die Wogen des Nils plätscherteen gegen das Schiff, durch eine Oeffnung der Zeltdecke glänzte von oben das erste Viertel des Neumondes! - - - Ich hatte heute Fasttag. Etwas trocken Brodward dem unbeschwerten Magen zu Theil; vor acht Tagen, als ich den Vorrath machte und es frischgebacken war, hatte ich allerhand daran auszusetzen; jetzt, acht Tage später, und steinhart, fand ich es ganz vortrefflich, und nichts daran zu tadeln, als daß es zu Ende war; die Limonade aus dem Nil erhielt mich nüchtern. Das Reisen in Aegypten wäre wahrlich sehr wohl- feil, wenn nicht die diebischen Araber dem Fremdlinge Alles wegnaschten und föhlen, was er sich für folgende Tage zum Vorrathe anschafft. Oft reichte ich des Tages mit sechs bis acht Kreuzer aus. Brod, Eyer und Rettige erhielt ich genug für diesen Betrag; das Schiff kostet nur ein Trinkgeld; ein fettes Huhn ein paar Batzen; eine Taube wenige Kreuzer; für einen Esel sammt dem - - 250 Drittes Buch. Zehntes Kapitel, Treiber zahlt man zehn bis zwölf Batzen auf den Tag. Wegen der Sprache war ich fehr übel daran; Alles auf dem Schiffe verstand keinen andern Laut als arabisch, und ich keinen hievon; durch Gebehrden trachtete ich mich zu erkundigen: ob wir bald in Kairo ankommen würden? „Schallah *),“ hieß es etwas verdrüßlich; man darf nie fragen, wie weit es fey, oder wenn man anzukom- men hoffe; es ist auch hier wie auf dem Meere. Um gekehrt frugen sie mich durch Zeichen: „ob ich mich auch recht gewaschen habe, die Hände, das Gesicht, den Mund ausgespült?“ jenes hatte ich gethan, letzteres nicht. Das dicke Nilwaffer war nichts weniger als dazu einladend; aber fest nahm ich mir vor, es in Zukunft immer zu thun, um nicht durch unterlassung schlecht-Wet- ter zu machen. Ein Seitenstück zum Pfeifen auf der Do- nau, als ich von Wien abfuhr. Späterhin konnt' ich mich doch nicht enthalten zu fragen: ob wir wohl Morgens in Kairo ankommen wür- den? Ich brauchte das Wort türkisch und frug: Saba? ich ward nicht verstanden, in dieser Verlegenheit dachte ich, daß vielleicht italienisch aushülfe und frug dimani? wieder nicht verstanden. Ich hatte vergeffen, daß auf arabisch faba sieben und demani acht heißt. Die Leute wußten gar nicht, was sie mit diesen Zahlen anfangen sollten. - - - - Eine große unbequemlichkeit in Aegypten, besonders im obern, find die Menge von Flöhen, die zur Winters- *) Wenn Gott gefällt, Gottes Wille ist. __- z i Ausflug nach den Pyramiden- 25 zeit überall den Reisenden martern; im Schiff, im Stall, in der Hütte, im Palaste findet sich diese Plage als ein Merkmal der Unreinlichkeit dieses Landes. Den Sommer durch soll sich kein Floh finden, weil die Hitze die tödte, dagegen gibt's dann dafür reichen Ersatz von Wanzen an jedem Ort und auf jeder Stelle. - - - Wieder in Groß- Kairo zurück, vernahm ich, daß in der Zwischenzeit Engländer angekommtn wären, welche einen Abstecher nach den Pyramiden machen, und an welche sich Alles angeschloffen hätte, was Lust hatte, diesen Gang dahin zu machen. Die Gesellschaft war sehr zahlreich; ich verfehlte, um eine Woche zu spät, diese Gelegenheit, und mußte mich also entschließen, wenn ich diese Merkwürdigkeit in der Nähe sehen wollte, den Weg dahin allein zu machen, und ich war hiezu ent- fehloffen. Im Begleite eines, im Wirthshaufe be- kannten, Arabers, der mit geladener Doppelflinte bewaff- net war, und eines Treibers, der die Thiere zu besorgen hatte, begann ich den Weg dahin. Ein sehr schöner Tag heglückte meinen Entschluß. - In Alt-Kairo ward der Nil in seiner ganzen Breite, die hier sehr beträchtlich ist, überschifft, und innerhalb drei Stunden befand ich mich am Fuße dieser Denk- mäler vergangener Jahrtausende. – Eine steile Anhöhe bildete einen erhabenen Platz, und auf diesem thronten die Sonnenpfiler, doch auch dieser Platz, der den Py- tamiden zum Fußgestelle zu dienen scheint, hat das An- sehen, als sei er von Ruinen zum Berge umgestaltet. / 252 Drittes Buch. Zehntes Kapitel. Denn bei der Erbauung dieser ungeheuern Werke war höchst wahrscheinlich Alles Ebene; wenige hundert Schritte von diesen uns unbegreiflichen Werken entfernt, meinte ich, die Größe der Steine wäre derjenigen großer Backsteine gleich, aber das ist Täuschung der ebenmäßigen Formen dieser ungeheuern Maffen. Ganz in der Nähe verwandelten sich diese vermeinten Backsteine in Felsen- blöcke von vier bis fünf Schuhen Höhe und oft noch grö- ßerer Breite. Wie so groß erscheint der Vorwelt Kraft in diesen Werken; wie so klein die der jetzigen, wenn man so halb verblüfft diese Wunder an staunt! - - - Bey dreyhundert Schritten zählte ich die Länge Ei- ner Seite der Grundfläche, die mir ein gleichseitiges Viereck schien. Sechshundert Schuhe foll die größte fenk- rechte Höhe enthalten, und ehemals bis zu unterst acht- hundert Fuß betragen haben. Zweihundert also wären in der Tiefe unterm Schutt. Die Gesammtheit aller Pyramiden, unter denen ich mich hier befand, und die mein Auge fah, stellte mir gleichsam eine Familie dar. Vater und Mutter die beh- den Hauptpyramiden; ein halberwachsener Sohn oder Tochter die dritte im Rang der Größe, und als Kinder erschienen ein halbes Dutzend, ganz kleine, zerstörte, in der Runde umher. - Winzigeres, mit diesen großen Denkmälern in schreck lichten Abstande, kannn man nichts sehen, als das um ten liegende Dorf von Koth, dessen ganze Länge kaum die von einer einzigen Seite der Pyramide beträgt. Ich wollte in das Innere dieser geheimnisvollen Felsenwohnungen. f ' | # i # # Ausflug nach den Pyramiden. 253 Man ersteigt einige Felsenblöcke der Pyramide, und findet sich am Abhange des Eingangs; etwa fünfzig Schritte geht man ziemlich gähe und gebückt durch die schöne, gleichseitige Oeffnung in das Innere, und man gelangt scheinbar an das Ende des Ganges, aber so wie man die fes erreicht zu haben glaubt, kommt man an ein Loch im Boden, und durch dieses muß man sich arbeiten, um in das eigentliche Innere zu gelangen. Drei Araber mit Fackeln begleiteten mich. . . . . . . . . . . . Wenn man durch dieses Loch, so enge, daß man kaum - - den Leib durchzwängen kann, durch Staub und Erde auf dem Bauche sich fortschleppend, die Füße höher als den Kopf, wenn man sich so durchgearbeitet und durchge- wunden hat, so könnt man ins Innere und man kann, jedoch stark gebückt, wieder etwa siebenzig Schritte gegen den Mittelpunkt. Jetzt kam ein Felsen, der für mich sehr mühsam zu ersteigen war; ich gewann beträchtliche Höhe; neben mir schien der Schlund eines Sodbrunnens dauerte lange, bis ich ihn fallen hörte. - - Von hier aus führen zwei schmale Erhöhungen von sechs bis sieben Schuhe, gleich einer schrägen Leiter hin- auf in die Kammer, wo die Urne ist. Wieder etwa sechzig Schritte, durch einen andern Irrgang, gelangt ich an eine Gattung von Grotten, die, wenn sie eröff- net oder gehörig untersucht würden, vielleicht in andere Gänge leiteten. Es war aber ein Chaos von Felsen, Mauerwerk, Staub und Erde, was am weitern. Vordrin- gen hinderte. - Ich eilte zurück zu kommen, denn ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe, Die gefangene Luft, noch verdor- zu gähnen. Ich warf einen Stein herunter und es 254 Drittes Buch. Zehntes Kapitel, ben durch den ungesunden Fackeldampf, er steckt einen beinahe. Die Flamme erleuchtet eben deswegen nur sehr schwach. Der Gedanke, verloren zu sein, wenn ich ohn- mächtig hinfänke, machte vielleicht, daß ich es nicht ward; ein heftiger Schweiß befiel mich; gebückt und halb erstickt arbeitete ich mich vorwärts gegen den Mit- telpunkt hin; ich wollte in die obere Kammer, aber die Schmäle des Felsens, ohne sich zur Seite irgendwo halten zu können, und die für mich noch beträchtliche Höhe, vereint mit den fast erschöpften Kräften, mach ten, daß ich Verzicht hat und mich dafür wieder an das Tageslicht durchmühte; die Mauern sind von den vielen Lichter- und Fackeldampf ganz schwarz. Wie froh war ich, wieder frische Luft zu athmen! Es war mir indeß auf den beschwerlichen Gang und den erleichternden Schweiß sehr wohl. “ Die Ansichten am Ausgange der Pyramide sind in der That prächtig. In der Ferne Kairo, mit der Menge einer glänzenden Kuppeln von Moscheen und spitzen Mi- narets; näher Alt-Kairo, noch näher Gizeh und die Menge der Dorfschaften, die längs den beiden Ufern des ruhigen Nils sich hinbreiten, aus dessen Fluchen sich In- feln erheben und die Landschaft von dieser Seite beleben Seitwärts, rechts Bulak und seine fruchtbaren Umg- bungen, gerade vor fich hin die unübersehbare Sand- wüste, links das Heer der Pyramiden von Sakara und Dach ur, die ihre spitzen Giebel kühn aus dem Sand- meere emporheben. Vergnügt lagerte ich mich auf einen Felsblock an der Pyramide und hielt Mittagsmahl, umgeben von einem halben Dutzend Arabern und Beduinen, die sich allmälig ' g ) - d , . . > > > der Sphinx, 255 fühnelten; ihre Menge war mir nicht zuwider, sie ge- währten Sicherheit, einer durch den andern, und ich sah es gern, daß sie den Zug vergrößerten. Fast Alles ersteigt den Gipfel der Pyramide. Dem Schwindel unterworfen, blieb ich unten. An der Spitze der andern haftet ein Stück von einer Art glatten Ueberzug, und es scheint, daß in frühern Zeiten alle auf diese Art, wegen längerer Dauer, über- zogen waren, durch die Länge der Zeit aber losgewittert und abgeschält wurden. Ich konnte mich gar nicht satt sehen an diesen er- habnen Werken vergangner Zeiten, und nichts störte mich als die zudringlichen Halunken, die mit jedem Schritte Trinkgelder bettelten. Weiter unten ragt der Sphinx aus seinem Grabe von Sand, jedoch nur ein Kopf mit beschädigtem Gesichte, bis an die Schultern, hervor. Jenes ist von reiner und edler Bildung, besonders der untere Theil; die Nase und das eine Aug' sind ganz fort; das andere, so wie der Mund, nur noch unbestimmt. Auf einer Leiter erklimmt man gewöhnlich den Scheitel des Koloffen. Der ganze untere Theil vom Halse an ist mit einer Sandebene über- deckt und mehr denn hundert Menschen würden erfordert, un binnen Jahresfrist ihn daraus zu befreien. ------ . - - 14. - - - Geschrieben in Damiate. In Kairo ist die Menge der Blinden verhältnißmä- ßig so beträchtlich als in Alexandrien, und ich konnte - 935 Drittes Buch. Eilft es Kapitel. . . . - - mich nicht genug darüber wundern, so viele dieser Un- glücklichen in allen Gaffen anzutreffen; zu sehen, wie sie sich allein durch das Gewühle von Menschen und Thie- ren durchzufinden wissen, da, wo selbst ein Schender Mühe hat durchzukommen! Das einzige Zeichen, sie zu schonen, ist etwas starkes Schlagen mit dem Stock auf die Erde. – - - - - - - - - - - - - - - - Man erlaube mir hier eine kleine Abschweifung und die Aeufferung meiner schlichten Meinung über die Au- genkrankheiten *). - - - - - - - - - - - - - - - - - - , - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - , , Y - - - - - - *) Als Gelehrter reiste und schrieb ich nicht, ich mochte nie fcheinen, was ich nicht war - obgleich es nicht … … schwer fern dürfte, das nachzuahmen, was so oft ge- than wird. Nämlich: Auszüge aus verschiedenen Wert - ken über denselben Gegenstand zu machen, zu verlei chen, zu mutmaßen, zu zergliedern, und endlich seinen eignen Senf darein zu kneten, um dann eine - Abhandlung oder untersuchung ans Tageslicht zu fördern, die sich gewaschen hat. Ist das Ding nur ein bischen gelehrt oder verworren eingekleidet, so hat man bald in den Augen sehr vieler Leser ein so hohes oder tiefes Werk geschrieben, das man, gleich den chemischen Schrift ten jetziger Zeit, bald selbst nicht mehr versteht, obwohl es teutsch feyn foll; was ich hier also über die Augen- übel fage, spreche ich nicht als Arzt aus, sondern gebe es blos als eine Muthmaßung, die ich mir aus vielfältie ger Beobachtung abgezogen habe, und die ich wenigstens für fo lange nicht verwerfe, bis man mich durch eine - - - - gründliche Widerlegung eines Beffern belehrt. A - - - - - - - - - - - - - - . . - - - - # # g s s ' g 4 Augenkrankheiten. - 257 Man hat nämlich behauptet: Der feine Sand in Alt- gypten verursache das häufige, hier herrschende Uebel von Augenkrankheiten und Blindheit. Nun fragt sich: war- um herrscht das Uebel beträchtlich weniger in den kleinert Dorfchaften, die doch den Sandwolken weit mehr ans- gesetzt find, als die Bewohner der Städte? Warnun un- ter den Beduinen beynahe gar nicht, die doch in der Wüste und mitten im Sande wohnen? und warum ist das uebel am meisten und auffallendsten in den größten Städten, wie in Alexandrien, Groß-Kairo, Rosette u. a. ? Darauf antworte ich: daß das Gewühl in den en- gen Gaffen der türkischen Städte, welches durch das häufige Durchziehen von allerley Vieharten, Kameelen, Dromedaren, Pferden, Efeln, Büffeln, Maulthieren, und besonders der Menge Hunde entsteht, den Staub der Exkremente dieser Thiere, welche durch die große Hitze sogleich pulverisiert werden, in einer beständigen Beweg- ung erhalte, daß dieser Staub durch das Gedränge der Menschen und deren schleppende weite Kleidung, be- sonders der Weiber, einen fortdauernden Staubwirbel verursacht. Berechnet man nun ferner, daß jene Erkre- mente in so ungeheurer Menge aus alkalischen Theilen und flüchtigen Salzen bestehend, als feine Atome in die Höhe getrieben, die Luft erfüllen und so zu sagen verdicken, daß dann späterhin, beim Fallen des Thaues *), dieser sich mit den Atomen vereint, und, auflösend, fast in eine Substanz verwandelt wird; so erachtet man auch leicht daß dieser Staub von Exkrementen nachtheilig auf die V - - - - - - --- *) Der Thau näßt hier so stark, als bei uns eit gelinder Regen, 258 Drittes Buch. Eilft es Kapitel, Gesichtsorgane (um der Natur feiner Bestandtheile willen) wirken muß. Der Einwurf: „daß in türkischen Städten der nörd- lichen Levante bey ähnlicher Bauart derselben, dieß Ue- bel weniger sich finde, als in Aegypten,“ wird gehoben und widerlegt, durch die schon abweichende Beschaffenheit des Klima"s dafelbst, von der so fchnell und stark ab- wechselnden Temperatur vom Tag zur Nacht in Aegypten, die fo heftig wirkt, als es weder in Syrien, Palästina, noch im nördlichen und östlichen Orient der Fall ist, Eben fo fällt in diesen Gegenden nie ein so stark näffender Thau, als in Aegyptet, - - - - - - Doch ich komme nun auf etwas anders, auf die Hochzeitprozessionen dieses Volkes, wo ich nicht fertig werden würde, wollt' ich das Ganze weitläufig beschrei- ben. Der Zug dauert oft eine halbe Stunde, da erblickt man Reuterey, Raritätenkästen, der Braut Mitgift; nach der Musik, Tanzende, Fechtende, Poffenreißer aller Art und Gattung. Die Braut sitzt oder liegt vielmehr in ei- ner Gattung Kasten, von zwei Pferden getragen; sie schimmert oft in ganz silbernem Gewande, meist wird sie darein eingenäht. Perlen und Edelsteine erhöhen den Glanz noch mehr *); ihre Gespielinnen folgen, oft zwan- zig bis dreißig an der Zahl, alle verschleiert, auf hohen Sätteln von Maulthieren und Eseln daherreitend. Voll - *) Diese Pracht wird aber meist um Geld entlehnt, - # Oesterreichischer General-Consul Rosetti. 259 der Braut sieht man nur das Gewand, in welches sie, wie bemerkt, genäht ist, und den Schleyer, der das " Haupt bedeckt. Alles ist ganz Vermummung. Etwas seltsam kamen mir auch die Reuter zu Pferde und zu Efel vor, welche mit langen Stöcken in der Hand gemächlich darauf sich stützend, bei jedem Schritte des Thiers, Takt haltend, vom Aufsteigen bis zum Absteigen, fortarbeiten, –– - - - Seit meiner Abreise von Wien oder von den Gränzen der östreichischen Staaten, ward mein Paß nicht mehr unterschrieben. Da mir der Paß von dieser Regierung ausgefertigt worden, und ich Willens war, wieder dahin zurück zu reisen, so wandte ich mich an ihren Gesandten schon in Konstantinopel, wollte ihn aber damals wegen der Pest durch wiederholte Besuche nicht belästigen, und - verreiste nach Aegypten, ohne den Paß von ihm unter- schrieben zu haben. In Alexandrien war ich gleich freund- g schaftlich vom Konsul desselben Hofes empfangen, und in diesen erhielt ich eine Empfehlung an den General- Konsul Rosetti. Dieser würdige, achtzigjährige Mann, „ voll Weltklugheit, Staatskenntnis, Handelserfahrung und gründlicher Einsicht in das Fach der Landwirthschaft, behandelte mich wie ein Vater. Wegen Versuchen, die wir über den ägyptischen Indigo anstellten, war ich sehr oft bei ihm, und ich zähle diese Stunden unter die ver- gnügtesten, welche ich in Kairo verlebte; er lud mich ein, mich da selbst niederzulaffen. R 2 " - 250 . . Drittes Buch. Eilft es Kapitel. - - Rofetti befaß, weitläufige, eigenthümliche Lände- reyen, die er mittelf feines unternehmenden Geistes sehr einträglich zu machen wußte. Ueberhaupt fand ich bis an- hin in dem Personale der östereichischen Gesandschaft in der Levante sehr würdige Männer, - - In Groß - Kairo war im Gasthause Table d'hôte (Wirthstafel) der Franken. Lavater soll einst einem Studenten ins Stammbuch geschrieben haben: „Herr, erlaube mir, daß ich unter die Schweine fahre!“ Oft, ehe ich zu Tische ging, konnt' ich mir diesen Spruch vor- fagen; die Gesellschaft bestand aus Männern von zwei verschiedenen Nationen, auch aus ein paar Juden, Die Unterhaltung dieser Herren war witzig und schmutzig, - - * - - - - - - - . . . In Groß-Kairo hatte ich weiter nichts zu tun, und trat die Rückreise den achtzehnten Jänner um so eher an, da beunruhigende Gerüchte wegen der Pest, die in Alexandrien ausgebrochen sein sollte, im Umlauf war ren. Als ich aus Kairo abreiste, war der große Plaß innert dem Thore, der bei meiner Ankunft einen kleinen See bildete, jetzt in ein prächtiges Kleefeld umgewan- delt, in welchem das Vieh bis an die Knie watete, - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - – was der malen beinahe Eins und durchgehends Ton ist, "N, t f s # * * * Abfichtlofe Beleidigung. " 261 Das Schiff, in welchem ich aus dieser Hauptstadt Aegyptens abfuhr, war klein und von fünf Paffagieren angefüllt, unter ihnen zwey Franken, welche italienisch sprachen. Die Rede kam auf die Gesetze verschiedener Länder; der Eine äußerte: „Auch Moses wäre zu einer Zeit ein einsichtsvoller Gesetzgeber gewesen;“ ich stimmte ihm aus inniger Ueberzeugung bey und setzte hinzu: daß er dieß Talent um so größer bewiesen habe, weil er ein Volk in Ordnung zu halten wußte, das, ungeach- tet es das Volk Gottes vorstellte, doch das ungeschlachte- fe *), undankbarste, feigte und verworfenste Gesindel der Erde war. Der Fremde schwieg, das Gespräch war beendigt. Sobald ich in Rosette den Namen meines Reisegefährten nannte, hörte ich: er fey ein Hebräer! Meine Aeufferungen gegen ihn thaten mir sehr leid, in- dem der Mann sehr vernünftig, ordentlich und gefällig Mal, - - - Die Schiffleute waren Araber; ich merkte es an ihren Gaunertalente, meine Nastücher, Pfeife waren gestohlen, und mein Vorrath von Lebensmitteln genascht. A - 12. - - - '- - - Regen und Koth fand ich beim Aussteigen in No- fette; ich merkte, daß ich nicht mehr in Oberägypten war, von beiden hatte ich seit Monaten keine Spur mehr *) - Wie das - alte Testament es durchgehends felbst beschreibt. - - - 262 Drittes Buch, Zwölftes Kapitel. ---- V- gehabt. Der Kaufmann, an den ich nach Alexandrien empfohlen war, befand sich hier, und die erste Nach- richt welche er mir gab, war diese: „daß dafelbst im Wirthshause,“ wo ich einen Theil meiner Effekten zu, rückgelaffen hatte, „die Pest ausgebrochen fey, daß das Haus beschloffen und bewacht, und bey zwanzig Perfo- nen darinne eingeschlossen seien.“ - Schlimme Neuigkeit! Ich tröstete mich damit, daß es doch beffer fey, meine Kleider darin zü wiffen, als mich selbst. Wär' ich um acht Tage früher nach Alexan- drien verreist, so wäre dieß mein trauriges Loos gewe- fen. Das Schicksal leitet am Ende immer so gut. die war ich in Kairo verdrüßlich, so viele Zeit zu verlieren, jetzt hatte ich Ursache, jeden Umstand zu fegnen, der mich dort aufhielt. Da ich hier des Schicksals oder der Leitung der Vorsehung erwähne, so kann ich nicht umhin, auf einen Augenblick zurück, und Rhodos zu erwähnen. Ich wollte, wie ich früher bereits erzählte, von dort aus nach Cy- pern; es waren zwei Schiffe, die dahin gingen; ich besichtigte beyde, das eine forderte zuviel, das andere war so groß, und es kam mir auf demselben fo still, so öde, so leer vor, daß es mir darauf ganz unheimlich und ängstlich ward. Da diese Stimmung aber, der gefunden Vernunft zufolge, kein Beweggrund sein konnte, mich nicht auf dasselbe zu begeben, so war ich es dennoch Wil- Mens, und hatte dem Schiffs-Kapitain halb zugesagt, in dem ich meine Ahnung als Vorurtheil beseitigte. Die wenige Kenntniß in der türkischen Sprache beschränkte mich fehr, und ich hatte Niemanden, den ich kannte, oder mit dem ich mich hätte berathen könnten, -- Y- z Vorfehlung. - 263 Als ich nach dem Hafen zurückkehrte, fah ich einen Franken in zerrissener Kleidung *); ich wandte mich an ihn, um zu fragen: ob er kein Schiff nach Cypern wife, auffer diesen beiden? Er antwortete in gebroche- nem Italienisch: „Nein, und auf jenem größern, sagt man, war unlängst die Pest.“ Es begriff sich, daß ich nun nicht darauf wollte; statt nach Cypern, ging ich nach Alexandrien. Sechs Wochen später brachte eben dieß nämliche Schiff die Pest nach Alexandrien. Was konnte und sollte ich bey fo bewandten Umstän- den machen? Mir blieb nichts anders übrig, als in Rosette abzuwarten: ob vielleicht die Auslieferung meiner Effekten aus der verschlossenen Kammer durch das Fenster statt haben könnte, wozu mir Hoffnung gemacht wurde. Ich vertrieb mir indessen die Zeit mit Jagen, denn in diesem Lande mangelt es nicht an Waffervögeln aller Art; hiezu kam noch der Durchzug von Kratmetsvögeln der größern und kleinern Gattung ( Fordi et Grives); in einem Vormittag fchoß ich bey einem Dutzend weg. Täg- lich war eine Schüffel davon auf dem Tisch; schreiben und lesen füllte die übrige Zeit aus. Die Gegend von Rosette ist sehr schön; längs dem Nile hat man alle Ansichten näherer und entfernterer Gruppen, ganze Wälder von Palmen, das fruchtbare Delta liegt gleich gegenüber. Dörfer, der Länge nach, *) Daß er ein Franke wäre, schloß ich daraus: weil er einen Huth trug. 264 Drittes Buch, Zwölftes Kapitel, heben sich bald aus dem Sande, bald aus Palmen her- vor. Die Gärten sind hier in der Wirklichkeit, wie sie uns oft in Dichtungen geschildert werden. Alle möglichen Früchte aus Italiens Himmelstriche, nebst denen des heiffen Klimas; Caffia, Tamarinden, Brodbaum, und so viele andere, die ich nicht kannte. Ich fah größere Haufen von Zitronen, fauern und süßen Pomeranzen, als bei uns im Herbste Birnen und Aepfel, Ein Franke lud mich ein, mit ihm in einem Garten zu fpaziren; die Thüre war offen, Niemand darinne; er füllte die Säcke mit den schönsten Früchten. Der Rückzug glich dem einer Katze aus dem Taubenhause; zum letztenmale mit einem Franken in einem Garten, war mein fester Entschluß. - - 1Unweit den Wohnungen war ein sehr großes Feld mit Klee, Korn und dergleichen angebaut; oft, wenn ich bey Sonnenuntergang darüber spazierte, waren wohl bei zwanzig Türken hin und wieder darauf zerstreut, auf ihr ren. Schawls knieend, verrichteten sie das Abendgebeth. Es war bei der stillen Dämmerung ein rührender An- blick, und ich konnte mich auch bei diesem Anblicke der Vergleichung nicht erwehren: welch ein Kontrast zwischen diesem Gebethe und dem fo mancher Christen unter uns walte, wo bisweilen das Wort Gebeth, wenigstens in Gesellschaft von bon Ton, nicht ausgesprochen wird, ohne auch ein bonmot darüber anzubringen, um feinen Witz fchimmern zu laffen. - - Ende Jänners schiffte ich mich ein, um in Alexan- drien vielleicht meine Kleider zu erheben. Seit fünfzig Tagen war keine Ausfahrt aus dem Nile ins Meer. Bey hundert Dschermen fuhren ab, die leichten und kleinen - , - Negersklaven. 265 kamen durch, die andern nicht; ich befand mich auf ei- nem der letztern; innerhalb zwei Stunden war man an der Mündung des Flußes; der Wind trieb die Wellen des Meeres gegen den Strom, dessen Stärke im Zuge feines Laufes gegen daffelbe heftiges und gefährliches Gewell verursachte. Sehr oft scheitern Schiffe in demselben. Das Schiff, in welches ich mich in der Eile gewor- fen hatte, war mit Korn beladen, und enthielt noch ei- nen Transport von ungefähr vierzig Negersklaven beider- ley Geschlechts und verschiedenen Alters; sie sollten nach Alexandrien, um dort verkauft zu werden. Mit der Peit- fche in der Hand, hielt der Eigenthümer den Trupp in Ordnung. Am Ufer wurden noch zwey Abtheilungen ge» macht; bey der weiblichen war die Hüterin ein dickes, kurzes, untersetztes Mensch. Ein gelber Teppich als "Schawl deckte zur Hälfte ihr beynahe noch gelberes, ver- runzeltes Gesicht. Die lange Pfeife, aus der sie fchmauchte, beschäftigte die eine Hand, die andere die Peitsche, womit sie ihr Ansehen über die armen Ge- schöpfe handhabte; indeß schienen diese nicht viel mehr Empfindung von ihrem Schicksale zu haben, als Thiere. Einige waren krank, wahrscheinlich aus Mangel an gu- ten Lebensmitteln, oder wegen der Kälte, die sie nicht gewohnt sind, und bei so schlechter Kleidung nicht ver- tragen mögen, diese erhielten Orangen, die andern ein- zigfchwarzes Brod und etwas schlechten Käs. Der Abend rückte heran. Es war an keine Abfahrt zu denken, die See ging fehr hoch; die Nacht kam und ich lagerte mich auf das Getreide. Ich hatte nichts, mich einzuhüllen, und es war eigentlich kalt. Ueber mir der helle Sternenhimmel; der endlose Raum, welch ein \- - - - : # 266 Drittes Buch. Dreyzehntes Kapitel, Stoff zu Betrachtungen! – Die Millionen Welten wäl- zen sich von Anbeginn ruhig nach ewigen Gesetzen in die- fem endlosen Raume! Endlofer Raum! es ist dies Wort, bey dem der menschliche Verstand stille steht: endlofer Raum, Ewigkeit. Ich entschlummerte. -- 13. Geschrieben in Jafa. Am folgenden Morgen war's wieder nicht möglich abzufahren, und ich kehrte um zehn Uhr drey Stunden Weges zu Fuß zurück nach Rosette. Ich meinte wohlfeil gelebt zu haben auf dem Nile, ich kam aber hier noch wohlfeiler durch, 4 Sechs und dreißig Stunden waren vorbey gezogen, ohne daß ich das Geringste weder aß noch trank. Der Hunger war vorbey, und noch einmal so lang hätt' ich ohne die mindeste Anstrengung ausgeharrt. Ich war ver- drüßlich, nicht abfahren zu können und hätte es nicht feyn sollen; denn zwei Tage darauf kam Befehl, Qua- rantaine zu halten, und ich hätte mich, (würde die Reise stattgefunden haben,) derselben die ganze Länge der Zeit bey meiner Rückkunft von Alexandrien nach Rosette un- terwerfen müffen. Anfang Februars war es mehrere Tage sehr kalt. Heftige Winde und Hagel waren ungewohnte Erscheinun- gen in diesem Lande. Die Franken benutzten letztern, um Sorbett zu bereiten; weniger lecker war die Sache für die Eingebornen. Menschen und Vieh, besonders i, ", W F , K. s , / Quarantaine. 267 Büffel, gingen der Kälte halber in Menge zu Grunde, und die Ufer eines benachbarten, untiefen Sees, etwa eine Stunde im Umfange, waren mit Millionen von Fi- fchen bedeckt, die den Frost nicht vertragen konnten. Ei- nige Tage darauf, als die Wärme wiederkehrte, war ein unausstehlicher Geruch davon in der Nähe. - Indeß verschlimmerten sich die Nachrichten von der Pest in Alexandrien; meine Effekten ließ man nicht verabfolgen, und ich wußte vierzig Tage abwarten. Strenge Maßregeln wurden auch in Rosette getroffen, fowohl von Seiten des Pascha, als der Franken. Letztere kündigten ihren Dienstboten an: daß sie nicht mehr aus- gehen dürften; die Köche waren meist Türken, und auf Einen Tag verliefen alle ihren Dienst; sie wollten sich nicht einschränken laffen, und befürchteten nach ihren Grundsätzen nichts von der Pest, - Der Pascha von Aegypten ist als ein sehr gewandter und gescheuter Kopf durchgehends anerkannt. Vernünftig und vorurtheilsfrey genug, fucht er den Umgang der Franken, benutzt die Kultur dieser, um fein Intereffe zu fördern, und die fe, bald aus Ehrgeiz, bald aus per- fönlichem Intereffe, fchuleten *) ihn so lange, bis es auf ihre eignen Kosten geschah. Alles ist vermauthet und alle Hauptzweige des Handels im Lande, Alleinhandel des Pascha, der sich ungeheure Schätze fammelt. Die eingerichtete Quarantaine in ganz Aegypten ist fein strengster Befehl; man erzählt: daß die Ersten der Ulemas *) dagegen, „als wider etwas Gesetzwidriges, “) Klärten ihn auf, unterrichteten ihn. *) Geistlichkeit # 25s Drittes Buch. Dreizehntes Kapitel Vorstellungen gemacht hätten, weil mit dergleichen Ein- griffen der Muhamedanismus gestürzt würde.“ Der Pascha antwortete sehr höflich: „daß er geneigt wäre, alle getroffenen Verfügungen wegen der Pest aufzu- heben, wenn ihm die Gesandten der Ulemas ein Papier unterzeichnen wollten, des Inhalts: „ „Daß die Reiche Tunis, Tripoli, Algier und die ganze Länge der Küste Ungläubige und Abtrünnige wären, weil sie seit Langem die Quarantaine beobachteten und eingeführt hätten.““ Die Abgesandten stutzten, und konnten begreiflich dieß nicht unterzeichnen. „Nun,“ erwiederte er, „ so machen diese Verfügungen auch mich nicht zum Ungläubigen und Abtrünnigen, fo wenig es die Völker jener Staaten sind.“ - - Die Gesandten fahen sich in der Falle, und zogen unverrichteter Sache ab. - Inzwischen bewirkten die Anstalten der Quarantaine Gehäßigkeit der Eingebornen gegen alle Franken. „Von den Franken kömmt diese neue Scherrerey, die dem Pa- scha dergleichen Vorschläge machen, war die allgemeine Aeufferung der Türken, und wo sich nur ein Hut zeigte, ward nachgerufen und geschimpft. Einzig die Furcht vor dem Pascha dämmte vielleicht einen Aufstand, der für alle Europäer höchst tragisch hätte ablaufen können; es schien mir auch hier nicht mehr gut wohnen, um so eher, da die Okela *) beim mindesten Ausbruch einer Krankheit beschloffen werden sollte. Vier Monathe in ei- nem Zimmer verschloffen zu sein, wäre für mich weit ärger gewesen, als die Gefahr, von der Pest ergriffen -- *) Khan, Herberge, Quarantaine. 269 - zu werden. Ich kann nicht genug sagen, welchen widri- gen Eindruck es auf mich gemacht hatte, als ich die ersten Male beräuchert wurde. Alle Unfälle, alle Unannehm- lichkeiten, alles Elend der Pest in Konstantinopel, er- neuerten sich in meinem Andenken bey diesem Geschäfte." Also fort! weg wollte ich von diesem Orte, wo man von nichts. Anderm mehr reden hörte, als von der Pest und den Anstalten, die dagegen getroffen wurden. Die Franken alle waren in fo panischem Schrecken, daß zu wetten war, sie würden eher vor Angst, als an der Pest sterben, wenn diese Ungewißheit fortdauerte. Es war mir an einem Orte, wo noch kein Einziges Merkmal der Krankheit sich äußerte, diese Ekstase von Unruhe um so auffallender, da ich in Konstantinopel, wo in der letz- tern Zeit meines dortigen Aufenthalts täglich bei andert- halb bis zweytausend Menschen daran starben, gleichwohl ganz ruhig blieb, und oft die volkreichsten Straßen durchs wanderte." - - - - - - - - - - - Die vierzig Tage, während welchen das Wirthshaus in Alexandrien geschloffen blieb, waren vorbey; alles er- hielt sich darin gesund, und ich empfing die Nachricht: daß meine Effekten ausgeliefert feyen; indeß ward die Stadt wie vom Reiche ausgeschloffen, und es durfte, die der Pest unempfänglichen Kaufmannswaaren ausgenom- men, nichts heraus. Nach den letzten Berichten starben täglich gegen die hundert Menschen, was für einen fo Unbevölkerten Ort allerdings fehr viel war, Von Rosette abzureisen, war nun mein einziger Gedanke, aber wohin ? das fiel schwer zu entscheiden. Auf allen griechischen Inseln herrschte die Pest; zudem fürchtete ich das Meer während dem gefährlichen März; d, - - 27o Drittes Buch. Dreyzehntes Kapitel, die Jahrszeit war fo stürmisch, daß in Alexandrien sich Schiffe vom Anker riffen und verloren gingen. Von Smyrna kam mir die traurige Botschaft, daß mein schätz- barer Freund, der junge Arzt Micheli, mit dem ich in Scio so angenehme Tage verlebte, auf einem Schiff mit noch dreyßig andern Personen zu Grunde ging. Der Verlust dieses wackern, jungen Mannes ging mir sehr nahe. - - - - - . . . . . . Endlich entschloß ich mich nach Syrien, Palästina so nahe, ich wollte es fehen; und dann von dort aus trachten, nach Europa zurück zu kommen. Eine gewisse Ahnung, die mich zu dieser Reife eben nicht ermunterte, begleitete mich noch immer. Hätt' ich einen andern Aus- weg gewußt, ich hätte ihn nicht auffer Acht gelaffen; fo aber ging ich darüber weg, und bestimmte den Tag der Abreise um so eher, da auch ein Kaufmann aus Sizilien, ein aufgeweckter, munterer Kopf und der einzige Fremde im Khan, im Begriff war nach Alexandrien abzugehen, wo ich dann also allein gewesen wäre, Die nöthigen Vorkehrungen wurden getroffen. In zwey Tagen sollt' ich verreisen, aber den Abend vor mei- ner Abreise kam die Nachricht: „daß in Syrien, die Pest wüthe!“ - ich (" # siertes B. u ch. R e i f e in a ch (NA - Jerusalem, Aufenthalt daselbst und auf dem Libanon. Mit 4 Kupfer, - -, Z Y - - - - - - - - - - -, - - - - -- - - h h K. a p i t e l 1. Alab-Gherin. » rief ich aus, und blieb beim Ent- fehluffe abzureisen. Man geht nach Damiate längs dem Meere durch Oeden. Wilde Schweine in ganzen Heerden; Schakals der gefährlichsten Art, und zuweilen Hyänen begegnen dem Reisenden, und machen den Weg unheimlich. Um sich zu sichern, reist man bey Nacht, und der Führer trägt immer eine brennende Lunte, um die Ungeheuer von wilden Bestien zu verscheuchen, So ganz allein, ohne Sprachkenntniß, mit einem einzigen Menschen den Weg durch die Wüste zu machen, war mir nicht nach Wunsch, war mir widrig. Ich ließ nach Gesellschaft fragen, da gab mir ein Grieche die er, freuliche Auskunft, daß zwey wären, welche den nämli- chen Weg vor hätten, und er kenne den einten als einen ehrlichen Mann. Dieß Zeugniß war sehr nöthig, denn es war auch ein Grieche! und ich, ohne weiters zu den- ken, wählte diese Gesellschaft. Der Eine, ein Arnautc (Camiscioto, Albaneser, nannte sich Antonio, ein Bur- *- *) Geduld, in Gottes Namen! – Ein Ausruf der Türken, S 274 Viertes Buch. Erstes Kapitel. fche von beyläufig drey und zwanzig Jahren) war mit rückstoffend zuwider: Schwätzer und Hehler ohne gleichen; er äußerte: „den Dienst des Pascha zu verlaffen, weil alle Christen unterm Militair verfolgt und gezwungen wür- den, dem mahomedanischen Glauben zu huldigen.“ Der Grieche hingegen war ein stiller, verschloffener, einsyl- biger und mißtrauischer Mensch, unbedeutend und charak- terlos, und ich . . . war Tropfs genug, mich an diese unbekannte Gesellschaft anzuschlieffen. Es schien Beyden an der Hauptsache zum Reisen, an Geld zu mangeln, und deßwegen wählten sie den weitern, aber weniger kost- spieligen Weg; ich überließ mich, blind genug, dieser Leitung, und setzte mich in dieser faubern Gesellschaft den zweiten März, am Fastnachts- Dienstag 1813, auf dem Nil zu Schiffe, In Europa mochte wohl die Mehrheit diese Fast- macht - Dienstags - Nacht glänzender zugebracht haben, als ich hier in einem ägyptischen Dorfe, ganz von Schilf erbaut. Ich konnte kein Quartier bekommen. Antonio, der sich aber nun als Haffan, ein Nil- ttte, der mir noch von jenem von Fajum her zuwider war, geltend machte, und sich bey den Türken für einen solchen ausgab, fchaffte Rath; er war ohne Flinte nahm die meinige, und gab sich für meinen Janitscharen aus, mich selbst, Gott weiß für welchen vornehmen Herrn, der auf Befehl des Pascha reise, und den er - kortieren müffe. Trotzig erpreßte er eine Art von Stall und machte Brandschatzung von einem Huhn, das als Pilº- lau zubereitet, gut fchmeckte. Hohnlachend äußerte er: „er wolle den türkischen Hunden schon Füße machen, in Der See Burlos. 275 deß er bei den Türken fluchte, einen Jauer *) bedie-- men zu müffen. Die Sache wollte mir nicht einleuchten, er trachtete mich zu beruhigen, und bedeutete mir: „ ihn nur machen zu laffen, er fey Militair und wife schon, wie man mit Fellahs umspringen müffe; Schläge feyen das einzige Mittel, sonst richte man nichts aus!“ Ich un- terzog mich, was wollte ich auch in meiner Lage ma- chen? Einen gewandtern Burschen und gescheutern Kopf fah ich noch felten; neun lebende Sprachen rühmte er sich zu sprechen, wie feine Muttersprache. Mit türkisch, arabisch, griechisch, illyrisch, italienisch, war dies wirk lich der Fall; wahrscheinlich mit den übrigen auch; aber in feinen Zügen lag so viel versteckte Bosheit und Spitzbüberey, daß er mir nach und nach eigentlich bange machte. Er äußerte mir freymüthig: daß er weder Heller noch Pfenning bey fich habe, und daß er also begreiflich umsonst zu reisen Willens wäre, Dieß, meynte er, müßte Beyden recht feyn. - Am folgenden Morgen ward ein Kameel zur Fort- fchaffung der Effekten und Pferde von ihm erpreßt. Man bezahlte den Fellahs eine elende Kleinigkeit dafür, und ritt einige Stunden durch den Sumpf des eintrocknenden Sees Büros bis an das Waffer defelben. Dieser See hält wohl zwölf bis fünfzehn Stunden in seiner Länge und ist meist unübersehbar breit; die " Ufer sind so niedrig, daß man kein Land jenseits entdeckt, ob es gleich nicht sehr entfernt feyn kann ; man glaubt *- ') Ein Schimpfname der Christen. S II - 276 Biertes Buch. Er ist es Kapitel. oft auf dem Meere zu feyn. – Man geräth billig in Er- staunen, wenn man den obern Theil einer menschlichen Figur auf dieser Wafferfläche sehr oft erblickt. Der An- blick ist fo unerwartet, daß man Mühe hat sich zu über- zeugen, daß die tiefste Tiefe dieses Sees, wenigstens da, wo das Schiff durchpflügte, schwerlich über drei und einen halben Fuß betrug, und wer Lust hatte, konnte wohl die ganze Länge bis Burlos zu Fuße durchwaten, ohne über die Lenden naß zu werden. Nie sah ich ein fischreicheres Waffer, als diesen See; unaufhörlich sprangen die Menge Fische auf allen Seiten in die Höhe, zuweilen beynahe ins Fahrzeug, Wafer- vögel aller Art bedecken die Fluth; hauptsächlich schwimmt der prächtige Pelikan truppweife und einzeln häufig dar- auf umher. Das Waffer ist halb gefalzen, wie im See Moeris, - Ich hatte eine Empfehlung in arabischer Sprache an den Aga von Burlos. Jetzt machte sich Haffan gelten. Frech, als ob er mir wirklich vom Pascha wäre beygege- ben worden, brüstete er sich als mein Janitschar; trank Caffee, und machte den Dragomann mit einer Gewandt- heit und Verschmitztheit, die mich bald staunen, bald lachen machte. Der Aga war ein dicker Klotz, und die " innre Beschaffenheit fchien der äußern zu entsprechen, nach genoffenem Caffee vergrößerte ich sein Gefolge auf dem Spaziergange . . . denn es kitzelt die Türken, wenn fie als Beschützer der Franken fähimmern können. Ich kann nicht umhin, den kleinen, elenden Zug dieses Schuftes vorbeizugehen. Haffan betheuerte, daß ihm der Aga in der Stille gesagt habe: „Machet den Franken theuern Preis bezahlen von Kameel und Esel, Händel. 277 denn sie sind unser, und der Franke ist ja ohnehin nicht von unseren Bekenntniß!“ *) Bis jetzt enthielten diese Blätter größtentheils Schill- derungen angenehmer Lagen, die mir zuweilen auf dieser Reise zu Theil wurden: ich komme nun auch auf die nn- angenehmen, und es ist billig, daß ich sie meinen theil- ‘ nehmenden Freunden erzähle; ihnen, dere ich mich so oft auf dieser Wanderung mit Wärme erinnerte. Es Sº war Monath März 1813, und derjenige Monath, an dem sich mein Himmel mit Sorgen wölkte. " - Kaum zwei Stunden von Burlos kömmt man in ein Dorf. Hier wälzten sich ungefähr ein Dutzend Fel- lahs müßig an der Sonne herum, sie sprachen den Trei- “ ber an; es war ein Stillstand, der bald in Lärm und * Zank ausartete; es betraf die Quarantaine, die kaum einige Stunden von hier war und nichts durchließ. Mehrere Stunden durch dauerte Rede und Widerrede, Geschrei und Geheul, man konnte nicht einig werden; sº bald wollte man zurück, bald einen andern Weg einschla- gen; die Zeit verstrich, bis es Abend ward. Welchen Namen soll ich diesen Fellahs geben ! Diebs- gesindel und Schurken ist viel zu gelinde; um den ge- ringsten Gewinn find sie im Stande, den Fremden zu | plündern und zu morden, wenn es nur etwelcher Maffen geschehen kann, ohne verrathen zu werden. Haffan spielte *) Es ist aber auch möglich, daß Haffan log, um sich bei mir geltend zu machen. 27s Viertes Buch. Erstes Kapitel. sehr den Zweideutigen, und übersetzte mir, was er gut fand. Endlich war er der Meynung, den Weg nach Manfu ra einzuschlagen, weil man von dort aus ohne Quarantaine nach Damiate kommen könnte; ich wollte zurück nach Burlos, meine Empfehlung geltend zu ma- chen; zudem hatte ich an den englischen und französi- fchen Konsul in Damiate Zeugniffe, daß ich von Rosette käme, und das Gesuch, mich der Quarantaine zu ent, laffen. Haffan wußte mir aber so viel vorzuschwatzen, daß ich mich endlich von ihm überreden ließ. „Bis Morgen Abends,“ hieß es, eyen wir am Nil und könne ten dann ungehindert nach Damiate.“ . Man schaffte in einer Gattung Hütte, die ganz von einem Ofen eingenom- men war, Herberge; auf denselben, der noch Wärme enthielt, lagerten wir uns nun diese Nacht über. - - Da erzählte Haffan, „wie er auf dem Wege von Alexandrien nach Kairo gegen die achtzig Fellahs ver- wundet und erschoffen habe, weil einem Janitscharen Al- les erlaubt fey, und daß er die Bauern nicht mehr achte als die Hunde.“ Von der Menge der nach seiner Aus- fage Erschoffenen, konnte ich glauben, was ich wollte auf jeden Fall aber blieb das Resultat einer Aeufferung: daß das Morden für ihn nicht viel zu bedeuten habe. Es war Morgens schon heller Tag, und noch keine von den versprochenen Anstalten zur Abreise sichtbar Haffan trieb die Bauern mit Prügeln herum, Kame und Esel herzuschaffen ; endlich, nach Verlauf von meh- rern Stunden, erschienen sie. Ein neues da Capo von Gestern: Gelärm und Gezänk, es wollte nicht vorwärts, und als endlich das Kameel geladen war, erhob sich Streit um zwanzig Parahs willen. Das Kameel wieder - - - - - - - - - - - - h u ich stil R ch F be, Fl l/ j g Die Wüste. 279 " abzuladen, stürmte ein Theil lärmend herbei. Jetzt war meine Geduld zu Ende: Halunken und Schurken, tobte ich, es den Hirschfänger, und schlug in der Bub den nächsten mit der Fläche auf die Schulter. " - n Als wie Spreu, wenn der Wind drein kömmt, flo- gen die Kerls auf alle Seiten in die Ferne, ich blieb allein beim Kameel; Haffan lächelte hinter den Ohren- Jetzt fügte man sich ohne Anstand. Noch einmal begann . der Versuch; Haffan beendigte ihn kaltblütiger als ich, mit dem Flintenkolben stieß er einen auf die Brust , daß es krachte, und zog den blanken Dolch, ihn zu durchboh- ren, wenn er sich nicht augenblicklich füge. Jetzt war Friede, ich, vor Zorn zitternd, setzte mich auf den Esel, Hafen lachend auf das Kameel, der Grieche auf den an- dern Esel, und der Zug begann unter der Leitung von zwey Treibern. - Zeit wich mein unwille den Befremden, nach Ver- fuß einer Stunde in einer Wüsteney zu sein, wo keine menschliche Spur mehr sichtbar war; ich meinte eine brauchbare Straße zu finden, und fand eine Ge- gend, wie der Welt Ende, eine gedehnte Sandfläche, durch entfernte Hügel eingeschloffen. Ohne zu wissen, warum wurde ich sehr unruhig; stillschweigend ging wohl drei Stunden, in eine immer grauenvollere Ge-, gend. Tonlos rückte so der Zug vorwärts. Noch verdächti- ger erschien mir die Gegend. Auf den Gipfeln der zer- freuten Sandhügel hob sich hin und wieder niedriges, dickes Gesträuch; noch ein paar Stunden vorwärts und mein spähendes Auge entdeckte Bewegungen auf einer der Höhen in gerader Richtung des Weges, den wir zu na- - 280 Viertes Buch. Erstes Kapitel. chen hatten. Näher rückte man. Vier bis fünf Turbane ragten bald hinterm Gestrüppe hervor; bald verbargen fie sich wieder dahinter; um weit davon wiederholte sich eine ähnliche Erscheinung. Beynahe nie hatte ich fo viel baares Geld bey mir, als gerade jetzt; in die armen Länder, in welche ich hin- reiste, konnte ich keine Kreditschreiben, was ich sonst im mer auf Reifen zu thun gewohnt bin, bekommen, weil Handel und Kaufleute fremde Sache darinnen sind, und also mußte ich Geld mitschleppen. Gerne hätte ich nun bey der Ansicht dessen, was mir bevor stand, das Geld verloren gegeben, wenn ich mich dadurch gesichert ge- wußt hätte. Aber, weder das Eine, noch das Andere war zu bewerkstelligen. In einer Viertelstunde war man am Fuße des Hü- gels, wo die Araber lauerten. Immer noch lautlos be- wegte sich der Zug. Bey zwanzig Schritten schwenkte der Kamelier vom Wege ab, näher dem Hügel der Räu- ber zu. Da rannte einer der letztern herwärts fast in die Ebene herunter und machte mit feinem Stocke eine Schwenkung. Gespannt harrten die auf dem Hügel, noch gespannter ich, und ich glaube, auch meine Reise- gefährten, auf das, was erfolgen würde. Hoch in die Lnft empor hob der Kamelier die lange Stange, mit der er das Thier leitete . . . . . einige Schritte vorwärts" und, zum zweitenmale erfolgte das gleiche Signal. " - - - - - - Verdrüßlich kehrte der Nähergekommene zurück zu den Andern, wir vorwärts ungestört. Kein Laut ward ver- loren über das Vorgegangene, von Keimen im ganzen Zuge. . . # k * Rettung, 281 Die streifenden Araber sind immer einverstanden mit den Kameliers, und, aus Allen zu schlieffen, gab der Letztere das Zeichen, nicht anzugreifen. Wahrschein- lich hatt' ich dieß Glück dem Brief an den Aga von Bur- los zu verdanken, der das Dorf für mich verantwortlich gemacht hatte. Die Vorsteher des Dorfes, die sehr oft auch ihren Antheil am Raube bekommen, dieß befürchtend, machten also die Treiber verantwortlich, und so entrann ich glücklich dieser augenscheinlichen Gefahr, geplündert und ermordet zu werden, W Der Sand in dieser Wüste war ziemlich tief und mühsam für die Thiere. Alle Augenblicke legte sich das Kameel; oft stürzten die magern, hungrigen Esel. Sol- che Vorfälle in folcher Gegend waren um so beunru- higender. Jetzt galt es hier, dieselbe Probe geltend zu machen, die ich zwei Jahre früher, im Sommer 1811, versuchte, als ich schon einen Theil dieser Reise im Sinne trug. In Gesellschaft von zwey jungen Leuten, die ich in ihrer frühten Jugend in mein Haus auf- und annahm, machte ich nämlich von Arbon aus einen Gang in die Appenzeller Gebirge; von Morgens drey bis Nachts neun Uhr wurden meist gähe Berge erstiegen, oder von diesen herab in das Thal gerutscht. Nicht ganz übermäßig müde kam ich zu Hause an, und mein vorgesetzter Plan ward durch die kleine Ausdauer der Strapazen dieses Tages befestigt; zu Fuß arbeiten, hieß es also auch jetzt, und die fes Fußgehen war keine gewöhnliche Sache, bey jedem Schritte sank man in tiefen Sand, und der Marsch war 282 Viertes Buch. Zweytes Kapitel, fo angreiffend, als bei uns, wenn Schuh hoher Schnee liegt. - Haffan wanderte neben den beiden Treibern; der Scheln hatte sie ganz am Schnürchen; er deklamierte ihnen arabische Gedichte mit einer solchen Weichheit, daß diese Sprache das ihr sonst eigenthümliche Harte verloren zu haben schien, langsam, fanft, ausdrucksvoll war der Aceent; den Inhalt verstund ich freilich nicht, aber die Araber schienen davon ganz bezaubert. 2. Die grauenvolle Sandöde dauerte fort; hinter jedem Hügel meinte ich wieder Köpfe plündernder Araber vor tragen zu fehen, fo arbeitete die ausgestandene Angst, Frühzeitig an Ort und Stelle, an den Mil zu gelangen,“ Ward Hoffnung gemacht, das „frühzeitig“ war schon lange vorüber, und noch fand sich nirgends eine andere Spur lebender Wefen, als die unters Zuges Menschen und Thiere schritten ermattet sehr langsam vorwärts; es dämmerte, und noch zeigte sich keine tröstende Aussicht. ueber zehn Stunden führte durch diese todte Welt der Weg, den oft der Führer selbst Mühe hatte, durch den verwehten Sand zu erforschen, Schon wars fast ganz dunkel, als Hafen von seinen Kamele herunter rief: „ecco la villa, welche Freude durchströmte mich. Ich konnte sie noch nicht sehen in der Tiefe; ein paar hundert Schritte weiter, und ich sah er im ät # Getäuschte Hoffnung. - 283 undeutlich durch die Dunkelheit; eine Viertelstunde spä- ter war der Ort erreicht. -- - , Wer beschreibt aber mein Entsetzen, als diese Villa wirklich erreicht war! Auf einem Hügel gelben Sandes, wo kein Kraut, kein Strauch, kein Grün zu ersehen war, lag sie, bestehend aus einem Dutzend von Einfängen, die oben zugespitzt, wie Zelten, rabenschwarz aus dem schwach erhellten Sande hervorragten. Ganze Truppen von Hun- den rannten heulend auf mich los. Die Einwohner er- kannten in mir den Franken und waren mitgestimmt; in unbeschloffenen, oben offenem Schilfeinfang sollte Nachtlager mitten unter diesen verdächtigen Gesindel ge- halten werden: es wehte ein roher, kalter Ostwind. Haffan aber fühlte seine Uebermacht und ließ ihr freien Spielraum; innerhalb zehn Minuten war er Mei- ster des Hauses. Jeden Namen wußte er, verstand jeden zu behandeln, glatt und geschmeidig gegen die Einen, schimpfte und drohte er den Andern. Wie der Blitz ward ein sogenanntes Haus ausgeräumt, und wir zogen ein *), und lagerten uns, wie schon früher, auch hier auf den warmen Ofen. Haffan befahl, daß zu effen herbeygeschafft würde, es erfolgte Pillau mit Hühnern. : Jetzt hatte ich Zeit nachzudenken, und Grund zu argwöhnen. Ab der Bahn des Weges war ich, das un- “). Das heißt: wir krochen auf allen Vieren durch das - - Koch, welches Thüre hieß. - - - - 284. Viertes Buch. Zweytes Kapitel, terlag keinen Zweifel; wer in der ganzen Welt konnte mir fagen, wo ich mich befinde ich selbst wußte es nicht, "wußte ich wohl: daß ich, statt am verheißenen Stil, mitten in der Sandwüste war. Nicht Ein Wort konnte ich hier vorbringen, und die Leute fahen mich als Jauner gehäßig an, "an brachte das Felleisen und meinen verschlossenen Korb, es klipperte darinn. Alle Muskeln des Gesichts von Haffan verzogen sich, als er den Griechen gierig fragte: »Was ist dieß? Zum Glücke fagte ich dem Grie- chen schon früher, daß der Teller in Stücken gegangen fe, der es ihm nun wieder fagte. Ich konnte nicht " "en, den Korb zu öffnen und die Scherben an den Boden zu schmettern. Wäre das Geklipper von Geld hergekommen, ich wäre ohne Rettung verloren gewesen. Nach dem Effen gingen die Araber, uns schlafen zu affen, fort; ich konnte keinen Schlaf finden, und Haft fan, der ein Glas zuviel getrunken hatte war auch wach; der Grieche schnarchte. Jetzt äußerte ich mich: wie ich es bereue nicht den andern Weg ins dem Meere hin gemacht zu haben, weil mehr Sicherheit dort am 1. w- » Pah , Sicherheit!“ erwiederte Haffan, „überall ist Gränze und Wüste! Die Leute hier haben in der ganzen Gegend keine zehn Piaster von Werthe, und wenn sie ei- nen über den Haufen schiefen oder stechen, die über die Gränze, es kräht kein Hahn darnach! Wer sollte aber auch im Stande seyn, einen in dieser Wüste ausfin- dig zu machen? Da wird man unterm Sand verscharrt, und wenn es ein Christ ist, nimmt man sich nicht einmal diese Mühe!“ So tröstlich plauderte Haffan. Ich bezog Beforgniffe. - 2ss mich auf den den Franken günstigen Pascha: „Was Pa- scha hier in dieser Oede? wenn es der Sultan selbst wäre . . . . was hier? auf dieser verlorenen Schildwa- che? Das Treffende und Wahre feiner Rede sah ich nur allzu wohl ein, ward aber durch diese Einsicht nicht ru- higer. - Was bey diesem Gespräche nun möglich war anzu- bringen, das ließ ich auch einfließen. Ich nannte alle Konsuls in Kairo, deren Namen ihm bekannt waren; hatte Briefe an die von Damiate, ward alle Augenblicke dafelbst erwartet . . . Nie führe ich Geld bey mir, im- mer nur Briefe, wo ich Geld beziehen könnte u. f. w. Endlich sprach ich mit der entschloffenen Kraftsprache ab: daß ich meine Haut theuer verkaufen würde mit Flinte und Säbel dem, der Anspruch darauf machte, was ich denn eigentlich im vollen Ernste zu thun entschloffen war. All das zusammen genommen wirkte vielleicht günstig für mich. Späterhin berührte er: „ Wie er feinen Glau- ben„, Gott weiß welchem ! „nie abtrünnig geworden fey,“ und der Schelm fchwatzte hierüber so ergreifend, wie ich felten Befferes geschrieben las. Ganz als Antonio schlief er ein, als Haffan erwachte er wieder, befahl dem Trupp Halunken als ob er der Kafchef des Orts wäre; mitunter, um sich als Gläubiger noch mehr Verdienst zu verschaffen, schimpfte und lachte er, wie ich merkte, über unsere Hüte und die Köpfe, welche darunter facken. Ich nahm ihn auf die Seite, drückte ihm einen Tha- ler") in die Hand, mit der Aeußerung, daß ich nicht zu- *- “) Ungefähr sechs Piaster. 286 Viertes Buch, Zweytes Kapitel, geben könne, daß ein Christ in diesem Heidenlande ohne einen Heller im Sack fey, in Damiate würde ich trachten, ein. Mehreres für ihn zu thun. Wenigstens, dachte ich, wird er sich bey einem Angriffe wegen dem Thaler wehren, und die Hoffnung auf mehr Geld wird ihn vermögen, mich bey Caffe zu erhalten und nach Damiate zu brin- gin, Ich konnte nicht begreifen, wie die Bewohner der beyden Dörfer *), wenn anders Baracken dieser Gattung so genannt werden können, ohne Grün, ohne Waffer, ohne Schatten in dem brennenden Sande es aushalten“) und eine solche Gegend als Wohnort wählen konnten, Haffan fagte mir aber: „daß sie in solchen Einöden den Vortheil genößen, dem Pascha nichts zahlen zu müffen, da felten. Jemand hieher komme, und wer etwa komme, nichts finde,“ * Indem wir unsere Reise weiter fortsetzten, steckte Haffan zum zweitenmale. die Frage hinter die Araber: „, ob der Griff meines Hirschfängers wohl Gold fey? er müffe wohl viele hundert Dukaten werth feyn?“ Ich gab mir alle Mühe, ihn zu versichern, daß es nur Tombak fey, und gab den Werth noch niedriger an, als er wirklich war. - *) Das andere Dorf war eine halbe Stunde von die fem. *) Die Augen thaten mir von den Blenden den ganzen Tag über, noch am folgenden Morgen wehe, s ' W ' # z Balaskur, 287 Anstatt an dem Nil, kamen wir nach Verfluß von mehreren Stunden an das Meer. Diese Lüge beunruhigte mich wieder, und ich blieb noch immer der Meinung, in fehr unsichern Händen zu feytt. - Dieselbe Wüsteney dauerte noch fechs bis sieben Stun- den fort; ich meinte, bald noch tiefer in diese Umwelt hinaus verleitet zu werden. Fast traute ich daher vor Freuden meinen Augen nicht, als ich gegen zwey Uhr ein Minaret in der Ferne ent- deckte . . . . . . . es war wieder bewohnte Erde . . . ich fah wieder Menschenspur! . . . . . und, eine Stunde später blinkte mir durch den düstern Schleyer der Nacht Damiate entgegen. Jetzt athmete ich wieder freyer. Gerne watete ich weiters durch den tiefen Sand, rechts hinauf zog sich der Weg mehrere Stunden . . . endlich, o des erfreulichen Anblicks! – war der Nil erreicht. Noch ein Stück Weges ging's aufwärts, und Abends vor Sonnen- untergang waren wir in Bala skur, einer lieblichen, türkischen Stadt am Nile, kaum ein paar Stunden von Damiate, - Jetzt ward ich zum Aga umgemodelt. In geräumi- ßen Chan ward ein hübscher Platz gewählt , dann Binsen- matten ausgebreitet und Polster darüber gelegt, und ich Ward fo zu sagen gezwungen, mich darauf breit zu ma- ichen, - Man denke ich nun: Haffan auf der einen, der Grie- che auf der andern Seite, ich auf dem Throne mit einer langen Pfeife. Auch diese Aefferey sollte Haffan dazu 288 Viertes Buch. Zweytes Kapitel. \ dienen, daß er eher für meinen Janitscharen angesehen würde. - Alles was ich noch besaß, fah ich für gewonnen an, weil ich es . . . . noch hatte, vier und zwanzig Stunden früher achtete ich Alles verloren und mich damit. Ich ließ auftischen, was zu finden war. Reis, Eyer, Käfe; der Rest des Weins in meiner hölzernen Flasche ging darauf, und man ward lustig und guter Dinge. Ich hatte wohl am meisten Ursache dazu. Jetzt frug ich nach den kritischen Momente von ge- fern, und Haffan platzte heraus: „daß er von feinem Kameel aus weit mehr Araber gesehen, daß er aber nichts hätte fagen wollen, um keine Furcht zu erwecken; daß er das Zeichen des Kameliers wohl bemerkt, daß er ihn aber im gleichen Moment beruhigt habe, denn,“ fetzte er hinzu: „fey es zum Angriff, fo senke dieser die Stange, hebe er sie empor, fo fey die Gefahr vorbey.“ Er erzählte nun, „wie er sich gewehrt haben würde. U. dgl. . . . .“ Kurz, ich fchlief fehr ruhig auf den Boden im offenen Schopfe, in Betracht, wie ich die vergange- nen Nächte zubrachte, ein, Am folgenden Morgen wur- den zwey Esel gemiethet; Häffan ging zu Fuß. Von Balaskur geht man auf einem schmalen Damme, meist zwischen Waffer, das bald Seen, bald Teiche fernt, bis nach Damiate. - , Auf dem ganzen Wege zwischen diesen Gewäffern, rechts und links, traf ich auf eine Reihe von Wasservö- geln aller Art, besonders Enten von prächtigem Farben- Spiel und beynahe in der Größe von Gänsen. Ganz zahm blieben sie Heerdenweise auf Steinwurfsnähe ruhig. Mit einen Schuß könnte man zu halben Dutzenden erlegene Quarantaine-Anstalten. - 289 Nach zwei Stunden waren wir in Damiate. Von nie- manden befragt, wer wir wären, zogen wir ohne Hin- " derniß ein, - - - l, –– - - 3. Die Anstalten der Quarantaine waren hier eben von türkischer Beschaffenheit, denn mittelt diesem Umwege h konnte man auch mitten aus Alexandrien ungestört nach Damiate gelangen, wer hingegen von Rosette kam, den gewohnten Weg, mußte Quarantaine machen, wenn schon bis dahin keine Pest daselbst war. Ich berichtete diesen Unfug nach Rosette, damit ihm gesteuert werden „" könnte. - - - Der türkische Haffan war gleich bey unserer Ankunft in Damiate in einen ganz kleinlauten Antonio umge- formt; hierüber wußt ich mir keine Auskunft zu ge- ben, aber ich konnte muthmaßen, daß die Rolle, meinen Janitscharen zu spielen, in Damiate für ihn vorbey wä- Jeder derselben nämlich muß hier ein Papier oder Attestat aufweisen, und dies mangelte ihn. Furchtsam verkroch er sich in ein dunkles Zimmer eines griechischen Khans, und gab sich für einen Christen aus, der, denn Dienst des Pascha zu entfliehen, nach Europa flüchten wolle, und bat, ihn zu verbergen. Mir aber sagte er besonders und ganz wehmüthig: „daß, wenn er noch ei- nen Thaler hätte, er ein Patent und seine ganze St- cherheit damit kaufen könnte.“ Um mein Versprechen zu lösen, hielt ich mich verpflichtet, ihm noch einen zu ge. ben; er schien voller Freude, aber in gleichen Momente - T - - - 296 Viertes Buch.“ Drittes Kapitel, beinahe, sagte er dem Kaufmanne, der mich abzuholen kam: „daß er nicht so viel Geld um ein Patent ausgeben wolle.“ - - - Ich dankte Gott, diese Gesellschaft verlaffen zu kön, nen, und bezog das Quartier, welches mir der Kauf mann anwies. Drei Tage darauf besuchte ich einmal den Khan, und Haffan war noch im nämlichen Loche; er äußerte: », daß ihm noch ein halber Thaler mangle zu feiner Befreyung,“ ich aber: daß es ein Leichtes fey, mich. Einmal zu prellen, schwieriger aber ein zweytes Mal. Mit diesen Worten verließ ich ihn. Wahrschein- lich hatte dieser Mensch ein wichtiges Verbrechen began- gen, und ohne Geld, Kleider und Flinte, sein Heil in der Flucht suchen müffen. Schade um das verdorbene Talent. Ich fand selten ein Aehnliches. - Meine Wohnung war in dem Hause eines italieni, fchen Arztes, der ganz übertrieben die englische Parthie nahm. Dieß war hinreichend, um die Gegenparthie ihre Kabale gegen ihn spielen zu laffen, Allmählig befund feine ganze Kundfame in vier Franken, aber, da diese sich gesund und wohl befanden, so blieben seine Einkünfte fehr schmal. Hätte ich das Unglück gehabt, hier krank zu werden, so gestehe ich aufrichtig, daß ich nicht sein fünfter Kunde geworden wäre. Er war unverheirather, besaß zwey Zimmer, und hatte Liebhaberei an ausge- fopften Vögeln; Geschäfte halber hatte er hieu Muße genug, aber die Manier, wie er die armen Thiere sterben machte, war herbe. In einem großen Käficht am Boden fanden sich fowohl Enten als andere Vögel be bald vier zehn Tage, ohne Nahrung und Trank, um sie verhun gern zu laffen - und hernach auszustopfen. Dieser um Kabalen auch anderswo. - 291 stand wirkte ungemein widrig auf mich; ich schlief im gleichen Zimmer; das ängstliche Trippeln der halbtodten Thiere, und das Schlagen ihrer Flügel bey Nacht raub- ten mir allen Schlaf, den ich nach sechs Nächten, binnen welchen ich mich nie auskleiden konnte, fo nöthig hatte; oft wünscht' ich mich in dieser Bedrängniß wieder zurück in die Wüste. Ich hatte meine Empfehlung an den spanischen Eon- ful abgegeben. „Ich sollte nicht sagen“, ward mir von dessen Behörde hinterbracht, „daß ich von Rosette käme, fondern von Kairo, weil sie sonst alle Gefahr liefen, mit mir in Quarantaine versetzt zu werden.“ Ich mußte also lügen, und war einige mal nicht wenig in Verlegenheit deßwegen, Briefe und Empfehlungen, die ich an andere Häuser bey mir hatte, durften aus eben diesem Grunde vor meiner Abreise nicht abgegeben werden; es war aber dieß nicht der einzige Grund, sondern der wichtigere be- fund in den gegenseitigen Verhältniffen der Franken die- fes Landes, und, ehe ich Aegypten verlaffe, muß ich meinen Freunden noch ein Wort über eben diese Verhält- niffe anvertrauen. - Obgleich Konstantinopel, Kairo, Alexandrien, Ro- fette, Damiate c. nichts weniger als kleine Städte sind, fo bilden doch die Kolonien der daselbst angesiedelten Eu- ropäer beynahe nur kleine Dörfer, und es ist ungläub- lich, wie in diesen unbedeutenden europäischen Gemein- den die Kabalen der sogenannten gesitteten Welt, dem - - - - , - - - - - - T 2 292. Viertes Buch. Drittes Kapitel. jetzigen Geiste des Zeitalter entsprechend, leben, weben und find. Die Verschiedenheit politischer Ansichten und Meinungen, Partheygängerey, die Durchkreutzung von besondern Intereffen und Verhältniffen; das Streben zum Emporkommen im Gebiete des Handels und der Po- litik, wo jeder nach feiner Art und meist auf Unkosten Anderer fein Wesen treibt, läßt tausend Intriguen entst- hen; diese entwickeln dann den Geist der Zwietracht, der Gehäßigkeit und Falschheit unter glatt scheinender, gebil- deter Auffenseite unter diesem fremden Himmelstriche, wo Einigkeit so Noththäte. Vielleicht daß Smyrna hie- von eine erträgliche Ausnahme macht, O wie gerne kehrt man nach solchem Ueberblick z- rück in feine Stille, wo man statt der Maske sich felbst wieder findet, - - ----- Auch hier, wie durchgehends in Aegypten, ist bei Hochzeiten von den beywohnenden Gästen weiblichen Ge- fchlechts ein wunderliches, dem Europäer unbekanntes, nie gehörtes Geschrey, bald von diesem, bald von jenem der weiblichen Gäste, beynahe anhaltend in die Ohren gellend. Es bedeutet Freude und Lustigkeit. Ein durch dringender, lange ausdauernder Schall, oft vom feinsten, höchsten Ton, setzt den Franken, der es noch nie gehört, in Erstaunen. Einige bringen ihn mit der Zunge, Andere mit der Hand hervor. In der Okila von Rosette was eine Hochzeit: die ganze Nacht durch ertönte das sonder- bare Geschrey. Befremdend war's mir, von Buben, die f Waffe tvögel. 293 sonst. Alles nachahmen, es nie zu hören, einzig von d Weibern, - - F - Damiate erstreckt sich lieblich längs den Nile. La- 1 ge, Bauart, Basar gleichen denen von Rosette; die Konsuln der Europäer haben ihre Wohnungen vortheil- haft am Stromte gelegen; alle sind neben einander. Die unglaubliche Menge von Waffervögeln machen " die Feder-Wildprett hier wohlfeiler, als das Fleisch, ich konnte mich über die Verschiedenheit desselben nicht genug wundern. Die Entengattungen sind hauptsächlich es schön und ins Unendliche verschieden; weiß, wie gefalle- ner Schnee, schön gefärbter Kopf; fchwarzblau und grüne Flügel; spannenbreiter, brauner Ring um den Hals. Zwey der letztern fah ich ausgestopft; fie werden zu ganz zen Heerden tagtäglich in Garnen gefangen, und der Fang geschieht durch Wegnahme der Schildwachen, - wenn anders dieser Ausdruck angewandt werden kann, - der Enten durch Taucher; unter dem Wafer fangen sie - diese lebendig weg. Die ganze Heerde wird konfus, wenn diese ausgestellten Wächter mangeln, und geht ins Garn. Dieß Jahr war fo kalt, daß vier dieser Taucher er- froren. - Die Fische sind in solchem ueberfluß, daß man um - wenige Krenzer sich satt effen kann. 94 Viertes Buch. Viertes Kapitel. - Ein einziges Schiff fand sich am Ausfluße des Nils für die Gegend, wohin ich zu flüchten wünschte, nach Syrien. Seit Monathen war keine Ausfahrt; die schlimme Jahrszeit, welche das Haupthinderniß davon war, nahte dem Ende, und täglich hoffte man abreisen zu können. Ich wollte nichts versäumen, und verreiste den zwölften März von Damiate, um mich auf das Schiff, welches nach Jaffa *) bestimmt war, zu begeben, - 4. . | | Der Sekretär des spanischen Konsuls begleitete mich | zu Schiffe bis an den Bukao, zwei Stunden weit von Damiate, um mich auf benanntes Schiff zu begeben. Ich sagte ihm Lebewohl, und mit dem Schritte in das Fahr- zeug war ich von Damiate und der Quarantaine getrennt. Wohl sechzig bis achtzig Schiffe waren der Reihe nach am Ufer aufgestellt, indem sie die Möglichkeit der Aus- fahrt erwarteten. - Ein langer, schmaler Strich glatten und gelben San- des, reicht ins Meer hinein. Zu äußerst liegt ein fast rundes, großes Castell; jenseits des Nils, weiter oben - ein kleineres, ähnliches. - Mehrere Tage verstrichen, wo man entweder wegen Gegenwind, oder weil die See hoch ging nicht abfah- ren konnte. In der Gesellschaft roher, türkischer See- - - - - - - - - - *) Das alte Joppe, j M. ält n Falsches Wasser, 295 leute fings mich an zu langweilen. Bücher hatte ich jetzt keine bey der Hand; mehr um mir Bewegung zu verschaffen, als um zu jagen, wandelte ich mit leichter Flinte längs dem Meere hin. ----- Was ich schon früher in Oberägypten und auch tie- fer im Lande wahrnahm, war – – falsches Waf- fer *). Hier war der nämliche Fall, und die Täuschung erreichte den höchsten Grad der Wahrheit. Die Fläche war blendend und gab sogar den Wiederschein der be- nachbarten Gegenstände im wafferähnlichen Spiegel. Man meinte oft ganz in der Nähe eines ruhigen Stromes oder eines Sees zu seyn, und bald an das Waffer zu gelan- gen; aber, fo wie man sich näherte, verschwand das trügliche Bild, und kein Tropfen Waffers war zu finden; brennender Sand fand sich statt desselben, „Als die französische Armee,“ erzählte mir ein Re- negat, „unter dem General Bonaparte den Weg durch die Wüste von Alexandrien nach Rosette und von da aus den nach Damiate machte, als Tausende vor Durst nicht weiter zu kommen glaubten, sah man dieß vermeinte Wafer. Der Soldat faßte Muth, nahm seine letzte Kraft zusammen, und wenn er es erreicht glaubte, schwand's und ward zur dürren Sandwüste. Tausende gingen auf *) Ein optisches Blendwerk: Ein wasserähnlicher Schein zeigt Streckweife, bald da, bald dort Flüffe, kleinere - oder größere Seen. - „ . . . - - 295 Viertes Buch. - Viertes Kapitel. diesem Marsche zu Grunde. Die Hitze des glühenden Sandes tödtete sie, und sie verschmachteten vor Durst *). Ich ging den dritten Tag, gleich den vorhergehen, den, mit der Flinte auf dem Rücken, an das andere Ende des fchmalen Strich Sandes längs dem Meere hin; ich war noch fehr weit von Kastell entfernt, als vier große, weißgelbe Hunde von dorther auf mich losrannten; ich zog mich zurück und wollte wieder denselben Weg, den ich gekommen war ; immer mehr näherten sich die Bestien mit heulendem Geschrey; kein Mensch fand sich in der weiten Runde, den ich um Hülfe hätte rufen kön- nen, immer näher drangen die Thiere auf mich ein; sie formten einen Halbkreis um mich; am Rücken hatt ich das Meer; kein Ausweg war offen, mir Luft zu fchaffen, und um mich zu retten, blieb mir nichts übrig, als, zu fchieffen. , - - Ich hatte gut gezielt. Der schwarze Fleck auf der Mitte des Kopfs defen, der fiel, zeigte es. Eine augenblickliche Stille trat ein, der Hund er holte sich, (die Flinte war nur leicht für einen Vogel geladen,) und rannte mit den andern dem Kastelle zu. Ich war befreit, und fäumte nicht, schnell zurückzukeh- ren. - *) Hälfte Wegs war eine reichhaltige Cyfkerne. Man zählte auf Erholung dafelbst, aber die Türken verschütteten fie Rachts zuvor. Y | # t ' h f z g - Todesgefahr. 297 Von Ferne sah ich zwei türkische Soldaten rennen; fie schienen vom Kastell herzukommen und mir den Weg abzuschneiden. Ich ahnte nichts Gutes, doch wußte ich auch keinen Grund, warum ich springen oder fliehen sollte, sie riefen mir von weitem zu - ich war erreicht: zornig schrie mich der Eine auf arabisch an, und näherte sich ganz an mich. Ich mühte mich, auf türkisch zu fagen: daß ich, um mein Leben zu retten, auf den Hund hätte schieffen müffen. - - Indem ich sprach, faßte der Einte die Flinte, der Andere rannte auf die Seite hinter mich; ich ward zu Boden geworfen; mit dem Flintenkolben empfing ich einen mächtigen Stoß unter die Schulter, ich raffte mich auf, ein zweiter heftigerer erfolgte auf die Brust; fast fiel ich; ein dritter über Stirne und Aug schien ihre Wuth zu kühlen. Augenblicklich rann das Blut übers Gesicht; mit Flüchen gingen sie weg und nahmen meine Flinte mit. - Es ward mir schwindlicht. Ich faßte allen Muth zusammen, um nicht die Besonnenheit zu verlieren. Ich wankte, so gut als möglich, dem Schiffe zu, unter be- ständigen Blutspeyen. Ich meinte erst, dieß rühre von Schlage auf die Brust her, später aber zeigte es sich, daß es nur das von der Stirne war, welches in den Mund herabfloß. - Auf dem Schiffe angelangt, erzählte ich dem Reiß *), so gut ich's konnte, das Vorgefallene. Er rieth: in die gegenüber liegende Quarantaine zu fahren, und es dem Konsul zu berichten,“ Ich schnitt Stücke aus - „“ - - - - - - *) Schiffskapitain. - 298 Viertes Buch, Viertes Kapitel. dem Leintuch und meinen leinenen Nastüchern, wuch mich und verband die Wunde, welche fast bis auf den Knochen ging, so gut ich konnte. Hätte der Schlag ei- nen Zoll seitwärts auf den Schlaf getroffen: so wär' ich auch für immer entschlummert. In der Quarantaine nahmen die Griechen Theil an dieser Sache; es schien mir aber mehr aus Haß gegen die Türken, als aus Mitleid für mich; ich schrieb, so gut ich konnte, den Hergang der Sache dem spanischen Konsul Sur ur, und der Brief ging gleich ab. Jetzt kam ein Mensch, der den Arzt der Quaran- taine vorstellte, um meine Wunde zu untersuchen und mich zu verbinden. Ist's möglich, sagte ich mir, dieß der Arzt dieses wichtigen Postens! einen unwissendern Menschen, der gar nicht schreiben, und nur mit Mühe lesen konnte, fin- det man schwerlich in diesem Stande. Seine ganze Fi- gur glich der eines Erz-Vagabunden. Ich war einfältig genug, mir eine Gattung Balsam auf Scharpie, schwarz wie Koth, und Weißzeug, womit man lange die Schuhe gereinigt zu haben schien, aufschwatzen zu lassen. Mitten im Schmerze konnt' ich die Bemerkung in mir nicht unterdrücken: Seele und Leib machen das Da- feyn aus, und welche Beschaffenheit hat es oft mit de- nen, die jene wie diesen besorgen. Welche Erfah- rungen hatt' ich Gelegenheit auf dieser Reise über die Beschaffenheit Beyder zu machen! , Der Arzt wollte nun untersuchen, ob etwas auf der Brust verletzt oder zerbrochen wäre, Pflaster auflegen und mir abführende Mittel empfehlen. Ich verbat mir aber von dem abgeschmackten, zudringlichen Schwätzer -, # # r Q f (! s s # Mein Zustand. - 299 Alles, und sagte ihm: ich wollte zusehen, - wie es die Nacht über ginge. " - - Dieser Mensch verstunddrey bis vier Sprachen, von - - der Medizin und Wundarzneykunde aber fo viel, als eine Kuh von der Mechanik. Er kündigte sich selbst bei mir, als ich abfuhr: „als den Signore Dottore Antonio“ an 5 die Ankündigung der beiden ersten war sehr nöthig, denn man vermißte bey ihm den Signore wie den Dot- tOS, - - : Jetzt auf dem Schiffe zurück, war freilich das Beste die Ruhe in einem guten Bette, entfernt von der kalten Luft, und ein guter Wundarzt, denn das Athemholen wollte mangeln und das Stechen auf der Brust nahm überhand. Thee, Thisane, warme Getränke, Ueberschlä- ge u. dgl., dieß Alles war wohl schön und gut, aber überall eher auszuführen, als hier. Drey vorhergehende Nächte hatt' ich unter freiem Himmel geschlafen wegen dem Ungeziefer, das sich in allen Schiffen so häufig findet; jetzt ward, aber mein Strohsack unters Verdeck gebracht, und ich kampirte mit- ten unter Mäusen, Käfern und Flöhen auf Körben mit Reis angefüllt. Ohne etwas Warmes zu bekommen, ohne sprechen, zu können, ganz allein blieb ich unten im großen Schiffe, fo allein, als wär' ich der Einzige Mensch in der Welt, Die Lage war herbe, und noch herber der Gedanke: daß etwas innerlich zerbrochen sein uöchte; auf diesen letztern Fall, gestehe ich, hätt' ich's vorgezogen, in Konstantino- pel an der Pest zu sterben, als hier so zu Grunde zu gehen." Ich weiß selbst nicht, wie die Nacht verging, ich glaube im Fieber, Mir war übrigens so wohl, und ich 300 Viertes Buch. Viertes Kapitel, war so ruhig, daß ich auch in diesem Zustande mit vie- len. Andern nicht getauscht hätte. Der Morgen erheiterte mich; ich fühlte mich in etwas erleichtert. Als mich Tages vorher die Schiffleute so allein lief fen, bracht' ich es auf Rechnung ihrer Grundsätze. Ich that ihnen Unrecht; es war die Unwissenheit, in welcher fie über meinen Zustand waren, denn als ich mich be- klagte, kamen später je zu drey oder vier Stunden Ei- ner, zu fehen: ob ich noch lebe. Zwey Tage später kam der „Signore Dottore Antonio auf Besuch zu mir. Jede Bewegung schmerzte mich fehr, besonders wenn ich mich auf die Seite legen wollte. Er erneuerte seine Dienstanerbietungen, die ich ablehnt. A Nur die Wunde im Gesicht, die mich brannte, lief ich untersuchen. Die ganze Seite war geschwollen, das Auge fchwarz und gelb; die Wunde eiterte. Ich fragte den Herrn Doktor um seine Meinung. Der Esel gab mir die tröstliche Antwort: „daß ich um das Auge kommen wir de.“ Das Entsetzen, welches mich bei dieser Nachricht ergriff, dauerte nur wenige Minuten. Ich faßte mich, indem ich dachte, wen ich vor mir hätte. Kurz und trocken waren meine Antworten, und das bewirkte denn feinen baldigen Abzug . Zuflucht, reinigte, den Spiegel in der Hand, die Wunde beßtmöglicht, und das Hülfsmittel der Thiere ist es ge- wiß auch bei einem gesunden Menschen, der Spei chel. Ich hatte schon so oft dieß Mittel erprobt, und, Gottlob, auch diesmal bewährt erfunden. Der Himmel - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Jetzt nahm ich zu meinem universal-Hilfsmittel die % ich Abfahrt der Flotte. 301 weiß, wie es gegangen wäre, wenn ich die Quacksal- bereyen dieses unwiffenden Menschen fortgebraucht hätte, Gleich den folgenden Tag nach diesen Unfälle erhielt ich durch einen Armenier, der italienisch sprach, vom spanischen Konful ein Schreiben, worinn er mir fein Beileid bezeugte, und; „daß er augenblicklich Gerech- tigkeit zu schaffen besorgt sey.“ Am Abend dieses Tages sagten mir die Schiffleute: daß beide Soldaten gebun- den aus dem Kastell nach Damiate gebracht worden seien. Wie sie bestraft wurden, weiß ich nicht, denn Tages darauf war Windstille, - - - In der Frühe vor Tag war Lärm und Leben auf al- len Schiffen; ich ward aufs Verdeck gebracht, und die ganze Flotte fuhr hinunter an die Mündung des Nils ..., langsam und mühvoll lavierte man an den Untiefen vor- hey, es gelang nicht, ohne oft auf den Grund zu stoßen. Endlich war das offene Meer erreicht, und, Lebe- wohl, Aegypten! Y, - 5. Geschrieben in Jaffa, in der Klosterzelle von Terra fanta, Wenn ich schon Aegypten mein Lebewohl zugerufen hatte, so blieb es mir gleichwohl nicht gar entfernt, und ich wunderte mich nicht wenig, als die Anker ge- - - - - - - - - - . . . . . . . ." - - - - 302 Viertes Buch. Fünftes Kapitel, worfen wurden, sobald man eine Tiefe erreicht hatte, wo das Schiff nicht mehr in sandigem Grunde aufzustoßen Gefahr lief. Eine ganze Schiffsladung Reis ward herbey gebracht und übergeladen; noch ein zweytes Schiff kam zu ähnlichem Zwecke. Diese Arbeit erforderte fünf bis fechs Stunden Zeit. Es war gänzliche Windstille; der Gesichtskreis schien mit einem gelben Dampfe überzogen und die Hitze gränzte an das Unerträgliche. Weder die- fes noch jenes ließ mich Gutes ahnen. Die Ladung war vollständig, und es blieb mir kein Plätzchen mehr übrig, um unter Dach zu feyn, was mir doch der Reiß versprochen hatte; noch ward nicht ab- gefahren, warum? konnt' ich nicht begreifen, bis eine Stunde später ein ganzer Transport türkisches Militäran- langte; es war ein Aga aus Syrien mit feinem Ge- folge, fünfzehn bis achtzehn Mann, nebst einer ver- mummten Frau. Wild stürmte der ganze Troß aufs Schiff und lagerte sich wo Platz war, und es blieb auf dem Verdecke nicht mehr so viel Raum, daß man sich bequem hätte niederlegen können. - - - Hätte ich mehr Kraft gehabt, fo wäre ich mit dem Schiffe, welches die Türken brachte, zurückgekehrt, aber ich war zu matt und zu fchwach, als daß ich mich in dem Lärm hätte verständlich machen können, und so mußte ich wider Willen bleiben. Auch an diesem Trupp Türken war es auffallend, wie sehr diese Nation das Groteske und Grelle der Kleidung liebt; in der Uniform Aller war nichts Gleiches, als die mehr denn Elenho hen , runden, von schwarzem Schaaffel aufgethürmten Mützen, das übrige Alles war nach der besondern Wahl jedes Einzelnen; Goldborten auf Fetzen; Stickerey auf Schiffsgesellschaft. Es Lumpen; Garnierungen von Seide, deren Farbe man vor Schmutz nicht mehr kannte, fleischfarbne Talare mit grünen Einfaffungen; hochgelbe mit rother, hellblaue mit goldgelben Quadres; fchwarzer Plusch mit Silber- flitter u. f. w. Die Mehrheit aus ihnen hatte in beyden Naslöchern kleine Muscheln, durch welche Golddrath ging, der bis gegen den Mund hinunter ragte. Diese Zierrath mag fehr unbequem seyn. Auf dem Schiffe ward fie herunter genommen. Der Aga war ein heiterer, fri- fcher, entschloffener Mann. Das Boot ward aufs Schiff gebracht, und er selbst nebst seiner Frau in dasselbe ein- logiert. Diese konnte sich der Neugierde nicht erwehren, den Franken zu betrachten, und zweimal ward der Schleyer deswegen gehoben; sie hatte weder ein schönes noch inte- reffantes Gesicht. Diese Frau, einmal auf das Schiff gebracht, und es ward während der ganzen Fahrt nichts mehr von ihr weder zu fehlen noch zu hören. Ein Tep- pich wurde über das Boot gezogen, mit einer Negerinn zu ihrer Bedienung lag sie fortan unter demselben ver- borgen. - --- Wenn bei uns ein Vornehmer mit feiner Gemahlinn teist, und gegen die zwanzig Personen als Geleit mitzu- führen vermag, so macht vielleicht das Geschirr für Speise und Trank, Weißzeug, nebst hundert andern kleinen Be- dürfnissen und Luxusartikeln eine halbe Schiffsladung aus; welcher Abstand hier! Pillau von Reis, Brod, Zwiebeln, Käse und Kaffe machen alles aus, was der Aga, wie der schlechteste aus feiner Dienerschaft genießt, und auffer Oliven und etwas Süßem sah ich nichts, das die Herrschaft besonders für sich gehabt hätte. Aus dem Waferfaffe ward mit blechernem Gefäße, oder mit aus- 30 Viertes Buch. Fünftes Kapitel. gehöhlten, kleinen Kürbissen nach dem Essen, das nie länger als fünf Minuten dauerte, das Getränk für den Herrn wie für den Knecht geschöpft; so wie dießgeschah, ging dieser wie jener, zufolge dem Gesetze, sich die Hände und das Gesicht zu waschen. Wie viel Ceremoniel bey uns! Wie viele kleinlichte Kleinigkeiten wegen den Range der höhern oder niedern Gäste, wegen zuerst oder zuletzt, nichts hievon bemerkte ich hier; es achtete sich keiner besser als der andere, obgleich Offiziere und ein Sekretär in der Gesellschaft waren; sie langten mit dem Koch in die Schüffel. Was ich früher befürchtete, entwickelte sich nach und nach; gegen Abend war der gelbe Dampf in Schwärzt verwandelt und der Südwind fing an loszubrechen. Mei- ne Freunde finden in jedem Roman die Beschreibung ei- nes Sturmes beffer, als ich sie zu machen im Stande wäre. Dort ist er in der Phantasie, ich hatte ihn hier in der Wirklichkeit. Zwischen Asien und Afrika dachte ich meine Bahn vollendet. Die ganze Nacht über war, auffer den Brausen der Wogen, die an und über das Schiff schlugen, und auffer dem Geheule des Binde nichts hörbar, als das beständige: „Allah! Allah!“ der Schiffleute. Der Kapitain war krank und meist in Dill rium; die Uebrigen wußten in der Betäubung und Verwir rung, welche allgemein im Schiffe herrschte, wenig oder nichts. Es waren eben keine englische Nautiker, und die baldige Beobachtung dieses Umstandes war nichts weniger als beruhigend. Regen und Schloffen wurden vom Wind hergejagt, und es blieb kein Fleck im Schiffe, wo man sich davor etwas verwahren konnte. Die Ankertaue de Schiffes, und das Schiff selbst, was man immer be- # h : ? - - g Der Sturm, 305 befahrte, zerrissen indessen nicht, und ein trüber, stürmi- Tag fing an zu dämmern. - - Man lavierte, nachdem gegen Mittag die Anker ge- lichtet wurden, mühsam vorwärts; gegen Abend be- gann der Sturm aufs Neue, und einige Stunden von den Ufern des steinigten Arabiens mußten die Anker neuerdings geworfen werden. Ich weiß nicht, warum man sich nicht an das Land rettete: ob wegen den Un- tiefen, oder aus Furcht, von den Küstenbewohnern ge- plündert zu werden, wenn man sich dem Lande mehr nä- herte. Mitten im kochend scheinenden Meere ward die zweyte Nacht zugebracht, Wenn in herber Krankheit der Schmerz keine Mi- nute Schlaf die ganze Nacht über gestattet, wie lange dauert nicht eine solche Nacht? Aber wahrlich, diese heyden auf dem Meere Zugebrachten waren und fähienen nicht kürzer, als eine von jenen, Sechs Tage und eben so viele Nächte dauerte diese Reife unter freyein Himmel, ohne etwelche erträgliche Nahrung. Sie befund aus harten Eyern, gefalzenem Zi- ger und altem Brode; Kälte und Regen, und das Ue- belste von Allem, böse Laune, die alles in schwärzerer Farbe darstellt und noch mehr mißstimmt, gesellten sich dazu, um aus schlimm noch schlimmer zu machen. Die Schmerzen auf der Brust hatten wenig nachgelassen, und die Wunde am Kopfe heilte der kalten Luft wegen äuf- fert langsam. Es war die Zeit der Tag- und Nacht-Gleiche, und es war mir nicht unbekannt, daß stürmische Witterung diese Zeit beinahe immer begleitet; aber die unwiffen- den Schiffleute hatten nicht einmal hievon Kenntnis, und UI - 306 Viertes Buch. Sechstes Kapitel. schienen mithin auch nicht an die Gefahren auf der See in diesem Zeitpunkte zu denken. Ich besorgte, wir wür- den noch mehrere Tage mit ungefälligem Winde zu käm- pfen haben, aber er wandte sich endlich, es war gerade Sonntag, obgleich heftig, zu unseren Gunsten. Man flog Gaza, auf rechter Seite laffend, vorbey. Eine sehr kalte Nacht, kaum zum Ausdauern, erfolgte; aber als es dämmerte, siehe da! auf einem Hügel nächst am Meere eine Gruppe Häuser, es war Jaffa, das Joppe der alten Welt. 6. Geschrieben auf dem Berg Libanon im Kioser Chariffa, - Auf einem kleinen Boote ward ich nebst meinen Haab- feligkeiten ans Land gebracht. Schwankend vor Schwä- che und schwindelnd erreichte ich das Kloster von Terra fanta, und konnte mit Noth mein Ansuchen um Her- berge für einige Tage vorbringen; kaum erwehrte ich mich einer Ohnmacht. Der Pater-Subperior, ein Spa- nier, sah bald, wie sehr ich der Ruhe bedurfte, und wies mir, nachdem ich meine Empfehlungsschreiben ab- gegeben hatte, meine Zelle an. Reine Wäsche und ei- nige Stunden Schlaf erquickten mich; ich packte mein Felleisen aus, und fand von den diebischen Arabern, die mit mir auf dem Schiffe waren, eine Summe von Baat schaft entwendet; ich tröstete mich damit, daß der Ver- lust noch größer hätte sein können, und faßte den Ent- - d, f i- 1, i Er als lief ff g 1, ' ? Entdeckter Diebstahl, 30 fehluß, in Zukunft klüger zu sein. Gott weiß, wie lan- ge ich ihn halte! - Ich rechnete sicher auf eine ernsthafte Krankheit; es schien mir anders nicht möglich. Ich war physisch und moralisch angegriffen. Ersteres von dem häufigen Blutverluste, Schmerzen, schlaflosen Nächten und Ent- behrung aller erträglichen Lebensmittel. Letzteres von der Angst, Unruhe und dem Verdruffe; es konnte, dieß al- les zusammen genommen, fast nicht anders feyn, als daß ich wenigstens eine Zeitlang diesen Leiden unterliegen würde. Und dennoch geschah es nicht! Wohl ein Beweis von einer seltenen Ausdauer und gesunden Organisation. Ein zehn bis zwölf Stunden anhaltender Schlaf während mehrern Nächten, war das einfache Mittel, durch wel- ches die Natur das Zerrüttete und Zerstörte selbst wieder verbesserte und herstellte. • - Der Monath März rückte zu Ende; alles in dem selben Ueberstandene war eine Summe von Ungemach, die für einen Monath wohl stark war ! Mit dem Eintritt in Palästina ward allfo das Land erreicht, das in so ganz andrer Beziehung als Aegypten, uns denkwürdig geworden ist. - - In Jaffa, oder wie die heilige Schrift diesen Ort nennt, in Joppe, soll's gewesen sein, wo Noah feine Ar- che erbaute, um der Sündfluth zu entrinnen; in Joppe soll sich der Prophet Jonas eingeschifft haben, als er d 308 Viertes Buch. Sechstes Kapitel. darauf, vom Loose getroffen, im stürmischen Meere fei- nen Untergang finden folte. - Ueberhaupt, wie viele Ereigniffe und Begebenheiten der frühsten und spätern Zeit, stellten sich meiner Seele - auf dem Flecke Bodens dar, den ich jetzt betrat. Erinn- erungen und Begebenheiten, die noch jetzt mit Eifer darauf gefeiert werden, und Ky welchen, wenn nicht der Kern, doch die Schaale vergoldet bleibt. - Meine Ankunft traf gerade in die Fasten, und sieben und vierzig Tage ward in den hieländischen Klöstern kein Fleisch gegessen; selbst Butter, Käse und Eyer waren in dieser Zeit verboten. Fische und mit Oehl gekochte Hülsenfrüchte und Kräuter blieben die einzige Nahrung, Zum Glück gewöhnte ich mich auch an dieß ohne Mühe, da die Fische fehr gut und frisch waren. Die Griechen leben diese Zeit über noch strenger, Kaviar dürfen sie effen, aber Fische nicht; Oliven kön- nen genoffen werden, aber das Oehl davon, ist Sünde! Ich selbst war übrigens fast wie im Gefängniß. Nirgends sind die Türken wilder, gehäßiger und gegen die Fran- ken erboster, als in Palästina. Noch vor wenigen Jahr ren war Niemand vor Beleidigungen sicher, der nicht Türke war und sich auf der Straße blicken ließ; es blieb nichts übrig, als sich schnell nach Hause zu flüch- ten. Ich durchwanderte mit dem Pater die Stadt, und er hatte Mühe, den Troß fchreyender und lärmender Buben, denen meine Tracht auffiel, abzuwehren, weil fie sich einen Franken zu beleidigen oder zu mißhandeln für berechtigt halten. - Etwas, das mich für meine Gefangenschaft einiger maßen entschädigte, war die Terraffe oder das Dach, auf Klima. 309 welchen ich mich ergehen konnte. ueberall in der Levante ist dieser Platz der angenehmste der Wohnung: fchöne Quader, oder ein ebenes, glattes Pflaster bilden den Boden, der sich über das ganze Haus ausbreitet, und mit einer zwei bis drey Schuhe hohen Mauer eingefaßt ist. Es ist an kühlen Morgen und Abenden überaus lieb- lich, hier die Zeit zuzubringen; eine schöne, weite Aus- ficht, gute Luft und einladende Stille machten mit dieses Plätzchen so theuer. Die Klöster benutzen auf eine geschickte Weise den weiten Raum der Dachung zur Annehmlichkeit des Le- bens; das von Jaffa liegt am Meere und beherrscht die Aussicht auf dasselbe. - - Hier sowohl, als an allen kleinen Orten längs den Mittelmeere, Akre ausgenommen, waren zu Ende des vorigen Jahrhunderts die Franzosen Meister; um sie zu bezwingen, wurden die Bäume in der Runde herum ab- - gehauen , und ich sah nur junge Feigen - Oliven- und Maulbeerbäume; die Gegend könnte in christlichen Hän- den so kultiviert feyn, als ein Garten; der Boden ist unvergleichlich, aber feine Kultur entspricht der der Re- gierung und deren Despotismus. Kömmt ein Schiff in dem schlechten Hafen an, so nimmt die Regierung Besitz von der Ladung, und bestimmt den Waarenpreis nach Willkühr; jeder Paffagier, der aussteigt, bezahlt vier und einen halben Piaster; eben so viel, wann er wieder abreist; dieß, mag hinreichend feyn, um sich einen Be- griff von den übrigen Drucke zu machen. . Es war Ende März, und ich fror in Syrien mehr, als im Dezember und Jänner in Oberägypten. Nach ei- nigen Tagen Ruhe wollte ich meine Reise fortsetzen, be- 310 Viertes Buch. Sechstes Kapitel folgte aber erst noch guten Rath, indem ich den hier verhaßten Hut mit scharlachrother Mütze und blauem Turban darüber verwechselte; beim Rasieren blieb der Schnurbart stehen. Die gelben Stiefel, oder die rothen Sandalen unter langen Gewande, gaben mir ein so ziemlich levantisches Ansehen; was ich an Geld bei mir führte, übergab ich dem Pater Subperior, denn das Klo- fer vgbürgt den Reisenden Sicherheit, indem es mit den plündernden Arabern, welchen es Tribut zahlt, un- terhandelt, fo, daß alle Uebel, die den Reisenden, rück, fichtlich der Unsicherheit in diesen Gegenden treffen könn- ten, hiedurch abgewandt werden. Ich hatte von Jaffa nur drey Stunden bis nach Rama, einst Arimathea, einer Stadt in blühender; aber fehr vernachläßigter Gegend. Hier soll, aufer Jo- feph dem Rathsherrn, auch Nikodemus gewohnt haben, Im Kloster von Rama findet der Neisende Nachtherberge, es ist sehr groß und schön. Auf der weitläufigen Ter- raffe defelben übersieht man die ausgedehnte, fruchtbare Ebene, und einige Stunden weiter, beginnen die Gebir- ge von Jerusalem. - - Nach dem Abzuge der Franzofen von Rama ward das Kloster von den Arabern, die wie ein Strom vom Gebirge herunter kamen, geplündert, … und bis auf die eisernen Gitter. Alles weggeräumt; ein Pater, der sich noch darinn befand, ward auf der Terraffe gemordet; ein anderer flüchtete sich in das Haus eines Türken, der als Kameeltreiber das Kloster bediente. Die Ara- ber vermutheten ihn da verborgen und untersuchten. Späne und andere Dinge bedeckten ihn; sie fall- den ihn nicht. Drohend forderten sie ihn nun von l, All die d Mit z endl, f , z g % Rana oder Arimathea. - 311 Türken, der ihn aber standhaft verläugnete und fein Le- ben für den Mönchen opferte, ohne ihn zu verrathen. Ich war noch fehr schwach; es war kalt und reg- nete; ich blieb noch drei Tage, um bessere Witterung abzuwarten. Meine Zelle war dunkel und hatte, statt Glasfenster, nur Läden; oft mußt' ich diese zu schlieffen, bald wegen dem Regen, bald wegen dem kalten Winde. Ausgehen konnt' ich nicht, die Türken witterten bald den verkappten Franken an mir, und ich lief Gefahr, inful- tiert zu werden; auch die Hunde schreckten mich. Mein Aufenthalt war nicht angenehm ; der Pater, ein Spa- nier mit ganzer Seele, sprach und erzählte Dinge, vor welchen mir graute. Es erinnerte mich an die bey uns und in unserer Gegend, Gottlob! vorübergegangenen Zeiten des Terrorismus. In einer Wohnung des Frie- dens, der Ruhe und Stille mißstimmte mich dieser feind- selige Geist, aber ich entschuldigte ihn rücksichtlich sei nes Vaterlandes. - - - - Den dritten Morgen hoffte ich gute Witterung, und reiste mit einem Treiber, der Sorge für die beiden Thiere trug, ab; aber kaum waren wir einige Stunden gegen das Gebirge vorgerückt, als es aufs Neue zu reg- nen begann. Ich ward naß bis auf die Haut und fror tüchtig. Die Fastenspeisen in Rama, so sparsam mitge- theilt, daß ich mich kaum halb fatt effen konnte, gaben wenig Kraft; ich hatte nichts als Brod und harte Eyer zu effen, nichts, als Waffer zu trinken. Unmuth ver- schlimmerte meine Lage noch mehr. Nach Verfluß einiger - 312 Viertes Buch. Sechstes Kapitel. Stunden war der Regen vorüber, und meine Kleider trockneten bis Abends. - - - - - Von Rama weg hat man noch eine Strecke angebau- tes Land, dann aber beginnt das Gebirge; rechter Hand auf der Seite läßt man Emaus liegen, und kömmt in eine Gegend, wo man wegen den Klüften bläulichter Felsen und Klippen wenig vom Himmel sieht. Der be- wanderte Weg ist auf dem harten Gesteine kaum bemerk bar, und zwischen den beyden Felswänden oft so schmal, daß man den Entgegenkommenden kaum ausweichen kann. Ist je eine Gegend dem Straßenraube günstig, so scheint es diese zu feyn. Für meine Person war ich ohne Furcht, ich war ja affekuriert, zu wie viel Prozent, wußte ich nicht! Ich blieb sehr ruhig, so verdächtiges Gesindel auch des Weges zog. Der Treiber nannte nur einen Namen, er ward oft angefragt, und ungestört konnte man weiter ziehen. - - - - Aber vor einem Dorfe, dem einzigen, durch welches man kömmt, faßen auf der Straße im Kreise herum, als wären sie auf der Lauer, über ein Dutzend Araber, aus welchen einer allein hinreichte, Schrecken einzujagelt. Sie schrieen uns entgegen, ich verstand nicht was, und ritt weiter, aber zwei aus ihnen fielen dem Pferde in den Zügel und drohten; in diesem Augenblick dachte ich die Affekuranz annullirt. Diese Horde haufet scheints in mer hier, um den Tribut zu erheben. Erst nach langem Gezänke und geleisteter Bezahlung konnten wir die Reise fortsetzen. Von hier aus waren noch zwey starke Stunden über steile und nackte Felsen herauf und herunter zu machen,.. „“ al", beth f li N st z Betrachtungen über Jerusalem. 313 eh ich auf den Hügel gelangte, von welchem aus ich un- fern Jerusalems hohe Mauern entdeckte, - - - - - . . . . . - * * 7. - 1 - - Geschrieben in verlassener Wohnung auf dem 3. Libanon. - - - - - Wenn man sonst den Ort erblickt, wo uns das Ziel einer beschwerlichen Reise entgegenlacht, so fühlt man sich froh, und eine innere Luft erfüllt das Gemüth; über- all hatte ich wenigstens diese Empfindung, hier nicht! Der schwere Gedanke bemächtigte sich meiner: wie auf diesem Platze vor bald ein paar Jahrtausenden Schein- verdienst, Scheinheiligkeit, eigendünklerische, prahlen- de Tugendgrimaffe, nach Gesetz zur Kirche gehend, Al- mofen und den Zehenten gebend, fastend und betend nach Regel, im Herzen aber Gift und Hochmuth brütend – so viel Seelenadel, stilles, hohes und wahres Verdienst, bis ans Kreuz brachte! Mein Innerstes war ergriffen vom Gedanken, wie nach der Weissagung des Heilandes, bald nach der un- hat der Gräuel der Verwüstung so einbrach, daß kein Stein auf dem andern blieb. Es vergegenwärtigte sich mir der Jammer von den Hunderttausenden, welche in den verschiedenen Belagerungen und Zerstörungen dieser Königsstadt gemordet wurden, und Frohsinn und Heiter- keit wichen aus meiner Seele. In dieser Stimmung, es war dämmernder Abend, ritt ich durch das starke, festung ähnliche Thor des jetzigen- 314 Viertes Buch. Siebentes Kapitel. Jerusalems; durch enge Gaffen führte der Weg zum Kloster, beinahe starr vor Kälte und langem Reiten er- stieg ich, fast entkräftet, nur mühsam die Treppe; in einem Vorzimmer ward mir eine Schaale Kaffee gereicht. Der Pater führte mich sogleich durch einen Gang nach der Kirche. Alles kniete; ein klagender Wechselgesang er- tönte; ich war so erschöpft, daß ich mich außer Stand fühlte, weder auf die einte noch andere Weise an dem, was da vorging, Theil zu nehmen. Ich merkte, daß ich mich nicht benahm, wie man wünschte. Nach wenigen Minuten verließ ich die Kirche; eine Zelle, hohl und kalt, ward mir angewiesen; Brod, Waffer und Wein nebst etwas Datteln mit der Bemerkung dargereicht: „daß in der Fastenzeit dieß der gewöhnliche Tisch wäre.“ - - Man konnte leicht sehen, wie sehr ich etwas Anders bedurfte, ich wollte also nicht darum bitten; eine schlaf lose Nacht folgte. Ich hatte Empfehlungen an den Pa- ter Generalprokurator, einen Spanier. Er empfing mich höflich, und gleich am folgenden Tage ward meine Lage verbeffert. - - Er sagte mir, wie die Italiener sich ausdrücken, ei- uen Cicerone zu, der mir alles Sehenswerthe zeigen wir de. Wahrscheinlich vergaß er sein Versprechen; ich harte bis drei Uhr Nachmittags, und da noch Niemand kan ing ich, dreist genug, wie gewohnt, ganz allein aus mit nem Gefängniß ins Freye. Ich merkte mir wohl den Weg, um die Rückkehr wieder zu finden; erreicht glück- lich das Thor, und mein erster Ausgang war, einen Gang außerhalb den Mauern Jerusalems um die Stadt zu ma- chen. Bisher gelangen mir solche Wagetücke immer so (l. W Änd k, f # # Spaziergang tl Jerusalem. 35 gut, daß ich dies auch noch versuchen wollte, und es ge- lang aufs Beßte. Die Stadtmauer hat ungleiche Höhe, wohl nie un- ter dreißig, oft aber über vierzig Schuhe; sie ist von massivem, großem Quader unregelmäßig gebaut; an ihr befinden sich, meist sehr nahe aneinander, herausragende, vorstehende, bald viereckigte, bald runde Thürme, deren vielleicht bey. Hunderten sich um die ganze Stadt befinden; auf der Abendseite ist die Festung, welche auf ihrer er- habnen Lage die Stadt beherrscht, die an sich, der ho- hen Mauer wegen, schon völlig einer Festung gleicht. - - Am folgenden Morgen erschien der Führer, und ich besah, während meines Aufenthalts in Jerusalem alle die heiligen Orte, welche inn- und aufferhalb der Stadt ge- wiesen werden. Ich laffe die jetzige Bestimmung der denk- würdigen Stellen, welche um Schritte oder Stunden von den wahren abweichen mögen, auf ihrem Werthe oder Unwerthe beruhen; genug, in der Nähe dieses Bezirks hatten die Ereigniffe statt, welche wir in der Leidensge- fchichte Jesu lesen. Ich nenne nur flüchtig das Gesehene, und berühre dann später umständlich das Eine und An- dere davon, - " - - - - -- - - - Gleich vor der Stadt, auf der Morgenseite, erhebt sich der Oelberg; tiefer unten Gethsemane; dann der Platz, wo Jesus mit dem Kreuze fiel, la strada dolorosa – Befaschi – Weg, den Jesus Christus am Palmtag ritt; das Grabmal der Madonna; der Platz, wo St. Stephan gesteinigt ward; die Stelle, wo der Heiland dem Thomas seine Wundmale zeigte; die Grotte der Apo, fel; Silhoe; der Brunnen Nehemiä; die Grotte, wo Pe- trus Buße that; das Haus des Kajaphas; der Berg Sion; " 316 Viertes Buch. Siebentes Kapitel, der Platz, wo Jesus den Aposteln die Füße wusch; die Grotte, in welcher Jeremias feine Klagelieder dichtete; die Grabmäler der Könige von Israel; der Richter; der Platz, wo St. Jakob den Märtyrertod litt; das Haus der Hanna; das Gefängniß des Heilandes; das Ther der Pharisäer; der Palast des Pilatus, wo Jesus ver- - - s - urheilt ward; die Stelle, wo man ihm die Dornenkrone aufsetzte; die, wo ihm das Kreuz aufgelegt wurde; der Bogen, wo er dem Volk gezeigt ward; der Platz, wo feine Mutter ihm begegnete; wo Simon von Cyrene ihm das Kreuz abnahm; wo die Töchter Jerusalems um ihn weinten. - - Dann das heilige Grab; die Stelle, wo er Maria Magdalenen nach der Auferstehung erschien. , In der Kirche der Lateiner zeigte man mir die Hälfte von der Säule, an welcher der Heiland gegeifelt wurde, ( die andere Hälfte ist in Rom ); - die Stelle, wo man feine Kleider verheilte; wo St. Helena, die Mutter des Kaisers Constantin, das heil. Kreuz fand; die Ka- pelle der heil. Helena; das Grabmal von Nikodemus; das Gefängniß des Apostel Petrus; den Kalvarienberg oder Golgatha; den Stein, der das Grab deckte; das Thal Josaphat; den Platz der Ausgießung des heiligen Geistes; den Bach Kidron; den Berg Moria, (mit Sion beynahe eins) wo Abraham den Isaak opfern wollte; Da- vids Grabmal; Abfaloms Grab, u. a. m. - Auffer den Mauern Jerusalems findet sich auch nicht ein einziges Gebäude als Landgut, wie dieß sonst aufer jeder andern, größern oder kleinern Stadt in Europa der Fall ist. Der Grund hievon mag vielleicht in der uns it die #x Merkwürdigkeiten Jeruf alems, 317 cherheit zu suchen feyn, in welcher solche Campagnen wegen den streifenden, raubenden Arabern wären; viel- leicht auch, weil der Boden steinigt und unfruchtbar ist; eher möchte aber das Erstere der Fall feyn. Der Pal- last des Kaiphas, der ein paar hundert Schritte vor der Sionspforte liegt, ist einzig außer der Stadt, und hat einen Einfang von hohen Mauern; diese sind meist aus Leichensteinen, mit Innschriften von Hebräern oder Armeniern, errichtet, und ziemlich modern. - Um die Hauptgegenstände zu sehen, follte ich, wie ich aus der Geberdensprache des Guardians schliefen konnte, die Stiefel ausziehen; ich war aber entschloffen, mir diese Unbequemlichkeit ein für allemal zu verbitten, und äußerte, daß ich lieber nichts sehen und zurückkeh- ren, als dieser Scheererey mich aller Orten unterziehen - wollte. In diesem Entschluffe bestärkte mich das Zeichen des Portiers: „daß ich mit Stiefeln eintreten könne, weil er besorgte, sein Trinkgeld (Bakis) möchte ihm entrinnen. Ohne Schwierigkeit fand nun aller Orten daffelbe statt, - - * Jerusalem *), die Stadt, welche zu den Zeiten Christi gegen drei Millionen (?) Einwohner enthalten haben soll, befaßt jetzt etwa zwölf bis fünfzehn Tausend. Begreiflich fank der Umfang der Stadt felbst verhältniß- mäßig, denn innerhalb einer Stunde hatte ich den Gang um dieselbe vollendet. Es war mir, wie ich schon be- merkte, als ob ich um einen sehr großen Festungsplatz ginge, und ich konnte mir nicht Auskunft geben, wie David, Salomon und die Könige von Israel überhaupt ') Türkisch Conte Scherif, Z18 Viertes Buch. Siebentes Kapitel. hier ihren Wohnplatz wählten, die Gegend ist ohne Reiz, zde, von kahlen, blauen Felsen und Klippen umgürtet, ohne Waffer, ohne Ebene, ohne eigentliches, ländliches Infehn. Grünend war jetzt (Anfang Aprils) freilich die Gegend hin und wieder aber im Juny“ , so vers- cherte man mich, „sey auch nicht das Mindeste dieser Farbe mehr im Feld wahrzunehmen; wenn die Hitze beginne, finde sich nicht einmal mehr ein Salat in den Gärten. . . . - - - - Die Gaffen sind meist enge und die Pflastersteine un- ehen, hart wie Marmor und wenn es regnet, gleicht es Seifenbrocken, ist auch so schlüpfrig, als wäre es wirklich von dieser Materie Man muß im Gehen vorsichtig seyn, als wandelte man auf Eis. Jon Salomons Tempel ist wahrscheinlich das wahrt gale Kybehalten; prachtvoll erhebt sich jetzt auf den selben die zierliche Moschee, auf heller, luftiger Höhe und freuen, geräumigen Plaket " Vorgrund von Je- rusalem, vom Oelberge her macht dieß grandiöse Ge- zude eine unvergleichliche Wirkung *), aber verbot zu betreten ist es Zedem, der nicht Muselmann ist. Sid- den Smith soll aber mit seinen Gefolge Eingang ge“ habt haben. Als er um den Firmen gefragt ward er wiederte er: »daß er selbst der Sultan wäre und als eines Firmans bedürfe.“ Es hieß, die Türken seien überhaupt seit diesen E- eigniß etwas zahmer geworden, Ehedessen ward den hier ) Von dieser Seite hat der Verfasser nach der Natur eine Stie von Jerusalem gezeichnet, die " diesem Band heyfügen, K Davids Palast. 319 wohnenden Christen und Fremden oft auf der Gaffe ins Gesicht gespielen, andern ähnlichen Unfugs nicht zu ge- denken. Jetzt unterbleibt dieß eher; hingegen wird dafür vom Pascha von den Christen mehr Geld erpreßt als ehe- mals. Als die Franzosen in der Nähe vorrückten, wur- den alle Christen gefänglich eingezogen; wären jene ganz vorgedrungen, fo würden diese ohne anders alle ermordet worden seyn; ihre Gefangenschaft dauerte bey mehrern Monaten, und die Regierung benutzte diesen Umstand, um später für Geld ihnen wieder die Freyheit zu ge- statten, - - - S, Auch Davids Pallast liegt auffer der jetzigen Stadt auf der Höhe des Sions, er ist jetzt zur Festung umge- faltet, und es bedarf eines Firmans, um hineinzugehen. Merkwürdiges soll nichts darinn zu sehen sein. Ich kam nicht hinein. Das Kloster St. Jakob (St. Giacomo) den Arme- niern gehörig, ist von ungeheuerm Umfange; es soll das reichte in der Levante sein. Dieß Kloster sowohl, als das der Griechen, enthaltet verschiedene religiöse Denk- würdigkeiten. Es ist herrschender Gebrauch, daß die Wände der Kirchen mit weißen und blauen Porzellain- platten geziert werden; dieser Anblick erinnerte mich unwillkührlich an die bei uns ehmals üblichen Kachelöfen, yelcher Anblick der Phantasie die Flügel fehr lähmt. Schöner und beffer nehmen sich die häufigen Einlagen vo- 320 Viertes Buch. Achtes Kapitel, Perlmutter - Arbeit auf schwarzen Grunde aus; kostbar aber geschmacklose Persienne aus Indien findet sich häufig zu Vorhängen benutzt *). - Der Oelberg, an der Morgenseite von Jerusalem liegend, gewährt einen lieblichen Anblick; ganz auf dem Gipfel des Oelbergs ist eine Moschee, und darinnen der. Platz der Himmelfahrt. Alle Orte, die von den Christen besucht werden, sind von Türken bewacht; überall zahlt man ihnen den Caffaro (Tribut), wenn es auch nur we- nige Parahs sind. Dieß ist eher zu ertragen, als die Infolenz dieser wachehabenden Hallunken, - Wahrscheinlich mochte der Oelberg einst eine andere Beschaffenheit gehabt haben. Ich stellte mir ihn waldigt und buschigt vor, aber ich fand ihn kahl, und wo Bebau- ung statt findet, von gelblichter Erde; es mögen vielleicht nicht über fünfzig Oliven-Bäume darauf zu finden sein. - Mitunter traf ich auf einige Reben, Mandel, und Fel. gen-Bäume, welche aber jetzt noch keine Blätter trieben. In der Schweiz würde der Berg für einen geringen Hi- gel gelten; in einer Viertelstunde, vom Fuße angerech- net, hatt' ich einen Gipfel erstiegen. Aber auf feiner Höhe ist gegen Morgen eine prächtige Aussicht; in der Ferne glänzt das todte Meer und der Streif des Jordans, der sich in dasselbe ergießt; die Ruinen von Jericho sollen weiter links liegen. Zu seiner *) Diese Perfienne ist nicht, wie bei uns, gedruckt, son- "dern gemahlt, und stellet Engel in colofakischer Größe vor, das Tuch ist gleichfalls aus einem Stücke gewoben, die Breite hält mehrere Staab; eine Sache, die man bei uns nicht zu bewerkstelligen wüßte. „ jäft Grotte der Apostel, 321 Füßen hat man Jerusalem. Die Moschee, an der Stelle von Salomons Tempel, mit dem zweiten, geräumigen Plattenboden und grünen Umgebungen, hebt sich zierlich Zeit i hel Ich d g is , z mit der schwarzen Kuppel und den blauen Porzellan-Ver- zierungen aus den im Hintergrunde liegenden, und all- mählig amphitheatralisch emporsteigenden Gruppen der dachlosen Häuser Jerusalems hervor. Im schönen Style ist die Bauart des türkischen Doms; es belebt der ge- waltige Vorhof und die grellen und bunten Farben die- fes Gebäudes das Eintönige der in einander gedrückten gelben Steinmaßen von Häusern, und die gleichfarbige hohe Mauer, welche das Ganze mit der Menge ihrer un- regelmäßigen Thürme Umfaßt. Eine Strecke tiefer unten vom Gipfel des Berges ist die sogenannte Grotte der Apostel; sie ist, in antiken Ge- schmacke unter die Erde gebaut. Dieß Gebäude, mit fei- nen zwölf prächtig gesprengten Bogen, welche allmählig im Morast verfinken, gehörte gewiß einst zu den schönsten Werken der Baukunst. Mehrere ähnliche, theils halb versunkene, theils mit Schutt ganz zugedeckte Reste von Wohnungen in dieser Gegend beweisen, daß der Oelberg vor Jahrhunderten oder Tausenden wohl eine andere Be- schaffenheit gehabt haben mochte, als in unseren Tagen. Ebenfalls am Fuße desselben ist die Grotte der Madonna fast ganz unterm Boden; in ihren Ueberresten ist der große und reiche Styl dieser Prachtanlage noch jetzt zu erkennen. Wohl gegen die fünfzig Stufen einer dreißig Schuhe breiten Treppe von weißem Marmor, führen in diese Tiefe, wo die Griechen, als in ihren Besitz hum, Andacht und Gottesdienst halten, was Alles schon die Z / , 322 Viertes Buch. Acht es Kapitel. - brennenden Lampen und Bilder in allen Umgebungen des Aeuffern ankünden. An einem Festtage stieg ich zum zweiten Male hin- unter, um diese schöne Anlage zu besichtigen; ich fah viel Glänzendes in dem Ceremoniel, der Kleidung und gottesdienstlichen Geräthfchaft, aber als ich nach Hause zurückging und die ganze Gaffe, beide Seiten entlang, von Krüppeln, Lahmen, Blinden und Bettlern, die das Elend felbst vorstellten, besetzt sah, da ergrimmte ich über den heiligen Nimbus dieser äußerlichen Alfanzereyen und den gänzlichen Mangel der Hauptsache: Hülfe für Leidende. Es ging mir wie früher in Venedig, wo ich auf Schaaren Verstümmelter stieß, die auf allen Brücken dem Hundert nach lagen, und durch die Entblößung ihrer Gebrechen mehr Eckel als Mitleid erregten. Ich zog den weiten Umweg auf Gondeln vor, theils um nicht den un- angenehmen Anblick zu haben, theils um nicht zu fluchen über den Reichthum der Klöster und die silbernen Apo- fiel in den Kirchen. Zorneifer übernahm mich, wenn ich die Pracht der Paläste, den Schwall der Dienerschaft von Millionairs, die Geldsummen zur Besoldung eines Springers auf der Bühne, oder einer Sängerin für die große Oper, oder die ungeheuern. Verschwendungen um den Gewinn einer H ***, oder auf eine Karte an der Pharaobank gesetzt, erwog, während rundum wahres Elend in der Wirklichkeit statt fand, Verstümmelte und Unglückliche verhungerten und im Elend darauf gingen Wo großer Luxus ist, da ist auch großes Elend ! - Sey mir gefegnet, Schweiz! rief ich dann bey mir felbst. In dir fand ich *) nicht die Pracht, nicht den - *) Vor der Revolution. i M h f i g Das Grabu al Abfalons. 323 Glanz von überschwänglichem Reichthum, wohl aber das Seltnere und Würdigere, den Wohlstand des Ganzen. Wenn ich auswärts erzählte: daß ein Bruder, als obrig- keitlicher Beamteter, seine Schwester darum mit einer Buße bestrafte, weil sie einem Bettler Almosen reichte, *) so glaubte man, ich erzähle ein Mährchen. Nicht ohne Grund pries man das Ländchen glücklich, wo keine Theater, Kasinos, Paläste und andere Attri- bute von Fürstenstädten gefunden wurden; wo hingegen Bedürftige, besonders in den protestantischen Kantonen, Unterstützung und Hülfe nach Verdienst und Maßgab der umstände fanden. - - Unweit der erwähnten Grotte soll der Garten Geth- femane gelegen haben; acht prächtige Olivenbäume aus der ältesten Zeit, (deren Wurzeln mit Steinhaufen um-, geben sind, und für deren Erhaltung durch gute Erde gesorgt wird) erheben sich auf dieser denkwürdigen Stelle. Das sogenannte Grabmal des Abfaloms liegt in der Tiefe eben dieser Gegend. Es enthält einen Thurn in gothischem Geschmack, der sich aus der Erde erhebt, und an welchem man noch einen edeln Styl erkennt; das Gebäude scheint indes viel älter, als die Baukunst der Gothen; neben demselben befinden sich mehrere unterir- dische Gemächer von sehr großem Umfange. Nach der Sage sollen dieß die Grotten feyn, in welche sich die Jünger nach der Gefangennehmung ihres Herrn flüchte- *) Dieser Fall ereignete sich in Rheineck. v. ZE 2 324 Viertes Buch. Achtes Kapitel. ten. Anstoßend an diese Höhlungen, zeigt man die Grä- ber der Könige und Richter in Israel; sie bieten eben- falls nur Bruchstücke von Gewölben und Mauern unter Schutt und Erde dar. Es ist beynahe ungläublich, daß die Juden nicht so viel Gemeingeist haben sollten, diese theuern Ueberbleibsel auch nur einigermaffen zu ehren! *) Der Eingang zu diesen Grabmälern läßt eher einen Ort vermuthen, der zu einem Abtritte führt, statt zu Katakomben von Fürsten. In eben diesem Bezirke liegt der Begräbnißplatz der Juden des heutigen Jerusalems; er enthält einen Umfang, den man kaum in einer halben Stunde umgehen würde. Dieser Gottesacker ist mit sehr schön gehauenen, länglicht-viereckigten Quadersteinen, einer an den andern gelegt, bedeckt, und jeder mit In- fchriften versehen; ohne einen prophetischen Geist zu be- sitzen, ist vorauszusehen, daß diese Menge schöner Steine einst zur Erbauung maffiver Gebäude fehr brauchbar feyn werden. - Zwischen dem Oelberge und dem Hügel, auf wel- chem die Stadt Jerusalem ruht, fließt der Bach Kidron. Auch hier war meine Erwartung getäuscht! Ich dachte mir denselben weit größer, und fand einen zwei Schuhe breiten Graben, der jetzt fast, und zur Sommerszeit ganz ausgetrocknet ist; im Winter wird er zum Waldstrome, der in dem einen Augenblick reißend anschwellt, im All- dern aber versiegt. " . . - - - Tiefer unten liegt die Quelle von Silo eh; weit unter die Erde führt eine lange, steinerne Treppe, un- a-m- / *) Ein Volk, dem Kraft und Muth genommen wird, ist aber deffen nicht fähig." - - h d Das heilige Grab. 325" ten quillt ein erytallreines, helles Wasser. Leicht, wie Pfefferfer - Waffer, aber etwas gesalzen; es ist unge- nein angenehm, mir fchien es wie Milch. Diese Quelle soll Ebbe und Fluth mit dem Ozean gemein haben; fechs Stunden sich reichhaltig vorfinden und sechs versiegen. Linker Hand auf der Höhe liegt das Dorf Silhoe; man sieht nur wenig von den Wohnungen, welche größ- tentheils aus Grotten bestehen, die in Felsen eingehalten sind. Dieser Ort, dessen wilde Bewohner alles Türken sind, ist ein elendes Net; so weit man werfen konnte, wurden uns von zehn – zwölfjährigen Buben von der Höhe herab Steine nachgeworfen. 9. „ " - - - - - - - - - - - - - Ich komme nun auf einen der Hauptgegenstände, das heilige Grab, zu reden. Um in die Gaffe zu kommen, welche zu demselben führt, muß man durch eine sehr enge Thüre schlüpfen. An Festtagen, oder wenn sonst viele Menschen den Platz besuchen, fetzt es hier allemal ein entsetzliches Gedränge ab. Beide Male, als ich hin- ging, wurde ich nach viertelstündigem Durchdrängen in diesem Paffe fast erdrückt. Ist man dann die Gaffe her - unter, so gelangt man zur Kirche, fast aber möcht' ich sagen, auf den Jahrmarkt. Wenn Christus wieder käme, er würde aufs Neue die Tempelreinigung an all dem Troß von Krämern und Mäklern vornehmen, die den Eingang zum Heiligthum beynahe versperren. – Und als ich end- 362. Viertes Buch. Neuntes Kapitel, w- lich in demselben angelangt war, da wurden meine Sinne fast irre. Wie wäre es aber auch anders möglich? hier, an diesem heiligen Orte, wo Alles den Christen zum Er- habenen, Feyerlichen stimmen follte, wie wäre es mög- lich, diese Stimmung zu erhalten in dem Gewühle der sich durch - und ineinander drängenden Menschenhaufen, in dem Geschrey und Gelärm von vier- bis zehnjährigen Kindern, die sich umhertreiben und rund um die Haupt- kapelle im Fangspiel erlustigen, in dem Gebrülle der Ord- nung haltenden Türken! Und Wehmuth erfüllte mich vollends bey dem Anblicke des Widerspruchs: Ein Herr, Ein Glaube, und Liebe als die Summe seiner Religion, hier aber die Abtheilungen der verschiedenen Sekten der - Christen, die rundum ak Grabe des Erlösers, von ein- ander getrennt leben, zu erblicken. Hier war die Abtheil- ung der Griechen, dort die der Lateiner; hier die der Armenier, jenseits die der Kopten, u. f. w. Mit wahrhaft unchristlichem Sinne haffen sie sich gegenseitig herzlich, und jede Parthey wacht mit unbegreiflicher Eifersucht über dem von der andern Parthey abweichenden Ceremo- niel; was soll ich vollends sagen von dem (für den un- interessierten Zuschauer) unfeherlichen Betragen derer, die diesen Ort aus so geheiffener Andacht besuchen; was von den in diesem so engen Raume statt habenden kleinlichen Prozessionen, von dem bisweilen fast ins Lächerliche fl- lenden Rituale, von den Umgebungen und Verzierungen, welche nicht selten an geschmacklose Theater-Dekorationen erinnern; was soll ich überhaupt sagen, von so Man chem, das ich hier bemerkte! Das: daß, wenn ich ein Muselmann wäre, ich hier durch nichts bewogen würde, Christ zu werden. . . . " d | # - Das heilige Grab. 327 Man denke ich mein starres Entsetzen, als ich an diesem Orte, wo stille Feyer die Grundlage von allem äußerlichen Ceremoniell seyn sollte, zwei Türken fah, de- ren Gang, Miene und Geber den Stolz, Verachtung und Hohn ausdrückten, in der Hand eine Peitsche mit sechs breiten, ledernen Riemen haltend; über die andacht- übenden Köpfe und Gesichter der Christen schlug, und schwang sich diese Ruhe- und Ordnung - Erhalterinn, wo fie hintraf; kein Schweinhirt drecht unbarmherziger auf feine ungehorsamen Thiere los, als hier diese Türken auf die Christen; das Schlimmste hiebey war die Bemerkung eines Paters: „wer wollte wohl können Ordnung halten „unter diesen Leuten, wenn es die Türken nicht thäten!“ Die Pforte der Kirche zum Eintritte in das heilige Grab ist fest und massiv; so wie die Feyerlichkeit vorüber ist, wird geschlossen, und mit zwei Siegeln, unter Beisein der Dragomanns jeder abgesonderten Abtheilung, von Türken versiegelt. Darin eingeschlossen und eingesperrt blieben dreißig Geistliche der griechischen, fünfzehn der armenischen, zwölf der lateinischen und zwei der kopti- fchen Kirche; ich ward von den Patres eingeladen, mich mit einsperren zu laffen, aber als ein freiheitsliebender Republikaner dankte ich für diese Höflichkeit, zudem war schönes Wetter, und ich hatte, außer dem heiligen Grabe, noch Vieles zu sehen. Der Eintritt in dasselbe war nicht umsonst. Jeder Franke bezahlt drey und dreißig Piaster, etwas weniger die Griechen und Armenier. Zur Zeit, als so viele tau- send Pilger hieher kamen, warf dieser Tribut eine schöne Summe ab. Demselben zu entgehen ist keine Rede. Das Kloster versteht seinen Vortheil zu gut; überdieß sitzen 328 Viertes Buch. Neuntes Kapitel, hart am Eingange, auf erhöhtem Platze, fünf bis sechs schön gekleidete Türken, nach ihrer Sitte mit übereinan- der geschlagenen Beinen, die lange Pfeife schmauchend; starke, wohlgenährte Leute, die ihren verachtenden, halb- hämischen, halb höhnenden Blick auf jeden gezählten und beobachteten Fremden hinwerfen; der Anblick dieser Wa- che ähnelte nicht übel derjenigen, die an den Eingängen eines Theaters, wenn ein Akt beendigt ist, auf die Ein- und Ausgehenden paßt, damit nicht etwa Jemand sich mit List durchschleiche, ohne sein bezahltes Billet vorge- wiefen zu haben. - Von dem Innern habe ich noch Folgendes zu sagen: Gleich innerhalb dem Portale liegt der Stein, auf wel, chem die Salbung vorgenommen worden sein und statt gehabt haben soll; er ist glatt (polirt) und sieht ganz neu aus; weiter vor die Kapelle über das Grab selbst, fo enge, daß zwey fich entgegenkommende Menschen Mühe haben, neben einander durchzukommen. Man denke ich den drückenden Qualm der sich Hineindrängenden oder der Zurückwollenden. Vor der engen Thüre dieses Allerhei- ligten hält wieder ein Türke Wache, der, ohne Umstän- de, abwechselnd die Einen der Andachtübenden beim Kra- gen herausreißt, und Andere mit beiden Fäusten hin einstößt. Es ist mir nicht möglich, die Empfindung auszudrücken, die diese barsche, hier aber ganz gewohnte Behandlung zu meinem höchsten Aergerniß erweckte. In dieser engen, sechs bis sieben Schuhe langen, eigentlichen Grabkapelle, ist die Hälfte eine Ausfüllung von zwei weißen Marmorplatten, die, ein paar Schuhe vom Boden erhöht, eine Bank bilden; der übrige schmale Raum ist kaum drey Schuhe breit. Oben schweben bei - . . . Das heilige Grab. 329 fünfzig schwere silberne Lampen, die immer brennender- halten werden; wenn die Wallfahrt der Christen den Türken nicht erheblich eintrüge, so möchten diese wohl als Magnet die nach Silber so lüsternen Muselmänner anziehen. - In der äußern Kirche rund herum sind die Abtheil- ungen der verschiedenen Sektionen der im Glauben der Christen abweichenden Partheyen, nebst deren besondern Kapellen, eine dieser Abtheilungen umfaßt den Platz von Golgatha, Die Oeffnung, in welcher das Kreuz ge- standen haben soll, ist mit einem silbernen Futteral, et wa anderthalb Schuhe tief in die Erde gehend, umfaßt, Die Entfernung des heiligen Grabes von dieser Stelle, wo gleichfalls viele Lampen brennend unterhalten werden, mag etwas über vierzig Schritte betragen *), so daß die Kirche des heiligen Grabes, dieses, und Golgatha in ihren umfange und unter dem gleichen Dache hat. Die Kuppel ist von Bley. Vor zwey Jahren brannte das Ganze ab. Das schmelzende Bley der Kuppel hin- derte am Löschen. Ich fand hier, wie überall bey den Griechen und Armeniern, die Bilder fast an Karrikatur grenzend, indessen die der Katholiken, meist in besterm Geschmacke, das Land der Kunst, Italien, andeuten. Der Gedanke an die Pest in diesem Gedränge, macht zit- . . tern; das Uebel müßte an einem solchen Orte und bey *) Von Distanzen, Größen, Verhältniffen, Kostbarkeiten ze wird man sich aus andern Quellen sicherer belehren kön- nen, als ich es bey kurzem Aufenthalt und flüchtigem ueberblick thun konnte, da es mir ohnehin Nebensache blieb, - - - - - - 330 Viertes Buch. Neuntes Kapitel. solchen Zusammenfluß von Menschen furchtbar schrecklich um sich greifen. - - - - Ich wollte also gerne wieder auffer die Mauern, um frische Luft zin fchöpfen; ich nahm den Weg nach Beth- lehem, welches kaum zwey Stunden entlegen ist; hal- ben Weges kömmt man zu dem Kloster St. Elia, wo dieser Prophet seine Weiffagungen soll gemacht haben; auf einem nicht fernen Hügel sieht man das Dorf und Kloster der Geburtsstätte Jesu. - . . . Auf dem Gipfel einer nicht unbeträchtlichen Anhöhe liegt das Dorf einige hundert Schritte gegenüber, auf einer andern das Kloster; ersteres ist ein armes, elendes Nest, von eben so armen, elenden Bewohnern angefüllt; letzteres ohne die reizende Lage in Anschlag zu bringen, fchön gebaut. Auch hier finden die bereits erwähnten Abtheilungen der verschiedenen Bekenntniffe statt. Die Kirche, eine wahre Prachtanlage, enthält vierzig schöne Säulen, deren jede aus Einem Stück Marmor gehauen ist und den Griechen angehört, liegt vernachläßigt in Ruin. Die Terraffen sind, wie hier zu Lande überall, ungemein lieblich. Ich ward an den Pater Superior, einen Spanier, empfohlen und höflich aufgenommen, um geachtet seiner glatten Auffenseite aber, war ein gewisses Etwas an ihm, das bei Allen dieser Nation, die ich ken nen lernte, sich fand, und es nicht ganz verhehlte: daß das Innere mit dem Aeuffern nicht übereinstimme. Hätte ich eines Gefährten auf meiner Wanderschaft gebraucht, wahrlich, ich hätte nicht ihn gewählt! Diesen aber, so is Monte France fe. - Z31 wie die andern, entschuldigten die Verhältniffe ihres Va- terlandes, Die Merkwürdigkeiten, welche in Bethlehem gewie- fen werden, find folgende: Die Krippe des Kindleins Jefu; die Stelle der Anbetung der Weisen aus Morgen- land - der Begräbnißplatz der durch Herodes ermordeten unschuldigen Kinder; die Kapelle des heiligen Josephs, die der heiligen Maria; die Grotte der Hirten; das Grab des heiligen Eufebius, der Paula Eustochia, des heiligen Hiero- nymus, dann die Stelle der Schule des letztern. Ziemlich entlegen: der eingeschloßne Ort der Geburt des Heilan- des; der Garten des Königs David; Kaide, oder der Platz, wo David dem König Saul ein Stück vom Kleide fchnitt. Der Monte Francese erhebt sich ein paar Stun- den weit über alle umliegende Hügel hoch und steil em- por. Dieser Berg hat feinen Namen aus den Zeiten der Kreuzzüge, als die Franzosen unter der Anführung des Gottfrieds von Bouillon Palästina eroberten; auf seinen Höhen foll ein großer Theil der umgekomme- nen Kreuzfahrer den Todesschlaf schlummern. Dieser Berg macht die Hälfte des Wegs von Bethlehem nach dem todten Meere, und o! wie gerne hätt' ich mich auch noch zu diesem letztern begeben! Aber die unsitäten Ara- ber trieben dort ihr räuberisches Nomadenwesen; es wim- melt in dieser Gegend von den Zelten dieser Halbhirten und Halbdieben, fo zwar, daß ohne eine starke Bedeckung der Weg dahin gar nicht gewagt werden kann. Ich be- herzigte immer von Neuem, daß meine wenigen Piaster nicht die Guineen eines Engländers seien, und so that ich also nur noch einen Blick auf das fchimmernde Ge- wäffer und die Mündung des Jordans, dessen gelber Fa- 332 Viertes Buch. Neu tt es Kapitel. den sich vor mir hinzog, und kehrte nach Jerusalem zu rück. Noch erhielt ich aus der Gegend, wo sich die Men- ge versteinerter Bäume finden, versteinerte Früchte (Oli- ven); die Araber bringen häufig dergleichen und ver- kaufen fiel um ein Trinkgeld. - -, - - - - - - - - - Anderthalb Stunden von Jerusalem ist das schöne, große Kloster Sankt Johannis des Täufers; es ist von Mönchen stark bevölkert. Die Wüste, in welcher sich der Bußprediger aufhielt, und das Haus der heiligen Eli- fabeth, machen hier das Bemerkungswürdigste aus. Ueber den interessanten Oelberg gelangt man innert einer Stunde nach Bethanien. Gegen die vierzig Stufen steigt man gebückt hinunter in die dunkle Höhle von dem Grabe des Lazarus, das in steile Felsen gehauen ist; nicht weit von hier soll die Wohnung sei ner Geschwister gewesen sein. Bethanien besteht aus Ruinen und Schutt; in einigen Löchern, die man bey uns zu schlecht für das Vieh halten würde, wohnen et- welche türkische Haushaltungen. Der Vornehmste aus ihnen ist Hüter und Wächter an der berühmten Höhle von dem Grabe des Lazarus, um den Caffaro (das Ein- trittsgeld) zu beziehen. Die Einnahme ist gering, aber die wichtigste des Ortes; ich fand den Hüter hart schla- fend auf dem Boden, und hätte ich meinen Vortheilver- fanden, ich wäre gratis durchgekommen. - 1: 5; f :: # g Jeremias Grotte, 333 Unweit dem Thore gegen Mitternacht von Jerusalem ist die Grotte, in welcher Jeremias seine Klagelieder dichtete. Der Ort ist einladend zu ernsten Betrachtun- gen. Eine schaurige Stille waltet unter dem hohen, ge- wölbten Felsen, einzig unterbrochen durch das Girren der Turteltauben, welche in Menge in der Höhe der Grotte nisten. Statt der Klagelieder ertönen jetzt die Gesänge der Munterkeit in dieser feierlichen Gegend; denn im Sommer kommen jeden Abend zur Belustigung und dem Genuß der Kühle die Christen, besonders die Griechen, hieher zu Spiel und Wein; bis spät bleibt der Platz belebt. - Im Kloster ward ich vom Pater Superior freund- fchaftlich und zuvorkommend behandelt. Er führt den Ti- tel eines Reverendiffimo und ist von Lukka; ein feiner, hellsehender und aufgeklärter Mann. Als er mich auf meinem Zimmer befuchte, breitete sich zu meinem Erstaun- tten das Gespräch, welches er anknüpfte, ziemlich um- ständlich auch über das Politische aus. Ich war der einzige Franke, der sich zum bevorste- henden Fest in Jerusalem fand, und es hat mir eines theils selbst leid, daß ich als der Besuchende nicht aus dem hier erwarteten Beweggrund zugegen war. " Ich wohnte einer Predigt bey, welche in italienischer Sprache vorgetragen wurde. Luther und Kalvin (diese Losungsworte zu kleinen Fehden bey Gebildeten und zu Grobheiten bey Ungebildeten) würden, nebst vie- lem Latein, oft wiederholt. Abends befand ich mich in Gesellschaft von mehrern Obern des Klosters, und als über diesen Punkt die Rede war, und man etwas mehr, als mir nöthig schien, jene Namen anführte, bemerkte ich: 334 Viertes Buch. Zehn tes Kapitel. W daß ich das Latein in der Predigt nicht verstanden hätte, was wahrscheinlich der Fall bei den meisten Zuhörern gewesen seyn dürfte; in Beziehung auf Luther und Kalvin aber, so äußerte ich bescheiden aber kraftvoll, wäre wohl nie in der Welt so viel die Rede gewesen, wenn die ächt katholische Religion sich immer in ihrer Reinheit erhalten hätte. - Das Kostüme der hiesigen Türkinnen ist ganz weiß von Wolle; das Gesicht mit einem schwarzen Flor Schleyer verhüllt, ehmals trugen die Christinnen dieselbe Haupt- bedeckung, nun aber ist sie ihnen verboten; aus welchem Grunde, weiß ich nicht, obgleich wohl einer feyn wird." Die gemeinere Klaffe der Frauen trägt blos ein hellblaues Hemde und einen gedruckten Schleyer über den Kopf; letzterer darf selbst bey den kleinsten Kindern nicht fehlen. Die Kleidung der Männer ist lebhaft und nimmt sich fehr gut aus; sie tragen durchgängig gestreifte Röcke *). Von weitem thut dieß nicht üble Wirkung. In ganz Palästina und Syrien ist sie allgemein. E- 10. Geschrieben in Daraoun unter freiem Himmel. Es war an siebenten April, als ich von Jerusalem verreiste. Tags vorher kam die Nachricht von dem Aus *) Diese Streifen haben die Breite eines Messerrückens, bis hinauf zu der Länge eines Schuhes. | f g - Abreise von Jerusalent. 335 bruche der Pest in Jaffa; ich eilte hin, um nicht die andere Hälfte meiner dort zurückgelaffenen Kleider auch noch zu verlieren“). Jch genoß den Vortheil von schönem Wetter, was mir auf dieser Rückreise, die ich zu Pferde machte, sehr wichtig war. Die schönen, feuerfarbenen Ranunkeln, welche zu Hunderten unter des Thieres Huf zerstampft wurden, retten mich sehr. Ich beobachtete überhaupt mehr seltene Blumen und Pflanzen in dieser Gegend, als in Aegypten; besonders eine Gattung Iris, von dunkler, purpurbrauner Farbe, mit hervorstehenden, fammetschwarzem, halbfinger- dickem Kiel; eine ächte Prachtblume, die meist aus kah- lem Felsen proßte. Sonst seltenes Geflügel ist hier häu- fig; oft traf ich auf eine Gattung Perlhühner, die so zahm waren, daß man sie mit Steinen hätte todt wer- fen können. " . - In Rama quartierte ich mich, aus Vorsicht wegen der Pest, in einen Garten ein, und schlief auf dem Boden. Auf dem Wege an diesen Ort begegnete ich mehrern Be- wohnern des steinigten Arabiens; auf dauerhaften Pfer- den reitend schienen sie auf dieselben gewurzelt zu seyn; fie wiegten eine zwölf bis fünfzehn Schuhe lange Lanze, die mit einer scharfen, eisernen Spitze versehen waren, in der Hand; diese Waffe führen sie mit solcher Sicher- heit, daß sie dieselbe auf eine beträchtliche Ferne schleu- dern und ihr Ziel durchbohren. Die Türken fürchten diese Streifer, *) Der Leser erinnere sich, daß ich die eine Hälfte meiner Kleider noch in Alexandrien hatte, - - - - 336 Viertes Buch. Zehntes Kapitel, Vor Jaffa lagerte der Aga, mit dem ich die Reise zu Schiffe gemacht hatte, in einem Zelte; rund herum, in sechs bis acht andern, sein Gefolge, das sich seither vergrößert hatte. Es war sehr kalte und ungestüme Wit terung. Wenn bei uns ein Vornehmer nur Eine Macht zu solcher Zeit auf dem Boden sein Lager aufschlagen müßte, welch ein Jammer wäre das! Die Frau des Äg hatte es nicht beffer. In Jaffa selbst bekam ich schlimmes Logis, um für ein paar Tage eine Gattung Quarantaine zu machen. Von St. Jean d'Akre, wo die Pest schon stark grafierte, ka- men täglich Schiffe mit Pilgern angefüllt an, so daß die Verbreitung des Uebels gewiß schien. Ich war in einer schlimmen Lage; zu Lande führte ein Weg nach dem Gebirge Libanon, wohin, wie man mir sagte, die Pest nie hinkomme; dahin dachte ich nun zu flüchten. Ueber Nazareth hatte ich zwei Tagereisen, aber der Weg war wegen den Arabern fehr unsicher, und Schiffe gingen keine ab, bis nach dem Feste; bis dahin konnte aber die Krankheit allgemein werden. Indeß war an der Sache nichts zu ändern! - - Eines Morgens langte ein Franke, von ungefähr fechszig Jahren, an. Er trug einen zerfetzten Rockle- vantischen Kostüms, halb Seide, weiß und roth gestreift, die eine Hand war verstümmelt, an der er nur drei Fin- ger hatte, und auch diese waren übel beschaffen, der eine seiner Füße, von einer Schußwunde nicht gut geheilt, machte ihm ebenfalls zu schaffen, in der einen Hand trug er einen Stock, in der andern das Testament; seiner schwarzen Krauskopf deckte ein kleines, rundes Käppchen, weiß, mit blauer Verzierung. Ich konnte aus seinen re d d E auli i - tät f Quarántaine in Jaffa. - 337 gelmäßigen, doch nicht Zutrauen erweckenden Gesichtszü- gen, nichts Bestimmtes an ihm entziffern. Sein Blick schien mißtrauisch und hämisch, : Diefer- Mann wollte nach Jerusalem, und durch» streifte schon seit einiger Zeit Syrien. Mit vieler Mühe machte er den Weg hieher zu Fuß; feine Füße waren wund. Nur noch zwölf Stunden vom Ziel feiner Reife, konnt' er nicht weiter und war feine bisherige Anstren- gung vergebens. Man muß wenigstens hundert Piaster an baar in Jaffa erlegen, wenn man nach der heiligen Stadt will, und er hatte nicht so viele Parahs. Eine wahrhaft , verdrießliche Lage *). . . . - - - - Er gab sich für einen Franzosen aus; er sprach ein gebrochenes italienisch, und etwas spanisch; zuweilen schien der Inhalt seiner Rede etwas verworren und ex- centrisch: „Er habe Millionen verloren; hundert tausend Mann in Indien kommandiert, und dergleichen.“ Um nicht mit ihm zu sprechen, that ich, als verstünde ich kein Franzö- fisch, und gab mich für einen Italiener aus. Den gau- zen Tag über lag er auf der Terraffe und las im Testa- ment. Nachts ward ihm unter Dach ein elendes Lager angewiesen. Während dem fünftägigen Aufenthalt in feiner Nähe, redete ich keine zwanzig Worte mit ihm weil ich hier keine Bekanntschaft zu machen Lust hatte. Die ausgebrochene Pest bewog den Pater Präsident, feinen Gefährten, den Pater Curato ( den Pfarrer) in ') Ich bemerkte bei diesem imstande, dem Pater Präsident: daß es mir ein großer Fehler zu fevn schiene, daß nah die Pilger nicht an den Gränzen und zur Zeit hievotik benachrichtige, - - - - M - - # 33s Viertes Buch. Zehntes Kapitel. Quarantaine zu versetzen. Abends jedoch durfte er zum Besuch ins Zimmer kommen, unter der natürlichen Be- dingung, nichts zu berühren; er mußte seinen eigenen Stuhl mitbringen. Dann ward gewöhnlich bis Nachts zehn Uhr geplaudert, mitunter wohl auch die Sagen und Neuigkeiten des Tages dieser Gegend verhandelt; sie ver- riethen meist orientalischen Geschmack: fliegende Reit- ter z. B. erschienen dem Pascha, als er halb wach, te und halb träumte; unterhielten sich mit ihm im prophetischen Gesprächen, wie sie sein Land mit der Pest ziemlich schonen, hingegen Aegypten stark mitnehmen wir den; … dann sollten auch Drachen erlegt worden seyn, wo- zu bald hörbare Stimmen, bald Erscheinungen ohne Laut behülflich waren, u. dgl. Die Herren Patres schienen mir selbst im Zweifel zu stehen, ob sie diesen Vorgängen Glauben beymeffen wollen oder nicht. Kurz, ich merkte, daß ich nicht in Europa war. - Von den Arabern ward von den Ufer des Jordans viel Indigo-Saamen (der nach Kairo und andern Ge- genden Aegyptens gehen sollte ) nach Jaffa gebracht. Diese in Europa kostbare Pflanze soll dort in ungeheurer Menge wild wachsen. Wilde Spargeln kamen täglich auf den Tisch, freylich nicht auf unsere Art zubereitet, aber der gute Appetit ersetzt das Nöthige. w- - - - - - - unvermuthet fand sich eine Gelegenheit, nach sei rut *), wo noch keine Pest war, zu gehen. Ein kleines ) Baruti (Barut). ; er s s / '- Gute Polizey des Pascha von Akrie. 339 Schiff fuhr dahin ab, und ich fäunte nicht, mich dem- felben anzuvertrauen. Die Patres, auf ihr Intereffe be- dacht, ermangelten nicht, sich ihres lästigen Gastes, des verarmten Franken, bey dieser Gelegenheit zu entledigen, und versetzten ihn, zu meinem nicht geringen Verdruß, auch auf das Schiff. Nachdem ich, wie gewohnt, Et- was für die Kirche, als Erkenntlichkeit für die verursachte Mühe, dem Pater übermacht und meinen Caffaro, wegen der Abreise, an die Türken bezahlt hatte, stieg ich Nachts eilf Uhr zu Schiffe. Die ß war so klein, daß man immer die Nähe der Küste beybehalten mußte. Wegen entstandenem Gegenwinde war man bald ge- nöthigt, an das Land zu fahren; es war in einer Einöde, konnte aber jetzt ohne Gefahr geschehen, da der gegen- wärtige Pascha von Akire eine musterhafte Ordnung hal- tet, und den ganzen Bezirk, wo Plünderung oder Mord verübt wurde, dafür verantwortlich macht und hart her- nimmt. Noch vor wenigen Jahren konnte man, ohne Ge- fahr von den Beduinen, die sich überall fanden, überfallen und ermordet zu werden, nirgends an dieser Küste lan- den; meist waren die Bewohner der Gegend mit einver- fanden. - - Der Gegenwind hielt den ganzen Tag an. Das Ge- fade war felsigt und beim Anfahren tief unter Waffer in wenigen Stunden war Ebbe, und man belustigte sich, Austern und andere Schaalthiere, die zwischen den Klip- pen und Felsen zurückblieben, zu fangen. Es war eben Vollmond, wo sie vorzüglich geschätzt find; sie wurden in hohes Feuer geworfen und schmeckten nicht übel. Mein Gefährte fchien von Natur etwas gesprächig zu fehn; oft versuchte er es, eine Unterhaltung anzuknü- 340 Viertes Buch. Zehntes Kapitel. pfen, aber ich ward desto einfilbiger, und somit blieben wir uns entfernt. - Nicht viele Stunden konnte man in der Nacht weiter fahren. Es mußte wieder gelandet werden; ein kleines Inselchen, kaum eine halbe Viertelstunde im Umkreise, diente zur Zuflucht, es war beinahe kahler Felsen, doch fah man etwelche Spuren von altem Gemäuer. Die Schiffleute bedeuteten mir, daß einst hier ein Christ von den Türken wäre umgebracht worden. So viel glaubte ich wohl aus der Erzählung zu verstehen, mehr aber konnte ich nicht inne werden, da ich beinahe nichts verstand. Gleiches Schicksal zu heilen und dabei nicht einmal ein erwünschtes, bringt uns mit Andern näher. Allmählig begann die Unterhaltung mit meinem europäischen Ge- fährten. Ich fand Kenntniffe bei ihm, die ich nicht erwar- tete, und zu meiner Verwunderung entdeckte ich in ihm einen sehr gebildeten Geist. Indes war die Offenbar rung Johannis sein Lieblingsthema; er sah, wie Stil- ling, das nahe Ende der Welt klar aus derselben; weil sagte die Rückkehr der Franzosen in das gelobte Land, u. dgl. Ueberhaupt, wenn hievon und von seinen früher Schicksalen die Rede ward, schien es in seinem Kopf zu fpucken. Dann unterbrach ich schnell das Gespräch. Die Nächte über machte es äußerst kalt, doch lag er ganz un- bedeckt, mit bloßen Füßen aufm Boden, auf welchen fein Lager war. Nie hört' ich ihn weder hierüber, noch über den Mangel an Lebensmitteln klagen;' ich sah ihn nichts effen, als Brod und Zwiebeln, gab ihm auch nichts von dem meinigen, da ich ihm im Kloster einige Piaster zusandte, um sich feinen Speisevorrath damit an zu schaffen, - # / s g # g z Cäsarea di Philippi, 341 Späterhin ging die Schiffahrt beffer von statten, und am dritten Tage hatten wir den Berg Karmel ganz nahe gegen uns über. Bei uns würde er für einen mäßigen Hügel gelten. Seine Abdachung ist nicht gähe, und, wie bemerkt, eine Höhe unbeträchtlich, jedoch mag eine fchöne Aussicht auf derselben feyn; das oben erbaute Kar- melitenkloster ist nur zur Sommerszeit von einem oder zween dieses Ordens bewohnt; unweit von demselben be- findet sich ein anderes zerstörtes Kloster. Als die Diener des Baals hier ihr Wesen oder Unwesen trieben, mag dieser Berg wohl lustiger ausgesehen haben; ich stellte mir denselben angebaut und mit schönen Gebäuden und Tempeln geziert, vor; ich fand ihn öde und kahl, nur hin und wieder von etwas Buschwerk belebt. An seinem Fuße ruhen die Trümmer von dem einst so berühmten Cäsarea di Philippi. Die Ueberbleibsel sind noch ziemlich gut erhalten. Wenige Stunden vorwärts liegt als ein schlechtes Dorf Surr *), und hier war's, wo einst Tyrus glänzte. Etwa acht bis zehn Stunden nörd- licher läßt man Saida liegen, hingebaut auf den Ort, wo einst Sidon prangte. - * Hier also Sidon und Tyrus, einst in ihrer Herrlich- keit! Das Meer war still und der Morgen bestrahlte ru- hig die öde Gegend. Meine geschäftige Einbildungskraft versetzte sich in vergangene Jahrtausende. Ich sah im Geiste die unzähligen Schiffe der belebten Hafen ; fah das Gedränge der Kaufleute, der Künstler und Handar- beiter; fah über all das Gewimmel reger Geschäftigkeit; fah Reichthum und Pracht durch Erwerbsamkeit, wohin *) Surr ist arabisch, und bedeutet so viel als Ruinen. 32. Viertes Buch. Zehntes Kapitel, ich meinen Blick warf; fah die prunkenden Magazine von kostbaren Gold-, Silber- und Seidenstoffen; von herrlichem Purpur; fah Flotten, mit Cedernholz vom Libanon beladen, zum Baue des falomonischen Tempels in der Ferne vor meinem Auge hingleiten. Aber ich erwache aus meinen Träumen und fehe die Wirklichkeit. In dem zu Grunde gerichteten, unsichern Hafen“ schwanken, im Wellenspiel der Brandung, ein halbes Dutzend elende Fischermachen, und die verarmten Einwohner, kaum mit Lumpen und Fetzen zur Noth be- deckt, wandeln traurig umher. Wir landeten in Sidon, um wohlfeile Fische zu kaufen. Eine seltsame Mischung von altgriechischer und gothischer Bauart findet man hier in den noch vorhandenen Wohnungen; in den an sich schon alten Mauern finden sich Säulenbruchstücke aus noch viel älterer Zeit. Kolonnen-Blöcke von vierzig Schuh Länge aus einem Stücke liegen unter den Steinhaufen und Ruinen ehmaliger Kunst, um als Damm die Hütten (Baracken) des jetzigen Saida zu fchützen. Noch heut zu Tage sollen sich in den Monaten April und May die Purpurschnecken häufig hier finden; durch diese Thiere soll das Alterthum die für uns verloren ge- gangene Kunst – Purpur zu färben – auf einen so h- hen Grad der Vollkommenheit gebracht haben, - - - - - - - - - f; d dul Mai is tät z als g" . . . > Achmet - Cesar. - 343 11. Geschrieben in öder und verlaffener Wohnung auf dem Libanon. Schon früher bemerkte ich die hohen, über den Kar- mel und die benachbarten Gebirge, in blauer Ferne her- vorragenden, beschneyten Gipfel des Libanons. Wie mich dieser Anblick ergötzte und an meine Landesgenoffen, die Schneeberge, erinnerte, darf ich wohl nicht erst sagen. Der Anblick von Schnee- und Eisfeldern ist und bleibt immer ungemein fchön und anziehend, und, wenn man ihn seit einiger Zeit vermißte, so wirkt das Unerwartete feines Genuffes, doppelt lieblich. In vertiefter Bucht fah man Akre liegen. Hier hatte die Pest schon stark gefußet, die eigentliche, physische Pest; denn die moralische findet sich im Orient so oft im Kreise der Despoten, die das Land beherrschen und zu Grunde richten, daß ihre Erscheinung nichts Außerordentliches ist, - - - - Der Vorfahr des jetzigen Pascha war Achmet Ee- far, ein eigentlicher Bluthund. Man konnte mir, wo ich hinkam, nicht genug die Grausamkeiten dieses Man- nes schildern. In Akre allein rechnet man einen Dritt- theil der Einwohner, welche er verstümmeln ließ. Da fieht man Unglückliche, die entweder gar keines, oder nur noch ein Auge haben; Andere mit abgeschnittenen Oh- ren oder Nasen, Händen oder Füßen. Die Gelderpreß- ung führte diese Gräuel in ihrem Gefolge, dennoch ka- men im Karakter dieses gefürchteten Menschen auch wie- der Züge von der strengsten Gerechtigkeit in Menge zum 344 Viertes Buch. Eiliftes Kapitel. Vorschein, so daß Mensch und Unmensch, in derselben Seele, neben einander sich zeigten, In dem Hause, welches ich zu Damiate bewohnt hatte, befand sich ein Grieche als Bedienter, seine Fa- milie gehörte einst in Akre zu den reichsten. Sein Vater wurde von dem erwähnten Pascha umgebracht, um sich feines Reichthums zu bemächtigen, und feiner Mutter wurden, um gemuthmaßte, verborgene Gelder zu entde cken, Schlangen in Busen und Katzen in die Beinkleider gesetzt; diese Thiere wurden dann geplagt, bis sie bifen und sich ein krallten. Das ist aus vielen ein Beispiel, wie die Leute von ihm gequält wurden; alle befinden sich in der äußersten Armuth. Der Tyrann besaß eigne Ma- schinen, mit denen er im Nu ein Auge heraus zu zwi- cken wußte ; man brachte ihm deren oft ganze Teller voll. Einem Dutzend seiner Frauen ließ er, auf bloßen Ver- dacht von Untreue hin, die Brüste abschneiden. Doch, wozu diese Anführung empörender Grausamkeiten; ich würde ohnehin nicht fertig, wenn ich die Menge von dergleichen Unthalten, die während seiner Regierung an der Tagesordnung waren, hier namhaft machen wollte. Auch anderwärts in diesen Gegenden findet man Maßregeln, die weniger grausam, aber eben so ausge- fücht tyrannisch sind, um sich Geld zu machen, und die man in Enropa nicht kennt. Z. B. in Jaffa erhielt die Regierung eine starke Schiffsladung Eisen, die sie zu übertriebenen Preise absetzen wollte; da sich Niemand fand, welcher davon kaufen wollte, so ward das Eisen auf die Einwohner, den Schneider soviel, den Schulter foviel, dem Kaufmann soviel u. . w. verheilt; ohne Wi- derrede mußte der jedem zugetheilte Antheil angenommen - : F: i # g s z z: - Bey rut. 345- - und fogleich bezahlt werden. Jetzt natürlich wußten die Leute nicht, was sie mit dieser Waare anfangen sollten, auffer fiel wieder zu verkaufen; aber kein Käufer fand sich; auch nicht um den halben Preis. Als dieser nun beynahe zum Nichts heruntergesetzt ward, kaufte die Re- gierung das Eisen wieder an sich, - - - Den neunzehnten April, es war der Ostermontag Morgen des Jahrs 1813, landete man endlich in Bey- rut, einer nicht unbeträchtlich großen Stadt. Auch hier finden sich Spuren der rollenden, Alles umwälzenden Zeit. Ueberreste aus der ältesten Zeit scheinen es anzu- deuten, daß dieser Platz einst wichtig gewesen feyn müffe. Die Stadt ist beynahe ganz von Christen bewohnt, und ein anderes Menschengeschlecht macht hier mit den wilden Bewohnern von Palästina einen auffallenden Abstand, der sich bis auf die Hunde herab, die den Fremden unange- fochten laffen, erstreckt. Von hier, und schon weiter vor, beginnt das Gebirge des Anti-Libanons, und tiefer hin des Libanons selbst. Der Drufen. Fürst regiert diesen - Bezirk. Christen machen die eine, Drusen *) die andere Hälfte der Bewohner dieser Gebirgskette aus. Es sind arbeitsame Völker, weit mehr als die Türken, vertragsam und friedlich leben hende Theile neben und unter ein- ander, " In Beyreut haben die Kapuziner ein … Kloster, in welchem die reifenden Franken, wie gewohnt, Quartier *) Götzendiener. 346 Viertes Buch. Eilft es Kapitel. finden; es waren nur zwey Patres darinn, ein Korse und ein Franzose. Letzterer war ein abgesoffener, nei- discher, gehäßiger und halbkindischer, alter Mann; der Empfang entsprach keineswegs dem Karakter ihrer Miss fion: %) La peste vous nous portez au couvent, la peste vous nous portez, vous autres!“ schrie anhaltend der gallsüchtige, zänkische Alte. Der Korse hingegen machte Zeichen, nicht zu antworten, und öffnete verstohlen eine Zelle, die ich sogleich bezog; der Alte tobte vor der Thür re, und trachtete mich herauszupoltern. Meine Geduld ging zu Ende, und ich antwortete im gleichen Tone, stimmte ihn noch um eine Note höher, so daß er rath- fam fand, sich zurückzuziehen. - - - Mein Reisegefährte war sehr befremdet, mich in feiner Sprache haseliren *) zu hören, da er vorher nicht ein Wort französisch von mir vernommen hatte. Das un- würdige Betragen der Paters ging ihm näher als mir, er ging weg, und ich fah ihn den ganzen Tag nicht wie der; dieß that mir leid, denn ich genoß auf die Letzte in einem unterhaltenden Umgange manche Annehmlich keit, - - - Abends bei der Dämmerung erhielt ich von ihm ein kurzes, gut stylifirtes Billet; die Handschrift war schön und folgenden Innhalts: „Daß er lieber unter freiem Himmel übernachten wollte, als bey solchen Menschen um ter einem Dache, dankte für meine Freundschaft, und bat mich um die Zahl 666. *) - " . . 1 *) Toben und fchelten mit Worten. *) Die bekanute Stelle in der Apokalypse Cap. XIII. v. 48, wo diese Zahl vorkömmt, wußte er nämlich auf } je 11 1. tät # s g z Capuziner-Kloster. 347 Als ich noch las, trat er selbst in das Zimmer, und bestätigte das Geschriebene; ich drückte ihm noch ein Reisegeld in die Hand, das er, obgleich desselben froh, dennoch halb beschämt annahm. Noch in der gleichen Viertelstunde ging er fort; ich wäre ihm nachgefolgt oder vielmehr ich hätte dieß noch früher gethan, wenn ich Pferde zur Fortschaffung meiner Effekten würde, bekom men haben. Er selbst hatte nichts, als was er in einem zerriffenen Nastuch Zerriffenes mit sich trug. s Wenn Klöster Wohnungen des Friedens feyn sollen, fo entsprach dieses keineswegs feiner Bestimmung: denn nicht einmal Waffenstillstand fand zwischen den beiden erbitterten Bewohnern dieser Einsamkeit statt, und der Korf versicherte mich, daß dieß vom ersten Jänner bis zum letzten Dezember der Fall fey. - Am dritten Morgen war das erste Wort des Paters: - „daß die Pest ausgebrochen und eine Mohrin daran ge- storben fey.“ Er rieth mir: fchnell zu fliehen, „denn, fetzte er hinzu, „fobald der Fürst des Gebirges die Nach- richt davon erhielte, so besetze er die Gränze und Niemand könne unter keinem Vorwande mehr durch.“ Ich folgte gutem Rathe und reiste den gleichen Abend noch ab; das Dorf, wo ich beim Pfarrer übernachten sollte, war nicht weit entfernt, und der Weg längs dem Meere hin, durch eine schöne angebaute Gegend, sehr angenehm; ich machte ihn zu Fuß, und hatte, zum Theil als Wegweiser, zum Theil als Gesellschafter, einen Franken bei mir, eine ausgezeichnete Person zu deuten; ich hatte ihm während der Reife eine 2te Bedeutung bekannt gemacht, und diese wünschte er jetzt, - - - - - - 34s Viertes Buch. Eilft es Kapitel. der als Uhrmacher in Beyrut fein Wesen trieb. „Seine Frau und Töchtern blieben in Alexandrien, wo sie auf ei- nem (wie er sich ausdrückte.) glänzenden Fuße lebten.“ Er war aber das ächte Gegenstück von einem folchen; zer- lumpt, hungrig, elend, fchien er kümmerlich sein eignes Dafeyn zu fristen. Seine prahlerischen Bemerkungen ha- ten mir deswegen um so mehr leid. Der Mann wurdt redselig, und erzählte feine und anderer mit ihm Ent- wichener Geschichte; ohne daß er's wollte, erhellte aus feiner Erzählung so viel: daß er sich mit einer Gesel- fchaft von Spitzbuben in Triest aus dem Staube macht, und von Uhren mit sich nahm, was sich in feiner Werft stätte von Freund und Feind vorfand; feine Kameraden, wenn nicht diebischer, doch verschmitzter als er, prellten ihn, wie er geprellt hatte, und der Tropf blieb endlich ohne Heler. - - - Ueberhaupt giebt es Geschichten von europäischen Abentheurern und Glücksrittern in der Levante die Men- ge? und welche Geschichten, . . . solche, wie man sie in den buntesten Romanen kaum findet. Hier ist das wahre Tummelfeld dieser Menschenklaffe, und ich hatte den ganzen Weg durch reichen Stoff zum Lachen, . Die Nacht rückte heran, als wir das Dorf erreich ten. Zu äußerst auf dem Felsen liegt das Haus des Geis- lichen; unten plätschert das Meer; rund um ist eine schöne Aussicht. Der Pfarrer, ein nicht mehr junger aber jovialischer Mann, bewillkommnte mich freundlich, desto unfreundlicher aber fein ältester Sohn, ein Mensch von heyläufig achtzehn Jahren. Ich fand diesen ein Stück Weges vor dem Hause, und er ging mit mir bis hinein, Sein Vater langte eine Hundspeitsche von der Wand und - - i „k f seit f (l. zur g: z- zei Katholische Geistliche, verheyrathet. 349 U hieb ihn über Kopf und Gesicht, wo es hintraf, warum? wußte ich nicht. Mit Noth konnt' ich wehren, indem ich zu verstehen gab, das Haus sogleich zu verlaffen, wenn er mehr fchlüge. Der Friede ward endlich hergestellt, , Dieser katholische Maronitenpriester hatte acht oder zehn Kinder. Hier in der Levante sind, die katholischen Pfarrer meist verheyrathet, indem ihnen dieß von Rom aus bewilligt ist, Seine Frau bereitete vor dem Hause das Effen zn, so wie es hier üblich ist; man weiß wenig, was Küche heißt; drey Steine nebeneinander, den Topf darauf, und die Küche ist sogleich fertig und überall hin brauch- bar. Man war munter, ohne sich viel verständlich ma- chen zu können, da er das Italienische nicht besser als ich das Arabische sprach. Man schlief auf dem Boden. Am folgenden Morgen vor Tag, hatte die Abreise statt. Der Weg führte längs dem Meere hin. Gleich außer Beyrat finden sich wieder christliche Gebräuche. Von einer halben Stunde zur andern findet der Reisende Tafernen, wo er gegen Bezahlung Wein und Brod, oft auch Käse und Fische haben kann. Schöne Bequemlich. keit, statt darum zu bitten, mit Zwang zu genießen und doppelt zu bezahlen. - - - In wenigen Stunden hatten wir die Gränzen des Gebietes des Pascha von Akre erreicht. Ein Strom theilt es von den des Fürsten der Drufen. Die schöne Brücke führt bis an den Fuß des Gebirges. Der Herr dieses beträchtlichen Bezirkes von Syrien residiert in Dèrka - Im er *). Das Ganze ist in eine Menge kleinere Abthei- *) Dér, Kloster, El Kamer, der Mond, 350 Viertes Buch. Eiliftes Kapitel, lungen zertheilt, die dann wieder von untergeordneten Fürsten regiert werden und dem obersten derselben Re- chenschaft abzulegen haben. Er selbst, der Emir, Ulb- fchir ist fein Name, ist feit nicht langer Zeit ein Christ, obgleich heimlich. Das bevölkerte, überall bebaute Land fcheint fein Lob, d. h. feine gute Regierung zu ver- künden, Es rückte gegen Mittag, ich hatte warm, und la- gerte mich bey der letzten Taverne am Meere, ehe das Steigen begann. - - - Auf einem Pfade, der nur für Ziegen gangbar schien, kam ein Reuter auf einem zierlichen Rappen die Höhe herunter, hinter ihm ein Bedienter, ebenfalls zu Pferd, Er stutzte, als er mich fah, und erkundigte sich bei mei- nem Mukro *), so viel ich wahrnehmen konnte, über meine Person. - - Nach Rede und Widerrede schien er zufrieden. Ich bot ihm ein Glas Wein; verbindlich that er einen Schluck daraus und gab es mir zurück. Der Mann war sehr reich gekleidet, und hatte schöne, liebliche Gesichtszüge; er verabschiedete sich freundlich und ritt weiter. Es war der Fürst des Bezirks. Vier und zwanzig Stunden später, und ich hätte nicht weiter können. So wachsam und gut unterrichtet waren die Behörden von Allem, was in der Nähe vorfiel; auch scheint es, das die Fürsten hier zu Lande das Selbstrekognostiren als eine Pflicht ansehen, die zu ihrem Berufe gehört, *) Treiber; Beforger der Pferde, Esel, i u - g Kloster Chariffa, auf den Libanott. 351 Jetzt ging es sehr steil Bergan nach dem Kloster Chariffa, welches man mir als einen fchönen, ruhi- gen und geräumigen Aufenthalt schilderte. Hier war ich Willens auszuharren, bis die Pest vorüber wäre, um dann ohne Gefahr nach Europa zurückzukehren. - 12, Ich bestieg den Berg zu Fuß und langte fast eine Viertelstunde vor meinen Pferden im Kloster an. Alles war offen, und im Hauptzimmer lag der Tisch überdeckt von leeren Schüffeln und Trinkgeschirren; ein Pater lag halb auf dem Boden, halb auf einem Kanapee und schlief sehr gut. Auf den Tische und unter dem Tische lagen Kräuter, Bohnen und anderes halb verwelktes Zeug; die Reinlichkeit schien nicht eigentlich hier zu Hause zu fyn, aber die Lage kam mir unvergleichlich schön vor, Ich zog mich stille zurück und genoß von der Teraffe aus, die mit Quadern köstlich bedeckt ist, und auf wel- cher man bei dreißig Schritten in die Länge spazieren konnte, der himmlischen Aussicht. Diese Lage hat etwas Vergleichbares mit derjenigen vom steinernen Tisch auf dem Buchberge *), nur daß hier, statt wie dort blü- hende Ortschaften sich aneinander reihen, blos wenige Ueberbleibsel ehemaligen Wohlstandes sichtbar sind. Das einzige Beyrut mit feinen belebten und reizenden Umge- *) Dieser Ort liegt zwischen Stad und Rheineck, im Kan, ton St. Gallen. - - - 352 - Viertes Buch. Zwölftes Kapitel. bungen macht eine Ausnahme, und hebt sich schön in der Morgensonne, entlang dem Meere, heraus. In der zweyten Bucht bedeckt ein vorragender Hügel den Kar- mel und die unten liegenden Ruinen von Tyrus und Sidon. Bey hellem Wetter entdeckt man mit unbewaff- netem Auge das gegenüber liegende Cypern, und links sieht man die Lage von Tripoli; - einige Gipfel des b- fchneyten Libanons glänzen auf der Mittagsseite, und in tieferm Grunde, rund umher, hebt sich auf jedem Hü- gel ein Kloster, romantisch gelegen, empor. Ich entdeckte mehrere Dutzend von meinem Standpunkte aus, um und um in der Nähe derselben die Häuschen von Christen, die sich da angesiedelt haben. e-messey------ Ich war im Garten, jetzt kam der Pater, und siehe da! mit ihm mein Reisegesellschafter von Jaffa aus. Ich bat den Erstern um Aufnahme und Wohnung in einem Kloster; er anerbot mir beides auf ein halbes Jahr, wenn ich wolle, es feye Platz und Gelegenheit dazu da, u. f. w.; ich dankte ihm und bezog meine Zelle; voll Letzterm und dessen sonderbaren, wahrlich harten, Schick falen, will ich hier, da ich wieder auf ihn zu sprechen komme, einige nähere Umstände angeben. In seinem Billete unterschrieb er sich Louston an. Pierre war ein Taufname. Als Jüngling ging er nach Indien, und arbeitete sich im Militairdienste bis zum General empor. Die Staaten des Großmoguls waren im Bezirk einer Wirksamkeit, und er befreite den jetzt Nähere Notizen von Loustyna u. 353 kegierenden, nebst ein und zwanzig seiner Brüder aus der Gefangenschaft. - - Es gränzt an das Delirium eines Verrückten, wenn in der jetzige Bettler in seinen Lumpen sagt: „wie er über , Millionen Piaster zu verfügen gehabt habe; oder wenn er von seinem Gefolge, seinen Armeen, gelieferten Schlach- ten, von seinen gewonnenen und verlornen Ländereyen spricht. Er hatte, einzig um seine Pfeifen zu stopfen und in Ordnung zu halten, zwei Bediente, und jetzt nicht mehr so viel Geld, um sich Taback zur Füllung einer zu in verschaffen! Das heißt wahrlich den Wechsel des Glückes im höchsten Grade erfahren. - Vor ungefähr zwanzig Jahren zog er sich aus In- dien mit feiner Gemahlin und zehn Kindern, ungeheuer reich, zurück. An der Gränze von Spanien erkaufte er sich Güter, und verwendete einen großen Theil seines Reichthums auf die Erbauung einer kostbaren Eisen- schmelze und mehrerer Prachtgebäude. Von der französi- - schen Regierung gelangte, nebst andern vortheilhaften Anerbietungen, auch die an ihn: als Konsul nach In- dien zu gehen; er lehnte Alles ab, indem er in seinen Besitzungen leben konnte, bie ein Fürst. Dem General Lannes verkaufte er ein schönes Landgut; er hatte “ mehrere Unterredungen mit Napoleon. – Der Krieg mit Spanien brach aus; ein Truppencorps dringt vor, sengt und brennt eine Besitzungen vom Boden weg; er selbst wird als Gefangener in das Innere des Landes geschleppt; von einer Festung auf die andere gebracht; rein ausgeplündert, den Hunger und Mangel Preis ge- geben, und so ins höchste Elend gestürzt. Nicht Einett Z 354 Viertes Buch. Zwölftes Kapitel. Buchstaben konnte er während vier Jahren den Seinigen Nachricht von sich geben, und er keine Sylbe von ihnen erfahren. Seine Familie war etliche zwanzig Stunden vom Kriegsschauplatze entfernt; seine Frau starb früher, und all der Trupp Kinder blieb ohne Beistand. Aus sei ner Gefangenschaft vor Majorka gelang es ihm zu entwi- fchen und nach Aegypten zu flüchten; später zog er nach Syrien, wo er nun feit einem Jahre sich kümmerlich durchhalf. Die ß war das Schicksal Louston au's! -- -m- Die Lage des Klosters Chariffa war, wie ich schon bemerkte, sehr angenehm. Die Ruhe und Stille der er- habnen Natur auf Libanons Höhen paarte sich so schön mit der Einsamkeit eines Klosters, und war mir erwünscht. Indeß war der Pater ein Mann von heftigem, choleri- fchem Temperament, der die freundliche Stille oft vor dem grauenden Morgen unterbrach, ja es begegnett zu weilen, daß sie vor Anbruch der Nacht nicht mehr herg- stellt werden konnte. Solchen Lärm machte sein Unter- richt, den er seinen Beichtkindern gab, und welchen er so kräftig zusprach, daß ich froh war, nicht unter die selben zu gehören, Im Klostergarten gab es auffer Bohnen und Salat nichts Genießbares, und der Pater machte, seiner Aus- fage zufolge, oft Wochenlang kein Feuer an. Er lebte einzig von rohen Vegetabilien; ich veränderte diese L- bensart in Etwas, und Loustonan zürnte es nicht, Ehe- Ilt, 1, F: d, N, 3% z- # - # Proselytismus. - 355 deffen ließ er sich von einer Heerde von Köchen bedienen, jetzt war er froh, den Koch machen zu können, denn er war in Lebenslagen gekommen, wo ihm selbst der Stoff zum Kochen mangelte; ich räumte ihm gerne den Rang ein, ging aber späterhin, um mit mehr Appetit zu ge- nießen, weniger in die Küche. - Schon früher erfolgten etwelche Diskussionen religi- ösen Innhalts, und ich kann nicht umhin, den guten Willen anzuerkennen, den man sich gab, mich auf andere Ueberzeugungen zu bringen; fchon auf den Inseln des Archipels, in Alexandrien, Jaffa, Jerusalem hatte man Versuche gemacht, mir einen richtigern Weg zum Heile anzuweisen. Bescheiden und meiner Lage angemessen, ausweichend, jedoch erkenntlich für den guten Willen, waren immer meine Antworten. Auch hier beobachtete ich diesen Grundsatz; desto weniger beachtete denselben mein Gefährte Loustonau, der einst eine Gesellschaft Patres, die aus dem benachbarten Armenier-Kloster Krem zum Besuche kamen und mit ihm über Bibelstel- len stritten, im Zorn die Worte hinwarf: „siete ignoranti tutti!“ ich winkte ihm auf die Seite und bedeutete ihm die Wahrheit des kurzen Sprichworts: „Hitzig ist nicht witzig.“ Aber es ging mir wahrlich wie Gellerts Bube, als er wegen der Schneegrube moralisierte und am Ende selbst hineinsprang; denn nach acht oder zehn Tagen fing mir das unaufhörliche Vorrupfen: „, daß ich verdammt fey und bleibe, so wie Alle, die meines Glaubens eyen,“ an zu langweilen, und ich rückte allmählig, da sich der Pater so wenig Zwang anhat, auch mit der Vertheidigung mei- mes Bekenntniffes gegen das feine und ein paar - 355. Viertes Buch. Zwölftes Kapitel. Male, ich gestehe es, blieb ich auch nicht in den Schran- ken der gehörigen Kaltblütigkeit; doch ward am Ende der Streit immer noch Scherzweise abgethan, und ich ahnte nicht, welche wichtige Folgen doch noch daraus entstünden. - - - – Loustonau hatte in Rücksicht der Fasten und der öf tern religiösen Funktionen oft schlimme Zeit. Er war ganz Militair, wußte ehedeffen vom Fasten gar nichts, und von den letztern nur wenig. Jetzt sollte er sich in beyden strenge üben. Bey mir konnte er sich dann in Etwas entschädigen, indem er seinem Witz über die Toll- heit der Patres und die Dummheit der Zuhörer freien Spielraum gestattete. Er besaß wirklichen Witz und fran, zösische Laune, in guten Sinne des Worts, und ich konnte es ihm nicht verargen, wenn er bald schimpfend, bald spottend weitläufig auskramte, wie der Pater eine Predigt von drei Stunden gehalten und sich heiser ge- schrieen habe, während Niemand in der Kirche gewesen fey als er (Loustonau), der kein Wort arabisch ver- fund, und noch drei oder vier Esel, wenigstens hätten sich diese von den vierbeinigten durch wenig anderes merk lich unterschieden, als daß sie kein Heu fräßen; dann rühmte er die List, mit welcher der Pater die Leute zwin, ge, seinen ganzen Salm anzuhören, indem er die Messe in zwey Theile abtheile, und den letzten bis nach Predigt verspark, u. dgl. Wirklich waren die Beicht- kinder, welche hieher kamen, die ungezogensten Schlin- gel, von der Welt; dumm und unverschämt im gleichen Grad, und ihr Seelsorger wirkte mit feinem Schreyen und Kratölen wenig auf ihr Alenferes und Inneres, t Lebensart im Kloster, 357 16, denn ich sah sie oft lachen und die leichtfertigten Poffen an hinter seinem Rücken treiben, wenn sie zur Kirche l, t gingen, -- d - - s «- - - Ich fandte alle drey oder vier Tage einen Expreffen nach Souk, einem Dorf, das anderthalb Stunden vom Kloster Charif entfernt ist, um Lebensmittel daselbst zu holen, weil in der Nähe wenig zu haben war, und der Fürst des Gebirges der Drufen, alle Päffe durch eine - A“. - A. Menge Wachen unterbrochen hatte, da die Pest in Bey- rut überhand nahm. ", : Pillau, Fleisch, Eier und Hühner ward abwechselnd - aufgetischt; eine vor allen beliebte Speise war Reis und Milch; diese letztere fand sich aber selten, indem keilt " Wienachs auf den Antilibanon, noch weniger auf den Libanon selbst ist, sondern die Ziegen nur kärglich ihr - - - Futter finden. Der einzige Hirt, welcher in der Nähe war, verheilte eine Milch nach Gunst; das halbe Dorf - - lief ihn zu;, die übrigen, entferntern Hirten steigerten - den Preis der Milch; den ersten Tag, als dieser es " auch hat, verunglückte seine beste Ziege, und am näm- lichen Tag fetzte er den Preis der Milch wieder herab . . und steigerte um keinen Heller seitdem wieder. Daher 5 nun eine starke Kundsame und die guten Worte, welche ihn gegeben wurden, d ihm auszurichten war. - - - z- a mit mehrerm Geld nichts bey, 358 Viertes Buch, Dreyzehntes Kapitel, 13. Vor fünf und zwanzig Jahren, als ich zum ersten Male in Sizilien war, und während einem Aufenthalte von drei Monathen kein Wort französisch sprechen durf- te, obgleich meine Hauptempfehlungen an ein französ- fches Haus gerichtet waren, besuchte ich aus gleichem Beweggrunde und demselben Grundsatze die Messe der römisch -katholischen Kirche, und unterzog mich dem dort herrschenden Religions-Ceremoniel, indem ich das Kreuz- fchlagen nachahmte. Jetzt finde ich, daß mit dem Alter das Moralische gleich dem Physischen unbiegbarer wird, Leicht bequemte ich mich damals als Jüngling von etlich und zwanzig Jahren zu dieser mir angerühmten Klugheit, Nun näher den Fünfzigen, ward mir die Befolgung dieser Klugheitsregel auf dem Libanon theils beschwerlicher, theils darum widriger, weil ich sie nicht mehr aus Grund- fatz befolgen konnte; zudem kannte ich Rom und Jerusa- lem, war an beyden Orten so behandelt, daß ich an Neº- benorten nichts glaubte befürchten zu müffen, wenn ich daffelbe Benehmen und Betragen beobachten würde, wie in jenen beiden berühmten Städten; ich berechnete nicht, daß beyin Militair ein isolierter Hallunke oft mehr Uebel stiftet, als die ganze vorüberziehende Armee unter den Befehle biederer und lobenswerther Obern. Kurz, vierzehn Tage auf den Tag nach meiner Ad- kunft kam Mittags der Pater Vinzenzo *) nicht zum *) So fein Taufname. Er mochte 34 bis 36 Jahr alt sein, und war aus der Gegend von Ankara gebürtig. Veränderte Gesinnungen. 359 Effen. Ich muthmaßte wegen Geschäften, wie es denn schon oft früher der Fall war, daß eine Stunde und noch länger auf ihn gewartet wurde, endlich aber rückte in Loustonau mit eigentlich aufrichtigem Leidwesen heraus: daß der Pater mich als einen Exkommunizierten *) an- sähe, er fände hiezu eine Gründe im Evangelisten Jo- hannis u. dgl.; er habe den Auftrag, mir mein Quar- tier aufzukünden.“ --- Es bedurfte nicht so viel, um mir begreiflich zu ma- chen, daß ich für fernern Aufenthalt lästig feyn könnte. Aus vielleicht übertriebener Delikateffe faßte ich sogleich den Entschluß, mich für immer zu entfernen, obgleich es hier schwerer als anderswo hielt, mir weiter fortzuhel- - fen. Die Schwierigkeiten lagen in den gänzlichen Man- gel an Bekanntschaft, an Sprachkenntnis, und dann darin, daß ich gerade im Zeitpunkte der Pest fort sollte, wo Niemand unterkommen konnte, weil man in nicht un- begründeter Besorgniß lebte, man komme von Beyrut, oder einem andern verdächtigen Orte. Demungeachtet gab ich Loustonau die Antwort: daß ich binnen zween oder drei Tagen das Kloster verlaffen würde, auch wenn ich alsdann unter freyem Himmel, mein Lager aufschlagen müßte. Indeß legte mich dieser Vorfall schlaflos; nicht darum, weil ich auf bloßer Erde liegen sollte, denn unter freiem Himmel fchlief ich ja schon oft, und so ruhig, wie auf Polstern, sondern weil mich das Verfahren: „ unter dem Vorwande von Religio- fität mich fortzujagen,“ empörte. Ich hatte Niemanden *) Also geächtet von einem Manne, der mich nicht rich- ten konnte, da ich nicht zu feinem Orden gehörte, 360 Viertes Buch. Dreyzehntes Kapitel. beleidigt, weder mit Worten, noch mit Werken; Mit- man den Unrecht gethan, auch nicht einmal in Gedan- ken; und dennoch ward ich wegen Irreligiosität ver- dammt, - --- Jetzt galt es, mich nach etwas Anderm umzusehen und herum zu laufen. Auf Libanons höchsten Spitzen, wie in den tiefsten Klüften dortiger Gegend fanden sich Klöster; unermüdet rannte ich hergauf und bergab. Andre Hoffnung, als in einem Kloster unterzukommen, hatte ich keine, aber wie schwankend selbst diese Hoffnung! Mir- ' gends verstand man meine Sprachen, und ich nichts von der Landessprache, Im Armenierkloster Krem ward ich freundlich auf genommen und bewirthet; zwey Patres sprachen italie- nich, und es ward mir von ihnen, da sie selbst keine leere Wohnung im Kloster hatten, angerathen, mich an den Erzbischoff des Maronitenklosters Bak lusch zu wenden. - So gerne ich noch hingegangen wäre, so war den noch nicht möglich; theils lag das Kloster zu entfernt, theils war ich zu ermüdet. Von meinen Stiefeln, o, davon mag ich gar nicht reden! Seit acht Monaten, ohne sie zu wechseln *), trug ich sie; sie waren ganz *) Die gelben Stiefeln und roten Sandalen taugen nicht auf den Libanon, wo die Pfade über zackigte Felsen und Steine führen. - s - / Nähere Erklärt ngen. 36. durchlöchert, und ich war in dieser Rücksicht so schlimm, daran, daß ich kaum mehr ausgehen durfte. " Es versteht sich von selbst, daß ich den Pater Vin, zenzo vom Kloster Charija fo auswich, wie er mich, doch wünschte ich ihm noch zu sagen, daß ich, sobald ich Quartier hätte, sein Kloster nicht mehr entheiligen wolle. Es geschah diese Erklärung vor der Kirchenthüre, da „ warf er mir vor: - + Ich glaube nicht an die heiligen Sakramente. « '' “ Ich versicherte ihn vom Gegentheil. - - “ . Ich mache nicht das Zeichen des heiligen Kreu- 1, d , Ich erwiderte: daß dieß nirgends in der Bibel \. „ von Christus befohlen wäre, und ich sähe dies als eine Nebenfache an. - - „Ich gehe nicht in die heilige Meffe. « tät Es sei dies bei uns so wenig als bei meinen Glau, bensgenoffen, den Engländern *), üblich, „Deß wegen geht ihr mit ihnen allen zum Teufel t. schrie er wie rasend, und fchmetterte die Kirchenthüre vor mir zu, " - - - - - An folgenden Morgen fitchte ich den Weg nach Baf- lusch. Dies war immer eine mißliche Aufgabe, da ich - - von dem harten Arabischen fo wenig verstund, und nur “ wenige Worte dieser Sprache kannte. Endlich erreichte * ich doch dieß Kloster, welches ganz in der Tiefe, und, “ nur eine kleine Stunde vom Meere lag. - - - - - - Schon von Ferne, nahm ich Betriebsamkeit und Ar. beitsamkeit in dieser Gegend wahr. Die Mönche pflanz- - - - - - - - - 9 3 fest dies alschlich mit Astra in - 362 - Viertes Buch. Dreyzehntes Kapitel ten ihre Gärten, beschnitten die Maulbeerbäume, und verebneten einen höckerichten Platz; die ganze Umgebung war für das Landwirthschaftliche in dieser Gegend treff, lich benutzt, während Chariffa in glücklicherer Lage einer Wüsteney glich. Freundlich bewillkommten mich die thi- tigen Mönche; aber ach! der Erzbischoff war abwesend, und keiner von Allen hatte eine andere Sprachkenntniß, als die des Arabischen. Man denke ich meine Lage! Die Ordensmänner wiesen mich in ein anderes Kloster, zu oberst auf dem Berge, wo man mir sagen könne, wo der Erzbischoff fey. Soviel glaubte ich wohl aus der unbekannten Sprache enträtseln zu können. Seit bald zwey Mal vier und zwanzig Stunden hatte, ich nichts genoffen, als trockenes Brod, das ich auf mei- ner Zelle hatte, da ich nicht mehr in die Küche des Klo- fers gehen wollte; der Verdkuß und Unmuth machte mir den Genuß der Speisen entbehrlich; zudem war ein fünf zig- bis fechzigstündiges Fasten eine kleine Entbehrung für mich. In unserer Gegend (nicht in Arabien) möchte man wohl schwerlich Jemand finden, der in dieser Rück ficht weniger Bedürfniffe hätte, oder unabhängiger von . Magen wäre. - Die mir hier bewiesene Freundlichkeit wirkte sowohl thätig auf mein Gemüth, daß ich gerne die dargebotenen Speisen und den erheiternden Wein annahm. Man wird selten ein besseres Gewächs in Europa findet, als der treffliche Wein des Libanons ist. Bergauf arbeitete ich mich also wieder, um zu den angewiesenen Kloster zu gelangen; von diesem ward ich wieder weiter in ein anderes gewiesen; bis Abends das it "- Der Erzbischoff auf dem Libanon. 353 erte mein vergeblicher Marsch; die Bewohner des letztern gaben mir aber einen Führer, und ich gelangte endlich zu der Wohnung des Vaters des Erzbischoffs. In zahl- reicher Menge faß die Familie auf einem Felsen. Der Erzbischoff beschäftigte sich eben mit Schreiben *). Welche Freude durchzückte mich, als er mich italie- mich anredete! Ich begann zu erzählen, äußerte: ich sey ein Christ; „ma“, und ich hielt scheu inne, „ manon catolico!“ fiel er ein. Ich bejahte; aber mit offener, heller Stirn bezeugte er mir: „die Erste Pflicht des Chri- fen wäre die, den Menschen zu sehen und nicht seine Meymung. Ich athmete wieder freyer , und erzählte ihm die Behandlung des Paters; dann schloß ich mit der Versicherung: daß ich die katholische Religion aufs Beßte zu kennen glaube, daß ich aber versichert fey, Pater Vinzenzo habe dieselbe in Beziehung auf mich, nicht nach ihrer Würde geübt. „Nein, wahrlich nein!“ erwiederte er, „aber,“ fetzte er hinzu, „beruhigt euch, nnd für Al- les laßt nur mich forgen. “ Mit welcher aufrichtigen Empfindung ich ihm dankte, läßt sich leicht denken. Er entschuldigte sich nun, daß er in seinen Geschäften fortführe. Bis zur Abenddämme- rung beantwortete er Briefe, die ihm, nachdem sie durch *) Er schrieb nach asiatischer Manier, ohne Tisch, anfm Boden, mit übereinander geschlagenen Beinen, das - Papier in der einen, die hölzerne Feder in der andern Hand, von der Rechten gegen die Linke, wie die Tür- ken und Perfer, die Schriftzüge führend. 364 Viertes Buch. Dreyzehntes Kapitel, den Effig gezogen waren *), nach und nach gereicht wurden ; er arbeitete mit Leichtigkeit, und als man aufbrach, wollte er mich sogleich mit sich nehmen, um in feines Vaters Hause zu übernachten. Ich verdankte ihm die Güte, bat aber zurückgehen zu dürfen, um mich Uebermorgen einzufinden, da es Morgen Sonntag und mithin nicht schicklich fey, mit Felleisen u. dgl. aus ziehen. - * - - - - - Chariffa wieder ankam. Schon früher hatt' ich den Pl ter um ein Zeugniß ersucht, daß ich über zwei Woche in seinem Kloster gewesen “), und daß er mir wegen Verschiedenheit unserer religiösen Meynungen den Aufent- halt darinn aufgekündet habe. Ersteres schlug er trosig ab, und wegen Letzterem, das er mit einem Schimpf men belehrte und wobey er Luther und Kalvin aus der Hölle zitierte, äußerte er: „daß es dergleichen nicht brauche.“ Daß er mir dieses verweigerte, konnte ichei nem Fanatiker leicht verzeihen, daß er mir aber das et“ fere Begehren abschlug, verrieth eigentliche Bosheit, Es war Sonntags Nachmittag, den neunten Mal, als ich in das Hauptzimmer ging, um beide erwähnte Gesuche bey ihm zu wiederholen. Ich nahm mir vor auf jeden Fall gefaßt zu bleiben; einige dreißig Bl“ fche, meistens Buben von acht bis zehn Jahren umgeht." *) Eine Verrichtung, die unsere Tinte wohl kaum a - hielte! - - - *) Dies war nöthig, um wegen der Pest eher unter" - - - " - - - - - - - kommen, - - Es war schon Nacht, als ich mit frohem Muthe in i dür Mit z: : …" # Gänzlicher Bruch mit Pater Vinzenz. 365 ihn *); die Unterredung dauerte nicht lange; kurz und trocken von meiner Seite, lärmend und polternd von feiner, ward die Sache bald abgethan; wie ich vorher muthmaßen konnte, geschah's; mein Ansuchen wurde wieder abgeschlagen. Ich war eben im Begriffe von ihm wegzugehen, als er mich beschuldigte: ich hätte ihm eine Gattung Kornblumen, die er Rosen nannte “), in fei- nem Garten ausgeriffen und zerstört." - - - - - - - - Während meinem Aufenthalte in Chariffa gab ich den Pater nie einen Anlaß, mich einer Niederträchtig- keit zu beschuldigen: nun bei dieser tückischen und hä- mischen Anklage wurde mir das Blut warm, ich antwor- tete nicht glimpflich; grollend und stillschweigend steckte er ein, was ich ihm keck sagte. * * Das Wort: „per Bio von dem in Italien gewohn- ten per Dio Bacco, das ich brauchte, nicht per Dio, gab ihm erwünschten Anlaß, feiner Rache oder Wuth unge- zügelten Lauf zu laffen. Halb rasend fuhr er auf : „ Ich hätte den Namen Gottes mißbraucht, fuori, fuor dal - - - Convento! “ wüthete er : „ ancora güeSto momento la *) Mit diesen war er oft im Stande Stundenweise zu pe- roriren und deklamieren; Loustonau äußerte sich: Er wolle sich hängen laffen, wenn aus Allen nur ein Ein- ziger etwas von dem Galimnathias verstehe, den er ihnen herfchreye. - - - - “) Diese Blumen stellte er in Büscheln vor die Bilder des St. Antonius und St. . . . . . (Ich vergaß den Namen des andern Heiligen.) - - - - - 355 Viertes Buch. Dreyzehntes Kapitel, chiave, o sforzo la porta *)!“ Dann fuhr er fort auf arabisch zu toben. Wahrscheinlich fah ich in dem Ge- mälde, das er von mir machte, nicht viel beffer als der Satan selbst aus. Der Troß hinter ihm stehender, gro ßer und kleiner Buben wurde aufgeweckter, ich sah sie streitlustig genug, und man mag es wohl immer fehn, wenn man eines Sieges so gewiß fehn kann, als dies Rotte gegen mich Einzelnen es fehn konnte. Es war kein Wort mehr zu verlieren an diesen ra- fenden Menschen, wenn ich nicht Gefahr laufen wollt, ein Opfer ihres Fanatismus zu werden. In diesen M- nente gedachte ich Spaniens und feiner Inquisition. " dachte der Greuelszenen unter Pizarro in Amerika, hel- üht unter dem heiligen Namen der Religion Jesu Christi wie diese Tochter des Himmels von Unmenschen entweiht, geschändet, dort unter der Herrschaft ihrer schwarz" Seelen Giftpflanzen trieb und Fluch brachte. " Lilie gebahr und Segen spendete. Das Kreuz in " die Mordfackel in der andern Hand ward das Licht des Evangeliums zur Finsterniß des Verbrechens gewandelt Schnaubend und kochend folgte die Menge dem Pater zis vor die Thüre meiner Zelle nach. Nur mit Mühe nur ich das einzige Gute noch von ihm erh' daß "Schwarm nicht durch dieselbe eindrang. " ich „einpackte. . . " - - - - „------ - ») Heraus, zum Kloster heraus noch diesen gilt her mit dem Schlüssel, oder ich sprenge die Thürt - Trost im Unglück. - 367 - - - 14. - - Zwei Männer gelangten in meine Zelle, der eine, sowie noch einige andere, brachten mir früher schon ver- fishlenerweise Brod, Bohnen und Zwiebeln, weil sie mich „ soviel als verbannt und sehr hungrig glaubten. Diese - Gutmütigkeit rührte mich, aber mit meinem Talente zum Fasten entbehrte ich leicht und nahm nichts an. Von „ wesentlicheren Nutzen war der Dienst, den sie mir durch ihre bloße Gegenwart in diesem Augenblicke leisteten; - denn außen tobte die kampflustige Rotte, und ich weiß „ nicht, welchen Ausgang dieser Auftritt genommen hätte, - wären diese meine Beschützer nicht auch meine Werthei- diger gewesen, st - - - Nachdem ich nun alle meine Habseligkeiten über- durch - und ineinandergeworfen; Felleisen, Nachtsäcke, Bette *) mit einem Stricke umwunden hatte, schloß ich die Thüre ab, und gab den Schlüffel einem der beydent " Männer. Noch wollte ich mich vom Pater Vinzenzo ver- abschieden, und ihm für die Armen eines Bezirks etwas zurücklaffen **), aber die Thüre war mit einem Seile verbunden, und der Troß verdeutete mir, daß ich Zeit hätte den Fleck zu räumen. Herzlich gern that ich es - Alle meine Effekten blieben also in der Zelle, und ich dachte, sie am folgenden Tage fortschaffen zu laffen, um nicht. Heute, weil es Sonntag war, eine unschick. . lichkeit zu begehen. " - - - / *) Dieß bestand in einem Kauderfack und einem Kiffen, - *) Wie billig und gewohnt, für das Logis im Kloster, - - 3ss siertes Buch. Sie seine Kapitel Kaum war ich etliche hundert Schritte von Kiefer so erscholl das Gebrüll des Vaters Meine beiden B- gleiter rannten zurück, mit Toben forderte er den Schli fel, und meine Effekten wurden hinaus auf die Stift geworfen. - “enn man den höchsten Grad der Unbilligkeit über standen hat, dann schwindet beim Manne von Gefühl auch die Leidenschaft des Zorns; man fühlt sich übei liegen durch die Würde seines Selbst, und ist damit über jede niederträchtige Behandlung die man es fährt, erhaben, statt; daß es also in meinem Innern auf brauste bei diesem empörenden Anblick, blieb es gut ruhig. Ich hob einen Theil meiner Sachen auf meine etter nahmen den Rest und trugen mit mir in das nächste Bauernhaus. Es waren freundliche Leute darin sie nahmen all meine Haabe gern in Empfang: aber mit den beiden guten Begleitern ward noch denselben Tag der Zutritt in das Kloster für immer untersagt. " - - - - - - - ger Erzbischoff hatte mir alles Benötbigte verheißen: ohne diese Beruhigung, ich gestehe und wiederholt" mich ein hartes Loos. Ohne einen Menschen in dieser Gegend, ohne die Sprache zu kennen: in fernem fremdem Lande, zur Zeit der Pest; ohne Attentat meiner Verweilung im Kloster Chariffa, mich so verstoßen unter frenen Himmel versetzt zu sehen, während seit mehr den fünf und zwanzig Jahren in meinen väterlichen " Katholiken bei mir ihr Unterkommen und Brod fanden Trennung. 369 - gleiche Rechte mit denen genoffen, die einem andern und meinem Bekenntnisse zugethan waren, und die ich alle als Brüder und Glieder. Einer Familie, ohne einigen Unterschied, gleich behandelte! f Ich erzählte dem Erzbischoffe das Vorgefallen. Der Mann hatte einen sehr ruhigen Geist“); er lächelte bei meiner Erzählung und anerbot mir die Wahl des Auf- enthalts in einem, oder in einem andern benachbarten Kloster, oder, wenn ich es vorzöge, in einem einsamen Hause, nicht fern von der Wohnung seines Vaters. Zch aber scheute nun den Aufenthalt in Klöstern: Denn bei aller Toleranz blieb ich doch immer auf eine Art abgesondert; zudem sind diese Stiftungen nicht, wie bei uns, reich oder doch wohlhabend und bequem, fon- dern das Gegentheil. Hiezu kamen noch andere Gründe, die mich bestimmten, das einsame Haus zu wählen, un- ter andern auch der, daß es einige Aehnlichkeit mit meiner Trotte *) auf der Bleiche bei Arbon hatte, nur - - 4 ) Auch sein Aleußeres kündete diese Ruhe an; er war wohl gekleidet; etliche und vierzig Jahre alt, von einnehmen den Gesichtszügen und, was hier zu Lande selten ist, von einer Proprietät und Reinlichkeit, die gleich für ihn ; einnahm. Er heißt Anton El-Chäfén, Kfeine Fa- - milie schreibt sich auf italienisch: Caséno ), sie gründete vor 4 bis 500 Jahren das Christenthum auf dem Liba- nons indem sie das Gebirg unabhangig von den Türken machte, gilt sie auch noch jetzt für die Erste auf den selben. - - - - - - - - - ») seinkelter, Schere, Schopf - - - - - - Nl a 370 Viertes Buch. Vierzehntes Kapitel. daß dieß ganz von Stein war, und drey Thüren hatte, die so beschaffen waren, daß mir die Katzen und andere Thiere bei Tag und Nacht unverwehrt ihre Besuche al- statten konnten. Auf den holperichten Leimboden dieser Hütte nun warf ich meinen Kaudersack in eine Ecke, und bezog jeden Abend dieß Bette, wie ich es am Morgen verlaffen hatte, und, Gottlob! schlief ich auf diesen hat, ten Lager, wie schon so oft auf meiner Reise, trefflich Was kann man sich nicht Alles-bald angewöhnen! Auf bloßer Erde zu schlafen ist mir gleichgültig, auch wenn ich keine andere Decke, als die Wölbung des Himmels habe. - - Eben so wars mit dem Frühstück; in Charisa macht ich selbst das Feuer zum Kaffee an; es genirte mich diese ungewohnte Arbeit, nun unterblieb sie, und den vierten, fünften Tag kam mir kein Gedanke mehr an das Kaft trinken. Ueberhaupt, wer in diese Länder reist, muß zum Voraus auf regelmäßige und bequeme Lebensweise Verzicht thun, besonders wenn man den Unfall hat, die Zeit der Pest zu treffen, und an Orte verschlagen wird, an die man gar nicht dachte. Mein Schicksal erregte indessen Aufmerksamkeit und Theilnahme rund umher; ich hatte wahrlich den Schutz und die Gunst eines Erzbischoffs nöthig; schwerlich wäre ich ohne ihn unter eine Dachung aufgenommen worden; die Leute find allerdings gut, und, ohne ander, heffer als bey uns, aber in religiöser Rücksicht sehr beschränkt in liberalen Grundsätzen. Die Vornehmen des Landes nahmen Interesse an meinem Schicksal und erklärten sich für mich; kaum war g i F Mal f Mir Mit g z Besuche und Bewirth ung, 371 ich in das verödete Haus eingezogen, so war es der Sam- melplatz des Bezirks. Von Morgen bis Abend hatt' ich Besuche, bald von Einzelnen, bald von ganzen Gesell- schaften. Die Unterhaltung war dann äußerst kompendiös, mir aber nicht zuwider, da ich so viel guten Willen zu meinen Gunsten entdeckte. Schon am zweiten Tage ward ich vom Erzbischoffe in das Haus seines Vaters eingela- den; es war eine reinliche Mahlzeit, nach Landessitte und auf türkische Manier; man lagerte sich auf Kreuzweise übereinander geschlagenen Beinen um das runde Brett, das der Diener brachte; acht bis zehn Gerichte wurden aufgetragen, und jeder langte mit den Fingern zu; da warf man faure Milch ins Pillau und aß Salat zum Konfekte; gleich den Ziegen kaute man wohlriechende Kräuter und Zwiebeln und trank Kaffee zwischen ein; aber etwas, das man nur hier, und wohl nirgends in Europa findet, ist der vino d'oro des Libanons! Als ich ihn trinken fah, meinte ich nach Farbe und Gattung, es fey Liqueur, und als ich davon genoß, konnte ich nicht entscheiden, ob mit diesem Weine nur ein Malaga oder Alikante die Vergleichung aushalte. Es wird nämlich meist aller etwas gekocht, und erhält dadurch die Süßig- keit und hochgelbe Farbe. *) - - - *) Die Art des Wassertrinkens verdient angeführt zu werden. - Fn einem irdenen, kleinen Krag, mit vorspringender - Möhre befindet sich das Waffer. Eine Spange hoch über den geöffneten Mund wird das Waffer in denselben herab gestürzt. Ohne daß man Schlucken, oder eine Bewe- gung der Gurgel oder des Mundes wahrnimmt, scheint - g A a 2 372 Viertes Buch. Vierzehntes Kapitel Die Frauen waren, wie es in der ganzen Levante gebräuchlich ist, abgesondert; doch fah ich nebenbey das Waffer bis in die Tiefe des Schlundes zu fallen. Es wäre unhöflich oder unanständig, das Gefäß an die Lippen zu fetzen. - " - Das Brod wird in jeder Haushaltung selbst gebacken, und zwar wird dabei auffolgende Weise verfahren: Wenn der Taig fertig ist, so wird ein Klumpen, eines Apfels groß, davon gekneipt und auf einem platten Steine mit der flachen Hand breit und dünne geschlagen. Dann wird der Kuchen zwischen beiden Händen gekläpft und unter fortdauerndem Werfen und Drehen allmählig so dünne geschlagen, daß er die Form einer unserer großen Blatten erhält. Gewöhnlich um den Feyerabend wird dieß Ge- fchäft vorgenommen. Aus meiner Hütte hörte ich, oft von zehn, zwölf Orten her, die taktartigen Schläge der Brodbackenden. , , - - Hat der Taig die gehörige Form, so gehts ans Backen. Dte Oefen find rund und ungefähr Brusthöhe, ihr Durchmesser mag sich auf 3 Schuh belaufen; sie sind von Innen mit sehr ungleich vorstehenden Steinen aufgeführt, Diese werden durch das in dem runden, oben offenen, Ofen lodernde Feuer sehr erhitzt. Ist die Mauer ganz durchglüht, so wird das Feuer schnell heraus genommen und der Boden von der Asche gereinigt, dann hurtig die runden Kuchen an die innern Wände herum gewor“ fen, wo sie wegen den vorstehenden Steinen hängen blei- · ben. "Was herabfällt, ist genug gebacken; an die ledig gewordene Stelle wird dann sogleich wieder anderer Taig angeworfen. - - - - - - - Dieß Brod ist den ersten Tag weich, später wird es hart, und beim Genuffe spröde und krachend. i (z. j jz ital, äußh Für 1, Not zit pick in - - Einladungen von den Vornehmen, 373 Köpfe hervorragen, welche gern den Franken gesehen hätten, - - Auf diese Einladung folgten gleich andere. Tages darauf ward ich zu den Scheiks Onach hin und Be- fir, dann zum Scheik German es, dem älteren Bru- der des Erzbischoffs, dann zum Scheik Haffan, dem jüngern Bruder, ferner zum Scheik Hake m u. a. m. eingeladen; überall traf ich dieselben Sitten, dieselben Speifen, dieselbe Behandlungsart an, und, wenn ich ausging, ... oder auf meinem geräumigen Dache spazierte, ertönte es von allen Seiten halbstunden weit, Berg auf und - Berg ab: „bon giorno! buona sero! come state *). Weiter waren aber auch keine italienischen Worte bekannt, und die Leute meinten noch Wunder mit diesen. Niemand hatte mehr Ursache, sich meine Vertreibung aus Chariffa zu Herzen gehen zu laffen, als Loustonau. Ich hatte wahrlich in jeder Rücksicht dabey gewonnen. Es wäre schon genug gewesen, Stille, Ruhe und Frie- den in meiner Eremitage, was ich dort entbehrte, zu ge- nießen, ohne die freundliche Behandlung der ganzen Ge- gend in Anschlag zu bringen. – Der Pater verbot ihm meinen Umgang, er aber protestierte. Bei mir genoß er freundschaftliche Behandlung und genießbare Speisen. Dort hatte er nur Zorn und Gras zu verschlucken. Ich fah ihn mehrere Tage nicht; meine Wohnung war ihm - *- Oser war immer gerufen, obgleich es sein heißen sollte, es war also Sprachfehler. 34 Viertes Buch. Vierzehntes Kapitel unbekannt, und er wußte von der Landessprache ebenso wenig als ich. Endlich trafen wir uns zufälliger Weise; feine Freude war ungemein, so wie auch die meine, daß ich wieder jemand hatte, mit dem ich ein Wort sprechen konnte. Alle zwei, drei Tage kam er verstohlen auf ei nen Besuch zu mir, und ich war stets besorgt, immer etwas vorräthig zu haben, das seinen Magen erfreuen könnte, was ein Leichtes war. Unsere Unterhaltung drehte sich um das Politische und Religiöse. Der Geist seiner Gespräche bewies fen einen hellsehenden und forschenden Kopf; aber wenn von der Religion die Rede war, erklang immer die glei- che Leyer. Er glaubte vor Millionen aus berufen zu sein, - die Geheimniffe der Schrift, zu entziffern, und meinte, seine Beweise mit mathematischer Gewißheit darzulegen, Ich war nicht immer gestimmt, ihm beizupflichten, oder nachzugeben. Der Mann hatte einen fehr heftigen Kl rakter, und brauste oft jählings auf, besonders wenn er etwas Wein getrunken hatte, abschon er sonst in dieser Rücksicht äußerst mäßig war; ich gab meistens nach, und wir vereinigten uns bald wieder. Es war leicht zu erken nen, daß sein Unterhaltungsgeist glänzender Zirkel ge- wohnt war; er war unerschöpflich an Anekdoten, und besaß das Talent, interessant zu erzählen. … - Viel unterhaltendes erzählte er aus Indien; er fchilderte mir die Einwohner: „als ganz andere Welt, als die Esel des hiesigen Landes“ (wie er sich ausdrückt) wären in jeder Rücksicht beffer und ungleich gescheuter.“ Er spottete über den Pater, der nach Rom das Anst chen - i s in lie ; is z Louston aus Erzählungen über Indien. 375 machte, nach China zu gehen, um dort die Heiden zu bekehren, und es auch bewilligt erhielt; er träume ich die Chineser als ungeheuer und scheine gar nicht zu wif- fen, daß es eine sehr civilisierte Nation fey, wenn sie schon die Sonne, eigentlich aber die unsichtbare Gott- heit anbete, und sie ihn mit seiner Methode, Religion zu lehren, statt sich zu seiner Lehre zu bekehren, ausla- chen würde.“ So sprach der alte, schalkhafte Lous- tonan, - - * - - . - . . - - - - - ". Von dem weiblichen Geschlechte in Indien erzählte er: „daß die Frauen, wie hier, beim Effen die Männer bedienen, und nur das uebriggebliebene genießen. Nicht Einzelne blos, sondern die Menge habe er gesehen, die sich nach dem Tode ihrer Männer mit ihren Leichnamen lebendig verbrannten, oft die schönsten Weiber in der Blüthe ihres Lebens. Eine Gattung von Pyramide werde von dürrem, meist wohlriechendem Holze errichtet, mit Pech und Harz an mehrern Orten überzogen, die Leiche in der Mitte, zu oberst fchwebe eine Gattung Thron. Unzählbare Zuschauer versammeln sich um das Gerüste. Die Wittwe, in ihren schönsten Kleidern und im köstlich- sten Schmucke, die Fackel in der Hand, zünde selbst an; mit einem Schwung sei sie oben auf dem Sitze, und beinahe im gleichen Augenblicke fey die Pyramide eine Flamme und die Frau nicht mehr zu sehen. Die nächsten Verwandten sammelten dann ihre Asche.“ „Es fey,“ erzählte er ferner, „dieser Gebrauch we- der Gesetz noch Zwang; der Beweggrund hiezu entstehe 376 Viertes Buch. Vierzehntes Kapitel aus der Meinung: daß durch das schnelle Mitabstellen die Vereinigung mit dem verstorbenen Gatten auf ewig fatt fände. Man habe mehrere Beyspiele, daß, wenn der Mann in weiter Ferne umgekommen sey, und die Frau die Nachricht davon erhalten habe, fie sich gleichwohl verbrannt hätte, weil die nämliche Belohnung stattfände, wenn es sogleich geschehe, sobald sie die Bothschaft von dessen Tod erhielte. Man sähe jedoch dieses Schauspiel jetzt feltner, als in früheren Zeiten. - - - - - - Die Lebensmittel in Indien seien fast um Nichts zu haben; die Gastfreundschaft werde als Haupttugend geübt. Zucker und Kaffee feyen unglaublich wohlfeil; Wein hingegen wachse keiner im Land, wohl aber werde er in solcher Menge zu Schiffe eingeführt, daß guter Bordeaux zu einem billigen Preise zu haben wäre. Das Klima fey vortrefflich, die Sommermonathe, April und May, fast unerträglich heiß. Mitte Junius aber bei nen die Regen, und die schöne Jahreszeit. « Soweit Loustonau über Indien. i Mit A zieß H / , - , Fünftes Buch – Ausflüge vom Libanon nach Ballbeck und dem Cedernwalde, his zur Abreise von Scio nach Salonicht. Mit 3 Kupfern. ( k h - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - -- - - - -…" - - - - - - …-- - - - - - . - - - -, - - - - -… - - … - -- - - - - - - - - - - - - - - , - - - - - - - - - - -– - - - - s - - - - - - - - - - - - - - - - --- "- - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - v - - - – - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - -::- - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - -- - - - --- - - - - - - - -- --, - - - - - - - - - - - - - , - - - - - - - - - ", - - -- - -– - - - - - - - - - - - -- - - - - - -- - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - . - - - - -– - - - - - - - - - -r - - - - - -- - - -- - - - - - - -- -- -- - -- - -, K ap i t e 1. Geschrieben in der verlaßner Wohnung auf den Libanon *). Ich muß recht lachen, wenn ich mich in meinem jetzi- gen Palaste so umsehe. Es hat keine Noth, daß ich darin Fensterscheiben zerbreche; doch bin ich froh über das Loch, das mir Helle gewährt *), und ich habe mir vor demselben einen zierlichen Tisch, in Gestalt eines vier Schuhe langen Brettes, statt auf Beine zu stellen, in Stricke gehängt; statt des Stuhls dienen zwey Haufen (Beigen) Steine und ein Brettchen darüber, auf welchem ich mich als Equilibrist egeerzirren kann. Wohl oft den Tag über muß ich meinen Thron wieder reparieren, wenn ich nicht mit demselben von oberst zu unterft kommen will, und hier linker Hand hängt am Pfahle in der Wand mein Korb, in demselben ein Pillau mit einem noch übrig gebliebenen halben Huhn, das ich heute Mittag zierlich zubereitete; schmackhafte, nährende Speise, wenn schon das Huhn von einem Fuchse gestohlen und ihm mit Mühe abgejagt ward. *) Aus meinem Tagebuch vom dritten July. *) sahen doch die Wohnungen der Scheiks oft nicht einmal die fein Vortheil! - - - - - - - - , 380 Fünftes Buch. Er ist es Kapitel. Und über mir an der Decke, da schwebt eine Gat, tung Waage, die ich finnreich mit einem Bindfaden he- festigte; auf der einen Seite zieht Käse, auf der an, dern Brod, und so schwebend wird weder Katze noch Maus mein unwillkommner Gast. Auf dem Boden liegt ein Vorrath von Zwiebeln und Eyern, beides sicher vor den Raubthieren. Meinen Reis zum Pillau holten ganze Prozessionen von Ameisen weg, aber tief in die Asche stellt ich die Schachtel, und die Diebe können hier nicht Sturm laufen. Dort am kühlen Orte hängt die hölzerne Flasche *) am ledernen Riemen, angefüllt mit einem Safe, den Bachus selbst loben müßte; und hier, am Vorschuß einer Säule ruht mein Caffee-Aparat, mit den dazu gehörigen Weingeist, um Gloria zu machen, sobald der Geluft mich anwandeln könnte *). Statt des Dual- fens steht da in der Höhe, auf zweyen in die Wand - festigten Stäbchen, ein Blättchen, angefüllt mit dem überflüssigen Fette der Hühner, das ich nach den alt, schaumen aufbewahrte. *), um etwa gelegentlich einen fchmackhaften Eierkuchen daraus zu verfertigen, weich, gesottene Ever versteh' ich zu sieden, ohne auf die E- - - » Die treue Gefährtin auf meiner ganzen Reife. … ) Das hier Caffee, Zucker e, footwohlfeilen, darf - - ich kaum in erinnern, was man in dieser Zeit in Eil- " oder auf dem Continente mit guten zahlte, hatte ich hier um wenige Parahs, - er) Exercitatio facit Magistrum ! - Vor fechs Wochen wus : " das Fleisch, Hühner, in ein abgeschäumt werden müßten. - , MA h (", i :: , - g s z“ s k ____--T Anekdote vom Großmogo. - 381 kunde zu zählen, und sie gerathen mir besser als jenem, der sie einen halben Tag kochte und doch nicht weich machte. Die Einrichtung ist für einen Eremiten so übel nicht, aber eine Hauptsache fehlt, der Bücherschrank. - . - . . - Mangel aber durch seinen unerschöpflichen Reichthnm von Erzählungen; ich habe . . Loustonau ersetzte diesen Mangel ab dieses Umstandes bereits erwähnt, auch daß er mich, auf die Letzte besonders, öfter besuchte. – Eines Tages, als er in meine Einsamkeit trat, erzählte er mir wieder mit jugendlichem Feuer aus Indien und Persien. – Ich will, da ich Loustonau nie als einen Aufschneider kennen fortfahren, etwas aus seinen Unterhaltungen lernte, hier einzuheben. : - „Einst als der Mogol“ erzählte er, „mit feinen Ge- folge ausging, fand sich eine alte Frau auf demselben Wege und begegnete ihm, die lärmte und schrie: sie wolle den Regenten sprechen, und ließ sich davon gar nicht abwendig machen. Der Mogol befahl: sie machen zu lassen. Die Frau hob nun ein verrostetes Beil in die Höhe und sprach: „O du, der du Gottes Stelle auf Erden vertrittst, berühre dieß Eisen, und es wird zu Gold werden, denn Gott wird dir diese Kraft verleihen.“ „Gott hat mir diese Kraft nicht verliehen, sprach der Mogol, und um dich davon zu überzeugen, so gieb dein Eifen her: fieh, es bleibt Eifen. Aber weil du in Gott ein solches Vertrauen fetzest, so gebe man, 382 Fünftes Buch. Erstes Kapitel, - „indem er sich an. Einen feines Volkes wandter dieser Frau so viel Gold, als die Art wiegt,“): Einst belagerte Loustonau, wie er von sich selbst er zählte, einen ziemlich festen Platz, und erzwang ihnend lich durch Kapitulation. – Der Befehlshaber der Bela gerten war abwesend, und feine Frau führte das Kons mando: „Wie!“ rief fie, „ich, die Festung übergehen? –ich – in Feindes Hände fallen? was würde mein Ge- mahl von mir denken!“ Sie forderte eine Stunde. Wer denkzeit, traf noch einige Anstalten, und flog, nach Wer fluß jener Frist, auf einer Pulvertonne in die Luft. „Das Weib soll sehr schön und noch keine zwanzig Jahre alt ge- wesen seyn,“ äußerte Loustonau, „und,“ fuhr er fort, „ich verlor verhältnismäßig nie so viel Leute, als vor diesem schon erobert geglaubten Platze, indem, nach die fem Aufflug, sich eine Art Raserey der ganzen Besatzung bemächtigte, und wir mit Verzweifelten kämpfen.“ Von den Bewohnern Indiens, die ihn genau be- kannt waren, erzählte er mir sehr viel, namentlich von den Staaten des Großmogols, von dem Lande der Mit ratten, von Tibet; wie sie geheilt seien bis nach China hin, in Götzendiener und Muhamedaner, und letztere sich wieder in die Sekten von Ali und Omar heilen; die sich gegenseitig necken und plagen; doch, setzte er hinz nicht in dem Grade, wie die verschiedenen Sekten der Christen! Ein Theil der erstern bethe die Sonne an, die Mehrheit aber einen unsichtbaren Gott; sie sehen nichts weniger als ungebildete oder dumme Geschöpfe, und ohne *) Weib, dein Glaube hat dir geholfen. - - - - - - - - - Helden hat einer Fren, ses anders besser als die Europäer, wenigstens als der größere Theil derer, die sich Christen nennen,“ *) - Meine jetzige Wohnung ist nur eine halbe Stunde von Chariffa. Die Landschaft und das Dorf des Bezirks in welchem ich lebe, heißt Darao un; es hat nicht die Lage wie Chariffa, die Aussicht auf das Meer ist bei grenzter, desto mehr aber die auf das Land offen; ich wüßte nicht, welcher ich den Vorzug geben sollte. Diese Landschaft meines Bezirks mit allen feinen Umgebungen ist einzig in ihrer Art; unbeschreiblich schöne, malerische Parthien; ich wäre zufrieden, wenn ich meinen Freunden nur eine Idee davon geben könnte. *) Die Natur des Gebirgs, und besonders dieses Theiles des Antilibanons, ist fehr steil und felsigt. Beynahe mangelt die Erdrinde ganz. Wer das nicht wüßte, könnte glauben, der Boden würde nicht benutzt; sparsam proßt nur hin und wieder eine Gattung Riedgras, wo sich die Wurzeln zwischen den Klippen und dem Gesteine kaum anschmiegen können. Bald sind die Pflanzen, kaum aufgeblüht, wieder welk von der sengenden Sonnengluth. : , , - - - - - - - - - - - - - - - - N » So unterhielt mich Loustonau öfter. Das erzähle nicht weiter von den Aufschlüffen, die er mir über diese Völ- ker gab, da viele Leser durch Reisebeschreibungen davon … fchon unterrichtet sein mögen. - - - - - - - - ") Der Hr. Verf, hat eine Skizze entworfen von diesem fei- - nem Aufenthalte, aber als etwas fehr unvollkommnes wollte er sich nicht zum Radirenlaffen dieses Blatts ver- fliehen. . . . . " > - - - - - - - - - - - - - - - 384 Fünftes Buch. Erstes Kapitel, - Gähe thürmt sich Berg auf Berg; Felsen abhänge, wie senkrechte Mauern, liegen dazwischen. Tausend Jahre früher mag diese unwirthbare Oede, vom Fluche beladen geschienen, und wohl jedes menschliche Wesen abgeschreckt haben, sich hier anzusiedeln. Aber nun, durch die Hände thätiger, arbeitsamer Christen, scheint beinahe das Un- mögliche möglich gemacht. Mitten im Lande der Muha- medaner, das als fruchtbare Erde, durch Despotie als eine Wüste da liegt, ist dieser Fleck der Erde hier aus einer Wüste in ein urbares und ergiebiges Ländchen um geschaffen; von der tiefsten Kluft bis oben an den mit schmelzenden, ewigen Schnee, jeder Schuh Bodens mög- lichst benutzt; gesprengt werden die Felsen, wo man zwischen den Spalten nur etwas Erde vermuthet, um sie heraus zu holen: Die Abdachungen der Berger viel zu gähe, als daß sie angebaut werden konnten, sind mit Mauern, eine über die andere hingebaut, vier bis fünf Schuhe hoch, versehen, und die Bodenräume dazwischen, kaum so breit als die Mauer hoch ist, mit unsäglichen Fleiße angepflanzt. Von einem Kloster auf der Spitze eines der Berge bis hinunter in die Tiefe, sah ich in der Entfernung von etwa einer Stunde diese Teraffenarbeiten für ein Riesenwerk des Alterthums an; ich glaubte, eine Treppe bot unzähligen Stufen führe hinauf, aber näher und immer näher sah ich, daß Menschenfleiß der Schi- pfer dieses Wunders war. Was bei den Wundern der alten Welt der Luxus bewirkte, das bewirkte hier die Roth; das Bedürfnis der unentbehrlichsten Mittel der Erhaltung Broderwerb. Ein Maulbeerbaum an dem andern; in f- ben bis acht Schuhen Entfernung einer vom andern, gar niren die Reihenweise die schmaleu Riemen von Erdreich; --" sei Juli z ni Ziel - n n“ a F- "3/ # (l) - F- Err, ", F - - - Z WT"- WIES "F : FIFR/ Seidenbau auf den Libanon. , 385 und mit Maulbeerbäumen, um Seide und wieder Seide zu gewinnen, sieht man alle Berge bedeckt, " Wirklich findet, fich auch kein anderer Nahrungszweig in dieser Gegend, als Seide. Man würde es kaum be- greifen, wie die Bäume auf diesem steinigten, sandigten Boden proffen und gedeihen können, wenn nicht der Vor- theil des Wäferns stattfände. Ueberall finden sich näm- lich Behältniße, wo die sparsamen Waffer der Ouellenge- fammelt, und in alle die Riemchen von Land künstlich durch kleine Graben verheilt werden, um die Maulbeer- bäume auch zur Zeit der Dürre und Hitze zu befeuchten. - - - - - - in Syrien und Palästina entlang, sah ich wenig oder gar keine Blinde mehr, Ueberhaupt, sobald man Aegyp- ren verläßt, scheint man aus der Sphäre dieses Uebels heraus zu sein. Eine Unannehmlichkeit weniger, die ich sonst auf meiner Reise in Aegypten hatte, war auch die, daß mich die Fledermäuse nicht plagten. Ich fand keine auf dem Antilibanon, und es ist dieß wirklich für je- mand, der sie scheut, erwünscht, um so mehr, wo keine Fenster sind und sie durch alle Thüren und Löcher freyen Paß hätten, wie hier, in meiner Wohnung. In Rosette genirten sie mich, ungeachtet der beffer beschloffenen Zim- ner, alle Nacht so fehr, daß ich beinahe keine Ruhe und keinen Schlaf finden konnte. Dieselbe Unannehmlichkeit erfuhr ich auch von den sogenannten Schnacken (cousins). Von nichts dergleichen ward ich hier in dieser gefunden, erhöhten Athmosphäre geplagt. - ". " 386 Fünftes Buch. Zweytes Kapitel, - - 2. ", - " - in Gesellschaft eines Scheiks ins Kloster Backhusch, den Erzbischof meinen Besuch zu machen. Kaum war ich eine halbe Stunde da, so trat Pater Vinzenzo mit seinen Go folge von etlichen Tölpeln ins Zimmer. Er kniete vor den Erzbischof nieder, um seinen Segen zu empfangen, und kam darauf neben mich zu sitzen. Ich glaubte nicht, daß die Ehre seines Besuchs eigentlich mir gälte. Es war nicht mehr Fanatismus allein, sondern auch Bosheit, Haß, Gift, was ihn hieher trieb, um den Versuch zu machen, mich auch von hier zu verjagen. Er begann seine Anrede in arabischer Sprache, der Erzbischof aber an, wortete in italienischer, und er war also gezwungen, in dieser Sprache den Diskours fortzusetzen; und nun er, zählte er, wie er alles mögliche gethan habe, um mich zu bekehren, »e forse troppo!“ fiel der Erzbischof ein. Ohne sich an diesen Wink zu kehren, stieg der Eifer des umfanftmüthigen Dieners einer Kirche, die Sanft- muth empfiehlt, immer höher. Er schrie, wie in Cha, riffa, gleich einem Bootsknechte. Ich bemerkte, daß hier nicht die Stärke der Lunge die Sache ausmache, sonst wäre das Recht ohne anders auf seiner Seite. Er fuhr aber, anklagend gegen mich, an den Erzbischof fort: „Er glaubt nicht an die heiligen Sakramente. Ich ant, wortete, auch an diesen mich wendend, daß ich mich verwundere, in der Kleidung eines Geistlichen einen Lig- ner zu sehen! „non fa la croce!“ schrie er halb heiser gegen den Erzbischof. „Siete matto *) entgegnete die *) Ihr seid ein Narr. - - Acht Tage nach der Vertreibung von Eharif ging ich ill f h Mit jetzt laut sie n , z. g # #5 Abfertigung des Paters Vinzenzo. 387 fer trocken. „Matto?“ frug der Pater betroffen. „Si matto!“ wiederholte der Erzbischof zornig, und in glei- chem Tone hinzufetzend: „ aus euerm Kloster habt ihr ihn vertrieben, von hier werdet ihr ihn nicht vertreiben!“ Vinzenzo wollte sprechen, „andate via!“ rief der Erzbi- schof im höchsten Unwillen. Er hatte ein Stäbchen unter feinem Kiffen; heftig schlug er wiederholt auf den Boden: „andate via!“ rief er ihm zum zweyten Male zu. *) Der Pater ging sogleich; er hob feine zerfetzten Pan- toffeln in die Höhe, fehlug die Sohlen drey bis vier Male zusammen, um den Staub dieses Ortes davon zu schüt- . teln, und zur Thür hinaus war er ! Der Erzbischof hatte fich bälder wieder gefaßt als ich, ich zitterte; er aber sprach mir zu: „, es solle mir kein Leid wiederfahren,“ fügte er, mich zu beruhigen. Ich fah den Mann fehr oft und in verschiedenen La- gen, immer aber ruhig, nie im Zorne als dießnal. Nach kaum zehn Minuten kam ein Billet von Vinzenzo, worin dieser dem Bischoffe schrieb: „daß er wegen seiner nach Rom schreiben werde.“ Der Erzbischof zuckte die Achseln und äußerte lächelnd, daß all sein Geschreibfel ihm weder kält noch warm machte, er möchte es adressieren, an wen und wohin er wolle. Ich aber schrieb das Vorgefallene nach Jaffa, und an den Pater Superior nach Jerusalem, und schloß damit: daß ich es für Pflicht halte, ihn von dem Verfahren eines Individuums zu benachrichtigen, das wohl nicht im Geiste feines Ordens handle ! =- *) Ein ernstliches Zeichen des Unwillens. B. h 2 388 Fünftes Buch. Zweytes Kapitel, Ich komme nach dieser Abschweifung wieder auf die Beschreibung meines Aufenthalts in dieser Gegend zurück. Ueberall, fowohl in Dara oun, als in den benachbar- ten Orten, fand sich kein Haus, das nicht von Seiden- würmern angefüllt war; zu diesem Ende hin waren die Wände mit Gestellen rund um versehen, und zu diesem Behufe alles eingerichtet. Hier weiß man nichts von Zimmerabtheilungen ! Da gibts keine Speisesäle, keine Visiten-, keine Kinderstuben, keine Küche und dergleichen, Alles beschränkt sich auf Ein Gemach, das von vier Mal ern eingeschloffen ist, und in defen Ecken des Nachts Matten hingeworfen werden, die als Nachtlager dienen, Den Tag über lagert sich jeder zur Sieste *), wo er einen Fleck findet, im Schatten auf Gottes Erdboden, und jeder Stein ist gut genug, als Kiffen gebraucht zu werden. Oft fand ich eine ganze Versammlung Schla- fender auf einem Flecke, und der Scheick lagerte sich so gut dahin, als der Fellah. Zur Sommerszeit übernachten. Viele auf dem Dach, Obgleich das Klima dieser Gegend wenig oder nichts von dem unfrigen fich unterscheidet, so weicht doch die Nacht- zeit darin von der unsrigen ab, daß kein so starker Thau fällt, wie bei uns, und der Unterschied der Temperatur von Tag zu Nacht nicht fo beträchtlich ist. Zudem hat man unter freiem Himmel den Vortheil, weniger von den Flöhen belästigt zu werden; denn es ist hier nicht wie in Aegypten, daß sie zur Sommerszeit verschwinden. Vom May an gerechnet, hat man vier Monate hindurch keinen *) Ausdruck in Spanien, wo gewöhnlich, wie in Italien Nachmittagsschlaf gehalten wird. Das Zurufen auf weite Entfernung. 389 Regen, sondern immer hellen Himmel. Es wäre für ei- nen Maler fehr vortheilhaft, alle Tage zur nämlichen Stunde auf die nämliche Beleuchtung, was bey uns fel- ten der Fall ist, zählen zu dürfen. Hat man im Winter die Annehmlichkeit, bey drey Stunden weniger Nacht zu haben, als in unserer Gegend, fo ist hingegen auch im Sommer der Tag um fo viel kürzer; Morgens um vier Uhr ist kaum etwelche Dämmerung, und Abends wird es zur Zeit des längsten Tages vor acht Uhr wieder Nacht, Die natürliche Oertlichkeit diefes Bezirks macht es mög- lich, fich auf halbstündige Entfernungen zu unterhalten; aus den Tiefen herauf und von den Höhen herab hallt und schallt es, besonders zur Abendzeit, unaufhörlich. Erst wird der Name defen gerufen, mit dem man gerne sprechen möchte, die Antwort erfolgt durch einen feinen Jauchz, *) dann beginnt das Gespräch, wobey es nichts Seltenes ist, daß die Sprechenden einander gar nicht fe- hen. Oft begegnet es beym Spazierengehen, daß, indem man sich durch ein Gestrüppe von Seidenbäumen durchge- wunden hat, und sich auf einem kleinen, ablangen oder quadraten Fleck Boden zu befinden glaubt, man, sechs bis acht Schuhe weiter vortretend, etwas ganz Anders wahrnimmt. Dann fiehe! man befindet sich auf dem Dache eines Hauses. Auf jedem dieser Dächer ist eine steinerne Walze, um, wenn der Regen irgendwo durchdringt, fo- ni 1. tät ) k g g is *) ungewöhnlich für einen jauchzenden Laut von sich geben, von juchfen, juzen, daher der Fuz. Man „fehe das schweizerische Idiotikon von Stal- der , Theil 2. Seite 77. 390 Fünftes Buch. Zweytes Kapitel, F gleich mit derselben die Erde dichter zusammen zu drücken, daß nichts weiter durchfickere. Welche Bewandtniß es nun in Beziehung auf die Ge- bräuche und Sitten in dieser Gegend hat, das läßt sich in die wenigen Worte zusammenfaffen: daß es hier mit dem, was man bey uns gute Lebensart heißt, ein Ende hat. Was mehr Ehre gewähre , ob das Gehen zur Rech- ten oder Linken? „das wußte keine Seele auf dem ganzen Gebirge; man begegnet z. B. dem Hausherrn, den man besuchen will, fünfzig Schritte vor seinem Hause; ohne sich umzuwenden, macht er ein Zeichen: „gleichwohl zu gehen;“ hat er feine Geschäfte abgethan, so könnt er, < tritt zuerst ins Haus, setzt sich auch zuerst nieder und A dergleichen. Man würde hier gar nicht wissen, was das sogenannte „Uebel nehmen.“ *) bedeuten wollte. Kömmt man, wenn der Hauswirth am Effen ist, so wirft er an den Platz, wo man sitzen soll, ein Stück Brod; man setzt sich ohne weiters hin, und ißt was sich vorfin- det. Wäre es noch fo wenig, so wüßte der Wirth nichts: „von Abbitten, daß man es nicht beffer träfe,“ und *9 „Nehmen sie doch nicht übel, wenn ich mich bedeckt! Nehmen sie doch nicht übel, wenn ich mich niederlasse“ und dergleichen, eine bei uns übliche Entschuldigungs- Formel, wenn wir in Gegenwart von Gästen und B- fuchenden in unferm Hause gerne bei neuen, wie wenn wir allein und daheim wären, " . . : it g: die i, in er flug M h i zit: # - 11 eher Höflichkeitsformeln, 391 wäre es noch fo viel, so hörte man von Seite des Gastes nichts: „von Abbitten der Freyheit, die man ge- nommen habe,“ und dergleichen. Was sagt man fich bey uns nicht für schöne Sachen, wenn man kömmt oder "geht. Hier ist ein leichter Gruß Alles. Dafür aber hat man mehr baare Herzlichkeit, eine Tugend, die man bei uns, trotz allen Höflichkeitsgrimaffen, wohl nicht immer findet. Ein eigener, bey uns gänzlich fremder Zug cha- rakterisiert noch die Einwohner dieser Gegend. Man weiß nämlich hier nichts von dem eingebildeten Vorzuge, der zwischen den verschiedenen Range in der menschlichen Gesellschaft statt hat; fey es wegen Glücks- oder Vermö- gens- Umständen; wegen Verstand % Einsicht, Gelehrsam- keit, Geburt, All” das ist hier ganz unbekannt. Der Bettler wie der Reiche, der Erwachsene wie das Kind, fetzen fich neben den Scheick, fprechen und geben ihren Senf zu Allem, und erhalten die Antwort von diesem, als wären sie alle Seinesgleichen, - Das Kostüme der Frauen dieser Bergländer ist so be- schaffen, daß, wenn schon ehedeffen Venus in der Nach- barschaft *) ihren Sitz hatte, und die Grazien in der Nähe mit ihrer Anmuth und Schönheit bezauberten, we- der jene noch diese Liebhaberinnen vom Bergsteigen mö- gen gewesen feyn, und fich wohl kaum auf diese Höhen verirrt haben. Wenigstens ist keine Spur zu jetziger Zeit *) In Cypern, 392 Fünftes Buch. Zweytes Kapitel, vorhanden, daß diese Göttinnen einst mit ihrer Gegen- wart den Libanon beglückten. - Ein silbernes Horn auf der rechten Seite des Kopf, größer als ein gewöhnliches Posthorn, steht bey allen Frauen als die größte Zierde, fchuhweit in parallele der Höhe des Kopfs, gerade heraus; der Durchschnitt der äußern Ründung dieses Horns hält wohl über anderthalb Spangen, und das Gewicht mag ein Pfund betragen; das schlechteste kostet hundert Piaster. Diese lästige, um zierliche Zierrath wird mit einer Binde stark um den Kopf angezogen, und über das ganze Horn ein gedrucktes, blaues Tuch als Schleyer gewunden; rothe Kleckse sind als Blumen auf dem dunkelblauen Grunde angebracht; vom Silber wird nur sehr wenig gesehen. - Der Pater in Chariffa eiferte stark wider diese Höt- nermode, und er hielt einst eine lange, zweistündige Rede über diesen Unfug; und, um ihm recht kräftig zu fen- ern, schlug er mit geballter Faust auf die Kanzel und versicherte, daß in jedem Piaster-Werths ein Teufel steckt, „Die Frauen aber lachten nur dazu und fast überlaut: auch ward nicht eine dadurch gebessert: das Horn blieb bei al- len am gewohnten Orte. - Die Vornehmen tragen es vorn an der Stirne, und hey diesen unterscheidet sich die Form defelben von der jenigen, welche die gemeinen oder ärmern Frauen tra- gen, dadurch, daß es in eine kleinere Ründung von der Größe eines Neuthalers zuläuft. Gleich den Schmucke des Einhorns steht denn diefe Zierde fchuhweit über die Stirne hervor. . . " Ueber diese herunter fallen bey vierzig bis fünfzig Viertels-Dukaten, welche durch ein kleines Loch an einer ty will di d li M t d th in f ja ei Co stüme der Frauen. 393- Schnur befestigt sind. Durch die Ohren bis weit herunter hängen ganze Dukaten, oft noch größere Goldstücke ; der Busen bleibt wenig bedeckt, meist ganz bloß, und, in den Haaren befestigt, fallen drei bis vier schwarzseidene Seile, welche wieder in drey silbernen, spannelangen Röhren laufen, über den Nücken bis auf die Füße her- unter *). Das Ganze dieses Kopfschmuckes, wenn es recht brillant ist, wiegt mehrere Pfunde. Einige tra- gen, statt der feidenen Seile, nur Schnüre an einer Reihe, vielleicht bey dreyßig; an jeder hängt unweit dem Fuße ein Goldstück in der Größe eines halben Neuthalers. Es klingelt und klippert beyin Gehen fast wie Schlittengeläute. Die weißen Pantalons sind vom Fuß an, etwa spangen- hoch bis an den Waden mit blauen oder rothen, gestick- ten oder gewobenen, versetzten Blümchen geziert. Die Tracht der Männer besteht durchgehends in ei- nem gestreiften Rocke, der bis an die Knie reicht, den Rücken und die beyden Schultern bedeckt eine künstliche, bunte, und nach einem allgemeinen Muster verfertigte We- berey. Ein solches Gewand für Standespersonen könnt oft auf tausend Piaster, dient aber auch bisweilen zeitle- bens als Zierde, da die Mode immer dieselbe war, ist und bleibt. Auf dem Kopfe tragen sie eine schwere, rothe Kappe, die als Sack auf einer Seite mit einem beinahe Faustdicken Zottel herunter fällt. Zum Befesti- gen werden zwei gedruckte Tücher hart um den Kopf, und nun über diese erst die sechs Ellen lange Scherpe, *) Aus diesen Röhren treten die Ellen langen Zotteln von fchwarzer Seide bis auf die Füße herab, vor, , - 394 Fünftes Buch. Zweytes Kapitel. als Turban, aufgewunden. Das Ganze wiegt wohl bey vier Pfunden. Während meinen Aufenthalt in dieser Gegend hat ich eine Art von Bedienten. Morgens kam er für eine halbe Stunde, mir das Feuer anzumachen, und das was ich den Tag über mochte nöthig haben, zu besorgen, Die Kocherey *) versah ich selbst; und müssig, wie ich war, beschäftigte mich diese Kunst nicht ganz unangenehm durch einige Stunden des Tages. Aus der Sprache aber welche der Bediente und ich redeten, hätte schwerlich ein dritter klug werden können, da wir beide uns unter uns selbst zuweilen nicht verstanden. Er sprach ungefähr so viel türkisch als ich; verstand einige Worte italienisch, die Hauptunterhaltung war arabisch; und zur gänzlichen Verständigung in allen diesen Sprachen brauchten wir noch oft die Pantomime! Ein solch Kauderwelsch mochte wohl noch wenig statt gefunden haben! Aber welche Wun- der thut nicht die Noth; wir erzielten die Möglichkeit uns zu verständigen. - - - - *) Die Zubereitung der Speisen. f, s tf E: är: z Abreise nach Ballbek, 395 3. Geschrieben auf der Insel Cypern. Ich hörte von Ballbek, dem alten Heliopolis *) sprechen. Nur wenige Tagereisen von hier entfernt, mußte es liegen, und beim Namen Ballbek verdeutete jeder, der dort war, durch Geberden und Ausrufungen: daß er es schön, sehr schön fände! Ich war bald entschlossen mich selbst davon zu überzeugen, kümmerte mich nicht um den schlechten Weg, nicht um meine wenige Sprach- kenntniß, nicht um alles andere, das vielleicht. Manchen abgeschreckt hätte. Es war am Morgen des vierten Juny, als ich dahin abreiste. Ein Maulthier und defen Treiber waren die beyden Wefen, die mich begleiteten, und wenn das eine sprach, verstand ich oft nicht mehr vom Inhalte, als wenn das andere seine Stimme erhob. Ueber den höchsten Rücken des Libanons führte der Weg. Gleich vor Daraoun beginnt der steile, unwegsame, felsigte Pfad; man kömmt an den, auf einer Prachtanhöhe gelegenen, Armenier- kloster Somar vorbey, und gelangt von da aus allmä- lig in einen Bezirk von rohem Gestein. Kein Fleckgen Erde ist auf demselben fichtbar, und doch proffen mitten aus diesem Steingrunde die Reben, welche den herrli- chen Wino d'Oro erzeugen. Man würde bey nns denjeni- gen für einen Thoren erklären, der es sich beyfallen lieffe, etwas auf solchen Boden zu pflanzen. Höher und höher führte der Pfad; wie wenn in chemischen Laboratorien *) Der Sonnenfadt. - - - - 396 Fünftes Buch. Drittes Kapitel, die Metall-Salze in Chrystallen anschieffen, so heben sich hier schroff, eckigt und zugespitzt, in ungleicher Lage, kahle Felszacken aus bläulichten Klippengrunde empor. Vier bis fünf Stunden weit durchreist man dies wilderhabene Landschaft. Das Auge leidet von dem blet- denden Blau der Felsen, aber eben so ruht es sich gerne auf Parthien, größern oder kleinern Umfangs, aus, wo Blumengruppen proffen; ihre Blätter, frisch und grün, bey nahe dem Oleander ähnlich, und ihre Dolden, wie Glocken, lilafarbigt, laffen von ferne den Wandrer un- gewiß, welche der beiden schönen Farben mehr bezaubert, Diese Blumeninseln in den Steinwüsten machen einen eben so angenehmen, als überraschenden Eindruck. Die Höhe dieses schönen Gewächses beträgt wohl über fünf Schuhe. Es blühte diese Pflanze noch weiter hinauf, bis hart an den Schnee. Oft begegneten uns rückkehrende, beladene und ult- beladene Lastthiere; auf einem derselben fand sich ein todter Hammel. Mein Moukra *) zog ein Messer, und schnitt lustig ein Stück Fett nach dem andern herunter, und genoß mit beßtem Appetite eine nicht geringe Por- tion. - . . ." Es rückte gegen Abend, und wir waren in der Nähe des Schnees; der Säumer änßerte: „es wäre besser hier Nachtquartier zu halten, als weiter vorwärts, wo der Schnee häufiger und die Kälte empfindlicher wäre.“ Auch gut, sagte ich, stieg ab, preitete meinen Teppich über den Felsen, und das Nachtlager war fertig. Prächtig Waffer sprudelte in der Nähe; Stellenweise, reichlich und *) Führer. - it ist: l ist h J) F t d g k Zweytes Nachtlage , 397 sparsam etwas Gras zwischen Schnee und Klippen; aber Holz fand sich keines; fein Mangel in dieser Kälte war uns sehr fühlbar. Kaum waren etwas dürre Wurzeln vom Gesträuch zusammen zu bringen, um einen Kaffee zu ma- chen, der aber, als Gloria zubereitet, fehr gut that. Es begann zu dämmern; ich lagerte mich auf meinen Teppich und ein Leintuch und den Ueberrock über mich hin. Ru- hig entschlief ich; hätt' ich auch einen Haufen Goldes um mich gehabt, so hätt ich wegen Raub oder Unsicher- heit nichts zu besorgen gehabt. Man weiß in diesem Lande gar nicht, was Diebstahl ist ! Häufig finden sich zwar Stachelschweine und Wölfe, mithin auch Tiger, aber zu dieser Jahrszeit hatte kein Reifender etwas von ihnen zu befahren. Mehrere Stunden vor Tag ward ich wach; der Kälte halber konnt' ich keinen Schlaf mehr finden. Mit der ersten Dämmerung ward aufgesessen und unter keckem Zähnklappern weiters geritten. Die Brandtweinflasche leistete gute Dienste, den besten endlich die aufgehende Sonne. Den Tag über stieg man immer noch höher, im- ner zwischen Felsklüften und häufigen Schneeschluchten. Sehr oft führte der Weg darüber hin. So kalt es die Nacht durch war, so warm war es Mittags, und der Moukra hatte beständig ein Stück Schnee zum Lullen, Ich that daffelbe, hatte es aber fpäterhin zu büßen. Abends gelangte man zu einem Thälchen, das mit Felsen und Schnee umgeben war. Mitten darin lagerten Hirten, hier ward die Nacht zugebracht. Waffer hatte es keines; wollte man trinken, so wurde mit einem Hiebe ein Stück Schnee von einer benachbarten Lage wegge- hauen und in den Kessel geworfen zum Schmelzen. So 39s Fünftes Buch. Drittes Kapitel, wie es dämmerte, wurde es auf dem verödeten Platze it- mer lebhafter; eine Armee Geiffen (Ziegen) in vier Di- visionen, rückte von verschiedenen Seiten heran; die Heerde betrug über tausend Stücke; die Hirten in Menge ordneten die Schaaren und begannen zu melken; zwei ungeheure Keffel waren mitten auf dem Platze, und als es Nacht war, waren beide voll Milch. Während diesen Geschäfte hatte ich mein Nachteffen, einen Reißbrey, wie Rahm zubereitet; süßer Käs und andere Milchspel- fen folgten diesem. Die jungen Ziegen wurden abgefön- dert gehalten, um die Milch der alten zu bekommen, als man mit den letztern fertig war, rückten auch jene in vier Abtheilungen in vollem Galoppe, und unter einen Geschrey, daß man fein eigen Wort nicht verstand, herzu. - Jetzt ward Ordnung geschafft im weiten Kreise, und herum lagerten die Ziegen; um sie ein Dutzend Hunde als Wächter; in der Mitte des Kreises brannten vier Feuer hoch empor, die Mannschaft darum herum; war windstill, und bildete ein lustiges Nachtstück, Nun erfolgte ein Aufruf, es war der zur Arbeit, die Milch in den Keffeln ward zur Schotte geschieden und jetzt begann das Käfen. Im Halbkreis von einem gefel zum andern lagerten sich die Anwesenden fünfzehn bis achtzehn Personen. Mit der Schaumkelle ward eine Portion Zieger herausgenommen; der Nächste empfing - fie, drückte sie rund, gab sie dem zweiten, dieser defi dritten, und so gings fort. Gleich dem Ziegelbieten durch wanderte die Käsballe die Hände. Aller; jeder drückt und und die Schotte daraus; der letzte beim Saise" schob eine starke Prise daraus hinein, und in Zeit ein l # ) Käfe zu bereitung, 399 Stunde entstand ein Haufen von Käse-Aepfeln, daß man Mühe gehabt hätte darüber wegzuspringen. Unter Lachen und Schäkern ward diese Arbeit, während welcher ich immer von Allen zum Mithelfen eingeladen wurde, besei- tigt. Schon früher ward Brod gebacken, beynahe ganz übereinstimmend mit der Manier, wie ich bereits er- zählte, *) Es war die Nacht über wieder fehr kalt, aber ich litt nichts davon. Ein starkes Feuer wurde für mich al- lein unterhalten, und ich wandte mich, so wie ich fror, nach dem Feuer. Am Morgen ward ich mit einer Menge Käfen beschenkt. Milch, Jaurt, Rahm, stunden mir zu Diensten, und ich hatte Mühe, diesen gutmüthigen Leu- ten etwas Geld dafür aufzudringen: „daß ich ja wieder- kommen sollte,“ empfahlen sie mir ernstlich. Gegen Mittag war der höchste Bergrücken des Liba- nons erstiegen! Welcher Anblick! Gähe Tiefe zu den Füßen, und eine kahle Ebene, über deren Länge sich das Auge verlor, vor uns: „Ballbek !“ rief der Führer, und wies über die Breite der Fläche auf einen Fleck, der einzig mit Bäumen erster Größe sich auszeichnete; -– *) War der Feuerhaufe ausgebrannt, und das Loch von der :, Asche gereinigt, so wurde der Teigkuchen von weitem hineingeworfen, und platzte ganz dünn auf dem heißen Boden. Dann kam die glühende Asche wieder darauf und in einer halben Stunde war das Brod fertig. . - - - - - - - - - - - - - 400 Fünftes Buch. Viertes Kapitel. es waren Nußbäume. ueber zwei Stunden ging es halt brechend steil herunter; viere hatten wir über die Fläche Vor Sonnenuntergang war Balbek erreicht, - - . . . - - “----------- - - - - 4. O, und wieder O, entfuhr mir unwillkührlich, so wie ich näher dem Orte kam, wo vielleicht die schönsten Ruinen der Welt sind. Balbek, einst Heliopolis, mit feinem Sonnentempel, prangte hier in seiner erhabenen Pracht und majestätischen Größe, als ein kühnes Werk damaliger Kunst, und man erkennt noch in den Wehe bleibseln dieß Wunder der alten Welt. Auf schöner Anhöhe lag das herrliche Gebäude des Tempels; am verwaschenen, harten Marmor sieht man, daß Jahrtausende der Zeit über ihn hingerollt sind. In edeln, einfachen Styl führte eine Art Vorhof der Ein- gang zum Tempel selbst; über Grasboden und Schnitt gelangte ich hin. Bier Hauptgewölbe, jedes einhundert sechs und zig Schritte lang, acht breit, und etliche zwanzig Schuh hoch, bildeten den untern Theil; im Quadrat her" ruhte das Werk aufgesprengten Bogen; auf jeder in vierzehn Säulen; neun der letztern in die Breite, als sieben und dreißig ohne die Facade, welche aus einer doppelten Reihe kannelirter und unendlich tun." bearbeiteter Säulen schien bestanden zu haben. " %. t z Befchreibung von Ballbek, 401 vier Mahlen umklaftert man kaum eine der fel- ben, *) Von schwindlichter Höhe decken Felsenmaffen, als Wölbung, den Gang der Auffenseite des Tempels; ru- - hend auf der Mauer des Gebäudes, find sie hinüberge- sprengt auf die freistehenden Säulen. Brustbilder von koloffgler Größe, vielleicht von Göttern oder Heroen der Vorwelt, wechseln mit allegorischen Figuren, deren Deu- tung, die Mythologie der Alten übernehmen muß, und schweben von einer gewissen Entfernung zur andern her- aus. Man traut seinem Auge nicht. Denn aus den de- litat gearbeiteten Bildern und Arabesken, gestemmt und gemeißelt aus harten Marmor, durchbrochene Arbeit von geschwungenen Blättern, in tiefen, herrlich leichten Bieg- ungen, meint man diese Dinge, die das Werk einer halben Ewigkeit sind, aus weichem Thon gebildet. Man starrt hinauf, wenn man Felfenblöcke über dem Scheitel schwebend erblickt, die zum Theil nur auf einer Seite noch auf den Kapitälern des unglaublich rein und zierlich gebauten Säulengangs korinthischer Ordnung ru- heiz; man starrt hinauf, und der Ausruf des Erstau- nens und der Bewunderung erstickt im offnen Munde! Durch eine umkreisende Wand von gelben Marmor- quadern müht man sich durch einen schmalen Bruch hin- durch, und gelangt über Schutthaufen in das Innere des Tempels. Neues Staunen ergreift mich beim Anblick der Hauptpforte! Wenig mag die Welt von dieser Art aufzuweisen haben; *) nie fah ich etwas Aehnliches. - - - *) Nach dieser Messung sollte der Durchmesser beinahe acht Schuh halten. *) Ich fah die Ruinen von Theben, Palmyra, ze, nicht, C e v A02 Fünftes Buch. Viertes Kapitel, Ungeheure Marmormaffen, fo zart und fein bearbeitet, als wären sie von Zuckerteig! Die Einfassungen, Ara- besken, Laubwerke sind von einer Schöne, als hätte sie ein Raphael in seiner glänzendsten Kunstepoche hingezau- bert; durchbrochene Arbeit meint man aus der Ferne zu sehen. Der obere Theil des Portals besteht aus drei ein- zigen Stücken; ein fliegender, kolossaler Adler in der “Mitte über denselben schwebend, hält eine Gattung Schlüffel oder Pfeile in feinen Klauen; aus feinem Schnabel fällt eine Guirlande von Blumen und Laub- werk, welche sich zu beyden Seiten herunter fchlingt, und von zwey fliegenden Genien gehalten wird. Eine brennende Fackel wird von einem der letztern geschwungen. Der mittlere Felsbrocken, mit dem Leib des Adlers, viel leicht von einem Erdbeben aus seiner Lage gestoßen, hängt bey sechs Schuhen tiefer herab, als die Stelle wäre, an die er hingehört, eingeklemmt zwischen den beiden obern, ungeheuern. Seitenstücken, die ihn nur noch schwebend erhalten. - Im Innern des Tempels reihen sich zwanzig kannk- irte Säulen auf beiden Seiten der Länge nach, an glat- ter Marmorwand hervorrageud, hin; oben hält sie der zierliche Architrav in Verbindung; zwischen den Säulen find Nischen, alle mit gleich bewunderungswürdiger Kunst mühsam verziert, und man erblickt hier die gewandt, vollendetste Kunst im Wetteifer mit dem feinsten, gebil- detsten Geschmacke. In diesen Nischen, deren Vertiefun- gen bald als Halbzirkel, bald als Vierecke erscheinen, mochten wohl die Idole und Bildsäulen gestanden haben, « , - - - i M 6 „ g g s Beschreibung von Ballbek. 403 Im Vorgrunde erheben sich noch einzelne Pracht- fänlen; man steht vielleicht dreißig Schuhe hoch auf den Nuinen andrer. - In den Marmorsäulen des Eingangs leiten verborgene Treppen in die obern Theile des innern Tempels. - - Ganz in der Nähe, noch erhöhter, als das Pracht- gebäude dieses Tempels, erheben sich noch sechs Säulen auf luftiger Höhe; himmelschön, als strebten und schweb- ten sie nach den Wolken, ruhen sie noch auf ihren unge- heuern Fußgestellen. - * - - Sechszig Säulen stützten diesen Tempel, einzig in feiner Art. Alle diese Säulen hatten denselben Umfang und die Größe, deren ich oben erwähnte. So weit das Auge reicht, glänzen die Meilen weit umher in ihrer Schöne und stillen Hoheit, und erfreuen und bezaubern den Blick des staunenden Wandrers, . . . . . " Was sind doch Roms und Siziliens Armseligkeiten gegen diesen Aufwand von Reichthum! Nicht, daß die Architektur eines Pantheons, Coliäums u. a. Werke da.- selbst im ganzen Sinn des Worts nicht erhaben und edel fey: aber die Ausarbeitung des Ganzen wie der einzelnen Theile, der Reichthum und die Mannigfaltig- keit, welche hier sichtbar sind; die vollendete Ausführ- ung und unglaubliche Weichheit der Gebilde findet sich wohl nirgends in einem so hohen Grade, wie hier. Das tuajestätisch - Große des Styls, vereint mit der Eleganz der Ausführung, gleicht einem großen Oelgemälde, das mit dem Pinsel der Mignatur ausgearbeitet wurde. Zu Salomons Zeiten, meinen Einige, seien diese Wunder der Baukunst entstanden, Weniger mögen sie durch die C g I 404 Fünftes Buch. Viertes Kapitel. Alles zerstörende Zeit gelitten haben, als durch die Erd- erschütterungen, welche Alles aus den Angeln rißen, und viele der Hauptanlagen niederstürzten und verschütteten. Eben so viel litten sie durch die Niederträchtigkeiten des kleinlichen Eigennutzes fchlechter Kerls dieser Gegend, jetzt sowohl als früher. Die Säulen nämlich bestehen aus drey Stücken, die auf einander gepfropft sind mit „Centnerschweren, eisernen Zapfen, welche durch Bley, das durch kleine Kanäle hineingegoffen ward, befestigt wurden. Um nun dieses Eisens habhaft zu werden, häm- mert und meifelt dieses verworfene Pack den Marmor der Säule bis auf die Mitte durch, bis es so weit kömmt, daß sie das Eisen herauszuheben im Stande sind. Es ist sich nur zu verwundern, wie mehrere solcher mit nirter, durchhauener Säulen sich noch auf halbem Fuße erhalten. Felsenmaffen von acht und zwanzig Schritten Länge, also etliche achtzig Schuhe, und wohl über zwei Mannshöhen, befanden sich in diesem Gemäuer. Das ist nicht Fabel, nicht Uebertreibung, ich sah diese Mas fen mit eigenen Augen und beschritt die Länge. *) - Wie es möglich war, diese Maffen hieher zu schaf fen, kann ich so wenig errathen, als vielleicht Millionen Andere. Wenn die jetzt Mode werdende Meinung statt fände: daß die Säulen des Alterthums und diese Mafen aus einer gewissen Materie an Ort und Stelle selbst wären geschaffen, also nicht gegraben, nicht transportie - - *) Die Felsenblöcke von Egyptens Pyramiden verlieren ihre Größe bei der Vergleichung derer mit Ball bek ganz. - z g Beschreibung von Ballbek. - 405 worden, so möchte diese Meynung wohl hier am ehesten einige Wahrscheinlichkeit gewinnen. *) - - Die noch vorhandenen Bruchstücke dieser Wunder- werke schreiben sich indeß aus zwey verschiedenen Epo- chen her. Der eigentliche Tempel mit den dazu gehöri- gen Anlagen gehört der ältern; dieser ist von gelblichen Marmor fein und zart gearbeitet, ohne einiges Verbind- ungsmittel von Kalk oder Kitt, sind die Fügungen doch fo paffend, daß man sie oft kaum wahrnimmt. - Von anderer Bestimmung scheint das aus der spä- tern Epoche noch Vorhandene gewesen zu feyn. Es fchienen eher Vertheidigungsanstalten, Festungswerke, Bastionen von Thürmen und dergl., als prachtvolle, und zu einem religiösen oder angenehmen Gebrauche aufgeführte Gebäude, gewesen zu sein; sie sind zum Theil auf die weit ältern hingebaut, unterscheiden sich aber von diesen durch die schwarzgrauen Steine, die rohen, unverarbei- teten Quader, und ein Pflaster, das fo hart ist, wie der Stein selbst. Es ist ein sich durchkreuzendes, ungeheu- res Gemäuer, das sich mit der Einfachheit des erstern gar nicht vereinen läßt. - Im Ueberfluße strömte einst hier frisches Quellwaffer durch die breiten, steinernen Kanäle in der Tiefe des Tempels; an mehreren Stellen sind auch noch deutliche Spuren von Aquadukten, nach denen zu urtheilen, das Wafer auch in die Höhe gepumpt wurde. Eine unterir- - - - - *) Diese Meinung ist indes unfatthaft, und unser schwa- ches Geschlecht versteht die Wunder der alten Welt nicht, - - 406 Fünftes Buch. Viertes Kapitel dische Treppe von hundert Stufen führte in die Tiefe: „ganz zu unterst soll sich eine verschloffene, eiserne Thüre finden; man soll wiederholt vergebene Versuche gemacht haben sie zu öffnen; beym geringsten Geräusch entstand ein Donnern, daß man glaubte, Alles würde zusammen- stürzen.“ *) Vor noch nicht gar langer Zeit ließ ein Pascha, damit allenfalls nicht ein anderer den vermeint begrabenen Schatz hübe, den untersten Theil der Treppe mit Steinen verrammeln. - Die alten Stadtmauern sind von schönen Steinen; fie zählen kaum achthundert Jahre, sind also in Vergleich- ung mit dem Tempel noch sehr neu. Von diesem sind nur Muthmaffungen da. Wenn aber Salomons Herrlich- keiten aufgesucht wurden, so mußten es wohl diese fehn, weil Jerusalem kaum etwas Aehnliches mit einem be- rühmten Tempel aufweisen konnte, und ich nicht wüßte, wo anders, man die Ueberreste derselben suchen sollte. Im Buche der Könige von Israel glaubt man des Ortes und des Baues von Balbeck erwähnt. *) *) Dieß hat wahrscheinlich feinen natürlichen Grund in der gewölbten Bauart dieses Werkes. *) Flavius Josephus sagt im ersten Theil stes Buch 6ten Kapitel feiner jüdischen Geschichten Folgendes: „Nachdem aber Salomon gesehen, daß die Mauern zu „Jerusalem, Thürme und andere Festungswerke zu mehr „rerer Sicherheit nöthig haben, (denn er hielt dafür „daß zur Kostbarkeit einer Stadt auch gehöre, daß sie „vest fey) erneuerte er die Stadtmauer, und führte w, große, feste Thürme auf; ferner baute er die festen 11 Bef chreibung von Ballbek. 407" Aber wohl war das ein Sonnentempel! Von ersten Strahl des Aufgangs bis zum letzten des Unter- gangs ward er beleuchtet. Auf luftig-erhöhtem Vor- sprunge beherrschte dieser Tempel die ganze Fläche, ähn- , a - - „und namhaften Städte Alfor, Magedo und Ga- „zara in der Philisterland gelegen, welche Pharao, „der König von Egypten, mit einem Heere überfallen, gestürmt, alle Einwohner darinn erwürget, ganz und „gar verwüstet, sie hernach aber feiner Tochter, der Ge- „mahlinn Salomons geschenkt hatte. Aus diesem Grunde „baute sie der König wieder auf, zumal sie auch noch von - „Natur fest und also in Kriegszeiten und bey andern „Vorfällen sehr bequem waren. Nicht weit davon baute „er zwey andre Städte und nannte die eine Bethchora, - „die andere aber Baleth. Ueber diese baute er noch an- „dere, weil es eine lustige Gegend war , welche gute „Luft, schöne Sommerfrüchte und viel Waffer hatte. „Darnach kam Salomon in eine Wüste, in Ober- Sy- „rien, bemächtigte sich derselben und baute darinn eine »große Stadt, welche zwei Tagereisen von Ober-Sy- „rien, von dem Fluße Euphrat aber nur eine, hingegen „von der großen Stadt Babylon fechs Tage reifen ent- „fernt war. Daß er aber bemeldte Stadt so ferne von „den bewohnten Orten des Syrer - Landes baute, „kommt daher, daß im untern Lande großer Mangel „an Waffer, und allein an demselben Orte fließende „und Schöpf-Brunnen gefunden worden. Als er nun „folche Stadt gebautet und sie mit großen Mauern befe- „stigt hatte, nannte er die Thadamoram, wie sie dann „auch die Syrer bis auf den heutigen Tag also nennen. „Von den Griechen aber wird die Palmyra genannt.“ 408 Fünftes Buch. Viertes Kapitel. lich derjenigen von Sophia, wo der gegen Osten und Westen sich verlierende Blick durch nichts beschränkt wird. In eben rechter Ferne seitwärts erblickt man den höchsten Rücken des Libanons mit feinen weißlich-gelben Felsen, und feinen, bis an die Hälfte seines Fußes sich hin nei- genden, blendenden Schneestreifen; dem blauen Hori- - Soweit Josephus. Nach dieser Angabe fcheint fehr bei stimmt hervorzugehen, daß das oben benannte „Baleth“ das jetzige Ballbek feye; die Lage, die Umgebungen, die Weite und Entfernung von Babylon (dem heutigen Bagdad) gibt der Muthmaffung: daß Salomon der Erbauer von Ballbek fey, den höchsten Grad der Wahre fcheinlichkeit. - - - Man erzählte mir fowohl in Ballbek als aufm Gebirge des Libanons viel völn den Ruinen von Thadmor. Ich wußte nicht was Thadmor war, und erst als ich wieder an den Ufern des Mittelmeers zurück war, erfuhr ich: daß es der arabische Name von Palmyra wäre. Hätte ich dieß früher gewußt, so würde mich nichts von der 9Reife dahin abgehalten haben, obgleich ein angesehener französischer Offizier, ungeachtet er in muselmännischer Kleidung den Weg dahin unternahm, von den streifenden Arabern oder Beduinen erschoffen wurde, da er ein paar sehr schöner mit Silber reich beschlagene Pistolen bei sich trug, nach deren Besitz sie lüstern waren. Ich lernte diefen Offizier im Gasthofe von Groß-Kairo, wo ich täg- lich mit ihm zu Tische geseffen war, kennen. Er durch " - kreuzte die nähern und entferntern Gegenden alle, ohne , daß mir seine eigentliche Absicht dabey bekannt war. Ich hätte dem guten Manne vertraut, der mich bisher be- gleitete. - - - - - - t Mit zit Mit is 11 Fle In - St. 13 r g i z z g l 4 / Befchreibung von Ballbet. - 400 - zonte näher, in fünften Wellungen, beinahe in gleicher Flucht, sind die obersten umriffe der Gebirgskette. Fän- den sich Seen oder Flüffe, so könnte man diese Gegend mit einer nicht wenig interessanten unfrer Schweiz ver- gleichen. Doch nein !!! nein! es mangeln die hundert Dorf- schaften, die Städte und Landhäuser, das rege, betrieb- fame Leben, die herrlichen Gefilde und Matten, hier fieht man nichts, als eine öde, menschenleere Wüste. Vor Jahrtausenden mag dieß wohl nicht der Fall gewe- fen feyn, und es ist mehr als bloße Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß damals diese ganze Ebene eher einem Paradiese glich; wie wäre es auch anders möglich gewe- fen, als daß fich in der Nähe eines solchen Wunders“ tausendmal Tausende sollten angesiedelt haben! Noch in einer meilenweiten Entfernung vom Tempel sieht man aus dürrem Riedboden eine prächtige Säule hervorragen, und auf dem Rückwege traf ich einen noch ziemlich er- haltenen Tempel,- von acht zierlichen Porphyrsäulen aus. einem Stücke gehauen an. Dieses Gebäude, ebenfalls mit edlem Geschmacke ausgeführt, bildete ein Achteck, hatte aber dennoch, wegen feiner Größe, die Kreisform. An verschiedenen Orten fah ich Kapitäler von Säulen, und andere Bruchstücke, über das dürre Gras hervorra- gen. Welch ein Stoff zu Betrachtungen über vergangene Zeiten, verblichene Herrlichkeiten in dieser Oede und in diesem Schutte, - 410 Fünftes Buch. Viertes Kapitel. - Es ist, wenn anders dieser Ausdruck nicht zu stark ist, als gefalle fich die Vorsehung darinn: alle Gegenden des Weltalls abwechselnd zu beleben, und da, wo das Leben fein volles Maaß erreicht hat, wieder Ruhe und Schlummer, und allmählige Oede walten zu lassen. So viele herrliche Orte der alten Welt sind nicht mehr, kann noch Spuren von ihnen. Was ist jetzt Aegypten und Griechenland? wo ist der Glanz und die Macht des Welt- beherrschenden Roms? Damals wußte man nichts von Paris und London, die jetzt Epocht machen, und in kom- menden Jahrtausenden frägt man wohl: „ wo standen diese?“ Was am höchsten steht, hat wieder am tiefsten zu fallen, und unaufhörlich wälzt des Schicksals Rad die Oede ins Leben, und das Leben in Oede; es treibt mit Welttheilen und Nationen, wie mit einzelnen Familien und Personen sein Wechselspiel. - Eine halbe Stunde rückwärts sprudelt aus reinen Sande eine Quelle von eiskaltem Waffer, hell wie Chry- fall; gleich bildet es einen Bach von zwölf bis fünf zehn Schuh Breite; ein Theil davon bewäfferte den Ten- pel. Was aber bey diesem Wandeln unter und über Rui- nen für den Kunstliebhaber eine unangenehme Sache ist, ist das: daß er nicht. Einen Augenblick allein sein darf, da er vor Plünderung nicht sicher ist. - Wein und Brandtwein waren ausgegangen. Mein vieles Schneeschloffen - und baar Waffertrinken verur- fachte mir einen Ausschlag an Händen und Füßen, der mir einige Tage lästig war; sobald ich jene Getränke wie- der genoß, war auch das Uebel gehoben. Gerne wär' ich nach Damaskus, *) nur zwei --- Ty Türkisch Scham, - i Abreise von Ball hef. 411. kleine Tagereisen hatte ich von hier, aber die Pest war an dort, und somit that ich auch gerne Verzicht auf diesen Abstecher. zu ist 5. --- Geschrieben in der Kajütte zwischen Cypern und der Kälte Karamanien. „ . Am dritten Tage reiste ich von diesem denkwürdigen „ Platze des Alterthums ab. Bei acht Stunden führt der „ Weg durch die verödete Ebene; sobald man die andere Seite derselben erreicht hat, ist man wieder auf dem Ge- ta Y biete der Christen, "und erkennt ihre Gränze an der bef- fern Kultur des Landes. - - s“ – Hier ficht man auf einem kleinen Raume, wie der Geist einer Regierung niederzureiffen und aufzubauen ver- - mag, je nachdem Grundsätze im beherrschten Lande ge- , handhabet werden. Die schöne Ebene Balberg also eine förmliche Wüste! An der Stelle des einst so bevölkerten Ortes halten sich jetzt, in den elenden Leimhütten, kaum anderthalb hundert Einwohner *) auf, und felbst von diesen wenigen wandern immer noch aus, um dem Drucke Und den unmäßigen Abgaben, die der Pascha des Gebiets erzwingt, zu entgehen. Die Sache und Beschaffenheit der Regierungen dieser Bezirke verhält sich nämlich so: In Konstantinopel werden die verschiedenen, minder bedeutenden Paschaliks *) auf eine Art wie vergantet- – - - - - - “) unter diesen mochten etwa dreißig Christen sein. ") Statthaltereyen, Landvogteyen. Wie Baronien von Ba- ron, fo Pafchaliks von Pascha. - - - - 412 Fünftes Buch. Fünftes Kapitel, und an den Meistbietenden überlaffen. Begreiflich will sich also der Pascha wieder entschädigen, und über seine Auslagen hinaus auch einen Vorschuß haben. Da drängt und erpreßt er also auf alle Art und Weise Abgaben, Diese Blutsaugerey bewirkt Verzweiflung, und entvölkert durch Auswanderungen die Ortschaften, daher dann die verödeten Bezirke ! Un nun in Konstantinopel Nachlaß zu erhalten, werden von Seite des Pascha Vorstellungen ge- macht: „daß die Gegend unbewohnt fey, und von einer Wildniß nicht so viel erhoben werden könne.“ *) Es ist also scheinbare Convenienz, um den Hofe weniger zu he- zahlen, wenn man verödete Landschaften aufweisen kann, und diese Absicht zu erreichen, ist ein Leichtes. Davon gibt die ganze Gegend den traurigsten Beweis. Im Lande des Fürsten des Gebirgs werden gleich, falls sehr starke Abgaben erhoben, aber sie sind durch das Gesetz bestimmt, und die Sicherheit der Person und des Eigenthums sind Vorrechte, welche die naheliegenden Gränzorte nicht haben; deswegen kommen die fleißigen Christen, sich in diesen wilden Gebirgen des Libanons anzusiedeln, wo sie dann vom höchsten Gipfel bis in die tiefe Kluft keinen Fleck unbenutzt lassen, der zu den . – ) Die Sache würde oft nicht fo befunden werden, wenn man davon Augenschein nehmen wollte, und sich über . . .“ „ - das vorhergegangene Verfahren des Gouverneurs et kundigte. . . . . . . . . - - - - - - - - - - - - d litt, ziel i J. zit: ill " - - - - Aufenthalt in Zach ly. 413 … Als ich die Länge von Ballbeks Ebene durchritt, und gegenüber in weiter Ferne, dem Auge kaum erreichbar, den Libanon erblickte, sah ich, näher der Gränze Per- siens, noch andere Schneeberge, oder vielmehr ein, dem Libanon ähnliches, hohes Gebirge, das auch mit Schnee- streifen hin und wieder durchschnitten war. Zachly liegt in einem engen Schacht zwischen zweyen, nahe sich drängenden Bergen, aber die Umge- bungen find zierlich, ein Garten am andern; mit hohen Silberpappeln *) alle geschmückt, thun sie eine reizende Wirkung; reines Waffer rauscht als beträchtlicher Bach zwischen durch. Der Ort ist ziemlich groß; alle Dächer haben eine und dieselbe Flucht, alle beinahe aneinander soffend und flach; auch hier auf jedem eine steinerne Walze zu demselben Gebrauche, wie auf den Dächern des Libanons, wenn Regen durchdringen wollte; vom ersten bis zum letzten Hause spaziert man entlang den Gaffen auf den Dächern, welches denn einen wunderlichen An- blick gewährt. - - - - - - - - - - Die Bewohner sind, einige wenige Drusen-Familien ausgenommen, alle Christen. Das Wirthshaus, wo aber, auffer einem leeren Zimmer, nichts zu haben ist, war zugleich Kloster und Kirche; auf der Treppe, wo ich ein Kämmerchen hatte, hielt ein Pater Schule. Meine Erscheinung war den Schülern wie den Lehrer ganz er- wünscht; diese Zerstreuung schien ihnen willkommen, und letzterer bekümmerte sich den ganzen Abend um seine Ju- gend nicht mehr. Nur, wenn es draußen auf der Stiege \- - - *) Sie übertreffen unfre gewöhnlichen, hieländischen an - schlankem Wuchs und an Höhe. . . . . . . . S. - 414 Fünftes Buch. Fünftes Kapitel, etwas zu laut wurde, sprang er plötzlich heraus und wamste mit einem langen Stäbchen, ohne Unterschied der Person, alle, vom ersten bis zum letzten, rechts und links, wo es hintraf, durch. Dies Stück Arbeit war, scheints, nicht neu oder ungewohnt, denn ich beobach tete, daß die ganze Menge sich sogleich in Verfassung setzte, den Kopf tief zwischen die Achseln einzuducken, so daß der dichte Kittel oben überragte und die Hände, unter demselben versteckt, in sichern Port blieben. Er stäubte, daß es einem Nebel glich; so wie sich der Pater diese Motion gemacht und dieselbe beendigt hatte, kann | sogleich wieder zu mir. Die Seltenheit, einen Fremden | zu sehen, mußte ihn dazu bewegen, die unterhaltung | konnte es nicht sein; mein wenig Arabisch reicht nicht. | weit, und von einer andern Sprache hatte er keine Idet. | Nachdem ich sechs Tage des Weines entbehren mit | und solchen hier wieder fand, ermangelte ich nicht frei lich zuzusprechen. Ich lud beyde Patres dazu ein, und | ließ noch etwas zum Nachteffen herbeischaffen. Man la | gerte sich aufs Dach und blieb am hellen Mondschein bis | zehn uhr. Die zwei Tage, welche ich hier gut durch. | lebte, und obendrein die Patres gastierte, kosteten mich l nicht so viel, als ein einziges Eisen in einen in haus bei uns für Eine Person. |'), es war hier eine so seltne Sache, einen Frauen. In ehen, daß, als ich außer den Ort hinaus ging, beim derten mir nachliefen, mich anzugaffen; und, wie in hier nur einen Europäer erblickt, ist es *) angenommen - Sache, daß er Arzt seyn müffe. - - ») Wie ich bereits auch schon früher von Oberägypten d) andern Gegenden, erzählte, E ueber den Kultus der Drufen. 45 - Maisch Hakim Maßsch Hatim, ich bin nicht Arzt!) mußt' ich einmal über das andere den Leuten zurufen, wenn ich nicht halb erdrückt werden wollte. Den folgenden Morgen reiste ich wieder ab, und nach wenigen Stunden war ich im Bezirk des Gebirgs, den die Drufen bewohnen. Gerne wäre ich in das Innere ih- res Gebietes gereist, um mich etwas näher von den Sit- ten und Gebräuchen dieses Volkes, das den Götzen die- net, zu unterrichten; aber der Mangel an Sprachkennt- niß würde diesen- Zweck unnütz gemacht haben. Indes versicherte man mich, daß ich, auch ohne diesen wesentli- dhen Mangel, im Allgemeinen wenig Unterscheidendes von den Christen hier erfahren würde. Ich begegnete vielen, sie zeichneten sich blos durch einen verschiedenen Turban aus. Hier sind etwelche nähere Umstände, die mir über diesen Gegenstand der Erzbischoff bekannt machte: „Ihr religiöser Kultus wird fehr geheim gehalten. Niemand, der nicht ihres Bekenntniffes war, konnte bis- her jemals Zutritt dazu finden. Man behauptet: daß sie ein metallenes Kalb anbeten; sie haben nichts von unserer Zeitrechnung und unfern Gebräuchen, hiemit weder Sonn- noch Feyertage, und die Zeit ihrer gottesdienstlichen Ue- bungen ist unbestimmt; sie nennen den Platz hiezu Chalui. “) Das Ganze wird, wie schon bemerkt, sehr im Verbor- denen gehalten. Die Priester tragen sich weiß, dürfen mit niemand effen, und leben ganz geschieden von andern, machen übrigens die Braven, scheinen sehr billig, vor- rtheilsfrey, sogar enthaltsam; verdeckt aber treiben sie was sie wollen. « - *- “) Ort der Zurückgezogenheit, , 416 Fünftes Buch. Fünftes Kapitel, „ Die Drusen theilen sich in zwei Klassen, in ge- wöhnliche Weltmenschen und in Inspirierte. *) Diese zeichnen sich sowohl durch ihre Kleidung als Lebensart aus; enthalten sich des Weins, Schnupfens, Rauchen, Fleischeffens, und leben beinahe ganz von Vegetabilien, Uebrigens sind sie betriebsame, rühige Leute; in Krieg, zeiten ziehen sie gemeinsam mit den Christen vom Gebirge gegen den Feind, und stehen, wie diese, unter dem Schutz und im Dienste des Emir Ubschir, *) Ihre Zahl soll sich auf die hunderttausende belaufen.“ - So weit die Auskunft, die mir der Erzbischof über die Drufen gab. - Aber, o Gall! wie kämest du hier mit deiner Schi delehre zurecht ! In welche babylonische Verwirrung ge- riethest du hier mit deinem System? Zugespitzte Schi del haben alle und jede Bewohner dieses Bezirk. Infi her Kindheit werden die Köpfe nach oben spitz gedrückt, und erhalten dadurch eine Form, die wohl eines neuen Systems bedürfte, das dann freilich nicht geeignet sie die Richtigkeit des alten stark zu bestätigen. " Die Frauen tragen sämmtlich das schon erwähnt Horn auf der Stirne. - *) Durch einen höhern Geist Geleitete und in diesen Geist - Redende und Handelnde. - - *) Name des jetzigen Beherrschers. ( Emit: Fürf) d t 4 l all int." d, 1,1 uß Auß # # ". Besondere Schreibmethode, 417 - - Unter der Menge von Schülern in Zachly war ein einziger Drusenknabe, und befand sich unter ihnen, wie die Eule unter den Vögeln; die übrigen alle geriethen über ihn her, und sprachen Schlimmes von den Seini- gen. Der Kleine aber wehrte sich tapfer, und sicherte mir einmal über das andere zu: „taibi Drusi, taib! *) Noch sollte ich ein Wort von der Tinte-Ersparniß in dieser Schule sagen. Statt Papier hat man ein schwarzes Brett, und statt Tinte dickes Leimwaffer. Mit der hölzernen Feder gezeichnet, erscheint das Geschriebene auf dem schwarzen Grunde gelblich. Ist das Brett über- schrieben, so wird der Leim wieder abgewaschen, um da Capo sich darauf zu excerziren. - - - - - - Mein Weg führte wieder gähe empor über viele Schneeschachten; dann von dort wieder abwärts über Steinfelsen, wahrlich, kaum zum Gehen, und scheinbar unmöglich zum Reiten ; die meiste Gefahr, welche ich befürchtete, war, daß das Thier fallen, und ich dadurch beschädigt werden möchte. Ein solcher Unfall in einem Lande, wo schlechterdings keine Chirurgie, nicht einmal dem Namen nach, bekannt ist, also auch keine Hülfe, weder durch Rath noch That möglich wäre, würde ein schlimmes Ereigniß gewesen seyn. Gottlob! ich erfuhr nichts davon. ) Brav sind die Drusen, brav D. d Als Fünftes Buch. Fünftes Kapitel. Ich war verwundert, sowohl auf diesem als auf an, deren Wegen nach dem Libanon nicht so viele seltene Schmetterlinge *) zu finden, als ich dachte. In D- raoun und dem Bezirk meiner Wohnung, sah ich keine mir unbekannte. Einzig in einer Waldung, beim Herat, steigen nach Balbeck, fand sich eine so große Menge, die ich den bei uns so seltenen Changeant aufm Pferd in Flug haschte. Einige Male stieg ich ab, um seltener nachzujagen; den blauen Schiller, den violetten, den großen Perlmutter, auch den Apollo, sah ich in Menge, und es gab mir nicht wenig Stoff zum Lachen, als der Moukra mit vieler Angelegenheit bemüht war ich bei ständlich zu machen, zu was diese Dinge dienten“), und ich verstund deutlich feine Meyuung: er mutmaßt, daß sie in der Medizin angewandt, und den Kranken eingegeben würden. - - - - - - - - - - - - - - - - - " - ) Meine ehemalige Liebhaberei. **) - In Aegypten, als ich zum ersten Male im Delta auf die Jagd ging, und die großen Prachtschmetterlinge, die wir bei uns nicht haben, in Menge herumstürmen sah, warf ich Flinte und Jagdtasche weg, fette über Haken und Gräben ihnen nach, UN sie zu erhaschen, Damals lachten meine Reisegesellschafter über mein Reißaus neh men, wie ich jetzt über die Meinung des Moufa, . . i Besuch beim Prinzen Stadt, 419 lik 6 . - - - - - - # Geschrieben in der Kajüte auf dem Archipel. - - - - - - Bald am Abend erreichten wir in der Tiefe ein Dorf und hier rieth der Treiber zu übernachten. Mein Ge- wäcke wurde abgeladen und auf einen freien Platz hin. geworfen; ich lagerte mich dazu, und ward bald von einer Menge Gaffern umringt, die mich jetzt, da ich übel gestimmt war, "isten. Ich hatte den Führer “ nach Wein und etwas er fürs Nachteffen ausgesandt, “ und spreitete eben meinen Teppich über die Steine zum “ Nachtlager aus, als " unter den Zuschauern einen “ schon früher mit Befremden beobachteten, schön gekleide- “ ten Mohren sah, der aber bald verschwand, und nun “ in Gesellschaft eines reich gekleideten Scheicks wieder. kam. - - - - - - - Dieser redete mich türkisch an, und fing nach einer Weile: ob ich nicht den Prinzen Saladin besuchen wollte?“ Der Ton war eher er uchend als fragend. Ich wußte nicht, wer Prinz Saladin war; zudem war mein Anzug, so wie meine Stimmung überhaupt, nicht geeignet, vor einem Prinzen zu erscheinen. Ich äufferte etwelche Bedenklichkeiten; der Scheich nöthigte aber „g höflich, doch zu kommen. Ich stund also auf und ging mit ihm. All meine Sache ließ ich auf dem offenen Platze - liegen. Der Führer war noch nicht zurück. Ich konnte aber ohne Sorgen gehen, in diesem Lande stiehlt man - nicht. - - - “ Nach einer Strecke Wegs gelangten wir zu einem * für hiesiges Land schönen Wohnsitz es begann schon D d 2 - 420 Fünftes Buch. Sechstes Kapitel, etwas zu dämmern, als ich in den Vorhof geführt wird, hier fand ich den Prinzen, geleitet an einem Arm durch einen Gesellschafter, und in der andern Hand mit einem Stocke vorsichtig den Weg untersuchend. - Ach, ich hätte nicht nöthig gehabt über meinen Al- zug zu kümmern, blind war der Prinz. Von den jetzt et gierenden Fürsten, einem nächsten Verwandten, wach er, nebst zwey feiner Brüder, geblendet, Weitauf sperrte er die mit einer weißlicht gelben Haut überlegt, nen Augen; mitten im Auge sah man die Verletzung, welche das glühende Eisen gemacht hatte: "" Ich hatte schon früher etwas von dieser Geschichte erzählen hören, aber sie war mir gänzlich wieder entfal- len; um so mehr wirkte jetzt dieser Anblick unglaublich stark auf mich. Man sagte dem Prinzen: daß ich da sei. Ein kommte mich freundlich. Er sprach etwas türkisch, und es hat mir unaussprechlich leid, nicht besser in dieser Sprache bewandert zu sein, denn der Stoff zu interei, fanter Unterhaltung mangelte nicht, wohl aber die Worte. Er ließ mir ein in der Türkei übliches Gerät, von Zucker, Citronen und Rosenwasser vermischt, in chen. Seine Physiognomie war empfehlend; sanfte, ließ liche Züge herrschten darin vor, die Augen schienen hat gewesen zu sein. Er mochte kaum fünfundzwanzig Jahre zählen. Er war gesprächig, und feine unterhaltung in rieth Kenntniffe und Bildung. - - Ich wollte mich späterhin verabschieden, aber i | ward von ihm genöthigt, zum Nachteffen zl hleiben. Es - geschah unter einen Baume, . . - - - S in Mut mit i : Aufenthalt be ym Prinzen Saladin. 42t Die Mahlzeit war nicht luxuriös; sie befund aus sechs bis acht Gerichten, nach Landesart bereitet und ge. noffen, ohne die bei uns üblichen Hilfsmittel von Mes fern, Gabeln, Löffeln und dergl. Er brach von der er- sten Blatte, Reis in Reblaub gewickelt und gebraten, ein Stück in zwei Theile, bot mir eines und genoß selbst dae andre; ich könnte aber nicht sagen, daß ich nur einen Biffen ruhig gegessen hätte, immer sah ich in die weit offenen, todten Augen, und das Bedauern mit diesem armen, blinden Manne raubte mir Ruhe und Appetie, - Des Gesichtes beraubt, sucht er Zerstreuung in der Musik; er selbst blies eine Gattung Klarinet; dann ließ er die Violine kommen. Die beliebte Ballade: „Marlborough zieht fort zum Kriege ic.“ *) war ein Hauptstück. Ich habe schlechterdings keine Kenntniß von der Tonkunst, sollte also auch nicht urtheilen, aber ich glaubte, nie etwas auf diesem Instrumente gehört zu ha- ben, wo ich mehr berechtigt gewesen wäre, die Ohren zu verhalten, als hier! Leid that es mir, zu beobachten: daß die Anwesenden sich Gewalt anthun mußten, das Lä- cheln zu verhalten. - - - - - Einer seiner Gesellschafter wünschte meinen Uhren- fchlüssel zu haben; ich äußerte, daß ich solchen nicht weggeben könnte, in Rücksicht aber, daß er zum Ge- folge des Prinzen gehöre, soll es geschehn; ich sagte also den Preis. Der Prinz nahm seine goldene Kette von der *) „ Marlborough sen vat etc.“ Die Worte sind sogar in das Arabische übersetzt, und oft hört man in dieser - Gegend dieß Lied, 422 Fünftes Buch. Sechstes Kapitel, uhr und bot mir fiel als Tausch; sie war altmödig, aber doch vom doppelten Werthe des Schlüffels; ich wußte nicht, daß dieser Kauf dem Prinzen galt, und war in Verlegenheit die Kette anzunehmen; man verdeutete mit aber, daß es der Prinz übel nähme, und somit nahm ich sie unter Dankbezeugung an. Diese Kette Saladins hin, terließ ich nachwärts bei meiner Abreise den Erzbischof zum Andenken. - - Die Geschichte dieser drei unglücklichen Brüder, Sa, ladin, Selim und Haffe im verhält sich, wie mit gesagt ward, fo: „Ihre Geburt schien sie zu Ansprüchen auf die Regierung zu berechtigen; sie wurden durch ihre Minister geleitet, und verhielten sich, ihrer Jugend wil- - gen, ganz ruhig. Als aber der jetzt regierende Fürst die Sache entdeckte, bemächtigte er sich der Minister und Prinzen, brachte jene sogleich ums Leben, diese uns Gesicht! Sie sind so viel als gefangen, und dürfen sich nie verehlichen. Vor etwa fünf Jahren wurden die zwanzig bis fünf und zwanzig jährigen Jünglinge g- blendet. - - - Den jetzigen Emir Ubfchir rühmt man als einer guten Christen; *) er soll täglich zwei Messen halten lassen. Ich sagte aber dem Erzbischoffe, daß, wenn er auch zwanzig halten lieffe, ich für solch ein Christentum - - dankte! Er zuckte die Achseln und äußerte: „wir wäre in der Levante, wo dergleichen Auftritte nicht ganz feind sehen.“ Des Erzbischoffs Familie selbst litt indeseile ) Er ist es jedoch heimlich, da es die Pforte nicht ist - darf. . Ankunft in Daraoun. 423 „ diesen Vorfälle sehr, da die Partie für die drei Brüder i genommen hatte: sie ward beinahe um ihr ganzes Ver- “ mögen gebüßt, - - - Z :: Als ich in Daraoun wieder ankam, rief mir alles freudig entgegen; es war des Grüßens kein Ende! Aber "o, mein Haus! es war ganz mit Seidenwürmern ange- füllt, kein Platz mehr für mich darinne. Scheick Nou. : fel,“ so hieß der Vater des Erzbischoffs, und seine bey- z, den Söhne boten mir freundschaftlich ihre Wohnungen a“ zum Aufenthalte an. Ich mußte nothgedrungen wohl eine annehmen, und wählte die von dem ältern Sohne, Germanos. Das Haus war eigentlich elend und nicht es viel besser, als das meinige, aber die Lage entzückend: k: " Es lag beynahe auf dem Gipfel des Berges, an einige n - - Felsblöcke hingeklebt. Selten wird man eine reizendere, n“ ausgedehntere Aussicht finden; es war die schönste von Daraoun! Zwanglos lebte ich bei meinem Wirthe, die- fem Originale von Wildheit und Unordnung, der aber damit die höchste Gutmüthigkeit verband. g -- Er war unverheurathet und wirthschaftete ganz al- lein und vollkommen nach seiner Laune innert diesen vier Mauern. Nur des Morgens kam eine Magd zur Besorg- „ , ung der Kocherey, *) und ging des Abends wieder heim. - - - *) Nicht der Küche, denn bier, wie schon bemerkt, weiß man nicht, was dieses ist; beym fchönen Wetter kocht man unter freiem Himmel, bei schlechtem in dem soge“ nannten Wohnzimmer, 424 Fünftes Buch. Sechstes Kapitel - Ob ich effen wolle?“ hieß es oft Morgens um neun Uhr; ich äußerte dann, daß es ja noch nicht Zeit sei, und noch lange dauere bis Mittag. „Ey, was Mittag man ißt hier, wenns einem gelüstet!“ So ward oft drei, mal in einem Tage aufgetischt, oft auch nur einmal, wer da war, setzte sich auf den Boden und leistete G. fellschaft. - - - Germanos fchlief unter einer Gattung Lauberhütte - am Vorsprung des Hauses; ich im Hause, in Gesel, schaft von hunderttausend Seidenwürmern; doch störte mich das Krabbeln derselben nicht, wie ich Anfangs be- fürchtete. Ich hätte also auch können in meiner öden Wohnung verbleiben, aber der Besitzer derselben hätte es nicht eingegangen; man hatte dem Manne damit warm gemacht, daß man ihm sagte: feine Seide würde nicht gerathen, weil er einen Unchristen in einem Hause beherberge. Pater Vinzenzo machte ihm bittere Vorwürfe, daß er einen Engländer in seinem Hause dulde, und prophezeite ihm nichts Gutes. Der Mann sagte mir dieß selbst. - - Meine Stiefel waren so übel beschaffen, daß ich auf her Rückreise genöthigt war immer zu reiten, weil ich zu Fuße nicht mehr darauf gehen konnte; ich gab einem Schuster in der Gegend zum Ausbessern; aber, sieh da einen Handgroß schwarzen Fleck auf den ei- ten, und aufn andern einen rohen hingepflastert, erhielt i d. ich sie zurück. Der Mann mußte es geahnt haben, def | Ky ill 1 Louston an verläßt das Kloster Chariffa. 425 ich ein Fabrikant, und somit ein Liebhaber von Farben- spiel war. Um diesem für dermalen abzuhelfen, traf ich die nöthigen Maaßregeln, und, zufolge Hülf und Rath der Chemie, nahm ich das Tintenfaß, und übertalgte den rothen Fleck mit dieser Ingredienz; am folgenden Morgen zeigte sich eine harmonierende Nüance zwischen den beiden vorher fehr unharmonischen Flecken. Schon den ersten Tag nach meiner Rückkehr vön - Balbeck, kam Loustonan zum Besuche; er kam von ganz andrer Seite her, als gewohnt, und erzählte mir nun: wie auch er von Chariffa feit acht Tagen weg fey; „die religiösen Funktionen, womit Pater Vinzenzo ihn fort- dauernd gepeinigt, noch mehr aber das tägliche Hadern - und Zanken, hätten ihn endlich ermüdet und fortgetrie- ben, er habe ihm zum Abschied gesagt: „Vous ne restez Plus qu'à deux au couvent. Vous – et le Cocq, – l'un oriera Pendant le jour et l'autre de nuit! . . - 7. - - - - Geschrieben in Salonichi. Vor meiner Abreise war die ganze Gegend von den überall angepflanzten Maulbeerbäumen ziemlich grün.“ Mör- gens und Abends wimmelte es darunter von Menschen welche Blätter pflückten. Jetzt nahte die Zeit der Ver- wandlung der Raupen, und nach drei bis vier Tagen erkannte man die Gegend beynahe nicht mehr. Alles Grüne - - „- 426 Fünftes Buch. Siebentes Kapitel. ward weggeschnitten, und nur der Stamm und wenige Hauptäste kahl gelaffen, damit neue Blätter treiben, zur - - . . Fütterung der Kühe im Herbst. Dieser nützliche Baum erhaltet dieses Land, und ohne ihn bleibt die Gegend um bewohnt und wüste. Es gibt kein Haus in dieser Gr gend, das nicht für diesen Erwerbszweig aufs bequemst eingerichtet wäre, um ja denselben mit der möglichen Vollkommenheit zu betreiben und zu bearbeiten. - Eines Morgens frühe ging ich mit Germanos zu Erzbischoff nach Bakusch; der Weg führte unweit den Sorianer-Kloster vorbei. Hier lag eine große, todt Schlange, ein junger Vogel, den sie im Leib hatte … noch ganz und unversehrt neben ihr. Am folgenden Tag als ich Loustonau, der in diesem Kloster einquartiert war, sah, war ein Erstes: „Wissen Sie etwas Neues? Ich ward Heute von den Mönchen zu einem delikaten Frikot, bestehend in einer großen Schlange, eingeladen.“ Loui tonau bedankte sich höflich für das ungewohnte Mal, und versicherte: daß es sich die Compagnie auf beste schmecken ließ. Es war die nämliche Schlange, die gº stern todt auf dem Wege lag. Das Gift dieser Thiert s - - - - - zum Vorschein, - - - - - - liegt in einer Blase unter der Zunge, einmal den Kopf - *) Die Schlange hatte ihn wahrscheinlich (wie bei diesen - - Thieren gewohnt) ganz verschluckt, jetzt zerschmettert - - lag das Eingeweide daneben, und der Vogel kam der t: Eine Abtiffin raucht Tabak, 427 weg, ist keine Gefahr mehr im Genuß; sie sollen äußerst viel Fett haben. - - - Unweit Baklufch ist ein Frauenkloster. Die Frau Aebtiffin saß auf einer Mauer, und geruhte aus einem fünf Schuh langen Pfeifchen zu rauchen. Ich weiß nicht warum, aber dieß war mir zuwider, und ich kann den Anblick eines Weibes nicht leiden, das raucht; in dieser Gegend ist es sehr üblich und in Indien allgemein. – – – Man befand sich hier auf diesen Höhen, wie außer der Welt, und von dem, was in Europa sich ereignete, wußte man hier kein Jota. Um nun etwas davon inne zu werden, wollte ich mit Loustonau nach Gazir, drey Stunden weit, wo der Sohn des Fürsten wohnt, er hatte einen Franken zum Arzte, und dieser konnte ein Mehreres wiffen, Morgens sehr frühe machten wir uns auf den Weg; zufälligerweise trafen wir auf einen Scheick, der uns versicherte: daß wir den mühsamen Weg vergebens ma- chen würden, weil überall ausgestellte Wachen des Für- ften alles Weiterreifen unnütz machen. - - , Loustonau war Abends zuvor spät bey mir geblieben, und verlor im Rückweg zum Kloster feinen Tabakbeutel; er äußerte, denselben suchen zu wollen, da wir uns un- weit vom Wege befänden; ich versicherte ihn aber, daß er sich unnöthig Mühe gebe, da wohl schon gegen die fünf 42s Fünftes Buch. Siebentes Kapitel, zig Personen. Heute den Tag über vorübergegangen sein möchten. Er ging aber gleichwohl; wenige hundert Schritte, mochte er gemacht haben, als er den Beutel im Wege fand. Ich verwunderte mich hierüber. Der Scheick äußerte aber; „daß die Vorbeigehenden die Sachen nicht aufhöben, weil sie nicht ihnen feyen, und sie muth, maffen, daß der, der sie verlor, sie zu suchen wieder umkehren werde; wenn es aber von einem aufgehoben würde, so brächte er es zur Kirche, wo es an die Thüre gehängt, und auf diese Weise sicher feinem Eigenthümler wieder zukommen würde.“ Sehr oft haben sich schon Geld- beutel mit beträchtlichem Inhalt an der Kirchenthüre g- funden. Das „C'est par tout comme chez nous, traf hier nicht ein. - - Eines Tages ging ich als Gast nach Aosta, zu einem Verkbandten der Familie Casano. Die Behandlungsweise war in jeder Rücksicht, wie überall; aber statt eines sil- bernen, trug die Frau vom Hause ein goldenes Horn, das bey 1500 Piaster kosten mochte, - Scheick Germanos wandte alles mögliche an, mir den Aufenthalt bey ihm angenehm zu machen; dem ungeachtet mißte ich fehr meine stille, verödete Wohnung, wo nichts mich störte und ich allein sein konnte (ein Hauptbedürf niß für mich!) beinahe stündlich kamen Bekannte zum Besuche. Bei diesem müßigen Leben, beim gänzlichen Mangel an Unterhaltung und Hülfsmitteln, allein sich in ". . - Mit :: # ärt z- i Sehnsucht zur früheren Wohnung, 429 teressant zu beschäftigen, ist dies gegenseitige Besuchen der einzige Zeitvertreib dieser Gebirgsbewohner. Eine zweyte Hauptsache, die mir mangelte, war mein bequemer, in Seilen hängender Schreibtisch in der ver- laßnen Wohnung; wenn ich schreiben wollte, so mußte ich es hier auf den Knien thun; dann kam die ganze Sippschaft, und wollte wissen, was ich schrieb und war- um ich schrieb? Man belästigte mich mit hundert Fragen, die, bei dem Mangel an Sprachkenntniß, mir nicht mög- lich waren zu beantworten. Zu diesen Allen kam, noch der wesentliche Mangel meiner Küche; denn, obgleich ich in dieser Kunst und Wissenschaft noch ein eigentli- cher Neuling war, so hatte ich doch so viele Fortschritte gemacht, daß ein großer Unterschied zwischen der meinen und der ihrigen statt fand. In diesem Lande ißt man, gleich den Vierfüßigen, roh, Ackerbohnen, Erbsen, Knoblauch und Zwiebeln, Kohl und Kohlrüben; ganz grüne Trauben; das Junre von Tannzapfen; das von Disteln. Man verehrt sich kleine Kukumern, die häufig den ganzen Tag über genossen werden. Am Tische wer- den als Zugaben zum Fleisch verschiedene Grasarten, und als Deffert eine Menge wohlriechender, die Zunge beiß- fender (scharfer) Kräuter gespeist. Das Ganze aber ist für einen Europäer wenig behaglich, und oft geht man mit hungrigem Bauch vom Tische; sodann wird so schnell gegessen, wie bei den Türken; auch hier ist, wie bei diesen, die Uebung, daß nach dem Tische die Hände, das Gesicht und der Mund gewaschen werden. Für Un- fereinen verursacht auch diese unappetitliche Sitte, Eckel, fo wie die Art des Effens selbst. Es kam einst ein Schaafkopf in der Haut auf den Tisch; jeder kneipte 430 Fünftes Buch. Siebentes Kapitel mit den Fingern so lange daran herum, bis der Knochen kahl war. Ich fand eine erwünschte Ursache noch vor Beendigung der Mahlzeit aufzubrechen. Kurz, stündlich lehnte ich mich zurück nach meiner Eremitage, und täglich ging ich hin, um zu sehen, ob die Raupen noch nicht alle eingesponnen wären. Nach Verfluß von acht Tagen waren es alle, und die Ereig, niß machte mir wahrlich nicht geringe Freude! Das Gespinnst war so fest und hart, und gewährte eine solche Güte der Seide, als beinahe fast nirgends in der Runde herum! Der Hauseigenthümer machte mir ein freundlich Gesicht, und lud mich ein, wieder zu ihm zu können ; feine Kinder waren darüber vor Freude außer sich, und die ganze Nachbarschaft sah meine Rückkehr gerne; mehr oder weniger hatte jeder etwelchen Genuß durch meine Gegenwart, und man hat hier, wenn man gibt, die tröstliche Sicherheit, daß man keinem unwürdigen, son- dern wirklich einem Bedürftigen gibt. Eine Kleinigkeit in diesem armen Lande scheint eine beträchtliche Wohl - - - - Aber auf den guten Scheick Germanos wirkte das Beziehen meiner vorigen Wohnung gerade das Gegenheit, er konnte nicht begreifen, warum ich fort in das öde Haus wolle; er meinte, daß er etwas versehen hätte, und wollte mich nicht weglaffen; ich aber, um nach meinem Wohlgefallen zu wohnen und zu leben, mußte es darauf ankommen lassen, ihn in etwas zu erzürnen. - - - “ - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - . . . . . . . . . . . . . . - - - : - - - - - - - - - - - - , - - - Neue Wirtschaft. 43 " Ich war nun wieder allein, konnte ungestört lesen - und schreiben, kochen und effen, wie und wann ich wollte. Eine Hauptsache war der Caffee *) am Morgen! Vor „ dem Hause, etwa um sieben Uhr, setzte ich mich in die Kühle, wo sich dann mein Gemüth im Anschauen der Gegend verlor, die sich so still und ruhig vor mir über „ - - s - - - - - - - - - - Land und Meer hindehnte, nie ward sie mir gewohnt; immer erschien sie mir neu und schön; über eine Stunde dauerte mein vergnügtes Morgentrinken auf diesem Platze. II - - - - - So wars auch beim Nachteffen, auf eine Stelle so be- schattet von Reben und einer Gattung Bäume, die schö- - - „, ne, rohe Blumen trugen, gleich vor meiner Thüre, trug ich gegen die Dämmerung mein Eisen und meinen Wein, der im Munde angenehmer war als der beste Hin- " beeressig; wie dieser aber eine Gattung Säure zurück- - läßt, so hinterließ jener eine Süße nnd ein lieblich er- wärmendes Feuer, nicht berauschend, sondern ungläublich - - angenehm. Tiefere Dämmerung begann, und die Sonne 's tauchte sich schon lange ins Meer. Nicht wie in Aegypten “ und unter Neapels Himmelsstrich, blendet hier das bren- nende Abendroth; meist schwefelgelb und matt war der Horizont, auch beim hellsten Wetter; länger blieb ich fizen in der lieblichen Kühle **), die hier nicht schadet; Mücken, Fledermäuse und dergleichen störten mich nicht. Unter mir, über mir, in der Runde herum tönten Ge- fänge und die Stimmen der sich einander aus der Ferne - *- ' - *) Was ich, wie ich oben bemerkte, im Kloster Charissa unter andern Umgebungen entbehren „konnte, war mir hier wieder lieb geworden. *) Ohne Thau. 42. Fünftes Buch. Achtes Kapitel - / zurufenden Bekannten. Bis gegen Bernt liegen, Meere und auf den Gebirgen, begann ein Feuer a # s andern aufzulodern; der Anblick glich einer fünf Illumination. In liebliche Träume der Phantasie ät, gewiegt, war ich Stundenweis wie in eine andere Welt versetzt. Oft beim Erwachen aus diesen Träumen belegt tete der helle Mond die Gegend, ich sah nach der urs war Mitternacht, ruhig hatte ich geschlummert; das begab ich mich in die in "meinen Kauder sack, und träumte in jenen vorübergezogenen Sie dern der Phantasie fort, bis an den Morgen, wo Mit Sonne durch die Riffe und Spalten der Thüre und den F: mir zu verkünden: daß es Zeit zum Eift - - Ich war nicht mehr neu, mithin von Seiten weniger belästigt, die mich anfänglich belustigten, auf die Letzte aber langweilten. . . . . . . . ." - “ - - : - - , - - - - - - - - - - - . . .“ - … - K. - - - - - - - - - - - - - - - - . . . . . . . " . . . - -- - - . . - - - - . . . , . . . 8, - - - - - - - - Die Seidenräder wurden Tag und Recht, Sout- and Werktag im Gang erhalten und gehört. Auch in Backusch arbeiteten die Mönche am Sonntag. In dieser regen Zeit war ich eines Montag Morgens bei einige Scheicks unter einem Baum gelagert. Loustonau sah mich von ferne und kam auch; ich fagte ihm von der Sonntagsbeschäftigung. Er erwidert hitzig: „daß dieß unrecht wäre, weil man den Tag des Herrn feyern müffe, Moses habe es klar befohlen. Ich n : ist g Z . i Bruch mit Loustonau. - 433 entgegnete ihm: Wenn er die umstände der Seidenmani- pulation kennte, würde er anders urtheilen; *) er erwie- derte aber noch barscher: „daß es keine Verhältniße oder Umstände gäbe, die des Herrn Befehl aufhöben.“ Ich berief mich auf die Stelle der Schrift, wo Christus diese Sache deutlich erläutert habe: „Wenn am Sonntag der Esel in die Grube falle, solle man ihn herausziehen, folg- lich in Nothfällen Hand anlegen.“ Es erfolgte lebhaftere Rede und Widerrede, das Ge- spräch war mir unangenehm. Die Scheicks konnten den- ken: daß es immer zwischen uns so töne, auch wenn wir allein wären. Ich sagte ihm: wenn er mehr nach Moses ginge als Christus, so gehöre er zu den Juden. Er war noch aufgebrachter, und hatte die Güte mir hinzuwerfen : „ich schwarze wie ein Diodor!“ Ich dankte für die Höf- lichkeit und sagte, daß er mich wenigstens in eine zahl- reiche Klaffe versetze, weil vom Papste bis zum untersten Kapuziner seines Bekenntniffes, vom ersten besten Geist- lichen bis zum schlechtesten der meinigen, alle dieser Mey- nung wären; hiemit wandte ich ihm den Rücken und ging rechts, da er links einschlug, - - *) Die eingesponnenen Manpen werden niemlich der Son- nenhitze auf dem Dach ausgesetzt, um die Puppe darin zu tödten. Nun aber war zeither die Hitze nicht in dem hiezu nöthigen Grade, sondern eher dazu geeignet . . das Ausschliefen des Sommervogels zu fördern, in welchem Falle aber dann das ganze Gefpunst der Raupe verloren und zum Gebrauche untauglich ist. Es war also schnelle Beseitigung dieser Arbeit höchst dringend und unaufschiebbar, F e r, 434 Fünftes Buch. Achtes Kapitel, Ich könnte nicht sagen, daß mir der Bruch mit Louis- tonau ganz unangenehm war. Seit ich mich allein be- fand, stellte er sich immer und jeden Tag zur Essenszeit ein. Anfänglich war es mir nicht zuwider, aber auf die Letzte langweilte es mich sehr; nicht wegen den Kosten, denn diese waren fehr unbeträchtlich, sondern wegen der etwas zurückstoßenden Art und Weise sich einer verstüm- melten Hand zu bedienen; zudem blieb er mit täglich vier, fünf Stunden aufm Hals; genirte mich in meinen Beschäftigungen und fiel mir durch die immer wiederholt ten Tollheiten feiner Prophezeyungen und Auslegungen der Offenbarung Johannis sehr beschwerlich; was mich anfänglich belustigte, ärgerte mich auf die Letzte; er war sehr hitzig und konnte keinen Widerspruch ertragen, und ich, ich hingegen konnte nicht einsehen: aus welchen Grunde ich verbunden sein sollte, permanente Narrheiten geduldig anzuhören, oder mich in einer Gesellschaft mit stimmen zu lassen, während ich allein sehr vergnügt ge- wesen wäre. Er versuchte es späterhin zum zweiten Mal Friede zu machen, ich wich aber aus, da er mir immer mehr zuwider erschien. Hiezu kam noch, daß er sich in der ganzen Gegend wegen feinen Prophezeiungen verhaßt gemacht hatte. Bey meiner Abreise ließ ich ihn durch ei- nen Bekannten ein versiegeltes Paquet zustellen, da seine aus Frankreich gehofften und fchon lange erwarteten Beh- feuern noch geraume Zeit ausbleiben konnten, Mein Commiffionair oder Bediente war wegen Sci- denverarbeitung, indeiß ich mich in Ballbeck aufhielt, weg und kam bey fechs Wochen nicht wieder; nun war ich ge- nöthigt bald zu diesem, bald zu jenem meine Zuflucht zu nehmen. Kein ander Wort als arabischward verstanden, Reife nach dem Cedernwalde. 435 “ und nothgedrungen mußt' ich mich befleißen, mich in die- ser Sprache verständlich zu machen, auf die Letzte ging es geläufiger als das Türkische. - :: Auf meiner Reise nach Heliopolis durchzog ich einen großen Theil des Libanons. Ich dachte mir diesen Berg - - s - - - voller Cedern und war begierig diesen Baum kennen zu lernen, aber während sechs Tagen in denen ich den Berg durchkreuzte, fand ich keinen Wald, wenigstens keinen Platz der bey uns für einen Wald gelten würde. Eine Menge Grün-Eichen und noch mehr der arbor vitae (eine Gattung Sevi) die freilich zu sehr großen Bäumen an- wachsen, fanden sich abwechselnd bald tiefer bald höher, nicht aber als schattigte Waldung, fondern als einzeln des andern erreichte, in dieser Gegend. Aber gleichwohl fand sich ein Cedernwald aus uralten Zeiten auf dem Gebirge. Das erfuhr ich vom Erzbischoff; in Armenierkloster hört' ich die Bestätigung davon, und in Ballbeck fand ich Leute von Bfcharrai, einem Ort, - ganz in der Nähe des berühmten Waldes, die mir Wunder " erzählten, theils wegen der Größe der Bäume, theils von der abentheuerlichen Heiligkeit des Orts. So z. B. wollten die Hirten von Holz dieser Cedern Gebrauch ma- chen, um die Milch zu scheiden, aber die Milch verwan- delte sich in Blut. Alle Jahre werden im August Meffen “ von den verschiedenen christlichen Confessionen unter den größten Bäumen gehalten. Am Morgen dieses Tages seien - E e 2 stehende Stämme, wo selten der Schatten des einen den 435 Fünftes Buch. Achtes Kapitel, die Steine an dem Cedern stamme ganz, und Abends alle durchlöchert, und dergleichen. - “ Die Hälfte dieser Berichte genügte zum Entschluß diesen Wald zu besuchen; aber ich war auf der eng, gengesetzten Seite und es ging ein Gerücht, als sey die Pest in Bscharrai. In Daraoun wollte man mir diesen Ausflug verleiden: „ich sähe nur Bäume wie an andern Orten; ich setze mich der Pest aus, . . w... Aber mein Entschluß war gefaßt; ich wollte gehen, koste es was es wolle. Endlich beseitigte ich alle Hindernisse und reiste den dreyzehnten July dahin ab. - - - --- s Das Reisen ist hier zu Land nicht so kostspielig wie bey uns! Ich beritt ein zierliches Maulthier, der Führer einen Esel. Für alles bezahlte ich täglich drey Piaster (ungefähr 18 bis 19 Batzen hiesigen Geldes), das Fut. ter kam auf Kosten des Führers. Den ersten Tag ging es den nämlichen Weg wie nach Balbef, dann aber ward abgelenkt und eine andere Bergkette bewandert. Es fand sich weniger Schnee als auf der frühern Reise durch diese Gegend, und die Plätze, wo die schönen, rothen Blumen fchimmerten, waren nun lebhaft grün. Wir begegneten mehrern Hirten mit Doppelflöten, die aber mit Geßners nichts anders als dieß gemein hatten. Der Ton klang nicht übel und war erfreulich in dieser verlaßnen Schöpf, ung! Der Pfad leitete meist über den höchsten Rücken des Gebirgs, und in der tiefsten Tiefe fah man oft hie und da ein Kloster, wie auf verlorner Schildwache, hin- - Reife nach dem Cedernwalde, 437 “ gebaut. Häuschen lagen in der Runde herum mit ihren - Umgebungen von Seidenpflanzungen. Es muß, wenn fchon tiefer Schnee in diesen Thälern, oder vielmehr Lö- en chern, liegt, nicht so kalt machen, wie bey uns, da der Maulbeerbaum nichts von der Kälte leidet. Ich schlief Unter einem solchen, als wir auffer dem Dorfe A chorg übernachteten. Die Einwohner waren vorsichtig wegen der Pest; wir durften kein Haus berühren, hingegen " brachte man unentgeldlich Brod herbey und legte es ferne : von uns auf den Boden. - - - - Morgens bey. Tagesanbruch gings weiter, immer über steile Pfade aufwärts, oder gähe hinunter. Um den Mittag erreichten wir einige kleine Thäler, umzingelt von höhern Gebirgen. Sparsam proßte hin und wieder Gras, “ und siehe da, unvermutet ein kleines Lager wandernder " Araber in verschiedenen Abteilungen. Das Ganze mochte etlich und dreyßig Zelte betragen. Es war überraschend hier mitten in einem christlichen Lande ein Trüppchen Heiden *), wie mitten in Türkischen oft einen Trupp - *) Wenn zwey Araber sich begegnen, fo nähern sie sich ein- ander, die rechte Hand auf die linke Seite der Brust be- . wegend, und von da des Begegnenden flache Hand be- rührend: „Salaman“ ist der Gruß des einen, „Taib“ „ der Dank oder die Antwort des andern , auch wenn sie früher einander nie fahen. Kennen fiel sich aber, fo ist die Freude des Wiedersehens anhaltend wirksam, und - äußert sich, wenn nicht in vielhaltigen Worten oder Kom- f plimenten wie bei uns, doch in vielfachen Wiederholun- gen. Oft war ich Zeuge, wie es gegenseitig über eine 438 Fünftes Buch. Achtes Kapitel, Christen zu begegnen; fie hatten beträchtliche Heerden von den verschiedenfarbigsten Kameelen, nebst ihren Jun- gen, von Hornvieh alt und jung bey sich. Prachtpferde *) mit Füllen; Schaafe und Ziegen belebten die Thüler des kleinen Bezirks. Die Ziegen waren besonders schön, Silberfarb und weiß mit langen Haaren, beinahe bis auf den Boden; sie gleichen den angorischen, nur daß dieser ihre Haare feiner sind. Die Zelte dieses Trupps war nicht so elegant, wie die in Aegypten, alles aber arbei- tete darinn, was Weiber und Kinder waren, wie bey jr- MEN, Die Truppe schien übrigens ärmlich" und ist «) Minute fortdauernd schallte: „Salaman - Salaman - taib – Salaman – taib – taib – taib taik-' Aber eben auch dieser herzliche Gebrauch der geg" feitigen Händeberührung verbreitet die Pest unsäglich schnell durchs ganze Land. Wie in gewissen Ländern das daselbst geheiligte Perga- ment die Namen der Ahnen und dem zufolge das Abiprol fen von edelm Geschlecht beweiset, so in den Morgen" dern, hauptsächlich in Arabien, wird der Adelsfamm" Pferdes dargethan. «- - Aufgewiesen wird, daß das Füllen von dem der " fem Hengst erzeugt, der oder dieser Stute und keiner andern geboren worden fey. Die Unterschriften der Zeu gen dienen als Urkunden und Beglaubigungsscheine für defen edle Abstammung. Der Preiß wird nach Maß" und Beschaffenheit des Geschlechtsregisters gesteigert. ? Pferde gelten schwere Summen, wenn sie es werth find, sogar auf dem Libanon sah ich Stuten, für welche über 2000 Piaster bezahlt wurden. :: : Der Cedernwald. 439 keineswegs von Wohlstand, wie die an der ägyptischen Gränze. Der Fürst des Gebirgs gestattet ihnen gegen Bezahlung die Nutznießung der Weiden und den Aufent- halt auf diesen Höhen. - - Weiter gings vorwärts, endlich in der Abendsonne, uns gegenüber, etwa sechs Stunden entfernt, sieh da, der Cedernwald! Ich möchte wohl meine Freunde fragen: welche Vor- stellung sie sich machten von Libanons Cedernwald? Wenn ich nicht irre, so wird sie ungefähr derjenigen gleichen, die ich hatte, eh’ ich denselben an Ort und Stelle fah, so daß ich mir die Höhen und Berge nach allen ihren Ausdehnungen, sich gleichsam dem Auge verlierend, mit Cedern überdeckt, als Wildniß dachte, die, beschattet von diesem Baune, fast undurchdringlich wäre. So un- gefähr war meine Vorstellung! Reisen berichtigt die Ideen; statt den gedachten, fand ich den wirklichen Cedernwald –– so groß, daß man ihn in einer Viertelstunde umgehen könnte. Ich scherze nicht, es verhält sich wirklich so! Ganz, wie verplüft war ich, als man mir das Trüppchen Bäume wies Freylich hob es sich lebhaft aus dem kahlen Felsen, einen Halbkreis bildend, hervor. Nichts war indes Grü- nes zu erspähen, als eben dieß Wäldchen. - - 40 Fünftes Buch. Achtes Kapitel. Das Dorf Bscharrai lag einige Stunden näher. Ich vermag es nicht, seine prächtige Lage zu schildern, sie ist einzig in ihrer Art, so wie es überhaupt die ganze Ge- gend seit einigen Stunden Weges bis dorthin war. Die romantischen Felsen - Landschaften unserer kleinen Kantone mögen mit ihr verglichen werden, und in eint und andere Rücksicht sie wohl noch übertreffen. Man sieht oft in Abgründe hinab, wo der Blick den Boden unerreicht läßt; am Felsenabhange klebt einen Schwalbennest ähnlich das Kloster Marlis cia; nie sah ich eine grauenvollere Lage wie diese. Wohlen- sagte der Stifter desselben der Welt, als er sich in diese Umwelt begrub! - Ueberhaupt scheint kein Abgrund zu tief gewesen zu feyn, an welchen man nicht ein Kloster zu bauen ge- wagt, und, welch ein Kontrast des Geschmacks! keine Höhe zu steil, auf welche man nicht ein Kloster hing- zaubert hätte. t - - Bey der Dämmerung erreichten wir Bscharrai. Die Einwohner scheinen muntere, aufgeweckte und sehr betrieb- fame Leute. In einem Kloster ward ich aufgenommen; es hauste nur ein einziger Pater darinn; er wies mir eine dunkle Zelle an; aber des heitern Himmels gewöhnt, wählte ich mein Nachtlager im Hofe auf Quaderfeiner, über mir eine Reblaube. - - F. 9, Es graute der Morgen. Ich betrieb die Weiterreise, und so wie die Helle mehr begann, bezauberte die herr- liche Lage von Bfcharrai meinen Blick. Es ist als wären über die öde Felsengegend, Fruchtfelder hingegoffen. Mit- ten unter denselben erhebt sich der liebliche Ort; Sil- berpappeln wehen bald einzeln, bald als Wäldchen in ih- rem schlanken, hohen Wuchse, und der Faden eines Waf- ferfalls stürzt in einem herrlichen Bogen über das Gebirg, rauschend und schimmernd, bis vor den Ort, und bewäf- fert die ganze innenliegende, fruchtbare Gegend. Der fchmale Pfad leitete neben fchroffen Abgründen vorbey; dem Schwindel unterworfen, ging ich oft zu Fuße; kamen uns Menschen oder Vieh entgegen, fo war kaum auszuweichen. Die Morgensonne beglänzte lieblich die nicht weit entfernten Schneeschichten von Libanons Gipfel. Je näher man kam, je gespannter war meine Erwartung, die Cedern zu sehen, von denen da steht: „daß Gott der Herr sie selbst gepflanzt habe.“ Nahelie- gende Hügel verdeckten mir die Ansicht des Waldes; nur zweimal sah ich etwas weniges davon. Die dritte Stunde führte der Weg durch eine Ebene, die dem Walde wage- recht lief, er blieb uns aber noch immer durch die vorste- henden Hügel verborgen, so daß man nichts davon sah, bis man sich plötzlich unter der ersten Ceder befand. Ich kann nicht sagen, wie mir ward: War es der Prachtmorgen, war es die Stille, der ich so hold bin, war es die reine Luft , oder der Anblick eines schattigten Waldes, den ich so lange entbehrte, und der immer wohl- Q ueber die Eedern. 44 – 442 Fünftes Buch. Neuntes Kapitel, tätig auf mich wirkt; oder war es endlich das Neue und Groffe des Anblickes selbst! Kurz es war ein Morgen, den ich unter die vergnügtesten und interessantesten mei- nes Lebens zähle. - Was soll ich nun aber erzählen von diesen Plan, zen, auf die ich jetzt meinen Blick richtete, unter deren Schatten ich mich befand, und deren Daseyn vielleicht Jahrhunderte weiter hinaus reicht, als das von Aegyp- tens Pyramiden! Was ich sah und empfand, das kann auch nur einzig hier empfunden werden, da es in der ganzen Welt einzig hier zu finden ist! - Der Umfang des Waldes ist, wie fchon bemerkt vor- den, fehr unbeträchtlich, anders verhält es sich mit sei neit Bestandtheilen, welche die Hauptsache ausmachen, inn vergißt der Nebenfachen, indem man jene anfällt, Neun Hauptcedern, ausgezeichnet vor den andern allett durch Umfang und Alterthum, nicht durch Höhe") *) Weit jüngere übertreffen sie in dieser Hinsicht; die, wel- che ich zeichnete, ist die Größte unter den Neunen; das Bufchwerk an der felben ist vom Künffler, der die Zeich- nung kopierte, zu dicht dargestellt, und verleitete zu der ZIdee, daß die Cedern alle denselben Wuchs und die näm- liche Beschaffenheit hätten, wie diese. Dieß ist nun aber keineswegs der Fall; es sind, wie bereits bemerkt wor den, nur die Neum, welche die Form der von mir abge zeichneten haben. – Die übrigen nögen ihrer Afung nach eher den Eichen verglichen werden; indeß haben sie in der Nähe das Ansehen hoher, schlanker Tannen, an er daß die Aefte weit mächtiger und kräftiger sich aus fpreiten als bei jenen. Nur jene wenigen uralten Ceder d O - - - - ( d | - - , - , - - - - - - - - - - - - - - - - - - Ueber die Ce der 1. 443 zählte ich; ich maß den Umfang des Stammes der größ- ten mit einem Seile, etwa vier Schuhe vom Boden, und fand ihn zehen und eine halbe französische Aunes. Ein einziger Ast hielt bis zum gebrochenen Ende dreißig Schritte Länge. Der Stamm, von fünf der größten, besteht in drei bis vier Abtheilungen, von welchen jeder Einzelne an Umfang dem Stamme unserer stärksten Ei- chen gleichkömmt. - Das Gewächs der Ceder selbst gehört wohl zum Ge- schlecht des Nadelholzes, ist aber weder Tanne, noch Forre, auch nicht Lerche, obgleich die jungen Cedern Aehnlichkeit mit diesen haben; die zerstümmelten Büschel gleichen beinahe den Reckholder und der Geruch erinnert an den des Arbor vitä. Das ausgezeichnete Schöne der Pflanze sind die straffen, kräftigen, sich weit ausdehnen- den Aeste, und was keine Baumgattung mit dieser gemeint hat, die Sprödigkeit des Holzes, sogar der zartesten und kleinsten Zweige, die sich brechen wie Glas, besonders bey den Alten. Diese mahnen von Ferne an Roms Pig- nen, eben aus dem Grunde der Brüchigkeit, da der tiefe Schnee die obersten Aeste immer abknickt, die jungen Cº- dern aber, sich biegend bis zu einem gewissen Alter, widerstehen, und also die Alten für den Augenblick über- wachsen. Die Aeste find sehr dicht von Nadeln und sich büschelnd; aber überaus zart und von prächtig, lebhaf- tein (Grün, also, deren Wipfel oder Kronen durch die Schneelasten abgedrückt wurden und bei welchen dann die Nahrung um so stärker nach den Seitenästen treibt, gleichen der Gezeichneten. 444 Fünftes Buch. Neuntes Kapitel Ich glaube nicht, daß dief er Baum anderswo im der Welt wachse, oder anzutreffen sein, , Der ganze Wald mag wohl nicht über acht bis neun, hundert Stämme halten, kleine und große innbegriffen, Eine Menge Namen von Engländern finden sich auf den größten eingeschnitzt. Da die Buchstaben schuh, hoch sein folten, fo finden sich Stellen, an denen die Rinde mich “Schuhe in die Höhe und Breite weggeschnitten, de. „Auf den jungen, und denen von mittlern Alter, he, fanden sich Früchte *) in der Größe eines Eyes; hell grün mit braunen Ringen und Flecken, standen sie alle ganz aufrecht auf dem Grath der Nebenäste. Auch diese Eigenthümlichkeit der Cederfrucht unterscheidet sie von andern Nadelholz; übrigens hat sie durch das ganze des Innern sowohl, als in Rücksicht des Form, Wer wandfchaft und Aehnlichkeit mit demselben, Der schattigte Wald ruht auf sechs bis sieben hin, lichten Erhöhungen. Zwischen inne sind beträchtliche Fefenbrocken; mehrere Hauptstämme sind von Strahl des Himmels halb abgebrannt; einer der schönsten zu darnieder gestürzt. Von den Verwandlungen der gefecht ten Dinge, wenn man dieß heilige Holz zum zentral machen mißbrauche, fand ich, entgegen den Aufrungen in Ballbeck , keine erwahret. Bestens gerieth mein Gle ria-Cafe, eben so blieb der Reiseren, den ich in falls auf den Feuer des Cedernholzes kochte, weiß wie ) Aehnlich den Arven des Bernerschen Oberlandes, als , denen die Nüßli gegen auszehrende Krankheiten gebrauch werden, h - - - - -w - . Ueber die Cedern. - 445 „ Milch und schmeckte gut wie Rahm, als ich hier mein Mittagmahl zubereitete. Stücke von Schnee kühlten den „ guten Wein. - Bis an den Abend verweilte ich im Schatten dieser „ wahrscheinlich ältesten Pflanzen der Welt. Wie sehr wünschte ich hier, in Ballbeck und an andern Orten we- nigstens Tusche und Pinsel zu haben, um mein seit lan- - gen Jahren nicht mehr geübtes Zeichnen, wieder in Et- was zu versuchen. Einzig mit Bleyfift war sogar wenig - --- anders zu leisten, als kahle Umriffe *). von - Seit vielen Jahrhunderten ist es von der Landesbe- it hörde verboten, eine Pflanze des Waldes zu beschädigen, Für die Neugierigen findet sich dürres Holz hinlänglich vorhanden, um während dem Aufenthalte das Nöthige “ zu kochen. - Noch in Schein der Abendsonne wurden ein paar Stunden vom Rückwege gemacht und vor einem Dorfe, sº unter einem schönen Nußbaume übernachtet. Der Voll- tmond verwandelte die Nächte in halbhelle Tage, warm „f und thaulos waren alle auf diesem Ausfluge. Am folgen- den Morgen kamen wir wieder durch interessante Gegen- den. In der untersten. Tiefe am Wasser zeigten sich Grot- - - - -- *) Da aber auch diese umrise nicht ohne hohes Interesse sind, so hat sich der Herr Verfasser endlich verstanden, einige derselben diesem Werke beizufügen. - - 446 Fünftes Buch. Neuntes Kapitel, ten in den Felsen, welche so hoch waren, daß der Straße burger Münster füglich hätte hineingestellt werden kön, nen. – “ , - Ich verwunderte mich auch auf dieser Reise wieder über das Ausdauern der Thiere, welche des Tages zwölf bis fünfzehn Stunden anhaltend ohne Fütterung und Rasten zu machen im Stande waren. Von einer Höhe herab warf ich den letzten Blick auf die schöne Gegend und die merkwürdigen Cedern. --- - " Eine Gebirgskette, von der Länge einer Tagereise, dehnt sich über die oberste Höhe des Libanons gegen den Wald hin. In der Tiefe des Halbzirkels, den sie am Ende um denselben bildet, hebt sich derselbe wie ein schwarzer Fleck aus dem falben, blendenden Felsenland hervor. Nichts anders. Grünes in jener Nähe als das der Cedern. - Der Libanon hat nicht die Beschaffenheit, wie unser hohen Berge. Man sieht auf seinen Höhen keine Zacken und Stöcke von Schnee, die als Gletscher sich über die Hauptlinie erheben. Beynahe in wagerechter Flucht vor gen die obersten Linien an einander hin, nur wo die gleichern. Abhänge sich in starken Abfällen oder Winkel berühren, bleibt in der Mitte die Schneeschlucht auch den Sommer über. Weißgelb, wie schmutzige Kreide, er scheint die steile Felsenwand; ohne Spur von einiger Vegetation auf der ganzen Fläche, wirkt die falbe Farbe des Gebirgs und das Hellblau des Himmels, beides an - - : - § - - s S g s S s s - - - - - Vor the ille des Turbans, 44 / und für sich sanfte Farben, doch blendend auf das Auge. *) Ich kann mich nicht enthalten, noch mit ein paar Worten den Turban zu loben. Ich verstand es auf die Letzte, ihn künstlich zu winden. Besser als der Hut fchützt er vor dem Blenden und der Hitze der Sonne; weht ein heftiger Wind, daß man sich bey nahe in einem beständigen Kampf mit feinem Hut verwickelt sieht, weil da der Sturm uns unsere Hauptzierde streitig zu machen fucht, und einem bald der Krampf anwandelt: so sitzt der Turbanisierte ruhig auf feinem Pferde und läßt pfef- fen den Wind durch Hecke und Dorn, weil eher der Reuter vom Pferde genommen, als feine Haupt-Bedeck- Ung ihm entführt wird: nicht zu gedenken der Hauptfa- iche beim Begegnen mit Andern, wo man, um seine Höflichkeit an den Tag zu legen, oder feine Ehrerbietung zu bezeugen, wohl Viertelstunden chapeau bas zu paradi- ren hat, oder wenigstens nicht der Erste feyn will, der feine Haare zuerst unter Dach zu bringen bemüht ist. Wie bequem, gegen diese Schererey des Hutabziehens, ist die leichte Bewegung der Hand gegen die Brust, die w- - *) Die Schneestreifen reichen am Libanon von oben bis an die Mitte des Gebirges herab in erhöhtem Lichte gegen das lebhafte Azurblau des Horizonts vom Strahl der Sonne befeuret. - “ - 448 Fünftes Buch. Nennt es Kapitel. - , man im türkischen Costüme als Höflichkeitsbezeugung ausübt. Nach meiner Rückkehr vernahm ich die frohe Nach- richt: daß in der Tiefe die Pest gemildert habe, und ich bald ohne Gefahr nach Beirut abreisen könne. Noch machte ich einen Abstecher nach Sugk, zwei Stunden von Daraoun. Die Hälfte des Dorfs besteht in Welt, reyen der hier üblichen Räcke für Männer; ich konnte die künstliche Arbeit, als ich sie früher sah, nicht bei greifen, hier aber ward sie mir sogleich deutlich. Mit unglaublicher Adresse, durch vielfältige uebung erworben, wird mit den Fingern eine gewisse Anzahl Fäden gehebelt und das Schiffchen geschossen. Die Gewißheit des Grifs der Zahl der Fäden, die in möglichster Schnelligkeit ge- hoben werden, ohne Mehr oder Weniger, geht so richtig wie ein Spiel der Mechanik. – Diese Fertigkeit ist so bewunderungswerth, wie die Arbeit selbst, - Einer mir sehr auffallenden Erscheinung muß ich noch erwähnen. Seidenwürmer und Maulbeerbäume um ter demselben Himmelstriche, sollte man meinen, mit den auch gleiche Erzeugnisse hervorbringen. Woher mag es also wohl kommen: daß alle Puppen ( cocous) in Sougk weiß, nnd nur eine Stunde weit davon goldgelb sind? Die Seide der erstern ist weit schlechter, als die der letztern. - St. Johann breche immer die Pest, hieß es, weil dann die stärkere Hitze beginne. Aber St. Johann war schon lange vorbei, und noch war die Krankheit her fchend; jetzt sagte man: daß dieß in Aegypten gelte, hier aber vier Wochen später erfolge. - - - Vergebne Prellerey. 449 - . " - 10, r - . . . … Geschrieben in der Quarantaine von Alt - Orlowa. - - " , - - - - - - - Endlich, den sechs und zwanzigsten July, verließ ich den schönen Gebirgs-Fleck. Es war mir, als schied ich von einer zweiten Heimath. Morgens, vor Tag schon, waren die Scheits vor der Hütte, mir das Lebewohl zu sagen. Wie ein ruhiger Morgentraum, schwanden mir die drey hier verlebten Monate vorbei. Wären es nur fo viele Stunden als Tagreisen, ich hätte wahrlich den dringenden Anforderungen: „doch wieder zu kommen.“ entsprochen! Ich verließ das Land, wo die Ziegen Myr- then fressen, und der Lorbeer als Buschwerk aller Orten fproßt. Um drei Uhr Nachmittags war ich an der Gränze des Gebirgs vom Fürst der Drusen. Eine zahlreiche Wa- che lagerte an der Brücke. Die Verbindung war noch nicht wieder hergestellt. Eine halbe Stunde früher mußte ich ein Maulthier nehmen bis Beyrut. Der Mann ver- langte drey Piaster; ein unverschämter Preis für hier zu Land; was wollte ich machen! Ich mußte das Verlangte eingehen. Die Wache rief mich zu sich; ich mußte absteigen, zu ihnen sitzen und trinken. Jetzt frug nach einer Weile der Hauptmann: was ich bezahle? ich sagte das Verlangte. „Schein und Spitzbube und alle arabischen Eh- rentitel dieser Art, erschollen aus dem tobenden Munde des Hauptmanns an den Eigenthümer des Maulthiers. „Einen Piaster bezahlt ihr diesem Diebe da! Einen und nicht drey, versteht ihr!“ Ich äußerte, daß ich ihm ", F f 450 Fünftes Buch. Zehntes Kapitel, einen zweyten Backfis geben werde. „Nicht einen Patch Backfis « fiel er mir heftig ins Wort, Einen Piaffier und damit genug! Aehnliche Züge, einen Fremdling vor Prellereyen schaamloser Leute zu schützen, findet man wohl in Europa felten oder nicht, abends kam ich wieder in Beirut an. Ich befin mich förmlich wieder in der Türkei. Wenn es auch das Kostüme nicht zeigte, so sagte, es schon von weitere stolze, barsche Zuversicht und die Verschiedenheit der Physiognomie, die so ganz von der der Christen auf den Libanon abwich. - . In der Nacht ertönte feierlich und schön der Ge- ang von der Höhe der Minarets: „Gott ist Gott, einzi ger Gott, und Mahomed fein Prophet! Kommt zum Gebethe, kommt in den Tempel des Heils!“ Weit herum war der Zuruf hörbar, da kein Geraffel von Kutschen und Wagen in den Städten der Levante ihn hemmt - - - Vermummte Weiber durchhutschten schleppend die Gafen, und Nachts ertönte das Hundegehen. - Ich ging wieder in das Kapuzinerkloster, zu den bei den unfriedlichen Friedensverkündigern; ich fand sie um nichts gebessert, und in der gleichen Stimmung, wie ich sie drei Monate früher verlaffen hatte. Die Pest hatte in Beyrut wenig geschadet, und war bei weitem nicht so stark, als man sie auf dem Gebig ausgab, desto heftiger wüthete sie in Jaffa. Der gut Pater Curato starb daselbst daran. Der Pascha soll der dortigen Christen verboten haben, sich einzuschliefen, und deswegen fielen die Opfer daselbst auch zahlreicher. d l Kochen mit Citronenholz, 451 “ Der Sohn des ersten Commiffionairs in Beyrut be- gleitete mich zum Kloster und hinauf nach der Teraffe, wo ich gerne eine Stunde verweilte. Vorher kleidete ich mich in andere Wäsche um; der junge Mensch hatte ei- nen kurzen Frak a la mode, und war ganz dieser gemäß gekleidet. Als der Sohn des ersten Commissionairs einer nicht unbeträchtlichen Stadt, läßt sich dieß begreifen; er "empfahl sich nach einer halben Stunde und ging. Nach Verfluß einer andern halben ging auch ich; ich suchte das abgelegte Hemde auf dem Bette, unter dem Bette, in jedem Winkel. Fort war es! gestohlen von dem galanten Musjö! Ich glaubte, an heiliger Stätte, in Kloster die Thüre unabgeschloffen laffen zu dürfen; be- fchloffen war sie, und erfuhr nun, daß dieß nicht räth- lich fey. - Die beiden Mönche lebten auf Kapuzinerfuß; sie kochten selten oder nie, weil nichts zum Kochen vorhan- den war. Einige behaupteten, sie hätten es des Geizes wegen, Beyde Beweggründe mochten bey beyden fo ver- schiedenen Charaktern statt finden. Ich kochte also selbst, und machte mein Feuer von Citronenholz, das prächtig flammte und gut roch; es lag ein Haufe vorräthig da, wie bei uns anderes Holz. Die auf dem Gebirge selt- nern Früchte genoß ich hier, nach langer Entbehrung, in Ueberfluß. Inländische und indianische Feigen, Me- lonen, Maulbeere, unvergleichliche Trauben und anders mehr, - Es läßt sich begreifen, wie sehr ich verlangte, bald - eine Gelegenheit zu finden, von hier ab: reisen. Schon so lange ward ich durch die Pest aufgehalten. Endlich W- Ff 2 452 Fünftes Buch, Eilft es Kapitel. fand sich ein kleines Schiff nach Cypern, und ich verließ in der Nacht des neun und zwanzigsten July das fest Land von Afien, 11. Man entdeckt Cypern bey recht hellen Abenden von den Höhen des Antilibanon. Jedermann pries mit die baldige Ankunft auf dieser Insel. Indeß fegelten wir fchon zwei Tage, und man fah noch nichts von Cypern, Das Schiffchen war sehr klein, und der Schiffmeister ein ungeschliffner Kerl. Wie erstaunte ich, als er nicht ein mal einen Compaß hatte. Diese Nautiker verlassen sich ganz auf ihre Routine (Uebung), ohne die mindest Kenntniß der Schifffahrt. Endlich, den dritten Tag, hatten wir den Hafen Larnaca im Angesicht; wir war ren ihm auch ganz nahe, als sich ein heftiger Wind er hob, und das Schiffchen mehrere Stunden abwärts trieb. Der Schiffmeister warf ganz nahe am Land Anker, aber fo ungeschickt, daß er ausschlüpfte, und das Schiff al- mählig vom Wind auf den nahen Felsen getrieben wurde, Der Tropf wußte sich gar nicht mehr zu helfen, fing an zu weinen, und sprang in das Waffer, um das Schiff mit dem Rücken vom Felsen abzutreiben. Eine halbe -, Viertelstunde von uns entfernt, lag ein anderes Schiff vor Anker, und unser Schiffmeister rief nun dieses um Hülfe an. Zwey Matrosen kamen herüber geschwommen; es genügte nicht, es kamen vier andere daher schwimmend; 1. s zit s“ Larnaca. - 453 indeffer blockte *) aber das Schiff immer auf dem Felsen auf, und Türken und Griechen sprangen, um sich zu ret- ten, nach einander bis über die Hüften ins Meer, und wadeten dem Trocknen zu. Mein Felleisen war in der Kajütte; ich wollte es nicht im Stich laffen; wenns noch so schlimm ging, so konnte ich mich immer auf meine Schwimmkunst verlaffen; nur noch zwey blieben bey mir. Das Schiff ward gelöst, und wir waren froh, nicht durchnäßt worden zu feyn. Mittags darauf landete man in Larnaca. Ich hatte alle Mühe, im Wirthshaufe auf- genommen zu werden, weil man noch Furcht vor der Pest hatte. Mein Anzug vermehrte noch die Schwierigkeiten.“ Endlich aber ward mir doch ein Zimmer angewiefen. Ich könnte nicht sagen, daß der Anblick von Cypern großes Intereffe gewährte; es ist meist kahle Gegend und wenig bebautes Land. Das Innere des Landes kenne ich nicht. Ich befand mich nun auf den Boden, wo der welt- berühmte Wein wächst, und gleichwohl hätt' ich gerne einen Nenthaler bezahlt, um eine Maß unsers fauern Seeweins; der gewohnte Tischwein hat gar nicht mehr den Geschmack des Weins; es war mir als trinke ich eine Gattung gebranntes Waffer; zudem hat alles einen unausstehlichen Geruch nach Theer. Die zwei Drittheile Waffer, welche man, um ihn trinkbar zu machen, dar- unter mischt, machen ihn fade; if weniger darin : „fo steigt er in den Kopf.“ Der süße Cyperwein, Com- man da ria genannt, ist äußerst vehement (hitzig), und wird erst durch die Länge der Jahre gut. Gegen Liba- nons Gewächs hielten diese Weine keine Vergleichung *) Anschlagen, anklopfen, schweiz. Idiotism. - 454 Fünftes Buch. Eiliftes Kapitel, aus. Hier war's, wie in Aegypten; nie genug durfte ich effen, wenn ich nicht besorgen wollte krank zu wer, den; Früchte gar keine. ", " Welch ein Unterschied gegen Libanons gefunden. Hi. hen. Uebrigens wunderte man sich dort über mein we- niges Effen, und konnte nicht begreifen, wie ich auf die fem Fuß leben könne. Wirklich war mein Effen daselbst nicht der Mühe werth; es war, als hätte ich mein Mal, gen verengert oder zusammengezogen durch das viele und öftere Hungerleiden auf dem Meere, und in Ober, Alte gypten , zur Fastenzeit in den Klöstern, und während den Reifen durch die Wüste. Das Bedürfniß des Essens ward unglaublich beschränkt und ich konnte, so zu sagen, mit Nichts leben. Famagusta , eine alte, zerstörte Stadt, von den Venetianern erbaut, blieb auf sechs bis acht Stunden von uns entfernt; an dem einen Ende der Insel Cypern lag das einst so glänzende Paphos; noch jetzt sieht man Ruinen von Cytherens Tempel. Was sieht man aber in Griechenland wohl anders, als Ruinen in der Bau- kunst, wie in der Staatsverfassung? Die Umgebungen von Larnaca sind sandigt und öde, wenige Palmen erheben sich hin und wieder, und, wo sich etwas Grünes auf dem Boden zeigt, so ists der Kapernstrauch. Die Blume ist ungemein schön, aber so heikel, daß sie keine halbe Stunde nach dem Pflücken ausdauert. … Die Frucht wird hier täglich und häufig ge- 1. Schädlicher Wind. 455 n noffen; mit dem Fleisch kömmt stets eine Schüffel mit tz. Kapern zugleich auf den Tisch; dieß Zugemüse ist fo an- genehm als gesund. - - zit: Die Bauart ist hier wieder von ganz andern Schla- um ge. Kleine, niedrige Häuschen, geschmirgelt und niedlich, gilt mit gleichförmig glattem und ins grau fallendem Anwurf, zu scheinen sie von Packpapier überzogen; Dächer fanden in sich, aber so niedrig, daß sie kaum zu bemerken waren, Selbst die Fenster waren etwas Neues für mich, der „ zweirädrigen Capriolets der Consuln nicht zu gedenken. Eines Abends erfolgte ein heftiger Windstoß, siedend ist heiß, kaum zum Aushalten, doch nur einige Minuten - dauernd. *) Dieser Wind verursacht Krankheiten bey- Menschen und Vieh, und wird in der Wüste tödtlich, wenn man sich nicht fchnell auf den Boden wirft. Ein Glück ist es, daß er nie lange dauert. Ich follte mit einem Schiffe, mit Baumwolle be- frachtet, abreisen; der Kapitain, ein Grieche, versprach - - - - - mir drey Tage nach einander, mich an Bord zu führen, und mir den Platz zu zeigen, den ich haben könnte: „ ich würde aber fehr übel feyn. “ Ich war des Uebelfeyns *) Bey der Abreise aus Aegypten fah matt allen Sand bei diesem Winde emporwirbeln; das Land war in grauen Nebel eingehüllt, die Hitze unerträglich, fiel blos augen- blicklich beschwerlich. Der Kapitain verdeutete: wie es j jetzt auf dem Lande so schlimm aussähe. Es war der Crans (arabisch) türkisch Samiel, der dort tobte, fs - unerträglich als gefährlich. Seine Zeit ist im Frühling, nur noch felten im May. 456 Fünftes Buch. Eilft es Kapitel, fchon gewohnt, und machte mir nichts daraus. Aber es blieb bey dem Versprechen; der Mann hielt sein Wort nicht. Graeca fides! - - Ich hatte nichts verloren durch dies schlechte Bt- tragen, wohl aber gewonnen. Der Capitain eines andern Schiffes, auch ein Grieche, entschloß sich, abzureisen, ohne volle Ladung zu haben. Es war die erste Fahrt des Schiffes; ganz neu lief es unlängst in Scio vom Sta, pel; ich konnte die kleine, aber niedliche Kajütte ganz allein für mich haben, und bezahlte nicht beträchtlich viel mehr, als der andre für einen schlechten Platz fo- derte. O wie oft war ich während den dreißig Tagen, welche diese Schifffahrt dauerte, so zufrieden, dieß be- queme Zimmerchen in den neuen Schiffe zu haben, in welchem weder Mäufe noch Käfer, noch anderes Ungezit- fer sich eingenistet hatten, und in welchem ich vor Kälte, Wind und Regen geschützt war. Es ist um diese Zeit, und noch ein paar Monate früher, auf dieser See immer derselbe Wind ; abwechselnd mehr oder minder stark, treibt der Ostwind den Archipel herunter. Von Ko- stantinopel, Smyrna und Salonichi aus kann man in dieser Jahreszeit in die mittäglichen Länder auf sehr schnelle Reife zählen; umgekehrt, wars eben so sicher eine langwierige Schifffahrt, ein Kampf mit immer an haltendem Gegenwinde, der auch jetzt nicht ausblieb, Ich hatte bei meiner Abfahrt einen Vorrath von L- bensmitteln mitgenommen. Reis, Hühner, Eyer, Käse, und einen Sack voll Bisquitt (Zwiebak, der hier sehr weiß und gut ist). Am sechsten August bezog ich meine Kajütte; die Gefellschaft bestand aus etwa einem Dutzend 1. : r: 3: j: Mit g a: 1 : n g“ g g --- - Feuer auf den ufern von Cypern. 457 Griechen, und drei oder vier Türken. Ich hatte wenig Genuß davon, fuchte auch keinen, da ich in meinem Zim- nerchen zu lesen hatte und schreiben konnte. Alle Uebri- gen blieben auf Baumpollen-Ballen hingelagert, Tag und Nacht, während der ganzen Schifffahrt auf dem Verdecke. - - Der Wind ward etwas ruhiger; mit Laviren hatte man die Nacht über schon ein Stück Weges gemacht, und Larnaca aus dem Gesichte verloren; nicht fo Cypern, das während fünf Tagen, wie ein Magnet, unser Schiff wie- der an seine Ufer zog. Um eine halbe Stunde Weges zurückzulegen, steuerten wir oft drey bis vier Stunden lang mühsam in die offene See. Die ganze Strecke der Küste mußte durch ein anhaltendes Laviren erkämpft wer- den. Oft, wenn der Wind gar zu heftig war, floh man ans Gestade, und brachte an demselben Stunden und halbe Tage zu; man vertrieb sich die Zeit mit Fischen, Baden, Austern- und Seefrüchte-Suchen, und beinahe immer, wenn man bald abreiste, mit der Anlegung einer verheerenden Feuersbrunst in der wildbuschigten Gegend. Das Gras war durch die sengende Hitze und die regen- lose Zeit durchgehends welk, hingegen gedieh desto besser der Dornstrauch, das Nadelholz, die wilde Olive, die Gebüsche des wilden Lorbeers. Wie man nur einen Feu- erbrand ins dürre Graswarf, so ward allmälig das Busch- weit ergriffen, und praschelnd loderte das Feuer hoch em- por. Eine Gattung Dornen , die eine Höhe von zwanzig Schuhen erreicht, verursachte ein Getöfe, daß man in der Nähe sein Wort nicht verstand; eine prächtige Flam- me verbreitete sich knisternd über die übrigen harzigten 4ss Fünftes Buch. Eiftes Kapitel Stauden; überall nahm die Brunst überhand; die Erde fähien Feuer zu speyen. Oft hatten wir bey diesem Spielt kaum so viel Zeit, einem Flecke, den die Flamme ergriff lachend zu entfliehen, und uns außer die Hölle zu retten, Manchmal, fchon bey Stunden auf dem Schiffe zu, rück, leuchtete zur Nachtzeit plötzlich die erloschen gt, glaubte Flamme wieder hell empor, und gewährte durch die Beleuchtung des ganzen benachbarten Gestades, einen schönen Anblick. Am Morgen war dann ein Bezirk von oft mehr als einer Stunde kohlenschwarz. Zwischen den Felsklippen fahen wir blendend weißes Salz in Menge. O daß wir es statt dem theuern, sechs Kreuzer Salz in der Schweiz hätten! Den fünften Abend waren wir ganz nahe an Paphos. Welch Unterschied des Ehmals und Jetzt! Wahrlich diese Lage verdiente einer Huldgöttin geweiht zu feyn! Nicht Kühnes, Großes, Ueberwältigendes macht die Schönheit dieses Bezirks aus, sondern es ist eine über alle Beschreib- ung gehende Anmuth, Ruhe und Heimlichkeit *), da, wo sich ein geringer Vorsprung der Insel tiefer aus den Gewäffer hebt; zum lieblichen Abhange werden die Wölf- ungen der Gegend und fchattigt buschigten Anhöhen; ein paar höher liegende Hügelchen gewähren einen überaus reizenden Anblick, der aber durch ein entfernteres, hö heres Gebirge beschränkt wird. Ich konnte begreifen, daß wohl schwerlich in Griechenlands Gewässern eine *) Häusliche, heymathliche Anmuth. „In stiller Heimlichkeit, umzielt mit engen Schal - ken.“ Bey unferm Haller. \, s g Paphos. - 459 schicklichere Gegend für die Göttin der Liebe zu finden war, als die fe, - - Wie gerne wäre ich nicht an das Land gestiegen, um diese bezaubernde Gegend ganz in der Nähe zu ' und die Ueberbleibsel des einst so berühmten Venustem- pels zu besuchen; aber es erhob sich günstiger Wind, man steuerte in die offene See hinaus; bey starker Däm- merung sah man nur noch mit Mühe die Insel. So froh man ist, nach langer Fahrt wieder Land zu sehen, so gerne verliert man das Land aus dem Gesichte, wenn es darum zu thun ist, es verlaffen zu müffen. Ich legte mich auf meinen Kaudersack in der Kajütte, und fchlief bald ruhig ein. Bey augenblicklichen Erwachen vernghm ich wohl heftigen Wind, ließ mich aber dadurch nicht stören. Als am Morgen die Sonne wohl schon eine Stunde fähien, und ich eigentlich erwachte, streckte ich den Kopf zum Fensterchen hinaus, meynte aber noch zu träumen , als ich das Schiff unweit vom Lande fah, auf demselben Flecke, wo wir Vorgestern waren, - - Und doch wars fo, der Wind, der so stürmte, war entgegen, und machte uns den Krebsgang wandeln. Der Capitain zuckte die Achseln, wollte so viel fagen, als: „Geduld ! ( - - : - : 12. - Endlich kam unser Befreyer doch, und entriß unser Fahrzeug mit Macht den magischen Ketten, womit es an - 460 Fünftes Buch. Zwölftes Kapitel. Cypern gefeffelt fchien. Der gefällig geänderte Wind brachte uns in zwey Tagen an das Gestade der karam nischen Küste. - Selbst auf dem Schiffe zu kochen, war nicht wohl thunäch, ich mußte es also dem Koch *) übertragen; statt dem fchmackhaften, kräftigen Pillau, das ich mir auf dem Libanon mit einem Huhn zubereitete, war es hier so elend und fade, als hätte beim Kochen das bar Waffer die einzige Flüffigkeit ausgemacht; ich konnte das Effen fast gar nicht genießen. Ich würde mich höch- lich über die Saft- und Kraftlosigkeit der Hühner von Cypern verwundert haben, wenn mir nicht auf der Fahrt dahin von Beyrut aus ein Licht hierüber aufgegangen wäre. Eines Tages nämlich schlief die ganze Mannschaft, ausgenommen der Koch, ein Matrose und ich. Ersterer verrichtete seine Funktion, und hatte eben ein verdämpft tes Stück Hammelfleisch, das sehr gut roch, über den Feuer. Rund umher warf Meister Koch einen forsche , den Blick; zu feiner innigen Freude glaubte er. Alle in sanften Schlummer gewiegt. Eine bereitstehende Schiff voll gerösteten Brods ward aus ihrer Verborgenheit her vorgezogen, und schnell mit der saftigen Brühe angefüllt dem wachenden Matrosen und mir winkte er einladend zu. Ersterer ersparte ihm die Mühe, es zum zweite male geschehen zu laffen; ich aber dankte (mit Zeiche für die Theilnahme) par Pantomime. Nun gings hinter das Ragout her. Mit leisem, so unterdrückten Geld *) Von allen Passagieren auf dem Schiffe der als schmutzigste, Kraftlofe Suppen. 461 ter, daß ich meinte, die Pursche müßten zerplatzen, ward dem Fleischhafen dreymal das Blut abgezapft; auch nicht ein Tropfen der Kraftflüssigkeit blieb darin. Als Alles aufgezehrt war, wurde aus dem Wafferfaß die Brühe so großmüthig aufgegoffen, daß das Fleisch zu schwimmen an. - Es dauerte übrigens nicht lange, so hatte ich wieder Fasttag! In der vierten und fünften Nacht ging die See so hoch, daß der vordere Theil des Schiffes von den Wel- len immer überschwemmt ward. Am folgenden Morgen befanden sich meine beiden noch vorräthigen Hühner er- fäuft. Ich bewirthete damit die Schiffleute, und nahm meine Zuflucht zu Zwieback und Käse. Mit Freuden und vollem Appetite tunkte ich das harte Brod ins Was- fer, um mich eine halbe Stunde darauf damit zu erlaben und mit Käfe zu würzen. Alle andere Tage erfolgte ein Pillau mit Oel; die Seeluft machte mir Hunger un es schmeckte mir trefflich. Sehr selten dankte ich Gott an Tafeln, wo ich fünf zehn bis zwanzig Gerichte Speisen zu finden versichert war; sehr oft aber und herzlich, wenn ich mein Stück altbacknes und hartes Brod mit etwas schlechtem Käse zur Hand nahm; nie für fremden oder delikaten Wein, oft aber für einen Trunk schlechtes Waffer! Es scheint überhaupt im innersten Grund des Menschen, der das Gute nur schwer verträgt, etwas Widerspenstiges, Wider- haariges zu liegen, das erst durch die Empfindung unserer Ohnmacht, unters Nichts, gedämmt wird. Mag nicht - der Urstoff hievon Stolz und Hochmuth feyn? Unsere vermeynten Verdienste, unfer Verfand, Glück, unsere - L/ - 462 Fünftes Buch. Zwölftes Kapitel. Geschicklichkeit, Klugheit, Welt, kitzelt uns, uns breit zu machen, uns damit zu brüsten im Wohlstand und heitern Tagen; schreiben vermeffen, hochtrabend, unsern Einsichten, unserer Gescheutheit zu, was blos durch die glückliche Vereinigung günstiger Umstände und Verhält niffe bewirkt wurde der verborgene Eigendünkel findet sich geschmeichelt und gereizt, über “ Leitung sich gleichsam wegzusetzen befugt zu feyn und selbstsüchtig ( egoistisch) zu prahlen: „das ist mein Werk!“ Man lacht im Glück und wird übermüthig; ich gestatte sehr, sehr seltne Ausnahmen *). Anhaltend glückliche Schiff fahrt hat die Folge, daß man auf die Letzte trotzt, und meynt, es müffe so feyn; man vergißt Dank und Erkennt, lichkeit für das genoffene Glück. Kömmt Sturm und Ge- fahr, dann verwandelt der Matrose feinen Jubel in G- bethe und Kreuzschlagen; fein Zottenreiffen in Gelübde, die er nicht zu halten willens ist, sobald er sich gebor- gen weiß. So ist's bey steter Gesundheit. Man erkennt deren Werth nicht mehr, es ist eine Krankheit nöthig, um dafür danken zu lernen. Eine dauernd gefällige Lage bringt den Menschen dahin, daß sich der Uebermuth sei ner beneistert. Uns selbst bleiben wir dafür verbunden; nur des Glückes Wechselspiel und ein trübes Verhängnis mag uns vom Gegentheil überführen. Hingeworfen auf das Krankenlager, wir felbst, oder geliebte Verwandte, - / ) Dies ist selbst bei befern Menschen der Fall ist von Jenen zu reden, die in demüthigem Stolz oder in der stolzen Demuth sich selbst behaglich gefallen. : 3 - - - Sattelica. 463 Freunde, oder wenn uns Theure durch den Tod entriffen werden, erkennen wir die Obermacht an, die wir im Glück anzuerkennen zu folz waren, - - Die Küste von Karamanien ist gebirgigt und wild. unbewohnt sind die Ufer, aber der Anblick hoher Berge und Felsen erfreute mich wieder. Es ist doch der Anblick einer kühnen Gebirgsgegend ganz etwas anderes, als der des einförmigen, Platten Landes, besonders für einen Schweizer! Wir hatten Ursache uns zu freuen, die Ue- berfahrt glücklich gemacht zu haben, denn der Wind än- derte; kaum angelangt, ward er so heftig, daß wir un- fehlbar wieder weit in die offene See wären verschlagen worden, wenn wir nicht ganz nahe am Land hätten An- ker werfen können. Nicht gar ferne, rechter Hand, ließ man Sattelia, die Hauptstadt von Karamanien, lie- gen, und unweit schwaderte die Flotte, die ich vor an- derthalb Jahren im Kanal, vor Bojukdereh, fah; die Menge prächtiger Kriegsschiffe sollte einen Pascha in der Nähe bezähmen, der sich rebellisch zeigte; seit Langem war aber der Zweck noch nicht erreicht und der Pascha bot die Spitze. Ein neuer Beweis der Ohnmacht der ottomanischen Verfaffung! - Am Ufer fischte man, machte Feuer, und durchstreifte die Wildniß, um etwas Genießbares zu finden. Zuwei- lien fand man gute Schwämme (Funghi), oft Beeren, am meisten Bäume mit einer Gattung Bohnen; sie waren schwarzbraun, schmeckten nicht übel, füß, - ähnlich dent 464 Fünftes Buch. “Zwölftes Kapitel. Süßholz, doch beffer. In ganzen Büscheln hingen sie an niedern Bäumen, und waren ein köstlicher Fund in unfrer hungrigen Lage. Nester vom wilden Tauben wur- den von den Schiffsleuten zu Dutzenden aus den Felsen gehoben. Was mir am leideten hat, war, daß Weil und Branntwein ausgegangen waren; das Waffer hatte üblen Geschmack aus den unreinen Fäffern, so daß ich es beynahe nicht trinken konnte; ich nahm nun desto mehr meine Zuflucht zum Caffee. Es dauerte indeß nicht lange, so fanden sich gute Quellen am Gestade, aus welchen man Vorrath machte. Die Fische, welche man angelt, waren oft über alle Beschreibung schön; ihre Zeichnung "fowohl, als die Pracht der Farben, ist wohl einzig; die lebhaftesten Farben, wie Aurora, goldgelb, falle, schwarz, nüancierten sich bald, bald tieffen sie gel an und in einander. Zweimale, als die See äußerst hoch ging, sah ich fliegende Fische; aus dem Gipfel der Welt schoffen sie heraus, und schwirrten bei vierzig, fünfzig Schritte einige Schuhe hoch über die Oberfläche des Wii fers weg. - - - - - - : - - - - - - Wir liefen wegen dem Gegenwinde im Port Kag howa ein. Eine Festung beherrscht auf steiler Höhe die ganze Gegend; sie ist jetzt zerstört, also unbedeutend einst war sie das Gegentheil; ein Werk der Genueser, als die Zeit ihrer Epoche blühte, und sie die Herrschaft dieser Küsten mit den Venetianern theilten. In der Fert einem kleinen Dorfe ähnlich, liegt längs dem Ufer - bi 1 n Mit , f es - s ' Rhody's, - - - 465 Begräbnißplatz aus jener Zeit. Ich ließ mich im Boote hinüberstoßen, um ihn in der Nähe zu befehen. In fchönem, edlem Style, kostbar, und von mafiven Mar- morplatten find diese Todten-Häuschen hingebaut; über ihnen ruht eine gewölbte Kuppel als Decke, aus einem Steine gearbeitet; die Bauart scheint auf Jahrtausende berechnet, indefen waren alle diese Ruhestätten gewalt- fam erbrochen und zerstört, Nach sechszehn Tagen sah man bey Sonnenuntergang Rhodos wie eine Hutspitze aus dem Meere hervorragen. Erfreulicher Anblick! Bey dem guten Winde hoffte man Morgens im Hafen einzulaufen; der Steuermann nahm feine Seekarte zur Hand und fing an zu messen. Statt sich eines Zirkels zu bedienen, rutschte er mit einem dün- nen Wachskerzchen auf der Karte hin und her. Es war mir leicht zu bemerken: daß er und ich ungefähr gleich viel von dieser Geometrie verstünden. Zum Ueberfluß zog er mich zu Rathe, und somit ward ich von meinem Ur- theile nur zu sehr überzeugt. Wenn er den Vortheil der Praktik hatte, fo hatte ich ohne anders den der Theorie, Nicht einmal lesen konnten die Tröpfe! Die größten In- feln auf der Karte kannten sie, die andern mußte ich ih- Men benennen, und der Name wurde auf griechisch neben fie hin gekratzt. Auf diese Weise brachten sie nach und nach ihre Karte durch die meinige auf einen für sie ver- ständlichern Fuß. Die Nacht kam, und mit ihr ein noch heftigerer Wind. Das Licht beim Compaß (auf jedent (G F 466 Fünftes Buch. Zwölftes Kapitel. Schiffe das Wichtigste) ward davon ausgeblasen; es schien aber den Capitain nicht foviel daran gelegen, vermuth lich, weil er von der Bouffole so viel verstand, als von der Karte, und man segelte in der Dunkelheit lustig drauf los; doch schien ihm die Nacht lang; ich kam drei, vier mal auf das Verdeck, in der angenehmen Hoffnung, bald in den Hafen von Rhodos einlaufen zu sehen; er erkur- digte sich immer nach der Uhr, und seufzte: „endlich wird es doch einmal Tag werden !„ Es ward auch wirklich, aber wir befanden uns bald weiter von Rhodos als g- fern Nachts! Solchen Leuten, dachte ich oft, anver- traut man also Haab und Gut und Leben! Wir waren fo ab Weg gekommen, daß wir erst zwei Tage später die berühmte Insel erreichten. Ich dachte mich schon in dem Kloster, gut verpflegt bei meinen zwei Patres, und stellte mir vor, wie ich mich erholen wollte; aber mitten in diesen angenehmen Erwartungen, fegelte man am Hafen vorbei, ohne einzulaufen, Jetzt verging mir die Geduld, und ich fuhr den C- pitain an: ob er meine, daß ich ihm bey der Miethe der Kajütte, auch meine Haut verkauft habe? Er entschul- digte sich, daß man wegen Gegenwind nicht in den Hafen von Rhodos einlenken könne, und versicherte dafür die schneller in einen günstiger gelegenen zu steuern. Man fuhr auch in der That Tag und Nacht durch, und all dete wirklich im Hafen von Stanchioe. Die Gegend mit ihren Landhäusern ist fehr gefallend, die Stadt nicht uneben; aber was wirkt dieß auf einen Menschen, der das höchste Bedürfniß fühlt nach erlabender Nahrung Ich sah mich gleich nach Wein, Branntwein, Brod, d n " Stauchioe, - 467 Trauben und Feigen um. Wo dieß Bedürfniß so mächtig sich einstellt, da schwindet eben fo mächtig die Empfind- ung für das Schöne, das uns die Einbildung vorgaukelt. Der Anblick der seltensten Antiquität unter Hunger und Durst wird unwirksam, wenn sich dabei nichts zu effen und zu trinken findet *). Alles Gewünschte fand sich im » Ich muß mich hierüber näher erklären. Ich rede von - , eigentlichen Hunger und Durst. Uebel, die wohl den meisten Einwohnern meiner heimatblichen Gegend unbekannt, und der wohlhabenden Klaffe ganz fremd feyn mögen. Hunger und Mangel ist nicht, wenn man etwa eine Stunde länger als gewohnt auf's Mittageffen war. ten muss oder wenn man etwas spät von der Jagd beim kömmt und Appetit fühlt, oder ein Paar Stunden Wegs gehen muß, ohne, nach unterm Schweizer ausdruck zu reden, ein Schöppli zu trinken; auch das ist noch nicht Hunger, wenn man einen 9anzen Tag fastet, be- fonders wenn man vorher den Magen anfüllte; das Be- dürfniß nach Speise oder Trank kann in solchen Fällen höchstens Eß- oder Trinkluß heißen. Eigentlichen Hun- ger bekommt man erst nach viele Tage dauerndem, Man- gel, wo der Mensch kaum das dringendste Bedürfnis zur Fristung des Lebens durch ein karges Mahl zu be- friedigen im Stande ist. Da fühlt man es herbe, was es heißt: das Nöthigste zu entbehren, und erst dann, wenn sich wieder etwas zu effen findet, erfährt und em- pfindet man das Glück, nicht länger vor Hunger beynahe verschmachten zu müffen. Das Nämliche gilt vom Schla- fe, und vor dieser Reise habe ich nie erfahren, welche Herrlichkeit und unbeschreibliche Erquickung es ist, wenn an, fo zu fasen, vor Schwäche des ausgenüchterten - G g 2 46s Fünftes Buch. 3 völftes Kapitel wohlfeilten Preise, und ich ermangelte nicht, mich weid- lich zu erlaben! Die Gegend schien mir eine der inte- reffantesten des Archipels. Die Bucht, umfangen mit lieblichen, niedern Hügeln, bildete einen leicht zu über- blickenden See, und gewährte ganz die Annehmlichkeit eines solchen. Es war nahe am Sonnenuntergang, und siehe! an benachbarten Ufer, was ich so lange nicht mehr fah, eint Anlage, welche Gefühl für ländliche Annehmlichkeit an, kündigte; ein einfaches, aber nettes Landhaus in einst mer Gegend, umfangen von einem geräumigen Garten, in welchem sich bedeckte Gänge und einige Lauberhütte fanden; auf dem Dache war ein Altan, Reben rankten sich hinauf, und überwölbten denselben mit Grün. Auf der einen Seite dieses Landhauses befand sich ein großer Hof, ein reichhaltiger Brunnen in feiner Mitte: . Federvieh kampirte in Menge rund herum. Eine schöne Katze lagerte friedlich unter den Küchlein, der Haushund ganz nahe nebenbey. Dieser Anblick wirkte unglaublich lebhaft auf mich! Auf mich, der auf weitem Meere um hertrieb, dem Sturm und allem Ungemache in fernen fremden Lande sich aussetzte, während ich in meiner Heymath weit mehr besaß, als was mich hier entzückt Die Sehnsucht nach Hause schuf mir eine schlaflose Nacht --- Magens entschlummert. Die Leichtigkeit, das Behag liche eines solchen Schlafs ist gar nicht zu schildern, es kann nur empfunden werden! - n all ir , z. u“ at I s s“ 4/ z“ S c | 0, 469 13. - Geschrieben in Mehadia. - In dreien Tagen darauf kamen wir nach Scio. Der schöne wolkenlose Himmel, dessen ich mich bis über Rhodos hinaus zu erfreuen hatte, hörte hier auf; heftige Winde, an Sturm gränzend, bis zur Windstille, erfolg- ten. – Die Lage war fchon tiefer gegen Mittag; bey ganz hellem Horizont war kein Wölkchen sichtbar. Schon einige Tage früher, ehe man Scio erreichte, fand sich wieder Gewölfe und überzogene Atmosphäre. - Als man ausstieg, bemerkte ich mit Verwunderung eine vermummte Figur auf dem Verdecke; ich meinte im ersten Augenblicke, es wäre die Griechinn, eine Frau, die bereits auf Jahren war, und die sich so plötzlich, ganz ihrem bisherigen Kostüme, (das indes nichts weni- ger als streng erschien,) zuwider, so ein ballirt habe; doch kam mir die Figur kleiner vor. Im gleichen Mo- ment aber bemerkt' ich die Griechin neben ihr. Es war die Frau eines Türken! Seit zwanzig Tagen keine acht Schritte von ihr entfernt, lag sie unter einer Gattung Kasten wie begraben; keinen Ton hörte man, keine Spur eines lebenden Wesens schien da vorhanden zu feyn! In den zwanzig Tagen, in diesem engen Raume! Dieß scheint bey uns unmöglich, und in der That ist so etwas nur im Lande der eifersüchtigen Türken möglich! 470 Fünftes Buch. Dreyzehntes Kapitel Ich eilte in das Kloster zu dem vernünftigen und aufgeklärten Pater; er empfing mich auf das freund, fchaftlichste, aber an Tische blieb der dritte Platz leer; der gute Doktor Micheli büßte sein Leben im Hafen von Smyrna ein, während ich nach so vielen über denen Gefahren, es behielt. Durch die Frechheit des Kapitains bei heftigen Winde mit vollen Segeln zu fahren, überwarf sich das Schiff, und etlichen Personen - verloren dabey ihr Leben, - Tages darauf besuchte ich den Platz, genannt - Schule Homers; der Weg führt längs der Küste hin, fast zwei Stunden weit. Als ich die merkwürdige erreicht hatte, fügte ich zu mir selbst: „Die ganz nichts.“ Jeder andre Felsenbrocken konnte auch sº z. nannt werden, denn anders ist es nichts, als ein Stück Felfen mit platter Oberfläche, rund um Erhöhungen, wo man mit Noth sitzen kann; in der Mitte ein glatt in nämlichen Stein, auf welchem, der Sage zufolge, der Dichter feinen Schülern Unterricht ertheilte. Das ganze hat den Umfang eines mäßigen Zimmers. Aber der Weg längs der Küste ist herrlich, die Insel fcheint hier P- radiesähnlich, kein Fleck ist unbebaut; Gärten und Land, häuser reihen sich an einander; sonderbar fiel es mir freylich auf, daß ich in jenen nirgends etwas für An- nehmlichkeit angeordnet fand; kein Schatten von ein englischen Gartenanlage, oder etwas, das die Phantasie mehr beschäftigen könnte." Alles zielte auf Oekonomie ab und von all der Menge Landhäuser in dieser ist, nen Lage, fah ich auch nicht ein einziges von regelmäßiger Bauart oder symmetrischer Eintheilung. Alle hinkten, # it % z, 11: Mit f . 4, 3 s & s g“ " Wohlstand der Scioten. 47 und machten das Gegenstück von Italiens Willen, wo man das Nützliche oft dem Anmuthigen und Harmonischen aufopfert. Hier verfällt man in diesen Fehler nicht, und wenn die alten Griechen wieder auflebten, sie würden ihre Enkel wegen luxuriöser Bauart nicht zu schmälen *) haben. - Auf dem Heimwege von Homers Schule traf ich das Schiffsvolk, alles Scioten, auf einem freyen Platze an; ich hatte Mühe, die schmutzigen Matrosen in ihren ele- ganten Kleidungen wieder zu erkennen; sie hatten sich mit ihren Liebchen versammelt, und einige hundert Per- fonen ihres Schlages belustigten sich mit Tanz und Scherz. Das Kostüme der Weiber und Mädchen war überaus ge- fchmacklos und kostbar. Nie sah ich so viel Silber, Ver- goldungen und Seide bey folcher Menschen klaffe, es ist - ein Beweis von ungemeinem Wohlstand; auf Scio ist es nicht nur Schein, sondern es ist Wirklichkeit. Ich glau- be, diese Inselbewohner feyen die reichsten des Archipels. Bei meiner Durchreise vor einem Jahre kaufte ich ein halbes Dutzend Citronen und Orangen um einen Parah, jetzt umgekehrt, mußt' ich so viele Parahs um ein Stück dieser Früchte bezahlen. Alle Bäume waren im letzten, kalten Winter zu Grunde gegangen. - - Nach Verfluß von drehen Tagen erfolgte die Abreise, und nun noch ein Wort über die Schiffleute: Sie waren fromm nach griechischer Art und Sitte, das heißt, Abends ward ein Licht gemacht, und die Hei- *) Schmälen, fchweizerische Idiotisme, für schmollen, zanken, 472 Fünftes Buch. Dreyzehntes Kapitel, ligenbilder in der Kajütte beräuchert *), ebenfo das In- nere jeder Mütze, unter hundertfältigen Kreuzschlagen und Herunterschnätzeln von Gebethen, als liefen sie von einer englischen Maschine ab; inzwischen aber, und kaum voll lender, begannen Poffen und Muthwilen fonder Maß und Ziel. Wie sehr kontrastierte diese religiöse Ceremonte gegen die der Türken. Diese beobachteten ein feierliches, ab gemessenes Benehmen; wie es bei uns auf den Exerzit- plätzen der Fall ist, so geht es beym Gebethe der Musel- männer; ernst, und von Allem, was vorgeht, abgewandt, widmen sie sich nur der Wichtigkeit des Gegenstandes; nichts unterbricht sie, nichts vermag sie in der heilige Handlung zu stören. - Bey der baldigen Abreise sollte, wie es schien, das Schiff vor allem Uebel ganz gesichert werden. Es erschien ein Geistlicher mit langem Barte und wild umherfliegen, den Haaren; ein Helfer folgte mit einem verschloßnen Kästchen unter dem Arm; es ward geöffnet und mit vi- len Ceremonien ausgepackt. Ein Todtenknochen in Gala unten und oben mit Silber beschlagen, und mit golde- nen Verzierungen reichlich ausstaffiert, kam zum Vorschein, Gott weiß, wem das griechische Bein einmal angehört ha- ben mochte ! Dennoch aber sollte es eine Wunder be- wirken. Ich sah dem Zeugs eine Zeitlang zu. Unter anhaltendem Räuchern mit Majoran, und Besprengung - *) Als ich die Kajütte bezog, war sie ganz leer bis auf diese Bilder, und ich wurde befragt: ob ich dieselben heraushaben wolle ? was ich aus begreiflichen Gründen aber nicht wollte, - in i . Es Als f g p" al „e“ Mytilene. H73. mit Waffer wurden fowohl das Bein als die Anwesenden eingeweiht. Unwille übernahm mich; ich zog mich in meine Kajütte zurück *), und schob den Riegel hinter mir zu. Man fegelte längs der Küste bey einer Stunde, bis nahe an ein Dorf, wo der Kapitain und die Matrosen wohnten. Jener verweilte daselbst, und kam in einem Boote zum Schiffe; alle Bekannte der Schiffsgesellschaft waren am Ufer, uns ihr Lebewohl zuzurufen. Zwey kleine Kanonen auf dem Schiffe wurden zum Gegengruße losgebrannt. - - Die Witterung war sehr unbeständig; abwechselnd stürmisch und windstill. Nach ein paar Tagen landeten wir auf der Insel Mytilene, um uns mit Waffer zu versehen. Herrliche Trauben und Melonen bekam man fast um Nichts. Bald hatten wir Lemnos im Angesich- Y te, und linker Hand die Menge kleinerer oder größrer . Inseln. Die Ansicht des Archipels kam mir einer Wiese ähnlich vor, die mit Heuschobern, unregelmäßig, in ungleichen Entfernungen und verschiedenen Größen über- deckt ist. So vortheilhaft das Innere dieser Inseln be- schaffen sein mag, so wenig Anziehendes bietet ihre Aus- jenseite dar. Ich fand nicht. Eine Ansicht von den Reiz unserer bebauten und verschönerten Gegenden des Zür- cher - Genfer - und Boden- Sees und so weiter. Es fehlen die dunkeln Waldungen, die hohen Felsen, die Gletscher, die lieblichen Thäler mit den ruhigen Dorf- ') Wer will es einem vernünftigen Menschen verdenken, wenn ihm bey dergleichen Geschichten und Vorgängen der unwille ergreift - 474 Fünftes Buch. Dreyzehntes Kapitel. schaften, in deren Mitte die Kirchthürme, und so viele Heimliche uns anzieht, wo so manches Freundliche init den Erhabenen und Schauerlichen abwechselt. , Ben mißlicher Witterung trieb man sich einige Tag ohne weiter zu kommen, umher. Es war am ein und dreyßigsten August, als von den uns umzingelnden U- gewittern, uns wirklich eines zu erreichen droht. Wir befanden uns unweit der Insel La Jura, und das Ge- wölke sammelte sich allmälig in deren Nähe, und bildet zusehends eine schwarzgraue Wand, die sich von dort aus auf einige, aus dem Meere hervorragende, nackte Felsenbrocken auf Meilenweite Entfernung hindehnt. In mer dichter schien die schwarze Decke zu werden; es “ herrschte gänzliche Windstille. Dennoch schwankte das Schiff stark und auf eine widrige Art. Die Schiffe wurden unruhig, und legten sich, nachdem sie alle S- gel eingebunden hatten, schlafen. Es war Mittag, und in dieser Lage nichts weniger als Zeit zum Schlafen; ich bemerkte aber in ähnlichen Fällen schon mehrere Male diese Maxime; mit geschloss nen Augen wurden oft die Dinge oder Undinge erwartet die da kommen sollen. - Gegen die Mitte des fcharf abgeschnittenen, schwer zen Bogens, entstand eine kleine Zacke, und erhielt sich späterhin, eine Zeitlang ganz in der Form eines Sichel eifens, aber nach Verfluß einer halben Stunde geradelt es sich, und bildete eine ungeheure Säule, die auf die ihr 1. Die Waffe rhofe. 475 Meeresfläche zu fußen begann. Es war das fchreckliche Schauspiel einer Wafferhofe ( Trombä). Jetzt war bey- nahe die Wafferfläche erreicht, und rundum war's, als kochte das Meer ungeduldig der Berührung mit der Säule entgegen; hoch empor schäumte es, und durch einen Wirbelwind, der die ganze benachbarte Rundung empor- riß, vereinigte es sich mit der Kolonne. Wie von einem Schlauch wurden die ungeheuern Waffermaßen eingesogen und hinauf, bis ins schwarze Gewölke geschlürft, dann mit entsetzlichem Getöfe, auf Stunden weit das Gepraf- fel vernehmbar, wieder heruntergestürzt ins Milchweiß schäumende Meer. Schwefelgelb war der Horizont; un- ter dem schwarzen Gewölke hob sich grausend die Säule aus der schielenden Helle. Wehe den Schiffe, das durch einen unglücklichen Zufall zu nahe kömmt, es ist ohne Rettung verloren! Mit Sturmwind endet immer diese schreckliche Erscheinung. Unser Schiff ward nur für kurze Zeit davon ergriffen, und glücklich waren wir bald in der Ferne! Die Nacht war nichts weniger als ruhig; je länger je mehr sehnte ich mich nach baldiger Ankunft auf den festen Lande. Am folgenden Morgen hatte ich das neue Schauspiel einer Jagdparthie. Ein Trupp Delphine ver- folgten einen Schwarm von Tonn - Fischen ; ganz nahe am Schiffe schnaubten die Delphine empor; die Meeres-Ober- fläche schien belebt, wo das Gedräng der Tonn-Fische am dichtesten war; in fie hinein fchoffen die Delphine, und mit einem Sprung von zehn bis zwölf Schritten über den Waffer, fuchte sich der fünfzehn bis zwanzig Pfund hal- tende Tonn zu retten. Noch eine halbe Stunde weit fah 476 Fünftes Buch. Dreizehntes Kapitel man, wie Silberfaden am Sonnenstrahl, das Glänzen des Fisches in der Luft, Am Vorgebirge Cassandra sah ich wieder einen Wald, und dieser Anblick ergötzte mich ungemein. Seit meiner Abreise vom Libanon sah ich nichts Waldähnli ches mehr. Der Anblick einer solchen Parthie von Land, fchaft bleibt immer schön, und gibt der Phantasie Spiel raun. Die Bäume bestanden aus einer Gattung Fichte und Grüneichen; das Grün dieser Gegenden hat aber überhaupt oft einen andern Ton als bei uns; die G, wächse, welche sich hey uns nicht finden, modifiziert diese Farbe in mancherley Nüancen; das Helle der Öl- ven, das Frische der Citronen und Orangen, das Dunkle der Feigen, Cypreffen, und noch so mancher andern Pflanzengattung, bringen ein anderes Farbenspiel hervor, Ich komme noch Einmal, aber zum letzten Male auf die Schiffleute zurück. Sie hatten ächt griechischen Eis rakter, waren immer heiter und lustig; zwölf bis fünf zehn an der Zahl, machten sie eine Gattung republikani fche Verfaffung unter sich; keiner schien Vorrechte vor dem andern zu haben, und diese, nicht ueberall taugliche Verfaffung, brachte zuweilen, und namentlich zur Zeit der Noth, Verwirrung unter sie. Uebrigens, wenn auch Roth an den Mann kam, konnten sie es doch nicht lassen, einander zu necken, zu klauben, zu stoßen. Es beste dete mich also um so mehr, eines Morgens, wir ware noch nicht weit über Kassandra hinaus, bei gänzliche Meeresruhe, das Waffer glatt, wie ein Spiegel, und das Schiff unbeweglich, die Schiffleute plötzlich erfilet zu sehen. Ich sah sie ernst, traurig, einige stritt In d in g Mit seits s g g g z - Erfcheinung auf dem Waffer, A7 Die äußerste Niedergeschlagenheit herrschte unter der gan- zen Mannschaft, (den Türken ausgenommen). Jetzt wies einer feinem Nachbar betrübt mit dem Fin- ger aufs Waffer; ich begab mich an Bord, um das War- um? zu erfahren. Da erblickte ich eine Gattung Sub- stanz, es war nicht Schaum und nicht Körper; es schien wie durchsichtig Oel, felbst Farbenlos, doch alle Farben wie im Regenbogen spielend; in ziemlicher Menge um- schwankte diese Erscheinung, bald in Kreisform, bald als Oval, bald auf der einen Seite ganz abgeschliffen und auf der andern zackigt, das Schiff. Ich konnte hier keinen Stoff zu der auffallenden Niedergeschlagenheit der Matrosen finden, und bewunderte die für mich neue Er- fcheinung. Es lagen kleine Holzsplitter neben mir, und ich warf deren nach dem Dinge, - - - - Da fuhr mich ein reifender Grieche ergrimmt an, und äußerte in gebrochenem Türkisch: „dieß zu unterlaffen.“ Ich fah keinen Grund weswegen, und machte dieß durch eine helle Lache verständlich, und gab ihm oben ein zu verstehen: daß ich das Ding schön fände, und es mir ge- fiele. Schon die verschiedene Stimmung der Schiffleute gegen die meine, ließ verschiedene Ansicht dieser Erschein- ung mit Gewißheit annehmen. Ich verbesserte aber durch meine freymüthige Aeufferung die Meine keineswegs. Die Leute sahen einander betroffen an, und berathschlagten, wie es schien, über mich. Ohne weiter ein Wort zu ver- lieren, ging ein Matrose sogleich in die Kajütte, nahm die drey heiligen Bildchen herauf, und legte sie stil- schweigend in eine Kiste auf dem Verdeck. *) *) Auch ward hinfort nicht mehr darunter geräuchert. 478 Fünftes Buch. Dreyzehntes Kapitel Diese Lapperey wollte mich anfänglich verdrießen, doch erholte ich mich: ich verlor wahrscheinlich nicht viel an der Gesellschaft, es waren ja griechische Heilige Allmälig verdeutlichte ich mir aber die unbegreiflicht Sache. Die Schiffleute, ohnehin voll Aberglauben und Vorurtheil, nahmen diese fchwimmende Materie, wie ich aus einigen Aeußerungen mit Wahrscheinlichkeit schließt konnte, für die Seelen, oder die letzten Seufzer von Menschen, die in Stürmen verunglückten und ertranken, Bey folchen Begriffen, die fie hegten, mußte ich ihnen freylich höchst ruchlos erscheinen. - s – - Schon früher sah man das Gebirge von Mitte Santo; auf diesem befinden sich fünf und zwanzig griechische Männerklöster. Jedem Frauenzimmer bleibt der Zutritt in diese (sogenannte) heilige Stätte untersagt, Einmal von Cypern weg, hörte ich nichts mehr von der arabischen Sprache. Während dem sechsmonatlichen Aufenthalte im Lande, wo man nichts anders spricht, lernte ich nothgedrungen so viel davon, als ich früher nicht glaubte, daß möglich wäre. Hatte ich vielleicht ei- nen größern Wörtervorrath in der türkischen, so wußte ich dafür beffer die Verbindungswörter in der arabische, Durch Noth lernt man unglaublich schnell das Nöthigt; ist diese vorbei, so vergißt man gleich schnell wieder das Erlernte. Ich hatte Mühe, mich aufs Türkische wieder zu besinnen. ( -- ält tät i, g 1:1 1. 1:1 za ist 11: elf S. e ch st es B. u ch. - R e il f e / von - Salonichi zurück nach Wien. - - - - - - - - - " - - - - ", “**------ K. a p | t e l 1. Geschrieben in Karansebes im Bannat. Endlich, am Abend des zweiten Septembers, erblickten wir Salonichi"). O des erfreulichen Anblicks. Nachts glimmerten die wegen Rhamazan beleuchteten Minaretts f und am Morgen des dritten betrat ich, Gottlob, wieder das feste Land, um es nie mehr zu verlassen." Froh verabschiedete ich ein treuloses Element, das mich fo oft ängstigte mit dem festen Vorsatz, mich ihm nie mehr an- zuvertrauen. Ich entrann ihm glücklich; und wie ich den Fuß auf das Land setzte, rief ich nochmals aus vollen Herzen: Gottlob und Dank! Auch in Salonichi, in dieser von fremden Kaufen- tenfo besuchten Stadt, findet man nicht die Bequemlich- keit eines Gasthofes. Der östereichische Consul, Graf von Koch, der mich immer äußerst zuvorkommend be- handelte, hatte die Güte, mir eine Wohnung ausfindig zu machen. Es war ein helles Zimmer bey einer Portu- giesischen Wittwe, die sich mit ihrer Tochter durch Hand- arbeit ernährte; fleißige, stille Leute, die oft mehrere Stunden vor Tag, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, nähten. Die Tochter war sehr schön, und an *) Das Theffalonich der alten Welt. " - H h 482 - Sechstes Buch. Erstes Kapitel, / einen Schiffskapitain versprochen; wäre sie aber noch so schön, so wird doch dem künftigen Herrn Ehrgenohl die 3Lantippe im Haufe nicht mangeln. Ich kochte mir selbst. Nun einmal eigne Wirthschaft von langem her gewohnt, hatte ich dabey die Annehml- lichkeit, daß ich effen konnte, was, wie und wann ich wollte, abgerechnet den wesentlichen ökonomischen Welt theil, den ich dabei hatte. Ein alter Jude machte den Commissionair, und kaufte für mich alles Benöthigte ein; er war indes den Frauenzimmern nicht anständig, und in wenig Tagen hatten sie ihn wegzutreiben gewußt"), indem sie mir anschaulich machten, daß er mich betrog, (worauf ich aber schon früher gefaßt war). Der Platz ward nun durch einen dreizehn bis vierzehnjährigen B- ºben, der einer Näherin angehörte, die im Haus at- beitete, ersetzt. Er hatte einen so wunderlichen, jüdi fchen Namen, daß ich denselben gar nicht aussprechen, geschweige im Kopf behalten konnte, und darum tauft ich ihn in Salomon um. Die Dienerschaft dauerte aber nicht lange; die Näherinn wurde verabschiedet, und die Frauenzimmer fanden augenblicklich, daß der junge Jude noch mehr stehle, als der alte. Die Stelle erhielt nun das Dienstmädchen im Hause, Ricarda mit Namen, ein kleines Kind, das kaum die Treppe ersteigen konnte, es mochte zehn bis eilf Jahre haben; aber wie erstaunt ich, zu vernehmen, daß das kleine Ding schon Brautsch und in zwei Jahren sich verheirathen werde. Bei den *) Durch die Juden gehen hier, und beinahe durchgehend in der Levante, alle Geschäfte, vom wichtigsten bis zum unbedeutendsten. - Salonichi, 483 Juden ist so frühzeitige Verehelichung beinahe durchge- hends üblich. Indeß bekam die Jungfer Braut tagtäglich ein paar Male Wix, bald von der Frau, bald von der Tochter des Hauses; es schien fast, als ob dieses Ma- noeuvre mit Antrettung des Dienstes anbedungen worden wäre. Jungfer Ricarda ergab sich, durch Gewohnheit gestählt, willig der Bastonade, und Jenen schien es eine wohlthätige Motion zu gewähren. - - - Was ich so sehnlich in Salonicht anzutreffen wünsch- te, fand ich nicht: Briefe von Hause, und Nachrichten von meinen in Alexandrien, wegen der Pest, zurückgelaf- fenen Kleidern. Mein Aufenthalt ward nun deswegen um einen ganzen Monath verlängert; erstere lagen alle in Smyrna, von woher ich auch Kreditbriefe auf jeden Fall abwarten mußte; denn ich wollte nach Deutschland zurück, und dort reist man ohne Geld nicht; eher in den Gegenden, die ich verließ, wenigstens hier weit weniger, als im Innern von Europa, freilich aber auch: al" uso del paese! Salonichi, fo viele Vortheile es jetzt dem spekuliren- den Kaufmann gewährt *), leistet in Rücksicht des An- genehmen sehr wenig. Es hat eine höchst ungesunde Luft, und ist wegen den bösartigen Fiebern, die hier mehr als an keinem andern Orte herrschen, besonders im Sommer, *) Als Wirkung der Zeitumstände und politischen Ereigniffe, - - - - - - H h 2 484 Sechstes Buch. Erstes Kapitel, für Fremde ein gefährlicher Aufenthalt. Beinahe ohne alle Ausnahme lag letzten und vorletzten Sommer. Alles krank darnieder, Viele starben, unter andern auch, während meines Aufenthalts, der französische Konsul; er ward, wie es hier üblich zu feyn scheint, am Tage seines Todes auch begraben. - Alle Vorsichtsmaßregeln: wenig effen, am wenigsten Fett, gar keine Früchte und dergleichen, sind oft gegen dieß Fieber vergeblich. Auch die Eingebornen bleiben nicht frey davon, und sterben häufig an demselben. Ich hatte das Glück, ohne mich besonders zu schonen, ganz wohl zu bleiben; vielleicht verdankte ich es der Vorsicht, nie bloßes Waffer zu trinken, dagegen öfters, jedoch nur wieder als Arzney: Branntwein, besonders alle Mot gen im Caffee zu mir zu nehmen. Die Auffenseiten der Stadt, deren eine sich an einen Berg anlehnt, haben mit ihren unregelmäßigen Ring mauern nichts Anziehendes für das Auge; ebenso wie nig die entferntern oder nähern Umgebungen derselben, von kahlen Mittelbergen umkreiset, ohne Grün, ohnt Wald, ohne Waffer, ohne Wohnungen. Das Innere der Stadt ist im Einklang mit ihrem Aeuffern: enge, schmu- zige Straßen, Moräfte, und halbverfaulte Kadaver von Vieh oft mitten darin; der Basar ist belebt, aber erst und dunkel, wie anderwärts, und, wie überall in der Levante, mit englischen Fabrikaten überladen. Außer ei nem der Thore, entlang dem Meere, ist der Hauptspa- ziergang der Franken, wie der Griechen und Türkei, Sechszig bis achtzig unregelmäßig gepflanzte und schlecht besorgte Bäume, meist Platanen, gewähren etwas Schatz - % mit er ist z: r des z; in J" g" z g Einzug eines neu erwählten Pafcha. ss4 ten. Auf der einen Seite der Promenade finden sich mehr rere Grabmäler von Türken, während auf der andern Ale- fer von Pferden und Maulthieren, bald als gährendes Luder, bald als halb verwesenes, faules Aas, bald als Gerippe herumliegt, und den eckelhaftesten Anblick und Geruch verursacht, - - - ----- T- Die sonst zum Ausgehen angenehmste Zeit, am Abend bey der Kühle gegen die Dämmerung, muß hier in ver- fchloßner Wohnung zugebracht werden. Auf die Minute des Sonnenuntergangs steht der Türke mit der uhr un- ter dem Thore, und verschließt es; zudem ist die Nacht- luft, fchädlich, und endlich soll es bey Nacht auf den Gaffen unsicher feyn. Welch ein Unterschied gegen Liba- nons gefunden und sichern Höhen!" - - Am neunten September hielt der neue Pascha aus Morea feinen Einzug; er war glänzend. Der größte Aufwand, Hauptluxus, befund in den Prachtpferden; die Decken strotzten von Silber- und Gold - Stickereyen. Der Zug ging, nach türkischer Art und Sitte, schön, fill und feyerlich vor sich; statt Geschrey und Getümmel, wie bei solchen Anläffen im übrigen Europa, herrscht hier Anstand und Ruhe in den Reihen des Volks, zwi- fchen welchen der Pascha und der Zug sich fortbewegte. Höflich, aber mit Würde, fast abgemeffener Beweg- ung der Hand, grüßte der Pascha nach jeder Seite; beide Volksreihen erwiderten den Gruß, indem sie, sich beugend, die Hand auf die Brust legten, stillschweigend 4ss Sechstes Buch. Erstes Kapitel. und ehrerbietig. Hier sah man keinen Troß lärmender Gaffenjungen und erwachsner Neugieriger, die, wie bei uns, vor- oder nacheilen; keine Unordnung, kein Ge- räusch störte den feierlichen Zug. Der Pascha schien mir ein Mann von beyläufig fechszig Jahren; er hat schöne Gesichtszüge, ist aber blaß und sehr ernst. Von seiner reichen Kleidung, im orientalischen Glanz, nur so viel: daß Juwelen an Händen, Dolch und Turban blendend schimmerten. Der Posten soll eine Begünstigung des El tans gegen den Pascha gewesen seyn, der sich nicht bei sonders darum bewarb *), obwohl die Stelle läuft einträglich ist. - - Eines Tages ging ich wohl eine halbe Stunde der Fl dengaffe entlang; da wimmelte. Alles, durch und in ein- ander gedrängt, gleich einem Ameisenhaufen, in Schmutz und Unreinlichkeit, daß es vor Eckel kaum auszuhalten war. Die Kinder der Reichen hatten für mehrere hundert Gulden Zierathen um Kopf und Hals, dafür aber so zerrissenes Gewand und unreine Wäsche, wie die ärmsten Bettler; und unter den Erwachsenen, welche verzogene und verschrobene Judas gesichter! - , Ich komme noch einmal von Rhodes zu reden. nämlich während meines Aufenthalts in Alexandrien in *) Er foll nämlich ohnehin fchon ungeheure Reisine besitzen. _–=–– ueber den Koloss von Rhodos. 4er Gesellschaft von Franken von dem Koloffen von Rhodos sprach, machten diese Herrn allgemein unter sich aus, und erkannten: „daß die ganze Geschichte dieses ehema- “ ligen Wunders der Welt ein Mährchen sei, weil man kei-, “ nen Platz wife, und überhaupt nichts Bestimmtes davon angeben könne.“ In Salonichi nun fand ich zufälliger " Weise in einem Winkel ein von Motten halb zerfreffettes Buch, es war eine Kirchengeschichte aus der ältesten “ Zeit, in italienischer Sprache, und da und „das in " den Jahren 650 bis 660 unserer Zeitrechnung die Insel Rhodos von den Sarazenen erobert, und die Bruchstücke “ des Koloffen auf neunhundert Kaneelen von ihnen feyen weggeführt worden *).“ Also schon damals Bruchstücke, Ueberbleibsel! Jedoch geschieht bestimmte Erwähnung davon, welche, ohne so viele andere Zeugniffe der Ge- fchichte, Sagen und Ueberlieferungen in Anschlag zu brin- n“ gen, hinreichend wäre, zu beweisen, daß es mit dem Koloffen keine Erdichtung fey. , Ich kann das Kleinliche überhaupt nicht leidet, wo- z“ mit man Alles wegwitzeln, und als null und nichtig de- monstrieren will, was nicht mit Fug in die Alltags-Ideen feichter Köpfe paßt, die Alles nach dem Maaßstabe der jetzigen Zeit auszuzirkeln und zu berechnen sich unter- fangen. Wenn diese Herren nicht die Obelisken, Pyrami- deit und Sphynxe so nahe auf der Nase hätten, so wür- *) Die Meinung: daß dies Werk durch ein Erdbeben ein- „ gekürzte, ist die allgemeine - - - 1 . u - - - - 488 Sechstes Buch. Zweytes Kapitel den sie auch das Dasein dieser als Mährchen wegrain ren wollen. : - - In den lebhaftesten Gaffen der türkischen Hauptstädte kommt man oft in den sonderbaren Fall, zu fragen: Warum weniger Leben. Vorgestern, als die andern Tage? „Es war (Freytag) Sonntag der Türken. Wann Gestern so viele Krambuden geschloffen? „Es war (San stag). Sonntag der Juden.“ Warum Heute die Hälfte des Bafars leer? „Es ist Sonntag der Christen.„ Hier find also Lessings drei Ringe und Ein Zweck... Doch nein, der Mönch brachte vom Libanon den ächten. So tenheit jedoch bleibt die Erkennung desselben; oft sogar dem Auge des Forschers verborgen. --- 2. An vierzehnten September, gegen Mittag, schickte ich das Dienstmädchen aus, mir Käse zu kaufen, es kam aber bald mit der Nachricht wieder zurück: „es gäbe es nem Niemand weder Rede noch Antwort. Der neue Pascht gehe verkleidet umher, und untersuche Waaren und G- wichte.“ Gleich nebenbey, wo es den Käse holen wollt, kaufte der Pascha von einem Juden Trauben; das Gt wicht war, ich habe vergeffen, um wie viele Drachmen, zu leicht; augenblicklich erhielt er fünfhundert Stock li f d n l 1 Mität in Zie Fuk Erst Zeit Mär fällt k Polizei des neuen Pascha. 489 schläge auf die Fußsohlen für den Betrug. Am nämlichen Tag ward einem Metzger, aus eben dieser Ursache, die- felbe Strafe zu Theil. 1, - - - Dieß ist türkische Polizey! Wo findet man solche in der Christenheit? Vier Tage erst vorbey, seit der Pascha, ein hordreicher Mann, eingezogen, also noch der Bequem- lichkeit mit Muße und Ruhe nach Willkühr pflegen konn- te, und schon ist er auf den Beinen, und geht verkappt durch die schmutzigen Straßen der Stadt, um zu prüfen, ob das gemeine Wesen nicht durch Betrug und Wucher von Partikularen Noth leide. Das thut er, anstatt sich nach feinem Vermögen und Stand gütlich zu thun , oder fich von den Vornehmsten, Ersten und Reichsten der Pro- vinz den Hof und die Aufwartung machen zu laffen! Ich frage wiederholt, wo findet man in der Christenheit fol- che Züge von Wachsamkeit, solche Besorgniß für das all- gemeine Wohl? Wer thut dieß, vom Kaiser bis auf den geringsten Beamteten herunter, so rücksichtslos in jeder Abficht; einzig nur um den Betrüger zu strafen, und den Bürger vor Wucher, List und Betrug zu sichern. Wenige Tage später ward das Brod, das nach und nach auf einen übertriebenen Preis gesteigert worden, fast auf die Hälfte herabgesetzt; eben so die Preise von Butter, Eyern, Früchten und dergleichen, fehr billig, und auf eine bestimmte Summe taxiert. Jedermann fegnete den Pascha seiner guten Verfügungen wegen; diejenigen frey- lich nicht, welche sich kecken Vorrath von Korn aufge- speichert hatten, in der Hoffnung, es ums Doppelte wie- der loszuschlagen, 4 - - 490 Sechstes Buch. Zweytes Kapitel, - Gegen das Ende des Monats empfing ich mich das so sehnlich erwünschte Paket Briefe von Smyrna, Seit einem Jahre mißte ich alle Nachrichten von Haust, weil ich um diese Zeit schon wieder in der Schweiz zu rück zu feyn dachte, und es auch gewesen wäre, wenn mich nicht der Ausbruch der Pest am Einschiffen verhin dert hätte. - - Wie durchkreuzten sich nun aber Freude und Leid hey der Durchlesung dieser Briefe ! Wichtige Verände ungen waren im häuslichen Kreise vorgefallen; their Verwandte, Freunde und Freundinnen hinübergeschlum- mert ins Land der Vollendeten, auch solche, von denen ich dachte, daß sie erst lange nach mir den ernsten Weg machen würden! So wechselt alles unter dem Mond, oft so schnell, so augenblicklich, so folgenreich! Zch rüstete mich unverzüglich zur Abreise. Es fall- den sich unweit meinem Logis Kaufleute aus der Milch barschaft meines Vaterlandes, die sich hier etablirt hat, ten, und mir viele Freundschaft erzeigten, und mehr - zeigt hätten, wenn ich im Falle gewesen wäre, davon Gebrauch zu machen. Daffelbe gilt von dem öfreichische Konsul, und den Chefs des Etablissements, an welches ich empfohlen war, und das einen deutschen Namen führte Kein Individuum des Hauses aber verstand ein Wort deutsch; es waren Italiener, und die deutsche Firma figurirte blos aus Convenienz, da der Deutsche noch Wº berall mehr Credit findet, als keine andere Nation. Dies sind noch die späten Früchte der alten Treu und Redlich keit, die einst so gut auf deutschem Grund und Welt gedieh'n! - - _–=– - Der Pacha bestraft einen Becker. 491 Ich berührte schon früher, daß die verschiedenen Par- teyen der Europäer in der Levante sich gegenseitig necken und reiben. *) Ein Beispiel aus Salonichi mag genü- gen. In der französischen Kirche wurde beim Gebeth von den Anwesenden gedämmt: „vive Napoleon!“ gern- fen; unlängst wohnten zwey englische Matrosen dem Got- tesdienste auch bey, im Moment des gedämmten Ausrufs der versammelten Gemeinde übertönten sie das vive mit einem kräftigen: „crepa!“ „ - - - - - Ein paar Tage vor meiner Abreise kam um Mittag ein Bekannter mit der Nachricht ins Haus: „Der Pa- fcha habe wieder Revüe gehalten, und hin und wieder fehe man die Ergebnisse davon; unter andern gleich eins in der benachbarten Gaffe.“ Ich rannte schnell nach dem bestimmten Orte; da war ein Bäckerladen ganz leer, aber an einem großen Pfosten stand der Eigenthümer desselben, ein Grieche, mit auf den Rücken gebundenen Händen, angenagelt durchs Ohr mit Fingerdicken Nagel, und in den Pfosten hineingeschlagen, so hoch, daß er auf den Zehen stehen mußte, um nicht das Ohr im Stich zu laffen. Späterhin ward ihm ein Block unter die Füße gegeben, daß er etwas weniger unbequem zu stehen kam; - - *) Vielleicht nicht mehr als anderwärts, nur mag es in der Levante mehr auffallen, weil der Spielraum bei fchränkter iß. - - A92 * Sechstes Buch. Zweytes Kapitel, - die entblößte Brust und das ganze Gesicht waren mit H- nigwaffer überstrichen, so daß Fliegen und Insekten sich dem Tausend nach darauf fetzten; das Gesicht war gegen die heißen Sonnenstrahlen gerichtet, und schon dieß als lein, ohne sich um ein Haar regen zu können, gilt statt einer Tortur; das Blut träufelte herunter. Ich hörte von den Umstehenden äußern: „der Mann habe von Glück zu reden.“ Ich dachte mir alles Möglich sei, ner Lage, und konnte, angenagelt an die Wand, halb gebraten von der Sonnenhitze, und von Fliegen und Welt pen halb zerrißen, blutwenig Glück finden! „Ja,“ gab man mir Aufschluß, „wenn der Pascha nicht so gütig wäre, so läge schon lange der Kopf vor seinen Füßen.“ Das Gewicht des Brodes war wieder nicht in Ordnung, Zwey andere Bäcker hatten denselben Tag aus den nän- lichen Gründen, die gleiche Strafe auszustehen; seit dritter, weil das Brod nicht genug gebacken war, und also mehr an Gewicht hielt, als es, gehörig ausgeht, cken, gehabt haben würde. Die Leute blieben so ang- nagelt bis zum Sonnenuntergang. Ob der Laden der Plünderung Preis gegeben, oder aber die Leute des Wir ckers. Alles ausgeräumt hatten, weiß ich nicht, Welch ein auffallender Kontrast dieses schnellen und einfachen Gerechtigkeitsganges gegen den unsrigen! So wie hier der Betrug entdeckt wird, büßt der Verbrecher nach Verdienst augenblicklich dafür, und damit: „Lid am Ende.“ Bei uns berathschlagt man bey schon erwil fener Sache; wird endlich der Schuldige eingezogen, beginnt der Prozeß und mit demselben Intrigen, Ritt Kniffe und Pfiffe ohne End, verbunden mit Kosten ein l $. Valet - eines Türken, 493 Zahl. Doch ich will lieber von einer Vergleichung dieser Sache abbrechen, die, meines Erachtens, bey den Un- gläubigen ohne anders redlicher behandelt wird, als bei uns unter den Gläubigen ! “ Ich muß noch bemerken, daß der Zuschauer sehr we- nige waren, und unter diesen beobachtete ich keinen Tür- ken. Die Vorübergehenden hielten sich kaum einen Au- genblick auf, und gingen ihres Weges weiter. Sey es nun Gewohnheit dieser Sache, oder weniger Neugierde, oder, weil sie es nicht für anständig halten, lange zu gaffen, kurz, es ist auch hierin eine große Verschieden- heit gegen dem Gedränge, das bei Prangerausstellungen und andern ähnlichen Anläffen bei uns. Statt findet. In der Nacht um acht Uhr vernahm man vom Ka- stell einen Kanonenschuß; er war das Valet, das man einem fo eben hingerichteten Türken gab ; diese Ehre wie- der fährt jedem Muselmann beym gewaltsamen Abschied aus dieser Welt. Durch sieben Juden geschieht das Er- droffeln mit einem Strick; ist's ein Vornehmer, mit einer feidenen Schnur. Auf die Letzte gäbe wahrschein- lich der, den es trift, um die Ehre dieses Unterschieds keinen Heller. Die Juden werden hiezu gezwungen; es ist ein Schimpf, womit die Türken diese Nation belegen. Den Tag vor meiner Abreise hatte ich noch das Ver- gnügen, einen Derwischtanz anzusehen. Außerhalb der Stadt, auf einer Anhöhe, in schöner Lage, war die 494 Sechstes Buch. Zweytes Kapitel Moschee, und den Franken der Zutritt erlaubt. Die Moschee hatte, wie alle andern, eine runde Form. Ich fah in den verschiedenen Gegenden der Türkei die Menge dieser Tempel von Innen, aber in keinem etwas bess- ders Sehenswerthes; die meisten waren ärmlich und nachläffig unterhalten. Eine Menge" Lampen hingen an Stricken, hin und wieder auch Straußeneier, von der Bühne herunter, rund um befindet sich eine Galerie für die Zuschauer. . Es schallte mir eine wunderliche Musik entgegen; ft bestand aus einer Handtrommel und einem Tambourin, begleitet mit Gesang von vier bis fünf Türken; der G fang war in Strophen abgeheilt, und hatte ungemein viel Eigenes. Das Neue und Fremde dieser Musik mit fiel mir nicht, sie harmonirte gefallend, mit den übrigen Sonderbaren dieser Sache. - Der Zweck dieser religiösen Funktion soll sein: z büßen für die Sünden ihrer Glaubensgenossen. Jetzt trat ich auf die Galerie, und fah hinunter auf der Tanzplatz. Der Boden, ganz abgeschliffen, glänzte mit ein Spiegel, und auf dem geräumigen Platze sah man in einer Gruppe fünfzehn bis fechszehn Figuren schrillen *) Man konnte sie für Maschinen, die, gleich einen Uhr werke, aufgezogen werden, halten: so gleichförmig um taktmäßig war die Bewegung und Haltung Aller, ein wie des andern! Das Ganze gleicht einem Marionette spiel, das durch des Künstlers Hand, mittels Dritte „–--------- ) Schweizerischer Idiotism für: eine wirbelnde Beweg, mit dem Körper machen. . . / ist h n :: 1:3 : dr ist f z" ' s - - Derwischtanz. - 495 - - - zum einförmigen, unaufhörlichen Drehen gebracht wird. Ich ließ mir sagen, daß der Anblick dieser Tanzenden manchen Personen Schwindel verursache, und ich ver- wunderte mich nicht darüber. Etwas gesenkt auf eine Seite den Kopf, die Arme Schultern hoch ausgespreitet, fliegend, wie abgemeffen, einer gleich dem andern, wir. belt die Figur auf derselben Stelle im Kreise herum. Die bunte Kleidung vollendet das sonderbare Schauspiel; sie - ist einfärbig, aber keine der andern an Farbe gleich, je- doch von den lebhaftesten, grellsten Farben: Carmoisin, Grün, Aurore, Schwefel- und Gold-Gelb, Violet, Weiß, Incarnat, Hellblau. Von einem Stücke fcheint das lange Gewand, das sich von oben herab bis an die Hüften allmälig zusammenzieht, und an diesen enge wie eine knappe Schnürbrust, anliegt; von den Hüften aber sich in Gestalt eines umgekehrten Trichters, weit nach unten ausdehnt. Stehend wird das Gewand über Schuh- länge dem Boden nach geschleppt; tanzend aber fliegt es eben so hoch über denselben, und zwar so, daß man im Umkreis des lufterfüllten Rockes nie einen Zoll Abweich- ung wahrnimmt. Alle hatten hohe, weiß-gelbe Filzmü- ben, fast wie unfre Grenadierkappen. In der Mitte anzte ein Knabe von zwölf bis dreizehn Jahren. Der Oberste, oder erste aus diesen Derwischen, war fark hinkend; beim Tanzen aber trüllte er so rasch und hebend, daß man nicht das Geringste davon merkte. Oft hielt der Gesang inne, und fiel dann Strophenweise wie- "ein, zuweilen erstillte die Musik ganz, ohne daß die Tanzenden dadurch im Takt, Bewegung, Haltung, in geringsten gestört wurden, - * 496 Sechstes Buch. Zweytes Kapitel, Ich kam zu spät, und war kaum noch eine halbe Stunde Zuschauer. Der wunderliche Ball endigte für mich zu schnell. In Einem Moment waren. Allein einen Halbkreis, tief, bis gegen den Boden gebückt, mit Kreml- weis auf die Brust überschlagenen Händen; ohne zu wanken von dem Stundenlangen Drehen, bleiben alle fest, ohne Bewegung, in dieser schwierigen Situation. Es ist dieses für unser Einen eine unbegreifliche Sache, und wahrscheinlich eine Fertigkeit, die nur durch lange Uel, ung erworben wird. Mit Anstand und abgemessenen Schritten begeiste einer nach dem andern den Oberpriester, sich tief neigend, und ward von ihm, je nach dem Grade eines Ranges, entweder auf die Mütze oder die Stirne gelift; dann wurden drei bis vier Schritte rückwärts mit einer Ver- beugung gemacht, und fo wie jeder zur Seite feines Nach barn anlangte, ward auch jedem die emporgehobene und dargereichte Hand gegenseitig zur gleichen Zeit geküft. Mit einem Anstande, wie vom geschicktesten Tanzmeister erlernt, geschahen die etlichen Schnitte rückwärts, um sich unter Verbeugung vom Obersten zu entfernen. Die Aufgabe warum so viel schwieriger, da das Gewand sich am Boden schleppte; mit nicht weniger Anstand geschah im gleichen Augenblick der gegenseitige Handkuß, ohne daß man, wenn man auch zu spotten Lust gehabt hätte, es über die Art und Weise, mit der es geschah, thun konnte. Noch einmal erfolgte Musik, und jeder schwebt kreisend auf seinen Platz; es dauerte aber nicht lange, so war die ganze Zeremonie beendigt; im Nu lagen. Alle in gleichen Distanzen auf den Knieen, das Gesicht gegen k $ M - Der wifchtanz. - 497 die Erde gebückt, ihr Gebeth zu verrichten; zuletzt ward von einem Aufwärter über jeden in dieser Stellnng ein Pelz gespreitet, wahrscheinlich der Gesundheit wegen. Noch trat einer der Ulemas gegen die Mitte des Saals, das Gebeth zu beschließen; in einen langen, schwarzen Talar war er eingehüllt; nie fah ich eine so schwebende, und doch fo Statuen - ähnliche Figur, wie diese; der eine Arm erhoben, der überwallende Aermel verbarg die Hand, der andre tief gesenkt; in schöne Falten fiel das flatternde Gewand; die Stimme war gedämmt, Ton und Aussprache feyerlich; es schien beinahe eine Gei- stererscheinung, Bewegungslos von Anfang bis zu Ende. Wohl mag man vergebens auf diesem Erdenrund eine andere Nation suchen, welche die Ceremonie ihres Got- tesdienstes mit so viel Pünktlichkeit und äußerm Austande beobachtet, wie diese ! Ich verstehe, begreiflich, den Ri- tus, abgesehen vom Geiste; denn was mag fürs Ganze geleistet werden, ohne die Sinne in Conflikt zu bringen! Ohne erhebende Musik, ohne Gemälde, ohne Wohlgerü- che! In Betracht des Sinnenzaubers möchte aber wohl kein Cultus dem des römisch-katholischen gleich kommen! Wie viel Imposantes hat eine Meffe! Welch' feierliche Erhabenheit eine religiöse Funktion in Rom, Jerusalem, Wien, eine Kirchenmusik in München oder Dresden: Welche Wirkung, wenn nicht überzeugend fürs Innere, doch hinreißend für die Sinne 498 Sechstes Buch. Drittes Kapitel, 3, Geschrieben in Lugos. Aus den Zeiten des mazedonischen Alexanders befinden fich noch einige, obgleich unbedeutende Antiken in Salt nichi; auch ward ich eingeladen, mit einer Gesellschaft die Reise nach Athen hinab zu machen, aber was hätte ich gefunden in den traurigen Ueberbleibseln dieses einst fo berühmten Orts, nachdem ich die Pyramiden von Wal- beck gesehen hatte; zu dem hatte ich dieser Denkmäler der Vergänglichkeit übersatt! Sehnsucht nach der Hel math, und keine andre Empfindung, hatte ich mehr. Es war hohe Zeit, den Entschluß hiezu ins Werk zu sehen; denn meine Verfolgerin, die Pest, näherte sich, und man fprach bereits davon: daß sie in einigen Dorfschaften, kaum eine halbe Stunde vor der Stadt, eingekehrt sei, Der östereichische Konsul hatte die Güte, mit Empfehl, ungsschreiben zu geben; zugleich verschaffte er mir auch einen Firman vom Pascha, und ich reiste den erfand, tober, ohne weitern Bericht von meinen Effekten aus Aegypten erhalten zu haben, von Salonichi Abends um vier Uhr ab. Im Augenblicke der Abreise machte ich noch die Alb fchiedsbesuche bei dem Grafen von Koch und einen in zöfischen Haufe. Bey jenem vernahm ich: „Alles geht aufs Beste, die Franzosen seien überwältigt, geschlagen, hundert und dreißig tausend Mann Franzosen in Moskau desertiert ") (ein Bagatell!), General Wrede vor der *) Hätte er gesagt: e rfroren, so wäre es noch hing gangen. - - - - - t :: : : ät R“ zu s" s - II, 3. z Zigeuner und ihre Wohnungen. 496 Fronte durch einen Tyroler erschoffen ganz Deutschland und Italien in vollem Aufstande und dergleichen.“ In die fem hatte man: „Telegraph-Nachrichten von Nichts als Triumphen und Viktorien des Kaisers, allgemeinen Niederlagen der Verbündeten; überall die französische Armee glorreich, Wien neuerdings bedroht, von den Franzosen erobert zu werden, und anders mehr.“ Jetzt konnte ich wählen, nach Belieben! - - - - - - - - - Nun beginnt die langwierige, unangenehme Zeit der mühsamen Rückreise durch die Türkey, bis auf den Tag meiner Erlösung aus dem Lazarethe von Orsowa. Es war statt Sommer nun Herbst; lange Nächte, Kälte, Näffe und Feuchte begannen; der Reiz der Neuheit gab den Unannehmlichkeiten nicht mehr eine freundlichere Ge- stalt; und von den zweyerley Ansichten, die ich auf der Herreise schilderte, herrschte ohne anders die Nachtheilige P0. - - - - - - Ich übergehe die nähern Umstände der Rückreise, Um meinen Freunden weniger lange Weile zu machen; sie haben ohnehin viel Aehnliches mit denen der Herreise, auffer daß ich vor Durst und Hunger geborgen war; er- steres wegen nassem Wetter, und letzterrs, weil ich das, jenige erwarb, was auch dem Weisesten nicht anerhoren ist; es heißt: Erfahrung. Durch diese belehrt, hatte ich immer hinlänglichen und genugsamen Mundvorrath. In Mazedonien, Romelien und Bulgarien halten fch viele Horden Zigeuner auf; halb unter der Erde in - J ! 2 500 Sechstes Buch. Drittes Kapitel Löchern, haufet dieß schwarzgelbe Gefindel. Von ferne gleichen ihre Wohnungen einem Lager von Misthaufen; bey nahem aber findet man diese Paläste ausgehöhlt, und das Pack, das so viel Aehnlichkeit mit den schnt, zigten Aegyptiern hat, darin wirthschaften. Sie erhal ten sich größtentheils vom Raube, kapern den Bauern ihr Federvieh, und tragen es in die benachbarten Ortschaft ten zum Verkauf. Die Kinder laufen bis ins zehnte, zwölfte Jahr nackend, und gewöhnen sich früh an die strapazenvollste Lebensart, um dann die Gemächlichkeiten des Müßiggangs dafür in reifern Jahren genießen zu können. Die schlechte Polizei des Landes ist wahrschein lich die Ursache, daß ganze Kolonien dieses gefährlichen Volks sich hier mehr, als anderswo, ansiedeln. - Unweit Salonichi begegnete ich einem Trupp türki- fcher Reuter. Der Anblick ist immer fürs Auge reichhal tig. Wenn man bei uns zehn gesehen hat, so hat man alle gesehen; nicht so bei den Türken: hat man tausend gesehen, so kommen wieder zehn andere, von denen kei ner einem aus den Tausenden gleicht, weder in Coint noch in der Manier, fein Roß zu bereiten. In Seres fand ich alle meine Bekannte wieder, die eine große Freude über mein Wiedersehn hatten. Ich hatte von Constantinopel aus hingeschrieben, und der frankirten Brief mit Geld dem Juden gegeben, der in dortigen Gasthof bedient; jener aber fand es wahrsche lich für gut, den Brief zu zerreißen, und das Geld in die Tasche zu schieben; wenigstens kam der Brief nicht an „Aber in Widdin sei die Pest, hieß es, „undaß nicht rathsam, diesen Weg zu machen.“ Der gute Mae f l", ", : Ein it ist z: 1 : s: it s i z? 1 ' z: Reise - Karavane nach der W a la chk y. soll - l es ko, der den ganzen Sommer über, wegen der äußerst ungesunden Luft, krank darnieder lag, gab sich Mühe, mir, wie er glaubte, sicherern Weg zu verschaffen; er rieth mir den nach der Walachey einzuschlagen. Es ging eben eine Karavane Griechen dahin ab; zu diesen verfügte ich mich, nachdem meine Bekannten die Freund- fchaft hatten, mich in dieß mir fremde Land mit Em- pfehlungen zu versehen. Und nun scholls den Zug auf und ab: „Dimitri! Athanasio! Anastasio Petrarchi! Dyonisio und so wei- ter.“ Die Gesellschaft interessierte mich übrigens nicht besonders, und wir blieben uns die ersten acht Tage ziem- lich fremd, um so mehr, da ich gar Nichts von der grie- chischen Sprache verstand, und sie von andern nicht viel. Man durchschnitt einen nicht weiten Strich von Ma- zedonien, um sich nach der Gegend von Philippopolis zu wenden. Zwischen jener Provinz und an der Gränze von Romelien hatten wir einen Wald, der drei Tagemärsche erforderte, um ihn zu durchkreuzen. Die Witterung war fehr unbeständig; die Gebirge mit Nebel und niederm Gewölfe überdeckt; öftere Regenschauer wechselten mit Helle und Windstille. Die mißliche Gegend erheischt Verbindung der Karavanen, und die Kiraggis sind be- forgt, sich in Gesellschaft zu sammeln, und nie anders als zahlreich hier durchzuziehen. Um gute Weide für die Pferde zu finden, ist man genöthigt, oft halbe Stunden Waldeinwegs zu stechen. Es hat aber keine Noth, daß nicht. Alles sich nahe zusammenhalte, ich zählte fünf, fechs rund um sich lagernde Karavanen, die jede wieder sich in so viele verschiedene, kleinere Gesellschaften theilte, 502 Sechstes Buch. Drittes Kapitel welches an der Menge von Feuern abzunehmen war. Der ganze Bezirk war schön erleuchtet, und an Holz mangelte es nicht. Abgestorbene Tannen wurden gehauen, und Stückweise durch ein halb Dutzend von der Gesellschaft herbey geschleppt; dann der ganze Holzstoß angezündet, und darneben die kleinern Feuer zum Kochen angeordnet, Es waren mehrere hundert Pferde, und eben so viele Personen; alle bewaffnet und in der besten Verfassung, um sich zu vertheidigen; die Menge macht Muth; man ward mausig, und trotzte den Räubern fammt und soll Der 6. Man hatte auch wirklich von diesen weniger zu be- fürchten, als von andern unangenehmen Ereigniffen. Ge- gen Mitternacht fing es nämlich an etwas zu regnen; Donner und Blitz erfolgten bei gänzlicher Windstille; der Horizont ward um uns her Kohlenschwarz; mehr und mehr begann es reichlich zu schütten; durch den Platz regen erloschen auch die größten Feuer; man kann so ins Dunkle, daß man kaum ein Pferd zu finden in Stande war. Die Kiraggis scheinen zur Nachtzeit, gleich den Katzen, zu sehen, denn es kam doch nach und nach dazu, daß die Karavane in marschfertige Bewegung ge- rieth. Fünf Stunden zogen wir bey stockdunkler Macht weiters, so gebückt auf dem Pferde, daß mein Kopf nicht höher, als der meines Pferdes, kam, um durch die herabhängenden Tannenzweige und andre Baumäft nicht herabgeworfen zn werden, oder die Augen zu verlieren, oder sonst auf andre Weise Schaden zu nehmen. So trich man sich vorwärts, bis endlich der lang erwünschte Tag heranbrach. Der Regen dauerte jedoch fort; mein tür- . . ." '', r : # :: isti Kr mit 1 : Er z, g Philippopolis. 503 kischer Mantel von halb Fingerdickem Tuch fchlug durch; der Ueberrock darunter war naß, der dritte Rock schützte nicht mehr; Hemd und Untergilet klebten auf der Haut. So wie das Wetter hellte, wurde die Kälte sehr em- pfindlich, und das Wiedertrocknen der Kleidungsstücke auf dem Leib, ging nur langsam vor sich. Gegen neun Uhr kam man einen Strich weit durch einen Wald von Buchen, wie ich sie noch nie so schön sah; er zog sich einen beträchtlichen Hügel hinan, und hier war, wie es schien, der gefährlichste Paß. Die Karavanen folg- ten einander, eng geschloffen, in Einem Zuge, und , wohl eine Stunde dauernd, ertönte Schuß auf Schuß, fo, daß es ein ununterbrochenes Pelotonfeuer schien; es follte den lauernden Räubern zu verstehen geben, daß man zum Empfang bereit wäre. Gegen Mittag ließ man die Pferde weiden, und zugleich wurden Feuer angelegt, als wär' es darum zu thun, den Schnee des Nordens zu schmelzen. Bald wurden die Kleider, Stück für Stück, trocken, - - - - - Der zehnte Theil des abgestandenen, verfaulten, ver- dorrten und verbrannten Holzes, das diese Waldung ent- hält, genügte, um alle Fabriken in der Schweiz auf viele Jahre mit hinlänglichem Brennmaterial zu versehen. So wie die Waldgegend endete, verloren sich und ver- fchwanden, ich weiß selbst nicht wie , die Schaaren von Leuten und Pferden; wir blieben allmälig wieder allein, Philippopolis war in der Nähe! Wir fahen auf etwa zwey Stunden Entfernung diese beträchtlichen Stadt; die weißen Minarets hoben sich lebhaft aus dem Qualm der niedern Häuser, in die Höhe; aber die Pest herrschte 504 Sechstes Buch. Viertes Kapitel, dort, und glücklich der, der Meilenweit davon gesichert War ! In Barzargick, einer nicht unbeträchtlichen Stadt, hielt man Rastag. - - 4. An vielen Orten im ottomanischen Reiche, wo sich beträchtliche Ebenen finden, werden die Gränzen eines Paschaliks durch aufgeworfene Erdhügel bezeichnet; diese erstrecken sich oft in gerader Linie, oder, je nachdem die Gränze sich sondert, auch in krummen, unübersehbarkeit hin; von Halbstunde zu Halbstunde hebt sich aus den ganz flachen Gelände, wieder ein solcher Hügel, von ferne großen Heuhaufen ähnlich. Auch hier finden sich noch Reste von aufgeworfenen Festungswerken aus den Zeiten Alexanders. Einige Tage später erreichten wir Gahr ging, ein Dorf von mehr als tausend Häusern, alle von Griechen bewohnt. Hieher hatte ich Empfehlungsschreiben; ich wurde freundlich aufgenommen, und mit-Eaffee bewir. thet. Man fäumte sich aber nur eine Stunde, und der Kaufmann machte mir beim Abschied ein Geschenk von neun Eyern. Man würde bei uns lachen, wenn man erzählte: »daß man mit einem Präsent von neun Ehen von einem anempfohlenen Haufe wäre regalirt worden“, aber bis zu Lande lacht man nicht, sondern steckt die schönen, frischen Eyer dankbar in Sack, und läßt sich . Unerwartete Ehrenbezeugungen. 505 dieß Andenken beim nächsten Feuer trefflich schmecken; denn oft bietet man vergeblich Geld an, um diese nahr- haften Dinger zu bekommen. Der Kiraggi war mein Wegweiser zu der Wohnung des Kaufmanns oder Krä- mers (anderes als das Letztere läßt sich hier nicht er- warten). Die Unterhaltung geschah in türkischer Spra- che; als sie zufälliger Weise auf die Gegenden von Sy- rien und Palästina fiel, und ich nun sagte: Ich käme wirklich von Jerusalem, rief der Kaufmann: „Also sind Sie Hadschy *)!“. - - „Hadschy! Hadschy!“ rief verwundert der Anführer der Karavane, indem er mich erstaunt und erfreut be- trachtete. Ich wußte selbst nicht recht, was das Ding auf sich hatte, und erfuhr nun, daß alle diejenigen, die in Jerusalem waren, den Namen Hadschy bekommen und führen, ja sogar denselben in ihrer Handlungsfirma unterzeichnen. Die Reise nach Jerusalem wird als ver- dienstvoll angesehen, und erwirbt Ansehen und Beyfall. Kaum zurück bey der Gesellschaft, verkündete der Kiraggi derselben: „daß ich in Jerusalem gewesen sey.« Nun kam Jeder, um mir, dem Hadschy, Glück zu wün- fchen. Ich kann nicht sagen, welche ausserordentliche Sensation diese Nachricht augenblicklich unter der ganzen Karavane bewirkte, und mit welch günstigen Blicke ich nunmehr von Jedem betrachtet ward! Es schienen gar nicht mehr die ehemaligen Verhältniffe, nicht mehr die selbe griechische Gesellschaft zu sein! Vorher hatte ich keinen Namen, und jetzt scholls unaufhörlich: „Hadschy“ , *) Geheiligter, Geweihter. - sos Sechstes Buch. Viertes Kapitel Jeder wollte mir eine Verbindlichkeit erweisen; Jeder bezeugen, daß er mir hold wäre. Was ich schon früher über die Ergiebigkeit des Wo dens in den verschiedenen Provinzen der Türkei bemerkt, das gilt auch bei den jetzt durchwanderten. Mit zwei Ochsen wird hier gepflügt; leicht schreiten sie vor und zit- hen das einfache Werkzeug rasch durch den lockern Boden, An den meisten Orten ist die Erde schwarz und mutig") mitunter etwas sandigt. Ueberall gibt es wilde Oil me mit zierlicher Waldung, aber auch nicht. Einen, der geimpft oder in Ordnung gehalten wäre. Die vernachli sigte Natur ist überall auffallend - Nie sah ich hingegen schöneres, malerisches Bild als in diesem Bezirk *) bis gegen die walachische Geise hin. Von hier aus wird das türkische Reich mit guten wohlschmeckendem Rindfleisch versehen. - * In einem Dorfe, in dessen Nähe wir übernachteten klagte man über Theurung; dennoch kaufte man fünf Eyer um einen Kreuzer (zwey Parahs). Bevor die Ruffen da waren, galt eine Gans zehn bis zwölf Parahs also fünf, sechs Kreuzer), und nach Verhältnis als Uebrige zu solchem Preis! - - Nach Verfluß von ungefähr zwanzig Tagen lange wir in Sistow, an der türkischen Gränze an. Die *) Fett sowohl, als fett machend; fchweiz. Idiotism “) Es ist grau und weiß gefleckt (geschegger) z) Siftow. - 50 Morgens früh erblickt' ich die Donau, und es war mir, wie wenn man einen guten alten Bekannten nach langer Zeit wieder sieht! Die meiste Beschwerlichkeit war bis- her zur Nachtzeit die Kälte. Dicker Reif deckte am Mor- gen das Land und den Mantel, oder die Decke, worum- ter man sich barg; doch milderte, wenn man Holz fand, das Nachtfeuer diese Unbequemlichkeit, und um sich dieß zu verschaffen, sparte man keine Mühe, und suchte es oft Viertel- und Halbstunden weit umher zusammen. Schon in Gabrovo vernahm ich die schlimme Nach- richt: daß auf unseren Wege von dort an, mehr oder weniger, die Pest durchgehends graffire, und bereits schon dafelbst sich festgesetzt hätte. - In Sistow fand sich ein Khan, von Griechen ein- gerichtet, und schon in Zimmer abgeheilt. Das Erste, was wir vernahmen, war, daß die Pest in Sistow herrsche, ganz besonders im untern Theile des Ortes. Ich nahm ein Zimmer für mich, und erklärte meiner Reisegesellschaft augenblicklich, daß hier Vorsichtsmaaßre- geln nöthig wären, und wir also in Zukunft einander vier Schritte vom Leibe bleiben würden. Ich besorgte meine Einkäufe von Lebensmitteln selbst, ließ Niemanden etwas berühren, und kochte auch selbst. Auf diese Weise wußte ich mich, mitten im verpesteten Dorfe, gesichert! Sistow erstreckt sich längs der Donau, als ein Rie- men, wohl eine Stunde lang hin. Von den Ruffen in letzten Kriege abgebrannt, blieben nichts, als Schutthau- fen. Die Donau hat hier eine ungeheure Breite; das Perspektiv des gegenüber liegenden Ufers gleicht dem des Bodensees bey uns. Inseln, Stunden breit und mehrere sos Sechstes Buch. Viertes Kapitel lang, füllen die Mitte. Hier braucht es einen kräftiger Sprung, darüber zu fetzen, als derjenige war, den ich vor langen Jahren im Schloßhof zu Donaueschingen über die Ouelle dieses größten Stromes von Europa macht - Ehe ich die Türkey verlaffe, noch eine Bemerkung über Türken- und Griechen-Gesichter. Wenn Herder in feinen „Ideen zur Philosophie c.“ den Satz behaup- tet: der Einfluß des Klima, des Himmelsstrich, der Weltgegend c. organisire und influire so und so auf die unter demselben lebenden Geschöpfe, woraus die verschie- denen, physischen und moralischen, bemerkenswerten und auffallenden Eigenschaften der Bewohner herzuleiten wir ren: fo möchte es doch schwierig feyn, diesen Satz mit den so fehr abstechenden und verschiedenen, sowohl kör- perlichen als geistigen, Eigenschaften der Bewohner der Levante, Türken und Griechen, zu reimen; denn fay, pantere Ungleichheit findet man selten bei Bewohner der von einander entlegendsten Gegenden, als hier, gleichsam auf einem Punkte konzentriert! Woher also unter einem und demselben Grad seit schon so langer Zeit das Total-Entgegengesetzte des Chº rakters, des Temperaments, der Sitten, und der äuft physischen Gestaltung? Warum hat sich in einem so lall- gen Zeitraume der heitre Humor der Griechen in seiner ganzen Originalität erhalten? Diesem Volke scheint Froh finn, Munterkeit, geselliges Wesen angeboren; alle schi ckernd, scherzend, immer sich neckend: während – um _–=- % | * Physiognomische Bemerkningen. 509 - in gekehrt – die Türken ernst und feyerlich, meistens still, „ selten in froher Stimmung, und nie lustig oder an Leicht- „n sinn gränzend, sich zeigen? - „ Nehme man den Unterschied in der physischen Ge- faltung ! Auch dieser ist auffallend, obschon nach Herders System sich hierin Modifikation erwarten lief. Ohne Mühe erkennt man mit mäßiger Beobachtung, ohne auf das Kostüme Rücksicht zu nehmen, den Türken vor dem * Griechen und umgekehrt. Von Scheitel bis zum Kinn Zu so verschiedene Physiognomien, wie zwei ganz verschie- dene Nationen! In jedem Gesichtszuge der Griechen, dieses feinen, gescheuten, durchtriebenen Volkes, liegt ein gewifes Et- was, wie soll ich's nennen! ein Zug von Verschlagenheit, Arglist, Verschmitztheit, der Ausdruck ist zu gelinde, und einen gröbern will ich nicht brauchen. Kurz, ein gewis fes. Etwas im Blicke, ja, ich möchte fagen, in jeder Mus- kel des Gesichts, welches euch anzeigt: daß es Besonnen- heit braucht, sich einem folchen Gesichte anzuvertrauen! Man muß Euch laut zurufen: Seyd auf Eurer Huth, der freundlichen Grimaffe und dem Schwall von Höflichkeits- - “ bezeugungen, womit Ihr überschwemmt werdet, zum Trotz ! . " . " Leicht erkennt Ihr dagegen des Türken barsche, un- bezähmte Physiognomie; fchönere, ausdruckvollere Züge bezeichnen es in diesem! Deutlich scheint man darin lesen 4 zu können, daß da nichts Verstelltes, Heimtückisches, Hinterhältisches, wenigstens nicht auf eine feine, ver- * schmitzte, falsche Weise, haftet. Wenn nicht offen, doch ehrlich, gerade, aber auch stolz, öfters grob und verach- zuk in g I / 540 - Sechstes Buch. Fünftes Kapitel tend sieht das wilde Gesicht aus“); und, wenn in die chischen Schädel das Organ des persönlichen Mutes in , der Tapferkeit, bald ohne Ausnahme, totale Fläche bliebe: so sagt euch dafür, schon von Ferne, des Türkei entschloßner Blick und seine Contenance: daß er jeden Augenblick bereit sey, Euch eine Kugel durch den Kopf zu jagen, oder mit dem Dolch Euch zu durchbohren, so bald ihr Lust habt, feindselig mit ihm zu handeln! / - 5. - - Geschrieben in Temeswar. Nach drei Tagen fand ich einen Griechen, der mit einigen Ballen Waare nach Crajowa reiste, und mit zu billigem Preis in einigen Tagen hinzubringen versprach, Wir hatten Mühe, uns verständlich zu machen, die nicht mehr türkisch sprach, als ich. Nach einer ei Stunde dauernden Fahrt, landeten wir an allen der Donau, in Semniza in der Wallachen. In fer Ort, Sistow gegenüber ist. ganz abgebrannt, übri gens schön gelegen. - Hier hatte der Grieche die Ausflucht: keine Fuhr zu finden; ich ward dadurch genötigt, zwei in a ) wenn die Türken also keine andre Christen kennen al die Griechen, dieß falsche, verschmitzte Volk, so it' nen ihr Stolz und ihre Verachtung zu entschuldigen, - / f _–=– Semniza, 511 „ Ufer der Donau zuzubringen; es war kalte, ungestüme „ Witterung. Die Machenschaft des Mannes gefiel mir „ „ nicht; es war ein ewiges Springen und Rennen um - Nichts; er hatte immer so sehr Eile, daß er kaum Zeit - hatte, mir zu antworten. Jetzt fagte er mir endlich: „ „daß er eine Fuhr gefunden hätte, aber daß statt drey, „ fechs Tage akkordiert wären.“ - -- Dieß war nicht seinem Versprechen gemäß. Ich konnte mich vor Unwillen kaum faffen, einen so kurzen Weg erst in so langer Zeit zu erschnecken *), und sechs kalte Nächte wieder auf naffem Boden, und vielleicht bey anhaltendem Regen zuzubringen. Ich war äußerst übel gestimmt, und haderte mit dem Schuft; er nahm es ge- duldig an, und ich ergab mich endlich voller Mißmuth in die morgende Abreise. Morgens, statt vor Tag, erschien die Fuhr erst um neun Uhr. Elend beschaffen, und so vollgepfropft von es den Waaren des Griechen, war der Karren, daß ich kaum mehr Platz darauf hatte. Die Decke darüber voller „ Löcher, schützte weder vor Wind noch Regen. Diese griechische Industrie, nur zu ökonomisch! erboste mich „ aufs Höchste. Jetzt war's am Abfahren. Der walachi- - fche Fuhrmann, voller Schmutz, und den Schaafpelz voll Ungeziefer, was hier zu Lande nie mangelt, setzte “ sich hart neben mich hin. Das war zu viel! Runter das schrie ich, warf Felleisen, Sack und Pack vom Wagen, ", sprang herunter, und ein: Fahr zu, Hallunke ! wohin “ du willst donnerte dem Griechen nach. - s *) Mit der Schneckenpost zu machen, l s2 Sechstes Buch. Fünftes Kapitel Vergebens Vorstellungen, vergebens Versprechungen vergebens gute Worte, vergebens Drohungen! – Einmal das Maß voll, so überläufts. Ich war nicht mehr bewegen mitzufahren, auch wenn meine Lage noch schlim mer gewesen wäre, und sie war doch schlimm genug! In Ort war die Pest ziemlich stark; ich blieb ohne Obdach; verstand nicht ein Wort von der Landessprache; hallt keine Aussicht: wann und wie ich weiter reisen könne; keine bekannte Seele in der ganzen Ballade welch Lage! - Der Wagen fuhr ab, und ich blieb allein. Ich weiß nicht wie närrisch dieser Moment war. Aber ich pa- zierte um mein Gepäcke herum, und lachte ziemlich laut Ich sah den Karren vor einem Haufe vorbereitet, vor welchem ein zweiter von einem andern Griechen bis frachtet wurde; ich ging zu sehen, ob ich nicht das erst digte Nest beziehen könnte; eine steinalte Frau empfing ich, und sah mich verwundert an, doch lief sie mich ins Haus; ich fand ein leeres Gemach, das der Grieche bewohnt hatte, nicht uneben beschaffen, mit Papierferien zum begann unser Dialog. Er wirkte soviel, als bei dem Gehörlosen die Musik. Auch nicht ein einziges Wort ward gegenseitig verstanden. - - „Geld regiert die Welt - dachte ich, und richt „ er Parahs heraus, deutete auf Zimmer. " zud Gepäcke: da ward die Vereinigung der kontrahlt" geile erweckt. Die Alte schob die Parab in Sack, und ich schleppte mein Gepäcke ins Gemach; fpreitete den Tät pich zum Bette auf den Boden, und dankte Gen " einmal nur ein Obdach zu haben. - Bauart in Sinniza. sts 1:1 - - … Jetzt richtete ich meine Küche ein, die ich immer mitführte, und ging hinaus, zu rekognoszieren, was es in Sinniza zu fchnabeliren gäbe: Da fand sich Reis, - Eyer, Käse, Fleisch, Hühner, guter Wein zu wohl- --- feilem Preife, frisches Brod alle Tage; von letzterm “ spießte ich noch ganz warmes, gerade aus dem Ofen, ans Meffer, und trug es so durch den Ort nach meiner “ Wohnung. Warmes Brod ist der Welt empfänglich, kal- --- fes nicht. Alles Erkaufte ward durchs Wasser gezogen, * oder durch starken Rauch. Niemand ließ ich mir auf st vier Schritte nahen. Auf diese Weise war ich vor der Krankheit gesichert, auch wenn halb Simniza daran starb. - z: Die kleinen, feit der Verheerung des Brandes wie- der aufgebauten Häuschen, harten eine nette und gefal- lende Bauart ins Quadrat; gegen die Mittagsseite hatte die Dachung einen Vorsprung, der auf sechs bis acht „3 Pfeilern ruhte, und worunter sich eine artige Galerie befand, es war mir angenehm, auf dem reinlichen, glatten Leimboden, in der Länge des bedeckten Ganges, „z auf und nieder zu gehen. Durch die Mitte des Hauses führte der Gang in dasselbe, und symmetrisch zu beiden „ Seiten, waren die Thüren und Fenster angebracht. ue- brigens die ganze Hofhaltung, gleich dem chinesischen Reich, mit einer Mauer umfaßt; das heint, mit einem, sechs Schuhe hohen, geflochtenen Zaun, innerhalb wel- t chem, unter besondern Firsten, das Reich des Besitzers s sich findet: Num. 1. Seine Wohnung, meist zur Hälfte unter g“ der Erde, . . „K k - - 514 Sechstes Buch. Fünftes Kapitel, Num. 2. Nahe gelegen der Keller. Num. 3. Dachung, worunter gekocht wird Num, 4. Stallung - Num. 5. Stallung für die Hühner, auf Pfeilern ru, hend, - Num. 6. Extra, Abtritt. Num. 7, 8, 9, Behälter für Geschirr, Früchte aller Art, Obst, Gartenprodukte, e. - . Das Ganze war Korb- ähnlich geflochten, und statt mit Ziegeln, mit Binsen, Streu und Erde Schuhhoch bedeckt, %- - Galt ich früher auf dieser Reise zuweilen für ein halbes Wunder von, Gott weiß, welcher Gelehrsamkeit so konnte man jetzt hingegen in diesem Lande nicht be greifen, wie es einen so dummen Menschen geben könne, der weder walachisch, noch bulgarisch, weder rabisch noch illyrisch, weder servisch noch moskovich (rußisch) ver- zünde; der vom Griechischen gar nichts, und das Ei fische nur gebrochen und zur Noth spräche. Alle Ein- wohner dieser Gegend sprechen meist drei bis vier der er wähnten Sprachen . . daß ich von keiner Etwas verfall hat mir selbst am leidesten Schon am ersten Tage meines Aufenthalts ging ich auf die Post, um meine Weiterreise durch dieselbe betreiben: aber die Fuhrwerke dieses Landes sind so be schaffen, daß man kaum in dem schmalen und kurzen s zen hucken kann, geschweige noch Gepäck mitnehmen." I st l ht is le Die Posten in der Wallachey, 515 hatte von letzterm nicht über einen halben Centner, aber der Posthalter verdeutete mir, mühsam auf türkisch, wo - von er nicht viel mehr als ich verstand: daß ich einen “ zweiten Karren, gleichfalls mit vier Pferden bespannt, wie für mich selbst, nehmen müßte. Ich dankte für die Ehre, mich mit acht Pferden durch die Wallachey spazi- ren fahren zu laffen, und äußerte: eine wohlfeilere Ge- legenheit für die Weiterreise abzupaffen. “ Die Posten in diesem Lande sind außerhalb der Ort- “ fchaften, und bestehen in gevierten Gebäuden, wovon eine Seite fechszig bis siebenzig Schritte hält. Gegett den Winter werden doppelt geflochtene Weidenwände um dieselben herum gezogen, und mit Streue ausgefüllt. Die Pferde stehen dann in diesem warm haltenden Gang. g: Innerhalb des Vierecks bleibt der Platz zur Stellung der - Postkarren frei. Auf diesem Platz sind auch die Heu- haufen dem Dutzend nach aufgeschichtet, und Raum zum - „ Kommen und Abfahren der Posten. Der Posthalter „r wohnt an beffern Orten, in einer Hütte unter der Erde; - sechs bis acht Stufen führen hinunter; im Sommer ists in diesen Löchern lieblich, kühl; im Winter warm. An den meisten Orten ist jedoch nur ein Dach aus schlechtem Weidengeflechte, und da lagert bey rauher Witterung auf - freier Erde der Tros von Postillonen; ins Wetter schön, unter freiem Himmel, bey einem Feuer. - Es ist unglaublich, wie viel Würste und Fleisch, : welches letztere in fchmalen, dünnen Riemen, gedörrt, zu ganzen Haufen in Magazinen vorräthig aufgethürmt ist, in dieser Gegend verbraucht wird. Ich sah vor ei- nem Haus fünf geladene Wagen voller Würfe wegfahren: ( K. f 2 516 Sechstes Buch. Fünftes Kapitel, es ist kaum anders möglich, als daß die meisten aus Pferde- und Efels - Fleisch bestehen. Diese Nahrung ist aber hier so an der Tagesordnung, daß man nirgends Brod ohne Würste oder gedörrt Fleisch effen sieht. --mm- Ich begann nach und nach fehr unruhig zu werden, da sich seit acht Tagen nirgends eine Gelegenheit zum Abreisen zeigen wollte; ich hatte um so eher begründete Ursache dazu, da seit einigen Tagen bereits heftig bei matische Schmerzen sich bei mir einstellten; ein Uebel, das ich in frühern Jahren durch viele und harte Arbeit im Sommer und Winter, in der Nässe, Kälte und Hitze, vom frühsten Morgen bis in die späteste Nacht, erholt hatte, und das mich erst in spätern Jahren, bei etwa mehr Ruhe, wieder verließ, und sich beinahe gänzlich - - verlor. Dieses Uebel stellte sich durch Verkältung, durch das Schlafen auf nassem Boden unter freiem Himmel in langen, rohen Witterungs-Nächten, wieder ein, Auch in meiner Kammer in Simniza konnte ich nie recht erwarmen; es mangelten mir genugsame Decken Der Nordwind klapperte in die Papierfenster, und die Regenschauer schlugen so gegen sie, daß sie rißen. „Mit Winter rückt heran,“ fagte ich mir unaufhörlich, er rückt mit jedem Augenblick näher, und wie dann reifen in die fem Land?“ Ich beschloß demnach die Abreise auf den erst schönen Tag, und eher noch Alles zu versuchen, als hier , , , , - - - - " - , - - - - - - - mit in ist. gilt ält. u! zit - J: Bequemlichkeit wegen der Postbezahlung. 517 durch Verspätung zu Grunde zu gehen, Ich ging neu erdings zum Posthalter, der mit mir, unter dem Vor- wande, mein Gepäcke zu besichtigen, nach Hause kam, dem es aber eigentlich um Branntwein zu trinken zu thun war. Nachdem er alles gesehen, fagte er mir einen Wagen zu, wo ich und meine Effekten Platz hätten: „Man müffe einen größern Wagen nehmen, und so weiter.“ Ich dankte freundlich, und bestimmte auf den folgenden Mor- gen die Abreise. - - - - - Am folgenden Morgen war der Posthalter wieder bei mir. Ich bezahlte ihn bis Crajowa, einem Haupt- orte der Wallachey, wo ein deutscher Consul ist; dort hatte ich den halben Weg bis Orlowa. In der Wallachei, bezahlt man auf der ersten Post eine ganze Reise; eine schöne Bequemlichkeit für den Fremden, der die Landes- sprache nicht versteht, und also der fauern Arbeit über hoben ist, mit dem Gesindel auf jeder Post wegen der Zahlung, den Geldfuß u. a. m. zu unterhandeln. Dem Raki ( Branntwein) ward wieder tüchtig zugesprochen: „Hier der Wagen, glückliche Reife ! “ und fort war der Posthalter. . . . i g - - - - - 6. Geschrieben in Pest. Es hatte seinen Grund, daß er die Ankunft des Wagens nicht abwarten wollte. Dieser hatte nämlich eine 518 : Sechstes Buch. Sechstes Kapitel, folche Beschaffenheit, daß ich verzweifelte, nur mein Ge- päck ( das nicht schwer, aber doch voluminös war,) dar- auf zu bringen; mich dazu, schien eine pure Unmöglich, keit. Kaum etwas über zwei Schuhe lang und eine Schuh breit, ist es keine Möglichkeit seine Füße zu stre cken, Der walachische Postillon schien aber dergleichen - schon gewohnt, und er sagte mir, ich glaube zum Trost, tausend Sachen, von denen ich nicht eine verstund; aber desto hantlicher *) war er mit Aufschichten des Gepäck, unter mir, neben mir, über mir; kurz, meine Person war auf die Letzte eine wahre Nebensache in dieser Bän- ne. **) Ich war fo eingepreßt, daß ich mich fürder wer der regen noch bewegen konnte. - - - Meine Alte empfing zu ihrem Verdruße die letzten acht Parahs Miethe, aber zu ihrer Freude noch ein Basis, wofür sie mir tausend Glück wünschte, das aber nicht in Erfüllung ging. - - - - - - - - - - - - - Alles war fertig, und jetzt gings Klitsch-Klatsch auf die magern vier Mähren anhaltend los. Als ob sie Reiß *) Handlig, Handtlig, hantili, handlich; fchweiz. Rdio, thätig, arbeitsam, geschäftig, gewandt, geschickt, anstellig, v) Bänne, Benne, Binne, der von Brettern zusammen geschlagene offene Kasten, der auf den Wagen gebracht wird, Mist oder Steine und dergleichen fortzuschof daher z. B. Mittäune. - - - - - Hübsches Postfuhrwerk. - 59 aus nähmen und durchgingen, ward der ebene Wieswachs zu durchschnitten, und Erdbrocken, Pfund schwer, flogen zu in allen Seiten in die Höhe; ich ward davon überdeckt, und “ konnte kaum den Althem erhalten. Wo ein Gräbchen war anmutheten, *) mich meine Rückenbeschwerden zu ei- - nen lauten Schrey, den aber der Postillon so wenig hörte, zi als mein Rufen: gemacher zu fahren. Binnen anderthalb zei Stunden waren vier Stunden Weges zurückgelegt! - Wohl in keinem Staate möchte das Postwesen fo gut er organisiert feyn, als in der Wallachey. Etwa eine halb- als viertel Stunde vor der Post fängt der Postillon ein gleich- ni - töniges, lautes, ausdauerndes Hooooo… oo.ooo an, und fchon sieht man von ferne alles auf der Post durcheinander „ rennen; wie man ankömmt, ist schon der andere Karren „ mit seinen vier Pferden bespannt und es bleibt nichts „ übrig, als überzusteigen, sich einpacken zu lassen, und wieder in halsbrechenden Galoppe weiters zu jagen. Der Postillon erhält von einem Franken, vier bis sechs Parahs Trinkgeld, von den Griechen nichts, und von den Türken oft Schläge. Wenn alle Posten so bestellt sind, dachte ich, so bin ich bald an Ort und Stelle. Aber es än- derte! in Die zweyte Post ging wie geflogen, gleich der ersten; aber es hatte hier mehr geregnet, und statt Erdschollen, “ bedeckte mich Koch. Ich hatte sonst einen gefälligen Tag, " - immer glaubte ich: jetzt, jetzt fängts an zu regnen, und doch ward ich verschont; ein wichtiger Umstand sowohl *) - Schweizerischer Idiotism. merken laffen: daß man etwas gern habe, ohne es jedoch zu fegen. K2d Sechstes Buch. Sechstes Kapitel, für mich selbst, als mein Gepäcke, das sogleich durch ist worden wäre. - " Schon auf der dritten Post war ich auf den Rücken wund gerieben; beschwerlicher aber als dieß, war mit die gepreßte, folterähnliche Lage. Immer morastiger und tiefer wurde die Straffe, und der Galopp verwandelte sich allmälig in Schritt. Es fing an zu dunkeln, und ich nahm mir vor, auf der nächsten Post zu übernachten. | Das Quartier war nicht brillant; ein halb Dutzend Kers wie Straßenräuber, lagerten um ein Feuer, und als ich zu verstehen gab nicht weiters reisen zu wollen, gaben sie mir durch Zeichen zu erkennen: daß hier, unter ihr nen also, mein Nachtlager wäre. Ich breitete meine Decke in die Nähe des Feuers, und mich darauf. Aber als ich nach Verfluß von ein paar Stunden eher etwas zu schlummern begann, begann auch der Regen mich z durchnäffen. Etwa dreyßig Schritte entfernt lag die Wohnung, die aus vier geschloßnen Kothmauern befand, mitten darin ein Qualm von Feuer, Rauch und Dampf Ein anderes halb Dutzend ähnlicher Gesellen lagen sie hier und schnarchten; die andern durchnäßten kalten auch herein geflüchtet. In diesem Gedränge von unreinigt - keit, Dunst und Ungeziefer, wollte ich nicht bleiben. Es war außer der Thüre ein überragendes Strohdach; das unter flüchtete ich mich nun mit meinem Gepäck, Ich versuchte zu schlafen, aber da schnoberten Hut an mein Gepäck hinauf; es war noch etwas Fleisch der in. Ich verjagte die Hunde, und mit ihnen drei, vier Katzen, die sich in der Stille schon heraufgearbeitet hatten; bald darauf kamen Schweine, Pferde, Schaaf v la ük Noah in feiner Arche aufgespeichert hatte, mir Tour a „ Tour ihre Visite abzustatten! Der Regen wurde stärker, „, und durch die Menge Löcher des Strohdachs trofes auf = allen Seiten herunter. Ich hatte zum Glück einige Reste = Wachskerzen, die mir Helle verschafften, um das Aergste „ auszuweichen. Dies war wieder eine lange Nacht, und „.. meine rheumatischen Schmerzen gewannen dadurch keine :: Befferung! - 1:1 Endlich graute der Morgen, der Regen milderte, und 1 : 1 ich reiste ab. Das Wetter war mir indeß Heute weniger - ke hold als Gestern, es regnete zuweilen. Auf einem guten Fleck. Straffe ward im Galopp davon gejagt. Das Reit- J pferd stürzte, der Postillon kam darunter; das Pferd : trat ihn auf Kopf, Hals und Brust; er blieb fast eine “ Minute ohne Lebenszeichen liegen. Bis ich mich mühsam meiner gefangenen Lage entwand, hatte er sich wieder “ erholt; ich bot ihm die Flasche Branntwein, um den - Kopf und die beschädigten Theile zu waschen; er aber fand es beffer, innerhalb zu waschen, und zog, daß ich “ mich verwunderte. Diese Menschen sind beinahe wie die * Tiere z - Auf einer andern Post begegnete uns ein Wagen " Guggeluz (Welsch Korn), der mitten in der Strafe * hielt; der Postillon hielt auch und verlangte wahrschein- - lich ein paar Stengel. *) Der Bauer, ein großer, star- - ker Bengel, verweigerte es; der Postillon verlangte noch einmal; abermals abschlägige Antwort, und jetzt fuhr - - *) Man bratet sie an Feuer und ist sie warm, was ist Balgere y des Postillons. * 521 Gaiffen, Esel, kurz, ich glaube alle zahmen Thiere, die übel schmeckt, 22 Sechstes Buch. Sechstes Kapitel die Fingersdicke Potpeitsche dem Bauer dreifachunden Kopf; ich glaubte die Weigerung des Bauern genug gerächt, aber ich irrte; es war erst das Vorspiel. Der Postillon stieg ab, und dreschte mit dem umgekehrten Gei felstock auf den Bauer los, daß dieser fchrie, wie am Spieß, und jener nicht aufhörte, bis der Arm ermattet niedersank. Wenn der Postillon nicht Recht hatte, so hatte der große Esel es noch weit weniger, wenn er wus. te, wie feine Häuslichkeit bezahlt würde, wenn er sich nicht feiner Haut wehren durfte oder konnte - - - - - - - - - - erschöpft vom Fahren den Tag hindurch, wollte ich doch noch eine erzwingen; es rückte gegen vier Uhr. Mit fei nem Wort konnte ich mich in diesem Land verständigen; sehr selten wurde noch hin und wieder etwas Titlich verstanden. Hätte ich gewußt, daß es mit dieser Poli solche Beschaffenheit haben würde, es wäre mir kein Sinn an das Abreisen gekommen. Vier ganzer Stunden dauerte die Fahrt! Das rheumatische Uebel wurde durch den anhaltenden kalten Regen, bei dunkler Nacht und schlechter Strafe, wo man nur Schritt für Schritt weit ter kam, vermehrt. Es schien mir eine halbe Ewigkeit Ich war so ruiniert, daß ich auffer Stand war, bei der Post abzusteigen, man half mir herunter; ich arbeitet mich durch den Morast, der auf allen und jeden Pfeil im Hof, wenigstens schuhtief, war, durch. Man sf nete eine Thüre; ein helles Feuer brannte in einer Ecke, Die letzte Post schien mir unerhört lang. Sie d in rät rund herum lagerten die Wallachen. Nie betrat ich so in froh das schönste Zimmer, als jetzt diesen Stall! O wie schwindet Delikateffe in wahrer und großer mit Noth ! Wie glücklich fühlte ich mich, ein Obdach zit haben. Es war ziemlich warm; die Leute hatten Mitleid ht mit meinem Zustande, und räumten mir, mich zu trock- I men und in etwas zu erholen, den besten Platz ein. Ich m hatte schon lange nichts mehr gegessen; es wurde eben M., ein gewaltiger Kuchen von Guggeluz unter der Asche ge- braten, und dazu lud man mich freundlich ein, was ich gerne annahm. O, wer immer das hätte zur Zeit der Noth, was er verwarf in Ueberfluß, wie reich wäre er damit! Auch zum Schlafen waren reinliche Bretter (nicht Betten!) und etwas Stroh darauf, was eine ei- - gentliche Wohlthat für mich war, vorhanden. Es war mir so lieblich diese Nacht über; obgleich ich wenig schlief, that mir doch die Wärme so gut und das Helldunkel des glimmenden Feuers machte fo heim- a lich! Ich wußte nicht, daß es auf so lange Zeit hinaus - die beste Nacht für mich feyn sollte. - - - - - - - - - --- 7. - ". Der Strich der Wallachey, den ich während etwa dreißig Stunden durchreiste, war Eine Fläche; kein Hügel noch Buck, *) weder nah noch fern; und, fel“ Stallquartier. 523 *) Schweiz. Hdiotism." Eine kleine Anhöhe, die noch nich den Namen eines Hügels verdient. : " 524 Sechstes Buch. Siebentes Kapitel, fam! böte man auch Crösus Schätze um einen Stein, klein oder groß, man fände nicht. Einen! - - Nur Erde und Koth, aber nichts Steinähnliches ent hält diese Landschaft; ich glaube auch zum Theil, das deß wegen hier zu Lande das Eifen so selten ist, wie das Gold; denn die Pferde sind unbeschlagen, und an alle und jeden Bauern- und Postkarren hat es auch nicht, nen einzigen eisernen Nagel. Jeder Postknecht ist in Stande, einen solchen Karren zusammen zu schultern, ºhne dabei eines Wagners oder Schmieds zu beliefert, Letzteres scheint ein hier unbekanntes Handwerk zu sein. Das Land hingegen, wenn es angepflanzt wird, könnte, dem Anscheine nach, ein ergiebiges Schwaben sein; schöne wilde Obstbäume traf ich hin und nicht aber nicht einen gepflanzten und gebauten. - - – . . ] –= - - Der folgende Morgen ging düster auf; die stellt gerten tief; es machte kalt. Ungern kroch ich in meine noch naffen Kleider, aber, was war zu machen! Hier konnt' ich nicht bleiben, und in der Hoffnung, daß es nicht regnen würde, ließ ich einspannen. Aber kaum war ich eine halbe Stunde gefahren, so schüttete es wieder fit anhaltend herunter, daß meine Lage wirklich bald zum Verzweifeln wurde, und es ging eigentlich auf Leben und Tod. Es war kein Gedanke, irgendwo bis Crajow – auf das ich mich immer vertröstete – unterzukommt, um mich in etwas zu erholen; und doch konnte ich bald in diesem Zustande nicht weiters. Die Bursche auf der 11 takt Fall in? tui ua all arraz z n u: z 1:1 a: h: z- f z Sehnfucht nach Hause. " " 525 nächsten Post waren verdächtiges Gesindel; die Post lag, wie gewohnt, ganz einfam; immer redeten fie heimlich, und flüsterten zusammen. Der Regen war vorbey, aber jetzt war's fehr kalt. - - - - - - Weiters rief ich, und schleppte mich auf den Karren. Es waren die Tage von Aller Heiligen und aller Seelen, die Feyertage, wo unsere katholischen Glaubens- brüder zu den Gräbern wallfahrten, das Andenken ge- liebter Hingeschiedener zu feiern; eine Uebung, die wahrlich zu ehren ist, und die ich weit entfernt bin zu tadeln. Um diese Zeit, beynahe ohne Ausnahme, fängt der Winter an; es stürmt und flocket, und ist Unwetter. Ich hätte mich nun daheim, beim warmen Ofen, so wohl gefühlt; es wäre mir so heimlich gewesen, mich geborgen zu wissen vor dem Ungestümm, das draußen fauste und brauste, und mich dort nicht erreichen konnte. Das Andenken an diese Sicherheit wirkte jetzt in meinem offenen Karren doppelt empfindlich auf mich, da ich jetzt allen möglichen Uebeln einer rauhen Jahreszeit blos ge- geben war! . . -- Es mochte ungefähr zwei uhr Mittags sein, als ich einen großen Fluß zu Schiffe paffirte; ich glaube es war ein Arm der Donau. Es fing an zu schloffen, und ich wickelte mich, so gut wie möglich, in meinen naffen, mit Koth über und über überzogenen Mantel; es war schon Gestern nicht mehr möglich, die Farbe daran zu erkennen. Das jenseitige Ufer hatte die gewohnte Be- schaffenheit solcher Gegenden, fandigt, und hin und wie der etwas Gestrüppe und Gebüsch, … 526 Sechstes Buch. Siebentes Kapitel, - „Halt!“ rief ein da wachhabender Türke in zeit- tem Gewand, und stark bewaffnet, groß von Statur und schreckendem Ansehen; es ward mir fast ohnmächtig, als ich das Wort: „Lazareth“ hörte! Er deutete zugleich auf eine Gattung Lauberhütte hin, die so beschaffen war, daß sie auch den schwächsten Mond schimmer nicht hindert, ihre Reize durch und durch zu erhellen, noch weniger dem Regen den freien Zutritt versperrte! Die Worte mangelten mir zum Sprechen! Zudem hörte ich nicht als Wallachisch, wovon ich keine Silbe verstand, Nein, nein! rief ich immer wie rasend, wenn der Postillon nach der Lauberhütte zufahren wollte. Ich sah mich verloren, wenn ich hier ausgesetzt ward. Nicht L- zareth! nichts da! schrie ich, und ein glücklicher Eifel rettete mich: Firman vom Pascha ! rief ich drohend, und heraus riß ich das glänzende Papier, meinen Paß mit des Pascha Insiegel. Der Mann schien zweifelhaft zu werden; vom Lesen war kein Gedanke, aber ich sch, daß er den Firman als solchen erkannte. Ich gewann Muth, schrie und perorirte mit Jast, und seltsam genug erst eine Stunde hernach, als der Schrecken vorüber war, erinnerte ich mich deutlich, daß es in arabischer Sprit che geschah, so war ich aus der Faffung. Ein halbdutzend Wallachen, in ihren fchmutzigen Schaafpelzen, waren um ihn; mit diesen berathschlagte der Türke. Ich bemerkt deutlich, daß sie meine Parthie nahmen und riechen, mich reisen zu laffen; den Beweggrund, den sie hitz hatten, weiß ich nicht. Jetzt gab der zerlumpte Tilt mir durch Geber den zu verstehen: „daß er Geld wollt.“ O, jetzt ist schon gewonnen, dachte ich erfreut, in 11. in inü an gilt mität r ni :: mit al z: z: als f z" - - Seltne Ehrlichkeit. 52 warf ihm ein kleines Goldstück von zwey Piafter hin. Er las es vom Boden auf, trug es etwa acht Schritte weiter zum Feuer, und hielt es in der Hand übern, Rauch; ich konnte in allem Elend mich doch des Lachens über solche Vorsichtsmaßregeln nicht enthalten! *) Ich deu- tete dem Postknechte, zuzufahren. Der Türke hingegen rief: zu halten! Noch nicht genug! dachte ich; was wollt' ich machen, und wenn er mir einen Louis d'or und noch mehr verlangte, ich gabs mit Willen. - Aber sieh da! da brachte er mir für die zwey Pia- ster kleine Münze, zog zehn Parahs als Zoll ab, und gab mir den Rest. Ich fagte Backfis! und wollte es nicht zurücknehmen, aber ich vermochte ihm keinen Heller mehr aufzudringen! ich wollte es dem Wallachen geben, aber er verweigerte es, und jetzt forderte er den Postknecht selbst auf: zuzufahren. Ich war über diesen unerwarteten Zug von Ehrlich- keit bey einem Manne, der Geldfo nöthig zu haben schien, ganz erstaunt! und o, wie freute ich mich, so glücklich davon gekommen zu sein. Für den Augenblick fühlte ich weder Kälte, noch Hunger noch Schmerzen! … Auf der Post angelangt, sah es zum Uebernachten so elend aus, daß ich mich lieber entschloß, noch eine zu erzwingen. - - » War das Goldstück nämlich schon verpestet, so schützte die Operation des Räucherns den Türken darum nicht, weil er es vorher schon in die Hand nahm. . . - 2s Sechstes Buch. Achtes Kapitel - - - - - - - - - - - - - - … * … - - - - - - - - - - 8 . .“ - - - - --- - - - - Schon jagte der Karren in wilden Galoppe ka halben Stunde durch sumpfigten Riedboden, als es aus schon anfing zu dämmern und zugleich zu regnen. Auf bereute ich es nicht auf der Post geblieben zu sein; mehr aber, als von einem entfernten Hause, welches der Postillon ausweichen zu wollen schien, angerufen war, und er seine Pferde dahin lenkte. Ich ward Walachisch angeredet; ich äußerte auf Türkisch: nichts davon in verstehen. Jetzt wurde ich in eben dieser Sprache ge- fragt: „woher ich komme ?“ von Simniza, meine Art wort. „Zurück ins Lazareth !“ fcholls gegen den Fest Inecht. - - - : - Ein Blitzstrahl bei dieser Kälte wäre mir nicht an erwartet gewesen, als ein Da Capo dieser mit schrift lichen Sache. Ich hatte keinen Gedanken mehr drei weil ich nun bereits mitten im Lande war, und weiß tigerweise die Quarantaine nicht hier, sondern an der Gränze feyn soll. All mein Reden und Einwender he zu nichts. Die Wache, ein hinkender Grieche, der als der Krücke ging, und, wie ich später erfuhr, ein Ei schurke, beharrte darauf; auch die erste Hilfe, der Fit man, blieb ohne Wirkung der Postillon wandte diese de, und trieb Feldeinwärts bei mehr als einer Viertel funde; da glimmerten im Regen vier bis fünf Feuer kaum daß das grüne Holz düster noch mottete; darunhit standen in Gruppen, die hier in Contumaz Verletzte, überhüllt mit Matten und Teppichen, einige unter elf Strauchwerk, andere unter bedeckten Wagen, und, sich - - :: :: „ : : k „g fenfläche. ", / Neue schreckliche Lage. - 529 da! auch mein Grieche, den ich so barsch verließ und allein reisen machte. Hämisch und Schadenfroh bewill- kommte er mich: „Schon seit mehreren Tagen fey er hier. Zehn Tage dauere die Contumaz und fo weiter.“ Ich war vom Schreckgelähmt. Hier auszusteigen, und schon halb zu Grunde gerichtet, diese Nacht in Kälte, Nässe und an- haltendem Regen, ganz Dachlos zuzubringen, war soviel als mir den Tod geben! Man machte Anstalten, mein Gepäcke herauszuwerfen, etwa zwölf Schritt von der übri- gen Gesellschaft entfernt, denn näher durfte man nicht zufammen. - - Ist dieß das Lazareth? rief ich in Wuth und Ver- zweiflung, nein! dieß ist um Menschen zu morden. Nicht hier feig' ich aus, nicht hier! Ich bin weder Grieche noch Wallache! Ein Franke bin ich, und Franken be- handelt man nicht fo! Kehr um, schäumte ich, wie wüthend, kehr um, daß ich jenem Hunde dort den Kopf spalte, eh’ er mich hier umbringt. Der Säbel war aus der Scheide, und meine ganze Verfaffung ließ nichts Sanftes muthmaffen. Von der zahlreichen Gesellschaft vernahm man keinen Laut. - Der Postillon schwenkte nnd jagte davon, mir Eins wohin ! aber nicht zurück gings, fondern feitwärts tiefer ins Ried. Es war schon starke Dämmerung; man fah nicht mehr dreyßig Schritte weit vor fich. Plötzlich hielt er; es schien wie ein Aufwurf von Erde auf einer Wiese - Es war die Dachung von einem unterirdischen Haus oder Loch, das als ein länglichtes Viereck eingegraben war. Er gab mir zu verstehen: „daß dieß mein Quartier L 530 Sechstes Buch. Achtes Kapitel. wäre,“ klopfte mir dabei auf die Schulter, und nach tete mich zu besänftigen; er schien das Quartier zule ben, machte Zeichen, daß ich nicht naß werden würde, „ Was wollte ich machen! ich war so elend, und durch den Zorn so angegriffen, daß ich kaum mehr mich zu ti gen im Stande war. Die Rückenschmerzen machten es mir bald vollends unmöglich. Ich stieg also mit seit Beyhülfe ab, und ging zu dem Loche, das hinunterführ- te; etwa ein halb Dutzend Stufen leiteten hinab, und wirklich fand ich den Trost, mich vor Regen geschitz fehen. Das Dach war von starkem Holz, und hoch mit Erde überdeckt. - - In Gottes Namen, dachte ich, es ist die kf hier, als unter freiem Himmel! Zudem war es, mit der Tiefe, merklich weniger kalt, als oben. Aber zwei Oeffnungen waren so groß, daß sogar Pferde füglich in ein kommen konnten; eine davon war durch die Dachnig sodann zwei Löcher in den Giebeln. Ich gab den Weiß lon zu verstehen, daß er mir helfe, sie zuzustopfen. Mit Stroh und Koth ward es bewerkstelligt, so gut es sich in der Dunkelheit thun ließ. Noch schleppte ich das oft Stroh vom Karren in die Höhle, gab dem Burschen ist liche Parahs, weg sprengte er, und nun war ich hie eigentlich allein in der Welt! Meine Lage war wirklich schrecklich." In einem unter dem Boden, in einer Finsterniß, wo ich kaum nach meinen Effekten tappen konnte, Alles durchnäßt; II hewußt, in welchen Winkel des kalten Bodens ich mich die Nacht über werfen sollte, offen auf allen Seiten bei einer Viertelstunde kein menschliches Wesen, an - - - Wir . . Unterirdische Wohnung, - s3t wenn sich auch eines fand, außer Stande, mit ihm zu verkehren; hungrig und durstig, und doch: Nichts zur in Erquickung als Labsal, und endlich das Schlimmste: ält fchmerzhaft krank. Hier konnt' ich geplündert und gemor- z, det werden, es krähte in dieser Wüsteney kein Hahn zu darnach. Etwa fünf Minuten lehnt' ich mich an die feuch- ig ü te, kalte Wand: es war ein schwerer, schwerer Augen- in blick, - 3:1 - - - : - gil Muth! rief ich, wenn mich noch. Etwas retten kann, so ifs Muth! Ich weiß nicht, wie mich so plötzlich die 4: fer Gedanke belebte und durchbebte, aber ich fand mich F1 voll guten Willens, Alles zu versuchen! Mein größtes n: Bedürfniß war, den heftigen Durst zu löschen, und das Nöthigste, Licht zu fchaffen. Ich fand das Glas, indem ich meine Bagage durchtappte, und ging damit hinauf; i- es war ganz dunkel, aber auf einige Entfernung blendete der Widerschein von einer Lage Waffer, das vom Regen als Pfütze liegen blieb. Rückwärts, wie ein Krebs, " Schritt ich dem Wafer zu, indem ich immer die Augen *" auf die Erhöhung des Daches gerichtet hielt, um es nicht aus dem Gesichte zu verlieren, und auf diese Art mich z damit! - - Ich erreichte das Waffer, und trank nach Herzenslust zwei Gläser. Wohl fühlt' ich, daß es ziemlich dick war; dieß hat aber nichts zur Sache. Glücklich erreichte ich wieder meine neue Heimath, und war froh mich aus Nun L 1 2 sä2 Sechstes Buch. Achtes Kapitel. dem starken, anhaltenden Regen doch unter Dich fit ten zu. können. : * Jetzt suchte ich nach der Schachtel des Feuerzeugt, und fand, welch ein Glück in meiner Lage noch ein Stückgen von einer Wachskerze; Stahl, Feuerstein und Zunder trug ich immer bei mir. Schwefel mangelt, aber diesen hatt' ich schon auf dem Libanon lange er behren gelernt. Von dem nassen Stroh leg' ich etwas auf den Leib; bei einer Viertelstunde war es trocken; etwas Kuder *) riß ich aus dem Kopfkiffen; in diesen wickelte ich den brennenden Zunder, das Stroh darum, und nun in der hohlen Hand stark und lange geschwungen, hat ich auf einmal lichterlohe Flamme; das Wachslicht chen brannte ! - Schon die Helle ist etwas Tröstliches, und wirkt an glaublich auf unfre Sinne; es war mir um fünf Prozent leichter, als ich nur einmal mich etwas unscht konnte, wo ich eigentlich wäre. Die Grube war fünf bis sechs Schuhe tief; in der Mitte war ein dicker Erd- stock gelaffen, der jedoch einen Durchbruch zum Eingang hätte; dieser bildete zwei Gemächer. Ich bezog, der Sicherheit und Wärme wegen, das Innre. Das Weite - war, daß nirgends Regen durchdrang. Ich hatte ihr Vorgänger; denn ein Haufe angebrannter Scheitel wie ren zurückgelassen; freilich ganz grün Holz, aber ich und Bedürfniß lehrten mich, es so zart wie Spitz . . ) Dieß Wort, das schon früher öfter verfen, ist Adiotism. - - net den Abgang vom Flachse beim Hecheln, Sarah - ist, Gedanken an meine Freunde. 533 es zerschneiden. So loderte bald ein ordentliches Feuer, das zugleich erhellte und erwärmte. Das naffe Stroh freute ich in eine Ecke, meine Teppiche darauf. Den obern „ Eingang verrammelte ich mit einem Haufen Dornen, an denen ich in der Dunkelheit hängen blieb *). Den klei- zu nern Eingang vermachte ich mit kreuzweis geschlagenen - Scheiten; den gezogenen Säbel auf die eine, den bloßen Dolch auf die andere Seite des Bettes legend. Eben er wollte ich gebückt noch etwas daran zurechte legen, als „Fit in einem Hui meine rheumatischen Schmerzen sich auf einen Punkt vereinigten, fo, daß ich mit einem Schrey in einer ganz bewegungslosen Lage blieb. Wer diese " Schmerzen kennt und erfahren hat, begreift leicht das “ Warum - „ Auf den Knien rutschte ich nach einer guten Weile dem einen Ueberrocke näher, um denselben auf dem Bo- -, den nach meinem Lager hinzuziehen. Ich hatte Mühe, mich zu legen, und noch größere, mich zu decken. Die Gluth meines Feuers glimmte noch ein paar Stunden; ich hatte alle Zeit zum Beobachten, denn zu meinem z Schrecken fand ich keinen Schlaf, den ich doch so nöthig hatte ! - - - - - - . “ Jetzt gedacht ich meiner Freunde in der Schweiz und g in Deutschland, und war froh, daß sie von meinem ge- genwärtigen Zustande nichts wußten. Zehn Tage hier so auszuhalten, wahrlich, ich wußte nicht wie es enden - - - - - *) Sie waren am Eingang, wahrscheinlich wurden sie von - meinen Vorgängern zu eben diesem Behufe hieher ge- bracht. - sz Sechstes Buch, nennt es seitel, würde. Es herrschte die Nacht über Todesstille, in Laut zwar vernehmbar; meine Phantasie war geschäftig; ich glaube ihr Spiel gränzte an Fieberzustand. Gegen Morgen entschlummerte ich. - - - - - –– - - - "g - - - - - - - - - - l - - - - - 9. . es nach aktur des angetreten ist, wachte ich, und erhob mich mühsam; doch konnte ich mich eher bewegen, als gestern Nachts. Ich machte Fel er, holte in der Pfütze ein Glas Wasser, und wahrlich statt aller Medizin diente mir mein Gloria-Cafe! Ich nahm mir vor mit den Wache habenden Griecht sehr ernst zu sprechen; meinen Firman vorzuweisen, und einen Expreffen an den Konsul nach Crajowa zu senden; vorher ging ich noch zu der Gesellschaft in der Quarak- taine. Eine Viertelstunde durchwadete ich Sumpfden, ehe ich hinkam. Hier fand ich gegen Gestern Alles verändert, und – wie ich später merkte – durch mich. Mein Betragen hatte Aufsehen gemacht, und am Morgen vor Tag gilt gen die Griechen zum Wache habenden Offizier; je nach ten ihm bange damit: daß ich ihn verantwortlich macht würde, wegen den Aufhalten meiner Reise (ich pocht bis sonders auf meinen Firman). Die Griechen steckten sich hinter mich, daß sie gemeinschaftliche Sache machen wir den, und so weiter. Kurz, es war so weit gediehen, daß aus zehn Tagen drey wurden. Daher die gute Stin- Glückliche Aenderung meiner Lage, ss- - mung im Lazareth. Ich verfügte mich augenblicklich nach in der Wohnung der Wache. Eine zweite Viertelstunde durch a majen Riedboden. Ich ward scheu und verlegen empfan- gen. Ernst und trocken brachte ich meine Willensmeinung vor, und äußerte: einen Expreffen nach Crajowa an mei- nen Consul abzusenden. Der Offizier kannte ihn, sagte aber, daß derselbe auf feiner Campagne , vier Stunden von Crajowa, fich befinde; eine Nachricht, die mir gar nicht angenehm war zu vernehmen. Indeß bewirkte mein Paß und der Firman so viel, daß mir auf Morgen die “ Abreise gestattet ward. Mehr konnte ich auch nicht " verlangen - : Ich hatte alle Mühe, meine unmäßige Freude zu mit verbergen, und Heute blieb ich noch gerne da. Es fand “ sich in Hause hier: frisch Fleisch, Brod, Käse und sie Wein; ich machte Vorrath, und ging wohl bepackt und - voller Frohsinn wieder nach meiner unterirdischen Woh- “ nung. Da ward augenblicklich der Topf aufs Feuer ge- " setzt und das Fleisch darein; indeß es kochte, ging ich 13 noch geschwind in die Quarantaine, um dort anzukün- den, daß ich Morgen schon abreisen werde, was den fämmtlich Uebrigen späterhin auch gestattet ward. Bey “ meiner Rückkehr hatte ein Hund mein ganzes Brod weg- geschnappt; eben so gut hätte man mein Felleisen weg- tragen können! Der Tag verging erträglich unter Ko- * chen, Elfen und Tröffnen; in der Nacht schlief ich or- g dentlich, und Morgens, kaum fertig uit den Kaffee, fand auch der Postwagen vor meiner Höhle. - - Bald war aufgepackt, und in raschen Galopp das Ried durchfahren. „In Crajowa hätte ich Zeit und Muße 535 Sechstes Buch. Neuntes Kapitel mich zu erholen; es gebe dort wieder Wirtshäuser auf europäischem Fuß,“ ließ ich mir sagen. - Schnell war die Post erreicht; die nächste war jowa. Schon auf eine Stunde weit sah man die bis trächtliche Stadt mit ihren Thürmen vom Berge her, ter. Jetzt fuhr man durch eine Reihe Häuser, und hat am Eingange der Stadt. Ein Dutzend Walachen arbei teten an einer Gattung Schanze. Man rief zu halten, und fragte mich, was weiß ich nicht der Weite antwortete. Statt der Rückantwort ward der Schlag baum niedergelaffen. Die stärkste Bedeutung nicht ein gelaffen zu werden. Ich bat, ich rief, ich schrie und lärmte in die Sprachen, die ich konnte, und verlangte den Drogenen Es war Alles vergebens! Kein Ton Rückantwort und die umstehenden lachten mir ins Gesicht, da doch seit nig etwas Lächerliches da war, besonders für mich 34 hatte neuerdings schrecklich Angst vor einem nett „Was nun machen?“ frug der Knecht. Wie # konnte ich denn ein Wort verstehen oder mich fit ich machen? „Lazareth?“ frug der Postillon; es lief mir eiskalt über den Rücken: nichts Lazareth sei, Poß rief ich, und ich es führte ein Weg und Stadt nach der Post, der aber weit um und sehr schlecht befahren war. Aber der Schlagbaum blieb fest zu, somit mußte dieser andre Weg eingeschlagen werden. Mit einer halben Stunde war ich im Hofe der Post und meine Effekten ausgeladen: kein Mensch in der Runde aber sah sich nach mir um! i 1:1 11 : F:1 Il n: : : z Für j: f 3 g: y z - Pest in Crajowa. - - SSF Meine Reiseroute war hier vollendet; ich mußte neuerdings zahlen bis Orlowa; der Posthalter war nicht hier, und keine Pferde vorhanden. Durch die Seuche waren fast alle gefallen. Eine Stunde faß ich auf mei- nem Gepäcke, und aß mit besten Appetite Brod und Käse. Aber ich glaube, ich würde jetzt noch dort sitzen, wenn ichs hätte abwarten wollen, daß sich jemand nach mir erkundigt hätte. Einen Piaster nahm ich in die Hand Capitain der Post? frug ich einen nach dem andern, bis endlich mich einer hingeleitete. Das Gebäude war Schloß- ähnlich, und der Anblick glich einer halben Revolution, Zwanzig, dreißig Bauern standen unten im Hofe, die Mützen in den Händen; bald bittend, bald zähneknir- fchend, und seitwärts tobend; oben, auf der Galerie eingeschlossen, fünf bis sechs reich gekleidete Griechen. Es war eine Contribution von Pferden, um die gefallenen Postpferde zu ersetzen. Der Sekretair, ein äußerst ge- wandter Mann, spedirte mich; er sprach gut französisch und italienisch; er bediente Griechen, ich kannte die allgemeine Stimmung dieser, und, um bedient zu wer- den, verleugnete ich's französisch zu sprechen. Bald war mein Billet ausgefertigt, und er hatte die Höflichkeit, mich zu versichern: „daß sie so ohne Pferde wären, daß wenn es nicht mich beträfe, sie keine geben würden. Er verirrte nur im Ausdrucke und wollte wahrscheinlich fagen: „meine Dukaten.“ Hier vernahm ich auch noch, daß seit zwei Tagen die Pest in Crajowa ausgebrochen sey. - - 538 Sechstes Buch, neuntes Kapitel Schnell aufgeseffen, Orlowa zu, rief ich. Acht einmal Orlowa erreicht, bin ich ja bald wie zu Hause, Im Lazareth dachte ich mich so vielmal in einem kleinen Kämmerchen, gutem Bette, guter Pflege, wieder in der Christenheit! *) - Es rückt ja alle Posten näher! Aber ich will ihn abkürzen den langwierigen Detail und bis rühre nur: daß meine Unfälle mir gleich der Hyder ve- kamen, die immer wieder einen andern Kopf an der Stelle dessen erscheinen läßt, den man abgeschlagen hat So, wenn ich wieder eine Post durchgemartert hatte, zeigte sich wieder Verlängerung auf einer ander. Der kurze Weg schien mir endlos; in meinem Zustände war dies begreiflich. Der einzige wesentliche Vorteil der ich von Crajowa aus genoß, war, daß ich vom Rest verschont blieb. Die Gegend änderte wieder, es zeigt sich Hügel und Steine, und besonders auf die Letzte Wal- dungen, die aber Grauen erregten; dicht verwachsen, viele Stunden weit sich erstreckend, waren diese dürfen Holzungen; nichts als der Morastweg sichtbar, und wo hin man das Auge wandte, Kreuze. An den defen, verlaffensten Orten war eines am andern. Ich bin bei sichert, daß sich die Zahl auf dem kurzen Weg bis D- fowa über die Tausende beläuft! Es sind die Denkmäler der Erschlagenen und Gemordeten! Es war mir schon tröstlich, wenn ich, nur auf eine halbe Stunde Eutin - - - - . . . - - - . . . . . . . . . . . *) In den meisten, um nicht zu sagen allen duarantina, findet man dieß , so zum Exempel in Livorno, Genua, - Triest, et. also dachte ich das Mämliche in den finden. - - - - - - - - - - - - - - - la kt is 11 gilt ni nie s Mit : z in F g z z- z- " Die Hofpodaren. 539 ung, ein Häuschen fah. Nie las ich eine Beschreibung von einem Jauner so treffend dargestellt; nie fah ich ein Gemälde so schreckend, wie, da mir eines Morgens, den einzigen, da es regnete, seit ich von Crajowa verreiste, - ein Kerl aufstieß, der keinen ganzen Fetzen an sich trug, baarfuß, im Gürtel zwei Pistolen und einen Dolch, am verlaffenften, ödesten Platz, mitten im Regen, unschlüßig am Fahrwege da stand und dem Karren, der nur Schritt für Schritt vorrückte, nachah! Ich hatte ein paar lange türkische Pfeifenrohre in Tuch eingewickelt unterm Arme. Das eine Ende bedeckte der große Kragen des Ueberrocks; die Haltung und die Form des Ganzen fingierte eine Dop- pelflinte im Futteral; vielleicht leistete mir dieser Schein, hier sowohl als anderwärts, gute Dienste. . . . . - - – - - - - - - - - - Die Wallachen wird durch Hospodars regiert, ist aber mehr oder weniger von der ottomanischen Pforte abhängig. Ein solcher Hospodar vermittelte den Frieden zwischen Rußland und der Pforte; als letztere aber spä- terhin einsah, daß die Ausgleichung nicht zu ihrem Vor- theil ausfiel, ließ sie dem Vermittler zum Lohn den Kopf vor die Füße legen. Das Postwesen ist von dem Gouver- nement der Wallachey fehr begünstigt, und der Schrecken und die Plage der Bauern. Wenn der Postillon schlechte Pferde angespannt hat, und er sieht gute auf der Weide, so geht er unbefangen und tauscht aus. Der Eigenthü- mer darf mit keinem Worte widerreden, ". . so Sechstes Buch. Zehntes Kapitel. - Endlich und endlich erreichte ich die letzte Postler fie wäre noch stark,“ sagte man mir auf deutsch. Welch ein Wohlklang für mein Ohr! thut nichts, ich will fie erzwingen; ich wollte Orlowa Heute noch erreichen, um auszuruhen von allem überstandenen Ungemach: „. - - - - : - - - - - – - - - - - * - - - - - …“ - - - - - 10. Kaum auf östereichischem Boden, glich der ganze W. Einer Wagenburg, es schien mir, als wär ich wieder in die Lager wandernder Araber versetzt. Es war Servier, die sich mit ihren Familien und Heerden aus ihren verunglückten, von den Türken ganz wieder er berten Vaterland hieher geflüchtet hatten, um der Richt jener zu entgehen. Man rechnete bei sechszig tausend dieser Ausgewanderten, von denen fpäter viele vor Hunt ger und Kälte umkamen. Ihre Lage war schrecklich. Sie durften sich keinem Orte nahen, wegen der Zeit, und hatten doch keine Lebensmittel, um ihr Daseyn zu sie Später wurden Weiber, Kinder und sehr alte Männer in dem wieder eroberten Servien von den Türken ang, nommen, was sich aber von Waffenfähigen ertappen sei ward ohne anders sogleich umgebracht. , Die Nacht über war ein Feuer am andern; oft in teressante Illumination. Die Reflexe in der Donau g ben so manche Rembrandsche Nachtstücke i, l 1: Iür ist alt is 1 zu in zit: I s z Gewaltthätigkeit des Postillons. 54 Ich hatte vier elende Pferde; hart an der Straße weidete ein schöner Braun; der Postknecht machte mir Zeichen : „ ob er austauschen solle?“ Ich bejahte in der Meinung, daß er der Post angehöre; es schien mir aber doch zweifelhaft, als einige Männer bittend und kummer- voll das Roß anspannen sahen. Er zog exzellent und mehr als die übrigen drey. Der Mond fchien nur wenig und beleuchtete eine Gruppe unweit Lagernder am Feuer; zwey schöne Schimmel nahe dabei. Der Postillon frug mich wieder auf die nämliche Art: ob ich umtauschen wollte? Ich bejahte wieder, und er ging nach den Pferden, " Es war zu dunkel, als daß ich unterscheiden konnte, was vorging; wohl hörte ich fünf bis sechs bittende Männer- und Weiberstimmen, und vernehmbar dazwi- fchen des Postillons harte, gebieterische. Jetzt erhoben mehrere kleine Kinder ein jämmerliches Geschrey; der Postillon kam mit den beiden Schimmeln zum Wagen; ihm folgten ein paar Männer bittend; ein Weib laut weinend; die Kinder in der Ferne machten das Echo und nun begann ich das Eigentliche dieser wider- rechtlichen Sache einzusehen. Die flüchtigen Servier muß ten sich in diesem fremden Lande aller und jeder unbill unterziehen, nur um geduldet zu werden. Es scheint, es war Grundsatz auf der Post: aus der Lage dieser un- glücklichen Nutzen zu ziehen; daher die willkührliche Pferdeerpressung. Um diesen Preis wollte ich aber nicht schneller nach Orlowa kommen, und gab durch ernste Reden und Geberden zu verstehen, daß man die Pferde ihren Eigenthümern überlaffe. Erst nach wieder 542 Sechstes Buch. Zehntes Kapitel, holten Drohungen gab der Postknecht unwillig nach. Die Frau fiel auf die Knie, und hob ihre dürren Hände voll Danks zu mir empor; die Männer thaten auch mehr als nöthig war, um mir ihre Erkenntlichkeit zu bezeugen, und wir waren fämmtlich, der Postillon ausgenommen, mit einander zufrieden. Bis Nachts neun Uhr dauern die Fahrt; also drei Stunden in der Dunkelheit. Der Weg führte längs der ausgetretenen Donau; man fuhr im Fluß selbsten, und oft so tief, daß das Wiflis Karren spülte. Es war kein Spaß! doch dankte ich Gott, daß es fo war und nicht um einen Schuh tief ging, wo alsdann die Durchfahrt unmöglich gewesen wäre, dankte Gott, daß in diesen letzten Tagen meiner Mit fo gute Witterung war, weil ich bey schlechter hätte sie gen bleiben müssen; dankte, daß ich nie umgeworfen ward, was von einer Post zur andern oft mehrere Mal der Fall sei, denn in meiner gezwängten Lage konnte ich Hals und Bein brechen, wenn ich umgeleert wird dankte, daß ich in dieser schrecklich unsichern Landschaft nie angegriffen und ausgeplündert ward; dankte, daß meine Schmerzen nicht so heftig wurden, daß ich legen bleiben mußte; dankte, daß ich, durch die ganze ver- pestete Wallachey, der Pest entrann; dankte, daß ich wieder in der Christenheit war; kurz, ich fand so viel zu danken, daß ich nicht fertig wurde . . ." - - - - - - - - - . . - - | - – - - - - - - Statt nun aber vor dem Lazarethe von Orlowa al- zukommen, war's die Post von Orlowa, und diese in Ankunft vor Art-drowa. 543 in eine Stunde aufferhalb des Ortes. Zum letzten Male also in hielt sich Nachtquartier im Stall, auf dem Boden, neben zu dem Feuer. Geduld! es war ja zum letzten Male, und dieß Wort enthielt allen Trost! in , . Am Morgen gab es wegen dem Durchpaß viele Fot- und malitäten, doch, da meine Papiere in Ordnung waren, Zeit wurden sie alles beseitigt. Ich ward nach der Festung Neu-Orlowa übergeschifft, und erhielt die Erlaubniß für weiters. - - „ . Zum letzten Male befand ich mich auf türkischem Bo- 3:1 den; zum letzten Male durchwanderte ich die engen, „, schmutzigen Straßen, verfolgt von wilden Hunden; zum „ letzten Male sah ich die Minarets und Moscheen; rau- er chende Türken und vermummte Weiber. Vor achtzehn . . . Monathen, wie war mir dieß. Alles so neu, und jetzt so - gewohnt! - - - " " Ich mietete einen Rachen, der durch einen Bur- fchen auf der Servierseite der Donau herauf gezogen Ward, bis wir Alt-Orlowa gegenüber hatten, und jetzt gings hinüber zur Scala. - - “ - Es war Morgens zehn Uhr, am vierten November 4843, als ich dafelbst an das Land sprang. Bald hätte M. ich vor Freude den Boden geküßt Herr Demelids stand am Ufer, er kannte mich in meinem türkischen Costüme fast nicht mehr; über meine glückliche Rückkehr äußerte er Freude; unfre unterhalt- ung war auf acht Schritte Entfernung, und nun ver. schaffte er mir einen Wagen, um nach dem, eine halbe Stunde entfernten, Lazarethe zu fahren, g s. - - - - - - – - * ''. '' - - - - : 544 Sechstes Buch. Zehntes Kapitel, Was hatte ich nicht Alles gelitten seit meiner Abreise von Salonichi, was alles ausgestanden, von Mühleiz keiten, Unbequemlichkeiten, Entbehrungen an allen Wo fentlichen! Kaum anders möglich, als daß ich die G8 fundheit darüber einbüßen würde! Und dennoch war es der Fall nicht; - sie war eifern, und unterlag nicht. " Ich fühlte es sehr sicher, ich konnte daraufhin daß, wenn ich einige Nächte transpiriert haben wird auch meine Rheumatismen gehoben wären; es bedurft nur einiger Tage Pflegung, und ich befand mich gewiß wieder, "ganz wohl und gefund. Ich ward vom Arzt der Quarantaine zuerst ein gen. Ich äußerte gegen ihn, daß ich freilich aus erst steten Ländern komme, gleichwohl aber glücklich ein nen zu feyn hoffe, mich übrigens dem jetzt gewohnten min der Quarantaine unterziehe. Er versprach, mir auf den folgenden Morgen ein Zimmer zu verschaffen, die dann leer würde, und ließ mich einstweilen die Eintritt Contumaz beziehen. Es war dieß ein viereckte, einsam stehendes Häuschen, mit dicken Mauern, feucht und sei ferlos. Als die Wache öffnete, sprangen ein halb Dutzend große Ratten nach ihren Löchern. Das Ganze war von diesen Gästen unterminiert, und ich versprach mit eher deßwegen keine ruhige Nacht. . . Bald darauf erschien ein Mauthbeamter, um mit Sachen zu untersuchen, Wehr und Waffen und Geld verzeichnen, und dergleichen. Ich hatte bei diesem Durchsuchen die Freude, in Kleider und Wäsche durchnäßt zu finden; die Schrift waren gerettet; und ich gestehe, daß, da mir diese i uß errt un :: : g l ei sie t z ur“ f g - Beschaffenheit der Quarant gine. 545 Hamptsächlichste waren, ich sie nicht gerne verdorben gesehen hätte. - - - - Bald brachte man mir ein Mittagsmahl auf europät- fche Art; ich ließ es mir am Sonnenschein auf der Wiese trefflich schmecken! Das Waffer war in einem Topf, und ich weiß nicht, durch welchen glücklichen Zufall er umfiel, und ich also nur noch fehr wenig davon zu trinken be- kam *). Ich sah keinen Menschen mehr bis Nachts, wo des Wirthes Intereffe mir Speisen anbieten ließ. Bei dieser Gelegenheit verlangte ich zugleich Feuer, das in der Kälte und Feuchte so nöthig war. Man brachte mir eine Portion fauler Schindeln. - … Ich bereitete mein Nachtlager. Draußen waren ei- nige Haufen Heu mit Dornen vermischt; ich riß nach Möglichkeit daraus, streute es in einen Winkel, und warf dann meine Teppiche darüber. Die Ratten störten mich wenig; ich hatte eine ruhigere Nacht als ich hoffte; so viele vorhergegangene schlaflose, verschafften mir diesen Genuß! - - - - - 11, Ich erwachte des Morgens innig froh durch das Be- wußtseyn, in Orlowa zu sein, und alles Ungemach der beschwerlichen Reise beendigt zu wissen. Immer hofft ich jemand zu fehlen, der sich nach mir erkundigen wür- de. *) Ich hoffte vergebens. Ich war so verlaffen, wie *) Erst fväter erfuhr ich, daß dieser Zufall glücklich genannt werden konnte. - *) Nicht von Seite meiner Bekannten von Orlowa, sondern jemand von der Quarantaine oder Sanität felbst, was erste Pflicht derselben feyn folte. - M mit 546 Sechstes Buch. Eilft es Kapitel, - in dem Loch unterm Boden in der Wallachey! Ein Glück, daß ich mir Feuer machen konnte; der kalte Winter- morgen machte es so nöthig! Es ward neun, zehn, elf Uhr, kein Mensch erschien; dieß fränkte mich unglaub, lich! - - Wenn ich daheim einen Hund habe, und ich lasse ihn irgendwo in ein Loch sperren, so sage ich doch des Abends und Morgens zu einem meiner Knechte: sich einmal nach dem eingesperrten Hund! Hier war Niemand so großmüthig, nur nach dem Menschen sehen zu lassen; ich wäre zu Grunde gegangen, wenn nicht abermals des Wirths Eigennutz mir ein besseres Schicksal verschaft hätte. Mit der Nachfrage wegen dem Effen ließ er mir zugleich wissen: „es fey ein Quartier für mich erledigt.“ Ich schleppte mein Gepäcke, Stück für Stück, auf den Rücken, in das angewiesene Quartier, es war ein gro- ßes Zimmer, dick gemauert, hohl, leer und naßkalt: ich achtete defen nicht, und war nur froh, es beziehen zu können. Im ersten Taumel der Freude schrieb ich an meine Verwandte und Freunde. Mein guter Appetit machte mich's übersehen, daß die Speisen sehr fett und der Wein verfälscht war; das Waffer, zwar hell, und in Munde nicht übel fchmeckend, lag schwer wie Bley im Magen, und paßirte nicht; die eingefangene Luft war so feucht, daß die Papiere naß wurden, und der Schim melgeruch fchlug einen beynahe zurück, Mäuse, dem D- zend nach, raubten Ruhe und Schlummer. Den vierten Tag hatt' ich das Fieber am Hals! Meine Lage war fchlimm, und das Uebel des U- muths und der Ungeduld verschlimmerte sie noch mehr Wenn ohne unser Verschulden uns eine Krankheit trifft, l s f | | f h Er vektoration gegen den Arzt. 57 fo tröstet man sich: „Allah Gherim!“ sagen die Türken, Geduld! es ist Gottes Wille! Aber, wenn man sich durch heillose Anstalten, durch eigennützige Prellereyen eines Schurken, auf das Krankenlager hingeworfen sieht: so möchte ich den gerne fehen, der sich geduldig darein er- gibt! Ich wenigstens konnte es nicht. Ich lamentierte und fluchte über eine Anstalt, die, statt die Kranken gefund, die Gesunden krank machte; im höchsten Mißmuth fuhr ich diesen Text zu ciiren fort, es mochte da sein, wer wollte, denn ich fühlte : daß ich das größte Recht dazu hatte. Da kam der Arzt, ein guter aber schwacher Mann, Und, wie mir schien mit, wahrscheinlich ! wenigen Ein- fichten in feiner Kunst, und anerbot mir seine Dienste und Medizinen. Herr! antwortete ich, entrüstet und vol- ler Galle, feit anderthalb Jahren durchreiste ich drey Welttheile; habe Ungemach, Mangel und Noth aller Art ertragen und bin dabey gesund geblieben! In die f er ungesunden Mörderhöhle bin ich krank geworden ! Was follen mir ihre Medizinen? Schaffen sie mir einen Au- fenthalt dort oben auf dem Berge, statt in der stinkenden, verschimmelten Luft hier; geben Sie mir gutes Waffer, statt diesem Bley da; laffen Sie mir gefunden Wein zukommen, statt diesen vergifteten hier, und geben Sie mir Käse und Brod genug, statt diesen schwer zu ver- dauenden, schmutzigen Speisen, so stehe ich Ihnen gut, das Fieber ist binnen vier Tagen weg und ich bin wie- der gesund! Es ließ sich wider die Wahrheit dieser Demonstration nichts einwenden, und er entfernte sich betroffen, Fünf Mm 2, 548 Sechstes Buch. Eilft es Kapitel. - N bis fechs Griechen fielen krank; andere fiechten, und ein Jude war fehr mißlich. - Je den andern Tag fchüttelte mich das Fieber; an den beffern war ich mit starkem Kopfweh behaftet. Keine Brühe, kein Thee war zu bekommen; das Wirthshaus war entfernt, und zudem das Lazareth nur wenige Stut den des Tages offen. Ein Wallache, so dumm als ein ungrischer Ochse, stellte den Abwärter vor; alle Tage einmal kam er, zu sehen, ob ich essen wollte, sonst zeigt sich kein Mensch, der mir etwas reichte *), um sich nicht zu vermischen. War der Tag zu Ende, so begann die noch längere Nacht; kam etwas Schlummer, mich zu erquicken, fo krabbelten die Mäufe unterm Kopfkissen und störten mich darin; ich hatte, wenn nicht Furcht, doch Widerwillen vor diesen Thieren, und oft belästigten ist mich fehr. - Im Fieberschlaf war ich oft nach Hause versetzt, und befand mich in einer Anlage von Buschwerk, die ich da selbst machte, es war mir so wohl in deren Schatten; dann brüllten die Schildwachen; ich fuhr schreckhaft auf und, statt in meiner Gartenanlage zu Hause, befand ich mich krank in Orlowa’s Fieberloch Ein Glück war's, daß ich nie zum Schwitalan, ich hätte nicht die Wäsche wechseln können, und bei nur noch zwei Hemden; waschen durfte man mir nicht, und es felbst zu thun, war mir in diesem Zustande nicht möglich. Ich kannte nun die Wirkung des Waferi, Im Höllendurst des Fiebers starrte ich es an und trat *) Ich verstehe als Abwart, die sich sonst alle da in Lazarethen finden, :: : :: „ Menschenfreundlichkeit des Arztes. 549 nicht! Ich fing an nichts mehr zu effen, und sechs Tage lang trank ich beinahe gar nichts; bas. Wenige war Effig und Waffer. - - Oft in der Verzweiflung, wünschte ich mich wieder in die Wallachey unter den Boden; ich hatte doch dort gesunde Luft und Lebensmittel! - - Späterhin bekam ich zwei Griechen und einen Wal- lachen in mein Zimmer. Es erwuchs mir der Vortheil, daß ich, wegen dem Schnarchen dieser neuen Gäste, das Krabbeln der Mäufe weniger hörte, und wirklich deswe- gen mehr Ruhe hatte. Indeß bewirkte meine strenge Diät die Befreyung vom Fieber. O wie freute ich mich darüber! - - Der Arzt war so freundschaftlich, mich gleichwohl alle Tage auf einen Augenblick zu befuchen. Eines Ta- ges winkte er mich von der Gesellschaft weg: „ er habe Etwas für mich.“ Ich bat entschuldigend: nein! „Doch, doch! kommen Sie nur.“ Ich ging, und nun öffnete er ein Paket Caffee und ein anders mit Zitcker. Diefe Medizin ließ ich mir gerne gefallen. Ein andermal brachte er mir in der Tasche *) eine Flasche Wein, und er be- nahm sich in feiner Gutmüthigkeit so, daß wir zuletzt auf einen fehr freundschaftlichen Fuß zusammen stunden. Ich kann nicht umhin, noch der vernünftigen Er- ziehung zu erwähnen, welche die Griechen ihren Kindern geben. Ein sehr angesehener Kaufmann aus Thessalien be- fand sich auch in Contumaz; er hatte seine beiden Söhne bey sich, um mit ihnen nach Wien zu gehen, und sie dort - *) In der Tasche, damit es der Wirth nicht inne werde, und sich deswegen mit ihm befinde. 550 Sechstes Buch. Eiliftes Kapitel schulen zu lassen. Sie mußten selbst waschen, Geschirr spülen, Feuer machen, kurz alle rauhen Kehre verrichten, indeß der Knecht daneben stand und zusah: „fie sollen sich frühzeitig an. Alles gewöhnen!“ sagte der Vater, Auch in Karawanen bemerkte ich Bübchen von acht bis neun Jahren, die selbst auf die hochbepackten Pferde, ohne alle Beyhülfe, hinauf kletterten: ich wußte nicht, wie es möglich war, daß sie selbst ihr Gepäck, so wie die Pferde, u. a. m. besorgten. Ich war nun, wenn nicht gesund, doch ordentlich wieder hergestellt; aber wehmüthig fah ich aus meiner Gefangenschaft die benachbarten Berggipfel des Banals und die entferntern Serviens, über die hohe Gefängnis unauer emporragen. Hinauf, aus dieser melancholischen Tiefe weg, wünschte ich mich. Wie oft dacht' ich an Schubart: „Gefangener Mann, ein armer Mann!“ er empfand es so wahr, und ich mit ihm. … O Gesundheit, Freyheit, Unabhängigkeit, schöne Gaben des Himmels! was ist das Leben, wenn die Eile aus Euch mangelt? - Indeffen, fey's die allmälige Erhohlung, oder es die Gewohnheit, diese zweite Natur des Menschen, die letztern Tage verstrichen erträglicher als die ersten. Ich konnte wieder lesen und schreiben *); ich war wie - *) Zu diesem letzterm Behuf hatte ich den ersten Tag mit Einzugs, als Niemand gegenwärtig war, den Brunnen deckel gestohlen, ein Brett von zwei Schuh Länge und einem Breite; ich fähichtete Steine drunter auf, bis es erhöht genug, als Schreibtisch diente. :: “: Aufforderung zu einer Klagfchrift. 551 der einzige Bewohner des Zimmers. Der Mäuse entledigte ich mich durch eine Kriegslist. Vor Schlafengehen streute ich nämlich genug am Brod, Knochen und dergleichen in den entgegengesetzten Winkel von meiner Lagerstätte, damit. Alle dort ihr Futter fänden, und mich dafür unge- fchoren lieffen. Eines Tages einst, als ich ruhig, das Buch in der Hand, da faß, merkte ich, bey völligent Stillsitzen, eine Bewegung auf meinem Knie, da fiel mein Blick auf eine ziemlich große Maus, die sich allmälig zu mir hinaufgearbeitet hatte. Mein Sprung vom Sitze war fehr behend. Ein Glück für Beyde war's, daß die Maus nicht in einen meiner weiten, türkischen, rothen Saffan- Stiefel fiel; denn obgleich die Gefahr ohne anders in diesen Fall auf ihrer Seite war: so konnte doch vielleicht der Schreck meiner Seits größer feyn. --- - Es war gegen die letzten Tage meines Aufenthalts, als fällt mtliche Contumazierte mich ersuchen lieffen : „ daß ich ein Memorial, von der Lage der hier in Quarantaine Verletzten, abfaffen, und über das unbillige Verfahren des Wirths, die Nachläßigkeit der Obern und so weiter Bericht abstatten folle; “ die Schrift sollte dann von allen Individuen unterzeichnet, und an höhere Behörde über- fandt werden. Acht oder zehn Tage früher hätt' ich mich vielleicht dazu verstanden, aber jetzt war meine Zeit bald beendigt; zudem war ich fremde und kein östereichischer Unterthan. Das Projekt unterblieb nun ganz , obgleich mit Fug und Recht die Klage gemacht werden konnte, hauptsächlich gegen den Schurken von Wirth, der alle und jede Verbindung mit Orlowa aufzuheben besorgt war. -, 552 Sechstes Buch. Zwölftes Kapitel. Niemand hineinsenden ließ, und die Lebensmittel, die in dorther kamen, wegnahm, um seine schlecht für einen unverschämt hohen Preis den Eingekerkerten aufzuzwingen. Alles jedoch im Lazareth angestellte Personale spielte mit ihm unter Einer Decke; die Entlarvung wäre also um so schwieriger gewesen; zudem, wie gesagt, war ich am Ende meines Zieles. Ich hatte für keinen andern Gedanken mehr Empfänglichkeit, als für den meiner Erlösung. - --- - Der ein und zwanzigste Tag brachte sie. Ich schill- teilte den Staub von den Füßen und eilte mit der Fok nach Mehadia, - - - - - 12. Ich war Willens das Herkulesbad zu gebrauchen; ich hatte aber, da es zu stark angriff, genug an. Einen Bade. Ein Grieche, der auch in der Contumaz fant fiel, kam, gleichfalls sich wieder herzustellen, sicher, feine Umstände schienen fehr mißlich, Die wilde Gebirgs- gegend dieses Orts hatte nicht den Reiz, den sie in Sommer gewährte; es war kalt, und Schnee bedeckte die Landschaft. Nach einem achtzehn Monathe lang dau ernden Sommer, fand ich jetzt wieder Winter. Die Räuberhöhle gewährt einen interessanten Anblick. Er sind noch keine fünfzig Jahre, daß eine Bande der kampirte, die das ganze Land unsicher machte, und ich sogar mit den Militair fehlug. Ich hatte mich nun des Turbans entledigt, und trg wieder den Hut. Ich kann nicht genug sagen, wie sehr mich dieß Anfangs genirte, und wie läppisches mit nur 1, : 1 zur :: z: i: : j" - ueber das Hut abziehen. - 553 - vorkam, jeden Augenblick den Hut herunter zu reisen, und dem Andern meinen bloßen Kopf fehlen zu laffen, da- mit er mich für höflich halte. Komme ich in eine Stube, gleich muß ich mich umsehen, in welcher Ecke ich am füglichsten meine Kopfzierde niederlegen könne; und geht, nun gar der Wind, o weh! erst in allen Lüften, dann im Koth der nutzlose Filz. - In Linz, beym Eintritt ins Oestreichische, hatte ich mir vor anderthalb Jahren eine kleine Brieftasche ge- kauft; sie war bequem fürs Papiergeld; über die Gränze diente sie mir als Futteral zum türkischen und arabischen Wörterbuch; jetzt wieder zurück, wurde sie neuerdings, zum Geldbehältniß umgewandelt. Mit dem Papiergeld ists eine schöne und bequeme Sache, aber das leidige Steigen und Fallen, und der oft damit verbundene Ver- lust, ist nichts weniger als bequem. Die ganze Breite des Banats durchflog ich im Her- unterreifen auf Leiterwagen, mit zwei Pferden bespannt, in Einem Sommertag! Jetzt erfolgte das Gegenstück: mit vier Pferden hatte man Mühe durch die Morast straffen, oft zwei Schuh tief von Schlamm sich durchzuarbeiten. Die Reise ging also begreiflich fehr langsam vor sich, und meine Gesundheitsumstände verlängerten sie noch mehr. Unbedeckte Wagen, Kälte, Näffe, ungesunde Luft aus den Moräften, schweres, unverdauliches Waffer, und endlich – außer türkischem Gebiet – christliche Indu- strie der Weinverfälschung, begünstigten sie eben so wenig. - - - - Die nachtheiligen Folgen des Aufenthalts in Orsowas Quarantaine wurden bei dieser Jahrszeit und unter die- fen Umständen nicht so schnell gehoben, als ich Anfangs 554 Sechstes Buch. Zwölftes Kapitel, hoffte. In einem Tage konnten kaum zwey Posten zu, rückgelegt werden; dann erforderten meine Umstände. Er, hohlung und Ruhe: ich war genöthigt einen und zween, oft drey Tage liegen zu bleiben. Beschwerden auf der Brust, Husten und schreckliches Kopfweh waren, weil Mattigkeit und Schwäche, die Hauptübel, die mich drückten. - - Wenn die fchwarzgelben Grazien in Aegypten halb nackt erscheinen, so ist das wegen dem Klima erklärbar: aber im Banat, Mitte Dezembers, bey fo großer Kälte, findet dieser Grund nicht statt, und doch ist das Kostüme der eleganten Damen dieses Landes noch freyer; ein Hemd, das kaum die Hälfte der Schenkel bedeckt, und gefärbte Franzen drüber, welche bis auf die nackten Kit fallen, machen den ganzen Ornat des untern Leibes aus, durch den in den Dörfern so tiefen Morast wird ihr Schuh und Strümpfe gelustwandelt. Der schwarze Schlamm bis über die Waden, geht statt der Stiefeln. Der obere Theil des Körpers ist gleichfalls nur leicht mit einem Hemde, und zwar nur theilweise, bedeckt. Zudes diese Sommernymphen im Hause, auf der Straße und in Fel de, sogar bey gefrorenem Boden, so a la Geßners Hit, tenvolk erscheinen, bepanzern sich die Männer vom Kopf bis zu Fuß mit Schaafpelzen, auch sogar im Sommer, Auch ohne den willkührlichen Aufenthalt, ward, weilen durch die Industrie des Wirths Verlängerung - zwungen. So geschah es auf einer Post, als ich eine Morgens fort wollte, daß Bericht kam: „es wäre mit ein Wagen vorhanden, und es fey ein Rad daran geht chen, könne auch erst bis Morgen gemacht werden.“ Für bezahlte am folgenden Morgen die übermäßige Zeche in ", - :: : : i z: Das Spießruthen kaufen. 555 als ich den Wagen bestieg, waren alle vier Räder von altem, trocknen Koth über und über überzogen; auch nicht das Geringste fand sich daran repariert, und ich bin versichert, daß Wirth und Posthalter brüderlich meine Zeche theilten. Ueberhaupt war an meiner Kaffe fehr bemerkbar; daß ich nicht mehr, weder in Aegypten, noch in der Türkey war: die Kreuzer von dort erwuchsen hier zu Gulden ! - In Karansebes, einem nicht unbeträchtlichen Orte , hielt ich mich fechs Tage auf, theils wegen der schlechten Witterung, theils weil ich der Ruhe bedurfte! Hier sah ich wieder europäischen Luxus. Was mir am meisten auffiel, waren die Sporren an Fußgängern : man denke sich Sporren zum Spazierengehen; Sporren in den Schreib- fuben und aller Orten. Sporren! fagte ich mir immer, ist es nicht zum toll werden ! Sporren tragen die Leute, die das ganze Jahr auf kein Pferd kommen! Ich beobachtete raschen Gang, schöne Gesichter, und , sehr geschmackvolle Kleidung der Frauenzimmer, hier so- wohl, als später in Temeswar. „ Alle Samstage ist Exekution von Spießrutenlaufen: „ eine für mich neue Erscheinung, die mir aber bald zur Genüge vorkam; schon beim zweiten Male floh ich von einer so schauerig-eckelhaften Szene weg. Wenn die Leute die Strafe verdienten, so waren mir doch das Gelächter, die Späße und Bemerkungen der Zuschauer höchst zu- - wider. Ich gebe zu, daß die Gewohnheit solcher Spek, takel unempfindlicher und endlich gleichgültig macht; dem- z- ungeachtet konnt' ich dieß Betragen nicht verdauen, und z: ging, voll Aerger und voll widriger Empfindungen über 556 Sechstes Buch. Zwölftes Kapitel dieß sowohl, als die Sache selbst, zurück auf mein Ziel mer; es war nur wenige hundert Schritte von dem Ert, kutionsplatze entfernt. Des Zusehens war ich nun über hoben, aber nicht des Zuhörens. Das laute Geschrei der Spießruthen laufenden übertönte hart der Trommeln dum pfen Ton. Es schien mir so enge in den Zimmer; hef tiger Regen hinderte mich, anderwärts hinzugehn, Dreh Stunden dauerte dieß klägliche Geschäft. Ich zwang mich, zu fingen, zu pfeifen, laut auf und nieder zu ge- hen, Alles war aber fruchtlos; das Geschrey übertäubt Alles, und raubte mir Ruhe und Frieden, Oft soll es dauern bis in die Nacht! . . Selig das Landleben! da hört man kein Gescht Spießruthenlaufender; da stört kein Gelärm von Troß buben und andern Vorüberziehenden, kein Geraffel von Kutschen und Wagen; kein Fluchen der Kärrner, keit Hundegebell und Nachbarsgeheul macht einem Kopftuch, Man langeweilt nicht, sich matt zu sehen an der gegen überstehenden kahlen Mauer! – Nein! Welch ein Himmel umgibt einen dort, wenn man im Sommer hinaustritt vor die Thürschwelle, in feinen Garten, oder auch nur einen Blick hinaus wirft zum Fenster! Nichts stört den höhern Schwung der Phantasie! Und im Winter, weil che liebliche, ruhige Stille umfängt uns da, wenn wir den Büchern, der Kunst, der Arbeit und dem Nachden- ken leben ! da ists fo ruhig im warmen Stübchen, als lebte man allein in der Welt. Ich rückte allmälig durch Schlamm- und Mens straffen, von denen man sich bei uns keinen Begriff ( s mit auch tär int Wer Mar :: ' ueberschwemmungen im Banat. 557 chen kann, Temeswar näher. Jetzt noch war die Land- schaft des Banats und des untern Theils von Ungarn halber Sumpf von der Ueberschwemmung, welche Ende Augusts und Septembers diesen Landestheil verheerte, Dorfchaften die Menge wegspülte, und Menschen dem Tausend nach ersäufte. Hafer war um kein Geld zu be- kommen; dieser und andre Feldfrüchte wurden ganz weg- geschwemmt, 13. - , Gefchrieben in Wien. Es müßte einen fonderbaren Anblick gewähren, wenn man über unserer Atmosphäre einen Standpunkt finden könnte, von welchem aus man die verschiedenen Einwir- kungen derselben in den verschiedenen Regionen auf die . verschiedenen Flecke unters Erdballs übersehen könnte! Die Mannigfaltigkeit der Wirkungen, in einem und demselben Moment, müßte ein wundersames Staunen erregen. Der immer helle blaue Horizont, der über Aegypten sich ewig hindehnt, und ununterbrochen mit sengender Hitze die Sandwüsten Lybiens und Aethiopiens anglüht, während unfre Schweizergletscher ihre Firne und Eismaffen in nie erwärmte Luftreviere emporheben, und in einem und demselben Augenblick heftige Winde und regenlose Unge- witter den Archipel und nördlichen Theil Griechenlands durchtoben, und ein Theil von Ungarn und dem Banate in einer halben Süudfluth fast zu Grunde geht, Vor Temeswar begegnete mir der Postwagen von Sie- benbürgen; mit achtzehn Ochsen bespannt, machte er vom Morgen bis in die Nacht nicht. Eine Post! Ich reiste ein 558 Sechstes Buch, Dreyzehntes Kapitel, Stück Weges mit einem Einwohner von Königsga, den, wo sich eine Kolonie emigrierter Tyroler ansiedelt, denen der Kaiser diesen Ort einrichten ließ. Hier die Aeufferung dieses Kolonisten: „Das Dorf vor ungefähr drei Jahren erbaut, enthalte gegen achtzig Familien; während diesem Zeitraum fey ungefähr die Hälfte gesor, ben; er selbst fey mit sechszehn Personen hieher gekom men, wovon neun begraben seien. Die Mauern der Hit fer feyen maffiv, aber von ungebrannten Backsteinen; der Kalk falle gern herunter, und dann schmelze der Regen diese Steine zu Koth. Jeder empfange in Scheinen 600f. zu Anschaffung von Ackergeräthe, Vieh und dergleichen. Zehn Jahre bleiben die Abgabenfrey.“ Er gab zu ve, stehen, „daß, wenn es in Deutschland und der Schweiz nur halbwegs wieder erträglich fey, so laffe. Jeder Hans und Hof im Stich, und kehre wieder heim, ins Watt, land.“ - - - Auch in Karansebes, außerhalb der Stadt, sind bei läufig dreyßig Häufer, eins wie das andere, ganz neu erbaut, um ausgewanderte Schwaben aufzunehmen und zu begünstigen. Ich fand dafelbst einen Schweizer, vor Altstädten, aus dem Kanton Zürich; vor mehreren Jahren wollte er nach der Krimm, fand sich aber, wegen den Krieg zwischen den Ruffen und Türken, in Orlow auf gehalten, und ward von östereichischer Behörde einz den, fich hier anzusiedeln. Die nämliche Klage, wie bey den Tyroler-Emigrierten, war auch hier. Ficket herrschten wegen ungesunder Luft und ungesundem Wil fer. Als ich in feine Wohnung trat, schlug mich die feuchte, fchimmlichte Luft und der Dunst in der Stil 1. Transport gefangener Franzofen, 559 fast zurück; das dicke Gemäuer erzeugt Dampf und er- stickte Luft, und ich glaube, dieß, verbunden mit der Wirkung von schlechtem Wasser, und Entbehrung von n Wein und Branntwein *), fey die Grundlage der mei- sten Krankheiten. Der Mann schien etliche und dreyßig Jahre alt und baumstark; die ersten zwei Jahre hatte er Fieber, und seit es ihn verließ, starke Geschwüre an den Füßen. In der Gegend von Temeswar und weiter hinauf, traf ich beträchtliche Truppen gefangner Franzosen an. Diese Menschen, in einem höchst elenden Zustand, hatten fammt und sonders das Fieber; von zehn möchte kaum einer mehr zurückkehren ! Mit einem Mailänder und einem Griechen reiste ich von Temeswar ab. Wir hatten fünf starke Pferde, blie- ben aber eine halbe Stunde vor der Stadt fchon stecken; und später hatten ihrer sieben noch Mühe, uns durch den Morast nach Pest zu schleppen ; mehr oder weniger war sich die Straße überall gleich. Der Mailänder war in übler Lage; ein Paß lautete aus Mayland, das indeß “ durch die Zeitumstände gegen Oestreich in Krieg zu stehen “ kam. An der Gränze sollte er wieder zurück. : 3 „ Schweige man mir doch mit den Prahlereien von * Civilisation, von Menschenrechten, und wie die hochtö- nenden Worte alle heißen mögen! Man schweige mir von sº der Barbarey unkultivierter Nationen, und brüste sich nicht - mit unsern heillosen Zeitalter. Was vermag sich beim Zank und Bruch der Fürsten der reifende Kaufmann? i; :: rij ist :- I: 3: 5: :: : : " … *) Des hohen Preises halber für den gemeinen Mann zu theuer. - 560 Sechstes Buch. Dreyzehntes Kapitel, e- was der Künstler, was der Handwerker, was der, der für fein Vergnügen oder feine Gesundheit reist? Und will berechtigt die obern Behörden, die in Handen haben Gewalt zu mißbrauchen, und den Fremdling und Schuld losen, vorausgesetzt, daß seine Papiere gesetzlich und in der Ordnung find, beym Kopf zu nehmen und einzusper, ren, weil einige Minister die Lust anwandelte, gegenseitig zu brechen! - - - - Gegenfechs Dukaten, in einem Papierchen dem Brief beygefügt, war der Commandant so gefällig, den Map- länder einen ähnlichen Paß, gleich dem vorigen, zu er- theilen; einzig war darin sur plus ausgesetzt: „K, K. östreichischer Unterthan“; und jetzt konnte er damit reisen, In Orlowa waren zwey Handwerker, von Konstantinopel gebürtig; - sie reisten von dort mit einem dänischen Pf - ab; bis sie in Orlowa waren, ereignete sich die Verhin dung Dänemarks mit Frankreich; sie wurden nun als feindlich behandelt, und ihnen der Durchpaß durchs Land abgeschlagen. Was war zu thun für solche Leute in soll cher Lage? ohne Brod, ohne Geld! sie waren genötigt, türkische Kriegsdienste zu nehmen. Wenn ein Stück vom Monde heruntergefallen wir diese Leute hätten sich deffen so wenig vermocht, als des Bruchs zwischen Dännemark und den Verbündeten. Wir überglücklich war ich durch den Zufall, daß ich mich in mer und überall, statt, wie ich eigentlich sollte, an die französischen Behörden, an die östereichischen wandte. Mit Rückkehr wäre mir versagt worden, und ich wäre g zwungen gewesen, in das Land der Pest zurückzukehren, wenn mein Paß die Handschrift eines Franzosen auf wiesen hätte! - - Aufenthalt in Peit, . . . . . 561 - Meine Gesundheitsumstände waren bei meiner An- kunft in Pesch fehr mißlich; Näffe, Kälte, ungesunde, in mit Salpetertheilen ganz angefüllte Waffer, zuweilen auch es schädliche, verfälschte Weine, verursachten mir äußerst ist heftigen Husten, anhaltendes Kopfweh *) Fieber und zu Schlaflosigkeit. Mein Zustand war einige Zeit sehr auf der Wage! Meine Reisegesellschafter gingen nach Wien ab, in der Muthmaffung, mich nie mehr zu sehen; ich „n selbst aber zweifelte nie an meiner Wiedergenesung. War , mir ein anderes Loos beschieden, so wäre es früher über „n mich geworfen worden; und ich dachte: daß ich wohl „ nicht den tausend augenscheinlichen Gefahren, die theils „ die Reise selbst mit sich brachte, theils aber, und noch „ mehr meine unvorsichtigkeit, und so oft, muß ich sagen, „, meine Tollkühnheit herbeizogen, entgangen sei, um in „ Ungarn zu sterben. - „“. - - , . Den letzten Tag im Jahr 1812 hatte ich in Ober- ägypten, bey dem besten Appetite nichts zu effen; und “ den letzten Tag im Jahr 1813 Alles mögliche Genießbare, nur keinen Appetit dazu. Zwey sehr entgegengesetzte Fälle „ Mein vierzehntägiger Aufenthalt in Pesch schlug gut - an; durch Wärme, Pflege und Donauwasser ward ich - wieder hergestellt. Die Abreise aber wegen den Eislauf * *) Das schreckliche Kopfweh entstand, wie ich späterhin fand, auch durch die plötzliche Abänderung des Costüms … vom warm haltenden Turban zum entblößten Haupt des z Huthträgers, - - - - - - - z - N. n - z“ - - - - - - - S62 Sechstes Buch. : Vierzehntes Kapitel, noch fechs Tage verzögert, man konnte nicht hinüber, nach Ofen! - - - - Ich kann nicht umhin, noch zu erwähnen der Wuth - - sich hier zu Land gegenseitig zu beadeln; es ist in dieser Gegend einer ein pauvre Syr, wenn er nicht ein Herr von ist. In Wien hörte ich bei meiner Durchreise der Titel: „Herr von Oberrichter;“ und in Orlowa in Li zareth: „Herr von Doktor!“ . . ." Es ist unglaublich, welch einseitige, dumme Alelf- rungen und Behauptungen man oft gezwungen ist anzuhö- ren, wenn politische Ereigniffe aufgetischt, und mit wel- chem Eifer, welcher Galle sie vorgetragen werden. Es genügt nicht, zu schweigen; denn, wenn man nicht den Parorismus dieser Schöpfe mit einstimmt, nicht mit schimpft und fchreyt: fo kömmt man in Verdacht, andere Meinung zu sein, und wird sogleich als französische finnt gehalten. Es begegnete mir dieß mehrere Mal und jeder Unpartheyifche würde bey Enthusiasten der einten oder andern Parthie, gleiches Loos mit mit g theilt haben. Eine solche Unterhaltung ist für einig Stunden wohl zu ertragen: aber wenn man sechs und acht Tage in einen Kasten zusammengesperrt ist, und die Plattheiten und das ungereimte Zeug immer auf Wett anhören muß, o wie bedauert man da, daß die Ohren nicht den gleichen Vortheil haben wie die Augen, und daß man nicht vermittelt eines Gehörzapfens das toll Gewäsch der Eiferer ungehört laffen kann. Wahrlich, ich habe es oft erprobt, es ist kein Leichtes, sich mit Schel lenkappen zu vertragen! … : " 1 " samm- z : : z in :: Liss Reife von Ofen nach Wien, 563 14, * . " / Gleich nach meiner Ankunft in Ofen benutzte ich die erste Gelegenheit zur Abreise nach Wien. Es fand sich noch ein freier Platz in einer Kutsche zu vier Plätzen, und ich bezog ihn. Zwey Griechen und ein Flachshänd- ler von Wien, ein ordentlicher Mann, machten die Rei- fegesellschaft aus. Beim ersten Anblick des einen der er stern sagte ich mir: das ist ein ächtes Stück von Contre- bandgesicht, und mein Blick betrog mich auch dießmal in meinem Urtheil nicht. : " : , - - - Lügenhaft, großsprechend, prahlte er mit der Spe- dition von einem Quantum Baumwolle in der Wallachey; ich merkte bald, daß es Wind fey, und immer mehr erhellte es, daß das merkantilische nicht sein Fach war, indem er stumm blieb, wenn man darauf zu reden kam. Zoten und pöbelhaftes Zeug war alles was er vorbrachte; immer trachtete er das Gespräch auf das Politische zu bringen; sieben bis acht Sprachen geläufig zu sprechen, fchien ein einziges Verdienst. Kurz, das Betragen des Burschen machte Vorsicht in dem meinigen nöthig, so daß ich auf meiner Hut blieb, welches denn wirklich nicht überflüffig war, da es sich an der Gränze zeigte, daß er ein Spion der Polizey und der Mauth war. Ich hatte zwey versiegelte Briefe vom Consul in Salonichi, das hörte er früher von mir, nachdem er die Veranlassung dazu gegeben, und selbst einige vorgewiesen hatte, die als Falle dienten. Der Schurke steckte die Sache sogleich den Beamteten; ich ward es aber noch zeitlich genug ge- - N n 2 564 Sechstes Buch. Vierzehntes Kapitel, wahr, um mich zu sichern. Ich öffnete das Felleisen, übergab eine Handvoll türkischen Tabak, einen Kalender aus Perth, und die Briefe als verbotene Waare. Die Oberbeamteten handelten sehr anständig, erbrachen die Briefe, ohne sie zu öffnen, und gaben sie mir zurück. Mit berhaupt bemerkte ich durchgehends eine günstige Stimmt, ung und freundliche Behandlung, sobald ich mich als Schweizer angab, - , Der andre Grieche war aus gutem Hause, aber wie - alle, nicht von der besten Lebensart. Eines Abends beim Nachteffen fetzte er sich hart bey mir, und fing an mit einem Federmeffer die Nägel abzuschneiden, etwas das mit unausstehlich zuwider ist; ich gab es ihn zu versehen, aber er deutete es mir höchlich übel. Ich sah oft reicht Leute dieser Nation, die den Gebrauch eines Nastics nicht zu kennen schienen. … Zum letzten Mal, fo Gott will! mit Griechen gereist : " Auf einer Station, wenige Stunden vor Wien, ent ledigte ich mich meines Schnurrbarts, der bereits bis auf die Kinnladen reichte; im Banat und Ungarn sind fit noch üblich, darum ließ ich denselben bis jetzt stehen, es nationalisierte mehr. Uebrigens schafft diese Mode kein Bequemlichkeit, und ich mißte sie nicht, wie den Turban im Gegentheil, man ist im Bette, wie an der Tafel, die mit geplagt. Zuweilen glaubt man ein Haar mit den Speisen in Mund gebracht zu haben, will es schnell her ausnehmen, und reißt sich in Haft einen Theil des Bil tes aus; anderer größerer und kleinerer unbequemlich ten nicht zu gedenken, ---- -------- als fchloffen, nicht konnte befriedigt werden! Betrachtungen über meine Neife. . 565 Endlich, den fünf und zwanzigsten Jänner, Abends, blinkte in der Ferne der Sankt Stephansthurn, und Nachts langte ich glücklich in Wien an; ich war defen innigst froh, denn in Wien feyn, oder zu Hause, war tmir so viel als Eins ! - - - . . " und da bin ich nun wieder. Meine Reisegeschichte ist von hier aus angefangen, mit hier soll sie auch been- digt feyn. Einige Bemerkungen noch, und dann abge- Im künftigen Monathe wird es nun zwei Jahre, daß ich aus meinem Vaterlande abreiste; abreiste mit dem unwiderstehlichen Hang zum Reisen, der, während fünf und zwanzig Jahren durch die öftern Ausflüge in ver- schiedene Theile unsers Europas, bald näher bald ferner, Weiter, immer weiter blieb mein höchster Wunsch: Jetzt, zurück von meiner zweijährigen Reise, wie so ganz umgeändert ist dieser Hang. Er ist befriedigt, ver- fchwunden ! dieser Hang fowohl, als mein ehemaliger, unbegränzter Geschäfts- und Thätigkeitseifer. Ein ande, ter Wunsch hat deren Stelle eingenommen, es ist der auszuruhen vom Reisen, bis einst die große Reise anzu, treten ist, von der man nimmer zurückkömmt! - - - - . . - unendlich Vieles habe ich auf dieser Reise gesehen und erfahren, die Natur der Sache und die Gelegenheit ------- - - - - - - - - - - - - - - V 66 Sechstes Buch. Vierzehntes Kapitel. “ brachte es fo mit sich. Ich war in Gesellschaft mit Vor- nehmen und Großen, geistlichen und weltlichen Standes bis hinunter mit Bettlern, Abentheurern und Hallunket! Bey tieferm Beobachten und Forschen fand sich bei nahe durchgehends das gleiche Resultat: unter Glanz und Schimmer, wie unter Lumpen und Fetzen, besinnten die Leidenschaften, nur so oder so modifiziert, das Thun und Laffen. Aller; wie Wenige handeln aus Grundsätzen, und wie noch Wenigere aus edeln - und, im Ganzeige nommen, wie wenig, wenig wahre Edle habe ich aus der großen Menschenmenge, die ich kennen lernte, gefunden, gegen die Legion des Gegentheils! und wenn ich so nachdenke und nachsehe, wie ich früher mit romantischem Sinne vom fernen Arabien, den feinen Bewohnern, Sitten und Gebräuchen dachte und schrieb; und jetzt mir sage: dort war ich sah und sind Menschen, wie Ueberall; fand, abgeschält das Ziel, die Wirklichkeit: Alles so ganz anders, als die Imagi nation ohne Erfahrung es uns schafft und darstellt. Ich war dort, nnd sah das Gewerbe und Treiben der Met schen, wie bei uns nur unter anderm Anstrich, Elina, und Herkommen, andrer Cultur und Religion; ich find sie weder besser, noch glücklicher als wir, es müßte den der Fall sein, daß sie es aus Mangel an Begriffen für Bessere oder Schlimmere wären, dann wäre es aber nicht Verdienst; ich fand sie, sage ich, weder besser noch gilt licher, als wir in unserm nach Neuheit dürstenden Welt- heile es sein können. * * * * - - - - - - -mm- :: nü :: : i: t! : r: z: 13 z : Betrachtungen über meine Reife. 56 A Wir sind gewohnt, uns von andern und fernen Or- den her Annehmlichkeiten zu träumen, die doch nur in der Ideen- und Romanenwelt vorhanden sind, die an Ort nnd Stelle selbst, wenn der Reiz der Neuheit einmal vorbei ist, wo nicht ganz schwinden, doch von der höch- sten Poesie zur tiefsten Prosa herabsinken! - - Ungeachtet alles überstandenen Ungemachs und aller Mühseligkeiten *), wollte ich doch um Alles nicht, diese Reise nicht gemacht zu haben; sie verschaffte mir Gele- genheit, die wichtige Entdeckung zu machen, daß am Gra- besrande der Mächtigste aller Sterblichen nicht vermag, uns nur eine einzige Minute Zeit zu vergüten, die wir , bald aus hinfälliger Convenienz. Andrer willen, bald we- gen zeittödtendem Ceremoniel, oder weil, wie man zu fa- gen pflegt, es so der Brauch ist, verloren. Ist nun aber das ganze Menschengeschlecht so ohn- mächtig, uns nicht. Einen wegen ihm verlormen oder auf geopferten Augenblick wieder zu ersetzen, wenn wir am Ende unserer Laufbahn sind, wer wird es dann übel deu, ten, wenn man mit der Verwendung dieser Augenblicke fparsam zu Werke geht! Daher mein Vorsatz, mein Ent- fchluß: diese Aufopferung feltner zu machen, und nach Gefallen und Wunsch zu leben. / - - *) und sie waren oft von der Beschaffenheit, auch dem Stärksten in seinen besten Jahren zu genügen, geschweige einem scheinbar Schwächlichen, der in kurzer Zeit ein halbes Jahrhundert aufm Rücken hat. 568 Sechstes Buch. Vierzehntes Kapitel, Ich gebe es gerne zu, daß es in frühern Jahren bisweilen Pflicht, oft Lage und Umstände erfordern kön, nen, diese Aufopferungen zu machen; man verfolgt eine Zweck. Ich bin hinaus über diese Zeit und Verhältnis Ich habe schlechterdings keinen andern Zweck mehr zu verfolgen, als den: der Ruhe, mir felbst, und der Zu- kunft zu leben. / - - - - - - - - - - - - - - - t - ". . . - - ", … - - - - - -- - . - - - - - - - - - / - - h :: z: :: n: - - k Schlußstelle m e i nº e F r e u n d e. Beendigt wäre nun, was ich von dieser meiner letzten Reife zur Rückerinnerung aufgezeichnet habe. Aber an meine Freunde ist es billig und nöthig noch einige Be- merkungen zu machen. - Eine fchlechte Handschrift war von jeher mein Fehr ler; dazu gesellte sich oft schlechte Dinte, schlechtes Pa- Pier, fchlechtes Lokal zum schreiben ; oft geschah es auf den Knieen, oft auf schwankendem Brette, viel in dun- keln Zellen, oder bey elender Lampe, kaum das Geschrie- bene zu sehen; oft bey Kälte und Durchzug vom Wind im Fensterlosen Gemach, Ich komme auf das Wichtigere, die Beschreibung meiner Schicksale, und der Gegenden selbst. Diese letz, tern, denkwürdiger, als wohl keine andern, aber zur ge- hörigen Darstellung erfordert" es eine andre Feder, als die des Schreibers, dem eine bessere Anleitung, nnd meh- rere Uebung in felbstverfaßten Anfätzen abging. Der ein- zige Vorzug, den diese Beschreibung vielleicht vor mancher andern hat, ist der: der Wahrheit, was auch die Haupt- fache feyn sollte, - - - - - - - - - - 570 Schlußstelle an meine Freunde, T- Oft wünschte ich mehrere Erkundigungen einzuziehen, gründlichere Untersuchungen anzustellen; aber Mangel an Sprachkenntniß, zuweilen auch Mangel an Sachkenntnis von Seite der Befragten, vereitelte oder beschränkte doch meine Wünsche fehr ! - - - Ausarbeitung mangelt ganz, und wäre doch eine wich tige Sache! Aber wie hätte ich hiezu Gelegenheit gefu, den? Diese Blätter sind meist eilig geschrieben; oft war ich, während dem Schreiben, mißstimmt, gestört, bei jeder Zeile unterbrochen; keine Rücksicht auf Rechtschreib- ung und Styl nahm ich. Zuweilen, wie ich nun beim Durchlesen finde, zeigen sich Wiederholungen. Netto- tale Mangel der mündlichen Erzählungsgabe ist selbst in meinen schriftlichen Aufsätzen spürbar. Dennoch all die fer Fehler ungeachtet, gebe ich diese Reise, wie ich je niederschrieb. Nicht nur die Beschreibung sollten mit Freunde haben, sondern auch meine Manier zu fchreiben. Sie sollten mich auch in diesen Blättern wieder erkennen; ich selbst aber mich darin wiederfidet, da ich nicht anders scheinen will als ich wirklich bin, und es mir Freude macht, nichts darin zu wissen, das mich mir selbst fremd machen könnte. Die Ursache dieses Mal gels an mündlicher und schriftlicher Erzählungsgabe, lg in der linkischen Behandlung, die ich in den Schule, fuhr, wo man mir das Gedächtniß durch Prügel ein pfen wollte. Ein Umstand der mir schon in der Kindheit das Leben verbitterte, wo mir diese Zeit, von welcher der andere bei deren Rückerinnerung, als von einer Himmel spricht, zur Hölle gemacht wurde. und als später, in meinen Jünglingsjahren, das mit nirende, pedantische Schulsystem durch eine liebevolles z a; ek zum Mit zit er g 11 : N- zei ist 11 4: 1:// ges d / / Schlußstelle an meine Freunde. 57 handlung verdrängt wurde, und ich, statt zum Papagay, zum denkenden Wesen gebildet ward, und ein helleres Da- feyn mir Entschädigung zu gewähren schien, deutete plötz- lich der Finger des Schicksals: daß mein Gang hienieden herbe sein solle. Eine schreckliche Krankheit, Polyp in der Nase, lastete in einer Reihe von fast dreißig Jah- ren, fchwer auf meinem Dafeyn ! Schwül und düster, halb des Verstandes beraubt, floßen der Tage und Stun- den fo viele dahin! Zerstreuung durch übermäßige Ge- schäfte, bewahrte mich Anfangs der Krankheit vor Ver- zweiflung, was – späterhin eine Folge von Grundsätzen war. *) – *) Ich erachte es für eine Pflicht gegen die leidende Mensch- heit hier das Mittel öffentlich bekannt zu machen, durch welches ich, Gottlob! vor bald zehn Jahren von dieser fchrecklichen Krankheit erlöst wurde. Viele Anfragen, aus verschiedenen Gegenden, gelangten deswegen feit der - Erscheinung der ersten Ausgabe meines Werkgens an mich, und, dem Himmel fey es gedankt, die Erläuter- - ungen welche ich gab, verhalfen manchem meiner Lei- , densgenoffen zur Rettung und Hebung des Uebels. Möge die Mittheilung, die ich hier in der zweiten Ausgabe, so " " froh und freudig einrückte, gleich glückliche Wirkung für Jeden noch daran Leidenden hervorbringen. Unter den innigsten Segenswünschen eröffne ich hier das Heilmittel: - „Es ist das Kraut: Marum verum, ( nach Linné), „das in allen guten Apotheken zu haben ist; es wird „palverisiert und geschnuvft (wohlgemerkt nach der Ope- : „ration ). Ich nahm des Tags vier bis fünf Prifen; , „es wirkt astringirend und macht zuweilen sogar bluten, " " , was bey mir der Fall war, worauf ich dann etwas mit „Schnupfen abbrach.“ - - … Ich glaube nicht, daß der Gebrauch des Krautes i irgend einer Hinsicht schädlich feyn könnte, indem i - noch jetzt zuweilen, da dieser Taback nichts Widriges für - nich hat, eine Prise davon nehme. Der Sinn des Ge- - ruchs, den ich beynahe ganz verloren hatte, ist allmälig - nach der Genesung gänzlich wieder hergestellt worden. Die Leiden dieses Uebels befielen mich in dem Alter 3 M. - zwischen dreyzehn bis vierzehn Jahren und peinigten 572 Schlußstelle an meine Freunde, Aber, wenn auch das Undenkliche zu tragen unsch, liegt, so verhalten sich, sagt Lavater, die Leiden diese Zeit zur Helle der Zukunft, wie der Schmerz des Lanz, tenstichs zur Hebung einer tödlichen Krankheit, Am ernsten Ende die Entwicklung . . . . ., doch, nicht von die fein Ende wollt' ich meinen Freu, den reden, sondern vom Ende meiner Reise; und weil ich just sage : „ meinen Freunden, so enthal ten diese paar Worte so Vieles, und fassen alles in sich, was ich noch zu sagen hätte, ohne diese paar Worte - - s - mich ungefähr, bald mehr bald weniger, eine geholt fo lange Zeit. Ungeachtet aller angewandten Mittel und Befreyungsversuche, durch Abbinden, Abäzen und Aus reiffen des Gewächses (deren zuweilen in zwei Tage drey von bedeutender Größe ausgeriffen wurden) lig- achtet eines vieljährigen Gebrauchs des Seidelbasis und einer Menge innerlicher Mittel, schien alle Hoffnung, je gerettet zu werden, verschwunden, und ich ergeh mich . . bereits in mein herbes Schicksal, als ich der Bekannt - fchaft und Güte eines würdigen ' jets - Mittel: „Marum verum zu fchnupfen“, verdankt, Innerhalb der langen Zeit, in der ich an diesentlichel litt, ward ich wiederholt in der Schweiz, in Italien, - in Frankreich und Deutschland operiert; aber immer et“ folgte nach kurzer Frist das Wiederwachsen des Polypen, - Die Kur, welche mir der berühmte Kanonikus Mahr felig, von Zürich verordnete, fruchtete noch am Er rieth zu einer Luftänderung in warmes Klima bereiste Sizilien, erklimmte den Gipfel des Aetna; zur jengenden Mittagszeit rannte ich während den drei heit ßesten Sommermonathen auf der fast glühenden Land vor Messina und Catanea umher; ich kam zurück nach Real fchwarz, wie ein Mohr, aber geheilt auf . . zwei Jahre Nach einem feuchtnaffen, ungesunden Winter, den ich meist in der Stube durchkränkelte, erwachte ich eines Morgens und fühlte den Polyp wieder vorhanden. Hie liger Gott, welch eine schwarze Viertelstunde folgte die fer Entdeckung. Da verschwand der letzte Strahlen Hoffnung, und ohne das Marum verum wäre ich wohl kaum mehr vorhanden - ------------ -- ------- ------ - Schlußstelle an meine Freunde. 575 Aber ich wähne mich im langsamen Zuge der Ka- ravane; es steigt und drückt die schwüle Mittagshitze; kein Schatten auf der unübersehbaren Steppe und kein Quell in der Nähe; nur laues oder fchlammigtes Waf- fer, oder warmer Wein, soll mich laben im brennenden Durst, und hartes Brod und schlechter Käs meinen Hun- ger stillen ! In ermattender Hitze fummet die Bremse und sticht blutig, und raubt den so nöthigen Schlum- 1(", - Und ich meyne heranrücken zu fehen den dämmern- den Abend, naß und kalt; kein Haus weit und breit, kein Holz, das erwärme die lange Nacht über; auf ein- ander werden die Ballen geschichtet zur Schanze in un- fichrer Gegend, um die Spitze zu bieten dem lauernden " Räubertrupp; der Mantel, als Bette, wird auf holpe- rigte Erdschollen ausgespreitet, oder auf naffes Riedgras; Säbel und Flinte unters Haupt, und hart neben an gedrückt, und nieder will ich mich werfen auf den Erdbo- den, die unfreundliche Nacht zu überstehen. * Aber ich erwache aus meinem Wahne zur Wirklich- keit, und ich weiche aus der heißen Mittagshitze ins fchattigte Gemach, und es ist bestellt der Tisch mit gu- ter, felbstgewählter Hausmannskost; Wein aus eignen Reben – (und es ist Eilfer!) – verannehmlicht das Mahl, und kühles Waffer aus meinem Brunnen verdünnt ihn nach Wohlgefallen; ich effe Butter und Milch von meinem Vieh, und Kohl aus meinem Garten. Statt der Leckerey von Melonen, Bananen, Orangen, Granaten und dergleichen, genieße ich das nützli- chere Obst meiner Bäume, und die gesegneten Erdäpfel, 574 Schlußstelle an meine Freunde, unbekannt, oder umgebaut in jenen Ländern, schmücken als Lieblingstracht meinen Tisch; auch das saftige Rind- fleisch schmeckt besser, als Ziegen und Hammel." Oder ich denke mich in eine Stadt, oder ein Dorf des Orients unter die Menge Menschen; rechts und ließ muß ich ausweichen; von Ferne schon muß ich mich, rückziehen, um nicht berührt zu werden, zur Zeit, in die Peft Verderben bringt; auf kein Tuch darf ich mich niederlaffen, und die Feder, im Gras liegend, kann mit den Tod geben. Und komm ich heim vom Spaziergang, so muß ich eine Viertelstunde im Rauche stehen und fit ersticken, eh' ich mich sicher weiß; beräuchert muß wer den Alles und jedes von Andern berührte; in Eig worfen werden, die kleinste Kleinigkeit, und konnte treue Haushund, oder die reinliche Katze, so muß ich weit wegscheuchen die freundlichen Thiere; ansteckend ist ihre Nähe; von Freunden und Bekannten bleibe ich viel Schritte weg, um frey zu bleiben von der Pest, der ist ihnen nicht zuzubringen, - - - Aber zur sichern Wirklichkeit erwache ich, und nicht ist zu fürchten von Krankheit oder Pest in des Watt lands reiner Luft! Ruhig und sicher für Gesundheit, ist Wohnung und Aufenthalt für Menschen und Weil ------ - und ferne von Verwandten und Freunden, inst den Lande, wo ich nicht ein Wort verstehe von der Ex- che des Volks, und keines von der meinigen verstand wird, bin ich in Verlegenheit, die einfachste Sache er klärbar zu machen, und, ob ich lebe oder sterbe, kümmert sich theilnahmlos kein athmendes Wesen um mich! " II :::::: 111 E :: ::::: :: k ::ß 3: : st" e : z z - s - - Schlußstelle an meine Freunde. E75 Aber ich befinde mich in trauter Heimath! verstehe und werde verstanden; finde fo Manchen, der sich auf- richtig meines Wohls und Wiederkehrens freut; fein Händedruck der Freundschaft sagt mir's, daß er um mich kümmerte; wieder in feiner Nähe, heißt er mich innig: „willkomm!“ und herzlich und dankend fühlt es mein Innerstes! - Und in Orsowas fchimmlichte Quarantaine mich ver- fetzend, beginnt das Fieber mich zu fchütteln. Auf die harten Bretter, mit kahlem Teppiche überdeckt, lagere ich mich; Abwart- und Pflegelos, nahe am Dilirium, wälz' ich mich, im Schlummer durch ein Heer von Mäu- fen gestört, auf dem hölzernen Eiderdaun umher; Unge- ziefer aller Art, die Ausgeburt der ekelhaftesten Unrein- lichkeit dieser Mördergrube, macht das Elend noch elen- der; und das Bewußtsein der Gefangenschaft raubt den letzten Trost, und führt an den Abgrund der Verzweiflung, „ Aber ich ermanne mich zur Wirklichkeit und fühle mich gesund, und frei und frank kann ich mich bewegen, und es fehn mir Hügel und Thal offen zu durchwandern in freyster Freyheit; und bin ich des Wanderns fatt und müde, fo winkt im stillen Gemach das reinliche Bette zur Ruhe, und ungestört von allem, was stören könnte, pfleg' ich derselben nach Wohlgefallen, Doch horch und sieht es fauft der Wind, und die Wolken fahren ungestüm durch den Himmelsbogen; Schlo- ßen und Platzregen fallen; es krachet das Schiff, ich höre 576 Schlußstelle an meine Freunde. die Konfusion der Matrosen, verworrnes Geschrey durch, dröhnt das Schiff; stärker heult der Sturm und durch pfeift die Spalten des lecken Fahrzeugs; das Wellenspiel treibts hinauf auf den höchsten Gipfel, und in den grau- envollen Abgrund zu stürzen, öffnet sich jähe die schäl- mende Fluth, Ich sehe das Kreuz schlagen des zahngewor, denen Gesindels; höre feine Gebethe und Gelübde, er- zwungen durch Noth: fchrecklicher tobts; Blitze und Don, ner folgen Schlag auf Schlag; mit blaßer Stirn und Wange starrt der Trupp auf dem verlornen Ball der Wogen; höher bäumt sich die Welle, noch eine, es überschwankt das Schiff –– wehe, das Wasser hinein zu allen Oeffnungen. - Aber zum frohen Taumel erwacht die Besinnung Zwar tobt der Wind, und es schlägt der Regen gegen die Wand, es tofet und flocket, und des Unwetters Schrecken ist groß; aber geborgen auf festem Grund, und gesichert vor allem Uebel der Elemente, das den Wanderer trifft, bin ich in warmer Stube, am heimathlichen Herd, und - schreibe diese Zeilen für meine Freunde, zwischen den vier Wänden meiner ruhigen, ländlichen Wohnung, auf der Bleiche bey Arbon. - - ------- ------------------- - - - - - - - - - - - d 1:1 : - - - - - - - - - , - - - - - " - - - - - - - -- - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - -- - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - -- - - - - - - - - - - -- -- - - - - - - -- - - - - - - - - - - -- - - - K . 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